Project Gutenberg's Pfarre und Schule. Dritter Band., by Friedrich Gerstäcker This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org/license Title: Pfarre und Schule. Dritter Band. Eine Dorfgeschichte. Author: Friedrich Gerstäcker Release Date: July 29, 2014 [EBook #46442] Language: German *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PFARRE UND SCHULE. DRITTER BAND. *** Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned images of public domain material from the Google Print project.) [ Symbole für Schriftarten: _gesperrt_ : =Antiqua= : #fett# ] Pfarre und Schule. Eine Dorfgeschichte von Friedrich Gerstäcker. Dritter Band. Leipzig, Georg Wigand's Verlag. 1849. Inhalt des dritten Bandes. Erstes Kapitel. Seite Die Treibjagd 1 Zweites Kapitel. Der Oberpostdirector 32 Drittes Kapitel. Fritz Holkes Flucht 51 Viertes Kapitel. Pastor und Schulmeister 59 Fünftes Kapitel. Die Zeichnenstunde 80 Sechstes Kapitel. Der heilige Abend 91 Siebentes Kapitel. Sylvesternacht 114 Achtes Kapitel. Pollers Rache 139 Neuntes Kapitel. Der Brandstifter 158 Zehntes Kapitel. Der Letzte der Strohwische 180 Elftes Kapitel. Des alten Schulmeisters Lohn 205 Zwölftes Kapitel. Schluß 223 Erstes Kapitel. Die Treibjagd. Eben hatte der alte Holke angefangen, zu einem neuen Treiben ablaufen zu lassen; die »Herrschaften« standen in kleinen Gruppen, etwas abgesondert von den übrigen Schützen und Treibern, zusammen, und die Bauern und Jäger, Verwalter, Controleure etc. etc., die den großen Pulk der mit Gewehren Versehenen bildeten, mußten von Anfang an wieder den weiten Bogen um den ganz abzujagenden Plan umlaufen. Da übrigens wohl der größte Theil der Leser, möglicher Weise nicht eine einzige der Leserinnen, einen richtigen Begriff von einem Treiben und besonders von einem sogenannten »Kesseltreiben« (ja nicht zu verwechseln mit »Schüsseltreiben«, das Frühstück oder Nachtessen) hat, so wäre es vielleicht gut, wenn ich, zu besserem Verständniß des Ganzen, eine kurze Beschreibung hier vorangehen ließe. Die Treibjagd wird im Spätherbst und Winter, und zwar zu einer Zeit veranstaltet, wo der Hase nicht mehr hält -- das heißt, vor dem nahenden Jäger über Schußweite aufgeht, und man deshalb nun das ganze Revier abtreiben, oder mit anderen Worten: das Wild darin den Jägern zutreiben muß. Die gewöhnlichen Anlegetreiben sind die einfachsten; die Jäger werden dabei auf zwei Seiten gewöhnlich _vorgelegt_, und die Treiber kommen nun in einer Linie von der Grenze des beabsichtigten Treibens langsam auf diese zu. Die nachher zwischen Treibern und Schützen aufgehenden Hasen laufen meistens, durch den Lärm der ersteren erschreckt, auf die letzteren zu, und fallen hier den ruhig in Anschlag Liegenden zur ziemlich sicheren Beute. Interessanter sind dagegen die sogenannten Kesseltreiben, wo gewisse Felder, die man mit seinen Leuten gerade umzingeln zu können glaubt, von diesen vollkommen eingekesselt werden. Dies Einkesseln geschieht folgendergestalt: Der Jäger oder Jagdliebhaber läßt von irgend einem Punkte an der Grenze des beabsichtigten Treibens _abgehn_. Er schickt erst zwei Männer rechts und links aus, die mit den Grenzen genau bekannt sein und auch wissen müssen, welche Richtung sie zu nehmen haben, um auf den ihnen angegebenen Punkt wieder zusammen zu kommen, und dadurch den Ring den ihnen nachfolgenden Jägern zu schließen. War das ein Schütze, so kommt nach diesem in etwa siebzig bis achtzig Schritt Entfernung, je nachdem man viel oder wenig Leute hat, ein Treiber, dann wieder in eben der Entfernung ein Schütze, und so fort. Diese folgen genau in derselben Bahn, wie die ersten, und beschreiben also einen ziemlich bedeutenden Bogen, dem ihnen gerade gegenüber liegenden Theile zu. Treffen die beiden Ersten, die zu gleicher Zeit links und rechts abgingen, zusammen, so wird ein Zeichen gegeben, der »Kessel« ist geschlossen, und Alles rückt nun so rasch als möglich nach dem Mittelpunkte zu, um die aufgehenden Hasen vorerst dorthin zu treiben, und zugleich gegenseitig so nahe zusammen zu kommen, daß kein Hase durchgehen kann, ohne wenigstens einem Schützen in richtige Schußnähe zu kommen. Hat man das erreicht, so rückt der Kessel etwas langsamer weiter vor, und Jeder schießt, was ihm am nächsten kommt, nur nicht nach anderen Schützen zu, damit kein Unglück geschieht. Ist man endlich ziemlich zusammengekommen, so deutet ein anderes Zeichen, gewöhnlich mit dem Horn, an, daß nicht mehr in's Treiben, sondern nur auf die Hasen, die schon durch die Schützen gegangen sind und jetzt dem freien Felde entgegen laufen, geschossen werden darf. Es war an diesem Tage das sechste Treiben und die Leute natürlich etwas ermüdet; so sehr sich die Schützen daher auch sonst im Anfang, und besonders bei recht kaltem Wetter, herandrängen, die Ersten beim Ablaufen zu sein, so sehr hielten sie sich jetzt zurück, und Einer drückte sich hier, ein Anderer da, hundert oder zweihundert Schritte vom Ablaufplatze entfernt, an Rain oder Wegweiser an, um nicht gleich wieder mit unter den Ersten fortgeschickt zu werden und dann auch den weitesten Bogen beschreiben zu müssen. Der alte Holke hatte alle Hände voll zu thun und war noch dazu in der übelsten Laune von der Welt, er fluchte und wetterte die Treiber an, daß ihm Keiner auf zehn Schritte zu nahe kommen mochte, und sah aus, als ob er den ersten Besten mit Haut und Haare hätte verschlingen können. »_Treiber da!_ Donnerwetter, hört und seht Ihr nicht, Ihr verdammtes, faules, hundsföttisches Lumpenpack, Ihr -- _müßt_ Ihr's denn immer so machen wie andere Leute -- halt da, zur Schock-Schwerenoth, jetzt laufen wieder viere auf einmal -- daß Euch ein Gewitter verschlage. -- Hier ein Schütze -- ach --« (und mit ganz verändertem Ton aber nur mühsam unterdrückten Aerger, wandte er sich rasch an einen der Officiere, der sich eben bei einem anderen eine Cigarre anzündete) »dürfte ich Sie wohl bitten, Herr Lieutnant -- wenn's gefällig wäre.« »Ach bitte, Holke, lassen Sie mich noch einen Augenblick warten, ich bin beinah immer der Erste gewesen« -- es war ihm nämlich nicht eingefallen -- »ich möchte auch gern nachher hier unten herein abgehn.« »Zu Befehl -- daß Dich ein heiliges Donnerwetter in den Erdboden 'neindrücken möge, Du verdammter, milchbärtiger -- näsiger Hallunke Du,« murmelte er dabei hinter her, und wandte sich an einen der Nebenstehenden: »Wenn's gefällig wäre, Herr Baron.« »Ja wohl, Holke, ja wohl -- ach, der Rittmeister ist noch nicht da -- ach, lieber Holke, wir möchten gern zusammen gehn -- lassen Sie mich noch ein paar Minuten hin.« »Zu Befehl, Herr Baron« -- er biß die Pfeifenspitze, die er im Munde hielt, kurz und klein, und frug noch, mit einem wachsenden, aber auch immer verhaltenen Grimm vier oder fünf andere, bis er endlich einen Gutwilligen fand, der mit einem: »Herr Gott, ich muß auch immer der Erste sein,« der Aufforderung Folge leistete. »S'ist ein Glück, daß die Jagd nun bald ganz beim Teufel ist,« brummte der Alte endlich halblaut vor sich hin und schnitt sich dabei den oberen Theil des zerkauten Horns an der Pfeife ab -- »mit _solchen_ Schützen, und nachher auch noch keine Hasen, nu da kann Einer Freude erleben -- wenn er eben Geduld hat und nicht vorher zu Grunde geht -- Jetzt seh Einer, was der Mensch für ein Loch macht -- geht, als ob er alle Augenblicke einschlafen wollte, und bleibt dann auch noch alle hundert Schritte stehen und -- ei so schlag doch ein Himmelsackerment in das Kesseltreiben. _Zu_rücken da hinten -- zum Donnerwetter _zu_rücken!« Das Zeichen war gegeben, und von allen Seiten drückten Schützen und Treiber, wie sich das auch gehörte, herein, wie aber hier und da ein Hase aufging, und seine Richtung nach einer oder der anderen Fronte nahm, blieben die immer stehen, um Lampen nicht irre zu machen, und hier und da drückte sich auch wohl noch ein Schütze, ganz gegen Jägersitte und sehr zum Aerger seiner Nachbarn, auf die Erde nieder, und glaubte dadurch Hasemann jedenfalls zu bethören, bedachte aber nicht, daß seine beiden nächsten Treiber in der Zeit die Arme ruhig hin und her schlenkerten, und alle seine Bemühungen dadurch vollständig annullirten. Dabei wurde noch schmählich geschossen, überall gingen die Hasen durch, und hier und da, wo irgend ein armer Lampe mit zerschossenem Hinter- oder wüthend schlenkernden Vorderlauf seinen »Quälern« zu entkommen suchte, brachen überall aus heimlichen Verstecken und Hinterhalte Gesindel, das in den Dörfern herumlungerte, ja selbst Bauern vor, und suchten die kranken Geschöpfe selbst hinter der Fronte und vor den Hunden wegzustehlen. Holke war außer sich. »Ei Du blutiger Herrgott!« schrie er und schleuderte dabei die grüne, mit weißem Pelz gefütterte Mütze auf den Sturzacker nieder, als wenn sie dort für ewige Zeiten liegen bleiben sollte, »jetzt wird's erst hübsch hier draußen. Erst dämmeln sie Einem in dem Treiben herum, machen die Hasen rebellisch und jagen hinaus, was nicht ganz niet- und nagelfest liegt und sich auf den Kopf treten läßt und nachher mausen sie auch noch am hellen lichten Tag die paar angekrepelten Kreaturen -- und da darf man nicht hineinschießen in die _Hunde_ -- Gott verdamm mich, Hektor, nimm's nicht übel, daß ich das Gesindel Hunde genannt habe -- die _Aas_jäger die!« Das Treiben war beendet, hier und da knallte noch, meist ohne Erfolg, ein Schuß hinter einem bis dahin liegen gebliebenen und nun plötzlich und unerwartet herausprellenden Hasen her, die paar Geschossenen -- funfzehn Stück im Ganzen, wurden an den nächsten Weg gelegt, wo sie der nachfahrende Wagen leicht abholen konnte, und der Ruf: »Letztes Treiben, letztes Treiben, Schützen vor!« ging von Mund zu Mund. »Das war nun ein Treiben, in dem wir voriges Jahr neun und sechszig schossen, und heuer funfzehn,« sagte Holke, als sein Sohn die Erlegten eben gezählt und in sein Taschenbuch eingetragen hatte, »und dabei soll man noch einen grünen Rock auf dem Leibe tragen. -- Und kein Huhn -- nicht ein einziges -- und was waren für schöne Hühner drinne! Die Kerle schießen aber wie die Schulbuben, immer eine halbe Meile zu kurz -- und wie haben Sie mir die Hasen zerlästert -- hol sie der Teufel!« »Jetzt kummt das Schkorditzer Treiben?« frug ein Bauer, der mit einer alten langen einläufigen Entenflinte auf dem Rücken, die Hände in der Tasche, und das eine Bein rechts, das andere links hinauswerfend, als ob er hinter dem Pfluge her die Erde von den Stiefeln schlenkern wolle, auf den Jäger zukam. »Ja,« sagte dieser mürrisch, die antiwaidmännische Gestalt mit finsteren Blicken musternd -- »'s wird das große nicht drin sitzen.« »Ne,« lachte der Bauer und zog das Maul von einem Ohr bis zum andern, daß es ordentlich aussah, als ob sich die beiden Mundwinkel die Flinte hinten auf dem Rücken betrachten wollten -- »ne -- sehre nich -- die Schkorditzer sin Luderkerle, die han's faustdicke hinger den Uahren. Vurgestern han se ooch schunst getriaben.« »Die Skorditzer?« frug der Jäger, erstaunt stehen bleibend, »hier auf den Feldern?« »Ne, hinger dem Dorfe driben, uff dem Polswitzer Revier!« meinte der Bauer. »So? -- recht schön das, und was haben die Herrn geschossen?« »Nu 's mächtige niche,« sagte der Bauer und die Mundwinkel gingen wieder hinter -- »zwee Hasen un en Schneider un ene zahme Gans, der so en Racker von en Karnickel zwischen de Beene durch wulle -- der Schmidt uffem Dorfe hat se geschossen -- das Karnickel hot er aber gefählt.« »Na, gebe nur Gott, daß sich die Hälfte von jeder Gemeinde erst einmal todtgeschossen hat,« seufzte der Jäger seinen frommen Wunsch, »nachher werden sie die Jagd ja wohl satt bekommen.« »Vater,« unterbrach da Fritz, zum alten Jäger tretend, das Gespräch, »komm einmal her!« »Nun was giebts wieder -- sind die Hasen fort?« »Ja -- alle, hör einmal,« und er ergriff ihn am Arm und zog ihn ein Stück bei Seite -- »Dahlens Karl sagte mir eben, daß in Skorditz die Bauern schon alle mit Flinten, Flegeln, Sensen und Mistgabeln bereit stehen, und so wie wir auf die Skorditzer Fluren kommen, soll Generalmarsch geblasen werden.« »Unsinn!« brummte der Alte -- »die Jagd ist noch nicht frei, und wenn sie in Frankfurt zehnmal dem Bauer das auch noch in den Hals geschoben haben; wer sich auf dem Felde von den Canaillen mit einer Flinte blicken läßt, dem wird sie weggenommen, und er kann nachher auch noch Strafe obendrein zahlen.« »Aber wenn sie nun Alle miteinander kommen, Vater, man darf ja doch nicht zwischen sie hinein schießen. Es wäre vielleicht besser, wir riefen die Treiber zurück, und zeigten die Sache lieber erst an. Der Herr von Gaulitz ist zwar schon auf's Gut hinein gegangen, der Rittmeister wird das aber auch abmachen können, und dann haben _wir_ keine Verantwortung.« »Ah was!« rief der Alte, »daß die Lumpe nachher prahlen und sagen, >hoho, wir brauchen uns nur hier im Dorfe aufzustellen, dann wissen sie schon, was die Glocke geschlagen hat<, nein, das geht nicht -- lassen wir's dem Einen zu, dann können wir schon morgen lieber ganz zu Hause bleiben, oder dürfen uns wenigstens nur auf den gottsleeren Rittergutsfeldern herumtreiben, denn das machen sie augenblicklich in Horneck und all' den übrigen Nestern ebenfalls nach. -- Na, was steht Ihr da, und habt Maulaffen feil, he?« fuhr er ein paar lange Treiberjungen an, die neugierig und mit ziemlich albernen Gesichtern den ärgerlichen Worten des Försters lauschten -- »macht, daß Ihr fort kommt, oder _ich_ will Euch Beine machen.« »Wenn Du nur einmal mit dem Rittmeister sprächst,« meinte der Sohn nach kurzer Pause -- »vielleicht will der selbst nicht, daß --« »Laß mich zufrieden,« erwiederte ihm mürrisch der Alte -- »wir stehen jetzt schon mit der Nase vor'm Skorditzer Revier, ich werde doch wahrhaftig nicht noch umlenken sollen? Lauf Du nur gleich mit Peter rechts ab, Du kennst ja die Grenze, und die Saatspitze, die nach dem Birnbaum hinunter geht, läßt Du liegen, da sitzt doch nichts darauf, und sie bringt uns sonst das Treiben nur in Unordnung.« »Herr Förster -- Herr Förster!« kam in dem Augenblick ein Treiber angekeucht -- »Nun, was giebt's -- was ist?« »Sie sollen emal glaich zun gnädigen Härrn Rittmeester kummen,« sagte der Mann, »en paar Schkorditzer Bauern sprechen mit emm.« »Na, da haben wir die Geschichte,« sagte Fritz. »Die wollen wir heim schicken,« knurrte der Alte, »die kommen mir g'rade recht.« Er schritt rasch auf die Gruppe zu, um die sich schon die meisten Schützen gesammelt hatten, und das Gespräch, das im Anfang ziemlich ruhiger Natur gewesen, artete bald in eine etwas hitzigere Unterredung, ja endlich in förmlichen Zank aus. Das Endresultat blieb denn auch natürlich, daß die beiden Bauern, die von ihrer Gemeinde abgeschickt waren, den Jägern zu sagen, daß sie auf ihren Feldern nicht schießen dürften, keine Vernunft annehmen, von publicirten oder nicht publicirten Gesetzen nicht das mindeste Wort hören, und selber keinen Vorschlägen Raum geben wollten, sondern immer nur erklärten, sie möchten weiter Nichts wissen, als _das_: ob die Herren auf _ihren_ Feldern zu schießen beabsichtigten oder nicht. Als dieß nach einem kurzen Wortwechsel endlich bejaht worden, zeigten sie sich soweit zufrieden, daß sie die Unterhaltung augenblicklich abbrachen, und nun querfeldein, direct auf ihr Dorf wieder zusteuerten. »Ablaufen!« rief der Rittmeister von Gaulitz dem Jäger zu -- »Fritz -- Peter -- geht ab!« sagte dieser. »Du, Wendler -- geh Du einmal links herum -- Du kennst ja auch die Grenze -- Du brauchst auch nicht bis dicht an's Dorf zu gehen -- wo der Fuhrweg herüberläuft, schneidest Du ab!« Die Schützen folgten diesen, und etwa zwölf von ihnen hatten auf jeder Seite das Skorditzer Revier betreten, als plötzlich im Dorfe drinn die Allarmhörner tönten, und eine große schauerliche Trommel ihre dumpfen Wirbel hören ließ. »Bei Gott, die machen Ernst,« sagte der Herr Baron, der gerade ebenfalls ablaufen wollte, zum Lieutnant von Ebersfeld, und blieb stehen -- »das wollen wir hier lieber erst abwarten, man kann sich doch nicht mit der Canaille herumprügeln.« »Auf Ehre, nein,« meinte Herr von Ebersfeld und strich sich den Schnurrbart -- »das ist doch impertinentes Volk!« »Bauer bleibt Bauer!« versicherte der Baron. »Nun, darin haben Sie recht!« rief der Jäger, ganz den sonstigen Respect vergessend, und im ingrimmigsten Zorn dazwischen hinein, »und der Bauer ist ein niederträchtig, halsstörrisches, harthirniges Lumpenpack, mit dem man in größter Leichtigkeit die Wände einrennen, aber kein vernünftiges Wort reden kann. Ueberzeuge einmal Einer so einen Bauer, daß er in irgend etwas unrecht gehabt oder habe -- da möcht' ich dabei sein. Doch die kriegen auch noch ihren Lohn, und dann -- dann möcht' ich auch dabei sein -- straf mich Gott!« Das Treiben war durch das Lärmblasen im Dorfe in's Stocken gerathen; die Schützen, die noch nicht abgelaufen waren, wollten nicht weiter vor, und die im Feld draußen blieben ebenfalls stehen, aus dem Dorfe aber kam ein bunter Schwarm von Bauern und Tagelöhnern mit allem möglichen sonst friedlichen, jetzt aber zu grausen Waffen erhobenen Handwerkszeug quer über die Felder, gerade nach rechts und links in zwei ziemlich gleiche Haufen auszweigend, auf die vorgerückten Colonnen der Schützen zu. Auch von diesen zogen sich einige auf den Jägertrupp, wo sie sich wahrscheinlich gesicherter fühlten, zurück, die meisten aber behaupteten ihre Plätze, und erwarteten ruhig das Kommen der Herren der Fluren. Die Ansprache lautete kurz und bündig, »=short and sweet=« wie der Engländer sagt: »_Wullt_ er machen, daß er vun die fremmen Fälder kummt, Ihr Himmelsackerloter?« schrie der Führer der einen Schaar, und legte den fragenden Accent wunderbarer Weise mit besonderem und pathetischen Nachdruck auf die erste Sylbe _»Wullt«_. »Auf den Feldern hier hat der Oberpostdirector von Gaulitz die Jagd gepachtet,« erwiederte hier aber Fritz, ohne die drohende Stellung der Gegner zu erwiedern, und mit der Flinte auf dem Rücken, »noch ist das Gesetz, das jedem verstattet auf eigenem Grund und Boden zu jagen, nicht heraus, und bis dahin, wenigstens bis zu Ablauf der Jagdzeit, hat der Herr Oberpostdirector sein Recht mit gutem Gelde bezahlt.« »Papperlapp, Mosje,« fiel ihm aber hier der Sprecher der Schaar, und zwar ein alter Bekannter von uns, Krautsch aus Skorditz, in die Rede -- »Ihar macht jetzt daß Ihar mit Eiren olen Schießpriegeln heeme kommt, oder mer schlagen se Eich im de Keppe, daß die Schlesser drinn herim flegen. Das hier sin unse Fälder, un wär da druffen en Hasen schießt, den sperren mer in, un bringen en in de Residenz als en Wilddieb -- verstanden?« »Ich habe Euch gesagt, was Ihr zu wissen braucht,« entgegnete ihm Fritz, ohne von dem frechen Burschen weitere Notiz zu nehmen, entschlossen, »mit Euch hab' ich überdieß Nichts zu schaffen, denn Ihr seid gerade Einer von denen, die Jagd auf fremder Leute Eigenthum am stärksten treiben, zu gleicher Zeit am unverdrossensten dagegen schrein, und dann nicht einmal einen Fuß breit Land im Vermögen haben, um ein Schwein darauf zu halten. Treiber vorwärts -- wenn die Herren im Kessel bleiben wollen, dürfen sie sich auch nicht nachher beklagen, wenn sie vielleicht ein paar Schrote in die Beine kriegen -- vorwärts, Treiber!« Die Treiber gingen schon, die hatten, wie sie recht gut wußten, ohne Flinten Nichts zu fürchten, die Schützen aber glaubten es, allem Anschein nach, ihrer eigenen Haut schuldig zu sein, sich in die Streitigkeiten zwischen Oberpostdirector und Bauern nicht zu mischen, und blieben entweder stehn, oder hingen auch ihre Flinten, mit niedergelassenen Hähnen über die Schultern und schritten langsam und pfeifend, als ob sie diese retrograde Bewegung nicht etwa der Drohungen der Bauern wegen, sondern einzig und allein aus freiem Antrieb machten, langsam zurück und der Stelle zu, wo der Rittmeister von Gaulitz noch immer, des Resultats harrend, stand. Fritz that sein möglichstes, um das Treiben in Ordnung zu halten, er bat und schimpfte und suchte die Schützen für jetzt nur wenigstens auf ihrem Stand zu behaupten, damit er sich erst einmal beim Rittmeister eine Ordre holen könne, dem förmlichen _Angriff_ dann auch wieder mit Gewalt zu begegnen, aber umsonst. »Ich werde mich hier doch nicht prügeln sollen« lautete die stete und fast allgemeine Antwort und die Schützen hatten sich damit, besonders ihrer eignen Meinung nach, vollkommen gerechtfertigt. Die Bauern sahen aber auch ihrerseits bald, wie sie mehr und mehr Terrain gewannen, und schöpften, je feiger sich die Gegenpartei bewies, desto mehr Muth aus dem überaus günstigen Erfolg ihres Auftretens. »Siaht' ersch, se han kain gut Gewissen -- se kneifen aus!« riefen sie sich Einer dem Andern ermuthigend zu, und es dauerte nicht lange so kamen sie im vollen Laufe heran, schnitten einen Theil der früher Ausgeschickten ab, und erklärten hier nun unverschämt genug der ihnen, wenn auch nicht an Zahl, doch an Waffen weit überlegenen Jagdgesellschaft, die jetzt schon wieder größtentheils auf Hornecks Felder zurückgekehrt war, augenblicks sich »heeme zu schären« und es sich nicht etwa einfallen zu lassen, je im Leben wieder auf Skorditzer Fluren zu kommen, wenn sie nicht »das Blaue vom Himmel 'runger besähn wullten.« Der Rittmeister suchte den Leuten den jetzt noch existirenden Rechtsstand vernünftig auseinander zu setzen, ja aber Du lieber Gott -- »ein Bauer und Vernunft annehmen,« wie Holke verächtlich meinte -- das blieb fruchtlos. Die Burschen behaupteten, es wäre gar kein Recht weiter, als daß sie in Frankfurt ausgemacht hätten, von jetzt an könne jeder auf seinen Feldern jagen, und wie sie früher nicht auf der Herrschaft Fluren mit der Flinte gedurft, so solle die Herrschaft auch, in Wechselwirkung, nicht auf ihre mit der Flinte kommen dürfen. Das war einfach genug, und wenn die »eenlitzigen Härren,« die da noch »hingen 'rumstiefelten« nicht bald machten, daß sie fortkämen, so sollten sie einmal sehn, was die Skorditzer Flegel für hartes Holz hätten. Der Rittmeister schien jetzt übrigens -- so sehr er sich bis dahin auch selbst gehütet hatte auf das, als feindlich bezeichnete Revier hinüber zu treten -- selber etwas wärmeres Blut zu bekommen. Der hartnäckige und von gar keinen Gründen, sondern nur von der rohen Gewalt unterstützte Widerstand, erweckte den alten soldatischen Geist in ihm und das: »Meine Herrn, wollen Sie gefälligst abgehn -- Holke lassen Sie doch ablaufen«, zeigte, wie _er_ wenigstens gesonnen sei, es einmal auf rohe Gewalt auch ankommen zu lassen. »Aber die Leute, die aus dem Dorf da noch alle herüber kommen, sind ja mitten im Treiben d'rin --« demonstrirte ein etwas ängstlich umschauender Aktuar aus der Residenz. »Wenn sie im Treiben _bleiben_ wollen,« sagte der Rittmeister achselzuckend, »so können wir's ihnen nicht verwehren -- es ist Geschmackssache und ihre eigene Schuld, daß ihnen vielleicht die Beine vollgeschossen werden.« Die Bauern, die hier auf einmal hörten, daß die Jagd doch, trotz ihres Ausrückens beginnen solle, und wirklich lief auch Fritz schon wieder zum zweiten Mal mit seinen Treibern ab, rotteten sich dicht auf einen Haufen zusammen und Krautsch und Müllers Friede, die beiden vorragenden Charaktere der Gruppe, die sich _gegen_ das Jagen auf fremdem Gebiet aussprachen, reizten zum vollen Aufruhr an. Hätten die Schützen Alle so gedacht wie der Rittmeister von Gaulitz und der alte Holke, es wäre vielleicht hier schon zu einer recht bösen Scene gekommen, so aber war die Mehrzahl doch gegen einen wirklichen Zusammenstoß, bei dem sie keine Ehre, sondern höchstens nur Beulen erndten konnten. Die Meisten erklärten dem Rittmeister, sie würden das Treiben, unter solchen Umständen, nicht mitmachen, und dieser sah sich endlich genöthigt, die Jagd für heute aufzuheben, erklärte übrigens, daß er sich an das Ministerium wenden werde, um diese Sache und ihre Anstifter genau untersuchen und bestrafen zu lassen. Er wünsche, wie er versicherte, kein Blutvergießen, aber so viel sei doch bestimmt, daß dieser Zustand nicht länger fortdauern könne, ohne ernste Folgen nach sich zu ziehn. Die rohe Schaar höhnte, pfiff und lachte; unter ihrem Spott und Jauchzen verließ die Jagdgesellschaft die Skorditzer Grenze und schritt, denn der Abend war ebenfalls nicht mehr fern, Horneck oder doch wenigstens dem oberen Theil der Felder zu, um dort die Straße zu erreichen und auf ihr bequemeren Weg zu haben. Die Bauern blieben noch lange zurück und fingen endlich, da viele von ihnen Flinten mitgebracht hatten, gerade selber ein wenig an zu treiben, als oben aus dem jetzt schon fast nicht mehr sichtbaren Schützentrupp, ein Schuß fiel. Ein Hase, der sich irgendwo in ein kleines, schmales Rapsstück, dicht hinter einem Feldstein, hineingedrückt gehabt, war durch einen, ihm doch etwas zu nahe gekommenen Jäger aufgescheucht, und dieser dadurch so überrascht worden, daß er nur schnell die Flinte noch von der Schulter reißen konnte, aufzog und hinter dem nicht schlecht Haken werfenden Lampe herhielt. Beim Schuß knickte das arme Thier zusammen, floh aber dann wieder rasch, mit zerschossenem rechten Hinterlauf gerade auf den noch ziemlich dicht stehenden Knäul der Skorditzer Bauern zu. Fritz löste rasch seinen Hund und dieser würde den »Angeflickten« auch bald genug eingeholt haben, wäre er nicht durch das wilde Brüllen der Treiber und Schützen »hab Acht, hab Acht!« gleich im Anfang irre gemacht worden. -- Wie er den Hasen endlich sah, hatte der schon einen tüchtigen Vorsprung gewonnen und es ließ sich kaum anders erwarten, als daß er ehe ihn der Hund fassen konnte, die Bauern erreicht haben müßte. Fritz suchte den Hektor abzupfeifen, die Entfernung war aber schon zu groß, und der sonst ungemein folgsame Hund hörte nicht im Geringsten auf das so wohlbekannte Zeichen. Mehr aus Besorgniß um diesen als um den Hasen, den er den Bauern gern gelassen hätte, knüpfte jetzt Fritz rasch seine Leine vom Ring der Jagdtasche los, und folgte so schnell er konnte dem Hund; die übrigen Jäger gingen aber indessen ruhig ihren Schritt weiter, nur ein paar blieben stehn, um zu sehn, ob Hektor den Hasen, dem einige der Bauerburschen schon den Weg abzuschneiden suchten, wirklich bringen werde oder nicht, und wandten sich dann auch, als sich die Sache in die Länge zu ziehn schien, ab von dem so oft gesehenen Schauspiel. Fritz war der Einzige, der von der ganzen Jagdgesellschaft mit seinem Hund zwischen den Skorditzer Bauern zurückblieb. Hektor hatte sich indessen durch all das Schreien und Rennen der Skorditzer, unter denen es sogar der Schulze des Dorfe für passend gehalten, als Hasendieb aufzutreten, keineswegs abschrecken lassen und ruhig und unverdrossen den armen flüchtigen Lampe im Auge behalten, der seiner Seits durch Hakenschlagen den Dauerlauf in die Länge zu ziehn und seinen, ihm an Kräften so weit überlegnen Feind zu ermüden suchte. Hektor war jedoch nicht der Hund, sich durch einen Hasen ein x für ein u machen zu lassen, er paßte mit unverwüstlicher Geduld auf, in welcher Richtung Lampe die Absicht hatte auszustreichen, ließ sich nie durch eine plötzlich fingirte Richtung beirren, rannte nicht toll und blind in's Zeug hinein, sondern hielt lieber seine Distance, wo ihm die Beute doch über kurz oder lang werden mußte, und überzeugte bald den armen gehetzten Hasen, daß er in seinem ganzen Leben noch nie einen schlimmeren Feind hinter sich gehabt, und auch wohl nie einen anderen wieder hinter sich haben werde. Seine Laufbahn war beendet, und an einem schmalen Streifen hochgeackerten Sturzlandes, den er mit dem kranken Lauf nicht so schnell überspringen konnte, faßte ihn Hektor, endete mit _einem_ Biß seine Leiden, und hob ihn dann, mit dem Schwanze freundlich dazu wedelnd, stolz aus, seinem Herrn das so mühsam errungene Stück zu überbringen. Hektor sollte sich aber in seinen, doch wahrlich nur gerechten Erwartungen, getäuscht sehn -- die Bauernschaar, die durch den Anblick des angeschossenen Lampe zu voller Erwartung auch auf den Braten selber gebracht und dadurch erst recht hitzig geworden war, hatte den Hund jetzt umzingelt und warf sie von allen Seiten auf den überrascht und erstaunt stehen bleibenden. So unerwartet Hektor aber auch ein solcher Angriff, der ihm in seiner ganzen Praxis noch gar nicht vorgekommen war, sein mochte, dachte er doch gar nicht daran, seine Beute auch nur einen Augenblick aufzugeben und als Einer der Bauerburschen endlich, seiner Meinung nach so »glücklich« war, den Hasen an einem Lauf zu erwischen und ihn nun den Hund aus den Fängen reißen wollte, ließ dieser, der wohl fühlen mochte, daß er dem vollen Gewicht des Angreifers nicht ganz gewachsen sei, plötzlich los, fuhr dem erschreckt Aufschreienden mit kräftigem Biß in die Wade, griff dann den Hasen wieder auf und wollte seinen Weg ruhig fortsetzen. Wie aber einem alten Sprichwort nach, »viele Hunde des Hasen Tod« sind, so waren hier viele Bauern des Hasen, nicht gerade Retter, aber doch Rächer an seinem Sieger. »Luderkriate, willst de baißen?« schrie ein vierschrötiger Knecht und schlug nach dem armen Thiere mit einer Mistgabel und zwar so gut gemeint, daß, hätte er ihn so getroffen, wie seine Absicht gewesen, Hektor wohl sein ganzes übriges Leben hindurch kreuzlahm geblieben wäre. »Laßt den Hund gehn,« schrie da der herbeieilende junge Jäger und riß in allem Eifer und in Besorgniß um seinen armen Hektor, die Doppelflinte von der Schulter, »laßt den Hund gehen, sag' ich -- verdammte Canaillen Ihr.« »Hoho, ist das Fritzchen auch wieder hier?« rief Müllers Friede, durch die Stimme erst auf den Herbeieilenden aufmerksam gemacht -- »jetzt haben _wir_ einmal die Karten in Händen, und wollen sehn, ob wir nicht Trumpf spielen können. Luderkröte!« schrie er dann, und trat dabei das arme Thier, das sich jetzt, da sein Herr in der Nähe war, jedes weiteren Selbstschutzes enthoben glaubte, dermaßen in die Rippen, daß es laut aufheulend gegen die Beine ein paar anderer Bauerburschen auflog und wie todt und nach Luft schnappend, den Hasen aber jetzt natürlich loslassend, auf dem Platze liegen blieb -- »warte Beest -- willst Du _beißen_.« »Schuft!« schrie Fritz und sprang in wilder Wuth auf den Buben zu, der seinen treuen Hund auf so niederträchtige Weise mißhandelte, und den er, ehe es die Umstehenden verhindern konnten, mit kräftigem gutgemeinten Faustschlag in's Gesicht traf. »Hollo Ferschterchen!« riefen aber Krautsch und Andere dazwischen springend, »hier wird nischt gereecht -- Euer Handwerk is Uech gelegt, un jetzt braucht er nich mehr dumm zu thun. -- Uff uns Bauern sidd er lange genug herim getrappelt, jetzt wullen mer emol e Wailchen oben uf sitzen.« »Hund verdammter!« brüllte aber jetzt auch Müllers Friede, der von dem Schlag betäubt zurücktaumelte, und sein rechtes Auge im Nu fast aufschwellen fühlte -- »er hat mich geschlagen.« »Ei Du Wetterkriate!« schrie Krautsch und wollte auf den Jäger zuspringen, dieser aber trat rasch einen Schritt zurück, wo er rings um sich her einen kleinen Raum frei hatte, und rief, die Flinte im Anschlag, die Schaar mit finsterem drohenden Blicke überfliegend: »Wer mich anrührt, ist ein Kind des Todes -- zurück da -- oder beim ewigen Gott, ich mache eine Leiche aus ihm.« »Ah, Papperlapapp,« lachte Krautsch, »'s wird nich gleich so gefährlich sin -- här mit 'er Muschkete, Mosjechen, Ihr sidd hier uf fremmen Grund un Boden, un hat mer meine ooch weggenommen -- Wurscht wieder Wurscht.« Es hatte sich indessen um den Jäger, den in seiner drohenden Stellung doch keiner, selbst Krautsch nicht, anzugreifen wagte, ein Kreis von Bauern gebildet, als Müllers Friede, durch den erhalten Schlag, wie durch den Schmerz seines Auges zur wildesten Wuth angestachelt, ausrief: »_Der_ Hund darf nicht gesund wieder fort, so lange ich noch ein Glied am Leibe rühren kann, aber erst wollen wir ihn einmal nackt durch Skorditz jagen, wie sie's dem Jäger in Hohenbuchen auch gemacht haben -- nehmt ihm das Schießeisen ab und reißt ihm die grünen Fetzen vom Leibe und nachher soll er Spießruthen laufen!« »Zurück da!« schrie Fritz, die Hand am Drücker, obgleich aber jetzt von allen Seiten die jungen kräftigen Bursche, die auch selbst nicht recht glaubten, daß er wirklich schießen würde, zusprangen, konnte er es nicht über's Herz bringen, abzudrücken -- es war ein Menschenleben, das auf dem Spiele stand, und hier wehrte er sich vielleicht seiner eignen Haut auch noch so. Die Flinte also hoch haltend, um sie den Händen der danach Greifenden zu entziehen, schlug er mit der Rechten so tüchtig und kunstgerecht um sich her, daß er für wenige Momente die Andrängenden kräftig im Schach hielt und mit nur einiger Hülfe von Außen den Leuten wohl zu schaffen genug gemacht hätte; so aber konnte er gegen die Uebermacht doch nicht lange ankämpfen. Von hinten fielen sie ihm in die Arme, entrissen ihm das Gewehr, faßten ihm die Ellbogen, und hielten ihn so, daß er sich nicht regen und rühren konnte. »Nun 'runter mit den Kleidern!« schrie Müllers Friede, der in dem letzten Kampfe noch einen Schlag bekommen hatte, vor Wuth schäumend -- »runter damit und dann die Canaille durch's Dorf gejagt.« »Runger mit den Lumpen!« rief die rohe Schaar jubelnd, in den niederträchtigen Vorschlag eingehend, und da das Ausziehn der Kleider mit zu viel Umständen verknüpft gewesen wäre, trennte ein Schnitt mit einem Genickfänger die grüne Piquesche über den Rücken herunter in zwei Hälften und von allen Seiten niedergezerrt, hing ihm das Kleidungsstück augenblicklich in Fetzen vom Leibe herunter. »Laßt mich gehn!« rief da Fritz, der den Wüthenden doch jetzt am Ende die Ausführung ihrer schändlichen Drohung zutrauen mochte, »laßt mich gehn, oder beim -- ewigen -- Gott!« »Hoho Birschchen,« lachte Krautsch, der ihm hinten die Ellenbogen mit Riesenkräften zusammenhielt -- »nur nich so schtrampeln, das hilft doch niche -- nur hibsch dusemang -- so -- nu halt emal de Beene.« »Hülfe!« schrie der Jäger, der in wüthender Kraftanstrengung sich vergebens den Händen seiner Henker zu entziehen suchte -- »_Hülfe_ -- Hülfe -- Hülfe!« Das rohe höhnische Lachen der Schaar war die einzige Antwort, die er erhielt, die ganze Schützengesellschaft, die ihn unverantwortlicher Weise den Händen dieser Brut überlassen, war längst hinter den höher liegenden Feldern verschwunden -- sein Vater mußte bei dem Hasenwagen bleiben und keine Rettung schien für ihn aus der Gewalt dieser entmenschten Bauern. »Nackigd muß er dorch's Dorf!« schrie Müllers Friede und riß mit einem Ruck seiner starken Faust die Halsbinde entzwei und das Hemd hinten von einander -- »nachens kann er springen.« Fritz erwiederte kein Wort, aber mit einem plötzlichen Stoß gelang es ihm, seinen rechten Arm frei zu bekommen, und ehe die Nächststehenden diesen erfassen konnten, fuhr er in die rechte Tasche seiner weiten hellfarbenen Beinkleider, aus denen er mit glücklichem Griff den dort bewahrten Genickfänger riß, die Scheide flog im Herausziehen ab, und Krautsch, der ihn jetzt an der Gurgel gefaßt hielt, mit scharfem Strich das Messer durch's Gesicht ziehend, daß dieser laut aufschreiend zurücktaumelte, schwang er es hoch und brachte dadurch seine Henker zu einem plötzlichen fast unwillkürlichen Rücksprung. Mit raschem kundigen Blick überflog aber jetzt der, zur Verzweiflung getriebenen Jäger das Terrain; gerade dort an der lichtesten Stelle stand ein kleiner Junge, der die ihm selbst genommene Flinte halten mußte; auf den flog er, ehe nur Einer sein Vorhaben ahnen oder gar verhindern konnte, zu, riß, indem er ihn zu Boden schlug, das Gewehr an sich und wandte sich zur Flucht. »Halt ihn!« schrie da Müllers Friede und warf sich ihm mit heiserem, wüthenden Zornesruf entgegen -- und noch ein Moment und er hatte ihn ergriffen -- dann aber -- Ein Schuß schmetterte mitten in die entsetzt zurückfahrende Schaar hinein. »Ich bin getroffen!« schrie da Müller -- lief mit ausgestreckten Armen wohl fünf Schritte hinter dem jetzt in flüchtigen Sätzen entspringenden Jäger her und stürzte dann -- eine Leiche -- auf das Gesicht nieder. »Faßt ihn -- haltet ihn!« rief Krautsch, dem durch den Schnitt über's Gesicht das Blut in die Augen gelaufen war, daß er diese nicht einmal öffnen konnte. Aber keiner regte sich von der Stelle -- der Tod war zu plötzlich und entsetzlich zwischen sie getreten, als daß sie in diesem Augenblicke Lust zu weiterer Gewaltthat gehabt, oder auch nur an Verfolgung gedacht hätten. Fritz entsprang dem Walde zu, um dort den Feinden, falls sie ihm nachsetzen sollten, am leichtesten zu entgehn, da er aber keinen derselben hinter sich sah, änderte er seine Richtung und floh jetzt, so rasch er konnte, dem unteren Theile von Horneck, in dem das Rittergut lag, zu. Zweites Kapitel. Der Oberpostdirector. »Der Herr Oberpostdirector sind eben von der Jagd zurückgekommen, aber sogleich zu sprechen -- wenn der Herr Doctor sich nur einen Augenblick gedulden, und hier gefälligst eintreten wollten,« sagte der alte Poller, und öffnete mit einem knechtischen unterthänigsten Diener die Thür des nächsten Zimmers. »Gut -- schön,« sagte Wahlert zerstreut, nahm den Hut ab, und betrat das Gemach, wo er, als er Niemanden darin erblickte, rasch und ungeduldig hin und wieder schritt -- manchmal am Fenster stehen blieb, in den Hof hinabsah, wieder umkehrte, und seine Wanderung von Neuem begann. Endlich ging die aus dem Nebenzimmer hereinführende Thür auf, und der Herr von Gaulitz betrat mit höflicher, mild freundlicher Verbeugung das Zimmer. Doctor Wahlert erwiederte kalt und förmlich den Gruß. »Ah, Herr Doctor Wahlert,« sagte, als ob er einen lieben, lange nicht gesehenen Freund ganz plötzlich wieder erkannt hätte, der Oberpostdirector -- »ei, das freut mich ja doch ganz ungemein, daß Sie mir die Ehre geben. Es waren allerdings ganz eigenthümliche Verhältnisse, unter denen wir uns das letzte Mal sahen, aber die Zeit -- die Umstände -- Sie werden -- Sie haben gewiß -- Sie tragen mir gewiß keinen Groll deshalb nach, nicht wahr, mein guter Herr Doctor -- ganz eigenthümliche Verhältnisse. -- Was -- wenn ich fragen darf, -- verschafft mir denn jetzt eigentlich das so ganz unerwartete Vergnügen? -- aber bitte, wollen Sie sich denn nicht setzen?« »Wunderbarer Weise führen mich eben so eigenthümliche Verhältnisse, _auch_ durch die _Zeit_ geboten, zu Ihnen her,« erwiederte ihm, die Einladung zum Sitzen mit leiser Handbewegung ablehnend, Wahlert. »Herr Oberpostdirector, ich komme nicht für mich, sondern für ein anderes unglückseliges Geschöpf, das _Sie_ elend gemacht haben, hierher, Gerechtigkeit zu verlangen -- Gerechtigkeit zu _fordern_, und wenn ich sie nicht erlangen kann, sie im schlimmsten Fall zu -- _erzwingen_. Es ist besser, daß wir uns ohne weiteres auf den Standpunkt stellen, auf dem wir zusammen stehen müssen, wir ersparen dabei eine Menge Umstände, die uns im anderen Falle nur die kostbare Zeit rauben würden.« »Sie sind ungemein aufrichtig und ungenirt,« lächelte der Herr von Gaulitz in süßer Verlegenheit den jungen Mann an -- »spannen aber doch, wie ich wirklich gestehen muß, und trotz Ihrer lobenswerthen Eile, um zur Sache zu kommen, meine Neugierde in peinlichster Weise auf die Folter. _Dürfte_ ich Sie wohl ersuchen, mir zu sagen, was dieser langen, schönen Rede kurzer Sinn eigentlich ist, und ob Sie auch in der That den Oberpostdirector von Gaulitz gesucht haben, um an ihn all' diese wunderbaren, und durch ein so treffliches Vorwort eingeleiteten Anforderungen zu stellen?« »Herr Oberpostdirector,« sagte Wahlert, der sarkastischen Kälte wiederum ernste Ruhe entgegenstellend, »die Sache geht Sie tiefer an, als Sie vermuthen, und ich erbitte für wenige Minuten mir Ihre volle Aufmerksamkeit.« »Aber bitte, wollen Sie sich denn nicht setzen?« Wahlert ließ sich, ohne etwas darauf zu erwiedern, dem Oberpostdirector dicht gegenüber auf einem Stuhle nieder, und sagte mit leiser, absichtlich halb unterdrückter Stimme: »Kennen Sie _Marie Meier_?« Der Oberpostdirector entfärbte sich leicht, sammelte sich aber bald wieder, sah eine kurze Zeit, wie über etwas nachdenkend vor sich nieder, und antwortete dann: »Hm, hm -- ich dächte -- ich dächte, eine Marie Meier wäre einmal vor einiger Zeit Wirthschafterin bei mir gewesen -- ich kann mich aber doch nicht mehr so recht darauf besinnen.« »Herr Oberpostdirector,« sagte Wahlert aufstehend, »ich kenne Ihr ganzes Verbrechen, Verstellung -- Leugnen, helfen Ihnen nichts mehr -- Marie hat mir Alles gestanden, und Sie wissen, was Ihnen bevorsteht, wenn ich diese Thatsachen der Oeffentlichkeit übergebe.« »Mein Herr --« sagte von Gaulitz, der noch immer hoffte, durch eine kecke Stirn dem jungen unerschrockenen Mann zu imponiren -- »Sie vergessen, mit wem Sie reden -- ich bin ein Mann, dessen frommer Wandel der Welt bekannt ist, und den ehrenschänderische Gerüchte nicht im Stande sind, weder vor den Augen des Publicums, noch vor Gericht zu verdächtigen. Ich ersuche Sie in meinen eigenen vier Pfählen um die Achtung, die ich in meiner Stellung erwarten und beanspruchen kann.« »So zwingen Sie mich denn,« erwiederte mit finsterem Blick und Ton Wahlert, »zu einem Schritt, den ich _Ihret_wegen gern vermieden hätte. -- Herr Oberpostdirector, ich kenne Ihren ganzen Charakter -- mein Vater ist, wie Sie wissen, Generalsuperintendent, und Ihnen, wenn auch nicht be_freundet_, doch bekannt -- durch ihn erfuhr ich diese sogenannte _Frömmigkeit_, mit der Sie vor den Augen der Welt den Ruf eines gottesfürchtigen _ehrlichen_ Mannes zu behaupten wußten.« »_Herr Doctor Wahlert_!« rief von Gaulitz, seinen aufsteigenden Zorn kaum unterdrückend. »Hierdurch aufmerksam gemacht,« fuhr aber Wahlert, den aufwallenden Grimm des Mannes gar nicht beachtend, fort, »und den Interessen des Volkes meine Zeit widmend, nahm ich mir die Mühe, mich näher nach _Ihnen_ zu erkundigen -- meine Menschenkenntniß wollte ich mit dem Resultat bereichern, ob ein Mann von Ihrer Bildung, in Ihrer Stellung und von -- Ihren Zügen -- denn ich gebe etwas auf Physiognomie -- wirklich so fromm und gottesfürchtig sein, und doch stets mit leeren Bibelsprüchen um sich her werfen, und seine Briefe und Gespräche damit würzen könnte. Ich fand daß ich mich _nicht_ geirrt.« »Diese Unverschämtheit ist so originell,« sagte endlich der Oberpostdirector mit einem erzwungenen Lachen »daß sie wirklich interessant wird -- fahren Sie fort,« und er biß seine Lippen fest zusammen, verschränkte die Arme, und stand, die Augen mit einem recht boshaft tückischen Ausdruck auf das offene Angesicht des ihm gegenüber Stehenden geheftet, still und schweigend dem weiteren Verlauf der Rede lauschend, da. »Das ist meine eigene individuelle Meinung,« fuhr Wahlert fort, »und die braucht Sie wenig zu kümmern; andere Thaten aber ruhen im Mund Ihrer Untergebenen, und nur an einem unerschrockenen Auftreten hat es bis jetzt gefehlt, ihnen Worte zu geben. -- Die Sünde, die Sie an Marien begangen, brauche ich Ihnen nicht zu wiederholen -- sie allein wäre hinreichend, tausendfältigen Fluch auf ihr schuldbeladenes Haupt herab zu rufen -- andere Verbrechen sind es aber noch, deren Sie bezüchtigt werden, und soll mir Gott in meiner letzten Stunde beistehen, wie ich auftreten will gegen Sie, fügen Sie sich nicht dem, was ich jetzt von Ihnen fordere.« »Was wissen Sie von mir, Herr?« »Gut denn, wenn Sie es nicht anders wollen,« sagte Wahlert, mit düsterer Entschlossenheit im Blick, »so hören Sie, und urtheilen Sie dann selber, ob ich im Stande wäre, Ihnen gefährlich zu werden. -- Auf dem Verbrechen, das Sie an Marien begangen, steht _Eisen_strafe, daß Sie Ihnen freundlich gesinnte Dirnen an Ihre Untergebenen verheirathet, und diese dann ungerechter Weise bevorzugend, in höhere Stellen einrücken ließen, wie vor gar nicht langer Zeit auf solche Art einen Postillon, der schurkisch genug war, sich Ihrem Willen zu fügen, in eine Secretariatsstelle, glaub' ich -- das sind Nebensachen. Das vornehme >Gesindel< in den Städten liebt dergleichen Unterhaltungen, und lohnt stets auf anderer Leute Kosten; aber ich weiß auch, daß Sie des Ehebruchs, selbst in neuster Zeit überführt sind, und kann Ihnen die -- _falschen Zeugen_ vor Gericht bringen, die Sie gegen Ihr armes Weib gedungen. Jetzt also, Herr Oberpostdirector, frage ich Sie zum letzten Mal, wollen Sie es, mir gegenüber, zum Aeußersten kommen lassen; wollen Sie _Alles_ leugnen, und dann versuchen, wie weit ich die Sache treibe?« Der Oberpostdirector schwieg, und schaute, an den Nägeln der linken Hand kauend, stier vor sich nieder. »Gut -- es steht in Ihrer Gewalt!« sagte Wahlert plötzlich nach einer langen Pause, in der er auf eine Antwort gewartet zu haben schien -- »thun Sie, was Sie für sich selber als das Beste halten -- aber bedenken Sie auch, daß wir nicht mehr das alte System haben, unter dem die >Großen des Reichs< wie fast unverletzliche Personen standen, und Einer durch den Anderen beschützt wurden -- _Gerechtigkeit_ herrscht jetzt im Lande, Herr Oberpostdirector, _und denken_ #Sie# _sich Ihr fürchterliches Loos, wenn_ #Ihnen Gerechtigkeit# _würde_.« »Sie häufen Beleidigungen auf Beleidigungen,« sagte Herr von Gaulitz mit leiser, heiserer Stimme, verließ seinen Platz am Tisch, und ging mit raschen Schritten im Zimmer auf und ab -- »Und Ihre Antwort?« frug Wahlert ernst. Der Gutsherr, dessen Gesicht eine Leichenfarbe angenommen hatte, blieb plötzlich stehen, sah den jungen Mann mit einem Blick des tiefsten, bittersten Hasses an, den dieser jedoch mit einem trotzigen Lächeln erwiederte, und sagte schnell: »Sie können mir Nichts beweisen, Herr, nicht das Mindeste -- alle Ihre Beschuldigungen sind falsch -- falsch, wie die Hölle, in der sie gebraut wurden. -- Wagen Sie es, mit solchen Klagen gegen den Oberpostdirector von Gaulitz vor Gericht zu treten -- wagen Sie es, aber >der Herr wird seine Feinde vernichten, und die in den Staub werfen, so wider Ihn die Waffen ergreifen -- das Licht des Gottlosen wird verlöschen, und der Funke seines Feuers wird nicht leuchten.<« »Herr Oberpostdirector,« erwiederte ihm leise der junge Mann, »ich könnte Sie vielleicht selbst mit Bibelversen schlagen, läge mir daran, einen Wortstreit mit Ihnen zu haben. >Ein falscher Zeuge bleibt nicht ungestraft, und wer Lügen frech redet, wird nicht entrinnen< -- was sagen Sie z. B. zu der Stelle. -- Doch genug der Worte -- Thaten will ich jetzt, und die _letzte_ Frage möchte ich hiermit an Sie richten -- wollen Sie sich meiner Forderung fügen?« »Was wollen Sie von mir!« sagte der Oberpostdirector, die Nägel seiner linken Hand noch immer mit den Zähnen beschneidend, während er sich halb von dem jungen Manne abwandte, als ob er den Blick desselben nicht ertragen könnte -- »was ist es -- was fordern Sie?« »Nichts für mich,« entgegnete ihm Wahlert ruhig, »nur die Unterschrift dieser Zeilen.« Der Oberpostdirector nahm sie schweigend aus seiner Hand, und überflog sie rasch mit dem Blick -- »Sind Sie wahnsinnig?« frug er da rasch und plötzlich -- »halten Sie mich für einen Crösus?« »Ich _weiß_, daß der Herr Oberpostdirector gute Geschäfte mit Geld auf Zinsen zu leihen nicht verschmäht, und arme Teufel, die von ihm ein Capital geborgt, plötzlich sehr geschickt und zur rechten Zeit um ein halbes oder ganzes Procent zu erhöhen weiß -- natürlich nur der >schlechten Zeiten< wegen, aber stets unter Androhung der Aufkündigung des Capitals. Was sind dreihundert Thaler jährlich für ein armes Mädchen, deren Lebensglück auf das Schändlichste, Nichtswürdigste zerstört und vernichtet wurde, und die dieser Summe nur eigentlich zu Nichts weiter bedarf, als -- um nicht auch noch _betteln_ zu gehn.« »Es thut mir leid, daß sich Marie Meier in so traurigen Umständen befindet,« versicherte der Oberpostdirector -- »und ich will gern Alles thun, was --« »Wollen Sie dieses Papier unterschreiben?« frug ihn Wahlert eintönig. »Was in meinen Kräften steht, will ich thun,« sagte von Gaulitz -- »aber das -- das ist zu viel.« »Zu viel für ein Menschenleben,« lachte der Doctor im zornigen Unmuth -- »es wäre wahrlich eine Verlockung, sich dem _Teufel_ zu verschreiben, wenn man nur vermuthen müßte, daß _solche_ Menschen einst in den Himmel kämen. Doch genug der Worte, ich habe Sie nicht aufgesucht, um mit Ihnen zu feilschen und zu handeln und um Procente zu streiten. Meine Frage gilt einfach dem _Mann_, dem ich als Mann gegenüber stehe, und die Alternative ist die, daß ich mich von hier aus auf ein Pferd werfe und morgen früh schon in der Residenz die Klage gegen den Oberpostdirector von Gaulitz beim Criminalgericht eingebe, und daß _ich_ die _Zeugen_ stelle, darauf können Sie sich verlassen. Einfach also Ihre Antwort -- hier ist das Papier -- dort steht Feder und Dinte -- wollen Sie, oder nicht?« »Mit der Pistole auf der Brust« -- sagte verlegen der Gutsherr. »Bitte um Verzeihung, Herr von Gaulitz,« erwiederte mit besonderem Nachdruck der junge Mann »ich bin unbewaffnet -- die Pistole wäre nur -- Ihr Gewissen, die Ihnen hoffentlich geladen und gespannt bis zu Ihrer letzten Todesstunde vor den Schläfen stehen soll. -- Ich bitte um Ihre Entscheidung.« »Dreihundert Thaler jährlich? --« »Bis zu ihrem Tod -- in dem Fall aber hundert Thaler an ihren Vater.« Der Oberpostdirector ging mit verschränkten Armen wohl fünf Minuten lang rasch und schweigend im Zimmer auf und ab; Wahlert lehnte an der Ecke eines Spieltisches und sprach kein Wort, störte sein Nachdenken durch keinen Laut, durch keine Bewegung, nur sein Auge haftete mit seiner Adlerschärfe auf ihm, und folgte ihm, wohin er sich wandte, und es schien fast, als ob der Gutsherr das wisse, und der Blick gerade es sei, der ihn so unruhig herüber und hinüber jage, denn nicht ein einziges Mal schlug er das Auge zu dem so unwillkommenen Besuch empor. Endlich, doch wohl einsehend, daß ihm hier wirklich nur die Wahl zwischen öffentlicher Schmach und einem, wenn auch bedeutenden Geldopfer liege, schien sein Entschluß gefaßt. Er trat an den Tisch auf dem, neben dem Dintenfaß das Dokument lag, ergriff die Feder -- und noch zögerte seine Hand. Wahlert schaute mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf ihn hinüber -- plötzlich zuckte ein triumphirendes Lächeln über seine Züge -- das Kritzeln der hastig geführten Feder kündete ihm seinen Sieg. Im nächsten Augenblick reichte ihm der Oberpostdirector das Blatt hinüber -- er warf einen Blick darauf, verbeugte sich, faltete es zusammen, schob es in seine Brusttasche und öffnete eben die Thür, das Zimmer wieder zu verlassen, als draußen eine wildverstörte, blutbedeckte, von Lumpen umhangene Gestalt mit der aufgezogenen Jagdflinte in der Hand in die Thüre sprang, und eine heisere Stimme in kaum hörbaren Lauten frug -- »Wo ist der Herr?« »Heiliger Gott!« rief Wahlert und trat, entsetzt über den schaurigen Anblick, auf den Vorsaal hinaus, der Oberpostdirector aber, durch den Ausruf aufmerksam gemacht, folgte ihm rasch, sah zuerst die Gestalt, die er wahrscheinlich nicht einmal gleich erkennen mochte, erstaunt an und rief dann, mehr überrascht als bestürzt: -- »Fritz Holke -- was machst Du in _dem_ Aufzug hier? -- Mensch wie siehst Du aus?« »Retten -- Schützen Sie mich!« war aber Alles, was der arme Teufel vor Erschöpfung und Angst und Aufregung über die Lippen bringen konnte -- »ich habe -- ich habe einen Menschen -- erschossen -- den Müllerburschen aus -- aus der Rauschenmühle -- sie werden -- sie werden gleich hier sein -- großer allmächtiger Gott, ich bin ein _Mörder_!« Wahlert war an die Seite und etwas zurückgetreten, und ein schweigender aber wachsamer Zeuge der folgenden Scene. »Ein Mörder?« rief der Gutsherr jetzt wirklich bestürzt, und blickte die Leidensgestalt, in deren Antlitz jeder Zug die Wahrheit der Worte bestätigte, forschend an, »Mensch, Du siehst fürchterlich aus!« Fritz erzählte jetzt mit flüchtigen Worten, und so gedrängt als möglich, den ganzen Vorfall, wie er von den Bauern mishandelt, mit was er bedroht worden, und endlich nur in letzter Verzweiflung, seiner selbst fast unbewußt, nach der Waffe gegriffen und die Mündung dem vorspringenden Feind drohend vorgehalten habe -- dann war der Schuß gefallen -- der Mann -- als er sich nach ihm umschaute, gestürzt, und weiter wußte er selber Nichts mehr, weder von sich selbst noch von der ihn umgebenden Welt -- Flucht war sein einziger Gedanke gewesen, Flucht, vor dem Erschlagenen fast mehr als den verfolgenden Menschen, und er, der Gutsherr, der ihm selber befohlen habe, streng gegen alle Wildfrevler zu verfahren, sei der Mann, der ihn schützen werde, schützen _müsse_ vor der Rache der Bauern. »Nun _das_ hätte mir noch gefehlt!« rief jetzt der Herr von Gaulitz, der in dem Interesse, das er an der athemlosen Erzählung seines Jägerburschen nahm, die Anwesenheit des dritten Mannes ganz vergessen zu haben schien. -- »_Ich_ soll mich in deine Streitigkeiten mit dem Bauergesindel mischen, und wohl gar noch einen Mörder und Todtschläger in meinem Hause beherbergen, daß sie mir nachher das Dach über dem Kopf anstecken? -- nein wahrhaftig nicht -- wer hieß Dich gleich abdrücken, der, der Blut vergießt, des Blut soll wieder vergossen werden, steht in der heiligen Schrift -- >wo Jemand an seinem Nächsten frevelt und ihn mit List erwürget, so sollst Du denselben vor meinen Altar nehmen, daß man ihn tödte< und >Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brand um Brand, Wunde um Wunde, Beule um Beule!<« »Herr des Himmels« stöhnte da Fritz in Todesangst, -- »_Sie_ sagen das, _Sie_, der Sie mir hier an dieser Stelle, wo wir jetzt bei einander stehn, zuriefen -- >Schieße die Wildfrevler nieder -- und auf _meine_ Verantwortung?< An mich gehalten hab' ich und Alles ertragen, um nicht ein Mörder zu werden, die Feindschaft aller Bauern dabei durch den Eifer auf mich gelenkt, den ich in Ihrem Dienst bewiesen, und jetzt -- jetzt, wo ich in Selbstvertheidigung vielleicht mein Leben, oder was noch mehr ist, meine Ehre retten mußte -- jetzt, wo ich den ärgsten Wilddieb, der je auf Hornecker Revier mit der Flinte herumgezogen, _auf_ Hornecker Revier, niedergeschossen habe, jetzt bin ich ein ruchloser Mörder und soll allein, elend in die Welt hinausgestoßen werden. Gut, ich will gehen, den Bauern will ich entgegengehn und sagen hier -- hier Ihr Schurken -- hier nehmt Rache an dem vergossenen Blut -- Auge um Auge, Zahn um Zahn -- aber _mein_ Blut kommt über den Gutsherrn drinn und Gott möge ihm einst in seiner letzten Stunde --« »Poller -- Poller!« rief der Oberpostdirector, in voller Aufregung zu der schmalen steilen Treppe gehend, die in die Bedientenstube hinunterführte -- »Poller!« »Zu Befehl Euer Gnaden!« antwortete die bereite Stimme des Dieners, der unten an der Treppe gehorcht, sich aber wohl gehütet hatte, seinen Kopf oben blicken zu lassen. »Ruf mir den Christoph und Dietrich -- schnell -- sie sollen mir den Burschen da aus dem Hause prügeln.« »_Prügeln_!« rief der arme mishandelte und in den Staub getretene Jägerbursche, und wie unwillkürlich fuhr er mit der gewohnten Waffe empor. Der Oberpostdirector wandte sich in diesem Augenblick nach ihm um, sah die drohende Bewegung des so schon zur Verzweiflung getriebenen Jägers, der mit flatternden Haaren und blutbedecktem Antlitz, wie ein zum Sprung bereiter Panther vor ihm stand, und trat, mit einem nur halblaut ausgestoßenen Schrei einen Schritt zurück. Dicht hinter ihm aber waren die Stiegen, er verfehlte die oberste Stufe, glitt aus, griff nach dem Geländer -- der schwere Körper gewann aber das Uebergewicht und polternd, und Hülfe rufend, stürzte er die wohl zwanzig Fuß tiefe, sehr steile Treppe, mit dem Kopf voran, unaufhaltsam hinunter. »Gebe Gott, daß er den Hals gebrochen hat!« sagte Wahlert ruhig, während Fritz in stummem Entsetzen zur Treppe sprang, um nach zu sehn, ob sich der Gutsherr wirklich Schaden gethan. Wahlert aber ergriff seinen Arm, zog ihn mit sich nach der Thür und sagte hier rasch und leise: »Jetzt fort mit Ihnen -- überlassen sie den Cadaver seinem Schicksal -- ob er todt oder lebendig ist, braucht uns wenig zu kümmern -- es wäre ein Gottesgericht gewesen -- aber auch zu milde, denn wenn es überhaupt Gerechtigkeit in der Welt giebt, hatte ich immer noch gehofft _den_ Schurken einmal hängen zu sehn. Für Sie ist aber kein Bleibens mehr im Ort -- auch drüben bei Ihrem Vater können Sie sich nicht aufhalten, Sie würden jedenfalls, dem souverainen Volk jetzt gegenüber, eingezogen -- vielleicht gestraft, und doch sagt mir Ihr ganzes Aeußere, daß Sie recht gehandelt.« »Aber wo soll ich hin?« rief Fritz verstört und unschlüssig -- »in diesem Aufzug --« »Dazu kann Rath werden« erwiederte Wahlert -- »hier« -- und er zog seinen Burnus aus, hing ihn dem Jägerburschen über und drückte ihm dann den eignen Hut in die Stirn. -- »So, hier drinn steht eine Flasche mit Wasser, da -- nehmen Sie dieß Taschentuch, so -- über dem Auge ist noch etwas -- oh das ist eine Wunde, nun die wird schon heilen; ziehen Sie den Hut ein wenig in's Gesicht und gehn Sie jetzt geraden Wegs nach Bachstetten hinüber zum Schullehrer -- halt -- der ist heute Abend hier in Horneck -- desto besser -- so kann er Sie selbst mitnehmen -- jetzt nur fort. Oben wo der Graben in den Wald läuft, in welchem ich damals von gewissen Leuten verfolgt, heraus und nach der Pfarre zu kroch, treffen wir uns -- fort -- die Leute kommen mit dem Gestürzten herauf.« »Aber meine Flinte? --« »Nehme ich unterdessen und werde dafür sorgen, daß sie wieder in Ihre Hände kommt.« »Und mein Vater?« »Soll durch mich erfahren, daß Sie in Sicherheit sind.« -- »Und --« »Und _wer_?« -- Fritz antwortete nicht -- »Fort denn,« sagte Wahlert, »Sie haben keine Secunde mehr zu verlieren!« Er zog den Jäger mit sich aus der Thür, die er hinter sich wieder schloß, brachte ihn vor das Gut hinaus und sah dort noch eine Weile hinter ihm drein, als er nach flüchtigem aber herzlichen Dank in der mehr und mehr einbrechenden Dämmerung auf schmalen dunkeln, ihm aber wohlbekannten Gartenpfaden durch das Dorf hinauf und wahrscheinlich direkt der ihm von Wahlert bezeichneten Stelle zufloh, wo er später einen sicheren Versteck sollte angewiesen bekommen. Drittes Kapitel. Fritz Holke's Flucht. Die Aufregung, die durch den Tod Müller Friedens in all' die umliegenden Ortschaften kam, war entsetzlich. -- Das Gerücht ging, der Horneck'sche Jäger habe den Mann blos deshalb erschossen, weil er einen kranken Hasen hätte fangen wollen. Krautsch, der den Schnitt durch's Gesicht davon getragen, that ebenfalls sein Möglichstes, die Wuth gegen den ihm ohnedies verhaßten Jäger noch zu schüren und zu erhöhen, und die Gerichte, von allen Seiten bestürmt, mußten wohl auf den flüchtigen, seit jenem Abend aber verschwundenen Mörder fahnden, wollten sie nicht besorgliche Auftritte heraufbeschwören, die doch am Ende die Ruhe der hochweisen Polizei vielleicht gestört hätten. Und der Postdirector von Gaulitz? Der lag drei Tage besinnungslos auf seinem Bett -- und phantasierte, als er endlich wieder zu sich kam, von entsetzlichen Sachen, die den Umstehenden das Haar zu Berge sträubten. Die Frau von Gaulitz ließ auch endlich gar Niemanden weiter in's Krankenzimmer, als den Arzt, dem überhaupt gleich ein kleines Gemach im Gute eingeräumt worden war, damit er, wenn sein Aufenthalt nicht ganz unumgänglich nothwendig in der Residenz war, hier bleiben und schlafen konnte, denn das Leben des Postdirectors schwebte lange in höchster Gefahr. Im Anfang hieß es dabei sogar, der Jägerbursche, dessen drohende Stimme Poller unten in seiner Stube gehört haben wollte, hätte den alten Mann, der dem Mörder seinen Schutz verweigert, die Treppe hinabgeschleudert, Wahlert trat dagegen aber augenblicklich und auf das nachdrücklichste als Zeuge auf, und sagte aus, wie er dabei gestanden habe, als der Postdirector, die Stufe verfehlend, hinabgestürzt sei, ohne daß ihm der Jäger auch nur auf sechs Schritte zu nahe gekommen wäre. Das rechtfertigte diesen allerdings von der Anklage, half aber dem Postdirector nur wenig, der sich auch noch, wie eine spätere, allerdings zu späte Untersuchung, darthat, die Hüften ausgerenkt und zwei Rippen gebrochen hatte. Der Jäger war indessen glücklich in seinen Versteck entkommen, durfte aber gar nicht daran denken, selbst in späterer Zeit nach Horneck zurückzukehren, und mußte sich nun einen Ort in der weiten Welt suchen, wo er sich einen Heerd, eine neue Heimath gründen könne. Ohne Abschied von Lieschen zu nehmen, war er aber, selbst an dem Abende nicht, von Horneck geschieden; trotz der Gefahr, in der er sich befand, schlich er von hier zur Schulwohnung hinüber, das bekannte Zeichen rief sein darüber zum Tod erschrockenes Mädchen, der das entsetzliche Gerücht schon zu Ohren gekommen, vor die Thür hinaus, und dort gelobten sich die beiden armen Kinder noch einmal -- unter dem freien hellbestirnten Himmelszelt, ewige Liebe und Treue, wie das Schicksal auch ihre Bahnen werfen, ihr Leben gestalten möge. Fritz war dabei schon fest entschlossen, was seinen künftigen Plan betraf -- er wollte nach Amerika, dort sich mit Fleiß und Sparsamkeit so viel verdienen, um eine kleine Farm kaufen zu können, und dann sein Lieschen, sein liebes gutes Lieschen, nachholen. Dazu schüttelte aber diese gar traurig den Kopf, den armen Vater hier in all seinem Elend, in seiner Krankheit allein zurück lassen -- nein, das ging unmöglich an. -- Aber der Vater bekam bald Zulage -- eine Unterstützung vom Ministerium -- und der Pastor hatte ihm ja ebenfalls Hülfe zugesagt -- Das waren Alles _fremde_ Menschen, wie das arme Mädchen mit recht traurigem Ausdruck in den Zügen sagte, die _versprachen_ Alle, aber sie hielten Nichts, und dann blieb der arme Vater doch nur immer wieder allein und ganz allein auf sie angewiesen, und hätte sie den Greis in dem Zustande verlassen können, Fritz selbst würde ihr das, bei kaltem Blute und ruhiger Ueberlegung, nicht zugemuthet, ja wenn sie selbst wollte, es nicht gestattet haben. Dagegen half keine Einsprache -- Fritz nahm Abschied von ihr, mit dem ausdrücklichen Versprechen jedoch ehe er das Vaterland verließ, jedenfalls noch einmal zu ihr zu kommen, um den gemeinschaftlichen künftigen Lebensplan zu bereden, und als Lieschen weinend am Gartenzaune stand und mit ängstlichen Blicken, mit fieberhaft schlagenden Pulsen den mehr und mehr in der Ferne verhallenden Schritten des Geliebten horchte, eilte dieser, so schnell ihn seine Füße trugen, dem ihm von Wahlert bezeichneten, wohlbekannten Versteck zu, und blieb dort, bis ihn Abends spät der Bachstettener Schullehrer -- der Wahlert zu Liebe noch an dem nämlichen Abende in sein Dorf zurückkehrte -- abholte und mit sich zu Hause nahm. Mehrere Tage vergingen so, und trotz des gegen Fritz Holke, Jägerburschen aus Horneck erlassenen Steckbriefs, war keine Spur des total von der Erde Verschwundenen aufgefunden worden. Fritz Holke war aber nicht der Einzige, dessen Aufenthalt ganz urplötzlich nicht mehr ermittelt werden konnte, auch Marie Meier und der alte Musikant hatten -- Niemand wußte wohin, in derselben Nacht das Dorf verlassen und Wahlert bot vergebens Alles auf, um die Spuren der Entflohenen zu finden. Selbst der Wirth, bei dem sie gewohnt, schien gar Nichts von ihrer Abreise vorher erfahren zu haben, denn nicht eine mal die paar Thaler Miethzins hatte der alte Mann bezahlt und der Hausbesitzer, ein reicher Bauer aus Horneck, der zwei kleine Häuser einmal um eine Schuldforderung angenommen, fluchte und wetterte über das »Gesindel«, bis ihm Wahlert den rückständigen Zins in die Hand drückte und den Zürnenden dadurch zum Schweigen brachte. Was konnte er jetzt thun, um die Unglücklichen wieder aufzufinden? -- Er schrieb augenblicklich in die Residenz, sandte Boten auf alle umliegenden Dörfer aus und versprach Gensdarmen und Forstläufern ansehnliche Summen, wenn sie ihm Kunde von dem alten Musikanten brächten, oder gar seinen Aufenthalt anzugeben wüßten, doch Alles ohne Erfolg. So sicher sich jene Beiden aber auch ihr Versteck gewählt hatten, so viel unsicherer wurde mit jedem Tage des armen Jägerburschen kaltes Dachstübchen, in dem er jetzt, bei plötzlich eintretendem Frost, besonders in der ersten Nacht fast erfroren wäre. Dort konnte er nicht länger bleiben, als ihn aber der gutmüthige Kraft die nächste Nacht herunter in seine eigene Kammer nahm, war es die Magd gewahr geworden, und auf rasche Entfernung, sollte nicht die Entdeckung die übelsten Folgen nach sich ziehen, mußte so schnell als möglich gedacht werden. Fritz verließ am nächsten Abend bei Dunkelwerden Bachstetten und floh -- natürlich augenblicklich nach Horneck in die Schule, wo ihn der jetzt davon in Kenntniß gesetzte Hennig zwei Tage, mit größter Gefahr für sich selbst, zu verbergen wußte. Indessen hatten sie aber auch nun den Plan entworfen, den sie künftig verfolgen wollten, Lieschen ward sogar mit in den Kriegsrath gezogen und der Beschluß gefaßt, daß Fritz jetzt ohne Weiteres voraus nach Amerika überfahren und dort das Land einige Monate durchziehen solle. Zum Frühjahr, wo er schon einen Platz zur Ansiedlung ausgewählt haben konnte, kam Wahlert mit seiner jungen Frau nach. Und Lieschen? -- Ach dem armen Kinde standen die großen hellen Thränen in den Augen, daß es nicht mit ziehen konnte in das freie herrliche Land, wo es keine Noth mehr gab und -- keine Nahrungssorgen, wo der Arbeitsame und Ehrliche sein Brod fand, und nicht wie hier in Kummer und Elend verderben mußte. Aber -- es ging nicht -- Vater und Geschwister durfte, konnte sie hier nicht allein zurücklassen und wehmüthig nickte sie nur mit dem Köpfchen, als ihr Fritz versicherte, wie er bald, recht bald so viel verdient haben werde, um sie und die Ihrigen zu ernähren und sie dann alle mit einander nachholen zu können. Noch in derselben Nacht verließ er, von Wahlert hinlänglich mit Geld unterstützt, und mit ein paar Briefen nach Havre versehen, Horneck, setzte nach der Rauschenmühle über, nahm dort von seinem Vater, den er auch in späterer Zeit noch in Amerika zu sehen hoffte, herzlichen traurigen Abschied, und wanderte dann getrosten Muthes nach der Residenz. Wahlerts Rathe nach sollte er hier Post nach Coblenz nehmen -- auf der Post frug ihn kein Mensch nach einem Paß, und von dort aus erreichte er schnell die französische Grenze und Havre de Grace. Lieschen schwebte indessen in Todesangst -- jedes fremde Gesicht, das ihr begegnete, schien zu sagen: sie haben Deinen Fritz erwischt und er wird jetzt in Ketten wieder zurück transportirt. -- Keine derartige Kunde wurde ihr aber, im Gegentheil mußte sie jetzt, da der Steckbrief nicht erledigt wurde, der Entflohene also auch nicht eingefangen sein konnte -- hoffen, daß er glücklich entkommen sei -- dennoch war ihr die Ungewißheit, ach, so peinlich, und die Tage schlichen ihr lang und traurig dahin. Viertes Kapitel. Pastor und Schulmeister. Der neunte December brach trübe und düster an; im Nordwesten hatten sich dunkle, drohende Wolkenmassen gebildet, und mit der Tagesdämmerung sah es fast so aus, als ob an diesem Tage der erste Schnee fallen müsse. Auch waren schon mehrere Züge wilder Gänse schnatternd und schwirrend dicht über Horneck weg, vom Norden herunter kommend, dem wärmeren Süden zugestrichen -- ein ziemlich sicheres Zeichen des nahenden Winters -- um neun Uhr aber, der Stunde der Wetterscheide, drehte sich der Wind mehr nach Süden herum, und ein kalter, dünner Regen, der im Anfang wie Staub auf den Kleidern lag, um später desto sicherer einzudringen, fiel geräuschlos auf die feuchte lehmige Erde nieder. Selbst den Enten schien es in dem, unten gleich am Pfarrhügel liegenden Teich zu naß geworden zu sein, und sie watschelten schnatternd in ihrem schwerfälligen Marsch -- eine hinter der anderen genaue Linie haltend -- unter die Pflaumenbäume, wo sie erst eine ganze Weile die Köpfe schüttelten, als ob sie selbst nicht wüßten, was sie über den dießjährigen Herbst denken sollten, dann sich die Flügel und das bewegliche Schwänzchen putzten, und zuletzt ganz ehrbar und bedächtig still saßen, die Köpfe hinten in den Nacken drückten, und mit halb geschlossenen Augen träumend nach den grauen unbehaglichen Wolken in die Höhe schauten. Der Gänsejunge stand dabei unten am Teich, und wusch sich die bloßen Füße in der kalten, schmutzigen Flut, und ein kleines dralles Bauermädchen im bloßen Kopf, das ein Gefäß in der Hand trug, und von seiner Mutter wahrscheinlich in den nächsten Kaufmannsladen geschickt war, um Essig, oder sonst eine Flüssigkeit zu holen, schien Gefallen an dem Fußbad zu finden. Sie trat dicht zu dem gleichgültig nach ihr sich umschauenden Jungen heran, tauchte erst ganz sorgfältig die eine Spitze des sauber geschmierten Schuhes in das Wasser, und freute sich, wie die Fluth in trüben Perlen auf dem schwarzen Fett hängen blieb -- dabei wurde sie aber immer kecker und kecker, nahm jetzt den anderen Fuß, und dann diesen wieder, bis sie es endlich einmal versah, und sehr zum Ergötzen des schadenfrohen Gänsejungen zu tief trat, so daß das Wasser ihr den Strumpf netzte und in den Schuh lief. Ei, wie rasch hob sie da das kleine Bein, und rannte, dann und wann einmal stehen bleibend und den nassen Strumpf betrachtend, spornstreichs den schmuzigen Fahrweg entlang in die schmale Gasse, die zum Kaufmann führte. Hier und da schaute ein mißmuthiges Gesicht aus den Fenstern der benachbarten Bauernhäuser heraus, und der Knecht, der sonst immer pfeifend neben seinem Geschirr herging, zog heute verdrossen und dicht in seinen alten grauen Regenmantel gewickelt, hinter dem Mistwagen her, während selbst die Pferde, dann und wann die Ohren schüttelnd, und nicht rechts noch links schauend, wie verdrießlich in den Deichselketten hingen, daß der schwergeladene Wagen nicht zu rasch den Abhang hier hinunter rolle, und ihnen etwa in die Hacken käme. Aus den Scheunen tönte das monotone Dreschen herüber, immer trüber und trüber umzog sich der Himmel, und die ganze Natur sah aus, wie der Bauer in seinem Regenmantel. Es war wieder an einem Sonnabend, und Hennig, froh endlich einmal der dunstigen Schulatmosphäre enthoben zu sein, ging in die Pfarre hinüber, wo er den Kindern Musik, und Sophien -- o wie er sich die ganze lange Woche hindurch auf die _eine_ selige Stunde freute -- Zeichenstunde gab. Am letzten Sonnabend war ihm auch diese Freude, wenigstens zum großen Theil verbittert worden, denn der Fremde, Doctor Wahlert, der in der Pfarre wohnte, ging die ganze Stunde nicht aus dem Zimmer, und es kam ihm da gerade so vor, als sei ihm der Tag -- der einzige Erholungstag der ganzen Woche, auf solche Art ganz schändlich und heimtückisch gestohlen worden. Heute konnte ihm das nicht widerfahren -- Wahlert war gestern Abend erst fortgeritten, und kam keinesfalls vor der Zeichenstunde zurück, und Hennig hatte die Zeit kaum erwarten können, so daß er eine volle halbe Stunde -- sehr zum Entsetzen der »jungen Pastors,« die gar noch nicht an's Clavier dachten, hinüber in die Pfarre ging. Dort war aber erst gestern Abend der frühere Diaconus Brauer, jetzt Pastor zu Kloneck, eingetroffen, um mehreres mit seinem Collegen, dem Pastor Scheidler zu bereden, und es schien fast, als ob ihm auch heute die liebste Stunde geraubt werden sollte; als Vorbedeutung wurde wenigstens -- und wie lachten die »junge Pastors« -- die Clavierstunde ausgesetzt. Als sich jedoch Hennig, um die Unterredung nicht zu stören, wieder entfernen wollte, bat ihn Pastor Scheidler, zu bleiben, da sie Manches mit einander zu besprechen hätten. »Manches zu besprechen? Lieber Gott,« dachte Hennig -- »die alte Geschichte; wenn sich ein Pastor dazu herabläßt, mit dem Schulmeister etwas zu besprechen, so bedeutet das gewöhnlich weiter gar nichts, als er will ihm wieder einmal den Text lesen -- und das nennt er nachher _besprechen_.« Hennig hatte sich auch nicht geirrt, die Kinder waren noch nicht einmal hinaus, als Pastor Scheidler, der Hennig gewinkt hatte, einen Stuhl zu nehmen, anfing, ein paar Mal im Zimmer auf und ab zu gehen -- ein sicheres Zeichen, daß irgend ein Sturm im Anzug sei -- dann nach einigen Hm's und mehrmaligem Räuspern zum Tisch trat, und ein Zeitungsblatt -- die Probenummer eines neu zu erscheinenden Blattes, »die Leuchte« in die Hand nahm. Hennig lächelte, denn er wußte jetzt Wort für Wort, was kommen würde, wunderte sich aber doch darüber, den Pastor einer solchen Sache wegen so ernst zu finden. »Lieber Hennig,« nahm Pastor Scheidler nach einigem Zögern und einem, scharf auf den Lehrer gerichteten Blick, das Wort -- »Sind Sie wirklich der Redacteur dieses Blattes, das vom ersten Januar 1849 an regelmäßig erscheinen, und die hier vorn angegebene Tendenz verfolgen soll?« »Allerdings, Herr Pastor,« erwiederte ihm Hennig, »und mit Gott hoff' ich, zum Nutzen und zur Aufklärung der Menschen recht viel Gutes damit zu wirken.« »Ich dächte, Sie hätten sich immer beklagt, daß Ihnen so wenig Zeit zu Ihren Studien bliebe?« frug mit etwas bitterem Ton der Geistliche -- »hiernach scheint es doch fast, als ob Sie weit mehr Zeit hätten, als ein Lehrer, der eine schon übergesetzliche Zahl von Kindern zu unterrichten hat, haben sollte.« »Lieber Herr Pastor,« antwortete ihm Hennig mit wehmüthigem Lächeln -- »das Gesetz verstattet aber auch in seiner grenzenlosen Milde dem Lehrer neun bis zehn volle Stunden Schlaf und Ruhe, und von denen, die doch mein Eigenthum sind, benutze ich drei an jedem Abend zu solchen Arbeiten, die meinem Geist eine angemessene Beschäftigung gewähren, meinen Gefühlen und Gesinnungen entsprechen, und mir zu gleicher Zeit eine, ich kann wohl sagen _nöthige_ Unterstützung geben sollen, ohne die ich am Ende nicht einmal auskommen könnte.« »Nicht auskommen könnte, lieber Hennig?« frug der Diaconus erstaunt; »wenn ich nicht irre, haben Sie fast den doppelten Gehalt jetzt, den Sie damals, als ich in Horneck noch Diaconus war, hatten? -- davon sollten Sie doch leben können.« »Ja, -- wenn ich den armen alten Kleinholz dabei _verhungern_ lassen will,« sagte Hennig ruhig. »_Verhungern_?« rief aber jetzt Pastor Scheidler auffahrend -- »Herr Hennig, in _meinem_ Dorfe ist noch nie ein Mensch _verhungert_ -- am wenigsten der Schullehrer, und es klingt -- Sie nehmen mir das nicht übel, wenn ich aufrichtig zu Ihnen spreche -- fast ein wenig -- wie soll ich denn gleich sagen -- ein wenig -- anmaßend von Ihnen, zu thun, als ob _Sie_ allein der Erhalter des alten Kleinholz wären. Bekommt er nicht etwa regelmäßig seinen Gehalt als emeritirter Lehrer? -- Wir müssen _Alle_ sehen, daß wir ordentlich und ehrlich durch die Welt kommen, es thut aber auch ein _Jeder_, was in seinen Kräften steht, mein guter Hennig, ein _Jeder_.« »Herr Pastor,« erwiederte Hennig ruhig -- »dürfte ich Sie wohl fragen, wie viel Ihr jährliches Einkommen beträgt? -- bitte, beantworten Sie mir das.« »Das ist eine sehr merkwürdige und hier gar nicht her gehörende Frage,« sagte Pastor Scheidler, durch den Absprung aber doch etwas außer Fassung gebracht. Pastor Brauer schüttelte mit dem Kopfe, erwiederte aber gar nichts. »Sie könnten mir aber doch, wenn ich Sie darum bitte, die Frage beantworten,« beharrte Hennig. »Es kommt ja hier gar nicht auf hohen oder geringen Gehalt an, lieber Hennig,« eilte hier der frühere Diaconus dem bedrängten Collegen zu Hülfe -- »lassen wir das -- dieß neue Blatt war es ja wohl, weshalb Herr Pastor Scheidler mit Ihnen zu sprechen wünschte.« »Bitte, lassen Sie mich, Herr Pastor,« sagte ruhig der Lehrer -- »es ist besser, wir machen erst die eine Frage ab, sie hilft mir zugleich zur Erledigung der zweiten -- Sie, Herr Pastor Scheidler, haben circa zwölf bis vierzehnhundert Thaler Gehalt, und sagen dabei, wir müssen _Alle_ sehen, daß wir ordentlich und ehrlich durch die Welt kommen -- und der alte Kleinholz -- großer allmächtiger Gott, mit _funfzig_ Thalern, die _Sie_, Herr Pastor, alle vierzehn Tage beziehen, soll der arme unglückselige Greis _das ganze Jahr_ mit seinen sieben Kindern auskommen. Ist das _möglich_.« »Sie vergessen, daß ich selbst um Zulage für ihn eingekommen bin,« entgegnete ihm, die indirecte Anklage parirend, der Pastor -- »ich habe meinen ganzen Einfluß angewandt, es durchzusetzen.« (Er hatte eine ganz gewöhnliche Eingabe gemacht, da er nur kurz vorher ein dringendes Gesuch an das Ministerium, einem Neffen zu Liebe gestellt, und doch nicht gleich zweimal hinter einander mit dringenden Bitten kommen wollte.) »Gebe Gott, daß jenes Gesuch erfolgreich sei,« sagte Hennig seufzend -- »sonst kommt es zu spät.« »Ist Kleinholz so krank?« frug Brauer besorgt -- »ich will doch nachher einmal hinüber gehen.« »Sie werden ihm viele Freude damit machen,« sagte Hennig -- »er spricht viel und gern von Ihnen -- Sie waren sonst immer so freundlich gegen ihn.« »Also nur um ihr Einkommen zu vergrößern, haben Sie die Redaction dieses Blattes übernommen?« frug, auf den ersten Punkt jetzt wieder zurückkommend, der Pastor Scheidler -- »ist dem so?« »Nein,« erwiederte ihm Hennig kopfschüttelnd, »dem ist nicht so, Herr Pastor -- nicht allein des _Geldes_ wegen, wenn auch, Gott sei es geklagt, ein armer Dorfschulmeister der Letzte sein sollte, der von Geld verächtlich spräche -- bin ich dazu gekommen, mir die Zeit am Schlaf abzusparen, und als Schriftsteller mit meinen geringen Kräften in die Welt zu treten -- das Bedürfniß war es, über das, was mir so heiß und heilig am Herzen lag, über die Schulreform, über das Verhältniß der Schullehrer zu einander, über das, was den Kindern nützt oder schadet, und in dieser verschiedenen Wirkung Einfluß auf ihr ganzes künftiges Leben ausübt, mich einmal so recht tüchtig und gründlich aussprechen zu können. Die sächsische Schulzeitung verfolgt denselben Zweck, ist aber in unserem Ländchen viel zu wenig gelesen, und mein kleines Blatt dringt da vielleicht als helle, trostbringende Leuchte in manches arme düstere Lehrerherz, und ruft es mit auf zum heiligen Kampf für Wahrheit, Licht und -- Gerechtigkeit. Selbst die gutgesinnten Geistlichen werden uns darin nicht entgegen sein, denn ihnen ist sicherlich mehr daran gelegen, gute, freudig wirkende und eifrige Schullehrer zur Seite zu haben, die mit ihnen Hand in Hand an dem schönen Werke der Volkserziehung arbeiten, als Menschen zu _beaufsichtigen_, denen man nur _mittelbar_ das Stundenhalten anvertraute, die aber, wie das Gesetz angenommen zu haben scheint, fortwährend unter strenger Controle gehalten sein wollen, um nur nicht lässig und faul in ihrem _Dienst_ zu werden.« »Dann rechnen Sie _mich_ also nicht mit zu den gutgesinnten Geistlichen,« sagte Herr Pastor Scheidler, und zog die Brauen, den Lehrer scharf dabei ansehend, hoch herauf. »Herr Pastor!« rief dieser -- »Nein, nein, nein, nein, Herr Hennig, nein und nochmals nein,« sagte der geistliche Herr, sich mehr und mehr ereifernd, »ich muß Ihnen, da wir endlich einmal auf das Kapitel gekommen sind, auch meine Meinung, wie sich das gehört, frisch und frei heraussagen. Im Anfang, und im Beginn der politischen Bewegung -- oder nennen wir es lieber mit dem richtigen Namen -- des _Aufruhrs_ in Deutschland, mochte ich diesem Emancipationsstreben nicht so schroff entgegentreten, die Gemüther waren überdieß aufgeregt, und ich hielt es nicht für gut, solche Stimmung noch mehr zu reizen, jetzt aber hat das _Wühlen_, denn das allein ist der richtige Ausdruck dafür, lange genug gewährt, und ich bin nicht gesonnen, es länger selbst unter meinen Augen zu dulden!« »Herr Pastor?« sagte Hennig erstaunt. »Nein, nicht zu _dulden_, Herr!« fuhr aber der Geistliche, der jetzt das lang gesuchte Bett für die Stromflut seines Zornes gefunden -- eifrig fort -- »Was müssen die anderen Geistlichen, was müssen meine Collegen denken, wenn hier, ich möchte sagen, in meinem eigenen Hause, die Waffen geschmiedet würden, mit denen man sie -- und warum denn überhaupt auch nur _sie_, nein auch mich selbst, eben so gut mich selbst -- fortwährend angreift und bekämpft. Ich sage Ihnen noch einmal, Herr Hennig -- treiben Sie mich nicht zum Aeußersten -- ich kann Ihnen allerdings, unseren jetzigen liebenswürdigen Gesetzen nach -- die Herausgabe eines _solchen_ Blattes nicht officiell _verbieten_ -- und werde das auch nicht -- geben Sie es aber _doch_ heraus, achten Sie das, was ich darüber denke, so gering, und wollen Sie der _ganzen_ Geistlichkeit, und also auch _mir_ feindlich gegenüberstehen, so messen Sie sich auch die Folgen bei, die das für Sie haben würde. _Noch sind_ wir die Herren -- _noch_ gelten unsere Berichte, und die Schlußfolge können Sie sich selber daraus ziehen. -- -- Ich hoffe aber,« fuhr er nach ziemlich langer Pause, in der keiner der übrigen Männer ein Wort erwiederte, etwas ruhiger fort -- »daß Sie über das oben Gesagte -- über Ihre Stellung, etwas nachdenken werden. Ich will Ihnen wohl, Hennig, ich dächte sogar, ich hätte Ihnen das schon mehr als einmal bewiesen. Hab' ich Sie z. B. je in der Schule belästigt, ist die nicht allein Ihrem Wirken und Fleiße überlassen? -- Was Anderen geschieht, geht _Sie_ aber Nichts an, um das mögen sich auch Andere kümmern. Und das alte Verhältniß ändern? -- Lieber Hennig, glauben Sie nur, ich habe darin mehrfache Erfahrung, und sehe vielleicht weiter in die Weltgeschichte hinein, als Sie glauben möchten -- die Umsturzpartei _hätte_ das vielleicht gekonnt, sie hatte wenigstens das Heft in Händen; jetzt aber ist es zu spät -- mit dem Bade schütteten sie das Kind heraus, die ganze Welt traten sie auf den Fuß, und wollten sich dann nicht einmal entschuldigen; nun -- stehen _wir_ aber wieder fester, als wir, möcht' ich fast sagen, vorher gestanden haben. Also überlegen Sie sich das, lieber Hennig -- denken Sie an das Gleichniß mit der Mauer -- ein Kopf ist viel welcher als eine Mauer, und ein vernünftiger Mann darf nichts _Unmögliches_ versuchen wollen.« Er nickte dem Schullehrer freundlich zu, und verließ das Zimmer -- als ihm Hennig wie träumend nachschaute, bemerkte er erst, daß Sophie Scheidler indessen ebenfalls eingetreten war; sie stand am Fenster, und ihr Blick, der mit stiller Theilnahme auf ihm, dem armen Schullehrer haftete, begegnete dem seinen, senkte sich aber dann auch schnell -- er glaubte scheu -- zu Boden nieder. Hennig stützte den Kopf in die Hand, und sah lange still und sinnend vor sich nieder. »Hennig« sagte da Pastor Brauer und ergriff des Freundes Hand -- »Sie wissen, daß ich in früherer Zeit in gar manchen Sachen Ihre Meinung getheilt habe.« »In _früherer_ Zeit?« frug Hennig erstaunt und blickte zu dem Manne auf -- »haben _Sie_ sich da verändert, oder ich mich, daß das nicht mehr der Fall sein sollte?« »Wir sind noch hoffentlich Beide die Alten geblieben« lächelte da Brauer, »aber die -- _Zeiten_ haben sich geändert -- in der Welt selber ist vieles Anders -- manches schlechter geworden, als es früher war, und dem Menschen ward deshalb der überlegene Geist gegeben, daß er nicht schroff und blind seine einmal begonnene Bahn fortgehe, sondern überlege, prüfe, forsche, und dann erst wie er es am Besten erfunden, _handele_, Sie wissen ich bin der Lehreremancipation nicht entgegen gewesen.« »Und sind es auch hoffentlich _noch_ nicht« rief Hennig in erschrecktem, fast bittenden Ton -- »es wäre hart gerade jetzt im schwersten Kampf einen solchen Freund zu verlieren.« »Ich bin es _noch_ nicht« bestätigte Pastor Brauer, »aber doch auch nicht in so ausgedehntem Maaße, wie Sie vielleicht zu vermuthen scheinen. Der Lehrer muß in seinem Einkommen, in allem, was seine pecuniären Verhältnisse betrifft, unbedingt besser gestellt und ferner befreit werden von den lästigen Küster- und Glöcknerdiensten, deren Ertrag er dann auch nicht, wenn ihm sein Gehalt erst vom Staat ausgezahlt wird, zu vermissen braucht -- was aber die _Inspection_ des Geistlichen betrifft, lieber Hennig, da weiß ich doch nicht, ob es nicht -- in den meisten Fällen natürlich nur, denn eine Ausnahme davon sind Sie zum Beispiel -- nicht doch besser wäre, wenn es --« »Eben beim Alten bliebe --« ergänzte Hennig monoton, und schaute voll und klar zu dem Geistlichen auf. »Nun Gott ja, wenn Sie's so, --« sagte etwas verlegen lächelnd, Brauer, während er mit dem Frühstücksmesser spielte, und auf dem Teller einzelne kleine Brodkrummen zu zerschneiden suchte, »wenn auch das Wort, >beim Alten lassen< im letzten Jahre etwas verpönt geworden ist. -- Ich will übrigens gar nicht, daß es ganz beim Alten gelassen werden soll, der Herr Pastor Scheidler hat Ihnen früher schon selber einen trefflichen Vorschlag, gründliche Reform betreffend gemacht, und wenn Sie in einem Schulvorstand zur Majorität die Lehrer haben, dann, lieber Hennig, bin ich doch fest überzeugt, daß Sie sich nicht darüber beklagen dürfen und thäten Sie es doch, wären Sie ungerecht.« »Uebrigens wird Ihnen nicht unbekannt sein« fuhr Pastor Brauer, als Hennig kein Wort darauf erwiederte, nach einem kurzen Stillschweigen fort, »daß sich mehrere Lehrerconferenzen schon ebenfalls in diesem Sinne ausgesprochen haben -- Sie wissen ja sogar was die Hornecker darüber gesagt; die Lehrer selber sehen ein, daß sie _wohlgesinntere_ Inspectoren kaum mehr unter ihren Collegen, als unter den Geistlichen zu hoffen haben. Die Schulmänner sind nicht selten -- ich spreche hier von den alten starren Fachleuten -- anmaßend und pedantisch, und würde Ihnen das, lieber Hennig, nicht weit peinlicher sein von Jemandem beaufsichtigt, überwacht zu werden, der mit Ihnen auf einer Stufe steht, der aus demselben Stand ist wie Sie selbst, und nur durch die Wahl einer, vielleicht sehr geringen Majorität zu ihrem Vorgesetzten gemacht wurde? -- Der Geistliche kann auch am kräftigsten dahin wirken, bei seiner Gemeinde die Theilnahme für die Schule zu wecken und zu erhöhen. Wo sich der Geistliche die Liebe und Achtung seiner Kirchkinder erworben hat, gilt auch sein Wort viel, und leicht wird er dann dem Lehrer in die Hand arbeiten, den Lehrer schützen und stützen können gegen Unannehmlichkeiten und Aerger, und ihm ein treuer Freund und Hüter werden.« »Ein _Hüter_ -- das war das richtige Wort« sagte Hennig rasch, aber mit einem recht wehmüthigen Ausdruck in den Zügen -- »>auch Du mein Sohn Brutus< -- sehen Sie _Herr Pastor_, das thut mir recht in der Seele weh, daß wir Beiden wenigstens nicht mehr so freudig Hand in Hand gehen können wie bisher. Die Zeiten haben sich nicht geändert -- die _Zeiten_ ändern sich nie -- die Menschen nur sind es, die Menschen und ihre Ansichten, und es ist traurig, daß die stets durch ihre Verhältnisse bestimmt werden. Wäre das freilich nicht, so würden wir vollkommen sein. So wird, zum Beispiel die Religion noch gelehrt und gepredigt, wie sie vor sechs Monaten gelehrt und gepredigt wurde, der _Pastor_ scheint sich aber in das gefügt zu haben, was den _Diaconus_ als unerträglich drückte. Doch ich will hier nicht den alten Kampf gegen geistliche -- nicht geistige Inspection beginnen, mein Ziel hab ich mir gesteckt, und dem streb' ich mit frohem Muthe entgegen. -- Sagen Sie mir lieber, was Ihnen Herr Pastor Scheidler noch aufgetragen hat -- ich bin bereit, es zu hören.« »Aufgetragen?« frug Pastor Brauer leicht erröthend, »aufgetragen in der That Nichts, aber auch ich wollte Ihnen als alter Freund rathen, die Zeitung, wenigstens nicht in dem Sinne, wie es die Probenummer kündet erscheinen zu lassen. -- Sie machen sich viele Feinde und richten _dadurch_ wahrlich Nichts, weder für sich noch ihre Standesgenossen aus. Lassen Sie Geistliche und Lehrer vereint an die Reform der Schule gehn, dann werden Sie den wachsenden Baum schöne und herrliche Früchte tragen sehn, wollen Sie aber unbedingten Kampf, dann, guter Hennig, zerstören Sie gerade das, was Sie zu wecken wünschen.« Pastor Brauer stand auf und schien im Begriff das Zimmer zu verlassen, Hennig aber ergriff seine Hand und sagte herzlich, aber dennoch mit einem leisen Vorwurf im Ton: »Es gab eine Zeit, wo wir Beide Hand in Hand einem schönen Ziele entgegen strebten, wo wir als Freunde handelten, als Freunde dachten, und Gott wolle verhüten, daß _die_ Zeit, die schöne Zeit vorüber sei. Hier aber handelt es sich um das Höchste was der Mensch in seinem Innern erkennen sollte -- um seine Ueberzeugung -- hier handelt es sich um das, wonach ich mit allen meinen schwachen Kräften getrachtet und gestrebt -- hier handelt es sich allein noch darum, den Sieg gewinnen oder verzweifelnd _jede_ Hoffnung aufgeben zu müssen -- von einem Rücktritt kann da keine Rede sein. Ich sehe in der Selbstständigkeit des Lehrers die einzige Möglichkeit einer freien Entwickelung des Volks und in dieser wieder nur die Aussicht auf eine mögliche Selbstständigkeit desselben -- _sollten geknechtete Menschen im Stande sein Freie heranzubilden_? Und ist der Lehrer etwa _nicht_ geknechtet, liegt nicht jetzt sein freier Wille in der Hand des Geistlichen und duldet er nicht die schmählichste Knechtschaft durch die Nahrungssorgen, die seinen Geist niederbeugen müssen? Nein, wohl weiß ich, daß sich viele Lehrerconferenzen _gegen_ die Trennung der Kirche von der Schule ausgesprochen haben, die armen verblendeten Menschen wissen aber nicht, daß sie sich den Stahl in das eigene Fleisch rennen -- sie begreifen nicht, wie alle die Uebelstände, die sie jetzt aus einer Ueberwachung der Schulen durch Schullehrer selber entstehn zu sehn glauben, durch das Aufhören des Pastorzwanges auch in sich selbst zusammenstürzen müßten. Das aber spricht ebenfalls nur wieder mehr für mich, und ein Schritt weiter zurück, kündet uns auch hier die Ursache. Wie werden die Seminaristen schon, die doch einst Lehrer werden sollen, behandelt -- wie erbärmlich ist meistens die Kost, mit der sie auf den autokratischen Willen des >Hausmanns< angewiesen sind -- wie gedrückt ihre Behandlung -- _das Alles_ muß anders werden, der Lehrerposten muß ein _Ehren_posten werden im Staat, und _daß_ er das werde, dahin geht mein Streben. Ueberzeugen Sie mich, daß ich den falschen Weg gehe und ich will umkehren, das, was Sie bis jetzt gesagt, überzeugt mich _nicht_.« »Aber der Herr Pastor Scheidler.« »Meint es sonst gut mit mir, und wird mir da, wo er einsehn muß, ich handele aus Ueberzeugung, nicht feindlich entgegentreten. Uebrigens habe ich Nichts zu scheuen, und die heimlichen Conduitenlisten -- das Vehmgericht des Schulvorstandes -- werden hoffentlich auch bald ihr Ende erreichen.« »Ich sehe, wir überzeugen einander doch nicht,« sagte Brauer lächelnd -- »Sie sind einmal unverbesserlich -- doch, Sie haben wohl auch gar hier Stunde zu geben, da will ich nicht stören.« »Es hat erst eben zehn Uhr geschlagen,« sagte Sophie, die bis dahin, dem Gespräch still aber aufmerksam lauschend, an ihrem Nähtisch gesessen hatte. »Kann ich den alten Kleinholz jetzt sehn?« frug Pastor Brauer den Schulmeister. »Er wird sich herzlich freuen« -- erwiederte dieser -- »wir haben ihn heute, wo die Schulstube doch nicht gebraucht wird, herunter in diese geschafft, damit oben nur einmal gelüftet werden kann. Er ist übrigens um vieles besser, und ich denke, wir werden ihn wohl durchbringen.« Pastor Brauer nahm seinen Hut, verbeugte sich gegen Fräulein Scheidler, nickte Hennig freundlich zu und verließ das Zimmer. -- Fünftes Kapitel. Die Zeichnenstunde. Als Pastor Brauer die Thür hinter sich zugezogen hatte, räumte das Mädchen die noch vom Frühstück dastehenden Teller und Gläser hinaus, und Sophie trug das Papier und die Zeichnenapparate herbei, um die Stunde zu beginnen. Hennigs Wangen glühten von der gehabten Unterredung in fieberhafter Aufregung und seine Augen leuchteten von einem ganz ungewöhnlichen Feuer. Er sprach aber kein Wort, und bereitete sich ruhig vor, die gewöhnlichen Stunden auf gewöhnliche Art zu beginnen. Nur im Herzen war's ihm leicht und hell geworden -- das klare Bewußtsein, der feste Wille, sein schönes Ziel im Auge, sich durch kein Hinderniß, keine Drohung abschrecken zu lassen, verlieh seinem ganzen Wesen eine größere Elasticität, eine edlere Festigkeit, als er sie noch je in sich gefühlt und empfunden. Sophie legte die Vorzeichnung vor sich hin, spitzte die Kreide, schob sich Gummi und Wischer zurecht und schaute erst, wie zerstreut, ein paar Secunden vor sich nieder. Hennig sah von der Seite zu ihr auf -- der ganze schöne Traum seines Lebens flog in lieblichen lockenden Bildern zauberschnell an seiner Seele vorüber und wie von Seraphsklängen durchschauert, hörte er den süßen zitternden Laut, der in heiligen, ahnungbelebten Accorden durch seine Seele schwoll. »Herr Hennig!« sagte da die leise Stimme der Jungfrau, und Hennig fuhr, wie von einem elektrischen Schlag getroffen, zusammen. Selbst Sophien entging, obgleich sie, während sie sprach, die Augen auf das Papier geheftet gehalten, dieser schnelle Schreck nicht, und sie blickte erstaunt den Lehrer an. Hennig sammelte sich aber rasch wieder. »Fräulein Scheidler --« »Ist Ihnen nicht wohl?« frug Sophie, der die plötzliche Blässe des jungen Mannes auffiel -- »Sie sehen so bleich aus.« »Nein -- ich danke tausendmal -- es ist wahrlich Nichts -- nur die Aufregung vorher, vielleicht -- ich war in der Vertheidigung meiner Lieblingsidee warm geworden, ich fühle mich jetzt schon wieder ruhiger.« »Herr Hennig,« wiederholte da, die Blicke aufs Neue gesenkt, Sophie -- »sein Sie mir nicht böse, wenn ich vielleicht eine kindische Frage an Sie thue.« »Mein Fräulein. --« »Nun gut -- sehn Sie -- Sie -- Sie meinen es mit der Schule und Ihrem Stande gewiß recht gut, und -- sollte ich so recht frei vom Herzen weg reden -- und wäre ich nicht gerade eines Pastors Tochter, ich glaube, ich könnte Ihnen vollkommen beistimmen, aber weshalb opponiren Sie gerade dem Vater immer so? Ich weiß, Sie haben ihn gern, oft schon, wenn Sie beide zusammen über das leidige Kapitel stritten, habe ich Thränen in Ihren Augen gesehn, und sie nahmen nie ein herzlicheres >Gute Nacht< von ihm -- als wenn Sie einander recht die Meinung gesagt. Mein Vater wird aber alt und ein wenig krittlich, und da müssen Sie schon etwas nachsehn -- überhaupt -- und nicht wahr, Herr Hennig, _mir_ werden Sie über die Frage nicht so böse, wie dem Pastor Brauer --« »Fräulein Scheidler --« »Also will ich's wagen -- ist es denn gar so etwas Erschreckliches,« und Sophie lächelte dem armen Hennig recht freundlich bittend dabei von der Seite an -- »wenn der Geistliche, von dem man doch vernünftiger Weise erwarten muß, daß er ein _guter_ Mensch sei, die Oberaufsicht über die Schule führe? -- und wär es denn gar nicht möglich, daß Sie -- nur ein ganz klein wenig von Ihren Ansichten -- abweichen -- wenigstens die häßliche Zeitung aufgeben könnten, über die sich der Vater, wie ich Ihnen im Vertrauen gestehen will, gestern Abend wirklich recht geärgert hat. Ich kann Sie wahrhaftig versichern, daß es für Sie besonders recht gut sein wird, wenn Sie sich den Vater zum Freund behalten, er hat wirklich -- aber das nur unter uns, denn ich soll eigentlich kein Wort davon sagen -- die besten Absichten mit Ihnen. -- Es steht Ihnen eine ganz gute Stelle von zweihundert und zwanzig Thalern bevor -- nur ein klein wenig nachgeben müssen Sie. Es ist ja doch nur um Ihrer selbst willen,« fuhr das holde Kind, als Hennig Nichts darauf erwiederte, sondern nur still und wehmüthig _vor_ sich niedersah, fort -- »es ist wahrlich zu Ihrem künftigen Glücke, wenn es so bleibt, und wir haben Sie Alle so gern, und möchten Ihnen gern wohl.« »Auch Sie, Fräulein Scheidler?« sagte Hennig leise und ohne die Augen vom Boden zu heben, aber mit einem so eigenthümlichen Ausdruck im Ton, daß Sophie im Anfang nicht gleich recht wußte, ob diese Frage auf ihre letzte Aeußerung sich bezog, oder ob es wieder ein leiser Vorwurf sein sollte. »Auch ich,« erwiederte sie deshalb nach kurzer Pause, leicht erröthend -- »warum ich weniger?« »Und zu meinem künftigen Glücke, sagen Sie, wäre es?« frug Hennig, jetzt voll und fest zu ihr aufschauend, und den zum Theil verlegenen Ausdruck im Antlitz des Mädchens bemerkend, fort -- »mein Glück soll damit gesichert sein, wenn ich, abhängig wie bisher, kaum so gestellt, um allein in der Welt dastehn und leben zu können -- viel weniger denn daran denken zu dürfen, auch an _meinen_ Heerd ein trautes Weib einst heimzuführen, wenn ich nicht des alten Kleinholz schaudererregendes Bild Tag und Nacht vor Augen haben will -- mein Glück soll gesichert sein, wenn ich willig das neue, um wenige Pfunde leichtere Joch auf den Nacken nehme und dafür Alles -- Alles -- doch nein,« brach er plötzlich ab, »Sie können nicht wissen, nicht ahnen, wie es in einem solchen vater-, mutter- und freundelosem Herzen aussieht -- wie sich dessen ganzes Streben dann, einmal erwärmt, auch nur auf einen Brennpunkt seiner Seele hindrängt und dem Ziel mit allen -- allen -- mit den letzten Kräften entgegenwirkt. _Darin_ getäuscht, und es müßte rettungslos untergehn, denn für ein zweites blieb ihm kein Blutstropfen, nicht die Kraft einer einzigen Sehne mehr.« »Aber ich verstehe Sie nicht,« sagte Sophie, von den dunklen Worten, sie wußte selbst nicht warum, beängstigt. »Halten Sie es nicht für möglich, Fräulein Scheidler,« sagte da Hennig, durch Zeit und Aufregung, ja selbst durch des Mädchens wunderbar befangenes, sich aber doch so freundlich zu ihm neigendes Wesen, unwiderstehlich zum letzten entscheidenden Schritt -- entscheidend, denn er sollte den Urtheilsspruch über sein ganzes künftiges Leben sprechen -- hingezogen, »halten Sie es nicht für möglich, daß ein armer, bis jetzt schon durch seine Verhältnisse unterdrückter Schullehrer auch in seinem Inneren sich ein höheres -- das höchste Ziel gesteckt haben könnte? Würden Sie dem armen Mann da zürnen, wenn er Stolz und Selbstgefühl genug in sich trüge, sich selbst des Höchsten für werth zu halten?« »Ich verstehe Sie wahrlich nicht,« flüsterte Sophie, aber eine unbestimmte Ahnung drang mit schmerzlicher Wehmuth an ihr Herz und gab der Lippe kaum Raum, die wenigen Worte zu flüstern. »Ich habe neulich,« sagte da Hennig plötzlich, den Kopf dabei in die Hand stützend und stier vor sich nieder auf den Tisch schauend -- »ein kleines Märchen gelesen -- darf ich es Ihnen erzählen?« »Ja,« flüsterte Sophie -- »aber -- aber unsere Zeichnen--« Stirn und Wangen glühten ihr, während Hennigs Gesicht von Todtenblässe überzogen war. Dieser begann -- die letzten Worte überhörend -- mit ruhiger Stimme: »Weit entfernt von hier, in einem schönen herrlichen Lande, wo der ewig blaue Himmel reizende palmbeschattete Thäler überspannt, da wohnte ein fleißiges, arbeitsames, aber sonst unterdrücktes und geknechtetes Volk. Ein ungeheurer mächtiger Riese hauste auf dem Gebirgsrücken, durch dessen Schluchten der einzige Weg in das freie niedere Land führte, und brandschatzte die Bewohner des Thales und duldete nicht, daß sie gediehen und glücklich wurden. Selbst der König war nicht im Stande, das zu hindern, wenn er es auch gewollt, und sein Volk schmerzte ihn -- er schämte sich aber auch seines Volkes, daß kein einziger Held genug darunter sei, den Kampf wenigstens mit dem Ungeheuer zu wagen, und das Land -- die kommenden Generationen -- von dieser Geißel zu befrein.« »_Der_ König, Fräulein Scheidler,« fuhr Hennig mit etwas leiserer, bewegterer Stimme fort -- »hatte ein einziges holdes Töchterlein, und hoch erhaben stand sie über den armen niedergedrückten Unterthanen des Reichs -- Einer aber von denen, Einer, dem hatte es lange am Herzen genagt, daß sich ein ganzes Volk von einem einzigen solchen Wesen -- und wenn es selbst ein Riese gewesen wäre -- sollte knechten lassen, und er gürtete oft sein Schwert um und ging aus, den Kampf zu wagen -- immer aber fehlte ihm das Höchste dazu, um glücklichen Erfolg und Sieg sich zu versprechen. -- Nicht der Muth etwa -- er war voll hohen Muthes und kannte keine Furcht -- nicht die Ausdauer -- sein in der Schule des Leidens und Entsagens gestähltes Herz verließ ihn nicht in Sturm und Noth -- aber noch fehlte ihm die Begeisterung -- die Begeisterung für das Herrlichste, die uns auch noch im Tode einen Sieg erblicken läßt.« »Da sah er des Königs Töchterlein -- es war nur _ein_ Blick in das treue seelenvolle Auge, aber er zündete wie ein Strahl aus himmlischen Höhen. Und _sie_ des Königs Kind? Schreckte ihn nicht der Glanz und Schimmer, der ihren Thron umgab, und durfte er, aus niederem Stamme geboren, es wagen, die Augen zu ihr zu erheben? -- Und weshalb nicht? -- was adelte in alten Zeiten den kühnen Mann, als eben die kühne Mannes_that_? -- was schnallte dem armen Knappen den goldnen Sporn an die Ferse, und hing das Wappenschild an seinen Arm, als der Muth -- der treue unerschütterte Muth in Kampf und Gefahr? -- Mit Gott -- war sein Wahlspruch -- mit Gott dem Feinde die frei Stirn geboten -- mit Gott den ungleichen Kampf gegen Uebermacht und Gewalt begonnen, und blüht Dir dann der Sieg Du armer treuer Knappe -- prangt dann in Deinem Haar der lohnende Lorbeerkranz und legt sich um Deine Brust die Ehrenkette, dann -- dann -- ach wer darf es dem armen Manne verdenken, daß er, berauscht von solchem Traum, keine Möglichkeit des Mißlingens dachte.« »Wenn das ein Gleichniß sein soll, das den Kampf der Schule mit der Kirche darstellt,« sagte Sophie, der das Herz in seinem wilden Pochen vor Angst und Unruhe die Brust zu sprengen drohte, und die in all ihrer Noth gar nicht wußte, wie sie die nur zu wohl verstandene Meinung abwenden -- eine weitere Erklärung wenigstens verzögern solle -- mit erzwungenem Lächeln, »so ist das wahrlich nicht schmeichelhaft für meinen Vater -- der wäre ja denn auch wohl mit unter dem >Riesen<, dem >Ungeheuer< verstanden -- aber Sie -- Sie haben das wohl nicht so bös gemeint.« »Sophie,« sagte da Hennig, nicht mehr im Stande, seiner gewaltigen Bewegung Meister zu bleiben -- »Sophie,« flüsterte er, mit kaum hörbarer Stimme und ergriff die zitternde Hand der Jungfrau, die ihm nicht entzogen wurde -- »_bleibt_ dem Armen die Begeisterung? -- lacht ihm in jenes königlichen Kindes Augen der herrliche Lohn für Tapferkeit und Muth, und darf er hoffen, wenn er, nicht mehr als unterdrückter Bewohner des Thals, nein als freier, selbstständiger -- als _befreiter_ Mann sein Knie vor _der_ Jungfrau beugt -- wird ihm der Lorbeer- und der Myrtenkranz?« Sophie entzog ihm ihre Hand -- barg einen Augenblick ihr Antlitz darin und sagte dann, vom Tische aufstehend, mit leiser, aber fester Stimme: »Ich würde unrecht handeln, wollte ich mich stellen, als verstände ich den Sinn Ihrer Rede nicht, lieber Hennig, und ich kann wohl sagen, daß mich ihr Inhalt tief ergriffen hat -- ich hatte keine Ahnung von solchen Gefühlen -- konnte sie nicht haben -- und es bleibt mir nur _eine_ Erwiederung. -- Wenn nun -- wenn nun der kühne Kämpfer auf des Königs Schloß käme -- und fände -- und fände, daß indessen ein Fremder -- ein Gast ihres Vaters -- die Liebe -- die Hand des Mädchens erhalten?« Hennig erhob sich still von seinem Platze -- er schaute lange und fest auf die Jungfrau, die mit gesenkten Blicken vor ihm stand, hinüber, dann ergriff er langsam ihre Hand -- zog sie an seine Lippen -- drückte einen leisen, leisen Kuß darauf -- und verließ das Zimmer. Sechstes Kapitel. Der heilige Abend. Hui, wie der eisige Nord über die düstere eherne Erde pfiff und brauste; wie er die Gräser und Blüthen knickte, die der milde Herbst noch geschont und gehegt, wie er die letzten gelben Blätter von den Bäumen riß, und sie im tollen Spiel über die Haide trieb, und die spröden staubigen Schneeflocken dann in dünnen durchsichtigen Nebelschleiern an Hängen und Halden vorüberjagte. Hui, wie das tobte und sauste, und die alte knarrende Wetterfahne auf dem grauen Hornecker Kirchthurm fast zur Verzweiflung brachte, hui, wie das durch die Bergschluchten strich, und die Bäche und Quellen faßte, und in stählerne Banden schlug. _Winter_; die Oefen glühten, und dicht verschlossene Thüren hielten den kalten, unwillkommenen Gast vor der Schwelle draußen -- _Winter_ -- in Mäntel und Pelze gehüllt, schritt der Wanderer die öden hartgefrorenen Pfade entlang -- _Winter_ -- die dünnen Lumpen fest um sich hergezogen, lag der Arme fröstelnd und zusammengekrümmt auf seinem harten, kalten Lager, und träumte von geheizten Stuben und warmen Kleidern -- träumte -- bis ihn der Frost wieder weckte, und zu neuem qualvollen Dasein in Leben und Bewußtsein rief. Der Winter war in aller Kraft und Stärke, und zwar ganz auf einmal und urplötzlich hereingebrochen; und nicht etwa wie ein silberhaariger Greis kam er, mit dem entlaubten Stab in der Hand, und dem gelben Eichenkranz im Haar -- sondern toll, wild, wie ein roher, wüster Kriegsgesell, der mit Morgenstern und starrer Pickelhaube, in die friedliche Wohnung der Menschen einbricht, und was er nicht plündern kann, zerstört und in Stücke schlägt, -- nicht deckte Felder, Wald und Dorf die stille, reinliche, warme Schneedecke, unter der die Saaten friedlich schlummern, und des kommenden Frühjahrs harren, die dem Wald jene großartige stille Ruhe verleiht, und den Dörfern ein so sauberes, ja selbst hübsches Aussehen giebt; wo die weichflockigen Massen die Fenster von außen halb umschließen, daß der Wind die Ritzen nicht findet, durch die er sonst muthwillig in die Stube dringt -- wo die festen Decken auf den Strohdächern liegen, und in Massen, oft wie drapirt davon herunterhängen, und hohe schloßenweiße Haufen, welche die vor den Thüren gekehrte »Bahn« umdämmen -- wo die rothbackigen Kinder auf kleinen schmalen Schlitten mit ängstlich fröhlichen Gesichtern den steilen Kirchberg herunter schießen, und mit Freuden zehn und zwanzigmal wieder bergan keuchen, um nur wieder mit Blitzesschnelle auf's Neue niederfahren zu können -- wo die Hecken und Obstbäume darein schauen, als ob sie, in schützende wollene Decken gehüllt, mit ruhigem Vertrauen jetzt einer etwa schärfer hereinbrechenden Kälte entgegensehen würden. Nein, starr und eisern brach er an; die tiefen Wagengleise der Straße bannte er in ihre Form, die Sturzäcker blieben unerbittlich hart und schroff -- dem grünen Raps auf den Feldern draußen, wo der Hase Nachts sein Mahl hielt, und das Rebhuhn Schutz gegen den schneidenden Nord fand, brach er das Herz, daß er gelb und abgestorben dahin welkte -- den Pflug, den noch der nachlässige Knecht im Acker gelassen, hielt er mit unerschütterlicher Gewalt und felsenfest an seine Stelle gebannt -- die Gräser starben, die Bäche standen, und knarrende, ächzende Wagen führten in geschäftiger Eile die so nöthige Feuerung aus dem starr und trübselig dem gestrengen Winter in's Antlitz schauenden Wald herein. Es war Weihnachten -- und dieser auf der Pfarre als Sonntag ein dreifacher Feiertag -- Sophie, des Pastors Töchterlein wurde heute, am 24. December, zum dritten und letzten Male von der Kanzel herunter, der freundlich zusammenflüsternden Gemeinde als ehrsame Braut des Franz Hermann Wahlert, =Dr. phil.= und Sohn Sr. etc. etc. des Herrn Generalsuperintendenten Wahlert etc. etc. -- verkündet, und das holde Kind selber saß, tief das Köpfchen gesenkt, daß Niemand das rosig übergossene, frommen Dank athmende Angesicht mit neugierigen Blicken entweihen und zu noch höherer Röthe treiben könne, auf ihrem stillen versteckten Plätzchen, schräg der Kanzel gegenüber. An dem Tag ging es hoch her in der Pfarre, und Pastor Scheidler hatte, um das schöne Fest so recht mit allem Pomp zu feiern, auch den Schullehrer und das Gemeindeoberhaupt dazu einladen wollen. Sophie bat aber so lange, an _dem_ Tag _gar_ keine Gäste sehen und ihn ganz allein und still in der Familie verbringen zu dürfen, bis der Pastor endlich nachgab, und nur kopfschüttelnd meinte, das sei wieder einmal eine der wunderlichen Launen seines lieben Töchterleins, der sich Vater und Mutter, sie möchten nun wollen oder nicht, fügen müßten. Es geschah aber doch so, und nur das ließ sich der Pastor nicht nehmen, daß den beiden Schulmeistern, jedem eine Flasche Wein und eine _tüchtige_ Portion Kuchen hinübergesandt würde, und Sophie mußte das selber besorgen. Der Tag verfloß so in der Pfarre in stiller häuslicher Glückseligkeit, und der Plan für den Tag war folgendermaßen bestimmt. Nach der Predigt wollte der Pastor bei den Seinen bleiben, die Betstunde konnte der Schulmeister heute in der Kirche halten, Abends aber, vor der Bescheerung, und mit hereingebrochener Dunkelheit, wenn die Lichter angezündet standen, und die Herzen der Kinder in ängstlicher freudiger Ungeduld an zu pochen und zu schlagen fingen, dann legte Pastor Scheidler am Altar drüben seines ältesten Töchterleins Hand in die des Mannes, der ihr für ihr ganzes künftiges Leben Schutz und Hort sein sollte, und zum Christbaum hinüber führte der glückliche Bräutigam die erwählte liebe, traute _Gattin_. So glücklich und froh es aber in der Pfarre aussah, so trübe und traurig stand es in der Schule drüben, Kleinholz war heute einmal recht schwach und elend geworden, klagte fortwährend über Kälte, trotzdem daß sie ihn unten in der Schulstube neben dem derb geheizten Ofen sein Bett gemacht, und wollte Luft -- Luft -- Luft haben. Das aber war nicht gut möglich, denn hätten sie Fenster oder Thüren geöffnet, so wäre der kaum erwärmte Raum augenblicklich wieder durchkältet worden, und jener eigenthümliche feine, durchdringende Dunst, der niedrigen, feuchtgelegenen Schulstuben stets eigen ist, legte sich dem armen Kranken nur immer drückender auf die Brust, und verstattete ihm nicht einmal ordentlich und frei aufathmen zu können. Lieschen wich nicht von seinem Bett, und reichte ihm mit treuer Sorgfalt und wirklich ängstlicher Genauigkeit die verordnete, und von Hennig selbst gestern aus der Residenz besorgte Medicin. Dabei mußte sie in demselben Raum und an der anderen Seite des Ofens die Kinder reinigen und anziehen, in der Röhre das spärliche Mahl kochen, und das Geschirr am Morgen, wozu ihr bis jetzt noch keine Zeit geworden war, aufwaschen. Dennoch war dem armen Kinde das Herz dabei froh und leicht -- heute Morgen am Geburtstage des Herrn, hatte sie Nachricht -- die erste Nachricht von dem Geliebten erhalten, um den sie sich die ganze Zeit abgesorgt und gequält -- heute kam der Freudenbote, der ihr einen Brief, eine ausführliche und genaue Beschreibung seiner Flucht brachte. Und selbst auf dem Schiff, das ihn hinüber in das Land der Freiheit führen sollte, war er geschrieben, schon in der See draußen erst vollendet und zugesiegelt worden, und der »Lootse« (Lieschen wußte freilich nicht, _was_ das für ein Mann war, und was er bedeute, hatte ihn aber doch dafür von ganzer Seele lieb) nahm ihn mit zurück an's Land, wo er versprochen, ihn richtig zu besorgen. Und wie mußte der sein Wort gehalten haben -- aus einem ganz fremden Land her, wo sie eine andere, fremde Sprache redeten, wo die See bis dicht an die Stadt kam, wie ihr Fritz schrieb, und die Leute ganz anders gekleidet gingen, und gar wunderlich aussähen, kam der Brief, und brachte ihr Trost und Frieden für das arme so übervolle Herz. Und was versprach er nicht alles für die Zukunft, wie wollte Fritz in Amerika arbeiten und fleißig sein, und viel, viel Geld verdienen, bis er so viel habe, daß er sich ankaufen, und die Lieben dann alle, alle hinüberholen könne -- und wie herrlich wollten sie dann in Frieden und Seligkeit zusammen leben, und Leid und Freud' so gern, o so unendlich gern gemeinschaftlich ertragen. Lieschen las den Brief wohl fünf sechsmal durch, und trug ihn dann auch noch in der Tasche herum, daß sie dann und wann darnach fühlen, und sich immer überzeugen könne, es sei wirklich wahr, ihr Fritz habe ihr den Brief geschickt, und er segle jetzt, frei und glücklich, jeder Gefahr entronnen -- nur dem bösen Wasser nicht, an das sie manchmal mit Angst und Grausen dachte -- dem schönen, herrlichen Amerika -- jetzt dem gelobten Lande ihres Sehnens, ihrer Träume, entgegen. Die Kirche war aus, und Hennig kam zum Mittagsessen in die Schule. Er hatte heute, als am heiligen Abend, oben in der Schenke, wo sie ein fettes Schwein geschlachtet, einen Braten bestellt, und ein so leckeres Mahl hatte die Tafel der armen Leute lange nicht geziert -- ei, wie die Kinder mit der braunen Kruste schon vorher, ehe sie zufahren durften, liebäugelten, und wie Karl, der dritte, ein siebenjähriger blondhaariger, aber etwas bleich aussehender Bursche zweimal in dem jeden Tag gehaltenen Tischgebet so stecken blieb, daß ihn der Vater, vom Bett aus, mit schwacher, aber unwilliger Stimme unterstützen mußte. Schweinebraten -- Du lieber Gott -- wann war auf Schulmeister Kleinholzes Tisch Schweinebraten zum letzten Mal gewesen -- und zwei Flaschen Wein -- nein, da hörte alles auf. -- Eine Flasche wurde übrigens gleich in den verschlossenen Eckschrank gelegt, denn so hatte es Hennig angeordnet -- und aus der anderen schenkte er jetzt in die wenigen Gläser, und als die nicht ausreichten, in Tassenschälchen, das hellblinkende flüssige Gold ein. »Und Sie selbst wollen nicht mittrinken?« frug Lieschen erstaunt und bittend -- »o guter Herr Hennig, das dürfen Sie uns nicht zu leide thun.« Hennig hatte Kopfschmerzen -- der Wein bekam ihm überhaupt nicht, und heute, wo er am Nachmittag noch obendrein Betstunde zu halten hatte, wollte er es jedenfalls unterlassen -- vielleicht morgen. Weiteres Zureden half nichts, und das Mahl -- und wie fettig sahen die Kinder danach aus -- ging still und ruhig vorüber. Die Betstunde war gehalten -- die rothglühende Sonne, die den ganzen Tag hell, aber nicht erwärmend geschienen, sank hinter die dunkelgrünen Fichtenwände, und der Abend brach mehr und mehr herein. Weihnachten dämmerte, o Du lieber, lieber heiliger Abend Du, mit Deinen frohen Kindergesichtern, und den eifrig sorgenden und emsig geschäftigen Eltern, mit den flammenden Kerzen, und dem grünen zackigen Baum, mit den goldfunkelnden Aepfeln und Nüssen, dem köstlichen Zuckerwerk, und all' Deiner darunter ausgebreiteten Herrlichkeit. -- Mit Deinem geheimnißvollen verschwiegenen Zauber, mit dem Du der Kinder Herzen in heiliger Scheu und Ehrfurcht erfüllst. -- Und jetzt -- jetzt -- endlich tönt das, o wie lang, wie heiß ersehnte Klingeln -- die Thür wird aufgerissen -- der Glanz der Lichter blendet die erst so ungeduldige, und jetzt doch so scheu und schüchtern zögernde Schaar der Kleinen. Endlich aber ist die erste Ueberraschung besiegt -- überwunden -- das Jüngste wird auf dem Arm seinem Plätzchen mit dem kleinen winzigen Baum für sich allein, entgegengetragen, und ihm nach drängen, dadurch Muth gewinnend, die älteren Knaben und Mädchen, und jetzt -- O Leser, wie unglücklich müßtest Du sein, wenn Du nicht, auch ohne das Heraufbeschwören des theuren Bildes, die Lust und Wonne selbst empfändest, an der Eltern Hand zu Deinem Christbaum geführt zu sein -- _hast_ Du das aber -- glühte Dir nun einmal der helle funkelnde Kerzenglanz in's Thränen gefüllte Auge, dann giebt es keine Macht auf dieser Erde -- den Wahnsinn vielleicht ausgenommen -- die Dir so lange Du lebst und athmest, die Erinnerung -- die selige Erinnerung an jene Zeit, rauben könnte. Ja, je ärger Noth und Sorge auf Dich einstürmt, je weiter Du von Deinen Lieben entfernt, in fremden Ländern einsam, freundlos irrst, mit desto lebendigeren, desto glühenderen Farben tritt das Andenken an jene selige glückliche Zeit in den trüben Rahmen Deiner Gegenwart, und nur dann zerfließen die Gebilde in ihr ödes trauriges Nichts, wenn Du sehnend, verlangend die Arme ausstreckst, sie zu erreichen. Weihnachten brach an, Pastors Kinder saßen, in die Hinterstube gebannt, ungeduldig um den runden Tisch und versuchten mit allerlei altem, aus Ecken und Winkeln vorgekramten Spielwerk die schleppende Zeit zu kürzen -- doch vergebens. Immer und immer wieder sprang eins oder das andere auf und stürmte der Thüre zu, dort das Auge an das Schlüsselloch zu pressen, und zu sehn, ob denn die Mutter nun endlich mit dem längst erwarteten Rufe käme. In der Kirche stand indessen der Altar festlich geschmückt und erleuchtet und trotzdem, daß auch bei ihnen daheim die Kinder alle warten und ausdauern mußten, saß fast die ganze Gemeinde im Gotteshaus versammelt -- Pastors Sophiechen war aber auch mit ihrer Engels Güte und Sanftmuth der Liebling des ganzen Dorfes und deren Ehrentag hätten sie um's Leben nicht versäumen dürfen. Oben auf der Orgel befand sich die ältere Schuljugend, der Theil der ersten Classe, den der Lehrer zu den geistlichen Liedern tüchtig eingeübt, daß er die vor und nach der Predigt gesungenen Lieder, wie die manchmal abirrenden Gemeindemitglieder ordentlich in Takt halten könne, und der Schulmeister selbst saß vor seiner Orgel, und schaute in einen, über den Tasten gewöhnlich schräg angebrachten kleinen Spiegel nach dem von hellem Lichterglanz umflossenen Altar hinüber, vor dem, den Rücken dem hoch über ihn hinragenden Krucifix zugekehrt, der Pastor stand und dem jungen Brautpaar mit von eigener Rührung oft unterbrochener Stimme, gar nicht wie er es sonst gewohnt war, in schwülstigen Phrasen und Redensarten, sondern schlicht und einfach vom Herzen weg, und deshalb auch wieder mit solch unwiderstehlicher Gewalt zum Herzen sprechend die Trauungsrede hielt. Sophie deckte ihre Augen mit dem Tuch und konnte der Thränen nicht wehren, und selbst Wahlert -- der sonst über den christlichen Cultus seine ganz besonderen Ansichten mit sich herum trug -- stand gerührt und schämte sich fast über die unmännliche Thräne, die ihm, er mochte an sich halten so viel er konnte, die Wimpern füllen _wollte_. Nicht weit von dem Paar, aber mehr zur Seite, und von ein paar hölzernen Pfeilern vollkommen gedeckt, lehnte, in ein weites dunkles Tuch geschlagen, eine schlanke, weibliche Gestalt, und lauschte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit den Worten des Predigers. Ihr Antlitz ließ sich aber nicht erkennen, die schwarze Nebelkappe, die sie trug, deckte die Züge, hätte sie den Kopf auch nicht so tief gesenkt und vom Lichte abgewendet, vollkommen. Die Rede war beendet, die gewöhnliche Trauungsformel wurde gesprochen, und das Ja der beiden jungen Eheleute, so leise und schüchtern es Sophie mit ängstlich pochendem Herzen aussprechen mochte, klang klar und deutlich, während die Versammlung in Todtenstille selbst nicht zu athmen wagte, bis in die entferntesten Theile des gewölbten Raumes. Die Frau hinter dem Pfeiler zuckte zusammen und stützte die Schultern fest und sicher gegen das breite Holz, kaum aber waren die Worte gesprochen, als oben auf der Orgel der Schulmeister Hennig mit den klangvoll schwellenden Tönen das einfache herrliche Lied, in das die Gemeinde jauchzend mit einfiel, anstimmte: »Nun danket alle Gott, Mit Herzen, Mund und Händen, Der große Dinge thut An uns und allen Enden.« Das junge Ehepaar verließ mit dem Vater die Kirche, ihnen folgte, noch immer singend, die Gemeinde, und von der Orgel herab tönte in immer weicheren schmelzenderen Accorden, bis er endlich in leisen, leisen Klängen verschwamm, der Schlußchor: »Lob dem dreiein'gen Gott, Der ewig ewig war Und ist und bleiben wird, Lob jetzt und immerdar.« Die Kirche war aus -- die feierliche Handlung beendet; die Knaben stürmten hastigen Laufs vom Chor herunter der Heimath zu, wo die Bescheerung -- die, sie mochte nun so dürftig ausfallen, wie sie wollte, doch immer eine Bescheerung blieb -- ihrer harrte. Auch die fremde Frau verließ, und zwar die Nähe der Uebrigen, so viel das gehn wollte, vermeidend, rasch die Kirche -- langsam bewegte sich die Menschenmenge hinaus, und hinter ihr drein -- aber eine lange lange Zeit nachdem Alles wieder an seinem gehörigen Platz gestellt, und die Lichter ausgelöscht worden -- kam der Schulmeister und schloß die Thüre zu. Was hatte der Mann so lange in der kalten dunklen Kirche allein gethan? -- Er schritt jetzt -- und selbst jetzt noch zögernd -- der Schule zu, wo er den Kindern eine kleine Freude aus der Stadt mitgebracht, und Lieschen aufgetragen hatte, die Sachen indessen zu ordnen. Lieschen war aber ebenfalls in der Kirche gewesen und die Kinderschaar deshalb eben erst durch sie in Vaters dunkles Kämmerchen eingesperrt worden, damit ihnen indessen der heilige Christ doch das Wenige ungestört bescheeren könne. Der alte Vater Kleinholz mußte gerade ein Wenig eingeschlafen sein, und Lieschen, die ihn nicht wecken mochte, rückte so geräuschlos als möglich den Tisch zurecht, breitete ein schneeiges Tuch darauf und legte die Handschuh, die warmen Mützen und Filzschuh wie einige andere Kleinigkeiten zurecht, die anzuschaffen der gute Hennig sich das Geld hatte mühsam am Munde absparen müssen, und selbst da wäre es noch nicht gegangen, hätte er nicht für sich einem warmen Rock, so nothwendig er ihn auch sonst sicherlich brauchte, entsagt. Sollten aber die Kinder des alten Schullehrers, die einzigen vielleicht im ganzen Dorfe sein, die Nichts bekamen und dann traurig aus und betrübt nach den hellerleuchteten Fenstern der Uebrigen hinüberschauen mußten? Nein -- nicht, so lange es in _seinen_ Kräften stand, das zu ändern. Aber wo blieb er nur? -- Die Kirche war schon so lange aus und Alles dunkel darin -- Lieschen trat vor die Thür, ah -- jetzt hörte sie das Zuschlagen der schweren Thüre, das Umdrehen der Schlüssel -- die langsamen Schritte des Kommenden. Sie senkte das Köpfchen, und seufzte, während sie mit gefalteten Händen in das Zimmer zurückging. »O wie mag ihm nur jetzt -- in diesem Augenblick zu Muthe sein -- wir wollen die Lichter anstecken -- das wird ihn etwas aufheitern.« Die Thüre öffnete sich und Hennig trat herein -- er sah todtenbleich aus, und trotz der scharfen Kälte draußen standen ihm die großen schweren Schweißtropfen auf der Stirn. »Herr Du mein Gott und Vater,« rief Lieschen erschreckt über des Mannes Anblick -- »wie sehn Sie aus? Sie sind krank, Herr Hennig.« »Nein, liebes Kind« sagte ruhig der Schulmeister -- »nur etwas angegriffen fühl ich mich, vielleicht vom Schreiben gestern Abend -- ich bin noch spät aufgeblieben. -- Wollen wir nicht den Baum zurecht putzen?« Lieschen ging auf ihn zu, ergriff mit ihren beiden Händen seine Rechte, und schaute ihm recht fromm und treuherzig in die trüben glanzlosen Augen. Hennig begegnete mit ihm selbst unerklärlicher Ruhe dem Blick, da flüsterte endlich das gute Kind, dem die Wehmuth das Herz zu brechen drohte, und während ihr die hellen Thränen über die Wangen rollten: »Sie armer -- armer Herr Hennig!« Hennig blickte überrascht zu ihr nieder -- er rang nach Fassung -- nur jetzt -- nur jetzt nicht schwach -- aber es war nicht möglich -- die menschliche Natur ließ sich bändigen, nicht ertödten, der lang, o so entsetzlich lang enthaltene Schmerz ließ sich, also geweckt, nicht mehr zurückhalten; mit riesiger Kraft brach er sich in's Freie hinaus die Bahn, und der Lehrer war nur im Stande sich rasch abzuwenden und das Zimmer zu verlassen. O wie lang, wie entsetzlich lang mußten heute die armen, armen Kleinen oben in dem kalten dunkeln Dachkämmerchen sitzen und friern und warten -- aber keins murrte -- Du lieber Gott, es galt ja eine Bescheerung für sie -- eine Bescheerung, wo sie wußten, daß ihr armer Vater selbst am Nothwendigsten Mangel litt, und doch, doch sollten sie bescheert bekommen -- hätten sie da etwa auch noch ungeduldig das gute brave Lieschen, und den lieben Herrn Hennig ärgern und kränken sollen? Keine Klage ließen sie hören, nur dicht zusammengekauert saßen sie in dem Winkelchen, an dem der Schornstein vorbeiführte, und dessen Wand wenigstens nicht so eisig kalt war, als die übrigen. Und dort erzählten sie sich leise flüsternd, was sie sich alles wünschten, auf was sie hofften -- dort malten sie sich aus, wie schön, o wie herrlich schön das sein würde, wenn jetzt auf einmal Lieschen von der Treppe aus rief: Kommt Kinder, kommt herunter in die warme Stube -- und sie dann jubelnd dem Rufe Folge leisteten, jauchzend vor all den schönen Sachen, die ihnen Herrn Hennigs Güte bescheert, standen, und nachher -- o Jemine, Jemine, jedes ein Stückchen kalten Schweinebraten zu seinen Kartoffeln, denn das hatte ihnen Lieschen schon hoch und theuer versprochen, daß sie das bekommen sollten. -- Ach wenn es doch alle Tage Weihnachten wäre. Freilich dauerte es, ehe Lieschen wirklich kam, noch eine recht, recht lange Zeit, aber endlich kam sie _doch_, und ein glücklicheres kleines Völkchen, und ein sich reicher dünkendes, als des armen Schulmeisters Kinder an dem Abende waren, gab es wohl im ganzen weiten Lande nicht mehr. Auch Hennig, der zu dem etwas verzögerten Anzünden wieder hereinkam, suchte sich, so viel das nur möglicher Weise gehen wollte, in den Spielen der Kinder zu zerstreuen, und der alte Kleinholz lag indessen in seinem Bette in der Ecke, weinte fast ununterbrochen, drückte Hennig wohl zwanzig Mal dankend die Hand, und versicherte eben so oft -- er sei in seinem Leben nicht so glücklich gewesen, als heute, da er sich schon wochenlang im Gedanken an diesen Abend, wo _er_ den Kindern doch gar Nichts bieten konnte, abgehärmt habe. So stillfröhlich die Kinder aber auch in der Schule waren, und mit so genugsamer dankbarer Freude sie die wenigen ihnen bescheerten Gaben empfingen, so toll lärmend, so laut und jubelnd ging's heute in der Pfarre her, wohin der Herr Generalsuperintendent, den ein Unwohlsein an sein Lager fesselte, daß er nicht selbst bei seines Sohnes Ehrentag gegenwärtig sein konnte -- eine Masse Spielzeug und Bilderbücher für die Kinder geschickt hatte. Auch Wahlert ließ viel aus der Residenz kommen, und Pastor Scheidler wußte mit den Sachen, die er selbst angeschafft, wirklich gar nicht mehr wohin mit allen Geschenken. Die Thüren waren, als Wahlert sein etwas bleiches, aber geliebtes, holdes Frauchen aus der Kirche in die Pfarre geleitete, festlich mit Buchsbaum und anderen Immergrünkränzen behangen, und der innere Raum selbst sah wie ein Garten aus, in so herrlicher Farbenpracht glühten hier Camelien, Hyacinthen und Tulpen, die es dem Gärtner nicht wenig Mühe gekostet hatte, in der Kälte unbeschädigt nach Horneck herauszuschaffen. Und was für andere prachtvolle Geschenke gab es noch da, Schmuck und Seidenkleider, Tücher, Shawls, Handschuhe u. s. w.; und der Baum, es war fast, als ob ein Conditor aus reiner Verzweiflung seinen ganzen Laden darüber ausgeschüttet habe, und Alles nun, zwischen den grünen, mit unzähligen weißen Wachslichtern besteckten Zweigen von blitzendem Zucker und Golde flimmere und funkle. Und wie lärmten und jubelten die Kinder, und was für einen Spektakel hatten sie schon oben in der besonders für sie geheizten Stube gemacht, als Vater und Schwester so lange, so entsetzlich lange in der Kirche blieben, und sie doch unter jeder Bedingung gleich, und das zwar den Augenblick bescheert haben wollten. Endlich, endlich -- »schnell machen, Sophie -- schnell machen, oder wir kommen herunter!« riefen sie durch die immer und immer wieder, trotz aller Ermahnungen und Verbote, geöffnete Thür, als sie hörten, wie unten die Hausthüre ging und die so heiß ersehnten Eltern hereintraten. Jetzt war das Harren und all die Ungeduld vergessen, sie schwammen in einem wahren Freudenmeer, und der prachtvolle Baum -- die vielen, vielen herrlichen nie geahnten, nie geträumten Sachen, schienen ihnen eher einem Feentraum, einem Märchen der Tausend und einen Nacht, als der Wirklichkeit anzugehören. Elf Uhr mochte es etwa sein -- Lichterglanz und Jubel, Gläserklirren und Tellergeklapper, Lachen und Singen tönte immer aus den hellerleuchteten, durchwärmten Räumen heraus -- und draußen? Hinter der Pfarre lag der, im Sommer viel von den Hausbewohnern benutzte, jetzt aber natürlich vernachlässigte und einsame Obstgarten. Aus Nordwesten strich der Wind haarscharf über die kahlen Hänge herüber und schüttelte die trockenen laubleeren Zweige. Die Nacht war dunkel wie das Grab, denn leichte Dunstwolken fingen selbst an, die Sterne zu umhüllen, und kein Lichtstrahl fiel in den düsteren Raum, als der, der aus den dicht verhangenen Fenstern, besonders an einer Stelle, wo sich die Gardinen inwendig ein wenig zur Seite geschoben hatten, kam. Da schritt ein Mann langsam und mit verschränkten Armen durch die kleine offenstehende Pforte, und blieb endlich wenige Schritte entfernt vor dem hellerleuchteten Eckfenster stehen. Drinnen bewegten sich einzelne Schatten an der Gardine vorüber und er forschte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit nach den so rasch auftauchenden aber auch eben so rasch wieder verschwindenden Umrissen. Ein paar Mal war es, als ob er sich zu der Stelle niederbeugen wolle, wo der zurückgebogene Vorhang einen Blick in das Innere verstattet hätte, eben so oft trat er aber auch wieder, ohne es auszuführen, davon zurück, und wandte sich endlich, wie von einem plötzlichen Entschluß dazu bestimmt, um den Ort zu verlassen. Noch einmal, an einem hohen Apfelbaume, blieb er stehen, hob wie segnend die Hand gegen das hellerleuchtete Gebäude empor und flüsterte leise: »Sei glücklich, Sophie, sei glücklich!« Ein heiseres, halb unterdrücktes Lachen, dicht an seiner Seite, klang wie eine Unheil verkündende Antwort auf den Segensspruch -- er fuhr erschreckt zusammen und schaute sich rasch nach der Stelle um, von der es hertönte. Unter dem Apfelbaume und dicht an den knorrigen Stamm desselben geschmiegt, lehnte eine dunkle, festeingehüllte Frauengestalt, und die jetzt hier und da wieder hervortretenden Sterne ließen ihn ein bleiches, geisterhaftes Angesicht erkennen. »Hahaha« -- lachte die Gestalt -- »glücklich? -- wenn zwei Wesen, wie wir sind, draußen in Frost und Eis mit halberstarrten Gliedern vor den Fenstern stehen und Blut weinen möchten, heißes, quellendes Herzblut? -- Wahnsinn -- aber wir Beide -- wir passen recht gut zu einander.« »Wir Beide?« sagte Hennig erstaunt -- »wer bist denn Du?« »Eine Braut, die bald Hochzeit machen wird,« lachte die Gestalt wieder, und war im nächsten Augenblicke im Schatten der dahinter befindlichen Hecken verschwunden. Hennig fühlte, wie ihn ein eisiger Schauer durchrieselte, es war fast, als ob er mit einem Wesen gesprochen habe, das dieser Welt gar nicht mehr angehöre. -- Die späte Stunde dazu, die scharfe Kälte, in der sich doch wahrlich nicht leicht eine Frau, und noch dazu hier auf dem vom Nordwest bestrichenen Hügel aufhielt. Er schüttelte schweigend mit dem Kopfe, warf noch einen scheuen Blick der Richtung zu, in welcher die Gestalt verschwunden war, einen anderen dorthin, wo in diesem Augenblicke all sein irdisches Glück in jubelnden Toasten, fröhlich zusammenklingenden Gläsern und Glück und Segenswünschen zu Grabe getragen wurde, und schritt dann rasch der eigenen -- o wie traurigen, freudlosen Heimath wieder zu. Siebentes Kapitel. Die Sylvesternacht. Das kleine Dorf Bachstetten lag in einer zwar armen, unfruchtbaren, aber wirklich pittoresken und wild romantischen Gegend. Der Winter war mit seiner rauhen Hand über den zarten Schmuck der Wiesen und Haiden gefahren, und hatte erbarmungslos abgestreift, was er an weichem saftigen Grün gefunden. Nur die dunkelgrünen Kieferstreifen hatten dem tollen Gesellen Trotz geboten, und wie zum gegenseitigen Schutz, schaarten sie sich an den Abhängen einzelner Hügel in dichten festgeschlossenen Gruppen zusammen, und reichten sich treu und brüderlich die stachelbewehrten Arme. Graue Haideflächen deckten die niederen Hügel und wellenförmigen Thäler, und nur hier und da hob sich plötzlich und schroff ein steiler, hochaufragender, moosbewachsener Fels empor, und stand, wie ein starrer, drohender Riese, aufgerichtet zwischen dem anderen regellos umhergestreuten Gestein, das zu seinen Füßen lag. Schneeweiße Birkenstämme stachen dabei gar eigenthümlich und in dunkler Nacht oft unheimlich gegen den düsteren Hintergrund des dunkelgefrorenen Haidekrautes ab, und hier und da gaben einzeln stehende, noch mit hellgelbem Laub bedeckte junge Eichen und weit hinausscheinende rothe Weidenkuppen dem ganzen wilden Landschaftsbild einen gar eigenthümlichen, wunderbaren Farbenschmelz, der durch zahlreiche, hoch aufgeschichtete Torfpyramiden, die auf dem gelben Rasen zerstreut standen, eher erhöht als gestört wurde. Hier und da blitzten kleine trübe Lachen aus dem monotonen Grau der Haide hervor, und weiter oben, am Rand einer Schwarzholzspitze, deren Marken sich weit aus in das Thal hineindehnten, lag das kleine Dorf Bachstetten, mit den neuen ziegelrothen Dächern -- denn die alten strohgedeckten Gebäude waren vor einigen Jahren fast sämmtlich ein Raub der Flammen geworden -- fast in die Schatten des, sich darum hindrängenden Nadelholzes hineingeschmiegt. Das Dorf selbst war aber so arm und dürftig, wie die öde unfruchtbare Gegend und Lage es nur machen konnte, und außer einigen wohlhabenden Bauern, die auch den größten Theil der besseren Felder inne hatten, lebten nur Häusler, Holzschnitzer und Strohflechter darin, die auf gar spärliche Weise durch harte und unausgesetzte Arbeit das karge Leben fristeten. In den letzten Jahren hatten es dabei einige der Bewohner möglich gemacht, Haus, Heerd und Feld zu verkaufen, und nach Amerika auszuwandern, und daher kam es, daß einzelne Wohnungen leer und halb verfallen da standen, und -- wenn sich wirklich Abmiether dazu fanden, um einen Spottpreis weggegeben wurden. In ein solches Haus, dessen moosiges Strohdach dicht und schwer auf den niederen Lehmwänden lag, und das noch dazu vom Dorf fast getrennt, wenigstens durch ein kleines Kieferdickicht davon abgeschnitten, versteckt im dichten Nadelholzwalde stand, mag mir der Leser, um ein paar alte Bekannte dort aufzusuchen, auf wenige Minuten folgen. Das einzige bewohnbare Zimmer im ganzen Haus befand sich unten zu ebener Erde, und die Dielen bildete der nackte hartgestampfte Boden; auf dem war aber, um die Kälte auszuhalten, die von dort herauf sonst emporschlagen mußte, eine dichte Lage von dickem Laub und Fichtennadeln gebreitet worden, und von den Bäumen abgezogenes Moos hielt die Fensterritzen und Thürspalten verstopft. Es stand übrigens ein Ofen im Zimmer, und ein ziemlicher Haufen trockenes Reisig, das neben diesem aufgeschichtet lag, wie die, wenigstens nicht unangenehme Temperatur des Zimmers verrieth, daß die Bewohner der Hütte, so arm sie auch sonst wohl sein mochten, doch noch keinen Mangel an Feuerung litten. In der einen Ecke stand ein Bettgestell, und auf diesem lag ein Strohsack, ein mit Moos gefülltes Kopfkissen und eine wollene Decke -- und auf dem Bett, -- wenn ein solches Lager auch wirklich ein Bett genannt werden konnte -- saß, die Hände auf der Decke gefaltet, und in stillem wehmüthigen Schweigen nach dem, im gegenüberliegenden Winkel, auf einer Schütte Stroh kauernden Vater hinüberschauend, Marie, des alten Musikanten krankes Kind, und legte sich, als der alte Mann gar keine Notiz von ihr nahm, und ebenfalls mit seinen eigenen trüben Gedanken beschäftigt schien, seufzend wieder auf das harte Kissen zurück. »Vater,« sagte da, nach einer langen, langen Pause die Tochter, und man konnte ihr anhören, wie schwer ihr das Reden wurde -- »Vater -- mir wird recht sonderbar zu Muth -- ich fühle mich recht unwohl.« »Möchte auch wissen, wie's anders kommen könnte,« brummte der Alte, »die Nächte draußen in Kälte und Nebel im Walde 'rum zu rennen, und in _dem_ Aufzug -- wie willst Du nun singen, wenn wir morgen früh nach Delzig hinüber kommen -- heiser wirst Du sein, daß Du keinen Ton aus der Kehle bringst, und wer hat's nachher wieder auszubaden? -- Der Alte.« »Vater,« bat das arme Mädchen. »Ah was,« knurrte der Alte, »was zu toll ist, ist zu toll; erstlich laß ich alter Esel mich betölpeln, Hals über Kopf, und heimlich, wie ein Dieb mit der Mamsell da von Horneck wegzuziehn, wo wir unser gutes Auskommen hatten, und wo Du in der Pfarre so schönes Geld verdientest -- nicht einmal die Miethe hab' ich mir Zeit genommen zu bezahlen, und was wird unsere freundliche Wirthin, die so schon immer voller Gift und Galle stak, von uns denken -- und jetzt liegen wir nun hier, Gott weiß, wie lange, auf der Bärenhaut, und haben das Wenige, was Du Dir gespart, denn auch glücklich wieder aufgezehrt. Daß _Du_ Dich aber, wo wir jetzt wieder hinausziehen _müssen_, schonen solltest, Gott bewahre -- den ganzen heiligen Abend rennt die Madam in der Kälte umher, kommt Nachts um zwei Uhr erst wieder halb erfroren zu Hause -- fällt nachher um, daß ihr Vater einen Todesschreck davon hat, liegt Stunden lang ohnmächtig, und wundert sich dann auch noch, daß ihr die ganze Woche unwohl und schlecht zu Muthe ist -- _die_ Natur wollt' ich sehn, die das anders aushielte und noch dazu bei _der_ Nahrung.« »Ich glaube es wird kalt hier« sagte auf all diese Vorwürfe mit leiser Stimme das arme Kind -- »mich friert.« »Na ich liege da auch in keinem Schwitzbad« meinte der Alte brummend, stand aber doch langsam auf, und sah nach dem Ofen -- »ein Glück, daß uns der Staat die Feuerung liefert« lachte er dabei still vor sich hin, während er die Kohlen zusammenschürte, die Asche bei Seite schob, und ein paar große Stücken Holz auf die wieder erwachende Flamme legte -- »das Holz haben ist hier ziemlich bequem im Wald, denn hier in die Spitze, wo überdieß kein Wild mehr steht, kommt der _alte_ Horneckschen Förster wohl gar nicht mehr hinein -- und der _junge_? ja, Du lieber Gott, wo steckt der -- Es hatte ein Knabe wohl einen Strauß Den kämpft' er mit seinem Gegner aus. Am andren Morgen, o große Noth Wie war die Haide so blutig roth. -- »Hol's der Henker,« brach er plötzlich ab, und sah sich wie scheu im Zimmer um »die Lieder wollen gar nicht mehr aus der Kehle, und es ist mir manchmal, wenn ich anfangen will zu singen als ob --« Er schwieg, schüttelte sich, als wenn er vor etwas zusammenschaudere, klappte die Ofenthüre zu, und ging brummend wieder zu seinem Platz zurück. »Als ob? Vater?« sagte Marie leise. -- »Ih laß den Unsinn« lautete die mürrische Antwort, »'s ist mir heut' Abend so unheimlich genug zu Muthe -- das ist ein schöner Sylvester heute -- hui, wenn das im neuen Jahr so fortgeht, können wir uns gratuliren. Und die Kälte dabei, das friert Stein und Bein draußen, als ob's den Erdboden bis in den Mittelpunkt hinein zu Eis verwandeln wollte. Daß der Teufel ein solches Leben holte -- Lieder wollen mir auch gar nicht mehr einfallen. Sonst, wenn ich recht ärgerlich und wild war, sang ich, und machte meinem Grimm dadurch Luft -- jetzt geht auch das nicht mehr, und ich muß Alles in mich hineinschlucken.« »Wie stehts mit dem Gelde, Vater?« »Wenn ich morgen nicht drüben in Horneck spielen kann, müssen wir Tannenzapfen kauen -- sonst gut --« brummte der Alte und suchte sich in eine Art wilden Humors hinein zu bringen. »Ei zum Donnerwetter, was hilft mir das Grillenfangen -- wir wollen lustig sein, heut' Abend, kreuzfidel -- die Flasche hier ist noch halb voll Korn, da können wir uns einen delikaten Punsch davon brauen -- nur heisses Wasser dazu und -- ja so, weiter haben wir Nichts -- doch was thuts. So -- nun koche und nachher wollen wir weiter mit einander sprechen.« Er war dabei aufgestanden, hatte einen, über seinen Lager hängenden Blechbecher ergriffen, aus dem angebrochenen Krug mit Wasser gefüllt und auf den Ofen gesetzt, dann nahm er die Geige von der Wand, setzte sich auf den Stuhl, der vor dem Bett seiner Tochter stand, und fing an zu stimmen. »Stört es Dich?« sagte er, als er bald darauf einhielt, und sich nach ihr umschaute -- »oder willst Du schlafen?« Es lag eine Art zärtlicher Besorgniß in dem Ton, mit dem der alte rauhe Mann die Worte sprach, und so ungewohnt kamen sie dem armen Mädchen, daß sie sich, wie sie nur den Klang derselben vernahm, auf eigene Art erregt, gerührt fühlte. -- Die Thränen -- ein bei ihr gewiß seltener Fall, stürzten ihr mit Blitzesschnelle in die Augen und sie konnte nur leise und lächelnd mit dem Kopfe schütteln. »Na, dann kann's losgehn« meinte der Vater, präludirte, auf dem jetzt gestimmten Instrumente, einige kurze melodische Sätze und lachte dann -- »was Lustiges wollen die Bauern haben, immer 'was Lustiges -- wie's auch bei uns im Herzen aussieht, das ist ihnen einerlei -- nur _'was Lustiges_ -- ei zum Henker, da habt's denn.« Und rasch in muntere Weise eingehend, spielte er erst einen Vers aus der Melodie und fiel dann mit seiner, durch die Kälte allerdings etwas belegten, aber immer noch klangvollen Stimme ein: Als ich noch, ein kleiner Knabe, An dem Hals der Mutter hing, Noch in toller Kindes-Weise Schmetterling und Käfer fing; Kurz als ich, ein wilder Bube, Mich noch gerne tragen ließ, Fragten oft die hübschen Mädchen Wie der kleine Knabe hieß. Und es küßte dann gar zärtlich Wohl so mancher Rosenmund Mir das kleine rothe Mäulchen Mit den Purpurlippen wund. Aus der allerfrühsten Jugend Mich das immer noch verdrießt, Daß -- wenn man so klein und niedlich -- Auch so schrecklich dumm man ist. Damals schrie ich Mord und Zeter Wenn mich Jemand küssen wollt, Wenn Korallenlippen boten Mir der Minne süßen Sold. Mit den Füßen trat ich schreiend Nach der schönen Mädchen Schaar Und zum Küssen ich allein nur Durch Bonbons zu bringen war. Ach wie dumm ich da gewesen Mir wohl Keiner glauben mag. Und es reuet mich wahrhaftig, Denk' ich dran, noch diesen Tag. Kämen jetzt doch nur die Mädchen Böten mir nur einen Kuß, Ach ich wollt von ihren Lippen Saugen süßen Ueberfluß; Doch jetzt bin ich groß geworden, Steige alt genug umher Und die Mädchen -- gehn vorüber, Aber Keine küßt mich mehr. Er setzte die Violine auf seine Knie, und pfiff eine Weile in tiefen Gedanken die Melodie fort. Marie lag wohl eine halbe Stunde lang schweigend auf ihrem Lager -- das Wasser war unter der Zeit heiß geworden -- der Musikant brummte wenigstens sehr beifällig darüber, als er endlich aufstand und nachsah, und er nahm jetzt die Kornflasche aus der Ecke, in der er sein Lager hatte, goß eine hinlängliche -- aber nicht zu große Quantität -- hinzu, rührte die Mischung eine Weile mit einem abgebrochnen Reisig um, ließ sie noch ein Weilchen stehn, und hob sie dann sorgfältig, mit seinem dazu aufgenommenen Rockzipfel vom Ofen herunter auf den Tisch. Ein blecherner, dortliegender Löffel diente ihm dazu, das Getränk zu kosten, ohne sich an dem heißen Blech die Lippen zu verbrennen, und sein wohlzufriedenes -- »Hol mich der Teufel, das schmeckt gut« war von einem vergnügten Seitenblick auf die Tochter begleitet. »Hier, Marie,« fuhr er dann nach einer Weile, in der er einen Theil des Tranks in ein verwaistes Oberschälchen geschüttet und eine kurze Zeit geblasen hatte fort -- »da, koste einmal, das wird Dir auch gut thun, das wärmt durch und durch, und innerliche Wärme ist viel mehr werth, wie äußerliche.« Die Tochter nahm das Schälchen, trank einen Schluck, nickte ihm lächelnd zu und fiel dann wieder auf ihr Kissen zurück. »Du bist ja heute recht freundlich« sagte der alte Mann, und blieb zögernd bei dem Bette stehn, -- »hast Du noch Schmerzen.« »Nicht viel mehr, Vater -- _jetzt_ gar keine mehr,« lautete die leise Antwort »es wird schon besser -- schon ganz gut wieder werden.« »Ich begreif es nicht, daß Du Dich an _den_ Kerl hängen konntest« brummte der Musikant endlich -- »daß _der_ Dich sitzen ließe, war doch -- auch ohne all das andere -- an den zehn Fingern abzulesen. Er, der Sohn eines Generalsuperintendenten -- nimm nur einmal den Titel an -- und Du eine gewöhnliche Wirthschafterin -- Unsinn so was ist noch gar nicht dagewesen und fällt auch nicht vor. Die größte Dummheit aber ist's, daß Du Dich jetzt noch darüber sorgst und quälst. _Du_ bist doch, weiß es Gott, sonst gescheut genug, um auch _das_ vorhergesehn zu haben.« »Vater« bat das Mädchen. »Ach was, es ist wahr -- wenn Du funfzehn, sechszehn Jahr gewesen wärst, da glaubt man vielleicht solchen Firlefanz. Du aber mit ein und zwanzig -- es ist lächerlich.« »Lächerlich?« rief die Tochter und richtete sich, von der Erregung des Augenblicks hingerissen und mit durch mehr als Fiebergluth gerötheten Wangen hoch auf im Bett -- »lächerlich? Hast Du je gehört, _was_ er und _wie_ er zum Volk gesprochen? Hast Du gehört, wie er für die Proletarier, für die arme unterdrückte Classe mit Wort und Schrift gekämpft, und selbst Kerker und Lebensgefahr nicht scheute, sein schönes herrliches Ziel zu verfolgen? -- Wenn Du je seine Reden an das versammelte, in athemlosem Schweigen lauschende Volk gehört, wenn Du je mit uns Allen hingerissen gewesen wärst von den mächtig ergreifenden Worten, dem feurigen in wilder Begeisterung auflodernden Feuer des Redners -- dann Vater, dann hättest Du, wie ich, geglaubt, daß die Schwüre, die mir der nämliche Mund in heiliger Stunde flüsterte, auch wahr und heilig wären, wie die That, die sie sonst zu edlem Handeln entflammte. Dann Vater hättest Du Dich auch, wie ich, dem süßen Traum hingegeben, das Wesen allein in der weiten großen Welt zu sein, daß _diesen_ Mann, zu dem Tausende und Tausende mit Bewunderung aufschauten, fesseln könnte. O der Gedanke war so schön -- so lieb -- ich war so -- so stolz darin geworden -- -- Vater -- Du wolltest mir ja immer einmal erzählen,« brach sie plötzlich ab, »wie Du eigentlich Deine frühere, so glückliche Laufbahn in der Stadt verlassen, und dazu gekommen wärst -- Dir auf den Dörfern Dein Brod durch Musiciren zu _erarbeiten_ -- jedesmal aber, wenn ich davon angefangen habe, schwiegst Du still, oder sangst wunderliche tolle Lieder und ließest mich nicht mehr zu Worte kommen. Soll ich es heute vielleicht erfahren? -- -- wer weiß was morgen die Zeit bringt -- ich fürchte mich fast vor dem neuen Jahr, und doch freu' ich mich darauf.« »Hm« sagte der alte Musikant, und legte die Violine still neben sich nieder -- »Ihr Frauen bleibt Euch doch Alle gleich -- Deine Mutter war eben so -- wo Ihr einmal etwas heraus zu bekommen habt, gebt Ihr nicht Ruh noch Rast, und haltet keinen Frieden. Ich weiß aber eigentlich gar nicht, weshalb ich Dir _die_ Geschichte nicht hätte erzählen wollen -- sie ist einfach und unbedeutend genug -- nur das Ende war häßlich -- oder ist vielmehr _noch_ häßlich.« »Und der Anfang?« »Nun Du weißt doch, daß ich Musikdirector in G. -- war, und mein gutes Auskommen hatte -- vor zwölf oder dreizehn Jahren aber, wo die Leute verrückt wurden und für lauter alt Klassisches schwärmten und Alles was recht deutsch d. h. verständlich war, mit Nasenrümpfen und über die Achsel ansahen, da kam ich zuerst in Miskredit. Ich hatte alle Achtung vor den todten Meistern und schwärmte besonders für Weber und Mozart, wenn aber etwas Neues, Gutes kam, wollte ich's auch haben, und wollte ihm Achtung verschaffen, und da trat ich zuerst in's Fettnäpfchen mitten hinein. Die >große Welt< wurde wie gesagt aesthetisch -- wollte nichts wie Gluck und Sebastian Bach hören -- ich opponirte, ein anderer trat gegen mich auf, Cabalen wurden geschmiedet und ich -- erlag. Sie schickten mich fort -- Du warst damals bei Deiner Tante in Wien und erfuhrst nichts von der ganzen Geschichte, die Alte starb aber -- hinterließ ihr ganzes Vermögen einer frommen Stiftung -- ihrem im Elend sitzenden Bruder nicht einen rothen Pfennig, und _der_ wurde _Musikant_.« »Etwas bin ich wohl auch mit schuld an meiner Lage« nahm der alte Mann endlich, nachdem er den Refrain eines kleinen lustigen Liedes halblaut vor sich hingepfiffen, den Faden seiner Erzählung wieder auf -- »aus Mismuth und Aerger, eines protegirten Holzkopfs wegen, der nur an den rechten Stellen zu katzenbuckeln wußte, mein Brod verloren zu haben -- ergab ich mich in etwas dem Trunk -- Deine Mutter bat mich genug, es nicht zu thun -- aber der Wahnsinn hatte sich mir nun einmal in's Hirn gesetzt -- das verdammte Saufen blieb nicht mehr Leidenschaft, es wurde zur Krankheit, und ich selber -- was ich jetzt bin -- Brrrrr -- es ekelt mich manchmal, wenn ich mich selber anfassen soll.« »Aber wo starb die Mutter?« frag mit leiser Stimme Marie. »Du kamst damals aus glücklichen Verhältnissen, aus Reichthum und Ueberfluß heraus, in unser Elend,« sagte der Vater, ohne auf die an ihn gerichtete Frage zu antworten -- »es sah hübsch bei uns aus -- wie? -- Du warst aber ein braves Mädchen, und suchtest und fandest gleich eine Stelle, wo Du arbeiten, und Deinen Vater unterstützen konntest. Ja -- wer einmal Nichts haben _soll_, dem fällt auch die Butter vom Brod herunter -- das ist ein altes Sprichwort, und so wurde es auch bei uns. Na, ich denke, _Du_ hast's ebenfalls erfahren -- aber doch wohl noch nicht so arg, wie Deine Mutter -- die hat traurige Zeiten mit durchgemacht.« »Und wo starb sie?« sagte noch einmal das Mädchen. »Gottes Zorn trieb mich damals unter das Lumpenpack, mit dem ich zwei volle Jahre herumzog -- der Trunk hatte mich zum Thier erniedrigt, und ich -- war ein recht schlechter Mensch geworden. -- Ich weiß -- es gab einmal eine Zeit, wo ich -- aber Pest und Donner, ich bin ja heut' Abend förmlich wie ein altes Waschweib, und winsele und lamentire, daß es einen Stein erbarmen möchte. -- Ei zum Henker, wollen einmal wieder trinken -- da vergehen die Grillen, und die Welt bekommt eine ganz andere Farbe. Das verwünschte Bachstetten hab' ich überdieß auf dem Strich, und ich weiß bei Gott nicht, _was_ mich wieder hierher geführt hat, manchmal ist's aber ordentlich, als ob Einen etwas ganz anderes triebe, als der freie Wille, und als ob es eine Art Verhängniß -- ah, meinetwegen -- 's mag kommen -- ich bin fertig.« »Vater,« sagte die Tochter plötzlich, und berührte seinen Arm -- »die Lampe will ausgehen!« »Die Lampe?« brummte dieser, der den Kopf auf die Brust gesenkt, in eine Art dumpfes Brüten gefallen war -- »Unsinn, die brennt hell genug.« Tiefes Schweigen herrschte in dem kleinen, unheimlichen Raum -- draußen schüttelte der Wind die entlaubten Birken, die vor dem Fenster standen, und warf nach einer Weile den Hut in die Stube, den der Alte in die letzte, nicht mit Bretern vernagelte, aber jetzt auch zerbrochene Glasscheibe gesteckt hatte. Meier stand auf, drückte den Hut wieder auf seinen alten Platz, denn der scharfe Luftzug, der durch die Oeffnung hereinpfiff, drohte das Licht zu verlöschen, legte dann einen Stein hinein, und setzte sich wieder auf die Bettkante nieder. »Vater -- mir ist recht wunderlich zu Muthe,« sagte da plötzlich das Mädchen, und versuchte, sich auf ihrem Lager emporzurichten -- »ich wollte -- ich wollte, _er_ wäre hier.« »Er? -- wer?« knurrte der Alte -- »nenn' mir noch einmal den Kerl, und sieh dann, was ich thue -- hol' ihn der Böse mit seinen Redensarten und Versprechungen -- hätte er _eine_ gehalten, so lägen wir jetzt nicht hier und bliesen Trübsal.« »Hätt' er nur damals -- meinen Brief -- gelesen --« flüsterte das Mädchen in abgebrochenen Sätzen, und eine eigenthümliche Unruhe wurde in ihrem ganzen Wesen bemerkbar -- ihr Vater achtete nicht darauf, er vertiefte sich mehr und mehr in seinen Gedanken, und horchte nur einmal aufmerksam lauschend auf, als die Thurmuhr draußen langsam und schwerfällig drei Viertel schlug. »Wie viel Uhr ist das, Vater?« »Drei Viertel auf zwölf -- 's wird gleich Mitternacht sein, und dann -- springen wir in's neue Jahr hinein. Beim Himmel, beinahe so ein Sylvester wie vor drei Jahren -- und gerade die Stelle wieder -- ich muß mir nur noch ein Glas Grog machen -- das hilft.« »Vater!« sagte da das Mädchen mit kaum hörbarer Stimme -- »nimm doch -- nimm doch den Hut -- den Hut wieder aus dem Fenster heraus -- es wird -- es wird so heiß -- so schwül hier.« Der alte Mann sprang wie von einer Kugel getroffen in die Höhe, sah erst seine Tochter ein paar Secunden mit stieren, fast aus ihren Höhlen drängenden Augen an, sprang dann nach der Lampe, griff diese auf, und hielt sie hoch über seinem Kopf gegen der Tochter Lager, daß der helle Schein des flammenden Dochtes auf die bleichen, geisterhaften Züge des armen Kindes fiel. »Marie -- Mädchen -- Kind!« schrie er dabei mit zitternder, von Todesangst fast erstickter Stimme -- »was ist Dir -- wie siehst Du aus? -- großer -- großer allmächtiger Gott -- und an der nämlichen Stelle, wo vor drei Jahren Deine Mutter starb --« Marie raffte sich gewaltsam zusammen. »Was -- hier? -- hier war es?« lispelte sie, und die großen glanzlosen Augen hafteten in einem unbeschreiblichen Gemisch von Schreck und Freude auf dem bleich und bebend vor ihr stehenden Vater -- »hier in dem Haus? -- in der Sylvesternacht?« Der Alte nickte schweigend mit dem Kopf. »Wie ist Dir denn jetzt eigentlich, Marie?« sagte er endlich etwas ruhiger -- »Du hast mir einmal einen Schreck eingejagt -- es ist wohl gar nicht so schlimm.« »In demselben Zimmer, Vater?« Der alte Musikant nickte noch einmal, und sah sich, fast wie scheu, in dem öden Raume um -- »auf demselben Gestell, auf dem _Du_ jetzt liegst,« flüsterte er mit kaum hörbarer Stimme. Die Kranke sank wieder in ihre frühere Lage zurück, ein schwaches Lächeln stahl sich um ihre bleichen Lippen, und mit gefalteten Händen murmelte sie einige, dem Vater unverständliche Worte. Endlich streckte sie ihre linke Hand gegen ihn aus, und sagte: »Vater -- wolltest Du mir wohl eine Bitte erfüllen -- eine Bitte, mit der Du mir eine recht große Liebe erzeigen könntest?« Der alte Mann war indessen aufgestanden, und mit raschen Schritten im Zimmer hin und hergegangen; augenscheinlich arbeitete er daran, die weiche Stimmung, in der er sich befand, nieder zu kämpfen -- er pfiff bald, bald summte er kurze, abgebrochene Sätze komischer Lieder vor sich hin. Bei der Bitte der Tochter wandte er sich rasch nach dieser um -- sich plötzlich aber besinnend stampfte er mit dem Fuß, murmelte einen halb abgebrochenen Fluch in den Bart, und sagte: »Ah was -- laß die Possen -- wir wollen lieber schlafen gehn.« Er schien die frühere, augenblickliche Rührung vollkommen abgeschüttelt, und sein rauhes unwirrsches Wesen wieder angenommen zu haben. Der Zustand der Tochter war ihm nämlich zu schnell und überraschend gekommen, und hatte dadurch all' die früheren, schon einmal an diesem Ort durchlebten Schreckbilder heraufbeschworen -- sollte er das aber jetzt dem Kinde merken lassen? -- Gott bewahre -- -- wenn aber nun doch? -- Er heftete den scheuen ungewissen Blick fest und forschend auf das Antlitz der Kranken -- und wie mit einer eiskalten Hand griff's ihm an's innerste Herz. -- In _den_ Zügen stand der Tod -- und dem hatte er schon zu oft in das grauenvolle Antlitz geschaut, um sich darin noch irren zu können -- mit schneller, beruhigender Stimme setzte er hinzu -- »was ist es denn, Marie, kann ich es Dir bringen?« »Nur noch ein Lied -- sing mir -- sing mir heute Abend -- dann wollen wir uns schlafen legen -- morgen werd' ich schon wieder besser sein -- willst Du, Vater?« »Was für ein Lied, Marie?« »Mein Lieblingslied -- die Ballade von -- von der todten Sängerin.« »Es ist gar so ernst,« sagte der alte Mann, und kämpfte, jetzt die Blicke nicht mehr von dem immer blässer und leichenähnlicher werdenden Angesicht der Tochter wendend, gewaltsam gegen den unbezwingbar in ihm aufsteigenden Schmerz an -- »Die Ballade, Vater!« Der Vater griff nach der Violine, die Tochter winkte aber bittend mit der Hand -- »Nicht das Instrument,« flüsterte sie -- »die scharfen Töne thun mir weh -- nur Deine Stimme, Vater -- und -- und Deine Hand dazu -- das ist ja Alles, was -- mir noch -- geblieben.« »Es ist so ein langweiliges Lied,« warf der Vater noch einmal ein, und suchte nur Zeit zu gewinnen, seine Thränen niederzuwürgen -- »wie ist Dir denn, Marie?« »Gut -- gut, Vater -- aber die Ballade!« »Hm -- ahem,« räusperte sich der Alte -- setzte ein paar Mal an, und mußte immer wieder aufhören -- »ahem« Die Kranke ließ seine Hand nicht mehr los, lag aber still und geduldig des Anfangs harrend. Endlich hatte sich der arme alte Mann so weit gesammelt, daß er wenigstens seine Stimme gewinnen konnte, und mit leisen, klangvollen, aber doch vor niedergehaltenem Schmerz zitternden Tönen sang er: Es steht am Meeresstrande Eine stille bleiche Maid, Barfuß im kalten Sande Mit flatternd dünnem Kleid. Und auf die schaumzersprühten Und krausen Wogen aus Streut sie zerpflückte Blüthen Aus einem frischen Strauß. -- Mit solchem Ausdruck hatte der Mann noch nie gesungen! Die hellen Thränen rollten ihm über die faltigen hageren Wangen hinunter, als er Vers nach Vers beendete, und dem ängstlichen Blick nur immer mehr Grund zu wirklich ernster Besorgniß wurde. So wie er aber aufhören wollte, bat ihn ein leiser Druck der Hand fortzufahren, und er konnte _der_ Bitte nicht widerstehen. Zum drittletzten Vers war er so gekommen Das -- das war seine Stimme! Hier ist -- hier kommt die Braut! Da schlug es draußen auf dem Thurm in langsam gemessenen Schlägen zwölf, und Marie zuckte, wie von Todesschauern ergriffen, zusammen. »Mein Kind -- mein Kind!« sagte der Greis, und wollte sich über sie hinüberbeugen. »Den Schluß, Vater -- den Schluß,« flüsterte die kaum noch hörbare Stimme -- »o den Schluß!« Am stillen öden Strande, Vom Fluthenstrom umzischt. sang der alte Mann, aber er war nicht mehr im Stande, den Tönen Worte zu geben -- die Laute blieben ihm in der Kehle stecken -- er machte ein- oder zweimal den Versuch, doch umsonst -- es ging nicht, und während seine Thränen immer unaufhaltsamer quollen, pfiff er mit zitternden Lippen den Schluß der Ballade. Mit dem letzten Ton dröhnte auch der letzte Schlag der schläfrigen Thurmuhr aus -- »Mutter!« lispelte das Mädchen, und der Greis sprang mit einem lauten Aufschrei von seinem Sitz empor -- »_Marie!_« rief er, und strich ihr mit vor Angst fieberhaft fliegenden Händen die kalte, feuchte Stirn -- »Marie« -- Umsonst, alter kinderloser Mann -- Deine Marie hört Dich nicht mehr -- -- sie ist zur Mutter gegangen. Laut schluchzend sank er neben dem Bett auf die Knie nieder, und barg sein Gesicht an dem kalten, harten Lager und stöhnte: »War mir's doch den ganzen langen Tag, als ob eine Leiche im Zimmer läge.« Achtes Kapitel. Pollers Rache. Unten im herrschaftlichen Hofe ging es recht still und geräuschlos her -- der Oberpostdirector lag noch immer an den Folgen des Sturzes schwer darnieder, und wenn auch das eigentliche Wundfieber wohl überstanden war, so mußte sein Geist doch noch in furchtbarer Aufregung sein, denn er sprach viel und oft recht böse Sachen im Traum, und warf sich gewöhnlich so lange auf seinem Lager herum, bis ihn der Schmerz seiner kranken Glieder wieder aufweckte. Der alte Poller war dabei gewöhnlich der Einzige, den er um sich duldete; seine Frau -- sie mochte bitten oder weinen wie sie wollte -- durfte nur sehr selten in's Zimmer, und dann auch nur wenige Minuten bleiben; der junge Poller ging ab und zu, und besorgte besonders alle die nöthigen Wege, sah nach dem Feuer u. s. w. Unten vor den Fenstern war dabei Stroh gelegt, damit das Rasseln der Wagen und das Klappern der Hufe auf dem Pflaster den Leidenden nicht stören solle, und die Knechte und Mägde hatten strengen Befehl, vor den Fenstern des Krankenzimmers besonders nicht zu lachen. Der Oberpostdirector konnte eher alles Andere hören, nur kein Lachen. Heute schien er übrigens wieder einmal seinen ganz besonders bösen Tag gehabt zu haben, der junge Poller mußte springen und rennen und wurde fast ununterbrochen geschimpft und gescholten und wenn er sich ja einmal zum Ausruhn in einen Winkel drückte, trieb ihn sein Vater immer zuerst selbst wieder heraus. Der kleine giftige Bursche knirschte vor Zorn und Unmuth, entgegnete aber, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, kein einziges Wort des Widerspruchs und ertrug Alles -- wenigstens schweigend. Die Abenddämmerung rückte so langsam heran; immer die schlimmste Zeit mit dem Kranken, der dann stets eine Art Fieberanfall bekam, und oft bis Mitternacht die Aufmerksamkeit seiner Wärter im vollsten Grade in Anspruch nahm. Der junge Poller hatte dabei lange eine Gelegenheit gesucht, einmal auf eine kurze Zeit sich zu entfernen, gerade jetzt war aber nicht ein einziger Weg für ihn zu gehn, und er mußte bis lange nach sechs Uhr, und also schon in völlige Nacht hinein, fortwährend Handreichungen am Bette thun, und aus der Küche herauf und hinunterspringen. Endlich sollte der Verband an der einen Quetschwunde, die den Kranken heftig zu schmerzen begann, erneuert werden, die Traubenpommade war aber nirgends zu finden -- der junge Poller kroch unter allen Stühlen und Schränken herum, drehte das oberst zu unterst, und machte, jedoch immer ohne Erfolg, einen solchen Lärm, daß ihm sein Vater endlich ärgerlich zuflüsterte, mit dem verdammten Spektakel einzuhalten und rasch nach der Apotheke hinauf zu laufen, um andere zu holen. Karl Poller ließ sich das nicht zweimal sagen, griff nach seiner Mütze und sprang davon. »Aber zum Dunnerwatter, wua stäckst de denn?« redete ihn da, als er einen schon früher mit Krautsch besprochenen Sammelplatz erreichte, dieser würdige Mann in der übelsten Laune von der Welt an -- »ich stiehe und stiehe hiar un han mer die Hänge und Fiße beinah derfruren; un keen Mensche kimmt niche -- wua bist de denn su lange gebliaben -- he?« »Das weiß der Henker,« stimmte Poller selbst mit ein, »heute war kein Loskommen; als ob die beiden alten Schufte -- mein Vater und der Oberpostdirector, ordentlich gemerkt hätten, daß ich irgend 'was im Schilde führe.« »Oho -- jo niche,« sagte Krautsch erschreckt. »Hab' keine Angst,« lachte der junge Verbrecher, »die glauben sich sicher genug bewahrt; ich soll jetzt Traubenpommade in der Apotheke holen.« »Un nu mußt de in die Apothek ruff?« frug Krautsch bestürzt -- »das giaht ja gar niche -- mer missen uns doch --« »Ich werde nicht so dumm sein,« lachte Poller -- »ich hab' ja die Traubenpommade, ein ganz frisches Stück von heute Morgen -- selbst erst in die Tasche gesteckt, um nur eine Ausrede zu kriegen und wegzukommen -- die bring ich dem Alten jetzt wieder -- der weiß viel, ob das neue oder alte ist.« Krautsch lachte heimlich vor sich hin. »Un dann kennen mer jetzt die Sache en bischen beriaden?« »Nun das versteht sich,« lautete die Antwort, »aber etwas rasch, denn _zu_ lange darf ich doch nicht wegbleiben.« »Nu, wollen mer's denn noch hinte Obend machen?« flüsterte der Bauer -- »ich bin g'rade uffen Zeug.« »Ich denke,« erwiederte ihm Poller eben so leise -- »im Schloß drin scheint auch Alles günstig, der Alte hat auch einmal wieder seinen bösen Abend, und da darf keiner weiter in die Zimmer kommen, wie wir Beide, mein Alter und ich -- ich glaube, heute Abend gehts -- aber welche Zeit?« »Nu vor neine niche!« meinte Krautsch. »Nein -- aber auch nicht später, denn wenn das Thor erst einmal zu ist, kann der Teufel sein Spiel haben und uns in die Falle drin halten -- ich dächte, so gegen neun.« »Hm -- guat -- da han ich ooch nischt derwidder -- un da machen mer's so, wie mer's beschprochen han?« »Nun versteht sich, das Zeichen für mich ist der erste Feuerlärm -- mißlingt es und wird _kein_ Lärm, nun so unterbleibt für heute die ganze Geschichte, denn wenn das Thor draußen geschlossen ist, mag ich's, obgleich ich selbst den Schlüssel dazu habe, nicht riskiren -- es hält zu lange auf.« »Un mer treffen uns an der Blutbuche.« »Nun das versteht sich, das ist ja Alles schon besprochen,« brummte der junge Bursche; »wo aber denkst Du am sichersten anzukommen, am Obertenne?« »Do brännt ja de ganze Beschäring wek,« sagte Krautsch erschreckt -- »wenn das urdentlich Feier fängt, nachens haben se Zeit mit Leschen -- ne ich dachte an's Ungertenne -- do thuts nich so viele, un Spektakel geihts doch gening.« »Mir wäre die Obertenne lieber,« sagte Poller -- »daß der böse Feind dem alten Schuft nur noch immer ärger in seine lahmen Gliedmaßen hineinfahre -- dem gedenk' ich die Schläge, und wenn wir bis zum jüngsten Tag neben einander ausharrten -- im Obertenne kannst Du auch besser ankommen, wie im Untertenne, und bist nachher gleich an der Gartenmauer, an der Du Dich bis zum Thor und zwischen den Reisigbündeln durch leicht hinschleichen kannst.« »Hm -- nu mer wullen sähn -- irgendwu wärd' ich schonst ankommen, un nachens mach ich mich sachte rar. -- Aber Du -- wie wärsch denn eegentlich, wenn ich erscht geschwinde in's herrschaftliche Gebäude käme -- kinnten mer denn da nich verleicht noch een oder das --« »Unsinn --« sagte Poller -- »na mach Du solche Geschichten, daß sie Dich beim Kragen kriegen und beistecken -- weißt Du wohl, daß heute Morgen der Befehl eingegangen ist, Dich aufzufangen und an das Gericht hinein zu liefern?« »Jemine!« rief der Bauer erschreckt -- »un von _wägen_?« Poller nickte nur einfach mit dem Kopfe. »Läge der alte Baron jetzt nicht krumm, so hätten sie Dich am Ende schon abgefaßt,« sagte er, »so aber hat er die Geschichte, glaub' ich, noch gar nicht gelesen, morgen käm' es aber doch jedenfalls vor. Also bist Du gescheidt, so hältst Du Dich so viel wie möglich außer Rufs Nähe von Allen, die Dich kennen könnten, ich glaube, Du kannst dadurch nur profitiren.« »Nu ja -- 's kennte meglich sin,« meinte Krautsch, -- »also denn bleibts derbei -- um dreiviertel uf neine« -- Und ohne weiter Gruß oder Abschiedsworte an den Verbündeten zu richten, glitt er aus seinem Versteck vor, sprang über die dicht daran stoßende niedere Gartenmauer, und war im nächsten Augenblicke in der dahinter lagernden Dunkelheit verschwunden. Poller kehrte so schnell er konnte, um jetzt wo möglich jeden Zank und dadurch entstehende Unruhe zu vermeiden, nach Hause zurück, und suchte nur -- was übrigens gar nicht so schwer war -- den Vater an das Bett des launenhaften Kranken zu fesseln. Der Oberpostdirector schien aber auch wirklich heute einmal einen seiner allerbösesten Abende zu haben -- er hatte nicht Ruhe noch Rast -- wollte bald auf dieser, bald auf jener Seite unterstützt werden, warf sich -- trotz aller Vorstellungen des hinzukommenden Arztes -- fortwährend herum und zankte und schimpfte seine Umgebung -- den Doctor keineswegs ausgenommen -- auf das Unbarmherzigste. -- Ja, er wollte endlich, was ihm aber dieser auf das Strengste verbot, unter jeder Bedingung von seinem Lager aufstehn, und schrie nun, als ihn der alte Poller gewaltsam zurückhielt -- so laut um Hülfe, daß das Gesinde des ganzen Hauses zusammenkam, und schon glaubte, es wäre irgend etwas Entsetzliches geschehn. Der Arzt sandte die Leute aber wieder zurück, und versicherte sie, sie brauchten um ihren Herrn sich nicht zu sorgen; es sei nur ein etwas stärkerer Fieberanfall als gewöhnlich. Er verordnete dann einige beruhigende Mittel, trug dem alten Poller noch verschiedenes auf und kehrte, da er dort noch einige Kranke besuchen mußte, mit dem schon wartenden Wagen in die Residenz zurück. Dem jungen Poller schlug das Herz wie ein Hammer in der Brust -- der Augenblick der Entscheidung rückte immer näher und sein Vater saß wie Blei -- wenn er _den_ nicht zur rechten Zeit aus dem Zimmer -- denn hier in der Krankenstube selber lag das Geld -- entfernen konnte, war die ganze Sache, die ganze Gefahr, der sich Krautsch aussetzte, umsonst gewesen -- Krautsch? ei beim Teufel, der kümmerte ihn wenig -- aber er selber -- wer weiß denn, ob sich so günstige Gelegenheit ihm wieder bot -- seine ganze Hoffnung ruhte jetzt noch allein auf dem Feuerlärm. Der Kranke war, nach dem heftigen Toben, in eine Art Erschlaffung und Abspannung gefallen, die sich bald in einen Halbschlaf verwandelte. -- Der alte Poller saß in der Ecke, im großen Sorgenstuhl des Herrn und fing, ebenfalls zum Tod erschöpft, gerade ein wenig an einzunicken -- die Schlüssel zum Schrank lagen dicht neben dem Bette des Gutsherrn, und das einzige Gefährliche bei der Sache schienen dem jungen Bösewicht ein paar geladene Pistolen, die stets und zwar so niedrig über dem Bett und zu Köpfen des Herrn hingen, daß er sie jeden Augenblick mit ausgestrekter Hand erreichen konnte. Entfernen durfte er die Waffen nicht -- der Director selbst, oder sein Vater wenigstens, hätten das augenblicklich bemerkt und natürlich Verdacht geschöpft -- wie aber wenn es ihm gelang die Zündhütchen herunter zu bringen? -- Der Versuch mußte jedenfalls gewagt werden, denn Karl Poller hatte allen Respekt vor Schießgewehren, und der Oberpostdirector schoß ziemlich gut. Beim gewöhnlichen Stande des Bettes wär' ihm jedoch ein solches Vorhaben ganz unmöglich gewesen, denn sobald das Bett dicht an die Wand gerückt stand, würde er natürlich nur darüber hin an die Waffen gekonnt haben, jetzt aber und bei dem Leiden des Kranken, der fortwährend Schmerz empfand und anders gelegt sein wollte, war es nöthig geworden das Bett etwas, wenn auch nur wenig, von der Wand abzurücken, damit Jemand dahinter treten und von dort aus heben konnte. Der alte Poller schlief wirklich, oder lag doch wenigstens mit geschlossenen Augen so fest und bequem an das Kissen angelehnt, daß nicht zu fürchten war, er würde durch das eigene schwerfällige Einnicken, wie das manchmal geschieht, plötzlich wieder aufwachen. Der Oberpostdirector athmete ebenfalls laut, und hielt noch dazu das Gesicht der Stube zu, also von der Wand abgekehrt. Karl schlich auf den Zehen zum Kopfende des Bettes, wo eine Menge Medicinflaschen standen, und blieb hier eine Weile stehn. Die Uhr im Zimmer schlug in dem Augenblick halb, und er wollte erst abwarten ob der laute Schlag nicht etwa die Schläfer störe -- nein -- sie veränderten ihre Lage nicht und der junge Bursche stand im nächsten Moment, geräuschlos zwischen der Wand und dem Bette hingleitend, vor den Pistolen. Mit diesen wußte er übrigens gut genug umzugehn, da er das Schießzeug seines Herrn stets rein und im Stande zu halten hatte -- rasch und geschickt entfernte er deshalb auch die gefährlichen Kupferhütchen und nahm sie, damit selbst ihr Fall kein Geräusch verursache, bis er die Waffen wieder an ihrem Ort gehangen, in den Mund. So schnell er konnte, verließ er dann den für ihn so gefährlichen Platz und gleich darauf auch das Gemach, denn wenn der Feuerlärm, was jetzt jeden Augenblick geschehen konnte, entstand, durfte er nicht im Krankenzimmer sein, weil sonst natürlich niemand anders als gerade er auch fortgeschickt wäre, zu sehn was es gäbe. Mußte also nun »sein Alter« gehn, wie er bei sich und in leisem Brüten erwog, so kam er rasch zurück -- mit dem Kranken wurde er bald fertig, wo das Geld lag wußte er genau, und ehe man an seine Verfolgung denken konnte, war er in der dunklen Nacht draußen entkommen. _Seine_ Vorbereitungen für das Weitere hatte er ebenfalls alle auf das Beste getroffen und harrte jetzt draußen im dunklen Gang mit fieberhaft klopfenden Herzen und immer wachsender Ungeduld auf das Zeichen -- auf den Lärmen von den Scheunen her. Als er die Thür hinter sich zuzog, fuhr sein Vater im Stuhl auf, rieb sich die Augen und schaute verwundert umher; es war etwas kalt im Zimmer geworden -- es fröstelte ihn und er stand auf und ging, die Hände rasch aber geräuschlos zusammenreibend, zum Ofen, um dort nach zu legen und die Lampe, die ebenfalls düster brannte, etwas höher zu schrauben. Der Oberpostdirector schlief noch immer, oder öffnete doch wenigstens die Augen nicht -- die Uhr hob aus, um neun zu schlagen! Der alte Poller drückte die Kohlenschaufel langsam und vorsichtig, um kein Geräusch zu machen, unter die Braunkohlen, und wollte sie eben wieder gefüllt herausheben, als er innehielt, und aufmerksam nach dem Hof hinüberschaute. -- Ein dumpfes unbestimmtes Geräusch drang von dort zu ihm herüber und es war ihm beinahe, als ob er den Ruf »Feuer« verstanden hätte. Er ließ die Schaufel in den Kohlen stecken, richtete sich empor, und schlich auf den Zehen zum Fenster zurück. -- Der Lärm draußen wurde immer lauter -- auf dem Hof unten liefen die Leute hin und wieder und es mußte jedenfalls irgend etwas ganz außergewöhnliches vorgefallen sein. Das Fenster durfte er nicht öffnen, denn der Kranke war besonders gegen kalte Luft empfindlich, er wollte also eben leise zur Thüre zurück, um seinen Sohn zu rufen, daß der einmal nachsehn könne, was vorgefallen wäre, als er jetzt ganz deutlich und bestimmt den Ruf von unten her ertönen hörte. -- »Feuer! -- haben sie ihn?« »Was ist? -- was giebts?« sagte der Oberpostdirector, und drehte den Kopf nach dem Fenster zu -- »was ist das für ein Lärmen, Poller?« »Ich weiß wirklich nicht, Herr Oberpostdirector,« erwiederte der alte Mann etwas ängstlich, denn er fürchtete nicht mit Unrecht nach solcher Nachricht die zu große Aufregung des Kranken, und hoffte dabei noch immer, daß die Sache vielleicht gar nicht so schlimm sei, und bald wieder beseitigt werden könne. »Ich weiß wirklich nicht -- irgend ein Betrunkener, wahrscheinlich -- eine Schlägerei oder etwas derartiges -- ich will doch gleich einmal nachsehn lassen.« Er ging rasch nach der Thür, öffnete diese und rief hinaus: »Karl -- Karl! -- Wo der Schlingel nun wieder steckt -- Karl -- Karl!« »Das ist ein nichtsnütziger Bube!« stöhnte der Kranke -- »und ich habe mich jetzt genug mit ihm geärgert -- er soll mir morgen am Tag aus dem Hause -- wo bleibt der verdammte Schuft -- kommt er?« »Nein, Euer Gnaden,« sagte der Alte, der eine kleine Weile auf den dunklen Gang hinausgehorcht hatte -- »ich höre noch Nichts -- Karl -- Karl! -- Christoph -- Hans!« Es hörte ihn Niemand; der gerufene Karl kauerte allerdings kaum zwanzig Schritte von ihm entfernt, hinter der dunklen Treppe, die in das obere Stock hinaufführte, wartete aber nur darauf, daß sein Vater das Zimmer verlassen sollte, und dachte gar nicht daran, dem Ruf Folge zu leisten. »Das weiß der liebe Gott, das ganze Haus muß auf den Beinen sein, es ist, als ob es ausgestorben wäre,« brummte Poller vor sich hin, als er die Thüre wieder schloß. »Feuer?« fragte der Gutsherr plötzlich, und suchte sich, erschreckt, und seine Leiden vergessend, aufzurichten, fiel aber gleich wieder mit einem leisen Schmerzgestöhn auf sein Lager zurück -- »Feuer?« wiederholte er nach kleiner Pause -- »mir war es, als ob ich draußen >Feuer< rufen hörte -- Poller!« »Euer Gnaden --« »Lauf einmal rasch hinaus, und bring mir -- Jesus, wie das wieder sticht -- und bring mir Nachricht, was es giebt -- ob -- ob Feuer ist, und -- und wo es brennt -- aber schnell -- schnell!« »Und ich soll Euer Gnaden so lange hier allein lassen?« frug der alte Diener. Der Lärmen draußen wurde immer lauter, das Hin- und Herlaufen der Menschen immer ärger. »Mach rasch -- mach rasch!« rief ungeduldig werdend der Gutsherr, »soll ich denn Alles hundert Mal sagen, und mir um jeder Kleinigkeit willen die Galle an den Hals ärgern -- fort mit Dir.« Der alte Poller schüttelte mit dem Kopf, wußte aber auch nur zu gut, daß hier weiteres Einreden gar Nichts nützen würde, sondern griff nur nach seiner Pelzmütze, die neben der Thür auf dem Stuhl lag, und verließ das Zimmer. Kaum konnte er Zeit genug gehabt haben, das Hausthor zu erreichen, und eben waren erst seine Schritte im Gang verhallt, als sich die Thür des Zimmers wieder öffnete, und Karl Poller schnell aber geräuschlos herein glitt. »Nun?« frug der Gutsherr, der die Augen wieder geschlossen, -- »was ist's, Poller -- Feuer?« Karl antwortete nicht, sondern schob rasch den Riegel vor, und trat zum Tisch, von dem er die Schlüssel aufgriff. Beim Klappern derselben sah der Kranke plötzlich auf -- sein Blick begegnete dem des Diebes, und der Instinct fast sagte ihm, was das unstäte, wilde Auge, das scheue Wesen des Burschen, und seine Unruhe bedeuteten. »Was willst Du mit den Schlüsseln, Schurke!« schrie er, und versuchte, aber vergebens, sich auf seinen Ellbogen empor zu richten -- »laß die Schlüssel liegen, sag' ich -- Canaille!« -- »Brauche sie jetzt einen Augenblick selber,« lachte aber der junge Bösewicht mit einer Art triumphirender Bosheit, »will mir nur einen kleinen Vorschuß erbitten, um die Auswanderung eines sehr guten Freundes -- wie Herr Doctor Strohwisch immer sagte, damit bestreiten zu können -- bloß ein paar hundert Thaler.« »Schuft Du -- diebische Bestie -- willst Du die Schlüssel hinlegen!« schrie jetzt der Oberpostdirector, heiser vor Wuth, und griff nach seinen Pistolen an der Wand -- »willst Du, Canaille?« »Bitte, geniren Sie sich nicht,« grinste der Dieb -- »bedienen Sie sich gefälligst,« -- und mit rascher, gewandter Hand öffnete er blitzesschnell den Schrank, und griff rasch nach dem Geldsack, der hinten, an dem ihm wohlbekannten Platz in der Ecke stand. »Räuber!« rief erschreckt der Kranke -- spannte den Hahn des Pistols, zielte, und drückte auf seinen Bedienten ab. Der Hahn schlug aber machtlos nieder, -- die Kraft fehlte, die allein den Schuß hätte entzünden können. Poller lachte nur; der Herr von Gaulitz hatte schon die andere Waffe erfaßt, spannte den Hahn, und drückte fast in demselben Moment auch diese ab -- »Teufel« -- knirschte er aber, als auch diese versagte, und in machtloser Wuth schleuderte er das untreue Rohr nach dem Verbrecher -- es fiel machtlos vor ihm nieder. »Hülfe!« tönte da die gellende Stimme des Verzweifelten, der sich in machtloser Wuth, und trotz des rasenden Schmerzes, mühte sich emporzurichten -- »Hülfe -- Hülfe -- Hülfe!« umsonst, er brach halb ohnmächtig auf seinem Lager zusammen, und der Dieb sprang eben aus der einen Thür, die nach dem Thor zuführte, hinaus, als der alte Poller wieder zurückkam, seines Herrn Hülferuf (der aber von dem übrigen Gesinde, wenn es wirklich in der Nähe gewesen, doch nicht beachtet wäre, da der Kranke schon einen großen Theil des Abends so geschrien) vernommen, und nun zu seinem nicht geringen Entsetzen die Thür von innen verriegelt fand. Vergebens pochte und schlug er daran, sie wurde nicht geöffnet, dann lief er zurück, um durch die andere, durch die sein Sohn eben das Zimmer verlassen, zu seinem Herrn zu kommen, doch auch hier hatte der schlaue Räuber den Schlüssel umgedreht und mitgenommen, und ehe sich der alte ängstliche Mann entschließen konnte, förmlich einzubrechen, ja ehe es ihm nur mit seinen schwachen Kräften, allein und von allen verlassen, wirklich gelang, und er nun im Stande war, von dem, seiner Sinne kaum mächtigen Kranken die fürchterliche Wahrheit zu erfahren, hatte der Dieb schon einen solchen Vorsprung gewonnen, um bei Nacht, selbst in ruhiger Zeit jeder Verfolgung spotten zu können. Jetzt aber, in diesem Lärm und Aufruhr, und in der Verwirrung, die auf dem ganzen Gute herrschte, wäre eine solche nur um so erfolgloser gewesen. Allerdings sandte der Alte gleich Leute nach allen Richtungen, um wenigstens seine Schuldigkeit gethan zu haben, ließ auch den Jäger hinüberschicken, und diesen gleich auf's Schloß bescheiden, der Bote aber brachte nach etwa einer halben Stunde die Nachricht, der alte Holke sei mit einem Zeichenschläger im Walde draußen, und werde auch vor tiefer Nacht nicht wieder zu Hause kommen, und die Verfolger kehrten ebenfalls unverrichteter Sache wieder. Was überhaupt noch geschehen konnte, mußte jedenfalls am nächsten Morgen geschehen. Neuntes Kapitel. Der Brandstifter. Indessen müssen wir aber doch wohl einmal wieder zu dem Genossen des Diebes zurückkehren, der den kaum minder gefährlichen Auftrag des Brandstiftens auszuführen hatte, und zu diesem Zweck auch schon um acht Uhr, im Wagenschuppen über dem noch eine Partie Reisigbündel lagen, sein Versteck gewählt hatte. Hier nun hätte er seine Absicht mit größter Leichtigkeit und fast ohne Gefahr ausführen können, hier war aber das Hinderniß, daß der Wagenschuppen eigentlich mit keinem größeren Gebäude in Verbindung, ferner doch wieder zu sehr in der Nähe der herrschaftlichen Wohnung, und überhaupt so stand, um schwerlich große Besorgniß zu erregen, wenn er wirklich brennen sollte. Auf die Verwirrung im Gut war aber großentheils sein Plan gebaut, und gelang es ihm nicht, die hervorzubringen, so war Poller vielleicht nicht einmal im Stande, das Geld zu bekommen, und die ganze Mühe und Angst umsonst gewesen. Es blieb keine andere Wahl, als die etwas gefährliche Expedition gegen die Scheunen zu unternehmen, und so wie sich der Hof ein wenig beruhigte, d. h. so wie die Knechte ihre Pferde, die Mägde ihre Kühe besorgt, und sonst ihre ganze Tagesarbeit beendet hatten, und nun in die Gesindestube gingen, die ersteren, um sich faul auf die Bänke auszustrecken, die letzteren noch bis um zehn Uhr für die Herrschaft zu spinnen, da schlich er langsam und vorsichtig aus seinem Versteck heraus, drückte sich, immer dabei im dunkeln Schatten der Mauern bleibend, über den Hof hinüber und an den Ställen vorüber, und erreichte eben das Obertenne, als er Schritte dicht hinter sich hörte. Es blieb ihm weiter Nichts übrig, als sich rasch hinter ein paar Schiebkarren zu werfen, die umgekehrt neben der Düngergrube standen, und dort zu warten, bis sich die unwillkommenen Störer entfernt hätten. Es war der Verwalter mit dem Brenner, die neben einander auf dem schmalen, zwischen den Schweineställen und der Düngergrube liegenden steinernen Damm hingingen, und der letztere sagte, gerade als sie bei Krautsch vorübergingen, zum Verwalter: »Sie können sich darauf verlassen, ich habe Jemand dort drüben an der Mauer hin und hierher zu schleichen sehen; es war jedenfalls ein Mann, der es um jeden Preis zu vermeiden schien, von Jemand gesehen zu werden. Jeder Andere, der ruhig seinen Weg hier hinter zu ging, wäre mir ja sicherlich gar nicht aufgefallen.« »Ja, aber was soll denn Einer hier hinten zu suchen haben?« sagte der Verwalter, und blieb vielleicht zehn Schritte von Krautsch stehn -- »Die Scheunen sind verschlossen -- Schweine kann er nicht stehlen, denn er bringt sie unbemerkt gar nicht aus dem Hof, und Getreide? da müßte er erst durch die Ställe zu den Thüren, und das wäre doch sehr viel gewagt. Uebrigens sah ich auch Niemand, wir sind jetzt fast durch den ganzen Hof gegangen, und hier kann sich doch wahrhaftig Keiner groß verstecken -- er müßte denn unter dem Schiebkarren dort liegen.« Krautsches Herz schlug ihm wie ein Hammerwerk in der Brust -- wurde er hier versteckt gefunden, so war er jedenfalls verloren, denn dann kam auch mehr zur Sprache, als gerade der jetzige Verdacht. Und noch dazu das verdammte Feuerzeug, das er bei sich trug, hätte das nicht auf das vollständigste gegen ihn ausgesagt? -- Er fuhr schnell mit der Hand in die Tasche, griff den verrätherischen Brennstoff auf und wollte sich hinunter auf den Dünger fallen lassen, als der Brenner zum Verwalter sagte: »Wenn wir nun einmal in den Ställen nachsähen? -- hier draußen wird er sich schon nicht verhalten -- ist er irgendwo hier, so kann er kaum bis in den Pferdestall gekommen sein.« Krautsch athmete wieder hoch auf -- gingen sie in den Pferdestall, so konnte er sich zu einem sicheren Ort zurückziehn, und bessere Zeit abwarten -- im schlimmsten Fall wenigstens entkommen. -- »Gott sei Dank,« murmelte er leise -- sie gingen wirklich auf die Stallthüre zu -- traten hinein -- jetzt war kein Augenblick Zeit mehr zu verlieren -- er richtete sich auf, um, so schnell er konnte, den Wagenschuppen wieder zu erreichen, knirrschte aber auch gleich darauf einen wilden Fluch zwischen den zusammengebissenen Zähnen, als er in demselben Moment, gerade von daher, wohin er wollte, Schritte und Stimmen hörte. Er hielt sich schon für entdeckt, und machte sich nur bereit, die erste Ueberraschung der Kommenden zu benutzen, neben ihnen hin Bahn, und dadurch Vorsprung zu gewinnen, und wenigstens seine eigene Person in Sicherheit zu bringen, da stieß er auf den schmalen Damm und, hinter einen kleinen Vorbau der niederen Ställe tretend, an eine nur angelehnte Thür -- der Koben war jedenfalls leer, und ohne sich auch nur einen Moment zu besinnen, ja nicht einmal der Gefahr gedenkend, der er ausgesetzt wäre, wenn Jemand zufälliger Weise von außen den Riegel vorschob, schlüpfte er hinein, und zog die Klappe hinter sich zu. Gleich darauf kamen der Verwalter und Brenner wieder aus den Pferdeställen zurück, gingen einzeln rings um den Hof herum, sprachen einige Minuten mit den letzten, deren Stimmen Krautsch gehört, und gingen dann wieder nach vorn; es war jetzt ebenfalls für sie Essenszeit und ihr Suchen doch erfolglos geblieben. Krautsch getraute sich noch eine lange Zeit danach nicht aus seinem, so glücklich gefundenen Schlupfwinkel heraus, die Zeit verrann aber auch mehr und mehr, auf der Gutsglocke hatte es schon lange ein Viertel geschlagen, und ein Entschluß mußte endlich gefaßt werden. Vorsichtig recognoscirte er jedoch erst, ob die Luft rein sei, ehe er seinen duftenden Bau verließ. -- Es war kein Mensch mehr zu hören noch zu sehen -- der Hof lag in Todtenstille, nur dann und wann scholl das dumpfe Brüllen einer Kuh, das Blöken eines Kalbes, oder das Scharren und Schlagen eines noch unruhigen Pferdes durch die schweigsame Nacht. Auch der Himmel schien dem Vorhaben günstig, der Wind fing an ziemlich scharf zu wehen und es wurde recht bitter kalt, Krautsch war wenigstens, trotz seiner sehr warmen Kleidung, halb erstarrt, und konnte seine Finger kaum regen. Schon deshalb durfte er aber auch keine Zeit verlieren -- rasch trat er also aus dem Koben heraus, sprang auf den hart gefrorenen Dünger hinunter, auf dem er unbemerkter nach den Scheunen hingelangen konnte, und erreichte bald eine günstige Stelle, an der er hoffen durfte, sein bübisches Vorhaben rasch und unentdeckt ausführen zu können. Es war dieß der Ort, an dem die Düngergrube gerade da in eine ziemlich scharfe Spitze auslief, wo das Ober- und Untertenne durch ein niederes kleines Haus, in denen Strohschneidemaschinen etc. standen, getrennt wurde; dort lagen gerade heute Abend etwa ein Dutzend Schütten Stroh, welche die Knechte liegen gelassen hatten, um erst zum Abendbrod zu gehen und nachher die Schlüssel zu der Kammer gleich mitzubringen. An diese drückte er sich hinan, sah sich vorher noch einmal schüchtern um -- es war kein Mensch zu sehen -- entzündete rasch einige Schwefelhölzer, und an diesen ein kleines Packet, das er aus Schwefelfaden, Schwamm, und anderen leicht brennbaren Sachen zusammengewickelt bei sich trug, und schob diese _mit_ seinem Feuerzeug, damit man selbst im ungünstigsten Falle, daß er doch noch erwischt würde, keine Beweise des Brandstiftens bei ihm finde -- in eins der Löcher hinein, die unten in den Scheunen stets angebracht sind, damit das innen aufbewahrte Getreide auch hinlänglich Luft habe, und nicht modere und verderbe. Das Knistern und Knattern drinn verrieth ihm bald, daß sein Verbrechen gelungen sei -- er stopfte also schnell etwas leichtes Stroh von außen hinein, daß man die Gluth vom Hof her nicht so leicht erkennen und zu schnell dagegen einschreiten könne, und sprang dann ohne einen weiteren Augenblick zu verlieren, in die Grube zurück, jetzt das Uebrige dem Geschick überlassend, und nur einzig und allein darauf bedacht, seine Flucht glücklich zu bewerkstelligen. Unbemerkt hatte er auch schon, wie er meinte, das Ende des hinteren Hofes und die Stelle erreicht, wo neben dem Herrenhaus die Gesindestuben, die Verwalterei, Brennerei und noch einige andere Gebäude lagen, und eben wollte er über den freien Platz hinlaufen, um das noch offene Thor zu gewinnen, als plötzlich, aus der dunklen Thür der Brennerei eine ziemlich breite kräftige Gestalt, ohne ein Wort zu sagen, vorsprang, und ihm den Weg abschnitt. Krautsch stutzte einen Moment, und war noch ungewiß, ob er suchen sollte vorbei zu kommen und einen möglichen Angriff zurück zu schlagen? -- Wie aber, wenn sich die beiden Fäuste da in seine Kleider hingen, oder ihn umklammerten, und trotz alles Widerstandes doch festhielten? Die Gedanken zuckten ihm mit Blitzesschnelle durch den Kopf, und fast unwillkührlich wandte er sich zu gleicher Zeit wieder seitwärts ab, seinem früheren Versteck, dem Holzschuppen zu. Kaum aber sah jener zu so ungelegener Zeit erstandene Verfolger, daß der, auf den er bis dahin nur den dunklen Verdacht böser Absichten gehabt, zu entfliehen suchte, als er den auch völlig bestätigt fand und nun laut nach Hülfe rief, um den Flüchtigen einzufangen. Krautsch war's, als er den lauten Ruf hinter sich hörte, und nun ganz genau wußte, was ihm, wenn er eingefangen würde, bevorstand, gerade so zu Muthe, als ob ihm Jemand ganz plötzlich und unerwartet einen Kübel eiskaltes Wasser über den Leib gegossen hätte; er floh nun in raschen Sätzen der Stelle zu, wo die Pflüge und Eggen theils aufgeschichtet, theils in Reih und Glied umgedreht und geordnet standen, und hoffte, wenn er über die wegsetze, seinen Verfolger entweder abzuhalten, oder doch zwischen dem Ackergeräth zum Fall zu bringen. Dieser aber -- der Brenner, der, wie wir schon früher gesehn, zuerst dem Verwalter seinen Verdacht mitgetheilt, und dann aufgepaßt hatte, ob er den Eingeschlichenen vielleicht doch noch ertappen könne -- war zu genau mit dem Terrain bekannt, um in eine solche Falle gleich zu gehen. -- Er wußte recht gut noch, nach welcher Richtung hin der Unbekannte einzig und allein nur fliehen könne; er brauchte deshalb also gar Nichts weiter zu thun, als ihm den Weg nur so lange abzuschneiden, bis er Hülfe bekam, und nachher durfte Jener gar nicht mehr hoffen zu entkommen. Aus der Gesindestube traten in diesem Augenblicke schon einige, durch den lauten Ruf herausgelockte Knechte, die Krautsch kaum sah, als er die Richtung einschlug, als ob er gerade wieder nach den hinteren Tennen zurückflüchten wolle, dann aber plötzlich rechts ab einen Haken schlug, und dadurch den Brenner irre zu leiten suchte. Der aber war nicht so leicht anzuführen, denn er wußte gut genug, es könne dem so heimlich eingeschlichenen Gesellen nur daran gelegen sein, wieder aus dem Thor zu entkommen, und _den_ Ausweg hielt er deshalb fest und unerschütterlich besetzt. »Feuer!« tönte da plötzlich der Schreckensruf aus dem hinteren Theile des Hofes vor -- »Feuer -- Feuer in den Scheunen Feuer! --« Das Wort flog von Mund zu Mund und Alles wandte sich, den bisher Verfolgten ganz vergessend, nach der Gegend zu, von wo aus der Ruf herüber drang. Krautsch wußte aber, daß jetzt für ihn, und zwar vielleicht nur auf Momente, die Zeit gekommen sei, der immer gefährlicher werdenden Lage zu entgehen, rasch also seinen Entschluß fassend, sprang er über die ihm nächsten Pflüge, gerade auf das Thor zustrebend hin, stieß den einen Knecht, der sich hier aufgestellt, mit verzweifelter Kraftanstrengung zur Seite, und hatte fast schon die Stelle erreicht, wo ihm selbst der etwas plumpere, aber auch stärkere Brenner nicht mehr hätte erreichen können, als dieser sich von seinem ersten Schrecken erholte, schnell zufahrend den gerade an ihm Vorbeisetzenden erwischte, und mit dem lauten Ausrufe: »Haltet ihn -- haltet den _Mordbrenner_!« festhielt. »Mordbrenner!« das Wort zündete -- »haltet den Mordbrenner!« schrie Alles, und selbst das Feuer war in dem Augenblicke, über dem einen Gefühle der Rache vergessen; so schwach aber auch Krautsch sonst wohl im Arme des sehnigen Brenners gewesen wäre, eine so rasende Kraft gab ihm in diesem Augenblicke die Verzweiflung und Todesgefahr. -- Er packte den Brenner mit wüthender Gewalt und beiden Fäusten an der Kehle, preßte ihm diese so ein, daß der Mann seine Arme wohl auf einen Moment nachlassen _mußte_, schleuderte ihn dann rasch von sich ab, traf den nächsten auf ihn einspringenden Knecht so richtig mitten in's Gesicht, daß er ihn wie einen Ochsen zu Boden fällte, stieß den alten Thorwärter, der ihn in den Weg rennen wollte, bei Seite und verschwand im nächsten Augenblicke aus der schmalen Pforte hinaus in die dunkle Nacht. »Das war der nichtsnutzige Mensch, der Krautsch,« rief der alte Thorwart, als er sich vom Boden wieder aufraffte -- »na wahre Dich, mein Bursche, das gedenk' ich Dir auch noch.« »Krautsch?« sagte da der Brenner, der in diesem Augenblicke ebenfalls herbeisprang -- »ei, daß die mordbrennerische Bestie der böse Feind hole -- mich hat sie bald erwürgt.« Einzelne der nachgesprungenen Knechte kehrten, die Verfolgung in solcher Dunkelheit gar bald als unnütz aufgebend, schon wieder zurück, während die meisten in dessen dem Orte zugesprungen waren, von dem der Feuerlärm hertönte. In diesem Augenblicke kam, in seinen Mantel gehüllt, und unter diesem etwas im Arme tragend, der junge Poller aus dem herrschaftlichen Hause und ging rasch am Thorwärter vorbei. »Nun, wohin jetzt noch?« frug dieser. »Apotheke,« lautete die bündige Antwort, und der Gefragte verließ den Hof und verschwand nach derselben Richtung hin in der dunklen Nacht draußen, die der flüchtige Krautsch vor wenigen Minuten eingeschlagen hatte. * * * * * Nicht Alle hatten jedoch des Brandstifters Verfolgung so leicht aufgegeben, als die bald zurückkehrenden Dienstleute; einer der Brennerknechte, ein flüchtiger, gewandter Bursche, der gleich im Anfange seinem Herrn zu Hülfe gesprungen und nur wenige Secunden zu spät gekommen war, ließ sich selbst durch die Dunkelheit nicht abschrecken, und blieb dem Flüchtigen so dicht er konnte, ohne jedoch auch nur ein Wort zu sagen, oder einen einzigen Schrei auszustoßen, auf den Hacken, ja folgt ihm, er mochte nun links oder rechts, durch Garten oder Hofraum abspringen, manchmal unter dunklen Hecken hinlaufen, manchmal freie Grasplätze überfliegen, still und unverdrossen wie sein Schatten. Krautsch, der im Anfang schon geglaubt hatte, allen Feinden glücklich entgangen zu sein, blieb einen Augenblick stehen, um auszuruhen und zurückzuhorchen, als er dicht hinter sich die rasch nahenden Schritte hörte. Im Nu nahm er die Flucht wieder auf, dem stillen Verfolger aber entging er nicht; so oft er auch -- jetzt in immer wachsender Angst -- einen Vorsprung zu gewinnen glaubte, so hielt jener mit ihm stets gleiche Entfernung, ja es kam ihm sogar so vor, als ob er ihm bei ebenem, geraden Wege gar näher und näher rücke. Er verließ deshalb die Richtung, die ihm dem verabredeten Rendezvous entgegenführte, sprang über eine niedere Mauer, floh durch einen Obstgarten und erreichte einen schmalen Streifen Feld, der zwischen dem Dorfe und einer dort errichteten Windmühle lag -- der Brennknecht that dasselbe -- er wechselte in das Dorf zurück -- sein Verfolger ebenfalls, und Krautsch fing schon an, in abergläubischer Furcht den unerbittlichen Verfolger für irgend ein überirdisches Wesen zu halten, das ihm in der Art sein ganzes Leben lang auf den Fersen bleiben, und rastlos von Ort zu Ort weiter jagen solle und werde. Er fühlte endlich, wie ihn, durch Angst und Anstrengung erschöpft, die Kräfte verließen und daß er, wenn er nicht auf eine List sinne, und sein Feind wirklich ein Mensch von Fleisch und Blut sei, rettungslos in dessen Hände fallen müsse. Durch öfteres Abdrehen war es ihm jetzt wenigstens für einen Moment gelungen, dem Verfolger aus den Augen zu kommen, wenn er auch auf dem gefrorenen Grunde die Schritte noch deutlich genug hören konnte, zu gleicher Zeit sah er, wie hier und da aus dem Dorfe Einzelne dem Hofe zuliefen, da die Nachricht, es sei Feuer im Gute unten, sich mit Blitzesschnelle im Dorfe verbreitet hatte. Das letzte Mittel also wagend, sprang er, gerade als ein junger Bursche den Weg vor ihm hinabgelaufen war, rasch über die Hecke, die ihn von der breiten Straße jetzt trennte, kroch hier einige Schritte rechts ab hinter einige Haufen Steine, und blieb hier mit klopfendem Herzen, aber regungslos liegen. Kaum zehn Secunden später folgte ihm mit gewandtem Satz und noch immer unermüdeten Gliedern der Brennknecht, blieb an der Hecke einen Augenblick stehen und schlug sich dann, den eben vorbeigelaufenen Bauerburschen, da er Niemand weiter sah, für den Verfolgten haltend, links ab, diesem nach. Allerdings entdeckte er seinen Irrthum sehr bald, Krautsch hatte aber auch die wenigen ihm vergönnten Minuten so vortrefflich benutzt, daß er seinen Feind jedenfalls von der Fährte brachte. Dieser suchte wohl eine Viertelstunde mit unermüdlichem Eifer zwischen den benachbarten Hecken und Gräben herum, doch vergebens, der Brandstifter blieb verschwunden und der Brennknecht kehrte erschöpft, trotz der bitteren Kälte durch und durch in Schweiß gebadet, nach dem Gute zurück, wo man indeß des Feuers ziemlich Herr geworden zu sein schien. Sobald sich Krautsch, wenigstens von dieser Seite aus, sicher wußte -- und eine wahre Felsenlast war ihm dadurch vom Herzen genommen -- schlug er wieder die früher beabsichtigte Richtung, dem Orte zu, ein, wo er seinen Verbündeten treffen sollte. Durch diese hartnäckige Verfolgung war er aber entsetzlich aufgehalten worden, und wenn er sich jetzt auch mit allen Kräften abmühte, recht rasch vorwärts zu kommen, fühlte er sich doch so erschöpft und abgemattet, daß er die Glieder kaum regen und die Beine heben konnte. Nichtsdestoweniger zögerte er keinen Augenblick mehr, das Versäumte nachzuholen, und wunderte sich nur fortwährend, die Lohe noch nicht aus den Scheunen herausschlagen zu sehen, da er den Feuerlärm unten doch mit eigenen Ohren vernommen. Endlich erreichte er das Holz und, hier mit Weg und Steg genau bekannt, auch den schmalen Fußpfad, der ihn gerade bis dicht zur verabredeten Stelle führen mußte. -- Er blieb ein paar Mal stehen, hielt sich, um nur nicht umzusinken vor Mattigkeit an die nächsten Bäume an und sah jetzt die kleine, etwa hundert Schritt im Durchschnitt haltende Waldwiese, in der, gleich am Rande, die Blutbuche stand, und wo ihn Poller, falls er eher eintreffen sollte als er, erwarten sollte. * * * * * An dem nämlichen Abende war der alte Holke, wie man ja auch dem Boten in der Försterwohnung gesagt, mit einem von seinen Zeichenschlägern in den Wald gegangen, um einem Wilddiebe, dessen Schlichen er erst in letzter Zeit auf die Spur gekommen, nachzuspüren. Der mußte aber wohl von irgend einem guten Freunde Nachricht erhalten haben, oder es war ihm die Nacht zu kalt und dunkel gewesen, kurz, trotz der sehr bestimmten Anzeige, daß er jedenfalls in der und der Zeit an einer gewissen Stelle im Walde zu finden sein würde, ließ er sich gar nicht sehen, und Holke kehrte eben ziemlich mißmuthig und durchfroren mit seinem Begleiter nach Horneck zurück, als sie plötzlich Beide gar nicht weit entfernt und zweimal hintereinander einen Pfiff -- jedenfalls als Signal, hörten. Die beiden Männer standen wie in den Boden gewurzelt und lauschten mit der gespanntesten Aufmerksamkeit dem bedeutungsvollen Ton. -- Einige Secunden Ruhe und der Pfiff wurde wiederholt. »Das ist er ganz bestimmt,« flüsterte Holke und faßte des Holzschlägers Arm -- »ruhig jetzt, Schmidt -- ich will den Schuft abwarten, vielleicht geht er in die Falle.« Er antwortete vorsichtig und horchte dann wieder mit angehaltenem Athem. Noch einmal tönte das Zeichen und dann kamen ziemlich schwere Schritte langsam und, allem Anschein nach, jedes Geräusch vermeidend, näher. »Jetzt aufgepaßt,« zischte der Jäger, nahm die Flinte in die linke Hand, um sie im schlimmsten Falle bereit zu haben, und machte sich mit dem Holzschläger zum Ansprung fertig. * * * * * Krautsch blieb, als er den helleren Fleck der Wiese zu seiner Linken sah und an dem Fußpfad genau die Blutbuche erkannte, einen Augenblick stehen -- es war ihm, als ob er Schritte im Laube höre. Das mußte jedenfalls sein Verbündeter sein, denn der konnte, nach all dem Aufenthalt, den er selbst gehabt, den Platz schon recht gut vor einer Viertelstunde erreicht haben; es fing ihn aber jetzt, durch das langsamere Gehen und nach der früheren Erhitzung, doch an zu frieren, und er gab deshalb rasch, immer aber noch vorsichtig im dunklen Schatten der Bäume bleibend, das verabredete Zeichen. -- Er pfiff zweimal leise und wartete dann auf Antwort. Alles todtenstill. -- Poller mußte wahrhaftig doch schon da sein. Er wiederholte den Pfiff und diesmal etwas lauter, und gar nicht weit wurde er, jedoch nicht dicht neben der Buche, sondern wohl zwanzig Schritte davon entfernt, beantwortet. Krautsch ging rasch auf die Richtung zu, pfiff, um sich als den Rechten zu legitimiren, noch einmal und sagte dann, als er den Platz glaubte erreicht zu haben, mit leiser, vorsichtiger Stimme: »_Poller_ -- Poller -- bist De do?« »Ja,« lautete nach einigem Zögern die eben so leise Antwort -- »wer ist's?« »Krautsch -- hast De's?« »Ja -- komm!« »Herr Je,« lachte der Bauer mit unterdrücktem Jauchzen, »nu aber dusemang nach Amerika,« und er trat mit den Worten auf den kleinen dunklen Busch zu, stürzte aber auch in demselben Moment mit dem Schreckensrufe »alle guten Geister!« auf die Knie nieder, denn zwei wilde Gestalten fuhren mit Blitzesschnelle auf ihn zu, faßten ihn und warfen den Überwundenen zu Boden nieder. »Schuft!« rief zu gleicher Zeit der alte Holke -- der Eine von diesen Beiden -- und knüpfte dabei seine Hundeleine von der Jagdtasche los, den Ertappten, im Falle es nöthig sein sollte, damit zu binden -- »was hast Du wieder hier im Schilde geführt, Du Lump Du, willst Du gleich gestehen, oder Dich soll ein Himmelsackerment in den Erdboden hineinschlagen!« Krautsch, der im ersten Schreck wirklich geglaubt hatte, sein früherer unheimlicher Verfolger sei unbemerkt sogar bis hierher gekommen und halte ihn nun in den Klauen, fühlte, wie ihm das Herzblut sogar in den Adern stockte, und glaubte sich rettungslos verloren. Als er aber gleich darauf Stimme und Angesicht des alten Jägers erkannte, der ihn wahrscheinlich Wilddiebstahls wegen in Verdacht hatte, und nun, da er ja doch keine Flinte bei sich führe, leicht zu befriedigen sein würde, auch von dem Brande im Schlosse noch gar nichts wissen konnte, kehrte ihm der Muth etwas wieder. Er protestirte vor allen Dingen gegen eine solche Behandlung, frug, weshalb er räuberischer Weise im Walde angefallen würde, und verlangte freigelassen zu werden, da er nicht gewilddiebt, ja nicht einmal ein Gewehr bei sich habe. Der alte Holke hatte aber zu viel Ursache, diesen Burschen zu hassen, um nicht hier, wo wirklich Grund zum Verdacht vorlag, die Gelegenheit zu benutzen, seine Rache an ihm in etwas zu kühlen. Ueberdies waren die Worte, die er beim ersten Begegnen gesprochen, jedenfalls bedeutungsvoll. -- Weshalb erwartete er, hier draußen mitten im Wald und zu so später Stunde Einen der beiden Poller hier zu finden -- und »jetzt nach Amerika?« -- das verlangte eine nähere Erklärung, Krautsch blieb aber hartnäckig dabei, er wisse von Nichts -- er habe keinen Menschen hier treffen wollen, sondern nur seinen Heimweg verfehlt; von Amerika etwas gesagt zu haben, könne er sich nicht erinnern und verlange allen Ernstes freigelassen zu werden. Das Leugnen machte ihn natürlich noch verdächtiger, und Holke wollte eben daran gehen, ihm die Hände zu binden, als Krautsch noch einmal Gewalt der Gewalt entgegenzusetzen suchte -- matt und erschöpft aber, wie er war, konnte er gegen die beiden Männer, und der eine von diesen war ein junger rüstiger Holzschläger mit wahrhaft riesigen Fäusten, nichts ausrichten -- er wurde übermannt, gebunden und jetzt aufgefordert, sich ruhig in sein Schicksal zu ergeben, und dem Jäger mit in das Gut hinein zu folgen. Als Krautsch nun sah, daß er weder mit Leugnen, noch mit Widerstand etwas ausrichten könne, und der Jäger wirklich im Begriff sei, seine Drohung wahr zu machen, da verließ ihn endlich der starre, freche Muth, welcher bis jetzt alle seine Handlungen und sein ganzes Wesen bezeichnet hatte, er sank in die Knie nieder und bat den »Herrn Förster« um Gottes und des Heilands Willen, ihn nur heute Abend nicht mit aufs Schloß zu nehmen, sondern heim zu seinen Kindern, zu seiner Frau gehn zu lassen -- sie wären krank zu Hause -- eines liege im Sterben -- ach nur dies eine und einzige Mal Gnade, und er wolle nie in seinem ganzen Leben wieder eine Flinte anrühren, oder ein böses Wort gegen einen Jäger sagen. Alles vergebens, hier bei _den_ Männern hatte er kein Erbarmen zu hoffen, und Bitten wie Thränen, denn der rohe Geselle heulte endlich in wilder Angst und Verzweiflung, blieben gleich erfolglos. Hätte er nichts verbrochen, so brauche er sich auch nicht zu scheuen, die halbe Stunde Wegs mitzugehn, und _hätte_ er etwas verübt, denn die Flinte könnte er immer irgendwo versteckt haben, ei dann möge er sich jetzt auch auf die Folgen gefaßt machen, denn heraus bekämen sie's, es möge gewesen sein, was es wolle. Krautsch, der hier auf für ihn so unselige Weise dem Jäger, seinem Todtfeind, in die Hände gefallen war, mußte den beiden Männern nach dem Gute hinunter folgen, und der Verbrecher wußte was ihn erwarte, wenn ihm Gerechtigkeit würde. Zehntes Kapitel. Der Letzte der Strohwische. Ich habe übrigens einen unserer alten Bekannten fast zu lange unbeachtet gelassen, und es wird Zeit, daß ich ihn dem Leser noch einmal vorführe. Allerdings trägt Feodor Strohwisch dabei selbst großentheils die Schuld, denn als all' die Bewohner der Residenz mit ihren langweiligen Kaffeeklatschen und Theevisiten vor den rauhen Nordstürmen zurück in die wärmeren Mauern der Städte gezogen waren, blieb Feodor -- wie ein flügellahmer Kranich am fernen Gestade -- einsam in Horneck zurück und »büffelte«, wie er es selbst poetisch nannte, an einem Bande humoristischer Gedichte, die er bei seiner Rückkehr nach der Stadt »unterzubringen« dachte. So wenig er aber auch im Sommer gearbeitet, so fleißig schien er jetzt zu sein, wo ihn auch die holden Töne von oben nicht mehr störten (denn Anna Schütte war schon wieder der Schrecken aller der Bewohner der Residenz geworden, die einmal gehofft hatten, einen Nachmittag ungestört allein sein zu können) und das kalte Wetter ihn überdies in sein Zimmer bannte. Die poetischen Funken flossen ihm ordentlich elektrisch aus der Feder, und seine Gedichte mußten in der That humoristisch sein, wenn sein eigenes Urtheil nämlich auch nur im mindesten dabei angeschlagen werden konnte. Feodor Strohwisch hatte nämlich die Eigenheit, sich jedesmal, wenn er einen Vers gemacht, denselben fünf oder sechs Mal hinter einander vorzulesen, und hatte darüber mehrere Male so gelacht, daß die Wirthsleute erschrocken in das Zimmer gestürzt waren, um zu sehen, ob ihrem Miethsmann vielleicht gar ein Unglück zugestoßen sei. An diesem nämlichen Tage nun beendete Feodor wirklich das zu einem vollständigen Bande nöthige Gedicht, schrieb es sauber ab, legte es in seine Mappe und that, mit dem darüber auf's Aeußerste erstaunten Puppenkopf im Arme, drei von donnernden Hurrah's begleitete Freudensprünge. An dem nämlichen Abende lud er den Apotheker, den Schulmeister -- der sich jedoch entschuldigte -- den Gemeindevorstand und ein paar der reichsten Bauern in die Schenke ein -- nicht etwa, um dort mit prosaischen Victualien ihre Magen zu überladen, nein, um ihnen bei einem Glas Bier -- das sich die Bauern nicht nehmen ließen, abwechselnd für ihn zu bezahlen, was er aber in seiner Zerstreuung gar nicht bemerkte -- seine unsterblichen Gedichte vorzulesen und sie theils zu stürmischem Beifall hinzureißen, theils ihre Lachmuskeln (ich glaube, dieselben Muskeln benutzt die wirthschaftlich waltende Natur auch zum Gähnen) bis zum Zerspringen anzustrengen. Die kleine Gruppe, zu der sich noch ein paar zufällig dort durchpassirende Grünberger Weinreisende gesellt hatten, saß oben im »grünen Zimmer« bei einer ziemlich unbestimmten Anzahl von »Krügeln Bier« um einen großen runden Tisch herum, und Strohwisch, vor dem ein ganzer Haufen Papiere lag, führte das Präsidium mit Autorität. »Meine Herren!« rief er nach einer kleinen Pause, in der er ebenfalls einen Toast in Versen auf den »Nährstand« ausgebracht -- »meine Herren -- aber nur nicht zu sehr dem Ernst sich hingegeben, nur die Humoristik nicht aus den Augen gelassen -- es giebt im Menschenleben Augenblicke, wo man dem Schicksal näher ist als sonst, und eine Frage frei hat an die Götter -- sie antworten Einem aber nicht -- hahahahahaha.« Der Schneider lächelte ebenfalls etwas dünn, die anderen saßen aber ziemlich verlegen um den Tisch her, lächelten nur, und hätten vielleicht sonst was darum gegeben, zu wissen, um was es sich hier eigentlich handele, bis endlich der Gemeindevorstand, der sich nun endlich doch überzeugt hatte, daß das jedenfalls ein Witz gewesen sein mußte, ganz urplötzlich, und zwar mit dem ernsthaftesten Gesichte von der Welt, laut herausplatzte. »Einige famose Gedichte habe ich hier, meine Herren,« sagte Strohwisch jetzt, der den allgemeinen Tumult benutzt hatte, seines Nachbars Bier auszutrinken, worüber nachher ebenfalls wieder gelacht wurde -- »meine Herren -- ich bitte Sie um Gotteswillen, keinen solchen Spektakel zu machen -- bedenken Sie -- meine Herren -- daß wir mit solchen Ausbrüchen jugendlicher Begeisterung Tageslicht verbrennen. -- Also Sie erlauben mir vielleicht, meine Herren, daß ich Ihnen einen kurzen Bischofsextract aus diesem >Wust der Wüste<, aus diesem Chaos literarischen Geistes herauswüste -- hier ist ein famoses, epigrammatisch gehaltenes Sinngedicht, was ein _sehr_ guter Freund von mir einmal in einer heiteren Stunde gemacht hat -- hören Sie mir aufmerksam zu. -- Diese einzelnen kleinen Sachen sind übrigens, wie ich Ihnen hier vorher bemerken möchte, ebenfalls so -- so unbedeutend sie Ihnen auch auf den ersten Anblick scheinen mögen -- von einem sehr berühmten Componisten, Herrn Schultze, in Musik gesetzt, ich -- nein ich habe es wohl nicht bei mir -- das schadet Nichts, ich werde Ihnen nachher einmal die Melodie nur ganz kurz vorsingen. Also -- mein Freund schreibt:[1] [1]: Die nachfolgenden Verse habe ich der interessanten Sammlung »humoristische Mondlichter« von Theodor Drobisch entnommen. Der Gutsherr starb und der Amtmann Schrieb in das Dorf: Legt Trauer an! Da schrie der ganze Bauernchor: Hurra! jetzt kommen wir in Flor! Hahahaha.« Die Umsitzenden stimmten in das Gelächter ein und Feodor wandte sich erläuternd an sie. »Ich muß nämlich, meine Herren, hier mit Ihrer Erlaubniß eine kurze Bemerkung einflechten -- diese Gedichte sind, wohlverstanden, alle unter dem belebenden Einfluß der frischen herrlichen Landluft, der freien Berge niedergeschrieben -- mein Freund hält sich den Sommer hindurch gewöhnlich auf dem Lande auf -- hahaha -- also weiter: Brennt doch die Gaslaternen an, Rief höchst ergrimmt ein Bettelmann, Daß man -- zum Betteln sehen kann!« »Hahahahaha« -- lachte der dankbare Chor. »Weil Siegellack so spröde ist, So nimmt man jetzt Oblaten Zu Liebesbriefen, daß sie gleich: _Du bist geleimt_! verrathen. Wär Michels Kopf so spitz, Wie seiner Mutter Zunge, Dann wäre er fürwahr Ein grundgescheiter Junge. Wie kommt's, daß Veit so trocken ist, Dies könnt Ihr nicht errathen? Er brauchte nicht, so wie wir Beid', Zu schwimmen und zu waten. Wie? Clara, diesen kargen Fant Zum Mann? -- Mein Herz ist ganz beklommen; Sie wollt' längst einen Knicker haben Und -- hat ihn endlich doch bekommen.« Die Meisten lachten über die Verse, der Schuster aber, der wenig Sinn für Poesie hatte, sagte: »Ei, so laßt das langweilige Gereime endlich einmal sein -- Donnerwetter -- erzählt uns ein paar von Eueren komischen Geschichten -- die sind viel mehr werth. --« »Schuster, Schuster,« warnte ihn Feodor -- »gefährlich ist's den Leu zu wecken, gar grimmig ist des Tigers Zahn, doch ach, das schrecklichste der Schrecken, das ist ein Schuster in seinem Wahn.« »Hahahahaha --« lachten die Uebrigen, Feodor aber seinen Sieg mit raschem Feldherrnblick überschauend und verfolgend, fuhr fort: Die Schuster sollte Gott Merkur Mit Ehr und Ruhm bedecken, Weil es ihr Handwerk mit sich bringt, Den _Absatz_ zu bezwecken. Strohwisch feierte einen glänzenden Triumph, der Schuster war, unter einem wahren Sturm von Applaus, vollständig vernichtet, und mußte, wollte er nicht ganz zu Grunde gehn, selbst mitlachen. »Aber nu auch 'was erzählen,« sagte er endlich, als ob damit sein früherer Angriff vollkommen gesühnt sein müßte, »keene Versche mehr.« »Ja, was erzählen, was erzählen!« riefen die Umsitzenden, und Einer des Gemeindevorstandes setzte hinzu: »Was von's Deater, das kennt' er so schiane.« »Ja, was von's Deater, was von's Deater,« stimmte der Chor ein. »Hm, hm,« räusperte sich Feodor, und klappte vor allen Dingen einmal den Deckel seines leeren Kruges, wie ganz in Gedanken, an das Glas an -- seine Zuhörer aufmerksam zu machen, daß es »am Besten« mangele. Der Wink blieb dann auch nicht unbeachtet -- Einer der Bauern winkte mit einem -- »holla Annegrethe« -- das flinke Schenkmädchen herbei und sagte dann, über die Anderen hinüberrufend und auf Strohwisch zeigend: »Geiht den Minschen do emol ä Glas Bier uf meene Kreide -- verschtanden?« Das Mädchen nickte lächelnd mit dem Kopfe und führte den Befehl rasch aus, Feodor aber, das eben erhaltene Glas erst einmal wohlgefällig gegen das Licht hebend, that einen langen, kräftigen Zug, wischte sich den Mund, worüber die ihm aufmerksam zuschauenden Bauern ebenfalls wieder lachten, und begann: »Ihr wißt, daß ich früher sehr befreundet mit dem berühmten Devrient war« (allerdings hätte sich wohl Keiner der Anwesenden darüber können eidlich vernehmen lassen, um aber die erwarteten Anekdoten nicht aufzuhalten, nickten die Meisten schweigend mit dem Kopfe, als ob das eine allbekannte, sich von selbst verstehende Sache sei) -- »also,« fuhr Feodor fort -- »Devrient war ein verfluchter Kerl, Champagner immer die Hülle und Fülle -- und auch immer Geld dazu, zu was Anderem aber gar Nichts -- nicht die Probe -- die Ellbogen sahen ihm manchmal zum Fenster heraus, aber den letzten Thaler wandte er an ächten Sillery oder Burgunder.« »Sellerie?« frugen die Zuhörer erstaunt. »Sillery,« berichtigte Feodor -- »der Name eines famosen Champagners -- hätten wir ein Glas davon -- also, wo war ich stehen geblieben -- ja. -- Ich und Devrient saßen also auch einmal Abends in der Kneipe zusammen, denn er konnte gar nicht ohne mich sein, und sagte immer, es fehle ihm sogar etwas, wenn er Morgens aufwache und mich nicht da sehe -- und Devrient, der das eine Bein unter dem Tische vorstreckt und den Fuß in die Höhe hebt, zeigt mir das höchst zweideutige Oberleder und die abgelaufenen Sohlen und versichert mich im Vertrauen, kein Schuster wolle ihm mehr auf Credit arbeiten, und er werde, wenn ihn nicht ein glücklicher Einfall oder ein >Pump< zu ein paar neuen Stiefeln verhelfe, nächstens barfuß gehen müssen. Geld hatt' ich nie -- von einem >Pump< konnte also bei mir auch gar nicht die Rede sein -- aber einen >glücklichen Einfall< -- das schlug in mein Fach -- dafür war ich humoristischer Schriftsteller, einen Augenblick saß ich nur, stützte den Kopf auf den Tisch und dachte nach -- dann streckte ich auf einmal die Hand gegen ihn aus und rief: »Topp!« Er sah mich ganz erstaunt an, und wußte gar nicht, was es zu bedeuten habe -- ich riß ihn aber bald aus seinen Zweifeln. -- >Devrient,< sagt ich -- >Du sollst ein paar Stiefeln haben -- straf mich Dieser und Jener -- Du sollst sie haben!< >aber wie?< >gleichviel, Du kriegst sie< rief ich, nahm ihn unter den Arm führte ihn auf die Straße und theilte ihm hier mit wenigen Worten meinen Plan mit -- er war entzückt davon -- >Strohwisch!< rief er, >das werd ich Dir nie vergessen, das ist famos und wird ein capitaler Spaß.<« »Aber wie war's denn?« frug der Schuster neugierig, zu erfahren, wie es die beiden »liederlichen Stricke«, wie er sie nannte, gemacht hätten, um einen seiner armen Collegen hinters Licht zu führen. »Werdet's gleich erfahren,« fuhr der Humoristiker fort -- »Devrient beendete nämlich an demselben Tage sein Gastspiel in Wien, und verließ die Stadt am nächsten Morgen -- darauf war mein Plan gebaut. Abends spät schickte er zu einem der berühmtesten Schuhmacher der Residenz und läßt diesen auffordern, mit einigen paar Stiefeln zu ihm zu kommen -- der Meister erscheint augenblicklich und bringt einen Gesellen und sechs paar prachtvolle Stiefeln mit. Devrient lacht das Herz im Leibe, er läßt sich aber Nichts merken und probirt die Stiefeln an. Ein Paar paßt vorzüglich -- nur der linke drückt etwas auf dem Ballen -- ließe sich das wohl ändern? -- Oh versteht sich -- nichts leichter als das -- nur die Nacht auf den Leisten stehn -- gut -- der Preis? -- doch gleichviel, wir werden schon einig darüber werden. Der Meister ist entzückt -- läßt den einen Stiefel da und rennt spornstreichs zu Hause, den anderen auf den Leisten zu schlagen. Was thut Devrient indessen, -- der schickt nach einem anderen Stiefelleur und --« »Ah --« schrie der Schuster und zeigte lachend mit dem Finger auf den verblüfft ihn ansehenden Strohwisch -- »das ist eine alte Geschichte, die stand vor drei Jahren im Pirna'schen Kalender -- die hab' ich selber zu Hause.« »Im Pirna'schen Kalender?« frug Strohwisch entrüstet. »Ja ja ja,« lachte der Schuster -- »beim Monat März, aber der Schauspieler hieß nich Defrieng und es war auch gar kein Schauspieler, sondern ein Sänger.« »Dieser verwünschte Redacteur des Pirna'schen Kalenders,« sagte Strohwisch, und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch -- »man sollte doch wahrhaftig seinem besten Freund -- seinem eigenen Bruder bald nicht mehr trauen.« »Aber was ist denn?« frugen ihn die Weinreisenden und übrigen Gäste erstaunt -- »was war denn?« »Bin ich vor ein paar Jahren in Pirna,« erzählte Strohwisch, und seine Stirn hatte so viele Falten, wie der Rock einer Altenburger Bäuerin -- »und komm da mit diesem Redacteur, dem Herausgeber des Kalenders, zusammen. Wir sind auch Abends heiter mit einander, und plaudern und erzählen Geschichten, und ich gutmüthiger Thor erzähle dem Menschen auch die Anekdote von meinem Freunde Devrient, und jetzt setzt sie mir der schändliche Kerl in seinen Kalender -- nein das ist niederträchtig.« Das Glas war wieder leer geworden und um den niederklappenden Deckel zu beschwichtigen, beschwor Einer vom Gemeindevorstand ein »neies Deppchen« herauf. »Nun, erzählen Sie doch die Geschichte aus!« rief da Einer, der den Pirna'schen Kalender noch nicht gelesen hatte. »Ah was,« sagte aber Strohwisch ärgerlich -- »wenn einem der Stoff so förmlich weg_gestohlen_ wird.« »Nu, denn was anderes,« ermunterte ihn einer der Grünberger -- »irgend etwas anderes, Herr Doctor, Sie stecken ja voll davon.« »Nun, meinetwegen,« tröstete sich Strohwisch, und sprach dem neugekommenen Biere, um vieles getröstet, wieder zu -- »also hier kommts.« »Sie haben doch von dem berühmten Schauspieler Rott gehört -- es ist das einer meiner intimsten Bekannten und ich bin viele fröhliche Abende mit ihm zusammen gewesen. Rott trank so gern Malvoisier -- doch das gehört nicht hierher -- also Rott gastirte einmal in Wien, wo ich damals Dramaturg am Burgtheater war, und hatte sich zu seiner Haupt- und Glanzrolle ein Ritterschauspiel, >die blutige Rache< hieß es, ausersehn, in dem er besonders auf eine Scene und einen Kraftmonolog seine ganze Hoffnung baute. Es war dies die folgende: »Er, als Heldenvater, hatte eine Tochter, die mit dem Sohn seines ärgsten Todtfeindes einen Herzensbund geschlossen. Dieser entführt die Jungfrau bei Nacht und Nebel durch einen unterirdischen Gang. Kaum sind sie aber hindurch, so kommt er, der Ritter, wüthend und außer sich in das Gewölbe gestürzt, und trifft hier einen seiner Pagen, der ihm in Angst entgegenruft: >Sie flohen durch den unterird'schen Gang.<« Der Schuster, dem das ungemein komisch vorkommen mochte, lachte laut auf -- Strohwisch sah ihn von der Seite und zwar durch das Glas, das er eben zum Munde führte, an, und fuhr fort: »Ihnen nach!« donnert da mit seiner Riesenstimme der Ritter. »Sie haben Pferde, Herr!« flehte der Knappe. »Was, Pferde!« ruft aber jener -- »wenn sie nicht Flügel haben -- Die sie empor zu Duft und Wolken tragen, So findet sie dies wackre Schwert -- und dann, Ha Dagobert, dann wehe Dir -- die Schrecken Der ganzen Hölle, die ein finstrer Geist In mondenlangem Wahnsinn nicht im Stande, Nicht fähig wäre, nur zu überdenken, Die will ich Dir in furchtbar grimmer Lust So Schlag auf Schlag auf Deine Seele häufen, Daß dieser Qualen Last -- u. s. w.« »So etwa lautete der Monolog und hier concentrirte sich der Glanzpunkt des ganzen Stückes, denn diese Kraftrede mußte von fabelhafter Wirkung sein. In der Probe wurde deshalb auch besonderer Fleiß auf die Einstudirung der so bedeutenden Scene verwandt. Nur _eine_ Schwierigkeit fand man in der Rolle des Pagen oder Dieners, den ein blutjunger, und durch das viele auf ihn Einreden eher noch verdutzter gemachter Anfänger gab. Er zeigte sich wenigstens die ersten Male sehr ängstlich, und konnte nur durch ziemlich fleißiges Einüben dahin gebracht werden, seine paar Worte: >sie flohen durch den unterird'schen Gang;< und >sie haben Pferde, Herr!< richtig zu sagen. Rott war denn auch unermüdlich, die Rede wieder und immer wieder zu probiren, und besonders konnte er die Stelle: >sie haben Pferde, Herr< -- Was Pferde, ha -- wenn sie nicht Flügel haben -- u. s. w. -- nicht oft genug wiederholen -- endlich ging es.« »Der Abend kam -- das Stück hatte sich bis zu dieser Scene vortrefflich gespielt -- die Decoration des unterirdischen Gewölbes war ausgezeichnet, der Monolog, oder vielmehr der >furchtbare Ausbruch des grimmen ritterlichen Gemüthes<, mußte jetzt dem Ganzen die Krone aufsetzen, und der Burggraf stürzte mit blitzendem Schwert, während den oberen Galerien vor Angst und peinlicher Erwartung der Athem verging, auf die Scene. Er war _ganz_ sicher, denn im Zwischenakt hatte er mit dem Pagen _die_ Scene _noch_ einmal durchprobirt. Also der Graf stürzte mit gezücktem Schwert auf die Bühne: Hab ich dich endlich -- beim allmächtgen Gott, _Hier_ sollst Du Rede stehn -- ergieb Dich, Schuft Ha -- was ist das? -- darf ich den Augen trauen. Allein Du, Page, hier? (Page in Todesangst): O hoher Herr -- Sie flohen durch den unterird'schen Gang! Der Schuster störte hier das Drama ein wenig, denn er hatte wahrscheinlich geglaubt, dies sei die Pointe des Stücks und fing wieder unmenschlich an zu lachen, so daß die Uebrigen endlich mit einstimmten. »Ja aber, wenn Sie auch stets, und gerade an der wichtigsten Stelle unterbrechen,« sagte Strohwisch pikirt, und trank sein Bier auf einen Zug aus -- »wie kann ich denn da erzählen.« »Der Schuaster, lacht schtäte,« sagte der eine Bauer und stieß den also Erwähnten mit den Knöcheln in die Rippen -- »bist doch ruhig -- 's kummt ja erscht noch.« »Ja, nun haben Sie mich ganz herausgebracht,« nahm Strohwisch die Erzählung wieder auf -- »also der Ritter stürzt herein -- Ha -- was ist das, darf ich den Augen trauen. Allein Du, Page, hier? (Page in Todesangst): O hoher Herr! Sie flohen durch den unterirdschen Gang. _Graf:_ Fort, ihnen nach. -- (Page todtenbleich und an allen Gliedern zitternd): Sie haben -- F -- Flügel, Herr! Der Burggraf stand entsetzt -- das Furchtbare war geschehn, und seine Rede ihm an der Wurzel abgeschnitten -- Sie haben _Flügel_, Herr. >Dann hol' sie der Teufel!< schrie da der Graf in resignirender Wuth, stieß sein Schwert klirrend in die Scheide zurück, und verließ unter dem donnernden Bravoruf des Publicums die Bühne.« Die Zuhörer saßen alle still und schweigend da -- keiner sprach ein Wort -- selbst der Schuhmacher wagte nicht zu lachen -- fand auch gegenwärtig keinen Grund -- nur der eine Gemeindevorstand frug nach einer ziemlich langen feierlichen Pause: »Un wie wurd's denn nu nachens -- kriggt er se?« Die Zuhörer schienen sich besonders dafür zu interessiren. Strohwisch aber hob sein Töpfchen an die Lippen, that einen langen, langen Zug und trommelte dann, als er endlich gezwungen war, abzusetzen, einen zweihändigen Generalmarsch auf der Tischplatte. Weitere Fragen von Seiten der Gesellschaft sollten da ziemlich plötzlich durch einen Lärm von außen abgeschnitten werden. Die Thür wurde aufgerissen und einer von den Knechten des benachbarten Bauergutes steckte den Kopf herein und schrie: »'S brännt im Gute drungen!« Rasch schlug die Thüre wieder zu und die Gäste fuhren Alle erschreckt von ihren Sitzen auf. Nur Strohwisch und die beiden Weinreisenden blieben sitzen und meinten, es würde nicht so bedeutend sein. Da nicht Sturm geläutet wurde, schien die Sache auch nicht so gefährlich, der Gemeindevorstand mußte sich aber doch an Ort und Stelle überzeugen, ihm folgten die meisten der Anwesenden, und das Kleeblatt war auf einige Zeit fast im alleinigen Besitz der Schenke -- die Wirthin hinter dem Ofen und ein alter Bauer, der an einem Tischchen in der Ecke sitzen geblieben war, natürlich nicht mitgerechnet. Strohwisch, der sich Trost in einem frischen Töpfchen holte, recitirte: Der Feuerlärm so in der Nacht Hat doch was zu bedeuten, Denn er versammelt tausende Von -- _aufgeweckten_ Leuten -- hahahaha. »Nu hiaren Se, Herr Strohwisch,« sagte da der alte Bauer -- »iber so'n Feier is nu gerade nich zu lachen -- das missen Se nich duhn.« »Hahaha,« lachte nichts destoweniger der Humorist, »das Feuer ist ein mir verwandter Geist, alter Freund, das sprudelt Feuerfunken, und ich sprudle Geistesfunken, und so fühle ich denn fast für jede auflodernde Gluth, die ich sehe, eine gewisse Art verwandtschaftlichen Interesses -- verstanden?« Der alte Mann schüttelte sehr bedenklich mit dem Kopf, und trank sein Bier, und Strohwisch ging mit seinen beiden neugewonnenen Bewunderern einmal vor die Schenke hinaus, um zu sehn, ob sie vielleicht von hier aus das Feuer erkennen könnten. Das war aber indessen schon wieder durch das rasche Hinzuströmen helfender Menschen unterdrückt und gelöscht worden, und als nach und nach die Leute von dem »Brande« zurückkehrten, füllte sich auch die Schenke mehr als vorher wieder, und die eben stattgefundene Brandstiftung, die hier nach all den Umständen jedenfalls vorlag, bildete natürlich die einzige Unterhaltung, so daß es Strohwisch, trotz unermüdlichen und zahlreichen Versuchen, nicht möglich fand, die Aufmerksamkeit der Versammelten wieder wie in einen Brennpunkt auf sich zu lenken. Er probirte Anekdoten -- Witze -- Verse -- es blieb Alles gleich fruchtlos -- die Männer nahmen fast gar keine Notiz von ihm, und selbst die Weinreisenden, der intelligentere Theil des Publicums, fingen an, die eingehenden Berichte interessanter zu finden, als seinen Humor. Das war unerträglich -- Strohwisch, im Begriff Horneck zu verlassen, denn der nächste Morgen war dazu bestimmt, ihn wieder der Residenz zuzuführen, sollte also unbewundert, unbeklatscht scheiden? -- Nein, das ging nicht -- das unselige Feuer drohte ihm allerdings die Palme des Abends streitig zu machen, noch aber gab er den Kampf gegen das Geschick nicht auf, noch gab es _ein_ Mittel, den Feind mit seinen eigenen Waffen anzugreifen, zu besiegen. »Meine Herren!« rief er, und trat auf einen Stuhl, »meine Herren!« -- der Lärm blieb noch immer ziemlich arg, nur die Gesichter der Meisten wandten sich ihm zu, und der alte Bauer, der vorher des Städters »gotteslästerliche Reden,« wie er sie nannte, mit angehört, erzählte den ihm nächst Stehenden unter vielem und bedenklichem Kopfschütteln, was der Fremde gesagt, und wie er über das Feuer im Dorfe gelacht und gespottet habe. Der affectirte Städter war im Ort überhaupt nicht beliebt, besonders hatten ihn die Bauerburschen auf dem Korn, weil er mit seinen faden und nicht selten zweideutigen Schmeicheleien ihre Mädchen verfolgte und ärgerte, und Strohwisch würde kaum mit so zuversichtlich lächelndem Angesicht auf dem Stuhl oben stehen geblieben sein, hätte er die keineswegs freundlichen Worte über sich hören können, die hier in der einen Ecke entstanden, und sich rasch von Mund zu Munde weiter pflanzten. »Meine Herren!« rief der zähe Humorist noch einmal und mit immer gellenderer Stimme -- »bitte, vergessen Sie Ihre Reden nicht -- aber ich möchte nur ein paar -- nur ganz wenige Worte an Sie richten -- Hm -- Was sind Sie so außer sich über ein Feuer? -- Was liegt in einem Feuer so Entsetzliches? -- Es zerstört -- es vernichtet? -- ja, ich gebe es zu -- aber auch Zerstörung und Vernichtung ist manchmal gut, wo es gilt, das Böse von der Erde auszurotten, die Uebel mit der Wurzel zu vertilgen.« »Nua? mer söllen uns doch de Haiser nich ibern Kopp anstäcken lassen?« sagte hier Einer -- dort ein Anderer -- »na, was schwätzt denn der do -- der rädt den Brandschtiftern ooch wol noch das Wort?« »Meine Herren!« rief aber Feodor, zu dem keins der drohend gemurmelten Worte drang, »meine Herren -- wo es gilt der Freiheit eine hehre Bahn zu brechen, da lassen Sie uns selbst Feuer und Brand nicht scheuen, aber Sie werden verstehen, welches Feuer, welchen Brand ich meine -- die Fackel des Geistes muß mit kräftiger Faust in die Gebäude der Tyrannei geschleudert werden, daß die Flamme lodernd und leuchtend zum Himmel emporglühe.« »_Was_ seggt der da?« riefen die Bauern verwundert unter einander, und glaubten ihren Ohren nicht trauen zu dürfen -- »in die Gebaide sullen mer Fackeln wärfen, un de Flammen sullen in de Hehe giahn? ei, den Kärl, den sull ja en Dunnerwätter in den Erdboden verschlahn; schmeißt'en doch 'naus!« »Meine Herren!« rief aber in diesem Augenblick Feodor Strohwisch mit noch erhöhter Stimme, und suchte dabei in aller Hast wieder nach den ewig versteckten, den unentgehbaren Gedichten -- die Außenwelt war für ihn todt, er jauchzte nur in triumphirendem Selbstgefühl, daß er endlich wieder das Wort erhalten, die Aufmerksamkeit der Schaar gefesselt hatte, und seines Sieges gewiß, öffnete er das glücklich gefundene Papier, das er beim Schein der dicht hinter ihm herunterhängenden Lampe recht gut lesen konnte. »Erlauben Sie mir, Ihnen ein ganz kurzes wunderhübsches Gedicht vorzulesen, das auf unseren jetzigen Zustand vollkommen paßt, und dessen Sinn Sie gewiß billigen werden -- ein sehr guter Freund von mir hat es verfaßt -- bitte, hören Sie.« Die Bauern standen ganz ruhig -- sie glaubten immer den »Burschen mit den langen Uahren un den Borschten,« wie er im Dorfe hieß, nicht recht verstanden zu haben, denn daß Einer hier mitten zwischen ihnen Brand und Feueranlegen predigen solle, ging ihnen doch fast über die Begriffe. -- Sie wollten also noch einmal hören, was er eigentlich beabsichtige, und _wenn das wirklich war_ -- ei dann sollte ja dem »verdammten Federfuchser der Deibel das Licht halten.« »Meine Herren!« -- begann zum zehnten Mal mit einigem Räuspern der Humorist -- er hielt in der linken Hand das Papier, zog den Kopf stolz zurück, streckte die rechte Hand gerade von sich, und sagte mit erhobener lebhafter Stimme -- »So werft der Freiheit Feuerbrand In alter Herrschaft morsche Stützen, Und kehrt den wüsten, faulen Tand Zu Haufen -- Röcke, Hosen, Mützen -- In Pech und Schwefel sterbe hin, Was hier den freien Geist gehemmet, In wilder Gluth soll untergehn, Was uns den freien Will'n umdämmet. Hoch lodre zu dem Himmelsdom Die Flamme auf in lichter Lohe, Und von Kopenhagen bis nach Rom Verbreit' die Nachricht sich -- die frohe -- In Brand und Flammengluth gestürzt, Und unter Trümmern -- »Schmeißt den Kerl doch 'naus!« unterbrach da plötzlich eine gellende Stimme den Vortrag -- »'naus mit em -- 'naus!« tönte es aus allen Ecken heraus, und Strohwisch sah rasch auf, wem dieser drohende Ruf eigentlich gelte. »Naus mit dem Brandstifter!« schrien in diesem Augenblick auch die ihm näher Stehenden, und griffen ihn an Arm und Rock an -- »Hallo da, Leute -- was ist das?« sagte der Humorist, mehr erstaunt als erschreckt, denn er begriff noch immer nicht, was die Menge von _ihm_ wolle, von ihm wollen _könne_. »Naus mit 'em Hallunken -- 'naus mit dem borschthärigen Dintenkleckser!« »Aber Leute, seid Ihr denn des Teufels?« rief der _sehr_ gute Freund des Dichters, und suchte sich den handgreiflichen Erklärungen der ihm Nächsten zu entziehen -- »ich werde doch wahrhaftig« -- »Schlaht en hinger's Gehär!« schrie aus der Ecke einer vor, der sich noch die größte Mühe gab, zu dem Ziel seines Zornes hin zu gelangen -- »haut en de Dohle 'nin.« Strohwisch war von dem Stuhl getreten, und hatte seinen Hut, den er Anstands halber während er das Gedicht vorlas in der Hand gehalten, aufgesetzt -- kaum hörte er den letzten Rath aber, so griff er rasch darnach, ihn wieder herab zu reißen -- doch zu spät -- ein kräftiger, vortrefflich gezielter Schlag trieb ihm die »Dohle,« wie sie in Horneck sagten, bis tief über Ohren und Augen, und jetzt in Stockfinsterniß von allen Seiten gestoßen und geschlagen, nicht einmal mehr im Stande sich mündlich zu vertheidigen, denn der Hut benahm ihm fast den Athem, wurde diese Parodie auf »Oeffentlichkeit und Mündlichkeit« im summarischen Gerichtsverfahren, mit abgetretenen Sporen und zerrissenem Rock zur Thür hinausgeknufft und geprügelt, und dort, als ob solch ein erbärmliches Menschenkind aus der Stadt gar keines weiteren Nachsehens werth sei, seinem Schicksal überlassen. Was aus ihm geworden, hat man in Horneck nie erfahren -- am nächsten Morgen war er spurlos verschwunden. Elftes Kapitel. Des alten Schulmeisters Lohn. Papa Kleinholz hatte sich in der letzten Zeit recht gut erholt, die reine kalte Luft war ihm vortrefflich bekommen; er befand sich schon wieder wohl genug, stundenlang das Bett zu verlassen, in der Stube herum zu gehn, und dann und wann auch einen kurzen Spatziergang draußen im Freien zu machen; aber die Schwäche, die von der Krankheit zurückblieb, wollte ihn nicht verlassen, und nur auf Lieschens Arm gestützt wurde es ihm möglich, irgend wie aufrecht zu stehn. Und wäre das anders möglich gewesen? -- ließ es sich denken, daß bei solcher Nahrung, wie sie der alte Schullehrer mit den Seinen theilte, der Körper eines schon ohnedieß alterschwachen Greises gekräftigt werden konnte? -- Wäre es möglich gewesen, daß diese dünnen wässrigen Gemüse, mit dem spärlichen Fleisch dann und wann die Woche, ersetzen sollten, was ihm Krankheit genommen, und woran so lange, lange Jahre hindurch Sorge und Noth gezehrt und genagt? Kräftige Fleischbrühen, Rindfleisch, gute in Fett geschmorte Gemüse und solche Sachen sollte der Reconvalescent bekommen -- das hatte der Arzt, als er zum letzten Mal in der Schule war, gesagt, und dem alten Kleinholz war, als er die Dinge alle nennen hörte, das Wasser im Munde zusammengelaufen -- aber wovon jetzt solche Luxusartikel, solche Delicatessen anschaffen? -- Du lieber Gott, sie konnten von den paar Thalern, die sie erhielten, und da so viele Medicin gebraucht wurde, nicht einmal das Alles bezahlen, was sie nothwendig brauchten, wovon sie leben und existiren mußten, und gar noch solche extravagante Ausgaben -- nein, das ging nicht an. Dem Doctor konnte man aber doch die Verhältnisse nicht so g'rad heraussagen, wie sie waren -- Lieschen schämte sich wenigstens der Gemeinde wegen, dem fremden Arzt zu gestehn: wir sind nicht im Stande etwas mehr anzuschaffen, als was wir eben brauchen, um dem Verhungern zu entgehn. -- Acht Menschen wollen essen, und diese acht Menschen sollten das von 50 Thalern das ganze Jahr -- wären sie das im Stande? -- Nein -- Schulmeisters Kinder dürfen aber den weisen Generalartikeln nach nicht betteln gehn -- stehlen wollen sie nicht -- was bleibt ihnen da übrig? -- Hennig that allerdings was in seinen Kräften stand, und mehr, als Tausende an seiner Stelle gethan hätten, er betrachtete seine Kasse als die des alten Lehrers, und aß was er aß, darbte wenn er darbte. Das konnte aber doch auch nicht auf die Länge der Zeit dauern, denn Hennig sollte nicht blos, wie der alte emeritirte Lehrer, vegetiren, er sollte auch lernen, um wieder lehren zu können -- er mußte lesen und studieren -- um das aber zu thun, hätte er einen Platz dazu und Geld zu Büchern haben müssen, und blieben die Verhältnisse so wie sie jetzt waren, so sah er keine Aussicht, wie ihm das je ermöglicht werden könne. Die Hoffnung lebt aber und stirbt mit uns -- Papa Kleinholz hatte sein Bittgesuch um Zulage durch den Herrn Pastor und mit dessen Bevorwortung eingereicht, und das mußte in diesen Tagen wieder zurückkommen, nachher ließe sich, wenn von dieser Seite Hülfe wurde, schon eher ein Abkommen treffen. Daß ein Gesuch, auf solche Art an das Ministerium gebracht, abschläglich beschieden werden könnte, durfte man nicht gut erwarten, daran dachte Vater Kleinholz auch wirklich nicht einmal, denn er war so fest überzeugt, und wußte so genau, er _müsse_ eine Zulage und noch dazu eine ziemlich bedeutende Zulage haben, wenn er nicht effectiv und im wahren Sinne des Worts verhungern sollte, daß er auch nicht glauben konnte, die Regierung, die ja doch von allen Seiten so gerühmt ward, würde es dahin kommen lassen. Einem so rührenden Bericht, wie ihn sicherlich der Herr Pastor Scheidler eingereicht, hätte selbst das frühere Ministerium, das sich sonst nicht gerade gern auf Schulmeisterzulagen einließ, beistimmen müssen, wie viel mehr also solche Männer, die, aus der Wahl des Volkes hervorgegangen, auch für das Volk jetzt wirkten, und bis dahin noch immer gewirkt hatten, wenn sie irgend konnten, und es für nothwendig hielten -- und war es hier etwa _nicht_ nothwendig? Die Entscheidung blieb freilich recht lange -- recht entsetzlich lange aus. »Wenn es ihnen der Herr Pastor nur auch recht ordentlich an's Herz gelegt hat,« seufzte Lieschen oft, nachdem der Vater selbst schon mit seiner Riesengeduld ängstlich geworden war, und die Stunde herbeisehnte, in der er die Heil und Segen bringende Bewilligung seiner Bitte erfüllt sehen sollte. Nach solchem Zweifel richtete sich aber der alte Schulmeister in seinem Stuhle auf, und sagte: »Laß Du nur den Herrn Pastor gehn, das ist ein ganzer Mann, und weiß, was er zu thun hat -- dessen Versprechen habe ich, sein Möglichstes in der Sache zu thun, und was der verspricht, das hält er. Wenn sie mich armen alten Mann, was sie aber _nicht_ thun werden, wirklich abschläglich beschieden -- _der_ reiste selbst in die Residenz, und ginge sogar zum Könige, ihm die Sache vorzustellen -- ich kenne doch unsern Herrn Pastor.« Lieschen schüttelte bei solchen Worten immer das Köpfchen, und schaute nachher nur noch viel trüber und trauriger aus, denn das felsenfeste Vertrauen auf den Geistlichen konnte sie, sie mochte sich nun Mühe geben, wie sie wollte, nimmermehr theilen. So rückte, unter Hoffen und Harren, unter frohen Erwartungen und bangen Zweifeln der Anfang Februar des Jahres 1849 heran, und die Lage des alten emeritirten Lehrers wurde mit jedem Tage trauriger. Seine Schulden in der Apotheke, denn Hennig hatte die eigene Casse schon bis auf den letzten Pfennig erschöpft -- wuchsen mit jeder Woche; seine Kräfte nahmen dabei immer mehr und mehr ab, und die dunstige ungesunde Stubenluft -- da ihn die strenge Kälte des Januar stets in das Haus und das verschlossene Zimmer gebannt -- that wohl auch das ihrige, die zum Aeußersten zerrüttete Constitution des alten Lehrers zu untergraben. Die Kälte hatte jetzt allerdings nachgelassen, und eine weit mildere Luft kündete, trotz der frühen Jahreszeit, den nahenden Lenz, da kam eines Morgens Hennig mit der freudigen Botschaft zu dem alten Kleinholz herüber, der Pastor habe einen Brief vom hohen Ministerium erhalten und werde am Nachmittag selber herüberkommen. Einen Brief vom hohen Ministerium -- Gott sei Dank, endlich, endlich -- so hatte die Noth doch zuletzt ihr Ziel erreicht, und der alte Schullehrer konnte, wenn auch immer noch in seinen Verhältnissen gedrückt, wenigstens ohne Angst vor dem Verhungern der Zukunft entgegensehn. An dem Mittag wurde -- denn für diesen Zweck war sie so lange aufgehoben, -- die an Weihnachten empfangene zweite Flasche Wein angebrochen, Schulmeister Kleinholz trank ganz wider Erwarten zwei tüchtig volle Gläser davon bis auf die Nagelprobe aus, und war überhaupt heute so munter, so lebenskräftig, daß dem lieben guten Lieschen die hellen Freudenthränen in den Augen standen, wenn sie ihren Vater nur ansah. Nichts desto weniger konnte sie auch eine leise, unbestimmte Angst nicht unterdrücken, wenn sie manchmal an die Folgen dachte, die eine Täuschung -- aber das war ja doch nicht möglich, also fort mit den Grillen und Sorgen; ihr alter guter Vater schien ordentlich wieder frisch aufzuleben, und da sollte sie doch wahrlich die Letzte sein, die betrübt und kleinmüthig der Zukunft entgegenschaute. Der Nachmittag kam, die Schule war aus, die Kinder eben in jugendlichem Uebermuth den steilen Hügel hinunter gesprungen, und Lieschen hatte in aller Eile das Zimmer so weit gelüftet und aufgeräumt, wie möglich, daß ihr Vater wieder herunter konnte und der Herr Pastor nicht in das enge, unfreundliche Bodenkämmerchen hinauf zu klettern brauche. Liebes unschuldiges Kind, das Du von klein auf gelernt hattest, zu dem geistlichen Vorgesetzten Deines Vaters mit stummer Ehrfurcht aufzuschauen, welche bittere Ironie sprachst Du -- unbewußt -- in den wenigen Worten »damit der Herr Pastor nicht in das enge, unfreundliche Bodenkämmerchen hinauf zu klettern braucht« -- Du schämtest Dich des Platzes, nur des Herrn Pastors wegen, und wolltest ihm gern die Unbequemlichkeit ersparen, jenen unfreundlichen, traurigen Aufenthalt auch nur zu betreten -- daß aber Dein armer alter Vater -- der Lehrer und Erzieher fast des ganzen Dorfes, in den vier Wänden leben -- existiren mußte -- daß ihm ein solcher Raum zu seiner bleibenden Wohnung angewiesen worden, während der Geistliche sein behagliches geräumiges, ja kaum halb benutztes von Reben umranktes Haus da drüben stehen hatte, das fiel Dir nicht auf, das fandest Du ganz in der Ordnung -- und weshalb? -- Ei, das war ja der Herr _Pastor_, und Dein Vater? -- _Nur_ der _Schulmeister_ im Dorfe. »Der Herr Pastor!« riefen endlich die Kinder, die schon seit peinlichen drei Viertelstunden am Fenster auf der Lauer gestanden, um die Ankunft des ehrwürdigen Herrn voraus zu verkünden, und dem alten Kleinholz flogen in seinem harten, mit Kissen aber sorgfältig ausgestopften Armstuhl, die Glieder wie Espenlaub. Aus tiefgewurzeltem Respect wollte er sich jetzt auch absolut emporrichten, um seinen gütigen Vorgesetzten stehend zu empfangen, das gab aber Hennig unter keiner Bedingung zu. Der alte Mann hätte es übrigens auch gar nicht gekonnt -- wie er nur den Versuch machte, sank er gleich wieder kraftlos zurück, und so mußte es denn, »da es der Herr Pastor auch wohl seiner Schwäche zu Gute halten würde,« unterbleiben. Die Thür ging auf, und der Geistliche trat, von den Bewohnern der Schule freundlich begrüßt, und den Gruß eben so freundlich erwiedernd -- o das war sicherlich ein gutes Zeichen -- herein. Fast unwillkührlich machte Kleinholz einen neuen Versuch, sich emporzurichten, Hennigs Hand lag aber auf seiner Achsel, und Pastor Scheidler sagte gütig: »Bleiben Sie sitzen, lieber Kleinholz, bleiben Sie sitzen, was wir mit einander abzumachen haben, können wir Beide sitzend abmachen,« und er ließ sich dankend auf den, ihm von Lieschen schnell herbeigetragenen Stuhl nieder, nahm aber dabei schon ein Packet oder einen großen Brief, den er in der Brieftasche gehabt, heraus, und fuhr fort: »ich will auch gleich zur Sache kommen, und Ihnen mittheilen -- denn Herr Hennig wird Ihnen ja wohl schon gesagt haben, daß eine Antwort vom hohen Ministerium eingetroffen ist -- was Ihnen dasselbe gnädigst bewilligt hat.« »Bewilligt,« murmelte der alte Mann freudig und leise vor sich hin, und faltete in Dank und Jubel die bleichen, abgezehrten Hände vor der Brust. »Es ist freilich nicht viel,« fuhr der Herr Pastor, das Papier entfaltend fort, »aber Du lieber Gott, man muß in jetziger gedrückter Zeit selbst mit Wenigem zufrieden sein, und Besseres erwarten, wozu das hohe Ministerium auch gegründete Hoffnung giebt. -- Ich will Sie, lieber Kleinholz nicht mit dem Vorlesen des ganzen langen Schreibens, das überdieß nur großentheils allgemeine Bemerkungen über den jetzigen Stand der Schule enthält, ermüden, sondern Ihnen nur das besonders für Sie Wichtigste daraus mittheilen.« Der alte Schulmeister nickte nur schweigend mit dem Kopf, und schaute, todtenbleich im Gesicht, nach dem Munde des Geistlichen, aus dem ihm jetzt der so lange und heiß ersehnte Spruch des Heils -- nur das Fristen seines armen, dürftigen Lebens -- ertönen sollte. Auch die Blicke der Uebrigen hingen an den Lippen des Pastors, und dieser begann, nachdem er die Einleitung flüchtig und fast unverständlich vor sich hingemurmelt, dem alten, athemlos lauschenden Lehrer das Rescript des hohen Ministeriums zu eröffnen. Es war auch nicht in dem alten schwülstigen Canzleistyl abgefaßt, also der Inhalt klar und deutlich, aber -- leider wenig tröstlich. Das Schreiben sprach sich zuerst in kurzen Worten über den Uebelstand aus, der allerdings in der allzugeringen Besoldung der Schullehrer liege, wie über die nothwendige Abänderung desselben, versicherte aber, in der jetzigen Krisis, wo gerade die Casse so ungemein in Anspruch genommen wäre, und Bittschreiben und Unterstützungsgesuche von allen Seiten und allen Ständen einliefen, bedeutende Gehaltserhöhungen auf eigene Verantwortlichkeit nicht gewähren zu können, ehe die Kammern darüber entschieden haben würden. Nichts desto weniger wollten sie, da es sich hier doch nur um eine »kleine« Unterstützung handle, und der Lehrer alt sei, und wohl eine Erleichterung seiner Ausgaben verdiene, für jetzt, und bis das Pensionsverhältniß der emeritirten Lehrer regulirt sei, eine Gehaltszulage von _fünf_ Thalern jährlich gewähren. »_Fünf Thaler_?« unterbrach hier der alte Kleinholz, sich in Todesangst in seinem Stuhle aufrichtend, und immer noch in dem Glauben, er habe falsch gehört, den Geistlichen -- »_fünf_ Thaler, sagten Sie, Herr Pastor -- nur fünf Thaler soll ich jährlich -- das ganze Jahr hindurch, Zulage bekommen?« »Nicht für immer, lieber Kleinholz,« suchte ihn dieser zu beruhigen -- »nicht für immer, nur bis zu der Zeit, wo, wie hier in dem Schreiben steht, die Kammern die Pensionate der Schullehrer festgestellt haben, dann bekommen Sie jedenfalls ziemlich bedeutend mehr -- wenigstens die volle Hälfte Ihres Gehaltes -- oder doch ziemlich so viel.« »Fünf Thaler,« stöhnte der alte Mann, und stützte seine Stirn auf die fest und krampfhaft zusammengefalteten Hände, »fünf Thaler auf dreihundert und fünf und sechzig Tage -- o Du mein gütiger Gott -- Du mein gütiger Gott!« »Herr Pastor,« nahm hier Hennig, der schweigend und traurig bis jetzt dabei gestanden hatte, das Wort -- »dem Ministerium kann die Sache wohl nicht dringend -- wohl nicht so, wie sie wirklich ist, vorgestellt sein -- Sie erwähnten auch vorhin, daß es sich einem, allem Anschein citirten Ausdruck nach, hier nur um >eine Kleinigkeit< handeln solle. Wenn die Worte in der Eingabe standen, so ist es kaum anders möglich, als daß das Resultat so ausfallen mußte, wie es ausgefallen ist.« »Mein lieber Herr Hennig,« sagte Pastor Scheidler etwas pikirt -- »Sie werden mir doch hoffentlich zutrauen, daß ich weiß, wie eine Eingabe an ein hohes Ministerium gemacht werden muß -- es ist nicht die erste gewesen, sollte ich denken, und wird hoffentlich nicht die letzte sein -- ich kann mit einem Minister nicht reden und Forderungen an ihn stellen, wie an unseres Gleichen, das werden Sie mir hoffentlich zugeben, denn so weit sind wir doch, Gott sei Dank, noch nicht mit der _Emancipation_ gekommen, daß der Respect _ganz_ verloren gegangen, und die Achtung und Ehrerbietung vergessen wäre, die man seinen Vorgesetzten schuldig ist --« »Dürfte ich Sie ersuchen, Herr Pastor, mir jene Schrift nur auf wenige Momente zu erlauben; ich möchte sie gern selbst einmal lesen,« sagte Hennig endlich. Der Pastor zögerte einen Augenblick; es war fast, als ob er den Brief nicht gern aus der Hand gäbe, er konnte das Lesen desselben aber auch nicht gut verweigern, und reichte ihn endlich dem Schulmeister, der damit an das Fenster ging, und sich bald in dessen Inhalt vertiefte. »Fünf Thaler,« wimmerte da wieder der greise Lehrer, und die hellen Thränen stürzten dem alten Mann jetzt, in nicht mehr zu dämmender Fluth über die eingefallenen Wangen nieder -- »und elf Thaler sind wir in der Apotheke schuldig -- drei beim Kaufmann, und jeder Tag, den ich noch lebe, muß das vermehren, bis -- bis mir die Leute nichts mehr borgen -- und dann muß ich armer, alter Mann, der ich sieben und vierzig Jahre das harte Brod eines Dorfschullehrers gegessen -- mit meinen Kindern verhungern -- o schlagt mich doch lieber todt -- schlagt mich lieber gleich todt, daß ich nur von der Erde komme, ich alter unnützer -- unglückseliger Dorfschulmeister!« Und wieder gab er sich, die Gegenwart des Geistlichen fast gar nicht mehr beachtend, seinem ganzen, ungezügelten Schmerze hin, und weinte und schluchzte wie ein Kind. Lieschen, die bis jetzt -- erst in gespannter Erwartung, dann in peinlichem Schmerz an seiner Seite gestanden, und immer noch gehofft hatte, in dem starren Angesicht des Geistlichen einen Strahl von Hoffnung zu lesen, der die Unglücksbotschaft, die er brachte, Lügen strafen sollte, bog sich jetzt mit liebender Sorgfalt über den Vater nieder, und suchte den alten verzweifelnden Mann zu trösten. »Sieh nur, Väterchen,« sagte sie schmeichelnd -- »fünf Thaler sind schon eine ganz hübsche Summe, und dann gehe ich hinunter auf das Gut, und nehme den Dienst dort an, der offen ist. Jettchen hier ist allerdings noch klein, kann Dich aber doch auch schon pflegen, und Dir besorgen, was Du brauchst, und Abends komm' ich ein halb Stündchen herauf, und sehe wie Dir's geht.« »Herr Pastor,« sagte da Hennig plötzlich -- »in der Eingabe muß jedenfalls irgend etwas irrthümlich angegeben, oder oben mißverstanden sein. Der Minister sagt hier, daß er sich mit den nothwendigen Unterstützungen, um die er fortwährend angegangen würde, natürlich größtentheils auf >Familienväter< beschränken müßte, und >Schulmeister Kleinholz scheine keine Familie zu haben.< Seine sieben Kinder sind entweder nicht erwähnt, oder übersehen worden; wäre es da nicht besser, Sie, Herr Pastor, setzten vielleicht ein neues Gesuch auf, und schickten es, mit den genaueren Angaben und Einzelheiten noch einmal ein? -- Der Fall ist dringend hier -- der alte Mann kann ja beim ewigen Gott nicht warten, bis die Kammern über sein Leben oder seinen Tod einen Beschluß gefaßt haben -- wir leben gegenwärtig in einer zu wichtigen Zeit -- die ruhigen Reformen des inneren Staatslebens werden das Letzte sein, woran man denkt, da es jetzt ja noch das wichtigere Werk, eine Einigung Deutschlands und die Vertheidigung des Vaterlandes gegen äußere Feinde gilt. Eine richtige, einfache Darstellung dieses alten emeritirten Lehrers wird und kann nicht bei dem jetzigen liberalen Ministerium ohne Erfolg bleiben -- sie dürfen den alten Mann hier doch wahrhaftig nicht auf dem Stroh verderben lassen. O wenn Sie nur einmal selbst mit dem Herrn Minister sprechen könnten --« Kleinholz sah, als er den Vorschlag hörte, wie von einem neuen Hoffnungsstrahl durchzuckt, rasch und fragend zu dem Geistlichen auf -- sein ohnedieß schon bleiches Angesicht hatte eine fahle, förmliche Todtenfarbe angenommen, und die Augen lagen ihm tief und glanzlos in den Höhlen. Der Pastor aber schüttelte mit dem Kopf -- »Das geht nicht, das geht nicht, Herr Hennig,« sagte er, »zweimal um eine und dieselbe Sache petitioniren, wenn schon gleich beim ersten Mal ein Zugeständniß gemacht wurde, und noch dazu so ganz dicht hintereinander, ist gegen allen Gebrauch, und würde höheren Ortes sehr mißliebig bemerkt werden; und was nun gar eine persönliche Audienz betrifft -- ei, wo denken Sie da hin? Wie dürfte ich erstlich die mir anvertraute Gemeinde so lange allein lassen? (in seinen eigenen Angelegenheiten hatte er Horneck schon mehrere Mal, und gleich auf einige Tage verlassen.) Und dann sind die Herren Minister auch so von Besuchen überlaufen, daß ein solcher Schritt für den Mann, der ihn wagte, wohl kaum eine Empfehlung sein möchte. Ueberlassen wir der Zeit auch etwas -- das Gesetz über den Gehalt der Schullehrer wird in den Kammerverhandlungen, wie mir schon versichert ist, ziemlich bald, wenn auch nicht gleich in den ersten Wochen, zur Sprache kommen, und nachher findet sich das andere, wenn man _dann_ wieder einmal durch eine neue Petition eine kleine Nachhülfe giebt, von selber.« »Herr Pastor,« murmelte Kleinholz, und streckte die zitternden Hände nach ihm aus -- »Herr Pastor -- ich -- ich --« seine Worte wurden zu einem dumpfen, unartikulirten Röcheln, er brachte kein verständliches Wort über die Zunge, und nur die Augen sprachen, zehntausendmal deutlicher als es Worte auch vermocht, die kalte lähmende, trostlose Verzweiflung aus, die sich jetzt -- da alle, alle Hoffnungen mit _einem_ Schlage vernichtet worden, seiner bemächtigt hatte. »Lieber Kleinholz,« sagte der Pastor, und suchte so viel Trost- und Mutheinsprechendes in seine Worte zu legen, als ihm das möglich war, »verzagen Sie nicht -- es kann noch Alles gut gehn -- ich will mich direct an den Vater meines Schwiegersohnes wenden -- es ist sehr leicht möglich, daß der im Stande ist, etwas Wesentliches für Sie zu thun; jedenfalls können wir von ihm genau erfahren, welche Schritte am Besten geschehn müssen, um Ihnen sobald als möglich eine Erleichterung zu verschaffen -- sind Sie damit einverstanden?« Kleinholz hielt den Blick noch immer still und stumm auf ihn geheftet, und der ganze Ausdruck seiner Züge schien sich nur in dem einen quälenden Gedanken zu concentriren -- »also das sind Deine Versprechungen, _das_ ist die Hülfe, die Du dem armen, bis dahin in den Staub getretenen Schulmeister werden läßt.« Der Pastor, der den vorwurfsvollen Blick aus Augen, die sonst nur in höchster Ehrfurcht und Anhänglichkeit zu ihm aufgeschaut, nicht ertragen konnte, griff fast wie unwillkührlich in die Tasche, nahm einen Thaler heraus, legte diesen, als er in den anderen mehr gesucht, keinen aber mehr gefunden hatte, auf den Tisch, und verließ hastig das Zimmer. »Das erste Almosen,« stöhnte der alte Lehrer, und sank, sein Gesicht mit den Händen deckend, auf das Kissen, das seine rechte Stuhllehne schützte, nach vorne auf die Stirne nieder. -- Hennig faltete erschüttert die Hände, und Lieschen bog sich weinend über den Greis, während die Kinder, der für sie drückenden Gegenwart des Geistlichen jetzt enthoben, laut schluchzend zu dem Vater sprangen, seine Knie umfaßten, und ihn baten, ihr guter, guter Vater zu sein, und sich nicht zu härmen und zu grämen -- sie wollten ausgehn und arbeiten, Gänse hüten und Obst bewachen, kurz Alles thun, was in ihren Kräften stand, ebenfalls ihr Brod zu verdienen, und nachher würd' es schon besser -- nachher würde es recht gut mit ihnen allen werden. Vater Kleinholz rührte und regte sich nicht, und der eine Arm sank ihm über die Stuhllehne nieder. »Lieschen -- bitte Lieschen,« sagte Hennig rasch, und trat vor das Mädchen -- »holen Sie mir doch ein Glas Wasser -- mir ist -- mir ist nicht recht wohl.« Lieschens Blicke hafteten in stierem Entsetzen an der regungslosen Gestalt des Kranken -- die Worte, die Hennig zu ihr sprach, hörte sie gar nicht. »Thun Sie mir die Liebe, gutes Lieschen, und holen Sie mir ein Glas Wasser,« bat Hennig dringender, ergriff ihre Hand, und suchte sie von dem Stuhle fortzuführen. »_Vater_!« flüsterte aber in diesem Augenblick mit leiser kaum hörbarer Stimme die Tochter -- »Vater!« -- Sie sprang, Hennigs Hand zurückstoßend, auf ihn zu, hob seinen Oberkörper empor, warf nur einen einzigen Blick auf die blassen, geisterhaften Züge und stürzte mit lautgellendem Schmerzensruf ohnmächtig zu Boden. Der alte Schulmeister war todt. Zwölftes Kapitel. Schluß. Gebe Gott, daß diese Ueberschrift eine Lüge werde -- daß es kein _Schluß_ des armen gedrückten Lehrerlebens mehr sei, wie ich es hier beschrieben, und wie es, o leider so oft, so entsetzlich oft -- in unserem »gesegneten« Deutschland geschehen ist. Den Ruhm haben wir bis jetzt für uns beanspruchen wollen, das civilisirteste, das intelligenteste Volk der Erde zu sein, und die Leute, die uns allein dazu bringen könnten es zu werden -- lassen wir _verhungern_ oder ihr Leben doch wenigstens auf so traurige, elende Art dahinschleppen, daß sie an Leib und Seele -- erst körperlich und dann geistig zu Grunde gehn _müssen_. _Deutschland ist krank_ und zwei Quacksalber mühen sich ab, und ereifern sich das arme, kranke Deutschland unter dem Vorgeben, es heilen zu wollen, in sein frühes Grab zu bringen. Sie beide kehren sich keinen Deut um die wirkliche Gesundheit und Kraft, um die wirkliche _Genesung_ des Patienten, nur ihre eigenen selbstsüchtigen Zwecke haben sie im Auge, nur ihr eigenes Interesse ist es, das sie in geschäftiger Thätigkeit an das Lager des Leidenden treibt. Der eine dieser Aerzte will nur _Ruhe_ -- das Stöhnen, der Krampf -- das wilde, unruhige Aufzucken des Kranken -- seine Fieberphantasien und schlaflosen Nächte ängstigen ihn selbst, und lassen _ihm_ keine Ruhe, also verschreibt er Opiate -- immer nur Opiate, und im Fall etwas stärkerer Aufregung sogar Zwangsjacke und Ketten -- »nur Ruhe, lieber Patient, nur Ruhe.« -- Der andere ist ein noch ganz junger -- blutjunger Arzt -- der betrachtet den Patienten mit einer gewissen Liebe und Zärtlichkeit -- er nennt ihn »seinen Patienten« -- _sein_ Deutschland, und lächelt vergnügt bei dem Gedanken, daß dieß der erste ernste Fall ist, der unter seine Hände kommt. Ei was für prachtvolle _Experimente_ kann er jetzt an dem Leidenden vornehmen -- wie lacht ihm das Herz nur in der Aussicht auf all' die Amputationen und Kreuz- und Querschnitte, Sondirungen und Beobachtungen eiternder Wunden. Je toller der Kranke dabei rast und wüthet, desto lieber ist es ihm -- er drückt sich dann nur rasch in die sichere Ecke und schaut aufmerksam zu, um die Wirkungen zu beobachten, die ein etwas tieferer Schnitt als gewöhnlich, oder ein neues, noch nicht erprobtes Instrument, eine selbst erfundene Medicin vielleicht, auf ihn machen. Nur wenn ihm das Toben etwas zu arg wird, wenn der Paroxismus steigt, und er doch vielleicht fürchtet, der etwas übermäßig maltraitirte Kranke möge endlich einmal den Arm nach _ihm_ ausstrecken und ihn fassen, dann drückt er sich rasch zur Thür hinaus über die Grenze, und wartet draußen ruhig die Crisis ab. Er verordnet dabei fortwährend verzweifelte Mittel -- indianische Schwitzbäder und halsbrechende Kuren -- Medicinen, durch die er den Kranken ununterbrochen an den Rand des Grabes bringt, und freut sich dabei wie ein Kind darauf zu sehn, ob der Leidende das wirklich aushält, oder -- ob er darüber zu Grunde geht. Und Deutschland? -- wird nicht eher genesen, bis es die beiden Quacksalber, den einen wie den anderen, beim Schopf nimmt, und zu Thür oder Fenster -- beides gleich gut -- hinausschleudert. Deutschland leidet an keinem Uebel, das durch Opiate beschwichtigt oder durch rasende Kuren, mit Biegen oder Brechen in einer Nacht geheilt werden könnte -- der Sitz der Krankheit ist bei ihm im Unterleib -- das ewige Stubenhocken -- die dunstige Luft, in der es, o so lange, lange Jahre hinter Schloß und Riegel gehalten wurde, hat seinen ganzen Körper geschwächt und erschlafft -- seinen Gliedern ihre volle Thätigkeit geraubt, und nur ein ordentlicher, verständiger Arzt, der mit Umsicht und ernstem Eifer zu Werke geht, kann hier heilbringend sein -- und der Arzt ist der _Lehrer der Volksschulen_ -- macht es _dem_ erst einmal möglich, den Geist des Volkes aus seinem stumpfen Starrsinn zu wecken, und das Volk selbst zum klaren Bewußtsein seiner Lage zu bringen, und seht dann, wie schnell es den Opiumhändler und Chirurgen mit seinen Lanzetten, Sägen und Messern selbst zu Thüren und Fenstern hinaussendet. Der Volksschullehrer ist der Mann, von dem wir wirkliches, wahres Heil für unsere lieben Kranken erwarten dürfen, und den Mann hegt und pflegt nur dafür -- den Mann zieht aus dem Staub und Elend, in das er bisher durch Verhältnisse und Geistliche hineingetreten wurde, hervor, dem Manne löst die Hände und füllt den Magen, daß er nicht halb verhungert mehr, und mit gebundenen Gliedern, Eure Kinder und kommenden Geschlechter auch wirklich erziehen und zu Menschen -- und nicht bloß zu Unterthanen des Staats und der Kirche -- heranbilden kann, und seht dann, wenn Ihr das keinen Augenblick mehr versäumt, sondern frisch und rasch dabei an's schöne -- heilige Werk geht, welcher kräftige, herrliche Körper -- welche Heldengestalt das war, die unter Perrücke und Zopf, unter dem dreieckigen Hütchen und dem bestaubten Knechtsgewand, gebückt und mit schwankenden Schritten einherging. -- Nicht genug also, daß Ihr dem für sein ganzes Leben an den Felsen Geschmiedeten die Fesseln löst, und zu ihm sagt, »nun kämpfe,« Ihr müßt ihn auch erst wieder gehen, und die erstarrten Glieder gebrauchen lehren -- bis dahin wird ihm die Waffe nur ein machtloses Spielwerk, er selbst aber nie im Stande sein, sie zu führen. Bis jetzt sind wir aber noch nicht so weit -- noch sterben die alten emeritirten Lehrer -- die sich Menschenalter hindurch quälten und mühten, das aufwachsende Geschlecht »im Nothwendigsten« zu unterrichten, in Hunger und Kummer, und die jüngeren Lehrer -- leben darin; der Mann aber, der eigentlich der _erste_ im Staat sein sollte, ist der _letzte_. Der alte Schulmeister Kleinholz war todt -- auf den Acker trugen sie ihn hinüber, wohin er selber so manchen zur letzten Ruhe begleitet; -- _ihn_ aber trugen Sie nicht zur _letzten_ Ruhe hinaus -- armer alter Lehrer -- es war, so alt und schwach Du geworden, Deine _erste_ Ruhe. Der Tod des alten Lehrers ging in Horneck ziemlich spurlos vorüber -- »es ist ein Glück für den alten Mann, daß er gestorben ist,« sagten die Leute -- es schien sich ganz von selbst zu verstehn, daß ein alter dienstunfähiger Schulmeister doch nichts weiter mehr vom Leben, und nicht die geringsten Ansprüche auf ein ruhiges Greisenalter gehabt haben könne. In der Pfarre wurde indessen gepackt, und unter Jammer und Thränen Vorkehrung für die Auswanderung der ältesten Tochter, der jungen Frau Doctorin Wahlert, getroffen. Wahlert selbst war schon früher, man wußte in Horneck nicht recht wohin, vorausgereist, denn eine, von Berlin aus gegen ihn anhängig gemachte Klage auf Hochverrath und Majestätsbeleidigung, bei der sich das _Volk_ vollkommen ruhig verhielt, und seine eigene Verhaftung auch eben so ruhig mit angesehen hätte, ließen ihn wünschen, die wirkliche Republik so bald als möglich zu erreichen, um dort, mit erneuter Thätigkeit, nicht etwa die deutsche Sache aufzugeben, sondern erst recht zu beginnen, für Deutschlands Wohl und Zukunft in dem Sinne zu wirken, den er für sein Vaterland am schnellsten zum Ziele führend, glaubte. Hennig hatte trotz des Geistlichen Drohungen und Unwillen, seine neugegründete Zeitung nicht aufgegeben, sondern arbeitete thätig daran fort, und es war fast, als ob der Eifer seines Strebens, wenn ihm auch das schöne Ziel _nach_ dem er strebte, entrissen worden, eher vermehrt und genährt, als vermindert wäre. Für die Kinder des alten Schullehrers Kleinholz mußte jetzt freilich, da ihr Ernährer gestorben war, die Gemeinde sorgen, und sie wurden deshalb theils bei Handwerkern, theils auf Bauergütern, und zwar alle ziemlich gut untergebracht -- die armen Kleinen, die noch fast keine Jugendlust gekannt, waren an Arbeit und Entbehrung gewöhnt, und fanden sich, als der erste Schmerz der Trennung von der einstigen Heimath überstanden war, leicht in ihre neue, jedenfalls körperlich verbesserte Lage. Nur Lieschen mochte nicht mehr zu fremden Leuten ziehn, und folgte gern und freudig jetzt, da ihr armer alter Vater unter der Erde ruhte, und ihrer nicht bedurfte, und sie auch alle die Geschwister besser versorgt sah, als sie selbst hätte für sie sorgen können, der Einladung, ja der Bitte Sophiens, sie über das Meer hinüber zu begleiten. Die Vergangenheit lag wie ein dunkler Schleier hinter ihr, und ihrer treuen hoffenden Seele zeigte die Zukunft nur Freude, Glück und Segen. Der alte Musikant wanderte, als er sein einziges Kind beerdigt, in die Residenz -- Wahlert, der ihn nach der Tochter Tod gefunden, und ihm des Oberpostdirectors Schein überliefert hatte, sorgte auch noch weiter für ihn, und verschaffte ihm durch einen Freund dort eine zwar beschränkte, aber doch sichere Stellung, in der er sein Brod und einen Wirkungskreis für seine Thätigkeit fand. Was jene drei, an Rang verschiedene, an Schlechtigkeit sich gleichstehende Subjecte, den Brandstifter Krautsch, den Oberpostdirector von Gaulitz und den Dieb Poller betrifft, so erhielten die beiden ersteren ihren verdienten Lohn -- Krautsch wurde des Brandstiftens überwiesen, und in außergewöhnlich schneller Gerichtspflege zu zehnjähriger Zuchthausstrafe verurtheilt, und der Herr von Gaulitz, dem Poller mit dem größten Theil seines Vermögens durchgegangen war, blieb von dem Sturz gelähmt, und mußte Zeitlebens an Krücken gehn. Poller entkam, wenigstens hat man bis heute noch keine Spur von ihm gefunden, und aller Wahrscheinlichkeit nach ist es ihm gelungen, der Richtung entgegen, in der man ihn vermuthete und verfolgte, nach Stettin zu entkommen, von wo aus er leicht auf dänisches Gebiet übersetzen konnte. Und erreichte Wahlert, nach was er strebte? -- Gelang es dem Schulmeister, sein schönes Ziel zu gewinnen, und seinem Stand die Stellung zu sichern, die ihm gebührte? -- fand Lieschen ihren Fritz in dem weiten Amerika, und des Pastors holdes Töchterlein das Glück, das sie an der Seite des Geliebten erwartet? -- Lieber Leser, ich müßte prophezeihn können, wollte ich Dir das Alles jetzt schon verkünden -- wir schreiben heute den zehnten März 1849, und dieses, wie das nächste Jahr wird Deutschlands Entwickelung bestimmen. Interessirt es Dich dann noch, so erzähle ich Dir weiter, wie es mit unseren Freunden in der neuen und alten Welt geworden, und Du folgst mir dann auch vielleicht mit mehr Ruhe und Aufmerksamkeit über das weite blaue Meer, als Du jetzt, wo Du den Kopf daheim voll Sorg' und Arbeit hast, mir folgen würdest -- bis dahin also auf ein frohes, freudiges Wiedersehn. Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig. [ Hinweise zur Transkription Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden Ausnahmen: Seite 4: "«" eingefügt (Hier ein Schütze -- ach --«) Seite 7: "iu" geändert in "in" (da darf man nicht hineinschießen in die _Hunde_) Seite 11: "«" entfernt (man darf ja doch nicht zwischen sie hinein schießen.) Seite 16: "«" eingefügt (in de Residenz als en Wilddieb -- verstanden?«) Seite 18: "erklärte" geändert in "erklärten" (und erklärten hier nun unverschämt genug) Seite 19: "»" eingefügt (»so können wir's ihnen nicht verwehren) Seite 19: "»" entfernt (es ist Geschmackssache und ihre eigene Schuld) Seite 32: doppeltes "und" entfernt (rasch und ungeduldig hin und wieder schritt) Seite 35: "»" entfernt (Der Oberpostdirector entfärbte sich leicht) Seite 41: "«" eingefügt (»und ich will gern Alles thun, was --«) Seite 42: "nm" geändert in "um" (Bitte um Verzeihung, Herr von Gaulitz) Seite 44: "," eingefügt (forschend an, »Mensch) Seite 47: "«" eingefügt (»Poller -- Poller!« rief der Oberpostdirector) Seite 48: "," eingefügt (Wahlert aber ergriff seinen Arm, zog ihn mit sich) Seite 48: "." geändert in ":" (nach der Thür und sagte hier rasch und leise:) Seite 49: "," eingefügt (sagte Wahlert, »Sie haben keine Secunde mehr zu verlieren!«) Seite 49: "des" geändert in "das" (brachte ihn vor das Gut hinaus) Seite 72: "»" eingefügt (»Sie wissen, daß ich in früherer Zeit) Seite 73: "«" eingefügt (und thäten Sie es doch, wären Sie ungerecht.«) Seite 75: "Diaconns" geändert in "Diaconus" (was den _Diaconus_ als unerträglich drückte) Seite 76: "." geändert in ":" (herzlich, aber dennoch mit einem leisen Vorwurf im Ton:) Seite 78: "d e" geändert in "die" (sagte Sophie, die bis dahin, dem Gespräch still aber) Seite 81: "Bilderu" geändert in "Bildern" (flog in lieblichen lockenden Bildern zauberschnell) Seite 84: "eine" geändert in "ein" (oder ob es wieder ein leiser Vorwurf sein sollte) Seite 103: "abgegewendet" geändert in "abgewendet" (Kopf auch nicht so tief gesenkt und vom Lichte abgewendet) Seite 104: "«" eingefügt (Lob jetzt und immerdar.«) Seite 105: "dem" geändert in "den" (nach den hellerleuchteten Fenstern der Uebrigen hinüberschauen) Seite 106: "," eingefügt (Lieschen trat vor die Thür, ah -- jetzt hörte sie) Seite 117: "beschäftig" geändert in "beschäftigt" (mit seinen eigenen trüben Gedanken beschäftigt schien) Seite 118: "»" eingefügt (brummte der Alte, »die Nächte draußen in Kälte und Nebel) Seite 122: "»" eingefügt (und lachte dann -- »was Lustiges wollen die Bauern haben) Seite 133: "stüsterte" geändert in "flüsterte" (flüsterte er mit kaum hörbarer Stimme) Seite 134: "«" eingefügt (laß die Possen -- wir wollen lieber schlafen gehn.«) Seite 136: "«" entfernt (Hier ist -- hier kommt die Braut!) Seite 161: "denn" geändert in "den" (so schnell er konnte, den Wagenschuppen wieder zu erreichen) Seite 169: "«" entfernt (von dem der Feuerlärm hertönte.) Seite 176: "überwundenen" geändert in "Überwundenen" (faßten ihn und warfen den Überwundenen zu Boden nieder) Seite 183: "benfalls" geändert in "ebenfalls" (wie ich Ihnen hier vorher bemerken möchte, ebenfalls so) Seite 184: "«" eingefügt (Daß man -- zum Betteln sehen kann!«) Seite 185: "»" eingefügt (»Weil Siegellack so spröde ist) Seite 190: "«" eingefügt (»Ah --« schrie der Schuster und zeigte lachend) Seite 213: "abe" geändert in "aber" (aber Du lieber Gott, man muß in jetziger gedrückter Zeit) Seite 232: "," entfernt (an der Seite des Geliebten erwartet? -- Lieber Leser)] End of the Project Gutenberg EBook of Pfarre und Schule. Dritter Band., by Friedrich Gerstäcker *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK PFARRE UND SCHULE. DRITTER BAND. *** ***** This file should be named 46442-8.txt or 46442-8.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/4/6/4/4/46442/ Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This book was produced from scanned images of public domain material from the Google Print project.) Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email [email protected]. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director [email protected] Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit http://pglaf.org While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: http://pglaf.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.