The Project Gutenberg eBook of Westmark This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Westmark Author: Friedrich Lienhard Release date: September 20, 2024 [eBook #74449] Language: German Original publication: Stuttgart: Türmer-Verlag Greiner und Pfeiffer Credits: Peter Becker, Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK WESTMARK *** +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Anmerkungen zur Transkription: Das Original ist in Fraktur gesetzt; offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden. Ungewöhnliche und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen wurden übernommen. Zur besseren Übersicht wurde das Inhaltsverzeichnis vom Bearbeiter an den Anfang des Buches verschoben. Für die verschiedene Schriftformen sind folgende Zeichen benutzt worden: =antiqua gedruckter Text= ~gesperrt gedruckter Text~ ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Westmark Roman aus dem Elsaß Von Friedrich Lienhard 60. Auflage [Illustration] Stuttgart Verlagsanstalt Greiner & Pfeiffer Druck von Greiner & Pfeiffer in Stuttgart Inhalt Seite Erstes Kapitel: ~Drei Einsiedler~ 1 Zweites Kapitel: ~Dreierlei Gespräche~ 18 Drittes Kapitel: ~Elsaß und Thüringen~ 37 Viertes Kapitel: ~Ein Nachtgang~ 44 Fünftes Kapitel: ~Zusammenbruch~ 55 Sechstes Kapitel: ~Das Weinberghäuschen~ 75 Siebentes Kapitel: ~Briefe eines Elsässers~ 87 Achtes Kapitel: ~Ein Tag in Straßburg~ 97 Neuntes Kapitel: ~Aus Speckels Tagebuch~ 119 Zehntes Kapitel: ~Das Grab im Birkenwäldchen~ 129 Elftes Kapitel: ~Stille Menschen~ 153 Zwölftes Kapitel: ~Heidelberg~ 164 Erstes Kapitel Drei Einsiedler Die Welt ist groß: zieh hin und her, Du findest doch kein Elsaß mehr! ~Ehrenfried Stöber~ Herbstwehmut überschauerte bereits die Gefilde der Westmark. Die Weinberge um Lützelbronn begannen sich zu vergolden. Gärten und Felder hatten ihre Sommerarbeit getan und waren willens, ihre Früchte den Menschen abzugeben. Über der Ebene und am Gebirg entlang war jener zarte Duft, der zumal im Abendrot der elsässischen Spätsommerlandschaft einen wehmutvollen Zauber verleiht. Noch glaubt man die Gluten des Sommers irgendwo in den Tiefen zu spüren; aber sie sind vergeistigt, verhalten, nur noch Melodie und Farbe, nicht mehr Leidenschaft. Oder war diese veredelte Glut nur in der Seele des Einsamen, der oben am Waldrand saß und den ernsten Blick in die Landschaft sandte? Es war ein langer, hagerer Mann von etwa fünfzig Jahren, in dunkler Kleidung, die sofort den Pfarrer oder Gelehrten verriet. Auf seinem Lodenmantel gelagert, hatte er den Ellenbogen aufgestützt; neben ihm lagen Buch und Filzhut. Die Stirn trat aus gelichtetem, angegrautem, kurzem Haar bedeutend hervor. Herb, fast schwermütig wirkte das längliche bartlose Gesicht mit den zwei tiefen Kummerfalten, die sich von der Nase zu den Mundwinkeln herunterzogen. Der Boden zwischen Weinberg und Kastanienwäldchen war trocken. Ein wilder Kirschbaum breitete seine spitzen, welk herniederhangenden Blätter über den Träumenden aus. Ein paar lange Halme standen regungslos. Vergilbte Kastanienblätter bildeten einen Teppich; hie und da lag eine gesprungene Schale der eßbaren Früchte. Und Risse im Boden zeigten, daß sich in dieser geschützten hohen Waldecke nicht viel Regen zu sammeln pflegte. Ein toter Winkel, der aber weit und breit den schönsten Rundblick bot. Es war ein Elsässer aus altem Geschlecht, der von diesem Lieblingsplatz seine schwermütigen Gedanken über die Heimat hinauswandern ließ. Pfarrer Johann Friedrich Arnold amtierte seit Kriegsbeginn in seinem Heimatdorfe Lützelbronn. Aber so friedlich sich auch das Dörfchen zu seinen Füßen von hier oben beschauen ließ: welch ein Lebenswirrsal lag hinter dem stillen Manne! Er hatte einige Jahre auf seinem kleinen Landgut Windbühl gesessen und gesonnen; er hatte noch früher als philosophischer Privatdozent in Heidelberg Fuß zu fassen gesucht. Er galt bei seinen Landsleuten und Amtsgenossen zwar als »arg gelehrt«, genoß auch als vornehmer Charakter unbestimmte Achtung, erschien aber doch den meisten als ein etwas abenteuerlicher Sonderling, der seine Ziele überspannt hatte und nun eigentlich in einer unfruchtbaren Ecke saß. Der Elsässer hatte von einem Landsmann gelesen, der vor hundert Jahren im Steintal, tief im Wasgenwalde, segensreich gewirkt hatte. Die »Zeder« hatten sie jenen schlichten, frommen und festen Pfarrer von Waldersbach genannt. Im Jahre 1826, im hohen Alter von sechsundachtzig Jahren, war der Allverehrte gestorben. Jenen Patriarchen Friedrich Oberlin hatte er sich zum Vorbilde genommen. Es waren in jenem Edelmenschen Fähigkeiten an der Arbeit gewesen, die sich einst beruhigend und beseelend auf die Umwelt ausgestrahlt hatten. »Ich habe mir selbst ähnliche Kräfte auszuwirken gewünscht«, dachte der Spätling auf seinem Hügel. »Allein das Schicksal hat mir kein Wirkungsfeld gestattet.« Er sah im Geist seine leidvoll hingesiechte Frau; er sah sich erschüttert vor ihrem verzerrten Angesicht stehen bei jenem letzten furchtbaren Besuch im Irrenhause ... Er sah im Geist seinen Sohn, der jetzt da unten im Giebelzimmer des Pfarrhauses saß, mit einer Nervenerschütterung heimgekommen aus der Somme-Schlacht ... Und jäh zuckte nun er selbst empor. Ein ferner Kanonenschuß! Das kam aus den Südvogesen. Unheimlich, ob auch gedämpft, rollte das nun wieder Schlag um Schlag über die lang widerhallenden Berge. Es gab Tage, wo diese Batterien nur tropfenweise zu vernehmen waren; und andre Tage, wo die Fenster zitterten. Zwei Völker rangen dort wieder um des deutschen Reiches Westmark! Zwei nur? Nein, viele Völker! Seit vier Jahren schon ein Lebenskampf zwischen Deutschland und fast der ganzen übrigen Welt! Und dieses deutsche Elsaß-Lothringen, dieses Alemannenland, das die Gegner eine geraubte französische Provinz zu nennen wagten, war bei alledem eins der leidenschaftlich umstrittenen Kampfziele. Auf den Tag der Rache hoffte ja Frankreich seit Jahrzehnten! Auf den Tag der Rache hatte auch im Elsaß eine kleine gehässige Minderheit gewartet und gewühlt seit Jahrzehnten! Nun hatten sie ihren Rachekrieg. Europa blutete. Und das Niederträchtige dabei war, daß die feindlichen Völkerschaften dem deutschen Volk und dem deutschen Kaiser alle Schuld zuschoben ... Vier Jahre Weltkrieg! Er dachte an die ersten lodernden Kriegstage zurück: wie er Schwester und Tochter seines damals krank liegenden Nachbarn und Freundes Bieler noch im letzten Augenblick aus den Südvogesen holte. Welche Flucht! Die furchtbaren Donnerschläge der Kanonen, die hinter ihnen den dunkelblauen Nachthimmel in rote Glut und die Dörfer in Rauch und Brand verwandelten! Die Franzosen waren über die Schlucht und von Belfort her in Gebirg und Ebene eingebrochen. Eine Reihe von elsässischen Ortschaften wurde besetzt; die Bevölkerung der Kampfzone floh. In einem kleinen Gefährt holte er noch rasch die zwei Frauen, die dort auf Besuch waren. Jenes ganze Dorf war auf der Flucht. Bald wuchteten Bergwände hinter dem Zug der verstörten Flüchtlinge. Die Sinne vernahmen wieder die Geräusche der Nähe. Lauter knarrten und ächzten die Wagen; die schlürfenden Schritte und das Schnaufen der Rinder machten sich stärker vernehmbar; ein Husten oder Niesen klang kühner hinaus; auch zahlreicher als zuvor ein Weinen oder eines Kindes Geplärr. Und vernehmlich rauschte neben der Straße der mitwandernde Waldbach, der sich gleich jenen Elsässern in die Rheinebene zu flüchten schien. Wohl verfolgte dumpfer Kanonenton Gehör und Gemüt noch lange. Doch das Mordfeuer klang spärlicher und durch Ferne gemildert in die Seele der Entsetzten. Er sah sie im Geiste zwischen ihrem hochgetürmten Gerät. Mit gezügelten oder gemessenen Schritten bewegten sich neben den Ochsen und Kühen die Knaben und Greise, gedämpften Tones die Zugtiere ermunternd und die nachwandelnde Herde antreibend. In der sternenhellen, mondlosen Nacht blitzte von Zeit zu Zeit eine Laterne auf. Der vorderste Bauer hatte seine Leuchte am Leiterwagen befestigt und erhellte als Führer den Weg. Der alte Lehrer schritt manchmal die Reihe entlang und rief ermunternd einzelne Namen in die Nacht hinaus; und von da und dort scholl beruhigende oder seufzende Antwort. So kroch der Zug aus der Finsternis des Wasgenwaldes in das weithin klaffende morgengraue Flachland. Im Osten, über der Linie der Schwarzwaldberge, flimmerte der erste Purpurschimmer der Morgenröte ... Und ergreifend war es dem Pfarrer in Erinnerung, daß plötzlich in jenem Flüchtlingszuge ein Knabe zu singen begann. Mit schöner Bergstimme sang der Sohn der südlichen Elsaßberge das deutsche Volkslied: »Zu Straßburg auf der Schanz, Da ging mein Trauern an. Das Alphorn hört' ich drüben wohl anstimmen, Ins Vaterland wollt' ich hinüberschwimmen, Das ging nicht an« ... Wohl verwies ihm eine scheltende Frauenstimme das unpassende Singen. Aber der Knabe fuhr leiser fort, ohne sich sonderlich einschüchtern zu lassen. Und das trauervolle Lied schwebte fortan über der alemannischen Flüchtlingsschar, wie das Weinen einer Seele, die mit verhülltem Antlitz vor den Dämonen des westlichen Hasses nach Osten flieht ... Dann ein andres Bild: jener begeisterte Auszug der elsässischen Regimenter aus Straßburg! Wie dröhnte die Meisengasse, wo einst Rouget de l'Isle die Marseillaise gesungen, vom Marschgesang der blumengeschmückten deutschen Soldaten! »Lieb' Vaterland, magst ruhig sein! Fest steht und treu die Wacht am Rhein!« Und winkende Hände und Taschentücher aus allen Fenstern -- und heiße Tränen und heiße Hoffnungen! Unbekannte schüttelten einander die Hand: »Auch ein Sohn dabei? Jetzt hat's mit dem Zwitterwesen ein Ende! Jetzt bluten wir miteinander!« Und seht doch, da springt einer aus dem Volk heraus und nimmt dem Fahnenträger begeistert die Fahne ab -- und Frauen und Kinder laufen weinend und lachend neben den Todgeweihten einher ... Auch sein Sohn Gustav war dabei, leuchtend von inneren Flammen! ... Und nun vier Jahre lang schwerer Kampf gegen ungeheure Übermacht! Der letzte deutsche Angriff des Sommers 1918 war leider ebenso mißglückt wie der Angriff der Österreicher an der italienischen Front. Die deutsche Westfront wich langsam, langsam zurück ... Der Träumer schauerte zusammen. Ein alter Bauer am Rande des Hohlweges trug schwermütig Stangen auf einen Handwagen. Nur flüchtig hatte der Alte bei der einsetzenden Kanonade nach Süden gelauscht. Jetzt klapperten wieder gleichmäßig seine Holzschuhe durch die reine Luft herauf. Sonst kein Laut. Das Dörfchen zu Füßen des Gelehrten schimmerte mehr und mehr in einem letzten lieben Sonnenblick. Das zarte Birkenwäldchen im Garten des Winzers Bieler, unmittelbar neben dem weißen Pfarrhause, stand verklärt und zum Betreten nahe. Wie schön und rein dieses geliebte Land, wenn man sein Bild mit stiller Seele aus etlicher Höhe in sich aufnahm! Steile Pappeln wuchsen in der Ebene. Sie standen wie feierliche Zypressen auf einem Gottesacker. Die Störche rüsteten nun zur Südfahrt; die Schwalben desgleichen. »Elsaß gleicht in Wahrheit einem herbstlichen Friedhof«, dachte der Einsame. »Mein Ohr vernimmt ein Lied der Schwermut. Wir sind ungeheuer verlassen, wir Elsässer!« Der Pfarrer und Professor war musikalisch. Er glaubte jetzt Liszts zweite ungarische Rhapsodie zu vernehmen, die über die Ebene brauste wie ein Heer von Geisterrossen und wieder verwehte -- nein, sich verwandelte in ein Notturno oder eine Ballade von Chopin. Dann schien das magische Singen und Klingen wieder verflogen. Ein ganz leiser Abendhauch bewegte die Halme. Des Einsiedlers Blick umschattete sich ... Aus dem Birkenwäldchen zu seinen Füßen erhob sich eine Gestalt. Die Erscheinung wuchs. Jetzt füllte sie sein Gesichtsfeld aus -- und es entspann sich ein Gespräch. »Wer bist du?« fragte der Seher. »Die Seele, die du liebst.« »Wer ist die Seele, die ich liebe?« »Von der du träumst.« »Wie kann Gestalt annehmen, was in Lüften lebt? Kann elsässische Seele Person werden? Kann sie als Mann oder Mädchen vor mein Auge treten? Kann ich ihr die Freundeshand reichen oder sie liebend ans Herz ziehen? Denn siehe, ich habe um die Seele meines Volkes gerungen lebenslang -- und habe sie nicht gefunden.« »Hat deine Liebe nicht einst Gestalt genommen und einen Sohn gezeugt?« »Ich habe wohl einen Sohn, doch ich bin um ihn bange. Um sein Gemüt noch mehr als um seine zarte Gesundheit. Denn auf ihm lastet dieses Landes tragisches Schicksal. Er wird darunter vergehen, fürcht' ich, wie seine Mutter vergangen ist. Zwanzig Jahre bin ich allein; ich habe mein Herz und meine Hoffnung in meinen Sohn ergossen. Und mein Sohn droht mir zu zerbrechen.« »Hast du niemanden als ihn?« »Seine Braut, meine Schülerin und junge Freundin, die mir nicht minder gut ist als ihm.« »Wie kannst du sagen, daß du einsam seiest? Haben dich nicht beide lieb?« »Beide haben mich lieb. Und ich wüßte niemanden, den ich mehr liebe. Und in ihnen lieb' ich dieses Land, das sich weit und wehmütig hinter ihnen ausdehnt. Warum senkst du das Haupt?« »Siehst du das Birkenwäldchen in deines Nachbars Garten?« »Ich sehe es.« »Dort wird ein Grab stehen.« »Ein Grab? Wessen Grab?« Die Luftgestalt erhob beide Arme, beschrieb einen Bogen, als wollte sie das Land umfassen, und wiederholte: »Ein Grab.« »Ein Grab? Willst du mich damit schrecken? Schätzest du meine geistigen Kräfte so gering ein? Du täuschest dich und mich mit diesem Spinnwebgewand der Trauer. Willst du dieses Landes Seele sein? Nein, nein, du bist nicht die letzte Tiefe der Westmark! Unseres Wesens Kern ist trotz alledem Kraft, unsre letzte Tiefe ist schaffende Liebe. Immer neu in jedem Frühling belebt sich die Natur, und aus Trümmern erblüht Leben. Wirf dein Gewand ab, enthülle deinen Kern, deine Tiefe! Enthüllst du dich nicht, Gespenst, so will ich selbst dich entzaubern! Denn wir sind die Seele dieser Westmark, wir Schaffenden, wir Lebendigen! Wir gestalten dich -- du nicht uns! Verschwinde!« Ein Ruck, ein Griff in die blasse Luft: das Gesicht verschwand. Der Seher warf einen Bann ab. Er saß nun aufrecht und atmete befreit. Und siehe da! Die Sonne brach noch einmal in entzückender Strahlenbrechung quer herüber in das Birkenwäldchen. Und dort, zwischen den jungfräulichen weißen Stämmen, stand in der Tat eine menschliche Gestalt in hellem Frauengewand und winkte herauf. »Es ist Fanny«, sagte der Erwachte. Und er nahm Hut, Buch und Mantel und ging mit großen Schritten hinunter ins Tal. * * * * * Fanny Bieler hatte lange Stunden in ihrem Stübchen auf dem Fußboden gesessen und in alten Briefen gekramt. Schubladen standen offen, Papiere, Bänder, gepreßte Blumen lagen umher. Und mitten darin saß die blonde kleine Gestalt, derart vertieft, daß sie die ganze Außenwelt vergaß. Da waren die Briefe ihres Bräutigams Gustav, sehr zahlreich, sehr sauber geschrieben und gehaltvoll; dann waren da in großer, kräftiger Schrift die meist kurzen, hingeschleuderten, sprühenden Briefe ihres entfernten Verwandten Erwin ... Waren es nicht Liebesbriefe, glühender als Gustavs gehaltene Schreibart? ... »Da sitz' ich auf dem Petersberg zu Erfurt, genialste aller Basen, hab' einen ausgezeichneten Feldwebel und einen widerwärtigen Hauptmann, werde mir aber meine Begeisterung nicht zerrupfen lassen durch einen Überpreußen, dessen schnarrende Stimme sämtliche neun Musen in die Luft sprengt. Was tut also der findige Rekrut? Er versetzt seiner Cousine Liebeserklärungen. Weib, Weib, glückselig der Mann, der dich in die Arme schließt! Ich könnte Freund Gustav, den grundguten Kerl, prügeln, daß er Dich nicht jeden Tag jauchzend durch die Stube trägt, Du anmutigstes elsässisches Maidel, dessen einziger, erster und letzter Kuß von damals -- weißt Du, beim Auszug, in unsrer Stube am Münster -- o Straßburger Münster --, dessen einziger Kuß, sag' ich, mir heut' noch und für immer auf den Lippen brennt! Leb' wohl, Fanny, ich schwöre Dir, kein Mädchen zu berühren, und nichts zu tun, was Dich betrüben könnte! Und ich danke dem Himmel, daß im Elsaß Mädchen wachsen wie Du! Wenn Du ein Eckplätzchen in deinem Herzen neben Deinem Gustav übrig hast, so laß mich dort uffm Schemele sitzen und behalt e bißl lieb. Deinen Freund und Vetter ~Erwin~.« Solche Briefe liest ein hübsches Mädchen nicht ohne Stolz und Ergriffenheit, selbst wenn sie noch so glücklich verlobt ist. Fanny kam in ein holdes Verträumtsein; dann prüfte sie sich selbst. »Kann ich denn treu sein?« dachte sie plötzlich. Und sie ertappte sich darauf, daß sie oft mit mehr Lust und Laune an Erwin schrieb als an ihren Bräutigam. Und doch: wie innig hatte sie Gustav lieb! Sie war so entsetzt über diese feine Untreue, über dieses leise, leise Liebesspiel mit dem lebhaften, langen, blonden Erwin, dessen Augen so lustig hinter dem Kneifer sprühten; sie war so bestürzt über die Möglichkeit, für einen andern noch Raum zu haben in ihrem bräutlichen Herzen -- daß sie jäh aufsprang, alle Briefe in die Schublade warf, abschloß und mit zwei, drei Schritten die Treppe hinunterflog an das Klavier, wo sich ihre heiße Natur in Liszt und Chopin austobte. Dann lief sie hinaus in den Garten. Sie war im Städtchen gewesen und trug noch ihr hellgraues Kleid mit breitem rotem Gürtel. Den Lodenmantel hatte sie umgeworfen; die Wangen glühten; die feste, volle Brust atmete stark. Alles in der feingebauten, spannkräftigen, nicht großen Gestalt war beherrschte Glut. Um ihr blondes, über den Schläfen geringeltes Haupthaar hatte sich das Netz einer Spinne gewickelt. Das junge Mädchen blieb mit zusammengepreßten Lippen stehen, blinzelte nach oben und suchte das Gespinst zu entfernen. Der rote Mund war erstaunlich schmal, aber voll, gleichsam gewölbt; die Adlernase zwischen den blauen Augen wirkte bedeutend und gab dem ovalen, rosigen Gesichtchen Charakter. So klein die Gestalt war, sie bekundete Festigkeit und Wärme zugleich. »=Allons donc!=« rief sie jetzt und schleuderte das lästige Anhängsel mit kurzem, raschem Ruck an ein Birkenstämmchen, das erschrocken einige Blätter über das ungeduldige Persönchen fallen ließ. Sie lief nun im höheren Teil des Gartens hin und her, wo das Wäldchen an den Pfarrgarten grenzt. Wie oft war der Jugendfreund und Geliebte über diese Mauer gesprungen! Sie lauschte insgeheim auch heute auf sein Kommen. Aber sie war zu stolz, um sich diese schmerzliche Ungeduld merken zu lassen. Scheinbar wohlgemut schritt sie flinken, federnden Schrittes hin und her, als ob sie zu lange gesessen hätte und sich etwas erwärmen wollte. Ja, sie summte leis-wehmütig ein Liedchen von der schönen armen Lilofee vor sich hin, das sie vom Wandervogel Erwin gelernt hatte, und blickte hartnäckig nach der Ebene hinaus oder nach dem Wald empor. Im Weinkeller klopfte der Vater mit dem lahmen Schauli an den Fässern herum -- -- und fernher von Süden setzte nun wieder die Kanonade ein. Drüben aber, im Giebelstübchen des Pfarrhauses, freilich auf der abgelegenen Seite, saß der beurlaubte kränkelnde Gustav, keine hundert Schritte von der lebensprühenden Geliebten entfernt. Seine Ruhr und seine Wunde waren geheilt; aber Herz und Nerven gehorchten noch nicht. Vom stolz-einsamen Vater und von der menschenscheuen, aus dem Irrenhause in die Ewigkeit hinübergeschlichenen Mutter hatte der begabte Jüngling viel Einsamkeitsbedürfnis im Blute. Seine Dachkammer war sein Reich; die Tür an der Speichertreppe pflegte er von innen zu verriegeln. So war er unnahbar. Niemand konnte ihn aus der selbstgewählten Einsiedelei herunterlocken, wenn er nicht Lust hatte; auch nicht der verehrte Vater und noch weniger die Braut und Spielgenossin. Er hatte seine Trutzstunde; man mußte ihn allein lassen. Manchmal freilich überwältigte den Jüngling der Drang, sich an Menschen anzuschmiegen. Dann herunter, ein Sprung über die Mauer -- es lag dort ein altes Brett, das man schief anstellte, um der Fußspitze einen Halt zu geben -- und er war in den Armen der küssedurstigen Geliebten der zärtlichste und bei aller Inbrunst ritterlichste Liebhaber. Mit Tränen der Dankbarkeit und der Rührung dachte Fanny an all die liebenswerten Eigenschaften des Leidenden. Sie selber, sinnenstark und rein zugleich, verband ungewöhnliche Liebeskraft mit einem ungewöhnlichen jungfräulichen Stolz. So war es ihr denn nicht gegeben, den Geliebten zu umwerben oder gar an seiner Türe zu betteln. Eher die Lippen blutig beißen -- -- Sie riß eine letzte Rose so hastig ab, daß sie sich in den Zeigefinger stach. Mit Ingrimm, einem schmollenden Kinde nicht unähnlich, stand sie nun und saugte am Finger. Der dunkelgrüne Lodenmantel war von der Schulter geglitten. Und wie sie nun in ihrem hellen Kleide dastand, den zierlichen Finger am Munde, dachte sie lebhaft an Onkel Arnold; so pflegte sie den Vater ihres Bräutigams zu nennen. Er war so oft mit seiner Weisheit und Ruhe ihr Zufluchtsort: wo blieb er denn heute? Ein Vorgang drängte sich lebhaft und anschaulich vor ihr inneres Auge. Das war damals eine der schwersten Nächte ihres Lebens. Zittern überlief die kleine Gestalt, wenn sie daran dachte. Das war die Nacht im Herbst 1914, als ihr Bruder Georges, im Auto vorüberkommend, nach der Schweiz und nach Frankreich zu fliehen entschlossen war, mit falschem Paß -- ein fahnenflüchtiger Stabsarzt! Furchtbare Nacht! Ihr Bruder und der herübergeeilte Pfarrer waren aneinandergeraten, deutschgesinnt der reife Onkel Arnold, verhetzt von Französlingen der junge Elsässer. Es ward ein Ringen auf Tod und Leben. Vater Bieler verkroch sich; das junge Mädchen saß mit zusammengebissenen Zähnen in der Sofaecke, grausam eingekeilt zwischen dem geliebten Pfarrer und nicht minder geliebtem Bruder. Und ihr Bräutigam, der kerndeutsch gesinnte Elsässer, stand derweil auf dem deutschen Schlachtfeld! Noch einmal hatte der Pfarrer den Flüchtling zur Pflicht zurückgeführt; aber tags darauf entwich dieser dann doch seinem deutschen Vaterlande. Und nun stand Georg Bieler längst auf der Liste der ausgebürgerten Elsässer -- ein Landesverräter! Sie war damals dem geliebten Onkel Arnold an den Hals geflogen, als er den Bruder noch einmal beredet hatte. Und -- wann war's doch? Ein zweites Mal, schon früher, hatte der väterliche Freund sie an sein Herz gerissen, der hohe, nach außen so kühle Mann, und mit einem Jubelruf in die Lüfte gehoben. Das war -- ja, das war in jener Philosophiestunde mit Gustav auf dem Gutshof Windbühl, als sie den Kant zornig an die Wand warf. Die Stelle wußte sie nicht mehr; aber sie erinnerte sich ihres Entsetzens nach der jähen Tat, sie erinnerte sich des verärgert scheltenden Gustav -- und wie sie dastand, den Finger am Munde, von dem Gedanken gelähmt: »Um Gottes willen, was wird nun Onkel Arnold sagen, der Philosoph?!« Aber Onkel Arnold, der Mensch, lachte laut auf; er packte das temperamentvolle Mädchen unter den Armen, hob es wie ein Kind hoch und küßte es mitten auf den blühend warmen Mund. Es war wirklich so: sie wurde von ihm geküßt -- und hatte doch Kants Kritik der reinen Vernunft an die Wand geworfen! Immer war es Onkel Arnold, der sie verstand, der ihr zu Hilfe kam, der vor allem ein lebendiger Mensch war und dann erst ein Gelehrter. Und während sie nun, den Finger noch am Munde, wie damals in der philosophischen Stunde, ihre Augen am Berghang schweifen ließ -- siehe, da saß ja Onkel Arnold oben am Kastanienwäldchen unter dem Kirschbaum! Sofort begann sie zu winken. Endlich ein Mensch! * * * * * Gustav stand in seinem Dachstübchen am offenen Fenster und beobachtete durch den Feldstecher den Vollmond. »Ich bin geheimnisvoll mit dem Mond verbunden«, dachte er. »Der Tag ist mir zu grell und zu laut.« Bleich wie das langsam über das Gebirge emporsteigende Nachtgestirn war auch sein Antlitz. Er trug neben dem kurzen dunklen Schnurrbart noch an den Backenknochen etlichen Haarwuchs, so daß er mit seinem etwas düstern Ausdruck einem Bildnis des Dichters Lenau nicht unähnlich sah. Schlank, von feinem Gliederbau, in Gebaren und Sprechweise gedämpft, gehörte der gewissenhafte junge Mann zu jenen Naturen, die sich weder aufdrängen noch durchsetzen, sondern am liebsten ihre Person auswischen möchten. »Gäb's doch nur eine Tarnkappe!« seufzte er manchmal. »Ich möchte am liebsten unsichtbar durchs Leben gehen.« Er hatte sich zur wohlgelungenen Abgangsprüfung vom Gymnasium ein wertvolles Zeißsches Fernglas erbeten. Sternkunde war eine seiner Leidenschaften. Da war es nicht verwunderlich, daß man ihm den Spitznamen »Sterngucker« anhängte. Andrerseits war er ein Kleinkrämer, ein Sammler, der mit fast komischer Zärtlichkeit wunderlichste Dinge einheimste und aufbewahrte: Steine, Blumen, Briefmarken und eine Fülle von kleinen Erinnerungen, mit beschriebenen Bändern oder Aufschriften versehen, ebenso genau geordnet und durchgeführt wie sein Tagebuch. Philosophie und Literatur waren sein Studium; die Sternenliebhaberei zu vertiefen, war er zu wenig Mathematiker. Und seine Schwäche auch in seiner Wissenschaft bestand darin, daß er sich gar zu gern in Kleinkram verlor. Er verbrachte oft Stunden damit, eine nicht genau bezeichnete Stelle aus Goethe oder dergleichen selber aufzusuchen, auch wenn der Gewährsmann, dessen Buch er las, noch so zuverlässig scheinen mochte. »Warum nur die Leute nicht genau die Seiten angeben,« knurrte er ärgerlich, »wenn sie einen Dichter anführen!« Alsdann schrieb er sich Band und Seite seiner Quelle mit Bleistift an den Rand und war beruhigt. Dem Gehalt des angeführten Wortes nachzudenken, vergaß er darüber. Er war der geborene Spezialist und Kleinforscher und gehörte in eine Bibliothek oder auf den Lehrstuhl einer modernen Hochschule. Und diesen feingestimmten Nervenmenschen packte das Schicksal und stellte ihn mitten in das Grauen der Somme-Schlacht. Gewissenhaft und treu hielt er in den Gasgranaten aus bis zum Letzten. Er liebte sein deutsches Vaterland. Eine Glutwelle der Begeisterung hatte auch ihn hinausgerissen, wie seinen liebsten Freund, den anders gearteten Erwin. Jetzt saß der junge Elsässer hier mit zerrütteten Nerven. Er starrte die zerfurchte Mondfläche an, legte dann das Glas beiseite und kam in eine sinnlose schaukelnde Bewegung, wobei er immer -- in Erinnerung an einen Satz des Philosophen Kant -- die Worte vor sich hinleierte: »Der bestirnte Himmel über mir -- das moralische Gesetz in mir -- über mir -- in mir -- --« bis er sich, plötzlich erwachend, umsah und in ein Stöhnen ausbrach: »Herrgott, ich bin ja krank!« Schwer warf er sich auf den Diwan, zog die Decke über sich, schloß die Augen und murmelte leis in sich hinein: »Ich bin krank, ich bin krank!« Ein widerlicher Duft, der aus dem Keller zu kommen schien, lag über dem Dorfe. Oh, wie das an die Leichengerüche der Schlachtfelder erinnerte! Warum man ihn nur so allein ließ? Er ringelte sich zusammen, ganz klein -- und Bilder aus den grauenvollsten Kriegstagen rollten ununterbrochen und marternd über seine Seele hinweg. Nur bittere, nur quälende Bilder -- ein Mückenschwarm von Dämonen und Fratzen! ... Plötzlich -- er fuhr empor -- kamen schwere Stiefelschritte die Bodentreppe herauf. »Was ist das? Nicht möglich! Hab' ich denn vergessen, die Bodentüre zu verriegeln?« Gustav sprang auf. Und schon hüstelte draußen jemand, klopfte an und streckte dem aufschließenden Bewohner ein drollig lächelndes, wohlgenährtes Gesicht entgegen. »Salüt, Güschtel!« Das französische »=Salut=« und dabei eine feldgraue Uniform? Doch was für eine Uniform war denn das? Gustav stand sprachlos. Violetter Kragen -- ein Generalstäbler? Nein, dieses pfiffig-dumme Gesicht paßte nicht in den Generalstab. Maschinengewehr? Jäger? Was denn eigentlich? »Gel, Güschtel, do gücksch jetzt?« rief der Eingetretene, eine stämmige, fast feiste Gestalt. Und jetzt erkannte Gustav seinen Schulkameraden, den Sohn des Gastwirtes, der als Apotheker im Städtchen tätig war. Apotheker also! »Ich bin nämlich ein deutscher Krieger«, sprach der eintretende Elsässer mit komisch betontem Hochdeutsch, »und verteidige das Vaterland.« Er sah an seiner Uniform hernieder und nahm sich offenbar selber nicht ernst. Um den sinnlichen Mund war ein etwas unsicheres, fast ängstliches Lächeln, in den Augen ein Zwinkern und Blinzeln. Er hielt sich gebückt und schien immer um sich zu horchen, ob nicht jemand um den Weg sei, vor dem man die Knochen zusammennehmen müsse. Und an der niedrigen Stirn dieses unwillkommenen Besuchers sah Gustav wieder jene wohlbekannten Falten, die wie ein breites Grinsen sichtbar wurden, wenn der Spaßmacher die kleinen Augen hoch riß -- dieser Spaßmacher und Lebemann, der durch sein überlegen weltmännisches Gebaren so oft den schüchternen Jungen begönnert und lüstern belehrt hatte. Wie eine Dunstwolke schob es sich in das Zimmerchen eines vornehmen Einsiedlers, der die dargebotene Hand kaum mit den Fingerspitzen berührte. »=Salut=, Alterle!« wiederholte der Dicke gemütlich und nahm gleich das Fernrohr zur Hand. »Bisch, glauw' ich, wieder emol e bissel Sternegücker? Wie geht's denn allewil?« Gustav murmelte einiges, und jener trat ans Fenster, äugelte durch das Glas, bedauerte, daß man nicht zu Bielers Fanny hinübergucken könnte und fragte blinzelnd, »wie weit« denn der Verlobte mit der »kleinen netten Mamsell Bieler« sei. Er schnalzte dabei, als ob es sich um eine besonders feine Weinsorte handelte. Und dann fuhr er fort, in seiner gemütlich-sinnlichen Art zu erzählen, daß er sich mit den Etappenoffizieren ganz gut stehe, besonders mit dem dortigen neuen Hauptmann. Mit vielen »weisch, Güschtel«, setzte er spöttelnd auseinander, das sei so ein »hungernder Agrarier aus Pelzpommern«, dem das Fell fast platze, so verstehe er sich zu mästen. Und besonders sei der Schwob »hinter de Maidle her«. Aber jetzt krache die Front bald zusammen, dann rutsche die ganze Bande über den Rhein ... »Weisch, Güschtel, was Maidle anbelangt, macht er mir nix vor!« Er setzte sich und schlug sich lachend auf den Schenkel. Dies alles geschah mit so zwangloser Selbstverständlichkeit, als wäre Gustav nicht nur sein alter Duzfreund, sondern auch der Gesinnungsgenosse seiner gemeinen Gelüste. Durch Anbiederungston pflegt die Gattung der Lüstlinge ihre Gewalt auszuüben. Gustav duckte sich dann gewöhnlich und hatte gegenüber so viel Sicherheit nicht den Mut zur Gegenwehr. Auch heute drohte der arme Junge dem lähmenden Dunstkreis zu erliegen. Er wollte nicht unhöflich sein; er gab wortkarge Antwort -- doch immerhin: er gab Antwort. Und der gesprächige andere sorgte schon dafür, daß keine Stockung eintrat. Auf einmal aber kam etwas zur Sprache, was den zarten Leidenden an seiner empfindlichsten Stelle traf und zum wildesten Gegenkampf herausrief. Der Hauptmann aus dem Städtchen -- so plauderte der Eindringling -- sei ein herzhafter Trinker und, wie gesagt, ebenso handfest hinter den Mädchen her ... »Na, nimm din' Braut in Obacht, Güschtel! Die isch e hitzig's Ding, die klein' Bieler. Das wär' so e Bisse, wenn er sich emol hinter die hermacht! Der versteht's besser als dü Hasefües!« Sehr viel weiter kam der unglaubliche Bursche allerdings nicht. Als noch eine häßliche Anspielung fiel, war es zu Ende. Gustav zuckte empor, Gustav trommelte mit beiden Händen -- und auf einmal sprang er auf, packte den Feisten mit grimmiger Gewalt am Hals, schüttelte ihn, stieß den Überraschten mit unnatürlicher Kraft an die Stubentür und schlug ihm, schäumend vor Zorn, mit der Faust ins Gesicht. »Dü hundsgemeiner Kerl! Du hast mich vergiftet von Kind an! Du bist schuld an meinen kaputten Nerven! Rüs mit dir -- oder ich bring' dich um! Ich bring' dich um!« Der Brünstling schrie auf vor Angst -- »Güschtel, mach' m'r nix« -- tastete nach der Mütze, bot diesem wahnsinnigen Anfall gegenüber ein Bild des Entsetzens -- und taumelte endlich, ohne den leisesten Versuch einer Gegenwehr, die Treppe hinunter, von den krankhaft herauszuckenden Zornrufen des Rasenden verfolgt. Es war ein schrecklicher Auftritt. Das Wort »Lump«, aus Gustavs feinem Munde immerzu wiederholt, war das letzte, was über den Speicher scholl. Dann schleuderte er dem Fliehenden noch ein Paar Handschuhe nach, warf den Riegel in die Bodentür und lief in sein Stübchen zurück, das er gleichfalls fest hinter sich abschloß. Geschüttelt von nervösen Atemstößen, lag der Kranke nun wieder auf seinem Diwan, während der andere mit dem geschwollenen Auge unten der verstört herbeigelaufenen Haushälterin Lisy zurief: »Der do owe isch verruckt!« * * * * * Fanny war inzwischen dem heimkehrenden Pfarrer entgegengegangen und hatte ihm halb ärgerlich, halb kummervoll geklagt, daß Gustav wieder einmal unnahbar auf seiner Dachkammer hause. »Also drei Einsiedler«, versetzte Onkel Arnold ruhig. »Nun, zwei davon haben sich wenigstens zusammengefunden.« »Du bist müde, Onkel Arnold, gel? Sonst käm' ich nach dem Abendessen hinüber -- und wir spielten Gustav die fünfte Symphonie vor.« »Ja, komm nur, Kind! Müde? Na, man ist halt doch nicht so kräftig genährt und hat seit Kriegsbeginn fünfundzwanzig Pfund abgenommen. Hungerblockade! Diese Fastenkur haben wir dem Präsidenten der amerikanischen Plutokratie zu verdanken. Der Mann will uns vergeistigen. Hörst du, wie es da im Süden bis in die Nacht hinein pocht? Dämonen nageln einen Sarg zu. Das Zeitalter des Materialismus stirbt ... Ja, Kind, komm nur! Ich hab' noch ein paar Amtsgeschäfte, dann spielen wir den unsterblichen Beethoven. Das lockt den dritten Einsiedler herunter.« Und so geschah es. Gustav hatte sich nach der ungewöhnlichen Turnbewegung merkwürdig rasch erholt. Er ertappte sich sogar auf Lachanfällen. Zu komisch, wie der dicke Feigling winselte: »Güschtel, mach m'r nix!« Und den Sieger durchströmte ordentlich ein Wohlbehagen, daß sein Faustschlag so gut gesessen. »Hätt' ich's vor zehn Jahren schon getan, mir wär' wohler in meiner Haut«, murmelte er. »Von außen ein sogenannter gemütlicher Kerl -- von innen ein sittlicher Lump und gemein bis ins Mark!« Und als unten das vierhändige Spiel emporrauschte, durchflutete ihn wieder der Drang nach einer reinlichen Lebensgemeinschaft. Er schlich unauffällig hinunter, an der kurz und herzlich während des Spiels ihm zunickenden Fanny vorbei, und kauerte dann auf dem Schaukelstuhl, seiner Lieblingsmusik lauschend. »Was hast du denn mit dem Apotheker gehabt?« fragte der Vater, als sie nachher allein waren. Er fragte möglichst gelassen, gleichsam nebenhin, während er seine lange Pfeife in Brand setzte. Den habe er, entgegnete Gustav, mit Wucht und Wonne die Treppe hinuntergeschmissen, denn der Kerl habe mit gemeinen Redensarten sein Zimmer verstänkert. »Papa,« fügte er nach einigem Zaudern hinzu, »was ist denn das für ein neuer Hauptmann im Städtel?« »Je weniger man von ihm spricht, um so besser für ihn und uns,« entgegnete der Pfarrer. »Er schnarrt, nennt uns Elsässer eine Rasselbande und beginnt jeden dritten Satz mit: ›Sagen Se mal!‹ Ein Zerrbild preußischer Energie, und ein Hohn auf altpreußische Einfachheit. Hoffentlich richtet er kein Unheil an.« Zweites Kapitel Dreierlei Gespräche O Elsaß, Oberlins und Speners Land! Zwei Völkern den Versöhnungsbund zu stiften, Sei zwischen beiden du das Liebesband! ~Adolf Stöber~ Der nächste Tag brachte dem Einsiedler Gustav ein Göttergeschenk, wie er sich jubelnd ausdrückte. Sein Freund Erwin, der junge Straßburger Lehrer, kam jählings angeflogen, um nach kurzem Urlaub Abschied zu nehmen. Denn es ging wieder an die flandrische Front. »Gott sei Dank, daß du gekommen bist!« rief Gustav. »Dich brauch' ich ja ganz herzbitterlich! Sie lassen mich hier alle so grausam allein! Gott sei Dank, daß man sich endlich wieder einmal aussprechen kann!« Er zerdrückte dem langen, blonden Feldgrauen, dessen sonnige Blicke durch Brillengläser strahlten, fast die Hand. »Herrschaft, Güschtel, was isch denn los?« Die Unterhaltung zwischen den beiden elsässischen Unteroffizieren ward in des Landes alemannischer Mundart geführt, sprang aber oft in Hochdeutsch über. »Sie verstehn mich nicht! Kein einziger hier versteht mich!« »Oho! Was fängst du denn wieder für Mücken, Gustav! Dein Vater soll dich nicht verstehen? Und die unvergleichliche Fanny? Babbel doch kein so dumm Dings daher, alter Hypochonder!« Erwin warf seine Mütze auf den Tisch, schwang sich daneben und begann einen Apfel zu essen, den er im Vorbeigehen auf dem Speicher mitgenommen hatte. Sie verstanden sich immer vortrefflich, die beiden Vettern oder vielmehr sehr entfernten Verwandten. Erwin nannte Gustav »Cousin«, gab aber auch Fanny den Namen »Cousine«; und irgendwo mochte ja auch eine Verwandtschaft oder Familienfreundschaft stecken, ohne daß man alle die Verschwägerungen oder sonstigen Versippungen nachzurechnen für nötig hielt. Im übrigen aber war der leichtblütige Blondkopf Erwin von außen und innen ein Gegenbild zu dem dunklen Düsterling. Er liebte das Wandern im Wasgenwald und in den Alpen, war Schneeschuhläufer, wie sein Bruder Willy, und ein Freund von Sonnenbädern und Ruderfahrten. Leichten Schrittes pflegte er einherzuschreiten, Sonne verbreitend, wohin er kam, bei Schülern und Amtsgenossen beliebt, nur dem trockenen und etwas grämlichen Schulinspektor verdächtig, weil er vor allem Mensch und dann erst und dadurch Lehrer war. »Großherzig und giftfrei«, faßte einmal der Philosoph Arnold sein Urteil über ihn zusammen. Mit seinem sonnigen Gemüt ergänzte Erwin den Grübler und Einspänner Gustav vortrefflich und wirkte lösend und mitreißend auf dessen schwerflüssige Denkart. Der Sterngucker war in seiner Gegenwart immer wie verwandelt und warf in eifriger Mitteilsamkeit seine scheuen Verhüllungen ab. »Du bist mir immer ein Sonnenbad«, gestand er dem Langen. »Man läuft mit dir gleichsam splitternackt auf den Matten herum und freut sich an Licht und Luft.« »Was quält dich denn? Rüs mit d'r Sproch'!« »Acht Monate sitz' ich jetzt da 'rum, Erwin, mit schwachem Gedärm und schlechten Nerven! Zum Verzweifeln!« »Du hast doch deinen Vater« -- -- »Ja, ja, und habe Fanny, ja, schon recht! Aber die sind gesund! Verstehst du? Gesund, viel zu gesund für mich! Unter uns: ich bin ihnen nicht gewachsen.« »Nanu? Das bissele Nervengezappel?« »Eintun, es geht nicht, mein Lieber, geht nicht! Fanny, so klein sie ist, sprüht von Kraft und Temperament. Die ist wie Stahl, wie eine Springfeder, wie die Unruh in der Uhr. Die braucht einen anderen Kerl als mich. Sechs Stunden durch Wald und Berg laufen, dann einen Abend lang Klavier, und den Tag wie ein Fest beschließen -- das ist's, was sie braucht. Ich bin ein gebrochener Mensch. Zum Verzweifeln! Ich sitze da oft und weine vor mich hin und versteck's vor Fanny und Papa, damit sie nicht mit mir leiden.« »Herrschaft, wie du mir leid tust!« rief Erwin in hellem Mitgefühl und sprang vom Tisch herunter, um sich aber gleich wieder hinzusetzen. »Geh doch in ein Sanatorium! Tu etwas für deine Gesundheit! Sitz doch nicht so untätig da 'rum!« »Nützt nichts«, murmelte Gustav. »Das liegt zu tief in mir. Ich hab' schon immer an unüberwindlicher Einsamkeit gelitten. Es ist zu wenig Liebe in der Welt. In München hab' ich manchmal minderwertige Frauenzimmer auf der Straße angesprochen und hab' ihnen Geld geschenkt, nur um ein warmes Wort zu hören, nicht aus Gemeinheit, sicherlich nicht. Wir modernen Menschen sind ja alle herzquälend einsam! Ich möchte manchmal ein Kind streicheln, mich mit Kindern -- weißt du, so wie's Ludwig Richter malt -- im Grase wälzen, Purzelbaum schlagen, lieb haben -- und weiter nichts! Weiter gar nichts!« »Sapristi noch emol!« schalt der andre. »So tu's doch! Zerbrich doch den Bann der Spießbürgerei! Mach' dumme Streiche, spring' über die Schnur! Mensch, sei genial wie deine Braut!« Und Erwin erging sich voll Feuer in dem Gedanken, wie heilsam und befreiend ein kühner Entschluß sei, auch wenn er alle Philister verblüffe. »Hab' doch fröhliches Gottvertrauen, alter Grämling! Lebt denn der alte Gott nicht mehr? Haben ihn die Engländer abgesetzt? Hat ihn eine Parlamentsmehrheit niedergestimmt? Oder hat der Heuchler Wilson und seine niederträchtige Presse -- -- Du, den Wilson hass' ich am allermeisten! Der wird uns Deutsche noch alle niederboxen! Verhungert, wie wir sind!« Erwin lief hinaus, holte einen neuen Apfel und biß kräftig drein. »Siehst du, Gustav, ich bin als Kriegsfreiwilliger eingetreten, hab' erst an den Vogesen geschanzt, bin dann auf dem Petersberg zu Erfurt gedrillt und bei sonst guten Vorgesetzten zuletzt von einem Hauptmann elendiglich schikaniert worden, weisch, von so 'me Hähä-Kerl mit dem Monokel im Auge, kuranzt und kujoniert, sag' ich dir! Elsässer und Lehrer hat er nicht leiden können -- na, hol' ihn der Erzengel Gabriel in den siebenten Himmel, ich gönn's ihm von Herzen, dem ausrangierten Knochen! Dann nach Flandern, gleich in die Schlacht -- und die Hälfte der Kompagnie weggeblasen! Wir andern aber in den Schützengräben bis an den Bauch im Wasser! Herrschaft, Güschtel, das schlaucht! Und dann mörderisches Trommelfeuer! Sakerlot, und hab's halt doch durchgebissen, Gustav! Getanzt haben wir wie die Indianer, wenn wir wieder in Ruhestellung waren, und haben Läuse gefangen und Heimatlieder gesungen. Dazu ist man halt jung und Soldat!« Er lachte unwiderstehlich und warf den Apfelrest durchs Fenster. »Ja, wenn ich deine Spannkraft hätte!« meinte Gustav, hörte aber doch schon beträchtlich aufgeräumter zu. »Du hast sie, Gustav! Sie ist nur verschüttet, wie ein Unterstand, in den sich eine blödsinnige Granate verirrt hat. Grab deine Energie wieder heraus! Und dann aufs neu' ans Werk! Herrschaft, was ist im Elsaß aufzubauen! Grad im Elsaß, in der deutschen Westmark! Weißt was, Gustav? Wir müssen einen Bund gründen, wir Jung-Elsässer! Und ich hab' schon einen Namen dafür! Weißt, welchen? Elsaß leit' ich von Edelsassen ab: also Bund der Edelsassen!« »Freilich, hier ist nach dem Kriege viel zu tun, einfach alles! Wenn's nicht schief geht an der Westfront! Hast du den Tagesbericht gelesen? Immer zurück!« »Wir müssen eine vornehm gesinnte, ritterliche Jugend erziehen! Wir müssen Elsässer zu Edelsassen formen! Herrliche Aufgabe!« Erwin war in vollem Feuer und kam aus seinem Lieblingsausruf »Herrschaft« gar nicht mehr heraus. Er steckte seinen akademischen Vetter mit Begeisterung an. »Ihr Akademiker versimpelt ganz und gar in lauter Kleinwissen! Da haben wir Mittelschullehrer eine ganz andre Einheit. Und du Sammelhans ganz besonders verkrümelst dich in Spitzfindigkeiten. Auch mir macht der Schulinspektor das Leben sauer genug; ich bin manchmal kreidebleich vor Zorn und Scham dag'standen, wenn er mir in der Klasse herumgenörgelt hat, es hat mich wahrhaftig g'fuchst -- -- Lüej do, e Spätzel!« Ein Spatz hatte sich in die Dachkammer verflogen. Beide Jünglinge machten sofort Jagd auf den verängsteten Vogel und vergaßen Grimm und Herzeleid. Aber der kleine Gast entwich wieder, und sie setzten ihr Gespräch fort. »Güschtel, es muß ein andrer Geist ins Elsaß! Freudigkeit fehlt in der Westmark; sie ist erstickt unter Paragraphen! Gustav, wir stecken vom Elsaß aus die ganze deutsche Welt mit einem neuen Feuer an! Wir zeigen's denne Schwowe!« »Stimmt, stimmt!« rief der andre Elsässer. »Es giftet mich schon lang, wie jetzt wir Elsässer behandelt werden, hüben und drüben! Falsch und feig -- so heißt's von uns! So kann's nit fortgehen, Erwin!« »So isch's, Gustav! Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen! Zusammenhalten, doppelt stramm unsre Arbeit tun, und dem Kerl an d' Gurgel fahren, der aufs Elsaß schimpft!« »Ich hab' emol a Feldwebel ...« Jetzt waren die zwei jungen Kriegsmänner, die von ganzem Herzen Deutsche, aber auch von ganzem Herzen Elsässer waren, im vollen Zuge. Gustav erzählte einen siegreichen Zusammenstoß mit einem Feldwebel; er war aufgetaut; seine Schwermut war mit dem Sperling davongeflogen. Dann kamen sie auf tapfere Landsleute zu sprechen, die sich das Eiserne Kreuz erster Klasse geholt hatten. Und hier gab es plötzlich eine jähe Pause, als das Wort »Landesverräter« fiel. Gustav erblaßte. Beide dachten an Fannys Bruder. Riesenhaft erhob sich wieder der Schatten ... Endlich stieß Gustav schweren Atems hervor: »Jetzt weißt du wohl auch, warum ich ein gebrochener Mensch bin.« Erwin murmelte ingrimmig vor sich hin; es klang etwas wie »Cerclebrüder« daraus hervor. Die Welschlinge in Straßburg hatten sich vor einem Jahrzehnt und noch länger in einem »=Cercle des étudiants=« gesammelt; für die gleichgestimmten Frauen und Mädchen gab es einen »=Cercle des annales politiques et littéraires=«; da wurde nur französisch gesprochen. Planmäßig hatten Franzosen und Französlinge daran gearbeitet, Elsaß-Lothringen in westliche Kultur und Sprache einzutauchen und deutschem Wesen zu entfremden. Die elsässische Luft war vergiftet. Fannys Bruder Georg war in diese Kreise geraten. Seine Flucht war die Folge. »Weißt du, wo ich ihn zuletzt gesehen habe?« begann endlich Erwin. »Beim =Monôme=! Als einmal die Cerclebrüder nachts das Kleberdenkmal im Gänsemarsch umschritten, du weißt ja, um sich durch diese stumme Kundgebung zum Franzosentum zu bekennen! Die Simpel! Die Kindsköpf, die! Die haben uns den Weltkrieg eingebrockt, die Revanchemännle, die nichtsnutzigen! Und das haben wir mitangesehen, geduldet in Deutschland! Und dann nennt man die deutsche Regierung noch tyrannisch! Herrschaft, würden die Franzosen einen Wetterlé geduldet haben? Aufgehängt hätten sie ihn, den Falschmünzer!« Erwin, immer ins Allgemeine strebend, trachtete den Freund vom Persönlichen loszureißen. Dieser aber, obschon zu den flammenden Worten nickend, hing doch unentwegt einem düstren Gedanken nach. Und jetzt faßte er den Freund am Arm und sagte gedämpft, als ob er ein Geheimnis ausplauderte: »Du, Erwin, und etwas von dem Geist steckt auch in Fanny!« »Unsinn!« rief der andre. »Sie hat dich lieb!« »Hat mich lieb, aber hängt auch an ihrem Bruder! Weißt du, dieser Faquin mit dem gewichsten Schnurrbärtchen -- =Monsieur Bielère= -- dieser Schwadronneur und Schwerenöter hat alle Cercle-Weiber berauscht! So recht der französisch parlierende Arzt für französisch parlierende alte Jungfern! O nein, da mach' ich nicht mit! Da bin ich viel zu steif, zu still, zu innerlich dazu, um's mit so einem aufzunehmen, denn im Parlieren ist er mir über, mein Französisch ist erbärmlich. Und in sinnlich-eleganten Salonmanieren ist er mir erst recht über. Und das fühlt Fanny! Ich spür's ganz gut, daß sie mich manchmal im stillen mit ihrem flotten Bruder vergleicht« -- -- »Unsinn, Gustav! Phrasen dreschen kann jeder =Commis-Voyageur= oder Zwischenhändler! Bohr' dich nicht in solchen Verfolgungswahn hinein! Die Sache ist traurig genug -- aber sie will halt überwunden werden, wie andres Kriegsleid auch! Himmel, wie viele von unsren Kameraden liegen schon im Boden!« Und Erwin packte den Freund unter den Arm. »Komm mit, Alter! Jetzt gehn wir 'runter und trinken e Fläschel Ottrotter, oder was ihr sonst Gutes im Keller habt! Hopp, hopp! Und Fanny -- siehst du, Gustav, sie ist eine fröhliche Aufgabe, kein Anlaß zur Trauer! Nimm an, Fanny sei das verkörperte Elsaß! Erobere diese hübsche Verkörperung so recht von innen heraus -- sei gewinnend, liebenswürdig, bestrickend, unwiderstehlich, kurzum: genial! Herrschaft, wenn ich an deinem Platz wär'!« Er lachte in seiner gutartig hellen, bezwingenden Art, schritt aufgeräumt mit ihm hinunter und verbarg seine Sorgen um die wankende deutsche Westfront. Fanny kam herübergelaufen. Auch Schwester Lisy, die den Haushalt führte, in ihrer lächelnden, rosigen Ruhe und Rundlichkeit, setzte sich dazu. Und so schufen sie eine gesellige Nachmittagsstunde, dampfend von Zukunftsplänen, wie sie das Elsaß nach dem Kriege entgiften und mit Frohsinn anstecken wollten. Der fünfzigjährige Philosoph, der tagsüber kräftig in seiner Gemeinde gearbeitet hatte, um dem Bürgermeister über all die Lebensmittelsorgen und tausenderlei Verfügungen ins klare zu verhelfen, ward wieder jung mit den Jungen und schüttelte den Trübsinn ab. Fanny sprühte von Geniefeuer. Sie stand mit Erwin in einem reizenden Neckverhältnis; sie beflügelten sich gegenseitig und waren wie zwei Falter, die in blauer Luft miteinander spielend, immer höher steigen. Und während Gustav wieder still ward und in sich zusammensank, wurde dort das Funkenwerk fast schon Flamme. »Er isch halt immer verliebt, der Erwin«, meinte einmal die gutmütig auflachende Lisy, die an dem heitren Jungen gleichfalls Freude hatte. Aus ihm aber, der nach drei Tagen wieder mit der Übermacht der Franzosen und Engländer zu kämpfen hatte, sprach eine wehmutvolle Glut, ein Heimweh, ein Liebesverlangen. In seinen Worten war eine schwungvolle Poesie. Man hatte von Lenau gesprochen, Fannys Lieblingsdichter. Er nahm das Buch und schlug auf. Und da er ein ausgezeichneter Vorleser war, kamen die melodischen Klänge in der bewölkten Stube wundervoll zur Wirkung: »Rings im Kreise lauscht die Menge Bärtiger Madjaren froh; Aus dem Kreise rauschen Klänge -- Was ergreifen die mich so?« mit den Schlußworten: »Ahnen sie des Jünglings Ehre? Ahnen sie sein frühes Grab?« Fanny, diese feinbesaitete Natur, saß nach ihrer Art zusammengekauert im Schaukelstuhl und hatte die graublauen Augen auf den Vorleser gerichtet, regungslos, die Arme um das hochgezogene Knie geschlungen. Sie sah ein Schlachtfeld der flandrischen Ebene, tiefhangende schwarze Wolken, ein schwefelgelbes schmales Abendrot, rauchende Dörfer darin und ragende Fensterhöhlen -- und zwischen den schattenhaft hinziehenden Heeren die furchtbaren Flammen einschlagender Granaten ... Plötzlich fuhr sie zusammen. Eine Stimme klang nahe an ihr Ohr: »Was krieg' ich fürs Vorlesen?« Und Erwins Gesicht beugte sich lachend und keck-verlegen zu ihr herab. Fanny sprang auf und wollte ihn unbefangen auf die Wange küssen; doch er drehte sich ein wenig und nahm den Kuß voll und unmittelbar von ihrem Munde. Bald darauf verabschiedete sich der junge Krieger mit etwas übertriebener Lustigkeit. Onkel Arnold und Gustav beschlossen, ihm eine Strecke das Geleit zu geben. Im Hausflur, als die andern schon draußen waren, packte Fanny den zuletzt gehenden schwermütigen Verlobten rasch von hinten her um den Hals und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich hab' dich doch ganz allein lieb!« * * * * * Als Fanny durch die Seitentür des Hofes in ihr väterliches Haus zurückkehrte, ward sie Zeuge eines eigenartigen Vorganges. War das nicht der lahme Schauli? Wollte er wieder einmal die etwas einfältige alte Salome necken? Der krumme Kellermeister, der neben dem Taubenschlag sein Stübchen hatte und seit einem Jahrzehnt zum Hauswesen gehörte, rollte eben ein leeres Faß unter die Fenster der Wohnstube. Und nun war er wahrhaftig im Begriff, hinaufzuklettern! Drinnen ging's hitzig her. Und zwar -- es war kein Zweifel -- in französischer Sprache. Im Dorf lag bayerische Einquartierung; vor der nahen Schmiede lungerten Feldgraue herum. Wurde jenes politische Gespräch in Bielers Wohnstube noch lauter, so konnte die ganze Gasse das unpolierteste elsässische Französisch vernehmen. Und dann -- dachte Schauli mit Recht -- war »der Teufel los«. So rollte denn der krumme Schalk sein Fäßchen heran, nahm erst eine Prise aus der Birkendose und verfügte sich mit seinen Säbelbeinen etwas mühsam auf den Faßboden. Und plötzlich sich erhebend, streckte er den schnauzbärtigen und buschigen Graukopf mit der zerknitterten Hausmütze ins Fenster. »=Messieurs!=« rief der alte Zuave. »=Excusez=, awer 's isch vun dr ditsche Rejeerung verbotte, franzehsch ze redde!« Sprach's und verschwand wieder schmunzelnd in die Tiefe, die französisch parlierenden Brüder Bieler ihrem Staunen überlassend. »Wer isch denn drinne, Schauli?« rief Fanny herüber. Schauli drehte den Kopf aus dem Kellereingang zurück und legte einen Ton komischer Hochachtung in seine Antwort. »Dr Herr Charles üs Stroßburi!« »Sunsch nix?« Es klang nicht gerade entzückt. »Nee, Mamsell Bieler, sunscht wüßt' ich jetzt im Aueblick juscht net viel Nejes«, meinte der alte Spaßvogel ernsthaft und humpelte in seinen Keller. »Was isch des jetzt do gsin, Jean?« fragte drin der ältere der beiden Brüder, der Straßburger Kaufmann und Kirchenälteste Charles Bieler. »Dr krumm Schauli, der alt' Narr!« brummte der Winzer Johann Bieler und schenkte ein. Aber die Brüder sprachen fortan elsässisch und dämpften ihre Stimmen. Und überdies schloß Charles das eine Fenster und Jean das andre. Dabei schnellten einige Weinranken zurück, die sich in den Fensterflügel klemmen wollten; und Papa Bieler, dessen Käppchen schief saß, machte eine ärgerliche Bewegung, als scheuchte er verspätete Wespen hinweg. Er war sichtlich verstimmt. Sie hatten sich über den Preis des Weines, den Herr Bieler aus Straßburg zu kaufen gekommen war, noch nicht geeinigt. Sein Bruder setzte ihm erfolglos auseinander, welche Lasten jetzt den Winzer zu Boden drückten. Er war empört über Kriegswirtschaft und Zwischenhändler; der Weinbau mache ihm längst keine Freude mehr. Er werde sich zurückziehen. Dann brachen sie ab; und der Straßburger fragte plötzlich nach Fannys entflohenem Bruder. Der ältere Bieler war ein ansehnlicher Herr, mit wohlgeübten, bedächtigen Bewegungen, die einen kühlen Abstand gegen seine Angestellten bedeuten sollten. »Der Herr Bieler« -- seine Waschfrau sprach das Wort mit ebensoviel Hochachtung, die Hände am Schürzenzipfel abtrocknend, wie der Lehrjunge, wenn er schnell ein paar gestohlene Rosinen hinunterschluckte und eine respektvolle Haltung annahm. Für Madame Bieler war er nur in vertrautem Kreise »d'r Charles«; vor allen andren war er auch in ihrem Munde »d'r Herr«; und der Lehrbub wußte, was sie meinte, wenn sie ihm zurief: »=Voyons donc=, Schosef, wart' nur, wenn d'r Herr heimkummt!« »D'r Herr« -- da lag Würde drin. Zumal wenn er den Kneifer auf die Nasenspitze setzte, obwohl nicht sehr kurzsichtig, und dann, über die Gläser hinüberschauend, mit seinen Leuten sprach: da spürte man den reichen Mann, die alte Familie. Diesen Kneifer hatte er an einer schwarzen Schnur immer erreichbar in der oberen Westentasche, spielte oft damit und gab seinen Worten Nachdruck, indem er mit der Rechten den flachen Kneifer auf und ab bewegte: »=Voila!= So isch d' =affaire=!« Sein Bruder, Fannys Vater, war mehr ländlicher Art, gutmütig und natürlich, weniger kühl und weniger hoffärtig. Papa Bieler trug einen kurzen grauen Spitzbart, ein Sammetkäppchen auf dem fast kahlen Kopf und eine blaue Schürze, in deren oberem Teil ein großes buntes Taschentuch zu stecken pflegte. Er schnupfte ebenso leidenschaftlich wie sein Gehilfe Schauli und fuhr häufig, besonders in erregten Augenblicken, mit dem Taschentuch über die Nase. Wenn er recht ungeduldig oder ärgerlich war, wie heute, so rückte er das bestickte Käppchen fortwährend von einem Ohr zum andern und kratzte sich bald links, bald rechts. Und während sich der abgearbeitete Mann etwas gebückt hielt, stand der beleibte Straßburger aufrecht mit seinen langen Rockschößen und hatte gern die linke Hand hinter dem Rücken, während die Rechte mit dem Kneifer belehrte. Straßburg beherrschte das Feld; Lützelbronn kam nicht dagegen auf. »Weisch, Jean,« stellte der Herr Bieler aus Straßburg fest, »dü bisch allewil e bissel e schwacher Charakter gsin. Awer was de Georges anbelangt -- er het absolument recht!« Und er verteidigte seines Neffen Fahnenflucht. Die Brüder sahen sich selten, zumal während des Krieges. Es war die erste gründliche Aussprache. Im alten Bieler wollte der Kummer und Verdruß ob des Sohnes Tat nicht zur Ruhe kommen. Aber der Straßburger billigte die Flucht; ja, er hatte sie angeregt. »Ich bin früher bei der Regierung geachtet gewesen,« erwiderte Papa Bieler, »jetzt bin ich geächtet. Der Herr Kreisdirektor ist oft zu mir gekommen, der Herr Bezirkspräsident hat mich wie 'en alte =ami= behandelt. Jetzt gehen sie mir alle aus dem Wege. Aber der Gendarm streicht ums Haus herum; und wenn der Bezirkshauptmann kommt, so macht er ein paar Augen -- na, du kannst dir's denken! Ich bin nichts mehr, ich gelt' nichts mehr. Und das hab' ich meinem Sohn zu verdanken.« Fanny war während der Erörterungen eingetreten, hatte den Oheim kurz begrüßt und einen Teller voll Trauben auf den Tisch gestellt. Schweigend setzte sie sich auf einen Stuhl. Und als sie eine Weile zugehört hatte, ging sie ebenso stumm wieder hinaus. »Und ihr zwei habt nicht an die dort gedacht, an Fanny,« fuhr Papa Bieler fort, »sonst hättet ihr's euch besser überlegt. Du weißt, daß sie mit dem Gustav da drüben verlobt ist. Und du weißt, daß sie im Pfarrhaus deutsch sind bis auf die Knochen!« Das brachte den Herrn Bieler aus Straßburg plötzlich in Aufruhr. Eine Flutwelle von angestautem Zorn und Haß ergoß sich aus dem sonst so gehaltenen Städter: »So ein Professor, der kein rechter Pfarrer, und so ein Pfarrer, der kein Professor ist! Der Halbschwob ist euer Unglück! Den hat die Regierung da hergesetzt, daß er aufpassen soll! Ein bezahlter Regierungsagent! Glaubst du denn, der tut sich nur so aus Mitleid um die Gemeinde kümmern? Der wird wissen, was er für sein Aufpassen bekommt! Und du bist so dumm und gibst dem Schwob deine Tochter! Die hätt' in Straßburg die brillantesten Partien machen können! Und da hängt sie jetzt an dem Schwowe-Trottel!« Der Herr Bieler aus Straßburg verlor alle Fassung. Er wurde gehässig. Ihm waren allerlei Heiratsabsichten, die er mit seiner Nichte geplant hatte, zu Wasser geworden. Und auf einmal schrie er: »Der da drüben wird wissen, =ma foi=, woher das Geld stammt, mit dem er sein Gut instand hält, während er da den Pfarrer spielt! Aber wart' nur: d' Franzose komme wieder ins Land! No paß uff!« Ein Weilchen ließ der Winzer seinen empörten Bruder toben. Dann aber packte ihn selber, den gutartigen Alten, jene Wut, die selten, aber um so furchtbarer aus dem biederen Alemannen herausbrach. Ein Faustschlag donnerte auf den Eichentisch. »Halt's Mül, Charles! Jetzt haw ich, zum Dunderledder noch emol, din daub Gebabbel satt! Müeß denn glich jeder e bezahlter Spion sin, wenn er Achtung het vor Ditschland?! So e hirndumms, simpelhaftes, nixnutziges Cercle-Gebabbel! Dü hesch mine Büe uff'm Gewisse, dü, ja dü mit dine Hetzrede!« Vater Bieler schrie es dem verdutzten Straßburger mit Zorn und Schmerz ins Gesicht, dann schritt er stracks hinaus und schmetterte die Tür dermaßen hinter sich zu, daß die farbigen Luxteller an der getäfelten Wand tanzten. Und der erschrockene Bruder stand allein. »=Allons donc! Allons donc!=« sagte Herr Bieler, legte die Hände auf den Rücken und war bestürzt. So hatte er den Jean noch nie gesehen. Mit dem war's verschüttet. Er ging hin und her, legte sich einige versöhnliche Wendungen zurecht und lauschte nach der Tür. Aber der andre gab ihm keine Gelegenheit, seine einlenkenden Redensarten anzubringen. Papa Bieler war in den Keller gegangen und klopfte mit Schauli wahrhaft erbost an den Fässern herum. Was tun? Sollte man zur »Tante Sophie« hinaufgehen, die im Giebelstübchen hauste, halb gelähmt an den Beinen, ganz und gar nicht an der Zunge? Nun ja, einen »=Bonjour=« mußte man ihr sagen, kurz und höflich. Tante Sophie war die Schwester der beiden Bieler, sehr auf den braven Winzer gestimmt, wenig aber auf den »Hochmutszipfel«, wie sie den Straßburger zu nennen pflegte. Dieser stand verdrießlich am Fenster. Es lag ein wohltuend warmer und reiner Himmel über Haus und Garten, über Dorf und Weinberg nebst dunklem Bergwald. Und in der Luft war dieses verheißungsvolle unterirdische Pochen in manchen Kellern, und fernher irgendein Knabenruf oder schnatternde Enten am Dorfteich. Alle Laute, auch das Hähnekrähen, waren klar und nahe. Nur gedämpft, fast träge, klang heute der altgewohnte Kanonendonner durch die Stille ... »Die Welt wär' schön,« dachte plötzlich Herr Bieler, »wenn's keine Politik gäb'.« Er schenkte sich unbehaglich sein Weinglas voll. Das Gold funkelte in der Sonne. Er hob das Glas gegen das Licht. Mit wem nun anstoßen? Und auf was? Auf Frankreich? Man war schließlich doch kein Franzose; und Elsässer zu Tausenden bluteten jetzt gegen den welschen Nachbarn. Sollte man ihnen Niederlage und Untergang wünschen? »=Ma foi, non=, sell geht net.« Auf Deutschland? Na, das hatte auch so seine Mucken. Aufs Elsaß? Ja, aber man war ja nicht einmal im Ländel einig! Ohne zu trinken setzte der sonst so sichere Herr Bieler das Glas wieder ab. Ihn durchschauerte zum erstenmal das äußerst ungewohnte Gefühl der Vereinsamung. Fannys stummes Kommen und Gehen mitten in dem politischen Gezänk ward ihm auf einmal, in der blauen Stille dieses wehmutschönen Herbsttages, schmerzlich bewußt. Das Ehrenmitglied des Straßburger =Cercle= ahnte da ein Frauenleid, an dem bisher seine politische Verbohrtheit blind und stumpf vorübergegangen war. Langsam trank er endlich den ausgezeichneten Rappoltsweiler Riesling allein aus. Dann nahm er Hut, Mantel und Schirm, wechselte in der Küche einige Worte mit Fanny und Salome, sagte im Giebelstübchen der unwirschen Tante Sophie »=Bonjour=« und zog seines Weges, ohne den beleidigten Bruder noch einmal gesehen zu haben. Als der Straßburger verschwunden war, tauchte erst der alte Schauli zwischen den Oleanderbüschen des Eingangs aus dem Keller auf und streckte den Kopf empor wie ein Dachs aus dem Bau. Er witterte, schnoberte nach allen Seiten in die Luft und winkte dann seinem Patron und Arbeitgeber. Nun erst hinkte, stöhnte und schimpfte der Weinsticher selber in Hof und Stube hinauf und begab sich nachher bald zu Bett. Sein rheumatisches Leiden hatte ihn wieder gepackt. »=Mais dis-donc, papa!=« rief die besorgt herbeieilende Fanny, »warum bisch denn in de Keller gange?« »=Tais-toi!=« rief der verärgerte Alte zurück. »Schilt dü nit au noch! Do dran isch der Stroßburjer Giftnickel schuld.« Und er machte seiner Leber Luft. Er passe nicht mehr in die Zeit und er vertrage den Keller nicht mehr. Man solle ihm seine Ruh' lassen. Wenn doch nur die Tochter unter der Haube und die Tante Sophie in Pfalzburg bei der Schwester oder am Nordpol bei den Eskimos säße! Er selber aber freue sich auf den Moment, wo er mit seinem einzig wahren =Ami=, seinem Jugendfreund Sorgius, im Spital oder im Diakonissenhause in der Sonne sitze oder in der Taverne sein Schöppele trinke. Mehr wolle er nicht. * * * * * »Lisy, verstehst du, daß man sich einmal ausweinen muß?« rief die stürmische Fanny, indem sie in Schwester Lisys stilles Stübchen trat, sich vor sie hinwarf und fassungslos zu schluchzen begann. »O Lisy, ich kann und kann und kann's nicht mehr aushalten!« »Um Gottes willen!« rief die erschrockene Lisy, legte die Stickerei beiseite und streichelte das blonde Köpfchen in ihrem Schoße. »Was isch denn g'schehn, Kind?« »Ich hab' Georges lieb und hab' Gustav lieb und hab' Erwin lieb -- und Onkel Arnold und alle hab' ich lieb! Ich sterbe an zu viel Liebe! Und mich hat keiner lieb!« Das holde Kind in seinem hellgrauen Gewand lag weinend vor den Knien der immer dunkel gekleideten Freundin, deren Schattenriß sich breit vom Fenster abhob. Schwester Lisys reife Ruhe wirkte auf diese heißherzige Natur immer sehr wohltuend. Über zwanzig Jahre älter als Fanny, ziemlich zur Fülle neigend, war sie in Reden und Bewegungen von angeborener, durch den Umgang mit Leidenden verstärkter Bedachtsamkeit. Ein Dutzend Jahre war sie Krankenpflegerin gewesen und hatte sich hernach der Massage gewidmet. Sie besaß dazu eine geheimnisvolle Begabung. Genesungskraft entströmte ihren weich-warmen Händen. Sie betrachtete diese Tätigkeit als eine Art Gottesdienst; ein stilles, von keinem gemerktes Gebet für die Kranke pflegte ihre Arbeit zu begleiten. Von sich selbst machte sie nicht viel Wesens; allen Dank der Genesenen brachte sie ihrem himmlischen Vater dar, mit dem sie sich in inniger Einfalt verbündet wußte. Ungern hatte sie sich kurz nach Kriegsbeginn, nach einer schweren Typhuserkrankung, bereden lassen, Vetter Arnold den Haushalt zu führen. Sie war dann, immer als »Schwester Lisy« in Lützelbronn geblieben, sehnte sich aber nach ihren Straßburger Lazaretten und Kranken, nach ihrem eigentlichen Berufsfeld. »Was haben sie dir denn wieder einmal angetan, Kind?« Sie pflegte die Kleine meist »Kind« zu nennen in ihrer mütterlichen Freundschaft. »Ist die Tante ungattig? Setzt der Papa 's Käppel zu viel aufs link' Ohr? Wo fehlt's denn?« »Lisy,« rief Fanny jäh, warf die Arme empor und riß der Freundin Kopf zu sich herab, »hast du denn gar keine Augen, siehst du denn nicht, daß wir alle umeinander herumgehen? Siehst du denn nicht, daß wir alle so schrecklich einsam sind?!« Und sie erzählte in hastigen Worten den bösen Zusammenstoß zwischen den Brüdern; und Papa habe so »gekrischen«, wie sie ihn noch nie schreien gehört habe; und der Onkel sei ganz kreideweiß gewesen; und die Tante sei unausstehlich giftig, humple in der Küche herum und mache ihr und Salome das Leben schwer. »Ja, ja,« sagte Lisy bekümmert, »dein Bruder hätt's halt doch nicht tun sollen.« »Gel, ja, alles Unglück kommt nur von da her, nur von da!« stimmte Fanny leidenschaftlich bei. »Denn seit jener Zeit -- ich fühl's genau -- traut mir auch Gustav nicht mehr ganz. Es ist etwas zwischen uns zweien. Und, Lisy, ich will dir's nur gestehen« -- Das ehrliche Kind zögerte einen Augenblick und flüsterte dann, wie im Beichtstuhl, der Freundin ins Ohr: »Gustav hat recht! Ein Teil meiner Phantasie ist nicht immer bei ihm, ist oft bei meinem Bruder in Frankreich. Lisy, ich sag's nur dir, dir ganz allein! Ich male mir's oft aus, wie sie's dort wohl schwer haben, da doch so ein großer Teil von Frankreich verwüstet ist, wie sie aber doch so tapfer weiterkämpfen. Und daß sie doch eigentlich feinere Manieren haben als die Deutschen -- weißt du, ich mal' mir's halt nur so aus. Und daß Georges nun für immer drüben bleiben muß und ich hier ...« Sie brach zögernd ab, mit dem fragenden Blick eines Kindes, und schaute fast ängstlich in Lisys Gesicht, ob sie denn nun nicht ganz und gar verurteilt werde. Das rosige, volle Gesicht der milden Freundin wurde ungewöhnlich ernst. »Liebes Kind,« sprach sie, »bist du drüben gewesen? Nein. Aber ich. Du malst dir aus, was sich viele Elsässer ausmalen. Ich kenne die Franzosen, hab' liebe Freunde unter ihnen, kenne aber auch ihre Fehler. Stell' dir ja nicht vor, daß hinter den Bergen, wo das Abendrot den Himmel so schön goldig färbt, alles eitel Licht und Farbe sei! Das ist falsche Romantik. Sieh dir dort einmal das Bild meines Bruders an, des Lehrers, den sie als Geisel verschleppt und schauerlich mißhandelt haben! Ein so stiller, braver Mensch! Freilich könnten die Deutschen von den Franzosen auch lernen, vor allem, daß man auf seine Nation stolz sein muß. Denn das sind sie drüben; sie haben darin mehr Charakter als wir hierzulande. Aber wir haben Ordnung, Ernst und Tiefe. Und im Grund auch viel mehr Liebe, Fanny. Es ist nur jetzt überall so viel Haß und Kälte in der Welt, daß wir alle frieren. Nein, nein, mal' dir über die Franzosen nichts Romantisches aus! Die Religion hat dort einen schweren Stand. Ich wünsch' ihnen und uns den Frieden -- aber französisch werden? Gott möge das Elsaß vor dem Unglück bewahren!« »Lisy,« sagte Fanny, in ihrer sprunghaften Art plötzlich von einem anderen Gedanken durchzuckt und die Tränen aus den Augen wischend, »hast du denn eigentlich nie geliebt? Ich habe nie eine so selbstlose Person gesehen wie dich.« Schwester Lisy lächelte ihr unsagbar gütiges Vollmondlächeln, nahm das schmale Gesichtchen der Kleinen in beide Hände und fragte mütterlich: »Kind, was verstehst du denn eigentlich unter Liebe? Sag' mir doch einmal das zuerst!« »Nun, daß dich ein Mann ganz besonders und vor allen andren Menschen dich ganz allein lieb hat und du ihn.« Lisy schaute mit einem eigentümlichen Blick durchs Fenster in eine weite Ferne. »Weißt, Fanny, das sind so junge Mädchenträume. Die macht man einmal durch in deinem Alter, aber man bleibt nicht dabei stehen. Man will anfangs freilich besitzen, nach und nach aber will man etwas anderes: nämlich helfen. Mir liegt das Helfenwollen im Blut; denn als Tochter eines Arztes bin ich schon in Kinderjahren an den Operationstisch gewöhnt worden. Siehst du, und so frag' ich halt immer zuerst, was andre leiden ... Entschuldige nur, ich muß von Zeit zu Zeit aus dem Fenster schauen: Vetter Arnold sitzt jetzt schon wieder stundenlang bei einer Kranken, hat das Essen versäumt und kommt, scheint's, nicht mehr nach Hause. So macht er's immer. Und wenn er heimkommt, geht's gleich wieder an den Schreibtisch bis Mitternacht. Und die vielen Lebensmittelsorgen, die Mißstimmung im Volke, die sittlichen Verwilderungen in der vaterlosen Jugend und alles das -- es reibt ihn vor der Zeit auf. Denn er gehört in geistig vornehme Luft, nicht in so kleinliche Verhältnisse. Er gehört überhaupt nicht ins Elsaß. Denn hier ist alles vergiftet. Sieh dir doch nur einmal sein Gesicht an, wie sich da Wehmut eingegraben hat!« Fanny stützte den Kopf in beide Hände und lauschte nachdenklich. Lisy schaute immerzu durchs Fenster. Wolkenschatten zogen über ihr mildfreundliches Gesicht, als sie nun wie zu sich selber mit ihrer angenehm leisen Stimme plauderte: »Ich kenne ihn seit meinem zehnten Jahre. Er ist ja älter als ich. Ein merkwürdiger Sonderling schon als Knabe! Durch meinen Stiefvater sind wir Verwandte geworden und haben uns eigentlich immer gut leiden können. Heute schaut man auf die Gefühle jener Zeit zurück wie auf -- nun, wie soll ich sagen -- wie auf welke Albumblätter und vergilbte Briefe. Ach, und es hat doch damals recht weh getan, bis es überwunden war!« Sie wandte ihr Gesicht plötzlich wieder dem immer noch vor ihr knienden Mädchen zu. »Geliebt, Fanny? Ob ich geliebt habe? Ich habe immer geliebt. Erst war's ein einzelner Mann, später wurden es sehr viele Männer und Frauen. Ja, Kind, ich hab' mich auch einst manche Nacht in den Schlaf geweint und habe Gott angefleht, er möge mir eines bestimmten Mannes Liebe schenken. Aber Gott hat etwas Besseres vorgehabt; er hat's später erhört, nur ganz anders. Er hat mir Liebe über Liebe gegeben; Tränen der Dankbarkeit, ja Küsse dankbarer Liebe auf diese zwei Hände sind mir geschenkt worden. Fanny, und das ist so heilig-schön, daß es jenes andre wahrscheinlich übertrifft. Mein Liebesvermögen ist nicht ärmer geworden, sondern reicher. Sollen wir Frauen denn immer erst Weibchen sein und dann erst Menschen?« Fannys blaue Augen waren größer als je. Sie erhob sich, setzte sich auf Lisys Schoß, legte den Arm um den Hals der Freundin und den Kopf an ihre Schulter. Und mit einem Seufzer und bebender Stimme sagte sie leise: »Du bist besser als ich, Lisy, und bist größer. Wenn ich deinen einsamen Weg gehen müßte -- es wäre mir grauenhaft!« Sie schüttelte sich. »Nein, ich darf nicht dran denken, nein, nein, nicht dran denken! Es würde mir die Kraft nehmen, es würde mich umbringen!« Sie schloß die Augen. Ahnungen schüttelten ihren empfindlichen Körper, und ihre Seele schauderte vor Wüsteneien, die sie in der Ferne zu sehen glaubte. Die ruhige Freundin küßte des erregten Mädchens glühende Wange und sagte liebkosend: »Liebs kleins Fannjele« -- als ob sie zu einem hilflosen Kinde spräche. So saßen sie ein Weilchen aneinandergeschmiegt, bis sich Fannys heißes, volles Herz am gleichmäßig atmenden Busen der reiferen Vertrauten beruhigt hatte. »Vergiß doch eins nicht,« schloß dann Lisy das Gespräch ab, in ihrer gedämpften, behutsamen Art immer wieder ablenkend, »nämlich, daß eigentlich Vetter Arnold am einsamsten ist von uns allen und am schwersten zu leiden hat. Bedenk' doch schon das Unglück mit seiner Frau! Und was für literarische Pläne hat er gehabt, wie viel ungedruckte Papiere verschimmeln in seiner Schublade, wieviel Hoffnungen hat er eingesargt! Mußt nicht nur an dich denken, kleine Fanny. Ihr alle wißt ja gar nicht, was für Feuer noch in dem scheinbar so abgeklärten Manne glüht, denn ihr kennt ihn nicht so wie ich ihn kenne. Und auch ich -- ach, er schließt seine letzte Tür nicht auf! Er verheimlicht seine Tiefen; es hat niemand den Schlüssel zu seiner Seele. Auch mich braucht er nicht; und sobald ich Ersatz habe, gehe ich wieder nach Straßburg. Dich aber haben sie ja alle lieb, Fanny, auch Erwin, auch Onkel Arnold. Und du willst über Einsamkeit klagen?« Fanny hatte schweigend den nicht bitteren, doch sehr wehmütigen Ton dieser Worte in sich aufgenommen. Jetzt sprang sie von Lisys Schoß herunter, packte der Freundin Kopf und schaute ihr mit jähem Verstehen in die ruhig ihren Blick aushaltenden braunen Augen. Es wurde kein Wort weiter zwischen ihnen gewechselt. Doch das junge Mädchen bedeckte das Gesicht der Überwinderin mit leidenschaftlichen Küssen. Dann flog sie davon. Und Schwester Lisy griff mit einem leisen Seufzer wieder nach ihrer Arbeit. Und sie dachte einem ebenso erhabenen wie einfachen Gedanken nach. Liebe verbindet, Haß trennt. In diesem Lande waren einst Männer der Liebe und der edlen Menschlichkeit wie Spener, Oberlin und Pfeffel geboren. Gediehen denn heute nur noch Menschen des Hasses? Und doch, wie sich auch der Verstand der Verständigen und der Wille der Titanen anstrengen mögen: nur die Liebe hat erlösende Kraft. Drittes Kapitel Elsaß und Thüringen Nie werde ich Ihnen, edle, beste Octavie, mit Worten ausdrücken können, wie innig ich Sie verehre und liebe. ~G. K. Pfeffel~ in seinem letzten Briefe an Octavie von Stein (1809) ... »Wenn Sie sich mit Gott unterhalten und ihm Ihre ehrenwerte Familie und Ihre Freunde empfehlen, so erinnern Sie sich bisweilen auch Ihres ergebenen und verehrungsvollen Johann Friedrich Oberlin, Pfarrer.« Aus einem Briefe ~Oberlins~ an ~Octavie von Stein~ (1798) Ingo Freiherr von Stein, Leutnant d. Lw., an seine Frau Elisabeth Auf den Höhen des Steintals, in einer großartigen Vogesenlandschaft, sitz' ich auf einem Brunnentrog und schreibe vom Elsaß nach Thüringen. Es ist der Bezirk jenes Pfarrers Oberlin, der ebenso wie der Dichter Pfeffel mit unsrer Urahne Octavie befreundet war. Du weißt, daß ich den Sonntag mit einem Choral auf dem Meisterharmonium zu eröffnen pflege; nun, heute spielt' ich den Choral »Ich bete an die Macht der Liebe« im Pfarrhause zu Waldersbach, wo einst Oberlin gewohnt hat. Links ragen die Trümmer des Schlosses derer von Stein-Rathsamhausen; um mich her, in erhabenem Weitblick, ist eine mattblaue, kühle Herbstluft. Ich höre keine Glocken, denn sie werden wohl auch hier in Kanonen umgegossen sein; doch die Glocken sind in mir ... Trauerglocken, Elisabeth! Ja, ich bin sehr traurig gestimmt und will mir das Herz leicht plaudern. Flaumacher war dein Spielmann nie; doch Deutschlands Lage -- bitter ernst! Ich habe neulich zu Straßburg von Freund Trotzendorff vieles gehört, worüber ein Soldat nicht spricht, sondern mit knirschendem Erröten schweigt. Doch hängt damit zusammen, daß mich vor ein paar Tagen ein Etappen-Erlebnis ingrimmig aufgewühlt hat. Es handelte sich, kurz und derb, um besoffene (entschuldige!) und zotende Kameraden. Du kennst mich! Das hört sich dein Lebenskamerad bis zu einem Siedepunkt schweigend an, dann setzt es ein Donnerwetter, im Namen deutscher Würde und deutscher Sitte -- aber so donnernd, daß diesen unpreußischen Neupreußen Maul und Nase klafften. Worauf ich einen blutjungen braven Leutnant -- altpreußische Zucht, feiner und reiner Mensch -- am Arm nahm und den Saustall (entschuldige abermals meinen Landsknechtston!) verließ. Es gibt Dinge, über die ich keinen unsauberen Spaß dulde. Dazu gehört die Ehe. Genug! Stell' dir die vorausgehenden harten Wochen vor: meist im vordersten Graben, im schweren Abwehrgefecht bei meinen übermenschlich tapferen, blutenden, sterbenden Kriegskameraden, ich selbst immer mitten unter meinen Wackeren, den Stahlhelm auf dem Kopf, naßkaltes Wetter, die Füße Eis, die Augen entzündet, der Magen knurrend -- so haben wir scheußliche Übermacht bekämpft, bis Ablösung kam. Dann trottet man stumpf, todmatt, Schattengestalten, aus der Feuerzone in Ruhestellung, säubert das Fell, futtert kräftig und schläft wie ein Sack. Und wacht auf und -- hält in den Händen deinen goldenen Freudenbrief, den man mit Küssen bedeckt, wie einst deinen Mund. O mein Lieb, mein Weib! Ich hab' dir ja schon gedankt -- aber nun entschuldige, daß ich heute mit solchen Mißakkorden den Brief begonnen habe, als ob mein Herz nicht trotz alledem voll Fröhlichkeit wäre! Ganze Feldpakete voll demütigen Dankes könnt' ich dir nach Thüringen senden. Also zum Knirps Gottfried hat sich eine Irmgard Elisabeth Luise gesellt! Wie das meinen Kriegsknochen wohltut! So blüht dort im innersten Thüringen heiliges Leben -- und hier sucht man's mit allen Kniffen der Kriegskunst zu vernichten! Meine Gute, meine Stille, so oft ich an dich denke, sehe ich dich als eine deutsche Madonna, dein Kind an nahrhafter Brust, in dich hineinlächelnd, das Wunder des Lebens hegend und herzend an diesem Quell. Das Zauberspiel der Liebe und das Geheimnis des Werdens und Vergehens bleiben mir immer aufs neu' erstaunlich und heilig. Was tragt und duldet ihr alles um des Lebens und der Liebe willen, ihr geduldigen Frauen! Man muß euch ja verehrend auf den Händen tragen und ritterlich lieb haben! Meine Sorge gilt dem Elsaß. Mir ist bang um des Reiches Westmark. Und wie hab' ich sie liebgewonnen! Könntest du doch einmal von der Zaberner Burgruine Hohbarr oder von dem uralten Kloster Odilienberg auf diese von Fruchtbarkeit strotzende Ebene und ihre dichtgesäten Dörfer hinausschauen! Und dann dieser Kranz von alten Reichsstädten: Kaysersberg, Türckheim, Kolmar, Schlettstadt -- und wie sie alle heißen, deutsch und unaussprechlich für die Franzosen! In einem schmalen Grenzstreifen, wie hier, wird Französisch gesprochen, überall sonst alemannische Mundart. Ich sah das zerschossene Hochfeld, ging über die Perhöhe, wo nun ein Blockhaus steht, und trank Tee im Pfarrhause zu Wildersbach, bei einem Urenkel Oberlins. Aber es liegt etwas Banges in der Luft -- die bulgarische Front ist durchbrochen -- mehr will ich nicht sagen ... Am Sonntag war ich in Lützelbronn, einem reizenden Dorf am Vogesenrande. Mein Bataillon hatte Ausspannung. Ich gehe durch den Ort und horche auf: da wird ja mit Verständnis mein wahrlich nicht leichter Liszt gespielt, das =Sonetto del Petrarca=! Ich hinein: »Was für ein Haus?« -- »Das Pfarrhaus.« Also warte ich den Schluß ab und lasse mich keckweg bei dem Konfranziskaner anmelden. Drinnen find' ich den Pfarrer, ein hageres Gelehrtengesicht, und ein heiter-natürliches, straffes Blondinchen mit einer vornehmen Adlernase, einem blühenden, feinen Mund und stahlgrauen Augen -- eine Elsässerin, von der sich sagen läßt: Zauber der Französin im Bunde mit deutscher Wärme. In ihren Bewegungen kurz, rasch und bestimmt, von reizvoll wechselndem Mienenspiel -- und dann wieder mit großen deutschen Blauaugen weltverloren zuhörend, wie ein Raffaelscher Engel zu Füßen der Sixtina. Sie ist nebenbei mit dem Sohn des Pfarrers verlobt; ich hab' mich also nur mit schicklichem Maß in so viel Anmut verliebt ... Ein mäßiges Instrument, aber ich schwelgte. Derweil glühte hinter dem alten stumpfen Kirchturm das Abendrot hinab und tauchte Dorf und Stube in himmlisches Feuer. Dann Gespräch mit dem Pfarrer, als die Kleine verschwunden war. Und wieder ein Aufhorchen. Sieh da, ein ernster, tiefer Idealist, ein Charakter! Nach außen beherrscht, innen voll verhaltener Glut. Leute dieser Art altern nicht. Je länger wir sprachen, desto jünger redete sich dieser König ohne Land, der seine Pläne, Träume, Gedanken wie Gold vor mir ausschüttete, der mir geistgefüllte Schubladen zeigte, kurzum, der von Ideen strotzt. Kannst dir denken, Elisabeth, daß ich Feuer fing! Er liest seinen Homer griechisch; er kennt Plato ebensogut wie Kant; er ist Religionsphilosoph und Mystiker. Dabei spricht er glänzend, warm und klar. Und immer mehr stieg vor meiner Seele ein Trauerspiel empor. Dieser Königsadler im Käfig, mit seinem etwas zerrupften Gefieder und seinen hangenden Flügeln, zeigte mir, trotz alledem, daß er noch fliegen konnte. Warum aber sitzen solche Talente in der Ecke? Warum führen sie nicht? Fehlt es uns nicht überall an Führern? Ich habe lange darüber gesonnen: Ist er ein elsässisches -- ein deutsches -- ein europäisches Opfer? Hat ihn der dürr-materialistische Zeitgeist um die Verwendung seiner Kräfte geprellt? Schleiermacher ist sein Lehrer; und von da aus hat er sich besonders mit der Romantik befreundet; er kennt genau Novalis und Hölderlin, diese schön angelegten, aber unerfüllten Seelen voll Weisheit und Liebe. Einmal, als er sprach von der Notwendigkeit eines neuen Herzensaufschwungs der Deutschen, kam er so ins Feuer, daß er ans Klavier sprang und mit mächtigen Akkorden und entsprechendem Tenor das »Wachet auf, es nahet gen dem Tag« aus den »Meistersingern« hinaussang. Und mit Wucht fuhr es danach aus ihm heraus: »Wo bleibt denn eure Kraft, euer Einfluß, ihr deutschen Gralsucher?! Ich muß euch anklagen, ihr seelenlosen, kurzsichtigen Deutschen, und sage mit Bewußtsein ›euch‹, denn ich Elsässer, vor 1870 geboren, fühle mich jetzt als ein zwischen den Nationen zermalmter Europäer. Ihr seid Knechte eines seelenlos verrömerten Staatsbegriffes geworden! Wo habt ihr eure einst führende Gemütsmacht? Wo habt ihr die Liebe? Ihr habt sie für das Linsengericht äußeren Fettwerdens verkauft! Ihr wollt Engländer- und Amerikanertum nachäffen! Gebt acht, das bezahlt ihr! Habt ihr uns Elsässern etwas andres ins Land gebracht als Paragraphen und Polizei? Warum habt ihr uns nicht beizeiten Selbständigkeit gegeben? Nun sehen Sie sich um, wie unsere Leute verbittert sind! Neudeutschland hat sich im Lebenston gegen uns vergriffen! Der Franzose täuscht wenigstens mit liebenswürdigen Phrasen über seine Leere hinweg. Nein, keine Widerrede, Herr Hauptmann, ich würde nicht so sprechen, wenn ich nicht bitterlich an Deutschland gelitten hätte, also Deutschland liebte!« So hat mir der anfangs verschlossene Sonderling sein Herz entsiegelt. Er war Privatdozent in Heidelberg gewesen, hat sich dann auf sein Gut zurückgezogen und bei Kriegsbeginn diese Pfarrei übernommen. Wieviel Tüchtige leiden edel und unbeachtet in den Tiefen unseres Volkes! Kurzweg, unter einem bedeutenden Eindruck fuhr ich nach Straßburg zu Freund Trotzendorff. Hier unterbrech' ich mein Schreiben einen Augenblick. Weißt du, weshalb? Lache nicht: eine Bachstelze setzt sich auf den Rand des Brunnentrogs, wippt mit dem langen Schwanz, trippelt anmutig und zutraulich näher und beäugt mich. Und hat weder vor Revolver noch Feldgewand Angst, sondern trinkt ganz gemächlich. Ich nehm's als einen Gruß von dir aus dem Lande der Liebe ... Der tapfere Haudegen Trotzendorff ist von seinen Wunden genesen, doch dürr wie ein Lattenzaun. Du kennst seine völkische Tonart, seit er in die Politik geraten; das Elsaß war schon lange sein Sorgenkind. »Viel kleinliche, ja erbärmliche Erfahrungen hab' ich hier eingeheimst«, sagte mir der graue Recke. »Die Elsässer sind von Natur freimütig und gastfrei; aber sie sind unter der welschen Hetze der letzten Jahrzehnte duckmäuserig und zweideutig geworden, Zwittergestalten! Jammerschade um so guten Stoff!« Am Abend beim Statthalter. Die alte deutsche Reichsstadt wirkt im Herbstnebel schwer und mittelalterlich. Noch gigantischer ragt und wuchtet in der Mitte das berühmte Münster mit dem einzigen, schlanken, durchgeistigten Turm, der sich übrigens in diesem rheinischen Kies- und Schlammboden zu senken gedroht hat vor lauter Kummer um die Zeit. Alte schmale Gassen, überhängende Stockwerke, sonderbar altdeutsch anmutende Straßennamen, wie Tücherstub-, Schreiberstub-, Goldschmied- oder Zimmerleutgasse. Universität und Kaiserpalast sind Lazarette; viel entsagungsvolle Arbeit wird da von Professoren getan; ein Kirchen- und Kunsthistoriker war mein geistvoll gesprächiger Führer. Zwischen den neuen Amtsgebäuden am Kaiserplatz, durch das Wasser getrennt, steht am Staden der vornehm wirkende Statthalterpalast. Sehr hohe Gemächer, weiß-goldner Ton, roter Teppichboden; einfach-freundliche Formen der kriegsmäßigen Geselligkeit. Es waren da allerlei Offiziere, Geheimräte, Professoren; ich sprach besonders mit Elsässern. Kehrreim aller sorgenvollen Gespräche war immer wieder: Was wird aus dem Elsaß? So stand oder saß man in Gruppen beisammen, rauchte, plauderte und schritt dann durch die aussichtslose Nebelnacht der abgeblendeten Stadt nach Hause ... Der lederbraune, hagere Trotzendorff, zweimal dem Tode nahe, ist ernst geworden wie ein Karmeliter. Treitschke und Lagarde blieben zwar seine Führer und Freunde; doch zum Völkischen ist das Religiöse getreten; er hat sich vertieft. »Wir haben die deutsche Seele vernachlässigt, mein Junge«, war einer seiner Aussprüche. Und da tauchte mir das Dörfchen Lützelbronn im Gesichtsfeld auf, der rauchende Pfarrer, das entzückende Blondinchen. Ich erzählte Freund Trotzendorff davon; er hatte den Namen gehört. »Einer von den Alt-Elsässern, die wir heranholen werden, wenn hier nach dem Kriege von uns aufgebaut wird.« Wenn! ... Ich denke an meine erste Kriegszeit hier im Elsaß. Unvergeßliche, packende Tage und unheimlich großgestimmte Nächte! Scheinwerfer, die ruckweise den Himmel absuchen, marschierende Regimenter, schwüldunstige Rheinebene -- dann Namen wie Barr, Andlau, Hohwald -- dann seh' ich uns im Straßengraben rasten -- Meldereiter, Radfahrer keuchen vorüber -- und nun rasseln und knarren Batterien nach vorn, bärtige Leute, die in bewußt strammer Haltung, geschüttelt und gerüttelt, auf neugeschirrten Rossen und Wagen sitzen, mit Zurufen von der rastenden Infanterie begrüßt ... Wir nach, mit klopfendem Herzen, in den wachsenden Kanonendonner hinein -- und noch am Abend Sturm! Das war meine Feuertaufe. Literweise hat elsässischer Boden mein thüringisch Blut getrunken! Was hatte man seitdem von den flandrischen Trichtern bis zu den russischen Sümpfen und rumänischen oder serbischen Schafweiden alles auszuhalten! Deutschland im Kampf gegen die ganze Welt! Zeitgenossen, spürt ihr auch, was da geleistet wird? Deutsche Soldaten halten Wacht an jeder Eisenbahnbrücke, in jeder Ortschaft Belgiens und Nordfrankreichs, im ganzen Reiche, in Westrußland bis hinaus ans Schwarze Meer; deutsche Gouverneure, Richter, Bürgermeister, Polizeibeamte sind in allen besetzten Gebieten ausgestreut. Oft unter schwersten Verhältnissen arbeitet irgendwo in der Ferne ein vereinzelter blutjunger Leutnant in irgendeiner Kommandantur oder in einer verwahrlosten, von Deutschen wieder in Schwung gebrachten Fabrik. Und wie verleumdet uns diese teuflische Auslandspresse! Daß es auch bei uns Schufte gibt -- selbstverständlich! Aber die Mehrzahl unseres tapfer duldenden Volkes sorgt für Ordnung und Methode, trotz Hunger und Not; und die wackeren Männer stehen im blutigen Kampf. Hungerblockade, Lügenblockade, Übermacht von außen und Zersetzung von innen werden vielleicht ihr Ziel erreichen -- aber das weiß ich: unbesiegt werden wir deutschen Soldaten vom Schlachtfeld abrücken! Behüt' dich Gott, meine Gute, mein Weib, mein Glück! Dieser Brief deutet mehr an, als er ausführt. Sorgen genug! Doch wir stehen fest wie einst die Zeder Oberlin, dessen Grabmal ich gestern in Fouday besucht habe. Es dunkelt an den Gebirgen, ein feiner Kaminrauch sammelt sich über Waldersbach, die Sonne ist hinter die westlichen Kuppen hinabgesunken -- etwas vom Wirken eines gütigen Menschen ist hier in der himmlischen Luft geblieben und schimmert herüber. Der Bergquell, der neben meinem Sitz sein kristallklares Wasser in den Holztrog rieseln läßt, wird vernehmlicher und singt sein uralt Einsiedlerlied in die beginnende Nacht. Über der Gegend von Schirrgutt und Bellefosse wartet schon der Mond -- derselbe Mond, der sich vielleicht eben jetzt in deinen Augen spiegelt, meine liebe, liebe Elisabeth! ~Dein Ingo.~ Viertes Kapitel Ein Nachtgang Mir ist so weh ums Herz, Mir ist, als ob ich weinen möchte Vor Schmerz. Gedankensatt und lebensmatt Möcht' ich das Haupt hinlegen in die Nacht der Nächte. ~Karl Candidus~ Hauptmann Ingo von Stein, der thüringische Freiherr, ahnte nicht, wie verwirrend sein Besuch im Pfarrhause zu Lützelbronn gewirkt hatte. Als Gustav das neuartige Klavierspiel unter sich vernahm, kam er auf seinen Hausschuhen aus der Einsiedelei heruntergeschlürft. Er streckte den Kopf in die Küche und fragte Schwester Lisy scheu und mißtrauisch, wer denn da drin so toll phantasiere. »Ein Hauptmann«, ward ihm zur Antwort. »Hauptmann?!« Wie ein elektrischer Schlag traf ihn das Wort. Das also war der Hauptmann, von dem ihm der unselige Apotheker ins Ohr geflüstert hatte! Was in der Tiefe geschwelt, schlug als Flamme empor. Und als im selben Augenblick Fanny mit hochrotem Gesicht herausschoß und ihm strahlenden Auges zurief, er solle doch hereinkommen, der Hauptmann spiele ja himmlisch -- schmetterte Gustav mit den Worten: »Fällt mir nicht ein!« die Speichertüre zu, riegelte hinter sich ab und sprang mit zwei, drei Sätzen wie gehetzt die Treppe hinauf, oben noch einmal seine Dachkammertüre mit Donnerhall zuschlagend und abschließend. Fanny stand betäubt. »Was isch denn das gsin?!« Dann stampfte sie zornig auf, glutrot bis zu den Schläfen hinan. »Das muß man sich gefallen lassen, Lisy! Könnt' man sich da nicht gleich die Faust zerbeißen vor Zorn?! Üble Laune ist das Allerwiderwärtigste, was es auf Gottes Erdboden gibt!« Und sie lief in der Küche hin und her, wahrhaft empört, und schalt, während Lisy ihr bekümmertes »ach Gott! ach Gott!« ratlos dazwischenseufzte. »Jetzt ist mir die Freude an der Musik vergällt«, schloß die zornige Kleine. »Jetzt kann ich mich wieder heimtrollen und Rüben schaben.« Das Weinen war ihr nahe, als sie grimmig davonging. Gustav blieb den ganzen Abend unsichtbar. Sein Vater hätte ihn gern zu den fesselnden Gesprächen hinzugezogen. Doch kein Pochen hatte Erfolg. Er lag oben und malte sich in unsinnigen Bildern aus, daß ihm doch nur Fannys Mitleid gehöre, daß aber ihre sinnenkräftige Natur schon lang auf den Funken warte, auf den glutvollen, hinreißenden Mann, und daß dieser lebhaft da unten sprechende Hauptmann sie offenbar im Sturm geweckt, begeistert, erobert habe. Denn so hatten ihre stahlblauen Augen noch nie geflammt! Er lauschte den verhallenden Schritten, als der Spielmann sich spät entfernte; er glaubte zu vernehmen, daß diese Schritte hinter Bielers Haus verstummten. Und weiter fieberte und phantasierte der Nervenkranke, da sei gewiß eine Verabredung getroffen. Fannys Stube ging auf den Garten, an dessen ansteigendem Ende das Birkenwäldchen den Hang krönt, ihr Lieblingsplatz. Ob sie den Hauptmann im Garten erwartet? Denn Fanny ist ein unberechenbares Geschöpf, das sich im großartigen Rausch ergibt, gänzlich moralfrei, nur Natur, nur Weib ... Er lag und zerwühlte den Kopf; er sprang auf und lief hin und her; er holte sein Tagebuch und schrieb sich das Herz leicht. Mitternacht schlug. Es duldete ihn nicht mehr. Er schlich auf Fußspitzen die Treppe hinunter und durch das leise knarrende Hintertürchen in den Garten. Alles still. Milde Spätsommernacht; am Himmel strichweise flimmernde Wölkchen, dazwischen feinfunkelnde kleine Sterne. Hinter den Tannen mußte bald der Mond kommen. Gustav ging am Pfirsichstaket entlang; dort lag das Brett; er stellte es an und stieg geräuschlos auf die Mauer. Hinübergebeugt verharrte er eine lange Weile, lauschend, spähend -- regte sich da nicht etwas? War das nicht ein Geflüster? Nein, es war doch wohl nur ein verlaufenes Nachtlüftchen oder vom unteren Dorfe her der immer fließende Brunnen, dessen Ablauf sich ins Waschhaus und von dort in den tiefen Fischteich ergießt. Irgendwo ein Hundegebell. Er blieb in seiner halbliegenden Stellung, bis ihn die Glieder schmerzten. Dann stieg er vorsichtig hinüber und schlich schattenhaft zwischen den Birken hin, den Blick auf Fannys Kammerfenster gerichtet. Der Mond stieg; der Giebel wurde hell. Die Helligkeit kroch langsam weiter, wandab. Und jetzt schien der Mond in Fannys Fenster. Sieh an -- das halbe Fenster stand ja offen! Neu aufzuckende Qual! In jagender Gedankenschnelle fuhr es ihm in den Kopf, daß in der Nähe die Gartenleiter hing; sie mochte ungefähr bis zu jener Höhe reichen. Die schwülsten Ausmalungen peinigten ihn. Ja, jetzt war es ihm unfehlbar gewiß: Fanny war falsch! Fanny, des langen Harrens auf solch siechen Bräutigam müde, hatte sich von einer Minute zur andren dem Fremden an den Hals, in die Arme geworfen! Zwar, allerdings, sie pflegt ja immer mit angelehntem Fenster zu schlafen -- das ja wohl -- aber -- ja, was denn? Das halbe Fenster war ja offen -- -- und horch! Nein, nur der Hund knurrte. Der Hund im Hofe hatte etwas gemerkt und wurde unruhig, schlug auch kurz und halblaut an. Gustav überlegte. Sollte er Lärm machen? Sollte er dem ganzen Hause, dem ganzen Dorfe, dem ganzen Erdball ausschreien, was hier vorging? Ein paar Augenblicke überbrauste den Leidenden mit fast unwiderstehlicher Macht eine wilde Blutwelle: »Jawohl, schrei es hinaus, brülle, tobe, tobe, tobe! Schlage den Schlaf und den Frieden dieser Menschen von Lützelbronn in Fetzen und Stücke, da doch dein eignes Glück in Trümmern liegt!« Aber diese brausende Woge verebbte wieder; der Tobsuchtsdrang wich. Wenn Fanny glücklich war, mochte sie halt ohne ihn glücklich sein; lieb behalten wollte er sie dennoch. Nun empfand er Mitleid mit sich selber. Er schlich weiter, glitt an der andren Seite über die Mauer und ging, bereits mit aufquellenden Tränen kämpfend, hinab an den immerzu plaudernden Brunnen und weiter an den jetzt mondüberschimmerten, schwärzlich glatten Weiher. Dort stand er lang am Ufer, wie eine Weide, immerzu ins Wasser starrend. Er ließ seinen Tränen freien Lauf. Seine geliebte Braut hinter ihm in den Armen des Hauptmanns! Und er -- ein gebrochener Mensch! Sein Weinen ging allmählich in Gebet über. Und immer war es Fanny, der nun auch sein Gebet galt, wie vorher seine Tränen. Gott möge sie doch nicht schlecht werden lassen -- so betete der Arme --, nur nicht schlecht werden, nicht ihrer leicht entflammten Sinnlichkeit unedel erliegen lassen. Er wollte selber gern das Opfer bringen, gern entsagen, gern untergehen und sich von der Welt fortstehlen; aber Gott möge doch Fanny segnen, seine geliebte Fanny! Das Wasser hatte unheimliche Anziehungskraft. Ein Sprung in die Tiefe -- und du bist frei! Und Fanny ist frei und kann sich den Mann wählen, der zu ihr paßt. Und diese Welt voll Haß und Kampf, voll Verleumdung und Lüge rollt weiter, ob ein Schwächling spurlos verschwinde oder nicht. Er entwarf Abschiedsbriefe. Da waren einige Menschen, denen er noch gern ein letztes gutes Wort niedergeschrieben hätte ... Tränen, Gebet und die Gedanken an die Seinen verringerten nach und nach die Seelenspannung. Es floß etwas hinweg. Die Dämonen verließen ihn. Er schaute leichter atmend und nunmehr empfindlich fröstelnd in die kühle Nacht. Ach, war doch am Ende all seine Erregung Unsinn? Hatte nicht Fanny sogar im Winter das Fenster offen? Und dann: unten lag ja der Hofhund; und über ihr schlief Tante Sophie ihren leichten Schlummer; und eine Leiter hätte man doch wohl irgendwo sehen müssen. War doch vielleicht alles nur Einbildung? Beschämt und müde schlich der Nachtwandler spät nach Hause, legte sich möglichst geräuschlos zu Bett und versank sofort in todähnlichen Schlaf. * * * * * Gustavs Nachtgang war bemerkt worden. Sein Vater lag noch lange Stunden wach, nachdem der thüringische Gast die Gedankenmasse des Elsässers aufgewühlt hatte. Welch eine Wonne und Wohltat ist doch solche Aussprache! Wahrlich, der Mensch braucht den Menschen zur gegenseitigen Belebung; wir alle nähren uns voneinander. Viel Gutes in uns verkümmert, verdorrt, vertrocknet, wenn es nicht durch wechselseitige Elektrizität, durch Gespräche, durch Herzensaustausch zur wärmenden Flamme angefacht wird. Der stille Gelehrte hatte die Empfindung, daß er eine Verjüngung erlebt habe. Er hatte sein Selbstvertrauen wiedergefunden. Und auch das Vertrauen zum deutschen Volke, das er seit Jahren und Jahrzehnten auf ebenso verderblich materialistischen Wegen sah, wie die ganze übrige Welt. Also lebten in Deutschland doch noch Männer, die genau so dachten wie er, sogar im feldgrauen Kriegsgewande? Und also war er nicht allein, nicht ganz allein?! Wie tut es doch bis in das Innerste wohl, sich von einem wertvollen Mitmenschen in seinen eigensten Gedanken und Gesinnungen bestärkt und bestätigt zu fühlen! Es ist eine paradiesische Begegnung, wenn sich zwei Gralsucher die Hände reichen ... Mitternacht hatte vom Turm geschlagen. Da hörte der Halbwache schleichende Schritte, dann das Knarren der Hintertüre. Jemand ging nach unten, nach dem Garten. Litt Gustav wieder an Schlaflosigkeit? Suchte er nach seiner wunderlichen Weise Mitternachtsstille und lief ein Weilchen im Garten auf und nieder? Der Pfarrer träumte weiter; er drohte einzuschlummern. Da schlug es vom Kirchturm eins -- und noch war Gustav nicht zurück. Jetzt überkam den Vater des jungen Kranken eine unbestimmte Besorgnis. Er stand auf, kleidete sich einigermaßen an, nahm das Taschenlaternchen und ging hinaus. Die Bodentüre stand offen; er begab sich nach oben und klopfte an. Keine Antwort; aber Licht brannte. Er trat ein; das Zimmer war leer; auf dem Tisch unter der Arbeitslampe lag ein offenes Tagebuch, an dem Gustav geschrieben hatte. Zwischen Vater und Sohn pflegte mit einer selbstverständlichen Natürlichkeit das Briefgeheimnis gewahrt zu werden. Jetzt aber, in der sorgenvollen Ahnung, daß den Sohn irgendeine Seelenqual umhertreibe, beugte sich der Vater über den Schreibtisch und las die frisch beschriebenen Blätter des sonst sorgsam verschlossenen Geheimbuches. Er war entsetzt. Wilde Worte, wüste Bilder, jagende Buchstaben! Und alles drehte sich um die eine Frage: Mann und Weib! Die Feder hatte gerast, Tinte verspritzt, mitten im Satz abgebrochen und war dann in wirr gekritzelte und durchgestrichene Zeichnungen übergesprungen -- -- alles ohne Hemmung, weder Sitte noch Anstand achtend, durchgehende Rosse einer krankhaft ausgepeitschten Phantasie! »... Weibgeheimnis -- Waldgeheimnis -- man will immer tiefer eindringen -- ja, ja, ich verstehe den Mord am Wild, den Mord am Weib -- das Geheimnis herauswühlen, das Lustgeheimnis, den Zauber, die Verhexung -- wo steckt das im Weib? Wo, wo? Her damit! -- Kind und Spielzeug -- Lustmörder und Opfer -- Wollust des Mordens -- Mord und Minne gehören zusammen -- Doppelrausch! Das kann der Franzose: mit Geschmack verführen -- das will Fanny, das will jedes Weib -- und ich Jammerlappen bin zu brav, zu deutsch, zu feig, zu schwach dazu -- -- -- -- und dennoch ein lüsterner Schuft!« ... Dann Bilder von Frauengestalten, ein Hexentanz von Strichen! Doch nach und nach war offenbar Beruhigung eingetreten. In Gustavs wiederum gleichmäßiger, schöner Handschrift kam nun eine Art Trauerlied: »Nacht, Nacht, Nacht! Und ich bin immer allein! Der Baum hat eine Stimme, wenn der Nachtwind kommt, denn er rauscht, und ihm antwortet ein anderer Baum, ein Busch, ein Halm -- und sie klagen miteinander der Mutter Nacht ihr altes Leid. Aber ich bin immer allein. »Es ist irgendwo ein Land, weitab. Da sind die Leute freundlich und friedlich; da kommt einer zum andren, wenn dieser traurig ist, faßt seine Hand und spricht lieb zu ihm oder weint mit ihm, und sie sind gemeinsam traurig. Aber ich bin immer allein. »Ach, es weint in mir, wie ein Brunnen in der Tiefe rauscht. Und mir wäre wohl, wenn die Wasser heraufstiegen und aus meinen Augen über die Wangen flössen. Ach, mir wäre wohl, wenn ich ein Dichter wäre und singen könnte, was in mir weint. Doch ich habe kein Saitenspiel, und die Wasser kommen nicht herauf zu mir, und das Weinen bleibt in der Kehle -- und ich bin immer allein ... Nacht, Nacht, Nacht!« ... Tief erschüttert stand der Vater vor diesen Bekenntnissen seines einsamen Sohnes. Das also war die Nachtseite seiner am Tage so scheu verschlossenen Seele! Wie von Scham übergossen schlich der Pfarrer auf den Zehen in sein Zimmer hinunter, verriet durch kein Licht, daß er wachte, und legte sich wieder in sein Bett, um noch lange schlaflos ins Dunkel zu starren. Später hörte er den Sohn mit verstohlenen Schritten zurückkommen. Wo war der Junge gewesen? Hatte er, von diesen niederen Vorstellungen gepeinigt, vielleicht seine kindlich-reine Braut aufgesucht? Und war denn vielleicht auch Fanny, diese tagsüber so unbefangene Natur, in ihren Tiefen so wie dieses Tagebuch? Was mochte man wissen! Man konnte ja an allem irre werden! »Da wollt' ich noch eben mit diesem Hauptmann den Himmel auf die Erde holen -- und vermag nicht einmal in meinem Hause Seelenfrieden herzustellen! Da wollt' ich noch eben die elsässische Seele retten -- und schaue nicht einmal in meines Sohnes Seele! Weib und Werk sind mir entglitten -- jetzt entgleitet mir auch mein Sohn!« Nur ein Vater vermag es zu ermessen, welche Qualen diesen Mann in der einen Nacht heimsuchten. Er empfand seinen Sohn als ein von Gott ihm anvertrautes Gut; er war von der Gewißheit durchdrungen, daß er am Thron Gottes Rechenschaft über ihn abzugeben hatte. Aber er besaß ja diese junge Seele nicht mehr, die er doch erzogen hatte, er besaß auch nicht Fanny! »Ist denn dies nun das neue Elsaß? Gärt solche heimliche Lebensgier in den Tiefen dieses jungen Geschlechtes? Denken sie denn nur an sich, immer nur an sich, und nicht an des Vaterlandes große Not? Fanny, Fanny, bist denn auch du so von Sinnlichkeit zerfressen wie der unglückliche Zeichner dieser Bilder? In welche Welt der Dämonen bin ich da geraten! Sie toben also nicht nur an der Front, die Dämonen, nicht nur in der Lügen- und Verleumdungspresse -- sie vergiften auch meinen allernächsten Bezirk, meine zwei liebsten Menschen.« Es gibt Nächte so tiefer Qual, daß der Mensch eine Art Vortod durchmacht. Da löst sich alles, was noch an der Erde hängt. Die Seele fühlt sich in ein graues Nichts hinausgestoßen. Sie kann sich an nichts mehr halten, denn es ist zum Halten nichts mehr vorhanden. Überall furchtbare Leere! So ist es beim Sterben, wenn keine Liebe den Menschen begleitet, der den Körper verlassen soll. Liebe jedoch ist wie ein Licht, das den Weg hell und freundlich macht. Und der Philosoph, wiederum ganz schlichter Mensch geworden, tat dasselbe, was sein Sohn unten am Weiher tat. Seine gramvollen Gedanken gingen in Gebet über. Er bot dem Allwaltenden sein Werk als Opfer an. »Ich will auf alle persönliche Ehre und auf das letzte Restchen Eitelkeit verzichten; ich will die ganze Summe meines Fleißes verbrennen: wenn ich nur die paar Menschen meines Umkreises, ja nur einen einzigen Menschen vor Verwirrung und Untergang bewahren und einem edlen Leben gewinnen kann ...« Die Uhr tickte; der Mond stieg. Sein Licht wanderte durch die hohe Nacht. Um den Erdball zuckten Fernfunken der drahtlosen Telegraphie; um den Erdball zuckten Kriegsberichte, Haß und Verleumdung; Raketen, Granaten und Scheinwerfer stellten ihre Flammen in den Dienst des Kampfes; auf dem Meere dröhnte da und dort ein torpediertes Schiff in die Luft; und auf unschuldige Städte fielen mörderische Bomben, während in manchem deutschen Hause die Kinder ungesättigt zu Bett gingen. Aber aus den Tiefen vieler Menschenherzen quollen Tränen und Träume empor: Träume von einer künftigen edleren Lebensgemeinschaft, wo niemand mehr aus Mangel an Liebe verhungern wird. * * * * * Noch zwei schlaflose Augen hatten Gustavs Nachtgang beobachtet. Als der Hund knurrte und unwillig anschlug, wurde Tante Sophie in ihrem Giebelstübchen aufmerksam. Ihr Bett stand nahe an der Fenstergardine. Sie reckte den äußerst hageren Leib und spähte hinaus; denn ihre Phantasie war immer mit Einbrechern und Spionen beschäftigt. Und wahrhaftig: ein Mensch ging durch den Garten, kletterte über die Mauer und sprang jenseits hinab! Nun aber auf! Die halblahme Alte knipste Licht an, hüpfte mit ungewohnter Lebendigkeit in den Morgenrock und in die Wollschuhe -- und dann humpelte, schlürfte, ächzte sie über den Speicher hinüber an die andre Giebelstube und klopfte mit knochigem Finger der knurrigen Salome: »Sälmele, =vite, vite=! Mach Sie schnell uff! Awer schnell! Es isch e Inbrecher am Hüs!« Salome schlüpfte zunächst unter die Bettdecke. Dann endlich, nach längerem Klopfen und Winseln, entschloß sie sich, aus den Federn zu kriechen und der verängsteten Tante Sophie zu öffnen. Diese schoß sofort ans Fenster: »Do, do geht er, gück, do! Do geht einer an de Brunne!« Und erzählte flüsternd und entsetzt ihre Beobachtungen. »Was für griserlichi Zitte! Sälmele, Sälmele! Mr isch sines Lewes nimmeh sicher! =Vous verrez=, es gibt noch Revolution im Land! Jerum, jerum, wär' ich nur schon im Spital oder im Totebaum!« Die beiden ältlichen Jungfrauen lebten sonst in fortwährendem Kleinkampf. Aber Not schweißt Herzen zusammen. So pflegten sie denn auch manchmal bei schweren nächtlichen Gewittern einander an die Tür zu pochen und rasch ihre geliebtesten Sachen zu packen; dann setzten sie sich, auf das Schlimmste gefaßt, zitternd und seufzend auf die unterste Stufe der Bodentreppe, die eine mit ihrer eisernen Kassette und einigen Kleidungsstücken, die andre mit Hutschachtel, Käfig und Kanarienvogel. So warteten sie alsdann, bis das Wetter vorüber war. Worauf sie wieder in ihre Stuben und Besonderheiten entwichen, um sich gegenseitig am andren Morgen doppelt unfreundlich und mißtrauisch zu behandeln. Also standen sie denn auch heute nacht Schulter an Schulter spähend am Fenster, in mangelhaften Gewändern, und schauten über die Geranien hinunter nach der Gespenstergestalt, die an den stillen, glatten Weiher ging und dort lange, lange stand ... Als aber am andren Morgen Salome, mit der nächtlichen Neuigkeit geladen, schnellfüßig nach unten in die Küche lief und sich das erstaunte Gesicht der Haustochter ausmalte, wurde sie enttäuscht. Denn zunächst kam Fanny sehr spät in die Küche. Wo blieb sie denn nur immer so lang in den letzten Tagen? Was machte sie denn in ihrem Zimmer? Gab es so viel Post zu beantworten? Und verdrießlich wirtschaftete Salome zwischen ihrem Geschirr herum, bis sie Schaulis habhaft wurde, dem sie dann umständlich und mit schmückenden Zutaten das nächtliche Abenteuer erzählte. Fanny hatte allerdings an diesem Morgen einen Brief erhalten, und zwar von Erwin. Sie war heute nicht auf seinen Ton gestimmt; denn sie war Feuer und Flamme für eine ganz andre Arbeit, die sie vor kurzem begonnen hatte und der sie jede freie Minute widmete. Immerhin wirkte Erwins Schreiben für den Augenblick aufheiternd, wenn es auch ernst ausklang. »Liebste Kussy -- verzeih, da verschreib' ich mich gleich zu Beginn, denn ich wollte natürlich Cousine Fanny schreiben, zog es aber in ~ein~ Wort zusammen, denn mir tanzt noch dein Kuß vor den Augen, auf den Lippen, in der Feder herum! Und wen die Mussy geküßt -- verzeih, ich wollte natürlich Muse schreiben, aber meine Muse heißt Fanny, und so zog ich's wieder in ~ein~ Wort zusammen! Wen also die Muse geküßt, den hat Apollo am Ohrläppchen, und er reimt fortan Kuß und Schuß. Hat dich nicht deine verstorbene Mutter ›=ma douce=‹ oder ›=ma doucie=‹ genannt? Also deutsch: Duß und Dussy! Und habt ihr mir nicht manchmal gesagt, ich sei ein ›Schöute‹ oder ›Schussele‹, das heißt ein fahriger, närrischer Bursche? O Dussele, Kussele, Mussele -- wie würden wir zwei uns reimen! Aber das ist doch alles nur papierlich, nicht natürlich, mithin ein erbärmlicher Kriegsersatz für mündlichen Bericht! Schuß tötet, Kuß belebt -- hol's der Kuckuck, daß ich zu ersterem verdammt bin! Lieb Schussinchen -- nein, halt -- kurzum, es schusselt, kusselt, dusselt mir unter der Hirnschale herum, daß ich keinen Brief zusammenkriege. Leb' wohl für heute! In einer Stunde wieder im Feuer! =N.B.= Beinschuß, nicht schwer, liege im Lazarett. Gedenket mein! Erwin.« Fanny las diesen Brief zwei- und dreimal. Und sofort tippte sie Antwort. Denn sie saß bereits an der Schreibmaschine, die mit Leichtigkeit und Anmut von ihr gehandhabt wurde. »Dein Schusselebrief, lieber Erwin, klingt ja so ernst aus, daß ich aus dem Lachen in jähes Erschrecken geriet, als ich deine Schlußworte las. Hoffentlich doch nicht schlimm? Schreib' ja recht bald wieder! Ich bin an der Schreibmaschine, daher diese ungewöhnliche Schrift, die ich sonst für Briefe nicht mag, weil sie so unpersönlich ist. Aber neben mir liegen Stöße von beschriebenem Papier. Und weißt du, was ich tue? Es ist mir durch ein Gespräch mit Lisy so recht bewußt geworden, wie einsam Onkel Arnold ist. Da liegen seine ziemlich schlecht geschriebenen Arbeiten in seinen Schubladen. Er würde sie gern dem oder jenem Kollegen oder Verlagsbuchhändler vorlegen, kann sich aber nicht zu einer Abschrift entschließen, mag sie auch nicht einem Abschreiber anvertrauen. Es ist so eine tiefe Gleichgültigkeit über ihn gekommen. Weißt du, was ich nun mit Lisys Hilfe getan habe? Wir haben ihm den ganzen Stoß aus dem Schreibtisch gestohlen! Und ich sitze und schreib' sie ihm heimlich ab! Nun verrat mich aber nicht! Es soll eine Überraschung werden. Und schreib doch auch Gustav einen recht, recht lieben, ermunternden Brief! Gott behüte dich, du Schussele! Fanny.« Als hernach Fanny in die Küche kam und händereibend an die ganz andersartige Arbeit ging -- es war Wäschetag --, hatte sie für Salomes spukhaften Bericht gar kein Ohr. »Dumm Dings, Salome! Ihr zwei alti Jungfere han do owe G'spenschter g'sehn!« Alte Jungfer ließ sich aber die bäuerlich kräftige Salome gar nicht gern nennen, auch nicht im Scherz, und selbst nicht von der Mamsell Fanny. Sie habe noch recht scharfe Augen, meinte sie, und war sehr verschnupft. Da sie ohnedies nicht an Gesprächigkeit litt, so gab es ein schweigsames Arbeiten. Doch das innere Lächeln verschwand nicht von Fannys wunderhübschem Gesichtchen, das unter dem weißen Arbeitskopftuch womöglich noch reizender aussah. Fünftes Kapitel Zusammenbruch Im heißen Tiegel liegt mein Vaterland. Daß ihm die Glut zur Läuterung gereiche, Daß es verjüngt dem Flammengrab entsteige: Dies füge des allmächt'gen Schmelzers Hand! ~Karl Hackenschmidt~ Schmerz reift den Menschen. In einer Stunde der Erschütterung kann die Seele mehr erstarken als in sechs dürren Jahren. Durchdrungen von der Großartigkeit des Opfergedankens, ging Arnold am andern Morgen an sein Tagewerk. Er war bisher Gelehrter gewesen, zu sehr Gelehrter, auch als Pfarrer; er hatte sich auf einsamen Höhen gefühlt und als verkannt empfunden; er hatte Hochmut beherbergt. Nun wollte er ganz schlichter Mensch sein: liebender Mensch, der aber vielleicht durch Liebe schöpferisch wird. Gedeiht nicht alles Hohe nur durch Opferung? Opfert nicht die Mutter unter Lebensgefahr ihre Kraft und vieler Nächte Schlaf, damit ihre Kinder gedeihen? Bringt nicht der Freund dem Freunde seine Fürsorge und Anteilnahme dar? Taucht nicht das Saatkorn in die Erde und opfert seine Form, damit aus Finsternis vielfältige Frucht ans Licht emporsteige? »Ich habe auf falschen Wegen Werk und Glück gesucht«, dachte er überm Ankleiden; »ich will meinen Gelehrten-Ehrgeiz opfern und schlicht vom Herzen aus zu leben versuchen, Mensch zu Mensch. Ich will meine Verstandesarbeit verbrennen; denn sie war unbeseelt. Mit diesem Weltkriege -- das spür' ich jetzt -- donnert eine unbeseelte Zeit zu Ende. Oder sind es schon Geburtswehen? Wird unter Tränen Seele geboren?« Er trat an den Schreibtisch. Und nun widerfuhr ihm eine seltsame Überraschung. Er öffnete die untere Schublade zur Rechten. Da pflegte er seit Jahren den Stoß seiner fertigen Handschriften zu verwahren. Aber das Fach war leer. Nur ein vergessenes Heftchen Volkslieder lag darin; das war wohl irgendwie einmal dazwischen geraten. Er zog es hervor und las den Titel: »Rosen und Rosmarin. Auswahl deutscher Volkslieder mit Bildern von Rudolf Schäfer«. War er denn verhext? Lagen die Papiere etwa im linken Fach? Auch nicht. Hatte er sie bereits herausgenommen, als er im Gespräch mit dem thüringischen Gast diese Arbeiten erwähnte? Möglich. Aber er entsann sich dessen nicht. Er wußte, daß er, mit nachdrücklicher Hindeutung, einmal voll stolzen Grimmes von seinen geistgefüllten Schubladen gesprochen hatte, die niemand begehre. Und nun waren beide leer? Er fuhr sich über Augen und Stirn. Hatte er sie denn nachtwandelnd bereits verbrannt? Bestürzt stand der Gelehrte vor dieser Leere. Er blätterte in den gemütvollen deutschen Volksliedern, die keinerlei Gelehrsamkeit beanspruchten und doch von Leben strahlten. »Es war ein Markgraf über dem Rhein, Der hatte drei schöne Töchterlein« ... Und hier das lange nicht vernommene: »Wenn ich ein Vöglein wär' Und auch zwei Flüglein hätt'« ... Und dann: »Es waren zwei Königskinder, Die hatten einander so lieb ...« Oder »Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht« -- »Ich hört' ein Sichlein rauschen, wohl rauschen durch das Korn« -- -- Er las sich hinein; er vergaß Ort und Zeit; er ließ die warmherzigen Zeichnungen auf sein Empfinden wirken. »Und wovon singen sie alle, diese Lieder? Was suchen sie alle?« Er gab sich selber Antwort: »Immer nur des andren Seele! Immer nur Liebe!« Ihm däuchte, da müßte irgendein Zauber walten, ein Elfenspuk. Doch die Tagesarbeit rief. Er warf das Heft auf den Tisch und frühstückte rasch. Dann bewegte sich seine hohe, hagere Gestalt mit den bekannten großen und langsam-würdigen Schritten in etwas wiegender Gangart durch den Ort nach der Schule, wo er fast täglich ersatzweise Unterricht zu geben pflegte. Unterwegs begegnete ihm der katholische Pfarrer. »=Bonjour, Monsieur Arnold!=« rief ihm dieser auf französisch zu. »=Avez-vous déjà entendu la dernière nouvelle?=« Und ins Elsässische überspringend: »D' Bulgare han Waffestillstand gemacht! =A la bonne heure!= Gemunkelt het mr's schun lang! Awer 's isch Tatsach'! Do steht's! In zwei Woche isch Fridde im Land! Jetzt isch's mit Ditschland fertig!« Seine Augen leuchteten vor Triumph. Arnold achtete die katholische Kirche und lebte mit deren Vertreter in äußerem Frieden. Dieser ziemlich kurze, festgebaute Bauernsohn mit dem vollen Gesicht und der eckigen Stirne war echt alemannischen Gepräges. Aber er hatte einst den französelnden und jetzt landesflüchtigen Abgeordneten von Kolmar gewählt und pflegte dessen französisch geschriebene Zeitung zu lesen. Seine Vorstellungswelt war den Franzosen erlegen. Er bemühte sich, mit den Fabrikanten der Nachbarschaft ein bäuerlich-elsässisches, für Pariser Ohren unerträgliches Französisch zu radebrechen. Durch den Beichtstuhl hatte er Einfluß auf die Frauen, durch diese wieder auf des Dorfes Männer; er hielt seine Gemeinde kirchlich und politisch fest in der Faust. Den Anschluß an den deutschen Katholizismus lehnte er ab. »=Qui dit catholique, dit français=,« meinte er; »Frankreich und Italien sind die Mütter unsrer heiligen Kirche.« Mit Arnold hatte er nur einen einzigen Strauß gehabt; den aber hatte er spielend gewonnen. Der evangelische Pfarrer hatte seinen Stiefbruder in Christo freundlich gebeten, den Gottesdienst am Sonntagmorgen etwas später zu legen; denn seine Frauen und Männer, durch die schwere Wochenarbeit dieser Kriegszeiten übermüdet, könnten am Feiertag nicht genügend ausschlafen. Der evangelische Gottesdienst pflegte in der gemeinsamen Kirche vor dem katholischen stattzufinden. Doch der klerikale Kollege schlug ab; jene Stunde sei alter Brauch; ein Gesuch an das Straßburger Konsistorium war gleichfalls erfolglos: der Bischof gab seinem Pfarrer recht. Arnold zuckte die Achseln, schwieg und ließ sich fortan auf keine Bitte an den Amtsbruder mehr ein, noch weniger auf einen Streit. Sie waren Nachbarn und grüßten sich; aber keine Brücke der Liebe ging von einem zum andren. Wie nun die beiden, im äußeren und inneren Bau so verschiedenartigen Vertreter der Religion der Liebe beisammen standen, durchzuckte den langen Forscher und Träumer die Erinnerung an jenen Vorfall. Und nach den Erschütterungen der Nacht empfand er bei dem Blick in diese triumphleuchtenden Augen einen tiefen Schmerz. Sind wir denn wirklich Diener des Meisters von Golgatha? Dann gab er dem andren ganz ruhig, nachdem er sich aus dessen frisch vom Postamt geholter Zeitung unterrichtet hatte, eine kurze Antwort. »Mein Vater«, sprach er, »war ein Verehrer des Papa Oberlin im Steintal, der in friedloser Zeit als Mann des Friedens gewirkt hat. Ihm zu Ehren erhielt ich die Vornamen Johannes und Friedrich. Ich hänge sehr am Elsaß, aber noch mehr an Deutschland. Und wenn nun nach vier tapferen und geduldigen Kriegsjahren Deutschland der Übermacht unterliegt, so werde ich es erst recht lieben. Denn es ist einfach wundervoll, wie sich unsere deutschen Truppen schlagen.« Dann zog er vor dem etwas verdutzten Amtsgenossen katholisch- französischer Prägung freundlich den breiten, weichen Filzhut und bog um die Ecke. Der Tag war mit beträchtlicher Arbeit angefüllt. Der schmalschultrige, wenn auch zähe Philosoph und Pfarrer hatte Nerven und Sinne kräftig zusammenzunehmen. Sofort nach dem Schulunterricht war ein sterbender Greis zu besuchen. Mit ihm betete der Seelsorger den 121. Psalm, dessen sich der achtzigjährige Alte noch erinnerte und den er mit lallender Stimme laut nachsprach. Dann weiter, zu zwei andren Kranken, den Ärmsten seiner Gemeinde. Da lag ein hinsiechendes Mädchen von kaum achtzehn Jahren; und bei ihm, an Gesichtsrose erkrankt, die Mutter. So groß war hier die Armut, daß Mutter und Tochter in demselben Bette lagen. Und welche Stubenluft! Oft schon hatte ihnen Arnold aus seiner eigenen Tasche ausgeholfen; und Schwester Lisy pflegte ihn bei alledem zu unterstützen wie die freilich sprödere Fanny. Aber woher in diesen Zeiten all die nötigen stärkenden Nahrungsmittel nehmen! Es waren geistig dumpfe Menschen, die ihn da aus trüben Augen anstarrten. Doch schien er in seinen Tröstungen und Gebeten heute den rechten Herzenston zu treffen. Denn heftig atmete die Frau; sie mochte in ihrer verkümmerten Seele zum ersten Male die ganze Lichtlosigkeit ihres geist- und gottfernen Lebens ahnen. Zu Hause erwartete ihn ein kriegsblinder Theologe, mit dem er bis zum Mittagessen Griechisch trieb. Gustav kam zur Mahlzeit aus seiner Klause herunter, weich gestimmt, müde und in sich gekehrt. Der Blinde erzählte von seinem Aufenthalt in Marburg. Man besprach die überaus drohende Kriegslage und die bedenkliche innerpolitische Zersetzung. In Palästina hatten australische, neuseeländische und indische Truppen der Engländer die Türken geschlagen und nordwärts über Damaskus zurückgedrängt. Bagdad war vom englischen Feinde längst genommen. Der Engländer saß an der nordrussischen Murmanküste. Von Amerika herüber zogen, wie Dämonenscharen, Mannschaften, Munition und Maschinen in schweren Massen nach Frankreich, um die deutsche Westfront zu übermannen. Deutschland war von der See her blockiert und hungerte: in ungeheurer Einkreisung rückten die Vernichtungsheere näher und immer näher. Nun war, völlig unerwartet, die bulgarische Mauer zerbrochen, derart zerbrochen, daß manche Bataillone ohne einen Schuß ihre Stellungen im Stich ließen und davonliefen. Die bulgarischen Parlamentäre standen im Lager der Saloniki-Armee. In wenigen Tagen war die Verbindung mit der Türkei abgeschnitten. Dann mußte auch dieses müde Volk zusammenbrechen! Nach dem Essen nahm der Geistliche den Blinden an den Arm und wanderte mit ihm und einem leidenden Schulmädchen in das Städtchen zum Augenarzt. Das Kind mit dem dick verbundenen Auge an der linken Hand, den Mann mit der schwärzlichen Brille am rechten Arm -- so zog er durch die gelblichen Weinberge dahin. »Dienen will ich,« dachte er, »nur dienen. Wer bin ich in diesem allgemeinen Zusammenbruch, daß ich mit meinem Schicksal zu hadern wage? Kannst du in deinen Bücherhimmeln selig sein, Famulus Wagner, wenn draußen so viel Herzen und Völker leiden? Ich will das Leid der Gesamtheit mittragen. Ich will wenigstens einigen helfen; ich will mit dem Rettungsboot auf das Wrack hinausfahren und ein paar Leute an Land holen.« So empfand er. Und von seinen Gesprächen strömte Kraft und fürsorgende Liebe aus. Abends nach der Heimkehr war noch eine Sitzung: er hatte den Aufsichtsrat der Landwirtschaftskasse zu sich gebeten, die er vor einigen Jahren gegründet hatte. Wohl hätte diese nüchternen Dinge auch ein Gemeindeschreiber besorgen können; doch der war längst gefallen. Drüben bei Bielers, im Waschhaus, stand und schaffte tagsüber die kleine, straffe, kräftige Fanny, mit Leidenschaft an ihre Arbeit hingegeben. Und abends eilte sie trotz großer Müdigkeit noch an die Schreibmaschine. »Logos und Eros« war der Titel der gelehrten Untersuchung, die sie abschrieb. Jenes griechische Wort hat im Bezirk des Apostels Johannes besonderes Gewicht erlangt und bedeutet ewige Weisheit; das andere war Platos geistigen Gefilden entnommen und heißt Liebe. Sie wunderte sich, daß Onkel Arnold über so schlichtmenschliche Dinge so gewunden und gelehrt schrieb. Aber sie klapperte wacker und gewandt eine ganze Stunde lang, bis ihr das Köpfchen auf die Tasten zu sinken drohte. Worauf sie ihr Lager aufsuchte und schon in der Mitte des Nachtgebetes fest entschlief. * * * * * In Rauchgebilden, die sie mit dem Munde formten und in die Luft entließen, saßen Offiziere, Beamte und bürgerlicher Anhang in der Hinterstube des städtischen Gasthofes. Auch ihre Gespräche waren Rauchgebilde, aufsteigend aus den Gehirnen und Worte formend, womit sie ihre letzte Meinung voreinander verbargen. Unter ihnen saß ein norddeutscher Hauptmann. Seine genauere Berufsart ist für die Gesamtheit des großen Geschehens ebenso belanglos wie sein Name. Einer von vielen. In allem ungefähr das Gegenteil des Hauptmanns Ingo von Stein. Von außen ein Scharfmacher; innerlich haltlos. Der junge Apotheker an seiner Seite war im Innern ein entschiedener Französling, nach außen gemütlich und von geduckter Höflichkeit; auch stets bereit, mit sich Spaß treiben zu lassen, ohne es scheinbar übelzunehmen, da er selber voll Schnurren steckte. Zwischen beiden gab es Abstufungen, anständige, nüchterne Menschen, wie sie in jeder Stadt der Westmark zu finden sind: Altdeutsche und deutschgesinnte Eingeborene, Halbelsässer und Französlinge. Aber keine warme innere Einheit. Am besten verstanden sich Hauptmann und Apotheker. Rosig und rund gediehen beide in der allgemeinen Nahrungsnot. Sie liebten scharfgewürzte Speisen und scharfgewürzte Späße. Und wenn die anderen verduftet waren, saßen sie noch im dicken Rauch und vergnügten sich an den allersaftigsten Geschichten, wobei selbst die Kellnerin beinahe errötete und beide Gesellen duzend und scherzend ohrfeigte. Der Hauptmann blieb bei alledem wiehernd laut und derb; der Apotheker beschränkte sich auf ein niederträchtiges Schmunzeln. »Sagen Se mal, Dicker!« pflegte dann der Hauptmann seinen Gesinnungsgenossen anzureden. Der Dicke zwar hätte das Kosewort mit ebensoviel Recht zurückgeben können; aber als Sohn eines immer verbindlich lächelnden Gastwirtes war er auf nichtssagende Höflichkeit eingeübt und nahm sich auch im angetrunkenen Zustande zusammen. Die Spitzen, die er gesprächsweise dem »Schwob« dennoch versetzte, im Bunde mit unechten Schmeicheleien, verstand nur die elsässische Kellnerin. Er wußte immer irgendwie durch Hintertüren Schaumwein, Gänseleberpasteten und ähnliche Kostbarkeiten zu ergattern, wozu er dann den Hauptmann gastfrei einlud. Dieser glaubte sich mit den Eingesessenen bereits vortrefflich angefreundet zu haben, obwohl er erst wenige Monate im Lande war. Er hielt sich für unwiderstehlich; hätte man Leute wie ihn früher gerufen, meinte er selbstgefällig, die Rasselbande der Landesverräter hätte die Knochen ganz anders zusammengenommen. Vom wahren Wesen der Elsässer hatte er keine Ahnung. Da er zudem ein wenig mit der Zunge anstieß oder sich beim schnellen und schnarrenden Reden verhudelte, so war es dem Apotheker ein leichtes, seine Sprechweise mit stärkstem Lacherfolg nachzuahmen, sobald der andre den Rücken gedreht hatte. »Woher haben Sie denn nu eigentlich Ihr blaues Auge, Dickerchen?« fragte der Hauptmann. »Sie wollten heut' abend, als die Herren darauf anspielten, nicht recht mit der Sprache heraus. Na nu los!« Gustavs Schulkamerad zog die Brauen hoch und blinzelte schalkhaft, als ob es sich da um ein ganz besonderes feingewürztes Abenteuer handelte. Endlich sagte er: »Das hab' ich Ihnen zu verdanken, Herr Hauptmann!« »Nanu, wieso denn? Hab' ich Sie in der Bezechtheit verhauen?« »Das nicht, aber die Sache ist nämlich so. Es ist hier in der Nachbarschaft einer auf Sie eifersüchtig.« Und nun erzählte der eine Dicke dem andern den Vorfall im Giebelstübchen zu Lützelbronn. Wobei er freilich die Tatsachen boshaft umfärbte. Er vergaß nicht die Fahnenflucht des jungen Bieler und verweilte bei dessen »apart netten« Schwester; er stellte schnalzend fest, der alte Bieler habe einen wohlgefüllten Weinkeller, dessen Geheimnisse eine Untersuchung verlohnten. »Kenne den Fall ganz genau«, prahlte der Hauptmann, spitzte jedoch die Ohren und stieß Rauchkringel in die Luft. »War schon dort, reiches Haus, sah freilich weder die Kleine noch die Weine -- hübscher Reim, was? Sagen Se 'mal, Dicker, Sie kennen ja das Terrain hierzulande: kann man da 'rankommen?« * * * * * Tags darauf stand der Hauptmann in Bielers Wohnstube. Fanny war aus der Küche herausgeschossen, als sie das Auto vorfahren hörte. Sie war hochrot vom Herdfeuer, trocknete rasch die Hände ab und erregte des Hauptmanns vollkommenes Entzücken. In schneidigen Formen hatte er die anmutige Kleine begrüßt, die aber ihrerseits den Vater rief und wieder an ihre Arbeit ging. Papa Bieler, mit dem Käppchen in der Hand, war die Höflichkeit selber. Ihm pochte seit seines Sohnes Flucht jedesmal aufs neue das Herz, wenn ein Kraftwagen in sein Hoftor rasselte und Offiziere absetzte. Er schenkte, nach einigen einleitenden Worten, dem Gast sofort einen kristallklaren Schnaps ein. Und der Hauptmann sah sich mit Behagen in der wohlgetäfelten Bürgerstube um. »Noch e Schnäpsel, Herr Hauptmann? 's isch e Quetsch.« »Mit Vergnügen, Herr Bieler! Wie nennen Sie das? Quetsch?« »Von Zwetschgen gebrannt, verstehn Sie!« »Ach so, natürlich! Zwetschgenwasser! Famos! Wissen Sie, Herr Bieler, man hat mir Ihre geradezu musterhaften Kellereien gerühmt. Aber ich sehe, Sie verstehen sich auch auf Schnapsbrennerei. Überhaupt: eine urgemütliche Gastfreundschaft hier im Elsaß! Und ein schönes Land, Herr Bieler, ein sehr schönes Land!« »Ja, ja, Herr Hauptmann, unser Sprüchel hat schon recht: »Das Elsaß, unser Ländel, Es isch meineidi schön, M'r hewe 's fescht am Bändel Un lonn 's bi Gott nit gehn« ... Der Hauptmann mußte sich das Mundart-Sprüchlein erst verhochdeutschen lassen, stimmte dann aber lebhaft bei. »Alle Wetter, ja, stimmt! Hören Sie da oben am Hartmannsweiler Kopf unsre Batterien? Fest am Bändel! Stimmt! Und wenn alle andren Fronten zusammenkrachen, ich sage Ihnen, hier kommen sie nicht durch! Hören Sie, wie das da oben pocht?« Der Hauptmann spielte auf den Geschützdonner an. »Ja, ja,« sagte der Weinsticher ernst, »wie Hammerschläge auf einen Sargdeckel.« »Nicht übel!« nickte der Hauptmann. »Unter Ihrem Käppchen stecken ja anscheinend ganz gute Einfälle. Sargdeckel: die Revanche-Idee wird zugenagelt! Von wem sind denn diese hübschen Teller?« »Vom Maler Lux.« »Elsässische Motive?« »Da die Schlösser von Rappschwihr -- ich mein': von Rappoltsweiler -- da die Burgruine Girbaden -- dort Kaysersberg -- Reichenweier -- nett gemacht! 's isch e Elsässer, der Lux.« »Und das hübsche Mädel da in der Bauernkappe? Ist das nicht Ihr reizendes Töchterchen, das ich vorhin leider nur auf einen Augenblick zu begrüßen die Ehre hatte?« »Joh, 's isch 's Fanny. Schad', daß die netten Trachten fast ganz verschwunden sind. Es isch halt nimmer so viel Freud' auf der Welt, Herr Hauptmann.« »Ein Prachtsmädel! Zum Anbeißen! Wenn man so 'was sieht, möchte man sich ja gleich Knall und Fall in so 'ne hübsche Elsässerin verlieben.« Bieler lachte kurz auf, stieß das Käppchen auf das linke Ohr und kratzte hinter dem rechten, ging aber auf den Ton ein. »Ha, jetzt, wissen Sie halt: ein Preuß' als Schwiegersohn« -- »Würde Ihnen ausgezeichnet bekommen! Und das Bild da, der französische Soldat --?« »So hab' ich einmal ausgesehen. Ich hab' siebzig bei Fröschwiller mitgemacht.« »Aha, Wörth?« »Sehen Sie da: den Finger hat mir ein Bayer weggeschossen, Herr Hauptmann. Ich bin Zuave gewesen -- =vous savez: caporal=! Und eine zweite Kugel da in den linken Arm. Am Kirchhof zu Fröschwiller bin ich gelegen bis in die Nacht und fascht gar verblutet -- ah, =bigre=! Na, aber es hat sich wieder gemacht. Mein Handwerk als Winzer oder Winsticher, wie man hierzuland sagt, kann ich auch mit einem halbsteifen Arm besorgen. Lang mach' ich's freilich nimmer; ich verpachte meine Reben; es paßt mir nicht mehr recht, man wird alt. =A propos= wollen Sie meinen Keller sehen, Herr Hauptmann?« »Sehen Sie, jetzt werden Sie warm, Herr Kriegskamerad! Da braucht man also nur auf den Knopf Fröschweiler zu drücken -- was? Nu sagen Se mal, ist's denn wirklich wahr, daß ihr Elsässer wieder französisch werden wollt? Sprechen Sie mal frisch von der Leber weg! Ich las da neulich, der Maire eines von den Franzosen besetzten Dorfes im Sundgau hätte beim Empfang Poincarés vor Rührung geweint --« Bieler lachte. »Oh lala, Plän' von Paris! Wissen Sie, wie das G'schichtel passiert ist? Der Maire hat kein Französisch gekonnt, da hat seine Frau zu ihm gesagt: Dummer Kaib, du fängst an zu weinen -- und richtig: ›=Monsieur le Président=‹, hat er hinausgeschmettert -- so viel hat er nämlich behalten von der Rede, als er den Präsidenten empfangen sollte -- dann ist er stecken geblieben, hat's Nastuch herausgezogen und erbärmlich geweint. Und der Präsident hat ihn umarmt: ›=Embrassez-moi, Monsieur le maire!=‹ und die Pariser Zeitungsleut' han Purzelbaum g'schlagen über den gerührten Maire! Aber sehen Sie, so sind die Franzosen! Sie machen aus allem e =comédie=!« Der Hauptmann stimmte schallend in Bielers Lachen ein und fuhr dann in seiner etwas gönnerhaft-jovialen Tonart fort: »Aber von den Schwoben wollt ihr auch nicht viel wissen, was? Nu geben Sie mal Ihrem Herzen einen Stoß und sprechen Sie deutsch heraus: was ist denn eigentlich für euch eingesessene Elsässer, für euch widerspenstige, bockbeinige und doch wieder urgemütliche Alemannen ein Schwob? Ihr habt ja selber einmal zum Herzogtum Schwaben und Alemannien gehört! Ihr seid ja selber dickköpfige Schwaben! Also los!« »Soll ich Ihnen emol e G'schichtel verzählen?« »Immer los!« »Unser junger Lehrer -- er ist leider bei Ypern gefallen -- hat einmal in der Dorfschule seine kleinen Kneckes gefragt: Kinder, was ist denn ein Schwob? Da hebt einer den Finger und sagt: Ein Schwob, das ist einer, der als sagt: ›geh' mal weg da!‹ Sehen Sie, das ist für uns Elsässer ein Schwob!« Die Worte »geh' mal weg da« hatte der Winzer in schneidigstem Kasernenton hinausgedonnert. Der Hauptmann prustete vor Lachen und konnte sich gar nicht mehr beruhigen. »In Ihnen steckt ja ein tadelloser Feldwebel, Herr Bieler! Na, 's ist aber auch manchmal ganz verdammt nötig, euch Elsässer anzuschnauzen. Lieber den farnesischen Stier zum Rekruten drillen!« Der Horizont drohte sich zu verfinstern; das Gespräch wurde heikel. Papa Bieler beeilte sich, seine Einladung auf das allerfreundlichste zu wiederholen. Und beide wanderten miteinander in den weitläufigen Keller. * * * * * An demselben Tage bat Arnold seinen Sohn um eine Unterredung. Gustav sah ihn erstaunt an. Vater und Sohn, beide lang und schmal, feldgrau der Junge, dunkel der andre, wanderten wie Schatten im großen Zimmer auf und ab. »Sieh, Gustav,« begann der Vater mit bewegter Stimme und gütigem Ernst, »wir zwei gehen immer umeinander herum, und unsere Herzen kommen nicht zusammen. Soll ich denn das Trauerspiel, das ich einst mit deiner Mutter erlebt habe, nun auch mit dir auskosten? Du kannst doch das gewiß nicht wollen.« Gustav wußte nicht recht, worauf der Vater anspielte. Er brachte die einleitenden Worte mit dem neulichen Abend in irgendeine unbestimmte Beziehung. »Ich habe«, fuhr Arnold fort, »nach dem Besuche des thüringischen Freiherrn eine schwere Nacht durchgemacht. Dieser Mann hat meine Gedankenkräfte aufgewühlt. Ich bin mir vollends bewußt geworden, daß ich auf einem toten Punkt sitze. Wir alle drei sind auf einem toten Punkt, du und Fanny und ich. Wir müssen uns neu beleben und erwärmen, sonst geht unser Seelenleben zugrunde. Am besten wär's, wir wanderten aus, in ein Land, wo man große Gedanken und ein reines Herz ungestört auswirken kann. Hier im Elsaß ist das unmöglich. Hier ist zu viel Haß.« »Aber wohin?« warf Gustav müd' und schmerzlich ein. »Ist die moderne Welt nicht überall gleich herzlos?« »Was geht uns die moderne Welt an, Gustav! Hindert sie uns drei, wenigstens untereinander herzlich zu sein? Geben wir einander wirklich, was wir uns geben könnten? Diese Frage habe ich mir neulich in bittrer Nacht vorgelegt. Und ich bin bei dieser Prüfung erschrocken, wie wenig wir uns gegenseitig vor seelischer Einsamkeit schützen. Du hast Fanny durch dein Benehmen tief gekränkt, als sie dich einlud, dem Spiel des Hauptmanns zuzuhören« -- -- »Das war eine Verwechslung, Papa«, beeilte sich Gustav zu versichern. »Hast du ihr das gesagt? Hast du um Verzeihung gebeten? Nein. Vielmehr verspinnst du dich erst recht in deine Einsamkeit und erwartest, daß wir, immer nur wir dich wieder herausbetteln. Doch wie es in uns aussieht, das kümmert dich nicht. Grenzenlose Ichsucht, Gustav! Doch ich will nicht schelten. Ich möchte dich nur vor dem Irrweg deiner Mutter bewahren. Immer war sie die Gekränkte; immer suchte sie die Ursache ihres inneren Unfriedens in der Umgebung. Nie wird jemand erfahren, wie ich unter ihren Launen gelitten habe. Und wenn sie mich mit pfeilspitzen Worten aufs tiefste verwundet hatte -- ins Schlafzimmer, Tür hinter sich zu, eingeriegelt! Genau wie du! War der Anfall dann vorüber, so weinte sie und schlich beschämt wieder heraus. Ich blieb über Menschenkraft rücksichtsvoll; doch etwas in mir erstarb. Ungern sag' ich das alles; denn es ist ja auch für mich immerdar eine Beschämung, daß ich da nicht helfen konnte. Sie glaubte sich als Elsässerin in Heidelberg verkannt und verfolgt; weil sie Verwandte in Frankreich hatte -- oder was weiß ich weshalb! Aber hier im Elsaß hielt sie's auch nicht aus. Unser altes Grenzlandschicksal: Hans im Schnakenloch! Spürte sie den kommenden Weltkrieg? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß Mangel an Liebe und Mangel an Vertrauen tatsächlich die Wurzeln aller Friedlosigkeit sind.« »Das liegt so in der ganzen Zeit«, bemerkte Gustav. »Eiskalt alles! Was soll man tun, Papa? Weißt du einen Rat? Ich weiß keinen!« »Abschütteln die Zeit! Bist du einverstanden, wenn wir drei eine Art Trutzbund gegen die Zeit schließen? Wir wandern in eine kleine Universitätsstadt aus, du, Fanny und ich. Ein Mülhauser Fabrikant will mir schon lang mein Gut Windbühl abkaufen; das bringt ein paar Hunderttausend. Du heiratest Fanny, baust deinen Doktor, tust dich als Privatdozent auf. Unser Geld reicht. Ein Kandidat wartet auch schon auf meine Pfarrei Lützelbronn« -- -- »Und das Elsaß?« unterbrach Gustav erregt. »Unser Elsaß im Stich lassen, Papa?« »Wichtiger sind mir mein Sohn und seine Braut, jawohl, Gustav! Ich bin Ketzer genug, das zu sagen. Ihr geht mir hier an den Verhältnissen zugrunde. Und dann das Entscheidende, lieber Junge: seit dem bulgarischen Zusammenbruch müssen wir mit Deutschlands Niederlage rechnen. Dann aber wird hier aus allen Ritzen Gesinnungslumperei den einziehenden Franzosen entgegenkriechen. Dann kann der Arbeiter für etliche Sous seinen Liter Rotwein trinken und sein Weißbrot essen, schwingt also nach so langem Hunger begeistert die Trikolore und hat, was er will. Das machen wir nicht mit, Gustav. Wir halten zu dem tapfer erliegenden Deutschland.« Gustav schritt lebhaft hin und her. Stand es schon so weit mit der deutschen Westmark? »Das Elsaß im Stich lassen, Papa?!« »Hätt' ich einen entscheidenden Berufsposten, der für Religion, Sprache, Sitten wichtig wäre, glaub' mir, Gustav, ich bliebe, ich kämpfte! Aber --« »Erwin wollte einen Elsaß-Bund gründen --« »Erwin -- das ist etwas anderes. Ja, das soll er tun! Erwin ist jung und spannkräftig. Der beißt es durch. Ja, diese neuelsässische Jugend soll hier deutsche Art und Sprache wachhalten, was auch kommen mag. Aber nicht du, nicht Fanny und nicht mehr ich. Euch beiden will ich leben, meine Kinder, und zwar in reiner Luft! Hier ist Luzifer zu mächtig; hier kann Christi Reich jetzt nicht aufgebaut werden.« Und Arnold deutete an, daß sich ihm durch den Freiherrn von Stein eine wertvolle Beziehung zu dessen nahem Freunde, dem Oberstleutnant von Trotzendorff in Straßburg, eröffnet habe. Das seien deutsche Menschen, denen das Herz auf dem rechten Fleck sitze. Er werde alles Nötige in die Wege leiten. So sprachen sie mehr als eine Stunde lang. Gustav wurde immer wärmer und ging mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit auf seines Vaters Pläne ein. Die Herzen fanden sich. Vater und Sohn schüttelten sich die Hände. Jetzt spürte der Junge, wie tief der Vater sich um ihn sorgte, derart sorgte, daß er auch das heißgeliebte Elsaß zu verlassen willens war, um nur seinen Kindern in reiner Lebensluft Führer zu sein. Noch nie waren sich die beiden so nahe gekommen. Gustavs Krankheitsgefühl war verflogen; die Aussicht, aus all der dumpfen Enge herauszukommen, hatte ihn umgewandelt. »Und nun will ich dir etwas vorschlagen, Gustav«, schloß der gleichfalls belebte Pfarrer und legte dem Jungen beide Hände auf die Schultern. »Jetzt läufst du stracks zu Fanny hinüber und sagst ihr einige recht, recht gute Worte, gel? Sie ist ja ein so liebes, ein so grundvornehmes Geschöpf! Man kann ihr ja gar nicht genug dankbar sein, wie sie all das Schwere hell und heiter trägt. Ach, Gustav, eine so lebendig liebe Menschenseele ist mehr wert als alle Politik Europas!« »Du hast recht, Vater! Ich danke dir für diese Stunde. Du glaubst nicht, wie mir diese Aussprache gut getan hat! Ich bin ein ganz neuer Mensch. Und jetzt geh' ich zu Fanny.« »Setzt gleich den Hochzeitstag fest!« rief ihm der Vater nach. Der feldgraue Unteroffizier eilte stürmischen Schrittes davon. Und Arnold schritt noch lange in seinem Zimmer auf und ab, glühend bewegt. Er hatte einen Sturmangriff auf seines Sohnes Herz gewagt; und der Sturm war gelungen. »Menschen gewinnen« -- das waren die Gedanken, die ihn durchgluteten -- »Herzen in Flammen versetzen, damit sie zu Entschlüssen fähig werden! Ich verstehe den Flammenspender von Golgatha nun auf neue Weise: er hat Wolken hinweggerissen, die uns von der Sonne der Liebe getrennt haben; nun kann die göttliche Wärme wieder herein. Ach, was war ihm das ganze riesige Römerreich mit seiner Weltpolitik! Schattengebilde! Aber die unsterblichen Seelen, die er dem Reich Gottes gewann, die waren ihm alles. Das ist der Sinn der Kreuzigung: wir sind der äußeren Welt gekreuzigt, doch um so funkelnder lebt, liebt, leuchtet das Herz, das ewig ist, das aus dem Kosmos kommt und den schattenhaft dahinrollenden Planeten samt Geburt und Tod sieghaft überdauert« ... Er nahm den Hut und ging auf Krankenbesuche. * * * * * »Fort vom Elsaß?« Das waren Fannys erste freudig-bange Worte, als Gustav seines Vaters Vorschlag stürmisch vor der Geliebten ausschüttete. Den Vater im Stich lassen, in fremde Umwelt auswandern, in die ungewisse Ferne -- und zwar bald, in wenigen Wochen?! Ihr schoß es heiß in beide Schläfen. Und doch! Und doch war es mehr Glück als Bangigkeit. Denn wie angenehm verändert war Gustav! Beide junge Menschenkinder waren allein in der Wohnstube. Unter ihnen, im Keller, probten und tranken der Hausherr und sein Gast. Salome hatte im Garten zu tun; Schauli und sein Schwiegersohn Stürli pochten an den Fässern im Schuppen rüstig herum, denn die Weinlese nahte heran. Es war bedeckter Himmel und ging bereits dem frühen Abend zu. Der Braut schlug das Herz bis an den Hals hinan vor Freuden über Gustavs zuversichtliche Sprechweise. »Ja, fort vom Elsaß, Fanny! Wir ersticken hier. Wir müssen in reine Luft. Papa hat recht. Nur diese sogenannte elsässische Frage ist meine Krankheit -- und weiter gar nichts. Wenn ich von hier ganz weg bin, wirst sehen, dann bin ich sofort kerngesund! Das sind ja doch alles nur politische Kleingeister hier, die uns seit Jahrzehnten die Kehle zugeschnürt haben mit ihrer tückischen Französelei. Die haben uns verbittert und vergiftet. Gehst du mit, Fanny? Papa schickt mich geradewegs zu dir herüber, ich soll dich fragen: wir alle drei wollen zusammengehen! Was sagst du dazu?« Die kleine Fanny schlug mit Kraft beide Arme um den langen Geliebten, überselig in ihrem liebevollen Herzen. Und innig sprach sie zu ihm die Worte der Ruth: »Wo du hingehst, da will ich auch hingehen!« Mit stürmischer Nervosität umarmte Gustav das holde Geschöpfchen, neigte sich zu ihr, und sie küßten sich glühend. Fanny konnte sich kaum von dem lang entbehrten Munde trennen. »Lieber, lieber, lieber Gustav« -- so stammelte, so küßte sie -- »du weißt ja, wie ich dich lieb habe! Ich gehe mit dir bis ans Ende der Welt!« Er tastete nach dem Stuhl, setzte sich und zog die Geliebte auf den Schoß; sie behielt die Arme um seinen Hals, als wollte sie ihn nie mehr loslassen. Es war eine Liebesstunde, glühender als je zuvor; denn Freiheit und Erfüllung schienen nahe wie noch nie. »Ja, Fanny, ja, das weiß ich, daß du mit mir gehst bis ans Ende der Welt! Und wenn der Stall hier rein ist, dann kommen wir zurück, vollgesogen mit deutscher Kultur und erwärmt durch viele Freundschaften. Ja, dann kommen wir zurück in die Heimat und arbeiten an der elsässischen Volksseele! Aber nicht mit Paragraphen, sondern von innen heraus!« »Ach, hast du mich denn noch e bissele lieb, sag' doch, mein Gustav? Ach sag' doch, sag' doch! Ich hab' dich ja so lieb, so lieb! Ach, was liegt mir denn am Elsaß und an der ganzen Welt -- ich babbel hochditsch und chinesisch und hottentottisch, was du willst -- awer lieb han soll mich min Gustav, gel?!« »Liebe Fanny, keinen Spaß machen! Mir ist mein Vaterland heilig, und Deutschlands Not ist groß« -- -- »Ich mach' auch gar keinen Spaß, Liebster, will dich ja nur e bissel zum Lachen bringen! Gelt, bist wieder ganz mein? Gelt, hast mich wieder ganz arg lieb?« Sie suchte nach den innigsten, eindringlichsten Worten und Kosenamen. »Von Kind an hab' ich dich lieb, ja Fanny, ja, du gutes, heißes Herz! Nur dich von Kind an! Und wenn ich eingesperrt oben in meiner Dachkammer g'sessen bin, hab' ich dich erst recht lieb gehabt, Fanny, unter heimlichen Tränen lieb! Weißt noch, wie ich zu dir g'sprungen bin über die Gartenmauer? Fanny, ich muß dich ja um Verzeihung bitten, Liebste, ich hab' da neulich so dumme Sachen von dir gedacht, wie der Hauptmann da g'sin isch -- es sin d'Nerve, nur d'Nerve, ich mein's nit so« -- -- »Red' nit davon, Gustav! Ach weißt denn noch, wie wir als oben im Wald hinter den Rosenhecken g'sessen sin? Und du hast mir ein Kränzel gemacht aus Heckenrosen, weißt noch? Und jetzt darf ich bald 's Kränzel aufsetzen« -- »'s Myrtenkränzel, ja, Fanny! Kriegstrauung! Papa hat mich direkt beauftragt: wir sollen den Tag festsetzen. Deine Ausstattung ist ja fix und fertig; und dein Vater will sich schon lang ins Diakonissenhaus zu seinem Freund Sorgius zurückziehen und das Haus dem Stürli verpachten; und Tante Sophie geht zu ihrer Schwester nach Pfalzburg -- das haben wir ja hundertmal besprochen. Und jetzt wird's Wahrheit! Fanny, dann schaffen wir zusammen. Du tippst mir auf der Schreibmaschine meine Arbeiten ab und« -- »Ja, Gustav, ja, und weißt, was ich in diesen Tagen schon immer tu'? Ich sitz' oben und -- aber sag's keinem Menschen, gel, ja nicht! -- und schreib' deines Vaters Handschriften ab. Er weiß es selber nicht, Lisy und ich haben die Papiere gemaust. Und zu Weihnachten leg' ich sie ihm unter den Tannenbaum!« »Ach, Fanny, Fanny, neben all deiner Arbeit?! Du goldiges, kleines Fannjele du!« Sie saßen in trautester Umarmung. Das Abendlicht schimmerte durch verschleierndes Gewölk noch einmal herüber. Die Ebereschen im Hofe mit ihren glutroten Beeren schienen aufzuleuchten. Und die Braut flüsterte ihrem Geliebten zu, nach dem Innigsten suchend, was sie ihm sagen könnte: »Gustav, ich bet' jede Nacht zum lieben Gott, er soll dich g'sund machen. Wenn ich deine Frau bin -- dann gibt's nimmer so viel Tränen auf der Welt. Ach, ich weiß ja allein, wie mein Papa heimlich unter alledem leidet. Und er versteckt's vor allen und macht ein freundlich G'sicht. Gustav, wir wollen uns recht lieb haben, gelt! Arg lieb! Doppelt so lieb als alle andren Menschen. Es ist ja so viel Haß in der Welt.« Tränen stiegen ihr in die lieben Augen. Er küßte die Tränen fort. Und von den Augen suchte sein Mund weiter Wangen und Lippen der Braut. Sie vergaßen die ganze Welt. In diesem Augenblick geschah etwas Furchtbares. An die folgenden Minuten erinnerte sich nachher niemand mehr genau. Eine schnarrende Stimme dröhnte plötzlich in diese süßeste aller Stunden: »Reizend! Ei, ei! Ein Idyll mitten im Kriege! Hübsch! Reizend!« Der Hauptmann war eingetreten; hinter ihm Bieler, der den Unseligen vergeblich abzuhalten suchte. Jener hatte Fannys Stimme vernommen, schon bereit, ins Auto zu steigen, und war seiner Witterung gefolgt, in angetrunkenem Zustande nicht mehr abzulenken. »Herr Hauptmann,« stotterte der Winzer, »es ist halt -- Sie müssen exküsieren« -- »Einquartierung im Dorf, versteh' schon, Herr Bieler! Bitte Platz zu behalten, meine Herrschaften! Ich ziehe mich verschämt wieder zurück!« Das Liebespaar war so erstarrt, daß Fanny zwar mit einem Ruck von Gustavs Knien abgesprungen war. Aber sie stand noch in naher Umarmung, gleichsam ängstlich den Geliebten umschlingend. »Was denken Sie denn von mir?!« sprühte sie jetzt empört heraus. »Nur was ich sehe, schönes Kind!« scholl es zurück. »Ist mir aber scheußlich interessant, dies pikante =tête-à-tête=!« Jetzt ermannte sich Gustav und sprang auf. »Herr Hauptmann -- mein Name ist Arnold -- Unteroffizier Arnold -- ich habe die Ehre, hier im Hause -- Fräulein Bieler hat die Ehre -- -- ich habe« -- Der Ärmste stotterte und kam ins Zittern; sein Herz hämmerte; seine Nerven und Gedanken und Worte -- alles ward ein Irrwischtanz -- es flimmerte vor seinen Augen. »Ja, wer hat denn nu eigentlich die Ehre?« scherzte der verärgerte Hauptmann unbarmherzig weiter. »Wenn einer ein hübsches Mädel auf dem Schoß hat, so ist das allerdings eine ganz verdammt angenehme Ehre! Und ein kolossales Vergnügen dazu. Im übrigen sammeln Sie Ihre sieben Knochen, Unteroffizier, und machen Sie wenigstens die vorschriftsmäßige Ehrenbezeugung! Mein Fräulein, ich ziehe mich zurück und überlasse Ihrem schlotternden Liebhaber das Feld« -- Jetzt war es mit Gustavs Fassung gänzlich zu Ende. »Es ist mein Bräutigam!« rief Fanny zornig und stampfte mit dem Fuß auf. Und Gustav außer sich vor Wut: »Herr Hauptmann, ich bin Kandidat der Philologie, ich bin kein schlotternder Liebhaber, ich verbitte, verbitte, verbitte mir diese unverschämte Beleidigung!« Bieler zitterte am ganzen Körper und versuchte einen Schnaps einzuschenken, was endlich gelang. »E Schnäpsel, Herr Hauptmann! Gustav, =tais-toi=!« »Babbe, =qu'est-ce que tu fais=? Dü schenksch dem Mann au' noch e Schnaps in?« rief Fanny. Und der Hauptmann, der schon in der Türe stand: »Nu auch noch französisch?! Das fehlt gerade noch! Nur heraus mit eurem wahren Gesicht, ihr Franzosenköppe! Euch kenn' ich nun! Erst führt ihr einen ehrlichen Kerl in den Keller und macht ihn besoffen -- und unterdessen sitzt die hübsche Tochter irgendeinem Unteroffizier auf dem Schoß!« Gustav sprang mit geballter Faust auf ihn zu: »Ich bin kein Franzosenkopf! Ich ersuche Sie, mein Eisernes Kreuz zu achten! Ich hab' an der Somme für mein Vaterland geblutet -- und Sie, Sie, Sie?! Ich kenne Sie jetzt ganz genau! Mein Vater ist der Pfarrer hier im Ort -- der kennt Sie, der weiß, wie Sie's da drüben im Städtchen treiben! Das ist die Sorte, die in einer Minute mehr verdirbt im Elsaß, als zehn Jahre Kulturarbeit wieder gutmachen! Eine Affenschande sind Menschen wie Sie für den deutschen Namen -- eine Affenschande!« So tobte er auf den Hauptmann ein und trieb ihn mit geballten Fäusten geradezu vor sich her. Wie es kam, daß der Betrunkene draußen fiel, war nicht zu erkennen; er hatte Besinnung genug, einige Leute von der Einquartierung, die im Dorf lag, herbeizurufen; er ließ den Unteroffizier abführen und seine Personalien feststellen, stieg dann in den Kraftwagen und fuhr mit sausendem Hirn davon an die Stätte seines Wirkens. Hinter ihm blieb eine händeringende Braut. Und bei ihr der gänzlich verstörte Papa Bieler, der sein freundlich einladendes »Noch e Schnäpsel, Herr Hauptmann?« noch einmal gestammelt hatte -- worauf er in Grimm und Schmerz Gläschen samt Inhalt in die Stube schleuderte. Sechstes Kapitel Das Weinberghäuschen Ich baw für mich, Sih du für dich! ~Alter elsässischer Hausspruch~ Der düstere Oktober des Jahres 1918 war über Deutschland hereingebrochen. Da ersuchte der deutsche Generalstab die demokratische Reichsregierung, den Feind um Waffenstillstand zu bitten. Und die Regierung tat den demütigen Bittgang. Das legte sich dumpf und schwer auf das müde Volk; das bewirkte Triumphgeheul im Ausland. Es war also nun so weit: das umstellte Deutschland war zur Strecke gebracht! Betäubung, untermischt mit Spannung, was wohl der Präsident der amerikanischen Geldherrschaft antworten würde, lagen fortan auf den deutschen Herzen. Zusammengebrochen! Bismarcks Volk bettelt nach vierjährigem tapferen Ringen um Frieden! Nach vier so tapfer, zum Teil so großartig bestandenen Kampf- und Hungerjahren! Bulgarien, Türkei, Österreich-Ungarn -- alle hintereinander vor der Übermacht zusammengebrochen! Die Wendung geschah Anfang Oktober, um den Todestag des großen Franziskus von Assisi, des Heiligen der Liebesinnigkeit. Da setzte diese Demütigung ein; da wurde Deutschland in die Nacht geführt. Und nach peinlichem Notenwechsel ward uns endlich, um den Geburtstag eines Schiller und Luther, ein vernichtend schwerer Waffenstillstand auferlegt. Die Meister aber standen auf den Wolkenhöhen und schauten auf ihr schwergeprüftes Deutschland. Sie wußten, daß ein beseeltes Volk aus den Düsternissen dieser Prüfung emporzutauchen bereit war. Rauch und Giftgase verrollten. Nun begannen sich die Geister im Innern zu scheiden. Und in den Lüften die Millionen gefallener Kämpfer wirkten mit, wirkten in wogenden Scharen hinunter auf ihres Volkes Seele ... Johann Friedrich Arnold hatte etwas von einem Seher; er verbarg jedoch diese Besonderheit. An jenem Tage, als er zum Krankenbesuch ausging, begegnete ihm der Briefträger. Er nahm die Zeitung in Empfang. Und im Gehen las er das Waffenstillstandsangebot: »Die deutsche Regierung ersucht den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, die Herstellung des Friedens in die Hand zu nehmen, alle kriegführenden Staaten von diesem Ersuchen in Kenntnis zu setzen und sie zur Entsendung von Bevollmächtigten zwecks Aufnahme der Verhandlungen einzuladen. Sie nimmt das von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in der Kongreßbotschaft vom 8. Januar 1918 und in seinen späteren Kundgebungen, namentlich der Rede vom 27. September, aufgestellte Programm als Grundlage für die Friedensverhandlungen an. Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, ersucht die deutsche Regierung den sofortigen Abschluß eines allgemeinen Waffenstillstandes zu Lande, zu Wasser und in der Luft herbeizuführen. Max, Prinz von Baden, Reichskanzler.« Sofortigen Abschluß ... Man befürchtet also Dammbruch der Westfront! ... Arnold war ein warmherzig deutschgesinnter Mann. Als er aber nun das Zeitungsblatt zusammenfaltete und in die Tasche steckte, sah er vor seinen Augen die zahllosen versenkten Schiffe, mit all der vernichteten Summe von Fleiß und Kulturarbeit, und sah die zahllosen Bomben, die auf schlafende Städte gefallen waren. Und ihn schauerte. Er hatte den Unsegen vorausgesehen. »Wir haben die Luft beherrschen gelernt -- um zu zerstören; wir haben unter Wasser fahren gelernt -- um zu zerstören; wir haben den Leib der Erde aufgewühlt und alles Land zwischen Wasgenwald und flandrischer Küste in Wüstenei verwandelt. Es mag Notwehr sein, gewiß, und all die Spannkraft und Tapferkeit verdient Achtung. Aber es ruhte kein Segen darauf. Wir hätten Erzeugungsmaschinen erfinden sollen, um uns vor Hunger zu schützen, keine Zerstörungsmaschinen, keine Ferngeschütze. Vielleicht wird Deutschlands Erschöpfung und Demütigung der spätere Segen werden -- für ein neues Geschlecht.« Er hob das Haupt. Sein Geist schaute die bedeutsame Wendung: Neudeutschland wandert nun nach innen, Neudeutschland besinnt sich auf seine Seele ... * * * * * Am oberen Ende des Dorfes Lützelbronn stand ein windschiefes Häuschen. Dort, am Rande der Reben und des nahen Waldes, hauste der aus der Schweiz zugewanderte Stürli mit Schaulis Tochter. Wenn man die ausgetretene Steintreppe hinaufstieg, mußte man sich erst durch ein Rudel Kinder hindurchwinden. Für diese Begegnung hatte der Pfarrer Zwieback oder ähnliche Seltenheiten in der Tasche. Ein Mädchen und vier Knaben bildeten bereits des Hauses Zierde; und das schöpferische Ehepaar hatte sich beeilt, vor wenigen Tagen das halbe Dutzend abzurunden. Es waren gesunde, verwegene Jungen, die ihres Emmenthaler Vaters eckigen Schädel und rechtschaffen-besonnene Gesichtszüge geerbt hatten, fest auf ihren Beinen standen und herzhaft um sich zu hauen wußten. Nur das Mädchen, die Älteste, war Frau Katharinas hübsches Ebenbild und hatte deren blaue Augen und blondes Haar. Man sah diese sanfte, immer geduldige, gewinnend lächelnde Anneliese kaum anders als mit einem Bündel auf dem Arm, worin ein junger Elsässer schweizerischer Zucht in die Welt schrie oder mit Andacht an einem Lappen sog. Frau Stürli hatte böse Abenteuer wacker überstanden. Sie war von den gallischen Nachbaren verschleppt worden und fast ein Jahr lang der Heimat fern geblieben. Beim Einbruch der Franzosen in den südlichen und mittleren Wasgenwald weilte sie gerade besuchsweise bei ihrer Schwester, der Förstersfrau. Diese war mit den zwei Jungen im Städtchen abwesend, als die Alpenjäger das einsame Forsthaus überfielen und umstellten. Förster, Schwägerin und Dienstmädchen wurden der Spionage angeklagt und sofort abgeführt, in Hausschuhen, wie sie gingen und standen. So schleppten die Franzosen in den ersten Kriegsmonden mehrere Tausend Elsässer als sogenannte Geiseln -- man wußte nicht, wofür -- aus den Grenzbezirken nach Frankreich davon. Die Leute wurden meist schlecht behandelt, vom Pöbel beschimpft, und die deutsche Regierung besaß nicht die Kraft, diese verschleppten Deutschen der Westmark durch Gegenmaßnahmen zu befreien. Erst nach und nach, tropfenweise, nach unzähligen Verhandlungen, kamen einzelne oder ganze Gruppen in die Heimat zurück. Andere starben in der Gefangenschaft. Pfarrer Arnold unterhielt sich gern mit dem tüchtigen Hansjakob Stürli; nicht minder gern mit dessen ebenso kluger wie lebhaft-munterer Lebensgefährtin. Nach seinen Krankenbesuchen wanderte er nun zum Weinberghäuschen hinauf, um der Wöchnerin ein paar gute Worte zu bringen. Der Maler Ludwig Richter hätte seine Freude gehabt an der Kinderschar mit dem bellenden Spitz. Das Haus beherbergte in seinem Anbau noch drei Ziegen, zahlreiche Kaninchen, Hühner und Tauben. Und die Sperlinge schienen für Hausdach und Gartenzaun ebensoviel Vorliebe zu hegen wie die Eichhörnchen für die dichten Haselbüsche oberhalb des Hohlwegs. Und weit hinab glühten die Reben. Die Sonne aber, die hier die Trauben kochte, hatte ihre schöpferische Glut auch dem Häuschen geschenkt. Die zehnjährige Anneliese mit ihren warmen Augen und ihrer herzlieben Kinderstimme schaltete in der sauberen Küche und hantierte so flink, daß die blonden Zöpfe flogen. Ihre Holzschuhe klapperten eifrig hin und her. Um das Häuschen herum schrien mit vortrefflicher Lunge bald Hans, bald Michel, bald Jakob Stürli in die herbstliche Luft; der älteste knallte mit der Peitsche; der Spitz gab durch zielloses Bellen seiner Daseinsfreude Ausdruck. Es war Leben im Weinberghäuschen. Selbst die Sonnenblumen standen wie mit lebendigen Gesichtern. Arnold grüßte sich durch die magere, aber handfeste Schar hindurch zum Bette der Wöchnerin. Anneliese, die aus der Küche herbeilief, bekam Bildchen geschenkt, die von Schwester Lisy aus Zeitschriften für sie ausgeschnitten waren. Frau Stürli entschuldigte sich seufzend und lächelnd wegen der ungezogenen Buben. »Man gönnt's ja den Kindern gern«, meinte sie. »Wenn nur mehr Platz im Hause wär'! Wo soll denn das noch hin?« »Woraus hervorgeht, Frau Stürli,« bemerkte der Pfarrer mit trockenem Humor, indem er sich einen Stuhl ans Bett stellte, »daß Sie entschlossen sind, das Halbdutzend fortzusetzen.« »Ach jeh, Herr Pfarrer!« lachte die vergnügte Mutter. »Wie sollen wir sie denn durchfüttern? Es geht ja so schon mager genug her! Wenn wir nicht die Geißen hätten --« »Hoho, ihr habt ja manchen Spargroschen,« erwiderte Arnold. »Und in euren Buben wachsen Arbeitskräfte heran. 's Anneliesel ist ja schon ein Hausmütterchen. Die Knirpse haben den Krieg trotz alledem gut überstanden.« »Wenn er doch nur zu Ende wär'!« seufzte es aus den Kissen. »Er geht zu Ende, Frau Stürli. Da steht's in der neuesten Zeitung: Deutschland bittet um Waffenstillstand.« Die Frau schnellte empor. Sie hatte Politik in den Adern. »Tun sie's wirklich? Bitten sie? O wie schad', wie schad'! Hat sich das stolze Deutschland jetzt doch gebeugt? Ach Gott, was soll nun aus der Welt werden! Jetzt kommt uns ja das ganze farbige Gesindel auf den Hals!« »Auf die vierzehn Punkte der Wilsonschen Erklärung sind die Deutschen bedingungslos eingegangen. Dazu gehört auch ein Paragraph, das Unrecht von 1870 müsse wieder gutgemacht werden -- mit andren Worten, Frau Stürli, wir werden wieder französisch!« »Aber, aber, aber -- das ist doch ganz unmöglich!« Frau Stürli stammelte vor Bestürzung. »Dieser unchristlichen Nation sollen wir ausgeliefert werden, diesen unritterlichen Franzosen? Bedenken denn die Deutschen, was das heißt? Ich hab's durchgemacht, ich kann davon ein Stücklein erzählen. Ach Gott, ach Gott! Und da liegt man nun im Bett und kann sich nicht rühren! Soll ich denn nun mit meinen Kindern französisch reden? Das ist ja eine ganz schändliche Vergewaltigung! Und das nennen sie drüben Freiheit und Gerechtigkeit? Man weiß ja gar nicht mehr, wie man dran ist in der Welt! Warum sollen wir Elsässer denn zu Frankreich? Wir sind doch keine Franzosen!« Die Schleusen waren geöffnet. Und wenn die beredte Frau in Zug kam, so gab es so leicht kein Halten mehr. Ärgerlich lachend meinte ihr gutmütiger Mann einmal: »Hätten doch nur die Kaiwe-Franzosen min' Frau e bitzli länger behalten: sie hätt' sich vielleicht leer g'schwätzt!« »Frau Stürli,« versuchte Arnold nach einer Weile zu unterbrechen, »es denken leider nicht alle wie Sie. Übrigens ist an Ihnen eine Schulfrau verloren gegangen.« »Wer hat Ihnen das jetzt wieder verraten?« fragte sie verblüfft. »Was denn?« »Daß mich der Lehrer von Moosbach einst zur Frau gewollt hat.« »Zur Frau? Schade. Ich gönne Sie zwar dem Stürli, denn er ist ein grundbraver Mann. Aber Sie hätten im Schulhalten Großes geleistet. Da muß halt einmal einer von Ihren Jungen dran.« Frau Stürli lachte und strich sich eine Strähne vom hübschen Gesicht. »Ich hab' ja auch Schule gehalten drüben im Gefangenenlager. Ach, Herr Pfarrer, wenn ich da so lieg' und an jene Zeit zurückdenke!« Sie lehnte sich in ihren weiß und rot karierten Kissen zurecht, die hellblonde Frau, und kam mit lebhaftem Händespiel wieder einmal auf ihre Leidensfahrt durch Frankreich zu sprechen. »Es gibt drüben gewiß auch gute Menschen, das hab' ich erfahren. Aber, aber -- wenn ich zum Beispiel an den Lüneviller Bahnhof denke, wie wir da angekommen sind, hungernd, frierend, die Hände auf den Rücken gebunden -- und dann diese heulende Menschenmenge! Das fürchterliche =A mort! A mort!= wird mir wohl ewig in den Ohren gellen. Mein Schwager ohne Kragen, die Magd in Pantoffeln, ich in Hausschuhen -- und dann in dem Loch, in das sie uns einsperrten, nichts zum Zudecken! Und am andren Morgen wieder zwischen Soldaten weiter, geschlagen, gestoßen, angespien -- und immer nur =Boches= und =Cochons= und andre wüste Schimpfworte! Und dann die Damen vom Roten Kreuz auf einem Bahnhof, wo mein Schwager in der demütigsten Weise um ein bißchen Wasser bat! ›Krepiert lieber!‹ war die Antwort. ›Dann ist man euch los!‹ Herr Pfarrer, Damen vom Roten Kreuz! Sie wissen, ich könnte stundenlang so erzählen. Aber wozu! Es ist halt jetzt in der Welt, wie es in der Offenbarung Johannis steht: Die Zornschale des Wahnsinns ist über die verblendete Menschheit ausgegossen. Nur Haß, überall Haß. Die Armen wissen nicht, was sie tun. Ein gesundes Hirn muß ich doch wohl haben, und auch ein festes Herz dazu, denn sonst hätt' ich da drüben den Verstand verloren.« Der Säugling, der am Fußende in einer bunt bemalten Schaukelwiege lag, schien mit kräftigem Stimmchen der Mutter Wort zu bestätigen. Sofort kam Anneliesel herein, nahm das Kind auf den Arm und ging mit beruhigendem Singsang hin und her. Draußen tobte die wilde Jagd; man führte unter Leitung des Ältesten die Schlacht in den masurischen Sümpfen auf, wobei die Jüngsten nebst einigen Nachbarsknaben als Russen in Nesseln oder Düngerhaufen getrieben, geprügelt und gefangen wurden. Am Fenster schimmerten im letzten Tageslicht grellrote Geranien in die blitzblanke Stube. Der nachdenklich sitzende Pfarrer ließ der Wöchnerin Plaudern über sich hinrieseln und überdachte den baufälligen Zustand dieses sauber gehaltenen Häuschens, das von der wachsenden Familie gesprengt wurde, wie das Wurzelwerk der Tanne den Felsen auseinanderbricht. Die Politik verschwand vor seinen inneren Augen; das Wunder des immer wieder sich erneuernden Lebens wuchs in diesem fruchtbaren Heim vor seiner Seele empor. Welch gesund-einfache Daseinswonne lärmte, schnaufte, leuchtete um ihn her! Die gut gedeihende Familie, die sich zu beseelen und zu durchgeistigen weiß -- so dachte er --, ist doch immer wieder das Geheimnis der Krafterneuerung. Vor einigen Tagen hatte Arnold ein Heft mit Madonnenbildern wohlgefällig durchblättert. Steht nicht auch an der Spitze der christlichen Menschheit eine Familie? Er ahnte, der rastlos ins Allgemeine strebende Philosoph, was uns in den letzten Jahrzehnten zersetzt und gelähmt hatte. Uns lähmte der allzu verständige Gehirnmensch. Doch wahrhaft lebendig sind nur das schöpferische Herz und der schöpferische Schoß ... Frau Stürli gab ihrer Plauderei eine unerwartete Wendung, die den sinnenden Seelsorger wieder aufhorchen ließ. »Ich hab' aber bei all dem Elend drüben in Frankreich etwas gelernt, Herr Pfarrer, etwas Großes. Wissen Sie, was? Wenn die Leute um mich her schimpften und höhnten -- da hab' ich gedacht: das bin ich ja gar nicht, ihr armen dummen Leute, ihr haltet mich ja für eine Teufelin, die den Soldaten Vitriol in die Wunden gegossen hat! Ich bin still dazwischen gestanden, Herr Pfarrer, die Hände auf den Rücken gefesselt -- und hab's zuletzt fertig gebracht, zu lächeln. Ich hab' an meinen guten Mann, an meine armen Kinder gedacht. Es hat Tränen gekostet, freilich, aber ich hab' doch gelächelt. Ich hab' die Leute um mich herum gar nicht mehr gesehen. Und ich hab' an Christus gedacht, wie er unter den Knechten und dem Pöbel geduldet, ein Fremdling, ein heimlicher König, der ganz wo anders zu Hause ist: nämlich im Lande der Liebe. Und da bin ich ruhig geworden und zum Tod bereit. Seitdem ist etwas zwischen mir und der Welt. Verstehen Sie, was ich meine?« »Ja, Frau Stürli, das glaub' ich zu verstehen, was Sie da meinen«, nickte der Pfarrer. »Da sind wir bei einer sehr tiefen Erkenntnis angelangt. Durch die Welt geht eine große Zweiheit. Dort auf der einen Seite ist das Reich der Macht; das war zu Christi Zeiten das Römerreich und die judäische Kirche; auf der andern aber ist das Reich der ~Liebe~ oder das Reich ~Gottes~. Eins breitet sich meist auf Kosten des andren aus. Dort ist Haß, Leidenschaft und Rechthaberei; hier edle Bruderschaft. Wir Menschenseelen sind auf diesen Planeten gesandt, um uns zu entscheiden, wem wir in den Tiefen unsres Wesens dienen wollen. Sie haben sich, liebe Frau Stürli, dort in Frankreich, in Ihres Lebens finstersten Stunden, für das Reich der Liebe entschieden. Und ich sage Ihnen: Das wird Gott an Ihren Kindern segnen.« Die Blauaugen der Mutter füllten sich mit Tränen. Obwohl Arnold gar nicht pastoral gesprochen hatte, faltete sie doch unwillkürlich die Hände. »Gott geb's!« flüsterte sie. »Nun sagen Sie mir aber,« fuhr der Pfarrer fort, »wenn nun die Franzosen in unser Land kommen, wenn das Elsaß politisch etwa wieder französisch wird: was machen Sie denn da?« Frau Katharina dachte nach. »Dann erzieh' ich meinen Kindern Charakter ins Blut« -- »Ja, ja, schon gut, wenn aber die Franzosen unsre Obrigkeit werden?« »Dann sag' ich: Kinder, seid untertan der Obrigkeit, denn sie hat nun einmal Gewalt über euch; aber in euren Herzen bleibt mir freie Männer, die Gott mehr gehorchen als den Menschen! Und ich denke, meine Dickköpfe werden das tun. Denn die haben ihres Vaters Schädel und sind eigensinnig wie Förstersdackel.« Sie lachte. Der Pfarrer lächelte mit. »Noch etwas andres, Frau Stürli! Liebkost Ihr Mann noch immer den Gedanken, Bielers Haus und Gut zu pachten?« »Und ob er's tut! Ach, der gut', gut' Mann! Er ist ja so ein Braver, Herr Pfarrer, das glaubt man ja gar nicht! Wie oft am Abend rechnet er mir vor, setzt sich da an den Bettrand und überschlägt seine Ersparnisse. Es ist ja so schön, Pläne zu machen oder auch einander vorzulesen, wenn die Kinder schlafen gegangen sind. Aber es langt halt nicht!« »Ein fleißiger, kluger und sparsamer Mann, das ist wahr,« lobte Arnold. »Und ein guter Mensch dazu. Aber Bielers Weinberg ist keine Kleinigkeit.« »Wir haben ja noch eine Erbschaft im Hintergrund,« meinte Frau Stürli kleinlaut und wollte etwas weitschweifig ihre Familienverhältnisse auseinandersetzen. »Schicken Sie mir einmal in der Dämmerung oder nach dem Nachtessen Ihren Mann ins Pfarrhaus!« unterbrach Arnold. »Ich will die Dinge gemütlich mit ihm durchsprechen. Was geschehen kann, soll gern geschehen. An mir soll es jedenfalls nicht fehlen. Aber, Frau Stürli« -- und er hob den Zeigefinger --, »wenn's Ihrem Herzen und Ihrer Zunge möglich ist, so sprechen Sie nicht darüber!« Es dunkelte bereits. Da kam ein Schuljunge den Weinberg heraufgehastet; man hörte seine Holzschuhe schon von weitem klappern. Und seine Stimme scholl von unten zu den spielenden Kindern herauf: »Ist der Pfarrer bei euch, Hans?« Als bejaht wurde, rief es weiter aus der Dunkelheit: »Er soll schnell heimkommen! Es isch ebbs g'schehn!« * * * * * Schon unterwegs, unter der Laterne am oberen Brunnenplatz, traf der Pfarrer eine Gruppe von Bürgern und Feldgrauen. Sie besprachen ruhig und mehr hoffnungsvoll als besorgt das deutsche Friedensangebot. Der Pfarrer blieb einen Augenblick stehen. »Was gibt's sonst noch Neues, Nachbarn? Da hat mich eben ein Junge nach Hause gerufen ...« Ach ja, es solle ja eine Prügelei bei Bielers oder so etwas passiert sein, meinten die Leute; und man munkle, der Gustav habe einem Hauptmann ein paar Dachteln 'runtergehauen ... Der friedliebende, menschenscheue Gustav? Das klang merkwürdig. Eilends nach Hause! Das Pfarrhaus lag finster. Nur die Küche war hell und laut. Schon beim Ablegen des Mantels hörte der Pfarrer Gustavs heiser erregte Stimme, gegen die der alte Bieler nicht durchdrang. »Und woher, Papa Bieler? Ihre Schuld, Ihre Schuld! Warum führen Sie den Mann in den Keller? Warum machen Sie ihn betrunken? Aus Angst! Warum aus Angst? Weil der Georges ausgerissen ist! Seitdem sind Sie ein verängsteter, unsicherer, haltloser Mann -- --« Er verbitte sich solche Sottisen von einem jungen Menschen, wehrte sich der ergrimmte alte Bieler gegen den Aufgeregten, er wisse von allein, was sich schicke und brauche sich keinen -- -- »Ruhig, Kinder, ruhig!« Schweren Schrittes trat der Pfarrer in die Küche. Fanny eilte ihm entgegen. »Gott sei Dank, Onkel Arnold!« Bieler brach ab, zog das Taschentuch und trocknete sich den Schweiß von der Stirn. Alle atmeten auf. Arnolds Frage nach dem Sachverhalt ließ wieder ein lebhaftes Durcheinander aller Stimmen aufwirbeln. Aber Fanny drang durch, gab knappen, klaren Bericht und versäumte nicht, Gustavs mutiges Auftreten zu loben. »Und jetzt?« rief Gustav, in dem eine trotzige Erregung heftig nachschwang und den schmalen, schlanken Körper in zitternder Spannung erhielt. »Was jetzt, Papa? Zu solchen Deutschen auswandern?! Ja, auf eine deutsche Festung! Jetzt stellen sie mich vors Kriegsgericht. Jetzt reißen sie mir Borten und Achselklappen runter. Jetzt könnt ihr zwei eure Pläne allein machen! Mit mir ist's noch früher aus als mit Deutschland.« Er griff nach einem Glas, trat an die Wasserleitung und stürzte das kühle Naß hinunter. Worauf er sich auf die Küchenbank setzte, in sich zusammensank und fortan gänzlich schwieg. Lisy stand voll stummer Bestürzung. Alle warteten auf Arnolds Rat. In ihm schimmerte noch das Weinberghäuschen nach. Und von der andern Seite her schattete das Schwere, das sich über Deutschland herabsenkte. Er blieb gefaßt. Der Händel schien ihm belanglos. Jetzt galt es um gewaltigere Dinge. »Kinder,« sprach er, »vor wenigen Stunden haben drei von uns eine Art Bund geschlossen oder schließen wollen. Wir wollten ein Land oder eine Möglichkeit aufsuchen, wo man große Gedanken und ein reines Herz ungestört auswirken könnte. Nun? Was ist daraus geworden? Gustav und Fanny: so lang also nur hat unser Bund oder Vorsatz gedauert? Ich wende kaum den Rücken, so pfuscht uns der Teufel ins Handwerk, während Deutschland draußen zusammenbricht. Kinder, Kinder! Das war nicht die Selbstbeherrschung, die ich euch lebenslang gepredigt habe. Hier hattet ihr Gelegenheit, euch einmal groß zu benehmen, schweigend, edel, abweisend --« »Es war zu empörend!« brach es aus Fannys jungem Herzen heraus. »Du kannst dich nicht hineinversetzen, Onkel Arnold, wie wüst das war! So häßlich diese Stimme -- und die Gesinnung dahinter so gemein! Das Gemeine haßt man, so leidenschaftlich als man nur kann!« »Nun ja, Fanny! Aber verliert doch wenigstens untereinander die Haltung nicht! Ich traf dich ja in wildem Gezänk, Gustav, mit unserem guten Nachbar Bieler! Die Stunde ist ungeheuer ernst und groß; wir brauchen unsre ganze Fassung. Da lest nur das Neueste! Es gibt jetzt bald Frieden im Land, aber freilich einen bittern Frieden. Deutschland geht ins dunkle Tal. Und wir alle mit.« Der Pfarrer warf die Zeitung auf den Tisch. Niemand griff danach. Lisy fragte seufzend: »Aber, Cousin, was soll man denn tun? Ein Händel mit einem deutschen Offizier ist besonders hierzulande eine arg schlimme Sache. Der Hauptmann kann uns ja alle ins Unglück bringen!« »Nun, das wollen wir denn doch noch sehen«, erwiderte Arnold. »Ich mache sofort eine Eingabe an das Gouvernement, an den Freund dieses Freiherrn von Stein, der uns neulich besucht hat.« »Ja, das tu, das ist ein Gedanke!« rief Fanny. »Soll ich die Schreibmaschine herüberholen? Soll ich dir's mit Maschinenschrift schreiben? Ich tippe ja Tag und Nacht und hab' solche Üb-- --« Sie brach mitten im Wort ab. Das Blut schoß ihr ins Gesicht und der Finger an den Mund. Sie stand wie einst in der mißglückten Kantstunde. »Was schreibst du denn?« fragte Arnold verwundert. Aber er war bereits in Gedanken an dem zu entwerfenden Brief und ging mit einer abwinkenden, nachdenklichen Handbewegung darüber hinweg. »Nein, es ist nicht nötig. Nur Eile tut not. Nachbar Bieler, Sie gehen gleich zu Stürli: er soll sich zurechtmachen, er muß noch ins Städtchen zum Postamt! Ich schreibe inzwischen den Eilbrief an den Oberstleutnant Trotzendorff in Straßburg und zugleich ein Telegramm um Zureiseerlaubnis zu einer persönlichen Aussprache. Komm, Gustav, den Brief setzen wir zusammen auf!« Arnold ging voraus. Sein Sohn erhob sich sehr mühsam aus seiner gänzlichen Erschlaffung. Und indem er zögernd stand, reckte er plötzlich wie ein Gähnender oder wie ein Verzweifelter beide Arme in die Luft -- und glich in dieser Stellung Laokoon zwischen den Schlangen. Siebentes Kapitel Briefe eines Elsässers Muttersprache deutschen Klanges, O wie hängt mein Sinn an dir! Des Gebetes und Gesanges Heil'ge Laute gabst du mir. Sollt' ich deine Fülle missen, O mich kränkte der Verlust Wie ein Kind, das man gerissen Von der warmen Mutterbrust. ~Adolf Stöber~ Im Oktober 1918. ... O Gustav, Gustav, mir ist bitter weh ums Herz! Meine Spannkraft ist ganz und gar verpufft. Herrschaft, ich werde wohl in meinem ganzen Leben nicht mehr lachen! Es ist nicht mein zerschossener Fuß, nicht mein persönliches Leid -- nein, nein, das ist alles nichtiges Anhängsel. Doch Deutschlands Canossagang! Wir beugen uns, wir kriechen zu Kreuz, wir küssen Wilsons Pantoffel! Stell' dir den Briefschreiber vor! In einem niederrheinischen Lazarett, noch des Schlachtfelds Unmelodien in allen Nerven, liegt und leidet der Elsässer Erwin Ehrmann. Zornig und traurig, mit eingeschientem Fuß, von einem unhöflichen Stabsarzt behandelt, liest er in der Zeitung Deutschlands Bittgang. Und er liegt wie verhämmert, wie dumm geprügelt von Kopfnüssen des Schicksals. Dazu also hat man so bitterlich geblutet, gehungert, gefroren! Herrgott im Himmel, sind wir denn schlechter als die andren? Allwaltender, was hast du mit deinen Deutschen vor, daß du sie so erbarmungslos in die Asche wirfst?! Innen und außen haben wir nirgends ein Genie; das ist unser Unglück. Nur den großen und schlichten Hindenburg. In der Diplomatie Stümper und Monokelschöpse, keinen Meister. Die haben unsren tapferen Soldaten diesen gigantischen Krieg gegen solche Übermacht auf den Buckel geladen wie einen überschweren Tornister. Da muß ja der zäheste Landwehrmann und Krummstiefel zusammenbrechen. Und unser Elsaß? Nach einem Punkt in Wilsons Programm soll das sogenannte »Unrecht von 1870« wieder gutgemacht werden! Unrecht? Die ehrliche Rückeroberung zweier geraubter deutscher Provinzen? Und das Unrecht von 1681?! Reden nicht 90 Prozent von uns deutsch? Weiß der König des Mammonlandes nicht, daß wir Alemannen sind, die 1681 gewaltsam französisch gemacht wurden? Ist dies nun das Selbstbestimmungsrecht der Völker? Ist das Völkerfrieden? Tausende von uns Elsässern haben in diesem Weltkrieg mit deutschen Kameraden gegen Frankreich und England gekämpft. Darf und kann man uns nun einfach zu französischen Untertanen umfärben, wie man Militärhosen dunkelblau färbt, um ein paar Zivilhosen draus zu schneidern? Kann man Herzen und Zungen umfärben, Gustav? Ich lasse mich nicht umfärben. Kommen wird einst ein Tag, da wir das Elsaß zurückerobern, wenn sie's jetzt französisch machen. Nach Jena kam Leipzig. Napoleon durchbrauste Deutschland siegreich bis Tilsit -- und Europa bis Moskau -- und er wurde doch heruntergeholt. Auch die Stunde der Engländer kommt noch! Ich lasse mich nicht umfärben. Inniger als je fühl' ich mich mit diesem tapfern und geduldigen Deutschland verbunden; besonders da ich hier im Lazarett einen ganz prächtigen Westfalen gefunden habe, den ich nicht nur Kameraden oder Stubengenossen, den ich Freund und Bruder nennen darf. Werde nicht eifersüchtig, Gustav, und ihr andern geliebten Gefährten! Aber mein Dirk ist mein Freund im reinsten Sinne des Wortes. Beglückwünsche mich, Gustav, und freue dich mit mir! Seine Mutter ist Holländerin. Daher der sonderbare Vorname Dirk. Im übrigen heißt er Schütz und ist Sohn eines Arztes, der vor kurzem gestorben ist. Er selber Ingenieur oder Techniker, blond, blauäugig, gut und fromm. Es gibt ein Jugendbildnis von Albrecht Dürer, mit einer Distel oder dergleichen in der Hand, sehr ausdrucksvoll geschnittene Lippen -- dem gleicht er. Reiner Charakter; war in der Berliner inneren Mission praktisch tätig und ist mit Arbeitern stromernd und missionierend im Betrieb gewesen; Wandervogel; ganz Vollendungsdrang. Und eine so stille, stille Art! Er ist viel ruhiger als ich. Ein Granatsplitter hat ihm den rechten Arm übel zerrissen; doch geht von seinem Leidenslager so wohltuende Ruhe aus, daß ich die Stunde segne, in der man mich in diese Stube zu diesen katholischen Schwestern getragen hat. Bei uns ist noch ein Heidelberger Student, der sehr im Banne moderner Literatur befangen ist. Da las ich denn auch allerlei, las die im Nordland Geborenen Knut Hamsun, Hermann Bang, Strindberg, las die Pariser Anatole France und -- ich weiß nicht, was alles! Ahasverische Unruhe dort und hier! Maskentanz! Das pendelt zwischen Gehirn und Unterleib, zwischen Verstand und Sinnlichkeit. Aber sie finden nicht den Ruhepunkt dazwischen: das ~Herz~. So täuschen sie sich und uns mit stilistischen Reizen, Kunststücken und Einfällen über den mangelnden Mittelpunkt hinweg. Nein, nein, ich bin selber lebhaft genug und brauche nicht noch Aufpeitschung. Das ist Wirbel, aber kein Ziel, kein Ideal, kein Gott! Erst ist man von dem Mummenschanz gefesselt und von all den Einzelheiten überrascht -- und immer wieder überrascht -- bis man diese Überraschungen gelangweilt an die Wand wirft. Seele her! Und rote Wangen! Dirk hat Seele; Dirk hat Mittelpunkt. Dort sind Kometen, hier ist Sonne. Ein Frommer, kein Frömmler. Schlichte, deutsche, warme Frömmigkeit, die keine Worte macht, die sich durch Ausstrahlung mitteilt. Der Herzschlag wird ruhig in seiner Nähe. Ein Blick seiner stillen Augen -- ein Klang seiner tiefen, langsamen Glockenstimme -- Gustav, und ich bin ganz voll Frieden. Er ist ein Choral von Bach. Ich sah niemals in so frühem Alter solche Reife. Wenn Deutschland nur ein Dutzend solcher Menschen hat, wird es nicht untergehen. Und es ~hat~ sie, mein Gustav, verlaß dich drauf, es hat sie! Ich lasse mich nicht umfärben. Ich halte Dirks Landsleuten die Treue. Und wenn ich mit zerschossenem Knöchel oder Klumpfuß wieder in die Westmark einhinke -- paß auf, Herzensfreund! Dann gründen wir erst recht den Elsaß-Bund! Dann tun wir, was uns die Französlinge vor dem Kriege gelehrt haben, nur umgekehrt: wir halten unter französischer Herrschaft deutsche Sprache und Art hoch, in einem Geheimbund herzlich und heimelig hoch, bis uns ein erstarktes Deutschland wieder zum Mutterlande zurückholt. Leb' wohl für heute! Die schönste Stunde des hiesigen Tages naht: Dirk will mir wieder einen Brief an seine Mutter diktieren. Heil! Dein ~Erwin~. * * * * * Selig sind, die da Heimweh haben, denn sie sollen nach Hause kommen! Ich habe Heimweh, Fanny. Aber hab' ich denn noch eine Heimat? Wenn das Elsaß französisch wird -- ist dieses Land dann noch meine Heimat? Tagsüber bin ich tapfer, liebes Cousinchen. Doch kaum fallen mir die Augen zu, so wandert mein Geist, wandert durch mein geliebtes Elsaß. Beim Wasgenstein, wo Walther um Hildegunde gekämpft hat, und bei der Ruine Fleckenstein fang' ich an. Oben winken Ritter und Landsknechte: »Herauf zu uns, Landsmann!« Unten aber, am Fuße der Felsmassen, zwischen wilden Hecken, legt eine modern-französische Schildwache das Gewehr an: »=Qui vive?=« Ich streiche dann in bangem Bogen rund herum -- überall diese Stahlhelme, die ich nur zu gut kenne! Also weiter -- durchs Steinbachtal nach den Burgen Falkenstein und Neu-Winstein, nach dem Hanauer Weiher mit seinen Seerosen, nach Wörth und Fröschweiler, nach Reichshofen und Niederbronn, nach Lichtenberg, Dagsburg, Lützelburg und Hohbarr, nach dem Odilienberg und der Hohkönigsburg! Wie der wilde Wandrer streich' ich den Wasgenwald hinauf und hinab, hinab und hinauf die ganze Nacht -- und finde nirgends Obdach! Fanny, ich bin deutscher Lehrer, Wandersmann und Schneeschuhläufer, ich habe meine Kinder für die Natur und für deutsches Lied, deutsche Kunst, deutsches Dichten und Denken begeistert. Jetzt wollen Wildschweine in meinen Weinberg brechen und alles verwüsten. Denk' ich ans Münster, denk' ich an unsren Sängersaal, wo ich so oft im Männergesangverein mitgesungen, so schießen mir die Tränen in die Augen. Du fühlst das nicht so nach, Fanny, unsereins aber geht daran zugrunde. Das heißt -- zugrunde? Nein, Cousinchen, den Gefallen tun wir ihnen nicht! Ich stelle mich vielmehr auf Kampf ein. Wie das zu geschehen hat, weiß ich noch nicht, aber ich weiß, ~daß~ es geschieht. Du fühlst meinen Seelenzustand nicht nach, geliebte Fanny, verzeih, daß ich's wiederhole! Denn deine Erziehung im Pensionat zu Nancy und eure französischen Brocken im elsässischen Gespräch haben deinem Vaterhause, trotz Onkel Arnolds Nachbarschaft, einen andren Ton gegeben. Mir nicht. Und das ist neben den sämtlichen neunundneunzig herrlichen Dingen, die ich an dir liebe, der einzige Schatten. Aber der Schatten wird nun riesengroß. Verzeih, mein Frohmacherle von einst, mein Freudenbringerle, daß ich das offen ausspreche! Ich hab' Heimweh, Fanny. Ich möchte in irgend etwas, in irgend jemandem ausruhen. Immerzu war ja Krieg, immerzu Haß! Schon als Kind hab' ich die Mutter, als Knabe den Vater verloren. So sehr ich meine zwei Schwestern liebe -- ich weiß nicht -- ich hab' halt Heimweh. Mein Fuß heilt, mein Herz nicht. Behalt lieb Deinen ~Erwin~. * * * * * ... Aus deinem Briefe bin ich nicht recht klug geworden, lieber Gustav. Krach gehabt mit einem Hauptmann? Was für ein Hauptmann? Einquartierung oder Etappe oder Garnison? Einerlei. Daß du dich deiner Haut gewehrt -- wacker! Im übrigen, lieber Gustav, was für ein Schauspiel! Wir sind eingekeilt zwischen zwei Völkern. Von Frankreich vergewaltigt -- von Deutschland angeschnauzt! Wohin soll man auswandern? Ich will dir etwas Schönes erzählen. Dirks Schwester ist jetzt hier in der Stadt und besucht jeden Tag ihren Bruder. Wie soll ich sie schildern? Sie ist sein Ebenbild. So etwas Goldblondes hab' ich in meinem Leben nicht gesehen. Das gibt's nur noch im Märchen. Hertha ist ein rechtes liebes deutsches Mädchen -- das sagt alles. Sie ist jünger als Dirk, doch ebenso stiller Art wie er, und voll Mütterlichkeit. Wandervogel auch sie. Hat gestern ihre Laute mitgebracht und uns Lieder vorgesungen. Ach, diese alten deutschen Lieder im »Zupfgeigenhansl«, vom rosigsten Munde der Welt gesungen! Die »Königskinder« klingen in ihrer niederdeutschen Mundart ganz anders: »Et wassen twe Künigeskinner, De hedden enanner so lef« -- -- so ungefähr. Und zum Anbeten schön ihre Marienlieder: »Ufm Berge, da geht der Wind, Da wiegt die Maria ihr Kind Mit ihrer schlohengelweißen Hand, Sie hat dazu kein Wiegenband. Ach Joseph, lieber Joseph mein, Ach hilf mir wiegen mein Kindelein« -- -- Von Gott wurde mir diese Dirkschwester gesandt, Herzensfreund, denn ich wäre schwermütig geworden trotz Dirk. Herthas Augen sind ein deutscher Waldsee bei blauem Himmel; und ihre Stimme -- du brauchst nur einen Buchstaben zu ändern: Waldfee. Nicht stark, gar keine besondere Stimme, sogar ziemlich leise, aber melodisch und seelenvoll und so jungfräulich rein. Alles Leid schwindet, man wird wunschlos, wenn diese Waldfee im blauen Gewand, goldne Zöpfe rund um den Kopf gebunden, auf Dirks Bettrand sitzt. Um den Hals hat sie ein Muschelkettchen, das ovale Gesichtchen ist von rosiger Farbe; sie ist ziemlich groß, doch von schmalem Brustbau, nicht so voll und fest wie unsre kleine Fanny und auch viel ruhiger und bedachtsamer in allen Bewegungen. Schweigend sitzen die beiden holden Geschwister manchmal da, Hand in Hand, und sehen sich nur innig an; oder sie erzählen halblaut von zu Hause, von der Mutter. Wie haben sie ihre Mutter lieb! Gustav, daß du und ich ohne Mutter aufgewachsen sind! Dirks Mutter hat eine grippenkranke junge Schwester zu pflegen, sonst wäre die Witwe selber aus ihrer westfälischen Heide hergereist. Mir wird jetzt erst bewußt, wenn ich in dieses Mädchens Augen schaue, was für Tiefe in dem einen Worte steckt: deutsches Gemüt. Laß dir von einem solchen lieblichen Wesen nach all den Kriegsscheußlichkeiten unsre alten deutschen Lieder halblaut singen, schwermütiger Herzensfreund, und du weißt, was ich meine. Mit diesen Menschen möcht' ich wohl gern Weihnachten feiern -- ich würde weinen vor Glück! Gustav, wir Heimatlosen grüßen einander. In inniger Freundschaft Dein ~Erwin~. * * * * * Mein lieber, verehrter Onkel Arnold! Hier hab' ich zwei Adelsmenschen kennen gelernt, einen Kriegskameraden und seine Schwester. Wollt' ich nicht einen Bund der Edelsassen gründen? Hier hab' ich zwei Edelinge gefunden. Gustav wird dir davon erzählt haben. Die Spiegel dieser Blauaugen sind für mich Mimirs Quell geworden: ich habe Weisheit getrunken. Und noch viel mehr. Das sind Herzen, aus denen Licht und Wärme der Ewigkeit quillt! Onkel Arnold, ich habe leider sehr viel Christen gesehen, die keine Christen sind. Ich wäre irre geworden an der christlichen Religion, ja, ich wäre wohl aus der Kirche ausgetreten; denn lieblose Gesichter im Bunde mit biblischen Redensarten sind mir das Widerwärtigste auf Gottes Erdboden. Da kamen Dirk und seine Schwester. Die haben mir die christlichen Formen in unaufdringlicher Art wieder verklärt. Ihnen könnt' ich den Kopf wieder vertrauensvoll an die Schulter legen und in Glück und Dankbarkeit einschlafen wie das Kind an der Mutterbrust. Der Krieg hat mich arg mitgenommen. Ich brauche Liebe, keine Redensarten. Sieh, Onkel Arnold, nicht nur daß man uns das Elsaß nehmen will, tut mir so weh; aber daß so viel gemeine Gehässigkeit mit diesem Raub verbunden ist. Was sind denn jener Kolmarer Priester und die andren alle schon vor dem Kriege anders gewesen als Diener des Hasses? Sie höhnten, schimpften und schürten gegen angebliche deutsche Unterdrückung -- oh, laßt aber einmal sie und ihre Franzosen ins Land kommen! Da wird man Drangsalierung erleben! Ich wäre irre geworden an der ganzen Menschheit, wenn ich nicht Dirk und Hertha gefunden hätte. Die aber hab' ich lieb. Ihr Dogma ist mir gleichgültig: ich hab' sie lieb, denn sie sind gut. Gutsein ist Christentum. Nun weicht es wie Nebel von meinen Augen und zieht wie Sonne ein. Nicht das Hirn erlöst, nur das Herz. Hirn ohne Herz ist des Teufels. Gut sein, Onkel Arnold, lieb haben! Habt ihr mich nicht oft genug den immer verliebten Erwin genannt? Gott sei Dank, daß ich's war! Ich will's bleiben bis an mein seliges Ende -- und will im Himmel erst recht lieben. Daß ich hier im Lazarett, sitzend, den verbundenen Fuß auf einem Schemel, einen Vortrag über das Elsaß gehalten habe -- mit Erstaunen merk' ich, daß es mir jetzt erst einfällt. Und ich spüre auf einmal, daß mir etwas anderes anfängt, wichtiger zu werden: eben die Herzensgüte, die wahre Liebe. Ich war noch bis gestern entschlossen, im Elsaß den Kampf aufzunehmen. Ob ich aber in ein gehässiges Elsaß zurückkehre und ob mir ein Land der Verhetzung noch Heimat sein und Sauerstoff für die Seele liefern kann -- wahrhaftig, ich weiß es nicht. Ich will wohnen, wo Dirk und Hertha leben und lieben -- -- Und sieh, Onkel Arnold, in diesem Zusammenhange hab' ich mir auch über dich, Gustav und Fanny Gedanken gemacht. Es liegt ein Bann über euch, verzeih, wenn ich das ausspreche! Ich seh' euch aus der Ferne mit neuen Augen an. Nicht daß ich euch etwa weniger liebte, o nein! Nur mein' ich oft, das Beste in dir hätte sich in andrer als der elsässischen Luft viel mehr entfalten können. Und Gustav weint ja erst recht nach innen. Da versteh' ich nun plötzlich eure geplante Auswanderung. Es ist nicht die örtliche Veränderung an sich, es ist das Aufsuchen einer reineren Luft. Ja, jetzt versteh' ich das. Und ich spreche die Bitte aus: nehmt mich mit -- und nehmt auch Dirk und Hertha in euren Bund auf! Und noch eins! Da schoß es mir heut' in den Kopf: soll das Elsaß vielleicht Opfer für uns sein? Sollen wir äußerlich heimatlos werden, um dafür von dem gerechten Weltenlenker eine seelische Heimat der Liebe einzutauschen? Mein väterlicher Freund, dann will ich das Opfer mit Dank und Wehmut bringen, will meine elsässische Heimat, an der meine ganze Seele hängt, nie mehr schauen -- dafür aber eintreten in das Land der Liebe. Sei in herzlicher Verehrung gegrüßt! Dein ~Erwin~. * * * * * Arnolds Antwort Mit herzlichem Dank, mein guter Erwin, bestätige ich den Empfang deines Briefes. Du bist auf rechtem Wege, den bevorstehenden Verlust unserer engeren Heimat -- denn wir ~werden~ Elsaß-Lothringen verlieren -- durch Vergeistigung zu überwinden. Bring' das Opfer, lieber junger Freund, bring' es freudig! Gott hat dir dafür dort zwei wertvolle Menschen geschenkt. Du siehst, daß du aus der unsichtbaren Welt geschützt und geleitet bist. Vertraue dieser Leitung! Der peinliche, ja angesichts der großen und schweren Zeit doppelt widerliche Vorfall mit dem Hauptmann, wovon dir Gustav geschrieben hat, wird sich hoffentlich schadlos beilegen lassen. Morgen erwartet uns in Straßburg zu einer persönlichen Aussprache der hierin bestimmende Oberstleutnant; er ist mit dem thüringischen Baron befreundet, der uns neulich hier besucht hat. In seinem Schreiben nimmt er in liebenswürdiger Weise auf Gustavs Zustand Rücksicht und bittet nur Bieler und mich nach Straßburg. Fanny soll mitkommen und sich zur Verfügung halten, falls die Sache sich verwickelt; doch hofft er, alles in der Stille abzumachen. Daß man sich überhaupt in solcher Zeit mit solchen niedrigen Dingen auch nur einen Augenblick befassen muß, nicht wahr, lieber Erwin! Siehst du, das ist unser Elsaß. Doch noch etwas Gutschönes, etwas Schlichtmenschliches muß ich dir erzählen, mein Lieber. Im Gespräch mit jenem Baron von Stein wies ich neulich auf meine mannigfachen Arbeiten und Aufsätze hin, die ich seit meinen Heidelberger Jahren in meinem Schreibtisch verschließe. Gesprächsweise hatte ich wohl einmal Lisy oder Fanny davon Erwähnung getan. Kurz, nach einer schweren Nacht suchte ich danach, aus einem Grunde, der weiter nicht hieher gehört. Ich suche -- und finde nicht. Zunächst geh' ich an meine Tagesarbeit, suche dann aber wieder und ziehe endlich Lisy zu Rate. Diese wird rot, verlegen, weicht aus. Tags darauf, mit dem lang erwarteten Brief des Oberstleutnants Trotzendorff, der uns nach Straßburg bestellt, zu Fanny eilend -- was entdecke ich? Das liebe Kind sitzt an der Schreibmaschine und schreibt mir schon seit Tagen heimlich meine Handschriften ab, oft halbe Nächte über der Arbeit verwachend! Du kennst ihre holdselige, kindliche Art, wenn sie bei solchen anmutigen Streichen ertappt wird. Ich habe nach einer Gewohnheit aus älteren übermütigen Zeiten sie wieder einmal wie ein Kind auf die Arme genommen und ihr von Herzen gedankt. Gott nimmt uns die Heimat, lieber Erwin, aber er schenkt uns Menschen. Behalt lieb deinen väterlichen Freund ~J. F. Arnold~. Achtes Kapitel Ein Tag in Straßburg Zu Straßburg, ja zu Straßburg Soldaten müssen sein ... ~Volkslied~ Oberstleutnant von Trotzendorff saß in seinem Straßburger Amtszimmer. Eine schmucklose Stube zu ebener Erde, ein großer Tisch in der Mitte, Aktenschränke und einige Stühle -- das war seine Arbeitswelt. Vor den vergitterten und geschlossenen Fenstern ging die Lebensbewegung der Blauwolkengasse schattenhaft hin und her. Über der Stadt Straßburg lastete eine lauernde und dumpfe Stimmung. Die deutsche Westfront wich langsam, wenn auch unzerbrochen zurück. Jedoch von hinten her nagte Zersetzung. Siegfriedstellung hieß unsre festeste Linie im Westen. In der Tat: Hagen bereitete sich vor, Siegfried in den Rücken zu stoßen. Und hart, ja hochmütig klang über den Ozean herüber Wilsons Antwort auf das deutsche Friedensangebot. Die Französlinge im Elsaß rieben die Hände. Eine triumphierende Tücke war auf manchen Gesichtern der Straßburger unverkennbar; und oft genug steckte man die Köpfe zusammen und tuschelte. Doch eisern hielt die Kriegsmaschine vorerst noch die Haßgesinnung unter Zwang ... Trotzendorff hatte den Stuhl zur Seite gedreht. Sein Ellenbogen lag auf dem Tisch; die Hand spielte mit dem sehr großen Blaustift. Äußerlich beherrscht, pflegte er die innere Erregung nur durch das Spiel der Hand zu verraten. In gewohnter Weise saß er kerzengerade, breitschultrig, gut gebaut, immer Soldat. Die graue Litewka mit dem Rosakragen des Generalstäblers saß tadellos. Die buschigen Brauen gaben dem ehrlichen Gesicht Ernst und Strenge, ungemildert durch das graue, knapp geschorene Haar und den kurzen grauen Schnurrbart. So saß der Preuße im Gespräch mit dem ungefähr gleichaltrigen elsässischen Pfarrer Johann Friedrich Arnold. Des Pfarrers schwarzgekleidete Gestalt war in der Tiefe des Zimmers vom Fenster her beleuchtet. Er hatte die Hände auf die Krücke seines Schirmes gestützt und hielt zugleich den Zylinderhut. Da er auch dunkle Lederhandschuhe trug, hob sich das ziemlich bleiche, lange Gesicht scharf ab von dem farblosen Ton der Hinterwand. Zwei tiefernste Männer saßen einander gegenüber. Sonst klingen um diese Herbstzeit Straßburger Glocken wehmutschön durch die alte Nebelstadt. Besonders die metallenen Stimmen des hohen Münsters haben ihren eigenen Klangzauber. Doch die Töne des Himmels waren im Laufe des Weltkriegs gleichsam eingefroren; aus Besorgnis vor Fliegergefahr hatte man das Geläute eingeschränkt; und viele Glocken waren in Kanonen umgegossen. Nun herrschten nur die nüchternen Geräusche der Straße, gelegentlich scharf unterbrochen vom grellen Geklingel einer elektrischen Bahn. »Entschuldigen Sie, Herr Pfarrer, daß sich unsre Zusammenkunft um einige Tage verzögert hat«, sprach Trotzendorff. »Die Gegenseite hat den Vorfall aufgebauscht. Aber ich hoffe die Sache möglichst geräuschlos niederzuschlagen. Den Herrn -- wie heißt er doch gleich? -- Ihren Nachbarn Huber oder Bieler und ebenso den Hauptmann habe ich auf eine halbe Stunde später bestellt. Es lag mir daran, zuvor mit Ihnen allein zu sprechen, Herr Pfarrer. Wir haben übrigens zwei gemeinsame Bekannte.« »Zwei?« erwiderte der Pfarrer. »Das sollte mich zwar freuen, aber -- ich weiß nicht --« »Da ist zunächst Baron von Stein, der Sie neulich besucht hat. Sie haben sich ja angefreundet, wie ich höre. Sechs Jahre sind es wohl her, da haben meine Frau und ich mit diesem Freunde Frankreich bereist, die Provence, bis hinaus nach Lourdes, wo es mir freilich zu mittelalterlich geworden ist. Ingo war damals ein wenig Schwärmer, wir nannten ihn Spielmann. Hört er gute Musik, so ist er auch heute noch derselbe und nicht mehr zu halten. Diesem Zuge seines Wesens verdankt er Ihre Bekanntschaft -- und verdank' ich Ihren Brief und Besuch. Sie sehen, wie wunderlich unser himmlischer Generalstab seine Menschen lenkt.« »Ich habe meinerseits«, schob hier Arnold höflich ein, »zu danken, daß ich bei Ihrer übermäßigen Arbeit -- --« »Freilich übermäßige und nicht erfreuliche Arbeit,« warf der Offizier ein, fuhr aber nach einem Blick über den Tisch sogleich fort: »Dann haben wir aber noch einen zweiten gemeinsamen Freund. Dort habe ich zuerst von Ihnen gehört. Entsinnen Sie sich des Professors Lobsann in Heidelberg und seiner prächtigen Frau Cäcilie?« »Ach, was Sie sagen!« Der Pfarrer blitzte ordentlich empor. Die Amtsstube verklärte sich. Er schaute Goethes Lieblingsplatz am Heidelberger Schloß; er schaute den schön geschwungenen Neckar; er betrat eine nahe Villa und lauschte dem Gesang der damals blutjungen, eben aus der Schweiz nach Heidelberg vermählten Gattin eines seiner Universitätsfreunde. »Mein lieber alter Freund Lobsann! Einer der wenigen, der sehr wenigen, die mich mit Tränen in den Augen scheiden sahen -- damals!« »Ich weiß«, nickte Trotzendorff. »Lobsann hat mir's erzählt. Meine Frau ist mit Frau Cäcilie befreundet.« Im Nu waren die beiden Männer in Erinnerungen an Heidelberg ausgeflogen und lustwandelten ein Weilchen in studentischen Fernen. Sie hatten im Jahre 1886 die großzügige Festfeier der Hochschule miterlebt. »Ein unvergeßliches Fest!« rief der Pfarrer. »Nicht nur das Schloß in seiner bengalischen Beleuchtung, nicht nur der glühende Neckar -- mehr noch der Geist des Ganzen, die überschäumende Festfreude in jenen vier, fünf Tagen. Es ist dabei merkwürdig, wie man auf solchen Hintergründen Einzelheiten behält. So kann ich z. B. nie vergessen, wie ein Kind, ein kleiner blonder Lockenkopf, in der festlichen Menschenmasse unter die Pferde einer vorüberfahrenden Kutsche geriet --« »Sahen Sie das auch?« Trotzendorff ward lebhaft. »Und haben Sie gesehen, daß einige Studenten und Offiziere den Pferden in die Zügel sprangen? Nun, darunter war auch ich. Da haben wir also damals in derselben Straße Schulter an Schulter gestanden, Herr Pfarrer, und vielleicht gar miteinander gesprochen! Vorzüglich!« »Lieber Gott, und in wie andrer Stimmung!« Der Pfarrer seufzte. Man war wieder in der Gegenwart. »Sie haben wohl inzwischen meinen ausführlichen Bericht gelesen, Herr Oberstleutnant?« Trotzendorff nickte. »Genau gelesen. Mit Wehmut gelesen. Ja, ich kann wohl sagen: mit Ergriffenheit. Ich bin schon einige Zeit hier in der Verwaltung und arbeite täglich bis zum Umfallen. Aber Sie haben in diesem Bericht aus dem besonderen Fall soviel Allgemeingültiges herausgeschlagen, daß ich Ihnen dankbar bin. Ich habe die Elsässer dadurch besser verstehen gelernt. Manches, was für unsern preußischen Ordnungssinn sachliche Verfügung ist, wirkt auf diese Leute wie bösartige Absicht. Und sie pflegen das dann unter dem Fremdwort ›Schikane‹ anzufeinden. Das tut mir recht leid.« »Diese Bemerkung in Ihrem Munde freut mich«, versetzte der Pfarrer. »Unsereins kommt mit Volk wie mit Regierung gleicherweise in Fühlung. Wieviel Bitterkeit müssen wir da allerdings bekämpfen! Es steht leider nicht gut um die deutsche Sache im Elsaß, das muß ich offen sagen. Das Kriegsgebiet spürt den Krieg doppelt. Und da wird von der politisch unreifen Bevölkerung gewohnheitsmäßig sofort der deutschen Regierung in die Schuhe geschoben, was doch Gebot der Zeit überhaupt ist. So verwirrt und verdummt ist unsre Volksseele. An allem Übel in der Welt sind nun einmal die Deutschen schuld. Was soll man gegen diese Seuche anfangen?« Der Pfarrer war erregt geworden. Er fuhr, da Trotzendorff nach seiner Art schweigend gradaus blickte, sogleich fort: »Aus meiner Eingabe haben Sie ungefähr die Welt kennen gelernt, in der ich selber lebe. Nehmen Sie zur Musik und Orgelkunst, die mir teuer sind, noch etwa Plato und das Neue Testament, Kant und Schleiermacher hinzu, so haben Sie meinen geistigen Bezirk. Und in dieser Luft habe ich auch meinen einzigen Sohn erzogen, also in gut deutscher Geisteskultur. Sie können daraus ermessen, wie mich der neuliche Fall verletzen mußte, mich, den deutschgesinnten Elsässer. Und so erzog ich zum Teil auch seine Braut, die Tochter dieses unglückseligen Bieler, der dort in Lützelbronn ein großes Weingut trotz aller Kränklichkeit recht schön imstande hält. Das Mädchen ist ganz herrlich veranlagt. Aber die Politik, natürlich, hat unser harmonisches Bildungsideal beträchtlich gestört. Und mein Junge hat leider von seiner Mutter her ein zartes Nervengeflecht, von mir selbst aber ein nicht allzu starkes Herz. Lassen Sie nun diese Menschen unter den so schwierigen Verhältnissen mit einer derben Natur zusammenstoßen -- -- nun, und es läßt sich denken, daß es Scherben gibt.« Trotzendorff schaute vor sich hin und nickte nachdenklich: »Ja, ja, ich bin vollkommen im Bilde.« Und der Pfarrer, der im Zuge war, setzte seine Herzensentlastung fort: »Schauen Sie nur hinaus: was ist das für ein drückender Nebeltag! Ist es nicht, als ob alle Menschen dieses Landes wie Schatten und Gespenster ihrer Vergangenheit umherschlichen? Das Elsaß hat heimliche Melodien, hat wundervolle Herzen -- aber sie können nicht los, nicht heraus und haben alle Freudigkeit verloren. Denn es gibt doch schließlich auch einen freudigen Trotz, wenn er einer guten Sache dient. Aber die elsässische Sache ist nicht gut, sie macht ihre französelnden Vertreter tückisch oder zum mindesten zweideutig. Das ist unsre Lage. Die ersten Kriegswochen -- ein hinreißendes deutsches Aufjauchzen bis zum letzten Eckensteher! Nach und nach freilich kam wieder der Nebel. Doch im Herzensgrunde haben unsre edelsten Elsässer eine ganz besonders tiefe Sehnsucht nach schön gestimmtem Leben voll Gastlichkeit und Brüderlichkeit. Pöbel gibt's natürlich überall. Ich spreche von der Minderheit der edlen Seelen. Und zu den Edlen rechne ich, das darf ich mit Vaterstolz aussprechen, auch meinen Sohn. Er ist weich, und jetzt nervenleidend, aber nicht weichlich. Eine gewisse Gedämpftheit paßt übrigens in unsre elsässische Wesensart.« Hier konnte sich Trotzendorff die Bemerkung nicht versagen: »Na, wir Norddeutschen möchten denn doch dem Elsässer manchmal mehr Härte wünschen. Der Vogesensandstein ist zu weich; er verwittert leicht, wie Ihr Münster beweist, das man ja kaum ohne Baugerüst sieht.« »Bitte: wir haben auch Granit«, erwiderte der Pfarrer lächelnd. »Wie dem auch sei,« lenkte der Oberstleutnant ab, »ich war in jungen Jahren hier, bin aber erschrocken, wie sich später die geistige Luft verändert hat. Sagen Sie mir, wie ist denn das gekommen? Hat das mit der Einkreisungspolitik eingesetzt?« »Planmäßig von Frankreich aus geschürt«, bestätigte der Pfarrer. »Und von der Regierung nicht mit Geschick bekämpft. Sehen Sie, da ist mein Sohn in bitterste Tragik geraten. Der Bruder seiner Braut war einst sein Schulfreund. Dann, als Student, geriet jener junge Bieler in den sogenannten =Cercle des étudiants= --« »Aha! Eine höchst gehässige Sippschaft. Wir haben hier die Liste seiner sämtlichen Mitglieder. Das war ja ein ganz gefährlicher Geheimbund! Unbegreiflich, daß die Regierung diese Französelei geduldet hat! Ich habe die Akten durchgesehen: das war schon im Frieden längst kein Frieden mehr. Das war ja wie der Mord in Serajewo, der den Krieg eingeleitet hat: das war ein planmäßiges Töten des deutschvölkischen Empfindens.« »Weshalb man das geduldet hat? Weil Freisinn und Zentrum sofort der Regierung in den Rücken fielen, sobald sie im Interesse nationaler Würde Ordnung schaffen wollte. So wurde die Regierung unsicher. Aber die Unterminierung ging weiter. Jedenfalls haben wir das Elsaß innerlich nicht erobert, wir Deutschen, leider, leider! Mein Sohn holte sich das Eiserne Kreuz, aber der junge Bieler -- und manch andrer noch -- brannte nach Frankreich durch. Elsässer beide! Und nun bringen Sie das unter einen Hut!« »Und der alte Bieler?« fragte Trotzendorff. »Der alte schwache Bieler rückt ratlos sein Käppchen von einem Ohr aufs andre. Und Fanny, die Braut, steht zwischen Bruder und Bräutigam in peinvollem Zwiespalt.« Wieder ein Nicken: »Echt elsässisch!« »Aber der Krieg klärt. Und so entscheidet sich's jetzt auch im Hause Bieler -- das heißt: es ~hätte~ sich zugunsten Deutschlands auch dort entschieden, trotz alledem, wenn jetzt nicht das fatale Friedensangebot und Wilsons Antwort uns wiederum ins Unsichere zurückwürfen. Wie denken Sie denn, Herr Oberstleutnant, über die Lage?« Der Pfarrer richtete den Blick fragend auf den Offizier. Dieser wandte mit kurzem Ruck den Kopf, an Schweigen gewöhnt, und schaute aus dem Fenster. Es entstand eine ernste, fast düstere Pause, so daß Arnold selbst wieder das Wort nahm und seinen Besorgnissen Ausdruck gab. Plötzlich begann Trotzendorff selbst seine angestaute Bitterkeit zu enthüllen: »Sie betrachten als vertraulich, was ich Ihnen sage, Herr Pfarrer. Wir sind innerlich zersetzt. Wer und was uns zersetzt hat, das ist eine Frage für sich. Tatsache ist: die Heimat fällt der Front in den Rücken. Wir ~könnten~ noch aushalten, wenn im eignen Lande nicht der Feind nagte. In den ersten Jahren hatte der Generalstab mit preußischer Willenskraft das Ganze fest in der Hand. Aber die Helden liegen unter dem Rasen, die Händler sitzen in den Klubsesseln! Das ist die sogenannte Demokratie!« Es klang kurz, scharf, bissig. Dann fuhr er mit zornig erhobener Stimme fort: »Aber glauben Sie nicht, daß ich damit jenen Hauptmann entschuldige! Ihnen darf ich sagen: das ist jenes Zerrbild von Deutschtum, das auch mir, dem Altpreußen, ganz verflucht auf die Nerven fällt und das aus dem deutschen Wesen raus muß.« »Sehr richtig! Das uns verhaßt macht im In- und Ausland!« stimmte der Elsässer kräftig bei. »Das weder Zucht noch Innerlichkeit kennt«, fuhr der Preuße fort. »Das in Gasthöfen mit Kellnern umspringt wie mit Lakaien des achtzehnten Jahrhunderts«, klang es vom Pfarrer her. »Das sich abends den Bauch voll Bier pumpt und um Mitternacht Türen schmettert«, bestätigte der andre. »Das laute, schnarrende Deutschland, das die innere Stimme betäubt!« »Das seelenlose Deutschland der Wucherer, Kriegsgewinnler und Etappenschweine!« So sprang es hin und her zwischen dem Altpreußen und dem Altelsässer. Und hier erhoben sich beide. Trotzendorff streckte die Hand aus und schlug in seines Besuchers Hand: »Wir verstehen uns, Herr Pfarrer!« »Ich danke Ihnen, Herr Oberstleutnant!« Der Pfarrer verbeugte sich leicht und nahm wieder Platz. Dann wiederholte er seine Frage und formte sie genauer: »Nehmen Sie mir die Sorge vom Herzen, soweit Ihnen der Dienst Offenheit gestattet! Was für Aussichten hat das deutsche Friedensangebot? Wie steht's um unser Elsaß?« Der Oberstleutnant war sogar innerhalb seiner Familie in Dienstsachen von peinlicher Verschwiegenheit. Er hatte darin, wie in seinem ganzen Wesen überhaupt, etwas Starres. Jetzt sah er sein Gegenüber eine Weile scharf und schweigend an; der Blaustift pochte auf die Papiere. Endlich sagte er langsam: »Es würde Freund Lobsann und seine Frau gewiß freuen, wenn Sie wieder Fühlung mit ihm nehmen würden. Sein oberes Stockwerk steht leer. Sollten Sie einmal« -- und er betonte nun jedes Wort -- »in die Lage kommen, sich aus dem Elsaß zurückzuziehen, so würden Sie dort gewiß schöne deutsche Gastfreundschaft finden.« Weiter sagte er nichts. Er schaute nur dem Pfarrer ernst und unverwandt in die Augen. Und der Pfarrer verstand ... Arnold senkte den Kopf, hob ihn dann wieder und fragte: »So brauchen wir auch über den Offenen Brief an Wilson, den ich Ihnen entwurfsweise mitsandte, heut' abend in unsrer deutsch-elsässischen Gesellschaft nicht zu beraten? Hat er noch Zweck?« »Das sind Dinge, die mich amtlich nicht kümmern dürfen. Wenn Sie mich persönlich fragten, so würde ich etwa sagen: Einige rosenrote Politiker wagen noch an die Möglichkeit eines Pufferstaates oder dergleichen zu glauben. Ich nicht. Haben Sie übrigens Dank für die freundliche Übermittlung!« Und er legte das Schriftstück, einen von Arnold entworfenen Brief an den Präsidenten Wilson, wieder in des Verfassers Hand zurück. Jetzt meldete ein Unteroffizier unmittelbar hintereinander den Winzer Bieler und den Hauptmann. Trotzendorff war wieder ganz Soldat und Beamter. Die Rücksprache wurde knapp und sachlich. Papa Bieler fand nach anfänglicher Verlegenheit seinen unbefangenen Ton, ja einen schlichten Freimut. »Herr Oberstleutnant,« sprach er treuherzig, »daß ich's nur gradheraus sag': mich trifft viel Schuld, mich trifft die allermeist' Schuld. Ich hab' die Dummheit gemacht, Herr Oberstleutnant, ich hätt' den Herrn Hauptmann nicht in den Keller führen sollen. Mehr brauch' ich nicht zu sagen.« »Ihr Keller spielt dabei allerdings eine verhängnisvolle Rolle.« »Herr Oberstleutnant, ich bin ein einfacher Bürgersmann und ein alter Soldat von Anno siebzig. Hand uffs Herz, Herr Oberstleutnant: ich für mein' Person hab' nie agitiert gegen die Rejierung, aber ich steh' halt von wegen meinem Sohn auf der schwarzen Liste. Soll ich's dann in solchem Fall mit dem Herrn Hauptmann verderben? Man wird charakterlos, Herr Oberstleutnant, ich sag's und g'steh's ganz offen: man wird ein schwacher Charakter.« »Danke, Herr Bieler. Angenehm für Ihren Ruf ist die Geschichte freilich nicht.« Trotzendorff wandte sich zum Hauptmann; seine Stimme hatte äußerst kalten Klang, wenn auch der Unwille beherrscht war: »Die Sache ist für mich bereits geklärt. Ich bedaure, daß wir mit solchen Dingen in solchem Augenblick unsre Zeit verlieren mußten. Es ist kein Grund zu einem gerichtlichen Einschreiten. Ich möchte nur in Gegenwart dieser Herren von Ihnen hören: was ist es mit der deutschfeindlichen Gesinnung, deren sich angeblich alle, auch der Unteroffizier Arnold, schuldig gemacht haben?« »Durchaus, Herr Oberstleutnant, durchaus!« Ungeduldig klopfte der Blaustift. »Was heißt das: durchaus? Wollen Sie sich nicht freundlichst etwas genauer ausdrücken?« »Gestatten mir Herr Oberstleutnant, daß ich von einer Tatsache ausgehe, die hier entscheidend ins Gewicht fällt.« »Die wäre?« »Bei den ersten Kämpfen im Oberelsaß wurde bekanntlich aus den Häusern geschossen --« »Na, na, was haben denn diese peinlichen Dinge hier zu tun?« »Wenn ich mir gestatten darf, Herr Oberstleutnant: mein bester Freund wurde dabei erschossen, infam, aus dem Hinterhalt. Also von Einwohnern dieses Landes.« Unwillig warf Trotzendorff den Bleistift hin. »Wie können Sie so was behaupten, wenn Sie keine genauen Beweise haben?! Ist das einwandfrei festgestellt? Sie wissen doch, daß französische Soldaten bürgerliche Kleider im Rucksack hatten. Und daß allerlei bedauerliche Mißverständnisse und Aufregungen vorgekommen, wie sie bei der ungeheuren Erregung erster Kriegswochen leider nicht zu vermeiden sind. Wir wollen lieber auf diesem Wege nicht fortfahren, Herr Hauptmann. Die Elsässer leiden ohnedies genug unter dem Verhalten einzelner Landsleute. Ich habe selbst sehr viele Elsässer kennen gelernt, die sich äußerst tapfer gehalten haben. Also gut, ich lasse Ihre Meinung insofern gelten: sie erklärt Ihr Vorurteil. Waren Sie schon früher im Lande?« »Niemals, Herr Oberstleutnant.« »Nun ja. Aber jetzt die Gegenfrage: Wenn Ihnen dieses Haus Bieler als -- wie sagen Sie in Ihrer Eingabe? -- als ›Brutstätte deutschfeindlicher Gesinnung‹ verhaßt war, weshalb ließen Sie sich dennoch im Keller bewirten? -- Sie schweigen. Auch eine Antwort.« »Allerdings -- immerhin -- ich -- wie gesagt, ich will meine menschlichen Schwächen nicht entschuldigen, Herr Oberstleutnant. Aber die Tatsache, daß alle drei Beteiligten in französischer Sprache auf mich eindrangen -- --« Des Hauptmanns Stimme war wieder scharf und nasal geworden. »Das stimmt nicht!« rief Bieler. »Unmöglich!« fiel auch der Pfarrer ein. »In meinem Hause wurde nie französisch gesprochen.« »Kurz, ich fühlte mich plötzlich unter lauter Feinden.« Bieler bekam Mut. »Ich bin der Meinung, Herr Hauptmann, Ihr einziger Feind sind nicht wir drei gewesen -- excusieren Sie mich --, sondern vielmehr der Rappoltsweiler Riesling von Anno neunzehnhundertundelf. Und daß im Pfarrhaus immer nur elsässisch oder hochdeutsch gesprochen wird, das kann ich bezeugen.« »Können Sie das auch von Ihrem Hause behaupten?« fiel der Hauptmann ein. Aber der Pfarrer sprang zu Hilfe. »Das Haus Bieler zu begreifen, muß man sich lang und liebevoll mit dem Elsaß beschäftigt haben, Herr Hauptmann.« Dem Oberstleutnant waren Wolffsche Depeschen gebracht worden, die er während dieser Hin- und Herreden durchblätterte. Dann stellte er noch einige kurze Fragen und beendete die Unterredung. Alle erhoben sich. »Herr Oberstleutnant,« sagte Bieler, als er sich verabschiedete, und der gebeugte Mann in seinem langen Sonntagsrock war nicht ohne Würde, »sehen Sie, ich hab' dazumal Frankreich gedient und hab' meiner Regierung Treue gehalten, wie sich's für einen Ehrenmann schickt. Aber mein Sohn hat seiner Regierung keine Treue gehalten. Das ist mein heimlicher Kummer, ihr Herren. Andre Eltern verlieren ihren Sohn draußen im Krieg; ich hab' halt meinen Sohn auf dem Schlachtfeld der elsässischen Ehre verloren.« Trotzendorff reichte dem Alten die Hand. Und in seinem festen Händedruck war Wärme. »Gehen Sie ruhig nach Hause, Herr Bieler! Die Sache ist erledigt.« Die Bürger gingen. Der Hauptmann blieb noch einen Augenblick, um unter vier Augen eine kurze, aber eindrucksvolle Ansprache des Oberstleutnants in Empfang zu nehmen. * * * * * Dem Weihnachtsfeste fliegen Engel der Liebe voraus. Es sind die Engel der Überraschungen, des liebevollen Versteckspiels. Wochen hindurch ist manche Seele auf Heimlichkeiten bedacht. Schon in den langen Spätherbstabenden sitzen Mütter oder Töchter mit der unendlichen Geduld der Frauen über irgendeiner Arbeit und sticken, stricken, nähen oder malen, um zum Feste der Liebe mit einem erfreuenden Geschenk unter den Weihnachtsbaum zu treten. Nur die Absicht des Freudemachens ist mit solchen heimlich vorbereiteten Gaben verbunden. Und so ist um die nahende Wintersonnenwende viel Herzlichkeit in der Lufthülle des Erdballs wirksam. An jenem Tage, als Arnold und der Winzer bei Trotzendorff ihre Sache verfochten, saßen Madam Bieler und ihre Tochter Jacqueline vor einem Korb mit Stoffresten, deren farbige Fülle sich um die beiden Straßburgerinnen ausbreitete. Langhin auf dem Stubenboden lag eine Fahnenstange. Das große Tuch war jedoch losgeschnitten; es waren die elsässischen Farben Weiß und Rot. Die Damen wühlten in ihren Vorräten, maßen und verglichen, ob sich nicht zu den beiden Farben ein gleich großes Stück Tuch finden möchte. Auch dies war eine geheimnisvolle Arbeit. Doch es sollte keine Weihnachtsüberraschung werden. Sie suchten die Farbe Blau. Diese Suche war gar nicht so leicht. Die meisten blauen Stoffreste waren zu klein; oder der Stoff war Seide und paßte nicht zu dem übrigen Tuch. Die Damen parlierten halb elsässisch, halb französisch. Jacqueline, eine schlanke Brünette, saß zu den Füßen ihrer Mutter, die mit der Brille auf der Nasenspitze matronenhaft im Lehnstuhl thronte. Endlich kam die Tochter auf den Einfall, sie wolle einmal zu den Schwestern Ehrmann in den Oberstock hinauflaufen und sich nach Stoff erkundigen. Aber die Mutter hatte Bedenken. Wenn nun die zwei Mamselle Ehrmann fragen würden, was sie mit dem Tuch anfangen wolle, was sollte man denn da antworten? »=Tu sais, maman=,« erwiderte die Tochter, »ich saa, mr welle e =comédie= mache, e Theaterstückel.« Und schon war sie aufgestanden; die Mutter solle sie nur machen lassen. Und mit der niedlichen Lüge auf der Lippe verschwand die Holde nach oben. Erwins Schwestern lebten im Oberstock des Hauses Bieler ihr stilles Dasein allbeliebt dahin. Henriette war als Lehrerin tätig und brachte das nötige Geld in den Haushalt, den Dorothee leitete. Außer ihrem Nachbarn, dem Kunstmaler Kaspar Speckel, sahen sie wenig Menschen in ihrer hohen und heimeligen Wohnung mit den vielen Bildnissen an den Wänden und den noch zahlreicheren Nippsachen auf den Altväter-Möbeln. Ein Papagei und ein Kater gehörten zum Haushalt. Manchmal kamen Kinder, lärmten ein bißchen und verschwanden wieder; manchmal auch gab es einen Altjungferntee, soweit der entbehrungsreiche Krieg solche Ausschreitungen gestattete. Sie lasen einander vor; sie spielten auch gern auf einem betagten Tafelklavier. Es war eine behagliche Stille in diesem Heim, an dem Krieg und Kriegsgeschrei fernab am Horizont vorüberzogen. Die hochnäsige Jacqueline kam eigentlich nur dann zu ihres Vaters Mietern herauf, wenn sie etwas brauchte. Und so betrat sie auch heute nach kurzem festem Anpochen ohne viel Umstände das Stübchen der alternden Jungfrauen. Allein sie traf es recht ungeschickt. Der Maler und Junggesell stand mitten im Zimmer, Palette und Pinsel in der Hand, in seinem beschmierten langen Graukittel. Er war auf einen Augenblick herüberspaziert und erzählte grade mit dem ihm eignen erzschalkhaften Gesichtsausdruck der Jungfer Dorothee eine Schnurre. Mitten im Wort brach er ab, verbeugte sich mit komischer Übertreibung vor Jacqueline und trat einen Schritt zurück. Aber er machte keinerlei Miene, in sein Atelier zurückzukehren. Des Hausherrn Töchterchen mit ihren zwanzig flotten Jahren war sonst nicht auf den Mund gefallen; diesmal aber verhaperte sie sich unter den Blicken dieses unausstehlichen Kasperle, wie sie ihn zu nennen pflegte, so sehr, daß sie ihre Bitte kaum zu stammeln vermochte. Und bei der harmlosen Frage Dorothees, wozu sie das Tuch brauche, verwirrte sich das Räderwerk ihres Sprachvermögens erst recht. Kasperle legte tiefsinnig die Hand an den ergrauenden Spitzbart und meinte, wenn Mamsell Jacqueline etwa ein altes Hemd opfern wolle, so würde es seinem Pinsel eine Freude sein, mit Preußischblau darüberzustreichen -- aber da war Jacqueline auch schon verschwunden und hatte die kleine Tür kräftig hinter sich zugeschmettert. Zornig kam sie wieder zu ihrer Mutter hinunter. »=Maman=, do hilft halt nix, jetzt mueß doch min Unterrock dran!« Sie erzählte kurz ihr Mißgeschick und hatte schon die Schere in der Hand. Ein hübscher blauer Unterrock wurde der Länge nach aufgeschnitten, und nun wurde geprobt. Die schwere, stattliche Frau Bieler erhob sich, spannte das blaue Tuch mit ausgebreiteten Händen vor sich hin, und Jacqueline hielt die bereits fertigen Fahnenstücke Weiß und Rot darunter. Das schönste Blau-Weiß-Rot leuchtete als ein hocherfreuliches Ergebnis in die Straßburger Stube. Aber das Mißgeschick des Tages war noch nicht voll. Die Damen waren so sehr in ihre Arbeit vertieft, daß sie das leise Klopfen ihres ewig unbelehrbaren Mädchens vom Lande überhörten. Sofort ging auch schon die Türe auf -- und plötzlich stand, ohne weiteres vom Dienstmädchen freundlich hereingeschoben, Fanny Bieler in der Stube. Die beleibte Matrone, die mit ihrer Brille grade noch über das blaue Tuch hinübergucken konnte, war so erstarrt, daß sie noch ein Weilchen in ihrer Stellung verharrte. Jacqueline merkte in ihrem Eifer erst überhaupt nicht, daß sie Zuschauer hatte, sondern hielt von unten her Weiß und Rot ebenso beharrlich fest und rief einmal über das andere entzückt: »G'fitzt! 's isch g'fitzt! =Maman, ça y est!=« Gustavs Braut durchschaute sofort den Hergang. Und in ihr Herz rann ein eisiger Strom. Sie erbleichte und stand wortlos. Dann gab es ein bestürztes Aufspringen der Tochter, dem eine übertrieben-freundliche Begrüßung folgte. Auch die Mutter ließ die Arme sinken, nahm die Hornbrille ab und gab Fanny die Hand. Danach packte sie schleunigst ein, während Jacqueline ablenkend sehr eifrig mit der Cousine plauderte, und gab der Magd Befehl, die Fahnenstange hinzubringen, wohin sie gehöre; worauf es in der Küche noch ein besonderes Donnerwetter setzte, des Inhalts: sie, das Käthel von Grafenstaden, sei nicht nur die uneinsdümmste, sondern die allerdümmste in Gottes Gänsestall. Es kam keine rechte Unterhaltung zwischen den drei Damen in Fluß. Madam Bieler hatte gönnerhaft recht viel zu fragen; und fast alle Fragen enthielten eine kleine Spitze. Zögernd gab Fanny über die Ladung in das Gouvernement und die Begleitumstände Auskunft; Mutter und Tochter warfen sich Blicke zu. Dann wurde Tee gereicht. Fanny hatte die Empfindung, daß sie unter verlarvten Feinden sei, nicht unter Verwandten. Und als sie endlich, endlich den Vater die Treppe heraufhusten hörte, sprang sie ihm entgegen: »Wie steht's?« Er gab beruhigende Antwort. Das gefolterte Mädchen atmete tief auf. Und nun war sie nicht mehr zu halten. Sie hatte Einkäufe zu besorgen, verabschiedete sich von den Damen und lief noch einige Augenblicke zur Jungfer Immergrün hinauf, wie sie Erwins Lieblingsschwester zu necken pflegte. Da oben war mehr Wärme. Da gab's ein herzhaft Händeschütteln, die üblichen Wangenküsse und ein schnelles, gedrängtes, überfließendes Erzählen von Erwin und von Gustav. Und wie unser Dasein oft mit allerliebsten Neckereien durchflochten ist, so geschah es auch hier. Fanny hatte gleichfalls ein Anliegen, das Jacquelines Bitte überraschend ähnlich sah. »Ihr habt doch einmal mit Erwin ein so hübsches Weihnachtsspiel aufgeführt. Sag', Dorothee, habt ihr vielleicht noch die Kostüme? Ich brauche nämlich ein weißes oder blaues Frauengewand. Pfarrer Redslob, unser ehemaliger geistlicher Inspektor im Städtchen, feiert nächste Woche seinen achtzigsten Geburtstag und zugleich seine goldene Hochzeit. Du weißt, es sind so liebe, alte Leute. Da stellt man ihnen lebende Bilder. Und ich habe -- es ist eine kleine geladene Gesellschaft -- eine besondere Überraschung vor. Alles ganz ernst und still, wie es ja in dieser Zeit selbstverständlich ist.« Und voll Feuer plauderte sie weiter, daß sie unter Onkel Arnolds Papieren einige »Gespräche« gefunden habe; darunter eine reizende Unterhaltung zwischen jenem Ritter, den man den »armen Heinrich« zu nennen pflegt, und dem Mädchen, das sich für ihn opfern will. Das wolle sie mit Gustav aufführen und Onkel Arnold ebenso damit überraschen wie die anderen Gäste des kleinen Kreises. Dorothee erzählte lachend den mißglückten Versuch Jacquelines, in den Besitz eines blauen Tuches zu kommen. »Weiß der Kuckuck, wozu sie's braucht!« Fanny wußte Bescheid und fand ihre Heiterkeit wieder, als sie Speckels Vorschlag vernahm. Dann aber holte Dorothee in der Tat ein feines blaues Gewebe hervor, das sie der jungen Freundin anvertraute. Und mit ihrem Paket lief die Kleine unter dem großen Hut in die nebligen Gassen hinaus und war heilfroh, das Haus ihrer Verwandten hinter sich und das blaue Tuch sicher im Arm zu haben. Papa Bieler hatte das alte Bürgerhaus nur höchst ungern betreten; das Lützelbronner Gespräch mit dem Straßburger wirkte noch unangenehm in ihm nach. Aber es war ein Geschäft zum Abschluß zu bringen; sein Bruder war ihm noch Geld schuldig. Er traf im Kontor einen gutgelaunten Handlungsreisenden, der sich als Vertreter von Weil, Blum & Co. vorstellte, witzig bemerkend, seine Firma sei leicht zu behalten, man brauche nur an Blumenkohl zu denken. Und in der üblichen Straßburger Mundart, die er mit französischen Brocken spickte, fuhr dieser rundliche Blumenkohl fort, seine Späßchen zu machen, wobei er mit zwinkernden Augen den Winzer zu föppeln begann, was er denn wohl anfange, wenn man den Liter Rotwein demnächst für zehn Sous trinken werde? Bieler antwortete erst ziemlich unbeholfen, er werde sich ohnedies bald vom Geschäft zurückziehen, und steckte seine Banknoten ein. Als aber Weil, Blum & Co. nicht abließ, wurde der alte Mann bissig. Er habe, sprach er, vorhin in der Münstergasse einen Bekannten aus dem Württembergischen getroffen, der habe ihm erzählt, daß aus seinem Städtchen von sechshundert jüdischen Wehrpflichtigen zwei Mann umgekommen seien: der eine durch Krankheit, der andre durch einen Sturz aus dem Wagen. Aber im Nachbarstädtchen seien von siebenhundertundfünfzig christlichen Wehrpflichtigen hundertundzwanzig den Heldentod gestorben, ohne die Vermißten. »Wie kommt das, he?« schloß er ingrimmig. Der Geschäftsreisende war beleidigt, aber nicht aus der Fassung gebracht; er blinzelte ihn an, steckte beide Hände in die Hosentaschen und antwortete ganz einfach und unverfroren: »Warum sin se so dumm?« Und Bielers Bruder nickte kühl: »Sich für die Schwowe totschießen zu lassen!« Der ehrliche Winzer schaute hilflos von einem zum andern. Dann nahm er ohne weitere Gegenrede seinen Hut: »=Bonjour=, ihr Herren«, und entfernte sich. Im Treppenhause erhielt der in sich versunkene, mißmutige Alte zunächst einen tüchtigen Stoß auf die Magengegend. 's Käthel von Grafenstaden kämpfte mit der Fahnenstange herum. Was sie denn vorhabe, fragte Bieler verdrießlich, es sei ja gar keine Fahne dran. Das schon, meinte Käthel, die recht gekränkt und ärgerlich aussah, aber man sei doch nicht so »taub«, wie d' Madam immer sage, man wisse ganz genau, daß die Herrschaften eine französische Fahne machen und daß d' Mamsell einen schönen blauen Unterrock dazu zerschnitten habe ... »So, so, so«, summte der Weinsticher nachdenklich vor sich hin, als er seiner Wege ging. Und er bewunderte nicht wenig die Opferfreudigkeit seiner Nichte Jacqueline. * * * * * Im Oberstock eines Kaffeehauses am Broglieplatze saßen sie abends beisammen, die Mitglieder der Gesellschaft für elsässisch-deutsche Kultur. Professoren, Pfarrer und Lehrer, Beamte, Buchhändler und Kaufleute -- jeder Stand war vertreten. Mit Altelsässern plauderten Altdeutsche, Eingewanderte mit Eingesessenen, alle in den Rauch ihrer Zigarren und ihrer gemeinsamen Sorgen eingehüllt, lebhaft der Erörterung hingegeben über den peinlichen Notenwechsel zwischen bittender deutscher Regierung und befehlendem amerikanischem Präsidenten. Alle diese Elsässer erwarteten irgend eine unbestimmte Hilfe, ein befreiendes Wort, einen Eingriff der göttlichen Macht ... Soll unser Elsaß Spielball sein zwischen zwei Nationen? Hat man uns nicht Autonomie versprochen? Darf man über uns verhandeln, ohne uns zu fragen? Das Unrecht von 1870 soll wieder gutgemacht werden? Welches Unrecht? Daß Deutschland in ehrlichem Krieg deutsches Land zurückerobert hat? Und das Unrecht von 1681? Hat nicht Ludwig der Vierzehnte in jener Septembernacht des Jahres 1681 die freie Reichsstadt Straßburg mitten im Frieden überfallen und geraubt? Weiß das Präsident Wilson nicht? Himmel, und wie hat Deutschland am Lande gearbeitet in diesen vier Jahrzehnten! Wie ist Straßburg mit seinem Rheinhafen und seiner Universität eine blühende deutsche Stadt geworden! Weiß das Wilson nicht? Wir müssen ein Telegramm an Wilson senden. Wir wollen Autonomie, wir wollen Volksabstimmung. Wir müssen hier in Straßburg eine große Volksversammlung einberufen. Schwander ist Statthalter, wir haben eine freisinnige Regierung, man kann sich nun regen und offen reden -- los! ... So schwirrten die Gespräche und verdichteten sich zu einer allgemeinen Erwartung. Der Vorsitzende, ein vollbärtiger, schmaler, mittelgroßer Professor mit einer kahlen Denkerstirne, klopfte ans Glas. Und er sprach. Er sprach klug und gehaltvoll; er sprach scharfsinnig. So hatte er oft gesprochen; er war ein ausgezeichneter Theoretiker; aber er war keine aufrüttelnde, ansteckende oder mitreißende Kraft. Warm und schön, mit wohltuender Ruhe, sprach auch ein altelsässischer katholischer Universitätsprofessor, ein temperamentvoller Arzt, ein Gymnasiallehrer. Und alle Reden gipfelten in dem Wunsche, man möge, nach dem Vorbilde der Reichsregierung, Telegramm und Sendschreiben an den Präsidenten Wilson richten, daß Elsaß ein deutsches Land sei und ein deutsches Land bleiben wolle. Arnold saß bei einem seiner Freunde, dem blondbärtigen Pfarrer des Diakonissenhauses, paffte Rauchkringel in die Luft und schwieg. Die Augen halb geschlossen, schaute er in die Vielzahl dieser durch Hunger und Sorgen abgemagerten Gesichter und sah sie von unzähligen fließenden und immer wechselnden Rauchschlangen umringelt, die sich mit höhnischen Fratzen über die aussichtslose Erörterung lustig machten. Die Straßburger Luft war voll von bösen Dämonen; die Geister der Revolutionszeit hatten Erlaubnis erhalten, sich ein Weilchen wieder auf der Erde umzutreiben. Hatte nicht diesem Hause gegenüber, beim Bürgermeister Dietrich, einst Rouget de l'Isle die Marseillaise gesungen? Und wenige Häuser weiter, in der Blauwolkengasse, hatten St. Just und Eulogius Schneider gehaust; und nicht weit war es zum Kleberplatz, wo einst die fahrbare Guillotine am Ostersonntag 1793 erste Blutarbeit getan hatte. Die Dämonen von damals huschten schon lange wieder durch Straßburgs Gassen und Schenken, tuschelten, zischten, reizten den Pöbel unten und oben, die Stunde begierig erwartend, wo sie herausbrechen könnten ... Das sah Arnold. Und es schien ihm nicht der Mühe wert, seinen Briefentwurf herauszuziehen und vorzulesen. Die gute deutsche Sache war verloren. Plötzlich aber erscholl sein Name. Er erwachte, sah sich um und bemerkte viele Blicke auf sich gerichtet; und der Vorsitzende bat ihn, seinen Offenen Brief an Wilson vorzulesen. Arnold erhob sich langsam. Und er sprach zu seinen aufmerksam horchenden Freunden: »Wagen Sie denn immer noch an Gerechtigkeit und an Autonomie oder dergleichen zu glauben, meine Herren? Hoffen Sie noch immer auf einen Rechtsfrieden? Sehen noch immer nicht, daß diese Phrasen im Munde der Feinde nur Machtmittel sind, um uns und die Neutralen irre zu führen? England will uns niederknütteln -- und weiter nichts; Frankreich will Elsaß-Lothringen, vielleicht das ganze linke Rheinufer, und will sich weiden an einem zusammengebrochenen Deutschland -- und weiter nichts. Völkerbund? Nein, nein. Das sagen sie nur, aber das wollen sie nicht ... Weshalb aber gelingt ihnen diese unerhörte Vergewaltigung? Sie, meine Herren, sagen gewiß: weil sie mehr Kapital, Menschen, Munitionsmassen haben. Ich sage: weil sie mehr ~Leidenschaft~ haben. Ja, diese Völker haben mehr Leidenschaft, wenn auch in Formen des Hasses. Sie sind zäher Willen, gefühlbelebter Willen. Wir aber, wir Deutschen? Wir tragen das Malzeichen des Verstandes. Der verbürgt zwar Ordnung und Methode, aber er verbürgt keine schöpferische Kraft und Beharrlichkeit. Die Leute da drüben hinter den Bergen wollten etwas mit der zähen Leidenschaft eines Liebenden. Hat man sich in Altdeutschland mit ähnlicher Liebesleidenschaft um uns Elsässer gerissen? Selbst die nichtswürdigen Tschechen und Slowaken setzen nun ihren Staat durch, weil sie's mit Gefühl und Leidenschaft wollen. Was wollen wir? Wo ist unser Ideal? Uns behaupten? Das ist nur negativ, ist selbstverständlich, aber kein Ideal.« Es ging eine unbehagliche Bewegung durch die Köpfe, die in den Rauch eingezeichnet waren. Eine solche Rede hatte man nicht erwartet. Das schmeckte nach Bußpredigt. Dieser Träumer von Lützelbronn! Da sang er also glücklich wieder sein Liedlein vom vergessenen deutschen Idealismus! »Nennen Sie mich keinen Unheilsraben,« fuhr Arnold fort, »aber machen Sie sich bereit auf die Wanderung durch die Wüste! Deutschland muß jetzt durch die Wüste wandern, um nach Kanaan zu kommen. Es ist der alte Mysterienweg. Sie mögen sagen: das spricht ein Ästhet oder Ethiker, aber kein Politiker. Nun, ich breche auch ab. Meinen Brief an Wilson will ich Ihnen aber doch wenigstens vorlesen, wenn auch mit dickem Blaustift ein ›Zu spät‹ quer darüber geschrieben ist.« Er las: ~Offener Brief an den Präsidenten Wilson~ Herr Präsident! Hinter uns stehen Tausende von freien elsässischen Männern und Frauen, die genau so denken wie wir. Seit fast fünfzig Jahren sind wir staatlich wieder deutsch, wir Elsaß-Lothringer. Wir waren nach Art und Sprache deutsch, solange es eine deutsche Geschichte gibt: seit dem Niedergang des Römerreiches, seitdem der germanische Stamm der Alemannen und der germanische Stamm der Franken das Land am Oberrhein besiedelt haben. Also seit anderthalb Jahrtausenden! Die Sprache unseres Landes ist zu neun Zehnteln deutsch; die Namen unserer Dörfer und Städte, unserer Fluren und Flüsse, unserer Burgen und Berge sind deutsch. Es ist eine Fälschung zu sagen, daß wir ›geraubte französische Provinzen‹ seien. Das Umgekehrte ist der Fall! Wir sind deutsches Land, einst in den Reunions- und Revolutionskriegen von Frankreich dem Deutschen Reiche geraubt, dann von Deutschland im offenen Kriege des Jahres 1870 zurückerobert. Wir Elsaß-Lothringer sind also durch den Frankfurter Friedensvertrag vom 10. Mai 1871 zum deutschen Mutterlande zurückgekehrt. Das ist der Tatbestand. Und nun wollen die Völker der Entente, nun wollen Sie, Herr Präsident, ein deutsches Land gewaltsam wieder französisch machen? Nun wollen Sie den künftigen Völkerbund mit einem Bruch des Frankfurter Friedensvertrages beginnen? Wir Elsaß-Lothringer empfinden das nicht als Befreiung, sondern als Vergewaltigung. Und wir protestieren dagegen im Namen der Wahrheit und der Gerechtigkeit. Sie hatten, Herr Präsident, eine wahrhaft erhabene Sendung. Sie hatten die Aufgabe, den Völkern Europas den Frieden zu bringen. Sie haben es vorgezogen, den Feinden Deutschlands Munition zuzuführen; aber die Zufuhr von Lebensmitteln an deutsche Frauen und Kinder haben Sie nicht durchzusetzen für nötig gehalten. Eine bleiche Parade hungernder und durch Unterernährung dahingeschiedener Gestalten zieht anklagend an Ihrem Weißen Hause vorüber. Und um Deutschland vollends zu brechen, griffen Sie an der Seite unserer Feinde in den Kampf ein. Sie sind es, dem Deutschland neben innerer Zersetzung nunmehr den Zusammenbruch verdankt. Und mit diesem Zusammenbruch unseres deutschen Vaterlandes brechen auch wir Elsaß-Lothringer zusammen. Wir sollen nun wieder hinübergeschleudert werden zu Frankreich. Wir protestieren. Wir wollen uns durch Schweigen nicht mitschuldig machen an diesem ungeheuerlichen Verbrechen. Wir halten treu zu unsrem deutschen Vaterlande. Und wir schreiben diesen Brief nicht aus irgendwelchem Haß gegen irgendwelche Nachbaren, mit denen wir vielmehr im Frieden zu leben wünschen, sondern nur im Interesse der Menschlichkeit und der Wahrheit. Allgemeiner Beifall umwogte diesen Brief. Man trank dem Verfasser zu, man schüttelte ihm die Hände. Und sofort setzte die Erörterung ein. Es wurde vorgeschlagen, den Brief ins Englische zu übersetzen und in Tausenden von Flugblättern über den englisch-amerikanischen Truppen durch Flieger abwerfen zu lassen. Die Einberufung einer Volksversammlung in das Sängerhaus ward beschlossen; man müsse von Wilson Volksabstimmung verlangen. Der Abschnitt, der des Präsidenten unfreundliche Stellungnahme angriff, die Hungerparade, wurde beanstandet; denn dergleichen könnte verletzen. Andere jedoch riefen: »Sagt's ihm nur, denn es ist die Wahrheit!« Und so bekundete sich an diesem bewegten Abend viel guter Wille dieser treuen Söhne ihrer elsässischen Heimat und ihres deutschen Vaterlandes. Doch die Dämonen kicherten: Zu spät! Und Arnold schied aus dem Rauch in den Nebel hinaus mit dem schmerzlichen Gefühl: die Sache der Deutsch-Elsässer ist verloren. »Eine Handvoll Französlinge hat mit Hilfe der feindlichen Truppenmassen dieses kerndeutsche Land vergewaltigt«, schloß er ein Gespräch mit einem befreundeten Bibliothekar, der ihn nach dem Gasthofe begleitete. »Die Lüge herrscht in der Welt wie nie zuvor. Und das Gemeine lauert auch hierzulande auf den Augenblick, wo es deutsche Ordnung wie einen lästigen Tornister abwerfen und sich nach all der Kriegsspannung schamlos austoben kann. Ich spüre das. Gute Nacht, lieber Freund! Ich sah im Geiste die entflohenen elsässischen Landesverräter im Schutze französischer Soldaten wieder einmarschieren und mit einer schwarzen Liste von Haus zu Haus ziehen, ihr Werk fortsetzend: den Verrat. Halten Sie Ihr Bündel geschnürt! Wenn der Franzos einrückt, werden Ihnen die Straßburger Wackes die Fenster einwerfen!« »Und Sie?« fragte der andre. »Je nun, ich! Mit dem Elsaß hab' ich abgeschlossen. Ich ziehe aus und suche. Ich suche ein Deutschland, das durch den Schmerz reif wird, das an der Stirne das Malzeichen der Gottheit trägt, das sich um den Altar der Seele versammelt, wo ein Gott der Weisheit und der Liebe verehrt wird: -- ein Deutschland also, das es noch nicht gibt, an dem wir aber vielleicht bauen dürfen.« * * * * * »Bist du's?« Eine weibliche Stimme flüsterte es, als Arnold oben im Gasthof seine Zimmertüre aufschloß. Und Fanny schlüpfte aus der Türe gegenüber und huschte zu ihm herein. Es war spät. Sie hatte auf ihn gewartet. »Ich muß dir doch noch schnell Gutenacht sagen, ich hätte ja sonst gar nicht schlafen können«, sagte sie hastig und halblaut, um die Nachbarschaft nicht zu stören. »Ich hab' heute gleich ein Telegramm an Gustav geschickt. Ach, ich bin ja so froh, so froh, daß alles gut gegangen ist!« Eine warme Welle überrieselte den Mann, der vor ihr stand und aus dem schweren Pelzmantel lächelnd auf das leichte anmutige Wesen herabsah. Starr erschien ihm die Pflichtwelt eines Trotzendorff, schattenhaft die fruchtlosen Pläne seiner politischen Freunde -- doch siehe, hier war ein lebenatmendes, der Herzensleidenschaft fähiges und nur vom Herzen aus die Welt erfassendes reines Geschöpf, das ihn kindlich lieb hatte! »Aber, Kleine, noch auf? Schnell, schnell zu Bett! Wir wollen ja morgen ganz früh abfahren! Gutenacht, mein Seelchen!« Zwei Wangenküsse nach gewohnter Art, eine herzliche Umarmung -- und schon verschwand sie wieder lautlos, schalkhaft noch durch ihre Türspalte den Finger an den Mund legend: »Gute Nacht!« Neuntes Kapitel Aus Speckels Tagebuch Ich frage nie beim goldnen Weine, Warum im Glas die Perle glimmt: Sei er vom Rhodan oder Rheine, Genug, wenn er mich höher stimmt! ~Ludwig Spach~ Es ist der Entente gleichgültig und der deutschen Diplomatie unbekannt, daß mein Atelier einerseits auf einen Hof geht und andrerseits auf das Straßburger Münster schaut. Dort ist's eng, hier ist's groß; dort haust der Philister, hier das Genie. Ich überlasse dem boshaften oder dem geneigten Leser, zu erraten, ob ich mehr dort oder mehr hier aus dem Fenster schaue. Die drei Stockwerke sind reichhaltig. Von meinen Fenstern aus, ganz einfach vor meiner Staffelei hin und her wandernd, kann ich dort in die Zeitlichkeit, hier in die Ewigkeit blicken. In der Höhe, über dem dritten Stockwerk, blüht ein Feldchen elsässischen Himmels. Punkt zehn Uhr hat sich die Augustsonne derart über die Straßburger Dächer und Schlöte herübergearbeitet, daß sie einen vollen Lichterguß in meinen Hof strömen lassen kann. Dann glänzt plötzlich mein Atelier in einer unerträglichen Helle; und auf meinen Pinsel legt sich ein so frech-vergnügtes Sonnenlicht, daß ich aufspringe und die Gardine zureiße. Aber auf diesen dramatischen Punkt hat eine Wolke hinter dem Telephonnetz nur so gelauert: jetzt wälzt sie sich feist und dick über den Hof; das helle Himmelsfleckchen ist verdeckt, es wird stockdunkel hinter meiner Gardine. Was muß da ein Mensch von gesunden Empfindungen anfangen? Aufspringen muß er, seine Arbeit unterbrechen muß er und die Gardine flammenden Blicks wieder aufreißen muß er. Das muß er. Wobei sich die Schnur verhudelt. Ich brauche kaum zu bemerken, was nun folgt. Jeder Kenner Schopenhauers und der von Schopenhauer beschatteten Welt sagt sich mit bitterem Lächeln, daß schon nach einer Viertelstunde das oben gekennzeichnete viereckige Sonnenlicht wieder mit seiner ganzen verletzenden Grelle auf meiner Staffelei grinst. Und so geht mein Kampf mit der Sonne und um die Sonne oft Morgen für Morgen. Das ist halt der Straßburger Himmel. Das liegt so im Schicksal der Elsässer. Wenn ich gegen elf Uhr sämtliche Flüche aus Shakespeare verbraucht habe, etliche zwanzig Male von meinem Sitze aufgesprungen bin und erschöpft zu einem Spaziergang mit darauffolgendem Mittagessen davonwanke, so ist gemeinhin meine Gardine geplatzt oder die Schnur zerrissen. Alsdann benützt meine rüstige Wirtin meine Abwesenheit, um zu den Shakespeareschen Kraftworten, die noch überall in den Gardinen hängen, etliche Dutzend weit überlegener Straßburger Waschpritschen-Koseworte hinzuzufügen, wobei sie mich Wackes nennt, was doch eigentlich verboten ist. Eine wackere Frau! Es ist traurig, daß man sich über eine Gardine aufregt. Aber ich kämpfe einen Künstlerkampf; ich kämpfe einen Kampf für Harmonie und Gleichmaß, gegen grelle Gegensätze und Überreizung, die ich nun einmal nicht vertrage. Und ich habe seit vorgestern ein Mittel gefunden, jene Gegensätze im Elsaß und am Fenster siegreich zu überwinden: ich bin ihnen einfach aus dem Weg gegangen. Ich habe nämlich kraftvoll meine Staffelei gepackt und bin vom Fenster weggerückt. Und als die Sonne nachkam, bin ich wieder gewandert. Und nun werde ich ganz gemütlich mit meiner Staffelei im Zimmer herumwandern, bei immer offener Gardine. Heute mal' ich zum Beispiel mitten im Zimmer und hohnlache nach dem Fenster hin, wo der Fußboden sich wieder von Minute zu Minute in den oben angedeuteten grellen Gegensätzen bewegt; ich arbeite mit Behagen, rauche meine Zigarette und führe mit Gemütsruhe den Pinsel; denn meine Leinwand wird weder so dunkel noch so grell, daß ich jemals in meinem Schaffen gestört würde. Im übrigen -- was gehen mich die Narrheiten am Himmel an? So wenig wie die am politischen Himmel. Kann ich eine harmonische Lichtverteilung vornehmen? Weder am Himmel noch in Europa. * * * * * Nachdem ich mich hiermit als Neutralisten jenseits des europäischen Narrenschiffes vorgestellt habe, lasse ich allerlei Beobachtungen folgen. Auf meinem Hofe wohnt ein elsässischer Abgeordneter. Rechts, im zweiten Stock. Es ist ein Mann mit vielen Sorgenlinien im Gesicht, ein Mann, der oft einen Zylinderhut und immer einen Gehrock trägt. Er liest ganze Stöße von Zeitungen, hält sehr gern Reden, die reichlich mit »dürfte«, »sollte«, »wollte«, »möchte«, »in der Lage sein« und »nicht umhin können« gespickt sind; denn das klingt gut. Und er hat sich durch viel Übung und lange Gewohnheit eine jetzt nicht mehr zu verändernde Miene tiefsten Nachdenkens angewöhnt; die Gesichtsfalten können tatsächlich nicht mehr in eine andere Lage geraten, er sieht immer wichtig, schlau und nachdenkend aus, auch wenn er den größten Unsinn spricht oder gar nichts denkt. Das letztere aber ist in der elsässischen Kammer ein guter alter Brauch. Das Beste an ihm ist sein Sohn. Der kleine Braunkopf heißt Franz oder François und ist in jeder Beziehung das Gegenteil eines Abgeordneten. Man könnte ihn mit Recht einen Ungeordneten nennen. Er macht keine stilisierten Redensarten, sondern sagt zu aller Welt frischweg »du«; er hält keine Reden, wenn er über etwas empört ist, sondern springt seinem Gegner an den Hals, wirft ihn zu Boden und prügelt sich mit ihm herum, daß einem das Herz im Leibe lacht. Die Pförtnersfrau, Bielers Lehrbub und zwei Dienstmädchen kommen dann empört herbeigelaufen und trennen die Kämpfenden; ich aber oben auf meinem Altan zwischen den Lorbeerbäumchen hetze mit Kraft und Geschick auf die Gasse hinunter: »Pack' an, Franz! Hau' em de Buckel voll!« Ich will offen bekennen, daß ich den Knirps mit Bewußtsein zu einem Raufbold erzogen habe. Obschon oder weil ich selber ein Mann des Friedens bin. Doch um so lieber schaut man Raufereien von ferne zu. Denn es geht elend fad und zimperlich in Bielers Haus und Hofe her. Daß die Mütter mich Ketzer durchschaut haben und mich als wunderlich hassen, brauche ich nicht zu versichern. Den drei heiratsfähigen, im =Bon Pasteur= gebildeten Töchtern des Abgeordneten bin ich ein Gegenstand des Greuels; der Monsieur Bieler und die anderen betrachten mich mit einem achtungsvollen Mißtrauen, kurz, es ist eine erquickende Nachbarschaft. Dafür habe ich regelrechte Freundschaft geschlossen mit Kindern, Lehrbuben, Dienstmädchen, Hunden und mit dem sehr zahmen Kater nebst dem Papagei der beiden braven Schwestern Ehrmann. Die Kinder tragen so ungekünstelte Gesichter zur Schau, babbeln so natürlich und offen hinaus, daß es mir ist, wenn ich in diese Welt schaue, als läse ich mein Lieblingsbuch, die Grimmschen Märchen. Die Gesichter der Erwachsenen in diesem Haus und Hof, besonders der Gebildeten, sind meistens Kitsch; sie glauben nämlich die reine Einfachheit und einfache Reichhaltigkeit des Schöpfers verbessern zu müssen; sie haben sich eine Menge von verlogenen Linien ins Gesicht gewöhnt, sie haben sich einen merkwürdigen Gang und eine ungewöhnliche Kopfhaltung zurechtgemacht; sie wissen, daß sie beobachtet werden, sie richten sich nach der Welt, sie hängen von der Welt ab. Den großen Schöpfer haben sie abgeschüttelt, der Gesellschaft aber haben sie sich unters Joch gebeugt. Nix für mich! Mit der Mamsell Bieler und den drei jungen Damen ist das eine eigentümliche Geschichte. Ich habe ihre Kinderbildnisse gesehen; da waren sie noch lieb und natürlich. Heute gelten sie alle vier als »Schönheiten«; aber es ist Kunstpoesie, keine Volkspoesie; es ist sogar mehr Kunst als Poesie. Es sind Linien in ihrem Gesicht, die von berechnendem Verstande hineingezeichnet wurden; man liest ihnen Wohlerzogenheit, Pensionat, Höflichkeit, Tantenbelehrung, Konfirmandenunterricht, Salon- und Balleindrücke leicht vom Gesicht ab; ihre Gesichter sind Anschlagzettel und Programme. Leider sucht man in dem reichen und verwickelten Speisezettel vergeblich nach der Glanznummer, nach dem einen Worte, das alle andern auswischt und überflüssig macht. Unbefangenheit heißt das Wort. Nebenbei radelt nur Lina, Susanne trägt einen Kneifer, und Lucie hat weder Rad noch Kneifer, wird aber beinahe als »Aschenbrödel« behandelt, denn sie muß immer kochen. Gute Lucie, wärst du nur noch viel mehr Aschenbrödel, mit langem Zopf und roten Bäckchen, denen man hinter der Tür einen Kuß gibt, wärst du nur ganz und gar Aschenbrödel! Von der Mamsell Jacqueline Bieler will ich nicht reden -- -- meineidi vornehm! Wenn ich nur wüßte -- es würde mich anatomisch interessieren --, wie sie es macht, um die rückwärtigen Körperteile beim Gehen so entenmäßig zu bewegen! Sie hat natürlich einen modernen Faltenrock und Pariser Stöckelschuhe. =Et elle barle français= -- daß ein Pariser die Wände raufklettert, wenn er sie hört! Sie grollen mir alle drei bis vier, besonders die zwei ältesten. Ich bin natürlich Junggeselle. Und nachdem wir uns einmal gesprächsweise in der Aubette ein wenig angebiedert hatten -- sie saßen zufällig neben mir, ich lebe sonst zurückgezogen wie eine Kirchturmdohle -- wurde ich eingeladen. Das ist aber schon acht Jahre her. Es war ein glänzender Abend. Lina erzählte von ihrem Rad, und Susanne spielte Klavier und sang erbärmlich dazu; ich war taktlos genug, zu gähnen, mit dem kleinen Franz zu plaudern und weder Spiel noch Radfahren zu loben. Was soll ich mir Zwang antun? Kurz, sie grollen mir seit acht Jahren. Meine Ehrlichkeit ist ein Grund zu törichter Feindschaft geworden in dieser verkehrten Welt. Und wenn sie mir begegnen und eben noch einigermaßen natürliche Gesichter zeigten -- einigermaßen! --, so treiben sie sich sofort eine ganze Expressionisten-Ausstellung von Unnatur ins Gesicht, halten den Kopf steif, schieben die Unterlippe vor, legen sich zwei strenge Falten an beide Seiten der Nase und nicken von oben herab. Ich bin ja weder körperlich noch geistig groß, muß aber doch die Lippen pressen, um nicht herauszuplatzen über diese närrische Gesichtsfälschung der zwei säuerlichen Jungfern. Da spricht man immer von der Frauenfrage. Das Mitleid mit der armen unterdrückten Frau und der unverheirateten Jungfrau ist Mode geworden und Sport, wie das Mitleid mit dem Arbeiter. Warum spricht man denn nicht von der Junggesellenfrage? Wenn ich elend müde bin vom Wochentag und will einen rechten Sonnentag behaglicher Gemütsfülle und herziger Unbefangenheit aufsuchen, so werde ich -- vor dem Kriege wenigstens, jetzt ist man ja vernünftiger -- in eine »Soiree«, auf einen Ballabend und dergleichen eingeladen, wo unverheiratete Weibchen Jagd machen. Und als ich der Frau Geheimrat antwortete: »Verehrteste Frau Geheimrat! Entschuldigen Sie mich nachsichtig, ich bin weder krank noch verhindert, aber solche Abende sind mir zu langweilig« -- da wurde mir die Dame komischerweise böse. Soll man denn lügen? Ich kann euch versichern, wenn meine Freunde -- ach Gott, leider von der sogenannten Gesellschaft abhängige Referendare und junge Ärzte, die sich um solche Abende nicht drücken können -- nachher zurückkommen und mich beim Gläschen Wein in einer versteckten Schenke treffen, so wettern sie auf den Tisch, atmen tief und rufen: »Gott sei Dank! Endlich einmal gemütlich!« * * * * * Ein paar Studienjahre hab' ich im oberbayrischen Bergland gemalt. Ein Bauernhäuschen gab mir Unterkunft. Weißgetünchte Wände, Heiligenbilder, ein einziger Stuhl, ein Schrank, ein Bett stellten mein Zimmerchen dar. Nicht einmal ein Tisch stand darin, die Tinte war vertrocknet; mit Bleistift schrieb ich meine paar Ansichtskarten auf dem Fensterbrett. Aber drüben, jenseits eines grillendurchsungenen Hochtales, wuchsen die malerisch köstlichsten Berge aus dem blühenden Gelände. Wunderbar ging dort die Sonne unter! Die Schneefelder waren Purpur, die Zacken erglühten wie die Zinnen einer Himmelsstadt. Am Berg hin säuselte ein Abendglöckchen, ein heimkehrender Hirte sang von der Höhe. Da war die Welt schön, groß und farbig ... Von Politik hat kein Mensch gesprochen. Ich hatte nach der Arbeit meine Gitarre auf dem Schoß und griff Akkorde. Es war ein tiefer Genuß, in dieser erhabenen Welt voll großartiger Einfachheit zu malen und zu träumen. Ein hübsches Mädchen der Nachbarschaft, aus dem Försterhause, das allabendlich in unserer kleinen Küche Milch holte, hatte mir einige Griffe auf der Gitarre beigebracht. Ein rosiges liebes Mädchen, das nur immer meinte: »Ach, ich bin gar zu dumm!« und dabei hatte sie doch eine so feine Seele und das niedlichste Gesichtchen der Welt. Wir saßen dann, das alte Hutzelweiblein, das mich bewirtete, und des Försters Mädchen, in der kleinen Küche beisammen. Ich half Kaffee mahlen, wir plauderten und erzählten; ich war ungeschickt im Gitarrespiel, und sie verbesserte mich -- das war ein »Gesellschaftsabend«, wie ich sie liebe. Manchmal kamen auch noch sonstige Burschen und Mädchen aus den Gehöften, oft prächtige Gestalten, Gesichter und Köpfe. Da war Rasse! Und wir hatten bei einigen Glas Bier einen unterhaltsamen Abend, bis draußen der funkelnde Mond über den Kuppen stand, so um elf. Ich selbst saß in Hemdärmeln wie die andern und hatte nur Filzpantoffeln an den nackten Füßen; sie saß auf dem kleinen Schemel, der Großvater im Lehnstuhl; und die andern hatten sich Holzblöcke aus Winkeln hervorgeholt. Wir sprachen über alles, über Gott und Welt, Stadt und Land, über Elsaß, Deutschland und Frankreich, über Norwegen und andre Länder, die ich bereist; denn wenn man nur die richtigen, schlichten, herzlichen Worte wählt, so läßt sich über alles sprechen mit diesen schlichten Leuten aus dem Volke. Wenn sie dann alle fort waren und ich stand wieder allein an meinem Fenster und schaute noch einmal hinaus in diese wunderbare Mondnacht, so habe ich niemals mit einem »Gott sei Dank! Endlich gemütlich!« aufs Fensterbrett geschlagen. Wohl aber bin ich manchmal noch in den Garten hinuntergesprungen und habe mit Leni allein gekost und geküßt -- sie war nebenbei die einzige, die ich jemals wahrhaft geliebt habe ... Vor fünfundzwanzig Jahren! Seitdem ist die ganze Welt vergiftet. Ich kann mich nicht mehr zu Leni flüchten. Sie wird zwischen einem Rudel Kinder sitzen und bereits im Kriege gefallene Söhne beweinen ... * * * * * Ich habe zuweilen merkwürdige Anfälle. Vor einer Viertelstunde zum Beispiel sprang ich auf den Stuhl und vom Stuhl auf den Tisch. Auf dem Tisch kreuzte ich die Arme und überschaute die Welt. Ich hatte nämlich eine Schrift gelesen, die mich ganz außerordentlich ärgerte. Und in solchen Fällen fängt mein Blut so bedenklich an zu sieden, daß ich auf ungewöhnliche Weise die Harmonie meiner Seele wiederherstellen muß. Ich schmeiße dann die Schrift, Zeitung oder Zeitschrift -- es handelt sich meist um Kunstkritik -- mit Kraft und Schwung an die ziemlich hohe Atelierdecke; breit auseinanderflatternd und klatschend schlägt alsdann, nach dem natürlichen Gesetz der Schwere, das Papier wieder auf den Fußboden auf. Ich kreuze die Arme und gehe nun etliche Male mit Stampfen über den knisternden Wisch hinweg; und meine Seele hohnlacht über die Afterweisheit auf dem Fußboden. Bin ich einigermaßen beruhigt, so hebe ich den zerknitterten Schwätzer, der die Flügel lappen läßt wie ein toter Sperling, mit verächtlichem Mitleid wieder auf, halte ihn mit zwei vorsichtigen Fingern hoch und werfe ihn vollends in den Papierkorb. Dann bin ich wieder harmonisch und hab' die ganze, nunmehr gesäuberte Welt wieder leidlich lieb. Vor einer Viertelstunde hatte mich eine hochnäsige Schrift über die moderne Kunst geärgert; der Mann sprach mit einem Obenherab von den Unsterblichen Michelangelo, Raffael und Leonardo, mit einer modernen Frechheit über Schwind und Richter, bewies so wenig Sinn für Abstände und so ganz und gar keine Ehrfurcht vor dem Großen, dieser Wurm und Werktagslehrbub -- daß ich ihn mit wahrer Wut an die Decke sauste. Leider fiel er auf den Tisch, und da er auf dem Tisch passende Gesellschaft fand, eine Nummer des »Vorwärts«, genudelt mit Haß und Gift, eine Nummer einer konservativen Monatsschrift, triefend von Langeweile, und einen wirren Haufen von Kunstzeitschriften --, so bestieg ich ganz einfach den langen Tisch, reckte mich, schaute aufatmend ins Zimmer und trampelte eine Weile mit gekreuzten Armen auf dem gesamten Druckpapier hin und her. Napoleon bei Austerlitz! Die Sonne kam gerade um die Ecke und grinste dazu. Und Spitzwegs Geist streckte den Kopf mit einer weißen Zipfelmütze behutsam über die Fensterkakteen und kicherte vernehmlich. Es ist das ein wenig verrückt. Indes, wir Junggesellen haben ja kein liebevolles, in nützlicher Nähe bescheiden an einer Stickerei sitzendes Weib zur Hand, dem wir unsere Gefühle in den Schoß schütten können. Wir müssen also unsere Zornanfälle etwas eigentümlicher entleeren. Wir plaudern mit Stühlen, werfen mit Tintenfässern nach dem Teufel, kämpfen mit Papier, schließen mit Kindern Kameradschaft oder bemalen Leinwand ... So hilft man sich halt in dieser bösen, bösen Zeit. Manche meiner Freunde, ich gesteh' es, steigen nicht auf den Tisch, sondern setzen sich dran und schreiben Gegenartikel. Diesem Gewimmel von Knirpsen, die heutzutage das Papier bedrucken, gönnen sie Gegenartikel! Ich zucke die Achseln; meine Methode ist einfacher. * * * * * Man wird sich ohne anstrengendes Nachdenken sagen können, wie ich zu jener Völkerkeilerei stehe, die man jetzt Weltkrieg nennt. Daß der Tabak schlechter und spärlicher wird, ist bedauerlich. Daß es eine Vorsehung gibt, wie mein Freund, der Vikar von Jung St. Peter behauptet, davon hab' ich Beweise. Denn dieses Gemetzel hat erst begonnen, als ich das dienstpflichtige Alter eben hinter mir hatte. Ich blieb auf meiner neutralen Höhe. Täglich wanderte ich an den Rhein, suchte mir ein nettes Landschäftel heraus und malte. Was soll man anders tun? Auch noch Leute umbringen? Das geschieht schon ohne mich mit allen Maschinenkünsten der Neuzeit. Oder ich porträtiere elsässische Stadtbürger und Offiziere der Generalität. Während der Sitzungen schimpft der eine auf die Preußen; mit dem plaudre ich über meine Studienjahre in Paris und Fontainebleau. Der andre hat gegen die Franzosen allerlei auf der Leber; den unterhalt' ich von meinem Aufenthalt in München und Oberbayern. In beiden Fällen rauch' ich meine Zigaretten weiter oder streife nach alter schlechter Gewohnheit den beschmierten Daumen am Kittel ab. Es gibt hüben wie drüben interessante Köpfe. Politik interessiert mich nicht. Ich hab' ein paar tausend Bilder in meinen drei Zimmern und im Atelier aufgespeichert. Das ist meine Bibliothek und meine ganze Freude. Verkaufen tu' ich nicht. Nur wenn ich Geld brauche; und auch dann nur an Leute, die mir gefallen. Aber zeigen tu' ich gern. Da sperren sie dann die Augen auf, die Herrschaften aus Philistäa! Wenn freilich der Redakteur vom »Elsässer« (e bissel giftig) und der von der »Straßburger Post« (ein gemütlicher Düringer) in meinem Atelier zusammenkommen, so gibt's Krach. Beide sind Kunstkenner und meine guten Freunde, können sich aber gegenseitig nicht schmecken. Der eine ist ein klerikaler Alt-Elsässer, der andre hat preußisch-protestantische Auffassungen. Da hilft man sich halt, wie's eben geht: wenn der Klerikale bei mir ist, häng' ich zur Warnung für den andern ein schwarzes Fähnchen ans Fenster. Und besucht mich der Preuße, so warnt solange Schwarz-Weiß-Rot. Beim ersteren Fähnchen sagen die Philister: Der Herr Speckel hat Trauer; beim andren fragen sie: Steht wieder ein Sieg in der Zeitung? Soll ich mich in den Völkerhändel einmischen? Werden meine Landschaften dadurch duftiger? Oder meine Bildnisse ähnlicher? Ich hab' eine närrische Anhänglichkeit an die Rheinlandschaft. Das Wasser, die Weiden, der Duft, das Licht, die Enten, das ferne Münster und die zärtliche Linie der noch ferneren Berge, ob nun Schwarzwald oder Vogesen -- ich sitz' drin, wie die Spinne im Netz. Ich rauche wie ein Schlot; häng' auch am Rhein draußen die Angel manchmal ins Wasser -- und kann mir nicht denken, was sich an dieser Landschaft und an meinen Malereien ändern sollte, ob nun am Münsterzipfel die deutsche Fahne hängt oder die Trikolore ... Zehntes Kapitel Das Grab im Birkenwäldchen O Himmelskönigin, Nimm meine Seel' dahin! Nimm sie zu dir in'n Himmel hinein Allwo die lieben Englein sein, und vergiß nicht mein! ~Volkslied~ Herbstwind weinte über den Wasgenwald. Die zerbrochenen mittelalterlichen Burgen standen fröstelnd auf den Höhen entlang. Zerfetztes Gewölk flog um die drei Rappoltsteiner Schlösser; und ganz in schweren Wolken stand die Hohkönigsburg. Deutschland ging der Stunde seiner Demütigung entgegen. Und über die Welt kroch jene Seuche, die man die Grippe nennt. Sie warf oft binnen weniger Tage unter Erscheinungen, die mit der Lungenentzündung vergleichbar waren, junge Menschen auf die Bahre, zumal Mädchen und Kinder. Auch die seelische Seuche des Hasses ging weiter. Und Tag für Tag setzte sich noch der Kampf an der Westfront fort. Europa war voll von Blut, doch arm an nährender Milch. Rot war die Farbe der Welt; das Weiß der Unschuld hatte sich in den Himmel zurückgezogen ... * * * * * Im Lützelbronner Pfarrhause war neue Lebensbewegung eingekehrt. Es wurde gepackt und gebündelt. Arnold hatte in Straßburg von seiner kirchlichen Behörde seine Entlassung erbeten und erhalten. Der Vikar, der ihn vertrat, wohnte bereits im Pfarrhause. Auch Fanny war eifrig dabei, ihre Ausstattung in Kisten zu packen. Es ging nach Heidelberg, in eine neue, in eine reinere Welt! Freund Lobsann hatte auf Arnolds Anfrage auf der Stelle freudig geantwortet. In seiner warmherzigen Art stellte er dem Freunde von ehedem sein Haus zur Verfügung. Wie in alten Zeiten zitierte er im Urtext Horaz und Homer, die er gründlich kannte, und schloß: »=Mehercule, mi amice=, das obere Stockwerk samt dem großen Altan, den Sie so lieben, freut sich, soweit sich eben Steine freuen können; und wieviel mehr wir lebendigen Menschen! Sie können sogleich einziehen. Es ist Raum genug für das Brautpaar -- das ja wohl bis dahin Ehepaar ist -- und für Sie selbst. Meine Frau übt ein Dutzend Lieder ein, damit uns diese bitter schwere Zeit nicht unterkriegt. Liselottchen hält ihr schönstes Sonntagslächeln bereit, das ihren zehn Jahren zur Verfügung steht; und was, notabene, die ganze Woche nachzuleuchten pflegt. Also =satis de hac re mihi dixisse videtur=, sagt Cicero, auf deutsch: Genug geschwätzt! Willkommen!« Auch Bieler lebte auf. Eines Abends kam er zu Schwester Lisy herüber, mit der er sich ganz besonders gut verstand, schloß die Küchentüre hinter sich zu und teilte ihr angenehm erregt mit, Stürli habe ihm bereits eine ansehnliche Kaufsumme als Anzahlung auf den Tisch gelegt. Woher er denn wohl das Geld habe? Lisy, die immer Gelassene, die sich noch mehr als Bieler auf das Diakonissenhaus und auf ihre Straßburger Kranken freute, pflegte bei solchen Anlässen verschwiegen zu lächeln. »Seien Sie doch froh, Papa Bieler, daß sich das so schön macht!« meinte sie. Aber der Alte witterte weiter und fragte mit pfiffigem Gesicht: »Ist's wahr, daß der Nachbar« -- so nannte er meist den Pfarrer, wobei er mit dem Daumen über die Achsel deutete -- »sein Gut Windbühl verkauft hat? An den reichen Mülhäuser?« »Kann schon so sein«, lächelte Lisy. Und Bieler nickte: »Na, dann weiß ich ja alles. Ein gutes Herz hat er halt doch, der Nachbar.« Die Weinlese war vorüber. Ihr Duft lag noch über dem Dorfe. Und den Winzer überkam, als er nach Hause schritt, ein ganz leises Bedauern, eine unbestimmte Wehmut. Aber er wußte sein Haus in guten Händen. Schweren Gemütes, das er unter ermunternden Scherzen zu verbergen suchte, schritt nur Arnold selber durch die verödenden Räume. Jeden Tag erwartete Deutschland das Eintreffen der Waffenstillstandsbedingungen. Und was mochte denn nur in Kiel vorgehen? Munkelte man nicht von Meutereien? In solchem furchtbaren Augenblick auch noch Meuterei! Fanny und Gustav hatten sich mitten unter all der Umsiedelungsarbeit mehrmals unter geheimnisvollen Andeutungen zurückgezogen, um dann laut und vortragend Wechselreden zu tauschen. »Was treiben sie denn?« hatte Arnold gefragt. »Geheimnis«, ward ihm zur Antwort. Aber das angebliche Geheimnis ward rasch enthüllt. Eines Tages kam Fanny zornig-verdrießlich zu Onkel Arnold gelaufen. »Nun? Wieder einmal Krach? Mit wem denn?« forschte er. »Verzeih, aber ich bin ganz unglücklich! Eine Überraschung für dich und eine Abschiedsfeier für die Freunde hierzulande ist mir schändlich zu Wasser geworden. Ich habe die Freude dran ganz verloren und will dir's nur gleich heraussagen. Ach, daß es so wenig Freude auf der Erde gibt, so wenig Liebe! Warum er mir nur immer wieder alles verdirbt! Wer? Aber natürlich Gustav!« Und sie erzählte. Unter Arnolds Papieren hatte sie einen Band »Gespräche« gefunden, meist philosophischer Art, eines aber so schön, so wunderschön, daß sie's gar nicht genug hatte lesen können. »Das wollte ich mit Gustav auswendig lernen und vortragen. Dorothee hat ein feines blaues Gewand dazu geliehen, Gustav hätte eine Art graue Mönchskutte getragen. Pfarrer Wirz mit seinem Weißbart und seiner ruhigen Baßstimme hätte am Schluß den Arzt gesprochen. Weißt du, der hätte hinter den beiden aus dem Vorhang treten müssen und -- --« »Aber, Kind, ich weiß ja gar nicht, wovon du sprichst!« »Wart' nur -- und hätte die beiden gleichsam eingesegnet, verstehst du? Gustav hat auch erst zugesagt. Dann aber, natürlich, wie er ja so ist, wurde er ängstlich und fragte, wer dabei zuhöre. Und dann paßte ihm der nicht -- jener nicht -- und runzelt die Stirne -- und er wolle nicht vor den Leuten Theater spielen in so ernster Zeit, obwohl wir doch unter uns sind und es ein so edler Stoff ist -- kurz, er will nicht! Siehst du, und da sitz' ich nun, kann meine Rolle genau -- und Gustav streikt! Ach, wie gern hätt' ich dich damit überrascht! Daß er mir das so verpfuschen mußte! Denn mit irgendeinem anderen kann und will ich etwas so Zartes nicht spielen.« »Aber nun sag' mir doch endlich: Was ist es denn?« »Das Gespräch zwischen dem armen Heinrich -- weißt du, jenem kranken Ritter -- und dem Mädchen, das ihn lieb hat und sich für ihn opfern will. Ein so herrlicher Gedanke! Ich hätte so gern dieses Mädchen spielen -- und noch mehr sein mögen!« »Zeig' einmal her!« Arnold nahm die Blätter in die Hand. »Sieh an, sieh an! Das glaubt' ich lange schon tot und dahin. Und das lebt noch? Das sollte nun durch dich lebendig werden?« »Wann hast du das geschrieben, Onkel Arnold?« »Lange her! Solch ein Mädchen hab' ich mir einst als Frau ersehnt. Es ist dann freilich ein wenig anders geworden.« »Warum hast du mir nie genauer davon erzählt, Onkel Arnold? Warum schließest du deine letzten Herzkammern vor uns allen zu -- auch vor mir?« »Auch vor dir? ... Du bist Braut. Wenn ich ganz offen sprechen würde, könnte das auf eine Braut entmutigend wirken.« »Auf mich? Nie und nimmer!« »Wenn ich dir nun sagte, daß ich an selbstlose, restlose Frauenliebe, an echte, vom Himmel ausgehende und in den Himmel wieder heimkehrende Liebe nicht mehr glaube?« »Du? Onkel Arnold, das kannst du andren sagen, aber doch nicht mir! Denn ich habe deine Schriften gelesen. Und da steckt ja in aller Philosophie so viel von deinem Herzen drin! Also mir redest du nichts vor!« Sie machte eine köstlich abwehrende, altkluge Schüttelbewegung mit der kleinen Hand. Und er betrachtete sie lächelnd, wie sie in ihrer blühenden Weiblichkeit vor ihm stand, wobei sich in der Erregung des Gespräches der Busen hob und senkte, so daß ihr goldnes Kettchen am offenen Halse funkelnd tanzte. Sein Auge wurde feucht, er zuckte wehmütig die Achseln und schaute in die Blätter, halblaut murmelnd: »Ich glaub' nicht mehr an Lieb' und Treue. Erzähl's nicht weiter! Denn es ist eine Schande für mich, eine solche innere Leere verraten zu müssen.« Und ablenkend fuhr er fort: »Komm, wollen doch einmal das Gespräch miteinander lesen! Bin neugierig, wie das heute auf mich wirkt -- nach so langen Jahren und in so ganz andrer Zeit!« Und sie lasen. Mit müder Stimme begann er die Rolle des armen Heinrich zu sprechen. Fanny fiel ein, ohne in das Blatt zu schauen, und sprach mit Innigkeit die Worte der Agnes. Und mehr und mehr gerieten beide in Ausdruck, in Feuer, in tiefe Gemütsbewegung ... ~Das Liebesopfer~ Ein Gespräch zwischen Agnes und dem armen Heinrich vor dem Hause des Arztes zu Salerno ~Heinrich.~ Hier ist das Ziel ... Hier wohnt der Arzt ... Sind nicht deine Füße wund? ~Agnes.~ Herr, es ist ein Rosenblatt, das auf meine Sandalen fiel. Und wären gleich meine Füße wund, sie schmerzen mich nicht. ~Heinrich.~ Sie schmerzen dich nicht, du gutes, geduldiges Kind! Wie sollten dich wunde Füße schmerzen, da du so Großes zu erleiden willens bist! Dich opfern zu lassen, damit ich gesund werde! ~Agnes.~ Seufzet nicht um meinetwillen, lieber Herr! Sehet, ich bin nicht bange, ich will freudig mein Blut geben, damit Ihr gesundet. Meine Mutter hat mir viel erzählt vom Christuskind, das auf die Erde gekommen ist, um sich opfern zu lassen für die Menschen. Und sie hat mir gesagt: Blut hat Heilkraft. ~Heinrich.~ Blut hat Heilkraft ... Hat sie dir das gesagt, liebes Mädchen? ~Agnes.~ Ja, Blut und Tränen, hat sie gesagt. Ich hab's wohl nicht verstanden, aber ich hab's behalten. Meine Mutter war gut und hat nie gelogen. Doch hat sie viel geweint. ~Heinrich.~ Blut und Tränen ... Viel Blut hab' ich vergossen, doch selber wenig Tränen. Viel getötet, doch wenig lebendig gemacht. Ritter bin ich gewesen und habe dem Kampf und dem Genuß gelebt ... Und nun will dieses holde Kind für mich sterben! Aus Mitleid! Aus Liebe für einen kranken Menschen sterben! ... Nein, nein, das ist übermenschlich ... Nein, du holdes Kind, ich nehme dein Opfer nicht an! Ich will nicht glücklich sein auf Kosten deines blühenden Lebens! ~Agnes.~ Mein guter Herr, ich bin eine arme, unwichtige Magd, Ihr aber könnt noch Großes tun in der Welt. ~Heinrich.~ Und du etwa nicht? Kannst du nicht Gattin sein und einen Mann beglücken? Kannst du nicht Mutter sein und Kinder aus deinem reinen Blut und aus deiner reinen Seele nähren und als herrliche Menschen der Welt schenken? Ist das nicht etwa groß?! ~Agnes.~ Euch nähr' ich mit meinem Blut und Euch mit meiner Seele -- und so werdet Ihr ein herrlicher Mensch durch mich -- und ich schenke Euch der Welt, lieber Herr! Seht, so bin ich Mutter und tue Großes. Und habt Ihr mich nicht im Scherz oft Euer lieb traut Weib genannt, weil ich Euch von ganzem Herzen gut bin? Seht, so bin ich Gattin -- und bin Euch Schwester -- und bin dreifach glücklich. Ist das nicht groß? ~Heinrich.~ O wie heilig ist eine Frau! Ich hab' es nie gewußt, daß eine liebende Frau so heilig sein kann. Mir waren die Frauen unheilig, denn sie lockten meine Begierden zutage. Du, Kind, machst mich fromm! Mein herzlieb Schwesterchen, laß mich deine Hände küssen -- nein, den Saum deines Gewandes! Wenn du zu Gott kommst, bitte für mich! Denn ich selbst bin unwert, mit Gott zu sprechen. ~Agnes.~ Wenn ich zu Gott komme, werde ich ihm erzählen, wie sehr Ihr gelitten habt. ~Heinrich.~ Du bist schön, du bist geschaffen, einen Mann zu beglücken, ich muß dich anschauen immerzu. ~Agnes.~ Ich beglücke einen Mann, denn ich beglücke Euch. ~Heinrich.~ Lockt dich nicht die Lust der Welt, du junges Blut? ~Agnes.~ Ich habe Hartes erlebt, und ich habe im Herzen viel Schönes erschaut. Der Wald und die wilden Wasser sind voll von Stimmen; in den Hütten unsrer deutschen Heimat ist viel Wundersames; und meine Mutter erzählte mir von den großen Heiligen, die über die Gebirge wanderten und die wunderbare Stadt Gottes suchten. Lieber Herr, die Leute schelten mich wohl Träumerin, denn mich lockt nicht, was andre lockt. Ich suche ein sehr Schönes, ein sehr Großes. Wollet mir nicht die Pforte versperren, mein trauter Herr; wollet mir gestatten, daß ich aus Liebe zu Euch diese Erde verlasse und heimkehre zu Gott. ~Heinrich.~ Kind, Kind, du überwältigst mich! Kind, schau' seitab, denn in meinen Augen ist etwas, was ich seit Kindertagen nicht mehr kannte: ~Tränen~! Ich möchte dich fragen, glaubst du denn an deine unsterblichen Geister? Aber ich frage nicht, denn du lebst ja mitten unter ihnen! Ich möchte dich fragen: siehst du sie denn, hörst du sie denn? Aber ich frage nicht, denn ich schaue ja ihren Abglanz in deinen Augen! Und so hat sich der Himmel auf dich herniedergelassen, so steht der Himmel gestaltet und lebendig vor mir -- in ~dir~, du fremdartig süße Jungfrau, du Kind, du Gattin, du Mutter, du meine bräutliche Schwester Agnes! Siehe, das Wunder der Liebe! Dieses Mädchen will sterben aus Liebe! -- Ich wußte bisher nur von einem Genuß aus Liebe -- von Begehren, Ergreifen, Besitzen! Siehe das Wunder der Liebe! Zum erstenmal eine Jungfrau, vor der ich betend in Staub sinke -- nicht begehrend -- geheilt von Begierde -- besiegt! ~Agnes.~ Steht auf, mein teurer Herr! Nicht besiegen will ich Euch, ich will Euch frei und gesund machen. ~Heinrich.~ Und du machst mich frei und gesund! Wie ich diesen Mantel abschleudre, so schleudr' ich ab Trotz und Haß, Lust und Gier -- so werf' ich ab mein ganzes bisheriges Leben -- so werd' ich wieder ein Kind wie du und fahre gereinigt von neuem in die Welt -- durch dich, Agnes! ~Agnes.~ Da kommt der Arzt! O Ritter, es ziemt sich nicht, daß Ihr mir geringer Magd die Hände küsset! ... Seht, der Arzt ist außer sich vor Verwunderung! ... Wie sagt Ihr, ehrwürdiger Vater? Der Ritter wäre -- dieser Ritter wäre -- genesen, sagt Ihr?! Mein Herr ist -- wieder gesund?! ~Der Arzt.~ Ja, Mädchen, er ist wieder gesund! Durch dich ist er gesund geworden: durch Gott, der in dir wohnt und der aus dir gesprochen hat zu diesem Beladenen und Kranken! Nicht mehr brauchst du nun zu sterben, liebes Kind, du darfst mit ihm leben. Siehe, in seinen stillen Tränen fließt nun hinweg, was ihn krank gemacht hat. Nicht nur Blut erlöst, auch die heilige Träne der Reue hat erlösende Kraft. Daß er in reiner Reue weinen konnte, das hat ihn gesund gemacht. Und du hast ihm die Träne geschenkt, du hast ihn erlöst, du holdes Herz, dessen Liebe stärker ist als alle Sünden und Wunden der Welt. Sie waren zu Ende. Arnold hatte auch des Arztes Worte gesprochen. Seine Hand lag noch segnend auf des Kindes lichtem Scheitel. So stand er ein Weilchen und schaute bewegt in ihr seelenvolles, geradezu fromm und madonnenhaft durchstrahltes Antlitz. Sie hatte, der Rolle entsprechend, die Hände gefaltet und blickte zu ihm empor -- zu ihm, der hier Kranker und Arzt zugleich war und mit feuchten Augen auf das holde Gebilde herniedersah. Die Empfindungen, die zwischen Mann und Weib wie Strahlen hin und her gehen, sind der Vernunft und dem Willen nicht erreichbar. Sie kommen, sie sind da, sie wirken -- niemand weiß oder wird je wissen, wie es geschah. Man mag sie beherrschen oder verbergen, aber die Tatsache bleibt dieselbe. Und es kommt nun auf die sittliche Reife und seelische Reinheit an, ob sie veredelnd wirken oder verheerend. »Ich danke dir, Fanny«, sprach Arnold leise. »Immer wieder werde ich den Weg gewiesen: den Weg der Liebe. Die schönste Darstellung hätte mich nicht reiner beglückt. Kind, nun wollen wir aber Gustav nicht vergessen. Sieh, du darfst ihm die Rolle des armen Heinrich nicht zumuten. Er leidet schon genug unter dem Mitleid. Laß ihm diese edle Scheu!« »Du hast recht!« fiel Fanny ein, sofort seinen Gedanken erfassend. »Nein, nein, sie sollen mir ihn nicht bemitleiden! Stolz soll er sein! Ich dachte nur an dich und an die Überraschung, auch an meine eigne schöne Rolle, und zu wenig an Gustav. Der liebe, liebe Gustav! Ich laufe gleich zu ihm hinauf und bitt' ihn um Verzeihung.« * * * * * Es ziemt uns nicht, irre zu werden an einem Volke, das nach vierjähriger, heldenhafter Geduld und meist siegreicher Gegenwirkung panikartig zusammenbricht. Vieles wirkt bei solchem Zusammenbruch einer Nation ineinander. Nur schwächliches oder unedles Denken sucht nach einem einzigen Sündenbock, dem man die gesamte Schuld aufbürden könnte. Wenige wissen das Glück mit Maß und den Schmerz mit Würde zu tragen. Auch viele, sehr viele Deutsche haben sich in den Herbsttagen 1918 erbärmlich benommen. Bulgarien, Türkei und Österreich, unsere bisherigen Verbündeten, lagen entmannt, entwaffnet, wehrlos am Boden. Nun kam die Reihe an uns. Es war kein Heldenstück mehr, das eingeschnürte Volk zur Übergabe zu zwingen. Nicht durch Waffensieg hat Frankreich vermocht, die Deutschen vom französischen Boden und aus Elsaß-Lothringen zu vertreiben. Nicht einmal mit Hilfe seiner Verbündeten. Das bleibt eiserne Tatsache. Die deutsche Westfront wich langsam, aber unbesiegt. Einem solchen Heere hätte man, gleich einer tapferen Besatzung, großherzige Bedingungen gestatten können. So war's Brauch, so lange die Menschheit Kriegsgeschichte schreibt. Aber der Waffenstillstand wurde unmenschlich schmachvoll. Und der November 1918, an dem der französische Generalissimus unserem Heer solche Bedingungen aufzwang, bleibt eingebrannt in die Chronik der Weltgeschichte und in das Schuldbuch Frankreichs. »Sofortige Räumung von Belgien, Frankreich und Elsaß-Lothringen binnen vierzehn Tagen. »Abzugeben 5000 Kanonen, 30000 Maschinengewehre, 3000 Minenwerfer, 2000 Flugzeuge. »Räumung des linken Rheinufers; Mainz, Köln, Koblenz besetzt vom Feinde. »5000 Lokomotiven, 150000 Wagen, 10000 Kraftwagen abzugeben. »Im Osten Truppen hinter die Grenze vom 1. August 1914 zurückzunehmen. »Verzicht auf die Friedensverträge von Brest-Litowsk und Bukarest. »Rückgabe der Kriegsgefangenen, doch ohne Gegenseitigkeit. »Abgabe von 100 =U=-Booten, sechs Dreadnoughts, acht leichten Kreuzern; die übrigen Schiffe entwaffnet und überwacht. »Blockade bleibt bestehen; deutsche Schiffe dürfen weiter gekapert werden ...« »... Hündisch!« rief Gustav, als er die Zeitung in zitternden Händen hielt. Die Zornröte schlug dem Unteroffizier, der für sein Vaterland nicht mehr kämpfen konnte, in das blasse Gesicht. »Schamlos! Schamlos! Lassen unsere Frauen und Kinder weiterhungern, machen geordnete Heimführung unmöglich, wissen genau, daß man in vierzehn Tagen den Riesenapparat von drei Millionen Mann nicht heimführen kann, entwaffnen, knebeln uns, behalten unsre Gefangenen -- -- und das unterzeichnen unsre deutschen Vertreter?! Braust denn nicht eine letzte Zornflamme durch das ganze deutsche Volk?!« Nein. Es brauste keine letzte Zornflamme durch das deutsche Volk: denn es war bereits von innen zersetzt. Zwei Tage vor Abschluß des Waffenstillstandes war in Deutschland die Revolution ausgebrochen. Und mit der unheimlichen Schnelligkeit des neuzeitlichen Drahtverkehrs hatte sie sich innerhalb weniger Tage, ja Stunden sämtlicher deutscher Städte bemächtigt. Hagens Speer war wieder einmal in Siegfrieds Rücken gefahren. Das alte deutsche Trauerlied! Parteiwut war mächtiger als die hier allein rettende oder mildernde einmütige völkische Zornflamme. Als Schillers und Luthers Geburtstag über die deutsche Erde ging, lag Bismarcks Reich von außen zerhämmert, von innen unterhöhlt als Trümmerhaufen am Boden. In Kiel begann es. Die deutsche Marine hatte sich durch einzelne Heldentaten und kühne Fernfahrten ausgezeichnet. Im ganzen hatte sie weniger Blut gelassen als die Kameraden an den Landfronten. Um so mehr Muße war für Zersetzungsarbeit durch Schriften und Flugblätter des Umsturzes. In jenen Herbsttagen sollte die deutsche Flotte durch einen Vorstoß in den englischen Kanal die flandrische Nordfront entlasten. Die Mannschaft meuterte. Die Bewegung dehnte sich auf Kiel aus; die Stadt wurde besetzt; auf den behördlichen Gebäuden wehte die rote Flagge; ein sozialdemokratischer Abgeordneter flog im Luftschiff heran und übernahm die Leitung. Nach russischem Vorbild wurde die Revolution ins Werk gesetzt, wie es kurz zuvor auch in Österreich geschehen war. Ein Arbeiter- und Soldatenrat trat an die Spitze; der Stadtkommandant wurde bei seiner Weigerung, sich abführen zu lassen, erschossen. Und Ähnliches geschah in Hamburg. Die Bewegung griff nach Berlin über, wohin bewaffnete Matrosen zogen. In allen Städten sah man einzelne Matrosen auftauchen, schüren und führen -- und nach derselben Formel waren über Nacht rote Fahnen gehißt, rote Maueranschläge zu lesen, die wichtigsten Gebäude besetzt, sämtliche deutsche Fürsten entthront. Das überraschte Bürgertum sah dem Treiben schweigend zu, erschöpft vom langen Kriege, betäubt vom unerhörten Waffenstillstand -- noch mehr betäubt, daß es deutschen Brüdern möglich war, in solchem Augenblick dem kämpfenden Vaterland in den Rücken zu fallen. Eine Partei, die seit Jahrzehnten planmäßig auf den Umsturz hinarbeitete, die sich nicht in das Reich mit eingefügt hatte, deren Abgeordnete fluchtartig den Saal zu verlassen pflegten, wenn das Hoch auf den Kaiser ausgebracht wurde -- diese Partei wählte diesen Augenblick, um ihre freiheitlichen Ideale durchzusetzen. Es fiel niemanden ein, ihr den Sieg streitig zu machen. Man sah zu, wie auf den Straßen den Offizieren die Achselklappen abgerissen wurden, wie das soldatische Grüßen mit einem Schlage aufhörte; ja die Aufrührer rühmten sich, daß sie seit Monaten Fahnenflüchtige und Drückeberger organisiert, mit falschen Papieren ausgestattet und mit Aufklärungsschriften zur Werbearbeit umhergesandt hätten. Und so waren es denn auch besonders wohlgefütterte und gut bezahlte Helden der Etappe, die nach Kundwerdung des Waffenstillstandes sinnlos flohen, wobei zu Schleuderpreisen Wehr und Waffen an die Belgier verkauft wurden. Die Männer der Front freilich, die dem Tod ins Auge geschaut hatten, blieben treu und tapfer bis zum letzten bittern Schluß, in fester Haltung vom Schlachtfeld abrückend ... Und der Kaiser des Bismarckschen Reiches? Jener Kaiser, der vor achtundzwanzig Jahren als junger Regent den Reichsschmied, zur schmerzlichen Überraschung des deutschen Volkes, kurzerhand entlassen hatte? Man war auf seine freiwillige, großzügige Abdankung gleich nach Wilsons erster Antwortnote gefaßt. Allein der letzte Hohenzoller zauderte. Durch Zugeständnisse an die Demokratie glaubte man die Regierung verhandlungsfähig zu machen. Doch die Antwort von drüben verzögerte sich, die deutschen Nerven versagten mehr und mehr, die Zersetzung griff um sich -- und der Kaiser, der sich unter seinen Deutschen nicht mehr sicher glaubte, floh nach Holland. Desgleichen der Kronprinz. Beide entsagten dem Thron. Ein Fels im Meere stand noch Generalfeldmarschall Hindenburg. Sein Generalstabschef Ludendorff hatte schon Wochen zuvor von seinem Platze weichen müssen: Ludendorff, der mit eiserner Willenskraft auch innerpolitisch die Reichsregierung zu stärken versuchte, Ludendorff, der freilich die Bitte um Waffenstillstand aussprach, aber ein so unerhörtes Abkommen wohl niemals unterzeichnet hätte. Mit der ihm eigenen monumentalen Ruhe, wenn auch blutenden Herzens, wandte sich der allverehrte greise Feldmarschall in jenen Tagen des Zusammenbruchs noch einmal an sein Feldheer, nicht mehr zum Kampf ermunternd, nur noch zur Pflichttreue: »Der Waffenstillstand ist unterzeichnet worden. Bis zum heutigen Tage haben wir unsre Waffen in Ehren geführt ... Bei der wachsenden Zahl unsrer Gegner, bei dem Zusammenbruch der uns bis an das Ende ihrer Kraft zur Seite stehenden Verbündeten und bei den immer drückender werdenden Ernährungs- und Wirtschaftssorgen hat sich unsere Regierung zur Annahme harter Waffenstillstandsbedingungen entschließen müssen. Aber aufrecht und stolz gehen wir aus dem Kampfe, den wir über vier Jahre gegen eine Welt von Feinden bestanden. Aus dem Bewußtsein, daß wir unser Land und unsere Ehre bis zum äußersten verteidigt haben, schöpfen wir neue Kraft. Der Waffenstillstandsvertrag verpflichtet zum schnellen Rückmarsch in die Heimat -- unter den obwaltenden Verhältnissen eine schwere Aufgabe, die Selbstbeherrschung und treueste Pflichterfüllung von jedem einzelnen von euch verlangt, ein harter Prüfstein für den Geist und den inneren Halt der Armee. Im Kampfe habt ihr euren Generalfeldmarschall niemals im Stiche gelassen. Ich vertraue auch jetzt auf euch.« Und das Frontheer machte seinem Hindenburg Ehre. In musterhafter Ordnung marschierten die Massen Tag für Tag nach Deutschland zurück. Es war ein ernstes Wandern in abgeschabtem Waffenrock, ein ernstes Reiten auf hageren Gäulen, nicht vergleichbar dem einst so glänzenden Auszug in jenen blumenreichen Hochsommertagen, als die singenden Truppenzüge nach Westen und Osten rollten ... * * * * * Auch Gustav erhielt in diesen Tagen seine Entlassung. Er weilte zu diesem Zweck in Straßburg. Seit dem siegreich beendeten Zusammenstoß mit dem Hauptmann waren seine Nerven in einer erstaunlichen Spannung. Er schien völlig genesen. Es war ihm ein Bedürfnis, Menschen aufzusuchen, erregt mit ihnen zu plaudern und sie mit seinen Plänen zu unterhalten. Aber dem genauen Beobachter konnte nicht entgehen, wie sehr ihn jenes Erlebnis in den Tiefen aufgewühlt hatte. Als seine Papiere geordnet waren, steckte er sich gleich bei einem studentischen Freunde am Schiltigheimer Ring in bürgerliche Kleidung. Dann wanderten sie durch den Contades mit seinen nunmehr unbelaubten Riesenplatanen in die nervös lebendige Stadt. Sieh da: zwei Plakate werben um Aufmerksamkeit! Schwarz-weiß-rot das eine umrandet: »Elsässer, denkt daran, daß ihr deutschen Stammes seid! Wollt ihr euch einem fremden Volke ausliefern, das euch weder achtet noch liebt?« Daneben jedoch, in blauem Drucke, zweisprachig: »=L'heure de la liberté a sonné=« -- o weh! Und am Schluß: »=Vivent la France et l'Alsace-Lorraine réunies à jamais!.=« Ja, da war er wieder, der unglückselige Zwiespalt, der das Elsaß zerriß! Und daneben ein roter Zettel, die beiden andren überleuchtend: »An die Bürgerschaft der Stadt Straßburg! Wie in allen anderen Städten hat sich auch in Straßburg ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet. Er hat die öffentliche Gewalt in seine Hand genommen. Die bisherigen reaktionären Mächte sind abgesetzt ...« Die beiden Freunde wandern nach dem Kleberplatz. Sie sehen die Menge mehr und mehr anschwellen; französische Sprache wird lauter und kecker, oft im Munde von Gassenjungen, die kaum ein paar Worte können. Überall eifriger Redetausch; etwas wie Hohn und Haß, das zutage drängt. Eine Gruppe summt um das Kleberdenkmal; es wagen sich Rufe heraus: »=Vive la France!=« Einige Jungen klettern empor und hängen dem General einen Lorbeerkranz um die Schulter, schieben ihm zwei blau-weiß-rote Papierlaternen in die Hände. Und da und dort tauchen in frecher Haltung bereits Burschen auf, die im Knopfloch blau-weiß-rote Rosetten tragen ... Es gärt und brodelt in Straßburg ... Kraftwagen mit roten Fähnchen rattern durch die Stadt. Am Münster weht die rote Fahne. Der letzte Statthalter, vor kurzem noch ein glänzender, um die Stadt hochverdienter Bürgermeister, hat sich zurückgezogen; die Offiziere im Gouvernement bauen ihre Tätigkeit ab. Trotzendorff sucht bis zuletzt zu retten, was zu retten ist. Diese Revolution ist kein Gewaltereignis, kein Gewitter; man bemerkt sie von außen wenig; sie ist der gleichzeitigen tückischen Grippe vergleichbar und verbreitet sich mit der unheimlichen Schnelligkeit und Unfaßbarkeit einer Seuche. Wer regiert eigentlich? Man weiß es kaum. Unbekannte von gestern! Noch duckt sich der kleine französisch gesinnte Teil der Straßburger Bevölkerung. Die revolutionäre Regierung verbietet das Tragen von Landesfarben. Doch Geduld! Nächste Woche ziehen die Franzosen ein! ... Und dann? Gustav und sein Freund wandern bangen Gemütes am Kaiserplatz entlang. Sie kommen an das Kaiser-Wilhelm-Denkmal: das bronzene Reiterstandbild ist durch ein häßliches Holzgerüst verdeckt; auch der tote Kaiser ist also abgesetzt! Einige elsässisch und französisch redende junge Leute stehen davor und ermuntern sich offenbar wechselseitig in einem zunächst scherzhaft hingeworfenen Plan, der aber ekle Wahrheit werden sollte. »M'r hole 'ne 'runter!« versteht Gustav. Und jäh erschrickt er und nimmt seinen Freund unter den Arm, gleichsam Schutz suchend: denn da steht ja wahrhaftig auch der Apotheker, rund und vergnügt, in flottem bürgerlichem Kleid! »Die sind vom =Cercle des étudiants=«, wirft Gustavs elsässischer Begleiter verächtlich hin; »komm, sonst kribbelt's mich, einem oder dem andren den Stock über den Schädel zu hauen. Das kriecht jetzt wieder aus allen Löchern heraus und über die Grenze herüber!« Sie entfernen sich raschen Schrittes. Gustavs Herz pocht zum Zerspringen. Jetzt wird auch Georges Bieler bald wieder im Lande sein! Herr im Himmel, nur fort aus dem Elsaß! Hier wartet ja überall die Hölle! In der Kaiser-Friedrich-Straße holt sie ein befreundeter Arzt ein. »Woher? Wohin?« fragt man sich. -- »Ich? Das werden Sie schwerlich erraten. Ich habe mir eben vom Arbeiter- und Soldatenrat eine Wache vors Haus erbeten. Man hat mich bedroht, und ein Anschlag ist mir verraten worden.« -- »Aber Sie sind doch Alt-Elsässer?!« -- »Gewiß! Mein Verbrechen ist unser Telegramm an Wilson oder meine deutsche Gesinnung. Sie glauben nicht, was für ein gemeiner Haß in den Tiefen unsres Volkes schwelt -- nicht ehrlicher, nicht begründeter, nein, heimtückischer Haß, Freude am Gemeinen als solchem! Bei unseren Feinden entlädt sich dieses Gift gegen Deutschland schon lange; auch der Waffenstillstand ist ja von niedrigstem Haß diktiert. Bei den Roten bekundet er sich im Haß gegen die Reichen. Und hier in Straßburg wirkt beides zusammen. Die Welt ist krank an der Haß-Grippe. Und wir haben keinen Spezialisten für diesen unheimlich schweren Fall ...« So häuften sich die Erfahrungen in Straßburg. Gustav eilte wie gehetzt nach Lützelbronn zurück. Ihn überkam eine ungeheure Angst. Nur jetzt fort! Aus dem Elsaß fort! Aber -- -- nach Heidelberg? War denn nicht auch dort Revolution? Zu Hause erfuhr er von der verstörten Lisy, daß dem Pfarrer Drohbriefe aus dem eigenen Dorfe zugegangen waren: man werde ihn noch totschlagen, ehe er das Dorf verlasse. Dann kam ein Lehrer aus dem hinteren Vogesental durchgewandert; seine Gattin stammte aus Altdeutschland. Auch er war im Begriff, zu seiner bereits in Sicherheit gebrachten Familie über den Rhein zu flüchten. »Und stellen Sie sich vor,« berichtete er bekümmert, »ich war Soldat, ließ mein Schulhaus im Schutz der Gemeinde zurück -- und wie find' ich's wieder? Meine kostbare Bücherei beschmutzt und zerfetzt, meine einzigartige Briefmarken- und Schmetterlingsammlung gestohlen, meine Möbel und Bilder verschandelt! So verdirbt man mir mein sauer verdientes Eigentum! Als ein halber Bettler zieh' ich jetzt über den Rhein, ich, ein deutschgesinnter Elsässer! Merken Sie aber die Hauptsache: es war ~deutsche~ Einquartierung, die mir das angetan hat!« Der Mann schied von seiner Heimat, in seinem Rucksack etliche Habseligkeiten davontragend, um sich jenseits des Rheines ein neues Leben zu zimmern. Viele sollten ihm noch folgen ... Und nun marschierten heimziehende Soldaten durch Lützelbronn, tapfre Mannschaften, die bis zuletzt ihre Stellungen in den Südvogesen verteidigt hatten. Unter ihnen tauchte ein Leutnant auf, der mit Gustav von der Universität her bekannt war. »Ach, Freund, Freund,« rief der gutherzige Schwabe mit Tränen in den Augen, als er seinem gepreßten Innern Luft machte, »kein Neckar und kein Rhein waschen diese Schmach von Deutschland ab. Ich habe nächtelang nicht geschlafen. Meine Mutter ist Tirolerin. Und nun hocken die italienischen Katzelmacher in jenen herrlichen Bergen! Südtirol von der Salurner Klause bis zum Brenner ist seit Beginn des Mittelalters von Deutschen bewohnt. Die Bevölkerung hat einstimmig erklärt, nicht von Nordtirol abgetrennt werden zu wollen. Dennoch, diesem klaren Entschluß und dem Wilsonschen Programm zum Trotz, hausen jetzt dort die Italiener, denken Sie sich, und wollen das Land bis zum Brenner von uns losreißen, gut deutsches Land, das ich durch meine Mutter lieb habe wie mein Heimatland! Und über München regiert ein Galizier! Diesen Unfug lassen sich die derben Bayern gefallen! Und überall in diesem Elsaß so viel Gehässigkeit -- es erwürgt mich, Freund! ... Ach, das liebe Elsaß! Seit Mai 1915 bin ich hier an der Front. Ich hab' euer Ländle unendlich liebgewonnen. Und mehr als das: ich hab' ein wundervolles, reines Mädle hier gefunden, das mich lieb hat. Aber ich bin halt evangelisch -- und sie ist katholisch. Wir haben uns trotzdem ewige Liebe geschworen, obschon ihr Pfarrer -- ein übrigens wahrhaft guter Mann -- seine Bedenken hat. Was dieses Weib mir in all den schweren Seelenkämpfen gewesen ist, kann ich nicht in Worte fassen. Gestern hab' ich ihr ade gesagt. Ich werde dieses Gesicht und diese Tränen nie vergessen. Sie ist der Kirche gehorsam; sie will bleiben. Aber sie weiß -- sobald sie zu mir nach Stuttgart kommt, ist sie vor Gott und Menschen meine Frau. Ich dränge sie nicht; ich hab' kein Wort über die Lippen gebracht; Kuß und Tränen war alles. Nennen Sie mich weichlich, lieber Freund, meinthalb, aber -- es ist halt zu viel, gar zu viel, was jetzt auf ein treues deutsches Herz einstürmt!« So kummervoll schied dieser Schwabe, der letzte der vielen deutschen Soldaten, die während des vierjährigen Weltkrieges im Pfarrhause von Lützelbronn Einkehr gehalten hatten. Unmittelbar nachher war auch Gustav verschwunden. Fanny kam herüber und brachte einen zornflammenden Brief Erwins; sie legte ihn schweigend auf Onkel Arnolds Tisch. Der wunde Krieger in seinem fernen Lazarett war empört über all die Vorgänge; und er schrieb betrübt, daß er nun allein liege, voll Weh um das Elsaß, voll neuerwachter Sehnsucht nach Fanny und den Freunden, mutterseelenallein, trotz der vielen Leute um ihn her -- denn der Sonnenschein sei auch aus diesem Hause verschwunden, wie aus der ganzen Zeit: Dirk und Hertha seien nach ihrer westfälischen Vaterstadt abgereist. Eine Weile stand Fanny am Fenster und schaute den abziehenden deutschen Truppen nach. Marschierende Männer, endloses Fuhrwerk, bis in die beginnende Nacht, ausgestoßen vom Elsaß, eingeschluckt vom inneren Deutschland ... Wasser, die sich verliefen ... Dann fragte sie nach Gustav. Aber er war nirgends zu finden. Man wartete, ward unruhig, fragte in der Nachbarschaft umher; man lief auf seine nächsten Lieblingswege hinaus und rief seinen Namen. Endlich kam Fanny auf den Gedanken, in seinem Studierzimmer genauer Umschau zu halten. Es lag deutlich sichtbar ein Brief auf dem wohlgeordneten Schreibtisch. »An meine Lieben«, stand auf dem Umschlag. Mit bebenden Knien öffnete die Braut, las den Inhalt und sank mit einem Wehlaut zu Boden. Der Brief enthielt nur die wenigen Worte: »Ich kann das Schreckliche nicht ertragen, das über mein deutsches Vaterland und über mein armes Elsaß hereingebrochen ist. Sucht mich im Teich und begrabt mich im Birkenwäldchen! Euer unglücklicher Gustav.« * * * * * Auf der Höhe des herbstlich leeren Gartens standen die blätterlosen Birken weiß und still. Man schaut von dort weit hinaus in das elsässische Land. In diesem Birkenwäldchen grub man Gustavs Grab. Das Kreuz darauf war gleichfalls aus lichtem Birkenholz. Die runde Holztafel in der Mitte, nach Art der Kriegergräber, enthielt nur Namen und Datum. Das Grab war von Kränzen, Blumen und Immergrün gänzlich zugedeckt. Ein Stechpalmenkranz -- ein Dornenkranz -- hing am Kreuz. So lag dieser Tote, den sie aus den Wasserrosen emporgezogen hatten, allein und abseits, wie er im Leben scheu und einsam gewesen war. Fanny war in einem furchtbaren Zustand. Sie weinte nicht, sie sprach nicht. Sie irrte wie ein Schatten umher oder schloß sich ein. An nichts mehr legte sie Hand an; für nichts mehr hatte sie Teilnahme. Kaum aß sie das Nötige auf ihrem Zimmer. Die Bewohner von Lützelbronn waren erschüttert; auch die ungünstig gesinnten Dörfler verkrochen sich beschämt. Viel ehrliche Teilnahme wagte sich zum Abschied heraus und gab sich in unbeholfenen Worten und manchem Händedruck dem Pfarrer kund, der in einer ergreifenden Grabrede seinen Schmerz entladen hatte. Schon war der Möbelwagen abgefahren; Arnold selbst wollte am nächsten Morgen folgen. Fanny hatte auf Lisys besorgte Frage, was sie zu tun gedenke, nur mit wegwerfender Handbewegung und bitter gekräuselten Lippen kurz geantwortet: »Ich bleib', wo ich bin -- oder geh' zu Georges nach Frankreich!« Mehr war aus ihrem verschlossenen, ja verkrampften Zustand nicht herauszubringen. Man sah nur, daß sie entsetzlich litt. Arnold hatte nach seiner Gewohnheit das schauerliche Erlebnis in der Stille verarbeitet. Jetzt wollte er versuchen, Fanny vor dem Äußersten zu bewahren. Man fürchtete ernstlich für ihren Verstand. Er ging ihr nach. Aber sie war bisher jeder Unterredung ausgewichen. An jenem letzten Abend jedoch traf er sie im Birkenwäldchen an seines Sohnes Grab. Wieder suchte sie mit nervöser Hastigkeit zu entfliehen. Doch er trat ihr in den Weg, breitete beide Arme aus und bat in so schlichten, zu Herzen gehenden, eindringlichen Worten, ihm endlich zu gestatten, ihr wenigstens in der Stille Ade zu sagen, daß sie mit hängenden Armen vor ihm stehen blieb, wie ein gefangenes Wild. »Sieh, Fanny,« sprach er, und der ganze Schmerz der letzten Tage zitterte noch in der Stimme nach, »so dürfen wir beide nicht auseinandergehen. Willst du denn auch mich zusammenbrechen sehen, wenn du dich so gegen mich verstockst und verbitterst? Ich habe keine Tränen, so wenig wie du. Wo soll man denn anfangen zu weinen -- und wo aufhören? Zwischen euch beiden Kindern zu wandern, das war meines Lebens letztes Glück und einzige Freude. Und jetzt? Heimat und Kinder sind mir genommen. Und das Deutschland meiner Liebe dazu! Denn das Deutschland, in das ich jetzt auswandre, ist nicht das Land meiner Liebe. Ich bin grauenhaft einsam. Und doch -- mein Leid um die Menschheit ist noch größer. Und ich würde tausend Opfer bringen, wenn ich nur der Menschheit helfen könnte.« Fanny hatte sich auf ein Bänkchen gesetzt. Sie fröstelte, zog den Lodenmantel um die Schultern, stützte das Köpfchen in beide Hände und starrte schweigend vor sich hin. Wie im Selbstgespräch fuhr der Pfarrer fort, dem es Wohltat war, sich durch Aussprache zu erleichtern. »Es ist mir wie ein schwerer Traum, daß ich da vorgestern gestanden, im schlichten Rock, und meinem Sohn die Grabrede gehalten habe. Mein letzter Gottesdienst im Elsaß! Was für ein Abschluß! Dort die Leute -- und vom Turm kein Glockenklang! Und der Text aus Jeremias: O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort! Mit Posaunenstößen möcht' ich's der ganzen Westmark ins Herz dröhnen: O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort! Elsaß, du hast die Liebe verloren! Menschheit, du hast keine Liebe mehr!« Er atmete heftig, ging hin und her und blieb wieder vor Fanny stehen, doch gleichsam in sich hineinsprechend. »Sieh, Fanny, ich habe zu Saarburg in Lothringen auf dem Schlachtfeld ein Christusbild gesehen, das mir tiefen Eindruck gemacht hat. Das Kreuz ist zerschossen, der Heiland scheint frei in der Luft zu schweben und die Arme auszubreiten über das Weh der Welt. Segnet er? Flucht er? Ach, Fanny, wir wollen groß sein, wir wollen es dennoch als Segen deuten und nicht als Fluch. Denn aus diesem grenzenlosen Haß ~muß~ ja doch, ~muß~ eine neue Liebe kommen. Sie muß kommen, denn wir verhungern sonst auch seelisch, wie wir leiblich ausgehungert sind.« Wieder ging er hin und her, seine Gefühle und Gedanken waren jetzt in mächtiger Bewegung, lösten sich und drängten hinaus. Er rang schweren Atems die Hände und blieb vor dem geschmückten frischen Grabhügel stehen. Der Herbstabend dunkelte; weit irgendwo her aus hohen Lüften klang der Schrei der Wandergans. Eine unendliche Wehmut schwoll über des Vaters Herz. »Ja, mein Sohn, mein lieber, lieber Sohn,« sprach er, mit Tränen kämpfend, »ich will dennoch, dennoch nicht irre werden im Glauben an das Gute, an das Göttliche hier auf Erden, wenn auch deine liebe Seele zusammengebrochen ist. Ich will trotz dieser Niederlagen, die Deutschland und die ich persönlich erlitten habe, die Waffen an ein neues Geschlecht weiterzugeben versuchen. Das gelob' ich dir hier an deinem Grabe. Dir ist kein Heldentod draußen bei deinen Brüdern auf dem Schlachtfeld beschieden gewesen; im Nebel, einsam und verirrt, hast du dich von uns fortgeflüchtet. Gott wird deine Seele wiederherstellen -- --« Seine Stimme brach. Die Wohltat der Tränen ward ihm zuteil. Er tastete nach Fannys Hand und hielt sie fest. Sie zuckte auf, kämpfte eine Weile mit sich selbst und stieß plötzlich hart, heiß, aus gequälter Brust die Worte heraus: »Ich kann nicht weinen wie du -- und will nicht weinen -- und will nicht beten -- und will nicht an Gott glauben -- und an nichts. Geh nur, Onkel Arnold! Laß mich allein -- auch du!« Sie riß die Hand los und sprang auf. Aber in ihrem leidenschaftlichen Herzen begann es zu tauen. Sie hatte die Rede wieder gefunden. Mit heißen, trockenen Augen starrte sie ins Leere. Und ein angestauter, zorniger Schmerz ergoß sich in wilde Anklagen gegen Gott und Welt, und vor allem in Verwünschungen gegen Deutschland. »Nein, an nichts mehr glaub' ich -- an nichts! Am wenigsten an euer Deutschland, an das er so geglaubt hat. Diese würdelose Nation, die erst mit dem Säbel rasselte und jetzt um Frieden winselt! Läßt sich von hergelaufenem Gesindel regieren! Wieviel brave junge Menschen liegen tot -- und Lumpenpack regiert! Ist das euer Deutschland? Nein, nein, ich will nichts hören von biblischen Redensarten und Land, Land! -- Alles falsch! Ich fahre nach Frankreich zu Georges -- ich bleibe bei Georges! Der nimmt die Welt, wie sie ist, der hat mir nie idealistische Phrasen vorgelogen wie ihr! Jetzt zeigt sich's, daß er recht hat! Die Franzosen sind Sieger -- und ihr unfruchtbaren Träumer und Phrasendrescher seid zusammengebrochen! Nein, ich will nicht zu den Deutschen. Wie unstolz sind diese Leute, beschimpfen ihren Kaiser, sind feig und schieben die Schuld auf diesen Sündenbock ab! Wie grundgemein! Wo ist denn da Liebe? Wo Vornehmheit? Wo Ehrgefühl? Wo, wo, wo?! Das hat diesem guten Gustav das Herz gebrochen! Das allein! Ihr Deutschen habt ihn umgebracht!« So entlud sich das leidenschaftliche Kind. »Großer Gott, ja,« seufzte der Pfarrer, »ich kann dir nicht widersprechen, Fanny. Wo aber mögen Liebe und Ehre hingezogen sein? Etwa nach Frankreich, zu den schwarzen und braunen Völkerschaften, die man gegen uns herangehetzt hat? Und war denn nicht auch Gustav ein Deutscher?« »Nein! Ein Elsässer!« »Hat er nicht Schulter an Schulter mit deutschen Kameraden den gemeinsamen Feind bekämpft?« »Weil er mußte! Innerlich ein Abgrund! Er war immer einsam, weil er zu vornehm war. Er hatte dich und mich -- ach, und selbst uns kaum -- er hatte kein Volk, kein Vaterland. Er ist nur auf die Erde gekommen, um zu leiden. Und auch ich habe ihn nicht erlösen können -- und niemand! Ach, die ganze Menschheit ist voll Gift und Galle und niedriger Gesinnung. Am meisten aber Deutschland. Und Deutschland ist am schuldigsten, denn es hat immer die größten Phrasen gemacht von Idealismus und deutschem Gemüt und gar von der berühmten deutschen Treue! Treue? Hahaha! Ich lache! Ich geh' nach Frankreich, werf' mich dem ersten besten -- -- nein, ich geh' in die Lazarette und pflege Franzosen gesund, daß sie wieder schießen können -- auf Deutschland!« »O Fanny, Fanny! Also Revanche? Rache? Auch du?! Und hast du dann den Vorrat von Liebe und Güte in der Welt vermehrt? Glaubst du, daß deine Absicht im Sinne des grundguten Menschen ist, der hier unter dem Rasen liegt?« »Grundgut, ja, das war er!« Es klang weicher, wie von einem Aufschluchzen begleitet. »Gut war er. Ach, Onkel Arnold, da liegt der letzte gute Mensch begraben. Ja, gut, gut! Und ich bin schlecht genug, keine Tränen zu finden. Ach Gott im Himmel droben, gib mir Schlaf, gib mir Tränen und Gebet -- denn ich halt's nimmer aus! Ich werde wahnsinnig!« Sie schrie fast vor Schmerz und preßte beide Schläfen. Arnold legte ihr sanft die Hand auf die Schulter. Jetzt fühlte er den Augenblick gekommen, wo ihr Inneres zugänglich wurde. »Fanny, ich hab' einen letzten Gruß von ihm an dich.« Er zog ein Blatt hervor. Sie fuhr auf. »Etwas Geschriebenes? Hat er noch etwas hinterlassen?« »Ein unvollendetes Gedicht --« »Gib, gib!« »Darf ich dir's vorlesen? Es ist kaum noch hell genug. Doch komm, wir setzen uns hier ans Grab. Morgen früh fahr' ich nach Heidelberg. Du bist die Letzte, mit der ich mich aussprechen wollte. Lisy soll mich nicht begleiten; sie spricht geläufig Französisch und wird sich auch unter fremder Besetzung mit ihren geliebten Kranken zurechtfinden. Dich aber wollte ich nicht in solcher Bitterkeit zurücklassen. Und erst recht nicht will ich dich bereden, mich etwa zu begleiten, du hast ja deinen Entschluß bereits gefaßt -- --« »Lies, lies!« Und er las im letzten Dämmerlicht mühsam seines Sohnes letztes Gedicht: »In schwerer, zuckender Stille der Nacht, In ferner Kriegsgewitter Glut, Mein Elsaß, wie hab' ich an dich gedacht, Mein Elsaß, wie innig war ich dir gut! Bin ich dein Sohn und darf dich besingen? Oder trennt mich mein Wandern und Ringen? Ich zog nach Deutschland, um das zu erfangen, Was mir die Stimmen der Deutschen sangen: Ward ich ein Fremder und weniger echt, Weniger echt als ihr seßhaften andern? Hab' ich im suchenden Sehnen und Wandern Jemals verleugnet mein heimisch Geschlecht, Jemals vergessen mein Land am Rhein? ... Also hab' ich, im Donner der Schlacht, Deutsche Westmark, an dich gedacht, Elsaß, umschimmert von Jugendschein! Ich grüße dich -- und weiß mich dein! Ich grüße dich, mein Glockenland, Mein wetterumsprühter Wasgaurand, Wo auf den Hügeln, herbstlich still, Mancher Kirchhof mich mahnen will, Daß einst auch mir nach Wanderns Frist Elsässische Scholle beschieden ist -- --« Hier schlug Fanny jäh die Hände vors Gesicht und rief kurz und wehvoll hinaus: »Ach nein, nein, Gustav, nicht einmal ein Kirchhof! Du armer, armer Mensch!« Sie schluchzte auf. Und Arnold las weiter, langsam, soweit es heranrückende Nacht und herabrinnende Tränen noch gestatteten: »Ich grüße dich! Dort bin ich erwacht, Dort hab' ich der Mutter ins Auge gelacht, Dort hat mich der Vater ins Feld geführt, Erste Liebe hab' ich gespürt Und habe gefunden die süße Braut -- -- Hier bricht es ab, Fanny. Dir also galt sein letztes Wort ...« Der Pfarrer schwieg. Fanny lag auf Gesicht und Händen und weinte herzbrechend, geschüttelt, gestoßen vom ungeheuren Schmerz, der nun in Sturzwellen über das unglückliche Kind hinwegbrauste. So saßen sie nebeneinander, beide ihren Tränen anheimgegeben, indes die Nacht herabsank und die späte Abendglocke über Dorf und Landschaft klang. Dann erhob er sich, gefaßt, wieder seiner selbst Herr: »Fanny, wir müssen nun scheiden. Sieh, ich werde elsässische Erde nicht mehr betreten, so lange dieses Land französisch ist. Du weißt aber, Fanny, daß auch in der Ferne jemand mit innigster Teilnahme an dich und mit heißer Liebe an das Elsaß denkt. Mehr will ich nicht sagen. Und wenn du glaubst, daß es im Sinne dieses braven Jungen ist, deinen Vater und seinen Vater aufzugeben und nach Frankreich zu ziehen und dort Haß zu nähren -- so tu's, wenn du es vermagst!« Er stand vor ihr. Die letzten Worte hatte er stark betont. Sie sprang auf, wischte mit dem Taschentuch heftig in den nassen Augen und packte dann seine Hand. Und mit der alten raschen Entschlußkraft sagte sie voll Inbrunst: »Nein, Onkel Arnold, Gott im Himmel weiß: ich tu' nichts, was Gustav betrüben könnte!« »Dann, liebe Fanny, atme ich auf, dann scheid' ich beruhigt. Kommst du mit hinunter ins Haus? Es hat schon zu Nacht geläutet.« »Ja, Onkel Arnold, ich komme mit,« sprach sie, und die ganze weiche Liebe und Güte ihres Wesens hatte sich wieder hindurchgerungen und zitterte nun aus der warmen Stimme des schönen Mädchens, indessen immerzu die Tränen über ihre Wangen flossen. »Und hör', Onkel Arnold, ich will dir noch schnell etwas sagen: ich lasse dich nicht allein ziehen. Es muß dir jemand bei der Einrichtung helfen. Nimm mich mit nach Heidelberg!« Elftes Kapitel Stille Menschen Ihr kommt, Winde, fern herüber, Ach, von des Knaben, Der mir so lieb war, Frisch grünendem Hügel ... ~Mörike~ Dirk an seine Mutter. Liebe Mutter! Diesen Brief schreibt für mich die Hand eines Kameraden aus dem Elsaß, der mit mir im Lazarett liegt. Nimm demnach an der fremden Schrift keinen Anstoß. Es ist Erwins Hand; aber es ist mein Herz. Ich kann ihm alles anvertrauen. Wir haben Freundschaft geschlossen. Quäl' dich nicht, Muttchen, daß du mir kein Futterpäckchen schicken kannst! Sieh, was du mir schickst, ist tausendmal mehr wert. Wie herrlich die Worte, die du mir schreibst! Wüßtest du, wie sie mich heimlich begleiten, mir alles vergolden, das Schwere leicht machen! Ich küsse deine lieben Hände, die mir so viel Schönes schreiben, liebes Mutterherz! Es ist Sonntag. Vor mir steigt unser schöner Garten auf, darin ihr nun in der Laube sitzt. Und vor mir steigen viele, viele solcher deutschen Sonntage aus der Kinderzeit auf. Wie hast du uns doch gut gelehrt, Sonntag zu feiern! Heute danke ich dir dafür. Ich lese zur Nachmittagsfeier deine lieben Briefe, die Auszüge aus Büchern, aus denen du so treu und fleißig schöne Stellen abschreibst, und den Faust! So bin ich im Geiste bei euch, immer, Mutti, immer! Weißt du, wie du uns einmal sagtest, es läge ein so großer Trost darin, daß der Himmel mit all seinen Sternen sich über die ganze Welt spannt? Denn man ist bei solchem Aufblick in das Weltall niemals allein; man braucht nur abends die Sterne zu grüßen, so schwingt die Seele mit; und von den Sternen her kommen silberne Strahlen, die uns irdisch Getrennte miteinander verbinden. Wie oft habe ich in stillen Sternennächten daran gedacht! Ach ja, deine Märchen! Wir meinten in unsrer Jugend, du hättest ein großes, großes Märchenbuch, daraus du sie alle wußtest -- und es war doch nur dein großes Herz! Wie schade, daß du sie nicht aufgeschrieben hast, all die lieben Märchen! Sie sind aber in meinem Herzen aufgeschrieben und kommen oft zu mir, die vertrauten Gestalten. Mutterchen, das sind Schätze, die mir kein Schicksal rauben kann. Ich meine oft, ich müßte schon deshalb heimkommen, um all die Liebe einigermaßen zurückzahlen zu können, die ich einst als Selbstverständlichkeit gedankenlos von dir hingenommen habe. Aber kann man denn dies alles einer Mutter vergelten? Uralt möcht' ich werden, Mutti, um dir lebenslang Dankbarkeit erweisen zu dürfen. Stell' dir ja nicht vor, daß ich hier im Bett Trübsal blase vor Heimweh und Angst um das bißchen Leben! Ach nein, dazu neigen weder mein heiterer Erwin noch ich selbst trotz aller Geduldsproben. Wir lesen und lernen immer weiter. Da durchblätterten wir eben Fidus-Bilder und sind entzückt von der leichten Anmut dieser immer jungen, durchgeistigten und beseelten Gestalten. Den Faust freilich, mit dem ich auszog, hab' ich nicht mehr: er ward verschüttet im Trommelfeuer und liegt begraben in Flanderns Erde. Aber deine Abschriften hab' ich auf dem Herzen gerettet. Und mein Erwin ist unermüdlich, mir vorzulesen. Hölderlin und Mörike sind eben der Gegenstand unsrer Liebe. Meister Raabe macht ihn, den Süddeutschen, freilich manchmal ungeduldig. Auch hat er sich jetzt in ein Buch vertieft: »Jesus im Urteil der Jahrhunderte«. Es ist staunenswert, mit welcher Leuchtkraft die Gestalt des Heilands in den Herzen der Menschen immer wieder verjüngt erstanden ist. Ob sie auch in Deutschland und Europa wieder einziehen wird, wenn sich einmal dieser Irrsinn des Völkerhasses ausgetobt hat? Ich habe neulich Uhdes »Flucht nach Ägypten« gesehen. Bilder machen mir überhaupt viel Freude. Da empfand ich ein Stück meiner Lebensaufgabe. Diese traurigen, ganz armen Menschen müssen vor dem Haß flüchten, friedlose, heimatlose Unglückliche, wie sie auch in Deutschland millionenhaft durcheinanderwimmeln, besonders in den Fabrikstädten. Ihnen praktisch helfen, alles andere gering achten, nicht am Zeitgeist herumnörgeln, sondern bei sich selber mit der neueren, reineren Denkart gründlichst beginnen -- sieh, das haben Erwin und ich einander gelobt. Es ist furchtbar einfach und furchtbar schwierig. Denn wie soll man in rechter Weise an die Seelen der Menschen herankommen? Ich habe wenig, wenig bisher getan, aber glaube mir, Mutter, Deutschland muß von innen heraus erneuert werden. Und wir müssen alle mitarbeiten, damit recht viele Menschen so werden wie -- wie du, mein goldiges Muttchen! Damit ist alles gesagt. Wenn Hertha kommt, so wird das ein Festtag sein. Ich übe mich inzwischen in der Tugend der Geduld. Es ist eine Folter, hier faulenzend stillhalten zu müssen, während unsere Kameraden sich draußen opfern. Und der Opfergedanke, liebe Mutter, ist doch das Größte, was die Welt kennt. Ich grüße und küsse euch herzlich Euer ~Dirk~. * * * * * Hertha an ihre Mutter. Mein liebes Mutterle! Eben habe ich Dirk gesehen, ich komme vom Lazarett. Wie hat sich der Junge gefreut! Du weißt ja, wie er dann ist, er sagt nicht viel, aber er strahlt. Leider habe ich mich ziemlich unbedacht eingeführt: ich hatte Lilien mitgebracht, ohne zu bedenken, daß sie doch sehr stark duften. Dirks Kamerad, Erwin Ehrmann, der lange Elsässer, von dem wir ja schon wußten, saß gerade bei ihm auf dem Bettrand und las ihm vor. Er war der erste, den ich sah, brach mitten im Wort ab, als ich eintrat, und starrte mich an, als ob er einen Geist sähe. Dabei bin ich doch wahrhaftig nicht blaß zu nennen, und mein hellblaues Kleid sieht auch nicht nach Geisterspuk aus. Dann beugte sich Dirk vor und rief: »Hertha!« Und ich stand mit meinem dicken Lilienstrauß ein Weilchen recht dumm da, bis ich zu einer richtigen Begrüßung Mut und Worte fand. Danach ist es aber wunderschön geworden. Der Elsässer war so taktvoll, aus dem Zimmer hinauszuhumpeln, damit wir ungestört plaudern könnten. Dirk konnte mir nicht genug sagen, was es für ein lieber Mensch sei, dessen natürliche Heiterkeit ihm sehr wohltue. Und ich hatte denselben angenehmen Eindruck. Mein lieber Dirkbruder ist schmal geworden, aber seine stille Frohnatur ist unverändert. Es geht ein so schönes Leuchten von ihm aus wie immer. Ich habe ein Stündchen an seinem Bett gesessen und ihm unendlich viel von dir erzählt. Hoffentlich darf er bald in unser Lazarett, damit wir ihn in der Nähe haben. Ich werde gleich morgen mit dem Oberstabsarzt sprechen. Es ist mit Dirk sonderbar; als ob er einen Panzer um sich hätte, durch den nichts Gemeines hindurchdringen kann. Wieviel Häßliches muß man als Jugend- und Armenpflegerin anhören! Aber Dirk und ich sind ja so gut beschützt. Unser Panzer heißt Liebe. Und du, lieb Muttchen, hast ihn geschmiedet. Wir danken dir mit jedem Atemzug. Jetzt ist ein wundervoller Abend. Ich sehe durch das Fenster des Gasthofes auf einen schlanken Kirchturm, hinter dem ein erster Stern sichtbar wird. Nennst du mich nicht oft dein Sternenkind, lieb Mutterle, weil ich Sterne so lieb habe? Aber die Sterne im Himmel des Menschenherzens habe ich noch lieber. Unser größter Reichtum ist doch der Mensch. Und wenn ich einen liebenswerten Menschen kennen lerne, so empfinde ich das wie ein Gottesgeschenk. Herzensmuttchen, das hast du uns gelehrt in deiner stillen, besinnlichen und so unaufdringlich feinen Art! Meine Reise verlief herrlich; ich habe gelesen, geplaudert, geträumt -- verzeih, das tu' ich nun einmal so gern! -- und habe den Text zur Schlußandacht meines nächsten Unterhaltungsabends durchdacht: »Gott wird abwischen all' ihre Tränen« (Offenb. 7, 17). Der Betrieb auf der Bahn war furchtbar. Aber ich sage mit meinem Schiller: »In des Herzens heilig stille Räume mußt du fliehen aus des Lebens Drang«. Dieses innere Reich kann uns niemand nehmen. Unterwegs, in meiner vierten Klasse, wo man bekanntlich den Mitmenschen näher kommt als in der zweiten, dachte ich über mein Ziel nach. Die gebildete weibliche Jugend zurückgewinnen für Gott, ihr helfen in ihren Zweifeln, ihr die Augen öffnen für soziale Hilfe; die erwerbende Jugend erziehen zu freudiger, beseelter Berufsauffassung, zu mütterlichen Menschen; den Arbeiterinnen das Formgefühl für die Gestaltung des Lebens verfeinern in edlen Erholungsstunden -- was für Aufgaben! Ich saß neben einem nett gekleideten alten Herrn und las von Zeit zu Zeit in meinem Buch. Da kam ein Kriegskrüppel herein und verkaufte Postkarten. Ich fragte ihn, wo er seine Wunden erhalten und dergleichen mehr. Da streifte der Mann seine Hosen auf und zeigte seine schweren Narben (manche Gans hätt' es vielleicht unschicklich gefunden), und wir sprachen hin und her. Dem Ärmsten tat unsere Teilnahme wohl. Als er weiter gehinkt war, kam ich mit meinem Nachbarn ins Gespräch. Er freute sich, daß sein ältester Sohn unterm Rasen lag und kein Bettelbrot suchen müsse. Und da war sie wieder, die schöne Erfahrung des Krieges: das gemeinsame Leid schlug eine Brücke von Seele zu Seele. Wir berührten tiefste Fragen; wir sprachen über das Leid, den Tod, das Fortleben der Seele, über Gebetserhörung und solche stillen, tiefen Dinge. Er bekannte sich als Katholiken und gestand, daß er bezüglich Seelenmesse und Fegfeuer viele Kämpfe durchgemacht habe. Ich sagte, was ich vom Wert des Leides zu sagen wußte, und bat ihn, seinem noch ungefestigten jüngeren Sohn, der auch Soldat ist, recht viel und warm zu schreiben, damit der starke Strom der Elternliebe dort eine Kraft bleibe. Denn ich weiß ja, wie deine Briefe, Muttchen, für Dirk Freude und Kraft sind. Mutterle, es reisen jetzt viele Hetzer und Schimpfer in den Eisenbahnen; man sagt, sie seien bezahlt. Warum reisen keine Boten Gottes, um unauffällig das Gute zu wecken und das Edle zu ermutigen? Auf jedem Bahnhof kann man zotige Sachen kaufen: warum sammelt man keine edelmenschlichen Züge und schickt sie mit dem allerschönsten Bilderschmuck in die verarmte Menschheit hinaus? Die Kinder der Welt machen sich oft lustig über die Kinder Gottes, als ob fromme Menschen Trottel wären. Wir sind aber weder dumm noch trottelhaft, wohl aber häufig feig. Das Laster hat eine Art Mut, denn es hat Frechheit. Hätten die Guten doch denselben ruhigen Mut, sich zum Göttlichen zu bekennen! Es ist inzwischen Nacht geworden, ich beende diesen Brief und den reichen Tag. Meine Lilien hab' ich wieder mitgenommen; aber es sind nur noch drei: eine hat sich Dirk auserbeten, eine andre sein Freund Erwin. Der letztere scherzt und neckt gern, er hat mich gleich Lilienfee oder Lilofee getauft. Gut' Nacht, Mutterle! Könnt' ich doch morgen Dirk losbekommen und in sein Heimatlazarett mitbringen! In die Sterne schauend, grüßt dich innig Dein Sternenkind ~Hertha~. * * * * * Erwin an Dirk. Mein Dirk, seit du fort bist, hat mich eine gute Kraft verlassen. Kein Buch schmeckt mir mehr, keine Zigarette, keine Mahlzeit. Nie hat wohl ein holderer Bote einen lieberen Freund entführt, als deine blonde Schwester meinen lieben Dirk. Ich werde sie künftig von Lilien nicht mehr trennen können, und muß auch immer gleich an Mörike denken, dessen Gedicht ich dir grade vorlas: »Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt, mich stumm an deinem heil'gen Wert vergnüge« -- als die blaue Gestalt eintrat und mit den Lilien an der Tür stand wie eine Erscheinung aus einer andren Welt. Gott sei Dank, daß es kein Todesengel war! Aber geholt hat sie dich doch. Wie ich ohne dich den Kummer über das Elsaß verwunden hätte, Dirkbruder, weiß ich nicht. Nun rollen wieder die Wolken über mein Gemüt. Schreibt mir doch bald ein Wort, zwei Worte, viele Worte! Grüße dein herrliches Mütterlein und, mit ein bißchen Groll, daß sie dich entführt hat, deine Schwester Hertha! In Herzenstreue Dein ~Erwin~. * * * * * Hertha an Erwin. Lieber Herr Ehrmann! Der Todesengel ist nun doch gekommen. Dirk ist soeben der Grippe erlegen. Es ist mir unmöglich, mehr zu schreiben. Er hat noch kurz vor seinem Sterben von Ihnen gesprochen. Wir danken Ihnen innig für alle Güte, die Sie meinem lieben Bruder so reichlich erwiesen haben. In namenlosem Schmerz ~Hertha Maria Schütz~. * * * * * Erwin an Dirks Mutter. Verehrte gnädige Frau! Welch eine Nachricht! Ich bin betäubt vor Kummer und Schmerz. Herr im Himmel, warum müssen unsere Besten so dahingehen! Die Kunde hat mich wie ein Donnerschlag getroffen. Wenn ich nicht durch Dirk mein Gottvertrauen so vertieft hätte, ich würde verzweifeln. Da liegt man mit seinem Klumpfuß, muß dieses alles über sich ergehen lassen und kann sich nicht wehren, kann nur knirschen, fragen, immer wieder fragen, was denn Allvater mit seinem deutschen Volke vor hat, daß er uns im einzelnen und im ganzen so furchtbar prüft. Ihr Sohn Dirk war der reinste und bei so jungen Jahren reifste Mensch, den ich in meinem Leben kennen gelernt habe. Wir hatten uns schon in Flandern, in den heillosen Schlachten um Ypern, kurz berührt; doch wahrhaft befreundet haben wir uns erst im Lazarett. Seine Freundschaft war das Glück dieser Leidenszeit, in der ich ja auch meine elsässische Heimat verloren habe. Dirk hat mich wieder fromm gemacht. Wir hatten schon davon gesprochen, daß ich das Weihnachtsfest mit ihm bei seiner über alles geliebten Mutter und bei seiner nicht minder teuren Schwester verleben dürfte. Ach Gott, wir träumten beide, daß wir dann gesund seien und mitarbeiten wollten, das schwergebeugte Deutschland wieder instand zu bringen. Nun ist es dahin! Verehrte Frau, Sie dürfen auf diesen Sohn im edelsten Sinne stolz sein. Wir jungen Leute haben einander ganz vertraulich das Herz geöffnet, auch mit unsren Kämpfen und, meinerseits, Irrungen; ich habe in diese reine Seele schauen dürfen -- oh, es war ein ganz entzückendes Kunstwerk! Und dieses Kunstwerk ist Ihr mütterliches Verdienst. Gott segne Sie dafür und stärke Sie in Ihrem großen Schmerz! Dirk lebt im jenseitigen Reiche. Immer stärker glaube ich an dieses unsichtbare Land. Es wandern so viele Tüchtige dahin aus, die unsre Gedanken und Gefühle unwillkürlich nachziehen. Der Tod hat seine Schrecken verloren. Und mir geht ein gewaltiger Gedanke durch Kopf und Herz: ob der Herr über Leben und Tod grade die hinüberruft, die er drüben braucht? Denn leuchtendes Leben, Liebe, Schaffen ist doch gewiß auch dort! Und mein Freund Dirk ist nun unter diesen Leuchtenden und Liebenden, die von drüben her an der Menschheit, an unsrem armen Deutschland mitschaffen. Grüßen Sie die Dirkschwester, die ich herzlich bitte, mir ausführlicher über ihn zu schreiben, und seien Sie meiner innigsten Teilnahme nebst lebenslanger Dankbarkeit versichert! Ihr tiefbetrübter ~Erwin Ehrmann~. * * * * * Hertha an Erwin. Lieber Herr Ehrmann! Über Dirk soll ich Ihnen schreiben. Ach, wie gern tu' ich das! Wir denken, fühlen, reden und schweigen ja nichts andres Tag und Nacht als Dirk. Sein Leben war Schönheit, stille Freudigkeit und strahlende Reinheit. Um uns beide, die wir frühe den Vater verloren haben, waren die starken, schützenden Kräfte der Mutter. Und hinter der Mutter mit ihrer gesammelten Kraft und Wärme standen höhere Mächte, Schutzgeister, die wir in oft geradezu wunderbarer Weise an der Arbeit fühlten. Wir sind in den Wuppertaler Formen der Frömmigkeit erzogen, ohne engherzig zu sein, auf werktätige Liebe eingestellt. Aber auch die Kunst, besonders Malerei, und die Natur sind uns Erzieher geworden. Dirk und ich schauten gern gute Bilder, und Blumen sind immer auf meinem Tische; auch hatte er an den neuerdings wieder aufgekommenen Reigentänzen und Volksliedern ebensoviel Freude wie ich. Und wie sind wir miteinander gewandert in Sturm und Regen, in Frühlingslust und Sommersonne, am Meer, in Wald, Heide, Bergen! Wir haben mit allen Poren Natur eingetrunken. Und mit dieser Sonne im Herzen, braungebrannt von Luft und Wind, ist dann Dirk zur sozialen Arbeitsgemeinschaft nach Berlin-Ost gegangen und hat seine Lebensfrische den Arbeitern gebracht. Es ging ein Zauber von ihm aus. Das haben mir viele gesagt. Wer nicht mehr an den reinen deutschen Menschen glauben konnte, der brauchte nur diesen sonnigen Jungen anzusehen. Auch für alle ähnlichen modernen Bewegungen, die auf Beseelung ausgehen, so für Johannes Müller, die Neulandgruppe in Eisenach, Euckens Philosophie, sogar die Steinersche Theosophie hatten Dirk und ich offene Augen. Aber wir haben uns nie aus dem Geheimnis unsrer eigentlichen Kraft herausreißen lassen. Und dieses Geheimnis hatte uns die Mutter eingepflanzt. Es ist das schlichte werktätige Christentum, wie es uns besonders im Johannes-Evangelium verkündet wird. Wir hatten jedes unsre kräftige Eigenart; und doch erinnere ich mich aus unsrer nicht leichten, mit Arbeit tüchtig ausgefüllten Jugend keines Zankes zwischen uns. Wie oft hat mich seine Hand auf dem Spaziergang gefaßt: Du bist müde, Schwesterlein, wir wollen nicht so schnell gehen! Seine Briefe an mich waren voll von kleinen eingeklebten Bildern, die das Geschriebene launig belebten. Und häufig hat mich ein Strauß oder sonst eine Aufmerksamkeit von ihm auf meinem Tisch überrascht. Sein Wesen war Güte und in der Güte still beherrschte Kraft. So denk' ich mir die kommenden Seelen im gereinigten, durch Schmerz gereiften deutschen Vaterlande. Ich habe jetzt oft ein Gefühl wie vor Sonnenaufgang in den Alpen. Wir sehen die Spitzen der Berge sanft erglühen, den Himmel lichter und goldner werden, die Wolken in einem tiefen Feuer aufleuchten. Ob der Weltkrieg, der unsren irdischen Augen Vernichtungsflamme scheint, in höherem Sinne das Morgenrot einer neuen Zeit ist? Unsere Weihnachtsfeiern waren immer so schön. Für das nächste Fest hatten wir schon unsre Pläne gemacht. Ich wollte in weißem Kleide durch die Tür kommen und wie der Sternsinger in den alten Dreikönigspielen, mit dem Stab, an dem der goldne Stern funkelt, auf das Kind und Maria blickend, sprechen: »Stille, stille! Gottes Minne! Still, o Himmel, Still, o Meer -- Nun schweigt und ruht! Sterne, ihr sollt stille stehn, Winde, ihr sollt leiser wehn, Seht, o seht das frohe Wunder! Welten haben sich gefunden, Hohe Feuer sind entglommen, Sind in Lust und Glanz entbronnen, O Sonn' in einer Wolke Glut: Dies holde Knäblein, das da ruht, Wisset, ist Gott und Mensch zugleich! Sein' Gottheit aus der Menschheit sieht, Wie die Sonn' aus der Wolke glüht ...« Ist nicht eine geradezu Rembrandtsche Beleuchtung in diesen einfachen alten Worten? Wie haben wir zu Weihnachten immer gesägt, gemalt, gepappt, vergoldet und versilbert! Wir bauten manchmal aus Moos, Feldsteinen, hölzernen Schafen, Hirten und dergleichen das halbe Zimmer in eine Weihnachtslandschaft um. Wie einsam wird diese Weihnacht werden! Doch ich bin müde. Heute war ich in einer Sitzung des städtischen Arbeitsnachweises; mehrere tausend Frauen wurden hier aus der Rüstungsindustrie entlassen; welche wirtschaftliche Umwälzung! Und auf allen Gassen schreit man nach größerem Lohn. Aber wenige rufen nach ewigen Dingen. Meine Mutter und ich fühlen uns oft wie Fremdlinge in dieser wild erregten Welt, wenn wir so miteinander durch die Straßen gehen. Nächstens ist ein Bachkonzert. Das habe ich mit Dirk nie versäumt. Bach und Beethoven waren seine Lieblinge. Wir haben da so eine liebe alte Kirche, Weiß und Gold, wunderschöne heimatliche Schnitzereien; wenn ich da sitze, wo ich oft mit Dirk und Mutter saß, weiß ich: Hier ist Heimat. Da fühl' ich Dirk neben mir. Wenn wir manchmal zu lang irgendwo blieben und ich ins Träumen kam, vernahm ich plötzlich seine gute tiefe Stimme leis am Ohr, und er mahnte mich mit den Worten des alten Volksliedes: »Schwesterlein, Schwesterlein, wann gehen wir nach Haus?« Ach, daß ich diese Stimme nie mehr höre! Seien Sie herzlich gegrüßt! ~Hertha.~ * * * * * Dirks Mutter an Erwin. Lieber Herr Ehrmann! Wir wissen durch Dirk, ein wie treuer Freund Sie ihm gewesen sind. Wollen Sie seiner Mutter und Schwester eine Freude bereiten? Elsaß ist jetzt von den Franzosen besetzt. Sie werden also wohl vorläufig nicht nach Hause können. Wenn es Ihr Gesundheitszustand erlaubt und wenn Sie durch keine andren Absichten oder Pflichten verhindert sind, kommen Sie doch bitte zu uns beiden Vereinsamten und feiern Sie mit uns das stille Fest des Lichtes und der Liebe! Dann wollen wir von Dirk sprechen, dessen Geist gewiß bei uns sein und sich mit uns freuen wird in seinen verklärten Höhen. Mit herzlichen Grüßen Ihre ~Paula Schütz~. Zwölftes Kapitel Heidelberg ... so möchte man freilich den Weg dahin richten, wo Freundschaft und Neigung den reinsten Empfang versprechen. ~Goethe~ an Marianne von Willemer (1817) Am Eingang des Heidelberger Schloßgartens erhebt sich ein stattlicher, gelb getönter Steinbau. In steilen Terrassen steigen dort Gärten und Landhäuser längs der gewundenen Straße bis hart an die Schloßmauer heran. Und ihnen entgegen wächst von oben her der Bergwald, der seine Bäume und Büsche tief in die Schloßtrümmer hineinsendet, wo er dann noch mit Efeu alle Ritzen und Gräben der zerbrochenen, doch zärtlich erhaltenen Burg liebevoll einspinnt. Jenes herrschaftliche Haus entfaltet seine Hauptfront mit Altanen und Steintreppen nach der Nordwestseite. Dort türmt sich das ansehnliche Gebäude aus den Gärten empor und gipfelt zuletzt in einem kleinen Turm, der einer Sternwarte gleicht. Goethes Lieblingsstätte ist so nahe, daß man aus den Fenstern zu dem daselbst Stehenden hinüberplaudern könnte. Und vom Altan aus hat man dieselbe Aussicht auf den edelgeschwungenen, westwärts in den Rhein dahingleitenden Neckar, wie einst der weimarische Dichter, der jene Stätte an der umsponnenen Mauer um die Zeit seiner freundschaftlichen Liebe zu Marianne von Willemer besonders liebgewonnen hat. Auch der Gingo-Biloba-Baum, der in Lied und Briefworten jener Tage genannt wird, steht noch in den weitläufigen Schloßanlagen. Und zarte Romantik genug wittert überall in den Lüften, die im Mai von Blüten, Bienen und Vogelsang üppig begnadet sind. Niemals auch entschläft hier die immer neu aus der Universitätsstadt heraufquellende Zechromantik Scheffelschen Tones. Und der alte deutsche Wanderdrang fühlt sich oft mit Rucksack und Laute in diesen einst so roh gesprengten, samt der ganzen Pfalz fürchterlich verwüsteten, doch in einzigartiger Ruinenschönheit wohlerhaltenen Schloßbezirk getrieben. Hier hatte Frau Cäcilie Lobsann-Schultheß, von Zürich kommend, Gatten und Heim erwählt. In ihrem überaus anmutvollen Wesen waltete wieder ein Hauch des weimarischen und des romantischen Geistes deutscher Dichtung und deutscher Fraulichkeit. Es war in jenen November- und Dezembertagen eine milde, helle Witterung mit nächtlichem Sternenschein und dunstfreiem Vollmond. Zögernd nur wichen die reinen Abendröten hinunter, nachdem sie sich lange im wellenlosen Spiegel des farbenschimmernden Neckarstromes gelabt hatten. Der Bismarckturm drüben am sanft ansteigenden Hügel stand massig unter den abendlichen Farben. Er hatte in mondhellen Sommernächten manchem Fliegerkampf über dem unfernen Mannheim-Ludwigshafen zugeschaut. Oh, wie dann die dumpf donnernde Luft durchzuckt war von ununterbrochenen Schrapnell-Blitzen der heftig abwehrenden Geschütze! Jetzt lag das blutgetränkte Europa in unheimlicher Ruhe; die Dämonen des Weltkrieges schienen entwichen. Oder waren sie, wie jene nordwärts fliegende winterliche Rabenschar, ins innere Deutschland geflogen und hausten dort in den Geistern der Revolution? In jenem wuchtigen, einem Palazzo der Renaissancezeit vergleichbaren Bau hatte der ausgewanderte Elsässer Arnold im ersten Stockwerk Zuflucht gefunden. Hier atmete er auf. Er konnte sich keine angenehmere Wohnstätte wünschen. Fanny hatte während der rüstig betriebenen Einrichtung den Schmerz betäubt. Behaglich erwuchsen die schmucken Räume unter ihren fest zugreifenden Händen. Die Bücher standen geordnet und warteten auf Benutzung. Das Speisezimmer bildete den Übergang zum großen Steinbalkon, und daneben war noch ein kleineres Zimmer, worin sich Fanny vorläufig niedergelassen hatte. Nur vorläufig; denn sie war entschlossen, nach vollbrachter Arbeit in das französische Elsaß zurückzukehren. Niemand suchte das willensstarke, vom Schmerz überschattete ernste Mädchen im Trauergewand an ihrem Entschluß zu hindern, da sie erste Versuche dieser Art sofort zurückgewiesen hatte. Alle waren taktvoll genug, ihr in so wichtiger Lebensentscheidung, ob sie fernerhin zur deutschen oder zur französischen Familie gehören wollte, Freiheit zu lassen. Allein mit der ihrer Schweizerart eigentümlichen Zähigkeit wartete Frau Cäcilie seufzend auf eine passende Stunde zu nochmaligem Angriff; und noch geheimer war Arnolds wehmutvolles Bedauern. Die ebenso lebhaft-natürliche wie herzensgute Hausfrau hatte das junge Mädchen rasch ins Herz geschlossen; beide hatten Künstlerblut. Und dem nunmehr amtlosen Einsiedler war es, als ob mit Fanny das letzte Restchen Heimat am Himmel dahin zu schwinden drohte. Professor Lobsann, Mediziner und Musikfreund, war beglückt, Gastfreundschaft erweisen zu können. Liselottchen, das gesprächig-liebenswürdige Töchterchen, beherrschte hier den Kreis und trat in Wettbewerb mit der Mutter, deren Reichtum an Einfällen sie geerbt, deren warme Braunaugen sie jedoch abgelehnt hatte, um Vaters Blauaugen vorzuziehen. Die Kleine war ein bestrickendes Persönchen. Sie hatte im ersten Augenblick Fannys ganze Liebe gewonnen, so daß sie sogar den tüchtigen Schwestern Weller ein wenig untreu wurde, die Lobsanns Haus leiteten. Hatte die etwas an den schweizerischen Tonfall der Mutter erinnernde Sprechweise der Elsässerin ihr Ohr erobert und durch das musikempfängliche Ohr das kleine Herz? Oder die rasche, dabei innige Art, wie Fanny zu liebenswerten Menschen Stellung nahm? Oder die noch von Schmerz durchzitterte Seele der verwaisten Jungfrau? Kurz, das zehnjährige Kind, das sonst sein eigenes Setzköpfchen zu bekunden und sich nicht ohne weiteres anzuschmiegen pflegte, warf sich mit erstaunlichem Zutrauen in die Arme der neuen Freundin. Und wohl mochte die verlassene Braut dabei ahnen, daß ihr das Glück eigener Kinder für immer versagt sei. Fanny hatte im Balkonzimmer den Tisch geschmückt, soweit es in dieser Jahreszeit möglich war. Der Abend schimmerte herüber. Die Teestunde sollte eine Art Einweihungsfeier werden, in einfachsten Formen. Frau Cäcilie war in einem kornblumenblauen Kleid heraufgeeilt und zog Fanny schnell noch zu einem Plauderviertelstündchen neben sich auf das Sofa. Und da ergab es sich nun, daß sie plötzlich auf Arnolds Heidelberger Anfangszeit zu sprechen kam. »Ja, und da wollt' ich noch sagen, Fanny,« plauderte sie in ihrer geläufigen, manchmal umständlichen und begründenden Art, »ist Ihnen nicht auch schon an Professor Arnolds Gesicht das schmerzliche Lächeln aufgefallen? Ich habe diesen wehmütigen Zug, der sich ihm tief eingegraben hat, geradezu entstehen sehen. Denn ursprünglich war er nicht so, er war vielmehr heiter und zu Neckereien aufgelegt, so daß wir in jener allerdings nur kurzen Zeit unserer ersten Bekanntschaft manchen Redestrauß miteinander ausgefochten haben. Es endete freilich immer versöhnlich, und zwar meist mit einer Schokoladetafel Lindt und einem unter Blumen versteckten Verschen. Aber die Geschichte mit seiner Frau -- --« »Daß sie geisteskrank wurde?« fragte Fanny gespannt. »Ich habe nie Näheres darüber gehört.« »Nein, noch früher. Man spricht ungern davon. Sie war immer ein wenig nervös, ein wenig unbefriedigt und leicht gekränkt, in der wirklich törichten Meinung, daß man sie als Elsässerin nicht voll achte, wozu aber sicherlich gar kein Grund vorlag, wenn man auch einmal auf die Französlinge im Elsaß schimpfte. Und dann, ja, es ist halt traurig zu sagen -- dann kam die Verirrung mit dem Studenten. Sie hat ihren Gatten und das zweijährige Bübchen einfach sitzen lassen und ist eines Tages mit einem jungen Mann durchgegangen, um freilich nach ein paar Wochen oder Monaten beschämt und gebrochen wieder heimzukehren. Von da ab war eine Störung in ihrem seelischen Wesen. Man hat die Sache möglichst zugedeckt. Aber schließlich hat man sich die Augen nicht mehr verschließen können, daß sie geisteskrank war. Im Irrenhause ist sie dann gestorben. Es hat ihn furchtbar mitgenommen. Seine Stellung hier war unmöglich geworden. Denn nicht wahr: er selbst vertritt ja so etwas wie philosophischen Idealismus und fühlte den Vorgang als eine öffentliche Niederlage, da er nicht einmal in seiner nächsten Umwelt Ordnung schaffen konnte. Er hat Zeiten gehabt, wo er an Gott und an aller Weltordnung irre geworden ist; aber ausgesprochen hat er sich höchstens einmal zu meinem Mann, und der trägt solche Sachen nicht weiter. Nur die Musik bot dem Vereinsamten immer wieder Trost. Da hab' ich ihn mit meinen Liedern oft erfreuen dürfen. Überhaupt, edle Hausmusik -- -- obwohl, ich muß es Ihnen halt ganz verstohlen gestehen, liebe Fanny, mich drängt's und reißt's doch auch immer wieder nach dem Konzertsaal. Das liegt mir so von Mutter und Großmutter her im Blut. Sich so recht in Formen der Kunst austoben, eine kunstsinnige Zuhörerschaft hinreißen -- ach, Fanny, verstehen Sie das?« Ja, Fanny konnte diesen edlen Ehrgeiz nachfühlen. »Ist's das vielleicht, was jene unglückliche Frau gesucht hat?« fügte sie nachdenklich ein. »Hat ihr vielleicht die Befreiung durch die Kunst gefehlt? Onkel Arnold sagte mir einmal, sie habe zu Kunst und Musik kein Verhältnis gefunden. Können Sie sich das vorstellen, Frau Cäcilie? Und er so musikalisch! Und sogar ein Stück Poet wie auch Gustav!« Und Fanny erzählte von jenem Band »Gespräche«, den sie unter den Papieren gefunden. Sie glaubte die Unterhaltung zwischen Agnes und dem armen Heinrich jetzt noch besser zu verstehen. Und bitter brach auch heute wieder die Klage durch, daß ihr selbst dem Verlobten gegenüber keine Erlösungskraft beschieden gewesen. Frau Cäcilie tröstete. »Das ist Schicksal, liebe Fanny. Mit wieviel Widerwärtigkeiten im Haushalt und im Künstlerberuf hab' ich zu kämpfen gehabt! Manchmal hab' ich dagesessen, gänzlich mürb und müde, die Hände im Schoß, und hab' mit Tränen im Auge Gott gefragt: Warum denn mir das alles? Was hab' ich denn Schlimmeres getan als die andren? Da haben mir wertvolle Freunde nebst edel gehaltener Dichtkunst, Religion und Musik wiederum Kraft und Gleichmaß gegeben. Vieles hat sich mir nicht erfüllt. Aber das ist Schicksal, Fanny. Manches Leben zerbricht freilich dabei, wie jetzt Deutschland zerbricht und wie Ihr armer Gustav zerbrochen ist. Aber Sie haben mir ein schönes, schlichtes Wort von Professor Arnold an seines Sohnes Grab berichtet: Gott wird seine Seele wiederherstellen. Ja, das wird der Allgütige tun. Gott wird auch die deutsche Seele wiederherstellen. Und wird auch Sie und mich führen, liebe Fanny, wie es zu unsrem Heil gut ist. Nicht wahr? Denn obschon ich so himmelblau und heiter neben Ihrem schwarzen Kleid sitze -- auch ich habe manches durchgekämpft. Und ich verstehe Sie -- -- ach nein, ~dich~, Fanny! Laß uns einander du sagen! Ist es dir recht, Schwesterseelchen?« Die beiden Frauen küßten sich und saßen fortan umschlungen wie zwei junge Mädchen, die Freundschaft fürs Leben geschlossen haben. Fanny sprach nicht viel, atmete nur heftig; denn ungeklärte Entschlüsse rangen in ihr, die sie erwog, während die Schweizerin von den Festen im Hottinger Lesezirkel zu Zürich, von den Heidelberger Bach-Aufführungen und von eigener edelgeplanter Geselligkeit weitersprach. Hier tat sich eine reichere, leuchtkräftigere Welt auf als im gar zu kleinen Winzerdorf Lützelbronn. Und plötzlich, wie ja oft die Gedanken und Gefühle vertrauter Freunde insgeheim zusammenklingen und gleichzeitig auf die Lippen treten, sprach es die Hausfrau zaghaft aus: »Schade, Fanny, wirklich sehr schade, daß mein Liselottchen dich nicht immer um sich hat. Das Kind wird Heimweh nach dir bekommen, wenn du weggehst -- und ich halt auch es bizzli.« Das ward treuherzig und lächelnd, zuletzt in Züridütsch, aber doch recht wehmütig gesagt. Und sie schaute die junge Freundin so liebreizend dabei an, daß Fanny abermals den Arm um sie schlang. »Wie gut ihr alle zu mir seid!« Es tat der Elsässerin unendlich wohl, solche innige Teilnahme zu spüren. »Was gedenkst du denn in Straßburg zu tun?« beharrte Frau Cäcilie. »Ich werde meinem Bruder Georges den Haushalt führen«, erwiderte Fanny etwas kleinlaut. »Und überhaupt -- ich werde arbeiten, arbeiten und vergessen.« Jetzt kam das jüngere Fräulein Weller, eine rotwangige Blondine, eilig herauf und meldete einen Besucher, der Fräulein Bieler zu sprechen wünsche. »Es ist ein Sanitäter aus Straßburg und hat ein Paket von Schwester Lisy.« Fanny schnellte empor. »Aus Straßburg? Aber die Grenzen des besetzten Gebietes sind ja abgesperrt!« »Der Sanitäter ist doch durchgekommen. Da ist er!« Ein großer, hagerer Mann im feldgrauen Mantel, mit runder Hornbrille trat schweren Schrittes ein und blieb in soldatischer Haltung stehen, ein längliches Paket in der linken Hand. Hatte bei den Frauen alle Rede in zarten, hellen Schwingungen das Zimmer belebt, so erklang hier eine wortknappe, männliche Baßstimme, die fast rauh und rostig wirkte. Man spürte, daß dieser Soldat dem Tod ins Angesicht geschaut hatte und auf Redensarten des Salons nicht gestimmt war. In kurzen, schlichten Worten berichtete er, daß er bis zuletzt im Kunstschul-Lazarett zu tun gehabt. »Das war uns erlaubt. Wir mußten nur aus den Hosen das Rot abtrennen und eine bürgerliche Mütze aufsetzen, auch alle Abzeichen entfernen. So hab' ich den Einzug der Franzosen mitangesehen. Hier sind Zeitungen, hier Bildkarten und hier ein Brief von Schwester Lisy.« Er entnahm den Taschen die zerknitterten, stark nach Tabak duftenden Papiere und gab auch das verschnürte Paket ab. Auf einige Fragen, woher und wohin, kam schlichte Antwort. Es war Fernblick in den Augen dieses Mannes, der während des Sprechens gradaus nach dem Fenster in den Abendhimmel schaute. Er hatte eine Farm im inneren Afrika, am Kilimandscharo. Von dort war er bei Ausbruch des Krieges nach Deutschland gereist, um mitzukämpfen. Man sprach mit Achtung vom tapferen Lettow-Vorbeck, der Deutsch-Ostafrika vier Jahre hindurch unbesiegt verteidigt hatte. Dann fragte man nach den Zuständen in Straßburg. »Erbärmlich! Hätte nie vermutet, daß im schönen Elsaß so viel Gemeinheit haust. Wenn Altdeutsche oder Deutsch-Elsässer ausgewiesen werden, muß das innerhalb vierundzwanzig Stunden geschehen. Dann sammelt sich der Pöbel am Desaix-Denkmal bei der Kehler Rheinbrücke. Die Ausgewiesenen, Männer von Bildung und Pflichttreue, werden truppweise bis dorthin gefahren; von dort müssen sie zu Fuß über die Rheinbrücke gehen und werden dabei beschimpft, verhöhnt, ja oft mißhandelt und mit Schmutz beworfen. So geht's auch in Kolmar und Mülhausen. Auf militärischen Lastautos, wie Tiere, führt man sie auch dort dem Pöbel zur Schau durch die Straßen nach der Grenze. In höheren und Volksschulen ist französische Sprache befohlen; die Marseillaise wird eingedrillt. Beim Einzug der Franzosen schwangen die Kinder französische Fähnchen und schrien wie besessen ›=vive la France!=‹ Die ganze Bevölkerung war berauscht. Frankreich bringt ihnen ja den Himmel auf Erden: Schokolade, Milch, Mehl, Rotwein -- alles im Überfluß! Aber nach jedem Rausch kommt der Kater. Es wird auch im Elsaß katern.« Der Soldat räusperte sich rauh und schwieg. Er hatte nicht viel Zeit und machte Anstalt, sich zu verabschieden. Noch am Abend hoffte er zu seinen alten Eltern nach Sachsen weiterfahren zu können. »Und Lisy! Wie geht's denn Schwester Lisy?« »Sehr gut. Das heißt, sie hatte einen Grippe-Anfall. Es wird wohl alles im Briefe stehen. Besonders erschüttert hat sie die Schändung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals. Nichtsnutzige Burschen, Elsässer leider und französische Soldaten, haben das Bronze-Reiterstandbild unseres ehrwürdigen alten Kaisers Wilhelm =I.= vom Sockel gerissen, in Stücke geschlagen und den Kopf an Seilen vor das Denkmal des Generals Kleber geschleift.« »Was haben sie getan?!« rief Fanny entsetzt. »Es wird im Briefe stehen«, wiederholte der Sachse. »Es waren Mitglieder eines Cercle von elsässischen Studierenden. Daß aber einer von Ihren Verwandten dabei war, Fräulein Bieler, der eben aus Frankreich zurückgekehrt ist, das hat Schwester Lisy ganz besonders zusammengeschmettert.« »Doch nicht mein Bruder?!« Fanny zitterte am ganzen Körper, als sie die Frage stellte. Der Erzähler verwies mit ausgestrecktem Zeigefinger abermals auf das Schreiben und sprach gleichsam tröstend: »Das steht alles da drin.« Dann schritt der Afrikaner in die beginnende Nacht hinaus, von Frau Cäcilie verabschiedet, die Fanny allein ließ, damit sie den Brief lesen könne. * * * * * Im großen Arbeitszimmer des ausgewanderten Elsässers waren bereits etliche Gäste mit Lobsann angekommen. Die beiden Freunde Ingo von Stein und Oberstleutnant Richard von Trotzendorff hatten sich im nahen Schloßhotel durchreisend auf wenige Tage einquartiert. Sie waren hocherfreut, in diesem neuen Lebensbezirk den ehemaligen Pfarrer von Lützelbronn so vortrefflich untergebracht zu finden. Beide trugen bürgerliche Kleidung. Die Revolution hatte ihnen persönliche Ungelegenheiten nur wenig bereitet. Den Versuch freilich eines unreifen Burschen, dem Oberstleutnant auf offener Straße die Achselstücke abzureißen, hatte dieser mit einer so wuchtigen und wirksamen Ohrfeige beantwortet, daß der Rekrut an eine Laterne taumelte. Dann hatte Trotzendorff die Hand an den Revolver gelegt, die Umstürzler durchbohrend angeschaut und unbehindert seinen Weg fortgesetzt, wenn auch hinter ihm geschimpft wurde. Der Schmerz über das schmachvolle Betragen deutscher Truppen hatte in diesem Altpreußen ebenso großartige Formen angenommen, wie sein Ingrimm, der in verzehrenden Flammen unter seinen buschigen Augenbrauen hervorschoß. Er hatte schon früher nicht viel gesprochen; während des Krieges und dieser furchtbaren Herbsttage war er schweigsamer geworden als je zuvor. Er litt unendlich. Doch in den Tiefen hofften er und Ingo trotzdem auf ein neues Erwachen der deutschen Seele. Derselbe Ernst lag über allen Damen und Herren des erlesenen kleinen Kreises. Ein schlanker, feingebauter Generalstabsoffizier mit durchgeistigten Zügen erzählte aus eigener Anschauung von des Kaisers letzten Tagen im Hauptquartier zu Spaa. »Wir glaubten die Verantwortung für des Monarchen persönliche Sicherheit nicht mehr übernehmen zu können. Die Memmen von der Etappe flohen ja kopflos. Ein Unteroffizier des Kraftwagenparks in unserem Großen Hauptquartier ist im Kraftwagen mit der gesamten Löhnung durchgegangen. Durch solche feigen Flüchtlinge sind uns Milliardenwerte an Heeresgerät und Stoffen aller Art verloren gegangen. Befehle wurden nicht mehr ausgeführt, die Offiziere waren machtlos. Da sah ich den sonst so selbstsicheren Kaiser zum ersten Male unsicher. Er wußte nicht, was tun; er schämte sich, zu fliehen und zögerte lange; zu einer frühen und freiwilligen Thronentsagung konnte er sich auch nicht entschließen, denn er glaubte dann erst recht den Zusammenbruch zu beschleunigen. Endlich, an einem schmutzig-grauen Regentage, ging's fort nach der holländischen Grenze.« »Und unser Hindenburg?« »Ihn sah ich zuletzt, wie er den Bahnsteig betrat, gebrochen in seiner äußeren Haltung, begleitet von einem Mann in Soldatenuniform mit roter Armbinde. Ein zweiter Zug stand in der Nähe; dort stiegen Mannschaften ein; niemand beachtete den Sieger von Tannenberg. Der Feldmarschall bestieg den Wagen, an dessen beiden Enden eine Wache mit roten Binden am Arm Platz nahm. Inzwischen entwürdigten sich deutsche Soldaten, den ersten Feinden Hurra zuzurufen; es waren französische Offiziere von der Waffenstillstandsgruppe. Diese hatten mehr Würde im Leib: sie blickten gradaus und dankten nicht.« Trotzendorff knirschte. Er stand mit gekreuzten Armen und stieß zwischen den Zähnen hervor: »Die Franzosen haben uns bisher gehaßt, jetzt verachten sie uns.« »Sie wollten noch vom Kaiser erzählen«, warf Ingo hin, um die dumpfe Pause zu unterbrechen. Der Offizier erzählte. Es war ein trauriger Regentag, als der lange Eisenbahnzug mit dem letzten Hohenzollern und seinem Gefolge in die kleine niederländische Station bei Schloß Amerongen einfuhr. Überall Schlamm, Pfützen, nasse letzte Blätter und weithin graue, flache Landschaft. Unter Regenschirmen warteten einige Dutzend Berichterstatter und allerlei neugieriges Volk nebst holländischen Soldaten und Gendarmen. Langsam krochen die schwarzen Wagen heran, mit heruntergelassenen Gardinen, ein Leichenzug. Der Kaiser, in feldgrauer Generalsuniform, mit Mütze und Pelzmantel, steigt mit seinen Leuten aus. Er begrüßt in seiner raschen alten Weise seine Gastgeber. Die Zeitungsherren schweigen; ein paar Zurufe ertönen; er will in gewohnter Freundlichkeit militärisch danken, doch die Hand zuckt wieder vom fahlen Gesicht zurück: denn schrille Pfiffe fahren darein. So geht er schnell zum Auto. In einem Kraftwagen unmittelbar dahinter nimmt ein niederländischer General Platz, der Leiter des Internierungsdienstes. Und nun ein peinliches Warten bei strömendem Regen und ungehemmt herandrängender Menge, die den Monarchen anstarrt. Einem alten General in des Kaisers Gefolge rollen die Tränen aus den Augen. Endlich sind die zahlreichen Koffer auf Lastautos umgeladen. Der Zug der Kraftwagen setzt sich unter schwachen Zurufen in Bewegung und verschwindet zwischen herbstnassen Büschen und emporspritzendem Schlamm in der Richtung nach Amerongen. Der Offizier schwieg. Es ging eine Bewegung der Teilnahme wie von einem inneren Weinen durch die Versammelten. Sie alle waren freiheitlich gestimmt, wie das ja dem Süddeutschen und zumal dem Badenser im Geblüt liegt; aber sie hatten auch Verständnis für Ehrfurcht. Besonders der bewegliche, in Gebärden und Sprechweise jugendlich wirkende Professor Lobsann lief einige Male hin und her, angeblich um Streichhölzer zu suchen, in Wahrheit um eine Träne zu verbergen. »Und im Berliner Schloß«, stellte einer der Anwesenden fest, »hält ein wahnsinniger Hetzer aus demselben Fenster Ansprachen, aus dem bei Kriegsbeginn der Kaiser gesprochen -- der Kaiser, dem auch die Sozialdemokratie zugejubelt hat! Und in den Schloßräumen hausen die meuterischen Matrosen, denen grade dieser Monarch seine ganze Liebe geschenkt hatte. Man möchte ausspucken, wenn man auf der Straße eine Matrosenuniform sieht.« So suchten sich die Herzen zu erleichtern. Bitter gebrandmarkt wurde besonders die ungeheuerliche Verschwendung der nunmehrigen Parteiherrschaft, unter der auch die Soldaten für ihre Wachen gut bezahlt wurden, während gleichzeitig die Arbeiter durch Streikdrohungen geradezu unerhörte Löhne erpreßten. Mammon, überall der fluchwürdige Götze Mammon! Ein anwesender höherer Beamter mit abgearbeiteten Zügen bekam einen Zornanfall. »Arbeiter! Arbeiter!« rief er mit rotem Gesicht und geschwollener Stirnader. »Sind wir denn nicht alle Arbeiter?! Haben wir denn nicht für das Staatsganze gearbeitet bis zum Umfallen?! Erhält eine Munitionsarbeiterin nicht dreimal so viel Gehalt als wir alten, abgeschafften Aktenmenschen? Welcher Teufel und Dämon hat denn dem deutschen Volke seit Jahrzehnten dieses Wahnsinnsgedudel vom unterdrückten Arbeiter vorgesungen? Wurde nicht die Arbeiterschaft verhätschelt und verpäppelt, seit der Kaiser zur Regierung kam? Hat er nicht ihretwegen Bismarck weggejagt?! Und das ist nun ihr Dank! Stellen Sie sich einmal unter die Leute beim Milchholen oder beim Bäcker, wenn unsre braven Hausfrauen in dieser Dienstbotennot dort mitwarten müssen -- und hören Sie das unflätige, freche Reden der Arbeiterfrau mit an! Diese Menschen hat der Satan geführt seit Jahrzehnten, aber nicht der liebe Gott. Mag unser pflichttreuer Hohenzoller gefehlt haben -- diese Bande ist nicht berufen, wahrlich nicht, ein um Preußen so hochverdientes Königsgeschlecht abzusetzen!« So machte sich dieser Gerichtsbeamte Luft. Und die Anwesenden stimmten kräftig bei. Auch Ingo. Doch immer auf Ausgleich bedacht, streifte der Thüringer die Asche von seiner Zigarette und sagte wie im halben Selbstgespräch: »Wohl wahr! Immerhin ... Als ich zuletzt durch Weimar kam -- vor einigen Monaten --, sah ich ein paar junge Damen der gebildeten Stände aus einer dortigen Teestube in die Dämmerung heraustreten, trällernd, frech und Zigaretten rauchend. In der Schillerstraße ähnliche moderne Erscheinungen: blecherne, laute, leere Stimmen, Faltenröcke, Gamaschen, dreister Blick. Das ist weibliche Jugend mancher besseren Stände. Wohlgemerkt: in Weimar, nicht in der berüchtigten Berliner Tauentzienstraße! Wenn man als vielgereister Europäer den Blick für diese Dinge übt, so entgeht einem nicht eine wichtige Tatsache: die Roheit der unteren Stände ist nur die Widerspiegelung des Seelentiefstandes der oberen. Das, Herr Geheimrat, möchte ich als Ergänzung zu Ihren durchaus richtigen Beobachtungen hinzufügen. Und du, Richard: weißt du noch, wie wir einmal auf meinem Gut Waldeck an einem Winterabend beisammen saßen und vom unbeseelten Deutschland sprachen? Das war schon ein bis zwei Jahre vor dem Weltkrieg. Ich habe mich merkwürdig oft mit dem Kaiser im Traum beschäftigt; ich fühlte, daß er mit seinen unruhigen Reisen und Festen auf falschem Wege war, denn ich selbst hatte lange mit solchem Reisedrang zu kämpfen gehabt. Freund Trotzendorff« -- Ingo fügte das lächelnd hinzu -- »hatte übrigens den freundschaftlichen Ehrgeiz, mich auf Grund meines Werkes über Heldentum und Friedrich den Großen persönlich mit Seiner Majestät zusammenzubringen. Nun, es ist ihm ja auch gelungen, und zwar auf der Wartburg. Ich hatte gar viel auf dem Herzen, was ich dem Kaiser sagen wollte, besonders über sein Nicht-Verhältnis zu Kunst und Dichtung. Aber ich bin gar nicht zu Worte gekommen. Majestät wußte schon alles, wenn nicht mehr. So war denn die Unterredung kurz, schmerzlos und nichtssagend. Ich denke mit Wehmut daran zurück.« »Leider!« nickte der Geheimrat. »Majestät wußte immer alles, wenn nicht mehr. Er redete nur, er fragte nicht. Und in Wahrheit, meine Herren, war er im Innern oft recht unsicher: er hat es nur durch forsche Reden verdeckt.« Nun wob Lobsann eine feine Bemerkung ein: »Sie wissen, meine Herrschaften, in der nordischen Edda ist vom Weltbrand die Rede. Alle Asen-Götter gehen unter. Einer jedoch überlebt und tötet die Midgardschlange. Dieser eine ist Widar. Und ihn, den sonst wenig bekannten, fast geheimnisvollen Gott, nennen die Sänger den ›schweigsamen Asen‹. Widar der Schweigsame überlebt. Wo mag er stecken, unser Widar, der nicht viel redet, sondern handelnd den neuen Himmel und die neue Erde heraufführen hilft?« Ingo war entzückt von diesem Gedanken. Er schüttelte dem nicht gern vortretenden, doch manchmal sehr sinnig eingreifenden Gastherrn in seiner liebenswürdigen Weise die Hand. Jetzt trat mit leichten, zierlichen Schritten Frau Cäcilie ein und brachte Mozartsche Stimmung in den schweren Gesprächston. Und zugleich mit ihr einige neue Gäste: ein Stadtpfarrer und ein Musikdirektor mit ihren Frauen. Sie hatte die elsässischen Zeitungen und Bildpostkarten mit herübergebracht. Und sogleich nach dem Begrüßungsaustausch spann sich das Gespräch in dieser neuen Richtung weiter. Was für ein Anblick für den Elsässer Arnold, als er die »Straßburger Neue Zeitung« vom 22. November entfaltete! In fetten Buchstaben obenan ein »=Vive la France!=« Das Blatt hatte jetzt einen französischen Untertitel und französische Aufsätze vor den deutschen. Und sieh an: Als verantwortlicher Direktor zeichnete da noch immer derselbe Maler und Mundartdichter, dem einst der Kaiser persönlich den Roten Adlerorden mit schmeichelhaften Worten überreicht hatte! Jetzt aber -- was für Anhimmelungen Frankreichs! Ein andres Blatt war die sozialdemokratische »Freie Presse«, äußerlich und innerlich noch übler anzusehen. Da wurden die Beschauer gleich von einer Riesenüberschrift »Wilhelm die Memme« angefunkelt. »Feig wie ein Hund« -- »bei Wilhelminchen Schutz und Hilfe suchen« -- »Großmaul« -- so spie dieses Gewürm, dieser Elsässer! Dann die Bildkarten, die von Hand zu Hand gingen: Parademarsch der Franzosen vor dem Kaiserpalast -- Festgewimmel um das fahnenumwogte Kleberdenkmal -- jauchzendes Volksgedränge, fahnenschwingende Jugend -- hier ein begeisterter junger Mensch, der dem französischen General das Pferd am Zügel führt -- -- So also sah es jetzt in Straßburg aus. »Was sagt Fanny dazu?« fragte Arnold. »Und wo bleibt sie?« Frau Lobsann erzählte von dem Besuche des durchreisenden Lazarettgehilfen, der Paket und Brief von Schwester Lisy gebracht, und von der Schändung des Kaiserdenkmals. Arnold horchte hoch auf, als er vernahm, ein Verwandter Fannys habe sich an dem häßlichen Vorgang beteiligt. »Ein Verwandter?« fragte er mit fast erschrockenem Staunen. »Das kann doch nur ihr Bruder sein --?« »Dem sie den Haushalt führen will«, setzte Cäcilie bedeutsam hinzu. Und ein höchst gespannter Zug trat auch in ihr Antlitz. Arnold verstand diesen fragenden Blick. Er nickte ihr zu und entschuldigte sich bei der Gesellschaft: »Ich will zu ihr hinübergehen. Ich fühle, sie macht eine wichtige Entscheidung durch.« Und er begab sich zu seiner Leidensgenossin. * * * * * »Du hast einen Brief von Lisy bekommen, Fanny?« Gedankenlos hatte sie auf Arnolds Pochen »=entrez!=« gerufen nach ihrer elsässischen Gewohnheit. Und als er ins Zimmer trat, bot sich ihm ein sonderbarer Anblick, der ihn wie ein schwermutvolles Gleichnis durchdrang. Fanny stand im letzten goldbronzenen Winterlicht, das sich bereits mit dem Schimmer des Mondes mischte, am Fenster und hatte das Paket auszupacken begonnen, wobei sie gerade eine fast armslange, schneeweiße Gipsfigur betrachtend in die Höhe hob. Diese Figur war eine überaus schlanke Frauengestalt mit entzückenden Biegungen des hohen Leibes und nicht minder bewundernswertem Faltenfluß des Gewandes; der Stab in ihrer Rechten war zerbrochen, der gesenkte Kopf trug eine feine Binde über den Augen, und in der lang und matt herunterhängenden Linken war eine Schriftrolle. Die ganze Figur atmete Trauer. »Was hast du denn da?« »Das schickt dir Lisy«, erwiderte die Elsässerin. Mit einem leisen Ausruf des Entzückens erkannte er jetzt die Gestalt. »Wie lange schon habe ich mir diese beiden Figuren gewünscht! Die gute Lisy! Es ist wohl auch die zweite dabei?« Fanny stand schon über das Paket gebeugt und entnahm der Holzwolle auch die zweite Statuette. Diese Gestalt trug eine Krone auf dem Haupt, einen unzerbrochenen Stab mit dem Kreuz in der Rechten, in der Linken aber einen Kelch; sie wirkte weniger schlank als die biegsam-anmutige andere, dafür aber priesterlich und königlich: ein breiter Mantel wallte von den Schultern. Freundlich und tröstend schaute diese Siegerin hinüber zu der Verblendeten und Besiegten. Es war ein Gipsabdruck jener beiden bewundernswerten Standbilder, die am Seitenportal des Straßburger Münsters jeden Besucher entzücken. Die sieghafte Gestalt mit Kreuzesfahne und Gralskelch pflegt man als die christliche Kirche zu bezeichnen, die andre als die Synagoge. Aber für Arnold erhob sich aus den weißleuchtenden Figuren, die fortan seinen Schreibtisch zieren sollten, eine andre Symbolik. »Das zerbrochene, blinde, schmerzvolle Elsaß!« rief er aus und hob die Trauergestalt mit beiden Händen ins Licht empor. »Nein, mehr noch: die ganze unerlöste Seele der Menschheit überhaupt, die sich noch nicht durchgerungen hat zur Liebe! Sieh, Fanny, und hier das Kreuz der opfermütigen Liebe und der Gralskelch der Weisheit, aus dem der Gottsucher Mut des reinen Lebens trinkt! O wie sinnig von Lisy, wie schön, wie schön, mir dies als letzten Gruß aus dem Elsaß nachzusenden! Die treue Seele!« Auch Fanny hatte Gutes erhalten: feinste, weiche Wolle und mehrere Tafeln ihrer Lieblingsschokolade, die sie schon so lange vermißt hatte, nebst andren angenehmen Kleinigkeiten des Haushaltes. Dann übergab sie ihm mit ernstem Gesicht Lisys Brief. Er las: Meine liebe, liebe Fanny! Durch einen braven Menschen, den ich kürzlich im Lazarett kennen gelernt habe, erhältst du diesen Gruß aus dem nun so ganz andren Elsaß. Stell' die Figuren auf den Schreibtisch meines lieben Vetters und eigne dir selbst das übrige an. Was soll ich euch schreiben? Wenn ich's nicht erlebt hätte, ich hätt's nie geglaubt, daß so viel Haß und Gemeinheit in unseren Leuten steckt. Einige Tage war ich im oberen Elsaß. Dort predigte ein evangelischer -- merk' wohl, kein katholischer -- Geistlicher, daß wir achtundvierzig Jahre Knechtschaft hinter uns hätten; ein andrer stellte in seiner Predigt Betrachtungen über Blau-Weiß-Rot an: daß man lange sehnsüchtig gewartet, ob sich das Blau des Himmels und der Hoffnung oder das Schwarz der Trauer mit dem Weiß-Rot der Elsässer verbinden würde. Im Gotteshause hing die Trikolore! Kindern hat man Naschereien gegeben, damit sie ja recht mit Straßenschmutz auf die ausgetriebenen Altdeutschen werfen. Der einziehende französische General hat in seiner öffentlichen Rede wohl fünfmal das Wort ›Boche‹ benutzt. So unritterlich ist diese einst ritterliche Nation geworden. Aber das Schändlichste hab' ich in Straßburg erlebt. Denk' dir nur, sie haben das Standbild des alten Kaisers Wilhelm in Stücke geschlagen! Und mich mußte mein Schicksal grade am Platz in später Stunde vorüberführen -- ach, Fanny, um wen und was wohl zu sehen und zu hören? Daß dein eben aus Frankreich mit den ersten Truppen eingezogener Bruder bei den Cercleleuten war, die das getan haben! Ich hab' ihm zugerufen, aber sie haben mich nicht beachtet. Mein Herz hat Tränen geweint, und ich hab' kaum noch den Weg in meine Finkweilerecke gefunden. Ich bin noch schwach von der Grippe. Alice, die treue Freundin, hat mich gepflegt. Ihr Vater ist interniert, Gott mag wissen, warum! Sobald es angeht, wandern auch sie über den Rhein. Mich zwingt es innerlich, hier zu bleiben und zu sehen, wie weit ich meiner unglücklichen und verblendeten Heimat dienen kann. Aber für Vetter Arnold ist hier allerdings keine Luft mehr. Gott behüt' euch! Bleibt mir gut, wie euch immerdar aus tiefstem Herzen lieb behält eure ~Lisy~. Arnold hatte gelesen. Fanny stand derweil am Fenster zwischen den beiden weißen Figuren und hatte die Stirn an die Scheibe gedrückt. Jetzt wandte sie sich um. Sie schauten sich voll ins Gesicht. »Onkel Arnold,« sprach sie mit der so oft aus ihr herausbrechenden offenen, tiefernsten Wahrhaftigkeit, »kannst du dir vorstellen, daß ich meinem Bruder den Haushalt führe? Kannst du dir vorstellen, daß ich in ein solches Elsaß zurückkehre und dich allein lasse?« Er faßte aufleuchtend ihre beiden Hände. »Fanny! Liebste Fanny!« »Du kennst mich genug«, fuhr sie fort. »Du weißt, daß ich wohl immer Liebe gesucht, niemals Liebesgeschichten. Und du wirst mir die Kraft zutrauen, daß ich auch unvermählt bei dir bleiben kann -- als deine Tochter und Pflegerin und, wenn's gelingt, vielleicht ein wenig Mitarbeiterin. Traust du mir das zu?« »Aber Erwin -- und wer sonst etwa Anspruch auf dich erheben könnte von all den tüchtigen jungen Männern in Deutschland, die sich jetzt nach Weib und Heim sehnen?« »Erwin wird seine Hertha finden. Und die andern jungen Männer finden Mädchen genug. Aber du bist einsam. Du schließest dich viel zu schwer an jemand an. Doch falls du mich brauchen könntest -- -- Vater, ich habe keine Heimat mehr als dich. Behalt mich bei dir!« Die letzten Worte klangen so innig, daß er sich zu dem unaussprechlich hold vor ihm stehenden Mädchen hinabneigte und nach alter zarter Weise ihren Mund küßte. Er konnte kaum seine Tränen zurückhalten, als er in das blasse, bittende Gesichtchen sah. Sie hatte ihn zum ersten Male Vater genannt. »Wir wollen einander Heimat sein, liebes Kind«, sagte er leise. Dann nahm er die weiße Trauerfigur vom Fensterbrett, Fanny die sieghafte andre -- und so gingen sie miteinander hinüber zur Gesellschaft. * * * * * Die seelisch verarmte und viel umhergetriebene moderne Menschheit sucht lange schon nach einer edlen Lebensgemeinschaft. Aber es blieb vor dem Kriege meist bei pflichtmäßigen Abfütterungen oder bei dem üblichen Vereinswesen. Dazwischen sammelten sich da und dort stille Inseln, heilige Haine, wo sich beseelte Menschen in festlichen Zwiesprachen miteinander austauschten. Erst der Weltkrieg führte die Herzen näher zusammen. Man hatte auch im Hause Lobsann jene schöne Form der Geselligkeit gewählt, wo nicht mehr Mahlzeit und Rangordnung, sondern die zwanglose Aussprache die Hauptsache war. Es wurde Wein nebst Zigarren für die Herren, Tee und Gebäck für die Frauen herumgereicht; und es fehlte nicht an ehrlich bewunderten belegten Brötchen. Aber zumeist erfreute das herzlich belebte, geistig hochgestimmte, künstlerisch verschönte Gespräch. Ein dem Hause befreundeter Dichter trug nach ungezwungenen Einleitungsworten etliche Verse vor. Dann sang Frau Lobsann deren Vertonung, wobei der Musikdirektor begleitete. Leicht knüpfte sich eine Unterhaltung darüber an, inwiefern der Tonkünstler dem Dichter gerecht worden war oder aus Eigenem Stimmungen hineingetragen hatte. Weitere Lieder folgten, Präludien von Bach, Tonstücke von Liszt, Schubert und Schumann flochten sich ein. Sowohl Fanny als auch Ingo und Arnold hielten heute ihr laienhaftes Temperament zurück und spielten nicht; der Gatte der Künstlerin und der Musikdirektor, ein ausgezeichneter Lisztkenner, widmeten sich dem Klavier. Fanny war in so großem und neuem Kreise zunächst scheu. Als sie mit ihrem väterlichen Freunde eintrat, knüpfte das Gespräch naturgemäß an die eigenartigen Statuetten an. Da erst entdeckte Arnold auf dem Rücken der beiden Bilder eingegrabene Worte. Auf der Siegergestalt las er den Satz: »Mit Jesusblut überwind' ich dich«; und zwischen den schmalen Schultern der abgewandten Trauernden fand er die Worte: »Dasselbig Blut erblendet mich«. Das gab ihm Anlaß, mit unerwartet ausbrechendem Feuer über die Aufgabe der deutschen Zukunft zu sprechen. »Unsere elsässische Freundin, die dort zurückbleibt, schickt uns da eine großartige Mahnung aus dem Eliland, aus dem nunmehrigen Fremd- und Elend-Land. Wir sollen durch verstärkte Liebe, durch opferfreudige Liebe -- denn das ist Jesu Blut -- dem bisherigen Zeitgeist den Speer zerbrechen, die Augen erblenden und die anklagende Schriftrolle aus der Hand ringen. Der Theosoph würde sagen: wir sollen Luzifer und Ahriman in Christus umwandeln oder Bosheit in Güte. Der Apostel hat es ausgedrückt: Überwindet Böses mit Gutem! Sehen Sie, da hab' ich meine ganze künftige Lebensaufgabe in sichtbaren Zeichen vor mir auf meinem Schreibtisch stehen! Haß wird nicht durch Haß überwunden, nur durch schaffende Liebe!« Ingo von Stein, der sich nach den Zerrüttungen des Weltkriegs auf verinnerlichte symbolische Lebensbetrachtung freute, ging mit Verständnis auf diese Gedanken ein. Er fühlte sich von den durchgeistigten Zügen des hochgewachsenen Pfarrers und Professors immer wieder angezogen und erzählte ihm von seinen eigenen, durch den Krieg unterbrochenen Arbeits- und Bauplänen. »Lobsann besitzt hier ein eigenartiges Haus, nicht wahr?« sprach der Spielmann. »Dieser Monumentalbau hat ja da unten geradezu Katakomben. Ich könnte mir ausmalen, daß man hier Grotten und einen Geheimtempel in den Berg hineinbauen und eine auserwählte Geisterschaft zu einem Geheimbund versammeln könnte, etwa wie in Goethes Wanderjahren.« »Einen Orden der Entsagenden?« bemerkte Arnold lächelnd. »Sehr fein, wenn sie Irdischem entsagen und Höheres gewinnen, also zugleich Schaffende sind.« Ingo war es auch, der neben Frau Cäcilie und dem gastlichen Hausherrn allvermittelnd und feinfühlig die Verbindung zwischen den einzelnen Gästen herstellte. So schleppte er seinen zugeknöpften, an Vertrutzung leidenden Trotzendorff zu Fanny am Arm heran, damit er -- wie er scherzend bemerkte -- Zeuge werde einer regelrechten Liebeserklärung. »Verargen Sie mir's nicht, mein gnädiges Fräulein,« sprach er, »ich gestehe hiermit eine alte Schwäche für Elsässerinnen. Einmal bin ich einer Landsmännin von Ihnen bis nach Barcelona in Spanien nachgereist. Und eine meiner Urahnen stammt aus dem oberen Elsaß. Obschon ich sehr, sehr glücklich verheiratet bin, ich kann's nun einmal nicht lassen, mich an jungen Mädchen zu freuen -- nebenbei mit gütiger Erlaubnis meiner ganz von Eifersucht freien Herrin --, so recht zu freuen, wie man sich an schönen Bildern und guter Musik ergötzt. Zu meinen Lieblingsdichtern gehört Herr Walther von der Vogelweide; und ich selber singe gern zur Laute. Gnädiges Fräulein, was will ich mit alledem sagen? Es ist die verblümte Form für eine Einladung nach Haus Stein-Waldeck in Thüringen. Sie wären die erste nicht -- wie meine Ahne Octavie beweist --, die den Weg vom Elsaß nach Thüringen zu rechter Zufriedenheit zurücklegen würde.« Es war nichts Besonderes, was er sagte; doch spürte man sein Bemühen, der Vereinsamten einige ritterliche, herzlich gemeinte Artigkeiten zu verabreichen. Allein Frau Lobsann kam dazu und wehrte sich scherzend: »So, so, Sie wollen uns Fanny weglocken? Da wird nichts draus! Wir stehen der Romantik näher als dem Klassizismus, Goethe ausgenommen. Und die Romantik gehört in das blühende Heidelberg, nicht in das dürftige Thüringen.« Jetzt raffte sich sogar der Preuße Trotzendorff auf, überwand seine wuchtende Sorge und Bitternis und mischte sich in den Wettkampf der Worte und der Herzen. »Erlauben Sie mir zu sagen, daß Elsaß immer noch Reichsland ist, demnach mehr zu Berlin-Potsdam als zu Heidelberg und Thüringen gehört. Ich spreche also auch meinerseits eine Einladung aus. Deutschland hat zwei Seelen: die eine heißt Weimar, gnädiges Fräulein, da kann Ihnen mein Freund Stein Führer sein, gehen Sie aber weiter nach Potsdam und Sanssouci -- da werden meine Frau und ich Ihnen gern unsre bescheidene Gastlichkeit bieten.« Arnold saß schweigend daneben. Er rauchte seine Zigarre und dachte manches; aber er sprach es nicht aus; denn das lag hinter ihm. Er dachte: Sieh an, wie man sich da um die elsässische Seele bemüht! O ihr lieben Deutschen, hättet ihr doch das ein wenig früher getan! Lobsann hatte einige befreundete Professoren eingeladen. Er wollte sachte anpochen und lauschen, ob sein elsässischer Freund sich wieder in den Lehrkörper der Universität einfügen ließe. Doch Arnold winkte ab. Es gibt vornehme, schicksalbelastete Menschen, zu deren Lebensleid eine feine seelische Einsamkeit gehört; sie sind einmal in entscheidender Stunde zu kurz gekommen, weil der ihnen nötige Vorrat von liebendem Verständnis ausgeblieben; da hat sich etwas in ihnen zugeschlossen. Sie bleiben auf Erden heimatlos; und sie sprechen wenig über ihre himmlische Heimat, weil sie auch über dieses Heiligste nur wieder Mißverständnis und Gleichgültigkeit befürchten müssen. Arnold war in diesen Zustand eingetreten. »Wieder Professor?« sprach er mit herb ablehnendem Lächeln. »Nein, Freund, ich bin mit meiner professoralen und pastoralen Weisheit gleichermaßen zu Ende. Es soll übrigens, sagen einige, auch an den deutschen Universitäten Nährboden vorhanden sein für den Bazillus des Neides. Und mir persönlich scheint, daß es just das Professorentum oder der Papier-Verstand ist, was wir überwinden müssen. Deutschland braucht Seele. Sehen Sie, lieber Freund, dort liegen Stöße von schriftstellerischen Arbeiten, die alle aus der Gelehrsamkeit in die Schlichtmenschlichkeit übersetzt sein wollen. Ich gestehe Ihnen, daß ich von dem lauten, würdelosen, meuternden und streikenden Deutschland angewidert bin. Dieses hadernde Volk ist auch geistig keine Einheit mehr. Alles haben sie in Geschwätz und Vernünftelei aufgelöst, auch Christus und das Reich Gottes. Sie gehorchen nicht Gott, sondern dem Zeitgeist. Daher sind sie auch von Gott als Großmacht verworfen worden. Wie hat dieses gegenwärtige Deutschland seine Genies behandelt, einen Richard Wagner, einen Bismarck! Nein, nein, dieses Land der lauten Mittelmäßigkeit, nur durch Drill zusammengehalten, hat schon lange keine Ehrfurcht mehr. Nun hoffe ich noch auf eine Auslese, auf das heimliche Deutschland, auf jene Großmacht des Herzens, deren Weisheit aus Märchen, Mythos und einzelnen Meistermenschen uns entgegenleuchtet. Dieser Großmacht will ich in aller Stille zu dienen suchen. Nicht also dem Papier, sondern dem königlichsten Stoff, den dieser Planet beherbergt: der gottsuchenden Menschenseele.« Und über seine Züge verbreitete sich ein warmes Leuchten, als er nun, mit einer Wendung zu der nahe sitzenden Hausfrau, auf Fanny deutete und eine Hauptsache aussprach, die bis jetzt noch nicht gesagt war: »Sie bleibt!« »Sie bleibt?!« Die Künstlerin in ihrem warmherzigen Rokoko-Naturell sprang lebhaft auf, packte Fannys Köpfchen und küßte sie. Man wurde aufmerksam und unterbrach das Gespräch. »Sie bleibt?« So ging es fragend und flüsternd von Mund zu Ohr. »Wer? Wieso?« Und Ingo fügte hinzu: »Werden hier von schönen Frauen Küsse ausgeteilt, wenn man bleibt?« Jetzt klopfte Professor Lobsann frohgemut ans Glas. »Sie bleibt! Meine Damen und Herren, sie bleibt! Sie alle beginnen einen Rundgesang und fragen, was das heißt. Sie wissen es nicht, deshalb muß ich es Ihnen erklären. Wir haben unser Elsaß verloren; von allen Seiten hören wir mit Bitterkeit, wie deutsche Brüder unter Drangsalen von dort ausgejagt werden oder durch Auswanderung dieser Schmach zuvorkommen. Zwei dieser wertvollen Menschen, die durch großes Leid gegangen sind, haben wir hier in unsrer Mitte. Es war meiner Frau und mir eine Herzensfreude, ihnen dieses Haus zur Verfügung zu stellen. Aber unsre liebe Elsässerin wollte schon in den nächsten Tagen in die Heimat zurückkehren. Das war uns schmerzlich, doch wir ehrten ihren Entschluß. Nun hören wir, daß sie aus irgendeinem Grunde -- ich vermute, der Zauber hängt mit diesen beiden Figuren zusammen -- sich entschlossen hat, hierzubleiben für immer. Daher, meine Damen und Herren, unser freudiger Ruf: sie bleibt! Und so hält unser Herz dennoch das Elsaß fest. Denn viele Gute von dort kommen zu uns. Und gemeinsam wollen wir, die ausgewanderten Edelsassen und die im Reiche wohnenden Edeldeutschen, durch Leid geläutert die deutsche Seele bauen. Es ist Elsässer Wein, den ich Ihnen hier vorgesetzt habe, meine Herren! Stoßen Sie mit mir an! Unsere liebe, nie zu vergessende deutsche Westmark -- und das beseelte Reich!« Die Gläser klangen. Fanny und Arnold standen Hand in Hand. Und der Schimmer der zusammenklingenden, mit goldgelbem Wein gefüllten Pokale fiel auf das Straßburger Münster, das groß und still an der Wand hing. Ende. Weimar und Westmark -- Edelgut, Bezahlt mit Geist, bezahlt mit Blut. Geistland und Grenzland, Wort und Wehr -- Das Wort nehmt ihr uns nimmermehr! Und raubt ihr uns des Reiches Mark, So bleibt uns doch der Goethepark Und neben Weimars heil'gem Hain Der Wartburg geistbelebter Stein. Die deutsche Kraft besinnt sich dort: Und starke Wehr wächst aus dem Wort. Uns aber, die wir heimatlos, Geziemt es: duldet still und groß! Das unbeseelte Reich zerbrach, Wir stehn vor aller Welt in Schmach; Nun bleibt uns aufzubaun ans Licht Ein Seelenreich, das nie zerbricht. Hier, deutsche Jugend, ist die Bahn: Beseelt Neudeutschland! Fanget an! ~Weimar, 21. November 1918~ *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK WESTMARK *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. Project Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country other than the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. 1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase “Project Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™ trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg™. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg™ License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg™ website (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that: • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation.” • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™ works. • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. • You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg™ works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright law in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™ Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate. Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our website which has the main PG search facility: www.gutenberg.org. This website includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.