Der Pfaffenspiegel

By Otto von Corvin

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Title: Der Pfaffenspiegel
       Historische Denkmale des Fanatismus in der römisch-katholischen Kirche

Author: Otto von Corvin

Release Date: December 5, 2010 [EBook #34581]

Language: German


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Produced by Andreas Schmidt






    Pfaffenspiegel

    Historische Denkmale des
    Fanatismus in der römisch-katholischen Kirche

    von

    Corvin

    Dritte neu durchgesehene Auflage


                                Dem Ross eine Peitsche, dem Esel einen
                                Baum und dem Narren eine Rute auf den
                                Rücken.
                                    Sprüchew. Salom. Kap. 26, V.3


    Stuttgart

    Vogler & Beinhauer

    1870


                    Pio Nono!

                    "Sollte Dir, heiligster Vater, dieses Büchlein
                    gefallen und Du mir solches öffentlich zu erkennen
                    geben, so will ich mich bemühen, mit ähnlichen
                    Geschenken aufzuwarten."
                        Ulrich von Hutten




Vorrede zur zweiten Auflage


        "Welchen nun diese Bienen werden
        stechen, der mag, schreien und sich rächen.
        So werden sie ihn noch mehr stechen."
            Philipp von Marnir
            Herr von St. Aldegonde

Es sind nun mehr als zwanzig Jahre verflossen, seit die erste Auflage
dieses Buches in Leipzig erschien. Es begann damals sich überall zu
regen. Der sich mündig fühlende Geist der Menschheit empörte sich gegen
die ihm von dem Despotismus vergangener Jahrhunderte aufgezwängten
Formen und die Regierungen wandten die schon oft erprobten Mittel an,
ihn zur Unterwürfigkeit zu bringen. Die Zensur übte ihr Amt mit
bornierter Strenge; Zeitungen wurden widerrechtlich unterdrückt und
Schriftsteller gemaßregelt und eingesperrt, denn durch sie sprach der
Geist der Zeit zum Volk, welches nicht wissen sollte, dass es der
Kinderstube entwachsen war.

Die Kirche blieb nicht zurück. Die alten und bereits beiseite gestellten
Dogmen und Reliquien wurden aus der römischen Rumpelkammer wieder
hevorgesucht und mit mitleidsvollem Zorn sah der Genius des neunzehnten
Jahrhunderts die gläubige Herde zu Hunderttausenden nach Trier
wallfahrten, einen von dem dortigen Bischof ausgestellten, angeblichen
Rock Christi anzubeten.

Leipzig war zu jener Zeit noch die ziemlich unbestrittene Metropole des
deutschen Buchhandels und in ihr vereinigte sich ein Kreis tüchtiger,
strebsamer Männer, deren Namen zum Teil schon damals ruhmvoll bekannt
waren, oder es seitdem geworden sind. In dem neu entstandenen deutschen
Schriftstellerverein fanden sie einen Vereinigungspunkt, wo mancher
Gedanke geboren wurde, der später zur Tat reifte.

Ich war einer der vierzehn Stifter dieses Vereins und kein untätiges
Mitglied. Wir erlebten das Jahr 1848. Ich hatte den fünften Band meiner
Geschichte der großen niederländischen Revolution vollendet und mit Held
die illustrierte Weltgeschichte begonnen. Zu meiner geistigen
Erfrischung diente mir die Teilnahme an Helds Wochenschrift "Die
Lokomotive", deren scharfer Pfiff dem verschlafenen Volk verkündete,
dass die Zeit der geistigen Hauderer und Landkutscher vorüber sei, dass
der Genius der Freiheit mit neuer Kraft durch die Welt brause und dass
die abgetriebenen Mähren des geistlichen und weltlichen Despotismus dem
Abdecker verfallen seien.

Die Rockfahrt nach Trier empörte selbst die gebildete katholische Welt.
In den von Robert Blum inspirierten sächsischen Vaterlandsblättern
erschien der bekannte Absagebrief von Johannes Ronge. Es entstand eine
große Bewegung, von der man sich viel versprach und die auch
bedeutendere Folgen gehabt haben würde, wenn die Leiter derselben ihrer
Aufgabe mehr gewachsen gewesen wären. Sie hatten guten Willen, aber zu
wenig Talent.

Ich teilte die Hoffnungen Vieler und beschloss, mein Teil zur Erfüllung
derselben beizutragen. Meine historischen Quellenstudien, namentlich die
für meine Geschichte der niederländischen Revolution gegen Philipp II.
von Spanien, in welcher das religiöse Element eine Hauptrolle spielte,
hatten mich mit Dingen näher bekanntgemacht, welche dem Volk von den
seine Erziehung eifersüchtig bewachenden Priestern sorgfältig verhehlt
oder nur verstümmelt oder kirchlich zurechtgemacht mitgeteilt wurden.
Ich hatte die Schriften der "Kirchenväter" und die der geachtetsten
Kirchenschriftsteller zu lesen und je mehr ich las und forschte, desto
mehr wurde mir die Nichtswürdigkeit des entsetzlichen Verbrechens klar,
welches die römische Kirche an der Menschheit verübt hatte, desto mehr
erstaunte ich über die unerhörte Dreistigkeit und Perfidie, mit welcher
es begangen wurde und noch immer begangen wird. Ich sah immer mehr ein,
dass die Knechtschaft, unter welcher das Menschengeschlecht seufzt, in
der Kirche wurzelte und dass all unsere Bestrebungen zur Freiheit
ohnmächtig sein würden, wenn wir uns nicht zuerst von den Fesseln
befreiten, in welche die Kirche den Geist der Menschen geschlagen hatte.
Dieser Erkenntnis entsprach der Entschluss, ein Buch zu schreiben,
welches dem von den Priestern betörten Volk die Decke von den Augen nahm
und ihm gestatten sollte, einen Blick in die Werkstatt zu tun, in
welcher seine Fesseln geschmiedet wurden.

Der religiösem Glauben entspringende Fanatismus zeigte sich überall als
der entsetzlichste Feind der Freiheit, und um ihn zu bekämpfen und zu
vernichten, schien es mir nötig, dem Volk nicht allein die grässlichen
Folgen des Fanatismus durch historische Beispiele vorzuführen, sondern
auch zugleich die trüben Quellen des Glaubens selbst nachzuweisen,
dessen Folge er ist. Da nun dieser Glaube auf angeblichen Tatsachen
beruht, an deren Wahrheit das Volk deshalb nicht zweifelt, selbst wenn
sie der Erfahrung und der Vernunft widersprechen, weil sie von Priestern
erzählt werden, an deren größeren Verstand, Wahrheitsliebe,
Uneigennützigkeit und sittlichen Charakter das Volk glaubt: so habe ich
zur Bekämpfung dieses Autoritätsglaubens ebenfalls für nötig gehalten,
die Natur dieser Autoritäten, das heißt der Päpste und Priester,
historisch zu beleuchten und nachzuweisen, dass das gläubige Volk in
dieser Hinsicht von durchaus falschen Voraussetzungen ausgeht.

Um diese verschiedenen Zwecke zu erreichen, beschloss ich, in einer
Einleitung darzulegen, wie sich die Macht der Päpste und Priester im
Laufe der Zeit entwickelte, welche Mittel sie dazu benutzten und welche
Wirkung diese Mittel auf die Gesellschaft im Allgemeinen und auf die
Priester selbst hatten. Dann sollte die Geschichte der Geißler, der
Albigenser und Waldenser, der Wiedertäufer, der Inquisition, der
Judenverfolgung etc. nachfolgen.

Die Einleitung bot sehr große Schwierigkeiten, denn ein seit
Jahrhunderten angesammeltes Material sollte in den engen Rahmen eines
mäßigen Bandes gezwängt werden. Ferner geboten die Umstände ganz
besondere Sorgfalt und Vorsicht in der Auswahl dieses Materials. Die
Zensur existierte noch und abgesehen von dieser Beschränkung durfte ich
nur solche Tatsachen benutzen und anführen, deren Wahrheit nicht allein
mir als unzweifelhaft schien, sondern die auch von den römischen
Priestern selbst angefochten werden konnten.

Der damalige Zensor in Leipzig war ein Professor Hardenstern. Er sandte
mir häufig mein Manuskript mit dicken Strichen versehen zurück, allein
er hatte die missliebigen Stellen meistens wieder freizugeben, wenn ich
ihm bewies, dass sie dem von der römischen Kirche approbierten Buch
eines Heiligen oder andern großen Kirchenlichtes entnommen waren.

So erschien also die Einleitung zu meinem Werk gewissermaßen bestätigt
durch die sächsische Regierung, an deren Spitze ein römisch-katholischer
König stand. Das Buch wurde auch, außer in Österreich, nirgends
konfisziert, und die Wahrheit nicht einer einzigen der darin angegebenen
Tatsachen ist selbst von der römischen Geistlichkeit, obwohl sie das
Buch wie begreiflich höchlich verdammte, angefochten oder gar widerlegt
worden.

Von der Kritik wurde mein Buch durchweg äußerst günstig aufgenommen und
meinem Fleiß und Bestreben die vollste Anerkennung zuteil.

Einige wohlmeinende Freunde sprachen gegen mich die Meinung aus, dass
mein Buch eine noch bessere Wirkung hervorgebracht haben würde, wenn ich
die empörendsten Tatsachen weggelassen und bei Beurteilung der
mitgeteilten mehr Mäßigung beobachtet hätte.

Gegen diese Ansicht muss ich mich entschieden erklären. Wollte ich
handeln, wie diese Wohlmeinenden es verlangen, so handelte ich
jesuitisch. Eine Linie, die nicht gerade ist, ist krumm und entstellte
Wahrheit ist Lüge.

Es ist allerdings möglich, dass einigen Katholiken die von mir
mitgeteilten Tatsachen so unglaublich scheinen, dass sie dieselben für
böswillige Erfindungen halten, worin sie natürlich von ihren Geistlichen
bestärkt werden; allein sollte ich aus diesem Grunde mich gerade der
wirksamsten Waffen berauben? Wer mich der Lüge beschuldigt, der mag
offen auftreten; ich will ihm beweisen, dass, was er als Lüge
bezeichnet, den Schriften eines verehrten Heiligen, Bischofs oder
Prälaten wörtlich entnommen ist.

Was nun meine Urteile anbetrifft, so sind sie allerdings oft in herben
und derben Worten ausgedrückt, allein ich frage, welche Ansprüche hat
denn die römische Kirche auf eine rücksichtsvolle und zarte Behandlung?
Die Wahrheit sagen ist in der Tat nicht so grob, als jemand verbrennen,
weil er an eine handgreifliche Lüge nicht glauben kann! Nein! was ich
für schlecht halte, das werde ich schlecht nennen. Der Ausdruck meiner
Entrüstung über diese oder jene römische Niederträchtigkeit muss dieser
Entrüstung angemessen sein, und ist dies absichtlich nicht der Fall,
dann lüge ich und bin ebenso verächtlich wie diejenigen, welche ich
tadele.

Die römische Kirche ist kein Freund der Menschheit, dessen Schwächen und
Gebrechen aufzudecken und zu verhöhnen mir Schande bringen könnte; sie
ist der noch immer starke, freche und gewissenlose Feind unserer
Freiheit, der die empörendsten Mittel nicht verschmäht, seine Zwecke zu
erreichen; Torheit und Schwäche wäre es, im offenen und ehrlichen Kampf
mit dem Todfeind dieser Freiheit die Blößen nicht zu benutzen, die er
bietet: ich stoße hinein mit aller Kraft, und wenn ich kann, nach dem
Herzen.

Das Buch ist nicht für den Gelehrten, auch nicht für den Salon bestimmt,
es ist für das Volk geschrieben, und damit dasselbe es lese, ist es
geschrieben wie es geschrieben ist. Sind darin vorkommende Tatsachen und
Worte nicht immer anständig, dann halte man sich deshalb an diejenigen
Heiligen, Päpste oder Priester, welche solche unanständigen Handlungen
begingen, oder unanständige Worte gebrauchten; - auf die zarten Nerven
parfümierter Dandys kann man nicht Rücksicht nehmen, wenn man gegen
einen frechen, unverschämten Fein und für die Wahrheit kämpft.

Der zweite Band, "Die Geißler", folgte bald dem ersten; allein ehe der
dritte noch erscheinen konnte, brach der Sturm von 1848 los, der mich in
Paris fand, wo ich Zeuge der Februar-Revolution wurde. Die Zeit des
Schreibens war nun vorläufig vorüber, und mit Tausenden Gleichgesinnter
griff ich zum Schwert. Ich focht in erster Reihe und bis zuletzt. Die
fürstliche Gewalt hatte bereits überall in Deutschland gesiegt, als wir
die Festung Rastatt übergaben, deren Verteidigung ich als Chef des
Generalstabes geleitet hatte.

Ich wurde zum Tode verurteilt, aber nicht einstimmig. Die eine
dissentierende Stimme, die Anwendung eines in Bezug darauf erlassenen
Gesetzes und ein Zusammentreffen anderer glücklicher Umstände retteten
mich vom Tod; allein ich ward volle sechs Jahre in der einsamen Zelle
eines pennsylvanischen Gefängnisses lebendig begraben.

Wen die Einsamkeit eines solchen Gefängnisses nicht geistig zertrümmert,
den läutert und kräftigt sie. Manche meiner Leidensgefährten starben,
manche kehrten mit zerstörtem Körper und Geist hilflos in die Welt
zurück. Es war im Herbst 1855, als ich mein Grab verließ. Weder mein
Geist noch meine Gesundheit hatten gelitten; im Gegenteil, was andere
zerstörte, hatte mich gekräftigt.

Von der regierenden Gewalt verfolgt und von Ort zu Ort getrieben, hatte
ich nach England zu fliehen, "to eat the bitter bread of banishment" -
das bittere Brot der Verbannung zu essen.

Der große Bürgerkrieg in Amerika brach aus und im Herbst 1861 schiffte
ich hinüber, als Special-Correspondent der Augsburger Allgemeinen
Zeitung und Correspondent der London Times.

Ich sah dort viel und lernte viel. In der sechsjährigen Einsamkeit des
Gefängnisses machte ich innere Entdeckungen und Erfahrungen, und durch
den sechsjährigen Aufenthalt mitten in dem jugendkräftigen Leben und
Treiben der großen Republik wurde mir reichlich Gelegenheit gegeben, die
praktischen Resultate der Prinzipien zu beobachten und zu prüfen, für
deren Verwirklichung wir in Europa Gut und Blut daran gesetzt hatten.

In Amerika wird man häufig von Amerikanern und Deutschen hören "um
Amerika und die Amerikaner zu verstehen, muss man wenigstens fünf Jahre
im Land gelebt haben" und ich kann das zur Beherzigung für die Leute
hier bestätigen, welche so schnell und absprechend über amerikanische
Zustände urteilen.

Vertrieben aus meinem Vaterland wurde ich zwar ein Bürger der großen
Republik, in welcher meine Ansichten und Überzeugungen mich nicht zum
Verbrecher stempelten; allein wenn auch dem erweiterten Verstand die
ganze Welt als Vaterland nicht zu klein ist, so hängt doch das Herz
jedes Menschen mehr oder weniger an dem Land, in welchem seine Wiege
stand und in welchem er seine Jugend verlebte. Das Herz des Deutschen
bleibt überall deutsch, wenn auch seine Zunge englisch redet, und jeder
sehnt sich danach, Deutschland wiederzusehen.

Diese Sehnsucht erfasste auch mich und es verlangte mich, an Ort und
Stelle zu sehen, wie die Saat stände, welche wir vor zwanzig Jahren mit
Blut und Tränen eingesät hatten. Ich kehrte daher im vorigen Jahr als
Correspondent der New Yorker "Times" für "Deutschland und angrenzende
Länder" in mein Geburtsland zurück.

"Der aus dem Jahr 1848 bekannt Corvin ist aus Amerika zurückgekehrt"
berichtete eine befreundete Zeitung und die andern druckten es nach. Als
ich diese brillante Anerkennung für ein der Freiheit und dem Volk
gewidmetes Leben las, lachte ich hell auf; nicht bitter, sondern mit dem
glücklichen, heiteren Sinn, der mich in den Stand setzte, ruhigen Auges
den standrechtlichen Kugeln entgegenzusehen, in der wehedurchzitterten,
brotsuppendurchdufteten Einsamkeit der entsetzlichen Zuchthauszelle
geistig und körperlich gesund zu bleiben; die großen und kleinen Miseren
des Flüchtlingslebens mit Humor zu tragen; in des "Schiffbruchs
Knirschen", wo die Gläubigen zittern, ruhig zu schlafen und mitten im
"Schlachtendonnerwetter" meinen Zeitungsbericht zu schreiben.

Wer kümmert sich heute noch um die Leute, welche die Bäume pflanzten,
die uns Schatten und Nutzen gewähren! - Ich war mit dem zufrieden, was
ich in Deutschland sah. Das Blut der Märtyrer von 1848 und 49 und die
Tränen ihrer Weiber und Kinder sind nicht umsonst geflossen. Die
Veränderungen in der menschlichen Gesellschaft entwickeln sich eben in
ähnlicher Weise wie die in der Natur, - allmählich und langsam und es
ist unvernünftig von denen, die doch sonst die Wunder leugnen, Wunder zu
verlangen.

Von den politischen Folgen der Jahre 1848 und 49 will ich indessen hier
nicht reden; ich habe mit ihnen hier nichts zu tun, ich will nur den
geistigen Fortschritt in Betracht ziehen.

Der unvernünftige Glauben hat in diesen zwanzig Jahren viel Terrain
verloren und die Hauptstütze desselben, das Papsttum hängt noch an einem
schwachen Lebensfaden. Die Macht der Pfaffen ist unterwühlt selbst in
Österreich, Italien und Spanien und die ungeheuren Anstrengungen, die
gemacht werden, die aufrecht zu erhalten, sind nutzlos. Die Presse ist
frei und sogar dem Papsttum treusten Regierungen sind von der
öffentlichen Meinung gezwungen worden, die Wissenschaft gewähren zu
lassen, und selbst in die Notwendigkeit versetzt, die Anmaßungen der
Pfaffen zu bekämpfen.

Unsere Aufgabe ist es, die errungenen Vorteile zu benützen, und der
zweckmäßigste Weg dazu, das Wissen unter dem Volk zu verbreiten und vor
allem danach zu streben, den Pfaffen mit und ohne Tonsur die Erziehung
der Jugend aus den Händen zu winden.

Wohl weiß ich, dass die protestantischen orthodoxen Pfarrherren ebenso
fanatisch sind, wie die dummgläubigen Mönche, und dass sie, wenn sie die
Macht hätten, ihre despotischen Gelüste zu befriedigen, dies mit
ähnlichen Mitteln tun würden, wie sie die römische Kirche gebrauchte;
allein wir können Herrn Knaak und ähnliche Stillstandshelden ruhig ihre
Glaubensdummheiten zu Markt bringen lassen, das protestantische Volk
lacht darüber und die paar alten Weiber, die ihnen glauben, tun wenig
Schaden. Ich lasse daher die innerhalb der protestantischen Kirche
auftauchenden Dummheiten unberücksichtigt, wenigstens sind sie nicht der
Hauptgegenstand dieses Buches. Ich habe es hier speziell mit den von Rom
ausgehenden Dummheiten und Nichtswürdigkeiten zu tun und zeige dem Volk
das Gesicht der römischen Pfaffheit, wie es in dem Spiegel der
Geschichte erscheint.

Die erste Auflage dieses Buches war bald vergriffen und meine lange
Abwesenheit von Deutschland hinderte mich daran, eine zweite zu
veranstalten. Als ich jedoch im vorigen Jahr von Amerika zurückkehrte,
wurde ich von sehr verschiedenen Seiten dringend dazu aufgefordert. Im
Buchhändler-Börsenblatt wurde das Buch fast wöchentlich gesucht und es
war selbst antiquarisch nirgends zu haben. Ich selbst konnte kein
Exemplar auftreiben und hatte es mir von einem Privatmann zu borgen,
welcher es an jemanden verliehen, der es wiederum einem Freunde in einer
anderen Stadt mitgeteilt hatte!

Obwohl mit mancherlei Arbeiten überhäuft, entschloss ich mich nun zu
einer zweiten Auflage. Die Veränderungen, welche während dieser zwanzig
Jahre in Deutschland stattgefunden hatten, machten eine teilweise
Umarbeitung notwendig. Die ganze Einleitung passte nicht mehr und ich
schrieb eine andere. Zeitanspielungen durchzogen das ganze Buch und ich
hatte es durchaus zu revidieren und vermehrte dasselbe durch ein
Kapitel, welches ich hauptsächlich dem zweiten Band entnahm. Ich
veränderte auch den Titel, da mir christlicher Fanatismus eine
contradictio in adjecto schien.

Wenn ich an den mitgeteilten Tatsachen nichts änderte, höchstens einige
hinzufügte, und ebenso wenig an dem Stil und Ton des Buches, so tat ich
das mit voller Überlegung. "Narren muss man mit Kolben lausen" heißt das
derbe deutsche Sprichwort und wie ein Anatom, der zum Besten der
Menschheit in faulen Körpern wühlt, keine Handschuhe anziehen kann, so
kann auch ich den faulen Pfaffenkörper nicht mit Glacéhandschuhen
anfassen. Dass ich mir aber bei dem ekelhaften Geschäft eine
humoristische Zigarre anstecke, kann mir kein Mensch übel nehmen, und
sie kommt ja auch dem Leser zu gut. Ebenso wenig halte ich es für
angemessen es aufzugeben, die Dinge beim rechten Namen zu nennen. Wenn
ich einen für unanständig gehaltenen Gegenstand überhaupt so bezeichnen
muss, dass man versteht, was ich meine, so wird der Gegenstand dadurch
nicht anständiger, dass ich umschreibe, was ich mit einem deutschen Wort
bezeichnen kann.

Hoffentlich wird mein Buch noch zur Kirchenversammlung fertig, von der
sich der Papst die Wiederherstellung der römischen Herrlichkeit
verspricht; mein Buch mag den Herren zum Nachschlagen dienen, wenn sie
vielleicht vergessen haben sollten, was die römische Kirche vorschreibt
und glaubt.

    1868 im Oktober.
        Corvin




Vorrede zur dritten Auflage


Ich war freilich vollständig davon überzeugt, dass mein Pfaffenspiegel
ein zeitgemäßes Buch sei; allein dennoch überraschte es mich sehr
angenehm, dass bereits nach einigen Wochen eine dritte Auflage nötig
wurde, welche hoffentlich nicht die letzte sein wird.

Ein günstiges Geschick unterstützte die in dem Buch vertretene gute
Sache dadurch, dass es gerade um die Zeit seines Erscheinens Dinge an
das Tageslicht brachte, welche die in demselben aufgestellte Behauptung
bewahrheiteten, dass die in früheren Zeiten innerhalb der römischen
Kirche, namentlich in den Klöstern, verübten Ruchlosigkeiten und
himmelschreienden Verbrechen keineswegs allein barbarischen Zeitaltern
angehörten, sondern dass sie eine natürliche Folge des in der römischen
Kirche herrschenden, unwandelbaren Prinzips sind, und heute noch ebenso
vorkommen wie vor tausend Jahren, nur in vielleicht noch schrecklicherer
und mehr raffinierter Nichtswürdigkeit.

Als die römische Kirche noch über Kaiser, Könige und Volk unumschränkt
gebot, hielten es die Pfaffen kaum für der Mühe wert, ihre
Gewalttätigkeiten zu verbergen, da die Kirche selten den Willen, und das
weltliche Gesetz nicht die Macht hatte, die unter dem Deckmantel der
Religion verübten Scheußlichkeiten zu verhindern, oder zu bestrafen. Das
hat sich indessen seit der Reformation und den aus derselben sich
entwickelnden Revolutionen geändert. Selbst solche Kaiser und Könige,
welche noch sehr geneigt wären, die römische Kirche gewähren zu lassen,
weil die durch dieselbe geförderte Verdummung der Despotie günstig ist,
- sind von der öffentlichen Meinung, welche durch den Arm des Volkes
manchmal Throne zertrümmert und Kronen, - samt den Köpfen -
herunterschlägt, gezwungen worden, ihrer unumschränkten Gewalt feierlich
zu entsagen und ihre despotischen Gelüste hinter sogenannten
Konstitutionen zu verbergen, über welche sie lachen mögen, die aber das
Volk sicher zur Wahrheit machen wird, wenn es sich erst von der
geistigen Knechtschaft der Kirche befreit und damit unehrlichen Fürsten
alle Hoffnung auf die Rückkehr zur alten despotischen Herrlichkeit
abgeschnitten hat.

Die Fürsten, die sich selbst dem Gesetz fügen müssen, können die Pfaffen
nicht länger schützen, welche verfassungsmäßige Gesetze verletzen, denn
die öffentliche Meinung verlangt gleiches Recht für alle und will
Privilegien der Kirche und ihrer Diener nicht länger dulden.

Die römische Kirche hält jedoch ihre Grundsätze und Gesetze für
vollkommen und erklärt, dass der Zeitgeist auf Abwegen sei und durch ein
Konzil wieder in das althergebrachte Gleis gebracht werden müsse; und
die einzige Konzession die sie, aus Notwendigkeit, macht, ist, dass sie
die ihr unberechtigt erscheinende staatliche Gewalt, welche ihren
ungesetzlichen Handlungen Schranken setzen und gar bestrafen will,
betrügt und als Verbrechen denunzierte Vorgänge mit der dreistesten
Unverschämtheit ableugnet und alle Beweise möglichst schnell vernichtet
oder sonst aus dem Weg räumt. Dass bei einem solchen Zustand die Opfer
kirchlicher Tyrannei nicht besser wegkommen, als im Mittelalter, liegt
auf der Hand.

Nach den Enthüllungen, welche innerhalb der letzten zwanzig Jahre
gemacht worden sind, lässt es sich mit Bestimmtheit annehmen, dass alle
Verbrechen, welche in meinem "Pfaffenspiegel" nach authentischen Quellen
berichtet sind, auch noch heutzutage innerhalb der römischen Kirche und
namentlich in den Klöstern begangen, aber nur sorgfältiger geheim
gehalten werden, und dass es daher eine von der Menschlichkeit gebotene
Pflicht ist, die Regierungen auf dem gesetzlichen Weg zu veranlassen,
die strengsten Untersuchungen anzuordnen, und ferner alle
Ausnahmegesetze für Priester, oder die Kirche im Allgemeinen, aufzuheben
und die Gleichheit vor dem Gesetz eine Wahrheit werden zu lassen.

Schließlich ersuche ich nochmals alle Leser, welche es mit der
Menschheit wohl meinen, mir unter der Adresse der Verlagshandlung
Mitteilungen über pfäffische Nichtswürdigkeiten zu machen, die zu ihrer
Kenntnis kommen, und deren Untersuchung und geeigneter Stelle angeregt
werden soll, ohne den Namen der Mitteiler zu nennen. Unzweifelhafte
Fälle sollen dann in folgenden Auflagen und auch durch die Zeitungen zur
Kenntnis des Publikums gebracht werden.

    Rorschach am Bodensee, August 1869.
        Corvin




    Inhalt


    Vorrede zur zweiten Auflage
    Vorrede zur dritten Auflage
    Einleitung
    Wie die Pfaffen entstanden sind
    Die lieben, guten Heiligen
    Die heilige Trödelbude
    Die Statthalterei Gottes in Rom
    Sodom und Gomorrha
    Die Möncherei
    Der Beichtstuhl




Einleitung


                        "Je erhabener göttliche Dinge sind, je ferner
                        sie von der Sinnenwelt abliegen, desto mehr
                        muss sich das Streben unserer Vernunft nach
                        ihnen richten; der Mensch wird wegen der ihn
                        auszeichnenden Vernunft mit dem Bild Gottes
                        verglichen; daher soll der Mensch sie auf
                        nichts lieber richten, als auf den, dessen
                        Bild er durch sie vorstellt."
                                                    Abälard


Wenn der schwache Mensch sich unter den Schlägen des Unglücks erliegen
fühlt und weder in sich selbst, noch in andern, noch überhaupt irgendwo
auf Erden Trost und Hilfe für seine Leiden findet, dann treibt ihn ein
natürlicher Hang dazu, sich mit der in Gefühlen, Gedanken oder Worten
ausgedrückten Bitte an die von jedem geahnte, wenn auch nicht begriffene
Macht zu wenden, welcher er den Ursprung und die Erhaltung alles
Bestehenden, der Welt, zuschreibt und die wir mit dem allgemeinen Namen
Gott bezeichnen.

Es kann nur eine Weltursache, einen Gott geben, aber das Wesen - die
Beschaffenheit und Art dieser schaffenden und erhaltenden Kraft ist das
große Weltgeheimnis, welches nie ergründet wurde, nie ergründet werden
wird und nie ergründet werden kann.

Jeder Mensch, der überhaupt eines Gedankens fähig ist, macht sich
indessen von diesem Wesen eine Vorstellung, welche dem Grade der
Ausbildung der ihm mit der Geburt gegebenen Vernunft angemessen ist.
Diese Vorstellung ist sein Gott, und somit jeder Mensch der Schöpfer
seines Gottes.

Die Vernunft entwickelt sich infolge sehr mannigfaltiger Einflüsse sehr
verschieden, und wie es kaum zwei Menschen gibt, die durchaus körperlich
gleich sind, so gibt es auch nicht zwei, deren geistige Ausbildung oder
Entwicklung genau dieselbe ist. Daraus folgt, dass es, streng genommen,
ebenso viele Götter als Menschen gibt, - das heißt Vorstellungen von
Gott.

Was verschiedenen Menschen für eine Ansicht über die Natur der Sonne
haben, ändert die Sonne nicht, und Gott bleibt derselbe, wie verschieden
sich auch die Vorstellung der Menschen gestalten mag. Der Neger, der vor
dem von ihm selbst geschnitzten Fetisch kniet, welcher der verkörperte
Ausdruck seiner Gott-Vorstellung ist, wie der Inder, der Feueranbeter,
der Mohammedaner, Jude oder Christ, - alle beten zu demselben Gott, und
die sogenannten Materialisten und Atheisten, die nicht beten, haben nur
eine von der mehr allgemeinen abweichende Ansicht. Die sogenannten
Gottesleugner verneinen nicht eigentlich das Vorhandensein Gottes, was
eine absolute Dummheit wäre, sondern erklären sich nur gegen die
Vorstellung von einem persönlichen Gott.

Alle Gottesvorstellungen sind zwar aus ein und derselben Urquelle
geschöpft; allein je nach den Einfluss übenden verschiedenen
Verhältnissen bildeten sie sich verschieden und oft zu so seltsam und
wunderlich erscheinenden Formen aus, dass es selbst dem kundigen,
denkenden Forscher schwer wird, den gemeinschaftlichen Ursprung
nachzuweisen.

Da nun die Gottesvorstellung die Grundlage jeder Religion ist, so
erklärt sich einerseits das Vorhandensein so vieler verschiedener
Religionen und andrerseits wieder der Umstand, dass Völker, die sich
unter denselben oder ähnlichen Verhältnissen entwickelten, dieselbe
Religion haben.

Das Nachweisen des gemeinschaftlichen Ursprungs der verschiedenen
Religionen würde ein eigenes Werk erfordern, und da es für den mir
vorliegenden Zweck genügt, so beschränke ich mich darauf, eine Skizze
von dem allgemeinen Entwicklungsgange aller Religionen zu geben.

Als die Erde in ihrer Entwicklung auf dem dazu geeigneten Punkte
angelangt war, entstanden Menschen. Diese empfanden die angenehmen und
unangenehmen Wirkungen der verschiedenen Naturerscheinungen zum ersten
Mal, und da sie mit Vernunft begabt waren, so forschten sie bald, oder
vielmehr machten sich Gedanken über deren Ursprung.

Die unmittelbarsten Eindrücke empfanden sie von der Witterung, und
Regen, Wind, Gewitter, Hitze und Kälte waren umso mehr geeignet, ihre
Neugierde zu erregen, als deren Urheber ihren Augen verborgen waren.

Die Veränderungen, welche vor Regen und Gewitter am Himmel vorgingen,
konnten sie indessen sehen, und da der Regen und der Blitz aus den
Wolken kamen, so lag es sehr nahe, die verborgenen Urheber "im Himmel",
das heißt in den Wolken zu suchen.

Die Sonne, von welcher Tag und Nacht, Hitze und Kälte mit ihren
Wirkungen abhängen, musste natürlich ebenfalls ein hauptsächlicher
Gegenstand ihrer verwunderten Betrachtung werden.

Auch der Wechsel der Jahreszeiten mit seinen Annehmlichkeiten und
Unannehmlichkeiten musste die Frage nach dessen Ursache erzeugen.

Da die Erfahrung, die Mutter aller Wissenschaft, noch in der Kindheit
war, so bewegte sich die Phantasie, das ungeregelte Spiel der Vernunft,
nur in dem sehr beschränkten Kreis des Sichtbaren und knüpfte daran ihre
Schlüsse in Bezug auf das Verborgene. Als handelnde Wesen kannte man nur
Tiere und Menschen und die Geschöpfe der Phantasie, die man als die
Urheber der genannten Naturerscheinungen dachte, konnten nur tier- oder
menschenähnliche Wesen sein.

In manchen Menschen ist die Phantasie reger als in andern, und sie
teilten mit, was sie über die Handlungen und Verhältnisse dieser Wesen
zueinander dachten und aus den Äußerungen der ihnen zugeschriebenen
Tätigkeit erfanden. So entstanden Märchen und Sagen, welche durch die
mit besonders lebhafter Phantasie begabten Menschen, Dichter, immer
weiter ausgesponnen, in mehr oder minder vernünftigen Zusammenhang
gebracht und mit Personen bevölkert wurden.

Solche in der Kinderstube des Menschengeschlechts entstandene Märchen
pflanzten sich als wirklich geschehen, von Geschlecht zu Geschlecht
fort, und ihre Spuren sind noch nach Jahrtausenden selbst unter den am
weitesten entwickelten Völkern nachzuweisen, und üben noch heute einen
gewissen Einfluss. Das wird einem jeden begreiflich sein, der sich über
seine eigenen Gefühle und Empfindungen Rechenschaft gibt. Selbst der
aufgeklärteste und gebildetste Mann wird noch am Ende seines Lebens
Anklänge der Eindrücke entdecken, die er in seiner Kinderstube empfing;
es wird keinem gelingen, sich absolut von dem Ammenmärchen loszumachen.

Da sich die Urmenschen die in den Wolken oder an andern ihnen
unzulänglichen Orten vermuteten Urheber der Naturerscheinungen -
"Götter" - nur als mächtigere Tiere oder Menschen dachten, so schrieb
man ihnen natürlich auch dieser Vorstellung angemessene Empfindungen zu,
wie Zorn, Hass, Rache, Wohlwollen, Güte usw. Da sich nun der Zorn von
Menschen besänftigen und dessen Äußerung abwenden lässt, so lag der
Gedanke nahe, dies auch mit den Göttern zu versuchen, und so entstanden
die Opfer.

Diese Opfer bestanden in Gegenständen, die Menschen angenehm waren, und
da die Götter im Himmel wohnten und diese Opfer nicht abholten, so
musste man sie ihnen in den Himmel senden, was in keiner anderen Weise
geschehen konnte als dadurch, dass man sie verbrannte, da doch
wenigstens der Geruch und Rauch zum Himmel aufstiegen.

Die geschäftige Phantasie bildete sich bald eine Theorie über die
Wirkung dieser Opfer, und da man dabei nie den menschlichen, oder rein
sinnlichen Standpunkt verließ, so kam man natürlich zu dem Schluss, dass
das, was Menschen ganz besonders angenehm, was selten und daher schwer
zu verschaffen, was ihnen vorzüglich lieb war, den Göttern das
angenehmste Opfer sein müsse.

Da nun aber der Zorn der Götter schwer zu besänftigen war, das heißt da
unangenehme Naturerscheinungen oft lange dauerten und man viele Opfer
gebrauchte, bis sie mit ihren Wirkungen aufhörten, solche seltene den
Göttern besonders angenehme Opfer aber schwer zu verschaffen waren und
dem einzelnen oft fehlten, so vereinigten sich viele, den Bedarf für die
Götter herbeizuschaffen, da alle den Wunsch haben mussten, sie zu
versöhnen. So bildeten sich Opfervereine, die wohl als der Anfang der
Religion bezeichnet werden können.

Die herbeigeschafften Opfervorräte mussten aufbewahrt und endlich den
Göttern dargebracht werden, und es wurden bald besondere Personen mit
diesem Geschäft beauftragt. So entstanden Priester.

Da diese Priester diejenigen Personen waren, welche den Göttern, die man
sich stets als mehr oder weniger idealisierte Menschen dachte, die Opfer
darbrachten, also mit ihnen in unmittelbare Verbindung traten, so lag
der Gedanke nahe, dass die Götter ihnen als den wirklichen Spendern
besonders günstig seien und ihnen zunächst ihre Wünsche mitteilten.
Daraus folgte wieder, dass man ihnen einen gewissen Einfluss auf die
Entschlüsse der Götter zuschrieb und sich um ihre Gunst bemühte, damit
sie diesen vorausgesetzten Einfluss für diejenigen anwendeten, welche
sich ihre Zuneigung zu erwerben verstanden.

Herrschsucht liegt aber in der Natur jedes Menschen, und es ist
begreiflich, dass den Priestern der von ihnen erlangte Einfluss angenehm
war und sie denselben zu erhalten und zu vermehren trachteten. Sie
wussten freilich, dass die in Bezug auf ihr Verhältnis zu den Göttern
gehegten Voraussetzungen irrtümliche waren; allein der Irrtum hatte
dieselbe Wirkung, wie ihn die Wahrheit gehabt haben würde, und es lag in
ihrem Interesse, denselben zu erhalten und zu vermehren.

Die Priester in dieser Kinderperiode der Menschheit glaubten übrigens
selbst an die Götter und hatten von ihrer Natur im Hauptsächlichen
dieselbe Vorstellung wie die übrigen Menschen; sie hielten daher eine
unmittelbare Verbindung mit denselben für keineswegs unerhört oder
unmöglich, und Träume und Visionen, über deren Ursprung und Natur die
Erfahrungen noch gering waren, mochten sie darin bestärken, dass ein
solcher Verkehr mit den Göttern nicht nur möglich sei, sondern auch
wirklich stattfinde.

So entstand denn allmählich infolge unabsichtlicher und absichtlicher
Täuschung über die Beziehung zwischen Göttern, Priestern und den anderen
Menschen ein System, welches auf dem Glauben beruhte, den das Volk den
Aussagen der Priester schenkte. Diese, die vertraut mit den Göttern
waren, wussten was diesen angenehm und unangenehm war, und sie
verstanden es, die Sprache zu deuten, durch welche sie sich den
Erdenkindern mitteilten. Die Priester ordneten die Art und Weise an, wie
die Opfer gebracht werden sollten, und dass sie bei all diesen
Anordnungen sich selbst nicht vergaßen, versteht sich wohl von selbst.
So wuchs das Ansehen der Priester von einem Menschenalter zum andern
immer mehr, und sie waren die eigentlichen Herrscher des Volkes.

Außer den im Himmel, das heißt in den Wolken, wohnenden Göttern gab es
aber auch auf der Erde dem Menschen mehr oder weniger furchtbare
Gewalten; zunächst starke und reißende Tiere und endlich Menschen, die
ihre größere körperliche Kraft zum Nachteil anderer anwandten. Gegen
diese musste man sich schützen, und es ist begreiflich, dass diejenigen,
welche vermöge größerer Kraft, größeren Mutes und Geschicklichkeit sich
bei der Jagd und im Kriege auszeichneten, Einfluss und Macht unter ihren
Mitmenschen erwarben. Sie wurden Häuptlinge, - Fürsten.

Verstand und Körperkraft sind nur selten in gleichem Maße in denselben
Menschen vereinigt, und als im Laufe der Zeit die Verhältnisse der
Gesellschaft verwickelter wurden, ward auch das Herrschen schwieriger,
und Fürsten und Priester fanden es zweckmäßig, sich gegenseitig zu
unterstützen, wobei je nach den Umständen bald die Gewalt der Fürsten,
bald die der Priester überwog.

Die Religion wurde daher die Stütze der Despotie und umgekehrt.

Viele sind stärker als einer, und da sich die Interessen des Einen nicht
immer mit denen der Vielen vertragen, so würde es noch häufiger
vorkommen, als es der Fall war und ist, dass die Vielen den Einen
zwingen, nach ihrem Willen zu regieren, wenn nicht die Religion, die auf
die Furcht vor den verborgenen, mächtigen Göttern gegründet war, ein
solches Auflehnen durch den Mund ihrer anerkannten Vertreter, der
Priester, als ein Verbrechen gegen diese Macht schon deshalb gestempelt
hätte, weil durch die Verminderung der Macht der Despoten die der
Priester gefährdet wurde, indem diese sie dazu gebrauchten, den
gefährlichsten Feind der von ihnen erfundenen Religion zu bekämpfen.

Dieser Feind ist die Vernunft, das Denken und die daraus folgende
Erkenntnis, die Wissenschaft.

Die Macht der Priester und alle Religion beruhte auf der Phantasie,
welche in der Kinderperiode der Menschheit die Götter erschuf. Die
Spekulation der Priester bildete diesen traditionellen Glauben zu einem
komplizierten System aus, welches aus Täuschungen und Dichtungen
zusammengesetzt und von vornherein auf Einbildungen erbaut war.

Je mehr sich in den Menschen die Vernunft entwickelte und sie anfingen
zu beobachten und zu denken, das heißt aus Erfahrungen Schlüsse zu
ziehen, desto häufiger entdeckten sie, dass manche von den Priestern als
positive Wahrheiten ausgegebene Dinge gerade das Gegenteil waren, was
natürlich Misstrauen gegen andere Behauptungen erzeugte, auf denen die
Priestergewalt hauptsächlich gestützt war. Jeder Schritt, den die
Wissenschaft vorwärts tat, trat irgendeiner Priesterlüge auf den Kopf.

Es war daher eine Lebensfrage für das Ansehen der Priester oder was sie
mit sich selbst zu identifizieren verstanden, der Religion, die
Entwicklung der Vernunft nach Kräften zu hemmen und die Verbreitung der
unvertilgbaren Resultate der Wissenschaft zu verhindern, was zunächst
durch die despotische Macht geschehen konnte.

Da nun aber häufig Konflikte zwischen der Herrschsucht der Priester und
derjenigen der Fürsten entstanden, so waren die ersteren darauf bedacht,
für ihre Macht eine noch festere Begründung zu schaffen, als sie das sie
mit den Despoten verbindende gemeinschaftliche Interesse darbot, welches
nur bis zu einer gewissen Grenze gemeinschaftlich war. Das Verfahren der
Priester, um diesen selbstsüchtigen Zweck zu erreichen, war ebenso
praktisch als für die Menschheit und deren geistige Entwicklung
verderblich; der menschliche Geist musste der Aufklärung möglichst
unzugänglich und schon von Kindheit an in eine Form gezwängt werden,
welche ihn nötigte, sich in der gewünschten Weise zu entwickeln. Zu
diesem Ende bemächtigten sie sich der Erziehung der Jugend.

Das genügte indessen ihrer Vorsicht noch nicht. Dieses Lehrerverhältnis
musste für das ganze Leben beibehalten und die Herrschaft der Priester
über die Seele der Menschen in solcher Weise ausgedehnt werden, dass
diese von der Wiege bis zum Tod keinen Gedanken denken konnten, von dem
die Priester nicht Kenntnis erhielten.

Das Mittel, dies vollkommen zu erreichen war, in den Menschen die Furcht
zu pflanzen vor entsetzlichen Gefahren (die einzig in dem Gehirn der
Priester ihren Ursprung fanden) und gegen welche allein die Priester die
Mittel zu vergeben hatten.

Es ist hiermit keineswegs gesagt, dass alle Priester bewusste Betrüger
waren. Das wohlersonnene und konsequent durchgeführte System verfehlte
seine Wirkung auf die Priester selbst nicht, welche aus dem Volk
hervorgingen und nach der als zweckmäßig und notwendig erkannten Art
erzogen worden waren. Ein großer Teil der Priester glaubte wirklich, was
sie lehrten, und diejenigen, die nicht glaubten, begriffen bald den
Vorteil, den es ihnen brachte, den Glauben im Volk zu erhalten.

Der Glaube war der Hauptpfeiler des ganzen von den Priestern erbauten
Religionsgebäudes, und da mit seiner Zerstörung dasselbe durchaus fallen
musste, so war es die Hauptsorge aller Priester, diesen Glauben als das
Heiligste und Unantastbarste hinzustellen und schon den bloßen Zweifel,
welcher der Vernunft den Weg bahnte, als ein Verbrechen darzustellen,
welches die Götter als das schrecklichste von allen bestraften.

Dieser Gedanke, welcher schon seit Jahrtausenden von Priestern aller
Religionen den Kindern eingeprägt wurde und sich von Generation zu
Generation weiter vererbte, behauptete sich unter den Menschen mit
solcher Gewalt, dass noch heute, nachdem die Vernunft und die trotz
aller Hemmnisse unaufhaltsam fortschreitende Wissenschaft die
Abgeschmacktheit aller auf den Glauben gegründeten Religionen erkannt
hatte, selbst Nichtgläubige es nicht wagen dürfen zu sagen: ich glaube
nicht an Gott, ohne unter Millionen Entsetzen zu erregen, obwohl mit
diesen Worten doch weiter nichts ausgedrückt ist als: die Vorstellung,
welche ich, ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts, von der Weltursache,
von Gott habe, ist eine durchaus andere als diejenige, welche die
Mehrzahl der Menschen vor Jahrtausenden hatte, und welche noch die Basis
der heutigen herrschenden Religion bildet.

Da nun der Glaube sich als der Hauptfeind des menschlichen Fortschritts
erwies und noch erweist, und es Zweck dieses Buches ist, zu der
Wegräumung dieses mächtigen Hindernisses beizutragen, so wird es nötig
sein, die Natur desselben zu untersuchen.

Was ich aus eigener Erfahrung kenne, brauche ich nicht zu glauben, das
weiß ich; ich kann nur glauben oder nicht glauben, was ich aus dieser
Erfahrung schließe, oder was mir andere als ihre Erfahrung, oder als
Schlüsse, die aus derselben gezogen sind, mitteilen.

Es gibt zwei Arten von Glauben: der vernünftige und der unvernünftige,
und ihre Erklärung liegt schon im Beiwort. Was meine Vernunft als
möglich annimmt, kann ich glauben ohne unvernünftig zu sein, selbst wenn
das mir als Faktum mitgeteilte nicht wahr sein sollte; glaube ich aber
an das Geschehensein einer Handlung, welche meine Vernunft als unmöglich
erkennen muss, so ist mein Glaube ein unvernünftiger.

Der Maßstab, den die Vernunft für die Möglichkeit einer Sache hat, ist
ursprünglich einzig und allein die Erfahrung. Beispiele werden meine
Ansicht klarer machen als Definitionen.

Erzählt mir jemand, er habe im Oktober einen Kastanienbaum blühen
gesehen und ich glaube ihm, so ist mein Glaube ein vernünftiger, selbst
wenn derjenige, der mir die Sache erzählt, eine Unwahrheit sagen sollte.
Ich selbst habe Kastanienbäume oder andere Pflanzen um diese Zeit blühen
gesehen, welche sonst nur im Frühjahr zu blühen pflegen und dasselbe ist
mir von vielen Personen bekannt, von denen ich keinen Grund habe
anzunehmen, dass sie eine Unwahrheit sagen.

Man sagt, die Sonne sei einundzwanzig Millionen Meilen entfernt. Ich
glaube es, und mein Glaube ist kein unvernünftiger, obwohl ich die
Entfernung nicht gemessen habe, da mir dazu die Mittel, das heißt die
nötigen Kenntnisse fehlen. Ich habe aber Kenntnisse genug, um durch
Berechnung der Entfernung von mir zu Punkten zu messen, zu denen ich
nicht mit dem Maßstab gelangen kann und habe die Richtigkeit meiner
Rechnung durch Abschreiten oder mit dem Maßstab nicht selten geprüft,
wenn das Hindernis, welches mich von dem Gegenstand trennte, vielleicht
später weggeräumt wurde. Ich weiß daher, dass die Wissenschaft Mittel
bietet die Entfernung von Punkten zu messen, zu denen man nicht gelangen
kann. Mein Glaube ist daher auf Erfahrung begründet, also vernünftig.

Es teilt mir jemand mit, ein Mensch sei von Liverpool nach New York
durch die Luft geflogen. Wenn ich es glaube, so mag man mich
leichtgläubig nennen, allein mein Glaube ist kein absolut
unvernünftiger, denn ich weiß aus Erfahrung, dass der Unterschied
zwischen der Schwere des Körpers und der Luft durch verschiedene Mittel
ausgeglichen werden kann und sehe Vögel fliegen mit Hilfe einer
mechanischen Vorrichtung, der Flügel.

Sagt man mir, es habe ein Mensch durch sein Wort einen Körper
geschaffen, das heißt ohne andere vorhandene Stoffe zur Hilfe zu nehmen,
aus dem Nichts hervorgerufen, und ich glaube es, so ist mein Glaube ein
unvernünftiger, denn ich selbst kann durch meinen Willen nicht einmal
ein Staubkorn schaffen, noch ist es jemals bewiesen worden, dass es von
einem Menschen geschehen ist.

Glaubt man, dass ein Gemälde oder ein Steinbild geredet oder eine
willkürliche Bewegung gemacht habe, so ist dieser Glaube ein
unvernünftiger, da eine solche Tat allen Erfahrungen widerspricht.
Trotzdem mögen Personen, welche behaupten Ähnliches erlebt zu haben,
nicht absolut Lügner zu nennen sein, da die Erfahrung lehrt, dass es
Seelenzustände gibt, in denen sich Menschen so fest einbilden, Dinge zu
sehen oder zu hören, dass sie dieselben für Wahrheit halten, während sie
in der Tat nur auf Sinnestäuschung beruhen.

Der Kreis unserer persönlichen Erfahrung kann wegen der Kürze unseres
Lebens selbst bei dem Gebildetsten nur beschränkt sein und wir würden
uns gewissermaßen in die hilflose Lage der ersten Menschen versetzen,
wenn wir allein das als wahr annehmen oder glauben wollten, was wir von
unseren eigenen Erfahrungen und den daraus gefolgerten Möglichkeiten auf
dem Wege des vernünftigen Denkens ableiten. Die wirklich festgestellten
Erfahrungen vor uns lebender Beobachter sind das kostbarste, nie wieder
zu verlierende Erbteil des lebenden Geschlechts.

Die Vernünftigkeit des Glaubens an diese die Erfahrung begründenden
Tatsachen hängt von den Gründen ab, welche wir haben, an die
Wahrhaftigkeit der Personen zu glauben, von welchen sie uns mitgeteilt
wurden, wie auch von dem Grad ihrer geistigen Ausbildung, ihrem
Charakter und ob sie fähig sind, eine absichtliche Unwahrheit zu sagen,
wenn es ihrem Interesse dienen kann; ferner ob die berichtete Tatsache
isoliert dasteht; ob gleichartige von andern beobachtet wurden; ob sie
ganz bekannten Naturgesetzen in bestimmter Weise zuwider sind und von
vielen andern Gründen. Die Glaubwürdigkeit einer mitgeteilten Tatsache
beruht daher zunächst auf der Autorität der Person, von welcher sie
berichtet wird, und ob sie wirklich als selbst gesehen oder erfahren,
oder als geglaubt, von Hörensagen angegeben wird.

Auf Erfahrung beruht die Wissenschaft; die Tatsachen sind die Sprossen
der Leiter, welche unsere Vernunft zur Erkenntnis der Wahrheit führen,
und daher ist die Wissenschaft der Todfeind des unvernünftigen Glaubens,
da sie ihn als solchen erkennen lehrt und mit dieser Erkenntnis
vernichtet.

Unvernünftigen Glauben nennt man gewöhnlich Aberglauben und nach der
Erklärung, die ich von der Entstehung der Religion gegeben habe, kann
ich ohne alles Bedenken den religiösen Glauben als unvernünftigen oder
Aberglauben bezeichnen. Dies gilt nicht nur von den Religionen der
ersten Menschen, sondern von allen noch jetzt auf der Erde bestehenden
Religionen, von denen sich ohne Schwierigkeiten nachweisen lässt, dass
sie nur eine in der Form veränderte Erweiterung der "vom Himmel", das
heißt aus den Wolken gekommenen Urreligion sind.

    "Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind."

Wenn wir die vergangenen und bestehenden Religionen untersuchen, so
finden wir, dass sie alle, ohne Ausnahme, auf Wunder gegründet sind,
welche der Dichter sehr richtig als das Kind des (religiösen) Glaubens
bezeichnet.

Im Allgemeinen nennt man Wunder jede Erscheinung, Handlung oder
Tatsache, deren Ursprung die Wissenschaft nicht angeben und nachweisen
kann; ja, wir dehnen den Begriff dieses Wortes auch auf solche
Erscheinungen aus, deren Ursachen wir wohl kennen, die uns aber als
ungewöhnlich oder besonders merkwürdig auffallen, und in diesem Sinne
reden wir zum Beispiel von Naturwundern.

Obwohl nun auch die Religion, das heißt die Priester, solche natürliche
Wunder zu ihrem Zwecke benutzte, als deren Ursachen dem Volk noch
unbekannt waren, so ist doch das eigentliche religiöse Wunder ganz
anderer Art und charakterisiert sich dadurch, dass es gegen die Natur
ist, das heißt eine Aufhebung der bekannten Naturgesetze vorausgesetzt.

Den Völkern früherer Zeiten erschien eine Sonnen- oder Mondfinsternis,
oder ein Komet als ein Wunder, und derselbe Fall war es mit einer Menge
von Erscheinungen, deren Ursprung die jetzige Wissenschaft nicht nur
ganz klar nachweist, sondern auch ganz genau im Voraus berechnet. -
Manchen wilden Völkern ist ein Streichhölzchen noch ein Wunder und
selbst unsern eigenen niederen Volksklassen erscheint manches als
Wunder, was dem Gebildeten eine alltägliche Erscheinung ist.

Die Priester, welche hauptsächlich mit den Göttern zu verkehren und
ihren Willen zu erforschen hatten, der sich, wie wir gesehen haben, für
sie in Naturerscheinungen äußerte, mussten durch Beobachtung wohl
zunächst mit der Tatsache bekannt werden, dass es bestimmte Naturgesetze
gebe. Indem sie ihre Erfahrungen von Priestergeschlecht zu
Priestergeschlecht fortpflanzten, kamen sie auf dem Wege der
Wissenschaft allmählich zur Kenntnis von Dingen, die sie für sich
behielten, da sie diese Kenntnis zur Erhöhung ihres Ansehens im Volk
äußerst brauchbar fanden. Einen Beweis dafür finden wir in dem Verhalten
der alten ägyptischen Priester, die in der Erkenntnis der Natur und der
Eigenschaft vorhandener Dinge sehr weit fortgeschritten waren und
Erfindungen und Entdeckungen machten, die erst nach sehr vielen
Jahrhunderten auf anderen Wegen ebenfalls entdeckt und allgemein bekannt
wurden. Man fand z.B. in ägyptischen Gräbern metallene Gegenstände,
deren Hervorbringung man sich gar nicht erklären konnte, bis man erst in
diesem Jahrhundert durch die Erfindung der Galvanoplastik in den Stand
gesetzt wurde, zu erkennen, dass sie auf galvanoplastischem Wege gemacht
waren. Diese Kunst setzt aber schon bedeutende andere Erfahrungen und
Entdeckungen in Bezug auf die Eigenschaften natürlicher Substanzen
voraus.

Dass die ägyptischen Priester die Wissenschaft zu dem eben angeführten
Zwecke benutzten, wissen wir mit Bestimmtheit. Sie verrichteten
Handlungen, welche die übrigen Menschen als Wunder betrachteten und
viele Schriftsteller der alten Zeit berichten von ägyptischen Künsten
und ägyptischer Wissenschaft.

Ich erwähne diese ägyptische Wissenschaft insbesondere deshalb, weil sie
die Mutter der in der Bibel erzählten Wunder ist, die wieder die
Veranlassung zu den Wundern der römisch-katholischen Kirche wurden,
welche jedoch meistens keineswegs mit Hilfe der Wissenschaften
hervorgebracht, sondern von den Priestern erfunden wurden. Wunder, wie
sie die Ägypter taten, setzten Kenntnisse voraus, die schwer zu erlangen
waren; allein die römischen Priester fanden, dass sich noch wunderbarere
Dinge erfinden ließen, die mit Rücksicht auf ihren Zweck, ganz dieselbe
Wirkung hervorbrachten, da sie geglaubt wurden; geglaubt, weil sie als
Tatsachen von Männern erzählt wurden, an deren Autorität man nicht
zweifelte und die zum Teil selbst glaubten.

Eigentliche Wunder, das heißt Dinge, welche gegen die Naturgesetze sind,
kann es nicht geben; was geschieht, geschieht auf natürliche Weise und
entspringt aus natürlichen Ursachen, und wenn wir diese Ursachen nicht
erkennen können, da unsere Kenntnis von den Eigenschaften und Kräften
der Natur noch beschränkt ist, so ist die Annahme doch eine durchaus
vernünftige, wie aus den folgenden Auseinandersetzungen hervorgehen
wird.

Viele gebildete Leser werden sich darüber wundern, dass ich mich bei den
Wundern so lange aufhalte, da dies, um eine Modephrase zu gebrauchen,
"ein längst überwundener Standpunkt" ist; allein wenn dies auch in Bezug
auf den Gebildeten der Fall sein mag, so hat doch das Volk im
Allgemeinen diesen Standpunkt noch keineswegs überwunden und selbst der
größte Teil derer, die sich zu den Gebildeten zählen, werden aus den
folgenden Beweisen erkennen, dass sie an Wunder glauben.

Die Verteidiger des Wunderglaubens sagen zum Beispiel: Gott ist
allmächtig, aus Nichts hat Gott die Welt gemacht; und Millionen nehmen
dies als eine so unumstößliche Wahrheit an, dass sie es mit Abscheu als
ein Verbrechen betrachten, wenn jemand sagt: "Gott ist nicht allmächtig;
Gott hat nicht die Welt aus Nichts gemacht; denn ein solcher Glaube ist
unvernünftig."

Dass das Weltall, welches aus getrennten Körpern besteht, die nach
bestimmten Gesetzen zusammengesetzt und vermöge der jedem Körper
innewohnenden Eigenschaften miteinander zu dem großen Ganzen vereinigt
sind, einen Ursprung, eine Ursache haben muss, muss jeder mit Vernunft
begabte Mensch zugeben. Die Ursache oder Macht, welche das was ist
bewegt und erhält, ist Gott; und was ich in dem hier Folgenden sage,
bezieht sich durchaus auf diesen Begriff und auf keine subjektive
Vorstellung der Weltursache, wie sie irgendeiner der bestehenden oder
vergangenen Religionen zu Grunde liegt.

Ich rede auch nicht von der Vorstellung, die ich mir selbst von Gott
mache, denn diese, so vernünftig sie auch sein oder erscheinen mag, hat
doch immer nur einen subjektiven Wert wie jede andere Gottesvorstellung;
ich untersuchte mit meiner Vernunft einfach, inwieweit sich die Idee der
Allmacht und einer Erschaffung aus dem Nichts mit dem von mir oben
definierten Begriff Gott verträgt. Ein Streben, das Wesen Gottes zu
erkennen, ist gewiss der erhabenste Gebrauch, den der Mensch von dieser
ihm von Gott gegebenen Vernunft machen kann.

Wir erkennen die Beschaffenheit einer Ursache einzig aus ihrer Wirkung,
und zunächst erscheint uns als eine solche das Weltall mit den Gesetzen,
die es erhalten und bewegen. Wir haben keinen anderen Anhaltspunkt für
die Beurteilung dieser Kraft, welche den Stoff zu organischen Körpern
vereinigt, als unsern eigenen Gedanken, kraft dessen wir im Stande sind,
aus vorhandenem Material, dessen Eigenschaften wir aus Erfahrung kennen,
Zusammensetzungen herzustellen, durch deren Aufeinanderwirken ein
bestimmter Zweck erreicht wird, wie es durch eine Maschine oder durch
ein chemisches Präparat geschieht.

Vergleichen wir eine Sperlingsfalle, die sich ein Kind aus Ziegelsteinen
baut, mit einer Dampfmaschine, die ein Schiff bewegt, so ist es klar,
dass ein bedeutend mehr ausgebildeter Geist dazu gehörte, diese Letztere
zu erdenken, allein die Tätigkeit oder Kraft, durch die beide
hervorgebracht wurden, die Ursache, ist gleichartig.

Vergleichen wir nun aber den gewöhnlichen Organismus, der einen Teil des
großen Ganzen, der Welt bildet, zum Beispiel ein Blume oder einen Baum,
mit der allervollkommensten Maschine, welche der menschliche Gedanke
hervorbrachte, so sieht auch der oberflächliche Beobachter, dass beide
in Bezug auf Vollkommenheit noch unendlich verschiedener sind als die
Falle des Kindes und die Dampfmaschine; allein trotzdem ist der Schluss
vernünftig, dass der Organismus, den wir bewundern, seinen Ursprung
einer geistigen Tätigkeit verdankt, die derjenigen ähnlich ist, welche
die Sperlingsfalle und die Dampfmaschine zusammensetzte.

Wenn wir aber den wunderbaren Organismus der ganzen Welt betrachten, so
weit wir denselben erkennen können, so schließen wir aus der
Vollkommenheit, die wir überall entdecken, dass der Geist, welchem
dieser Organismus seinen Ursprung verdankt, die höchste Potenz geistiger
Vollkommenheit sein müsse.

Manches in der Welt erscheint dem Beobachter allerdings unzweckmäßig und
unvernünftig, also unvollkommen; allein die Erfahrung lehrt uns, dass
eine unendliche Menge von Einrichtungen und Dingen, die früher den
Menschen so erschienen, später als bewundernswürdig und vollkommen
erkannt wurden, nachdem man den Zweck entdeckt hatte. Diese Erfahrung
ist so häufig gemacht und die Menschen sind so oft von ihrem Irrtum
überführt worden, dass es vollkommen vernünftig ist anzunehmen, dass der
Weltorganismus vollkommen, dass er der angewandte Gedanke der höchsten
Vernunft, und dass alles, was ist, vernünftig ist.

Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die geistige Ursache der
Weltorganisation, von der wir selbst einen Teil bilden, also Gott, dem
menschlichen Geiste ähnlich sei und sind daher vernunftgemäß berechtigt,
von diesem Anhaltspunkt weiter zu schließen.

Der menschliche Geist kann vorhandenen Stoff zu bestimmten Zwecken
zusammensetzen, allein er kann durch seien Gedanken oder Willen keinen
Körper aus dem Nichts hervorrufen oder schaffen, auch nicht einmal das
kleinste Sandkörnchen. Da nun unser Geist der einzige Anhaltspunkt für
das Verständnis geistiger Kraft ist, und wir aus der erkannten
Gleichartigkeit des menschlichen Geistes mit Gott auf die Eigenschaften
Gottes nur von denen schließen, die wir selbst besitzen, so kommen wir
zu dem logischen Schluss, dass Gott die Welt, das heißt den Stoff, nicht
geschaffen haben kann.

Da wir aber wissen, dass alles, was innerlich dieser Welt - von einem
darüber Hinausliegenden können wir überhaupt gar keinen Begriff haben, -
geschieht und ist, eine Ursache hat, so fragen wir natürlich, welches
ist die Ursache des Stoffes? - und um sie zu lösen, sind wir wieder auf
unsere Erfahrung und Vernunft angewiesen, die jedes Urteil überhaupt
begründen.

Kein Mensch kann einen Körper aus dem Nichts schaffen; allein ebenso
wenig vermag er es, den Stoff zu vernichten. Die Form, in welcher sich
der Stoff zeitweilig darstellt, sehen wir täglich zerstören und wir
vermögen das ebenfalls; allein von dem Stoff selbst, aus dem irgendein
Körper zusammengesetzt ist, geht auch nicht das kleinste Teilchen
verloren, wie jeder Chemiker am besten weiß, der sich täglich damit
beschäftigt, Körper in ihre verschiedenen Bestandteile zu zersetzen.

Unser eigener Körper kehrt nach den Tode "zur Erde zurück". Das heißt,
die Bestandteile, aus denen er besteht, zersetzen sich und werden wieder
Bestandteile anderer Körper. Legen wir Silber in Salpetersäure, so löst
dieselbe das Metall auf und verwandelt dasselbe in eine Flüssigkeit, in
der das Silber durch das Auge nicht zu erkennen ist; allein wir wissen,
dass es darin steckt und haben Mittel, es wieder in seiner Gestalt als
Metall herzustellen. - Verbrennen wir einen Körper, das heißt zerstören
wir seine Form durch Feuer, so zersetzt er sich in Asche, Rauch und
Gase, in andere Körper; denn wenn auch das Gas unsichtbar ist, so ist es
doch andern Sinnen wahrnehmbar, zum Beispiel dem Geruch, und wir können
es messen und wiegen und aus der Verbindung von Gasen sogar wieder
sichtbare Körper herstellen, wovon das Wasser das bekannteste Beispiel
ist.

Da unsere Erfahrung keinen aus dem Nichts entstandenen Körper kennt und
ebenso wenig von der absoluten Vernichtung eines solchen weiß, so kommen
wir zu dem Schluss, dass der Stoff, das Körperliche, die Materie weder
geschaffen wurde noch vernichtet werden kann, also vorwärts und
rückwärts ewig ist.

Der Begriff der Ewigkeit ist für uns unfassbar, weil wir zu ihrer
Beurteilung nur die Zeit haben, welche ein endlicher Begriff ist. Ob wir
zu der Ewigkeit eine Minute oder eine Million Jahrhunderte hinzutun oder
davon hinwegtun, ist gleichgültig, denn es bleibt immer Ewigkeit.

Noch unfassbarer, weil wir dafür auch nicht den Schein eines
Anhaltspunktes haben, ist für uns ein absoluter Geist oder absolute
geistige Kraft; denn jeder Geist und jede geistige Äußerung, die wir
kennen, steht in Verbindung mit der Körperwelt, und ebenso ist uns ein
Körper undenkbar ohne geistige Beeinflussung, denn selbst der Stein ist
gewissen Gesetzen unterworfen.

Wir kommen daher zu dem Schluss, dass der Stoff und der ihn belebende
Geist ewig verbunden waren, und dass ein von der Welt abgesonderter Gott
undenkbar und unmöglich ist.

Da Gott die höchste Potenz der Vernunft und der zur Welt
zusammengesetzte Stoff das Werk derselben ist, so ist alles, was ist,
vernünftig, vollkommen und keiner Verbesserung fähig, wie auch keiner
Änderung, die nicht nach den ewigen, absolut vollkommenen Gesetzen vor
sich geht. Da nun ein Wunder nach der früher gegebenen Erklärung eine
Handlung oder ein Ereignis ist, welches den Naturgesetzen widerspricht,
so ist ein solches selbst Gott unmöglich, denn die höchste Vernunft kann
nicht irren.

Gott kann also kein Wunder tun und kann keinen Stoff aus dem Nichts
erschaffen, ist also nicht allmächtig, und die Vorstellung von einem
wundertuenden, allmächtigen Gott ist eine in sich selbst zerfallende.
Diejenigen, welche damit ihrer Verehrung vor dem höchsten Wesen den
höchstmöglichen Ausdruck gegeben zu haben meinen, sind im Irrtum, da,
wie eben gezeigt wurde, diese Vorstellung von Gott eine zu geringe ist.

Sie würde für die Welt im Allgemeinen keine größere Bedeutung haben, wie
irgendwelche andere, wenn sie nicht einer Religion zu Grunde läge,
welche als Hauptstütze des Despotismus gilt und seit Jahrhunderten zu
diesem Zwecke benutzt wurde.

Die Regierungen selbst der als aufgeklärt geltenden Staaten gehen noch
immer von der Idee aus, welche ursprünglich Priester und Despoten
verband, dass nur Furcht vor der unsichtbaren Macht, welche doch der
Hauptfaktor der Religion der Religiösen ist, im Stande sei, die Achtung
vor dem Gesetz und dem Fürsten zu erhalten. Aus diesem Grunde wird die
Erziehung der Jugend auf das strengste vom Staat überwacht und der
Kontrolle der Priester überlassen, damit diese die Kinderseele bereits
mit dem Glauben vergiften, welcher zur Erhaltung der Religion absolut
nötig ist.

Der Grund dieser Religionspflege, dieser Sorge für den religiösen Sinn
von Seiten der Regierungen ist eine mehr oder weniger bewusste Maßregel
despotischer Gelüste und Tendenzen und das Vorgeben, dass der religiöse
Sinn zum individuellen Wohl der Untertanen mit solcher Strenge
aufrechterhalten werde, eine offenbare Heuchelei und handgreifliche
Lüge.

Königin Christina von Schweden, die Tochter Gustav Adolfs, war
katholisch geworden und hielt sich viel in Rom auf. Als sie den alten
Oxenstierna einlud, dorthin zu kommen, entsetzte sich der orthodoxe
Protestant bei dem Gedanken, dass der Papst es auf seine Seele abgesehen
habe. Christina, die den Papst und seine Absichten besser kannte,
antwortete lachend: "Glaubt mir, der Papst gibt nicht vier Taler für
eure Seele". Ich glaube kaum, dass irgendeine Regierung aus bloßer
väterlicher Teilnahme für das Schicksal einer Seele, nachdem deren
Inhaber durch den Tod aus dem Untertanenverband ausgeschieden ist, -
vier Silbergroschen geben würde.

Ich habe nicht nötig, über diesen Vorwand für den ausgeübten
Religionszwang noch ein Wort zu sagen und darf dreist behaupten: je
sorgfältiger eine Regierung die Religion durch Zwangsmaßregeln
unterstützt, je ängstlicher sie darauf bedacht ist, die Erziehung in der
Hand der Priester zu lassen, desto despotischer sind ihre Neigungen.

Die Behauptung, dass der Religionszwang zur Erreichung des vernünftigen
Staatszwecks noch immer notwendig sei, dass ohne denselben die Gesetze
nicht hinreichen würden, Verbrechen zu verhindern, ist eine falsche,
welche durch die Erfahrung widerlegt wird.  Diese lehrt, dass in
denjenigen Ländern, in welchen durch die Reformation ein Teil des
religiösen Glaubenswustes weggeräumt und der durch die Wissenschaft
verbreiteten Aufklärung mehr Spielraum gewährt wurde, weit weniger
Verbrechen begangen werden, als in den katholischen. Wilberforce beweist
uns, dass bereits dreißig Jahre nach der Reformation die Zahl der in
England hingerichteten Verbrecher sich von 2000 auf 200 jährlich
verminderte.

Seit die Reformation der "Freiheit eine Gasse" bahnte, sind aber über
drei Jahrhunderte vergangen, und wenn auch die reformierten Fürsten und
Priester über die Nützlichkeit des Religionszwanges ganz dieselben
Ansichten hatten wie die katholischen, so war die Organisation der
reformierten Kirche doch nicht so geeignet wie die der katholischen, der
Entwicklung der Wissenschaft hindernd in den Weg zu treten, obwohl es an
dem aufrichtigen Willen hierzu besonders bei den Geistlichen wahrhaftig
nicht fehlte. Die Wissenschaft hat der Tat nach den Aberglauben
vollständig überwunden und trotz aller Bemühungen der Finsterlinge,
trotz aller Hausmittel der Despoten, wie Zensur, Lehrzwang usw., gewinnt
sie täglich mehr und mehr Einfluss im Volk und dasselbe sieht täglich
klarer, dass es seit Jahrhunderten das Opfer des grandiosesten
Schwindels war, den die Geschichte kennt; und dass der Eigennutz der
Priester und Despoten an der Menschheit ein Verbrechen beging, welches
an Schlechtigkeit und Gemeinschädlichkeit jedes andere übertrifft.

Wäre die Ansicht richtig, dass der kirchliche Glaube nötig sei, die
Achtung vor dem Gesetz zu erhalten, dann müsste die größte Zahl der
Verbrecher aus den gebildeten Ständen kommen, die, wenn sie sich
aufrichtig prüfen, gestehen müssen, dass sie von dem was im Katechismus
gelehrt wird, sehr wenig oder gar nichts so glauben, wie es die Kirche
verlangt.

Der wirklich Gebildete verletzt nicht das Gesetz, weil er sich vor
irgendwelcher Strafe fürchtet, die ihn hier oder nach dem Tode treffen
könnte, sondern einfach, weil das Gefühl für Recht und Unrecht in ihm
Fleisch und Blut geworden ist. Je ausgebildeter der Verstand eines
Menschen ist, desto weniger wird er selbst der Versuchung ausgesetzt
sein, ein Verbrechen zu begehen; und durch ein Befördern der Mittel,
welche die Bildung erzeugen, würde die Regierung am besten dazu
gelangen, in Bezug auf die zur Erreichung des vernünftigen Staatszweckes
nötigen Gesetze einen Zustand herzustellen, wie er bereits faktisch in
Bezug auf die Anstandsgesetze besteht. Selbst wenn die Polizei es
gestattete, würde es doch unter tausend Menschen kaum einem einfallen,
entblößt durch die Straßen zu gehen, und wenn es jemand tut, so bedarf
es meistens nicht der gesetzlichen Gewalt ihn daran zu verhindern, oder
dafür zu bestrafen, denn es geschieht durch die Gesellschaft selbst.

Mag die Religion auch in den früheren Jahrhunderten einen guten Einfluss
geübt und nicht allein zur Unterdrückung der Despotie, sondern überhaupt
der gesellschaftlichen Ordnung gedient haben; im gegenwärtigen
Jahrhundert ist sie für den Staatszweck nicht nur durchaus unnütz,
sondern geradezu schädlich, da sie der Entwicklung der Wissenschaft und
der durch sie erzeugten Bildung hinderlich ist.

Die tägliche Erfahrung lehrt, dass heutzutage die Menschen, selbst der
ungebildeten Klassen, nicht durch religiöse Furcht von Verbrechen
abgehalten werden. Man frage nur einen Polizei- oder Kriminalbeamten auf
sein Gewissen, und jeder wird gestehen müssen, dass - mit äußerst
seltenen Ausnahmen - selbst der dümmste Bauer einen Gendarmen, also das
Gesetz und die durch dasselbe diktierte Strafe, mehr fürchtet als Gott
oder den Teufel. Alles, was die Regierungen durch ihre Zwangsmaßregeln
in Bezug auf Religion erzeugen, ist einerseits Gleichgültigkeit dagegen,
wenn nicht Hass und Verachtung gegen die bornierte oder despotische
Zwecke verfolgende Regierung, oder eine zur Gewohnheit gewordene, alle
Schichten der Gesellschaft durchdringende und sie demoralisierende
Heuchelei.

Was wir von unseren Regierungen verlangen, ist, dass sie als solche von
der Religion gar keine Notiz nehmen und sie nicht, wie es jetzt fast
noch überall der Fall ist, den Aberglauben aussäen und sein Wachstum
befördern zu können glauben. Wer das Bedürfnis zur Religion fühlt, mag
dieselbe ausüben und sich mit andern zu diesem Zwecke vereinigen; das
Gesetz wird ihn in dieser Ausübung beschützen und sich erst dann
hindernd einmischen, wenn durch diese Ausübung die gesetzlichen Rechte
anderer beeinträchtigt werden. Ist die Religion durch sich selbst stark,
so braucht sie keine Unterstützung und Begünstigung von Seiten der
Regierung; hat sie aber Grund, die Wissenschaft zu fürchten, so beruht
sie auf Aberglauben, und je eher sie dem Feind desselben unterliegt,
desto besser ist es für die Menschheit.

Wie wir allmählich die Regierungen gezwungen haben, den Despotismus
aufzugeben, oder wenigstens seine Unberechtigung dadurch anzuerkennen,
dass sie ihn unter konstitutionellen und anderen Masken verstecken, so
werden sie auch durch die Macht der öffentlichen Meinung gezwungen
werden, ihre schützende Hand von dem Aberglauben abzuziehen und seine
Ausrottung der Wissenschaft zu überlassen.

Wir wissen sehr wohl, dass die Trennung von Kirche und Staat nicht ohne
Schwierigkeiten vonstatten geht und können die Natur derselben nach
denen beurteilen, mit welchen in diesem Augenblick die österreichische
Regierung nur deshalb zu kämpfen hat, weil sie die zu anmaßend gewordene
Dienstmagd in ihre Schranken zurückzuweisen gezwungen wurde. Der
Widerstand geht nicht allein von den Pfaffen aus, sondern er wird durch
das von ihnen im Aberglauben erzogene und erhaltene Volk teilweise
unterstützt. Nun rächt sich "der Fluch der bösen Tat" an der Regierung,
welche, als sie es noch wagen durfte, despotisch zu sein, mit allem
Eifer den Pfaffen die Waffen schmieden half, welche dieselben nun gegen
sie anwenden.

Der Kampf gegen die Anmaßungen der in ihren Ansprüchen durchaus
logischen römischen Kirche würde ohne besondere Schwierigkeiten zu Ende
geführt werden können, wenn die Regierungen sich entschließen könnten,
ehrlich mit dem Aberglauben zu brechen; allein sie wünschen von
demselben zu behalten, was den despotischen Tendenzen ihrer Leiter
nützt, welche freiere Institutionen meistens nicht deshalb bewilligen,
weil sie von der Berechtigung des Volkes zur Freiheit und
Selbstregierung überzeugt, sondern einfach, weil sie zu Konzessionen und
Aufgabe eines Teils ihrer Macht gezwungen sind, um nicht alles zu
verlieren. Sie fühlen, dass der religiöse und politische Aberglaube
Zweige desselben Stammes sind, deshalb hüten sie sorgfältig die Wurzel.

Die Erfahrung lehrt, dass das Wissen den Aberglauben jeder Art zerstört
und dass es unmöglich ist, seiner Verbreitung gänzlich Einhalt zu tun,
denn wie Luft und Licht dringt das Wissen durch kaum wahrnehmbare Poren
in den geistigen Körper des Volks und entwickelt in ihm die latenten,
natürlichen Kräfte, welche den Aberglauben zersetzen und ausscheiden.

Es hat Zeiten gegeben, wo der dem Eindringen des Wissens
entgegengesetzte Widerstand bedeutend stärker war, als es jetzt der Fall
ist und wo die Männer, die sich seine Verbreitung zur Lebensaufgabe
stellten, ihr Streben mit Leben und Freiheit zu bezahlen hatten; dennoch
ließen sie nicht ab und das Wissen schritt fort. Es wäre törichte
Feigheit, den Kampf nicht kräftiger fortzuführen, da der endliche Sieg
des Wissens über den Aberglauben von keinem mit gesundem Sinne begabten
Menschen mehr bezweifelt werden kann.

Obwohl jeder allgemein für die Verbreitung des Wissens wirken kann, so
ist es doch zweckmäßig, wenn die Kämpfer ihre Wirksamkeit auf besondere
Punkte in der feindlichen Schlachtlinie richten, welche andere
Situationen beherrschen.

Einer der Schlüsselpunkte der feindlichen Stellung ist der persönliche
Einfluss der römischen Priester auf das Volk, denn der Aberglaube
desselben wurzelt ursprünglich in Autoritätsglauben. Das Volk glaubt,
dass die Männer, welche ihm die Lehre der römischen Kirche erklären,
achtungswerte Männer sind, die nicht allein selbst glauben was sie
sagen, sondern auch einzig und allein das Wohl der Menschen im Auge
haben, wenn sie von ihnen unbedingten Glauben und ein Befolgen der von
der römischen Kirche verlangten Handlungen fordern. Es wird daher ein
verdienstliches Werk sein, dem Volk zu beweisen, soweit dies durch die
Geschichte möglich ist, dass die ehrlichen Priester, das heißt
diejenigen, die selbst glauben, von unehrlichen Priestern betrogen
wurden; dass Aussagen und Fakten, die als wirklich geschehen berichtet
werden, zu diesem oder jenem selbstsüchtigen Zwecke erfunden wurden, und
dass das ganze Gebäude der Kirche auf einem Fundament von greifbaren
Lügen erbaut wurde. Es wird daher verdienstlich sein, historisch
nachzuweisen, dass die größte Zahl der Päpste und ihrer Priester
bewusste Betrüger waren, welche nicht entfernt das Wohl des Menschen,
sondern einzig und allein ihren eigenen Vorteil im Auge hatten und zur
Erreichung dieses nichtswürdigen Zweckes die allernichtswürdigsten
Mittel anwendeten.

Dies historisch nachzuweisen, ist der spezielle Zweck des nachfolgenden
Buches. Mich treibt dazu kein eigennütziger Zweck, denn welcher
persönliche Vorteil ließe sich dadurch erzielen? Mich treibt einzig die
Liebe zur Wahrheit und der Wunsch, vielleicht einige Menschen, die sich
von den Fesseln des Aberglaubens bedrückt fühlen, davon zu befreien,
indem ich ihnen zeige, dass diese Fesseln Einbildungen sind; mit dieser
Erkenntnis wird der Geist frei.

Da ich nun keinen eigennützigen Zweck mit der Verbreitung der Wahrheit
verbinden kann, so dürfte ich gewiss ebenso viel Anspruch auf
Glaubwürdigkeit machen, wie irgendein Priester, der, so ehrlich er auch
sein mag, doch immer zu derjenigen Klasse gehört, welche von dem, was
ich als Lüge bloßlege, Nutzen zieht; allein ich verlange gar keinen
Glauben; es stehen ja jedem dieselben Quellen zu Gebot, aus denen ich
diejenigen Tatsachen schöpfe, die mir als Beweise dienen und denen ich
Glauben schenke, weil ich keinen vernünftigen Grund habe, ihnen zu
misstrauen; wer meint, dass ich im Stande sei, irgendwelche Aussagen
einem Heiligen oder hochgeachteten katholischen Kirchenlehrer
unterzuschieben, kann sich ja leicht davon überzeugen, indem er die von
der Kirche selbst anerkannten und veröffentlichten Werke dieser Männer
nachliest.

Katholische Priester, welche von Leuten befragt werden, die dieses Buch
lesen, werden höchstwahrscheinlich alle oder viele von mir gemachten
Angaben als Lügen bezeichnen und viele werden ihnen glauben, wie sie
ihnen andere Dinge glauben. Viele Priester werden meine Angaben wirklich
für Lügen halten, weil sie eben unwissend sind. Wenn sie im Stande sind,
ihre Faulheit zu überwinden und ihnen an der Wahrheit liegt, so mögen
sie sich belehren. Dies Buch, welches unendliche Mühe und großen Fleiß
erforderte, ist ebenso wohl für ehrlich strebende unwissende Priester,
wie für diejenigen geschrieben, welche von ihnen ebenso betrogen werden,
wie sie selbst es von Unwissenden oder von bewussten Lügnern wurden.

Das in Rom sich vorbereitende Konzil könnte den Glauben erwecken, als
sei es die Absicht des Papstes, die römisch-katholische Religion den
Erfordernissen der Gegenwart anzupassen. Es wird sich diese Ansicht
jedoch sehr bald als eine irrtümliche herausstellen. Die ganze
Handlungsweise sowohl des vorigen, wie des jetzigen Papstes liefert den
klaren Beweis, dass beide im Gegenteil danach streben, die
Glaubensherrlichkeit des Mittelalters wieder herzustellen, und dass
sogar die Hoffnung gehegt wird, sämtliche Protestanten in den Schoß der
"alleinseligmachenden" Kirche zurückzuführen. Es liegt dieser Zuversicht
eine wunderbare Verblendung, ein gänzliches Verkennen des Zeitgeistes zu
Grunde, und wir hegen die wohlbegründete Erwartung, dass diese
Kirchenversammlung, welche die Aufmerksamkeit selbst der Gleichgültigen
auf religiöse Gegenstände lenken muss, durch die von ihr zu Tage
geförderten Glaubensdummheiten der römisch-katholischen Kirche einen
härteren Stoß versetzen wird, als es in den letzten Jahren selbst durch
die Wissenschaft geschehen ist.




Wie die Pfaffen entstanden sind


                        Hüte dich vor dem Hinterteil des Maultiers,
                        vor dem Vorderteil des Weibes,
                        vor den Seiten des Wagens
                        und vor allen Seiten des Pfaffen.
                            Altes Sprichwort


Zur Zeit, als Augustus sich zum römischen Kaiser gemacht hatte,
schmachtete die ganze damals bekannte Welt unter dem Joch der
Römerherrschaft. Geldgierige und gewalttätige Statthalter des Kaisers
sogen die Länder des Orients aus und nahmen den Bewohnern noch das
Wenige, was ihnen von ihren einheimischen Fürsten gelassen wurde, welche
die Römer aus Gründen einer klugen Politik nicht überall abschafften.
Freiheit, Leben und Eigentum der Menschen waren der Willkür der
Herrschenden preisgegeben; ihr Zustand war ein trostloser, und der
unterdrückte Orient seufzte nach Erlösung von dem harten Joch.

Alle unterdrückten Völker hoffen auf einen Helden, welcher sie aus der
Knechtschaft erlösen wird, und die Dichter schaffen eine Sage und werden
Propheten. Die aus dem Gefühl und Bedürfnis des Volkes hervorgegangene
Prophezeiung wird häufig Ursache ihrer Erfüllung.

Die geknechteten Völker des Orients hofften auf einen solchen
Befreiungshelden, den Messias, unter welchem sie sich eine Art von
Washington oder Garibaldi dachten, der sie von dem verhassten Römerjoch
befreien sollte.

An diese Messiashoffnung klammerten sich die Menschen jener Zeit umso
fester und inbrünstiger, als sie sonst keine Hoffnung und keinen Trost
nach irgendeiner Richtung hin hatten und von ihrer eigenen Ohnmacht,
sich selbst zu helfen, vollständig überzeugt waren. Sogar außerhalb der
Erde fanden ihre trostlosen Herzen keinen Stützpunkt. Die Götter hatten
ihren Kredit verloren, und der Glaube an ihre Hilfe und unparteiische
Gerechtigkeit war niemals besonders groß gewesen. Der Olymp verkehrte
wenig mit dem Plebs, sondern hielt sich zur Aristokratie. Die von Homer
und Hesiod erfundenen Götter, denen die Griechen und ihre
Geistesvasallen Tempel bauten, waren der gebildeteren Klasse ein Spott
geworden. Der Glaube des Volkes an ihre Hilfe erstreckte sich vielleicht
ungefähr so weit, als der norddeutscher Katholiken an die der Heiligen.

Die Hoffnung auf den Messias war unter den Juden noch lebhafter und
ungeduldiger, weil ihnen die Herrschaft der Römer noch verhasster war
als andern Völkern. Sie hatten eine Vergangenheit, auf welche sie mit
Stolz zurückblickten; sie glaubten, das auserwählte Volk Jehovas zu
sein, welcher als ihr unsichtbarer König galt, der stets seit Moses
durch die Propheten mit ihnen verkehrte. Die Knechtschaft, in welche sie
verfielen, betrachteten sie als eine für ihren Ungehorsam von Jehova
über sie verhängte Strafe, und da diese schon lange dauerte und hart
empfunden wurde, so war es natürlich, dass ihre Dichter, die Stimmen des
Volksherzens, an Prophezeiungen reich waren. Die Römer waren den Juden
als Heiden ein besonderer Gräuel; sie meinten, ihre Not und Demütigung
könne keinen höheren Grad erreichen und die Zeit des Erscheinens des
Messias müsse nahe sein. David und sein Sohn waren ihre größten Könige
gewesen, und die Propheten hatten verkündet, dass der Messias aus dem
Geschlecht Davids entstehen solle. Die Religion der Juden, die schon von
Anbeginn hauptsächlich in der Beobachtung von bestimmten Vorschriften
bestand, die Moses mit klugem Sinn für die Regenerierung des jüdischen
Volkes gab und als unmittelbare Gebote Jehovas darzustellen für
zweckmäßig fand, war im Laufe der Jahrhunderte zu einem leeren
Zeremoniendienst ausgeartet. Die Zeit war reif für das Erscheinen des
Messias. Der Erlöser erschien; allein er erschien in einer anderen
Gestalt, als ihn das Volk träumte; das Volk erkannte ihn nicht an, und
die Aristokratie verachtete, verfolgte und kreuzigte ihn; denn kamen
seine Grundsätze zur Geltung, so zerstörten sie nicht sowohl die
Herrschaft der Römer, sondern machten der ihrigen ein Ende. Jesus war
ein Revolutionär, der auch in unserer Zeit, wenn nicht gekreuzigt, doch
standrechtlich erschossen oder in ein Zuchthaus gesperrt werden würde.

Der als der von den Propheten verheißene Messias auftretende Jesus, der
Sohn eines kleinen Handwerkers aus einem Landflecken, lehrte: "Es gibt
nur einen Gott; er ist ein Gott der Liebe und kein zorniges,
rachedurstiges Wesen, sondern ein gütiger Vater aller Menschen. Das
Leben auf dieser Erde ist nur eine Vorbereitung für ein ewiges Leben mit
Gott, und es ist in die Hand eines jeden gegeben, dasselbe zu einem
freudenreichen zu machen. Könige und Sklaven sind vor Gott gleich, und
er richtet und belohnt die Menschen nicht nach ihrem Ansehen auf Erden,
sondern nach ihren Handlungen und Absichten. Die Letzten und Geringsten,
die ihre Leiden und Entbehrungen am geduldigsten tragen und tugendhaft
bleiben, werden im ewigen Leben die Ersten, die Glücklichsten sein."

Diese Lehre war Balsam für die verzweifelten Herzen der Armen; wer an
sie glaubte, fest und innig glaubte, dem gab sie Kraft, alle und selbst
die herbsten Leiden nicht nur zu ertragen, sondern selbst mit Freuden zu
tragen und dem Tod ohne Furcht entgegenzugehen, denn derselbe war eine
Erlösung, die Pforte zu einem ewigen Leben voll Glück. Der Glaube an
diese Lehre raubte in der Tat "dem Tod den Stachel", er erlöste die
Menschheit.

So trostreich diese Verheißung auch klang, so wenig ließ sich ihre
Wahrheit beweisen; denn vor der prüfenden Vernunft besteht sie ebenso
wenig wie irgendeine andere, die über den Tod hinausreicht. Jesus
substituierte nur eine Behauptung durch eine andere; da aber der Glaube
an seine Behauptung die Menschheit glücklicher machte als jeder andere,
da er sie von den Leiden der Erde und der Furcht vor dem Tode erlöste,
so war es ein sehr verdienstliches Werk, dessen Glauben zu erzeugen. Der
in der Lehre enthaltene Trost machte die Menschen diesem Glauben sehr
geneigt; allein der alte Glaube der Juden beruhte auf der Autorität von
Männern, die als Propheten galten, mit Gott in direktem Verkehr zu
stehen vorgegeben und dieses Vorgeben durch wunderbare Handlungen
unterstützt hatten.

Aller Glaube ist Autoritätsglaube; wollte der Sohn des Zimmermanns aus
Nazareth, dessen Eltern und Geschwister man kannte, Glauben an seine
Autorität gewinnen und als Prophet, als der Messias anerkannt werden, so
musste er Handlungen verrichten, wie sie die Propheten verrichtet
hatten. Alle Propheten von Moses an hatten "Wunder" getan; also musste
Jesus Wunder verrichten und verrichtete sie.

Selbst auf dem Wege vernünftiger Untersuchung gefundene Wahrheit kommt
noch heutigen Tages nicht zur Geltung, wenn sie nicht durch äußere
Umstände unterstützt wird und nicht in zeitgemäßem Gewand auftritt,
besonders wenn sie viele Interessen verletzt, und selbst Aberglauben hat
weit größere Aussicht auf augenblicklichen Erfolg, wenn er diesen
Interessen schmeichelt.

Der Glaube, den Jesus erzeugen wollte, obwohl dem Armen und
Unterdrückten Heil verheißend, verletzte die Interessen der herrschenden
Klasse. Auf ihre Mithilfe konnte Jesus nicht rechnen, und durch Wunder
waren sie nicht zum Glauben zu bringen; denn die Wissenden und
Eingeweihten wussten, was sie von Wundern zu halten hatten. Die
Heilsamkeit des Glaubens für das Volk, den Jesus predigte, konnte sie
nicht bewegen, ihn zu unterstützen, selbst wenn sie ihn einsahen; ihr
Egoismus veranlasste sie vielmehr, diesen Glauben womöglich im Keim zu
unterdrücken und dessen Urheber zu vernichten. Die heutigen hohen
Priester und Pharisäer handeln ebenso wie die unter den Juden in jener
Zeit.

Jesus musste sich also gänzlich auf das Volk stützen. Er verfuhr dabei
auf durchaus praktische, ich möchte sagen mathematische Weise, die zwar
keinen augenblicklichen, aber einen sicheren Erfolg haben musste. Er
wählte sich als "Jünger" zwölf schlichte, ungebildete Leute aus dem
Volk, welchen er durch Beobachtung seines Handelns und seines reinen
Wandelns persönliche Liebe und Anhänglichkeit und unbegrenztes Vertrauen
einzuflößen verstand, woraus der feste Glaube an alles, was er sagte und
verhieß, in ihnen erzeugt wurde. Wenn jeder von diesen Jüngern auf
ähnliche Weise verfuhr und dieses System fortgesetzt wurde, so musste
sich die Zahl der Gläubigen nach einer bestimmten Progression vermehren.

Diese Jünger sahen die Wunder Jesu; sie glaubten an ihn und deshalb an
seine Verheißung und lebten nach seiner Vorschrift. Seine Lehre war so
einfach, dass Jesus es nicht für nötig hielt, sie niederzuschreiben; er
vertraute dem lebendigen Wort der Jünger, in deren Herzen er diese Lehre
niederlegte.

Derselbe Weg, den Jesus zur Ausbreitung seiner Lehre einschlug, hatte
sich schon sechs Jahrhunderte vor dem Auftreten Jesu als praktisch
bewährt; Buddha, der Reformator der indischen Religion, hatte ihn
angewandt. Der Erfolg war derselbe und, wie wir jetzt beurteilen können,
sogar in seinen Ausartungen und deren Folgen. Europäer, welche zum
ersten Mal in einen modernen buddhistischen Tempel in China treten, sind
erstaunt über die Ähnlichkeit, die sie überall in den Gebräuchen mit
denen der römischen Kirche finden. Die Buddhisten haben ihre
Rosenkränze, Reliquien und Klöster so gut wie die römischen Katholiken.

Buddha war jedoch der Sohn eines Königs, Jesus der Sohn eines
Handwerkers, und diese Verschiedenheit bedingte schon eine
Verschiedenheit der Handlungsweise. Während dem Prinzen ein tugendhaftes
Leben genügte, den Brahmanen gegenüber seiner revolutionären, den
Kastenunterschied aufhebenden Lehre Erfolg zu sichern, musste der unter
den Juden als Prophet auftretende Handwerkersohn außerdem "Wunder" tun
und, damit "die Prophezeiungen der Propheten erfüllt würden", für seine
Lehre sterben.

Dieser Opfertod erschien Jesus als eine Notwendigkeit; er war eine
reiflicher Überlegung entsprungene Handlung. Dass dieses Opfer ein sehr
schweres war und Jesus unter Herzensangst darüber nachdachte, ob sich
nicht ein anderer Weg finden lasse, geht aus den Evangelien ganz klar
hervor. Am Ölberg betete er: "Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von
mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe." (Anm.d.Red. Luk.
22,42)

Wir sind es gewohnt, wenn wir an Jesus denken, ihn uns mit der Glorie
vorzustellen, mit der ihn der Erfolg und neunzehn Jahrhunderte
bekleideten; allein wenn er auch die Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen,
das heißt der Juden und der in ihrem Land befindlichen Römer, erregte,
so war er doch vom Volk sehr bald vergessen und sein Andenken lebte nur
in dem sehr beschränkten Kreis seiner Jünger und deren Anhänger. Philo,
der ungefähr zwanzig Jahre nach dem Tode Jesu starb, erwähnt ihn gar
nicht. Josephus, der einige Jahre später geboren wurde und sein
Geschichtswerk in den letzten Jahren des ersten Jahrhunderts schrieb,
erwähnt ganz beiläufig mit wenigen Worten seine Hinrichtung; allein die
Zahl der Anhänger seiner Lehre war noch so gering und unbedeutend, dass
dieser Geschichtsschreiber, der alle Sekten aufzählt, die zu seiner Zeit
bestanden, die Christen gar nicht mitnennt. Erst in den Schriften
späterer Jahrhunderte wird Jesus als der Stifter der christlichen
Religion genannt.

Alles, was wir von Jesus wissen, wissen wir durch die Schriften seiner
Jünger, die aus der Erinnerung aufzeichneten, was sich das Volk von der
Jugend Jesu erzählte und was sie mit ihm erlebt und er bei dieser oder
jener Gelegenheit gesagt hatte. Diese Jünger waren Leute aus dem Volk,
ohne besondere Bildung und Talent, die Jesus liebten und an ihn
glaubten, ihn aber nur sehr unvollkommen verstanden und von seiner
Seelengröße keinen Begriff hatten. Die Evangelien wurden viele Jahre
nach dem Tod Jesu niedergeschrieben, und selbst das des Matthäus,
welches das älteste ist, entstand erst etwa vierzehn Jahre danach. Es
ist daher sehr begreiflich, dass die Reden Christi nicht so wiederholt
werden konnten, wie er sie sprach, sondern meist in der Weise
wiedergegeben wurden, wie sie von den Jüngern verstanden wurden. Die
natürliche Folge davon ist, dass die verschiedenen Erzählungen nicht nur
voneinander abweichen, sondern auch Irrtümer und Widersinnigkeiten
enthalten, welche späterhin zu den wahnwitzigsten Auslegungen und
Folgerungen Veranlassung gaben, wovon wir im Verlauf dieses Werks
zahlreiche Beispiele finden werden.

Hier wollen wir nur zwei Hauptmomente in Betracht ziehen, auf welche die
römische Kirche den allergrößten Wert legt, indem sie weit mehr auf
diese als auf die Lehre Christi selbst basiert ist. Es sind dies die
Wunder und die  Göttlichkeit Christi.

In der Einleitung haben wir uns über die Wunder ausgesprochen. Sind die
dort ausgeführten Folgerungen richtig, so konnte Christus keine Wunder
verrichten und die ihm zugeschriebenen wunderbaren Handlungen geschahen
auf natürliche Weise. Die Jünger, welche darüber als Augenzeugen
berichten, sprachen die Wahrheit, das heißt, sie erzählten, was sie
sahen, wie sie es verstanden. Sie kannten die Mittel nicht, durch welche
diese Handlungen bewirkt wurden, denn wäre dies der Fall gewesen, so
würden die Wunder ihnen nicht als solche erschienen sein und gerade die
damit bezweckte Absicht, Glauben an Jesus zu erwecken, verfehlt haben.
Was nun die Art der Erzählung der Jünger von dem Geschehenen selbst
anbetrifft, so wird man sie leicht begreifen und beurteilen können, wenn
man die Erzählung eines ungebildeten Mannes, zum Beispiel eines in sein
Dorf zurückgekehrten Bauern, anhört, der in der Residenz den
Vorstellungen eines "Zauberers" beiwohnte, welcher sein Publikum durch
geschickte und sinnreiche Anwendung von mehr oder weniger bekannten
natürlichen Kräften in Erstaunen versetzt.

Der Hinweis auf sogenannte Taschenspielerkünste in Verbindung mit den
von Christus verrichteten Wundern hat für Christen etwas Widerwärtiges
und Abstoßendes; allein das liegt mehr in der besonderen Ansicht, die
sich in Bezug auf die Person Jesu Geltung verschafft hat, und in der
verhältnismäßig geringen Achtung, in welcher moderne Zauberer in einer
Zeit stehen, in welcher die Wissenschaft schon so weit fortgeschritten
ist, dass ihre Resultate zu Spielereien und zu bloßer Unterhaltung des
Publikums benutzt werden können, ohne dasselbe wirklich zu täuschen.

Was den Enkeln kindisch und trivial erscheint, wurde aber oft von unsern
Großeltern mit dem größten und furchtbarsten Ernst behandelt, wovon zum
Beispiel das Hexenwesen einen betrübenden Beweis liefert, da diesem
Aberglauben Hunderttausende unschuldiger Menschen zum Opfer fielen.

Wenn wir als wahr annehmen, dass Jesus wunderbare Handlungen
verrichtete, und zu dem vernünftigen Schluss gekommen sind, dass sie
keine Wunder waren, so müssen wir auch erstlich zugeben, dass sie zu
einem bestimmten Zweck verrichtet wurden und andererseits, dass sie "mit
natürlichen Dingen" zugingen.

Der Zweck war offenbar der, die Jünger und andere zu überzeugen, dass
Jesus mit höheren Kräften begabt sei als die gewöhnlichen Menschen, was
durchaus nötig war, um ihn als Propheten, als den verheißenden Messias,
zu legitimieren und Glauben an seine göttliche Sendung zu erwecken, ohne
welchen das große, die Menschheit erlösende Werk absolut nicht zu
vollbringen war und zu welchem erhabenen Zweck Jesus selbst sein Leben
opferte.

Gingen die Wunder aber "mit natürlichen Dingen" zu, so musste Jesus eine
Kenntnis dieser natürlichen Dinge und diese auf irgendeine natürliche
Weise erworben haben, da es auf eine wunderbare, das heißt naturwidrige
Weise, nicht geschehen sein konnte.

Diese Kenntnisse verborgener natürlicher Kräfte sind Resultate der
forschenden Wissenschaft und es drängt sich uns natürlich die Frage auf:
wo erwarb der Sohn eines Handwerkers diese Kenntnisse, welche selbst den
Gebildetsten unter den Juden verborgen waren?

Ein römischer Schriftsteller, welcher beiläufig sagt, dass in Judäa ein
Mann namens Jesus hingerichtet worden sei, welcher wunderbare Handlungen
verrichtete, die er in Ägypten erlernte, gibt uns einen Anhaltspunkt, da
die Evangelien über die Erziehungsperiode Jesu gänzlich schweigen und
uns über sein Leben von seinem zwölften bis zu seinem dreißigsten Jahr
gänzlich im Dunkeln lassen.

Schon in der Einleitung haben wir erwähnt, dass die ägyptischen Priester
in den Naturwissenschaften weit fortgeschritten waren und ihre
Kenntnisse für sich behielten, da die Wissenschaft ihnen die Herrschaft
über das Volk sicherte. Diese Wissenschaft gab ihnen natürlich auch
andere Anschauungen über das Wesen Gottes und die Religion, und
diejenige, welche sie selbst hatten, war sehr verschieden von
derjenigen, welche sie für das Volk für zweckmäßig hielten und demselben
lehrten.

Ägyptische Künste waren in der damaligen Welt weit und breit berühmt und
man belegte mit diesem Namen fast alle wunderbaren Handlungen, die man
sich auf natürliche Weise nicht erklären konnte. Wenn daher der römische
Schriftsteller sagt, dass Jesus die wunderbaren Handlungen, die er
verrichtete, in Ägypten erlernte, so ist das wohl noch nicht gerade als
ein Beweis zu betrachten, dass Jesus in Ägypten erzogen wurde; allein
die Wahrscheinlichkeit dieser Behauptung wird durch andere Umstände
bedeutend vermehrt, - und am Ende musste doch Jesus irgendwo zu dem
Manne erzogen sein, der er war, was in Nazareth, wo seine Eltern lebten,
ganz sicher nicht möglich war.

Die Ähnlichkeit der Wunder, welche Moses und nach ihm die Propheten
verrichteten, mit denen Christi, macht es wahrscheinlich, dass sie aus
derselben Quelle, Ägypten, stammten.

Moses war von der Tochter Pharaos gerettet und durch ihre Vermittlung
mit der Erlaubnis des Königs von den Priestern so gut erzogen worden,
wie es nur der Sohn des Königs selbst hätte wünschen können. Wie uns der
jüdische Schriftsteller Josephus erzählt, offenbarte der Knabe einen
sehr kräftigen Sinn und es ist wahrscheinlich, dass man ihn mit großer
Sorgfalt und Liebe in die Geheimnisse ägyptischer Wissenschaft einweihte
und dass er in den erlernten Künsten selbst die ägyptischen Priester
übertraf, welche ihm der König entgegenstellte, als er seine
Wissenschaft zur Befreiung der Juden aus der ägyptischen Knechtschaft
anwandte.

Seit jener Zeit vererbte sich die Wissenschaft unter den Juden, allein
nur an einzelne, an Propheten, da sie sonst ihren Zweck verfehlt haben
würde. Als die Könige der Juden gegen das Volk tyrannisch wurden und
sahen, dass ihnen die Propheten widerstrebten, verfolgten sie dieselben,
rotteten sie aus, wo sie konnten und zerstörten ihre Schulen. Die
geheimen Wissenschaften kamen in Verfall durch diese Verfolgungen und
die an Unmöglichkeit grenzende Schwierigkeit, sie zu lehren. Waren doch
sogar die Gesetzbücher des Moses gänzlich verloren gegangen, und selbst
unter den Königen und Priestern hatten sie sich einzig auf dem Weg der
Tradition nur unvollkommen erhalten. Der Priester Hilkija, unter der
Regierung des Königs Josia, fand endlich eine Abschrift der Bücher Moses
durch Zufall im Tempel. (Anm.d.Red. 2.Kön. 22,8)

Die Geburt Jesu erregte ein vorübergehendes Aufsehen durch die damit
verknüpften Umstände, welche den misstrauischen und tyrannischen Herodes
veranlassten, alle in Bethlehem innerhalb zwei Jahren geborene Kinder
ermorden zu lassen. Joseph, der Vater Jesu, floh mit seiner Frau und dem
Kind nach Ägypten, ein Land, welches seit den ältesten Zeiten von
hebräischen Handelsleuten besucht wurde und in dem eine Menge Juden
wohnten, von denen viele stets zum Osterfest nach Jerusalem kamen.

Joseph blieb ungefähr zwei Jahre in Ägypten, nämlich bis zum Tod des
Herodes, und es ist natürlich, dass unter den Freunden, die ihm zur
Flucht halfen und in Ägypten unterstützten, der Grund dieser Flucht viel
besprochen wurde und dass man für das Kind stets ein besonderes
Interesse behielt.

Als Jesus zwölf Jahre alt war, finden wir den Knaben im Tempel, wo er
durch seine klugen Fragen und Antworten die Priester und
Schriftgelehrten in Erstaunen setzt. Der aufgeweckte Geist des Knaben
mochte einige der vornehmen Leute interessieren und Nachfragen nach
seiner Herkunft veranlassen, wobei die bei seiner Geburt stattgehabten
Vorfälle gewiss wieder zur Sprache kamen. Es ist nicht unwahrscheinlich,
dass sich irgendjemand unter diesen Vornehmen veranlasst fühlte, für die
Erziehung Jesu Sorge zu tragen und dass dies infolge der bei der Flucht
nach Ägypten angeknüpften Bekanntschaften in Ägypten geschah.

Die Talente, die Jesus zeigte, mochten Veranlassung werden, dass er zu
einer besonderen Rolle ausersehen wurde, welche die Befreiung der Juden
vom römischen Joch bezweckte, wie einst Moses dieselben vom Joch der
Ägypter befreit hatte.

Die eigentümliche Weise, in welcher sich der Charakter Jesu entwickelte,
mochte anderen, oder wahrscheinlich ihm selbst, den weit höheren
Gedanken eingeben, diese Erlösung von der Knechtschaft geistiger
aufzufassen und durch Schöpfung eines neuen Glaubens die Menschen von
der Last des Lebens und der Furcht vor dem Tod zu befreien.

Um diesen Zweck zu erreichen, hielt er es für unumgänglich notwendig,
sein Leben zu opfern und große Leiden zu erdulden. Er fand die Kraft
dazu in seiner Liebe zu der Menschheit; allein begreiflich ist es, dass
die Versuchung ihm nahe trat, die ihm innewohnende geistige Kraft und
die erlangte Wissenschaft auf eine andere, weniger aufopfernde Weise
anzuwenden, indem er als Held und Befreier des Volks von der
Römerherrschaft auftrat. Die Erzählung von der Versuchung durch den
Teufel, der ihn auf einen hohen Berg führte und alle Reiche der Erde
zeigte, kann schwerlich einen anderen Sinn haben.

Die Wunder des Moses, der Propheten und Jesu aus den in der Bibel
enthaltenen Erzählungen erklären zu wollen, wäre ein ganz nutzloses
Unternehmen.

Die römische Kirche und andere Wundergläubige werden eine solche
Erklärung auch ganz überflüssig finden; sie sagen, Jesus war Gottessohn,
Gott selbst, und Gott ist allmächtig. Darauf haben wir schon früher
geantwortet; allein es wird nötig sein, auf die Göttlichkeit Christi
etwas näher einzugehen, ehe wir diese Abschweifung von dem eigentlichen,
historischen Zweck dieses Kapitels schließen.

Als Jesus auftrat, war der Glaube an die Götter der Griechen unter den
in der Nähe der Juden und unter ihnen vorhandenen Fremden noch nicht
gänzlich erloschen und es war von jeher geglaubt, dass sich die Götter
unter die Menschen mischten. Der Sohn eines Gottes war den Heiden keine
so fremde Erscheinung. Große Könige und Helden wurden durch ihren
Glauben zu Göttersöhnen gemacht.

Selbst unter den Juden war dieser Gedanke nicht so unerhört, denn wenn
Moses auch für zweckmäßig gefunden hatte, dem Volk diese Vorstellung von
einem unsichtbaren Gott zu geben, so war der Jehova der alten Juden doch
eine sehr verschiedene Vorstellung von dem Gott der heutigen
aufgeklärten Juden. Nach den Erzählungen der Bibel sah Adam Gott, und
Moses erschien er unter verschiedenen Gestalten; er war also ein
persönliches, gewissermaßen körperliches Wesen. Da nun die Juden viel
mit den Heiden in Berührung kamen und der Götzendienst selbst unter
ihnen eine bedeutende Ausdehnung gehabt hatte, wie wir aus der Bibel
sehen, so war es sehr begreiflich, dass viele unter dem Volk einen Mann,
der so wunderbare Handlungen wie Jesus verrichtete, für einen Sohn
Gottes hielten.

Obwohl Jesus sich Gottes Sohn nannte, so bezeichnete er doch auch alle
Menschen als Kinder Gottes und selbst das Gebet, welches er für alle
gab, nennt ihn Vater.  Andererseits sagt er aber auch ausdrücklich zu
dem römischen Hauptmann Cornelius, der vor ihm nieder fiel: "Stehe auf,
ich bin ja auch nur ein Mensch."  (Anm.d.Red. Apostel 10,26, Corvin
verwechselt hier Jesus mit Petrus)  - Die Mehrzahl der ersten Anhänger
Jesu hielt ihn für einen bloßen Menschen und als einige Schwärmer unter
ihnen die Ansicht aussprachen, dass er nur die Gestalt eines Menschen
angenommen habe, wurden sie deshalb von seinem Freunde und Schüler
Johannes getadelt.

Die Göttlichkeit Christi ist jedoch der Grundstein der römischen Kirche
und die ganze theologische sogenannte Wissenschaft beruht auf dieser
Abgeschmacktheit, die sich übrigens auch in vielen anderen Religionen,
namentlich in der indischen, findet und weiter nichts ist als eine
Allegorie der Naturreligion.

Es würde mich zu weit von meinem Ziele führen, wenn ich mich auf einen
Nachweis darüber einlassen wollte; das haben tiefere Forscher und
Geschichtskundige zur Genüge getan. Ich will nur mit wenigen Worten
nachweisen, dass die Lehre von der Göttlichkeit Christi, die ihn in den
Augen der Menschen erhöhen soll, abgesehen davon, dass sie eine Dummheit
in sich selbst ist, das Verdienst des Erlösers zunichte macht.

Die Kirchenlehrer sind bei der Erklärung dieser Lehre noch weit unklarer
als gewöhnlich und hüllen sich in einen Schwall von Worten, die dem
nichtdenkenden Volk imponieren, weil es sie nicht versteht, was es in
diesem Falle nicht nur mit den Denkern, sondern sogar mit den Erklärern
selbst gemein hat, "denn eben wo Gedanken fehlen, da stellt ein Wort zu
rechter Zeit sich ein". So vornehm und entrüstet sich diese Erklärer
auch gebärden, wenn man sie über diesen Glaubensartikel befragt, so ist
es mir doch nie gelungen, irgendeinen klaren, rein vernünftigen Gedanken
auf dem Grund ihrer Erklärungen zu finden. Die aufgeklärtesten
protestantischen Geistlichen, die ich hörte, suchen den Frager damit
abzufertigen, dass sie Jesus einen "Gottmenschen" nennen; was aber keine
besondere Menschenrasse oder Klasse, sondern nur ein Mensch ist, dessen
Geist sich zu der höchsten Vollkommenheit ausgebildet hat, die eben ein
Mensch erreichen kann.

Eine solche Erklärung ist aber eine Ketzerei in den Augen der Kirche,
denn diese will, wir sollen glauben, dass Jesus ein nicht von einem
menschlichen Geiste, sondern von Gott, der höchsten Potenz geistiger
Vollkommenheit, belebter und regierter menschlicher Körper war.

Vor und nach Jesus gab es tugendhafte Menschen, die ebenso rein und
tadellos lebten, wie es seine Schüler, die ihn drei Jahre lang täglich
beobachteten, von ihm erzählten und andere, welche noch weit größere
Leiden, als sie Jesus erduldete, noch standhafter als er für eine von
ihnen für groß und gut gehaltene Sache ertrugen. Ihre Tugend und ihre
Kraft waren ihr Verdienst, jedenfalls das Resultat der höheren
Ausbildung ihres unvollkommenen menschlichen Geistes. Der Geist aber,
der den Körper Jesu belebte, war nach der Kirchenlehre Gott, die höchste
Potenz der geistigen Vollkommenheit, also keiner Vervollkommnung
bedürftig oder fähig. Ein solcher Geist, in einen menschlichen Körper
gedacht, hat gar keinen Kampf zu bestehen, da er nicht einmal den
Gedanken der Versuchung zulässt. Tugend und Seelenkraft im Leiden und
davon hergeleitetes Verdienst existieren nur für den Menschen, das heißt
für einen ursprünglich unvollkommenen menschlichen Geist, der einen
menschlichen Körper belebt. Der Gedanke an einen in Versuchung führenden
oder leidenden Gott setzt eine so niedrige Gottesvorstellung voraus,
dass sie jedem selbst an einen persönlichen Gott glaubenden Menschen als
eine Gotteslästerung erscheinen muss. Ein Gott, der am Kreuz
verzweifelt, ist geradezu abgeschmackt und lächerlich.

Wie anders dagegen erscheint uns Jesus, wenn wir ihn als einen Menschen
betrachten, dessen zarter Körper von einem rein menschlichen Geist
belebt war! Das reine Leben eines solchen Jesus können wir bewundern und
mit der Hoffnung nachahmen, das hohe Muster zu erreichen, da Jesus ein
Mensch war; für seine Leiden haben wir Mitgefühl und Tränen, da er ein
Mensch war und für das Opfer, welches er mit seinem Leben der ganzen
Menschheit brachte, fühlen wir die innigste Liebe, da es der höchsten,
reinsten und uneigennützigsten Liebe entsprungen war.

Die Versuchung und die Zeichen der Schwäche, sozusagen die Kennzeichen
seiner Menschheit, die wir an ihm entdecken, machen ihn uns noch
liebenswerter. Welcher fühlende Mensch kann sich der Tränen enthalten,
wenn er sich im Geist in die Lage Jesu am Ölberg versetzt. Die Stunde
der Erfüllung des großen Opfers naht heran, und der rein menschliche
Trieb der Lebenslust macht sich mit aller Kraft und Verlockung geltend.
Alle Schrecken des Todes, dem er entgegen geht, stehen vor seinem Geist
und noch einmal sucht er mit inbrünstiger Hoffnung nach einem andern
Weg, seinen großen Zweck zu erreichen. Er ringt mit dem Tod, und "ein
Engel steigt vom Himmel herab, ihn zu stärken"; der Gedanke an die durch
seinen Tod vollbrachte Erlösung der Menschen, an die Größe dieses Zwecks
ist der Engel, der ihm den Tod besiegen hilft.

Wie rührend menschlich ist die Handlung Christi bei der Einsetzung des
Abendmahls! Wenn seine Jünger das Brot beim Essen zerbrechen und Wein
trinken, sollen sie seiner und seines großen Liebesopfers mit Liebe
gedenken. Er weiß, dass seine Todesstunde herannaht, und er kennt den
bösen Menschen, der als Werkzeug dienen wird, ihn den Henkern zu
überliefern; der Gedanke macht ihn traurig.

Die Geschichte seines Leidens ergreift uns nur, weil wir ihn als einen
Menschen betrachten, denn Gott ist über den Spott der Kriegsknechte so
erhaben, dass er ihn nicht empfindet und was die körperlichen
Misshandlungen anbetrifft, so überwanden diese ja selbst die gemeinen,
mit Jesus gekreuzigten Verbrecher so weit, dass sie ihn verspotten
konnten; ein Gott musste sicher so viel Seelenkraft haben, solche
körperliche Schmerzen gar nicht zu empfinden. Er empfand sie aber sehr
schmerzlich, und als ihn in seiner Todespein die Kraft verlässt und ihn
vielleicht der verzweiflungsvolle Gedanke überfällt, dass sein großes
Opfer für die Erlösung der Menschheit nutzlos gebracht sein möchte, ruft
er aus: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!" - Welches
menschliche Herz erzittert hier nicht in seinen tiefsten Tiefen und wer
ehrt und liebt nicht das Andenken an diesen erhabenen Menschen, der mit
vollem Bewusstsein dessen, was ihm bevorstand, aus Liebe für die
Menschen sich ein so schweres Opfer auferlegte!

Die Kirche verfehlt nicht, unser Mitgefühl für diese Leiden in Anspruch
zu nehmen und betrachtet dann Jesus ganz als Mensch. Den Pfaffen ist
Christus bald Gott, bald Mensch, wie sie es eben für ihren Hokuspokus
brauchen. -

Jesu trostreiche Lehre verbreitete sich mit großer Schnelligkeit. Die
Apostel und deren Schüler verkündeten sie nicht allein in Judäa und den
benachbarten Ländern, sondern machten zu diesem Zweck weitere Reisen und
trugen die "frohe Botschaft" (Evangelium) von dem Erlöser der Welt in
ferne Länder. Die Zahl der Anhänger, die sie gewannen, war
außerordentlich groß, besonders unter der ärmeren Volksklasse, aus der
Christus und die Apostel selbst hervorgegangen waren.

Nachdem Jerusalem, siebzig Jahre nach Christi Geburt, von dem
nachherigen römischen Kaiser Titus zerstört worden war, wurden die stets
zum Aufruhr geneigten Juden über das ganze römische Reich zerstreut und
mit ihnen die Christianer - so nannte man die Anhänger Jesu - welche als
eine jüdische Sekte betrachtet wurden, wie es deren mehrere gab. Dies
trug sehr viel zur Ausbreitung des Christentums bei, und gewiss nicht
wenig wirkten dafür die zahlreichen Christen unter den römischen
Legionen, die der Krieg bald in dieses, bald in jenes Land führte.

Zur Zeit der Apostel und kurz nach derselben führten die Christen ein
Leben, wie es den Lehren ihres Meisters würdig war; aber bald artete die
Begeisterung, die sie beseelte und ohne welche keine gute Sache gedeihen
kann, in religiöse Schwärmerei aus und nahm allmählich den Charakter
einer Geisteskrankheit an. Man wollte sich gleichsam selbst in
Frömmigkeit überbieten und kam auf die wunderlichste Auslegung der
verschiedenen, durch die Apostel aufbewahrten Aussprüche Jesu. Wo er
weise Mäßigung empfahl, da glaubte man, in seinem Sinne zu handeln, wenn
man gänzlich entsagte, und so entstand allmählich die verkehrte Ansicht,
dass die Freuden des Lebens verwerflich und eines Christen unwürdig
seien. Indem man alle Genüsse mied und sich freiwillig Leiden auferlegte
und quälte, glaubte man, die Sündhaftigkeit der menschlichen Natur zu
überwinden und sich größere Freuden im Leben nach dem Tod zu sichern.

Mit dieser Ansicht verband sich bald eine Art von Hochmut, der sich
unter äußerer Demut versteckte. Der roheste Christ hielt den
gebildetsten und tugendhaftesten Nichtbekenner Jesu für einen
Verworfenen; ja, er glaubte sich durch jede nähere Gemeinschaft mit den
Heiden zu verunreinigen. Aus diesem Grunde sonderten sich die Christen
bald ganz und gar von diesen ab, zerrissen die zwischen ihnen
bestehenden Verwandtschafts- und Freundschaftsverhältnisse und flohen
alle Lustbarkeiten und Feste gleich Verbrechen. Mit einem Wort, trotz
aller Tugendhaftigkeit und Rechtschaffenheit ihres Lebens fingen sie an,
kopfhängerische, trübselige Narren zu werden.

Die mit Schnelligkeit anwachsende Menge der Christen, ihr
menschenfeindliches, abgesondertes Wesen, ihre geheimnisvollen
Zusammenkünfte, denen die Verleumdungen der jüdischen und heidnischen
Priester bald politische und verbrecherische Zwecke unterlegten, ihr
feindseliges Benehmen gegen die Heiden, - alles dies erregte die
Aufmerksamkeit der römischen Regierung; allein sie befolgte die sehr
vernünftige Politik, sich nicht um die Religion ihrer Untertanen zu
bekümmern, wenn diese nicht die Veranlassung wurde zu Feindseligkeiten
gegen die Einrichtungen des Staates und seine Gesetze. Die Christen
hätten also ungestört unter der römischen Herrschaft leben und sich
entwickeln können, wenn sie sich von solchen Vergehen ferngehalten
hätten, die kein Staat ungestraft lassen kann. Dies taten sie aber
nicht, sondern in ihrem fanatischen Eifer forderten sie gleichsam die
Regierung heraus. Sie verweigerten auf Grund ihrer Religion die
allgemeinen Bürgerpflichten, wollten weder in den Krieg ziehen noch
öffentliche Ämter annehmen und bewiesen den Kaisern Verachtung, anstatt
ihnen die herkömmlichen Ehren zu zeigen. Es war daher ganz natürlich,
dass diese die Sekte der Christen für staatsgefährlich erkannten und
beschlossen, sie zu zwingen, sich den Gesetzen des Staates zu
unterwerfen und sie für die Verletzung derselben zu bestrafen. Darin
waren die Kaiser in ihrem vollsten Recht und wir finden, dass gerade die
besten und weisesten unter ihnen gegen die widerspenstigen Christen am
strengsten verfuhren.

Sie erreichten indessen ihren Zweck nicht, sondern bewirkten gerade das
Gegenteil von dem was sie bewirken wollten. Die Verachtung des Lebens
und aller Leiden war bei den schwärmerischen Christen so hoch gestiegen,
dass sie den Tod als höchst wünschenswert betrachteten, sich
scharenweise den Händen ihrer Verfolger überlieferten und diese durch
ihren herausfordernden Trotz zur größten Grausamkeit anregten. Je
größere Leiden die Christen um Christi willen erduldeten, desto größer
fiel ihrer Meinung nach die Belohnung aus, die sie im verheißenen ewigen
Leben erwartete.

Die Standhaftigkeit, mit welcher die Geopferten den qualvollsten Tod
ertrugen und die religiösen Ehren, welche die Gemeinde dem Andenken der
Märtyrer widmete, fachten die Schwärmerei der Christen zum Fanatismus
an. Der Märtyrertod erschien als das höchste Glück, weil man glaubte,
dass er alle Sünden tilge und sogleich zu Christus in das Paradies
führe. Diese Märtyrerschwärmerei nahm so überhand, dass die Besonnenen
unter den Christen, welche das Unmoralische einer solchen
Lebensverachtung einsahen, vergeblich dagegen ankämpften.

Die Heiden, welche Zeugen von der Standhaftigkeit und Freudigkeit waren,
mit welcher die Christen die ärgsten Qualen und den Tod erduldeten,
wurden mit Bewunderung erfüllt für eine Religion, die solche Kraft gab,
und bekannten sich in Menge zu derselben. Die Zahl der Christen nahm
täglich zu, gewann immer mehr Eingang auch unter den höheren Ständen und
selbst am Hofe der Kaiser. Endlich kam es dahin, dass Kaiser Konstantin,
der 324 bis 337 regierte, es aus politischen Gründen für gut hielt, die
christliche Religion zur Staatsreligion zu machen. -

Die Christen zur Zeit der Apostel hatten sich von der Gemeinschaft der
Juden nicht getrennt, denn sie betrachteten sich vielmehr als die wahren
Israeliten und Jesus als den längst erwarteten Messias. Endlich zwang
sie aber die Feindseligkeit der Juden, eine eigene Gemeinde zu bilden.

Die Verfassung dieser ersten christlichen Gemeinde war wie die einer
jeden Gesellschaft, die aus gleichstehenden Mitgliedern besteht, denn
alle Christen nannten sich Brüder. Keiner hatte vor dem anderen einen
Vorrang, und sowohl ihre Pflichten als ihre Rechte waren vollkommen
gleich.

Zu ihren Vorstehern wählte die Gemeinde einige in allgemeiner Achtung
stehende Männer, welche Presbyter (Älteste) oder auch Bischöfe
(episcopi, Aufseher) genannt wurden. Ihr Amt war es, Ruhe, Eintracht und
Ordnung in der Gemeinde zu erhalten, ohne dass sie deshalb einen höheren
Rang eingenommen hätten als den, welchen ihnen die Achtung der übrigen
Brüder freiwillig einräumte. Den Presbyter standen Diakone (Helfer) zur
Seite, welche die reichlich beigesteuerten Almosen an die ärmeren
Gemeindemitglieder austeilten und andere kleine Geschäfte übernahmen,
die nicht schon von den Ältesten verrichtet wurden.

Die Gemeinden der ersten Christen waren vollkommene Republiken, und
selbst die Apostel, welche mehrere derselben stifteten und eine Art
Oberaufsicht über sie führten, maßten es sich nicht an, eigenmächtig
über die Gesellschaft betreffende Einrichtungen zu bestimmen, sondern
begnügten sich damit, den Gemeinden mit Rat und Tat an die Hand zu
gehen. Der Apostel Paulus machte es den Ältesten ausdrücklich zur
Pflicht, dass sie über die Gemeinden nicht herrschen, sondern sie durch
ihr musterhaftes Beispiel leiten sollten. Das taten auch die Presbyter
der alten Zeit; sie betrachteten sich als die Diener der Gemeinde,
welche sie für ihre Dienste durch freiwillige Geschenke belohnte.

Einen äußerlichen Gottesdienst kannte man nicht; die religiösen
Versammlungen der apostolischen Christen fanden statt ohne alle
Zeremonien und auf die Sinne berechnete Gebräuche. Man kam zusammen in
irgendeinem geräumigen Saal, ohne denselben weder zu diesem Zweck
auszuschmücken, noch ihm eine besondere Weihe und Heiligkeit
beizumessen, denn dergleichen erschien den Christen als heidnische
Torheit.

Die Versammlungen waren einzig und allein der Belehrung und Erbauung
gewidmet. Man las in ihnen die Briefe der umherreisenden Apostel vor
oder Stellen aus den heiligen Büchern der Juden. Dann folgte ein
belehrender Vortrag, den wohl meistens einer der Presbyter hielt oder
auch irgendein anderes Mitglied der Gemeinde, welches sich dazu geeignet
und berufen fühlte. Das Gehörte wurde dann besprochen und den
Unwissenden das erklärt, was sie etwa nicht verstanden hatten. So waren
diese Versammlungen der Christen der apostolischen Zeit die ersten
Volksschulen. Nach der Besprechung setzte man sich zu einem gemeinsamen
Mahle nieder - welches Liebesmahl hieß - und am Schluss oder auch am
Anfang wurden Brot und Wein herumgereicht und beim Genuss desselben mit
Rührung und Dankbarkeit des für die Menschheit gestorbenen Jesus
gedacht, wobei auch wohl die Worte wiederholt wurden, die er bei der
Einführung dieses schönen Gebrauchs sprach. Den Schluss der Versammlung
machte eine Beisteuer für die Armen.

Leider änderte sich aber dieser würdige und einfache Zustand der
christlichen Gemeinden sehr bald und ging endlich in die Form der
heutigen katholischen Kirche über. Es wird für unseren Zweck genügen,
nur in leichten Umrissen anzugeben, wie eine so auffallende Veränderung,
die dem christlichen Geist so sehr widerspricht, bewerkstelligt werden
konnte.

Wir haben oben gesagt, dass die Presbyter mit der Leitung der
Gemeindeangelegenheiten beauftragt waren. Bei ihren Beratungen führte
anfangs der Älteste den Vorsitz, aber dieser war oft eben wegen seines
Alters dazu nicht immer der tauglichste, und so zogen es denn die
Presbyter vor, den geeignetsten aus ihrer Mitte zum Vorsitzenden zu
wählen, welcher, da er über alles die Aufsicht führte, zur
Unterscheidung von seinen, ihm sonst übrigens durchaus gleichgestellten
Kollegen, vorzugsweise der Bischof genannt wurde.

Diese Bischöfe maßten sich bald einen höheren Rang an, und wir erblicken
sie in den Versammlungen auf einem erhabenen Sessel, während die anderen
Presbyter auf niedrigeren Stühlen um sie her sitzen, hinter denen die
Diakone, gleich den dienenden Brüdern in den Synagogen, stehen. Die
Gemeinden gewöhnten sich bald daran, in dem von ihren Vorstehern so
ausgezeichneten Bischof ihren geistlichen Oberherrn zu sehen.

Besondere Umstände trugen dazu bei, das Ansehen dieser Bischöfe zu
vermehren.

Die Christen auf dem Land hatten sich anfangs den Gemeinden in den
Städten angeschlossen; als ihre Zahl sich aber vermehrte, wünschten sie
eigene Gemeinden zu bilden, wenn sie auch die Gemeinschaft mit den
Gemeinden in den Städten nicht aufgeben wollten, da ihnen dieselben
besonders zur Zeit der Verfolgung und überhaupt von Nutzen war. Sie
baten daher die Stadtbischöfe, sie mit Lehrern und Vorstehern zu
versehen, und ein solcher sandte ihnen gewöhnlich einen seiner
Presbyter.

Dieser Landbischof hatte nun zwar dieselbe Gewalt über seine Gemeinde
wie der Stadtbischof über die seinige; aber aus der ganzen Natur der
Sache erklärt es sich, dass er in vielen Beziehungen von dem Letzteren
gewissermaßen abhängig wurde. Dadurch bekam der Stadtbischof einen
Kirchensprengel oder, wie es damals hieß, eine Diözese (Bezirk) oder
Parochie.

So wurde also schon in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts nach
Christi Geburt der Grund zur kirchlichen Aristokratie gelegt.

Nachdem man nun einmal den Anfang damit gemacht hatte, jüdische
Einrichtungen auf das Christentum anzuwenden, so griff dieser Unfug umso
schneller um sich, als er der Eitelkeit und Herrschsucht ehrgeiziger
Bischöfe nützte, die sich bald der Leitung aller christlichen
Gemeindeangelegenheiten zu bemächtigen wussten.

Am Anfang des dritten Jahrhunderts war es schon so weit gekommen, dass
man die Gewalt der Bischöfe aus dem Priesterrechte des Alten Testaments
herleitete und alles, was Moses über Priesterverhältnisse festsetzte,
ohne weiteres auf die Bischöfe und Presbyter anwendete. Bis dahin waren
sie noch immer als das, was sie auch in der Tat waren, als Diener der
Gemeinde, betrachtet worden; aber ihr Stolz lehnte sich dagegen auf, und
im Laufe des dritten Jahrhunderts hatten sie schon geschickt den Glauben
verbreitet, dass sie nicht von der Gemeinde, sondern von Gott selbst
eingesetzt wären zu Lehrern und Aufsehern derselben; dass sie also nicht
Diener der Gemeinde, sondern Diener Gottes wären und daher sowohl das
Lehreramt wie auch der Dienst der neuen Religion nur von ihnen allein
versehen werden könne, weshalb sie einen von der Gemeinde abgesonderten,
vorzüglicheren Stand bilden müssten.

Um die noch immer Zweifelnden vollends zu berücken, denen ein solches
Verhältnis nicht den Lehren Christi gemäß erschien, griffen die Bischöfe
zu einem anderen Mittel, ihnen das, was sie durchsetzen wollten,
begreiflicher und annehmbarer zu machen.

Wenn nämlich die Apostel einen Lehrer oder Presbyter bestellten, legten
sie ihm die Hand auf das Haupt und riefen Gott an, dass er ihm zu seinem
Amt auch den Verstand verleihen möge. Diese Sitte war dem jüdischen
Ritus entnommen, ohne dass die Apostel daran dachten, welchen Missbrauch
ihre dereinstigen Nachfolger damit treiben würden. Die Bischöfe
behaupteten nämlich, dass durch dieses Handauflegen der den Aposteln
innewohnende heilige Geist auch auf die Geweihten übergegangen sei und
dass diese auch die Kraft hätten, ihn auf dieselbe Weise an andere zu
übertragen. Es gelang ihnen vortrefflich, diese Ansicht unter den
Christen populär zu machen, und am Ende des dritten Jahrhunderts glaubte
man allgemein daran und sah in den Bischöfen, Presbytern und Diakonen
Wesen ganz anderer Art und fand es ganz natürlich und
selbstverständlich, dass sie einen Stand für sich bildeten.

So bedeutend nun auch der Einfluss der Bischöfe auf die Gemeinden schon
war, so hatte die demokratische Verfassung derselben doch noch
keineswegs aufgehört. Die Bischöfe konnten in den religiösen
Angelegenheiten durchaus nicht nach Gefallen schalten und walten,
sondern waren an die Einwilligung der Presbyter und der ganzen Gemeinde
gebunden. Dies war ihnen sehr unbequem, da sie nach unumschränkter
Gewalt strebten, und zur Erlangung derselben benutzten sie die
Provinzialsynoden.

Wir haben schon früher beiläufig bemerkt, wie falsch die Aussprüche und
Lehren Jesu häufig von den Christen verstanden wurden. Es entspannen
sich über deren Auslegung bald Streitigkeiten, und schon im zweiten
Jahrhundert finden wir, dass sich mehrere Gemeinden vereinigten, um
dieselben durch gemeinschaftliche Besprechungen auszugleichen. Als diese
Streitigkeiten sich mit der Zeit vermehrten, fühlte man die
Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit solcher schiedsrichterlichen
Versammlungen und ordnete sie für die Gemeinden eines bestimmten Bezirks
oder Landes regelmäßig und wenigstens einmal im Jahr an. So entstanden
die Provinzial-Kirchenversammlungen. Die Gemeinden wurden auf denselben
durch Abgeordnete vertreten, welche aus den Bischöfen, Presbytern,
Diakonen und einigen anderen Gemeindemitgliedern bestanden.

So bedeutend nun auch der Einfluss der Bischöfe auf die Beschlüsse
dieser Kirchenversammlungen war, so standen ihnen noch immer die große
Anzahl der anderen Abgeordneten der Gemeinde entgegen, und es wurde
vorerst die Aufgabe der Bischöfe, diese von den Kirchenversammlungen zu
entfernen. Zuerst gelang es ihnen mit den nicht priesterlichen
Mitgliedern der Gemeinde, dann mit den Diakonen und endlich auch mit den
Presbytern, so dass die Gesamtheit der christlichen Gemeinden auf den
Synoden einzig und allein durch die Bischöfe vertreten wurde.

Dies war zwar ein bedeutender Gewinn, denn nun konnten diese
beschließen, was sie in ihrem Interesse für nötig hielten; aber noch
immer bedurften die gefassten Beschlüsse der Zustimmung der Gemeinde. Um
diesen lästigen Zwang zu entfernen, erfand man ein eigentümliches
Mittel, welches wir einen plumpen und ungeschickten Betrug nennen
würden, wenn er - nicht gelungen wäre.

Es war nämlich bei den Christen Gebrauch geworden, jede Versammlung mit
der Bitte an Gott zu eröffnen, dass er die Anwesenden durch seinen Geist
erleuchten und bei ihren Beratungen leiten möge. Diese Sitte wurde auch
bei der Eröffnung von Kirchenversammlungen beobachtet, und nun erzeugten
die Bischöfe bei den nur zu gläubigen Christen den Wahn, dass durch
dieses Gebet der Heilige Geist auch stets veranlasst werde, bei der
Synode gleichsam den Vorsitz zu führen, so dass alle ihre Beschlüsse als
Aussprüche des Heiligen Geistes, also Gottes selbst, zu betrachten
wären, die der Bestätigung nicht bedürften! Durch diese List waren die
christlichen Gemeinden um den letzten Rest ihrer Freiheit gebracht und
der eigennützigen Willkür der Bischöfe preisgegeben.

Nachdem diese einmal so weit gekommen waren, gingen sie in ihren
Anmaßungen immer weiter, und es kam bald eine Zeit, wo die vor kurzem
noch so ehrwürdigen Vorsteher der christlichen Gemeinden größtenteils
die eigennützigsten, schamlosesten und verworfensten Menschen waren.
"Aus den hölzernen Kirchengefäßen wurden goldene, aber aus den goldenen
Bischöfen wurden hölzerne."

Als Kaiser Konstantin die christliche Religion zur Staatsreligion
machte, erlitten alle Verhältnisse der christlichen Kirche eine
bedeutende Veränderung. Die Kaiser betrachteten sich selbst als
Oberhäupter derselben; sie beriefen nicht nur nach ihrem Gefallen
Kirchenversammlungen, leiteten die Wahlen der Bischöfe oder ernannten
diese geradezu, sondern entschieden auch theologische Streitigkeiten
nach ihrem Gutdünken. Dadurch gingen freilich viele der angemaßten
Rechte der Bischöfe für den Augenblick verloren; aber die Vorteile,
welche sie auf der anderen Seite gewannen, waren so groß, dass sie sich
ganz außerordentlich demütig und fügsam zeigten, und so geschah es, dass
alles in der Kirche nach dem Wink der Kaiser ging.

Der Kaiser war der Gnadenborn, aus dem auf seine Günstlinge Ehren und
Reichtümer strömten, und die Bischöfe und Geistlichen wetteiferten in
niedriger Schmeichelei, um deren möglichst viel zu schnappen. Die Armut
der Kirche und ihrer Diener hatte ein Ende. Schon Kaiser Konstantin
bestimmte einen Teil der Staatseinkünfte zum Unterhalte der Geistlichen
und begnadigte sie mit wichtigen Vorrechten. Das allereinträglichste war
aber das Gesetz, durch welches er sie für berechtigt erklärte,
Schenkungen anzunehmen, welche ihnen durch testamentarische Verfügungen
gemacht wurden, was nach dem Gesetz des Kaisers Diokletian keinem Verein
gestattet war.

Nun war der Habgier der Geistlichkeit ein weites Feld geöffnet. Die
niedrigsten und verächtlichsten Mittel wurden angewandt, um die bereits
in Aberglauben aller Art versunkenen Christen zu reichen Schenkungen zu
bewegen, und bereits nach zehn Jahren wagte niemand mehr zu sterben,
ohne der Geistlichkeit ein Legat zu vermachen. Diese betrieb ihr
Geschäft auf so schamlose Weise, dass nicht sehr lange darauf die Kaiser
Gratian und Valentinian sich gezwungen sahen, durch Gesetze der
Erbschleicherei der Geistlichen Einhalt zu tun.

Hieronymus, der Geheimschreiber des römischen Bischofs Damasus, der
Zeuge war von dem nichtswürdigen Treiben der Pfaffen, rief bei der
Bekanntmachung des Gesetzes: "Ich bedaure nicht des Kaisers Verbot,
sondern mehr das, dass meine Mitbrüder es notwendig gemacht haben!"
Diese Mitbrüder schildert er auf wenig schmeichelhafte Weise, indem er
sagt: "Sie halten kinderlosen Greisen und alten Matronen den Nachttopf
hin, stets geschäftig um ihr Lager; mit eigenen Händen fangen sie ihren
Auswurf auf, und Witwen heiraten nicht mehr; sie sind weit freier, und
Priester dienen ihnen um Geld." Selbst der Bischof des Hieronymus,
Damasus, hatte sich den Beinamen Ohrenkrabbler der Damen erworben.

Als Julianus (361 n. Chr.) zur Regierung kam, geriet der ganze
Pfaffenschwarm in große Bestürzung, denn dem gebildeten, mit der
Philosophie seiner Zeit bekannten und darin aufgezogenen Kaiser erschien
das bereits durch Aberglauben und Fabeln aller Art entstellte
Christentum abgeschmackt und lächerlich. Er "fiel daher vom Glauben ab",
wie die Kirchenphrase heißt, und erwarb dafür von den christlichen
Geschichtsschreibern den Beinamen Apostata (Abtrünniger).

Die reine und einfache Lehre Christi hatte in der Tat bereits eine
traurige Veränderung erlitten und war durch Wundermärchen und läppische
Fabeln verunstaltet worden. Vor der ersten allgemeinen
Kirchenversammlung zu Nicäa (325 n. Chr.) gab es gegen fünfzig
Evangelien, von denen nur die noch in der Bibel enthaltenen beibehalten
wurden, weil die anderen den Heiden doch gar zu viel zu spotten und zu
lachen gaben. Sie enthielten die abgeschmacktesten Erzählungen und
trivialsten Geschichten, und wenn auch ihre Verfasser mit der Mutter
Jesu nicht so vertraut waren wie jener Portugiese, der ein "Leben im
Bauch der Maria" schrieb, so berichten sie uns doch unter anderem, dass
dem frechen Menschen, der Maria unzüchtig anzufassen wagte,
augenblicklich die Hand verdorrte. Auch von Wundern erzählen sie, die
Jesus als Kind verrichtete. Einst habe derselbe mit anderen Kindern
gespielt und mit ihnen aus Ton Vögel geformt; die von ihm gemachten
seien sogleich fortgeflogen. Als er größer geworden, habe er einst einen
Tisch gefertigt, und als er von seinem Vater gescholten worden sei, weil
er zu kurz war, habe er an dem Tisch gezogen und ihn so lang gemacht,
wie Meister Joseph wollte. (Anm.d.Red. Kindheitsevangelium nach Thomas)

Kaiser Julianus versuchte es, das Christentum zu stürzen, obwohl er die
Christen nicht verfolgte, und als er schon nach zweijähriger Regierung
im Kriege gegen die Perser fiel, verursachte sein Tod große Freude.

Sein Liebling, der Philosoph Libanius, fragte einst spöttisch einen
christlichen Lehrer zu Antiochien: "Was macht des Zimmermanns Sohn?" Er
erhielt zur Antwort: "Einen Sarg für deinen Schüler." Bald darauf starb
der Kaiser, und Libanius vermutete, eben vielleicht wegen dieser
Antwort, dass er durch irgendeinen fanatischen Christen seinen Tod fand.
Sterbend unterhielt sich der Kaiser über die Erhabenheit der
menschlichen Seele, aber die Christen erzählten, er habe eine Hand voll
Blut gen Himmel gespritzt und ausgerufen: "Du hast gesiegt, Galiläer!"

Mit Julianus starb der letzte heidnische Kaiser; unter seinen Nachkommen
breitete sich die Macht der Pfaffen immer mehr aus, und dieses
Ungeziefer des Christentums verunstaltete dasselbe von Jahrhundert zu
Jahrhundert immer mehr und wurde immer unverschämter und üppiger.




Die lieben, guten Heiligen


                            Zu alten Zeiten hieß heilig, wenn
                            der Fliegen, der Heuschrecken fraß,
                            und jener gar mit seinem heil'gen Hintern
                            in einem Ameis'nhaufen saß,
                            um voller Andacht drin zu überwintern.

                                (Anm.d.Red. Samuel Butler, Hudibras)


Es ist ein durch die Wissenschaft noch nicht vollständig gelöstes
Problem, wodurch Epidemien entstehen, wie Pest, Cholera und dergleichen
grässliche Übel, durch welche das Menschengeschlecht von Zeit zu Zeit
heimgesucht wird. Noch unerklärlicher sind Epidemien des Geistes, deren
Vorkommen so alltäglich ist, dass wir gar nicht mehr darauf achten und
sie am allerwenigsten für eine geistige Störung halten.

Woher kommt es, dass irgendein dummes Lied die Runde über den Erdball
macht, dass man ihm nirgends entfliehen kann, selbst nicht, wenn man
allein ist, da man es dann selbst summt? Dasselbe ist der Fall mit einem
schlechten Witz oder einer abgeschmackten Redensart oder einer Mode,
über deren Möglichkeit man später selbst erstaunt ist. Es ist nicht
nötig, dass wir Beispiele anführen, denn jeder Mensch wird irgendein
Lied, Redensart oder Mode anführen können, die epidemisch auftrat.

Das Merkwürdige bei solchen geistigen Epidemien ist, dass Absperrung
dagegen kein unfehlbares Mittel ist, denn wir kennen Gewohnheiten, die
sich zum Beispiel in Klöstern ganzer Länder verbreiteten, die doch unter
sich in gar keiner Verbindung standen. In einem der folgenden Kapitel
werden wir davon merkwürdige Beispiele anführen.

Die Keime der in ihren Folgen grässlichsten geistigen Epidemien enthält
die Religion und keine mehr als die missverstandene christliche. Sie hat
Europa Jahrhunderte hindurch in ein trübseliges Narrenhaus verwandelt
und Millionen von Schlachtopfern sind der durch sie erzeugten Tollheit
gefallen.

Dieses Kapitel handelt von den Heiligen der römischen Kirche, denn die
protestantische hat sie abgeschafft und nur die Scheinheiligen behalten.
All diese Heiligen, einige Ausnahmen abgerechnet, waren durch die
Religion wahnsinnig gemachte Menschen und würden, wenn sie heutzutage
lebten, in Narrenhäuser gesperrt werden. Jeder Leser, der nicht von
derselben Narrheit ergriffen ist, wird am Ende dieses Kapitels von der
Wahrheit meiner Behauptung überzeugt sein.

Die Lehre Christi, dass dies Leben nur eine Vorbereitung für ein
künftiges sei und dass jeder, welcher die ihm hier auferlegten Leiden
gottergeben trage, dafür im ewigen Leben belohnt werden würde, war
darauf berechnet, die leidende und bedrückte Menschheit durch die
Hoffnung zu trösten. Je größer die unverschuldeten Leiden waren, die
einen Gläubigen trafen, desto größere Hoffnung hatte er, durch
geduldiges Ertragen ein freudenreiches ewiges Leben zu gewinnen und es
ist begreiflich, dass es Menschen gab, welche sie betreffende
Unglücksfälle als ein Glück ansahen, da sie ihnen Gelegenheit gaben, den
Himmel zu verdienen.

Der Übergang zu dem Gedanken, dass Leiden überhaupt verdienstlich sei,
war nicht besonders schwierig, besonders da er durch mehrere von den
Aposteln berichtete Aussprüche Christi unterstützt wurde, und so kam es,
dass man sich endlich selbst Leiden und Qualen erschuf, nur um sie zu
ertragen und weil man damit meinte, für sein Seelenheil zu sorgen. Das
Egoistische und Unmoralische einer solchen Handlungsweise wurde gar
nicht erkannt.

Die Idee von der Verdienstlichkeit, körperliche Martern mit Freudigkeit
zu ertragen und sich selbst zu schaffen, kam erst recht zur Geltung, als
die während der Verfolgungen unter den Kaisern Diokletian und Decius
hingerichteten Christen durch ihre Standhaftigkeit so hohen Ruhm
einernteten. Mögen sich auch die Kirchenschriftsteller nicht immer von
Übertreibungen ferngehalten haben, wenn sie die Leidensgeschichten der
Märtyrer erzählen, so verdienen sie doch im Allgemeinen Glauben, denn es
ist eine bekannte Erfahrung, dass Menschen in hoher geistiger Aufregung
Schmerz oft gar nicht empfinden, wie manche alte Soldaten bezeugen, die
es in der Hitze des Kampfes oft gar nicht bemerkten, dass sie verwundet
wurden.

Diese Schwärmerei nahm besonders im vierten Jahrhundert überhand, und
was Zeno, Bischof von Verona (um d. J. 360), sagte, war ziemlich der
allgemeine Glaube: "Der größte Ruhm der christlichen Tugend ist es, die
Natur mit Füßen zu treten." (Anm.d.Red. vgl. Zeno: Traktat V. Die
Enthalsamkeit.)

Diese düstere Ansicht verbreitete über die ganze christliche Welt eine
Trübseligkeit, welche die Erde in der Tat zu einem Jammertal machte. Die
frommen Christen hielten sich nicht für wert, dass die Sonne sie
bescheine; jeder Genuss erschien ihnen ein Schritt zur Hölle und jede
Qual ein Schritt zum Himmel.

Später gestaltete sich freilich alles weit lustiger in der christlichen
Kirche, so lustig, dass es ein Skandal und Gräuel und die Reformation
dadurch erzeugt wurde; aber Luther machte die Leute wieder mit der Bibel
bekannt, die ihnen von der römischen Kirche entzogen war, und das Lesen
derselben brachte ähnliche Wirkungen hervor wie das Lesen der Evangelien
unter den Christen der ersten Jahrhunderte.

Beweise dafür finden wir genug in der Geschichte wie auch in den
Predigten und anderen geistlichen Schriften aus der Zeit nach der
Reformation. Besonders reich daran sind die Gesangbücher, in denen sich
hin und wieder noch jetzt nicht minder seltsame Verse finden wie der
folgende, der wörtlich einem noch nicht sehr alten Breslauer Gesangbuch
entnommen ist:

    Ich bin ein altes Raben-Aas,
    Ein rechter Sünden-Krüppel,
    Der seine Sünden in sich fraß,
    Als wie den Rost der Zwibbel.
    O Jesus, nimm mich Hund am Ohr.
    Wirf mir den Gnadenknochen vor,
    Und schmeiß mich Sündenlümmel
    In deinen Gnadenhimmel.

Weil Jesus es für nötig hielt, vierzehn Tage in die Wüste zu gehen - zu
welchem Zweck hat er niemand gesagt - so meinten die Schwärmer, auch in
die Wüste laufen und ihren Leib durch Fasten und allerlei Qualen
kasteien zu müssen, denn Christus hatte gesagt: "Will mir jemand
nachfolgen, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und
folge mir", und ferner: "Es sind etliche verschnitten aus Mutterleibe
von Menschen, etliche aber, die sich selbst verschnitten haben um des
Himmels willen. Willst du vollkommen sein, so gehe hin und verkaufe
alles, was du hast, und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im
Himmel haben - komm und folge mir nach."

Mancher, der schon aus Mutterleibe - am Gehirn - verschnitten und von
Natur ein Narr war, mag durch Zufall mit unter die Heiligen geraten
sein; aber der größte Teil der Heiligen wurde erst durch solche ähnliche
Stellen der Bibel zu Narren.

Die Wüsteneien Syriens und Ägyptens bevölkerten sich mit frommen
Christen, welche "Jesum nachfolgen" wollten und, weil dieser gelitten
hatte, es für verdienstlich hielten, sich noch weit größere Qualen
freiwillig aufzulegen. Jeder dieser Frommen strebte danach, die Natur
mit Füßen zu treten, und es gelang manchem so vortrefflich, dass uns
dabei die Haut schaudert. Diese Schwärmerei wurde epidemisch und die
sonst einsamen Wüsten bevölkerten sich wie Städte.

Das anschaulichste Bild von dem Leben dieser "Väter der Wüste" gibt uns
folgende Schilderung eines Mannes, der ihr Leben und Treiben einen
ganzen Monat lang als Augenzeuge beobachtet hat: "Einige flehen mit gen
Himmel gerichteten Augen, mit Seufzen und Winseln, Barmherzigkeit;
andere, mit auf den Rücken gebundenen Händen, halten sich in der Angst
ihres Gewissens nicht für würdig, den Himmel anzuschauen; andere sitzen
auf der Erde, auf Asche, verbergen ihr Gesicht zwischen die Knie und
schlagen ihren Kopf gegen den Boden; andere heulen laut wie beim Tode
geliebter Personen; andere machen sich Vorwürfe, nicht Tränen genug
vergießen zu können. Ihr Körper ist, wie David sagt, voll Geschwüre und
Eiter; sie mischen ihr Wasser mit Tränen und ihr Brot mit Asche; ihre
Haut hängt an den Knochen, vertrocknet wie Gras. Man hört nichts als
Wehe! Wehe! Vergebung! Barmherzigkeit! Einige wagen kaum, ihre brennende
Zunge mit ein paar Tropfen Wasser zu erfrischen, und kaum haben sie
einige Bissen Brot genossen, so werfen sie das übrige von sich, im
Gefühl ihrer Unwürdigkeit. Sie denken nichts als Tod, Ewigkeit und
Gericht! Sie haben verhärtete Knie, hohle Augen und Wangen, eine durch
Schläge verwundete Brust und speien oft Blut; sie tragen schmutzige
Lumpen voll Ungeziefer, gleich Verbrechern in Gefängnissen oder wie
Besessene. Einige beten, sie ja nicht zu beerdigen, sondern hinzuwerfen
und verwesen zu lassen wie das Vieh!" -

Wer von diesen Wüsteneinsiedlern noch nicht verrückt war, musste es bei
der oben geschilderten Lebensweise notwendig werden. Das Beispiel reizte
die Eitelkeit auf und einer suchte den anderen an Strenge und
Selbstquälerei zu übertreffen.  (Anm.d.Red. vgl. Theodoret von Cyrus:
Mönchsgeschichte - Historia Religiosa)

Einer dieser armen Verirrten und Verwirrten - Heiligen! - lebte fünfzig
Jahre lang in einer unterirdischen Höhle, ohne jemals das freundliche
Licht der Sonne wiederzusehen! Andere ließen sich bei der größten Hitze
bis an den Hals in den glühenden Sand graben; noch andere in Pelze
einnähen, so dass nur ein Loch zum Atmen frei blieb; bei afrikanischer
Sonnenhitze eine treffliche Sommerbekleidung, allein doch noch
erträglicher als der Paletot, den ein anderer sich aus einem Felsen
aushieb und beständig mit sich herumschleppte wie die Schnecke ihr Haus.

Sehr viele behängten sich mit schweren eisernen Ketten und Gewichten.
Der heilige Eusebius trug beständig zweihundertundsechzig Pfund Eisen an
seinem Körper. Einer dieser Narren namens Thaleläus klemmte sich in den
Reifen eines Wagenrades und brachte in dieser angenehmen Stellung zehn
Jahre zu, worauf er sich, zur Belohnung für seine Ausdauer, in einen
engen Käfig zurückzog. Wahrlich ein rarer Vogel!

Einige taten das Gelübde - Frauen taten das, glaub' ich, nicht -
jahrelang kein Wort zu reden, niemand anzusehen oder auf einem Bein
herumzuhinken oder nur Gras zu fressen und was des Unsinns mehr ist.

St. Barnabas hatte sich einen scharfen Stein in den Fuß getreten; er
litt die entsetzlichsten Schmerzen, aber er ließ sich den Stein nicht
herausziehen. Wieder andere schliefen auf Dornen, ja, manche versuchten,
gar nicht zu schlafen und hungern konnten sie wie deutsche Schullehrer
und Dichter; nur hatten sie den Vorteil voraus, dass sie verrückte
Heilige waren und es eine bekannte Erfahrung ist, dass Wahnsinnige sehr
lange ohne Nahrung leben können. Simeon, der Sohn eines ägyptischen
Hirten, aß nur alle Sonntage und hatte seinen Leib mit einem Stricke so
fest zusammengeschnürt, dass überall Geschwüre hervorbrachen, die so
entsetzlich stanken, dass es niemand in seiner Nähe aushalten konnte.

Dieser Simeon glaubte immer, dass er sich noch nicht genug quäle, und
erfand daher etwas ganz Neues oder was wenigstens von den Christen noch
nicht angewandt wurde, da Anbeter der großen Göttermutter, der Kybele,
in Syrien Ähnliches getan hatten. Simeon stellte sich nämlich auf die
Spitze einer Säule und blieb hier jahrelang stehen. Die erste Säule, die
er zu diesem Zweck benützte, war nur vier Ellen hoch, aber je höher sein
Wahnsinn stieg, desto höher wurden auch seine Säulen. Als seine Tollheit
den Gipfelpunkt erreicht hatte, war seine Säule vierzig Ellen hoch; auf
dieser stand er dreißig Jahre!

Wie er es eigentlich anfing, nicht herunterzufallen, wenn ihn der Schlaf
überkam, ist schwer zu begreifen; allein wahrscheinlich gewöhnte er
sich, stehend zu schlafen wie Pferde und Esel. Eine seiner
Lieblingsunterhaltungen war es, sich beim Gebet bis auf die Füße zu
bücken. Er muss noch einen geschmeidigeren Rücken gehabt haben als
irgendwelche Kammerherrn, denn ein Augenzeuge berichtete, dass er bis
1244 solcher Bücklinge gezählt habe, der Heilige aber noch unendlich
lange in seiner frommen Turnübung fortgefahren sei.

Simeon brachte es dahin, dass er vierzig Tage hungern konnte! Als seinem
ausgemergelten Körper endlich die Kraft zum Stehen fehlte, ließ er auf
seiner Säule einen Pfahl errichten und sich an denselben mit Ketten in
aufrechtstehender Stellung befestigen.

Diese Säulentollheit fand viele Nachahmer, besonders im warmen
Morgenland. Im Abendland ist nur ein Säulenheiliger bekannt und die
fromme Stadt Trier hat den Ruhm, dass er einer ihrer Söhne war. Der
damalige Bischof war aber noch nicht so tief in den Geist der römischen
Kirche eingedrungen wie Herr Bischof Arnoldi, der vor etwa zwanzig
Jahren den angeblich ungenähten Rock Jesu für Geld zeigte, denn sonst
würde er nicht die Säule haben umstürzen und den Narren - ich meine den
Heiligen - zur Stadt hinausjagen lassen.

Da es das höchste Ziel aller dieser für ihre Seligkeit sich quälenden
Toren war, "die Natur mit Füßen zu treten" und jede "vom Fleische"
stammende Regung zu unterdrücken, so wurde denn natürlich auch der
Geschlechtstrieb als höchst unchristlich verdammt und bekämpft. Der
Kampf mit diesem mächtigsten der Triebe kostete aber die allergrößte
Mühe und hatte, wie wir noch in der Folge sehen werden, die
allerverderblichen Folgen für die sich Christen nennende Menschheit.

St. Hieronymus (geb. 330 und gest. 422) erzählt ganz kalt, dass dieser
Kampf mit der Natur Jünglingen und Mädchen Gehirnentzündungen und oft
Wahnsinn zugezogen habe. Die armen Narren, die ihren Leib kasteiten, um
den Unzuchtsteufel in sich zu demütigen, wussten ja nicht, dass sie
dadurch das Übel nur ärger machten, denn der Teufel - der bekanntlich
überall seine Hand im Spiel hat - führte ihnen die üppigsten Bilder vor
die Phantasie.

Einige bestrichen, um sich den Kampf zu erleichtern, ihre rebellischen
Glieder mit Schierlingssaft und andere machten der Sache völlig ein
Ende, indem sie die Wurzel des Übels ausrotteten. Dann hörte freilich
alles auf, auch die Versuchung, und wenn ein Verdienst im Überwinden
liegt, auch das Verdienst. Der sonst so vernünftige Kirchenvater
Origenes tat dies ebenfalls; aber seine Tat war keineswegs originell, da
heidnische Priester der Kybele diese unangenehme Operation ziemlich
häufig mit sich vornahmen. Leontius, ein Priester zu Antiochien,
Jakobus, ein syrischer Mönch, und noch viele andere unter den Priestern
und Laien folgten diesem Beispiel, was daraus hervorgeht, dass ein
Gesetz gegen die Kapaunirwut gegeben werden musste. Nun, Gott sei Dank,
vor der Rückkehr dieses Fanatismus sind wir sicher!

Andere, welche sich zu einer solchen Radikalkur nicht entschließen
konnten oder auch durch ihre Frömmigkeit davon abgehalten wurden, litten
Höllenqualen. Den heiligen Pachomius trieb das innerliche Feuer in die
Wüste, weil er es hier leichter zu ersticken meinte als in der Welt, wo
soviel zweibeiniger Zündstoff umherläuft. Er kämpfte oft mit sich, ob er
seinen entsetzlichen Qualen nicht durch den Tod ein Ende machen solle.
Einst legte er sich nackt in eine Höhle, welche von Hyänen bewohnt
wurde. Diese Bestien beschnupperten ihn, ließen ihn aber ungefressen
liegen, wahrscheinlich weil sie ihm anrochen, dass er ein Heiliger war.

Eines Tages gesellte sich zu dem geplagten Manne ein schönes
äthiopisches Mädchen, setzte sich auf seinen Schoß und reizte ihn so
sehr, dass er wirklich glaubte zu tun, was jeder nicht so heilige Mann
in seiner Lage unfehlbar getan haben würde. Als das Entsetzliche
geschehen war, ging es ihm wie manchem andern nach ähnlichen Vorfällen;
er erkannte jetzt, wer seine Hand dabei im Spiel hatte, und gab dem
schönen Mädchen als Dank eine ungeheure Maulschelle. Und seine Vermutung
war richtig; das Mädchen war der Teufel in eigener Person, denn
Pachomius' Hand stank von der Berührung ein ganzes Jahr lang so
entsetzlich, dass er fast ohnmächtig wurde, wenn er sie der Nase zu nahe
brachte.

Ärgerlich darüber, dass ihn der Teufel so erwischt hatte, rannte er in
der Wüste umher. Er fand eine Aspis oder kleine Brillenschlange und
setzte sie in seiner Wut gleich einem Blutegel an das Glied, welches
Origenes sich abschnitt. Aber die Schlange war ebenso ekel wie die Hyäne
und wollte nicht anbeißen. Pachomius hielt dies für ein Wunder, und eine
innere Stimme sagte ihm, dass er nun Ruhe haben sollte, und somit
scheint ihn das Teufelsmädel kuriert zu haben.

Mit Mystizismus vereinigte Dummheit und daraus entstehende Schwärmerei
stecken an und verbreiten sich wie Pest und Cholera. Die ganze
Christenheit wurde von dieser asketischen Schwärmerei angesteckt. Ganze
Scharen rannten in die Wüste, so dass sich die Heiligen auf die Füße
traten und genötigt wurden, ungeheure Gemeinschaften - Klöster zu
bilden.

St. Pachomius, der eigentliche Stifter derselben, hatte in dem seinigen
vierzehnhundert Mönche und führte noch über siebentausend andere die
Aufsicht. Im vierten Jahrhundert gab es in Ägypten wenigstens
hunderttausend Mönche und Nonnen; denn dass die leicht erregbaren und
verrückt zu machenden Weiber von dieser Tollheit nicht frei blieben,
kann man sich denken. In den gut gelegenen Wüsten fing es an, an Platz
zu fehlen, und man schaffte sich künstliche Wüsteneien, das heißt
Klöster, in den Städten. Die Stadt Oxyrrhinchus hatte mehr Klöster als
Wohnhäuser und in ihnen beteten und arbeiteten nicht weniger als
dreißigtausend Mönche und Nonnen.

Die Heiden mochten spotten soviel sie wollten, um dieses heilige Feuer
auszulöschen; es gelang ihnen nicht, denn die geachtetsten Kirchenlehrer
priesen das Mönchs- und Einsiedlerleben über alles und nannten es den
geraden Weg in das Paradies. Die heiligsten Bande der Natur wurden
zerrissen. Jünglinge verließen ihre Bräute, wie der heilige Alexius, der
in der Brautnacht in die Wüste rannte. Ammo las seiner Braut die Briefe
des Paulus an die Korinther vor! Die Braut wurde dadurch so begeistert,
dass sie mit Ammo in die Wüste lief und hier gemeinschaftlich mit ihm
eine elende Hütte bezog, wo sie lebte - keusch wie eine Henne, die mit
einem Hund zusammen wohnt.

Johannes Colybita, der Sohn angesehener Eltern, wurde ebenfalls in der
Brautnacht von dem frommen Kanonenfieber gepackt; er floh die Versuchung
und ging in die Wüste. Das unüberwindliche Heimweh trieb ihn in die
Vaterstadt zurück. Hier lebte er siebzehn Jahre als elender Bettler in
einer Hundehütte, die er neben die Wohnung seiner um ihn trauernden
Eltern gestellt hatte, denen er sich erst in seiner Todesstunde zu
erkennen gab.

Dies waren die Früchte der Lehren solcher Männer wie St. Hieronymus, der
sagte: "Und wenn sich deine jungen Geschwister an deinen Hals werfen,
deine Mutter mit Tränen und zerstreuten Haaren und zerrissenen Kleidern
den Busen zeigt, der dich ernährt hat, dein Vater sich auf die
Türschwelle legt, stoße sie mit Füßen von dir und eile mit trockenen
Augen zur Fahne des Kreuzes."

Sehr viele trieben auch die Eitelkeit und der Ehrgeiz zum asketischen
Leben, denn die Einsiedler und Mönche standen im höchsten Ansehen. Kamen
sie in eine Stadt, so wurden sie im Triumph empfangen, und zogen sie bei
einer solchen vorbei, dann strömten Tausende zu ihnen heraus, um sich
ihren Rat und ihren Segen zu erbitten.

Die ganze Gegend, in welcher ein besonders toller Einsiedler sein Wesen
trieb, hielt sich für beglückt, und man hat Beispiele, dass diese
Heiligen von den Bewohnern anderer Landschaften gleichsam wie die wilden
Affen in Pechstiefeln eingefangen wurden.

Salamanes aus Kapersana, einem Dorfe am Euphrat, hatte sich in ein Haus
sperren lassen, welches weder Fenster noch Türen hatte. Einmal im Jahr
öffnete er diesen Käfig, um die Lebensmittel in Empfang zu nehmen,
welche ihm herbeigeschleppt wurden, wobei der heilige Mann aber mit
niemandem redete. Die Bewohner seines Geburtsortes glaubten, ein Recht
auf diese Blume der Heiligkeit zu haben und entführten den Narren; aber
kaum hatten sie ihn einige Tage, als er ihnen wieder von den Bewohnern
eines benachbarten Dorfes gestohlen wurde. Alle diese gewaltsamen
Veränderungen waren nicht im Stande, dem Heiligen ein Wort zu entlocken.

Die Verehrung gegen diese Wüstennarren ging so weit, dass Kaiser
Theodosius ihnen sogar seine Söhne Honorius und Arkadius zur Erziehung
anvertraute. Es wurde freilich nichts Gescheites aus ihnen, denn
Honorius war förmlich blödsinnig geworden und fand sein größtes
Vergnügen daran, das Federvieh zu füttern. Eine recht unschuldige
Liebhaberei für einen Kaiser, die auch moderne Imperatoren haben, wenn
das Federvieh nur aus der rechten Tonart kräht.

Theodosius war überhaupt ein großer Freund der Mönche, und sowohl er wie
andere Kaiser nahmen zu ihnen wie zu Orakeln ihre Zuflucht. Er ahmte dem
großen Alexander nach, indem er sagte: "Wenn ich nicht Theodosius wäre,
so möchte ich ein Mönch sein." Sein Volk hatte Ursache genug, zu
bedauern, dass er Theodosius war.

Unter den "Vätern der Wüste" haben manche einen ganz besonderen Ruf der
Heiligkeit erworben, teils durch die unerhörten Qualen, welche sie sich
selbst auferlegten, teils durch die Wunder, welche ihnen zugeschrieben
wurden. Unter den schrecklichen Operationen, die sie mit ihrem Körper
vornahmen, litt auch der Geist, und so darf es uns nicht befremden, wenn
diese Leute allerlei Erscheinungen und Visionen hatten, die sie für
Wirklichkeit nahmen und die nur dazu dienten, ihren zerrütteten Verstand
noch mehr zu verwirren. Die Kirchenschriftsteller, welche diese Wunder
nacherzählen, waren ernsthafte Männer und tun dies im festen Glauben an
die Wahrheit dessen, was sie berichten. Erst die späteren mag hin und
wieder Eigennutz zum absichtlichen Betrug verleitet haben.

Ich würde alle diese Wunder als abgeschmackt übergehen, wenn man sie nur
allein in jener finsteren Zeit geglaubt hätte, allein noch heute gelten
sie Tausenden von römischen Katholiken als Wahrheit.

Der gemeine Katholik in den echt katholischen Ländern weiß von Gott sehr
wenig; er versteht die philosophische Dreieinigkeitsgeschichte nicht und
zerbricht sich auch nicht den Kopf darüber; er kennt nur seine
wundertätigen Heiligen und den Teufel.

Lange wollen wir uns übrigens in dieser halb bemitleidenswerten, halb
lächerlich tollen, heiligen Gesellschaft nicht aufhalten. Wer den ganzen
Unsinn der Wunder kennen lernen will, braucht nur eines der
Heiligenbücher zu lesen, welche von der Geistlichkeit in den
römisch-katholischen Ländern empfohlen und verbreitet werden.

Den größten Ruf unter den Wüstenheiligen erlangten: St. Paulus, St.
Pachomius, St. Antonius, St. Hilarion und St. Macarius Nr. 1 und Nr. 2.
Die Schlachten, welche diese Himmelsstürmer mit dem Teufel lieferten,
waren unzählig und die ungeheure Tätigkeit des "Erzfeindes" kann nicht
in Erstaunen setzen, da diese religiösen Don Quichote in jedem Affen, in
jedem andern Tier und namentlich in jedem Weibe, welche ihnen unvermutet
begegneten, nicht nur höllische Windmühlen, sondern den höllischen
Windmüller selber sahen.

Alle Übel, welche ihr krankhafter Körper- und Seelenzustand mit sich
brachte, wurden für Wirkungen des Teufels gehalten. Antonius schlief auf
der bloßen Erde und in feuchten Gräbern und zog sich dadurch sehr
begreiflicherweise die Gicht zu, wie das auch jedem Nichtheiligen
begegnet wäre; er aber bildete sich ein, dass die Schmerzen, die er
empfand, von einem Faustkampf mit dem Teufel herrührten, - weil er
vielleicht wirklich häufig Kämpfe mit den starken Affen zu bestehen
hatte, die sich im südlichen Ägypten aufhielten und die wahrscheinlich
die Erzväter der Waldteufel sind. Schöne Weiber, die ihm im Traum
erschienen, hielt er erst recht für Teufel, da sie ihn am stärksten
versuchten und eine derartige "Versuchung des heiligen Antonius" sieht
man häufig gemalt, weil sie die Phantasie der Maler lebhaft anregte.

Manche der Einsiedler mag auch die Eitelkeit verführt haben,
Erscheinungen vorzugeben, um ihr Verdienst in den Augen der Menschen zu
erhöhen. Wer vermag es, hier die Grenze zwischen wirklichen Äußerungen
des Wahnsinns und Dichtungen anzugeben? Wie lange ist es her, dass die
Hexenprozesse aufgehört haben? Mag bei diesen Letzteren manche
absichtliche Nichtswürdigkeit vorgegangen sein, so kann man doch für
gewiss annehmen, dass noch vor hundert Jahren viele der geachtetsten
Theologen und Juristen an die Möglichkeit der Teufelserscheinungen und
des fleischlichen Umgangs mit dem Teufel und andern bösen Geistern
glaubten; denn wäre dies nicht der Fall, so müsste man die Richter,
welche Hunderttausende von Hexen verbrennen ließen, für absichtliche
Mörder halten. Hexenprozesse fanden noch im vorigen Jahrhundert statt,
und der gemeine Mann in vielen, nicht nur römisch-katholischen Ländern,
glaubt noch heute steif und fest an Hexen.

Dem heiligen Antonius werden viel Wunder zugeschrieben. Die
Kirchenschriftsteller erzählen, dass ihm die Tiere der Wüste gehorchten
wie dressierte Pudel. Gar häufig umgaben sie zudringlich seine Höhle,
warteten aber stets bis er sein Gebet vollendet hatte, dann empfingen
sie seinen Segen und zogen mit den christlichen Gedanken auf Raub aus.
Als er den in seinem hundertunddreizehnten Jahr gestorbenen heiligen
Paulus aus dem ägyptischen Theben begrub, halfen ihm zwei fromme Löwen
das Grab machen. Als sie fertig waren, empfingen sie seinen Segen und
zogen, christlich mit dem Schwanz wedelnd, vergnügt und mit
erleichtertem Gewissen tiefer in die Wüste.

St. Macarius, der sich zur Unterdrückung des ihm arg zusetzenden
Wollustteufels mit bloßem Hintern in einen Ameisenhaufen setzte, genoss
ebenfalls das Vertrauen der wilden Bestien. Einst kam eine Hyäne an
seine Tür und pochte bescheiden an. Als der Heilige öffnete, legte ihm
die gläubige Mutter ein blindes Junges zu Füßen, zugleich aber ein
Lammfell als Honorar für die Kur. "Du hast es geraubt, ich mag es
nicht!" schnob der Heilige die fromme Hyäne an, welche so bestürzt
wurde, dass ihren Augen Tränen entrollten. Dies rührte den Heiligen und
er sprach freundlicher zu der bußfertigen Bestie: "Willst du kein Lamm
mehr rauben, so nehme ich das Fell und heile." Die Hyäne nickt zu, der
Heilige heilt. Dieser geht in seine Zelle, jene trollt vergnügt in die
Wüste und raubt von nun an keine Lämmer mehr, sondern wahrscheinlich -
Schafe.

Das erste Wunder, welches der heilige Hilarion tat, klingt nicht so
unglaublich. Eine junge Frau, die von ihrem Manne verachtet wurde, weil
sie ihm keine Kinder gebar, holte sich Rat bei dem
zweiundzwanzigjährigen Heiligen. Er betete allein mit ihr, und nach neun
Monaten kam sie wirklich mit einem durch tätiges Gebet bewirkten kleinen
Heiligen nieder.

Doch wozu noch mehr dieser Wunder anführen? - Hier reitet ein Heiliger
auf einem Krokodil durch den Nil, dort führt ein anderer einen grimmigen
Drachen an einem Bindfaden; hier lässt ein anderer Schnee anbrennen,
Eisen schwimmen und Früchte auf Weidenbäumen wachsen; dort benutzt ein
Heiliger einen lebendigen Adler als Regenschirm oder hat den Teufel vor
seinen Pflug gespannt; - kurz, diese Heiligen machten nicht allein die
Menschen, sondern auch die Natur konfus. Und all dieser Unsinn wurde
geglaubt, denn daran zweifelte kein Mensch, dass so heilige Leute die
ewigen Naturgesetze ganz nach Willkür verändern und unterbrechen
konnten!

Die im Orient entstandene Schwärmerei fand auch in Europa den
lebhaftesten Anklang, und besonders wirkte dafür St. Ambrosius, Bischof
von Mailand, dem wir den Ambrosianischen Lobgesang, das Te deum
laudamus, verdanken, und St. Hieronymus, von dem wir schon früher
geredet haben. Beide wirkten sowohl durch eigenes Beispiel als durch
Schriften. Hieronymus lebte selbst längere Zeit in der syrischen Wüste
und schrieb ein Werk, betitelt "Lob des einsamen Lebens", welches für
ein Meisterstück der Beredsamkeit gilt. Ich werde später noch manchmal
Stellen aus seinen Schriften anführen müssen. Er war 331 in Strydon in
Dalmatien geboren, hielt sich lange Zeit in Rom auf und starb 422 in
seinem Kloster in Bethlehem.

Der Hang zum asketischen Leben nahm nun schnell in Europa überhand, und
Heilige und Klöster schossen überall wie Pilze auf. Der heilige Martin
war der erste, welcher Klöster in Frankreich anlegte. Er war 316 in
Pannonien geboren und hatte das Kriegshandwerk ergriffen. Als er einst
einem Armen die Hälfte seines Mantels gab, bildete er sich ein, Christi
Stimme zu hören, welche ihm zurief: "Was du andern getan hast, hast du
mir getan." Dies bewog ihn, sein Regiment zu verlassen und unter die
Heiligen zu gehen. Sein Ruf verbreitete sich bald; er wurde Erzbischof
von Tours und ein sehr stolzer Heiliger. Als er vor Kaiser Valentinian
erschien, wollte dieser sich nicht von seinem Throne erheben, um St.
Martin zu begrüßen. Diesen verdross solcher Hochmut, er betete, und - so
erzählt die "Geschichte" - feurige Flammen schlugen aus dem Thronsessel
empor, so dass seine kaiserliche Majestät schnell in die Höhe fahren
musste, wollte sie nicht ihren allerhöchsten allerdurchlauchtigsten
Allerwertesten verbrennen.

Die Zahl der europäischen Heiligen ist sehr groß, und ich möchte gern
ihr ganzes heiliges Leben und all ihre Wunder erzählen; allein leider
habe ich weder Zeit noch Raum zu einem so umfassenden, interessanten
Werk und will mich daher damit begnügen, nur von denjenigen zu reden,
die für die Welt als Stifter von Mönchsorden oder als sogenannte Apostel
wichtig wurden, und auch dann noch ist ihre Zahl so groß, dass ich eine
Auswahl treffen muss.

Ehe ich aber dazu schreite, will ich die gläubigen Christen darüber
belehren, was denn eigentlich solch ein Heiliger bedeutet und wozu er
noch heute gut ist. Es versteht sich von selbst - so lehrt natürlich die
römische Kirche - dass ein Heiliger nicht nur selig ist, sondern dass er
auch im Himmel einen besonders hohen Platz einnimmt, gewissermaßen zu
der Familie des lieben Gottes gehört und beständig mit Christus, der
Jungfrau Maria, deren neuerdings unbefleckt empfangenen Frau Mutter, dem
Heiligen Geist, den vornehmsten Engeln und den Aposteln verkehrt. Man
kann sich also wohl denken, dass solch ein Heiliger direkten oder
indirekten Einfluss bei dem lieben Gott hat und nicht leicht vergebens
bittet. Die Heiligen haben ganz außerordentlich viel zu tun, denn sie
haben nicht allein diejenigen auf Erden lebenden Menschen zu beschützen
und zu behüten, deren spezielle Schutzpatrone sie sind, sondern auch
noch spezielle Zweige der Heiligenwissenschaft zu vertreten. Die
angeseheneren Heiligen sind außerdem Vorsteher ganzer Nationen oder
besonderer Städte, und somit sieht jeder ein, dass ihr Amt im Himmel
keine Sinekure ist. Damit nun jeder, den irgendeine religiöse Blähung
oder ein körperliches Gebrechen quält, welches er wohlfeiler kuriert
haben will, als es von einem irdischen unheiligen Doktor geschehen kann,
weiß, was er zu tun hat, so will ich einige Hauptheilige nebst ihren
Funktionen anführen.

Der Adel steht unter der besonderen Protektion der drei großen Heiligen
St. Georg, St. Moritz und St. Michael; der Patron der Theologen ist
höchst seltsamerweise der zweifelsüchtige "ungläubige" St. Thomas, und
der Schutzheilige der Schweine ist St. Antonius. Die Jurisdiktion über
die Juristen hat St. Ivo, über die Ärzte St. Cosmus und St. Damian, über
die Jäger St. Hubertus und die Trinker stehen unter dem Schutze St.
Martins. So hat auch jedes Gewerbe seinen besonderen Heiligen, denen die
römisch-katholischen Handwerker wahrscheinlich ihr Geschäft anvertrauen,
wenn die vielen Festtage oder die Wallfahrten zur heiligen Garderobe sie
abhalten, selbst dafür zu sorgen.

Auch jede Nation hat ihren besonderen Schutzheiligen. Die Portugiesen
haben St. Antonius, der neben den Schweinen auch sie behütet; die
Spanier St. Jakob, welcher sich kürzlich als der wahre Jakob erwiesen
hat; die Franzosen St. Denis, die Engländer St. Georg, die Venezianer
St. Markus, und die Deutschen werden einen eigenen Schutzheiligen
bekommen, wenn sie eine Nation sind; einstweiligen besorgen die
Schutzheiligen anderer Nationen ihre diplomatischen Geschäfte, im
Himmel.

Auch haben einige Heilige, die mit der Leitung von Nationen und
besonderen Ständen nicht zu sehr beschäftigt sind, ihre Muße im Himmel
benutzt, einige Übel der armen Erdenwürmer besonders gründlich zu
studieren, und der liebe Gott, der doch nicht alles selbst tun kann, hat
ihnen nach dem Glauben vieler Katholiken erlaubt, ihm hier und da
auszuhelfen.

St. Aja hat die Rechtswissenschaft studiert und hilft in Prozessen; St.
Cyprian beim Zipperlein, St. Florian bei Feuersgefahr, St. Nepomuk gegen
Wasserflut und in Verleumdung; St. Benedikt gegen Gift; St. Hubertus
gegen die Hundswut, St. Petronella im Fieber, St. Rochus gegen die Pest,
St. Ulrich gegen die Ratten und Mäuse, St. Apollonia gegen Zahnweh, wenn
es nicht von Schwangerschaft kommt, denn in diesem schmerzlichen Fall
muss man sich an St. Margaretha wenden, welche auch bei schweren
Geburten hilft. St. Blasius bläst das Halsweh weg, und St. Valentin
hilft gegen die fallende Sucht; St. Lucia gegen Augenübel, und Vieharzt
im Himmel ist St. Leonhard.

St. Benedikt ist der Vater der zahlreichen Benediktinermönche. Er wurde
480 in Nursia in Umbrien geboren und starb 543. Die Legende erzählt von
ihm merkwürdige Dinge. Schon im Mutterleibe sang er Psalmen, und wenn er
als Kind weinte, dann brachten ihm die Engel Bischofsstäbe,
Bischofsmützen und Breviere zum Spielen und machten Musik auf
Instrumenten, die erst viele Jahrhunderte später unter den Menschen
erfunden wurden. Sein erstes Wunder war, dass er einen zerbrochenen Topf
wieder ganz betete!

Im Beten besaßen diese Heiligen, wenn wir den Kirchenschriftstellern
glauben wollen, eine ordentlich schauerliche Innigkeit und Ausdauer.
Einige erhoben sich vor lauter Inbrunst einige Fuß über die Erde und
blieben so in der Luft hängen. Ein irländischer Heiliger, namens Kewden,
betete so hartnäckig und lange, dass eine Schwalbe in seine gefalteten
Hände Eier legen und ausbrüten konnte!

Es versteht sich von selbst, dass St. Benedikt vom Teufel heftig
verfolgt wurde, der ihn, als der fromme Mann sich in eine Einöde
vergraben hatte, beständig in Gestalt einer Amsel umschwärmte. Als er,
nämlich der Heilige und nicht der Teufel, Abt eines Klosters wurde,
verführte der Teufel einen Pfaffen, sieben schöne Mädchen in der
Naturuniform im Klostergarten laufen zu lassen, so dass fast alle Mönche
des Teufels wurden. Nahe daran waren sie, denn sie machten Versuche,
ihren strengen Abt zu vergiften, die natürlich alle misslangen, denn
bald betete er den Giftbecher entzwei, bald kam ein Rabe, der das
vergiftete Brot sofort in die Wüste trug.

Benedikt stiftete eine große Menge von Klöstern, darunter das berühmte
von Monte Casino, und gab seinen Mönchen eine Regel, die für einen
Heiligen und sein Zeitalter sehr vernünftig ist. Seine Mönche sollten
arbeiten; allein von Selbstquälerei und dergleichen ist darin nichts
vorgeschrieben. Seine Klosterregel wurde bald die Grundlage aller
anderen, und die Benediktinerklöster waren die Zufluchtsorte für Künste
und Wissenschaften, welche ohne sie vielleicht ganz und gar im rohen
Mittelalter von dem Christentum verschlungen sein würden. Wir mögen
daher immerhin St. Benedikt als einen der achtungswertesten Heiligen
verehren und ihm die dummen Wunder nicht zur Last legen, welche ihm
spätere Verehrer andichteten.

Von seiner Klosterregel weicht die des irdischen Mönches Columbanus
merklich ab; in seinem Zuchtbuch regnet es für das geringste Vergehen
Dutzende von Hieben. Wer einem Bruder widersprach, ohne hinzuzufügen:
"Wenn du dich recht erinnerst, Bruder", erhielt fünfzig Hiebe, und wer
gar allein mit einem Frauenzimmer redete, - zweihundert, wohlgezählt.

Der englische Mönch Winfried, der nachher St. Bonifazius hieß, wird
gewöhnlich der Apostel der Deutschen genannt. Er führte die Klöster in
Deutschland ein und mit ihnen allen Segen Roms. Die Friesen erwarben
sich das Verdienst, ihn nebst dreiundfünfzig Pfaffen totzuschlagen (am
5.Juni 759). Hätten sie es früher getan, dann wüssten wir vielleicht
nichts von Ehelosgikeit der Priester, Wallfahrten, Bilderdienst,
Reliquien und dergleichen Dingen, die er in Deutschland heimisch machte.

St. Adalbert, der sogenannte Apostel der Preußen, war Bischof von Prag
und ein ganz guter Mann, dem es nur an Verstand fehlte. Was er
eigentlich für ein Landsmann war, weiß ich nicht; aber ich vermute ein
Deutscher, denn er war so demütig, dass er am Hofe seines Freundes
Kaiser Otto II. den Hofleuten heimlich die Stiefel putzte.

Ihn gelüstete sehr nach der Märtyrerkrone und er schlug allerdings,
obwohl aus heiliger Einfalt, den allerkürzesten Weg dazu ein, sie auf
das schleunigste zu erlangen. Er zog mit zwei Gefährten Psalmen singend
durch das Land der wilden, heidnischen Preußen. Dies wilde Volk hielt
ihn anfangs gar nicht für einen Heiligen, sondern für einen Verrückten
und wurde in diesem Glauben noch bestärkt, als Adalbert auf ihre
Götterbilder schimpfte, ja, sie wohl gar verunehrte und ihnen dafür
Kreuz, Hostie, Marienbilder und andern römisch-christlichen Hausbedarf
anbot. Als die Preußen ihn auslachten, schimpfte er auf die Verstockten
und wurde zornig, und ehe er sich dessen versah, steckten ihm sieben
heidnische Wurfspieße im heiligen Leibe, die ihn zum Märtyrer machten.

Bruno, einem Benediktiner aus Magdeburg, ging es einige Jahre später
nicht besser; die Preußen schlugen ihn nebst achtzehn seiner Gefährten
ebenfalls tot.

Ebenso wichtig als Förderer des Klosterwesens und als Heiliger, aber bei
Weitem wichtiger und bedeutender als Mensch, ist der heilige Bernhard.
Luther sagt von ihm: "War je ein wahrer, gottesfürchtiger Mönch, so war
es Bernhard; seinesgleichen ich niemals weder gehört noch gelesen habe,
und den ich höher halte, denn alle Mönche und Pfaffen des ganzen
Erdbodens."

Bernhard stammte aus einer altadeligen burgundischen Familie und wurde
1091 zu Fontaines bei Dijon geboren. Er war ein Schwärmer, aber ein
durchaus edler Mensch, dem es wahrer Ernst war, die verdorbenen
Geistlichen und die Menschen überhaupt zu bessern. Er quälte seinen
Körper auf grauenhafte Weise, indem er mit seinen Mönchen oft nur von
Buchenblättern und dem elendsten Gerstenbrot lebte. Genoss er einmal zur
Stärkung seines geschwächten Magens etwas Mehlbrei mit Öl und Honig,
dann weinte er bitterlich über diese Schwachheit.

Seine Frömmigkeit und sein scharfer Verstand erwarben ihm bald einen
bedeutenden Ruf. Als er einst in Mailand einzog, waren ihm Hände und
Arme geschwollen von den Küssen, mit denen ihn die zudringlichen
Gläubigen überdeckten. Er hätte Erzbischof, ja, Papst werden können, er
schlug alle Würden aus; aber als einfacher Bruder von Citeaux übte er
den bedeutendsten Einfluss aus. Er schlichtete Streitigkeiten zwischen
Päpsten und Königen, zwischen Fürsten und ihren trotzigen Vasallen, und
der wildeste Kriegsmann zitterte vor dem gewaltigen Mönch. Weder Kaiser
noch Papst wagten es, in Bernhards Kloster Citeaux einzureiten, sie
gingen demütig zu Fuß.

Er war die Seele des zweiten der Kreuzzüge, - dieser großartigen
Narrheit, die sieben Millionen Menschen das Leben kostete, die aber aus
religiösem Eifer von Bernhard gefördert wurde. Selbst über die
hartnäckigsten Widersacher siegte seine Beredsamkeit, wie zum Beispiel
über Kaiser Konrad III., der in Speyer seinen Kaisermantel ablegte und
den Heiligen auf seinen Schultern durch das Gedränge trug. Seine
verführerische Zunge entvölkerte die Städte von Männern, so dass in
manchen kaum einer für sieben Weiber zurückblieb, denn "alles, was die
Wand bepisst", nahm das Kreuz.

Der heilige Bernhard verdiente ein eigenes Buch, und ich werde später
noch hier und da manches zu erwähnen haben, was seine Verdienste besser
ins Licht setzt. Hier will ich nur noch einige Wunder anführen, welche
ihm die Legende zuschreibt und ohne welche er schwerlich in den
Heiligenkalender gekommen wäre, trotz all seiner Verdienste.

Die Erzählungen von den Siegen über den Teufel, welche er durch die
Kraft seines Gebetes errang, sind unzählbar. Sein Gebet war aber auch so
innig, dass es Steine erbarmte. Einst machte sich ein steinerner
Christus vom Kreuze los und stieg herab, um den frommen Beter zu
umarmen. Ein steinernes Marienbild ging noch weiter. Es reichte dem
Heiligen die Brust, und dieser trank aus dem Stein die süßeste
Frauenmilch! Es ist diese Güte der heiligen Mutter Gottes umso mehr zu
bewundern, als St. Bernhard sie eigentlich immer schlecht behandelte und
nicht einmal an ihre Jungfrauschaft glauben wollte! Als er einst in den
Dom zu Speyer trat, grüßte er das dort befindliche Marienbild: "Sei
gegrüßt, o Königin!" Wie erstaunten die Anwesenden, als die
geschmeichelte und angenehm überraschte steinerne Mutter Gottes die
steinernen Lippen öffnete und ausrief: "Wir danken dir schön, unser
lieber Bernhard", aber noch verwunderte man sich, als der verdrießliche
Heilige die Worte des Apostels zurückbrummte: "Weiber schweigen in der
Versammlung."

Bernhard starb 1153. Er erschien seinen Mönchen mehrmals verklärt im
Himmelsglanz, aber - und Spötter sollten sich das ad notam nehmen - in
der Mitte seines Leibes war ein unangenehmer Makel, eben weil er an die
makellose Jungfrauschaft der Mutter des Jesukindleins nicht hatte
glauben wollen.

St. Bernhard selbst hatte 160 Klöster angelegt, die eine zahlreiche
Nachkommenschaft hatten, denn schon zehn Jahre nach des Heiligen Tod gab
es 500, und hundert Jahre später gegen 2000 Bernhardiner- oder
Zisterzienserklöster. Die Mönche dieses Ordens zeichneten sich lange
Zeit vor allen andern durch Arbeitsamkeit und Sittenreinheit aus, so
dass Könige und Fürsten in die Gemeinschaft desselben traten.

Den Segen, den diese Mönche und die Benediktiner dem rohen Mittelalter
hätten bringen können, vernichteten die nun bald entstehenden
Bettelorden, welche knechtische Unterwerfung der Vernunft unter den
blindesten Glauben lehrten und damit die zügelloseste Sittenlosigkeit zu
verbinden wussten. Sie verbreiteten eine dicke geistige Finsternis über
die Erde, welche die Päpste und ihre Verbündeten so sehr zu schätzen
wussten, dass sie auf das sorgfältigste bemüht waren, dieselbe bis auf
den heutigen Tag zu erhalten.

Die Idee der Bettelorden entsprang in dem Gehirn Giovanni Bernardone's,
eines verdorbenen Kaufmannssohnes aus Assisi in Umbrien. Er ist bekannt
unter dem Namen des heiligen Franz von Assisi oder des seraphischen
Vaters. - Da der junge Mann zum Kaufmann nichts taugte, so wurde er
Soldat, geriet in Gefangenschaft und verfiel in eine schwere Krankheit.
Als er genas, war er - ein Heiliger! Das heißt vorläufig nur ein simpler
Narr, der sich unter Bettlern und Aussätzigen umhertrieb, ihre Geschwüre
küsste, sich mit ihren Lumpen kleidete und seinen Vater bestahl, um das
Gestohlene zum Ausbau einer verfallenen Kirche zu verwenden. Der Bischof
von Assisi nahm den Dümmling in Schutz, und bald zog er im Land umher,
bettelnd für den Bau der eben erwähnten Kirche. Die Kollekte fiel so
reichlich aus, dass er auf den Gedanken geriet, einen Bettelorden zu
stiften. Papst Honorius sagte zwar von ihm: "Ihr seid ein
Einfaltspinsel", aber Papst Innozenz III., dazu durch einen Traum
veranlasst, bestätigte die von Franz aufgesetzte Mönchsregel, die er
doch anfangs eine Regel für Schweine, aber nicht für Menschen genannt
hatte.

Anfangs wurde Franz verspottet und verhöhnt, aber in der Zeit von drei
bis vier Jahren stieg der Ruf seiner Heiligkeit so sehr, dass ihm, wenn
er einer Stadt nahte, Geistlichkeit und Volk feierlich entgegenkamen und
mit allen Glocken geläutet wurde. (1211.)

Seine Regel verbot es streng ein Eigentum zu haben, und die äußerste
Demut war den Mönchen Gesetz. "Die Almosen", sagte Franz, "sind unser
Erbe, Almosen unsere Gerechtigkeit, das Betteln unser Zweck und unsere
Königswürde! Die Schmach und Verachtung unsere Ehre und unser Ruhm am
Tag des Gerichts."

Er ging selbst mit dem Beispiel voran, denn er war demütig wie ein Hund.
Je mehr ihn die Gassenjungen verhöhnten, desto lieber war es ihm, und
ganz vergnügt war er, wenn sie ihn gar mit Schmutz bewarfen. Aus lauter
Demut ließ er sich oft mit Füßen treten. Wenn er in Assisi umherging und
bettelte, so steckte er alles Essbare, das er erhielt, in einen Topf,
und wenn ihn hungerte, so langte er zu und aß von dem ekelhaften
Gemisch. Einst wurde Franz von einem Kardinal zu Tisch geladen; er ließ
jedoch alle Gerichte unberührt und aß zum Ekel der delikaten Gäste den
Schweinefraß, den er gesammelt hatte.

Die Tiere hatte er sehr lieb und nannte sie seine Brüder und Schwestern.
Gar oft predigte er den Gänsen, Enten und Hühnern, und als ihn einst die
Schwalben und Sperlinge durch ihr Gezwitscher störten, bat er die
"lieben Schwestern" um Ruhe. Einen Bauer, der zwei Lämmer zu Markte
trug, fragte er: "Weshalb quälst du so meine Brüder?" - Eine Laus, die
sich auf seine Kutte verirrt hatte, nahm er sorgfältig zwischen die
Finger, küsste sie und sagte: "Liebe Schwester Laus, lobe mit mir den
Herrn!" Dann setzte er sie auf seinen Kopf, woher sie gekommen war.

Seinen Körper nannte er "Bruder Esel", und wenn diesen Esel der Hafer
stach, dann plagte er ihn wacker. Er wälzte sich, wie es auch St.
Benedikt tat, nackt auf Dornen, stieg bis an den Hals in gefrorene
Teiche oder legte sich in den Schnee, bis jede wollüstige, eselhafte
Regung verschwunden war. Einst machte er sich in spaßhafter Laune Weib
und Kinder von Schnee und umarmte sie so lange inbrünstig, bis sie
zerschmolzen waren.

Sein Orden mehrte sich außerordentlich schnell, denn schon im Jahr 1216,
als er ein Generalkapitel desselben nach Assisi ausschrieb, kamen hier
5000 Franziskaner zusammen, obgleich ein großer Teil davon nur
Abgeordnete von Klöstern waren. Ihre Zahl wuchs bald wie Sand am Meer.
Der Franziskanergeneral bot einst dem Papst Pius III. 40.000
Franziskaner zum Türkenkrieg an und versicherte, dass die geistlichen
Verrichtungen darunter nicht leiden sollten. Während der Pest 1348
starben allein in Deutschland 6000 Franziskaner, und man merkte die
Verminderung nicht. Die Reformation zerstörte unendlich viele ihrer
Klöster, allein noch im Anfang des vorigen Jahrhunderts rechnete man die
Zahl derselben auf 7000 Mönchs- und 900 Nonnenklöster!

Franz starb 1226, und da er ein Heiliger war, so tat er denn
selbstverständlich auch eine Menge von Wundern. Christi Wunder
verschwinden vor denen, welche seine Mönche von ihm berichten.

Einst zog er sich in die Apenninen zurück und hungerte hier vierzig Tage
lang. Da erschien ihm ein Seraph, der ihm die fünf Wundmale Christi
aufdrückte, so dass sie bluteten. Von daher hieß Franz auch der
seraphische Vater und sein Orden der Seraphienorden. Die Verehrer dieses
Heiligen gingen so weit, ihn wirklich weit über Christus zu setzen und
ihm die tollsten und verrücktesten Wunder zuzuschreiben.

Franzens Nachfolger als Ordensgeneral war der Bruder Elias, ein
schlauer, durchtriebener Patron, der sich die Einfalt Franzens trefflich
zunutze zu machen wusste. Er und seine Nachfolger verstanden es
herrlich, Franzens Ordensregeln auszulegen, und dabei wurden ihre
Klöster so reich wie keine anderen.

Die geschworenen Feinde und Widersacher der Franziskaner waren die
ungefähr um dieselbe Zeit entstehenden Dominikaner, so benannt nach
ihrem Stifter, dem heiligen Dominikus. Er hieß Dominikus Guzman und war
1170 in Altkastilien geboren. Er ward zur Bekehrung der Waldenser nach
Frankreich geschickt und bekam hier den Gedanken, einen Mönchsorden zu
stiften, dessen Wirksamkeit besonders auf das Volk berechnet sein und
der sich mit Predigten und Unterrichtgeben und zu seinem Unterhalt mit
dem einträglichen Betteln abgeben sollte. Er erhielt vom Papst die
Bestätigung, und dieser scheußliche Orden trat ins Leben, um die Welt
mit der Inquisition und der Zensur der Bücher zu beglücken. Dominikus
selbst war der erste, welcher förmliche Ketzerjagden anstellte.

Er wollte seinen Orden mit dem des heiligen Franz vereinigen; aber
dieser hatte keine Lust dazu. Beide Orden standen sich indessen anfangs
bei; aber bald gerieten sie aus Handwerksneid in bitterste Feindschaft;
auch wollten die gebildeteren Dominikaner stets etwas Besseres sein als
die Franziskaner, von denen durchaus keine Gelehrsamkeit gefordert
wurde. Der Dominikanerorden wuchs ebenfalls schnell, und 1494 gab es
4143 Klöster desselben.

St. Dominikus verdankt die Klosterwelt eine große Erfindung, nämlich
neunerlei Stellungen beim Gebet, mit denen man zur Unterhaltung
abwechseln konnte, damit die Sache nicht zu langweilig wurde. Man konnte
beten: stehend, kniend, auf dem Rücken, dem Bauch, den Seiten liegend,
die Arme ins Kreuz ausgestreckt, gekrümmt stehend, bald kniend, bald
aufspringend. Er selbst betete so inbrünstig, dass er von der Erde
verzückt wurde, das heißt einige Fuß hoch vom Boden in der Luft
schwebte. Er starb 1221 zu Bologna. Von seinen überirdischen Taten,
nämlich seinen Wundern, wollen wir schweigen, wir haben genug an seinen
irdischen. Fliehen wir aus der Gesellschaft dieses bleichen
Henkerknechtes! und wessen Christentum es erlaubt, der mag dem Vater der
Inquisition aus vollem Herzen einen Fluch nachrufen, ich stimme von
ganzer Seele ein!

Ich hoffe, die Leser werden bereits genug haben an dem Unsinn, den ich
ihnen nach den Berichten der Kirchenschriftsteller von den
achtungswertesten der Heiligen erzählte, und ich will ihre Geduld jetzt
nicht weiter auf die Probe stellen, da ich ohnehin später noch diesen
oder jenen Heiligen erwähnen muss. Wäre ich nur darauf ausgegangen, die
Heiligen und ihre Wunder lächerlich zu machen, dann hätte ich eine ganz
andere Auswahl getroffen, dann hätte ich St. Antonius von Padua, welchen
der heilige Franz selbst "ein Rindvieh" nannte, und Konsorten gewiss
nicht ausgelassen.

Schließlich will ich nur noch einige heilige Frauen erwähnen; ihre Zahl
ist nicht weniger groß als die der männlichen Heiligen, und ihre
Schwärmereien und Wunder sind noch bei weitem wunderbarer. Es ist hier
nicht der Ort, die Ursachen auseinanderzusetzen, warum das weibliche
Geschlecht weit mehr zur Schwärmerei geneigt ist als das männliche und
der Verstand der Weiber leichter überschnappt. Die Erfahrung lehrt es
uns täglich. Von somnambulen Männern habe ich noch nichts gehört, aber
dergleichen Mädchen - nicht Frauen - gibt es in großer Menge. Eine große
Zahl der heiligen Mädchen waren ganz sicher Somnambulen.

Eine der ältesten Heiligen ist St. Afra. Ihre Mutter hielt ein Bordell
in Augsburg, und sie war darin eine der fungierenden Priesterinnen. Der
Zufall, natürlich, führte einst den spanischen Bischof Narzissus in dies
Haus. Er bekehrte die Priesterinnen der Venus zum Christentum, und Afra,
mit der er sich am meisten beschäftigte, machte er zur Heiligen. Sie
wurde später als Märtyrerin verbrannt.

Die heilige Therese war eine Spanierin aus adeliger Familie, geboren
1515 und gestorben 1582. Ihre Verehrer gaben ihr die seltsamsten Titel:
Arche der Weisheit, himmlische Amazone, Balsamgarten, Orgel und
Kabinettssekretär des Heiligen Geistes usw. Schon als Kind wurde sie von
der Schwärmerei ergriffen und wollte nach Afrika gehen, um dort den
Märtyrertod zu finden. Endlich, als sie siebzehn Jahre alt war, hielten
es die Eltern nicht mehr mit ihr aus und brachten sie in das
Karmeliterkloster zu Avila. Sie hatte nun bald Erscheinungen aller Art,
und als ihr gar einst eine Hostie aus der Hand des Bischofs von selbst
in den Mund flog, da war die Heilige fertig. Sie ward endlich Äbtissin
eines eigenen Klosters zu Pastrana, und nun konnte sie ihrer Heiligkeit
freien Lauf lassen.

Jesus war von ihrer Heiligkeit so entzückt, dass er ihr einst die Hand
reichte und sie zu seiner Braut weihte, indem er sagte: "Von nun an bin
ich ganz dein und du ganz mein." Einst erschien ihr ein Seraph, der sie
mit einem "glühenden Pfeil" einige Mal tupfte; aber der Schmerz war so
süß, dass sie wünschte, ewig so getupft zu werden. Die Spanier feiern
noch heute dies Fest der Bepfeilung am 27. August.

Die Nonnen der heiligen Therese mussten barfuß gehen und sich die
strengste Zucht gefallen lassen. Der blindeste Gehorsam war ihnen
Gesetz, und die geringste Abweichung davon wurde furchtbar bestraft.
Eine Nonne, die über schlechtes Brot eine verdrießliche Miene machte,
wurde nackend an die Eselskrippe gebunden und musste hier zehn Tage lang
Hafer und Heu fressen! Solche barbarische Strenge hatte denn auch zur
Folge, dass jeder ihrer Befehle auf das pünktlichste befolgt wurde. Eine
Nonne fragte sie einst, wer heute die Abendmette singen solle. Die
Heilige war verdrießlich und antwortete "Die Katze". Die Nonne nahm also
die Katze, ging damit an den Altar und zwickte sie in den Schwanz, so
dass das arme Tier in den erbärmlichsten Liedern das Christentum
anklagte.

Selbstquälerei war in diesem Kloster an der Tagesordnung. Theresens
Nonnen verbrauchten eine Unmasse von Ruten. Sie schliefen auf Dornen
oder im Schnee, tranken aus Spucknäpfen, nahmen tote Mäuse und anderes
ekelhaftes Zeug in den Mund, tranken Blut, tauchten ihr Brot in faule
Eier und durchstachen sich die Zunge mit Nadeln, wenn sie das Schweigen
gebrochen hatten.

Eine höchst merkwürdige Antipathie hatte die heilige Therese gegen
behos'te Männer, und hätte sie die Macht gehabt, so hätte sie allen die
Hosen abgezogen. Soweit sie Gewalt hatte, tat sie es auch. Die unter ihr
stehenden Karmelitermönche mussten die Hosen ablegen und dafür ein
kleines Schürzchen von brauner Wolle tragen. Sie hielt indessen nur
Männerhosen für unchristlich, denn ihre Nonnen mussten Hosen tragen; ob
sie es selbst tat, darüber haben uns die gelehrten Karmelitermönche
keine Nachricht hinterlassen.

St. Therese war auch Schriftstellerin und schrieb Bücher, die manchem
armen Mädchen den Kopf verrückten. Nach ihrem Tod erschien sie einer
vertrauten Nonne und gestand ihr, dass sie mehr aus Inbrunst der Liebe
als an der Heftigkeit der Krankheit gestorben sei. Von der Liebe scheint
diese heilige Hosenfeindin überhaupt mehr verstanden zu haben, als man
einer Äbtissin sonst zutraut, denn irgendwo schreibt sie: "Der Teufel
ist ein Unglücklicher, der nichts liebt, und die Hölle ein Ort, wo man
auch nicht liebt"; ein Gedanke, der eines Dichters würdig ist.

Ungefähr um dieselbe Zeit wie Therese lebte die Italienerin Katharina
von Cardone. Sie war aus Liebe verrückt, wohnte in einer Höhle und trug
ein Kleid von Ginster, mit Dornen und Eisendraht durchflochten. Sie fraß
Gras wie ein Tier, ohne sich der Hände zu bedienen, und einmal fastete
sie gar vierzig Tage lang. So lebte sie drei Jahre!

Die heilige Katharina von Genua war in Liebe, zu Christus natürlich,
dermaßen entbrannt, dass sie darüber toll wurde. Sie glühte wie ein
Ofen, und oft wälzte sie sich an der Erde und schrie: "O Liebe! Liebe,
ich halte es nicht mehr aus!"

Die heilige Passidea, eine Zisterziensernonne aus Siena, quälte sich,
noch ehe sie ins Kloster ging, ärger als die Väter der Wüste. Sie
geißelte sich mit Dornen und wusch dann die Wunden mit Essig, Salz und
Pfeffer; sie schlief auf Kirschkernen und Erbsen, trug ein Panzerhemd
von sechzig Pfund Schwere und stieg in gefrierende Teiche, um sich mit
einfrieren zu lassen. Ja, sie trieb den Unsinn so weit, dass sie sich
mit dein Kopf nach unten lange Zeit in den rauchenden Schornstein
hängte! Als sie Nonne war, erschien ihr einst Christus und drückte ihr
seine fünf Wundmale ein. Zwei Nonnen sahen durch das Schlüsselloch, wie
Jesus sie drückte und verschwand und wie die Wunden bluteten!

Die heilige Klara war aus Assisi und schwärmte mit dem heiligen Franz.
Sie lief zu ihm und bat, dass er sie zur Nonne machen und Söhne und
Töchter mit ihr zeugen möchte, - natürlich geistlicherweise. Ihre
Schwester Agnes wurde bald darauf von derselben Schwärmerei ergriffen,
und die armen Eltern waren ganz unglücklich. Die Verwandten wollten die
beiden Närrinnen mit Gewalt aus dem Kloster holen, aber da wurde - so
erzählt die Legende - Agnes plötzlich so schwer, dass zwölf Männer sie
nicht von der Stelle bringen konnten, und der Oheim, der sein Schwert
gezogen hatte, blieb stehen, als höre er Hüons Zauberhorn.

Die heilige Klara lebte sehr streng. Als Hemd trug sie eine Schweinshaut
oder auch eine Gewebe aus Rosshaaren, und aus Demut küsste sie der
schmutzigsten Viehmagd die Füße, welche sie dann erst wusch, als wären
sie durch ihren Kuss verunreinigt worden. Als sie starb, fanden sie in
ihrem Herzen im kleinen alle Passionsinstrumente, wie in einem
Hechtskopf, und in ihrer Blase drei geheimnisvolle Steinchen, sämtlich
von gleichem Gewicht, aber wovon eines so schwer als alle drei, zwei
nicht schwerer als eins und das kleinste davon so schwer als alle drei
waren! - St. Klara war die Mutter der weiblichen Franziskaner, und ihr
verdanken wohl 900 Klarissenklöster ihr Entstehen.

Die heilige Katharina von Siena war auch mit Jesus verlobt worden, der
ihr einen kostbaren Diamantring an den Finger steckte, welchen aber
niemand sah als sie allein. Sie pflegte die ekelhaftesten Kranken, wofür
sie mit dem rosinfarbenen Blute aus seiner Seitenwunde getränkt wurde.
Seitdem nahm sie von Aschermittwoch bis Himmelfahrt weiter keine
Nahrung, sondern lebte bloß vom Abendmahl. Christus drückte ihr auch
seine fünf Wunden ein, was der Orden pour le mérite Religionsklasse der
Heiligen zu sein scheint. Über diese Auszeichnung kamen die Dominikaner
mit den Franziskanern in einen Streit, der vierzig Jahre dauerte und
welchen Papst Urban VIII. dahin entschied, dass Katharinas Wundmale
nicht geblutet hätten wie die des heiligen Franz. Auch wurde den Malern
befohlen, die Heilige nur mit fünf Strahlen vorzustellen.

Die heilige Agnes ließ der Stadtrichter, weil sie seinen Sohn nicht
heiraten wollte, nackt in ein Bordell bringen; aber plötzlich bekam sie
so lange Haare, dass sie sich darin einwickeln konnte wie in einen
Mantel, und das ganze liederliche Haus verwandelte sie in ein Bethaus.

Die heilige Paula, die einst ein unheiliger Jüngling notzüchtigen
wollte, erhielt auf ihr Gebet einen garstigen langen Bart, vor dem sich
der Liebhaber entsetzte und floh.

Die heilige Brigitte befreite einst ein neapolitanisches Mädchen von
einem in Gestalt eines Jünglings auf ihr liegenden Teufel.

Wir wollen die Reihe der Heiligen schließen mit der heiligen Rosa von
Lima, einer Dominikanerin, die auf knotigem Holz und Glasscherben
schlief und als Nachttrunk einen Schoppen Galle trank. Jesus war von
ihrer Heiligkeit so entzückt, dass er an einem Palmsonntag als
Steinmetzgeselle zu ihr kam und sich mit ihr verlobte, indem er sprach:
"Rosa, Schatz meines Lebens, du sollst meine Braut sein." Maria war mit
dabei und gratulierte ihr, indem sie sagte: "Siehe, was für eine große
Ehre dir mein Sohn antut." Las die Heilige, so erschien Jesus auf dem
Blatt und lächelte sie an; nähte sie, so setzte er sich auf ihr
Nähkissen und scherzte mit ihr. Besuchte Jesus eine andere Nonne - denn
er hatte gar zu viele Bräute -, so war Rosa vor Eifersucht außer sich,
bis er wiederkam.

Ihre heilige Schwiegermutter, die Jungfrau Maria, diente ihr
einundzwanzig Jahre lang als Kammerjungfer, und wenn die Frühmette kam,
rief sie: "Stehe auf, liebe Tochter, es ist Zeit." Das Kloster wimmelte
von Flöhen, aber keiner von diesen freigeisterischen Springern hatte die
Dreistigkeit, die Braut Christi zu stechen. - So steht es in der
päpstlichen Bulle, welche die Heiligsprechung enthält!

Außer den in diesem Kapitel genannten Heiligen und noch vielen hundert
anderen, die ich nicht nannte, beten die römischen Katholiken noch zu
einigen, die niemals lebten und die einer lächerlichen Fabel ihren
Ursprung verdanken, wie St. Christophorus, St. Georgius, St. Mauritius
und 6600 Gesellen, die sieben Schläfer, Ursula mit ihren 11.000
Jungfrauen und St. Guinefort, der ein vierbeiniger Hund war!

Jeder gute Katholik, der das Vergnügen haben will, nach seinem Tod unter
die Heiligen versetzt zu werden, konnte dies unter dem vorigen Papst
noch haben - von dem jetzigen weiß ich es nicht - der den Toten für
100.000 Gulden kanonisierte. Wunder fanden sich, da eben niemand ohne
Wunder Heiliger werden kann.

Die Christen der ersten Jahrhunderte wussten von Heiligen nichts. Sie
verehrten allerdings die Märtyrer oder Blutzeugen, welche ihres Glaubens
wegen hingerichtet wurden, sie erwähnten dieselben in ihren
Versammlungen und stellten sie der Gemeinde als Muster hin; und das war
sehr natürlich und durchaus zu billigen. Erst als Konstantin zum
Christentum übertrat und viele der heidnischen Bräuche in die
christliche Kirche übergingen, kam auch der Heiligendienst in Aufnahme.
Die Heiden waren gewohnt, ihren Heroen zu opfern; die christlichen
Priester trugen diesen Gebrauch auf ihre Glaubensheroen über.

Solange jeder Mensch Gott gleich nahe zu stehen glaubte, musste der
Heiligendienst als Unsinn betrachtet werden; als jedoch die Pfaffen sich
als Makler zwischen Gott und den übrigen Menschen stellten, war der
Schritt zu dem unsinnigen Glauben nicht weit, dass die Heiligen im
Himmel gleichsam wie Minister und Kammerherren den Hofstaat Gottes
bildeten und dass, wer bei Sr. himmlischen Majestät etwas durchsetzen
wollte, nur diese durch Gebete und Opfer zu bestechen brauchte!

Ärger konnten die Pfaffen die christliche Religion nicht verhöhnen als
durch diesen Heiligendienst, der dadurch noch unwürdiger wird, als es
schon seiner inneren Natur nach der Fall ist, dass viele dieser
Heiligen, wie uns die Geschichte lehrt, die verworfensten,
lasterhaftesten Menschen, ja, geradezu Schufte waren. Selbst die besten
waren nicht ganz richtig im Kopf und entweder Schwärmer oder
Wahnsinnige. Es gibt noch heute eine Menge solcher Heiliger unter
Protestanten und Katholiken, nur dass man sie nicht mehr anbetet,
sondern in Narrenhäuser sperrt.

Carl Julius Weber, einer unserer geistreichsten Schriftsteller,
charakterisierte diese Heiligen derb aber richtig. Er sagt: "Bei
weiblichen Mystikern sitzt der Jammer gewöhnlich auf dem Fleckchen, das
man nicht gerne nennt, und bei den männlichen hat den Fleck Hudibras
getroffen. -

    So wie ein Wind in Darm gepresst
    Ein - wird, wenn er niederbläst,
    Sobald er aber aufwärtssteigt,
    Neu Licht und Offenbarung zeugt."

Der Hysterie und den blinden Hämorriden verdankt die römische Kirche die
meisten ihrer Heiligen, und sie darf sich daher nicht wundern, wenn wir
dieselben - als Afterheilige betrachten.




Die heilige Trödelbude


                                Die Welt hat es erfahren,
                                dass einst der Glaub' in Priesterhand
                                mehr Böses tat in tausend Jahren,
                                als in sechstausend der Verstand.


"Geld ist Macht." Das erkennt niemand besser als die römische Kirche,
die nach beiden und durch das eine zum anderen strebte. In der römischen
Kirche gibt es keine Einrichtung oder Satzung, welche nicht auf irgend
eine Gelderpressung hinausliefe, und so lange die Welt steht, gab es
keine Institution, die ein umfangreicheres, frecheres und
einträglicheres Schwindelgeschäft betrieb, als die römische Kirche.

Als die einträglichsten Betrügereien derselben erwiesen sich der Handel
mit Reliquien und mit "Ablass", ein Handel, welcher Jahrhunderte durch
mit großem Erfolg betrieben wurde und der noch heutzutage keineswegs
aufgehört hat. Um ihn aufrechtzuerhalten, wurde der krasseste Aberglaube
geflissentlich auf die gewissenloseste Weise in die Herzen des Volks
gepflanzt und auf die unverschämteste Weise ausgebeutet.

Eine Geschichte des Handels zu schreiben, den die römische Kirche trieb
und noch treibt, würde eine Riesenarbeit sein, welche die Grenzen, die
ich mir notwendig setzen muss, weit überschreiten würde; ich kann nur
eine flüchtige Skizze desselben geben, die indessen vollkommen
hinreichend sein wird, um den ungeheuren Umfang des Betruges und die
Frechheit desselben erkennen zu lassen.

Auf menschliche Schwächen und Neigungen verstehen sich die Pfaffen
vortrefflich, und dieser Kenntnis verdanken sie ihren Reichtum und ihre
Macht. Ihnen konnte es nicht entgehen, dass alle Menschen mehr und
weniger Reliquiennarren sind, und sie machten diese Narrheit zu einer
Goldgrube, die noch heute nicht erschöpft ist.

Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch irgendeine Reliquie wert hält, sei
es die Locke einer Geliebten, eine gestickte Brieftasche oder eine
trockene Blume oder ein Band, woran sich angenehme liebe Erinnerungen
knüpfen. Ebenso kann man sich eines gewissen Interesses nicht erwehren,
wenn man Gegenstände sieht, welche von bedeutenden historischen Personen
einst gebraucht wurden.

Sowohl die Griechen als die alten Römer hatten ihre wert gehaltenen
Reliquien, und einige davon waren fast römisch-katholisch, wie zum
Beispiel das Ei der Leda! Das Palladion war ja auch eine Reliquie, und
noch dazu eine wundertätige, wie auch der vom Himmel gefallene heilige
Schild und viele andere.

Die Inder führten um einen übermenschlich großen Zahn von Buddha blutige
Kriege, und die Mohammedaner bewahren Fahne, Waffen, Kleider, den Bart
und zwei Zähne ihres Propheten, und so finden wir Reliquien bei jedem
Kultus und bei jedem Volk.

Wir entdecken in der Geschichte der christlichen Kirche keine Spur von
Reliquienkultus, ehe Konstantin Christ wurde. Von diesem wird erzählt,
dass er während der Schlacht an der Milvischen Brücke am Himmel ein
glänzendes Kreuz sah mit der griechischen Überschrift, welche in
deutscher Übersetzung "In diesem siege" heißt. Er ließ nun eine
Kreuzfahne machen, der seine meistens christlichen Soldaten mit
Enthusiasmus folgten.

Seitdem wurde das Kreuz Mode, und bald fand die Mutter des Kaisers,
Helena, das wahre Kreuz auf, an welchem Jesus vor länger als dreihundert
Jahren gekreuzigt worden war, wie auch das Grab, in welchem sein Körper
bis zur Auferstehung gelegen hatte. Die gleichzeitigen Schriftsteller
melden zwar von dieser Entdeckung nichts; sogar der Fabelhans Eusebius,
welcher die Reise der Kaiserin Helena nach Palästina beschreibt, sagt
kein Wort von diesem merkwürdigen Fund; aber die Geschichte ist einmal
als wahr angenommen, und die römische Kirche feiert ein eigenes
"Kreuzerfindungsfest".

Der Segen, den Helena entdeckte, war aber zu groß; sie fand nicht allein
das Kreuz Christi, sondern auch das der beiden "Schächer". Die
Inschrift, die Pilatus zur Verhöhnung der Juden hatte anheften lassen,
fand sich nicht mit vor; wie sollte man nun das heilige Kreuz von den
beiden anderen unterscheiden? Pfaffen sind aber erfinderisch, und so war
man denn auch nicht um eine Auskunft verlegen. Man legte einen Kranken
auf eins der Kreuze, und er wurde weit kränker. Man vermutete daher,
dass dies wohl das Kreuz des gottlosen Schächers sein müsse, der Jesus
verspottete, und legte den Kranken auf ein anderes. Ihm ward um vieles
besser, und endlich als er von diesem Kreuz des frommen Schächers auf
das dritte gelegt wurde, - stand er sogleich frisch und gesund auf. Das
Kreuz Christi war gefunden!

Man fand nun auch bald die Gräber der Apostel, und ihre Körper sind,
glaub' ich, sämtlich vorhanden. Wusste man nicht, wo sie gestorben oder
begraben waren, so hatte man göttliche Offenbarungen. Auf diese Weise
gelangte man zu den Überresten von allen möglichen Märtyrern und
Heiligen, die natürlich sämtlich Wunder taten. Solcher Offenbarungen
wurden, wie sich von selbst versteht, nur Mönche und Geistliche
gewürdigt; aber recht frommen Leuten gelang es mit Hilfe der Letzteren
auch, mit den Heiligen in direkten Verkehr zu treten.

Eine fromme Frau zu St. Maurin hatte Johannes den Täufer zu ihrem
Lieblingsheiligen ausersehen. Drei Jahre lang bat sie täglich den
Heiligen nur um irgendwelches Teilchen von seinem Leib, den er ja doch
nicht mehr brauchte, sei es auch was es sei; - der hartherzige Johannes
wollte sich nicht erbarmen! Nun wurde die Frau trotzig und schwor,
nichts mehr zu essen, bis der Heilige ihre Bitte erhört habe. Sieben
Tage hatte sie schon gehungert, da endlich! fand sich auf dem Altar -
ein Daumen des Täufers. Drei Bischöfe legten mit großer Andacht diese
kostbare Reliquie in Leinwand, und drei Blutstropfen fielen aus dem
Daumen heraus, - so dass doch für jeden der drei Bischöfe auch noch
etwas abfiel.

Wie unendlich schwer ist es uns geworden, die Überreste Schillers und
Webers aufzufinden! und beide starben doch als geachtete und
hochverehrte Männer, in ruhiger Zeit und in Staaten, wo jeder
Neugeborene und jeder Gestorbene in ein besonders darüber geführtes
Register eingetragen wird; umso mehr ist es zu bewundern, dass man in
jener Zeit noch nach Jahrhunderten nicht allein die Gebeine, sondern
auch die Kleidungsstücke von Heiligen vorfand, die als Verbrecher
hingerichtet und deren Leichen irgendwo eingescharrt wurden. Ja, was
noch wunderbarer ist, man fand von manchem Heiligen so viele
Körperteile, dass man daraus, wenn man sie zusammensetzte, sechs und
mehr vollständige Skelette hätte machen können! Der heilige Dionysius
existiert zum Beispiel in zwei vollständigen Exemplaren zu St. Denis und
zu St. Emmeran, und außerdem werden noch in Prag und in Bamberg Köpfe
von ihm gezeigt und in München eine Hand. Der Heilige hat also zwei
vollständige Leiber, fünf Hände und vier Köpfe!

Die Christen der ersten Jahrhunderte wussten nichts von einer Anbetung
der Jungfrau Maria oder der Heiligen, sondern verspotteten vielmehr die
Heiden wegen ihrer vielen Untergötter, die gleichsam Jupiters Hofstaat
bildeten, und wegen der göttlichen Verehrung der Kaiser, mit der es
übrigens gar nicht so arg war. Man gab ihnen den Beinamen "der
Göttliche", setzte ihre Namen in den Kalender und errichtete ihnen
Bildsäulen. Mit Ludwig XIV. und anderen Fürsten haben Christen weit
ärgeren Götzendienst getrieben.

Die ersten Heiligen waren meistens unbekannte Menschen, und wunderbar
ist es, dass man auf die Anbetung der Maria erst weit später verfiel,
denn eine Jungfrau, die Gott sich unter den Millionen Mädchen der Erde
vorzugsweise zum "Gefäß der Gnade" ersah, war doch auf jeden Fall mehr
der Anbetung würdig als ein hirnverbrannter schmieriger Einsiedler, der
ein Sitzbad in einem Ameisenhaufen nimmt.

Noch im vierten Jahrhundert dachte man nicht daran, die Jungfrau Maria
göttlich zu verehren, ja, man war auf dem besten Wege, sie zu
verketzern. Man sagte ihr Dinge nach, welche die Christen der damaligen
Zeit sehr gottlos fanden. Der berühmte Kirchenvater Tertullian warf ihr
vor, dass sie an Jesus nicht geglaubt habe! Origenes und Basilius
beschuldigen sie unheiliger Zweifel bei den Leiden ihres Sohnes, und
Chrysostomus hält sie des Selbstmordes für fähig, indem er erzählt, dass
der Engel ihr die Empfängnis Christi früher verkündet, als sie ihre
Schwangerschaft bemerkte, weil sie sonst bei der plötzlichen Entdeckung
leicht aus Scham ihrem Leben hätte ein Ende machen können.

Die Verehrung der Maria beginnt erst im fünften Jahrhundert, und bald
hatte sie nicht allein alle Heiligen, sondern selbst Gott und Jesus
überflügelt. "Wer Maria nicht verehrt, dem wird keine Vergebung", sagten
die Priester.

Die Liebe verfällt schon auf wunderbare Beinamen, und mein Täubchen,
mein Mäuschen, mein Hämmelchen, mein Puttchen usw. usw. sagt noch heute
gar mancher Jüngling zu seiner Geliebten; aber die der Jungfrau Maria
beigelegten zärtlichen Namen sind oft so seltsam und komisch, dass es
nicht zu begreifen ist, wie Katholiken die marianische Litanei ohne
Lachen herplappern können. Sie wird unter anderen genannt: du
geistliches Gefäß, ehrwürdiges Gefäß, vortreffliches Gefäß der Andacht,
geistliche Rose, Turm Davids, elfenbeinerner Turm, goldenes Haus, Arche
des Bundes, Thron Salomons, brennender Dornbusch, Honigfladen Simsons,
Tempel der Dreieinigkeit, geweihte Erde, Seehafen, Sonnenuhr,
Himmelsfenster usw.

Der Name "Mutter Gottes", der jetzt ganz gewöhnlich geworden ist,
erregte im fünften Jahrhundert großes Ärgernis; der fromme Kirchenvater
Nestorius fand ihn lächerlich und unschicklich und den "Mutter Christi"
vernünftiger. Die Kirchenversammlung von Ephesus entschied aber für
Mutter Gottes.

Natürlich war es, dass man nun auch auf die Verehrung der "Großmutter
Gottes" verfiel; aber Papst Clemens XI. gebot Halt, und ohne ihn würden
die Katholiken vielleicht heute zu allen Onkeln und Tanten Gottes beten.

Christus ist Gottes Sohn nach der Lehre der christlichen Kirche, und
doch ist er wieder Mensch; aber er ist eins mit Gott dem Vater und Gott
dem Heiligen Geist. Über diese Menschwerdung Gottes und über das Wesen
der Dreifaltigkeit ist mancher schon einfältig geworden. Die
Menschwerdung Gottes erklärt der heilige Bernhard ebenso einfach als
elegant, indem er sagt: "Aus Gott und Mensch wurde eine Heilsalbe für
alle; diese beiden Spezies wurden im Leibe der Jungfrau Maria wie in
einer Reibschale gemischt, und der Heilige Geist war die Mörserkeule."

Minder geistreich, wenn auch ebenso einfach, ist jenes Franziskaners
Erklärung der Dreieinigkeit, die er vergleicht mit Hosen, die zwar drei
Öffnungen hätten, aber doch nur ein Stück wären.

Maria wurde Veranlassung zu unendlich vielen Zänkereien zwischen den
Gelehrten und Pfaffen. Besonders heftig war der Streit über "die
befleckte oder unbefleckte Empfängnis der Jungfrau"; das heißt nicht
darüber, ob Maria Jesus ohne Verlust ihrer physischen Jungfrauschaft
empfangen habe - denn darüber war man ziemlich einig - sondern ob sie
selbst von ihrer Mutter auch "ohne Erbsünde" empfangen sei oder nicht.
Die Dominikaner sagten mit, die Franziskaner ohne Erbsünde und stritten
jahrhundertelang darüber mit Waffen aller Art. Noch im Jahr 1740 machten
gelehrte Männer diese Dummheit zum Gegenstand ihrer ernsthaften
Untersuchung, und der gegenwärtige Papst hat sie zu einem Dogma der
Kirche erhoben!

Die heilige Jungfrau ist sehr empfindlich in dieser Hinsicht und rächte
sich an denjenigen, welche an ihrer unnatürlichen Entstehung zweifelten.
Ein Fall solcher Rache wird von den Franziskanern mit Triumph erzählt.
Ein Dominikaner predigte mit größter Heftigkeit gegen die unbefleckte
Empfängnis und forderte gleichsam die "Himmelskönigin" heraus, ein
Zeichen zu geben, wenn es nicht wahr sei, was er geredet. Kaum hatte er
diese Lästerung ausgesprochen, als der Boden der Kanzel brach und der
dicke Pater bis zur Mitte des Leibes hindurchfiel. Der Oberkörper mit
der Kutte blieb oben, so dass die hosenlose Vorder- und Hinterfront der
unteren Etage des geistlichen alten Hauses der Betrachtung und dem
Gelächter seiner Gemeinde preisgegeben war.

Die Art und Weise, wie Maria Jesus empfangen habe, war auch ein
Gegenstand großen Kopfzerbrechens. Einige meinten, es sei durch das Ohr
geschehen, andere meinten durch die Seite. Dann zankte man sich auch
sehr darüber, ob Maria noch nach der Geburt Jesu Jungfrau geblieben sei.
St. Ambrosius verteidigt diese Meinung sehr hartnäckig und bringt für
dieselbe höchst wunderbare Dinge vor. Er sagt unter anderem: "Da er
(nämlich Christus) gesagt hat: ich mache alles neu, so ist er auch von
einer Jungfrau auf unbefleckte Weise geboren worden, damit man ihn desto
mehr für den ansehe, der da ist Gott mit uns. Sie sagen: als Jungfrau
hat sie empfangen, aber nicht als Jungfrau geboren. Ist das Eine
möglich, so ist auch das Andere möglich. Denn die Empfängnis geht ja
vorher und die Geburt folgt nach. Man sollte doch den Worten Christi,
man sollte doch den Worten des Engels glauben, dass bei Gott kein Ding
unmöglich sei (Lukas 1,37). Man sollte dem apostolischen Symbolum
glauben. Sagt ja der Prophet, eine Jungfrau werde nicht nur empfangen,
sondern auch gebären (Jesaja 7,14). Jene Pforte des Heiligtums, welche
verschlossen bleibt, durch welche niemand gehen wird, als allein der
Gott Israels (Ezechiel 44,1.2), was ist sie anders als Maria, durch
welche der Erlöser in diese Welt eingegangen ist? Sind doch so viele
Wunder gegen die Gesetze der Natur geschehen, was ist's denn Wunder,
wenn eine Jungfrau wider den Lauf der Natur einen Menschen geboren hat?"
usw.

Maria wurde von allen Kirchenlehrern, welche die Unterdrückung des
Geschlechtstriebes predigten, als das höchste unerreichbare Muster des
jungfräulichen Lebens aufgestellt und bald von den Mädchen und Weibern
weit mehr als Gott verehrt. Dieser Götzendienst war natürlich denen,
welche die Lehre Christi rein bewahren wollen, ein Gräuel, und - daher
die Opposition gegen Maria.

Helvidius schrieb (383) zur Verteidigung des Christentums ein Buch, in
welchem er beiläufig behauptete, dass Maria nach Jesu Geburt noch mit
Joseph einige Kinder hatte, wobei er sich sowohl auf Matth. 1, 25
berief, wo es heißt: "Joseph wohnte der Maria nicht bei, bis sie ihren
ersten Sohn geboren" wie auch auf andere Bibelstellen, wo oftmals von
Brüdern und Schwestern Jesu die Rede ist.

Der heilige Hieronymus geriet außer sich über diese Frechheit. Er
schrieb gegen Helvidius und ruft den Heiligen Geist an, "dass er das
Quartier des heiligen Leibes, in dem er zehn Monate gewohnt habe, gegen
allen Argwohn eines Beischlafes schützen", und Gott Vater, "dass er die
Jungfräulichkeit der Mutter seines Sohnes kundtun möge".

Ähnliche Lehren wie Helvidius trug ein römischer Mönch, Jovinian, vor,
und nun entspann sich um die Jungfrauschaft der Maria ein heftiger
Kampf, der damit endete, dass Jovinian und seine Anhänger aus der
Gemeinschaft der christlichen Kirche ausgeschlossen und seine Lehren als
Ketzerei verdammt wurden!

Es ist nicht möglich, ernsthaft zu bleiben, wenn man liest, über welche
seltsamen Dummheiten die Geistlichen schrieben und disputierten! Pater
Suarez handelt sehr gelehrt die Frage ab, "ob Maria mit oder ohne
Nachgeburt geboren habe", und erzählt, dass Fromme verschiedene Speisen
in Form der Nachgeburt genossen hätten! - Übrigens ist er ein
Antinachgeburtianer, da der Prophet Ezechiel prophezeit habe: "Diese Tür
wird verschlossen sein und nicht aufgemacht werden."

Man glaube indessen nicht, dass dieser ekelhafte Unsinn der größte ist,
über welchen Pfaffen stritten, und verhöhne nicht die jüdischen
Rabbiner, welche ernstlich untersuchten, ob Adam schon mit Stahl und
Stein Feuer geschlagen habe? Ob das Ei, welches eine Henne am Festtag
gelegt habe, gegessen werden dürfe? Ich kann eine ganze Galerie solcher
christlichen Streitfragen anführen, die den erwähnten an
Abgeschmacktheit durchaus nichts nachgeben, die mit der größten
Erbitterung abgehandelt wurden und wobei es gar häufig zu Schlägereien
und selbst Blutvergießen kam.

Die Pfaffen stritten darüber: ob Adam einen Nabel gehabt habe? Zu
welcher Klasse von Schwalben die gehörte, welche Tobias ins Auge machte?
Ob Pilatus sich mit Seife gewaschen, als er Jesus das Urteil sprach? Ob
ein Kind bei widernatürlicher Lage auf den Hintern getauft werden
dürfte? Was das für ein Baum gewesen, auf den der kleine Zachäus stieg,
als er Jesus sehen wollte? Mit welcher Salbe Maria Magdalena den Herrn
gesalbt? Ob der ungenähte Rock, über den die Kriegsknechte das Los
warfen, Christi ganze Garderobe gewesen sei? Wie viel Wein auf der
Hochzeit zu Kana getrunken worden sei? Was wohl Jesus geschrieben, als
er mit dem Finger in den Sand schrieb? Wie Jesus das Erlösungswerk habe
vollbringen können, wenn er als Kürbis zur Welt gekommen wäre? Ob Gott
wie ein Hund bellen könne? Ob nicht schon ein einziger Blutstropfen
hingereicht habe für die Sünde der Welt? Ob Gott der Vater sitze oder
stehe? Ob er einen Berg ohne Tal, ein Kind ohne Vater hervorbringen und
eine Entjungferte wieder zur Jungfrau machen könne? Ob die Engel Menuett
oder Walzer tanzten? Ob sie lauter Diskant- oder auch Bassstimmen
hätten? Was man wohl in der Hölle treibe, und zu welchem Thermometergrad
die Hitze dort wohl steige? Eine Menge Fragen muss ich ihrer
Unflätigkeit wegen weglassen und will nur zwei als Probe in lateinischer
Sprache ausführen: An Christus cum genitalibus in coelum ascenderit, et
S. Virgo semen emiserit in commercio cum Spiritu sancto?

Die Lehren vom Abendmahl, von der Taufe und wie die christlichen
Mysterien und Narrenspossen alle heißen, boten gleichfalls Gelegenheit
genug zu Streitigkeiten. Man zankte sich darüber, ob der Teufel
rechtmäßig taufen könne? Ob man im Notfall auch mit Wein, Bier, Sand
usw. taufen könne? Oder ob auch bloßes Anspucken genüge? Ob eine Maus,
die vom Taufwasser gesoffen, für getauft zu halten sei? Was zu tun, wenn
ein Kind das Taufwasser verunreinige? Das tat der nachherige Kaiser
Wenzel, und deshalb wurde ihm auch alles mögliche Unheil prophezeit.

Doch die Untersuchung der Jungfernschaft der Mutter Gottes hat mich auf
Abwege geführt; kehren wir wieder zu ihr zurück.

Albertus Magnus (Albrecht von Lauingen), Bischof von Regensburg, der
1280 zu Köln starb, hat sich sehr gründlich mit der Jungfrau Maria
beschäftigt und untersucht, ob sie blond oder brünett, ob sie
schwarzäugig oder blauäugig, ob sie schlank oder dick, groß oder klein
gewesen sei. Was er eigentlich herausuntersucht hat, finde ich nirgends
und habe keine Lust, die einundzwanzig Foliobände deshalb durchzulesen,
die uns von seinen 800 Büchern erhalten worden sind. Nach den Überresten
von ihrem Haar zu urteilen, ist es scheckig gewesen, denn man zeigt
braune, blonde, schwarze und rote. Diejenigen Haare, mit welchen sie an
einem Marientage höchsteigenhändig das Hemd des Erzbischofs St. Thomas
flickte, waren übrigens maliziös blond.

Schön war Maria indes auf jeden Fall, denn wenn sich auch kein
authentisches Porträt von ihr vorgefunden hat, so stimmen doch alle
heiligen Kirchenväter darin überein, und als Heilige erschien ihnen
natürlich die "Himmelskönigin" häufig.

St. Damiani, der 1059 starb, erzählt, "dass Gott selbst durch die
Schönheit der heiligen Jungfrau in heftiger Liebe zu ihr entbrannt sei.
In einem hierauf berufenen himmlischen Konvent habe er den verwunderten
Engeln von der Erlösung des Menschengeschlechts und der Erneuerung aller
Dinge erzählt und ihnen von Maria Kunde gegeben. Der Engel Gabriel
erhielt sogleich einen Brief, in dem ein Gruß an die Jungfrau, die
Fleischwerdung des Erlösers, die Art der Erlösung, die Fülle der Gnade,
die Größe der Herrlichkeit und die Größe der Freuden enthalten waren.
Gabriel kam zu Maria, und sobald er mit ihr gesprochen hatte, fühlte sie
den in ihre Eingeweide hineingefallenen Gott und dessen in der Enge des
jungfräulichen Bauches eingeschlossene Majestät."

Im Koran ist erzählt, dass Maria an einem Palmbaum stand, als der Engel
zu ihr trat und sagte: "Ich will dir einen reinen Knaben schenken."

Die Zahl der Wunder, welche der heiligen Jungfrau zugeschrieben werden,
ist sehr groß und es fällt mir schwer, eine Auswahl zu treffen. Später
findet sich vielleicht eine Gelegenheit, das eine oder andere zu
erzählen.

Die Legende erzählt, dass Engel das ganze Haus der Maria aus Bethlehem
nach Italien getragen hätten. Anfangs ließen sie es bei Tersatto in der
Nähe von Fiume stehen; aber im Jahr 1294 trugen sie es nach Loreto.

Als das heilige Haus vorbeigetragen wurde, bogen sich die Balken -
damals noch in ihrer Jugend als Bäume - vor demselben! Höchst merkwürdig
ist es aber, dass zwei Jahrhunderte lang kein Schriftsteller von diesem
höchst wunderbaren Transport erzählt! Die Inschrift des heiligen Hauses
heißt: "Der Gottesgebärerin Haus, worin das Wort Fleisch geworden." Über
dem unscheinbaren Haus, welches neueren Forschungen zufolge sich in
Baumaterial und Form von den andern Bauernhütten - um Loreto gar nicht
unterscheiden soll, erhebt sich eine prachtvolle Kirche, und Tausende
von Wallfahrern strömten hierher, um ihre Rosenkränze in dem
Breinäpfchen Christi umzurühren und, was für die Kirche die Hauptsache
war, ein mehr oder minder beträchtliches Sümmchen zu opfern. So wurde
denn durch einen jedem vernünftigen Menschen offenbaren Betrug ein
unermesslicher Schatz zusammengestohlen!

Doch die guten Katholiken waren von ihren Pfaffen so gut gezogen, dass
sie lieber ihren eigenen Augen als einem Pater misstrauten. Der Mönch
Eiselin zog 1500 zu Aldingen in Württemberg umher mit einer Schwungfeder
aus dem Flügel des Engels Gabriel. Wer diese küsste, sagte er, dem
sollte die Pest nichts anhaben. Ein solcher Kuss wurde natürlich nicht
umsonst gestattet. Die kostbare Feder wurde dem Pfaffen gestohlen!
Eiselin war indessen gar nicht verlegen. Im Beisein der Wirtin füllte er
sein leeres Kästchen mit Heu, welches wahrscheinlich auf ihrer eigenen
Wiese gewachsen war, und gab es aus für Heu aus der Krippe, in welcher
Jesus in Bethlehem gelegen hatte; wer es küsste, sollte pestfrei sein.
Alles drängte sich zum Kuss herzu, und selbst die Wirtin küsste, so dass
Eiselin erstaunt flüsterte: "Und auch du, Schatz?"

Die frommen Herrn Geistlichen und Mönche trieben mit den Reliquien den
abscheulichsten Betrug. Jeder christliche Altar musste seine Reliquie
haben, und je heiliger diese war, desto größer war der Nutzen, den sie
davon zogen; denn die Reliquien waren weder umsonst zu sehen, noch
wurden sie verschenkt. Der Reliquienhandel wurde bald sehr einträglich.
Natürlich, alte Knochen, Lumpen und dergleichen fand man überall, man
brauchte kein Anlagekapital, und der Preis, den man sich bezahlen ließ,
war hoch!

Als die Bischöfe von Rom Päpste wurden, da steuerten sie etwas diesen
Handel, aber nur, um selbst davon größeren Vorteil zu ziehen. Die
Reliquien mussten in Rom geprüft werden und wurden nur für echt befunden
- wenn die Besitzer die echt römischen, klingenden Beweise beizubringen
wussten. Eine gute Reliquie war ein wahrer Schatz für ein Kloster, und
nicht alle Äbtissinnen gingen damit so leichtsinnig um, wie die Nonnen
zu Macon.

Das dortige Kloster besaß die Haut des heiligen Dorotheus, der
geschunden wurde; Simon, der Gerber, hatte das heilige Fell gegerbt, und
diese kostbare Reliquie war durch mancherlei Hände endlich in den Besitz
der Nonnen zu Macon gekommen. Diese stopften die Haut mit Baumwolle aus
und stellten den Heiligen her, als ob er lebe. Sie gerieten aber aus
übergroßer Verehrung auf ganz kuriose Spielereien und Abwege, so dass es
die Äbtissin für ratsam hielt, die Reliquie, deren Wert sie nicht
kannte, den Jesuiten zu schenken.

Diese entdeckten bald die Kostbarkeit und stifteten eine Bruderschaft
zum heiligen Leder, wodurch sie sehr viel Geld verdienten. Nun ging den
Nonnen plötzlich ein Licht auf! Sie klagten beim Papst, reklamierten von
den Jesuiten ihr Heiligtum, und es wurde ihnen auch zugesprochen. Der
Jubel der Nonnen war groß, aber, o Schreck! die maliziösen Jesuiten
hatten den frommen Jungfrauen die ganze Freude verdorben, indem sie den
lieben Heiligen verstümmelt hatten, und zwar auf unverantwortliche
Weise! Er sah nun aus wie der heilige Bernhard, als er seinen Mönchen
verklärt erschien. -

Die indignierten Jungfrauen wandten sich abermals an den Papst mit der
Bitte, dass er den Jesuiten befehlen möge, ihnen das Fehlende
herauszugeben. Der Papst hielt jedoch diesen Mangel, besonders für ein
Nonnenkloster, nicht für erheblich und sandte den Bittenden als Ersatz -
zwei geweihte Muskatnüsse! - Man denke sich die Beschämung und den Zorn
der guten Nönnchen!

Zur Zeit der Kreuzzüge wurde Europa erst recht mit Reliquien
überschwemmt. Man brachte aus dem Heiligen Land Heiligtümer aller Art
mit. Eroberte man eine Stadt, so suchte man vor allen Dingen erst nach
Reliquien, denn sie waren weit kostbarer als Gold und Edelsteine.

Ludwig der Heilige, König von Frankreich, machte zwei unglückliche
Kreuzzüge; aber er tröstete sich über sein Unglück, denn es war ihm
gelungen, einige Splitter vom Kreuz, einige Nägel, den Schwamm, den
Purpurrock Christi und die Dornenkrone - um eine ungeheure Summe zu
erkaufen. Als diese Heiligtümer ankamen, ging er mit seinem ganzen Hofe
denselben barfuß bis Vincennes entgegen!

Heinrich der Löwe brachte eine große Menge Reliquien mit nach
Braunschweig. Die Krone derselben aber war ein Daumen des heiligen
Markus, für welchen die Venezianer vergebens 100.000 Dukaten boten.

Der Glaube an diese Reliquien war ebenso unerhört wie der Preis, der
dafür bezahlt wurde. Die Pfaffen hätten Engel sein müssen, wenn sie die
Dummheit der Menschen nicht benutzt hätten.

Die ganze Garderobe Christi, der Jungfrau Maria, des heiligen Joseph und
vieler anderer Heiligen kam zum Vorschein. Man fand die heilige Lanze,
mit welcher der römische Ritter Longinus Christus in die Seite stach;
das Schweißtuch, mit welchem die heilige Veronika Jesus den Schweiß
abtrocknete, als er nach Golgatha ging, und in welches er zum Andenken
sein Gesicht abdrückte! Von diesem Tuch gab es so viele Stücke, das sie
zusammen wohl fünfzig Ellen lang sein mochten. Ein sehr respektables
Taschentuch.

Man fand auch die Schüssel von Smaragd, welche Salomon der Königin von
Saba schenkte und aus der Christus sein Osterlamm verspeiste. Die
Weinkrüge von der Hochzeit von Kana entdeckte man auch, und in ihnen war
noch Wein enthalten, der nie abnahm. Ursprünglich waren es nur sechs,
aber sie vermehrten sich, und man zeigte sie zu Köln und zu Magdeburg. -
Splitter vom Kreuz gab es so viel, dass man aus dem dazu verwendeten
Holz hätte ein Kriegsschiff bauen können und Nägel vom Kreuz viele
Zentner. Dornen aus der Dornenkrone fanden sich (an jeder Hecke); einige
bluteten an jedem Karfreitag.

Der Kelch, aus welchem Jesus trank, als er das Abendmahl einsetzte, fand
sich auch vor, nebst Brot, welches von dieser Mahlzeit übriggeblieben
war. Ferner die Würfel, mit welchen die Soldaten um Christi Rock
spielten. Solcher ungenähter Röcke zeigte man eine ganze Menge, unter
anderem zu Trier, Argenteuil, Santiago, Rom und Friaul usw. Die größte
Wahrscheinlichkeit der Echtheit hat ein zu Moskau aufbewahrter, der
durch den Soldaten, der ihn gewann, einen Georgier, mit nach Hause
gebracht worden sein soll. Die Ausstellung des alten Kleidungsstücks in
Trier im Jahr 1845, welche die ganze gebildete Welt empörte, veranlasste
eine Menge Untersuchungen über diese heiligen Röcke, und es erschienen
mehrere darauf bezügliche Broschüren, die noch im Buchhandel zu haben
und zum Teil sehr interessant sind. Alle diese heiligen Röcke haben eine
wohlbezahlte päpstliche Bulle für sich, in denen ihre Echtheit bezeugt
ist. Da nur einer echt sein kann, so ist die Bestätigung der Echtheit
mehrerer durch den Papst ein geflissentlicher Betrug.

Man fand Hemden der Maria, die so groß sind, dass sie einem dicken Mann
als Paletot dienen können; einen sehr kostbaren Trauring der Maria, der
zu Perusa gezeigt wurde; sehr niedliche Pantöffelchen und ein Paar
ungeheuer großer roter, welche sie trug, als sie der heiligen Elisabeth
ihren Besuch machte. Ja, man fand Haare der Heiligen Jungfrau von allen
möglichen Farben nebst ihren Kämmen. Eine Zahnbürste ist aber nicht
entdeckt worden. Dagegen fand sich so viel Milch von ihr vor, als
schwerlich zwanzig Altenburger Ammen in einem ganzen Jahre produzieren
könnten. Blut Christi fand sich bald tropfenweise, bald auf Flaschen
gezogen. Etwas davon, so erzählt die Legende, hatte Nikodemus, als er
Christus vom Kreuze nahm, gesammelt und damit viele Wunder verrichtet.
Aber die Juden verfolgten ihn, und er sah sich genötigt, das heilige
Blut in einen Vogelschnabel (!) zu verbergen und nebst schriftlicher
Nachricht ins Meer zu werfen. An der Küste der Normandie, man kann
denken nach welchen Irrfahrten, schwamm dieser Schnabel ans Land. Eine
in der Nähe jagende Gesellschaft vermisste plötzlich Hunde und Hirsch.
Man forschte nach und fand sie - sämtlich kniend vor dem wundervollen
Schnabel. Der Herzog von der Normandie ließ sogleich auf der Stelle ein
Kloster bauen, welches Bec (Schnabel) genannt wurde und welchem das
heilige Blut Millionen eintrug.

Windeln Christi fanden sich in großer Menge; auch die jammervoll kleinen
Höschen des heiligen Joseph entdeckte man nebst seinem Zimmermanns-
Handwerkszeug. Einer der dreißig Silberlinge fand sich vor nebst dem
ungeheuer dicken, zwölf Schuh langen Strick, an welchem sich der
Verräter Judas erhängte; sein sehr kleiner, leerer Geldbeutel tauchte
ebenfalls auf nebst der Laterne, mit welcher er leuchtete, als er Jesus
verriet.

Sogar die Stange kam zum Vorschein, auf welcher der Hahn saß, als er
Petri Gewissen wachkrähte, nebst einigen Federn dieses Vogels; ferner
der Stein, mit welchem der Teufel Jesus in der Wüste versuchte; das
Waschbecken, in welchem sich Pilatus die Hände wusch; die Knochen des
Esels, der Christus am Palmsonntag getragen, wie auch einige der an
diesem Tage gebrauchten Palmzweige. Ferner fand man die Steine, mit
denen St. Stephanus gesteinigt wurde, - herrliche Achate! - die
fabelhaft große Gurgel des fabelhaften St. Georg; eine Unmasse von
Knochen der zu Bethlehem umgebrachten Kinder; die Ketten des Petrus und
auch einen eingetrockneten Arm des heiligen Antonius, der sich aber als
- die Brunstrute eines Hirsches erwies!

Sogar aus dem Alten Testament fanden sich Reliquien vor! Manche hatten
demnach wohlerhalten Jahrtausende auf die fromme Entdeckung gewartet.
Man fand den Stab, mit welchem Moses das Rote Meer zerteilte, Manna aus
der Wüste, Noahs Bart, die eherne Schlange, ein Stückchen von dem
Felsen, aus welchem Moses Wasser schlug, mit vier erbsengroßen Löchern;
Dornen von dem feurigen Busch; den Schemel, von dem Eli herunterfiel und
den Hals brach; das Schermesser, mit dem Delila den Samson schor; den
Stimmhammer Davids, der zu Erfurt gezeigt wurde, usw.

Eine Reliquie von großem Rufe war das Gewand des heiligen Martin (capa
oder capella), welches in den Feldzügen als Fahne vorgetragen wurde. Die
Geistlichen, welche dieses Heiligtum trugen, hießen Capellani und die
Kirche, in welcher es verwahrt wurde, Capella. Dieser Name erhielt bald
eine weitere Ausdehnung, und daher die Kapellen und die Kapellane.

Der Glaube des Volks an diese Reliquien war so stark, dass die Pfaffen
es wagen konnten, Dinge als solche zu zeigen, die unsinnig und unmöglich
waren, und wenn ich einige derselben anführe, so werden die Leser
glauben, ich scherze! Allein dies ist nicht der Fall; man zeigte sie
einst wirklich und zeigt sie in echt katholischen Ländern wohl heute
noch.

Da sah man eine Feder aus dem Flügel des Engels Gabriel, den Dolch und
den Schild des Erzengels Michael, deren er sich bediente, als er mit dem
Teufel kämpfte; etwas von Christi Hauch in einer Schachtel; eine Flasche
voll ägyptischer Finsternis, etwas von dem Schall der Glocken, die
geläutet wurden, als Christus in Jerusalem einzog; einen Strahl von dem
Sterne, welcher den Weisen aus dem Morgenland leuchtete; etwas von dem
Fleisch gewordenen Wort; einige Seufzer, die Joseph ausstieß, wenn er
knotiges Holz zu hobeln hatte; den Pfahl im Fleisch, der dem heiligen
Paulus so viel zu schaffen machte, und noch unendlich viel andern
Unsinn.

Die Unverschämtheit der Pfaffen kannte keine Grenzen, denn die Dummheit
der Menschen war unbegrenzt. Oben habe ich ein Pröbchen sowohl von der
Unverschämtheit als von der Dummheit in der Geschichte mit dem Mönch
Eiselin gegeben; hier mag noch eine Probe folgen, welche Poggio
Bracciolini erzählt, der beinahe vierzig Jahre lang päpstlicher
Geheimschreiber war und 1459 als Kanzler der Republik Florenz starb.

Ein Mönch hatte sich in eine hübsche Frau verliebt und versuchte es auf
alle Weise, sie zu verführen. Es gelang ihm auch. Sie stellte sich sehr
krank und verlangte nun den Mönch als Beichtvater. Dieser kam, blieb mit
ihr der Sitte gemäß allein, um ihr die Beichte abzunehmen, und wurde
erhört. Am andern Tag kam er wieder und legte, um es sich bequemer zu
machen, seine Hosen auf das Bett der Frau. Dem Manne schien die Beichte
etwas lange zu dauern; er wurde neugierig und trat unvermutet in das
Zimmer. Der Mönch absolvierte so schnell als möglich und floh, aber -
vergaß, seine Hosen mitzunehmen.

Diese fielen nun dem racheschnaubenden Ehemann in die Hände. Er stürzte
damit auf die Gasse und zeigte diese Verräter seinen Nachbarn,
entflammte sie zur Wut und brach mit ihnen in das Kloster ein. Der Mönch
sollte sterben! Ein alter besonnener Pater versuchte es vergebens, den
Hitzkopf zu beruhigen, der übrigens jetzt die Sache gern vertuscht
hätte, wenn es angegangen wäre. Das merkte der alte Pater und sagte ihm:
er brauche wegen dieser Hosen nichts Übles zu denken, denn dieses wären
die Beinkleider des heiligen Franziskus, welche Krankheiten wie die,
woran seine Frau litte, gründlich heilten. Zu seiner Beruhigung wolle er
die Hosen feierlich abholen.

Alsbald zogen Mönche mit Kreuz und Fahne nach dem Hause des ehrlichen
Dummkopfes, legten die heilige Reliquie auf ein seidenes Kissen,
stellten sie zur Verehrung aus und reichten die heiligen Hosen des
liederlichen Mönchs den Gläubigen zum Kuss herum. Dann trug man sie in
feierlichem Bittgang zum Kloster zurück und legte sie hier zu den
übrigen heiligen Reliquien. *)

---- *) Es ist dies keine erfundene Anekdote oder ein Scherz des
genannten Autors. Die Erzählung findet sich in einem ganz ernsten Werk,
in welchem Poggio mit großer Entrüstung von der Verderbtheit der
Geistlichen redet. Überhaupt verschmähe ich es durchaus, auf Kosten der
historischen Wahrheit zu scherzen, und alle in diesem Werk gemachten
Angaben kann ich historisch nachweisen, so seltsam sie auch manchmal
klingen mögen. ----

In dieses Kapitel von den Reliquien gehören auch die wundertätigen
Heiligenbilder und ihre Verehrung. Die Pfaffen hatten mit den heiligen
Knochen und Lumpen noch nicht genug. Bald fanden sich Bilder von
Christus und der Jungfrau Maria, welche der Evangelist Lukas gemalt
haben sollte. Sie zeugten weder von der Kunst des Malers noch von der
Schönheit der Personen, welche sie vorstellen sollten, denn sie waren
ganz schauderhaft! Andere, nicht bessere Bilder fielen vom Himmel, und
endlich ließ man sie ganz ungescheut von Malern malen.

Diese Bilder verehrte man wie Reliquien, und die Verehrung ging bald in
förmliche Anbetung über. Über den Bilderdienst entstanden die blutigsten
Kämpfe, und endlich wurde er der Grund zur Trennung der Kirche in die
griechische und lateinische. Dieser Bilderstreit dauerte zwei
Jahrhunderte lang. Kaiser Konstantin V., welcher 741 starb, erklärte
alle Bilder für Götzenbilder und fegte das ganze Land von Bildern und
Reliquien rein. Er verwandelte die Klöster zu Konstantinopel in
Kasernen, und Mönche und Nonnen machte er lächerlich,  indem er sie zum
Beispiel paarweise einen Umzug im Zirkus halten ließ.

Im Westen fand dieser Bilder- und Reliquiendienst anfangs auch viele
Widersacher. Der Bischof Claudius von Turin meinte: "Wenn man das Kreuz
anbetet, an dem Jesus gestorben, so muss man auch den Esel anbeten, auf
dem er geritten ist", was denn auch in der Folge wirklich geschah!
Andere aber hielten diesen Bilderdienst für sehr wichtig. Ein Mönch
hatte, um den Unzuchtsteufel zu besänftigen, diesem das Gelübde getan,
das tägliche Gebet vor den Bildern in seiner Zelle zu unterlassen. Im
Zweifel darüber, ob er eine Sünde damit begangen, beichtete er dies dem
Abt, und dieser sagte zu ihm. "Ehe du das Gebet vor den heiligen Bildern
unterlässt, gehe lieber in jedes Bordell der Stadt." - So behielten wir
denn in Europa die Bilderanbetung, und die griechische Kirche erhielt
sie gar bald auch wieder. -

Sobald das Heilige Grab aufgefunden war, strömten die frommen Christen
dorthin; die Wallfahrten nach dem Heiligen Land kamen auf und nach allen
Stellen desselben, welche durch die Bibel eine besondere Bedeutung
erlangt hatten. Man wallfahrtete sogar zu dem Misthaufen, auf welchem
Hiob gesessen!

Den Pfaffen gefiel es indessen nicht im allergeringsten, dass das schöne
Geld so weit hinweggetragen wurde, und ihre Heiligenbilder und Reliquien
taten Wunder über Wunder, um die frommen Scharen anzulocken. Schrecklich
waren die Erzählungen von den Strafen, welche die Ungläubigen und
Spötter getroffen. Die Heiligen wussten ihre Ehre zu schützen, wie zum
Beispiel der heilige Gangulf. Dieser wurde von einem Priester, dem
Liebhaber seiner Frau, totgeschlagen und fing plötzlich an, im Grab
Wunder zu tun. Das liederliche Weib, welches am besten wusste, dass ihr
Alter durchaus kein Wunder tun konnte, lachte, als sie es hörte, und
rief. "Der tut ebenso wenig Wunder, als mein Hintern singt" und - o
Graus! - dieser fing an zu singen!

Die Wallfahrten kamen aber erst recht in Gang, als damit der Ablass
verbunden wurde. Der übergroße Missbrauch dieses Missbrauches wurde die
Veranlassung zur Reformation, und wir müssen denselben etwas genauer
betrachten. Der Ablass ist ein Kind des Fegefeuers und der Ohrenbeichte.

In der ersten Zeit der christlichen Kirche mussten diejenigen, welche
wegen grober Vergehen aus der Gemeinde ausgestoßen waren, wenn sie in
dieselbe wieder aufgenommen sein wollten, alle ihre Sünden und
Verbrechen öffentlich vor der Gemeinde bekennen; diese Buße nannte man
die Beichte. Als die Pfaffen mächtig wurden, verwandelten sie dieses
öffentliche Bekenntnis gar bald in ein geheimes, um ihre Macht zu
erhöhen. Papst Innozenz III. ordnete aber (1215) an, dass ein jeder
jährlich wenigstens einmal einem Priester seine Sünden insgeheim
bekennen und die ihm dafür auferlegte Buße tragen solle. Wer die Beichte
unterließ, wurde von der Kirche ausgeschlossen und erhielt kein
christliches Begräbnis.

Jeder begreift, welche ungeheure Gewalt die Priester durch diese
Einrichtungen erlangten, denn abgesehen davon, dass sie von den
Gläubigen die geheimsten Dinge erfuhren, die sie zu ihren Zwecken
benutzen konnten, lag es auch ganz in ihrer Hand, den Beichtenden
freizusprechen oder nicht, und sie wussten diese Gewalt trefflich zu
benutzen, indem sie ihn freisprachen - absolvierten - je nachdem der
Sünder zahlte.

Das Fegefeuer war eine Erfindung des römischen Bischofs Gregor des
Großen (590-604). Fegefeuer hieß der Ort, wo seiner Erklärung nach die
menschlichen Seelen geläutert wurden, damit sie rein in den Himmel
kamen; also eine Art himmlischer Seelenwaschanstalt. Wer so halb
zwischen Himmel und Hölle balancierte, der konnte darauf rechnen, dass
er gehörig lange im Fegefeuer - denn Feuer war das Reinigungsmittel -
schwitzen musste, wenn nicht die Pfaffen, die sich mit den Waschteufeln
auf du und du standen, ihn für Geld durch gute Worte früher in den
Himmel spedierten. Das Reglement im Fegefeuer war nur den Pfaffen
bekannt, und daher konnten sie allein beurteilen, wie viele Messen dazu
gehörten, um die Seele aus dem Fegefeuer loszubeten; - aber diese Messen
wurden keineswegs umsonst gelesen.

Friedrich der Große kam einst in ein Kloster im Klevischen, welches von
den alten Herzögen gestiftet war, damit darin Messen zu ihrer Befreiung
aus dem Fegefeuer gelesen werden könnten. "Nun, wann werden denn endlich
meine Herren Vettern aus dem Fegefeuer losgebetet sein?" fragte er
ziemlich ernsthaft den Pater Guardian. Dieser machte eine tiefe
Verbeugung und antwortete: "dass man dies so eigentlich nicht wissen
könne, er es aber Sr. Majestät sogleich melden lassen wolle, sobald er
die Nachricht aus dem Himmel bekäme".

Die Kreuzzüge waren anfangs eigentlich weiter nichts als bewaffnete
Wallfahrten. Die Päpste begünstigten sie sehr, da sie hofften, dadurch
auch ihre Macht auf Asien ausdehnen zu können, wo sie durch den
Mohammedanismus verlorengegangen war. Sie wandten daher alle nur
möglichen Mittel an, die Leute zu bewegen, "das Kreuz zu nehmen"; das
hauptsächlichste und wirksamste war der Ablass. Der Papst ließ nämlich
predigen, dass alle Sünden, die ein Mensch begangen, sie möchten auch
noch so groß sein, vergeben wären, sobald derselbe sich das Kreuz auf
seinen Rock geheftet habe. Diese Erfindung des Ablasses wurde nun von
den Pfaffen auf alle Arten benutzt, und sie wurde für sie eine
Goldgrube, unerschöpflich wie die Dummheit der Menschen.

Manche wollten nicht recht an die Macht des Papstes, die Sünden zu
vergeben, glauben; aber Clemens VI. gab über sein Recht dazu und über
das Wesen des Ablasses durch seine Bulle von 1342 die nötige und
genügendste Erklärung. "Das ganze Menschengeschlecht", sagt er in der
Bulle, "hätte eigentlich schon durch einen einzigen Blutstropfen Jesu
erlöst werden können; er habe aber so viel vergossen, dass dieses Blut,
welches doch gewiss nicht umsonst vergossen sei, einen unermesslichen
Kirchenschatz ausmache, vermehrt durch die gleichfalls nicht
überflüssigen Verdienste der Märtyrer und Heiligen. Der Papst habe nun
zu diesem Schatz den Schlüssel und könne zur Entsündigung der Menschen
ablassen, soviel er wolle, ohne Furcht, solchen jemals zu erschöpfen."

Ich werde später auf diese Ablasstheorie zurückkommen und zeigen, wie
herrlich sich dieselbe entwickelte, jetzt aber zu den Wallfahrten
zurückkehren. Als, wie gesagt, der Ablass mit ihnen verbunden wurde,
kamen sie erst recht in Aufnahme. Wer zu diesem oder jenem Gnadenort
wallfahrte und - notabene - das bestimmte Geld auf dem Altar opferte,
der erhielt Ablass nicht allein für schon begangene Sünden, sondern
sogar für einige Jahre im Voraus!

In Deutschland gab es wohl hundert Marienbilder, zu denen gewallfahrtet
wurde, und in anderen Ländern noch mehr. Ein einziger Schriftsteller
zählt 1200 wundertätige Marienbilder auf! Das berühmteste ist aber wohl
das zu Loreto, in dem Haus der Maria, welches von St. Lukas aus
Zedernholz abscheulich geschnitzt worden sein soll. Der Dampf der
Millionen Wachskerzen hat das Bild allmählich schwarz geräuchert wie
eine Kohle, aber das tut seiner Wunderkraft keinen Abbruch, die
hauptsächlich darin besteht, den Leuten das Geld aus der Tasche zu
locken. Der Marmor rings um das Häuschen ist von Wallfahrern so
verrutscht, dass sich darin eine förmliche Rinne gebildet hat. Sonst
kamen jährlich gegen 200.000 fromme Christen nach Loreto, allein in
neuerer Zeit ist diese Zahl auf weniger als ihr Zehntel
zusammengeschrumpft.

Als die Franzosen nach Loreto kamen, eigneten sie sich von dem Schatz
an, was die Pfaffen nicht beiseite gebracht hatten. Ob ihnen die Heilige
Jungfrau den Schatz schenkte, das weiß ich nicht, aber unmöglich ist so
etwas nicht, wie folgende Geschichte beweist.

Als Friedrich der Große in Schlesien war, verschwanden von einem
Muttergottesbild nach und nach allerlei Kostbarkeiten, und die Pfaffen
entdeckten endlich den Dieb in einem Soldaten, der deshalb beim König
verklagt wurde. Der Soldat entschuldigte sich und behauptete, er sei
kein Dieb, denn die Mutter Gottes habe ihm alle die Sachen geschenkt,
die man vermisste. Friedrich der Große fragte nun die geistlichen
Herren, ob so etwas wohl möglich sei? - "Allerdings, möglich ist es",
erwiderten die verwirrten Pfaffen, "aber durchaus nicht wahrscheinlich."
Der Dieb kam ohne Strafe davon, aber nun verbot Friedrich seinen
Soldaten bei Todesstrafe, dergleichen Geschenke von der Heiligen
Jungfrau anzunehmen.

Nach Loreto war wohl Santiago de Compostela der berühmteste Gnadenort,
und an hohen Festtagen sah man hier noch in neuerer Zeit mehr als 30.000
Wallfahrer.

In der Schweiz ist Einsiedeln sehr berühmt. Das dortige Gnadenbild ist
ein ebenso elendes hölzernes Machwerk wie das zu Loreto, aber ebenso wie
dieses ist es geschmückt mit den kostbarsten Juwelen.

In Deutschland gibt es unendlich viele Gnadenorte, aber ich will nur
einige nennen. Waldthüren im badischen Main- und Tauberkreis ist berühmt
wegen des wundertätigen Korporals. Es ist dies aber kein
altösterreichischer Korporal mit seinem Wundertäter an der Seite, den
man im Österreichischen als Haßling weniger verehrte als fürchtete; auch
kein preußischer Korporal aus dem Wuppertal, sondern ein Tuch, welches
zum Daraufstellen des Kelchs und Hostientellers dient und Korporale
genannt wird. Im Jahr 1330 vergoss ein Priester etwas von dem Wein auf
dieses Korporale. Der Wein verwandelte sich sogleich in Blut, und die
einzelnen Tropfen auf dem Tuch in so viele mit Dornen gekrönte
Christusköpfe. Dieses Korporale tut nach der Erzählung der Geistlichen
entsetzlich viel Wunder, und vor und nach dem Fronleichnamfest
wallfahrten die Scharen der Gläubigen nach Waldthüren, um sich hier am
Korporale gestrichene rote Seidenfäden zu holen, welche die Pest,
vorzüglich aber den Rotlauf, heilen - wenn man nämlich ein reines
Gewissen und vor allen Dingen den rechten Glauben hat. Die Zahl der
Wallfahrer belief sich jährlich auf ca. 40.000.

Ähnliche Wallfahrtsorte wie Waldthüren gibt es in allen katholischen
Distrikten Deutschlands, und ich will mich nicht bei ihnen aufhalten.

Noch einträglicher für die Geistlichen sind diejenigen Wallfahrten,
welche zu solchen sehr heiligen Reliquien stattfinden, die nur alle
sieben Jahre ausgestellt werden. Diese ökonomische Einrichtung hat nicht
etwa ihren Grund darin, dass sich die Reliquien von dem Wundertun in der
Ausstellungszeit erholen müssen, sondern einzig und allein in der
Schlauheit der Pfaffen. Wären die "Heiligtümer" beständig zu sehen, so
würde das Interesse an ihnen gar bald erkalten. Durch die Seltenheit
ihrer Erscheinung locken sie an und den Leuten das Geld aus der Tasche,
- das einzige Wunder, welches überhaupt irgendeine Reliquie jemals
vollbracht hat.

Der allerkostbarste Schatz dieser Art wird zu Aachen aufbewahrt. Die
höchsten Kleinodien desselben sind der riesenmäßige Rock der Maria, die
Windeln Jesu von braungelbem Filz und das Tuch, auf welchem das
abgeschlagene Haupt Johannes des Täufers gelegen hat.

Im Jahr 1496 strömten 142.000 Andächtige nach Aachen, um die heiligen
Lumpen zu sehen, und die Ernte war vortrefflich. 1818, als die Reliquien
nach langer Pause wieder einmal vierzehn Tage lang gezeigt wurden,
fanden sich nur 40.000 Wallfahrer ein. Die Reformation, die Revolution
und die verdammte Aufklärung hatten ein großes Loch in den Glauben
gerissen!

Seitdem ist aber viel an diesem Loch geflickt worden, und dieser
geflickte Glaube zeigte sich fast stärker als selbst im dunkelsten
Mittelalter, dank der von den Regierungen beliebten Maßregel, die
Schulen unter der Kontrolle der Pfaffen zu lassen. Mit Erstaunen
erlebten wir es, dass noch im Jahr 1844 eine Million Wallfahrer nach
Trier zogen, um hier einen alten Kittel zu küssen, der für den Leibrock
Christi ausgegeben wird, um welchen die Soldaten neben dem Kreuz
würfelten.

Zu jener Zeit verursachte diese heilige Rockfahrt nach Trier großes
Ärgernis unter der ganzen gebildeten Welt, und sehr gelehrte und
verständige Männer gaben sich die eigentlich überflüssige Mühe,
nachzuweisen, dass dieser "heilige Rock" nichts vor den noch
existierenden zwanzig anderen voraus habe, sondern durchaus unecht und
ein plumper Betrug sei. Die schlagendsten Beweise dafür brachten die
Herren Professoren Gildemeister und von Sybel herbei, und ich halte es
nicht für nötig, darüber auch nur noch ein Wort zu verlieren.

Dass die Päpste die christlichen Schafe schoren, weiß jedermann, aber
nicht so bekannt möchte es sein, dass der Heilige Vater - ganz ohne
Allegorie - sich mit der Schafzucht beschäftigt und einen Preis für die
gewonnene Wolle erlangt, wie er keinem veredelten Schafsjunker auf der
Wollmesse jemals bezahlt wurde. - Der Papst unterhält nämlich eine
kleine Anzahl Lämmer, die er über den Gräbern der Apostel geweiht hat
und aus deren Wolle die Pallien gewebt werden.

Das Pallium ist ursprünglich ein römischer Mantel. Die Kaiser schenkten
ein solches Kleidungsstück, welches von Purpur und köstlich mit Gold
bestickt war, den Patriarchen und ausgezeichneten Bischöfen, um ihnen
ihre Zufriedenheit und Gnade zu bezeugen, wie heutzutage die Geistlichen
in manchen Staaten Orden erhalten, wenn sie in den Geist der Regierungen
einzugehen verstehen.

Papst Gregor I. erlaubte sich zuerst, ohne Anfrage beim Kaiser ein
solches Pallium den Bischöfen zuzusenden, bald als Zeichen der
Zufriedenheit, bald als Zeichen der Bestätigung. In dem Usurpieren von
Rechten sind die Päpste groß, ja, ihre ganze Macht ist darauf gegründet,
und so kam es bald dahin, dass sie sich nicht nur ausschließlich das
Recht anmaßten, dergleichen Pallien zu erteilen, sondern gingen bald so
weit, einen jeden Erzbischof wie auch einige größere Bischöfe zu
zwingen, sich das Pallium von Rom zu holen, - denn die Gnadensache hatte
sich in eine Abgabe verwandelt. Ein solches Pallium kostete 30.000
Gulden, und diese Einnahme behagte den Päpsten so wohl, dass Johann
VIII. unverschämt genug war, bekannt zu machen, dass jeder Erzbischof
als abgesetzt zu betrachten sei, der sein Pallium nicht innerhalb drei
Monaten von Rom habe.

Die Päpste waren so geizig und so gewohnt, aus nichts Geld zu machen,
dass ihnen trotz des hohen Preises der Mantel zu kostbar war. Dieser
schrumpfte gar bald zu einer Art von Hosenträger zusammen, zu vier
Finger breiten wollenen, mit rotem Kreuz versehenen Bändern, die über
Rücken und Brust herabhängen. Diese Bänder sind aus der geweihten Wolle
von Nonnenhänden gearbeitet und mögen vielleicht sechs Lot wiegen. Die
Päpste verkauften demnach den Stein ihrer Wolle für nicht weniger als
vierthalb Millionen Gulden!

Diese Palliengelder brachten den Päpsten ungeheure Summen, denn die
Erzbischöfe sind meistens alte Herren und lösen einander schnell ab, und
jeder neue Erzbischof muss ein neues Pallium kaufen; er musste dies
sogar tun, wenn er versetzt wurde. Wie einige Geheimräte die Exzellenz
haben, so hatten auch einige deutsche Bischöfe, wie die von Würzburg,
Bamberg und Passau, das kostbare Pallienrecht.

Salzburg zahlte innerhalb neun Jahren 97.000 Scudi (etwa 5 Mark)
Palliengelder. Der Erzbischof Markulf von Mainz musste das linke Bein
eines goldenen Jesus verkaufen, um sein Pallium zu bezahlen. Er bekam
also wahrscheinlich mehr für dieses Bein als der Verräter Judas für den
ganzen Christus! -

Der Erzbischof Arnold von Trier geriet in nicht geringe Verlegenheit,
als ihm von zwei Gegenpäpsten zwei Pallien zugeschickt wurden, natürlich
mit doppelter Rechnung. Wie er sich aus der Verlegenheit zog, weiß ich
nicht, vielleicht durch den heiligen Rock. Sein Nachfolger, Bischof
Arnoldi, der 1844 diesen alten Kittel ausstellte, wäre sicherlich nicht
um lumpige 60.000 Gulden in Verlegenheit gewesen. Eine Million
Wallfahrer, jeder taxiert zu fünf Silberlingen, macht 166.666 Taler
preußisch Kurant oder 300.000 Gulden.

Da nun die Erzbischöfe vom Papst so gebrandschatzt wurden, ist es ganz
natürlich, dass sie wieder ihre Untertanen oder Angehörigen ihres
Sprengels brandschatzten, denn das Volk ist ja das Schaf mit dem
Goldenen Vlies, dem ein Stück nach dem andern von seinem Fell
abgeschunden wird, um die Bedürfnisse der großen Herren zu befriedigen,
heißen sie nun Erzbischöfe oder Fürsten.

Die Päpste hatten Geld wie Heu, aber die meisten von ihnen verstanden es
auch lustig durchzubringen. Sixtus VI. (1471 bis 1484) verschwendete
schon als Kardinal in zwei Jahren 200.000 Dukaten, was nach dem jetzigen
Geldwert weit über das Doppelte mehr ist. Eine seiner Mahlzeiten kostete
manchmal 20.000 Florenen; aber was tat das, er verspeiste ja nur die
Sünden der Christenheit und dann verstand er es auch, sich
Extraeinnahmen zu schaffen. So erlaubte er zum Beispiel einigen
Kardinälen für eine bedeutende Abgabe während der Monate Juni, Juli und
August - Sodomiterei! Auch legte er in Rom öffentliche Bordelle an,
welche ihm jährlich an sogenanntem Milchzins 40.000 Dukaten einbrachten.
- Nun, wir werden später noch heiligere Päpste kennenlernen.

Eine wahrhaft goldene Idee hatte Papst Bonifaz VIII.; er erfand das
Jubeljahr! - Die Römer feierten den Anfang eines neuen Jahrhunderts
durch große Festlichkeiten und auch die Juden ihr Jubel- oder
Versöhnungsjahr. Dies brachte den genannten Papst höchstwahrscheinlich
auf den Gedanken, solche Jubeljahre in der Christenheit einzuführen. Wer
in dem Jubeljahr nach Rom wallfahrte und hier sein Scherflein auf dem
Altar niederlegte, der erhielt vollkommenen Ablass für alle Sünden, die
er in seinem ganzen Leben begangen hatte, und war wieder unschuldig wie
ein neugeborenes Kind oder noch unschuldiger, denn in diesem steckt doch
nach der Kirchenlehre noch der Teufel, welcher erst durch die Taufe
ausgetrieben wird. -

Wer wäre nicht gern seiner Sünden ledig. Ein ganz kurzer Mord kann einem
ehrlichen Menschen das ganze lange Leben verbittern; wer erhielte nicht
gern die Versicherung, dass dieser fatalen Kleinigkeit am Tage des
Gerichts nicht weiter gedacht werden soll? Kurz, von allen Seiten
strömten die Sünder nach Rom. Im Jahr 1300 brachten 200.000 Fremde das
Jahr in dieser Stadt zu und der Gewinn, den sowohl die Einwohner
derselben als auch der Schatz des Papstes davon hatten, war
unermesslich.

Was von den reichen Leuten an Gold und Silber geopfert wurde, hat die
päpstliche Schatzkammer nicht für gut befunden, laut werden zu lassen;
allein nur an Kupfergeld kamen in diesem goldenen Jahr 50.000 Goldgulden
ein. Nach einer ungefähren Schätzung belief sich der ganze Ertrag des
Jubeljahres auf 15 Millionen. Für die damalige Zeit war das eine ganz
außerordentliche, unerhörte Summe.

Die ganz unerwartet reiche Ernte machte den Päpsten natürlich Lust zu
einer baldigen Wiederholung. Hundert Jahre sind gar zu lang, und Papst
Clemens VI. hatte die beispiellose Güte zu bestimmen, dass das Jubeljahr
alle 50 Jahre gefeiert werden solle, denn ihm war ein ehrwürdiger Greis
mit zwei Schlüsseln - also wahrscheinlich St. Peter - erschienen, der
ihm mit drohender Gebärde zugerufen hatte: "Öffne die Pforte!" Da musste
er natürlich gehorchen.

Urban VI. verkürzte diese Zeit noch bis auf 33 Jahre, zum Andenken an
die Lebensjahre Jesu! An einem anständigen Vorwand hat es den Päpsten
nie gefehlt. Sixtus IV. war "wegen der Kürze des Menschenlebens" noch
gnädiger und setzte diese Zeit auf 25 Jahre herab.

Das zweite Jubeljahr unter Clemens VI. (1350) fiel noch reichlicher aus
als das erste. In der Jubelbulle "befiehlt er den Engeln des Paradieses
auch die vom Fegefeuer erlösten Seelen derjenigen, die auf der Reise
nach Rom gestorben sind, in die Freuden des Paradieses einzuführen".

Solche überschwängliche Gnade war natürlich für die dummgläubige Menge
höchst anlockend. Rom wurde so mit Fremden überschwemmt, dass die
Gastwirte, die sich doch sonst auf das Geldnehmen vortrefflich
verstehen, damit nicht fertig werden konnten.

Am Altar St. Pauls lösten sich Tag und Nacht zwei Priester mit
Croupiersrechen in der Hand ab, die unaufhörlich das geopferte Geld
einstrichen und fast unter der Last ihrer Arbeit erlagen. Das Gedränge
in der Kirche war so groß, dass viele der Gläubigen erdrückt wurden.
Zehntausend der Wallfahrer erhielten gleich Gelegenheit, die
Nützlichkeit des Ablasses zu erproben, denn sie starben an der Pest;
aber man merkte ihren Abgang gar nicht, denn ihre Zahl gibt man auf eine
Million und einige Hunderttausende an und den Ertrag dieser Jubelernte
auf mehr als zweiundzwanzig Millionen!

Es ist ordentlich spaßhaft zu sehen, wie nun jeder Papst auf ein neues
Mittel sann, die Erfindung seines Vorgängers Bonifazius noch
einträglicher zu machen, denn - preti, frati e polli non son mai satolli
(Priester, Mönche und Hühner werden nie satt).

Bonifazius IX. berechnete, dass viele Christen nicht nach Rom kämen,
weil die Reise zu viel kostete und weil sie vielleicht auch wegen ihrer
Geschäfte nicht abkommen konnten. Diesen schickte er die Gnade ins Haus,
indem er Leute aussandte, welchen er die Macht beilegte, für den dritten
Teil der Reisekosten nach Rom vollgültigen Ablass zu erteilen! - Trotz
dieser Erleichterung strömten die Fremden doch noch nach Rom und in dem
Jubeljahr unter Nikolaus V. konnte die Tiberbrücke die Menge der
Menschen nicht tragen; sie brach zusammen, und zweihundert verloren
dabei das Leben.

Papst Alexander VI. machte eine noch nützlichere Erfindung. Von ihm
rührt nämlich die sogenannte Goldene Pforte der Peterskirche her. Beim
Beginn des Jubeljahres tat der Papst mit goldenem Hammer drei Schläge an
diese Tür; dann wurde sie geöffnet und am Ende des Jahres wieder
vermauert. Wer durch diese Pforte einging, war seiner Sünden ledig; ja,
für eine bestimmte Summe konnte man auch im Auftrag eines Entfernten
hindurchgehen und diesen von seinen Sünden befreien. Diese Maßregel
brachte viel Geld ein.

Die Päpste wurden durch diese Erfolge immer geldgieriger gemacht. Sie
konnten oft die 25 Jahre nicht abwarten, und bei besonderen
Veranlassungen, um die man nie verlegen war, wurde ein Extra-Jubiläum
angesetzt, oder Reisende, die in Ablass "machten", wurden in der Welt
umhergeschickt. Sie waren noch zudringlicher als Weinhandlungsreisende,
so dass sie von manchen Gemeinden, den Pfarrer an der Spitze, zum Dorf
hinausgeprügelt wurden.

Die Reformation machte diesem Jubiläumsschwindel so ziemlich ein Ende,
denn mit der Einnahme der späteren Jubeljahre wollte es nicht mehr recht
"flecken". Sogar das Jahr 1825 wurde noch zu einem Jubeljahr erhoben;
allein es kamen wenig mehr Fremde als gewöhnlich nach Rom, meistens nur
italienisches Lumpengesindel, von dem nichts zu holen war. Auch trafen
die Fürsten Anstalten, die Wallfahrten nach Rom zu erschweren, da sie
das Geld ihrer Untertanen im Land selbst brauchten. Sogar die damalige
österreichische Regierung verbot ihren italienischen Untertanen, ohne in
Wien ausgestellte Pässe nach Rom zu wallfahrten. Wer da nicht beizeiten
um einen Pass einkam, konnte leicht das Jubeljahr verpassen.

Nach einer wahrscheinlich viel zu geringen Berechnung haben die
Jubeljahre den Päpsten gegen 150 Millionen eingetragen.

Der Ablassschwindel wurde von Leo X. auf die höchste Spitze getrieben.
Die ungeheuren Einnahmen, die aus ganz Europa in den päpstlichen Schatz
flossen, genügten diesem üppigen und prachtliebenden Papst noch immer
nicht, und doch waren sie fast unermesslich! Mehrere der Goldquellen,
welche sich die Päpste zu öffnen verstanden, habe ich bereits genannt;
alle anzuführen würde zu weitläufig sein, doch einige will ich noch
angeben.

Eine nicht unbedeutende Einnahme für die Päpste sind die Annaten. So
nennt man nämlich die erste Jahreseinnahme eines neuen Bischofs, welche
an den Papst gezahlt werden muss. Man kann dieselbe durchschnittlich
immer auf 12.000 Taler annehmen, und wenn man gering rechnet, dass
wenigstens 2000 Bischöfe ihre Annaten an den Päpstlichen Stuhl zahlten,
so macht dies schon 36 Millionen Taler.

Die Dispensationsgelder der Priester wegen ermangelnden Alters zu sechs
Dukaten; die Dispensation von Fasten und die Erlaubnis zu Ehen zwischen
Blutsverwandten brachten große Summen. Die Letzteren mussten natürlich
sehr häufig vorkommen, dafür hatten die Päpste gesorgt, indem sie die
Ehe zwischen Blutsverwandten bis zum vierzehnten Grad verboten. Es hat
sich jemand die Mühe genommen, auszurechnen, wie viel jeder Mensch
durchschnittlich solche Blutsverwandte als lebend annehmen kann, und -
sechzehntausend gefunden. Werden alle Arten der Verwandtschaft
berechnet, so steigt ihre Zahl auf wenigstens 1.048.576. Da konnte es
natürlich an Dispensgeldern nicht fehlen. - Außerdem wurde noch für
Kreuzzugs- und Türkensteuer und unter unzähligen andern Namen den
Gläubigen Geld aus dem Beutel gelockt.

Ganz vortrefflich verstand sich auf dieses Wunder Papst Johann XXII. Er
ist der Erfinder der schändlichen Liste der für Dispensationen und
Absolutionen zu entrichtenden Taxen, von welchen ich später reden werde.
Dieser Papst scharrte so viel zusammen, dass er, der arme
Schuhflickerssohn, - sechzehn Millionen gemünztes Gold und siebzehn
Millionen in Barren hinterließ!

Doch, wie gesagt, alle diese reichen Einkünfte reichten nicht hin, die
"Bedürfnisse" des Papstes Leo X. zu befriedigen. Seine Kinder,
Verwandten, Possenreißer, Komödianten, Musiker wie seine Liebhaberei für
die Künste verschlangen unermessliche Summen, und der üppige Heilige
Vater geriet in große Verlegenheit.

Um sich derselben zu entziehen, beschloss er, den Ablass systematisch
zur Erpressung von Geld zu benutzen. Eine Beisteuer zur Führung eines
Krieges gegen die Türken und zur Fortsetzung des schon von seinem
Vorgänger begonnenen Baues der Peterskirche gab den Vorwand. Die sehr
verbrauchte Türkensteuer wollte nirgends mehr recht ziehen, und Kardinal
Ximenes, der weise spanische Minister, verbot sogar dafür zu sammeln,
"weil er ganz sichere Nachrichten habe, dass jetzt von den Türken
durchaus nichts zu befürchten sei". Der Papst erließ also eine Bulle,
worin allen, welche durch Geldbeträge den Bau der Peterskirche befördern
würden, Ablass verkündigt würde.

Die ganze christliche Erde wurde nun in verschiedene Bezirke eingeteilt
und Reisende des großen römischen Handelshauses dorthin geschickt, unter
dem Titel päpstlicher Legaten oder Kommissarien. Die Ablassbriefe,
welche diese commis voyageurs des Statthalters Gottes verkauften,
lauteten wie folgt:

"Im Namen unseres allerheiligsten Vaters, des Stellvertreters Jesu
Christi, spreche ich dich zuerst von aller Kirchenzensur los, die du
verschuldet haben könntest, hiernächst auch von allen Missetaten und
Verbrechen, die du bisher begangen, so groß und schwer dieselben auch
sein mögen; auch von denen, welche sonst allein der Papst vergeben kann,
soweit sich die Schlüssel der heiligen Mutterkirche erstrecken. Ich
erlasse dir vollkommen alle Strafen, die du um dieser Sünden willen
billig im Fegefeuer erleiden solltest. Ich mache dich wieder der
Kirchensakramente und der Gemeinschaft der Gläubigen teilhaftig und
setze dich von neuem in den reinen und unschuldigen Zustand zurück,
worin du gleich nach der Taufe warst, so dass, wenn du stirbst, die
Pforten der Hölle, wodurch man zur Qual und Strafe einzieht,
verschlossen sein sollen, damit du geraden Weges in das Paradies
gelangen mögest. Solltest du aber jetzt noch nicht sterben, so bleibt
dir diese Gnade ungekränkt."

In der päpstlichen Kanzleitaxe war der Preis festgesetzt, für welchen
die allerscheußlichsten Sünden vergeben wurden. Eltern- und
Geschwistermord, Blutschande, Kindermord, Fruchtabtreibung, Ehebruch
aller Art, die unnatürlichste Wollust, Meineid - kurz alles, was man nur
Sünde oder Verbrechen heißt, fand hier seinen Preis. Ich würde dies
empörende Dokument für eine Erfindung der Feinde des Papstes halten,
wenn die Echtheit desselben nicht unzweifelhaft bewiesen wäre.

Die schamloseste und frechste Nichtswürdigkeit enthält aber der Schluss
dieser Taxe; er lautet: "Dergleichen Gnaden können Arme nicht teilhaftig
werden, denn sie haben kein Geld, also müssen sie des Trosts entbehren!"

Für die Bezahlung von zwölf Dukaten war es sogar den Geistlichen
erlaubt, ganz nach Gefallen Hurerei, Ehebruch, Blutschande und
Sodomiterei mit Tieren zu treiben!

Des Papstes Spekulation glückte; unermessliche Summen wanderten nach
Rom; sie lassen sich gar nicht berechnen. Ein päpstlicher Legat zog
allein aus dem kleinen Dänemark mehr als zwei Millionen durch
Ablassverkauf.

Leo X. fand es vorteilhaft, den Ablass in einigen Bezirken an große
Unternehmen für bestimmte Summen zu verpachten. Die Generalpächter
hatten wieder ihre Unterpächter, damit die Länder ja recht gründlich
ausgesogen wurden.

Einer dieser Generalpächter war der Markgraf Albrecht von Brandenburg,
Bischof von Halberstadt, Erzbischof von Magdeburg und endlich auch
Erzbischof von Mainz und Kardinal! Er war dem Papst 30.000 Dukaten
Palliengelder schuldig und übernahm den Ablasskram in einigen Ländern,
in der Hoffnung, die Summe dabei zu gewinnen, welche ihm auch gegen
Verpfändung des Ablasserlöses von dem Grafen Fugger in Augsburg
vorgeschossen wurde.

Der edle Kurfürst, Kardinal und Erzbischof betrieb diese Sache mit
großem Eifer und kaufmännischem Geschick, und sehr interessant ist die
von ihm den Ablasskrämern gegebene Instruktion, weshalb ich ihren Inhalt
hier mitteilen will.

"Zuerst sollen die Ablassprediger dem Kurfürsten schwören, dass sie ihn
nicht betrügen. Dann gibt er ihnen Gewalt, nach aufgerichtetem Kreuz und
aufgehängtem Wappen des Papstes, in den Kirchen den Ablass zu
verkündigen und ihn denjenigen Personen zu erteilen, welche von ihren
ordentlichen Geistlichen in den Kirchenbann getan oder mit sonstigen
Kirchenstrafen belegt sind.

Dann wird dem Ablassprediger befohlen, in jeder Ablasspredigt dem Volk
drei bis vier Stücke aus der Ablassbulle des Papstes nach Möglichkeit zu
erklären und anzupreisen, damit die päpstliche Gnade nicht-in Verachtung
gerate und die Leute nicht einen Ekel von dem Ablass bekommen mögen.

Ferner will der Kurfürst, dass dem Volk gesagt werden solle, es gelte
außer dem seinigen in den nächsten acht Jahren kein anderer Ablass, den
man bereits erhalten habe oder noch erhielte; aber durch diesen erlange
nicht nur jeder völlige Vergebung der Sünden, sondern er komme nach dem
Tode auch gar nicht in das Fegefeuer.

Den Kranken, welche nicht in die Kirche kommen könnten, solle der Ablass
auch zu Hause, aber für eine größere Summe, erteilt werden. Wenn die
Prediger die Größe des Ablasses jemandem hinlänglich erklärt haben und
es dazu kommt, zu bestimmen, was er wohl zu zahlen habe, so sollen sie
ihn fragen, wie viel Geld er wohl für den völligen Ablass um Vergebung
seiner Sünden aufopfern werde? Dies sollen sie vorausschicken, um die
Leute desto leichter zum Kaufen des Ablasses zu bewegen.

Wenn nun auch die Ablassprediger stets den Nutzen der Peterskirche vor
Augen haben und den Beichtenden vorreden müssen, dass eine so hohe Gnade
niemals zu teuer bezahlt sei, um sie zu einer möglichst hohen Abgabe zu
bewegen, so spricht sich dennoch der Kurfürst wie folgt aus: Weil die
Beschaffenheit der Menschen zu sehr verschieden und Wir demnach gewisse
Taxen zu bestimmen nicht vermögen, so vermeinen Wir doch, dass in der
Regel die Taxen also könnten gesetzt werden: Große Fürsten geben 25
rheinische Goldgulden. Äbte, höhere Prälaten, Grafen, Freiherren und
ihre Frauen zahlen für jede Person 10 rheinische Goldgulden. Andere
Leute, die jährlich 500 Goldgulden einzunehmen haben, zahlen 6
Goldgulden; Frauen und Handwerker einen, noch Geringere einen halben
Gulden.

Obwohl eine Frau von des Mannes Gütern nichts geben kann, so kann sie
doch von ihren Dotal- und Parapharnalgütern, in diesem Falle auch wider
des Mannes Willen, beitragen. Wenn arme Weiber und Töchter die Taxen von
andern erbetteln können, sollen sie solche ebenfalls in den Ablasskasten
liefern.

Wenn jemand für eine Seele im Fegefeuer so viel beiträgt, als er etwa
für sich zu bezahlen hätte, so ist nicht nötig, dass er im Herzen
bußfertig sei oder mit dem Munde beichte! Denn dieser Ablass gründet
sich auf die Liebe, mit welcher der, so im Fegefeuer sitzt, abgeschieden
ist, und auf die Beiträge der Lebendigen.

Wer einen Beichtbrief von den Ablasspredigern kauft, wird teilhaftig
aller Almosen, Fasten, Wallfahrten nach dem Heiligen Grabe, Messen,
Reinigung und guten Werke, die in der ganzen christlichen Kirche
verrichtet werden, ob er gleich weder bußfertig ist noch gebeichtet hat.

Dass auf einen gewandten, guten Reisenden sehr viel ankommt, weiß jeder
Kaufmann, und der Erzbischof war bemüht, einen solchen zur Verbreitung
seiner Ware aufzufinden. Er fand ihn in dem Dominikanermönch Johann
Tetzel aus Pirna. In der Jugend hatte sich derselbe etwas mit dem
Studieren abgegeben, und sein Religionseifer erwarb ihm die Würde eines
Doktors der Theologie. In Innsbruck wurde er einst darüber erwischt, als
er - wie die Chronik sagt - seinen geistlichen Samen in fremden Acker
streute. Kaiser Maximilian I. hatte Befehl gegeben, die Brunst des
verliebten Paters im Wasser zu kühlen, das heißt, ihn in einem Sacke zu
ersäufen. Nur auf dringende Fürbitte des Kurfürsten Friedrich kam er mit
dem Leben davon.

Dieser unverschämte, feiste Schlingel, dessen Porträt in einem sehr
guten Kupferstiche vor mir liegt, ist das wahre Ideal eines Pfaffen. Der
Spitzbube sieht so durchtrieben und humoristisch aus, dass ich beinahe
glaube, ich ließe mir selbst von ihm einen Ablasszettel anschwatzen.
Welch ein Glück musste er nun erst bei den Gläubigen machen!

Er führte einen eisernen, mit dem Wappen des Papstes verzierten Kasten
mit sich herum und zog von Markt zu Markt, indem er sang: "Sowie das
Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt!" Überall
versammelte er eine große Menge um sich, und seine Anpreisungen des
Ablasses waren wahrhaftig sehr ergötzlich, wenn auch fromme Christen sie
gotteslästerlich nannten.

Er rühmte von sich, dass er durch den Ablass mehr Seelen aus der Hölle
errettet habe, als von dem Apostel Petrus durch die Predigt des
Evangeliums Heiden bekehrt worden wären. Er könne nicht allein begangene
Sünden vergeben, sondern auch solche, die man erst begehen wolle, und
die Kraft seines Ablasses sei so groß, dass es keine Sünde gebe, welche
durch denselben nicht gesühnt werden könne; ja, wenn jemand, was doch
unmöglich sei, "die Mutter Gottes genotzüchtigt und geschwängert habe" -
durch seinen Ablass könne derselbe von der dadurch verwirkten Strafe
befreit werden.

Dieser Tetzel trieb die Frechheit so weit, dass der damalige Johann von
Meißen vorhersagte, dieser Mönch würde der letzte Ablasskrämer sein.

Man erzählt von ihm eine Menge Stückchen, die Zeugnis ablegen von seiner
grenzenlosen Unverschämtheit. In Annaberg, wo damals reiche
Silberbergwerke waren, machte er den Leuten weis, dass alle Berge rings
umher gediegenes Silber werden würden, wenn sie nur brav zahlten. In
dieser Stadt scheint es ihm gefallen zu haben, denn er blieb hier zwei
Jahre. - In Freiberg sammelte er binnen zwei Tagen zweitausend Gulden;
aber als er wieder dorthin kam, hatte Luther den Leuten den Star
gestochen, und die Bergleute waren so wütend, dass Tetzel es für geraten
hielt, sich schleunigst davonzumachen.

In Zwickau wollte er sich einst bei dem dortigen Küster zu Gaste bitten;
allein dieser entschuldigte sich mit seiner Armut. Darauf befahl er
diesem, im Kalender nachzusehen, ob auf dem andern Tag der Name eines
Heiligen zu finden wäre. Der Küster fand aber nur den heidnischen Namen
Juvenal.

"Das tut nichts", sagte Tetzel, "Wir wollen diesen Heiligen schon zu
Ehren bringen; beruft nur morgen das Volk durch alle Glocken zur Kirche,
wie Ihr es sonst an den höchsten Festtagen zu tun pflegt."

Der Küster tat, wie ihm befohlen, und die Einwohner der Stadt strömten
in Menge in die Kirche. Tetzel predigte. "Die alten Heiligen", sagte er,
"sind alt und müde, uns zu helfen; aber dieser heilige Juvenal, dessen
Gedächtnis wir heute feiern, ist noch ziemlich unbekannt; wenn Ihr ihn
anfleht und ihm opfert, so wird er sich gewiss beeilen, Euch zu helfen."
Darauf riet er zur Freigebigkeit und ermahnte besonders die Vornehmen,
mit gutem Beispiel voranzugehen.

Er blieb bei dem "Gotteskasten" stehen und sah zu, was jeder
hineinlegte, und die guten Zwickauer steuerten reichlich zu Ehren des
heiligen Juvenal! Tetzel flüsterte dem Küster ins Ohr: "Es ist genug
geopfert, nun wollen wir weidlich davon schmausen."

In der Schweiz absolvierte Tetzel einen reichen Bauern wegen eines
Totschlags, und als dieser ihm gestand, dass er noch einen Feind habe,
den er gern ermorden wolle, erlaubte es ihm der elende Pfaffe gegen eine
kleine Summe!

Trotz aller Pfiffigkeit wurde Tetzel aber doch einmal angeführt. - In
Magdeburg kam ein Herr von Schenk zu ihm und bot ihm eine nicht
unbedeutende Summe, wenn er ihn für eine große Sünde absolvieren wolle,
die er noch zu begehen gedenke. Schmunzelnd strich der Pfaff das Geld
ein und gab den verlangten Ablassbrief.

Als nun einige Tage darauf Tetzel von Magdeburg nach Braunschweig zog,
beladen mit einigen tausend Gulden, überfiel ihn in einem Wald bei
Helmstedt der Herr von Schenk und nahm ihm seine ganze Barschaft ab. Der
Pfaff schrie Zetermordio und klagte über Gewalt; allein Schenk zeigte
seinen Ablassbrief vor und sagte: "Entweder hat mein Verfahren nichts zu
bedeuten, oder deine Ware ist Betrug." Schenk behielt das Geld, und
Tetzel hatte das Nachsehen.

Dieser nichtswürdige Mönch hatte die rechte Art, den Leuten das Geld aus
dem Beutel zu schwatzen, und er nahm mehr ein als alle anderen
Ablasskrämer, die sich damit begnügten, folgende stehende Redensarten
herzuplappern:

"Seht doch, der Himmel steht Euch überall offen. Wollt Ihr jetzt nicht
hineingehen, wann werdet Ihr denn hineinkommen? O Ihr unsinnigen und
verstockten Menschen, die Ihr fast den wilden Tieren gleich seid und die
große Verschwendung und Ausgießung der päpstlichen Gnade nicht zu
würdigen versteht. Sehet! so viel Seelen könnt Ihr aus dem Fegefeuer
erlösen! O ihr Hartnäckigen und Saumseligen! Ihr könnt mit zwölf
Groschen euren Vater aus dem Fegefeuer reißen und seid doch so
undankbar, dass Ihr euren Eltern in so großer Not nicht beisteht. Ich
will am jüngsten Gerichte die Schuld davon nicht auf mich nehmen" usw.

Tetzel wusste die Sache den Leuten viel plausibler zu machen, und da war
keine Dirne, die ihm nicht einige Groschen für irgendeine kleine Sünde,
die sie begehen wollte, gezahlt hätte. Wie schnell er Geld
zusammenzubringen wusste, beweist Folgendes: In Görlitz war die
Peterskirche gebaut worden, und es fehlte nur noch das kupferne Dach,
wozu 1800 Zentner Kupfer erforderlich waren, die damals 48.600 Taler
kosteten. Man wandte sich an Tetzel, und in drei Wochen hatte er diese
Summe gesammelt.

Luthers 95 Thesen gegen den Ablass ruinierten dem Pater den ganzen
Handel. Vielleicht war es der Ärger darüber, der ihn in Leipzig auf das
Krankenlager warf, von dem er nicht wieder aufstand. Er starb und liegt
in dieser Stadt im Paulino begraben, wo sein Monument wahrscheinlich
noch zu sehen ist. -

Die Ablassrechnung ist eine ganz kuriose Rechnung, und es ist schwer,
sich hineinzufinden. Manche Leute kauften Ablass für mehrere hundert
Jahre, während sie doch höchstens auf hundert zählen konnten. Aber die
Jahre im Fegefeuer zählten mit, und das änderte die Rechnung! Für diese
Sünde hatte man, nach Angabe der Pfaffen, zwanzig Jahre zu braten, für
jene gar dreißig, und so kamen bei einem geübten Sünder leicht schon
einige hundert Jährchen zusammen. Wollte er nun dennoch direkt in den
Himmel spazieren, so musste er schon für so viele Jahre Ablass kaufen,
als ihm kraft seiner Sünden im Fegefeuer zukamen.

Das war übrigens noch nicht so schwer, denn wer eine Reliquie küsste und
besonders wer dafür bezahlte, erhielt auf drei oder mehr Jahre Ablass,
je nach der Heiligkeit der Reliquie. Erzbischof Albrecht besaß einen
solchen Schatz von Reliquien, dass damit Ablass zu gewinnen war auf
"neununddreißig Mal tausend, zweihundert Mal tausend,
fünfundvierzigtausend, hundert und zwanzig Jahre, zweihundert und
zwanzig Tage."

Unter den Reliquien, die er von Halle nach Mainz schaffen ließ, befanden
sich aber auch sehr rare und heilige Stücke! Achtmal vom Haar der
Jungfrau Maria; fünfmal von ihrer Milch; dann das Hemd, in welchem sie
Jesus geboren, ein halber Kinnbacken von St. Paulus nebst vier Zähnen
usw.

Man glaube ja nicht, dass diese Ablassrechnungen der vergangenen Zeit
angehören und mit dem Mittelalter abgetan sind; sie werden noch
heutzutage von römischen Priestern angestellt und den Gläubigen
vorgetragen. In den "geistlichen Neujahrsgeschenken" der Diözese Mans in
Frankreich, welche vor etwa zwanzig Jahren erschienen, wird folgende
Berechnung über den Ablass gegeben: Wenn man einen geweihten Rosenkranz
hat, sagt die heilige Brigitte, so erlangt man hundert Tage Ablass, so
oft man das Credo, das Gloria Patri, das Paternoster und das Ave betet.
Wenn man also den gewöhnlichen Rosenkranz betet, der aus 53 Ave, 6
Paternoster, 6 Gloria Patri und einem Credo besteht, so erlangt man 6600
Tage Ablass, den man den Seelen im Fegefeuer zuwenden kann. Sagt man den
Rosenkranz von 150 Gebeten her, so erhält man 19.000 Tage Ablass, und
überdies 7 Jahre und 7 vierzigtägige Fristen! - Für "eine Viertelstunde
frommer Betrachtung" erhält man 7 Jahre und 289 Tage Ablass; für die
Begleitung des Sanktissimum, wenn es zu Kranken getragen wird, 5 Jahre
und 200 Tage; wenn man es aber mit einer Kerze begleitet, erlangt man 2
Jahre und 83 Tage mehr.

Die Summen, welche die Geistlichkeit durch ihren Handel gewann, sind
unberechenbar und lassen sich aus einzelnen Angaben nur annäherungsweise
schätzen. Liest man solche Angaben, so kann man gar nicht begreifen, wie
es nur möglich war, bei dem früheren hohen Wert des Geldes soviel
zusammenzuscharren.

Als in der französischen Revolution die Klöster aufgehoben und die
geistlichen Güter eingezogen werden sollten, bot die Geistlichkeit der
Nationalversammlung vierhundert Millionen Franken bar Geld! - Die
Venezianer schätzten das Vermögen ihrer Geistlichkeit auf 206 Millionen
Dukaten.

Von der Einnahme der Geistlichkeit, die herrlich und in Freuden leben
wollte und viel verbrauchte, ging nur ein kleiner Teil in die päpstliche
Schatzkammer; und deshalb wird die Angabe dieser Summe den allerbesten
Maßstab dafür abgeben, was dem schon ohnehin genug geplagten Volk von
den Pfaffen abgeschwindelt wurde.

Aus dem Gebiete von Venedig, welches nur zweiundeinehalbe Million
Einwohner zählte, gingen innerhalb zehn Jahren 2.760.164 Scudi nach Rom,
und aus Österreich unter Maria Theresia binnen vierzig Jahren
110.414.560 Scudi! Sind diese Angaben richtig - und sie sind
zuverlässigen Quellen entnommen -, so erscheint die Berechnung viel zu
gering nach welcher innerhalb 600 Jahren aus der katholischen
Christenheit nur 1.019.690.000 Gulden nach Rom gezahlt wurden.

Und wofür wurde dies Geld bezahlt? Für Dinge, welche zum Elend und zur
Demoralisation des Volkes mehr beitrugen als irgend etwas in der Welt,
und an wen gingen die 1019 Millionen? - An einen italienischen Bischof,
der uns so wenig angeht wie der Mikado von Japan und der sich mit
demselben Recht Statthalter Christi nennt, wie ich es tun könnte, und
der unter diesem Titel zu seiner Zeit behauptete, Herr der ganzen Erde
zu sein, von welcher derjenige, dessen Statthalter er zu sein vorgibt,
nicht einmal soviel besaß, um sein Haupt daraufzulegen! - Was aber diese
"Statthalter Christi in Rom" für Menschen waren und wie wenig sie die
Verehrung verdienen, welche ihnen die Christen zollten, werden wir im
nächsten Kapitel mit Abscheu und Ekel erfahren.




Die Statthalterei Gottes in Rom


    "Als die Leute schliefen und stockdumm
    waren, hat der böse Feind, der Teufel,
    das Papsttum gestiftet."


Mit konsequenter Unverschämtheit kann in der Welt alles durchgesetzt
werden, es mag auf den ersten Anblick noch so abgeschmackt und verrückt
erscheinen. Beweise davon liefert die Geschichte in Menge; aber den
schlagendsten und demütigendsten die des Papsttums.

Eine Geschichte des Papsttums würde die Grenzen überschreiten, die ich
mir notwendig setzen muss; ich beabsichtige nur in der bisher befolgten
skizzenhaften Weise zu zeigen, dass das Papsttum auf den gröbsten Betrug
gegründet ist, welche nichtswürdigen Wege die Päpste einschlugen, welche
verbrecherischen Mittel sie anwendeten, sich die Welt tributpflichtig zu
machen, und welchen moralischen Wert die Menschen hatten, welche von der
römischen Kirche als "Statthalter Gottes" an ihre Spitze gestellt
wurden.

Ich schreibe mit der unverhüllt ausgesprochenen Absicht, den als
Aberglauben früher charakterisierten religiösen Glauben zu vernichten,
und da derselbe auf die Autorität der Päpste und der römischen Priester
gestützt ist, so trachte ich zunächst danach, diese Autorität dadurch zu
vernichten, dass ich auf geschichtlichem Weg die unreinen Quellen der
Glaubenssätze nachweise und durch Erzählungen der Handlungen der Päpste
den Gläubigen beweise, dass sie auf die Aussagen von Menschen
vertrauten, die ihres Vertrauens in jeder Beziehung unwürdig sind.

Dieser offen ausgesprochene Zweck macht mir die äußerste Vorsicht in
Angabe von Tatsachen zur Pflicht und erlaubt mir nur, solche zu
berichten, welche historisch so klar bewiesen sind, dass eine
Widerlegung unmöglich ist. Aus dem Folgenden wird es dem Leser
verständlich werden, warum ich es für nötig hielt, diese Bemerkung
voranzuschicken. -

In dem ersten Kapitel habe ich in der Kürze nachgewiesen, wie die
Pfaffen entstanden sind und wie die Bischöfe eine geistliche Obergewalt
über ihre Gemeinden usurpierten.

Die Bischöfe begnügten sich mit der erlangten Macht nicht und je besser
es ihnen glückte, ihre Brüder zu knechten, desto ausschweifender wurden
sie in ihren Ansprüchen. Die Macht der jüdischen Hohenpriester, ihrer
Vorbilder, war es, nach welcher sie trachteten. Das Bild des Priesters
Samuel schwebte ihnen beständig vor Augen.

Ein Betrüger schmiedete falsche Schriften, welche er den Aposteln
zuschrieb und welche unter dem Namen der apostolischen Konstitutionen
bekannt sind. Ihr Zweck war es, das Ansehen und die Gewalt der Bischöfe
zu erhöhen und sie enthielten das Verrückteste, was man bisher zur Ehre
der Bischöfe gesagt hatte. Diese wurden darin irdische Götter, Väter der
Gläubigen, Richter an Christi Statt und Mittler zwischen Gott und den
Menschen genannt. In demselben Sinn sprachen von den Bischöfen viele
angesehene Kirchenväter.

Als die römischen Kaiser zum Christentum übertraten, behaupteten sie
zwar selbst ihre Würde als Oberpriester (Pontifices maximi), aber sie
beförderten das Ansehen der Bischöfe ihren Gemeinden gegenüber. Ja,
manche Kaiser waren so verblendet und unklug, ihre Kinder diesen
Bischöfen zur Erziehung anzuvertrauen, was dann die ganz natürliche
Folge hatte, dass diese "in der Furcht Gottes", das heißt in der Demut
gegen die Pfaffen erzogen wurden und, als sie selbst Kaiser wurden, ihre
Knie vor denselben beugten und ihnen die Hände küssten. Dass diese
dadurch nur immer aufgeblasener und anmaßender wurden, liegt in der
menschlichen Natur und wir dürfen uns nicht darüber wundern, wenn schon
Bischof Leontius von Tripolis verlangte, dass die Kaiserin Eusebia,
Gemahlin des Kaisers Constantius, vor ihm aufstehen und sich verneigen
sollte, um seinen Segen zu empfangen.

Die protestantischen Bischöfe der neueren Zeit hätten es gern auch so
weit gebracht. Als Friedrich Wilhelm III. von Preußen einst in Magdeburg
aus dem Wagen stieg und sich dabei bückte, erhob schon der Bischof
Dräseke seine Hände und seine Stimme, um ihm den Segen zu erteilen. Zum
großen Verdruss des Bischofs schob ihn der sonst so fromme König
beiseite und sagte ärgerlich in seiner kurzen Weise: "Dumm Zeug! - so
was nicht leiden!"

Das Hauptstreben der Bischöfe war darauf gerichtet, die Einmischung der
"weltlichen" Macht in die Kirchenangelegenheiten zu beseitigen, ja, wo
möglich die Kaiser sich unterzuordnen. Der Bischof von Mailand,
Ambrosius, machte damit gleich auf sehr freche Weise den Anfang. Er nahm
es sich heraus, den Kaiser Theodosius zu exkommunizieren, das heißt, von
der Kirchengemeinschaft auszuschließen.

Manche Kaiser, denen die Pfaffen mit der Hölle zusetzten, waren schwach
genug, zu den pfäffischen Anmaßungen zu schweigen und wenn nun das Volk
sah, wie ihre gefürchteten Oberherren sich so demütig gegen die Bischöfe
betrugen, musste es natürlich auf den Gedanken kommen, dass diese
übermenschliche Wesen seien. In einigen Orten wurden denn auch die
Bischöfe von den Christen mit dem evangelischen Hosianna empfangen.

So stieg der Hochmut der Pfaffen von Jahr zu Jahr. Schon 341 n. Chr.,
auf der Synode von Antiochien, wurde es den Geistlichen verboten, sich
in kirchlichen Angelegenheiten ohne Erlaubnis der Bischöfe an den Kaiser
zu wenden. Die niedere Geistlichkeit wurde überhaupt immer mehr
unterdrückt, und die Landbischöfe, welche über ihre Gemeinden ganz
dasselbe Recht gehabt hatten wie die Stadtbischöfe, wurden 360 durch
Beschluss der Synode von Laodicäa ganz abgeschafft.

Das gewöhnliche Sprichwort sagt: "Eine Krähe hackt der andern nicht die
Augen aus"; aber die Pfaffen machten es zunichte, denn sie hackten sich
nicht nur die Augen aus, sondern die Köpfe ab, wenn sie konnten und es
ihnen passte. Wegen der lächerlichsten theologischen Streitigkeiten
lagen sie sich fortwährend in den Haaren und erfüllten deshalb die Welt
mit Unruhe und Mord.

Einen bedeutenden Anteil an den theologischen Streitigkeiten hatten die
zahllosen Mönche, welche ihre Ansichten nicht allein mit geistlichen
Waffen, sondern weit wirksamer mit höchst irdischen Knüppeln verfochten.
Sie bildeten förmliche Freikorps, welche von den fanatischen Bischöfen
benutzt wurden und oft die gräulichsten Exzesse begingen. Ein römischer
Feldherr, Vitalianus, musste 314 in Konstantinopel einrücken, um die
Stadt vor den wütenden Mönchen zu schützen.

Die zweite Kirchenversammlung zu Ephesus 449 n. Chr. erhielt den Namen
Mörderversammlung, weil hier die tollen Mönche mit dem Schwert in der
Hand die Annahme der Glaubenssätze erzwangen, welche sie für gut
hielten.

Einer der größten Fanatiker war der Bischof Cyrillus von Alexandrien.
Sein Hass traf die in dieser Stadt seit siebenhundert Jahren wohnenden
Juden. Er hetzte die Mönche und den Pöbel gegen sie auf, ließ ihre
Synagogen niederreißen und jeden Juden niederhauen, der in ihre Hände
fiel. So verlor Alexandrien vierzigtausend seiner fleisigsten Bürger!

Der römische Präfekt Orestes wollte der Verfolgung Einhalt tun, allein
er verlor darüber beinahe sein Leben, indem er von einem wütenden Mönch
mit einem Stein am Kopfe schwer verwundet wurde. Die römische Regierung
schwieg, da sie die Schuldigen nicht zu strafen wagte. So hoch war die
Macht der Pfaffen bereits gestiegen.

Die schändlichste Grausamkeit verübten diese christlichen Mönche aber
gegen die Geliebte dieses Präfekten, die Tochter des Mathematikers
Theon, die liebenswürdige Philosophin Hypatia. Zur Fastenzeit rissen die
Mönche dies herrliche Weib aus ihrem Wagen, zogen sie nackend aus und
schleppten sie wie ein Opferlamm in die Kirche. Hier ermordete man sie
auf die grausamste Weise: Kannibalische Pfaffen kratzten ihr mit
Muscheln das Fleisch von den Knochen und warfen die noch zuckenden
Glieder ins Feuer.

Stolz, Herrschsucht und Geldgier hatten in den Herzen der christlichen
Priester die Stelle der christlichen Liebe eingenommen und die
demokratische christliche Gleichheit war schon längst als unchristlich
gebrandmarkt worden. Jeder Bischof trachtete nur danach, sich über die
andern Bischöfe emporzuschwingen, und so entstanden unter ihnen allerlei
Rangabstufungen.

Die Bischöfe in den Hauptstädten und Provinzen der Länder erlangten bald
eine Art von Oberhoheit über die der anderen Städte und nannten sich
Metropoliten. Auch unter diesen maßten sich einige wieder einen höheren
Rang an und wussten die Bischöfe mehrerer Länder unter ihre Oberhoheit
zu bringen. Sie nannten sich zuerst Exarchen, dann aber Patriarchen.

Zur Zeit des Kaisers Theodosius II. gab es fünf solcher Patriarchen, zu
Konstantinopel, Antiochien, Jerusalem, Alexandrien und Rom. Sie waren
voneinander vollkommen unabhängig und in ihrem Rang wie in ihren
Vorrechten vollkommen gleich.

Rom war die Hauptstadt der damaligen Welt; von hier gingen alle Befehle
aus, durch welche sie regiert wurde. Die Pfarrer der römischen Gemeinde,
welche sahen, wie trefflich es sich von Rom aus regieren ließ, wurden
lüstern danach, die kirchliche Welt in ähnlicher Weise zu regieren wie
die Kaiser die politische.

Die übrigen Gemeindevorsteher, die Bischöfe, fanden das natürlich und
mit Recht sehr anmaßend und empörten sich über die Lügen, durch welche
ihre Kollegen in Rom ihre Prätensionen zu Rechten zu erheben trachteten.
Wenn wir diese Lügen untersuchen, so wissen wir in der Tat nicht, ob wir
mehr über die Dummheit und Unverschämtheit dieser Lügen, oder über die
Dummheit der Menschen erstaunen sollen, die sich auf solche
handgreifliche Weise übertölpeln ließen.

Die Bischöfe zu Rom sagten: "Jesus machte Petrus zum Obersten der
Apostel; diese waren ihm untergeordnet. Petrus war 24 Jahre, 5 Monate
und 10 Tage Bischof in Rom; wir sind seine Nachfolger, folglich - stehen
alle Bischöfe und Fürsten der Christenheit unter unserer Oberhoheit!"

Selbst wenn Jesus so unchristlich gehandelt und Petrus einen Vorrang vor
den anderen Jüngern gegeben hätte, selbst wenn Petrus Bischof in Rom
gewesen wäre, so ist es doch noch immer eine seltsame Behauptung, dass
deshalb seine Nachfolger Statthalter Gottes auf Erden seien! Doch diese
Behauptung und Anmaßung wird erst dadurch zur frechsten Unverschämtheit,
dass es Jesus nie einfiel, Petrus einen Vorrang zu geben, und endlich
Petrus niemals in Rom und daher nicht Bischof dort war!

Das erste bedarf kaum eines Beweises. Jesus spricht es oft genug gegen
seine Jünger aus, dass keiner vor dem andern einen Vorrang habe, und es
ist Petrus auch niemals eingefallen, sich einen solchen anzumaßen, wie
aus seinen Briefen klar hervorgeht. In einem derselben sagt er: "Die
Ältesten, so unter Euch sind, ermahne ich als Mitältester" usw. (1.
Petr. 5,1). Auch Paulus sagt kein Wort von dem Avancement des Petrus und
hält sich selbst den andern Aposteln gleich (2. Kor. 11-12,5).

Außerdem verdiente es auch nächst Judas Petrus von den Jüngern wohl am
wenigsten, gleichsam als Oberhaupt an ihrer Spitze zu stehen. Er zeigte
sich schwächer als jeder andere, indem er Jesus drei Mal verleugnete und
nicht einmal eine Stunde für Jesus wachen konnte, nachdem er doch vorher
ruhmredig versichert hatte, dass er sein Leben für ihn lassen wolle.

Petrus war ein unüberlegter Hitzkopf, der mancherlei Übereilungen
beging, wozu der gegen Malchus geführte Streich - den ich ihm übrigens
keineswegs übelnehme - und die Ermordung des Ananias und seines Weibes
gehören. Nebenbei war er ein Duckmäuser, den Paulus wegen seiner
Heuchelei schilt (Gal. 2,11-13), ja, der sogar einmal den sanften Jesus
so in Eifer brachte, dass er ihn einen Satan nannte (Matth. 16,23).

Dass Petrus die christliche Gemeinde in Rom gegründet habe, ja, dass er
hier nahe an 25 Jahre Bischof gewesen sei, ist eine noch frechere Lüge,
die sich gewissermaßen mathematisch aus der Bibel nachweisen lässt,
weshalb es die Päpste auch nicht dulden wollen, dass dieselbe von den
Katholiken gelesen wird.

Die Apostelgeschichte geht bis in das Jahr 61 nach Christi Geburt. Nach
der Erzählung der päpstlichen Geschichtsschreiber ist Petrus schon über
20 Jahre früher nach Rom gekommen; aber die Apostelgeschichte, die doch
am Anfang so viel und so weitläufig von Petrus spricht - sagt von dieser
so wichtigen Reise kein Wort!

Ganz sicher ist bewiesen, dass Paulus in Rom war und hier unter dem
Kaiser Nero zwischen den Jahren 66-68 den Märtyrertod erlitt, zugleich
mit Petrus lügen die päpstlichen Geschichtsschreiber hinzu. Paulus war
zwei Jahre in Rom und schrieb von dort Briefe an verschiedene
christliche Gemeinden, in denen er mehrere seiner Freunde und Anhänger
nennt; aber von Petrus schreibt er kein Wort!

Wäre dieser Bischof in Rom gewesen, so hätte es Paulus gar nicht umgehen
können, von ihm zu reden, sei es auch nur, um sich über ihn zu
beschweren, dass er ihn nicht in seinem Werk unterstützte, denn er sagt
ausdrücklich, dass diejenigen, die er nennt, "sind allein meine Gehilfen
am Reiche Gottes, die mir ein Trost geworden sind" (Kolosser 4, 7-14).
Also "Paulus schreibt davon nichts", dass Petrus jemals in Rom war.

Doch wenn dieser auch, ganz gegen seinen Beruf als Apostel, 25 Jahre
Pfarrer einer Anzahl armer, verfolgter Christen in Rom gewesen wäre,
folgt dann daraus, dass die nachherigen Bischöfe von Rom ein Recht
hatten, mit Völkern, Kaisern und Königen wie mit Lumpengesindel
umzuspringen? - Möchten sich die Päpste immerhin Nachfolger Petri oder
Pauli nennen, allein auch nicht mehr Ansprüche machen als diese!

Wo Petrus gestorben ist, weiß man zum Glück für die Päpste nicht, und so
konnten diese eine schöne rührende Geschichte erfinden, die gar keine
historische Begründung hat. Nach ihrer Erzählung wurde Paulus als
römischer Bürger nur enthauptet; allein der Jude Petrus wurde gegeißelt
und dann gekreuzigt, - den Kopf nach unten, wie er es - nach der Legende
- aus Demut und zum Unterschied mit Christus verlangte. In dieser Demut
sind die Päpste nicht seine Nachfolger!

Aller Wahrscheinlichkeit nach war die Gemeinde der Christen zu Rom zur
Zeit, als Paulus dort war, noch nicht so groß, dass sie eines eigenen
Aufsehers bedurfte, und von einem Bischof im späteren Sinn kann vollends
nicht die Rede sein. Das Verdienst, die christliche Gemeinde zu Rom
gestiftet zu haben, gebührt also unbedingt dem Paulus; dem Petrus aber
auf keinen Fall.

Alle Ansprüche also, welche die sich Päpste nennenden römischen Bischöfe
darauf gründeten, dass sie Nachfolger Petri wären, - zerfallen demnach
in nichts. - Ursprünglich waren diese Peterlügen von ihnen nur deshalb
erfunden worden, weil sie dadurch bewirken wollten, dass ihre Stimme bei
Kirchenstreitigkeiten als entscheidende gelten sollte. Als sie dies erst
durchgesetzt hatten, griffen sie weiter, denn l'appétit vient mangeant.

Konsequenterweise beginnen die Päpste ihre Reihe mit Petrus. Nach ihm
nennt man eine Menge zum Teil völlig erdichteter Namen, um nur die
Lücken auszufüllen; denn die frühere Geschichte der römischen Bischöfe
ist noch dunkler als die der römischen Könige. Es ist zwecklos, diese
Herren Stadtpfarrer, denn anderes waren sie nicht, namentlich
aufzuführen; ich will mich damit begnügen, nur diejenigen näher zu
beleuchten, welche die größeren Schritte taten, dem Gipfelpunkt
näherzukommen, nach welchem alle strebten.

Die Reihen der römischen Kaiser, die der asiatischen Despoten, kurz,
keine Fürstenreihe der Welt - ja, nicht einmal die chamber of horrors
der Madame Toussaut in London bietet solche moralische Ungeheuer dar als
die Reihe der Päpste, die sich die Statthalter Gottes nennen. - Aber sie
mochten es noch so arg treiben, den verdummten Menschen gingen die
blöden Augen nicht auf. Fürsten und Völker ließen sich von diesen
ekelhaften Bösewichten das Fell über die Ohren ziehen und küssten dafür
den Tyrannen noch demütig den Pantoffel.

Fuhr einmal ein vernünftiger Fürst dem hochmütigen Priester zu Rom über
die Glatze, dann schrie das dumme Volk Zetermordio, und war einmal das
Volk vernünftig genug, den römischen Anmaßungen entgegenzutreten - dann
kam gewiss ein dummer Fürst mit geweihtem Schwert und Hut und wetterte
hernieder auf die verfluchten Ketzer.

So kam es denn, dass die Päpste bis auf den heutigen Tag ein Recht
ausüben, das ihnen niemand gegeben. Durch eine unerhörte Dreistigkeit,
durch die klügste Benutzung der Dummheit der Menschen haben sie sich
Schritt vor Schritt in den Besitz desselben gesetzt; denn die Christen
der ersten Jahrhunderte waren weit entfernt, ihnen dasselbe einzuräumen.
Ein Unrecht kann aber nie ein Recht werden, mag es auch Jahrtausende
faktisch bestanden haben und selbst von dem Gesetz anerkannt sein;
diejenigen, welche darunter leiden, haben vollkommen recht, sich von dem
aufgezwungenen Joch loszumachen, sobald sie können. Dies kann aber ein
jeder, sobald er aufgehört zu glauben; tut er das, so ist er schon frei
ohne weitere Anstrengung.

Wie schon oben gesagt, hatte vor Ende des ersten Jahrhunderts die
römische Gemeinde wahrscheinlich weder einen besonderen Bischof noch
eine besondere Kirche. Die armen Christen mussten sich herumdrücken, wie
sie konnten, und ihre Ältesten waren gewiss Männer von unbescholtenen
Sitten, denen es mit der Lehre Christi ernst war. Das Märtyrertum war
ihnen unter den Verfolgungen so ziemlich gewiss, und daraus geht schon
ganz sicher hervor, dass sie andere Leute waren als ihre Nachfolger, die
keineswegs nach der Märtyrerkrone verlangten.

Der erste römische Bischof, von dem wir wissen, dass er schon mehr
gelten wollte als seine Kollegen, hieß Viktor (192 bis 201). Er
verlangte sehr ungestüm, dass alle übrigen Christen das Osterlamm zu der
Zeit essen sollten, wenn es in Rom geschah, nämlich am Auferstehungstage
Jesu, und nicht, wie es die anderen Christen beibehalten hatten, am
jüdischen Passahfest, zu welcher Zeit es auch Christus aß.

Die anderen Bischöfe meinten, es rapple dem Herrn Kollegen in Rom unter
der Mütze, und von seiner Berufung auf Petrus, der diesen Gebrauch in
Rom eingeführt haben sollte, nahmen sie nur so viel Notiz, dass ihm der
Bischof Polykrates von Ephesus antwortete: "dass nicht Petrus, sondern
Johannes an der Brust Jesu gelegen wäre". Von einer Oberhoheit des
Petrus über die anderen Apostel schien man damals, so nahe der Quelle,
noch nichts zu wissen, aber tausend Jahre später hatte sich die
beharrliche Lüge allgemeinen Glauben verschafft.

Als die Christen in Rom einst zur Bischofswahl versammelt waren, setzte
sich zufällig eine Taube auf den Kopf eines Mannes namens Fabianus, und
mit echt heidnischem, altrömischem Wunderglauben riefen die Christen:
"Der soll Bischof sein!" Seitdem nahm man an, dass der Heilige Geist bei
jeder Bischofswahl gegenwärtig sei und sie leite. Das war bequem, denn
nun konnte jede dumme Wahl ihm zur Last gelegt werden.

Stephanus, welcher 253 Bischof wurde, war der erste, welcher behauptete:
"er sei mehr als die andern Bischöfe, denn er sei der Nachfolger des
heiligen Apostels Petrus". Ja, dieses Papstwickelkind ging schon so
weit, dass es den asiatischen Bischöfen die Kirchengemeinschaft
aufkündigte, weil sie seinen Vorschriften nicht gehorchen wollten.

Diese waren höchlich erstaunt über die Frechheit ihres Herrn Bruders in
Christo, und der Bischof Firmilian von Kappadokien äußerte sich in einem
den Bischöfen zugeschickten Zirkular wie folgt: "Mit Recht muss ich mich
in diesem Punkt über eine so offenbare als unverkennbare Torheit des
Stephanus ärgern, welcher sich seines Bischofssitzes rühmt und sich für
einen Nachfolger des Apostels Petrus ausgibt."

Als Kaiser Konstantin die christliche Religion zur Staatsreligion
machte, da wurde dieser Umstand sogleich von den römischen Bischöfen zur
Erhöhung ihrer Macht benutzt. Durch niedrige Schmeichelei und Kriecherei
gelang es ihnen, denen stets das Ohr des Kaisers zu Gebote stand, diesen
zu bewegen, dass ihnen immer mehr Vorrechte eingeräumt wurden. Dabei
waren sie nicht blöde; sie nahmen, wo sie etwas bekommen konnten, wie
schon im ersten Kapitel erzählt ist. So wurden sie reich und mit dem
Reichtum von Jahr zu Jahr hochmütiger.

Die Stelle des römischen Bischofs wurde nun eine sehr begehrte und
beneidete. Der heidnische Statthalter zu Rom, Prätextatus, sagte: "Macht
mich zum Bischof von Rom, dann will ich sogleich Christ werden." Die
Bewerber um diese Stelle lieferten sich die blutigsten Gefechte, in
denen Hunderte von Menschen ihr Leben einbüßten.

Mit der Frömmigkeit und Heiligkeit der römischen Bischöfe war es längst
vorbei und wir sehen auf dem Bischofsstuhl schon Mörder und Ehebrecher.
Doch bei solchen Kleinigkeiten dürfen wir uns nicht aufhalten und ebenso
wenig bei den ehrgeizigen Kämpfen zwischen den Bischöfen von Rom und
denen der anderen Städte.

Obwohl es interessant ist, zu beobachten, wie durch konsequente
Anwendung der Lüge, Unverschämtheit, List und Gewalt die Macht der
römischen Bischöfe immer weiter um sich griff, so würde mich doch eine
solche Auseinandersetzung hier zu weit führen, und ich will mich damit
begnügen, die Stellung der römischen Bischöfe in den verschiedenen
Jahrhunderten, sowohl ihren Mitbischöfen als der weltlichen Macht
gegenüber, zu charakterisieren und nur einzelne dieser Ehrenmänner als
Beispiel anführen.

Schon im vierten Jahrhundert hatten die römischen Bischöfe es verlangt,
dass ihnen der erste Rang unter den Patriarchen, also auch unter allen
Bischöfen, zuerkannt würde. Dies geschah jedoch nicht, weil sie sich für
Nachfolger Petri ausgaben, sondern weil sie ihren Sitz in der damaligen
Hauptstadt der Welt hatten. Aber man dachte noch nicht daran, ihnen eine
höhere Würde als den andern Patriarchen einzuräumen.

Mehr erlangten sie auch nicht im fünften, sechsten und siebten
Jahrhundert, wenn sie selbst auch schon anfingen, sich eine höhere
Stellung anzumaßen und zu behaupten, dass sie vermöge der ihnen von
Petrus anvertrauten Gewalt mit der Vorsorge für die allgemeine Kirche
beauftragt wären.

Diese Anmaßungen wurden indessen noch von niemand anerkannt. In diesen
Jahrhunderten hielt man noch die allgemeinen Kirchenversammlungen für
die einzige rechtmäßige kirchliche Behörde, welche für die Erhaltung der
Einheit der Kirche Sorge tragen musste. Über die Beobachtung der
allgemeinen Kirchengesetze hatte jeder Bischof in seiner Diözese und
vorzüglich jeder Patriarch in seinem Bezirk zu sorgen.

Die von den Aposteln gestifteten Gemeinden waren allerdings und
begreiflicherweise die Richtschnur für die übrigen, und da Rom im
Abendland die einzige der Art war (da sie von Paulus gestiftet wurde),
so war es denn ganz natürlich, dass sich die abendländischen Bischöfe
hin und wieder in streitigen Fällen kollegialisch an die Bischöfe von
Rom wandten und um Rat baten.

In solchen Fällen waren diese stets darauf bedacht, ihren Rat in die
Form eines Befehls zu kleiden und wohl gar hinzuzufügen: "So beliebt es
dem Apostolischen Stuhl." Wenn nun auch einzelne Bischöfe zu solchen
Anmaßungen schwiegen, worauf die römischen sogleich ein Recht gründeten,
so protestierte man doch von allen Seiten dagegen, und an ein Primat des
römischen Stuhls dachte vollends noch niemand, als höchstens die
römischen Bischöfe selbst. - Kaiser Justinian erklärte sogar durch ein
eigenes Gesetz, die Kirche zu Konstantinopel sei das Haupt aller
christlichen Kirchen, und andere legten dem dortigen Patriarchen, zum
größten Ärger des römischen, den Titel und Charakter eines allgemeinen
Bischofs bei.

Selbst im Abendland, wo doch der römische Bischof noch im höchsten
Ansehen stand, räumte man ihnen zu dieser Zeit nicht einmal einen
besonderen Titel ein. Alle Bischöfe nannten sich Papst (von papa,
Vater), auch Oberpriester, auch sogar Stellvertreter Christi, und gaben
sich untereinander diese Titel, also auch dem Bischof von Rom, der bald
Papst der Stadt Rom, bald schlechtweg Papst genannt wurde.

Sogar der Titel Patriarch wurde im Abendland nicht einmal allein dem
Bischof von Rom gegeben; es nannten sich die meisten Metropoliten so,
und noch im Jahre 883 wurde der Bischof von Lyon, der auf der zweiten
Synode zu Macon den Vorsitz führte, Patriarch genannt. Hierin liegt der
Beweis, dass man selbst im Abendland gar nicht daran dachte, dem Bischof
von Rom einen höheren Rang einzuräumen.

Über das Verhältnis der römischen Bischöfe gegenüber den Kaisern habe
ich bereits im ersten Kapitel gesprochen. Es blieb dasselbe im fünften,
sechsten und siebten Jahrhundert. Zeigten sich einzelne Kaiser
nachgiebiger gegen die Bischöfe, so lag das in ihrer Persönlichkeit. Der
römische Bischof stand wie jeder andere Staatsbeamte unter dem Kaiser,
und dieser und sein Statthalter waren seine Richter. Die Reichssynoden
wurden von den Kaisern berufen, und diese präsidierten hier durch einen
Kommissarius, und wenn auf der Synode zu Chalcedon der Legat des
römischen Bischofs Leo den Vorsitz führte, so geschah es, weil dieser es
sich vom Kaiser als eine besondere Gnade erbeten hatte. Die Beschlüsse
dieser Synoden wurden nicht vom Bischof in Rom, sondern von den Kaisern
bestätigt, und selbst wenn eine solche Kirchenversammlung gegen den
Willen des römischen Bischofs gehalten wurde, so verlor sie dadurch
nichts von ihrer allgemeinen Gültigkeit.

Bei streitigen Bischofswahlen entschied immer der Kaiser, und kein
Bischof durfte seine Würde antreten ohne die kaiserliche Bestätigung.
Machte auch der Hochmut hin und wieder einen der Bischöfe verrückt, so
wagten sie es doch nicht, sich über den Kaiser zu erheben.

Selbst Gregor I. (590-604), in dem schon der Geist der späteren Päpste
spukte, war demütig wie ein Hund vor den Kaisern. In seinen Briefen an
den Kaiser Mauritius gebrauchte er die kriechendsten Ausdrücke und
schreibt zum Beispiel: "Wer bin ich, der ich zu meinem Herrn rede, als
Staub und Wurm."  Er nennt den Kaiser seinen "frommen Herrn, dem die
Gewalt über alle Menschen vom Himmel herab erteilt worden sei", und sich
selbst nennt er seinen unwürdigen Diener. - Dies war er in der Tat, denn
er war durch und durch ein lasterhafter, heuchlerischer Schurke. Sein
Benehmen gegen den Tyrannen Phokas beweist das schon zur Genüge.

Der Kaiser Mauritius, einer der edelsten Menschen, die jemals auf einem
Thron saßen, wurde durch diesen Phokas, einen seiner Hauptleute,
entthront. Selbst Nero ist gegen dieses blutdurstige Ungeheuer ein guter
liebreicher Mensch, Phokas ließ fünf Kinder des Mauritius vor dessen
Augen grausam hinrichten und dann ihn selbst. Er rottete die ganze
kaiserliche Familie aus und mordete auf die scheußlichste Weise bis an
das Ende seines Lebens.

Gregor hatte von Mauritius nur Gutes erfahren; er nannte ihn selbst
seinen Wohltäter, und dennoch verleumdete er aus Kriecherei gegen Phokas
den edlen Kaiser. An den blutdurstigen Tyrannen schrieb er: "Bisher sind
wir hart geprüft gewesen; der allmächtige Gott aber hat Eure Majestät
erwählt und auf den kaiserlichen Thron gesetzt, um durch Eure Majestät
barmherzige Gesinnung und Einrichtung aller unserer Not und Traurigkeit
ein Ende zu machen. Der Himmel freue sich daher, und die Erde sei
fröhlich, und das ganze Volk müsse wegen einer so glücklichen
Veränderung Dank sagen."

Und so warf sich Gregor weg, um Phokas und sein gleich nichtswürdiges
Weib auf seine Seite zu ziehen, damit er ihm vor dem Bischof von
Konstantinopel bevorzuge, welcher zum größten Missvergnügen Gregors den
Titel "allgemeiner Bischof" angenommen hatte. Doch ich muss die
Äußerungen der Verachtung gegen diesen elenden Pfaffen unterdrücken,
denn wo soll ich sonst Worte finden, die noch nichtswürdigeren
Handlungen seiner noch verruchteren Nachfolger zu bezeichnen?

Dieser Gregor I. steht in der römischen Kirche in ganz besonders hoher
Achtung, denn ihm verdankt sie die Einführung einer Menge sinnloser oder
vielmehr dummer Zeremonien, die noch bis zum heutigen Tag Geltung haben.
Er war es, welcher aus der römischen Kirche die letzten Spuren wahren
Christentums, wie es Jesus und allenfalls seine Apostel verstanden,
austilgte. Er ist der Erfinder des Fegefeuers, dieser päpstlichen
Prellanstalt, die besser rentierte als irgendein Schwindelgeschäft,
welches je ein beschnittener oder unbeschnittener Jude machte. Gregor
ist auch der eifrigste Förderer des Mönchswesens. Er hinterließ einen
Wust selbst verfasster Schriften, die von dem wundervollsten Unsinn
strotzen. In ihnen sind auch Regeln für Geistliche enthalten, aus denen
ich eine Probe anführe, damit die der römischen Kirche angehörigen Leser
untersuchen können, ob ihr Bischof derselben entspricht. Es handelt sich
nämlich darum, wie die Nase eines Bischofs beschaffen sein müsse. "Ein
Bischof darf keine kleine Nase haben - denn er muss Gutes und Böses zu
unterscheiden wissen wie die Nase Gestank und Wohlgeruch, daher auch das
hohe Lied sagt: 'Deine Nase ist gleich dem Turm auf dem Libanon.' Ein
Bischof darf aber auch keine allzu große oder gekrümmte Nase haben, um
nicht spitzfindig oder niedergedrückt von Sorgen zu sein; - er darf
nicht triefäugig sein, denn er muss helle sehen; noch weniger krätzig
oder beherrscht vom Fleische."

Im siebten Jahrhundert trug sich eine Veränderung zu, welche zwar dem
Christentum einen harten Stoß gab, aber für das Ansehen der römischen
Bischöfe in der Folge höchst vorteilhaft wirkte. Mohammed trat als der
Stifter einer neuen Religion auf.

Mohammed lehrte: "Es ist nur ein einziger Gott, welcher die ganze Welt
beherrscht; er will von den Menschen treu verehrt sein durch Tugend.
Tugend besteht in Ergebung in den göttlichen Willen, andächtigem Gebet,
Wohltätigkeit gegen die Armen und Fremden, Redlichkeit, Keuschheit,
Nüchternheit, Reinlichkeit, tapferer Verteidigung der Sache Gottes bis
in den Tod. Wer diese Pflichten erfüllt, ist ein Gläubiger und empfängt
den Lohn des ewigen Lebens."

Diese Lehre musste in der damaligen Zeit großen Anklang finden, denn sie
war einfach und verständlich, während die der Christen sich von der Jesu
so weit entfernt hatte, dass sie unverständlicher, unklarer, mystischer
und unvernünftiger geworden war, als die der Heiden jemals gewesen. Dazu
kam noch ein zwar auf sehr sinnliche Vorstellungen gegründeter, aber
deshalb sehr praktisch und verlockend erfundener Himmel, während ein
Mensch mit gesunden Sinnen dem von den Mönchen geschilderten
Christenhimmel weder eine fassbare Vorstellung noch den allergeringsten
Geschmack abgewinnen kann.

Der praktische Wert des Islam im Vergleich mit der zu jener Zeit als
Christentum geltenden Religion war besonders bei den Völkern des Orients
überwiegend, und die Lehre Mohammeds verbreitete sich mit großer
Schnelligkeit über ganz Asien und Nordafrika und vernichtete die
christliche Kirche in diesen Ländern. Dadurch verschwanden die
Patriarchen von Antiochien, Jerusalem und Alexandrien und mit ihnen die
gefährlichsten Gegner der römischen Anmaßungen. Mohammed und die Kalifen
arbeiteten für die römischen Päpste.

Diese waren aber bis zum Ende des siebenden Jahrhunderts noch gar weit
von ihrem Ziel entfernt. Die Kaiser küssten ihnen noch nicht den
Pantoffel, wie sie es später taten, sondern gingen mit ihnen ebenso um,
wie die preußische Regierung es mit den evangelischen Bischöfen tut, das
heißt, sie betrachteten sie einfach als Staatsbeamte.

Der Bischof Liberius, welcher sich in Glaubenssachen nicht fügen wollte,
wurde vom Kaiser Konstantin abgesetzt und verwiesen. Der stolze Bischof
Leo "der Große" (452) musste sich vom Kaiser Valentinian als Gesandter
an den Hunnenkönig schicken lassen, und der Bischof Agapet wurde in
derselben Eigenschaft von dem Ostgotenkönig Theodat an Kaiser Justinian
abgesendet.

Wie demütig Gregor war, haben wir gesehen, und das war wenigstens klug
von ihm, denn die Kaiser ließen nicht immer mit sich scherzen, wie es
Konstans dem Bischof Martin (649 bis 655) bewies.

Martin wagte es, den Befehlen des Kaisers entgegenzuhandeln, ja, er ließ
sich in hochverräterische Pläne ein. Dies bewog den Kaiser, den
römischen Bischof durch seinen Statthalter in Rom gefangen nehmen und
nach der Insel Naxos bringen zu lassen, die durch Ariadne bekannter
geworden ist als durch Martin, der hier ein ganzes Jahr lang im
Gefängnis saß.

Von hier brachte man den Heiligen Vater nach Konstantinopel, sperrte ihn
39 Tage lang ein und stellte ihn dann vor ein Gericht, welchem der
Großschatzmeister präsidierte. Der römische Papst hatte das päpstliche
Übel, das Podagra, in den Beinen - seine Nachfolger hatten es häufig im
Kopf - und erschien sitzend in einem Sessel. Der Richter befahl ihm
jedoch, das Verhör stehend abzuwarten, und da er dies nicht konnte, so
wurde er von zwei Männern aufrecht gehalten.

Die Schuld war offenbar, und so ward ihm denn bald das Urteil
gesprochen: "Du hast gegen den Kaiser verräterisch gehandelt", sagte der
Großschatzmeister, "du hast Gott verlassen, und Gott hat dich wieder
verlassen und in unsere Hände gegeben." Darauf übergab er den Bischof
von Rom dem Gouverneur von Konstantinopel mit der Weisung, ihn ohne
Bedenken in Stücke zerhauen zu lassen, wenn er wolle.

Dem hochverräterischen römischen Papst wurde nun ein Halseisen umgelegt,
und an Ketten wurde.er durch die Stadt geschleppt. Vor ihm her ging der
Scharfrichter mit entblößtem Schwert, zum Zeichen, dass der Verbrecher
zum Tode verurteilt war. Darauf wurde Martin ins Gefängnis gebracht, mit
Ketten auf eine Bank geschlossen und unter freien Himmel gestellt, wie
es mit allen Verbrechern den Tag vor ihrer Hinrichtung geschah.

Über den armen deutschen König Heinrich erbarmte sich niemand, als er
halbnackt im Schlosshof von Canossa im Schnee stand, aber Martin fand
mitleidige Seelen. Die Gefängniswärter legten ihn ins Bett, und der
Kämmerling des Kaisers ließ ihm zu essen bringen. Ja, der sterbende
Patriarch Paulus von Konstantinopel, ein frommer Mann, den Martin
feierlich als Ketzer verflucht hatte, bat auf seinem Sterbebett den
Kaiser um seines Feindes Leben. Es wurde ihm bewilligt. Martin wurde aus
dem Land verwiesen. Wo bat jemals ein römischer Papst um das Leben
seines Feindes? Ich konnte in der Geschichte keinen Fall auffinden und
würde jedem dankbar sein, der mir einen solchen nachweisen könnte. -

Der Nachfolger des abgesetzten Martins zeichnete sich durch nichts aus
als dadurch, - dass er diesen verhungern ließ.

Im achten Jahrhundert taten die Päpste einen mächtigen Sprung vorwärts,
wozu sie im Anfang desselben nicht die allergeringste Hoffnung hatten.
Als die Langobarden Herren Italiens waren, beschränkte sich die Macht
der römischen Bischöfe nur auf die Diözese, denn die barbarischen Könige
derselben erkannten sie nicht einmal als die Patriarchen von Italien an,
und die andern Bischöfe dieses Landes behaupteten ihre Unabhängigkeit.

Das änderte sich aber bald, als das langobardische Reich unter die
Herrschaft der Franken kam. Durch sie wurden die Bischöfe von Rom die
größten Landbesitzer in Italien, und dies, wie die Unterstützung der
Frankenkönige, half ihnen zu dem Primat in Italien.

Sie verloren zwar in dieser Periode allen Einfluss auf Spanien, dafür
traten sie aber wieder in nähere Berührung mit Gallien und legten den
Grund zu ihrer Herrschaft in Deutschland. In England hatten sie schon zu
Ende des sechsten Jahrhunderts festen Fuß gefasst, indem die dortigen
christlichen Kirchen auf ihre Veranlassung gestiftet wurden.

Von 715 bis 735 saß Gregor II. auf dem bischöflichen Stuhl zu Rom. Unter
ihm brach der große Bilderstreit aus, von dem ich schon früher
gesprochen habe und der das ohnedies schon durch Thronstreitigkeiten
zerrüttete oströmische Reich noch mehr schwächte.

Eigentlich hatte man sich schon seit den ersten Jahrhunderten des
Christentums wegen der Verehrung der Bilder gezankt, und die
angesehensten und frömmsten Kirchenlehrer hatten den Bilderdienst als
abscheulichsten Götzendienst verdammt. Um von den vielen Beispielen nur
eins anzuführen, setze ich den Ausspruch Tertullians her: "Ein jedes
Bild ist nach dem Gesetz Gottes ein Götze, und ein jeder Dienst, der
demselben erwiesen wird, eine Abgötterei."

So wie dieser verdammen Eusebius von Cäsarea, Clemens von Alexandrien,
Origenes, Chrysostomus und viele andere der geachtetsten Kirchenväter
die Verehrung der Bilder als eine der christlichen Lehre durchaus
hohnsprechende Abgötterei. Aber die römischen Bischöfe und die Mönche,
welche ihren Vorteil kannten, den ihre Kasse aus diesem Götzendienst
ziehen musste, verteidigten die Bilder mit Leib und Leben.

Gregor II. war ein großer Bildernarr, und als der oströmische Kaiser
Leo, der Isaurier, die Bilder mit Gewalt aus den Kirchen Italiens
entfernen lassen wollte, da kam es zu den blutigsten Streitigkeiten,
welche der Langobardenkönig Liutprand dazu benutzte, seine Herrschaft in
diesem Land immer weiter auszudehnen.

Gregor hetzte alles gegeneinander und wiegelte das Volk gegen den Kaiser
auf. An diesen schrieb er einen unverschämten Brief, in welchem er ihn
einen "Ignoranten, einen Tölpel, einen dummen und verrückten Menschen,
einen gottlosen Ketzer" nannte. Der rechtschaffene Kaiser, anstatt
diesen hochmütigen Pfaffen nach dem Gesetz strafen zu lassen, antwortete
ihm mit großer Mäßigung, aber nun stieg erst recht die Frechheit
Gregors, und in einem seiner Briefe schrieb er an seinen Kaiser und
Herrn: "Jesus Christus schicke dir den Teufel in den Leib, damit dein
Geist zum Heil gelange."

Leo griff nun den rebellischen Bischof am richtigen Fleck an; er entzog
ihm sein ganzes Patrimonium in Sizilien und Kalabrien und unterwarf es
dem Patriarchen von Konstantinopel. Dadurch verlor Gregor alljährlich
224.000 Livres Einkünfte. Dafür verehrt denn aber auch die römische
Kirche diesen Gregor II. als einen Heiligen.

Sein Nachfolger Gregor III. fuhr ganz in demselben Geist fort und
wiegelte das Volk zu offener Empörung gegen den Kaiser auf. Als er aber
auch den Langobardenkönig beleidigte, rückte dieser vor Rom. Der
geängstigte Bischof, den nun alle heiligen Knochen nicht schützen
konnten und der für seine eigenen fürchtete, bat Karl Martell, den
fränkischen Majordomus, um Hilfe und wand sich vor ihm wie ein Wurm.
Endlich ließ sich der Franke bewegen, ihn zu schützen, als er versprach,
sich vom Kaiser loszusagen und Rom ihm zu unterwerfen.

Nach Gregors und Martells Tod wurde der folgende Bischof von Rom,
Zacharias, wieder arg von den Langobarden bedrängt und sah nirgends
Trost und Hilfe als bei den Franken. Hier führte der Sohn Karl Martells,
Pipin, das Schwert des Reiches und hatte große Lust, den schwachen König
Childerich III. zu entthronen. Zacharias wusste es nun so zu lenken,
dass die fränkischen Stände an ihn die Frage richteten: "Ob nicht ein
feiger und untüchtiger König des Thrones beraubt und ein würdigerer an
seine Stelle gesetzt werden dürfe?" Der römische Bischof antwortete:
"Ja" und machte sich dadurch den nun zum Frankenkönig erwählten Pipin
zum Freunde.

Zacharias erlebte aber die Früchte seiner Politik nicht. Von ihm
verdient noch bemerkt zu werden, dass er einen Bischof, namens
Virgilius, in den Bann tat und als Ketzer verdammte, weil derselbe
behauptet hatte, "dass die Erde eine Kugel sei und dass auf der andern
Seite derselben Menschen wohnten, die uns die Fußsohlen zukehrten".

Bischof Stephanus II. (752-757) erntete, was seine Vorgänger säten.
Bedrängt von den Langobarden, begab er sich in Person zu Pipin. Dieser
schickte ihm seinen Sohn Karl dreißig Meilen weit entgegen und ritt
selbst eine Meile, ihn zu begrüßen. Er litt nicht, dass der Bischof vom
Pferde stieg, sondern begleitete ihn selbst zu Fuß, gleich einem
Stallknecht. So erzählen die päpstlichen Geschichtsschreiber.

Pipin ließ sich in Paris von Stephan salben, und dieser entband ihn
feierlich des Eides, den er seinem Könige geleistet, und tat die
Franken, wenn sie Pipin und seine Nachfolger nicht als Könige anerkennen
würden, in den Bann. Das tapfere Volk war bereits so sehr von
päpstlichem Aberglauben umgarnt, dass die Dreistigkeit des Stephanus sie
nicht empörte, sondern vielmehr die Macht Pipins befestigte. Dieser
zeigte sich dankbar; er schenkte dem römischen Bischof das Exarchat,
nämlich die heutige Romagna und Ankona, ein Land, welches Pipin gar
nicht zu verschenken hatte, da es ihm nicht gehörte!

Als Stephan nach Rom zurückgekehrt war und die Franken zu lange
zögerten, ihn von den Langobarden zu befreien, schrieb er einen Brief
nach dem andern an Pipin, und als derselbe immer noch nicht kam, griff
er zu einem ebenso dummen wie schamlosen Betrug, der aber trotzdem
gescheit war, da er bei den abergläubischen Franken Erfolg hatte.
Stephan schickte nämlich einen Brief des Apostels Petrus an Pipin,
seinen Sohn und die fränkische Nation, in welchem der Apostel auf die
Langobarden schimpft, dringend um Hilfe bittet, aber dem Frankenkönig
mitteilt, "dass, wenn er nicht helfen wolle, er vom Reich Gottes
ausgeschlossen sei".

Es mit dem "Himmelspförtner" zu verderben war eine ernste Sache, und die
Franken entschlossen sich, in Italien einzurücken. Die Langobarden waren
gezwungen, das Exarchat zu räumen, und Bischof Stephan in den Besitz
eines Landes gesetzt, welches dem oströmischen Kaiser gehörte, dessen
Untertan Stephanus war!

Während die römischen Bischöfe selbst dafür besorgt waren, in Italien
ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen, arbeitete für sie in Deutschland
Bonifazius, welcher seiner Beschützer ganz würdig war. Ich habe schon
früher von diesem Unglücksapostel gesprochen, dem Deutschland all das
Unheil verdankt, welches die römische Kirche über dasselbe gebracht hat.
Dieser Bonifazius kam nach Rom und leistete Gregor II. über dem
erlogenen Grab der Apostel einen Huldigungseid, durch welchen er sich
dem Papsttum, nicht dem Christentum, mit Leib und Seele unterwarf.

Mit heiligen Knochen aller Art ausgerüstet, ging er nun nach Deutschland
und wandte alle von seinem Meister in Rom erlernten Mittel an, die
deutschen Bischöfe dem Römischen Stuhl zu unterwerfen.

Das Christentum hatte in Deutschland längst Wurzel gefasst; allein
Bonifazius rottete es als Ketzerei aus und gab ihm dafür das moderne
Heidentum, welches man schon damals in Rom christliche Religion nannte.
Er stiftete als Legat des römischen Bischofs eine Menge Kirchen in
Deutschland, die er alle demselben unterwarf, und seinen Bemühungen
gelang es, zu Stande zu bringen, dass im Jahr 744 sämtliche deutsche
Bischöfe dem Römischen Stuhle beständigen Gehorsam gelobten.

Auch über die fränkischen Bischöfe erlangte der zu Rom eine Art von
Oberhoheit; allein sowohl hier als in Deutschland hatte dieselbe noch
ziemlich enge Grenzen, und man war weit davon entfernt, ihm die
gesetzgebende Gewalt über die ganze Kirche einzuräumen. Aber es war
schon genug, dass man ihm eine gewisse Autorität einräumte; mit Lug und
Trug kamen, wie wir sehen werden, die Päpste bald weiter.

Wenn auch Pipin sich sehr demütig zeigte, so fiel es doch seinem Sohn,
Karl dem Großen, obwohl er sich in Rom vom Papst zum Kaiser krönen ließ;
nicht im allerentferntesten ein, sich diesem unterzuordnen; er
betrachtete ihn als den ersten Reichsbischof, denn er selbst trat in
alle Rechte, welche sonst der römische Kaiser ausgeübt hatte. Aber
dieser sonst so vernünftige Mann, welcher die Geistlichkeit wegen ihrer
Habsucht, Prachtliebe und Sittenlosigkeit sehr derb zurechtwies, beging
den dummen Streich, den Pfaffen ein wichtiges Recht zu gewähren, welches
nur dazu diente, die Macht zu stärken, von der Karls Nachfolger
misshandelt wurden; er bestätigte das Recht des Zehnten.

Als die christlichen Priester sich ganz nach dem Muster der jüdischen
bildeten, verlangten sie auch wie diese den zehnten Teil der Ernte usw.
für sich. Bisher hatten sie die gläubigen Christen zur Zahlung dieser
Abgabe zu überreden gewusst, und wenn auch schon am Ende des siebten
Jahrhunderts eine fränkische Synode den Zehnten für eine göttliche
Satzung erklärte und jeden mit dem Bann bedrohte, der ihn nicht bezahlen
wollte, so war dies doch eben weiter nichts als ein Beweis pfäffischer
Unverschämtheit, die wir deren so viele haben.

Karl der Große machte den Zehnten erst gesetzlich, und bald dehnten ihn
die Pfaffen auf alles mögliche aus. Sie verlangten nicht nur den Zehnten
von den Feldfrüchten, Schafen, Ziegen, Kälbern, Hühnern und dem Erwerb,
sondern sie wollten ihn sogar von Dingen erheben, die sich für
Geistliche sehr schlecht schickten. Als Beweis mag folgender Fall
dienen:

Zu Brescia belehrte ein Pfarrer die Frauen im Beichtstuhl, dass sie ihm
auch den Zehnten von - den ehelichen Umarmungen entrichten müssten. Eine
der Frauen, welche sich von der Rechtmäßigkeit der geistlichen Ansprüche
hatte überzeugen lassen, wurde von ihrem Manne wegen ihrer langen
Abwesenheit zur Rede gestellt; von ihm gedrängt, beichtete sie das
saubere Beichtstuhlgeheimnis. Der beleidigte Ehemann sann auf eine herbe
Züchtigung. Er veranstaltete ein großes Gastmahl, zu welchem auch der
zehntlustige Pfarrer geladen wurde. Als man in der besten Unterhaltung
war, erzählte der Wirt der Gesellschaft die Nichtswürdigkeit des Pfaffen
und wandte sich dann plötzlich an diesen, indem er ihm sagte: "Da du nun
von meiner Frau den Zehnten von allen Dingen verlangst, so empfange nun
auch den hier!" Dabei überreichte er dem Pfaffen ein Glas voll Urin usw.
und zwang den halbtoten Pfarrer, dasselbe vor den Augen der ganzen
Gesellschaft zu leeren. Seitdem wird ihm wohl der Appetit nach dem
Zehnten etwas vergangen sein.

Karls des Großen unwürdige Nachfolger begingen die Torheit, sich
gleichfalls von den Päpsten krönen zu lassen, und so wurde in dem Volk
bald die Idee erweckt, dass der Papst die Krone zu vergeben habe, da er
den Kaiser erst durch die Krönung zum Kaiser mache. Die Einwilligung,
welche aber die Päpste zu ihrer Wahl vom Kaiser bedurften, wurde stets
in aller Stille und ohne Sang und Klang eingeholt, damit das Volk davon
nichts merke.

Papst Eugenius entwarf selbst den Eid, welchen er "seinen Herren, den
Kaisern Ludwig und Lothar", leistete und den auch seine Nachfolger den
Kaisern schwören mussten. Dieser Eid, den ich nicht ausführlich
hersetzen will, steht auch in den Diplomen, die von den Kaisern Otto I.
und Heinrich I. in der Engelsburg in Rom aufgefunden wurden. Es ist also
klar bewiesen, dass die Päpste selbst sich damals durchaus als
Untergebene der Kaiser betrachteten.

Man erstarrt förmlich über die grenzenlose Unverschämtheit, mit welcher
die Päpste dies abzuleugnen suchen! Wahrhaft groß darin war Nikolaus I.
(858-868). Er behauptete: "dass die Kaiser, wenn sie Synoden für nötig
hielten, stets nach Rom geschrieben und nicht befohlen, sondern nur
gebeten hätten, eine Synode zusammenzurufen und dann gutgeheißen oder
verdammt hätten, was man in Rom für nötig fand".

Dieser Nikolaus war sogar dreist genug, zu behaupten, "dass die
Untertanen den Königen, die den Willen Gottes (d. h. des Papstes) nicht
täten, keinen Gehorsam schuldig wären". Seinen Namen setzte er in allen
Schriften vor den der Könige, ja, er wagte es, Lothar zu
exkommunizieren, und dieser - bat wirklich demütig um Absolution!

Die Erzbischöfe Teutgaud von Trier und Günther von Köln traten kühn dem
frechen Nickel entgegen. "Du bist ein Wolf unter Schafen", sagten sie zu
ihm, "du handelst gegen deine Mitbischöfe nicht wie ein Vater, sondern
wie ein Jupiter; du nennst dich einen Knecht der Knechte und spielst den
Herrn der Herren, - du bist eine Wespe - aber glaubst du, dass du alles
tun dürftest, was dir gefällt? Wir kennen dich nicht und deine Stimme
und fürchten nicht deinen Donner, - die Stadt Gottes, von der wir Bürger
sind, ist größer als Babylon, das sich rühmt, ewig zu sein, und das sich
brüstet, als ob es nie irren könne."

Doch was halfen solche vereinzelte Anstrengungen? Die starke Kreuzspinne
zu Rom spann ihre Lügengewebe über ganz Europa und bestrickte damit
endlich Könige, Bischöfe und Volk! Es ging aber damit den Päpsten noch
immer zu langsam, sie ersannen einen Betrug, der ihnen schneller zum
Ziele helfen sollte und, Dank der Dummheit der Menschen, leider auch
half!

Niemand wollte noch an die Rechtmäßigkeit all der Rechte glauben, welche
die Päpste nach und nach usurpiert hatten. Dies war ihnen in vielen
Fällen fatal, und sie mussten sehr wünschen, nachweisen zu können, dass
schon die ersten römischen Bischöfe solche Machtvollkommenheit gehabt
hätten, wie sie dieselben in Anspruch nahmen.

Zu diesem Ende wurden zu Anfang des neunten Jahrhunderts die in der
Geschichte unter dem Namen der pseudoisidorische Dekretalen bekannten
falschen Urkunden von einem päpstlichen Betrüger zusammengestellt. Sie
wurden unter dem Namen des höchst geachteten Bischofs Isidor von
Sevilla, der 636 starb, verbreitet und begannen mit sechzig Briefen der
allerersten Bischöfe Roms, denen eine Menge bischöflicher Dekretalen
(Beschlüsse), echte und falsche durcheinander, folgten.

Der Hauptzweck dieser Fälschung war es, die ganze Kirchenzucht über den
Haufen zu werfen, den römischen Bischof zum unumschränkten
Kirchenmonarchen zu machen, ihm mit Vernichtung aller Metropolitan- und
Synodalgewalt die Bischöfe unmittelbar zu unterwerfen; die Kirche von
aller weltlichen Gerichtsbarkeit unabhängig zu machen und allen Einfluss
des Staates auf kirchliche Angelegenheiten und Verhältnisse zu
zerstören.

In diesem sauberen Spitzbubenwerk ist auch eine Schenkungsurkunde
enthalten, durch welche der Kaiser Konstantin dem Apostel Petrus das
ganze abendländische Reich und dessen Hauptstadt Rom zusichert!

Das Betrügerische dieser Briefe und Urkunden liegt so klar am Tage, dass
man kaum begreift, wie selbst Bischöfe ihnen damals Glauben schenken
konnten. Aber die meisten derselben waren ungelehrte Leute, welche nicht
einmal die Geschichte ihrer Kirche kannten. Fragte ein Gescheiter einmal
nach den Originalen dieser Dekretalen, die doch in Rom aufbewahrt sein
mussten und von denen man die Abschriften gemacht hatte, dann wusste man
sehr schlau und ausweichend zu antworten, und die meisten Bischöfe
ließen fünf gerade sein, da sie lieber von dem entfernten Bischof von
Rom als von ihrem Metropolitan abhängig sein wollten, der ihnen zu nah
auf die Finger sehen konnte.

In diesen Briefen, die angeblich von den römischen Bischöfen der ersten
Jahrhunderte geschrieben sein sollten, kommen Bezeichnungen von Dingen
vor, die man zu ihrer Zeit noch gar nicht kannte. Ja, der betrügerische
unwissende Fälscher, welcher dies Buch verfasste, lässt diese Bischöfe
Stellen aus der Bibel nach der Übersetzung des viel später lebenden
heiligen Hieronymus, selbst aus Büchern zitieren, die erst im siebten
Jahrhundert geschrieben waren! Noch mehr, es sind sogar Stellen aus den
Beschlüssen einer Synode zu Paris im Jahr 829 in diesem ungeschickten
Machwerk aufgenommen!

Doch, wie lächerlich es auch klingen mag, diese  pseudoisidorische
Dekretalen, diese anerkannte Fälschung, sind die Grundlagen des
Papsttums. Durch sie wurden die Päpste unumschränkte Gesetzgeber in
geistlichen und weltlichen Dingen, durch sie erhoben sie sich über
Fürsten und Völker, ließen sich als Halbgötter anbeten, verfügten
willkürlich über große Reiche, ja, verschenkten ganze Weltteile.

Der Titel also, den ein meuchelmörderischer Schurke Phokas erteilte; die
Schenkung ihm nicht gehörigen Gutes, welche ein Usurpator, Pipin,
machte, und eine ganz gemeine Fälschung, diese  pseudoisidorische
Dekretalen, bilden die unheilige Dreieinigkeit, auf welcher die
päpstliche Macht gegründet ist. Mord, Diebstahl, Fälschung! Ein sauberes
Fundament!

Das Gebäude, welches darauf erbaut wurde, hielt bis auf den heutigen
Tag, denn es war gemörtelt mit der Dummheit der Menschen, und die Risse,
welche die Vernunft zu manchen Zeiten darin machte, wurden zugeleimt mit
dem Blut von Millionen!

Die pseudoisidorische Dekretalen äußerten schon ihre Kraft unter dem
oben genannten Papst Nikolaus I. und noch mehr unter Johannes VIII., der
872 den Römischen Stuhl bestieg. Er gebärdete sich schon wie ein rechter
Papst und sprach von dem Kaiser Karl dem Kahlen: "da er von Uns zum
Kaiser gekrönt sein will, so muss er auch zuerst von Uns gerufen und
erwählt sein." Er war der Erste, welcher den Kronkandidaten eine
förmliche Kapitulation vorlegte, ehe sie zur Krönung nach Rom kommen
durften.

Karl dem Dicken, der einige Klostergüter verschenkt hatte, schrieb er:
"Wenn du solche binnen sechzig Tagen nicht wieder schaffst, sollst du
gebannt sein, und wenn auch dies nicht hilft, durch derbere Schläge klug
werden."

Er sprach in einem Schreiben an die deutschen Bischöfe mit dürren Worten
aus, wohin das Streben aller Päpste zielte: "Was schaffen wir denn in
der Kirche an Christi Statt, wenn wir nicht für Christus gegen der
Fürsten Übermut kämpfen? Wir haben, sagt der Apostel, nicht mit Fleisch
und Blut, sondern wider die Fürsten und Gewaltigen zu kämpfen." -

Stephan V. (885-891) war schon nicht mehr damit zufrieden, ein Mensch zu
sein, denn er sagte: "Die Päpste werden, wie Christus, von ihren Müttern
durch die Überschattung des Heiligen Geistes empfangen"; alle Päpste
seien so eine gewisse Art von Gott-Menschen, um das Mittleramt zwischen
Gott und den Menschen desto besser betreiben zu können; ihnen sei auch
alle Gewalt im Himmel und auf Erden verliehen worden.

Doch nicht nur die Päpste der alten Zeit beanspruchten solche
Gottmenscherei; alle römischen Priester tun es bis in die neueste Zeit,
und als Beweis dafür will ich eine Stelle aus einer Predigt anführen,
welche am 16. August 1868 in der Pfarrkirche zu Ebersberg von dem
Kooperator in Oberdorfen, Anton Häring, gehalten wurde. Dieser
Gott-Häring sagt: "Mit der Absolutionsgewalt hat Christus dem
Priestertum eine Macht verliehen, die selbst der Hölle furchtbar ist,
der selbst Luzifer nicht zu widerstehen vermag; eine Macht, die sogar
hinüberreicht in die unermessliche Ewigkeit, wo sonst jede irdische
Macht ihre Grenze und ihr Ende findet; eine Macht, sage ich, die Fesseln
zu brechen vermag, welche für eine Ewigkeit geschmiedet waren durch die
begangene schwere Sünde. Ja, fürwahr! diese Macht der Sündenvergebung
macht den Priester gewissermaßen zu einem zweiten Gott, denn - Sünden
vergeben kann naturgemäß eigentlich nur Gott. Und doch ist das noch
nicht die höchste Spitze der priesterlichen Macht, seine Gewalt reicht
noch höher; Gott selbst nämlich vermag er sich dienstbar zu machen!
Wieso? Wenn der Priester zum Altar schreitet, um das heilige Messopfer
darzubringen, da erhebt sich gleichsam Jesus Christus, der da sitzt zur
Rechten des Vaters, von seinem Thron, um bereit zu sein auf den Wink
seines Priesters auf Erden. Und kaum beginnt der Priester die
Konsekration, da schwebt auch schon Christus, umgeben von himmlischen
Scharen, vom Himmel zur Erde und auf den Opferaltar nieder und
verwandelt auf die Worte des Priesters hier Brot und Wein in sein
heiliges Fleisch und Blut und lässt sich dann von den Händen des
Priesters heben und legen, und wenn er auch der sündhaftigste und
unwürdigste Priester ist. Fürwahr, eine solche Macht übertrifft selbst
die Macht der höchsten Himmelsfürsten, ja, sogar die Macht der
Himmelsköniginnen. Darum pflegte der heilige Franziskus von Assisi mit
Recht zu sagen: 'Wenn mir ein Priester und ein Engel zugleich begegnen
würden, so würde ich zuerst den Priester grüßen, dann erst den Engel,
weil der Priester eine viel höhere Macht und Hoheit besitzt als die
Engel.'"

Ich führe diese Stelle aus einer erst wenige Jahre alten Predigt nur
deshalb an, um zu beweisen, dass der dumme Glauben unter den
römisch-katholischen Christen noch kein überwundener Standpunkt ist, wie
viele Leute im Norden von Deutschland glauben. - Doch kehren wir zu den
Päpsten zurück.

Der Strom der päpstlichen Nichtswürdigkeit und Unfläterei wird nun immer
breiter und stinkender. Mit dem zehnten Jahrhundert beginnt die Zeit,
welche in der Geschichte als das "römische Hurenregiment" berüchtigt
ist. Gemeine Huren regieren die Christenheit und schalten und walten
nach Gefallen über den sogenannten Apostolischen Stuhl.

Ich könnte leicht parteiisch erscheinen, wenn ich diese schmachvolle
Periode der Wahrheit getreu charakterisierte, deshalb mag für mich ein
durchaus päpstlicher Schriftsteller reden, nämlich Kardinal Baronius. Er
sagt: "In diesem Jahrhundert war der Gräuel der Verwüstung im Tempel und
Heiligtum des Herrn zu sehen, und auf Petri Stuhl saßen die gottlosesten
Menschen, nicht Päpste, sondern Ungeheuer. Wie hässlich sah die Gestalt
der römischen Kirche aus, als geile und unverschämte Huren zu Rom alles
regierten, mit den bischöflichen Stühlen nach Willkür schalteten und
ihre Galane und Beischläfer auf Petri Stuhl setzten."

Doch man darf ja nicht glauben, dass nur die Päpste ein so unwürdiges
Leben führten, nein, verdorben wie das Haupt, so waren auch die Glieder.
König Edgard sagte in einer Rede von der englischen Geistlichkeit: "Man
findet unter der Klerisei nichts anderes als Üppigkeiten, liederliches
Leben, Völlerei und Hurerei. Ihre Häuser haben sie ganz infam gemacht
und sie in Hurenherbergen verwandelt. Tag und Nacht wird darin gesoffen,
getanzt und gespielt. Ihr Bösewichte, müsst Ihr die Vermächtnisse der
Könige und die Almosen der Fürsten so anwenden?" - Ich werde später
hinlängliche Beweise anführen, dass König Edgard die Wahrheit sprach und
dass seine Strafrede nicht allein die Geistlichen Englands, sondern
aller Länder anging.

Nicht der Heilige Geist, sondern die Mätresse des mächtigen Markgrafen
Adalbert von Toskana, Marozia, erhob Sergius III. auf den Päpstlichen
Stuhl und zeugte mit ihm hier ein Söhnlein, welches später ebenfalls
Papst wurde. Als Sergius starb, gaben ihm Marozia und ihre Schwester
Theodora ihren Liebhaber Anastasius II. zum Nachfolger. Diesem folgte in
kurzer Zeit, weil das Schwesternpaar viel Päpste konsumierte, Johannes
X., der es aber mit Marozia verdarb, die ihn gefangen setzen und
ersticken ließ. Leo VI., der ihm folgte, wurde ebenfalls nach einigen
Monaten ermordet.

Endlich machte Marozia ihren mit Sergius III. erzeugten Sohn Johannes
XI., der noch fast ein Kind war, zum Papst. Mord und Totschlag erfüllte
Rom. Einer der Feinde des Papstes bemächtigte sich desselben und ließ
ihn im Gefängnis vergiften.

Die tolle Wirtschaft, die in Rom und überhaupt in Italien zu dieser Zeit
herrschte, ist zu bunt und verwirrt, als dass ich mich auf Einzelheiten
einlassen könnte.

Im Jahr 956 gelang es einem Enkel der Marozia, namens Oktavian, den
Päpstlichen Stuhl zu erobern, obwohl er erst neunzehn Jahre alt und
niemals Geistlicher gewesen war. Er nannte sich Johannes XII. und ist
ein wahres Juwel von einem Papst, der es noch toller trieb als sein
gleichzeitiger Kollege, der griechische Patriarch Theophylaktus, - ein
Junge von sechzehn Jahren!

Johannes verkaufte Bistümer und Kirchenämter an den Meistbietenden und
verwandte ungeheure Summen auf Pferde und Hunde. Von den ersteren hielt
er nicht weniger als 2000, und diese fütterte er aus bloßer
Verschwendungssucht mit Pistazien, Rosinen, Mandeln und Feigen, die
vorher in gutem Wein eingeweicht waren. Guter Hafer und Heu wäre ihnen
wahrscheinlich lieber gewesen.

Unter seiner Regierung ging es recht lustig zu, man lachte und tanzte in
der Kirche und sang dazu liederliche Lieder. Der päpstliche Palast wurde
von Johannes XII. in einen Harem verwandelt. "Kein Weib war so keck,
sich sehen zu lassen, denn Johannes notzüchtigte alles, Mädchen, Frauen
und Witwen, selbst über den Gräbern der heiligen Apostel." So erzählt
von ihm der Bischof von Cremona, Liutprand.

Diese Wirtschaft wurde endlich Kaiser Otto I. zu toll. Er berief ein
Konzil und hier erfuhr er von dem "Heiligen Vater" höchst unheilige
Dinge. Die achtungswertesten Bischöfe traten gegen ihn als Ankläger auf.
Einer sagte, dass er gesehen, wie der Papst einen im Pferdestall zum
Bischof ordinierte. Andere bewiesen, dass er Bischofstellen für Geld
verkaufte und dass er einen zehnjährigen Knaben zum Bischof von Lodi
machte. Die Unzucht will ich hier übergehen, da sie zu viel Platz
wegnehmen würde. Man beschuldigte ihn ferner, dass er den
Kardinalsubdiakon kastriert, mehrere Häuser in Brand gesteckt, beim Wein
auf des Teufels Gesundheit getrunken und beim Würfelspiel oftmals Venus
und Jupiter angerufen habe.

Nachdem die Synode feierlichst die Wahrheit dieser Aussagen beschworen
hatte, bat sie den Kaiser, den Papst trotz aller Beweise nicht ungehört
zu verdammen. St. Johannes wurde daherzitiert, aber statt seiner kam ein
Brief, in welchem er schrieb: "Wir hören, dass Ihr einen andern Papst
wählen wollt. Ist das eure Absicht, so exkommuniziere ich Euch alle im
Namen des allmächtigen Gottes, damit Ihr außer Stand gesetzt werdet,
weder einen Papst zu verdammen noch eine Messe zu halten."

Nun machte Otto I. nicht viel Umstände mit dem liederlichen Hans, setzte
ihn ab und den von Volk, Adel und Geistlichkeit erwählten Leo VIII. an
seine Stelle. Hänschen hatte sich mit den Schätzen der Peterskirche
davongemacht.

Als Kaiser Otto mit seinen schwerfälligen Deutschen abmarschiert war, da
verlangten die römischen Damen nach ihrem Liebling Johannes und wussten
es durch ihren Anhang dahin zu bringen, dass er wieder im Triumph in Rom
eingeholt wurde. Leo gelang es zu entkommen, aber mehrere seiner Freunde
fielen Johannes in die Hände, der sie schändlich verstümmeln ließ.
Otgar, Bischof von Speyer, einer dieser Freunde, der noch in Rom war,
wurde so lange gepeitscht, bis er tot war!

Der Heilige Vater, Johannes XII., genoss aber die neue Herrlichkeit
nicht lange. Er entführte eine schöne Frau, wurde von dem Mann derselben
auf der Tat ertappt und auf der Bresche der erstürmten Zitadelle
totgeschlagen. Ein seltsames Sterbekissen für einen heiligen Papst!

Ich habe die Taten dieses Johannes etwas ausführlicher erzählt, um die
Leser vorzubereiten auf die späteren Päpste, die noch heiliger waren als
er. Die andern "Heiligkeiten" dieses Jahrhunderts will ich kürzer
abhandeln.

Leo VIII. und Benedikt V. wurden bald abgetan, und es bestieg den
päpstlichen Stuhl Johann XIII. (965-972), den die Römer wegjagten, weil
er zu stolz und gewalttätig war und an dessen Stelle Benedikt VI. zum
Papst gemacht wurde. Dieser wurde aber auch bald von einem Sohn der
Marozia und des Papstes Johann X. ins Gefängnis geworfen und erdrosselt.

Johann XIV. ließ einen seiner Gegenpäpste ebenfalls einsperren und
vergiften; aber dieser Giftmischer, Bonifazius VII., starb bald darauf,
und seine Leiche wurde von den erbitterten Römern durch alle Pfützen
geschleift und dann auf offener Straße liegen gelassen wie ein Aas.
Einige Geistliche holten sie hinweg und begruben sie heimlich.

Johann XV. (985-996) maßte sich das ausschließliche Recht der
Seligsprechung und Heiligsprechung an, welches bisher jeder Bischof nach
Gefallen ausgeübt hatte.

Johann XVI. wurde von seinem Gegner Gregor V. (996-998) gefangen
genommen und hatte ein klägliches Ende. Gregor ließ ihn an Augen, Ohren
und Nase schrecklich verstümmeln, in einem beschmutzten priesterlichen
Gewand rücklings auf einem Esel, den Schwanz in der Hand, durch die
Straße führen und dann in einem Kerker elend verhungern.

Ich darf nicht vergessen, hier eine Sage einzuschieben, welche von den
Feinden des Papsttums immer mit großer Schadenfreude erwähnt wurde, wenn
auch neuere Schriftsteller sie als eine Erdichtung behandeln. Es ist die
berüchtigte Geschichte von der Päpstin Johanna.

Man erzählt nämlich, dass zwischen Leo IV. und Benedikt III. ein
Frauenzimmer unter dem  Namen Johann VIII. auf dem Päpstlichen Stuhl
gesessen habe. Bald machte man diese Päpstin zu einem englischen, bald
zu einem deutschen Mädchen und nennt sie Johanna, Guta, Dorothea,
Gilberta, Margaretha oder Isabella. Sie soll mit ihrem Liebhaber, als
Jüngling verkleidet, nach Paris gegangen sein, dort studiert und sich
solche Gelehrsamkeit erworben haben, dass man sie, als sie später nach
Rom kam, zum Papst wählte.

Dieser Papst war aber, so erzählt die Sage weiter, vertrauter mit dem
Kämmerer als mit dem Heiligen Geist, und der Heilige Vater fühlte, dass
er eine Heilige Mutter werden wollte. Es erschien ihr ein Engel - die
Engel flogen damals noch wie die Sperlinge herum - der ihr die Wahl
ließ, ob sie ewig verdammt oder vor der Welt öffentlich beschimpft sein
wollte. Sie wählte das Letztere und kam in öffentlicher Prozession
zwischen dem Kolosseum und der Kirche St. Clemens mit einem jungen
Päpstlein nieder.

Jeder Hof hat seine geheime Geschichte, und die vorgefallenen
Schändlichkeiten werden meist so gut vertuscht, dass der spätere
gewissenhafte Geschichtsschreiber die sich hin und wieder davon
vorfindenden, sich oft widersprechenden Erzählungen als nicht
hinlänglich begründet verwerfen muss. Ich habe Büchertitel gelesen, auf
denen versprochen ist, die Echtheit der Päpstin Johanna aus mehr als
hundert päpstlichen Schriftstellern nachzuweisen; aber andere Titel, die
ebenso gründlich und zuversichtlich klingen, versprechen gerade das
Gegenteil. Die Sache ist an und für sich nicht so wichtig, deshalb habe
ich meine Zeit nicht damit verloren, sie historisch zu untersuchen, was
eine sehr mühsame Arbeit sein möchte, und ich muss sie dem Glauben oder
Unglauben der Leser überlassen.

Seit dieser ärgerlichen Geschichte, fährt die Sage fort, musste sich der
neuerwählte Papst auf einen durchlöcherten Stuhl setzen vor versammelter
Geistlichkeit und Volk. Dann musste ein Diakon unter den Stuhl greifen
und sich handgreiflich davon überzeugen, ob der Papst das habe, was der
Johanna fehlte und was ein Papst jener Zeit durchaus zur Regierung der
Christenheit nicht entbehren konnte. Fand er alles in Ordnung, dann rief
er mit feierlicher Stimme: Er hat, er hat, er hat! (habet, habet,
habet!) Und das Volk jubelte: Gott sei gelobt! - Dieser Stuhl hieß der
Untersuchungsstuhl oder auch sella stercoraria. Erst Leo X. soll diesen
Gebrauch abgeschafft haben.

Gregor V., der letzte Papst im zehnten Jahrhundert, war der erste,
welcher das Interdikt auf ein Land schleuderte, und zwar auf Frankreich.
"Das Interdikt war die furchtbarste und wirksamste Taktik der
Kirchendespoten und der recht eigentliche Hebel der geistlichen
Universalmonarchie."

Jetzt mag der Papst bannen und interdizieren, soviel er will, es kräht
kein Hahn danach; allein in jener finsteren Zeit konnte ein Land kein
größeres Unglück treffen als das Interdikt. Trauer und Verzweiflung
waren über dasselbe ausgebreitet, als wüte die Pest. Der Landmann ließ
seine Arbeit liegen, denn er glaubte, dass der verfluchte Boden nur
Unkraut statt Frucht trüge; der Kaufmann wagte es nicht, Schiffe auf die
See zu schicken, weil er befürchtete, Blitze möchten sie zertrümmern;
der Soldat wurde ein Feigling, denn er meinte, Gott sei gegen ihn.

Keine Wallfahrt, keine Taufe, keine Trauung, kein Gottesdienst, kein
Begräbnis mehr! Alle Kirchen waren geschlossen, Altäre und Kanzeln
entkleidet, die Bilder und Kreuze lagen auf der Erde; keine Glocke tönte
mehr, kein Sakrament wurde ausgeteilt: die Toten wurden ohne Sang und
Klang verscharrt wie Vieh, in ungeweihter Erde! - Ehen wurden nur
eingesegnet auf den Gräbern, nicht vor dem Altar, - alles sollte
verkünden, dass der Fluch des Heiligen Vaters auf dem Land laste. Kurz,
die ganze Pfaffheit mit allem, was daran und darum hängt, war
suspendiert. Es war ein Zustand, wie ich ihn - die Dummheit des Volkes
abgerechnet - dem deutschen Volk von ganzem Herzen wünsche.

Der Bann oder die Exkommunikation kommt schon weit früher in der
christlichen Kirche vor, aber dann war er immer nur gegen einen
einzelnen gerichtet, und dieser hatte daran schwer zu tragen, wenn er
sich auch persönlich gar nichts daraus machte. Das Volk betrachtete ihn
als dem Teufel verfallen und floh seine Gemeinschaft, als ob er ein
Pestkranker sei. Die Überbleibsel seiner Tafel, und wenn es die einer
kaiserlichen waren, rührte selbst der Ärmste nicht an; sie wurden
verbrannt.

Mit der Exkommunikation wurde der Gebannte auch zugleich für bürgerlich
tot erklärt. Er konnte keine Rechtssache vor Gericht führen, nicht Zeuge
sein, kein Gut zu Lehen oder in Pacht geben usw. Vor die Tür eines
Gebannten stellte man eine Totenbahre, und seine Leiche durfte nicht in
geweihter Erde begraben werden. Hieraus wird man es erklärlich finden,
dass selbst Könige vor dem Bann zitterten.

Sylvester II., der Nachfolger Gregors V., ist der einzige Papst, von
welchem die päpstlichen Geschichtsschreiber mit Bestimmtheit melden,
dass ihn der Teufel geholt habe. Er war nämlich ausnahmsweise gescheit,
trieb viel Mathematik, begünstigte die Wissenschaften und dergleichen
Teufeleien. Ihm verdanken wir auch die arabischen, dass heißt unsere
gewöhnlichen Zahlen.

Diesem gescheiten Papst hatte, so erzählt man, der Teufel die Papstwürde
verheißen und versprochen, ihn nicht eher zu holen, als bis er in
Jerusalem Messe lesen würde. Dazu war wenig Hoffnung, denn diese Stadt
war von den Sarazenen besetzt, und Sylvester glaubte, die Bedingung
eingehen zu können. Wie der Teufel mit dem Heiligen Geist fertig wurde,
der sonst die Papstwahlen leiten soll, weiß ich nicht; genug, Sylvester
wurde gewählt und hatte nicht die geringste Lust, in Jerusalem Messe zu
lesen. - Aber der Teufel ist ein Schalk. Es gab in Rom eine Kapelle,
welche den Namen Jerusalem führte; hier las der Papst Messe, ohne an den
Namen zu denken, und der Teufel holte ihn gewissenhafterweise.
Sylvesters Grab hat lange geschwitzt, und seine Gebeine rasselten.
Schrecklich!

Die pseudoisidorische Dekretalen hatten im zehnten Jahrhundert schon
ihre Blüten entfaltet; aber im elften fingen sie an, ausgiebig Frucht zu
tragen. In demselben sehen wir das Papsttum in seiner höchsten Macht und
Gregor VII. auf dem Gipfelpunkt derselben.

Ehe ich noch von dem gewaltigen Papst rede, muss ich erwähnen, dass
schon vor seiner Zeit das Kollegium der Kardinäle zu sehr hoher
Bedeutung gelangte. Ursprünglich gab es nur sieben Kardinales (von
cardo, Türangel), und es waren dies die vornehmsten Geistlichen Roms. Da
nun der Einfluss dieser Herren sehr stieg und alle Geistlichen nach
dieser Würde trachteten, so sahen sich die Päpste genötigt, die Zahl der
"Türangeln der Kirche" unter allerlei Abstufungen zu vermehren, bis sie
endlich, weil Jesus siebzig Jünger hatte, auf diese Zahl stieg.

Allmählich wurde der Geistlichkeit und dem Volk das Recht der Papstwahl
"entzogen", was man in nicht diplomatischem Deutsch gestohlen nennt, und
die Kardinäle maßten sich das ausschließliche Recht derselben an. Dieses
Kollegium, aus und von welchem der Papst nun gewählt wurde, hatte ein
direktes Interesse daran, das Ansehen des Päpstlichen Stuhls auf jede
Weise zu fördern, denn es konnte ja jedes Mitglied desselben selbst
Papst werden.

Die Kardinäle wussten sich bald die größten Vorrechte zu verschaffen.
Sie machten Anspruch auf einen Rang unmittelbar nach den Königen und
verlangten den Vorrang vor allen Kurfürsten, Herzogen und Prinzen. Sie,
die eigentlichen Privatdiener des Papstes, standen weit höher als
Erzbischöfe und Bischöfe, welche doch sämtlich ebenso viel wie der Papst
selbst waren. Da haben ja auch in manchen unserer deutschen Staaten die
Kammerherren, die dem Fürsten den Operngucker nachtragen müssen,
Oberstenrang.

Die Kardinäle trugen Purpur. Begegneten sie einem Verbrecher auf seinem
Weg zum Galgen, so konnten sie ihn befreien. Sie selbst verdienten, wie
wir sehen werden, diesen Galgen sehr häufig; allein ich glaube nicht,
dass jemals ein Kardinal durch rechtskräftigen Urteilsspruch zum Tode
verurteilt worden ist, denn es war beinahe unmöglich, ihn eines
Verbrechens zu überführen, da nicht weniger als zweiundsiebzig Zeugen
dazu nötig waren. Kardinäle durften jede Königin oder Fürstin auf den
Mund küssen, und keiner durfte ein Einkommen unter 4000 Scudi jährlich
haben. Der Posten eines Kardinals ist einer der bequemsten in der ganzen
Christenheit.

Gregor VII. (1073-85) war der Sohn eines Handwerkers und heißt
eigentlich Hildebrand. Er war nur klein von Körper, aber der größte und
kräftigste Geist, der je auf dem Päpstlichen Stuhl gesessen. Sein
Zeitgenosse, der Kardinal Damiani, nannte ihn einen heiligen Satan und
die späteren reformierten Schriftsteller titulierten ihn nie anders als
Höllenbrand.

Schon als Kardinal beherrschte er unter den ihm vorhergehenden Päpsten
den "Apostolischen Stuhl" und wusste es durch Intrigen und Heuchelei
dahin zu bringen, dass man ihn selbst auf denselben erhob und dass
Kaiser Heinrich IV., trotz aller Warnungen gutgesinnter Bischöfe, ihn
bestätigte.

Dieser Grobschmiedssohn Hildebrand schmiedete die Kette, unter welcher
die Welt seit achthundert Jahren seufzt. Er ist der eigentliche
Begründer des Papsttums. Unablässig trachtete er danach, seine Idee von
einer Universalmonarchie zu verwirklichen, und seinem echt pfäffischen
Genie, welches kein Mittel verschmähte, gelang es auch.

Kaum war er Papst, so behauptete er: die ganze Welt sei ein Lehen des
Päpstlichen Stuhls. Mehrere Fürsten waren so töricht, dieser Ansicht
beizupflichten und ihre Reiche von ihm zu Lehen zu nehmen. Diejenigen
Fürsten, bei denen all seine nichtswürdigen Künste und Lügen nichts
fruchteten, tat er in den Bann, und ich habe oben gezeigt, was ein
solcher Bann damals zu bedeuten hatte. Ein exkommunizierter König war
nach Gregors Grundsatz seiner Macht und Würde entsetzt und alle
Untertanen waren ihres Eides und Gehorsams entbunden. Da man sich
bereits daran gewöhnt hatte, den Papst als den Statthalter Gottes zu
betrachten, so wurde es ihm nicht schwer, bei der verdummten Menschheit
seinen Anmaßungen Geltung zu verschaffen.

Zur Ausführung seiner ehrgeizigen Pläne hielt es Gregor für nötig, die
Geistlichkeit von allen Banden zu trennen, durch welche sie mit der
bürgerlichen Gesellschaft und mit dem Staate verbunden war; sie sollte
kein anderes Interesse als das der Kirche haben und dieser mit Leib und
Seele angehören. Da Familienbande die fesselndsten und einflussreichsten
Bande von allen sind, so unternahm er es, um jeden Preis die Ehe bei
Geistlichen auszurotten.

Gregor VII. ist der Urheber der erzwungenen Ehelosigkeit der Priester
oder des Zölibats.

Wer die Süßigkeit und den Segen des Familienlebens kennt kann sich wohl
vorstellen, dass die Geistlichen dem Papst hierin den größten Widerstand
leisteten. Der Kampf der Priester um ihre Weiber dauerte zwei
Jahrhunderte; endlich unterlagen sie. In der Folge werde ich mich
weitläufiger über diesen Kampf auslassen, bei welchem der dumme
Fanatismus der Völker die Päpste mächtig unterstützte, wie auch über die
verderblichen Folgen, welche das Zölibat für die menschliche
Gesellschaft hatte.

Ein anderer Schritt, den Gregor zur Erreichung seines Zwecks tat, war
die Vernichtung des Investiturrechtes.

Die höhere Geistlichkeit war von den Fürsten mit Reichtümern
überschüttet, mit Land und Leuten begabt und mit fürstlichen Ehren und
Rechten versehen worden; allein Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte waren
Vasallen des Reichs. Als solche übergaben ihnen die Fürsten bei der
Belehnung einen Ring zum Zeichen der Vermählung des Bischofs mit der
Kirche, und einen Hirtenstab, als Zeichen des geistlichen Hirtenamts.
Der Geistliche wurde nicht eher in den Genuss seiner Würde eingesetzt,
bis diese Zeremonie stattgefunden hatte, welche die Investitur genannt
wurde. Sie war das Band, durch welches die Bischöfe mit dem
Landesfürsten zusammenhingen.

Dieses Band wollte Gregor lösen, um der weltlichen Macht alle Gewalt
über die Kirche und deren Diener zu entziehen. Auf einer Synode (1075)
erließ er ein Dekret, welches allen Geistlichen bei Strafe des Verlustes
ihrer Ämter verbot, die Investitur aus der Hand eines Laien, das heißt
Nichtgeistlichen, zu empfangen und welches den Laien untersagt, dieselbe
bei Strafe des Banns zu erteilen.

Die Fürsten waren erstaunt über die neue Anmaßung des hochmütigen
Pfaffen und kehrten sich nicht an seine Befehle. Gregor wusste jedoch
sehr wohl, was er wagen konnte; er mühte sich nicht mit den kleineren
Fürsten ab; er wollte ihnen seine Macht zeigen, indem er sie gegen den
angesehensten unter ihnen, gegen den Kaiser, seinen Herrn, richtete.

Heinrich IV. hatte in Deutschland unter den Mächtigen viele Gegner.
Gregor schürte die Streitigkeiten mit denselben und machte die Sache der
Feinde des Kaisers zu der seinigen. Endlich hatte er die Frechheit, den
Kaiser nach Rom zu zitieren, damit er sich vor ihm verantworte!

Heinrich, dessen Vater noch drei Päpste abgesetzt hatte, war empört über
diese Unverschämtheit und berief eine Synode nach Worms, von welcher
Gregor einstimmig in den Bann getan und abgesetzt wurde.

Während dies in Worms geschah, sprang auch in Rom eine Mine gegen
Gregor. Eine Menge Gebannter vereinigte sich, überfiel ihn in der
Kirche, als er gerade Hochamt hielt, und schleppte ihn bei den Haaren
ins Gefängnis; der verblendete Pöbel in Rom setzte ihn wieder in
Freiheit.

Gregor lechzte nach Rache. Die Absetzungsdekrete beantwortete er damit,
dass er Heinrich IV. und alle seine Anhänger in den Bann tat, die
Untertanen ihres Eides entband und den Kaiser absetzte! Zugleich
überschwemmten Mönche, die bereitwilligen Handlanger der Päpste, ganz
Deutschland und bearbeiteten das Volk.

Zuerst schrie man hier fast einstimmig gegen den verwegenen Papst, denn
im Schreien waren die Deutschen schon damals groß; aber Heinrichs Gegner
handelten. Durch Hildebrands Intrigen verführt, fielen allmählich die
Anhänger des Kaisers von demselben ab, nur Herzog Gottfried von
Lothringen blieb ihm treu; Gregor schaffte ihn durch Meuchelmord aus dem
Wege.

Die erbärmlichen deutschen Fürsten versammelten sich zu Tibur und
erklärten hier dem Kaiser: "dass sein Reich zu Ende sei, wenn er sich
nicht innerhalb eines Jahres vom Bann befreie!"

Niedergedrückt von dem finsteren Geist seiner Zeit, von aller Welt
verlassen - nur wenige Soldaten waren noch bei ihm - entschloss sich der
deutsche Kaiser, nach Rom zu gehen und den durch die Dummheit der
Menschen so furchtbar gewordenen Gegner zu versöhnen. - In der
strengsten Kälte, in einem armseligen Aufzug ging er über die Alpen. Die
Italiener strömten ihm zu und verlangten, er solle an der Spitze eines
Heeres den rebellischen Großpfaffen zur Rede stellen, aber die
Niederträchtigkeit der Deutschen hatte den Mut und das Herz des ohnehin
schwachen Kaisers gebrochen. Er wollte demütig von Gregor Gnade
erflehen.

Dieser ließ sich nichts weniger träumen als das. Er war auf einer Reise
nach Augsburg begriffen und bereits nach der Lombardei gekommen. Als er
die Ankunft des Kaisers vernahm, floh er eiligst nach dem festen Schloss
Canossa, welches seiner Buhlerin, der reichen Markgräfin Mathilde von
Toskana, gehörte.

Hier erschien der deutsche Kaiser. In einem wollenen Büßerhemd, bloßen
Haupts, barfuß stand er in dem Raum vor der inneren Ringmauer des
Schlosses, - drei Tage und drei Nächte lang, mitten im Januar, zitternd
vor Frost und matt vor Hunger und Durst!

Aus den Fenstern des Schlosses schaute Gregor an der Seite seiner
Buhlerin auf seinen gedemütigten Feind herab und hätte ihn gern so
sterben sehen. Des Papstes unmenschliche Härte brachte alle Hausgenossen
zum Murren, und endlich gab er den Bitten der Markgräfin nach, die zwar
Heinrichs Feindin, aber barmherziger war, und führte den Kaiser an den
Altar. Hier durchbrach Gregor eine Hostie. "Bin ich der Verbrechen
schuldig, deren du mich in Worms bezichtigt hast", redete er ihn an, "so
mag Gott der Herr meine Unschuld bewähren oder mich durch einen
plötzlichen Tod strafen!" - Dann nahm er die Hälfte der Hostie. Gregor
war nicht abergläubisch und nicht nervenschwach. Er blieb am Leben.

Der Bann wurde nun von Heinrich genommen, aber unter den entehrendsten
Bedingungen. "Wirst du dich", sagte Gregor, "auf dem zusammenzurufenden
Reichstage rechtfertigen und die Krone wieder erhalten, so sollst du mir
gehorsam und untertänig sein."

Nach Deutschland zurückgekehrt, richtete der von Kummer aller Art
betroffene Kaiser sein Auge auf den von ihm selbst erbauten Dom zu
Speyer und sagte zu seinem alten Freund, dem Bischof: "Siehe, ich habe
Reich und Hoffnung verloren, gib mir eine Pfründe, ich kann lesen und
singen." Der Bischof antwortete: "Bei der Mutter Gottes! das tue ich
nicht." -

Die lombardischen Städte und Fürsten waren empört über die Demütigung
Heinrichs und sagten ihm unverhohlen ihre Meinung. Da ermannte sich der
niedergedrückte Kaiser und stellte sich an die Spitze der bald um ihn
versammelten Armee. Die pflicht- und ehrvergessenen deutschen Fürsten
aber erwählten in dem Herzog Rudolph von Schwaben einen neuen Kaiser.

Gregor verhielt sich ruhig, solange nichts Entscheidendes geschehen war;
als aber Heinrich in einer Schlacht geschlagen wurde, sandte er dem
Gegenkaiser eine Krone zu mit der stolzen Inschrift: Der Fels (der
Kirche) gab Petrus, Petrus gab Rudolph die Krone. Über Heinrich wurde
aufs Neue der grässliche Bannfluch ausgesprochen.

Der Kaiser hatte jedoch seine Mannheit wiedergefunden. Eine Synode
setzte Gregor abermals ab, und Guibert, Erzbischof von Ravenna, wurde
als Clemens III. zum Papst erwählt. Gregor versuchte seine alten Künste.
Er gab den Rebellen die Versicherung, dass noch in demselben Jahr vor
dem Petersfest ein falscher König sterben werde. Um seine Prophezeiung
an Heinrich zu erfüllen, sandte er einige Meuchelmörder aus; aber des
Papstes böse Absicht wurde zum Segen für Heinrich. Am 15. Juni 1080
schlug er Rudolph, und dieser starb infolge einer in der Schlacht
erhaltenen Wunde.

Nun rückte Heinrich gegen Rom, vernichtete das Heer der Papsthure
Mathilde, eroberte die Stadt und belagerte den rasenden Hildebrand in
der Engelsburg. Die von diesem zur Hilfe gerufenen Normannen, welche
damals in Unteritalien herrschten, befreiten ihn zwar; aber Gregor
musste vor der Wut der Römer fliehen. Er ging nach Salerno zu den
Normannen und endete hier sein fluchbeladenes Leben.

Gregor war der erste wirkliche Papst. Er befahl auf einer Synode, dass
von nun an nur einer Papst heißen solle in der Christenheit, denn bisher
nannten sich alle Bischöfe so. Ein Schriftsteller aus jener Zeit sagt
schon: Das Wort Papst in der Mehrzahl ist ebenso gotteslästerlich als
den Namen Gottes in der Mehrzahl zu gebrauchen.

Gregor wollte Kaiser und Könige zu seinen Untergebenen machen und keine
andere Herrschaft als die seinige auf der Erde dulden. Darum schrieb er
an Heriman, Bischof von Metz: "Der Teufel hat die Monarchie erfunden."

Um die christliche Kirche leichter zu regieren, ordnete Gregor an, dass
beim Gottesdienst überall die römischen Gebräuche befolgt und die
lateinische Sprache gebraucht werden sollten. In den meisten deutschen
Kirchen hatte das schon der Römerknecht Bonifazius eingeführt.

In einem seiner hinterlassenen Briefe hat Gregor seine Grundsätze
niedergelegt. (Anm.d.A. Man hat hin und wieder an der Echtheit dieses
Briefes gezweifelt, doch wie mir scheint, ohne besonders gute Gründe.)
Es sind 27, aber ich will nur einige anführen:

Der Papst allein kann den kaiserlichen Schmuck tragen. - Alle Fürsten
müssen dem Papst den Fuß küssen und dürfen dieses Zeichen der Ehre außer
ihm keinem anderen erweisen. - Es ist dem Papst erlaubt, Kaiser
abzusetzen. - Sein Urteil kann von keinem Menschen umgestoßen werden, er
aber kann aller Menschen Urteil umstoßen. - Die römische Kirche hat nie
geirrt und wird auch nach der Schrift niemals irren. - Derjenige ist
kein Katholik, der es nicht mit der römischen Kirche hält. - Der Papst
kann die Untertanen vom Eid der Treue lossprechen, den sie einem bösen
Fürsten geleistet haben. -

Es scheint mir nicht nötig, noch einige Bemerkungen über Gregor
hinzuzufügen. Bischof Thierry von Verdun sagt von ihm: "Sein Leben klagt
ihn an, seine Verkehrtheit verdammt, seine hartnäckige Bosheit verflucht
ihn."

Ich habe nun das Papsttum bis zum Gipfel seiner Macht begleitet. Der
Raum gestattet mir nicht, in derselben Weise fortzufahren und ich muss
mich darauf beschränken, aus jedem Jahrhundert einige Päpste
biographisch zu skizzieren und an ihnen zu zeigen, wie sie alle danach
strebten, Gregor nachzueifern und das von ihnen aufgestellte System der
Universalmonarchie zur Ausführung zu bringen und fest zu begründen. Alle
gefielen sich in der Vorstellung: "Sich als Christus, die weltlichen
Regenten als die Eselin, die er ritt, und das Volk als das Eselsfüllen
zu betrachten." - Die Eselin ist unterdessen gestorben, aber das
Eselsfüllen ist seitdem ein alter Esel geworden, der geduldig auf sich
reiten lässt.

Im elften Jahrhundert trennt sich die griechische Kirche vollends von
der abendländischen, indem die griechische behauptete, dass weder die
Lehren noch die Disziplin der Letzteren mit der Heiligen Schrift und den
heiligen Überlieferungen übereinstimmten, also ketzerisch seien. Die
Oberherrschaft des Päpstlichen Stuhls verwarf sie als eine
antichristliche Einrichtung.

Unter Hadrian IV., der 1153 den "Apostolischen Stuhl" bestieg, begann
der Kampf der Päpste mit den deutschen Kaisern aus dem Geschlecht der
Hohenstaufen. Friedrich I., der Rotbart, trat den Anmaßungen des Papstes
kräftig entgegen, und die Ehrenbezeugungen, welche derselbe von ihm
verlangte, machte er lächerlich, selbst indem er sie gewährte. Friedrich
hielt dem Papst den Steigbügel - so weit war es bereits mit den Kaisern
gekommen -, aber er hielt ihn auf der rechten Seite, auf welcher der
Schinder zu Pferde steigt, und antwortete auf die Bemerkung Hadrians
darüber: "Ich war nie Stallknecht, Ew. Heiligkeit werden verzeihen."

Den schwersten Stand hatte Friedrich mit Alexander III. (1159-1181). Es
war dies einer der mutigsten und klügsten Päpste, der niemals im Unglück
verzagte oder im Glück übermütig wurde; aber stets darauf bedacht war,
die Errungenschaften seiner Vorgänger zu behaupten. Der große Kaiser
Friedrich kam 1177 zum ersten Mal mit ihm in Venedig zusammen und -
küsste ihm den Pantoffel.

Die Pfaffenlegende erzählt, dass der Papst bei diesem Kuss den Fuß auf
des Kaisers Nacken gesetzt und gesagt habe: "Auf Schlangen und Ottern
mögest du gehen und treten auf junge Löwen und Drachen." Aber Alexander
war gewiss viel zu klug, um den ihm an Geist ebenbürtigen Kaiser durch
solche unnütze Worte zu reizen, und Friedrich viel zu stolz, um sich
dergleichen gefallen zu lassen. Glaublicher ist die Version, dass der
Kaiser beim Pantoffelkuss sagte: "Nicht dir gilt es, sondern Petrus",
und Alexander antwortete: "Mir und Petrus."

Auch der kräftige König Heinrich II. von England musste sich vor dem
Wort des mächtigen Papstes beugen. Heinrich hatte seinen Liebling,
Thomas Becket, mit Gnaden überschüttet und endlich zum Erzbischof von
Canterbury gemacht. Nun war der Schurke am Ziel. Er verband sich mit dem
Papst gegen seinen Herrn und Wohltäter, dem er durch pfäffische
Niederträchtigkeiten aller Art das Leben verbitterte. Im Unmut rief
einst der geplagte König aus: "Wie unglücklich bin ich, dass ich in
meinem Königreiche vor einem einzigen Priester nicht Frieden haben kann!
Ist denn niemand zu finden, der mich von dieser Plage befreit?"

Diese Worte hörten vier Ritter, welche dem König treu ergeben waren; sie
eilten sogleich hinweg, fanden den Erzbischof vor dem von ihm
geschändeten Altar, spalteten ihm den Kopf und machten ihn dadurch zum
Heiligen, denn Wunder fanden sich. Einige Stallleute des Königs hatten
einst dem Pferd des Erzbischofs den Schwanz abgehauen und für diesen
Frevel zeugten sie forthin lauter Kinder - mit Schwänzen!

Die Pfaffen schnoben wegen dieses Mordes nach Rache. Alexander drohte
mit dem Interdikt, und Heinrich, der sein Volk nicht leiden sehen
wollte, unterwarf sich allen Strafen, die der Papst über ihn verhängte.
Der König schwor feierlich, dass er den Mord des Erzbischofs nicht
gewollt habe; es half ihm nichts. Er musste barfuß zum Grabe des neuen
Heiligen wallen, sich hier andächtig nieder werfen und - von achtzig
Geistlichen geißeln lassen! Jeder gab ihm drei Hiebe - macht
zweihundertundvierzig.

Mit Kaisern und Königen gingen jetzt die Päpste oft wie mit Hunden um.
Als Coelestin III. (1191-1198) den Sohn des in Palästina gestorbenen
Friedrich I., Heinrich VI., gekrönt hatte und dieser ihm den Pantoffel
küsste, stieß er dem Kaiser mit dem Fuße die Krone vom Kopfe, zum
Zeichen, dass er sie ihm geben und nehmen könne.

Der mächtigste Papst aller Päpste war Innozenz III. (1198 bis 1215).
Alle Rechte, die Gregor VII. zu haben behauptete, übte dieser mächtige
Papst wirklich aus. Als er den Päpstlichen Stuhl bestieg, war er in
seiner vollen Manneskraft, denn er war erst 37 Jahre alt. Die Könige
zitterten vor ihm, wie Schulknaben vor dem strengen Schulmeister. Allen
gab er seine Rute zu fühlen. Johann von England rief einst beim Anblick
eines sehr feisten Hirsches aus: "Welches dicke und feiste Tier, und
doch hat es nie Messen gelesen!" Aber auch dieser Spötter über das
Pfaffentum kroch demütig zum Kreuz, als ihm das heilige Raubtier zu Rom
die apostolischen Zähne wies.

Innozenz III. ist der Erfinder der wahnsinnigen Lehre von der
Transsubstantiation, das heißt von der Lehre: dass sich durch die
Weihung des Priesters das Brot und der Wein beim Abendmahl wirklich in
Fleisch und Blut Christi verwandeln.

Hierbei fällt mir die Antwort eines Indianers ein, welchen der
Missionar, nachdem er ihm das Abendmahl gereicht hatte, fragte: "Wie
viele Götter gibt es?" - "Gar keine", antwortete der Indianer, "denn du
hast ihn mir ja soeben zu essen gegeben." Dem rohen Menschen war das
Mysterium dieser sublimen Gottfleischfresserei nicht offenbart worden.

Ebenso materielle Vorstellung vom Abendmahl hatte ein lutherischer
Bauer. Der Herr Pastor war ein großer Whistspieler, und durch Zufall war
eine weiße, runde elfenbeinerne Whistmarke mit unter die runden Oblaten
auf den Hostienteller geraten. "Nehmet und esset, denn dies ist mein
Leib", sagte der Geistliche und steckte dem Bauer die unglückliche Marke
in den Mund. Der Bauer biss herzhaft zu; als er aber das Ding gar nicht
klein bekommen konnte, rief er: "Wies der Dübel, Herr Pastor, ick mut
'nen Knoken derwischt hebben!"

Innozenz III. führte auch die Ohrenbeichte ein, von der ich schon früher
geredet habe und im letzten Kapitel dieses Buches noch weitläufiger
reden werde; ferner das scheußlichste Tribunal, welches jemals die
Menschheit schändete - die Inquisition.

Der gefährlichste Feind des Papsttums kam mit dem großen Hohenstaufen
Friedrich II. auf den deutschen Kaiserthron. Er hatte in der Jugend
unter der Vormundschaft von Innozenz gestanden, aber dennoch wurde er
keineswegs ein Pfaffenknecht, vielmehr ein Mann, dessen religiöse
Ansichten seiner Zeit bedeutend vorangeeilt waren. Hätte ihn das Volk
unterstützt, dann wären vielleicht damals schon dem Papsttum die Flügel
gestutzt worden. Sein Wahlspruch war: "Lass lärmen und dräuen und die
Esel schreien." Sein Kanzler Petrus de Vinea unterstützte ihn wacker und
schrieb unter anderem 1240 gegen die Jurisdiktion des Papstes.

Den heftigsten Kampf hatte Kaiser Friedrich II. mit Gregor IX.
(1227-1241). Dieser tat ihn einmal über das andere in den Bann und legte
ihm Verbrechen zur Last, die ihn als den verruchtesten Ketzer
brandmarken sollten. Friedrich wurde angeklagt, gesagt zu haben: Die
Welt sei von drei Betrügern getäuscht worden, wovon zwei in Ehren
gestorben, der dritte aber am Galgen: Moses, Mohammed und Christus. -
Ferner habe er darüber gelacht, dass der allmächtige Herr des Himmels
und der Erde von einer Jungfrau geboren sein sollte, und geäußert, dass
man nichts glauben solle, was nicht durch Natur und Vernunft bewiesen
werden könne. Freilich eine ebenso schändliche als schädliche Lehre, da
sie dem ganzen Pfaffenschwindel den Hals brechen würde, wenn sie zur
Geltung käme.

Diese letzte Äußerung sah übrigens dem Kaiser sehr ähnlich, der aus dem
Morgenland, wohin er einen Kreuzzug unternehmen musste, sehr freie
Ansichten über die Religion mitgebracht hatte. Einst äußerte er: Wenn
der Gott der Juden Neapel gesehen hätte, würde er gewiss nicht Palästina
auserwählt haben; und beim Anblick einer Hostie rief er: "Wie lange wird
dieser Betrug noch dauern!?" Als er einst an ein Weizenfeld kam, hielt
er sein Gefolge vor demselben zurück und sagte: "Achtung, hier wachsen
unsere Götter." Die Hostie wird nämlich aus Weizenmehl gebacken.

Gregor hatte den deutschen Ritterorden so sehr lieb gewonnen, und da ihm
ja die ganze Erde gehörte, so schenkte er demselben Preußen. Die Ritter
zeigten sich aber nicht besonders dankbar gegen den Päpstlichen Stuhl
und gegen die Pfaffheit. Einer ihrer Großmeister, Reuß von Plauen,
sagte: "Man muss den Geistlichen keine Güter geben, sondern nur
Besoldung, wie anderen Staatsdienern auch; sie sollen sich an den
schlichten Text des Evangeliums halten." Der Hochmeister Wallenrode
äußerte: "Ein Pfaff in jedem Land ist genug, und den muss man einsperren
und nur herauslassen, wenn er sein Amt verrichten soll."

Innozenz IV. (1243-1255) setzte den Kampf mit Friedrich II. fort. Er war
ein Graf Fiesko und genauer Freund des Kaisers gewesen. Als man diesen
wegen der Wahl seines Freundes beglückwünschte, antwortete Friedrich:
"Fiesko war mein Freund, Innozenz IV. wird mein Feind sein; kein Papst
ist Ghibelline" nämlich (liberal).

Es war so, wie der Kaiser sagte, der bald in den Bann getan wurde, den
Friedrich anfing, als seinen natürlichen Zustand zu betrachten. Er war
keineswegs zerknirscht, sondern rückte dem Papst zu Leibe, und der
Heilige Vater machte, als Soldat verkleidet, einen Angstritt von 54
italienischen Meilen in einer kurzen Sommernacht, um der Gefangenschaft
zu entgehen.

Der Papst floh nach Lyon, wo er 1245 eine Synode zusammenberief, auf der
Friedrich abermals gebannt und abgesetzt wurde. Friedrich kämpfte wie
ein Mann; aber die Menschen waren noch dumm, und man band ihm überall
die Hände. Besonders die deutschen Fürsten zeigten sich dem edlen großen
Kaiser gegenüber so niedrig, so unendlich klein! Elende Pfaffenknechte.
Nur in der Schweiz schlugen ihm treue Herzen trotz Bann und Interdikt.
Mehrere Kantone sandten ihm Hilfstruppen, und Luzern und Zürich hielten
zu ihm bis zuletzt.

Kaiser Friedrich starb an päpstlichem Gift. Innozenz jubelte; nun stand
ihm der Weg nach Rom wieder offen. Er zog ab und bedankte sich bei den
Lyonesern für die gute Aufnahme. Diese hatten aber keine Ursache, sich
beim Papst zu bedanken, denn Kardinal Hugo sagt in seinem
Abschiedsschreiben mit echt päffischer, zynischer Unverschämtheit: "Wir
haben Euch, Freunde, seit unserer Anwesenheit in dieser Stadt einen
wohltätigen Beitrag gestiftet. Bei unserer Ankunft trafen wir kaum drei
bis vier Huren; bei unserem Abzug hingegen überlassen wir Euch ein
einziges Hurenhaus, welches sich vom östlichen bis zum westlichen Tor
durch die ganze Stadt verbreitet." Lyon hatte demnach Ähnlichkeit mit
einer deutschen, katholischen Hauptstadt, von welcher ihr König dasselbe
sagte und welche Papst Pius VI. "Deutsch Rom" nannte.

Innozenz IV. verlieh den Kardinälen als Auszeichnung rote Hüte. Auf ihn
folgte eine Reihe unbedeutender Päpste. Urban IV., der Sohn eines
Schuhflickers, stiftete das Fronleichnamsfest zu Ehren der Hostie oder
vielmehr des Abendmahls. Eine verrückte Nonne hatte ein Loch im Mond
gesehen, und das flickte der päpstliche Schuhflicker mit einem neuen
Kirchenfest aus.

Martin V., ein Franzose, war ein erbitterter Feind der Deutschen. Er
wünschte, "dass Deutschland ein großer Teich, die Deutschen lauter
Fische und er ein Hecht sein möchte, der sie auffresse wie der Storch
die Frösche".

Die Hohenstaufen erlagen im Kampf mit dem Papsttum. Die Habsburger
nahmen sich ein warnendes Exempel daran; sie spielten daher lieber mit
ihm unter einer Decke und zogen nun dem armen Volk vereinigt das Fell
über die Ohren. Aus diesem Grund werden auch beide gleiche Dauer haben.

Innozenz V. war der erste Papst, der im Konklave gewählt wurde. Sein
Vorgänger Gregor X. hatte nämlich befohlen, dass nach seinem Tod
sämtliche Kardinäle in ein Zimmer geschlossen werden sollten, welches
für jeden eine besondere Zelle und keinen anderen Ausgang hatte als zum
Abtritt. Jeder Kardinal hatte nur einen Diener bei sich. Das Zimmer
durfte nicht verlassen werden, bis ein neuer Papst gewählt war. War dies
nach drei Tagen nicht geschehen, so erhielt jeder der Kardinäle in den
folgenden vierzehn Tagen nur ein Gericht und nach dieser Zeit nur Brot,
Wein und Wasser. Diese Hungerkur beförderte merklich den Verkehr mit dem
Heiligen Geist!

Unter der Kirchenherrschaft von Nikolaus IV. (1288-1292) regierte über
Tirol der wackere Graf Meinhard. Dieser hielt die liederlichen Pfaffen
gehörig im Zaum und zog sich dadurch den Zorn des Papstes zu, der ihn in
den Bann tat. Meinhard verteidigte sich wacker; er sagte: "Ich bin nicht
der Angreifer, sondern meine Bischöfe, die keine Hirten, sondern Wölfe
sind. Statt zu lehren, suchen sie sich nur zu bereichern, Bastarde in
die Welt zu setzen, zu tafeln und zu zechen. Weidet man so die Schafe
Christi? Sie nehmen gerade umgekehrt das Wort: 'Gebet ihnen den Rock';
sie nehmen auch noch den Mantel und sind schlimmer als Juden, Türken und
Tataren. Sie blenden das Volk durch Zeremonien, und es genügt ihnen
nicht, die Schafe zu melken und zu scheren; sie schlachten sie."

Coelestin V. wurde aus einem einfältigen Eremiten ein noch einfältigerer
Papst, und als Kardinal Caetani eines Nachts durch ein versteckt
angebrachtes Sprachrohr in sein Schlafzimmer schrie: "Coelestin,
Coelestin, Coelestin! - lege dein Amt nieder, denn diese Last ist dir zu
schwer", glaubte der Dummkopf, der liebe Gott würdige ihn einer
persönlichen Unterredung, und dankte ab.

Kardinal Caetani trat als Bonifazius VIII. (1295-1303) an seine Stelle.
Auf einem kostbar aufgezäumten Schimmel, der von den Königen von Apulien
und von Ungarn geführt wurde, ritt er zur Krönung. Nach der Rückkehr aus
der Kirche, bei welcher Gelegenheit vierzig Menschen im Gedränge selig
gedrückt wurden, tafelte er öffentlich, und die beiden Könige standen
als Bediente hinter seinem Stuhl und warteten ihm auf.

Den neuen Papst verdross es sehr, dass viele die Abdankung Coelestins
als ungültig betrachteten, der überall als Heiliger angestaunt wurde. Um
der Sache ein Ende zu machen, ließ ihn Bonifaz einfangen. Der arme
heilige Waldesel bat fußfällig, ihn doch wieder in seine Höhle
zurückkehren zu lassen; aber all sein Flehen war umsonst. Er wurde auf
dem festen Schloss Fumone in ein enges Behältnis eingesperrt, wo er so
wenig zu essen bekam, wie er nur immer wollte, so dass er kläglich
verhungerte.

Dieser Bonifazius war ebenso stolz wie Gregor VII. und Innozenz III. In
einer Bulle von 1294 sagte er: "Wir erklären, sagen, bestimmen und
entscheiden hiermit, dass alle menschliche Kreatur dem Papst unterworfen
sei und dass man nicht selig werden könne, ohne dies zu glauben."

Dieser ungemessene Stolz musste ihn sehr bald in feindselige Berührung
mit stolzen weltlichen Monarchen bringen. Philipp IV. der Schöne, von
Frankreich geriet mit Bonifaz auf das heftigste zusammen. Aber der König
war kein Heinrich IV., seine Großen keine Deutschen und der Papst kein
Hildebrand. Er schrieb zwar an Philipp: "Bischof Bonifaz an Philipp,
König von Frankreich. Fürchte Gott und halte seine Gebote! Du sollst
hiermit wissen, dass du uns im Geistlichen und Weltlichen unterworfen
bist. - Wer anders glaubt, den halten wir für einen Ketzer."

Hierauf antwortete ihm der von seinem Parlament wacker unterstützte
Philipp: "Philipp, von Gottes Gnaden, König von Frankreich an Bonifaz,
der sich für den Papst ausgibt, wenig oder gar keinen Gruß! Du sollst
wissen, Erzpinsel (maxima Tua Fatuitas), dass wir in weltlichen Dingen
niemandem unterworfen sind. Andersdenkende halten wir für Pinsel und
Wahnwitzige."

Wie jämmerlich erscheint dagegen König Erich von Dänemark, welcher, mit
Bann und Interdikt bedroht, schreibt: "Erbarmen, Erbarmen! Was haben
meine Schafe getan? Alles was Ew. Heiligkeit mir auferlegen, will ich
tragen. - Rede, dein Knecht höret."

Der stolze "Erzpinsel" wurde aber bitter gedemütigt. Philipps
Abgesandter, Nogaret, verbunden mit Sciarra Colonna, gegen dessen
Familie der Papst die unerhörtesten Grausamkeiten begangen hatte,
überfielen ihn in seinem Schloss Anagni und nahmen ihn gefangen. "Willst
du die Tiara abtreten, die du gestohlen hast?" schnob ihn der wütende
Colonna an. Bonifaz antwortete hochmütig. Da loderte der Zorn des schwer
misshandelten römischen Edelmannes hoch auf, er schlug den Papst ins
Gesicht und schrie: "Willst du das Maul halten, Höllensohn! alter
Sünder!" Mit Mühe hielt Nogaret den Wütenden zurück, dass er seine Rache
nicht vollends befriedigte und dem sechsundachtzig jährigen Bösewicht,
der Seelenstärke genug hatte, Colonna zuzurufen: "Hier ist der Hals und
hier das Haupt!"

Darauf setzte man den Vizegott auf ein Pferd ohne Sattel und Zaum, das
Gesicht dem Schwanz zugekehrt, und brachte ihn in ein elendes Gefängnis,
wo er, aus Furcht vergiftet zu werden, drei Tage und drei Nächte lang
nichts genoss, als ein wenig Brot und drei Eier, welche ihm ein altes
Mütterchen zusteckte. - Man möchte Mitleid haben mit dem alten Manne;
aber er war ein alter Bösewicht, und man denke an den armen Coelestin,
den er verhungern ließ.

Das Volk zu Anagni befreite Bonifaz und brachte ihn im Triumph nach Rom.
Aber die erlittene Demütigung hatte den stolzen alten Mann wahnsinnig
gemacht. Er befahl seinen Dienern, sich zu entfernen, und schloss sich
in seinem Zimmer ein. Am Morgen fand man ihn tot. Sein weißes Haar war
mit Blut befleckt; vor seinem Mund stand Schaum, und der Stock, den er
in der Hand hielt, war von seinen Zähnen zernagt.

So endet Bonifaz VIII., wie man vorhergesagt hatte: "Er wird sich
einschleichen wie ein Fuchs, regieren wie ein Löwe und sterben wie ein
Hund."

Er starb wie ein Hund und lebte wie ein Schwein. Er erklärte öffentlich,
dass Hurerei, Ehebruch und Unzucht gar keine Sünde sei, weil Gott Weiber
und Männer dazu gemacht habe. Er lebte mit einer verheirateten Frau und
mit ihrer Tochter zu gleicher Zeit und missbrauchte seine Pagen zu
unnatürlicher Wollust, so dass sich diese untereinander die "Huren des
Papstes" nannten.

Was von seinem Glauben zu halten ist, ergibt sich aus folgenden
Äußerungen, deren ihn Philipp gegen Clemens V. beschuldigt: Gott lasse
es mir wohlgehen auf dieser Welt, nach der anderen frage ich nicht so
viel, als nach einer Bohne. - Die Tiere haben so gut Seelen wie die
Menschen. - Es ist abgeschmackt, an einen und an einen dreifachen Gott
zu glauben. An Maria glaube ich so wenig als an eine Eselin und an den
Sohn so wenig als an ein Eselsfüllen. Maria war eine Jungfrau, wie meine
Mutter eine war. - Sakramente sind Possen usw.

Philosophen und andere Freigeister haben dergleichen Gedanken wohl schon
öfters ausgesprochen; allein im Mund eines Papstes klingen sie umso
seltsamer, als die Inquisition Tausende wegen weit unbedeutenderer
Ausdrücke verbrennen ließ. - Clemens V. erklärte Bonifaz jedoch für
einen frommen, katholischen Christen und nun wissen wir doch, wie ein
solcher beschaffen sein muss, um den Päpsten zu gefallen.

Bonifaz VIII. ist derjenige Papst, welcher das Jubeljahr erfand. Er war
auch der erste Papst, der ein Wappen führte und der auf die Tiara oder
päpstliche Mütze eine zweite Krone setzte. Früher trugen die römischen
Bischöfe die sogenannte phrygische Mütze der Priester der Kybele, Mitra
genannt. Ein Bischof, Hormidas, setzte die von König Chlodwig erhaltene
Krone hinzu. Die dritte Krone kam erst mit Johann XXII. oder mit
Benedikt XII. auf die päpstliche Narrenkappe.

Mit Clemens V. begann die sogenannte babylonische Gefangenschaft der
Päpste (von 1305-1374). König Philipp der Schöne fand es nämlich
vorteilhaft, die Päpste für seine Zwecke bei der Hand zu haben, und
verleitete sie durch allerlei Lockungen, ihren Sitz in Avignon zu
nehmen, wo sie siebzig Jahre lang residierten. Sie waren hier völlig
abhängig von den französischen Königen, lebten aber unter dem Schutz
derselben dafür auch weit sicherer als in Rom. Sie beschäftigten sich in
ihrem Exil damit, neue Geldprellereien zu ersinnen und das umliegende
Land durch ihre eigene und die Sittenlosigkeit ihres Hofes zu
demoralisieren.

Nach dem Zeugnis der geachtetsten Geschichtsschreiber stammt die spätere
große Sittenlosigkeit in Frankreich hauptsächlich von dem
siebzigjährigen Aufenthalt der Päpste in Avignon her.

Clemens V. trat ebenso fest wie Bonifazius, nur nicht so heftig und
deshalb klüger auf, wodurch er auch mehr gewann. In dem deutschen Kaiser
Heinrich VII., dem Luxemburger, würde wahrscheinlich ein Feind des
Papsttums gleich Friedrich II. erwachsen sein, wenn er nicht, wie man es
in Russland nennt, gestorben worden wäre. Der Dominikaner Bernard von
Montepulciano, so erzählt man, reichte ihm eine vergiftete Hostie und
der Kaiser war zu religiös, um dem Rat seines Arztes zu folgen und ein
Brechmittel zu nehmen. So starb er denn an seiner Frömmigkeit.

Das größte Schanddenkmal hat sich Clemens V. durch den nichtswürdigen
Prozess gegen den Ritterorden der Tempelherren und den Justizmord der
unglücklichen Ritter gesetzt. Er war freilich nur die Katze, welche ihre
heiligen Pfoten Philipp dem Schönen lieh, um für ihn die Kastanien aus
dem Feuer zu langen. Die Sittenverderbnis unter den Tempelherren war
allerdings groß; allein waren etwa die anderen geistlichen Herren und
die Päpste selbst reiner?

Übrigens würde ihre Sittenlosigkeit den Tempelherren schwerlich den Hals
gebrochen haben; ihr Verbrechen war es, vernünftigere und freiere
Religionsansichten zu haben als der andere Kuttenpöbel, und dann - waren
sie ungeheuer reich. Indem man ihnen den Prozess machte, schlug man, wie
man zu sagen pflegt, "zwei Fliegen mit einer Klappe".

Johann XXII., eines Schuhflickers Sohn, war schon ein Schuft und
Betrüger, ehe er den Päpstlichen Stuhl bestieg, und auf demselben
vervollkommnete er sich noch in seinen Spitzbubentugenden. Ich habe
schon im vorigen Kapitel Erbauliches von ihm berichtet und füge nur noch
weniges hinzu.

Er lag in beständigem Streit mit dem deutschen Kaiser Ludwig dem Bayern
und dem König von Frankreich. Ersterer wehrte sich zwar tüchtig,
"kuschte" aber doch zuletzt, denn "er hatte zwei Seelen, eine
kaiserliche und eine bayerische".

Philipp der Schöne aber ließ dem übermütigen Papst sagen, "er werde ihn
als Ketzer verbrennen lassen". Leider ist das nicht geschehen; er starb
90 Jahre alt. Er hinterließ außer seinen 33 Millionen, welche die Kirche
verdaute, die bekannte schöne Hymne: "Stabat mater dolorosa".

Sein Nachfolger Benedikt XII. war ein herzensguter Mann und man kann ihm
weiter nichts zur Last legen, als dass er Papst war. Aber selbst diesen
Fehler suchte er nach besten Kräften zu mildern, indem er wenigstens
erklärte, "ein Papst habe keine Verwandte", wodurch er seine Vorgänger
und Nachfolger beschämte, welche ihre "Neffen" usw. nicht reich genug
beschenken konnten. Hohe Personen hielten um seine Nichte an; aber er
sagte: "Für ein solches Ross schickt sich nicht solch ein Sattel", und
gab sie einem Kaufmann aus Toulouse.

Clemens VI., der Benedikt XII. folgte, war nach dem Ausdruck eines
gleichzeitigen Geschichtsschreibers "höchst ritterlich und nicht sehr
fromm", welches Letztere man wohl von mehreren "Heiligen Vätern" sagen
konnte. Er benahm sich sehr hochmütig gegen Kaiser Ludwig und hatte
leichtes Spiel mit dessen Gegner, dem "Pfaffenkönig" Karl IV. Obwohl er
selber sehr locker lebte, so hielt er es doch für nötig, die höhere
Geistlichkeit wegen ihres liederlichen Lebenswandels abzukanzeln und
sagte den Herren unter anderem in seiner Strafpredigt: "Ihr wütet wie
eine Herde Stiere gegen die Kühe des Volkes!"

Clemens war sehr prachtliebend, und mit unerhörtem Pomp krönte er Don
Sanchez, den zweiten Sohn des Königs von Kastilien, zum König der
glücklichen Inseln, wie damals die kanarischen hießen. Beim Krönungszug
kam als üble Vorbedeutung ein Platzregen, welcher Papst und König bis
auf die Haut durchnässte; und in der Tat wurde auch das Königreich zu
Wasser, denn die kühnen Normannen hatten es in Besitz genommen und
hielten es fest.

Mit diesem Sanchez hatte Clemens große Absichten. Er versprach ihn an
die Spitze eines Kreuzzuges zu stellen und ihm den Titel "König von
Ägypten" zu geben. Der Prinz war außer sich vor Dankbarkeit und rief:
"Nun, so mache ich Ew. Heiligkeit zum Kalifen von Bagdad!" - So erzählt
uns der berühmte Dichter Petrarca.

Philipps des Schönen Beispiel hatte den Päpsten böse Früchte getragen,
denn die Kraft des Banns fing an zu erlahmen. Das fühlte Urban V. Ein
Erzbischof weigerte sich, einen Mönch zu ordinieren, der ihm von seinem
Landesherrn, Bernabò Visconti von Mailand, empfohlen war. Dieser
gottlose Mensch ließ den Erzbischof zitieren und sagte zu ihm: "Weißt du
nicht, du alter Hurer, dass ich König, Papst und Kaiser in meinem
eigenen Reich bin!" Für dieses ungeheure Verbrechen tat ihn Urban in den
Bann und belegte sein Land mit dem Interdikt!

Als die Legaten des Papstes die Bannbulle nach Mailand brachten, führte
sie Visconti samt ihrem Wisch auf die Navigliobrücke und fragte sie sehr
ernsthaft: "Wollt Ihr essen oder trinken?" Die Legaten sahen mit sehr
langen Gesichtern auf den Fluss und verlangten höchst kleinmütig zu
essen. "Nun, so fresst den Wisch da!" - Die Herren Legaten fraßen.

Gregor XI. verlegte die Statthalterei Gottes wieder nach Rom. Ich habe
schon früher bemerkt, welche demoralisierenden Folgen die Residenz der
Päpste für Avignon und Frankreich überhaupt hatte. Geschichtsschreiber
jener Zeit können von der dort herrschenden Unzucht nicht genug
erzählen, und die meisten Dinge verschweigen sie aus Schamgefühl.

Ein schönes Papstexemplar war Urban VI. (1378-1389), doch war er mehr
Tiger als Affe. Seine Grausamkeit war empörend. Fünf Kardinäle, die
nicht für ihn gestimmt hatten, und mehrere Prälaten ließ er fürchterlich
foltern und dann teils in Säcke stecken und ins Meer werfen, teils
lebendig verbrennen, erdrosseln oder enthaupten. Einen sechsten
Kardinal, der von der Tortur so elend war, dass er nicht fortkonnte,
ließ er unterwegs erwürgen. Als die Kardinäle zur Tortur abgeführt
wurden, sagte der Statthalter Gottes zum Henker: "Martere so, dass ich
Geschrei höre." Dabei ging er in seinem Garten spazieren und las in
seinem Brevier.

Die Leichen von zwei Kardinälen ließ dieser Henkerpapst in Öfen
austrocknen und dann zu Staub zerstoßen. Dieser Staub wurde auf seinen
Befehl in Säcke getan und nebst den roten Hüten der Kardinäle auf seinen
Reisen auf Maulesel vor ihm hergeführt, anderen als schreckliches
Exempel!

Zu Ende des 14. und am Anfang des 15. Jahrhunderts finden wir immer
wenigstens zwei, meistens drei Päpste zugleich, die jeder von den
verschiedenen Parteien als die echten Statthalter Gottes betrachtet
wurden.

Ich habe es herzlich satt, die scheußlichen Handlungen der Menschen zu
berichten, welche den Namen "Statthalter Gottes" zum schändlichsten Hohn
machten; allein ich müsste vollends ermüden, wenn ich die Schandtaten
und Verbrechen dieser verschiedenen Gegenpäpste berichten sollte. Man
durchwandere einen Bagno oder irgendein Zuchthaus und lasse sich von
jedem der Sträflinge erzählen, welche Verbrechen er begangen hat, so
wird man doch ein nur unvollkommenes Verzeichnis der Verbrechen haben,
welche von den Päpsten dieser Periode begangen wurden.

Das böse Beispiel der Päpste und überhaupt der Geistlichkeit hatte die
übelsten Folgen. Von der Zügellosigkeit, welche damals unter dem Volk,
namentlich aber unter den höheren Ständen herrschte, hat man heutzutage
kaum einen Begriff, so sehr man auch über die Sittenverderbnis der
jetzigen Zeit klagt. Alle Gesetze der Moral und der Sitte waren durch
die Liederlichkeit der Pfaffen aufgelöst. Die Notwendigkeit einer
Beendigung dieses Zustandes wurde von allen gefühlt, in denen noch das
Gefühl für das Gute lebte, und man kam dahin überein, auf einem großen
Konzil vorerst die Ordnung in der Kirche wiederherzustellen.

Dies Konzil wurde 1414 zu Konstanz gehalten und ist eines der
glänzendsten, die jemals stattgefunden haben. Man sah auf demselben
nächst einem Papst und dem Kaiser alle Kurfürsten, 153 Fürsten, 132
Grafen, über 700 Freiherrn und Ritter, 4 Patriarchen, 29 Kardinäle, 47
Erzbischöfe, 160 Bischöfe, über 200 Äbte, ein Heer von Mönchen,
Geistlichen jeder Art und Rechtsgelehrten und - die gewöhnliche
Begleitung des päpstlichen Hofes, gegen 1000 öffentliche Dirnen, die
privatim unterhaltenen und heimlichen gar nicht mitgerechnet.

Drei Päpste stritten sich um die Tiara: Johann XXIII., ein Gregor und
ein Benedikt. Johann war dreist genug, auf dem Konzil zu erscheinen,
allein als man ernstlich daran ging, seinen Lebenslauf zu mustern, hielt
der Heilige Vater es für geratener, als Postknecht verkleidet, mit Hilfe
des Herzogs Friedrich von Tirol zu entfliehen.

Man hatte seine Verbrechen in 70 Artikeln zusammengefasst und gab sie
dem Heiligen Vater zur Durchsicht. Er äußerte aber kein Verlangen, sein
Sündenregister zu lesen und versuchte lieber das Konzil durch seine
Flucht zu sprengen, was aber misslang. Johanns Taten wurden öffentlich
verlesen, das heißt nur 54 Artikel davon, da man sich schämte, die
anderen vor aller Welt auszusprechen. 37 Zeugen bewiesen, dass Johann
nicht nur Hurerei, Ehebruch, Blutschande, Sodomiterei, Simonie,
Freigeisterei, Räuberei und Mord verschuldet, sondern auch 300 Nonnen
verführt oder genotzüchtigt und sie dann zum Lohn zu Äbtissinnen und
Priorinnen gemacht habe.

Sein eigener Sekretär, Niem, erzählt, dass der Papst zu Bologna einen
Harem von 200 Mädchen unterhalten habe. Auch beschuldigt man Johann,
seinen Vorgänger Clemens V. vergiftet zu haben.

Johann wurde abgesetzt. Gregor dankte freiwillig ab; aber der alte
Benedikt spielte in einem Winkel Spaniens, wohin er geflohen war, den
Vizegott; allein niemand kehrte sich an seine Bannflüche. Endlich ließ
der neuerwählte Papst, Martin V., den neunzigjährigen Benedikt
vermittelst Gift aus dem Weg räumen.

Unbegreiflich ist es, wie dieser in Wollust aller Art sich wälzende
Heilige Vater ein so hohes Alter erreichen konnte. Berühmte
Kanzelprediger predigten öffentlich gegen sein abscheuliches Leben, und
einer derselben sagte: "J'aime mieux baiser le derrière d'une vielle
maquerelle, qui aurait les hemmoroîdes, que la bouche de ce Pape là!"

Das Konzil von Konstanz verurteilte Jan Hus und Hieronymus von Prag als
Ketzer zum Feuertod und verursachte dadurch blutige Kriege; aber der
Zweck des Konzils, eine Reformation an Haupt und Gliedern der Kirche,
wurde nicht erreicht.

Im Jahr 1418 gingen die Herren Reformatoren auseinander. Die Stadt
Konstanz hatte vier Jahre lang einen schönen Verdienst durch die 100.000
Fremden mit 40.000 Pferden, die sie so lange beherbergen musste. Für ihr
gutes Verhalten erhielt die Bürgerschaft vom Kaiser unschätzbare
Belohnungen, die ihn nichts kosteten, nämlich das Recht, eine
vierzehntägige Messe zu halten, mit rotem Wachs zu siegeln, im Felde
eigene Trompeter zu halten und auf ihr Banner - einen roten Schwanz zu
setzen, der sie vielleicht an die vielen Kardinäle erinnern sollte; ich
bin nicht bewandert genug in der Heraldik, um die Bedeutung dieses
seltsamen Wappenvogels zu erklären. Der Bürgermeister wurde zum Ritter
geschlagen, da das kleine Geld der Fürstengunst, die Orden, noch nicht
üblich waren.

Von Eugen VI., Calixt III. und Pius II., der sich schminkte und eine
Krone trug, die 200.000 Dukaten wert war; ebenso von dem schändlichen
Meuchelmörder Sixtus IV., der in Rom die ersten öffentlichen Bordelle
anlegte und jeden seiner Kardinäle auf die Erwerbnisse von 20-30 Huren
anwies; der für Geld die Erlaubnis erteilte, bei der Frau eines
Abwesenden die Stelle des Mannes zu vertreten; der mit seiner Schwester
einen Sohn zeugte, seine beiden Söhne zu unnatürlicher Wollust
missbrauchte und unendlich viele andere Schandtaten beging: von allen
diesen Päpsten schweige ich, obgleich ihre Geschichte gewiss sehr
lehrreich und erbaulich sein würde.

Innozenz VIII. (1484-1492) sorgte mit väterlicher Zärtlichkeit für seine
Kinder und scharrte unendlich viel Geld zusammen. Doch das taten alle
Päpste. Er zeichnete sich nur noch durch seine Sündentaxordnung aus, die
in 42 Kapiteln 500 Taxansätze enthielt. Ich habe schon früher davon
gesprochen; hier nur noch einige Beispiele aus diesem Schanddokument:
Begeht ein Geistlicher vorsätzlich einen Mord, so zahlt er nach
Reichswährung zwei Goldgulden acht Groschen. Vater-, Mutter-, Bruder-
und Schwestermord ist taxiert zu ein Gulden zwölf Groschen! Wollte aber
ein Ketzer absolviert werden, so hatte er vierzehn Gulden acht Groschen
zu bezahlen. Eine Hausmesse in einer exkommunizierten Stadt kostete
vierzig Gulden.

Dieser Papst Innozenz VIII. widmete dem Hexenwesen ganz besondere
Aufmerksamkeit und kann als der Begründer der Hexenprozesse betrachtet
werden, welche so vielen armen alten und jungen Weibern das Leben
kosteten. In der abgeschmackten Bulle, die er hierüber erließ, faselt er
von bösen Geistern, die sich auf den Menschen, und solchen, die sich
unter ihn legen!

Alexander VI. (1492-1502) war der Nachfolger von Innozenz, und obwohl er
nicht schlechter und lasterhafter war als viele seiner Vorgänger, so
sind doch seine Handlungen mehr bekannt geworden als die anderer Päpste,
und er gilt gewöhnlich als die Quintessenz päpstlicher Schlechtigkeit.

Er war in Valencia geboren und hieß ursprünglich Rodrigo Langolo; aber
sein Vater veränderte seinen Namen in Borgia. Rodrigo studierte, wurde
dann aber Soldat und verführte eine Witwe namens Vanozza und ihre beiden
Töchter. Von einer derselben hatte er vier Söhne: Juan, Cesare, Pedro
Luis und Jofré, und eine Tochter Lucrezia.

Sein Oheim, Alfons Borgia, wurde unter dem Namen Calixtus III. Papst,
und Rodrigo begab sich schleunigst nach Rom. Der Papst überschüttete
seinen Neffen mit Würden und Geschenken und machte ihn endlich zum
Kardinal. Nun richtete derselbe seine Augen auf die päpstliche Krone.
Als Innozenz VIII. starb, bestach er von 27 Kardinälen 22 durch
Versprechungen und wurde Papst. Als er sein Ziel erreicht hatte,
ermahnte er die bestechlichen Kardinäle zur Besserung und räumte sie als
ihm unbequem allmählich durch päpstliche Hausmittelchen aus dem Wege.

Für das Schicksal seiner Kinder war Alexander VI. auf das zärtlichste
bedacht. Er verheiratete sie alle vortrefflich und sorgte für ihr
Fortkommen. Cesare Borgia wurde zum Kardinal gemacht und hatte die
Freude, seinen Bruder Jofré mit Sancha, der Tochter des Königs Karl
VIII. von Frankreich zu verheiraten, der noch weit größere Opfer bringen
musste, um den Papst zu bewegen, seine Absichten auf das Königreich
Neapel zu unterstützen. Karl musste unendlich viele Dukaten opfern, denn
Geld war bei Alexander VI. die Losung.

Um Geld zu erlangen, verschmähte dieser Papst kein Mittel. Einen Beweis
für seine Handlungsweise liefert sein Betragen gegen den unglücklichen
Prinzen Cem. Dieser hatte sich gegen seinen Bruder, den Sultan Bayezit,
empört, war gefangen und dem Papst Innozenz gegen ein Jahrgeld von
40.000 Dukaten zur Aufbewahrung anvertraut worden. Um Geld zu gewinnen,
ließ Alexander VI. dem Sultan weismachen, dass Karl VIII., wenn er
Neapel erobert habe, gegen ihn ziehen wolle und sich bereits seinen
Bruder Cem erbeten habe, um ihn an die Spitze des Unternehmens zu
stellen. Zugleich erbat sich Alexander die fälligen 40.000 Dukaten.

Der wirklich besorgte Sultan schickte gleich 50.000 und schrieb an den
"ehrwürdigen Vater aller Christen", so nannte er Alexander, einen sehr
freundschaftlichen Brief, in welchem er ihn aufmuntert, "seinen Bruder
sobald als möglich von dem Elend dieser Welt zu befreien und ihm zu
einem glücklichen Leben zu verhelfen". Wenn der Papst diese seine Bitte
erfüllen wolle, so verspreche er ihm feierlich und eidlich 300.000
Dukaten, die kostbare Reliquie des Leibrocks Christi und ewige
Freundschaft.

Alexander wollte aber noch mehr Nutzen aus dem Heiden ziehen, der in
seinem Gewahrsam war; er lieferte ihn Karl VIII. für 20.000 Dukaten aus,
aber bereits mit einem Trank im Leib, der ihn in Mohammeds Paradies
beförderte. Einer der Geschichtsschreiber sagt: "Er starb an einer
Speise oder einem Trank, die ihm nicht gut bekam." - Bayezit war ebenso
ehrlich wie der Papst und zahlte mit Freuden das Blutgeld.

Alexander erhob seinen ältesten Sohn Juan, Herzog von Gandia, den er am
liebsten hatte, zum Herzog von Benevent. Dies war dessen Tod, denn sein
eifersüchtiger Bruder Cesare ließ ihn ermorden. Man zog den von neun
Dolchstichen durchbohrten Leichnam aus dem Tiber, und die Römer sagten
spottend: "Alexander ist der würdigste Nachfolger Petri, denn er fischt
aus dem Tiber sogar Kinder." - Alexander war über den Tod seines
Lieblings außer sich; aber er vergab Cesare den kleinen Mord sehr bald
und übertrug auf diesen würdigsten Sprössling all seine väterliche
Zärtlichkeit.

Um nicht daran gehindert zu sein, durch Heirat zur Macht zu gelangen,
verließ der Kardinal Cesare Borgia den geistlichen Stand - ein bis dahin
nie vorgekommener Fall, - wurde von dem Könige von Frankreich zum Herzog
von Valence in der Dauphiné ernannt und heiratete bald darauf eine
Tochter der Königin von Navarra.

Seine anderen Kinder vergaß der zärtliche Vater aber auch nicht.
Lucrezia hatte schon viel herumgeheiratet, als sie an Alfons, Herzog von
Bisceglia, gelangte, der aber ermordet wurde und einem Prinzen von
Ferrara Platz machen musste.

Die päpstliche Familie führte ein äußerst gemütliches Familienstilleben.
Die Brüder und der Vater schliefen abwechselnd bei der schönen Lucrezia,
und der Letztere hatte die Freude, ihr einen Sohn zu erzeugen, der
Rodrigo genannt wurde und welcher demnach der Bruder seiner Mutter und
der Sohn und Enkel seines glücklichen Vaters war, der das Wunderkind zum
Herzog von Sermonata machte.

Die italienischen Fürsten, welche von dem Heiligen Vater und seinem Sohn
Cesare auf das schamloseste geplündert wurden, vereinigten sich gegen
diese Ungerechtigkeiten, allein sie wurden fast sämtlich gegen ihre
bessere Überzeugung zur Seligkeit befördert. Ein halbes Dutzend von
ihnen besorgte Cesare zur Ruhe und einen andern der Herr Papa.

Cesare würde sich wahrscheinlich unter dem Schutze seines Heiligen
Vaters ein ganz artiges Reich zusammengeraubt haben, wenn dieser
Musterpapst nicht aus Versehen gestorben wäre. Das ging auf folgende
Weise zu.

Alexander hatte die Gewohnheit, solche reiche Leute, die er gern beerben
wollte, in die bessere Welt zu befördern, und eins seiner
Lieblingsmittel dazu war Gift, welches er höchst gemütlich "Requiescat
in pace" nannte. - Der Kardinal Corneto, ein unchristlich reicher Mann,
sollte so beruhigt werden und wurde zu diesem Zweck vom Papst zum
Abendessen geladen. Durch ein Versehen reichte ein Diener dem Papst den
"in der Hölle gewürzten" für den Kardinal bestimmten Wein, und dieser
endete am andern Tag sein heiliges Leben im 72. Lebensjahre. Cesare, der
auch von dem vergifteten Wein getrunken, hatte ein volles Jahr daran zu
verdauen.

Mit den Schandtaten dieses Papstes könnte man ein ganzes Buch füllen,
aber ich will den Lesern nur einige mitteilen.

Von der Macht und der Stellung der Päpste hatte Alexander die höchsten
Begriffe, denn er sagte: "Der Papst steht so hoch über dem König wie der
Mensch über dem Vieh", und mit der Religion, welche damals die
christliche hieß, war er vollkommen zufrieden, denn er äußerte: "Jede
Religion ist gut, die beste aber - die dümmste", und es würde schwer
geworden sein, etwas Dümmeres als das Christentum der römischen Kirche
jener Zeit aufzufinden. Alexander selbst hatte gar keine Religion.

Höchst originell ist eine Unterredung, welche der gelehrte Prinz Piko di
Mirandola mit dem Papst nach der Niederkunft der Lucrezia mit Rodrigo
hatte. Alexander fragte ihn: "Kleiner Piko, wen hältst du für den Vater
meines Enkels?"

"Nun, Ihren Schwiegersohn!", nämlich den für impotent bekannten Alfons.

"Wie kannst du das glauben?"

"Der Glaube, Ew. Heiligkeit, besteht ja darin, Unmögliches zu glauben",
und nun kramte der Prinz eine solche Menge geglaubter Unmöglichkeiten
aus, dass der Heilige Vater sich beinahe vor Lachen ausschüttete.

"Ja, ja", sagte der Papst, "ich fühle wohl, dass ich nur durch Glauben,
nicht aber durch meine Werke selig werden kann."

"Ew. Heiligkeit", antwortete der Prinz, "haben ja die Schlüssel des
Himmelreichs; aber ich, - wie ginge es mir dort, wenn ich bei meiner
Tochter geschlafen, mich des Dolchs und der Cantarella (Gift) so oft
bedient hätte!"

"Ernsthaft, sage mir", fuhr der Papst fort, "wie kann Gott am Glauben
Vergnügen finden? Nennen wir nicht den, der da sagt, er glaube was er
unmöglich glauben kann, einen Lügner?"

"Großer Gott!" rief der Prinz und schlug ein Kreuz, "ich glaube, Ew.
Heiligkeit sind kein Christ!"

"Nun, ehrlich gesprochen, ich bin's auch nicht."

"Dacht' ich's doch!" sagte der Prinz, und damit endete die seltsamste
Unterredung, die wohl je zwischen einem Papst und einem Laien
stattgefunden hat.

Die Liederlichkeit Alexanders lässt sich in unserer keuschen Sprache
nicht wohl beschreiben; sie kommt nur der Cesare Borgias und seiner
Schwester Lucrezia gleich. Alle Abarten der Wollust, welche wir
Deutschen meistens nicht einmal dem Namen nach kennen und welche von den
früheren Päpsten einzeln getrieben wurden, dienten diesem Papst
gewordenen Priap zur Unterhaltung.

Burckard, der Zeremonienmeister Alexanders VI., hat in seinem Diarium
das Leben am päpstlichen Hofe geschildert, und die üppigste Phantasie
kann nichts erdenken, was hier nicht getrieben wurde. Burckard sagt:
"Aus dem apostolischen Palast wurde ein Bordell, und ein weit
schandvolleres Bordell, als je ein öffentliches Haus sein kann."

"Einst wurde", so erzählt Burckard, "auf dem Zimmer des Herzogs von
Valence (Cesare Borgia) im apostolischen Palast eine Abendmahlzeit
gegeben, bei welcher auch fünfzig vornehme Kurtisanen gegenwärtig waren,
die nach Tische mit den Dienern und anderen Anwesenden tanzen mussten,
zuerst in ihren Kleidern, dann nackend. Darauf wurden Leuchter mit
brennenden Lichtern auf die Erde gesetzt und zwischen denselben
Kastanien hingeworfen, welche die nackten Weibsbilder, auf allen Vieren
zwischen den Leuchtern durchkriechend, auflasen, während Seine
Heiligkeit, Cesare und Lucrezia zusahen. Endlich wurden viele
Kleidungsstücke für diejenigen hingelegt, die mit mehreren dieser
Lustdirnen ohne Scheu Unzucht treiben würden, und sodann diese Preise
ausgeteilt. Diese schöne Szene fiel vor an der Allerheiligen-Viglie
1501."

Einst ließ Alexander rossige Stuten und Hengste vor sein Fenster führen
und ergötzte sich mit Lucrezia an dem Schauspiel. - Dieses Weib war über
alle Beschreibung liederlich, ob sie aber nach dem Papstrecht das
Prädikat Hure verdient, weiß ich nicht, denn einige Glossatoren
desselben haben aufgestellt, dass man nur diejenige eine wahre Hure
nennen könne, die 23.000 Mal gesündigt habe!

Lucrezia genoss das unbeschränkte Vertrauen ihres Vaters. In dessen
Abwesenheit erbrach sie alle Briefe, beantwortete sie nötigenfalls und
versammelte die Kardinäle nach Gefallen. Man schrieb ihr folgende
Grabschrift: "Hier liegt, die Lucrezia hieß und eine Thais war,
Alexanders Weib, Tochter und Schwiegertochter"; Letzteres, weil einer
ihrer vielen Männer ein anderer Sohn des Papstes, also ihr Halbbruder
war.

Die zu jener Zeit auflebenden Wissenschaften und die immer weiter um
sich greifende Anwendung der höllischen Erfindung der Buchdruckerkunst
machte den Papst sehr besorgt. Er fürchtete, dass eine freie Presse dem
Schandleben der Päpste ein Ende machen möchte, und hatte daher nicht
Unrecht zu fürchten. Er führte daher die Bücherzensur ein, die bis auf
die neueste Zeit geblieben ist und wo sie endlich vor der öffentlichen
Meinung weichen musste, in die fast noch schlimmere Phase der
Pressprozesse übergegangen ist, die sehr häufig im Sinne Richelieus
geführt werden, der behauptete, kein Schriftsteller könne fünf Worte
schreiben, ohne sich eines Verbrechens schuldig zu machen, welches ihn
in die Bastille bringt. Derjenige, zu dem er dies sagte, schrieb: "Zwei
und eins macht drei!" - "Unglücklicher!" rief der Kardinal, "Sie leugnen
die Dreieinigkeit!" Seitenstücke dazu liefern manche moderne
Pressprozesse.

Julius II. (1502-1513) gelangte ebenfalls durch List und Bestechung auf
den Päpstlichen Stuhl. Er war ein tüchtiger Soldat; das ist das einzige,
seltsame Lob, welches man diesem Statthalter Gottes geben kann. Er
hetzte alle Fürsten gegeneinander, ließ Armeen marschieren, kommandierte
sie selbst und belagerte und eroberte Städte.

Seine Gegner beriefen eine Synode nach Pisa, um dem martialischen Sohn
der Kirche sein unberufenes Handwerk zu legen. Von dieser
Kirchenversammlung wurde er "als Störer des öffentlichen Friedens, als
ein Stifter der Zwietracht unter dem Volk Gottes, als ein Rebell und
blutdurstiger Tyrann und als ein in seiner Bosheit verhärteter Mensch"
aller geistlichen und weltlichen Verwaltung entsetzt.

Julius kehrte sich natürlich nicht an dieses Urteil; es erbitterte ihn
nur noch mehr gegen seine Feinde und besonders gegen den vortrefflichen
König von Frankreich, Ludwig XII., den er absetzte. Ganz Frankreich
wurde ebenfalls mit dem Interdikt belegt; aber die aus dem Vatikan
geschleuderten Blitze zündeten nicht mehr.

Julius II. handelte nach dem Ausdrucke des berühmten
Geschichtsschreibers Mezeray "wie ein türkischer Sultan und nicht wie
ein Statthalter des Friedensfürsten und wie ein Vater aller Christen".
In den Kriegen, die er aus Rachbegierde und Blutdurst führte, verloren
zweihunderttausend Menschen ihr Leben. Er starb mitten unter
Vorbereitungen zu neuen Kriegen.

Er war so liederlich wie Alexander VI., und vor diesem hatte er noch
voraus, dass er ein Trunkenbold war. Kaiser Maximilian I. sagte einst:
"Ewiger Gott, wie würde es der Welt gehen, wenn du nicht eine besondere
Aufsicht über sie hättest, unter einem Kaiser wie ich, der ich nur ein
elender Jäger bin, und unter einem so lasterhaften und versoffenen
Papst, als Julius ist!"

Der Zeremonienmeister dieses Papstes, de Grassis, erzählt, dass der
Heilige Vater einmal so heftig von der Krankheit angesteckt war, welche
der Ritter Bayard le mal de celui qui l'a nennt, dass er am Karfreitag
niemand zum Fußkuss lassen konnte.

Ein ebenso liederlicher Mensch war sein Nachfolger Leo X. (1513-1521),
welcher seine Erhebung zum Papst derselben Krankheit verdankte, die
Julius am Fußkuss verhinderte. Als er zur neuen Papstwahl ins Konklave
kam, litt er an einem venerischen Geschwür am Hintern, welches einen
pestilenzialischen Geruch verbreitete. Die anderen Kardinäle, welche
angesteckt zu werden fürchteten, befragten die Ärzte des Konklaves, und
diese erklärten einstimmig, dass Leo gewiss bald sterben würde. Um nur
baldigst von dem Gestank befreit zu werden, wählten ihn die Kardinäle
zum Papst.

Leo X., ein Sprössling der berühmten Fürstenfamilie der Medicis, war ein
gescheiter Mann, welcher Künste und Wissenschaften liebte und manch
andere Eigenschaft hatte, die wir an einem weltlichen Fürsten recht hoch
schätzen würden. Er lebte "vergnügt wie ein Papst" und kümmerte sich
ebenso wenig um die Christenheit wie um Geschäfte, wenn er nicht durch
seine ungeheuren Geldbedürfnisse dazu gezwungen war.

Er soll während der acht Jahre seiner Herrschaft 14 Millionen Dukaten
verbraucht haben, was sehr glaublich ist, da er das so leicht erworbene
Geld ebenso leicht ausgab. Bei seiner Krönung verschenkte er 100.000
Dukaten. Dichter und Maler erhielten von ihm sehr bedeutende Summen;
aber die guten Christen deckten das alles. Einst sagte Leo zum Kardinal
Bambus: "Wie viel uns und den unsrigen die Fabel von Christo eingebracht
hat, ist aller Welt bekannt."

Sein Hof war der prächtigste, den es gab, und das Geld wurde mit vollen
Händen weggeworfen, wie an denen der altrömischen Kaiser. So war es denn
kein Wunder, dass er trotz seines Ablasskrams noch bedeutende Schulden
hinterließ.

Leo verkaufte alles, was nur Käufer fand, und sein Finanzminister
Armellino war der unverschämteste Blutsauger. Einst sagte Colonna von
Letzterem. "Man ziehe diesem Schinder das Fell über die Ohren und lasse
ihn für Geld sehen, was mehr einbringen wird, als wir brauchen."

Leo wurde durch einen plötzlichen Tod aus seinem üppigen Leben
hinweggerissen und hatte nicht einmal Zeit, die kirchlichen Sakramente
zu empfangen. Dieses gab einem Dichter Veranlassung zu einem Epigramm,
welches in der Übersetzung lautet: "Ihr fragt, warum Leo in der
Sterbestunde die Sakramente nicht nehmen konnte? - Er hatte sie
verkauft."

Leos Ablasskram, von dem ich bereits geredet habe, gab die nächste
Veranlassung zur Reformation. Die Geschichte derselben ist unendlich oft
geschrieben worden und befindet sich in den Händen des Volks; ich darf
sie also als bekannt voraussetzen.

Die gefährliche Lage des Päpstlichen Stuhls hätte einen recht kräftigen
Papst erfordert; aber Leos Nachfolger, Hadrian VI. (1521-1523), war dies
durchaus nicht. Er war ein bornierter Gelehrter, mehr geeignet, "sich
und die Jungens zu ennuyieren", als das lecke Schifflein Petri über
Wasser zu erhalten, obwohl sein Vater Schiffszimmermann in Utrecht war.

Seiner Gelehrsamkeit wegen hatte man ihn zum Lehrer Karls V. gewählt,
und als sein Zögling Kaiser war, machte man ihn zum Rektor der
Universität Löwen. Luther sagt von ihm: "Der Papst ist ein Magister
noster aus Löwen, da krönt man solche Esel." Man möchte geneigt sein,
dies summarische Urteil zu bestätigen, wenn man liest, dass Hadrian bei
den herrlichsten Kunstwerken Roms, wie Laokoon, Apoll von Belvedere
usw., mit einem flüchtigen Seitenblick vorüberging, indem er sagte: "Es
sind alte Götzenbilder."

Als dieser "deutsche Barbar" zu Fuß nach Rom kam, als er zu seinem
Unterhalt täglich nicht mehr als zwölf Taler brauchte und - horribile
dictu - Bier dem Wein vorzog, - da machten die Kardinäle sehr lange
Gesichter und kamen zu der Einsicht, "dass der Heilige Geist keinen als
einen Italiener verstehe".

Hadrian war ein hölzerner Pedant und viel zu ehrlich, als dass man ihn
lange auf dem Päpstlichen Stuhl hätte dulden können. Die Satiriker
nahmen ihn scharf mit. Der Dichter Berni charakterisierte dieses Papstes
Regierung sehr ergötzlich. Die bezügliche Stelle heißt in der
Übersetzung: "Eine Regierung voll Bedacht, Rücksicht und Gerede, voll
Wenn und Aber, Jedennoch und Vielleicht, und Worten in Menge ohne Saft
und Kraft, voll Glauben, Liebe, Hoffnung, das heißt voll Einfalt, - wird
Hadrian allgemach zum Heiligen machen."

Hadrian beging ein in den Augen aller Kardinäle und Geistlichen
grässliches Verbrechen; er gestand nämlich ein, dass Luther mit seinem
Verlangen nach einer Reformation gar nicht so unrecht habe, indem er
ehrlich genug war zu schreiben: "Gott gestattete die Verfolgung um der
Sünde willen; die Sünde des Volks stammt von den Priestern, die daher
Jesus auch zuerst im Tempel aufsuchte, und dann erst in die Stadt ging.
Selbst von diesem unserem Heiligen Stuhl ist so viel Unheiliges
ausgegangen, dass es kein Wunder ist, wenn sich die Krankheit vom Haupt
in die Glieder, von Päpsten in die Prälaten gezogen hat. Wir wollen
allen Fleiß anwenden, damit zuerst dieser Hof, von dem vielleicht alles
Unheil ausging, reformiert werde, je begieriger die Welt solche Reformen
erwartet."

So etwas war unerträglich, und Hadrian "wurde gestorben". Der Jubel der
Römer bei seinem Tode war sehr groß, und sie begingen die
Unschicklichkeit, die Tür seines Leibarztes zu bekränzen und mit der
Inschrift zu versehen: Liberatori Patriae S.P.Q.R. (Der Senat und das
Volk Roms dem Befreier des Vaterlandes).

Damit man nicht in Versuchung kommt, das Schicksal dieses ehrlichen,
gelehrten Dummkopfes gar zu sehr zu beklagen, bemerke ich, dass er fünf
Jahre lang Großinquisitor in Spanien war und dort 1620 Menschen lebendig
und 560 im Bildnis verbrennen ließ und 21.845 andere zu
Vermögenskonfiskation, Ehrlosigkeit usw. verurteilte.

Clemens VII. (1523-1534), wieder ein Medici, folgte dem "Magister noster
Esel" und verstand es besser als dieser, den Kirchenmonarchen zu
spielen; aber die Reformation konnte er ebenso wenig unterdrücken. - Er
hatte große Not auszustehen, denn der Konnetable Karl von Bourbon
stürmte mit seinem unbezahlten Heer Rom. Der Feldherr wurde zwar bei dem
Sturm erschossen, allein dies diente nur dazu, die Wut der beutelustigen
Soldaten mehr anzufachen. Unter ihnen befanden sich 14.000 Deutsche
unter Georg von Frondsberg, der es besonders auf den Papst abgesehen
hatte und einen goldenen Strick bei sich trug, um Se. Heiligkeit damit
eigenhändig in den Himmel zu befördern.

Der Papst floh in die Engelsburg, und mit Rom wurde unbarmherzig
umgegangen. Die Kardinäle hatten schlimme Zeit, denn selbst die
katholischen Spanier gingen hart mit ihnen um. Die Damen nahmen die
Sache von der besten Seite; sie waren neugierig auf die stämmigen
deutschen Landsknechte, und Geschichtsschreiber erzählen boshafterweise,
dass sie es gar nicht erwarten konnten, bis das Notzüchtigen losging.

Die Soldaten raubten, wo sie etwas fanden; denn wenn die Krieger der
damaligen Zeit Geld witterten, dann suspendierten sie alle Religion,
stahlen und mordeten nach Herzenslust und ließen sich dann absolvieren.
Die Beute belief sich an Gold, Silber und Edelsteinen auf mehr als zehn
Millionen Gold, und an barem Geld, womit sich die Vornehmen ranzionieren
mussten, auf eine noch größere Summe.

Ich habe da ein altes Buch von 1569 vor mir, in welchem Adam Reißner,
der in Diensten Frondsbergs mit in Rom war, die tolle Wirtschaft, welche
die Soldaten dort neun Monate lang trieben, sehr einfach und treuherzig
beschreibt. Ich will eine Stelle daraus wörtlich hersetzen:

"Die Landsknecht haben die Cardinäls Hüt auffgesetzt, die roten langen
Röck angetan, vnd sind auff den Eseln in der Statt vmbgeritten, haben
also jr Kurzweil vnd Affenspiel gehalten. Wilhelm von Sandizell ist
oftermals mit seiner Rott, als ein römischer Bapst, mit dreyen Kronen
für die Engelburg kommen, da haben die andern Knecht in den Cardinäls
Rökken irem Bapst Reverentz gethan, ire lange Röck vornen mit den Händen
auffgehebt, den hindern Schwantz hinden auff der Erd lassen
nachschleyffen, sich mit Haupt und Schultern tief gebogen, niederkniet,
Fuß vnd Händ geküßt. Alsdann hat der vermeynt Bapst Clementen einen
Trunk gebracht, die angelegte Cardinäl sind auff jren Knien gelegen,
haben ein jeder ein Glaßvoll Wein außtrunken, vnd dem Bapst bescheyd
gethan, darbey geschrien, Sie wollen jetzt recht fromme Bäpst vnd
Cardinäl machen, die dem Keyser gehorsam, vnd nicht wie die vorige
widerspenstig, Krieg vnd Blutvergiessen anrichten."

"Zuletzt haben sie laut vor der Engelsburg geschrien: Wir wöllen den
Luther zum Bapst machen! welchen solchs gefallen, der soll ein Hand
aufheben, haben darauff all jre Händ auffgehebt, vnd geschrien, Luther
Bapst, und viel dergleichen schimpffliche lächerliche Spottreden
gethan."

"Grünenwald, ein Landsknecht schrey vor der Engelsburg mit lauter stimm.
Er hett lust, dass er den Bapst ein stück auß seinem Leib solt reissen,
weil er Gottes, deß Keysers, vnd aller Welt Feind sey" usw.

Nachdem Papst Clemens an die Truppen noch gegen 400.000 Dukaten bezahlt
hatte, ließ man ihn, als Diener verkleidet, aus der Engelsburg
entwischen.

Clemens hatte kein Glück, aber auch kein Geschick. So viel hätte er mit
seinem Verstand erkennen können, dass die Zeit der Innozenze vorüber
war; allein er war unpolitisch genug, es mit dem despotischen Heinrich
VIII. von England zu verderben, den er exkommunizierte und der sich
dafür mit seinem ganze Land von Rom lossagte. Dadurch verlor der
Päpstliche Stuhl den Petersgroschen, eine Abgabe, welche seit 740 von
jedem englischen Hause nach Rom bezahlt wurde und die bis dahin gegen 38
Millionen Gulden eingebracht hatte.

Die Reformation machte unter diesen beiden letzten Päpsten immer weitere
Fortschritte, und die 1522 auf dem Reichstage, zu Nürnberg versammelten
Reichsstände erklärten: "dass sie die päpstlichen und kaiserlichen
Verordnungen nicht vollstrecken lassen könnten, weil das Volk, welches
den Lehren Luthers in großer Menge zugetan sei, dadurch leicht auf den
Argwohn geraten könnte, als wolle man die evangelische Wahrheit
unterdrücken und die bisherigen Missbräuche unterstützen, und dies
könnte leicht zu Aufruhr und Empörung Anlass geben".

Die deutschen Fürsten auf dem Reichstage nahmen diesmal kein Blatt vor
den Mund, und in den "hundert Beschwerden der deutschen Nation" sprachen
sie geradezu von den Betrügereien der Päpste, was sie nicht einmal
heutzutage wagen würden. Überhaupt sagten die Verteidiger der
Reformation damals vieles sogar mit dem Beifall der Fürsten, was selbst
heute in anständiger Sprache nicht gewagt werden dürfte, aus Furcht vor
endlosen Pressprozessen. Man ließ Luthers "Satyren" ungehindert
passieren, obwohl sie eigentlich nichts als unflätige Schimpfereien
waren.

Der "Gottesmann Lutherus" zeigte wenig Respekt vor Päpsten oder Fürsten,
wenn es die Verteidigung seiner Sache galt. Er ging mit ihnen um, als ob
sie Bettelbuben gewesen wären, und sagte sowohl dem König von England
als dem Herzog Georg von Sachsen auf das allerderbste Bescheid. Den
Herzog von Braunschweig nannte er nur den "Hansworst"; aber am
schlimmsten kam der Papst weg.

In seinem Buch: "Das Papsttum, vom Teufel gestiftet" nennt er die Kirche
"die Lerche" und den Papst "den Kuckuck, der die Eier fresse und dafür
Kardinäle hineinscheiße". Er nennt Se. Heiligkeit "einen Gaukler, das
Leckerlein von Rom, päpstliche Höllischkeit und Spitzbube, ein
epikurisch Schwein, das vom Teufel hintenaus geboren, und will, dass man
ihm den Hintern küsse, einen beschissenen und furzenden Papstesel, vor
dessen Fürzen sich der Kaiser fürchtet und der alle Fürze der Esel
binden und die selbsteigenen angebetet haben will, und dass man ihm
dabei noch den Hintern lecke".

Wenn es heutzutage ein Schriftsteller wagen würde, so gegen den Papst zu
schreiben oder gegen den Kaiser Napoleon, dann fiele halb Europa in
Ohnmacht und dem Verfasser winkte ein Pressprozess mit darauf folgendem
Gefängnis, so lang wie das Fegefeuer.

Seine Gegner blieben Luther indes nichts schuldig, und Dr. Eck, den der
Reformator stets Dreck nannte, zahlte ihm mit gleicher Münze. Die
gewöhnlichen Titel, die man ihm gab, waren Doktor Dreck-Märte, Doktor
Sauhund von Wittenberg und dergleichen. Der Jesuit Weislinger sagt von
ihm in Bezug auf die Tischreden: "Luther ist Zeremonienmeister bei Hofe,
wo man Mist ladet, Advokat zu Sauheim, wo nicht gar Stadtrichter zu
Schweinfurt; - gäbe es ein Mistingen, Schmeisau oder Dreckberg, so
gehöre der Sauluther dahin." Das war, wie bemerkt, im sechzehnten
Jahrhundert "Satyre".

Clemens VII. war ein großer Freund der Mönche. Unter ihm entstanden die
Kapuziner, eine Abart der Franziskaner, welche sich von den Letzteren
nur durch ihre größere Dummheit und Schweinerei auszeichneten. Die
spitzen Kapuzen, die sie tragen und einem Lichtauslöscher sehr ähnlich
sehen, können zugleich als ihr Feldzeichen dienen, denn Clemens hoffte
durch sie das Licht auszulöschen, welches durch Luther angezündet war.

Paul III. (1539-1549), der nach Clemens Papst wurde, war schon im 26.
Jahr Kardinal geworden und zwar, weil er seine schöne Schwester Julia
Farnese an Alexander VI. verkuppelt hatte. Er war einer der
liederlichsten Päpste. Blutschande, Mord und ähnliche Verbrechen waren
ihm geläufig. Er vergiftete sowohl seine eigene Mutter wie seine
Schwester!

Doch das sind eigentlich Familienangelegenheiten, die uns weniger
angehen. Weit wichtiger war es für die Welt, dass Paul am 27. September
1540 den Orden der Jesuiten bestätigte. Wir werden diese Fledermäuse
noch näher kennen lernen und wollen ihnen dann sagen, was sie waren und
was sie sind; denn sie selbst wollten und konnten darüber keine Auskunft
geben und sagten, sie wären tales quales; das heißt: diejenigen, welche
- - -

Julius III. war ein Papst, der noch weniger taugte als seine Vorgänger.
Er hielt sich mit dem Kardinal Creszentius gemeinschaftlich
Beischläferinnen, und die Kinder, welche dieselben bekamen, erzogen sie
gemeinschaftlich, da keiner von beiden wusste, wer der Vater sei. Seinen
Affenwärter, einen hässlichen Jungen von sechzehn Jahren, machte er zum
Kardinal, und als ihm die andern Kardinäle deshalb Vorwürfe machten,
rief er: "Potta di Dio! was habt Ihr denn an mir gefunden, dass Ihr mich
zum Papst machtet?"

Der Heilige Vater ließ einst in Rom Musterung über alle Freudenmädchen
halten und es fanden sich nicht weniger als 40.000 in der Stadt. Unter
einem so liederlichen Papst wie Julius musste ihr Handwerk natürlich
gedeihen. Sein Nuntius Johann a Casa, Erzbischof von Benevent, schrieb
ein Buch über die Sodomiterei, worin er diese lebhaft in Schutz nimmt.
Dies Buch ist 1552 in Venedig gedruckt und - dem Papst dediziert!

Paul IV. war ein vor Stolz halb wahnsinniger, achtzigjähriger Narr und
nebenbei ein mordlustiger Pfaffe. Unter ihm konnte die Inquisition nicht
genug Opfer erwürgen. Hören wir, was Pasquino über ihn sagte. Aber
vorher noch einige Worte über Pasquino.

Nach der Sage war dieser ein lustiger Schneider in Rom, dessen Schwänke
viele Leute nach seiner Bude lockten. Dieser gegenüber stand eine
verstümmelte Statue, an welcher man häufig Satiren angeklebt fand, die
man dem Schneider Pasquino zuschrieb. Daher das Wort Pasquill. Es gibt
indessen noch andere Traditionen darüber. Bald wurde nun eine andere
Statue am Kapitol dazu ausersehen, Antworten auf die Fragen aufzunehmen,
die man an der ersten Statue fand, und so entstand das Frage- und
Antwortspiel, welches nicht nur sehr ergötzlich, sondern auch von großem
Nutzen war. Es war der römische Kladderadatsch in primitiver Gestalt.

Als Paul IV. 1559 gestorben war, schlug Pasquino folgende Grabschrift
vor.- "Hier liegt Caraffa (aus dieser Familie stammte der Papst),
verflucht im Himmel und auf Erden, dessen Seele in der Hölle, dessen Aas
im Boden ist. Der Erde missgönnte er den Frieden, dem Himmel Gebet und
Gelübde; ruchlos richtete er Klerus und Volk zu Grunde; vor den Feinden
kroch er, gegen Freunde war er treulos; wollt Ihr alles auf einmal
wissen? - er war Papst!"

Der Name Papst war damals in Rom zum Schimpfwort herabgesunken. Pasquino
erwiderte einem Fragenden: "Warum jammerst du?" - "Ach, der Schimpf
bricht mir das Herz!" - "Nun, was ist's?" - "Du errätst es nicht? - Sie
haben mich", ruft er unter Schluchzen, "sie haben mich - einen Papst
genannt."

Paul war Kaiser Karls V. erbitterter Feind gewesen und wollte nach
dessen Abdankung Kaiser Ferdinands Wahl nicht anerkennen, weil dessen
Sohn und Thronfolger, Maximilian, meist unter Lutheranern aufgewachsen
sei.

Der Kaiser kehrte sich wenig an den Papst, dazu angeregt durch den
Reichs- Vizekanzler Dr. Seld, den Beust Ferdinands I. Dieser Minister
sagte in einem Gutachten: "Man lacht jetzt über den Bann, vor dem man
sonst zitterte; man hielt sonst alles, was von Rom kam, für heilig und
göttlich, jetzt speiet männiglich, er sei alter oder neuer Religion,
darüber aus. Die alten Kaiser haben die Päpste beim Kopfe genommen,
gestöcket, gepflöcket und abgesetzt; wir haben selbst erlebt, wie Karl
mit Clemens umgegangen; solchen Ernstes sind Ew. Majestät nicht einmal
benötigt. Übrigens weiß man, dass Se. Heiligkeit die Kardinäle, welche
Wahrheiten sagen, Bestien und Narren gescholten, solche mit Stecken
geschlagen, woraus anzunehmen, dass dieselben Alters oder anderer
Zufälle wegen nicht wohl bei Vernunft und Sinnen seien."

Unter Pius IV. wurde das berühmte Trientiner Konzil geschlossen (im
Dezember 1563), welches achtzehn Jahre versammelt gewesen war, um die
schon längst als notwendig erkannte Reformation der Kirche an "Haupt und
Gliedern" vorzunehmen.

Das Konzilium stand unter der unmittelbaren Beaufsichtigung des Papstes.
Kardinal del Monte stand mit ihm durch eine ununterbrochene Kurierlinie
zwischen Trient und Rom in fortwährender Verbindung und des Papstes
Instruktionen hatten auf alle Beschlüsse den entschiedensten Einfluss.
Alle Welt schrie, das Konzil sei nicht bei Trost, aber niemand konnte
das ändern.

Der Bischof Dudith von Tina in Dalmatien und mehrere andere sagten: "Der
Heilige Geist, der die versammelten Väter in Trient belehrte, kam im
römischen Felleisen."

Die Heiligen Väter strengten sich nicht übermäßig an. Alle Monate einmal
eine Sitzung, wenn nicht Ferien oder Festlichkeiten die Zeit wegnahmen,
und hielt man einmal eine Sitzung, so verging dieselbe meistens mit sehr
viel unnützen Redereien.

Man disputierte mit allem Ernst, der so wichtigen Dingen gebührt, über
den Rang der Abgeordneten, über Kleidung, Siegel und dergleichen. Dann
fragte man, ob man vom Glauben oder von der Reformation anfangen wolle?
Endlich entschied man sich dann für den Glauben, da einige Vorwitzige
unverschämt genug waren, die Meinung zu äußern, dass die Reformation bei
den Häuptern beginnen müsse!

Die Franzosen und selbst die so geduldigen Deutschen verloren die
Geduld. Ein kaiserlicher Gesandter behauptet gar, der Papst und seine
Legaten "hätten die Hufeisen verkehrt aufgeschlagen, um sich den Schein
zu geben, vorwärts zu gehen, während sie doch rückwärts gingen".

Wenn das Volk, welches sich nach all den schönen Versprechungen auf die
Konziliumsbeschlüsse wie Kinder auf den Heiligen Christ freute, durch
seine Vertreter deshalb anfragen ließ, dann erhielt es immer zur
Antwort, dass der Bericht noch nicht fertig sei".

Als aber der Bericht endlich fertig war, da machte alle Welt ein langes
Gesicht und "entsatzete" sich. Beim Schluss der Synode stand der
Kardinal von Guise auf und rief: "Verflucht seien alle Ketzer!"
"Verflucht! verflucht! verflucht!" brüllten die Herren Gesandten im Chor
und der "Heilige Geist" in Rom lachte ins Fäustchen. Dies war freilich
nicht der Weg, die Protestanten in den Schoß der Kirche zurückzuführen,
welches eigentlich der Hauptzweck der langen Synode war.

Es bedarf in der Tat keiner großen Prophetengabe, um vorhersagen zu
können, dass das in diesem Jahr abzuhaltende Konzil ganz denselben
römischen Stuhlgang haben wird wie das Trienter. Der alte Mann, der
jetzt die wurmstichige Tiara trägt, leidet an der Einbildung, dass wir
1368 schreiben, und handelt demgemäß. Es ist ein Glück, dass es ziemlich
gleichgültig ist, was das Konzil beschließt, da sich niemand daran
kehren wird, und dass die Tage des Landvogtes Gottes gezählt sind:

    Mach' deine Rechnung mit dem Himmel, Landvogt,
    Fort musst du, deine Uhr ist abgelaufen.

Das Trienter Konzil war das letzte, welches gehalten wurde, und seine
Beschlüsse sind bis auf den heutigen Tag das Gesetz für die römische
Kirche. Hume sagt bei der Geschichte der Königin Elisabeth von England:
"Das Trienter Konzil ist das einzige, das in einem Jahrhundert
beginnender Aufklärung und Forschung gehalten wurde; die Wissenschaften
müssten tief sinken, wenn das Menschengeschlecht aufs neue zu einem
solchen groben Betrug geschickt würde."

Der protestantische Schriftsteller Heidegger verglich das Papsttum mit
einer Hure, die immer unverschämter wird, je länger sie mitmacht. Dieser
Vergleich ist zwar nicht sehr höflich; aber wenn man die Beschlüsse des
Trientiner Konzils durchliest, - muss man ihm beistimmen. Aller Unsinn,
welcher sich allmählich in die christliche Kirche eingeschlichen hatte,
wurde dadurch feierlich sanktioniert, und was von der Trientinischen
Glaubensformel abwich, hatte "den Verlust der Seligkeit zu erwarten".

Dass aus der Synode nicht viel werden konnte, lag auf der Hand, denn die
Jesuiten nahmen sich ihrer an und soufflierten dem Heiligen Geist.

Dieses Konzil hatte große Folgen, und die allerschlimmste war wohl die,
dass die Päpste, welche bisher beständig gegen die weltliche Macht
Opposition gebildet hatten, von nun an gemeinschaftliche Sache mit ihr
machten, um das sichtbare Streben nach einem besseren Zustande und nach
politischer Freiheit zu lähmen.

Pius IV. "gab seine Seele durch den Teil des Leibes von sich, durch
welchen er sie empfangen hatte". Ihm folgte Pius V., ein ehemaliger
Großinquisitor. Bei seiner Wahl soll er geäußert haben - "Als Mönch
hoffe ich selig zu werden; als Kardinal zweifle ich daran, und als Papst
halte ich die Sache für unmöglich."

Dieser Pius V., der als Großinquisitor eine geeignete Vorschule gehabt
hatte, war der grausamste unter allen Päpsten. Ihn belebte nur eine
Idee: Ausrottung der Ketzer. Er ist der Urheber der Pariser
Bluthochzeit, der schrecklichen Verfolgungen in den Niederlanden unter
Herzog Alba, der sich rühmte, dass er in sechs Jahren 18.000 Personen
hinrichten ließ, und aller Verschwörungen in Schottland und England.

Das Motiv der Grausamkeit dieses Papstes war nicht allein religiöser
Fanatismus. Er ließ zum Beispiel Nik. Franko wegen eines unschuldigen
Distichons hängen, welches er auf dem im Lateran (päpstlichen Palast)
neuerbauten Abtritt machte!

    Papst Pius V., der beladenen Bäuche sich erbarmend,
    Errichtete diesen Abtritt, ein edles Werk.

Das ist die Übersetzung der Zeilen, die den Poeten an den Galgen
brachten. Der arme Mensch rief mit Recht: "Das ist zu arg!", und noch
auf der Leiter wollte er nicht glauben, dass die Sache ernst sei, und
fragte: "Wie, Nikolaus an den Galgen?"

Als Pius unter grässlichen Steinschmerzen seine Henkerseele ausgehaucht
hatte, herrschte allgemeine Freude. Die während seiner Regierung beinahe
in den Ruhestand versetzten öffentlichen Mädchen versammelten sich
jubelnd um seine Leiche, und sogar der türkische Sultan ließ
Freudenfeste wegen dieses Todes anstellen.

Doch ich darf nicht das Gute unerwähnt lassen, was von diesem Papst zu
melden ist, und umso weniger, als es auf dem "Apostolischen Stuhl" eine
Seltenheit ist. Er führte ein sehr strenges Leben, wie ein Einsiedler,
trug einen handbreiten, stachligen Drahtgürtel (Cilicium genannt) auf
dem bloßen Leib und kein Hemd. Seine Speise bestand aus Gemüse und sein
Getränk aus Wasser.

Gregor XIII. war seinem Vorgänger an fanatischem Ketzerhass gleich, wenn
auch nicht an Sittenstrenge. Er eröffnete dem spitzbübischen
Jesuitengeneral Aquaviva, dass es Protestanten, besonders Gelehrten,
Fürsten, höheren Beamten und anderen einflussreichen Personen, wenn sie
zur römischen Kirche übergingen, aus besonderer päpstlicher Gnade
gestattet sein sollte, ihren neuangenommenen Glauben verleugnen und noch
alle protestantischen Kirchengebräuche mitmachen, kurz, nach wie vor
sich als Protestanten benehmen zu dürfen.

Nach Gregor kam Sixtus V. (1585-1590) auf den Päpstlichen Stuhl. Sein
Vater war Weingärtner, seine Mutter eine Magd, und er selbst hütete in
seiner Jugend die Schweine. Deshalb scherzte er oftmals: "Ich bin aus
einem durchlauchtigen Hause; Sonne, Wind und Regen hatten freien Zugang
in die Hütte meiner Eltern."

Sein Name war Felice Peretti, und er wurde 1521 zu Grotta a Mare, nicht
weit von Montalto in der Mark Ankona geboren. Ein Franziskaner, dem der
Junge gefiel, nahm ihn von den Schweinen weg und brachte ihn in ein
Kloster und somit auf die Leiter, die ihn zum Apostolischen Stuhl
führte. - Er stieg schnell. Papst Pius V. war ihm gewogen und machte ihn
zum Kardinal Montalto; aber Gregor konnte ihn nicht leiden, und so hielt
er es denn für zweckmäßig, sich ganz zurückzuziehen und dem Anschein
nach ein völliger Franziskaner zu werden. Er spielte seine Rolle so gut,
dass sämtliche Kardinäle angeführt wurden. Er stellte sich äußerst
demütig, einfältig und körperlich hinfällig, ließ sich geduldig "der
Esel aus der Mark" nennen und dachte, wer zuletzt lacht, lacht am
besten.

Die Kardinäle waren bei der Papstwahl in sechs Parteien geteilt und da
keine der andern den Willen tun wollte, rief die größte Zahl der
Kardinäle, "dass der Esel aus der Mark Papst sein solle". Kaum wurde der
an seiner Krücke einherschleichende Montalto gewahr, dass er die meisten
Stimmen für sich habe, als er sogleich seine Krücke wegwarf, sich
kerzengerade in die Höhe richtete, bis an die Decke der Kapelle spuckte
und mit einer Stentorstimme ein Te Deum anstimmte, dass die Fenster
zitterten.

Man kann sich den Schrecken der überlisteten Kardinäle denken. Als der
Zeremonienmeister den neuen Papst dem Gebrauch gemäß fragte, ob er die
Würde annehme? antwortete er: "Ich hätte noch Kraft zu einer zweiten",
und als ihm einer der stolzesten Kardinäle wegen seines guten Aussehens
Komplimente machte, sagte er lachend: "Ja, ja, als Kardinal suchten wir
gebückt die Schlüssel des Himmelreichs; wir fanden sie und sehen nun
aufrecht gen Himmel, da wir auf Erden nichts mehr zu suchen haben."

Einer der Kardinäle, der sich immer für ihn interessiert hatte, wollte
seine verschobene Kapuze in Ordnung bringen, aber Montalto wies ihn
zurück und sagte: "Tut nicht so vertraut mit dem Papst."

Kardinal Farnese, der dem nunmehrigen Papst niemals recht getraut und
ihn stets den Paternosterfresser genannt hatte, äußerte nun zu seinen
Kollegen: "Ihr meintet, einen Gimpel zum Papst zu machen; Ihr habt einen
dazu gemacht, der mit uns allen wie mit Gimpeln umgehen wird!" -
Pasquino erschien mit einem Teller voll Zahnstocher.

Sixtus V. blieb auch als Papst ein strenger Mönch und griff nun mit
Energie in die bisher so jämmerlich schlaff gehandhabten Zügel der
Regierung. Zuerst war er darauf bedacht, das Land von den unzähligen
Räuberbanden zu reinigen, die unter Gregor XIII. so überhand genommen
hatten, dass kein Mensch seines Lebens sicher war. Fünfhundert
Verbrecher erwarteten, wie es bei einem Regierungsantritte gewöhnlich
war, ihre Befreiung; allein Sixtus ließ ihnen den Prozess machen und die
Galgen wurden nicht leer. "Ich sehe lieber die Galgen voll als die
Gefängnisse", pflegte er zu sagen.

Ganz Rom geriet in Entsetzen, denn seine Strenge traf Reiche und Arme,
was man bisher gar nicht gewohnt gewesen war. Graf Pepoli, welcher die
Banditen beschützt hatte, wurde zu Bologna enthauptet, und die Villa des
Prälaten Cesarino ließ der Papst niederreißen, weil sie ein bekannter
Banditenschlupfwinkel war.

"Ich verzeihe", sagte er, "was unter Montalto geschehen ist; aber als
Sixtus muss ich dieses Haus niederreißen und einen Galgen an die Stelle
setzen." Cesarino wurde vor Angst Karthäuser.

Einer der Bargellos (Landhäscher), die nur zu oft mit den Banditen
gemeinschaftliche Sache machten, wollte sich verbergen, als er Sixtus
gewahr wurde. Dieser ließ ihn in Ketten legen und gab ihn nur unter der
Bedingung frei, dass er ihm innerhalb acht Tagen eine bestimmte Anzahl
Banditenköpfe einliefere.

Ja, der Papst ging in seiner grausamen Gerechtigkeitsliebe zu weit, dass
er, um Verbrecher zu entdecken, die alten Kriminalakten durchstöbern
ließ. Einen gewissen Blaschi, der schon vor 36 Jahren wegen eines Mordes
nach Florenz entwischt war, ließ er requirieren und enthaupten.

Diese Strenge gab Pasquino hinlänglich Stoff. Einst sah man an der
Bildsäule die Engelsbrücke abgebildet, mit den sich gegenüberstehenden
Statuen der Apostel Petrus und Paulus. Petrus war in Stiefeln und
Reisemantel. Paulus äußerte sein Erstaunen und fragte nach der Ursache
des Reisekostüms, und Petrus antwortete: "Ich will mich fortmachen, denn
ich habe vor 1500 Jahren Malchus das Ohr abgehauen."

Sixtus trieb seine Justiz mit förmlicher Leidenschaft, und einst nach
einer großen Hinrichtung äußerte er bei Tische: "Mir schmeckt es nie
besser als nach einem solchen Akt der Gerechtigkeit." - Pasquino
erschien wieder mit einem Becken voll kleiner Galgen, Räder, Beile usw.
und sagte: "Diese Brühe wird dem Heiligen Vater Esslust geben."

Die Mütter schreckten jetzt ihre Kinder mit dem Papst, und wenn dieser
sich auf der Straße blicken ließ, so drückte sich jeder beiseite. Ein
Zeichen, dass es in Rom viele Spitzbuben und andere Leute gab, welche
die Strenge des Papstes zu fürchten hatten. Er verfolgte nicht allein
Banditen, sondern auch die Menschenfleischhändler oder die Kuppler,
welche den Kardinälen und liederlichen Reichen ihre Weiber und Töchter
zu verhandeln pflegten. Eine berühmte Buhlerin, Pignaccia, welche man
nur die Prinzessin nannte, ließ er hinrichten und von ihrem Vermögen ein
schönes Hospital erbauen.

Für die Armen sorgte er in bedrängter Zeit väterlich und ließ nicht
allein Lebensmittel austeilen oder die Preise derselben herabsetzen,
sondern auch Seiden- und Tuchfabriken anlegen; den Adel nötigte er,
seine Schulden zu bezahlen, was demselben hart genug ankam.

Ein schöner Zug von Sixtus war es, dass er sich früher erhaltener
Wohltaten erinnerte. Einem Schuster hatte er einst für ein Paar Schuhe
nur sechs Paoli bezahlt und gesagt: "Das übrige werde ich bezahlen, wenn
ich Papst bin." Nun bezahlte er seine Schuld mit Interessen und gab dem
Sohne des Schusters - ein Bistum. Ebenso belohnte er einen Prior, der
ihm vor vierzig Jahren vier Scudi geborgt hatte.

Seine Verwandten vergaß er übrigens auch nicht, aber trotz dieser
Ausgaben und der nun bedeutend geringer gewordenen Einnahmen des
Päpstlichen Stuhles legte er doch drei Millionen Scudi im päpstlichen
Schatz nieder, während andere Päpste Schulden machten.

Sixtus besaß Verstand und selbst Witz, aber gegen den anderer war er
sehr empfindlich. Pasquino trocknete einst sein Hemd am Sonntag. -
"Warum wartest du nicht bis Montag?" - "Ich trockne es, bevor die Sonne
verkauft wird", und sein ungewaschenes Hemd entschuldigte er: "Der Papst
hat mir meine Wäscherin (seine Schwester Camilla) zur Prinzessin
gemacht."

Dieser Spott beleidigte Sixtus sehr. Er versprach dem Entdecker des
Verfassers tausend Dukaten, indem er dem Letzteren das Leben zusicherte.
Der Spötter dachte die Belohnung selbst zu verdienen und war dumm genug,
sich zu melden. Sixtus ließ ihn am Leben, wie er versprochen, allein er
ließ ihm die Zunge ausreißen und die Hände abhauen, dann tausend Dukaten
auszahlen.

Trotz seiner mancherlei guten Eigenschaften und seines Hasses gegen die
Jesuiten und gegen den spanischen Tyrannen Philipp II. blieb er doch
immer ein fanatischer Mönch und fand es ganz in der Ordnung, dass die
Ketzer brennen müssten. Die Ermordung Heinrichs III. von Frankreich
billigte er, und als die rachsüchtige Elisabeth von England Maria Stuart
hatte hinrichten lassen, rief er aus: "Glückliche Königin! Ein gekröntes
Haupt zu ihren Füßen!"

König Heinrich IV. und Elisabeth wusste er übrigens zu würdigen und
äußerte einst: "Ich kenne nur einen Mann und nur eine Frau, würdig der
Krone." Elisabeth erfuhr es und scherzte: "Wenn ich je heirate, muss es
Sixtus sein." Dieser rief, als man ihm die Äußerung hinterbrachte: "Wir
brächten einen Alexander zustande!"

Die Jesuiten wollten Sixtus überreden, dass er einen Jesuiten als
Beichtvater annehmen solle, wie die andern Großen; er aber meinte: "Es
würde besser für die Kirche sein, wenn die Jesuiten dem Papst beichten
wollten."

Er tat außerordentlich viel für die Verschönerung Roms und legte mehrere
nützliche Anstalten an. Unter ihm wurde auch der große ägyptische
Obelisk auf dem Piazza del Popolo wieder aufgerichtet, der zwei höchst
merkwürdige Inschriften hat: "Cäsar Augustus Pontifex Maximus unterwarf
sich Ägypten und weihte ihn der Sonne" auf der einen Seite und auf der
anderen: "Sixtus V. Pontifex Maximus weiht diesen Obelisken, nach dessen
Reinigung, dem Kreuze".

Sixtus V. war den Kardinälen und den Römern zu streng, und so ist es
denn nicht zu verwundern, dass er bald anfing zu kränkeln. Sein Leibarzt
fühlte an des Patienten Nase, aber dieser fuhr zornig in die Höhe und
rief: "Wie! Du wagst es, einem Papst an die Nase zu greifen?" Der arme
Doktor ward krank vor Schrecken.

Im Jahr 1590 starb dieser letzte gefürchtete Papst. Er hätte immer noch
länger leben können, wahrscheinlich zum Heil der Menschheit, denn er
ging damit um, die meisten Mönchsorden aufzulösen. Vielleicht starb er
an diesem Vorsatz.

Die Römer waren froh, dass sie diesen Zuchtmeister los waren, und gaben
ihre Freude dadurch zu erkennen, dass sie die auf dem Kapitol stehende
Bildsäule des Papstes in Stücke schlugen. Pasquino sagte: "Mache ich je
wieder einen Mönch zum Papst, so soll mir ewig der Rettich im Hintern
bleiben."

Der erste Papst im 17. Jahrhundert war Paul V., der nach den
verwickeltsten und seltsamsten Intrigen im Konklave gewählt wurde. Er
hätte gern Sixtus V. nachgeahmt; aber die Reformation hatte das Ansehen
der Päpste mächtig erschüttert. Paul wollte Venedig seine Macht fühlen
lassen; aber der Senat dieser Republik kehrte sich wenig an den
Bannstrahl des Papstes, der bereits zum Theaterblitz herabgesunken war.

Der Papst tobte und verlangte durchaus Gehorsam; allein der savoyische
Gesandte klärte ihn über seinen Standpunkt in Bezug auf Regierungen und
Fürsten auf und sagte ihm geradezu: "Das Wort Gehorsam ist unschicklich,
wenn von einem Fürsten die Rede ist. Alle Welt würde es für vernünftig
halten, wenn Ew. Heiligkeit Mäßigung gebrauchten."

Die Jesuiten versuchten es vergebens, das venezianische Volk zur
Empörung zu verleiten und endlich verließen sie mit einer Menge anderer
Mönche die Stadt. Das Volk schickte ihnen Verwünschungen nach. Der Senat
benahm sich überhaupt gegen die geistlichen Anmaßungen mit großer
Energie; alle Geistlichen gehorchten ihm und kehrten sich nicht an das
Interdikt. Nur der Großvikar des Bischofs von Padua ließ dem Senat auf
sein Verbot des Interdikts antworten, dass er tun werde, was Gott ihm
eingebe; als man ihm aber antwortete, Gott habe dem Senat eingegeben,
einen jeden Ungehorsamen hängen zu lassen, da kroch der Kuttenheld zu
Kreuze.

In diesem Kampf zwischen Venedig und der päpstlichen Gewalt zeichnete
sich der Servite Paul Sarpi, auch Fra Paolo genannt, aus, indem er mit
seiner gewandten Feder die Anmaßungen des Papstes mit großer
Geschicklichkeit bekämpfte. Die Kardinäle Bellarmin und Baronius
strengten vergebens ihren Geist an, um Sarpi zu schlagen, trotzdem sie
die ganze Päpstliche Rüstkammer von Lügen zu Hilfe nahmen.

Um den gefährlichen Feind los zu werden, beschloss man, Sarpi zu
ermorden. Eines Abends (1607) überfielen ihn Banditen und versetzten ihm
fünfzehn Dolchstiche. Als er sie erhielt, rief der Märtyrer der
Wahrheit: "Ich kenne den Griffel der römischen Kurie!"

Sarpi starb indessen nicht an seinen Wunden, und der Anteil, welchen
alle Venezianer an seinem Schicksal nahmen, belohnte den wackeren
Schriftsteller für das, was er gelitten hatte. Da man den "römischen
Kurialstil" kannte, so musste eine Sicherheitswache Sarpi begleiten,
wenn er ausging, und der Arzt, der ihn geheilt hatte, wurde zum St.
Markusritter ernannt.

Urban VII., der 1644 starb, war ein kleiner Tyrann, da es ihm an Macht
fehlte, ein großer zu sein. Die Ketzer aller Art hasste er gründlich und
war eifrig bemüht, überall das Feuer des Fanatismus gegen sie
anzuschüren. Er publizierte die wahnsinnige Bulle, die In coena Domini
beginnt und in welcher alle Spielarten der Ketzer bis in den
allertiefsten Abgrund der Hölle "im Namen des allmächtigen Gottes, des
Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes" verflucht werden. Diese
Bulle wird bis auf den heutigen Tag alljährlich am Gründonnerstag zur
Erbauung der Gläubigen in allen römischen Kirchen öffentlich vorgelesen.

Nebenbei war auch dieser liebenswürdige Papst, was man beim Militär
einen "Gamaschenfuchser" nennt. Er bekümmerte sich um die geringsten
Kleinigkeiten und behandelte sie mit der größten Wichtigkeit. So verbot
er bei strenger Strafe, in der Kirche Tabak zu kauen, zu schnupfen oder
zu rauchen. Aber der spätere Innozenz XII. ging noch weiter, indem er
jeden exkommunizierte, welcher in der Peterskirche schnupfen würde! -

Urban befahl auch, dass sich die Chorherren von St. Anton nicht mehr im
Scherze - kitzeln sollten und dass man am Feste des heiligen Markus
keine - Ochsen mehr in die Kirche lasse. An anderen Festtagen gehen
seitdem desto mehr hinein, denn er ordnete auch an, dass neben den 52
Sonntagen noch 34 Feiertage bei Todsünde gefeiert werden sollten.

Er scharrte 20 Millionen Scudi zusammen, die er aber meistenteils für
seine Familie verwandte, und hinterließ noch eine Schuldenlast von 8
Millionen.

Innozenz X. war ein elender Papst, der sich ganz und gar von Donna
Olympia, der Witwe seines Bruders, seiner Mätresse, leiten ließ. Dieses
unverschämte Weib regierte die christliche Kirche und verhandelt ohne
Scheu Ämter und Pfründen. Um nur Geld zu bekommen, säkularisierte sie
zweitausend Klöster, das heißt, sie hob sie auf und zog deren Güter ein.
Noch in den zehn letzten Tagen vor dem Tode des Papstes soll sie eine
halbe Million Scudi beiseite geschafft haben.

Als sie einst beim Spiel eine sehr bedeutende Summe verlor, sagte sie
lachend: "Ach, es sind ja nur die Sünden der Deutschen." Eine ähnliche
Äußerung erzählte man sich von Alexander VI.

Der Papst protestierte gegen den Westfälischen Frieden, welcher der Welt
nach dreißigjährigem Krieg den Frieden wiedergab, weil durch ihn zehn
Stifte säkularisiert werden sollten. Selbst Österreich war empört über
solche Niederträchtigkeit, und die Bulle, welche der päpstliche Nuntius
an allen österreichischen Kirchen hatte anschlagen lassen, wurde
abgerissen und der Drucker derselben eingesperrt und um 1000 Taler
gestraft.

Selbst Kaiser Ferdinand, so bigott er war, sagte zum Nuntius Melzi: "Der
Papst hat gut reden; im Reich geht es bunt zu, während er sich von
Olympia krabbeln lässt."

Der letzte Papst im siebzehnten Jahrhundert war Innozenz XII., ein Mann,
der im Vergleich zu den anderen Päpsten ziemlich vernünftig genannt zu
werden verdient. Er erlebte die Freude, dass der Fürst, in dessen Land
die Reformation entstanden war, wieder in den Schoß der "allein
seligmachenden" römischen Kirche zurückkehrte, nämlich Friedrich August,
Kurfürst von Sachsen, der diesen Schritt tun musste, wenn er König von
Polen werden wollte und der wie Heinrich VI. von Frankreich dachte,
"dass eine Königskrone schon eine Messe wert sei".

Im Innern dachte Friedrich August gar nicht römisch-katholisch, das
heißt, er war ein in Religionssachen freidenkender Mann. Als Prinz hatte
er in Wien genauen Umgang mit dem nachherigen Kaiser Joseph I. Dieser
klagte, dass ihm in der Burg ein Gespenst erschienen sei, welches ihn
vor Irrlehren gewarnt und gedroht habe, in drei Tagen wiederzukommen,
wenn er sich nicht bessere.

Der sächsische Prinz bat Joseph, in seinem Zimmer schlafen zu dürfen,
denn er hatte große Lust, die nähere Bekanntschaft dieses Gespenstes zu
machen. Es kam auch wirklich wieder, aber Friedrich August packte es so
kräftig, dass das arme Vieh von einem Gespenst in seiner Angst: Jesus,
Maria, Joseph! stöhnte. Der Prinz warf das Gespenst zum Fenster hinaus
und siehe! es war Se. Hochwürden, der Beichtvater!

Von den Päpsten im achtzehnten Jahrhundert ist nicht viel mehr zu sagen,
als dass sie meistens nach der Pfeife der Jesuiten tanzten und es
versuchten, ihre so ziemlich gestürzte öffentliche Macht auf
Schleichwegen wiederzuerlangen, indem sie das Fundament des Staates
durch die Jesuiten, ihre Hofmaulwürfe, unterminieren ließen, welche aber
nur soweit für das Interesse des Papstes arbeiteten, als es mit dem
ihrigen übereinstimmte.

Im Allgemeinen fingen jetzt selbst die Heiligen Väter an, menschlicher
zu werden; das heißt, die viehischen Unflätereien, mit denen sich der
päpstliche Hof bisher beschmutzt hatte, wurden mehr im geheimen
getrieben, da man nunmehr Ursache hatte, öffentlichen Skandal zu
fürchten. In alten Zeiten setzte man sich in Rom über die öffentliche
Meinung hinweg; allein die Reformation hatte gelehrt, dass man dies
nicht ungestraft tun dürfe und dass es selbst den Vizegöttern nicht mehr
gestattet war, wie die Schweine zu leben.

Benedikt XIV. (1740-1758) war der gelehrteste und humoristischste Papst,
der bisher auf dem angeblichen Stuhl Petri gesessen hatte. Er war
natürlich durch seine Stellung dazu gezwungen, die althergebrachten
Anmaßungen der Päpste, besonders solche, die Geld eintrugen, zu
unterstützen und zu verteidigen; allein so viel er konnte, suchte er
doch zu mildern und zu versöhnen.

Ich will nur zwei Anekdoten von ihm erzählen, die ihn als Mensch
ziemlich charakterisieren.

Nachdem er einst dem Herzog von York, also einem Ketzer, alle
Merkwürdigkeiten des Vatikans gezeigt hatte, umarmte er ihn und sagte:
"Um Absolution kümmern Sie sich nicht, aber der Segen eines alten Mannes
wird Ihnen nichts schaden."

Ein alter Seekapitän, namens Mirabeau, stellte sich mit seinen jungen
Offizieren dem Papst vor. Die jungen Herren konnten sich nicht
enthalten, über die Etikette zu lachen. Der Kapitän stammelte einige
Entschuldigungen; aber Benedikt unterbrach ihn: "Seien Sie ruhig, ich
bin zwar Papst, aber ich habe keine Macht, Franzosen am Lachen zu
hindern."

Clemens XIII. (1758-1768) war wieder ein Fanatiker. Er konnte die Zeit
nicht aus dem Sinn bekommen, wo Kaiser vor den Päpsten auf den Knien
herumgerutscht waren und wo sich die Völker ohne Murren das Fell über
die christlichen Ohren ziehen ließen. Alle päpstlichen Anmaßungen,
selbst diejenigen, welche man allgemein als solche verdammt hatte, waren
ihm geheiligte Anstalten zur Erhaltung der Kirche; sie waren ihm
Religion und Sache Gottes.

Er erwartete alles Heil von den Jesuiten und sammelte diese um seinen
Thron. Dies gab Pasquino genug Veranlassung zum Spott. Einst äußerte
sich dieser steinerne römische Kladderadatsch: "Ich hatte einen Weinberg
gepflanzt und wartete, dass er Trauben brächte, und er brachte
Herlinge." Clemens setzte einen Preis auf die Entdeckung des Spötters;
am anderen Morgen antwortete Pasquino: "Es ist der Prophet Jeremias!"

Der Papst erlebte indessen den Jammer, dass das fromme Portugal, ja auch
Frankreich, die Jesuiten zu ihrem Vater, dem Teufel, jagten und
Letzteres sie "für Feinde aller weltlichen Macht, aller Souveräne und
der öffentlichen Ruhe" erklärte.

Clemens nahm indessen nicht Vernunft an; er bestätigte die Jesuiten aufs
neue; hatte aber kein Glück damit. Seine deshalb erlassene Bulle wurde
in Frankreich durch Henkershand verbrannt und ihre Bekanntmachung in
Portugal bei Lebensstrafe verboten. Das bigotte Spanien entschloss sich
sogar zu einem kräftigen Schritt. Alle Jesuiten in diesem Land wurden an
einem schönen Frühlingsmorgen aufgepackt und - nach dem Kirchenstaat
geschickt. Kurz, von allen Seiten wurde Jagd auf dieses gefährliche
Ungeziefer gemacht. Der von ihm nun halb aufgefressene Papst - er sollte
all die schwarzen Blutsauger ernähren! - trieb es so weit, dass
Frankreich große Lust bekam, den Starrkopf zu Rom selbst beim Kragen zu
nehmen; aber der Tod rettete ihn vor diesem Schicksal.

Sein Nachfolger Clemens XIV. musste endlich der allgemeinen Stimme Gehör
schenken. Am 21. Juli 1773 wurde der Orden der Jesuiten aufgehoben.
Dieser Akt verursachte in ganz Europa den ungeheuersten Jubel. Als
Clemens die Aufhebungsbulle unterzeichnete, sagte er: "Diese Aufhebung
wird mich das Leben kosten." Er kannte seine Leute. Clemens starb an
Jesuitengift. Ein Großer in Wien fragte ganz naiv einen Ex-Jesuiten:
"Clemens ist tot, nicht wahr, Ihr habt ihm vergeben?" - "Ja, wie wir
allen Schuldigen vergeben!" antwortete mit der sanftesten Miene der
würdige Schüler Loyolas.

Clemens XIV. war unter 200 Päpsten der beste. Er saß von 1768 bis 1774
auf dem "Stuhl Petri", und wenn es denn doch einmal Päpste geben muss,
so wollte ich, er säße noch heute darauf. Mit Vergnügen liest man die
Lebensgeschichte dieses Mannes, und ich bedaure nur, dass ich nicht
länger bei derselben verweilen kann.

Sein eigentlicher Name war Ganganelli. Er stieg durch seine Talente
allmählich zu den höchsten Kirchenwürden und als er, ohne dass er es
suchte, Papst wurde, blieb er ebenso einfach, wie er als Mönch gewesen
war. Seine Mittagsmahlzeit war ganz bürgerlich einfach, und als die
Hofköche über diese Einfachheit jammerten, sagte er: "Behaltet euer
Gehalt, aber verlangt nicht, dass ich über eure Kunst meine Gesundheit
verliere."

Alle anderen Päpste waren darauf bedacht, ihre Nepoten - d.h. Vettern -
zu bereichern; er aber sorgte väterlich für das Wohl seiner Untertanen.
Als man ihn fragte, "ob man seiner Familie nicht durch einen Kurier von
seiner Erhebung Nachricht geben solle?", erwiderte er: "Meine Familie
sind die Armen, und diese pflegen die Neuigkeiten nicht durch Kuriere zu
erhalten."

Ganganelli war ein vortrefflicher Mensch in jeder Beziehung und machte
eine der wenigen Ausnahmen von dem alten Erfahrungssatz, "dass sich
jeder ganz und gar ändere, sobald er Papst werde". Von seiner
päpstlichen Gewalt machte er, wo er konnte, den wohltätigsten Gebrauch,
und seine Menschenfreundlichkeit und Mildtätigkeit waren unbegrenzt.

Zwei Soldaten wurden zum Tode verurteilt und endlich einer von ihnen
begnadigt. Sie sollten nun um ihr Leben würfeln, aber der Papst duldete
dies nicht, sondern begnadigte beide, indem er sagte: "Ich habe ja
selbst die Hasardspiele verboten." - Ein englischer Lord war von dem
Papst so entzückt, dass er ausrief: "Dürfte der Papst heiraten, ich gäbe
ihm meine Tochter."

Nachdem Clemens die Sache der Jesuiten drei Jahre lang selbst auf das
sorgfältigste geprüft hatte, unterschrieb er die berühmte Bulle: Dominus
ac redemptor - die Bullen werden stets nach den Anfangsworten bezeichnet
-, wodurch die Jesuiten aufgehoben wurden und damit, wie er wohl wusste,
sein Todesurteil. - Schon in der Karwoche 1774 wirkte das Jesuitengift
in den Eingeweiden des trefflichen Mannes. Alle Gegenmittel waren
wirkungslos; er starb am 22. September. Der Körper war durch das Gift so
zerstört worden, dass selbst das Einbalsamieren nichts half. Die Haare
fielen aus, und selbst die Haut löste sich vom Kopf, so dass schließlich
bei der Ausstellung der Leiche das Gesicht mit einer Maske bedeckt
werden musste. -

Schließlich muss ich von diesem Papst noch bemerken, dass er es für
unschicklich hielt, die Ketzer an jedem Gründonnerstag zu verfluchen,
und dass er daher die früher erwähnte berüchtigte Bulle In coena Domini
aufhob. Er schützte alle Männer von Verdienst, mochten sie nun
Katholiken oder Protestanten sein. Die Inquisition war ihm ein Gräuel,
und schon ehe er Papst war, befreite er manche aus ihren Krallen.

Der dankbare Kammerpächter des Papstes, Giorgi, setzte ihm ein von dem
berühmten Bildhauer Canova verfertigtes Denkmal; aber ein weit schöneres
und unvergänglicheres errichtete Clemens XIV. sich selbst in der
Geschichte.

Nach langem, heftigem Kampf im Konklave setzten es die Jesuiten durch,
dass abermals einer ihrer Freunde, namens Braschi, als Pius VI. Papst
wurde (1775-1799). Er war unwissend, listig, intolerant, stolz,
hochmütig, ausschweifend, starrsinnig, habsüchtig, herrschsüchtig,
jähzornig, diebisch, selbstgefällig und eitel. - Eine schöne Galerie von
schlechten Eigenschaften; aber dafür ist die Reihe der guten desto
kürzer, so dass es sich kaum der Mühe lohnt, sie zu nennen. Er war ein
guter Komödiant und ein hübscher alter Mann; das sind alle seine
Verdienste.

Ein solcher Mensch war allerdings nicht geeignet, das wankende Papsttum
aufrechtzuerhalten. Ein Stückchen nach dem anderen bröckelte davon los,
und eine tüchtige Bresche in demselben verursachte ihm das Werk eines
Deutschen, des Weihbischofs von Trier, J. R. von Hontheim. Es handelte
"über den Zustand der Kirche und von der rechtmäßigen Gewalt des
Papstes", und in ihm war bewiesen, dass der Zustand der Kirche
erbärmlich und die Gewalt der Päpste usurpiert sei.

Dieses vortreffliche Buch, das Resultat eines dreiundzwanzigjährigen
Fleißes, wurde in verschiedene Sprachen übersetzt, tat dem Papsttum
unendlichen Schaden und rief eine Menge ähnlicher Schriften hervor. Der
achtzigjährige Hontheim wurde indessen durch allerlei Quälereien dahin
gebracht, zu widerrufen; er tat es, um in seinem hohen Alter Ruhe zu
haben; allein die in seinem Buche enthaltenen Beweise konnten dadurch
ihre Bedeutung nicht verlieren; widerlegt hat sie niemand.

Kaiser Joseph II. machte mit dem Papst und den Pfaffen wenig Umstände.
Er hob sehr viele Klöster auf und hielt es für besser, das Geld seines
Volkes im Land zu behalten, als es nach Rom zu senden. Die Wechsel aus
Wien blieben aus und da Pius VI. dieselben nicht entbehren konnte, so
entschloss er sich, dorthin zu reisen, um womöglich die Verstopfung zu
heben. Der Kaiser ließ ihm zwar sagen, "er werde nächstens selbst nach
Rom kommen, um sich von Sr. Heiligkeit Rat zu erbitten," - allein Pius
wollte den Wink nicht verstehen.

Die Wiener gerieten ganz außer sich über die Anwesenheit des Papstes in
ihrer Stadt. Seit dem Konstanzer Konzil war kein Papst in Deutschland
gewesen, und nun kam gar einer nach Wien! Und dazu einer, der es
verstand, prächtig Komödie zu spielen. Die Damen waren rein närrisch vor
Vergnügen und alles drängte sich herzu, um den im Vorzimmer
ausgestellten Pantoffel Sr. Heiligkeit zu küssen.

Kaiser Joseph zuckte die Achseln zu dem Enthusiasmus seiner Wiener,
erwies dem Papst alle Ehre, allein machte dessen Reisezweck vollständig
zunichte. Als Pius nämlich auf die Hauptsache kommen wollte, bat Joseph,
alles schriftlich zu machen, er verstehe nichts von Theologie und
verwies ihn an den Staatskanzler Kaunitz.

Der Papst erwartete nun wenigstens den Besuch dieses Ministers; allein
er wartete vergebens und der Heilige Vater musste sich entschließen,
selbst zu ihm zu gehen, unter dem Vorwand, seine Gemälde zu besehen.
Pius reichte dem Kanzler die Hand zum Kuss, aber dieser begnügte sich
damit, sie recht herzlich zu schütteln, und der Heilige Vater war ganz
verblüfft. Er wurde es noch mehr, als ihn Kaunitz ohne Umstände vor
seinen schönsten Gemälden hin und her schob, damit er den richtigen
Standpunkt finde. Dies wollte aber Pius in Wien nicht gelingen, und die
Million Scudi, welche die Reise kostete, war weggeworfen.

Der Kaiser schenkte dem Papst einen schönen Wiener Reisewagen -
wahrscheinlich auch ein diplomatischer Wink! - und ein Diamantkreuz,
200.000 Gulden in Wert, als Pflaster auf die Wunde, die dem päpstlichen
Ansehen geschlagen war.

Auf der Rückreise passierte Pius München und vergaß hier die erlittenen
Demütigungen. Er nannte diese Stadt das deutsche Rom, ein Name, um den
es andere deutsche Städte nicht beneiden.

"Ich hoffe mein Volk noch zu überzeugen, dass es katholisch bleiben
kann, ohne römisch zu sein", sagte der beste deutsche Kaiser einst zu
Azara. Armer Kaiser! Es ging ihm wie seinem Vorgänger Friedrich II. von
Hohenstaufen; das dumme Volk ließ ihn im Stich.

Pius erlebte aber nicht nur einen abtrünnigen Kaiser von Österreich, er
erlebte sogar die große Revolution, welche mit den Pfaffen den Kehraus
tanzte. 1798 rückte Berthier in Rom ein, und die neurömischen
Republikaner sangen:

    Non abbiamo Pazienza,
    non vogliamo Erninenza,
    non vogliamo Santita,
    ma - Egualianza e Liberta.

(Wir haben keine Geduld, wir wollen keine Eminenz, keine Heiligkeit,
sondern Freiheit und Gleichheit.)

Man hatte gehofft, der nun schon sehr alte Heilige Vater werde vor
Alteration gen Himmel fahren; als er aber dazu noch keine Anstalten
machte, sannen die Republikaner darauf, ihn wenigstens aus Rom
fortzuschaffen. Der General Ceroni ging zu ihm und sagte: "Oberpriester!
die Regierung hat ein Ende; das Volk hat die Souveränität selbst
übernommen."

Darauf nahm man dem Papst seine Kostbarkeiten und selbst seinen Ring ab
und verlangte, dass er die dreifarbige Kokarde aufstecken sollte. Der
alte Pius weigerte sich jedoch und sagte: "Meine Uniform ist die Uniform
der Kirche." Da nun nichts mit dem alten Manne anzufangen war, so packte
man ihn in einen Wagen, brachte ihn unter sicherer Eskorte nach Siena
und endlich nach Florenz in die dortige Karthause.

Die frommen Katholiken unterstützten ihn reichlich, und der gedemütigte
alte Mann würde hier gern sein Leben beschlossen haben; allein so gut
wurde es ihm nicht. Nachdem ihm sein Nepote noch den Schmerz bereitet
hatte, mit dem Rest seiner Reichtümer durchzugehen, zwangen ihn die
Republikaner, bei der Annäherung des Feindes nach Frankreich zu reisen.

Pius war krank und zeigte den Ärzten seine geschwollenen Füße und Beulen
mit den Worten des Pilatus: Ecce homo! Aber das, was das Volk so lange
von Päpsten und Fürsten erdulden musste, hatte die Herzen der
Republikaner für die Leiden eines alten Papstes unempfindlich gemacht.
Sie hatten die Bedrückung von Jahrhunderten und das Blut von Millionen
zu rächen, welches die Päpste "für den Glauben" vergossen hatten. Pius
musste fort über die Alpen durch Eis und Schnee, meistenteils bei Nacht,
um Aufläufe der Katholiken zu verhindern, bis er nach Valence an der
Rhone kam.

Wir Deutsche sind weichmütige Narren, und die Leiden eines alten,
kranken, gedemütigten, wenn selbst bösartigen Feindes gehen uns ans
Herz. Mir geht es ebenso, und damit ich nicht sentimental werde, rufe
ich mir den deutschen Kaiser Heinrich IV. ins Gedächtnis, wie er,
körperlich und geistig krank, zu Fuß im strengsten Winter durch Schnee
und Eis die Alpen übersteigt, um im Schlosshof zu Canossa barfuß und
fast nackt sich vor einem Papst zu demütigen; ich sehe die Opfer der
Inquisition sich am Marterpfahl winden - und freue mich nur, dass die
Rachsucht der Republikaner nicht zufällig einen guten Papst, sondern
einen lasterhaften traf.

Pius benahm sich indessen in seinen Leiden wie ein Mann, und es wäre
eine Ungerechtigkeit, das nicht anzuerkennen. Man wollte ihn von Valence
abermals weiter nach Dijon bringen, als er am 29. August 1799 starb. Er
hinterließ nichts als seine kleine Garderobe, 50 Livres an Wert, welche
der Maire für Nationaleigentum erklärte. - Die Revolutionen tun oft
einzelnen weh; aber noch häufiger tun sie der Gesamtheit der Menschen
gut. - Wo wären wir ohne 1848?

Pius hatte versucht, sich durch viele geschmacklose Bauwerke zu
verewigen, auf welche er stets seinen Namen und sein Wappen setzen ließ,
und unternahm es auch, die berüchtigten Pontinischen Sümpfe
auszutrocknen, obwohl ohne Erfolg. Er verlor dadurch ungeheure Summen
und erwarb damit nichts als den Spottnamen Il Seccatore, welches der
Austrockner heißt, aber zugleich auch einen überlästigen Menschen
bedeutet.

Bei Pius' Tode hatte Pasquino viel zu tun. Er antwortete auf die Frage:
"Wie fand man den Leichnam des Heiligen Vaters?" - "Im Kopf waren seine
Nepoten, im Magen Josephs Kirchenordnung und in den Füßen die
Pontinischen Sümpfe."

Wer hätte es jemals gedacht, dass Frankreich, welches vor tausend Jahren
die Macht des Papstes schuf, einst den Vizegott auf Pension setzen
würde. Aber die Zeit der Wunder war wiedergekehrt, nur dass der
Wundertäter kein gläubiger Heiliger, sondern Napoleon I. war.

Der große Bonaparte verriet die Freiheit und war klein genug, Kaiser
werden zu wollen, und das konnte er nur, wenn er die Dummheit der
Menschen förderte, und dazu brauchte er wieder einen Papst; denn Pfaffen
und Despotie gehören zusammen wie Stiel und Hammer.

Der neue Papst Pius VII. salbte Napoleon. Pasquino konnte sein Maul
nicht halten; er antwortete auf die Frage: "Warum ist das Öl so teuer?"
- "Weil soviel Könige gesalbt und so viele Republiken gebacken sind."

Mit Zittern und Zagen ging Pius nach Frankreich; aber die wilden Löwen
der Republik waren bereits wieder sanfte Schafe der Kirche geworden und
der Papst äußerte selbst: "Ich rechne darauf, als ehrlicher Mann
empfangen zu werden, aber nicht als Papst."

Die Pariser waren indessen - durch das Revolutionssieb filtrierte
Pariser. Der Krönungszug war für sie kein heiliges Schauspiel, sondern
eine Farce, und als Pius VII. seinen Segen erteilte, riefen die Gamins:
bis! bis!

Der Esel, auf welchem der Kreuzträger vor dem päpstlichen Wagen herritt,
erregte ihre ganz besondere Heiterkeit: "Ach, seht da die päpstliche
Kavallerie! Ach, der apostolische Esel: der heilige Esel, der Esel der
Jungfrau!" und schallendes Gelächter erschallte vor Notre Dame.

Der Kaiser ließ den Papst eine Stunde in der Kirche warten und setzte
sich dann mit seiner Gemahlin selbst die Krone auf. Pius VII. spielte
eine untergeordnete Figurantenrolle.

Zorn im Herzen, kehrte der Heilige Vater nach Rom zurück. Der Spott der
Pariser hatte ihn vielleicht etwas verrückt gemacht. Er wurde im
Kalender irre und meinte wahrscheinlich acht Jahrhunderte früher zu
leben, denn er dachte ernsthaft daran, alle Fürsten und alle Kirchen
wieder von sich abhängig zu machen. Er hatte das Papstfieber.

Napoleon hatte indessen erreicht, was er wollte, und schonte den toll
gewordenen Papst nicht länger. Am 2. Februar 1808 rückte General Miollis
in Rom ein. Pius trat ihm entgegen und fragte: "Sind sie Katholik?" -
"Ja, Heiliger Vater", stammelte der General ganz verlegen. Pius gab ihm
schweigend den Segen und ging in sein Kabinett.

Lachen wir auch über die Anmaßungen des Papstes, so müssen wir doch
gestehen, dass er seine Rolle dem allmächtigen Kaiser gegenüber gut
spielte. Das römische Volk war durch die harte Behandlung, die man den
Kardinälen und selbst dem Papst zuteil werden ließ, gegen die Franzosen
so erbittert, dass es diesem nicht schwer gewesen wäre, ein Seitenstück
zur Sizilianischen Vesper hervorzurufen. Dass er dazu Lust hatte, lässt
sich vermuten; allein, die Sache war doch zu gewagt, und Pius beschloss,
gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Napoleon wollte ihn jedoch in Frankreich unter seiner speziellen
Aufsicht haben. Eines Nachts drangen Soldaten in den Vatikan, und der
Heilige Vater wurde in einem Lehnstuhl durch das Fenster hinabgelassen
und nach Frankreich gebracht. Hier lebte der Vizegott nicht "wie der
liebe Gott in Frankreich", sondern zurückgezogen und einfach und
begnügte sich damit, gegen die ihm angetane Gewalt zu protestieren. Er
gab dem Kaiser nicht einen Zoll breit nach, und das war männlich. In
einer Privatunterhaltung, die zufällig belauscht wurde, nannte er
Napoleon verächtlicherweise "Komödiant!", was den Kaiser so wütend
machte, dass er, um seinem Zorn Luft zu machen, ein kostbares
Porzellangefäß auf dem Boden zertrümmerte.

Als Napoleon nach Elba verbannt wurde, zog Pius VII. (im Mai 1814) nach
Rom und gebärdete sich als echter Papst. Er hatte es erfahren, dass die
Macht aus den geistlichen Händen wieder in die weltlichen übergegangen
war. Mit Gewalt war sie nicht wiederzuerlangen, dazu fühlte er sich zu
unmächtig, aber es gab andere Wege, heimliche, verborgene, und die
Menschen waren noch immer dumm.

Sein erstes Werk war es, die Jesuiten wiederherzustellen (7. August
1814). Die Erweckung der anderen Mönchsorden folgte nach, wie auch die
der Bulle In coena Domini, die alle Ketzer verflucht. Ja, die
Inquisition, selbst die Folter, trat wieder ins Leben und wurde gegen
mehrere unglückliche Carbonari angewandt. All der Unsinn der früheren
Jahrhunderte kam wieder zutage. Pius öffnete die seit Jahren
geschlossene Rumpelkammer des päpstlichen Zeughauses, und heraus
flatterten mittelalterliche Eulen und Fledermäuse. - Prozessionen,
Wallfahrten, Heiligenbilder und wie der Gaukelapparat heißen mag, kamen
aufs neue zur Geltung; das neue Licht sollte mit Gewalt ausgelöscht
werden. -

Pius VII. fiel auf dem Marmorboden seines Zimmers, brach einen Schenkel
und starb am 20. August 1823 in einem Alter von 81 Jahren.

Sein Andenken muss jedem Freunde fast noch verhasster sein als
irgendeines anderen Papstes aus der Zeit des früheren Mittelalters, weil
Pius im neunzehnten Jahrhundert lebte und aus Herrschsucht und Habgier
das römische Ungeziefer über die Erde losließ, unbekümmert über das
Unglück, welches dadurch angerichtet wurde; gleich jenem Jungen, von dem
die Zeitungen berichteten, der Scheunen in Brand steckte, - um dadurch
zu den Nägeln zu gelangen, wovon er den Erlös vernaschte.

Leo XII., der nun folgte, war ein munterer Lebemann, von dem manche
deutsche Dame zu erzählen wusste. Dabei war er Jagdliebhaber, kurz, ein
ganz flotter Bursche. Pasquino meinte: "Wenn der Papst ein Jäger ist, so
sind die Kardinäle die Hunde, die Provinzen die Forste und die
Untertanen das Wild." - Ach, guter Pasquino, Wild waren die Untertanen
immer und das wird sich nur ändern, wenn sie ernstlich wild werden!

Als Leo Papst wurde - wurde er eben wieder ein Papst! Er verkündete 1825
ein Jubiläum und lud die Gläubigen ein, "die Milch des Glaubens aus den
Brüsten der römischen Kirche unmittelbar zu saugen". Bon appetit!

Dieser Leo war ein solcher - Papst, dass er die Kuhpockenimpfung als
gottlos verbot, weil der Eiter eines Tieres mit dem Blut eines Menschen
vermischt werde! - Unter früheren Päpsten wurde für Geld selbst
Sodomiterei mit den Tieren erlaubt, und doch machen die Päpste Anspruch
auf Unfehlbarkeit.

Leo trat ganz in die Fußstapfen seines Vorgängers, und die Kirche, von
den Regierungen, besonders aber von der österreichischen, mit
despotischer Liebe unterstützt, erholte sich immer mehr von dem Schlag,
den ihr die Revolution versetzt hatte. Im Jahr 1827 bestand der
päpstliche Generalstab aus 55 Kardinälen, 10 Nuntien, 118 Erzbischöfen
und 642 Bischöfen. Die Armee der Weltgeistlichen, Mönche und Jesuiten
vermag ich nicht zu taxieren.

Leo starb 1829, und ihm folgte Pius VIII., der bereits am 30. November
1830 ebenfalls starb, nachdem er den Obskurantismus nach besten Kräften
befördert hatte. Wer daran zweifelt, der lese sein Generaledikt des
heiligen Officiums vom 14. Mai 1829, worin in Gemäßheit eines heiligen
Gehorsams und unter Strafe der Ausschließung und des Verbanntseins außer
den anderen Strafen, welche schon durch die heiligen Kanone, Dekrete,
Konstitutionen und Bullen der Päpste ausgesprochen werden, allen und
jeden, die der Gerichtsbarkeit des Generalinquisitors untergeben sind,
geboten wird: "binnen Monatsfrist alles, was sie wissen und erfahren
werden, gerichtlich anzugeben, in Betreff alles oder eines jeden von
denen, welche Ketzer oder der Ketzerei verdächtig und von ihr angesteckt
oder ihre Gönner und Anhänger sind - die vom katholischen Glauben
abgefallen sind - welche sich den Beschlüssen der heiligen Inquisition
widersetzt haben oder sich widersetzen, die entweder in eigener Person
oder durch andere, auf welche Art es auch geschehen mag, einen Diener,
Ankläger, einen Zeugen bei dem heiligen Gerichte in ihrer Person, ihrer
Ehre und ihren Vorrechten beleidigt haben oder beleidigen, zu beleidigen
gedroht haben oder zu beleidigen drohen - welche in eigener Wohnung oder
bei andren Bücher von ketzerischen Verfassern, Schriften, die Ketzereien
enthalten oder religiöse Gegenstände ohne Bevollmächtigung des Heiligen
Stuhles behandeln, ehedem besessen haben oder jetzt besitzen" etc. etc.

Am 2. Februar 1831 bestieg der Kardinal Mauro Capellari unter dem Namen
Gregor XVI. den Päpstlichen Stuhl. Er hieß eigentlich Bartolommeo
Alberti Capellari und wurde 1765 in Belluno im Venitianischen geboren.
Im Jahr 1783 trat er unter dem Namen Mauro in den Kamaldulenserorden,
und nachdem er 1801 Abt, 1823 General seines Ordens geworden war, machte
man ihn 1826 zum Kardinal.

Die Unzufriedenheit im Kirchenstaate war groß, und bald nach seiner
Besteigung des Päpstlichen Stuhles brachen Aufstände aus, welche jedoch
mit Hilfe österreichischer und französischer Truppen unterdrückt wurden.
Anstatt, wie er verheißen, das Los seiner unglücklichen Untertanen zu
erleichtern, zog er auf den Rat einiger Kardinäle die Zügel der
Regierung noch schärfer an, und jede freie Äußerung wurde im
Kirchenstaat noch härter bestraft als zu jener Zeit selbst in Österreich
oder Preußen.

Schon unter Pius VIII. war Gregor XVI. zu politischen Unterhandlungen
gebraucht worden, und namentlich leitete er diejenigen, welche mit
Preußen wegen der gemischten Ehen gepflogen wurden. Als Papst geriet er
mit allen Regierungen in Streit, denn er trachtete danach, seine
geistliche Gewalt in ihrer alten Herrlichkeit wiederherzustellen. Alle
Anmaßungen der Päpste und der Hierarchie wurden von ihm mit Starrsinn
aufrechterhalten, alles, was dem entgegenstand, bekämpft und Anstalten
und Einrichtungen begünstigt, welche seit Jahrhunderten zur
Unterstützung dieses Strebens gedient hatten. Die Wissenschaften wurden
unterdrückt, die Jesuiten begünstigt und Klöster errichtet oder neu
aufgeführt.

Mit Spanien und Portugal kam er in Streit, ebenso mit Preußen wegen der
Erzbischöfe Droste von Vischering und Dunin; mit Russland gleichfalls
und auch mit der Schweiz wegen Aufhebung der Klöster im Aargau.

Er starb am 1. Juni 1846, und die Welt freute sich, einen Mann los zu
sein, dessen ganzes Trachten es gewesen war, die Weltuhr
zurückzustellen, während es überall gärte und das Volk zum Fortschritt
drängte.

Zu seinem Nachfolger wurde Pius IX. erwählt, der jetzt noch auf dem
sogenannten Stuhl Petri sitzt und von dem man hofft, dass er der letzte
eigentliche Papst gewesen sein wird. Sein Name war Giovanni Maria Graf
Mastai-Ferretti. Er wurde am 13. Mai 1792 in Sinigaglia geboren. Er war
ein von den Damen sehr wohlgelittener junger Mann geworden, als er 1815
in die päpstliche Garde treten wollte; allein leider konnte er nicht
angenommen werden, da er an der fallenden Sucht oder Epilepsie litt. Er
beschloss daher, die geistliche Laufbahn einzuschlagen, und fing an, die
unnütze Wissenschaft zu studieren, welche man Theologie nennt, die aber
den relativen Nutzen hat, dass sie zu hohen Ehren und Stellen führen
kann.

Ein römisch-katholischer Priester darf aber an keinem körperlichen
Gebrechen leiden, und die Kirche hat sehr triftige Gründe dafür; der
junge Graf Ferretti würde daher mit seinen epileptischen Anfällen
gleichfalls von ihr zurückgewiesen worden sein, wenn sich nicht der
Himmel mit einem Wunder hineingemischt hätte. Ein Geistlicher in Loreto,
namens Strambi, heilte ihn von dem grässlichen Übel durch Magnetismus,
das heißt durch Handauflegen, - eine Kraft, welche übrigens auch viele
Ketzer haben und ausüben.

Da nun nichts seiner Weihe als Priester im Wege stand, so wurde er in
Rom als Priester ordiniert und 1823 mit der Mission nach Chile in
Südamerika geschickt. Von dort kehrte er nach zwei Jahren zurück, wurde
1827 Erzbischof von Spoleto, 1833 Bischof von Imola und 1840 Kardinal.
Am 16.Juni 1846 wurde er zum Papst gewählt und als Pius IX. am 21. Juni
gekrönt.

Selten trat ein Papst seine Regierung unter so günstigen Umständen an,
denn die Härte seines Vorgängers ließ jede versöhnliche Maßregel, jede
Verbesserung als doppelt wertvoll erscheinen. Da Pius IX. ein milder und
für einen Papst freisinniger Mann war, so trugen ihm die Italiener eine
an Enthusiasmus grenzende Liebe entgegen. Man erwartete indessen mehr
von ihm, als er in seiner Stellung als Papst leisten konnte und wollte,
und die von der revolutionären Partei ihm zugemuteten Schritte
überschritten diese Grenze.

Das Jahr 1848 brach an; auch der Papst musste dem Sturm folgen und die
Verfassung vom März 1848 bewilligen, obwohl mit Widerstreben. Das
konstitutionelle Regieren war aber einem Papst ein ungewohntes Ding, und
um den heraufbeschworenen Geist in seine Schranken zu bannen, wurde von
ihm Graf Pelegrino de Rossi zum Minister ernannt, welcher das Volk durch
strenge Maßregeln in Furcht halten wollte. Das ging nicht im Jahr 1848,
und die Folge waren Aufstände in Rom und die Ermordung des missliebigen
Ministers. Die Aufregung stieg, und das von dem Volksverein dirigierte
Volk zog vor den Quirinal, seine Wünsche darzulegen. Der Papst wollte
"sich nicht imponieren lassen", allein als man das kanonische Recht -
das heißt wirklich metallische Kanonen - gegen ihn anwandte, hatte er
nachzugeben und ein demokratisches Ministerium zu ernennen, an dessen
Spitze Graf Mamiani della Rovere stand. Da sich Pius aber aller Macht
beraubt sah, so hielt er es für zweckmäßig, am 24. November 1848 unter
dem Schutze des bayerischen Gesandten Graf Spaur und in einer
Verkleidung als Abbate aus Rom zu fliehen und sich in Gaeta unter den
Schutz des Königs von Neapel zu stellen. Die Folge davon war, dass Rom
zur Republik erklärt wurde.

Eine politische Geschichte Roms liegt außer dem Bereich dieser Schrift,
die weniger mit dem Fürsten des Kirchenstaates als mit dem Oberhaupt der
römisch-katholischen Christenheit zu tun hat. Dass dieser zugleich
weltlicher Fürst und als solcher in politische Händel verwickelt ist,
ist ein Umstand, welcher selbst von vielen Katholiken beklagt wird, da
er dem Oberhaupt der Kirche die Würde raubt. Wie derselbe in seiner
Eigenschaft als Fürst durch französische Bajonette noch immer künstlich
erhalten wird, ist bekannt wie auch die ziemlich gewisse Hoffnung, dass
mit dem Aufhören dieses Schutzes der Papst von seinen weltlichen
Regierungssorgen erlöst werden wird.

So bewegt und trübe die Laufbahn des Papstes Pius IX. als Fürst war, so
waren doch seine Erfolge als Oberhaupt der Kirche für ihn sehr günstig.
Er trat genau in die Fußstapfen seines Vorgängers, allein er tat es in
weniger schroffer Weise als dieser. Es gelang ihm, mit fast allen
Mächten Konkordate abzuschließen, durch welche die Macht und das Ansehen
der römischen Kirche wiederhergestellt wurden. Besonders erfolgreich war
er in dieser Beziehung in Frankreich und Österreich, wo die Kirche ihren
ganzen verderblichen Einfluss auf die Schulen wiedergewann.

Die Fürsten, durch das Jahr 1848 erschreckt, hielten es für notwendig,
den verdummenden und knechtenden Einfluss der Kirche auf das Volk wieder
zur Unterstützung ihrer eigenen despotischen Gelüste zu Hilfe zu rufen,
während andererseits die römische Kirche, besonders in Deutschland,
danach strebte, sich von dem Einfluss der weltlichen Regierungen
möglichst frei zu machen. Zu dem letzteren Zweck wurden die Piusvereine
gestiftet, deren erster 1848 im April in Mainz gegründet wurde und deren
Zahl bald so sehr wuchs, dass bereits im Oktober desselben Jahres eine
Generalversammlung von 83 solcher Vereine beschickt wurde. Von diesen
Vereinen gingen nun unter verschiedenen Namen wieder andere Vereine
hervor, die sämtlich für die Wiederherstellung der römischen
Herrlichkeit in der umfassendsten und praktischsten Weise wirkten.

Der ausgesprochene Zweck dieser Vereine ist es, mit allen gesetzlichen
Mitteln zu wirken für die Freiheit des römischen Glaubens und Kultus,
für das göttliche Recht der Kirche zu lehren und zu erziehen; für
unbeschränkten Verkehr zwischen Bischöfen und Gemeinden und zwischen
beiden und dem Papst; für Heilung der Notstände und für freie Verwaltung
und Verwendung des Kirchenvermögens. In politischer Beziehung wollten
die Vereine nur zur Unterstützung der obrigkeitlichen Gewalt und zur
Förderung der staatlichen Zwecke indirekt beitragen; allein sie
beschränkten sich keineswegs darauf, sondern griffen, wo immer möglich,
direkt in die Politik ein.

Pius IX. ist weit entfernt, das Unzeitgemäße der Lehren der römisch-
katholischen Kirche zuzugeben, sondern im Gegenteil eifrig bemüht, den
Glauben an alle im Mittelalter zur Geltung gebrachten Dogmen wieder zu
erwecken, und die Welt erlebte von ihm die wunderbare Tatsache, dass er
die wahnsinnige Lehre von der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria
am 8. Dezember 1854 in der Peterskirche durch feierlichen Akt zum Dogma
erhob.

Während die Tätigkeit der römischen Kirche in Deutschland solche Erfolge
errang, verlor sie immer mehr und mehr in Rom und in ganz Italien und
besonders in Sardinien und im jetzigen Königreich Italien, dessen
konstitutionelle Regierung den Anmaßungen der Kirche entschieden
entgegentrat.

Den härtesten Schlag erhielt jedoch die römische Kirche, oder vielmehr
die päpstliche Gewalt, durch den im Jahr 1866 stattgehabten Umschwung
der Dinge. Die von dem österreichischen Reichstag ausgesprochene
teilweise Aufhebung des Konkordats beraubte sie der Leitung des
Schulwesens und der Kontrolle über die Ehe und damit zweier der
mächtigsten Hebel ihrer Macht.

Die große Tätigkeit, welche die römische Kirche durch ihre Vereine und
andere ihr zu Gebot stehenden Mittel entwickelt, und das immer dreistere
Auftreten derselben machten nicht nur manche Regierungen stutzig,
sondern veranlassten auch die Männer der Wissenschaft und selbst
diejenigen, welche sich nie um Religion kümmerten, sich gegen die
verfinsternden und die Entwicklung des freien Volksfortschritts
hemmenden Bestrebungen der Kirche mit aller Kraft zu erheben. Was immer
auch Papst Pius IX. von dem in diesem Jahr von ihm zusammenberufenen
Konzil für sanguinische Hoffnungen hegen mag, wer die Lage der Dinge mit
vorurteilsfreiem Auge betrachtet, sieht mit sonnenheller Klarheit, dass
ein für das Mittelalter berechnetes Institut im Jahr 1869 nicht wieder
aufblühen kann. Der Genius der Freiheit wird die Finsterlinge in den
Staub treten.




Sodom und Gomorrha


                "Es ist kein feyner Leben auf erden,
                denn gewisse zinß haben von seinem Lehen,
                eyn Hürlein daneben und unserem Herre Gott
                gedienet."


Die Reformation wurde recht eigentlich durch das Schandleben der
römisch-katholischen Geistlichen hervorgerufen, denn der Ablassunfug war
nur die nächste Veranlassung. Es lohnt sich daher schon der Mühe, einen
Blick in diese geistliche Kloake zu tun und zu prüfen, woher es kommt,
dass gerade diejenigen, welche durch ihre Stellung vorzugsweise dazu
berufen waren, den Menschen als Muster der Sitte voranzugehen, sich
durch die zügellosesten sinnlichen Ausschweifungen so sehr befleckten,
dass sie dadurch den allgemeinen Abscheu gegen sich hervorriefen.

Die schaffende und erhaltende Kraft oder Macht, die wir Gott nennen, hat
allen lebenden Geschöpfen den Geschlechtstrieb gegeben. Sie machte ihn
zu dem mächtigsten Trieb, weil sie damit die Fortpflanzung verband,
worauf sie bei allen organischen Geschöpfen besonders vorsorglich
bedacht war; ja, sie stellte es nicht in den freien Willen, dem
Geschlechtstriebe zu folgen, sondern zwang dazu, ihm zu folgen, indem
sie die unnatürliche Unterdrückung desselben empfindlich strafte. Der
gewaltsam unterdrückte Geschlechtstrieb macht Tiere toll und Menschen zu
Narren, wie wir an einigen Beispielen im Kapitel von den Heiligen
gesehen haben.

Die Befriedigung des Geschlechtstriebes ist also eine Naturpflicht und
an und für sich ebenso erlaubt und unschuldig wie die Befriedigung des
Durstes. Vom sittlichen Standpunkt aus beurteilt, verdienen der Fresser
und der Säufer in nicht geringerem Grade unsern Tadel als der in der
sinnlichen Liebe ausschweifende Wollüstling und die seltsame und
verkehrte Ansicht, wodurch wir selbst die naturgemäße Befriedigung des
Geschlechtstriebes gleichsam zu einem Verbrechen oder doch zu einer
Handlung stempeln, deren man sich schämen muss, - verdanken wir einzig
und allein der missverstandenen, verunstalteten, christlichen Religion.

Das gesellschaftliche Zusammenleben machte es durchaus notwendig, dass
die Leidenschaften der Menschen geregelt werden, sei es nun durch die
sogenannte Sitte oder durch Gesetze. Wollte ein jeder seinen
Leidenschaften die Zügel schießen lassen, so würden sich Staat und
Gesellschaft bald in wilde Anarchie auflösen. Damit ein jeder Bürger,
auch der schwächste, im Genuss seines Lebens und Eigentums selbst gegen
den stärksten geschützt sei, muss jeder seinen natürlichen
Leidenschaften eine vom Gesetz bestimmte Grenze setzen, welche von den
Vollziehern dieser Gesetze, hinter denen die Gesamtheit des Volks steht,
sorgfältig bewacht und geschützt wird.

Die Erfahrung lehrt, dass der Geschlechtstrieb gar oft die gewaltigsten
und verderblichsten Wirkungen hervorbringt, und so musste er denn
natürlich auch die ganz besondere Aufmerksamkeit der Gesetzgeber in
Anspruch nehmen. Sie fanden in der Ehe das geeignetste Mittel, den
Folgen geschlechtlicher Ausschweifungen vorzubeugen, und alle
zivilisierten Völker alter und neuer Zeit betrachten die Ehe als die
festeste Grundlage des Staatslebens und in jeder Hinsicht als ein höchst
segensreiches und die Menschen veredelndes Institut.

Die christliche Kirche verkannte die Wichtigkeit der Ehe durchaus nicht,
und da sie unablässig bemüht war, den größtmöglichen Einfluss auf die
Menschen zu erlangen, so bemächtigte sie sich auch vorzugsweise der Ehe,
obwohl dieselbe die Kirche nicht mehr berührt als jede andere
gesellschaftliche Einrichtung, und behauptete, dass zur Schließung
derselben die priesterliche Einsegnung durchaus nötig sei; ja, sie ging
so weit, dass sie diese rein gesellschaftliche Übereinkunft, über welche
höchstens dem Staat eine Kontrolle zusteht, für ein sogenanntes
Sakrament erklärte.

Wir haben im vorigen Kapitel gesehen, dass die Päpste selbst die
schamlosesten Betrügereien nicht scheuten, wenn es die Vergrößerung
ihrer Macht galt, und so kann es uns nicht mehr besonders auffallen,
wenn wir nachweisen, dass sie auch in Bezug auf die Ehe wahrhaft
lächerliche Inkonsequenzen begingen.

Die Ehe, dieses heilige Sakrament, wurde den Geistlichen verboten, weil
es sie verunreinige! - Den wahren Grund dieses Verbotes habe ich bei
Erwähnung Gregors VII. im vorigen Kapitel erwähnt, und der angegebene
Zweck wurde damit erreicht, obwohl dadurch Folgen erzeugt wurden, welche
der römischen Kirche fast ebenso großen Nachteil brachten wie den
Menschen im Allgemeinen.

Die Geistlichen wurden durch das Zölibat - so nennt man die erzwungene
Ehelosigkeit römischer Priester - völlig isoliert und ihre Verbindung
mit den übrigen Menschen und dem Staat zerrissen, dafür aber desto
fester an die Kirche, das heißt an den Papst, gefesselt; denn dieser ist
es ja, von dem jeder römisch-katholische Geistliche in höchster Instanz
sein zeitliches Heil zu erwarten hat. Der alte Vizegott in Rom ist ihm
Familie und Vaterland. Ein echt römisch-katholischer Geistlicher kann
gar kein guter Patriot oder guter Staatsbürger sein.

Was kümmern sich die Päpste um die abscheulichen Folgen des Zölibats.
Sie wollen unumschränkt herrschen um jeden Preis, wenn auch durch ihren
schändlichen Egoismus die Moralität der ganzen Welt samt dem Christentum
zu Grunde geht. Die Heiligen Väter in Rom werden durch nichts anderes
bewegt als durch ihren Eigennutz, welche erhabenen Gründe sie auch mit
salbungsvollen Worten zur Bemäntelung desselben vorbringen mögen.

Weder Tonsur noch Weihen vermögen es, den Geistlichen die "menschlichen
Schwächen", wie man dummerweise die Regungen des Naturtriebes häufig
nennt, abzustreifen. Die Natur respektiert einen geweihten Pfaffenleib
ebenso wenig wie den irgendeines anderen tierischen Organismus und
kämpft mit ihm um ihr Recht. Diese Kämpfe endeten bei gewissenhaften
Geistlichen, denen es mit ihrem Keuschheitsgelübde ernst war, gar häufig
mit Selbstmord oder Wahnsinn oder mit unnatürlicher Befriedigung des
Geschlechtstriebes oder mit freiwilliger Verstümmelung. - Der
schlechtere Teil der Geistlichen, die ich hauptsächlich mit "Pfaffen"
meine, betrachtet dagegen die Ehe als eine Fessel, von der sie der gute
Gregor befreit hat, und tut wie jener Mönch, der nach langen Kämpfen
endlich dem Rate eines alten Praktikus folgte: "Wenn mich der Teufel
reizt, so tue ich, was er will, und dann hört der Kampf auf." Sie wissen
sich, was die Befriedigung des Geschlechtstriebes anbetrifft, für die
Ehe schadlos zu halten, indem sie nach Clemens VI. Ausdruck "wie eine
Herde Stiere gegen die Kühe des Volkes wüten".

Diese Pfaffen nennt der heilige Bernhard "Füchse", die den Weinberg des
Herrn verderben und die Enthaltsamkeit nur zum Deckel der Schande und
Wollust brauchen, vor denen schon der Apostel Petrus gewarnt habe. "Man
müsse", fährt er fort, "ein Vieh sein, um nicht zu merken, dass man
allen Lastern Tür und Tor öffne, wenn man rechtmäßige Ehen verdamme."

Jesus war selbst nicht verheiratet; aber bei vielen Gelegenheiten
äußerte er sich über die Ehe und erkannte sie als eine durch göttliche
Anordnung geheiligte Anstalt an (Matth. 5,31. 32; 19,3-7. 9.);  ja, wir
wissen, dass er mit seiner Mutter und seinen Jüngern einer
Hochzeitsfeier in Kana in Galiläa beiwohnte (Joh. 2,2) was er nicht
getan haben würde, wenn er die Ehe überhaupt als eine unsittliche
Verbindung erkannt hätte.

Die Apostel hatten drüber ganz dieselben Ansichten. Paulus nennt die Ehe
einen in allen Betrachtungen ehrwürdigen Stand (Hebr. 13,4) und erklärt
sogar die Untersagung derselben für eine Teufelslehre (1.Tim. 4,3).
Kurz, nach allen in der Bibel enthaltenen Lehren des Christentums ist
das Band, welches die Ehe um Mann und Weib schlingt, ein höchst
ehrwürdiges.

Die Christen der ersten Zeit waren auch weit davon entfernt, die Ehe der
Geistlichen als etwas Unerlaubtes zu betrachten, ja, sie setzten
dieselben bei ihnen sogar voraus. Petrus selbst, dessen Nachfolger die
Päpste sein wollen, und die meisten der Apostel waren verheiratet.
Paulus verlangt von den Bischöfen und Diakonen, dass sie im ehelichen
Stande leben sollten. Er schreibt an Thimotheus: "Ein wahres Wort: wer
ein Bischofsamt sucht, der strebt nach einem edlen Geschäft. Ein Bischof
muss deswegen tadellos sein, eines Weibes Mann, nüchtern, ernst,
wohlgesittet, zum Lehrer tüchtig; kein Trunkenbold, nicht streitsüchtig
(nicht schmutziger Habgier ergeben), sondern sanft, friedliebend, frei
von Geiz; der seinem Haus gut vorstehe, der seine Kinder im Gehorsam
erhalte mit allem Ernst: denn wer seinem eigenen Haus nicht vorzustehen
weiß, wie kann er die Gemeinde Gottes regieren? (1.Tim. 3,1-5) Die
Diakonen seien eines Weibes Männer, wohl vorstehend ihren Kindern und
ihren Häusern." (Tim. 1,3. 12.)

An Titus schreibt er: "Deswegen habe ich Dich in Kreta zurückgelassen,
damit Du das, was noch fehlt, vollends in Ordnung brächtest und in jeder
Stadt Priester (Älteste) ansetzest, wie ich Dir aufgetragen habe; wenn
nämlich jemand unbescholtenen Rufes ist, eines Weibes Mann, der gläubige
Kinder hat." (Tit. 1,5-6)

Diese Stellen, welche noch durch zahlreiche andere vermehrt werden
könnten, sprechen so deutlich, dass es kaum begreiflich erscheint, wie
die Päpste es wagen konnten, die Rechtmäßigkeit des Zölibats der
Geistlichen aus der Bibel beweisen zu wollen. Sie würden auch mit diesem
Gesetz nie durchgedrungen sein, wenn nicht schon seit früher Zeit in der
christlichen Kirche die Idee von der Verdienstlichkeit des ehelosen
Lebens gespukt hätte.

Wie diese dem Christentum so durchaus fremde Ansicht von der Ehe in
demselben allmählich Wurzeln fasste, auseinanderzusetzen würde sehr
weitläufig sein, und da ich hier mich darauf nicht einlassen kann, so
will ich mich bemühen, den Gang der Sache in flüchtigen Umrissen zu
skizzieren.

Zur Zeit, als Jesus auftrat, hatte der Glauben an die alten Götter
eigentlich längst aufgehört. Der öffentliche Gottesdienst bestand in
leeren Zeremonien, und an die Stelle der Religion war die Philosophie
getreten. Selbst das Volk nahm teil an den philosophischen
Streitigkeiten wie heutzutage an den religiösen und hing teils diesen,
teils jenen der unendlich vielen aufgestellten Systeme an.

Als nun das Christentum entstand und die Zahl der Anhänger desselben
sich vermehrte, wurden auch die alten philosophischen Ansichten, deren
man sich nicht so schnell entäußern konnte, in dasselbe mit
hinübergenommen, und man versuchte es, so gut es anging, dieselben mit
den christlichen Lehren zu vereinigen.

Die reine Philosophie - Vernunftswissenschaft, Erkenntnislehre - kann
nie Schwärmerei erzeugen, welche eine entschiedene Feindin der Vernunft
ist; werden ihr aber religiöse Bestandteile beigemischt, so kann sie gar
leicht nicht allein zur Schwärmerei, sondern selbst zum wütendsten
Fanatismus führen. Aber fast alle philosophischen Systeme jener Zeit
hatten religiöse Bestandteile in sich aufgenommen, teils griechischen,
altorientalischen, ägyptischen oder jüdischen Ursprungs, und ihre
Anhänger und Bekenner waren meistens Gnostiker, das heißt Geheimwisser
oder Offenbarungskundige. In diese Systeme kam nun noch das christliche
Element, und das Resultat dieser Vereinigung waren oft sehr erhabene,
aber noch häufiger höchst abgeschmackte Lehrbegriffe über Gott,
Weltschöpfung, die Person Christi, den Ursprung des Übels, das Wesen des
Menschen usw. Wir haben es hier nur mit ihren Ansichten über die Ehe zu
tun.

Vorherrschend unter den Offenbarungs-Philosophen war die Ansicht, dass
die Materie - das Körperliche - die Quelle alle Bösen und dass die Welt
nicht durch den höchsten Gott, sondern durch ein ihm untergeordnetes,
unvollkommeneres Wesen - Demiurg (Werkmeister) - geschaffen sei. Der
Körper der Menschen stehe unter der Herrschaft der Materie und des bald
mehr oder minder bösartig gedachten Demiurgs, und das Heil des
menschlichen Geistes bestehe darin, dass es sich von den Fesseln der
Materie und des Demiurgs losmache und zu dem höchsten Gott zurückkehre.
Mit anderen Worten heißt das: der Mensch soll ein rein geistiges Leben
führen und alle vom Körper ausgehenden sinnlichen Regungen wie einen
Feind bekämpfen.

Hieraus geht schon deutlich hervor, dass die Ansichten dieser Schwärmer
der geschlechtlichen Vereinigung und der Ehe nicht günstig sein konnten.
Ehe ich einige dieser Ansichten namhaft mache, muss ich noch von dem
Brief des Paulus an die Korinther reden, welcher auf diese "Philosophie"
von bedeutendem Einfluss war.

Die Christen in Korinth konnten sich über ihre Meinung von der Ehe nicht
einigen und baten den Apostel Paulus um Belehrung. Dieser erfüllte ihr
Begehr, und was er ihnen antwortete, kann jeder in der Bibel nachlesen
(1. Korinth. Kap. 7). Aus diesem Schreiben geht hervor, "dass es Paulus
für besser hielt, unverheiratet zu bleiben; aber er erklärt
ausdrücklich, dass er mit diesem Rat den Christen keine Schlinge werfen
wolle und dass derjenige, der es für besser halte zu heiraten, damit
durchaus keine Sünde begehe. (1. Korinth. 7,32.)

Vergleichen wir die in diesem Brief enthaltenen Ratschläge mit seinen an
andern Stellen stehenden Aussprüchen über die Ehe, so möchte man mit dem
römischen Statthalter Festus ausrufen: "Paule, dein vieles Wissen macht
dich rasen!" Allein in dem Brief selbst ist der Schlüssel zu seiner
Handlungsweise enthalten: "Ich wollte Euch aber vor Sorgen bewahren."

Die Christen erwartete damals eine stürmische Zeit der Verfolgungen und
Trübsal, dann auch die baldige Wiederkehr Christi zum Weltgericht, und
dieser Glauben hatte auf die Antwort des Paulus unverkennbaren Einfluss.
Ein Unverheirateter wird die Leiden des Lebens meistens leichter
ertragen als ein Familienvater; das wird jeder fühlen, der eine Familie
hat.

Dieser Brief des Paulus diente den Verteidigern des Zölibats der
Geistlichen als Hauptstütze; sie vergaßen dabei aber außer den
besonderen Umständen, unter denen er geschrieben wurde, dass er an alle
Christen zu Korinth und nicht allein an die Geistlichen geschrieben war;
und hätte man die in ihm in Bezug auf die Ehe enthaltenen Ratschläge
allgemein als Befehl anerkennen wollen, so würde das Christentum bald
ein Ende gehabt haben, indem seine Anhänger ausgestorben wären. - Denn,
wenn Paulus sagt: wer heiratet, tut wohl; wer nicht heiratet, tut
besser, so sagt er doch auch: Es ist dem Menschen gut, dass er kein Weib
berühre. Das hätten sich die Geistlichen, welche das Zölibat
verteidigen, nur ebenfalls merken und als einen Befehl erachten sollen.
Ehe ist besser als Hurerei, und was Paulus darüber dachte, geht aus
Folgendem hervor:

Durch die Ratschläge des Apostels, vielleicht auch dadurch verführt,
dass die Frauen, welche Ehelosigkeit gelobten, von der christlichen
Gemeinde erhalten und oft zu untergeordneten Kirchenämtern - zu
Diakonissen - gewählt wurden, versprachen mehrere Witwen in Korinth,
sich nicht wieder zu verheiraten. Die jungen Weiber hatten sich jedoch
zu viel Kraft zugetraut. Die Ehelosigkeit wurde ihnen höchst unbequem,
und viele von ihnen hätten gern wieder geheiratet, wenn sie es wegen
ihres Gelübdes gedurft hätten. Aber der "Fleischesteufel" - um auch
einmal diesen beliebten pfäffischen Ausdruck zu gebrauchen - kehrt sich
an kein Gelübde und plagte die armen, verliebten Weiberchen so sehr,
dass sie es endlich machten wie der oben erwähnte Mönch und ihm den
Willen taten, damit sie nur Ruhe gewannen. - Sie waren aber sehr schwer
zu beruhigen, und ihr unzüchtiges Leben fing an, Aufsehen zu machen.
Paulus fand sich dadurch veranlasst, zu verordnen, dass diese Frauen,
wenn sie Neigungen dazu bekämen, trotz ihres Gelübdes lieber heiraten
als ein unzüchtiges Leben führen sollten, "damit nicht den Gegnern des
Christentums dadurch eine willkommene und gerechte Veranlassung gegeben
werde, dasselbe zu verlästern".

Die Päpste handelten jedoch ganz anders als der Apostel. Ihnen war es
nur um Ausrottung der Ehe unter den Priestern zu tun und sie gestatteten
sogar gegen eine Geldabgabe außereheliche, geistlich-fleischliche
Ausschweifungen, unbekümmert um das Ärgernis, welches dadurch gegeben
wurde; ja, sie gingen selbst mit dem schändlichsten Beispiel voran!

Von ihnen gilt, was Paulus ahnungsvoll vorhersah: "Bestimmt aber sagt
der Geist, dass in den letzten Zeiten einige vom Glauben abfallen
werden, achtend auf Irrgeister und Teufelslehren, die mit
Scheinheiligkeit Lügen verbreiten, gebrandmarkt am eigenen Gewissen, die
verbieten zu heiraten und gewisse Speisen zu genießen, welche Gott
geschaffen, dass sie dankbar genossen werden von den Gläubigen und von
denen, welche die Wahrheit erkannt."

Doch ich will wieder zu unseren Offenbarungsnarren zurückkehren und
anführen, was einige Sekten derselben von der Ehe hielten.

Julius Cassianus, ein Hauptnarr, erklärte die Ehe für Unzucht, und die
ganze zahlreiche Sekte der Enkratiten floh die Berührung der Weiber
überhaupt als eine Sünde. Zu ihnen gehörten die Abeloniten in der Gegend
von Hippo in Afrika, die sich durchaus des geschlechtlichen Umgangs
enthielten. Um aber die Vorschrift des Paulus (1. Korinth. 7,29), dass
"diejenigen, die Weiber haben, seien, als hätten sie keine",
buchstäblich zu erfüllen, nahmen die Männer ein Mädchen und die Weiber
einen Knaben zur beständigen Gesellschaft zu sich, um in Verbindung mit
dem andern Geschlecht, aber doch außer der Ehe, zu leben.

Ein gewisser Marzion, der von dem Heidentum zum Christentum übertrat,
trieb es mit der Entsagung besonders weit und litt wahrscheinlich am
Unterleibe, denn dafür sprechen seine hypochondrischen Lebensansichten.
Seine Genossen redete er gewöhnlich an: Mitgehasste und Mitleidende! -
Dieser trübselige Narr erklärte jedes Vergnügen für eine Sünde; er
verlangte, dass jeder von den schlechtesten Nahrungsmitteln leben
sollte, und von der Ehe wollte er vollends nichts wissen, denn diese
erschien ihm als eine privilegierte Unzucht. Er verlangte von seinen
Anhängern, wenn sie verheiratet waren, dass sie sich von ihren Weibern
trennten oder doch das Gelübde leisteten, sie nicht als ihre Weiber zu
betrachten. - Diese Sekte bestand bis zur Mitte des vierten Jahrhunderts
unter besonderen Bischöfen.

Manche Lehrer dieser philosophischen Christensekten führten zur
Auflösung aller sichtlichen Ordnung. Karpokrates, der wahrscheinlich zur
Zeit des Kaisers Hadrian in Alexandrien lebte, lehrte: dass die
Befriedigung des Naturtriebes nie unerlaubt sein könne und dass die
Weiber von der Natur zum gemeinschaftlichen Genuss bestimmt wären. Wer
sich der sittlichen Ordnung unterwerfe, der bleibe unter der Macht des
Erdgeistes; sich aber allen Lüsten ohne Leidenschaft hingeben heiße
gegen ihn kämpfen und ihm Trotz bieten.

Ein anderer Schwärmer namens Marzius führte geheimnisvolle Zeremonien
ein und machte besonders die Weiber damit bekannt, wodurch bei ihnen
alle Schamhaftigkeit vernichtet wurde.

Von den Anhängern des Karpokrates erzählt man, dass sie bei ihren
Versammlungen die Lichter verlöschten und untereinander das taten, wobei
sich übrigens niemand gern leuchten lässt. Die Adamiten trieben es
ähnlich. Vor ihrem Tempel, den sie das Paradies nannten, war eine
bedeckte Halle. Unter dieser entkleideten sie sich und marschierten dann
nackt und paarweise in die Versammlung. Hier ergriff jedes Männlein ein
Fräulein - - und das nannte man die mystische Vereinigung. Ganz so wie
bei unsern gut protestantischen Muckerversammlungen. Die Seelenbräute
sind eine uralte Erfindung.

Andere Häretiker - so hieß die ganze Klasse dieser seltsamen Philosophen
- gestatteten zwar die Ehe, verhinderten aber die Schwangerschaft, indem
sie es machten wie Onan, der Erzvater der Onanie.

Montanus, der in der Mitte des zweiten Jahrhunderts in Phrygien lebte,
sagte: dass Jesus und die Apostel der menschlichen Schwäche viel zu viel
nachgesehen hätten. Er verachtete alles Irdische und legte auf die
Ehelosigkeit sehr großen Wert.

Die Valesier, eine Sekte des dritten Jahrhunderts, zwangen ihre Anhänger
zur Kastration, ja, sie trieben dieselbe so leidenschaftlich, dass sie
gar häufig Fremde durch List in ihre Häuser lockten und diese
unangenehme Operation mit ihnen vornahmen.

Die Lehren dieser Schwärmer, besonders über das Verdienst der
Ehelosigkeit, fanden in der christlichen Kirche sehr großen Beifall, und
besonders waren es die des Montanus, welche sowohl unter den Geistlichen
wie Laien großen Anhang fanden. Wenn nun auch die römische Kirche schon
frühzeitig jede kirchliche Gemeinschaft mit den Montanisten abbrach, so
behielt sie doch ihre Lehre über das Fasten und das Verdienstliche der
Ehelosigkeit.

Das alles Irdische verachtet werden müsste, wurde bald der allgemeine
unter den orthodoxen Christen geltende Grundsatz. Wie den Anhängern des
Montanus waren ihnen Jesus und seine Jünger viel zu milde und
nachsichtig, und auf welche Abwege sie durch ihre asketische Schwärmerei
gerieten, haben wir im ersten Kapitel gesehen.

Je mächtiger der Geschlechtstrieb war und je mehr sinnliches Vergnügen
seine Befriedigung gewährte, desto verdienstlicher erschien es, ihn zu
bekämpfen, und diejenigen, denen es vollkommen gelang, standen im
höchsten Ansehen und waren Gegenstand der allgemeinen Bewunderung.

Die Kirchenväter in den ersten Jahrhunderten waren meistens der Ansicht,
dass die Seelen gefallener Geister zur Strafe in einen Körper gebannt
wären und dass die sittliche Freiheit des Menschen in der Fähigkeit
bestände, sich durch Besiegung "des Fleisches" aus der niederen Ordnung
emporzuschwingen. - Der Irrtum lag in der Übertreibung; setzt man statt
"Besiegung" und Abtötung Herrschaft, so wird wohl jeder Vernünftige mit
der Lehre einverstanden sein.

Die Ehe hielt man zwar nicht eigentlich für böse; allein man betrachtete
sie als ein notwendiges Übel zur Fortpflanzung des Menschengeschlechts
und zur Verhinderung der Ausschweifungen, von dem man so wenig als nur
möglich Gebrauch machen müsse; man würdigte das schönste Verhältnis zu
einer bloßen Kinderbesorgungsanstalt herab.

Die Vorliebe für den ehelosen Stand wurde immer allgemeiner und stieg
zum Fanatismus, so dass einer der ältesten Kirchenlehrer, Ignatius, sich
zu der Erklärung gezwungen sah: dass es sündlich sei, sich der Ehe aus
Hass zu entziehen.

Der Philosoph Justinus, welcher den Märtyrertod erduldete, hielt es für
sehr verdienstlich, wenn man den Geschlechtstrieb ganz und gar
unterdrücke, indem man sich dadurch dem Zustande der Auferstandenen
annähere. Er verwarf daher auch die Ehe ganz und gar und verwies auf
Christus, der nur deshalb von einer Jungfrau geboren sei, um zu zeigen,
dass Gott auch Menschen hervorbringen könne ohne geschlechtliche
Vermischung. Einen Jüngling, der sich selbst kastrierte, lobte er sehr.

Athenagoras und andere, die nicht so strenge waren, gaben die Ehe nur
wegen der Kindererzeugung zu. Clemens von Alexandrien verteidigte zwar
die Ehe und wies auf das Beispiel der Apostel hin; allein er gestand
doch zu, dass derjenige vollkommener sei, welcher sich der Ehe enthalte.

Origenes, der sich selbst entmannte, sein Schüler Hierax und Methodius
verdammten die Ehe, und ihre Lehren fanden unter den Mönchen Ägyptens
großen Beifall.

Einer der heftigsten Eiferer gegen die Ehe war Quintus Septimus Florens
Tertullian, Priester zu Karthago. Er erklärte die Ehe zwar nicht für
böse, aber doch für unrein, so dass sich der Mensch derselben schämen
müsse. Die zweite Ehe nannte er geradezu Ehebruch. Auf die Frage, was
aber aus dem Menschengeschlecht werden solle, wenn die Ehe aufhöre,
antwortete er: "Es kümmere ihn wenig, ob das Menschengeschlecht
ausstürbe; man müsse wünschen, dass die Kinder bald stürben, da das Ende
der Welt bevorstände." - Und Tertullian war selbst verheiratet.

Die Lehren dieses sehr geachteten Kirchenvaters waren von sehr großem
Einfluss. Die Geistlichen, welche diese Ansichten von der
Verdienstlichkeit der Enthaltsamkeit verbreiteten und anpriesen, mussten
natürlich mit dem Beispiel vorangehen, und sie hatten in jener Zeit auch
noch die besten praktischen Gründe, sich der Ehe zu enthalten, da sie es
ja hauptsächlich waren, welche den Verfolgungen zum Opfer fielen.

So kam es denn allmählich, dass die verheirateten Kirchenlehrer in eine
Art von Verachtung gerieten, und dieser Umstand war ein Beweggrund mehr
für die Geistlichen, sich der Ehe zu enthalten. Fanatische Bischöfe
wussten es bei den ihnen untergebenen Geistlichen mit Gewalt
durchzusetzen, dass sie sich nicht verheirateten, und das Volk sah immer
mehr in dem ledigen Stand einen größeren Grad der Heiligkeit.

Diese Ansicht war schon im fünften Jahrhundert ziemlich allgemein, und
diejenigen Geistlichen, welche nicht aus Überzeugung unverheiratet
blieben, taten es aus Scheinheiligkeit, und die verheiratet waren,
wussten den Glauben zu erwecken, als lebten sie mit ihren Frauen wie mit
Schwestern. Fälle von Selbstentmannung kamen häufig vor; aber dessen
ungeachtet war um diese Zeit die Ehelosigkeit der Geistlichen weder
allgemein, noch wurde sie von der Kirche geboten.

Der erste Versuch hierzu geschah im vierten Jahrhundert auf der in
Spanien von neunzehn Bischöfen abgehaltenen Synode zu Elvira (zwischen
305-309). Hier wurde es nicht allein verboten, Verheiratete als Priester
anzustellen, sondern man untersagte auch denen, die bereits im Ehestand
lebten, den geschlechtlichen Umgang mit ihren Weibern.

Andere Synoden folgten dem Beispiel, und da man nun sehr häufig den
unverheirateten Geistlichen den Vorzug gab, so bewog dies viele zum
ehelosen Leben, und der Scheinheiligkeit und Heuchelei waren Tür und Tor
geöffnet.

Auf der ersten allgemeinen Kirchenversammlung zu Nicäa (325) stellte ein
spanischer Bischof den Antrag, die Ehe der Priester allgemein zu
untersagen; allein da erhob sich Paphnutius, Bischof von Ober-Thebais,
ein achtzigjähriger, in der höchsten Achtung stehender, unverheirateter
Mann, und verteidigte die Ehe mit solcher Wärme und so überzeugend, dass
sich die Versammlung damit begnügte, den Geistlichen die
Beischläferinnen zu verbieten. - Doch selbst die Erlaubnis, sich zu
verheiraten, brachte den dazu geneigten Priestern wenig Nutzen, denn der
Zeitgeist erklärte sich nun einmal gegen die Ehe.

Einen bedeutenden Einfluss auf diese Zölibatsschwärmerei hatte das
Mönchswesen. Den fanatischen Mönchen war die Ehe und jede
geschlechtliche Berührung ein Gräuel; ja, sie gingen in ihrem verkehrten
Eifer so weit, dass sie sogar die Frauen verfluchten, und behaupteten,
dass man sie gleich einer ansteckenden Seuche oder gleich giftigen
Schlangen fliehen müsse. Sie riefen sich, wenn sie einander begegneten,
Sentenzen zu, welche sie immer daran erinnern sollten, dass das Weib zu
verachten sei, wie z. B. "Das Weib ist die Torheit, welche die
vernünftigen Seelen zur Unzucht reizt" und dergleichen.

Was die allgemein auf das höchste verehrten Mönche als verwerflich
bezeichneten, erschien nun auch den Laien so, und wenn sich auch nicht
jeder zum Mönchsleben stark genug fühlte, so suchte man doch, selbst in
der Welt lebend, soviel als möglich Ansprüche auf asketische Heiligkeit
zu erwerben.

Dieses Streben nach Heiligkeit erzeugte heldenmütige Entschlüsse, die
zwar subjektiv immer zu bewundern sind, aber doch mit Bedauern darüber
erfüllen, dass soviel moralisches Pulver ins Blaue hinein verschossen
wurde.

Jünglinge und Jungfrauen schwärmten für die Keuschheit. Pelagius, später
Bischof von Laodicea, bewog noch im Brautbett seine Braut zu einem
enthaltsamen Leben; andere wurden in derselben kritischen Lage von ihren
Bräuten dazu beredet. Einige Beispiele habe ich schon früher angeführt.

Einzelne Sekten, wie die Eustathianer und Armenier, erklärten jetzt
geradezu, dass kein Verheirateter selig werden könne, und wollten von
verehelichten Priestern weder das Abendmahl annehmen noch sonst mit
ihnen irgendeine Gemeinschaft haben. Da sie aber auch das Fleischessen
für sündlich erklärten und sie behaupteten, dass die Reichen, wenn sie
nicht ihrem ganzen Vermögen entsagten, nicht selig werden könnten, so
wurden ihre Lehren auf einem Konzil als irrtümlich verdammt.

Das weitere Umsichgreifen des Mönchswesens erzeugte ein immer
allgemeineres Vorurteil gegen die Ehe, und die verheirateten Priester
bekamen einen immer schwierigeren Stand.

Viele der Kirchenväter, deren Schriften allgemeine Verbreitung fanden,
waren mit asketischen Ansichten aufgewachsen und eiferten heftig gegen
die Ehe. Dies taten Eusebius und Zeno, Bischof von Verona, derselbe, der
erklärte, dass es der größte Ruhm der christlichen Tugend sei, die Natur
mit Füßen zu treten.

Ambrosius, römischer Statthalter der Provinz Ligurien und Aemilien, trat
zum Christentum über und wurde acht Tage nach seiner Taufe zum Bischof
von Mailand gemacht. Er kannte kaum die christlichen Lehren, und da er
nicht hoffen konnte, sich durch Gelehrsamkeit auszuzeichnen, so
versuchte er es durch ein asketisches Leben. - Da es bis dahin noch für
Ketzerei galt, die Ehe zu verdammen - die Apostel waren ja verheiratet
gewesen, - so gestand er ihr immer noch einiges Gute zu; aber er konnte
in den Anpreisungen des ehelosen Lebens kein Ende finden und hatte es
besonders darauf abgesehen, den Jungfrauen ihre Jungfrauschaft zu
erhalten. Maria stellte er ihnen beständig als Muster auf und erzählte
die seltsamsten Wunder, die stattgefunden haben sollten, um die
Jungfrauschaft dieses oder jenes Mädchens zu retten. Ja, er ging so
weit, die Kinder zum Ungehorsam gegen die Eltern zu verführen, indem er
in einem Aufrufe an die Jungfrauen sagte: "Überwinde erst die Ehrfurcht
gegen deine Eltern! Wenn du dein Haus überwindest, so überwindest du
auch die Welt."

Er erzeugte in Mailand durch seine Predigten einen solchen
Keuschheitsfanatismus unter den Mädchen, dass die jungen Männer in
Verzweiflung gerieten und vernünftige Eltern ihren Töchtern verbieten
mussten, seine Predigten zu besuchen. Sein Ruf war so weit verbreitet,
dass man ihm aus Afrika Jungfrauen zusandte, damit er sie zur Keuschheit
verführe.

Augustin, der nach einem wilden Leben zum Christentum übertrat und
endlich auch Bischof von Hippo wurde, verdammte zwar die Ehe ebenfalls
nicht geradezu, trug aber durch seine Schriften sehr viel zur
Zölibatsschwärmerei bei. Er lehrte, dass der unverheiratete Sohn und die
unverheiratete Tochter weit besser seien als die verehelichten Eltern,
und sagte: "Die ehelose Tochter wird im Himmel eine weit höhere Stufe
einnehmen als ihre verehelichte Mutter: ihr Verhältnis wird zueinander
sein wie das eines leuchtenden und eines finsteren Sterns."

Die Ehe zwischen Joseph und Maria stellte er als Muster einer Ehe auf,
denn sie lebten im ehelichen Verhältnis, hatten sich aber gegenseitig
Enthaltsamkeit gelobt. Früher sei die Ehe notwendig gewesen, um das Volk
Gottes fortzupflanzen, jetzt aber, da das Christentum bereits verbreitet
sei, müsse man auch diejenigen, welche sich Kinder zeugen wollten, zur
Enthaltsamkeit ermahnen. Man müsse wünschen, dass alles ehelos bleibe,
damit die Stadt Gottes eher voll und das Ende der Welt beschleunigt
würde. - Übrigens forderte Augustin von den Geistlichen nicht durchaus
Ehelosigkeit.

Von dem allergrößten Einfluss auf das Zölibat und auf das Mönchsleben
war der uns schon bekannte Hieronymus. Er hatte selbst aus Erfahrung die
Macht des Geschlechtstriebes kennengelernt und schildert seine Kämpfe so
lebhaft, dass es Grauen erregt.

"Ich", schrieb er an Eustochium, "der ich mich aus Furcht vor der Hölle
zu solchem Gefängnis verdammte, der ich mich nur in der Gesellschaft von
Skorpionen und wilden Tieren befand, befand mich doch oft in den Chören
von Mädchen. Das Gesicht war blass vom Fasten, und doch glühte der Geist
von Begierden im kalten Körper und in dem vor dem Menschen schon
erstorbenen Fleisch loderte das Feuer der Wollust. Von aller Hilfe
entblößt, warf ich mich zu den Füßen Jesu, benetzte sie mit meinen
Tränen, trocknete sie mit meinen Haaren, und das widerspenstige Fleisch
unterjochte ich durch wochenlanges Hungern."

Besonders eifrig bemüht war auch Hieronymus, die Frauen für das
enthaltsame Leben zu gewinnen. Dies gelang ihm vortrefflich, denn durch
seinen Umgang mit den vornehmen Römerinnen hatte er sich eine sehr
genaue Kenntnis des weiblichen Herzens und seiner schwachen Seiten
erworben.

Eine Stelle in seinen Briefen zeigt dies schon deutlich und beweist,
dass die Weiber vor tausend Jahren nicht anders waren, als sie es
heutzutage sind. Er schreibt nämlich an ein junges Mädchen, welchem der
Aufenthalt im Haus der Mutter zu eng wird:

"Was willst du, ein Mädchen von gesundem Körper, zart, wohlbeleibt,
rotwangig vom Genuss des Fleisches und Weins und vom Gebrauch der Bäder
aufgeregt, bei Ehemännern und Jünglingen machen? Tust du auch das nicht,
was man von dir verlangt, so ist es doch schon ein schimpfliches Zeugnis
für dich, wenn solche Dinge von dir verlangt werden. Ein wollüstiges
Gemüt verlangt unanständige Dinge desto brennender, und von dem, was
nicht erlaubt ist, macht man sich desto lockendere Vorstellungen.

Selbst dein schlechtes und braunes Kleid gibt ein Kennzeichen deiner
verborgenen Gemütsart ab, wenn es keine Falten hat, wenn es auf der Erde
fortgeschleppt wird, damit du größer zu sein scheinst; wenn es mit Fleiß
irgendwo aufgetrennt ist, damit zugleich das Garstige bedeckt werde und
das Schöne in die Augen falle. Auch ziehen deine schwärzlichen und
glänzenden Hosen, wenn du gehst, durch ihr Rauschen die Jünglinge an
sich.

Deine Brüste werden durch Binden zusammengepresst, und der verengte
Busen wird durch die Gürtel in die Höhe getrieben. Die Haare senken sich
sanft entweder auf die Stirn oder auf die Ohren herab. Das Mäntelchen
fällt zuweilen nieder, um die weißen Schultern zu entblößen, und dann
bedeckt sie wieder eilends, als wenn es nicht gesehen werden sollte,
dasjenige, was sie mit Willen aufgedeckt hatte."

Um die Mädchen zu verführen, Jesus zum Bräutigam zu erwählen, gebrauchte
er oft sehr seltsame Mittel, indem er dieses zarte Verhältnis höchst
üppig und unzart schilderte. So schreibt er zum Beispiel an Eustochium:
"Es ist der menschlichen Seele schwer, gar nichts zu lieben; etwas muss
geliebt werden. Die fleischliche Liebe wird durch die geistliche
überwunden. Seufze daher und sprich in deinem Bette: des Nachts suche
ich denjenigen, den meine Seele liebt. Dein Bräutigam muss in deinem
Schlafgemach nur mit dir scherzen. Bitte, sprich zu deinem Bräutigam,
und er wird mit dir sprechen. Und hat dich der Schlaf überfallen, so
wird er durch die Wand kommen, seine Hand durch das Loch stecken und
deinen Bauch berühren."

Die keusche Ehelosigkeit erschien Hieronymus als das Höchste, und von
der Ehe weiß er nur das zu rühmen, - dass aus ihr Mönche und Nonnen
erzeugt würden!

In sehr heftigen Streit geriet er mit Jovian, welcher die Ehe
verteidigte. Er bekämpfte die Lehren desselben mit großer Gewandtheit,
wenn uns auch die beigebrachten Argumente sehr häufig ein Lächeln
ablocken.

In einer seiner Streitschriften führt er den Jovian redend ein. Er lässt
ihn fragen, wozu Gott die Zeugungsglieder geschaffen und warum er die
Sehnsucht nach Vereinigung in den Menschen gelegt habe? - Darauf
antwortet Hieronymus, dass diese Körperteile geschaffen wären, um den
Flüssigkeiten, mit denen die Gefäße des Körpers bewässert sind, Abgang
zu verschaffen!

"Auf das aber", fährt er fort, "dass die Geschlechtsorgane selbst, der
Bau der Zeugungsteile, die Verschiedenheit zwischen Mann und Weib, und
die Gebärmutter, welche geeignet ist zur Empfängnis und Ernährung der
Frucht, einen Geschlechtsunterschied zeigen, will ich in Kürze
antworten.

Wir sollen wohl deshalb nie aufhören, der Wollust zu frönen, damit wir
nie vergebens diese Glieder mit uns herumtragen? Warum soll wohl da die
Witwe ehelos bleiben, wenn wir bloß dazu geboren sind, nach Weise des
Viehes zu leben? Was brächte es mir denn für Schaden, wenn ein anderer
meine Frau beschläft? - Was will da der Apostel, dass er zur Keuschheit
auffordert, wenn sie gegen die Natur ist? Gewiss verdient es der
Apostel, der uns zu seiner Keuschheit auffordert, zu hören: Warum trägst
du dein Schamglied mit dir herum? Warum unterscheidest du dich von dem
Geschlecht der Weiber durch Bart, Haare und durch andere Beschaffenheit
der Glieder? usw. Lasst uns Christus nachahmen, der sich der
Zeugungsglieder nicht bediente und sie doch hatte."

Die Art und Weise, wie der heilige Hieronymus die Ehe bekämpfte, fand
indessen wenig Beifall, wenn auch sehr viele mit ihm in der Hauptsache
übereinstimmen, und er sah sich genötigt, sich zu verteidigen.

"In Streitschriften", sagte er, "habe man mehr Freiheit als im
Lehrvortrag und könne sich in ihnen selbst einer Art von Vorstellung
bedienen, um seinen Feind desto besser zu Boden zu stürzen."

So schreibt er gegen einen Mönch, der ihn in Verdacht bringen wollte,
dass er die Ehe überhaupt verdamme, ganz in der alten Art, und schließt:
"Weg mit dem Epikur, weg mit dem Aristippus! Sind die Sauhirten nicht
mehr da, dann wird auch die trächtige Sau nicht mehr grunzen. Will er
nicht gegen mich schreiben, so vernehme er mein Geschrei über so viele
Länder, Meere und Völker hinweg: Ich verdamme nicht das Heiraten! Ich
verdamme nicht das Heiraten! Ich will, dass jeder, welcher etwa wegen
nächtlicher Besorgnisse nicht allein liegen kann, sich ein Weib nehme."

Im ersten Kapitel habe ich angegeben, wie sich die Republik der
christlichen Gemeinde allmählich in eine Despotie verwandelte. Diese
Veränderung, in Verbindung mit dem mächtigen Einfluss des Mönchswesens,
wirkte für die Priesterehe sehr nachteilig. Ihre Gegner traten immer
entschiedener auf, und von der öffentlichen Meinung unterstützt, folgten
immer mehr Konzilien dem Beispiel der von Elvira.

Ein allgemeines Verbot der Priesterehe war indessen bis zum Ende des
vierten Jahrhunderts noch nicht gegeben worden; aber dessen ungeachtet
verdankte sie ihr Fortbestehen weniger der Anerkennung ihrer
Rechtmäßigkeit als vielmehr einer teils auf besonderen Ansichten, teils
auf dem Gefühl der Unausführbarkeit der strengen Grundsätze begründeten
Nachsicht von Seiten der Bischöfe, während fortdauernd das Bestreben
dahin gerichtet war, ihr völlig ein Ende zu machen.

Einen sehr bedeutenden Anteil an der Unterdrückung der Priesterehen von
Seiten der Machthaber der Kirche hatten der Geiz und die Geldgier
derselben. War es den Priestern erlaubt zu heiraten, so fiel auch ihr
Nachlass an ihre rechtmäßigen Kinder, und alles, was mit List und Betrug
zusammengescharrt war, ging der Kirche verloren.

Da ich keine Geschichte der Kämpfe um die Priesterehe schreiben, sondern
mehr das Verderbliche des Zölibats zeigen will und auch dargetan habe,
wie die Idee von der Verdienstlichkeit der Ehelosigkeit unter den
Christen Eingang gewann, so kann ich mich in Bezug auf den ersten Punkt
umso kürzer fassen, als ich im Verfolg des zweiten noch genötigt sein
werde, auf jene Kämpfe zurückzukommen.

Die griechische Kirche hatte die Überzeugung gewonnen, dass ein so
unnatürliches Gesetz wie das Zölibat ohne die größten Nachteile nicht
durchführbar sei, und auf einer unter Justinian II. im kaiserlichen
Palast Trullum gehaltenen Synode (692) wurde beschlossen, dass die
Geistlichen nach wie vor heiraten und mit ihren Weibern leben könnten.
Dieser vernünftige Beschluss behielt in der griechischen Kirche bis auf
den heutigen Tag seine Geltung.

Die Trullanische Synode begnügte sich aber nicht allein damit, die
Priesterehe stillschweigend zu gestatten, wie es die von Nicäa tat, denn
dies würde am Ende wenig geholfen haben, sondern sie verordnete: dass
ein jeder, der es wagte, den Priestern und Diakonen nach ihrer
Ordination die eheliche Gemeinschaft mit ihren Weibern zu untersagen,
abgesetzt werden sollte. Ferner, dass diejenigen, welche ordiniert
werden und unter dem Vorwand der Frömmigkeit nun ihre Weiber
fortschicken, exkommuniziert werden sollten.

Die Päpste Konstantin und Hadrian I. waren vernünftig genug, die
Beschlüsse der Trullanischen Synode zu billigen, und Papst Hadrian II.
(867-871) war selbst verheiratet. Noch am Anfang des elften Jahrhunderts
kann man es als Regel an nehmen, dass überall der bessere Teil der
Geistlichen in einer rechtmäßigen Ehe oder doch wenigstens in einem
Verhältnis lebte, welches der Ehe gleichgeachtet wurde.

Die Päpste Viktor II., Stephan IX. und Nikolaus II. setzten jedoch die
Versuche fort, die Priesterehe abzuschaffen; aber der Hauptfeind
derselben war Gregor VII.; er verbot sie geradezu und zwang die schon
verheirateten Priester, ihre Weiber zu verlassen.

Der Kampf der Geistlichen um ihre Rechte als Menschen, dauert zwei
Jahrhunderte. Endlich unterlagen sie; aber dieser Sieg brachte der
römischen Kirche keinen Segen. Die traurigen Folgen des Zölibats riefen,
wie ich schon im Eingange bemerkte, die Reformation hervor. Aber selbst
diese vermochte es nicht, den Starrsinn der Päpste zu brechen. Die
Fürsten drangen bei der Trientiner Kirchenversammlung auf Abschaffung
des Zölibats, welches als die Wurzel allen Übels betrachtet wurde; aber
vergebens; das Zölibat wurde von diesem Konzil bestätigt, und seine
Beschlüsse gelten noch bis heute.

Das Vorurteil von der Verdienstlichkeit der Selbstquälerei und der
Vorzug, welchen fanatische Bischöfe den unbeweibten Geistlichen gaben,
bewogen viele von diesen zum ehelosen Leben, wenn auch ihre Neigungen
damit durchaus nicht übereinstimmten. Sie wussten es indessen schon
anzustellen, dass sie den Schein der Heiligkeit bewahrten, dabei aber
doch dem brüllenden Fleischesteufel im Geheimen opferten. Sehr günstig
war dafür die seltsame Sitte, dass unverheiratete Geistliche oder auch
Laien Jungfrauen zu sich ins Haus nahmen, welche gleichfalls Keuschheit
gelobt hatten. - Diese Jungfrauen nannte man Agapetinnen oder
Liebesschwestern. Mit diesen lebten die Geistlichen "in geistiger
Vertraulichkeit und platonischer Liebe". Sie waren fortwährend mit ihnen
beisammen und schliefen sogar meistens mit ihnen in einem Bett,
behaupteten aber, dass sie - eben nur miteinander schliefen.

Dies zu glauben - nun dazu gehört eben Glauben. Von einigen weiß man mit
Bestimmtheit, dass sie mitten in den Flammen der Wollust unverletzt
blieben. Der heilige Adhelm zum Beispiel legte sich zu einem schönen
Mädchen, das sich alle Mühe gab, das geistliche Fleisch rebellisch zu
machen. Der Heilige benahm sich aber wie die drei Männer im feurigen
Ofen und bannte den Unzuchtteufel durch fortwährendes Psalmensingen.

Ich kannte einen zwanzigjährigen Dragonerfähnrich, dem dies Kunststück
ohne Psalmensingen gelang. Wahrscheinlich ging es ihm und St. Adhelm wie
jenem Abt in Baden, von dem uns Hemmerlin, Kanonikus zu Zürich und
Probst zu Solothurn (starb 1460), erzählt, der sich zur Gesellschaft
zwei hübsche Dirnen holen ließ, und als sie nun da waren, höchst
ärgerlich ausrief: "Die verfluchten Versuchungen, gerade jetzt bleiben
sie aus!"

Das faule Leben, welches die Pfaffen führten, und die asketischen
Übungen, welche sie mit sich vornahmen, waren der Keuschheit nichts
weniger als günstig. Von den geachtetsten und würdigsten Kirchenlehrern
aus den ersten Jahrhunderten, denen es mit Besiegung des
Geschlechtstriebes vollkommen ernst war, wissen wir, wie viel ihnen
derselbe zu schaffen machte und welche Kämpfe sie zu bestehen hatten.

Basilius hatte sich in eine reizende Einöde zurückgezogen; aber er
gestand, dass er wohl dem Getümmel der Welt, aber nicht sich selbst
entgehen könne. "Was ich nun in dieser Einsamkeit Tag und Nacht tue",
schreibt er an einen Freund, "schäme ich mich fast zu sagen; - - indem
ich die innewohnenden Leidenschaften mit mir herumtrage, bin ich überall
gleicherweise im Gedränge. Deshalb bin ich durch diese Einsamkeit im
Ganzen nicht viel gefördert worden."

Gregor von Nazianz behandelte seinen Körper auf härteste Weise, aber
dessen ungeachtet klagt er über die unaufhörlichen Neigungen zur
Wollust, über die Anfälle des Teufels und seine eigene Schwäche. Er
droht seinem rebellischen Fleisch, es durch Schmerzen aller Art so zu
entkräften, dass es ohnmächtiger als ein Leichnam werden solle, wenn es
nicht aufhören würde, seine Seele zu beunruhigen. Aber gerade seine
Kasteiungen machten ihn so entzündbar, dass er einst, als ein Verwandter
mit einigen Frauen in die Nähe seiner Wohnung zog, aus dieser flüchtete,
um nur seine Keuschheit zu retten!

Ähnliche Beispiele haben wir schon im zweiten Kapitel kennengelernt.
Alle diese heiligen Männer sind entzündbar wie Streichhölzchen und
gleichen jenem würdigen Priester aus dem Gebiet von Nursia, welcher
gewissenhaft und standhaft genug war, seine Frau nach seiner Ordination
zu fliehen. Als er hochbetagt war, erkrankte er an einem Fieber und war
im Begriff, sein Leben zu enden, als seine Frau sich liebevoll über ihn
beugte, um zu lauschen, ob er noch atme. Da raffte der Sterbende seine
letzten Lebenskräfte zusammen und rief: "Fort, fort, liebes Weib, tu'
das Stroh hinweg, noch lebt das Feuer!"

Climacus wusste ebenfalls aus Erfahrung, dass der "Fleischesteufel" der
am härtesten zu besiegende ist. Er sagte. "Wer sein Fleisch überwunden
hat, hat die Natur überwunden, ist über der Natur, ist ein Engel. - Ich
kann mit David sagen, dass ich in mir den Gottlosen wahrgenommen, der
durch seine Wut meine Seele ängstigte, - durch Fasten und Abtötung
verlor er seine Hitze, und da ich ihn wieder suchte, fand ich kein
Merkmal seiner Gewalt mehr in mir." Warum er ihn aber wieder suchte, das
hat der fromme Mann vergessen anzugeben.

Der heilige Bernhard war ebenfalls ehrlich genug, die Macht dieses
"Gottlosen" anzuerkennen. "Diesen Feind können wir weder fliehen noch in
die Flucht schlagen, wenngleich Hieronymus die Flucht vor dem Weibe
anrät als der Pforte des Teufels, der Straße des Lasters - der Mann ist
eine Stoppel, nähert er sich, so brennt er."

Was manche Heilige für wunderliche Dinge vornahmen, um die verzehrende
Liebesglut zu ersticken, haben wir schon früher gesehen. Der heilige Abt
Wilbelm legte sich auf ein Bett von - glühenden Kohlen und lud seine
Verführerin ein, sich zu ihm zu legen! Ja, dieser Heilige ließ das Grab
seiner verstorbenen Geliebten öffnen, weil er das Andenken an sie nicht
ausrotten konnte, und nahm ihren faulenden Körper mit in seine Zelle, um
ihn sich als Stärkungsmittel unter die Nase zu halten, wenn ihn der
Fleischteufel kitzelte.

Solche Kämpfe hatten also sogar Heilige zu bestehen und gestanden ihre
Schwachheit ein; aber wie wenige Heilige gibt es unter den Geistlichen!
Die meisten gleichen wohl dem heiligen Augustin, Bischof von Hippo, der
bekannte, dass er einst Gott gebeten habe: "Er möge ihm die Gabe der
Keuschheit verleihen, aber nicht sogleich, indem er wolle, dass seine
wollüstigen Triebe erst gesättigt werden möchten." Dann ist die
Keuschheit freilich leicht.

So stark nun auch der Glaube in der ersten Zeit des Christentums war, so
hieß es ihm doch etwas zu viel zumuten, nichts Böses zu denken, wenn ein
junger Mann und ein junges Weib in einem Bett schliefen, und viele
vernünftige Kirchenlehrer trachteten danach, dies anstößige und
verdächtige Zusammenleben zu bekämpfen.

Dies tat unter andern schon der heilige Chrysostomus. Er schrieb: "Ich
preise glücklich diejenigen, welche mit Jungfrauen zusammen wohnen und
keinen Schaden nehmen, und wünschte selbst, dass ich solche Stärke
hätte; auch will ich glauben, dass es möglich sei, solche zu finden.
Aber ich wünsche auch, dass die, welche mich tadeln, mich überzeugen
könnten, dass ein junger Mann, welcher mit einer Jungfrau zusammen
wohnt, sich an ihrer Seite befindet, mit ihr an einem Tische speist,
sich mit ihr den ganzen Tag unterhält, mit ihr, um ein anderes zu
verschweigen, lächelt, scherzt, schmeichelnde und liebkosende Worte
wechselt, von Begierde ferngehalten werden könne. - - Ich habe
vernommen, dass viele zu Steinen und Statuen Neigung empfunden haben.
Vermag aber so viel ein Kunstwerk, was muss da erst vermögen ein zarter
lebender Körper?"

Jedenfalls musste solches Zusammenleben den Weltkindern Stoff zum Spott
und zur Verdächtigung geben, und wenn man einen Pfaffen angreifen
wollte, so griff man ihn immer zuerst bei seiner Liebesschwester an.
Viele Jungfrauen bestanden zwar auf Untersuchung ihrer Jungfrauenschaft
durch Hebammen; aber der heilige Cyprian meint mit Recht: "Augen und
Hände der Hebammen können auch getäuscht werden."

Am sichersten war es freilich, wenn der Geistliche den Beweis seiner
Unschuld führen konnte, wie der Patriarch Acacius, der von der
Kirchenversammlung zu Seleucia (489) der Unzucht beschuldigt wurde. Er
hob seine Kutte auf und bewies den ehrwürdigen Vätern durch den
Augenschein, dass Unzucht bei ihm ein Ding der Unmöglichkeit sei.

Schon Tertullian spricht von der oftmals vorkommenden Schwangerschaft
solcher "Jungfrauen" und von den verbrecherischen Mitteln, welche sie
anwendeten, dieselbe zu verheimlichen; denn damals konnten sie sich noch
nicht damit entschuldigen, dass sie einen Papst gebären würden, wie es
später oftmals vorkam, als die Lehre geltend gemacht wurde, dass der
Vater der Päpste der - Heilige Geist sei!

Die Synode von Elvira fand es auch schon für nötig, ihr Augenmerk auf
die platonischen Bündnisse zu richten, und verordnete, dass Bischöfe und
Geistliche nur Schwestern oder Töchter (aus früherer Ehe erzeugte) bei
sich haben sollten, welche das Gelübde der Keuschheit geleistet hatten.
Aber in den Verordnungen des Erzbischofs Egbert von York (um 750) finden
wir Strafen festgesetzt für Bischöfe und Diakonen, welche mit Mutter,
Schwester usw., ja mit vierfüßigen Tieren Unzucht treiben! Ein Beweis,
dass solche Vergehen vorkamen.

Später suchte man das Übel dadurch zu steuern, dass man das Alter,
welches die Liebesschwestern haben mussten, sehr hoch ansetzte. Schon
Theodosius II. sah sich genötigt, zu bestimmen, dass die im Dienste der
Kirche stehenden Diakonissen über sechzig Jahre alt sein mussten, da es
vorgekommen war, dass ein Diakon eine vornehme Frau in einer Kirche von
Konstantinopel geschändet hatte. Dieses Alter schützte jedoch nicht
gegen die Unzucht, und ein ungenannter Bischof, der dagegen eiferte,
kannte die geile Natur der Pfaffenspatzen - so nannte man später die
Franziskaner zum Unterschied von den Dominikanern, die Schwalben hießen
- indem er schrieb: "Auch nicht ein altes noch hässliches Frauenzimmer
sollen die Geistlichen in ihr Haus nehmen, weil man da, wo man vor
Verdacht sicher ist, am schnellsten sündigt; auch die Lust sich nicht an
das Hässliche kehre, indem der Teufel ihr das hübsch mache, was
abscheulich ist."

Den Beweis, wie früh sich schon die verderblichen Folgen des Vorurteils
gegen die Priesterehe zeigten, liefern die Beschlüsse der ersten
Konzilien. Das zu Elvira sah sich schon genötigt, Strafen festzusetzen
gegen unzüchtige Geistliche. "Wenn ein im Amt befindlicher Bischof,
Priester oder Diakon", heißt einer ihrer Beschlüsse, "erfunden worden
ist, dass er Unzucht getrieben habe, so soll er auch am Ende seines
Lebens nicht zur Kommunion gelassen werden."

Das Konzil zu Neu-Cäsarea bestimmte, dass ein solcher Geistlicher
abgesetzt werde und Buße tun solle. Ja, diese Beschlüsse redeten auch
schon von Knabenschändungen und Sodomiterei mit Tieren.

Doch was nützen alle strengen Strafbestimmungen, wenn sie gegen eine
Sache gerichtet sind, welche der Natur durchaus entgegen ist; sie können
höchstens bewirken, dass sich die mit der Strafe Bedrohten mehr Mühe
geben, ihre Handlungen zu verheimlichen; und schon die hier genannten
Kirchenversammlungen reden von Frauen der Geistlichen, die ihre im
Ehebruch erzeugten Kinder umbrachten.

Gar viele Geistliche, die sich nach ihrer Ordination nicht von ihren
Frauen trennen wollten, gelobten sich ihrer zu enthalten; aber der
heilige Bernhard sagt: "Eine Frau haben und mit dieser nicht sündigen
ist mehr als Tote erwecken." - Wie oft wurde nicht dieses Gelübde
gebrochen, und wie oft wurde es nicht eben mit dieser Absicht geleistet!
War ein Geistlicher gewissenhaft, so hatte er den größten Schaden davon,
denn die mit der Enthaltsamkeit ihres Mannes unzufriedene Frau suchte
sich einen Stellvertreter, und zeigten sich die Folgen dieses Umgangs,
dann kam der unschuldige Mann in Verdacht, sein Gelübde gebrochen zu
haben.

Dass die Frauen der Geistlichen sich gar häufig auf solche Weise und
manchmal selbst mit der Erlaubnis oder mit Wissen ihrer Männer
entschädigten, beweisen abermals die Bestimmungen des schon oft
genannten Konzils von Elvira. Eine derselben lautet: "Wenn die Frau
eines Geistlichen hurt und ihr Mann dies weiß und sie nicht sogleich
verstößt, so soll er auch nicht am Ende des Lebens die Kommunion
empfangen."

Doch nicht allein die Ehe der Geistlichen, ja sogar die der Laien wurde
von der Kirche auf das sorgfältigste überwacht. Ich finde augenblicklich
dafür keinen früheren Beweis als in dem Buch von den Kirchenstrafen,
welches Regino, Abt von Prüm, im Jahr 909 auf Befehl des Erzbischofs
Rathbod von Trier schrieb. Dort heißt es: "Der Verehelichte, der sich 40
Tage vor Ostern und Pfingsten oder Weihnachten, an jeder Sonntagsnacht,
am Mittwoch oder Freitag, von der sichtbaren Empfängnis bis zur Geburt
des Kindes von der Frau nicht enthält, muss, wenn ein Sohn geboren wird,
30 Tage, wenn eine Tochter geboren wird, 40 Tage Buße tun. Wer in der
Quadragesima (der vierzigtägigen Fastenzeit vor Ostern) seiner Frau
beiwohnt, muss ein Jahr Buße tun, oder 16 Solidos an die Kirche bezahlen
oder unter die Armen verteilen. Tut er es in der Besoffenheit und
zufällig, so darf er nur 40 Tage Buße tun. - Jeder muss sich vor Empfang
des Abendmahls der Frau sieben, fünf oder drei Tage enthalten."

Die Kirche verdankt das große Licht St. Iso in St. Gallen nur dem
Umstand, dass er von seinen vornehmen Eltern - in der Osternacht erzeugt
wurde, welche darüber Gewissensskrupel hatten und ihn der Kirche
widmeten.

Schon früher bemerkte ich, dass der Eigennutz der Bischöfe großen Anteil
an der Verdammung der Priesterehe hatte. Bekam ein verheirateter
Priester keine Kinder, - nun dann sah man durch die Finger. Die Folge
davon war, dass sie die Schwangerschaft ihrer Weiber entweder
verhinderten, wie Onan, oder dass sie zu gefährlichen Mitteln ihre
Zuflucht nahmen.

Ein südamerikanischer Indianerstamm soll ein ganz unschädliches Mittel
besitzen, die Empfängnis der Weiber zu verhindern, was oft von solchen
Frauen angewendet wird, die nicht gleich eine Familie haben wollen. Mich
wundert, dass noch niemand dasselbe aufgefunden und nach Europa gebracht
hat; er könnte sich große Verdienste um die römische Kirche und sonst
erwerben.

Den Beweis dafür, wie es der Kirche ganz hauptsächlich darauf ankam,
dass die Geistlichen keine Kinder bekommen, die sie beerben konnten,
liefert ein Konzilium, welches Erzbischof Johann von Tours im Jahr 1278
in London hielt.

Dort heißt es in einer der Verordnungen: "Da die Fleischelust den
Klerikalstand vielfältig entehrt, besonders wenn es zum Kinderzeugen
kommt, so verordnen wir, dass die Kleriker, besonders die in den
heiligen Weihen sich befindlichen, sich nicht unterstehen, ihren im
geistlichen Stand erzeugten Söhnen und ihren Konkubinen etwas
testamentarisch zu vermachen. Solche Vermächtnisse sollen der Kirche des
Testators zufallen."

Das Leben der Geistlichen in den ersten Jahrhunderten lernen wir sehr
genau aus den Schriften der Kirchenväter kennen, welche sich bemühten,
die unter denselben herrschende Verderbnis zu bekämpfen. Es erscheint
oft unglaublich, dass die Religion, die Jesus lehrte, zu so
abscheulichen Lastern führe konnte, wie sie uns in diesen Schriften
berichtet werden. Dass die Geistlichen sich für das Verbot der Ehe auf
andere Weise zu entschädigen suchten, nun, das ist menschlich und an und
für sich zu entschuldigen. Bei solchen Vergehen muss man nicht sowohl
den schwachen Menschen als vielmehr das naturwidrige Verbot verdammen,
welches zur Verletzung der Sittengesetze zwingt; aber anders ist es mit
den von den Bischöfen begangenen Schändlichkeiten und Verbrechen, die in
dem Geiz, der Herrschsucht und anderen bösen Leidenschaften ihre
Ursachen haben.

Basilius schreibt an Eusebius, Bischof von Samosata: "Nur an die
allernichtswürdigsten Menschen ist jetzt die bischöfliche Würde
gekommen"; in einem Brief, welchen er und zweiunddreißig andere Bischöfe
an sämtliche Bischöfe Galliens und Italiens richten, wird der
schmachvolle Zustand der Kirche mit großer Wehmut geschildert: "Die
Schlechtigkeit der Bischöfe und Kirchenvorsteher", heißt es darin, "sei
so groß, dass die Bewohner vieler Städte keine Kirchen mehr besuchen,
sondern mit Weib und Kind außerhalb der Mauern der Städte unter freiem
Himmel für sich Gebete verrichteten."

Gregor von Nazianz, Chrysostomus, Cyrill von Jerusalem usw. können nicht
grell genug die Sittenverderbnis der Geistlichen schildern. Diese hatten
es damit so weit gebracht, dass man die Unzucht als förmlich zum Pfaffen
gehörig betrachtete und nicht mehr für ein Verbrechen hielt. - Die
afrikanischen Synoden sahen sich gezwungen, zu verordnen, dass kein
Geistlicher allein zu einer Jungfrau oder Witwe gehen solle!

Am lebhaftesten schildert die Geistlichen und den Sittenverfall der
damaligen Zeit der schon oft genannte heilige Hieronymus. Er schreibt in
einem Briefe an Eustochium: "Sieh, die meisten Witwen, die doch
verehelicht waren, ihr unglückliches Gewissen unter dem erlogenen Gewand
verbergen. Wenn sie nicht der schwangere Bauch oder das Geschrei der
Kinder verrät, so gehen sie mit emporgestrecktem Hals oder hüpfendem
Gang einher. - Andere aber wissen sich unfruchtbar zu machen und morden
den noch nicht geborenen Menschen. Fühlen sie sich durch ihre
Ruchlosigkeit schwanger, so treiben sie die Frucht durch Gift ab. Oft
sterben sie mit daran, und dreifachen Verbrechens schuldig, gelangen sie
in die Unterwelt, als Selbstmörderinnen, als Ehebrecherinnen an
Christus, als Mörderinnen des noch nicht geborenen Sohns. Ich schäme
mich, es zu sagen, o der Abscheulichkeit! es ist traurig, aber doch
wahr.

Woher brach die Pest der Agapetinnen in unsere Kirchen herein? Woher ein
anderer Name der Eheweiber ohne Ehe? Ja, woher das neue Geschlecht der
Konkubinen? Ich will mehr sagen, woher die Hure eines Mannes? Ein Haus,
ein Schlafgemach, nur oft ein Bett umfasst sie, und nennen uns
argwöhnische Leute, wenn wir etwas Arges vermuten."

Und weiter in demselben Briefe: "Es gibt andere, ich rede von Leuten
meines Standes, welche sich deshalb um das Presbyteriat und Diakonat
bewerben, um die Weiber desto freier sehen zu können. Ihre ganze
Sorgfalt geht auf ihre Kleider, auf dass sie gut riechen und die Füße
unter einer weiten Haut nicht aufschwellen. Die Haare werden rund
gekräuselt, die Finger schimmern von Ringen, und damit ihre Fußsohlen
kein feuchter Weg benetze, berühren sie ihn kaum mit der Spitze. Wenn du
solche siehst, solltest du sie eher für Verlobte als für Geistliche
halten. Einige bemühen sich ihr ganzes Leben hindurch nur darum, die
Namen, Häuser und Sitten der Matronen kennenzulernen. Einen von ihnen,
den vornehmsten in dieser Kunst, will ich kurz beschreiben, damit du
desto leichter am Lehrer die Schüler erkennst.

Er steht eilfertig mit der Sonne auf, entwirft die Ordnung seiner
Besuche, sieht sich nach einem kürzeren Wege um, und der überlästige
Alte geht beinahe bis in die Kammern der Schlafenden. Wenn er ein
zierliches Kissen oder Tuch oder sonst etwas vom Hausrat sieht, so lobt,
bewundert und berührt er es; indem er klagt, dass es ihm fehle, presst
er es mehr ab, als dass er es verlangte, weil sich eine jede Frau
fürchtet, den Stadtfuhrmann zu beleidigen. Ihm sind Fasten und
Keuschheit zuwider; eine Mahlzeit billigt er nach ihrem feinen Geruch
und nach einem gemästeten jungen Kranich. Er hat ein barbarisches und
freches Maul, das immer zu Schmeichelworten gewaffnet ist. Du magst dich
hinwenden, wohin du willst, so fällt er dir zuerst in die Augen." -
Solcher geistlichen "Stadtfuhrleute" gibt es auch noch heutzutage und
ich könnte dem wackeren Hieronymus mehrere nennen, die zu seinem Porträt
vortrefflich passen würden.

Dergleichen Schilderungen erweckten dem Hieronymus natürlich viele
Feinde, die sich dadurch rächten, dass sie ihn verlästerten. Viele Not
hatte er mit einem Diakon namens Sabinian. Dieser hatte eine Wallfahrt
zu allen liederlichen Häusern Italiens unternommen und nebenbei eine
Menge Jungfrauen genotzüchtigt und Ehefrauen verführt, von denen mehrere
wegen dieser Verbrechen öffentlich hingerichtet wurden. Endlich
verführte er auch die Frau eines vornehmen Goten, der diesen Schimpf
entdeckte, echt gotisch darüber ergrimmte und den liederlichen Pfaffen
auf Tod und Leben verfolgte. - Dieser kam mit einem Empfehlungsschreiben
zu St. Hieronymus nach Bethlehem, wo er in ein Kloster gesteckt wurde.
Hier sah er eines Tages eine Nonne aus dem Kloster der Paula, verliebte
sich in dieselbe, schrieb ihr Liebesbriefe und erhielt die Versicherung,
dass alle seine Wünsche erfüllt werden sollten, - als der Handel
entdeckt und die Keuschheit der Nonne gerettet wurde. - Sabinian fiel
Hieronymus zu Füßen und erhielt Verzeihung unter der Bedingung, dass er
die ihm auferlegte Buße tragen solle. Er versprach alles, hielt aber
nichts, lebte lustig wie zuvor und verleumdete Hieronymus, wo er konnte.
- Solche Galgenfrüchte trug schon damals der heilige Christbaum der
Kirche!

Die Gesetzgebung des Justinian war der Priesterehe durchaus nicht
günstig, denn in einer Verordnung von 528 heißt es: "Indem wir die
Vorschrift der heiligen Apostel befolgen, verordnen wir, dass so oft ein
bischöflicher Stuhl in einer Stadt erledigt ist, die Bewohner derselben
über drei Personen von reinem Glauben und tugendhaftem Leben sich
vereinigen, um aus ihnen den Würdigsten hervorzuheben. Doch treffe die
Wahl nur einen solchen, der das Geld verachtet und sein ganzes Leben
Gott weiht, der keine Kinder und keine Enkel bat. - - Der Bischof muss
durchaus nicht durch Liebe zu den fleischlichen Kindern verhindert
werden, aller Gläubigen geistlicher Vater zu werden. Aus diesen Ursachen
verbieten wir, jemanden, der Kinder und Enkel hat, zum Bischof zu
weihen." In derselben Verordnung wird den Bischöfen auch verboten, in
ihrem Testamente ihren Verwandten etwas von dem zu vermachen, was sie
als Bischöfe erwarben.

Die Gesetzgebung des Justinian war der Priesterehe durchaus nicht
günstig, denn in einer Verordnung von 528 heißt es: - "Indem wir die
Vorschrift der heiligen Apostel befolgen, verordnen wir, dass, so oft
ein bischöflicher Stuhl in einer Stadt erledigt ist, die Bewohner
derselben über drei Personen von reinem Glauben und tugendhaftem Leben
sich vereinigen, um aus ihnen den Würdigsten hervorzuheben.  Doch treffe
die Wahl nur einen solchen, der das Geld verachtet und sein ganzes Leben
Gott weiht, der keine Kinder und keine Enkel hat. - - Der Bischof muss
durchaus nicht durch Liebe zu den fleischlichen Kindern verhindert
werden, aller Gläubigen geistlicher Vater zu werden. Aus diesen Ursachen
verbieten wir, jemanden, der Kinder und Enkel hat, zum Bischof zu
weihen."  In derselben Verordnung wird den Bischöfen auch verboten, in
ihrem Testament ihren Verwandten etwas von dem zu vermachen, was sie als
Bischöfe erwarben.

Die folgenden Bestimmungen sind noch strenger, und in einem Erlass von
531 befiehlt Justinian, dass niemand zum Bischof geweiht werde, als wer
keiner Frau ehelich beiwohne und Kinder zeuge. Statt der Frau möge ihm
die heiligste Kirche dienen. - Diese ist aber, nach des heiligen
Ambrosius üppiger Schilderung: eine nackte reizende Braut, deren schöne
und bezaubernde Gestalt Christus mit Begierde erfüllt und ihn bewogen
habe, sie zur Gemahlin für sich zu erwählen!

Dass alle strengen Gesetze wenig fruchteten, dafür könnte man unendlich
viele Beweise anführen. Alle Synoden waren bemüht, schärfere
Verordnungen zu erlassen und auf einer im Jahr 751 gehaltenen wurde
bestimmt: "Der Priester, welcher Unzucht übt, soll in ein Gefängnis
gesteckt werden, nachdem er vorher gegeißelt und ausgepeitscht worden
ist."

Rather von Verona, der zu Anfang des 10. Jahrhunderts lebte, klagt: "Oh!
wie verworfen ist nicht die ganze Schar der Kopfgeschorenen, da unter
ihnen keiner ist, der nicht ein Ehebrecher ist oder ein Sodomit."

Unter so bewandten Umständen war es dann wohl natürlich, dass vielen
Christen Bedenken kamen, ob es wohl ziemlich sei, dass sie das, was sie
für das Heiligste hielten, das Abendmahl, aus so beschmutzten Händen
annehmen könnten.

Auf eine deshalb an ihn gerichtete Frage antwortete Papst Nikolaus I.:
"Es kann niemand, so sehr er auch verunreinigt sein mag, die heiligen
Sakramente verunreinigen, welche Reinigungsmittel aller Befleckungen
sind. Der Sonnenstrahl, welcher durch Kloaken und Abtritte geht, kann
doch dieserhalb keine Befleckung an sich ziehen. Daher mag der Priester
beschaffen sein wie er will, er kann das Heilige nicht beflecken." Aus
diesem beruhigenden Bescheid und passend gewählten Vergleich sieht man
übrigens, dass die Pfaffen beim Papst in nicht besonders gutem Geruch
standen!

Die Ansichten der Kirche von der Ehe übten aber nicht nur ihren
demoralisierenden Einfluss auf die Pfaffen selbst aus; die Ehrwürdigkeit
der Ehe im Allgemeinen litt darunter, denn es war nur natürlich, dass
ein Verhältnis, welches von den so hochverehrten Lehrern verachtet
wurde, auch bei den Laien nicht in besonderer Achtung stehen konnte. Die
Liederlichen benutzten daher gern die Zeitansicht, um ledig zu bleiben
und so ungezwungener ihren Leidenschaften zu folgen; und die
Verheirateten, welche ihrer Weiber überdrüssig waren, fanden leicht
einen heiligen Vorwand, sich ihrer zu enthalten und sich außer dem Haus
zu entschädigen.

Das Leben der Päpste um diese Zeit, besonders im elften Jahrhundert, war
wenig geeignet, auf die Sittlichkeit der Geistlichkeit vorteilhaft
einzuwirken. Ich verweise in Bezug hierauf auf das vorige Kapitel.

Ein großer Eiferer gegen die Priesterehe, obwohl auch gegen die Unzucht
der Pfaffen, war der Kardinal Petrus Damiani, der durch seine Schriften
einen ganz außerordentlich großen Einfluss ausübte; das heißt in Bezug
auf das Zölibat, aber nicht auf die Besserung der Geistlichen. Er war im
Jahr 1002 in Ravenna von ganz armen Eltern geboren, die schon so viele
Kinder hatten, dass sie nicht wussten, was sie mit dem neuen Ankömmling
anfangen sollten. Die harte Mutter fasste den Entschluss, den Knaben
auszusetzen, wurde aber durch die Frau eines Priesters davon abgehalten.

Petrus weihte sich der Kirche und wurde endlich im Jahr 1058 oder 59
Kardinalbischof von Ostia. Er nahm diese Stelle nur mit Widerstreben an
und, empört über die Verderbtheit der Pfaffen, gab er sie bald wieder
auf und zog sich in ein Kloster zurück, wo er 1069 starb.

Damiani entwirft von dem Schandleben der Pfaffen in seinem Liber
Gomorrhianus ein trauriges Bild. Er beklagt und schildert darin ihre
Hurerei, ihre widernatürliche Unzucht, insbesondere ihre Sodomiterei,
ihre Unzucht mit Jünglingen und Knaben, ihre Unflätereien mit Tieren;
die Unzucht der Pfaffen und Mönche untereinander, mit ihren
Beichtkindern, und führt an, wie die gemeinschaftlichen Verbrecher, um
ungestört fortsündigen zu können, sich einander in der Beichte
absolvieren.

Damiani wird in seinem Eifer gegen die Weiber der Priester oft spaßhaft,
und seine Anrede an dieselben ist wahrhaft originell. "Indes rede ich
auch Euch an, Ihr Schätzchen der Kleriker, Ihr Lockspeise des Satans,
Ihr Auswurf des Paradieses, Ihr Gift der Geister, Schwert der Seelen,
Wolfsmilch für die Trinkenden, Gift für die Essenden, Quelle der Sünden,
Anlass des Verderbens. Euch, sage ich, rede ich an, Ihr Lusthäuser des
alten Feindes, Ihr Wiedehopfe, Eulen, Nachtkäuze, Wölfinnen, Blutegel,
die Ihr ohne Unterlass nach Mehrerem gelüstet. Kommt also und hört mich,
Ihr Metzen und Buhlerinnen, Lustdirnen, Ihr Mistpfützen fetter Schweine,
Ihr Ruhepolster unreiner Geister, Ihr Nymphen, Sirenen, Hexen, Dirnen
und was es sonst für Schimpfnamen geben mag, die man Euch beilegen
möchte.

Denn Ihr seid Speise der Satane, zur Flamme des ewigen Todes bestimmt.
An Euch weidet sich der Teufel wie an ausgesuchten Mahlzeiten und mästet
sich an der Fülle eurer Üppigkeit. Ihr seid die Gefäße des Grimms und
des Zorns Gottes, aufbewahrt auf den Tag des Gerichts. Ihr seid grimmige
Tigerinnen, deren blutige Rachen nur nach Menschenblut dürsten, Harpyen,
die das Opfer des Herrn umflattern und rauben und die, welche Gott
geweiht sind, grausam verschlingen.

Auch Löwinnen möchte ich Euch nicht unpassend nennen, die Ihr nach Art
wilder Tiere eure Mähne erhebt und unvorsichtige Menschen zu ihrem
Verderben in blutigen Umarmungen räuberisch umklammert. Ihr seid die
Sirenen und Charybden, indem Ihr, während ihr trügerisch anmutigen
Gesang ertönen lasst, unvermeidlichen Schiffbruch bereitet. Ihr seid
wütendes Otterngezücht, die Ihr vor Wollustbrunst Christus, der das
Haupt der Kleriker ist, in euern Buhlen ermordet."

Damiani muss ein komischer Kauz gewesen sein, und um seinen Reichtum an
Schimpfwörtern könnte ihn manches Fischweib beneiden. Nicht weniger
seltsam sind oft seine Vergleiche. So zum Beispiel vergleicht er, um der
Markgräfin Adelheid von Turin die Nachteile der Priesterehe begreiflich
zu machen, die Priester mit ihren Frauen den Füchsen, die Samson bei den
Schwänzen aneinanderband, Fackeln dazwischen steckte, sie anzündete und
sie dann in die Saatfelder der Philister jagte.

Damiani war es vorzüglich, welcher Papst Gregor VII. den Weg bahnte.
Durch ihn und andere Eiferer kam es endlich so weit, dass die Orthodoxen
die außereheliche Unzucht für weit weniger verbrecherisch hielten als
die Ehe, und zur Zeit Kaiser Heinrichs IV. verstießen viele Ehemänner,
sowohl Geistliche als Laien, ihre Weiber und gesellten sich zu
Jungfrauen, die ebenfalls wie sie Keuschheit gelobt hatten. Kurz, es
erneuerte sich wieder der Unfug mit den Liebesschwestern, der eigentlich
unter den Geistlichen nie aufgehört, nur dass man die geheuchelte
Keuschheit beiseite getan und in ehrlicher, offener Hurerei gelebt
hatte.

Andere Ehemänner, in Verzweiflung darüber, dass sie als Verheiratete
nicht selig werden könnten, verstießen gleichfalls ihre Frauen und
begaben sich samt Hab und Gut unter den Schutz der Mönche und führten
eine gemeinsame kanonische Lebensweise.

Trotzdem stieß aber Gregors VII. Zölibatsgesetz auf den entschiedensten
Widerstand. Lambert von Aschaffenburg erzählt, dass bei der
Bekanntmachung desselben die ganze Schar der Geistlichen gemurrt habe.
Alle wären der Meinung gewesen, "dass es besser sei, zu freien, als
Brunst zu leiden, und dass durch das Verbot der Ehe der Hurerei Tor und
Tür geöffnet würde. Wolle Gregor auf seiner Meinung bestehen, so wollten
sie lieber dem Priestertum entsagen, dann möge er, den Menschen
anstinken, sehen, woher er Engel zur Regierung des Volkes in den Kirchen
bekomme."

Mehrere Anhänger Gregors, welche das Zölibatsgesetz mit Gewalt
durchsetzen wollten, verloren beinahe das Leben darüber. Als Bischof
Altmann von Passau den Befehl des Papstes von der Kanzel verkündigte,
mussten ihn die anwesenden vornehmen Laien vor den wütenden Priestern
schützen, die ihn in Stücke reißen wollten. - Der Bischof Heinrich von
Chur geriet durch seinen Eifer für das Zölibat ebenfalls in
Lebensgefahr.

Als Erzbischof Johann von Rouen auf einer Synode das Gesetz verlas,
entstand ein Tumult; man bombardierte den Erzbischof mit Steinen, so
dass er in großer Eile die Kirche verlassen musste.

In England fand Gregors Gesetz ebenfalls bedeutenden Widerstand; aber
einer der englischen Prälaten tröstete sich, indem er sagte: "Man kann
wohl den Priestern die Weiber, aber nicht den Weibern die Priester
nehmen."

Bis zum Tode Heinrichs IV. von Deutschland wurden hier die beweibten
Priester auf das grausamste verfolgt, und da es den Päpsten nur um
Ausrottung der Priesterehe zu tun war, so wurden außereheliche Unzucht
und oft daraus entstehende Verbrechen weniger hart bestraft.

Auf die Anfrage des Abtes Rudolf von Saëz, was einem Mönch geschehen
solle, der es versucht hatte, einen Ehemann zu vergiften, antwortete
Anselm, Erzbischof von Canterbury - man solle ihn nicht zum Diakonat
oder Presbyteriat befördern!

Die englischen Geistlichen zeichneten sich ganz besonders durch ihre
Liederlichkeit aus, und ehrenhalber musste der Papst endlich offiziell
dagegen einschreiten. Auf der Synode zu London (1125) wurde also bei
Strafe der Absetzung den Priestern das Zusammenleben mit Weibern
verboten. Der Legat des Papstes, Kardinal Johann von Crema, hatte große
Mühe gehabt, diesen Beschluss durchzukämpfen, und noch am Abend
desselben Tages, wo es ihm gelungen war, ertappte man ihn mit einer
feilen Dirne. Er war unverschämt genug, sich damit zu entschuldigen,
"dass er nur ein Zuchtmeister der Priester sei".

Bischof Ranulph von Durham, genannt Flambard oder Passaflaberer, war
vielleicht der liederlichste Geistliche in der Welt. Er lebte wie ein
türkischer Sultan. Schöne Mädchen in üppiger Entkleidung kredenzten ihm
bei Tisch den Wein, und damit er stets die Mittel hatte, flott zu leben,
so bedrückte und plünderte er seine geistlichen Pflegekinder.

Sein Ruf war auch zu dem päpstlichen Legaten gedrungen. Dieser ließ ihn
vor die Synode nach London zitieren; allein Ranulph fand es nicht für
gut, diesem Ruf zu folgen, und der Kardinal Johann entschloss sich,
selbst nach Durham zu gehen, um sich hier durch den Augenschein von der
Wahrheit der Gerüchte zu überzeugen.

Ranulph wusste zu leben. Er empfing den Legaten Sr. Heiligkeit auf das
freundlichste, veranstaltete ein großes Gastmahl, bei dem alle
Leckereien der Welt und die feinsten Weine aufgetragen wurden, so dass
der Kardinal ganz außer sich vor Entzücken war, besonders da eine schöne
"Nichte" des Bischofs, die auf ihre Rolle einstudiert war, sich alle
mögliche Mühe gab, ihn vortrefflich zu unterhalten, ja, sich endlich
bewegen ließ, bei dem päpstlichen Legaten zu schlafen.

Nachdem dieser wie ein Gimpel in die ihm gestellte Falle gegangen war,
versammelte der Bischof seine Kleriker und Knaben, welche Becher und
Lichter trugen, und begab sich jetzt in feierlicher Prozession an das
Bett. Der Chorus rief: Heil! Heil!

Der verwirrte Legat fragte erstaunt: "Soll dies eine Ehrenbezeugung für
den heiligen Petrus sein?" "Mein Herr", antwortete der Bischof, "es ist
in unserem Land Sitte, dass, wenn ein Vornehmer heiratet, man ihm diese
Ehre zeigt. Steht auf und trinkt, was in diesem Kelche ist. Weigerst du
dich, so sollst du den Kelch trinken, nach welchem du nicht mehr dürsten
wirst."

Der Legat musste gute Miene zum bösen Spiel machen; er erhob sich,
"nackt bis zur Hälfte des Leibes", und trank den dargereichten Becher
seiner Bettgenossin zu. Darauf entfernte sich der Zug mit dem Bischof,
der nun wegen seines Bistums unbesorgt war.

Die Veranlassung zu dem Streit zwischen König Heinrich von England und
Thomas Becket war auch ein liederlicher Priester zu Worcestershire, der
die Tochter eines Pächters geschändet und diesen ermordet hatte und
welchen der König trotz allen Protestierens des Erzbischofs vor den
weltlichen Richterstuhl zog.

In Frankreich trieben es die Geistlichen ungefähr ebenso wie in England.
Der Erzbischof von Besançon zum Beispiel machte sich aller möglichen
Verbrechen schuldig. Um seinen Geiz zu befriedigen, verkaufte er alles,
was Käufer fand, und plünderte seine Geistlichen dermaßen aus, dass sie
in ärmlicher Kleidung wie Bauern umhergehen mussten. Nonnen und
Geistlichen gestattete er für Geld die Ehe. Er selbst lebte mit einer
Verwandten, der Äbtissin von Reaumair Mont, hatte ein Kind von einer
Nonne und nebenbei die Tochter eines Priesters als Konkubine; kurz, er
gestattete sich alle geschlechtlichen Ausschweifungen, und seine
Geistlichen hielten sich Konkubinen.

Der Erzbischof von Bordeaux unterhielt eine Räuberbande, die er zu
seinem Vorteil auf Expeditionen aussandte. Einst kam er mit einer Menge
liederlicher Mädchen und Kerle in die Abtei des heiligen Eparchius,
lebte hier drei Tage in Saus und Braus und zog endlich ab, nachdem er
das Kloster rein ausgeplündert hatte. "Seine übrigen Verbrechen
verbietet die Schamhaftigkeit zu nennen", sagt Papst Innozens III. in
seinen Briefen. Wer die Schandtaten der Pfaffen in jener Zeit studieren
will, der lese diese päpstlichen Briefe. Dem Papst wurden so viele
berichtet, dass er bald allein würde haben Messen lesen müssen, wenn er
sie alle nach Verdienst bestraft hätte; er hielt es daher für besser,
Milde zu üben, so sehr und oft diese schlecht angebrachte Milde auch
empören musste.

Ein Mönchpriester hatte mit einem Mädchen verbotenen Umgang gehabt. Als
die Dirne schwanger war, ergriff er sie, als wolle er mit ihr scherzen,
am Gürtel und verletzte sie so hart, dass eine Fehlgeburt erfolgte. Der
Fall kam vor Papst Innozens III. und dieser entschied: "dass, wenn die
Fehlgeburt noch kein Leben gehabt habe, der Mönch den Altardienst auch
ferner verrichten könne; dass er aber, wenn diese schon Leben gehabt
habe, des Altardienstes sich enthalten müsse".

Schon im Jahr 428 hatte Papst Coelestin es für nötig gefunden, Strafe
darauf zu setzen, wenn Geistliche ihre Beichtkinder zur Unzucht
verführten. Dergleichen Fälle kommen unendlich oft vor und ich werde im
letzten Kapitel ausführlicher über die Beichte reden.

Einem starken Affen in einer Menagerie zu nahe zu kommen war für eine
Frau nicht so gefährlich, wie mit einem Pfaffen in Berührung zu geraten.
Da diese ein faules Leben hatten, so erhitzten sie Tag und Nacht ihre
Phantasie mit üppigen Bildern und dachten an nichts anderes, als wie sie
ihre geilen Triebe befriedigen könnten. Fälle der Notzucht kamen
unendlich viele vor.

Unter Heinrich VI. baten die Geistlichen in England um Erlassung der
Strafen wegen begangener Notzucht. - Zu Basel hatte im Jahr 1297 ein
Geistlicher eine Jungfrau mit Gewalt geschändigt. Man kastrierte ihn zur
Strafe und hing das Corpus delicti zum abschreckenden Beispiel für
andere Pfaffen mitten in der Stadt an einer frequenten Passage auf. -
Die Venezianer ließen in späterer Zeit einen Augustiner zu Brecia, der
ein elfjähriges Mädchen genotzüchtigt und dann ermordet hatte,
vierteilen.

Sodomiterei und Knabenschändung waren unter den Geistlichen ganz
gewöhnlich, und das schon seit den ältesten Zeiten der christlichen
Kirche, wie die Konzilienbeschlüsse beweisen, von denen ich einige
angeführt habe. Im Jahr 1212 wurde auf einem Konzil den Mönchen und
regulierten Kanonikern verboten, zusammen in einem Bett zu liegen und
Sodomiterei zu treiben.

Im Jahr 1409 wurden zu Augsburg auf Befehl des Rats vier Priester und
ein Laie wegen Knabenschändung am Perlachturm mit gebundenen Händen und
Füßen in einem hölzernen Käfig aufgehängt, bis sie verhungerten. - Im
nächsten Kapitel von den Klöstern werde ich zeigen, dass Sodomiterei bis
auf die neueste Zeit als Folge des Zölibats unter den Pfaffen
gebräuchlich ist.

Aus dem, was ich bisher mitteilte, geht schon hervor, dass die Bischöfe
ihren Geistlichen in der Sittenlosigkeit meistens vorangingen, wenn sie
es auch nicht alle so arg trieben wie der Bischof Heinrich von Lüttich,
der eine Äbtissin zur Mätresse und in seinem Garten einen förmlichen
Harem hatte und der sich rühmte, in 22 Monaten vierzehn Söhne gezeugt zu
haben.

Unter so bewandten Umständen waren die Laien froh, wenn es diesen
Kirchenstieren erlaubt wurde, Konkubinen zu halten, damit nur ihre
Weiber und Töchter vor ihnen sicher wären. Ja, die Friesen gingen so
weit, dass sie gar keine Priester duldeten, die nicht Konkubinen hatten.
"Se gedulden oek geene Preesteren, sonder eheliche Fruwen (d. h.
Konkubinen), up dat sie ander lute bedde nicht beflecken, wente sy
meinen, dar idt nicht mogelygk sy, und baven die Natur, dat sick ein
mensche ontholden konne", heißt es in der Chronik.

Ich bemerkte schon früher, dass es den Päpsten mehr um die Vernichtung
der Priesterehe als um die Erhaltung der Keuschheit der Geistlichen zu
tun war, denn sie wollten nicht, dass rechtmäßige Kinder das Gut erbten,
was sie als Kirchengut betrachteten. Wenn nun auch die Konzilien auf
Betrieb einzelner dem Konkubinenwesen ein Ende machen wollten, indem sie
Verordnungen dagegen erließen, so war man eben nicht streng auf die
Befolgung derselben bedacht.

Ja, vielen Bischöfen wäre es gar nicht recht gewesen, wenn ein Papst
durchgreifende Maßregeln angeordnet hätte, denn diese Konkubinen waren
für sie eine Quelle der Gelderpressung. Häufig, wenn sie Geld brauchten,
fiel es ihnen ein, ihren Geistlichen das Konkubinat auf das strengste zu
verbieten, da es ihnen nur um die Strafgelder zu tun war.

Heinrich von Hewen, der in der Mitte des 15. Jahrhunderts Bischof von
Konstanz war, führte selbst ein üppiges Leben, und die Abgaben, welche
ihm seine Geistlichen von ihren Konkubinen entrichteten, verschafften
ihm eine jährliche Einnahme von 2000 Gulden.

Zur Zeit der Reformation mussten die Priester in Irland für jedes mit
ihren Konkubinen erzeugte Kind ihrem Bischof acht bis zwölf Taler
bezahlen.

Unter solchen Verhältnissen war es denn kein Wunder, wenn das Konkubinat
trotz aller Verbote, welche bei allen Synoden wenig beachtete stehende
Artikel wurden, in voller Wirksamkeit blieb, und endlich sahen die
Päpste ein, dass es ein unvermeidliches Übel sei und suchten nun selbst
Vorteil daraus zu ziehen. Sie dekretierten, dass jeder Geistliche,
mochte er nun eine Konkubine haben oder nicht, einen bestimmten
jährlichen Hurenzins entrichten müsse.

Als Beleg dafür, dass das Konkubinat unter den Geistlichen im 15.
Jahrhundert allgemein war, und zugleich um die Sitten des Klerus
überhaupt durch den Mund eines Zeitgenossen kennenzulernen, will ich
einige Stellen aus einem Werke des Nicholas de Clemancis anführen, der
in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts lebte, eine Zeit lang
päpstlicher Geheimschreiber, Schatzmeister und Kanonikus der Kirche zu
Langres war und 1440 als Kantor und Archidiakonus zu Liseur starb.

Seine Schilderung der Bischöfe ist wahrhaft scheußlich. Nach ihm trieben
und gestatteten sie für Geld alle Laster. Vorzüglich sind aber die
Domherren und ihre Vikare verdorbene Menschen. Sie sind der Habsucht,
dem Stolz, Müßiggang und der Schwelgerei ergeben. Sie halten ohne Scham
ihre unehelichen Kinder und Huren gleich Eheweibern im Haus und sind ein
Gräuel in der Kirche.

Die Priester und Kleriker leben öffentlich im Konkubinat und entrichten
ihren Bischöfen den Hurenzins. Die Laien wissen an mehreren Orten den
Schändungen der Jungfrauen und Ehefrauen keinen anderen Damm
entgegenzustellen, als dass sie die Priester zwingen, sich Konkubinen zu
halten.

"Ist jemand", schreibt Clemancis, "heutzutage träge und zum üppigen
Müßiggang geneigt, so eilt er sogleich, ein Priester zu werden. Alsdann
besuchen sie fleißig liederliche Häuser und Schenken, wo sie ihre ganze
Zeit mit Saufen, Fressen und Spielen zubringen, betrunken schreien,
fechten und lärmen, den Namen Gottes und der Heiligen mit ihren unreinen
Lippen verwünschen, bis sie endlich aus den Umarmungen ihrer Dirnen zum
Altar kommen."

Clemancis erwähnt hier auch das Saufen der Priester. Darin waren sie
besonders stark und setzten einen Ruhm darein, es den Laien zuvorzutun.
Schon im ersten Jahrhundert stoßen wir auf Bischöfe, die vollendete
Trunkenbolde waren. Einer derselben, Droctigisilus, verfiel in
Säuferwahnsinn. Die Pfaffen sagten, wenn sie guter Laune waren, von sich
selbst: "Wir sind das Salz der Erde, aber man muss es anfeuchten, denn
kein guter Geist wohnt im Trockenen." Besonders gut trank man in den
Klöstern. Doch davon später.

Zu einem guten Trunk gehört natürlich auch eine gute Tafel, und es ist
ja noch heute jedem bekannt, dass die katholischen Geistlichen einen
trefflichen Tisch führen. Bischöfe jagten unermessliche Summen durch
ihren Schlund, und um der nüchternen Gegenwart einen Begriff von ihren
kostspieligen Fressereien zu geben, setze ich den Küchenzettel für das
Gastmahl am Tag der Installation Georg Nevils, Erzbischof von York,
hierher.

Zu diesem Feste waren erforderlich: 300 Quart Weizen, 330 Tonnen Ale,
104 Tonnen Wein, 1 Pipe Gewürzwein, 80 fette Ochsen, 6 wilde Stiere,
1004 Hammel, 300 Schweine, 300 Kälber, 3000 Gänse, 3000 Kapaunen, 300
Ferkel, 100 Pfauen, 200 Kraniche, 200 Ziegenlämmer, 2000 junge Hühner,
4000 junge Tauben, 4000 Kaninchen, 204 Rohrdommeln, 4000 Enten, 200
Fasanen, 500 Rebhühner, 4000 Schnepfen, 400 Wasserhühner, 100 große
Brachvögel und 100 Wachteln, 1000 Reiher, 200 Rehe und 400 Stück
Rotwild, 1506 Wildbretpasteten, 1400 Schüsseln gebrochenen Gelee, 4000
Schüsseln ganzen Gelee, 4000 kalte Custards, 2000 warme Custards, 300
Hechte, 300 Brachsen, 8 Robben, 4 Delphine oder Taumler und 400 Torten.
- 62 Köche und 515 Küchendiener besorgten die Zubereitung dieser
Speisen, und bei der Tafel selbst warteten 1000 Diener auf.

Doch kehren wir wieder von der Pfaffenvöllerei zur Pfaffenhurerei
zurück. - Die Basler Synode (1431-1448) gab sich die nutzlose Mühe,
ernstliche Verordnungen gegen das Konkubinat zu erlassen; aber zu dem
einzigen Mittel, demselben ein Ende zu machen, konnte man sich nicht
entschließen, obgleich sehr angesehene Männer auf der Synode, wie der
Geheimschreiber und Zeremonienmeister derselben, Clemens Sylvius
Piccolomini, günstig für die Priesterehe gestimmt waren. Er äußerte: "Es
gab, wie Ihr wisst, verheiratete Päpste, und auch Petrus, der
Apostelfürst, hatte eine Frau. Vielleicht dürfte es gut sein, wenn den
Priestern zu heiraten gestattet wäre, weil viele verheiratete im
Priestertum ihr Seelenheil befördern würden, welche jetzt ehelos zu
Grunde gehen."

Große Eiferer gegen das Konkubinat in dieser Zeit waren Bischof Berthold
von Straßburg und Bischof Stephan von Brandenburg. Der Letztere klagt
bitter über die Geistlichen in seiner Diözese und sagt, dass sehr viele
Beischläferinnen hielten und durch ihr liederliches Leben "nicht nur
gemeine Leute, sondern auch Fürsten und Große" ärgerten.

"Und diese Priester", sagt er auf einer Synode zu Brandenburg, "haben
eine solche Hurenstirn, dass sie es für eine Kleinigkeit halten, Unzucht
und Ehebruch zu begehen. Denn wenn aus Schwachheit des Fleisches ihre
Köchinnen und Mädchen von ihnen oder vielleicht von den anderen
geschwängert sind, so leugnen sie die Sünde nicht ab, sondern achten es
sich zur hohen Ehre, die Väter aus so verdammlichem Beischlaf erzeugter
Kinder zu sein. - Ja, sie laden die benachbarten Geistlichen und Laien
beiderlei Geschlechts zu Gevattern ein und stellen große Festlichkeiten
und Freudengelage über die Geburt solcher Kinder an. Verflucht seien
die, welche durch eigenes Geständnis das kund werden lassen, was sie
durch Leugnen noch zweifelhaft machen, und so einigermaßen der
rechtlichen Strafe entgehen könnten!" - Es ist dies ein schönes Pröbchen
bischöflicher Moral.

Die Regierungen mancher Länder, welche einsahen, dass nur dadurch
größerem Ärgernis vorgebeugt werde, waren vernünftig genug, das
Konkubinat der Geistlichen beinahe als rechtmäßige Ehe gelten zu lassen.
Dies taten zum Beispiel mehrere Regierungen in der Schweiz, und die
Obrigkeit schützte hier die Konkubinen der Geistlichen und deren Kinder
gegen die Habsucht der geistlichen Vorgesetzten, indem sie
Testamentsvermächtnisse für die ersteren als gültig anerkannte.

Zu dem Bischof von Tarent, der Legat des Papstes in der Schweiz war,
sagte jemand, dass die Nonnen dort tun könnten, was sie wollten, es
würde nicht untersucht etc., bekämen sie aber Kinder, dann erwarte sie
ein fürchterlicher finsterer Kerker. Darauf erwiderte der Legat: "Selig
sind die Unfruchtbaren!"

Doch mit den Klöstern haben wir es noch nicht zu tun, sondern vorläufig
nur mit den Weltgeistlichen. - Das Konkubinat derselben, selbst wenn es
gewissermaßen vom Gesetz geschützt war, konnte doch niemals die Ehe
ersetzen und diente nur dazu, die Geistlichkeit verächtlich und
lächerlich zu machen. Es lag in der Natur dieses Verhältnisses, dass
selten Frauen von einigem Wert ein solches eingingen. Kam auch wohl hin
und wieder ein Fall vor, wo sich ein Mädchen aus Liebe über die
bestehenden Vorurteile hinwegsetzte, so waren es doch meistens nur
gemeine Dirnen, welche nur darauf trachteten, die Geistlichen zu
plündern. "Pfaffengut fließt in Fingerhut", sagt ein altes Sprichwort.

Dieses halbgeduldete Verhältnis konnte niemals ein geachtetes werden und
bleibt stets eine Entwürdigung. Es kam wohl vor, dass einzelne
Geistliche ihren Konkubinen alle Achtung zollten, wie sie einer Gattin
zukommt, allein meistens und besonders von den Gebildeten wurden sie als
Köchinnen oder sonstige Dienstboten im Haus gehalten. Solche Personen
wussten nun den erlangten Vorteil trefflich zu ihrem Vorteil zu
benützen. Sie schämten sich des Verhältnisses nicht, wohl aber der
gebildetere Geistliche, der ihr Herr war und der sich viel gefallen, ja
oft ganz und gar unter den Pantoffel bringen ließ, damit nur seine
menschlichen Schwachheiten nicht unter die Leute gebracht würden; denn
diese ermangelten nicht, ihre Späße über die "Pfaffenköchinnen"
anzubringen, und gar mancher Geistliche musste sich still wegschleichen,
wenn die jungen Burschen sangen:

    Mädchen, wenn du dienen musst,
    So diene nur den Pfaffen,
    Kannst den Lohn im  Bett verdienen
    Und darfst nicht viel schaffen.

Viele verdorbene Geistliche waren froh, dass die Ehe sie nicht an eine
Frau fesselte; sie konnten ihre Lüsternheit nach Abwechslung
befriedigen, indem sie die Dirne, die ihnen nicht mehr gefiel, wegjagten
und eine neue nahmen. Solche Konkubinate, die leider sehr häufig
vorkamen, waren gemeine Hurerei, und dadurch wurde bei den Pfaffen eine
Gemeinheit und Rohheit erzeugt, die sich besonders in ihrer Denkungsart
über geschlechtliche Dinge äußerte, wie sie in der Ehe wohl nur selten
entstehen können.

Solche Pfaffen machten aus ihrer Liederlichkeit gar kein Geheimnis; ja,
sie rühmten sich derselben, und gleichzeitige, sehr glaubwürdige
Schriftsteller erzählen, dass bei Fress- und Saufgelagen diese
"Pfarrfarren" und "Kuttenhengste", wie sie Fischart nennt, mit den
Bauern Wetten machten, deren Gegenstand so obszön war, dass ich sie gar
nicht einmal näher andeuten mag, obwohl mir alle Prüderie sehr
fernliegt.

Ja, diese Pfaffen scheuten sich nicht, ihre unzüchtigen Verhältnisse auf
der Kanzel zu erwähnen, und oft machten sie diese Ungeschicklichkeit
dadurch noch schlimmer, dass sie dieselbe mit irgendwelchen rohen Späßen
würzten.

An den Kirchenweihen wurden von ihnen die wildesten und liederlichsten
Gelage gefeiert. Alle benachbarten Pfarrer mit ihren Köchinnen besuchten
den Geistlichen, der sein Kirchweihfest feierte, und dann wurde
gefressen, gesoffen und andere Liederlichkeiten getrieben.

Als der Bischof von Mainz den Bischof von Merseburg einst besuchte und
unterwegs bei einem Pfarrer einkehrte, wo eben das Kirchweihfest
gehalten wurde, begleitete ihn sein Leibarzt, der davon folgende
ergötzliche Erzählung liefert:

"Der Bischof steigt abe, und nahet zu der Pfarrhe zu, zu seinem
Handwerk. Nun hatte der Pfarrher zehn ander Pfarren geladen zur
kirchweyhe, und ein yeglicher hatte eine köchin mit sich gebracht. Do
sie aber leutte kommen sahen, lauffen die Pfaffen mit den huren alle in
einen stalle, sich zu verbergen. Indes gehet ein Grafe, der an des
Bischoffs hofe war, in den Hofe, seinen gefug zu thun, und da er in den
stall will, darin die hüren und büben geflohen waren, schreyt des
pfarrers köchin, Nicht Junker, nicht. Es seind böse hunde darinnen, sie
möchten euch beissen. Er leßt nicht nach, gehet hinein vnd findet einen
großen hauffen hüren und büben im stalle.

Da der Grafe in die stuben kumpt, hatt man dem Bischoff eyn feyste Ganß
fürgesetzt zu essen, hebt der Graf an, vnd sag diß geschicht dem
Bischoff zum Tischmerlein, gen abend, kamen sie gen Merßburg, daselbs
sagt der Bischoff von Mentz, dies geschicht dem Bischoff von Merßburg.
Da das der heylig vatter hörete, betrübet er sich nicht vmb das, das die
Plaffen hüren haben, sondern darumb, daß die Köchin die büben im stalle
hunde geheißen hätte, vnd spricht, Ach Herre Gott, vergebe es Gott dem
weibe, das die gesalbten deß Herren hunde geheißen hat. Das hab ich
darumb erzelet das man sehe, wie wir Deutschen das Sprichwort so
festhalten, Es ist kein Dörflein so klein, es wird des jars einmal
kirmeß darinne. Das aber geschrieben stehet, Es kumpt kein hurer im
Himmel, des achten wir nit."

"Da wir uns nun genug mit der Hurerei beschäftigt haben", heißt es in
der Predigt, "so wollen wir zum Ehebruch übergehen."

Das Konkubinat war noch am Ende das allerunschuldigste Ergebnis des
Zölibatsgesetzes. Einen weit verderblicheren Einfluss auf die Moralität
des Volkes hatten die sonstigen aus demselben entstehenden Folgen.

Man kann es als Regel annehmen, dass es noch immer der bessere Teil der
Geistlichen war, welcher mit ständigen Konkubinen in einem der Ehe
ähnlichen Verhältnis lebte. Die echten Pfaffen betrachteten aber die
Frauen und Töchter der Laien als Wild, auf welches sie Jagd machten und
welches sie durch alle möglichen niederträchtigen Verführungskünste in
ihre Netze zu locken trachteten.

Diese Künste mussten einen umso größeren Erfolg haben, als ihr Stand die
Pfaffen mit den Frauen in häufige Berührung brachte und die Dummheit der
Männer diesen Verkehr noch erleichterte. Trotz aller Beispiele und
täglich unter ihren Augen vorgehenden Niederträchtigkeiten wurden die
Männer nicht klug, denn die Pfaffen wussten sich einen solchen heiligen
Schein zu geben, dass die Ehetölpel es kaum wagten, auch nur einen
Verdacht zu haben.

Alle Erzählungen von ihrer Liederlichkeit erklärten die Pfaffen
natürlich für schamlose Lügen, und war ein Fall einmal gar zu
offenkundig geworden, dann verboten sie streng, davon zu reden, und
verwiesen auf das Beispiel des Kaisers Konstantin, der einst einen
Priester in flagranti ertappte, mit seinem kaiserlichen Mantel zudeckte,
und prägten ihren Beichtkindern ein, was der fromme Rabanus Maurus sagt:
"Wenn man einen Geistlichen sähe, die Hand auf dem Busen eines Weibes,
so müsse man annehmen, dass er sie segne!" - Allerdings befanden sie
sich nach solchem Segen gar häufig in "gesegneten Umständen"!

Einer derjenigen Schriftsteller früherer Zeit, welche die Schandtaten
der Pfaffen mit der größten Rücksichtslosigkeit aufdeckten, war Poggio
Bracciolini, den ich schon früher nannte. Die ganze Kuttenwelt geriet in
Alarm, und sein berühmter Gönner Cosmo de Medici empfahl ihm die größte
Vorsicht. Im siebten Kapitel, wo wir über den Missbrauch des
Beichtstuhls reden, werden einige der von ihm erzählten Fälle mitgeteilt
werden.

Felix Hemmerlin, gestorben 1457, Chorherr zu Zürich und Zofingen und
Propst zu Solothurn, schildert besonders die Verdorbenheit der Mönche;
aber auch von den Weltgeistlichen weiß er manche Dinge zu erzählen, die
man für ganz unglaublich halten müsste, wenn sie nicht auch noch von
anderen geachteten, ernsten und wahrheitsliebenden Männern jener Zeit
bestätigt würden. - Die bestialische Rohheit mancher Pfaffen überstieg
alle Begriffe. Selbst die Beschlüsse der Konzilien lieferten die Beweise
davon. Bald wird ihnen durch dieselben verboten, barfuß oder in
zerrissenen Jacken und Hosen den Gottesdienst zu halten; bald, keine
obszönen Grimassen am Altar zu machen und keine schmutzigen Lieder zu
singen.

Dies musste ich vorausschicken, um folgender Geschichte Glauben zu
verschaffen, die Hemmerlin erzählt: Ein Priester lebte in einem
unerlaubten Verhältnis mit einer sehr angesehenen Frau. Die Sache wurde
bekannt, und er wurde gezwungen, von seiner Pfarre zu fliehen. Als er
verzweiflungsvoll im Wald umherirrte, begegnete ihm ein Mönch, der ihn
fragte, weshalb er so betrübt umherlaufe. Der Priester erzählte ganz
treuherzig sein Leiden. Aber der vermeintliche Mönch war der Satan -
vielleicht auch ein Schalk in einer Kutte - und erwiderte: "Nicht wahr,
wenn du das böse Glied nicht hättest, dann könntest du in deiner Pfarrei
sicher wohnen?" - "Allerdings, mein Herr", antwortete der Pfarrer. -
"Nun, so hebe dein Gewand auf, damit ich es berühre, wie sie es ja auch
berührt hat, dann kannst du dich ohne Scheu deiner Gemeinde zeigen, und
es wird in dem Augenblick verschwunden sein." Der Geistliche tat, was
der Mönch wollte, und rannte dann voller Freude in seine Pfarrei zurück,
ließ die Glocken läuten, versammelte die Gemeinde und bestieg die
Kanzel. Voll Zuversicht hob er seine Kleider auf - et mox membrum suum
abundantius quam prius apparuit.

Sehr lesenswert sind die Schriften von Johann Busch, der Propst der
regulierten Chorherrn zu Soltau, in der Nähe von Hildesheim, und
Visitator des Erzbistums Magdeburg war. Er verfolgte mit großem Eifer
die Priester, welche Konkubinen hielten, und bestrafte sie nicht mit
Geld, wie sie es bis dahin gewohnt waren, sondern mit kanonischen
Strafen.

Einst lud er einen Pfarrer samt seiner Konkubine zu sich. Ersteren ließ
er in das Kloster kommen, aber die Dirne musste draußen bleiben. Auf das
schärfste befragt, leugnete der Pfarrer standhaft und beteuerte mit
einem heiligen Eid, dass er ganz keusch mit seiner Magd lebe. Nun ging
Busch vor die Tür zu dem Mädchen und sagte: "Ich habe gehört, dass du
bei deinem Herrn zu schlafen pflegst", aber sie leugnete und meinte,
dass sie nur mit Kühen, Kälbern und Schweinen zu tun habe. Als aber
Busch sagte, dass ihr Herr bereits gestanden habe, da gestand sie auch,
und der geistliche Herr hatte falsch geschworen.

Von den Satirendichtern jener Zeit will ich gar nicht einmal reden, denn
es ist wahrscheinlich, dass sie hin und wieder etwas erfanden, um die
Pfaffen lächerlich zu machen. Ihre Schriften wurden indes überall mit
Beifall gelesen, denn alle Welt war über die freche Sittenlosigkeit der
Pfaffen empört.

Giovanni Francesco Pico, Prinz von Mirandola, der die seltsame
Unterredung mit Papst Alexander VI. hatte, schilderte in einer Eingabe
an Papst Leo X. (1513) den Verfall des Klerus und ist besonders darüber
empört, dass solche Knaben, welche den höheren Geistlichen zur
Befriedigung ihrer unnatürlichen Wollust gedient, zum Kirchendienste
erzogen wurden.

Geiler von Kaisersberg (starb 1510) war Lehrer der Theologie zu Freiburg
und wurde dann Prediger zu Straßburg. Er erklärte einst dem Bischof:
dass, wenn ein Unkeuscher keine Messe lesen dürfe, er nur die
Geistlichkeit des ganzen Sprengels suspendieren möge, denn die meisten
lebten in einem ärgerlichen Konkubinate.

Dieser ebenso sittenreine als gelehrte originelle Mann schilderte in
seinen trefflichen Predigten die Mönche und Pfaffen nach dem Leben. In
einer derselben "Vom menschlichen Baum" heißt es: "Soll nämlich die
Frucht der ehelichen Keuschheit auf den Ästen des Baumes wachsen, so
hüte dich, sieh dich vor, schäme dich. Zum ersten hüte dich vor den
Mönchen. Diese Tengerferlin gehen nicht aus den Häusern, sie tragen
etwas von der Frucht hinweg.

Ja, wie soll ich sie aber erkennen! Zu dem ersten erkenne sie, wenn
einer in dein Haus kommt, so ketscht er ein kleines Novizlein mit sich,
es ist kaum eine Faust groß, das bleibt in einem Winkel sitzen, dem gibt
man einen Apfel, bis die Frau ihn durch das ganze Haus geführt hat.

Zum andern, so siehe seine Hände an, so bringt er Gaben, das schenkt er
dir, das der Frau, das den Kindern, das der Dienerin.

Das dritte Zeichen ist, wenn er dir unbescheidene Ehre antut. Wenn du
ein Handwerksmann bist, nennt er dich Junker. - Wenn du ein
semmelfarbenen Mönch siehst, so zeichne dich mit dem heiligen Kreuze,
und ist der Mönch schwarz, so ist es der Teufel, ist er weiß, so ist es
seine Mutter, ist er grau, so hat er mit beiden teil.

Zu dem andern hüte dich vor den Pfaffen, die mache dir nicht geheim,
besonders die Beichtväter, Leutpriester, Helfer und Kapläne. Ja,
sprichst du, meine Frau hasset Mönche und Pfaffen, sie schwört, sie habe
sie nicht lieb. Es ist wahr, sie wirft es so weit weg, dass es einer in
drei Tagen mit einem Pferd nicht errennen möchte. Glaub ihr nicht, denn
der Teufel treibt die Frauen, dass sie der geweihten Leut begehren."

Interessante Belege zu der Liederlichkeit der Geistlichen enthalten die
Schriften der Ärzte. Aus ihnen lernt man die schrecklichen Folgen des
Zölibats an den Leibern der Pfaffen selbst erkennen. Es war nur ein
Unglück, dass sie diese weiter mitteilten und auch die Menschen
körperlich zu Grunde richteten, welche sie bereits geistig elend gemacht
hatten. Alle Ärzte klagten, dass die Lustseuche, welche deutsche
Landsknechte aus Frankreich mitgebracht haben sollten, durch die Pfaffen
auf eine grauenerregende Weise verbreitet wurde.

Vergebens waren alle Ermahnungen zur Mäßigkeit. Gaspar Torella, erster
Kardinal am Hofe Alexanders VI., Bischof von St. Justa in Sardinien und
Leibarzt des Papstes, bat die Kardinäle und sämtliche Geistlichen, "doch
ja nicht des Morgens bald nach der Messe Unzucht zu treiben, sondern des
Nachmittags, und zwar nach geschehener Verdauung, sonst würden sie ihre
Sündhaftigkeit mit Abzehrung, Speichelfluss und ähnlichen Krankheiten zu
büßen haben, und die Kirche würde ja ihrer schönsten Zierden beraubt
werden".

Einige Ärzte waren sogar boshaft genug, die Besorgnis auszusprechen,
dass die Geistlichen die Lustseuche auch in den Himmel verpflanzen
würden; und der Arzt Wendelin Hock forderte den Herzog von Württernberg
auf, der Liederlichkeit der Pfaffen Einhalt zu tun, da sonst das ganze
Land verpestet werde. Diese Besorgnis war keineswegs aus der Luft
gegriffen, denn die venerischen Krankheiten nahmen so überhand, dass man
in den meisten größeren Städten eigene Spitäler dafür erbaute, welche
man Franzosenhäuser nannte.

Bartholomäus Montagna, Professor der Heilkunde zu Padua, hatte an den
Leibern seiner geistlichen Freunde die beste Gelegenheit, die Lustseuche
zu studieren, und schrieb daher ein Buch, in welchem er einige
Kardinalkrankheiten schrecklich genug schilderte. Alexander VI. selbst
hatte fürchterlich zu leiden, und der Kardinalbischof von Segovia, der
die Aufsicht über die Hurenhäuser zu Rom hatte, widmete ihnen so große
Sorgsamkeit, dass er darüber sein Leben einbüßte.

Zur Zeit der Reformation kamen unzählige Nichtswürdigkeiten der Pfaffen
an das Licht. Als Luther anfing, Lärm zu schlagen, da regte es sich von
allen Seiten, und Schriften gegen die Geistlichkeit erschienen in
unendlicher Zahl und überschwemmten ganz Europa.

Luther, Melanchthon, Zwingli und andere forderten laut die Erlaubnis zur
Ehe für die Priester, und Letzterer richtete im Namen vieler Geistlichen
Schriften an seine Vorgesetzten, die aber alle nichts fruchteten. Aus
einer derselben will ich nur Folgendes anführen.

Ein Schulmeister, der verheiratet war, hatte Lust, ein Priester zu
werden, und wurde es mit Einwilligung seiner Frau. Er hatte sich aber zu
viel zugetraut, indem er dachte, das Keuschheitsgelübde halten zu
können. Er wehrte sich lange und hätte gern seine Frau wieder zu sich
genommen; da er aber dies nicht durfte, so hing er sich an eine Dirne,
verließ den Wohnort seiner Frau, um diese nicht zu kränken, und kam in
das Bistum Konstanz. Die Frau, welche hörte, dass er eine Haushälterin
habe, zog ihm nach. Der Mann, welcher sie lieb hatte, schickte die
Haushälterin weg und nahm seine Frau wieder zu sich, da er meinte, es
sei dies doch besser, da es ohne "weibliche Pflege" nun einmal nicht
ginge. Der Generalvikar und die Konsistorialräte teilten aber seine
Ansicht nicht; sie befahlen ihm bei Verlust seiner Pfründe, seine Frau
wegzuschicken. Der arme Geistliche erbot sich, dieselbe als Konkubine
jährlich zu verzinsen; allein, das war umsonst, sie musste fort. Darauf
nahm er seine fortgeschickte Konkubine wieder zu sich, und alles war in
bester pfäffischer Ordnung; der Generalvikar hatte nichts dagegen zu
erinnern!

Der Rat von Zürich gestattete bald nach einer Disputation, in welcher
Zwingli die Ehe wacker verteidigt hatte, dass sich die Priester
verheirateten. Mehrere machten sogleich von dieser Erlaubnis Gebrauch
und verkündeten ihren Entschluss von der Kanzel. Das Volk bezeugte laut
seinen Beifall, und bei der Trauung eines Priesters in Straßburg, wo man
bald dem guten Beispiel folgte, rief man im Volk, er habe recht getan,
und wünschte ihm tausend glückliche Jahre.

Erasmus von Rotterdam, der durch seine Schriften sehr viel beitrug, die
Macht der Päpste zu untergraben, nannte die Reformation das "lutherische
Fieber" oder ein Lustspiel, da es mit einer Heirat schließe. Als er
Luthers Vermählung erfuhr, scherzte er: Es ist ein altes Märlein, dass
der Antichrist von einem Mönch und einer Nonne kommen soll. Er schrieb
gleichfalls gegen das Zölibat, meinte aber, dass die Päpste es
schwerlich abschaffen würden, da ihnen der Hurenzins gar zu gut tue.

Auf der Trientiner Synode, wo all der alte römische Kohl wieder
aufgewärmt wurde, bestätigte man auch wieder aufs neue das Zölibat und
erließ die strengsten Befehle gegen das Konkubinat. Aber auch diese
Beschlüsse halfen nicht viel. In Polen lebten zur Zeit der Reformation
fast alle Geistlichen in heimlicher Ehe, und viele bekannten sie selbst
öffentlich. Dieser Zustand änderte sich auch nach der Trientiner Synode
nicht, und dass das Konkubinat fortbestand, lehren die unzähligen
späteren Verordnungen dagegen.

In denjenigen Ländern, in welchen die Reformation festen Fuß gefasst
hatte, waren die Geistlichen freilich darauf bedacht, ihr Schandleben
vor den Augen der Welt immer mehr zu verbergen; aber wie begreiflich
wurde damals nichts für die Sittlichkeit gewonnen, sondern diese wurde
im Gegenteil noch mehr dadurch gefährdet. Die Pfaffen blieben trotz
aller Konzilienbeschlüsse liebebedürftige Menschen, um die Sache einmal
recht zart auszudrücken, und da beim unvorsichtigen Genuss harte Strafen
drohten, so waren sie darauf angewiesen, sich in der Kunst der
Verstellung und Heuchelei zu vervollkommnen. Das Handwerk des
Frauenverführers wurde nun jesuitischer betrieben, und das war wahrlich
kein Gewinn.

In den echt katholischen Ländern genierte man sich indessen weniger, und
der Kardinal Bellarmin zum Beispiel führte ein Leben, als hätte nie eine
Reformation stattgefunden. Man erzählt von ihm, dass er 1624 Geliebte
gehabt und nebenbei zur Sodomiterei noch vier schöne Ziegen gehalten
habe! Mehr kann man von einem Kardinal billigerweise nicht verlangen.

Im siebzehnten Jahrhundert erschienen noch sehr zahlreiche, die Unzucht
der Pfaffen betreffende Verordnungen, und da man einmal das Konkubinat
nicht ausrotten konnte, soviel Mühe man sich auch gab, so bestimmte man
nun das Alter der Köchinnen und Haushälterinnen auf fünfzig Jahre, und
trotz dieses Alters, welches gegen das höchst rücksichtslose
Kinderbekommen sicherte, worauf es hauptsächlich ankam, mussten die
Pfaffenköchinnen sich einer strengen Prüfung unterwerfen.

Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert werden die Provinzialsynoden
immer seltener, und dies ist der Grund, weshalb die beständigen
Erinnerungen an die Keuschheitsgesetze wegfallen, welche nur hin und
wieder in den bischöflichen Hirtenbriefen eingeschärft werden.

Man hatte eingesehen, dass Pfaffenfleisch sich nicht ertöten lässt, und
war weit diplomatischer geworden. Anstatt bei Keuschheitsvergehen an die
große Glocke zu schlagen, vertuschte man sie und suchte den Glauben zu
verbreiten, als stehe es mit der Keuschheit der Pfaffen sehr gut. Fand
man eine Erinnerung nötig, so sorgte man auch dafür, dass keine Kunde
davon unter die Leute kam, und in dem Ausschreiben Joseph Konrads,
Bischof von Freisingen und Regensburg, an den Regensburger Klerus vom 7.
Januar 1796 heißt es ausdrücklich: "Übrigens wollen wir, dass von diesen
Statuten keine Nachricht unter das Volk komme, damit nicht der Klerus
verachtet und verspottet werde. Wir haben uns auch deswegen der
lateinischen Sprache bedient, damit für die Ehre des Klerus gesorgt und
das Volk bei seiner guten Meinung erhalten werde, da einige in demselben
glauben, es dürfte auch nicht der Verdacht eines schändlichen
Verbrechens auf die Priester und seine Seelsorger fallen."

Ein Umlaufschreiben des Bischofs Ignaz Albert von Augsburg vom 1. April
1824 ist im Allgemeinen außerordentlich diplomatisch und umso mehr wird
man darin von folgender Stelle frappiert: - "Ja, wir wissen es, dass es
bei einigen Pfarrern schon zur Gewohnheit geworden ist, an Kirchfesten
und Jahrmärkten mit den Köchinnen zu erscheinen und im Pfarrhaus oder in
Wirtshäusern einzusprechen und in später Nacht vollgefressen und
vollgesoffen nach Hause zurückzukehren."

In Spanien stand es mit der Sittlichkeit der Geistlichen in den ersten
Jahrzehnten dieses Jahrhunderts sehr schlecht, und der Großinquisitor
Bertram erklärte: dass die ganze Strenge der Inquisition dazu nötig sei,
um Kleriker und Mönche von Verbrechen zurückzuhalten und zu verhindern,
dass der Beichtstuhl in ein Bordell umgewandelt werde. - Wie es mit der
Moralität der Geistlichen in der Schweiz steht, werden wir im nächsten
Kapitel an einigen Beispielen sehen. - In Südamerika überbieten die
Pfaffen alle anderen Stände an Liederlichkeit, was dort etwas heißen
will. In Peru besteht das Konkubinat in voller Blüte.

Wie es mit der Sittlichkeit der römischen Geistlichkeit in Deutschland
steht, will ich hier nicht erörtern. Leser, die in katholischen
Distrikten unseres Vaterlandes wohnen, wissen es. Das Zölibat besteht
noch, und wenn auch die höhere Bildung unseres Zeitalters es nicht
gestattet, dass die Liederlichkeit der Pfaffen mit derselben frechen
Unverschämtheit auftritt wie früher, so bleiben die Folgen dieses
Zölibats doch überall dieselben. Diese Folgen waren es fast ebenso sehr
wie die Habsucht der Pfaffen, welche die Reformation herbeiführten; und
wenn das jetzt zusammentretende Konzil über die Mittel beraten sollte,
die katholische Religion in den schwankenden Ländern zu rehabilitieren,
so sollte es nicht vergessen, dass die Aufhebung des Zölibats das
wirksamste sein würde.




Die Möncherei


                                            Im Weltgewühle wohnt
                                            Der Sünde freche Fülle
                                            In heil'gen Mauern thront
                                            Unheiligkeit in Stille


Wie das Mönchswesen entstand, habe ich früher angedeutet. Klöster
stiegen im Mittelalter wie Pilze aus der Erde hervor. Bis zur
Reformation waren allein 14.993 Bettelmönchklöster errichtet worden!
Durch die Reformation und die darauf folgenden Kriege gingen in
Deutschland 800 Klöster zu Grunde, in Sachsen allein 130; aber dessen
ungeachtet fand Kaiser Joseph II. bei seinem Regierungsantritt noch 1565
Mönchs- und 604 Nonnenklöster in seinen Staaten. Zur Zeit Luthers belief
sich die Zahl der Mönche auf 2.465.000 und das stehende Heer der
Bettelmönche allein auf eine Million!

Es ist fast unmöglich, alle Spielarten dieser Mönche und Nonnen
aufzuzählen und ich unterlasse es daher, wie Marnix de St. Aldegonde in
seinem berühmten "Bienenkorb deß heil. Röm. Immenschwarms etc." und
bemerke nur mit seinen Worten: "Wie etliche in Schneeweis, etliche inn
kohlschwarz, die anderen in Eselgraw, inn grasgrün, in feuerrodt, in
himmelblaw, inn bund oder geschecket gekleyd gehn, die eynen eyn helle,
die andern ein trübe kapp antragen, die eyn Rauchfarb vom Fegefeuer
geräuchert, die andern von Requiem Todenpleych. Den einen Mönch graw wie
ein Spatz, den andern hellgraw wie eyn Klosterkatz: Etliche vermengt mit
schwarz und weis, wie Atzeln, Raupen vnd Läus, die andern Schwefelfarb
und Wolffsfarb, die Dritten Eschenfarb vnd Holtzfarb, etliche inn vil
Röcken vber einander, die andern in eyner blosen Kutt: Etliche mit dem
hemd vberm Rock, die andern ohn ein hemd, oder mit eym pantzerhemd, oder
härin hemd, oder Sanct Johannes Cameelshaut auf bloser haut: Etliche
halb, etliche gantz beschoren; etliche bärtig, die andern Unbärtig und
Ungeberdig: Etliche gehn barhaupt, vil Barfüßig, aber alle miteynander
müßig: Etliche sind ganz Wüllin, etlich Leinin, etlich Schäfin, etlich
Schweinin: Etlich füren Juden Ringlein auff der Brust, die andern zwey
schwerter kreutzweis zum kreutzstreich darauff geschrenkt, die dritten
ein Crucefix für die Bottenbüchs, die Vierten zwen schlüssel. Die
fünfften Sternen, die sechsten kräntzlin: die siebenden Spiegel auß dem
Eulenspiegel, die achten Bischofshut, die Neunten fligel, die Zehenden
Tuchschären, die eylfften Kelch, die zwölfften Muscheln und Jacobsstäb,
die Dreizehnden geysseln, die Viertzehenden schilt vnd andre sonst auff
der Brust seltsam grillen, von Paternostre, Ringen vnd Prillen. Sehet
da, die Feldzeychen sind schon ausgetheylt, es fälen nur die Federpusch,
so ziehen sie hin inn Krig gerüst."

Es war dies eine ungeheure Macht, besonders durch ihren Reichtum, zu
welchem sie durch die Schenkungen frommer Schwachköpfe und durch -
Betrügereien gelangten. Hatte eine Kirche oder ein Kloster Lust nach
einem schönen Landstrich, so fand sich bald im Klosterarchiv eine
vergilbte Pergamenturkunde, ausgestellt von diesem oder jenem Fürsten
der Vorzeit, welcher den ersehnten Landstrich dem Kloster schenkte. Im
Kloster St. Medardi zu Soissons war eine förmliche Fabrik von falschen
Dokumenten. Der Mönch Guernon beichtete auf dem Sterbelager, dass er
ganz Frankreich durchzogen habe, um für Klöster und Kirchen falsche
Dokumente zu machen. Da war es denn freilich kein Wunder, dass zur Zeit
der Revolution das Vermögen der Geistlichkeit in Frankreich auf 3000
Millionen Franken angeschlagen werden konnte!

Die Pfaffen verschmähen kein Mittel, um reich zu werden, denn sie hatten
längst erkannt, dass Geld Macht ist, und dann - sie wollten gut leben.
Ihre Gelübde wussten sie damit trefflich zu vereinigen, und was die
fanatischen Stifter der Klöster eingerichtet hatten, um dem Wohlleben zu
steuern, wurde von ihren Nachkommen so gedreht und gewendet, dass es
ihnen zu einer Quelle des Erwerbs und Wohllebens wurde.

Die Karthäuser zum Beispiel, denen ihre Regel den Genuss des Fleisches
verbot, kultivierten die Obstbaumzucht und die Fischereien in solchem
Grade, dass sich von deren Ertrage auch ohne Fleisch sehr luxuriös leben
ließ. Karthäuserobst ist in der ganzen Welt bekannt. Die Obstbaumschule
der Karthause in Paris trug jährlich 30.000 Livres ein. Dafür konnte
denn auch ihr Prior während einer Krankheit für 15.000 Livres
Hechtbouillon verzehren!

Die Messe war, wie die Mönche lehrten, die einzige Erfrischung für die
armen Seelen im Fegefeuer, die mächtigste Vogelscheuche für den Teufel,
und war für 30 Kreuzer zu haben, ja, die Bettelmönche lasen für die
Hälfte und standen sich umso besser.

Einzelne Klöster wurden außerordentlich reich durch einen Ablass, zu
welchem ihnen der Papst ein besonderes Privilegium gegeben hatte. Der
Portiunkula-Ablass brachte den Franziskanern Millionen. - Ein
Hieronymitenkloster bei Valladolid mit achtzig Mönchen hatte das
ausschließliche Privilegium, die Kreuzbulle zu verkaufen, was ihm
jährlich 12.000 Dukaten eintrug.

So gern nun auch die Mönche nahmen, so ungern gaben sie, und jeder, der
es wagte, sie mit Gewalt dazu zu zwingen, wurde bis in den tiefsten
Abgrund der Hölle verflucht, wie folgende Formel zeigt, die einer jeden
Schenkungsurkunde angehängt war: "Sein Name ist vertilgt aus dem Buch
des Lebens; und alle Plagen Pharaons sollen ihn treffen - der Herr werfe
ihn aus seinem Eigentum und gebe solches seinen Feinden - sein Teil sei
bei dem Verräter Judas - bei Dattam und Abiram - seine Äcker werden wie
Sodom, und Schwefel verderbe sein Haus wie Gomorra, - die Luft schicke
Legionen Teufel über ihn - er sei verflucht vom Fuß bis zum Haupt, dass
ihn die Würmer mit Gestank verzehren und seine Eingeweide ausschütte wie
Judas - sein Leichnam werde verzehrt von den Vögeln und wilden Tieren,
und sein Gedächtnis von der Erde vertilgt - verflucht alle seine Werke,
verflucht, wenn er aus- und eingeht, verflucht sei er im Tod wie ein
Hund, wer ihn begräbt, sei vertilgt. Verflucht die Erde, wo er begraben
wird, und er bleibe bei den Teufeln und seinen Engeln im höllischen
Feuer!" - Dabei musste einem Christen des Mittelalters wohl der Appetit
nach Klostergut vergehen!

Wenn nun auch das Hauptgeschäft der Mönche im Handel mit geistlicher
Ware bestand, so ließen sie sich doch auch zu dem mit irdischen Dingen
herab, als die ersten im Kurs zu fallen begannen. Viele Klöster wussten
sich das Recht zu erwerben, Wein und Bier zu verzapfen und verdienten
damit viel Geld. In Nürnberg verkaufte eins jährlich 4500 Eimer Bier.
Jeder Bettler, der in seine Bierstube kam, erhielt einen Pfennig, aber
das Glas Bier wurde ihm für zehn Pfennig verkauft.

Im Allgemeinen gaben sich die Mönche aber mehr mit dem Trinken als mit
dem Verkaufen ab, und die Klosterkeller stehen bei allen alten Zechern
im besten Andenken. Die frommen Väter hatten in ihren Kellern Fässer,
die größer waren als die Zellen ihrer Vorfahren, der armen Einsiedler.

Als man in Österreich die Klöster aufhob, fand man selbst in
Nonnenklöstern herrlich versehene Weinkeller. Die Kanonissinnen zu
Himmelspforten in Wien hatten in dem ihrigen noch 6800 Eimer und Raum
für das Doppelte. Es gab da einen Gottvaterkeller, Gottsohn- und
Heiligengeistkeller, einen Muttergottes-, Johannes-, Xaveri- und
Nepomukkeller. Der allergrößte, der Gottsohnkeller, war leer bis auf ein
einziges Fass. - Was mag nun erst in Mönchsklöstern für ein Vorrat
gewesen sein!

Saufen galt bei den alten Rittern als eine Tugend und es war die
einzige, in welcher sie es einigermaßen weit brachten, worin sie aber
dennoch im Allgemeinen von den Mönchen übertroffen wurden; einzelne
Ausnahmen fanden freilich statt, und es kam sogar vor, dass Mönche von
einem Ritter totgesoffen wurden.

Ein sehr geachteter protestantischer Geistlicher zu Caen in Frankreich
war angeklagt worden, über die Ohrenbeichte der Katholiken schlecht
gesprochen zu haben. Die Sache wurde sehr streng untersucht, aber man
konnte an dem Geistlichen keine Schuld finden und er wurde
freigesprochen. Der Jubel darüber war in Caen ungeheuer und jeder suchte
seine Freude auf irgendeine Weise an den Tag zu legen. Dies tat denn
auch ein Ritter, welcher in einem ziemlich schlechten Ruf stand. Er lud
zwei Kapuziner ein und "der Wein floss in Strömen". Es begann ein
Wettsaufen, welches damit endete, dass einer der Mönche mausetot auf dem
Platz blieb. - Seelenvergnügt ging nun der protestantische Edelmann zu
dem Geistlichen und sagte: "Er sei über dessen Freisprechung
außerordentlich erfreut und habe gedacht, dies durch nichts besser an
den Tag zu legen als dadurch, dass er dieser Freude einen Mönch opferte.
Eigentlich hätte es ein Jesuit sein sollen; da er diesen aber nicht habe
bekommen können, so möge der Geistliche diesmal mit einem Kapuziner
vorlieb nehmen."

Wenn die Klöster nicht selbst stark genug waren, sich zu beschützen, so
rechnete es sich irgendein Fürst zur Ehre, ihr Schutzherr zu sein, wofür
ihm dann von den Klosterherren diese oder jene Rechte eingeräumt wurden.
Aber nicht alle Schutzherren machten davon einen so ernsthaften Gebrauch
wie der Herzog Julius von Braunschweig. Dieser ließ die Äbtissin von
Gandersheim, eine geborene von Warberg, die sich mit ihrem
Stiftsverwalter zu tief eingelassen hatte, nach der Stauffenburg
abführen und hier (1587) lebendig einmauern!

Meistens brauchten die Klöster keinen Schutz; die Äbte und Prälaten
waren große Herren, welche Lehnsleute hatten, die ihnen zu allerlei
Diensten verbunden waren, wie auch Leibeigene. Oft war es bei diesen
Lehnsleistungen übrigens nur auf einen gnädigen Spaß abgesehen, der
mitunter sehr mittelalterlich derb war.

Der Lehnsmann eines Klosters zu Bologna musste jährlich dem Abt einen
Topf mit Reis und einem Huhn darin bringen und diesen Sr. Hochwürden
unter die Nase halten, denn - er war nur den Dampf davon schuldig.

Ein Bauernhof in Soest in Westfalen hatte die Verpflichtung, dem
Dominikanerkloster alljährlich ein Ei auf einem vierspännigen Wagen zu
bringen. - Im Quedlinburgischen mussten Bräute den Herren Pfaffen ihren
"Stech- oder Bunzengroschen" zahlen und im Paderbornschen eine Bockshaut
liefern. - Mehreren schwäbischen Klöstern mussten die Bräute einen
kupfernen Kessel geben, "so groß, dass sie darin sitzen konnten", und
die Beweisführung war natürlich das Hauptgaudium für die frommen Herren.

Die Gräfin Hidda von Eulenberg ließ sich von den Witwen, die wieder
heirateten, einen Beutel ohne Naht mit zwei "Schreckenbergern" darin
liefern, und unfruchtbare Eheleute mussten im Hildesheimschen
alljährlich, wegen des Abgangs an Taufgeld, damit man mit ihrem
Unvermögen Geduld habe, einen "Geduldshahn" opfern.

Die Fuchsnatur der Pfaffen offenbarte sich auch in ihrer Lüsternheit
nach Hühnern und ihre Lehnsleute mussten davon herbeischaffen, soviel
sie nur immer konnten. Es gab Haupt- und Leibhühner, Rauchhühner,
Erbzins- und Fastnachtshühner, Pfingst-, Sommer-, Herbst-, Ernten-,
Wald-, Garten-, Heu- und Ehrenhühner! Audubon hat diese Hühnerarten in
seiner Naturgeschichte der Vögel vergessen; doch waren sie ja auch nur
in Europa zu Hause, und Gloger, als er sein treffliches Werk schrieb,
hätte sich darum bekümmern sollen.

Manche Äbte und Bischöfe unterhielten Heere, wie es Fürsten nicht
vermochten. Der Bischof Galen von Münster hatte 42.000 Mann Infanterie,
18.000 Reiter und die schönste Artillerie, und die meisten Klöster waren
verbunden, ein mehr oder minder bedeutendes Kontingent zu den Truppen
des Landesbischofs stoßen zu lassen. Als die Reformation und die
Revolution die Klöster gehörig angezapft hatte, da wurde dies manchem
schwer genug, und eine Äbtissin schrieb an die Kreisdirektion: "dass sie
und ihre Kanonissinnen im letzten Krieg so von den Franzosen zugerichtet
worden, dass sie nicht im Stande seien, auch nur einen halben Mann
aufsitzen zu lassen."

Ehe wir nun einen Blick in die Klöster tun, wollen wir einmal prüfen,
welchen Nutzen die Mönche der Welt brachten. Wir werden leider finden,
dass dieser zu dem Übel, dessen Ursache sie waren, so wenig im
Verhältnis steht, dass er fast ganz und gar verschwindet.

Die Verteidiger des Mönchswesens machten geltend, dass durch Mönche das
Christentum in die fernsten Weltteile getragen wurde. Es ist das ein
sehr zweifelhaftes Verdienst, denn das Mönchs-Christentum brachte mehr
Fluch als Segen, wohin es auch immer kam, namentlich aber solchen
Völkern, die unter dem Einfluss eines ewig milden heiteren Himmels sich
gebildet hatten und für welche das scheußliche Mönchs-Christentum mit
seinen trübseligen asketischen Ansichten eine moralische Unmöglichkeit
war. Das erste Kloster wurde 1525, also vier Jahre nach der Eroberung
von Mexiko, gebaut und 10 Millionen unglücklicher Indianer wurden dem
blutigen Pfaffengott als Opfer geschlachtet!! Ähnlicher Art waren die
Wirkungen des durch Mönche verbreiteten Christentums fast überall. Die
Marianneninseln wurden früher von 150.000 glücklichen Naturkindern
bewohnt, und im Laufe der Zeit wurden sie durch christliche Krankheiten,
Trunksucht und das Franziskaner-Evangelium auf 1500 elende, Christen
genannte Subjekte reduziert.

Um auch dem Teufel zu geben, was ihm gebührt, will ich wenigstens
bemerken, dass die Jesuiten, welche sich viel mit dem Missionswerk
beschäftigten, neben dem vielen Schlechten, dessen Urheber sie sind, in
manchen Gegenden der Erde segensreich wirkten, so dass das Untergehen
ihrer Missionen zu beklagen ist, wie zum Beispiel in Südamerika, an den
Ufern des Amazonenstroms und des Orinoko.

Das Missionswesen, wie es von Katholiken und Protestanten betrieben
wurde und zum Teil noch betrieben wird, ist ein an der Menschheit
begangenes himmelschreiendes Unrecht, welches ich ein Verbrechen nennen
würde, wenn ihm nicht, großenteils wenigstens, ehrlich-dummer
Glaubenseifer zu Grunde läge. Die protestantischen Missionare, besonders
diejenigen, welche von dem puritanischen England auszogen, haben vor den
Mönchen nur allein das voraus, dass ihr Fanatismus weniger blutig war.
Die Bewohner der Freundschaftsinseln lieferten die schlagendste
Illustration zu dieser Behauptung, die jedem in die Augen fallen muss,
der die Schilderungen der dort lebenden Indianer vor und nach Einführung
des Christentums liest. - Männer wie Dr. Livingstone sind unter den
Missionaren sehr selten. Er und die wenigen ihm gleichgesinnten Männer
sind ein Segen für die Menschheit; allein ihr geläutertes Christentum
würde wenige Gnade finden vor den Augen der Inquisition oder selbst vor
orthodoxen englischen Christen. Ich nenne hier Dr. Livingstone und die
ihm gleichgesinnten Männer, da es ein bitteres Unrecht sein würde, sie
in den Tadel einzuschließen, der den größten Teil derjenigen trifft,
welche sich wie sie "Missionare" nannten und nennen.

Den Mönchen verdanken wir, sagen die Klosterverteidiger weiter, die
Erhaltung der Kunst und der Wissenschaft, wie auch die der meisten alten
Klassiker. Daran ist allerdings etwas Wahres, und besonders erwarben
sich die Benediktiner Verdienste in dieser Beziehung; aber eine andere
Frage ist es, ob sich nicht ganz ohne Mönche, ja ganz ohne Christentum,
Künste und Wissenschaften weit frühzeitiger und herrlicher entfaltet
haben würden.

Die alten Griechen dienen uns noch heute in manchen Zweigen der Kunst
als unerreichbare Muster und sind jemals die Wissenschaften unter der
Herrschaft der römischen Kirche so ins Volk gedrungen wie bei ihnen? -
Alle die herrlichen Resultate, welche sie erzielten, erreichten sie ohne
Christentum, ohne Mönche, und eine Tatsache ist es, dass die
Wissenschaften in Europa erst anfingen, recht aufzublühen, als das
Mönchsleben anfing abzusterben. Ja noch mehr, sind nicht noch heutzutage
die Heimatländer der Pfaffen und Klöster in Bezug auf Wissenschaften so
gut wie Null?

In der Malerei, Bildhauerkunst und Baukunst leisteten die Mönche noch
das meiste; allein, welch krasse Geschmacklosigkeit herrscht nicht in
den mönchischen Erzeugnissen der erstgenannten Künste. Einige technische
Fertigkeit mochten sie allenfalls erlangen; aber bei der Komposition der
Gemälde wie der Skulpturen war ihnen überall ihre Unwissenheit im Wege,
und sie brachten Dinge hervor, die an Abgeschmacktheit nicht
ihresgleichen finden. Wer alte Gemälde gesehen hat, besonders solche,
die aus Mönchshänden hervorgingen, wird mir recht geben.

Von den unendlich vielen Beispielen mönchischer Geschmacklosigkeit und
Borniertheit, wie sie sich in Gemälden äußert, nur zwei. In Erfurt
befand - oder befindet sich vielleicht noch - ein Gemälde, welches die
Transsubstantiation verherrlichen soll. Die vier Evangelisten werfen
kleine Papierchen in eine Handmühle, und auf den Zetteln liest man die
Worte: "Das ist mein Leib." Die vier großen Kirchenlehrer halten einen
Kelch unter, und das Jesulein fährt geschroten aus der Mühle in den
Kelch.

An einem anderen Ort befindet sich eine Darstellung von dem Opfer
Abrahams. Isaak kniet kläglich auf dem Holzstoß, und sein Vater setzt
ihm eine Pistole auf die Brust. Der Hahn ist gespannt, und man sieht,
der Erzjude will eben abdrücken; man zittert, aber oben in den Wolken
schwebt schon der Erretter, ein Engel, der so geschickt aus der Höhe
herunterpisst, dass durch sein heiliges Wasser das Pulver auf der Pfanne
nass und dadurch Isaak gerettet wird.

Es würde mich zu weit führen, wollte ich den Einfluss des mönchischen
Christentums auf die Malerei und Kunst überhaupt weiter ausführen; ich
überlasse das den unbefangenen Fachmännern und begnüge mich damit, auf
die in den Museen aufgehängten Erzeugnisse hinzuweisen, welche dieser
Religionsanschauung ihr Dasein verdanken. Es ist gewiss viel relativ
Herrliches darunter; allein man vergleiche es mit den Werken, die aus
einer Zeit und von Künstlern stammen, die sich von dem eigentlichen
römischen Christentum emanzipiert haben.

Den Mönchen verdanken wir auch die Schauspiele, rufen die
Klosterfreunde. - Nun, auf diesen Ruhm werden die frommen Männer,
welchen die Schauspiele ein Gräuel sind, eben nicht besonders stolz
sein; allein die Sache hat ihre Richtigkeit. Unsere Schauspiele gingen
allmählich aus den sogenannten Mysterien hervor, welche in den Klöstern
aufgeführt wurden; aber Shakespeare, Lessing, Schiller, Goethe und
Konsorten, welche die rein christlichen Vorbilder verließen und sich zu
viel mit den Schauspielen der alten Heiden beschäftigten, haben sie
vollkommen verpfuscht!

In diesen Klosterschauspielen erreicht die Mönchsdummheit ihren
Gipfelpunkt, und wer einmal recht von Herzen lachen will, der suche sich
dergleichen Machwerke zu verschaffen, und wer das nicht kann, der lese
das vortreffliche Werk von Karl Julius Weber, Die Möncherei . Der
treffliche Mann ist tot; aber wenn er sich noch um die Erde bekümmern
sollte, würde er sich gewiss freuen, dass ich in diesem Buch mir seine
fabelhafte Belesenheit zunutze machte.

Ein Lieblingsthema der Mönche scheint die Schöpfung gewesen zu sein,
denn sie wurde sehr oft dargestellt, und höchst erbaulich ist es, wenn
Gott, der im Schlafrock mit Brille und Perücke erscheint, von Adam auf
den Knien darum gebeten wird - erschaffen zu werden.

In einem dreiaktigen "Passionsspiel", welches 1782 unter dem Titel "Die
Sündflut" in Ingolstadt aufgeführt wurde, klagt Gottvater über das
sündige Leben der Menschen:

    Ist das, o Mensch!das Leben dein!
    Der Henker soll Gottvater sein,
    Es tut mich bis in Tod verdrießen,
    dass ich Euch Schweng'l hab' machen müssen.

Neptun und Aölus bieten nun Gott ihre Dienste an, das sündige Geschlecht
zu vertilgen, und ersterer sagt höchst ärgerlich:

    Tut länger Ihr so barmherzig sein,
    So schlagens uns noch in d'Fressen 'nein,
    Ein Exempel müsst Ihr statuieren,
    Sonst tun's einem noch ins Haus hofieren.

Endlich ist die Arche fertig und zum Abfahren bereit. Der Engel trinkt
mit Noah eine Flasche Wein; dieser geht endlich in die Arche, der Engel
schiebt den Riegel vor, und nun geht das Donnerwetter, das Regnen und
der Sturm los, dass die Menschen in der Luft herumfliegen.

Als endlich die Geschichte zu Ende ist und Noah opfert, spricht Gott:

    Potz Element, was riecht so süß?
    Das ist zu meiner Ehre gewiss.
    Zum Zeichen, wie ich dir gewogen,
    Nimm um den Hals den Regenbogen.

Fama posaunt dies nach allen vier Winden in einer herrlichen Arie aus:

    Das bleibt der Welt nun immer kund,
    Geschlossen ist der Gnadenbund.
    Pum, Pum, Pumpidipum, Pum!

In einer Passionskomödie, die in einem schwäbischen Kloster aufgeführt
wurde, tritt Judas zu den versammelten Pharisäern:

    Judas   Gelobt sei Jesus Christ, Ihr lieben Herrn!
    Phar.   In Ewigkeit! Judas, was ist dein Begehr'n?
    Judas   Ich will Euch verraten Jesum Christ,
            Der für uns am Kreuz gestorben ist.

Größerer Unsinn kann wohl nicht leicht in vier Zeilen gesagt werden!

Besonders stark in derartigen Schauspielen waren die Jesuiten; wenn sie
sich auch von solchen plumpen Dummheiten frei hielten; so ersetzten sie
dieselben reichlich durch mehr innerliche. Ein sehr schönes, originelles
Stück ist des Paters Sautter "Genius der Liebe", und ein Theaterdirektor
könnte heutzutage sein Glück machen, wenn er diese brillante Oper, mit
Offenbachscher Musik, auf die Bühne brächte.

Heilige Jungfrauen (aus meinem zweiten Kapitel) bringen dem Genius
"Gaben der Liebe" in goldenen Schalen. Der Genius singt:

    Genius          Nun! was bringt mir, liebe Bräute,
                    Euer Galantismus heute?

    St. Luzia       Herr! dir zum süßen Augenschmaus
                    Stach ich mir selbst die Augen aus.

    St. Euphemia    Für dich, o Herr, zur Morgengab',
                    Schnitt ich mir Nas' und Lefzen ab.

    St. Apollonia   Viel weißer als das Elfenbein
                    Siehst du hier Zähne, Jesus mein!

    St. Magdalena   Ich bringe dir zum Opfer dar
                    Meine schöne blonde Haar;
                    Nimm auch von mir verschreiten Musch
                    Den roten und den weißen Tusch.

    Chor            Pupillen,
                    Mamillen
                    Und Zähne schneeweiß!
                    Jungfräulich Haar',
                    Nasen und Lefzen und mehr solche War'
                    Steh'n, heilige Liebe, hier alle dir preis!

Die Prozessionen sind auch eine Erfindung der Mönche, und ihr seltsamer
Geschmack verwandelte sie in die seltsamsten, abenteuerlichsten und
lächerlichsten Possenspiele. Besonders bunt und toll waren die am
Karfreitag und am Fronleichnamsfest. Alle Personen aus dem Alten und
Neuen Testament erschienen in entsprechendem Kostüm - natürlich nach
mönchischer Anordnung und Angabe - im Zuge. Wie im wilden Heer wirbelte
der tollste Maskenzug, Menschen und Tiere durcheinander, die Straße
entlang. Jede Gruppe sang ihr eigenes Lied, und dem Zuschauer wurde ganz
schwindlig dabei. Nahm er aber nicht andächtig den Hut ab oder
unterstand er sich gar, über den tollen Spuk zu lachen, dann konnte es
ihm leicht sehr übel ergehen, denn die Geistlichen ermahnten selbst von
der Kanzel herab, die Spötter zu züchtigen.

Noch unter Karl Theodor von Bayern predigte der Karmeliter F. Damascenus
in München: "Liebe Christen, morgen ist Prozession. Ihr werdet da an
vielen Fenstern Freimaurer und Freidenker sehen, - Unchristen, die
unsrer spotten. Waffnet Euch mit dem Eifer des Herrn, greifet nach
Steinen und werfet sie nach ihnen." - Anstatt den Eiferer zu bestrafen,
ließ ihm Karl Theodor sein Wohlgefallen an seinem Eifer zu erkennen
geben! -

Diese Prozessionen endeten gar häufig mit Liederlichkeiten und
Saufereien, wenn sie nicht schon damit begannen. Engel, Apostel und
Teufel soffen sich gemeinschaftlich voll, und der Bauernlümmel, der
Christus vorstellte und der gewöhnlich der Dümmste war, kam meistens
betrunken ans Kreuz und fing an zu extemporieren. Ein solcher Christus,
den ein nicht ganz klar sehender Ritter Longinus mit der Lanze in der
Seite kitzelte, anstatt die mit Blut gefüllte Schweinsblase zu treffen,
schrie ganz erbost: "Hol mich der Teufel, Arm und Bein schlag ich dir
entzwei, wenn ich herunterkomme!"

Es kamen noch weit unanständigere und lächerliche Szenen bei dieser
Kreuzigung vor, die ich aber weglassen muss, weil sie zu sehr an die
Zote streifen. - Wäre ich ein Pfaffe oder ein Frommer, so müsste ich mit
einem Seufzer meine Augen zum Himmel aufschlagen und an diesen
"Missbrauch des Heiligsten" meine salbungsvollen Redensarten knüpfen;
ich mache aber nicht den geringsten Anspruch darauf, von irgend jemand
für einen "frommen Christen" gehalten zu werden, und muss ehrlich
gestehen, dass mich diese Sachen weit mehr amüsieren als empören.

Da wir aber nun einmal bei der spaßhaften Seite der Möncherei sind, die
ich bei der Charakteristik derselben nicht unberücksichtigt lassen
durfte, so mögen diejenigen Leser, welche sich vielleicht daran ärgern,
diesen Kelch auf einmal leeren. Ich will es übrigens kurz machen, obwohl
dieses Thema ein besonderes Buch verdiente.

Wer hätte nicht schon von den berühmten Predigten des Paters Abraham a
Sancta Clara gehört! Sie sind in einer neuen Auflage zum Amüsement der
Ketzer erschienen, und ich will mich daher nicht lange bei ihnen
aufhalten, da sie jedem zugänglich sind.

Diese Predigten, welche oft die originellsten und seltsamsten Vergleiche
und Wendungen enthalten, hatten seinerzeit auf das Volk eine große
Wirkung. In seinem Eifer brachte er oft die seltsamsten Dinge vor, wovon
der Schluss einer Predigt über den Ehebruch als Probe dienen mag: "Ja,
ja! es gibt so verdorbene Männer, dass sie diesem Laster nachrennen und
wenn sie zu Hause die schönsten Frauen haben! Wie gern würden wir, was
uns betrifft, die Stelle dieser Männer vertreten!"

In ähnlicher Art, aber noch derber und oft unflätig, predigte in der
Mitte des 16. Jahrhunderts der Pater Cornelius Adriansen zu Brügge in
Flandern, wo er in dem zu jener Zeit herrschenden großen
Revolutionskrieg eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Er sprach, was
ihm gerade in den Mund kam, und das war dann häufig sehr derb
niederländisch.

Einst verglich er des Himmels Süßigkeit mit - Hammelfleisch und weißen
Rüben, welches Gericht er wahrscheinlich sehr gern aß. Der Rat der Stadt
konnte es ihm nie recht machen, und er schimpfte über ihn ganz
öffentlich von der Kanzel, so dass ihm endlich das Predigen untersagt
wurde. Eine Rede gegen diesen Rat schloss er mit einer neuen
Beschuldigung und bereitete auf dieselbe mit den Worten vor: "Nun noch
eine Klette an seinen Hintern!" - Diesen Pater Cornelius werden wir im
nächsten Kapitel genauer kennenlernen, wenn ich von dem Missbrauch des
Beichtstuhls rede.

Noch populärer und einflussreicher als Cornelius und Abraham a Sancta
Clara übte der kurz vor der Revolution in Neapel verstorbene Pater Rocco
aus. Dieser sagte dem König Ferdinand die derbsten Wahrheiten, und man
durfte ihn nicht hindern, denn in seiner Hand lag das Schicksal Neapels.
Alle Lazzaroni zitterten, wenn er den Mund auftat und niemand wagte eine
Miene zu verziehen, wenn er auch die lächerlichsten Dinge vorbrachte.

Einst jagte er einen Marktschreier von seiner Bühne herab, trat an seine
Stelle, hielt das Kreuz in die Höhe und rief mit Donnerstimme. "Dies ist
der wahre Policinello!" Alles zitterte und er hielt den Ehebrecherinnen
eine furchtbare Strafpredigt über den seltsamen Text: "und Alexanders
Bucephalus ließ niemand aufsitzen als seinen Herrn und übertraf die
Menschen an Tugend."

"Ich will sehen," sprach er, "ob eure Sünden Euch leid sind. - Wem es
mit der Buße Ernst ist, der hebe die Hand in die Höhe." - Alle Hände
reckten sich in die Höhe. - "Nun, heiliger Michael, der du mit deinem
Flammenschwert am Thron des Ewigen stehst, haue alle die Hände ab, die
sich in Heuchelei erheben!" - und alle Hände sanken wie mit einem
Schlage herunter. Nun aber begann Rocco eine furchtbare Strafpredigt und
schloss dieselbe mit Erzählung einer Vision oder eines Traumes, in
welcher er durch eine Abtrittsöffnung tief, tief hinuntergesehen auf
eine ungeheure Schar von Lazzaronis, die der Teufel sich alle hinten
hineingesteckt habe in eine Öffnung, die so groß gewesen sei wie der See
Agnano.

Die römische Kirche zählt unter ihren Mönchspredigern so viele
originelle Leute, dass ich nur einige wenige anführen kann. - Ein
Kapuziner hatte sich von einem anderen eine Passionspredigt machen
lassen; sie schloss: "Und Christus verschied." Dieser Schluss schien dem
Pater doch gar zu dürftig, und er fügte noch schnell hinzu: "Nun, Gott
sei dem armen Sünder gnädig!"

Der Liebling des Würzburger Publikums am Ende des vorigen Jahrhunderts
und einer der größten Feinde der Aufklärung war der achtzigjährige
Kapuziner Pater Winter. Eine Rosenkranzpredigt schloss er einst mit
folgender Frage: "Wer sind die Neuerer?" - sehr lange spannende Pause ß
"Esel sind sie, Amen!"

Ein Franziskaner hielt 1782 bei Einkleidung einer Nonne zu Gmünd eine
Predigt, die von ganz Deutschland mit vielem Lachen gelesen wurde.
Besonders komisch ist der Schluss: "Nun, geistliche Braut, seien Sie ein
junger Affe, der seiner Mutter, der würdigen Frau Oberin, alles nachäfft
- äffen Sie nach dem alten Affen in Tugenden, Kasteiungen und Bußwerken,
- äffe nach, du junger Affe, ihre Keuschheit, Demut, Geduld und
Auferbaulichkeit! - Und Sie, würdige Oberin! gleichen Sie dem alten
Bären, der ein ungelecktes Stück Fleisch so lange leckt, bis es die
Gestalt eines jungen Bären hat; - lecke, du alter Bär, gegenwärtiges
geistliches Stück Fleisch so lange, bis es dir vollkommen ähnlich ist; -
lecke du auch dein ganzes Konvent, samt allen Kost- und
Klosterfräuleins! - Lecke, du alter Bär, die sämtliche Familie der
geistlichen Braut und alle hier in dem Herrn Versammelten; - zuletzt
lecke auch mich, damit wir alle wohlgeleckt und gereinigt den Gipfel der
Vollkommenheit erreichen mögen. Amen!"

Eines der originellsten Predigertalente war aber wohl der sogenannte
Wiesenpater zu Ismaning in Bayern, der vor hundert Jahren lebte. Seine
Rosenkranzpredigt: "Der heilige Rosenkranz über'waltigt d'Höllenschanz"
und seine Schwanzpredigt sind höchst komisch. Die Letztere sollte
bewirken, dass die Bauernburschen sich nicht mehr, wie sie zu tun
pflegten, Sauschwanz schimpften, sondern beim Namen nannten. In ihr
kommt folgende Stelle vor: "Warum, meine Christen, ist gewachsen dem
Hund sein Schwanzerl? Dem Hund sein Schwanzerl ist gewachsen, damit er
wedle und wackle, dass ihm nicht fahren die Mucken ins Loch. - Wir
Geistlichen sind aber die wahren Schwanzerl, wir müssen wedeln und
wackeln, damit nicht fahren die Seelen der gläubigen Christen ins Loch
des Teufels!"

Wenn nun auch einzelne Spötter über solche Mönchspredigten lachten, so
waren sie doch von Wirkung auf das Volk und dem Bildungsgrad derselben
angemessen. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätte Luther gewiss
nicht in derselben Weise gepredigt. Einst predigte er über die letzte
Posaune: "So geht es in die Feldschlacht; man schlägt die Trommel und
bläst die Trompete Tara-tan-ta-ra! - man macht ein Feldgeschrei Her!
Her! Her! - der Hauptmann ruft Hui-Hui-Hui! Bei Sodom und Gomorrha waren
die Trompete und Posaune Gottes, da ging es
Pumperlepump-Plitz-Platz-Schein! - Schmier! Denn wenn Gott donnert, so
lautete es schier wie eine Pauke Pumperlepump - das ist das Feldgeschrei
und die Taran-tan-tara Gottes, dass der ganze Himmel und alle Luft wird
gehen Kir-Kir-Pumperlepump!" - Nun denke man sich dazu die Gebärden des
heftigen Mannes und bewundere die Zuhörer, welche zitterten und bebten
und nicht lachten!

Von den evangelischen, protestantischen, lutherischen und anderen
nichtrömischen Predigern hört man auch zuzeiten Unsinn, welcher dem
vorangeführten nicht viel nachgibt. Ich kannte einen Garnisonsprediger
Ziehe in Berlin, der sehr häufig in Knittelversen predigte. Meistens
reden die Herren aber langweilen Unsinn.

Hätten die Mönche weiter nichts getan als schlechte Schauspiele
aufgeführt und verrückte Predigten gehalten, dann könnte man ihnen ihr
Dasein allenfalls verzeihen, allein sie übten einen unendlich
unheilvollen Einfluss dadurch, dass sie sich der Erziehung des Volks
bemächtigten und über die Schule hinaus demselben Laster einimpften, die
in den Klostermauern ausgebrütet wurden und in denselben die größten
Schandtaten und Niederträchtigkeiten hervorbrachten, die in der "Welt"
sicher sehr selten vorkommen und dann mit den härtesten und
entehrendsten Strafen, die das Gesetz vorschreibt, bestraft werden.

Wer von den Klostergeistlichen nichts weiter kennt als ihre
Lächerlichkeiten, der ist gar leicht geneigt, sie für harmlose Dummköpfe
zu halten; wer aber tiefer in das Klosterleben hineinsieht, der entsetzt
sich vor der Bosheit und Verworfenheit dieser "frommen" Herren, die in
echt römisch-katholischen Ländern noch heute den größten Einfluss haben.

Mönche zu Lehrern des Volkes zu machen, ist das schwerste und
verderblichste Unrecht, welches man an demselben begehen kann und
unbegreiflich bleibt es, dass die Erfahrungen von Jahrhunderten darüber
noch nicht genügend aufgeklärt haben und dass in vielen Ländern Europas
das Schulwesen mit dem Mönchswesen auf das engste verbunden und selbst
in protestantischen Ländern von der Kirche abhängig gemacht worden ist.

Das pedantische Pennalwesen, welches noch heutzutage selbst in vielen -
protestantischen Schulen, besonders in England, herrscht, ist die Folge
der Mönchsschulen, wo die Kinder auf die schauderhafteste Weise
behandelt wurden.

Man sollte es kaum für möglich halten, dass die preußische Regierung
noch am Anfang dieses Jahrhunderts den Trappisten, den
allerwahnsinnigsten Mönchen, die es gab, die Erlaubnis erteilte, zu
Bieren und Walda im Paderbornischen Schulen zu errichten!

Diese fanatischen, bornierten Mönche übernahmen junge Leute, ja Kinder
beiderlei Geschlechts von drei bis vier Jahren - zur Erziehung! Der Abt
reiste überall selbst umher, leichtgläubige Eltern zu verführen, ihm
ihre armen Kinderchen zu übergeben. Auf diese Weise wurden Hunderte
dieser unglücklichen Opfer zusammengeschleppt. Es wäre ihnen besser
gewesen, man hätte sie gleich bei der Geburt erstickt! - Die Mütter
wären wahnsinnig geworden, hätten sie gesehen, wie die Trappisten mit
den unschuldigen Kindern umgingen. Die Schilderung, welche ein
Augenzeuge davon machte, wendet einem nicht ganz gefühllosen Menschen
das Herz im Leibe herum!

Die Kinder, meistens im Alter von vier bis zehn Jahren, lebten in
düsteren Zellen, deren ganzes Gerät ein Strohsack, ein Totenkopf, Spaten
und Hacke war, womit sie ihre Kartoffelfelder bearbeiteten, die sie
nebst Wasser und Brot nährten. Sie waren gekleidet wie die Trappisten
und mussten ganz ebenso leben wir ihre Lehrer. Sie durften nicht reden
und die ganze Anstalt glich einem Taubstummen-Institut. Wenn solch ein
armes Kind zur Unzeit sprach, lachte, aß oder sonst einen kleinen Fehler
beging, wurde es bis aufs Blut gegeißelt . Fortwährend Prügel, gewürzt
durch etwas Latein, das war die ganze Erziehung, denn alle anderen
Wissenschaften wurden verachtet.

Es konnte nicht ausbleiben, dass viele der Kinder durch die Flucht sich
dieser barbarischen Behandlung zu entziehen suchten; allein die armen
Geschöpfe wurden leicht wieder eingefangen, und die fürchterlichsten
Strafen schreckten von ferneren Fluchtversuchen ab. Klagen konnten die
Ärmsten niemandem, denn die Eltern durften ihre Kinder nicht sprechen,
und diese waren bis zum 21. Jahr Eigentum des Klosters!

Die Folge davon war, dass eine große Menge der Kinder krank oder
wahnsinnig wurden. Es kamen Gerüchte davon unter das Volk, und der
Ex-Jesuit Le Clerc schrieb öffentlich gegen diese Kindermordanstalt.
Seine Stimme fand Gehör, und Friedrich Wilhelm III. von Preußen machte
der Scheußlichkeit ein Ende.

Aber nicht alle Fürsten denken so vernünftig, und wir sehen in anderen
Staaten Klöster und Klosterschulen in höchster Blüte. Die Mönche
trachten danach, ihre Schüler zu Mönchen oder doch möglichst
mönchähnlich zu machen, und in der höchsten Vollkommenheit zeigen sich
diese Bestrebungen bei der Erziehung der Novizen, weshalb ich einiges
darüber sagen will.

Climakus spricht: "Es ist besser gegen Gott sündigen als gegen seinen
Prior." Das erste Gesetz in einem Kloster ist unbedingter Gehorsam, und
deshalb trachtet man denn auch vor allen Dingen danach, Geist und Körper
in Fesseln zu legen. Ein Novize darf gar keinen Willen haben; er muss
auf den Wink der frommen Väter oder des Novizenmeisters aufpassen wie
ein Pudel in der Dressur. Er muss auf Befehl krank und gesund sein, sich
in Wasser oder Feuer stürzen und die unsinnigsten Dinge vornehmen, wenn
sie ihm geheißen werden.

Die Novizen sind die Hofnarren der Patres und müssen sich alle Ausbrüche
ihrer guten oder bösen Laune gefallen lassen. Diese nehmen mit ihren
Zöglingen die allerverrücktesten Dinge vor, um sie "an Gehorsam und
Demut zu gewöhnen".

Die Novizen mussten zum Beispiel manchmal, mit schweren Reitstiefeln
angetan, auf einem Bein um den Tisch hüpfen oder ein Dutzend Purzelbäume
schlagen, so gut sie es konnten. Dann wurde ihnen wieder befohlen,
Fischeier oder Salz in die Erde zu säen, oder man spannte sie an einen
Wagen und ließ sie einen Strohhalm oder eine Feder spazieren fahren.

Kapuziner haben ihren Novizen Heu und Stroh vorgesetzt oder sie aus
Sautrögen essen lassen. Ein Vergnügen, welches sie sich oftmals machten,
war, dass sie auf dem Fußboden einen Strich mit Kreide zogen und nun den
Novizen befahlen, diesen aufzulecken. Das war an und für sich schon arg
genug; aber überdies zogen sie den Strich absichtlich über den Speichel,
womit sie die Dielen zu verzieren pflegten.

Oft ließ man die armen Dulder auch exerzieren. Es wurde ihnen ein alter
Kessel über den Kopf gestülpt, ein Bratspieß oder ein Flederwisch an die
Seite gesteckt und eine Bratpfanne als Gewehr über die Schulter gelegt.

Wehe dem Unglücklichen, der es wagte, die Miene zu verziehen oder sich
gar Worte des Widerspruchs zu erlauben; ihn erwarteten strenge Strafen.
Wenn ein Novize vielleicht beim Gesang zu früh einfiel oder die Tür zu
heftig zuwarf, etwas fallen ließ und dergleichen, so war dies eine culpa
levis, und man strafte ihn damit, dass man ihn, auf den Knien liegend,
mit ausgestreckten Armen ein langes Gebet sprechen ließ oder indem er
einen Finger in die Erde steckte, was man Bohnenpflanzen nannte.

Eine culpa media war es, wenn es der Novize unterließ, dem Obern die
Hand oder den Gürtel zu küssen, oder vergaß, sich vor dem
Allerheiligsten, wenn es vorbeigetragen wurde, zu verneigen oder wenn er
ohne Erlaubnis auslief. Für solche Vergehen musste er hungern oder mit
seinem Gürtel um den Hals an der bloßen Erde essen.

Ging er "ohne geistliche Waffen", das heißt ohne Rock, Skapulier und
Gürtel zu Bette; besaß er irgend etwas als Eigentum; schrieb er Briefe
oder opponierte sich gar gegen Obere, dann beging er eine culpa gravis
und wurde mit entsetzlichen Hieben, Fasten und Einsperrung bestraft.

Eine culpa gravissima aber war es, wenn er einen anderen geschlagen,
verwundet oder gar getötet oder wenn man den Novizen auf wiederholter
Unkeuschheit ertappt hatte oder wenn er den Versuch machte, aus dem
Kloster zu entweichen. Diese Verbrechen wurden nach den Umständen oder
nach der Laune der Obern mit einjähriger Einsperrung bei Wasser und Brot
oder auch mit täglicher Geißelung und ewigem Gefängnis bestraft.

Und was für Gefängnisse waren es, in welchen die Ärmsten oft wegen
geringer Vergehen jahrelang sitzen mussten. Pater Franz Sebastian
Ammann, der Benediktinerstudent im Kloster Fischingen und dann Guardian
(Vorsteher) mehrerer Klöster in der Schweiz gewesen war und dem wir die
interessantesten und abschreckendsten Aufschlüsse über das jetzige
Klosterleben verdanken, beschreibt auch den im Kapuzinerkloster auf dem
Wesamlin bei Luzern befindlichen Kerker (Custodie). Er liegt an einem
feuchten und grauenhaften Ort, ist von dicken Balken aufgeführt, mit
zwei Türen und einem kleinen stark vergitterten Fenster versehen und
inwendig ungefähr 12 Fuß lang, 6 breit und ebenso hoch. Da er nicht
heizbar ist, so hat hier schon mancher durch Kälte und schlechte Nahrung
sein Leben eingebüßt. Wie mögen nun erst dergleichen Löcher im
Mittelalter beschaffen gewesen sein.

Die gewöhnliche Beschäftigung der Novizen war sehr dazu geeignet, den
Menschen in ihnen zum Vieh herabzuwürdigen. Ihre wissenschaftlichen
Studien bestanden darin, dass sie aszetische Schriften oder das Brevier
lesen mussten, woraus allerdings sehr viel Weisheit zu holen war! - Dann
mussten sie sich im Schweigen und im Niederschlagen der Augen, kurz, in
der Heuchelei üben. Wer zu unrechter Zeit den Mund auftat, musste eine
Zeitlang ein Pferdegebiss im Mund tragen, und wer seine Augen zu viel
umherschweifen ließ, erhielt ein Brille oder Scheuklappen.

Ferner war es das Geschäft der Novizen, zu läuten, die Treppen, Gänge,
ja selbst die Abtritte zu fegen. Wer verschlief, der musste mit der
Matratze oder mit dem Nachttopf am Hals erscheinen oder im Sarg
schlafen. - Holz, Licht und Wasser herbeizuholen, gehörte ebenfalls zu
ihren Verrichtungen, und außerdem mussten sie noch im Chor singen bis
zur äußersten körperlichen Erschöpfung.

Dabei fehlte es nicht an allerlei Kreuzigungen des Fleisches. Sie
mussten in der größten Hitze dürsten, bis sie fast verschmachteten; den
Abspülicht der Geschirre als Suppe essen oder, wenn sie hungrig waren,
mit jedem Löffel voll Speise eine Leiter hinaufsteigen und durften ihn
erst dann in den Mund stecken, wenn sie oben angelangt und noch etwas
darin war.

Zu Meran in Tirol musste 1747 an einem Fest ein Kapuziner-Noviz - er war
der Sohn eines Grafen - drei Stunden lang gebunden an einem Kreuze
hängen und fortwährend rufen: "Erbarmen mir großem Sünder!" - Er hatte
einen Krug zerbrochen! Fischingen, in welchem der oben genannte
ehemalige Guardian Ammann von seinem siebten bis vierzehnten Jahr war,
stand in dem Rufe, eines der sittenreinsten und vorzüglichsten Klöster
der Schweiz zu sein, und welche Nichtswürdigkeiten gingen hier vor!

(Öffnet die Augen, Ihr Klösterverteidiger u.s.w. von F. S. Ammann. 7.
Aufl. Bern, bei C. A. Jenni Sohn, 1841. Ein höchst lesenswertes
Schriftchen, welches nur wenige Groschen kostet)

Die liederlichen Patres lebten untereinander wie Hund und Katze und
einer suchten den anderen auf jede Weise zu schaden. Ammann wurde von
einem seiner Lehrer so lange mit einem schweren Lineal auf die
Fingerspitzen geschlagen, bis Blut herausspritzte und die Hände ganz
dick geschwollen waren. Dann musste er in einem offenen Gange mitten im
Winter zwei Stunden lang auf dem Ziegelboden sitzen; und warum? - Weil
er von einem andern Lehrer nichts Böses zu sagen wusste! - Mönche sind
nur eins in ihrem Hass gegen die Weltgeistlichen, aber diese werden von
ihnen gründlich gehasst.

Ein von dem ehemaligen Benediktiner zu Rom Raffaeli Cocci, 1846 (bei
Pierer in Altenburg) veröffentlichtes Buch enthält über die Novizen und
über die Klosterverhältnisse so entsetzliche Tatsachen, dass sich beim
Lesen derselben die Haare sträuben. Der Unglückliche wurde durch seine
von den Geistlichen ganz umgarnten Eltern gezwungen, ins Kloster zu
gehen und hatte hier Schreckliches zu leiden, bis es ihm endlich 1842
gelang, nach England zu fliehen, wo er wohl noch lebt.

Interessant ist zu beobachten, wie den Knaben schon von Jugend auf unter
dem Schleier der Religion der bitterste Hass gegen die Protestanten in
das Herz gepflanzt wird. Diese, lehrte man, beteten den Mammon als Gott
an und glaubten nicht an Christus; täglich kämen bei ihnen Fälle vor, wo
einer den anderen totschlüge; die Römisch-Katholischen, die in ihre
Länder kommen, würden zum Tode verurteilt; sie hätten keine Gesetze,
sondern lebten fortwährend in einem anarchischen Zustand.

Wenn ein Novize Vernunft zeigte, dann war es um ihn getan: er hatte die
entsetzlichsten Qualen zu erdulden. Man wandte die äußersten Mittel an,
den rebellischen Geist des Knaben durch Einwirkungen auf die Sinne zu
brechen, was bei vielen zum Wahnsinn führte. Cocci fand einst nach einer
schrecklichen Predigt in seiner Zelle ein grinsendes Totengerippe und
ein anderes Mal ein scheußliches Gemälde des Jüngsten Gerichts, welches
mit vielen Lichtern beleuchtet war. Wenn solche Mittel nicht fruchten
wollten, dann folgten die grausamsten Geißelungen.

Weiter unten, wenn ich von den Folgen des Zölibats in den Klöstern rede,
wird sich zeigen, welchen schändlichen Verführungen die unter Leitung
der Mönche stehenden Knaben ausgesetzt sind, und ein jeder Vater wird
daraus erkennen können, wie höchst gefährlich es für seine Kinder ist,
wenn er diese in Klosterschulen unterrichten lässt.

Welche Vorteile kann auch diesen Gefahren für die Sittlichkeit gegenüber
die Erziehung durch Geistliche gewähren! Der größte Teil derselben,
mögen sie nun Katholiken, Lutheraner oder Reformierte heißen, sind
beschränkt und diejenigen, die es nicht sind, müssen so scheinen, da
ihre Existenz davon abhängt. Die unter ihrer Leitung erzogenen Knaben
saugen von Jugend auf eine Menge falscher Ansichten und Vorurteile ein,
die sie dann ihr ganzes Leben lang wie eine Sklavenkette mit sich
herumschleppen und die ihnen vielfach an ihrem Fortkommen hinderlich
sind. Man nehme die Erziehung aus den Händen der Geistlichen und trenne
die Kirche durchaus von der Schule; ehe das nicht geschieht, werden wir
nicht Männer erziehen, welche den Anforderungen des gegenwärtigen
Jahrhunderts entsprechen.

Ich erwähnte oben, dass die Novizen für geringe Vergehen grausam
gegeißelt wurden, und muss einiges über das Geißeln überhaupt sagen, da
es eine ganz außerordentlich große Rolle in der römischen Kirche und
besonders in den Klöstern spielt. Ich habe einen ganzen Band über das
Geißeln geschrieben, und andere haben es vor mir getan, aber dennoch den
Gegenstand nur oberflächlich behandeln müssen, da er in der Tat zu
reichhaltig ist, um in einem Band erschöpft werden zu können. Hier muss
ich mich vollends nur auf wenige und fragmentarische Angaben
beschränken.

Schon unter den Christen der ersten Jahrhunderte gewann der Gedanke
Raum, dass es verdienstlich und zur Erlangung der Seligkeit förderlich
sei, sich Entbehrungen und körperliche Qualen freiwillig aufzuerlegen.
Der Gedanke lag nahe, sich diese durch selbst erteilte Schläge zu
verursachen, und wir finden daher schon frühzeitig unter den Christen
Selbstgeißler, besonders unter den Mönchen. In den Statuten vieler
Klöster heißt es darüber: "Wenn die Mönche die Geißelung an sich selbst
ausüben, so sollen sie sich an Christus, ihren liebenswürdigsten Herrn,
erinnern, wie er an die Säule gebunden und gegeißelt ward, und sollen
sich bemühen, wenigstens einige geringe von den unaussprechlichen
Schmerzen und Leiden selbst zu erfahren, welche er erdulden musste." -

Andere Gründe für die Selbstgeißelung waren, dass man dadurch sein
Gewissen beruhigte, wenn man eine Sünde begangen hatte, und als durch
die Pfaffen der Glaube aufkam, dass man durch diese oder jene von ihnen
auferlegte Pönitenz sich entsündigen könne, so lag der Gedanke nahe,
dass dies durch selbst gegebene Schläge geschehen könne. Ein weiterer
Grund dafür war auch der, dass man dadurch die "Anfechtungen des
Fleisches" besiegen wollte.

Allmählich wurde die freiwillige Geißelung als Bußmittel immer
beliebter. Es bildeten sich besondere Gebräuche dabei und das Verhältnis
zwischen Sünde und Hiebe wurde festgestellt. Besondere Bußbücher
bestimmten, durch welche Strafen gewisse Sünden gebüßt werden könnten.
Geißelhiebe wurden gleichsam die Scheidemünze der Buße besonders für
diejenigen, welche der römischen Kirche keine anderen Münzen zahlen
konnten.

In der Mitte des 11. Jahrhunderts gab es in Italien einige Männer,
welche im Selbstgeißeln Unerhörtes leisteten. Sie geißelten sich nicht
nur für ihre Sünden, sondern übernahmen auch die Buße für die Sünden
anderer.

Von den vielen Geißelhelden will ich nur den berühmtesten anführen. Es
war dies der Mönch Dominikus der Gepanzerte, welchen Namen er erhielt,
weil er beständig, außer wenn er sich geißelte, einen eisernen Panzer
auf dem bloßen Leibe trug, Petrus de Damiani, der Kardinalbischof von
Ostia, war Abt des Benediktinerklosters zu Fonte-Avallana, in welchem
Dominikus lebte. Er erzählt:

"Kaum vergeht ein Tag, ohne dass er mit Geißelbesen in beiden Händen
zwei Psalter hindurch seinen nackten Leib schlägt, und dieses in den
gewöhnlichen Zeiten, denn in den Fasten oder wenn er eine Buße zu
vollbringen hat (oft hat er eine Buße von hundert Jahren übernommen),
vollendet er häufig unter Geißelschlägen wenigstens drei Psalter. Eine
Buße von hundert Jahren wird aber, wie wir von ihm selbst gelernt haben,
so erfüllt: Da dreitausend Geißelschläge nach unserer Regel ein Jahr
Buße ausmachen und, wie es oft erprobt ist, bei dem Hersingen von zehn
Psalmen hundert Hiebe stattfinden, so ergeben sich für die Disziplin
eines Psalters fünf Jahre Buße, und wer zwanzig Psalter mit der
Disziplin *) absingt, kann überzeugt sein, hundert Jahre Buße vollbracht
zu haben. Doch übertrifft auch darin unser Dominikus die meisten, da er
als ein wahrer Schmerzenssohn, da andere mit einer Hand die Disziplin
ausüben, mit beiden Händen unermüdet die Lüste des widerspenstigen
Fleisches bekämpft. Jene Buße von hundert Jahren vollendete er aber, wie
er mir selbst gestanden hat, ganz bequem in sechs Tagen." - Er gab sich
also nach dem angegebenen Maßstab (3000 für ein Jahr) während dieser
sechs Tage 300.000 Hiebe. Er musste sich also täglich sieben Stunden
geißeln und in jeder Sekunde zwei Hiebe geben, was angeht, da er sich
mit beiden Händen geißelte.

---- *) Ursprünglich bedeutet dieses Wort alle Strafen und Züchtigungen;
als aber die Disziplin durch Geißeln über jede andere Art den Preis
davontrug, wurde das Wort Disziplin der technische Ausdruck, womit man
diese Art Züchtigungen bezeichnete, und endlich nannte man selbst das
Instrument, welches zum Schlagen gebraucht wurde, die Disziplin. ----

Welchen Anblick mag der Körper dieses Geißelhelden dargeboten haben,
denn schon beim achten Psalter war das Gesicht zerschlagen, voller
Striemen und blau und braun. Der Körper Dominikus', erzählt Damiani mit
Stolz, habe ausgesehen wie die Kräuter, welche der Apotheker zu einer
Ptisane zerstoßen habe!

Es entstand unter den Frommen Streit darüber, ob man sich beim Geißeln
entkleiden solle oder nicht, und ferner, ob Schläge auf Rücken und
Schultern oder auf den Hintern der Gesundheit weniger nachteilig oder
dem Himmel angenehmer seien. Die ganze geißelnde Welt teilte sich in
zwei Parteien; die eine zog die obere Disziplin vor (disciplina supra,
oder im besten Mönchslatein secundum supra), die andere die untere
Disziplin (disciplina deorsum, secundum sub.). Die Gegner der unteren
Disziplin sagen, sie verstoße gegen die Schamhaftigkeit, und der Abbé
Boileau sagt in seinem berühmten Werk darüber: "Der hl. Gregorius von
Nyssa lobt in seiner kanonischen Epistel den Gebrauch, die toten Körper
zu vergraben, welches man seiner Meinung nach tue, damit die Schande der
menschlichen Natur nicht dem Sonnenlicht ausgesetzt werde. - Aber ist es
bei der verdorbenen Natur nicht weit schamloser und niederträchtiger,
beim Lichte der Sonne die Lenden junger Mädchen und ihre, obwohl der
Religion geweihten, nichtsdestoweniger wunderschönen Schenkel zu zeigen
als einen bloßen und entstellten Leichnam?"

Trotzdem fand die untere Disziplin bei den Frauen den meisten Beifall,
und die medizinischen Gründe des gelehrten Abbé Boileau, die ich
hierhersetze, machten wenig Eindruck; - im Gegenteil.

"Wenn man ein Übel flieht", sagt der Abbé, "so muss man wohl achtgeben,
dass man nicht unklugerweise in das entgegengesetzte rennt und dass man,
nach dem lateinischen Sprichwort, um die Szylla zu vermeiden, nicht in
die Charybdis gerät. Wenigstens ist die Geißelung der Lenden umso viel
gefährlicher, als die Krankheiten des Geistes mehr zu fürchten sind als
die des Körpers. Die Anatomen bemerken, dass die Lenden sich bis zu den
drei äußeren Muskeln der Hinterbecken erstrecken, dem großen, dem
mittleren und dem kleinen, so dass darin drei Zwischenmuskeln enthalten
sind oder ein einzelner, welchen man den dreiköpfigen Muskel nennt oder
den triceps, weil er an drei Orten des os pubis beginnt, an dem oberen
Teil nämlich, an dem mittleren und dem inneren. Hieraus folgt nun ganz
notwendig, dass, wenn die Lendenmuskeln mit Ruten- oder Peitschenhieben
getroffen werden, die Lebensgeister mit Heftigkeit gegen das os pubis
zurückgestoßen werden und unkeusche Bewegungen erregen. Diese Eindrücke
gehen sogleich in das Gehirn über, malen hier lebhafte Bilder verbotener
Freuden, bezaubern durch ihre trügerischen Reize den Verstand, und die
Keuschheit liegt in den letzten Zügen.

Man kann nicht daran zweifeln, dass die Natur auf dieselbe Weise
verfährt, weil es außer den Nierenblut-, Samen- und Fettadern (veines
emulgentes, spermatiques et adipeuses) noch zwei andere gibt, welche man
Lendenadern nennt und die sich zwischen dem Rückgrat, zu beiden Seiten
des Rückenmarkes, befinden und vom Gehirn einen Teil der
Samenbestandteile herführen, so dass diese durch die Heftigkeit der
Peitschenhiebe erhitzte Materie sich in die Teile stürzt, welche zur
Fortpflanzung dienen und durch den Kitzel und den Stoß des os pubis zur
rohen fleischlichen Lust anreizen."

Diese hier erwähnten Folgen der untern Disziplin - die wir Müttern zur
Beachtung empfehlen - waren entweder ihren Anhängern nicht bekannt oder
wurden von ihnen nicht gefürchtet, indem sie es, so künstlich zu
fleischlicher Lust aufgeregt, vielleicht für umso verdienstlicher
hielten, ihr "Fleisch" zu besiegen. Wie die Herren Jesuiten auf diese
Wirkung spekulierten, werden wir im letzten Kapitel sehen.

Die Kirche wollte lange Zeit hindurch das Geißeln nicht als eine
Notwendigkeit anerkennen; allein die Gegner desselben unterlagen, und
das Selbstgeißeln sowohl als das Geißeln als Strafe wurde allgemein und
mit einem Fanatismus betrieben, der in unserer Zeit völlig unbegreiflich
ist. Der heilige Antonius von Padua kann die Geißelmode nicht genug
loben; aber der heilige Franziskus nennt ihn ein "Rindvieh", und ich
will dem Heiligen umso weniger widersprechen, als dieses heilige
Rindvieh der Urheber der Geißelprozessionen *) wurde, aus denen die
Geißlerbrüderschaften hervorgingen, die Jahrzehnte hindurch eine große
Rolle in der römischen Kirche spielten.

---- *) Wer sich über den römisch-katholischen Wahnsinn näher
unterrichten will, lese "Die christlichen Geißlergesellschaften" von Dr.
G. G. Förstemann, oder l'Histoire des Flagelans von Thiers, oder den
zweiten Teil der Histr. Denkmale des christl. Fanatismus, die Geißler,
von Corvin. ----

Das Geißeln fand unter den frommen Frauen besonders viele Anhänger und
wurde in den Nonnenklöstern besonders mit Leidenschaft getrieben. Über
den Grund will ich mir weiter keine Untersuchungen gestatten, sondern
nur den Verdacht aussprechen, dass der triceps und das os pubis mehr mit
dieser Leidenschaft zu tun hatten als die Religion und als die armen
Frauen selbst ahnten.

Die Karmeliter hatten eine ziemlich vernünftige Regel, bis sie unter die
Herrschaft der heiligen Therese kamen; dieselbe, welche den Mönchen
buchstäblich die Hosen auszog und diese ihren Nonnen anzog. In den
Regeln, die sie gab, spielte die Selbstgeißelung eine Hauptrolle.
Während der Fasten besonders geißelten sich manche ihrer Mönche und
Nonnen drei- bis viermal täglich, ja sogar während der Nacht.

Das Kloster zu Pastrana war eine freiwillige Marteranstalt. Eine Zelle
war gleichsam das Geißelzeughaus. Hier waren alle nur möglichen
Geißelinstrumente angehäuft, und jeder Novize hatte das Recht, sich
dasjenige Folterwerkzeug auszusuchen, welches ihm für seine Buße am
passendsten schien. - Eine beliebte Art der Selbstquälerei war das
sogenannte Ecce homo. Sie wurde gewöhnlich in Gesellschaft vorgenommen.
Die bußbedürftigen Brüder stellten sich im Refektorium auf. Einer trat
nun aus der Reihe heraus. Er war nackt bis zum Gürtel und sein Gesicht
mit Asche bedeckt. Unter dem linken Arm schleppte er ein schweres
hölzernes Kreuz und auf dem Kopf trug er eine Dornenkrone, in der
rechten Hand hatte er eine Geißel. So ging er mehrmals im Refektorium
auf und nieder, peitschte sich fortwährend und sagte mit kläglicher
Stimme einige besonders zu dieser Gelegenheit verfasste Gebete her. -
War er fertig, dann folgten die andern Brüder.

Der Karmeliterorden hat berühmte Geißelhelden und -heldinnen
hervorgebracht, und ich erinnere nur an die heilige Therese und an die
heilige Katharina von Cardone, von denen ich schon im Kapitel von den
Heiligen weitläufiger gesprochen habe. Die Letztere brauchte zum Geißeln
Ketten mit Häkchen oder eine gewöhnliche Geißel, in welche sie Nadeln
und Nägel steckte oder sie mit Dornenzweigen durchflochten hatte. Mit
solchen grässlichen Werkzeugen geißelte sie sich oft zwei bis drei
Stunden lang.

Maria Magdalena von Pazzi, eine Karmeliternonne zu Florenz, erlangte
durch ihre Selbstquälerei und mehr noch durch die Folgen derselben einen
hohen Ruf. Sie war 1566 in Florenz geboren und die Tochter angesehener
Eltern. Schon als Kind hatte sie eine Leidenschaft für das Geißeln, und
als sie siebzehn Jahre alt war, nahm sie den Schleier. Es war ihre
größte Freude, wenn die Priorin ihr die Hände auf den Rücken binden ließ
und sie in Gegenwart sämtlicher Schwestern mit eigener Hand auf die
bloßen Lenden geißelte.

Diese schon von Jugend auf vorgenommenen Geißelungen hatten ihr
Nervensystem ganz und gar zerrüttet, und keine Heilige hat so häufig
Entzückungen gehabt. Während derselben hatte sie es besonders mit der
Liebe zu tun und schwatzte darüber das wunderlichste Zeug. Der
himmlische Bräutigam erschien ihr sehr häufig, und sie sah ihn in allen
möglichen Lagen. Einst blieb sie, das Kruzifix in der Hand, sechzehn
Stunden lang in Betrachtungen über das Leiden Christi versunken und sah
im Geiste eine der Martern nach der anderen, welche er erduldet hatte.
Dieser Anblick rührte sie so sehr, dass sie Ströme von Tränen vergoss
und ihr Bette davon so nass wurde, als ob es in Wasser getaucht worden
wäre. Dann fiel sie in Ohnmacht, blass wie der Tod, und blieb eine lange
Zeit ohne Bewegung liegen.

In diese Entzückungen verfiel sie gewöhnlich, nachdem sie das Abendmahl
genommen hatte oder wenn sie sich in die Betrachtung eines heiligen
Ausspruchs vertiefte. Besonders geschah das, wenn sie über ihren
Lieblingstext nachdachte; dieser war: Und das Wort ward Fleisch. Einst
geriet sie dabei in eine Verzückung, welche von abends fünf Uhr bis zum
anderen Morgen dauerte. Während derselben rief sie plötzlich aus: "Das
ewige Wort ist in dem Schoße des Vaters unermesslich groß; aber in
Mariens Schoß ist es nur ein Pünktchen. - Deine Größe ist unergründlich
und Deine Weisheit unerforschlich, mein süßer, liebenswürdiger Jesus!"

Das innere Feuer drohte- sie zu verzehren, und häufig schrie sie: "Es
ist genug, mein Jesus! Entflamme nicht stärker diese Flamme, die mich
verzehrt! - Nicht diese Todesart ist es, die sich die Braut des
gekreuzigten Gottes wünscht; sie ist mit allzu vielen Vergnügungen und
Seligkeiten verbunden!"

So steigerte sich ihr Zustand von einer Stufe des Wahnsinns zur anderen,
und endlich bildete sie sich ein, förmlich mit Christus vermählt zu sein
und sowohl von ihm wie von ihrem Schwiegervater und dessen Adjutanten,
dem Heiligen Geist, Visiten zu erhalten. Die Hysterie erreichte den
höchsten Grad, und "der Geist der Unreinheit" blies ihr die
wollüstigsten und üppigsten Phantasien ein, so dass sie mehrmals nahe
daran war, ihre Keuschheit zu verlieren. Aber die Qualen, denen sie sich
nach solchen Versuchungen unterzog, waren entsetzlich. Sie ging in den
Holzstall, band einen Haufen Dornengesträuch los und wälzte sich so
lange darauf, bis sie am ganzen Körper blutete und der Teufel der
Unzucht sie verlassen hatte. So ging es fort, bis endlich der
barmherzige Tod ihren Qualen ein Ende machte. Die arme Wahnsinnige wurde
natürlich heilig gesprochen.

Die unendlich vielen Abarten des Zisterzienserordens haben sich im
Punkte des Selbstgeißelns sehr ausgezeichnet, allein von ihnen keine so
sehr wie die Trappisten. Sogar Mönche nannten den Stifter dieses
Klosters zu La Trappe den "Scharfrichter der Religiösen". Der Orden war
durch die Revolution sehr herabgekommen, aber Karl X. nahm ihn unter
seinen besonderen Schutz, und von 1814-1827 zählte man in Frankreich
nicht weniger als 600 Nonnenklöster dieses Ordens. Die Geißel war hier
an der Tagesordnung, und Mademoiselle Adelaide de Bourbon, die
Beschützerin dieser Klöster, wie auch die alternde Frau von Genslis,
geißelten sich von Zeit zu Zeit mit den Nonnen in frommer Andacht.

Die Krone der Zisterzienser ist aber die hochgepriesene Mutter Passidea
von Siena, von der ich schon früher erzählte, dass sie es für
verdienstlich hielt, sich wie einen Schinken in den Rauch zu hängen. Im
Geißeln leistete sie Dinge, welche selbst Dominikus den Gepanzerten mit
Neid erfüllt haben würden. Die natürliche Folge des unmäßigen Geißelns
war ebenfalls ein dem Wahnsinn nahekommender Zustand, in welchem ihr
Christus erschien. Das Blut floss aus seinen Wunden, er streckte ihr die
Arme entgegen und rief mit zärtlicher Stimme: "Schmecke, meine Tochter,
schmecke!" -

Elisabeth von Genton geriet durch das Geißeln förmlich in bacchantische
Wut, was aber die Pfaffen heilige Verzückung nannten. Am meisten raste
sie, wenn sie, durch ungewöhnliche Geißelung aufgeregt, mit Gott
vereinigt zu sein glaubte, den sie sich als einen schönen nackten Mann
und in beständigem Bräutigamstaumel mit seiner irdischen Geliebten
dachte. Dieser Zustand des Entzückens war so überschwänglich beglückend,
dass sie häufig in den Ausruf ausbrach: "O Gott! o Liebe, o unendliche
Liebe! o Liebe! o Ihr Kreaturen, rufet doch alle mit mir: Liebe! Liebe!"
-

Ich könnte die Zahl solcher Beispiele unendlich vermehren: allein, ich
halte es für überflüssig, da die Wirkungen so ziemlich überall dieselben
waren.

Dass das Geißeln unter den Strafen die Hauptrolle spielte, kann man sich
nach dem Gesagten wohl denken. Die Klosterregel der Heiligen Therese ist
so reichlich mit Geißelverordnungen gespickt, dass manches Kloster,
welches derselben folgte, ein eigenes Magazin für Ruten haben musste.

Die beschuhten oder graduierten Karmeliter, die sich viel mit dem
Studieren beschäftigten und deshalb einige Vorrechte genossen, erhielten
dennoch trotz ihrer Gelehrsamkeit bei den kleinsten Vergehen Prügel. Am
allerhärtesten wurden aber die Vergehen mit hübschen Klosterfrauen
bestraft, besonders ein mit denselben begangenes Verbrechen, welches
zwar nicht genannt, aber in dem Orden sehr häufig vorgekommen sein muss.
Schon auf den bloßen Verdacht hin, dasselbe begangen zu haben, wurde ein
Mönch, ohne Hoffnung auf Milderung oder Barmherzigkeit zu haben, mit
ewigem Gefängnis bestraft, und zwar: um dort erbärmlich gequält zu
werden, wie der Beisatz in den Statuten lautet.

Nicht so streng scheint man indessen dergleichen Vergehen genommen zu
haben, wenn sie mit nichtgeistlichen Frauen begangen wurden, und die
Mönche trugen Sorge, dass solche in der Nähe waren. Besonders scheinen
die Weiber der Klosterdiener, die in den Wirtschaftsgebäuden, der
sogenannten Vorstadt, wohnten, eine große Anziehungskraft für die
heiligen Väter gehabt zu haben, und einen besonderen Wert hatten
diejenigen Weiber, welche keine Kinder bekamen oder in der
Klostersprache "steriles" (Unfruchtbare) waren. - Der bekannte
Schriftsteller Karl Julius Weber wohnte einst einer Unterhaltung bei,
welche ein Domherr mit seiner Köchin hatte, die von ihm einen höheren
Lohn forderte. Der Domherr wollte nicht einsehen, warum sie mehr
verlange als eine andere; allein sie machte ihre Vorzüge geltend und
rief mit Selbstgefühl: "Ja, ich bin aber auch eine Sterelise!"

Der Orden von Fontevrauld war ein kurioser Orden. In dem Kloster lebten
Mönche und Nonnen zusammen, die oft beieinander schlafen mussten, um
Versuchungen gewaltsamerweise und einzig zu dem Zwecke herbeizuführen,
sie desto glorreicher zu überwinden. Die Regel dieses Ordens fand so
viele Liebhaberinnen, dass nicht selten zwei- bis dreitausend Nonnen im
Kloster waren. Da die Schwangerschaften gar zu häufig vorkamen, musste
die Zucht etwas strenger eingerichtet werden.

Dieses Kloster zu Fontevrauld oder Eberardsbrunnen hatte fünfzig
Mönchsklöster unter sich. Besonders zahlreich war aber die Zahl der
Novizen im Stammhaus, und meistens führten hier fürstliche oder andere
vornehme Damen das Regiment, denn dieser Orden hatte das Eigentümliche,
dass hier das männliche Geschlecht dem weiblichen untergeben war.

Das Geißeln an einem jungen Frater oder Novizen war für die Damen ein
Hauptvergnügen und wurde höchsteigenhändig vollzogen und am liebsten der
"unteren Disziplin" der Vorzug gegeben. Oft ließen sich beide Teile -
Mönche und Nonnen - zusammen disziplinieren; die Nonnen vom Beichtvater
und die Mönche von der Äbtissin.

Die verbesserten Regeln des Zisterzienserordens waren besonders beim
weiblichen Geschlecht mit dem Geißeln sehr freigebig. War eine Nonne
gestorben, dann mussten die Schwestern sich noch viele Wochen lang zum
Heil der Seele der Toten den Hintern zerhauen. Dies Geißeln zum Heil der
armen im Fegefeuer schwitzenden Seelen fand in vielen Nonnenklöstern
statt, und auch in Leyden, wie uns der gelehrte aber etwas derbe Marnix
Herr von St. Aedegonde in seinem "Bienenkorb" folgendermaßen erzählt:

"Noch vber alle dise heylsame hülffmittel, haben die liebe andächtige
Schwestern zu Leyden in Holland, vnd in allen Regularissenklöstern, noch
etwas gefunden, das sehr artig ist. Den zwischen Remigy und aller
Heyligentag, nachdem man die Vigilien von neun Lektionen sehr andächtig
hat gesungen, so geht jhre Frau Mater inn eyn finster Kellerlein, mit
eyner Ruten inn der hand, ynnd da kommen die Schwesterlein, eyne vor,
die ander nach, mit dem hintern bloshaupts, ja etliche auch wol gantz
Mutternackend, vnnd legen sich für sie, vnnd empfangen die selige
Disziplin oder züchtigung für die Seelen im Fegfeuer. Dann als manchmal
sie zehen streich empfangen, so manche Seelen fliegen knapp in schnapps
dem Himmel zu, wie die Küe in eyn Mäusloch. Ist das nicht köstlich Ding,
mit Nonnenärssen die Seelen aufplasen? Ei der kräfftigen Nonnenfürz,
welche so feine Blaßbälg inns Fegfeuer geben! Ich denk, die andern
Nonnen, Beginen vnnd Schwestern werdens jnen auch nach thun müssen, vnnd
solls allein wolstandshalben geschehen; auch das es der Pater oftmals
thun muss, wann kein Mater vorhanden ist; denn malet schon der Müller
mit bei tag, so versiehts doch die Müllerin bei nacht."

Sebastian Ammann, der Ex-Prior der Kapuziner, den ich schon früher
erwähnte, gibt eine Beschreibung davon, wie die Geißelung noch in
gegenwärtiger Zeit in den Kapuzinerklöstern angewandt wird. Ich führe es
hier nur an, damit die Leser nicht glauben, dass, was ich erzählte, nur
dem "finsteren Mittelalter" angehöre.

"Die Geißel ist ein Instrument, aus Eisendraht geflochten, ungefähr vier
Schuh lang; ein Teil davon, den man beim Schlagen um die Hand windet,
ist einfach, derjenige aber, mit dem man auf den Leib schlägt, fünffach
geflochten und an den fünf Enden gewöhnlich mit eisernen Zacken
versehen. Die Geißelung geschieht bei den Kapuzinern auf zweierlei Art.
Im Chor nachts bei der Mette heben sie die Kutten auf und klopfen sich
auf den bloßen Steiß, bis der Obere ein Zeichen zum Aufhören gibt. Da
sie keine Hosen tragen, so geht die Szene schnell auf das Kommando vor
sich. In dem Speisezimmer, wo die Geißelung am hellen Tage im Angesicht
aller Konventualen vor sich geht, pflegt sie auf folgende Weise zu
geschehen. Derjenige, welchem die Strafe zuteil wird, muss, bevor er zu
Tische geht, das wollene Hemd (Schweißblätz) und die leinene Schürze
(Mutande), die unter der Kutte getragen werden, ausziehen und so mit den
anderen sich zum Tischgebet einstellen. Nach diesem gehen alle übrigen
zu Tisch; der Sträfling aber wirft sich auf die Knie, legt die Geißel
vor sich hin auf den Boden, fasst mit beiden Händen die Kapuze und zieht
sich die Kutte über den Kopf aus, legt dieselbe vor seine Brust hin, so
dass der vordere Leib bedeckt, der hintere aber ganz nackt ist. In
dieser Lage hält er mit der linken Hand die Kutte und in der rechten die
Geißel.

Auf ein Zeichen, das ihm der Obere gibt, beginnt er laut Bußpsalmen, das
Miserere, De profundis und lateinische Gebete zu sprechen und schlägt
sich so lange auf den nackten Rücken über die Achseln, bis der Obere
zufrieden ist und das Zeichen zum Aufhören gibt. Zwickt sich der
Pönitent mit der Geißel nicht heftig genug, so lässt ihn der Guardian
länger beten und zuschlagen. - Wer noch nicht alles Schamgefühl verloren
hat wie ergraute Kapuziner, der unterzieht sich dieser Operation gewiss
ungern. Dass diese schamlose Handlung Anlass zu der naturwidrigsten
Unzucht gegeben hat, könnte ich jedem mannigfach beweisen, der daran
zweifeln sollte." -

Die Folgen des Zölibats zeigten sich bei den Mönchen auf eine noch
widerlichere Weise als bei den Weltgeistlichen, die durch ihren Verkehr
mit den Menschen doch noch Gelegenheit fanden, den mächtigen
Geschlechtstrieb auf natürliche Weise zu befriedigen. Die strenge Zucht
in vielen Klöstern erschwerte dies aber den Mönchen sehr, und so nahmen
denn bei ihnen die unnatürlichen Laster auf eine schaudererregende Weise
überhand. Die zahlreichen Verbote, keine weiblichen Tiere in
Mönchsklöstern und keine Schoßhündchen in Nonnenklöstern zu leiden,
sprachen laut genug dafür, welche Wege der unterdrückte Geschlechtstrieb
aufsuchte.

Das asketische Leben, die schwächende Diät und der häufige Genuss der
Fische wie auch das Geißeln trugen sehr viel dazu bei, den
"Fleischesteufel" mehr gegen die Mönche als gegen andere Menschenkinder
aufzureizen; und ich sehe eigentlich nicht ein, warum nicht statt des
Zölibatsgesetzes ein anderes gegeben wurde, welches alle Knaben, die
sich dem Klosterleben widmeten, zur Kastration verurteilt. Dann würden
sie Ruhe haben und nicht durch fleischliche Anfechtungen in ihren
frommen Betrachtungen gestört werden und das Familienleben durch ihre
Unsittlichkeit verpesten.

Übrigens ist der Gedanke kein Originalgedanke; es gab schon längst vor
mir Leute, welche ihn praktisch ausführten. Der Ritter Bressant de la
Rouveraye, empört über die skandalöse Prozession, welche zur Feier der
Bluthochzeit in Rom veranstaltet wurde, gelobte, alle Mönche zu
kombabisieren, die ihm in die Hände fielen. Wie ein Indianer die Skalpe
seiner Feinde, so trug der grimmige Ritter die für die Erfüllung seines
Gelübdes zeugenden Trophäen an seinem Wehrgehänge. - Iphauer Bauern,
welche das Kloster Birkling in der Grafschaft Kastell zerstörten, nahmen
an den erwischten Mönchen dieselbe Operation vor.

Die in den Klöstern herrschende Sittenlosigkeit übertrifft die kühnste
Phantasie. Um die Folgen derselben zu verbergen, wurden sehr häufig die
Mittelchen der Klosterapotheke in Anspruch genommen, und manches
gefallene Mädchen blieb durch ihre Hilfe in den Augen der Welt eine
reine Jungfer; aber auch mancher Ehemann verschwand durch sie.

Ammann kennt einen Pater, der einem Mädchen in Rapperswyl, das von ihm
schwanger gewesen sein soll, einen Trank zum Abtreiben gab. Der
Vorgesetzte war genau davon unterrichtet; aber er hielt es "zur Ehre der
Geistlichkeit" nicht für angemessen, davon viel Aufhebens zu machen.

Mönche und Nonnen lebten in der innigsten Vertraulichkeit und schienen
der Ansicht, dass sie nur dazu geschaffen wären, sich einander zu
ergänzen. Bebel wollte ein Nonnenkloster kennen, in welchem nur eine
keusche Nonne gewesen, - die nämlich noch kein Kind gehabt hatte.

Das Kinderbekommen war die Schattenseite des Nonnenlebens, aber die
frommen Vestalinnen wussten sich zu helfen. Das Mittel war sehr einfach,
"zur Ehre der Geistlichkeit" wahrscheinlich brachten sie die Kinder um.
Bei Abbrechung des Klosters Mariakron fand man "in den heimlichen
Gemächern und sonst - Kinderköpfe, auch ganze Körperlein versteckt und
vergraben", und der Bischof Ullrich von Augsburg erzählt, dass Gregor
I., der auch sehr für das Zölibat eingenommen gewesen, davon
zurückgekommen sei, als einst aus einem Klosterteiche sechstausend
Kinderköpfe herausgefischt wurden. Das Wort des Bischofs mag für diese
fast unglaublich klingende Tatsache bürgen.

Als Kaiser Joseph II. diese Wiedehopfnester ausnahm, fragte er einen
Prior: "Wie stark sind sie?" - "Zweihundert, Ew. Majestät." - "Wie?" -
"Ja, Ew. Majestät, wir haben aber auch vier Nonnenklöster zu versehen."
- Der Kaiser drehte dem offenherzigen Prior den Rücken zu, um sein
Lachen zu verbergen.

Die Äbtissinnen waren aber auch für ihre Freunde, die Mönche, auf das
liebevollste besorgt. Kranke Nonnen wurden nicht aufgenommen, ja nicht
einmal solche, welche einen übelriechenden Atem hatten. Was dieser der
Heiligkeit für Hindernisse in den Weg legen soll, kann ich nicht wohl
begreifen; allein für die Unheiligkeit ist er höchst unbequem und bei
Eheleuten, wenn ich nicht irre, in manchen Ländern ein Grund zur
Scheidung.

Nichts ist possierlicher - erzählt der Ex-Prior Ammann - als wenn sich
die Nonnen die körperlichen Gebrechen ihrer geliebten Patres vorwerfen.
Dies erinnert an andere keineswegs der Keuschheit geweihten Häuser, und
viele Geschichtsschreiber aus der Zeit der päpstlichen "babylonischen
Gefangenschaft" sagen auch wirklich geradezu: "Von Nonnen kann man aus
Scham gar nicht sprechen; ihre Klöster sind Hurenhäuser, und ein
Mädchen, das den Schleier nimmt, tut dasselbe, als ob sie sich für eine
Hure erkläre."

Schon die Synode zu Rouen (um 650) sah sich genötigt, das Gesetz zu
erlassen: dass Nonnen, die mit Geistlichen oder Laien Unzucht getrieben,
durchgeprügelt und ins Gefängnis geworfen werden sollten.

Robert von Abrissel, der Stifter des oben erwähnten Klosters von
Fontevrauld, ein sehr heiliger Mann, brachte die Nächte bei Nonnen zu,
um seine Stärke zu prüfen in der Tugend der Enthaltsamkeit. Sehr
vernünftig war es von ihm, dass er sich zu dieser Probe nur die
allerschönsten Nonnen aussuchte. Siegte er, dann war sein Sieg umso
verdienstlicher, und unterlag er, nun, dann lohnte es doch auch der
Mühe.

Bebel, den ich schon mehrmals nannte, ist sehr reich an spaßhaften
Anekdoten von Mönchen und Nonnen. Zwei mögen hier einen Platz finden.

Ein Mönch, der in einem Nonnenkloster einkehrte, wurde von den Nonnen
auf das freundlichste aufgenommen und bewirtet. Er sprach so viel von
Tugendsinn, Gottesfurcht und Züchtigung, dass ihn die Nonnen für ein
Muster der Enthaltsamkeit hielten und ihm sogar in ihrem eigenen
Schlafsaal ein Bett anwiesen.

Mitten in der Nacht fing der Mönch plötzlich an zu schreien: Ich mag
nicht! Ich mag nicht! Man kann sich denken, wie die Nönnchen die Ohren
spitzten und wie eifrig sie herbeiliefen, um sich nach der Ursache des
sehr verdächtig klingenden Ausrufs zu erkundigen.

Der Schalk erzählte ihnen nun, dass ihm eine Stimme vom Himmel befohlen
habe, sich zu der jüngsten Nonne ins Bett zu legen, denn sie beide wären
dazu ausersehen, einen Bischof hervorzubringen; er aber wolle nicht.

Die frommen Nonnen waren hocherfreut, wussten ihn zum Gehorsam gegen
Gottes Stimme zu bekehren und führten ihn endlich an das Bett der
glücklichen Schwester. Als diese einiges Bedenken fand, erklärten sich
sogleich alle übrigen bereit, ihre Stelle zu vertreten, so dass sie sich
bestimmen ließ und den Mönch zu sich nahm. -

Das Resultat war aber - eine Tochter! Diese konnte freilich nicht
Bischof werden; und als man den Mönch zur Rede stellte, schob er den
missratenen Bischof darauf, dass die Nonne nicht freiwillig gekommen
wäre.

Einen ähnlichen Streich spielte den Nonnen der Pförtner ihres Klosters,
welcher den sonderbaren Namen Omnis mundus führte. Während einer Nacht
kroch er in die Feueresse und brüllte durch ein großes Rohr in den Kamin
ihres Schlafsaals: "O Ihr Nonnen, hört das Wort Gottes!" Die Nonnen
zitterten und zagten; als sie aber in der nächsten Nacht wieder dieselbe
Stimme hörten, fielen sie alle nieder, denn sie meinten, ein Engel
spräche zu ihnen, und sangen: "O Engel Gottes, verkünde uns deinen
Willen!"

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten; sie lautete: "Haec est
voluntas Domini ut Omnis mundus inclinet vel suppont vos!" - Was
bedeutet dieser Orakelspruch? fragten sich die Nonnen und kamen bald
dahin überein, dass der Pförtner Omnis mundus bei ihnen schlafe, woraus
wohl ein Bischof oder gar ein Papst entstehen sollte.

Der schlaue Pförtner wurde gerufen. Er fügte sich, und die Äbtissin,
welche zuerst mit ihm allein blieb, sang beim Hinausgehen: "Wie freut
mich das, was mir gesagt worden ist." - Nun kam die Priorin an die
Reihe. Diese sang: "Herr Gott, dich loben wir!" Die dritte Schwester:
"Der Gerechte wird sich im Herrn freuen", und die vierte: "Lasset uns
alle fröhlich sein."

Aber nun hatte das Latein des Pförtners ein Ende, und als er davonlief,
schrien ihm die übrigen Nonnen nach: "Wann erhalten wir denn nun den
Ablass!" (Die Einführung der erzwungenen Priesterehelosigkeit usw. von
Theiner, Bd. 2, S. 108.)

Aber nicht immer kam ein reisender Mönch, der angenehme Offenbarungen
hatte, und nicht jedes Kloster besaß einen brauchbaren Pförtner; aber
das Verlangen war da und wollte befriedigt sein. Viele behalfen sich so
gut es ging; aber was wollte das sagen? Einige verliebten sich in Jesus
und schwärmten so lange für ihn, bis sie sich wirklich einbildeten oder
träumten, Besuche von ihm zu empfangen.

Die Nonne Armelle glaubte wirklich in der Seitenwunde Christi zu wohnen,
und Maria de la Coque erhielt gar von ihm die Erlaubnis, ihr Herz in das
seinige zu legen. Dann bekam sie es wieder; aber Christus riet ihr, wenn
sie von der Operation Seitenstechen empfinde, sich zur Ader zu lassen.

Andere, die nicht so schwärmerisch waren, beschäftigten sich in ihren
Gedanken fortwährend mit Männern, und als Abraham a St. Clara einst in
einem Nonnenkloster die Beichte hörte, gestanden ihm fast alle Nonnen,
dass sie von Hosen geträumt hätten. - Der fromme Pater war nicht wenig
ergrimmt. "Was! Ihr wollt Bräute Christi sein?" fuhr er sie an.
"Christus hatte keine Hosen; ist euer Bräutigam ohne Hosen, und Ihr
denkt und träumt von Hosen? - Geht hin in das ewige Feuer, da werdet ihr
Hosen sehen, glühende, feurige Hosen, die Ihr werdet angreifen und damit
spielen müssen" usw.

Neben ihren Träumereien von Männern, Hosen und dergleichen
phantastischen Dingen verliebten sich die armen Nönnchen in Ermangelung
anderer Liebesgegenstände ineinander. Grecourt erzählt ein Geschichtchen
von zwei Nonnen, die ihre Reize bewundern und in ihrer Unschuld mit dem
Rosenkranz messen:

    - Eh bon Dieu! dit Sophie,
    Qui l'aurait cru? Vous l'avez, chère amie,
    Plus grand que moi d'un Ave Marie!

Die Nonnen waren überhaupt ein seltsames Völkchen und der Mangel an
Männern brachte bei ihnen neben den beklagenswerten auch oft höchst
komische Wirkungen hervor.

In einem flandrischen Kloster fing plötzlich eine Nonne an, in ihrem
Bett höchst befremdliche Bewegungen zu machen. Das hätte am Ende nichts
zu bedeuten gehabt: aber die Sache wurde ansteckend, und bald arbeiteten
die Nonnen sämtlich des Nachts so heftig, dass die Bettstellen knackten.
Das sonderbare Übel pflanzte sich in andere Klöster fort und machte so
großes Aufsehen, dass die Geistlichkeit amtlich einschritt und mit
Weihkessel und Wedel in die Klöster einrückte, um die Teufel aus den
Nonnen auszutreiben. Ob sie "die Teufel - à la Boccaccio - in die Hölle
schickten", davon meldet die Chronik nichts.

Im 15. Jahrhundert bekam eine deutsche Nonne den Einfall, eine andere zu
beißen. Dieser gefiel der Spaß, und sie biss wieder eine andere, bis das
Beißen förmlich epidemisch wurde und sich mit rasender Schnelligkeit von
einem Nonnenkloster zum anderen verbreitete. Bald bissen sich alle
Klosterkätzchen von der Ostsee bis nach Rom!

In einem französischen Kloster wurde es unter den Nonnen Mode, wie die
Katzen zu miauen, und die Sache nahm so überhand, dass es viel Skandal
gab. Alle Verbote fruchteten nichts, und das Miauen wurde immer ärger.
Endlich erhielt eine Kompanie Soldaten den Befehl, diesen Katzenteufel
zu bannen, in ein Kloster zu rücken und eine der Klosterkätzchen nach
der anderen über die Knie zu legen und mit Ruten zu bearbeiten, bis
ihnen das Miauen verginge. Es verging ihnen aber schon von der bloßen
Furcht, und die Exekution wurde überflüssig.

Diese Nonnen, besonders wenn sie alt und garstig wurden, konnten aber
wahre Teufel sein, und ihr ganzer Hass traf die jungen und hübschen
Schwestern. Diese wurden mit Argusaugen bewacht, und wehe ihnen, wenn
sie auf dem Umgang mit einem Manne ertappt wurden. Dann vergaßen jene
ihre eigene Jugend und begingen die empörendsten Grausamkeiten. Von den
unzähligen Beispielen will ich nur einige anführen.

Im Kloster Wattum verliebte sich eine Nonne in einen Mönch. Solch Liebe
war selten platonisch, und diese war es auch nicht, denn die Nonne
fühlte sich schwanger. Sie verbarg ihre Lage, solange es irgend angehen
wollte, dann aber entdeckte sie sich ihren Mitschwestern. Das hatte ihr
ein böser Geist geraten, denn diese stürzten über sie her und
überhäuften sie mit Schmähungen und Schimpfworten. Einige riefen, die
Verbrecherin zu schinden oder zu verbrennen; andere wollten, dass sie
auf glühende Kohlen gelegt werde!

Nachdem sich der erste Sturm gelegt hatte, ließen die erfahreneren
Nonnen sie in ein Gefängnis werfen und fesseln. Hier musste sie bei Brot
und Wasser unter fortwährenden Misshandlungen liegen. Dem Mönche war es
gelungen, zu entfliehen.

Als die Stunde der Niederkunft heranrückte, bat das arme Geschöpf
flehentlich, man möge sie aus dem Kloster entlassen, denn ihr Geliebter
habe ihr versprochen, sie mitzunehmen. Die Nonnen lockten ihr nun nach
und nach heraus, dass der Mönch sie auf erhaltene Nachricht an einer
bestimmten Stelle in der Nacht und in weltlichen Kleidern erwarten
würde.

Diese Entdeckung war den Megären willkommen! Ein handfester Pater,
begleitet von einigen andern, begab sich, gehörig verschleiert und mit
einem Knittel versehen, an den bezeichneten Ort. Der Mönch wurde
ergriffen und im Triumph ins Kloster geschleppt. Hier erwartete ihn
seine Geliebte und ein grässliches Schicksal! Das arme Weib wurde von
den Nonnen gezwungen, ihren Geliebten zu entmannen! Dann wurde die
Unglückliche wieder in das Gefängnis geschleppt.

Das arme gequälte Geschöpf schlief hier einst vom Fasten und Weinen
ermattet ein und träumte, oder glaubte zu träumen, dass ein Bischof mit
zwei Weibern zu ihr komme, und dass die letzten bald darauf mit ihrem in
glänzende Windeln gehüllten Kind davongingen. Als sie wieder zu sich
kam, fühlte sie sich ihrer Bürde entledigt. Die Nonnen untersuchten
hierauf ihre Brüste, ihren ganzen Leib, berührten und drückten alle
Teile desselben und fanden ihn weder irgendwo verletzt, noch eine Spur
von Ermordung des Kindes. Die Geschichte wurde nun für ein Wunder
erklärt und als solches im Kloster bis auf späte Zeiten für den
Neugierigen erzählt. Dies trug sich in der Mitte des 12. Jahrhunderts in
England zu.

Doch wir brauchen nicht so weit zurückzugehen, denn noch weit ärgere
Schändlichkeiten wurden von den Nonnen in neuerer Zeit begangen.

Am Ende des vorigen Jahrhunderts wurden in einem deutschen Staate die
Klöster aufgehoben. Der mit der Regulierung dieser Angelegenheit
beauftragte Kommissarius hatte die Nonnen eines Karmeliterklosters
aufgefordert, dasselbe zu verlassen. Da seinem Befehl nicht Folge
geleistet wurde, so begab er sich selbst in das Kloster und wiederholte
der Äbtissin und ihren geistlichen Töchtern den fürstlichen Befehl.
Zugleich ließ er sich die nötigen Nachweisungen und auch das
Personenverzeichnis geben. In diesem waren einundzwanzig Nonnen
angegeben; als er aber die Versammelten mit den Augen zählend überlief,
konnte er immer nur zwanzig herausbekommen. Er zählte noch einmal -
dasselbe Resultat.

Um sich unnütze Mühe zu ersparen, rief er die Personen namentlich auf;
die Nonne Alberta fehlte. Auf die Frage des Kommissars, warum diese
nicht anwesend sei, konnte er deutlich bemerken, dass sämtliche Nonnen
in große Verlegenheit gerieten und die Äbtissin mit dem Beichtvater sehr
seltsame Blicke wechselte. Dies veranlasste ihn, ernstlich auf das
persönliche Erscheinen der Nonne zu dringen.

Die Äbtissin hatte sich unterdessen gefasst. Sie sagte, dass der
gegenwärtige Zustand der Nonne Alberta ihr persönliches Erscheinen
unmöglich mache, da sie gefährlich krank sei. Der Kommissar, der nun
einmal misstrauisch gemacht war und irgendeine Nichtswürdigkeit
vermutete, drang darauf, zur Kranken geführt zu werden, denn er wollte
sie sehen. Nach vielen Ausflüchten rückte die Äbtissin endlich mit dem
Geständnis heraus, dass die Abwesende in so hohem Grade wahnsinnig sei,
dass sie gewiss niemanden erkennen und ein Besuch ganz nutzlos sein
würde.

Das ganze eigentümliche und befremdende Benehmen der Nonnen, die blass
waren wie ein Tuch und so zitterten, dass sie sich kaum auf den Füßen
halten konnten, veranlasste den Regierungsbeamten, nach den näheren
Umständen der Krankheit zu forschen, und so erfuhr er denn, dass der
gegenwärtige Klosterarzt gar nichts von dem Wahnsinn der Nonne wisse.
Sein Vorgänger habe die Krankheit für unheilbar erklärt, und zur Wahrung
der Ehre des Klosters habe man die Sache geheimgehalten. Seit acht
Jahren befinde sich die Nonne Alberta in einem beklagenswerten Zustand.
Näheren Aufschluss wollte ihm niemand geben. Der Regierungsbeamte hielt
es jedoch für seine Pflicht, der Sache auf den Grund zu gehen, und nach
ernstlichen Drohungen ließen sich endlich zwei Nonnen dazu bewegen, ihn
zu Alberta zu führen.

Sie leiteten ihn treppauf treppab durch eine Menge schmaler Gänge in
eine Art von Hintergebäude, bis sie endlich wieder vor einer Treppe
stehenblieben. Der Kommissar wollte hinaufgehen, aber die Nonnen sagten
ihm, dass hier die Wohnung der Nonne Alberta sei. Er entdeckte jedoch
nichts, was nur entfernt einem Aufenthaltsort für Menschen ähnlich sah,
und war starr vor Erstaunen, als die Nonnen auf einen Bretterverschlag
unter der Treppe wiesen, in welchem sich selbst ein Hund elend gefühlt
haben würde.

Aus diesem Verschlage trat ein großes, bleichgelbes Mädchen von etwa
fünfunddreißig Jahren hervor, mit bloßen Füßen und mit halbverfaulten
Lumpen nur notdürftig bekleidet. Die langen schwarzen Haare flatterten
unordentlich um ihren Kopf, und aus ihren tiefen Augenhöhlen blitzte in
unheimlicher Glut ein dunkles Augenpaar, dessen Feuer weder Leiden noch
Tränen hatten erlöschen können.

Die ganze Erscheinung erweckte das tiefste Mitleid. Mit herzzerreißendem
Gewimmer warf sich das arme Geschöpf dem Kommissar zu Füßen, umklammerte
seine Knie und bat, sie doch nicht wieder so entsetzlich zu geißeln. Als
sie aber die teilnehmende Miene des tief erschütterten Mannes sah, bat
sie um Rettung und Befreiung.

Ihre Reden waren abgerissen und verwirrt, und man sah, dass die langen
Leiden den Geist dieses kräftigen Mädchens gestört hatten. Sie wurde
sogleich in das Refektorium gebracht, wohin sie nur ungern folgte, denn
der Anblick ihrer weiblichen Henker konnte sie nicht ermutigen. - Der
Kommissar befahl sogleich, dass ihr reinliche Kleidung und ein gutes
Bett gegeben würden, und verließ am anderen Tage in der heftigsten
Entrüstung das Kloster, nachdem er die Nonnen mit den schwersten Strafen
für die geringste Misshandlung der Alberta bedroht hatte.

Bald darauf begab sich der Vizepräsident des damaligen Landeskollegiums,
Graf Th . . ., mit dem Kommissar in das Kloster. Die Lage des armen
Mädchens hatte sich aber leider wieder verändert und der Wahnsinn die
Oberhand gewonnen. Sie sprach ohne Zusammenhang und gebrauchte eine
Menge unflätiger Worte. Die Oberin und die Nonnen konnten ihre hämische
Schadenfreude nicht unterdrücken. Der Präsident, der dies bemerkte,
hielt den entarteten Weibsbildern eine Predigt, wie sie dieselbe wohl
noch niemals von einem ihrer gefälligen Patres gehört haben mochten und
die deshalb auch einen tiefen Eindruck machte. Dann stieg er mit Alberta
in einen bereitgehaltenen Mietwagen und brachte sie in zweckmäßige
Pflege.

Diese hatte auch einen guten Erfolg. Die körperliche Gesundheit kam
wieder; aber nun zeigte sich an ihr die Hysterie, welche wohl der
Hauptgrund ihres Wahnsinns gewesen sein mochte, in einem furchtbaren
Grade; ja, ihre Begierde nach Befriedigung des Geschlechtstriebes ging
so weit, dass sie die sich ihr nähernden Männer mit Gewalt anpackte.

In den lichten Zwischenräumen gab sie Aufschluss über ihre Geschichte.
Sie war aus Würzburg, mitten im schönen Franken, wo ihr Vater ein
ziemlich bedeutender Weinhändler war. In seinem Hause waren die Pfaffen
willkommene Gäste, und besonders hatten sich die barfüßigen Karmeliter,
die in der Stadt ein Kloster besaßen, darin eingenistet.

Alberta war eine auffallende Schönheit. Wie es aber besonders schönen
Mädchen oft zu gehen pflegt, hatte sie keine Neigung zur Häuslichkeit
und ließ sich lieber von den Herren den Hof machen. Bald spann sie ein
Liebesverhältnis an, welches durch den Reiz des Geheimnisses noch
anziehender wurde und damit endete, dass sie ihre Jungfräulichkeit
einbüßte.

Ihre Eltern, welche noch mehrere Kinder hatten, waren mit ihr sehr
unzufrieden und wären sie gern aus dem Haus los gewesen. Unter solchen
Verhältnissen fand der Vorschlag der Karmeliter, Alberta in ein Kloster
zu schicken, bei ihnen bald Anklang. Alberta, leichtsinnig und bigott
dabei, ließ sich durch Schmeicheleien und Drohungen bewegen, ihre
Einwilligung zu geben, und wurde in ein Kloster nach N-brg gebracht. Man
empfing sie dort freundlich und behandelte sie auch während des
Probejahres recht gut, denn ihr Vater hatte versprochen, das seiner
Tochter zukommende Vermögen an das Kloster zu zahlen.

Als sie aber das Gelübde abgelegt hatte und sich die Auszahlung des
versprochenen Geldes verzögerte, ja sogar die Aussicht bevorstand, dass
dieselbe niemals geschehen werde, da musste es Alberta büßen, welche von
den Nonnen schon wegen ihrer Schönheit und ihrer Abneigung gegen alle
weiblichen Beschäftigungen gehasst wurde.

Mit dem Zustand dieses Mädchens ging unterdessen eine traurige
Veränderung vor. Das einsame Leben in der Zelle und der Mangel an
teilnehmenden Umgebungen waren Veranlassung, dass sie fortwährend an
ihren Geliebten dachte, von welchem sie durch Mönchskniffe getrennt
worden war. Die Phantasie verweilt so gern bei vergangenen Freuden,
besonders in trauriger Einsamkeit. Diese Phantasien nahmen aber bald
eine für ihre Gesundheit bedenkliche Richtung. Sie hatte vom Baum der
Erkenntnis gegessen, und die veränderte Lebensweise trug sehr viel dazu
bei, ihre Sinnlichkeit aufzuregen.

Die Karmeliternonnen dürfen kein Fleisch essen, und ihre Nahrung besteht
größtenteils aus stark gewürzten Mehlspeisen und Fischen, welche das
Blut erhitzen und der Keuschheit nichts weniger als zuträglich sind.
Alberta suchte ihre rebellischen Sinne durch Mittel zu besänftigen,
welche gerade das Gegenteil bewirkten, und wurde dadurch in einen
solchen Zustand versetzt, dass sie sich endlich genötigt sah, sich dem
Klosterarzt zu entdecken. Es war dazu fast zu spät, denn die Hysterie
hatte sich beinahe zur Mannestollheit (Nymphomanie) ausgebildet.

Vielleicht wurden die Andeutungen des höchst achtbaren Arztes
missverstanden; vielleicht reizte auch das Pikante der Sache den
Vorstand des männlichen Karmeliterhospiziums, kurz, er und die Oberin
kamen dahin überein, dass er versuchen solle, die Nonne zu kurieren. Er
musste der Oberin aber bald gestehen, dass er dieser Kur nicht gewachsen
sei und riet nun, es mit der Geißel und häufigem Fasten zu versuchen.

Aber das hieß Öl ins Feuer gießen. Die arme Nonne ging bei diesem Kampf
mit ihren Sinnen fast unter, und die Oberin, anstatt aufs neue ärztliche
Hilfe herbeizurufen, beschloss, sie von allen lebenden Wesen zu
entfernen, damit der Ruf des Klosters nicht leide. Man brachte sie in
den abscheulichen Verschlag unter der Treppe, gab ihr nicht einmal
notdürftige Nahrung und Kleidung und ließ sie täglich von boshaften
Nonnen geißeln; so dass durch die schlechte Behandlung, welche sie acht
Jahre lang zu erdulden hatte, ihre Krankheit in Wahnsinn überging. -
Alberta wurde nicht wieder gesund; sie endete ihr Leben in einem
Irrenhaus.

Es ist eine ziemlich bekannte Erfahrung, dass die Weiber im Allgemeinen
weit grausamer sind als Männer. Von der Grausamkeit der Nonnen will ich
noch ein anderes, ebenfalls der neueren Zeit angehöriges Beispiel
anführen.

Der Wundarzt Friedrich Baumann, der in dem Dörfchen Hornstein in der
Nähe einer Prämonstratenserabtei wohnte, hatte eine große Vorliebe für
die Klöster und dieselbe wurde von seiner Frau geteilt. Aus diesem
Grunde beschlossen beide, ihre jüngste Tochter Magdalena "dem Himmel" zu
weihen, da die älteste große Geschicklichkeit und Neigung für die
Landwirtschaft zeigte.

Der Hausfreund Baumanns war der Abt der benachbarten Abtei, und er
bestärkte die Eltern noch in ihrem Entschluss, ja verwendete sich selbst
bei den Klarissinnen in der Hauptstadt für die künftige Aufnahme des
Mädchens und bewirkte, dass man von ihr nur eine mäßige Aussteuer
verlangte. Magdalena wurde nun in allen einer Nonne dienlichen
Geschicklichkeiten und auch in der Wundarzneikunst unterrichtet und
meldete sich nach vollendetem sechzehnten Jahr zur Aufnahme.

Sie war ein wunderschönes Mädchen geworden und bezauberte alle Herzen
durch ihr anmutiges Wesen. Es fehlte ihr daher auch nicht an Freiern,
unter denen der junge Rehling die redlichsten Absichten hatte und in
keiner Hinsicht zu verwerfen war. Magdalena blieb aber fest bei ihrem
Entschluss, ins Kloster zu gehen, in welchem sie durch ihre bigotte
Mutter nur noch mehr bestärkt wurde.

Der Vater war wankend geworden, denn die seltsamen, schmunzelnden Mienen
und die höchst besonderen Redensarten des Beichtvaters des Klosters wie
auch das habgierige Benehmen der Nonnen erfüllten ihn mit bangen
Besorgnissen, aber er hatte nicht die Energie genug, der Mutter und den
Pfaffen gegenüber fest aufzutreten.

Magdalena wurde eingekleidet und vor allen Dingen in die Mysterie des
Geißelns eingeweiht, für welches das arme Mädchen bald anfing zu
schwärmen. Die kleine Disziplin bestand aus 36, die große aus 300 Hieben
auf Rücken und Hintern. - Das Noviziat ging zur Zufriedenheit vorüber,
und Magdalena tat Profeß zur Verzweiflung des jungen Rehling.

Sie sah aber bald allerlei Dinge, die ihr teils gar nicht gefielen,
teils sehr befremdlich vorkamen; allein sie durfte ihre Bemerkungen
nicht laut werden lassen. - Endlich kam das Fest der Himmelfahrt Mariä
und mit ihm die große Disziplin, die sie nur der Theorie nach und im
Allgemeinen kennengelernt hatte. - Das Zimmer, in welchem die Geißelung
vorgenommen wurde, war zwar verdunkelt; allein durch die Ritzen der
Fensterläden fiel Licht genug herein, um alles, was vorging, ziemlich
genau erkennen zu lassen. Nur mit großem Widerwillen löste die
schamhafte Jungfrau den Gürtel und entblößte den untadelhaften,
wunderschönen Körper, an welchem sich die lüsternen Blicke der alten
Klosterkatzen und der Äbtissin weideten.

Magdalena geißelte sich mit allem Eifer, bemerkte aber, dass es die
andern Nonnen mehr wie eine Spielerei betrieben. Nur eine Nonne, namens
Griselda , übertrieb die Sache so sehr, dass das Blut über ihren Körper
herabströmte und die Spitzen der Geißel an manchen Orten wohl einen Zoll
tief in das Fleisch eingeschnitten hatten.

Magdalena, welche zur Klosterapothekerin ernannt worden war, eilte ihr
zu Hilfe und stellte sie in kurzer Zeit gänzlich wieder her. Sie hatte
es aber nicht unterlassen können, Griselda aufzufordern, sich in der
Folge nicht wieder zu hart zu geißeln, und dies kam der Äbtissin zu
Ohren, welche darüber sehr ungehalten wurde. Als sich Magdalena
entschuldigen wollte, schrie sie dieselbe herrisch an und gebot ihr zu
schweigen. Die Folge davon war ein erhöhter Bußeifer der Griselda. Diese
fuhr nicht allein fort, sich so hart wie früher zu geißeln, sondern
quälte sich auch dermaßen mit dem Cilicium - ein stachliger Drahtgürtel,
der auf der bloßen Haut getragen wird -, dass die Stacheln tief in das
Fleisch eingedrungen waren. Der herbeigerufene Wundarzt erklärte, dass
nur die sorgfältigste Operation der Nonne das Leben retten könne, und
nun erst verbot die Äbtissin mit Gutbefinden des Beichtvaters der
Griselda auf das strengste, sich ferner so heftig zu geißeln.

Magdalena, der nun auch das Aderlassen und Schröpfen überlassen wurde,
bemerkte bald, dass die erstere Operation mit der zweiundzwanzigjährigen
Schwester Theodora fast jeden Monat vorgenommen werden musste. Sie
bemerkte dem Mädchen, dass ein so großer Blutverlust notwendig die
Wassersucht zur Folge habe, und die arme Nonne gestand ihr weinend, dass
sie dies auf Befehl der Äbtissin tun müsse, um die Wallungen des Blutes
und die damit verbundenen wollüstigen Träume und verbotenen Gelüste,
welche Folgen des häufigen Geißelns wären, zu unterdrücken, was auch
immer für kurze Zeit durch das Aderlassen gelinge. - Die Unterhaltung
Magdalenas mit Theodora und andere ähnliche Dinge kamen der Äbtissin zu
Ohren und erbitterten sowohl diese als die älteren Nonnen.

Der Pater Beichtvater hatte seine Pläne auf das schöne Mädchen nicht
aufgegeben, sondern ging recht systematisch zu Werke, zum Ziele zu
gelangen. Auf seine Veranlassung wurde sie zur Oberkrankenpflegerin des
Klosters ernannt, welcher Posten sie in häufige Berührung mit dem Pater
Olympius brachte, vor dem sie indessen von einer wohlmeinenden Schwester
gewarnt wurde. Dieser scheinheilige Schurke machte ihr allerlei
geistliche Geschenke und erwies ihr überhaupt so viel Aufmerksamkeit,
dass die andern Nonnen neidisch wurden. Magdalena suchte sich von dem
ihr übertragenen Amte loszumachen, nur um die Berührungen mit dem Pater
Olympius zu vermeiden. Dieser erkannte sehr gut ihre Absicht und machte
ihr im Beichtstuhl darüber heftige Vorwürfe, so dass sie genötigt war,
denselben zu verlassen.

Magdalena war nun bereits drei Jahre im Kloster, und die Augen waren ihr
vollständig geöffnet. Mit Schaudern erkannte sie nun zu spät, dass der
Weg zur Rückkehr in die Welt für sie verschlossen sei und verfiel in
tiefe Schwermut. Häufig fand man sie seufzend und in Tränen. Es fing ihr
an alles gleichgültig zu werden, und in ihrer Betrübnis achtete sie
nicht immer auf die vorgeschriebenen Formen und beging allerlei Fehler,
die mit leichten Bußen bestraft wurden, welche sie bei ihrer gereizten
Stimmung sehr erbitterten.

Zu dieser Zeit war die Tochter eines anderen Wundarztes Nonne geworden,
und da sie einige Proben von Geschicklichkeit abgelegt hatte, so nahm
man Magdalena ihre bisherige Stelle und fing an, sie mit großer
Geringschätzung zu behandeln. Man warf ihr die Geringfügigkeit des von
ihr ins Kloster gebrachten Geldes vor und nannte sie ein lästiges,
durchaus unnützes Geschöpf.

Nun ging dem armen Mädchen die Geduld aus. Anstatt die Vorwürfe ruhig
hinzunehmen, antwortete sie heftig und mit Spott und wollte nicht
schweigen, wenn die parteiische Priorin ihr den Mund verbot. Alsbald
wurde der Äbtissin dies widersetzliche Benehmen hinterbracht und ihr
Magdalena als ein durchaus boshaftes, zänkisches und ungehorsames
Geschöpf geschildert. Die Äbtissin fuhr zornig auf und schrie: "Ein
solches Benehmen soll dieser Bauerndirne nicht ungestraft hingehen; man
muss ihr den Nacken beugen und sie durch Zwang in die Schranken der
Ordnung bringen." Damit ließ sie Magdalena zu sich bescheiden.

Diese erschien und sah, dass bereits zwei stämmige Laienschwestern bei
der Äbtissin waren; eine der Mägde hatte eine große Kinderrute in der
Hand. Die Äbtissin las Magdalena ordentlich den Text und kündigte ihr
an, dass sie bestraft werden sollte. Die Arme weinte und bat; alles
vergeblich. Endlich äußerte sie in ihrem Eifer, dass sie kein Kind und
der Rute längst entwachsen, eine solche Züchtigung auch für eine Nonne
unschicklich sei. Die Äbtissin wurde immer zorniger und gebot Magdalena,
die Erde zu küssen.

Diese war sehr bereit, dem Befehl Folge zu leisten, denn sie hoffte,
dass es mit dieser Strafe für diesmal abgetan sein werde. Kaum lag sie
auf der Erde, als sogleich eine der Laienschwestern über sie herfiel und
sich auf ihren Rücken setzte, während die andere ihr das Gewand aufhob
und die Rute tüchtig gebrauchte. Als dies vorüber war, musste Magdalena
der Äbtissin die Hände küssen und sich für die gnädige Strafe bedanken.
Die Nonnen standen auf der Lauer und begleiteten sie mit Hohngelächter,
als Magdalena wieder in ihre Zelle ging.

Von nun an hatte die Unglückliche fortwährend von den Verfolgungen zu
leiden, deren Ziel sie durch Feindschaft der Äbtissin, der Priorin und
des Beichtvaters geworden war.

Als sie eines Abends nicht in ihrer Zelle war und in der ihrer einzigen
Freundin Crescentia gefunden wurde, schleppte man sie am folgenden Tage
durch förmlichen Kapitelbeschluss zur großen Disziplin. Doch damit war
es noch nicht genug, es trafen sie noch eine Menge anderer Strafen,
darunter auch die Degradation von dem Nonnenrang zu dem einer
Laienschwester.

Sie beging die Unvorsichtigkeit, einen Brief an ihre Eltern zu
schreiben, in welchem sie ihnen ihre grauenvolle Lage schilderte und auf
rührendste Weise um Hilfe bat. Der Brief wurde abgefangen und sie
gezwungen, einen andern lügenhaften abzuschicken, den ihr der Pater
Olympius in die Feder diktiert hatte. Für das Verraten von
Klostergeheimnissen an Laien erhielt sie abermals eine derbe Geißelung
und wurde vier Wochen lang in den Turm gesperrt, wo sie einen Tag um den
andern Wasser und Brot erhielt.

Ihre Lage verschlimmerte sich noch, als die Äbtissin starb und ihre
Hauptfeindin, die Priorin, an deren Stelle kam. Vergeblich bat Magdalena
um Rückgabe des schwarzen Nonnenschleiers; sie musste nach wie vor als
Laienmagd Dienste in der Küche verrichten. Für jedes kleine Vergehen
erhielt sie hier die Rute, und als sie einstmals bei der Feier des
Palmenfestes einen aus Blei gegossenen und fünfzig Pfund wiegenden
"heiligen Geist", weil derselbe ihr zu schwer war, fallen ließ, so dass
derselbe zerbrach, erklärte dies Olympius für absichtliche Bosheit, für
ein Religionsverbrechen! Die Ärmste empfing in dem neben dem Refektorium
gelegenen Gefängnisse eine starke Disziplin.

Um diese Zeit erhielt sie Besuch von einigen Verwandten, welche sie
jedoch nur hinter der Klausur sprechen durfte. Was sie gesprochen hatte,
wurde untersucht, und man erklärte sie für ein gänzlich verworfenes
Geschöpf. -

Die Sehnsucht nach "der Welt" wurde nun in Magdalena immer mächtiger,
und sie sann auf Flucht. Sie war auch so glücklich, das Freie zu
gewinnen, aber später wurde sie ertappt und musste wieder in das Kloster
zurückkehren, obgleich ein hoher Geistlicher, den sie um Hilfe angerufen
hatte, sich für sie verwendete.

Pater Olympius reizte die Äbtissin zu stets neuen Verfolgungen an, und
Magdalena wurde endlich zum Gefängnis auf unbestimmte Zeit verurteilt.
Als man sie dorthin bringen wollte, wehrte sie sich mit der Kraft der
Verzweiflung, und man musste einen Franziskanerlaienbruder zu Hilfe
rufen. - Durch diesen Widerstand erbittert, ließ ihr die Äbtissin in
Gegenwart der Priorin in dem Gefängnis auf einem Bunde Stroh abermals
sehr derb die Rute geben.

Als einst Magdalenas Gefängnis ausgebessert werden musste, wurde sie in
ein benachbartes gebracht, in welchem die Schwester Christine nun schon
dreizehn Jahre saß. Sie war zum Gerippe abgezehrt, vom Geißeln lahm und
dem Wahnsinn nahe.

An Festtagen wurde Magdalena zum Abendmahl in die Kirche gelassen und
musste monatlich einmal bei Pater Olympius beichten. Dieser Schurke
hatte seinen Verführungsplan noch immer nicht aufgegeben und drang mit
unzüchtigen Anträgen in sie; allein sie schrie um Hilfe, und der Pater
stellte sich, als habe er ihr nur die Disziplin geben wollen. Um
wenigstens in etwas seinem Sinnen zu genügen, befahl ihr der heilige
Mann, sich zu entblößen; allein es kamen einige Schwestern herbei, bei
denen er sein Betragen schlecht genug entschuldigte.

Die Einkerkerung des unglücklichen Geschöpfs hatte nun unter
fortwährenden Misshandlungen drei Jahre und acht Monate gedauert, als
endlich ein Schornsteinfeger, der in der Nähe ihres Gefängnisses
arbeitete und ihr Gewimmer hörte, die Sache der Obrigkeit anzeigte. Es
wurde vom betreffenden Ministerium sogleich eine Kommission ernannt,
welche in dem St. Klarenkloster eine Untersuchung anstellte.

Als man Magdalena ihre Freiheit ankündigte, weinte sie laut vor Freuden;
allein die Ärmste war so elend, dass sie sich kaum bewegen konnte. Man
übergab sie sogleich dem Leibarzt des Kurfürsten und dem Hofwundarzt zur
sorgfältigsten Pflege.

Das von beiden über den Zustand des armen Mädchens abgegebene Gutachten
sprach sich dahin aus, dass die unaufhörlichen Geißelungen ihr die
heftigsten Schmerzen zugezogen hätten, an denen sie fortwährend leide,
besonders bei verhärtetem Stuhlgange, ohne dass man dies als eine
Wirkung der goldenen Ader betrachten könne. Durch die lange Einsperrung
ohne alle Bewegung und durch die heftigen Schläge auf die muskulösen und
tendinösen Teile der Schenkel und Füße seien diese so entzündet, und da
man bei ihr keine verteilenden Mittel angewendet habe, so hätten sich
diese Teile dermaßen verhärtet und zusammengezogen, dass sie gänzlich
estorpiert und schwerlich Hoffnung vorhanden sei, sie wieder so weit zu
heilen, dass sie ihre geraden Glieder wieder würde gebrauchen können.

Während ihrer ärztlichen Behandlung wurde Magdalena viermal verhört, und
es kamen alle im Kloster verübten Schändlichkeiten an den Tag, sosehr
sich auch das Pfaffengezücht schlangengleich drehte und wand.

Eine Nonne, namens Paschalia, die ebenso wie Magdalena gequält worden
war, sollte wahnsinnig geworden und an einem Nervenschlage gestorben
sein; aber einige von den fünf Nonnen, die den Mut hatten, die Wahrheit
zu gestehen, behaupteten, sie habe sich in der Verzweiflung im Gefängnis
an ihrem Busenschleier erhängt. Dass man auf einen solchen Selbstmord
von Seiten Magdalenas ebenfalls gefasst war, ergab sich aus den Papieren
der Abtei.

Obgleich alle Umstände gegen die Äbtissin und ihr Gelichter sprachen,
obgleich sich über Magdalenas Bestrafung kein einziges Protokoll
vorfand, - die Schuldigen wussten sich doch so durchzulügen, dass sie
ohne Strafe davonkamen, und die einzige Folge dieser Entdeckungen war
eine Einschränkung der Macht der Äbtissin und genauere Beaufsichtigung
des Klosters.

Magdalena sollte zeitlebens im kurfürstlichen Hospital bleiben und, wenn
sie genesen würde, Freiheit haben, auszugehen, anständige Gesellschaften
zu besuchen und zu empfangen. Das Klarenkloster musste ihr die nötige
Ausstattung und außerdem jährlich zweihundert Gulden geben.

Erst nach fünf bis sechs Jahren konnte Magdalena wieder gehen, und ihr
geknickter Körper erholte sich allmählich. Im Klostergefängnis hatte sie
im Fall der Befreiung eine Wallfahrt nach Loreto gelobt. Diese unternahm
sie nun mit Erlaubnis der Behörde; allein sie kehrte nicht mehr in die
Heimat zurück. Im August 1778 starb sie, fünfundvierzig Jahre alt, in
einem Krankenhospital zu Narni in Italien.

Trotz solcher Erfahrungen gibt es doch noch heute Klöster! Und dass in
denselben noch ähnliche Schandtaten verübt werden, beweisen die
Schriften von Sebastian Ammann, Rafaello Ciocci und andern.

Von der Lieblosigkeit, mit welcher Kranke in den Klöstern behandelt
werden, hat uns ebenfalls Ammann folgendes Beispiel erzählt: - "Im
Kloster Solothurn litt P. Theophil an einem ungeheuren Leistenbruch so
schmerzhaft, dass er verzweifelte. Man legte ihn in einem Zimmer neben
der Küche auf einen Strohsack und ließ ihn da zappeln. Niemand besuchte
ihn als der Klosterknecht, der ihm dreimal des Tages Essen zutrug. Ich
habe in den letzten Tagen seines Lebens nie einen Arzt bei ihm gesehen.
Seine Unterleibsbeschwerden, das erschreckliche Elend und die gänzliche
Verlassenheit mögen ihm sein martervolles Leben unerträglich gemacht
haben. - An einem Tag vor dem Mittagessen, um halb elf Uhr, war ich noch
bei ihm und fand ihn äußerst schwermütig; es ist aber gewiss, dass er um
elf Uhr noch lebte. Um halb zwölf Uhr wollte der Klosterknabe die
Speisegeschirre bei P. Theophil abholen und fand ihn, an der Zimmerdecke
aufgeknüpft, leblos. Als wir die Anzeige von diesem Unglück hörten,
sprangen wir alle vom Tische auf; ich war der erste bei ihm und wollte
mit einem Messer das Handtuch zerschneiden, an dem er hing; aber P.
Guardian Raimund untersagte mir dies, weil es schade um das Handtuch
sei. Man ging lieber langsam zu Werke, weil man keine Rettung versuchen
wollte. Seine Hände und Füße waren noch ganz warm, und ich verlangte,
dass man auf der Stelle einen Arzt herhole, damit man die möglichsten
Anstalten zum Wiedererwecken des vielleicht noch nicht Entseelten
treffe. Allein P. Raimund tobte und verbot die Herbeirufung eines Arztes
auf das strengste, weil es ein erschreckliches Ärgernis absetze, wenn es
unter die Weltlichen käme, es habe sich ein Kapuziner erhängt. Keine
Bürste wurde zum Reiben seines Leibes angewandt, sondern man legte den
Leichnam ohne weiteres auf einen Totensarg und machte bekannt, P.
Theophil sei an einem Schlagfluss (Apoplexie) gestorben."

Ein anderes Beispiel, wie schnell die Pfaffen diejenigen zu expedieren
wissen, die ihnen unbequem oder gefährlich werden, erzählt Rafaello
Ciocci.

Don Alberico Amatori, Bibliothekar im Kloster Santa Croce di Gerusalemme
zu Rom, war durch das Lesen der Bibel von vielen Irrtümern und
Missbräuchen der römischen Kirche überzeugt worden. Er und fünfzehn ihm
gleichgesinnte Mönche, darunter Rafaello Ciocci, unterschrieben eine
Eingabe an den Ordensgeneral Nivardi Tassini, in welcher sie um
Einräumung eines bequemen Klosters baten, wo sie nach ihrer Überzeugung
leben konnten.

Alle diese Mönche schienen mit dem Charakter ihrer Mutter Kirche sehr
schlecht bekannt zu sein, da sie einfältig genug waren zu glauben, dass
dieselbe auch nur im entferntesten daran denken könne, ihre Wünsche zu
erfüllen. Der unerhörte Vorschlag erregte allgemeines Entsetzen! Amatori
wurde vor ein Tribunal gefordert, und mit Entrüstung vernahmen die
geistlichen Herren, dass er à la Luther die Bibel zur Grundlage des
ganzen Kirchenwesens machen wolle. Man gebot ihm Schweigen, um die Sache
nicht öffentlich werden zu lassen, und fasste im Geheimen einen
Entschluss über das Schicksal der ketzerischen Mönche.

Der Mönch Stramucci wurde ins Kloster San Severin in den Sümpfen
geschickt, wo er infolge "der ungesunden Luft" oder durch anderes Zutun
nach Verlauf weniger Monate von einem starken Mann in ein Gerippe
verwandelt war. Don Andrea Gigli wurde nach Rom berufen. Er war damals
sehr gesund; allein er nahm täglich mehr ab, und nach zwei Monaten wurde
er eines Morgens tot im Bett gefunden. - Don Eugenio Ghioni blieb in
Rom; aber nach vier Monaten starb auch er, erst 31 Jahre alt. - Don
Marian Gabrielli, ein blühender Jüngling, starb ebenfalls. Alle diese
Krankheiten nannte man "Auszehrung"! - Der Abt Bucciarelli , ein Mann
von herkulischer Gestalt, starb nach kurzer Krankheit von nur drei
Tagen. Der Abt Berti hatte nach zwei Monaten einen "Fieberanfall" und
starb nach einer Krankheit von zehn Tagen. - Don Antonio Baldini bekam
nach Verlauf von 34 Tagen furchtbare Krämpfe und starb. - Die übrigen
sechs kämpften monatelang zwischen Leben und Tod. Nur Don Alberico und
Ciocci blieben lange Zeit von dem geheimnisvollen Todesengel unberührt.

Aber die Rache zögerte nur, sie schlief nicht. Eines Abends nach dem
Essen bekam Ciocci schreckliche Krämpfe im Magen und ein furchtbares
Brennen in Brust und Gurgel. In wenigen Minuten war er schwarzgelb im
Gesicht, und vor den Mund trat ihm Schaum. - Die herbeilaufenden Mönche
schrien, dass er besessen sei, und versuchten nun ihren abgeschmackten
Hokuspokus mit Weihwasser und Reliquien, wodurch der Kranke, der diesen
Unsinn verabscheute, nur geärgert wurde. Endlich kam ein Arzt, aber
nicht der gewöhnliche, sondern, wie man sagte, der nächste, den man habe
finden können. Er gab Ciocci eine Arznei, wodurch aber die Schmerzen
sogleich noch bedeutend vermehrt wurden.

Ciocci bestand nun darauf, dass man den gewöhnlichen Klosterarzt holen
solle, der sein Freund war, und da man wahrscheinlich hoffte, dass er zu
spät kommen werde, schaffte man ihn auch herbei. Nachdem derselbe sich
etwas orientiert hatte, betrachtete er die vom ersten Arzt gegebene
Arznei, von der noch einige Tropfen im Glas waren, und voll Zorn und
Entsetzen warf er sie nach der Untersuchung und einem bedeutungsvollen
"Aha" zum Fenster hinaus. - Durch die zweckmäßigen Mittel, welche der
wackere Mann anwendete, wurde Ciocci gerettet.

In demselben Kloster wurde eines Tages der Novizenlehrer Pacifico
Bartoci , der sich durch seine Strenge verhasst gemacht hatte, im
inneren, offenen Hof des Klosters von unbekannter Hand mit einem Steine
auf den linken Schlaf getroffen, dass er infolge der erhaltenen
Verletzung zehn Tage darauf starb.  (Ungerechtigkeiten und Grausamkeit
der römischen Kirche im neunzehnten Jahrhundert. Erzählung von Raffaele
Ciocci. Altenburg bei Pierer.)

Man bemerke wohl, dass hier nicht vom Mittelalter, sondern von der Zeit
zwischen 1835 und 1845 die Rede ist und dass diese oder ähnliche
Nichtswürdigkeiten noch ebenso wahrscheinlich heutigen Tages
stattfinden.

Ich würde die mir gesteckten Grenzen zu sehr überschreiten, wenn ich
auch nur einen kleinen Teil der mir noch bekannten im Kloster begangenen
Schandtaten anführen wollte, deshalb übergehe ich auch die sehr
interessante Geschichte des Urban Grandier, der durch die
nichtswürdigsten Schikanen auf den Scheiterhaufen gebracht wurde, weil
er die Begierden einer Äbtissin und ihrer Nonnen zu Loudun nicht
befriedigen wollte. Einer unserer besten Romanschriftsteller, Willibald
Alexis, hat diesen Stoff zu einem Roman bearbeitet.

Ein in den Klöstern gebräuchliches Sprichwort sagt: "Man kommt zusammen,
ohne sich zu kennen, man lebt miteinander, ohne sich zu lieben, und
stirbt, ohne beweint zu werden." Ein unter solchen Verhältnissen
bestehendes Zusammenleben musste den besseren unter den Mönchen zur
Hölle werden, und mancher arme Pater, den seine bigotten Eltern dem
Klosterleben in früher Jugend geopfert hatten, sprach mit heißen Tränen
den Wunsch aus, dass ihn die Mutter bei der Geburt doch lieber ersäuft
als in ein Kloster geschickt haben möchte.

Zur Zeit, als das Klosterleben in seiner höchsten Blüte war, etwa im
elften Jahrhundert, herrschte unter den Menschen eine wahre Wut, ins
Kloster zu gehen; nur als Mönch glaubte man der Seligkeit gewiss zu
sein. Hermann, Herzog von Zähringen, schlich sich in Bauernkleidung vom
Fürstenstuhl ins Kloster zu Clugny und diente demselben als Schweinehirt
bis an seinen Tod, wo erst sein Stand bekannt wurde. Der Mann eignete
sich ganz gewiss besser zum Schweinehirten als zum regierenden Fürsten,
und es war schön von ihm, dass er seinen Beruf erkannte.

Doch nicht alle trieb Andacht oder Demut ins Kloster; viele suchten in
demselben weiter nichts als ein faules, liederliches Leben, was sie auch
meist in reichem Maße fanden. Das Gelübde der Keuschheit, welches den
Laien immer als das schrecklichste erschien, betrachtete man in sehr
vielen Klöstern als eine leere Form, und Saul, der Abt des Klosters zur
heiligen Maria im Bistum Mondennadi in Spanien, verwandelte dasselbe
geradezu in ein Bordell.

Sogar das Konkubinat, ja selbst die Ehe waren unter den Mönchen nicht
selten. Im zehnten Jahrhundert lebten in manchen. Klöstern die Äbte und
sämtliche Mönche im Konkubinat oder in förmlicher Ehe und statteten ihre
Söhne und Töchter mit Klostergütern aus. Unter Abt Hadamar von Fulda
waren die meisten Mönche verheiratet.

Doch wir brauchen nicht so weit ins graue Mittelalter hinaufzusteigen;
dergleichen Fälle kamen noch in neuerer Zeit vor. Im Jahr 1563 fand man
in vielen Klöstern Niederösterreichs Eheweiber, Konkubinen und Kinder
der Mönche, und noch vor einigen zwanzig Jahren hielt der Prälat
Augustin Bloch in der Schweiz ein allerliebstes Kammermädchen, welches
als Student verkleidet war.

Doch ich wollte es diesen Klosterherren gern verzeihen, wenn sie ihre
Schätzchen hinter den heiligen Mauern sittsam verbergen; davon hat die
Welt eben keinen Schaden; aber mehr Unheil richten sie an, wenn sie ihre
Verführungskünste außerhalb derselben wirken lassen. Um dies tun zu
können, müssen sie die Grundsätze lockern, kurz, die sinnlichen
Ausschweifungen als höchst unbedeutende, kleine Verirrungen hinstellen,
besonders wenn sie mit einem Pater begangen werden.

Wo die Mönche zu Hause sind, da gibt es fast kein Bürger- oder
Bauernhaus, wo nicht ein Pater der Hausfreund ist. Kommt der heilige
Mann, dann lecken ihm die Alten die schmutzigen Hände und die Kinder
liegen auf den Knien, bis er seinen Segen erteilt hat. Das Beste wird
nun dem geehrten Gast vorgesetzt, und wenn die Leute auch zu arm sind,
sich selbst ein Glas Wein zu gönnen, so ist doch gewiss eins für den
heiligen Mann bereit. Er lässt es sich gut schmecken, denn die armen
Leute würden es ja für Verachtung auslegen, wenn er ihre Gaben
verschmähte! Welch Gesicht schneidet er aber, wenn das gewöhnliche Glas
Wein oder seine Leibspeise fehlen!

"Was die Töchter der Lust den Wüstlingen der Welt, das sind die Mönche
den Betschwestern und den Stillen im Land", denn diese Herren haben
Tugenden, welche Frauen zu schätzen wissen, und sind - verschwiegen. Vor
einem solchen heiligen Manne brauchen sie sich ihrer Sündhaftigkeit
nicht zu schämen , denn die Beichte zwingt sie ja, die geheimsten Sünden
zu sagen. Diese Beichte wird daher von den Mönchen sehr heilig gehalten.
Denjenigen, der das Beichtgeheimnis verletzt, treffen die
schrecklichsten Strafen und selbst vor den weltlichen Gerichten, - was
auch ganz in der Ordnung ist. Das Gericht zu Toulouse ließ 1579 einen
Priester enthaupten, welcher einen ihm in der Beichte anvertrauten Mord
der Behörde anzeigte. Der Mörder blieb unbestraft. Man gerät in
Verlegenheit zu entscheiden, wie man über dieses Urteil urteilen soll.

Mönche sind nicht allein sehr liebevolle, sondern auch sehr bequeme
Hausfreunde. Mag ein junger Bursche ein Mädchen gern, dann braucht er
sich nur an seinen Herrn Pater zu wenden, dann wird sich die Sache schon
machen. Mit der kleinen Sünde wird es sich schon finden; denn der fromme
Herr hat einen Überfluss an Absolution, und wenn man noch so oft
sündigte, eine Beichte - und man ist wieder rein wie ein neugeborenes
Kind! Man glaube daher ja nicht, dass die Beichte dazu beiträgt, die
Sittlichkeit zu befördern; wozu sie benutzt wird, davon werden wir im
nächsten Kapitel einige Beispiele sehen.

So leicht nun die Mönche geschlechtliche Verirrungen nehmen, so streng
sind sie, wenn jemand das Fasten gebrochen hat, und es ist empörend,
wenn wir lesen, dass die reiche Abtei St. Claude in Burgund im Jahr 1629
einem gewissen Guillon den Kopf abschlagen ließ - weil der arme Mann
während einer Hungersnot zur Fastenzeit sich ein Stück Pferdefleisch vom
Schindanger geholt hatte!

Starb ein Abt, so waren die liederlichen Mönche darauf bedacht, einen
solchen an die erledigte Stelle zu setzen, von dem sie nicht besorgen
durften, dass er sie in ihrer Lebensweise störe. Die Wahl traf daher
nicht selten das liederlichste Subjekt des ganzen Klosters.

Johann Busch erzählt, dass die Mönche eines Klosters nach dem Tode des
Abtes zur Wahl eines anderen schritten, der dem Verstorbenen an Tugenden
gleiche. Die meisten Stimmen hatte ein Pater, der nicht anwesend war,
sondern während der Wahl in der Schenke saß und soff. Da man ihn von
diesem angenehmen Orte nicht weglocken konnte, so ging eine Deputation
der Mönche dorthin, ihm das Ergebnis der Wahl zu verkündigen. Erst nach
langen Bitten ließ er sich bewegen, die neue Würde anzunehmen. Als es
geschehen war, wurde ein großes Gastmahl gehalten, bei dem alle Mönche
mit ihren Konkubinen sich volltranken. Während sie so betrunken waren,
dass sie nichts sahen und hörten, kam Feuer aus, und die ganze feiste,
liederliche Gesellschaft verbrannte lebendigen Leibes.

Obwohl nun die Mönche unzählige gefällige Nonnen hatten - in Deutschland
gab es allein 200.000 - so sind sie doch besonders lüstern nach Kindern
der Welt. Oft geraten sie dadurch freilich in arge Verlegenheit, welche
Spott und Hohn oder unendliche Prügel zur Folge haben.

Der Abt des Klosters zu Guldholm bei Schleswig hatte ein Liebchen in der
Stadt, bei welchem er oftmals die Nacht zuzubringen pflegte. Gewöhnlich
nahm er des besseren Scheins wegen einen vertrauten Pater mit. Dieser
wurde ihm endlich unbequem, und er ließ den Begleiter zu Hause. Dies
verdross denselben, und echt mönchisch dachte er sogleich auf Rache.

Als nun der Abt wieder einmal die Nacht bei seiner Geliebten zubrachte,
weckte der boshafte Mönch das ganze Kloster und rief: Dominus noster
Abbas mortuus est in anima. Die Mönche deuteten das auf den leiblichen
Tod des Abtes, und das war es eben, was der Pater wollte. Alsbald zog
man mitten in der Nacht mit Fackeln, Kreuz und Fahne an den bezeichneten
Ort, um die Leiche des Abtes einzuholen, und war nicht wenig überrascht,
den frommen Herrn anstatt auf der Totenbahre bei seiner Buhlerin zu
finden.

Doch ich brauche abermals nicht so weit zurückzugehen; die neuere Zeit
liefert Beweise dieser Art in Menge, und Ammann, der dreißig Jahre im
Kloster war, führt deren eine Menge an.

Im Jahr 1832 pflegte ein Pater namens Amandäus jedes Mal, wenn er sich
unter einem frommen Vorwand entfernen konnte, die Nacht bei einem
berüchtigten Frauenzimmer in Mels zuzubringen. Um den frommen Heuchler
auf der Tat zu ertappen, lauerten ihm einst einige junge Burschen auf
und erwischten ihn richtig in den Armen der Buhlerin. Im Triumph
schleppten sie ihn nach dem Kloster, und die Versetzung nach Schwyz war
seine ganze Strafe.

Zwei andere Klostergeistliche, Pater Augustin, Pfarrer in Tußnang, und
P. Benedikt, Pfarrer in Bettwiesen, verführten viele Frauen und gingen
ganz ungescheut in ihre Häuser unter dem Vorwand, dass sie die
Sterbesakramente dorthin zu bringen hätten.

In mehreren Orten der Schweiz, wo Klöster waren, wagte sich kein
Frauenzimmer am Abend auf die Straße, denn die brünstigen Pfaffen fielen
sie förmlich an, und ihre viehische Geilheit schonte selbst nicht
unreife Kinder.

Pater Friedrich aus dem Kapuzinerkloster in Appenzell hatte sich,
solange er noch bloßer Frater war und nicht das Kloster verlassen
durfte, mit unnatürlichen Ausschweifungen beholfen; als er aber Pater
wurde und mehr Freiheit hatte, verlangte er nach natürlichen. - Eines
Tages zog er von Appenzell nach dem Flecken Teufen in das St. Galler
Land, um in einigen katholischen Gemeinden zu predigen und Beichte zu
hören. Als er nicht weit von Teufen sich einem Wald näherte, lief ihm
ein Mädchen nach und bat ihn um ein Heiligenbildchen' wie die Kinder
überall, wenn sie einen Kapuziner sehen, zu tun pflegten. - Pater
Friedrich zog ein gemaltes Bildchen aus seiner Kapuze, zeigte es dem
Mädchen und versprach, es ihm zu schenken, wenn es weiter mit ihm kommen
wollte. Auf diese Weise lockte er das unschuldige Kind in den Wald.
Sobald er dasselbe in ein Gebüsch gebracht hatte, verübte er an ihm die
brutalste Notzucht.

Das kleine Mädchen schrie um Hilfe, und der Vater, der ihre Stimme hörte
und erkannte, eilte auf das schnellste herbei und ertappte den geilen
Pfaffen auf der Tat. Er behielt Mäßigung genug, dem Mönche nicht auf der
Stelle den verdienten Lohn zu geben, machte aber sogleich Anzeige von
den schändlichen Handlungen des Paters. Dieser wurde festgenommen und
nach Troegen gebracht, wo man die Sache gerichtlich untersuchte. Es
ergab sich, dass das arme Kind geschändet und bedeutend verletzt war.

Höchst merkwürdig sind die Ansichten, welche den Pater zu diesem
Verbrechen leiteten, die aber fast von allen Mönchen in den Klöstern
geteilt werden. Er glaubte, die Reformierten wären alle so schlecht,
dass sie nichts für Sünde hielten und dass bei ihnen alles erlaubt sei,
weil sie nicht beichten müssen! Daher meinte er denn, in den Augen
derselben kein Verbrechen zu begeben, wenn er ein reformiertes Kind
notzüchtigte!

Der Pater wäre zur öffentlichen Ausstellung an den Pranger und zum
Staupenschlag oder zu einer großen Geldbuße verurteilt worden, wenn sich
der damalige Landammann Joseph Anton Bischofsberger des Schurken nicht
auf das angelegentlichste angenommen hätte. Er kam also ohne die
verdiente Strafe davon. (Wer die tolle Wirtschaft, welche die Pfaffen in
der Schweiz mit den Bürgerfrauen und Mädchen treiben, genau kennenlernen
will, der lese das Büchelchen vom Ammann, welches ich weiter oben
anführte.)

Diese Pfaffenliederlichkeit ekelt mich an und wahrscheinlich auch die
Leser; allein der Vollständigkeit wegen muss ich doch noch einige Worte
über die in den Klöstern herrschenden unnatürlichen Laster sagen, welche
traurige Folgen des schändlichen Zölibats sind.

Ammann behauptet, dass unter 200 Kapuzinern wenigstens 150 Onanisten
sind. Er ist darüber ein kompetenter Richter, denn nur ein Kapuziner
konnte diese so genau kennen, als es bei ihm der Fall ist.

Im Kloster Fischingen trieb ein gewisser Pater Berchthold sein Wesen,
dessen hauptsächliches Geschäft es zu sein schien, Klosterschüler und
junge Mönche zu verführen. Absichtlich hörte er die Beichte nicht in
einem öffentlichen Beichtstuhl, sondern in einem dunklen Winkel, und
viele Knaben, die ihm hier beichteten, klagten, dass er sie habe
verführen wollen; allein der Guardian nahm davon nicht die mindeste
Notiz. Berchthold wurde natürlich immer dreister und trieb sein
abscheuliches Laster so ungescheut, dass man doch endlich gezwungen war,
ihn auf seine Zelle zu beschränken und zu versetzen.

Als Ammann eben die Gelübde abgelegt hatte, schlich dieser
Knabenschänder auch in der Nacht zu ihm, setzte sich auf sein Bett,
holte eine Flasche Schnaps und einiges Gebäck hervor und begann, ihm von
seinen Siegen über die Frauen zu erzählen. Als Ammann ihn bat, von etwas
anderem zu reden oder seine Zelle zu verlassen, sagte er: "Ja es ist
eitel, von solchen guten Bissen zu reden, die wir einmal nicht haben
können. Doch können wir einander auch Freude machen." - - Ammann wurde
endlich genötigt, durch Klopfen an der dünnen Seitenwand der Zelle Hilfe
herbeizurufen, worauf ihn der Verführer verließ.

An die Stelle dieses sauberen P. Berchtbold kam P. Joseph aus Freiburg.
Dieser war noch ärger als sein Vorgänger, indem er sich nicht allein
durch das oben bezeichnete Laster, sondern auch noch durch seine
verschmitzte Heuchelei und raffinierte Bosheit auszeichnete.

Dieser Schandbube wurde niemals bestraft, sondern nur versetzt, wodurch
nur Veranlassung gegeben wurde, dass sich seine abscheuliche Wirksamkeit
immer wieder verbreitete.

In Sursen hatte dieser P. Joseph einen bildschönen Jüngling so sehr
entkräftet, dass derselbe unter den schrecklichsten Schmerzen starb und
noch auf dem Sterbebett seinen Verführer und Mörder verfluchte.

Dieses unnatürliche Laster ist bei Mönchen und selbst bei weltlichen
katholischen Geistlichen in der Schweiz sehr gewöhnlich, und im Jahr
1835 wurden zwei derselben, Professor Schär und Kaplan Eisenring, im
Städtchen Wyl wegen Sodomiterei zur Untersuchung gezogen und später zum
Zuchthaus verurteilt. Es gelang ihnen aber, ins Ausland zu entfliehen.

Das Verhör ergab die abscheulichsten Tatsachen, und das Publikum wollte
anfangs gar nicht glauben, dass diese Männer, welche Stifter und
Bezirkspräsidenten des katholischen Vereins waren, solche Schandtaten
begangen haben konnten. Sie wurden durch Ammann selbst angeklagt, der
sich dadurch viele Feinde machte.

Diese Untersuchung hatte noch eine andere Entdeckung zur Folge. Ein
sechzehnjähriger Knabe kam zu Ammann und entdeckte ihm, dass der Prior
der Karthause zu Ittlingen im Thurgau mit ihm noch weit schändlichere
Dinge getrieben, als sie Schär und Eisenring zur Last gelegt wurden. Er
habe, durch den Prior beschwichtigt, nicht geglaubt, eine so große Sünde
zu begehen, aber jetzt sei ihm die Sache klar, da jene beiden dafür zum
Zuchthaus verurteilt wären.

Ähnliche Tatsachen würden ans Tageslicht kommen, wenn wir einmal von den
Klöstern anderer Länder so genaue und offenherzige Schilderungen
erhielten, wie sie uns Ammann und Rafaello Ciocci von der Schweiz und
von Rom geliefert haben. Es ist durchaus kein Grund vorhanden,
anzunehmen, dass die Mönche in anderen Gegenden sittenreiner sind, denn
dieselben Ursachen erzeugen gewöhnlich auch dieselben Wirkungen,
höchstens mit einigen, in der Hauptsache nichts ändernden Variationen.

Und solchen Männern sollen wir unsere Kinder zur Erziehung anvertrauen!?
Haben die Regierungen nicht den Mut und den Willen, das Volk von dieser
moralischen Pest zu befreien, so muss sich jeder Familienvater selbst
helfen. Die Zeiten haben sich wesentlich geändert, und keine Regierung
wagt es mehr, die Untertanen in die Kirche zu treiben oder sie zu
zwingen, zur Beichte zugehen. Übt sie auch noch einen Zwang aus auf
solche Bürger, die Staatsdienste suchen, so sollten doch wenigstens
diejenigen, welche ihre eigenen Herren sind, ihr Haus gegen den Einfluss
liederlicher, scheinheiliger Pfaffen bewahren und durch vernünftige
Lehren im Haus den in der Schule erhaltenen Unterricht unschädlich
machen, wenn die Regierung nämlich darauf besteht, den Besuch
sogenannter konfessioneller Schulen zu erzwingen. Wenn das Volk es
ernstlich verlangt, wird nicht nur die Schule von dem Einfluss der
Kirche befreit werden, sondern der Staat wird auch aufhören, sich um die
Religion seiner Untertanen weiter zu bekümmern, als es zum Schutz der
kein Gesetz verletzenden Ausübung der verschiedenen Religionen nötig
ist.

Werft zunächst die Pfaffen aus den Häusern und aus den Schulen und den
unvernünftigen Glauben aus dem Herzen, - das weitere findet sich von
selbst.




Der Beichtstuhl


                                        Tout homme est homme, et les
                                        Moines sur tous.
                                                    La Fontaine


Eine der sinnreichsten und verderblichsten Erfindungen der römischen
Kirche ist die Ohrenbeichte. Mit Hilfe derselben hat sie lange die Welt
regiert ohne große Kosten und Beschwerden. Über den hohen Wert derselben
herrscht nur eine Stimme, und selbst der Ketzer Marnix von St. Aldegonde
meinte schon vor dreihundert Jahren, dass dieselbe der Kirche nehmen,
ihr die Augen ausstechen heiße. Er sagte nämlich: - "denn diese
Ohrenbeichte ist ihr unzweifelhaft ein Paar Augen wert: nämlich das eine
braucht sie, um alle Heimlichkeiten und verborgenen Anschläge aller
Könige und Fürsten dieser Welt zu erfahren, wodurch sie in den
friedlichen Besitz aller Regierungen und Herrschaften gekommen ist. Das
andere gebraucht sie, um damit in den Busen der jungen Mädchen und
betrübten Frauen zu sehen und zu tasten und dadurch ihre Heimlichkeiten
zu ergründen und zu erfahren und ihnen danach solche liebe Buße
aufzuerlegen, dass ihre geängstigten Gewissen getröstet und ihre Herzen
merklich erleichtert werden. O, wie manchmal haben die heiligen Pfaffen
und Mönche den betrübten und unfruchtbaren Weibchen in ihrer
Ohrenbeichte so guten Rat gegeben, dass sie dadurch bald fröhliche
Mütter geworden sind und von derselben Zeit an zu ihren heiligen
Beichtvätern solche innige Liebe wie zu ihren eigenen Männern selbst
bekommen haben."

Ich habe schon in den vorhergehenden Kapiteln hin und wieder von der
Beichte geredet. Ich will mir nicht die unnütze Mühe geben zu beweisen,
dass die Ohrenbeichte ihre Rechtfertigung nicht in den Evangelien
findet, denn die zu ihren Gunsten angeführten Stellen begründen sie
ungefähr in derselben Weise wie mit der Stelle des Psalms "Lobet den
Herrn mit Pauken" das Geißeln. Die Ohrenbeichte war eben, wie das
Fegefeuer und andere sinnreiche Erfindungen ähnlicher Art, eines der
vielen Mittel, durch welche sich die römische Kirche die Herrschaft über
die Menschen erwarb.

Das Beichtgeheimnis sollte heiliggehalten werden; allein die Jesuiten
hatten darüber ihre besondere Ansicht, und es ist bewiesen, dass sie den
Inhalt der Beichte ihren Vorgesetzten mitteilten, besonders wenn sie für
die Erhaltung und das Beste ihres Ordens zweckmäßig erschien. Um überall
zu herrschen und die Fäden der Regierung in der Hand zu haben, waren sie
stets auf das eifrigste bestrebt zu bewirken, dass Jesuiten als
Beichtväter regierender Fürsten oder sonstiger sehr einflussreicher
Personen angestellt wurden. Da sie in Bezug auf Sünden sehr spitzfindig
und tolerant waren, so nahm man sie auch gerne als Beichtväter an.

Jesuiten durften nichts schreiben und veröffentlichen ohne Zustimmung
ihrer Vorgesetzten; was also von irgendeinem dem Orden Angehörigen
veröffentlicht wurde, kann als ein Ausdruck der in demselben
gutgeheißenen Ansicht betrachtet werden. Obwohl ich aus den Werken der
Jesuiten eine sehr reichhaltige, interessante Auswahl von Stellen
treffen könnte, über deren Moral sich jeder rechtliche Mensch entsetzen
würde, so begnüge ich mich doch damit, nur einige wenige anzuführen, die
hinreichend begründen, weshalb die Jesuiten als Beichtväter gern gewählt
wurden.

"Die erste Regel sei: Sooft Worte ihrer Bedeutung nach zweideutig sind
oder verschiedene Sinne zulassen, ist es keine Lüge, selbige in dem
Sinne zu gebrauchen, den der Sprechende mit ihnen verbinden will;
obschon die Zuhörenden und der, dem man schwört, selbige in einem
anderen Sinne nehmen - ja, ob auch der Sprechende von keiner gerechten
Sache geleitet werde." (Sanchez opus mor. Lib. I. cap. 9 n. 13 pag. 26.)

Zwei Seiten später, nachdem der gelehrte Jesuit verschiedene Arten
erlaubter Lügen aufgeführt hat, sagt er: "Ja, es ist dies von großem
Nutzen, um vieles verdecken zu können, was verdeckt werden muss, aber
ohne Lüge nicht verdeckt werden könnte, wenn nicht diese Art und Weise
gestattet wäre. - - Man hat aber gerechte Ursache, sich solcher
Zweideutigkeiten zu bedienen, sooft dies notwendig und nützlich ist, um
das Heil des Körpers, die Ehre und das Vermögen zu schützen: oder zur
Übung irgendeiner anderen Tugend." -

"Es ist erlaubt, denjenigen zu töten, von dem man gewiss weiß, dass er
sofort einem nach dem Leben stellt, so dass eine Frau z. B., wenn sie
weiß, dass sie in der Nacht von ihrem Mann getötet wird und nicht
entfliehen kann, jenem zuvorkommen darf."

Und weiterhin: "Sooft jemand zufolge des oben Gesagten ein Recht hat,
einen anderen zu töten: dann kann dies auch ein anderer für ihn tun,
wenn dies die christliche Liebe anrät." (Busenbaum: Med. Theolog. mor.
L. III. Tract. IV. D. V. et VIII. Praec. n. X. ibid).

"Ist einem Beichtvater, der eine Frau oder einen Mann zu verzeihlichen,
bösen Handlungen verlockt, das Begehen einer schweren Schuld
beizumessen? - Die Hände oder die Brüste einer Frau zu berühren, mit den
Fingern zu kneifen und zu zwacken: das sind in Betreff der Keuschheit
lässliche Sünden, wenn es zur bloßen Ergötzlichkeit ohne weitere Absicht
oder Gefahr der Befleckung vorgenommen wird." (Escobar: Theol. mor.
Tract. V. Exam. II. Cap. V. n. 110 pag. 608.)

"Wie verhält es sich rücksichtlich des Beischlafes mit der Verlobten
eines anderen?" - "Er überschreitet nicht die gewöhnliche Hurerei, weil
sie noch nicht die Frau eines Mannes ist (ibid. Tract. I. pag. 141)."

"An mortiferum, virile membrum in os uxoris immittere? Negat Sanchez
tom. 3 de Matr. tom. 3 lib. 9 d. 17. n. 15 At cum aliis auderem objicere
tanto Doctori, id non esse simpliciter osculum pudendorum, sed quendam
ad peccatum diversae speciei, id est, praeposteram venerem ausum."
(Escobar: Theol. mor. Tract I. Exam. VIII. Cap. III. n. 69. pag. 148.)

"Wer nur äußerlich geschworen hat, ohne den Vorsatz 'zu schwören', ist
nicht gebunden (es sei denn des etwaigen Skandals wegen), da er nicht
geschworen hat, sondern (mit dem Eid) gespielt hat." (Busenbaum: Medull.
Theol. lib. III. Tract. II. De II. Dec. Praec. dubium IV. An in
juramento liceat uti aequivocatione u. V. pag. 143.)

"Ist derjenige, der zum ersten Male Hurerei treibt, verbunden, diesen
Umstand in der Beichte zu entdecken? - Jungfrauen sind hierzu wegen der
Defloration verbunden; aber Jünglinge nicht." So meint Suarez. Jedoch
halte ich es mit Vasquez für wahrscheinlicher, dass auch eine Jungfrau
nicht dazu verbunden ist, sei es selbst, dass sie noch unter elterlicher
Gewalt stehe, da, wenn die Jungfrau freiwillig einwilligt, ihre Hurerei
keine Schändung ist; sie begeht kein Unrecht weder gegen sich selbst
noch gegen ihre Eltern, da sie die Herrin ihrer Jungfrauschaft ist.
(Escobar: Theol. mor. Exam. II. Cap. VI. n. 41. pag. 13.)

Die Fehler eines Fürsten können vornehmlich im zarten Alter durch gute
Erziehung gebessert werden (wodurch oft verdorbene Naturen gezügelt und
umgewandelt worden sind). Aber wenn dies nicht gehen sollte und Bitten
und Mühen erfolglos bleiben: so halte ich dafür, dass man sie übersehe,
soweit dies das öffentliche Wohl gestattet und die verderbten Sitten des
Fürsten nur Privatsachen berühren; dagegen wenn er den Staat in Gefahr
bringt, wenn er sich als Verächter der väterlichen Religion zeigt und
sich nicht bessern will, so halte ich dafür, dass man ihn ab- und einen
anderen einsetze, was, wie wir wissen, in Spanien nicht bloß einmal
geschehen ist. Wie ein gereiztes Tier muss er durch alle Geschosse
angegriffen werden, weil er die Menschlichkeit verleugnet und zum
Tyrannen geworden ist. (Mariani: de rege et regis institutione lib. I.
Cap. III.)

"Ob es erlaubt ist, einen Tyrannen mit Gift zu töten?" - Es ist
rühmlich, dieses ganze pestartige und verderbliche Geschlecht aus der
Gesellschaft der Menschen zu vertilgen. - - Und Beispiele solcher Morde
gibt es viele sowohl in alter als neuer Zeit. Es ist zwar schwer, einem
Fürsten Gift zu mischen, indem er von seinem Hofe umgeben ist und zudem
die Speisen vorher kosten lässt. Wenn sich aber dazu eine günstige
Gelegenheit darbietet, wer sollte da so spitzfindig und subtil sein,
dass er unter beiden Todesarten einen Unterschied zu machen suchte? -
Mariani ibid.*)

---- *) Die Erlaubnis, dieses Buch zu drucken, lautet:

Stephanus Hojeda Visitator Societas Jesu in provincia Tolctana,
potestate facta a nostro patre Generali Claudio Aquaviva, do facultatem,
ut imprimantur libri tres, quos de Rege et Regis institutione composuit
P. Johannes Mariana, ejusdem Societatis, quippe approbatos prius a viris
doctis er gravibus ex eodem nostro ordine In cujus sei fidem has literas
dedi meo nomine subscriptas, et mei officii sigillo munitas. Madriti in
collegio nostro quarto Nonos Decembris MDLXXXXVIII.

Stephanus Hojeda, Visitator. ----

Diese Proben der Jesuitenmoral, die ich bedeutend vermehren könnte, auf
den Beichtstuhl angewandt, erklären es hinlänglich, warum Jesuiten als
Beichtväter Glück machten. Der Beichtstuhl wurde zur Erreichung
politischer und kirchlicher Zwecke benutzt, aber hauptsächlich diente er
den Pfaffen dazu, ihre Lüsternheit zu befriedigen.

Schon im Jahr 428 hatte Papst Coelestin es für nötig gefunden, Strafe
darauf zu setzen, wenn Geistliche ihre Beichtkinder zur Unzucht
verführten. Dergleichen Fälle kamen unendlich oft vor, und mit diesen
Beichtstuhlgeschichten könnte man Folianten füllen.

Poggio Bracciolini, von dem ich schon früher redete, erzählt, dass die
Beichtstühle dazu benutzt wurden, die Mädchen und verheirateten Frauen
zu verführen. Beichtete eine derselben, dass sie sich eine fleischliche
Schwachheit habe zuschulden kommen lassen, so kam es sehr häufig vor,
dass ihr der fromme Beichtvater die unzüchtigsten Anträge machte. Um
sich das Verführungswerk zu erleichtern, verfehlten sie nicht, den
lüsternen Kindern recht überzeugend vorzureden, dass ein bisschen
Unzucht mit einem frommen Geistlichen so gut wie nichts zu bedeuten habe
und dass die Sünde hundertmal kleiner sei, als wenn sie mit einem
fremden Ehemann begangen würde.

Ansiniro, ein Augustinereremit zu Padua, hatte alle seine Beichttöchter
verführt. Die Sache wurde ruchbar und er deshalb angeklagt. Vor Gericht
drang man sehr ernstlich in ihn, alle diejenigen anzugeben, welche ihm
den Willen getan. Er nannte eine große Menge von Mädchen und Frauen aus
den angesehensten Familien, stockte dann aber plötzlich und wollte nicht
weiterreden. Der Sekretär, der ihn vernahm, bedrohte ihn mit den
härtesten Strafen, wenn er nicht die Wahrheit reden und in seinem
Bekenntnis fortfahren werde. So gedrängt, nannte der Pater auch den
Namen, welchen er verschweigen wollte, und man kann sich die
Überraschung des Sekretärs denken, als er den seiner eigenen für so
tugendhaft gehaltenen Frau hörte!

Hin und wieder kamen die Pfaffen auch schlimm an. Ein Priester, dem eine
hübsche Frau beichtete, fand den Platz hinter dem Altar sehr bequem und
wollte sie bewegen, hier seinem unzüchtigen Gelüste zu genügen. Die Frau
äußerte, dass sie den Platz nicht anständig finde, versprach aber, an
einem anderen Orte seine Wünsche zu erfüllen und schickte ihm als
Liebespfand eine sehr schöne Torte und eine Flasche guten Wein. Der
erfreute Pfaffe dachte, zwei Fliegen mit einer Klappe zu treffen, und
überreichte die herrliche Torte seinem Bischof, der damit bei einem
Gastmahl seine Tafel zierte. Als man sie aufschnitt, fand man darin, was
man gewöhnlich nicht dem Beichtstuhl, sondern dem Nachtstuhl anvertraut.

Man forschte natürlich nach dem Ursprung dieser schmutzigen
Überraschung, und dieser ergab sich bald aus der Untersuchung.

Kein Ort war den geilen Pfaffen zu heilig, und die Regierungen mussten
dieselben oft strafen, weil sie einen Altar oder einen andern für heilig
geltenden Ort als Sofa betrachtet hatten. Ein Kaplan zu Solothurn beging
selbst die schreiende Sünde, die Orgel zum Schauplatz seiner unerlaubten
Freuden zu wählen!

Wäre die Kirche nicht stets darauf bedacht gewesen, das Nützliche mit
dem Angenehmen zu verbinden und ihre frommen Diener soviel als tunlich
für die mancherlei mit ihrem Amte verbundenen Entbehrungen zu
entschädigen, dann hätte sie dem Skandal schnell ein Ende machen können.
Sie hätte nur zu verordnen brauchen, dass die Weiber bei Weibern statt
bei Männern beichteten; aber wahrscheinlich fürchteten sie, dass die
Weiber nicht schweigen könnten.

"Mensch bleibt Mensch und ein Pfaffe vorzüglich." Ich würde auch lieber
das Sündenregister eines schönen Mädchens mit anhören als das eines
alten Mannes, und hin und wieder würde ich wahrscheinlich auch schwach
genug sein, die gemachten Entdeckungen zu meinem Privatvorteil zu
benutzen; allein ich bin auch kein Priester. Wüsste ich es nicht aus
anderen Quellen, so würde mich schon die Ermahnung des heiligen
Borromäus an die Pfaffen lehren, dass sehr viele von diesen die Beichte
der Weiber lieben hörten als die der Männer. Der Heilige, der stets des
oben angeführten Mottos eingedenk ist, schreibt den Beichtvätern vor,
alle Türen zu öffnen, wenn sie die Beichte irgendeiner Weibsperson
anzuhören hätten; er schlägt ihnen vor, irgendeinen Vers aus den
Psalmen, zum Beispiel cor mundum crea in su Domine, an einem freien Ort
anzuschreiben, wo er ihnen beständig vor Augen wäre und sie ihn bei
vorkommenden Versuchungen gleichsam als Zauberformel oder als Retro
Satanas gebrauchen könnten. -

Von dem Geißeln habe ich schon geredet. Da dieses nicht ohne Entblößung
stattfinden konnte, so ist es begreiflich, dass es die lüsternen Pfaffen
sehr bald bei der Beichte einführten. Anfänglich begnügten sie sich
damit, die Geißelung als Buße vorzuschreiben; allein gar bald maßten sie
sich das Recht an, dieselbe eigenhändig zu erteilen. Dies wurde von der
Kirche selbst als ein Missbrauch angesehen, und Papst Hadrian 1., der im
Jahr 772 Papst wurde, verordnet. "Der Bischof, Priester und der Diakon
sollen diejenigen, welche gesündigt haben, nicht geißeln."

Die Verordnung fruchtete jedoch nichts. Die Geistlichen ließen sich das
angenehme Recht nicht nehmen, besonders da sie darin durch hochstehende
Prälaten unterstützt wurden und der schon früher genannte Kanzler der
römischen Kirche, Kardinal Pullus, nicht das geringste Bedenken trug,
nicht allein das Geißeln zu empfehlen, sondern auch sogar öffentlich
bekanntzumachen, dass die völlige Entkleidung der Büßenden und ihr
Niederwerfen zu den Füßen des Beichtvaters selbst in den Augen Gottes
das Verdienst des Sünders vermehre, da es noch Kennzeichen äußerster
Demut und Erniedrigung wären.

Solche Lehren trugen den Pfaffen gute Früchte. Das Hinterteil des Mannes
zu zerbläuen konnte, wenn derselbe eine hohe Stellung in der Welt hatte,
allenfalls ihrem Stolze und ihrer Eitelkeit schmeicheln; allein die
Strafe bei Frauen anzuwenden hatte für den Schönheitssinn der Pfaffen
einen weit höheren Reiz, und alle Mittel, welche der Kirche zu Gebote
standen, wurden angewandt, die natürliche Schamhaftigkeit der Weiber und
Mädchen zu besiegen.

Bei der Schamhaftigkeit fällt mir eine Anekdote ein, die zu spaßhaft
ist, als dass ich sie den Lesern vorenthalten sollte. In den vierziger
Jahren kam ein junges Mädchen zu dem katholischen Pfarrer eines Ortes,
um bei ihm zu beichten. Nachdem sie allerlei unbedeutende Sünden
gestanden hatte, stockte sie und wurde feuerrot. Der Pfarrer ermahnte
väterlich, fortzufahren, aber das verschämte Mädchen sagte, dass es ihr
unmöglich sei, ihm hier ihre Sünden zu bekennen. Der gute Geistliche,
dem dergleichen wohl schon oft vorgekommen sein mochte, fragte, ob sie
ihm lieber zu Hause beichten wolle, wo sie weniger beobachtet wäre, und
das Mädchen erklärte sich seufzend bereit dazu.

Zur bestimmten Stunde erschien sie auf dem Zimmer des Herrn Pfarrers,
der sie mit einiger Unruhe und Neugierde erwartet hatte. "Nun, mein
Kind, wir sind allein, was ist's, das dich drückt. - Die Mutter Kirche
hat Trost; habe Zutrauen usw." - "Ach, Herr Pfarrer, ich kann's nicht
sagen", erwidert die kleine Unschuld und hält den Schürzenzipfel vor das
Gesicht. - "Nun, mein Gott, es wird doch keine Todsünde sein!" - "Ach
nein, aber -." - "Nur offen heraus, was ist's?" -"Ach, ich habe mit
meinem Liebsten etwas - etwas gemacht!" - "Nun, was denn, mein Kind?" -
"Ach, ich kann's wahrhaftig nicht sagen." - "Nun, hat er vielleicht das
getan?" fragte der Pfarrer, indem er ihr in die Backen kneipt, um ihr
das Geständnis zu erleichtern. - "Ach nein!" - "Oder vielleicht das?" -
wobei er den Arm um ihre Taille legt und ihr einen Kuss auf den Mund
drückt. - Das Mädchen schüttelt beständig mit dem Kopf, und der Pfarrer,
ein noch junger Mann, glühte im Gesicht beinahe ebenso sehr wie seine
verschämte Beichttochter. - Er wird in seinem heiligen Eifer immer
hitziger und versucht alles mögliche, was der Geliebte nur mit ihr getan
haben konnte, und da sie fortwährend beharrlich schüttelt, so schreitet
er sogar zum alleräußersten, in der vollen Überzeugung, dass er nun das
Richtige getroffen habe. Aber wie groß ist sein Erstaunen, als er auf
seine Frage ein abermaliges Kopfschütteln als Antwort erhielt. - "Nun,
in Satans Namen", bricht er los, "was hast du denn mit ihm gemacht?" -
"Ach, Herr Pfarrer - - ich habe - ihn krankgemacht!" - Ich überlasse es
den Lesern, sich das Gesicht des guten Pfaffen auszumalen. -

Auf solche Weise verfuhren nun wohl nicht alle römisch-katholischen
Geistlichen, um die Schamhaftigkeit ihrer Beichtkinder zu besiegen; bei
den meisten gelang es ihnen durch biblische Spitzfindigkeiten und, wo
dieselben nicht helfen wollten, mit Verweigerung der Absolution und
Androhung der ganzen Teufelsküche. Zu solchen äußersten Mitteln
brauchten die heiligen Väter indessen nur selten zu schreiten, denn die
Beichte ist schon an und für sich ein höchst wirksames Mittel zur
Ertötung der Scham.

Das Mädchen oder die Frau, welche einem fremden Manne die geheimsten
Regungen ihrer Sinnlichkeit und die dadurch hervorgebrachten Wirkungen
mit allen Details - so verlangen es häufig die lüsternen Beichtväter -
schildern kann, kostet es auch keine große Überwindung, sich vor
demselben zu entblößen; wer die nackte Seele gesehen hat, mag auch den
nackten Körper sehen! -

Weigerte sich indessen dennoch eine Beichttochter und wollte nicht daran
glauben, dass die Pfaffen ein Recht dazu hätten, die Entblößung zu
verlangen, dann entgegneten diese ihnen, dass Christus gesagt habe:
Gebet hin und zeiget Euch den Priestern; wollte es eine andere
unschicklich und anstößig finden, dann antwortete man ihr: "Ach
Larifari! Adam und Eva waren im Paradies nackt, und am Auferstehungstage
werden wir keine Hosen tragen." So kam es allmählich so weit, dass man
gar nichts mehr darin fand, wenn ein Beichtvater einem Mädchen oder
einer Frau mit eigener Hand die Rute gab.

Die Pfaffen standen schon seit den ältesten Zeit mit vollem Recht in
schlechtem Ruf, und es ist daher wohl begreiflich, dass die Ehemänner
ziemlich unruhig waren, wenn ihre Frauen zur Beichte gingen. Selbst sehr
fromme und heilige Bücher enthalten darüber höchst ergötzliche
Geschichten, wenn sie auch meistens ernsthaft langweilig und im
schrecklichsten Mönchslatein erzählt sind.

In einem Buche von Scotus, betitelt Mensa philosophica, findet sich zum
Beispiel die folgende: Einem Weibe, welches eben in den Beichtstuhl
ging, um ihre Sünden zu bekennen, folgte im geheimen ihr Ehemann nach,
da ihn die Eifersucht plagte, zu welcher er auch wohl gute Gründe haben
mochte. Er verbarg sich in der Kirche so, dass er seine Frau genau
beobachten konnte; aber kaum sah er sie von dem Beichtvater hinter den
Altar führen, als er sehr eifrig hervorstürzte und demselben vorstellte,
dass seine Frau viel zu zart sei, die Geißelung auszuhalten; solle aber
einmal gegeißelt werden, nun, dann erbiete er sich, die Strafe auf sich
zu nehmen. Die Frau war sehr vergnügt über diesen Vorschlag, und der
Beichtvater willigte ein. Kaum hatte sich der Mann vor diesem nieder
geworfen und in die gehörige Geißelpositur gesetzt, so rief seine Frau:
"Nun, ehrwürdiger Vater, haut nur recht tüchtig zu, denn ich bin eine
sehr große Sünderin!" -

Nach den Beispielen von den Wirkungen des Zölibats auf die Geistlichen
welche ich in den vorigen Kapiteln gegeben habe, werden es die Leser
sehr natürlich finden, dass diese Art und Weise der beichtväterlichen
Absolution zu unendlich vielen Missbräuchen Veranlassung gab. Die Zahl
der davon bekannten Beispiele ist unendlich groß, obgleich die Pfaffen
stets bemüht waren, dergleichen Erzählungen als Verleumdungen
hinzustellen. Ich könnte eine ganze Galerie davon aufführen, begnüge
mich aber damit, nur einige Geschichten dieser Art zu erzählen, deren
Wahrheit bis in die kleinsten Details durch gerichtliche Untersuchungen
ans Tageslicht gekommen ist, und weil sie mir ganz vorzüglich geeignet
scheinen, die römisch-katholischen Geistlichen und ihre Beichte zu
illustrieren.

Die erste davon ist die von dem Bruder Cornelius Adriansen zu Brügge.
Derselbe war zu Dortrecht geboren. Seine Eltern bestimmten ihn zum
geistlichen Stand, und nachdem er seine Studien vollendet hatte, kam er
im Jahr 1548 nach Brügge in das dortige Franziskanerkloster. Bald
entdeckte man in ihm eine Menge theologischer Kenntnisse und eine ganz
besondere Gabe, "populär" zu predigen, wodurch seine Oberen bewogen
wurden, ihm das Predigeramt anzuvertrauen.

Seine Predigten waren ganz eigentümlicher Art, und man wird sie am
besten beurteilen können, wenn ich ein Bruchstück aus einer derselben
mitteile. Seine Reden wurden übrigens schon bei seinen Lebzeiten
gesammelt und zum Ergötzen der Ketzer in den Niederlanden im Druck
herausgegeben.

Am 15. Dezember 1560 ereiferte er sich sehr, weil einige angesehene
deutsch-protestantische Prediger und Anhänger der Augsburgischen
Konfession nach Antwerpen gekommen waren. Nachdem er einen Teil des
Textes ausgelegt hatte, ergriff er die Gelegenheit, seinem Grimm über
die Ketzer Luft zu machen. Er brüllte wie verrückt: "Bah! ich möchte
beinah vor Zorn und Tollheit aus der Haut fahren! Ah Bah! da sind nun zu
Antwerpen, dem höllischen Pfuhl, dem teuflischen Abgrund, wo alles
verfluchte Gift und stinkender Unflat zusammenkommt, wiederum neue
Verräter, Verführer, Betrüger, neue Schelme und Bösewichter aus dem
verdammten und verfluchten Deutschland angekommen und vermeinen, in
diesen edlen Niederlanden - die sich jederzeit so standhaft im
christlichen Glauben gehalten, bis die mageren, dürren, ledernen
deutschen Arschkerben ihre beschissene Supplikation übergeben - ihre
Augsburgische Konfession einzuführen und fortzupflanzen. Bah, seht doch
wie schnell sie mit ihrer teuflischen Augsburger Konfession gelaufen
kommen, sobald sie gehört, dass diese verfluchten Geusen die Religion
verändern wollen! Ei ja, eben recht! wie? wir sitzen da und warten
darauf, bis Ihr kommt? Bah, alles bereit? Ah bah, es ist zu verwundern,
wie Ihr so lange geblieben seid mit eurer schönen Konfession von
Augsburg, welche erstlich so süß, lieb und betrüglich von dem falschen,
verdammten, höllischen Ketzer, dem unbeständigen Zweifalter und
Wetterhahn Philipp Melanchthon, verfasst und zusammengestellt, dann aber
mit seinem teuflischen, höllischen Gift so verdorben und nach seinem
ketzerischen Sinn verfälscht worden, dass auch die Zwinglianer,
Calvinisten und Sakramentierer sich damit behelfen und verteidigen
können und wollen. Darum scheiß ich in die Augsburgische Konfession!
Bah! die Zeit soll noch kommen, dass diese Konfession an den Galgen
gehängt und mit Kot und Dreck soll beworfen werden, ja, dass alle
Katholischen den Arsch daran wischen werden; bah, so sehet! - Ah bah!
die Wiedertäuferei ist tausendmal besser als die Konfession von
Augsburg. Bah! Gott schände die Augsburgische Konfession, bah! der
Teufel hole die Augsburgische Konfession! Wie, was meint Ihr, dass wir
toll und töricht sein und dass wir uns so von diesen ledernen
Arschkerben sollen überteufeln und äffen lassen, von diesen deutschen
Verrätern, den ersten Abtrünnigen und Ausgebannten von der
römisch-katholischen Kirche?" usw.

Seine Predigten wimmelten von Unflätereien, von denen die obigen nur
eine bescheidene Probe sind, und hörte er, dass man sich darüber
aufgehalten habe, dann schrie er von der Kanzel wie besessen: "Bah,
darum haltet das Maul und lasst mich predigen, was mir der Heilige Geist
eingibt!" Er übte indessen einen bedeutenden Einfluss auf den großen
Haufen aus und seine Predigten waren besonders geschickt dazu, den Hass
gegen die Protestanten zum Fanatismus anzufachen. Einstmals predigte er
gar, "dass man schwangeren Weibern der Ketzer den Leib aufschneiden
solle, um die Kinder, ehe sie geboren wären, zu verbrennen".

Diese Predigten fallen indessen schon in eine spätere Zeit. Bald nach
Antritt seines Predigeramtes hatte er sein Augenmerk auf einen anderen
Gegenstand gerichtet, - nämlich auf die schönen Mädchen und Frauen von
Brügge. Er fing an, gegen das eheliche Leben zu predigen, und setzte es
mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln herab; denn es sei fast nicht
möglich, als Verheirateter selig zu werden. Dagegen konnte er die
Jungfräulichkeit nicht hoch genug preisen und verhieß den Mädchen,
welche darin beharren würden, ganz gewiss die Seligkeit.

Heutzutage würde man darüber selbst in streng katholischen Ländern
lachen und höchstens einige verhimmelnde Ebelianische Seelenbräute
würden vielleicht in dem guten Pater den sehr fleischgewordenen Paraklet
sehen; aber damals, als die meisten Leute noch eine ungeheure Sorge um
ihr "Seelenheil" hatten, verursachten seine Predigten einen solchen
Aufruhr unter den Weibern in Brügge, dass alle Männer die Geduld
verloren, denn ihre Frauen flohen sie förmlich und die Mädchen
beschlossen, in ihrem Leben nicht zu heiraten. - Doch "der Geist ist
willig, aber das Fleisch ist schwach". Die armen Frauen gerieten in
Verzweiflung und liefen zu Bruder Cornelius, um sich Trost und Rat zu
holen. Dieser hörte sie freundlich an und belehrte sie über die Mittel,
durch welche es möglich sei, im ehelichen Stand fortzuleben, ohne vom
Teufel geholt zu werden. Zunächst, sagte er, sei es nötig, "der Begierde
und dem Gefallen an dem fleischlichen Werke der Ehe" zu widerstehen,
wenn auch dem Werk oder der Ausübung selbst nicht. "Denn", argumentierte
er, "das Werk an und für sich ist von Gott angeordnet, aber die
verdorbene ausgeartete Natur hat es verunreinigt, befleckt, beschmutzt
und verunehrt mit ihren schlechten, faulen, fleischlichen Affekten und
Neigungen!" Darum sollten sie denselben durchaus widerstehen und das
eheliche Werk ausüben, als übten sie es nicht aus. Dies war nun freilich
für die meisten ein unmögliches und übermenschliches Ding, besonders
wenn sie ihre Männer lieb hatten und täglich kamen sie zu ihm mit
weinenden Augen und beklommenen Herzen.

Zu denen, die weder jung noch sonderlich hübsch waren, sagte er, dass
sie ihre Anfechtungen und Übertretungen ihrem Pastor oder Beichtvater
sehr genau und ausführlich berichten müssten, damit sie ihnen vergeben
würden und die Absolution bekämen; aber zu denen, die er für seine
Betgenossenschaft (deuotarship) wünschte, sagte er: weil sie nun solchen
innerlichen Sünden und Gebrechen ihres Körpers nicht widerstehen
könnten, so wäre es nötig, dass derselbe gekasteiet werde mit einer
äußerlichen Strafe oder Pönitenz. Die betrübten Frauen willigten sehr
gern darin, sich derselben zu unterziehen.

Hierauf sagt er ihnen, dass sie sich ganz und gar unter seine Aufsicht
und seinen Gehorsam begeben müssten, und als sie auch damit
einverstanden waren, gab er ihnen eine Regel, nach welcher sie alle
Monate auf einen bestimmten Tag bei ihm mit Bewilligung ihrer Männer zur
Beichte erscheinen und in welcher sie ihm ihre Übertretungen mitteilen
mussten.

Als sie nun die Regel angenommen hatten und bei ihm zur Beichte
erschienen, gebot er ihnen bei dem Gelübde ihres Gehorsams, alle
unkeuschen Gedanken, Begierden und Handlungen, die sie hatten und
begingen, ungeschminkt, frei heraus, ohne Scham zu gestehen; je glatter,
unverhohlener, gröber und genauer, je besser: damit er im Stande sei,
sie davon zu säubern, reinigen, purgieren, absolvieren und deshalb zu
kasteien und strafen. Dies taten denn die Frauen ebenfalls. "Nun,
wohlan, meine Töchter", sagte Cornelius darauf, " für diese heimlichen
und unkeuschen fleischlichen Sünden des Körpers gehört sich auch eine
heimliche Säuberung, Purgierung, Reinigung (er liebte es sehr, wohl fünf
bis sechs Synonyme hintereinander zu gebrauchen) und heilige Disziplin
oder sekrete Pönitenz, welche vor den Augen der Menschen verborgen
gehalten werden muss, weil sie nicht verstehen und begreifen was
geistlich ist; ja, sie würden sich darüber aufhalten und Ärgernis
nehmen, wenn sie es wüssten; so sind sie durch die Verderbtheit des
Fleisches in ihren Ansichten und Begriffen verwirrt, geblendet und
geschändet. Darum, meine Töchter, legt die Hand auf eure Brust und
schwört bei Gott und allen Heiligen, dass ihr diese heimliche Disziplin
oder heilige, sekrete Pönitenz weder euren Männern, noch euren Eltern,
noch irgendeinem der weltlich gesinnten Menschen, noch irgendeinem
Geistlichen, sei es in der Beichte oder anders, nicht zu erkennen geben
und offenbaren wollt."

Nachdem nun die Frauen diesen Eid geleistet hatten, nahm er sie als
Büßerinnen und Disziplintöchter an und hieß sie in das Haus der Nähterin
Calle de Naighe, seiner Vertrauten, stets durch die Vordertür zu gehen;
denn dieses Haus hatte von der Seite des Klosters her ebenfalls einen
Eingang, so dass diejenigen, welche Bruder Cornelius durch denselben
hineingehen sahen, die Frauen nicht sahen und umgekehrt.

Als nun die frommen Frauen das erste Mal zu der Nähterin kamen, gab sie
jeder derselben eine Rute und hieß sie dieselben in das Disziplinzimmer
tragen, das nächste Mal aber selbst Besen zu kaufen und davon eine Rute
mitzubringen.

Als Cornelius in das Disziplinzimmer zu seinen Beichttöchtern eintrat
sagte er: "Nun, wohlan, meine Töchter, damit Ihr diese heilige Disziplin
oder sekrete Pönitenz bequem empfangen könnt, ist es nötig, dass ihr
euern Körper entblößt; darum befehle ich Euch bei dem Gelübde eures
Gehorsams, dass Ihr Euch entkleidet."

Als die Frauen seinen Willen erfüllt hatten, mussten sie ihm selbst die
Rute in die Hand geben und ihn demütig bitten, dass er ihren sündigen
Körper diszipliniere und kasteie, was er denn sehr bedächtig mit einer
Anzahl Schläge tat, die eben nicht weh tun konnten. Diese Handlung
begleitete er mit allerlei vom Geißeln handelnden Reden aus alten
Büchern und sagte unter anderem: dass Gott die Demut der Büßenden, die
sich nackt auszögen, lieber habe als die Heftigkeit der Schläge.

Im Winter, wenn es zu kalt war, um sich nackt auszuziehen, mussten seine
Disziplinkinder sich auf einem großen Kissen niederlegen: Bruder
Cornelius hob ihnen den Rock auf und disziplinierte sie auf diese Weise.
Ebenso machte er es auch im Sommer mit denjenigen Frauen, die nicht
lange von Hause wegbleiben konnten oder mit Witwen, die lange unter
seiner Disziplin gestanden hatten und an deren Bußwerkzeugen er sich
bereits satt gesehen hatte; ja, zuletzt ließ er wohl zu, dass diese die
Disziplin von seiner Vertrauten, der Nähterin, empfingen.

Dass die Witwen, die bereits vom Baum der Erkenntnis gegessen,
Anfechtungen hatten, nahm er als selbstverständlich an und interessierte
sich vor allen Dingen für ihre Träume, die sie ihm stets ganz genau
erzählen mussten.

Ehe er aber die verheirateten Frauen und Witwen zu seiner Bußanstalt
heranzog, hatte er schon längst eine Disziplinschule von jungen Mädchen
errichtet, bei der ich mich etwas länger aufhalten muss, da sich dabei
die ganze Schändlichkeit des nichtswürdigen Pfaffen offenbart und weil
es Jungfrauen waren, die den alten lüsternen Sünder zuschanden machten
und sein Treiben zur Untersuchung brachten. -

Abbé Parny in seiner köstlichen Satire "La guerre des Dieux", in welcher
die Heidengötter von der heiligen Dreieinigkeit mit den himmlischen
Heerscharen besiegt werden, hat den köstlichen Einfall, alle Satyren und
Faune der alten Heidenzeit die Stammväter der Mönche werden zu lassen.
Der witzige Abbé kannte gewiss viele Mönche von der Art des Bruders
Cornelius.

Im Jahr 1553 befand sich unter den Frauen, welche täglich die Predigten
des Bruders Cornelius besuchten, eine fromme und geachtete.Witwe mit
ihrem schönen und gescheiten Töchterchen. Diese machte die Bekanntschaft
einiger junger Mädchen, die schon lange zu der Betgesellschaft des
Pastors gehörten und stets bemüht waren, für dieselbe Rekruten zu
erwerben. Das reizende sechzehnjährige Calleken Peters schien ihnen
besonders der Mühe wert. - Die Mutter sah mit Vergnügen, wie ihr
Töchterchen durch die Unterhaltung mit den frommen Mädchen so schön über
geistliche Dinge reden lernte, und ließ Calleken die Gesellschaft
derselben besuchen, so oft sie nur wollte.

Hier hörte sie von der geheimen Pönitenz und fragte, was dieselbe denn
eigentlich zu bedeuten habe? Bisher waren die Mädchen sehr bereit
gewesen, ihr Rede und Antwort zu geben, allein nun meinten sie, dass
Calleken darüber nur von Pater Cornelius selbst belehrt werden könne,
und rieten ihr, sich an den heiligen Mann zu wenden, was sie denn auch
beschloss.

Cornelius, der benachrichtigt wurde, dass sich ein so frisches Fischchen
fangen wolle, setzte einen Tag fest, an welchem sie bei ihm erscheinen
solle, und außer ihr fanden sich an demselben noch zwei ausgezeichnet
schöne Mädchen ein, die ebenfalls in der Disziplin unterrichtet werden
sollten; sie hießen Aelken van den B. und Betken P.

Der Pater fragte Calleken, ob es ihr Ernst damit sei, ihre jungfräuliche
Reinheit und Sauberkeit zu bewahren und zu dem Ende unter seine
Obedienz, Untertänigkeit und Gehorsam sich verdemütigen wolle? Als sie
bejahte, lobte er sie sehr und ersuchte sie, ihn mit Einwilligung ihrer
Mutter an einem bestimmten Tage der Woche zu besuchen.

Nach einer mehrwöchigen Vorbereitung nahm er sie feierlich als
Beichtkind an und ließ sie den schon oben angeführten Eid schwören.
Darauf wies er sie an, gleich den anderen Mädchen in seine
Disziplinkammer zu kommen und sich dort zur Pönitenz vorzubereiten. -
Diese Kammer hatte er damals in einem Hause auf dem Steinhauersdyk in
Brügge bei einer Witwe, Frau Pr., bei der die oben genannte Betken und
einige andere Mädchen in Kost waren, um die Kochkunst zu erlernen. Die
Nähterin wurde erst des Paters Vertraute nach dem Tode der Witwe.

Als Calleken zum ersten Mal in die Kammer trat, forderte sie Cornelius
auf, bei dem Gelübde ihres Gehorsams ihm alle Anfechtungen und
Versuchungen, welche der menschlichen Natur so eigen, zu beichten und
namentlich die unkeuschen Träume, Gedanken und Begierden, welche der
jungfräulichen Reinigkeit so sehr zusetzen, ungescheut ihm mitzuteilen,
indem er nur auf diese Weise Mittel finden könne, Letztere zu
beschützen.

Das arme, unschuldige Kind, welches von dergleichen Anfechtungen noch
durchaus nichts wusste, stotterte etwas her, aber Cornelius erwiderte:
"Bah, ich weiß recht gut, dass Euch alle die Unkeuschheiten und
Unreinigkeiten, welche zwischen Verheirateten und Weltmenschen
vorzufallen pflegen, bekannt sind: denn die Welt ist so arm im Argen und
verdorben, dass junge Mädchen von acht bis neun Jahren recht gut wissen,
auf welche Weise sie in die Welt gekommen sind. Bah! ein Mädchen von
sechzehn bis siebzehn Jahren wie Ihr sollte nichts von solchen
Versuchungen, Begierden, Quälungen wissen? Bah, Ihr hättet in der Welt
bleiben sollen, Ihr wärt bald Mutter von drei bis vier Kindern."

Calleken, vor Scham ganz rot, sah zur Erde nieder und wusste nichts
weiter zu sagen, als dass ihre Mutter sie auf das sorgfältigste vor
allen eitlen, leichtfertigen und unehrbaren Äußerungen bewahrt hätte. -
"O bah!" fuhr der Pfaffe fort, "darauf achte ich noch nicht. Die
angeborene und gebrechliche Natur muss Euch in dem Alter, welches Ihr
nun habt, darüber belehren; darum ist es nicht möglich, dass Ihr nicht
bisweilen mit fleischlichem Streit angefochten werdet, den Ihr allein
aus Verschämtheit mir verschweigt. Aber ich kann Euch durchaus nicht
absolvieren, denn meine Seligkeit hängt daran, und darum bereitet Euch
das nächste Mal besser darauf vor, alle eure natürlichen Anfechtungen zu
erkennen zu geben.' - Hiermit entließ er Calleken und befahl ihr, auf
einen bestimmten Tag wiederzukommen, was sie in Gottes Namen zu tun
gelobte.

Als sie wieder zu ihm kam, nahm er sie in seine Disziplinkammer und
ermahnte sie, alle Verschämtheit, die er ein falsches, böses Tier
nannte, draußen zu lassen. Auf seine abermaligen Fragen nach
fleischlichen Regungen antwortete ihm das unschuldige Mädchen, dass sie
täglich Gott bitte, sie vor dergleichen Anfechtungen zu bewahren. Das
lobte der Pater zwar, meinte aber doch, sie müsse Gott eigentlich um
Versuchungen und Anfechtungen bitten, denn ein Zustand, in welchem diese
ausbleiben, sei keine Heiligkeit zu nennen. "Bah!" fuhr er fort, "es ist
eine Ehre, eine quälende Natur zu haben, und dass man zu ungleichen
Personen, nämlich Frauen zu Männern und Männer zu Frauen, mit natürlich
brennender Hitze geneigt ist; allein was ist das für ein Verdienst, wenn
man kein Gefühl dafür hat? Bah, mein Kind, schämt Euch nicht zu
gestehen, dass Ihr auch Fleisch und Blut gleich allen Menschen habt,
oder ich muss Euch für heuchlerisch und ganz und gar für durchtrieben
halten, weil Ihr nicht gestehen wollt, bisweilen fleischliche Gedanken
oder unreine Begierden zu haben." Nun fuhr er fort, sie zu ermahnen, ihm
rund heraus, je unumwundener je besser, alle ihre unkeuschen Gedanken
und dergleichen zu sagen. Calleken wurde immer verschämter, je länger
sie den Satyr in Priestertracht anhörte. Dieser glaubte daher vor allen
Dingen darauf hinarbeiten zu müssen, diese ihm so hinderliche Scham zu
vernichten, und nachdem er sie durch väterliche, gleisnerische Worte
zutraulich gemacht hatte, fragte er feierlich: "Nun, Calleken, mein
Kind, sagt mir, ob Ihr mir die Seligkeit eurer Seele auch mit ganzem
Herzen anvertraut?" Sie antwortete: "Ja, ehrwürdiger Vater." - "Nun
wohl", fuhr er fort, "wenn Ihr mir euer Seelenheil anvertraut, so könnt
Ihr mir mit noch minderer Gefahr euren irdischen vergänglichen Körper
anvertrauen; denn wenn ich eure Seele selig machen soll, so muss ich vor
allem euren Körper geeignet, rein, sauber und fähig machen zu allen
Tugenden, Andachten und Pönitenzien. Ist's nicht so, mein Kind?" - Sie
antwortete: "Ja, ehrwürdiger Vater." - "Nun wohlan, mein Kind, so ist es
nötig, dass Ihr meiner heiligen Obedienz untertänig seid und tut, was
ich Euch befehlen werde."

Hierauf setzte er sich auf eine Bettstelle, die in dem Zimmer stand, und
sie musste sich zwei Schritte von ihm hinstellen. Darauf sagte er, dass
es zur Überwindung der Verschämtheit, welche der Disziplin und Pönitenz
so durchaus zuwider, durchaus nötig sei, dass sie sich seinem Willen
füge, und er gebiete ihr daher bei ihrem Gelübde des Gehorsams, sich
sogleich vor ihm nackt auszuziehen.

Calleken antworte heftig erschrocken: "Ach, ehrwürdiger Vater, wie
könnte ich das tun, ich müsste mich gar zu sehr schämen!" - "Mein Kind",
rief er, "das muss so sein, unser beider Seligkeit hängt daran, darum
weg mit der Scham und tut gehorsamlich, was ich befohlen habe." - "Ach,
ehrwürdiger Vater", stammelte das geängstigte Mädchen, "ich will Euch
lieber künftig alle meine Anfechtungen und fleischlichen Gedanken
offenbaren (das arme Kind hätte sie gewiss erfinden müssen), als dies
tun, denn ach - mir ist, als würde ich lieber sterben! Darum bitte ich
demütig, ehrwürdiger Vater, erlasst es mir!" - Cornelius bestand aber
fest darauf, denn ohne dasselbe sei es gar nicht möglich, eine
vollkommene Andächtige zu werden; es sei das erste Mittel zum Empfang
der heiligen, heimlichen Disziplin. Er verlangte unbedingten Gehorsam,
wie ihn alle übrigen Disziplinschüler leisteten.

Seine Worte hatten endlich die gewünschte Wirkung. Das schöne Mädchen
hakte ihr Mieter auf und zog es aus; als sie aber ihr Leibchen
aufschnürte, stürzten ihr die hellen Tränen aus den Augen, und Cornelius
sagte: "Bah, mein Kind, fasst Mut und kämpft tapfer und klug gegen die
Verschämtheit und Heuchelei, dann sollt Ihr einen Sieg feiern, dann soll
alles Triumph, Friede und Glorie sein."

Als sie nun bis aufs Hemd entkleidet war und auch dieses fallen lassen
sollte, verwandelte sich die Glut ihres Gesichts in tödliche Blässe. -
Als Cornelius dies sah, stand er eiligst auf und holte aus seinem
Schrank einige stark riechende Essenzen, mit deren Hilfe sie bald wieder
aus der Ohnmacht erwachte.

Für dieses Mal ist es genug, mein Kind", redete er ihr freundlich zu,
"das nächste Mal sollt Ihr nicht allein bei mir sein, sondern in
Gesellschaft einiger Mädchen, die Ihr kennt und die Euch mit gutem
Beispiel vorangehen werden." Als sie sich wieder angekleidet hatte,
ermahnte er sie, keinem Menschen etwas zu sagen und ihm zu geloben, am
bestimmten Tage sich auch wirklich wieder in seinem Disziplinzimmer
einzustellen.

Sie hielt Wort und fand dort die oben erwähnten beiden schönen Mädchen,
die gar keine Umstände machten, sich sogleich auskleideten und ganz
dreist nackt vor den Pater hinstellten. Calleken folgte dem Beispiel,
und Cornelius lobte sehr das Glorreiche eines solchen Siegs über die
verfluchte Scham, die allem frommem Werk im Wege sei. Damit hatte es für
dieses Mal sein Bewenden, denn Cornelius pflegte seine frommen Töchter
mehrere Monate lang im Entkleiden zu üben, denn sein Grundsatz war, sie
mussten freiwillig die Scham aufgeben und selbst die Disziplin begehren.

Während dieser mit Calleken vorgenommenen seltsamen Exerzitien wurde sie
von einem Mädchen, das schon seit langem zu des Paters schamlosen
Freikorps gehörte, gefragt: ob sie denn nun wisse, was die Disziplin
oder heilige sekrete Pönitenz sei? Calleken antwortete, dass sie es wohl
beinahe ahne, aber noch nicht sicher wisse. "Ei", sagte das Mädchen,
"wenn du diese noch nicht verdient hast, dann musst du wohl ein ganz
anderes reines Mädchen sein als alle anderen; allein ich denke, dass du
deine Anfechtungen nicht recht bekannt und gestanden hast." Nun wurde
sie zum unbedingten Gehorsam gegen Bruder Cornelius ermahnt: sie müsse,
hieß es, ihre Seele ihm ganz und gar übergeben, den sonst könne es
unmöglich etwas werden. Calleken versprach, ganz zu tun, wie die Mädchen
ihr rieten.

Die vielen Reden von fleischlichen Anfechtungen, von natürlichen
unsauberen Begierden, unkeuschen Träumen usw. hatten das unschuldige
Mädchen ganz verwirrt gemacht, so dass sie Tag und Nacht an nichts
anderes dachte, was denn auch mit wirklichen Anfechtungen endete, so
dass sie dem erfreuten Pater etwas zu beichten hatte. Sie wurde nun der
Disziplin für würdig erachtet und wurde eine Devote wie die andern.

Diese Bußgenossenschaft, zu welcher die schönsten Frauen und Mädchen von
Brügge gehörten, bestand eine ganze Reihe von Jahren, ohne dass
außerhalb des Kreises derselben das geringste verlautete. Aber der Krug
geht so lange zu Wasser bis er bricht, und auch den frommen
Beschäftigungen des faunischen Paters sollte ein Ende gemacht werden.

Bei einer kleinen Festlichkeit einiger Mitglieder dieser Genossenschaft,
der auch Pater Cornelius beiwohnte, ging es sehr lustig zu. Der Pater
tanzte mit einer hübschen Beichttochter und küsste sie in seiner frommen
Weinlaune auf den Mund. -Calleken Peters hörte davon durch eine der
Anwesenden und war sehr betreten, dann sagte sie - "man steht doch
mutternackt vor ihm, und wie kann man wissen, ob ihn nicht etwas
Menschliches anwandelt." Die andere erklärte ihn für einen Engel in
Menschengestalt, der nicht sündigen könne; allein Calleken antwortete:
"Ich behaupte nicht gerade, dass er sündigt, aber wie nun, wenn ihn eine
menschliche Schwachheit ergreifen sollte, wie wolltest du dich benehmen,
um nicht mit zu sündigen?" - "Ich würde es in Demut geschehen lassen",
antwortete die andere, "denn ich bin Überzeugt, unser Herrgott würde mir
solches nicht zur Sünde rechnen um des heiligen Mannes willen, indem
dieser die Handlung ohne eigentlich fleischliches Gelüste vollbrächte."

Calleken wollte diese Religion nicht einsehen, allein der Pater, der
Nachricht von dieser Unterredung erhielt, bekam einen großen Schrecken
und nach mehreren Unterredungen mit Calleken ließ er sich von ihr in
Gegenwart eines anderen Paters eine Erklärung unterschreiben, dass sie
an ihm nie etwas bemerkt, was ihr Ärgernis gegeben habe, und dass sie
nichts von einer heimlichen Disziplin wisse. Der Pater stellte ebenfalls
ein Zeugnis aus, dass er Ohrenzeuge einer solchen Erklärung gewesen und
Cornelius wurde wieder ruhig, besonders da er sah, dass Calleken Peters
das Geheimnis bewahrte und auch nicht aus seiner Beichtgenossenschaft
austrat.

Nach zwei Jahren kamen ihr aber Skrupel, und sie wollte von dem Pater
aus der Bibel bewiesen haben, dass die heimliche Disziplin zur Seligkeit
absolut notwendig sei. Sie warf ihm vor, dass er auf der Kanzel die
Bibelstellen ganz anders auslege als ihr, und er rief sehr verlegen: "Ah
bah! wenn ich auf der Kanzel stehe, rede ich für die Weltkinder."

Bei einem abermaligen Disput über diesen Gegenstand riss dem Pater die
Geduld, und er befahl ihr, sich auf der Stelle zu entkleiden und die
Pönitenz zu empfangen; allein Calleken weigerte sich durchaus und
erklärte, dass nur Beweise aus der Bibel sie vermögen könnten, zum alten
Glauben an die Notwendigkeit der heimlichen Disziplin zurückzukehren. Er
tobte und gab ihr drei Wochen Zeit, sich zu bedenken.

Sie war bei ihrem Entschluss geblieben und ging nach drei Wochen ins
Kloster. Cornelius war nicht zu Hause, und sie kam auf den Gedanken,
eine Unterredung mit dem Guardian zu haben. Im Laufe derselben fragte
sie denselben, ob er Kenntnis habe von der Art und Weise, wie Pater
Cornelius diszipliniere?

Nach dem der Guardian sich überzeugt hatte, dass nur Gewissensangst das
Mädchen zu ihm trieb, so erklärte er ihr endlich, dass Cornelius zu den
Menschen gehöre, von denen Christus gesagt - "Wehe denen, die einen von
diesen kleinsten ärgern; es wäre ihm besser, dass ihm ein Mühlstein an
seinen Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde."

Sie ging nun nicht mehr zu Cornelius, allein dieser belästigte sie
fortwährend, und sie beschloss daher, gegen alle fernere Teilnahme an
der Bußsodalität zu protestieren. Cornelius war wütend, behandelte sie
wie einen bösen Geist und übergab sie feierlich dem Teufel.

Bis jetzt hatte das Mädchen geschwiegen, aber nun erhob es sich mit dem
Stolz und Mut der gekränkten und misshandelten Unschuld und rief: "Wehe
Euch, ihr fleischlich gesinnter Mensch, der ihr mit all diesem
Nacktauskleiden und Disziplinieren nichts anderes gesucht habt, als eure
unkeuschen Augen und niederträchtigen Begierden zu befriedigen zum
großen Ärgernis und Skandal von so viel unschuldigen Mädchen. Wehe Euch,
es wäre besser, dass Euch ein Mühlstein an den Hals gehängt und ihr in
die Tiefe des Meeres versenkt würdet!"

Die Wut des Paters war unbeschreiblich. Die Szene endete damit, dass er
sie am Arm ergriff und zur Tür hinausschob, wobei er wie wahnsinnig
schrie: "Weg von hier, Ihr Paulianerin! ich sehe nun, dass Ihr eine
Paulianerin geworden seid wie Betken Maes; weg, weg, ich übergebe Euch
dem Teufel!"

Calleken Peters ging ruhig nach Hause und lebte still und sittsam, ohne
- aus Rücksicht für den Guardian und andere Frauen - von der seltsamen
Bußanstalt des Paters zu reden, die immer fortblühte. Sie heiratete und
kümmerte sich nicht darum; aber drei Jahre nach der oben erzählten Szene
kam die ganze Geschichte durch die oben erwähnte Betken Maes an den Tag.

Es war dies ein ausgezeichnet braves Mädchen. Sie hatte sich ganz und
gar der Krankenpflege gewidmet und wohin sie immer kam, erschien sie wie
ein Engel des Trosts. Sie hatte auch zur Bußgesellschaft von Cornelius
gehört, allein gab ihn als Beichtvater auf und beichtete einem
trefflichen Augustinermönch. Cornelius war wütend und verketzerte sie
überall, allein Betken schwieg.

Als sie einst bei einer Kranken war, die zu sterben meinte, verlangte
dieselbe, in einer Kapuze zu sterben, die sie von Cornelius erhalten,
der ihr gesagt hatte, dass sie, wenn sie in derselben sterbe, gar nicht
einmal in das Fegefeuer kommen werde. Betken suchte, ihr den Unsinn
auszureden, die Frau wurde böse, genas aber und erzählte die Sache
Cornelius.

Dieser verleumdete sie nun in allen Klöstern und Privathäusern, welche
ihr die Kundschaft aufkündigten. Er wusste es sogar so weit zu bringen,
dass ihr Beichtvater, weil er seine vereidigten Beichttöchter verleite,
in den Bann getan wurde. Betken selbst wurde als Ketzerin sogar auf der
Straße verfolgt und verspottet.

In dieser Not beichtete sie dem Provinzial der Augustiner das Geheimnis
der Bußanstalt. Der Provinzial beschloss, den Vermittler zu machen, und
bewog Cornelius, gegen ihr Versprechen zu schweigen von der Kanzel seine
Reden gegen sie zu widerrufen. Er tat dies in verblümter, nur wenigen
verständlicher Weise und erklärte überall, dass er den Schritt nur auf
Andringen angesehener, dem Erasmianismus anhängender Häuser getan habe.
Seine Meinung aber über das Mädchen sei dieselbe.

Betken Maes war völlig wie vogelfrei; sie traute sich aus Furcht vor dem
Pöbel nicht auf die Straße, und die Nächte durchwachte sie in Angst, da
sie jeden Augenblick eine Gewalttat der Fanatiker oder einen Besuch der
schrecklichsten Inquisition erwartete. Der Trieb der Selbsterhaltung
bewog sie zum letzten Mittel. In mehreren Häusern, wo man sie noch
duldete, erzählte sie die Betrügereien des Paters Cornelius und gab
detaillierte Schilderungen von seiner Pönitenzanstalt. Anfangs glaubte
man, sie erzähle ein von der Rachsucht eingegebenes Märchen; aber die
Sache verbreitete sich und kam dem Magistrat zu Ohren, der diese
Gelegenheit nicht ungern ergriff, um dem verhassten Mönch an den Kragen
zu kommen.

Cornelius opponierte und drohte sogar mit der Inquisition. Das zwang den
Rat vollends, alle Rücksichten fallenzulassen, und Calleken Peters und
alle Sodalinnen des Paters mussten zu ihrer großen Beschämung persönlich
vor Gericht erscheinen. Unter ihnen befanden sich sehr viele angesehene
Frauen und Fräuleins. Ihre Unschuld erkannte man wohl im Allgemeinen an,
aber es erging ihnen wie den vornehmen "Seelenbräuten" des Königsberger
Muckers Ebel, der Makel des Lächerlichen blieb zeitlebens an ihnen
kleben.

Das Urteil gegen Cornelius fiel sehr milde aus, denn die Pfaffen hatten
damals noch die Oberhand. Er wurde von Brügge nach Ypern versetzt, da
ihm kein förmlicher Angriff auf die Tugend der Frauen bewiesen werden
konnte. Mehr als das Gericht bestrafte ihn die Satire des Volkes, die
ihn auf alle mögliche Weise verfolgte. Er starb im Jahr 1581, aber sein
Name hat sich noch in der Tradition erhalten, und manches Mädchen wird
rot und kichert heimlich, wenn "Broer Cornelius" genannt wird.

Doch was wollen alle Künste des plumpen flämischen Paters sagen gegen
die feine Niederträchtigkeit der Jesuiten in dergleichen Dingen! Sobald
sie ihre Wirksamkeit begonnen, bemühten sie sich, Mädchen und Frauen für
ihre Geißelsodalitäten zu gewinnen. Sie hatten sich nicht für die
Geißelung auf den Rücken, sondern für die unterhalb desselben gelegene
Gegend entschieden. Diese Art der Disziplin wurde von den Jesuiten in
Löwen die Spanische genannt und angewandt, weil sie der Gesundheit
zuträglicher sei als die obere, oder aus andern Gründen.

Während die roheren Mönche des Mittelalters wirklich hin und wieder aus
dummem Religionseifer die Geißel anwendeten, taten es die Jesuiten
meistens, um unter dem Deckmantel der Religion ihre raffinierte Wollust
zu befriedigen. Wie sie dabei zu verfahren pflegten, will ich in der
berüchtigten Geschichte von dem Jesuiten Girard und Fräulein Cadière
zeigen, soweit es der Umfang dieser Blätter gestattet. Der Prozess, den
das Fräulein gegen ihren Beichtvater einleitete, machte im Anfang des
18. Jahrhunderts ein ungeheures Aufsehen; ganz Europa nahm daran teil. -
Das Hauptwerk über diesen wichtigen Rechtshandel umfasst acht Bände, und
man wird es begreiflich finden, dass meine Darstellung nur eine sehr
skizzenhafte sein kann.

Catherine Cadière war die Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns zu Toulon
und am 12. November 1702 geboren. Sie hatte drei Brüder; der älteste
verheiratete sich, der zweite trat in den Dominikanerorden, und der
dritte wurde Laienpriester. Der Vater war schon während der
Minderjährigkeit Catherines gestorben, die nun bei ihrer borniert
bigotten Mutter als deren Liebling blieb. Sie entwickelte sich sowohl
körperlich als geistig auf die vorteilhafteste Weise. Das heißt, sie
wurde sehr schön, und ihrer trefflichen Gemüts- und Geistesanlagen wegen
wurde sie von allen, die sie kannten, sehr wohl gelitten. Allein die
Erziehung ihrer bigotten Mutter, die darin von Geistlichen unterstützt
wurde, die abgeschmackten Heiligenlegenden und mystischen Bücher, die
man ihr schon frühzeitig zu lesen verstattete, gaben ihrem Geist eine
ganz eigentümliche schwärmerische, mystische Richtung. Das Beispiel der
heiligen Frauen der römischen Kirche und die heiligen Offenbarungen und
Visionen, deren dieselben gewürdigt wurden, lagen ihr beständig im Sinn,
und ihr höchster Wunsch war es, diesen halbtollen Närrinnen ähnlich zu
werden. Dies war denn auch der Grund, weshalb sie mehrere vorteilhafte
Heiratsanträge ausschlug.

So erreichte sie das Alter von fünfundzwanzig Jahren und man darf
voraussetzen, dass in einem körperlich so üppigen und dabei so
phantasiereichen Mädchen die gewaltsam unterdrückte Natur längst
angefangen hatte, ihre Rechte geltend zu machen, und dass es nur eines
leichten Reizes bedurfte, um ihre sinnlichen Begierden zu hellen Flammen
anzublasen.

Zu dieser Zeit, im Jahr 1728, kam der Jesuit Pater Johann Baptist Girard
als Rektor des Königlichen Seminars der Schiffsprediger zu Toulon an.
Früher hatte er in Aix gelebt. Ihm ging ein großer Ruf als
ausgezeichneter Kanzelredner und als durchaus streng sittlicher Mann
voraus, und er erlangte denn auch gar bald in seinem neuen
Wirkungskreise eine ganz außerordentliche Geltung und Verehrung.
Besonders strömten die Frauen zu seinen Predigten und in seinen
Beichtstuhl. Eine große Menge junger Mädchen trat in eine Art von Orden,
in welchem unter Girards Leitung fromme Übungen vorgenommen wurden. Die
fromme Schar machte ihm viel Freude, denn es waren schöne Mädchen
darunter, und die Frömmigkeit und Ehrbarkeit des Jesuiten waren nur das
Schafsfell, mit welchem der reißende Wolf der rohesten Sinnlichkeit
bedeckt wurde.

Vor allen Dingen trachtete Girard zunächst danach, durch seine Lehren
die Herzen und die Phantasie der jungen Mädchen zu vergiften. Wie eine
Spinne ihr Opfer mit unendlich vielen feinen Fäden umzieht, ehe sie ihm
das Blut aussaugt, so war auch der Jesuit bemüht, seine Opfer im Netz
der raffiniertesten Sinnlichkeit zu fangen. Er durfte nicht zu schnell
vorwärts gehen, denn Übereilung konnte alles verderben. Auch hatte er
dazu keine Ursache, da er über den sicheren Erfolg seiner
Verderbungstheorie vollkommen beruhigt war.

Als er bemerkte, dass die Mädchen bereits mit schwärmerischer Innigkeit
und felsenfestem Vertrauen an ihm hingen, fing er allmählich an, ihnen
andere Strafen, als es bisher geschehen war, für ihre Sünden
aufzuerlegen, und kam nach und nach auf die Disziplin.

Die meisten Mädchen ahnten aus Dummheit auch nicht das allergeringste
Böse und andere, durch das Geißeln angenehm sinnlich aufgeregt, fanden
ein geheimes Vergnügen daran, wenn sie sich dessen vielleicht auch nicht
klar bewusst waren. Noch andere mochten wohl den Pater und seine
Absichten durchschauen, allein sie waren weit entfernt, denselben
entgegenzuwirken, weil sie es nicht ungern gesehen haben würden, wenn
sie heimlich und ungestraft von der verbotenen Frucht hätten naschen
können. Diese und vielleicht auch finanzielle Gründe machten eine der
Beichttöchter, Fräulein Guiol, dem Jesuiten ganz und gar ergeben, und
sie ließ sich zu all seinen Plänen gern gebrauchen.

Diese Guiol war ein gescheites, durchtriebenes Geschöpf und dem Pater
von unendlichem Nutzen. Er durfte bei seinen Beichttöchtern bald
weitergehen und bei der Disziplin seine Lüsternheit noch auf andere
Weise als mit den Augen befriedigen, wenn er sich auch wohl hütete, zum
Äußersten zu schreiten, wo er seiner Sache nicht ganz gewiss war wie
etwa bei der Guiol.

Zur Zahl seiner Pönitentinnen gehörte auch Catherine Cadière. Das in
seiner vollsten Blüte prangende geistvolle Mädchen erregte nicht nur
seine Sinnlichkeit, sondern flößte ihm auch ein Gefühl ein, welches ich
Liebe nennen würde, wenn ich es für möglich hielte, dass eine solche
hohe Leidenschaft in der Brust eines derartigen Menschen Raum gewinnen
könnte. Ihr verständiges und tugendhaftes Wesen erforderte aber ganz
besondere Behandlung und Rücksicht und er beschloss, hier mit
ungewöhnlicher Umsicht zu Werke zu gehen. Er machte die Guiol zu seiner
Vertrauten und diese verhieß ihm ihren Beistand.

Als er das Innere des Mädchens sondierte, erkannte er bald ihre
schwärmerische Richtung und war bemüht, den Funken zur Flamme
anzublasen. Er rühmte ihre ganz besonderen Anlagen, prophezeite, dass
Gott mit ihr ganz besondere Absichten hege, und wusste sie zu dem
Versprechen zu bewegen, sich zur schnelleren Erreichung derselben
gänzlich seiner Leitung und seinem Willen zu überlassen.

So wurde das Mädchen innerlich vergiftet, ohne nur eine Ahnung davon zu
haben. In ihrem Busen wogte ein Meer von unbestimmten, aber
unbeschreiblich süßen Gefühlen. Kurz, "das Püppchen wurde geknetet und
zugericht, wie's lehren tut manch welsche Geschicht." Dahin war Girard
im Lauf eines Jahres gelangt; nun galt es, den zündenden Funken in das
Brennmaterial zu werfen, welches er in ihr angehäuft hatte.

Catherine war längere Zeit krank gewesen und besuchte Girard im
Refektorium der Jesuiten. Er machte ihr zärtliche Vorwürfe, dass sie ihn
während ihrer Krankheit nicht habe rufen lassen, und gab ihr einen
glühenden Kuss. - Dem erfahrenen Mädchenkenner konnte es nicht entgehen,
welche außerordentliche Wirkung dieser Kuss hervorbrachte. Katharina
musste ihm in den Beichtstuhl folgen, und hier forschte er genau nach
ihren Ideen und Stimmungen, befahl ihr täglich zum Abendmahl zu gehen
und fleißig die Kirche zu besuchen; auch weissagte er ihr baldige
Visionen und ermahnte sie, ihm über diese wie überhaupt über ihre
psychischen und physischen Zustände den gewissenhaftesten Bericht
abzustatten.

Diese Visionen stellten sich denn auch wirklich ein und erhitzten ihr
Blut und ihre Phantasie immer mehr. Ob sie allein durch den aufgeregten
Gemütszustand des Mädchens und durch das geistige Gift des Pfaffen oder
durch materielle Mittel hervorgerufen wurden, weiß ich nicht anzugeben.
Es kam aber endlich so weit, dass sie ihm klagte, wie sie nicht mehr im
Stande sei, laut zu beten und ihm die heftige Liebe zu verbergen, die
sie für ihn empfinde. Über den ersten Punkt beruhigte er sie bald und
"die Liebe", fuhr er fort, "die Ihr zu mir tragt, soll Euch keinen
Kummer machen; der liebe Gott will, dass wir beide miteinander vereinigt
werden sollen. Ich trage Euch in meinem Schoß und in meinem Herzen; von
nun an seid Ihr nichts mehr als eine Seele in mir, ja die Seele meiner
Seele. So lasst uns denn in dem heiligen Herzen Jesu einander recht
brünstig lieben."

Anstatt nun der Natur freien Lauf zu lassen und der aufs höchste
aufgeregten Sinnlichkeit Genüge zu leisten, verfuhr er weit teuflischer.
Sein Bemühen war nun darauf gerichtet, den durch ihn hervorgerufenen
hysterischen Zustand zur äußersten Stufe heranzubilden. Dies gelang ihm
auch. Fräulein Cadière verfiel in hysterische Krämpfe, während welcher
sie wunderbare Visionen heiliger und unheiliger Art hatte, die sich aber
meistens um Pater Girard bewegten.

Schon zur Fastenzeit des Jahres 1729 hatte sie eine wunderbare Vision.
Sie hörte eine Stimme, welche ihr zurief: "Ich will dich mit mir in die
Wüste führen, wo du nicht mehr mit Menschenkost, sondern mit Engelspeise
genährt werden sollst."  - Von nun an widerstand ihr jede Speise, und
überwand sie ihren Ekel dagegen mit Gewalt, so folgte darauf heftiges
Erbrechen. Dann bekam sie einen Blutsturz. Pater Girard und seine
Vertrauten erklärten diese Zufälle als ein Zeichen der ihr nun bald
zuteil werdenden Wundergabe.

Catherine verfiel nun aus einer Verzückung in die andere. Auf ihrem
Gesicht standen Blutstropfen und an ihrer linken Seite und an den Händen
und Füßen wurden blutige Stigmen oder Wundmale sichtbar, mit denen nach
dem römischen Aberglauben besonders heilige von Gott auserlesene
Personen begnadigt werden. - Ja, hiermit endeten die Wunder nicht. Als
der Pater dem Fräulein die Haare abgeschnitten hatte, bildete sich um
ihr Haupt eine Art Heiligenschein, und das Tuch, mit welchem sie ihr
Gesicht abgetrocknet hatte, erhielt davon das Bild eines leidenden
Christus mit der Dornenkrone!

Wie weit diese wunderbaren Zustände der geistigen und körperlichen
Krankheit des Fräuleins und wie weit sie jesuitischem Betrug
zugeschrieben werden müssen, weiß ich nicht zu beurteilen. Dass Girard
jedoch die Entdeckung des Letzteren sehr fürchtete, geht schon aus der
Sorgfalt hervor, mit welcher er darüber wachte, dass von dem Zustand des
Fräuleins außerhalb des eingeweihten und gläubigen Kreises nichts
bekannt wurde. Der Mutter hatte er gesagt, dass Catherine in
vierundzwanzig Stunden sterben würde, wenn man nur ein Wort über die
wunderbaren Vorgänge fallen ließe.

Girard hatte nun selbstverständlich freien Zutritt im Haus der Madame
Cadière, denn er musste ja für die Seele ihrer Tochter sorgen und - die
Stigmen untersuchen! Bei diesen Visiten war er stets so vorsichtig, den
jüngeren Bruder Catherines, der damals gerade im Jesuitenkollegium
Theologie studierte, bis an die Haustür mitzunehmen und sich auch von
ihm wieder abholen zu lassen. Er schloss sich stets mit seiner
Beichttochter in deren Zimmer ein und konnte sich an den wunderbaren
Stigmen, besonders dem in der Seite, gar nicht satt sehen. Verfiel
Catherine in hysterische Krämpfe und Ohnmacht, was für Besessenheit
galt, dann wandte der Jesuit die ihm dadurch vergönnte Zeit dazu an,
seine Lüsternheit auf brutale Weise zu befriedigen, soweit es anging.
Wenn das Fräulein erwachte, fand sie sich unanständig entblößt, und
hinter ihr stand mit hämischem Gesicht der fromme jünger Jesu.

Fräulein Cadière beklagte sich hierüber mehrmals bei der Guiol, aber
diese leichtfertige Person lachte sie aus, dass sie dabei nur etwas
Unanständiges finden könne, und ebenso erzählten ihr die anderen
Mitglieder der Schwesternschaft, dass Pater Girard sich mit ihnen noch
ganz andere Freiheiten herausnehme, worüber sie indessen durchaus nicht
ungehalten wären.

Der galante Jesuit war aber auch stets bemüht, sich immer fester in die
Gunst seiner Schülerinnen zu setzen. Er wusste ihnen die Andacht sehr zu
erleichtern und sorgte dafür, dass sowohl ihre Sinnlichkeit als ihr
weltlicher Sinn fortwährend Nahrung erhielten. Er sorgte stets für gute
Bedienung, für eine vortreffliche Küche, Landpartien und Blumensträuße.
Die Königin all seiner Gedanken aber blieb Catherine.

Bei dieser rückte er nun seinem Ziele immer näher. Er führte eine
Gelegenheit herbei, um sich scheinbar mit Recht über ihren Ungehorsam
beklagen zu können, und nachdem Catherine von der Guiol gehörig
vorbereitet war, erschien sie demütig bei Girard zur Beichte, bereit,
jede Strafe auf sich zu nehmen, die er ihr auferlegen werde. Der Pater
kündigte ihr nach einer scharfen Ermahnung denn auch an, dass sie
Pönitenz für den Ungehorsam leisten müsse.

Am anderen Morgen erschien er mit einer Disziplin in ihrem Zimmer und
sagte: "Die Gerechtigkeit Gottes verlangt, dass, weil Ihr Euch geweigert
habt, mit seinen Gaben Euch bekleiden zu lassen, Ihr Euch jetzt nackt
ausziehen sollt. Zwar hättet Ihr verdient, dass die ganze Erde Zeuge
davon wäre, doch gestattet der gnädige Gott, dass nur ich und diese
Mauer, die nicht reden kann, Zeugen bleiben. Vorher aber schwört mir den
Eid der Treue, dass Ihr das Geheimnis bewahren wollt, denn die
Entdeckung könnte mich und Euch ins Verderben stürzen."

Das Fräulein tat, wie er befohlen hatte, und als sie sich bis aufs Hemd
entkleidet hatte, gebot er ihr, sich auf das Bett zu legen. Nachdem es
auch dies getan, wobei er sie mit einem Kissen unterstützt hatte, gab er
ihr einige sanfte Hiebe auf die Hüften, die er dann küsste. Nun zwang er
sie, auch die letzte Hülle zu entfernen und sich demütig vor ihn
hinzustellen. Das Fräulein wurde ohnmächtig, aber als sie wieder zu sich
kam, erklärte sie, gehorchen zu wollen, und kniete ganz nackt vor ihm
nieder. Darauf gab er ihr noch einige Streiche und ließ nun seiner
Begierde freien Lauf. Catherine setzte ihm keinen Widerstand entgegen,
und der satanische Jesuit erreichte das Ziel seiner Wünsche.

Von nun an betrachtete er das Fräulein ganz und gar als sein Eigentum
und verführte sie zu Handlungen der raffiniertesten Sinnlichkeit, wobei
er sich jedoch stets sehr geschickt in ein heiliges Gewand zu kleiden
wusste. Was er alles vornahm hier zu erzählen, ist nicht tunlich.

Wollte die Mutter oder der Bruder des Fräuleins ihn manchmal in seinen
andächtigen Beschäftigungen stören, dann warf er ihnen die Tür vor der
Nase zu, und als sich einmal der Dominikaner darüber bei der Mutter
beklagte, hieß sie ihn schweigen und wies ihn sogar zum Haus hinaus. So
sehr war die blödsinnig bigotte Frau von der Heiligkeit des Jesuiten und
der Tugend ihrer Tochter überzeugt.

Girard merkte sehr bald, dass Fräulein Cadière schwanger war, und unter
einem Vorwand bewog er sie, einen Trank, den er bereitet hatte,
einzunehmen. Es war dies ein abtreibendes Mittel, welches auch seine
Wirkung tat. Catherine fühlte sich durch den erfolgenden Blutverlust
sehr geschwächt, so dass ihre Mutter, welche weit entfernt war, die
Wahrheit auch nur zu ahnen, ihr sehr dringend riet, einen Arzt zu Rate
zu ziehen, was aber Girard durch allerlei Gründe zu verhindern wusste.

Durch die Unvorsichtigkeit einer Magd wäre das Geheimnis fast entdeckt
worden, und um sich dagegen und zugleich auch seine Beute zu sichern,
beschloss Girard, Catherine als Nonne im St. Clara-Kloster zu Ollioules
unterzubringen. Er schrieb an die Äbtissin und machte ihr die
hinreißendste Schilderung von der Tugend, Frömmigkeit und Gottseligkeit
seiner Pönitentin, so dass sie mit Freuden bereit war, Catherine
aufzunehmen, wenn ihre Familie dazu die Einwilligung geben würde. Diese
wurde sehr leicht erlangt und das Fräulein reiste, mit den besten
Empfehlungsbriefen versehen, nach Ollioules ab, wo sie sehr gut
aufgenommen wurde.

Der Jesuit wusste von der Äbtissin die Erlaubnis zu erhalten, seine
Beichttochter besuchen und ihr schreiben zu dürfen. So schlau Girard
aber sonst war, so beging er doch einige Unvorsichtigkeiten, welche die
Nonnen und die Äbtissin misstrauisch machten und die Letztere
veranlassten, seine Besuche zuerst einzuschränken und dann gänzlich zu
untersagen. Durch Vermittlung eines ihm befreundeten Geistlichen wurde
dieses Verbot jedoch bald wieder aufgehoben und Girard genierte sich
noch weniger als früher. Er beobachtete Visionen, untersuchte die
Stigmen und gab seiner Beichttochter die Disziplin auf die alte Weise.

Dies hätte alles noch hingehen mögen, allein er schloss sich oft
stundenlang mit Catherine ein, und da diese, auf ihre besondere
Heiligkeit stolz, hin und wieder mit ihren geistlichen Genüssen gegen
andere Nonnen großtat, so kam man immer mehr und mehr auf den Gedanken,
dass das Verhältnis zwischen Girard und seiner Beichttochter nicht ganz
rein sein möchte. Die Äbtissin verordnete daher, dass beide in ihren
Unterredungen durch Klausur voneinander getrennt bleiben sollten.

Girard achtete das jedoch wenig. Er schnitt mit einem Taschenmesser in
die ihn von seiner Geliebten trennende Leinwand ein Loch und unterhielt
sich durch dasselbe stundenlang mit ihr. Hatte er sich müde geküsst und
wandelten ihn andere Gedanken an, dann befriedigte er seine Lüste auf
eine Weise, deren nähere Andeutung widerlich sein würde. Dergleichen
erlaubte er sich sogar im Sanktuarium, und wollte man ihn in gebührender
Entfernung halten, dann wurde er sehr unwillig und schrie. "Was! Ihr
wollt mich von meiner Beichttochter trennen?" Der Jesuit ließ sich sogar
das Essen vor die Klausur bringen; beide aßen Hand in Hand, und es kam
nicht selten vor, dass ihn Laienschwestern dabei überraschten, wenn er
seinen Arm um den Leib des Fräuleins geschlungen hatte.

Der jesuitische Wollüstling fing aber bereits an, seines Opfers
überdrüssig zu werden. Er erklärte sie daher für hinreichend heilig und
beschloss, sie in ein entferntes Karthäuser-Nonnenkloster zu schicken.
Die Nonnen setzten von diesem Vorhaben sogleich den Bischof von Toulon
in Kenntnis, der es nicht dulden wollte, dass ein Mädchen, welches in
der Welt für eine Heilige gehalten wurde, seine Diözese verließ. Er
schrieb daher an Catherine und verbot ihr, in Zukunft dem Pater Girard
zu beichten oder sich an einen Ort zu begeben, wohin sie derselbe weisen
würde, und stellte ihr zugleich frei, zu ihrer Familie zurückzukehren.
Er sandte ihr darauf einen Wagen, und der Aumonier des Bischofs und
Pater Cadière, ihr Bruder, brachten sie in ein Landhaus unweit Toulon.

Als Girard diese Nachricht erhielt, erschrak er nicht wenig, und es war
sein erster Gedanke, sich die Schriften und Briefe zu verschaffen,
welche die Cadière von ihm hatte. Dies gelang ihm auch durch Vermittlung
einer anderen Beichttochter, die er früher besonders geliebt hatte; nur
ein einziger Brief blieb durch Zufall in Catherines Händen zurück.

Diese wurde nun als eine Heilige der besonderen Obhut des neuen Priors
der Karmeliter zu Toulon übergeben. In der Beichte hörte dieser nun
manche befremdende Dinge, die ihn, nebst einigen auf Girard bezüglichen
schwärmerischen Äußerungen, veranlassten, tiefer nachzuforschen, und so
entdeckte er denn ohne besondere Schwierigkeit den niederträchtigen
Betrug, mit welchem man dies schwärmerische, unschuldige Mädchen und die
Welt betrogen hatte. Er machte sogleich Anzeige bei dem Bischof, der
selbst auf das Landhaus kam und Catherine über alle näheren Umstände
befragte. Das arme Mädchen, dem nun die Augen so furchtbar geöffnet
wurden, bat fußfällig und mit Tränen, die Ehre ihrer Familie zu
berücksichtigen und die Sache zu unterdrücken.

Der Bischof versprach dies zwar, wurde aber bald durch andere
Rücksichten umgestimmt und der Prozess nach einigen Präliminarien bei
dem für geistliche Sachen verordneten Kriminalgerichte zu Toulon
anhängig gemacht. - Doch was wollte ein armes Mädchen ausrichten gegen
die mächtigen Jesuiten, die selbst auf den Gerichtsbänken ihre
Angehörigen sitzen hatten! Die Sache des Paters Girard wurde zu der des
Ordens gemacht, welcher für diesen Prozess über eine Million Franc
opferte.

Es begann nun eine Reihe der nichtswürdigsten Ränke, um Fräulein Cadière
als eine Lügnerin und Betrügerin und von den Feinden des Jesuitenordens
bestochene Person hinzustellen, ja sie der Ketzerei und Zauberei zu
beschuldigen, vermittels welcher sie sich auf allerlei verbotenen Wegen
den Heiligenschein habe verschaffen wollen. Fräulein Cadière bereute
nun, leider zu spät, dass sie dem Pater ganz arglos die Briefe und
Schriften ausgeliefert hatte, mit denen sie ihre besten
Verteidigungswaffen aus den Händen gab.

Der Prozess nahm bald für sie eine recht schlimme Wendung. Der König
hatte Kenntnis davon erhalten und durch ein Dekret des Staatsrats die
allerstrengste Untersuchung anbefohlen. Die Sache kam nun vor den Hohen
Gerichtshof zu Aix. Der Karmeliterprior und der Dominikaner Cadière
wurden als Mitschuldige und Mitbetrüger in den Prozess verwickelt; die
Nonnen zu Ollioules wurden zu ungünstigen Aussagen gegen Fräulein
Cadière durch die Jesuiten veranlasst und die Ärmste selbst duldete bei
den den Jesuiten befreundeten Ursulinerinnen in diesem Ort ein hartes
Schicksal. Sie war in eine Kammer eingesperrt worden, die früher einer
Wahnsinnigen als Wohnung gedient hatte und die mit Moder und Gestank
erfüllt war.

Man folterte sie physisch und moralisch auf alle nur erdenkliche Weise,
gebrauchte List und Gewalt und erreichte endlich damit den
beabsichtigten Zweck, sie zum Widerrufe zu bewegen.

Nun aber drangen die Jesuiten erst recht auf scharfe Untersuchung, denn
nun schien ihr Sieg gewiss, und der Erste Gerichtshof zu Aix fällte auch
wirklich ein Urteil, welches Fräulein Cadière sehr ungünstig war. Man
brachte sie einstweilen als Gefangene in ein Kloster zu Aix; aber sie
appellierte wegen Missbrauchs geistlicher Gewalt in dem eingeleiteten
Verfahren, und die Sache kam vor das Parlament.

jetzt begannen die Intrigen der Jesuiten aufs neue. Catherine
behauptete, dass sie unschuldig von P. Girard auf die angegebene Weise
misshandelt und nur durch Drohungen und Quälereien während des
Kriminalverfahrens zum Widerruf gezwungen worden sei.

Der königliche Prokurator zeigte sich bei dem ganzen Verfahren durchweg
parteiisch für die Jesuiten und trug endlich an auf: "Lossprechung des
P. Girard und auf die ordentliche und außerordentliche Folter, sodann
aber auf Hinrichtung durch den Strick für Catherine Cadière."

Die vierundzwanzig Richter waren aber nicht dieser Meinung; jedoch waren
ihre Ansichten geteilt. Zwölf davon sprachen sich dahin aus: Johann
Baptist Girard in Anbetracht der an ihm sichtbar gewordenen
Geistesschwäche, die ihn zum Gegenstand des Spottes seiner Beichtkinder
gemacht, mit seiner Klage gegen dieselbe abzuweisen. - Das Urteil der
anderen, besseren Hälfte des Parlaments lautete aber sehr verschieden:
Johann Baptist Girard ist zum Tode durch Feuer zu verurteilen, wegen
vollkommen erwiesener geistlicher Blutschande, Fruchtabtreibung und
Erniedrigung seiner geistlichen Würde durch schändliche Leidenschaften
und Verbrechen etc.

Bei dieser Gleichheit der Stimmen entschied der Präsident, dass man
beide Parteien ohne Strafe freilassen solle. Einige Richter wollten sich
nicht damit begnügen, sondern trugen darauf an, dass man der Cadière
wenigstens eine kleine Züchtigung möchte angedeihen lassen. Dagegen
erhob sich aber ein edler Mann unter ihnen und rief: "Wir haben soeben
vielleicht eines der größten Verbrechen freigesprochen und sollten
diesem Mädchen auch nur die geringste Strafe auferlegen? Nein, eher
sollte man diesen Palast in Flammen aufgehen lassen!" - Diese Worte
machten Eindruck. Es wurde bestimmt, das Fräulein zu ihrer Mutter nach
Hause zu entlassen und der Sorgfalt derselben zu empfehlen.

Das königliche Parlament hatte den Schurken zwar freigesprochen; aber in
der öffentlichen Meinung war Girard gerichtet. Eine unzählbare
Menschenmasse erwartete in den Straßen die Entscheidung des
Gerichtshofes. Die Richter, welche gegen die Cadière gesprochen hatten,
wurden mit Schimpf und Hohn empfangen; die Gegner Girards mit Beifall.
Diesen selbst bewillkommnete man mit Schimpfreden und Steinwürfen, so
dass man ihn nur mit Schwierigkeiten unverletzt durch die tobende Menge
bringen konnte. Diese Wut des Volkes erstreckte sich sogar auf den
Küchenjungen, der ihm das Essen gebracht hatte, und man zertrümmerte
dessen Schüsseln, Teller und Flaschen.

Andererseits war man eifrig bemüht, Fräulein Cadière Teilnahme zu
zeigen. Man wetteiferte darin, sie die erlittenen Kränkungen und
Misshandlungen durch freundliche Bewirtung und Trost vergessen zu
machen. Man pries ihre noch immer große Schönheit; - kurz, sie wurde
Mode, wie das ja aber auch mit interessanten Verbrecherinnen in
Frankreich und anderswo noch heutzutage der Fall ist.

Die Teilnahme, welche sie erregte, brachte ihr jedoch Gefahr. Man gab
ihr den wohlgemeinten Rat, Aix schleunigst zu verlassen und sich
verborgen zu halten. Sie reiste ab - aber von da an verlor sich ihre
Spur für ewig. Man hat nie erfahren, was aus ihr geworden ist; aber die
allgemeine Meinung ging zu jener Zeit dahin, dass sie von den Jesuiten
heimlich aus dem Wege geschafft worden wäre.

Girard starb ebenfalls nach Verlauf eines Jahres. Die Jesuiten gingen
ernstlich damit um, ihn zum Heiligen erheben zu lassen, und verglichen
ihn hinsichtlich seines Schicksals mit - Christus!

Eine ganz ähnliche Geschichte wie mit Fräulein Cadière trug sich kurz
vor der Aufhebung des Jesuitenordens in Frankreich zwischen einem seiner
Angehörigen und der Tochter eines Parlaments-Präsidenten zu, welche auch
mit Hilfe des Geißelns verführt wurde. Um die Ehre des Ordens zu retten
und die Unmöglichkeit der Anklage beweisen zu können, hatte man einen
Wundarzt erkauft und vereidigt, welcher den Schuldigen kastrierte. Das
Geheimnis wurde indessen später entdeckt.

Trotz dieser und anderer an den Tag gekommenen Niederträchtigkeiten -
und unter Tausenden wird vielleicht nur eine bekannt! - wurde den
Jesuiten nicht das Handwerk gelegt; überall wurden sie als Beichtväter
gerne gesehen, und besonders die Frauen ließen sich nach wie vor die
angenehme Geißelung gefallen. Einer besonderen Blüte hatten sich diese
Beichtinstitute mit Geißelung fortwährend in Spanien und noch mehr in
Portugal zu erfreuen. König Joseph Emmanuel (1750-77) ließ sich häufig
disziplinieren, und nur mit Mühe brachte ihn sein Minister, der Marquis
von Pombal, davon ab. Die Damen, an ihrer Spitze die Marquise Leonore de
Távora, waren nicht weniger närrisch als der König.

Die Jesuiten wurden bekanntlich durch Pombal vertrieben, allein seine
Feindin, die Königin Donna Maria (1777-99), rief sie wieder zu sich, und
die angenehmen Beichtzerstreuungen mit obligater Geißelung begannen
ärger als zuvor. Der interessante und verschmitzte Pater Malagrida
errichtete eine förmliche Bußanstalt unter den jungen Hofdamen. Man
geißelte sich selbst in den Vorzimmern der Königin und diese soll an den
frommen Übungen selbst teilgenommen haben. - Manche Geschichte à la
Girard mag hier im Verborgenen vorgegangen sein, denn die Hofdamen waren
nach dem Zeugnis von Jesuiten auf das Geißeln so versessen, dass sie mit
einer ordentlichen Wut danach verlangten, die kaum zu befriedigen und in
Schranken zu halten war. Ja, sogar fremde Prinzessinnen und die Damen
der Gesandten wurden zu diesem wollüstig-unterhaltend-frommen
Jesuitenspiel förmlich eingeladen.

Die Zahl der Beispiele von dem Missbrauch des Beichtstuhls ist unendlich
groß und es ließe sich ein umfassendes Werk damit füllen; da aber dieses
Kapitel ein Ende haben muss, so beschließe ich es mit dem Bericht über
eine seltsame Beicht- und Bußanstalt, welche ein Kapuziner zur Zeit
Napoleons I. errichtete. Über die zur Zeit Napoleons III. und seiner
Kaiserin werde ich vielleicht einmal später zu berichten haben.

Der erwähnte Kapuziner hieß P. Achazius und lebte in einem Kloster zu
Düren im jetzigen preußischen Regierungsbezirk Aachen. Der Kapuziner war
abscheulich hässlich, aber er predigte vortrefflich, stand in dem Ruf
ganz ausgezeichneter Frömmigkeit und erfreute sich trotz seiner
faunischen Manieren des Zutrauens der Damen in so hohem Grade, dass sie
ihn zum Direktor ihrer geistlichen Übungen wählten. Am liebsten aber
hatte es Pater Achazius mit Witwen und Jungfrauen von reiferen Jahren zu
tun.

Eine dieser Letzteren hat er sich zu seinem Privatvergnügen erkoren. Er
brachte ihr folgende höchst seltsame Lehre bei: Der Mensch sei unfähig,
die Begierden des Herzens völlig zu zähmen; aber der Geist könne doch
tugendhaft bleiben, während der Körper nach gewöhnlichen Begriffen zu
sündigen scheine. Der Geist gehöre Gott; der Körper der Welt; von diesem
Letzteren selbst mache der Himmel auf die obere Hälfte, die Welt auf die
untere Anspruch. Die Seele sei daher rein zu bewahren, während man den
Körper ruhig fortsündigen lasse.

Die noch immer hübsche alte Jungfer, welche diesen angenehmen Lehren ein
sehr lernbegieriges Ohr lieh, ging bald in des Paters Ideen ein. Nach
vollendeter Beichte musste sie vor dem Kapuziner niederknien, Vergebung
für ihre Sünden erflehen und ihm "des Teufels Anteil zeigen", das heißt
sich bis zum jungfräulichen Zentrum ihres Körpers von unten herauf
entblößen. Als dies geschehen war, schritt er zum letzten Teil der
Andacht und weihte die Dame feierlichst zum ersten Mitglied des Ordens
ein, den er zu stiften gedachte.

Diese fromme Jungfrau war nun bemüht, sowohl unter Personen ihres Alters
wie auch unter jungen Frauen und Mädchen Proselyten zu machen; - kurz,
sie diente dem Pater als Kupplerin. Die Zahl dieser adamitischen
Ordensschwestern wurde bald ziemlich zahlreich und Achazius, unfähig,
einer so großen Menge frommer Damen zu genügen, zog rüstigere Kämpfer
des Glaubens unter seinen geistlichen Brüdern mit in seine Bußanstalt,
welche fröhlich gedieh und vielleicht heute noch bestehen würde, wenn
das Geheimnis derselben nicht durch ein junges Mädchen aus Achazius'
Schule entdeckt worden wäre, welche Nonne wurde, als solche die
Bekanntschaft eines französischen Offiziers machte und diesem die Sache
mitteilte.

Es wurde nun eine genaue gerichtliche Untersuchung angestellt, welche
die merkwürdigsten Resultate ergab. Es kamen da Dinge ans Tageslicht,
welche sich nicht wohl niederschreiben lassen. Eine liebenswürdige und
anständige Dame, Gattin eines Papierfabrikanten, sagte in dem Verhör
aus, dass sie wie verhext gewesen und wie durch einen Trank verzaubert,
zu dem hässlichen Kapuziner hingezogen worden sei, der sich Dinge mit
ihr erlaubt hatte, deren Aufzählung dem abgehärtesten Kriminalmenschen
das Blut in die Wangen trieb. Die Geißelung spielte eine Hauptrolle.
Achazius ließ die Ruten oft in Essig legen und hieb die hier erwähnte
Dame manchmal so stark, dass sie unter irgendeinem Vorwand über drei
Wochen lang das Bett hüten musste.

Im Laufe der Untersuchung ergab sich, dass so viele Kapitel, Klöster und
Familien dadurch kompromittiert wurden, dass Napoleon dem
Generalprokurator aus politischen Gründen befahl, den Prozess
niederzuschlagen. P. Achazius nebst einigen seiner Mitarbeiter wurden
eingesperrt.

Die Akten über diesen skandalösen Prozess lagen später noch längere Zeit
in Lüttich; wurden dann aber an die preußische Regierung nach Aachen
abgeliefert. Es fehlen indessen schon manche wichtige Stücke und andere
verloren sich später, weil die beteiligten Familien alles nur mögliche
taten, die Denkmäler ihrer Schande zu vernichten. Auch die zu jener Zeit
darüber erschienene Broschüre und Karikaturen wussten die Pfaffen
einzusammeln und zu vernichten. (Münchs Aletheia, 3. Buch, S. 323 usw.
Die berichteten Tatsachen hat Münch aus dem Munde des Staatsrates
Leclerq und des Professors Gall zu Lüttich, welche die Untersuchung
geführt und die Anklageakte verfasst hatten.)

Wir würden uns sehr täuschen, wenn wir der Meinung wären, dass sich in
so kurzer Zeit die Zustände der römisch-katholischen Geistlichkeit
geändert hätten. Es ist durchaus kein Grund vorhanden, das anzunehmen;
sie sind heutzutage mit geringen Modifikationen wahrscheinlich noch
dieselben, welche sie vor Jahrhunderten waren und werden sich nicht
ändern, bis einst dem fluchwürdigen Zölibat und der Ohrenbeichte ein
Ende gemacht wird.

Ich bin nun mit diesem Buch zu Ende, obwohl keineswegs mit meinem
Material, welches geradezu unerschöpflich ist. Ich halte es für unnütz,
noch irgendwelche Bemerkungen hinzuzufügen.  Die Schlüsse, welche sich
aus dem Inhalt der vorstehenden Blätter ziehen lassen, liegen zu klar
auf der Hand, als dass es noch irgendwelcher Hinweise bedürfte. Ich
fordere nur die in römisch-katholischen Ländern lebenden Leser dieses
Buches auf, sich in ihrem Kreis umzusehen, und wenn sie der guten Sache
nützen wollen, mir auf den in diesem Buch behandelten Gegenstand
bezügliche, authentische Mitteilungen zu machen.  Schließlich bemerke
ich noch, dass die Geistlichen die von mir erzählten Fakten als Lügen,
Erfindungen oder Übertreibungen darstellen werden und weise in Bezug
darauf auf das hin, was ich darüber in der Vorrede sagte.

Wenn ich von dem Unwesen in der nicht römisch-katholischen Kirche nichts
sagte, so geschah dies keineswegs aus Parteilichkeit, sondern einzig und
allein, weil ich mich innerhalb der durch den Titel vorgezeichneten
Grenzen halten musste.








End of the Project Gutenberg EBook of Der Pfaffenspiegel, by Otto von Corvin

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER PFAFFENSPIEGEL ***

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Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
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