Die Mumie von Rotterdam. Erster Theil

By Georg Döring

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Title: Die Mumie von Rotterdam
       Erster Theil

Author: Georg Döring

Release Date: August 22, 2014 [EBook #46657]

Language: German


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Die Mumie von Rotterdam.


=Novelle=

=in zwei Theilen=

=von=

=Georg Döring.=


=Erster Theil.=


=Frankfurt= am Main.

Gedruckt und verlegt von Johann David Sauerländer.

1829.




Seinem verehrten Freunde

=Friedrich Mosengeil=

=der Verfasser.=




    Ich habe Dich gefunden
    Im stillen Friedensthal:
    Wir waren längst verbunden,
    Wir wurden's noch einmal.

    So fügt sich Ring dem Ringe
    Zur Blumenkette an,
    Daß sie uns sanft umschlinge
    Und unsern Lebenskahn.

    Er zieht den Strom danieder --
    Wann ruft der Schiffer: =Land=?
    Wir reichen uns dann wieder
    Am Ufer dort die Hand.




Die Mumie von Rotterdam.

Erster Theil.




1.


Am Haven von =Rotterdam= herrschte ein buntes Gewimmel von Geschäftigen
und Müßiggängern. Einige von jenen, mit schweren Lasten beladen, schoben
langsam aber nachdrücklich diese, die eitle Neugierde oder Langeweile
hierher geführt hatte, zur Seite; andere, Papiere in der Hand tragend,
Schiffsconsignationen oder Frachtbriefe, drängten sich rasch und
lebendig durch die Menge, um die Zeit der Ankerlichtung irgend eines
Fahrzeuges nicht zu versäumen.

Eben stimmten die Glockenspiele der Stadt ein Liedchen an, das die
sechste Abendstunde bezeichnete, als zwei Männer, denen die Meisten der
Anwesenden mit allen Beweisen von Hochachtung und Ehrfurcht auswichen,
am Ufer der =Maas= erschienen. Es waren die zwei Handelsherrn =Tobias
van Vlieten= und =Jan van Daalen=. Beide wurden für die reichsten
Leute der Stadt gehalten, beide wußten das und fanden deshalb nicht für
nöthig, die zahlreichen, an sie gerichteten Begrüßungen zu erwiedern. Am
Starrsten und Unbeweglichsten schritt Herr =Tobias van Vlieten= durch
die Raum gebende Menge hin. Seine hagere Gestalt ragte fast um
Kopfeshöhe über die Nebenstehenden empor und sein braungelbes Angesicht,
mit der scharf hervorstehenden Nase und den großen, todten grauen Augen,
bot, unter der umfangreichen, weißgepuderten Perücke, einen
abschreckenden Anblick. Er trug einen langen, zimmetfarbenen Tuchrock,
der trotz des sehr warmen Abends vom Kopf bis auf die Füße zugeknöpft
war. Die Knöpfe aber bestanden aus Doppelducaten und erregten, indem sie
im Abendsonnenstrahle weithin glänzten, die Begehrlichkeit manches armen
Taglöhners, der hier mit schwerer Arbeit wenige Stüber erwarb.

Herr =Tobias= hatte viele Jahre seines Lebens in =Ostindien= zugebracht.
Aber diese Zeit war für ihn keine verlorene gewesen. In dem Handel mit
feinen Spezereien hatte er Millionen gewonnen und während die ungesunde
Luft =Batavia's= seine besten Kräfte aufzehrte und ihn zu einer
lebendigen Mumie ausdörrte, vermehrte sich die Zahl seiner Geldsäcke im
wohlverwahrten Gewölbe auf das Ansehnlichste, stiegen von Posttag zu
Posttag die Summen, die er nach dem Vaterlande übermachte, daß sie dort
sicher und gute Zinsen tragend, angelegt würden. Er hatte auch in
=Batavia= geliebt und in einem kurzen Ehestande gelebt. Die Liebe
überschlich ihn, als er vernahm, daß die bleiche alternde Jungfrau
=Cypriana Hoogendöbel=, welche ihm in einer Theegesellschaft gegenüber
saß, seit gestern die Erbin von hunderttausend Stück Dukaten geworden
sey und ganz allein und verlassen in der Welt stehe, ohne Brüder und
Schwestern, ohne Vettern und Basen, die an dem reichen Erbe mitzehren
könnten.

Es war ihm zu Muthe, als habe er von der berauschenden Wurzel Bang
gegessen, da er dieses vernahm. »=Cypriana Hoogendöbel= muß die Meine
werden!« gelobte er sich selbst mit heißem Schwure. Er näherte sich; er
wurde freundlich angesehen und aufgenommen. Besaß denn =Tobias= nicht
auch schon ein Vermögen von mehr als hunderttausend Dukaten? Und hatte
denn =Cypriana= seit gestern nicht das Ansehen und die Bedeutung, welche
ein solcher Besitz gab, gehörig schätzen und würdigen gelernt? Der
Wunsch, sie nach dem Theeschmause in seinem Wagen nach ihrer Wohnung zu
bringen, wurde dem glücklichen =Tobias= gewährt. Auf diesem Wege
sprengte die neu erwachte Leidenschaft ihre Fesseln. Er erklärte sich
und ward verstanden, er warb um =Cypriana's= diamantenfunkelnde Hand und
sie ward ihm gewährt. Wie nun Herr =Tobias van Vlieten= einen
jahrelangen, glücklichen Ehestand mit seiner Hausfrau verlebt, indem er
während dieser Zeit fast immer auf Handelsreisen von ihr fern gewesen,
das sey hier nur flüchtig berührt. Am Ende dieses Jahres schenkte ihm
=Cypriana= ein Töchterlein; sie selbst aber starb wenige Tage nach der
Geburt des Kindes. Ganz =Batavia= bewunderte die Standhaftigkeit des
jungen Wittwers bei diesem Trauerfalle. Niemand sah ihn eine Thräne
vergießen. Er verbarg den Gram so tief in seiner Brust, daß seine
Freunde ihn nicht einmal ahneten, er besaß Selbstbeherrschung genug,
statt der Falten des Kummers, eine zufriedene Heiterkeit auf seiner
Stirne zu zeigen. Nur sein schwarzer Anzug, die Trauerflöre, mit denen
er reichlich umhangen war, verriethen sein Leid. Die Neugeborene ward
nach dem Willen der verewigten =Cypriana=, die in den letzten Monaten
ihres Lebens einige nach Ostindien verirrte französische Schäferromane
mit großem Interesse gelesen hatte, =Clelia= genannt. =Clelia= hatte
eben das achte Jahr zurückgelegt, als ihr Vater, den das Clima zu einer
Leiche auszudörren drohete, sich entschloß, nach Europa zurückzukehren.
Die liebe Geburtsstadt =Rotterdam=, mit dem buntbemalten Standbilde des
=Erasmus= auf dem großen Markte, stieg plötzlich in einem Zauberglanze
in der sonst öden Phantasie des Herrn =van Vlieten= empor. Er sah sich
selbst, der als ein armer Jüngling die Heimath verlassen, nun als den
reichsten ihrer Bürger in den breiten Straßen der =Buitenstad= auf- und
niederwandeln, im vornehmen Dukaten-beknöpften Rocke, mit stattlichem
spanischem Rohre, begrüßt und geehrt von jedermänniglich; er sah sich am
=Nieuwe-= und =Leuwen-Haven=, am =Blaak= und am =Boompjes=, am
=Wynkracht= und am =Haringvliet=, und an allen Orten flüsterte es um
ihn: »Seht, das ist =Myn Heer Tobias van Vlieten=, der =dickste= Mann
von =Rotterdam=!« Und wie er es prophetisch vorausgesehen im Geist, so
geschah es auch. Er wandelte nun schon seit acht Jahren in den Straßen
und in den Havenplätzen der Heimathstadt in derselben Weise, die ihm die
Ahnung gezeigt, auf seinen Wegen blieben die Leute stehen und raunten
denjenigen, die es noch nicht wußten, mit wichtiger Gebehrde ins Ohr,
dieses sey der dickste -- nämlich der reichste -- Mann der Stadt. Wenn
dann ein Fremder, dem es unbekannt war, wie bei den Holländern =dick=
mit =reich= gleichbedeutend sey, die Mumiengestalt des Herrn =Tobias van
Vlieten= mit erstaunten Blicken maß und ungläubig lächelnd den Kopf
schüttelte, so konnte wohl sein von Natur phlegmatischer holländischer
Freund in Feuer gerathen und Hab und Gut zur Wette anbieten: daß dieses
die Wahrheit sey. So war es denn nach und nach gekommen, daß man Herrn
=Tobias= nur schlechtweg und vorzugsweise den =Dicksten= nannte. Sein
Töchterlein =Clelia= war indessen zu einer anmuthigen und
begehrenswerthen Jungfrau herangewachsen.

Der Mann, in dessen Geleit uns Herr =van Vlieten= zum erstenmale am Ufer
der =Maas= begegnet, war in seinem ganzen Aeußeren der lebendigste
Gegensatz zu dem Wesen des erstern. Herr =Jan van Daalen= maß wenig über
vier Fuß, hatte durch die sorglichste Pflege seines Leibes nach und nach
einen körperlichen Umfang gewonnen, der ihm, nächst seinen Geldsäcken
einen doppelten Anspruch auf die Ehrenbenennung eines =Dicken= gab, und
sah aus dem immer lächelnden runden, weißen und rothen Antlitze jeden
mit den nichtssagenden Blicken der gläsernen Augen so geringschätzig an,
als seyen alle übrigen Menschen Nullen, er aber und sein Begleiter
vielleicht nur allein Zähler in der Seelenliste der Einwohnerschaft von
=Rotterdam=. Seine Kleidung war schlichter und geschmackvoller, als die
des Herrn =van Vlieten=; aber das ächte spanische Rohr, mit dem großen
porzellanenen Knopfe oben, prangte auch in seiner Rechten und die
stattliche Perücke umgab, wie eine Wolke, die obere Hälfte seiner
gedrängten Gestalt. Sein Fuß hatte nie das Weichbild von =Rotterdam=
überschritten. Er hatte das ansehnliche Vermögen, das er von seinem
Vater ererbt, durch kluge, wenn gleich geheimnißvolle Speculationen, so
bedeutend vermehrt, daß er unter den =dicken= Leuten der Generalstaaten
einen der ersten Plätze einnahm. Immer aber blieb die Art, wie er dazu
gekommen, jedermann ein Räthsel. Er hielt keine Schreibstube und keine
Gehülfen. Alle Schreibereien machte er selbst hinter verschlossenen
Thüren ab. Niemand, sein einziger Sohn =Cornelius= nicht ausgenommen,
durfte sein Schreibgemach betreten. Nur ein alter Buchhalter, den Herr
=van Daalen= als ein Erbstück mit von seinem Vater übernommen hatte und
der schon seit vierzig Jahren in die Geschäfte des Hauses eingeweiht
war, schien das Vertrauen seines Prinzipals zu besitzen. Der alte Herr
=Hoontschoten= war aber fast immer abwesend, niemand wußte, wo? Oft ließ
er sich in Jahresfrist und manchmal auch in noch größeren Zwischenräumen
in =Rotterdam= nicht sehen. Erschien er dann endlich, so strahlte Herrn
=Jan's= Antlitz in unverkennbarer Freude und immer wurden, wenige Tage
nach seiner Ankunft, große und gewichtige Geldsäcke in das =van
Daalen=sche Haus geschafft. An seinem Sohne =Cornelius= hatte der alte
Herr bisher wenig Freude erlebt. Statt frühe die Feder zu gebrauchen, um
im Rechnen und Copieren sich zu dem höheren Wirken im Handelstreiben
vorzubereiten, hatte =Cornelius= das Schwerdt ergriffen und war, allen
Abmahnungen des Vaters zum Trotz, unter König =Wilhelm= gegen die
Franzosen zu Felde gezogen. Herr =Jan= zürnte ihm lange und wollte
nichts von ihm wissen. Als er aber einige Jahre nach dem geschlossenen
Frieden in das väterliche Haus trat, zu einem kräftigen, blühenden
Manne geworden, bekleidet mit der Würde eines Hauptmannes, da erfreuete
sich doch des Vaters Auge an ihm; als er aber gar nach einiger Zeit
erklärte, daß er dem Kriegshandwerk gänzlich entsagen, um als ein guter
Ehemann und Hausvater daheim zu leben, und daß die holdselige Jungfrau
=Clelia van Vlieten= es sey, die er zum Gattengespons erwählet, da
schloß ihn Herr =Jan= gerührt in die Vaterarme und meinte in seinem
Innern, der Apfel falle doch nicht weit vom Stamme und die Speculation
auf das liebliche Töchterlein des =Dicksten= sey in der That eines =van
Daalen= würdig. =Cornelius= konnte versichern, daß =Clelia= ihn mit
Blicken betrachte, die keinesweges gleichgültig zu nennen waren. Er
verschwieg, daß er bei günstiger Gelegenheit schon das Geständniß seiner
Liebe gegen sie gewagt habe, daß dieses nicht allein gütig aufgenommen,
sondern sogar mit jungfräulicher Schüchternheit erwiedert worden sey.
Die Aussicht, das ungeheuere Vermögen des Herrn =Tobias= mit dem
seinigen zu vereinen, den Vater =Clelias= vielleicht zu einer
Compagniehandlung zu bewegen, war für den alten =van Daalen= schon
höchst lockend; die Hoffnung aber, daß nun =Cornelius= auch Neigung zu
kaufmännischen Geschäften fassen und dereinst auf dem geheimnißvollen
Wege, den er mit Glück gewandelt, weiter schreiten werde, erfreuete ihn
fast eben so sehr. Er äußerte das auch seinem Sohne. Dieser aber
versicherte ihn ganz trocken: daran denke er nicht, es sey ihm im
Gegentheile nichts in einem so hohen Grade zuwider, als Schreiberei und
Handelschaft und er trage nichts anders im Sinne, als mit seiner
künftigen Ehefrau =Clelia= dermaleinst in Fülle und Wohlleben von den
Zinsen der Capitale zu leben, die ja die beiden Väter in Ueberfluß für
ihre Kinder zusammengebracht und gespart. Herr =Jan= sah ihn auf diese
Rede mit den gläsernen Augen starr und schweigend wohl eine
Viertelstunde lang an; dann wandte er sich mit einem schweren Seufzer
von ihm ab und begab sich zu Herrn =van Vlieten=, um mit diesem die
Freierei-Unterhandlungen zu eröffnen, die nun mit aller Bedächtlichkeit
und Vorsicht, welche zwei so kundigen Geschäftsmännern zugetraut werden
konnten, betrieben wurden.

Dieses war der Stand der zwischen den beiden Handelsherrn obwaltenden
Angelegenheiten, als wir sie zum erstenmale stolz und im Bewußtseyn
ihres Metallwerthes durch die treibende Menge im Haven von =Rotterdam=
hinschreiten sahen.

»Ihr wißt meinen Entschluß, Myn Heer van Daalen,« sagte Herr =Tobias= in
einem herben und strengen Tone, indem er bedeutungsvolle Blicke auf
einige ihm zugehörende, in der =Maas= ankernde Schiffe warf und dann
ebenso bedeutungsvoll auf einige andere zurücksah, die im Canale,
zunächst seiner Wohnung, lagen. »Fünfmalhunderttausend Stück Dukaten ist
ein artiges Sümmchen, aber siebenmalhunderttausend ist noch artiger. Wir
sind beide dick, aber Ihr seyd nicht der dickste! Nur gleich und gleich
gesellt sich gut und erst, wenn Euer =Cornelius= so schwer geworden, wie
meine =Clelia=, so können die Glockenspiele der =Binnen-= und
=Buytenstad= ein lustiges Stückchen zu ihrer Hochzeit aufspielen.
Schade, daß wir nicht in =Batavia= sind! Da hat mich's bei solcherlei
Festen am Meisten ergötzt, die schwarzen Sklaven und Sklavinnen, Abends,
wenn sie des Tages Last und Arbeit hinter sich hatten, einen lustigen
Tanz aufführen zu lassen. Sanken sie dann wohl vor Müdigkeit oder
Trägheit zu Boden, so war gleich des Aufsehers Peitsche bei der Hand,
die sie wieder in die Höhe zum Tanzen trieb und der Hauptspaß war es
nun, sie mit verzerrten Gesichtern, heulend und schreiend, springen und
hüpfen zu sehen. Dergleichen Vergnügungen giebt es nicht in Europa, Myn
Heer =van Daalen=!«

In diesem Augenblicke hemmte =Tobias= plötzlich seinen Schritt. Seine
Blicke waren starr auf einen Punkt gerichtet. Es schien, als mache
irgend ein Gegenstand ihn stutzig, als sey er über irgend eine
sonderbare Begegnung betroffen und unwillig.

Zwei junge Leute in Studententracht waren aus einer landenden Barke ans
Ufer gesprungen. Ihre ersten Blicke fielen auf die hagere und
ausgetrocknete Gestalt des Herrn =Tobias van Vlieten=, der in seinem
canelfarbigen Rocke und mit dem zusammengedörrten bräunlichen Antlitz,
laut und lachend von ihnen der ungeheuerste Zimmetstengel genannt wurde,
der jemals aus Ostindien herübergekommen sey. Ganz im Gegensatze zu
ihnen stand ein ältlicher Mann, der zwischen beide getreten war, dessen
Blicke mit einem Ausdrucke der Verzückung auf Herrn =van Vlieten=
ruheten und der nun mit hohem Ernst in seinen Mienen, mit schnarrender
Stimme und in der die Worte abwägenden Weise eines Pedanten rief:

»Ruhig, meine Söhne! Ruhig, ihr Kindlein der Musen! Habt Ihr je ein so
herrliches Exemplar einer egyptischen Mumie gesehen, wie das hier im
zimmetfarbenem Rocke und mit spanischem Rohre umherwandelnde? Schweigt
von Eurem schnöden Zimmetstengel! Ein Sproße aus pharaonischem
Geschlechte, ein königlicher Bewohner der Pyramiden zeigt sich Euerm
erstaunten Blicke. Er wandelt hier am Ufer der =Maas=, er schnupft Tabak
und trägt Dukaten auf dem Rocke! O wie köstlich, wenn wir ihn hätten im
_theatro anatomico_ zu =Leyden=, schön eingepackt im egyptischen Sarge,
den wunderdeutsamen Ibis zu seinen Füßen, ihn selbst eingehüllet in
balsamische Stoffe, hieroglyphisch übermalet -- o =Isis= und =Osiris=!
die Begeisterung reißt mich fort und verleitet mich, würdige
Handelsherrn der Gegenwart für Gestalten einer heiligen Vorzeit zu
halten! Verzeihet, Myn Heer,« wandte er sich nun zu dem immer finsterer
blickenden =Tobias=, »wenn Euch diese junge Leute durch unziemlichen
Scherz beleidigt! Meine Bewunderung wird Euch hoffentlich zu einigem
Ersatz dienen und solltet ihr jemals nach =Leyden= kommen, so seyd
höflich eingeladen, in dem Hause des Professor =Eobanus Hazenbrook=
einzusprechen.«

Mit diesen Worten nahm der Professor seine zwei jungen Leute, die nun
etwas ernster geworden, unter den Arm und schlenderte ruhig weiter,
indem er jedoch dann und wann einen gleichsam verliebten Blick nach
Herrn =van Vlieten= zurücksandte.

Dieser murmelte einige unverständliche Laute für sich hin, welche eben
nicht die freundlichste Begrüßung aussprechen mochten. Dann richtete er
seine Aufmerksamkeit auf Herrn =Van Daalen=, der von dem Professor und
seinen Zöglingen nichts gewahr geworden war und schon ein Weilchen ohne
Antwort zu erhalten, auf seinen Begleiter eingeredet hatte.

»Alles wird sich zu Euerer Zufriedenheit ausgleichen,« fuhr Herr =Jan=
fort, »und ich kann Euch die feste Zusicherung geben, daß vielleicht
schon morgen oder übermorgen mein =Cornelius= so schwer oder auch noch
schwerer ist, wie Euere =Clelia=. Heute schreiben wir den
achtundzwanzigsten Oktober 1702. Jeder Augenblick kann mir die frohe
Nachricht bringen. Wo ich gehe und stehe ist es mir, als hätte ich
glühende Kohlen unter den Füßen und denke ich einmal zu ruhen im
gemächlichen Großvatersessel, so treibt mich's in die Höhe, als
prickelten mich tausend Stecknadeln. O Myn Heer, Ihr seyd glücklich
mit Euern Speculationen auf Zucker und Caffee! Aber unser eins -- die
Sorgen -- die ängstlichen Nachtwachen -- die Zweifel -- die
Erwartungen.« --

»Was treibt Ihr denn eigentlich?« unterbrach ihn neugierig sein
Begleiter, indem er stehen blieb und die todten grauen Augen forschend
auf Herrn =van Daalen= heftete. »Ihr seyd reich geworden, man weiß nicht
wie, Ihr vermehrt Euere Capitalien von Jahr zu Jahr, man weiß nicht
woher! Myn Heer, es gehen allerlei seltsame Gerüchte von Euch, denen ich
keinen Glauben beimessen mag. Viele sprechen, Ihr hättet einen Bund mit
dem Bösen, der Euch das liebe Geld und Gut zutrüge in der
Sylvesternacht, aber darüber lache ich, denn ich bin aufgeklärt. Andere
meinen wieder, Ihr säßet Nachts im geheimen Kämmerlein und kochtet Gold,
wie Ihr es aus einem zufälliger Weise aufgefundenen Recepte des
berühmten Paracelsus erlernt, doch auch das scheint mir nicht
glaubwürdig, denn hätte der berühmte Paracelsus die Goldmacherkunst
verstanden, so wäre er nicht elend und jämmerlich durch vieler Herrn
Länder gezogen, als ein Pillendoctor und Wurmsamenhändler. Was aber,
Myn Heer =van Daalen=, möchte wohl von den Gedanken derjenigen zu halten
seyn, bei denen Ihr in dem Verdachte steht, Ihr wäret ein allzu guter
Freund der Feinde Eures Vaterlandes, Ihr wüßtet denjenigen, die es
bekriegen, den Franzosen und Spaniern, auf geheimen Wegen Pulver und
Blei, Waffen und Mundvorrath zuzuführen? He! Myn Heer, was sagt Ihr
dazu?«

Herr =Tobias= hatte bei diesen Worten die dürren Knochenfinger seiner
Rechten um den Arm des Herrn =van Daalen= gekrallt. Dieser konnte
während der bedeutungsvollen Rede seines Nebenmannes seine Verlegenheit
nur schlecht verbergen. Er hielt den Porzellanknopf des spanischen
Rohres bald gedankenbrütend an die Nase, bald versuchte er, gleichsam um
die innere Angst zu bewältigen, die Knöpfe seines Kleides zu zählen,
bald lachte er dumm und nichtssagend den Herrn =van Vlieten= an.

»Schufte und Neider sind es,« brach er endlich mit mühsam errungener
Fassung los, »die mir so niederträchtige Dinge nachsagen! Ich bin ein
so guter Patriot, wie Hugo Grotius, und würde gegen die Feinde
ebensowohl zu Felde ziehn, wie Oranien und Horn, wenn ich anders die
Courage dazu hätte. Wenn Ihr dermaleinst meinen Handel kennen lernt, Myn
Heer, und das sollt Ihr, sobald das Geschäft mit der Heirath zu Stande
gebracht worden -- dann werdet Ihr sagen, der =Jan van Daalen= ist ein
schlauer Kauz und ein Vaterlandsfreund, wie es wenige gibt. Ihr werdet
bekennen müssen, daß er vom Feinde, wenn auch keine Schlachten und
Festungen, dennoch werthvolle Dinge genommen, daß er ihm Abbruch in
seinem Besten gethan und die Grundfesten seines ganzen Staatsbaues
erschüttert hat.«

»Große Worte, schöne Sentenzen!« erwiederte ungläubig Herr =van
Vlieten=. »Ueber die Sache müssen wir im Reinen seyn, ehe wir weiter
etwas abschließen. Gebt mir ein vernünftiges Journal, ein aufrichtiges
Cassabuch in Händen: das ist mir lieber, als die wohlklingendste
Redensart! Ich muß wissen, was Euer =Cornelius= in Handelsdingen von
Euch zu erwarten hat, ehe ich nur ein Härchen von dem Haupte meiner
=Clelia= in die Heirathslotterie mit ihm setze. Ich will Euch in meine
Keller und Gewölbe führen. Ihr sollt die Menge von Zuckerhüten und
Caffeeballen, die Hügel von feinen Gewürzen, die wundersamen Gebäude von
Theekisten dort bewundern. Dann will ich Euch die Geheimnisse meines
Comptoirs erschließen, Ihr sollt sehen, was in Cassa befindlich und was
auf gute Zinsen ausgeliehen ist, Ihr sollt Euch aus den Büchern, die ich
vertrauungsvoll vor Euch aufschlagen werde, überzeugen, daß ich meine
Zeit in Europa und Asia wohl angewandt habe. Aber Alles unter der
Bedingung, daß Ihr Tags darauf ein Gleiches thut, ohne allen Vorbehalt
und Hinterlist!«

Herr =Jan van Daalen= hätte in diesem Augenblicke lieber an jedem andern
Orte der Welt, als in =Rotterdam=, an der Seite des =Dicksten= und daher
angesehensten Mannes daselbst, seyn mögen. Er bewegte unruhig die Füße,
er warf das spanische Rohr bald unter den rechten, bald unter den
linken Arm, er steckte beide Hände in die Taschen, er wußte nicht was er
sagen sollte.

Da erschien zu seinem großen Troste ein Befreier aus dieser Bedrängniß
in der Person des Leydenschen Professors, =Eobanus Hazenbrook=. Dieser
trat, sich verlegen die Hände reibend, wiederum gerade auf Herrn
=Tobias= zu. Die beiden Studenten folgten ihm in einiger Entfernung,
kicherten und flüsterten unter einander.

»O Myn Heer,« schnarrte der Professor, »ich muß Euch anreden im Namen
der Musen und als ein Vormund der Wissenschaften in den vereinigten
Niederlanden. Freilich werde ich Euch von Dingen sprechen, die
gewöhnlichen Menschen nicht angenehm sind, aber Ihr, Myn Heer, seyd kein
gewöhnlicher Mensch, Ihr tragt das Gepräge des Außerordentlichen in
Euerm Antlitze, wie in Euerer Figura, und deshalb darf ich schon wagen,
zum Nutzen und Frommen der Wissenschaft eine Frage an Euch zu richten.
Habt Ihr bereits Euer Testament gemacht, Myn Heer?«

=Tobias= blickte den seltsamen Frager mit einer Mischung von Zorn und
Erstaunen an. Mechanisch hob sich das spanische Rohr in seiner Hand und
es gewann für einige Augenblicke das Ansehn, als sey Herr =van Vlieten=
gesonnen, die Antwort auf eine so unverschämte Frage, auf eine
nachdrücklichere Weise, als die gebräuchliche, zu erwiedern. Da naheten
sich aber mit drohender Miene die zwei Begleiter des Professors, Herrn
=Tobias= Rohr neigte sich zur Erde und er begnügte sich, in einem
heftigen Tone zu antworten:

»Ihr seyd ein Unverschämter oder ein Wahnsinniger! Für beide Fälle rathe
ich Euch, diesen Platz schleunigen Schrittes zu verlassen. Es giebt hier
der Leute genug, die auf einen Wink von mir, Euch packen und Euere
Unverschämtheit im kalten Bade der =Maas= von Euch abwaschen oder, wie
ich es ihnen gebiete, Euch, wohl gebunden und bewacht, in's Narrenhaus
abführen. Trollt Euch Euerer Wege und reizt mich nicht ferner! Ihr müßt
wissen: ich bin Heer =Tobias van Vlieten=, der dickste Mann in
=Rotterdam=!«

Die beiden Studenten, junge Franzosen, die auf der damals weitberühmten
Universität =Leyden= den Wissenschaften oblagen, schlugen ein
schallendes Gelächter auf.

»_Que dites vous de cet embonpoint?_« fragte der eine den andern, indem
er mit einer spöttischen Gebehrde sein Schnupftuch zur Hand nahm und
Miene machte, den Umfang des Herrn =van Vlieten= zu messen.

»_Morgué!_« erwiederte der andere; »_il l'a volé à une squelette et il
tâche à le vendre. C'est pour cela qu'il s'en vante._«

Der Professor aber trat dem zurückweichenden =Tobias= noch einige
Schritte näher, und sagte mit großer Kaltblütigkeit:

»Ich könnte Euch _injuriarum_ belangen, Myn Heer, darüber, daß Ihr Euch
ermesset, einen _professorem ordinarium_ der illustern Academie von
=Leyden= als einen unverschämten Gesellen oder gar als einen
sinnverwirrten Menschen zu erklären. Aber Ihr habt mir mein Herz
gestohlen durch Euere absonderliche Liebenswürdigkeit und eine Sehnsucht
in meiner Brust erweckt, die jahrelang darin geschlummert. Ja, Myn
Heer, ich liebe Euch! Und wenn das ein junger Fant mit tausend Schwüren
seiner Liebsten versichert, so will das bei Weitem nicht soviel heißen,
als mein einfaches, unumwundenes Geständniß. Ich liebe Euch
wissenschaftlich. Und deshalb wünschte ich: Ihr machtet Euer Testament!«

Den Herrn =Tobias van Vlieten= überflog es bald heiß, bald kalt. Es war
menschenleer auf dem Platze geworden und er sah sich vergebens nach
einigen Leuten in der Nähe um, die ihn aus den Händen des Wahnsinnigen,
für den er jetzt im Ernst den Professor zu halten begann, hätten
befreien können. Von Herrn =Jan= durfte er wenig Beistand erwarten, denn
dieser sah sich auch bereits nach der Flucht um und hatte nicht den
Muth, ein Wörtchen zu verlieren, das den zwei jungen Franzosen, die sich
trotzig auf ihre langen Stoßdegen stützten, hätte unangenehm seyn
können. Er wagte einen großen Schritt um sich aus der Nähe des
Professors zu entfernen, aber dieser folgte ihm mit einem noch weit
größern und die Studenten vertraten ihm den Weg.

»Hört mich doch nur an!« begann auf's Neue =Eobanus Hazenbrook=. »Ich
will Euch weder kränken, noch beleidigen; ich will Euch nur einen
Vorschlag machen, den Ihr als ein Mann von Einsicht, als ein Verehrer
der Musen, gewißlich eingehen werdet. Ich, der hier vor Euch stehende
=Eobanus Hazenbrook=, bin von den edlen großmögenden Heern schon vor
vielen Jahren als Professor _historiae naturalis_ und Custos _theatri
anatomici_ der erlauchten Lugduner Academie ernannt und bestallt worden.
Was könnt Ihr Uebles fürchten von einem Manne in solchem Amte? Von einem
Manne, dem irgend ein anderer nur unter einem wissenschaftlichen
Rapporte wichtig seyn kann? Doch tretet einige Augenblicke mit mir zur
Seite! Das was ich Euch zu sagen habe, muß Euch erfreuen, da es Euch
eine höhere Achtung von Euch selbst einflöst, aber nur vier Ohren dürfen
es hören und nur unter der dichten Hülle des Geheimnisses kann dieses
Werk zum Ruhme der Universität -- was sage ich? zur Glorie gesammter
Generalstaaten gelingen!«

=Tobias= gewann bei dieser milden und schmeichelhaften Rede des
Professors einigen Muth. Er überließ ihm ruhig seine Rechte, nach der
jener gegriffen, und folgte ihm einige Schritte zur Seite.

»Wenn ich Euch, Myn Heer, ersuchte, Euer Testament zu machen,« hob nun
der Professor in einem leisen, sehr freundlichen Ton an, »so sollte das
nur eine Einleitung zu dem eigentlichen Gegenstande meiner Bitte seyn.
Diese besteht nämlich darin: Ihr möchtet der illustern Universität
=Leyden= und namentlich dem _theatro anatomico_ daselbst ein Legat
vermachen, das einem längst schmerzlich empfundenen Mangel abhelfen
dürfte. Dieses Legat ist aber kein anderes, als das Euerer eigenen,
hochwerthen Person!«

Wüthend wollte sich Herr =van Vlieten= von dem Professor losreißen,
dieser aber hielt ihn fest und sah mit mildem Lächeln in das verzerrte
Antlitz.

»Wie,« zürnte =Tobias=, dem die heftige Aufwallung des Unwillens die
Sprache zu ersticken drohete, so daß er, statt zu schreien, wie er gern
gewollt hätte, nur mit gepreßter Stimme reden konnte, »Ihr wagt es, mir
dergleichen vorzuschlagen? Mir, der dem Doctor jährlich hundert Dukaten
zahlt, daß er ihn durch Purganzen, Mixturen und Elixire noch lange am
Leben erhält, sprecht Ihr von Testament und Tod? Wißt Ihr, daß
dergleichen Redensarten ein Gift sind, das sich auf die edelsten Theile
wirft und so den wirklichen, leibhaftigen Tod herbeiführen kann? Und
dann -- Ihr Schinder und Leichendieb untersteht Euch, mich für Euere
Sägen und Messer zu verlangen, um mich nach meinem, will's Gott! noch
weit entfernten Hintritte, zu zerschneiden und zu zerarbeiten, wie einen
Selbstmörder oder armen Sünder, mich, einen Mann, der im Rathe von
Indien gesessen hat und Euresgleichen durch ein einziges Wort an den
Galgen bringen konnte. Euch soll ja --«

»Ihr ereifert Euch umsonst, Myn Heer!« unterbrach mit unerschütterlicher
Kaltblütigkeit =Eobanus Hazenbrook= den Zürnenden. »Ihr befindet Euch
in einem böslichen Irrthum und legt mir Absichten unter, die ich
keinesweges hege. Man merkt Euch aber an, daß Ihr kein großer
Philosophus seyd! Hättet Ihr dem Sprüchlein des alten Weisen: kenne dich
selbst! Eingang in Euere Seele verstattet und danach Euere Gedanken
geregelt, so müßte es Euch klar seyn, daß eine Figura, wie die Eurige,
bei einer in _usum juventutis_ unternommenen Section eine gar
erbärmliche Rolle spielen würde. Nein, Myn Heer! Wir wollen höher mit
Euch hinaus. Wir wollen Euch nicht zerstören, wir wollen Euch erhalten
auf Jahrhunderte -- was sage ich? -- auf Jahrtausende hinaus!«

=Tobias= machte große Augen. Er schloß sich wieder enger an den
Professor, eine schöne Hoffnung senkte sich in seine Brust, er lächelte
freundlich und sagte im gefälligsten Tone:

»Wenn ich Euch jetzt recht verstehe, so habe ich Euch früher entsetzlich
mißverstanden. Ihr hättet Gutes mit mir im Sinne, Ihr wolltet mich
erhalten in _saecula saeculorum_, wie ihr Lateiner sagt? O, Myn Heer! Es
kommt mir auf eine Metze voll Dukaten nicht an, wenn es ein so theueres
Gut, wie das Leben gilt! Besäßet Ihr wirklich den Stein der Weisen, das
Lebenselixir, das gegen den Tod stich-, hieb-, schuß- und krankheitsfest
macht?«

»Allerdings,« versetzte sehr ernsthaft =Eobanus=, »besitze ich die
Wissenschaft, Euern Körper vor den gewöhnlichen Zerstörungen, welche im
Gange der Natur liegen, zu bewahren; doch erst nachdem der
verehrungswürdige Geist die schlechte Hülle verlassen und sich in höhere
Regionen aufgeschwungen hat. Sehet nicht finster drein, Myn Heer! Es ist
auch etwas Seltenes, fortzuleben rein leiblich auf Erden, zur
Bewunderung der Nachwelt. Diesen Vorzug will Euch =Eobanus Hazenbrook=
bereiten. Höret mich noch einen Augenblick geduldig an und Alles soll
Euch klar seyn. Unser _museum rerum naturalium_ zu =Leyden=, dessen
Custos ich zu seyn die Ehre habe, ist in allen Dingen wohl versehen und
kann den ersten Sammlungen dieser Art in ganz Europa an die Seite
gestellt werden. Es ist mein Alles, dieses Museum: meine Frau, mein
Kind, mein Vater und Mutter, mein eigenes Ich! Nun denkt Euch meinen
Schmerz, edler Herr, als vor einigen Jahren ein fremder Doctor darin
erscheint, über Alles vornehm und wegwerfend hinblickt und zuletzt mit
verächtlichem Tone erklärt: es sey doch Alles nur jämmerliche
Rumpelwaare, da sich nicht einmal eine egyptische Mumie darunter
befinde. Ich hätte dem Bösewichte einen vergifteten Pfeil von der Insel
=Java=, den ich gerade in Händen hielt, ins Herz stoßen mögen. Aber ich
bewältigte meinen Zorn, ich verschloß meinen Schmerz in diese Brust. Er
hatte leider nur zu wahr gesprochen! Schon längst hatte ich den
schmachvollen Mangel erkannt, aber ich gestand ihn nie und bemühete mich
selbst, jeden Gedanken daran zu verbannen. Das war nun vorbei! Die
Sehnsucht nach einer egyptischen Mumie nagte mir fort und fort am
Herzen, ließ mir Tag und Nacht keine Ruhe und verzehrte mich, wie einen
schwächlichen Jüngling die erste, unerwiederte Liebe. O, Myn Heer, was
liegt nicht Alles in einer egyptischen Mumie: Poesie und Geschichte in
der wunderbarsten Hieroglyphik, Naturkunde einer fernen Vorzeit in
köstlichen Spezereien und Balsamen, Wissenschaftslehre in deren
chimischer Vereinigung und künstlicher Anwendung, Industrie eines fernen
Jahrtausends in den umwickelten Webestoffen und noch so vieles Andere,
das hier anzuführen die Zeit nicht erlaubt! Doch dieses Wenige, was ich
hier angeführt, wird hinreichen, Euch mit hoher Achtung vor einer
solchen Mumie zu erfüllen und Euch den Schmerz zu erklären, den ich
empfinden mußte, als der malitiose Doctor bemerkte, ohne ein
Mumienexemplar sey mein Museum eine Rumpelkammer. Mein ganzes Tichten
und Trachten ging nun dahin, die gerügte, schmähliche Lücke auszufüllen.
Ich schrieb Briefe, ich gab Aufträge, ich verschwendete Geld über Geld,
ich schickte sogar einen eigenen Reisenden nach Egypten, daß er mir eine
Mumie aus den Pyramiden verschaffen, im schlimmsten Falle stehlen
sollte. Alles vergebens! Die Aufträge blieben unerfüllt, der Reisende
wurde von räuberischen Arabern aufgefangen, ausgeplündert, mit Gewalt
zum Islam bekehrt und dann in die Wüste geschleppt. Ich war der
Verzweiflung nahe. Trostlos ging ich an den ersten Merkwürdigkeiten
meines Musei vorüber, deren Anblick mich sonst in Entzücken versetzt
hatte, ohne sie einer Beachtung zu würdigen. Die herrliche _boa
constrictor_, die ich einst als meine theuerste Freundin, im süßen
Wonnetaumel ans Herz gedrückt, das liebenswürdige Nilkrokodill, das ich
oft durch Freudenthränen angelächelt hatte, waren jetzt für mich nicht
mehr vorhanden. Ich trug nur =eine= Liebe, =eine= Sehnsucht im Herzen:
die zu einer egyptischen Mumie. Da kam mir eines Abends, als ich traurig
und sinnend auf dem Fußgestelle eines mir ehedem auch sehr werthen
Elephantenskelett's saß, der Gedanke, daß es wohl möglich sey, eine
solche egyptische Mumie in vollkommener Aehnlichkeit, den Kennern selbst
zur Täuschung, nachzumachen. Mein Herz flammte empor in neuer
hoffnungsvoller Liebesgluth! Von den Flügeln der Sehnsucht und Hoffnung
getragen eilte ich ins _theatrum anatomicum_. Hier hatte ich gerade
einige der reizendsten Cadaver vorräthig, die noch je unter die Hände
eines Prosectors gerathen. Ich ging ans Werk. Ich arbeitete viele Tage
und Nächte, ich brachte endlich im tiefsten Geheimnisse eine Mumie zu
Stande, die man keck aus dem Geschlechte der Pharaonen herdatiren
konnte. Wer war glücklicher, als ich! Mit Begeisterung sah ich auf das
gelungene Werk meines Fleißes. Mein Hoffen war erfüllt, mein Sehnen
gestillt, das Ideal meiner Liebe war Wirklichkeit geworden. Aber, o
Jammer! Nur wenige Tage währte mein süßer Traum, nur zu schnell verflog
mein seliger Liebesrausch! Wie es schöne Weiber gibt, die unter der
anmuthstrahlenden Hülle ein falsches, tückisches Innere verbergen, so
war es auch mit meiner Geliebten der Fall. Noch entzückte mich die
holdselige Gestalt, als schon die Furien von ihrem Innern Besitz
genommen hatten. Die Theuere wurde mir ungetreu: sie gab sich der
Verwesung hin. Ich beweinte sie lange und schmerzlich; aber ich verlor
den Muth nicht. Bald erstand unter meinen Händen eine zweite Geliebte;
doch ach! sie hatte dasselbe Schicksal, wie die frühere. Neue Versuche,
neues Mißgeschick! Zuletzt erkannte ich mit bitterm Schmerze, daß das
Wohlleben in unserm Lande, daß das Clima und noch viele andere Ursachen
sich feindlich und zerstörend meinem Liebesglücke entgegensetzten. Jene
heißen Winde, die in Egypten wehen, die Mäßigkeit der Einwohner, tausend
andere Umstände, welche dort die Menschen schon als halbe Mumien sterben
lassen, begünstigen das hohe Werk der Leibeserhaltung auf Jahrtausende
hinaus. Nun sah ich mich allenthalben nach einem Menschenexemplare um,
das alle Eigenschaften, alle Ansprüche, sterbend den uralten egyptischen
Königsthron zu besteigen, besäße. Mein Streben, mein Wünschen, mein
Sehnen waren bis heute vergebens. Aber, Myn Heer, wie wurde mir, als ich
dieses gesegnete Ufer betrat, als Ihr der erste Gegenstand waret, den
mein Auge traf, als ich in Euch Alles fand, was meinem liebebestürmten
Herzen den alten Frieden wieder geben könnte? _Per aspera ad astra!_ Ja,
Myn Heer, Ihr seyd berufen, ein Enkel der Pharaonen zu werden und
deshalb sollt Ihr Euch als Legat der illustern Lugduner Academie
vermachen, daß Ihr durch meine Liebe, durch meine Kunst noch
Jahrhunderte hindurch ein Gegenstand der Bewunderung und Verehrung seyd,
nicht unter dem schnöden Namen eines =Tobias van Vlieten=, nein! unter
einem erhabenen, welthistorischen, den Ihr selbst nach Belieben wählen
könnt, =Amenophis= etwa, =Tethmosis=, =Pherun=, =Cheops=, =Amasis=, oder
gar =Sesostris=« --

»Hol Euch der Teufel mit Euern Muhmen und Königen!« brach jetzt =Tobias=
in überschäumender Wuth aus, indem er gewaltsam seine Hand der des
Professors entriß. »Jetzt habe ich genug Eueres wahnwitzigen
Geschwätzes, Euerer tolldreisten Zudringlichkeit und unverschämten
Anträge. Ward dergleichen je erlebt in Europa, Asia, Africa oder in der
neuen Welt? Ein Mann wie ich, ein Rath aus Indien, ein Bewindhebber in
=Rotterdam= soll einem tollen Professor zu gefallen, nach seinem Tode
eine egyptische Muhme werden? Jetzt trollt Euch Eueres Weges, Myn Heer
=Eobanus Hazenbrook=, und wagt es nicht, Euch ferner freventlich an
mich zu drängen! Dort kommt die Havenwacht und =die= soll mich von
Euerer Gegenwart befreien, so wahr ich meinen ehrlichen Namen =van
Vlieten= gegen keinen Amenophel, Seestritz oder Theemops vertausche!«

In der That nahete jetzt die Havenwache, die hier ein lautes Gespräch
vernahm, mit schnellen Schritten. Der Professor fand nicht für gut, ihre
Ankunft abzuwarten. Mit einem schweren Seufzer und den Worten:

»So lebe denn wohl, Grausamer, der ein liebevolles Herz so unempfindlich
zurück stößt!« verschwand er, von seinen zwei Begleitern gefolgt,
raschen Schrittes in die Abenddämmerung, die sich während seiner
verunglückten Unterhandlung auf Stadt und Haven gesenkt hatte. In seinem
Innern aber kam der Vorsatz zur Reife, den ersehnten =Tobias= immer
unter geheimer Aufsicht zu halten und im erwünschten Falle seines
etwaigen Ablebens, um jeden Preis und auf jeglichem Wege in seine Gewalt
zu bringen.

Herr =Tobias= war erschöpft von dem unerwarteten, seltsamen Angriffe
auf seine Person. Er nahm den Arm des Herrn =van Daalen=, welcher nur
die Rolle eines stummen, aber verwunderungsvollen Zeugen gespielt hatte,
um sich auf ihn zu stützen.

»Wenn das nicht mein Tod ist,« sagte er matt, »so bin ich von Stahl und
Eisen. Ich verabschiede jeden Dienstboten, dem einmal durch
Unvorsichtigkeit das Wörtchen »sterben« über die Lippe geht und wo ich
einem Leichenbegängniß begegne, mache ich, wenn es seyn muß, einen
halbstündigen Umweg, um nicht in seine Nähe zu kommen. O, Myn Heer =van
Daalen=, Geld und Gut hat nur die Erde, das Himmelreich ist der Armen,
wie in der Schrift steht, und in Armuth mag ich nun und nimmermehr
verfallen! Führet mich nach Haus, Myn Heer! Zum erstenmale seit vielen
Jahren kann ich heute die Abendgesellschaft im Prinzencollegium nicht
besuchen. Was wird man dort denken von mir? Sie werden mich für krank
oder gar für -- schon gestorben halten!« Er sprach diese Worte mit
wehmüthigem, weinerlichem Tone. Dann fügte er hinzu: »ja, kommt mit
mir! Wir wollen daheim eine Schale Thee selbander trinken. Meine
=Clelia= soll ihn bereiten. Das wird mich beruhigen, das wird mir meine
Kräfte wiedergeben.«

Langsam und schweigend entfernten sich die beiden Handelsherrn vom Ufer
der Maas. Herr =van Vlieten= mußte öfters stehen bleiben, um sich zur
Fortsetzung des Weges zu stärken. So langten sie erst nach einer halben
Stunde vor seiner Wohnung an, obschon diese nur in einer kleinen
Entfernung vom Haven lag.




2.


In der stattlichen Wohnstube des =van Vlieten'schen= Hauses saß Jungfrau
=van Vlieten= allein und suchte sich, wie es gehen wollte, die
Langeweile zu vertreiben. Sie zählte bald die Fensterscheiben, sie ließ
einen flüchtigen Blick über die tausendmal gesehenen Figuren des
chinesischen Wandgetäfels hingleiten, sie betrachtete dann auch wohl
einige Momente lang die beiden Pagoden, die nickend in den Ecken des
Zimmers standen, oder das große, seltsam gestaltete ostindische
Götzenbild, das ihr Vater, aus einer besonderen Liebhaberei, aus Asien
mitgebracht und im Hintergrunde des Gemaches aufgestellt hatte. Es
begann ihr unheimlich zu werden in der wunderlichen Umgebung. Sie
glaubte, das Dämmerlicht der wenigen Kerzen, die in dem Zimmer brannten,
ließ ihr heute besonders die sonst gewohnten Gegenstände in neuer
beunruhigender Weise erscheinen. Sie zündete noch mehr Kerzen an, sie
umstellte das Götzenbild, das ihr so grauenhaft noch nie vorgekommen
war, mit vielen brennenden Lichtern, sie zwang sich zu dem Muthe, in das
Innere des hohlen Bildes hineinzuleuchten, um sich zu überzeugen, daß
hier niemand verborgen sey. Aber weder die vermehrte Erhellung, noch die
erkünstelte Verwegenheit, reichten hin, sie nur auf die kurze Dauer
einer Viertelstunde gegen die furchterweckenden Eindrücke der einmal
bedeutungsvoll gewordenen Gegenstände zu wappnen. Die gläsernen Augen
des Schiwa oder Brama schienen drohend aus dem widrigen Menschenhaupte,
das auf einem Thierrumpfe saß, auf sie herabzublicken; der Götze schien
die erhabenen Arme mit den kralligen Tatzen nach ihr auszustrecken.
=Clelia= mußte die Blicke von ihm abwenden. Zitternd schwankte sie ans
Fenster und sah in den dämmernden Abend hinaus. Ein Seufzer hob ihre
schöne Brust. Sie war nicht groß, aber schlank und zart gewachsen. Sie
besaß eine Leichtigkeit der Bewegungen, die in einem Lande, wo sie beim
schönen Geschlechte ebenso selten ist, wie beim starken, um so mehr
auffallen mußte. Ihr Angesicht war regelmäßig und fein gebildet, ihre
Augen waren groß und schmachtend, ihr Haar von seltener Schönheit und
die rothen Rosen auf den südlich dunkeln Wangen gaben ihr einen ganz
eigenthümlichen Reiz.

Sie schien jemand zu erwarten: Bei jedem Geräusche, das auf den Gängen
vor dem Zimmer entstand, horchte sie aufmerksam hin. Oft wurde ihre
Erwartung getäuscht. Dann zeigte sich neben dem Ausdrucke der Furcht,
noch der des Unmuths in den Zügen des lieblichen Antlitzes. Endlich
nahm sie ihren Platz vor dem zierlich aus Rosenholz gearbeiteten
Spinnrade ein, einem Werkzeuge, das in jener Zeit, statt der bisher
gebräuchlichen Spindel, bei den Damen sehr in Aufnahme gekommen war und
durch sein tacktmäßiges Schnurren in der That die etwa lästig erregte
Aufmerksamkeit zerstreuen und die Gedankenlosigkeit befördern konnte.
Aber aus dem Angesichte der schönen =Clelia= wollte ein Zug, der Unruhe
und Verlegenheit ausdrückte, nicht verschwinden. Sie lauschte noch immer
unter dem Spinnen auf, sie schrack bei einem kleinen Geräusche zusammen,
sie sah sich ängstlich um.

Da hörte sie mit einemmale einen leisen aber raschen Fußtritt auf dem
Gange. Sie ließ die Hand sinken, sie blickte voll Spannung nach der
Thüre. Die Rosen auf ihren Wangen wurden so glühend, daß ihr Roth das
ganze Antlitz einnahm; das ungestümer schlagende Herz hob in unruhigen
Bewegungen die jugendliche Brust. Der Kommende mußte mit Hoffen und
Zagen, mit Wünschen und Bangen erwartet worden seyn!

»=Clelia!=« flüsterte eine gedämpfte Stimme durch die Thürspalte. »Darf
ich eintreten?«

Das Mädchen war nicht im Stande zu antworten. Sie that schwankend einige
Schritte nach der Thüre hin, ein tiefer Seufzer entrang sich der
beengten Brust. Ihre Augen hafteten ängstlich an dem Eingange, in
welchem jetzt mit leisem schwebendem Schritte und vorsichtig spähendem
Blicke, ein schlank gewachsener junger Mann erschien, der so
geschmackvoll und anständig gekleidet war, als es sich nur mit der Sitte
der damaligen Zeit vertragen wollte.

»Herr =Cornelius=,« hatte jetzt =Clelia= Kraft zu stammeln. »Ihr wagt es
dennoch -- trotz meiner Bitte -- wenn der Vater --«

»Beruhigt Euch, theuere Jungfrau,« erwiederte schnellzüngig der junge
=van Daalen=, indem er mit einer leichten und anmuthigen Bewegung vor
ihr stand. »Der werthe Vater steigt in diesem Augenblicke mit dem
meinigen am Haven umher und höchst wahrscheinlich sind beide in sehr
tiefsinnige Gespräche, die unser beiderseitiges Glück betreffen,
verflochten. Von da spazieren die zwei wohlmögenden Handelsheern, wie
es ihre auf viele Jahre hin gestellte Lebensuhr will, in's
Prinzencollegium, um dort bei einem Dutzend oder noch mehr Tassen Thee,
die Franzosen zu Land und die Spanier zur See zu schlagen. Mögen Sie es
thun! Mögen sie tausend Kanonen und hundert Linienschiffe erobern, ohne
einen Tropfen Blutes zu vergießen, ich entsage gern dem wilden
Waffenwerke, der Fahne des unruhigen Kriegsgottes, um mich zu beugen
unter die Macht Amors, des freundlichen Liebesgottes. Ja, holdselige
=Clelia=! Als ich zum erstenmale Eure anmuthige Gestalt sah, da hatte
ich in einem Augenblicke alle Gedanken an Waffenruhm, an Ehre im Felde,
an Lust und Jubel im Kriegslager rein vergessen. Wenn ich sonst nur
immer von erschlagenen Franzosen, von angesehenen Gefangenen, von
Lobeserhebungen meiner Vorgesetzten träumte, so sah ich jetzt im Traume
nur Euer liebliches Bild, nur Euch, wie ich Euch aus der Kirche
heimführte, als meine wohlleibliche Ehefrau, ich hörte nur Euere Stimme,
die mich mit süßen, wohlklingenden Namen nannte. Aber, Ihr sagt nichts,
mein theueres Bräutlein? Keine Silbe geht über Eueren Purpurmund und ich
hoffe und harre vergebens eines freundlichen Grußes, eines gütigen
Willkommen!«

»Kann man denn zu Wort kommen vor Euch, Herr =Cornelius=?« versetzte
lächelnd, aber dennoch schüchtern =Clelia=. »Und überdem bin ich auch
böse auf Euch, denn Ihr habt meinem Wunsche, =nicht= hierher zu kommen
zu dieser Stunde, entgegen gehandelt.«

»Bei allem Glücke Oraniens!« rief mit Lebhaftigkeit der junge Mann. »Ich
verehre Euch zu sehr, um selbst Euerer Rede zu trauen, wenn sie in
derselben Viertelstunde das zurücknehmen will, was sie kurz zuvor
gestattet. Nein, verehrte Jungfrau! Ihr könnt nicht von sträflichem
Wankelmuth, von unbeständigem Leichtsinn regiert werden. Ihr sprecht
wenig, aber Ihr denkt desto mehr und was Ihr einmal bedacht und überlegt
habt, das ist gewißlich das Rechte und ich leiste ihm Folge, ob auch
tausend Gegenbefehle kämen! Wer flüsterte mir ein trauliches =Ja= zu,
als ich Sonntags Nachmittag an der Kirchthüre um die Erlaubniß zu
diesem Besuche bat? Ihr waret es, Holdseligste! Was Ihr später, als ich
Euch einige Schritte weit begleitete, gesagt habt, mag ich gar nicht
gehört haben und lasse es in der Nacht der Vergessenheit begraben seyn.
Ich habe mir nur einen Vorwurf zu machen. Es ist =der=, zu spät gekommen
zu seyn. Aber da muß mein böses Schicksal, gerade als ich das Haus
verlassen will, unsern Buchhalter, den alten =Hoontschoten=, von weiter
Reise zurückführen, da nimmt mich der alte Mensch beim Kragen, jammert
und heult mir Dinge vor, von denen ich kein Wort begreife, bis ich ihm
endlich verständlich mache, daß mein Vater im Prinzencollegium ist, daß
er dorthin gehn und seinen Jammer anbringen soll, wo er ohne Zweifel
mehr Aufmerksamkeit und Begriffähigkeit dafür finden würde. Der seltsame
Kauz war ganz außer sich. Ich habe ihn noch nie so gesehen und ich
fürchte sehr, er wird mit seinen Litaneyen meinem Vater den beliebten
Thee in betrübten Wermuthtrank verwandeln. Ach, =Clelia=,« fuhr der
Gesprächige mit einem Seufzer fort, der ernsthaft seyn sollte, aber,
indem er seinen Ursprung aus einem heitern Character nicht verleugnen
konnte, eher komisch ausfiel: »welche Leiden hat doch die Liebe in ihrem
Gefolge! Da ist die gespenstige Eifersucht, da ist Zweifelsucht, da ist
die übele Nachrede anderer. Ja, liebwertheste Jungfrau, es giebt Leute,
welche behaupten, wir paßten nicht für einander, weil Ihr viel denkt und
wenig sprecht, und ich gerade das Gegentheil von diesen beiden Dingen
thue. Welche Thorheit, oder gar welche Bosheit aus schwarzem Neide
entsproßen! Eben um dieser Ursachen willen sind wir ganz für einander
geboren. Ihr denkt für mich und ich spreche für Euch. So wandeln wir
vereinigt durch's Leben und jeder sorgt und handelt für den andern, lebt
nur in diesem, vergißt sich selbst und ist so in der einzigen und wahren
Liebe, welche allein die Sterblichen beglücken kann! Ach, wie viele
unglückliche Ehen gäbe es weniger in der Welt, wenn jedermann in der
Wahl des zu liebenden Gegenstandes so vernünftig zu Werke ginge, wie
wir!«

Langsam und unter dem Scheine der Unabsichtlichkeit war indessen
=Clelia= mit ihrem Verehrer zu der Fensternische geschritten, in der
zwei Sessel standen, auf denen sie nun einander gegenüber Platz nahmen.

»Es ist wahr, Herr =Cornelius=,« begann jetzt =Clelia= in einem ruhigen
und gemessenen Tone, »daß mein Vater von der Möglichkeit einer
Verbindung zwischen uns beiden mit mir gesprochen hat, aber er hat mir
auch nicht verhehlt, daß erst gewisse Bedingungen, die er mir nicht
nennen wollte, erfüllt seyn müßten, ehe er sein Jawort in einer
bestimmten Weise geben könne. Ich bin Euch von Herzen gewogen, Ihr habt
ein gutes Herz, ein treues und offenes Gemüth. Ich glaube, daß ich
glücklich mit Euch werden kann. Aber Ihr müßt immer bedenken, daß wir
noch nicht am Ziele stehen, daß Alles noch sehr ungewiß ist. Deshalb
müßt Ihr auch meinen Ruf schonen, nicht so oft an unserm Hause
vorübergehn und heraufschauen, mich nicht an der Kirchthüre erwarten,
auf der Straße mir nicht auflauern und geheimnißvoll zu mir flüstern.
Euch recht dringend darum zu ersuchen, war allein die Ursache, daß ich
Euere Gegenwart verlangte, was ich gleich nachher bereuete, da es doch
auch zu übelm Leumund Anlaß geben kann. Aber ich bitte Euch recht sehr
Herr =Cornelius=, bedenkt was ich Euch gesagt habe!«

»O, das abscheuliche Denken!« rief =Cornelius=, indem er sich mit einer
Gebehrde des Unmuths durch das krause Lockenhaar fuhr. »Fordert Alles
von mir, vieltheuere =Clelia=, nur das nicht! Soll ich Euch irgend einen
französischen Oberoffizier mitten aus seinen Leuten herausholen, mit Roß
und Waffen? Bei dem Glücke Oraniens, Ihr sollt ihn haben! Befehlt sonst
ein Wagstück, ein Unternehmen, bei dem es Blut und Leben gilt:
=Cornelius van Daalen=, gewesener Hauptmann König =Wilhelms=, wird
keinen Augenblick zaudern. Aber =Denken=? Das scheint mir gerade so
schwer, wie =Sprechen= leicht! Auch ist es sicherlich in den weisen
Einrichtungen der Natur nicht so begründet, wie das Sprechen. Gibt es
doch unvernünftige Vögel, welche zum Sprechen abgerichtet werden
können, ohne daß es noch je möglich gewesen wäre, sie auf einen
gescheidten Gedanken zu bringen. Wenn ich mir einmal ein Herz fasse und
mich bemühe zu denken, dann geht's mir, wie den Krebsen, und ich
schreite mit meinen Gedanken rückwärts in die Vergangenheit, statt
vorwärts in die Zukunft hinein, in die ich eigentlich wollte. Dann
fallen mir tausend dumme Streiche ein, die ich begangen habe, und noch
mehr übereilte, zu denen ich mich in der Gutmüthigkeit meines Herzens
hinreißen ließ und die meinen Vater Geld genug kosten. Dann ärgere ich
mich und verschwöre das Denken auf lange hin. Glaubt mir, sehr theuere
Jungfrau, es ist höchst weise von unsern Vätern gethan, daß sie für uns
Geld und Gut in Fülle zusammengescharrt und gespart haben; denn, wenn
wir von dem zehren sollten, was ich durch Denken und Speculiren
aufzubringen vermöchte, als ein wohl ehrsamer Handels-Patron, so würde
nicht allein das Salz auf dem Brode, sondern auch das Brod unter dem
Salze fehlen. Aber Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß ich mich, Euerm
Wunsche zu Folge, in meinem Betragen ändern werde, bis die gestrengen
Väter das Facit des Rechenexempels, das sie mit uns beiden anstellen,
gezogen haben. Ihr werdet mich nicht mehr in der Kirchenthüre sehn,
sondern in der Kirche selbst, wohin mich die christliche Pflicht ruft;
ich werde Euch nicht mehr auf offener Straße anreden, sondern höchstens
in einem verborgenen Gäßchen; ich werde bei der Fensterpromenade nicht
mehr gerade zu Euern Fenstern hinaufschauen, sondern höchstens nur etwas
Weniges hinaufblinzeln.«

»Eine schöne Besserung!« lächelte =Clelia=. »Ich aber werde dazuthun,
sie zu einer wirklichen zu machen. In der Kirche gibt es auch
vergitterte Betstühle, verborgene Gäßchen werde ich zu vermeiden wissen,
und meinen Sitz am Fenster werde ich in die Mitte des Zimmers verlegen.«

»Welche strafbare Vorsätze!« rief =Cornelius=, indem er von seinem Sitze
aufsprang. »Insubordination und Rebellion! Bei dem Degen des großen
=Marlborough=! indem Ihr Euch zu meiner Liebsten bekannt, habt Ihr zu
meiner Fahne geschworen und der dürft Ihr nicht untreu werden durch
kaltes Zurückziehn, listige Winkelzüge und muthlose Flucht. Ich werde
nach Kriegsgebrauch mit Euch verfahren. Ich werde Euch vor ein Gericht
stellen, dessen Präsident, Beisitzer und Ankläger ich in einer Person
seyn werde. Alles geht rasch nach Kriegsmanier. Ihr werdet verurtheilt,
arquebusirt zu werden und das geschähe ohne Gnade und Barmherzigkeit,
wenn ich mich nicht im letzten Augenblicke, da Ihr schon auf dem
Sandhügel knieet, um den tödlichen Schuß zu empfangen, bereit erklärte,
Euch zu heirathen, was bekanntlich ebenfalls nach einem alten
Soldatenherkommen, den armen Sünder von der Todesstrafe retten kann.
Doch Holland und Oranien! was höre ich?« unterbrach er plötzlich
aufhorchend sich selbst. »Das ist Eueres Vaters Stimme, das ist die des
meinigen, oder ich habe nie Pulver gerochen! Sie sind schon auf der
Treppe, gleich wird sich die Thüre öffnen und wir werden die
wohlmögenden Heern erscheinen sehen.«

Während =Cornelius= noch sprach, waren seine Blicke im Zimmer nach einem
Verstecke umhergeflogen. =Clelia= war keines Wortes mächtig, sie
zitterte und mußte sich an der Fensterbank halten. Schon scharrte es vor
der Zimmerthüre, schon wurde die Klinke ergriffen und man vernahm
deutlich die beiden Herren, wie einer den andern zum Voranschreiten
nöthigte. Es war kein Augenblick zu verlieren. Mit einem raschen Sprunge
flog jetzt =Cornelius= zu dem Götzenbilde; indem die Thüre aufging und
die kleine, runde Gestalt des Herrn =van Daalen= sich hereinschob,
schlüpfte dessen liebe- und lebenslustiger Sohn in das Innere des
indischen Heiligthums.

Herr =Jan= ließ einige forschende und befremdete Blicke im Zimmer
umherschweifen. Er besaß ein sehr scharfes Gehör und hatte vor der Thüre
deutlich die Stimme seines Sohnes im Innern des Gemaches vernommen. Er
kannte ihn hinlänglich, um ihm den verwegenen Versuch eines
Stelldicheins mit Jungfrau =Clelia van Vlieten= zuzutrauen. Er sah auf
das Mädchen, er gewahrte ihre Verlegenheit, er war seiner Sache gewiß.
Aber wo war =Cornelius= hingekommen? Das Zimmer besaß nur die eine
Thüre, durch welche die Väter es betreten hatten. Nirgends war ein
Behältniß, eine verhängte Stelle zu bemerken, wo =Cornelius= ein
Versteck gefunden haben konnte. Da fielen Herrn =Jan's= Blicke auf das
Götzenbild, da sah er hinter dessen gläsernen Augen etwas Bewegliches
und nun wußte er auch, welche Kriegslist der theuere =Cornelius=
angewandt habe, sich dem unerwarteten Rencontre mit dem Gegner zu
entziehn.

Bedeutungsvoll lächelnd näherte sich der alte Herr =van Daalen= der
zagenden Jungfrau, bedauerte sehr, wenn sein, zu dieser Stunde
ungewöhnlicher Besuch sie in irgend einer angenehmen Beschäftigung
gestört habe und sprach die Hoffnung aus, daß sie wohl Zeit und
Gelegenheit finden werde, solche verlorene Augenblicke wieder
einzuholen. =Clelia= erröthete über und über. Sie sah sich verrathen;
sie vermochte kein Wort zu erwiedern.

Mit einem sehr jammervollen Gesichte trat jetzt ihr Vater zu ihr heran.

»=Clötje=,« -- so pflegte Herr =Tobias= den Namen =Clelia= zu
verniedlichen -- sagte er weinerlich, »besorge uns Thee: viel und stark!
Thue auch Zimmet und Gewürznelken hinein, damit er mich erwärme, denn es
schüttelt ein Fieberfrost meine Glieder und eine wunderliche Sehnsucht,
wie ich noch nie empfunden, wandelt mich an, um die Mittagsstunde in
heißer Sonnenhitze auf dem Plätzchen vor meiner Plantage am Fluße
Jakkatarg, wo ich ungehorsame Sklaven oft zur Strafe den glühenden
Mittagsstrahlen preißgab, zu liegen, ohne ein schattendes Obdach,
einschlürfend und gierig einsaugend jeden senkrecht niederfallenden
Sonnenstrahl.«

Langsam entfernte sich die Tochter. Es war ihr lieb, sich unter einem
guten Vorwande der drückenden Gegenwart der beiden Männer entziehen zu
können, aber sie fühlte sich auch zugleich von Besorgnissen um den
versteckten =Cornelius=, den leicht ein Zufall verrathen konnte, bewegt.
Sie warf, als sie schon an der Thüre stand, einen ängstlichen Blick auf
das Götzenbild. Da lächelte ihr Herr =van Daalen= freundlich zu und
machte, während der Vater seine Augen nachdenklich zu Boden geschlagen
hatte, eine beruhigende Bewegung mit der Rechten, die dem Mädchen sagte:
daß er mit im Einverständnisse sey und schon sorgen wolle für eine
sichere Bewahrung des Geheimnisses. Dennoch verließ sie mit schwerem
Herzen das Gemach.

»Dieser entsetzliche Professor =Eobanus Hazenbrook=!« hob Herr =van
Vlieten= in einem sehr wehemüthigen Tone an, nachdem er sich mit seinem
alten Freunde an einem chinesischen Tischchen in der Mitte des Zimmers
niedergelassen hatte. »Womit habe ich ihn gekränkt, daß er Gift und
Galle in mein Herz schüttet, daß er mit boshaften, tückischen Worten
mich an das schauderhafte Ende alles Zeitlichen mahnt und mit einemmale
alle Standhaftigkeit meiner Seele niederwirft und da, wo Aufklärung und
Muth herrschten, Grauen und Furcht säet? Ach, =Myn Heer van Daalen=,
seit vielen Jahren habe ich kein Wörtchen von Tod und Sterben gehört,
ich habe jeden Gedanken daran sorglich fern gehalten, und war in den
schönen Traum eingewiegt, ich könne gar nie sterben und würde mich
ewiglich des Lebens und seiner Güter erfreuen! Dies herrliche Gebäude
der leiblichen Unsterblichkeit ist nun wie weggeblasen durch den
mörderischen Odem des schauderhaften =Hazenbrook=. Er hat mir es
angethan, ich bin wie umgewandelt, Todesfurcht liegt mir in allen
Gliedern und wohin ich sehe, erblicke ich Gespenster. Ach, Myn Heer und
Freund, habt die Gefälligkeit und nehmt meinen Platz ein! Ich kann es
nicht ertragen, wie mich das häßliche Götzenbild, mir gerade gegenüber,
mit starren Blicken anglotzt. Das ist das erstemal in meinem Leben, daß
ich mich davor fürchte, aber es ist auch heute, als stäke etwas
Besonderes drin und manchmal dünkt es mich, als gewönnen die Glasaugen
Leben und schleuderten Blitze in mein bebendes Herz herab!«

Herr =van Daalen= war gleich erbötig, mit =Tobias= den Platz zu
wechseln. Er hatte schon Anfangs, als sie sich niederließen, sich bemüht
an diese Stelle zu kommen, damit das Versteck des Sohnes nicht zu sehr
den Blicken des Herrn =van Vlieten= ausgesetzt sey; aber der alte Herr
hatte so fest Posto gefaßt, daß es jenem nicht gelang, ihn vom Flecke zu
mannoeuvriren. Jetzt änderte sich Alles von selbst, wie Herr =Jan= es
wünschte, und von seinem Vater hatte der verborgene Bewohner des Bildes
nichts zu fürchten.

»Schon oft,« sagte =Tobias= jetzt in dem kleinlauten Tone, zu dem ihn
der Antrag des Professors herabgestimmt hatte, »sind mir von dem Domine
unseres Kirchsprengels Vorwürfe gemacht worden, daß ich, als ein
christlicher Kauf- und Handelsheer, den heidnischen =Brama=, =Schiwa=,
=Vischnu=, oder wie sonst die Teufelsfratze heißen mag, innerhalb meiner
vier Wände aufgestellt habe. Ich lachte darüber und versicherte den
Domine, ich sähe das seltsame Götzenbildniß nicht anders an, als eine
Curiosität, wie etwa die chinesischen Pagoden dort im Winkel, oder ein
Gemälde von einem unserer berühmten Maler, welche die Kirmessen so
getreulich dargestellt haben. Ich achtete nicht auf das Kopfschütteln
des geistlichen Heern, was er sagte, schien mir eitel Thorheit und
Aberglaube. Aber Uebermuth bestraft sich selbst! Ich sehe die Sache
jetzt ganz anders an, wie früher. Man soll den Bösen nicht an die Wand
malen! Daß ich dem ehrenwerthen Domine so schnöde begegnen konnte, war
sicherlich schon eine Eingebung des Satans mit den glotzenden Glasaugen,
der dort hinten auf dem Piedestale steht. Wißt Ihr was, Myn Heer =van
Daalen=? Ich habe große Lust, meinen Gewissensbissen wegen dieser Sache
mit einemmale ein Ende zu machen. Ich werde meinen Leuten rufen, daß sie
den =Vischnu= in tausend Stücke zerhauen und ihn ökonomisch verwenden
auf dem Heerde, um eine christliche Suppe daran zu kochen.«

Er war schon im Begriff aufzustehen, als Herr =van Daalen=, rasch den
kurzen Arm über den Tisch streckend, ihn zurückhielt.

»Um Gotteswillen, thut das nicht!« rief dieser mit ungewöhnlicher
Lebhaftigkeit. »Wer weiß, ob so ein Ding, aus Zorn über ein solches
Unterfangen, die Macht, die es in Indien exerciert, dann nicht einmal
auch hier üben möchte, so daß Euch und Euerem Hause entsetzliches
Unglück daraus entstünde. Wahrhaftig! mir kommt es schon vor, als
verdrehe es die Augen und richte sie mit drohendem Ausdrucke auf uns.
Myn Heer =van Vlieten=, gebt der Vernunft Gehör! Laßt heute das garstige
Bild in Ruhe. Ein anderes Mal, wenn der Domine dabei ist, um durch
geistliches Wort und Gebet den Höllenhund zu bändigen, mögt Ihr's
versuchen; uns zwei armen Sündern, die immer mehr dem Weltlichen, wie
dem Geistlichen ergeben gewesen, dürfte er übermächtig seyn. Er ist ein
häßlicher Kerl, der =Schiwa= oder wie Ihr ihn nennt. Er verdreht schon
wieder die Augen, er bewegt den Mund --«

In diesem Augenblicke ließ sich in der That ein tiefer Seufzer aus dem
Innern des Götzenbildes vernehmen. =Cornelius= fühlte seine Brust
beklemmt in dem engen Behältnisse; es ward ihm schwer, Odem zu schöpfen.
Die Anstrengung, welche er hierzu verwenden mußte, brachte jenen Ton
hervor, den sein Vater bemerkte und der Herrn =Tobias= schnell von
seinem Sitze auf und in einem weiten Sprunge nach der Thüre hintrieb.

»Der Teufel ist los und wird uns gleich am Kragen haben!« schrie er
entsetzt. »Gleich steigt er herab von seinem Postamente, auf das ich
Unglücklicher ihn erhoben habe. Ich sehe ihn schon durch das Zimmer
schreiten, ich höre sein furchtbares Trappeln hinter mir her, Trepp'
auf, Trepp' ab, durch alle Gänge des Hauses, wenn ich ihm zu entrinnen
suche -- ich bin ein verlorener Mann, denn er =hat= mich! Der Domine muß
herbei, =der= allein kann helfen.«

=Cornelius= erstickte beinahe vor unterdrücktem Lachen in seiner dunkeln
Verborgenheit. Er konnte nicht so sehr Herr seiner einmal erregten
Lachlust werden, daß nicht wiederum sein Kichern vernommen worden wäre.
Herr =Tobias= glaubte in diesen Tönen die Vorboten von dem
ausbrechenden Zorne des Heidengötzen zu erkennen. Er achtete nicht auf
Herrn =van Daalen=, der mit beruhigender Gebehrde ihm nachschritt, er
sah nicht das Lächeln, das sich wider dessen Willen, auf seinem runden
Angesichte zeigte. »Fort, fort!« war der einzige Gedanke, dessen er
fähig war. Er riß die Thüre auf, er wollte hinausstürzen; da stürmte ihm
von außen herein eine fremde Gestalt entgegen, von neuem Entsetzen
ergriffen prallte er zurück, in die Arme des hinter ihm stehenden
Handelsherrn.

»Der Satan hat Genossen!« stammelte er. »Der Rückzug ist uns
abgeschnitten.«

Aber Herr =Jan= wurde in diesem Augenblicke bleicher, als =Tobias=.
Seine Augen starrten mit Blicken des Schreckens und der ängstlichsten
Erwartung den Hereintretenden an. Jeder Zug des heimlichen Spottes,
jedes Lächeln war aus seinem Antlitze verschwunden. Angst, Verzweiflung
und Entsetzen sprachen aus seinem ganzen Aeußeren. Er hatte den
sogenannten Genossen des Satans erkannt: es war sein alter Buchhalter,
=Jeremias Hoontschoten=, der mit dem kläglichsten Jammergesichte von
der Welt vor ihm stand.

»Ich bin da, gestrenger Patron!« wimmerte =Jeremias=. »Aber meine werthe
Person und die wenigen Fetzen, welche ich auf dem Leibe trage, sind auch
Alles, was ich mitbringe aus Mexiko. Die reichste Silberflotte, die je
über den Ocean gekommen, ist gekapert worden im Haven von =Vigos= und
zweimalhunderttausend Stück Dukaten, die meinem hochedeln Heern
angehört, sind in die schmutzigen Hände der Matrosen gefallen. Sie
fanden ebenso guten Cours bei den Engländern, wie bei unsern eigenen
Leuten und wenn ich diesen versicherte, sie seyen das Eigenthum meines
wohlmögenden Prinzipals, des Herrn =Jan van Daalen= in =Rotterdam=, so
behaupteten sie dagegen mit einem wahrhaft teuflischen Gelächter: das
sey erlogen, die Dukaten gehörten ihnen und wenn der Herr =van Daalen=
sie haben wolle, so solle er sie nur von ihnen abfordern. O, mein
hochedler Patron, ich habe mich ihnen zu Füßen geworfen, ich habe
geheult, wie ein altes Weib, für die Dukaten! Aber die Tigerherzen
waren nicht zu rühren. Sie spotteten meiner und schimpften mich einen
spanischen Holländer, den man von Rechtswegen aufknüpfen müsse.«

Herr =Jan= blieb stumm. Er konnte die Größe der Schreckenspost, die ihm
gebracht wurde, nicht fassen. =Tobias= war dagegen ganz Ohr geworden.
Bei dem Blicke, den er mit einemmale in das Handelsgeheimniß des Herrn
=van Daalen= warf, hatte er den Domine, den Götzen sammt dem
Gottseybeiuns vergessen. So war denn endlich entschleiert, was der
geheimnißvolle Patron im Stillen getrieben, so wußte man denn nun, nach
so vielem vergeblichen Sinnen und Rathen, wodurch er Geld und Gut
gewonnen! Er war, wie viele andere niederländische Kaufleute, bei den
spanischen Gold- und Silberflotten interessirt gewesen, indessen war der
Krieg zwischen Spanien und Holland ausgebrochen, die vereinigten
Holländer und Engländer nahmen die spanischen Schiffe, wo sie sie
fanden, und durch einen besonders glücklichen Zufall gerieth ihnen auch
die im Haven von =Vigos= liegende reich beladene Flotte in die Hände.

»Also von dort her erwartetet Ihr die zweimalhunderttausend Dukaten,
welche die Differenz in der Mitgift ausgleichen sollten?« sagte jetzt
mit finsterem Angesichte und in einem sehr gedehnten Tone Herr =van
Vlieten=. »Und sie sind nun hin und fort und werden eingehen am
Nimmerstage, wo alle insolvente Gläubiger ihre Wechsel bezahlen? Lasset
zu Euch reden, Myn Heer =van Daalen=, wie es mir ums Herz ist in dieser
Sache! Euere ganze Handelschaft ist eitel Schwindelwesen und Ihr habt
mehr Glück als Verstand gehabt, daß Ihr nicht schon längst zu Grunde
gegangen seyd. Zucker und Kaffee, das ist solid, aber Schmuggelei mit
dem spanischen Erbfeinde kann nicht Segen haben auf die Dauer! Freilich
ist es Euch noch gut genug gegangen, daß Ihr durch die Kriegsjahre und
Kriegstroublen glücklich hindurch gesegelt seyd mit Euern
Silberschiffen; allein der Krug geht so lange zu Wasser bis er bricht,
und Ihr gemahnt mich jetzt gerade, wie so ein zerbrochener Krug, der
keinen Henkel mehr hat, an dem ihn unsereins anfassen mag, und dem der
Boden ausgefallen ist, auf dem der Inhalt geruhet.«

Der Handelsherr, an welchen diese Worte gerichtet waren, hatte indessen
einigermaßen die verlorene Fassung wiedergewonnen. Er sah ein, daß er
noch ohne die zweimalhunderttausend Stück Dukaten ein reicher Mann
blieb, er ahnete aber auch zugleich, daß diese unausgefüllte Lücke in
seiner Casse eine Kluft bilden könnte, welche sich störend zwischen die
Verbindung der Häuser =van Vlieten= und =van Daalen= drängen dürfte. In
dieser schlimmen Ahnung wurde er durch die Reden des Herrn =Tobias= noch
bestärkt. Er warf einen zornigen Blick auf den Buchhalter:

»=Hoontschoten=, Er ist ein Esel!« sagte er ingrimmig. »Wäre Er nicht so
alt, daß Ihm die Natur bald den Abschied aus dem Leben geben dürfte, so
gäb ich Ihm den Abschied aus dem Dienste.«

»Mein Gott und Heer!« versetzte bebend =Jeremias=: »worin habe ich denn
gefehlt? Gebot es nicht Pflicht und Gewissen, meinen wohlmögenden Patron
sogleich in Kenntniß zu setzen von einem solchen Unglücksfalle? Und
darin habe ich nicht gesäumt, nach den schwachen Kräften, welche mir
mein Alter vergönnt. Ich habe Euch gesucht wie eine Stecknadel, im Hause
und am Haven, im Prinzencollegium und am Boompjes, bis mich endlich ein
scharmanter Herr, ein Professor aus Leyden, dem ich Euere und Herrn =van
Vlietens= Personen weitläufig beschreiben mußte, hierher verwieß.«

»Verdammter =Hazenbrook=!« schalt Herr =Tobias= für sich hin, und die
große Ader auf seiner Stirn schwoll in zorniger Erinnerung höher an:
»Das Gespenst des verruchten Professors verfolgt mich allenthalben und
wenn ich mir ihn einmal aus dem Sinne geschlagen habe, so bringt ihn mir
ein verwünschter Zufall wieder in den Wurf.«

»Ich hätte Ihn nicht für so dumm gehalten, =Hoontschoten=!« zürnte
indessen der alte =van Daalen= zu seinem Untergebenen. »Er meint noch
Wunder wie gut er's gemacht hat und wäre am Ende im Stande gewesen, die
Sache auf dem großen Markte auszuschreien! Myn Heer =van Vlieten=,«
wandte er sich jetzt gänzlich umgewandelt, mit sanfter Stimme und
lächelndem Angesichte, zu diesem: »der Verlust einer solchen Kleinigkeit
wird keinen Einfluß auf Euere gütigen Gesinnungen für mich und meinen
=Cornelius= haben, wir bleiben die besten Freunde, wie bisher, und
=Clötje= wird meine Tochter und =Cornel= Euer Sohn.«

»Prosit!« versetzte mit einem herben Gesichte Herr =Tobias=. »Aus der
Heirath kann ein für allemal nichts werden, wenn die Gelder nicht bis
auf einen Deut _al pari_ stehen, und dazu ist, unter den gegenwärtigen
Auspicien, auf lange hin kein Anschein. Lebt wohl, Myn Heer =van
Daalen=! Siebenmalhunderttausend ist das Wort. Ohne das geht die Braut
nicht fort. Da habt Ihr in Reimen meine Meinung. Gott befohlen, Heer
=Jan=! Ich kann meinen Thee allein trinken. Besucht mich über's Jahr
wieder!«

»Wie?« rief der Fortgewiesene mit einer Miene, in der sich Staunen und
Unwille aussprachen: »Ihr wollt das alte Freundschaftsband zerreißen;
Ihr könntet um des lumpigen Geldes Willen die edlern Gefühle des Herzens
verleugnen? Thut das nicht, Myn Heer =Tobias=! Fürchtet die Rache
Schiwa's, unter dessen Augen Ihr diesen Frevel begeht!«

In seiner Herzensangst griff Herr =van Daalen= zu diesem letzten Mittel,
die Furcht des Widerwilligen auf's Neue zu erregen und sie zum Hülfsweg
bei dem Sturme auf =Tobias= Herz anzuwenden. Dieser aber hatte, unter
den neu eingetretenen Umständen, das Entsetzen, welches ihm der Götze
früher eingeflößt, rein vergessen und rief im Fortgehen:

»Was Schiwa, was Brama! Geld ist die Bank. Morgen brennt der Schiwa im
Ofen und auf dem Herde und der Kaffee, der an dem Satan gekocht wird,
soll mir wohl schmecken. Trag den Thee in mein Zimmer, =Clötje=!«
herrschte er der entgegentretenden Tochter zu, die mit großem Schrecken
den Zorn des Vaters wahrnahm und im ersten Augenblicke sich und den
Geliebten verrathen glaubte. »Herr =van Daalen= wird uns ein anderes Mal
die Ehre schenken, heute trinke ich allein.«

Er schritt so rasch nach seinem Zimmer, daß ihm die gehorchende =Clelia=
kaum folgen konnte. Herrn =van Daalens= Geduld war nun auch erschöpft.
Ohne weiter des Sohnes im Schiwa zu gedenken, stürmte er die Treppe
hinab und zum Hause hinaus. Aengstlich und sehr gedrückt trippelte der
Buchhalter hinter ihm her.

»Er ist an Allem schuld, =Tölpel=!« schrie ihn noch auf der Straße Herr
=Jan= an. »Warum hat Er erstlich die entsetzliche Dummheit begangen,
sich die zweimalhunderttausend Dukaten nehmen zu lassen, warum begeht Er
zweitens die noch entsetzlichere, die ganze Geschichte im Beiseyn des
unersättlichen =van Vlieten= auszuplaudern?«

Jetzt erst ging dem armen =Jeremias Hoontschoten= ein Licht auf. Er
hatte bisher nicht einmal geahnt, warum sein hochedler Prinzipal ihm
zürne. Nun sah er es ein und es kam auch zugleich eine solche Reue über
ihn, daß er anfing zu weinen und laut zu schluchzen. Er machte sich
selbst im jämmerlichsten Tone die heftigsten Vorwürfe über seine
unzeitige Schwatzhaftigkeit. Er gerieth nach und nach in eine so
verzweiflungsvolle Stimmung, daß Herr =van Daalen=, der im Grunde ein
sehr gutes Herz besaß, bald sehr gerührt wurde und in der Furcht, der
alte Mann könne sich ein Leid thun, ihn zu trösten begann. Es fruchtete
aber Alles nichts. =Jeremias= gebehrdete sich immer kläglicher, das
mitfühlende Herz seines Patrons wurde immer weicher, er mußte am Ende
auch weinen und als Beiden der Hausknecht die Thüre des =van
Daalenschen= Hauses auf ihr Klopfen öffnete, war dieser nicht wenig
erstaunt, seinen Gebieter und den alten Buchhalter in Thränen auf der
Straße zu finden.




3.


=Clelia van Vlieten= war ein Mädchen von einigem Verstand und einiger
Ueberlegungskraft, aber nur für die gewöhnlichen Fälle ihrer sehr
beschränkten Lebensweise. Wenn Junker =Cornelius= ihr darüber etwas
Schmeichelhaftes sagte, so lag der Grund dazu theils in seiner eigenen,
einem liebenden Herzen entsprossenen Ueberzeugung, theils in dem
allgemeinen Glauben der Rotterdammer, des reichen =van Vlietens Clötje=
müsse, so wie ein Wunder an Schönheit, auch eins an Verstand seyn.
=Clelia= hatte selbst, da man sie sehr oft in dieser Beziehung ins
Gesicht gelobt und niemand in ihrem Hause und in dem Kreise ihrer
Bekanntinnen ihr entgegenstand, den sie übersehen hätte, eine nicht
geringe Meinung von ihren geistigen Fähigkeiten in sich aufgenommen.
Diese reichten auch völlig für die häuslichen Geschäfte, für den Umgang
mit dem Vater und den Freundinnen aus; trug sich aber etwas
Außerordentliches zu, wurde sie von einem unerwarteten Ereignisse
beängstigender oder erschreckender Art überrascht, so war es in einem
Augenblicke vorbei mit ihrer Gedankenfähigkeit, sie war dann willenlos,
Alles wurde ihr zu einem Gegenstande unklarer Besorgniß und sie folgte
dann, ohne nachsinnen, ohne überlegen zu können, jedem Rathe, der ihr
eben gegeben wurde und den sie vielleicht in einer andern ruhigen Stunde
unbedingt verworfen haben würde. Die Ursache dieses Mangels an
Selbstständigkeit war ohne Zweifel ihre beschränkte Erziehung und der
einförmige Gang ihres Lebens, in dem ein Tag wie der andere, ohne die
mindeste Abweichung von der einmal eingeführten Ordnung, verstrich. Der
lebhafte =Cornelius= zeichnete sich durch seine körperlichen Vorzüge und
durch die Gewandtheit seines Betragens zu sehr von den wenigen übrigen
jungen Männern ihrer Bekanntschaft aus, um nicht, da er ihr auch sonst
in Hinsicht auf die Glücksumstände seines Vaters am Nächsten stand, von
ihr mit günstigen Blicken betrachtet zu werden. Die kecke Art und Weise,
mit der er sich ihr näherte, seine heitere Laune und die leichte, aber
doch zarte Anknüpfung eines innigeren Verhältnisses von seiner Seite,
hatten ihr ganz und gar nicht mißfallen. Nur als er nach und nach anfing
sich zu vergessen, als er länger bei ihr auf der Straße und in der
Kirchthüre verweilte, als früher, und sein trauliches Flüstern zu =van
Vlietens Clötje'n= die Aufmerksamkeit der Leute erregte, da begann das
Mädchen nachzudenken und zu überlegen, und kam zu jenem Resultate, das
den leichtgestimmten und auch ziemlich leichtsinnigen =Cornelius= in die
chinesische Stube ihres Vaterhauses, in den Leib des =Schiwa= führte und
sie selbst in eine Bestürzung brachte, die von dem eben beschriebenen
Zustande der Gedankenunfähigkeit begleitet war.

Sie saß wie auf Kohlen ihrem Vater gegenüber im kleinen Gemache, das
fern von dem Zimmer war, in dem sie den Geliebten zurückgelassen hatte.
Ihre Hand zitterte, als sie dem alten Herrn den Thee kredenzte. Sie
hatte den Zucker vergessen und er trank in seiner Aufgeregtheit den Thee
hinunter, ohne das zu bemerken. =Clelia= sah bei aller Betretenheit wohl
ein, daß ihr Vater einen gewaltigen Groll gegen die =van Daalen= im
Herzen berge, aber sie wußte die Ursache nicht und vermochte jetzt auch
nicht darüber nachzusinnen. Einzelne Ausrufungen, die er unter dem
Theetrinken ausstieß, gaben ebensowenig einen weitern Aufschluß. Dieser
Ausrufungen waren ohnehin nur drei, und so kräftig sie sich vernehmen
ließen, so wenig klärten sie die Sache selbst auf. Als Herr =Tobias= die
erste Tasse getrunken hatte, stieß er die chinesische Porzellanschale
klirrend auf den Tisch und sagte im Tone heftiger Erbitterung: »Der
Windmacher!« Bei der zweiten rief er ingrimmig: »Der Schwindelkrämer!«
Die dritte ließ er unberührt stehn, indem er wild schrie: »Der Lump!«
und dann hastig, ohne =Clelia= die gewöhnliche gute Nacht zu wünschen,
in sein Schlafzimmer eilte, das er hinter sich verschloß.

In dumpfer, unklarer Erstarrung sah die Tochter ihm nach. Das hatte sie
noch nie erlebt. Um zweier Tassen Thee willen, hatte es ihr Vater noch
nie der Mühe werth gefunden, sich niederzusetzen; nur wenn er sein
volles Dutzend genossen, bedurfte es einiger Ueberredung, ihn noch zu
etlichen Schalen zu bewegen. Selten aber widerstand er einer solchen
Ueberredung, oft wartete er sie kaum ab. Heute war das nun ganz anders
gewesen, heute hatte Herr =van Vlieten=, zum erstenmale seit der Tochter
Gedenken, das Prinzencollegium versäumt, nur wenigen Thee getrunken und
seiner =Clötje= keine gute Nacht gegeben! Schreckliche Dinge mußten
vorgegangen seyn, die den pünktlichen Mann aus seinem gewöhnlichen
Lebensgleise rissen! Schreckliches erwartete gewiß die Tochter, wenn
=Tobias= erst zur Besonnenheit, zu einem Entschlusse gekommen war!

Sie schlich schwankend aus dem Zimmer, wo die unterbrochene Theepartie
statt gefunden hatte. In den Gängen des Hauses war es still und einsam.
Das Gesinde befand sich in den Gemächern des Erdgeschosses. Wenn Herr
=Tobias= sich einmal in seine Zimmer zurückgezogen hatte, so durften in
der Regel die Diener keine Störung von seiner Seite mehr erwarten.
=Clelia= war in einer Sinnenbetäubung, in der sie nur mit Mühe =einen=
Gedanken, den an den versteckten =Cornelius=, festhalten konnte. Das
Licht, das sie in der Hand trug, erschien ihr wie ein ferner, dämmernder
Schein. Die Schläge ihres Herzens waren so stark, daß sie ihre Brust
beengten und das geängstigte Mädchen einigemale stehen bleiben mußte, um
Odem zu schöpfen. Endlich hatte sie die Thüre des großen Gemaches, das
mit dem =Schiwa= und den chinesischen Wackelköpfen auch den gewesenen
Kriegshauptmann =Cornelius= mit seinem unbesonnenen Feuerkopfe
beherrbergte, erreicht. Ihre Hand fiel mechanisch auf den Griff der
Thüre und diese öffnete sich.

Da zeigte sich ihrem ersten Blicke, der besorgt in das kerzenerhellte
Zimmer fiel, der stillgeliebte Freund ihrer Seele. Er saß in einer sehr
tiefsinnigen Haltung auf dem Postamente des Götzenbildes, mit
untergeschlagenen Armen, mit niedergesenktem Haupte. Bei dem Eintritte
=Clelia's= machte er eine geringe Bewegung, die aber nur andeutete, daß
er sie bemerkt habe. Er ließ die Zitternde auf sich losschreiten, er
sagte kein Wort und verließ seinen Platz nicht. Als sie endlich mit dem
blaßen, zerstörten Antlitze vor ihm stand, sah er die schweigende
Jungfrau ebenfalls schweigend einige Augenblicke lang an, schüttelte
dann mit dem Haupte und ließ aus tiefster Brust einen laut durch das
Gemach klagenden Seufzer vernehmen. Sein Angesicht war dabei in ernste
Falten verzogen, eine Wolke des Unmuths schwebte auf seiner Stirne,
seine Augen, seine ganze Gebehrde, strebten Kummer und Wehmuth
auszusprechen; allein ein anderer, der nicht so befangen und
fassungslos, wie =Clelia=, gewesen wäre, hätte dieses ganze Aeußere als
eine Larve und den Schalk hinter ihr erkannt.

»Um Gott, was fehlt Euch, Junker =Cornelius=?« fragte zitternd und
zagend das Mädchen. »Wenn unsereins seufzt, so geschieht es gar
vielemale nur zum Zeitvertreibe, wenn Ihr aber anfangt, so jämmerlich zu
thun und zu stöhnen, so muß der Welt Untergang nahe seyn!«

»Er ist nahe;« versetzte dumpf und eintönig der junge Mann. »Ist unsere
Liebe nicht unsere Welt? Bei dem Marschallsstabe des Prinzen =Eugenius=!
so ist es und man hat unserer Liebe den Untergang geschworen. Ohne
Liebe kann die Welt nicht bestehen. Sie geht unter: die Sonne erlischt,
die Sterne sind ausgebrannt, die Erde fällt in Stücken.«

Er hatte diese letzten Worte mit einem mächtigen Pathos ausgesprochen
und beobachtete nun die Wirkung, welche sie auf =Clelia= hervorbrachten.
Sie war noch bleicher geworden, sie zitterte noch mehr. =Cornelius= sah
ein, daß sie sich jetzt in jenem Zustand befand, wo sie keiner
Ueberlegung fähig sey und den er zur Ausführung eines unbesonnen und
leichtsinnig von ihm entworfenen Planes gerade geeignet fand.

»Ja, theuere =Clelia=,« fuhr er in einem Tone der Rührung und Weichheit
fort, der ihm sehr schwer fiel, »man will uns trennen. Nicht für Tage,
für Monden, für Jahre, nein! für das ganze Leben. Und um welcher
nichtswürdigen Ursachen willen? Um welches elenden Dinges willen, das
nicht einmal wagt, sich am Lichte des Tages zu zeigen, das mit Gewalt
erst aus seiner dunkeln Verborgenheit hervorgerissen, gewaschen und
geschlagen, zur Ehrlichkeit geprägt und gestempelt werden muß, damit es
in der honetten Welt erscheinen kann? O, Gold, Gold, wie kann doch
deine Macht die edelsten Herzen tirannisch und hart machen, die
trefflichsten Gemüther, wahre Lammesnaturen, in grausame Tigerseelen
verwandeln! Ja, =Clelia=, wir sollen getrennt werden. Als ich verborgen
stand im Leibe des =Schiwa=, als ich durch seine großen Glasaugen, wie
durch Fenster hinabsah in dieses Gemach, als ich unsere Väter hier
erblickte, als der alte würdige =Jeremias Hoontschoten= zu ihnen
getreten war, um ihnen eine Hiobspost zu verkündigen, als da im
Ueberdrange der Leidenschaften ihre Seelen auf ihre Lippen traten -- da,
=Clelia=, liebwertheste Jungfrau -- da habe ich schauderhafte Dinge
gehört!«

Hier machte =Cornelius= wiederum eine Effectpause, die ganz seiner
Absicht entsprach. =Clelia= sank wie erschöpft in einen Sessel. Dumpf
lag es in ihrem Kopfe, ihre Erkenntniß war unklar, sie glaubte jetzt
Alles, womit =Cornelius= drohen konnte, sie empfand nur die Furcht vor
den schrecklichen Eröffnungen, die sie von ihrem Freunde zu erwarten
hatte.

»Sagt mir Alles!« bebte es endlich über ihre Lippen. »Wenn der Vater
sich von mir oder gar gegen mich wendet, so habe ich ja keinen andern
Beistand auf der Welt, als Euch!«

»Leider ist es so;« versetzte mit großem Ernste, zu dem der schalkhafte
Ausdruck der Augen gar nicht einstimmen wollte, der junge =van Daalen=.
»Aber was auch geschehe, was auch Euch Schweres auferlegt werde, verlaßt
Euch auf meine Hülfe, auf meine Liebe! Ja, wenn es selbst Euer grausamer
Vater so weit triebe, seine entsetzliche Drohung wahr zu machen, Euch
von der Gemeinschaft derjenigen zu entfernen, mit denen Ihr einen und
denselben beruhigenden Glauben getheilt, wenn er Euch hinter Mauern,
hinter Riegel, hinter Eisenstäbe verwahrt hielte, selbst dann soll mein
Beistand Euch nicht fern bleiben. Ich werde Eueren Kerker aufzufinden
wissen, und wäre er in der ödesten Einsamkeit, wohin nie eines
Menschenfuß sich verirrt, ich werde die Mauern stürzen, die Riegel
zertrümmern, die Eisenstäbe brechen und Euch als Preis, als
überschwenglichen Lohn meiner thätigen, unerschrocknen Liebe davon
tragen!«

»Aber, mein Gott!« fragte in der höchsten Beängstigung, und die
schreckenvollen Blicke auf =Cornelius= heftend, das Mädchen: »Trägt denn
der Vater wirklich so Arges gegen mich im Sinne? Will er mich einsperren
in ein gräßliches Gefängniß, wo ich verlassen und ganz allein bin mit
meinem Jammer und meiner Verzweiflung? Was habe ich denn verbrochen, das
eine so entsetzliche Strafe verdiente?«

»Fragt danach die Tirannei?« deklamirte pathetisch =Cornelius=. Dann
stieg er von seinem erhabenen Platze herab, setzte sich neben =Clelia=
nieder und fuhr im zärtlichsten Tone fort. »Theure =Clelia=! der einzige
Freund, den Du auf Erden besitzest, spricht jetzt zu Dir und wird Dir
ein Geheimniß entdecken, das Dich geistig und leiblich mit einem
Verderben bedroht, dem Du nur durch =ein= Mittel, auf =einem= Wege
entgehn kannst. Du liebst Deinen Vater, Du achtest ihn, aber --
erschrick nicht -- er ist ein geheimer Catholik.«

»Entsetzlich!« rief =van Vlietens= Tochter, die in diesen Augenblicken
die Leichtgläubigkeit selbst war. »Und davon habe ich nie etwas bemerkt,
nie etwas geahnt.«

»Er wußte es klug zu verbergen;« sagte =Cornelius= mit einiger
Verlegenheit. »Aber oft, meine Geliebte, warest Du doch Zeuge, wenn der
ehrwürdige Domine unserer Gemeinde ihn ermahnte, nicht von der rechten
Lehre abzuweichen, wenn er in leichtverständlichen Andeutungen ihm
Lauheit und Gleichgültigkeit vorwarf. Glaube mir: der Mann hat einen
scharfen Blick und sah durch das Geheimniß. Ich weiß es erst seit diesem
Abende. Während seines Aufenthaltes in Indien muß Dein Vater in irgend
einer portugiesischen Niederlassung, vielleicht in =Goa=, seinen
Uebertritt bewerkstelligt haben. Er verrieth sich, als =Hoontschoten=
die Unglücksnachricht brachte, daß mein Vater ein Paar tausend Dukaten
weniger in seiner Casse zähle, als Heer =Tobias=. Zum größten Unglück
schien er auch mich in meinem Verstecke wahrzunehmen. Da brach er los in
unbändiger Wuth. Er schwur, daß Du nimmer die Meinige werden solltest,
daß er Mittel in Händen habe, unsere Hoffnungen für immer zu vereiteln,
daß er beim heiligen =Franz von Assisi= -- merke wohl auf, Theuerste, er
schwor bei einem katholischen Heiligen -- Dich nach Brabant bringen,
dort Dich zwingen wolle, ebenfalls katholisch zu werden, damit er Dich
in ein Kloster stecken könne, wo Du dann in einem langen, einsamen und
von allen Weltfreuden abgeschlossenen Leben von meinen Zudringlichkeiten
nichts mehr zu befürchten haben würdest. So sprach der Schreckliche!
Eine Nonne sollst Du werden, Holdseligste. Eine =Nonne=! Bedenke wohl,
was alles Entsetzliches in der Bedeutung dieses Wortes liegt!«

»Es ist nicht möglich!« stöhnte =Clelia=, starr vor sich hin brütend. »O
mein Kopf, mein armer Kopf! Das ist Alles so wild und verwirrt auf mich
eingestürmt, daß ich ganz betäubt, ganz wüst im Gehirn bin. Ich kann
nicht bedenken, warum diese Dinge so sind, ich höre nur das Entsetzliche
und ich muß es glauben, ich muß es in mich aufnehmen, ich muß es
schrecklich empfinden, ohne es prüfen, ohne ihm einen Widerstand
entgegensetzen zu können. Verlaßt mich nicht, Junker =Cornelius=! Gebt
mir Rath, leistet mir Beistand. Eher den Tod, als von meinem Glauben
lassen! Meinem Vater habe ich Pflichten, aber meinem Schöpfer auch, und,
wo es das bessere himmlische Theil gilt, da muß das irdische nachstehn.«

»Das ist auch meine Meinung;« stimmte der junge Mann in einem unsichern
Tone ein. Er fühlte sich durch =Clelias= Zustand gerührt. Er machte sich
Vorwürfe über den Leichtsinn, mit dem er an ein in der That strafbares
Unternehmen gegangen war, er war nahe daran, sich zu verrathen. Da aber
führte die Einbildungskraft ihm ein lockendes Gemälde der Zukunft vor:
er sah sich als den Gatten des geliebten Mädchens im beglückten
Hausstande, in dem Fluge eines Augenblickes gingen alle Reize, alles
Wünschenswerthe des Gattenlebens mit =Clelia= an seiner Seele vorüber,
und -- jetzt sank mit einemmale dieses schöne Bild, das allein der
wohlausgesonnene Plan verwirklichen konnte, in seine Nichtigkeit zurück,
wie ein grausam täuschender Traum, und er mußte des geldgierigen
=Tobias= gedenken, der dem minder Reichen nimmer die Tochter vergönnen,
sie vielleicht dem ersten besten Bewindhebber aus =Amsterdam= oder einem
nach Indien gehenden =Rathe= hingeboten würde! Alle Zweifel, alle
Bedenklichkeiten verschwanden. Er beschloß, das einmal begonnene
Unternehmen standhaft zu Ende zu bringen und fuhr nun, indem er die
Larve des Mitleidens und der liebevollen Theilnahme fester vornahm, zu
=Clelia= herabgebeugt fort: »Du befindest Dich in einer entsetzlichen
Lage, Theuerste, aber sie ist doch nicht so verzweifelt, daß wir ringsum
forschten und kein Rettungsmittel erspähen könnten. Bei dem Seeruhme
=Ruyter's= und =de Tromp's=! =Cornelius van Daalen= ist der Mann, der
hier zu helfen weiß und helfen wird. Im Hause Deines Vaters darfst Du
nicht bleiben. Er selbst hat Dir Thüre und Thore geöffnet mit seinem
Abfalle vom rechten Glauben, mit seiner mehr als schrecklichen Drohung,
Dich zu einer Nonne zu machen. Deine Pflicht erfordert, daß Du Dein
Seelenheil rettest. Hier ist nichts zu bedenken, nichts zu überlegen.
Nur eins thut noth: Entziehung aus tyrannischer Gewalt. Höre meinen
Plan, Geliebte! Höre was Dein =Cornelius= ersonnen hat, Dir zu helfen!
Nahe bei der guten Stadt =Mastricht= wohnt die einzige noch lebende
Verwandte Deines Vaters, Deine Muhme, die ehrenwerthe Jungfrau =Jacobea
van Vlieten=. Ich lag bei ihr im Quartiere in Kriegszeiten. Sie ist ein
vortreffliches Frauenzimmer, von den festesten Religionsbegriffen, und
wie sehr sie Dich liebt, wie sehr sie wünscht, Dich zum Besuche bei sich
zu sehen, das weißt Du am Besten aus ihren Briefen. Zu ihr lasse Dich
führen von mir. Hier droht Dir geistiges und leibliches Verderben, dort
wartet Dein himmlischer und irdischer Friede. Die Barke eines meiner
Freunde liegt gerüstet und segelfertig im Haven. Mit dem ersten Strahle
der Sonne ist sie bestimmt, nach Antwerpen abzugehn. Er nimmt uns
freudig auf, ein günstiger Wind führt uns an ein Ufer, wo Du nichts
mehr von der Grausamkeit eines Mannes zu befürchten hast, der den von
seinen Vätern ererbten heiligen Glauben verleugnen konnte und auch Dir
die Seligkeit rauben will, die er für sich selbst nicht mehr hoffen
darf.«

=Clelia= begriff von Allem, was =Cornelius= sagte, Nichts, als daß die
Reise zu der Muhme sie von dem schrecklichen, gefürchteten Abfalle von
der rechten Lehre erretten, vor dem ihr durch tausend schauderhafte
Erzählungen furchtbar gemachten Klosterzwange schützen solle. Sie dachte
nicht an =Cornelius=, nicht an ihre Liebe. Sie war in der strengsten
Gottesfurcht, in der beschränktesten Ansicht der Religion, wie sie
damals in den Niederlanden nach den schärfsten Grundsätzen der
reformirten Lehre geübt wurde, auferzogen. Ihr Glaube galt ihr mehr, als
ihr Leben, mehr als Vater und Geliebter.

»Ja, ich muß fort, ich muß zu der Muhme!« stammelte sie, indem sie beide
Hände des jungen Mannes, wie ein Schiffbrüchiger das letzte
Rettungswerkzeug, ergriff. »Ich will Euch für meinen guten Engel
ansehen, wenn Ihr mich dorthin führt, Junker =Cornelius=. Aber allein
-- nein! ich darf nicht allein gehn. =Philippintje=, die Hausjungfer,
muß mit. Sie ist eine gute, gottesfürchtige Person und ging mir zu
Liebe, wer weiß, wohin! Kommt, lieber Junker! Wir wollen =Philippintje=
aufsuchen.«

Das war nun freilich eine Aenderung in dem Plane des jungen Mannes, auf
die er nicht gerechnet hatte. Dennoch hoffte er, daß auch die
Verflechtung dieser dritten Person in das unbesonnene Unternehmen
glücklich von statten gehen werde. =Philippintje= war eine alte Jungfer,
die keine Predigt und keine Betstunde versäumte. Jedesmal wenn sie in
das Zimmer trat, wo das Götzenbild stand, gerieth sie in einen heiligen
Eifer. Sie disputirte heftig mit Herrn =Tobias=, sie verlangte, daß das
unchristliche Bild fortgeschafft würde aus dem christlichen Hause, aber
Herr =Tobias= steigerte dann gewöhnlich noch ihren Zorn, indem er sie
auslachte und um, wie es früher seine Lust war, sich recht aufgeklärt zu
zeigen, die Meinung aussprach: alle Religionen seyen gut und der
Anbeter des Brama wie der des Mahomet, käme so gut in seinen Himmel, wie
der Christ in den seinigen, wenn er es anders verdiene. Diese oft
aufgestellte Behauptung hatte zuletzt die starkgläubige Wallonin
erbittert, sie sagte gar nichts mehr über den Schiwa, aber sie lebte nun
in der festen Ueberzeugung, daß, was Religionsangelegenheiten betreffe,
=Herr van Vlieten=, zu Allem fähig sey.

=Clelia= zog den etwas bedenklich gewordenen =Cornelius= mit sich nach
dem Schlafzimmer =Philippintje's= fort. Der Weg führte sie durch das
Gemach, wo früher =Clelia= ihrem Vater den Thee kredenzt hatte, wo noch
dessen dritte Tasse unberührt auf dem Tische stand. Das Mädchen riß sich
mit einem Seufzer von ihrem Führer los. Sie schwankte an die Thüre des
väterlichen Schlafzimmers, sie lauschte, sie vernahm die Odemzüge des
Schlafenden.

»Er kann schlafen und trägt so arge Gedanken im Herzen!« stöhnte
=Clelia=.

Da erklang des Vaters Stimme im Nebengemache und er sprach mit dumpfem
Tone im Traume:

»Ja, ja, er soll und muß verbrannt werden, der Störer meines
Hausfriedens! Wie will ich mich ergötzen, wenn ich ihn aufflammen sehe
in lichter Lohe!«

»Im Traume ist Wahrheit;« flüsterte =Cornelius=, der hinter =Clelia=
getreten war, dieser zu. »Er spricht von mir. Mir gilt die Drohung mit
dem entsetzlichen Autodafé. Er möchte gern die Inquisition in unserm
Lande eingeführt wissen. Das muß Euch die Wahrheit meiner Behauptung
verbürgen.«

Der junge Mann hielt für gut die Sprache der Leidenschaft, in der er
bisher die betäubte =Clelia= bestürmt, jetzt, da er sie für seine
Absicht gewonnen, herabzustimmen und zugleich das vertrauliche =Du=
wieder in das ehrerbietigere =Ihr= zu verwandeln. Er fürchtete
=Philippintje's= Scharfblick. Sie hätte leicht entdecken können, daß die
Liebe mehr Theil an seinen Rathschlägen und seinem Verfahren habe, als
Noth thue, und dann wäre sie wohl auch ebenso leicht auf die Vermuthung
gekommen, das Ganze sey nur eine eitle Vorspieglung gewesen, um ihre
jugendliche Gebieterin dem väterlichen Hause zu entführen. Zeigte er
sich aber immer innerhalb den Schranken der Ehrerbietung, brachte er nur
seinen Abscheu vor der schrecklichen Glaubensverläugnung, vor der
beabsichtigten Gewaltthat des Vaters gegen die Tochter in Anschlag; so
konnte er überzeugt seyn, in =Philippintje= eine ebenso treue Helferin
zu finden, als sie ein gutes und strengrechtgläubiges Mitglied der
reformirten Kirche war.

=Philippintje= hatte sich noch nicht zur Ruhe begeben, als ihr liebes
=Clötje=, bleich und mit allen Zeichen großer Beängstigung, zu ihr in
das Schlafgemach trat. Vor der Thüre harrte =Cornelius= mit pochendem
Herzen auf den Erfolg der gewiß überraschenden Mittheilung. Von diesem
Augenblicke hing Alles ab. Sah =Philippintje= hell genug, um sein
dreistes Lügengewebe zu durchdringen, wurde sie nicht gleich Anfangs
durch die Entdeckung, daß sie bisher einem heimlichen Katholiken ihre
Dienste gewidmet, in ihren reizbarsten Empfindungen berührt und mit
Blindheit geschlagen, so war nicht allein Alles vergebens gewesen, so
mußte =Cornelius= selbst fürchten, seiner unbesonnenen Täuschung wegen,
=Clelia's= Gunst für immer verscherzt zu haben und nie wieder auf eine
Hand Anspruch machen zu dürfen, deren Besitz, hätte sie auch nicht einen
Goldschatz von siebenmalhunderttausend Dukaten gehalten, ihm den
höchsten Zweck seines Lebens galt.

»Bei dem letzten Kanonenschusse, der einst in der Welt gethan werden
wird!« sagte er, indem er sein Ohr zum Schlüßelloche neigte. »Ich will
lieber vor einer geöffneten Batterie stehen, als in einer solchen Lage
vor der Schlafkammerthüre einer alten Jungfer. Was ist es doch für eine
schöne Sache um ein gutes Gewissen! Stehe ich nicht hier, wie ein armer
Sünder, der den Beilschlag von Meister Kopfab erwartet auf dem
Hochgerichte? Und woher kommt das ganze Unglück? Vom =Denken=, vom
verwünschten bösartigen =Denken=! Da vergeß ich unglücklicherweise nur
einen Augenblick meiner guten Gewohnheit, auch wenn ich allein bin, mir
nur vorzuschwatzen, und das fatale =Denken= erwischt mich beim Kragen
und flüstert mir tolles Zeug ein und treibt es zur Ausführung, ich mag
wollen oder nicht. Und nun steht mir eben das =Denken= wieder als mein
schlimmster Feind gegenüber, denn wenn die holdselige =Philippintje=
anfängt zu =denken=, so ist's aus mit meinen schönen Entwürfen, und
meine blühenden Hoffnungen sterben ab im Nachtfroste.«

Aber in diesem Augenblicke erhob sich im Innern des Schlafgemachs heftig
und schneidend die Stimme der Hausjungfer:

»Der Nebukadnezar, der Antichrist, der Rebell gegen Gottes Wort! O ich
habe es längst gewußt, daß er den rechten Glauben abgeschworen hat, denn
er zählt Sonntags lieber die Zuckerhüte, die im Gewölbe liegen, als die
Zuckersprüche, die der hochwürdige Domine spendet! Hast Du es je erlebt,
daß er zur Kirche gegangen wäre, meine =Clötje=? Hält er christliche
Betstunde Abends im Hause, wie es sich geziemt für einen rechtgläubigen
Patron und Handelsmann? Aber ich glaubte immer, er sey nur ein Heide,
ein Götzenanbeter, so ein Chinese oder Kamschadale, nun ist er gar das
Allerschlimmste, ein Römischer, ein Belialskind, der Antichrist selbst!
Keinen Augenblick bleibe ich länger in dem verruchten Hause. Und du,
=Clötje=, du bist sein Kind nicht mehr. Er hat sich losgesagt von dir,
als er sich der entsetzlichen Babel hingegeben, er ist dein ärgster
Feind geworden, da er im Sinne trägt, dich zu verderben an deinem
himmlischen Seelenheil. Eine Nonne! Kind, weißt du, was das sagen will?
Nein, du kannst es nicht wissen, aber ich sage dir, die Qualen, welche
die Verdammten in der Hölle leiden, sind köstlich, wie Zucker und
Milchcaffee, gegen das Leben im Kloster.«

Jetzt sprach wieder =Clelia= mit ihrer furchtsamen und weichen Stimme.
=Cornelius= konnte nicht verstehen, was sie sagte, aber es dauerte nicht
lange, so wurde =Philippintje's= Redeton wieder hörbar, und der Lauscher
vernahm Alles so deutlich, als wenn er der ehrbaren Jungfrau
gegenüberstünde:

»Wie, verbrennen will er den Junker =Cornelius=, den schmucken, braven
Menschen, der mir jeden Sonntag in der Kirchthüre den freundlichsten und
höflichsten Gruß bietet, wie ihn ein sittsames Mädchen annehmen darf?
Dafür wollen wir thun. Gewiß trägt der Pontius Pilatus im Sinn, ihn in
das hintere Magazin zu verlocken, wo Pech und Schwefel in Haufen liegt,
dann heimlich die ganze Geschichte in Brand zu setzen und den lieben
Jungen, der an nichts Arges denkt, einzusperren und so seinem
Höllenglauben zum Opfer zu bringen! Ja, mein =Clötje=, du hast an Junker
=Cornelius= einen wahren Freund! Er hat dir gut, er hat dir recht
gerathen. Wir wollen fort, wir wollen zur frommen Muhme in die Fremde!
Besser, daß der sterbliche Leib in Gefahren und Beschwerden komme, als
die unsterbliche Seele! Gehe, mein =Clötje=, mit dem guten Junker! Ich
will indessen das Nothwendigste einpacken: Erbstücke von deiner Mutter
selig und meine geringe Habe. Am Haven finde ich euch wieder. Der Judas
Ischarioth soll dich nicht verrathen, mein Herzenskind, und den
schmucken =Cornelius=! Wir wollen auch nichts mitnehmen von seinem
Eigenthum. Es soll ihm Alles verbleiben -- dem Belial!«

=Cornelius= richtete sich schnell auf aus seiner lauschenden Stellung,
denn in jedem Augenblicke konnte jetzt die ehrbare Jungfrau
=Philippintje= hervortreten. Er hörte weinen. =Clelia= war es, der die
Trennung aus dem väterlichen Hause Thränen erpreßte. Sie hatte ihr
Angesicht an die Brust der treuen Alten gelegt, die sie noch als Kind
gekannt und liebevoll verpflegt. =Philippintje= aber tröstete sie mit
frommen Bibelsprüchen, meinte, es sey einmal nicht anders und sie müsse
nun den lieben Gott als Vater annehmen, da Herr =Tobias= sich dem Bösen
verschrieben habe. Sie trieb dann das geängstigte Mädchen zum Fortgehen
und öffnete selbst rasch die Thüre, vor der, mit einer tiefen Verbeugung
ihr zugewandt, der junge =van Daalen= stand.

»Da habt Ihr sie, hochedler Junker!« redete ihn =Philippintje= an. »Gott
hat Euch wunderbar zu ihrem Schutzengel erwählt. Führet sie aus dem
Hause der Sünde an Bord der Arche Noah, welche die Auserwählten trägt.
In wenigen Augenblicken folge ich Euch nach. Mein Himmel, wer hätte das
gedacht, daß wir einmal bei Nacht und Nebel aus dem väterlichen Hause,
aus der guten Stadt =Rotterdam= entfliehen müßten!«

Nachdem =Philippintje= noch ein Weilchen mit Jammern und Schelten ihr
Herz erleichtert hatte, hüllte sie ihr liebes =Clötje= in einen warmen
Mantel und brachte die beiden jungen Leute vorsichtig und leise an eine
Hinterthüre des Hauses, die sie mit dem Hauptschlüssel öffnete. Hier
wurden die nöthigen Verabredungen genommen, =Philippintje= erfuhr den
Namen des Schiffes und =Cornelius= erklärte ihr auf's Genaueste, wo es
liege.

»Ich will Euch schon finden!« sagte sie. »Hat sich doch Alles so
wunderbar und sichtlich unter der Führung des Himmels gefügt, daß wir in
kleinen Dingen nicht furchtsam seyn dürfen. Wir ziehen aus Egypten in's
Land Gosen. Unser Pharao aber ist mit Blindheit geschlagen und es
bedarf der Zeichen und Wunder nicht, ihn zu bändigen. Sei getrost, mein
=Clötje=! hebe dein Haupt empor, mit dem lieblichen Antlitze, dessen du
dich nicht zu schämen brauchst. Es wird Alles gut gehen. Die wohledle
=Jacobea= ist fromm und gottesfürchtig. Sie ist deine nahe
Blutsverwandte, ihr Haus und ihre Arme stehen dir offen. Weine nicht,
zittre nicht und suche dich zu erheitern. Da, hochverehrter Junker,
leihet Ihr Euern Arm, unterstützt sie hülfreich, damit ihr in ihrer
gegenwärtigen Schwäche der Rettungsgang nicht so schwer falle.«

»Ach, =Philippintje=,« seufzte =Clelia=, »ich vermag jetzt nichts zu
denken und über nichts nachzusinnen! Aber wenn auch meine Religion mich
forttreibt aus der Heimathsstätte und es fest in mir steht, daß ich
meinem Herrgott nicht untreu werden darf in irgend einer Weise, so
schießt oft wie ein Blitz ein Gefühl in mein Herz, als begehe ich ein
großes Unrecht in dieser Stunde!«

»Behüte, behüte!« versicherte, zu des betroffenen =Cornelius= großer
Beruhigung, =Philippintje=. »Tritt in Frieden und Ruhe den Weg zur
Rettung deiner Seele an. Du weißt, Herzenskind, wie gut ich's mit dir
meine. Sind wir erst bei der Muhme, dann wollen wir dem =Baalspriester=
schon die Bedingungen stellen, unter denen wir wieder zurückkehren. Dann
muß der Schiwa aus dem Hause und der Domine muß jeden Mittag mit uns
essen und christliche Gebete halten zur Besserung des alten Heiden.
Fort, nur fort, mein Kind! Die Bösen haben keine Ruhe im Gewissen, Tag
und Nacht. Wer weiß, ob =ihn= nicht der innere Unfriede hertreibt und
dann ist die Nonnenschaft gewiß und das Brandopfer in Pech und
Schwefel.«

=Cornelius= war in seinem Leichtsinne nahe daran, sich durch ein kaum
unterdrücktes Kichern zu verrathen. Fast mit Gewalt von =Philippintje=
fortgedrängt, die sogleich die Hausthüre hinter den Beiden verschloß,
schwankte =Clelia=, auf den Arm des Geliebten gestützt, durch die
einsame, dunkle Straße. Das Glockenspiel vom nahen Thurme zeigte die
Mitternachtsstunde an. Ein Schauer ergriff das Mädchen und sie schloß
sich näher an ihren Begleiter, der so rasch als möglich sie mit sich
fortführte. Vom Himmel leuchteten weder Mond noch Sterne. Ein dichter
Nebel, wie diese in Holland häufig sind, umgab die nächtlichen Wanderer.
=Cornelius= hielt sich immer nah an den Häusern, denn auf der andern
Seite befand sich der Canal, der dem Unvorsichtigen gefährlich werden
konnte. Als er vernahm, wie =Clelia= leise weinte und mehreremale das
Wort: »Vater,« in wehmüthigem, bebenden Tone über ihre Lippen ging, da
wollte sich Reue in seiner Seele regen und er mußte sich wieder alle
Bedrängniß der Gegenwart, alle süßen Träume der Zukunft verlebendigen,
um standhaft zu bleiben und nicht in die offenbarenden Worte
auszubrechen: »Es ist Alles nicht wahr, Geliebte, sondern erdichtet und
erlogen. Ich habe eine tolle, unsinnige Geschichte erfunden, um dich in
Furcht zu setzen und aus dem Vaterhause zu locken in meine Gewalt und du
hast sie geglaubt, weil du sehr betreten und deiner Sinne nicht mächtig
warest. Kehre wieder zurück in die alte Wohnung. Dein Vater ist gegen
nichts aufgebracht, als gegen den Manco von zweimalhunderttausend
Dukaten und gegen den Schiwa, an dem er Caffee kochen will, aber nicht
an mir, deinem =Cornelius=, Theuere!« So ungefähr würde der ehemalige
Kriegsheld gesprochen haben, wenn er dem augenblicklichen Sturme der
Empfindungen erlegen wäre. Er wußte sich aber gegen diesen Sturm zu
vertheidigen und als er sich nun am Ausgange des Canals im Haven befand
und das Licht der befreundeten Barke durch den Nebel herüberschimmern
sah, da erwachte sein ganzer Muth und der letzte Versuch, den die
heranstürmenden Gefühle machten, wurde ganz und gar zurückgeschlagen.

Er gab mit leisem, zischendem Pfeifen ein Zeichen nach der Barke hin,
das nach einigen Augenblicken beantwortet wurde. Der Capitän der Barke
war einer seiner Jugendfreunde, der seinen Besuch zu jeder Stunde des
Tages und der Nacht erwarten konnte und mit dem er für einen solchen
Fall ein besonderes Zeichen verabredet hatte. =Clelia= sah in
ängstlicher Erwartung nach dem Lichte, das am Bord des Fahrzeuges
schimmerte. Sie standen hart am Canale, in dessen Mitte die Barke lag.
Jetzt wurde von dieser herüber ein Brett auf das Ufer geschoben und
durch den Nebel bewegte sich rasch eine Mannsgestalt heran, mit einer
Leuchte in der Hand zur Erhellung des schmalen Steges, den die
Nachtwanderer zu betreten hatten.

»Ich werde Euch für meine Schwester ausgeben!« flüsterte =Cornelius= dem
Mädchen zu. »Die Muhme =Jacobea= kann für unsere beiderseitige Verwandte
gelten, zu der wir reisen, um ihrer dringenden Einladung zu genügen. In
der Frau des Capitäns, meines wackern Freundes =Jansen= von Harlem,
werdet Ihr ein gutmüthiges, heiteres Wesen kennen lernen, das Euch
sicherlich gefällt.«

=Clelia= konnte nichts antworten. Sie war zu sehr in den Schmerz
vertieft, den die grausame Täuschung, in der sie sich befand, mit sich
führen mußte. Sie starrte den Geliebten an, ohne ihn zu sehen, sie
machte eine bejahende Bewegung, ohne es zu wissen. Der Mann von der
Barke war indessen näher getreten und erwartete =Cornelius= Befehle. Mit
seiner Hülfe brachte der unbesonnene Jüngling, der jetzt bei der
zunehmenden Schwäche, die sich in =Clelia's= ganzem Wesen an den Tag
legte, von der größten Besorgniß ergriffen wurde, die fast
Besinnungslose an Bord. Sie hatten kaum die abgesonderte Cajüte
erreicht, in der Capitän =Jansens= Frau den unerwarteten Besuch mit
einiger Befremdung empfing, als =Clelia=, von Allem, was ihr am Abende
und in der Nacht begegnet war, im tief Innersten bedrängt und gedrückt,
auf ein Ruhebett niedersank und von einer schweren Ohnmacht ergriffen,
alles Bewußtseyn verlor.




4.


Es war sieben Uhr Morgens. Von allen Kirchthürmen der reichen Havenstadt
=Rotterdam= vereinigten sich die Glockenspiele zu einem musikalischen
Durcheinander, das in der That nur für die Ohren der damit vertrauten
Einwohner nicht beleidigend seyn konnte. Der Nebel, welcher während der
Nacht auf Stadt und Haven gelegen hatte, war verschwunden und die
Morgensonne spiegelte sich freundlich im Fluße, in den Canälen und an
den glänzenden Fensterscheiben der Häuser. Die Reinlichkeit, die
allenthalben herrschte, an den Außenseiten der Gebäude, in den Straßen
und an den Fahrzeugen, welche in den Canälen lagen, machte das
freundliche Bild noch freundlicher und das jetzt sich entspinnende rege
Leben auf den Schiffen, Barken und Booten, auf den Plätzen und Straßen,
gab ihm erst seine Bedeutung, indem es die Handelswichtigkeit des Ortes,
den Reichthum und die Thätigkeit seiner Einwohner an das Licht stellte.
Hier wurden Schiffe, die am vorigen Abende noch spät eingelaufen waren,
ausgeladen, die Matrosen lachten, lärmten und schimpften, während sie
die Fässer und Ballen in die geöffneten Gewölbe schleppten, in deren
Eingang mit hochwichtiger Miene der Handelsherr stand, der den
Gegenstand so vieler Sorgen, die Ursache so mancher schlaflosen Nächte
nun endlich glücklich in seinem Besitze sah. Dort wurden andere Schiffe
zum Auslaufen gerüstet. Die lebendigste Thätigkeit zeigte sich auf den
Verdecken. Ein günstiger Wind erhob sich, das »Halli, halloh!« der
Bootsleute ertönte, in einem Augenblicke waren die Taue mit kletternden
Jungen und Matrosen angefüllt, die Segel wurden aufgehißt, sie schwollen
an und das Schiff zog stolz, wie ein Besieger der Wogen, über die
Wasserfläche hin, seiner unbekannten Bestimmung entgegen. An einem
andern Orte lagen zierliche, offene Barken, in denen reinlich gekleidete
und oft auch recht anmuthig gebildete Landmädchen die Gartenerzeugnisse
des Landes feil hielten, die damals in der reichen Ueppigkeit, wie sie
hier den Augen begegnete, nur von der kunstverständigen Betriebsamkeit
der holländischen Gärtner hervorgebracht werden konnte. Aehnliche
Fahrzeuge schwebten, im bunten Gewühle mit andern, über die
Spiegelfläche der Canäle hin, gelenkt von den gewandten Mädchen, die an
den Hausthüren ihrer täglichen Kunden den bestellten Bedarf absetzten.
Näher am Haven befanden sich die Marktboote der aus der Ferne
zurückkehrenden Schiffe, mit glänzenden Südfrüchten, Orangen und
Sina-Aepfeln, beladen; ihnen gegenüber die flachen Fahrzeuge mit
gedörrten und gesalzenen Fischen.

Auf dieses regsame Treiben sah aus einem Fenster des berühmten Gasthofes
=zum Wappen von Rotterdam=, mit einem sehr ernsthaften Gesichte, der
Professor =Eobanus Hazenbrook= herab. Es hatte ihm vom gestrigen, reich
aufgetragenen und köstlichen Nachtessen kein Bissen munden wollen, die
ganze Nacht hindurch hatte der Schlaf sein Lager gemieden und das
treffliche Frühstück, aus Fleischschnitten, gedörrtem Lachse, Edamer
Käse und dunkelbraunem Thee bestehend, war noch unberührt auf dem Tische
an seiner Seite zu erblicken. Er hatte keinen andern Gedanken, als nur
an den halsstarrigen =Tobias van Vlieten=, der, allen Sinn für die
Erweiterung der Kunst und Wissenschaft, für den Ruhm seines Vaterlandes
verleugnend, sich nicht zur Mumie machen lassen wollte. Immer stand die
hagere, ausgedörrte Gestalt des Handelsherrn, die für ihn alle
ersinnlichen Reize besaß, vor seinen Augen. Je mehr seine Phantasie sich
damit beschäftigte, von um so höherer Sehnsucht nach dem geliebten
Gegenstande wurde er ergriffen. Er hatte mehrere vergebliche Versuche
gemacht, die Sache, die ja doch unerreichbar schien, sich aus dem Sinne
zu schlagen. Er war schon in aller Frühe zu einem Antiquarius gegangen,
um bei diesem durch den Anblick von allerlei Curiositäten zerstreut zu
werden; aber eine elfenbeinerne, zum Stockknopfe sehr zierlich
gearbeitete Sphinx, welche ihm der Mann zum Verkaufe antrug, führte
seine Gedanken sogleich wieder nach =Egypten=, zu den Pyramiden und dem
unseligen Gegenstande seiner hoffnungslosen Liebe, zu der Mumie. Er
entfernte sich seufzend aus dem Laden des kopfschüttelnden Antiquarius,
der da bei sich selbst meinte: der Professor =Eobanus Hazenbrook= sey
nun endlich wirklich übergeschnappt, was man seiner tiefsinnigen Studien
wegen schon längst befürchtet. =Eobanus= schritt indessen trauerig
weiter dem Haven zu. Er mochte sonst wohl sein Auge gern ergötzen an den
füllereichen Gestalten der Obstverkäuferinnen, die in den anliegenden
Nachen aus dem rothwangigen Antlitze mit schalkhaften Blicken die
Vorübergehenden zum Kaufe anlockten. Er stellte sich auch heute in
gespreizter Haltung vor die Reihe der untereinander kichernden Mädchen,
er richtete seine Augen auf sie, aber er sah nicht die apfelrunden
Gesichter, die blitzenden Augen, die wohlgefälligen Gestalten; denn
immer schwebte, von dem sehnsüchtigen Gemüthe hervorgerufen, vor seinen
Blicken das unter den Sonnenstrahlen Indiens zusammengedörrte Antlitz
des Herrn =Tobias van Vlieten= und dessen eckige Knochengestalt, dem
Professor jetzt anlockender und reizender erscheinend, als der
vatikanische Apoll oder die Mediceische Venus, von denen ihm reisende
Künstler so vieles erzählt. An sich und seinem Glückssterne verzweifelnd
floh =Eobanus= in das Gasthaus zurück. Er bestellte das beste Frühstück
von der Welt. Die alten Wunderkräfte aber hatten ihren Zauber auf ihn
verloren. Wir fanden ihn, noch immer grübelnd, noch immer sehnend neben
dem unberührten Frühstücke.

Jetzt tobten seine Begleiter, die zwei jungen Franzosen herein. Sie
hatten kaum den wohlbesetzten Tisch erblickt, als sie sich daran
niederwarfen und mit einem wahren Löwenhunger über die aufgetragenen
Speisen herfielen. Die Fleischschnitten verschwanden bald bis auf
wenige, der Edammer drohete in's Nichts zurückzukehren. Dieser Anblick
brach die harte Rinde der Verzweiflung, die sich um das Herz des
Professors gelegt hatte. Wie ein Strom, der gewaltsam zurückgehalten,
endlich seine Dämme niederstürzt, so schleuderte jetzt der mächtig
erwachende Appetit die Gestalt des Herrn =van Vlieten= aus der
Erinnerung des =Eobanus= hinweg, und nur die Gegenwart behauptete ihr
Recht durch die zauberische Gewalt des Edammer und der Fleischschnitten.
Eine Bärin stürzt zur Vertheidigung ihrer Jungen nicht so wüthend
herbei, wie =Eobanus=, um sich die Ueberbleibsel des Frühmahls zu
sichern. Die jungen Leute sahen ihn erstaunt an. Er aber sprach mit
vollen Backen und arbeitenden Kinnladen:

»Entartete Musenkindlein! Muß das Euer ehrwürdiger Lehrer, der
weltberühmte =Hazenbrook=, an Euch erleben, daß Ihr seinen gerechten
Schmerz mißbraucht, um ihn Hungers sterben zu lassen? Habe ich nicht
Euch ernähret mit dem Honig der Kunst, mit der Kraftbrühe der
Wissenschaft? O, Ihr Undankbaren! Wer erschloß Euch das Mysterium der
Natur, wer ließ Euch in die Tiefen der Schöpfung blicken, wer führte
Euch in das Innere des menschlichen Leibes, daß Ihr Euch dort lustiglich
umschautet, und fröhlicher Dinge die Wunder seines Baues erkanntet? Ist
das nun das Honorarium, welches Ihr mir spendet, daß Ihr mir Alles
wegspeiset vor dem Munde und einen meuchelmörderischen Anschlag
schmiedet auf mein Leben durch die grausamste Todesart?«

Während der Professor auf diese Weise, halb im Scherze, halb im Ernste
zürnte und ganz entsetzlich drauf loskauete, verschwanden unter seiner
Thätigkeit sämtliche Reste von Speisen, die sich noch auf dem Tische
vorgefunden hatten, so wunderbar geschwind, als wenn sie der
geschickteste Taschenspieler hinweggezaubert hätte. Dann nahm er ruhig
einen Platz zwischen den beiden Jünglingen ein und fuhr, indem er nach
der japanischen Theekanne griff, mit milder Stimme fort:

»Wo kommt man her? Wie hat man die Morgenstunden zugebracht? Ist das
Sprüchlein: _aurora musis amica_, nicht gänzlich außer Acht gelassen
worden? Die Pflicht gebeut mir, auf Euere Handlungen und Gänge ein
wachsames Auge zu haben, damit Ihr mir in _moribus_ nicht dahinten
bleibt, während Ihr in _literis_ vorschreitet.«

»Wir suchten Euch bei den schönen Obstverkäuferinnen,« versetzte mit
einem schalkhaften Lächeln der eine der beiden jungen Leute. »Wir
wissen, daß Ihr Euch ein Lieblingsgeschäft daraus macht, an diesen
wohlgebaueten Demoisellen die Muskellehre zu studiren.«

»_Recte dixisti!_« erwiederte der Professor, indem er das rechte Auge
schloß und mit dem linken blinzelnd nach dem Studenten hinsah. »Dem
Reinen ist Alles rein!« fuhr er fort. »Und Euch, mein lieber Monsieur,
wäre zu wünschen, daß Ihr immer auch nur in einer solchen
wissenschaftlichen Absicht das weibliche Geschlecht anschauen möchtet.«

»Ich lege mich stark drauf,« versicherte der junge Mann. »Euer Beispiel
spornt mich an.«

»Das kann ich ihm bezeugen;« fügte der andere hinzu. »_Morgué!_ Er hat
auch hier schon in dieser Beziehung das Terrain recognoscirt, wie es uns
Franzosen im Feindeslande geziemt --«

»Still, still!« unterbrach ihn bedeutungsvoll der Professor, indem er
auf die übrigen, im Hintergrunde des Theezimmers versammelten Gäste
deutete. »In diesen bedenklichen Kriegszeiten werdet Ihr wohlthun, Euch
nicht allzulaut als Feinde der hochmögenden Heern Generalstaaten zu
bekennen. Was Franzosen? Ihr seyd wallonische Musenkindlein und als
solche inscribirt in das große Buch der Academie.«

»Ich bin ein Franzos und sage es laut!« rief jener und schlug, kühn um
sich schauend, mit der geballten Faust auf den Tisch, daß das japanische
Porcellan zusammenklirrte. »Meint Ihr, ich heiße umsonst =Le Vaillant=
und sey aus der herrlichen Gascogne in Euer miserables Land gekommen, um
mein Vaterland und meinen Namen zu verleugnen? _Cadédis!_ Se. Majestät,
der allerchristlichste König, wird dieses Krämervolk nach seiner Pfeife
tanzen lehren, wie es ihm gefällt!«

Er warf einen trotzigen Blick auf die Bürgersleute und Seemänner, die
nur durch das laute Wesen des vorwitzigen Jünglings aufmerksam gemacht
wurden, aber zu seinem Glücke seine Sprache nicht verstanden. Man war
gewohnt, an öffentlichen Orten französisch reden zu hören, ohne gleich
deshalb die Anwesenheit von Franzosen anzunehmen, da ja auch die
befreundeten Flammländer, Brabançons und Wallonen sich meistens dieser
Sprache bedienten.

»Wenn du deinen kriegerischen Namen =Le Vaillant= geltend machen
willst,« nahm jetzt der andere Student das Wort, »so werde ich nicht
minder das Ansehen des meinigen zu behaupten suchen. =La Paix= klingt
wenigstens eben so gut wie =Le Vaillant=, und ist sicher im Allgemeinen
mehr beliebt. Ich bin der Balsam auf die Wunden, die Du schlägst. Du
bist der Dorn und ich die Rose, und wenn ich meine Stimme gebieterisch
erhebe, so müssen deinesgleichen schweigen und vom Schauplatze abtreten.
Doch genug der Scherze! Ich sehe Du willst dich ereifern, mein theuerer
=Le Vaillant=, und aller Eifer ist meiner friedfertigen Natur zuwider.
Wir haben wichtigere Dinge zu machen, als läppische Namenwitze. Wir
haben die wissenschaftlichen Anstrengungen unseres ehrwürdigen Lehrers
zu unterstützen, als Söhne der erlauchten Lugduner Academia müssen wir
der herrlichen Mutter zu Allem behülflich seyn, was ihren Glanz erheben
kann?«

Der Professor war ganz Ohr geworden. Er vernahm nur die lieblich
lautenden Worte, er sah nicht den Schalk, der in dem Auge des
muthwilligen =La Paix= lauerte.

»Was meinst du, Söhnlein?« schmunzelte er über den Tisch herüber. »Hast
Du ein seltsames Thier aufgefunden, ein Curiosum, vielleicht gar irgend
ein liebenswürdiges Monstrum, das noch in unserm _museo rerum
naturalium_ nicht vorhanden?«

»Noch weit mehr, als das;« erwiederte mit großer Ernsthaftigkeit =La
Paix=. »Wir haben den =Dicksten= wiedergesehen, und haben seine Wohnung
ausfindig gemacht.«

»Wie?« rief =Eobanus= in neu erwachender Begeisterung. »Meine Mumie,
meinen =Amenophis=, den grausamen, unbeugsamen Pharao Egyptens --«

»Ihn selbst;« versetzte der junge Mann. »Man hat uns auch allerlei
erzählt von ihm auf unsere Erkundigungen. Seine Tochter =Clelia=, die er
schnöder Weise =Clötje= nennt, soll das schönste Mädchen in =Rotterdam=
seyn. Er selbst mag wunderliche Grillen im Kopfe tragen, denn die Leute
sagen, er spotte des Christenthums und verehrte ein heidnisches
Götzenbild des =Schiwa= oder =Brama=, das in seinem Staatszimmer auf
einem hohen Piedestal stehe.«

»=Brama= und =Schiwa=, =Osiris= und =Serapis=!« jauchzte der Professor,
einer Verzückung nahe. »Welche Verwandtschaft, welche Analogie! O Gott!
Der Mann ist zur Mumie geboren und hat den verbrecherischen Eigensinn,
seine Bestimmung verleugnen zu wollen.«

»_Sandis!_« hob jetzt verdrießlich =Le Vaillant= an, und schlug bei
diesen Worten ein Schnippchen. »Ich gebe nicht so Viel für das
Mumientalent des dünnen Dicken. Aber die schöne Tochter entflammt mich,
und ihr zu Gefallen habe ich Fensterwanderung gemacht vor seinem Hause.«

»_Paix!_« rief =La Paix= sich selbst aus und warf seinem Gefährten einen
bedeutungsvollen, verweisenden Blick zu. »Ich leugne nicht, daß die
Grazien auch für mich ihre Annehmlichkeit haben, allein wo die
Uebermacht der Musen erscheint, da müssen sie billig in's Dunkel treten.
Wie können sich diese eines Zaubers rühmen, wie jene ihn geltend machen?
Es ist keine Kunst schön zu erscheinen, wenn man es ist. Aber die
Wundermacht der Wissenschaft verleiht auch solchen Körpern
unwiderstehliche Reize, die deren gar keine besitzen. Sie kann eine
Kreuzspinne zum Gegenstande inniger Liebe, eine Kröte zu dem der
tiefsten Verehrung machen und in der That, ist denn nicht jene Sage von
der Spinne, die sie nach hundert Jahren zu einem Demant verhärten läßt,
nicht fast gleich mit dem egyptischen Glauben von der Lotosblume, hat
nicht die tausendjährige Kröte, die im Innern eines Steins gefunden wird
--«

Länger konnte sich der Professor nicht halten. Er fiel zur großen
Befremdung aller Anwesenden dem Jüngling um den Hals und sagte:

»Herzenssöhnlein! Laß Dich küssen. Du mußt dermaleinst meinen Lehrstuhl
besteigen, wenn ich diese hieroglyphische Unterwelt verlassen habe, aber
dann mußt Du mir versprechen, mich einzubalsamiren, nach der Art und
Kunst, die ich in meinem Testamente berichten werde. Aber fahre fort, Du
mein _successor in spe_! Was hast Du Weiteres zu erzählen von unserer
Mumie, die noch in der chaotischen Verwirrung des Lebens der Stunde
ihrer Wiedergeburt, der beglückenden Rückkehr in die egyptische
Vergangenheit harret?«

Der lebhafte =Le Vaillant= rückte ungeduldig auf seinem Sitze hin und
her. =La Paix= aber gab ihm aufs Neue einen Wink, der ihn wiederum zur
Uebung einiger Selbstbeherrschung veranlaßte. Dann befriedigte jener das
Verlangen des Professors, indem er antwortete:

»Euer Gedanke, hochverehrter Lehrer, den dicksten Mann der guten Stadt
Rotterdam für die Nachwelt einzumachen, indem ihr ihn zugleich der
Vorwelt als eines ihrer wunderbarsten Geheimnisse in den Schooß legen
wollt, hatte so viel Reizendes, ich kann sagen, Begeisterungsvolles für
mich, daß ich die ganze Nacht nicht schlafen konnte. Schon in der ersten
Frühe des Tages machte ich mich mit =Le Vaillant= auf den Weg, zog
Erkundigungen über den wohlmögenden Herrn =Tobias van Vlieten= ein und
ließ mir sein Haus zeigen. Dann begaben wir uns zu diesem. Noch war
Alles verschlossen. Wir hatten aber nur wenige Minuten davor gestanden
und das stattliche Gebäude aufmerksam betrachtet, als plötzlich dessen
Thüre aufgerissen wurde und der Gegenstand Euerer Freude, Euerer
Hoffnung und Euerer Sehnsucht darin erschien. Aber -- _Cadédis_ würde
=Le Vaillant= ausrufen: wie war der Mann entstellt! das anmuthige Braun
seines Angesichtes, das Euch so sehr entzückte, als Ihr ihn zum
erstenmale sahet, hatte sich in ein dunkles Roth verwandelt, seine
Blicke schossen Blitze, seine langen Arme fuhren wild in der Luft umher.
Irgend etwas Ungeheures mußte ihm begegnet seyn! Er schrie und tobte mit
dem hintenstehenden Hausgesinde, er that mit einemmale einen gewaltigen
Sprung mitten in die Straße, sah sich nach allen Seiten forschend um,
und fuhr eben so schnell wieder in's Haus zurück. Die entsetzliche
Alteration muß eine unglückliche Folge für ihn haben. Ich wette darauf:
der Schlag rührt ihn noch heute und er fährt hin, ohne ein Testament
gemacht zu haben.«

»Das kann, das darf er nicht!« rief entschlossen =Hazenbrook= und sprang
von seinem Sitze auf. »Ich nehme die Obrigkeit zu Hülfe, ich appellire
im Namen der Universität, er muß, will er nicht im Guten, mit Gewalt
genöthigt werden, seinen schätzbaren Leichnam unserer Musenstätte zu
testiren. Auf, Ihr Jünger der Wissenschaft! Wir wollen hin, wir wollen
in das Innere seines Domicil's dringen. Ich muß ihm noch einmal in's
Gewissen reden. Ist die schöne Hoffnung, daß er bald das Zeitliche mit
dem Ewigen wechselt, keine grausame Täuschung, könnte ein schnell Ruhe
bringender Schlagfluß der von ihm schmählich beleidigten Wissenschaft zu
Hülfe kommen, dann soll und muß er vorher sein Testament machen, wie ich
es wünsche, oder ich -- halt! Was ich sonst im Sinne trage, will ich
nicht verrathen. Erst Frieden, dann Krieg auf List und Gewalt!«

Die beiden jungen Leute hatten keine andere Absicht gehabt, als ihren
Mentor zu einem neuen Versuche auf Herrn =Tobias van Vlieten= zu
bewegen, indem sie hofften bei einem Besuche in dessen Hause, die
gerühmte Schönheit der Tochter bewundern zu können. Während sie dem
Professor auf die Straße folgten, gaben sie sich hinter seinem Rücken
allerlei Zeichen, die ihre Zufriedenheit über die gelungene List
aussprachen.

=Eobanus= ging mit großen Schritten vorwärts. Er trug seine amtliche
Kleidung, die in einem weiten, schwarzen Talar und einem rothen Barette
bestand. Die Bürger, welche ihm begegneten, grüßten ihn ehrerbietig. Es
fiel ihm ein, daß es nicht wohl gethan seyn würde, den Herrn =van
Vlieten= gleich wieder mit dem Verlangen zu bestürmen, das dieser
gestern mit so großem Unwillen zurückgewiesen hatte. Er beschloß, auf
Umwegen sich dem Ziele zu nähern, um so mehr, da dem Gegner in seiner
eigenen Wohnung hinlängliche Mittel zu Gebote standen, die etwa
überlästigen Gäste zu entfernen. Er legte sein Gesicht in die
freundlichsten Falten, er besann sich auf anmuthige und gewinnende
Redensarten, die den Handelsherrn kirren möchten, er rechnete Viel auf
die Wirkung seiner Amtstracht, die ihm, wie er glaubte, ein
ehrwürdigeres Ansehen gab, als das schlichte Reisekleid am gestrigen
Abend. Als seine Begleiter ihm in der Ferne das =van Vlietensche= Haus
zeigten, ermahnte er sie, in aller geziemenden Höflichkeit einzutreten
und während des Besuches sich im Allgemeinen ganz nach seinem Beispiele
zu richten. Je mehr er sich dem Hause näherte, desto heiterer wurde
seine Miene, sein Schritt wurde hüpfend und mit höflich vorgebogenem
Oberleibe stand er endlich vor dem Eingange.

Dieser war gegen die herrschende Sitte weit geöffnet. Man sah im
Hintergrunde des geräumigen Vorplatzes mehrere Leute ängstlich hin- und
herrennen. Die Thüren der Schreibstuben standen offen. Eine große
Verwirrung schien zu herrschen. Aus dem obern Stocke herab vernahmen die
drei Eintretenden eine scharfe belfernde Stimme, in der =Hazenbrook= die
des Gegenstandes seiner Wünsche und seines Sehnens zu erkennen glaubte.
Er schritt kühn die Treppe hinauf, ihm folgte, nach allen Seiten mit
scharfen Blicken die schöne =Clelia= suchend, das Studentenpaar. Sie
hatten ungefähr die Hälfte der Stufen zurückgelegt, als ihnen von oben
herab ein Mann rasch entgegenkam, der eine Art Uniform trug und sich
durch den weißen Stab in seiner Hand als einen Gerichtsdiener der guten
Stadt =Rotterdam= auswies. Er warf argwöhnische Blicke auf die
Besuchenden. Der Trotz aber, mit welchem =Le Vaillant= ihn ansah und ins
Besondere die stattliche Professortracht =Hazenbrooks= flös'ten ihm
Respect ein, so daß er ehrerbietig bei Seite trat und den Hut abzog.

Sie hatten jetzt einen Gang im obern Stocke des Hauses erreicht. Durch
eine offenstehnde Thüre überblickten sie einen Theil des vor ihnen
liegenden Zimmers. Da sahen sie das scheußliche Fratzenbild des Götzen
und die wackelnden Pagoden; aus einem Winkel des Gemaches aber, der
ihren Blicken verborgen lag, ertönte eine klagende Stimme:

»O =Clötje=, =Clötje=, warum hast du mir das gethan? Was hat dich
herausgetrieben aus dem Hause des Ueberflusses in eine Welt der
Entbehrung, wo du jedes Loth Thee unmäßig bezahlen, den Zucker dir
sparsam zumessen, den kleinsten Zimmetstengel mit Gold aufwiegen mußt?
Hattest du denn nicht den Schlüssel zu den Gewölben in jeder Stunde des
Tages, daß du Rosinen und Mandeln naschen konntest nach Belieben? War
dir der Keller, wo der kostbare Muscat- und Canariensect liegt, jemals
verschlossen? O =Clötje=, du brichst mir das Herz und, ich glaube, ich
sterbe noch in diesem Augenblicke!«

»Das wollen wir uns verbeten haben!« sprach =Eobanus= hastig in sich
hinein und schritt mit Eil in das Zimmer. In diesem befand sich niemand
als Herr =Tobias van Vlieten=. Er saß in einer Fenstervertiefung auf
einem niedern Sessel, die Ellenbogen auf die Kniee, den Kopf in die
Hände gestützt. Er schien das Geräusch gar nicht wahrzunehmen, das der
Eintritt des Professors und seiner Begleiter verursachte. Wie diese
gemeldet hatten, war in der That die dem =Eobanus= so wohlgefällige,
braungelbe Farbe seines Angesichtes in ein dunkles Roth übergegangen,
die Adern an der Stirn waren mächtig angeschwollen und sein Kopf war in
einer beständigen zitternden Bewegung.

»Ja!« sagte =Hazenbrook=, als er ihn erblickte, leise für sich hin. »Er
ist ein _Candidatus mortis_. Der Schlagfluß rückt heran. Wir müssen
sanft und freundlich mit ihm zu Werke gehen, um den kritischen Moment
hinzuhalten, bis er testirt hat.«

Erst als der Professor dicht vor ihm stand und durch ein halblautes
Räuspern sich bemerkbar zu machen suchte, blickte =Tobias= auf. Die
Anwesenheit der Fremden schien ihm nicht unangenehm zu seyn. Im
Gegentheile erheiterte sich sein Angesicht und er begrüßte, indem er
sich erhob, den =Eobanus= mit einer ehrerbietigen Verbeugung.

»Wie, hochmögender Herr Bürgermeister,« hob er, von einer Täuschung
befangen, an, die des Professors stattliche und ihn unkenntlich machende
Amtstracht veranlaßte, »Ihr selbst habt die Gewogenheit, Euch zu mir zu
bemühen, um mir Trost und Beruhigung zu bringen in meinem großen Kummer,
um mir Hülfe und Unterstützung zuzusichern für eine Angelegenheit, die
jeden ehrsamen Bürger von Rotterdam, der eine mannbare Tochter im Hause
hat, mit Angst und Besorgniß erfüllen muß? Ja, verehrungswürdiger
Vorstand unserer guten Stadt, meine =Clötje= ist mir geraubt worden
nächtlicher Weile und mit ihr die tugendsame Jungfrau =Philippintje=!
Niemand anders ist der Räuber als der Sohn des verrätherischen =van
Daalen=, der seine Seele den Spaniern verkauft für schnödes Gold, aber
von dem gerechten Schicksal geprellt worden ist um den Sündenlohn.
Hochmögender, ich klage den gewesenen Kriegshauptmann =Cornelius van
Daalen= des Verbrechens einer doppelten Jungfrauenentführung an, ich
verlange, daß die alte Strafe des Säckens wieder erneuert und auf ihn
angewendet werde. Schon hat sich der Polizeimeister in das Haus des
Verbrechers begeben, um Alles genau zu durchsuchen, um das _corpus
delicti_, wie die Gelehrten sagen und welches bei dieser Gelegenheit
leider meine eigene eheleibliche Tochter ist, aufzufinden. Lasset, =Myn=
hochmögender =Heer=, in dieser Sache allein das Recht walten und nicht
die Gnade, lasset das Schwerdt der Strafe niederfallen auf das Haupt des
Verbrechers, wie er es verdient. O, daß mir Dieses nicht in =Batavia=
begegnet ist, als ich noch daselbst im hohen Rathe von Indien saß! Da
hätte ich nach eigenem Urtheilsspruche den Majestätsbeleidiger spießen,
rösten oder von Elephanten zertrampeln lassen können. Hier aber -- ach!
ich fürchte sehr, daß ich es nicht einmal bis zum Säcken bringe.«

Der Professor wußte nicht, wie er sich bei dieser seltsamen Verwechslung
benehmen sollte. Er stand noch immer mit tief gebeugtem Haupte, so daß
dem Herrn =van Vlieten= sein Angesicht verborgen war. Während er darüber
nachsann, wie er der Sache eine andere Wendung geben könne, ohne den
Handelsherrn zu sehr zu alteriren und die tödliche Catastrophe zu
beschleunigen, theilten sich flüsternd die beiden Studenten ihre
Bemerkungen über das Gehörte mit, aus dem sie erkannten, daß der Anblick
der schönen =Clelia= ihnen für diesesmal entzogen bleiben würde. Das
Abentheuerliche ihres Verschwindens erregte die ganze Theilnahme der
jungen Leute. Die Entführung eines Mädchens war in ihren Augen eine
Heldenthat, der sie nur eine vorziehen konnten, nämlich =die=, dem
Entführer die Entführte wieder abzujagen. Sie brannten vor Begierde,
Näheres zu erfahren, sie waren im Drange der Erwartung dicht hinter den
Professor getreten! Dieser hatte indessen einen Plan gemacht, von dem er
sich für seine wissenschaftliche Herzensangelegenheit den günstigsten
Erfolg versprach. Eben wollte er sich demaskiren, eben wollte er die
nöthigen Einleitungen zu seinem Vorschlage, bei dessen Verwirklichung er
viel auf den Unternehmungsgeist seiner zwei jungen Freunde rechnete,
anspinnen, als sich plötzlich die Szene veränderte und aus dem
bisherigen Frieden in einen tumultuarischen Zustand überging.

Es trappelte auf der Treppe, es stürmte herauf in wilder Eile und mit
verwirrtem Getöse. Mehrere Stimmen wurden laut, aber man konnte nicht
unterscheiden, was sie sprachen. Der Professor und die Studenten traten
zur Seite, =Tobias= schritt bebend vor.

»Sie bringen meine =Clötje=,« stammelte er kaum vernehmlich. »Man hat
sie gefunden, man führt sie her: sie und =Philippintje= und den
schändlichen Jungfrauenräuber!«

Aller Blicke waren nach dem Eingange gerichtet; aber nicht die reizende
=Clelia=, nicht die ehrbare =Philippintje=, nicht Junker =Cornelius=,
der kecke Kriegsmann, traten herein, sondern vielmehr Herr =van Daalen=
selbst, von einem ganzen Häuflein Polizeitrabanten begleitet, und in
heftiger zorniger Bewegung. Das fette Antlitz des kleinen Mannes
wetteiferte mit dem hagern des Herrn =Tobias= in dunkelglühender Röthe,
die gläsernen Augen funkelten mächtig und das spanische Rohr war hoch in
der Rechten erhoben, wie zum Angriffe und Ausschlagen.

»Gebt mir meinen =Cornelius= heraus;« brüllte er mit Löwenstimme,
»schafft ihn sogleich herbei, Ihr Menschendieb und Seelenkooper, oder
man wird Euch peinlich befragen, was Ihr mit dem edeln Jungen angefangen
habt?«

Einige Polizeitrabanten hatten sogleich den Eingang besetzt, andere
näherten sich dem Götzenbilde und umzingelten dieses. Herr =van=
=Vlieten= starrte einige Augenblicke lang den frechen Eindringling und
seine Begleiter in verstummendem Erstaunen an. Dann brach er los:

»Ist denn der Bösewicht nicht durchgegangen in dieser Nacht mit meiner
=Clötje= und hat noch die tugendbelobte =Philippintje= als Dreingabe
mitgenommen, wer weiß wohin? Und seyd Ihr nicht der Hehler dieses
Verbrechens, das zu gelinde noch mit einfacher Säckung bestraft werden
wird?«

Da erschallte aus dem Munde des Herrn =van Daalen=, der jetzt den
Zusammenhang des Ganzen einzusehn begann, ein unauslöschliches
Gelächter. Er winkte die Polizeimänner zu sich heran, er ließ den Stock
sinken, er nahm den Hut ab, den er bisher aufbehalten hatte.

»Nun wenn es so ist, so ist Alles gut!« sagte er in einem Tone, den das
fortdauernde Lachen zu ersticken drohete. »Auf und davon also sind die
Kinder, der tolle =Cornelius= und Euer liebliches =Clötje=? Lasset keine
Sorge in Euerm Gemüthe erwachen deshalb: er thut ihr nichts zu Leid und
der ehrbaren Jungfrau =Philippintje= ebenso wenig, wenn ich ihn recht
kenne. Aber, Herzensfreund, nun sind ja plötzlich alle Differenzen
verschwunden! Was wir Jahrelang in süßer Hoffnung auf unsere Kinder
verhandelt, ist mit einemmale geschlichtet: sie sind ein Paar geworden
und es kommt auf die zweimalhunderttausend Dukaten mehr oder weniger
nicht an. Gebt mir die Hand und laßt uns treu zusammenhalten als
freundliche Schwäher!«

Zitternd und mit einer gewaltsamen Bewegung stieß Herr =van Vlieten= die
dargebotene Rechte des Herrn =Jan= zurück.

»Nimmermehr!« rief er aus. »Ihr meint, Ihr habet mich gefangen und
geprellt und ich müsse nun des Schimpfs halber meine Einwilligung geben
zum schmählichen Ehebündniß! Aber, prosit! Noch gibt es Gesetze gegen
Jungfrauenraub und Betrug. Die ungehorsame Tochter werde ich zu
bestrafen wissen und auch Euch, den Mitwisser des schändlichen Frevels,
den Handlanger des verruchten Sohnes, wird das Gericht ereilen.«

»Pah!« erwiederte ruhig der Bedrohete, indem er seinen Hut wieder
aufsetzte. »Ich weiß von der ganzen Sache weiter nichts, als daß mein
=Cornelius= gestern Abend bei Euerer =Clötje= war zum Stelldichein und
daß er dort im =Schiwa= steckte, als der alberne =Hoontschoten= seinen
Unglücksbericht brachte. Ihr hättet das ebenso gut sehen können wie ich,
wenn Euch nicht die abergläubische Furcht verblendet gehalten oder wenn
Ihr den Muth gehabt hättet, die Augen aufzuschlagen. Hat nicht das
Götzenbild ein Paar fenstergroße Glasaugen und flackerte nicht hinter
diesen der orangefarbene Kragen von meines Sohnes Kriegsrocke immer hin
und her, so daß man bei der hellen Beleuchtung, die Nähte daran erkennen
konnte? Und dann Euerer Tochter Verlegenheit bei unserem Eintritte? Bei
dem Degen des Herzogs von =Marlborough=! wie mein =Cornelius= zu sagen
pflegt, es war keine Kunst, die Sache zu entdecken, aber daß der tolle
Bursche einen so klugen Streich machen würde, hätte ich ihm nimmer
zugetraut. Ergebt Euch drein, Myn Heer =van Vlieten=! Denkt, daß es
einmal so ist, und nicht anders. Sucht Euere Seele zum Frieden geneigt
zu machen. Nachmittags komme ich wieder vor und hoffe dann das Geschäft
in aller Eintracht mit Euch abzuschließen.«

Nach diesen Worten entfernte er sich, und die Polizeitrabanten, deren
Anführer er Einiges zuflüsterte, folgten ihm auf dem Fuße. Herr =Tobias=
war nicht im Stande, ihm noch vor seinem Abgange eine Antwort zu geben,
denn die immer mehr im Innern aufkochende Wuth erstickte seine Stimme.
Er mußte sich auf einen Stuhl stützen, der in seiner Nähe stand. Erst
als sein Gegner schon die Hausthüre hinter sich haben mochte, erholte er
sich einigermaßen und gewann die Sprache wieder. Rasch wendete er sich
gegen den Professor, den er noch immer für den Bürgermeister hielt und
sagte:

»Ihr habt es vernommen, hochmögender Heer! Er selbst hat gestanden, daß
er mit im Complott war --«

Da sah =Tobias= plötzlich in das Antlitz =Hazenbrooks=, der sich in
diesem Augenblicke lang aufrichtete, da erkannte er den gefürchteten
Mumien-Professor, da erstarb ihm das Wort auf der Zunge. Aber =Eobanus=
grinsete ihn freundlich an, haschte nach seiner Hand und sprach:

»_Pax vobiscum!_ Wir kommen im Frieden und nicht zum Streite. Die Lage
der Dinge hat sich wunderbarlich verändert und wir könnten uns wohl zu
einem Vergleiche vereinigen, der beiden Partheien, der illustern
Lugdunenser Musenstadt und dem wohlmögenden Handelspatron, Herrn =Tobias
van Vlieten=, zum Nutzen und Frommen gereichte. Ihr sehnt Euch nach
einem Töchterlein, wir sehnen uns nach einer Mumie. Euch ist das
Töchterlein verloren gegangen; denselben Possen hat uns schon manche
Egyptierin aus meiner Fabrik gespielt. Gleiches Leid, gleiche Wünsche!
Erinnert Euch ohne Groll meines Vorschlags vom gestrigen Abende. Jetzt
kann ich Euch einen Tausch bieten. Wir haben viele Bekanntschaften,
weitläufige Verbindungen, allenthalben unsere Commissionare und Agenten.
Wir verschaffen Euch das Töchterlein wieder, Ihr dagegen testiret
Eueren schätzbaren Körper, nachdem solchem das innenwohnende Leben
entflohen, mir zur eigenmächtigen Verfügung. Bedenket, edler =Myn Heer=,
daß der Vortheil ganz auf Euerer Seite ist. Eine reizende, blühende
Jungfrau, voll Geist und Leben, im Schmucke der Jugend, ein Wesen, in
dessen Adern Euer eigenes Blut rinnt -- und was ist der Preis dieses
Meisterstückes der Schöpfung, das jeder fühlenden Seele wünschenswerth
erscheinen muß? Ein Gegenstand, der aus den Wohnungen der Menschen mit
Abscheu hinweggewiesen wird, ein leeres Gefäß, dem der geistige Gehalt
entflohen, ein Ding, das den Würmern zur Speise dient, wenn es
eigensinnig die Wissenschaft zurückweis't, die es auf den Thron der
Pharaonen erheben will. O Myn Heer, wie könnt Ihr nur zaudern, wie könnt
Ihr den glücklichen Moment Euch entgehen lassen? _Eheu fugaces_ --«

Aber schon hatte die Beredsamkeit =Hazenbrooks=, von dem Drange der
Umstände unterstützt, gesiegt.

»Es sey!« sagte der Handelsherr mit entschlossener Stimme. »Ich wage
mich dran, um mein =Clötje= wieder zu haben, um den schändlichen
=Cornelius= seines Frevels überführen zu können, damit ihm die
wohlverdiente Säckung werde im Armensünder-Canale und dem alten
Bösewicht obendrein, der ihn im =Schiwa= gesehen, ohne mir's zu
offenbaren. -- Kommt her, Myn Heer Professor, wir wollen es schriftlich
miteinander machen und die Scheine austauschen, wie es sich unter
rechtlichen Geschäftsmännern geziemt!«

Nichts konnte dem Professor erwünschter seyn, als diese Aufforderung.
Auf dem Fußgestelle des Götzenbildes befand sich Papier und Schreibzeug.
Nach wenigen Augenblicken hatte =Eobanus= die Contracte aufgesetzt, sie
wurden unterzeichnet und ausgewechselt.

=Hazenbrook= betrachtete seinen künftigen Egyptier mit Blicken der
Freude und Liebe. Es fiel ihm schwer, sich von dem Gegenstande seiner
Hoffnungen zu trennen, aber er mußte sich dem Gebote der Nothwendigkeit
unterwerfen.

»Lebt wohl, theuerer Myn Heer!« sagte er, indem er =van Vlietens= Hand
nahm und unbemerkt den Schlag des Pulses untersuchte. »Seyd heiter und
guter Dinge! Lasset Euch nichts abgehn an leiblicher Ergötzlichkeit. Ihr
habt eine gute Natur, die schon ein Gläschen Canariensect mehr vertragen
kann, wie eine andere. Ich wünsche Euch Methusalems Alter, denn Gott
behüte! daß ich selbst um der heiligen Wissenschaft Willen eines
Menschen Tod ersehnen möchte. Solltet Ihr aber dennoch wider Verhoffen
in eine schwere Krankheit verfallen, so bitte ich, mich sogleich davon
zu benachrichtigen. Jetzt geht's der Tochter nach! Finden wir sie, so
wird sie Euch und Ihr werdet mir; finden wir sie nicht, so haben wir
alle beide nichts. _Cura ut valeas, amice dilectissime!_«

Er ließ ihn los, er wandte sich zur Thüre. Ehe er aber diese erreichte,
kam er, von einem glücklichen Gedanken ergriffen, noch einmal zurück.

»Noch Eins, _Amice_!« sagte er. »Zwei oder drei Zeilen an die Tochter,
streng, ermahnend, väterlich! Ein Beglaubigungsschreiben für mich oder
meine Commissarii!«

Der Alte sah sogleich ein, daß dieses Verlangen nicht anders, als billig
und vernünftig sey. Er schrieb und übergab dem Professor den Zettel, in
welchem er der Tochter mit Fluch und Enterbung drohete, wenn sie nicht
sogleich zurückkehre in das väterliche Haus.

Kaum hatte =Hazenbrook= das Papier in Händen, so verließ er in großer
Eile das Gemach, in dem Herr =Tobias=, von Zorn und Betrübniß erfüllt,
zurück blieb. =La Paix= und =Le Vaillant= folgten dem Professor, während
sie über diese Wendung der Angelegenheit, die sie zu Rittern und
Beschützern der schönen =Clelia= zu bestimmen schien, einander ihre
Freude und ihre vorläufig gefaßten Vorsätze mittheilten.

»Kinder!« sagte der Professor, als er mit ihnen unter den Bäumen am
Canal hinstürmte, und jetzt eine der schönen, weißbemalten Zugbrücken
überschritt: »wir müssen uns trennen. Ihr müßt der Jungfrau =Clötje=,
oder wie sie sonst heißt, nachsetzen, sie schleunig inhaftiren und zur
Stelle bringen. Der Alte macht es nicht lange mehr. Sein Puls trommelt
zum Abmarsche und ich muß das Frauenbild beibringen, ehe er abfährt. Im
Nothfall aber habe ich auch dafür Rath, doch darf ich nicht weichen noch
wanken vom Platze und muß ihn bewachen mit Argusaugen. Ihr aber müßt
seyn, wie die heilige =Isis=, als sie den verlorenen Gatten =Osiris=
suchte; klug, wachsam, forschend und muthig. Gehet hin, Kindlein, Ihr
Stützen der Wissenschaft! Wohl sollet Ihr die Musen lieben und ihnen
dienen, aber hütet Euch, alle Weiber für Musen anzusehen. Da ist das
Creditiv von Myn Heer =van Vlieten=! Geld tragt Ihr hinlänglich im Sack,
denn Ihr habt erst gestern die Quartalwechsel erhoben. Fort, Söhne!
Erobert Troja und bringt die Prinzessin Helena nach Griechenland
zurück!«

»_Sandis!_« erwiederte =Le Vaillant=, indem er auf seinen langen
Raufdegen schlug. »Das soll ein Seelengaudium seyn für unser einen und
den Sire =Cornelius= wollen wir schon coramiren.«

»Alles in Höflichkeit und Frieden,« fügte =La Paix= sanft hinzu, »aber
wir bringen Euch das Mädchen oder Ihr sollt uns nicht für würdig
halten, dereinst den Doctorhut der Weltweisheit zu tragen, die ja auch
mit der Weltklugheit nahe verwandt ist.«

Die Jünglinge flogen dem Haven zu. =Hazenbrook= eilte in den Gasthof
=zum Wappen von Rotterdam= zurück, verließ ihn aber, in einen weiten
Mantel verhüllt, nach kurzer Zeit wieder, um still und verborgen eine
neue Wohnung in einer kleinen Matrosenherberge zu beziehen, die dem
Hause des Herrn =van Vlieten= in schräger Richtung gegenüber lag.




5.


Es war ein sehr heiterer Herbstmorgen, an welchem die zierliche
=Syrene=, Capitän =Jansen=, die =Maas= hinauffuhr. Der Wind wehete so
günstig, daß die aufgesetzten Segel schon hinreichten, das leichte
Fahrzeug, selbst den Wellen entgegen, rasch fortzubringen und deshalb
der gewöhnliche Vorspann von Pferden entbehrt werden konnte. Die Barke
selbst bot jedem, der solchen Dingen gern seine Aufmerksamkeit schenkt,
besonders den Seemännern und Schiffbauleuten, einen sehr erfreulichen
Anblick. Ihre Seitenwände von starkem Eichenholze waren lichtbraun
lakirt und von den sorglichen Matrosen in einer Sauberkeit erhalten, die
ihnen den Glanz eines Spiegels gab. An dem weißen, mit einer Malerei von
grünem Laube gezierten Vordertheile, prangte in kunstvoller
Bildhauerarbeit die =Syrene=, von der das Fahrzeug den Namen hatte, und
sie glich so einem weiblichen Wesen, das eben im Begriff ist, mit dem
Oberleib aus einem grünenden Gesträuche sich emporzurichten. Die
niedlichen Fenster der Cajüten waren mit grünseidenen Vorhängen geziert.
Der schlanke Mast warf in seiner glänzenden Politur die Strahlen der
Morgensonne tausendfältig zurück, und auf den frisch gebleichten Segeln
war kein Fleckchen zu sehen. Auch für die Sicherheit des Fahrzeuges, die
in diesen kriegerischen Zeiten leicht gefährdet werden konnte, war
gesorgt, denn auf dem Verdecke standen mehrere nicht unansehnliche
Böller und in einigen offenstehenden Kisten waren Schießgewehre und
Säbel aufgeschichtet.

Schon vor einigen Stunden hatte das Schiff die Anker gelichtet, und noch
immer war dem jungen =van Daalen=, der die bald nach ihm und =Clelien=
eintreffende =Philippintje= bei dem ohnmächtigen Mädchen zur Pflege
zurückgelassen, keine Nachricht von dem Zustande der Letzteren geworden.
Er selbst war mehreremale hinabgeschlichen, um sich Kunde zu
verschaffen, aber er hatte die Thüre der Cajüte von Innen verschlossen
gefunden. Er hatte gelauscht, aber nichts vernommen. Er hatte leise
=Philippintje= bei Namen gerufen; Alles war still und stumm geblieben.
Er stand jetzt auf dem Vordertheile des Schiffes, lehnte sich nachlässig
an das Geländer und hatte den Arm um den schlanken Leib der =Syrene=
geschlungen. Aber nicht lange blieb er in dieser Stellung. Die Unruhe
seines Innern trieb ihn fort. Er war besorgt um die Geliebte, dann regte
sich auch wohl von Zeit zu Zeit in ihm das böse Gewissen, mehr aber bei
seinem Leichtsinne die Furcht, wie =Clelia= das Geschehene aufnehmen
werde, wenn sie erst wieder zur völligen Besonnenheit gekommen sey.
Hätte er nur =Philippintje= sprechen können! Sie besaß einen großen
Einfluß auf das Mädchen, und mit ihrer Hülfe durft er hoffen, dem
drohend heranziehenden Unwetter eher zu entgehen.

Er war, solchen beunruhigenden Gedanken hingegeben, bis zu der
Schiffsöffnung fortgeschritten, durch die er jetzt in das Innere der
Küche blicken konnte, in der seines Freundes =Jansen= junge Frau mit
Zubereitung der Mittagsmahlzeit beschäftigt war. Der Glanz des Feuers
röthete das runde Angesicht der artigen Frau auf eine anmuthige Weise,
ihre ganze füllereiche Gestalt, so wie alle Gegenstände in der kleinen,
höchst reinlichen Küche zeigten sich in einer so zauberischen
Beleuchtung, daß =Cornelius= einige Augenblicke lang versucht war zu
glauben, er sehe eins jener Gemälde von =Schalkens= vor sich, die sich
durch eine unübertreffliche Anwendung des Helldunkels auszeichnen. Bald
aber wurde er durch die Stimme der heraufblickenden jungen Frau, die
ihn bemerkte, in diesem Wahne gestört.

»Ei, Junker,« sagte sie lachend, »wo habt Ihr denn die Topfguckerei
gelernt? Waret Ihr etwa, da Ihr im Felde standet gegen die Franzosen,
mehr bei den Kasserollen und den Bratspießen beschäftigt, als bei den
Kanonen und dem Blutvergießen, mehr bei den Feldhühnern als bei den
Feldstücken, mehr beim Trinken und Kauen, als beim Stoßen und Hauen --«

Frau =Jansens= Zünglein war im guten Zuge; =Cornelius= aber unterbrach
den Strom ihrer Beredsamkeit, indem er mit kläglicher Stimme einfiel:

»Ach, Frau =Beckje=,« -- so wurde die junge Frau gewöhnlich statt
=Rebekka= genannt -- »ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt! Ein andermal
stehe ich Eueren Angriffen gern zu Dienst mit billiger Erwiederung. Sagt
mir lieber, wie es meinem Schwesterlein geht? Ich hör' und sehe nichts
von ihr und habe sie doch in einem gar beunruhigenden Zustande
verlassen.«

»Thut der Mensch doch um das Schwesterlein, als wenn es ein Bräutlein
wäre!« versetzte etwas schnippisch die Capitänsfrau. »Unterbricht mich
da in meiner besten Rede, aus der er ohnehin, wenn er nicht seinen
ganzen Verstand in meine Kochtöpfe versenkt hat, schon abnehmen muß, daß
Alles rein und gut steht auf der =Syrene=, daß kein Kranker an Bord ist
und über dem Fahrzeuge das Fähnlein der Gesundheit lustig flattert und
flaggt! Ihr seyd mir ein rechter Kriegsheld, bei dem die Courage theuere
Waare wird, wenn er ein Frauenbild in Ohnmacht fallen sieht! Da müßt Ihr
Euch an ganz andere Dinge gewöhnen, wenn Ihr einmal heirathet.«

»Die Schwäche ist also vorüber und sie befindet sich wohl?« fragte
hastig =Cornelius=. »Sie ist wieder bei Besinnung und hat wohl schon
nach mir gefragt?«

»Keins von Beiden!« antwortete Frau =Jansen=, indem sie sich bückte und
das Feuer anblies. Der junge Mann wurde von heftiger Ungeduld ergriffen,
aber er mußte warten, bis das dringende Geschäft gethan war und die
sorgsame Schiffsherrin fortfuhr. »Aus der Ohnmacht ist ein gesunder
Schlaf geworden und die Jungfrau liegt auf dem Ruhebette mit zwei rothen
Bäcklein, so frisch und gesund, wie Granatäpfel. Sie athmet sanft und
leicht und Alles zeigt an, daß sie bald neu belebt und gestärkt an Leib
und Seele erwachen wird!«

»Nassau und Oranien!« sagte der junge Mann leise zu sich selbst. »Wie
wird's mir dann ergehen, wenn sie wieder bei lichten Sinnen ist und mit
ihrem verzweifelten Nachdenken mein ganzes schönes Luftgebäude von
Autodafé und Klosterzwang über den Haufen stößt? Ade, fein's Liebchen,
Ade, wird's heißen, wie im deutschen Liede, aber man wird mir kein
goldenes Ringlein schenken auf den Weg, sondern manches Scheltwort auf
den Rücken. Frau Beckje,« wandte er sich entschlossen zu der
Capitänsfrau, »ich muß =Philippintje= sprechen, ehe meine Schwester
erwacht. Sucht es einzurichten, wie Ihr wollt, aber verschafft mir
einige Augenblicke ungestörter Unterredung mit der Alten! Mein Glück
hängt davon ab, und Ihr als meine Freundin werdet mir nicht entgegen
seyn in einer wichtigen Sache!«

»Hört, junger Herr!« sagte die Frau und erhob drohend den Zeigefinger
der rechten Hand. »Ich bin sehr geneigt zu glauben, daß es mit der
Schwesterschaft nicht ganz richtig ist und daß allerlei Kriegslisten
dahinter stecken. Bei Nacht und Nebel braucht man keine Schwester an
Bord zu bringen; das kann bei hellem Tage geschehen. Aber ich weiß recht
wohl, daß Jugend nicht Tugend hat und Ihr am allerwenigsten. Ich drücke
=ein= Auge zu, allein das andere bleibt desto weiter offen und siehet um
so schärfer darauf, daß Alles in Ehren zugeht auf der =Syrene=. Das laßt
Euch gesagt seyn ein für allemal. Ihr seyd ein guter Freund zu meinem
Manne, aber Recht geht über Freundschaft. Sonst diene ich Euch gern, und
da bei der verlangten Zusammenkunft mit der holdseligen =Philippintje=,«
fügte sie lachend hinzu, »hoffentlich nur die tugendhaftesten Absichten
zum Grunde liegen, so will ich Euch das Kind heraufschicken. Ihr müßt
aber, während ich sie rufe, meinen Platz am Heerde einnehmen, das
Backobst fleißig umschütteln, daß es nicht anbrennt, und das Feuer unter
dem Pökelfleisch unterhalten. Kommt herab, daß ich sehe, wie Euch der
Küchenschürz ansteht!«

=Cornelius= ging gern auf einen Scherz ein, der für seine mißliche und
verwickelte Angelegenheit eine günstige Wendung herbeiführen konnte. Mit
einem kühnen Sprunge war er unten bei Frau =Beckje=. Das muntere
Weibchen band ihm lachend und schäkernd eine blendend weiße Schürze vor,
gab ihm den Kochlöffel in die Hand und sagte:

»Da habt ihr Eueren Commandostab! Haltet Ihr gute Ordnung in meinem
Feldlager, so werde ich's zu rühmen wissen, denn das zeigt von guter
Anlage zum Ehemanne und Hausvater. Zerfällt mir aber das Fleisch, wird
das Backobst schwarz und rauchig, so müßt Ihr eben ein Junggeselle
bleiben Euer Lebelang, denn es fehlt Euch an der nothwendigsten Sache
für den Hausstand, an der lieben Ordnung.«

=Beckje= legte rasch ihr Küchencostüm ab und sprang die kleine Treppe
hinauf, um sich nach der Cajüte zu begeben, in der =Clelia= mit
=Philippintje= eingeschlossen war. Indessen wachte der gewesene
Kriegshauptmann =Cornelius= so aufmerksam und sorgfältig bei den
Kochtöpfen, wie er früher als Soldat auf nächtlichen Posten dem Feinde
gegenüber gewacht hatte. Er hielt den Kochlöffel mit militärischem
Anstande in der Rechten, als wäre es der Degen, mit dem er eben das
Zeichen zum Angriffe geben wolle. Sein Auge beobachtete mit ängstlicher
Aufmerksamkeit die Flamme, als aber die Fleischbrühe plötzlich
überkochte und zischend in die Gluth floß, so daß diese zu verlöschen
drohete, da wußte er weder Rath noch Hülfe, sondern brach in den
Schreckensruf: »Frau =Beckje=, Frau =Beckje=!« aus. Wer aber nicht
hörte, war Frau =Beckje=.

»Potz Raa und Backbord!« ließ sich dagegen Capitän =Jansens= Stimme von
oben herab vernehmen. »Was fällt dir ein, =Cornelius=, daß du meine Frau
vorstellen willst am Heerde und die Suppe ins Feuer anrichtest, statt
auf den Tisch? Du solltest dich nur sehen und das arme Sündergesicht,
das du schneidest in diesem Augenblicke und du müßtest laut auflachen
über dich selbst! Komm herauf! Der Schiffsjunge mag so lange die Töpfe
hüten, bis =Beckje= wiederkommt. =Der= versteht das Ding besser, als
du.«

Der muntere Knabe, der auf des Capitäns Wink herbei sprang, war auch
gleich unten und hatte rasch und umsichtig das von =Cornelius=
angestiftete Unglück bald wieder gut gemacht. Dieser warf ihm ein Paar
Stüber zu und erschien nun mit einem verdrießlichen Gesichte auf dem
Verdeck. Das Lachen, in welches Capitän =Jansen=, gleich nachdem er jene
Worte gesprochen, ausgebrochen war, wurde jetzt lautschallend und
unmäßig. Er deutete auf =Cornelius= Antlitz, er wies auf den
Küchenschürz, den dieser noch nicht abgelegt hatte. Den Schürz
schleuderte der junge Mann ärgerlich hinweg, als ihm aber sein Freund
erklärte: Die Kochtöpfe hätten schwarze Spuren seiner Vertraulichkeit
mit ihnen auf Nase und Wange zurückgelassen und diese gäben ihm ein so
furchtbar komisches Ansehen, daß keiner, der ihn sähe, sich des Lachens
erwehren könne, trat er kaltblütig an das Wasserbecken und sagte, indem
er sich reinigte, mit großer Ruhe:

»Das kommt nicht von den Kochtöpfen, lieber =Jansen=! Das kommt von
Deiner lieben Frau, die mich herzend und küssend empfangen, als ich ihr
Besuch abstattete im unterirdischen Reich.«

»Da müßte sie einen schlechten Geschmack haben!« erwiederte
selbstgefällig der Capitän, und dehnte die mächtigen Glieder seiner
riesigen Gestalt. Er war um Kopfshöhe größer, als der Junker =van
Daalen=, und sah in diesem Augenblicke auf ihn herab, wie auf ein Kind.
Bei seiner Größe gab ihm die fleischige Fülle seines Körpers ein
wahrhaft herkulisches Ansehen. Sein wohlgebildetes Antlitz trug den
Ausdruck der Offenheit, der frohen Laune und einer kräftigen Derbheit.
Seine Bewegungen waren langsam und nachlässig, wie man sie oft bei sehr
starken Menschen findet, denen sich in Unternehmungen, welche
Körperkraft erheischen, selten anreizende und zu rascher Thätigkeit
auffordernde Hindernisse in den Weg stellen. »Was sollte sie mit einem
Knäbchen anfangen, wie du bist? Sie ist einmal geboren eines
Schiffcapitäns Frau zu seyn und du magst wohl zur Noth mit dem Messer,
das du an der Seite trägst, handthieren können, wenn es aber darauf
ankommt, ein Schiff lufwärts oder leewärts zu halten, das Raasegel
aufzuhißen, den Anker zur rechten Zeit schießen zu lassen und die tollen
Jungen, die beim Sturm in den Tauen herumtanzen, wieder nach der
Commandopfeife tanzen zu lassen, da bist du ein verlorener Mann, da hat
dein Compaß die Richtung verloren, da steuerst du frisch auf die
Sandbank los, bis du strandest und dein leckes Boot untergeht mit Mann
und Maus. Dort blick hin aufs Backbord! Da steht eine in einer
Takellage, die für dich paßt. Das ist ein Schätzlein für meinen
=Cornelius=, das ihm auch so leicht keiner abspenstig macht.«

Bei diesen Worten ergriff er seinen jungen Freund bei den Schultern und
drehete ihn rasch um, so daß =Cornelius= nun die Aussicht nach dem
vordern Theile des Schiffes hatte. Da fielen seine Blicke sogleich auf
Jungfrau =Philippintje=, die vor der =Syrene= stand und ihn mit heftigen
Bewegungen zu sich heranwinkte. Er gönnte seinem Freunde kein weiteres
Wort, er ließ ihn stehen und war in drei Sprüngen bei der Alten.
=Jansen= schickte ihm ein schallendes Gelächter nach, er aber überhörte
es und sprach mit ungemeiner Freundlichkeit zu der Jungfrau:

»Wie geht es Euerer schönen Schutzbefohlenen? Gewißlich recht gut, denn
unter einer solchen mütterlichen Pflege kann die zarte Pflanze nur
gedeihen und in frischer Gesundheit emporblühen!«

»Ja, mein hochwerther Junker,« versetzte =Philippintje=, die sich sehr
geschmeichelt fühlte, »das muß wahr seyn, ich bin dem Mädchen immer gut
gewesen, wie eine leibliche Mutter und ohne mich, die sie stets auf dem
Wege zum wahren Christenthume gehalten, wäre sie nach dem Beispiele des
sündigen Vaters, eine Heidin geworden und so eine =Schiwa=-Verehrerin,
die ein Stück Holz für den lieben Herrgott ansieht. Aber da habe ich sie
seit ihrem siebenten Jahre täglich zum Domine geführt in die
Glaubenslehre, wenn der Patron in der Schreibstube oder den Gewölben
sein Wesen trieb, da habe ich sie Abends bei mir im still heimlichen
Kämmerlein wiederholen lassen, was sie in Sprüchen und biblischen
Erzählungen bei dem Domine gelernt, und deshalb ist sie fromm und schön
geworden, denn wer dem Herrn mit wahrhaftiger Liebe zugethan, den
schmückt er auch mit lieblicher Gestalt und freundlichem Wesen. Alles,
was sie ist, hat sie mir zu danken, die =Clötje=: das gute Gemüth und
die Schönheit, und das lasse ich mir nicht bestreiten.«

»Wer wollte auch das thun?« fiel =Cornelius= ein, der Mühe hatte seine
Ungeduld zu bewältigen. Die Lust an dem Weihrauche, den =Philippintje=
sich selbst streuete, hatte sie ganz von der Beantwortung seiner Frage
abgeführt. Er wiederholte sie jetzt dringender und fügte hinzu, er
fürchte sehr für =Clelias= Gesundheit, der doch leicht der Schreck, wie
die feuchte Nachtluft, nachtheilig gewesen seyn könne.

»Nichts von allen Dem!« entgegnete kopfschüttelnd die Hausjungfer. »Sie
liegt im besten Schlafe von der Welt und ihre Wänglein blühen, wie die
schönsten Tulipanen in Heern =van Vlietens= Blumengarten, wie der =Duc
van Doll=, oder der Admiral =Enkhuysen=. Wer ein gutes Gewissen hat, dem
kann der Böse nicht so leicht etwas anhaben in Weh und Krankheit! Ich
freue mich nur darauf, wenn sie ausgeschlafen hat und sich nun frei
sieht in der weiten Gotteswelt, der schrecklichen Gefahr, ihrem Glauben
entsagen und eine Nonne werden zu müssen, entgangen.«

Herr =Cornelius van Daalen= konnte diese Freude nicht theilen. Vor
seinen Geist trat in diesem Augenblicke Alles, was er bei =Clelias=
Erwachen zu erwarten, was er von ihrer wiederkehrenden Besinnung und
Erkenntniß zu fürchten hatte. Vorwürfe, einige Kälte und etwas Jammer
nach dem Vater -- auf diese Dinge war er gefaßt. Wenn aber =Clelia= ihm
vielleicht ihre Liebe entziehn, wenn sie seine Unbesonnenheit so
entsetzlich bestrafen wollte, ihn aus ihrem Angesichte zu verbannen,
dann war das Aergste geschehen, dann blieb er ewiger Reue über ein
Unternehmen hingegeben, das statt ihm die Geliebte zu sichern, sie ihm
geraubt hatte. =Philippintje= näher mit sich zu verbinden, schien ihm
durchaus nothwendig. Er nahm einen gehenkelten Doppeldukaten aus seinem
wohlgefüllten Ledergürtel, hielt ihn zwischen zwei Fingern, so daß er
lockend im Sonnenlichte erglänzte, und sagte im schmeichelhaftesten
Tone, den er aufzubringen vermochte:

»Wir Beide sind vom Schicksale erkoren, über die Lebenspfade der lieben
=Clelia= zu wachen. Wir müssen gleich seyn in Gesinnungen und
Handlungen, aber auch sonst im Aeußeren vor den Leuten. Deshalb verlange
ich es als eine Gunst von Euch, daß Ihr dieses Goldstück annehmet und in
Antwerpen, wo Ihr dergleichen leicht haben könnt, Euch mit einem
stattlichen Reiseanzug bekleidet. Nicht wahr, gute =Philippintje=, Ihr
schlagt es mir nicht ab?«

»Behüte Gott!« antwortete =Philippintje=, indem sie mit großer
Gelassenheit den Doppeldukaten annahm und rasch in ihren ansehnlichen
Tragsack gleiten ließ. »Soll ich =Clötje's= Mutter vorstellen und
=Clötje= Euere Schwester, so seyd Ihr ja nichts anders, als mein
leiblicher Sohn, und von =dem= kann ich dergleichen wohl annehmen. Es
ist mir auch daran gelegen, daß ich vor der Muhme =Jacobea= nach Stand
und Würden erscheine: das gibt Euch und der ganzen Sache ein Ansehn.
Aber, junger Herr,« fuhr sie mit einem verschmitzten Blicke fort, »Ihr
habt mir noch ein Räthsel zu lösen, das mir schon lange Nachdenken
macht. Wie kamet Ihr denn in den =Schiwa= und überhaupt, durch welche
Veranstaltung gelang es Euch, Eingang in das verschlossene Haus zu
finden?«

»Ach!« entgegnete =Cornelius= und nahm mit einer schwermüthigen Miene
auch einen sehr schwermüthigen Ton an: »kennt Ihr die Macht der Liebe
nicht, Jungfrau =Philippintje=? =Sie=, welche auf dem Throne herrscht,
wie in der Hütte des Armen, =sie=, die den Bettelstab zum Zauberstabe
=Fortunens= macht, die den Hülflosen auf einmal auf den Gipfel des
Reichthums und der Freuden erhebt, und den Mächtigen und Reichen
niederwirft zu den Füßen der Niedrigkeit und Armuth? Beim Waffenruhme
des Prinzen Eugenius! Ihr hättet mehr als zwanzig Jahre hinter Euch und
die Liebe wäre Euch unbekannt geblieben?«

»Nein, nein!« sagte fast weinend =Philippintje=. »Ich kenne sie nur zu
gut. Sie hat mich glücklich und unglücklich gemacht, sie hat mir Freuden
gegeben, wie sonst nichts mehr, aber auch Leiden, wie sonst nichts mehr!
O mein =Balthasar=, mein =Balthasar=! Es war gerade in der Zeit, wo die
Gebrüder =De Witt= ermordet wurden, als ich ihn zum erstenmale sah, es
mag nun schon ein Paar Jährchen her seyn --«

»Verzeiht, edle Jungfrau,« unterbrach sie mit schonungslosem Muthwillen
=Cornelius=, »seit jener Zeit sind nun schon über dreißig Jahre
vergangen. Aber das thut nichts zur Sache. Ich glaube Euch Alles gern,
was Ihr gesagt habt und noch sagen wollt; aber hört nun auch mich an.
Vernehmt ein Geständniß, das Euch nicht befremden kann, da Euch die
Liebe nicht fremd, sondern im Gegentheile nur zu gut bekannt ist. Ich
liebe Euch, holdselige =Philippintje=.«

»Wie, mich?« rief =Philippintje= im Tone der außerordentlichsten
Verwunderung aus und trat einen Schritt zurück. »Ich hoffe, in allen
Ehren!« fügte sie, als sie keinen Zug des Scherzes oder Spottes in
=Cornelius= Zügen zu entdecken glaubte, hinzu.

»Freilich!« versicherte dieser. »So sehr in allen Ehren, daß ich auch
nicht die mindesten Absichten auf Euch habe. Ueberhaupt werdet Ihr die
Ehrlichkeit meiner Gesinnung schon daraus erkennen, wenn ich Euch
offenbare, daß ich Euch nur als die Erzieherin und Freundin =Clelia's=
liebe, die ich zu meinem eigentlichen Herzensgespons erkoren habe.«

»Ah, =so= meint Ihr es!« erwiederte gedehnt das ältliche Mädchen. »Ihr
müßt nur nicht glauben, daß Ihr mir da etwas Neues sagt,« fuhr sie,
indem die Spur eines Unwillens über getäuschte Erwartung im Tone der
Rede und in ihrem Antlitze zurückblieb, fort: »ich habe Euere
Fensterpromenaden am Canale auf und nieder, die verliebten Blicke, die
Ihr nach =Clötje's= Fenster schicktet, wohl bemerkt. Aber was hat das
mit Euerm Logement im Schiwa gemein, was mit Euerm Eindringen in des
Patrons Haus?«

»Herzliebste =Philippintje=,« lenkte =Cornelius= mit möglichster
Freundlichkeit wieder ein, »Ihr habt ja auch schon der Beispiele erlebt,
daß Frauenzimmer sich in diejenigen wieder verliebt haben, die ihnen
durch Fensterpromenaden und dergleichen Dinge ihre Neigung bezeigt. So
ist es auch der liebenswürdigen =Clelia= mit meiner geringen Person
ergangen.«

Er fuhr nun fort, ziemlich der Wahrheit gemäß, zu berichten, was beide
Väter oft von einer Verbindung der Kinder gesprochen, wie diese dann
erst beim Kirchgang und andern Gelegenheiten sich einander genähert, wie
endlich am gestrigen Abende, auf sein vielfaches Zureden, =Clelia= ihm
den heimlichen Eintritt in das Haus bewilligt und verschafft, wie er,
durch des Herrn =Tobias= unerwartete Rückkehr, nothgedrungen in den Leib
des =Schiwa= kriechen müssen und dort, ohne es zu wollen, Zeuge der
Entzweiung beider Väter geworden und die schrecklichen Anschläge
vernommen, welche der alte =van Vlieten= gegen ihn und die Tochter im
Sinne trage, indem dieser zugleich seines geheimen Uebertrittes zu einem
andern Religionsglauben gedacht. Bei dieser Abweichung von der Wahrheit
zur Lüge mußte =Cornelius= zu seinem großen Erstaunen und zu seinem noch
größern Verdrusse die Bemerkung machen, daß =Philippintje= mit einem
ungläubigen Lächeln zu ihm aufsah, eine sehr listig seyn sollende Miene
annahm und bedenklich den Kopf schüttelte. Das kam ihm durchaus
unerwartet. Der Eifer, den die Hausjungfer bei der ersten Entdeckung an
den Tag gelegt hatte, schien ihm ein hinlänglicher Bürge ihrer
Leichtgläubigkeit zu seyn; aber, wie es jetzt das Ansehn gewann, hatte
er sich getäuscht und wurde von ihr in seinem, freilich nicht allzu fein
angelegten Betruge durchschaut. Er war nun bemüht, sie von weitern
Gedanken und Ueberlegungen, die diesen Punkt betrafen, abzuziehn. Er
sprach von seiner großen Liebe zu =Clelia=, von der gerechten
Verzweiflung, die ihn ergriffen, da er Herrn =Tobias= plötzlich
entstandenen Widerwillen gegen die schon so gut als abgeschlossene
Verbindung erkannt, von dem beispiellosen Glücke, das er =Clelien= als
zärtlicher Gatte zu bereiten gedenke, von seiner Dankbarkeit gegen
=Philippintje=, die ein solches Kleinod gebildet, und von den reichen
Geschenken, von der Hochachtung bis ins späteste Alter, mit denen er
jene Dankbarkeit bethätigen wolle.

»Hochedler Junker,« sagte =Philippintje=, nachdem er geendigt und
zwischen beiden Personen eine erwartungsvolle Stille geherrscht hatte,
bedächtig, »es gibt Dinge, die ich am Tage anders ansehe, als in der
Nacht. So geht es mir mit Euerer Geschichte von des Patrons
Glaubensveränderung, von =Clötjes= Nonnenschaft, von Euerer Verbrennung;
sie kommt mir vor wie ein Traum, und: Träume sind Schäume, sagt ein
altes Sprüchwort. Ich habe schwer und böse geträumt, aber ich bin nun
erwacht. Der alte =Tobias= mag wohl ein schlechter Christ seyn und mehr
am heidnischen Schiwa, als an der christlichen Liebe hängen, aber so arg
treibt er's doch nicht, daß er ein Catholik geworden wäre und den Herzog
von =Alba= wieder aus dem Grabe erwecken möchte, sammt der Inquisition
und ihren Blutgräueln. Davon hat mir mein =Balthasar= selig erzählt, der
die Geschichte auf ein Haar wußte. Nein! der gestrenge Patron
verabscheut vielmehr die Spagnolen, schon des Zuckers und Caffees, der
Muskaten und des Caneels halber, mit denen sie gern allein handeln
wollen. Ihr habt uns diese Nacht in der ersten Bestürzung einen
mächtigen Bären aufgebunden, mir und meiner =Clötje=: so groß, daß sie
ihn gleich erkennen wird, wenn sie nur ihre Aeuglein aufthut!«

»Holland und England!« fuhr =Cornelius= unbedacht heraus. »Das ist ja
mein einziger Kummer. Glaubt Ihr, ich kenne =Clelia= nicht genug, um das
vorauszusehn?«

»Sündenlohn ist der Sünden Schuld!« versetzte das Mädchen, indem sie
mit großer Selbstzufriedenheit über den bewiesenen Scharfsinn den Kopf
mit der langgeöhrten Spitzenhaube hin und herwiegte. »Ihr hättet Euch
auch selbst verrathen, wenn ich Euch nicht errathen hätte. Ihr könnt
dergleichen Streiche im ersten Augenblick wohl unternehmen, aber Ihr
seyd nicht schlimm genug, sie durchzuführen. Ich war eine rechte Thörin,
Euren Spiegelfechtereien Glauben beizumessen; allein es reuet mich
nicht, denn es ist schon seit lange einer meiner innigsten Wünsche,
einmal in der Welt herumzufahren, und allerlei Schicksale und
Begebenheiten zu erleben. Aber =Clötje=? =Die= denkt nicht so, die wird
ein andres Stücklein anstimmen, das Euch widrig in die Ohren gellen und
Euer Müthchen gewaltig herabstimmen dürfte!«

»Unvergleichliches =Philippintje=, da müßt Ihr helfen!« bat dringend
=Cornelius=. »Euch verdankt sie das edle Gemüth, die Schönheit und den
Verstand. Ihr vermögt Alles über sie. Sucht sie bei dem Glauben an Herrn
=Tobias= tyrannische Absicht zu erhalten, malt ihr das Nonnenleben noch
weit entsetzlicher, als Ihr schon gethan habt, stellt ihr die Qual der
Verdammniß vor --«

»Das thue ich nicht!« entgegnete mit einem bösen Gesichte und
entschlossener Stimme =Philippintje=. »Ueberhaupt, wenn Ihr auf dem
Lügenpfade fortschreiten wollt, so dürft Ihr nicht darauf rechnen, mich
zur Reisegefährtin zu besitzen.«

»Nicht böse, Engels-=Philippintje=, nicht böse!« versetzte höchst
kläglich der muthlos werdende Kriegsmann. »Wenn Ihr mich verlaßt, so bin
ich ja von Allem verlassen, selbst von dem letzten Troste des armen
Sünders, von der Hoffnung. Helft mir und rathet mir in dieser Sache und
ich schwöre Euch, wenn Ihr es dahin bringt, daß =Clelia= die meinige
wird, so soll es Euch nie fehlen an irgend Etwas Euer Lebelang, wir
wollen Euch hegen und pflegen, wie eine Mutter und Ihr sollt jährlich
hundert Dukaten blos für Euere Nebenausgaben haben.«

Das war eine starke Versuchung für =Philippintje=. Sie hatte im Hause
des Herrn =Tobias= Gelegenheit gehabt zu bemerken, daß der geizige
Herr, seitdem sie in die Jahre getreten, wo ihr die häuslichen Geschäfte
nicht mehr so flink von der Hand gingen, wie früher, sie mit scheelem
Auge ansah, oft um Geringfügigkeiten Willen Ursache zum Streit mit ihr
suchte und sie in einer Weise ausschalt, aus der sie ersah, daß sie ihm
lästig falle, sie hatte sogar aus seinem Munde hören müssen, daß, wer
nicht arbeite, auch nicht des Brodes werth sey, das er esse. Diese
Hartherzigkeit, diese Undankbarkeit des alten =van Vlieten= erbitterte
sie auf's Aeußerste; sie sah von diesem Augenblicke Alles, was er that,
in einem schwarzen Lichte an. Seine Abgeneigtheit, den Domine zu
bewirthen, galt ihr für Mangel an Christenthum, seine Liebhaberei am
Schiwa war ihr ein Beweis, daß er im Heidenlande, wie sie Ostindien
nannte, auch heidnische Gesinnungen angenommen habe. Sie war in ihrer
durch =Tobias= selbst fortgenährten Erbitterung geneigt geworden, das
Entsetzlichste von ihm zu glauben. Deshalb ging sie so leicht in die von
=Cornelius= gestellte Falle, deshalb wirkte sie übereilt zu einem
Unternehmen mit, dessen Bewegungsgründe ihr, sobald ihr Gemüth Zeit zu
Ruhe und Nachdenken fand, als Täuschungen, als Ausgeburten der
Unbesonnenheit und des Leichtsinnes erscheinen mußten. Sie durfte nicht
hoffen, bei einer etwaigen Rückkehr in =Cleliens= Vaterhaus, von dem
Prinzipal entschuldigt und wieder in Gnaden angenommen zu werden. Im
Gegentheile stand zu erwarten, daß Herr =Tobias= in ihr die Verbündete
des Junkers =Cornelius= sehen, seinem langgenährten Grolle Luft machen
und ihr den oft in unzweideutigen Ausdrücken gedroheten Abschied
ertheilen würde. Nun kam des jungen =van Daalen=, gegen jede Noth des
Alters schützender Antrag und mit ihm eine Gelegenheit, deren
Frauenzimmer in =Philippintje's= Jahren sich so gern bemächtigen,
nämlich =die=, eine Heirath stiften zu können, und dabei noch die
Aussicht, an dem filzigen =Tobias= Rache zu nehmen -- =Philippintje=
widerstand nicht länger, aber sicher wollte sie sich setzen und nicht
einem bloßen Versprechen das Glück ihrer Zukunft, das vielleicht nie
wieder so lockend sich bieten würde anheimstellen.

»Was Ihr mir da sagt, ist wohl recht schön und gut, hochedler Junker!«
hob sie mit angenommener Gleichgültigkeit an, »aber nehmt mir's nicht
übel, wer kann Euch trauen? Habt Ihr Euch kein Gewissen daraus gemacht,
mich und auch gar Euere Herzliebste bei Nacht hinter der Wahrheit
herumzuführen, so werdet Ihr es bei Tage ebensowenig thun. Ich weiß
recht gut, Ihr seyd ein reicher Erbe, Euer Vater ist ein dicker Herr in
der guten Stadt =Rotterdam= und es wird dermaleinst nicht viel für Euch
seyn, jährlich einhundert Dukaten einem armen Mädchen hinzuwerfen, das
sie wohl durch vielfache Sorgen und Nachtwachen bei dem lieben =Clötje=
verdient hat. Aber wer verbürgt mir Euer Wort? Wißt Ihr was, Herr
=Cornelius=, gebt mir's schriftlich und dann will ich sehn, was ich bei
=Clötje= thun kann. Mit einem solchen Papier in der Tasche hat man
gleich mehr Muth, der Verstand schärft sich und man weiß für jeden
Nothfall eine gute Aushülfe!«

»Nassau und Oranien, Ihr traut meinem Worte nicht?« entgegnete mit
einiger Heftigkeit =Cornelius=. Dann aber fuhr er lachend und indem er
sich eines Gefühles von Beschämung nicht ganz erwehren konnte, fort.
»Aber ich kann es Euch nicht verdenken. Ich habe es danach getrieben,
daß Ihr mich mehr für einen Wortmacher, als einen Worthalter ansehn
müßt. Ich will Euere gute Meinung wieder gewinnen. Gleich stelle ich
Euch die Schrift aus, die Ihr verlangt, aber, sowahr ich =Clelia= mehr
als Alles liebe, für diesen Fall hättet Ihr keiner anderen Versicherung
bedurft, als meines Wortes.«

»Besser ist besser!« sagte =Philippintje= mit zweifelhaftem
Kopfschütteln für sich, während =Cornelius= hastig nach dem Tische des
Steuermannes schritt, auf dem sich Papier und Schreibzeug befand. Von
diesem Augenblicke sah die Hausjungfer des jungen Mannes Angelegenheit
für ihre eigene an. Sie überlegte hin und her, auf welchem Wege sie am
besten ihr =Clötje= zu milden Gesinnungen für den unbesonnenen
Kriegsmann aus dem Unwillen überleiten könne, der das liebe Kind
sicherlich beim Erwachen ergreifen würde, wie sie die Besänftigte dann
weiter zur Fortsetzung der Reise, zu dem Besuche bei der Muhme =Jacobea=
bewegen möge, damit der alte =Tobias= nicht, noch etwa vor dem
geschlossenen Bunde, seine scheidende Vaterhand zwischen den Junker und
=Clötje= hinstrecken könne. Eben als =Cornelius= herbeitrat und ihr das
gewünschte Papier überreichte, glaubte sie die rechte Art und Weise
gefunden zu haben.

»Laßt mich nur machen!« sprach sie in dem Tone des nun herrschenden
traulichen Einverständnisses. »Der alte Heide =Tobias= soll Euern
Herzenswünschen nicht entgegentreten und =Clötje= selbst wird gern =ja=
sagen, wenn ich mit ihr geredet habe. Hütet Euch nur vor ihr Angesicht
zu treten, bis ich Euch einen Wink gebe. Beruhigt Euch: Es wird Alles
gut gehn.«

=Philippintje= verbarg die erhaltene Verschreibung im tiefsten Grunde
der großen Ledertasche, die sie unter der Schürze, an ihrem Leibe trug.
Dann trippelte sie fort, die kleine Treppe hinab, welche zu =Cleliens=
Aufenthalte führte.

Die Ufer des Flußes, den die =Syrene=, von schwellenden Segeln rasch
fortbewegt, hinauffuhr, erweiterten sich. Die zierlichen, roth und weiß
gemalten Landhäuser mit den freundlichen, hellgrünen Laden und Thüren,
wurden seltener und sahen nur noch aus der Ferne herüber. Man näherte
sich der Gegend, wo die =Maas=, mit einem Arme der =Schelde= und mehrern
andern Gewässern vereinigt, eine Art von See bildet, in dessen
Mittelpunkt man, wie auf offenem Meere, keine Küste mehr erblickt. Die
Barke kam jetzt, obgleich die Zugpferde ausgespannt wurden, noch
schneller vorwärts, als bisher, da der Richtung ihres Laufes die
eintretenden Strömungen anderer Gewässer Hülfe leisteten. Die
Schiffenden sahen bald den weiten Spiegel vor sich liegen. Viele Segel
waren in der Nähe und Ferne zu erblicken.

Da trat mit einer ernstern Miene, als gewöhnlich, der Capitän zu seinem
Freunde:

»Höre einmal, Landläufer,« sagte er, »du hast oft genug zu thun gehabt
mit den Franzosen auf festem Grunde und Boden, jetzt kann dir
desgleichen mit ihnen oder den Spagnolen auf dem beweglichen Wasser
begegnen. Die welschen Seehunde sind frech und übermüthig geworden. Sie
wagen sich in Schaluppen und selbst in Schoonern in die Flußmündungen
hinein, um im Innern des Landes den Handel zu stören und Beute zu
machen. Ich stehe dir nicht dafür, daß so ein naseweiser Franzose oder
ein hochmüthiger =Don= uns nicht in den Weg kommt und wir einen Strauß
mit ihm auszufechten haben, den man hören wird von =Dortrecht= bis
=Antwerpen=. Dafür ist meine sonst friedfertige =Syrene= mit Böllern
gerüstet, mit Schießgewehr und Pulver wohl versehen. Sie sollen nur
kommen! Capitän =Jansen= hat nicht umsonst unter =Ruyter= und =de Witte=
seine Lehrjahre gemacht.«

»Mein Degen soll an den Galgen gehängt werden, wenn er ihnen nicht die
Wege weist auf gut oranisch!« rief sehr lebhaft =Cornelius=, indem die
Aussicht auf ein kriegerisches Unternehmen ihn einige Augenblicke die
Sorge für =Clelien= vergessen ließ. Gleich darauf setzte er jedoch
bedächtig hinzu, »aber meine Schwester -- wie wird es ihr ergehen,
welche Lage für das Mädchen --«

»Pah!« fiel =Jansen= mit einem rauhen Gelächter ein. »Wenn du besorgt
bist um ihretwillen, so wirst du nur desto besser fechten, und was sie
betrifft, so mag sie's mit meiner Frau halten, die bei solchen Tänzen
nicht auf dem Verdeck fehlt und ihren Böller so schußgerecht abfeuert,
wie ein gelernter Canonier. Potz Bramsegel und Fockmast! Es ist nicht
das erstemal, daß sie dabei ist. Du solltest sie nur sehen, mit welcher
Geschwindigkeit sie ladet, zielt, die Lunte einschlägt und immer dem
Schiff in die Weichen trifft, daß es eine Freude ist. Ja, sie ist
geboren zu eines Seemanns Frau, die =Beckje=! Und wie es auch drunter
und drüber geht, wie die Kugeln über das Schiff schwirren und die
Enterhaken der Feinde durch den Dampf herüberglänzen, so schweigt keinen
Augenblick ihr Spottlied:

    »Die Geusen wollen jagen
    Auf den hispan'schen Don,
    Doch wo sie nach ihm fragen,
    Lief er schon längst davon!«

»Das ist ganz vortrefflich von der =Beckje=,« erwiederte gedehnt der
Junker =van Daalen=, »und es würde =mir= allerdings eine große Freude
seyn, sie in ihrer kriegerischen Thätigkeit zu bewundern, aber meiner
Schwester wegen, die keine solche Heldin ist, wäre es mir doch lieber,
du setztest uns in =Dortrecht= oder, wo es sich sonst gut thun läßt,
an's Land!«

»Ich glaube gar, du fürchtest dich?« versetzte mit einem Anfluge von
Spott der Schiffscapitän. »Du mußt aber nun schon aushalten, bis wir in
den Haven von =Antwerpen= einlaufen, denn gerade an den Küsten wimmelt
es von feindlichen Kreuzern in einer Menge, der ich nicht gewachsen bin.
Halte dich nur ruhig im untern Raum, wenn's drauf und dran geht,
=Beckje= wird dich schützen.«

»Hölle und =Marlborough!=« fuhr =Cornelius= wild auf und eine dunkele
Gluth überzog sein Antlitz. »Hätte mir ein anderer, als du das gesagt,
=Jansen=, so müßte er den Schandflecken mit seinem Blute mir abwaschen.
So aber weiß ich, daß du nur scherzest, denn du kennst recht wohl die
Bedeutung dieser goldenen Ehrenkette, die mir der ruhmwürdige König
=Wilhelm= eigenhändig angelegt. Ich habe die Sache nun auch schon besser
überlegt und denke nicht mehr daran, mich mit den Weibern auszuschiffen.
Laß sie nur kommen und du sollst sehen, daß ein Landläufer, wie du mich
zu nennen beliebst, mit Geschoß und Degen so gut umzugehen versteht, wie
eine Wassermaus!«

=Jansen= schüttelte lächelnd seinem Freunde die Hand.

»Nimm's nicht übel, Bruderherz!« sagte er gutmüthig. »Aber, du mußt uns
Seeleuten schon die Eigenheit hingehen lassen, daß wir gern Euch
Landhelden ein Wenig aufziehn. Die Geusen haben Holland frei gemacht und
deshalb steht ihnen auch wohl eher ein Wort frei, als andern. Unsere
=Tromp=, =Ruyter= und =de Witte= beherrschten das weite Weltmeer,
während ihr Mühe hattet, die Grenze zu behaupten.«

»Freilich,« entgegnete =Cornelius= in einem angenommenen Tone eben
solcher Gutmüthigkeit, »haben die =Wilhelme= und =Moritz von Oranien=
nichts gethan, dem alten =Ouwerkerk= ist der Degen in der Scheide
festgefroren und ihr habt den Franzosen =Jean de Baert= allenthalben
geschlagen, wo er euch aufgestoßen.«

Der letzte Scherz war zu beißend, als daß =Jansen= ihn ruhig ertragen
konnte. Er schleuderte die Hand des Freundes, die er ergriffen hatte,
fort und ging, ein Wort des Unwillens in sich hineinmurmelnd, nach dem
hintern Verdeck.

Die Barke schwebte jetzt zwischen zwei der Inseln hin, die da, wo =Maas=
und =Waal= unter dem Namen der =Merwe= vereinigt fließen, sich bilden.
Die Ufer der Inseln bestanden aus hohen Bollwerken von Pfählen und
Zweiggeflechten, die den sandigen Boden gegen den Andrang der Wellen
schützten. Fernher sah aus Wiesen und Gebüschen ein freundliches
Bauernhaus oder eine strohbedeckte Fischerhütte. Noch einmal stieg in
=Cornelius= Seele der Gedanke auf, ob nicht Pflicht und Gewissen von ihm
forderten, die Tochter des Herrn =van Vlieten= zu einem Orte zu führen,
wo sie den Beunruhigungen des Krieges nicht ausgesetzt war, aber auch
nur zu leicht wieder sich aus seiner Nähe entfernen und ins Vaterhaus
zurückkehren konnte. »Nein, nein!« rief da mit Allgewalt die Stimme der
Leidenschaft in der Brust des jungen Abentheurers. »So verliere ich sie
gewiß, und auf dem Wege, der durch Kampf und Gefahren führt, kann ich
sie mir gewinnen. Wenn sie mich als Sieger, als den Retter ihres Lebens
vor sich sieht, wenn sie erkennt, daß niemand sie treuer und muthiger zu
schützen vermag ihr Lebelang, als =Cornelius van Daalen=; dann muß sie
mir die thörigte Uebereilung verzeihen, dann muß sie die Meinige werden,
dann wird sie auch der fürsprechenden =Philippintje= nicht widerstehn!«

Seine ganze Phantasie erfüllte sich jetzt mit Bildern des Kriegs und
blutiger Kämpfe. Er schritt das Verdeck auf und nieder, musterte die
vorhandenen Waffen und den Munitionsvorrath. Die Barke war ungewöhnlich
stark bemannt, wahrscheinlich um den drohenden Kriegsgefahren im
Nothfalle begegnen zu können! =Cornelius= zählte an zwanzig Männer, alle
von kräftigem Körperbau, mit verwegenen Gesichtern, die da sagten, daß
sie nicht allein mit Segel- und Tauwerk, sondern auch, wenn es gelte,
mit Feuergewehr und Säbel, mit Enterbeil und Enterhaken umzugehen
verständen. Viele von ihnen trugen in tiefen, vernarbten Einschnitten
die Bilder von Galgen und Rad auf dem gebräunten Antlitze, Spuren von
Zwistigkeiten, die sie mit ihren Cameraden gehabt hatten und die, nach
der unter dem holländischen gemeinen Volke beliebten Weise mit der
Spitze des Messers ausgemacht worden waren. Dennoch herrschte unter dem
rohen Haufen die größte Ruhe und Ordnung, der strengste Gehorsam.
=Jansens= riesenkräftige Gestalt, die Bestimmtheit und der Ernst, mit
denen er seine Befehle ertheilte, schienen den besten Eindruck zu machen
und jeden Ausbruch roher Heftigkeit in den nöthigen Schranken zu
halten.

Indessen war =Philippintje= voll zweifelhafter Erwartung auf den Ausgang
des Unternehmens, dessen Mitgenossin sie geworden, in das Innere der
Cajüte getreten. Hier saß =Clelia= schon erwacht und aufrecht auf dem
Ruhebette, sie sah still und ernst vor sich hin, sie schien in einer
wichtigen Ueberlegung begriffen.

»=Philippintje=,« redete sie die Eintretende mit größerer Fassung an,
als diese vermuthete, »wir sind beide grausam getäuscht worden. Man hat
meine Unerfahrenheit, man hat eine Schwachheit von mir benutzt, mich zu
einem großen Vergehen gegen meinen Vater zu verleiten. Als ich erwachte,
wußte ich nicht, wo ich mich befand und es war mir Alles wie im Traume.
Jetzt aber ist meine Besinnung zurückgekehrt, ich kenne die Schlingen,
in welche man dich und mich verlockt hat, und die kindliche Pflicht
erfordert von mir, mich ihnen zu entreißen.«

»Gewißlich sind wir übel daran,« erwiederte die Hausjungfer, welche für
diese Anrede schon ihre Antwort in Bereitschaft hatte, »aber was können
wir Anderes, was können wir Besseres thun, als uns vor der Hand in unser
Schicksal ergeben und die Muhme =Jacobea= besuchen, wo wir Rath, Hülfe
und Fürsprache bei dem Vater hoffen dürfen?«

»Nimmermehr!« versetzte eifrig =Clelia=. »Wir müssen umkehren mit der
ersten Gelegenheit, wir müssen in's Vaterhaus zurück, dort Alles
gestehen und die Verzeihung des schwer beleidigten Mannes erflehen.
Oder, =Philippintje=, ahnest du vielleicht noch nicht einmal, welches
ruchlose Spiel man mit uns getrieben hat, muß ich dir erst Alles
erzählen und erklären, meine eigene Thorheit und unglückliche
Geistesschwachheit --«

»Nein, nein!« unterbrach sie im kläglichen Tone =Philippintje=. »Ich
weiß Alles, der unglückliche junge Mann hat mir Alles entdeckt. Ach, es
steht übel mit ihm! Er ist sehr zu beklagen. Ich fürchte für sein Leben,
für sein irdisches und sein himmlisches Heil.«

Diese räthselhaften, auf irgend ein dem Junker =van Daalen=
bevorstehendes Unglück deutenden Worte verfehlten ihre Wirkung nicht.
=Clelia= erblaßte. Die Liebe, die sie für den unbesonnenen Jüngling
empfand, überwog in diesem Augenblicke ihren Unwillen. Sie war in
Verlegenheit, sie wußte nicht, wie sie, ohne ihre gütigeren Gesinnungen
zu verrathen, eine weitere Erkundigung einleiten sollte. Endlich, nach
einer ziemlich langen Pause, die =Philippintje= ruhig abwartete, sagte
sie mit erkünstelter Kälte:

»Von wem sprichst du, =Philippintje=? Wer ist der Unglückliche, für
dessen Leben du fürchtest?«

»Wer anders, als Junker =Cornelius van Daalen=;« antwortete tief
aufseufzend des jungen Mannes Verbündete. »Du kannst dir nicht denken,
Kind,« fuhr sie fort, »in welchem entsetzlichen Zustande er heute
Morgens zu mir kam! >=Philippintje=,< sagte er zu mir, und die Thränen
standen ihm dabei in den schönen blauen Augen, >um mein Glück ist's
geschehen! Die himmlische =Clötje= habe ich zu schwer beleidigt und sie
kann mir nicht verzeihen. Ich war verblendet, ich war außer mir, als ich
ihr Dinge vorschwatzte, die sie, sobald sie erwacht, für thörigte und
strafbare Vorspiegelungen erkennen muß. Sie wird mich einen Betrüger
schelten, sie wird den heftigsten Unwillen auf mich werfen, mir ihre
Liebe entziehen und das überlebe ich nicht.< Bei diesen Worten sah er
mit einem so sonderbaren Ausdruck in seinen Gesichtszügen hinab in die
Wellen, die an die Seitenwand des Schiffes schlugen, daß mir angst und
bange wurde, er wolle sich im Augenblicke ins Wasser stürzen. Ich hielt
ihn mit beiden Händen fest, ich ermahnte ihn sein Seelenheil zu
bedenken, als ein guter wallonischer Christ. >Was hilft mir Alles,<
rief er da mit einer wahrhaft verzweiflungsvollen Stimme aus, >wenn
=Clötje= nicht die Meinige wird, in deren Besitz ich allein mein Heil
suche? Die Liebe zu ihr macht mich unglücklich, denn ich habe sie nicht
aus Bosheit, sondern aus übergroßer Liebe beleidigt. Als ich in dem
=Schiwa= steckte und des alten Herrn =Tobias= Schreckensworte hörte,
mit denen er meinem Vater erklärte, daß ich nun und nimmermehr mir
Rechnung auf die Hand seiner Tochter machen dürfte, da war es, als
ergriff mich ein höllischer Geist und umnebelte meine Sinne. Der Gedanke
sie zu verlieren, erfüllte mich mit Verzweiflung. Ich wußte nicht, was
ich sagte. Nur Eins stand fest vor meiner Seele, daß ich ohne =Clötje=
nicht leben könne, daß ich sie mir erringen müsse auf jeglichem Wege und
um jeglichen Preis. Ach, wie täuschte ich mich, indem ich auch sie
täuschte! Ich dachte nur an den nächsten Augenblick, nicht an die
fernere Zukunft. Erst als der Morgen kam, als die Vaterstadt schon weit
hinter uns lag, als ich ruhiger ward, sah ich mein Vergehen ein,
überzeugte ich mich, daß sie die Täuschung erkennen und mich dann --<
er wurde ganz blaß bei den Worten -- >aus ihrer Nähe verbannen würde.
Das ertrage ich nicht, =Philippintje=! Wo das Wasser am Tiefsten ist, da
ist es nicht zu tief für die verzweifelte Liebe.< Er machte wieder eine
heftige Bewegung nach den unten strömenden Wellen hin. Als ich ihm nun
aber recht freundlich zusprach und ihm die Versicherung gab, daß du,
mein =Clötje=, nicht unversöhnlich seyn, daß du gewiß verzeihen würdest
in einer Sache, von der du selbst die Hauptschuld trügest, da
verminderte sich sein entsetzliches Jammern und er überließ sich nur
noch einem stillen ruhigen Schmerze. Er sitzt da, wie ein blaßes Bild
der Reue und des Kummers. Er spricht nichts und bewegt sich nicht. Sein
Freund, der Capitän, weiß nicht, was er aus ihm machen soll, und selbst
die rohen Matrosen betrachten ihn mit Bedauern. Du solltest ihn nur
sehen, =Clötje=! Sein betrüblicher Anblick würde dir gewiß zu Herzen
gehen, besonders da du die einzige Ursache seines Unglücks bist.«

»Wie kannst du nur so sprechen?« versetzte mit einem Tone, in den sich
Theilnahme und Unwille mischten, =Clelia=. »Habe ich ihn durch irgend
Etwas zu der Meinung berechtigt, ich würde mich aus freien Stücken einer
Betrügerei hingeben, die mich aus dem Vaterhause entfernt? Sage selbst,
=Philippintje=, hat er nicht ganz abscheulich an mir gehandelt, indem er
mich durch eine Unwahrheit dazu brachte, gleich einer verlaufenen Dirne
mit ihm in die Welt zu gehen?«

»Ewiger Herr!« entgegnete die Hausjungfer und verdrehete die kleinen
grauen Augen: »wie kann man nur so scharfsichtig und dabei so ganz
entsetzlich blöd seyn, daß man das Staubsplitterchen im Auge des
Nächsten und den baumlangen Balken im eigenen nicht bemerkt? O,
=Clötje=, meinst du denn, man könne Unkraut säen und Waizen erndten?
Hast du der Lehre des Domine vergessen, die da sagt: thuet Gutes Denen,
die Euch Uebles gethan haben, denn die Rache ist mein, spricht der Herr!
Und =Clötje=, wie kannst du dich nur rein waschen in dieser Sache? Wer
ließ den Junker bei Nacht und Nebel ein durch die Hinterthüre des Hauses
zur heimlichen Zusammenkunft? Hierin liegt der Grund alles Uebels. Ein
Mädchen, das ein Mannsbild und noch dazu einen gewesenen Kriegsmann auf
solche Weise bei sich sieht, ist an Allem schuld, was ihr nachher
begegnen kann, und darf sich über nichts beklagen. Das muß ich besser
wissen, wie du, denn ich bin ein Paar Jahre älter und habe auch meine
Erfahrungen. Durch dich ist der Junker in's Haus gekommen, durch dich in
den =Schiwa=, durch dich ist er Zeuge geworden von dem Streite der
beiden Väter. So warst du die Ursache, daß er in Verzweiflung über
deinen bevorstehenden Verlust gerieth, daß er in seiner entsetzlichen
Lage nach dem einzigen Mittel griff, das ihm sein =Clötje= zu erhalten
schien, daß er in seiner Verblendung blieb bis an den heutigen Morgen,
wo ihn nun die Reue und die Furcht ergriffen haben und er nahe daran
steht, sich ein Leids zu thun. Der arme Mensch! Er wird sicherlich das
Opfer seiner Liebe, wenn du ihm nicht durch einen freundlichen Blick
neue Hoffnung und neue Lust am Leben einflößest.«

Wir sehen, daß =Cornelius= an =Philippintje= eine ebenso treue, als
eifrige Bundesgenossin gewonnen hatte. Je länger das alternde Mädchen
die Aussicht auf die jährliche Pension von einhundert Dukaten
betrachtete, desto gerechter schien ihr des Junkers Sache. Sie fing erst
an, mit allem ihr zu Gebote stehenden Scharfsinne Entschuldigungsgründe
für sein Verfahren aufzusuchen. Kaum hatte sie einige derselben, mochten
sie auch noch so unhaltbar seyn, gefunden, so glaubte sie auch schon
daran und war bereit, ihre Aechtheit und Wahrheit gegen jedermänniglich
in Schutz zu nehmen. In der Weise, von der wir ein Pröbchen gehört
haben, sprach sie noch lange auf =Clötje= ein und es gelang ihr
wirklich, dieser einen Theil ihrer Ansichten aufzudringen. Wie gern
nimmt die Liebe selbst das Unwahrscheinlichste an, was den geliebten
Gegenstand von Vorwürfen zu reinigen vermag, deren Begründetheit sich
trennend zwischen die zwei Herzen stellen müßte!

Als =Philippintje= bemerkte, daß ihr =Clötje= sich immer mehr der
Neigung zum Verzeihen überlasse und nur noch durch die Gedanken an den
Zorn des Vaters und an das Gerede unter den Verwandten und Bekannten
daheim zu =Rotterdam=, hauptsächlich beunruhigt werde, ging sie in
einen andern Ton über und sagte scherzhaft:

»Was ist es denn auch Schlimmes um eine Spazierfahrt mit einer ältern
Freundin und dem Bräutigam, der schon vor aller Welt als solcher genannt
und bekannt ist? Wer weiß, daß die Väter sich entzweit haben am Abend
vor der Abreise? Jetzt nach der Abreise werden die beiden Alten wohl so
gescheut seyn, und Niemanden etwas davon sagen! Und ein Mittelchen gibt
es, das macht Alles wieder gut, Herzenskind. Laß den Brautstand aufhören
und den Hausstand anfangen! Bei der Muhme =Jacobea= ist gut seyn und des
Vaters Schwester kann wohl Vaters Stelle vertreten und an seiner Statt
das Jawort geben, wenn der Domine es verlangt, um Euere Hände segnend in
einander zu fügen!«

»Nimmermehr!« fiel =Clelia= heftig und erröthend ein. »Ohne des Vaters
Einwilligung, ohne seine Verzeihung thue ich nie diesen Schritt, und ich
kann nicht begreifen, wie du, die immer von ihrer mütterlichen Liebe zu
mir spricht, mir dazu rathen kannst?«

»Recht, Kind, ganz Recht!« versetzte einlenkend =Philippintje=, die noch
zur rechten Zeit einsah, daß sie zu weit gegangen war. »Ich wollte dich
nur auf die Probe stellen. Ohne des Vaters Jawort dürfen wir freilich
den Domine nicht kommen lassen. Aber das wird sich Alles zusammenfinden
ohne Anstand und Hinderniß, wenn wir einmal bei der Muhme sind. Jungfrau
=Jacobea= muß dem wohledeln Herrn einen rührenden Brief schreiben,
Junker =Cornelius= einen noch rührendern und du machst auch deinen
kindlichen Schnörkel dran. =Dem= kann der Alte nicht widerstehn und wenn
ihm der =Schiwa= auch noch so heidnische und gottlose Gedanken eingäbe!
Und was kann er denn Besseres verlangen für seine =Clötje=, als den Sohn
des Mannes, der nächst ihm der dickste ist im guten =Rotterdam=? Mein
Himmel, auf zwei Finger breit dicker oder dünner kommt es nicht an vor
dem Auge unseres Herrgottes und wenn er recht drein sieht, so sind wir
Erdenwürmer alle so dick oder so dünn, einer wie der andere. Das sage
ich dir, =Clötje=, unter die Haube mußt du mir, ehe wir wieder nach
=Rotterdam= hineinkommen, als Frau =van Daalen= mußt du in den Haven
einlaufen, oder sonst thue ich =mir= ein Leids an, denn das Gerede, was
außerdem entstünde, brächte mich doch ums Leben in den ersten
vierundzwanzig Stunden. Das Entsetzlichste aber ist dir noch gar nicht
eingefallen: die Kirchenbuße an der Kirchthüre, die der Domine zu deiner
ewigen Schande über dich verhängen wird.«

Dieser Schlag traf. =Clelia= erwiederte nichts. Sie seufzte und stand
auf. Die Besorgnisse, welche ihr =Philippintje's= Bericht von dem
verzweiflungsvollen Zustande ihres Geliebten, beigebracht hatte, ließen
ihr keine Ruhe. Sie stieg die Treppe hinauf, die nach dem Verdecke
führte. Hier wollte sie, wenn =Cornelius= nun als ein rechtes Bild des
Jammers und der Reue vor ihr stünde, durch einen tröstlichen Blick,
durch ein friedliches, wenn auch nicht freundliches Wort ihn erheben.
=Philippintje= folgte ihr. Auf dem kurzen Wege, den sie zu machen hatte,
stellten sich ihrer einmal aufgeregten Einbildungskraft alle
schrecklichen Entschlüsse in ihrer Ausführung dar, zu denen die
Verzweiflung den beklagenswerthen Jüngling bewegen könne. Sie betrat in
großer Beängstigung das Verdeck. Ihre Blicke flogen nach allen Seiten
hin, um sich zu überzeugen, daß er noch da, daß er noch am Leben sey und
nicht bereits nach dem letzten Hülfsmittel der Verzweiflung gegriffen
habe. Siehe! da stand er frisch und fröhlich an der rauchenden Oeffnung,
die der Küche zum Schornsteine diente und rief eben mit heller, heitrer
Stimme hinab:

»Macht, daß bald angerichtet wird, Frau =Beckje=, denn ich habe ganz
entsetzlichen Hunger!«

Ein bitteres Lächeln zeigte sich in =Clelia's= Antlitz. Sie wandte sich
mit einer Gebehrde des Unwillens ab und schritt nach dem Vordertheile
hin.

»Er redet irre, der arme Mensch!« sagte =Philippintje= in tödlicher
Verlegenheit. =Clelia= fühlte sich tief gekränkt. Sie ließ die herben
Empfindungen, welche ihre Seele ergriffen hatten, nicht laut werden;
aber um Thränen zu verbergen, die in ihr Auge aufstiegen, trat sie
dicht an das Bordgeländer und sah hinab in die treibenden Wellen. Wie
ganz anders hatte sie erwartet den Geliebten zu finden! Er konnte
scherzen, er konnte, was noch weit schlimmer war, einen gewöhnlichen,
gemeinen Hunger empfinden, während sie aus Liebe zu ihm, aus quälender
Angst um sein Wohlergehn, um sein Leben, die Mahnungen der
Kindespflicht, den gerechten Unwillen über seine Täuschung, bekämpft und
zurückgewiesen hatte. Das war zu arg! Einem solchen Leichtsinne konnte
keine wahre Reue zugetraut werden. =Clelia= stand auf dem Punkte, wieder
zu allen Ansichten und Vorsätzen zurückzukehren, die sie vor
=Philippintje's= wirkungsreichen Ermahnungen gehegt hatte.

Da fühlte sie sich leise am Kleide gezupft. Sie sah sich um und
erblickte =Philippintje=, neben dieser mit einem wahren armen
Sündergesichte den Junker =Cornelius=. So wie er jetzt vor ihr dastand,
schien er nichts weniger, als von einem unwiderstehlichen, nagenden
Appetit gequält zu werden, und wirklich hatte er auch, sobald die
Hausjungfer ihn auf die Gegenwart der Geliebten aufmerksam gemacht,
sobald er diese in nachdenklicher Stellung, mit allen ersichtlichen
Zeichen des Unwillens, am Vorsteven erblickt, in einem Augenblicke alle
Sehnsucht nach Backobst und Pökelfleisch verloren, seine ganze
Sündenschuld war ihm schwer auf das Gewissen gefallen und er trat nun
vor =Clelia= mit den Gefühlen eines Delinquenten hin, der vor dem
peinlichen Halsrichter erscheint, um den Ausspruch über Leben oder Tod
zu vernehmen. Er stand in erwartungsvollem Schweigen. Er wagte nicht,
die Blicke zu der schwer Beleidigten zu erheben. Alle Zeichen, die
=Philippintje= gab, er möge die drückende Stille unterbrechen, gingen an
ihm verloren. =Clelia= aber wurde durch den Zustand, in dem sie ihn
jetzt sah, um Vieles besänftigt. Die Nachtwache, die peinigenden Zweifel
über die Art und Weise, wie die Geliebte ihm nach ihrem Erwachen
begegnen würde, hatten seinem Angesichte ihre Spuren eingeprägt, so daß
es eine ungewöhnliche Blässe und Eingefallenheit zeigte. =Clelia=
konnte sich, als sie dieses bemerkte, einer mitleidigen Regung nicht
erwehren. =Philippintje's= Hindeutungen, daß sie doch eigentlich die
Schuld des ganzen seltsamen Verhältnisses trage, indem sie die Hand zu
der heimlichen Zusammenkunft geboten, kamen ihr wieder in den Sinn und
stellten sich ihr als wohlbegründete Vorwürfe dar. Sie wurde jetzt
beinahe ebenso verlegen, wie =Cornelius=. Sie hätte gern das Gespräch
eröffnet, aber sie vermochte, wie sehr sie auch darauf sann, keinen
schicklichen Eingang zu finden. Die ältere Freundin ahnete jetzt, welche
Veränderung in den letzten Augenblicken in ihr vorgegangen sey und
beschloß die günstige Gelegenheit nicht ungenutzt vorbeigehn zu lassen.
Sie ergriff des Mädchens Hand und sagte in einem Tone, dem sie die
möglichste Feierlichkeit zu geben suchte:

»=Clötje, Clötje!= Blick um dich! Nichts wie Himmel und Wasser und das
letzte Stückchen Landes verschwindet eben dort hinten, wie ein grauer
Flor. Das Wasser unter uns ist der Tod, der uns in jedem Augenblicke
verschlingen kann; im Himmel über uns aber ist Einer, der da gebietet,
daß wir den Zorn nicht in uns aufkommen lassen, den Haß nicht in uns
nähren sollen. Wenn nun jetzt die Wellen, die gierig nach uns
heraufschnappen, plötzlich das Schiff hinunterschlucken mit Mann und
Maus und du im Unfrieden stürbest, mit einem unversöhnlichen Gemüthe
gegen den Junker, der es doch wahrlich nicht böse gemeint? Oder willst
du warten bis zum letzten Augenblicke und meinst du, daß dann noch Zeit
genug übrig wäre, ein Wörtchen der Verzeihung auszusprechen, mit welchem
auf der Lippe man ruhig von hinnen fahren könne aus diesem irdischen
Jammerthale? Glaube Das nicht, =Clötje=! Noth und Todt liegen so nahe
zusammen, daß sie mit einander wechseln können, ehe die Hand sich wendet
und wenn du dann denjenigen, dem du hartnäckig die Versöhnung versagt,
vor dir erblicken müßtest bleich und leblos, mit gebrochenen Augen, die
dich nie mehr liebevoll anschauen, mit blassen Lippen, die nimmer mehr
ein freundliches Wort zu dir sprechen könnten, dann wäre es zu spät,
dann würde sich die Reue vergebens in deinem Herzen erheben, dann
würdest du umsonst den armen Junker =Cornelius= zurückrufen, ihn
trösten, ihm verzeihen wollen --«

Jetzt hatte Jungfrau =Philippintje= den Höhepunkt ihrer Beredsamkeit
erreicht. Weiter konnte sie nicht. Sie fing an sich zu verwirren, zu
stottern; aber sie durfte sich auch bereits des glänzendsten Erfolgs
erfreuen. =Clelia= reichte in Thränen schwimmend dem entzückten
=Cornelius= die Versöhnungshand. Ihre Einbildungskraft hatte ihr Alles
in täuschenden Vorspieglungen gezeigt, was =Philippintje= mit Worten
dargestellt. Sie sah =Cornelius= als eine Leiche im Sarge liegen, mit
dem weißen Todtentalare bekleidet, wie sie bei der Leichenausstellung
des letztverstorbenen hochmögenden Herrn Bürgermeisters von =Rotterdam=
diesen gesehen; auf dem Sarge fand sich eine Inschrift in großen
silbernen Buchstaben, die den Namen, Stand und Alter des Todten besagte.
Ihre Phantasie ging noch weiter, als =Philippintje's= Darstellung. Sie
sah, wie der Todte sich im Sarge aufrichtete, wie die Augenlieder sich
öffneten, die gebrochenen Blicke sie vorwurfsvoll anstarrten, plötzlich
die rechte Hand sich drohend erhob -- da war es um ihren Trotz
geschehen, sie mußte in Thränen zerfließen, sie mußte verzeihend dem
nächsten Augenblicke zuvorkommen, der ja das Entsetzlichste bringen
konnte.

Nach diesem ersten versöhnenden Schritte, hatte die weitere
Verständigung zwischen den Liebenden ihren ungestörten Fortgang.
=Cornelius= war außer sich vor Freude. Er bauete tausend Luftschlößer
in die Zukunft hinein, von denen immer eins unhaltbarer war, als das
andere. =Clelia= aber gefiel sich sehr darin, sein Feuer durch altkluge
Ermahnungen zu dämpfen, indem sie ihm auseinandersetzte, auf welche
Weise sie, nachdem sie bei der Muhme glücklich angekommen wären, sich um
die Einwilligung des Vaters bemühen müßten, ohne welche sie durchaus
nicht die seinige werden könne. So machte sie den von =Philippintje=
ausgedachten Plan zu dem ihrigen, während die Hausjungfer
seelenvergnügt über die günstigen Aussichten, die sich ihrer Zukunft
eröffneten, nach dem Steuerbord trippelte, damit die beiden jungen Leute
sich selbst überlassen blieben und auch noch den letzten Groll vom
Herzen kosen möchten. Sie war so froh bewegt, daß sie ein Glas Genever,
welches ihr der Bootsmann zutrank, dankbar annahm und indem sie auf
gutes Gedeihen des begonnenen Werkes nur nippen wollte, zum Erstaunen
des Darbringenden auf einen Zug leerte. Dann setzte sie sich still auf
die Schiffsbank und fiel bald in einen sanften Schlummer.

Die Barke wurde auf dem weiten Wasserspiegel von günstigen Winden so
rasch vorwärts getragen, als schwebe sie auf offener See. Der Himmel
blieb heiter, kein Wölkchen zeigte sich und die Strahlen der
Mittagssonne fielen so erwärmend nieder, daß man darüber die vorgerückte
Jahreszeit vergaß, in der man sich befand. Das Ufer im Hintergrunde war
verschwunden. Dagegen zeigte sich in weiter Ferne vor den Schiffenden
ein schwarzer Punkt, der sich, je näher man kam, vergrößerte. Er wurde
bald für eine Insel von bedeutendem Umfange erkannt. Rechts von einem
aus der Wasserfläche auftauchenden Ufer zeigten sich weiß
herüberglänzend die Gebäude von =Dortrecht=. Links in der Ferne wurden
neben jener großen Insel noch einige kleinere sichtbar.

=Jansen= war selbst zum Steuerruder getreten. Er lenkte weit ab von dem
Dortrechter Ufer. Er wußte, daß dieser Haven mit seinen Umgebungen
besonders von den feindlichen Kreuzern zum Schauplatze ihrer oft sehr
verwegenen Unternehmungen auserkoren war. Der Lauf, den das Fahrzeug
jetzt beschrieb, schien zu seinem Richtpunkte die Durchfahrt zwischen
zwei der kleinern Inseln bestimmt zu haben. Mit großer Aufmerksamkeit
und einiger Unruhe in seinem ganzen Wesen untersuchte der Capitän durch
das Fernrohr den Gesichtskreis, den er überblicken konnte. Er bemerkte
nichts, was ihm hätte Besorgniß erwecken können. Nach dem Gestade von
=Dortrecht= hin war Alles ruhig, zwischen der Stelle, wo sich jetzt die
Barke befand, und den vornliegenden Inseln, waren nur einige
Fischernachen sichtbar und ein in weiter Entfernung hinter der =Syrene=
erscheinendes größeres Fahrzeug, kam, wie seine Laufbahn erkennen ließ,
ebenfalls die =Maas= herauf und mußte demnach von friedlicher Bedeutung
seyn. Des Capitäns Antlitz erheiterte sich bei diesen Wahrnehmungen. Er
hatte eine reiche Ladung von =Utrechter= Sammet und Seide an Bord. Die
Kaufleute, denen die Sendung angehörte, hatten in den gegenwärtigen
kriegerischen Zeitläufen damit gezögert und waren erst dann, als der
kecke =Jansen= sie auf seine eigene Gefahr übernommen, zur Ausführung
geschritten. =Jansen= setzte in dieser Sache sein ganzes bedeutendes
Vermögen auf das Spiel; aber er fand eine eigene Lust, sich an
Wagestücken zu versuchen, von denen andere Schiffsführer sich gern
zurückzogen. Als er noch Bootsmann auf einem Kriegsschiffe der
holländischen Flotte gewesen, hatte er in vielen Gefechten einen Muth
bewiesen, der an Tollkühnheit grenzte und seinen Namen unter den
Seeleuten seiner Nation bekannt und in einem gewissen Grade berühmt
machte. Die Matrosen und Bootsmänner nannten ihn nur den =tollen
Jansen= und nebenbei stand er auch seiner ungeheuern Körperstärke wegen
unter ihnen in großem Ansehn. Später hatte er die muntere =Beckje=
kennen gelernt, die einiges Vermögen besaß. Beide Leutchen gefielen
einander, sie heiratheten sich und von =Beckje's= Geld und =Jansen's=
Ersparnissen wurde nun die Barke angeschafft, der sich der Junker =van
Daalen= mit seiner Herzliebsten anvertraut hatte.

In dem süßen Liebesgespräch, das sich zwischen =Cornelius= und der
verführten =Clelia= entsponnen hatte, wurden sie durch das Läuten der
Mittagsglocke und durch die Anrede =Jansens=, der freundlich lachend zu
ihnen trat, gestört:

»Deine Sehnsucht wird nun gestillt werden, =Cornelius=;« sagte er. »Frau
=Beckje= hat aufgetragen und du, der ihr treulich beigestanden bei den
Kochtöpfen, wirst gewiß die besten Bissen erhalten. Ob aber die Jungfrau
Schwester mit der groben Schiffmannskost zufrieden seyn wird, bezweifle
ich sehr!«

=Clelia= versicherte, sie werde der Tafel alle Ehre anthun, zu der sie
ein langes Fasten und die zehrende Herbstluft fähig mache, und folgte,
von schönen Hoffnungen belebt und erhoben, am Arme des Geliebten dem
voranschreitenden Capitän nach der Cajüte. Vergebens suchten sie im
Vorübergehen =Philippintje= zu erwecken, die noch immer auf der
Schiffsbank im tiefen, todtähnlichen Schlaf lag. Der Nektar, von dem sie
allzureichlich genippt, hielt sie in seinen Zauberbanden gefangen. Sie
blieb taub gegen alle Aufforderungen und das junge Liebespaar mußte sich
entschließen, sie auf dem harten Lager, das sie sich selbst erwählt
hatte, ihren beseligenden Träumen zu überlassen. Daß sie von solchen
heimgesucht werde, verrieth ein lächelnder Zug in ihrem Antlitze und der
Name: =Balthasar=, der im schmachtendsten Tone über ihre Lippen glitt.

Im Innern der sehr reinlich und zierlich gehaltenen Cajüte empfing Frau
=Beckje= ihre Gäste. Sie hatte, um nicht zu sehr in ihrem Aeußeren gegen
die Begleiterin des Junker =Cornelius= abzustechen, ihren besten Staat
angelegt. Das knapp anliegende Kleid von schönem schwarzen Utrechter
Sammet stand ihr recht wohl und das rothbäckige, volle Schelmengesicht
sah unter dem Spitzenhäubchen, so freundlich und anmuthig hervor, daß
=Clelia=, durch den lieblichen Anblick überrascht, für einige Momente
ihre gewöhnliche Gravität ablegte, erst die dargebotene Hand des
lächelnden Weibchens annahm und dann auf die frischen Lippen, die ihr
entgegenkamen, einen herzlichen Kuß drückte.

»Nun ist die Freundschaft gemacht,« sagte =Beckje=, »und« setzte sie
schalkhaft hinzu, »der Junker da kann Euch kein besserer Bruder seyn,
als ich Euch eine Freundin bin!«

=Clelia= erröthete. Nur daß sie eine Unwahrheit behaupten helfen sollte,
trieb das Blut auf ihre Wangen; sie ahnete nicht, daß die Capitänsfrau
auf eine Vermuthung der Wahrheit, ja, daß diese schon zu der
Ueberzeugung ihrer Nicht-Blutverwandtschaft mit =Cornelius= gekommen
sey!

»Wir machen gerade einen hübschen Tisch voll!« fuhr indessen =Beckje=
fort, indem sie =Clelien= gegenüber, ihren Platz zwischen den beiden
Männern einnahm. »Es ist nur Schade, daß Ihr zwei Schwester und Bruder
und nicht auch Mann und Frau, oder doch wenigstens Bräutigam und Braut
seyd! Es ginge dann noch weit lustiger her, denn es mag mir einer sagen,
was er will, die Liebe ist doch eigentlich =Das=, was dem Leben erst
seine wahre Freude, seine rechte Lust gibt!«

=Cornelius= vermochte kaum seinen Unwillen zu bekämpfen, daß =Beckje
Clelien= gegenüber in ihrem Scherze so weit ging. Er warf ihr einige
sehr ernste und finstere Blicke zu, die den guten Erfolg hatten, daß sie
ihr stets fertiges Zünglein ein wenig im Zaume hielt. Das Gespräch
wandte sich auf andere Gegenstände und =Jansen= trug nun in den
Zwischenräumen, die ihm die Befriedigung seines sehr guten Appetits
ließ, die Kosten der Unterhaltung, indem er mit vieler Laune und
Lebendigkeit manches Abentheuer erzählte, das ihm in seinem vieljährigen
Seeleben begegnet war. Gegen das Ende der Tafel, bei der er mehr dem
Genever, als dem spanischen Weine, dem =Cornelius= den Vorzug gab,
zusprach, wurde er sehr lustig und rief:

»Nun muß ich Euch doch noch die wunderliche Geschichte erzählen, wie ich
zu dem Ballaste da« -- hier wieß er auf =Beckje= -- »in meinem
Lebensschifflein gekommen bin! So wie Ihr mich hier sehet, bin ich ein
Bursche, der schon seine vierzig hinter sich hat, aber die frische
Seeluft hat mich =frisch= erhalten und ich wette drauf, mein =Beckje=
vertauscht mich gegen keinen Hasenfuß von zwanzig Jahren! Ich hatte
schon meine sechs Fahrten nach =Batavia= gemacht, hatte unter =Ruyter=
gedient, ihm zur Seite gestanden, als er siegreich an der Küste von
Sicilien seinen Tod fand, war mit Oraniens Glück nach England
hinübergegangen und kam eben von einem Kreuzzuge unter =Wassenaar=
zurück, als ich mich entschloß, meine armen Verwandten in =Amsterdam=
einmal zu besuchen, ihrer Noth nach Kräften abzuhelfen und nebenbei die
große Stadt zu sehen, von der ich so Vieles gehört hatte und die ich
noch nicht kannte. Die Flotte lag gerade zu der Zeit im Texel und wurde
ausgebessert. Es fiel mir deshalb nicht schwer, einen Urlaub von einigen
Wochen zu erhalten. Ich hatte mir etwas zusammen gespart. Ich kann Euch
sagen, ich trat ans Land, aufgetakelt wie ein Kirmesbaum, und mit dem
besten Willen, meine Jahreslöhnung, die ich eben erhalten, an allerlei
Narrenspossen zu verthun. Mehr aber keinen Stüber, denn das Uebrige war
für die Verwandten und für den Sparpfennig bestimmt, an dem ich seit
meiner frühen Jugend gesammelt. Wenn ich Euch erzählen wollte, wie es
zuging, daß ich schon am ersten Tage in =Harlem= fünfzig Gulden für eine
garstige braune Zwiebel wegwarf, blos aus Respect, weil man sie den
Admiral =Enkhuysen= nannte, wie ich dann die Zwiebel wieder gegen eine
Flasche ächten Genever aus =Schidam= vertauschte, wie ich für andere
fünfzig Gulden fünfzig hübsche Mädchen bei einer Kirmes auf einem Dorfe
in der Nähe von =Harlem= mit bunten Halstüchern beschenkte und mich
hernach mit ihren Liebhabern herumschlagen mußte, -- ja! wenn ich Euch
das Alles genau berichten wollte, so hätte ich viel zu thun und
=Beckje= würde es vielleicht nicht einmal gern hören --«

»Meinethalben magst du reden, was du willst!« fiel schnippisch =Beckje=
ein. »Mir sind auch bunte Halstücher geschenkt worden, ehe ich dich
gekannt habe, und ich bin keinem ein Geschenk schuldig geblieben.«

»Deshalb passen wir auch so gut zusammen,« lachte =Jansen= und leerte
ein großes Glas Genever mit einem Zuge, »denn wir haben einander nichts
vorzuwerfen. Uebrigens,« fuhr er in seiner Erzählung fort, »sind das
nicht die einzigen tollen Streiche, die ich damals gemacht habe. Genug!
Als ich nur noch eine Stunde von Amsterdam entfernt war, hatte ich auch
nur noch einen Gulden in der Tasche, mein Hauptcapital aber in guten
Wechseln auf der Brust eingenäht. Es war gerade Abend. Ich sah durch die
Dämmerung schon die Thurmspitzen der Stadt, auf dem Canale, neben dem
ich doch ein Bischen bedenklich über die Magerkeit meines Geldbeutels
hinschlenderte, waren zahllose Barken und Nachen in lebendiger und
fröhlicher Beweglichkeit. Ich blieb stehen und ergötzte mich an dem
bunten Treiben. So vergaß ich einigermaßen meine üble Lage und gewann
nach und nach, von dem Frohsinne, der unter den Menschen auf dem Canale
herrschte, angesteckt, einen Theil meiner guten Laune wieder. Es war
indessen ziemlich dunkel geworden. Ich sah ein, daß ich dran denken
müsse, das Ziel meiner Reise zu erreichen. Wußte ich doch nicht, wohin
ich in der großen Stadt meine Fahrt richten sollte, da ich nur die
Namen, aber nicht die Wohnung meiner Verwandten kannte, und also, ohne
Lootsen und Compaß, auf gut Glück in den fremden Haven einlaufen mußte!
Ich setzte alle Segel bei und kam rasch vorwärts. Auf dem Canale hatte
das Treiben und Lärmen fast gänzlich aufgehört; nur einzelne Fahrzeuge
schwammen noch manchmal geräuschlos vorüber. Ich überließ mich wieder
ganz meinen Betrachtungen und fing an, mich über mich selbst und meine
begangenen Dummheiten zu erboßen. Ich konnte aus meinen eigenen
Gedanken, so lästig sie mir waren, nicht herauskommen, wie ein
Ostindienfahrer, den in der Straße von =Sumatra= die entsetzliche
Windstille fest legt. Da wurde ich plötzlich durch einen lauten Lärm,
der sich heranwälzte, durch ein wildes tobendes Gelächter und ein
dazwischen tönendes Jammergeschrei aus diesem widerwärtigen
Gemüthszustande gerissen. Ich horchte auf. Ich hörte schelten und
lärmen, dann wieder lachen und einen kläglichen Ruf nach Hülfe. Nun flog
ich über's Land hin, wie eine wilde Gans über's Wasser, der Stelle zu,
wo das Getöse statt fand. Der Mond war aufgegangen und ich konnte Alles
sehen, was nicht in einer allzugroßen Entfernung vor mir lag. Da
gewahrte ich denn bald einen Haufen von etwa einem Dutzend böser Buben
von fünfzehn bis achtzehn Jahren, die einen einzelnen Mann vor sich
hatten und diesem gewaltig zusetzten, indem sie ihn immer nach dem
Canale hindrängten. »Was treibt ihr hier?« rief ich und trat unter sie:
»Wollt ihr Krabben wohl in euere Hangematten und euch nicht zu zwölf
über Einen hermachen! Gelt, da habt ihr Courage, wenn sich einer auf
den andern verlassen kann und wo vierundzwanzig Arme sich gegen zwei
erheben? Aber noch einmal! Macht, daß ihr heimkommt oder es sollen euch
ein Paar Arme heimführen, die wohl so viel werth sind, als euere zwei
Dutzend!« -- Die Buben sahen mich groß an. Einer von ihnen aber trat
bald vor und sagte in einem frechen Tone: »Kümmert euch um euch und
nicht um Händel, die euch nichts angehen! Wir thun ein gutes Werk. Wir
haben einen Juden gefangen, =der= soll getauft werden und dann
Schweinefleisch fressen, damit er ein Christ wird. =Jeremias= hat seiner
Mutter expreß ein Stück Schinken gestohlen für ihn und das darf nicht
umkommen!« Die Cameraden des frechen Menschen stimmten ein höhnisches
Gelächter an. Dabei drängten sich die Rangen hart um mich her, als
gedächten sie auch mir irgend einen schlimmen Streich zu spielen. Aber
der Mann, den noch einige von ihnen hielten, streckte die Arme nach mir
hin und rief, so laut er konnte: »Ach, hochmögender Heer, errettet mich
aus der Gewalt der Rotte Korah, und der Gott Abrahams wird Euch
vergelten! Ich bin ruhig meiner Straße gewandelt, da haben mich die
Kinder der Goi's festgepackt und wollen mir's anthun mit verfluchtem
Wasser und Fleisch von dem unreinen Thiere, in das der Teufel gefahren
ist. Ich bin ein armer Jüd, aber ein rechtschaffener Jüd, und habe noch
nie einen Goi betorkelt im Schacher. Ach, hochmögender Heer, nehmet Euch
meiner an, befreiet mich, damit ich in Frieden heimkehre in die gute
Stadt =Amsterdam= und in meine Behausung auf der =Jüdenkracht=
daselbst!« Ich mußte lachen über die Hochmögenschaft, zu der mich die
Angst des Juden mit einemmale erhoben hatte. Während er sprach, hatte
ich Zeit ihn genau zu betrachten. Es war ein alter Mann, der vielleicht
schon seine sechszig Jahre zählte. Er trug einen langen Bart, sein
Angesicht schien durch die Furcht verzerrt und entstellt. Seine Gestalt
war klein und schmächtig. Die wenigen Kräfte, welche ihm vielleicht die
Verzweiflung gab, konnten gegen die vereinigten Bemühungen dieser Heerde
wilder Rangen wenig ausrichten. Er schien der ärmern Classe seiner
Nation anzugehören, denn seine ganze Takellage war erbärmlich und sein
Rücken gekrümmt, als verbeuge er sich zum Betteln um ein Almosen. Mein
unwillkührliches Lachen schien den Krabben ein Signal, daß ich ihre
Corsarenjagd auf den armen Juden billige, und sie machten auf's Neue
Anstalt, den alten Mann zu entern und zu kielholen. »Hinunter mit ihm
zur Taufe!« schrieen sie. »Frisch, Jude! Erst Wasser und dann
Schweinefleisch, hernach mußt du das Glaubensbekenntniß auswendig
lernen.« Mit wildem Toben warfen sie sich alle auf den jammernden
Israeliten, der sich schon fast heiser geschrieen hatte. Da verlor ich
die Geduld. »Bramsegel und Backbord!« rief ich, »nun ist es genug. Ich
will euch einen Lappen aufhißen, der euch in einem Augenblick aus der
offenen See in den Winterhaven führt!« Bei diesen Worten hatte ich die
nächststehenden ergriffen und sie um halbe Kabeltau-Länge
fortgeschleudert. Die Rippen im Leibe mochten ihnen krachen, denn sie
erhoben ein erbärmliches Geheul und hatten nichts Eiligeres zu thun,
als so schnell, wie es gehen mochte, fortzuhinken. Einem Paar Anderen,
welche die größten und kräftigsten waren, und mir trotzig
entgegentraten, ging es nicht besser. Die übrigen flogen auseinander,
wie ein Heer wilder Gänse, das der Sturm zerstreut. Der Jude stand nur
noch allein vor mir und zitterte am ganzen Leibe. Es währte eine gute
Zeit, ehe er sich fassen konnte. Dann warf er sich mir zu Füßen und
sagte, noch zähneklappernd vor Furcht: »Der =Simson= ist wiedergekommen
und hat die Philister geschlagen. Der weise =Salomo= ist aufgelebt und
hat die Ungerechten bestraft. Der gnädige =Ahasverus= hat den armen
=Mardochai= befreiet und der gottlose =Haman= ist geklopft worden, wie's
ihm gehört.« Ich hob den Alten auf. Ich hatte Mühe das Lachen zu
verbeißen, zu dem mich seine Rede antrieb: aber ich bedachte sein Alter
und die Schändlichkeit der Buben, die ihn in die Enge getrieben, und da
wurde mir es ganz ernsthaft zu Muthe. »O, verlaßt mich nicht und gebt
mir das Geleit bis an die Thore der guten Stadt =Amsterdam=, hochedler
Herr!« sprach er weiter: »Ihr seyd die Palme aus dem Lande =Gosen=,
unter deren Schutz ich sicher wandeln kann, geht Ihr aber von mir, so
kehren die Philister zurück und ich bin ein verlorener Mensch.« Ich
sagte ihm, er könne mit mir gehen, er möge aber frisch mit dem Winde
segeln, da ich keine Zeit zu verlieren hätte. Auf dem kurzen Wege, den
wir nun zusammen zurücklegten, erzählte mir der Jude, daß er in
=Amsterdam= wohne, in der Regel aber in der umliegenden Gegend einen
kleinen Handel mit alten Kleidungsstücken und sonstiger Trödelwaare
treibe. Er sprach dabei soviel und in so übertriebenen Ausdrücken von
seiner großen Armuth und Dürftigkeit, daß er zuletzt den Verdacht in mir
erweckte, er sey im Gegentheile ein ganz wohlhabender Mann und stelle
sich nur arm, um mir nicht etwa eine Belohnung anbieten zu müssen, zu
der er sich vielleicht verpflichtet glaubte. Als wir in die Stadt
eingewandert waren und eben im Begriffe standen uns zu trennen, ergriff
er noch einmal meine Hand und sagte: »Der Gott meiner Väter möge Euch
belohnen, für das, was Ihr an mir gethan, hochmögender Heer! Solltet Ihr
aber jemals den armen Jüden =Abraham Eleazar= in seiner geringen
Behausung aufsuchen wollen, so erinnert Euch, daß diese auf der
=Jüdenkracht= liegt, zunächst der Schule, wo unsere Leute hin beten
gehen.« Er entfernte sich und ich vergaß bald, während ich in den
Straßen der großen Stadt ohne Steuer und Compaß umherirrte, das
Abentheuer, das mich mit ihm zusammengeführt hatte. Ich sah jetzt ein,
daß ich unbesonnen gehandelt hatte, mich in ein unbekanntes Gewässer zu
begeben, ohne vorher über steile Klippen und Sandbänke, durch die ich
meine Fahrt lenken mußte, eine genaue Kenntniß eingezogen zu haben.
Meine Verwandten jetzt noch bei eintretender Nacht aufzufinden, schien
eine Unmöglichkeit. Ich beschloß also, meinen letzten Gulden an baarem
Geld für ein Nachtquartier und ein Abendessen, so gut sich Beides dafür
finden wolle, aufzuopfern. Ich kam an verschiedenen Häusern vorüber, wo
der einladende Strohkranz heraushing, in denen es noch lustig herging
und viel Licht brannte. Sie schienen mir aber alle zu vornehm für meinen
demüthigen Geldbeutel. Um ein geringeres Wirthshaus aufzusuchen, wo ich
kleines Wasser für mein leckes Schiff finden durfte, verließ ich die
großen, breiten Straßen und steuerte auf gutes Glück in enge winklige
Gäßchen, in denen es so dunkel war, daß ich mich oft mit den Händen
weiter fühlen mußte. Da sah ich am Ende eines Winkelgäßchens, das hier
wie ein Sack verschlossen war, hinter einem kleinen Fenster ein düsteres
Licht brennen. Ich hörte rauhe Stimmen, ich vernahm Gläserklirren, ich
erkannte, als ich nahe trat, den bedeutungsvollen Strohwisch über der
niedrigen Hausthüre und glaubte nun den Haven gefunden zu haben, wo ich
sicher vor Anker gehen könnte. Einige kräftige Seemannsworte, die aus
dem niedrigen Hause klangen, ließen mich hoffen, hier Cameraden zu
finden. Ich nahm mir aber vor, mich nicht als einen Mann zu erkennen zu
geben, der schon in den Meeren Ost- und Westindiens seine Flagge
aufgezogen hatte. Ich schämte mich meiner geringen Baarschaft, die mir
nicht erlaubte, bei der Heimkehr auf das feste Land ein Paar Flaschen
Genever zur Bewirthung einiger fröhlichen Wassergesellen springen zu
lassen. Lieber wollte ich für eine Landratte angesehen werden, als für
einen Seehund, der keine Haare auf dem Felle mit heimbrächte. Als ich
die Thüre des Häuschens öffnen wollte, fand ich sie verschlossen. Auf
mein Klopfen aber ward sogleich aufgethan. Wer glaubt Ihr wohl, Jungfer
=Clelia=, sey mir da entgegen getreten, um mich einzulassen und mir in
dem engen, dunkeln Hausgange zu leuchten? Niemand anders als =Beckje=,
die Ihr da seht und die jetzt mit mir auf dem Fahrwasser des Lebens
gemeinschaftlich hinsegelt. Sie schien ordentlich vor mir zu
erschrecken, als sie mich erblickte, sie stieß ein lautes: Ach! aus und
ließ die Lampe fallen, die sie in der Hand trug.«

»Wahrscheinlich warst du damals nicht hübscher, als du jetzt bist?« fiel
in dem neckenden Tone, der zwischen den beiden Freunden gebräuchlich
war, =Cornelius= ein.

»Nun,« entgegnete mit einigem Eifer Frau =Beckje=, »er sah wenigstens
ebenso gut aus, als irgend ein Offizier von den Landgeusen, der
hundertmal unter König =Wilhelm= vor dem Marschall von =Luxemburg= davon
gelaufen ist.«

»Ihr seyd gut bewandert in den Kriegshändeln,« erwiederte lächelnd der
junge =van Daalen=: »Euer Zünglein ist in jedem Falle schärfer, als der
Degen Eueres Marschalls und Ihr wißt es gut zu führen, wenn Ihr Euern
Mann zu vertheidigen habt. Aber sagt mir, wie lange ist es schon her,
daß Ihr an seiner Statt kommandirt auf der =Syrene=?«

=Beckje= hob drohend die kleine Hand und wollte etwas Beißendes
erwiedern, aber =Jansen= schnitt ihr die Rede ab, indem er sagte:

»Laßt die Possen und stört mich nicht in meiner Geschichte! Ich weiß
sonst nicht, wie weit ich bin, und stelle Euch ein Schiff hin mit
Vordersteven und Steuerbord, an dem aber das Backbord und Hauptverdeck
fehlt. Meint Ihr, ich wäre =Domine= auf einem Kauffahrer gewesen und
könne die Reden nur aus den Aermeln schütteln? Nein, nein, Ihr müßt mir
Ruhe lassen, wenn ich erzählen soll! Das hübsche Mädchen also, das vor
mir stand,« fuhr er fort, »ließ in einer Anwandlung von Schreck oder
Ueberraschung die Lampe fallen, die sogleich verlosch, so daß wir uns in
eine völlige Dunkelheit versetzt sahen. »Um Gotteswillen, geht« -- bebte
es kaum vernehmlich über ihre Lippen. Da öffnete sich eine Seitenthüre
und bei dem herausdämmernden Lichte erschien in ihr ein ältlicher Mann
in Hemdärmeln, dessen finsteres Gesicht durch einen Wust von rothen
Haaren, der es umgab, noch abschreckender gemacht wurde. »Nicht eine
Lampe könnt Ihr festhalten in den Pfoten!« fuhr er das Mädchen an. »Ihr
seyd das Brod nicht werth, das Ihr eßt. Tretet herein, Herr!« wandte er
sich jetzt zu mir, indem er sein widriges Gesicht zu einem freundlichen
Lächeln zu zwingen suchte, das wie ein höhnisches Grinsen anzusehen war.
»Ihr findet hier den besten Wachholder im ganzen Quartier und eine
Gesellschaft, die nicht schlechter ist.« Unter diesen Worten hatte er
sich zwischen mich und die Hausthüre gedrängt und diese wieder
verschlossen und verriegelt. Ich sah hierin nichts Verdächtiges, ich
ahnete nicht, daß der alte Corsar eine falsche Flagge aufgezogen habe.
Die Worte des Mädchens waren mir kaum verständlich geworden, so leise
und bebend war ihre Stimme gewesen. Sie schlich eingeschüchtert in das
Zimmer zurück, während ich und der Alte ihr folgten. Bei meinem
Eintritte fielen die Blicke von einem Dutzend wilder Bursche auf mich,
die auf langen Wandbänken an einem schmalen Tische saßen, große Gläser
mit Brandwein vor sich stehn hatten und sich am Würfelspiele ergötzten.
Ich setzte mich weitabwärts von ihnen, in einem Winkel nieder. Nicht
weil mir das Spielen durchaus zuwider gewesen wäre, sondern weil meine
Ladung am Baaren so leicht war, daß ich nicht wagen konnte, die Flagge
Fortunens vor den Spielenden, die zu meiner Verwunderung mit Gulden um
sich warfen, als wären es Stüber gewesen, sehen zu lassen. Sie
bekümmerten sich weiter nicht um mich und fuhren im Würfeln fort. Ihre
Flüche und Schwüre, so wie manche grobe Späße bestätigten meine frühere
Vermuthung, daß es Matrosen seyen. Das Glas Genever, den Edammer und das
Brod, welche ich gleich beim Eintritte bestellt hatte, wollte mir das
Mädchen, von dem auch die übrigen Gäste bedient wurden, bringen. Der
Rothkopf aber riß es ihr aus der Hand und ich glaubte zu bemerken, daß
sie mit einem Seufzer und einem theilnehmenden Blick auf mich, sich
abwandte und wieder in ihre Ecke schlich, wo sie am Spinnrade
beschäftigt war.«

»Es ist ganz wahr, wie er's erzählt!« unterbrach, trotz der
vorhergegangenen Mahnung ihres Mannes, =Beckje= diesen, indem sie im
Tone eiferiger Betheuerung zu =Clelia= sprach: »Der Spitzbube hatte
mir's angethan im ersten Augenblicke mit seinem ehrlichen und
treuherzigen Gesichte.«

=Jansen= ließ die Unterbrechung ungerügt hingehn und fuhr fort: »Mit dem
Wunsche, mir es wohl bekommen zu lassen und der Aufforderung, tüchtig
zuzulangen, da noch hinlänglicher Vorrath in Küche und Keller sey,
stellte mir der Wirth das Verlangte vor. Er trat dann hinter die
Spielenden, ging von einem zum andern und flüsterte ihnen Worte zu, die
mir unverständlich blieben. Ich achtete auch in der ersten Zeit wenig
auf ihn und die übrigen Gäste. Das hübsche Mädchen hatte meine
Aufmerksamkeit erregt und es war mir gar nicht recht, daß sie so
entfernt von mir, in einem düstern Winkel ihren Platz genommen hatte, wo
ich sie nur undeutlich sehen konnte. Lange Zeit gab ich mir vergebliche
Mühe, ihre Gesichtszüge aus der Dunkelheit hervorzusuchen. Ich ließ
endlich davon ab und fing an, meinen Appetit zu stillen, der nicht
gering war. Der Genever, den man mir vorgesetzt hatte, schien mir
ungewöhnlich stark. Das war aber eben kein Umstand, der einem Seemanne,
welcher so oft, wie ich, die Linie passirt hatte, vom Trinken
zurückhalten konnte. Das Gelärm am andern Tische ward indessen immer
toller. Flüche, Verwünschungen von der einen Seite, höhnisches, lautes
Gelächter von der andern, vermischten sich zu einem wilden Getöse. Die
Bursche, die es so arg trieben, zogen endlich meine Aufmerksamkeit auf
sich. Es waren lauter Gesichter, auf denen Zügellosigkeit, Verwegenheit
und eine Tücke, die sonst einem ordentlichen Seehunde fremd ist,
eingegraben standen. Sie sind gewiß von irgend einem Kauffahrer, dessen
Capitän ein Lump ohne Verstand und Respect ist: dachte ich bei mir. Sie
hatten alle ihre krummen Messer vor sich auf dem Tische liegen, als
wollten sie gegen einen Angriff, der unerwartet und plötzlich von einem
auf den andern erfolgen könne, bereit seyn. Besonders fiel mir einer
unter ihnen auf, der sehr listig aussah, ruhiger wie die andern sich
verhielt und, er mochte mit günstigem oder ungünstigem Winde fahren,
lustig und guter Dinge blieb. Erfolgte bei einem seiner Cameraden ein
Ausbruch des Unwillens über eine getäuschte Hoffnung, einen erlittenen
Verlust, so brachte er gleich einen Scherz vor, einen lustigen Schwank,
der das drohende Unwetter zerstreuete und statt des Messerkampfs, zu dem
es leicht hätte kommen können, ein allgemeines wildes Lachen, in das
selbst der eben noch Erboste einstimmte, hervorbrachte. Er schien älter
als die übrigen. In seinen gebräunten Zügen lag ein Ausdruck von
Erfahrung und Klugheit, der ihm selbst bei seinen rohen Genossen eine
Art von Ansehn zu Wege brachte. Ich bemerkte, daß sein listiger Blick
oft nach mir hinflog, auf mir forschend ruhete, wenn er aber wahrnahm,
daß ich auf ihn achtete, sogleich sich nach einer andern Seite wandte.
Die Art, wie er sich gegen die andern benahm, gefiel mir. »Der Bursche
hat mehr gesehn, als jene!« sagte ich zu mir selbst. »Er weiß mit dem
Winde zu segeln, zu laviren und die Lappen einzuziehn, wenn es Zeit
ist.« Seine Späße und Schwänke machten mich selbst einigemale laut
auflachen. Er hörte es und es schien mir, als wenn sich bei dieser
Bemerkung ein gewisses Wohlbehagen auf seinem Angesichte zeigte. Der
Wirth trat jetzt zu meinem Tische und sagte: »Gelt, das sind lustige
Bursche? Ihr müßt Euch an ihren heftigen Manieren nicht stoßen. Die
Seeleute sind einmal nicht anders, wenn sie auf's Land kommen. Da muß
Jubel, Trinken und Spielen sie entschädigen für die Entbehrung und
strenge Observanz auf dem Schiffe. Euch mag das Ding freilich sonderbar
vorkommen. Ihr scheint mir auf dem Lande geboren und erzogen, und habt
wohl niemals andern Theer gerochen, als im Laden des Krämers?« Sein
Gesicht verzog sich hämisch bei diesen Worten. Ich hielt es nicht der
Mühe werth und hatte auch, wie schon gesagt, keine besondere Lust, meine
wahre Farbe zu zeigen. Ich durfte ja nur in die Brusttasche greifen und
meine Bestallung als Hochbootsmann auf dem Linienschiffe =Medusa=
hervorholen, um den Wirth und die Bursche alle, wie sie da waren, in
Respect zu setzen. Ich ließ es aber bleiben und lachte still in mich
hinein über die Tölpelhaftigkeit und Dummheit des Kerls, der einen
Delphin für ein Murmelthier ansah. Er wandte sich wieder von mir ab und
trat jenem Matrosen mit dem listigen Gesichte gerade gegenüber, so daß
er mir den Rücken zukehrte. Der Matrose warf einen fragenden Blick auf
ihn -- erst später sah ich ein, daß dieses ganze Benehmen seine
besondere Bedeutung hatte -- dann stand er plötzlich auf und sagte,
indem er sein Messer einsteckte, zu seiner Gesellschaft: »ich habe genug
gespielt. Seht meine leeren Taschen an. Wer noch einen Gulden an das
wagen will, was drin ist, dem stehe ich zu Dienst, sonst niemand!« Mit
einem wilden Gelächter und einigen groben Späßen wurde das Anerbieten
beantwortet. Der Mann zündete seine Pfeife an dem einzigen Lichte, das
sich in der Stube befand, an und näherte sich dann langsam meinem
Tische. Er forderte noch ein großes Glas Brandwein und setzte sich dann
mir gegenüber. Es war mir ganz angenehm, Gesellschaft zu bekommen, die
mir eine muntere Unterhaltung versprach. Ich beschloß aber nichts
destoweniger auf meinem Vorsatze zu beharren, und mich nicht als Seemann
zu erkennen zu geben. Freilich war das eine schwierige Sache, denn schon
damals hatte ich die Gewohnheit, die gebräuchlichen Schiffsredensarten
in das gewöhnliche Gespräch zu mischen; aber ich dachte, eine rechte
Aufmerksamkeit auf mich selbst könne mich wohl davon abhalten und mich
unerkannt unter fremder Flagge segeln lassen. Meine Mahlzeit war
verzehrt und mein Glas geleert. Ich hätte wohl noch gern getrunken, aber
ich durfte auf meinen Gulden los nicht zu durstig seyn. Der Seemann saß
einige Minuten lang mir gegenüber, ohne Anstalt zu machen, mich zu
entern. Er brummte ein Liedchen vor sich hin, trank dazwischen und ließ
dem bald geleerten Glase ein anderes folgen. »Ihr scheint kein Freund
vom Würfeln, Landsmann!« redete er mich endlich an. »Ich kann's Euch
nicht verdenken. Das verdammte Knöcheln kostet mich schon manchen
schönen Gulden und wenn ich den guten Humor nicht hätte, so hätte ich
mir aus Zorn über mein ewiges Unglück schon einmal ein Leid angethan.
Aber der gute Humor muß immer obenaufschwimmen, wie der Kork an der
Loglinie, und wenn auch einmal der Böse sein Spiel hat und bei dem
letzten Deut im Beutel nach der armen Seele angelt, so muß ihn doch der
gute Humor gleich vertreiben. Der Humor soll leben!« rief er, indem er
sein Glas erhob und nach mir hinhielt. »Aber, Blixen und Mordblei! Ihr
habt ja keinen nassen Tropfen mehr im Glase? Wirth,« schrie er diesem
zu: »noch ein Glas Genever für den Landsmann! Es geht auf meine
Rechnung. Wir müssen zusammen trinken.« Ich wollte seine Einladung
ablehnen, aber er ließ mir keine Ruhe, bis ich mit ihm anstieß und
trank. An dem andern Tische wurde es jetzt sehr laut. »Das sind rechte
Tölpel und einfältige Gierhälse,« sagte mein Mann, »die sich in die
Launen des Spiels gar nicht finden können! Sie meinen, sie müßten Alle
gewinnen und denken nicht daran, wer dann verlieren sollte. Blixen und
Mordblei! Ihr werdet gleich sehen, daß einer von ihnen nach dem
Krummmesser greift, um dem andern Galgen und Rad ins Gesicht zu
zeichnen. Meiner Seel! der tolle =Hann= ist schon dran. Hat dich denn
der Schwarze einmal wieder am Kabeltau --« Mit diesen Worten sprang er
auf und in das Getümmel hinein. Es ging auch wirklich jetzt an dem
Tische drunter und drüber, wie auf einem geenterten Schiffe. Fluchen
und Schreien, Schimpfreden und Drohungen mischten sich durcheinander.
Alle waren aufgesprungen, ihre Messer blitzten bei dem matten
Lampenscheine in den hoch erhobenen Händen und es schien, als ob es auf
Schlimmeres, als auf bloßen Schnittkampf abgesehen sey. Ich überlegte
eben noch, ob ich mich in das tolle Treiben hineinmengen solle, um ein
Unglück zu verhüten und Ruhe und Frieden herzustellen, als mein
Trinkgenosse, ein untersetzter starker Bursche, schon mitten unter ihnen
war, den Unheilsstifter zu Boden geworfen hatte und mit einer wahren
Commandostimme rief: »Hinaus mit dem Stänker! Er mag seine Hitze in der
Gosse abkühlen, oder, wenn ihn seine Besoffenheit in den Canal führt, so
ist's ihm auch gesund und das ungewaschene Maul wird ihm dann einmal
gewaschen!« -- »Richtig!« schrieen die andern. »Er muß hinaus: In den
Canal! Er hat so nichts, als Meuterei und Schlechtigkeit im Kopfe!« In
der Luft schwebend wurde mit Sturmeseile der brüllende =Hann= durch das
Zimmer, nach dem Ausgange getragen. Alle drängten sich nach der
Hausflur, auch der Wirth, der am Aergsten auf den Friedensstörer
schimpfte. Während sie den Rasenden aus dem Hause schafften, blieb ich
einige Augenblicke allein bei dem Mädchen, das bis jetzt seinen düstern
Winkel nicht verlassen hatte. Kaum war der lärmende Haufen draußen, so
kam das Mädchen in rascher und ängstlicher Bewegung aus der Ecke an
meinen Tisch hervor und flüsterte schnell und mit zitternder Stimme:
»Ihr habt meiner Warnung nicht geachtet oder sie überhört! Das
Schlimmste steht Euch bevor, wenn Euch nicht ein besonderer Glücksfall
rettet. Verrathet nichts, zeigt keinen Verdacht! Ihr befindet Euch unter
--« »Was hat die freche Dirne mit den Gästen heimlich zu verkehren?«
unterbrach sie plötzlich die Donnerstimme des rothhaarigen Wirthes, der
unter der Thüre erschien und rasch vortrat. »Deine Unverschämtheit wird
dich noch ins Spinnhaus bringen, alle Ermahnungen sind umsonst und bei
deiner Mutter Bruder hat sich das Unglück ins Haus geladen, als er dich
aufnahm.« Das Mädchen schlich still nach seinem Winkel zurück. »Ihr
verfahrt zu hart mit dem Kinde!« sagte ich, so ruhig ich vermochte. »Sie
war blos für die Wirthschaft bedacht und fragte mich, ob ich nichts
bedürfe?« -- »Ei, was!« entgegnete mürrisch der Rothkopf. »Ich bin des
Mädchens Vormund und muß wissen, was an ihr ist und wie ich mit ihr
umzugehen habe. Hinauf mit dir, auf deine Kammer!« rief er ihr jetzt
heftig und befehlend zu: »Ich kann jetzt meine Gäste schon selbst
versehen und bedarf deiner nicht mehr.« Das Mädchen schritt zögernd nach
einer Hinterthür des Zimmers. »Soll ich der Dirne Beine machen?« schrie
der erboßte Corsar jetzt voll Wuth und warf ein Glas nach ihr, das dicht
neben ihrem Kopfe vorbei an die Wand fuhr und in tausend Stücke
zersplitterte. Sie entfloh so schnell sie konnte, durch die Hinterthüre.
Ich war aufgesprungen und wollte eben dem alten Bösewicht an den Kragen,
als lärmend und lachend die wilde Rotte ins Zimmer zurückstürmte. Ich
bedachte, daß er unter ihnen gewiß Beistand und Hülfe finden würde, daß
ein einzelnes Schiff, wenn es auch noch so gut getakelt und bewaffnet
sey, nichts gegen eine ganze Flotte vermöge, und verbiß meinen Grimm.
Die Worte des Mädchens und ihr wunderlicher Sinn gingen mir im Kopfe
herum. Dennoch dachte ich mehr an das hübsche Ding selbst, als an ihre
Rede. Ich hatte mir aus vielen schlimmen Lagen meines Lebens immer so
glücklich herausgeholfen, und war mir denn doch auch meiner Kraft
hinlänglich bewußt, daß mich die Ahnung einer Gefahr, die ich nicht
einmal einsah und erkannte, nicht so leicht in Schreck versetzen konnte.
Ich nahm mir nur fester vor, meinen Stand und meinen Namen nicht zu
verrathen. Mochte auch irgend ein Bedrängniß für mich entstehen, so,
glaubte ich, müsse am Ende meine Bestallung als Hochbootsmann auf der
Flotte der hochmögenden Heern Generalstaaten mich aus jeder Verlegenheit
reißen können. So vergaß ich bald der Warnung des Mädchens; aber ihr
Bild blieb in meiner Seele und ich konnte nicht müde werden, da das
hübsche Affengesicht zu beschauen.«

»Grober Mann!« rief =Beckje= mit zorniger Miene, indem sie das Glas, das
vor ihm stand, wegnahm. »Zur Strafe dafür sollst du auch keinen Tropfen
Genever mehr bekommen. Ihr werdet schon sehen,« fuhr sie dann, zu
=Clelia= und =Cornelius= gewendet, voll Eifer fort, »wozu das
Affengesicht nütze war. =Er= säße nicht hier vor Euch, als Capitän der
=Syrene= und als ein gemachter Mann, wenn das Affengesicht ihm nicht aus
der Patsche, in die er sich thörigt hineinbegeben, geholfen hätte!«

»Ruhig, =Beckje=!« erwiederte lachend der Capitän und reichte der
Grollenden treuherzig die Hand. »Es war nicht böse gemeint und was ich
unter dem hübschen Affengesicht verstanden habe, das machte wahrlich der
heidnischen Schönheitsgöttin =Venus= keine Schande. Doch weiter im Text,
sagt der Domine; ich sage: weiter in der Fahrt! Es wurde wieder ruhiger
im Zimmer. Wenige setzten sich auf's Neue nieder. Die meisten legten
sich auf den Bänken und auf den Fußboden vor Anker, um hier nach wenigen
Augenblicken in einen tiefen Schlaf zu fallen. Der Seemann, der vor dem
Tumulte mir gegenüber gesessen, nahm seinen Platz wieder ein. »Sie haben
den wilden =Hann= gekielholt im Canale!« sagte er lachend. »Es war dem
Burschen gesund. Das Wasser machte ihn in einem Augenblicke wieder
nüchtern; er schwamm durch, wie ein Delphin, und schickte uns von der
andern Seite eine volle Lage von Verwünschungen zu. Aber, Blixen!« fuhr
er auf: »wir sitzen wieder fest auf der Sandbank im leeren Glase. Schenk
ein, Wirth! Mir und dem Landsmanne! Ich hoffe, du hast noch ein
tüchtiges Stück Kreide für den =Claas=!« Mit großer Geschäftigkeit war
der Rothkopf bei der Hand und füllte unsere Gläser. Ich ließ es
geschehen, denn der Trunk fing an mir zu munden und ich dachte: morgen,
wenn du dein Papier zu Geld gemacht hast, kannst du es dem lockern
Seehunde zehnfach wiedergeben. Er trank mir zu auf das Wohlergehn aller
Seeleute, und ich that ihm mit so vieler Lust und Fröhlichkeit Bescheid,
daß er mich mit den listigen Augen groß ansah und ich wohl merkte, er
wittere Seeluft. Bald aber schien dieser Gedanke wieder ganz von ihm
gewichen, er behandelte mich als eine Landratte, spottete über das
ewige, langweilige Werkeltagsleben in Städten und Dörfern und fing nun
an, auf eine vertrauliche Weise mir von dem Treiben auf der See zu
sprechen, mir die Lust und das Wohlergehn auf den Schiffen gar herrlich
auszumalen, die Merkwürdigkeiten von Ost- und Westindien zu preisen, mit
solcher Uebertreibung und Unwahrheit, daß ich, der das Alles vielleicht
besser kannte, als er, unwillkührlich vor mich hinlachen mußte. Ich
merkte nun, daß er mich anwerben, daß er einen Rekruten für irgend einen
Ost- oder Westindienfahrer aus mir machen wollte. Jetzt glaubte ich auch
die Warnung des Mädchens zu verstehen. »Damit hat es gute Wege!« dachte
ich: »der =Jansen= weiß auch, wie das Salzwasser in der Bay von
=Batavia= schmeckt und sieht keine Piratenflagge für die Farbe der
Ehrlichkeit an.« Mein lächelndes Gesicht mochte den Burschen glauben
machen, daß mir seine Reden gefielen und ich blindlings in das Netz
segle, das er so lockend vor mir ausgebreitet hatte. Er rückte
zutraulich näher. Seine Zunge wurde noch geschwätziger. Er plapperte,
wie es die Werber zu machen pflegen, gleich einem Papagey in einem fort.
Hundert lustige Seemannsstückchen kamen an den Tag, dazwischen manche
Geschichte von einem und dem andern, der als bloßer Matrose nach den
Indien gegangen und als ein reicher Bewindhebber zurückgekehrt sey. Alle
diese Künste waren mir bekannt und belustigten mich sehr. Er ließ noch
mehreremale einschenken und ich trank mit ihm, denn vor seinem Genever
brauchte ich mich nicht zu fürchten, das wußte ich aus vielfältigen
Erfahrungen, in denen ich auf ganz andere Proben gesetzt worden war und
See gehalten hatte. »Gelt!« sagte endlich, nachdem er eine gar lustige
Geschichte erzählt, über die ich sehr lachen mußte, der Bursche mit
einer verschmitzten Miene zu mir: »Das Leben gefällt Euch und Ihr
möchtet es auch gern so haben? Nun das kann geschehen und an einem
hübschen Handgeld soll es auch nicht fehlen! So ein zwanzig Gulden etwa,
dächte ich, wären Euere Sache?« Jetzt stieg mir der Aerger in den Hals.
Einem Kerl, wie mir, lumpige zwanzig Gulden zu bieten! Ich vergaß meinen
Vorsatz, ich nahm die falsche Flagge ab, ließ lustig das Seemannswimpel
wehen und rief: »Halsen und Schoten, was bildet Ihr Euch ein? Der Sturm
aus dem Brandweinglase hat Euch das Takelwerk verwirrt, daß Ihr einem
Manne, der schon als zwölfjähriger Junge die blauen Berge von =Sumatra=
gesehen und in den Riffen von =Ceilan= Schiffbruch gelitten hat, einen
so niederträchtigen Vorschlag macht. Geht in Euere Hangematte und
schlaft den Rausch aus! Morgen könnt Ihr mit mir trinken zur Revange,
aber bringt gescheidtere Gedanken mit.« Ich stand auf und sah auf meinen
Mann, der auch aufgesprungen war, herab wie der Goliath auf den David.
Er sagte nichts. Seine Blicke flogen aber unruhig über seine Cameraden
hin, als wolle er untersuchen, ob im Falle der Noth ihr Beistand ihn
unterstützen werde. Sie lagen jetzt sämmtlich in einem so tiefen
Brandweinschlafe, daß ich bei der geringsten verdächtigen Bewegung des
Meisters =Claas=, ihn zehnmal hätte kalt machen können, ehe sie einmal
zur Besinnung gekommen wären. Er mochte das selbst einsehen und setzte
sich ruhig wieder an seinen Platz. Ich rief jetzt dem Wirthe, daß er mir
mein Schlafzimmer zeigen solle. »Ey, Ihr wollt allein schlafen?« sagte
er gedehnt. »Nun dann müßt Ihr auch vorlieb nehmen mit dem, was Ihr
bekommt, denn auf Schlafgäste bin ich gerade nicht eingerichtet.« Der
Rothkopf zündete eine Lampe an, ich wünschte dem Meister =Claas= lachend
eine gute Nacht, die er nicht erwiederte, und folgte dann meinem Führer
über einen langen Hof, zu einem düstern Hintergebäude. Auf diesem Wege
bemerkte ich zu meinem Erstaunen, daß ich nicht ganz fest auf den Beinen
sey. Eine wunderliche Müdigkeit, wie ich sie noch nie empfunden, lag
lähmend in allen meinen Gliedern. Wie betäubt stieg ich hinter dem
Wirthe, der sich öfter nach mir umsah, eine schmale Treppe hinauf, die
kein Ende nehmen wollte. »Sind wir bald an Bord?« fragte ich endlich,
als wir unter dem Dache angekommen waren, das, schräg und niedrig
ablaufend, mich am Geradestehn verhinderte. »Hier ist es;« antwortete
der Rothkopf. Er stieß zugleich eine Thüre auf, durch die ich mich
gebückt in eine kleine Kammer hineinbugsierte. Ich konnte nichts mehr
sehen, ich konnte das Gemach nicht untersuchen; meine Augen fielen zu
und ich sank angekleidet, wie ich war, indem das letzte Restchen von
Bewußtseyn schwand und ich noch, wie aus weiter Ferne, das höhnische
Gelächter des Rothkopfs zu vernehmen glaubte, auf die Lagerstatt nieder.
Wie lange ich so, gleichsam in der Windstille des Todes als ein
unbrauchbares Wrak, gelegen, weiß ich nicht. Als ich anfing, wieder zu
mir zu kommen, fühlte ich einen heftigen Schmerz am Munde, an den Händen
und den Füßen. Es war mir noch so wüst im Mastkorbe, daß ich mich mit
Gewalt zusammen nehmen mußte, um einen vernünftigen Gedanken zu fassen.
Sturm und Wetter! Denkt Euch, was die Hunde gethan hatten? Ein scharfer
Knebel saß mir im Munde, meine Hände waren mit einschneidenden Stricken
auf den Rücken gebunden, meine Füße ebenso an die Pfeiler der
Bettstelle befestigt, meine Brust mit einem ledernen Riemen an diese
festgeschnürt. Ich war keiner Bewegung mächtig. Nur den Kopf konnte ich
mit Mühe etwas heben und ihn vorwärts beugen. Das konnte mir nicht
während eines gewöhnlichen Schlafes, nicht einmal in einem tüchtigen
Rausche geschehen seyn, ohne daß ich erwacht wäre. Man mußte mir etwas
Giftiges, Betäubendes in den Brandwein gethan haben. Durch eine Dachluke
hoch über mir fiel ein Lichtstrahl herein. Indem ich den Kopf mühesam
vordrückte, sah ich bei dem matten Dämmerlichte, das in der Spelunke
herrschte, daß man mir meine guten Kleider ausgezogen und mich mit
Lumpen bedeckt hatte. Mein Kopf that mir wehe. Vergebens strengte ich
mich an, noch mehr über meinen Zustand nachzudenken, über die
Veranlassungen dazu, über den gestrigen Abend, über die Menschen, die
mich in diese Lage versetzt, und über die Absicht, die sie mit mir haben
möchten. Es legte sich wieder, wie Blei, auf meine Glieder, im Kopfe
wurde es mir ganz dumm und ohne einzuschlafen, die offenen Augen immer
nach der Luke im Dache gerichtet, war es mir doch immer, als läge ich in
einem schweren Traume. Da hörte ich plötzlich ein Geräusch, das mit
einemmale, wie ein Blitz, in mein Gehirn fiel und dieses erhellte. Es
war ein heiseres, höhnisches Gelächter aus einem Winkel der Kammer. Es
schien mir nicht unbekannt, ich mußte ein ähnliches schon gehört haben.
Ich versuchte zu sprechen, aber ich brachte nur einen kaum hörbaren,
dumpfen Laut hervor. Da wurde das Lachen lauter und derjenige, von dem
es kam, trat so dicht an mich heran, daß ich ihn sehen konnte. Klippen
und Sandbank! Es war kein anderer, als Meister =Claas=, der mit
untergeschlagenen Armen neben mir stand, mit den scharf blickenden Augen
mich von oben bis unten maß und spöttisch grinsend sagte: »Warum habt
Ihr doch die zwanzig Gulden Handgeld nicht genommen? Es wäre immer eine
gute Ladung gewesen für Euere Tasche, die nun leer ist und wenig
Hoffnung hat, bald wieder befrachtet zu werden. Jetzt liegt Ihr hier so
lange fest, bis ich Euch flott mache zur lustigen Fahrt. Oder habt Ihr
Euch vielleicht besonnen, sind Euch bessere Gedanken im Schlafe
gekommen, als im Wachen? Ich will's einmal darauf wagen und Euch das
Zungenband lösen. Aber das sage ich Euch, kommt ein lauter Ruf, ein
Schrei, ein Wort über Euere Lippen, das man auch außerhalb dieser Coje
vernehmen könnte, so ist's um Euer Leben geschehen, und Ihr athmet nie
wieder weder See- noch Landluft!« Bei diesen Worten schwang er drohend
in der einen Hand sein Krummmesser, während die andere den Knebel
lös'te. Ich mußte mit mir geschehen lassen, was er thun wollte, ich lag
da, wie ein Stück Holz. »Nun sprecht, bester Freund und Landsmann! Wollt
Ihr jetzt freiwillig die Flagge streichen und mein lieber Camerad seyn
auf dem Schiffe, zu dem ich Euch führe, so soll's immer noch auf die
zwanzig Gulden nicht ankommen; besteht Ihr aber auf Euerem halsstarrigen
Sinn, so bekommt Ihr keinen rothen Deut und bleibt angeschnürt und
geknebelt, bis wir die Anker lichten und Ihr eingepökelt werdet in den
untern Raum, den Ihr dann erst auf offener See verlaßt.« Meine Zunge
klebte vor innerer Hitze am Gaumen fest und war durch den Zwang, den man
ihr angethan, wie gelähmt. Der Bösewicht bemerkte das. Er langte einen
Krug Wasser herbei, hielt ihn mir an die Lippen und sagte: »Trinkt
einmal! das soll nicht gesagt seyn, daß =Claas= seinen künftigen
Cameraden verdursten lasse. Ich weiß es aus hundert Erfahrungen mit
hundert ähnlichen Thoren, wie Ihr! Das Opiumgebräu macht verdammt
trocken im Halse.« Ich trank in langen, durstigen Zügen. Es war, als
brenne ein höllisches, unauslöschliches Feuer in mir. Endlich gewann ich
die Rede wieder. Die Wuth lag glühend in meiner Brust, wie die Lunte an
einem Vierundzwanzigpfünder, und ich konnte sie kaum zurückhalten vom
heftigsten Ausbruche. Aber ich mäßigte mich, denn ich sah ein, daß ich
in der Gewalt des Schurken und ihm auf Gnade und Ungnade preißgegeben
war. »Ihr mögt Euch freilich einbilden,« sagte ich, »daß Ihr ein rechtes
Kunststück begangen habt mit Euerer gewaltthätigen Werbung; aber es
nutzt Euch nichts, denn Ihr müßt wissen, daß ich schon seit mehreren
Jahren Hochbootsmann bin auf dem Linienschiffe der hochmögenden Herrn
Generalstaaten, auf der =Medusa=. Darum gebt mich nur wieder los und ich
verspreche Euch, von der ganzen Geschichte nichts verlautbaren zu
lassen!« -- »Wir wissen Alles, Freundchen!« erwiederte der Bube und
lächelte noch hämischer, als bisher. »Wir haben ja deine Bestallung und
deine Wechselbriefe gefunden in dem Landratzenfelle, das uns zur guten
Prise geworden. Die Bestallung habe ich ins Feuer geworfen und die
Wechsel werde ich einlösen, wenn du sie unterschrieben haben wirst, wozu
du seiner Zeit schon genöthigt werden sollst. Sieh, Brüderchen, solche
Leute, wie dich, können die Herrn Bewindhebber auf den Kapern gerade
brauchen. Was kümmert es uns, ob du auf der =Medusa= für einen Deserteur
und Schuft gehalten wirst? ob dein Bild am Galgen neben den Landstraßen
mit einer verständlichen Unterschrift den Vorübergehenden sagt: das ist
der entlaufene Hochbootsmann =Jansen=; wer ihn wieder einbringt, erhält
eine gute Belohnung? Die Hauptsache ist: du kennst den Dienst, es fehlt
dir nicht an Kraft und Gewandtheit und, wenn du deine Schuldigkeit thust
gegen die spanischen =Don's= und französischen =Mosje's=, so kannst du
es über Jahr und Tag wieder zum Hochbootsmann auf einem ehrbaren
Kaperschiffe bringen. Gelt, Brüderchen, die Aussicht ist so übel nicht
und wenn wir brav spanische Gallionen aufbringen, so bekommt auch die
Mannschaft ihr gutes Theil davon. Sprich dein freiwilliges =Ja=, bester
Camerad; mache dich los von dem lecken Schiffe, das doch die See nicht
mehr halten kann! Lichte die Anker mit deinem Herzensfreunde =Claas=,
der es am Besten mit dir meint auf der ganzen Welt und dich liebt, wie
einen spanischen Brasilienfahrer, dem er gut Gold abzuzwicken gedenkt,
oder einen vollen Geldbeutel, der immer sein bester Helfer in der Noth
war.« -- Der Hohn und die Niederträchtigkeit des Buben brachten mich
auf's Aeußerste. Ich konnte mich nicht mehr halten. Indem ich vergebens
mit einer heftigen Bewegung mich von meinen Banden loszureißen suchte,
rief ich: »Verdammter Schurke und --« »=Seelenkoper=!« fiel der Kerl mit
der größten Kaltblütigkeit ein, während er mir den scharfen Knebel so
heftig in den Mund zurückstieß, daß mir das Blut aus Lippen und Zunge
drang. »Ich sehe wohl,« fuhr er eben so gelassen fort, »daß noch kein
vernünftiges Wort mit Euch zu sprechen ist. Ich hoffe aber, daß Euch die
Einsamkeit, Euere angenehme Lage, und Hunger und Durst bis heute Abend
geschmeidiger machen werden. Wir haben sonst auch noch andere Mittelchen
im Rückhalte, denen die Halsstarrigsten nicht widerstehen konnten. Was
haltet Ihr von der Peitsche? Ich kann Euch auf Seemannsparole
versichern, daß einer, der sie gut zu führen versteht, in Zeit von einer
Viertelstunde einem Andern die Schreibkunst beibrachte, so daß dieser
schön und deutlich seinen Namen unterzeichnete, wohin man wollte und was
er bisher allen freundlichen Bitten und Ermahnungen verweigert. Merkt
Euch das, Meister =Jansen=! Ich könnte der eine und Ihr könntet der
andere seyn, wenn Ihr nicht heute Abends Euern Trotz in den untern Raum
einsperrt. Bis dahin gehabt Euch wohl!« -- Der Kerl ging und ich hörte,
wie er von Außen einen schweren Riegel vor die Thüre schob. Ich schäumte
vor Wuth. Jetzt erst waren die Reden und Signale des Mädchens mir
verständlich geworden, die ich früher viel zu leichthin gedeutet hatte.
Die =Seelenverkäufer= und unter diesen die schändlichsten und
grausamsten, die Mäkler der Kaperschiffe, hielten mich in ihren Klauen.
Ich wußte, daß die Obrigkeiten bei diesem abscheulichen Menschenhandel
ein Auge zudrückten, wenn er auf Rechnung der ostindischen Compagnie
geführt wurde. Dieser hätte es sonst an Rekruten für ihre Flotten, für
die Besatzungen in =Batavia= und den übrigen Colonieen gefehlt. Der
große Vortheil, den die Compagnie dem Staate brachte, verpflichtete
diesen, sie auf alle Weise zu unterstützen, wenn es auch oft wider Recht
und Billigkeit war. Desto strenger wurde die =Seelenkoperei= der
Privatleute, derjenigen, die sich einen Kaperbrief auf eigenen Gewinn
und Verlust gelös't hatten, bestraft. Am Galgen fanden sie gewöhnlich
den Lohn ihrer Verwegenheit, mit den Werbern der Compagnieherrn nach
derselben Richtung des Compasses steuern zu wollen. Deshalb trieben sie
ihr Geschäft immer in der tiefsten Verborgenheit, in Schenken, die außer
ihren Handlangern niemand besuchte und in denen oft, wie man sich
erzählte, diejenigen, die sich allzustarrköpfig gezeigt, einen
gewaltsamen Tod gefunden hatten, damit sie nie zu Verräthern an ihren
bübischen Bedrängern werden möchten. Das Alles wußte ich. Mit hundert
Geschichten aus solchen Häusern, eine immer schrecklicher, als die
andere, hatten wir uns oft während der Abende auf den Schiffen
unterhalten. Wen einmal sein Unglück in eine solche Mordhöle geführt
hatte, der kam nur als ein Sklav des Kapercapitäns oder als eine Leiche
wieder heraus. Eins dieser zwei Loose erwartete nun auch mich und dabei
die quälende Aussicht, von meinen Vorgesetzten, von meinen Cameraden auf
der =Medusa= für einen Ausreißer gehalten, für ehrlos erklärt zu werden.
-- Mein Kopf brannte mir wie im hitzigen Fieber. Ich wußte mir nicht zu
rathen und zu helfen. So lag ich mehrere Stunden lang in einem dumpfen
Hinbrüten, in dem Zustande eines Schiffes, das zwischen Klippen und
Sandbänke gerathen ist und weder vor noch hinter sich kann. Dennoch
brannte, wie eine Kohle unter der Asche, der Entschluß im tiefsten
Grunde meiner Seele, lieber den Tod zu leiden, als meine Schande zu
überleben und den Schurken zu Willen zu seyn. Hunger und Durst fingen
an, sich zu melden. Bald mußten sie zu peinigenden Gefühlen werden und
ich nahm mir fest vor, diesen zu trotzen, wie allen Drohungen, allen
Grausamkeiten der nichtswürdigen Seelenkoper. Mein einziger Trost war
die Helligkeit, die durch die Dachlucke in meinen Raum fiel. Ich konnte
ein Stückchen blauen Himmel sehen, ich konnte den Zug der Wölkchen
erkennen, die in weißen Nebelflocken drüber hin flogen. Gedankenlos
starrte ich immer nach diesem einen Punkte. Da verdunkelte sich zu
meinem Schrecken plötzlich auch dieser; aber eine Stimme, in der ich den
Laut eines Engels zu vernehmen glaubte, rief mich nun bei Namen und
mein Schreck verwandelte sich mit einemmale in die lebhafteste Freude,
denn wer, meint Ihr, sah aus der Lucke mitleidig und freundlich auf mich
herab, wie ein Sternlein vom Himmel? Wiederum niemand anders, als eben
das Affengesichtchen da!«

»Das ist zu arg!« rief jetzt =Beckje= ernstlich böse werdend, sprang auf
und lief nach der Thüre hin. Aber mit drei mächtigen Schritten hatte sie
=Jansen= wieder eingeholt, drückte ihr einen derben Kuß auf die vollen
Purpurlippen und führte sie zu ihrem Sitze zurück, indem er schmeichelnd
sprach: »Habe ich dich denn nicht einen Engel genannt und ist denn ein
Engel, ernst und wohl gemeint, nicht weit mehr, als ein
Affengesichtchen, das ich dir im Scherz auf deinen lieben Hals lüge? Ich
will dich aber gern auch die Wahrheit hören lassen und da bist du, so
gewiß ein Orlogschiff keine Calebasse ist! mein Schutzengel, meine
Retterin aus Schimpf und Schande und Todesgefahr gewesen.«

Befriedigt nahm die Capitänsfrau ihren Platz am Tische wieder ein und
=Jansen= fuhr, während der Cojenbub Orangen und andere Früchte
aufstellte, folgender Gestalt in seiner Erzählung fort:

»Das liebe Gesichtchen da -- ich will sie durch keinen Beisatz weder
ärgern, noch stolz machen -- trug nicht die Wimpel der Ruhe und Freude
so in seinen Zügen, wie jetzt. Es schien ein ganz anderes =Beckje=, von
Furcht, Angst und Kummer bewegt und entstellt. »Ach, Ihr armer Mann,«
flüsterte sie herab, doch deutlich genug, daß ich es vernehmen konnte,
»warum habt Ihr nicht meiner Warnung geachtet und seyd nicht bei dem
ersten Schritte in dieses Haus des Verbrechens wieder umgewendet und
geflohen, so schnell Euch Euere Füße tragen mochten? Aber das ist nun zu
spät, der Jammer ist unnütz und wir müssen darauf sinnen, ob Hülfe
möglich und wie sie zu bewerkstelligen ist? Ich bin aus meinem
Kämmerlein über das Dach herübergeklettert, denn ich ahnete wohl, daß
sie Euch in diese Mordkammer geschleppt hätten, wo schon manches
Herzblut geflossen seyn mag, denn ich sah den abscheulichen =Claas=
herabsteigen. O, wie haben sie Euch gebunden und geknebelt, die
Schändlichen! Jetzt sehe ich's erst, da mein Auge sich an die Dämmerung
gewöhnt hat. Doch wartet einen Augenblick. Ich komme gleich wieder und,
ist meine Hand nicht ganz ungeschickt, so sollen Euere Bande bald
gelös't seyn.« Sie verschwand und es war mir, als erlösche das Sanct
Elmo's-Feuer auf der Mastspitze meiner Lebensfregatte. Ich sah wieder in
den blauen Himmel. Ich grübelte vergebens darüber nach, wie sie es
anfangen wolle, aus dieser Höhe und Entfernung meinen Mund von dem
Knebel, die Brust von dem pressenden Riemen, Hände und Füße, von den
Stricken zu befreien. Nach einigen Minuten, die mich eine Ewigkeit
dünkten, zeigte sich wieder das liebe Gesicht in der Lucke. Ich athmete
neu, ein Vorgefühl der Freiheit durchströmte mich schon erquickend. Das
herrliche Mädchen streckte einen Arm durch die Oeffnung. Sie hielt in
der Hand ein weißes Papier, das mir in jenem Augenblicke wie eine
Freuden- und Friedensflagge vorkam. »Gebt Acht!« sagte sie. »In dieses
Papier habe ich ein Messer gewickelt. Wenn es mir nur gelingt, es so
auf Euer Lager zu werfen, daß Ihr es mit den Fingern greifen könnt, so
ist Euch vor der Hand geholfen und wir wollen dann das Weitere bereden.«
Sie hob den Arm zum Wurfe. Ich betete so inbrünstig, als wäre ich auf
einem Schiffe, das eben der Sturm in den Abgrund schleudern wolle. Das
Messer entfuhr ihrer Hand und Derjenige, der im Sturm und Wetter die
Schiffe über der Tiefe erhält und die Wogen wieder ebnet, lenkte den
Wurf: es fiel in die Bettstelle, dicht neben meinem Leibe nieder.«

=Jansen= schwieg einige Augenblicke. Man sah, daß diese Erinnerung ihn
mit einem feierlichen Ernste erfüllte. Die Thränen standen ihm in den
Augen. Niemand störte die Stille. =Clelia= war blaß geworden und ihr
ganzes Wesen zeigte, wie sehr sie im Innern bewegt sey. Nach einer Pause
reichte der Capitän seiner Frau treuherzig die Rechte über den Tisch
hinüber, die sie, ihn offen und freudig anblickend, nahm. Dann sprach er
weiter:

»Lag auch das Messer, das mich von der Klippe, auf der ich fest saß, los
machen konnte, an meiner Seite, so kostete es doch unsägliche Mühe,
unsägliche Anstrengungen des hart zusammengeschnürten und gebundenen
Körpers, ehe es mir gelang, erst mit der Spitze eines Fingers es näher
zu bringen, dann es mit mehreren zu fassen und endlich mit der ganzen
Hand zu ergreifen. Jetzt fühlte ich erst, daß die Hände von dem starken
Zusammenschnüren, dicht über den Gelenken, wie taub und empfindungslos
geworden waren. Nach und nach wurden sie durch die fortgesetzten
Bewegungen der Finger, die erst matt, dann immer kräftiger an der
Trennung des nächsten Strickes arbeiteten, wieder belebt. Ich kann Euch
sagen, es war die härteste Arbeit meines Lebens. Ich habe in den
wildesten Stürmen der indischen Meere das oberste Segel gehißt und
wieder gelöst, in der größten Noth Raan und Maste gekappt, und wer die
Sache kennt, weiß, daß sie kein Kinderspiel ist, daß in solchen
Augenblicken das Leben nicht einen Deut gilt und der Tod schon den Anker
nach der armen Seele auswirft! Aber ich habe in diesen Stürmen nicht
die quälende Angst empfunden, wie unter dem Sägen an dem Stricke. Wenn
die Worte, welche das Mädchen von oben herab zu mir sprach, mich nicht
ermuntert und gestärkt hätten, ich hätte vielleicht der Abspannung, die
sich meiner zu bemächtigen drohete, erlegen und -- die Bluthunde hätten
zu ihrer eigenen Sicherheit ihr mörderisches Werk zu Ende bringen
müssen. Aber endlich, endlich -- es war, als bräche die Sonne im Sturme
hervor -- endlich sprang das hartgespannte Band mit einem Geräusch, das
selbst das Mädchen vernahm, und ein: »=Gottlob!=« in das ich von Herzen
einstimmte, bebte über ihre Lippen. Nun ich einmal die eine Hand los
hatte, war das Befreiungswerk bald vollendet. Stricke, Riemen und der
schändliche Knebel lagen neben mir am Boden. Ich sprang auf, ich dehnte
die entfesselten Glieder, ein lautes langes: »=Ach!=« in dem sich die
gepreßte Brust Luft machte, war der erste Ton, der aus meinem Munde
drang. Ich empfand Schmerzen und Abspannung in allen Theilen meines
Körpers. Die gepeinigte Lage, in der ich mehrere Stunden lang verweilen
müssen, hatte vielleicht ebenso viel Theil daran, als das betäubende
Getränk, das mich meiner Besinnung beraubt und fühllos hingestreckt
hatte, wie einen Klotz. Ich schritt, so rasch ich konnte, einigemale in
dem kleinen Gemache auf und nieder, um mich in dem Gebrauche meiner
Glieder zu üben. Dann blieb ich stehen, sah zu dem Mädchen hinauf und
sagte: »Ich weiß Euch nicht groß mit Worten zu danken, aber man soll
mich wie einen schäbigen Hund an der Raa-Noke aufhängen, wenn's mir
nicht jetzt in der Seele ist, wie an dem Tage, wo ich meinem Vater selig
die Augen zudrückte und sie ihn dann hinabließen in das weite Grab des
Meeres, aber diesesmal nicht vor innerem Jammer, sondern vor
Dankbarkeit! Jungfer, ich will nicht viel sprechen, aber bin ich
glücklich heraus aus diesem Teufelsloche, so müßt Ihr meine Frau werden
oder ich thue mir ein Leid an.« -- So unbehaglich der Sitz des Mädchens
auf dem schrägablaufenden Dache seyn, so sehr ihr meine noch immer
nicht überstandene Gefahr am Herzen liegen mochte, so mußte sie doch
laut auflachen bei dieser seltsamen Werbung. »Ach, denkt an andere
Dinge!« sagte sie dann wiederum in einem ängstlichen Tone! »Es liegt
noch Viel zwischen diesem Augenblicke und dem, wo Ihr wieder frei in
Gottes freier Luft wandelt und Euere Schritte hinlenken könnt, wohin Ihr
wollt. Auf Nahrungsmittel und eine Stärkung, die Ihr ohne Besorgniß
genießen könnt, habe ich mich vorgesehen. Es ist freilich nichts
Besonderes, aber ich bringe, was ich heimlich bei Seite schaffen
konnte.« Ein Paket fiel von oben herab; ich fing es mit meinen Händen
auf. Meinen Dank glaubte ich der Geberin nicht besser beweisen zu
können, als durch die schleunigste Untersuchung und Verwendung seines
Inhalts. Die guten Nahrungsmittel und vor Allem ein reiner
unverfälschter Genever, gaben mir meine Kräfte zurück. Während ich noch
mit Essen und Trinken beschäftigt war, rief ich wiederum frohen Muthes
zu dem Mädchen hinauf: »Jetzt laß sie kommen! Sie sollen fühlen, daß
der Hochbootsmann der =Medusa= wieder von Stapel gelassen ist und mit
gutem Winde fährt. Ihrer sechs fürchte ich nicht.« -- »Vertraut nicht zu
Viel auf Euere Kraft!« wandte das Mädchen im Tone der Besorgniß ein.
»Gelänge es Euch auch die Treppe hinab, über den Hof und in den Vorplatz
des Hauses zu kommen, so würdet Ihr doch da immer eine Menge
entschlossener und bewaffneter Bösewichter finden, deren vereinten
Anstrengungen Ihr unterliegen müßtet. Nennt mir lieber irgend einen
Bekannten, den Ihr in der Stadt habt und der leicht und gleich zu finden
ist, denn jeder Augenblick Verzugs kann Euch Gefahr bringen. Ich will
Alles thun, Euch zu retten. Ich will -- doch Ihr werdet schon sehen, was
zu Euerer Befreiung geschieht, wenn mir nur irgend Jemand beisteht, der
hier bekannt ist in der Stadt, denn ich selbst bin gänzlich fremd. Aber
zögert nicht: nennt mir Euern Freund!« -- Ich mußte mir gestehen, daß
das Mädchen Recht hatte. Ich besann mich hin und her. Meine Verwandten
konnten mir zu nichts dienen, denn ich wußte ja kaum mehr von ihnen,
als ihre Namen: nicht einmal ihre Wohnung. Da fiel mir der Jude =Abraham
Eleazar=, auf der Jüdenkracht zunächst der Synagoge, ein. Ihn nannte ich
dem Mädchen, sagte ihr zugleich, welchen Dienst ich ihm am gestrigen
Abende geleistet hätte und daß er die einzige Person in der großen Stadt
=Amsterdam= sey, von der ich, wenn auch nur mit weniger
Wahrscheinlichkeit, einen Beistand in diesem Nothfalle erwarten könne.
»Er ist ein Jude,« versetzte das Mädchen, »aber er ist auch ein Mensch.
Kann ich nur glücklich aus dem Sünderhause entwischen, so bin ich in
einer Viertelstunde bei ihm und ich lasse ihm keine Ruhe, bis er
mitkommt zur Hülfe. Lebt wohl bis dahin, aber unternehmt nichts, als im
dringendsten Falle zu Euerer Vertheidigung!« Ich hörte sie am Dache
hinabklettern. Ich lauschte auf das Geräusch, so lange es zu vernehmen
war und als es nun gänzlich verhallte, kam ich mir vor, wie ein
Ausgesetzter auf einer wüsten Insel. Ich fühlte mich in einer großen
Aufregung, aber ich erkannte auch, daß ich aller meiner Kräfte wieder
mächtig sey und nahm mir vor, sie, wenn es Noth thue, mit Aufsetzung
aller Segel zu gebrauchen. Meine Blicke fielen auf das Messer, das noch
auf dem Bette lag. Ich nahm es in die Hand: es hatte eine gute scharfe
Klinge. »Messer gegen Messer,« dachte ich, »wenn es so kommt!« und
steckte es in den Gürtel, zu dem ich einen der Stricke machte, indem ich
mir ihn um den Leib knüpfte. Die Schändlichkeit des rothköpfigen Wirthes
und des heuchlerischen =Claas= ging mir in einemfort im Kopfe herum und
erfüllte mich mit Ingrimm. Ich war auf ihren Eintritt gefaßt, ich wollte
über sie herfallen, wie der Sturm nach der Windstille, sie unschädlich
machen und mein Heil weiter suchen, wenn nicht schon früher meine
Befreiung durch das Mädchen erfolgen würde. Wie das Alles geschehen
sollte, mußte ich dem Augenblicke überlassen. Ich schritt in unruhiger
Erwartung das kleine Gemach auf und nieder. Ich untersuchte auch die
Thüre und die Seitenwände; jene bestand aus starkem, unerschütterlichem
Eichenholze, diese waren gemauert und hielten das Dach in einer Höhe,
die ich nicht erreichen konnte. Die Bettstelle brach unter meinem
Versuche, sie von der Stelle zu rücken, zusammen. Sie war in dem Boden
befestigt gewesen und mit ihr wurde meine Hoffnung, sie als Werkzeug zu
einer möglichen Flucht durch eine Oeffnung in dem Dache, die ich
freilich erst hätte brechen müssen, zu gebrauchen, vernichtet. Ich blieb
also der Erwartung auf meine Freunde oder meine Feinde überlassen. Die
Spannung, in der ich wiederum einige Stunden hinbrachte, kann ich Euch
nicht beschreiben. Der Abend kam; von dem Mädchen hörte und sah ich
nichts. Kein Signal, kein Geräusch, das Hülfe verkündigte! Jeden
Augenblick konnte ich jetzt die verdammten Seelenkoper eintreten sehen.
Ich befand mich in einer Aufregung meiner Kräfte, wie ich sie noch nie
empfunden hatte, und nur meine innere Wuth konnte ihr gleichen. Ich
wünschte fast, daß jetzt die Bösewichter erschienen, um mit eigener Hand
Rache an ihnen nehmen zu können. Da hörte ich ein Getrappel auf der
Treppe, das immer näher kam, da vernahm ich Stimmen -- ich erkannte die
Sprechenden: es waren die beiden Menschenhändler, der Rothkopf und sein
Geselle =Claas=. Sie lachten und schienen guter Dinge. Ich habe einmal
in =Bengalen= ein Tigerthier gesehen, das auf seine Beute lauerte. So
muß ich damals in dem Winkel neben der Thüre meines Kerkers gestanden
haben, um über den ersten Eintretenden herzustürzen. Dennoch beschloß
ich in dieser ungeheuren Empörung meines ganzen Wesens, kein Blut zu
vergießen, wenn es möglich wäre. Da rasselten die Schlüssel an der
Thüre, da klirrte der Riegel, da nannte =Claas= mit höhnischer Stimme
meinen Namen -- aber zugleich hatten ihn auch meine Fäuste an der Kehle
ergriffen, ich drang, ihn schwebend haltend, hinaus, er würgte vergebens
nach einem Hülferuf, mit einer Kraft, die ich mir selbst nicht zugetraut
hätte, schleuderte ich ihn in einen Winkel, daß er besinnungslos da lag,
keines Wortes, keiner Bewegung mächtig. Heulend flog der Wirth die
Treppe hinab, ich mit Riesenschritten hinter ihm her. So ging es über
den Hof, nach dem Vorplatze. »Der Teufel hat ihm geholfen! Herbei, ihr
Freunde! Er bringt mich um! Er schlägt mich todt!« rief der Schurke im
Fliehen. Auf dem Vorplatze, vor der Thüre des Gastzimmers, in das er
eben stürzen wollte, erwischte ich ihn am Genicke. Aber schon hatte sein
Geheul seine Helfershelfer herbeigerufen. Wohl an zwanzig Kerle, denen
Mord und Todschlag aus den Augen blitzten, drangen aus der Thüre. »Er
hat den =Claas= ermordet! Haltet ihn fest, macht ihn kalt!« stöhnte der
Rothkopf. Ich warf ihn zu Boden. Wohin ich blickte, glänzten mir Messer
entgegen, Mordgebrüll stürmte auf mich ein. Ich drängte mich an die
Wand, entschlossen mein Leben theuer zu verkaufen. Noch trennte mich der
am Boden liegende, ohnmächtige Wirth von dem Gesindel. Da nahmen ihn
einige auf, um ihn bei Seite zu bringen. Ich sah den Augenblick vor mir,
in dem nun Alle über mich herstürzen würden. »Blut um Blut!« dachte ich
und griff nach dem Messer in meinem Gürtel. Ehe ich es noch zog, ehe ich
meinen Gegnern noch zeigen konnte, daß auch ich nicht waffenlos sey,
erklang plötzlich ein heftiger Lärm vor der Thüre des Hauses, der den
im Innern noch übertönte. »Im Namen der Obrigkeit!« riefen viele Stimmen
von Außen. Ein schneidender Pfiff schallte aus der Mitte des mich
umgebenden Haufens. Die Kerle stiebten auseinander, wie Staub vom
Wirbelwinde getroffen. Viele eilten in das Zimmer zurück; andere flohen
über den Hof nach dem Hinterhause. Aber schon war die Thüre des Hauses
unter den Schlägen der Häscher zusammengebrochen. Sie drangen ein, sie
stürmten in das Zimmer, sie fanden hier die Seelenverkäufer im Streite
mit einer Anzahl ihrer Cameraden, die durch die Fenster eingestiegen
waren. Ich hatte mich ruhig von einigen der Häscher, die sich gleich
Anfangs meiner bemächtigten, ergreifen lassen und wartete den Augenblick
ab, wo ich meine Flagge aufziehen und mich zu erkennen geben konnte.
Indessen ging es wild im Zimmer und im Hinterhause her, wo sich die
verwegenen Schurken gegen die Uebermacht der anstürmenden Häscher zu
vertheidigen suchten. Ein großer Haufen Volks hatte sich vor dem Hause
versammelt und vermehrte, durch seine gegen die Seelenkoper
ausgestoßenen Flüche und Verwünschungen, das Getöse. Den Eingang hielt
ein Polizeibeamter besetzt und verwieß mit seinem Stabe diejenigen, die
sich zu nahe herbeidrängten, zur Ruhe. Ich war bei meiner früheren
Bemühung die Thüre zu erreichen, an eine Stelle gelangt, wo ich, immer
von den Häschern bewacht und gehalten, dem Beamten ganz nahe stand. Ein
Laut, so lieblich, wie das Wort: »=Land!=« nach einer langen und
unglücklichen Seefahrt traf plötzlich durch den gewaltigen Lärm mein
Ohr. »Das ist er! das ist er!« rief eine zarte Stimme in meiner Nähe.
»Wir sind noch zur rechten Zeit gekommen. Sie haben ihn nicht
umgebracht! Er ist gerettet!« Ich blickte auf. Neben dem Polizeibeamten
stand in der Thür das Mädchen, dem ich meine Freiheit und mein Leben
verdankte. Ihr Angesicht strahlte wie die glänzende See bei heiterem
Himmel. Ueber ihre Schulter sah der Jude =Abraham Eleazar= herein. »Der
Gott Abrahams und Jacobs sey gepriesen,« sagte er, »der unser Werk
gelingen ließ! Eine Hand wäscht die andere im Leben und so mir der
Christ nicht hätte geholfen von dem Schmaddern und von der Speise vom
unreinen Thier, so hätte ich ihm nicht können wiederhelfen aus der
egyptischen Gefangenschaft, von dem Verrathe der bösen Rotte =Korah=.«
Ich nickte Beiden zu. Der Polizeibeamte mochte nun einsehen, daß ich
nicht zu den Seelenkopern gehörte, er gab seinen Untergebenen Befehl,
mich frei zu lassen, und rief mich in seine Nähe. Er wußte meinen Stand
und meinen Namen. Er sagte, daß ich es für ein großes Glück halten
könne, lebendig dieser Mordhöle entkommen zu seyn, daß sie schon lange
Nachricht von ihrem Daseyn gehabt, aber immer vergebens ihr nachgespürt,
bis jetzt endlich die Entdeckungen des Mädchens und des Juden sie zur
rechten Zeit an den rechten Ort geführt hätten. Ich berichtete ihm in
wenigen Worten, woher der Wind in den letzten Stunden geblasen habe und
wie es mir gelungen sey, aus meinem Gefängnisse zu brechen. Der Jude und
das Mädchen hörten aufmerksam zu. Es war jetzt stiller geworden im
Zimmer. Die Seelenkoper hatten der Uebermacht unterlegen, man brachte
sie gebunden und geknebelt heraus. Mehrere von ihnen bluteten stark,
auch einige der Häscher waren verwundet. Jene wurden sogleich weiter,
mitten durch die tobende Volksmenge, die nur mit großer Mühe von
Mißhandlungen zurückgehalten werden konnte, ins Gefängniß geschafft.
Auch die Schurken, die in den obern Raum des Hinterhauses geflüchtet
waren, erschienen jetzt, von den Häschern herbeigeschleppt: unter ihnen,
ächzend und stöhnend, der elende =Claas=. Er warf mir einen grimmigen
Blick zu, aber auch er wurde mit seinen Genossen ohne Aufenthalt den
übrigen nachgetrieben. Ganz zuletzt fand man, unter einem leeren Fasse
versteckt, den rothköpfigen Wirth. Er mußte sich während des Getümmels
erholt haben und dorthin gekrochen seyn. Er konnte oder wollte nicht
gehen. Man warf ihn auf einen Karren, der zufällig in der Nähe hielt.
Der Pöbel begleitete ihn spottend und verwünschend nach dem Stadthause.
Ich will es nun so kurz wie möglich machen und mit vollen Segeln ans
Ziel steuern! =Beckje= rückt schon ungeduldig den Stuhl und möchte gern
den Caffee kochen, der ihr fast ebensosehr am Herzen liegt, wie mir der
Genever. Genug! Das Sündenhaus wurde von dem Polizeibeamten in allen
Räumen und Verdecken durchsucht. -- Er witterte glücklich meine Kleider
und Papiere aus. Ich erhielt sie zurück und zugleich die Weisung, daß
ich nun hingehen könne, wohin ich wolle. Aber ich blieb dennoch. Das
Mädchen, dem ich so Viel schuldig war, sah ängstlich dem Treiben des
Beamten zu, der Alles verschloß und versiegelte. Sie befand sich, allem
Anscheine nach, in großer Verlegenheit. Als endlich der Beamte auch die
Hausthüre sperrte und mit dem obrigkeitlichen Siegel versah, gestand
sie, daß sie nun nicht wisse, wohin sie sich wenden solle, daß ihr
ganzes elterliches Erbe, dessen sich der Rothkopf, als Stiefbruder ihrer
verstorbenen Mutter und ihr Vormund, bemächtigt habe, in dem Hause
befindlich sey und sie niemanden kenne, der in der großen Stadt sich
ihrer annehmen würde. Der Polizeibeamte hörte das gleichgültig an,
meinte, er könne da nicht helfen, aber sie solle am nächsten Tage vor
der Obrigkeit erscheinen und dort ihre Ansprüche geltend machen. »Kommt
mit mir!« sagte der Jude. »Ich will Euch führen in mein Haus, aber ich
kann Euch nicht behalten über Nacht, als das Kind eines Goi. Wir müssen
Rath schaffen, wir müssen eine Schlafstelle für Euch suchen bei Euern
Leuten.« Da fiel mir zum Glücke ein, den Polizeimann, der eben fortgehen
wollte, nach meinen Verwandten zu fragen. Er kannte sie, er wußte ihre
Wohnung. Nun war uns geholfen. Ich dankte dem Juden für Alles, was er zu
meiner Rettung gethan, ich versprach nochmals ihn zu besuchen, ich sagte
ihm unbedachtsam, daß er als ein guter Christ an mir gehandelt habe.
»Als ein guter Jüd!« versetzte er eifrig und mit einem saueren Gesichte:
»denn auch unser Gesetz sagt: du sollst den Nächsten lieben, als dich
selbst.« Er entfernte sich in großer Eile. Während ich nun in der
Dämmerung mit dem Mädchen nach der Gegend hinschritt, wo meine
Verwandten hausen mußten, nannte sie mir ihren Namen und erzählte mir,
daß sie von =Alkmaar= gebürtig sey, vor einigen Wochen ihre Eltern kurz
nach einander verloren habe, dann von dem Wirthe des Werbhauses, ihrem
einzigen noch lebenden Verwandten, von dessen Geschäft und Handthierung
sie nichts geahnt, samt ihrem elterlichen Erbe nach Amsterdam abgeholt
worden und hier nun bald mit Entsetzen wahrgenommen habe, daß der Mann,
der sich Vaterrechte über sie angemaßt, ein verabscheuungswürdiger
Bösewicht, daß Seelenverkäuferei sein Handwerk, daß es seine Absicht
sey, sich ihres Vermögens zu bemächtigen. Sie war auf das Strengste
gehalten, wie eine Magd zu den geringsten Arbeiten genöthigt, selbst
thätlich mißhandelt worden. Was sie sehen und hören mußte in der kurzen
Zeit ihres Aufenthaltes in dem Werbhause, hatte sie mit Abscheu erfüllt.
Sie wäre so gern entflohen, aber sie wußte nicht wohin. Sie war der
Verzweiflung nahe, als ich die Schwelle des Hauses betrat. Ich habe Euch
gesagt, was der Antheil, den sie an mir nahm, bewirkte. Sie war als ich
ihr den Juden =Eleazar= genannt, sogleich aus dem Hause entwischt und
zu jenem geeilt. Es dauerte lange, ehe sie dem Juden die ganze
Geschichte begreiflich machen konnte. Endlich wurde sie ihm klar und er
nahm nun sogleich Mantel und Schabbesdeckel, um mit =Beckje= zum
Polizeimeister zu gehen. »Soll mir Gott, dem Goi muß geholfen werden!«
Hatte er gesagt: »Der =Eleazar= leidet keine Schulden und will bezahlen
auf den letzten Deut, das Capital samt den Procentje.« Zum Glück war der
Polizeimeister der nahe Verwandte eines ostindischen Compagnieherrn. Er
gerieth, als er die Sache vernahm, in den größten Zorn und schickte
sogleich die Wache ab, die gerade ankam, als ich nicht weit davon war,
wider meinen Willen hinauf in die himmlische Ewigkeit gehißt zu werden.
Bramsegel und Backbord! ich bin wieder so weitläufig geworden, wie ein
altes Weib beim Caffeegeschwätz. Aber nun soll's auch im Sturmwinde ans
Ende gehen! Meine Verwandten nahmen uns freundlich auf, nach vier Wochen
voll Laufereien und Hin- und Her-Geschreib erhielt =Beckje= ihr Vermögen
heraus, ich selbst am Morgen des nämlichen Tages den verlangten,
ehrenvollen Abschied und am Nachmittage gab uns der Domine für die
Lebensfahrt zusammen. Als wir nach einigen Tagen Amsterdam verließen, um
nach Rotterdam zu ziehen, traten uns von der Schanze am Thore, ein Paar
Elende an und bettelten um ein Almosen. Sie waren mit Lumpen bedeckt,
sie schleppten an Ketten schwere eiserne Kugeln nach und wurden von
einem Schergen bewacht. Das wulstige rothe Haar des einen schob sich zur
Seite: wir erkannten den Wirth. Der andere sah auf, es war =Claas=. Ich
warf ihnen, was ich von Silbergeld in der Tasche trug, hin. Sie rafften
es gierig auf, sie wollten danken -- da erkannten sie uns, ein wüstes
Geheul, Flüche und Verwünschungen strömten über ihre Lippen. =Beckje=
drängte mich nach der Barke hin, die im Canale unserer wartete, während
jene sich selbst und ihre Ketten auf die Bastion zurückschleppten.«

=Jansen= schwieg. Niemand hatte seiner Erzählung mit größerer
Aufmerksamkeit zugehört, als =Clelia=. Das vielbewegte Leben, das sich
hier vor ihrer Erkenntniß entrollte, contrastirte zu sehr mit dem,
welches sie bisher geführt hatte, um nicht durch seine Neuheit und
Frische sie zu reizen und über ihren gewöhnlichen Gesichtskreis zu
erheben. Es schien ihr selbst angenehm, dergleichen erfahren zu haben
und in einer späteren, ruhigen Zeit, in einem beglückenden Gefühle der
Gegenwart, die Erinnerungen daran zu verjüngen. Wie wenig
Bemerkenswerthes und Wichtiges hatte doch ihre Vergangenheit
aufzuweisen? Die unerwartete Entfernung aus dem Vaterhause, die
plötzliche Reise, welche sie schon in ein vertrauliches Verhältniß mit
zwei ihr vorher gänzlich unbekannten Personen, =Jansen= und =Beckje=,
gesetzt hatte, der Wechsel der Umgebungen, selbst das Geheimniß der
vorgeblichen Geschwisterschaft mit =Cornelius=, waren die ersten Dinge,
die, wie es ihr jetzt dünkte, ihrem Leben einen Reiz verliehen, dessen
es bisher entbehrt hatte. Ihre, unter dem Drucke der Alltäglichkeit
schlummernde und unthätig gewordene Phantasie war mit einemmale, durch
die Begegnisse eines Tages, durch die Mittheilung der wunderlichen
Verheirathungsgeschichte eines Paares, das sie vor Augen hatte, zu der
regsamsten Thätigkeit belebt worden. Sie sah ein, daß sie in der Lage,
in die sie gerathen, auf ihre eigene Selbstständigkeit rechnen müsse,
sie fühlte, daß sie diese aufrecht erhalten könne, wenn sie gegen die
Rückkehr ihrer alten Gemüthsträgheit, die man ihr fälschlich für
Gedankentiefe angepriesen hatte, auf der Hut sey, wenn sie sich im
Voraus auf alle noch so abentheuerliche und gefahrvolle Begebenheiten
gefaßt halte. =Clelia= war einer von denjenigen Characteren, die erst
sehr großer, ganz aus dem gewöhnlichen Geleise sie führender
Erschütterungen bedürfen, um ihre innere Kraft und Wahrheit in das
äußere Leben treten zu lassen.

Während der Wechsel der Ansichten und Empfindungen, den wir so eben zu
schildern versucht haben, mit Blitzesschnelle in ihr vorging, hatte
=Jansen= das volle Glas ergriffen, das ihm die wieder freundlich
gewordene =Beckje= hingeschoben, und sagte mit einer Rührung, die man
dem rauhen und jovialen Seemanne nicht zugetraut hätte:

»Ja, ihr Freunde! So ist es gekommen, daß =Beckje= und ich jetzt an
einem Steuerruder sitzen. Was ich dachte und sprach, als ich fest
geschnürt und geknebelt auf dem Marterlager des Rothkopfs ausgestreckt
lag, als mein Schutzgeist, durch die Dachluke zu mir herabsah und mir
Hoffnung und Erquickung spendete, als ich ihn wieder erblickte, Freiheit
und Erlösung aus der Gewalt der verdammten Piraten bringend, das ist nun
Alles wahr geworden und ich habe es in den fünf Jahren, daß wir nun
zusammen segeln, keinen Augenblick bereut. Stoßt an! Sie soll leben.
Vivat mein Affengesicht!« setzte er, rasch in einen fröhlichen Ton
übergehend, hinzu.

Die Gläser waren gehoben, die Männer wollten in Genever, die Frauen in
feinem Muscatwein Bescheid thun, da erhob sich unerwartet ein wilder
Lärm auf dem Verdecke, die Mannschaft lief unruhig hin und her und eine
Alles übertönende Stimme rief hastig und rauh:

»Ein Segel auf der Lufseite! Nur zwanzig Schiffslängen weit! Es tritt
hinter der Insel hervor, es steuert auf uns zu -- Hölle und Teufel! Es
ist ein Spagnol! Eine Schebecke von zehn Canonen!«

=Jansen= stürzte den Inhalt seines Glases hinab und warf dieses zu
Boden, daß es in unzähliche Splitter zertrümmerte.

»Der verdammte =Biesbosch=!«[A] sagte er. »Zwischen seinen tausend
Inseln und Inselchen verkriegen sich die feigen Don's und warten es ab,
bis sie ein Fahrzeug erlauern, das sie unbewaffnet oder dem sie sich
überlegen glauben. Aber Bramsegel und Backbord! Capitän =Jansen= wird
ihnen das Fahrwasser weisen. Meine Böller sollen ihnen auf keine Frage
die Antwort schuldig bleiben!«

[A] So heißt eine Art von See zwischen den Grenzen von Holland und
    Brabant, der sich erst im Jahre 1421 durch Ueberschwemmung gebildet
    hat.

Er stürmte hinaus und hinauf; =Beckje=, im ganzen Gesichte erglühend,
ihm nach. =Cornelius= war bei dem ersten Rufe aufgesprungen und hatte,
von kriegerischem Ungestüm belebt, nach seinem Degen und seinen Pistolen
gegriffen. Jetzt dachte er an =Clelia=, jetzt fiel ihm bei, wie er durch
seine Unbesonnenheit die Geliebte in eine Gefahr gebracht habe, in der
ihre Freiheit, ihr Leben, ihre ganze Zukunft bedroht erschienen. Ein
Kleinmuth, wie er ihn noch nie empfunden, bemächtigte sich seiner. Er
wagte nicht, das Mädchen anzusehen. Mit niedergeschlagenen Blicken
näherte er sich ihr, die auch ihren Sitz verlassen hatte, und sprach in
ängstlich gepreßtem Tone:

»Bei allen Waffenthaten =Wilhelms von Oranien= schwöre ich Euch,
hochwerthe =Clelia=, daß mich der Gedanke, Euch in diese Lage versetzt
zu haben, trostlos macht. Ich bin außer mir, ich kenne mich selbst nicht
mehr. Sonst jubelte und jauchzte es in mir, wenn ich hörte, der Feind
sey nahe, und noch vor einer Stunde dachte ich es mir als das
Herrlichste und Größte, für Euch zu kämpfen, vielleicht Euer Leben zu
erhalten durch irgend eine kriegerische That. Aber das ist nun mit
einemmale vorbei, da die Wirklichkeit eintritt. Das Gefühl meiner Schuld
liegt mir lastend in der Brust und mein ganzer Muth ist niedergedrückt
unter seiner Schwere.«

»Schämt Euch, Junker =Cornelius=, und ruft nur immer den ersten Gedanken
zurück, der Euch und der Liebe, die Ihr mir so oft gelobtet, Ehre
bringt!« versetzte das Mädchen in einem so festen und aufmunternden
Tone, daß der gewesene Kriegshauptmann ein anderes, fremdes Wesen zu
hören glaubte und überrascht aufblickte. =Clelia= stand in ruhiger
Haltung vor ihm. Sie war sehr blaß, aber ein Feuer der Begeisterung und
der Seelenstärke glänzte aus ihren Augen, das den jungen Mann irre in
seiner eigenen Wahrnehmung machte. »Warum sollte mich entsetzen,« fuhr
sie fast heiter fort, »was Viele meines Geschlechtes schon vor mir
erfahren haben? Kommt, Junker! Zeigt Euch des Ruhmes würdig, den Ihr
schon in Kriegswerken erworben habt. Ein muthiger Mann mehr im Streite
vermag Viel. Kommt! Auch ich will sehen, wie es oben steht. Ich muß den
Feind erkennen, mit dem wir um Freiheit und Leben streiten werden. Habe
ich auch nicht den verwegenen Sinn und die männliche Keckheit von
=Jansens= Frau, die sie treibt, an dem Kampfe Theil zu nehmen, so will
ich doch auch nicht feiern. Schickt mir die Verwundeten herab, an denen
es nicht fehlen wird. Ich will sie verbinden und ihrer pflegen, wie ich
es vermag.«

»=Clelia!=« erwiederte, von Bewunderung erhoben, =Cornelius=. »Ihr habt
Euch in kurzer Zeit wunderbar verändert. Ich stehe beschämt vor Euch,
wie eine Memme vor einem Helden. Jetzt erst fühle ich die ganze
Unwürdigkeit meines Betragens, aber -- beim Schwerdte des großen
=Marlborough=! -- ich will Euerer würdig werden, oder untergehen in
diesem Kampfe, dessen Schrecknissen Ihr mit dem Muthe eines alten
Kriegers entgegen seht.«

Das Mädchen drängte ihn fort. Sie waren im Begriff die Cajüte zu
verlassen, als heulend und schreiend =Philippintje= hereinstürzte und
mit den Gebehrden einer Wahnsinnigen ihre Gebieterin umklammerte.

»Wir sind verloren, wir werden erschossen und erstochen, wir werden, wie
die Schiffsleute sagen, geentert werden!« jammerte sie. »Du, =Clötje=,
und ich, und wenn sie uns geentert haben, die Satanskinder aus Hispania,
so machen sie uns katholisch und wir kommen in das Unglück, vor dem wir,
wie vor einem Höllenspuk davon gelaufen sind. Was helfen mir alle
Dukaten, wenn mich der Spanier hat, mich und meine unsterbliche Seele? O
wäre ich wieder daheim bei Herrn =Tobias= und bei dem Schiwa, bei den
gefüllten Caffeeschachteln, bei den chinesischen Theebüchsen und den
kanarischen Zuckerhüten! Ich wollte ja nimmer wieder, wie ich bisher
gethan, manches Pfund der edeln Waare heimlich mitgehen heißen und es
dem Domine zutragen. Vergieb mir meine Sünden, Herr, und führe mich
glücklich wieder heim zu den Theebüchsen und dem Schiwa!«

Sie wußte nicht mehr was sie sprach. Sie sank mit gefalteten Händen auf
das Polster der Cajütenbank zurück und betete in unverständlichen Tönen
fort.

»Alle zu Hauf!« erklang in diesem Augenblicke =Jansens= Stentorstimme
auf dem Verdecke. »Zeigt ihnen die Geusenflagge, damit die spanischen
Hunde sehen, mit wem sie es zu thun haben!«

Dieser Ruf bewog =Clelia=, sogleich die Cajüte zu verlassen und auf das
Verdeck zu eilen. =Cornelius= wollte sie unterstützen; sie lehnte es ab
und stieg rasch und ohne alle Hülfe, die Treppe hinauf. Während
=Cornelius= zu seinem Freunde flog, um diesen zu befragen, wie er ihm
auf die beste Weise nützen könne, blieb =Clelia= in der Cajütenthüre
stehen und sah mit ruhigem, unerschrockenem Blicke auf die Umgebungen.
Sie fühlte sich über sich selbst erhoben, es dünkte ihr, sie sey jetzt
edler und besser, als früher. Die Blässe, die auf dem schönen, ruhigen
Antlitz lag, gab ihr etwas Ueberirdisches. Alles um sie herum war in der
lebendigsten Bewegung. Schießbedarf wurde herbeigetragen, Gewehre wurden
ausgetheilt, =Beckje= ging zu jedem Einzelnen der Schiffsbemannung,
schenkte ihm ein Glas Genever ein und ermunterte die Leute. Die Gestalt
des Mädchens, die sich in der Cajütenthüre so ruhig und furchtlos
zeigte, machte einen besondern Eindruck auf die rohen Männer. Sie
betrachteten sie mit Bewunderung, sie machten einander auf die liebliche
Erscheinung aufmerksam und wenn die kühne Todesverachtung noch durch
irgend Etwas hätte erhöht werden können, so wäre es durch den Gedanken
gewesen, daß sie, indem sie für Freiheit und Vaterland kämpften, auch
zugleich eine so wunderbare weibliche Schönheit zu beschützen hatten.

Indessen suchten =Clelia's= Blicke das feindliche Schiff und fanden es.
Still und drohend lag es in einer geringen Entfernung. Es schien sehr
leicht gebaut, die Segel waren eingerefft, die Stückpforten noch
verschlossen. Man mochte auch dort durch die plötzliche Begegnung der
bewaffneten Barke überrascht worden seyn und noch in Zweifeln schweben,
mit wem man es eigentlich zu thun habe. Ein verwirrtes Gedränge war auf
dem Verdecke zu bemerken. Es unterlag keinem Zweifel, daß die Schebecke
an Bemannung und Streitkräften der =Syrene= überlegen sey. Auch war sie
gewiß ein schnellerer Segler, als diese. Die spanische Flagge wehete
lustig am Vordertheile und diese Verwegenheit in einem Binnenwasser der
vereinigten Generalstaaten, erfüllte =Jansens= Leute mit Wuth.

»Das Geusenzeichen auf! Laßt den Besen sehen, der die Meere fegt von den
spanischen Don's!« riefen mehrere ungeduldige Stimmen dem Bootsmanne zu,
der fluchend umherrannte und im Eifer keinen Besen finden konnte.

»Da habt Ihr die Flagge!« schrie =Beckje's= feine Stimme dazwischen,
indem sie aus der Küche einen alten Borstenbesen heraufreichen ließ.
»Laßt sie rasch auffliegen! Wir wollen, denk' ich, diesen
Schebecken-Caper damit hinwegfegen, daß ihm die Lust vergehen soll,
jemals wieder den =Biesbosch= zu befahren.«

Die gefürchtete Geusenflagge, wie spottweise von den Holländern selbst
der Besen genannt wurde, flog klappernd am Maste empor und schwebte nach
wenigen Augenblicken fest an dessen Spitze. In gespannter Erwartung,
welchen Eindruck diese Erscheinung auf dem feindlichen Fahrzeuge
hervorbringen würde, vergingen mehrere Minuten. Mit gedämpfter Stimme
sagte während dieser Zeit =Jansen= zu seinem Freunde:

»Es steht uns ein harter Kampf bevor! Die Schebecke ist stärker, wie
wir, sie hält mehr aus und ihre Mannschaft zählt wohl das Doppelte der
meinigen. Ich mag nicht Reißaus vor ihr nehmen und könnte es nicht, wenn
ich auch wollte. Ihre Segel überholen die unserigen, ihr ganzer Bau ist
auf Geschwindigkeit eingerichtet. Wenn das Schiff, das wir vor dem
Essen, als einen schwarzen Punkt weit hinter uns sahen, noch zeitig
herankommt, so haben wir gewonnen Spiel und der Don muß streichen und
sich ergeben auf Gnade und Ungnade. Aber der Teufel weiß, wo es steckt!
Im Biesbosch kann man keine Viertelstunde weit sehen vor lauter Inseln
und Inselchen.«

»Besinne dich, =Jansen=!« versetzte in großer Aufregung =Cornelius=.
»Giebt es nicht irgend eine Kriegslist, ein kühnes Wagstück, wodurch wir
die Uebermacht des Feindes zu Schanden machen könnten? Uebertrag es
mir! Bei der Asche Oraniens! Es soll dich nicht gereuen.«

»Wenn es Abend wäre,« erwiederte nachdenklich der Capitän der =Syrene=,
»dann wäre etwas zu thun, dann wollten wir den Don anbrennen und braten
in seinem eigenen Fette. Ich habe griechisches Feuer, Petarden und
Brandkränze, die kein Wasser löscht -- aber es ist nichts! Am hellen
Tage können sie uns nichts helfen.«

Jetzt blitzte es auf aus einer der Stückpforten der =Schebecke=. Eine
Kanonenkugel tanzte über die Wellen hin und flog dicht am Vordertheile
der Barke vorbei. Der dumpfe Schall des Geschoßes donnerte durch die
Lüfte.

»Der Don ist aus seiner Trägheit erwacht;« rief =Jansen=: »gebt Acht, er
wird uns gleich noch mehr zu hören geben.«

Und so geschah es auch. Mitten aus dem Getümmel, das auf dem feindlichen
Schiffe herrschte, während nun die übrigen Stückpforten sich aufthaten
und blitzende Gewehre sich am Bord zeigten, schallten in gebrochenem
Holländisch, durch das Sprachrohr, die Worte herüber:

»Ergebt Euch, Ihr Lumpen! Streicht Eueren Besen, daß wir ihn zu Ruthen
für Euch gebrauchen oder wir bohren Euch in den Grund, wo Ihr die Fische
aus ihren Schlupfwinkeln fegen könnt!«

»Soll ich antworten?« fragte der Bootsmann, ein kleiner untersetzter
Bursche, mit einer ungeheuren Schmarre im Gesichte, die von der Stirn
dicht neben dem schielenden linken Auge hinweg bis zum Kinne lief,
seinen Capitän. =Jansen= machte nur eine bejahende Bewegung mit der Hand
und sogleich lag der Bootsmann mit halbem Leibe auf dem größten der
Böller, richtete ihn und stand dann rasch auf, um die brennende Lunte
zur Hand zu nehmen.

»Das soll ihm wohl bekommen!« sagte er grimmig in sich hineinlachend.
»Wie die Frage, so die Antwort.«

Er hieb auf, der Böller entladet sich mit einem Getöse, das dem einer
Canone gleich kam. Noch verbarg der aufsteigende Dampf die Wirkung des
Schußes, als er sich aber zerstreut hatte, sah man, daß der wackere
Schütz die Seitenwand des feindlichen Schiffes, gerade auf der Spitze
ihrer Wölbung getroffen hatte. Loßgerißene Planken trieben in den
Wellen, ein verwirrter Menschentumult an einem Punkte, auf dem Verdeck
der Schebecke, ließ vermuthen, daß die Kugel weiter gedrungen sey und
auch unter der Mannschaft Tod und Verwüstung verbreitet habe.

»Backbord und Fockmast!« jubelte =Jansen=. »Noch vier solcher Pillen dem
Don in das Unterdeck geworfen und er muß daran glauben. Aber er kommt
näher, er will sich die heißen Brocken mit den Fingern aus der Suppe
holen, die wir ihm kochen.«

Wirklich hatte der Spanier seine Stellung verlassen und rückte über
Schußweite vor. Dann erfolgte eine volle Lage seines Geschützes, dicker
Rauch umgab beide Fahrzeuge und als dieser von einem Lüftchen, das sich
eben erhob, langsam zur Seite getrieben war, sah man die Schebecke im
Begriffe sich zu wenden, um auch aus den Stücken des anderen Bordes
Verderben auf ihren Gegner zu schleudern.

»Er meint es gut mit uns!« rief der Capitän der =Syrene=. »Aber wendet
auch! Zeigt ihm die Spitze, daß seine Kugeln in die leere Luft fahren!«

Während dieses Mannoeuver rasch und pünktlich vollzogen wurde, warf
=Jansen= einen forschenden Blick auf sein Schiff. Zu seiner Beruhigung
fand er, daß die erste Begrüßung des Feindes diesem durchaus keinen
Schaden zugefügt hatte. Es schien ihm gleich Anfangs, als gingen die
Schüße der Schebecke zu hoch und er wußte aus Erfahrung, daß die Spanier
in der Regel schlecht trafen, weil sie zu bequem waren, genau zu zielen.

Indessen hatte sich ein dunkles Gewölk über den zwei streitenden
Schiffen zusammengezogen. Dem Lüftchen, das eben noch leicht geweht,
folgten einige heftige Windstöße, in gleicher Richtung wurden die
Fahrzeuge von den höher schwellenden Wogen aus der Nähe der Inseln auf
die freie Wasserfläche getrieben.

=Cornelius= flog auf dem Verdecke hin und her, vertheilte Geld unter die
Leute und befeuerte ihre Kampflust. Da fiel sein Auge auf die Thüre,
die zu der Cajüte führte. Noch immer stand hier in ruhiger Haltung
=Clelia= und hatte die Blicke auf die Bewegung des feindlichen Schiffes
gerichtet.

»Ich beschwöre Euch, geht hinab!« sagte er drängend zu der Geliebten.
»Euere Gegenwart lähmt meinen Muth, Euer Anblick macht mich erbeben;
dagegen wird der bloße Gedanke, Euch in der Nähe zu wissen, für Euch zu
kämpfen, mich begeistern und unüberwindlich machen. Noch einmal, geht
hinab! Ihr seyd ein lockendes Ziel für das Geschoß des Feindes, Ihr
könnt ja doch hier nicht nützen, Ihr könnt nur hindern.«

»Gut!« erwiederte =Clelia=, dieses einsehend. »Ich gehe hinab, aber nur
in der Erwartung, daß mir die Verwundeten zur Pflege nachgesendet
werden.«

»Die ganze Affaire hat wahrscheinlich nicht viel zu bedeuten;« sprach
=Cornelius=, mehr um jede etwa erwachende Besorgniß der Geliebten zu
zerstreuen, als weil er selbst daran geglaubt hätte. »Das befreundete
Fahrzeug, das wir in der Ferne uns folgen sahen, kann mit jedem
Augenblicke eintreffen und dann wird der Spanier alle Segel aufsetzen
und so rasch, als möglich das Weite suchen.«

»Das ist zweifelhaft;« antwortete sehr ruhig =Clelia=. »Wir haben nur
auf den Augenblick zu denken und müssen der Gegenwart dienen, jeder nach
seinen Kräften.«

Mit diesen Worten wandte sie sich von dem Junker und stieg langsam die
enge Treppe hinab.

»Herrliches Mädchen!« sagte dieser für sich, indem er ihr entzückt
nachsah. »Wie sehr habe ich dich verkannt! Wie sehr habe ich gegen dich
gesündigt! Mußte denn erst mein Vergehen die tief liegende Stärke deines
Characters, deine Geisteskraft, vor der ich mich gern beuge,
hervorrufen?«

Diese Betrachtungen wurden durch die Kanonenschüße der Schebecke, die
jetzt schnell aufeinanderfolgten, unterbrochen. Sie war durch ihre
wohlausgeführte Wendung der =Syrene= näher gekommen. Als aber die
Spanier bemerkten, daß diese ihnen jetzt nur den Vorsteven zur
Zielscheibe ihrer Geschoße darbot, gaben sie ihr nicht die
beabsichtigte ganze Lage, sondern bestrichen sie mit einzelnen Schüßen,
die aber, wenn sie trafen, unschädlich an den starken eichenholzenen
Seitenwänden hinschwirrten.

»Auf die Leeseite!« erklang jetzt des holländischen Capitäns
Commandoruf. »Wir wollen ihnen eine Anzahl eiserner Erbsen zuschicken,
die ihnen den Appetit verderben soll. =Herrmanneke=,« schrie er nach dem
Bootsmann hin, »richte schnell die Stücke. Dein Auge ist fest und wohin
es sieht, ist's schon so gut, als wenn getroffen wäre!«

Während das finstere Gewölk, das sich vor einigen Minuten erst über den
Häuptern der Streitenden gezeigt hatte, nach und nach den ganzen
Horizont einnahm und die Tageshelle in beginnende Dämmerung verwandelte,
wurde den Befehlen =Jansens= eilige Folge geleistet. =Beckje=, die zwar
diesesmal keinen thätlichen Antheil am Kampfe nahm, trug doch durch ihre
Scherze, durch ihre immerwährend heitere Miene und durch Erquickungen,
welche sie vertheilte, Viel zur Erhaltung und Belebung der allgemeinen
Kampflust bei. Sie begann jetzt mit heller, klingender Stimme, die auf
dem ganzen Verdeck vernommen wurde, das Lied zu singen:

    »Die Geusen wollen jagen
    auf den hispanschen Don,
    doch wo sie nach ihm fragen,
    lief er schon längst davon!«

=Jansen= und die Schiffsleute wiederholten die zwei letzten Zeilen im
Chor. Eben als sie die zweite Strophe begonnen hatte:

    »Der Spanier kann fischen,
    doch fangen kann er nichts,«

lag die =Syrene= mit der Länge ihres Bordes der =Schebecke= gegenüber,
flammende Blitze fuhren aus den donnernden Böllern und über den Dampf
hinweg, den die Dicke der Atmosphäre auf die Wellen niederdrückte, sah
man Spieren und Segelwerk der =Schebecke= zerrißen in den Lüften
flattern. Ein allgemeines Jubelgeschrei erklang auf dem holländischen
Fahrzeuge.

»Zurück!« donnerte =Jansens= Stimme dazwischen. »Wir sind ihnen zu nahe
gekommen. Geben sie uns jetzt eine Lage, so sind wir verloren.«

Als wolle die Natur der =Syrene= zu Hülfe kommen, wälzte sich jetzt eine
große Welle zwischen sie und den Spanier, und warf sie weit von dem
Gegner ab.

»Es gibt Sturm!« sagte =Cornelius=, der neben =Jansen= stand, zu diesem.
»Der Himmel will nicht haben, daß wir den =Don= nehmen oder =er= uns.«

»Nein, nein!« antwortete der Capitän. »Das ist nur vorübergehend. Hier
halten sich die Wetter nicht. Sie eilen der offenen See zu.«

Während =Jansen= sprach, wendeten sich seine Blicke nicht von dem Gegner
ab. Es war ziemlich düster geworden, aber das scharfe Auge eines
Seemanns konnte doch erkennen, daß die feindliche Schebecke bedeutend
gelitten hatte. Zu seinem Erstaunen vergingen einige Minuten, ohne daß
sie aufs Neue anfing zu feuern. Als aber jetzt plötzlich eins, zwei
Segel zwischen ihrem Tauwerk sich entrollten, vom Winde gefaßt wurden
und das leichte Fahrzeug blitzschnell in gerader Richtung auf die
=Syrene= zustürmte, erkannte er mit einemmale ihre drohende Absicht.

»Alle zu Hauf'!« gebot seine gewaltige Stimme. »Die Schurken wollen
entern. Sie sehen, daß sie an unsern Nüssen sich die Zähne ausbeißen,
während wir die ihrigen mit leichter Mühe knacken. Büchsen und Piken
herbei! Alles zum Vorsteven! Das Steuer scharf gehalten, daß sie nur an
der Spitze fassen können! Backbord und Bramsegel!« sagte er mit
gedämpfter Stimme zu =Cornelius=. »Die Geschichte kann arg werden! Ihrer
sind mehr, als wir, und Mann gegen Mann sind die Spagnols bissige
Hunde.«

»Höre =Jansen=!« versetzte, von einem kühnen Gedanken ergriffen,
=Cornelius=. »Jetzt lass' mich ein Stückchen nach meiner Art versuchen.
Gib mir die =Jölle=, die am Steuerbord anhängt, vier kühne Bursche und
dein Brandwerk. Es ist dunkel genug zu einem Handstreiche. Während der
Don anlegt und alle seine Leute auf einem Punkte zum Entern
herbeidrängen, fahre ich unbemerkt auf seine andere Seite und heize ihm
ein, daß er seine Schebecke bald für einen Backofen ansehen soll.«

»Respect!« erwiederte =Jansen=, indem er mit großen Augen auf ihn
herabblickte. »Du verdientest ein Seemann zu seyn! Wenn dir der Streich
gelingt, =Cornelius=, so ziehe ich meine Mütze vor dir und will nie mehr
spotten über die Landkrebse.«

Er rief, während die angeordnete Haltung der =Syrene= mit der größten
Pünktlichkeit bewerkstelligt wurde und sie der herannahenden Schebecke
immer das Vordertheil zukehrte, =Herrmanneke=, den verwegenen Bootsmann,
herbei und noch drei andere Matrosen, die er als die tollkühnsten der
Mannschaft kannte. Piken und scharfgeladene Hakenbüchsen wurden von den
übrigen in wilder Eil herbeigeschleppt. Nur wenige Worte flüsterte
=Jansen= dem Bootsmanne und seinen Cameraden zu. Dann eilten diese, die
gebräunten Gesichter zu einem grimmigen Lächeln verziehend, mit
=Cornelius= an der Spitze nach dem Steuerborde. Niemand, als der Mann am
Ruder bemerkte, wie sie leise an den Borden des Schiffes in die =Jölle=
hinabglitten, wie der letzte von ihnen einen großen Kasten, mit einem
Deckel von Eisenblech verwahrt, hinabschaffte und dann mit einer raschen
Bewegung nachfolgte. Die =Jölle= stieß ab und näherte sich, indem die
flachgehaltenen Ruder kaum hörbar über die Wellen hinschlugen, und ihr
eigenes Schiff sie den Augen der Feinde verbarg, der Schebecke, die nun
in wenigen Augenblicken die Enterhaken nach der =Syrene= auswerfen
konnte. Das schwarze Gewölk am Himmel senkte sich drohender herab, es
ward in diesem Augenblicke düsterer, als bisher, die gespannteste
Erwartung verkündete sich in der allgemeinen Stille auf beiden Schiffen.

=Jansens= scharfes Auge bewachte jede Bewegung der Gegner. Er sah, wie
ihre Absicht einzig und allein darauf gerichtet war, an Bord seines
Fahrzeuges zu gelangen, um hier durch ihre Uebergewalt den Sieg zu
erringen. Er erkannte, daß der entscheidende Augenblick gekommen sey.

»Feuer!« gebot seine Donnerstimme und die wohlbedienten Hakenbüchsen
trafen in dieser Nähe so sicher, daß in der vordern Reihe der Spanier
mehrere todt oder verwundet niederstürzten. Aber dieses Mißgeschick
vermehrte nur die Wuth der andern. Mit fürchterlichem Gebrüll warfen sie
die Enterhaken in den Vordertheil der =Syrene=; die Schiffe hingen
aneinander, ein Haufe grimmiger Gestalten drang mit gehobenen Aexten und
Säbeln von der Schebecke an Bord des holländischen Fahrzeugs. Der
kräftige =Jansen= und seine kühnen Leute setzten ihnen den
entschlossensten Widerstand entgegen.

»Hinab mit den Schurken! In die Wellen mit den Don's!« schrie er und
sein Arm schleuderte jeden, der sich ihm näherte, unwiderstehlich in die
Flut. Aber immer stürmten neue Haufen heran und er sah nun ein, daß er
die Anzahl der Gegner zu gering geschätzt hatte. Schon mußten die
Holländer vor der drängenden Menge weichen, schon waren einige von ihnen
gefallen und =Jansen= erkannte, daß er mit seinen Leuten unmöglich das
Schiff halten könne -- da stieg plötzlich ein weißlicher Dampf von dem
Mittelborde der Schebecke auf und wurde im Fluge weniger Secunden zum
dicken schwarzen Rauche, dem sogleich die ausbrechende Flamme folgte.
Die Anzahl der angreifenden Feinde verminderte sich. Viele von ihnen
eilten hin, um das Feuer zu dämpfen. =Jansen= und die seinigen drangen
wieder vor.

»Sieg! Sieg! Oranien hoch! Die Geusen hoch!« jubelte =Beckje=, von der
Höhe des Cajüten-Verdecks, die sie, um das Ganze überblicken zu können,
eingenommen hatte. Die Mannschaft der =Syrene= stimmte ein. Vor ihrem
neubelebten Muthe flohen die Gegner auf ihr brennendes Schiff zurück.
=Jansen= packte mit Riesenkraft den letzten Spanier, der fliehend die
=Syrene= verlassen wollte, und schleuderte ihn hinter sich auf das
Verdeck.

»=Den= behalten wir zum Andenken an diesen Tag!« rief er. »Jetzt die
Enterhaken weg, die Schiffe von einander! Der Spagnol mag allein zur
Hölle fahren!«

Im Fluge des Augenblicks wurden seine Befehle ausgeführt. Alles griff zu
den Rudern. Mit einer Schnelligkeit, als hätte sie Flügel, entfernte
sich die =Syrene= aus der gefahrdrohenden Nähe der aufflammenden
Schebecke. Aller Blicke hingen an dem Schiffe, dessen entsetzliche Lage
das Angstgeschrei der Mannschaft verkündigte. In diesem Momente brachen
sich die Wolken, die Sonne strahlte vom Himmel herab. =Jansen= sah, wie
die Schaluppe der Schebecke ausgesetzt wurde, um wahrscheinlich die
Bemannung aufzunehmen. Das Feuer griff weiter um sich, es wüthete schon
in dem Tauwerk und den Masten. »Möchten sie sich retten!« wünschte
=Jansen=, dessen Mitleidsgefühl größer war, als der Haß, den er auf die
Spanier geworfen hatte. Aber er mußte sehen, wie die Schaluppe, als sie
die Oberfläche des Wassers berührte, umschlug und von den Wellen
fortgerissen wurde. Ein herzzerreißender Schrei der Verzweiflung klang
von dem spanischen Schiffe herüber. Zu gleicher Zeit wurde aber
=Jansens= Aufmerksamkeit von einem andern Gegenstande gefesselt. Hinter
der nächsten Insel bewegte sich mit schwellenden Segeln und die Flagge
der vereinigten General-Staaten entfaltend, ein stattlicher Kutter
hervor.

»Zu spät!« sagte =Jansen= unwillig für sich. »Eine Viertelstunde früher
und Alles wäre anders gekommen!«

Eine zarte Hand faßte die seinige. Er wandte sich um. Zwischen zwei
schwer verwundeten, am Boden liegenden Matrosen, stand =Clelia=. Ihre
Gesichtszüge waren verstört, ihre Blicke irrten unruhig umher, ihre Hand
bebte. Sie holte schwer Odem, sie schien mit Gewalt die Kraft der Rede
aufbieten zu müssen.

»Wo ist =Cornelius=?« stöhnte sie aus tiefer Brust. »Ich suche ihn
allenthalben; ich finde ihn nirgends!«

»Sturm und Windstille!« rief außer sich =Jansen=, der in dem Drange der
Ereignisse seines Freundes vergessen hatte. »Ihm verdanken wir unsere
Rettung. Er hat die Schebecke angezündet. Er war darauf oder -- er ist
noch dort!«

Seine Blicke flogen wild über die Wasserfläche. Nirgends war die Jölle
zu sehen. Einen Augenblick lang trieb der Wind die Rauchwolke zur Seite,
welche die Schebecke umgab. Die Aussicht hinter ihr wurde frei, auch
dort keine Spur des Nachens, der das Verderben zu dem feindlichen
Fahrzeuge getragen hatte! Todtenbleich stand =Clelia=, mit schlaff
herabhängenden Armen, die großen trockenen Augen starr auf das brennende
Schiff geheftet. Ihre Hände und Arme zitterten, sonst schien die ganze
Gestalt starr, regungslos erhalten durch die allgewaltige Spannung, die
sich ihres Innern bemächtigt hatte.

»Wir müssen es wagen, wir müssen ihn retten!« schrie =Jansen= mit einer
Stimme, die Alle ergriff. »Die Ruder bewegt! Noch einmal an die
Schebecke!«

Da flammte von der Oberfläche des Wassers ein ungeheurer Blitz empor zum
heiter gewordenen Himmel. Eine schwarze, breite Rauchwolke stieg rasch
auf von der Stelle, wo man so eben die Schebecke gesehen hatte. Dann
folgte ein entsetzliches Krachen, der Himmel verdunkelte sich, die
Wellen geriethen in Gährung, Todtenstille herrschte auf der Syrene. Als
die finstere Rauchwolke sich vertheilt hatte, waren nur noch einzelne
Trümmer des spanischen Schiffes zu erblicken, mit denen die Wellen
spielten. Das Jammergeschrei derer, die noch vor einer Stunde lebensfroh
und kräftig auf ihr gewaltet, war im Todeskampfe verstummt, des Schiffes
stolzer Bau vernichtet.

In tiefer Ohnmacht lag =Clelia= neben dem erstarrten =Jansen=. Ruhig und
majestätisch zog der Kutter über den bewegten Wellenspiegel heran.




In demselben Verlage sind folgende empfehlenswerthe Bücher erschienen:


=Döring=, Georg, =Sonnenberg=. Eine Novelle in drei Theilen. 12.
Geheftet Rthlr. 4. 20 ggr. oder fl. 8. 24 kr.

Wir dürfen dieses neue Produkt des beliebten Verfassers, mit um so
größerem Rechte der Theilnahme des Publikums empfehlen, da hier das
Interesse der Dichtung selbst und zugleich die Wahl des historischen
Hintergrundes, auf welchem jene erscheint, von hoher Bedeutung für den
=deutschen= Leser sind. Wenn =Walter Scott= mit vorziehender Liebe die
frühere Geschichte seiner Heimath benutzte, um sie mit seinen Dichtungen
zu verschmelzen und in diesen zu verlebendigen, so ist dasselbe in
Hinsicht auf die Geschichte unseres Vaterlandes gewiß mit nicht weniger
Liebe von unserm Verfasser in der gegenwärtigen Novelle geschehen. Uns
scheint das Zeitalter, der Kampf und Untergang Adolphs von Nassau mit
lebendiger Erkenntniß aufgefaßt und dargestellt, die handelnden Personen
scharf und anziehend gezeichnet, die Hauptgeschichte -- der rein
romantische Theil des Werkes -- von außerordentlichem, fortwährend
spannendem Interesse, und die Darstellung des Ganzen so blühend und
ansprechend, wie sie die Lesewelt von dem Verfasser zu erwarten
berechtigt ist. Wir erwähnen nur noch, daß dieses -- nach den seit
Walter Scott angenommenen Bestimmungen -- die erste historische Novelle
seyn dürfte, die, indem die reizendsten Gegenden unseres Vaterlandes ihr
zur Scene dienen, einen allgemein wichtigen Zeitabschnitt umfaßt, da
=Hauffs Lichtenstein= sein Interesse nur aus der würtembergischen
Geschichte schöpft und =Spindlers Jude= überhaupt mehr in den
Sittenzustand, als in die Geschichte Deutschlands selbst eingreift.


=Döring=, Georg, =Phantasiegemälde= für 1829. 8. Gebunden, mit einem
Kupfer von =Fleischmann=. Rthlr. 1. 12 ggr. oder fl. 2. 45 kr.

Dieses Werk erfreut sich schon seit einer Reihe von Jahren einer so
ausgezeichneten Gunst des Publikums, daß es überflüssig scheinen dürfte,
diesen neuesten Jahrgang noch besonders zu empfehlen. Dennoch halten wir
es für unsere Pflicht, darauf aufmerksam zu machen, daß die reiche
Phantasie des Verfassers sich hier in einer Fülle entfaltet, wie noch in
keinem der früheren Jahrgänge, indem sie, bald das Meer, bald England
und Frankreich, bald selbst das üppig herrliche Ostindien zum
Schauplatze ihrer höchstanziehenden Darstellungen macht.


=König=, H., die =Wallfahrt=. Eine Novelle. 12. Geh. Rthlr. 1. 8 ggr.
oder fl. 2. 24 kr.

Aus der Niederung eines geheimen Vergehens führt uns die anmuthige
Erzählung zur Höhe eines Hülfsberges und zum Ueberblick alles
Wallfahrenden auf Erden. -- Einheit der Idee in ihrer verschiedenen
Lichtbrechung, heitre Darstellung bei tiefer Bedeutsamkeit und die dem
Verf. eigne Ironie zeichnen dieses Büchlein aus, das der Leser nicht
ohne Erquickung durch guten Humor und erfreuliche Ansichten des Lebens
weglegen wird. Der verkappte Jesuit knüpft die Fabel an die jüngste Zeit
an.




Liste der vorgenommenen Korrekturen


Seite 15, "pflegmatischer" durch "phlegmatischer" ersetzt (... so konnte
wohl sein von Natur phlegmatischer holländischer Freund in Feuer
gerathen ...)

Seite 16, "Spekulationen" durch "Speculationen" ersetzt (Er hatte das
ansehnliche Vermögen, das er von seinem Vater ererbt, durch kluge, wenn
gleich geheimnißvolle Speculationen, so bedeutend vermehrt, ...)

Seite 24, "Großvaterseßel" durch "Großvatersessel" ersetzt (... und
denke ich einmal zu ruhen im gemächlichen Großvatersessel, so treibt
mich's in die Höhe, ...)

Seite 30, "sey" durch "seyd" ersetzt (Ihr seyd ein Unverschämter oder
ein Wahnsinniger!)

Seite 32, "tausen" durch "tausend" ersetzt (Und wenn das ein junger Fant
mit tausend Schwüren seiner Liebsten versichert, ...)

Seite 33, "lugduner" durch "Lugduner" ersetzt (... als Professor
_historiae naturalis_ und Custos _theatri anatomici_ der erlauchten
Lugduner Academie ernannt und bestallt worden.)

Seite 33, "kannn" durch "kann" ersetzt (Von einem Manne, dem irgend ein
anderer nur unter einem wissenschaftlichen Rapporte wichtig seyn kann?)

Seite 35, "meinen" durch "meinem" ersetzt (..., um mich nach meinem,
will's Gott! noch weit entfernten Hintritte, ...)

Seite 36, Doppelpunkt vor der wörtlichen Rede ergänzt (... er lächelte
freundlich und sagte im gefälligsten Tone:)

Seite 37, "hieb,-" durch "hieb-," ersetzt (... das Lebenselixir, das
gegen den Tod stich-, hieb-, schuß- und krankheitsfest macht?)

Seite 40, "hoffunngsvoller" durch "hoffnungsvoller" ersetzt (Mein Herz
flammte empor in neuer hoffnungsvoller Liebesgluth!)

Seite 46, "eiuer" durch "einer" ersetzt (So langten sie erst nach einer
halben Stunde vor seiner Wohnung an, ...)

Seite 47, "Lichter" durch "Lichtern" ersetzt (..., sie umstellte das
Götzenbild, das ihr so grauenhaft noch nie vorgekommen war, mit vielen
brennenden Lichtern, ...)

Seite 53, "ausser" durch "außer" ersetzt (Der seltsame Kauz war ganz
außer sich.)

Seite 56, "Fodert" durch "Fordert" ersetzt (Fordert Alles von mir,
vieltheuere =Clelia=, nur das nicht!)

Seite 61, "unwarteten" durch "unerwarteten" ersetzt (..., welche
Kriegslist der theuere =Cornelius= angewandt habe, sich dem unerwarteten
Rencontre mit dem Gegner zu entziehn.)

Seite 66, "myn Heer" durch "Myn Heer" ersetzt (Wißt Ihr was, Myn Heer
=van Daalen=?)

Seite 72, "nnd" durch "und" ersetzt ( sagte jetzt mit finsterem
Angesichte und in einem sehr gedehnten Tone Herr =van Vlieten=.)

Seite 73, "ingrimmeg" durch "ingrimmig" ersetzt (»=Hoontschoten=, Er ist
ein Esel!« sagte er ingrimmig.)

Seite 74, "weitläuftig" durch "weitläufig" ersetzt (... ein Professor
aus Leyden, dem ich Euere und Herrn =van Vlietens= Personen weitläuftig
beschreiben mußte, hierher verwieß.)

Seite 75, "myn Heer" durch "Myn Heer" ersetzt (Lebt wohl, Myn Heer =van
Daalen=!)

Seite 76, "verläugnen" durch "verleugnen" ersetzt (...; Ihr könntet um
des lumpigen Geldes Willen die edlern Gefühle des Herzens verleugnen?)

Seite 83, "Prinzenkollegium" durch "Prinzencollegium" ersetzt (...,
heute hatte Herr =van Vlieten=, zum erstenmale seit der Tochter
Gedenken, das Prinzencollegium versäumt, ...)

Seite 95, "erreten" durch "erretten" ersetzt (..., als daß die Reise zu
der Muhme sie von dem schrecklichen, gefürchteten Abfalle von der
rechten Lehre erretten, ...)

Seite 97, "fester" durch "festen" ersetzt (... aber sie lebte nun in der
festen Ueberzeugung, ...)

Seite 101, "uud" durch "und" ersetzt (... wie es sich geziemt für einen
rechtgläubigen Patron und Handelsmann?)

Seite 105, "Ihrem" durch "ihrem" ersetzt (Gott hat Euch wunderbar zu
ihrem Schutzengel erwählt.)

Seite 106, "Relegion" durch "Religion" ersetzt (Aber wenn auch meine
Religion mich forttreibt aus der Heimathsstätte ...)

Seite 110, "Kapitäns" durch "Capitäns" ersetzt (In der Frau des
Capitäns, meines wackern Freundes =Jansen= von Harlem, werdet Ihr ein
gutmüthiges, heiteres Wesen kennen lernen, ...)

Seite 114, "Marktbööte" durch "Marktboote" ersetzt (Näher am Haven
befanden sich die Marktboote der aus der Ferne zurückkehrenden Schiffe,
...)

Seite 119, "Morgenstuuden" durch "Morgenstunden" ersetzt (Wie hat man
die Morgenstunden zugebracht?)

Seite 121, "Sr. Majestät" ersetzt durch "Se. Majestät" (Se. Majestät,
der allerchristlichste König, wird dieses Krämervolk nach seiner Pfeife
tanzen lehren, wie es ihm gefällt!)

Seite 123, "Eobanaus" durch "Eobanus" ersetzt (»Wie?« rief =Eobanus= in
neu erwachender Begeisterung.)

Seite 126, "mir" durch "wir" ersetzt (Dann begaben wir uns zu diesem.)

Seite 133, "Burgermeister" durch "Bürgermeister" ersetzt (»Wie,
hochmögender Herr Bürgermeister,« hob er, von einer Täuschung befangen,
an, ...)

Seite 135, "noch" durch "nach" ersetzt (Da hätte ich nach eigenem
Urtheilsspruche ...)

Seite 139, "schmälichen" durch "schmählichen" ersetzt (... und ich müsse
nun des Schimpfs halber meine Einwilligung geben zum schmählichen
Ehebündniß!)

Seite 139, "Handlager" durch "Handlanger" ersetzt (..., den Handlanger
des verruchten Sohnes, wird das Gericht ereilen.)

Seite 145, "ich," hinter "bitte" eingefügt (Solltet Ihr aber dennoch
wider Verhoffen in eine schwere Krankheit verfallen, so bitte ich, mich
sogleich davon zu benachrichtigen.)

Seite 153, "das" durch "daß" ersetzt (... schon abnehmen muß, daß Alles
rein und gut steht auf der =Syrene=, ...)

Seite 160, "Backbort" durch "Backbord" ersetzt (Dort blick hin aufs
Backbord! Da steht eine in einer Takellage, die für dich paßt.)

Seite 167, "gauben" durch "glauben" ersetzt (Ihr müßt nur nicht glauben,
daß Ihr mir da etwas Neues sagt)

Seite 170, Komma eingefügt (von dem beispiellosen Glücke, das er
=Clelien= als zärtlicher Gatte zu bereiten gedenke ...)

Seite 173, "ihr" durch "Ihr" ersetzt (Wenn Ihr mich verlaßt, so bin ich
ja von Allem verlassen, ...)

Seite 175, "=Philippinje's=" durch "=Philippintje's"= ersetzt (... eine
Gelegenheit, deren Frauenzimmer in =Philippintje's= Jahren sich so gern
bemächtigen, ...)

Seite 177, "Angeleheit" durch "Angelegenheit" ersetzt (Von diesem
Augenblicke sah die Hausjungfer des jungen Mannes Angelegenheit für ihre
eigene an.)

Seite 180, "weißt" durch "weist" ersetzt (»Mein Degen soll an den Galgen
gehängt werden, wenn er ihnen nicht die Wege weist auf gut oranisch!«)

Seite 182, Fehlendes einleitendes Anführungszeichen ergänzt (...
erwiederte gedehnt der Junker =van Daalen=, »und es würde =mir=
allerdings eine große Freude seyn, ...)

Seite 182, "Malborough" durch "Marlborough" ersetzt (»Hölle und
=Marlborough!=« fuhr =Cornelius= wild auf ...)

Seite 185, "Kämpfen" durch "Kämpfe" ersetzt (Seine ganze Phantasie
erfüllte sich jetzt mit Bildern des Kriegs und blutiger Kämpfe.)

Seite 189, Komma hinter "Unglück" entfernt (Diese räthselhaften, auf
irgend ein dem Junker =van Daalen= bevorstehendes Unglück deutenden
Worte verfehlten ihre Wirkung nicht.)

Seiten 189 bis 191, die im Originaltext zur Markierung geschachtelter
wörtlicher Rede verwendeten »»verdoppelten Anführungszeichen«« wurden
durch >halbe Guillemets< ersetzt.

Seite 198, "ausserdem" durch "außerdem" ersetzt (..., denn das
Gerede, was außerdem entstünde, brächte mich doch ums Leben in den
ersten vierundzwanzig Stunden.)

Seite 203, "Umfrieden" durch "Unfrieden" sowie "warlich" durch
"wahrlich" ersetzt (Wenn nun jetzt die Wellen, die gierig nach uns
heraufschnappen, plötzlich das Schiff hinunterschlucken mit Mann und
Maus und du im Unfrieden stürbest, mit einem unversöhnlichen Gemüthe
gegen den Junker, der es doch wahrlich nicht böse gemeint?)

Seite 205, "ausser" durch "außer" ersetzt (=Cornelius= war außer sich
vor Freude.)

Seite 205, "Einwillung" durch "Einwilligung" ersetzt (... auf welche
Weise sie, nachdem sie bei der Muhme glücklich angekommen wären, sich um
die Einwilligung des Vaters bemühen müßten, ...)

Seite 220, "kielhohlen" durch "kielholen" ersetzt (..., und sie machten
auf's Neue Anstalt, den alten Mann zu entern und zu kielholen.)

Seite 226, "sey" durch "seyd" ersetzt (»Ihr seyd gut bewandert in den
Kriegshändeln,« erwiederte lächelnd der junge =van Daalen=:)

Seite 228, "Brandtwein" durch "Brandwein" ersetzt (..., die auf langen
Wandbänken an einem schmalen Tische saßen, große Gläser mit Brandwein
vor sich stehn hatten ...)

Seite 246, "gedehnt.« Nun" geändert in "gedehnt. »Nun" (»Ey, Ihr wollt
allein schlafen?« sagte er gedehnt. »Nun dann müßt Ihr auch vorlieb
nehmen mit dem, was Ihr bekommt, ...)

Seite 252, "gewatlthätigen" ersetzt durch "gewaltthätigen" (... daß Ihr
ein rechtes Kunststück begangen habt mit Euerer gewaltthätigen Werbung;
...)

Seite 267, "Judenkracht" ersetzt durch "Jüdenkracht" (Da fiel mir der
Jude =Abraham Eleazar=, auf der Jüdenkracht zunächst der Synagoge, ein.)

Seite 267, "viertel Stunde" durch "Viertelstunde" ersetzt (Kann ich nur
glücklich aus dem Sünderhause entwischen, so bin ich in einer
Viertelstunde bei ihm und ich lasse ihm keine Ruhe, bis er mitkommt zur
Hülfe.)

Seite 269, "gleicheu" durch "gleichen" ersetzt (..., und nur meine
innere Wuth konnte ihr gleichen.)

Seite 274, Semikolon hinter "Worten" durch Komma ersetzt (Ich berichtete
ihm in wenigen Worten, woher der Wind in den letzten Stunden geblasen
habe ...)

Seite 275, "geschaft" durch "geschafft" ersetzt (Jene wurden sogleich
weiter, mitten durch die tobende Volksmenge, die nur mit großer Mühe von
Mißhandlungen zurückgehalten werden konnte, ins Gefängniß geschafft.)

Seite 279, "begreiftich" durch "begreiflich" ersetzt (Es dauerte lange,
ehe sie dem Juden die ganze Geschichte begreiflich machen konnte.)

Seite 285, "uud" durch "und" ersetzt (... noch vor einer Stunde dachte
ich es mir als das Herrlichste und Größte, für Euch zu kämpfen, ...)

Seite 295, "mir" durch "wir" ersetzt (Aber er kommt näher, er will sich
die heißen Brocken mit den Fingern aus der Suppe holen, die wir ihm
kochen.)

Seite 301, "wie" durch "wir" ersetzt (»Der Himmel will nicht haben, daß
wir den =Don= nehmen oder =er= uns.«)

Seite 301, Fehlendes öffnendes Anführungszeichen vor "Das" ergänzt
(»Nein, nein!« antwortete der Capitän. »Das ist nur vorübergehend. Hier
halten sich die Wetter nicht. Sie eilen der offenen See zu.«)






End of the Project Gutenberg EBook of Die Mumie von Rotterdam, by Georg Döring

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Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

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collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
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that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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