Eine Mutter

By Friedrich Gerstäcker

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Title: Eine Mutter
       Roman im Anschluß an »die Colonie«

Author: Friedrich Gerstäcker

Release Date: June 15, 2014 [EBook #45977]

Language: German


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  Eine Mutter.

  Roman
  im Anschluß an »die Colonie«
  von
  Friedrich Gerstäcker.

  Dritte Auflage.

  Jena,
  Hermann Costenoble.
  Verlagsbuchhandlung.




Inhalt.


                                    Seite
  Fürchtegott Pfeffer                   1
  Unter den Buden                      17
  Das Rendezvous                       30
  Die gräfliche Familie                42
  Paradies und Hölle                   57
  Jeremias                             68
  Die erste Begegnung                  81
  Fräulein Bassini                     95
  Hinter den Coulissen                111
  Graf Rottack bei Pfeffers           125
  Am alten Wartthurm                  137
  Das Wiedersehen                     157
  Verschiedene Kunstinteressen        172
  Horatius Rebe                       184
  Die Leseprobe                       203
  Vornehme Welt                       218
  Festvorkehrungen                    229
  Leiden eines Theater-Directors      246
  Der Verlobungsabend                 261
  Hamlet, Prinz von Dänemark          284
  Der Wilddieb                        299
  Ein gestörtes Fest                  312
  Nach dem Theater                    331
  Am andern Morgen                    343
  Wie das Glück wechselt              358
  Der reiche Mann                     373
  Die Recension                       388
  Die Contremine                      409
  Der Maulwurfsfänger                 427
  Pfeffer dictirt einen Brief         443
  Jeremias auf Reisen                 455
  Paula                               470
  Die Werbung                         484
  Schluß                              495




1.

Fürchtegott Pfeffer.


Ein gar reges und geräuschvolles Leben und Treiben erfüllte heute die
überhaupt nicht unbedeutende und besonders viel von Fremden besuchte
Provinzialstadt Haßburg.

Schon die Lage des alten Ortes war eine reizende, und eine große Zahl
von wohlhabenden Leuten hatte sich deshalb sogar in oder nahe bei der
Stadt bleibend niedergelassen, so daß sie mit ihren freundlichen Villen
und Wohnhäusern die Anlagen wie die Hänge der daranstoßenden Hügelkette
bunt und prächtig überstreuten.

Heute füllte aber noch eine ganz besondere Veranlassung sowohl die engen
und etwas winkeligen Straßen des Weichbildes, wie auch die Anlagen und
freien Plätze mit einer Unzahl geputzter Menschen, denn es war Jahrmarkt
wie zugleich Haßburger Vogelschießen, wozu sich dann natürlich die
ganze Nachbarschaft herbeidrängte. Besonders die Bauern kamen in hellen
Schwärmen zu Markt gezogen, und in den Hauptverbindungsstraßen wimmelte
es wie bei einer Völkerwanderung.

Unmittelbar vor der Stadt, auf einem großen, freien Platz, der
sogenannten »Schützenwiese«, stand denn auch eine große Zahl von Buden
aufgeschlagen, während dicht daneben in einem niedern, langen Gebäude
die »Altschützen« auf verschiedenen Ständen unermüdlich nach ihren
dahinter aufgestellten Scheiben knallten.

Der Verkehr war hier draußen auch der stärkste, wenngleich selbst die
innere Stadt nicht von Buden verschont geblieben, und während eine Zahl
von Drehorgeln mit ihren grausig gemalten Mordgeschichten, böhmischen
Musikbanden, Gymnastikern in schmutzig-weißen, phantastischen
Anzügen und anderen Meßkünstlern geringeren Grades die Promenaden
überschwemmten, sammelte sich hier das Volk besonders, und oft wurde
selbst die Passage durch die verschiedenen Aufzüge für kurze Zeit
gehemmt und unterbrochen.

An diesen Theil der Promenade stieß übrigens unmittelbar die Stadt, mit
ihren hohen, schmalen, gedrängten Häusermassen, und während die Front
der hier sichtbaren Reihe in eine enge, dumpfige Straße hinaussah
und auch dort ihren Haupteingang hatte, genossen die Wohnungen der
Hintergebäude (so eingeschränkt die Miethsleute dort auch vielleicht
wohnen mußten) doch wenigstens freie Aussicht auf grüne Bäume und blauen
Himmel, und jetzt auch, als Zugabe, auf das ganze wilde Gedränge des
Markttrubels, der unmittelbar vor ihren Fenstern auf und ab wogte.

In der zweiten Etage eines dieser schmalen Gebäude wohnte der am
Haßburger Theater angestellte Komiker Fürchtegott Pfeffer mit seiner
Schwester und deren achtzehnjährigen Tochter Henriette in einem kleinen
und sehr beschränkten Logis. Aber eben so klein und beschränkt war
auch seine Gage, und Pfeffer, wenn auch sonst ein wunderlicher
und excentrischer Kauz, doch ein ziemlich guter Haushalter und --
sonderbarer Weise -- fast der Einzige oder doch einer der Wenigen vom
ganzen Theaterpersonal, der in Haßburg keine Schulden hatte.

Das ganze Logis bestand nur aus zwei neben einander liegenden Stuben,
jede mit einem kleinen Alcoven versehen, dann einer etwas engen und nur
nothdürftig erleuchteten Küche, und einer kleinen Holzkammer.

Die eine Stube hatte Pfeffer selber zum Studir- und Wohnzimmer inne,
in dem daranstoßenden Alcoven schlief er. In dem andern Zimmer wohnten
Mutter und Tochter, und es wäre kaum möglich gewesen, sich zwei sonst
ganz gleiche Räumlichkeiten verschiedener zu denken, als diese zwei sich
zeigten.

Das Zimmer der Frauen glich einer Puppenstube. Die allerdings sehr
zerwaschenen Gardinen waren schneeweiß; ebenso der sorgsam gescheuerte
Boden. Kein Stäubchen lag auf irgend einem der sauber polirten
Erlenmöbel. Ueberall herrschte die größte, ja, fast peinliche Ordnung,
und nur auf einem schmalen Arbeitstisch am Fenster, an dem Henriette
saß und einen geschmackvollen Kranz von künstlichen Veilchen und
Schneeglöckchen zusammenstellte, lagen die verschiedenen zu ihrer Arbeit
nöthigen Ingredienzen ebenso durcheinander, wie es die Arbeit gerade mit
sich bringt.

An Allem sah man, daß hier sorgliche und ordnungsliebende Frauenhände
walteten -- und wie lag dagegen das Nachbarzimmer!

Dort wirthschaftete Onkel Pfeffer, und zwar als unumschränkter Gebieter
der Räumlichkeit, über welche man aber nicht gleich beim ersten Betreten
des Zimmers einen vollkommenen Ueberblick bekam, da eine permanente
Wolke von Tabaksqualm den überhaupt nicht sehr hellen Raum in ein
ewiges, geheimnißvolles Halbdunkel hüllte. Hatte man sich aber erst
daran gewöhnt und war nicht gleich beim ersten Betreten dieses
künstlerischen Heiligthums über einen Haufen dicht an der Thür liegender
Broschüren, Bücher und Schriftstücke gestolpert, so erschien Fürchtegott
Pfeffer, wie der heraufbeschworene Geist eines Zauberers, mit in
Papilloten rund herum fest eingewickelten Haaren, in einem sehr
schmutzigen, langen, wattirten Schlafrock, die lange Pfeife in der
Linken, eine offene »Rolle«, aus der er memorirte, in der rechten Hand,
und blieb dann jedesmal -- beide Arme vor sich haltend und mit einer
Bewegung etwa mitten in der Stube stehen, als ob er hätte sagen wollen:
Na, wer stört mich _nun_ wieder?

Die Stube selber befand sich nicht allein in einer künstlerischen,
sondern sogar in einer künstlichen Unordnung, gegen die aber weder
Schwester noch Nichte einschreiten durften. Pfeffer behauptete nämlich
-- und vielleicht nicht ganz mit Unrecht --, sobald einmal bei ihm
aufgeräumt würde, fände er nie mehr, was er suche, und es sei nachher
eine Heidenarbeit, sein Studirzimmer wieder in den Stand zu setzen, wie
er es allein brauchen könne, das heißt: in ein wahres Chaos von lauter
benutzten und unbenutzten Dingen.

Die Gardinen waren jedenfalls, als sie am Ersten des Monats aufgemacht
worden, eben so rein und weiß gewesen, wie in der Nachbarstube; wenn
aber auch erst drei Wochen dazwischen lagen, so sahen sie doch jetzt
schon entsetzlich aus. Ein schwarzer Reif schien auf sie gefallen zu
sein -- wie ein Trauercouvert mit schwarzen Rändern hingen sie von der
Decke nieder, und noch immer zog der dicke Qualm zu ihnen empor und
setzte sich den vorangegangenen Rußtheilchen an.

An den Wänden hingen eine Menge Bilder von theatralischen Größen, alle
jedoch nur in einfach braunen oder schwarzen Rahmen. Was aber die Kunst
_getrennt_, hatte die Kunst hier wieder vereint, denn über dem kleinen,
mit buntem Kattun bezogenen Sopha nahmen Bogumil Dawison und Emil
Devrient den Ehrenplatz ein, ja, _ein_ Lorbeerkranz verband sogar Beide
mit einander.

Dort hingen auch Ludwig Löwe und Laroche, dort hingen die Charlotte
Ackermann, die alte Schröder und eine Menge berühmter Schauspieler und
Schauspielerinnen; dort hingen Schiller, Göthe, Lessing, Iffland -- aber
kein einziges Bild eines Tenoristen oder einer Primadonna, und noch
viel weniger eins, das nur im Entferntesten auf die _Posse_ Bezug gehabt
hätte.

Pfeffer haßte nicht allein die Oper, sondern auch die Posse, und war
vielleicht gerade deshalb ein so ausgezeichneter Komiker, weil er seine
Rolle mit einer solchen Erbitterung -- ja, mit einem wahrhaft tödtlichen
Haß abspielte, gewissermaßen, um sie nur los zu werden.

Außerdem stand in der Stube noch ein alter Schreibtisch aus
Nußbaumholz, aber von oben bis unten mit Büchern, Rollen, Costümbildern,
Zeitungsblättern wie allen nur erdenklichen Rauchapparaten, als
Tabakskasten und Beutel, Pfeifenröhren, Cigarrenspitzen etc.,
bedeckt. Den Nipptisch in der Stube bildete aber die Commode mit einem
Photographie-Album im Centrum. Rechts davon stand ein unbenutzter
Mahagoni-Tabakskasten mit gestickten Seitenwänden, neben ihm ein
gesticktes Uhrgehäuse, links eine eben solche Cigarrentasche, wie ein
mit Silber beschlagener, guter Meerschaumkopf in geöffneter Kapsel --
Alles mit dichtem Staub bedeckt, denn abwischen durfte es Niemand.

Zwischen den beiden Fenstern, über einem kleinen Wandschrank, war auch
ein Spiegel angebracht, der Vorhang aber von beiden Seiten so gesteckt
worden, daß er den obern, also benutzbaren Theil desselben vollkommen
bedeckte und nur den untern sichtbar ließ, den Pfeffer brauchte, wenn er
sich rasirte.

Zwischen den beiden Stuben die er und seine Schwester bewohnten,
bestand eine Verbindungsthür, aber sie schien cassirt zu sein. Es hing
wenigstens auf _seiner_ Seite eine dicke wollene Decke davor, und
ein kleines Büchergestell war so angebracht, daß es den untern Raum
vollkommen ausfüllte. Aber nicht deshalb war es etwa geschehen, weil
sich Bruder und Schwester nicht vertragen hätten -- im Gegentheil, es
gab kaum zwei Geschwister, die sich zärtlicher liebten, wenn sich auch
Pfeffer selber etwas Derartiges nie merken ließ. Wäre aber die Thür
benutzt gewesen, so hätte der fortwährende und furchtbare Tabaksqualm
auch unfehlbar in das andere, von den Damen bewohnte Zimmer hineinziehen
müssen, und Pfeffer selber that da Einspruch.

So verkehrten sie denn, wenn auch nicht so rasch, doch eben so häufig
durch den kleinen Vorsaal mit einander, der draußen auf die Treppe
ausmündete und dadurch dem Tabaksrauch einen freien Abzug gab, ohne
in das Zimmer der Schwester zu dringen. Nach einem stillschweigenden
Uebereinkommen betrat er deshalb auch nie das Nachbarzimmer mit seiner
Pfeife -- wenigstens nie, wenn die Fenster geschlossen waren. An warmen
Sommertagen, wenn diese weit geöffnet standen, kam er aber doch auch
manchmal einen Moment »als Schornstein«, wie er es selber nannte,
hinüber, blies den Qualm ein paar Minuten dort in's Freie hinaus und
kehrte dann in sein »Rauchnest« zurück -- oftmals, ohne auch nur eine
einzige Silbe gesprochen zu haben. Heute Morgen war er in besonders
schlechter Laune, denn die zahlreichen Musikbanden, von denen manchmal
zwei zu gleicher Zeit verschiedene Melodien unter seinem Fenster
bliesen, hatten jedes Memoriren unmöglich gemacht. Was half es ihm, daß
er die Fenster fest verschlossen hielt und die Rouleaux selbst herunter
ließ, um so wenig als möglich von dem Treiben da unten zu hören und zu
sehen! Die schrillen Töne drangen doch hindurch, und der Tabaksqualm
wurde zuletzt so dicht und arg, daß er es selber nicht mehr darin
aushalten konnte.

Mit einem halb verbissenen Fluche zog er die Rouleaux wieder in die
Höhe, stieß die Fensterflügel auf und ging dann, sein Zimmer auch
durch die geöffnete Thür lüftend, einen Augenblick zu seiner Schwester
hinüber, wo er an eins der weitgeöffneten Fenster trat.

»Du kannst wohl heute bei dem Lärm nicht arbeiten, Onkel?« fragte ihn
das junge Mädchen, das in einfach bürgerlicher, fast etwas dürftiger
Tracht an einem kleinen Tisch am Fenster saß und künstliche Blumen
zusammenstellte. Sie sah ihm wohl an, daß er mürrisch und verdrießlich
war, konnte aber in solchen Fällen noch immer am besten mit ihm
auskommen.

»Arbeiten,« knurrte Pfeffer an seiner Pfeifenspitze vorbei und schoß
erst eine Anzahl von Rauchringeln in die blaue, sonnige Luft hinaus
-- »arbeiten, bei dem Skandal? Es ist ordentlich, als ob sie Einem das
Gehirn auseinander trieben. Das halte ich auch nicht länger aus. Gott
straf' mich, morgen kündige ich das verwünschte Logis und ziehe an's
andere Ende der Stadt! Lieber doch oben auf einem Thurm und eine Meile
vom Theater wohnen, als hier in diesem Sodom und Gomorrha!«

Henriette lächelte leise vor sich hin, denn den nämlichen Entschluß
faßte der Onkel an jedem solchen Markt, hütete sich aber wohl, ihn je
auszuführen; denn die Wohnung lag ihm selber viel zu bequem und nahe
beim Theater, um sie leichtsinnig aufzugeben. Er war eben verdrießlich
heute, und da mußte man ihn austoben lassen; er wurde auch schon von
selber wieder gut.

Jetzt freilich leuchtete sein Gesicht wie eine Wetterwolke mit seinen
finster zusammengezogenen Brauen, die Stirn in tiefen Falten und einen
Ausdruck in den Zügen, als ob er die Welt hätte vergiften können. Da
plötzlich, als ob eine Garbe von Leuchtkugeln die dunkle Nacht
erhellt, nahm er die Pfeife aus dem Munde -- sein Gesicht strahlte von
Freundlichkeit, und mit einer tiefen Verbeugung und dem verbindlichsten
Lächeln vom Fenster aus Jemanden grüßend, der gerade unten vorbeiging,
sagte er mit seiner wohlwollendsten Miene: »Daß Du den Hals brächest,
Du verdammter schiefbeiniger Halunke Du -- Du Leuteschinder -- empfehle
mich Ihnen gehorsamst!«

»Wer geht denn da vorbei?« sagte seine Schwester, eine Frau vielleicht
hoch in den Dreißigen, aber ein liebes, freundliches, matronenhaftes
Wesen, die leidend schien und auf dem Sopha lag.

»Der Herr Director,« lächelte Henriette.

»Wie der Schuft die Beine spreizt,« sagte Pfeffer, der wieder seine
alte, finstere Miene angenommen hatte, sobald der Director von unten
nicht mehr heraufsah -- »breitspuriger Musenkutscher -- grüßt auch noch,
der -- Heuchler!«

»Ach, Onkel, sieh nur, was da für reizende Kinder in der Equipage
sitzen!« rief Henriette, die von ihrer Arbeit aufgeblickt, während
Pfeffer noch immer giftig seinem Vorgesetzten oder Chef nachschaute.
»Das sind gewiß Fremde, denn ich erinnere mich nicht, sie schon hier
gesehen zu haben.«

Unten vor dem Fenster fuhr in diesem Augenblick ganz langsam, da die
Pferde in dem Menschengewühl nur im Schritt gehen konnten, eine leichte,
sehr elegante Equipage vorüber. Ein Kutscher in Livrée führte sie, und
im Fond derselben saßen ein Herr und eine Dame in Reisekleidern, während
auf dem Rücksitz ein junges Mädchen -- wahrscheinlich die Bonne -- die
größte Mühe hatte, zwei allerliebste Kinder, einen Knaben von etwa vier
und ein kleines Mädchen von vielleicht drittehalb Jahren, ruhig auf
ihren Sitzen zu halten. Und das schien in der That kein kleines Stück
Arbeit, denn das lebendige Pärchen entdeckte in der neuen, regen
Umgebung eine solche Menge von Merkwürdigkeiten, daß sie mit den kurzen
Aermchen nur immer da- und dorthin deuteten und Vater und Mutter das
gerade Bemerkte auf frischer That auch zeigen, ja, am liebsten hinaus
und näher hinan wollten.

Die Eltern aber, die dem sie umwogenden Treiben kaum einen Blick
schenkten, lächelten über die fröhliche Unruhe der Kinder und mußten nur
selber mit beschwichtigen und ermahnen helfen, um ihren unruhigen Eifer
zu zügeln.

»Ja, das sind Fremde,« sagte Pfeffer, der einen mürrischen Blick nach
der bezeichneten Richtung hinunterwarf; »es wimmelt ja von denen jetzt
in Haßburg -- vornehmes Pack -- hochnasige Gesellschaft -- was kümmern
die uns!«

»Was das für eine reizende Frau ist und was für wundervolle Haare sie
hat!« fuhr Jettchen fort.

»Ja, wie Deine Tante, Fräulein Bassini -- ein ächter Goldfuchs -- wie
nur ein Mensch an rothen Haaren Freude finden kann.«

»Aber sie sind doch nicht roth, Onkel -- es ist das herrlichste
Goldblond, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe.«

»Goldblond,« brummte Pfeffer verächtlich vor sich hin -- »Rothfuchs --
was Du für einen Begriff von goldblond hast.«

»Du bist einmal verdrießlich heute, Onkel,« lächelte Henriette, »und in
der Stimmung hättest Du selbst am Himmelsblau 'was auszusetzen.«

»Hätt' ich?« brummte Pfeffer und qualmte stärker -- »was die Jungfer
Naseweis nicht Alles bemerkt. -- Das da unten sind auch ein paar
goldblonde Pferde, nicht wahr?«

»Das ist die Equipage des reichen Monford,« sagte Jettchen, die
wieder einen Blick hinausgeworfen hatte, aber zugleich auch, verlegen
erröthend, ohne daß der Onkel jedoch etwas davon bemerkte, nach unten
irgend Jemanden dankend grüßte.

»Die wälzen sich ordentlich in Gold,« sagte Pfeffer -- »Herr Gott, ist
das nun Gerechtigkeit? _Das_ Volk weiß nicht, wie es die Tausende, nur
um sie los zu werden, zum Fenster hinauswerfen soll, und bei uns langt's
manchmal knapp zu Kartoffeln und Häringen!«

»Und wer weiß, ob sie so glücklich sind, wie wir!«

»Glücklich -- was sollte denen an ihrem Glück fehlen? Alles, was sich
ein Mensch nur möglicher Weise wünschen kann, wenn er recht unverschämt
ist, haben sie: eine große, reiche Familie, Sohn und Tochter, gesund und
vornehm -- bah, geh mir mit den Redensarten, die sich recht hübsch von
der Kanzel herunter oder auf dem Theater ausnehmen: »Reichthum macht
nicht glücklich« -- aber im wirklichen Leben -- alle Teufel,« unterbrach
er sich plötzlich und nahm rasch die Pfeife aus dem Mund, »schnüffelt
da unten nicht schon wieder unser siebenundzwanzigster Liebhaber, unser
Herr _Rebe_ mit seinem classischen Vornamen herum? Horatius Rebe --
Horatius Cocles -- jedenfalls Geschwisterkind mit einander -- daß Dich
die Milz sticht!«

»Aber, bester Onkel,« lächelte Henriette, dabei doch etwas verlegen und
jedenfalls mehr erröthend, als eigentlich nöthig gewesen wäre -- »was
kann denn ein Mensch für seinen Vornamen? Er hat ihn sich doch nicht
selber gegeben.«

»Unsinn, selber gegeben -- natürlich hat er ihn sich nicht selber
gegeben, sondern irgend ein eben so verrückter Pathe; aber er kann ihn
doch zum Teufel werfen, sowie er nur einmal so viel Verstand hat, um
eine Nachtmütze von einer Lichtscheere zu unterscheiden!« rief der
Onkel, der heute wirklich entschlossen schien, sich über Alles zu
ärgern. -- »Horatius -- Horatius! Jeder anständige Mensch auf der Welt
hat doch wenigstens zwei oder drei verschiedene Vornamen, von denen er
berechtigt ist, sich den auszuwählen, der ihm am besten gefällt. Warum
thut er das nicht auch? -- aber denkt gar nicht dran. Wahrscheinlich ist
er auch noch stolz auf seinen Horatius; daß Dich der Henker hole -- ich
wollte Dich behoratiussen, wenn Du mein Sohn wärest!«

»Aber, Onkelchen,« lachte Henriette still vor sich hin, »wenn Dir nun
seine anderen Namen auch nicht besser gefielen, wie der da?«

»Ach, Schnack,« rief Pfeffer, »und was weißt Du überhaupt von seinen
anderen Vornamen, heh? Was sagst Du?«

»Oh, nichts, Onkelchen, ich zählte nur eben hier die Blätter zu dieser
weißen Rose ab.«

»Und beim Himmel,« fuhr Pfeffer auf, der, während er sprach, den jungen
Menschen nicht aus den Augen gelassen hatte, »da kommt er schon wieder
auf's Haus zu! Jettchen, Jettchen, ich will Dir 'was sagen -- ich
fange an Verdacht zu schöpfen, daß sich der junge Springinsfeld die
Schuhsohlen hier nicht umsonst alle Tage vor dem Fenster abläuft -- ich
hätte Dich für vernünftiger gehalten.«

»Aber, Onkel!«

»Die Posse laß Dir vergehen,« fuhr Pfeffer fort; »Du hast nichts, als
was Du Dir mit Deiner Hände Arbeit sauer genug verdienst, und _er_ hat
gar nichts, als seine »Liebe zur Kunst«, wie er's hochpoetisch nennt,
und die ihn bis jetzt nicht viel höher gebracht hat, als Stühle heraus
zu tragen und höchstens einmal einen Ritter anzumelden! Darin paßt Ihr
nun allerdings zu einander, daß Ihr Beide nichts habt, aber das Ende vom
Liede wäre auch, daß Ihr Euch Beide unglücklich machtet und Euer Leben
verdürbet!«

»Aber, Onkel, er denkt gar nicht daran!«

»Denkt nicht daran? -- Lehr' Du mich Menschen kennen! -- Uebrigens weiß
ich schon, daß er nur wieder unter dem Vorwande heraufkommt, _mich_ zu
besuchen. Na, _die_ Freude will ich ihm dieses Mal machen -- arbeiten
kann ich außerdem heute nichts -- daß Ihr ihn mir aber nicht hier
herüber laßt -- das sag' ich Euch!« -- Und damit nahm er seinen
Schlafrock vorn zusammen und ging wieder über den Vorsaal in sein
eigenes Zimmer hinüber.

Henriette blieb schweigend an ihrer Arbeit sitzen, und die Mutter war
aufgestanden und nahm ihr jetzt gegenüber am Fenster Platz.

»Der junge Rebe ist die letzte Zeit recht oft hier gewesen, Kind,« sagte
sie endlich, während ihr Auge über die bunten Gruppen vor dem Fenster
glitt, ohne sie zu sehen.

»Liebe Mutter...«

»Ich glaube, der Onkel hat Recht, Kind,« fuhr die Frau aber wehmüthig
fort -- »nicht, daß ich etwas gegen den jungen Mann selber einzuwenden
hätte; er scheint brav und ordentlich zu sein, und man hört über
sein ganzes Betragen nur immer Gutes, aber -- das Theater ist ein
gefährlicher Boden für junge Leute, und -- kein Mensch weiß außerdem, ob
er auch wirklich Talent hat und es je zu etwas bringen wird.«

»Er studirt so fleißig!« sagte Henriette leise.

»Ja, mein Kind,« seufzte die Frau, »das allein macht es nicht, und
darin steht der Künstler weit gegen den Gelehrten im Nachtheil. In
jedem andern Fache kann es ein wirklich tüchtiger Mann durch Fleiß und
Ausdauer erzwingen, vorwärts zu kommen, wenn er auch nicht übermäßig
begabt sein sollte; in der Kunst aber nicht, und nicht allein das Talent
hilft ihm da, er muß auch Glück haben, wenn er es je zu etwas bringen --
wenn er je ein erstes Fach bekleiden will. Kann er das aber nicht, dann
wäre es viel vernünftiger, er lernte eher das einfachste Handwerk,
als daß er sich seine Lebenszeit bei kleinen Bühnen herumtriebe, um da
zweite oder dritte Rollen zu spielen. In dem Fall, mein Herz, ist der
Schauspielerstand ein elendes und trauriges Leben, glaube mir!«

»Aber Du warst selber beim Theater, Mama,« sagte Henriette, »der Onkel
ist dabei, Deine selige Mutter, wie Du mir oft erzählt, soll ebenfalls
eine brave Sängerin gewesen sein, ja, Deine eigene Schwester spielt
jetzt noch Komödie!«

»Das Alles ist wahr, Herz,« nickte die Mutter, »unsere ganze Familie
gehört dem Theater an, und doch danke ich Gott, daß Du Dir Dein Brod, so
spärlich es auch sein mag, auf andere Art verdienen kannst. Ja, wer eins
der ersten Fächer bekleidet, wer bei einer großen Bühne der Liebling des
Publikums geworden, der nimmt wohl eine ehrenvolle Stellung ein und
kann auch ganz seiner Kunst leben; die Direction braucht ihn und seine
Zukunft ist gesichert -- aber wie Wenigen unter Tausenden ist das
beschieden, und sich in untergeordneten Fächern bald hier, bald da
herumtreiben, jetzt hier mit einer kleinen Gage angestellt, dann wieder
im Lande nach einem Engagement herumsuchend, das, mein liebes Kind, sei
versichert, ist ein trauriges Brod, und schlimmer, weit schlimmer, als
Holzhacken und Tagelohn!«

»Aber verdienen die Leute nicht, was sie zum Leben brauchen?«

»Ja -- vielleicht. -- So lange sie allein stehen und gesund bleiben,
schlagen sie sich durch, und der Leichtsinn, der ein glückliches
Erbe dieses Standes ist, hilft ihnen über manches Schwere hinweg.
Verheirathen sie sich aber und kommt Familie dazu, dann tritt nur zu
häufig der furchtbare Ernst des Lebens an sie heran und sie leiden oft,
ohne eine Stätte, wohin sie ihr Haupt legen können, die bitterste Noth.
-- Aber ich brauche Dir das gar nicht weiter zu bestätigen; Du siehst es
selber hier fast jede Woche, denn keine vergeht, wo nicht Einer oder der
Andere hier durchkommt und sein Leben mit Collectenmachen fristet --
nur um den nagenden Hunger zu stillen, nur um der dringendsten Noth
abzuhelfen. Jeder Thaler aber, der ihnen gereicht wird, ist doch nur
ein Tropfen Wasser auf einen heißen Stein und ihres Jammers kein Ende
-- kannst Du es mir und dem Onkel verdenken, wenn wir Dich vor einem
solchen Schicksal bewahrt wissen wollen?«

»Liebe Mutter!«

»Aber wir schwatzen und schwatzen hier,« brach die Frau plötzlich ab,
»und es wird indessen spät; da schlägt es wahrhaftig schon zehn Uhr --
Kind, Du mußt nach dem Mittagessen sehen, sonst wird der Onkel nachher
böse, wenn es nicht zur rechten Zeit auf dem Tisch steht.«

»Ja, ja, Mama,« rief Henriette, schob ihre Arbeit rasch bei Seite und
ging hinaus in die Küche. Die Mutter sah ihr sinnend nach, stützte dann
den Kopf in die Hand und seufzte leise, aber recht aus tiefster Seele
herauf:

»Oh, daß wir so arm sind!« --

Pfeffer hatte indessen sein unter der Zeit vollständig gelüftetes Zimmer
wieder betreten und die Thür geschlossen, als es anklopfte.

»Guten Morgen, Herr Pfeffer,« sagte in diesem Augenblick der junge Rebe,
welcher auf der Schwelle erschien, »ich störe doch nicht?«

»Woher vermuthen Sie das, mein sehr verehrter Herr Horatius Rebe, wenn
man fragen darf?« brummte Pfeffer, dessen Laune sich noch nicht im
Geringsten gebessert hatte.

»Weil ich Sie so deutlich erkennen kann,« lächelte der junge Mann,
»denn wenn Sie tüchtig arbeiten, haben Sie auch gewöhnlich eine dem
entsprechende Wolke um sich her.«

»Das Rauchen ist Ihnen doch nicht unangenehm?« fragte Pfeffer
verbindlich und mit einer Bewegung, als ob er seine Pfeife gleich in die
Ecke stellen wollte.

»Mein guter Herr Pfeffer,« sagte Rebe mit einem wehmüthigen Zug um die
Lippen, »ich weiß sehr wohl, daß mir nichts unangenehm sein darf --
übrigens würde ich selber wieder rauchen, wenn meine Gage nur ein klein
wenig höher wäre.«

»So -- und was verschafft mir da heute die Ehre Ihres Besuches?«

»Ich sehe, Sie sind heute nicht in glücklicher Stimmung,« sagte Rebe --
»kann ich vielleicht die Damen sprechen?«

»Nein,« brummte Pfeffer -- »meine Schwester ist krank und Jettchen
pflegt sie.«

»Doch nicht ernstlich?«

»Allerdings, sie pflegt sie ganz ernstlich.«

»Nein, ich meine...«

»Wünschen sie sonst noch etwas?«

»Mein lieber Herr Pfeffer, sagen Sie mir nur, weshalb Sie mich heute so
schrecklich ablaufen lassen,« bat Rebe herzlich, indem er auf ihn zuging
und seine Hand zu ergreifen suchte, die Pfeffer aber in die Tasche
steckte -- »habe ich Ihnen etwas zu Leide gethan?«

»Nein -- noch nicht -- aber Sie wollen es!« brummte mürrisch der Mann.

»Ich will es?«

»Ja -- Sie verdrehen dem Mädel, dem Jettchen, den Kopf!«

»Aber, bester Herr Pfeffer!«

»Können Sie eine Frau ernähren?«

»Noch nicht, aber ich hoffe...«

»Hoffe -- alberne Redensart -- hoffe, hoffe -- dafür giebt Ihnen kein
Mensch einen Pfifferling, viel weniger eine ganze Haushaltung! Wie lange
sind Sie schon beim Theater?«

»Seit einem Jahre -- seit ich hier bin!«

»Hm -- und was waren Sie früher?«

»Ich habe studirt.«

»Nun ja, das dachte ich mir ungefähr, und nachdem Sie Ihren Eltern
das schwere Geld gekostet, laufen Sie zum Theater -- nein, es ist ganz
unglaublich, wie verrückt manche Menschen sind, studirt bis in die blaue
Pechhütte hinein, nur um nachher die Geschichte an den Nagel zu hängen
und in der Welt herum zu fahren! Wofür haben Sie nun studirt?«

»Und glauben Sie wirklich, daß mir das als Schauspieler verloren wäre?«
lächelte Rebe. »Hier gerade kann es mir bedeutend nützen, und wenn meine
Liebe zur Kunst...«

»Jetzt hören Sie auf,« schrie Pfeffer -- »Liebe zur Kunst -- wenn ich
den Blödsinn nur nicht mehr hören müßte -- Liebe zur -- ich hätte
bald 'was gesagt, Herr Horatius! -- Apropos, ist der Horatius etwa
Ihr Theatername, und glauben Sie, daß er sich besonders hübsch auf
dem Zettel ausnehmen soll, wenn es zum Beispiel heißt: Horatio, Herr
Horatius Rebe?«

»Ich bin so getauft,« lächelte der junge Mann, »und -- möchte mich doch
auch nicht gern wieder umtaufen.«

»Aber Sie haben doch, zum Teufel, auch noch andere Namen!« rief Pfeffer.
»Weshalb nehmen Sie nicht einen von denen?«

»Allerdings, Herr Pfeffer,« sagte Rebe etwas verlegen, »aber die anderen
klingen eben auch nicht besser. Ich heiße mit meinem vollen Namen
Horatius Scipio Quintus.«

»Nanu bitt' ich aber zu grüßen!« rief Pfeffer erstaunt. »Weiter nichts?«

»Mein Vater war ein armer Schullehrer,« fuhr Rebe fort, »der für die
Alten schwärmte -- er ist lange todt,« fügte er leise hinzu, »und ich
mochte ihn nicht dadurch noch im Grabe kränken, daß ich den ihm einst
lieb gewesenen Namen verwarf.«

»Sehr ehrenwerth, Herr Horatius Cocles -- Rebe, wollt' ich sagen,«
brummte Pfeffer, »aber ich glaube, Sie haben Ihren todten Papa noch viel
mehr damit gekränkt, daß Sie unter die Komödianten gegangen oder, wenn
Ihnen der Ausdruck besser gefällt, _Mime_ geworden sind. Keinesfalls
hätten Sie zu studiren gebraucht, um ein schlechter Schauspieler zu
werden.«

»Aber ich hoffe ein guter zu werden, Herr Pfeffer.«

»Da haben wir wieder die Hoffnung, und indessen beschäftigen Sie sich
mit Hinaustragen von Stühlen und Ableiern von kleinen Rollen!«

»Weil ich keine größeren bekommen kann!« rief Rebe. »Ist denn der
Director auch nur dazu zu bewegen, mir einmal einen Versuch zu
gestatten? Erlaubt er mir denn nur ein einziges Mal, zu zeigen was
ich wirklich kann? Ach, mein bester Herr Pfeffer, wenn Sie es nur ein
einziges Mal dahin bringen könnten, daß ich...«

»Bleiben Sie mir vom Leibe,« rief Pfeffer; »ich habe mit der ganzen
Schmiere nichts zu thun! Ich spiele meine Rolle ab, und damit Basta --
wenn Ihnen eine von denen zusagen sollte, mit dem größten Vergnügen --
in das Andere mische ich mich nicht. So viel sage ich Ihnen aber: --
hier -- wenn Sie wirklich Talent hätten -- kommen Sie zu nichts; Handor
spielt Alles, also eine Aussicht bleibt Ihnen nicht, und deshalb bitte
ich Sie sehr ernstlich, daß Sie dem armen Mädchen, dem Jettchen, keine
weiteren Sparren in den Kopf setzen!«

»Aber, bester Herr Pfeffer!«

»Ich glaube, Sie haben mich verstanden?«

»Vollkommen!«

»Schön, dann brauchen wir auch weiter nichts darüber zu reden, und
ich...«

Er wurde hier unterbrochen, denn in dem Moment flog die Thür auf und
herein stürzte in größter Eile und mit einem »Allerseitigen Guten
Morgen« Fräulein Bassini, Pfeffer's älteste Schwester, ebenfalls
Mitglied des hiesigen Stadttheaters -- mit einem riesigen Toupet von
hochrothen Locken, dabei decolletirt und sehr phantastisch angezogen.
Sie machte auch nicht viel Umstände.

»Fürchtegott,« rief sie, »ich habe meine Dose vergessen und muß in die
Probe -- borg' mir die Deinige.«

Fräulein Bassini -- wie sie mit ihrem Theaternamen hieß, da ihr der Name
Pfeffer zu prosaisch klang -- spielte Charakter- und Anstandsdamen.
Sie war aber »jeder Zoll eine Schauspielerin« und, wenn auch schon im
Anfange der Vierzig -- was sie übrigens hartnäckig leugnete --, doch
noch so liebenswürdig kokett, wie ein junges Mädchen von siebzehn
Jahren.

»Schon wieder einmal,« sagte Pfeffer, wie es übrigens schien, nicht
sehr erbaut von dem Ueberfall; »merkwürdig, daß Du nie etwas von Deiner
Auftakelei vergißt. Frauenzimmer, wie siehst Du heute Morgen wieder aus
-- gerad' wie ein Pfingstochse!«

»Du bist und bleibst ein Grobian!« rief Fräulein Bassini, indem sie ohne
Weiteres die auf dem Tisch stehende Dose an sich nahm und einsteckte --
»was müssen denn nur andere Leute von Dir denken. -- Guten Morgen, Herr
Rebe!«

»Und willst Du nicht einmal zu Deiner Schwester hinübergehen? Sie ist
nicht recht wohl.«

»Es hat schon zehn Uhr geschlagen, und ich komme im ersten Act,« rief
Fräulein Bassini, und damit war sie aus der Thür verschwunden.

Als sie dieselbe öffnete, sah Rebe draußen in der Küche Henriette
stehen.

»Also, mein lieber Herr Pfeffer?«

»Nun, ich denke, Sie haben auch Probe; Sie machen ja wohl einen von den
Ballgästen?«

»Leider,« seufzte der junge Mann, »aber ich komme erst am Schluß des
zweiten Actes.«

»War mir sehr angenehm,« sagte Pfeffer mit einer Miene, als ob er ihn
eben so lieb wie nicht zur Thür hinausgeworfen hätte.

Rebe machte eine Verbeugung und verließ das Zimmer. Wie er die Thür
hinter sich zudrückte, traf er vorn in der kleinen, halbdunkeln Küche,
die ihr Licht nur durch ein Thürfenster des Vorsaales erhielt, Jettchen.

»Mein liebes Fräulein, ich danke meinem Schicksal, daß ich Ihnen
wenigstens Guten Morgen sagen kann.«

»Guten Morgen, Herr Rebe,« erwiderte Henriette leise.

»Ihre Frau Mutter ist nicht wohl?«

»Hoffentlich nur eine Erkältung.«

»Hoffentlich -- und Sie arbeiten so fleißig?«

»Ich muß ja wohl.«

»Sie glauben nicht, wie lang mir der gestrige Tag geworden ist -- wie
lang mir mein übriges Leben werden wird.«

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte Jettchen leise.

»Ihr Onkel hat mir mit ziemlich deutlichen Worten das Haus verboten --
und ich fühle selber, daß er dabei in seinem Rechte ist. Zürnen Sie mir
nicht, mein liebes Jettchen, wenn ich seinem Befehl gehorche -- ich sehe
ein, daß es sein muß.«

Drinnen im Zimmer klingelte es.

»Die Mutter verlangt nach mir,« rief das junge Mädchen.

»Leben Sie wohl,« Jettchen, sagte Rebe und reichte ihr die Hand, die sie
schüchtern nahm -- aber wieder klingelte es -- und sich losreißend, flog
sie in das Zimmer zurück. Horatius Rebe aber sah ihr wehmüthig nach und
verließ dann in einer recht gedrückten und traurigen Stimmung das Haus,
welches er kurz vorher so freudig betreten hatte.




2.

Unter den Buden.


Der Wagen mit dem jungen Paar und den Kindern, der vorhin Henriettens
Aufmerksamkeit erregt, fuhr noch eine Strecke durch das Menschengewühl
im Schritt, bis er einen freieren Platz erreichte. Dort ließ der
Kutscher die Pferde ein wenig austraben, und bald hielt das leichte
Fuhrwerk vor einem nicht sehr großen, aber außerordentlich freundlich
gelegenen herrschaftlichen Haus, an dessen Gartenpforte schon
verschiedene dienstbare Geister standen, um die erwartete Herrschaft in
Empfang zu nehmen.

Der junge Mann war, wie nur der Wagen hielt, rasch zuerst
hinausgesprungen, und seine beiden Kleinen aufnehmend und den
herbeieilenden Mädchen übergebend, half er der jungen Frau ebenfalls aus
dem Wagen -- aber sie bedurfte kaum seiner Hülfe.

Es war eine reizende, schlank gewachsene Gestalt, mit wundervollen
goldblonden Haaren und lebendigen, aber doch so seelenvollen Augen, die
aber kaum ihre Hand auf seinen Arm stützte, so leicht sprang sie
selbst von dem Wagen herab. Aber unten blieb sie stehen, und einen halb
neugierigen, halb ängstlichen Blick umherwerfend, sagte sie mit leiser,
fast zitternder Stimme:

»Und sind wir denn wirklich hier in Haßburg, Felix? Haben wir endlich
unser lang ersehntes Ziel erreicht?«

»Haßburg, gewiß,« lächelte ihr Gatte, indem er ihren Arm in den seinen
zog und, von den Kindern und den Dienern gefolgt, dem Hause zuschritt
-- »und alles Andere wird sich auch wohl fügen. Jetzt aber, herziges
Frauchen, zeige ich Dir vor allen Dingen unsere neue Heimath, und hoffe
gewiß, daß Du mit mir zufrieden sein sollst.«

»Mein guter Felix -- Du sorgst so für Alles!«

»Du wirst mir bezeugen müssen,« lächelte ihr Gatte, »daß ich mich
diesmal selbst übertroffen habe.«

Und in der That hatte er nicht zu viel versprochen. Das freundliche
Haus, das mitten in einem reizenden, wohlgepflegten Garten stand,
glich einem kleinen Paradies. Alles war dabei wohl reich und ihrem Rang
entsprechend, aber auch so einfach und geschmackvoll hergerichtet,
daß, wie er mit seiner Gattin die Räume durchschritt, Helene, die junge
Gräfin Rottack, kaum Worte fand, ihm dafür zu danken.

So durchwanderten sie das ganze Haus, und endlich, als sie so ziemlich
Alles besichtigt hatten, traten sie hinaus auf einen kleinen
eisernen Balkon. Hier aber eröffnete sich ihnen ein wunderliebliches
Landschaftsbild nach den, Haßburg umschließenden Hügeln und Hängen
hinüber, und Helene, von der Aussicht wirklich entzückt und überrascht,
flüsterte, indem sie ihr Haupt an des Gatten Schulter schmiegte:

»Wie soll ich es Dir danken, Felix, daß Du so meinen kleinsten,
vielleicht thörichten Wunsch erfüllt? Wie soll ich überhaupt je im Leben
das wieder gut machen, was Du schon in den wenigen Jahren für mich --
für das arme, freundlose Kind -- für die Waise gethan? -- Ich weiß
es nicht -- mein ganzes Herz ist nur erfüllt von dem Einen Gefühl des
Dankes, der Liebe für Dich, Du guter Mann!«

»Meine Helene -- mein liebes Herz!« rief Graf Rottack, sie an sich
pressend -- »wer von uns ist dem Andern denn mehr zu Dank verpflichtet,
Du mir, oder ich Dir? Was anders habe ich gethan, als nur die Liebe
erwidert, die Du mir entgegenbrachtest, während Du Dein ganzes Glück,
Dein ganzes Leben vertrauensvoll in meine Hände legtest!«

»Mein Felix!«

»Was wäre aus mir geworden,« fuhr der junge Mann fort, sie immer noch
in seinem Arm haltend, »wenn Du Dich damals meiner nicht angenommen? In
einer Stimmung, die mich der tollsten Streiche fähig machte, wäre ich
vielleicht zu Grunde gegangen. Du allein hast mich dem Leben erhalten,
und gebe nur Gott, daß ich Dir, armes Herz, auch den Frieden wiedergeben
könne, nach dem Du Dich sehnst -- daß ich Dir das Einzige verschaffe,
was bisher nicht in meinen Kräften stand -- die Liebe Deiner Mutter!«

»Und hast Du jetzt nicht den Schritt gethan, der uns ihr näher bringen
mußte?« sagte Helene herzlich.

»Ja, mein Schatz,« erwiderte Graf Felix, indem er sie losließ und sich
mit der Hand wie verlegen durch die dunkeln Locken fuhr -- »aber -- ich
möchte nicht, daß Du Dich dadurch zu großen Erwartungen hingäbst, und
ich -- fürchte -- wir sind jetzt gerade noch so weit von unserem Ziel
entfernt, wie früher.«

»Du hast kein Vertrauen zu ihr...«

»Aufrichtig gesagt, nein,« erwiderte ihr Gatte. »Du weißt, daß die
Gräfin Monford, als wir vor fünf Jahren aus Brasilien zurückkehrten,
mit ihrem Gatten auf Reisen war und sich drei Jahre lang in Italien,
Griechenland und Egypten amüsirte. Dann kehrten sie auf wenige Monate
zurück und gingen wieder nach Paris und London, so daß eben kein Halt
an sie zu bekommen war. Jetzt endlich haben sie sich seit etwa sechs
Monaten hier bei Haßburg auf ihrem alten Stammsitz niedergelassen, und
ich war im Stande, die genauesten Erkundigungen über sie einzuziehen.«

»Und was können fremde Menschen über sie sagen?«

»Fremde Menschen wissen genau, wie sie sich fremden Menschen zeigt,«
sagte Graf Rottack achselzuckend, »und wir selber müssen vollkommen
darauf gefaßt sein, als Fremde von ihr behandelt zu werden.«

»Die eigene Tochter?«

»Liebes Kind, Du vergißt, daß sie Dich nicht öffentlich anerkennen
_darf_, wenn sie sich nicht in den Augen der Welt vollständig
compromittiren will. Graf Monford ist dabei nicht allein ein sehr
reicher, sondern auch entsetzlich stolzer Herr, der an seinem Stammbaum
mit einer Verehrung hängt, als ob ihn Gott der Herr damals dem Altvater
Noah mit den ersten Weinreben in den Garten gepflanzt hätte. Einen
Flecken darauf, sobald er nur eine Ahnung davon bekäme, würde er für
mehr als ein Unglück, er würde ihn für das Verderben seines ganzen
Hauses halten, und erhielte er die Gewißheit des Geschehenen, so
zerrisse er -- glaube mir, ich kenne dergleichen Herren -- nachsichts-
und erbarmungslos die Bande, die ihn an seine Gattin fesseln. Und seine
Gattin weiß das, darauf kannst Du Dich verlassen.«

»Aber das Gefühl muß ja doch in ihr sprechen,« sagte Helene weich und
herzlich.

Graf Rottack wollte etwas darauf erwidern, aber bezwang sich. Er
hatte die Arme gekreuzt und starrte einen Augenblick sinnend auf die
sonnenbeschienenen Hänge hinaus. Endlich wandte er das Antlitz wieder
der ängstlich zu ihm aufschauenden Gattin zu und sagte, ihr freundlich
in die Augen sehend: »Du weißt, meine Helene, daß ich bis jetzt Alles
gethan habe, Deinen Wunsch zu erfüllen, Deinen Plan zu fördern. Es ist
Alles geschehen, um uns _dem_ näher zu bringen -- die Entfremdung von
Deiner Mutter zu heben; so laß uns aber, ehe wir den letzten Schritt
dazu thun, auch die Sache vorher ruhig besprechen, damit Dich eine doch
mögliche Enttäuschung Deiner Hoffnungen nachher nicht zu unerwartet faßt
und erschüttert.«

»So glaubst Du wirklich...«

»Von Glauben kann noch keine Rede sein, mein Herz, aber Du weißt, wie
Deine Mutter, nach jenem Fehltritt ihres Lebens, sich von Dir lossagte
und von da an eigentlich weiter gar nichts für Dich that, als daß sie
jener nach Brasilien gehenden Frau, der sie Dich vollständig überließ
-- ein Kostgeld für Dich zahlte. Du entdecktest das Geheimniß und
verließest jene Frau. Fest aber darfst Du davon überzeugt sein,
daß diese Madame Baulen Deiner Mutter die Flucht ihres Kindes nicht
angezeigt hat, sondern nach wie vor das Geld für Dich noch regelmäßig
fortbezieht. Deine wirkliche Mutter muß Dich also noch immer in
Brasilien glauben.«

»Ich bat Dich immer, ihr einmal zu schreiben,« sagte Helene leise.

»Um Gottes willen keinen Brief, Schatz!« rief ihr Gatte lächelnd. »Eine
Sache, die man wirklich als Geheimniß wahren will, darf man nie einem
Papier anvertrauen, denn kein Mensch kann wissen, wem ein solches Blatt
einmal durch Zufall in die Hand geräth. Denke nur daran, wie Du selber
das Geheimniß Deiner Geburt erfahren: nur dadurch, daß Deine Mutter
diese nöthigste aller Vorsichtsmaßregeln versäumte, durch einen in Deine
-- also in unrechte Hände gerathenen Brief. Nein, alles Derartige muß
entweder mündlich oder gar nicht abgemacht werden, mündlich und ohne
Zeugen, schon Deiner Mutter und deshalb auch Deinetwegen, und einmal
habe ich den Versuch schon gemacht.«

»Du hast sie gesehen, Felix?« rief Helene rasch und geängstigt, »und mir
kein Wort davon gesagt,« setzte sie leise und fast vorwurfsvoll hinzu,
»war das recht?«

»Weil ich Dir nicht unnöthiger Weise weh thun wollte, Schatz.«

»Und was sagte sie?«

»Ich hatte mich ihrem Gatten und ihr, als ich damals das Haus kaufte, an
einem dritten Orte vorstellen lassen und benutzte dann die Gelegenheit,
nachdem der Kauf abgeschlossen, mich bei ihnen als Nachbar, in ihrer
eigenen Wohnung, einzuführen. Natürlich war es nur eine Formvisite, aber
es sollte auch zugleich eine vorläufige Probe sein, ob die Gräfin bei
meinem Erscheinen irgend eine Bewegung zeigen würde. War das der
Fall, so hätte Madame Baulen in Santa Clara ihr doch, und wider alles
Erwarten, Mittheilung gemacht.«

»Und was sagte sie?«

»Ich hatte mich in unserer alten brasilianischen Freundin nicht geirrt,«
lachte Felix. »Die Gräfin Monford konnte keine Ahnung haben, denn sie
zuckte mit keiner Wimper, mein Name rief keine Erinnerung in ihrer Seele
wach. Ich war ihr ein vollkommen fremder Mensch.«

»Und war sie gut, war sie freundlich?« fragte Helene, und ihr Blick hing
angstvoll an den Lippen des Gatten.

»Sie war sehr vornehm und sehr stolz,« sagte Felix nach einigem Zögern;
»ich konnte nicht warm bei ihr werden. Aber laß Dir das keine Sorgen
machen, Kind,« fuhr er herzlich fort, als er den schmerzlichen Zug in
ihrem Antlitz bemerkte, »gegen einen vollkommen fremden Menschen konnte
sie ja auch kaum anders sein. Nur dürfen wir nichts übereilen und müssen
vor allen Dingen erst einmal bekannt mit der Familie werden. Sie soll
Dich erst sehen und lieb gewinnen, und dann findet sich einmal eine
Gelegenheit, wo Du sie, am besten hier bei uns, ohne Zeugen sprechen und
Dich ihr entdecken kannst. Willst Du das mir überlassen?«

»Von Herzen gern, Felix,« sagte Helene mit tiefem Gefühl. »Wem auf der
Welt könnte ich lieber den heißesten Wunsch meiner Seele anvertrauen,
als Dir, der Du schon so oft bewiesen hast, wie lieb ich Dir bin, wie
gut Du es mit mir meinst.«

»Schön, meine Puppe,« lachte da Felix wieder in der alten muntern Laune
und schloß sie in die Arme. »Dann aber mach' auch jetzt wieder ein
freundliches Gesicht und laß Kummer und Sorgen fahren. Was geschehen
kann, geschieht, dann haben wir uns wenigstens selber keine Vorwürfe zu
machen. Und nun, Schatz, nimm Dich vor allen Dingen einmal Deiner Kinder
an, denn die kleine Gesellschaft macht ja draußen einen Heidenlärm.«

»Ich kann sie nicht mehr bändigen, Herr Graf!« rief in diesem Augenblick
die Bonne, die mit ihnen aus dem Nebenzimmer kam. »Günther will absolut
hinaus auf den Markt unter die Buden, und Helenchen verlangt ebenfalls
zur Musik!«

»Vortrefflich, dann gehen wir unter die Buden,« lachte Felix, dem es
ganz erwünscht kam, etwas gefunden zu haben, was seine junge Frau für
den Augenblick zerstreuen konnte, und ein Jubelgeschrei der Kinder
antwortete ihm.

Helene war nicht recht damit einverstanden, aber das kleine Volk
hatte einmal die Zusage und nahm den Papa beim Wort, und die nöthigen
Anordnungen waren bald getroffen.

Es mochte jetzt etwa zwei Uhr sein; das Diner, welches das junge Paar
stets mit den Kindern und der Bonne einnahm, war auf fünf Uhr bestellt,
und mit dem jubelnden Knaben an der Hand, während Helene das Töchterchen
führte, von der Bonne und einer Magd begleitet, die mitgenommen wurde,
um die Kleinste von Zeit zu Zeit zu tragen, schritten sie in das Treiben
hinaus, das selbst bis hierher seine Trabanten gesandt hatte. Die
Schützenwiese lag aber auch gar nicht weit von dort entfernt, und man
konnte das Hämmern der Pauken, wie einzelne Trompetenstöße und ebenso
den scharfen, kurzen Krach der Büchsenschüsse, wenn auch durch die
Entfernung gemildert, doch deutlich bis hier herüber hören.

Und die Kinder waren selig, denn überall bot sich ihnen Neues,
Ungeahntes.

Hier stand eine Polichinell-Bude mit den kleinen, beweglichen Figuren
und der geheimnißvollen, aus dem Kattunkasten herausklingenden Stimme.
Dort auf einem großen, runden Tische, von zahlreichen Zuschauern
umdrängt, gab eine bunt gekleidete Affenfamilie ihre Vorstellungen. Da
drüben wurde nach einer Reihe von aufgestellten Scheiben und Sternen
mit Bolzenbüchsen geschossen, und wenn man das Ziel traf, so sprang
plötzlich ein bunt gemalter Mann mit einer spitzen Mütze heraus, oder
ein lauter Knall kündete den Treffer.

Und dann die Carroussels! Wie jubelte das kleine Pärchen, als es die
bunt beflaggten schwebenden Pferde und Wagen sah, und natürlich gaben
sie keine Ruhe, bis sie mitten darin saßen und, von der Bonne und Magd
bewacht, ihren Rundritt machen durften. Der kleine Günther ließ aber
richtig nicht nach, bis er auch auf eins der kleinen Pferdchen gesetzt
wurde, wo er versprach, sich tüchtig festzuhalten. Er faßte auch mit
beiden Händchen die Eisenstange, als ob sein kleines Leben daran hinge.

Die Mutter war erst ängstlich, daß er herunterfallen könnte, denn wenn
sie selber auch das wildeste Pferd nicht scheute, sorgte sie sich doch
um den kleinen Liebling. Der Vater ließ ihn aber lächelnd gewähren, und
wie stolz saß jetzt der kleine Bursch auf seinem gemalten Pferd, dessen
Seiten er mit den Hacken bearbeitete, bis sich die Reihe an zu drehen
fing. Dann aber klammerte er sich fest und ängstlich an, denn so rasch
hatte er sich die Bewegung doch nicht gedacht.

Und nun kamen die Buden selber mit ihren zahmen Ponies und kreischenden
Papageien, mit ekelhaft fetten Menschen, die sich für Geld sehen ließen,
mit angestrichenen Indianern und gezähmten Hyänen, mit Taschenspielern,
Feuerfressern, Bauchrednern und wie diese Unnatürlichkeiten alle hießen.
Die Kinder sehen allerdings nur das Wunderbare und den Flittertand
daran, während die Erwachsenen gewöhnlich ein Gefühl des Ekels oder
Mitleids beschleicht, wo derartige Charlatanerien zu einem Broderwerb
benutzt werden, die doch das Elend nicht verbergen können, das hinter
all' dem Tand und Putz sich birgt.

Das junge Paar ekelte auch dieses wüste Treiben an, das sie nur den
Kindern zu Liebe wieder einmal durchkosteten. Diese ließen aber keine
Ruhe, bis sie auch wenigstens ein paar der Buden betreten hatten, und
am meisten jubelten sie bei einem Marionettenspiel, aus dem sie fast nur
mit Gewalt wieder entfernt werden konnten.

»Bleib nur ein klein wenig sitzen, Mama,« rief Helenchen, als der
Vorhang endlich fiel, »er geht gleich wieder in die Höh'!« Lachend nahm
Graf Rottack die Kleine auf den Arm, um sie durch das Gedränge hinaus
in's Freie zu tragen, und athmete ordentlich hoch auf, als er endlich
wieder den blauen Himmel über sich sah. Hier draußen preßte aber gerade
eine solche Masse von Menschen vorüber, daß er der Bonne Acht auf
den Knaben befahl und, seine Frau an den Arm nehmend, über die Straße
hinüber zu kommen suchte, wo er freieren Raum sah.

Die Marionettenbude war die letzte in der Reihe, und dicht daran führte
die breite Promenade, welche sich um die Stadt selber herumzog und
gewöhnlich zu Spazierfahrten der =haute volée= benutzt wurde. Eben jetzt
kam eine Equipage, langsam im Schritt durch die Menschenmenge sich Bahn
suchend, vorüber, und die aus dem Wege Drängenden hemmten jede Passage
in diesem Augenblick so, daß Graf Rottack mit den Seinen stehen bleiben
mußte, um sie erst vorüber zu lassen.

Helene fühlte, wie Felix ihren Arm fest an sich drückte, und von einer
plötzlichen Ahnung ergriffen, flüsterte sie rasch und erschreckt: »Wer
ist das?«"

»Sei stark, mein braves Frauchen, und verrathe keine Bewegung,« ermahnte
sie ihr Gatte, »es sind Monfords!«

»Meine...«

»Bst, mein Schatz,« warnte Felix rasch, »wir können ihnen nicht mehr
ausweichen. Hänge Dich nur fest an meinen Arm.«

Der Wagen hatte sie erreicht und fuhr unmittelbar an ihnen vorüber. Nur
der Graf und die Gräfin saßen im Fond desselben. Er, der Graf, mochte
ein Herr hoch in den Sechzigen sein, mit weißem, vollem Haar und einem
wohlgepflegten Schnurrbart.

Seine Frau, eine Dame von vielleicht einigen vierzig Jahren, stattlich
und vornehm, in eleganter, aber nicht überladener Toilette, während der
Graf selber nur eine Jagdjoppe mit grünem Kragen trug, lehnte nachlässig
neben ihm und betrachtete die an ihrem Wagen vorbeidrängenden Menschen
durch ihre Lorgnette.

Graf Rottack, der noch immer sein kleines Töchterchen auf dem Arm trug,
grüßte, und Helene, die zitternd an seinem Arme hing, verneigte sich
ebenfalls. Graf Monford, den jungen Mann erkennend, dankte freundlich,
während die Gräfin nur eben die Lorgnette von ihrem Auge entfernte und
langsam das Haupt neigte.

Die Gräfin mußte einmal bildschön gewesen sein -- sie war es selbst
jetzt noch und schien das auch zu wissen -- aber der Wagen passirte, und
Graf Rottack, der sich erst umsah, ob er auch die Seinen bei
einander habe, schritt jetzt mit Helenen über die Straße, um aus
dem Menschenschwarm hinaus zu kommen. Dort übergab er sein kleines
Töchterchen der Wärterin.

»Kanntest Du den Herrn?« sagte im Wagen Graf Monford zu seiner Gattin,
als sie vorübergefahren.

»War das nicht der Graf Rottack, der uns einmal vor einiger Zeit
besucht?«

»Ganz recht, mit seiner jungen Frau wahrscheinlich. Er hat sich ja hier
angekauft. Ein hübsches Paar.«

»Aber die Frau scheint sehr kränklich, sie hatte keinen Blutstropfen im
Gesicht.«

»Möglich, vielleicht angegriffen von der Reise. Es kann auch sein, daß
er sie gerade aus Gesundheitsrücksichten hierher gebracht. So viel ich
weiß, ist es eine Amerikanerin.«

»Aus Amerika?«

»Er war ja selber lange dort...«

Die Unterhaltung wurde hier abgebrochen. Die Gräfin hing ihren eigenen
Gedanken nach, und der Graf richtete sich auf, um nach den Pferden zu
sehen, indem das Handpferd vor einem vorüberziehenden Kameel scheute und
nur schwer wieder beruhigt werden konnte.

Sprachlos hing indes Helene an des Gatten Arm und mußte ihre ganze
Geistesstärke zusammennehmen, um der Bewegung Herr zu werden, die sie
beim ersten Anblick der Mutter ergriffen.

»Oh, wie kalt, wie stolz sie aussah!« flüsterte sie endlich leise vor
sich hin.

»Beruhige Dich, mein Herz -- wie bleich Du nur geworden bist -- sei mein
starkes Kind. Es wird ja noch Alles gut werden.«

»Laß mich nur einen Augenblick, Felix!« bat die junge Frau, »es war nur
der erste Moment, die erste Ueberraschung. Sieh', jetzt geht es wieder
besser, ich bin ja nur ein thöricht Kind, daß ich mir über das Aussehen
der stolzen Frau Sorge machen sollte. Konnte sie denn ahnen, wer an
ihrem Wagen stand? Und ihr Antlitz war so lieb und schön -- Du hast
Recht, Felix: es wird noch Alles gut werden.«

Mitten im Weg kam ein kleiner, dicker Herr auf sie zu, der, die Hände
in den Taschen, einen sehr hohen Cylinderhut auf hatte und, obgleich
er sehr anständig und einfach gekleidet ging, doch durch seine
Beweglichkeit, mit welcher er den kleinen, runden Körper schwenkte,
und durch sein entschieden vergnügtes Gesicht Rottack's Auge für einen
Moment auf sich zog. Aber bei solchen Gelegenheiten, wie Jahrmarkt und
Vogelschießen, kommen ja oft gar wunderliche Leute zusammen, und er
wollte eben mit der Gattin vorübergehen, als des Fremden Blick auf sie
fiel.

Merkwürdig war die Veränderung, die da in dessen Zügen vorging. Im
Nu war der kleine vergnügte Mann ganz ernsthaft geworden, ja, sah
ordentlich erstaunt aus, riß aber auch im nächsten Augenblick die rechte
Hand aus der Hosentasche und den Hut vom Kopf, wobei er eine ordentlich
blendende Glatze zeigte, und ging tief grüßend, aber wie verdutzt
vorüber.

Graf Rottack konnte kaum ein Lächeln über den wunderlichen Menschen
unterdrücken, aber er dankte freundlich und schritt jetzt in dem hier
freier werdenden Weg der gar nicht mehr so fern liegenden Wohnung zu.

Auch von Helenens Antlitz war jetzt der Schatten gewichen, der sich über
ihre lieben Züge gelegt, und die Farbe in ihre Wangen zurückgekehrt. Sie
hatte ihr kleines Mädchen, das nicht länger getragen werden wollte, an
die rechte Hand genommen, und die Kleine trippelte munter nebenher und
zeigte mit dem freien Händchen, fortwährend jubelnd, bald da-, bald
dorthin, wo sie etwas Neues und Auffallendes entdeckte.

»Bitte um Entschuldigung,« sagte in diesem Augenblick, dicht an Graf
Rottack's Seite, eine Stimme, und als er den Kopf danach umdrehte,
bemerkte er zu seinem Erstaunen den komischen kleinen Fremden, der
wieder mit entblößtem Kopf neben ihm stand, oder vielmehr neben ihm
herging und, zu ihm aufsehend, fortfuhr: »Ich habe doch das Vergnügen,
den Herrn Grafen Rottack zu begrüßen?«

»Mein Name ist Rottack,« sagte Felix erstaunt, »aber ich weiß nicht...«

»Und kennen Sie mich nicht mehr? Und die Frau Gräfin auch nicht?
Und das?« rief er, indem er seinen Hut wieder aufstülpte, die Füße
auseinander spreizte und beide Hände auf die eingebogenen Kniee drückte
-- »Hurrjeh, das ist schon die kleine Familie?«

»Jeremias!« rief in dem Augenblick erstaunt Helene aus.

»Jeremias, bei Allem, was lebt!« lachte jetzt Rottack gerade hinaus,
indem er dem kleinen, noch vor den Kindern kauernden Mann die Hand
entgegenstreckte. »Mensch, wo kommen Sie auf einmal hergeschneit?«

»Direct von Brumsilien, Herr Graf,« sagte der kleine Mann mit
dem ernsthaftesten Gesicht, indem er sich wieder aufrichtete, die
dargebotene Hand derb und herzlich schüttelte und dann eben so ungenirt
Helenens freundlich gebotene Rechte nahm -- »direct von Santa Clara, aus
dem alten Nest, und wahrhaftig, keinem Menschen auf der Welt hätte ich
lieber begegnen mögen, als Ihnen Beiden! Der Anblick thut kranken Augen
wohl. Und das ist die kleine Familie? Jemine, meine Güte, was für ein
paar Puppen; und so geschwinde!«

Ein Zug von Schmerz war über Helenens Antlitz gezuckt, als der
Anblick des Fremden aus der fernen Colonie ihr rasch wieder schon fast
vergessene trübe Bilder vor die Seele rief; aber wie eine leichte Wolke
strich es darüber hin, und bald lag wieder lichter Sonnenschein auf dem
holden Angesicht.

Sie hatte auch Jeremias immer gern gehabt und wohl gefühlt, daß dem
komischen, hastigen Wesen des Mannes ein guter Kern zu Grunde lag, der
es treu und ehrlich meinte. Rottack selber war aber hoch erfreut, dem
kleinen Manne wieder begegnet zu sein, der ihm Nachricht von vielen
Menschen bringen konnte. Uebrigens sah er recht gut, daß sich Jeremias,
wenn er auch sonst vielleicht noch der Alte geblieben, in seinen
Verhältnissen und seinem ganzen Leben sehr gebessert haben mußte.

Er war nicht allein sehr anständig gekleidet, sondern sah auch adrett
und sauber aus. Er trug keinen Goldschmuck irgend welcher Art an sich,
aber seine Kleider vom besten Tuch, und schneeweiße Wäsche. Nur in die
Glacé-Handschuhe hatten sich die arbeitsharten Hände nicht gewöhnen
können, möglich auch, daß vielleicht keine passende Größe aufzufinden
gewesen, denn im Innern der Hand waren schon beide aufgeplatzt. Aber
seine Bewegungen blieben frei und unbefangen, wie immer.

»Nun sagen Sie mir aber vor allen Dingen, Jeremias,« rief Rottack
endlich, nachdem er sich von seinem ersten Erstaunen über dieses
plötzliche Begegnen erholt, »wie kommen Sie gerade nach Haßburg? Stammen
Sie aus dieser Gegend, oder hat Sie nur der Zufall hierher geführt?«

»Keins von Beiden,« erwiderte der kleine Mann, der aber sonderbarer
Weise wie etwas verlegen bei der Frage wurde; »das ist übrigens eine
lange Geschichte, Herr Graf, die sich nicht so auf der Straße erzählen
läßt.«

»Dann kommen Sie mit uns, Jeremias,« rief der Graf rasch, »und essen Sie
mit uns -- wir gehen gerade zum Diner!«

»Aber, Herr Graf!« rief Jeremias, ordentlich verblüfft.

»Machen Sie keine Umstände,« lachte Felix, der seelenfroh war, gerade
jetzt etwas zu finden, das Helene zerstreuen und ihr die frohe Laune
wiedergeben konnte; »wir sind ganz unter uns und können da nach
Herzenslust plaudern. Ich habe eine ordentliche Sehnsucht danach, wieder
einmal etwas von Brasilien zu hören.«

»Na, wenn Sie es denn nicht anders haben wollen,« lachte Jeremias, dem
man es aber ansah, wie schmeichelhaft ihm die Auszeichnung war --
»mir kann's recht sein. Jemine, es geht aber doch eigentlich nirgends
curioser zu, als in der Welt!«

»Also Sie kommen mit?« lächelte Helene, die selber schon zu lange in
den transatlantischen Colonien gelebt hatte, um darin etwas
Außerordentliches zu finden, daß ein Mann, der früher sogar in einem
dienenden Verhältnis zu ihnen gestanden, jetzt auch einmal ihr Gast sein
sollte, ja, es drängte sie selber, Neues aus dem alten Leben zu hören,
mit dem sie jetzt freilich vollkommen abgeschlossen.

»Ob ich mitkomme,« lachte aber Jeremias, »mit dem größtmöglichsten
Vergnügen, und die kleine Erbprinzessin werde ich mir indessen
ausbitten,« und damit wollte er das kleine Helenchen von der Erde und
auf den Arm nehmen. Das aber war für Helenchen zu viel Vertraulichkeit
auf einmal -- den fremden Mann kannte sie ja noch gar nicht, und mit
einem: »Du, das darfst Du nicht!« fuhr sie zurück und wehrte ihn mit
ihren kleinen Händchen von sich ab.

»Steckt im Blute,« lächelte Jeremias, während er, den Kopf seitwärts
gehalten, nach ihr hinabsah -- »bin der kleinen Comtesse noch nicht
vorgestellt worden; aber ich weiß, wie man's macht -- bitte, warten
Sie nur einen Augenblick!« und ehe Graf Rottack und Helene nur etwas
entgegnen konnten, drehte er sich ab und schoß mit langen Schritten auf
eine gerade dort gelegene große Conditorei los, in die er eintauchte
und wenige Minuten später wieder mit einer riesigen, goldpapiernen
Zuckerdüte zum Vorschein kam.

»Na, und jetzt, mein gnädiges Fräulein,« rief er, indem er dem lachenden
Kinde die Düte offen hinhielt, »was sagen wir nun? Zugegriffen, versteht
sich -- Kinder sind sich doch alle gleich, allgemeine Menschennatur. Und
jetzt wollen wir zum Essen gehen, wenn die Frau Gräfin nichts dagegen
haben.«

Damit nahm er die Kleine, die es sich, eifrig mit der Düte beschäftigt,
jetzt auch ruhig gefallen ließ, ohne Weiteres auf den Arm und unterhielt
sich, während Felix mit der Gattin voran und ihrem Hause zuschritt,
unterwegs mit der ihm erst erstaunt und dann lachend zuhörenden Bonne.




3.

Das Rendezvous.


Mild und erwärmend lag die Nachmittagssonne auf dem schönen Land und
warf einen ordentlich magischen Schein über die rothblinkenden Stämme
eines Tannenwaldes, der, dunkel und dicht gedrängt, die nächste
Hügelkette deckte, und über das breite, wohlgepflegte Wiesenthal, das
sich am Fuße desselben hinzog. Ein kleiner, schmaler Fluß schlängelte
sich hindurch, helle Weidenbäume mit ihrem graugrünen Laube faßten ihn
ein, während einzelne hochstämmige Erlen mit den knotigen, oft behackten
Stämmen dazwischen standen und malerische Gruppen bildeten. Der
Fluß aber sprang murmelnd und rasch zwischen ihnen hin und warf die
Sonnenstrahlen wie spielend in blitzenden Lichtern zurück.

Seitwärts aber erhob sich ein kleiner, sorgfältig mit Blüthenbüschen
bepflanzter Hügel, aus dessen Strauch- und Baumwerk, von einzelnen
schlanken italienischen Pappeln überragt, die Mauern eines stattlichen
Schlosses oder Herrenhauses hervorleuchteten, während rechts durch einen
tiefen Einschnitt der Hügelkette die Ziegeldächer von Haßburg und der
eine Thurm des Domes sichtbar wurden.

In dem Wiesenthale selber, bald dicht am Ufer des kleinen Flusses, bald
mitten darin, lagen zerstreute Gruppen von Birken, knorrigen Eichen,
Linden und Blutbuchen, als ob sie der Zufall dort hätte keimen lassen.
In der That aber waren sie künstlich angelegt und gepflegt, und dienten
auch nur dazu, um der ganzen Gegend etwas Parkähnliches zu geben, ohne
ihr jedoch den Charakter ihrer ursprünglichen Natürlichkeit zu nehmen.

Der ganze District war auch in der That nur ein erweiterter Theil des
unmittelbar an das Schloß stoßenden Gartens, und ein schmaler, aber
gut gehaltener und mit Kies überstreuter Fahr- und Reitweg lief, den
Windungen des Wassers folgend, auf das Schloß zu. Das Ganze wurde durch
einen leichten, grün angestrichenen Drahtzaun eingeschlossen, der aber
von Weitem gar nicht sichtbar war und dadurch dem Parke nur noch mehr
das Ansehen einer freien Landschaft ließ.

Menschen waren nirgends zu erkennen, nur unten am Fluß, wo das
Hochwasser die Uferbank so ausgewaschen hatte, daß die das Erdreich
zusammenhaltenden Wurzeln einer uralten Erle fast eine Art von Dach
bildeten, kauerte ein Mensch neben einem hier durch die Strömung
gewühlten Wasserloch und angelte.

Ob er ein Recht dazu hatte? Es schien kaum so, denn Alles verrieth weit
eher, daß er sich hier auf verbotenem Grund oder doch jedenfalls bei
einer verbotenen Beschäftigung befand. Er benutzte eine höchst sinnreich
so gefertigte Angelruthe, daß sie, wenn er sie zusammenschob, genau in
seinen alten Eichstock paßte und durch die unten angeschraubte Zwinge
dann vollkommen abgeschlossen und versteckt wurde, und hatte dabei
eine alte, abgenutzte, lederne Jagdtasche umgehängt, in welcher auch
jedenfalls sein übriges Angelgeräth stak, denn draußen war nichts weiter
davon zu bemerken.

Der ganze Bursche sah überhaupt alt und abgenutzt aus. Er trug einen
fadenscheinigen, grauen Rock mit fettigem Kragen, alte lederne Gamaschen
und derbe Schuhe, auf dem Kopfe eine abgegriffene, graue Mütze, und
eine baumwollene Weste, wie sie die ärmsten Bauern zu tragen pflegen. Er
schien dabei auch nicht mehr jung; das unter der Mütze hervorquellende
Haar war, wenn nicht ganz weiß, doch stark gesprenkelt. Nur der
kleine, struppige Schnurrbart, der nicht zu seinem Vortheil Spuren von
Schnupftabak zeigte, war völlig weiß, was sich leider nicht von seiner
Wäsche sagen ließ, und trotzdem sah der Mensch aus, als ob er schon
einmal bessere Tage gesehen hätte, mochte er jetzt auch noch so arg
heruntergekommen sein. Seine Stirn war hoch und gewölbt, und das kleine,
graue, lebendige Auge konnte, wenn es nicht scheu umherblickte, oft
recht trotzig unter den buschigen Brauen hervorleuchten.

In seiner, ob nun hier erlaubten oder verbotenen Kunst schien er
übrigens gar nicht so ungeschickt, denn in der kurzen dort verbrachten
Zeit hatte er schon zwei mehr als halbpfündige Forellen aus dem
fischreichen Strom herausgeworfen, ihnen dann augenblicklich mit einem
alten, abgenutzten, aber haarscharfen Genickfänger den Kopf durchstochen
und sie, also abgeschlachtet, in seinen Ranzen geschoben.

Uebrigens zeigte er wenig Furcht bei seiner Beschäftigung, so versteckt
er sie auch trieb; er qualmte aus einer kleinen, kurzen Pfeife mit einem
Maserkopf und einer Spitze, die jedem andern Menschen das Rauchen hätte
für Lebenszeit verleiden können, und hob nur selten einmal und nur dann,
wenn er wieder einen Fisch gefangen, den Kopf, um über den Wiesenrand in
den Park hinaus zu sehen. Aber er hatte auch einen Wächter.

Oben unter der Erle saß ein kleiner Spitz, so alt und ruppig und grau
gesprenkelt wie sein Herr, ein Auge geschlossen, als ob er auf der Seite
schliefe, während das andere aufmerksam bald da, bald dort hinüberflog,
und so regungslos, als ob er zu den Wurzeln, zwischen denen er kauerte,
gehörte. Der alte Fischer war auch völlig unbesorgt, denn er wußte recht
gut, daß ihm das kleine pfiffige Thier das Nahen irgend eines Menschen
augenblicklich anzeigen würde -- war es doch darauf dressirt.

Uebrigens hatte der Alte ein Recht, sich hier im Park aufzuhalten, denn
sein angebliches Geschäft war, die Maulwürfe aus den Wiesen wegzufangen,
worin er eine ganz besondere Geschicklichkeit besaß. Auch in der Gegend,
in welcher er seit etwa drei Jahren sein Wesen trieb, war er bekannt
genug, und das Volk nannte ihn kurzweg den »Maulwurfsfänger«. Sodann
führte er auch Gift für Ratten und Mäuse bei sich, wußte Mittel gegen
jedes andere Ungeziefer, und die Bauern in der Umgegend ließen es sich
außerdem nicht nehmen, daß er »mehr verstehe, als Brod essen«, das
heißt, daß er auch mit übernatürlichen Dingen Gemeinschaft pflege und
in einer Anzahl von »schwarzen Künsten« erfahren sei, die er, wenn er
wolle, sowohl zum Nutzen wie zum Schaden seiner Mitmenschen benutzen
könne.

Der gräfliche Revierförster, welcher den Maulwurfsfänger vielleicht
schon deshalb haßte, weil ihn dieser immer spöttisch »Herr College«
nannte, kam der Sache jedenfalls näher, wenn er den Menschen für einen
ganz durchtriebenen Burschen hielt, der sich eben so wenig ein Gewissen
daraus gemacht hätte, eine Schlinge für einen Maulwurf wie für einen
Hasen oder für ein Reh zu legen; wenigstens hatte er schon einige von
diesen angetroffen, ohne aber je dem Thäter auf die Spur zu kommen. War
es der »alte Fritz«, wie der Bursche in der Nachbarschaft allgemein mit
seinem Vornamen hieß, wirklich gewesen, so wußte er es viel zu schlau
anzustellen, als sich von einem der Beamten erwischen zu lassen, und da
man ihm in der That keine ungesetzliche Handlung nachweisen konnte,
gab Graf Monford, dem diese Besitzung gehörte, auch dem Drängen
seines Försters nicht nach, dem verdächtigen Gesellen das Betreten des
herrschaftlichen Bodens zu verbieten. Er solle nur ordentlich aufpassen,
erwiderte er stets dem Förster, und wenn er ihn je einmal ertappe, sei
es noch immer Zeit ihn fortzujagen, früher nicht.

Eine Stunde mochte der Mann etwa so unter der alten Erle gesessen
und geangelt haben, und hatte eben wieder einen starken Fisch
herausgebracht, als der Spitz oben leise knurrte.

»Bravo, mein Hundchen,« lachte der Alte vor sich hin, »und gerade zur
rechten Zeit, denn dem Platz hier muß ich doch jetzt ein paar Tage Ruhe
geben.«

Mit diesen Worten schlachtete er seine zappelnde Beute ab, schob sie zu
den Uebrigen in den Ranzen, vertilgte dann rasch soviel als möglich alle
Spuren, die da unten seine Beschäftigung hätten verrathen können, und
richtete sich vorsichtig in die Höhe. Er brauchte auch nicht lange umher
zu suchen, von welcher Seite Jemand nahe, denn der Kopf seines klugen
Hundes gab ihm dafür die genaue Richtung an, und dort hinüber sehend,
erkannte er bald, daß er von _diesem_ Störenfried nichts zu fürchten
habe.

Es war ein sehr elegant, fast etwas auffällig gekleideter Herr,
eine Persönlichkeit wie aus einem Modejournal herausgeschnitten, mit
sorgfältig gepflegten Locken, kleinem, sehr zierlichem Schnurrbart,
Glanzstiefeln, kurz Allem, was dazu gehört. Was sich aber nicht gehörte,
war, daß er nicht auf dem Wege her, wo die Thür lag, sondern quer über
die Wiese kam, also jedenfalls über den Drahtzaun gestiegen sein mußte.
Eben so wenig schien er auf einem gleichgültigen Spaziergang begriffen,
sondern weit eher Jemanden zu suchen oder zu erwarten. Dem schlauen
Maulwurfsfänger konnte es wenigstens nicht entgehen, daß er sich
vorsichtig nach allen Seiten umsah und seine Richtung so über die Wiese
nahm, um fortwährend durch die Büsche und Baumgruppen gegen einen Blick
von den oberen Schloßfenstern gedeckt zu bleiben.

»Spitz, komm 'runter,« flüsterte der Alte jetzt seinem Hunde zu, denn
er hatte seinen Plan geändert, das Versteck zu verlassen, und schien vor
der Hand einmal abwarten zu wollen, was der fremde Herr hier im Schilde
führe. Möglich auch, daß er selber nicht von ihm gesehen zu werden und
deshalb nur noch seine Zeit abzupassen wünschte, um ihn erst hinter die
eine oder die andere Baumgruppe zu lassen -- und doch war wohl hier nur
sehr wenig Gefahr vorhanden, daß der feine Stutzer ihn verrathen oder
selbst nur ahnen konnte, was er da getrieben.

Der Spitz gehorchte übrigens augenblicklich. Wie ein Fuchs drückte
er sich auf den Boden und kroch dicht an den Wurzeln der Erle hin bis
hinter den Stamm, von wo er auf das unmittelbare Flußufer hinabsprang.
Hier allerdings schnüffelte er erst einmal nach den, wenn auch
vertilgten Blutspuren der abgeschlachteten Fische hin; dann drehte er
sich ein paar Mal im Sande herum, bis er die richtige Stellung gefunden
hatte, und legte sich zusammengerollt ruhig nieder. Er wußte, daß seine
Dienste vor der Hand nicht weiter in Anspruch genommen wurden.

Der Maulwurfsfänger hatte indessen, ohne weitere Notiz von seinem Hund
zu nehmen -- das Kinn auf die zusammengestellten Fäuste gestützt --
die Bewegungen des Nahenden über die Uferbank hin eine ganze Weile
beobachtet. Er wußte dabei recht gut, daß er selber nicht gesehen werden
konnte, denn seine graue Mütze und sein graues Haar verschwanden auf die
Entfernung völlig in der Erdfarbe des Bodens. Plötzlich aber stahl sich
ein grimmes Lächeln über seine Züge, denn vom Schloß herunter entdeckte
er durch die Büsche ein lichtes Frauenkleid, das mit dem Besuche
augenscheinlich in Zusammenhang stand.

Der Alte hatte nun allerdings vortreffliche Augen, schien sich aber hier
doch nicht allein auf diese verlassen zu wollen, sondern griff in die
Brusttasche und holte von dort ein kleines Teleskop hervor, das er
auseinander zog und auf die nahende Dame richtete. Nur wenige Secunden
sah er aber aufmerksam hindurch, als er auch schon leise vor sich hin
pfiff und dann lachend murmelte:

»Sieh, sieh, sieh, Comtesse Paula, auch schon auf der Jagd, und noch
dazu, wie es scheint, auf verbotenem Wilddiebstahl -- was man doch nicht
Alles erlebt, wenn man alt wird! Und wer zum Henker ist denn nur der
feine Herr, der nicht offen in's Schloß kommen darf, sondern hinten
herum über die Zäune steigen muß, um von der verbotenen Frucht zu
naschen? Hm, das Gesicht kenne ich nicht,« setzte er leise hinzu, als er
das Glas dort hinüber gerichtet hatte. »Geschniegelt und gebügelt genug
sieht er aus, um da oben hinein in die Gesellschaft zu passen, mit
goldenen Ketten und Ringen und allem möglichen Firlefanz; wird ihm aber
wohl am Besten fehlen, am alten Adel. Ja, mein Schatz, da mußt Du Dir
freilich die Graupen nach der jungen Gräfin Monford vergehen lassen,
oder...«

Er brach kurz ab, drehte sich um, kauerte sich wieder am Wasser nieder
und starrte wie in alte Erinnerungen versunken auf die blitzende Fläche,
aber ein höhnisches, ordentlich unheimliches Lächeln zuckte um seine
Lippen.

»Puh,« sagte er endlich und blies den Qualm seiner Pfeife in einer
dichten Wolke von sich, »es giebt nichts Neues mehr auf der Welt, Alles
schon da gewesen, Alles; wird ordentlich langweilig, hier oben noch
länger herum zu trampen. Komm, Spitz, wir wollen machen, daß wir nach
Hause kommen, was geht's uns Beide an?«

Damit schob er seine Angelruthe wieder sorgfältig zusammen und schraubte
die Zwinge fest. Der Spitz hatte sich aufgerichtet und benutzte die ihm
gegönnte freie Zeit, um sich erst hier unten am Wasser noch ein paar
übrige Flöhe abzukratzen. Sein Herr sah indessen noch einmal über die
Uferbank, ohne jedoch das Teleskop mehr zu Hülfe zu nehmen.

Die jungen Leute hatten sich richtig gefunden; die Dame lehnte im Arm
des Fremden, das Haupt an seiner Brust, und während er sie mit dem
rechten Arm unterstützte, führte er sie auf einem der kleinen Pfade hin,
die sich durch die verschiedenen Baumgruppen schlängelten. Dort drinnen
ließ sich von hier aus nicht einmal mehr das lichte Kleid der Dame
erkennen, und der Maulwurfsfänger faßte ohne Weiteres seinen daran schon
gewöhnten Hund auf, hob ihn in die Höhe, warf ihn auf die Uferbank und
kletterte ihm dann selber nach, um in die Stadt, wo er seine Wohnung
hatte, zurückzukehren.

Er hielt aber dabei eben so wenig den Pfad, wie der junge Herr vorher,
sondern schlenderte, von dem Hunde gefolgt, der Schwanz und Ohren hängen
ließ, als ob er nicht Drei zählen könnte, quer über die Wiese, und zwar
gerade dem Bosquet zu, in welchem die beiden Liebenden verschwunden
waren. Er that das aber nicht etwa aus Neugierde, sondern sein nächster
Weg lag gerade dort hindurch, und er hielt sich auch nicht einmal mehr
im Gehen auf. Nur den Blick warf er, auch mehr aus alter Gewohnheit,
suchend umher; aber von dem Pärchen war nichts mehr zu erkennen, und
bald darauf betrat er wieder die Wiese, die ihn unten am Schloßberg hin
zu dem Hauptfahrweg führte.

Kurz vorher, ehe er diesen erreichte, bemerkte er die gräfliche
Equipage, welche aus der Stadt heraufgefahren kam. Er blieb oben auf
dem etwas höheren Rasenrand stehen und zog, während wieder das alte
spöttische Lächeln um seine Lippen zuckte, mit fast übertriebener
Ehrfurcht die Mütze vor den Herrschaften.

Der Graf, ohne mehr als einen flüchtigen Blick nach ihm hinüber zu
werfen, dankte durch ein leises Kopfnicken; die Gräfin beachtete ihn gar
nicht.

»Ganz unterthänigster und gehorsamster Diener, meine verehrten
gräflichen Herrschaften,« spottete indeß der Maulwurfsfänger hinter
ihnen her und hielt noch immer die abgezogene Mütze in der Hand;
»wünsche eine recht angenehme Fahrt und besonders viel Glück zu dem
neuen geheimnißvollen Schwiegersohn des edlen, unbefleckten gräflichen
Stammbaumes! Hahahahaha,« lachte er dann toll und lustig auf, indem
er die Mütze wieder auf den Kopf stülpte, »ob es denn nicht rein zum
Todtschießen ist, wenn man die hochnasige Grethe da im Wagen sitzen
sieht und dann zurückdenkt, wie -- hei, lustig, Maulwurfsfänger,
Kammerjäger! heute wollen wir da unten auch eine gräfliche Mahlzeit
halten, zur Erinnerung an die alten Zeiten, und auf die Gesundheit
des fidelen Brautpaares eine Flasche guten Weins leeren; habe so lange
keinen gekostet -- hurrah!«

Damit faßte er seinen durch die Fische beschwerten Ranzen mit der linken
Hand, sprang auf den Fahrweg und verfolgte von jetzt an rasch seinen Weg
nach Haßburg hinab. --

»Und so lange habe ich Deine süßen, lieben Augen nicht küssen dürfen,
meine Paula,« klagte indessen der junge Mann, den der Maulwurfsfänger in
den Park hatte schleichen sehen, indem er das junge, schüchterne Mädchen
an sich zog und wieder und wieder ihre Stirn und Augen küßte.

»Ach, Rudolph,« seufzte Paula, die immer noch scheu den Blick umherwarf,
ob sie nicht von irgend einem Lauscher bemerkt werden könnten, »nur auf
Minuten war ich im Stande, mich wegzustehlen, denn Du glaubst nicht,
wie mich diese alte, häßliche Gouvernante, die sie jetzt
meine Gesellschafterin nennen, quält und peinigt. Eine schöne
Gesellschafterin, nicht einmal Raum, an Dich zu denken, läßt sie mir den
langen Tag mit ihren ewigen Gesprächen und Büchern, mit ihrer Musik und
ihren alten, langweiligen Classikern.«

»Mein armes, armes Kind!« rief Rudolph feurig aus; »aber die Zeit
wird ja auch kommen, wo wir uns vor der Welt angehören dürfen, Deine
Eltern...«

»Ach, Rudolph,« seufzte das arme Mädchen unter Thränen, »hoffe nicht auf
die; nur eine Andeutung machte ich neulich, daß ich glaubte, ich könne
auch mit einem Manne glücklich werden, der von geringerem Stande sei,
als ich, und meine Mutter gerieth außer sich -- ich fürchte Alles!«

»Und ich fürchte nichts,« rief der junge Mann, eigentlich mit etwas zu
viel Pathos, »nichts, als die Grenzen Deiner Liebe; laß auch Hindernisse
wie Gebirge zwischen uns treten, ich will sie für Treppen nehmen und
darüber hin in Louisens Arme fliegen!«

»In Louisens?« sagte das junge Mädchen erschreckt.

»In Deine, mein Herz,« lächelte ihr Geliebter; »kennst Du die wunderbar
schöne Stelle aus Kabale und Liebe denn nicht?«

»Ach, Rudolph, mir ist das Herz so schwer; was kann ich gegen den Willen
der Eltern thun?«

»Ha, laß doch sehen,« declamirte Rudolph weiter, »ob ihr Adelsbrief
älter ist, als der Riß zum unendlichen Weltall; wer kann den Bund zweier
Herzen lösen oder die Töne eines Accords auseinander reißen!«

»Aber Du weißt nicht, Rudolph, wie entsetzlich streng die Eltern sein
können, wo es, wie sie glauben, die Ehre ihres Hauses gilt; mein Wort
verhallt da ohne Klang.«

»So flieh mit mir, Geliebte,« drängte Jener; »was nützt uns Glanz und
Pracht, wenn unsere Herzen verbluten? Meine Kunst ernährt uns, wohin
wir den Fuß wenden. Dem Namen Handor jauchzt die ganze Künstlerwelt
entgegen, und frei und glücklich leben wir den Musen, der Liebe...«

»Ach, Rudolph, ich soll die Mutter, soll den Vater verlassen?«

»Du sollst Vater und Mutter verlassen und dem Manne folgen, gebietet Dir
selber die heilige Schrift.«

»Mein armer Vater!«

»Er wird seine Härte bereuen, wenn er sieht, welche ruhmvolle Laufbahn
Du gewählt, und erweicht, gerührt Dich an sein Herz zurückrufen.«

»Er wird mir fluchen!«

»Gut, so bleib,« sagte Rudolph resignirt, indem er den Arm wie abwehrend
gegen sie ausstreckte, »bleib Deine Lebenszeit ein Sclave jener
alternden Vorurtheile und Formen; folge der Hand, die Dich erbarmungslos
zur Schlachtbank führt -- Dein Rudolph kann entsagen --

  »Wie konnte solch ein Glück auch mir beschieden,
  Vom Himmel mir gegönnt sein -- mir, dem ja
  Das Schicksal von der Wiege jede Freude
  Verbittert und vergiftet! Dem der Becher,
  Zum Trunk gehoben schon, von durst'ger Lippe
  So oft und oft gerissen wurde! Geh --
  Geh -- geh, Zuleima -- glücklich wirst Du sein,
  Und ich? -- Für mich kein Glück -- für mich ein Grab!«

Und wie verzweifelnd barg er das Antlitz in den Händen.

»Rudolph, Rudolph, oh, nicht so, Du weißt ja, daß Du mir das Herz mit
solchen Reden brichst; thu es nicht, thu es nicht!«

»Aber welcher Ausgang bleibt mir, als der Tod? Du weißt, daß ich nicht
ohne Dich leben kann, weißt, daß ich verderben und untergehen müßte,
wenn nicht Dein reines Herz mich an dieses Leben fesselt! Aber was
kümmert das Dich,« setzte er bitter hinzu, »Du folgst Deinem Vater,
Deiner Mutter; der arme Rudolph mag zu Grunde gehen, er ist ja doch nur
ein Schauspieler.«

»Und habe ich das um Dich verdient, Rudolph?« sagte Paula mit leisem
Vorwurf im Ton, während sie ihr schmerzbewegtes Antlitz zu ihm emporhob.
»Habe ich Dir nicht wieder und wieder bewiesen, wie meine ganze Seele
nur an Dir hängt, wie ich kein Glück, keine Seligkeit auf dieser Welt
kenne, als nur Dich?«

»Und doch willst Du mir entsagen,« erwiderte der junge Mann schmerzvoll,
»doch hältst Du es für möglich, daß Du entsagen kannst, während mir
schon bei dem bloßen Gedanken daran das Blut zu Eis gerinnt, und meine
Pulse aufhören zu schlagen?«

»Laß mir Zeit zum Denken, Rudolph,« bat das arme Kind, »habe Nachsicht
mit meiner Schwäche, wenn ich einen Augenblick schwanken und zaudern
konnte. Sieh, noch ist es ja auch nicht so weit, noch ist es ja möglich,
daß ich der Eltern Herz zum Besten wende; ich will es wenigstens
versuchen, ich will Alles thun, was in meinen Kräften steht, um einen
Schritt zu vermeiden, der ja doch mein ganzes künftiges Leben, selbst an
Deiner Seite, mit einem Vorwurf belasten müßte.«

»Und wenn Alles fehlschlägt?«

»Ich bin Dein, Rudolph, Dein für alle Zeiten,« rief Paula, »Gott sei
mir gnädig, aber ich kann nicht anders; was da auch kommen möge, welche
Prüfung mir der Himmel auch auferlegt, ich fühle es, daß die Liebe zu
Dir stärker ist als alles Andere!«

»Mein Mädchen, mein süßes Leben,« rief Handor, »jetzt bricht auf's Neue
ein Strahl der Hoffnung in mein zerrissenes Herz; aber sie werden Dich
zwingen wollen!«

»Der Gewalt setz' ich Gewalt entgegen,« rief Paula leidenschaftlich,
»treiben sie mich zum Aeußersten, so fallen die Folgen auch auf ihr
Haupt zurück; Gott hätte diese Liebe zu Dir nicht in mein Herz gelegt,
Rudolph, wenn sie nicht göttlich wäre, und seiner Weisung will ich
folgen. Aber ich muß jetzt fort.«

  »Und kann ich nie
  Ein Stündchen ruhig Dir am Busen hängen
  Und Brust an Brust und Seel' in Seele drängen?«

klagte Rudolph, Göthe's »Faust« citirend.

»Ich darf nicht länger bleiben,« sagte Paula, »ja, ich fürchte, daß
meine Eltern schon zurück sind und nach mir gefragt haben.«

»Und wann sehe ich Dich wieder?«

Paula zögerte einen Augenblick mit der Antwort. »Wir dürfen nicht so oft
zusammen kommen,« sagte sie endlich. »Du glaubst nicht, wie viel Augen
uns bewachen. Aber es ist doch vielleicht nöthig, daß ich Dir morgen
Nachricht gebe; so sei denn morgen Abend -- morgen Abend ist kein
Theater, nicht wahr?«

»Nein, mein Herz, ich habe den Tag und Abend frei.«

»Gut denn, so sei morgen Abend an der bewußten Stelle neben dem alten
Wartthurm. Es ist möglich, daß ich selber Zeit finde, einen Moment
dorthin zu kommen, wo nicht, findest Du einen Zettel an dem bestimmten
Platz.«

»Tausend Dank, mein süßes Leben!« rief Rudolph leidenschaftlich, indem
er sie umschlang und wieder und wieder küßte. Sie gab sich seinen
Liebkosungen auch für wenige Secunden hin, dann aber machte sie sich
leise von ihm los.

»Lebe wohl, Rudolph, lebe wohl!« rief sie ihm zu, drückte noch einen
Kuß auf seine Lippen und floh dann wie ein gescheuchtes Reh den Busch
entlang, um erst weiter oben den Pfad wieder zu erreichen, von wo sie
nachher langsam, wie von einem Spaziergang kommend, nach dem Schloß
zurückkehren konnte.

»Himmlisches Mädchen,« sagte Rudolph, der stehen geblieben war und
ihr mit einem behaglichen Lächeln nachgesehen hatte, »lauter Feuer
und Gluth, eine lebendige Julia! Und der Alte? Bah, er wird eine Weile
wüthen und Rache schnauben, daß die Comtesse mit einem Komödianten
durchgegangen, und zuletzt bleibt es immer die alte Geschichte. Was
will er denn machen? Es ist die einzige Tochter, und wenn ihm der
Schwiegersohn auch gerade nicht genehm sein mag, muß er doch schon gute
Miene zum bösen Spiel machen -- der alte adelsstolze Narr der.«

Und sich erst vergnügt und selbstzufrieden die Hände reibend -- von
seiner vorigen Verzweiflung war keine Spur mehr zu entdecken --, griff
er seinen kleinen Spazierstock wieder vom Boden auf, schlenderte langsam
nach dem nächsten Weg hinaus, blieb hier noch einmal stehen, um sich
erst mit seinem Taschentuch die in dem trocknen Laub und Sand staubig
gewordenen Glanzstiefeln zu säubern, und schlug dann dieselbe Richtung
wieder ein, von der er vorher gekommen und wo er mit einem kleinen Umweg
das Schloß und dessen nächste Umgebung vermied, um von dort ungesehen in
die Stadt zurückzukehren.




4.

Die gräfliche Familie.


Die Equipage des Grafen Monford fuhr indessen langsam den sogenannten
»Schloßberg« hinauf, denn der Graf hielt außerordentlich auf seine
Pferde und litt nie, daß sie nutzlos angestrengt wurden, strafte auch
nichts härter, als einen Verstoß gegen die darüber erlassenen Befehle.
Der leichte Wagen knirschte über den hier reichlich ausgestreuten Kies,
und der Weg zog sich bis zur Treppe des Herrenhauses durch einen wahren
Flor von in voller Blüthe stehendem Hollunder, Goldregen, Akazien und
Schneeballen hin, während die Front des ganzen Gebäudes mit allen nur
erdenklichen Topfgewächsen so reich geschmückt war, daß selbst die
breite, kunstvoll gearbeitete Marmortreppe, die zu dem Gartensalon und
Empfangszimmer hinauf führte, einem vollblühenden Garten glich und
den Duft ihrer Blumen durch die geöffneten Fenster in alle Räume des
Schlosses sandte.

Und alle Räume waren so reich als geschmackvoll ausgestattet, denn
Graf Monford besaß ein bedeutendes Vermögen und hatte auf seinen
weiten Reisen gelernt, sich die Bequemlichkeiten und den Luxus aller
Himmelsstriche anzueignen, ohne dabei sein Haus zu überladen. Die
kostbarsten Gemälde, die herrlichsten Statuen und Statuetten schmückten
die Zimmer, aber wo sie standen, schien es auch, als ob sie fehlen
würden, wenn man sie weggenommen hätte.

Eine zahlreiche Dienerschaft füllte dabei das Haus -- Graf Monford hatte
früher auf von seinem Vater ererbten Besitzungen in Westindien gelebt
und sich daran gewöhnt, eine Masse von Dienstleuten um sich zu haben
-- und herrliche Pferde standen in den Ställen, die sich, mit weiten
Rasengründen für die Fohlen, eine ganze Strecke in den Park hineinzogen.

Als er ausgestiegen war, blieb er auch noch eine Weile (während seine
Gemahlin nach oben ging, um Toilette zum Diner zu machen, und der
Bediente eine Anzahl aus der Stadt mitgebrachter Pakete aus dem Wagen
nahm) auf der Treppe stehen, um indessen seine beiden Goldfüchse zu
betrachten, die, ungeduldig über den Aufenthalt, die schönen Köpfe auf
und nieder warfen.

»Der Soliman scheut noch immer,« sagte er dabei, während sein prüfender
Blick über die Thiere glitt und den Kutscher besorgt machte, daß
er etwas Ungehöriges daran entdecke, -- »daß wir ihm das gar nicht
abgewöhnen können.«

»Er ist lammfromm geworden, Herr Graf,« erwiderte aber der Mann, indem
er mit dem Ende der Peitsche langsam eine Stechfliege vom Halse des
besprochenen Thieres zu entfernen suchte -- »aber die fremden Beester
jetzt in der Stadt, da scheut beinahe jedes Pferd.«

Der Graf nickte und betrat dann den mit feinen indischen Matten belegten
Marmorboden des untern Saales, während der Kutscher, da Alles aus
dem Wagen entfernt war, leise mit der Zunge schnalzte und nach den
Stallgebäuden hinüberfuhr.

Im Salon war Graf Monford sonst gewöhnt, daß ihm seine Tochter
entgegenkam. Er traf heute nur ihre Gesellschafterin, Mademoiselle
Beautemps, eine ausgetrocknete Französin, sehr elegant gekleidet, aber
mit einem etwas verbissenen Zug um die dünnen Lippen und sehr steifer,
selbstbewußter Haltung.

»Wo ist Paula, Mademoiselle?«

»Ich war eben im Begriff, sie zu suchen, Herr Graf,« erwiderte die Dame.
»Sie ist in den Park spazieren gegangen, ohne mir ein Wort davon zu
sagen.«

»Das wäre freilich unverantwortlich,« entgegnete Graf Monford, während
es wie ein leises, halb spöttisches Lächeln um seine Lippen zuckte,
»besonders wenn man bedenkt, daß das Kind erst siebzehn Jahre alt
ist und wahrscheinlich im nächsten Jahre heirathen wird. Hat sie ihre
Kammerjungfer mit?«

»Sie ist vollständig allein gegangen.«

»Vollständig allein? So -- nun, sie weiß, daß wir um fünf Uhr diniren,
und wird zur rechten Zeit zurück sein.«

»Aber nicht einmal Zeit behalten, ihre Toilette zu machen. Wenn mir der
Herr Graf erlauben...«

»Sie werden sie dann verfehlen und ebenfalls das Diner versäumen. Sie
wird schon kommen« -- und damit schritt er in sein Zimmer hinüber, das
zu ebener Erde lag.

Mademoiselle Beautemps biß sich auf die Lippen, antwortete aber
nur, sich ihrer Stellung und Würde bewußt, durch eine sehr förmliche
Verbeugung, die der alte Herr nicht einmal bemerkte, und trat dann
auf die Treppe hinaus, um die Ankunft ihres ungehorsamen Zöglings mit
anscheinender Geduld, bei der sie aber in innerlichem Aerger fortwährend
in raschem Tacte die Marmorplatten mit dem Fuß schlug, zu erwarten.

Ein Reiter kam den Weg heraufgesprengt, hielt an der Treppe, sprang
aus dem Sattel, warf die Zügel seines warm gewordenen Thieres dem ihm
folgenden Reitknecht zu, und war dann in wenigen Sätzen oben bei der
Gouvernante.

»Ah, guten Morgen, Mademoiselle -- Karl, reib das Pferd gut ab, und daß
dann der Fingal gesattelt wird -- ich reite nach dem Diner gleich wieder
in die Stadt zurück. -- Wo ist Paula, Mademoiselle?«

»Thut mir leid, Ihnen keine Auskunft geben zu können, Herr Graf,« sagte
die Dame achselzuckend; »die Comtesse scheint die Zügel der Regierung
selber in die Hand nehmen zu wollen.«

»Durchgebrannt?« lachte der junge Mann, indem er seine Handschuhe auszog
und in den Reitrock steckte. »Die Eltern sind aber zu Hause, wie
ich sehe,« setzte er mit einem Blick auf die Wagenspuren hinzu, »und
wahrhaftig, gleich fünf Uhr -- alle Wetter, da habe ich keine Zeit
mehr zu verlieren!« und rasch sprang er in das Haus und in sein eigenes
Zimmer hinauf.

Mademoiselle Beautemps hatte wenigstens die Genugthuung, nicht länger
auf die Folter gespannt zu sein, denn in diesem Augenblick kam auch die
Comtesse aus dem Park herauf. Sie mußte scharf gegangen sein, denn sie
sah erregt aus.

»Aber, Comtesse, ich bitte Sie um Gottes willen, wo haben Sie gesteckt?
Kann man denn nicht auf einen Augenblick den Rücken wenden!«

»Sind die Eltern schon da?«

»Schon lange, es wird gleich servirt werden. Und wie sehen Sie aus! Mit
der Frisur können Sie gar nicht bei Tafel erscheinen! Wo waren Sie?«

»Im Park. Ist George auch schon da?«

»Alle -- es wird den Augenblick dinirt. Ich muß wirklich in Zukunft
bitten...«

Paula ließ sie gar nicht ausreden. An ihr vorüber huschte sie durch den
Saal in ihr eigenes kleines Boudoir, wo Bertha, ihre Kammerjungfer, sie
schon erwartete, und als Mademoiselle Beautemps, damit nicht zufrieden,
sich das Wort abgeschnitten zu sehen, ihr dahin folgen wollte, um ihre
Ermahnung und Strafpredigt zu beenden, hatte die sorgsame Zofe schon den
Riegel vorgeschoben. Es wurde Niemand mehr eingelassen.

Paula brauchte aber für ihre Toilette außerordentlich wenig Zeit; das
volle, herrliche Haar fiel fast von selbst in seine natürlichen Locken,
und noch ehe die Gräfin Mutter den Speisesaal betrat, wo in diesem
Augenblick gerade die Suppe aufgetragen wurde, war sie dort.

Ihr Bruder stand schon am Fenster und blätterte in einem Haufen von
Zeitungen.

»Ah, da bist Du ja!« rief er ihr entgegen. »Sag', Schatz,« flüsterte er
dann, »hat Dir Papa schon etwas mitgetheilt?«

»Mir, George?« fragte Paula erstaunt -- »was soll er mir mitgetheilt
haben? Ich weiß von nichts!«

»Nun, dann kommt es noch,« lächelte George, ihr freundlich zunickend.
»Apropos, Paula, gehst Du Dienstag mit in's Theater? Die Räuber werden
gegeben. Handor ist famos als Karl Moor.«

»Ich weiß es nicht,« sagte Paula erröthend, »wenn es Papa erlaubt...«

»Hoffentlich nicht, Comtesse,« bemerkte hier die Gesellschafterin, die
gerade zur rechten Zeit in den Saal getreten war, um die Frage zu hören;
»denn mit _meiner_ Zustimmung besuchen Sie das Theater nicht so oft. Es
ist ein Tempel des Lasters, in dem junge Mädchen eigentlich gar nichts
zu suchen haben.«

»Mademoiselle!« wollte George gereizt ausfahren, als sich die
Thür öffnete und die Eltern erschienen. Die Unterhaltung war damit
abgebrochen.

»George -- ah, da bist Du ja, Paula! Hast Du einen Spaziergang gemacht,
mein Kind?«

»Mein lieber Vater...«

»Schon gut, Du bist ja noch zur rechten Zeit eingetroffen. Höre, George,
Du hast Deinen Rappen wieder tüchtig warm geritten. Wenn Du meinem Rath
folgst, schonst Du das Pferd.«

»Ich hatte mich verspätet, Papa, und ließ ihn nur ein wenig austraben.
Heute Nachmittag nehme ich den Weißfuß.«

»Du willst wieder fort?«

»Ich habe mich zu einer Partie Whist bei Boltens engagirt und vorher
noch Einiges zu besorgen.«

»Setzen wir uns.«

Das Diner wurde gewöhnlich schweigend verzehrt, da es Graf Monford nicht
liebte, sich in Gegenwart der Diener zu unterhalten. Nur vollkommen
gleichgültige Dinge durften besprochen werden, und selbst diese so kurz
als möglich, und doch hätte George gar zu gern schon während der Tafel
von dem Theater angefangen, das er leidenschaftlich gern besuchte.
Aber es ging eben nicht, denn er wußte im Voraus, daß er entweder keine
Antwort oder gar einen Verweis bekommen hätte.

George war das treue Abbild seiner Schwester, nur etwa zwei oder
drei Jahre älter als sie, aber mit denselben edlen und offenen
Zügen, denselben kastanienbraunen Augen, aber fast schon ein wenig
zu selbstständig für seine Jahre, wozu denn freilich die Erziehung im
elterlichen Hause Vieles beigetragen.

Als junger Bursche und noch unter einem Hofmeister wurde er mit
eiserner, nachsichtsloser Strenge bis zu dem Augenblick behandelt, wo
er zur Universität abging, und dort plötzlich und mit einem Schlag
sein eigener, freier Herr war. Natürlich wußte er die ihm so rasch und
unerwartet gekommene Freiheit nicht immer nur zu gebrauchen, sondern
mißbrauchte sie auch nicht selten.

Dazu kam, daß Graf und Gräfin Monford sich Jahre lang auf Reisen
befanden, wo denn die Kinder auch nur auf fremde Menschen angewiesen
blieben und ihre Eltern nicht einmal zu sehen bekamen, und mit der
ganzen vorangegangenen Erziehung konnte es kaum anders geschehen, als
daß sich beide Theile mehr und mehr entfremdet werden mußten.

Graf und Gräfin Monford hatten in der That keine Kosten und Mühen
gescheut, um ihre Kinder Alles lernen zu lassen, was sie in ihren
Bereich bringen konnten, aber sie machten ein sehr großes Haus, und nur
zu oft ist es ja in solchen »großen Häusern« leider der Fall, daß die
gesellschaftlichen Pflichten den elterlichen vorgezogen werden oder,
wie man sich einredet, vorgezogen werden müssen. Man hat Rücksichten zu
nehmen (wie die Entschuldigungen heißen), überdies zuverlässige
Leute daheim, denen man die Kinder recht gut anvertrauen kann. Eine
Gesellschaft jagt dann die andere, einmal daheim oder auch außer dem
Hause, von allen aber sind die Kinder ausgeschlossen, und ihre kurze
Jugendzeit vergeht, ohne daß sie sich erinnern, der Mutter mehr als ein-
oder zweimal auf dem Schooß gesessen zu haben.

Aber ein Kind will nicht allein Pflege -- die kann ihm jeder gemiethete
und gute Dienstbote geben -- es will auch Liebe, und wenn ihm die
entzogen wird, so wächst es auch wohl ohne sie frisch und kräftig auf,
aber in seinem Herzen bleibt ein leerer, öder Raum, den es sich selber
dann oft mit verderblichen Stoffen füllt. Unter der Obhut Fremder
aufgewachsen, hatten sie allerdings vor den Eltern, denen sie erst
herangewachsen näher traten, eine gewaltige Ehrfurcht gehabt, aber
sie kannten kein anderes Gefühl und hielten diese Ehrfurcht für Liebe,
während die Eltern stolz, recht stolz auf ihre Kinder waren und auch
diesen Stolz für Liebe nahmen. So täuschten sich beide Theile über
ihre Gefühle, und auch die Welt, und doch waren beide Kinder von Herzen
seelensgut und brav, und auch die Eltern fest überzeugt, Alles für sie
gethan zu haben, was in ihren Kräften stand, um vollen Anspruch auf ihre
Dankbarkeit zu haben.

Die Liebe aber, die den beiden Geschwistern durch ihre Eltern mehr
unbewußt als absichtlich entzogen worden, brachten sie dafür einander
selber in desto reicherem Maße zu. Mit unendlicher Zärtlichkeit hingen
beide an einander, ob auch ihre Charaktere noch so verschieden sein
mochten.

Paula, von zartem Körperbau, mit vieler Phantasie begabt, neigte
mehr zur Schwärmerei. Sie las viel und, leider, unter Anleitung
der Französin, nicht immer recht passende Bücher; sie liebte dabei
leidenschaftlich das Theater und konnte sich durch irgend ein gegebenes
Schau- oder Trauerspiel so aufregen lassen, daß sie halbe Nächte lang
ihre Kissen mit Thränen netzte. Unglücklicher Weise fand sie dabei in
der Familie, der sie, während die Eltern auf Reisen gewesen, zur Obhut
übergeben worden, nur zu viel Nahrung, denn diese hatte ein kleines
Liebhabertheater in ihrer eigenen Wohnung errichtet, verkehrte viel mit
Künstlern und fachte dadurch den Funken, der in Paula's Herzen glimmte,
zur lichten Flamme an.

Das Technische in der Aufführung bei den kleinen, dort gegebenen Stücken
hatte man nämlich nicht gut bewältigen können oder es auch vielleicht
für zu mühsam gehalten. Ein geschickter Leiter wurde für nothwendig
erachtet, und dort hatte Paula Handor kennen lernen.

George seinerseits war nichts weniger als ein Schwärmer und hing viel
mehr dem Realistischen an. Er liebte wohl auch das Theater, weil es ihm
Unterhaltung bot, ohne daß er sich aber sonst auch nur mit einer Faser
seines Herzens dazu hingezogen fühlte. Weit mehr beschäftigten ihn
die seinem Stande auch angemesseneren ritterlichen Uebungen. Er war ein
perfecter, tollkühner Reiter, ein eifriger und für sein Alter recht
guter Jäger, besonders ein sicherer Schütze, und wenn er nebenbei auch
etwas Musik und Malerei trieb und mit Vergnügen ein gutes Buch las,
hatte er doch keinen rechten Trieb dafür. Er verstand etwas von Jedem,
ohne es in irgend einer Sache zur Vollkommenheit zu bringen, und da er
das selber fühlte, verlor er auch bald die Lust daran.

Auch an dem Liebhaber-Theater hatte er sich anfangs mit großer Lust
betheiligt und vielen Eifer dabei gezeigt, aber es ermüdete ihn doch
bald, wie er denn nie lange an einer Sache Vergnügen fand, und als Ende
März die Auerhahnbalz begann, gab er es vollständig auf und fuhr lieber
Nachts hinauf in den Wald, um Morgens um zwei oder drei Uhr an Ort und
Stelle auf dem Balzplatz zu sein.

Durch das Liebhaber-Theater war er aber selber mit einigen Künstlern
bekannt geworden. Deren freies, offenes Wesen sagte ihm zu, denn im
Umgang mit ihnen brauchte er sich keinen Zwang anzuthun, und sein
leicht empfänglicher Geist fand, was ihm in seinen gewöhnlichen Kreisen
gründlich fehlte: Anregung und Befriedigung. Mit einem Worte, er
fühlte sich unter den Künstlern und in ihrem freien Verkehr wohler
und behaglicher, als in den steifen, aber allerdings sehr vornehmen
Gesellschaften, in denen er sonst heimisch war oder doch heimisch sein
sollte.

Auch zu Hause war ihm der lästige Formenzwang zu unbequem. Er hatte
oft davon gehört und gelesen, was für ein mächtiger Zauber in dem einen
kleinen Worte »daheim« liege und wie die eigene Heimath uns das Liebste
und Theuerste auf der Welt sein sollte; aber mitgefühlt hatte er das
noch nie und hielt es, mit anderen Ueberschwänglichkeiten, für eine
Licenz der Dichter, die vollkommen berechtigt wären, sich irgend einen
Punkt der Welt zu einem kleinen Paradiese auszumalen, ob sie dazu nun
ein beliebiges Feenreich oder eine menschliche Wohnung wählten.

Viel Ruhe hatte er deshalb auch zu Hause nicht, ja, er plauderte wohl
gern einmal ein halb Stündchen mit der Schwester und wußte, daß er
die gehörigen Formen der Tischzeit einhalten mußte, wenn er nicht eben
draußen auf der Jagd war oder eine andere Einladung angenommen und sich
daheim formell abgemeldet hatte -- sonst fesselte ihn nichts an das
Vaterhaus.

Die Tafel war beendet und der Kaffee im Nebenzimmer servirt worden.
Dorthin folgte er den Eltern, und seinen Arm um Paula's Taille legend,
drückte er einen Kuß auf ihre Wange.

»Aber was hast Du nur, George?«

»Nichts, mein Herz,« lächelte der Bruder, »ausgenommen so viel zu thun,
daß ich kaum weiß, wo ich anfangen soll.«

»Du?«

George nickte ihr zu und wollte das Zimmer verlassen.

»Du willst wieder fort, George?« sagte die Mutter.

»Ja, Mama -- heut Abend sehen wir uns doch bei Boltens; nicht wahr, Ihr
kommt auch hin?«

»Ich weiß es noch nicht, mein Sohn,« erwiderte die Gräfin -- »ich habe
etwas Kopfschmerz -- aber vielleicht doch.«

»Du bist gar nicht mehr zu Hause, George,« bemerkte der Vater, »man
bekommt Dich wirklich nur noch beim Essen zu sehen.«

»Ja, bester Vater,« lachte George, »ich habe jetzt drei Pferde
zuzureiten, und das kann ich doch nicht hier im Park thun. Der Fingal
macht mir am meisten zu schaffen.«

»Aber es ist ein vortreffliches Pferd,« nickte der Vater, »Du hast da
einen guten Kauf gemacht, halte ihn nur auch gut.«

»Wie meinen Augapfel, Papa,« lachte der junge Mann. »Also auf
Wiedersehen in der Stadt!« und war im nächsten Augenblick verschwunden.

Paula blieb mit ihren Eltern allein im Zimmer, denn Mademoiselle
Beautemps trank keinen Kaffee und benutzte diese kurze Zeit stets, um
in ihrem Zimmer ein Viertelstündchen Siesta zu halten, worin sie Paula
niemals störte. Sie wollte jetzt ebenfalls das kleine, freundliche
Gemach verlassen, als der Vater, der mit auf den Rücken gelegten Händen
auf und ab gegangen war, leise sagte:

»Paula!«

»Mein Vater!«

»Ich und Deine Mutter möchten ein paar Worte mit Dir reden.«

»Mit mir, Vater?«

»Ja, mein Kind,« sagte der alte Herr, indem er vor ihr stehen blieb, ihr
leise mit der rechten Hand das Kinn emporhob und freundlich fortfuhr:
»Sieh, mein Schatz, Du bist nun schon vor zwei Monaten siebzehn Jahre
alt geworden und -- eben kein Kind mehr...«

»Mademoiselle Beautemps betrachtet mich aber noch als ein solches,«
sagte fast unbewußt Paula, denn ein schmerzhaftes, gleichsam eisiges
Gefühl schnürte ihr in dem Augenblick beinahe die Brust zusammen. Sie
ahnte, was folgen würde.

»Mademoiselle Beautemps...« sagte der Vater rasch, brach aber kurz ab,
hustete und lächelte still vor sich hin. »Nun, Du wirst nicht mehr lange
mit ihr geplagt werden, Kind,« fügte er dann mit trockenem Humor hinzu,
»und was ich eben jetzt mit Dir reden wollte -- das heißt ich und Deine
Mutter --, soll gerade dazu dienen, Dich von ihr frei zu machen.«

»Mein lieber Vater!« flüsterte Paula und warf einen Blick nach der
Mutter hinüber, die am Fenster stand, mit einer kleinen Scheere ein paar
abgeblühte Rosen von einem Stock schnitt und die Blätter hinausstreute.

»Verstehst Du, was ich meine?«

»Nein, mein Vater,« hauchte das junge Mädchen.

»Und doch siehst Du beinahe so aus, als ob Du es verständest,« lächelte
der alte Herr. »Aber ich will mich kurz fassen, mein Kind, denn große
Umschweife sind unter uns ja doch nicht nöthig. Ich frage Dich also
geradeheraus, mein Herz, hast Du noch nicht daran gedacht, Dir einen
Lebensgefährten auszusuchen?«

»Mein lieber, lieber Vater!«

»Aber, George,« sagte die Gräfin kopfschüttelnd, »Du fällst doch auch
wohl da ein klein wenig zu sehr mit der Thür in's Haus. Das ist kaum
eine discrete Frage für ein junges Mädchen, die das überhaupt auch wohl
ihren Eltern überlassen wird.«

»Ich weiß nun gerade nicht,« lächelte der alte Herr, »ob Paula damit
so recht einverstanden sein würde. Aber eben weil ich glaube, daß sich
unsere Gedanken auf halbem Wege begegnen, habe ich so direct gefragt,
denn ich bin überzeugt, ich schieße nicht weit vorbei, wenn ich
vermuthe, daß Du den jungen Grafen Bolten gern hast -- wie, Schatz?
Er ist wenigstens auf allen Bällen Dein unermüdlicher Tänzer, und das
Vielliebchen, das Du neulich mit ihm gegessen -- nun, Du brauchst nicht
bis hinter die Ohren roth zu werden, meine Puppe -- wir sind Alle nicht
besser gewesen, als wir jung waren.«

Ueber Paula's Stirn und Wangen hatte sich allerdings im ersten
Augenblick tiefe Röthe ergossen, im nächsten Moment aber schon schoß
das Blut wie in einem Strom zum Herzen zurück und ließ ihr Antlitz
todtenbleich, während sie leise, aber fest sagte: »Du irrst Dich, Vater,
-- ich liebe den jungen Grafen nicht.«

»Nicht?«

»Du liebst ihn nicht?« wiederholte aber auch die Mutter und drehte sich
rasch und wie erstaunt der Tochter zu. »Und das sagt das Mädchen mit
einer solchen Bestimmtheit, als ob damit die ganze Sache abgemacht und
beseitigt wäre.«

»Der Vater hat mich gefragt, Mama, und er verlangt ja doch Wahrheit von
mir.«

»Das allerdings, mein Herz,« sagte der alte Herr ruhig, während sein
Blick forschend an dem Antlitz der Tochter hing, »die verlangt er in der
That -- aber kannst Du mir einen Grund angeben?«

»Und wäre es Liebe, Vater, wenn man einen Grund dafür nennen könnte?«

»Hm,« sagte der alte Herr, dadurch selber in Verlegenheit gebracht, »Du
scheinst Nutzen aus Deiner Lectüre gezogen zu haben, mein Töchterchen.
Die Sache ist denn aber doch zu ernsthafter Natur, um ihr durch ein
Wortspiel auszuweichen; so höre denn, was ich Dir darüber zu sagen habe.
Ueber die Familie Bolten selber brauchte ich kein Wort zu verlieren; wir
haben sie Alle gern und sind lange, lange Jahre damit befreundet -- wie
geachtet und geschätzt sie im ganzen Lande sind, weißt Du außerdem,
und unser alter Name braucht sich wahrlich nicht zu schämen, neben dem
ihrigen genannt zu werden. Hubert ist dabei ein junger, liebenswürdiger
Mensch, talentvoll, gutmüthig, ein bischen aufbrausend zwar, aber das
wird sich mit den Jahren geben, und außerdem der einzige Sohn. Daß er
Dich gern hatte, habe ich -- und ich muß gestehen, zu meiner Freude
-- schon seit längerer Zeit bemerkt; daß Du ihm nicht abgeneigt warst,
konnte Jeder sehen, der Euch ein paar Mal zusammen beobachtet hat. Dazu
kommt, mein liebes Kind, daß uns Beide, Deine Mutter und mich, diese
Verbindung mit dem Bolten'schen Hause glücklich machen würde, und
ich bin überzeugt, daß alles dies zusammen genommen, wenn Du es Dir
überlegst, Deinen Entschluß bestimmen muß. Ich brauche Dir nur noch zu
sagen, daß heute Morgen, als wir in der Stadt waren, der alte Graf bei
mir förmlich um Dich für seinen Sohn angehalten hat, und ich hoffe, wir
können ihm heut Abend eine gute Antwort mit hineinnehmen -- wie, mein
Schatz?«

»Mein lieber Vater, ich -- ich bin noch so jung!«

»Darin hast Du Recht, und das habe ich meinem Freunde Bolten selbst
entgegnet; er sieht das auch vollkommen ein, und Du sollst nicht
gedrängt werden. Wir haben deshalb Beide ausgemacht, daß die Trauung
nicht früher als an Deinem achtzehnten Geburtstage stattfindet; um uns
aber das Glück unserer Kinder zu sichern, wollen wir die Verlobung am
nächsten Freitag hier bei uns feiern, wozu uns Deine gütige Mama einen
kleinen Ball arrangiren wird -- bist Du damit einverstanden?«

»Dränge sie nicht zu sehr, George,« sagte jetzt die Mutter freundlicher,
als sie bis dahin gesprochen. »Ihr Männer seid Euch darin doch alle
gleich, das folgt Schlag auf Schlag, und da soll das arme Kind auf jede
Frage auch augenblicklich antworten! Versteht sich, wird sie wollen,
aber Du siehst doch, daß sie jetzt bald roth, bald blaß wird -- laß ihr
doch nur Zeit, erst Athem zu holen!«

»Meine liebe, liebe Mutter!« rief Paula und warf sich, von ihren
Gefühlen überwältigt, an der Mutter Brust.

»Aber, =ma fille!=« sagte sie, sich rasch und erschreckt losmachend --
»komm, mein Herz, komm, wozu diese Aufregung -- Du weißt, Kind, wie
das immer meine Nerven angreift, und mein Kopf schmerzt mich überhaupt
heute.«

»Aber ich liebe ihn nicht, Mama!« bat Paula in Todesangst. »Der junge
Graf ist ein braver, lieber Mensch, aber -- aber...«

»Aber, mein Kind?« fragte die Mutter streng.

»Er -- er paßt nicht für mich -- er -- hat für nichts Sinn, als für
seine Pferde und Gewehre -- er haßt Musik und Bücher -- er...«

»Lauter Verbrechen, nicht wahr?« lächelte die Mutter spöttisch -- »und
kann er deshalb nicht ein guter Ehemann werden?«

»Und soll das Herz denn gar keine Stimme haben, Mama?« flüsterte das
arme, gequälte Mädchen -- »soll denn nur immer todter Rang und Reichthum
Verbindungen schließen und Menschen auf ewig an einander ketten, die
sich ohne diese nie gefunden oder nur gesucht hätten?«

»Todter Rang und Reichthum, meine Tochter?« sagte der Vater ernst --
»ich glaube, Du solltest uns dankbar dafür sein, daß wir Dir die Dir
gebührenden Vorrechte auch erhalten und verwahren, Du wirst doch nicht
glauben, daß ich Dich je unter Deinem Stande verheirathen würde?«

»Willst Du mich nicht glücklich sehen, Papa?« fragte Paula herzlich.

»Gewiß, mein Kind, das ist mein heißester Wunsch,« erwiderte der Vater,
»aber eben deshalb muß ich jetzt über Dich wachen, daß Dich Dein leicht
erregtes Herz nicht zu einem Schritt hinführt, den Du später schwer
bereuen und dann sicher unglücklich dadurch werden würdest. Aber wie
ich Dir schulde, für Dein Glück zu sorgen, so schuldest Du auch uns, die
Ehre unseres Hauses aufrecht zu erhalten, und wer Dir dabei am besten
rathen kann, sind denn doch wohl Deine Eltern selber.«

»Und wenn ich vorher wüßte, daß ich unglücklich werden würde?«

»Paula,« sagte der Vater ernst, »ich bitte Dich, nur jetzt, wo es
sich um Deine ganze Zukunft handelt, Deine überspannten Romane und
phantastischen Ideen aus dem Spiel zu lassen! Du hast uns schon neulich
einmal so eine Andeutung gemacht, daß Du Dich an der Seite des ärmsten
Mannes glücklich fühlen könntest, wenn »Eure Seelen«, wie Du Dich
beliebtest auszudrücken, mit einander harmonirten. Es ist der alte
Unsinn mit »eine Hütte und ihr Herz«, der so lange stichhaltig bleibt,
bis das Herz eben in die Hütte hineinziehen soll und die Räumlichkeit
dann überall zu beengt findet. Glaube mir, mein Kind, solche Ideen sehen
sehr hübsch auf dem Papier aus und lassen sich vortrefflich bei einer
warmen, mondhellen Nacht durchschwärmen, aber sie gleichen jenen
wunderbar schillernden Quallen, die an der Oberfläche der See
herumschwimmen und von Weitem einen prachtvollen Anblick gewähren,
nimmt man sie aber in die Hand, so bleibt nichts übrig, als eine graue,
schlammige Blase, die man mit Ekel wieder von sich wirft. »Gleich und
Gleich gesellt sich gern!« ist ein altes, gutes und wahres Sprüchwort,
und wir finden das in der Natur bestätigt, wohin wir blicken. Ein Adler
könnte sich da eben so wenig daran gewöhnen, einen Bund für das Leben
mit einem Truthahn zu schließen und von Körnern und Kartoffelschalen zu
leben, weil ihre Seelen vielleicht sympathisiren -- es geht eben nicht,
und die Grafentochter würde sich elend und unglücklich fühlen, wenn sie
aus der gewohnten Sphäre niedersteigen und in einer Hütte leben sollte.
Das sind eben jugendliche Träume, die ich auch nicht zu hoch anschlage
und deshalb gern verzeihe. Nun sei aber vernünftig, mein Töchterchen,
Du bist alt genug dazu. Wir haben eine Wahl für Dich getroffen, die Dein
Herz nur mit Freude und Dankbarkeit gegen uns erfüllen kann, also füge
Dich dem; denn Du weißt auch, daß Deine Eltern nie ihre Einwilligung zu
einer Verbindung unter Deinem Range geben würden, solltest Du wirklich
je thöricht genug sein, selber an etwas Derartiges ernsthaft zu denken.«

»Mein Vater...«

»Laß nur sein, mein Kind -- ich wußte ja, daß mein gutes Töchterchen
nicht den Lieblingsplan ihrer Eltern kreuzen würde; also werde ich
das Weitere schon selber mit Boltens in Ordnung bringen. Du darfst Dir
indessen immer Deinen Ballstaat zurecht machen,« setzte er lächelnd
hinzu, indem er ihr leise das Kinn emporhob und einen Kuß auf ihre Stirn
drückte, »und daß wir nachher ein recht munteres, fröhliches Bräutchen
haben, davon bin ich überzeugt...«

Ein Diener öffnete in diesem Augenblick die Thür und meldete, in steifer
Haltung an der Schwelle stellen bleibend: »Baronesse von Halldorf läßt
fragen, ob es der gnädigen Herrschaft genehm wäre...«

»Wird uns sehr angenehm sein,« sagte die Gräfin, die froh war, einen
Vorwand gefunden zu haben, das Gespräch abzubrechen -- »aber, Schatz, Du
hast ganz rothe Augen bekommen -- geh auf Dein Zimmer und bade sie ein
wenig mit Rosenwasser, wir erwarten Dich dann unten.«

Der Besuch mußte empfangen werden, und die arme Paula, das Herz zum
Brechen schwer, zog sich auf ihr Zimmer zurück, schob den Riegel hinter
sich vor und sank auf das Sopha.

»Kein Mitleid mit den Gefühlen ihres eigenen Kindes,« flüsterte sie
dabei -- »keine Frage selber danach, ob dieses Herz schon gewählt, schon
entschieden haben könnte -- nichts, nichts als der leere, hohle
Schein, als Stand und Rang und Reichthum -- oh, ich bin recht, recht
unglücklich!« und still weinend barg sie ihr Antlitz in den Händen.




5.

Paradies und Hölle.


In der Schloßgasse zu Haßburg -- denn die alte Stadt, welche in
längstvergangenen Zeiten einmal der Sitz eines Erzbischofs gewesen,
hatte die verschiedenen Benennungen aus ihrer Glanzperiode noch
getreulich aufbewahrt -- stand ein nicht sehr großes, aber wunderlich
verziertes Gebäude. Es war massiv, aus dunkelgrauem, halbverwittertem
Sandstein aufgeführt und mit einer wahren Verschwendung von
Steinhauerarbeit bis unter den Giebel hinauf bedeckt.

Was die zahllosen Gruppen, Bilder und Arabesken daran alle bedeuten
sollten, wäre wohl schwer zu entziffern gewesen -- möglich, daß selbst
die Urheber derselben keine rechte Idee davon gehabt. Deutlich erkennbar
war aber noch eine ordentliche Legion von dicken, pausbackigen Engeln
mit Posaunen und sonstigen Instrumenten, die jeden nur einigermaßen
benutzbaren Raum ausfüllten und den obern Theil des Hauses vollständig
bedeckten, während zwei sehr durch die Zeit und Sturm und Wetter
mißhandelte Riesen, die zwischen Drachenköpfen und Ungeheuerschwänzen
ihren Platz behaupteten, das Portal zu tragen schienen.

Und bunt und prächtig genug mußte das Haus ausgesehen haben, als es aus
der Hand des Künstlers frisch hervorging. Noch jetzt ließen sich nämlich
an einigen geschützten und tiefer liegenden Stellen Spuren von früherer
Vergoldung und Malerei erkennen, mit denen besonders die Instrumente der
Engel geglänzt und geschimmert haben mochten.

An eine Renovation dieser geschwundenen Pracht hatte freilich Niemand
gedacht. Das Haus gerieth in die Hände einer Familie, die seine Lage für
eine Wirthschaft passend fand, da es dem Theater schräg gegenüber
und auch in der Nähe des Domes wie des Rathhauses stand, und der neue
Eigenthümer, mit einer unbestimmten Ahnung, daß die vielen Engel wohl
eine Andeutung der künftigen Seligkeit selber sein könnten, nannte seine
Wirthschaft drinnen nach den Sinnbildern draußen »Zum Paradies«.

Der Mann verdiente viel Geld damit, und als er älter und ihm das
Geräusch und die eigene Unbequemlichkeit eines solchen Lebens zu
groß wurde, ließ er die Wirthschaft eingehen, den obern Stock zu
Familienwohnungen einrichten und behielt nur die unteren Räumlichkeiten
mit den Kellern für sich, in welchen er eine ganz vortreffliche
Weinstube etablirte.

Der alte Trauvest war von jeher ein ausgezeichneter Weinkenner gewesen
und hatte immer etwas auf ein gutes Getränk gehalten. Seine Weinstube
bekam deshalb bald einen Namen und die in Haßburg ansässigen »Künstler«,
lustiges, luftiges Volk, das solche Plätze immer am besten aufzustöbern
weiß, erwählte den Ort zu seiner Künstlerkneipe, wozu ihnen der Wirth,
damit sie nicht mit dem gewöhnlichen trocknen Pfahlbürger und Stammgast
Einen Tisch zu besetzen brauchten, ein kleines besonderes Käfterchen
hübsch einrichten und sogar mit Eichenholz austäfeln ließ. Der und Jener
»stiftete« dann auch noch bald einen alten, wunderlich geschnitzten
Schrank, bald ein paar antike Sessel, hundertjährige Pocale und
Deckelkrüge, alte Waffen und Rüstungen, kurz, was in der Art
aufzutreiben war, hinein, so daß sich der kleine, malerisch geschmückte
Raum bald in ein ordentliches Raritäten-Cabinet verwandelte.

Das Haus wurde zuletzt wirklich dadurch berühmt, und kein Fremder
besuchte Haßburg, der sich nicht bemüht hätte, auch die Künstlerkneipe
im »Paradies«, die das lustige Völkchen dem Namen des Gebäudes gerade
entgegen »Die Hölle« taufte, kennen zu lernen.

Zu den Künstlern: Maler, Bildhauer und Schriftsteller, die sich in
Haßburg aufhielten, fühlten sich aber auch die Schauspieler hingezogen.
Der gute Wein hatte sie schon lange in das »Paradies« geführt, die
bessere Gesellschaft lockte sie aus dem »Paradies« in die »Hölle«, und
von den Künstlern wurden sie, als einer freien Kunst angehörend, auch
mit offenen Armen empfangen.

Der Schauspieler ist überhaupt der beste Gesellschafter in der Welt
und steht ja auch mit allen anderen Künstlern in nächster und innigster
Beziehung. Wie der Maler, muß er Charaktere studiren, um sie wahr
und treu, nicht auf der Leinwand, sondern im wirklich lebendigen
Bild wiederzugeben. Mit dem Dichter muß er fühlen, empfinden und sich
begeistern, und alles das in rasch wechselnden Gestalten, Schlag
auf Schlag, und Triumph oder Niederlage bringt ihm schon der nächste
Augenblick, der nächste Abend.

Alle anderen Künstler schaffen nicht allein für ihre Zeit, nein, sie
haben die Hoffnung, daß auch noch spätere Geschlechter sich ihrer Werke
freuen mögen und ihr Name noch genannt wird, wenn sie schon
selbst dahingegangen. Nicht so der Schauspieler, der, nur auf den
augenblicklichen Erfolg angewiesen, auch nur für diesen wirkt und
schafft. Der Beifall des Publikums, das ihn selber hört und sieht, ist
seine Belohnung; dieser strebt er nach, und ist ihm die gesichert, dann
geht er freudig und vertrauensvoll an's nächste Werk.

Dieser Erfolg des Augenblickes übt aber auch natürlich auf sein ganzes
Leben entschiedenen Einfluß, denn er verwächst mit ihm und theilt sich
seinem ganzen Charakter mit; die Vergangenheit existirt nicht für
ihn, was anders ist sie auch, als eine abgespielte Komödie -- und die
Zukunft? Eine neue brillante Rolle kann ihm die rosig genug gestalten,
weshalb sich jetzt schon Sorgen darüber machen? Noch läuft sein
Contract, das Publikum liebt ihn, oder -- hat sich an ihn gewöhnt, und
was die sonstigen kleinen Leiden und Aergernisse betrifft, die nun
einmal als Salz und Würze unseres ganzen Lebens dienen müssen, ei, die
hat er reichlich in vermutheten Intriguen der Intendanz oder der eigenen
Collegen, oder in boshaften Recensionen eines nicht gehörig honorirten
Theaterkritikers -- was will er mehr?

Leichtes Blut schwimmt oben, leichtes Blut gehört zu seiner ganzen
Existenz, und gerade dieser, in den meisten Fällen liebenswürdige
leichte Sinn läßt ihn das Leben an seiner lichten Seite fassen und ihm
Alles abgewinnen, was eben daraus zu gewinnen ist.

Gute und vielbeschäftigte Schauspieler und Schauspielerinnen -- während
Sänger und Sängerinnen -- mit wenigen Ausnahmen -- nur ihre Noten
studiren und sich verwünscht wenig um Text, Sujet oder Charakter ihrer
Rolle kümmern -- müssen auch gebildete Menschen sein, und sind es
fast stets. Sie haben dabei die Form des Umganges vollständig in ihrer
Gewalt, sie müssen verstehen, sich in allen Kreisen des Lebens zu
bewegen, und verstehen es, und mit einem gewissen Instinct, der sie
alles Steife und Langweilige vermeiden läßt, bringen sie bald Leben in
jeden Cirkel, den sie besuchen.

Es ist mit Einem Wort ein frohes, glückliches Völkchen, und wer in ihrer
Mitte nicht warm wird und seinen im gewöhnlichen Leben noch ängstlich
gepflegten Zopf auf kurze Zeit vergißt, den kann man ruhig aufgeben.
Er ist für die Gesellschaft verloren und paßt nur noch für
»Gesellschaften«.

Es läßt sich denken, daß auch in der »Hölle« ein munterer Ton herrschte,
wie denn auch vor Allem hier die Regel galt, nichts, und wäre es der
bitterste Scherz gewesen, übel zu nehmen. Schon über der Thür stand auch
auf einer großen, schwarzen Tafel mit dicken, goldenen, altdeutschen
Buchstaben der etwas ungelenke Vers:

  Wer hier in diese Stuben kombt ein,
  Laß allen Aerger und Hader daheim.

Und gerade dieses =laisser aller= der Gesellschaft hatte manche junge
Leute aus Kreisen, die sonst nicht gern ein »bürgerliches Wirthshaus«
besuchen, veranlaßt, dann und wann hier vorzusprechen und sich ein
Stündlein unter den Künstlern, unter denen sie immer einzelne Bekannte
fanden, zu amüsiren. Besonders waren einige Artillerie-Officiere, die
selber zeichneten und malten, regelmäßige Besucher der »Hölle« geworden
und zogen dann wieder Andere nach.

So hatte sich denn auch am heutigen Abend, während vorn in der Weinstube
die steiferen Bürger, Beamten und Professoren saßen, in der »Hölle«
ein lustiges Völkchen zusammengefunden, das dem guten Weine des alten
Trauvest wacker zusprach. Vom Theater schien aber nur das Schauspiel
vertreten, da heute eine Oper gegeben wurde; sonst saß aber eine
gemischte Gesellschaft in Uniformen, Sammetröcken und Joppen um den
langen Tisch, und das Gespräch hatte sich gerade um einen Wein gedreht,
den ihnen Trauvest als Markobrunner vorgesetzt und den ein Hauptmann von
Seidlitz für Deidesheimer erklärte, so daß schon eine Wette angeboten
und acceptirt war.

»Wo nur Handor heute bleibt?« rief Höfken, der das Fach der
Charakterrollen am Theater bekleidete; »der hat die beste Zunge von uns
Allen, und seinem Urtheil füge ich mich.«

»Topp, angenommen!« rief der Gegenpart.

»Handor muß etwas auf dem Strich haben,« meinte Berthel, der
Heldenvater; »er geht mir schon seit etwa fünf Wochen mit einer Sorgfalt
gekleidet...«

»Bah,« rief einer der Maler, »als erster Liebhaber muß er auf seine
Toilette halten; er gilt ja bei der ganzen schönen Welt von Haßburg für
das Modejournal der Stadt.«

»Ach was da, Modejournal,« knurrte Pfeffer, der unten am Tische bei
einer halben Flasche Wein saß, »Schulden sind's, und damit er den Leuten
Sand in die Augen streut, hängt er den Plunder um sich her; Esel, wenn
sie sich davon blenden lassen.«

»Nein, Höfken hat Recht,« rief aber auch Berthel, »es muß etwas Anderes
dahinter stecken -- Schulden, bah! Wenn ein Mensch erst einmal so viel
Schulden hat, daß er doch ganz gewiß weiß, er kann sie nicht bezahlen,
dann machen sie ihm auch keine Sorgen mehr, und so steht's mit Handor.
Nein, bei dem spukt etwas Anderes, und ich bezahlte wahrhaftig...«

»Eine Flasche Champagner, Kellner,« rief in diesem Augenblick eine
laute, fröhliche Stimme, und als sich Alle danach wandten, stand Handor,
der eben genannte erste Liebhaber, in der geöffneten Thür; »aber wohl
in Eis, verstanden?« setzte er rasch hinzu, »oder auch gleich zwei, drei
Flaschen, mein Junge, denn ich bin schmählich durstig heut Abend und
schmählich vergnügt -- Guten Abend, meine Herren!«

»He, Handor, beim Zeus! Junge, wo kommst Du her? Eben sprachen wir von
Dir; wo bist Du gewesen?«

»Im Himmel, Kinder, im siebenten Himmel,« rief der junge Mann, indem er
Hut und Stock an einen Nagel hing und dann einen Stuhl neben dem etwas
zur Seite rückenden Höfken nahm, »direct aus den himmlischen Sphären
stieg ich nieder in die »Hölle«, und nur der himmlische Trank kann mir
Ersatz für das Verlorene geben.«

»Pff,« zischte Pfeffer durch die Zähne, »_den_ Himmel, in dem der
gesteckt hat, kenn' ich.«

»Alle Wetter, Handor,« lachte aber auch der Maler, »Sie scheinen heute
Ihren splendiden Tag zu haben!«

  »So lang der Wirth nur weiter borgt,
  Sind wir vergnügt und unbesorgt!«

citirte Pfeffer.

»=Vive la bagatelle!=« rief aber Handor, ein ihm gereichtes Glas auf
einen Zug leerend.

»Halt,« sagte Höfken »hier gilt es eine Wette; da, Handor, ehe Du uns
Dein Abenteuer erzählst, sag' uns einmal, was für Wein das ist.«

»Und wer hat Dir gesagt, daß ich Euch überhaupt mein Abenteuer erzählen
werde?«

»Als ob der schweigen könnte,« lachte ein Anderer; »hast Du wieder
bei Deiner jungen Putzmacherin geschwärmt oder bei der dicken
Banquierstochter, oder gar mit der kleinen Jüdin den Romeo gelesen? Der
Mensch hat, bei Gott, ein Glück, um das man ihn beneiden könnte.«

»Thorheiten!« lachte Handor verächtlich; »welchen Wein meint Ihr?«

»Hier dieses Glas; aber jetzt koste vorsichtig, es gilt eine Wette.«

»Gebt mir vorher ein Stück Brod.«

Das Verlangte wurde gebracht, und während jetzt Handor den Wein mit
Kennermiene prüfte und kostete, herrschte lautlose Stille in dem kleinen
Raum. Trauvest, der gerade in die Thür trat, blieb auf der Schwelle
stehen.

»Nun, wo ist der gewachsen?«

Handor kostete noch einmal. »Rüdesheimer Berg,« sagte er dann.

»Rüdesheimer?«

Handor nickte.

»Meine Herren,« sagte Trauvest, »ich muß Ihnen mittheilen, daß ich
gestern zwei Fässer Wein, eins mit Markobrunner und eins mit Rüdesheimer
Berg, habe abziehen lassen, und wie ich eben von meinem Küfer höre, hat
er beim Siegeln den Lack verwechselt, was schuld an dem Irrthum ist;
Herr Handor hat Recht, es ist allerdings Rüdesheimer Berg.«

»Alle Wetter,« rief Hauptmann von Seidlitz, »die Zunge muß Handor viel
Geld gekostet haben!«

»Oder anderen Leuten,« meinte Pfeffer.

»Allen Respect übrigens vor Ihrer Zunge, Herr Handor,« fuhr Trauvest
fort, »und wenn Sie das Theater aufgeben wollten, möchte ich Sie wohl
als Reisenden engagiren; Sie sollten ganz vortreffliche Provisionen
bekommen.«

»Herzlichen Dank, lieber Trauvest,« lachte der erste Liebhaber, »bin
von Ihrer Güte überzeugt, befinde mich aber doch jetzt noch besser so.
Sollte ich aber wirklich einmal in den Fall kommen...«

»Dann wenden Sie sich nur an mich, ich halte mein Wort,« nickte der alte
Mann.

»Apropos, Handor,« rief der Maler Arnold, der ihm gegenüber saß, »haben
Sie schon die schöne Fremde gesehen, welche heute angekommen ist, die
Gräfin Rottack? Die Familie ist hier nach Haßburg übergesiedelt.«

»Nein,« rief Handor; »ist sie hübsch?«

»Bildschön,« versicherte Arnold ganz in Feuer. »Sie wurde mir heute
unter den Buden gezeigt, wo sie mit ihrem Manne und den Kindern
spazieren ging; ein reizendes Wesen mit einem von den Gesichtern, die
der liebe Gott nur wenig Begünstigten mitgegeben, und denen man auf den
ersten Blick gut sein muß. Und was für wunderbar goldenes Haar sie hat!
Ich bin ihnen eine Weile nachgegangen, nur um die Sonne auf dem Haar
blitzen und leuchten zu sehen.«

»Meiner Seel',« rief Pfeffer »wenn Sie so entzückt von rothen Haaren
sind, weshalb malen Sie denn nicht einmal meine Schwester, die Bassini?
Die brennt.«

Alle lachten.

»Der Pfeffer ist doch ein ganz nichtsnutziger Patron, nicht einmal seine
eigene, leibliche Schwester kann er ungeschoren lassen,« rief Berthel.

»Bah, ungeschoren,« sagte Pfeffer, »sie trägt eine Perrücke!«

»Lassen Sie mir die Bassini in Ruhe!« rief Höfken dazwischen; »das
ist eine ganz brave Person, wenn sie auch sonst vielleicht ihre
Wunderlichkeiten hat. Und wie ordentlich und ehrlich bringt sie sich mit
ihrer kleinen Gage durch, daß sie nicht einen Pfennig Schulden in der
Stadt hat!«

»Das kann Handor auch von sich sagen,« meinte Pfeffer.

»Ich wollte, es wäre wahr, Pfeffer,« bemerkte Trauvest trocken, und ein
tolles Gelächter brach von allen Seiten los.

»Lacht nur,« sagte aber der erste Liebhaber, während sich ein
spöttischer Zug um seine Lippen legte; »wir wollen aber einmal sehen,
wer von uns hier heute über vier Wochen die wenigsten Schulden haben
wird, Ihr oder ich.«

»Du hast wohl in die Lotterie gesetzt?« fragte Höfken.

»Nein, er heirathet eine Gouvernante und wird Gouverneur,« meinte
Pfeffer.

»Thorheit,« rief Handor, »da kommt der Champagner, und nun Gläser her
und ein volles Glas _den schönsten Augen_!«

Für den Augenblick war jedes weitere Gespräch gestört, denn das
Einschenken, Anstoßen und Trinken beschäftigte die Anwesenden so
vollkommen, daß sie nicht einmal den Eintritt eines neuen Gastes
bemerkten.

Es war der junge Graf Monford, der gar nicht etwa so selten die
Künstlerkneipe besuchte, weil er dort immer sicher war, gute
Gesellschaft zu finden.

»Nun mußt Du uns aber auch Deine schönsten Augen nennen, Handor,« rief
Höfken ihm zu, »denn wenn ich ihnen ein Glas bringen soll, muß ich auch
wissen, an welchem Theile des Himmels diese Sterne stehen.«

»Nie indiscret, Kamerad,« lachte Handor, »Jeder von uns trinkt den
Augen, die er für die schönsten hält.«

»Und in dem Sinne nehme ich auch ein Glas mit,« rief George Monford;
»heh, Kellner, noch Champagner!«

Handor war bei der Stimme rasch herumgefahren, und für den Augenblick
verlor sein Antlitz jede Farbe; aber in dem Tumult bemerkte es Niemand,
und Handor hatte auch rasch genug seine Fassung wiedergewonnen.

»Graf Monford,« rief er erfreut, ihm die Hand entgegenstreckend und sie
herzlich schüttelnd, »lassen Sie sich auch einmal wieder bei uns sehen?«

»Ich bin heute eigentlich nur hergekommen, um _Sie_ auf ein paar Minuten
zu sprechen,« sagte der junge Mann.

»Mich?«

»Nachher; eine Geschäftssache,« lachte George; »Sie brauchen nicht zu
erschrecken. Also den schönsten Augen, meine Herren, und da ist wohl
Keiner hier, der den Toast nicht mittränke.«

»Bitte um Verzeihung,« sagte Pfeffer, »wenn ich auf etwas Derartiges
anstieße, so wäre es höchstens auf die »beste Brille«; der Teufel soll
die schönen Augen holen, wenn man Abends nicht mehr damit lesen kann.«

»Hahaha, Freund Pfeffer, immer giftig!«

Graf George rückte jetzt mit zum Tisch und das Gespräch wurde
allgemeiner; nur Handor war merkwürdig einsilbig geworden, und so
ausgelassen lustig er im Anfange geschienen, so schweigsam zeigte
er sich jetzt, daß es sogar den Tischgenossen auffiel. Wie er aber
nacheinander ein paar Gläser des feurigen Trankes hinuntergestürzt,
wurde er etwas lebendiger; doch lagen ihm immer noch die paar Worte auf
dem Herzen, welche ihm der junge Graf vorher gesagt. Was wollte der
von ihm? Eine Geschäftssache? War er dem Liebesverhältniß mit dessen
Schwester auf die Spur gekommen und wollte ihn jetzt vielleicht gar
fordern? Die Cavaliere nannten das eine Geschäftssache. Das Gefühl wurde
ihm zuletzt so unbehaglich und drückend, daß er aufstand, hinter Graf
George's Stuhl ging und, leise seine Schulter berührend, sagte: »Mein
lieber Herr Graf, Sie wollten mir vorhin etwas mittheilen; wenn ich
bitten dürfte, ich kann nicht mehr lange bleiben.«

»Ach ja,« rief George, indem er aufsprang und nach seiner Uhr sah,
»meine Zeit ist ebenfalls um; sagen Sie einmal, lieber Handor,« fuhr
er dann leise fort, indem er ihn unter dem Arm nahm und etwas bei Seite
führte, »ich habe eine Bitte an Sie.«

»An mich?«

»Zuerst muß ich Ihnen die Mittheilung machen, daß wir morgen über acht
Tage, also am Freitag, die Verlobung meiner Schwester Paula in unserem
Hause...«

»Ihrer Schwester Paula....?«

»Bst, nicht so laut, die Sache ist noch Geheimniß, soll wenigstens nicht
vor der Zeit öffentlich bekannt werden, und ich ersuche Sie auch deshalb
um Ihre Discretion; also daß wir dann in unserem Hause Paula's Verlobung
feiern, und ich wollte sie gern zu dem Tage, unter anderen Sachen die
ich mir ausgedacht, mit der Aufführung irgend eines hübschen Stückes
auf unserem kleinen Liebhaber-Theater überraschen. Haben Sie etwas recht
Hübsches, Neues, das wir bis dahin noch lernen können, und sind Sie
vielleicht selber im Stande, uns bei der Inscenesetzung und den Proben
zu unterstützen? Aber es muß natürlich Alles heimlich betrieben werden,
denn weder Braut noch Bräutigam dürfen etwas davon erfahren.«

»Herr Graf,« sagte Handor, und er mußte sich Mühe geben, die Worte
heraus zu bringen, so hatte der Schreck über die all' seinen Hoffnungen
drohende Nachricht seine Zunge gelähmt, »ich -- ich glaube gewiß, daß
ich etwas Passendes finde, und stehe Ihnen mit Vergnügen zu Diensten.«

»Danke Ihnen, lieber Handor,« sagte der junge Mann, indem er ihm die
Hand drückte, »Sie werden uns dadurch unendlich verbinden; Sie wissen ja
selber, wie meine Schwester das Theater liebt und dafür schwärmt. Irgend
ein hübsches neues Lustspiel von Scribe vielleicht und nicht zu lang;
aber Sie können am besten beurtheilen, was dafür passend ist.«

»Gewiß, Herr Graf, gewiß, ich -- ich finde sicher etwas; nur -- nur in
diesem Augenblick...«

»Nun, natürlich läßt sich das nicht so Knall und Fall bereden,« sagte
Graf George; ȟberlegen Sie sich die Sache, und bitte, geben Sie mir
morgen Abend spätestens Nachricht. Ich muß jetzt fort, denn ich bin zu
einer Whistpartie engagirt. Also, adieu Handor, auf Wiedersehen!« und
damit reichte er ihm die Hand. »Guten Abend, meine Herren!«

Handor trat zum Tisch zurück und mußte sich merklich zwingen, seine
ruhige Fassung zu bewahren. Er bestellte noch eine Flasche Champagner
und trank hastig; aber die Gedanken ließen ihm nicht Ruhe, er mußte
allein sein und stand endlich auf, die Gesellschaft, der seine Aufregung
nicht entgehen konnte, zu verlassen.

Ein paar Gäste wollten ihn noch mit seiner Zerstreutheit necken; aber
er ging nicht auf ihre Scherze ein und verließ endlich nach einer
unbestimmten Entschuldigung das Zimmer.

Draußen an der Treppe, die hinauf auf die Straße führte, traf er
Trauvest, an dem er mit einem kurzen Gruß vorüber wollte.

»Hören Sie, mein lieber Handor,« redete ihn dieser an.

»Ja, Trauvest?«

»Sie nehmen es mir nicht übel,« fuhr der Wirth freundlich fort, »aber
ich muß Sie wirklich bitten, daß Sie mir wenigstens einen Theil Ihrer
schmählich aufgelaufenen Rechnung zahlen. Ich selber habe meine letzte
Weinsendung in den nächsten Tagen zu berichtigen und bin wirklich in
Verlegenheit, wo ich das Geld hernehmen soll; ich würde Sie sonst doch
noch nicht belästigen.«

»Hm, ja, Trauvest, wie viel bin ich Ihnen denn eigentlich so ungefähr
schuldig?«

»Nun, es werden ohne das Heutige immer so eine dreihundert und einige
siebzig Thaler sein.«

»Dreihundert, alle Teufel, das hat sich merkwürdig aufsummirt!«

»Ja, lieber Gott,« sagte Trauvest achselzuckend, »billige Weine trinken
Sie nicht, und eine hübsche Zeit ist ebenfalls verstrichen, seit Sie die
letzte Abzahlung machten.«

»Sie haben Recht, Trauvest,« sagte Handor, indem er seinen Paletot
zuknöpfte; »den Wievielten schreiben wir heute?«

»Der Monat geht auf die Neige.«

»Am Ersten sollen Sie bedacht werden, Sie gehen vor.«

»Vergessen Sie's nur nicht, Herr Handor.«

»Gewiß nicht, alter Freund; guten Abend!« Und er stieg die Treppe
hinauf, die hinaus in's Freie führte.




6.

Jeremias.


Ehe sie nur das kaum zweihundert Schritt von dort gelegene neue Wohnhaus
des Grafen Rottack erreichten, waren Jeremias und die kleine lebendige
französische Bonne, die aber ziemlich gut Deutsch sprach, schon die
besten Freunde geworden, und selbst das kleine Helenchen schien sich so
wohl bei ihrem neuen Wärter zu befinden, der auch fortwährend mit ihr
lachte und plauderte, daß sie nicht die mindeste Furcht mehr vor ihm
hatte. Nur der kleine Günther betrachtete ihn noch immer ein wenig scheu
und mißtrauisch von der Seite -- er konnte augenscheinlich noch nicht
recht klug aus ihm werden, und dann war Jeremias doch auch eine
von allen denen, mit welchen er bis jetzt verkehrt, so verschiedene
Persönlichkeit, daß sich der kleine Bursche fast unwillkürlich von ihm
zurückhielt.

Jeremias hatte aber jetzt auch in der That genug mit sich selber zu
thun, denn so unbefangen er sich sonst in allen Lebensverhältnissen
benahm, so fühlte er sich doch, als er in diesem Augenblick die neue und
sehr elegante Wohnung des Grafen Rottack betrat, in einer so vollständig
ungewohnten Sphäre, daß er einige Zeit brauchte, um sich hinein zu
finden.

In Brasilien hatte er allerdings verschiedene Male mit Grafen und
Gräfinnen verkehrt, aber das waren auch ganz andere Verhältnisse
gewesen. Titel und Namen mochten sie allerdings gehabt haben, aber der
äußere Glanz fehlte ihnen dort, der im alten Vaterland unter solchen
Verhältnissen, wenn auch oft auf das Künstlichste, doch stets gewahrt
und beobachtet wird, und so unbefangen er anfangs die Einladung zum
Diner von dem jungen Grafen angenommen hatte, dessen er sich noch recht
gut erinnerte, wie er mit der Violine in Santa Clara herumlief und bei
Bohlos an dem nämlichen Tische sein Bier trank, an dem er selber ab und
zu einsprach -- so befangen fühlte er sich jetzt plötzlich, als er die
betreßten Diener sah, die herzusprangen, als Graf und Gräfin das Haus
betraten, und die Ehrfurcht bemerkte, mit der das junge Paar von allen
Seiten behandelt wurde. Ja, er kam in die größte Verlegenheit, als er
Helenchen auf den Boden gesetzt hatte und einer der Diener zusprang und
ihm den Hut abnahm, während ein anderer -- was er eben an Graf Rottack
gethan -- auch zu ihm kam, um ihm den Oberrock auszuziehen.

»Bitte,« sagte Jeremias erschreckt, »ich habe nur den einen an und kann
doch...« -- er hielt plötzlich inne, denn er sah, wie sich die Bonne
nur mit Gewalt das Lachen verbiß, und der Diener selber trat etwas
bestürzt zurück, weil er bemerkt, daß er den Fremden in Verlegenheit
gebracht.

»Kommen Sie nur herein, alter Freund,« rief Rottack, der verhindern
wollte, daß er sich vor den spottlustigen Dienern eine Blöße gab, »und
thun Sie, als wenn Sie hier zu Hause wären! -- Ist das Essen fertig?«

»Es kann jeden Augenblick servirt werden, Herr Graf.«

»Schön, dann lassen Sie auftragen.«

Jeremias folgte der freundlichen Einladung, aber er war noch weit davon
entfernt, sich behaglich zu fühlen. Erstlich hatten sie ihm seinen Hut
weggenommen, und er wußte jetzt nicht, was er mit seinen Händen anfangen
sollte; dann hatte er vergessen, sich draußen abzutreten, und auf dem
Teppich hier, den er so schön noch auf keinem _Tische_ gesehen, sollte
er jetzt mit den staubigen Stiefeln herumlaufen.

Rottack aber, der sich etwa denken konnte, was in der Seele des kleinen
Mannes vorging, und der fest entschlossen schien, ihm jede Verlegenheit
zu ersparen, machte all' seinen Bedenklichkeiten ein rasches Ende, indem
er ihm ohne Weiteres einen Stuhl zum Tisch rückte, auf den schon einer
der aufmerksamen Diener ein Couvert für den Gast gelegt hatte, und
ausrief: »So, Jeremias, nun setzen Sie sich daher, und Helene, die den
Augenblick zurückkommt, soll sich zu Ihnen auf die Seite und Günther
auf die andere setzen, und nun unterhalten Sie sich nur noch einen
Augenblick mit den Kindern, ich bin gleich wieder bei Ihnen.«

Jeremias sah sich um -- die Diener, vor denen er sich am meisten
genirte, hatten ebenfalls das Zimmer verlassen, und die Bonne war damit
beschäftigt, die Kinder ihrer Hüte und Mäntelchen zu entledigen, die
das Kindermädchen dann in deren Stube hinübertrug -- Jeremias war sich
selber überlassen, in dem Fall brauchte er nur wenige Minuten, um mit
dem kleinen Günther Freundschaft zu schließen. Im Handumdrehen fertigte
er ihm aus der goldenen Düte, die er auf ein paar der Suppenteller
ausleerte, eine Mütze, und wie Felix zurückkam, hatte er ihn auf dem
Knie reiten, und der kleine Bursche lachte und schrie vor Lust und
Vergnügen, als das »Pferdchen« mit ihm durchging und in immer wilderen
Sätzen Hopp, Hopp machte.

Felix lachte, als er wieder in's Zimmer trat und Helenchen eben auf
das andere Knie des kleinen freundlichen Mannes hinaufkletterte, um mit
Theil an dem wilden Ritt zu nehmen.

Helene kam jetzt ebenfalls zurück, und die Suppe wurde gebracht; das
kleine Volk mußte Ruhe geben und Alle nahmen ihre bestimmten Plätze ein.

»'s ist doch aber wirklich merkwürdig,« sagte Jeremias, »wie sich so
Leute auf der Welt wiederfinden können.«

»_Sie_ hätte ich allerdings hier nicht vermuthet,« lächelte Felix. »Nun
erzählen Sie uns aber auch einmal vor allen Dingen Alles, was Sie selber
betrifft, und wie Sie besonders wieder nach Deutschland zurückgekommen
sind. Sie können glauben, daß wir uns dafür interessiren.«

»Na, denke doch,« schmunzelte Jeremias, der, wie er nur erst einmal die
Serviette um und den Suppenteller vor sich hatte, auch alles Neue und
Fremdartige vergaß, was ihn umgab. »Aber sehen Sie, Herr Graf, wie Sie
damals weggingen -- Jemine war das eine Zeit, wie wir den großbrodigen
Herrn von Reitschen los wurden und den guten Herrn Sarno wiederkriegten
-- damals...« -- er sah sich vorsichtig um, ob keiner von den Dienern
mehr im Zimmer war -- »damals lief ich noch in Hemdsärmeln herum mit
dem Einspänner, dem Handkarren, Sie wissen wohl, und putzte...« -- die
Bonne genirte ihn doch etwas, daß er nicht recht mit der Sprache heraus
mochte -- »nun, that allerlei Arbeit, was vorkam, hatte mir aber doch
hübsches Geld dabei verdient, denn ich sparte wie ein Hamster und
gab keinen Milreis unnöthig aus. Da starb gleich sechs Monate später
Bodenlos -- Sie kennen ja doch Bohlossen -- er hatte sich richtig in
aller Stille todtgesoffen, denn äußerlich merkte man ihm nie 'was davon
an, und das Wirthshaus wurde verkauft.

»Buttlich, der mit Herrn von Reitschen herübergekommen und so eine
Schwindelwirthschaft errichtet hatte, war schon drei Monate vorher
durchgebrannt -- der arme Baron verlor durch den Lump auch ein paar
hundert Milreis, beinahe ein halbes Conto[1], und wenn Bohlossen sein
Haus gut gehalten wurde, ließen sich Geschäfte damit machen. Herr
Rohrland rieth mir auch zu...«

[1] Ein Conto de Reïs etwa 500 Dollars.

»Und wie geht es den guten Leuten?« fragte Helene.

»Vortrefflich,« nickte Jeremias -- »Rohrland ist ein Mann bei der
Spritze, immer auf dem Damme, immer fleißig, und die kleine Frau ein
Mordswei --, eine prächtige Frau -- und alle Jahre Kindtaufe, immer
einen kleinen Jungen oder auch einmal ein Mädchen -- es wimmelt nur so
bei ihnen.«

»Und Sie kauften die Wirthschaft?« fragte Felix, während Helene still
vor sich hin lächelte und die Bonne bis hinter die Ohren roth wurde.

»Na ob,« sagte Jeremias, wieder im alten Gleise, »das Haus ging
spottbillig weg, das Inventar war ebenfalls zu bezahlen, was ich an
Getränken und sonstwie brauchte, lieferte mir Herr Rohrland, und
nun ging die Geschichte flott. In Santa Catharina hatte sich's
ausgesprochen, daß wir einen guten Director in der Colonie hätten, der
etwas auf seine Colonisten hielt, in Rio wurd's auch bekannt, und von
allen Seiten kamen jetzt die Auswandererschiffe an, daß der Director und
ich manchmal nicht wußten, wo uns der Kopf stand -- aber Geld wie Heu.
Es war ordentlich, als ob der Segen auf dem alten Hause läge, und wie
ich mir noch ein neues dazu baute, hatte ich immer noch nicht Platz
genug. Weil ich das baare Geld aber nicht wollte im Kasten liegen lassen
-- von wegen Buxen und Consorten, die mir damals keinen schlechten
Schreck eingejagt --, kaufte ich Land dafür, was sie mir nicht stehlen
konnten, und verdiente da wieder dran, Hand über Hand; kurz, in vier
Jahren war ich ein gemachter Mann, und da erst, wie ich 'was hatte und
es mit dem Besten in der Colonie aufnehmen konnte, kriegt' ich das
Heimweh und beschloß, einmal wieder nach Deutschland zurückzukehren.
Meine Häuser verkaufte ich um das Doppelte, was ich dafür gegeben hatte,
meine Colonien verpachtete ich an arme Colonisten, die noch keinen
eigenen Grund und Boden hatten, und -- da bin ich...«

»Und wie haben Sie alle unsere Freunde in der alten Colonie verlassen?«
fragte Felix -- »was macht Sarno, und haben Sie nichts von Günther von
Schwartzau mehr gesehen?«

»Herr Sarno ist noch immer der Alte,« erzählte Jeremias, emsig mit einem
Gänseschenkel beschäftigt -- »immer bei der Spritze, und die Geschichte
geht jetzt dort wie am Schnürchen. Wer nicht in die Colonie paßt, den
beißt er weg, und die Anderen befinden sich alle wohl, oder wenn sie's
nicht thun, ist es ihre eigene Schuld. Einen andern Pfarrer haben sie
auch, einen braven, ordentlichen Mann, der nie länger als eine halbe
Stunde predigt...«

»Und von Schwartzau wissen Sie nichts?«

»Doch -- im vorigen Jahr war er wieder in der Colonie und wohnte ein
paar Wochen beim Herrn Director; er war lange krank gewesen und sah
recht elend aus. Jetzt ging's ihm aber wieder besser, und kurz vorher,
ehe ich wegging, hörte ich, daß er selber Director in San Sebastian oder
Gott weiß, wie die neue Colonie heißt, geworden wäre.«

»Armer Günther!« seufzte Felix -- »so treibt er sich noch immer in der
Fremde umher und kann keine Ruhe finden...«

»Und was macht der Baron?« fragte Helene, der eine andere Frage noch am
Herzen lag, die sie aber nicht wagte.

»Je, nun,« sagte Jeremias, »der Baron trägt immer noch dieselben
Nankinghosen, die beim Waschen immer kürzer werden -- armer Teufel --
ne, lieber Freund, ich bin noch nicht fertig,« unterbrach er sich rasch
und hielt mit beiden Händen seinen Teller, den ihm der aufwartende
Diener, weil er ihn einen Augenblick außer Acht gelassen, gerade
fortnehmen wollte.

Felix lachte und winkte, ihn in Ruhe zu lassen, und Jeremias, der seinen
Gänseschenkel wieder vornahm, fuhr fort:

»Dem armen Teufel geht's eigentlich erbärmlich. Arbeiten kann er und
will er nichts, und mit Vornehmthun giebt's in den Colonien nichts aus
-- der Buttlich betrog ihn, wie gesagt, um eine hübsche Summe -- wie
er's aus ihm herausgekriegt, weiß ich auch nicht. Nachher ließ er sich
in ein Geschäft mit Herrn von Pultele -- Hurrjeh!« unterbrach sich
Jeremias plötzlich, weil er glaubte, einen Mißgriff gemacht zu haben.

»Erzählen Sie nur weiter,« lachte aber Felix -- »also, Herr von
Pulteleben ist auch noch in der Colonie...?«

»Jetzt nicht mehr,« sagte Jeremias, der puterroth geworden war und einen
verzweifelten Blick nach Helenen hinüberwarf. »Es war eine Seele von
einem Menschen, aber -- aber ein bischen -- ein bischen unpraktisch, und
da kam er auf die unglückliche Idee, mit dem Baron eine Perlenfischerei
an der Küste anzulegen.«

»Eine Perlenfischerei?«

»Ja, gewiß -- und gefischt haben sie auch genug,« meinte Jeremias,
»aber nicht einmal so viel Perlen gefunden, um sich eine Tuchnadel davon
machen zu lassen, und da bekam es der Herr Baron denn zuerst satt -- die
Mittel erlaubten es nicht -- und Herr von Pulteleben ging nachher nach
Rio Grande, aber ich habe nichts weiter von ihm gehört.«

»Und die Gräfin Baulen,« sagte Helene ruhig, »ist sie noch in Santa
Clara?«

»Ihre Frau Mutter? Gewiß!« rief Jeremias, der natürlich keine Ahnung
von den dortigen Vorgängen haben konnte -- »immer noch die Alte --
sehr achtungswerthe Dame,« setzte er aber rasch und erschreckt hinzu --
»ungeheure Betriebskraft, weiß immer etwas Neues, um zu speculiren --
aber Graf Oskar ist fort...«

»Fort -- wohin?« rief Helene rasch.

»Der liebe Gott weiß es,« sagte Jeremias achselzuckend -- »mein Himmel,
junges Blut will austoben, und Brasilien ist groß -- Frau Mutter hatte
eine kleine Schwierigkeit mit dem Bäckermeister Spenker und zog aus,
miethete nachher ein kleines Haus gerade dem Baron gegenüber, und da war
der junge Graf eines Morgens auf eine Entdeckungsreise ausgegangen, wie
sie sagten, und konnte nachher selber nicht mehr entdeckt werden. Aber
das Alles hat Ihnen gewiß Ihre Frau Mutter schon geschrieben -- lieber
Gott, in Brasilien geht das ja auch oft so, daß ein junger Mensch einen
Platz satt bekommt und sich nach einem andern umsieht, der ihm besser
gefällt!«

»Und was ist aus der Frau jenes Mörders, jenes Bux geworden?« fragte
Felix, der das Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen wünschte.

»Der geht's gut,« bestätigte Jeremias; »das war eine brave,
rechtschaffene Frau, und wie sie sich nur erst einmal von der schlechten
Behandlung erholt hatte, schaffte sie tüchtig. Ihre Kinder brachten wir
rasch bei Colonisten unter, und nachher habe ich sie selber in das Hotel
genommen, wo sie sich vortrefflich betragen hat. Sie ist jetzt noch dort
und verdient sich hübsches Geld...«

»Und jener Bux?«

»Nun, den haben sie nach Rio gebracht und dort wahrscheinlich gehangen
oder in's Loch gesteckt. Ich habe nie etwas Weiteres von ihm gehört.«

»Aber ein sonderbares Zusammentreffen ist es doch,« lächelte Helene,
»daß wir uns hier gerade in Haßburg wiedersehen sollten...«

»Und noch dazu den ersten Tag, wo ich hier bin!« rief Jeremias.

»Apropos, Sie wollten mir ja erzählen, was Sie gerade nach Haßburg
geführt,« sagte Felix, »denn wie Sie selber sagen, stammen Sie gar nicht
aus der Gegend...«

»Hm,« meinte Jeremias und warf einen Blick über die Schulter nach dem
aufwartenden Diener und dann nach der Bonne hinüber, »das ist auch eine
etwas längere Geschichte.«

»Also dann beim Kaffee,« nickte der junge Graf, dem es nicht entgangen
war, daß der kleine Mann noch etwas Anderes auf dem Herzen hatte
-- »aber vorher noch ein Glas Wein, Jeremias, wie? Machen Sie keine
Umstände, Mann, der Wein ist trinkbar.«

»Famoser Stoff!« bestätigte Jeremias, der indessen mit seinen Gedanken
nicht ganz bei der Sache war, denn es ging ihm im Kopf herum, daß sich
die junge Gräfin eigentlich gar nicht so lebhaft nach ihrer »Mutter«
erkundigt hatte, wie er wohl erwartet haben mochte, und auch über das
Verschwinden ihres Bruders nicht im Mindesten aufgeregt erschien. Aber
sie mußte es jedenfalls schon früher brieflich erfahren haben, und
wußte vielleicht sogar, wo er stak. Daß er ihm selber noch eine nicht
unbeträchtliche Summe schulde, erwähnte er nicht; er besaß, trotz seiner
rauhen Hülle, zu viel Zartgefühl, und doch hatte es ihm Rottack entweder
angemerkt oder es sich auch nur gedacht -- und große Definitionsgabe
gehörte allerdings nicht dazu.

Aber die Tafel wurde jetzt abgeräumt und dann der Kaffee gebracht. Die
Bonne verließ mit den Kindern den Speisesaal, und das junge Paar war mit
Jeremias allein.

»Und nun, mein alter Freund,« sagte Felix, »schießen Sie einmal los --
Sie haben noch etwas auf dem Herzen.«

Jeremias war eigentlich nicht wenig froh, daß er dieses Diner glücklich
überstanden hatte, denn er fühlte sich, so lange es dauerte, fortwährend
in einer gewissen Aufregung, aus Furcht, irgend einen Mißgriff zu
begehen. Aber es schien doch ziemlich gut abgelaufen zu sein, denn das
ausgenommen, daß er von den ihm präsentirten Speisen hartnäckig die
Gabel abgenommen und neben sich gelegt hatte, so daß er sich zuletzt
im Besitze von sieben oder acht solcher Instrumente fand und über den
Vorrath selber erschrak, war nicht das geringste Ungehörige vorgefallen.
Jetzt aber wurde er plötzlich, ohne die geringste scheinbare Ursache,
feuerroth und sagte, viel verlegener, als er sich nur je gezeigt: »Hm,
ja, Herr Graf, ich -- ich wollte eigentlich -- Schwerebrett, Sie lachen
mich aber aus, wenn ich's Ihnen sage -- die Frau Gräfin lacht jetzt
schon.«

»Gewiß nicht, Jeremias, wenn es etwas Ernstes ist,« lächelte Helene, der
die Unruhe des kleinen Mannes allerdings komisch vorkam.

»Ja, ernst wär' es schon,« nickte ihr Gast leise mit dem Kopf vor sich
hin, »aber -- lachen werden Sie doch,« setzte er resignirt hinzu, »denn
eigentlich könnte ich selber darüber lachen, wenn -- wenn...« -- Er
stak fest und nahm sein Taschentuch heraus, um sich damit die Stirn und
den Kopf abzutrocknen, denn die Stirn ging ihm fast bis hinten in die
Halsbinde hinunter.

»Also erzählen Sie, Jeremias,« sagte Helene freundlich; »Sie wissen ja,
daß wir es gut mit Ihnen meinen, und wenn Ihnen Felix bei irgend etwas
behülflich sein kann, so bin ich fest überzeugt, daß es ihm die größte
Freude machen wird.«

»Ich auch, Frau Gräfin, ich auch,« bestätigte Jeremias treuherzig und
leerte dabei das Glas, das ihm der junge Graf noch einmal vollgeschenkt
hatte, wie um sich Muth zu machen, auf Einen Zug. »Und Sie sollen's
auch erfahren,« setzte er dann hinzu -- »Sie sollen's erfahren, denn
ich weiß, Sie meinen es gut mit mir. Aber erst erlauben Sie mir, daß
ich eine Tasse Kaffee trinke -- der starke Wein ist mir in den Kopf
gestiegen, und ich möchte kein dumm Zeug schwatzen -- es ist so schon,
wie's ist -- so, danke Ihnen, und nun sollen Sie meine Lebensgeschichte
hören, aber ganz kurz, ich bin im Augenblick damit fertig, denn es ist
Alles ungeheuer geschwind gegangen und eigentlich gar nicht viel zu
erzählen -- wenn nur eben die Frau nicht wäre.«

»Die Frau?«

Jeremias seufzte tief auf, trank seinen Kaffee, den ihm Helene selber
eingeschenkt, und begann dann: »Ich war ein leichtsinniger Strick in
meiner Jugend, lief meinem Alten fort und ging zum Theater.«

»Zum Theater?« lachte Felix erstaunt.

»Das heißt, ich wirkte im Chor,« fuhr Jeremias fort, »und half mit beim
Ballet, und damals war ich auch noch schlank und geschmeidig und hatte
die Beine dazu. Ich verdiente auch, was ich brauchte, als einzelner
Mensch nämlich, aber da kam -- und jetzt werden Sie lachen, Frau Gräfin
-- da kam die Liebe und ich heirathete!«

»Sie sind verheirathet, Jeremias?« riefen beide Gatten zugleich und
erstaunt aus.

»Ja, wenn ich's nur selber wüßte,« sagte Jeremias mit einem höchst
komischen Ausdruck von Verzweiflung in den Zügen -- »das ist ja eben das
Unglück, daß ich nicht weiß, ob ich's bin oder ob ich's war, und deshalb
bin ich ja wieder nach Deutschland zurückgekommen!«

»So wissen Sie nicht, ob Ihre Frau noch lebt?«

»Das ist die Geschichte, und auf den Kopf haben Sie's getroffen, Frau
Gräfin -- aber hören Sie. Meine Frau war brav und gut und ebenfalls beim
Theater. Sie spielte kleine Rollen, und wir Beide verdienten etwa so
viel, wie wir brauchten. Da wurde sie krank und entlassen, die
Familie vermehrte sich ebenfalls, und...« -- Jeremias wurde hier
augenscheinlich so verlegen, daß er eine ganze Weile kein Wort weiter
vorbrachte. Er trank an seinem Kaffee, er zupfte an seinem Rock und
rückte auf seinem Stuhl herum. Endlich aber, da er doch wohl merkte,
daß es nicht so fortging, nahm er sich mit Gewalt zusammen und platzte
heraus -- »und ich wurde liederlich -- Sie dürfen mir's glauben, Frau
Gräfin, ein ganz liederlicher Strick -- ich trank und spielte und
setzte meiner Schlechtigkeit endlich, als sich meine brave Frau von mir
scheiden ließ, die Krone auf -- und lief davon. So, Gott sei Dank, jetzt
ist das Schlimmste heraus und Sie wissen's nun einmal -- das Andere ist
Kleinigkeit,« fuhr er, tief Athem holend, fort. »Ich trieb mich erst
eine Weile in Deutschland herum, Jahre lang, bis ich das Brod nicht mehr
hatte; dann schiffte ich nach Amerika über und versuchte es da, aber es
ging auch nicht. Das alte Leben steckte mir noch in den Gliedern, und
anstatt Geld für Frau und Kind nach Haus zu senden, verthat ich, was
ich verdiente, bis zuletzt die Reue kam. Hurrjeh, hab' ich mir damals
Grobheiten gemacht und mich selber vorgekriegt -- aber es half! Ich
nahm mir vor, ein ordentlicher Kerl zu werden, und um aus all' der
Gesellschaft herauszukommen, in der ich mich in Amerika herumgetrieben,
ging ich zu Schiff nach Brasilien.

»Dort fing ich ein anderes Leben an. Ich war nie gewohnt gewesen, viel
zu arbeiten -- in Brasilien streifte ich die Aermel in die Höh' und ging
scharf dran. Sie wissen's selber, Sie haben mich dort schaffen sehen,
und nachher ging's. Die ganzen langen Jahre hatte ich aber nicht an zu
Hause gedacht oder, wenn ich dran dachte, mit Gewalt nicht dran denken
wollen. Was konnt's auch helfen, was wollte ich zu Hause anfangen, so
lange ich nichts hatte! Wie ich aber anfing, zu Geld zu kommen, und wie
es sich mehrte und mehrte und ich anfing, reich zu werden, da kam die
Reue über das Vergangene noch viel stärker, wie nach meinem liederlichen
Leben. Da kam das Heimweh, da ging mir der Gedanke im Kopf herum, daß
meine arme Frau vielleicht doch nicht aus Kummer und Gram gestorben
wäre und hier noch in Sorge und Noth lebe. Jetzt schrieb ich nach
Deutschland, um ihre Adresse zu erfahren, aber umsonst; kein Mensch
konnte mir Nachricht geben, und auf die meisten Briefe bekam ich nicht
einmal eine Antwort. Am liebsten hätte ich mich da auch gleich selber
aufgepackt und wäre herübergefahren, aber die Zeiten waren zu günstig,
ich verdiente zu rasch und wollte noch mehr, und bekam mehr. Da litt's
mich denn endlich nicht länger in dem Brumsilien drüben, und mit dem
Dampfer bin ich herübergekommen, um nur recht geschwind wieder da zu
sein.«

»Und haben Sie Ihre Frau gefunden?« rief Helene rasch, die mit inniger
Theilnahme der kleinen, einfachen Erzählung gefolgt war.

»Das ist ja gerade der Teufel -- bitte tausendmal um Entschuldigung!«
sagte Jeremias, sich wieder den Schweiß abtrocknend. »Seit sechs Wochen
rutsche ich jetzt im Lande herum und kann nichts Genaues erfahren.
Zuerst war ich in Regensburg, wo wir damals wohnten -- und glücklicher
Weise kannte mich dort Niemand mehr -- und da hieß es, daß sie schon
vor langen Jahren nach Erlangen gezogen und wieder zum Theater gegangen
wäre. Ich nach Erlangen. Dort erfuhr ich gar nichts, als daß sich die
Theater-Gesellschaft von jener Zeit nach Preußen und zwar an den
Rhein gewandt habe. Ich an den Rhein. In Mainz traf ich zufällig einen
Menschen, der mir erzählte, dort wohne noch ein alter Schauspieler und
gäbe jetzt Clavierstunden -- zu dem ging ich -- ich kannte ihn wohl,
aber er mich nicht mehr, von wegen der Glatze, und der sagte mir jetzt,
daß meine Frau wieder ihren Mädchennamen angenommen hätte und nach
Frankfurt gegangen wäre. Ich nach Frankfurt, und keine Spur mehr
gefunden, Wochen lang, bis ich vorgestern in Köln wieder einen
alten Schauspieler traf, der behauptet, er habe den Namen in einer
Theaterzeitung gelesen. Jetzt machten wir uns über die alten Zeitungen
her -- da ich ein paar Flaschen Wein kommen ließ, arbeitete der Alte mit
wie ein Pferd --, und nach sechs oder acht Stunden Suchens faßten wir
den Artikel, der mich wieder Hals über Kopf hierher nach Haßburg jagte.«

»Und sie ist hier?« rief Felix.

»Ja, das weiß ich noch nicht,« seufzte Jeremias, »denn wie Sie mich
trafen, war ich ja auch erst eben angekommen und wollte mich gerade
umsehen, ob ich nicht vielleicht Einem vom Theater unterwegs begegnete,
denn die kennt man gleich, und wenn sie noch so einfach angezogen gehen.
Ich weiß nicht, woran es liegt, aber einen Theatermenschen will ich
unter Tausenden herausfinden.«

»Aber Sie wissen also den Namen?« sagte Felix -- »dann muß es ja doch
die größte Kleinigkeit sein, sie hier aufzufinden.«

»Allerdings,« erwiderte Jeremias kleinlaut -- »ihr Theatername war
damals Bassini, und ein Fräulein Bassini soll auch hier an der Bühne
engagirt sein, der Theaterzeitung wenigstens nach, aber...«

»Aber?«

»Aber,« stöhnte Jeremias, »jetzt, da ich meinem Ziel so nahe bin, habe
ich eine Heidenangst bekommen, allein zu ihr zu gehen -- alle meine
Sünden fallen mir bei, und -- und ich wollte wahrhaftig manchmal, ich --
wäre wieder in Brasilien!«

»Und sind Sie nicht hergekommen, um gut zu machen, was Sie früher
verschuldet haben?« sagte Helene herzlich.

»Ja, das wohl -- aber...«

»Ich gehe mit Ihnen, Jeremias,« rief Graf Felix lachend, »ich helfe
Ihnen Ihre Frau suchen!«

»Ach, Herr Graf,« sagte der kleine Mann verlegen, »wenn Sie -- wenn Sie
das thun wollten, da wäre mir ein wahrer Berg vom Herzen herunter!«

»Ich gehe mit Ihnen,« bestätigte Graf Rottack aber noch einmal, denn
theils nahm er wirklich Interesse an dem kleinen verzweifelten Manne, da
ihm dieser wieder alle die alten transatlantischen Erinnerungen, als ein
Stück selber von daher, so lebendig in der Seele wach gerufen, und dann
machte es ihm auch Spaß, von der Entwickelung dieses kleinen Dramas
Zeuge zu sein.

»Und wann wollen Sie gehen?« fragte Helene.

»Ja, heute ist es zu spät,« rief Rottack, »aber den heutigen Abend
verwenden Sie dazu, die Wohnung Ihrer geschiedenen Frau aufzufinden, und
dann holen Sie mich morgen Mittag um zwei Uhr ab! Ist Ihnen das recht?
Ich kann nicht früher.«

»So wollen wir's machen,« rief Jeremias, ihm treuherzig die breite Hand
entgegenstreckend -- »jetzt hab' ich auch wieder Courage, und morgen
wissen wir dann gleich, woran wir sind!«

»Wollen Sie schon fort?«

»Wenn Sie mir erlauben, Frau Gräfin, ja, denn der Boden fängt mir an,
unter den Füßen zu brennen, bis ich Alles heraus habe. Aber morgen
Mittag punkt zwei Uhr bin ich wieder hier.«

»Rauchen Sie, Jeremias?« fragte Felix.

»Wo werd' ich nicht!« meinte der kleine Mann, indem er eine der ihm
gebotenen Havannas mit einem Kratzfuß annahm -- »wissen Sie denn wohl
noch, wie wir einmal in der...« -- Er wurde auf einmal feuerroth im
Gesicht, denn er fühlte, daß er wieder eine Dummheit begangen -- »reden
wir nicht mehr davon,« brach er auch kurz ab, indem er sich die Cigarre
an dem Licht, das ihm einer der eben eintretenden Diener brachte,
anzündete und diesem dann sehr freundlich dafür dankte -- »und nun leben
Sie wohl und nehmen Sie's nicht übel, daß ich Sie so lange gelangweilt
habe!«

»Und haben Sie guten Muth, Jeremias -- Felix wird Alles in Ordnung
bringen,« lächelte Helene freundlich.

Jeremias nickte ihr dankend zu, drehte sich dann um und stieg wieder in
das wilde Leben und Treiben hinaus, das noch immer in der Straße draußen
auf und ab wogte.




7.

Die erste Begegnung.


Eben hatte es in der zu dem Schloß des Grafen Monford gehörenden Kapelle
zwölf Uhr geschlagen, als die Gräfin mit ihrem Gemahl, den Kiesweg am
Flusse herabkommend, von einem Spaziergange zurückkehrte. Sie gingen dem
Schlosse zu.

Der Park lag still und einsam wie immer; weit unten am Drahtzaun
äs'ten sich ein paar Stück Damwild, und mitten auf der Wiese kroch eine
gebückte Menschengestalt, der ein kleiner Hund folgte, herum; sonst ließ
sich nichts Lebendes erkennen.

Es war das der Maulwurfsfänger, der nach seinen Fallen gesehen hatte
und die ertappten Uebelthäter in ihren schwarzen Pelzen, weniger
als Warnungszeichen für die übrigen, sondern mehr als Beweis seiner
Thätigkeit und seines Erfolges, an schwanken Ruthen mitten auf dem Rasen
aufhing.

Jetzt schien er mit seiner Arbeit vor der Hand zu Ende; möglich auch,
daß er sich nur ausruhen und dabei sein Mittagsbrod verzehren wollte. Er
schritt zu der nächsten Linde, die dicht an dem Kiesweg stand, und wo er
zugleich Schutz gegen die heute ziemlich warm brennende Sonne fand. Dort
legte er seinen Ranzen ab und neben sich, nahm ein Stück Brod und Wurst
heraus, wie eine kleine Flasche mit Branntwein, zog seinen Genickfänger
vor und begann, während der Spitz vor ihm saß und ihn mit etwas
seitwärts gebogenen Kopf aufmerksam betrachtete und jedem Bissen, den er
zum Munde führte, mit den Augen folgte, seine Mahlzeit.

Die beiden Spaziergänger, welche auf demselben Wege herankamen, an dem
er saß, mußte er jedenfalls bemerkt haben; der Spitz markirte sie auch
ein paar Mal, indem er dort hinübersah. Der Alte nahm aber nicht die
geringste Notiz von ihnen; wußte er sich ja doch auch hier in seinem
vollen Recht und in seinem Beruf, und der Platz unter der Linde, so
lange er dort saß und Rast hielt, gehörte ihm.

»Nicht wahr, um zwölf Uhr hatten sich Rottacks ansagen lassen?« fragte
die Gräfin, nachdem sie eine Weile schweigend neben ihrem Gemahl
hergeschritten war.

»Ja, mein Kind,« sagte der alte Herr, »eben schlug es Zwölf; aber unsere
Uhr geht einige Minuten vor. Wir werden gerade zur rechten Zeit wieder
oben sein.«

»Ich möchte nur wissen,« fuhr die Gräfin nach einer kurzen Pause fort,
»was die junge Frau für eine Geborene ist. Sonderbare Sitte das, auf
seine Karte nichts zu setzen, als ganz einfach: Graf Rottack und Frau,
gerade als ob er ein Schuhmacher oder Schneider wäre.«

»Mein liebes Herz,« lächelte der Graf, mit den Achseln zuckend, »er wird
mit der Abstammung seiner Gemahlin wahrscheinlich keinen Staat machen
können und ist klug genug, sie ganz wegzulassen.«

»Diese Aufmerksamkeit gegen uns ist doch auch wirklich ganz
außerordentlich; wie ich vorhin gehört habe, sind die Herrschaften erst
gestern hier eingetroffen.«

»Wir werden etwas vorsichtig mit diesem Umgang sein müssen,« bemerkte
der Graf, »bis man wenigstens Genaueres über die Familienverhältnisse
erfährt. Der junge Rottack hat mir übrigens so weit ganz gut gefallen;
nur ein wenig sehr ungenirt ist er, wie alle die Herren, welche
sich eine Zeit lang in fremden Welttheilen und unter Republikanern
herumgetrieben haben.«

»Ist seine Frau eine Deutsche?«

»Ja, mein Herz, da fragst Du mich zu viel; ihrem Ansehen nach
jedenfalls, denn wenn ich nicht irre, hat sie blonde Haare. Aber wir
werden ja sehen. Behagt uns der Umgang nicht oder stellt sich
etwas dagegen heraus, so giebt es Mittel und Wege genug, ihn in der
freundlichsten Weise wieder abzubrechen oder wenigstens zu erschweren,
und sind unsere Befürchtungen unbegründet, so haben wir vielleicht
einen sehr angenehmen Zuwachs unserer, doch eben nicht sehr zahlreichen
Gesellschaft erhalten.«

Sie hatten in diesem Augenblick die Stelle erreicht, an welcher der
Maulwurfsfänger sein frugales Mittagsbrod verzehrte.

»Guten Tag, Herr Graf! Guten Tag, Frau Gräfin!« sagte der Bursche, ohne
sich übrigens in seiner Beschäftigung stören zu lassen oder dieses Mal
auch nur eine weitere Ehrfurchtsbezeigung für nöthig zu halten, als ein
etwas Höherschieben der alten Mütze mit dem Rücken der Hand, in der er
das Messer hielt.

»Guten Tag, mein Mann!« sagte der alte Herr, während die Gräfin ihn
durch die Lorgnette betrachtete, und war schon halb vorüber, als er noch
einmal stehen blieb und, den Kopf zurückwendend, fortfuhr: »Hör' einmal,
Freund, der Förster beklagt sich fortwährend über Dich und liegt mir
stets in den Ohren, ich solle Dir das Betreten meiner Grundstücke
verbieten.«

»Nachher soll ich die Maulwürfe wohl von der Grenze aus mit Sympathie
vertreiben?« lachte der Bursche still vor sich hin und schob wieder ein
Stück Brod und Wurst in den Mund.

»Von den Maulwürfen ist hier keine Rede,« erwiderte der alte
Herr, weniger vielleicht durch die Antwort, als durch das heute so
unehrerbietige Benehmen des alten Burschen gereizt; »wie mir der Förster
sagt, fängst Du aber auch noch andere Dinge, als Maulwürfe, und meine
Leute haben jetzt strengen Befehl, Dir auf den Dienst zu passen.
Erwischen sie Dich dabei, oder beträgst Du Dich auch nur ein einziges
Mal selbst verdächtig, so nimm Dich in Acht!«

»Werde so frei sein,« brummte der Mann vor sich hin.

»Auch verbiete ich Dir von jetzt an, Dich nach Sonnenuntergang hier
herumzutreiben; Du kannst Deine Maulwürfe bei Tage fangen, und nun Gott
befohlen!« setzte er rasch hinzu, als ob er fürchte, noch eine Antwort
zu erhalten. Er hatte sich mit dem Menschen schon zu lange aufgehalten.

Damit wanderte er mit der Gräfin wieder langsam den Kiesweg entlang,
der dem Schlosse zuführte, und der Maulwurfsfänger, den Kopf ihnen
nachgedreht, sah noch eine ganze Weile hinter ihnen drein. Endlich
wandte er sich gegen seinen Hund und sagte: »Hast Du's gehört, Spitz,
was der gnädige Herr Graf befohlen?«

Der Spitz trippelte ein paar Mal mit den Vorderfüßen, hob dann die Nase
in die Höhe und nieste kurz.

»So? Na, das ist mir lieb,« erwiderte sein Herr, »nun thu mir auch den
Gefallen und richte Dich danach. Weißt Du, was es setzt, wenn sie Dich
wieder einmal nach Sonnenuntergang hier erwischen, heh, weißt Du's?«

Der Spitz trippelte stärker und nieste noch einmal.

»Na, dann brauchen wir über die Sache kein Wort mehr zu verlieren,«
nickte der Alte und lachte still vergnügt vor sich hin, fuhr aber dabei
in seinem Selbstgespräch, ohne sein Kauen jedoch zu unterbrechen, fort:
»Merkwürdig doch, wie die Kinder oft mit einem geladenen Schießgewehr
spielen, und wie leicht kann's losgehen und bläst ihnen dann die ganze
Ladung mitten in's Gesicht hinein! Und die Frau Gräfin, wie sie den
Staub hinter sich vom Kieswege auffegt; eigentlich sollte der Gärtner
seinen Arbeitsweibern auch so ein Ding, so eine Crinoline und Schleppe
hinten dran kaufen, dann könnte er das Rechen sparen das ganze Jahr,
und schickte die nur jeden Morgen spazieren durch den Park. Frauenvolk,
Frauenvolk,« rief er kopfschüttelnd, indem er seinem Spitz ein Stück
Wurst zuwarf, das dieser geschickt fing und schwanzwedelnd verzehrte,
»'s ist nicht zu glauben; und wie sie mich mit der Lorgnette
betrachtete, -- muß doch ein verdammt schwaches Gedächtniß haben, denn
nahe genug hat sie mich doch schon gesehen -- und nicht einmal mit der
Brille; 's ist merkwürdig, und der Hochmuthsteufel scheint ihr alle
anderen Dinge rein aus dem Kopf gejagt zu haben, denn mir steht sie noch
vor Augen, als ob es erst gestern gewesen wäre.«

Der Spitz knurrte und drehte den Kopf nach rechts.

»Hallo,« fuhr der Maulwurfsfänger fort, indem er rasch dorthin sah, »wer
kommt da? Besuch? Na, nicht zu uns Beiden, Spitz; so vornehm treiben
wir's nicht mehr.«

Es waren ein Herr und eine Dame, hinter denen etwa fünfzig Schritte
weiter zurück ein Diener in Livrée folgte.

»Ich dachte es, Helene,« sagte Graf Rottack, als er mit ihr auf dem
Weg herankam, »daß wir ein wenig zu früh eingetroffen wären; aber
die Herrschaften sind jetzt nach dem Hause zurückgekehrt, um uns zu
erwarten, und siehst Du, da drüben liegt es schon. Nur jetzt Herz
gefaßt,« setzte er leise hinzu, »nur jetzt keine Schwäche gezeigt, denn
es ist das erste und deshalb auch für Dich das peinlichste Begegnen;
aber da zeige auch, daß Du die Seelenstärke besitzest, die Du mir ja
schon so oft bewiesen.«

»Hab' keine Furcht, Felix,« erwiderte Helene, »ich werde Dein Vertrauen
rechtfertigen. Ich bin stark, und wenn ich auch das Gefühl nicht
abschütteln kann, daß mir im Innern genau so ist, als ob es mir die
Brust zusammenschnüren wolle, äußerlich soll man mir nichts anmerken,
ich stehe Dir dafür. Nur vor der allerersten Begrüßung scheu' ich mich;
aber auch das geht ja rasch vorüber, und ich fürchte fast, die Frau
Gräfin wird mir das sehr erleichtern.«

Sie waren während dieses Gesprächs dicht an den Maulwurfsfänger
hinangekommen, der aber keinen Blick mehr auf sie warf und ruhig
sein Mahl beendete. Erst als sie dicht vor ihm standen und Felix ihn
anredete, sah er auf, und sein Blick haftete fest und wie erstaunt auf
dem lieben Antlitz der jungen Frau.

»Lieber Freund,« redete ihn indessen Felix an, »können Sie mir nicht
sagen, ob diese Fußspuren, die von einem Herrn und einer Dame herrühren
und ganz frisch sind, dem Grafen und der Gräfin Monford gehören? Es
wurde uns gesagt, sie gingen im Park spazieren.«

»Dort hinten können Sie noch in den Büschen das lichte Kleid der Gräfin
erkennen,« sagte der Mann, der aber in diesem Augenblick ganz sein
früheres mürrisches Wesen abgelegt zu haben schien. Wie seiner selber
unbewußt, zog er dabei die Mütze vom Kopf und starrte den ihren Weg
mit einem freundlichen »Danke!« Verfolgenden nach, als ob er eine
Erscheinung gesehen hätte.

»Wunderbar,« murmelte er dabei leise vor sich hin, »hol' mich der
Teufel, wunderbar; und gerade in diesem Augenblick, genau so, als ob es
ein Geist gewesen wäre -- und gerade an der Stelle!«

Der dem jungen Paar folgende Diener kam gerade vorbei und nickte dem
unter dem Baum Sitzenden grüßend zu. Er war schon vorüber, ehe ihn der
Alte anrief:

»Ach, lieber Herr, können Sie mir nicht sagen, wer die junge, schöne
Dame da vorn war?«

»Meine Herrschaft, die Frau Gräfin Helene mit dem Herrn Grafen Rottack,«
sagte der Mann und ging weiter; und der Alte blieb kopfschüttelnd
in seiner Stellung und schnitt sogar ganz in Gedanken dem Hund die
Ueberreste seines Mahles entzwei, das ihm dieser, ohne daß er es
bemerkte, aus den Fingern herausnahm.

       *       *       *       *       *

Rechts vom Schlosse und kaum hundert Schritt davon entfernt erhob sich
ein kleiner Hügel, auf dem in früheren Jahrhunderten ein alter, wie die
Sage ging, noch von den Römern gebauter Wartthurm stand. Der Platz
war jetzt mit zur Anlage gezogen, der alte Thurm aber mit seinen
unverwüstlichen Quadern im Eingange mit nicht geringer Schwierigkeit
erweitert und zu einer Aussicht über das darunter hinlaufende Thal
benutzt worden.

Es gab auch kaum einen Punkt in der ganzen Nachbarschaft, von dem man
einen freundlicheren Blick über das drunten ausgebreitete Haßburg mit
seinen Gärten und Anlagen und die dahinter weitgedehnten und meist
bepflanzten und bebauten Hänge gehabt hätte.

Um den alten viereckigen Thurm herum lief eine kleine, niedere und
mit Epheu dicht bewachsene Ringmauer, und selbst von hier aus waren
Einschnitte durch die aus dem Bergabhang stehenden Bäume gemacht und
die Zweige derselben künstlich so verschnitten worden, daß man wie durch
einzelne Medaillons einen Blick hinaus in's Freie gewann. Immer aber
blieb die Ringmauer zu hoch von Bäumen umgeben, um von hier unten aus
eine freie Aussicht zu gewähren, und der Platz, so reizend er an sich
sein mochte, wurde deshalb auch nur wenig benutzt. Höchstens dinirte die
Herrschaft manchmal, besonders an recht heißen Sommertagen, hier, und
hatte man Gäste, so wurde vielleicht der Kaffee dort eingenommen.
Sonst kam nur der Gärtner hin, der ihn in Ordnung hielt und manchmal
vielleicht die Aloepflanzen begoß, welche in den großen, aus Stein
gehauenen, vasenartigen Töpfen auf der Ringmauer standen.

Aber Paula besuchte den Platz zuweilen ebenfalls, und auch heute wieder
allein. Seit gestern wenigstens hatte sie mehr Freiheit bekommen. Der
Vater mußte mit der alten, häßlichen Französin gesprochen und ihr etwas
Unangenehmes gesagt haben; denn sie stichelte ein paar Mal darauf und
vernachlässigte seit der Zeit besonders ihren Zögling auffallend; Paula
athmete zum ersten Mal auf.

Sie kam allein den schmalen Weg herauf; aber für einen Spaziergang ging
sie fast zu rasch, und oben an dem Thurm blieb sie plötzlich stehen und
sah und horchte den Pfad zurück, ob ihr auch Niemand folge. Aber der
alte Thurm lag so einsam wie je, und um dessen Mauern herumgleitend,
trat sie zur dritten Aloevase an der Mauer, bog sich hinüber, fühlte
vorsichtig mit der Hand und zog gleich darauf ein kleines, rosafarbenes,
zusammengefaltetes Papier heraus, das sie zuerst an ihre Lippen drückte
und dann, wieder mit einem scheuen Blick über die Schulter, öffnete.

Es enthielt weder Adresse noch Unterschrift, und nur die wenigen Zeilen:

»Mein Herz! Ich muß Dich heut Abend zwischen neun und zehn Uhr, und wenn
es selbst noch später sein sollte, sprechen. Eine furchtbare Kunde ist
zu meinem Ohr gelangt, die mich zum Denken unfähig macht. Ich muß Leben
oder Tod von Deinen Lippen empfangen. Wann Du auch kommst, von neun Uhr
an harr' ich Dein.

  Ewig der Deine.«

»Also er weiß es,« sagte Paula, wie sie nur mit flüchtigen Blicken die
Zeilen verschlungen hatte; »oh, mein Gott, was soll ich thun -- armer,
armer Rudolph -- arme, arme Paula!«

Das Papier noch in der Hand, lehnte sie an der Ringmauer, stützte den
Kopf in die Rechte und schaute mit thränengefüllten Augen in das Grün
der Bäume hinein.

»Und da steckt meine kleine Schwärmerin,« rief plötzlich dicht
hinter ihr eine laute, lachende Stimme, daß sie mit einem nur halb
unterdrückten Schrei emporzuckte und zugleich das verrätherische Papier
in der Hand zusammenknitterte. »Holla, und erschrickt sogar?« fuhr
dieselbe Stimme fort, und sie erkannte ihren Bruder George, der
mit Sporen und Reitpeitsche, wie er eben vom Pferd gestiegen, hier
heraufgesprungen war. »Was hast Du, Mädel -- und Thränen in; den Augen?
Das ist kein Gesicht für ein Bräutchen!«

Paula, nur im ersten Moment überrascht, hatte ihre Geistesgegenwart
schnell wiedergewonnen; von dem leichtherzigen und nichts weniger als
mißtrauischen Bruder brauchte sie auch keine Entdeckung zu fürchten. Ja,
wenn es ihr Drachen, Mademoiselle Beautemps, gewesen wäre!

»Ach, George,« sagte sie traurig, indem sie den jetzt fest
zusammengeknillten Brief in ihre Tasche brachte, »mir ist auch nicht wie
einer Braut zu Muthe, am wenigsten mit dem mir bestimmten Bräutigam. Ich
will ja noch nicht heirathen.«

»Das sollst Du aber auch gar nicht, närrisches Kind,« lachte George. »Du
hast ja beinahe noch ein volles Jahr Zeit, um Dir diesen »wichtigsten
aller Schritte«, wie der Papa sagt, gehörig zu überlegen.«

»Aber was kann ich noch überlegen, wenn ich verlobt bin? Oh Gott, ich
wollte, ich wäre ein armes, schlichtes Bauernmädchen, daß sich Papa und
Mama nicht so viel um meine Heirath bekümmerten.«

George lachte laut auf. »Und glaubst Du, da wäre es anders?« rief
der Bruder. »Da kennst Du unsere Bauern schlecht. Ist es ein
»Vierspänniger«, so dürftest Du nur auch wieder den Sohn eines
»Vierspännigen« heirathen, und wäre es gar ein »Sechsspänniger«, arme
Paula, da hättest Du eine noch schlimmere Etikette durchzumachen. Alle
Welt hält den Grundsatz oben: Gleich und Gleich gesellt sich gern.«

»Den Ihr nach Eurer Art verdreht, Du und der Vater,« rief Paula heftig;
»ja, Gleich und Gleich gesellt sich gern, aber nicht _das_ Gleich, das
Ihr darunter versteht, Gold und Silber und der alberne Rang von Grafen
und Baronen, sondern gleiche Herzen, gleiche Gesinnungen, gleiche
Seelen, die Euch aber nicht gleich gelten; Herz, Seele, ja, das ist
Nebensache, das findet sich außerdem, das sieht man ja auch nicht, das
steckt inwendig und kommt deshalb auch nicht in Betracht; aber das
Geld, der Rang, ja, freilich, das sind Sachen, die in die Augen stechen,
wenigstens der Menge, und auf die muß geachtet, die muß berücksichtigt
werden!«

»Jetzt sieh Einer den kleinen Philosophen an,« lachte George, »wer hätte
das hinter dem Mädel gesucht!«

»Ach, laß mich zufrieden, Du spottest nur immer über mich!« »Nein,
Schatz,« rief George rasch, »das thu' ich nicht; aber sage mir im Ernst,
ob Du etwas gegen Hubert einzuwenden hast. Ist er nicht ein braver,
tüchtiger Cavalier, und hat er Dich nicht von ganzem Herzen lieb?«

»Nicht halb so lieb, wie seine Pferde und Hunde,« erwiderte Paula
bitter.

»Aber, Herzensmädchen, wie ungerecht Du jetzt bist,« rief George;
»Hubert ist ein seelensguter Mensch, ein bischen jähzornig, ja, und
daß er ein leidenschaftlicher Jäger und Reiter ist, wirst Du ihm doch
wahrlich nicht zum Vorwurf machen wollen, wo Dein Vater und Bruder
dieselben Leidenschaften theilen.«

»Aber deshalb soll ich ihn doch nicht etwa lieben? Er mag ja reiten
und schießen, so viel er will, ich wahrlich werde ihn nicht daran
verhindern. Aber weshalb muß er _mich_ aussuchen, _mich_ unglücklich
machen wollen vor allen Anderen?«

»Unglücklich, Paula?«

»Ja, unglücklich,« sagte das arme Mädchen, indem ihm die hellen Thränen
in die Augen traten; »ich will nichts von ihm wissen, ich will nicht
heirathen, am wenigsten Deinen Hubert, sag' ihm das!«

»Du bist ein Kind, Herz,« lachte George über den fast kindischen Trotz
der Schwester, »und kennst Hubert eigentlich noch nicht einmal genau.
Lerne ihn erst kennen, Schatz, und wenn Du dann wirklich eine nicht
zu besiegende Abneigung gegen ihn hast, dann will ich selber dem Vater
zuzureden suchen, daß er Dich frei giebt.«

»Und weshalb da jetzt die Verlobung?«

»Das ist eine Idee von Mama,« sagte George achselzuckend, »Und der
etwas auszureden, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat, wird
außerordentlich schwer fallen; aber ich bin fest überzeugt, daß Du
glücklich mit ihm werden wirst.«

»_Du_ bist überzeugt davon?«

»Ja, Schatz; sieh nur Papa und Mama an. Der alte Gärtner Janus, der
jetzt schon vierzig Jahre in Papas Diensten ist, hat mir die Geschichte
selber einmal erzählt; die Mama hat den Papa auch damals nicht geliebt,
wie sie ihn heirathen sollte. Sie hat fortlaufen wollen und Gott weiß,
was -- und wie glücklich und zufrieden leben sie jetzt miteinander!«

»Die Mama hat den Papa auch nicht heirathen wollen?«

»Gott bewahre, mit Händen und Füßen soll sie sich gesträubt haben --
wahrscheinlich auch mit solchen phantastischen Ideen --, aber Großvater
war ein strenger Herr und ließ sich auf keine Unterhandlungen ein, und
der Erfolg bewies zuletzt, daß er doch Recht gehabt.«

»Und weißt Du, was ihr armes Herz dabei gelitten haben mag?« sagte Paula
mit tiefem Gefühl. »Könnt Ihr Männer in einer Frauenseele lesen?«

»Und ist der Vater nicht etwa brav und gut? Hat er sie nicht auf Händen
getragen sein Leben lang?«

Paula sah seufzend vor sich nieder und sagte leise: »Ach, Du verstehst
mich nicht, George!«

»Du verstehst Dich selber nicht, Herz,« rief George freundlich; »irgend
ein Phantasiebild, das Du Dir heraufbeschworen, soll Dir jetzt in die
Seele passen, und da es nicht paßt, fühlst Du Dich unglücklich. Komm,
mach' wieder ein freundliches Gesicht; wer von uns Allen ist denn
gewohnt, Dich traurig zu sehen, und wenn Du es bist, machst Du das ganze
Haus unbehaglich -- alle Wetter,« unterbrach er sich selber rasch, »da
kommt Besuch, das werden Rottacks sein! Vaters Kammerdiener sagte mir
schon, daß sie erwartet würden; komm lieber gleich mit hinunter, Du
wirst doch sonst geholt.«

»Geh' voran, George,« bat Paula, »mir sind die Augen noch roth; ich
komme gleich.«

»Aber mach' nicht zu lange; ich bin selber neugierig, unsere neuen
Nachbarn kennen zu lernen. Bei Boltens wurde schon von ihnen gesprochen.
Die Frau Gräfin soll eine ganz brillante Schönheit sein.«

»Geh nur voran, George, ich komme gleich nach,« sagte Paula und stand
noch ein paar Secunden, als sie der Bruder schon verlassen hatte, und
sah hinter ihm drein. Dann nahm sie den erhaltenen Brief aus der
Tasche, riß ihn in unzählige kleine Stücke und streute die vom Luftzug
fortgetragenen Fragmente über die Ringmauer in den Wald hinab. --

Während indessen Graf und Gräfin Monford ihre Wohnung betraten, meldete
ihnen schon einer der Diener, daß Graf Rottack und Gemahlin nach ihnen
gefragt, dann in den Park gegangen seien, um sie selber aufzusuchen,
und nun dicht hinter ihnen herkämen. Das junge Paar war in der That kaum
hundert Schritt hinter ihnen, und die beiden Herrschaften hatten nur
eben Zeit gehabt, sich in das Empfangszimmer zurückzuziehen, als ihnen
der Besuch auch schon gemeldet wurde.

Rottack betrat, Helene am Arm, den untern Saal, der, mit geöffneten
Flügelthüren und einer kleinen, wohlgepflegten Terrasse davor, einen
freundlichen, sonnigen Blick auf das weite Land bot. Graf Monford --
während die Gräfin vom Sopha, auf das sie sich in der Geschwindigkeit
niedergelassen, aufstand -- ging ihnen entgegen, reichte Rottack die
Hand und sagte herzlich: »Herr Graf, es ist unendlich liebenswürdig von
Ihnen, uns Ihre liebe Frau zugeführt zu haben. Frau Gräfin, ich schätze
mich glücklich, Sie in Haßburg, und noch dazu als Nachbarin begrüßen zu
können -- meine Frau!«

Gräfin Monford, welche die junge Frau beim Eintritte scharf fixirt
hatte, verneigte sich kalt und vornehm, und Helene, die sie fast mit
Ehrfurcht begrüßte, fühlte, wie ihre Kniee zitterten, und mußte alle
ihre Energie zusammen nehmen, um diese erste, oh, so verzeihliche
Schwäche zu besiegen. Aber sie war von Jugend auf daran gewöhnt worden,
sich zu beherrschen; sie wußte, wie nothwendig das besonders hier jetzt
sei, und wenn sie auch fühlte, daß das Blut wieder ihre Wangen für einen
Moment verließ, nahm sie sich doch tapfer zusammen und erwiderte sogar
ein paar Worte auf die Anrede des alten Herrn, freilich unbewußt, ohne
sich dessen klar zu sein, was sie eigentlich sagte.

Für einen solchen Fall sind unsere gesellschaftlichen Formen aber ganz
vortrefflich, denn nur mit dem passenden Ausdruck in den Zügen, darf man
wirklich unzusammenhängende Formeln schwatzen, um die nämliche Wirkung
zu erzielen, wie bei der vernünftigsten und durchdachtesten Rede. Was
für Unsinn wird manchmal bei solchen Begrüßungen mit der ernsthaftesten
Miene gesprochen, mit der ernsthaftesten Miene angehört und erwidert!
Es sind nur eben Worte, die man verlangt, auf den Sinn dabei kommt es
wahrlich nicht an.

»Sie sind erst ganz kürzlich hier in Haßburg eingetroffen?« wandte
sich die Gräfin Monford an ihren jungen Besuch, denn über etwas _mußte_
gesprochen werden.

»Gestern, Frau Gräfin,« erwiderte Helene und fühlte sich noch nicht
stark genug, das Auge zu der Frau zu erheben, während Felix, indem er
mit dem Grafen sprach, die Züge der Dame scharf und forschend musterte.

»Und Sie beabsichtigen, sich hier bleibend niederzulassen?«

»Ich hoffe so, -- die Gegend -- ist so unendlich ansprechend.«

»Da haben Sie Recht, meine Gnädigste,« lächelte der alte Herr; »es
sollte Ihnen schwer werden, in Deutschland einen _schöneren_ Punkt zu
finden, wenn es auch vielleicht noch viele eben so schöne in unserem
Vaterlande geben mag -- aber wollen die Herrschaften nicht Platz
nehmen?«

Die Damen setzten sich auf das Sopha, die Herren nahmen Stühle, und
das Gespräch wurde jetzt, da es an Stoff nicht fehlte, allgemein. Auch
Helene, da Felix und Graf Monford Theil daran nahmen und das Auge der
Gräfin nicht mehr allein auf ihr haftete, fühlte sich mehr erleichtert
und unbefangener.

»Aber Sie sind doch jedenfalls eine Deutsche, Frau Gräfin?« sagte Graf
Monford, als Helene eben von ihren Kindern erzählt und wie sie sich
gestern an dem Jahrmarkt gefreut; »Sie sprechen wenigstens vortrefflich
Deutsch, und man hört Ihnen nicht einmal einen Dialekt an.«

»Allerdings,« erwiderte Helene, tief erröthend, »ich bin in Deutschland
geboren, wenn auch größtentheils in einem transatlantischen Land
erzogen.«

»Sie haben übrigens recht gethan, von da drüben wegzuziehen,« sagte der
alte Herr; »mein Gott, muß das jetzt in dem Amerika eine Wirthschaft
sein! Der Krieg nimmt gar kein Ende und dauert doch schon über Jahr und
Tag.«

»Wir kommen nicht aus den nordamerikanischen Freistaaten,« erwiderte
Felix, »und haben, wo wir wohnten, wenig von dem Bürgerkrieg selbst
gehört. Unser Aufenthalt« -- und sein Blick ruhte dabei wie völlig
absichtslos auf der Gräfin -- »lag in Brasilien.«

»In Brasilien?« sagte diese fast unwillkürlich.

»Ei, das laß ich mir eher gefallen,« rief aber auch Graf Monford; »dort
sollen doch wenigstens geregeltere Zustände sein, wenn man sich eben mit
der vielleicht nicht immer angenehmen Hitze befreunden kann. Ich habe
selbst einen etwas weitläufigen Verwandten in Rio. Wo haben Sie gelebt?«

»In einer der südlicher gelegenen Colonien,« sagte Felix, einer
directeren Antwort noch vor der Hand ausweichend.

»In der That,« sagte der alte Herr, »dann freilich müssen wir Ihrer
lieben Frau Gemahlin um so dankbarer sein, wenn sie von unserer Gegend
befriedigt ist, denn mit den Tropen können wir uns allerdings nicht
messen. Aber schön ist es trotzdem hier bei uns; bitte, Frau Gräfin,
treten Sie einmal hier auf die Terrasse und sehen Sie, wie allerliebst
das alte Haßburg da unten liegt; dort rechts hinüber glaub' ich auch
sogar, daß man das Dach Ihres eigenen Hauses von hier erkennen kann,
auch ein Stück vom Hause selbst. Ah, da kommt auch George -- mein Sohn
-- Gräfin Rottack.«

Helene war mit dem alten Herrn vor das Haus auf die offene Terrasse
getreten, um sich die Aussicht zeigen zu lassen; ergriff sie doch selber
mit Freuden die Gelegenheit, gerade jetzt, wo Brasilien zuerst genannt
worden, hinaus an die freie Luft zu treten, um sich durch keine
Bewegung, durch kein Erröthen zu verrathen.

Auch die Gräfin Monford war aufgestanden und mit ihr Felix, um den
Beiden zu folgen; aber sie zögerte noch. Es lag ihr eine Frage auf der
Zunge, die sie sich scheute auszusprechen, und doch mußte sie gethan
werden. Graf Rottack bemerkte dabei, daß etwas sie beunruhige, aber
er hütete sich wohl, ihr entgegen zu kommen. Die Gräfin durfte jedoch
diesen einen Moment, wo sie sich mit dem Fremden gewissermaßen allein im
Zimmer befand, nicht unbenutzt vorübergehen lassen, und sich, schon
im Begriff, auf die Terrasse zu gehen, noch einmal zu dem jungen Mann
wendend, sagte sie mit so gleichgültigem Ton als möglich:

»Wie hieß die Colonie, wo Sie gewohnt haben, Herr Graf?«

»Santa Clara, gnädige Gräfin,« erwiderte Felix, sich leicht verbeugend;
»meine Helene ist die Tochter der dort ansässigen Gräfin Baulen.«

»In der That?« hauchte die Gräfin und blieb einen Moment mit der Hand
auf den Stuhl gestützt, an dem sie eben vorüber wollte, stehen; aber
es war auch nur ein Moment. »Ah, da kommen meine Kinder,« sagte sie;
»bitte, Herr Graf, wollen Sie nicht hinaus auf die Terrasse treten?«

Sie ging langsam voran hinaus, und Rottack ließ ihr hier absichtlich
Zeit, um sich vollständig zu sammeln, indem er vorher dem jungen Grafen
George und dessen Schwester Paula vorgestellt wurde und sich freundlich
mit ihnen unterhielt.

Und Helene stand Paula gegenüber, die mit ihren treuen, kindlichen Augen
fast scheu zu ihr aufsah. Oh wie gern hätte sie das liebe, holde Kind
an sich gezogen, fest, fest in ihre Arme, und mit dem theuren, noch nie
gebrauchten Schwesternamen genannt! Wie lieb und gut sie aussah, und wie
traurig doch und ernst -- war denn auch schon in dieses junge Herz die
Sorge, der Kummer eingekehrt? Sie vermochte auch nicht, es hier bei der
kalten üblichen Form zu lassen, und auf das junge, sich schüchtern vor
der hohen, edlen Gestalt neigende Mädchen zugehend, schloß sie Paula
halb in die Arme und küßte sie auf die Stirne.

Und die Gräfin?

Felix hatte mit den beiden Grafen Monford an der Terrasse gestanden,
über das Land hinausgesehen und das Treiben in der unter ihnen liegenden
Stadt beobachtet. Jetzt wandte er sich wieder der Gräfin zu und ertappte
sie gerade, wie ihr Blick ernst und forschend, aber ohne das geringste
Zeichen innerer Bewegung an Helenen hing. Kaum fühlte sie aber, daß des
jungen Grafen Auge auf ihr haftete, als sie sich diesem zuwandte und,
mit zu der Terrasse tretend, ihn in ihrer gewöhnlichen ruhigen Weise auf
die einzelnen Schönheiten der Scenerie aufmerksam machte.

Keine Spur von Befangenheit war dabei in ihr zu entdecken, kein Zeichen
einer innern heftigen Bewegung, wie eine solche Entdeckung, als die
eben gemachte, sie eigentlich doch hervorgerufen haben sollte. Sie
war vornehm, wie immer, wenn auch gesprächiger, als sie sich bis jetzt
gezeigt, und Graf Rottack konnte und wollte seinen Besuch auch nicht
über die gewöhnliche Zeit hinausdehnen. Der Same war jedenfalls geworfen
und das Korn mußte Früchte treiben.

Nicht lange danach empfahlen sich die jungen Leute der gräflichen
Familie, wobei der alte Herr noch den Wunsch aussprach, daß sie öfter
zusammenkommen möchten; die junge Frau hatte jedenfalls einen sehr
günstigen Eindruck auf ihn gemacht, wie sie sich im Sturm schon Paula's
Herz erobert. -- Der Wagen fuhr vor, und bald rollte das leichte
Fuhrwerk mit ihnen wieder in die Stadt zurück.




8.

Fräulein Bassini.


Eine lange Weile saßen die beiden Gatten schweigend neben einander im
Wagen. Es war ordentlich, als ob sich beide scheuten, ein Gespräch zu
beginnen. Endlich sagte doch Helene mit leiser Stimme:

»Sie ist eine recht, recht stolze Frau -- oh, es wird schwer halten,
dieses Herz zu bezwingen!«

»Meine arme Helene!«

»Ob sie nicht ahnte, daß ich ihr näher stehen könnte, als sie erfuhr,
daß wir aus Brasilien kämen?«

»Liebes Herz,« sagte Felix leise, »sie weiß jetzt, daß Du ihre Tochter
bist...«

»Sie weiß es?« rief Helene erschreckt.

»Ich habe ihr den Namen jener Frau genannt.«

»Und doch so kalt, doch so hart!«

»Beruhige Dich darüber, Helene,« sagte Felix freundlich; »Anderes
konnten wir für diese erste Zusammenkunft kaum erwarten. Die
Ueberraschung war zu groß -- ich sah ihr an, daß sie Mühe hatte,
ihre Fassung zu bewahren, was sie allerdings mit einer mir selber
unerklärlichen Seelenstärke möglich machte. Laß ihr jetzt Zeit, das
Gehörte still und allein, und von keinen äußeren Eindrücken gestört,
zu überdenken. Laß sie erst mit sich selber in's Reine kommen, und sie
selber wird Dich dann aufsuchen -- sie muß es ja thun, wenn sie nicht
jedes Gefühls bar sein sollte!«

»Und wenn sie es nicht thut, Felix?«

»Wozu uns jetzt mit einer Unmöglichkeit absorgen? Sie wird es
sicherlich, mein Kind.«

»Und wenn sie es _nicht_ thut?«

»Dann versuchen wir das Letzte, dann fordere ich für Dich eine
Unterredung mit ihr -- eine Ausrede, dem alten Herrn gegenüber, ist bald
gefunden -- und die kann und wird sie Dir nicht weigern. Dann aber
ist sie auch nicht im Stande, Dir zu widerstehen, deß bin ich fest
überzeugt. Liegst Du erst einmal an ihrem Herzen, dann läßt sie Dich
auch nicht wieder, noch dazu, wenn sie erfährt, daß ihr Geheimniß in
sicheren und treuen Händen ruht; daß Du nichts, nichts auf der weiten
Gotteswelt von ihr verlangst, als ihre Liebe...«

Der Wagen hatte indessen die kurze Entfernung zurückgelegt, und während
er in den Garten einfuhr und vor dem Hause hielt, sahen sie, daß sich
Jeremias schon eingefunden und mittlerweile mit den Kindern beschäftigt
hatte. Er spielte Kutsche und Pferd mit ihnen, und während er die
vor Vergnügen zappelnde kleine Helene auf dem Arme trug und dabei
den Kiesweg entlang galoppirte, hatte ihn Günther hinten an beiden
Rockschößen und rief Jüh! und Hoh! und suchte ihn bald links, bald
rechts einzulenken.

Nur wie die Eltern in den Garten einfuhren, ließ der Kleine los und
sprang dem Portale zu, um der Erste zu sein, der sie begrüßte, und
Helenchen streckte ihnen ebenfalls, in lautem Jubel aufkreischend, die
Aermchen entgegen, so daß Jeremias jetzt wohl oder übel seinen noch
nicht unterbrochenen Galopp dorthin lenken mußte.

»Haben Sie lange auf mich gewartet, Jeremias?« rief ihm der junge Graf
entgegen.

»Eben im Augenblick hat es erst Zwei geschlagen,« sagte Jeremias, der
indessen die Kleine der Mutter hinreichen mußte, »und das wilde Völkchen
hier hat mich tüchtig in Athem gehalten.«

»Und sind Sie jetzt bereit?«

»Wollen Sie wirklich noch mit mir gehen?«

»Gewiß, das ist ja eine verabredete Sache -- haben Sie denn die Wohnung
indessen aufgefunden?«

»Sie ist gar nicht weit von hier, gleich in der nächsten Straße.«

»Schön, Jeremias -- ich will nur meinen Ueberrock anziehen, und dann
gehen wir zusammen.«

Er war auch in wenigen Minuten wieder im Garten und schritt mit
Jeremias, der sich unterdessen Helenen empfohlen, auf die Straße hinaus
und dem bezeichneten Hause zu.

Unterwegs wurde wenig gesprochen, Felix war noch mit seinen eigenen
Gedanken beschäftigt -- er arbeitete gegen die Furcht an, welche heute
das kalte, gefaßte Benehmen von Helenens Mutter in ihm wach gerufen,
seiner armen Frau wegen, und Jeremias fühlte sich noch viel mehr von dem
Gedanken dieses ersten Begegnens niedergedrückt; denn wenn es auch ein
schönes und erhebendes Gefühl sein mag, einen begangenen Fehler wieder
gut zu machen, eine alte, langjährige Schuld abzutragen, ist doch auch
das Bewußtsein drückend, dabei einzugestehen, daß man eben schlecht und
leichtsinnig gehandelt und Reue über das Vergangene fühle.

So hatten sie, rascher als Beide selber geglaubt, die Strecke
zurückgelegt, die sie von dem von Jeremias bezeichneten Hause trennte,
und hier blieb der kleine Mann plötzlich stehen, drückte sich unter die
Thür und sagte:

»Mir ist genau so zu Muthe, als ob ich mir einen Zahn wollte ausreißen
lassen -- Hurrjeh, ich wollte, die Geschichte wäre erst vorüber!«

»Wohnt sie hier?«

»Ja, zwei Treppen hoch; ich habe mich genau erkundigt, bin auch gestern
hier schon ein paar Mal vorbeigegangen, habe aber nichts gesehen, als
einen orangefarbenen Shawl oder Morgenrock, der da oben an dem einen
Fenster mehrere Male hin und wieder fuhr.«

»Also gehen wir hinauf.«

»Thun Sie mir den einzigen Gefallen, Herr Graf, und warten Sie noch
einen Augenblick,« bat der kleine Mann, »daß ich erst noch Luft
schnappen kann -- mir ist die Kehle wie zugeschnürt.«

Felix lächelte und blieb, während sich Jeremias den hellen Schweiß von
der Stirn trocknete, neben ihm stehen. Endlich faßte sich dieser doch
ein Herz -- was half es auch, wenn er länger zögerte, geschehen mußte es
doch -- also vorwärts!

»Ein Heidenglück ist's, daß Sie bei mir sind,« flüsterte er dem jungen
Grafen zu, »denn allein hätt' ich's nicht zuwege gebracht. Ich wäre,
hol' mich Dieser und Jener, wieder fort und erst noch einmal um die
ganze Stadt gelaufen!«

»Sie hätten vorher ein Glas Wein trinken sollen!«

»Ich habe eine ganze Flasche getrunken,« sagte Jeremias, »nur um Courage
zu kriegen, aber es hilft ja nichts -- es war, als ob man Wasser auf
einen heißen Stein gösse, es zischte ordentlich. Na, meinethalben, jetzt
muß die Bombe platzen, und nun kommen Sie, Herr Graf, jetzt wollen wir
Sturm laufen!«

Damit öffnete er entschlossen die Hausthür und betrat den innern Raum.

Es war ein kleines, unansehnliches Haus, altmodisch gebaut wie die
meisten der älteren Häuser von Haßburg, unten mit einem mit Steinplatten
belegten schmalen Vorplatz, auf dem noch eine dort aufgestellte
Wäschrolle den größten Theil des Raumes in Anspruch nahm. Rechts unten
wohnte ein Schuster; die Thür der Werkstatt stand, des warmen Tages
wegen, offen, und man konnte den Meister mit einem Gesellen und einem
Lehrling drinnen arbeiten sehen, während ein ungesunder, warmer Dunst
von dort auf den kühleren Vorplatz herausdrang.

»Wie hieß die Dame gleich?« fragte Rottack leise seinen Begleiter.

»Bassini,« flüsterte dieser zurück.

»Können Sie uns sagen, ob hier eine Dame Namens Bassini im Hause wohnt?«
fragte der junge Graf, artig seinen Hut lüftend, in die Stube hinein.

»Eine vom Theater?« nickte der Meister -- »ja, oben, zwei Treppen hoch.«

»Sein Sie aber so gut und putzen Sie sich erst die Stiefeln ab,« sagte
eine Frau, die von der Seite her, mit einem großen Topf in der Hand,
wie aus einer Coulisse heraus zum Vorschein kam, -- »ich habe gerade die
Treppe gescheuert.«

Felix machte lächelnd eine zustimmende Verbeugung, nahm dann die
befohlene Operation auf das Aengstlichste an einem dort liegenden, schon
sehr abgetretenen Strohteller vor, und stieg nun, während Jeremias unten
seinem Beispiel folgte, langsam die noch feuchten, dunstenden Stufen
hinauf.

Jeremias würde sich mit Vergnügen den ganzen Nachmittag da unten die
Stiefel abgetreten haben, wenn er nur nicht mitgemußt hätte -- aber es
ging doch zuletzt nicht anders.

Auf dem niedern Vorsaal der ersten Etage befanden sich zwei Thüren;
an einer war mit vier Nägeln ein Papier befestigt, das die deutlich
geschriebene Aufschrift trug: »G. Borsig, Schneidermeister«; an der
andern befand sich ein kleines Messingschild -- dort wohnte ein Graveur.

Die alte hölzerne Treppe knarrte entsetzlich, aber sie stiegen auch
jetzt die zweite hinan und fanden hier, gerade wie unten, wieder zwei
Thüren, ohne daß die Inwohnenden es jedoch der Mühe werth gehalten,
ihren Namen außen kund zu geben. Bewohnte Fräulein Bassini die ganze
zweite Etage? Jeremias wußte es nicht, und es blieb nichts weiter übrig,
als an die erste beste Thür zu klopfen und sich dort zu erkundigen.

Graf Rottack hatte einmal die Leitung übernommen, Jeremias war für den
Augenblick vollkommen willenlos, und deshalb, wie er sich nur einen
Moment in dem beengten Raum umgesehen, klopfte er auch an die nächste
Thür herzhaft an.

»Herein!« rief eine laute Stimme.

Der junge Graf öffnete die Thür -- »Können Sie mir vielleicht sagen...«

»Ja wohl -- bitte, treten Sie näher,« schrie ihn eine kleine,
schmächtige Gestalt an, die in einem mock-türkischen, aber entsetzlich
schmutzigen Schlafrock, mit einer langen Pfeife, aus der sie _keinen_
Kanaster rauchte, und in rothen Schlapp-Pantoffeln im Zimmer spazieren
ging -- »treten Sie nur näher.«

»Sie entschuldigen,« sagte Felix, der die Ueberzeugung hatte, daß
Fräulein Bassini hier nicht wohnen könne.

»Alles in Ordnung, bitte, kommen Sie nur herein, ich kann den verdammten
Zug nicht vertragen!« schrie der Türke.

Rottack hätte am liebsten die Thür gleich wieder zugemacht und
die andere versucht, welche jedenfalls die richtige war, aber sein
Zartgefühl ließ ihn keine Unart begehen -- er mochte den Mann nicht
beleidigen und war auch wirklich neugierig geworden, einen Blick in das
Heiligthum dieses merkwürdigen Menschen zu werfen, aus dem er von da
draußen doch nicht klug werden konnte.

Jeremias folgte willenlos, wie ein Opfer, das man zur Schlachtbank führt
und das sich in sein Geschick ergeben hat.

»So, das ist recht,« schrie der kleine Mann jetzt wieder, indem er seine
Pfeifenspitze gegen sie schwenkte; »ich habe schon den ganzen Morgen auf
Sie gewartet, es ist Alles bereit -- hier,« fuhr er fort, indem er einen
riesigen, fast die halbe Wand einnehmenden Kleiderschrank aufriß und
dabei eine etwas sehr getragene Harlequinsjacke und irgend ein
anderes phantastisches Maskencostüm hervorzog, das einen furchtbaren
Kamphergeruch im Zimmer verbreitete -- »die werden ihnen wie angegossen
sitzen, fast noch ganz neu, nur höchstens ein- oder zweimal getragen --
Graf Ruchofski hatte den Harlequin auf der letzten Maskerade.«

»Aber, mein sehr werther Herr,« lächelte Rottack, der mit dem besten
Willen jetzt erst zu Worte kam, »ich zweifle gar nicht an der Güte Ihrer
Anzüge, aber...«

»Na, dann stecken Sie sie weg,« sagte der kleine Türke gemüthlich, aber
mit einer so lauten Stimme, als ob er über einen Fluß hinüberschriee,
indem er die beiden außerdem schon mehr als zerknitterten Gegenstände
in ein ziemlich compactes Bündel zusammenrollte, »können sie ja gleich
selber mitnehmen, ich habe Niemanden zum Schicken.«

»Wohnt Fräulein Bassini hier in dieser Etage?« fragte jetzt Rottack, der
wohl sah, daß er auf keine andere Weise zum Ziele kam.

»Ja, gleich da drüben die Thür!« rief der Mann, indem er, während er
die Pfeife mit den Zähnen hielt, das Paket beendete und sich nach einem
Bindfaden in der Stube umsah.

»Sie sind wahrscheinlich im Irrthum,« fuhr Rottack jetzt, die
Zwischenpause benutzend, fort, »wir brauchen gar keine Masken-Anzüge und
sind auch deshalb gar nicht hiehergekommen, wir wollten blos Fräulein
Bassini sprechen.«

»Fräulein Bassini?« rief der Türke verdutzt.

»Sie müssen schon entschuldigen, daß wir Sie gestört haben...«

»Ja, aber hatten Sie denn nicht den Harlequin und den Sultan Saladin
bestellt?«

»Nicht wir, verehrter Herr,« sagte Rottack freundlich, »ich habe
überhaupt noch nie davon gehört, daß Jemand mitten im Sommer eine
Maskerade abhalten könnte!«

»Na, das ist aber merkwürdig,« rief der kleine Mann verwundert, indem er
das Bündel in Gedanken immer fester zusammenschnürte -- »aber die beiden
Herren wollten doch heute Morgen zu mir kommen!«

»Jedenfalls jemand Anders -- Sie entschuldigen wohl, daß wir Sie gestört
haben...«

»Bütte, bütte,« sagte der Mann mit einer Miene, als ob schon der
Verdacht einer solchen Vermuthung sein innerstes Ehrgefühl verletze --
»das ist aber wirklich merkwürdig -- nun, warten Sie, ich will gleich
einmal nachsehen, ob der Schlüssel steckt,« und ohne weiter eine Antwort
abzuwarten, warf er das Paket ziemlich rücksichtslos in die Ecke und
glitt an Beiden vorüber zur Thür hinaus.

Rottack warf den Blick im Zimmer umher und mußte sich gestehen, in
seinem ganzen Leben noch kein tolleres Conglomerat von Kunst und Natur
gesehen zu haben, als in diesem Raume.

War der Mann ein Schriftsteller? Eine Unmasse von überall aufgehäuften
Broschüren, ganze Schichten von Manuscripten und gedruckten Heften, die
Tisch und Boden deckten, schienen das fast zu bestätigen, und über dem
Sopha prangten auch auf Gips-Consolen, und aus demselben werthvollen
Material gefertigt, rechts und links zwei Büsten von Göthe und Schiller,
die letztere bekränzt. Weshalb fehlten aber Beiden die Nasen?

An der einen Thür öffnete ein Waschtisch gastlich seine Klappe, etwas
indiscret den ganzen Inhalt verrathend, und mitten im Zimmer stand ein
Stiefelknecht, die beiden Hörner wie ein Paar gespitzte Ohren nach dem
Fenster zu gerichtet, rechts und links daran aber ein Stiefel, wie der
glückliche Besitzer dieses Gemaches sie wahrscheinlich gestern Abend bei
später Nachhausekunft ausgezogen hatte.

An den Wänden hingen Bilder von Napoleonischen Schlachten -- erbärmliche
Lithographien natürlich und jedenfalls Eigenthum des Vermiethers;
nur ein Oelgemälde über dem Schreibtisch schien dem Bewohner selber zu
gehören, denn es war wahrscheinlich -- oder sollte es wenigstens sein --
ein Brustbild von ihm selber in »Frack und Asche«, mit einer furchtbaren
goldenen Kette, sehr weißer und breiter Cravatte und einer Normalfrisur,
auffällig dabei die rechte Hand mit einer Rose hebend, um einen großen
goldenen Siegelring zu zeigen.

Rottack hätte sich gern noch länger im Zimmer umgesehen, denn der Mann
fing an ihn zu interessiren; aber da der Türke jetzt mit der Nachricht
zurückkam oder dieselbe vielmehr in's Zimmer hineinschrie, daß der
Schlüssel stecke, so war ihnen jeder Vorwand genommen, sich länger hier
aufzuhalten.

Mit einer dankenden Verbeugung empfahlen sie sich; der Eigenthümer des
Zimmers, wahrscheinlich doch etwas ärgerlich, daß er seine Ballanzüge
nicht los geworden, warf die Thür hinter ihnen heftig in's Schloß,
und Graf Rottack schritt jetzt ohne Weiteres auf den nächsten
Vorsaal-Eingang zu, wo er etwas schüchtern anklopfte.

Drinnen im Zimmer wurde Musik gemacht. Irgend Jemand spielte Clavier und
eine Dame sang dazu -- das Klopfen war keinesfalls gehört worden.

Der junge Mann, während Jeremias hülf- und rathlos dabei stand, klopfte
etwas stärker, aber mit dem nämlichen Erfolg. Da drinnen wurde weiter
gespielt, und da Rottack nicht Lust hatte, noch weitere Zeit mit
nutzlosen Anmeldungen zu versäumen, öffnete er die Thür.

Am Clavier saß eine Dame in einem grell orangefarbenen seidenen
Morgenrock, den Kopf wie von einem Heiligenschein von einer Unzahl von
Papilloten umgeben. Weiter konnte er aber in dem Moment nichts erkennen,
denn mit einem ordentlichen Aufkreisch fuhr die überraschte Schöne
von ihrem Sitz am Clavier in die Höh' und schoß wie ein orangefarbener
Lichtstreif in die nächste Kammer.

»Da haben wir's,« lachte Graf Felix, indem er sich nach Jeremias
umdrehte -- »bemerkten Sie die Dame?«

»Sie standen ja davor -- schreien aber hab ich's gehört!« erwiderte
Jeremias, sich den Kopf kratzend.

»Zu wem wollen Sie denn?« fragte in diesem Augenblick eine Art von
»Aufwartung«, ein Mittelding zwischen Scheuerfrau und Mädchen für
Alles, die gerade von der Arbeit weg aus einer kleinen, dunkeln Küche
vortauchte.

»Zu Fräulein Bassini,« sagte Rottack -- »wir sind doch hier recht?«

»Ja, recht ist's schon, aber das Fräule ist noch nicht angezogen.«

»Ist sie krank?«

»Ne, aber wenn sie keine Probe hat, da pressirt's immer nich, und
nachens schreit se, wenn Jemand kommt. Wer sind Sie denn und was wollen
Sie?«

Die Frage war zu direct gestellt, um ein Mißverstehen möglich zu machen,
und da Jeremias den jungen Grafen am Rock zupfte, weil er seinen Namen
nicht genannt habe wollte, so erwiderte dieser:

»Bitte, sagen Sie doch dem Fräulein, Graf Rottack wäre hier, um sich
Auskunft in einer Familienangelegenheit zu erbitten -- hier, seien Sie
so gut und geben Sie der Dame meine Karte. Ich lasse fragen, um welche
Zeit ich etwa wieder vorsprechen dürfte, da uns die Dame jetzt doch
wahrscheinlich nicht empfangen wird.«

»Hm,« brummte die Alte, welche nicht die Hälfte von dem verstanden
hatte, was ihr der junge Mann sagte, »warten Sie einmal einen
Augenblick, ich werde dem Fräule das Ding da hineintragen.«

Damit machte sie ihnen die Thür vor der Nase zu und ließ die beiden
Herren auf dem Vorplatz stehen. Es dauerte aber nur ganz kurze Zeit,
so kam sie wieder zurück, öffnete die Thür und sagte: »Sie möchten
nur hereintreten, das Fräule kommt gleich,« und mit dem Bewußtsein
wahrscheinlich, Alles gethan zu haben, was sie anging, verschwand sie
wieder in ihrer Küche, in der sie im Halbdunkel wie ein unheimliches
Gespenst herumwirthschaftete.

Rottack und Jeremias hatten aber kaum, der Einladung folgend, das Zimmer
betreten, als sich die Kammerthür ein wenig öffnete und eine Stimme
herausrief: »Dürfte ich den Herrn Grafen ersuchen, einen Augenblick
Platz zu nehmen -- ich komme gleich!« und die Kammerthür flog wieder zu.

»Da wären wir,« lachte Rottack, indem er Jeremias die Hand auf die
Schulter legte. »Wie ist Ihnen jetzt zu Muthe?«

»Hundeschlecht,« versicherte der kleine Mann flüsternd -- »aber das
sieht hier ganz nett aus. Gott sei Dank, da ist es ihr doch nicht so
schlecht ergangen -- ich wollte, es wäre erst vorbei!«

Dieses Zimmer hier sah allerdings anders aus, wie das gegenüberliegende,
und es ließ sich nicht verkennen, daß hier eine Frau ihren Wohnsitz
aufgeschlagen. Große Ordnung herrschte aber hier eben so wenig wie dort,
denn fast auf allen Stühlen lagen verschiedene Toilettengegenstände,
während auf dem Tisch, neben dem eben erst verlassenen Kaffeegeschirr
und einer Tabaksdose, ein paar Spiele Karten zu einer noch nicht
vollendeten Patience geordnet waren.

Dennoch zeigten sich die Spuren sorgender Frauenhand. Ueberall
war ordentlich abgewischt und auf dem Tisch lag eine ziemlich
weißgewaschene, gehäkelte Decke. Auch die Vorhänge sahen, wenn auch
ziemlich dürftig, doch rein aus, und an der Wand hingen ein paar
Abbildungen in Steindruck aus der biblischen Geschichte, wie die
schauerliche Caricatur einer Maria Magdalena in Oel gemalt.

Selbst die Commode war nicht ohne Schmuck und bildete eine Art von
Nipptisch, auf dem eine Anzahl bescheidener Porzellanfiguren standen,
mit einigen kleinen Statuetten alter, eingetrockneter Chocolade, die
vielleicht im vorigen oder vorvorigen Jahre einen Christbaum geziert.
Auch eine bildliche Darstellung der heiligen drei Könige in Wachs und
in einem Glaskästchen, wie sie das Kind an der Krippe besuchen, stand
in der Mitte, und rechts und links davon ein Glasleuchter mit halb
abgebrannten Stearinkerzen.

»Hurrjeh,« flüsterte Jeremias, der indessen auf den Fußspitzen im Zimmer
umhergegangen war, um den status quo zu untersuchen, indem er mit zwei
Fingern eine Partie brennend rother falscher Locken emporhob -- »ob das
wohl ein Stück von meiner Frau ist?«

Felix mußte wirklich an sich halten, um nicht gerade heraus zu lachen,
und an Jeremias hinantretend, sagte er leise:

»Das wäre ein unverkennbares Zeichen von Sympathie, denn so viel ich
mich erinnere, trugen Sie früher eine eben solche Perrücke.«

»Ja, aber -- wie ist mir denn,« sagte Jeremias ganz verdutzt, »das --
das ist doch ganz unmöglich -- meine Frau hatte braune Haare!«

»Sie haben sich doch nicht etwa im Namen geirrt? Das wäre ein schöner
Spaß!« lachte Felix.

»Gott bewahre -- Alles trifft...«

»Auch der Vorname?«

»Ja, den habe ich noch gar nicht erfahren können, denn auf dem Zettel
steht er nicht mit, aber es ist ja auch gar nicht möglich! es stimmt
Alles wie eine Kirchenrechnung, und ich bin ja von Regensburg aus ihrer
Spur bis hierher gefolgt.«

»Dann hilft es nichts, dann müssen wir's abwarten. Da sind wir überdies
einmal und können jetzt gar nicht wieder fort, ohne vorher die Dame
gesprochen zu haben. Sie macht übrigens lange mit ihrer Toilette.«

»Ich muß unterthänigst um Entschuldigung bitten!« sagte in diesem
Augenblick eine Stimme hinter ihnen, und als sich Beide ordentlich
erschreckt umwandten, stand die Dame in dem orangefarbenen Morgenkleide,
die Haare jedoch ihrer Papilloten entledigt, auf der Schwelle und fuhr
mit einem tiefen Knix fort: »Sie haben mich noch im vollen Negligé
überrascht, Herr Graf.«

Jeremias hatte wieder, wie ein Versinkender, der nach Allem greift, was
ihm in den Weg kommt, Rottack's Rockzipfel erwischt und flüsterte ihm
mit angstgepreßter Stimme zu: »Das ist sie nicht!«

Rottack gerieth in die größte Verlegenheit, denn die Dame mußte fast die
Worte verstanden haben, und was nun? -- »Gnädiges Fräulein!« sagte er
stotternd.

»Oh, bitte -- aber wollen die Herren nicht Platz nehmen?« unterbrach
ihn, wieder mit einem Knix, der dieses Mal jedenfalls dem »gnädigen«
galt, die Dame -- »es ist nur bei mir noch nicht aufgeräumt. Wir
Künstler sind eigentlich recht nachlässiges Volk.«

»Gnädiges Fräulein,« nahm aber Rottack noch einmal das Wort, »gestatten
Sie uns vielmehr, uns zu entschuldigen, daß wir Sie so unberufen gestört
haben -- eine ganz eigene Angelegenheit führt uns hierher, über die Sie
vielleicht allein im Stande sind, uns Auskunft zu geben.«

»Aber wollen die Herren denn nicht Platz nehmen? Ich bitte sehr darum!«

Es war der Einladung nicht länger auszuweichen, und während Rottack
einen der Stühle heranschob und sich darauf niederließ, setzte sich
Jeremias auf die äußerste Spitze eines andern, daß es ordentlich
gefährlich aussah, denn er konnte jeden Augenblick herunterrutschen.

Die Dame hatte, sich fest in ihren grellfarbenen Morgenrock einhüllend,
ihnen gegenüber auf dem Sopha Platz genommen und schien mit der
gespanntesten Aufmerksamkeit die Eröffnung zu erwarten.

Jung war sie nicht mehr -- sie mochte wohl im Anfang der Vierzig sein
-- hübsch war sie gerade auch nicht, und ihr Gesicht ein wenig zu sehr
markirt, obgleich sie lebendige Augen und besonders weiße Zähne hatte.
Nur ihr Teint war weiß, wie das gewöhnlich bei rothen Haaren der Fall
ist, und diese Haare störten auch Rottack besonders, denn er mußte
immer wieder unwillkürlich zu den zahllosen, scharf durch die
Papilloten gekräuselten Locken aufsehen, die besonders gegen die grelle
Orangenfarbe des Ueberwurfs gar nicht zu ihrem Vortheil abstachen.
Jeremias dagegen, der mit dem nämlichen Wohlbefinden seinen Platz auf
jeder Armensünderbank eingenommen haben würde, sah gar nichts. Ihm
schwamm Alles vor den Augen zu einem rothen, blitzenden, unbestimmten
Schein zusammen, und nur des Einen Gefühls war er sich bewußt: Fort
möcht' ich!

»Also in was könnte ich Ihnen Auskunft geben?« sagte Fräulein
Bassini endlich, der die Pause etwas zu lange dauerte, indem sie wie
unwillkürlich einen Griff nach ihrer Dose machte, die Hand aber wieder
erschreckt zurückzog.

Rottack stak fest -- es war eine verwünschte Geschichte, denn er wußte
nicht, wie er beginnen sollte, und Jeremias selber that den Mund nicht
auf. Er konnte doch die Dame nicht direct fragen, ob sie schon einmal
verheirathet gewesen wäre. Etwas mußte aber auch geschehen, denn stumm
konnten sie einander nicht gegenüber sitzen bleiben. Mit einem fast
gewaltsamen Ansatze sagte er endlich:

»Haben Sie vielleicht eine Schwester oder Verwandte, die den nämlichen
Namen führt, wie Sie, und ebenfalls beim Theater ist?«

»Nein,« lächelte Fräulein Bassini, diese Gelegenheit nicht unbenutzt
vorüber lassend, ihre Zähne zu zeigen, »nicht daß ich wüßte.«

Es war wieder nichts.

»Das ist wunderbar,« sagte der junge Graf nach einer Pause; »ich erhielt
nämlich vor einiger Zeit einen Auftrag von einem Freund in -- Amerika,
mich genau nach der Familie zu erkundigen und ihren Wohnort zu erfahren,
und -- da ihm -- da meinem Freunde sehr viel daran gelegen scheint,
so würde es mir aufrichtig leid thun, seine Bitte nicht erfüllen zu
können.«

»Darf ich fragen, wie Ihr Freund heißt?« sagte Fräulein Bassini mit
liebenswürdiger Unbefangenheit und brachte Rottack dadurch in eine noch
viel größere Verlegenheit, denn wie hieß Jeremias eigentlich? Er hatte
ihn nie unter einem andern Namen als seinem Vornamen gekannt, ja, bis
jetzt auch wirklich noch gar nicht daran gedacht, daß er möglicher Weise
anders heißen könne, und jetzt, in Gegenwart der Dame, durfte er ihn
doch nicht um seinen Namen fragen.

»Es -- ist eine Familien-Angelegenheit,« stotterte er endlich nach einer
Pause, und hatte sich in seinem ganzen Leben noch nicht so unbehaglich
gefühlt, wie hier, wo er nicht gerade mit der Wahrheit heraus konnte
und durfte. Aber das ging nicht länger; er mußte, wenn er keinen Namen
nannte, die Dame doch wenigstens davon überzeugen, daß irgend
ein ernster Grund seinen Besuch veranlaßt habe, und fuhr deshalb
entschlossen fort: »Mein gnädiges Fräulein, ich will ganz aufrichtig
sein -- mein Freund in Amerika war früher hier in Deutschland an eine
Dame, die Ihren Namen trug, verheirathet...«

»Meinen Namen?«

»Zerwürfnisse im ehelichen Leben, bei denen er wohl der Hauptschuldige
war, führten zu einer Trennung, und er verließ Europa...«

»Auguste!« rief Fräulein Bassini plötzlich, während sie die Hände
zusammenschlug, und Rottack fühlte einen entschiedenen und kräftigen
Ruck an seinem Rockschoß.

»Das ist der Name,« flüsterte ihm Jeremias dabei zu.

»Und hat sich der Lump wirklich noch einmal nach seiner armen,
verlassenen Frau erkundigt?« rief Fräulein Bassini, jetzt keinen
Augenblick mehr in Zweifel, um was es sich handle, aber auch ganz
vergessend, daß der Herr Graf eben noch jenen »Lump« seinen »Freund«
genannt. »Der hat es nöthig, denn seinetwegen hätte meine arme Schwester
in Jammer und Elend längst vergehen können!«

Jeremias sah sich nach einer Versenkung um.

»Ihre Schwester?« rief Rottack, das Wort rasch auffassend, denn es war
die erste Spur, die er in der ganzen Geschichte fand -- »und wo ist sie
jetzt?«

»Wo sie ist, Herr Graf? -- Hier in Haßburg ist sie und wohnt bei
ihrem Bruder, kümmerlich und ärmlich genug, das weiß Gott, denn das
Nothwendigste müssen sie sich oft am Munde abdarben, und wenn sie das
Kind, die Henriette, nicht hätte, das brave Mädel, die Tag und Nacht
arbeitet, um ein paar Groschen zu verdienen, so wär's längst aus mit
ihr, denn sie ist ewig krank und kann selber nichts mehr schaffen!«

»Aber wie heißt denn Ihr Bruder, liebes, bestes Fräulein?« rief Rottack
-- »auch Bassini? Sie sagten doch vorher, daß Keine des Namens mehr...«

»Pfeffer heißt er, Schauspieler Pfeffer -- er ist Komiker hier beim
Theater, und ein tüchtiger Komiker, das muß ihm der Neid lassen.«

»Aber, verehrtes Fräulein,« sagte Rottack, der aus der Verwandtschaft
nicht klug werden konnte, »wenn Herr Pfeffer der Bruder jener Dame und
jene Dame ihre Schwester ist, so wäre Herr Pfeffer doch eigentlich auch
Ihr Bruder?«

»Ja, das ist er auch,« versicherte Fräulein Bassini.

»Aber Bassini und Pfeffer...«

»Oh, die Namen meinen Sie -- ja, lieber Gott,« sagte die Dame, »am
Theater kann man da nicht immer genaue Ordnung halten, und Pfeffer
klingt recht gut für einen Komiker, aber nicht für eine Dame oder gar
eine Primadonna, die nun schon einmal in unserer Zeit eine italienische
Endung haben muß. Unsere Mutter aber, eine geborene Bassenich,
war Primadonna und nannte sich einfach Bassini -- und nach ihrer
Verheirathung Pfeffer-Bassini, wonach wir Töchter den Mutter- oder
Mädchennamen der Mutter beibehielten und Fürchtegott Pfeffer blieb.«

»Fürchtegott?«

»Mein Bruder, der Komiker.«

»Und Ihre Frau Schwester wohnt also bei Ihrem Herrn Bruder?«

»Ja wohl, Neumarkstraße Nummer 23, der Eingang ist auch von der
Promenade, ganz dicht am Theater -- jedes Kind zeigt Ihnen das Haus.
Aber nun, bitte, Herr Graf,« fuhr Fräulein Bassini fort, indem sie
sich etwas zur Seite bog, um auch einmal einen vollen Blick auf den
schweigsamen Begleiter des jungen Mannes zu erhalten, der sich, so weit
das möglicher Weise anging, hinter diesen gedrückt hatte -- »sagen Sie
auch, was das für eine Bewandtniß mit jenem Menschen, jenem Stelzhammer,
hat?«

»Stelzhammer, mein Fräulein?« sagte Rottack, der ganz verwirrt zwischen
den vielen Namen wurde.

»Nun, Ihrem Freund in Amerika,« erwiderte die Dame.

»Stelzhammer, -- ja so -- Jeremias Stelzhammer -- ganz recht,« sagte
Rottack und fühlte wieder, wie er hinten am Rock gezupft wurde --
»aber, verehrtes Fräulein, gestatten Sie mir, daß ich vorher nähere
Erkundigungen bei Ihrem Bruder einziehe. Ich darf nicht indiscret sein,
und habe meinem Freund fest versprechen müssen, nur an directer Stelle
Nachforschungen anzustellen.«

»Nun, auf _den_ Herrn brauchen Sie doch wahrhaftig keine Rücksicht
zu nehmen!« rief Fräulein Bassini -- »ein solcher Vagabond, der seine
brave, redliche Frau schändlich verlassen hat!«

»Und wenn er nun willens wäre, alles Begangene wieder gut zu machen,
wenn er nun Reue über das Geschehene fühlte?«

»Ja, der,« sagte Fräulein Bassini verächtlich -- »hat er Geld
geschickt?«

»Vor allen Dingen habe ich nur den speciellen Auftrag erhalten, mich zu
erkundigen, ob seine Frau noch lebt und wie es ihr geht. Sowie ich das
erfahren habe, versteht es sich von selbst, daß ich ihm genauen
Bericht erstatte, und wenn er dann nicht selber herüberkommt, was sehr
wahrscheinlich ist, so wird er doch jedenfalls Sorge tragen, daß sie von
da an keinen Mangel mehr leidet. Also, mein gnädiges Fräulein,« fuhr
er fort, indem er aufstand und Jeremias sich hinter ihm mit einer
Schnelligkeit erhob, als ob er die ganze Zeit auf Nadeln gesessen hätte,
»nehmen Sie vor der Hand meinen herzlichen Dank für Ihre freundlichen
Mittheilungen, die uns hoffentlich zu einem guten Resultate führen, und
seien Sie versichert, daß ich seiner Zeit nicht ermangeln werde, Ihnen
getreuen Bericht über den Erfolg meines Briefes abzustatten.«

»Aber wo wohnt denn dieser Herr Stelzhammer jetzt eigentlich und was
treibt er?« fragte Fräulein Bassini, sich ebenfalls erhebend -- »man
muß doch jedenfalls ein klein wenig wissen wie und wo, wenn man einmal
gefragt wird.«

»Sie sollen Alles erfahren, mein gnädiges Fräulein, Alles, was Sie nur
einigermaßen interessiren könnte,« wehrte Graf Rottack ab -- »lassen
Sie mich nur erst die Hauptsache in Ordnung bringen, und seien Sie
versichert, daß ich Sie dann selber davon in Kenntniß setzen werde. Bin
ich Ihnen doch auch zu großem Dank durch die Nachricht verpflichtet, die
Sie mir gegeben.«

»Ja, aber,« wollte Fräulein Bassini sagen, da sie sich nicht mit dem
Gedanken befreunden konnte, noch vor der Hand völlig im Dunkeln gelassen
zu werden. Rottack brannte aber selber der Boden hier unter den Füßen,
und mit einer sehr artigen Verbeugung, welche die Dame wieder mit einem
tiefen Knix erwiderte, schritt er zur Thür, und Jeremias fuhr wie der
Blitz hinter ihm her. Beide waren auch gleich sehr dabei interessirt, so
rasch sie konnten wieder in's Freie zu kommen, Jeremias schien wirklich
die ganze lange Zeit da oben den Athem angehalten zu haben, so aus
voller Brust schöpfte er Luft, als er den blauen Himmel wieder über sich
sah.




9.

Hinter den Coulissen.


In der nämlichen Zeit, in welcher an diesem Morgen Graf Rottack mit
seiner jungen Frau zu dem Besuch nach Monford hinausfuhr, war im Theater
Probe von den »Räubern«.

Ueberhaupt wurde das Schauspiel gerade in dieser Zeit sehr beschäftigt,
denn in der nächsten Woche stand auch noch eine Festvorstellung
des »Hamlet« bevor. Man erwartete nämlich in den nächsten Tagen den
Erbprinzen zum Besuch, und der Director hatte angefragt, was Seine
Königliche Hoheit im Theater zu sehen wünsche, worauf der »Hamlet«
bezeichnet wurde. Am nächsten Tag sollte dann noch ein großer Ball
arrangirt, kurz, Alles gethan werden, um dem jungen und hohen Herrn den
Aufenthalt in der Stadt so angenehm als möglich zu machen.

»Hamlet« mußte aber neu einstudirt werden, und die Aufführung der
ebenfalls lange nicht gegebenen »Räuber« kam da etwas in die Quere; aber
es half eben nichts. Das Publikum wollte solche Stücke sehen, und die
Schauspieler mußten sich fügen.

Auf dem Theater, das jetzt natürlich nicht erleuchtet sein konnte,
herrschte ein düsteres Halbdunkel. Das Licht fiel dürftig durch die
geöffneten Seitenfenster herein, und nur ein einzelner Sonnenstrahl
stahl sich an einer Ecke vorüber und beschien eine der Coulissen, einen
bemalten Leinwandbaum.

Nur vor dem Souffleurkasten brannten die beiden Lampen, und rechts auf
der Bühne, wo ein Tisch und ein paar Stühle standen, saßen der Director
in einem weiten Mantel und der etwas kränkliche Regisseur in großen
Filzschuhen und einem Pelze, trotz der Wärme draußen, denn die Luft war
hier drinnen kellerartig und es zog fortwährend.

Auf der Bühne gingen sehr anständig gekleidete Herren und Leute in
Hemdsärmeln friedlich untereinander herum, und zwar beide Theile ihren
Geschäften nach -- die Einen die Darsteller, die Anderen Maschinisten,
Coulissenschieber und Lampenputzer, während hinten auf der Bühne eine
Dame in Hut und Schleier, ein Manuscript in der Hand, noch memorirend
zwischen ihnen auf und ab wanderte und nur manchmal das Manuscript --
ihre Rolle -- gesticulirend ausstreckte und leise tragische Worte dazu
murmelte.

Es war Amalia, Fräulein Rottenhöfer, erste tragische Liebhaberin im
Theater zu Haßburg.

»Dritte Scene, meine Herren!« rief der Regisseur und klingelte.

Die Schauspieler traten zusammen; die Scenerie war gestellt: die
böhmischen Wälder. Es begann die Scene im zweiten Acte, wo die Räuber,
nachdem sie Roller befreit, wieder zusammenkommen, und ging so ziemlich.

Pfeffer gab den Spiegelberg; überhaupt hatten dieses Mal alle Kräfte am
Theater aufgeboten werden müssen, um die zahlreichen Rollen so tüchtig
als möglich zu besetzen, und die Leute gaben sich die größte Mühe. Nur
wo Schwarz auftritt, mußte das Einspringen noch einmal gemacht werden.

Jetzt wurde Roller angemeldet, aber der Hauptmann, Karl Moor, war noch
nicht da; das Pferd, welches gewissenhaft in Haßburg beibehalten wurde,
stand hinten in der letzten Coulisse und schien selber ungeduldig zu
werden.

Ratzmann: »Roller, Schweizer, Blitz, Donner, Hagel und Wetter!«

»Wo ist denn Karl Moor?« rief der Regisseur, von seinem Stuhl
aufspringend.

»Eben war er noch im Conversations-Zimmer, Herr Regisseur,« sagte der
Inspector, dem das Pferd vorher auf den Fuß getreten hatte und der jetzt
mit gotteslästerlichen Verwünschungen hinter den Coulissen herumhinkte.

»Aber warum ruft ihn denn Niemand? -- Herr Handor, nehmen Sie mir das
nicht übel, bei einem so classischen Stück...«

»Bitte um Verzeihung!« sagte Handor, der mit finster zusammengezogenen
Brauen aus der Coulisse kam und über die Bühne zu dem Pferd schritt.
»Bitte, meine Herren, noch einmal das Stichwort!«

Ratzmann wieder: »Roller, Schweizer, Blitz, Donner, Hagel und Wetter!«

Handor hatte sich in den Sattel geschwungen und spornte sein Roß über
die Bühne, das mit klappernden Hufschlägen, genau so, als ob es auf Eis
ginge, vorsichtig weiter schritt.

Räuber Moor: »Freiheit, Freiheit...!« -- »Aber so lassen Sie doch das
Pferd los; ich werde doch nicht sollen auf die Bühne geführt werden!«

Die Zwischenrede galt einem der Maschinisten, der in seinem Diensteifer
mit hinausgegangen war und jetzt zurücksprang.

»Noch einmal, meine Herren, wenn ich bitten darf,« rief der Regisseur;
»das Pferd muß sich gewöhnen, allein heraus zu kommen.«

Räuber Moor lenkte mit einem halbverbissenen Fluch den alten, geduldigen
und etwas kreuzlahmen Schimmel wieder um, und Ratzmann mußte zum dritten
Mal das Stichwort geben.

Jetzt ging es; der Schimmel stakte, trotz allen Anspornens, sehr
vorsichtig heraus, und mit den Worten: »Du bist im Trocknen, Roller;
führ' meinen Rappen ab, Schweizer, und wasche ihn mit Wein!« sprang Karl
Moor aus dem Sattel.

»Herr Handor,« rief der Regisseur, wieder aufstehend, »ich habe Sie
früher darauf aufmerksam gemacht, daß Sie einen Schimmel reiten.«

»Der Rappe steht in der Rolle,« sagte Handor ärgerlich.

»Ja, allerdings, aber wir haben nun einmal keinen Rappen, und ich kann
das Pferd doch nicht, nur des einen unwesentlichen Wortes wegen, schwarz
anstreichen lassen.«

»Gut, so »führ' meinen Schimmel ab, Schweizer, und wasche ihn mit
Wein«.«

»Hat sich auch mordmäßig angestrengt,« flüsterte der eine Lampenputzer,
als Schweizer mit einiger Schwierigkeit das Thier zum Weitergehen bewog.

Die nächste Scene ging jetzt so ziemlich; Karl Moor schien aber in
einer gereizten Stimmung und nahm, während die Räuber ihre Heldenthaten
erzählten, gar keine Notiz von ihnen. Als aber Schufterle (Horatius
Rebe) an zu sprechen fing, stampfte er ein paar Mal ungeduldig mit
dem Fuß und brummte dann seine Zwischenrede so leise in den Bart, daß
Schufterle kaum das Stichwort verstehen konnte.

»Etwas lauter, Herr Handor, wenn ich bitten darf,« sagte der Regisseur,
indem er sein Buch gegen das auf dem Tisch stehende Licht hielt.

»Dann, bitte, sagen Sie auch Herrn Rebe, daß er seine Rolle mit einigem
Verstand spielt,« bemerkte Handor; »das Publikum muß ja lachen!«

»Ich habe nichts Auffälliges bemerkt,« erwiderte der Regisseur; »bitte,
Herr Rebe, sagen Sie Ihre Worte noch einmal.«

Rebe that so und kam zu dem Schlußsatze: »Armes Thierchen, sagt' ich, Du
verfrierst ja hier, und warf's in die Flammen.«

»Ganz gut,« nickte der Regisseur.

»Es ist ja nicht zum Ansehen,« rief Handor gereizt; »bei den Worten:
»und warf's in die Flammen« stehen Sie ja wie ein Stock!«

»Bitte um Entschuldigung, Herr Handor,« sagte Rebe ruhig, »erstlich
markiren Sie gar nicht, und man weiß nicht, ob Sie mit uns oder mit dem
Souffleur reden...«

»Herr, was unterstehen Sie sich!«

»Von Unterstehen kann hier gar keine Rede...«

»Meine Herren, bitte um keinen Zank auf der Probe; was wünschen Sie,
Herr Handor, das Herr Rebe thun soll?«

»Sich regen, den Arm hinauswerfen, wenn er die Worte sagt: »und warf's
in die Flammen«. Er muß seinem Mitspieler eine Andeutung geben.«

»Ich glaubte, Sie brauchten nur das Stichwort,« sagte Rebe ruhig; »zum
Telegraphiren eignet sich die Rolle nicht.«

»Herr,« rief Handor gereizt, »für einen Menschen, der kaum einen
Stuhl hinaustragen kann, ist diese Antwort einem Künstler gegenüber
unverschämt!«

»Herr Handor...«

»Herr Handor,« rief auch der Regisseur, von seinem Stuhl aufspringend,
»entweihen Sie die Kunst nicht durch solche Reden; Sie haben sich
überhaupt gegen das Bühnenreglement vergangen, und ich muß Sie in Strafe
nehmen!«

»Nennen Sie denn das eine Probe,« rief Handor heftig, »wenn ich nicht
einmal Statisten zurechtweisen darf, wie sie sich zu benehmen haben?«

»Herr Handor,« rief aber jetzt auch Rebe gereizt, »ich werde Ihnen
nach der Probe sagen, was ich von Ihnen denke -- hier füge ich mich den
Gesetzen!«

»Meine Herren,« bat der Regisseur, »Sie gehen mir zu sehr in den
Charakter Ihrer Rollen ein, und es ist nur ein Glück, daß Ihnen der
Requisiteur noch nicht die Dolche und Pistolen geliefert hat. Bitte,
noch einmal das Stichwort -- Herr Rebe, Ihres mein' ich -- »und warf's
in die Flammen«.«

Rebe gehorchte ziemlich mürrisch dem Befehle und Handor ärgerte ihn noch
mehr dadurch, daß er die Worte: »Fort, Ungeheuer, laß dich nimmer unter
meiner Bande sehen!« mit ganz besonderer Betonung sprach. Es war aber
für den Augenblick nichts dagegen zu machen und er mußte abgehen,
während Karl Moor seinen späteren Monolog mürrisch und in den Bart
hinein sprach.

Schufterle kam von da an nur noch ein einziges Mal vor und hätte
weggehen können; aber er blieb, um das Ende der Probe abzuwarten, wo
aber noch einmal ein Streit vorfiel, und zwar mit der ersten tragischen
Liebhaberin selber.

In der Scene zwischen Karl Moor und Amalia, wo Handor sehr zerstreut
spielte -- wie er denn überhaupt nach des sehr gewissenhaften Regisseurs
Ausspruch heute gar nicht bei der Sache war --, hatte er bei den Worten:
»Wie, mein Fräulein, wenn Ihr Geliebter Ihnen für jeden Kuß einen
Mord aufzählen könnte?« den Arm von Fräulein Rottenhöfer so fest und
plötzlich gefaßt, daß eine Schnur von imitirten Perlen, die sie am
Handgelenk trug, zerriß und ein paar der zerdrückten Perlen ihr die Haut
ritzten.

Die Dame wurde heftig und behauptete, daß er sie in der Scene gar nicht
anfassen dürfe, und er erwiderte ihr ziemlich kurz, ob sie glaube, daß
er den Charakter seiner Rolle nicht verstehe; übrigens wolle er ihr die
Perlen bezahlen.

Es gab dann noch einen Auftritt, wo sich der Director selber in's Mittel
legen mußte, denn Fräulein Rottenhöfer erklärte, nicht mit einem so
rohen, ungebildeten Menschen spielen zu wollen.

Handor murmelte ein Wort zwischen den Zähnen durch, das wie »Gans«
klang und keinesfalls in seiner Rolle stand, wonach die Dame denn nichts
Besseres thun konnte, als in Ohnmacht zu fallen.

Daß Handor durch dies Alles nicht in die beste Laune gerieth, läßt sich
denken, und die wurde nicht erhöht, als die Probe, welche heute fast bis
zwei Uhr gedauert hatte, endlich vorüber war und er vor dem Theater auf
Rebe traf, der ruhig zu ihm hinging und ihn anredete:

»Herr Handor, auf ein Wort.«

»Was wollen Sie?« fragte der erste Liebhaber kurz.

»Nichts weiter, als Genugthuung für Ihre Beleidigung heute.«

»Genugthuung?«

»Sie verstehen doch, was ich damit meine.«

»Sie sind ein Narr, Rebe!« sagte Handor und wollte sich von ihm
abdrehen. So wohlfeilen Kaufes kam er aber nicht davon.

»Dann erkläre ich Sie für einen feigen Lump, Herr Handor!« sagte der
junge Mann, der kreidebleich vor innerer Aufregung geworden war und vor
Wuth zitterte.

Handor biß die Zähne zusammen.

»Gut, Sie sollen Ihre Genugthuung, wie Sie's nennen, haben, Sie
verdienen eine Züchtigung, aber nicht jetzt. Sie wissen, was wir in
nächster Woche vorhaben; die Vorstellung des »Hamlet« dürfen wir nicht
stören, wenn Sie auch vielleicht entbehrt werden könnten. Nach dem
»Hamlet« stehe ich Ihnen zu Diensten.«

»Gut denn, also nach der Vorstellung oder am nächsten Morgen.«

Handor nickte nur, drehte ihm den Rücken zu und ging die Straße
hinunter.

Gerade am Theater vorüber war Pfeffer gekommen, und wenn auch noch nicht
nahe genug, um die Worte zu verstehen, hatte ihm doch der Sinn nicht gut
entgehen können.

»Das ist recht, Herr Horatius Cocles,« sagte er, während er vor ihm
stehen blieb und ihn starr ansah, »das wäre allerdings die leichteste
Manier, Jemandes Rollen zu bekommen, wenn man ihn einfach todtschießt.
Sind Sie denn ganz des Teufels, Mensch, und wollen Sie sich mit Gewalt
Ihre Carrière verderben?«

»Herr Pfeffer!«

»Ach was, Pfeffer hin, Pfeffer her, es pfeffert sich was! Wo wollen Sie
denn hin, wenn man Ihnen hier den Contract kündigt?«

»Meine Ehre gilt mir höher als mein Leben!« rief der junge Mann stolz.

»Puh, _so_ viel dafür!« rief der alte Mann verächtlich; »wenn Ihnen
so ein Lump Ihre Ehre nehmen kann, so wär's nicht der Mühe werth, sie
aufzuheben! Und all' das andere Unheil, welches Sie nachher anrichten --
heh?«

»Andere Unheil?« sagte Rebe traurig. »Haben Sie mir nicht selber Ihr
Haus verboten, Herr Pfeffer, und glauben Sie, daß außerdem auch wohl ein
einziges Auge naß würde in ganz Haßburg, wenn ich -- von hier fortginge
oder stürbe?«

»Puh!« sagte Pfeffer wieder, sah eine Weile vor sich nieder, schob dann
beide Hände in seine Taschen und schritt der eigenen Wohnung zu.

Fürchtegott Pfeffer stieg auch direct hinauf in sein eigenes Zimmer und
lief dort, ohne den Hut abzunehmen, die Hände auf den Rücken gelegt
und aus Leibeskräften vor sich hin pfeifend, in dem kleinen Gemache
mit einer wahren Vehemenz auf und ab. Sein Spaziergang war dabei ein
keineswegs unbehinderter, denn überall lag bald ein Haufen Manuscripte,
bald Bücher und Zeitungen, die ihm kein Mensch anrühren durfte, im Wege.
Unverdrossen stieg er aber über das Alles weg, herüber und hinüber, und
war so mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, daß er gar nichts weiter
hörte noch sah.

»Was mag nur der Onkel heute haben?« sagte Jettchen, die mit eisernem
Fleiß an ihrer Arbeit saß. Zu jenem, zu Ehren des Erbprinzen bestimmten
Balle hatte sie nämlich eine solche Masse von Aufträgen bekommen und
Bestellungen auf Blumen waren so von allen Seiten eingelaufen, daß das
arme Kind schon die ganze Nacht durcharbeiten mußte, um nur Alle zu
befriedigen und ja keine Kunden zu verlieren. Du lieber Gott, im Sommer,
wo der Schöpfer ja da draußen seine herrlichen, frischen und duftenden
Blumen wachsen ließ, war die Arbeit überdies nur sehr spärlich und
der Verdienst so klein -- da durfte man sich schon eine so glückliche
Gelegenheit nicht entgehen lassen!

Die Mutter lag wieder auf dem Sopha; sie befand sich etwas besser heute,
war aber noch immer sehr schwach und angegriffen.

»Ich weiß es nicht,« sagte sie leise; »wahrscheinlich wieder ein Aerger
auf der Probe.«

»Wenn er so pfeift, ist er immer sehr böser Laune,« seufzte Jettchen;
»aber jetzt kommt er ja gar nicht von der Probe; er war doch vorhin
schon zum Essen da, und hat in den letzten Acten nichts zu thun.«

»Laß ihn nur, mein Kind,« lächelte die Frau wehmüthig; »bei solchen
Gelegenheiten pfeift er sich gewöhnlich ordentlich aus, und nachher ist
er wieder guter Laune; nur stören darf man ihn nicht darin.«

»Es ist doch auch wirklich ein leidiges Leben beim Theater,« sagte das
arme Mädchen leise; »immer nur Aerger und Streit, als ob die Leute gar
nicht friedlich neben einander leben könnten, und Abends, wenn dann die
Lichter angezündet sind, merkt man gar nichts davon und Alles schwelgt
in Glanz und Freude.«

»Es ist Alles falsch, mein Herz,« nickte die Mutter leise vor sich hin,
»Alles; aber nicht allein auf dem Theater, Kind, wo sie sich draußen
aus der Bühne vor dem Publikum in den Armen liegen und sich hinter den
Coulissen nachher alles gebrannte Herzeleid anthun -- im wirklichen
Leben machen sie's auch nicht viel besser. Vor der Welt, die da
das Publikum ist, ja, da glänzt und schimmert Alles, und hinter den
Coulissen -- das heißt im eigenen Hause, im eigenen Familienkreise,
worin erst recht Liebe und Freundschaft, Friede und Eintracht herrschen
sollten -- da säet der böse Feind sein Unkraut aus, und Jammer und Elend
sind die Folgen.«

»Aber bei uns doch nicht, Mama,« sagte herzlich das junge Mädchen.

»Nein, Kind, bei uns nicht,« seufzte die Frau, deren Erinnerungen weit
zurückgeschweift waren. »Wir, mein Herz, erscheinen aber auch nicht mehr
draußen vor dem Publikum, vor der Welt; wir haben uns hier unsere kleine
Welt gegründet und -- Erfahrung genug im Leben gesammelt, um uns die
nicht selber muthwillig zu zerstören. Gebe nur Gott, daß uns die Welt da
draußen eben so wenig beachtet, wie wir sie!«

Henriette schwieg und wandte langsam den Kopf zur Seite, daß die Mutter,
wenn sie zufällig einmal herübersah, nicht die verrätherische Thräne
bemerken sollte, die ihr im Auge blitzte; sie wäre ja sonst noch
trauriger geworden.

»Na, Guste, wie geht's?« sagte plötzlich Pfeffer, der den Kopf in die
Thür steckte. »Ein bischen besser?«

»Ich danke Dir, Fürchtegott; komm doch herein.«

»Ich rauche.«

»Die Fenster stehen ja auf, da thut mir der Rauch nicht weh.«

»Hm,« sagte Pfeffer, der jetzt in's Zimmer trat, die Thür hinter
sich zuzog und dann zum Sopha ging. »Du siehst immer noch höllisch
angegriffen aus -- und der Heidenlärm da draußen! Wenn ich nur dem einen
Kerl mit seiner Mordgeschichte den Hals umdrehen könnte, nachher wär'
ich zufrieden.«

»Ja, Onkel,« lächelte Henriette, »Und dann würde die Polizei kommen und
Dich einsperren und köpfen lassen, und nachher malte dann ein
Anderer Deine Geschichte, und die würde dann auch abgesungen, von dem
furchtbaren Halsabdreher Fürchtegott Pfeffer.«

»Was die Mamsell nicht weiß!« sagte der Onkel, indem es ihm aber doch
wie ein Lächeln über das Antlitz zuckte; »hol' mich Dieser und Jener,
Thierquälerei wird bestraft, aber Menschenquäler dürfen überall frei
umherlaufen und haben sogar noch die Unverschämtheit, Geld dafür einzu--
aber alle Teufel,« unterbrach er sich überrascht, als er, während er
sprach, zu Jettchen's Tisch getreten war und dort ihre Arbeit erblickte,
»den Kranz hast Du ja erst gestern Abend angefangen, als ich zu Bette
ging, Mädel, was zum Henker, Du hast doch nicht die ganze Nacht daran
gesessen?«

»Lieber Onkel,« sagte Henriette bittend, »sei nicht böse, aber -- die
Zeit drängte so -- bis zu dem Balle, der in der nächsten Woche sein
soll, ist noch so viel bestellt...«

»Und wie Du aussiehst, bleich und angegriffen; das geht nicht, Schatz,
das geht wahrhaftig nicht, das darf ich nicht leiden!«

»Ich habe sie auch gebeten, zu Bett zu gehen,« sagte die Mutter, »aber
der Trotzkopf wollte nicht.«

»Wenn der Ball erst vorüber ist, schlafe ich dafür eine ganze Woche,«
lächelte Henriette; »denke nur, Onkel, was für hübsches Geld ich dabei
verdiene.«

Pfeffer antwortete nichts. Er stand am Fenster, blies Ringe hinaus
und klopfte dabei mit der Fußspitze den Boden, als die Thür plötzlich
aufgerissen wurde, Fräulein Bassini den Kopf in's Zimmer steckte und
hereinrief: »War er schon hier?«

»Wer?« rief Pfeffer, sich scharf auf dem Absatz herumdrehend. »Was, zum
Teufel, kommst Du denn so in's Zimmer gestürmt -- weißt Du denn nicht,
daß Deine Schwester krank ist? Wer soll hier gewesen sein?«

»Nun, der Graf,« sagte die Dame, die Thür hinter sich zuziehend.

»Der Graf -- bei Dir rappelt's wohl? Was für ein Graf?«

»Also, so wißt Ihr noch gar nichts?«

»Na, jetzt hör' einmal mit Deinem Schnack auf,« brummte Pfeffer; »thu
Deine Gartenanlage vom Kopf herunter und setze Dich auf Deinen -- hätte
bald 'was gesagt. Steckt in dem Frauenzimmer eine Unruhe -- Apropos,
hast Du mir meine Dose wieder mitgebracht?«

»Nein, die hab' ich heilig vergessen -- aber Fürchtegott, Auguste,
Jettchen, wißt Ihr denn, wer bei mir war?«

»Ach schnack' keinen Unsinn; wie können wir wissen, wer bei Dir gewesen
ist,« rief Pfeffer -- »vielleicht der Friseur mit einer neuen Perrücke?«

»Grobian! Ein Graf war bei mir, ein wirklicher, lebendiger Graf mit
Orden -- nein, Orden hat er nicht gehabt, das ist wahr; merkwürdig
eigentlich, daß ein Graf blos so, ohne Orden herumgehen kann wie andere
Menschen.«

»Ob das Frauenzimmer nicht einen Sparren hat wie ein Hebebaum,« knurrte
ihr Bruder -- »und was wollte er?«

»Das räthst Du nicht, und wenn ich Dir ein Jahr Zeit ließe.«

»Er wollte Dich wahrscheinlich bitten, auf der Bühne nicht so zu
schreien, weil er eine Prosceniums-Loge hat.«

»Du bist heute unausstehlich.«

»Aber so sag' uns doch nur, was er wollte, Tante, rathen können wir's ja
doch im Leben nicht,« bat Henriette.

»Das Kind ist viel vernünftiger als Du,« erwiderte Fräulein Bassini;
»nein, Schatz, rathen könnt Ihr's allerdings nicht, aber er kam, um sich
nach Augusten zu erkundigen.«

»Nach _mir_?« rief die Frau.

»Und zu Dir?« sagte Pfeffer.

»Ja, zu mir, Ueberklug, weil er mich für meine Schwester hielt.«

»Mit _der_ Perrücke?«

»Herr Gott, der Mensch bringt mich noch zur Verzweiflung!«

»Aber so laß sie doch nur einmal erzählen, Fürchtegott.«

»Na, hindere ich sie etwa daran? Aber bringt sie denn etwas Anderes
heraus wie Unsinn? Wenn es der kein Souffleur einbläst, wird sie nie
fertig!«

»Du hast einmal wieder Deinen liebenswürdigen Tag, das muß wahr sein;
aber ich will mich heute nicht ärgern.«

»Was wollte denn der Graf von mir?« sagte die Frau, ungläubig dazu mit
dem Kopf schüttelnd.

»Ja, das ist ja eben das Wunderbare,« rief Fräulein Bassini, ganz
entzückt, die Trägerin einer solchen Neuigkeit zu sein; »im Auftrag
seines Freundes kam er, wie er sagte. Und weißt Du, wer der Freund war?
Herr Stelzhammer.«

»Oh, Du mein Gott!« sagte die kranke Frau und wurde todtenbleich.

»Sein Freund?« rief Pfeffer ärgerlich; »das hab' ich mir etwa denken
können, und das wird ein sauberer Graf gewesen sein, der Dich besucht
hat; vielleicht ein Photo--graf oder ein Tele--graf -- ein Freund von
dem Lump -- na, nun bitt' ich aber zu grüßen -- Herr Jesus, was das für
ein verrücktes Frauenzimmer ist!«

»Du redest, wie Du es verstehst!« rief Fräulein Bassini gereizt. »Der
Stelzhammer ist in Amerika ein großer, reicher Herr geworden, und das
Gewissen schlägt ihm jetzt; er hat den Herrn Grafen gebeten, sich hier
nach Dir zu erkundigen, wie es Dir geht, was Du machst und ob es Dir an
etwas fehlt.«

»Nein, was das für ein sorgsamer Gatte ist,« rief Herr Pfeffer, sich
mit der rechten Hand auf sein Knie schlagend, »ist erst achtzehn Jahre
abwesend und erkundigt sich wirklich schon einmal, wie es seiner Frau
geht!«

»Und sind sie nicht vor Gericht geschieden?« rief Fräulein Bassini, die
merkwürdiger Weise nun, da ihr Bruder die Partei nahm, welche sie selber
bis jetzt gehalten, auf die entgegengesetzte Seite übersprang. »Ist er
denn gesetzlich verpflichtet, sich überhaupt noch um sie zu bekümmern?«

»Jetzt hör' Einer das Frauenzimmer an!« rief Pfeffer entrüstet. »Hat
es denn Jemand von ihm verlangt, heh? Hab' ich etwa Deinen Herrn Grafen
ersucht, hierher zu kommen? Aber ist ein Mann, wenn er sich auch von
seiner Frau scheiden läßt, nicht etwa doch verpflichtet, noch für sie zu
sorgen? Oder glaubst Du etwa, daß da jeder Lump herkommen und heirathen,
und sich dann wieder scheiden lassen kann und weglaufen darf wie die Sau
vom Trog?«

»Du bist und bleibst ein Grobian -- und wenn er es nun bereut?«

»Zeit wär's,« brummte Pfeffer; »aber nun erzähle einmal vernünftig, wenn
Dir das irgend möglich ist, was der Fremde wollte und weshalb er zu Dir
kam.«

»Eigentlich waren es Zwei,« berichtete Fräulein Bassini, »aber aus dem
Zweiten bin ich nicht klug geworden; ich glaube, es muß der Kammerdiener
gewesen sein. Er hat auch den Mund die ganze Zeit nicht aufgethan -- ein
kleiner, dicker Mensch mit einer Glatze wie der Tisch groß.«

»Na, so lüg' Du und der Teufel!«

»Und das Andere war ein Graf?« fragte Henriette.

»Was ich Dir sage, Kind, hier habe ich noch seine Karte,« fuhr Fräulein
Bassini, in ihrer tiefen Tasche danach suchend, fort; »da, da steht's:
Felix Randolph, Graf von Rottack -- da steht's gedruckt, und nun wirst
Du's doch glauben, Bruder Thomas?«

Pfeffer nahm die Karte, besah sie, schüttelte mit dem Kopf und warf sie
dann auf den Tisch. »Und was wollte er eigentlich?« fragte er hierauf.

»Weiter nichts, als sich nach Augusten erkundigen. Er hätte Auftrag,
wie er sagte, von seinem Freunde Stelzhammer in Amerika, hier
Nachforschungen anzustellen, und wie er erfuhr, daß ich nur die
Schwester wäre -- denn es scheint, daß er mich für Auguste hielt --,
stand er auf und sagte, er würde selber hierher gehen.«

»Zu uns hierher?« fragte die Frau erschreckt.

»Na, er wird uns auch nicht beißen,« brummte Pfeffer; »neugierig wäre
ich aber doch, was der Patron, Dein sauberer Mann, eigentlich will.
Sollte mich gar nicht wundern, wenn er Geld brauchte und uns anpumpen
möchte.«

»Aber Onkel!«

»Liebes Kind,« brummte Pfeffer, »es sind schon närrischere Dinge in der
Welt vorgekommen, das wäre nicht das Tollste; komisch wär's aber, so
viel ist richtig, und ein Hauptspaß dabei, denn dem Grafen wollt' ich
heimleuchten!«

»Wie kannst Du nur so reden, Fürchtegott,« bat die Frau, »weißt Du
nicht, daß Du mir entsetzlich weh damit thust?«

»Ach was,« sagte der Mann, aber doch jetzt mit mehr Gutmüthigkeit im
Ton, »ich weiß wohl, daß Du immer seine Partei genommen hast.«

»Er war auch von Herzen gut,« sagte die Frau, »recht gut und brav, nur
entsetzlich leichtsinnig, und wir Beide noch damals so jung; Gott nur
weiß, wie schlimm es ihm auch vielleicht in der Welt ergangen ist.«

»Nicht schlimmer, wie er's verdient hat!« polterte Pfeffer heraus. »Aber
wann war denn der Graf eigentlich bei Dir, Lise?«

»Ach, vor kaum einer halben Stunde,« rief Fräulein Bassini, »und denke
Dir nur, ich war noch gar nicht angezogen; ich hatte den ganzen Morgen
studirt und noch keine Toilette gemacht, saß am Clavier und phantasirte
ein wenig -- auf einmal geht die Thür auf und der Graf guckt herein. Ich
dachte, der Schlag sollte mich auf der Stelle rühren.«

»Ein Wunder nur, daß er den Grafen nicht gerührt hat, wenn er Dich im
Negligé gesehen!« lachte Pfeffer.

»Aber, Onkel!«

»Dein Negligé ist freilich schöner,« rief Fräulein Bassini, »mit dem
Schlafrock, der kleben bleibt, wenn man ihn an die Wand wirft, und
Deinem alten, ekelhaften Tabaksgestank! Aber um mich ärgern zu lassen,
bin ich nicht hergekommen,« rief sie, von ihrem Stuhl aufstehend; »nur
Augusten wollte ich die Nachricht bringen -- »mit Dir habe ich weiter
nichts zu thun!« -- Und wirklich böse gemacht, schoß sie der Thür zu.

»Vergiß das nächste Mal die Schnupftabaksdose nicht!« rief ihr
der Bruder nach, und Fräulein Bassini riß, verächtlich den Kopf
zurückwerfend, die Thür auf, als sie plötzlich einen tiefen,
ehrfurchtsvollen Knix nach außen machte und dann flüsternd, aber
deutlich genug in das Zimmer zurückrief:

»Der Graf!«




10.

Graf Rottack bei Pfeffers.


»Und was nun,« sagte Felix, als sie mitsammen die Straße hinabschritten
und Jeremias noch einen scheuen Blick hinter sich warf, als ob er
fürchte, daß ihnen diese entsetzliche orangefarbene Dame folgen könne --
»wollen wir zu Pfeffers?«

»Herr Graf,« stöhnte der kleine Mann, »ich bin nicht im Stande -- ich
gebe Ihnen mein Wort, ich habe in der Viertelstunde da oben bei
dem schrecklichen Frauenzimmer, meiner Fräulein Schwägerin, mehr
ausgestanden, als ob ich die ganze Zeit über auf einer Folterbank
gesessen hätte!«

»Aber wußten Sie denn nichts von dieser Schwester?«

»Ich wußte, daß meine Frau eine Schwester hatte, habe sie aber nie
gesehen, denn sie war damals schon lange beim Theater und irgendwo im
Preußischen an einer kleinen Bühne engagirt, hatte sich auch nie mit
ihrer jüngeren Schwester vertragen können.«

»Und der Bruder?«

»War Komiker an unserem Theater, entzweite sich aber ebenfalls mit
meiner damaligen Frau, weil er gegen unsere Heirath gerathen, und hielt
keinen Verkehr mit uns.«

»Sie müssen damals ein sauberer Zeisig gewesen sein, Jeremias?«

»Reden wir nicht davon,« sagte der kleine Mann mit einem aus tiefster
Brust herausgeholten Seufzer; »aber es ist ja nun vorbei und ich brauche
doch wenigstens nicht mit einer Schwägerin gestraft zu werden, wenn ich
nicht einmal eine Frau habe.«

»Aber was wollen Sie jetzt thun? Jene Dame wird unfehlbar ohne weiteren
Zeitverlust zu ihrer kranken Schwester laufen und sie alarmiren.«

»Die wär's im Stande.«

»Darauf können Sie sich fest verlassen,« sagte Felix, »und ich bin
überzeugt, daß sie selbst in diesem Augenblick in aller Hast ihre
Toilette macht. Was dann?«

»Und wenn ich selber hingehe, jage ich der armen Frau vielleicht den Tod
vor Schrecken ein, denn -- hübscher bin ich nicht geworden.«

»Hören Sie, Jeremias,« sagte Graf Rottack, nach seiner Uhr sehend, »ich
habe etwa noch eine halbe Stunde Zeit und die Sache einmal begonnen.
Ich werde allein zu jenem Herrn Pfeffer hinaufgehen und sehen, wie Alles
steht.«

»Ach, mein bester, herrlichster Herr Graf, wenn Sie das für mich thun
wollten -- sehen Sie, schicken Sie mich nachher durch die Hölle, wie
den seligen Tamino durch Feuer und Wasser, wohin Sie wollen, ich springe
mitten hinein!«

»Aber Alles kann ich doch nicht thun, Jeremias,« sagte Rottack, »ja,
im Gegentheil würde meine Gegenwart später nur störend sein -- nachher
müssen Sie allein gehen.«

»Ja gewiß, mit dem größten Vergnügen!« rief der kleine Mann, dem
der Angstschweiß auf der Stirn stand -- »erzählen Sie nur vorher die
Geschichte; sagen Sie ihr, wie ich geschafft und gearbeitet habe und ein
ordentlicher Kerl geworden bin, und bitten Sie, daß sie -- nicht mehr
böse auf mich ist. und mir wenigstens erlaubt, ihr zu helfen.«

»Sie hatten ein Kind, Jeremias?«

»Ja, ein Mädchen,« sagte dieser kleinlaut.

»Sie wird herangewachsen sein -- und kennt den Vater nicht einmal.«

»Lieber, bester Herr Graf, thun Sie mir den einzigen Gefallen und reden
Sie nichts weiter, ich verliere sonst das kleine bischen Verstand -- es
ist wahrhaftig nicht viel, was mir noch übrig geblieben ist -- gehen Sie
hinauf, ich werde indessen hier unten auf und ab laufen.«

»Aber wo ist denn das Haus?«

»Hier muß es irgendwo sein, dies ist wenigstens die Straße, und --
holla, sehen Sie wohl, Sie hatten Recht -- da brennt meine orangefarbene
Schwägerin eben hinein -- ich kenne sie an der Haartour -- glücklicher
Weise hat sie uns nicht gesehen.«

»Gut, dann will ich ihr wenigstens Zeit lassen, das Eis zu brechen,«
lächelte Rottack; »kommen Sie, wir wollen erst noch einmal die Straße
hinab und wieder zurück gehen, und nachher besuche ich Ihre Verwandten.«

»Und ich laufe unterdessen hier Spießruthen.«

»Das fällt zu sehr auf. Dort drüben ist ein Bierlocal, gehen Sie da
hinein und setzen Sie sich an's Fenster, daß Sie die Thür im Auge
behalten.«

»Das ist recht,« sagte Jeremias, mit Allem einverstanden, was ihm nur
das erste Bahnbrechen seines schweren Schrittes ersparte, und als sie
Fräulein Bassini hinlänglich Zeit gelassen zu haben glaubten, ihre
Neuigkeit anzubringen, und zu dem Eingang des Hauses zurückkehrten,
trat Graf Rottack seinen nicht eben leichten Gang an. Jeremias aber,
dem erlassenen Rath zufolge, postirte sich an das innere Fenster des
benachbarten Wirthshauses und trank in Gedanken und Herzensangst ein
Glas Bier nach dem andern.

Der junge Graf stieg indessen langsam die Treppe hinauf. Unten im Hause
hatte er schon erfahren, daß Herr Pfeffer im zweiten Stock wohne, und
wie er dort oben den Vorsaal erreichte, wußte er augenblicklich,
wohin er sich zu wenden habe, als er das überraschte Gesicht und
die orangefarbene Gestalt der Dame in der freilich gleich wieder
zugeschlagenen Thür entdeckte.

Rottack war aber nicht der Mann, um schüchtern eine Einladung
abzuwarten. Er ging ohne Weiteres auf die Thür zu, klopfte an und
öffnete dieselbe auf das laute, etwas barsche »Herein!« Pfeffer's.
Dieser hatte nämlich keine Zeit gehabt, in sein Zimmer zu gehen und
den alten Schlafrock auszuziehen, da er vorher erst den Vorsaal
hätte passiren müssen, und drückte sich nun, als der Fremde eintrat,
vorsichtig an der Wand hin, um diesen Fehler so rasch als möglich zu
verbessern. Der Schlafrock war wirklich in gar zu desolaten Umständen.

»Ich habe das Vergnügen, mit Herrn Pfeffer zu sprechen? Ah, mein
Fräulein, ich hatte schon vorher die Ehre...«

»Ja, mein Herr,« sagte Pfeffer, der sich hier keine Blöße geben durfte,
»mein Name ist Pfeffer -- Fürchtegott Pfeffer.«

»Und Ihre Frau Gemahlin? -- Bitte, bleiben Sie liegen, Madame, ich
möchte um Alles in der Welt Sie nicht derangiren, und muß so schon um
Verzeihung bitten, so ohne Weiteres eingetreten zu sein!«

»Bitte -- nein, nicht meine Frau, meine Schwester Auguste -- dies meine
Schwester Lise -- Elise wollt' ich sagen -- dort meine Nichte Henriette
-- mit wem hab' ich die Ehre?«

»Mein Name ist Rottack, und wenn ich mich hier in eine
Familienangelegenheit dränge -- denn ich darf wohl annehmen, daß Ihnen
das Fräulein hier schon die Ursache meines Besuches mitgetheilt hat --
so mag mich das entschuldigen, daß ich es in bester Absicht und in der
Hoffnung thue, einen günstigen Erfolg für beide Theile zu erzielen.«

»Aber wollen Sie sich nicht setzen, Herr Graf?« rief Fräulein Bassini
und schritt nach dem Fenster zu, um dort einen leeren Stuhl zu holen.

»Pardon, mein gnädiges Fräulein!« rief Rottack und sprang ihr zuvor,
während Pfeffer ein sauer-komisches Gesicht bei dem Worte »gnädiges«
zog, den Moment aber auch benutzte, zur Thür hinaus zu fahren -- »Sie
erlauben mir wohl...«

Er hatte den Stuhl erfaßt, als sein Blick auf die Arbeit Henriettens
fiel, die neben ihrem Arbeitstisch in ängstlicher Spannung aufgestanden
war.

»Ah, mein liebes Fräulein, wie reizend und geschmackvoll Sie arbeiten!
Die Blumen könnten wahrhaftig eben so gut in Paris gemacht sein -- der
Kranz ist prachtvoll!«

»Sie sind zu gütig, Herr -- Graf,« flüsterte Henriette beschämt und tief
erröthend -- »ich habe sehr rasch daran arbeiten müssen.«

»Wirklich vortrefflich,« fuhr Rottack fort, den Schmuck aufnehmend und
gegen das Licht haltend.

»Nicht wahr, Jettchen arbeitet hübsch?« sagte Fräulein Bassini, die
ebenfalls zum Tisch getreten war und sich in dem Lobe der Nichte mit
geschmeichelt fühlte -- »ja, das macht ihr Keine hier nach -- und so
rasch, Sie glauben es gar nicht!«

»Dürfte ich da Ihre Zeit wohl auch einmal in Anspruch nehmen, mein
liebes Fräulein,« sagte der junge Mann, »und Sie um einen Kranz von
diesen Veilchen und solchen Maiblumen bitten? Ich weiß, daß ich große
Freude damit anrichten würde.«

»Ja, Herr Graf,« sagte in dem Augenblick Pfeffer, der mit einer noch
nie entwickelten Schnelligkeit seinen drüben mitten in's Zimmer
geschleuderten Schlafrock abgeworfen und den langen braunen Rock
angezogen hatte -- »aber nur jetzt nicht; das Mädel hat sich schon halb
caput zu dem verdammten Ball gearbeitet...«

»Ich werde Sie nicht drängen,« lächelte Rottack, »und wenn ich den Kranz
erst in vier oder sechs Wochen bekomme.«

»Sie sollen ihn noch früher haben,« lächelte Henriette freundlich; »nur
die nächsten Tage bin ich so sehr beschäftigt.«

»Und was war es nun, Herr Graf, was Sie uns zu sagen wünschten?« platzte
Fräulein Bassini heraus, die ihre Ungeduld, das erwartete Geheimniß zu
hören, nicht länger bezähmen konnte.

»Sie haben Recht, mein Fräulein,« sagte Rottack ernst. »Herr Pfeffer,
ich habe Ihrer Frau Schwester eine wichtige Mittheilung zu machen, was
eigentlich unter vier Augen geschehen sollte; da aber die arme Dame
leidend ist, so erbitte ich mir Fräulein Henriettens -- nicht wahr, das
war der Name der jungen Dame? -- Fräulein Henriettens Gegenwart dazu
aus, da sie ja selber mit interessirt dabei ist.«

»Sehr wohl, Herr Graf,« sagte Pfeffer, der die Andeutung nicht
mißverstehen konnte -- »na, komm so lange mit zu mir hinüber, Lise.«

»Aber wir gehören doch eigentlich mit zur Familie!« rief Fräulein
Bassini, von dem Gedanken empört, daß sie schon wieder nichts erfahren
sollte.

»Na, komm nur, Alte,« lachte Pfeffer, »das hilft Dir nichts, ich lasse
Dich drüben nicht einmal horchen -- aber noch Eins, Herr Graf -- bitte,
machen Sie's kurz und regen Sie mir die Guste nicht zu sehr auf; sie
zittert jetzt schon am ganzen Leibe!«

»Ich habe ihr nichts Trauriges mitzutheilen, mein lieber Herr,« sagte
Rottack freundlich -- »seien Sie versichert, daß Alles, was ich zu sagen
habe, auf die schonendste Weise gesagt werden wird.«

»=Bon,=« sagte Pfeffer, und Fräulein Bassini -- die doch nicht mit
Gewalt da bleiben konnte, obgleich sie einmal nicht übel Lust dazu zu
haben schien -- bei der Hand nehmend, verließ er mit ihr das Zimmer.

»Jettchen!« rief die Frau.

»Meine liebe, liebe Mutter!« rief Henriette, flog an ihre Seite und
kniete vor ihr am Sopha nieder.

»Beruhigen Sie sich, verehrte Frau,« sagte Rottack herzlich, »ich habe
Ihnen eine recht gute Mittheilung zu machen. So erfahren Sie denn vor
allen Dingen, daß ich Ihre Familienverhältnisse genau kenne und sogar
persönlich befreundet mit ihrem geschiedenen Manne bin...«

»Und er lebt?« sagte die Frau zitternd.

»Er lebt,« nickte Rottack freundlich, »und hat nicht allein seine
frühere übereilte Handlung tief und aufrichtig bereut, sondern auch
Alles gethan, was in seinen Kräften steht, um sie, so weit es irgend
möglich ist, wieder gut zu machen.«

»Und so lange Jahre habe ich nichts von ihm gehört -- hat er nicht ein
einziges Mal nach seinem Kind gefragt?«

»Meine liebe, gute Mutter, rege Dich nur nicht auf!«

»Aber wo ist er?« fragte die Frau -- »wird er nie wieder nach
Deutschland zurückkommen?«

»Würden Sie ihm verzeihen, wenn er wiederkehrte?«

»Was kann ich ihm verzeihen,« sagte die Frau traurig -- »wir waren Beide
damals jung und unerfahren, trugen Beide wohl vielleicht gleichviel
Schuld -- ich -- hatte mir nur nie gedacht, daß er mich so ganz
vergessen könnte.«

»Und wenn ich Ihnen sage, daß er Sie nicht vergessen, daß er da drüben
im fremden Land geschafft und gearbeitet hat wie ein braver, ehrlicher
Mann, daß es ihm anfangs sauer, recht sauer wurde, daß er sich aber
keine Mühe verdrießen ließ, bis er endlich doch seinen Zweck erreichte
und nicht allein durch eisernen Fleiß, sondern auch glückliche
Speculation und Umsicht ein Vermögen erwarb, mit dem er anständig hier
in Deutschland leben könnte?...«

»Und in seinem Glück hat er unserer gedacht?« sagte die Frau leise und
faltete wie unwillkürlich die Hände.

»Mehr als das,« fuhr Rottack herzlich fort; »es ließ ihm drüben in
Brasilien keine Ruhe. Immer stand das Bild seiner verlassenen Familie
vor ihm, und wie er sich endlich ein freier, unabhängiger Mann wußte,
verließ er die Fremde und kehrte nach Deutschland zurück.«

»Er ist hier?« rief Henriette rasch, und die Frau deckte ihr bleiches
Antlitz mit den Händen.

»Er ist hier,« sagte Rottack leise, »hier in der Stadt, und hat mich,
der ihn drüben in Brasilien kennen lernte, zu Ihnen hergesandt, um Sie
zu fragen, ob Sie ihm verzeihen wollen -- ob er sein Kind wiedersehen
darf.«

Henriette hatte ihr Antlitz an der Mutter Schulter geborgen, und diese
antwortete nicht; sie lag still und regungslos, aber die großen, hellen
Thränen liefen ihr, unter den Fingern weg, an den bleichen Schläfen
nieder und netzten das Kissen, auf dem sie lag.

»Nicht wahr, der Vater darf wiederkommen, liebe, liebe Mutter?« bat das
Kind, indem sie die Weinende heftig umschlang -- »hast Das nicht manche
lange Nacht in Thränen zugebracht, daß er fort war, und mir oft gesagt,
wie er sich freuen würde, wenn er mich, sein Jettchen, einmal sehen
könnte? -- Und dann wird es Dir auch besser gehen,« flüsterte sie ihr
leise zu, »Du wirst gesund und kräftig werden und brauchst keine Sorge
mehr zu tragen, Dir nichts mehr versagen, wie doch so oft bisher...«

Die Frau nahm die Hände von den Augen, öffnete ihre Arme, umschloß ihr
Kind damit und preßte die Lippen auf ihre heiße Stirn.

»Ja, mein Kind,« sagte sie dabei leise, »er darf wiederkommen -- wir
haben Beide recht viel ohne einander ausgestanden, recht viel, der Eine
mehr, der Andere weniger -- aber wir haben uns doch einmal geliebt, und
es ist gut, wenn wir da nicht in Groll von einander scheiden.«

»Meine liebe, gute, gute Mutter!«

»Aber nicht heute,« fuhr die Mutter fort, »nicht heute -- die Nachricht
hat mich doch zu sehr angegriffen -- ich würde es vielleicht nicht
ertragen, oder Jeremias doch zu sehr erschrecken, wenn er mich gar so
elend fände -- heute nicht, aber morgen früh. Es ist besser so für uns
Beide -- wir haben Beide Zeit, uns zu sammeln und darauf vorzubereiten
-- nicht wahr, er kommt nicht heute, lieber Herr?«

»Er soll heute nicht kommen, verehrte Frau,« sagte Rottack, der mit
inniger Rührung die Bewegung von Mutter und Tochter beobachtet hatte,
aber Zartgefühl genug besaß, um kein Wort da hinein zu reden. »Sie
dürfen sich nicht zu sehr anstrengen und aufregen, aber seien Sie auch
versichert, daß Sie Ihre Freundlichkeit nicht bereuen werden. Jeremias
ist ein braver, tüchtiger Mann geworden, älter zwar und ziemlich
wohlbeleibt -- wenn Sie noch ein anderes Bild von ihm in der Erinnerung
tragen --, aber durchaus brav und ehrlich, und er könnte glücklich sein,
wenn ihn die Reue über das Vergangene nicht bis jetzt hätte zu keinem
Frieden kommen lassen.«

Henriette hatte, während er sprach, zu ihm aufgesehen, und freudige
Dankbarkeit über die guten Worte glänzte dabei in ihren Zügen.

»Und wie sollen wir Ihnen je dafür danken, daß Sie sich fremder, armer
Leute mit solcher Liebe und Güte annehmen?« sagte sie herzlich.

»Mir, mein liebes Fräulein, haben Sie gar nicht zu danken,« lächelte
Rottack; »es ist einmal meine Bestimmung auf der Welt, mich eigentlich
um lauter Sachen zu bekümmern, die mich gar nichts angehen, und um so
mehr durfte ich hier die Hand bieten, wo ich Ihren Vater seit langen
Jahren kenne und in seinem Wirken und Schaffen beobachtet habe, ohne
freilich damals zu ahnen, welchen Verpflichtungen er sich hier entzog.
Und darf ich ihm jetzt wenigstens einen Gruß von Ihnen bringen?«

»Oh, einen recht herzlichen!« rief Henriette.

»Er mag kommen,« nickte die Frau, »morgen früh um zehn Uhr -- nicht
früher -- ich will ihn dann erwarten. Grüßen Sie ihn auch von mir,
lieber Herr, sagen Sie ihm aber auch, wie Sie die _junge_ Frau, die er
verlassen hat, wiedergefunden haben -- er soll nicht erschrecken -- ich
bin recht alt und schwach in den Jahren geworden.«

»Aber jetzt wirst Du wieder gesund werden, Mütterchen.«

»Wir wollen's hoffen, Kind,« sagte die Frau leise.

»Und jetzt überlasse ich Sie sich selber,« rief Rottack, »und wenn Sie
mir erlauben, komme ich später noch einmal mit Freund Jeremias her,
um zu sehen, wie es Ihnen geht, und -- um mich nach dem Kranze zu
erkundigen, mein liebes Fräulein.«

»Und den Vater?«

»Schicke ich Ihnen morgen früh um zehn Uhr mit dem Glockenschlage.«

Und damit hatte er seinen Hut aufgegriffen und das Zimmer schon
verlassen, ehe die Frau noch einmal recht wußte, daß er gegangen war.

Kaum trat er aber unten aus dem Hause auf die Straße, so sah er auch,
wie Jeremias am Fenster drin in die Höhe fuhr, und er schritt jetzt,
um nicht von oben aus noch vielleicht beobachtet zu werden, rasch die
Straße hinab, wo ihn der ihn Erwartende schon leicht einholen konnte.

Dieser kam aber noch nicht so rasch aus dem Haus hinaus. Wie er den
jungen Grafen nur aus der Thür kommen sah, von welcher er die ganze
Zeit kein Auge verwandt, sprang er in die Höhe, griff seinen Hut auf und
wollte, alles Andere vergessend, aus der Thür hinausfahren.

»Holla,« rief da der Kellner, ihm rasch in den Weg springend, »erst
bezahlen und dann fortlaufen!«

»Ja so,« sagte Jeremias ganz bestürzt, »das hätte ich beinahe
vergessen.«

»Ja wohl, kennen wir schon,« lächelte der unverschämte Bursche
-- »merkwürdig, was die Leute jetzt beim Jahrmarkt für ein kurzes
Gedächtniß -- na, aber,« brach er kurz und erstaunt ab, als ihm
Jeremias, ohne sich weiter mit ihm aufzuhalten, ein Zehngroschenstück in
die Hand drückte, ihn bei Seite schob und aus der Thür schoß -- »er wird
doch nicht...« -- und mißtrauisch sah er sich überall an der Stelle, wo
der Fremde gesessen hatte, nach den verschiedenen Gegenständen um, ob
er nicht vielleicht »in der Eile« etwas mitgenommen hatte -- aber es
war noch Alles in Ordnung: das Feuerzeug stand, die Zeitung lag auf dem
Tisch, ein Stuhl fehlte auch nicht, Röcke und Hüte hingen dort nicht am
Fenster. Der Kellner schüttelte mit dem Kopf, war aber doch vorsichtig
genug, das Zehngroschenstück, welches sich ebenfalls als ächt erwies, zu
wechseln und nur den wirklich verzehrten Betrag des sonderbaren Fremden
an der Kasse abzuliefern.

Jeremias hatte sich indeß kaum losgemacht, als er schon wie ein Wetter
hinter dem davoneilenden Rottack herschoß.

»Waren Sie oben?«

»Allerdings -- kommen Sie erst mit um diese Ecke, Jeremias, daß wir
vom Hause aus nicht mehr gesehen werden können -- so, jetzt dürfen wir
langsam gehen. Ich war oben, Freund, und habe Ihre Frau -- und Tochter
gesprochen.«

»Meine Tochter!« seufzte der kleine Mann aus tiefster Brust -- »wie --
wie merkwürdig das klingt -- meine Tochter -- und darf ich hinauf?«

»Ja -- aber nicht heute.«

»Gott sei Dank!« stöhnte Jeremias, dem damit ein ordentlicher Stein
von der Brust fiel -- »heute hätte ich's auch nicht ausgehalten, die
Aufregung war zu groß. Aber wie sah sie aus, lieber, bester Herr Graf?«

»Recht leidend, Jeremias, recht krank und elend, wozu auch vielleicht
die Erregung des Augenblicks mit beigetragen hat. Aber sie freute sich
darauf, Sie wiederzusehen.«

»Sie freute sich?«

»Ja, und Ihre Tochter ist ein liebes, herziges Kind, das heißt, kein
Kind mehr, sondern ein großes, erwachsenes, hübsches Mädchen.«

»Ein hübsches,« sagte Jeremias kleinlaut.

»Ja, gewiß,« lächelte Rottack, »und außerordentlich geschickt im
Blumenmachen, womit sie sich ernährt zu haben scheint. In ihrem Zimmer
sah es dabei so nett und sauber aus, wie in einem Puppenstübchen,
ärmlich zwar, aber deshalb nicht minder freundlich.«

»Und morgen?«

»Punkt zehn Uhr morgen früh sind Sie oben -- ich habe ihnen das
versprochen, denn ich kann bei der Sache nun nichts weiter thun, und um
zwei oder drei Uhr kommen Sie dann bei mir vor und sagen mir Antwort,
wie Alles abgelaufen.«

»Ach, Du lieber Gott,« seufzte Jeremias, »wenn es doch erst zwei
oder drei Uhr wäre, und -- was ich noch gleich fragen wollte, die
orangefarbene Schwägerin war auch da?«

»Ja, aber ich schickte sie aus dem Zimmer.«

»Und was sagte Pfeffer?«

»Herr Pfeffer scheint ein komischer Kauz zu sein, aber ich glaube, daß
Sie sich mit ihm vertragen werden -- und nun Ade, Jeremias, ich habe
selber zu Hause zu thun und schon zu viel Zeit hier versäumt.«

»Lieber Herr Graf, wenn Sie einmal in ähnliche Verlegenheit...«

»Ich hoffe nicht, Jeremias,« lachte der Graf Rottack laut auf, »wenn
aber, so sollen Sie mein Vermittler sein, das verspreche ich Ihnen,« und
dem kleinen Mann die Hand zum Abschied reichend, schritt er rasch die
Straße hinab.

Jeremias folgte der andern Richtung, um in das Hotel zurückzukehren, wo
er augenblicklich wohnte, als ihm plötzlich Jemand in die Ohren schrie:

»Nun, haben Sie die Dame gefunden?«

»Hurrjeh,« sagte der kleine Mann zusammenfahrend, »haben Sie mich
erschreckt -- ja so, Sie sind der Herr von heute Morgen mit dem
Ballanzuge.«

»Ja,« schrie der Mann wieder -- »haben Sie die Dame getroffen?«

»Allerdings, mein lieber Herr,« sagte Jeremias schüchtern, denn die
Leute blieben schon stehen, weil sie glaubten, daß sich dort ein paar
zankten, »aber ich muß Ihnen bemerken, daß ich gar nicht taub bin; ich
höre vortrefflich, Sie brauchen deshalb nicht so laut zu reden.«

»Thu' ich auch nicht Ihretwegen,« schrie der Mann wieder, »sondern
meinetwegen!«

»Ihretwegen?«

»Nein, meinetwegen!« brüllte der entsetzliche Mensch jetzt ordentlich --
»ich bin der Souffleur beim hiesigen Theater!«

»Na, das nehmen Sie mir aber nicht übel,« sagte Jeremias -- »wenn Sie da
auch so schreien...«

»Das ist ja eben der Teufel,« rief der Mann wieder -- »wenn man den
ganzen Tag Probe und Abends Aufführung hat und nun in einem fort
flüstern und zischeln muß, dann thut's Einem nachher um so wohler, wenn
man einmal ordentlich schreien darf! Ich kriegte eine Gemüthskrankheit,
wenn ich mich über Tag nicht manchmal ausschreien könnte!«

»So,« sagte Jeremias, »also deshalb?«

»Wo gehen Sie denn hin? -- können vielleicht ein Glas Bier zusammen
trinken.«

»Danke Ihnen sehr!« rief Jeremias, von der Idee erschreckt, seinen
Nachmittag mit dem Schreier zuzubringen -- »ich bin augenblicklich
gerade beschäftigt.«

»So?« schrie der Mann wieder -- »na, dann -- leben Sie recht wohl!« und
mit den Worten nickte er ihm zu und trat in das nächste Eckhaus, das auf
einem Schilde draußen »Baierisch Bier« versprach.




11.

Am alten Wartthurm.


An dem Nachmittag war es recht still im Monford'schen Park. Graf und
Gräfin hatten eine Einladung in die Stadt angenommen, der sich Paula
durch vorgeschützte Kopfschmerzen entzog, und Georg ritt schon gleich
nach dem Diner auf ein benachbartes Gut -- angeblich um ein dort
neugekauftes Pferd zu sehen, in Wirklichkeit aber, um die Mitwirkung
des ihm befreundeten Gutsherrn zu der theatralischen Vorstellung am
Verlobungsabend zu erbitten.

Die Verlobung war nämlich fest bestimmt worden. Paula hatte allerdings
noch, selbst an dem Morgen, einen Versuch gemacht, die Eltern wenigstens
um Aufschub eines so entscheidenden Schrittes zu bitten, aber umsonst.
Die Mutter -- heute finsterer und unnahbarer als je -- hatte sie kurz
abgewiesen, und der Vater sie einfach gefragt, welchen Grund sie
für einen solchen Aufschub angeben könne, und sie dann nicht gewagt,
Handor's Namen zu nennen. Wußte sie doch auch nur zu gut, mit welcher
Entrüstung, mit welchem Zorn nur die Andeutung eines solchen Eidams von
den stolzen Eltern zurückgewiesen worden wäre. Ließen ja doch Beide die
Ansprüche des Herzens nicht gelten, wo die Ehre ihrer Familie, wie sie
meinten, auf dem Spiele stand.

Nicht einmal ein Bürgerlicher hätte wagen dürfen, um die Hand der
reichsten Grafentochter des Landes zu werben, viel weniger denn ein
Schauspieler, die der Graf selber -- so wenig er sich sonst auch
dem Fortschritt der Zeit verschlossen zeigte -- noch immer als eine
untergeordnete Menschenklasse betrachtete, so daß es sogar damals
Schwierigkeiten gehabt hatte, seine Erlaubniß zu erhalten,
wirkliche Schauspieler zu den Proben ihres kleinen Liebhabertheaters
heranzuziehen. An den betreffenden Abenden durften sie aber nie
eingeladen werden.

Paula war recht unglücklich und erwartete unter Zittern und Bangen
den Abend; wußte sie doch schon im Voraus, in welcher Verzweiflung ihr
Rudolph sein würde -- und was konnte sie ihm sagen, wie ihn trösten.

Draußen im Park schaffte und arbeitete der alte Gärtner Jonas, der als
Knabe, ja, fast als Kind in den Dienst des Vaters der Gräfin gekommen
und dann später mit ihr hierher übergesiedelt war. Er galt als eine Art
von altem Inventar im Hause, und so stolz die Gräfin selber auch nur
die geringste Unterhaltung mit ihren Dienstboten vermied, mit dem alten
Jonas plauderte sie oft, wenn sie in den Park kam und ihn bei seiner
Arbeit traf, fragte ihn, wie es ihm ginge und was er treibe, und gab ihm
auch wohl manchmal ein Stück Geld, um sich eine Extragüte daran zu thun.
Der alte Mann hing deshalb auch mit großer Liebe und Verehrung an ihr.

Jonas war heute beschäftigt, die aufgeblühten Blumentrauben von den
verschiedenen Büschen und Rosensträuchen abzuschneiden und die Wege
unmittelbar um das Schloß herum wieder auszurechen, denn die Aufsicht
im Park selber hatte sein Untergebener, ein Gärtnerbursche. Wie er noch
daran war, kam der Förster Mäder, die Flinte auf dem Rücken, die kurze
Pfeife im Mund, mitten durch die Büsche heraufgestiegen und sah sich
hier, ehe er den Alten bemerkte, überall in den Wegen selber aufmerksam
um. Aber da war schon jede, sonst vielleicht mögliche Spur durch den
Rechen des alten Mannes verwischt und ausgeglichen worden, und der
Förster zerbiß einen Fluch über seiner Pfeifenspitze. Eben wollte er
sich auch wenden und den Weg hinuntergehen, als er den Alten entdeckte,
der mit seiner kurzen Leiter oben in einem Busche emsig beschäftigt war.

»Heh, Jonas,« redete er diesen an, »Ihr kriecht doch manchmal noch nach
Dunkelwerden im Park herum, habt Ihr denn nie etwas bemerkt, daß sich
hier noch Gesindel nach der Zeit in den Büschen aufhielt?«

»Guten Abend, Herr Förster!« nickte ihm der Alte zu; »ja, ein recht
schöner Abend heute.«

»Tauber Esel!« brummte der Förster ergrimmt in den Bart, denn er schien
eben nicht besonders guter Laune, und wiederholte dann die Frage mit
lauter, fast schreiender Stimme, wobei er dicht unter die Leiter trat.

Der Alte schüttelte mit dem Kopf. »Nein, mein guter Herr Förster,« sagte
er ruhig, »Gesindel darf hier schon gar nicht in den Park hinein, die
wollten wir bald wieder hinaus haben. Der Einzige, der manchmal noch
Abends, wenn ich hier durch ging, herumkroch, war der alte Fritz,
welcher nach seinen Fallen sah.«

»Ja, das ist gerade der Rechte.«

»Ja, der hatte das Recht dazu,« nickte der alte Gärtner, »und weiter
weiß ich Niemand. Dem hat es aber der Herr Graf auch heute verboten, wie
er mir mitgetheilt, ehe er fortfuhr. Er soll nach Sonnenuntergang nicht
mehr auf herrschaftliche Grundstücke, was den Maulwürfen wahrscheinlich
sehr angenehm sein wird; wie es nachher aber den Wiesen ergeht, ist eine
andere Sache.«

»Das ist aber gerade der Lump, der mir meine Fasanen wegfängt!« rief der
Förster.

Der alte Mann schüttelte mit dem Kopf.

»Nein,« sagte er, »die Fasanen thun den Wiesen nichts; im Gegentheil
fangen sie die Grashüpfer weg und sind auch sonst artige Thiere.«

»Herr Gott von Danzig,« fluchte der Forstmann still vor sich hin, »ob
das nicht gerade genug ist, um den Verstand zu verlieren!« -- Und um
sich nur nicht länger zu ärgern, fuhr er wieder zurück in das Gebüsch
und schritt an dem Bergabhang hin der Wiese zu.

Der Förster hatte in der That heute einen ganz ingrimmigen Zorn, und
auch vielleicht mit Recht, denn er konnte es sich nicht verhehlen, daß
auf seinem Revier gewildert wurde, und war doch auch nicht im Stande,
den Frevler zu erwischen, so viel Mühe er sich deshalb schon gegeben.

Er wohnte freilich auch dazu entsetzlich unbequem, denn die eigentliche
Jagd des Grafen, ein großes, sehr bedeutendes Waldgehege, stieß nicht
einmal an die Stadt, sondern begann erst an dem nächsten Dorf, dessen
Gemarkung allerdings an die Stadtflur grenzte. Dort befand sich ein sehr
bedeutender Rehstand und ein Thiergarten mit Roth- und Damwild. Nur
eine kleine Fasanerie war unmittelbar am Schloß in einem Kieferndickicht
angelegt, und die Fasanen machten dem Förster mehr Mühe und Arbeit,
als sein ganzer übriger Wildstand zusammen; denn der Fasan ist ein
zutraulich dummer Vogel, der leicht dem vierbeinigen wie zweibeinigen
Raubzeug zum Opfer fällt.

Heute aber hatte er wieder einmal ganz unleugbare Beweise gefunden, daß
ihm irgend Jemand mußte einen Besuch bei den Fasanen abgestattet haben;
denn nicht allein daß er schon seit einiger Zeit bedenklich viel
Federn in dem kleinen Dickicht gefunden, wo sie hauptsächlich Abends
aufbäumten, nein, heute traf er sogar einen augenscheinlich kranken
Isabellenhahn, der nicht mehr fort konnte und den ihm sein Hund
apportirte, und als er ihn untersuchte, hatte er eine große Fischangel
im Körper sitzen, an der noch ein abgerissenes Stück Bindfaden befestigt
war.

Wenn er sich nun auch vergebens den Kopf zerbrach, wie um Gottes willen
Jemand Fasanen mit der Angelruthe fangen könnte, so blieb es doch keinem
Zweifel unterworfen, daß irgend ein nichtsnutziger Geselle hier die Hand
im Spiel habe. -- Und nun gerade einen Isabellenhahn, von denen der Graf
nur drei Stück um theures Geld gekauft und die ihm selber auf die Seele
gebunden waren, weil die Frau Gräfin sie so gern hatte! Aber was, um's
Himmels willen, ließ sich bei der Sache thun?

Er suchte allerdings das ganze Gehölz auf das Sorgfältigste ab, ob er
nicht irgend etwas finden könne, was ihm einen Anhalt geben mochte --
denn daß der nichtswürdige Maulwurfsfänger dazwischen stecke, glaubte er
sicher --, aber umsonst. War der es gewesen, so fing er die Sache auch
überhaupt viel zu schlau an, um sich so leicht zu verrathen, und es
blieb ihm nichts Anderes übrig, als von jetzt an seine Wachsamkeit zu
verdoppeln und doch vielleicht einmal den Frevler auf frischer That zu
ertappen. -- »Aber nachher freu' Dich!« dachte er bei sich und ballte
dazu in Gedanken die Faust nach der Wiese zu, auf welcher der Mann
gewöhnlich wirthschaftete und wo er ihn auch noch vor kaum einer Stunde
gesehen hatte.

Den Weg herüber vom Schlosse kam Paula, langsam und das liebe, sonst
so fröhliche Antlitz in recht ernste, schmerzliche Falten gelegt. Sie
betrat die kleine Terrasse, ohne den alten Gärtner, der noch immer da
oben in seinem Busche steckte, nur zu sehen, und schritt auf die niedere
Mauer zu, als dessen freundliches: »Gott grüße Sie, gnädige Comtesse!«
sie ordentlich zusammenfahren machte.

»Ach, Jonas, wie habt Ihr mich erschreckt!« sagte sie lächelnd. »Was
macht Ihr denn da oben?«

»Ja, ich bin gleich fertig, gnädige Comtesse,« sagte der Alte,
freundlich sein Mützchen dabei rückend; »das Uebrige mag bis morgen
bleiben, denn ich muß auch noch die Blumenstöcke am Schlosse nachsehen
und die abgeblühten fortnehmen.«

Dabei stieg er von seiner Leiter herunter und hob sich diese auf die
Schulter, um nach vorn zu gehen; aber er blieb doch noch einmal neben
der jungen Dame stehen, für die er all' die Zärtlichkeit empfand, welche
nur ein alter Diener eines Hauses für ein Kind empfinden kann, das unter
seinen Augen aufgewachsen ist.

»Und wie geht es sonst, Jonas?« fragte Paula freundlich.

»Ach ja, zu thun giebt's immer, gnädige Comtesse,« nickte ihr der alte
Mann lächelnd zu; »in einem so großen Garten reißt's nicht ab das ganze
Jahr lang Winter und Sommer.«

»Aber ich dächte, mit dem Gehör ging es recht schlecht, Jonas,« sagte
Paula, indem sie sich dicht zu seinem Ohr bog und sehr laut sprach.

»Ach nein, gnädige Comtesse,« lächelte der alte Mann, mit dem Kopf
schüttelnd; »ich habe mich vorher mit dem Förster eine ganze Weile
unterhalten und jedes Wort verstanden; es macht sich doch noch immer.
Freilich, so gut ist's nicht mehr, wie früher. Aber mit Ihnen geht's
desto besser. Lieber Gott, wenn ich dran denke, wie Sie hier an der
nämlichen Stelle manchmal um mich her im Sand herumkrochen und mit dem
großen Neufundländer Hund spielten, den der gnädige Herr Graf damals
hatte -- armer Tyras, dort drüben unter dem Goldregenbusch haben wir
ihn begraben! Ja, wie die Zeit vergeht, und jetzt sind Sie so groß und
hübsch herangewachsen und eine vornehme Dame geworden; aber ich sehe
Sie immer noch, was Sie für ein liebes, herziges Kindchen waren, mit den
langen, blonden Locken, und manches gesegnete Mal hab' ich Sie auf
den Armen gehabt und bin dann hier mit Ihnen um den alten Thurm
herumgaloppirt.«

»Mein alter, guter Jonas!« sagte Paula gerührt; »ja, ich weiß mich
selber noch recht gut auf Tyras zu besinnen.«

»Na,« lachte der alte Mann, »die gnädige Frau Mama hatte es freilich
manchmal nicht gern, wenn wir zu sehr mitsammen tollten, aber dann hat
sie doch auch wieder darüber gelacht.«

Paula sah wohl, daß mit dem alten Mann kein Gespräch mehr zu führen
war, mochte ihm aber auch nicht weh thun, nickte ihm freundlich zu und
schritt dann zu der Mauer, an der sie stehen blieb und sinnend nach der
Stadt hinuntersah. Nur manchmal drehte sie sich nach dem Alten um, der
noch immer mit seinem Handwerksgeräth herumwirthschaftete, bis er die
Leiter endlich wieder schulterte und mit einem: »Na, Gott behüt' Sie,
gnädige Comtesse!« den Kiesweg hinabschritt.

Kaum war er fort, als sie wieder ein kleines Zettelchen aus ihrer Tasche
nahm, dasselbe zusammenfaltete, sich vorsichtig noch einmal überall
umschaute, und es dann an dieselbe Stelle schob, von der sie heute
Morgen das rosafarbene Papier genommen. Dann schritt sie langsam wieder
und recht schwer aufseufzend in das Haus zurück.

Der Nachmittag verging so, der Abend dämmerte und um das Haus im Park
begannen die Vögel sich zu ihrer Nachtruhe vorzubereiten. Die Amsel,
welche den ganzen Tag geschwiegen und mit eisernem Fleiße Futter
für sich und die junge Brut zusammengesucht, begann ihr reizendes,
melodisches Lied, das sie noch, wie ein Nachtgebet, schmetternd von
der höchsten Spitze eines Blüthenbusches hinausjubelte. Hier und da
zwitscherte ein Rothkehlchen, um die Gefährtin herbeizurufen und mit ihr
gemeinsam den geschützten Platz in irgend einem Gesträuch aufzusuchen,
wo sie Nachts nicht von einer gefräßigen und lichtscheuen Eule gefunden
werden konnten. Jetzt flatterte ein großer, schwerer Vogel, es war ein
Fasanenhahn, der sich in einen der jungen Bäume hinaufschwang und
dann mit thörichtem Spectakel, Schreien und Glucksen der Nachbarschaft
verkündete, daß er glücklich oben angekommen wäre, und wo er die Nacht
schlafen würde. Er hörte auch nicht eher mit Lärmmachen auf, bis er sich
ordentlich zurecht gerückt und seine Federn gehörig aufgeblustert hatte.

Dann kam ein anderer und noch ein anderer, wie es dunkler wurde, und die
Fledermäuse fingen schon an, ihre Zickzacklinien zu ziehen, während noch
hoch in der Luft, und in dem dämmernden Abend selbst unsichtbar,
ein Volk Krähen mit lautem Gekreisch nach ihrem Ruheplatz, zu dem
fichtenbesetzten Bergabhange hinüberstrich.

Dann wurde es still, ganz still. Nur die Grillen zirpten noch in den
Bäumen und unten vom Schloßteiche herauf tönte das monotone, schläfrige
Quaken der Frösche. Drüben am östlichen Himmel aber hob sich voll und
majestätisch die rothglühende Mondscheibe herauf, und während sich unten
im Thal der Nebel sammelte, goß sie hier oben, als sie höher stieg, voll
und klar ihr mildes Licht über die Höhen.

Aber anderes Leben regte sich.

Den Kiesweg herauf, der durch den Park führt, trabte ein Reiter. Es
war der junge Graf George, welcher von seinem Besuch zurückkehrte, sein
Pferd dem herzuspringenden Stallknecht übergab und dann hinauf in sein
Zimmer ging.

Zu gleicher Zeit belebte sich auch der Platz am alten Thurm. Zuerst
schüttelte sich in geheimnißvoller Weise einer der Wipfel junger Bäume,
die dicht an der Mauer standen; dann wurde über dieser ein vorsichtig
gehobener Kopf sichtbar, der aber viele Minuten lang aufmerksam in
seiner Stellung verharrte und in dem Schatten der dichten Wipfel auch
kaum, selbst von der Terrasse aus, hätte erkannt werden können. Erst
als Alles ruhig blieb, regte sich die Gestalt auf's Neue, und der
Maulwurfsfänger -- dem der Graf so ernstlich den Besuch des Grundstücks
nach Dunkelwerden verboten hatte -- kroch vorsichtig über die niedere
Mauer und sprang auf den Rasenrand nieder, der die Büsche umschloß,
damit in dem aufgerechten Kiesweg seine Fußstapfen nicht sichtbar
wurden.

Irgend etwas Nichtsnutziges hatte der alte Bursche im Werk, das war
sicher, er hätte sonst nicht so scheu den dunkelsten Schatten der Bäume
gesucht und jede nur mögliche Vorsicht gebraucht, um nicht entdeckt zu
werden. So düster der kleine, baumumschlossene Platz hier auch lag, er
hielt sich nicht lange dort auf, horchte noch einmal, ob Alles sicher
war, und tauchte dann in das dichte Strauchwerk einer kleinen Tujagruppe
ein, das sich wie eine Mauer wieder hinter ihm schloß.

Und es war die höchste Zeit gewesen, daß er sich entfernt hatte, denn
kaum konnte er den Platz fünf Minuten verlassen haben, als auf dem
kleinen Pfad, der hier vom Park heraufführte, ein anderer scheuer Besuch
heranschlich, der eben so vorsichtig, wie der ihm vorausgegangene, nach
allen Seiten horchte und dann langsam den kleinen Hügel erstieg, auf
welchem der alte Thurm lag.

Der jetzige Besuch trug einen dunkeln Mantel und eine ebensolche Mütze,
und blieb, als er den obern Raum erreichte, vorsichtig stehen und
horchte wieder; aber nichts regte sich, todtenstill lag der Platz, und
nur rechts im Dickicht -- er drehte erschreckt den Kopf danach um
-- flatterte ein kleiner Vogel und strich, aufgeschreckt von seinem
Ruheplatze, ängstlich zwitschernd über die Hügelgruppe und in das
nächste Dickicht hinein.

Handor -- denn niemand Anders war der späte und heimliche Besuch --
dachte aber nicht daran, daß irgend eine Ursache das kleine Thier
erschreckt haben mußte, und daß das möglicher Weise ein Mensch sein
könne, dem er hier gerade nicht gern begegnet wäre. Er fühlte sich
vollkommen beruhigt, als er sah, daß die Ursache des Geräusches nur ein
kleiner, unschuldiger Vogel gewesen. Am Wartthurm war Niemand, und als
er sich überzeugt hatte, glitt er zu der nämlichen Stelle der Mauer, wo
Paula an jenem Nachmittag erst das kleine Zettelchen verborgen hatte.
Das fand er auch und öffnete es, aber es war nicht möglich, bei
dem ungewissen Schein des Mondes die noch dazu auf dunkles Papier
geschriebenen feinen Schriftzüge zu lesen; er schob den Zettel deshalb
in die Tasche, hüllte sich wieder in seinen Mantel und trat dann, um
seine Zeit abzuwarten, halb in das nämliche Tujagebüsch hinein, in
welchem vorher der Maulwurfsfänger verschwunden war. Aber doch nicht
so weit, daß er den freien Platz hier oben nicht vollständig hätte
übersehen können, während er beim Nahen irgend einer Gefahr im Stande
war, in dem Dickicht zu verschwinden.

So mochte er etwa eine Viertelstunde regungslos, und dem geringsten
Geräusch horchend, gestanden haben, als er plötzlich einen großen Vogel
weiter drin im Dickicht und etwas mehr den Hang hinunter flattern und
mit den Flügeln schlagen hörte. Er horchte hoch auf; das dauerte aber
kaum zehn oder zwölf Secunden, dann war wieder Alles todtenstill.

»Was nur mit den verdammten Vögeln heut Abend ist!« flüsterte Handor
leise und ärgerlich vor sich hin; »_mich_ können sie doch wahrhaftig
nicht gehört haben.«

Aber ihm blieb auch keine lange Zeit, darauf zu achten, denn im
Knirschen des Kieses hörte er einen leichten Schritt und erkannte gleich
darauf eine dunkle Gestalt, die rasch und scheu den Weg heraufkam. Jetzt
fiel das Mondlicht auf sie -- es war Paula, und im nächsten Augenblick
hielt er die Geliebte in den Armen.

Mit süßen Schmeichelworten wollte er sie begrüßen; aber Paula hatte in
diesem Moment nur Thränen, denn Angst und Aufregung, die ihre Nerven zum
Aeußersten gespannt, übertäubten bei diesem ersten Begegnen jedes andere
Gefühl.

»Mein liebes Mädchen,« flüsterte Handor, »beruhige Dich doch, ich bin
ja bei Dir, ich halte Dich ja wieder einmal in den Armen! -- Was ist Dir
denn nur, Deine ganze Gestalt zittert ja wie Espenlaub.«

»Die Angst, entdeckt zu werden, Rudolph,« bat das arme Mädchen; »oh,
zürne mir nicht, aber nur mit schwerem Herzen wagte ich den Schritt
-- nur gezwungen von der Gewalt der Eltern, die mich ihren
Standesvorurtheilen opfern wollen.«

»So ist das Furchtbare wahr?«

»Leider ja -- morgen in acht Tagen soll ich dem jungen Grafen Bolten
verlobt werden; ich habe gebeten und gefleht -- umsonst, Vater und
Mutter haben kein Erbarmen gegen ihr Kind, und mit Gewalt soll ich zum
Altar geschleppt werden!«

»Das dürfen sie nicht, Herz,« rief Handor, »das ist gegen die Gesetze
des Landes, und wenn Du Dich weigerst...«

»Aber wie darf ich, wie kann ich denn?« klagte das arme Mädchen. »Bin
ich denn im Stande, ihnen zu sagen, daß ich Dich, nur Dich liebe und nie
einem andern Manne meine Hand reichen, ihn mit einem schon vergebenen
Herzen betrügen würde?«

»Meine Paula...!«

»Ich wage es nicht,« fuhr die Grafentochter fort; »ich kenne meinen
Vater, kenne meine stolze Mutter, die mir schon den Gedanken, die Bitte
nicht vergeben würden!«

»So flieh mit mir, Geliebte!« drängte Handor. »Was hält Dich hier, wo Du
selber keine Hoffnung hast, einer gehaßten und verabscheuten Verbindung
zu entgehen, ja, wo eine Aussicht eines öden, trostlosen Lebens vor
Dir liegt? Oh, ich weiß,« fuhr er traurig fort, »daß ich Dir das
nicht bieten kann, was in den Armen jenes Grafen Deiner wartet -- kein
stattliches Schloß, keine blendende Equipage, keinen Dienertroß; aber
was die Liebe Dir zu bieten vermag, womit die Kunst Dich erfreuen
kann, Paula, das ist Dir gewiß, und Deine Eltern -- es müßten ja keine
Menschen sein, wenn sie dem eigenen Kind entsagen, die einzig Tochter
auf ewige Zeiten von sich stoßen würden. Dein Vater wird wüthen, ja,
er wird uns verfolgen lassen, um Dich mir mit Gewalt zu entreißen; aber
fürchte nichts: in meinem Schutze bist Du sicher, und hat der erste
Aerger über einen zerstörten Plan sich ausgetobt, ist der erste Mißmuth
vorüber, getäuschter Hoffnung wegen -- er gerade am wenigsten wird
grausam sein. Denke Dir dann, Herz,« fuhr er fort, während sie sich
ängstlich und zitternd an ihn schmiegte, »denke Dir jene selige Zeit,
wenn ich, mit Deinen Eltern versöhnt, Dich ihnen wieder zuführen kann,
wenn wir vereint zu ihren Füßen liegen und ihr Segen dann die Bande
heiligt, die uns des Himmels Seligkeit schon auf Erden gegeben haben!«

»Mein Rudolph, mein Rudolph, oh, wie glücklich, wie namenlos glücklich
würde mich Dein Besitz machen!« rief das junge, leidenschaftliche
Mädchen. »Ich kann ja nicht ohne Dich leben -- Gott nur weiß es, Tag und
Nacht sind meine Gedanken bei Dir, und wenn ich mir jetzt denke, daß ich
von Deiner Seite gerissen, daß ich einem Manne überliefert werden soll,
den ich nicht lieben kann, so liegt mein künftiges Leben kalt und dunkel
vor mir wie eine ewige, endlose Winternacht!«

»Meine Paula!« rief Handor und preßte sie fest an sich; aber im nächsten
Moment horchte er auch rasch und erschreckt empor. Drinnen im Busch
flatterte wieder ein Vogel, aber jetzt weiter entfernt als vorhin, und
es war ihm fast, als ob er den Schritt eines Menschen auf dem Kiesboden
gehört hätte.

»Komm,« flüsterte er leise und zog die Erschreckte mit sich in das
Dickicht hinein, »das Mondlicht ist hier viel zu hell; ein Verrätherauge
könnte wachen.«

»Ich darf nicht so lange fortbleiben, wenn ich vermißt werde...«

»Komm nur jetzt; mir war, als ob ich etwas hörte.« Und er zog die nur
halb Widerstrebende in den Schutz der Tujas, die ihnen Sicherheit und
Deckung boten.

Handor hatte sich übrigens dieses Mal nicht geirrt, denn allerdings
kreuzte gerade in diesem Augenblick ein Mann mit einem Gewehr auf dem
Rücken den Kiesweg, der dicht unter dem Hügel wegführte. Es war der
Förster, der schon seit Dunkelwerden im Park herumkroch und, nachdem er
all' die entlegenen Stellen desselben vorsichtig abgesucht, um seinem
Fasanendiebe auf die Spur zu kommen, jetzt auch dicht am Schlosse die
Hölzer abspüren wollte: denn nirgend anders hatte er etwas Verdächtiges
gefunden, während der heutige Abend wie gemacht zu einem derartigen
Wilddiebstahl war.

Ein Fasanendieb konnte nämlich im Dunkeln gar nichts ausrichten, und
selbst bei Mondschein war, wenn er nicht recht hell, wie gerade heut
Abend, schien, die Sache schwierig, da die belaubten Bäume noch zu viel
Schatten warfen. Daß aber trotzdem ein schlauer Dieb den Versuch, und
zwar nicht erfolglos, gemacht, davon hatte er ja selber die Beweise im
Holze -- eine Anzahl von Federn und den kranken, mit einem Fischhaken
gerissenen Fasanenhahn -- gefunden, und der Gesell, welcher da einmal
glücklich durchgekommen, würde diesen Abend kaum versäumt haben, um sein
Diebeshandwerk fortzusetzen.

Gerade jetzt kreuzte er deshalb, im Schatten der Baumgruppen über die
Wiese kommend, den Kiesweg. Es war ihm fast, als ob er ein Geräusch
gehört hätte, und er zog sich nun unter dem Wartthurmhügel hin dem
Gebüsche zu, wo ebenfalls jede Nacht einige zwanzig Fasanen besonders
in einer kleinen Birkenlichtung aufbäumten und dort allerdings einiger
Gefahr ausgesetzt waren.

Aber nichts wurde laut; wohl eine halbe Stunde stand er regungslos auf
seinem Posten. Da plötzlich -- ordentlich erschreckt zuckte er empor --
hörte er das krampfhafte Flattern eines Fasans, das nämliche, was Handor
schon zweimal vorher erschreckt hatte, ohne daß dieser freilich wußte,
was es bedeute. Der alte Förster kannte den Laut aber viel zu gut, um
auch nur einen Moment darüber in Zweifel zu sein.

Fast unwillkürlich fuhr er mit dem Gewehr in die Höhe; aber er wußte
auch recht gut, daß ihm das für den Augenblick nichts helfen konnte.
Noch einmal horchte er -- der Vogel flatterte noch -- jetzt wußte er
genau die Richtung, und eine kurze Strecke auf dem Rasen hinspringend,
wo sein Schritt geräuschlos verhallte, tauchte er gleich darauf in das
die Anlage umgebende und nicht sehr dichte Buschwerk, genau der Richtung
zu, wo die Birken standen. -- --

Der alte Maulwurfsfänger hatte indessen kaum das Dickicht erreicht, als
er auch den Hang, wo er jeden Fuß breit des Terrains kannte, vorsichtig
hinunterschlich und der Stelle zuhielt, an der, wie er recht gut wußte,
die Fasanen Nachts aufbäumten. Trotzdem trug er keine Waffe, mit der man
hätte glauben sollen, daß er ihnen gefährlich werden konnte -- nichts,
als seinen alten Eichenstock. Ueberdies wußte er ja auch recht gut, daß
er in solcher Nähe vom Schloß keinen Schuß wagen durfte, wenn er
sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, unmittelbar darauf von den
Schloßleuten umstellt und gefangen zu werden.

Der alte Bursche wußte aber besseren Bescheid und war, allem Anschein
nach, nicht zum ersten Mal auf einem solchen Fang.

Mit der größten Umsicht und Ruhe schlich er langsam vorwärts, bis er den
lichteren Platz jenes kleinen Birkenwäldchens, etwas dürrer Boden mit
Haidegrund, der weiter nichts Anderes hervorbrachte, erreichte, und hier
spionirte er dann so lange herum und suchte die Mondesscheibe hinter die
Bäume zu bekommen, bis er den Platz erreichte, wo die Fasanen standen.
Aber auch das half ihm anfangs nichts, denn die ersten, welche er traf,
waren zu hoch aufgebäumt, als daß er sie hätte erreichen können. Doch
nicht alle schienen so vorsichtig gewesen zu sein. Nicht lange, so
traf er einen dick aufgeblusterten Hahn, der, den Kopf unter die Flügel
gesteckt, fest auf seinem Aste schlief und nicht einmal sein Nahen
bemerkt haben konnte.

Der alte Maulwurfsfänger störte ihn auch nicht; leise kroch er zehn oder
zwanzig Schritt zurück, bis unter einen dunkeln Busch, und begann hier
seine Vorbereitungen.

Erst schraubte er seine Stockzwinge ab und steckte diese, damit sie ihm
nicht verloren ginge, in die Westentasche; dann zog er die Angelruthe
heraus und befestigte oben an der Spitze derselben einen mächtigen
Angelhaken, wie sie bei den kleinen Fischen des innern Landes nie
gebraucht werden. Diesen Haken band er so an die Ruthe, daß die Spitze
mit dem Widerhaken nach unten zeigte, und als er dieselbe fest und
sicher angeschnürt, daß sie ihm nicht wieder abriß, wie neulich einmal
mit einem feisten, prächtigen Hahn, hob er sich langsam empor und glitt
völlig geräuschlos zu dem Stamm des Baumes, auf dem seine Beute stand.

Ein ungeübtes Auge würde aber in dem belaubten Baum kaum im Stande
gewesen sein, den Platz genau zu bestimmen, wo sich das Wild befand; der
alte Bursche wußte das besser, und nachdem er nur ein paar Mal mit dem
Kopf unter dem Baume hin und her gefahren, hielt er plötzlich still,
brachte seine Ruthe vorsichtig in die Höhe und ließ die Angel langsam
und geräuschlos an dem Stamm selber hinaufgleiten.

Der Fasan schlief fest; alle Bewegungen waren auch so vollständig
geschickt ausgeführt, daß er kaum etwas davon merken konnte, da die
Gestalt des Mannes unter dem Baume mit dem gleichfarbigen Untergrund
zu einer ununterscheidbaren Masse zusammenschmolz. Jetzt aber hatte der
Haken, ohne daß der Maulwurfsfänger von unten das Hinderniß bemerken
konnte, gegen einen kleinen, trockenen Zweig gestoßen, und rasch und
erschreckt richtete sich der Hahn mit einem leise gluckenden Laut empor.

Der Alte unter dem Baum rührte sich nicht. Wie an den Stamm gewachsen
stand er da; nur seine rechte Hand dirigirte vorsichtig den Haken um das
Hinderniß herum. Unten am Stocke hatte er sich dabei vorsichtiger Weise
ein Zeichen gemacht, nach welcher Seite hin die Biegung des Hakens
selber saß; jetzt mußte er damit über dem Hahn sein, und mit einem
plötzlichen Ruck riß er den Stock zurück und den unglücklichen Fasan
damit von seinem sicher geglaubten Stand herunter.

Dieser schlug allerdings aus Leibeskräften mit den Flügeln, aber nicht
lange. Im Nu hatte ihn der Wilddieb gefaßt und ihm auch eben so rasch
den Hals abgedreht, wonach er ihn in seine jetzt völlig leere Jagdtasche
steckte und sich erst vorsichtiger Weise, ehe er auf neue Beute ausging,
unter den nächsten Busch drückte, um abzuwarten, ob das nun einmal
nicht zu vermeidende Geräusch nicht doch am Ende unberufene Zeugen
herbeigelockt hätte.

Aber nichts ließ sich hören; der Wald war so still, wie je, und nur hier
und da in den Bäumen regten sich die benachbarten Fasanen, die durch den
Todeskampf des Kameraden munter geworden waren und von da und dort ein
leises Glucksen hören ließen.

Jetzt glitt er wieder wie ein Schatten vor. Die schlanke Gestalt des
Mannes kroch gebückt und schleichend über das durch den Nachtthau feucht
gewordene Laub dahin, bis er unter den rege gewordenen Vögeln eine neue
Beute ersehen hatte.

Was schadete es auch, daß sie munter geworden waren! Der Fasan
streicht nach Dunkelwerden nur mit großem Widerwillen von seinem einmal
eingenommenen Stande ab, weil er recht gut weiß, wie schwer es ihm wird,
bei Nacht einen andern Platz zu finden, und sobald der Wilddieb nur die
Vorsicht beobachtete, seinen Stock langsam und von dem Stamm wo
möglich gedeckt in die Höhe zu bringen, hatte es mit dem Fange keine
Schwierigkeit.

Auch den zweiten hatte er sich so gesichert, und wie er ihn
herunterbrachte, entdeckte er dicht daneben auf einem ganz niedern Ast
einen dritten.

Trotzdem wartete der Maulwurfsfänger wieder eine ganze Weile im Dickicht
seine Zeit ab, ehe er sich auf's Neue in das lichtere Holz hineinwagte;
wußte er doch recht gut, daß ihn der alte Förster schon lange in
Verdacht hatte, und daß der eben so gut die Zeit kannte, in welcher er
seinem Fang nachzugehen pflegte.

Eigentlich hatte er sich vorgenommen gehabt, an dem Abend mit zwei
Hähnen zufrieden zu sein; der dritte Hahn saß aber zu verlockend da,
fast auf dem untersten Ast der Birke, er hätte ihn beinahe mit der Hand
erreichen können; so günstige Gelegenheit fand er nicht wieder, und wenn
er einen Monat danach gegangen wäre. Nach einer guten Weile erhob er
sich deshalb wieder und kroch langsam gegen den Baum vor; der alberne
Vogel hatte den Kopf wieder eingesteckt, und bis dicht unter ihn kam er,
ehe er durch das doch nicht zu vermeidende Geräusch geweckt wurde und
rasch emporfuhr -- aber das half ihm nichts mehr. Der verhängnißvolle
Haken saß ihm dicht über dem Kragen, der Wilddieb zog an, und der
gefangene Fasan stürzte von seinem Ast herunter.

So tief aber hatte er gesessen, daß der untere Theil des Stockes, als
ihn der Maulwurfsfänger zurückriß, gegen den Boden stieß und der
Fasan dadurch von dem Haken loskam. Ehe er aber die Flügel ordentlich
gebrauchen konnte, war der Wilddieb schon mit einem Satz auf ihm, faßte
ihn am Halse, drehte ihm den Kopf herum und schob ihn dann schnell in
den alten Ranzen zu den übrigen. -- Aber erschreckt fuhr er empor -- das
waren rasch springende Schritte im Laub. Noch einmal horchte er. War
es vielleicht ein aufgescheuchtes Stück Damwild, das sich hier in der
Nachbarschaft niedergethan und nun den Platz floh? Nein, die Schritte
gehörten keinem Stück Wild, und seinen Stock aufgreifend, floh der Dieb,
so rasch er konnte, dem schützenden Dickicht zu.

»Halt, Schuft! Canaille -- hab' ich Dich -- steh' oder ich schieße!«
schrie eine Stimme, die der Maulwurfsfänger nur zu gut kannte, denn es
war die seines alten Freundes, des Försters. Wenn dieser aber geglaubt
hatte, ihn damit wirklich zum Stehen zu bringen, so irrte er sich, denn
der alte schlaue Gesell dachte an nichts weniger. Befand er sich doch
auch unmittelbar vor dem Dickicht, das ihm seinen Rückzug vollständig
decken konnte! Unter dem Schatten der Bäume war überhaupt kein sicherer
Schuß möglich, und ohne deshalb auch nur einen Moment zu versäumen, floh
er auf den nächsten dicken Busch zu und sprang dort gerade hinein, als
der alte Jäger sein Gewehr an die Backe riß.

Freilich wußte dieser, daß er einen Menschen eines solchen Vergehens
halber nicht gleich todtschießen durfte, und zielte deshalb tief, um ihn
in die Beine zu treffen; aber das Korn seiner Flinte konnte er überdies
nicht sehen, ja, die ganze Gestalt des Flüchtigen glitt nur wie ein
Schatten über den dunkeln Boden, und ehe er zum Abdrücken kommen konnte,
war der Verbrecher in dem Busch verschwunden.

Aber darum war er noch nicht entwischt, denn gerade dorthin, wohin er
floh, schloß die nach unten ziemlich hoch abfallende Mauer den Park ein.
Dort hinüber konnte er nicht, des Försters Meinung nach; dann aber
blieb ihm kein anderer Weg, als dicht unter dem kleinen Wartthurmhügel,
unmittelbar am Schloß vorbei, und wenn er dort die Leute alarmirte,
gelang es vielleicht doch noch, ihn zu erwischen.

Mit dem Gedanken feuerte er sein Gewehr in die Luft ab, schrie: »Halt
ihn, halt ihn auf! Dieb! Dieb!« und lief dann, so rasch ihn seine Füße
trugen, etwas mehr links zurück, wo er das größte Dickicht umging
und dem Flüchtigen, sobald er auf offenes Terrain hinauskam, den Weg
abschneiden konnte. Ließ er sich aber davon zurückschrecken und blieb
im Dickicht, so nahm er all' die Bedienten und Leute im Schloß zusammen,
umstellte mit ihnen das Dickicht und hatte ihn nachher sicher.

Der Schuß und das Schreien war allerdings im Schloß gehört worden, hatte
aber auch noch andere Leute alarmirt.

»Rudolph, um aller Heiligen willen, wir sind verrathen!« flüsterte
Paula, indem sie sich aus des Geliebten Armen wand. »Oh, Du mein großer
Gott!«

»Noch nicht, mein Herz,« rief Handor, der wohl auch erschreckt
emporhorchte, sich aber doch nicht denken konnte, daß der weit in den
Büschen drin abgefeuerte Schuß ihm gegolten habe. -- »Flieh' -- das
ist etwas Anderes -- Du giebst mir Nachricht, wann ich Dich wiedersehen
kann; fort -- dort hinüber in den Busch -- wir dürfen nicht zusammen
gesehen werden -- ich selber schleiche mich indessen auf dem Weg zurück,
den ich gekommen bin.«

Ehe Paula etwas darauf erwidern oder nur einen Schritt vorwärts thun
konnte, brachen und prasselten rechts von ihnen die Büsche -- aber nur
eine dunkle Gestalt ließ sich erkennen, die dort hindurchsetzte. Handor,
der schon wieder so weit am Rand der Dickung stand, daß er wenigstens
hindurchsehen konnte, drehte erschreckt den Kopf der Richtung zu -- aber
von da hatten sie nichts zu fürchten. Der Bursche, welcher selber auf
der Flucht schien, war mit einem Satz oben auf der Mauer und schien
da einen Moment zu zögern -- aber es war auch nur ein Moment, denn im
nächsten schon verschwand er in den dichten Zweigen eines dort stehenden
jungen Baumes und hinter der Mauer, während der Wipfel des Stammes, an
dem er niederglitt, deutlich im Mondlicht schwankte und zitterte.

»Jetzt fort,« flüsterte Handor, der natürlich glaubte, daß eine
Verfolgung des Entflohenen nur dort stattfinden könne, wo er ihn zuletzt
gesehen; »rasch hier gerad' aus durch die niederen Büsche zum Schloß,
ich halte mich links -- fürchte nichts, mein süßes Leben!« -- Und noch
einen flüchtigen Kuß auf ihre Lippen drückend, schob er sie freundlich
drängend über den Kiesweg hinüber, während er selber, wie er sie nur
von dem dunkeln Schatten der Büsche gedeckt sah, rasch den Kiesweg
hinabschritt, um denen aus dem Weg zu kommen, die dem Entflohenen etwa
folgen könnten.

Das aber war gefehlt. Hier lief er gerade dem dicht an den Buschrand
heranspringenden alten Förster in den Weg, der plötzlich, wie ein Tiger
auf seine Beute, auf ihn zustürzte, dicht vor ihm sein Gewehr an die
Backe riß und mit lauter, donnernder Stimme schrie:

»Halt, Canaille! Jetzt hab' ich Dich verdammten Fasanendieb, nur einen
Schritt und ich pfeffere Dir die Beine, daß Du in sechs Wochen keinen
Schritt thun kannst!«

»Um Gottes willen, schießen Sie nicht, lieber Freund!« rief Handor, der
allerdings im ersten Augenblick erschrak, seine Geistesgegenwart aber
keinen Moment verlor. Er mußte den Mann auch hier aufhalten, desto
sicherer konnte Paula das Schloß wieder erreichen.

»Wenn Du stehen bleibst, nein,« rief der alte Mann, der jetzt ganz
bestimmt glaubte, den Fasanendieb erwischt zu haben; »aber bei der
geringsten Bewegung, Gott verdamm' mich, ich spaße nicht! Heh, hallo!«
schrie er dann, so laut er nur schreien konnte, denn sie mußten ihn von
hier aus -- wo im Sommer im Schloß alle Fenster offen standen -- hören
können. »Hierher! holla, holla!«

»Und wären Sie vielleicht so gut, mir zu sagen, weshalb Sie mich hier
festhalten und einen so greulichen Spectakel machen?« fragte Handor
ruhig.

»Heh, hallo! Hui, heh!« schrie aber der Alte, ohne ihn auch nur einer
Antwort zu würdigen, und vom Schloß aus antworteten jetzt einzelne
Stimmen. Die Leute waren dort schon durch den ungewohnten Schuß und den
ersten Ruf aufmerksam geworden und traten vor die Thür.

Paula hatte indessen die vordere Terrasse erreicht und wollte eben
darüber hin in ihr Zimmer flüchten, als sie oben ihren Bruder an seinem
Fenster bemerkte, während unten in der Gartenthür der Koch mit seiner
weißen Schürze und Mütze und einer der Bedienten standen. Es blieb ihr
deshalb nichts übrig, als bis zu einem der kleinen Balkons zu gleiten,
die, von eisernen Gittern umgeben, der Aussicht wegen hier gebaut waren.
Blieb sie aber länger hier, so mußte sie entdeckt werden, wenn man sie
nicht überhaupt schon in ihrem Zimmer gesucht hatte. Das Beste, was sie
thun konnte, war, daß sie sich selber zeigte.

Als ob sie dort gestanden hätte, trat sie jetzt vor in das volle Licht
des Mondes hinein und rief zu ihrem Bruder hinauf:

»Was ist das für ein Lärm, George?«

»Bist Du das, Paula?« rief dieser zurück. »Warte, ich komme gleich
hinunter.« -- Und er verschwand vom Fenster. Wenige Secunden später
stand er auch schon neben ihr mit seiner Flinte in der Hand. -- »Was
machst Du denn noch so spät hier unten im Garten, Schatz?«

»Mein Kopf schmerzt mich zum Zerspringen. Was bedeutet der Lärm?«

»Gott weiß es; geh in's Haus, Kind, ich werde selber nachsehen,« rief
der junge Mann und sprang jetzt, von ein paar Bedienten gefolgt, der
Richtung zu, in der der alte Förster noch immer sein Heh, holla! lustig
in die stille Nacht hinausschrie.

»Alle Wetter,« lachte George, als er ihm, sein eigenes Gewehr im
Anschlag, nahe kam, »was giebt es denn hier? Wer ist das?«

»Ich, Herr Graf,« rief der Förster, der ihn schon an der Stimme erkannt
hatte; »ich habe den verfluchten Fasanendieb erwischt!«

»In der That? Also der Herr hier? Wer bist Du, mein Bursche?« rief
der junge Graf, indem die Bedienten um den Gefangenen herumtraten, der
allerdings keine Hoffnung mehr hatte, zu entkommen, aber auch nicht die
geringste Neigung zu einem Fluchtversuch zeigte. Dabei trat George
dicht an den Gefangenen hinan und erkannte überrascht das im Mondlicht
lächelnd ihm zugekehrte Gesicht des Fremden. »Handor!« rief er ganz
erstaunt aus.

»Also Sie kennen ihn auch noch?« sagte der Förster, der jetzt den Hahn
seiner Flinte in Ruhe setzte. »Das ist ein sauberer Patron!«

»Sie entschuldigen, Herr Graf,« lächelte Handor mit der größten Ruhe,
»daß ich Ihnen hier etwas sehr öffentlich als Fasanendieb vorgestellt
werde! Weshalb der gute Mann da Verdacht auf mich hat, weiß ich
nicht recht, denn ich pflege mich gewöhnlich nur dann mit Fasanen zu
beschäftigen, wenn ich sie gebraten in der Schüssel finde.«

»Aber wie, um Gottes willen, kommen Sie hier Nachts in den Park?« fragte
George.

»Nur, um _Sie_ zu sprechen,« sagte Handor. »Ich wußte nicht,« fügte
er leise, sich zu dem jungen Grafen überbiegend, hinzu, »ob die
Ueberraschung des Verlobungsabends auch vielleicht auf Ihre Eltern
ausgedehnt war, und da ich Ihnen darüber Bericht erstatten wollte...«

»Aber, mein lieber Handor, das ist wirklich zu freundlich von Ihnen!
Bester Förster, der Herr ist kein Fasanendieb, die Versicherung kann ich
Ihnen geben.«

»Kein Fasanendieb?« rief der Förster ordentlich erschreckt. »Und
habe ich denn nicht, nachdem ich vorher den ganzen Abend im Busch
herumgekrochen und hier auf der Lauer gelegen, den Fasan flattern hören
und, wie ich zusprang, den Dieb weg und in den Busch hinein flüchten
sehen?«

»Diesen Herrn?«

»Ja, wie Viele sollen sich denn hier Nachts herumtreiben? Ueber die
Mauer konnt' er nicht, und als ich hier vorsprang, kam er gerade den Weg
herunter und wollte am Schlosse vorbei und durchbrennen.«

»Das nun gerade nicht,« lächelte Handor, der sich jetzt vollkommen
sicher fühlte; »über die Mauer habe ich allerdings Jemanden springen
oder doch an einem der Bäume hinabklettern sehen, einige Minuten später
oder vielmehr unmittelbar danach, als ich in den gewundenen Gängen den
Weg verfehlte und auf eine Art von Terrasse kam, auf der ein alter Thurm
steht.«

»Ah, dort -- also da ist Ihnen Ihr Vogel doch entflogen, Förster,«
lachte George. »Und nun, Handor,« rief er, indem er den jungen Mann
unter den Arm faßte und mit sich fort führte, »erzählen Sie mir, was
Sie haben und ob wir's rechtzeitig zu Stande bringen. Kommen Sie einen
Augenblick hier im Weg mit auf und ab, denn zum Schloß kann ich Sie
jetzt nicht führen, meine Schwester war eben noch auf der Terrasse.«

Damit gingen die jungen Leute, ohne sich weiter um den Förster zu
bekümmern, den Weg entlang und Handor berichtete jetzt, daß er ein
reizendes Lustspiel gefunden habe, welches sich leicht würde besetzen
lassen. Er hätte es gleich mitbringen wollen, aber auf seinem Tisch
zu Hause liegen lassen, werde es jedoch morgen in aller Frühe
herausschicken.

»Haben sie denn wieder Fasanen gestohlen, Förster?« fragte einer der
Diener, als die beiden Herren den Rücken wandten, den Alten. Dieser
antwortete aber nicht. Mit einem lästerlichen Fluch warf er sein Gewehr
auf den Rücken und kehrte, sich umdrehend, nach der Stelle zurück, wo
er den Wilddieb zuerst gesehen hatte, um dort noch nach Spuren zu suchen
und Beweise für seine spätere Anklage zu finden.

Handor und George gingen wohl noch eine Viertelstunde im Park auf und
ab, um das Nöthige über Proben und Eintheilung zu besprechen; dann
kehrte der Erstere auf dem breiten Fahrweg in die Stadt zurück.

Als George wieder in's Schloß kam und nach Paula fragte, berichtete das
Kammermädchen, die Comtesse habe sich in ihr Zimmer zurückgezogen und
sei zu Bett gegangen.




12.

Das Wiedersehen.


Das war eine schwere Nacht für Jeremias gewesen, eine ruhelosere
wenigstens, wie er seit langen, langen Jahren gehabt, und rastlos warf
er sich auf seinem Lager umher, bis sich der Himmel schon wieder im
Osten zu färben begann und er jetzt erst in einen kurzen, traumgequälten
Schlaf fiel. Aber sonderbarer Weise hatte der Traum nicht die mindeste
Beziehung auf das, was ihn den ganzen Tag beschäftigt und seine Seele
erfüllt hatte. -- Er war wieder in Brasilien und Nordamerika, und alle
fatalen Lagen, in denen er sich je in seinem Leben befunden, spiegelten
sich ihm mit tollen, verzerrten Bildern vor seinem innern Geiste ab,
bis er endlich mit einem lauten Aufschrei in seinem Bette emporfuhr und
dadurch den armen Hausknecht, der gerade gekommen war, um seine Kleider
zum Reinigen abzuholen, bis zum Tod erschreckte.

»Herr Du meine Güte,« sagte der Mann, indem er ordentlich zusammenfuhr,
»was schreien Sie denn nur so; es thut Ihnen ja Niemand 'was -- nur die
Kleider will ich auskloppen!«

»Guten Morgen!« sagte Jeremias, der sich verdutzt und noch immer halb im
Schlaf umsah -- »wie viel Uhr ist's denn?«

»Sieben Uhr vorbei -- Sie haben wohl geträumt?«

»Ja, ein bischen,« gestand Jeremias, der sich jetzt vor dem Hausknecht
schämte und nur verstohlen unter sein Kopfkissen griff, ob seine
Brieftasche noch da wäre. Dann legte er sich wieder auf die andere
Seite, als ob er noch einmal schlafen wolle. Aber er schlief nicht mehr;
jetzt wäre es ihm nicht möglich gewesen, und um acht Uhr stand er auf,
trank seinen Kaffee und lief dann mit schnellen Schritten in seinem
etwas langen, aber schmalen Zimmer auf und ab.

So schnell er aber auch lief, so langsam verging ihm trotzdem die Zeit;
hundertmal sah er nach der Uhr und hielt diese dann an's Ohr, weil er
glaubte, sie müsse stehen geblieben sein, so wenig wollte der Zeiger von
der Stelle.

Endlich, endlich war es halb zehn Uhr und er begann sich anzukleiden,
was ihm aber auch nicht viel Minuten wegnahm, und noch fehlten zehn
Minuten an der bestimmten Zeit, als er schon in Sicht des Hauses war,
dem er aber noch nicht zu nahen wagte.

Zehn Minuten vor zehn Uhr stand Pfeffer oben in der Stube seiner
Schwester fertig angezogen, denn er mußte wieder hinüber in die Probe.

Die Kranke fühlte sich heute bedeutend besser, aber sie sah leidender
aus, als je, denn die Erregung dieser Stunde hatte alles Blut aus
ihren Wangen getrieben und ihren Augen einen fast überirdischen Glanz
verliehen.

»Höre 'mal, Guste,« sagte Pfeffer, während er sie kopfschüttelnd
betrachtete, »Du gefällst mir heute gar nicht, und wenn ich wüßte, daß
der Patron, der Stelzhammer, Dich am Ende durch sein Wiederkommen noch
kränker machte, wie damals durch sein Fortlaufen, so wartete ich lieber
noch ein klein bischen da draußen auf dem Gang und schmiß ihn dann, wenn
er sich oben blicken ließe, einfach die Treppe hinunter -- steil genug
ist sie.«

»Mir ist viel besser heute, Fürchtegott,« sagte lächelnd die Frau; »ich
sehe nur ein bischen angegriffen aus.«

»Das weiß Gott!« brummte Pfeffer -- »und wenn ich nur eigentlich wüßte,
was er wollte? Geschieden seid Ihr und müßt geschieden bleiben...«

»Und kannst Du es ihm verdenken, daß er Sehnsucht nach seinem Kinde
hat?«

»Hm,« knurrte ihr Bruder ärgerlich in den Bart, »hat dann verdammt lange
Zeit gebraucht, bis sie zum Durchbruch kam!«

»Fürchtegott...«

»Na meinetwegen, das macht Ihr jetzt mit einander ab -- ich muß in die
Probe, aber recht ist mir's nicht, das kann ich Dir versichern, und viel
lieber wär's mir gewesen, wenn ich dem Herrn erst einmal hätte auf den
Zahn fühlen dürfen -- Windbeutel der -- Herr Gott, jetzt ist's schon in
drei Minuten Zehn, und ich fange an... -- na also, halt' Dich tapfer,
Alte,« sagte er, indem er der Schwester mit mehr Herzlichkeit, als er
sonst gern zeigen mochte, die Hand reichte -- »reg' Dich nicht zu sehr
auf. Jettchen, Dir bind' ich sie auf die Seele -- na, das wird ein
bischen Heulerei werden, und ist mir doch lieb, daß ich nicht dabei
zu sein brauche,« -- und seinen Hut aufstülpend, verließ er rasch das
Zimmer.

Unten auf der Straße ging er, den Hut in die Stirn gezogen, die linke
Hand auf dem Rücken, die rechte vorn in den zugeknöpften Rock gesteckt,
rasch seines Weges, als er einem kleinen, wohlbeleibten ältlichen Herrn
begegnete, der kein bestimmtes Ziel zu haben schien, auch ein paar Mal
stehen blieb und an den Häusern hinaufsah, als ob er eine Nummer suche.

Als ihm Pfeffer begegnete, sah ihn dieser mißtrauisch über die Brille
an. War das etwa der Schwager -- so dicht am Hause und unmittelbar vor
zehn Uhr?

Der Fremde hatte ihn jedenfalls aus dem Hause kommen sehen und
betrachtete ihn ebenfalls, und als Beide sich passirt hatten, sahen sie
sich gegenseitig noch einmal um.

Aber er konnte es doch nicht sein, er ging an der Thür vorbei. Pfeffer
hatte sich ihn auch ganz anders gedacht, aber augenblicklich keinen
Moment Zeit mehr zu verlieren, um darüber nachzudenken, eben schlug es
vom Rathhausthurm zehn Uhr, und wie er stets außerordentlich pünktlich
war, haßte er nichts so sehr auf der Welt -- außer einem schlechten Glas
Bier -- als Strafe wegen Versäumnis zu zahlen.

Es war aber trotzdem Jeremias gewesen, dem er da begegnete, und dieser
hatte ebenfalls einen starken Verdacht, daß der Herr, der ihn so
aufmerksam betrachtete, mehr von ihm wußte, als ihm augenblicklich
angenehm war. Er ging deshalb an dem Hause vorbei -- richtig, er sah
sich nach ihm um -- immer noch ein Stück die Straße hinab, bis jener um
die Ecke verschwunden war. Dann erst kehrte er zurück. Es schlug gerade
zehn Uhr vom Thurm; das war die Zeit, und jetzt der Augenblick gekommen,
den er ersehnt und gefürchtet, Jahre lang -- und auf den Hacken drehte
er um und betrat festen Schrittes das wohlgemerkte Haus.

Auf der ersten Treppe ging es auch so ziemlich; er schritt Stufe nach
Stufe rasch empor, ja, er zählte die Stufen, während er sie betrat,
vergaß aber eben so rasch die Zahl, und wie er den dritten Absatz
erreichte, mußte er stehen bleiben, denn der Athem ging ihm aus und er
schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trocknen. Und wie ihm dabei
das Herz schlug -- er hätte es nicht für möglich gehalten, daß es im
Leben so klopfen könnte. Aber was half es -- er war angemeldet, die
Zeit verstrichen, und je länger er hier zögerte... -- die Zähne
zusammenbeißend, nahm er einen frischen Anlauf, und jetzt war er oben.
Drinnen im Zimmer hatten sie seinen Schritt schon gehört. Jetzt stand er
an der Thür und hob den Finger zum Anklopfen. Die Adern pochten ihm in
der Stirn, als ob sie ihr zähes Gewebe zersprengen wollten -- es mußte
sein.

»Herein!«

Langsam öffnete er die Thür -- mitten im Zimmer stand bleich und
zitternd ein liebliches, jugendfrisches Kind, auf dem Sopha saß eine
ernste und doch freundliche Frauengestalt -- er sah aber ihre
Umrisse nur, die düster, wie in einem Nebel, mit Regenbogenrändern
zusammenflossen.

Er trat in's Zimmer und drückte die Thür wieder hinter sich in's Schloß,
und keinen Schritt wagte er weiter hinein zu thun.

»Und bist Du das wirklich, Jeremias -- bist Du wirklich endlich
zurückgekehrt, um Dein Weib, Dein Kind noch einmal zu sehen?« sagte die
Frau mit ihrer milden, aber jetzt schmerzbewegten Stimme.

Jeremias war nicht im Stande zu antworten, sein Hut fiel auf den Boden
nieder; mit beiden Händen deckte er sein Gesicht, und Thränen, heiße,
brennende Thränen quollen ihm aus den Augen.

Aber da hielt sich Henriette nicht länger. --

»Vater!« rief sie, flog an seinen Hals und legte ihre Arme um ihn --
»Vater, lieber, lieber Vater! oh, daß ich den Namen endlich gefunden
habe -- nun darfst Du nicht wieder fort von uns -- nie, nie, darfst die
Mutter nicht wieder, darfst Dein Kind nicht mehr verlassen!«

Das brach das Eis. Jeremias nahm die Hände von den Augen, und sein Kind
umfassend und an sich drückend, schluchzte er unter Thränen: »Jettchen,
Jettchen, kennst Du denn Deinen weggelaufenen Vater noch?«

»Mein lieber Vater -- und wie hat sich die Mutter auf den Augenblick
gefreut! Komm zur Mutter!« und ihn leise führend, zog sie ihn zum Sopha,
wo die Frau, ihre Augen von Thränen überströmend, saß -- aber es waren
Freudenthränen, wenn sich auch mancher Tropfen Wermuth hineinmischte.

Jetzt hatte er die Stelle erreicht -- sehen konnte er kaum, denn wie ein
Netz schwamm es ihm in farbigen, schillernden Lichtern vor den Augen,
aber er fühlte eine sich ihm entgegen streckende Hand, und ehe er selber
recht wußte, wie ihm geschehen, saß er auf dem Sopha neben der Gattin,
die ihr Haupt wie müde an seine Brust lehnte und leise weinte.

»Meine gute, gute Auguste -- und kannst Du wirklich dem schlechten
Menschen verzeihen, der zu feige war, Noth und Mangel mit Dir zu tragen,
und hinaus in die Welt lief wie ein richtiger Vagabond?«

»Mein armer Jeremias, wir haben Beide recht viel ausgestanden!«

»Das weiß Gott, das weiß Gott!« stöhnte der kleine Mann, indem er zum
ersten Mal einen Versuch machte, sich die Augen zu trocknen -- »recht
viel haben wir ausgestanden, Auguste, und es vielleicht nicht einmal
so schwer verdient, denn wir waren Beide noch jung und hatten keinen
Begriff von dem, was zum Leben gehörte. Aber jetzt, jetzt bin ich wieder
da und kann wenigstens einen Theil meiner Schuld sühnen.«

Die Frau seufzte auf, recht aus tiefster Brust, aber sie sagte kein
Wort, nur fester lehnte sie ihr Haupt an die Schulter des Verlorenen
und Wiedergewonnenen, und Jeremias küßte ihre Stirn, und rascher als je
rollten ihm die Thränen über die Wangen nieder.

Jeremias war aber keine Natur, die sich solchen Gefühlseindrücken lange
gutwillig hingegeben hätte. Thränen -- er wußte sich der Zeit nicht zu
erinnern, daß ihm eine Thräne in's Auge gekommen wäre, und jetzt weinte
er wie ein kleines Kind! Das ging nicht. Mit einer wahren Energie faßte
er sein rothes, schon ganz nasses seidenes Taschentuch auf, wischte sich
entschieden die Augen ab und sagte:

»Und das ist Jettchen? Lieber Gott im Himmel, wenn ich noch an den Abend
zurückdenke, wo ich dem Kind den letzten Kuß gab -- aber nein, das ist
jetzt vorbei, das ist überstanden! Ich bin wieder bei Euch -- ich war
damals ein schlechter -- nein, kein schlechter Mensch, Auguste, glaube
mir das! Ich bin nie schlecht, aber leichtsinnig, bodenlos leichtsinnig
gewesen, und jetzt habe ich nichts weiter auf der Gotteswelt zu thun,
als das wieder gut zu machen, so viel es nämlich in meinen Kräften
steht...«

»Mein lieber Vater...«

»Und hast Du mich denn wirklich lieb, Kind?« rief Jeremias gerührt.
»Guter Gott, es ist so lange her, daß ich mich kaum noch erinnern kann,
es hätte mich jemals ein Mensch in meinem Leben lieb gehabt!«

»Jeremias...«

»Ja, Auguste, Du!« sagte er herzlich -- »und das einzige Wesen, das mich
wirklich lieb hatte, habe ich auch am allerschlechtesten behandelt!«

»Und trug ich denn nicht selber mit die Schuld?«

»Nein, Auguste, nein, wahrhaftig nicht! Glaub's ihr nicht, Jettchen --
sie war immer brav und gut, nur viel zu gut, viel zu gut für mich, und
erst draußen mußte ich's einsehen, mußte ich's fühlen lernen, draußen
unter den fremden Menschen, die mich da und dorthin stießen! Liebe --
wer hat da draußen Liebe zu einem Andern!«

»Armer Vater!«

»Ja, mein Kind, wohl kannst Du sagen: »armer Vater«, denn nicht allein,
daß mir's so schlecht ging, daß ich Hunger und Noth zu leiden hatte --
das geschah mir recht, und manchmal hätte ich mich ordentlich darüber
freuen können, aber die Reue kam noch dazu, die Reue, daß ich schlecht
an Euch gehandelt, und nur erst, als ich die Möglichkeit sah, daß ich
das jemals wieder, wenigstens zum Theil, gut machen könnte, wurde es
besser. Da habe ich auch wohl noch gedarbt, aber gespart dabei, jeden
Reïs gespart und zurückgelegt, und da wurde es mir auch wieder im Herzen
wohl, da wurde ich wieder froh und glücklich, und jetzt -- Gott sei ewig
Lob und Dank! -- jetzt ist auch das überstanden, und Ihr sollt nun keine
Noth mehr leiden!«

»Wir haben noch keine Noth gelitten, Jeremias,« sagte die Mutter
freundlich.

»Doch, Auguste, doch!« rief Jeremias, indem er noch einmal seine Augen
abwischte und sich dann im Zimmer umsah -- »ich seh' es an Allem --
kümmerlich habt Ihr Euch bis jetzt behelfen müssen -- und der Tisch da
drüben? Wovon hat denn das Kind da so blasse Wangen und so rothe Ränder
um die Augen?«

»Vom Weinen, Vater -- vor lauter Freudenthränen, daß wir Dich wieder
haben!«

»Und ich glaub's doch nicht -- Graf Rottack hat mir's schon erzählt, und
wenn ich mir auch nichts merken ließ, wollt' es mir doch fast das Herz
abdrücken!«

»Es ist nicht so schlimm,« lächelte Henriette, »arbeiten muß ein Jeder,
und ich möchte gar nicht ohne Arbeit leben.«

»Gott lohn' es Dir, was Du an Deiner Mutter gethan hast, Kind -- und er
wird's auch, er wird's auch -- hab' jetzt guten Muth, und wenn Euch der
junge Jeremias auch davongelaufen ist, so hat er Euch doch jetzt den
alten hergeschickt, daß der die Geschichte wieder in Ordnung bringt.
-- Aber jetzt müssen wir auch die übrige Familie herbeiholen. Wo steckt
denn der Schwager?«

»Onkel hatte um zehn Uhr Probe, Vater, und ging kurz vorher weg, ehe Du
kamst.«

»Ob ich es mir nicht beinahe gedacht habe,« nickte Jeremias vor sich
hin -- »darum guckte er mich so an! Den hätt' ich aber nicht
wiedergekannt...«

»Hast Du ihn gesehen, Jeremias?«

»Ich glaube ja, unten am Hause -- und wann kehrt er zurück?«

»Er kann nicht lange bleiben; es ist nur Probe von einem einactigen
Lustspiele. Er wird bald wiederkommen.«

Jeremias hatte die Frau jetzt zum ersten Mal aufmerksamer betrachtet,
und ein eigenes, wehes Gefühl zuckte ihm durch's Herz, als er in die
bleichen, abgehärmten Züge schaute, auf denen ihn das augenblickliche
Roth der Erregung nicht täuschen konnte. -- »Aber, Auguste,« sagte er
leise, »Du bist wirklich krank -- was fehlt Dir nur? Hast Du keinen
Arzt?«

»Ja Jeremias,« nickte lächelnd die Frau, »ich habe einen Arzt, aber er
kommt nur selten, denn er kann mir ja doch nicht helfen. Jetzt ist der
beste Arzt mit Dir eingezogen: das Gefühl, daß Du uns doch nicht ganz
vergessen hattest und daß ich, wenn ich einmal von hier scheide, das
arme Jettchen nicht ganz schutzlos in der Welt zurücklasse.«

»Meine Mutter...«

»Laß, mein Kind -- wir bleiben vielleicht noch eine Weile beisammen, und
an dem Onkel hättest Du ja auch wohl eine Stütze gehabt; es wird jetzt
gewiß wieder besser gehen.«

»Du bist recht krank, Auguste...«

Die Frau schüttelte lächelnd mit dem Kopf. -- »Lange nicht so krank, als
Du denkst. Aber nun erzähle mir, mir und Deinem Kinde, wo Du die langen
Jahre gewesen und wie es Dir ergangen. Du kannst doch wohl glauben, daß
wir neugierig sind, das zu hören.«

Jeremias fühlte recht gut, daß sie seine Aufmerksamkeit nur von sich
selber ableiten wollte, und warf einen scheuen Blick auf Jettchen, in
deren Augen wieder Thränen standen; aber wenn sie es selber wünschte,
mochte er ihr auch nicht entgegenhandeln. So neben ihr, ihre Hand in
der seinen, gab er ihr jetzt mit kurzen Worten eine gedrängte Uebersicht
seines ganzen, vielbewegten Lebens. Dabei aber, und von der Gegenwart
abgelenkt, brach auch oft wieder der alte, drollige Humor durch und rief
manchmal ein Lächeln auf die Züge von Frau und Tochter. Je weiter er
aber darin kam, desto wärmer wurde er selber, und wie er erst von der
Zeit erzählen konnte, wo sich seine Umstände besserten, wo er anfing,
Geld zu verdienen und von Tag zu Tag die Stunde näher rücken sah, in der
er zu den Seinen zurückkehren konnte, da glühte sein dickes, gutmüthiges
Gesicht in Freude, und nun fing er auch an aufzuzählen, was er verdient
hatte, und zuletzt wie rasch und leicht, »Hand über Hand«, wie er sich
ausdrückte, und wie die, welche ihm noch nach so langen Jahren ihre
Treue und Liebe bewahrt, nun auch keine Noth mehr leiden sollten, und
wie er sie hegen und pflegen wolle sein ganzes Leben lang.

Wie er mitten im Erzählen war, ging plötzlich die Thür auf und Pfeffer
stand auf der Schwelle.

»Ob ich mir's denn nicht gedacht habe,« sagte er, mit dem Kopf nickend
-- »also das ist Herr Stelzhammer? Sieh' mal an, und schon ganz häuslich
niedergelassen...«

»Herzonkel!« rief Henriette und flog auf ihn zu -- »ach, wir sind so
glücklich, daß er wieder da ist!«

»Ih, seh'n Sie einmal an,« meinte Pfeffer, indem er über Henriettens
Schulter wegzusehen suchte, »also eine glückliche Familie -- auch eine
komische Manier, eine Familie glücklich zu...«

Er kam nicht weiter. Henriette hatte ihm die Hand auf den Mund gelegt
und ließ ihn nichts mehr sagen, und Jeremias war aufgestanden, ging auf
den Mann zu, und ihm die Hand entgegenstreckend, sagte er gutmüthig:

»Schwager -- Schwager Pfeffer, wollen wir nicht auch Freunde werden?«

Fürchtegott Pfeffer legte vorsichtiger Weise seine beiden Hände auf den
Rücken, und als ihn Henriette losließ, betrachtete er sich aufmerksam
von Kopf bis zu Füßen seinen neuen Schwager und seine Schwester, die,
wohl bleich und angegriffen, aber doch mit einem lange vermißten Zug von
Glück in ihren milden Zügen auf dem Sopha saß.

»Und sehen Sie da, Herr Stelzhammer, was Sie angerichtet?« sagte er
endlich.

»Schwager Pfeffer, gieb mir Deine Hand,« drängte Jeremias.

»Sehen Sie, wie es hier anderen Leuten gegangen, während Sie sich ganz
vergnügt in Brasilien und bei der Königin Pomare und Gott weiß wo sonst
noch herumgetrieben haben?« fuhr Pfeffer unerbittlich fort.

»Bester Schwager Pfeffer -- Bruder -- Onkel!« baten jetzt aber Alle
miteinander -- »gieb ihm die Hand -- sei gut mit ihm -- er hat ja
versprochen, daß er uns Alle lieb haben will!«

»Das dank' ihm der Deubel!« brummte Pfeffer, immer noch in seiner alten
Stellung -- »und jetzt will er hier bleiben?«

»Er geht nicht wieder fort, Schwager,« sagte Jeremias, »er ist
herzensfroh, daß er wieder da ist, und will auch, so weit das nur irgend
angeht, gut machen, was er früher einmal schlecht gemacht hat -- es thut
ihm in der Seele weh!«

»Thut's ihm -- so?« sagte Pfeffer -- »und das geschieht ihm recht;
verdient hätt' er 'was Anderes; aber da die Guste heute wieder einmal
ein glückliches Gesicht macht, was ihr in langen, langen Jahren nicht
vorgekommen, so... na, da ist meine Hand auch, Jeremias, und -- sei
willkommen in Deutschland.«

»Schwager Pfeffer!« rief Jeremias gerührt, indem er die Hand nahm und
herzlich drückte, dann aber seine Gefühle nicht mehr bewältigen konnte
und den Mann beim Kopfe faßte und herzhaft abküßte, was sich Pfeffer mit
einer wahrhaft stoischen Ruhe gefallen ließ. Wie er aber glauben mochte,
daß es nun genug sei, sagte er:

»So -- und nun setz' Dich hin und betrag' Dich vernünftig -- weiß es
Gott, jetzt flennt der auch -- na, da will ich nur hinübergehen und
meine Wasserstiefeln anziehen.«

»Du darfst nicht fort, Onkelchen!« rief Henriette, rasch seinen Arm
fassend -- »Du mußt jetzt bei uns bleiben, und Deine Wasserstiefeln
brauchst Du auch nicht -- siehst Du, es ist Alles wieder trocken!«

»Hm -- na da meinetwegen,« brummte Pfeffer, der sich noch immer nicht
ganz behaglich zu fühlen schien, denn das Neue der Situation gefiel ihm
nicht -- »drüben ist's freilich gemüthlicher, und bei einer Pfeife...
-- rauchst Du, Jeremias?«

»Ja gewiß, Schwager!«

»Das ist wenigstens vernünftig -- bespricht sich so Manches doch besser,
was -- wir gerade miteinander zu besprechen haben.«

»Heute dürft Ihr auch hier rauchen,« sagte die Frau freundlich; »die
Brust ist mir heute viel leichter.«

»Na, das wollen wir doch nicht gleich am ersten Tag einführen,« sagte
ihr Bruder, »daß wir Dir hier das Zimmer vollqualmen; der Mensch ist
ja kein Schornstein, und... -- aber, Jeremias, Jeremias!« rief er
plötzlich, indem er seinen neuen Schwager oder vielmehr alten Schwager
betrachtete und sich dabei bedenklich hinter dem rechten Ohr kratzte
-- »Junge, Junge, wo sind Deine Haare geblieben? Du hast Dir ja in dem
Brasilien eine Staatsglatze stehen lassen!«

»Ja, mein bester Pfeffer...«

»Alle Wetter,« rief dieser rasch, »Warst Du denn schon gestern bei der
Lise drüben -- mit dem Grafen?«

»Bei der Lise?«

»Nun, bei meiner andern Schwester, der Bassini.«

»Ja, allerdings,« lächelte Jeremias verlegen -- »wir glaubten...
-- aber wo willst Du hin, Jettchen?«

»In die Küche, Vater, und das Essen besorgen -- Du bleibst doch bei
uns?«

»Na, er soll wohl in's Wirthshaus gehen?« rief Pfeffer.

»Ja -- wenn Ihr mich haben wollt...«

»Haben wollt -- Unsinn -- aber die wird Augen machen, wenn sie kommt und
Dich hier sieht! Das war die Glatze, die wie eine Tischplatte groß sein
sollte!«

»Aber wo ist die Elise?« fragte die Frau lächelnd -- »es wundert mich,
daß sie noch nicht da ist...«

»Lauter Unsinn hat sie heute auf der Probe geschwatzt,« lachte Pfeffer,
»den ganzen Schädel hatte sie voll vom neuen Schwager, und mich nannte
sie sogar ein paar Mal Jeremias. Jetzt muß sie ihre Scene noch einmal
durchprobiren, denn so wär's heut Abend eine Heidenwirthschaft geworden
-- aber noch Eins, da Jettchen gerade draußen ist -- mit dem Rebe hat's
wieder was' gesetzt!«

»Mit dem Rebe?« sagte die Frau bestürzt.

»Rebe? -- Wer ist das?«

»Hm,« brummte Pfeffer, »ein vierter und fünfter Liebhaber, der aus
lauter Leidenschaft zur Kunst, weil er auf der Bühne keine Liebhaberin
bekommen kann und immer abfährt, unserem Jettchen Schrullen in den Kopf
gesetzt hat.«

»Dem Jettchen?«

Pfeffer nickte und summte leise ein Lied vor sich hin.

»Der Rebe,« sagte die Frau, »ist ein braver, anständiger Mensch und
ordentlicher Leute Kind, aber blutarm und dabei Feuer und Flamme für's
Theater.«

»Hat er denn Talent?«

»Ih nu,« meinte Pfeffer, »so ganz ungeschickt stellt er sich gerade
nicht an, und manchmal macht er seine Sache gar nicht so schlecht --
verderben thut er wenigstens nie etwas; aber was will das sagen? Eine
große Rolle können sie ihm nicht anvertrauen und thun es nicht -- Handor
spielt sie auch alle allein, -- und wenn er's im Leben nicht weiter
bringen kann als zu einem so unglückseligen Fach, so hätte er
zehntausendmal lieber Schuster oder Schneider werden sollen!«

»Und Jettchen hat ihn gern?«

»Ich fürchte ja,« nickte die Frau, »sie -- spricht nicht darüber.«

»Das ist gerade das Schlimmste!« rief Pfeffer -- »wenn sie viel davon
erzählte, wär's nicht so arg; aber so hockt sie Tag und Nacht an dem
verdammten Blumentisch und grübelt und denkt und seufzt, und nachher
frißt sich so eine Geschichte noch viel tiefer in's Herz hinein. --
Deshalb hat sich die Lise nie ordentlich verliebt, weil sie's gleich
allen Menschen erzählen mußte.«

»Und ließe sich nicht doch vielleicht etwas Anderes für ihn finden,«
sagte Jeremias, »womit er sein Brod ehrlich verdienen könnte? Was ich
dabei thun kann...«

»Ja wohl, der auch,« schüttelte Pfeffer mit dem Kopf; »er hat ja studirt
und, ich glaube sogar, sein Examen gemacht -- aber Gott bewahre, Komödie
müssen wir spielen, »die Kunst hat ihn gerufen«, und eher richtet er
sich und Jettchen zu Grunde, ehe er davon abgeht!«

»Und was war heute wieder mit ihm?« fragte die Frau.

»Ach, die ewigen Häkeleien mit dem eitlen Laffen, dem Handor!« rief ihr
Bruder -- »der Mensch kann ihn nicht leiden und chicanirt ihn, wo sich
Gelegenheit bietet; da hat denn unser sauberer Director -- ein Lump, wie
er im Buche steht -- weil er den Handor nicht entbehren kann, dem Rebe
gekündigt.«

»Du lieber Gott,« seufzte die Frau -- »das arme Jettchen!«

»Aber vielleicht ist das ein Glück,« sagte Jeremias, »und bringt ihn
möglicher Weise dazu, wozu mir ihn haben wollen, daß er ganz vom Theater
abgeht. Wenn ich nur einmal mit ihm sprechen könnte!«

»Der nicht, der wahrhaftig nicht!« rief Pfeffer -- »dem hat's der
Souffleurkasten angethan, und der ruht nicht eher, bis sie ihn einmal
erst mit faulen Aepfeln und anderen Vegetabilien von den Brettern
hinuntergepfiffen haben. Dann kommt er in das Stadium, wo er über
die Undankbarkeit des Publikums und den schlechten Geschmack unseres
jetzigen Zeitalters schimpft, und nachher wär's vielleicht möglich, ihn
zur Vernunft zu bringen -- früher nicht.«

Die Frau seufzte recht tief auf, und Jeremias, der kein Auge von ihr
wandte, sagte herzlich:

»Na, laß nur sein, Auguste, vielleicht wird ja noch Alles gut; ich bin
ja jetzt da, und Du sollst sehen, ich halte Dir, was ich versprochen
habe.«

»Aber daß das Jettchen einen schlechten Schauspieler heirathet,« rief
Pfeffer, »dazu gebe ich meine Einwilligung nicht -- lieber, bei Gott,
einen Tagelöhner, denn da wissen sie doch vorher, daß sie hungern
müssen, und faseln nicht in einem fort von Lorbeern und »Rufen«!
Jeremias, sei vernünftig -- Du weißt, wie Du's getrieben hast.«

»Ja, Bruder Pfeffer, Du hast Recht,« sagte Jeremias kleinlaut; »es ist
freilich ein bitterböses Ding...«

»Ist er da?« rief draußen eine schrille Stimme -- »ist er gekommen,
Jettchen?«

»Gott sei uns gnädig!« sagte Pfeffer -- »jetzt tritt Fräulein Bassini
auf, jetzt Acht gegeben -- ich müßte meine leibliche Schwester nicht
kennen!«

In dem Augenblick wurde die Thür aufgerissen und Fräulein Bassini trat
wirklich auf, aber nicht, wie ihr Bruder vielleicht erwartet haben
mochte, in aller ungeduldigen Hast, sondern mit Würde. Langsam den Kopf
erhoben, fast zurückgebeugt, trat sie in's Zimmer. Kaum aber traf ihr
Blick den Gesuchten, als sie vollständig aus ihrer Rolle fiel, denn zu
ihrem Erstaunen kannte sie ihn augenblicklich als den Nämlichen, den
sie damals für den »Kammerdiener« des Grafen gehalten und deshalb mit
gründlicher Nichtachtung behandelt hatte.

»Herr Du meine Güte,« rief sie, »das ist ja...«

»Der Mann mit der tischplattengroßen Glatze,« ergänzte Pfeffer -- »ja
wohl, Fräulein Bassini -- bitte, setzen Sie sich, es kommen gleich
Stühle, -- habe die Ehre, Ihnen hier einen, eine Zeit lang verloren
gegangenen Schwager vorzustellen, der sich neuerdings wiedergefunden
hat: Herr Jeremias Stelzhammer.«

»Liebe Schwägerin,« sagte Jeremias, der mit gutmüthigem Gesicht auf sie
zuging und ihr die Hand entgegenstreckte.

»Herr Stelzhammer,« sagte Fräulein Bassini vornehm, »es ist mir sehr
angenehm...«

»Ach, Papperlapapp,« rief Pfeffer, »Du kommst um einen Posttag zu spät
-- wir haben die ganze Geschichte schon untereinander abgemacht -- gieb
ihm die Hand und einen Kuß und seid gute Freunde!«

»Aber, Fürchtegott...«

»Wird schon nicht anders werden, Schwägerin,« lachte jetzt auch
Jeremias, indem er auf sie zuging und die Arme ausbreitete.

»Aber so geschwind geht es denn doch nicht,« rief Fräulein Bassini, noch
zurückweichend, -- »das nehmen Sie mir nicht übel, Schwager, das war
doch...« -- aber sie kam nicht weiter. Jeremias war nicht der Mann,
sich auf solche Art zurückweisen zu lassen, und als Jettchen eben die
Thür aufmachte, um dem Vater zu helfen, wenn die Tante vielleicht --
wie sie das gar zu gern that -- noch etwa Einwendungen zu machen hätte,
faßte er sie schon beim Kopfe und drückte ihr einen herzhaften Kuß auf
den Mund.

»Aber, Schwager,« rief Fräulein Bassini, »meine Locken...«

»Donnerwetter ja, Junge,« rief Pfeffer, »nimm Dich in Acht; die gehen
ab!«

»Du bist ein Grobian, Fürchtegott...«

»Und nun Friede und Freundschaft,« sagte Pfeffer -- »komm, sei
vernünftig, Lise -- der Jeremias war früher ein Leichtfuß und ist jetzt
ein ordentlicher Kerl geworden, die Auguste freut sich, daß er wieder da
ist, Jettchen auch; also haben wir Beide doch nichts hineinzureden, denn
das ist eine Familien-Angelegenheit.«

»Und gehören wir nicht etwa mit zur Familie?«

»Beiläufig ja, aber nie mehr wie nöthig -- und nun, Jettchen, wie ist es
mit Deinem Essen?«

»Gleich fertig, Onkelchen, ich will nur den Tisch decken -- aber mit
Tellern wird's heute knapp hergehen; auf so viel Gäste sind wir freilich
nicht eingerichtet.«

»Bah, da behelfen wir uns -- nicht wahr, Jeremias?«

»Du lieber Gott,« sagte dieser, »mir ist heute gar nicht wie essen! Ich
bin so froh, so glücklich, ich könnte auf Einem Beine tanzen...«

»Müßte famos aussehen,« lachte Pfeffer -- »und jetzt Platz da, daß das
Mädel den Tisch decken kann -- heute wollen wir einmal =en famille=
speisen!«




13.

Verschiedene Kunstinteressen.


Graf Rottack war an diesem Morgen in der Stadt gewesen, um noch einige
Einkäufe zu machen. Als er zurückkehrte, fand er Helene allein in ihrer
Stube, den Kopf in die Hand gestützt und eine helle Thräne im Auge,
während die Kinder um sie her lustig und guter Dinge am Boden spielten.

»Und wieder so traurig, Herz?« sagte er, indem er auf sie zuging, sie
leise umfaßte und ihre Stirn küßte; »kann ich denn gar kein Lächeln mehr
auf Deine Wangen rufen?«

»Ach, Felix,« seufzte die junge Frau, indem sie ihr Haupt an ihn lehnte,
»sei nur nicht böse, ich weiß, daß ich Unrecht thue, Dir Unrecht thue
vor allen Anderen, denn kein Wesen in der Welt hätte mehr Ursache, sich
glücklich zu fühlen, als ich; aber -- der gestrige Morgen will mir noch
immer nicht aus dem Kopf. Sie wußte, daß ich ihr Kind war, sie mußte es
wissen, da Du ihr den Namen jener Frau genannt, und doch, wie kalt, wie
stolz blieb sie gegen mich, wie verrieth kein Zug in ihrem Antlitz, daß
ihr Herz nur den tausendsten Theil jener Sehnsucht fühlte, in meine Arme
zu fliegen, wie sie mich fast verzehrt und aufreibt!«

»Sie mußte sich Gewalt anthun, Herz,« beruhigte sie Felix; »wer von uns
weiß denn, was sie dabei gelitten?«

Helene schüttelte leise und traurig mit dem Kopf. »Jene eisernen Züge,«
flüsterte sie, »sahen nicht aus, als ob je ihr Herz irgend eine Pein
darauf hervorgerufen; sie war kalt wie Eis, und ihr Blick haftete
neugierig, aber wahrlich nicht liebend auf mir.«

»Und doch hast Du Dich vielleicht geirrt, Helene!« rief Felix; »mußte
nicht zuerst bei Deinem Anblick auch das Eine erste Gefühl die Oberhand
gewinnen: die Angst, ihr Geheimniß verrathen zu sehen? Laß sie einmal
mit Dir allein sein, laß sie Dich selber sprechen und Dir dabei in die
lieben, treuen Augen sehen, und ihr Mutterherz wird schmelzen; sie wird
das Kind in ihre Arme drücken!«

»Ach, und weiter verlange ich ja auch nichts auf der Welt, Felix, als
nur einmal, ein einziges Mal an ihrem Herzen zu ruhen und den süßen
Namen Mutter auszusprechen. Dann will ich ihren Frieden nie, nie wieder
stören; ich ziehe fort mit Dir, wohin Du mich führst, und will selig
sein -- schwelgen in der Erinnerung an den einen Augenblick!«

»Und der Wunsch wird Dir erfüllt werden, Helene,« sagte Felix
freundlich, »glaube mir; sie wird vielleicht noch Widerstand leisten,
weil sie nicht weiß und wissen kann, wie weit Deine Ansprüche an sie
gehen. Sie wird bis dahin ihrem eigenen Herzen Gewalt anthun, aber nicht
weiter, und dann später die Stunde segnen, welche Dich wieder in ihre
Arme führte. Glaubst Du mir?«

»Oh, ich glaube Dir ja so gern, mein Felix,« rief Helene, ihn an sich
ziehend, »weiß ich ja doch, wie treu und gut Du es mit mir meinst!«

»Und nun auch nicht mehr traurig, mein Schatz,« lachte der junge Graf;
»jetzt mußt Du Dich zerstreuen; Du darfst mir nicht länger grübeln und
denken. Sieh nur das kleine fröhliche Völkchen, das sich dort am Boden
balgt, oder noch besser, komm, wir wollen ein wenig musiciren, das
verjagt Dir am besten alle häßlichen Gedanken; komm.« Und seine Geige,
die unter dem Flügel stand, herausnehmend, stimmte er sie, während die
Kinder ebenfalls ihr bisheriges Tollen aufgaben und Günther jubelnd
ausrief:

»Das ist recht, nun können wir zusammen tanzen, Lenchen!«

Die Mutter mußte sich wohl fügen. Noch lag ein Zug von Wehmuth um die
zarten Lippen, aber sie lächelte doch schon wieder, und bald übte
die Musik ihren vollen Zauber auf sie aus, der sie rasch alles Andere
vergessen ließ. Mitten in einer jener Weisen waren sie auch schon, die
Felix damals in stiller Nacht unter dem Fenster der Geliebten gespielt,
und die Kinder, rücksichtslos auf Tact und Tonstück, nur in der Lust,
Musik zu hören, hatten sich dabei umfaßt und tanzten und jubelten im
Zimmer umher, als einer der Diener die Thür öffnete und anfragte, ob
Graf George Monford die Ehre haben könne, die Herrschaften zu sprechen.
Er übergab dabei zugleich dessen Karte.

»Graf Monford?« Helene fühlte, wie sie erbleichte.

»Es ist der junge Graf,« flüsterte ihr Felix leise zu; »fasse Dich,
Herz, ein Höflichkeitsbesuch. -- Es wird uns angenehm sein.«

Wenige Secunden später öffnete sich die Thür und Graf George trat ein,
aber nicht als förmlicher Besuch, wie Felix gedacht, sondern in
seiner liebenswürdigen, offenen Weise, und schon in der Thür rief er
freundlich:

»Ich kann es mir nicht vergeben, Sie gestört zu haben, und es ist
unendlich liebenswürdig von Ihnen, gnädige Gräfin, daß Sie einem, doch
eigentlich vollkommen fremden Menschen eine Ihrer liebsten Stunden
zum Opfer bringen! Mein lieber Herr Graf, ich muß ernstlich um
Entschuldigung bitten!«

»Seien Sie uns herzlich willkommen!« sagte Rottack freundlich, der
sich schon lange zu dem offenen, ehrlichen Gesicht des jungen Mannes
hingezogen gefühlt hatte; »bitte, legen Sie ab und setzen wir uns --
keine Förmlichkeiten weiter -- wir freuen uns aufrichtig, Sie bei uns zu
sehen!«

»Und selbst, wenn ich gleich mit einer Bitte käme?«

»Vielleicht noch viel mehr, wenn Sie uns gleich Gelegenheit geben, Ihnen
gefällig zu sein,« lächelte Rottack.

»Ich halte Sie beim Wort,« lachte George; »so will ich denn, wie man so
sagt, gleich mit der Thür in's Haus fallen, damit ich Sie nicht zu
lange von Ihren Instrumenten entfernt halte, denn dann ersuche ich Sie
dringend, fortzufahren.«

»Und womit können wir Ihnen dienen?«

»Es ist ein Scherz. In acht Tagen soll die Verlobung meiner Schwester
Paula gefeiert werden, und zwar mit dem jungen Grafen Bolten, und da
Paula so außerordentlich für's Theater schwärmt und sich besonders auf
unseren Liebhabertheatern selber ausgezeichnet hat, so habe ich mir für
den Abend eine kleine Ueberraschung ausgedacht. Wir wollen nämlich unter
uns ein kleines, allerliebstes Lustspiel aufführen, das ich heute Morgen
zugeschickt bekommen habe. Unglücklicher Weise kommen aber mehr Personen
darin vor, als ich an »Künstlern« stellen kann, und da hat mir -- da
die Zeit überdies drängt -- die Verzweiflung den kühnen Entschluß
eingegeben, Sie und Ihre liebenswürdige Frau Gemahlin um Hülfe und
Beistand anzuflehen.«

»Das ist allerdings sehr liebenswürdig von Ihnen, mein bester Graf,«
lächelte Rottack, während Helene leicht erbleichte; »aber erstlich
gerathen wir da auf ein Feld, das wir Beide wohl noch nie betreten haben
-- nicht wahr, Helene?«

»Noch nie,« hauchte leise die junge Frau.

»Und dann ist die Zeit zu einer solchen Vorbereitung doch auch wohl ein
wenig sehr kurz. Haben Sie das Stück bei sich?«

»Nein, da wir nur Ein Exemplar besitzen, läuft mein Commissionär
eben damit in der Stadt herum und läßt die wenigen Bogen in drei
verschiedenen Druckereien zu gleicher Zeit setzen. Aber bis spätestens
morgen in aller Frühe haben wir genügende Exemplare und bis zehn Uhr ist
es längstens in Ihren Händen. Ihre Rollen sind klein, das Lernen wird
Ihnen keine Schwierigkeit machen. Meine gute Mutter will selber so
freundlich sein, die Leitung der Leseprobe zu übernehmen. Haben Sie
Mitleid mit einem armen, unglückseligen Theaterunternehmer!«

Rottack sah sinnend vor sich nieder. So plötzlich bot sich da eine ja
lange ersehnte Gelegenheit, in freundlichere und nähere Beziehung zu
der sonst so schwer zugänglichen Monford'schen Familie zu treten -- und
Helene?

»So schicken Sie uns nur vorher wenigstens das Stück,« sagte er endlich
lächelnd, »und bezeichnen Sie darin die uns zugedachten Rollen; wir
wollen dann augenblicklich Kriegsrath mit einander halten, meine Frau
und ich, und Sie keinesfalls lange in Ungewißheit lassen. Ist die
Ausführung möglich, so sage ich, wenigstens für meine Person, zu.«

»Liebster, bester Graf, wie soll ich Ihnen danken?« rief George
fröhlich. »Und Ihre Frau Gemahlin? -- Aber ich will jetzt nicht
drängen,« unterbrach er sich rasch, »und Ihnen vielleicht ein
Versprechen abpressen, das Ihnen später unangenehm sein könnte. Nehmen
Sie aber die Versicherung, daß Sie uns Allen eine große Freude damit
machen würden, und besonders Paula, deren Herz Sie wahrhaft im Sturm
erobert haben müssen, Frau Gräfin, denn sie konnte gestern gar nicht
aufhören, von Ihnen zu reden.«

»Dann ist unser Gefühl ein vollständig gegenseitiges gewesen, Herr
Graf,« lächelte Helene, »denn ich kann Ihnen versichern, daß auch ich
Ihre Schwester bei dem ersten Begegnen herzlich lieb gewonnen habe, und
mich also doppelt freue, das zu hören.«

»Wie gut Sie sind!« rief George. »Ist es aber nicht merkwürdig, daß sich
Menschen oft so rasch zu einander hingezogen fühlen und, ohne mehr als
ein paar gleichgültige Worte zu sprechen, mit einander Freundschaft
schließen, während wir uns von Anderen, ohne daß sie uns je das
Geringste zu Leide gethan, wieder eben so rasch und unerklärlich
abgestoßen fühlen?«

»Es ist das eine Freimaurerei des Geistes,« lächelte Felix, »die sich an
geheimen, oft unbewußten Zeichen versteht und erkennt, und sie übt, im
Guten wie im Bösen, ihre Macht. Gute Menschen finden sich nicht rascher
unter einander, wie ein paar richtige Gauner, die oft schon nach einem
kaum flüchtig gewechselten Blick einander verstehen und Freundschaft,
wenigstens Kameradschaft schließen.«

»Ich selber gebe außerordentlich viel auf den ersten Eindruck, den ein
Fremder auf mich macht,« sagte George.

»Ich Alles,« rief Felix, »und kann wohl sagen, daß ich mich selten
oder nie getäuscht. Ließ ich mich aber durch irgend welche Zufälligkeit
bestimmen, von diesem ersten Eindruck abzusehen, dann durfte ich auch
fest darauf rechnen, daß ich dafür büßen mußte.«

»Und sollte dieser Glaube an den ersten Eindruck, den ein Fremder auf
uns macht, nicht oftmals auch die Ursache einer großen Ungerechtigkeit
gegen ihn sein?« sagte Helene. »Was kann ein Mensch zum Beispiel für ein
unschönes Gesicht, das uns doch nie gefallen wird, während er vielleicht
das beste Herz darunter birgt?«

»Ein schönes Gesicht ist allerdings eine große Empfehlung im Leben,«
sagte George, »und wer es erhalten, kann Gott nicht genug dankbar dafür
sein; ein häßliches muß man eben hinnehmen, wie man Krankheit oder ein
sonstiges Unglück hinnimmt.«

»Aber kann nicht ein unschönes Gesicht auch gut und freundlich sein?«
sagte die junge Frau.

»Allerdings, Frau Gräfin, und wie oft finden wir das; aber der Charakter
spricht sich gewiß darin aus.«

»Also wer von der Natur zum Beispiel einen boshaften Zug um den Mund
bekommen hat,« meinte Helene kopfschüttelnd, »müßte deshalb auch
entschieden boshaft sein und könnte nicht einmal dafür verantwortlich
gemacht werden?«

»Umgekehrt, Schatz,« rief ihr Gatte. »Was Du da sagst, wäre ein Unglück
für solche arme Menschen, nicht eine Eigenschaft, die uns sie meiden
läßt. Nicht wer einen boshaften Zug um den Mund hat, wird dadurch
boshaft, nein, wer boshaft ist, bekommt sicherlich diesen Zug. Das
heißt: gerade der Charakter der Menschen prägt sich im Lauf der Jahre
in dem Antlitz derselben aus: je älter sie werden, desto deutlicher, und
wer das Verständniß dafür hat, liest die Schrift.«

»Aber manchmal irren wir uns doch,« sagte George. »So kenne ich hier
einen jungen Schauspieler -- unsern ersten Liebhaber -- und einen
tüchtigen Künstler, der auf mich bei seinem ersten Anblick, trotz seiner
wirklich edlen Züge, jenen abstoßenden Eindruck gemacht hat, dessen
Sie vorhin erwähnten, und der also auch deshalb für uns maßgebend sein
sollte. Ich ließ mich aber dadurch nicht abschrecken und machte seine
nähere Bekanntschaft, oder äußere Umstände ließen sie mich machen, und
muß gestehen, daß sich bei diesem meine Menschenkenntniß nicht erprobte,
denn er hat sich stets als einen liebenswürdigen, geistvollen und
besonders fabelhaft gefälligen Mann gezeigt, dem ich schon unzählige
Male verpflichtet bin.«

»Lieber Gott, wir können uns ja irren,« sagte Felix; »ich selber würde
mich aber nach einer solchen erhaltenen Warnung -- wie ich es nennen
möchte -- nur höchst vorsichtig mit ihm eingelassen und ihm --
vielleicht -- unrecht gethan haben.«

»Aber wir plaudern hier und ich halte Sie von Ihrer Musik ab.«

»Wir haben nur musicirt, um uns die Zeit zu vertreiben,« lächelte
Helene; »der Grund ist jetzt vollständig weggefallen.«

»Und wenn ich Sie nun bäte, fortzufahren?«

»Wenn Sie Freude daran finden, von Herzen gern,« sagte Helene, ohne
Weiteres von ihrem Stuhl sich erhebend, und sie wie Felix hatten bald
wieder das vorhin unterbrochene Musikstück aufgenommen.

       *       *       *       *       *

Am Markt, zwischen der Drachen-Apotheke und einem andern, sehr
anständigen und hohen Gebäude, das einem Seidenhändler gehörte, stand
ein schmales, vierstöckiges Haus mit nur zwei Fenstern Front und
machte auf den Beschauer etwa den Eindruck, als ob sich ein Mensch mit
angezogenen Armen in ein Uhrgehäuse geklemmt hätte und sich nicht regen
und nicht rühren könne.

Dort residirte in der zweiten Etage Doctor Feodor Strohwisch, Dichter
und Schriftsteller, oder vielmehr Privatgelehrter, wie er in dem
Adreßbuch angegeben stand, der aber auch ein kleines Tageblatt redigirte
und darin die Geißel über das Theater schwang. Und nicht über das
Theater allein; Alles, was vorkam, jedes Fach, jede Kunst fand in
ihm ihren unerbittlichen -- oder eigentlich nicht ganz unerbittlichen
Kritiker, denn es gab Mittel, ihn zu erweichen, und mit einer solch'
liebenswürdigen Unverschämtheit drosch er auf Alles los, was sich
unabhängig genug glaubte, ihn zu ignoriren, daß die Masse, welche selten
ein eigenes Urtheil für sich selber hat, seine Kritiken endlich
für baare Münze hinnahm und auch noch nebenbei seine Gelehrsamkeit
bewunderte.

Von den Mitgliedern des Theaters, wenigstens von dem größten Theile
derselben, war er gehaßt und gefürchtet zugleich, denn gegen sein Blatt
gab es keine Appellation, da er ihm unbequeme Artikel nie aufnahm.
Aeußerlich behandelten ihn aber fast Alle sehr artig, und die
boshaftesten Urtheile ließ man ruhig über sich ergehen, weil man nur
dadurch noch boshafteren ausweichen konnte.

Strohwisch durfte in der That Alles sagen und sagte Alles, und im Laufe
der Jahre hatte er sich eine Sicherheit und Unfehlbarkeit angeeignet,
die wirklich nichts zu wünschen übrig ließ.

In seinem Zimmer sah es sehr gelehrt und sehr unordentlich aus. Ein
großer Mahagoni-Schreibtisch, der seine eigene unquittirte Rechnung
in dem einen Gefach sorgfältig versteckt hielt, als ob er sich selber
darüber schäme, stand in der einen Ecke, unmittelbar am Fenster. Vier
oder fünf Bücherregale mit einer neueren und viel benutzten Ausgabe des
Brockhaus'schen Conversations-Lexikons füllten die eine Wand, ein
sehr elegantes, aber etwas beschmutztes Sopha, mit einem Spiegel in
Goldrahmen darüber, die andere.

Auf dem Sopha lagen vier oder fünf gestickte Rückenkissen, eine
gestickte Cigarrentasche aber geöffnet auf dem Tisch; unter dem Spiegel
befand sich ein sinniger Neujahrswunsch aus Menschenhaaren geflochten,
und den Tisch bedeckte eine weiße gehäkelte Decke mit hellblauen
Vergißmeinnicht darin; kurz, die Spuren weiblicher Arbeit waren
überall, auf Fußbank, Briefhalter, Papierkorb, Briefbeschwerer u. s. w.
anzutreffen.

Ueber dem Schreibtisch aber hingen zwei Lorbeerkränze, der eine mit
hellblauem, der andere mit rosaseidenem Bande, und einem Spruch von
zierlicher Frauenhand geschrieben, den man aber von unten aus auf dem
überhaupt auch etwas rauchgeschwärzten Papier nicht lesen konnte.

An der Wand befanden sich ein paar an die äußerste Grenze des
Schicklichen streifende französische Kupferstiche von badenden und
nach dem Bade tanzenden Nymphen, und rechts und links vom Spiegel zwei
ebenfalls französische Studienköpfe, bis an den untern Rand des Rahmens
decolletirt.

Sämmtliche Stühle waren übrigens mit neuen, unaufgeschnittenen, in
gelbem, grauem, grünem, blauem und rothem Papier broschirten Büchern
bedeckt, und selbst auf dem Boden lag noch eine Anzahl von ihnen
zwischen Cigarrenstummeln, Papierstreifen und zerschnittenen Zeitungen.

Feodor arbeitete. Er saß auf einem Drehstuhl und hatte eine Cigarre
im Munde, die vorn brannte und die er hinten kaute, und dann und wann
schrieb er eine Zeile und strich darauf das Geschriebene wieder durch.

Da klopfte es laut an die Thür, und mit seinem Herein! erschien Handor,
den Hut nachlässig auf dem Kopf, einen Glacéhandschuh angezogen, den
andern in der Hand.

»Guten Tag, Doctor! Stör' ich?«

»Nun, Sie verderben wenigstens nichts, denn ich quäle mich eben wieder
mit so einem verfluchten Gelegenheitsgedicht.«

»Daß Sie's nicht satt kriegen!« lachte Handor.

»Es ist eine rein verzweifelte Arbeit,« rief der Doctor, »immer etwas
Pikantes sagen zu sollen, wenn...«

»Einem nichts einfällt -- trostlos!«

»Na, das wär' das Wenigste,« bemerkte Strohwisch; »aber man will doch
auch nicht all' sein Pulver auf eine Sache verschießen, die Einem nichts
einbringt, als vielleicht ein lumpiges Mittagessen.«

»Sonst ist wohl kein Honorar zu fürchten?«

»Gott bewahre; es ist für den Commerzienrath, der morgen sein
commerzienräthliches fünfundzwanzigjähriges Jubiläum feiert. Was das
Alles für Ursachen zu Festen sind! Aber was fehlt Ihnen? Sie sehen
verdrießlich aus.«

»Ach was,« sagte Handor, indem er sich aus der offenen Cigarrentasche
eine Cigarre nahm und sie anbrannte, »ich habe mich wieder einmal über
den Lump, den Rebe, geärgert -- eingebildeter Esel! Aber der Director
hat ihm gekündigt, er muß fort. Da können Sie sich nachher eine Güte
thun und ihm eine Grabschrift schreiben.«

»Werde ich ihm besorgen,« lachte der Doctor, sich vergnügt die Hände
reibend, »werde ich ihm mit Vergnügen besorgen, und noch dazu in Versen
unter »Eingesandt«-Rebe, bebe, lebe, strebe, gebe, hebe -- es paßt nur
eigentlich kein pikanter Reim auf den langweiligen Namen.

  Horatius Rebe,
  Wer kann, bebe
  Bei dem Abgang dieses Lichts,
  Doch vergebe
  Horatius Rebe
  Daß er uns hier schadet nichts.

Das ist gut, wie?«

»Werden Sie nicht langweilig,« sagte Handor, indem er seinen Hut auf den
Tisch stellte, seinen Handschuh hinein und sich selber dann zwischen die
Rückenkissen auf das Sopha warf. »Was ich gleich sagen wollte, Doctor,
wissen Sie genau, wann der Erbprinz hier eintrifft?«

»Nun, versteht sich doch von selbst; werde ich das nicht genau wissen!
Am nächsten Freitag Morgen mit dem Zehn-Uhr-Zug. Dann ist großer Empfang
-- militärisch natürlich -- Alles in Uniform, wo, zwischen all' den
goldenen Epauletten und Ordenssternen, der Bürgermeister, als Vertreter
der Stadt, allein im Frack wie ein schwarzes Schaf in der Heerde
herumläuft. Mittags Diner auf dem Rathhaus, Abends Festvorstellung im
Theater -- »Hamlet« auf speciellen Wunsch -- nach dem Theater Fackelzug
und dann Kneiperei bis zum nächsten Morgen, wozwischen ein geplagter
Redacteur dann auch noch seine Correspondenzen schreiben soll.«

»Hm, merkwürdig,« sagte Handor, der die letzten Worte gar nicht gehört
zu haben schien.

»Merkwürdig? -- was ist merkwürdig?«

»Oh, nichts, es fiel mir nur ein, wie so Vieles manchmal auf Einen Tag
zusammentrifft.«

»Ja, er bleibt auch nur zwei Tage in Haßburg, und am zweiten Tag ist
großer =bal paré=, mit der ganzen =haute volée= geladen. Wunderbares
Leben doch, das so ein Prinz führt! Bei Jove, ich glaube, ich habe auch
eine gute Natur, aber wenn ich nur eine einzige Woche so durchschwiemeln
sollte, ging ich wahrhaftig drauf!«

»Lieber Doctor,« sagte Handor gleichgültig, »wenn sich ein solcher Prinz
derartigen »Genüssen«, die für ihn Alltäglichkeiten sind, mit einer
solchen Leidenschaftlichkeit hingeben wollte, wie Sie gewöhnlich dabei
entwickeln, so hielt er's auch nicht aus. Aber, was ich Sie schon
immer einmal fragen wollte: von wem haben Sie eigentlich die beiden
Lorbeerkränze, welche da über Ihrem Schreibtisch hängen?«

»Oh,« sagte Feodor bescheiden, »sie sind nur von Damen.«

»_Nur_ von Damen?«

»Ja; in unserem literarischen Club feiern wir manchmal geistige
olympische Spiele...«

»In Ihrem Vergötterungsverein,« lachte Handor, »wo Ihr Euch gegenseitig
anbetet und hinter dem Rücken dann auf einander schimpft.«

»Hören Sie einmal, Handor, das ist übertrieben!«

»Gehen Sie mir weg; mich haben sie auch einmal mit hineingeschleppt,
um mich bei einer Tasse heißem Zimmtwasser, das die Dame vom Hause Thee
nannte, und bei drei unsichtbaren Butterbrödchen sechs Stunden auf
das Tödtlichste langweilen zu lassen. Das war ein furchtbarer Abend,
Doctor!«

»Sie übertreiben wahrhaftig,« rief Feodor, seinen Kopf zurückwerfend;
»ich habe doch auch von meinen Gedichten vorgelesen.«

»Leider!«

»Sie sind unausstehlich heute, und ich wollte dieses unglückselige
Geschöpf, dieser Rebe, wäre erst einmal über alle Berge; früher finden
Sie doch Ihren Humor nicht wieder.«

»Ach was, Rebe,« sagte Handor verächtlich; »glauben Sie, daß mir der
Patron nur eine Stunde von meiner Zeit vergiften könnte?«

»Na, was steckt Ihnen denn sonst in den Gliedern -- Schulden? Lieber,
bester Freund, Sie sind doch hoffentlich auch schon auf dem Standpunkt
angelangt, daß, wenn sich Jemand Schulden halber Sorgen zu machen hat,
es entschieden nur der Gläubiger sein kann -- Gläubiger -- ein famoser
Name übrigens, weil er glaubt, daß er Geld kriegt; hahahaha!«

»Sehe ich aus wie Jemand, den die Schulden drücken?« spottete Handor,
indem er seine Cigarrenasche auf den Teppich abstrich.

»Na, dann sind Sie verliebt,« rief Feodor, »heh? Hab' ich's getroffen,
hat der haßburgische Herzbrecher auch endlich einmal seine Meisterin
gefunden? Handor, der erste Liebhaber des haßburgischen Theaters,
wirklich verliebt, ohne Schminke und Gasbeleuchtung -- es ist eine
himmlische Idee! Uebrigens -- Donnerwetter, was mir da einfällt -- haben
Sie schon davon gehört, daß dieser Rebe ein Heidenglück macht?«

»Ein Heidenglück -- welches?«

»Er heirathet das hübsche Blumen-Jettchen, das spröde, alberne Ding, dem
alten Pfeffer seine Nichte, deren Vater gestern mit einer Million von
Ostindien zurückgekommen ist.«

»Unsinn,« sagte Handor, »eine von Ihren gewöhnlichen Tageblatt-Enten.«

»Na, Sie werden's sehen. Der Rebe hat mit dem Mädel schon lange ein
Verhältniß gehabt, aber natürlich Pauvreté in allen Ecken. Jetzt macht
sich die Sache. Am Ende werden wir ihn hier noch nicht einmal los.«

»Vom Theater gewiß, und das Andere kümmert mich wenig,« sagte Handor
gleichgültig, indem er aufstand und seinen Hut aufnahm.

»Sie wollen wieder fort?«

»Ich habe zu thun. Apropos, Doctor, können Sie mir nicht wenigstens
einen Theil von den hundert Thalern zurückzahlen, die ich Ihnen neulich
borgte? Trauvest quält mich mit den paar Thalern, die ich ihm schuldig
bin.«

»Lieber, bester Freund,« rief Feodor -- »kahl wie eine Feldmaus im
Augenblick; die Gelder kommen erbärmlich ein, und in der letzten Zeit
habe ich gar nichts verdienen können, weil ich fortwährend mit Ihnen
beschäftigt war.«

»Mit mir?«

»Meine Correspondenzen für die verschiedenen Blätter. Ich sage Ihnen,
die eine Recension über Ihren »Fiesco« hat mich vier volle Stunden
gekostet, so ausführlich habe ich Alles besprochen, und ich taxire meine
Arbeitsstunden stets auf einen Louisd'or.«

»Das ist viel.«

»Geistige Arbeiten, lieber Freund, sind keine Holzhackerarbeit; die
Fäuste können immer schaffen, aber der Kopf braucht seinen Genius, und
wenn der ausbleibt, steckt er fest.«

»Und wann können wir Abrechnung halten?«

»Ich erwarte eine bedeutende Honorarzahlung in den nächsten Tagen.«

»Schön, also auf Wiedersehen, Doctor!«

»Auf Wiedersehen, lieber Handor, auf Wiedersehen!«

Handor hatte die Thür hinter sich zugedrückt, und Feodor sah ihm,
freundlich mit der Hand winkend, nach; dann aber murmelte er leise vor
sich hin:

»Einfaltspinsel, eingebildeter -- will in allen Blättern gelobt und
herausgestrichen sein und dann auch noch geborgtes Geld wieder haben --
es ist wirklich großartig! Wer hält ihn denn hier am Theater? Niemand
weiter als ich, und wenn ich ihn fallen lasse, ist er in vierzehn Tagen
fertig; keine Hand rührt sich mehr -- ich müßte meine Haßburger nicht
kennen. -- Komm Du mir!« Und die unangenehmen Gedanken abschüttelnd,
drehte er sich wieder auf seinem Stuhl herum, griff die Feder auf und
begann von Neuem sein commerzienräthliches Ehrengedicht, das aber trotz
alledem nicht recht fließen wollte -- der Genius war noch nicht da.




14.

Horatius Rebe.


Oben in der Schloßgasse, dem »Paradies« schräg gegenüber, in einem sehr
großen, massiv gebauten Hause, aber oben in der vierten Etage und in
einem sehr bescheidenen, wie sehr beschränkten Dachstübchen, wohnte
Horatius Rebe, »der zweite oder eigentlich vierte oder fünfte Liebhaber«
am Haßburger Theater -- und eine bescheidenere Wohnung ließ sich in der
That kaum denken.

Das Ameublement bestand aus einem Holztisch, der Morgens als Waschtisch,
über Tag als Arbeitstisch diente, aus einem mit sehr verblichenem
und auch schon oft ausgebessertem Kattun überzogenen Sopha, das mit
Eisenfeilspänen gestopft sein mußte, so hart war es, und zwei ordinären
Rohrstühlen. Dazu gehörte noch ein kleiner, sehr dürftiger Spiegel und
eine lackirte Commode, wie ein glatt gehobeltes Bücherbrett, und dennoch
war der kleine Raum so nett und sauber als möglich hergerichtet.

Man konnte gerade nicht sagen, daß eine musterhafte Ordnung darin
herrschte, denn hier war ein Buch, in dem der Eigenthümer vorher
gelesen, auf dem Tisch umgeschlagen, dort im Fenster lagen einige Noten,
und darunter stand ein kleiner Zithertisch mit der Zither darauf und
den Stuhl schräg davor gerückt. Ein Zimmer sieht aber überhaupt nicht
wohnlich aus, wenn es zu sorgfältig aufgeräumt und geordnet ist -- man
muß erkennen können, daß es von Jemandem benutzt wird, sonst macht
es einen öden und unheimlichen Eindruck, mag es so einfach oder so
prachtvoll möblirt sein, wie es will.

Und benutzt wurde es in der That, denn außer einem winzig kleinen
Alcoven, der kaum ein Bett und einen gelb angestrichenen schmalen
Kleiderschrank hielt und durch eine etwas zu kurze Kattungardine von der
Stube getrennt wurde, war es die einzige Räumlichkeit, welche Horatius
Rebe besaß, und diese hatte er sich denn auch so freundlich hergestellt,
wie es eben seine Mittel erlaubten.

Ueber dem Sopha hing eine ziemlich gute Lithographie von Schiller im
weißen, offenen Hemdkragen; über dem Arbeitstisch eine andere von
Bogumil Dawison mit dem kecken, herausfordernden, aber geistreichen
Gesicht. Es waren die beiden einzigen Bilder, die er besaß, eine kleine
Photographie seiner verstorbenen Mutter ausgenommen, die über seinem
Bett ihren Platz gefunden.

Aber trotzdem hatte der Raum doch noch eine andere Ausschmückung
erhalten, denn unter Schiller's Bild kreuzten sich ein Paar Schläger,
durch ein altes, vielgetragenes Band der Burschenschaft, der er früher
angehört, mit einander verbunden, während unter denselben die alte,
dreifarbige Studentenmütze jetzt zugleich als Zeichen der Erinnerung und
-- als Uhrhalter diente.

Aber in dem Fenster standen Blumen, eine prachtvolle Monatsrose, zwei
Resedastöckchen und zwei Heliotropen, und unter Dawison's Bild war ein
kleines Sträußchen von künstlich gemachten, aber täuschend nachgeahmten
Vergißmeinnicht, Veilchen und Maiblümchen befestigt.

Das war der ganze Zierrath, wenn wir die dürftige Bibliothek ausnehmen,
die aber nur aus kaum zwanzig Bänden bestand. Da war ein Band mit
Byron's Werken in der Original-Ausgabe, die Dramen von Schiller, Lessing
und Göthe, und Heine's, Freiligrath's und Rückert's Gedichte, und ein
dicker Band, der Shakespeare's gesammelte Werke ebenfalls im Urtext
enthielt, lag, den »Hamlet« aufgeschlagen, auf dem Tisch.

Rebe hatte augenscheinlich darin gelesen, aber selbst diese Lectüre
konnte ihn nicht fesseln; andere Gedanken gingen ihm im Kopf herum,
und überhaupt sah er heute bleich und angegriffen aus, als ob er eine
schlaflose Nacht gehabt oder vielleicht gar durchgeschwärmt hätte.

Aber, lieber Gott, schwärmen -- wovon? Seine kleine Gage hielt ihn eben
am Leben in der theuern Stadt -- selbst den Genuß einer Cigarre mußte er
sich versagen, wenn er sich nicht in Schulden stecken wollte; ein Glas
Bier Mittags gehörte zu seinen Extravaganzen -- nein, eine schwere
Lebenssorge lag auf seinem Herzen.

Der Souffleur, welcher es von seiner Zimmernachbarin, dem Fräulein
Bassini, erfahren, hatte ihm allerdings unter dem Siegel der
Verschwiegenheit -- mitgetheilt, daß Fräulein Bassini's Schwager,
Henriettens Vater, als reicher Onkel von Amerika zurückgekommen wäre,
aber an dem nämlichen Tag war ihm selbst seine kleine, untergeordnete
Stellung an der hiesigen Bühne gekündigt worden, und er besaß nicht
einmal Geld genug, um auf Reisen zu gehen und sich ein neues Engagement
zu suchen, viel weniger eine Zeit lang zu zehren, wenn er nicht gleich
an einer andern Bühne placirt werden konnte. Und wo durfte er das jetzt
im Sommer hoffen, wo die meisten Theater sogar geschlossen waren?

Und Henriette -- durfte er jetzt wagen, ihr wieder zu nahen, wo er
selber sogar brodlos geworden und ihr nichts, nichts auf der weiten
Gotteswelt bieten konnte, als seine Liebe? Sie hätte ihn nicht
verschmäht, das wußte er; aber durfte er ein solches Opfer annehmen?
Nie. Er hätte seine Selbstachtung verloren für immer und keinem Menschen
mehr offen in's Auge sehen können.

Nein, er selber mußte sich erst wieder eine Stellung im Leben erringen,
mußte selbstständig dastehen, und dann -- wenn das Loos auch noch so
bescheiden war, das er der Geliebten bieten konnte --, dann erst durfte
er ihr wieder frei und offen nahen und seine Werbung erneuern. Jetzt war
sie für ihn verloren, unerreichbar verloren.

Und wem verdankte er dies Alles? Wem anders, als diesem ungebildeten,
aufgeblasenen Gecken, diesem Handor, der sich nur hier an der Bühne
hielt, weil sich das Publikum einmal an ihn gewöhnt hatte und das
Frauenvolk in seine hübsche Larve vernarrt war. Hatte er es denn nicht
in den letzten zwei Jahren schon an mehreren anderen Bühnen versucht, um
ein besseres Engagement zu erlangen, und war er nicht immer mit
Schimpf und Schande hierher, als letztem und einzigem Zufluchtsort,
zurückgekehrt? Aber Rache wollte er wenigstens an ihm nehmen. Die
Vorstellung des »Hamlet« mußten sie noch vorüber lassen, das sah er
selber ein, die durfte nicht gestört werden, aber dann konnte er ihm
auch nicht die verlangte Genugthuung weigern, er durfte es nicht -- und
nachher? Bah, was lag daran -- sein Leben war ja doch verfehlt, sein
Lebensglück vernichtet und zerstört, was lag daran, was aus ihm wurde --
ob er jetzt ganz verdarb und unterging!

Sein Leben verfehlt? Oh, er hätte bittere Thränen weinen mögen, wenn er
daran dachte, mit welcher Liebe und Leidenschaft er Alles hinter sich
geworfen, was andere Menschen für ihn aufgebaut, nur um sich ganz und
ausschließlich der Kunst in die Arme zu werfen!

Hatte denn die blinde, urtheilslose Menge Recht, wenn sie auch das nur
einen »Broderwerb« nannte? Gab es denn wirklich kein höheres, ideales
Ziel dabei, und war auch das Gefühl, das er in seinem eigenen Herzen
für einen Funken himmlischen Feuers gehalten, der ihn entzückte und
begeisterte, nichts als Lüge, nichts als eine Täuschung seiner selbst,
ein mattes, wärmeloses Irrlicht gewesen, das nur allein dazu gedient, um
ihn vom rechten Wege abzulenken?

Das war der bitterste Gedanke, der ihn quälte -- alles Andere hätte er
leicht und gern ertragen, Mangel, Sorgen, Zurücksetzung -- lieber Gott,
sie gehörten dazu und jedes Talent hatte sich durch sie hin die Bahn
zu Licht und Freiheit öffnen, und oft erzwingen müssen -- aber besaß er
wirklich das Talent? Hatte Handor Recht, der ihm erst gestern wieder
mit kalten, höhnischen Worten gesagt, daß er es nie weiter als bis zum
Stühletragen auf den Brettern bringen würde? Oder war es nur Bosheit,
nichtswürdige, tückische Bosheit von ihm gewesen? Er selber fühlte die
Begeisterung, fühlte die Kraft in sich, das Schwerste zu unternehmen
und zu überwinden -- aber besaß er sie auch, und würde ihn der Director,
der, wie er recht gut wußte, sich die größte Mühe gab, junge und
tüchtige Kräfte heranzuziehen, so leicht entlassen haben, wenn er selber
auch nur eine Spur davon in ihm entdeckt?

Oh, diese Zweifel an sich selbst, wie sie ihn peinigten und seinen sonst
so frischen Muth niederdrückten! Und Keiner, Keiner war da, der ihn
aufgerichtet hätte nur mit einem einzigen Wort des Trostes; keinen
Freund hatte er, in dessen Brust er sein warmes Herz nur ein einziges
Mal hätte ausschütten dürfen! Wo sollte er ihn auch finden? -- Ihre
Gelage feierte er nicht mit, Wirthshäuser zu besuchen, Bier- oder
Weinstuben, verstatteten ihm seine dürftigen Mittel nicht; sein
Mittagessen verzehrte er in einem ganz abgelegenen, obscuren Local, wo
eine verhältnismäßig gute Kost zu einem mäßigen Preis verabreicht wurde.
Er selber besuchte Niemanden, aus Furcht, Jemandem zur Last zu fallen --
und wer sollte _ihn_ besuchen in seiner dürftigen Bodenkammer? Er stand
allein, ganz allein in der Welt, und das einzige Wesen, das ihn nicht
verachtete und auf ihn herabsah, das einzige Wesen, was ihm in Liebe und
Treue ergeben war und ihn so glücklich, so selig hätte machen können,
das mußte er meiden, durfte ihm nicht wieder nahen, und fühlte selber,
wie sich unübersteigliche Schranken zwischen ihnen aufgethürmt.

Mit untergeschlagenen Armen und zusammengezogenen Brauen ging er raschen
Schrittes in seinem kleinen Gemache auf und ab, als es heftig an die
Thür klopfte. Ehe er aber nur Herein! rufen konnte, öffnete sich diese
schon, und das spitze, rothe Gesicht des Souffleur Mauser erschien
mit einem laut herausgeschrieenen »Guten Morgen, Herr Rebe!« auf der
Schwelle.

»Guten Morgen, Herr Mauser,« sagte Rebe, »und was bringen Sie mir?«

»Bringen?« lachte der Eintretende, indem er die Thür hinter sich zuzog
und es auch nicht der Mühe werth hielt, seine Cigarre ausgehen zu lassen
-- »habe ich schon Jemandem etwas gebracht, ausgenommen zu Neujahr einen
kleinen Repertoirschwindel? Fällt gar nicht vor, aber -- ein paar Worte
im Vertrauen wollte ich mit Ihnen reden, Herr Rebe, und deshalb bin ich
hergekommen.«

»In der That?« sagte Rebe kopfschüttelnd -- »aber dann bitte, setzen Sie
sich -- und was ist es, was Sie mir vertrauen wollen?«

»Ja, seh'n Sie, Herr Rebe,« rief Mauser und unterbrach seine Rede
wieder, denn die Cigarre war am Ausgehen gewesen und er mußte eine Zeit
lang heftig ziehen, um sie wieder in Gluth zu bringen, »zu vertrauen
habe ich Ihnen eigentlich nichts, sondern wollte Ihnen nur... -- die
verdammte Cigarre hat gar keine Luft -- haben Sie nicht eine andere?«

»Ich rauche gar nicht, Herr Mauser.«

»Ja so -- ich wollte, ich thät's auch nicht; es kostet jährlich ein
schmähliches Geld. Ich wollte Ihnen nur einen guten Rath geben, wenn
Sie ihn nämlich annehmen, denn die Herren Künstler haben gewöhnlich ihre
Sparren für sich, und glauben, sie könnten es allein -- was aber wären
sie ohne den Souffleur, he? Wenn ich einmal mein Buch da unten zumache,
so hört die Geschichte da oben auf, wie eine abgelaufene Spieldose, und
sie können nur den Vorhang fallen lassen.«

»Sie dürften wohl Recht haben,« lächelte Rebe wehmüthig -- »bei Vielen
ist das in der That der Fall.«

»Ob ich Recht habe! Glauben Sie mir, lieber Rebe, ein Souffleur guckt
nicht umsonst das ganze Jahr hinter die Coulissen und peitscht alle
Proben mit durch. Der Director und der Regisseur -- bah, wenn die da
oben an ihrem Tisch sitzen und das große Wort führen, glauben oft, daß
sie die Weisheit mit Löffeln gefressen haben! Ich könnt's ihnen sagen,
alle Nasen lang, wo es fehlt und wo's hapert, denn ich habe die ganze
Geschichte am Fädchen! Aber Mauser ist klug, Mauser hält's Maul und
denkt: wo's Dich nicht juckt, da kratz' Dich nicht -- so denk' ich!«

»Was aber hat das mit dem guten Rath zu thun, den Sie mir geben wollten,
Herr Mauser?« sagte Rebe, der sich heute gerade nicht in der Stimmung
fühlte, das Geschwätz des Mannes mit anzuhören. »Ich begreife nicht
recht...«

»Das will ich Ihnen sagen,« unterbrach ihn Mauser, indem er die jetzt
wirklich ausgegangene und halb zerkaute Cigarre ärgerlich und ziemlich
rücksichtslos in die nächste Ecke schleuderte, wie er das in der
Bierstube zu thun gewohnt war -- »ich bin Ihr Freund, Rebe, ich meine es
gut mit Ihnen, ich kenne auch den ganzen Schwindel und die Geschichten,
die Sie hier gehabt haben, aber wenn Sie meinem Rath folgen wollen, so
machen Sie einfach die Bude zu.«

»Die Bude zu?«

»Ja wohl, das heißt: werfen die bunten Lappen fort und treten nicht
wieder auf!«

»Nicht wieder auf?«

»Nein, gehen vom Theater! Sie passen nicht dazu! Sie haben nicht den
rechten, genialen Wurf, es fehlt Ihnen -- mit Einem Worte, Sie sind kein
Schauspieler!«

»Wenn Sie nur so freundlich sein wollten, das Alles ein klein wenig
leiser zu sagen, mein lieber Herr Mauser,« bemerkte Rebe, dem es aber
doch wie ein eisiges Gefühl durch's Herz schoß -- »hier nebenan wohnt
ein junger Mann, den Sie doch nicht in das Geheimniß gezogen haben
wollen?«

»Geheimniß? Verdammt wenig Geheimniß ist dabei, Rebe!« schrie Mauser
-- »die ganze Stadt weiß es! Aber Sie wissen auch, daß ich nicht leiser
sprechen kann -- ich muß schreien, wenn ich nicht in dem verfluchten
Kasten sitze, und dort sitz' ich lange genug, das weiß der Himmel,
Morgens vier, fünf Stunden, und Abends beinah' eben so viel!«

»Dann wollen wir lieber einen kleinen Spaziergang machen.«

»Dank' Ihnen -- jetzt will ich erst essen gehen und nachher schlaf' ich
-- bin auch nur heraufgeklettert, um Ihnen das zu sagen. Glauben Sie
mir, Rebe, ich meine es gut mit Ihnen, Sie passen nicht in die Lumperei
-- Sie sind ein anständiger Kerl, aber ein anständiger Kerl ist noch
immer kein erster Liebhaber, und der werden Sie im ganzen Leben nicht.«

»Ich danke Ihnen, Herr Mauser,« sagte Rebe kalt, denn er fing an sich
über den Menschen zu ärgern, »ich werde mir die Sache überlegen.«

»Ja, das kennen wir schon,« brummte der Souffleur -- »überlegen, das
heißt, es noch eine Weile so hingehen lassen und dann doch thun, was Sie
freut -- Alte Geschichte! Aber meinetwegen -- wer nicht hören will,
muß fühlen, und das seh' ich jetzt schon; Sie geben keine Ruh', bis
Sie einmal eine größere Rolle irgendwo kriegen und dann richtig von der
Bühne heruntergepfiffen werden -- nachher ist Friede.«

»Sie urtheilen sehr hart.«

»Ich bin weiter nichts als Souffleur, aber ich kenne den Schwindel, Herr
Rebe -- ich kenne den Schwindel, mir brauchen Sie kein X für ein U zu
machen, und ich habe schon Manchem auf den richtigen Weg geholfen -- das
ist mein Geschäft.«

»Aber Sie werden mir doch zugestehen, daß eine wahre und aufopfernde
Liebe zur Sache...«

»Papperlapapp, reden Sie mir nicht von Aufopferung und Liebe!« rief der
Souffleur -- »Sand in die Augen, das ist der Schwindel -- mit _einem_
Ohr unten im Kasten drin, und doch immer dabei thun, als ob man keine
Ahnung hätte, daß überhaupt ein Souffleur auf der Welt wäre -- Liebe zur
Sache! Fragen Sie einmal Pfeffer! -- Apropos, Sie wissen doch, daß der
Mann von Pfeffer's Schwester, der dicke Stelzhammer, steinreich von
Brasilien zurückgekehrt ist und die Jette jetzt einen Grafen heirathet?«

»Einen Grafen?«

»Gewiß -- der Alte hat ihn sich besonders zu dem Zweck mitgebracht.
Waren auch bei mir und haben mir einen Besuch gemacht und den ganzen
Schwindel erzählt -- das ist ein Glück, was das Mädel macht!«

»Aber das ist ja gar nicht möglich!«

»Möglich? Sagen Sie mir einmal, was auf dieser verrückten Welt nicht
möglich ist -- ich weiß nichts. Aber ich habe schon zu lange mit Ihnen
geschwatzt -- Donnerwetter, fünf Minuten nach Zwölf -- meine Suppe wird
kalt! Also folgen Sie meinem Rath, Rebe -- überlassen Sie das Mimen
anderen Leuten, die es besser verstehen und die den Pfiff weghaben --
am besten, Sie gehen gleich unter die Millionäre; sollte aber da keine
Stelle offen sein, na dann irgend ein ehrliches Handwerk, lieber ein
Tapezierer oder ein Riemer, wie ein schlechter Schauspieler. Sie sind
noch jung, Sie können noch Alles lernen, und daß ich Ihr Freund bin,
können Sie daraus sehen, daß ich Ihnen die Wahrheit sage. 'Morgen, Herr
Rebe!« und seinen Hut aufgreifend und sich dabei an die Taschen fühlend,
ob er auch nichts vergessen hätte, verließ er das Zimmer und stolperte
die etwas dunkle und steile Treppe wieder hinab.

Rebe war empört über das rücksichtslose Benehmen des Menschen, und
wer weiß, ob er zu jeder andern Zeit die hochnasige Unverschämtheit
desselben so ruhig hingenommen hätte. Jetzt war er gebrochen, und wie
der Mann kaum die Thür hinter sich zugeworfen, sank er auf einen Stuhl,
deckte sein Antlitz mit der Hand und saß dort still und regungslos eine
lange, lange Zeit -- er wußte gar nicht, wie lange; er vergaß die
Zeit und sein eigenes Mittagessen, und nur das Eine Gefühl lebte und
arbeitete in ihm: das Gefühl seines Elends, seines Unglücks.

Und wieder wurden draußen Schritte laut -- es mußte jemand Fremdes sein,
denn sie gingen herüber und hinüber. Rebe horchte auf -- links von ihm,
an einer verschlossenen Bodenkammerthür, wurde angeklopft. Er stand
auf und ging zur Thür, die er öffnete, denn der kleine Vorsaal war sehr
dunkel.

»Ist Jemand da?«

»Sie entschuldigen, wohnt hier Herr Rebe?«

»Das bin ich selber -- bitte, treten Sie näher.«

»Ich störe doch nicht?«

»Nein -- mit wem hab' ich die Ehre?«

»Ich muß mich selber vorstellen, bester Herr,« lächelte der kleine
Fremde etwas verlegen, »und -- und komme auch nur im -- im Interesse
einer uns Beiden befreundeten Familie. Mein Name ist Jeremias
Stelzhammer.«

»Herr Stelzhammer?« rief Rebe und fühlte, wie ihm in dem Augenblick das
Blut in einem wahren Strom in's Antlitz schoß -- »von -- von Brasilien
-- aber wollen Sie nicht Platz nehmen?«

»Bitte -- ja,« sagte Jeremias, der überhaupt nicht recht wußte, wie er
beginnen sollte. »Sie -- Sie kennen mich also und haben von mir gehört?«

»Ja, mein Herr, ich -- erfuhr, daß Hen --, daß Fräulein Henriettens
Vater nach langer Abwesenheit zurückgekehrt sei, und -- habe mich
herzlich darüber gefreut.«

»Danke Ihnen,« sagte Jeremias und saß wieder fest. Er hatte etwas auf
dem Herzen, aber er konnte das rechte Ende nicht gleich finden, um es
abzuwickeln, und sah sich verlegen im Zimmer um -- und, lieber Gott, wie
ärmlich sah es in dem Zimmer aus -- und doch wie nett und sauber!

»Und was verschafft mir die Ehre?« sagte Rebe endlich nach einer Pause.

»Ja, sehen Sie,« sagte Jeremias, also gewaltsam auf das gebracht, was
ihn heute Morgen hiehergeführt, »das ist eigentlich eine ganz curiose
Geschichte, und ich müßte vielleicht ein Stück Weges dazu ausholen --
vielleicht geht's aber auch so, wenn wir gleich mitten hineinspringen.
Eigentlich wollte ich um die Sache nur so hinten herumkommen -- wissen
Sie, so im Gespräch -- aber Ihr Gesicht gefällt mir, Herr Rebe, und ich
glaube, ich kann mit Ihnen gleich von der Leber wegreden...«

»Sie würden mich dadurch sehr verbinden,« sagte Rebe, dem es bei der
langen Vorrede ganz unheimlich wurde. Was hatte der Mann nun wieder? Bis
jetzt bekümmerte sich Niemand um ihn, und heute gab Einer dem Andern die
Thür in die Hand -- war das ein neuer Freund, wie der Souffleur?

Jeremias mochte aber wohl fühlen, daß er den jungen Mann in Verlegenheit
brachte, wenn er noch länger zurückhielt, und fuhr deshalb, jetzt
wirklich mitten in den fraglichen Punkt hineinspringend, nur im Anfang
noch ein wenig stotternd, fort:

»Sehen Sie, Herr Rebe, ich bin Henriettens Vater und -- möchte das
Kind gern glücklich wissen, was Sie begreifen werden -- und nun hat mir
Pfeffer, mein Schwager, die ganze Geschichte gestern Abend erzählt, und
nun möchte ich Sie bitten...«

»Daß ich Herrn Pfeffer's Haus nicht wieder betreten möge, nicht wahr,
Herr Stelzhammer?« sagte Rebe bitter -- »aber seien Sie unbesorgt, es
hätte deshalb Ihres Besuches nicht bedurft, denn ich fühle selber, daß
ich jetzt, hier aus meiner Stellung selbst geschoben und kaum im Stande,
mich allein am Leben zu erhalten, nicht das Recht habe, das Geschick
eines andern, mir theuren Wesens an das meine zu fesseln. Fürchten Sie
nicht, daß ich Ihnen wieder lästig fallen werde, wie es mein Schicksal
zu sein scheint, wohin ich komme. Sowie mein Contract mit diesem Monat
abgelaufen ist, verlasse ich Haßburg, und ich glaube kaum, daß Sie dann
je wieder von mir hören werden.«

»Sehen Sie,« sagte Jeremias, der ihm indessen schweigend und
kopfschüttelnd zugehört, »jetzt gehen Sie durch, gerade wie ein scheu
gewordenes Pferd, und immer nach der verkehrten Richtung. Seh' ich denn
aus wie ein so schrecklicher Tyranski Absolutski, der nur eben die Nase
nach Deutschland hineinsteckt und dann auch gleich sein Kind, um das er
sich die langen Jahre nicht gekümmert, unglücklich machen will? Lassen
Sie uns vernünftig mit einander reden, Herr Rebe, und ich glaube, ich
habe einen Ausweg für Sie gefunden, oder -- wir können doch wenigstens
erst einmal sehen, ob wir keinen finden.«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen...«

»Ja, wenn ich aufrichtig sein will, weiß ich es eigentlich selber noch
nicht recht,« sagte Jeremias, sich hinter dem rechten Ohr kratzend,
»denn ich -- ich möchte Ihnen doch nicht gern wehe thun, und -- und sehe
auch keinen andern Weg, als...«

»Bitte, geniren Sie sich nicht,« lachte Rebe bitter -- »weshalb sollen
Sie gerade der einzige Mensch in der Welt sein, der Rücksichten auf mich
nimmt?«

»Jetzt gehen Sie wieder durch,« nickte Jeremias, »aber es kann nichts
helfen -- so kommen wir nicht zu Ende. So will ich Ihnen denn sagen,
was ich mit meinem Schwager Pfeffer besprochen habe -- Jettchen weiß
natürlich kein Wort davon --, und nachher wollen wir hören, was Ihre
Meinung von der Sache ist.«

»Ich bin in der That begierig!«

»Pfeffer meint,« fuhr Jeremias fort, »daß Sie beim Theater
außerordentlich wenig Aussichten hätten, es je zu etwas Vernünftigem
zu bringen, und daß es schade um Sie wäre, wenn Sie Ihre Kräfte dabei
vergeudeten.«

»Das ist sehr liebenswürdig von Herrn Pfeffer...«

»Glauben Sie nicht, daß er etwas auf Sie hat!« rief Jeremias rasch --
»er meint es wahrhaftig gut mit Ihnen und sprach nur Gutes von Ihnen,
und daß Sie sonst ein braver und anständiger Mensch wären!«

»Sonst?«

»Ja, -- nur zum Theater taugten Sie nicht -- Sie -- Sie wären zu...
-- Hurrjeh,« unterbrach sich Jeremias, »es ist eine ganz verfluchte
Geschichte, wenn man es mit Jemandem gut meint und soll ihm dann
Grobheiten sagen, aber es geht ja nicht anders, und wenn Jemand einem
Andern einen kranken Zahn ausziehen soll, so muß er ihm auch wehe thun,
und man weiß doch dabei, daß es eben nicht anders angeht! Wenn Sie das
nur wenigstens auch wüßten!«

»Bis jetzt,« sagte Rebe kalt, »habe ich nur aus Ihren Reden ersehen, daß
Sie, auf Herrn Pfeffer's Urtheil hin, mir den guten Rath geben wollen,
einer Laufbahn zu entsagen, die bis zu diesem Augenblick mein ganzes
und einziges Lebensglück ausgemacht hat. Wovon ich nachher leben soll,
darüber wird Herr Pfeffer wohl selber im Unklaren sein, ganz abgesehen
davon, ob ich überhaupt nachher noch leben könnte.«

»Aber das ist es gerade, weshalb ich hergekommen bin!« rief Jeremias
rasch. »Glauben Sie denn, ich wollte mich blos unangenehm bei Ihnen
machen, um Ihnen etwas zu sagen, was Sie doch wahrhaftig nicht erfreuen
kann?«

»Es ist mir wenigstens lieb, daß Sie das selber einsehen,« sagte Rebe
ruhig, »und ich bin Ihnen dankbar für Ihren guten Willen -- mit was kann
ich Ihnen sonst noch dienen?«

»Na ja, nun werfen Sie mich lieber gleich 'naus!« sagte Jeremias in
komischer Verzweiflung. »Aber so hören Sie mich doch nur an. Das Theater
kann Ihnen wahrhaftig nicht so an's Herz gewachsen sein, daß Sie gar
kein anderes Leben für möglich halten! Du lieber Gott, was treibt man
nicht Alles, um ordentlich und ehrlich durchzukommen, und wenn ich Ihnen
Alles erzählen könnte, was _ich_ schon gewesen bin, Sie würden sich
wundern, so viel kann ich Ihnen sagen! -- Aber jetzt geht es mir gut,«
fuhr er entschlossen fort, ehe Rebe ein Wort zu erwidern vermochte;
»ich habe mir etwas erspart und nur den einzigen Wunsch, die Menschen
glücklich und zufrieden zu sehen, die ich -- die ich -- um die ich mich
eigentlich hätte ein bischen früher bekümmern sollen. Jettchen aber ist
ein liebes, herzensgutes Kind, dem ich Alles zu Gefallen thun könnte,
und -- wenn sie auch noch nicht recht mit der Sprache herausgerückt ist,
so habe ich doch so viel gemerkt, daß sie Ihnen gut ist und nicht das
Geringste dagegen würde einzuwenden haben, wenn Sie im Stande wären, um
sie anzuhalten.«

»Aber?« sagte Rebe, während er sich Mühe geben mußte, seine Fassung zu
bewahren, »ich muß Sie um den noch fehlenden Nachsatz bitten!«

»Aber,« fuhr Jeremias entschlossen fort, »das sind Sie jetzt noch nicht
und hätten, allem Anschein nach, auch noch für die nächste, vielleicht
für eine sehr lange Zeit keine Aussicht dazu, und da -- möchte ich Ihnen
helfen.«

»Sie, Herr Stelzhammer?« rief Rebe erstaunt -- »und wie können Sie mir
helfen? Glauben Sie, daß ich je im Stande wäre, mich von meiner Frau
ernähren zu lassen?«

»Wenn ich das glaubte,« sagte Jeremias trocken, »so wäre ich gar nicht
zu Ihnen gekommen. Nein, ich wollte einmal mit Ihnen sprechen, ob Sie
vielleicht doch nicht auf einen andern Weg zu bringen wären, und muß Sie
deshalb vorher -- mir, als Jettchen's Vater, dürfen Sie das nicht übel
nehmen -- auf das Gewissen fragen: Lieben Sie das Mädel wirklich recht
von Herzen, und würden Sie dieselbe, eben wenn Sie Ihr Brod hätten, zur
Frau nehmen?«

»Herr Stelzhammer,« sagte Rebe bewegt, indem er ihm die Hand
entgegenstreckte, »vorher, und ehe ich Ihre Frage beantworte, muß ich
Ihnen ein Unrecht abbitten, das ich gegen Sie verübt!«

»Gegen mich?«

»Ja -- denn ich hielt Sie, als Sie dies Zimmer betraten, -- und auch
noch eine Zeit lang nachher -- für einen jener wohlmeinenden Freunde,
die ihre Freundschaft nur darin suchen, sich ein Recht heraus zu nehmen,
grob zu sein, Sie sehen, ich bin aufrichtig...«

»Bitte, geniren Sie sich nicht,« sagte Jeremias.

»Ich bitte Sie deshalb um Verzeihung,« fuhr Rebe herzlich fort, indem er
die Hand des kleinen Mannes, die er noch immer in der seinen hielt, derb
schüttelte -- »ich habe Ihnen unrecht gethan, denn ich fühle, daß Sie es
wirklich gut mit mir und Henrietten meinen!«

»Sollte so denken,« nickte der kleine Mann; »ich wußte, daß Sie dahinter
kommen würden, wenn wir nur erst eine Weile beisammen wären.«

»Dann aber nehmen Sie die Versicherung,« fuhr Rebe fort, »daß ich Ihre
Tochter viel zu aufrichtig und wahr liebe, um mein Unglück eine Ursache
sein zu lassen, auch das ihrige herbeizuführen. Ich trete jetzt hinaus
in die Welt -- mit geringen Hoffnungen, es ist wahr -- aber auch mit dem
festen, männlichen Willen, mir mein Leben zu erkämpfen, wie es Tausende
vor mir gethan haben. Geh' ich dabei unter, nun, dann ist nur ein doch
werthloses Dasein weniger. -- Gelingt es mir aber -- und trotz allem
Mißgeschick flüstert eine Stimme in mir noch immer: »Es wird!« -- dann,
mein lieber Herr, hoffe ich Ihnen zu beweisen, mit wie heißer Liebe ich
an Henrietten hange und -- daß ich ihrer Werth bin!«

»Mein lieber Herr,« sagte Jeremias, auf seinem Stuhl herumrückend,
»das ist Alles recht schön und gut, daß Ihr abgebrannt seid, wie jener
Pfarrer meinte, aber es bringt uns keinen Schritt weiter in der Sache,
denn wenn Jettchen Sie wirklich lieb hat, so glauben Sie doch sicherlich
nicht, daß Sie ihr einen Gefallen thun, wenn Sie, wie Sie es nennen,
untergehen, so ehrenvoll das auch an sich sein mag.«

»Aber was kann ich thun?«

»Sie haben studirt, nicht wahr?«

»Ja...«

»Das ist eben der Teufel,« meinte Jeremias, sich wieder hinter dem Ohr
kratzend, »daß mit den studirten Leuten am allerwenigsten anzufangen
ist! Sie verstehen Griechisch und Lateinisch und Alles, was sie im Leben
nicht gebrauchen können, aus dem Grunde; will man aber 'was Praktisches
mit ihnen anfangen, so hapert's an allen Ecken. Was in dem Amerika nur
allein für eine Menge studirter Menschen herumhungern und ihrem Gott
dankten, wenn sie in ihrer Jugend ein Handwerk gelernt hätten, ist ganz
unglaublich! Aber lassen Sie nur gut sein,« unterbrach er sich rasch,
als er merkte, daß Rebe etwas erwidern wollte; »vielleicht finden wir
doch noch etwas, und dann sollen Sie sehen, daß ich es wirklich gut
mit Ihnen meine, junger Mann, und Ihnen beistehen werde wie ein wahrer
Freund -- wir müssen nur erst auf den rechten Punkt kommen.«

»Aber was soll sich finden, bester Herr -- ein Engagement...«

»Reden wir nicht mehr davon,« sagte Jeremias gutmüthig; »wenn Sie nicht
auf's Theater passen, hilft Ihnen auch ein Engagement nichts, und die
Zeit, die Sie dort auf's Neue verbringen, ist eben einfach auf den Kopf
geschlagen. Wir fangen 'was Anderes an -- mir gehen eine Menge Pläne
durch den Kopf, und Sie sollen einmal sehen, in Zeit von vier Wochen
habe ich Sie da so hineingearbeitet, daß Sie selber Ihre Lust und Freude
daran finden werden.«

»Herr Stelzhammer,« sagte Rebe freundlich, aber auch fest und bestimmt,
»die Zeit nur, die Sie hier mit mir vergeuden, ist verloren, denn mich
ziehen Sie nicht aus der vorgezeichneten Bahn.«

»Aber, mein bester Herr!«

»Bitte, lassen Sie nun auch mich reden. Ich kenne Herrn Pfeffer genau;
ich weiß, daß er von Herzen ein guter und sonst braver und ehrlicher
Mensch ist, aber er hat eine verbissene Natur und sucht besonders etwas
darin, auf das Theater zu schimpfen. Wenn man ihn reden hört, so sollte
man glauben, er wäre bei jeder neuen Rolle der unglückseligste Mensch,
so raisonnirt er und mit solcher Unlust geht er jedesmal daran, sie zu
lernen; aber nehmen Sie ihm einmal eine oder fordern Sie ihn einmal auf,
vom Theater zu gehen, so hören Sie, was er Ihnen sagt.«

»Pfeffer? -- Lieber heute, als morgen.«

»Ich kenne ihn besser. Er redet grundsätzlich Jedem ab, zur Bühne
zu gehen, und was sein Urtheil über mich betrifft -- ein so guter
Schauspieler er in seinem Fache sein mag --, so kann das für mich keinen
entscheidenden Werth haben; denn hat er mich auch nur erst ein einziges
Mal in einer wirklich guten, ja, selbst nur in einer mittelmäßigen Rolle
gesehen? Habe ich denn hier am Theater -- ich weiß selber nicht, weshalb
-- auch nur ein einziges Mal Gelegenheit bekommen, zu versuchen und zu
zeigen, was ich vermag? Nie -- nur zu Statisten- oder, kaum mehr als
dazu, zu kleinen, erbärmlichen Rollen bin ich verwandt worden, in denen
ich kaum ein paar Worte zu sprechen hatte und mich selbst schämte, wenn
ich, meiner unwürdig, so da draußen vor dem Publikum stand. Und jetzt
sollte ich die Bühne verlassen -- jetzt, mit dem nagenden Gefühl im
Herzen, daß ich das Zeug zu etwas Besserem in mir trage? -- Glauben Sie
da selber, bester Herr, daß ich bei irgend einer andern Beschäftigung,
die Ihre Güte für mich ausgedacht, Ruhe und Befriedigung fühlen, daß
ich ausharren könnte, wo es noch immer in mir gährt und treibt und die
Sehnsucht nach der wahren Kunst mich verzehren, aber auch zugleich zu
allem Andern untauglich machen würde?«

»Ja, mein lieber, junger Freund,« sagte Jeremias bestürzt, »das wäre
ja aber eine ganz verzweifelte Geschichte, und während Sie in der Welt
draußen nach der »wahren Kunst« suchen, die ich noch nirgends gefunden
habe, so alt ich bin, grämt sich das arme Jettchen daheim die Augen roth
und wird zuletzt eine alte Jungfer. Ueberlegen Sie sich die Sache nur
erst ordentlich. Sie glauben gar nicht, was der Mensch Alles kann, wenn
er nur ernstlich will.«

»Ich habe mir Alles überlegt, bester Herr, wieder und wieder,« sagte
Rebe herzlich -- »meine ursprüngliche Carrière, durch welche ich im
Laufe der Jahre in der regelmäßigen Staats-Tretmühle meinen bestimmten
Platz und die Hoffnung auf Avancement hätte bekommen können, habe ich
mir durch meinen Austritt verscherzt; die Herren nehmen Niemanden zum
Staatsdienst wieder auf, der einmal Schauspieler gewesen ist, obgleich
sie ihre Schauspieler weit besser bezahlen, als ihre Staatsdiener, und
dahin ist mir der Weg also gründlich abgeschnitten, -- zu etwas Anderem
passe ich nicht. Es giebt kaum einen unglückseligeren Menschen für
irgend eine Speculation auf der weiten Welt, als mich; zum Kaufmann habe
ich nicht das geringste Talent, aber meine ganze Seele hängt am Theater,
und wem Gott einen solchen Trieb dazu in's Herz gelegt hat, der darf
und kann ihm nicht entsagen, wenn er seinen Lebenszweck nicht verfehlen
will.«

»Aber, mein lieber Herr Rebe, ich -- ich war auch schon einmal beim
Theater -- und wobei bin ich eigentlich nicht gewesen?« sagte Jeremias
etwas kleinmüthig.

»Und haben Sie je den Drang gefühlt,« rief Rebe begeistert, »der Kunst
Alles, Alles opfern zu müssen -- selbst Ihr Leben?«

»Könnt' ich gerade nicht sagen,« meinte der kleine Mann kopfschüttelnd
-- »ich sang und tanzte meinen Stiefel weg und freute mich nur immer auf
den Ersten, weil da Gagetag war.«

»Dann hat Ihnen das Verlassen der Bühne auch keine Thräne gekostet.«

»Ne, wahrhaftig nicht,« bestätigte Jeremias -- »eh'r im Gegentheil. Ich
war seelenfroh, aus der Bude herauszukommen -- Kunst -- ja Kunst! Ich
habe keine Kunst darin entdeckt.«

»Und tadeln Sie mich deshalb, weil ich dabei aushalte, daß ich mein
ganzes Leben, mein Glück, mein Alles daran setze, um mein Ziel zu
erreichen? Ich kann aber nicht anders, lieber Herr -- ich fühle, daß
ich in jedem andern Fache, so freundlich Sie mir auch zur Seite stehen
würden, eine unselbstständige, gedrückte Stellung einnehmen müßte,
während ich hier ein weites, offenes Feld vor mir sehe, meiner Kraft,
meinem Ehrgeiz zu genügen. Bring' ich es dann zu 'was, so verdanke ich
bei Gott Alles nur mir selbst, was ich erstrebt, und kann dem Besten
stolz in's Auge sehen! War es ein Mißgriff, dann wird der arme Rebe
Niemandem mehr lästig fallen -- Niemand wird mehr von ihm hören und --
Niemand auch wohl mehr nach ihm fragen,« setzte er leise hinzu.

»Und ist das Ihr fester und letzter Entschluß?« sagte Jeremias
kopfschüttelnd.

»Ich kann nicht anders, lieber Herr,« sagte Rebe herzlich; »ich müßte
mich selbst verachten, wenn ich anders handeln wollte.«

»Das ist freilich recht traurig,« nickte der kleine Mann mit dem Kopf,
indem er von seinem Stuhl aufstand, »und mir thut dabei Niemand wie das
arme Jettchen leid, denn Sie selber wollen es ja nicht besser haben.«

»Mein armes Jettchen!« sagte Rebe leise -- »aber sie ist frei!« fuhr er
leidenschaftlich fort -- »glauben Sie nicht, daß ich sie mit Wort oder
Bitte an das Leben eines Unglücklichen fesseln werde! Es war freilich
mein schönstes, seligstes Gefühl, der Gedanke, sie mir einst verdienen
zu können -- aber die Zeit liegt zu fern, zu ungewiß, um sie zu binden!
Es war mein heißester Wunsch, sie glücklich zu wissen -- ich will nicht
die Ursache sein, das Gegentheil herbeizuführen!«

»Sie sind ein braver Mann, mein lieber Herr Rebe,« sagte Jeremias
herzlich, indem er ihm nochmals die Hand reichte und die seine herzhaft
drückte; »ich glaube, Jettchen würde glücklich mit Ihnen werden, ob Sie
nun Schauspieler oder 'was Anderes wären...«

»Sie sind mir böse,« sagte Rebe leise, der wohl bemerkte, daß der Mann
noch einen Rückhalt hatte -- »Sie halten mich für einen eigensinnigen
Trotzkopf, der das Glück des ihm liebsten Wesens gleichgültig von sich
stößt, nur um seinem Eigensinn zu fröhnen.«

»Doch nicht,« sagte Jeremias, mit dem Kopf schüttelnd; »ich begreife
freilich nicht, wie Jemand mit einer solchen Leidenschaft am Theater
hangen und Freude darin finden kann, sich in die Geschichte so -- ich
weiß eigentlich nicht wie ich sagen soll -- so hinein zu bohren. Aber
ich begreife, daß Jemand, der fest von irgend etwas überzeugt ist, auch
Hals und Kragen dransetzen kann, um es durchzuführen. Aber da stehen Sie
allein, da giebt es keinen Menschen, der Ihnen helfen und beispringen
kann.«

»Ich weiß es,« sagte Rebe ruhig, »weiß auch, welche schwere Prüfungszeit
mich wahrscheinlich noch erwartet, und nur um das bitte ich Sie, denken
Sie nicht schlechter von mir, weil ich Ihr freundliches Anerbieten
zurückgewiesen habe -- glauben Sie nicht, daß ich darum Henriette auch
nur um einen Gedanken weniger liebe, weniger bereit wäre, ihr Alles
aufzuopfern, aber -- ich muß mich später selber achten können. -- Kein
Vorwurf darf auf meiner Seele lasten, mir meines Strebens einst nicht
klar gewesen zu sein, mit Einem Wort: ich muß erst versuchen, ob ich
wirklich zu dem, was mein ganzes Sein erfüllt, nicht passe und in der
That nicht im Stande bin, mir aus mir selbst heraus eine Carrière zu
schaffen. Dann, wenn ich das gethan, wenn ich gesehen habe, daß ich mich
geirrt, will ich es aufgeben -- nicht mit blutendem Herzen, nein, mit
dem ruhigen Bewußtsein, meine Pflicht gethan zu haben, und was dann aus
mir wird, das weiß nur Gott!«

Jeremias begriff nur halb, was Rebe sagte; er verstand etwa den Sinn der
Worte, aber nicht die mächtige Triebfeder seiner Handlungsweise, die er
in seiner Sprache mit dem kurzen, aber bezeichnenden Worte »Dickkopf«
wiedergegeben haben würde. Aber unter solchen Umständen ließ sich hier
auch nichts weiter machen. Er selber hatte sein Möglichstes gethan,
Jettchen beizustehen; wenn der bühnentolle Schauspieler nicht wollte,
zwingen konnte er ihn nicht.

»Na, mein lieber Herr Rebe,« sagte er aufstehend, »unter diesen
Umständen läßt sich vor der Hand gar nicht weiter über die Sache reden.
Versuchen Sie's denn in Gottes Namen, und ich selber will Ihnen alles
Glück und allen Segen wünschen.«

»Ich danke Ihnen herzlich, mein lieber Herr, aber -- erlauben Sie mir
denn wohl, daß ich,« setzte er leiser hinzu, »ehe ich von hier fortgehe,
Ihrer Tochter noch einmal Lebewohl sage?«

»Das kann man keinem Menschen verwehren,« sagte Jeremias, mit dem Kopf
schüttelnd; »Abschied nehmen ist 'was Heiliges, aber -- setzen Sie mir
dem Mädel keine Schrullen weiter in den Kopf. Es wird dem armen Ding
wehe genug thun.« -- Und Rebe's Hand noch einmal herzhaft drückend,
drehte er sich um und schritt zur Thür hinaus.




15.

Die Leseprobe.


George Monford hatte wirklich sein Aeußerstes geleistet und mit einer
ganz fabelhaften Ausdauer alle Schwierigkeiten, die sich ihm durch die
Kürze der gegebenen Zeit entgegenstellten, um seine Lieblingsidee zur
Ausführung zu bringen, überwunden.

Wer aber jemals selber die Vorstellung eines Liebhabertheaters oder
selbst nur das Stellen von lebenden Bildern zu leiten übernommen gehabt,
weiß allein, was für ganz verzweifelte Dinge da geschehen können, welch'
enorme Rücksichten da genommen und welche Schleichwege eingeschlagen
werden müssen, um endlich all' die verschiedenen Köpfe -- und je
schöner, desto schwerer -- unter Einen Hut zu bringen.

George hatte Alles durchzukosten. Hier nahm Einer die ihm überbrachte
Rolle an, um sie drei Stunden später wieder unter irgend einem Vorwand
zurückzuschicken; dort war eine Person, auf die er fest gerechnet, so
plötzlich und ernsthaft erkrankt, daß selbst ein Möglichkeitsversprechen
außer aller Frage blieb. Comtesse B. konnte mit Baronesse X. unmöglich
zusammen wirken, da sich Letztere über eine neue Robe der Ersteren
ungünstig ausgesprochen, was Comtesse Y. zu Ohren von Comtesse B.
gebracht hatte. Hauptmann von Z. sah sich nicht im Stande, eine
Civilperson zu spielen, während Lieutenant von P. einen Hauptmann
vorstellen sollte. Es war rein zum Verzweifeln, all' diesen Bedenken
und kleinen Misèren rechtzeitig zu begegnen, und George wechselte an
den beiden ersten Tagen an jedem dreimal seine Pferde und kränkte seinen
Reitknecht auf das Tiefste, der in der Zeit, in welcher er vor den
Häusern hielt, gar nicht wußte, was er mit den unruhigen, ungeduldigen
Thieren anfangen sollte.

Endlich, endlich, und ein tiefer Dankesseufzer hob seine Brust, hatte
er Alles im Stande, und nach ganz unsagbaren, aber jetzt überwundenen
Schwierigkeiten war die erste Leseprobe auf heut Abend festgesetzt.

Um das aber bewerkstelligen zu können, hatte ordentlich eine kleine
Verschwörung angezettelt werden müssen, denn Paula durfte natürlich
nichts davon merken, und war zu dem Zweck von einer andern, in das
Geheimniß gezogenen Familie, die kein Contingent zu der Vorstellung
stellte, eingeladen worden.

Rottacks selber hatten sich erboten, diese erste Probe in ihren Räumen
abzuhalten, da man damit wechseln wollte, und Graf und Gräfin Monford
ihnen schon deshalb an dem nämlichen Morgen eine sehr kurze und sehr
steife Gegenvisite für den ersten Besuch gemacht. Es war das einmal Ton,
und diese langweilige und für beide Theile gleich lästige Form durfte
Niemandem erspart werden.

Paula machte übrigens ganz unbewußt dieser ersten Vorübung die meisten
Schwierigkeiten, denn sie erklärte, nicht die geringste Lust zu haben,
die Gesellschaft zu besuchen. Sie fühle sich nicht wohl, sagte sie, und
scheue sich, unter Menschen zu gehen.

Paula sah in der That seit ein paar Tagen leidend aus; ihre Wangen waren
bleich, ihre Augen eingefallen, und das Schlimmste, ihr ganzes Wesen,
das sonst von Frohsinn strahlte, schien gedrückt.

Dem Bruder war das vor Allen aufgefallen, denn die Eltern schrieben
es, als eine Art von Widersetzlichkeit, dem ausgesprochenen Willen, die
Verlobung betreffend, zu und hüteten sich wohl es zu bemerken. Man mußte
Paula ein paar Tage sich selber überlassen, dann gab sich das auch Alles
von selbst, und sie war wieder die gehorsame, fröhliche Tochter, wie
früher.

Nicht so George, der seine Schwester besser kannte. Er sah, sie war
wirklich nicht wohl, und zu ihr gehend, schlang er seinen Arm um sie und
sagte herzlich:

»Was hast Du, Paula? Was fehlt Dir, Herz? Du siehst wahrhaftig bleich
und angegriffen aus!«

»Mir ist nicht wohl, George,« sagte das junge Mädchen, ihr Haupt an
des Bruders Brust lehnend und vergebens bemüht, ein paar vorquellende
Thränen zurückzupressen; »so viele Dinge gehen mir im Kopf herum -- ich
muß nur immer denken und denken, und das thut mir so weh!«

»Du darfst nicht grübeln, Schatz,« tröstete sie George und versuchte ihr
Antlitz sich zuzuwenden; aber sie litt es nicht. »Daß Du jetzt genug zu
denken hast, glaub' ich Dir ja von Herzen gern; aber es sind doch auch
nicht solch' traurige Dinge, die Dir dabei im Kopf herumgehen können,
um Dich so niedergeschlagen zu stimmen, wie Du jetzt dreinschaust. Hab'
guten Muth, mein kleiner, braver Paul,« fuhr er schmeichelnd fort, als
sie ihm nichts erwiderte, sondern sich nur fester an ihn lehnte; »Hubert
Bolten ist wirklich ein seelensguter Mensch, manchmal ein bischen
aufbrausend und leichtsinnig, aber, lieber Gott, das giebt sich Alles
von selber, wenn er erst einmal solch' eine kleine Hausfrau hat. Und
denke Dir nur, wie glücklich Du Vater und Mutter dadurch machst, die ja
ihr ganzes Herz daran gehangen haben -- und Hubert, hundertmal hat er
mich in der Stadt, wo er mich nur traf, gefragt, wie es Dir ginge und
was Du triebest, und zehnmal wär' er schon herausgekommen, wenn ihn die
Eltern nicht gebeten hätten, vor der Verlobung jeden auffälligen Schritt
zu vermeiden.«

»Ach, George, ich kann Dir gar nicht sagen...«

»Bst, Schatz, da kommt die Mama,« unterbrach sie George rasch, »laß
sie Dich nicht so traurig finden. Du weißt, sie kann es nicht leiden,
obgleich sie die letzten Tage selber ganz entsetzlich finstere Gesichter
geschnitten hat.«

Die Gräfin kam durch den Garten auf die offene Salonthür zu, und
Paula hatte sich rasch aufgerichtet und die verrätherischen Thränen
abgewischt. George hatte Recht, die Mutter mußte mit ihrem Leid
verschont werden, und wo hätte das Kind eigentlich seinen Schmerz am
ersten ausschütten, am leichtesten ausweinen sollen, als an dem Herzen
der Mutter!

»Nun, Paula, Du bist noch nicht angezogen? Der Wagen wird gleich
vorfahren.«

»Im Augenblick, liebe Mutter, ich bin in wenig Minuten fertig; am
liebsten blieb ich freilich zu Hause.«

»Geh Du nur, mein Kind, die Zerstreuung wird Dir wohlthun; überdies
haben wir auch fest zugesagt.«

»Ich gehe ja, liebe Mutter,« sagte Paula leise, wandte sich ab und
schritt ihrem Zimmer zu, in dem sie bald verschwand.

»Mama,« sagte George, der ihr schweigend nachgesehen hatte, während die
Mutter an den Tisch gegangen war, auf dem ein paar illustrirte Journale
lagen, »wenn ich nur eine Ahnung davon hätte, daß sich Paula mit Hubert
wirklich unglücklich fühlen könnte, ich wüßte nicht, was ich thäte!«

»Unglücklich« -- sagte die Gräfin, ruhig den Kopf herüber und hinüber
wiegend, ohne sich aber nach George umzudrehen -- »denkst Du, daß wir
selber die Verbindung zugeben würden, wenn wir das fürchteten?«

»Sicher nicht, Mama, sicher nicht; aber -- Paula hat sich in den letzten
zwei Tagen recht verändert, und -- wenn ich sie nicht so genau kennte
und nicht wüßte, daß es unmöglich wäre, so würde ich wahrhaftig glauben,
sie hätte irgend eine andere heimliche Zuneigung.«

»Meinst Du?« rief die Gräfin, sich jetzt scharf ihm zuwendend. »Hast Du
irgend einen Verdacht? Auf wen?«

George schüttelte mit dem Kopf. »Ich schöpfte Verdacht,« sagte er, »nur
ihres bleichen Aussehens und Trübsinns wegen -- aber auf wen? Ich wüßte
Niemanden zu nennen oder zu errathen, und so scharf ich sie auch in
diesen Tagen beobachtet habe, ich konnte nicht das Geringste entdecken,
was ihn bestätigt hätte. Ich weiß mich auch in der That auf Niemanden zu
erinnern, den sie nur im Mindesten ausgezeichnet, ja, mit irgend einem
Antheil erwähnt hätte, und mit mir spricht sie doch über Alles und
plaudert frisch von der Leber weg, was ihr gerade auf die Lippen kommt.
Verstellungsgabe hat sie gar nicht -- ihre Seele ist so rein wie ein
Spiegel.«

Die Gräfin sah ihren Sohn fest, aber wie in Gedanken an; ihre Seele war
in dem Moment nicht bei dem Blicke und schweifte vielleicht zu anderen
Zeiten, anderen Scenen hinüber; aber wie ein Schatten zog das über ihre
Stirn, und sie sagte, nur langsam dabei mit dem Kopf nickend:

»Du hast Recht, George, so würde sich Paula nie verstellen können, und
wäre dem wirklich so, dann hätte sie doch ein Wort davon gegen mich oder
Deinen Vater geäußert, wenigstens eine Andeutung dahin fallen lassen.
Es ist Laune bei ihr, weiter nichts, und Du wirst sehen, wie vollständig
sich das schon in den nächsten Tagen giebt.«

»Das will ich recht von Herzen hoffen, Mama,« sagte George mit einem
Seufzer, »denn so könnte ich das nicht mit ansehen. Wenn mir nicht der
arme Hubert leid thäte, wahrhaftig, ich würde Euch selber bitten, die
Verlobung wenigstens noch eine Zeit lang hinaus zu schieben, daß auch
Paula erst klar mit sich würde.«

»Das geht nun nicht mehr, mein Kind,« sagte die Gräfin ruhig, »es ist
Alles bestimmt angeordnet und zu viel Leute wissen auch schon darum; es
würde nachher nur ein ganz unnützes, unangenehmes Gerede geben. Aber da
ist der Wagen, begleitest Du Paula?«

»Ja, Mama, aber wie kommst Du selber hinein?«

»Ich lasse mir die Droschke anspannen; sei nur pünktlich bei Rottacks,
denn ich -- möchte dort nicht gern lange warten.«

»Pünktlich, gewiß,« rief George; »Rottacks sind übrigens prächtige Leute
und gefallen mir außerordentlich -- auch nicht die Spur von Zwang oder
Zurückhaltung, und die Gräfin ist so natürlich und herzlich, wie er
selber. Was ist sie nur für eine Geborene -- hast Du nicht gehört? Ich
bin an verschiedenen Orten danach gefragt worden.«

»Ich weiß es nicht,« erwiderte seine Mutter, indem sie sich von ihm
abwandte und zum Fenster schritt -- »auf der Karte steht ihr Name
nicht.«

»Die böse Welt behauptet natürlich schon wieder,« fuhr George fort, »daß
es eine Mesalliance sei; aber das glaub' ich auf keinen Fall, denn die
Gräfin hat etwas so vornehm Edles in ihrem ganzen Wesen, was sie sich
im Leben nie angeeignet haben kann; das muß ihr angeboren sein. Doch
das bleibt sich gleich; ich meinestheils bin herzlich froh, daß wir die
Leutchen nach Haßburg bekommen haben, denn für den Winter besonders sind
sie eine ganz kostbare Acquisition, und Du solltest sie einmal musiciren
hören!«

»Da kommt Paula; wirst Du sie wieder abholen?«

»Versteht sich; ich habe schon Alles mit ihr besprochen. Adieu, liebe
Mutter, auf Wiedersehen bei Rottacks!« --

In Graf Rottack's kleiner, aber reizender Villa war der Salon für die
erwartete Gesellschaft auf das Freundlichste hergerichtet und Alles für
die erste abzuhaltende Leseprobe vorbereitet worden. Felix selber hatte
es arrangirt und kehrte jetzt in Helenens Zimmer zurück, in dem die
Kinder auf der Erde spielten.

Helene saß in einem Fauteuil vor ihrem Nähtisch, aber sie arbeitete
nicht; den Kopf in die Hand gestützt, sah sie träumend vor sich nieder
und hörte nicht einmal, daß der kleine Günther sie schon dreimal gefragt
hatte, wo der Papa wäre.

Erst bei Felix' Eintritt hob sie das Antlitz, und zwar wie erschreckt,
als ob sie gefürchtet hätte, jemand Anders dort zu sehen.

»Muth, Muth, mein Herz,« rief ihr Felix fröhlich zu; »wir rücken jetzt
dem Augenblick, den Du so lange herbeigesehnt, rasch entgegen, und
das Glück selber hat uns darin begünstigt -- willst Du jetzt den Muth
verlieren?«

»Nein, Felix,« sagte Helene freundlich; »zürne mir nur nicht, daß mich
eben das so schnelle Nahen des Augenblicks bestürmt, und -- Du weißt,
ich bin ja manchmal wie ein thörichtes Kind -- mit Angst erfüllt. Es ist
aber doch vielleicht nur die Unruhe der Erwartung.«

»Gewiß, nichts weiter, liebes Herz.«

»Aber wie wollen wir es möglich machen, die Mutter hier unter den vielen
fremden Menschen allein zu sprechen? Es wird nicht angehen, und
wir werden den Moment wieder versäumen und auf's Neue lange, lange
hinausschieben müssen.«

»Das ist mir auch schon im Kopf herumgegangen,« sagte Felix sinnend.
»Zuerst hatte ich gedacht, daß Du vielleicht einen Vorwand fändest,
sie in Dein eigenes Zimmer zu führen, aber ich hatte dabei gehofft Dich
ruhiger zu treffen, als Du wirklich bist; ich darf Dich nicht mit ihr
allein lassen, und es wird mir nichts Anderes übrig bleiben, als
sie direct zu bitten, nach der Leseprobe noch einen Augenblick zu
verweilen.«

»Sie wird es nicht thun.«

»Doch, mein Herz,« nickte Felix, »sie wird es thun, denn sie kennt
jetzt unser Geheimniß -- sie muß es kennen nach dem Namen, den ich ihr
genannt, und wer weiß, ob sie sich nicht selber danach gesehnt hat, Dich
aufzusuchen, und nur noch nicht wußte, auf welche Weise das am besten
und am wenigsten auffallend geschehen könne. Wir kommen ihr damit auf
halbem Wege entgegen, und sie wird die Gelegenheit nicht vorübergehen
lassen, sich mit Dir auszusprechen, darauf kannst Du Dich verlassen, wie
auch immer sie gesinnt sein möge.«

»Meine Mutter!« flüsterte Helene, indem sie beide Hände gegen ihr Herz
preßte.

»Ich bin fest davon überzeugt, Schatz,« sagte Felix, dem jetzt Alles
daran lag, seine Frau zu beruhigen; »denke doch nur, wie peinlich für
sie ein solcher Zustand auf die Länge der Zeit werden würde, uns in
ihrer Nähe zu haben und dann immer nur zu scheinen, als ob sie uns fremd
wäre. Sie wird die Gelegenheit mit Freuden ergreifen, Dich allein zu
sprechen, und wenn sich die Gattin auch jetzt noch vielleicht dagegen
sträubt, die ihr fremd gewordene Tochter anzuerkennen, die Mutter wird
der Umarmung ihres Kindes nicht widerstehen können.«

»Das gebe Gott, Felix,« sagte Helene leise, »denn wenn sie es thäte,
würde es mich recht, recht sehr unglücklich machen!«

»Sie thut es nicht, Herz -- aber wahrhaftig, da kommen schon die ersten
unserer Gäste!«

»Papa,« rief der kleine Günther, der das Herumtanzen auf dem Teppich
satt bekommen hatte, »spiel' ein bischen mit mir.«

»Ja, jetzt hätt' ich Zeit, Du Schlingel,« lachte sein Vater -- »spiele
mit Dir, nicht wahr? Hinüber zu Eurer Bonne! Bitte, Helene, laß die
Kinder hinüber bringen -- und daß Ihr mir artig seid, das rathe ich
Euch, sonst dürft Ihr heute Abend nicht mit uns essen!« -- Und sich von
dem kleinen Burschen, der sich an ihn anhängen wollte, losmachend, eilte
er in das Empfangszimmer, um die eben eingetroffenen Herrschaften zu
begrüßen.

Gleich danach fuhr George mit der Gräfin Monford vor, und Helene war
jetzt selber so in Anspruch genommen, daß sie sich schon gewaltsam
fassen mußte, um keine Störung zu verursachen.

Und die Gräfin selber erleichterte ihr das sehr, denn viel freundlicher
war sie heute, als noch je; sie reichte Helenen die Hand, was sie bis
jetzt noch nicht gethan, und sagte, wie sie bedaure, sie auf solche Art
in ihrer Häuslichkeit zu stören und ihre Hülfe gleich, kaum nach der
ersten Bekanntschaft, in Anspruch zu nehmen; ihr George habe aber einmal
an die Sache sein Herz gesetzt, und der sei von einer Zähigkeit, die
einmal Erfaßtes nie im Leben wieder loslasse, und wenn er deshalb alle
seine Mitmenschen bis zum Tode quälen sollte.

George war aber ihr Liebling, und sie sagte das mit einem so zufriedenen
Blick auf den eben Angeklagten, daß man recht gut sehen konnte, wie wohl
es ihr selber thue, das einmal Begonnene mit Erfolg gekrönt zu sehen.

Helene war bei der freundlichen Anrede feuerroth geworden, während die
Gräfin ihr ganz unbefangen gegenüber stand; Felix aber, der, während er
mit George sprach, seine Frau nicht aus den Augen gelassen hatte, kam
ihr rasch zu Hülfe und übernahm selber die Erwiderung, indem er der
Gräfin nochmals versicherte, wie sehr es sie freue, etwas mit zu dem
glücklichen Tag, der Verlobung der liebenswürdigen Comtesse, beitragen
zu können, und ihre einzige Furcht jetzt sei nur die, daß sie, zum
ersten Mal etwas Derartiges unternehmend, am Ende ihrer Verpflichtung
nicht ordentlich würden genügen können. Gräfin Monford möge deshalb auch
seiner Frau die Befangenheit zu Gute halten, die sich aber jedenfalls
nach der ersten Scenenprobe geben werde.

Das Gespräch wurde jetzt allgemein, und während die Diener Kaffee,
Limonade, Wein und Backwerk herumtrugen, sammelten sich die
verschiedenen Gäste, da noch nicht alle beisammen waren, in kleinen
Gruppen, bis endlich der Wagen mit den letzten Säumigen vorfuhr und
George jetzt darauf drang, »an die Arbeit« zu gehen.

Die Leseprobe verlief, wie alle derartigen Dinge, ziemlich glatt und
ohne besondere Störung. Durch George's Eifer, die Sache zu fördern,
waren mehr als hinreichende Exemplare gedruckt, um jedem Mitwirkenden
ein Heft zu sichern, so daß die verschiedenen Herrschaften schon Zeit
genug gehabt hatten, das ganze Stück für sich durchzulesen und sich
die Stellen, an denen sie selber einfallen mußten, mit Rothstift
anzustreichen.

Wenn es trotzdem ein paar junge Damen möglich machten, noch unbefangen
in ihrem Hefte nachzulesen, während ihr Stichwort schon gefallen war,
und dann, als sie namentlich aufgerufen wurden, ganz erschreckt an einer
natürlich verkehrten Stelle einzusetzen, so amüsirte das nur die kleine
Gesellschaft, setzte die betreffenden jungen Damen in Verlegenheit und
hatte weiter keine Folgen, als daß die Stelle, mit einem kleinen Stück
voraus, noch einmal durchgenommen werden mußte.

Endlich war Alles glücklich zum Schluß geführt und die Gesellschaft
hatte sich dabei mit dem aufgegebenen Stoff befreundet. Es war eins
jener reizenden kleinen französischen Lustspiele, die, eigentlich ohne
innern Gehalt, aber mit einem liebenswürdigen, piquanten Dialog und
glücklich erdachten, überraschenden Situationen, nicht allein den
Zuschauer fesseln, sondern auch gewöhnlich mit ganz besonderer Vorliebe
von den Mitspielenden, die sich selber für ihre Rollen interessiren,
ausgeführt werden.

Einzelne Equipagen fuhren schon wieder vor, als Graf Rottack, der einen
Moment benutzte, wo er sich der Gräfin Monford, von Anderen ungehört,
nahen konnte, zu ihr trat und mit halblauter Stimme sagte, während er
dabei ein dort liegendes Album aufschlug, als ob er ihr die Kupferstiche
zeigen wollte:

»Dürfte ich Sie ersuchen, Frau Gräfin, Ihren Wagen bis zuletzt warten zu
lassen; es ist eine Sache von höchster Wichtigkeit, die ich Ihnen, aber
nur Ihnen allein, mittheilen möchte.«

»Ein Geheimniß?« lächelte die Dame, aber mit einer Ruhe und
Unbefangenheit, die den jungen Grafen wirklich erschreckte, denn zum
ersten Mal zuckte ihm der Gedanke durch's Hirn: »Hast Du Dich vielleicht
geirrt? Ist das am Ende gar nicht jene Gräfin Monford?« Diese Ruhe und
Geistesgegenwart wäre ja, wenn seine Andeutung neulich auch nur mit
dem leisesten Hauch verstanden worden, rein unmöglich, unbegreiflich
gewesen! -- »Und bezieht es sich auf unsere Vorstellung?« fuhr die
Gräfin fort, als Rottack, ordentlich bestürzt, schwieg, indem sie sich
zu dem Album niederbeugte und mit ihrer Lorgnette das Bild betrachtete.

»Nein, gnädige Gräfin,« sagte Felix, der in dem Augenblick selber seine
Fassung kaum bewahren konnte, »und trotzdem ist es vielleicht wichtig
genug, Ihre Aufmerksamkeit für einen Moment zu fesseln; ich bitte Sie
dringend darum!«

»=Eh bien!=« lächelte die Gräfin, indem sie sich wieder aufrichtete;
»ich weiß überhaupt nicht, ob mein Wagen so pünktlich vorfahren wird,
da ich nicht glaubte, daß wir unsere Probe so rasch beenden würden --
wahrlich, wir haben erst halb sieben Uhr.«

Ein paar Damen kamen jetzt auf sie zu, um sich bei ihr zu verabschieden;
eine von diesen hatte ein paar Mal kleine Irrungen beim Vorlesen
verursacht.

»Nun, mein liebe Constance, lernen Sie brav,« sagte die Gräfin, »daß
Sie uns am nächsten Freitag nicht stecken bleiben -- George würde
unglücklich sein.«

»Gewiß, Frau Gräfin, ich werde recht fleißig lernen,« sagte das junge
Mädchen tief erröthend, -- »ich habe mich heute so geschämt.«

»Weshalb geschämt? Wir sind keine Schauspieler, liebes Kind, und die
Sache ist nicht halb so wichtig, wie sie George macht,« lächelte die
Gräfin. »Sorgen Sie sich nur deshalb nicht, es wird schon Alles gut
gehen.«

Wagen nach Wagen fuhr vor; nur der der Gräfin Monford war noch nicht
darunter, und George hatte sich schon vorher verabschiedet, um noch
Einiges zu besorgen und dann Paula abzuholen. Jetzt nahmen die Letzten
Abschied.

»Die Gräfin Rottack wird mich noch kurze Zeit beherbergen müssen,«
lächelte Gräfin Monford, als sie den sich ihr Empfehlenden die Hand
reichte; »mein Kutscher versäumt wieder einmal die Zeit, es ist kein
Verlaß mehr auf die Leute.«

Helene war mit ihrer Mutter allein im Zimmer, aber sie wagte nicht, sie
anzureden; es war ihr, als ob ihr die Luft zum Athmen fehlte, und ihr
Herz schlug stürmisch in der Brust. Auch die Gräfin sprach nicht --
hatte ein ähnliches Gefühl sie erfaßt? Ihre Züge verriethen nichts
davon, und waren kalt und unerforschlich, wie immer.

Felix, der die Damen an den Wagen geleitet hatte, konnte sich denken, in
welcher Stimmung seine arme Gattin sich befinden würde, und flog rasch
zurück.

»Ich bin für Niemanden jetzt zu sprechen,« rief er dem Bedienten im
Vorzimmer noch zu, »für _Niemanden_, verstehen Sie?«

»Sehr wohl, Herr Graf.«

»Und nun Ihre Mittheilung, Herr Graf,« sagte Gräfin Monford, als er
das Zimmer wieder betrat; »Sie haben den Zeitpunkt jedenfalls glücklich
gewählt. -- Ich -- ich weiß nicht, ob Ihre Frau Gemahlin davon
unterrichtet ist.«

»Helene wird uns einen Augenblick verlassen,« sagte Felix, der, so keck
er jeder ihn selbst betreffenden Katastrophe entgegen gegangen
wäre, doch hier fühlte, wie ihn sein gewöhnlicher froher Muth, seine
Zuversicht verließ, wo es sich um das Wohl und Wehe des ihm liebsten
Wesens handelte und das Benehmen der Gräfin selber ihn mit immer mehr
Angst und der Ahnung eines unglücklichen Ausgangs erfüllte.

»Also unter vier Augen,« sagte die Gräfin kalt und fast spöttisch
lächelnd, während Helene sich mit einer Verbeugung in das Nebengemach
zurückzog, ohne daß die Dame weiter Notiz von ihr genommen hätte. »Sie
machen mich wirklich neugierig, Graf Rottack.«

Felix warf den Blick der Richtung zu, nach der sich Helene gewandt;
die Thür war verschlossen, und mit vor innerer Bewegung fast unhörbarer
Stimme sagte er:

»Es ist in der That etwas Wichtiges, um das es sich hier handelt, Frau
Gräfin, denn das Glück des mir theuersten Wesens auf der Welt, das Glück
meiner Helene, hängt von dieser Stunde ab!«

»Und stehe _ich_ damit in Verbindung?« sagte die Gräfin kalt und stolz,
indem sie dabei fest seinem Blick begegnete.

»Ja,« sagte Felix leise, aber entschlossen, denn er fühlte, daß jetzt
die Zeit zum Handeln gekommen sei und er jede andere Rücksicht bei Seite
lassen müsse. »Bitte, nehmen Sie Platz, Frau Gräfin, hören Sie mich
geduldig nur wenige Minuten, und dann -- wenn Ihr eigenes Herz nicht
jetzt schon für uns spricht -- mögen Sie selber entscheiden, ob die
Sache -- wichtig genug war, Ihre Zeit in Anspruch zu nehmen.«

»So reden Sie,« sagte die Gräfin, indem sie auf dem ihr gebotenen
Fauteuil Platz nahm.

»Erinnern Sie sich, Frau Gräfin,« begann der junge Mann, während es ihm
schwer wurde, die ersten Worte hervorzubringen, »daß ich Ihnen neulich
in Ihrem eigenen Schlosse sagte, Helene sei die Tochter der Gräfin
Baulen, die sich in der Provinz Santa Clara in Brasilien damals
aufhielt, vielleicht noch da lebt?«

»Ich glaube, ja...«

»Sie glauben, ja?« fuhr Felix fort, dessen Pulse jetzt rascher an zu
schlagen fingen. »Und -- ist Ihnen dann Helene weiter nichts, als die
Tochter der Gräfin Baulen -- oder jener Frau, die sich dort in ihrem
albernen Stolze Gräfin nennt?«

Die Gräfin hatte ihm mit einem marmorkalten Antlitz zugehört; nicht ein
Zug desselben zuckte oder verrieth, was in ihr vorging, keine Wimper
regte sich. Felix kam es so vor, als ob ihre Wangen um einen Schatten
bleicher geworden wären, aber das Licht der untergehenden Sonne konnte
ihn täuschen, und ruhig und regungslos verharrte sie in ihrer Stellung
und erwiderte auch noch kein Wort, als Felix schon eine Zeit lang
geschwiegen, als ob sie erwartete, daß er noch einmal fortfahren würde.
Endlich sagte sie mit ihrer abgemessenen, leidenschaftslosen Stimme:

»Herr Graf, Sie trauen mir in der That viel Discretion zu, daß Sie mir
solcher Art die innersten und zartesten Geheimnisse Ihrer Verwandtschaft
mittheilen: ich weiß nicht, ob Sie gut daran thun.«

»Frau Gräfin,« rief Felix, »ist des denn möglich, daß ein menschliches
Wesen solche Selbstbeherrschung zu üben vermag, wenn -- aber jetzt kann
es nichts helfen,« unterbrach er sich rasch, »wir verlieren die kostbare
Zeit hier mit einem Wortspiel; Sie müssen Alles wissen: so vernehmen
Sie denn, daß Helene erst vor unserer Abreise von dort, vor unserer
Vermählung erfahren hat, wer ihre wirkliche Mutter ist -- daß sie dabei
fühlt, wie sie nie von ihr anerkannt werden kann und wird, es auch nicht
verlangt. Das Geheimniß soll bleiben, wie es bis jetzt gewesen, fest und
undurchdringlich und nie gebrochen von unseren Lippen -- aber Helenens
Seele drängt nach dem Augenblick, wo sie einmal an dem Herzen der Mutter
liegen, nur einmal den theuren Namen nennen darf, den sie bis jetzt nur
von einem Wesen gekannt hat, das sie nie geliebt. Oh, wenn Sie wüßten,
was das arme Kind gelitten,« fuhr der junge Mann lebendig fort, als
die Gräfin schwieg und leise mit dem Kopf schüttelte -- »wenn Sie ahnen
könnten, wie es sie mit allen Fasern des Herzens hierher gezogen, nur
einmal die Kniee der Mutter umfassen und einmal ihr müdes Haupt an ihre
Brust legen zu dürfen, Sie würden Mitleid mit ihr haben...!«

»Herr Graf, nicht weiter, wenn ich bitten darf,« unterbrach ihn die
Gräfin, »denn irgend ein Geheimniß liegt hier zu Grunde, das Sie im
Begriff sind, einer völlig unbetheiligten und demselben fernstehenden
Person zu enthüllen. Hier muß ein Irrthum obwalten, und ich -- will
nicht weiter nachforschen, inwieweit Sie mich selber da hineingezogen;
daß es mir aber nicht angenehm sein kann, werden Sie einsehen, und ich
ersuche Sie deshalb, kein Wort mehr darüber zu verlieren.«

»Kein Wort mehr davon?« wiederholte Rottack staunend; »und ist es
möglich, daß -- aber nein,« unterbrach er sich rasch, »Sie glauben
sicherlich, daß nur eine vage unbestimmte Vermuthung mich zu dem Schritt
getrieben. Sehen Sie her, Frau Gräfin -- kennen Sie diesen Brief? Kennen
Sie die Handschrift dieser Zeilen? Dort liegt der andere Brief, den Sie
heute Morgen die Güte hatten, meiner Frau mit der Anzeige Ihres heutigen
Kommens zu senden -- kennen Sie diesen Brief?«

Die Gräfin hatte einen flüchtigen Blick über die Zeilen geworfen, und so
riesenstark sie bis jetzt Alles zurückgehalten, was ihre Seele bewegen
oder auch nur in Miene oder Ausdruck ihr inneres Gefühl verrathen konnte
-- dieser Beweis gegen sie kam ihr zu rasch und unerwartet. Ihre Wangen
erbleichten sichtlich, und die Hand, welche das Papier hielt, zitterte
-- aber nicht so lange, als sie Zeit gebrauchte, den Brief zu lesen;
ihre Stirn zog sich in Falten; den kleinen, feingeschnittenen Mund
umzuckte Trotz und Aerger, und mit finsterem Blick, aber vollkommen
fester Stimme sagte sie:

»Also die Aehnlichkeit einer Handschrift soll hier gemißbraucht
werden...«

»Um Gottes willen, halten Sie ein, Frau Gräfin,« rief Felix rasch
und erschreckt, »auch nur der Schatten eines solchen Argwohns wäre
furchtbar! Dieses Papier ist der einzige Beweis auf der weiten
Gotteswelt, den wir gegen Sie haben -- sehen Sie hier!« -- Noch während
er sprach, hatte er das Papier wieder aus ihrer Hand genommen und an
einem auf dem Kaminsims stehenden Feuerzeug ein Streichholz entzündet;
er hielt den Brief darüber -- er flackerte auf, und nachdem er ihn
zwischen den Fingern hatte vollständig verbrennen lassen, warf er die
Asche auf den leeren Rost. -- »Glauben Sie jetzt noch, daß hier von
einem Mißbrauch die Rede sein kann?«

Die Gräfin hatte sich ebenfalls erhoben, und ihr Blick haftete scharf
und forschend auf den edlen Zügen des jungen Mannes. Mit vollkommen
wiedererlangter Fassung regte sich aber auch nicht eine Muskel ihres
starren Antlitzes, und sie sagte ruhig:

»Ich habe das nicht anders von Ihnen erwartet, Herr Graf. Die
Handschrift war allerdings täuschend ähnlich; aber Sie werden auch
fühlen, daß ein weiteres Gespräch über diesen Gegenstand nur für beide
Theile peinlich werden müßte. Ich glaube, mein Wagen ist vorgefahren.«

»Mutter!« sagte da eine weiche, schmerzdurchbebte Stimme, und als die
Frau fast unwillkürlich den Kopf danach wandte, stand Helene, die Augen
in Thränen gebadet, die Hände gefaltet, das Antlitz leichenbleich, auf
der Schwelle.

Fast unwillkürlich wandte sich die Gräfin halb ab, als ob sie den Platz
rasch verlassen wolle; wenn das aber ihre Absicht gewesen, so siegte
doch ihr besseres Gefühl.

»Ihre Frau sieht recht angegriffen aus, Herr Graf,« sagte sie; »es thut
mir leid, die unschuldige Ursache einer solchen Täuschung gewesen zu
sein, aber ich hoffe und wünsche nicht, daß das unsern weitern Verkehr
stören möge. Es wird mich immer freuen, Sie Beide bei uns zu sehen.«

Sie wollte fort, aber es war, als ob sie nicht konnte, als ob ihre Füße
selber am Boden wurzelten; und Helene kam auf sie zu, langsam und wie
ohne eigenen Willen, und ihre Hand faßte die der Gräfin und zog sie an
ihre Lippen, und ihre Kniee beugten sich vor der strengen, harten Frau.
Aber ehe sie dazu kam, hatte Gräfin Monford ihren Arm gefaßt, und sich
an Felix wendend, rief sie:

»Ihre Frau ist krank, Herr Graf, haben Sie Acht auf sie -- geistige
Ueberreizung zieht manchmal ebenfalls nachtheilige Folgen nach sich;
erklären Sie ihr den Irrthum, das wird sie beruhigen -- ich werde morgen
nachfragen lassen, wie sie die Nacht geschlafen hat. Wie sie zittert,
die arme Frau -- Sie dürfen sich nicht so aufregen, liebes Kind -- ich
hoffe, daß wir uns recht bald wiedersehen, Herr Graf!« Und sich leicht,
aber stolz verneigend, während Felix zu Helenen gesprungen war und sie
unterstützt hatte, verließ sie den Saal, ohne auch nur noch einmal den
Blick zurückzuwenden.

Draußen hielt in der That der Wagen, den der Bediente auf des Grafen
strengen Befehl nicht anzumelden gewagt hatte. Wenige Minuten später
hörten sie das Knirschen der Räder auf dem Gartenkies, und Helene, ihr
Haupt an der Brust des Gatten bergend, rief leise und weinend:

»Verloren -- auf immer verloren!«




16.

Vornehme Welt.


Gräfin Monford war draußen in ihren Wagen gestiegen und hatte sich
nur mit dem einen kleinen Wort »Nach Hause!« zu dem Bedienten, der den
Schlag für sie offen hielt, in die Ecke gelehnt. Die Pferde zogen an und
der Kutscher hielt draußen rechts ab, um das Gewirr der Schützenwiese
zu vermeiden. Es war heute der letzte Tag dieses Volksfestes, und das
Gedränge und Toben und Schreien auf dem Platz besonders arg. Noch
konnte er aber kaum dreihundert Schritt gefahren sein, als er wieder
einzügelte, und als die Gräfin, unzufrieden damit, den Kopf hob,
erkannte sie George, der dem Kutscher ein Zeichen gegeben hatte, und
den jungen Grafen Hubert zu Pferde, die rechts und links an der Droschke
hielten und sie begrüßten.

»Aber, Mama, so lange bist Du bei Rottacks geblieben?« rief George,
indem er sein muthiges Pferd kaum zum Stehen brachte. »Nicht wahr, es
sind liebe Leute? Ich hatte eben nicht übel Lust, mit Hubert einmal
vorzureiten und ihn mit dem Grafen bekannt zu machen.«

»Ah, lieber Hubert, wie geht es Ihnen und Ihrer guten Mutter?« sagte die
Gräfin, dem jungen Grafen Bolten freundlich zunickend -- »thue das
heute lieber nicht, George; die junge Gräfin hat heftige Kopfschmerzen
bekommen, und ihr Mann wollte eben nach einem Arzt schicken.«

»Das bedauere ich in der That. Es wird doch nichts von Bedeutung sein?«

»Migräne.«

»Fährst Du direct nach Hause, Mama?«

»Ja; kommt nicht zu spät und laßt mich nicht so lange allein.«

»Nein, gewiß nicht; in einer halben Stunde hole ich Paula ab. Aber die
Pferde wollen nicht länger stehen -- guten Abend!«

Die Gräfin nickte Beiden freundlich zu, und die Droschke rollte weiter,
während die jungen Leute ihre Pferde wieder wandten, um ihren Ritt zu
beenden. Die Thiere waren aber durch das Halten ungeduldig geworden,
und Hubert's Fuchs besonders, ein englischer Vollbluthengst, stieg und
tanzte auf den Hinterbeinen und konnte nur mit Mühe von seinem gerade
auch nicht sanftmüthigen Herrn gebändigt werden.

Eben hatte er ihn wieder fest im Zügel, als ein armer Teufel, ein junger
Bursch mit einem Schiebkarren voll Töpferwaaren, die er irgendwo zum
Verkauf ausstellen oder herumfahren wollte, auf der Straße herabkam und,
durch das unruhige Pferd irre gemacht, nicht gleich wußte, nach welcher
Seite er ausbiegen sollte. Dadurch that er das Verkehrteste: er blieb
dicht vor dem hochgeladenen Karren halten, und als dieses halb davor
scheute und, von dem Zügel dabei gerissen, auf die Seite und an den
Karren hinantrat, klapperten die Töpfe, und das Pferd schlug erschreckt
danach und mitten in die zerbrechlichen Waaren hinein.

Der junge Graf riß es allerdings wieder herum; es begann aber sein
Tanzen jetzt von Neuem, und Hubert, irritirt, setzte ihm die Sporen ein,
daß es wild zusammen- und an dem Karren vorbeifuhr. Der Reiter aber,
der es fest im Zügel hatte, nun er an dem unglücklichen Topf-Fuhrmanne
vorüberflog, hieb diesen mit der Reitpeitsche über den Kopf und hatte
dann alle Hände voll zu thun, daß der Hengst nicht mitten in die
Menschen hinein- und mit ihm durchging. Die Leute hatten aber vor
dem scheuen Pferde Platz genug gemacht, und ihm jetzt halb den Zügel
lassend, flog er mit ihm die Allee hinab.

»Oh mein Gott, meine Töpfe, mein Kopf!« klagte indeß der arme
Karrenführer, der im ersten Augenblick gar nicht wußte, was ihm weher
that, der Hieb oder die Vernichtung seiner Waare.

Hubert's Reitknecht sprengte an ihm vorüber, seinem Herrn nach. George
aber, dem der arme Bursche leid that, zügelte sein Pferd ein und hielt
neben ihm.

»Wie groß ist der Schade?« rief er freundlich. »Ich mache es gut -- der
Herr da vorn konnte sein Pferd nicht halten...«

»Ach, und wie hart er mich geschlagen hat -- ich war doch gewiß nicht
schuld daran!«

»Wie groß ist der Schade, wie viel Töpfe sind Dir zerbrochen? Sag'
rasch, mein Junge, denn mein Pferd wird auch ungeduldig.«

»Ach, Du lieber Gott,« klagte der arme Teufel, »ich weiß es ja nicht --
gewiß über einen Thaler, und der große Topf da unten ist auch entzwei!«

»Da,« rief George, indem er in die Tasche griff und ihm ein Goldstück
hinüberwarf, -- »so behalte das Andere als Schmerzensgeld!« Und ehe ihm
der Bursche danken konnte, ließ er seinem Thier den Zügel und trabte
rasch die Allee hinab.

Um die Biegung derselben hatte Hubert seinen Hengst endlich wieder zum
Stehen gebracht und erwartete ihn.

»Ob Einem das Lumpenvolk wohl je mit seinem Karren und Fuhrwerk
ausweicht!« rief er ihm entgegen -- »ich denke, der wird aber das
nächste Mal vorsichtiger sein!«

»Der arme Junge konnte nichts dafür, Hubert; Dein Hengst nahm ja die
ganze Straße ein -- Du bist zu rasch gewesen.«

»Ach was -- der Hieb wird ihm gut thun, und seine Töpfe mag er sich
wieder zusammenleimen!«

George schwieg, und die beiden jungen Leute setzten jetzt, aus dem
Menschengewirr heraus, ihren Spazierritt ruhiger fort, bis sie in die
Nähe des Hauses kamen, in dem Paula heute zum Besuch war. George wollte
dort absteigen und mit seiner Schwester zurückfahren.

Noch ehe sie das Haus erreichten, kam Handor die Straße herunter und
grüßte. George zügelte sein Pferd ein.

»Reite voran, Hubert -- ich habe mit dem Herrn dort etwas zu sprechen.«

»Mit dem?« sagte Hubert verwundert -- »das ist ja der Schauspieler...«

»Ja -- Handor -- ich komme gleich nach. -- Hier, Karl, nimm mein Pferd,
laß ihm aber den Zügel etwas weit; es geht ganz ruhig nebenher, und
halte Dich nirgends mehr auf. Du reitest gerade nach Hause.«

»Sehr wohl, Herr Graf.«

Der Reitknecht griff den Zügel des Thieres auf und George, der indessen
abgestiegen war, schritt auf den ihn erwartenden Handor zu, dem er die
Hand reichte und mit ihm langsam die Straße hinaufging.

Hubert, der sich nicht denken konnte, was Graf Monford mit dem
Schauspieler zu verkehren habe, schüttelte den Kopf, trabte aber dann
bis zu dem Thorweg des Hauses, mit dessen Insassen er ebenfalls bekannt
war, um dort wenigstens Paula begrüßen zu können und George's Rückkehr
zu erwarten. -- --

Die kleine Zwischenscene mit dem übermüthigen jungen Grafen und dem
Töpferjungen hatte sich gerade vor Pfeffer's Fenster abgespielt.

Seine Schwester war kränker geworden -- möglich, daß die neuliche
Aufregung mit dazu beigetragen hatte, aber der Arzt, welcher jetzt
täglich und manchmal zweimal am Tage kam, hatte angeordnet, daß ihr Bett
in die luftigere Stube geschafft werden und sie dasselbe nicht verlassen
sollte. Auch verbot er jedes Rauchen im Zimmer; der scharfe Dampf that
der Brust der Kranken weh.

Jeremias wich fast nicht von ihrem Bett, und wenn er ausging, brachte
er gewiß irgend etwas mit, von dem er glaubte, daß es ihren Zustand
erleichtern oder ihr angenehm sein könne -- und wie Vieles gab es
da, denn die bisherige Einrichtung der Familie war ja nur auf das
Nothdürftigste beschränkt worden und hatte selten oder nie auf eine
selbst einfache Bequemlichkeit ausgedehnt werden können!

Und Jettchen sah fast noch kränker aus, als ihre Mutter, denn der Vater
hatte ihr seine Unterredung mit Rebe erzählt, und wenn sie ihm auch
Recht geben mußte, wenn sie auch fühlte, daß er gehandelt habe, wie er
als ehrlicher und selbstständiger Mann handeln sollte, so konnte sie
sich doch auch der Ueberzeugung nicht verschließen, daß damit ihre
letzte Hoffnung zerknickt und der Geliebte für sie verloren sei. -- Und
die Mutter fühlte das mit ihr, und deshalb besonders war ihr Geist so
niedergedrückt, der Körper so jeder Lebensthätigkeit beraubt worden,
weil die Sorge um das liebe Kind ihr Herz und Sinn erfüllte.

Pfeffer selbst war in einer ganz verzweifelten Stimmung. Die Angst um
die Schwester, deren Zustand er vielleicht noch für viel bedenklicher
hielt, als er wirklich war, litt ihn nicht in seinem Zimmer, und drüben
durfte er nicht rauchen -- Haß und Ingrimm erfüllten ihn dabei gegen
seinen Director und die Ursache alles dieses Unheil, den »aufgeblasenen
Handor«, wie er ihn nannte, ohne daß er irgend ein Mittel wußte, einem
von ihnen beizukommen.

Hundertmal im Tage, nachdem er im Krankenzimmer auf und ab gelaufen war
und die Kranke ordentlich nervös gemacht hatte, schoß er in seine Stube
hinüber, griff eine Pfeife auf, ging damit zum Tabakskasten, fand dort,
daß sie schon gestopft sei, und stellte sie unwillig wieder bei Seite.
Nachher fing er an seine Dose zu suchen, die er aber in der ewigen
Unruhe nie finden konnte und dadurch nur immer irritirter wurde.

Und dabei mußte er Komödie spielen, erst den Schuster in Lumpaci
Vagabundus und dann, zwei Abende später, den Grafen in Aschenbrödel --
und daheim den Familienjammer; denn wenn er es sich auch nicht merken
ließ, ging ihm Jettchen's Herzenskummer fast eben so nahe, wie der
Schwester Krankheit. Es war rein zum Tollwerden, und Pfeffer, der
überhaupt nicht zu den geduldigsten Naturen gehörte, hätte heute Brunnen
vergiften können.

Jetzt stand er wieder am Fenster und sah, wie die Reiter die Allee
herabgesprengt kamen, wie das Pferd des einen scheu wurde und dieser den
armen Teufel von Schiebkärrner mißhandelte. Und wie fing er da oben
am Fenster jetzt an zu schimpfen, und zwar laut hinaus und mit der
geballten Faust nach der Allee hinüber drohend, daß Jeremias gar nicht
wußte, was er hatte, und zu ihm trat.

»Nun seh' Einer das vornehme Gesindel an!« schrie er -- »Sie Lump, Sie!
Sie Baron, Sie Junge -- na, wenn ich nur unten wäre!«

Uebrigens war es sehr gut für ihn, daß er nicht unten war und überhaupt
Niemand in der Allee hören konnte, was er rief, denn jedes einzelne Wort
hätte Anlaß zu einer Injurienklage geben können.

»Aber was hast Du nur, Fürchtegott?«

»Was ich habe? Ist es denn nicht zum Halsabschneiden, wenn man zusehen
muß, wie dieses übermüthige Gesindel den armen Arbeiter behandelt? --
Haut ihn mit der Peitsche über den Kopf! Hätt' ich eine Flinte gehabt,
vom Pferde hätt' ich den Cujon heruntergeschossen!«

»Aber schrei doch nicht so, die Schwester ängstigt sich ja -- sie
zittert so schon an allen Gliedern...«

»Und ich wohl nicht? -- Aber vor Wuth!«

»Aber der Herr da unten giebt dem Mann ja Geld!«

»Der Andere war's -- sein sauberer Compagnon -- und das ist nun die
»bevorzugte Klasse«, die höhere Schicht der Gesellschaft; das sind die
Repräsentanten von Bildung und Intelligenz! Gott straf' mich, wenn man
nicht manchmal verrückt werden möchte, nur ein solches Komödienspiel
außer der Bühne anzusehen!«

»Wer war es denn?«

»Kenn' ich die Laffen alle, die mit Glacéhandschuhen und einem Titel und
Orden in der Welt herumlaufen? Irgend einer der Gesellschaft, ob er nun
Herr von so oder Herr von so heißt!«

»Aber, lieber Schwager, wir können die Welt nicht ändern...«

»Und wozu spielen wir denn Komödie?« rief Pfeffer, immer noch in voller
Wuth -- »weshalb führen wir ihnen denn auf der Bühne immer auf's Neue
ihre Albernheiten und Schwachheiten, ihren Stolz und Dünkel, ihre Sünden
und Laster vor, als um sie zu bessern? Aber Gott bewahre, da sitzt das
verstockte Volk selber im ersten Rang, hört und sieht zu und applaudirt
sogar noch mit, wenn man ihnen mit Gift und Galle einmal ordentlich die
Wahrheit gegeigt hat! -- Aber Gott bewahre, das geht sie ja nichts an,
die Canaille, die da gemeint ist, heißt ja Franz Moor oder Präsident so
und so -- das sind _sie_ ja nicht -- sie sind Cavaliere von reinem Blut
und Stammbaum -- Herrgott von Danzig!« und seine Hausmütze auf's linke
Ohr schiebend, rannte er aus dem Zimmer, zog sich drüben an und lief
dann direct hinaus in's Freie und weit in den Wald hinein, nur um seinem
Aerger und Ingrimm Luft zu machen. -- --

Handor war eben von seinem Spaziergang in die eigene Wohnung
zurückgekehrt. Unten im Hause traf er auf den Theaterdiener, der gerade
bei ihm gewesen war, aber wieder fort wollte, da er einen Geldbrief
abzugeben hatte. Er nahm ihn mit hinauf in die Stube, da er quittiren
mußte.

Er wohnte in der Hauptstraße in der ersten Etage eines nicht großen,
aber sehr freundlichen und netten Hauses =chambre garnie=. Die
Einrichtung war elegant: Mahagoni-, mit rothem Plüsch gepolsterte Möbel,
großer Spiegel in Goldrahmen, Kupferstiche und Oelbilder an den Wänden.
Bücher standen nirgends. Nur auf dem Secretär lagen zwei oder drei
ziemlich neue Bände und auf dem Tisch ein paar illustrirte und fünf
oder sechs verschiedene Theater-Zeitungen -- einige von diesen unter
Kreuzband, wie sie von der Post gekommen, und noch nicht einmal
geöffnet.

»Bitte, lieber Peters, kommen Sie hier mit herein,« sagte Handor, indem
er, von dem Theaterdiener gefolgt, voran in sein Zimmer schritt und
noch im Eintreten den Brief erbrach; »ich gebe Ihnen die Quittung gleich
wieder mit. Hat der Director nichts weiter gesagt?«

»Gestöhnt hat er,« sagte der Mann, indem er, obwohl schon in der offenen
Thür, trotzdem noch gewissenhaft vorher anklopfte -- »wie er immer thut,
wenn er Geld hergeben soll. Zäh ist er wie der Deubel.«

»Wenn er es nur hergiebt, Peters,« lachte Handor, indem er die Banknoten
nachzählte -- »das ist die Hauptsache.«

»Ja und er hat's doch, beim Deubel, nicht nöthig,« bemerkte Peters,
»denn was für Einnahmen haben wir jetzt gehabt! Beim Lumpaci Vagabundus
war das Haus gerappelte voll, und ebenso beim Goldonkel und dem
Aschenbrödel, und daß neulich in der Ifagenia Niemand drin war -- lieber
Gott, das weiß er einmal, daß ihm in den Schäksbier seine Stücke Niemand
'nein will!«

»Das wäre nicht übel, Peters -- der Hamlet nächstens soll hoffentlich
ein volles Haus machen.«

»Ist er auch von dem?«

»Von Shakespeare? Gewiß!«

Peters zuckte die Achseln und hielt mit seiner Meinung zurück. -- »Sagen
Sie 'mal, Herr Handor,« fuhr er nach einer Weile fort, »ist es denn
wahr, daß Herr Rebe abgeht?«

»Ich glaube, ja; ich weiß es nicht, Peters,« erwiderte Handor, die Noten
noch einmal überzählend.

»Schade um das junge Blut,« meinte der Theaterdiener, mit dem Kopf
schüttelnd, »ist ein recht ordentlicher Mensch -- da hätten wir lieber
den Nüßler fortschicken sollen, mit dem ist's nichts, und er lernt nicht
einmal. Ueber den sollten Sie den Mauser reden hören! Wenn der ihm seine
Rolle nicht laut vorschrie', gäb's jeden Abend ein Unglück!«

»Ja, mein lieber Peters, das sind Sachen, die mich nichts angehen und
um die ich mich nicht bekümmere. Alle Wetter, jetzt ist mir die Dinte
wieder eingetrocknet -- ach, bitte, springen Sie doch einmal zum
Hausmann hinunter, daß der Ihnen ein wenig in das Dintenfaß gießt!«

»Ih, lassen Sie einmal sehen,« sagte Peters, das Dintenfaß schräg gegen
das Fenster haltend, denn es dämmerte schon stark -- »da gießen wir ein
bischen Wasser darauf und dann thut's es noch einmal.«

»Ja, das wird gehen -- da steht noch ein Rest Rothwein, nehmen Sie etwas
von dem.«

»Würde mich der Sünde scheuen, Herr Handor,« sagte Peters, »die
Gottesgabe in die Dinte zu gießen -- der Wein erfreut des Menschen
Herz.«

»Na, dann trinken Sie ihn und nehmen Wasser,« lachte Handor -- »dort auf
dem Schränkchen steht die Caraffe.«

»Danke schön, wollen Beides besorgen -- es kommt nur immer auf die
richtige Eintheilung an, wie ich unserem Secretär wohl zehnmal am Tage
sage!« Damit hatte er seine alte Mütze, die er auf der Straße immer keck
auf dem linken Ohr trug, abgelegt und die Dinte in wenigen Minuten so
verdünnt, daß Handor doch seinen Namen damit unterschreiben konnte und
ihm jetzt die Quittung reichte.

»Danke gehorsamst. -- Wollen wir den Wein wieder wegstellen?« sagte dann
Peters zurückhaltend.

»Den sollten Sie ja trinken!«

»Der Wohlthätigkeit keine Schranken gesetzt, wie auf den Zetteln des
Kirchenconcerts steht,« bemerkte Peters, indem er sich selber ein Glas
herbeiholte, den Wein hineingoß und den Rest auf einen Zug leerte.
»Donnerwetter, das ist guter Stoff, Herr Handor!« fuhr er, sich den
Mund wischend, fort -- »so etwas kommt eigentlich selten an einen
Theaterdiener, immer nur Haßburger Dünnbier, mit Respect zu melden --
Fußbad, wie wir's in der »Krone« nennen. Nu, danke auch recht schön!«

»Und das für Botenlohn,« sagte Handor, indem er ihm ein Geldstück in die
Hand drückte.

»Auch noch?« bemerkte Peters -- »ja, da sieht man gleich, was ein erster
Liebhaber ist -- ein erster Tenorist zahlt nie ein Trinkgeld, wenn er
Vorschuß kriegt; sie meinen immer, es käme zu oft und liefe zu viel
in's Geld. Also 'pfehle mich Ihnen, Herr Handor -- morgen haben Sie doch
nichts zu thun, nicht wahr? Ach so, es ist ja Oper -- also vergnügten
Abend -- nun, mit dem kleinen Paketchen da kann man sich schon einen
vergnügten Abend machen, und es reicht auch ein Stück in die Nacht
hinein.«

Und damit schoß der gesprächige Diener der Musen wieder zur Thür hinaus,
während Handor, der sich indessen Licht angezündet hatte, den Brief des
Directors mit den Augen überflog. Bei dem Abschiedsgruß des Burschen
nickte er nur mit dem Kopfe.

Der Brief war kurz und lautete:

»Mein lieber Herr Handor! Es ist eigentlich vollkommen gegen meine
Grundsätze, irgend einem Mitglied zweimal im Monat Vorschuß oder sogar
die erst zum Ersten fällige Gage voraus zu zahlen. Ich will dieses Mal
eine Ausnahme machen, da der Erste ja bald ist, und um Sie auch bei
guter Laune zu erhalten. Ich hoffe, Sie werden das anerkennen.

  Ihr ergebenster Krüger, Director.«

Noch während er las und ein leichtes, spöttisches Lächeln über seine
Züge blitzte, klopfte es stark an die Thür. Fast unwillkürlich nahm er
das Paket Banknoten, schob sie in die Tasche und rief dann: »Herein!«

Der Anklopfende ließ sich nicht lange bitten.

»Guten Abend, Herr Handor! Das freut mich ja sehr, daß ich Sie endlich
einmal zu Hause treffe -- ich bin heute schon viermal da gewesen und
immer umsonst!«

»Ah, Meister Seilitz,« sagte Handor, der seine Augen mit der Hand gegen
das Licht schützen mußte, um ihn zu erkennen -- wenn er ihn nicht
schon an der Stimme erkannt hatte, denn er schien eben nicht angenehm
überrascht von der Entdeckung, -- »und was verschafft mir die Ehre Ihres
fünfmaligen Besuches?«

»Ja, mein bester Herr Handor, Sie wissen ja wohl -- die Rechnung. Dem
Fabrikanten muß ich vierteljährlich seine Tuche bezahlen, die Gesellen
wöchentlich, und ich bin nicht mehr im Stande, die Auslagen zu
bestreiten, wenn mich meine Kunden so im Stich lassen. Ich möchte
Sie dringend bitten, mir wenigstens einen Theil meiner Rechnung
abzubezahlen!«

»Mein guter Herr Seilitz,« sagte Handor lächelnd, »Sie wissen aber doch,
daß ein Schauspieler nie vor dem Ersten Geld hat, und mit dem besten
Willen wär' ich jetzt nicht im Stande --«

»Aber Sie erinnern sich doch, Herr Handor, daß ich Ihnen das letzte Jahr
hindurch regelmäßig am Ersten meine Aufwartung gemacht habe, und der
Himmel weiß, wie es kommt, ich konnte nie den günstigen Moment treffen,
denn einmal kam ich eine Stunde zu früh und das andere Mal eine Stunde
zu spät -- aber es war immer nichts.«

»Sie haben wirklich Unglück gehabt, Meister Seilitz,« sagte Handor,
»aber diesmal soll ihnen das nicht wieder so begegnen. Ich gebe Ihnen
mein Wort, daß wir diesmal am Ersten meine Rechnung abschließen --
vielleicht noch früher.«

»Ich würde Ihnen unendlich dankbar sein, Herr Handor,« sagte der
Schneidermeister, »und da es nur noch ein paar Tage bis zum Ersten
sind, so will ich auch nichts weiter dagegen sagen. Dann aber müßte ich
wirklich -- so leid es mir thun sollte -- die Gerichte zu Hülfe rufen,
denn ich _kann_ nicht länger warten.«

»Nun, Meister Seilitz, wenn Sie mir auch nicht gerade gleich mit den
Gerichten drohen...«

»Es thut mir wirklich leid, Herr Handor, denn ich behandle meine Kunden
gern mit Achtung, aber...«

»Jetzt werden Sie doch so freundlich sein und mich verlassen, Herr
Seilitz,« sagte Handor, der auch anfing ärgerlich zu werden. »Wenn Sie
bis zum Ersten Ihr Geld nicht haben, »so thun Sie nachher, was Ihnen --
angenehm ist.«

»Sehr wohl, Herr Handor -- Sie haben mir Ihr Wort gegeben, und
ich verlasse mich darauf. Sie wissen, wenn ich Ihnen einmal etwas
versprochen, habe ich es auch gehalten.«

»Das haben Sie -- also für den Augenblick...«

»Ich will Ihnen nicht länger lästig fallen -- am Ersten, Morgens
zwischen zehn und elf Uhr, werde ich mir wieder erlauben nachzufragen.«

»Sehr wohl, Herr Seilitz.«

»Guten Abend, Herr Handor.«

Handor stand, als ihn der Mann verließ, mit dem rechten Arm auf den
Tisch gestützt, die Linke in der Tasche, in die er die Banknoten
gesteckt, und blieb in der Stellung noch lange, nachdem sein Gläubiger
schon die Stube und das Haus verlassen hatte. Leise nickte er dabei mit
dem Kopf und murmelte:

»Das geht nicht mehr länger so -- das geht bei Gott nicht mehr! Das
ist ein Hundeleben, und keine Existenz -- aber bah,« rief er, den Kopf
zurückwerfend, daß ihm das lange, lockige Haar aus der Stirn flog,
»steh' ich denn nicht am Vorabend großer Ereignisse? Bis zum Ersten? --
Bis zum Ersten sind die Würfel gefallen, und Sie bekommen Ihr Geld, Herr
Seilitz, oder -- Sie bekommen es nicht,« setzte er gleichgültig hinzu,
ging zum Secretär, in dem er das eben vom Director erhaltene Geld, den
Rest seiner ganzen Gage für diesen Monat, verschloß und den Schlüssel in
die Tasche steckte. Dann klingelte er und nahm Hut und Mantel um, blieb
aber noch mitten in der Stube, so fertig angezogen zum Ausgehen, stehen,
bis die Thür aufging und sein kleiner Laufbursche, der aber eine dünne
Goldlitze als Ansatz einer Livrée um den Rockkragen trug, in der Thür
erschien.

»Ich gehe aus, Fritz.«

»Sehr wohl, Herr Handor.«

»Weißt Du, wohin ich gehe?«

»In die »Hölle«, Herr Handor.«

»Allerdings, mein Bursche -- wenn Dich aber Jemand danach fragen
sollte?«

»Bis dahin werd' ich's wohl wieder vergessen haben, Herr Handor.«

»Gute Nacht, mein Bursche,« sagte der junge Mann, ihm mit dem Kopf
zunickend, und stieg langsam und leise vor sich hin pfeifend die Treppe
hinunter.




17.

Festvorkehrungen.


Die nächsten Tage brachten in Haßburg nicht viel Neues. Jahrmarkt und
Vogelschießen waren vorbei, und die gewöhnliche Erschlaffung nach allen
solchen Wochen lang dauernden Aufregungen trat ein. Nur die Haßburger
Jugend amüsirte sich noch eine Zeit lang auf dem Platz, wo die Buden
gestanden hatten oder vielmehr noch standen oder eben abgerissen wurden,
um einen Blick in die oft sehnsüchtig, jedenfalls neugierig umlagerten
Heiligthümer zu gewinnen. Und wie oft wurde diese Ausdauer mit Erfolg
gekrönt, denn jetzt lag den Besitzern ja doch nichts mehr daran, ihre
Sehenswürdigkeiten jedem sterblichen Auge verborgen zu halten. Die Zeit
war um, in der sie vom Magistrat concessionirt gewesen, Geld für das
Anschauen derselben zu nehmen; von denen, die hier umherstanden,
zahlte ihnen doch keiner mehr Entrée, und das »Aufladen« wurde ziemlich
öffentlich betrieben.

Nicht geringe Schwierigkeiten bot es dabei der wißbegierigen Jugend,
um heute im Sonnenlicht und in Alltagskleidern die verschiedenen
Persönlichkeiten wieder herauszufinden, deren Leistungen sie vielleicht
noch gestern Abend bei dem Licht einer Anzahl von Oellampen und im
bunten, phantastischen Flitterputz bewundert und angestaunt hatten.

»Du, das ist der, der gestern Abend das Feuer gefressen hat und sich den
Degen bis in den Magen stieß,« rief einer der Jungen seinem Nachbar zu,
indem er ihm den Ellbogen in die Seite rannte.

»Ach, dummer Junge, der doch nicht in der grünen Jacke!«

»Der mit der langen Troddel an der Mütze, gewiß; ich sag' Dir, ich kenn'
ihn. Gestern hatt' er 'nen rothen Kittel an. Siehst Du, jetzt macht er's
gerade so wieder, wie gestern mit dem linken Bein -- das ist er.«

»Und Du, das ist das kleine Mädchen, das auf dem Seil tanzte -- na,
sieht die aber heute aus!«

Die Jungen hatten in ihrer Unschuld Recht. Die beiden bezeichneten
Individuen glichen heute Morgen auch nicht im Entferntesten ihrem
gestrigen Ich und sahen ruppig genug aus. Der Mann ging in großcarrirten
Hosen, trug eine gestickte Mütze mit einer wohl eine halbe Elle langen
Troddel von unächter Quaste, und war in eine grüne, abgeschabte Pikesche
gekleidet. Das Mädchen trug einen zerfetzten Kattunrock und darüber ein
altseidenes, von Fettflecken starrendes Tuch -- und wie unbeschreiblich
prächtig waren sie ihnen gestern dagegen erschienen.

Der Jugend blieb aber nicht lange Zeit, sich mit dem Studium der
verschiedenen Charaktere zu befassen, denn Einer rief es in diesem
Augenblick dem Andern zu, daß die Thierbude ausgeräumt würde, und
Alles drängte dorthin, um einen Blick auf die wilden Bestien gratis zu
bekommen.

Boshafter Weise hatten die Wärter allerdings die verschiedenen Kästen
mit Matten und alten Decken verhangen, so daß nichts frei blieb, als
einige Affen und ostindische Arras, die aber von keinem Interesse
waren, da sie den ganzen Markt über außen an der Bude der Schaulust des
Publikums preisgegeben gewesen. Hier und da rutschte aber doch einmal
ein oder der andere Vorhang bei Seite oder war nicht gut genug befestigt
und glitt, das Innere des Käfigs enthüllend, nieder.

»Der Eisbär!« ging dann der Ruf durch die ein Hurrah ausstoßende Jugend.
»Hast Du ihn gesehen? Und das war der eine Löwe!«

»Ach bewahre, das war ein Leopard.«

»Ja, Du weißt's -- ich habe den Schwanz und das ganze Hinterbein
gesehen.«

»Du, da ist der Seehund -- hurrah!« schrieen die Jungen, als das
fragliche Thier, durch die ungewohnte Bewegung vielleicht, aus seinem
Faß oder Kübel hinausschnellte und von dem zuspringenden Eigenthümer
wieder zurück in sein nasses Element geworfen wurde.

Es gab so viel zu sehen, das kleine Volk wußte gar nicht, wohin es sich
zuerst wenden, was es zuerst anstaunen sollte, und doch starrte das
nackte Elend fast aus all' diesen halbzerrissenen Schaubuden dem
Sonnenlicht entgegen. Bleiche, überwachte Gesichter, schlecht und
ärmlich gekleidete, aber trotzdem mit unächtem Schmuck bedeckte
Gestalten, widerliche rohe Kerle, die brennende Cigarre im Munde;
abgelebte, verdrossene Frauen oder freche Dirnen, die mit den
Vorbeipassirenden ihre nichts weniger als zarten Scherze trieben. Und
dabei hämmerten die Zimmerleute, warfen die Dächer der Buden hinab,
wo die bisherigen Inhaber derselben sie noch nicht einmal vollständig
geräumt hatten, und allerlei wunderliches Fuhrwerk hielt dabei mitten
zwischen den verschiedenen Haufen von »Künstlern«, Kindern, Hunden,
Ponies und Affen, um ihre bunte Fracht aufzunehmen und dann einen
andern Platz, eine andere Stadt zu suchen, wo sie ihr trauriges Geschäft
fortsetzen und ihr Leben fristen konnten.

Und wie froh waren die Insassen der benachbarten Häuser, daß dieses
wüste Toben und Treiben, dem sie eine volle Woche hatten still halten
müssen, nun doch endlich einmal seinen Abschluß gefunden! Wie weggefegt
waren die Drehorgelspieler und Mordgeschichten-Ausschreier,
die Fleckenreinigungs- und Glasdiamanten-Männer, die blinden
Bergwerksbesitzer und Luftballon-Jungen. Kein Kameel drückte mehr der
nordischen Promenade seine Fährten ein, kein Bärenpaar balgte sich
unterwegs zum Entsetzen harmloser Kindermädchen. Es war vorbei, das
Vogelschießen beendet, und die Stadt lag wieder still und ruhig
wie immer, die Bewohner derselben gingen auf's Neue ihren gewohnten
Beschäftigungen nach.

Und doch bereitete sich schon wieder eine neue Aufregung für die Stadt
vor, die aber dieses Mal nur in bestimmten und bevorzugten Kreisen
blieb: die Ankunft des Erbprinzen, die am ersten Abend eine
Festvorstellung im Theater eröffnen und am zweiten ein Ball beschließen
sollte, zu dem der größte Theil der =haute volée= und sogar auch sehr
viele bürgerliche Familien geladen waren. Wie viele Hände setzt aber
ein solcher Ball in Bewegung, denn was für eine Masse von Putz und Staat
wird für einen solchen Abend aufgespart und zur Schau gestellt, und wie
viel unsagbare Mühe kostet es, bis alle die nothwendigen Ingredienzen,
vom weißen Atlasschuh bis hinauf zum dominirenden Haarschmuck,
ausgewählt, geprüft, verworfen, verändert und endlich für brauchbar
befunden, zusammengetragen und zur wirklichen Benutzung hergestellt
sind!

Und wie wird da geschneidert und gestärkt, gewaschen, aufgeputzt und
abgemessen, und was für große Berathungen finden -- bei geschlossenen
Thüren und im Corset -- statt, und mit welcher Wichtigkeit wird das
Alles betrieben, als ob das Wohl der einzelnen Familienglieder davon
abhange -- und wie wünschen sich die Töchter, daß der Abend schon da --
und Vater und Mutter, daß er erst vorüber wäre!

Dieser Hast des Zusammenbauens stand aber das Theater nicht nach, denn
es hatte sich herausgestellt, daß »Hamlet« als Festvorstellung nicht
genügen würde. Der junge Prinz -- oder der alte Hofmeister vielleicht
-- liebte nämlich auch Ballet, und da es sich doch nicht gut in den
»Hamlet« einlegen ließ (obgleich einige Directoren doch vielleicht einen
Geistertanz in der Kirchhofsscene möglich gemacht haben würden), so war
beschlossen worden, in den Zwischenacten, und zwar nach dem ersten und
dritten Act, eine besonders zu dem Zweck herbeigerufene Balletgröße
springen zu lassen.

Das gab jetzt Proben. Der Theaterdiener kam gar nicht mehr von den
Füßen, ausgenommen wenn er unterwegs einmal aus Versehen in ein Bierhaus
hineinfiel, wo er dann wunderbarer Weise fast jedesmal den Souffleur
Mauser traf. Dieser benutzte nämlich die verschiedenen Zwischenpausen
auf das Geschickteste, um sowohl seinen Durst wie Aerger mit einem
oder verschiedenen Gläsern Bier hinunter zu waschen. Jede Probe und
Vorstellung erfüllte ihn aber auch mit neuem Gift, denn er konnte noch
immer nicht die Zeit vergessen, wo er selber da oben auf den Brettern
gestanden und seiner Lunge freien Lauf gelassen hatte. Aber es war nicht
gegangen -- Chicane natürlich arbeitete dagegen an: das Publikum zeigte
sich in den ernstesten Scenen heiter, und der Director behauptete, daß
er seine Rolle zu Schanden schriee. Da wurde er aus Rache Souffleur, und
der Ingrimm kochte mit ihm im Kasten drin.

Und heute erst -- heute war der Erbprinz angekommen, und Alles drängte
auf den Straßen zusammen, um ihn vorüberfahren zu sehen; nur in den
düsteren Theaterräumen hatte man keine Zeit dazu, denn dort wurde die
Generalprobe für den heutigen Abend abgehalten, und Handor wußte kein
Wort mehr von seiner Rolle.

Zehnmal wenigstens mußte er den »Hamlet« schon gespielt haben, aber so
zerstreut wie heute war der unglückselige Mensch noch in seinem ganzen
Leben nicht gewesen, und Mauser hätte ihn erwürgen können.

Der Director selber ging in Todesangst hinten auf der Bühne auf und
ab, denn Handor ließ sich nie etwas sagen und war im Stande, wenn
er irgendwie geärgert wurde, heut Abend statt seiner Garderobe ein
ärztliches Zeugniß auf die Bühne zu schicken, daß er nicht spielen
könne. Er wollte wie ein rohes Ei behandelt werden, und wenn er
heute stecken blieb -- und nach der Generalprobe _mußte_ er stecken
bleiben --: der Director trug eine Perrücke, aber er hätte sich mögen
die Haare ausreißen.

Rebe hatte die Rolle des Güldenstern, und in der Scene mit ihm und
Rosenkranz wußte Handor in der That kein einziges Wort mehr; er mußte
vor dem Souffleurkasten stehen bleiben und dem Souffleur nur eben
nachsprechen, was er ihm vorsagte. Es war eine peinliche Situation
für die übrigen Schauspieler, und nach der Scene, als Handor in das
Conversationszimmer ging, wo er eine Flasche Wein stehen hatte, folgte
ihm der Director.

»Mein bester Herr Handor!«

»Herr Director?«

»Nicht wahr, Sie memoriren heute noch tüchtig? Es -- es haperte ein
wenig; denn wenn wir uns heut Abend blamiren sollten...«

»Glauben Sie, daß _ich_ mich blamiren werde, Herr Director?« sagte
Handor.

»Sie -- oh Gott, nein, gewiß nicht, lieber Handor! Aber schon ein Zögern
im Dialog -- der Erbprinz kennt den »Hamlet« durch und durch, und Sie
können sich doch denken, daß ich eine Art von Stolz darein setzen würde,
wenn Sie ihn so recht packten und hinrissen!«

»Haben Sie keine Furcht,« sagte Handor gleichgültig -- »ich -- bin
heute Morgen etwas zerstreut -- ich erhielt gerade vor der Probe einen
unangenehmen Brief -- die Todesnachricht eines Verwandten; ich kann
meine Rolle, Sie werden heut Abend sehen.«

»Das gebe Gott!« sagte der geplagte Director mit einem recht aus
tiefster Brust herausgeholten Seufzer; »Sie wissen ja auch, Herr Handor,
daß ich Ihnen überall gern gefällig bin, wo ich nur irgend kann.«

»Ich weiß es, mein lieber Director; Sie werden heut Abend keine Ursache
haben, sich über mich zu beklagen. Mauser soll mir kein einziges Wort
souffliren.«

»Mein lieber Herr Handor!«

»Gewiß, mein bester Director; kommen, Sie, nehmen Sie ein Glas Wein mit
mir. Mir ist die Kehle wie ausgebrannt.«

»Ja, mir auch,« stöhnte der Director, indem er der Einladung Folge
leistete, »und hier wollen wir auf eine gute und zusammengreifende
Vorstellung anstoßen -- Hamlet lebe!«

»Hamlet der Däne lebe,« lachte Handor, »wenn Sie ihn auch heut Abend
umbringen lassen!«

»Ach, Du lieber Gott, wenn nur der Abend erst vorüber wäre!« sagte der
Director, wischte sich den Schweiß von der Stirn und griff dann seinen
Strohhut auf, um nach Hause zu gehen. --

       *       *       *       *       *

Draußen im Schlosse des Grafen Monford ging es fast noch unruhiger zu,
als im Theater, denn einige dreißig Gäste waren auf heut Abend angesagt,
und die Vorbereitungen dazu wurden im großartigsten Maßstabe getroffen.

Allerdings genirte den Grafen die Festvorstellung im Theater, und er
würde die Verlobung seiner einzigen Tochter gern verlegt haben, wenn
sich nicht gerade an diesen Tag eine besondere Erinnerung knüpfte. Aber
eben heute vor achtundzwanzig Jahren hatte er sich mit seiner eigenen
Frau verlobt, und es war schon seit langer Zeit sein Lieblingswunsch
gewesen, Paula's und später George's Verlobung an dem nämlichen Tag zu
feiern. Selbst die Ankunft des Erbprinzen konnte deshalb keine Aenderung
in seinem ursprünglichen Plan hervorrufen, hätte er sich selbst mit dem
regierenden Hause besser gestanden, als er wirklich stand. Aber das
war eine alte Geschichte, und der regierende Herr ihm einmal in einer
Rangsache zu nahe getreten, was ihm Graf Monford nie vergab; weshalb
also sollte er jetzt auch Rücksicht auf den Thronfolger nehmen! Es
geschah ihm ganz recht, wenn er den ersten Rang nur spärlich besetzt
fand, denn die Herrschaften hatten den Adel überhaupt vernachlässigt und
mochten es sich selber zuschreiben, wenn der Adel ein Gleiches mit ihnen
that.

Um so mehr fühlte sich aber der Graf Monford dafür verpflichtet, heute
jeden Glanz zu entfalten, den sein Haus bot, und während das ganze
Schloß von oben bis unten in einen blühenden Garten verwandelt worden
war, brach die Tafel fast unter der Last des Silbers, die sie zu tragen
hatte, und immer noch schleppten die Diener Kisten und Ballen herbei,
deren Inhalt die hier schon ausgestreute Pracht vermehren sollte.
Dadurch aber glich das Haus trotz der Blumen und der ausgestellten
Herrlichkeit mehr einer Packkammer, als einer Festhalle.

Graf George war den ganzen Tag abwesend, denn er hatte in der Stadt alle
Hände voll mit der Inscenesetzung seines Stückes zu thun, welche auf der
Privatbühne einer andern befreundeten Familie in Haßburg stattfand. Wie
erschrak er freilich, als er hörte, daß die junge Gräfin Rottack gleich
nach der Leseprobe unwohl geworden sei und einen ganzen Tag das Bett
hüten mußte. Er fürchtete schon einen neuen Schlag für sein Theater.
Glücklicher Weise war es aber nur ein leichtes Unwohlsein gewesen, und
sie fühlte sich schon am nächsten Morgen wieder wohl genug, die einmal
übernommene Pflicht auch zu erfüllen.

Aber wie viel gab es für den armen jungen, daran gar nicht gewöhnten
Grafen noch dabei zu thun, und wie geheimnißvoll mußte das Alles
betrieben werden! Was für Mühe hatte es außerdem gekostet, das kleine,
schon lange nicht mehr benutzte Privattheater im Schlosse selber wieder
in Stand zu setzen, ohne daß Paula etwas davon merkte -- und nur der
geringste Verdacht würde ja die ganze Ueberraschung zerstört haben.
Paula schien ihm aber dabei ordentlich selber in die Hände zu arbeiten,
denn sie sah nichts von Allem, was um sie her vorging, und war nie
zufriedener, als wenn sie ungestört und allein in ihrem Zimmer bleiben
oder im Garten auf und ab gehen konnte.

Recht bleich und angegriffen sah sie aus, das konnte selbst dem jungen,
leichtherzigen Grafen nicht entgehen, und er hatte sie oft gefragt, ob
sie sich unwohl fühle, aber immer eine entschieden verneinende Antwort
erhalten. Sollte sie sich wirklich in der Verbindung unglücklich fühlen?
Aber Hubert war solch ein herzensguter und tüchtiger Mensch, sie mußte
glücklich an seiner Seite werden, noch dazu, wenn sie sah, wie glücklich
sie die Eltern dadurch machte. Das gab sich auch gewiß schon nach
den ersten Tagen: nur das Neue der Situation, nur der Gedanke, in ein
vollkommen fremdes Leben selbstständig einzutreten, machte sie jetzt
so befangen und zerstreut und raubte ihren Wangen die sonst so blühende
Farbe, ihren Augen den gewohnten freundlichen Glanz. Damit beruhigte
sich George vollkommen, und hatte auch in der That jetzt so viel und
so Verschiedenes zu denken, daß er gar nicht recht zu Besinnung kommen
konnte. Die Schwester hätte ihm auch wirklich gar keinen größeren
Gefallen thun können, als daß sie sich still und abgeschlossen hielt.

Paula war in der Zeit viel im Garten und ihr liebster Spaziergang der
nach dem alten Thurm, wo sie Stunden lang allein und träumend saß und
nach den fernen Bergen hinüberschaute. War sie doch auch jetzt von
ihrer Gouvernante oder Gesellschafterin vollständig erlöst, die sich
allerdings noch im Hause befand, aber alle Macht über sie verloren
hatte.

Graf Monford wollte, daß seine Tochter sich frei und unabhängig fühlen
lernen sollte, ehe sie das elterliche Haus verließ, und Paula dankte ihm
das wenigstens aus vollem Herzen.

Auch heute Morgen war das junge Mädchen erst langsam auf der Terrasse
eine Zeit lang auf und ab und dann ihrer Lieblingsstelle zugegangen, und
George hatte mit Schmerzen auf den Augenblick gewartet, wo er sie in
den Büschen verschwinden sah, denn eine neue Decoration, mit deren
Anfertigung sich der Maler verspätet hatte, lag schon seit zwei Stunden
im Hinterhalt und konnte nicht in das Schloß geschafft werden, so
lange er jeden Augenblick der Gefahr ausgesetzt war, daß die Schwester
plötzlich aus ihrem Zimmer treten und ihm die ganze Freude stören
möchte.

Jetzt war sie fort, und eben wollte er den Befehl geben, die etwas
unbehülflichen Versetzstücke rasch herbeizuschaffen, als Mademoiselle
Beautemps auf dem Schauplatz erschien. Daß die nicht schweigen konnte,
wo sie nur die Ahnung hatte, daß es ein Geheimniß galt, wußte er
aus Erfahrung, und die mußte deshalb ebenfalls unter jeder Bedingung
entfernt werden.

»Ah, Mademoiselle,« rief er ihr zu, »wo haben Sie denn gesteckt? Paula
hat Sie schon seit einer Viertelstunde gesucht.«

»Die Comtesse mich?« rief die Französin, nicht ohne Grund erstaunt; »das
wäre wunderbar.«

»Ja gewiß, sie ist in den Garten gegangen, um Sie dort zu suchen. Im
Park oder am alten Thurm werden Sie sie finden.«

Mademoiselle schüttelte mit dem Kopf, folgte aber doch der Weisung und
nahm ebenfalls die von Paula eingeschlagene Richtung.

»So, nun aber rasch,« lachte George fröhlich vor sich hin; »tummelt
Euch, Ihr Leute, in zehn Minuten muß Alles im Hause und hinter
verschlossenen Thüren sein, damit uns die Damen nicht wieder in den Weg
kommen, denn das Fräulein wird bald wieder abgefertigt werden. Was Paula
nur denken wird,« schmunzelte er dann leise vor sich hin, »daß ich ihr
die alte Französin über den Hals schicke; aber heut Abend erzähl' ich
ihr, weshalb.«

Die Leute sprangen mit gutem Willen zu, und die verschiedenen Coulissen
und Versetzstücke wurden rasch in's Schloß und die Treppe hinauf
gebracht. Nur der alte Jonas schüttelte den Kopf dazu, daß sie auch noch
gemalte Bäume in das Haus schleppten, wo er selber schon Alles in einen
blühenden Wald verwandelt hatte, und schimpfte auf die ungeschickten
Träger, die ihm da und dort an den Ecken die aufgestellten Blumenstöcke
umgeworfen und sogar ein paar Töpfe zerbrochen hatten. Nichts wie Aerger
mit dem unnützen Volk, das nicht einmal eine Distel von einer Camellie
unterscheiden konnte und so rücksichtslos mit der einen wie mit der
andern umging.

Mademoiselle Beautemps wandelte indessen in majestätischer Haltung den
Weg entlang, den vor ihr, leicht wie ein scheues Reh, Paula geschlüpft
war, und wunderte sich im Stillen, was die Comtesse von ihr haben wolle,
da sie sich in der letzten Woche kaum mit einem Blick um sie gekümmert
hatte.

Ihre Stellung hier war überhaupt eine unhaltbare geworden, so strenge
Gewalt sie auch bis noch vor ganz kurzer Zeit über die einzige Tochter
des Hauses ausgeübt. Der alte Graf selber mochte sie dabei nicht leiden,
wie sie recht gut fühlte, und sie war auch schon fest entschlossen,
nicht, wie es vorher bestimmt, bis zur Vermählung der Comtesse hier
auszuhalten, sondern gleich nach der Verlobung die Familie zu verlassen.
Was sollte sie auch noch länger hier, wo sie doch nichts mehr befehlen
durfte und von keiner Seite geliebt, nur von der Gräfin selber noch
gehalten wurde? Die Comtesse haßte sie ja doch, das wußte sie genau, und
das Gefühl war gegenseitig.

Albernes, eigenwilliges Ding, vom Glück verzogen, von ihren Eltern und
ihrer ganzen Umgebung verwöhnt, nur nicht von ihr -- beim Himmel, nicht
von ihr! Hatte sie sich nicht aufgeopfert für das alberne Geschöpf und
sogar eine Stelle bei der Fürstin Negitchow ausgeschlagen, und welchen
Dank dafür gehabt, als stummen Gehorsam und ein verdrossenes Wesen? Und
jetzt mußte sie auch noch erleben, daß sie die reichste und beste Partie
im ganzen Lande machte und dann jedenfalls mit Stolz und Hochmuth auf
sie herabgesehen hätte; dem wenigstens wollte sie entgehen, den Kelch
sich ersparen und morgen -- sie war fest dazu entschlossen -- ihre
Stellung aufgeben und dann auch ohne Weiteres Haßburg verlassen.

Mit diesen Gedanken, die langen, mageren Arme vor sich fest in
einander geschlagen, die Brauen zusammengezogen und die dünnen Lippen
eingekniffen, schritt sie vorwärts und erreichte jetzt, den Windungen
des mit Büschen besetzten Weges folgend, das kleine Plateau, auf welchem
der alte Thurm stand.

Von hier aus konnte sie freilich noch nicht die ganze Terrasse
überblicken; wie sie aber um den Thurm herumschritt, sah sie Paula,
die dort, den Ellbogen auf die niedere Mauer gestützt, unter einer der
Aloevasen lehnte und einen kleinen, rosafarbenen Zettel in der Hand
hielt, der ihre Aufmerksamkeit ausschließlich in Anspruch zu nehmen
schien. So vertieft war sie in denselben, daß sie nicht einmal das Nahen
der sonst so gefürchteten Gouvernante bemerkte, und erst als sie deren
Schritt auf dem knisternden Kies hörte, hob sie rasch erschreckt den
Kopf und knitterte zugleich das kleine Blatt wie unwillkürlich in ihrer
Hand zusammen.

»Mademoiselle!«

»Gnädige Comtesse sind so angelegentlich beschäftigt, daß Sie mein
Kommen nicht einmal gewahrten,« sagte die Französin mit einer fast
spöttischen Höflichkeit, indem ihr Blick scharf und forschend bald auf
den Zügen des jungen Mädchens haftete, bald zu der Hand hinflog, die
noch immer das Blatt, aber jetzt verborgen, hielt.

»Und weshalb schleichen Sie hinter mir drein?« sagte Paula finster, denn
zum ersten Mal erhob sich ihr Herz zum offenen Widerstand gegen die ihr
lästige, widerliche Persönlichkeit.

»Schleichen, gnädige Comtesse?« lächelte die Mademoiselle. »Wie ein
Grenadier bin ich aufgetreten, aber Sie hörten und sahen nicht. Es muß
etwas sehr Interessantes sein, was Sie da studirten.«

»Und was wollen Sie?«

»Was ich will? Ich könnte Ihnen einfach sagen, daß ich spazieren ginge,
wie Sie,« bemerkte die Gouvernante kalt; »aber Sie scheinen selbst
vergessen zu haben, daß Sie mich gesucht und nach mir verlangt. Graf
George schickt mich zu Ihnen.«

»Mein Bruder? Sie zu mir? Und weshalb, wenn ich fragen darf?«

»Ich sage Ihnen ja, daß er behauptet, Sie hätten mich gesucht.«

»Das ist denn ein Irrthum,« erwiderte die Comtesse kalt, drehte sich
ab und lehnte sich wieder auf die Terrassenmauer, ohne ihre frühere
Gouvernante weiter eines Blickes oder einer Antwort zu würdigen.

Die Französin faßte ihre Unterlippe mit den Zähnen, und einen Augenblick
war es fast, als ob sie ihrer Gereiztheit über solche augenscheinliche
Mißachtung Worte leihen wolle; aber sie hatte das Terrain verloren. Ein
Zank mit der jetzt gefeierten jungen Herrin konnte ihr nur schaden,
und sich auf dem Absatz herumdrehend, schritt sie schweigend, aber in
wahrlich nicht besserer Laune den Weg zurück, den sie vorher gekommen,
und erreichte das Schloß eben wieder, als Jonas, leise dabei vor sich
hinmurmelnd, die umgeworfenen Blumentöpfe auf's Neue ordnete.

       *       *       *       *       *

Oben im Park, der Stelle gerade gegenüber, wo der Maulwurfsfänger an
jenem Morgen seinem heimlichen Angeln oblag, kniete jetzt der nämliche
Mann mitten auf der Wiese und war eifrig bemüht, die dort gefangenen
Maulwürfe an ihrer Drahtschlinge aufzuheben, die Fallen wieder
zu stellen und die ertappten Uebelthäter an einer schwanken Ruthe
aufzuhängen. Neben ihm saß sein Spitz.

Unten vom Drahtzaun her kam der Förster, die Flinte auf dem Rücken, den
gescheckten Jagdhund neben sich. Wie er die freie Wiese betrat, bemerkte
er augenblicklich die dort kauernde dunkle Gestalt des Mannes, und
schritt quer über den Rasen auf den Burschen zu.

Der Spitz knurrte, sowie der Förster seine Richtung änderte, und Fritz
sah erst seinen Hund an und dann nach der Gegend hinüber, die dieser
andeutete.

»Ruhig, Spitz,« sagte er aber, wie er nur die Gestalt erkannt hatte;
»der thut uns hier nichts und muß höchstens mit langer Nase wieder
abziehen. Kommt mir gerade recht und bin eben in der Stimmung, ihm
Audienz zu ertheilen.«

Ohne den Nahenden auch nur so weit zu beachten, den Kopf noch einmal
nach ihm umzudrehen, fuhr er in seiner Arbeit fort; aber der Spitz
knurrte stärker, denn der Jagdhund genirte ihn, und er rückte auch etwas
näher zu seinem Herrn, als er bis jetzt gesessen.

Er und der Jagdhund schienen auch in der That keine großen Freunde zu
sein, als ob sie die Antipathie theilten, die ihre beiden Herren
gegen einander empfanden. Caro, wie der Hund des Jägers hieß, kam mit
gesträubten Haaren und hochgehobenem Schwanze, an dem auch nicht die
geringste Spur von Wedeln sichtbar war, langsam näher; er knurrte
freilich nicht, aber seine oberen Lefzen zogen sich zusammen, daß die
blanken und scharfen Zähne sichtbar wurden, und er sah den kleinen Köter
dabei von der Seite mit einem Blick an, als ob er nur einen leisen
Wink seines Herrn erwartete, um mit einem Sprung über den Eindringling
herzufallen.

Der Spitz schien sich übrigens gar nicht so sehr vor dem ihm an Stärke
vielleicht viermal überlegenen Gegner zu fürchten. Den Rücken deckte er
freilich dicht an seinem Herrn, dort aber hielt er auch Stand und wies
dem großen Hunde die Zähne so lebhaft und kampfesmuthig, und hob sein
kleines Schwänzchen so keck und herausfordernd empor, daß man ihm
ansah, er würde einem Angriff von der andern Seite keinen Zollbreit ohne
Gegenwehr weichen.

»Na, mein Bursch, was treibst Du hier wieder?« redete der jetzt dicht
herangekommene Förster den Maulwurfsfänger mit eben nicht freundlicher
Stimme an. »Eine Woche fast bist Du ausgeblieben, und ich hatte schon im
Stillen gehofft, daß wir Dich los wären; Du scheinst aber zäher zu sein,
als Deine Maulwürfe.«

»Ein freundliches Waidmannsheil wäre wohl ein besserer Gruß für einen
Collegen gewesen, Herr Förster,« lächelte der Angeredete spöttisch vor
sich hin, »aber manche Menschen verstehen es nicht besser. Und wo ich
gewesen bin? Auf einem andern Revier, Herr College, um dem Raubzeug
nachzustellen, denn wenn ich von der Monford'schen Besitzung allein
leben sollte, möcht' ich in der Woche wohl kaum ein Stück Fleisch in den
Topf bekommen, und am Sonntag erst gar nicht.«

»Und wie haben die Fasanen geschmeckt?« fragte der Forstmann tückisch.

»Na, wenn's auch gerade keine Fasanen sind,« erwiderte gleichgültig
der alte schlaue Bursche, der nicht auf solche Weise zu fangen war,
»so ist's doch wenigstens ein gesundes Stück Rindfleisch oder eine
Bratwurst. Uebrigens thun Sie mir die Liebe und halten Sie Ihren Hund
zurück, denn wenn er mit meinem Spitz anbindet, stehe ich Ihnen für
nichts. Der verwünschte Köter hat mir erst gestern einen Metzgerhund
todtgebissen.«

»Das Ding da!« lachte der Förster verächtlich; »wenn ich meinem Caro Ein
Wort sagte, frißt er ihn mit Haut und Haaren!«

»Möchte eine verwünscht theure Mahlzeit werden!« erwiderte trocken der
Maulwurfsfänger, indem er seine letzte Beute an der Ruthe befestigte;
»aber wo wollen Sie hin, Herr Förster?«

»Wenn Dich Jemand darum fragen sollte, mein Bursche,« erwiderte der
Forstmann, »so sag' ihm nur einfach, Du wüßtest es nicht -- verstanden?«

»Sehr wohl, Herr Förster,« lächelte der Mann, »werd' es ausrichten.
Haben Sie vielleicht sonst noch etwas zu bestellen?«

»Komm, Caro,« sagte der Jäger, »das ist keine Gesellschaft für uns.
Uebrigens,« fuhr er fort, sich nochmals nach dem Manne umdrehend,
»erwische ich Dich noch einmal Nachts zwischen meinen Fasanen, mein
Bursche -- und daß ich Dir jetzt aufpasse, darauf kannst Du Dich
verlassen, -- so will ich von Gott verdammt sein, wenn ich Dir nicht die
Jacke voll Schrot schieße -- und nun Gott befohlen!«

»Gott befohlen, Herr Förster, und viel Glück zur Jagd,« lächelte ihm der
Alte stillvergnügt nach.

Der Förster murmelte einen gotteslästerlichen Fluch in den Bart, wußte
aber, daß er mit Reden doch nichts bei dem da ausrichtete, und schritt
so hochbeinig fort, wie sein Hund, der sich alle Mühe gab, dem verhaßten
Spitz durch ärgerliche Stellung begreiflich zu machen, daß sein Rückzug
kein freiwilliger wäre und er eben nur seinem Herrn folgen müsse.

Der Maulwurfsfänger nahm aber gar keine weitere Notiz von ihm, und wie
er sich erst überzeugt hatte, daß der Waidmann wirklich eine andere
Richtung eingeschlagen, lachte er still vor sich hin und brummte:

»Alter Esel, Du wärst der Rechte, mich zu fangen! Mein Spitz hat mehr
Grütze im Kopfe, als Du, und wenn's mich nach Fasanen gelüstete, holte
ich mir heut Abend noch meinen Theil. 's ist doch wunderbar in der
Welt,« setzte er dann hinzu, indem er still mit dem Kopf schüttelte,
»was unser Herrgott in all' seinen verschiedenen Fächern für Kerle
herumlaufen hat. Wem er ein Amt giebt, giebt er auch Verstand, sagt man
gewöhnlich; -- ja Prosit! Wär' ich in Deiner Stelle, und Du in meiner,
alter Schneesieber, verdammt will ich sein, wenn Du mir auch nur eine
Feder vom Platz holen solltest, ohne daß ich Dich erwischte, und jetzt
plündere ich dem albernen Strohkopf schon ein Vierteljahr lang in
Wasser, Wald und Feld sein Revier aus, ohne daß er auch mehr wie einen
Verdacht hat, wer der Thäter ist -- Du wärst mir der Rechte, mich zu
fangen!«

»Holla, Fritz, wie geht's?« rief den Alten eine Stimme vom Wege herüber
an, und als der Maulwurfsfänger rasch den Kopf nach ihm drehte -- denn
der Spitz hatte den Nahenden in seinem Aerger über den Caro gar nicht
beachtet, -- erkannte er Einen von der Dienerschaft, der mit einem Korb
am Arme durch den Park ging und, als er den Maulwurfsfänger nicht weit
aus seinem Weg sah, ein Stück quer über die Wiese hinüberschritt, um ein
paar Minuten mit ihm zu plaudern.

»Nun, Alter, wie geht's -- immer so fleißig? Heute solltest Du aber den
Maulwürfen doch auch Frieden geben,« redete er ihn an.

»Heute -- so? Und wer giebt mir Frieden? Sollen's die Bestien etwa
besser haben, als ich?«

»Wer Dir Frieden giebt?« lachte der Lakai; »komm nur heut Abend auf's
Schloß, Du gehörst ja doch gewissermaßen mit zu den Gutsleuten und
kannst da auf ein derb Stück Braten und eine Flasche Wein sicher
rechnen.«

»Nun, weißt Du, Thomas,« sagte der Maulwurfsfänger, und sein kleines
graues Auge blitzte ordentlich wie in Stolz auf den betreßten Diener,
»wenn ich einmal eine Flasche Wein trinken will, so zahle ich sie mir
auch und brauche mich nachher bei Niemandem dafür zu bedanken.«

»Jetzt blas mir aber den Staub weg!« lachte der Lakai. »Na, wenn
Unsereiner sich nicht zu gut dafür dünkt und der Förster selber herüber
kommt, dann wirst Du Dich doch auch wohl nicht wegwerfen, wenn Du mit
von der Partie bist!«

Es war fast, als ob der Alte eine trotzige Antwort geben wolle; aber er
verbiß die Worte und benutzte die Pause, um sich eine frische Pfeife zu
stopfen. Endlich sagte er, während er die Pfeife mit den Zähnen hielt
und sich mit Stahl und Schwamm Feuer schlug:

»Und was ist heute da oben los, daß der Alte so freigebig mit dem Stoff
herausrückt? Habe doch kein Wort davon gehört!«

»Nun, Verlobung ist heute, die junge Comtesse heirathet den Sohn vom
Grafen Bolten -- die erste Familie im Lande nach unserer, und da kannst
Du Dir doch wohl etwa denken, daß es da hoch hergeht.«

»Sieh, sieh, sieh,« sagte der Maulwurfsfänger, leise vor sich hin mit
dem Kopf nickend, »was man doch nicht Alles erlebt, wenn man alt wird;
die Comtesse Paula heirathet den Windbeutel, den jungen Grafen Bolten!«

»Windbeutel? Ich wollte Dir nicht rathen, daß der Graf das Wort gehört
hätte,« rief der Lakai, »bei Gott, es ginge Dir schlecht!«

»Und hat sie ihn gern?« sagte der Maulwurfsfänger, der einem ganz andern
Ideengang folgte.

»Wer -- die Comtesse? Soll sie ihn nicht gern haben, einen jungen,
hübschen, vornehmen und steinreichen Menschen?«

»Wie ich ihr aber heute nicht weit vom Schloß begegnete, kam's mir
beinahe so vor, als ob sie recht bleich und elend aussähe, und so in
Gedanken war sie, daß sie nicht einmal bemerkte, wie ich sie grüßte, und
sonst dankt sie immer so freundlich.«

»Na ja, ein bischen elend sieht sie wirklich aus,« meinte der Lakai;
»aber das haben die vornehmen Fräuleins alle, das gehört mit zum guten
Ton.«

»So?« sagte der Maulwurfsfänger zerstreut, der augenscheinlich gar nicht
die Worte verstanden hatte. »Merkwürdig, daß so ein Fluch von der Mutter
auf die Tochter vererben kann!«

»Was für ein Fluch?«

»Oh, nichts,« sagte der Mann kopfschüttelnd; »und um welche Zeit geht
die Festlichkeit an?«

»Um acht Uhr natürlich, früher paßt es sich nicht. Aber ich muß fort,
heute weiß man wahrhaftig nicht, wohin man zuerst springen soll.«

»Wohin willst Du denn?«

»In's Dorf und noch Eier holen; eine zwanzig Schock hat der Koch schon
heute verbraucht, und immer langt's noch nicht. Nu, komm heut Abend nur,
ich werde schon Sorge dafür tragen, daß Du nicht leer ausgehst!« -- Und
mit den Worten nickte er ihm protegirend zu und schlenderte dann, als ob
er dem Maulwurfsfänger beweisen wolle, daß er über seine Zeit verfügen
könne, wie es ihm beliebe, langsam den Weg hinab, der zum nächsten und
hinter den Bäumen versteckten Dorfe führte.

»Bedientenpack,« murmelte der Maulwurfsfänger in den Bart, als er dem
davonschwenkenden Lakai nachsah, »serviles, lumpiges Gesindel, das
hinter dem Rücken der Herrschaft die Nase unter dem Hutrand trägt
und sie dann wieder vor lauter Unterthänigkeit bis in den Boden
hineindrücken möchte -- Bedientenpack, ob sie in einer gestickten
Uniform oder in einer Livrée stecken! Da doch, bei Gott, lieber
Holzhacker oder Tagelöhner, wenn ich mein freies Gewerbe einmal mit
einer andern Branche vertauschen müßte! Unter _Deiner_ Protection
Wein saufen, Du Lump? Lieber faules Wasser aus einer Regenmulde! Aber
nützlich sind die Kerle doch,« lachte er plötzlich still vor sich hin,
»denn wie hätte ich ohne den Tagedieb jetzt erfahren, daß heut Abend
großer Volksschmaus im Schlosse und der Förster ebenfalls geladen
ist. Wart', Grünrock, für morgen früh will ich Dir wenigstens eine
Ueberraschung bereiten, die Dich freuen soll! Aber da wird es Zeit, daß
ich mich jetzt nach Hause mache. Komm, Spitz, heut Abend wollen wir auch
hochleben und Braten essen und Wein trinken, wenn auch auf andere Weise,
wie der Lump da denkt. Die Maulwürfe mögen heute Feierabend haben
-- Hurrah, die Verlobung soll leben!« -- Und seine alte Waidtasche
umwerfend und den Stock aufgreifend, schritt er rüstig den Weg entlang,
der nach der Stadt hinunter führte.




18.

Leiden eines Theater-Directors.


Der Abend rückte heran und das Theater prangte im Festesschmuck.
Director Krüger hatte sich nämlich nicht damit begnügt, eine
außergewöhnliche Anzahl von Gasflammen zu öffnen und überhaupt Alles
anzuzünden, was leuchten wollte, sondern auch schon seit zwei Tagen den
benachbarten Eichenwald plündern und dicke Guirlanden binden lassen, die
den ganzen ersten Rang schmücken sollten. In der herrschaftlichen Loge
waren sogar zwei Lehnsessel neu gepolstert, kurz, das Außerordentlichste
geleistet, und wer Krüger kannte, behauptete, er lebe nicht mehr lange,
denn es sei kurz vor seinem Ende.

Natürlich war heute =Abonnement suspendu= -- nicht des Hamlet wegen,
oh nein, denn in die classischen Stücke brachte er sonst, selbst im
Abonnement, kaum das Nothwendigste von Zuschauern hinein! Aber daß
keiner der Haßburger morgen sagen wollte, er habe den Erbprinzen noch
nicht gesehen, wußte er, und die Neugierde mußte ihm heute das Haus
füllen. Das Stück selber hätte deshalb auch recht gut »Der Erbprinz«
heißen können und würde dann nach beiden Seiten hin gepaßt haben.

Es war noch früh und die Kasse eben erst geöffnet worden, aber trotzdem
fingen die Räume schon langsam an sich zu füllen. Einzelne Damen mit
stattlichen Crinolinen arbeiteten sich über die Bänke weg, Herren kamen
herein, den Hut noch auf dem Kopf, und begannen sich langsam ihre weißen
Glacéhandschuhe anzuziehen, und nur oben in die Gallerie drängten sich
die Massen ein, um heute einen guten Platz -- das heißt, eine Aussicht
nach der herrschaftlichen Loge -- zu gewinnen, wo sie recht genau
zuschauen konnten, was der Erbprinz für ein Gesicht machen und ob er
recht applaudiren würde.

Auf dem Theater selber sah es noch leer und dunkel aus. Die Arbeitsleute
waren allerdings schon beschäftigt, Lampenwerk u. s. w. in Ordnung zu
bringen und die verschiedenen Requisiten nach den Richtungen hin zu
tragen, wohin sie der Requisiteur beorderte, aber von Schauspielern
selber ließ sich noch Niemand sehen, denn die staken noch alle in der
Garderobe, und nur dann und wann kam noch ein verspätetes Dienstmädchen,
das einen großen, breiten Korb mit irgend einem Anzug trug, und
verschämt damit vor der Herrengarderobe stehen blieb, bis Jemand
herauskam, um ihn ihr abzunehmen. Hinein wäre sie um die Welt nicht
gegangen -- das hatte sie Einmal gethan, das erste Mal, als sie auf's
Theater geschickt wurde, und den Schreck würde sie im Leben nicht
vergessen.

Der Director stand vorn auf der Bühne und betrachtete sich durch eins
der kleinen im Vorhang angebrachten Löcher das anwachsende Publikum.

Der Theaterdiener Peters schoß ein paar Mal über die Bühne herüber und
war außerordentlich beschäftigt, aber der Director achtete gar nicht
auf ihn. Es schien ein volles Haus zu werden, und er amüsirte sich
vortrefflich am Vorhangloch.

Jetzt kam Peters wieder zurück; er war eine Zeit lang verschwunden
gewesen und ging gerade auf seinen Chef zu.

»Herr Director!«

»Ja, Peters,« sagte dieser, ohne seine Stellung zu verändern, denn er
erkannte ihn an der Stimme -- »was giebt's?«

»Herr Handor ist noch nicht da.«

»Was?« rief der Director und fuhr wie der Blitz herum -- »und kommt
schon in der zweiten Scene -- Herr Du mein Gott, wo steckt der
unglückselige Mensch nur wieder? Laufen Sie doch einmal schnell zu ihm
hinüber, Peters, und sagen Sie ihm, es wäre...«

»Ich komme eben von drüben, Herr Director, es ist aber Niemand zu Hause
und der Schlüssel liegt unter dem Schrank draußen, wo er ihn immer
hinlegt, wenn er ausgegangen ist.«

»Dann sitzt er vielleicht in der »Hölle« -- na, weiter fehlte mir heut
Abend gar nichts -- laufen Sie einmal schnell in die »Hölle«, Peters
-- springen Sie ein bischen; es wäre doch schauderhaft, wenn der Mensch
nicht so viel Interesse an der Sache nehmen sollte, daß er nicht einmal
seine bestimmte Zeit einhielte!«

»Herr Gott, meine Beine!« seufzte Peters, als er sich wieder umwandte
und in einem kleinen Hundetrab seiner neuen Bestimmung zueilte; »das ist
ein Leben, Theaterdiener -- wenn ich mich einmal zur Ruhe setze, werde
ich Briefträger.«

Der Director hatte indessen das Publikum ganz vergessen, und wenn er
einmal einen raschen Blick durch den Vorhang warf, so kamen ihm jetzt
die Zuschauer, die ihm früher zu langsam eintrafen, viel zu rasch.
Wieder und wieder lief er nach der Garderobe, um sich selber zu
überzeugen, ob denn sein unglückseliger Prinz von Dänemark noch nicht
eingetroffen sei.

Und wie rasch die Zeit vorrückte, seit er auf ihn wartete! Es war
ordentlich, als ob der große Zeiger an der Uhr im Conversationszimmer
durchgegangen sei und auf den Moment loshetzte, wo sich Director Krüger
mit seinem Hamlet unsterblich blamiren sollte. -- Wahrhaftig, da traf
das Orchester schon ein, und in der Hofloge -- Krüger hätte durch eine
Versenkung abgehen mögen -- erschien ein mit Orden vorn ganz bedeckter
Kammerherr, sah nach, ob die Stühle vorschriftsmäßig standen, und
entzückte dann, indem er sich mit seinem weißen Glacéhandschuhen vorn
auf den rothen Plüsch der Balustrade stützte und sich das Publikum
betrachtete, die Gallerie, wo der Ruf schon von Lippe zu Lippe ging: »Da
is er!«

Peters kam im Sturmschritt zurück. Handor war nicht in der »Hölle«, aber
vor etwa einer Stunde dort gewesen und hatte ganz allein eine Flasche
Champagner getrunken; wo er jetzt sei, konnte ihm Niemand sagen -- im
»Paradies« wußten sie's auch nicht.

»Ist er denn noch nicht hier?« fragte Peters. Der Director gab ihm gar
keine Antwort, und nur mit einem verzweifelten Griff fuhr er sich in die
Haare und hob sich die Perrücke halb vom Kopfe.

Jetzt kam der Oberregisseur Sulzer im Costüm aus der Garderobe -- er
gab heute den König. Er hatte ein schwarzes Sammetbarett auf, mit einem
Kronenreif darum, trug natürlich einen Hermelinmantel und gelbe, hohe
Stiefel, und sah für einen König sehr bestürzt aus.

»Ist er denn noch nicht da, Herr Director?«

»Haben Sie ihn gesehen?«

»Ich? Nein -- aber wo steckt der entsetzliche Mensch? Wenn ihm nur kein
Unglück zugestoßen ist!«

»_Uns_ wird eins zustoßen, Sulzer!« rief der Director -- »uns wird eins
zustoßen -- passen Sie auf -- wenn er nicht bald kommt, rührt mich der
Schlag, denn _die_ Schande überlebe ich nicht!«

»Aber er muß ja kommen, er kann ja nicht ausbleiben! Ist denn der Prinz
schon da?«

»Das fehlte auch noch -- aber er muß jeden Augenblick eintreffen,
und wahrhaftig, da steht der Kapellmeister schon unten mit seiner
verfluchten weißen Halsbinde, und die Eichenkränze hängen um den
ersten Rang herum, und alle Gasflammen brennen -- es ist rein zum
Rasendwerden!«

»Wenn wir nun erst die Mamsell Bollo -- Badelli -- oder Bodellichini --
ich kann den verdammten Namen nicht behalten! -- tanzen ließen?«

»Das ist eine Galgenfrist, Sulzer; aber es wird uns nichts Anderes übrig
bleiben -- mir ahnt Schreckliches!«

»Die wird aber auch noch nicht fertig sein, da sie eigentlich erst nach
dem zweiten Act kommen sollte.«

»Bitte, springen Sie einmal hin, Sulzer -- ich lasse sie um Gottes
willen bitten, sich ein wenig zu beeilen! -- Peters, ist er _noch_ nicht
da?«

»Nein, Herr Director, und jetzt kommt er auch nicht mehr.«

»Du giebst mir einen Dolchstich!« citirte Sulzer im Abgehen, um die
Tänzerin in Gang zu bringen.

Die junge Dame war auch in der That ausnahmsweise früh gekommen, aber
natürlich mit ihrer Toilette noch nicht fertig. Die Conversation wurde
durch das Schlüsselloch geführt -- sie erklärte, vor dem Beginn des
Stückes nicht fertig werden zu können, und kein Mensch werde von
ihr verlangen, daß sie wie eine »Schlumpe« (der Name war für eine
Italienerin außerordentlich deutsch) an einem solchen Abend auf den
Brettern erscheine.

»Na ja, das fehlte auch noch, daß sich die auf die Hinterbeine setzt!«
rief Krüger wüthend und sprang selber nach der Garderobe.

»Aber dafür ist sie doch engagirt,« lachte Pfeffer, der als Todtengräber
hinten mit Hilgen als Horatio auf und ab ging und sich über die
Verzweiflung seines Directors und das Ausbleiben des einen Prinzen,
während der andere jeden Augenblick eintreffen konnte, auf das
Köstlichste zu amüsiren schien.

»Das wird ein Hauptskandal werden, wenn Handor nicht kommt,« meinte
Hilgen; »so 'was ist noch gar nicht da gewesen -- ich begreife den
Menschen nicht; er weiß doch, was davon abhängt.«

»Nur immer zu,« lachte Pfeffer, sich vergnügt die Hände reibend; »ich
freue mich wie ein Kind auf die Geschichte. Da ist doch endlich einmal
eine Abwechselung in dem verdammten Theaterleben!«

»Lassen Sie das den Alten hören...«

»Bah, ich spiele meine Rolle und damit Basta -- meine Ansichten sind
mein eigen -- und dem eingebildeten Laffen, dem Handor, gönne ich ebenso
den Rüffel, den er kriegen wird, und den Strafabzug -- vielleicht
werden wir ihn ganz los damit, denn er ist doch weiter nichts, als ein
erbärmlicher Coulissenreißer.«

»Strafabzug?« sagte Hilgen -- »er hat schon seine ganze Monatsgage
voraus -- vom Peters weiß ich's.«

»Alle Teufel,« rief Pfeffer, sich rasch gegen Horatio umdrehend, »ist
das gewiß?«

»Ganz gewiß!«

»Soll ich Ihnen etwas sagen, Hilgen?«

»Nun?«

»Dann ist der Musjö auch durchgebrannt und wir sehen ihn nicht wieder.«

»Unsinn -- heute, am Abend der Vorstellung -- vor einer Stunde bin ich
ihm noch begegnet.«

»Na, wir wollen's abwarten -- in Schulden sitzt er bis über die Ohren,
das weiß jedes Kind -- bezahlen kann er sie nicht, so viel ist auch
sicher -- übermorgen ist der Erste, wo ihm nachher wieder Alles über den
Hals kommt...«

»Das wäre ein verfluchter Streich.«

»Abwarten und Thee trinken,« bemerkte Pfeffer, der in diesem
Augenblick an Rebe und seine erneuten Aussichten dachte -- »sind schon
wunderlichere Dinge in der Welt passirt.«

Indessen klopfte der Director an Fräulein Bellachini's Thür und bat mit
den höflichsten Worten, »wenn irgend möglich«, um Einlaß.

Drinnen fand noch eine kurze Debatte statt, dann wurde der Riegel
zurückgeschoben, und Director Krüger sah sich der fast schon vollständig
costümirten gefeierten Tänzerin gegenüber, während ihre Begleiterin
oder Ehrendame oder Kammerjungfer eine Anzahl abgeworfener Stücke
Damengarderobe rasch zusammen- und in die Ecke schob.

Der Director zeigte sich aber hier nicht wüthend, sondern war die
Liebenswürdigkeit selber, und mit dem Hut in der Hand bat er die
junge, wunderhübsche und deshalb auch natürlich gerade wundercapriciöse
Tänzerin, ihn aus seiner grimmigsten Noth zu erretten und -- ihre
Toilette ein wenig zu beeilen. Sie sei jetzt schon so zauberschön -- wie
er in seiner Todesangst hinzusetzte, -- daß sie eigentlich gar nichts
mehr verbessern, sondern wieder zerstören könne, und sie möge doch ein
klein wenig Erbarmen mit dem jungen Prinzen haben, der sicher nicht
geahnt hätte, daß er nach Haßburg gekommen wäre, um hier rettungslos
sein Herz zu verlieren.

Fräulein Bellachini sträubte sich erst und berief sich auf ihr
Engagement und den Zettel. Krüger gab Alles zu; er war um den Finger zu
wickeln. Dann wollte sie Bedingungen machen; er ergab sich auf Gnade und
Ungnade. Endlich schien sie gerührt zu werden, und dem Director zuckte
es wie ein elektrischer Schlag durch die Glieder, denn draußen begann in
diesem Augenblick als Ouverture zum Hamlet, Beethoven's Trauermarsch.

Der Prinz war angekommen und der Hamlet fehlte noch immer.

»Wenn Sie ein Fünkchen von Erbarmen haben, so helfen Sie mir wenigstens
aus der größten Noth!« rief er in Todesangst -- »denken Sie, daß
der Hamlet beginnen soll und daß ich keinen Hamlet habe -- die ganze
Vorstellung ist ruinirt!«

»Aber was geht das mich an? Ich tanze nur in den Zwischenacten...«

»Aber, zuckersüße Terpsichore,« rief Krüger mit einem Gesicht, als ob
er sie hätte vergiften können, »sehen Sie denn nicht ein, daß wir ohne
Hamlet auch keine Zwischenacte haben können? Das Stück ist ja aus, ehe
es angefangen hat, und ich muß hinaus und das Publikum bitten, mir die
Ehre an einem andern Abend zu schenken!«

»Keine Zwischenacte?«

»Natürlich nicht.«

»Und dann könnte ich gar nicht tanzen?«

»Der Erbprinz verläßt augenblicklich seine Loge, sowie er hört, daß das
Stück gar nicht gegeben werden kann. Benutzen Sie also doch wenigstens
diesen einen möglichen Moment, sich ihm zu zeigen, daß er Ihre Kunst
bewundern kann.«

Das half. -- »Also Sie glauben, daß der Hamlet wirklich heut Abend gar
nicht sein kann?« fragte sie rasch.

»Ohne Prinzen von Dänemark? _Ich_ kann ihn nicht spielen.«

»Gut, dann werde ich tanzen -- rasch, Toni, meine Schuh', und hier die
Blume noch ein wenig fester, sie schwankt zu sehr -- ich werde Angst
haben, Herr Director!«

»Angst? _Ich_ habe Angst,« sagte der unglückliche Mann -- »Sie werden
mit Jubel empfangen werden und den alleinigen Triumph des ganzen Abends
ernten -- tausend, tausend Dank, mein bestes Fräulein!« und sich den
Schweiß von der Stirn trocknend, stürzte er wieder hinaus auf das
Theater.

»Ist er _noch_ nicht da?«

»Herr Director,« sagte der Requisiteur, der aber auch Mitglied war und
heute den Rosenkranz spielte, »ich glaube, Herr Handor kommt heute gar
nicht. Ich habe in seinem Hause nachfragen lassen und dort erfahren,
daß er heute Nachmittag einen kleinen Koffer weggeschickt habe -- aber
Niemand wußte, wohin.«

»Dann kann's nichts helfen, dann müssen wir zum Aeußersten schreiten!«
rief der Director, in dem plötzlich ein großer Entschluß gereift war
-- »Peters, springen Sie zu Meier hinüber -- er soll augenblicklich
kommen!«

»Er hat sich aber heute krank melden lassen...«

»Und wenn er auf dem Todtenbett läge, er muß spielen -- und, halt --
noch Eins -- bringen Sie nebenan aus der Blumenhandlung einen Arm voll
Kränze mit!«

»Kränze?«

»Kränze und Bouquets -- was vorräthig ist -- für die Direction, rasch;
in zehn Minuten müssen Sie wieder da sein!«

Peters fuhr ab wie aus einer Pistole geschossen, denn heute war mit dem
Director nicht zu spaßen.

»Herr Hilgen!«

»Sie befehlen, Herr Director...«

»Sie müssen heut Abend den Hamlet spielen.«

»Ich bitte Sie um Gottes willen!« rief der Mann erschreckt -- »den
Hamlet? -- Dann verlangen Sie vielleicht auch, daß ich im Theater
herumfliegen oder die Violine spielen soll?«

»Sie haben mir selber gesagt, Sie hätten ihn schon gespielt...«

»Ja, vor sieben oder acht Jahren -- aber seit ich hier engagirt bin,
hab' ich ihn nicht mehr angesehen. Ich weiß kein Wort mehr von der
Rolle.«

»Sie können noch rasch in den Zwischenacten memoriren.«

»Ich bitte Sie um Alles in der Welt: Sie wissen, daß ich Ihnen gefällig
bin, wo ich nur irgend kann, aber verlangen Sie nicht das Unmögliche --
ich würde mich und Sie blamiren!«

»Aber Einer _muß_ ihn spielen!« schrie der Director mit trotzdem
vorsichtig gedämpfter Stimme, daß man ihn nicht unten hören konnte, denn
das Orchester setzte gerade zu einem Adagio ein.

»Ich hätte nicht einmal Garderobe,« sagte Hilgen; »denn mit meiner
kleinen, dicken Figur werden Sie doch einsehen, daß mir Herrn Handor's
Anzug nicht paßte. Wollen Sie die ganze Geschichte lächerlich machen?«

Der Director lief in halber Verzweiflung mit nach unten gerungenen
Händen auf der Bühne auf und ab.

Rebe als Güldenstern stand mit auf der Bühne -- er hatte die
Unterhaltung mit angehört. Jetzt trat er zu dem Director vor und sagte:
»Herr Director!«

»Ja -- Herr Rebe -- nun, sind _Sie_ vielleicht _auch_ krank geworden?«

»Im Gegentheil,« lächelte Rebe, der aber in einer ungewöhnlichen
Aufregung schien und unter der Schminke fast unheimlich aussah --
»vielleicht kann _ich_ Ihnen helfen.«

»Sie? -- Mit was, wenn ich fragen darf.«

»Ich will den Hamlet übernehmen...«

»_Sie_?« rief der Director fast sprachlos vor Staunen.

»Ich kenne jedes Wort der Rolle und könnte ihn ohne Souffleur spielen.«

»Aber um des Himmels willen, Menschenkind!« rief der Director -- »Sie
haben bis jetzt nichts als kleine, erbärmliche Rollen gehabt, und das
Publikum...«

»Das war nicht _meine_ Schuld, Herr Director, und zum Theil auch nicht
Ihre, sondern eher Herrn Handor's, der mich nicht leiden kann und mit
Gewalt unterdrücken will. Hätten Sie mir schon früher dazu Gelegenheit
gegeben,so würden Sie vielleicht gefunden haben, daß ich doch zu etwas
Besserem zu gebrauchen bin -- also wagen Sie es...«

»Aber gleich mit dem Hamlet...«

»Wenn ich mich blamire, geschieht das auf meine eigene Gefahr,«
sagte Rebe ruhig -- »Sie sind, durch die Noth gezwungen, vollkommen
entschuldigt, und dem Publikum können Sie vor Aufgang des Vorhanges
mittheilen, daß wegen Ausbleibens des Herrn Handor ein anderes der
Mitglieder die Rolle hätte rasch übernehmen müssen. Am besten nennen Sie
meinen Namen gar nicht.«

Der Director konnte sich von seinem Staunen noch immer nicht erholen.
Hier bot sich allerdings eine Aussicht auf Rettung aus der größten Noth,
in der er sich in seinem ganzen Leben befunden; aber war es wirklich
eine Rettung und steigerte sich nicht am Ende noch die Blamage dadurch,
wenn sein Hamlet ausgepfiffen wurde? Lieber ehrenvoll sterben, als sich
lächerlich machen! -- Aber Rebe stand so entschlossen vor ihm, er schien
seiner Sache so gewiß -- Rebe -- Rebe, dem er eigentlich kaum gewagt
hatte die kleine, erbärmliche Rolle des Güldenstern anzuvertrauen, den
Hamlet -- _seinen_ Hamlet! Aber was blieb ihm übrig? -- er hatte keine
Wahl mehr, und wenn Peters gekommen wäre und sich erboten hätte,
den Hamlet oder die Ophelia zu spielen, es wäre ihm am Ende nicht
wunderbarer oder außerordentlicher vorgekommen, und er hätte
zugegriffen.

»Mensch, und wissen Sie, was Sie unternehmen? Vor dem Erbprinzen?« rief
er aus.

»Ich fürchte mich weniger vor dem Erbprinzen, als vor mir selber,«
lächelte Rebe, »aber ich weiß, daß ich den Hamlet spielen kann.«

»Na, dann in Gottes Namen!« rief Krüger -- »Unglück, hab' deinen Lauf!
-- Courage scheinen Sie zu besitzen, aber wenn das gut geht, will ich's
loben!«

»Und darf ich Herrn Handor's Garderobe nehmen?«

»Alles, was Sie finden -- Alles -- ich übernehme jede Verantwortung!
Machen Sie nur um des Himmels willen rasch!«

Rebe antwortete gar nicht -- er flog der Garderobe zu.

»Und ist das Vorspiel zu meinem Auftreten, Herr Director?« sagte
die reizende Bellachini, die jetzt neben ihm, in vollem Costüm, die
Dehnbarkeit ihrer Tricots prüfte -- »das klingt genau so, als ob eine
Leiche zu Grabe getragen würde.«

»Herr Gott, an den verdammten Trauermarsch hab' ich gar nicht gedacht!«
rief Krüger -- »Sulzer, springen Sie doch einmal hinunter...«

»Als König?«

»Ja so -- schicken Sie Jemanden, daß sie einen Rutscher oder Galopp oder
Polka -- zum Teufel, es ist mir Alles einerlei! -- hintennach schicken
-- der Rebe spielt den Hamlet.«

»Rebe?« rief Sulzer und blieb vor Schrecken stehen.

»Daß mir nur Jemand zum Kapellmeister springt -- rasch -- Herr Du meine
Güte, sie sind ja schon fertig unten!«

Die Musik hatte aufgehört; oben auf der Gallerie wurden sie schon
unruhig, denn die erste Neugierde war befriedigt, der junge Erbprinz
begafft worden, und nun wollten sie etwas für ihr Geld haben; den
Vorhang selber kannten sie schon auswendig.

An dem einen Loche im Vorhang stand Pfeffer und betrachtete sich das
Publikum. »Donnerwetter,« sagte er zu dem neben ihm stehenden Barthel,
der den Geist spielte und sich völlig aschgrau gemalt hatte, »heute
wird's voll! Was so ein Prinz ziehen kann -- den werde ich mir zu meinem
Benefiz engagiren. Aber auf dem ersten Rang sieht's noch bös aus; da
geht noch verdammt viel Luft durch.«

»Heute ist ja ein großes Fest bei Monfords draußen,« sagte der Geist,
»von ich weiß nicht wie viel Personen, und alle aus der =haute volée=.
So viel Derartige haben wir nicht, daß wir sie im Theater nicht spüren
sollten. Was hat denn der Rebe mit dem Director?«

»Was weiß ich,« meinte Pfeffer, »wird wahrscheinlich den Hamlet spielen
wollen.«

»Na, so gut wie der Handor, glaub' ich, spielt er ihn auch...«

»Wißt Ihr's schon? Rebe spielt den Hamlet,« zischelte in diesem
Augenblick Höfken, der den Polonius gab, indem er Pfeffer an der
Schulter faßte.

»Der Teufel wird ihn doch nicht plagen!« rief dieser, ordentlich
erschreckt.

»Bei Gott, da stürzt er schon nach der Garderobe!«

In dem Augenblick kam, während unten im Orchester, sehr zum Erstaunen
des Publikums, ein lustiger Tanz gespielt wurde, Peters hinter den
Coulissen mit einem ganzen Arm voll Blumen und Kränzen vorgestürzt.

»Meine Herren, Bühne frei!« rief der Regisseur -- »der Vorhang geht
auf!« -- Alles stob rasch auf die Seite und hinter die Coulissen.

Mauser saß unten im Souffleurkasten und wußte von alledem, was oben auf
dem Theater vorging, gar nichts, war aber sehr erstaunt, als auf einmal
Fräulein Bellachini herausschwebte und mit unbeschreiblicher Grazie
ihre zarten Glieder nach seinem Kasten hinüberwarf. Aber Krüger, der
Director, ohne dieser ersten Größe auch nur einen Blick zu schenken,
hatte den Theaterdiener an einem Knopf gefaßt, und ihn mit sich nach dem
Conversationszimmer ziehend, fragte er hastig:

»Nun, wie ist's, kommt der Meier?«

»Er wollte erst nicht und meinte, er hätte ein Attest eingeschickt, Herr
Director, und die Nachtluft thäte ihm weh, und im Beine zwickte es ihn
auch; aber ich ließ nicht locker, und wie ich fortstürzte, zog er sich
gerade die Stiebeln an.«

»Gut -- vortrefflich!«

»Und wo soll ich jetzt mit der Bescheerung hin?«

»Die Kränze und Bouquets tragen Sie in den zweiten Rang zum
Logenschließer hinauf -- irgend Jemand soll sie werfen, wenn die Dings
da fertig ist; wenn er Niemanden findet, soll er sie selber werfen, aber
nicht wieder in's Orchester und auf den Baß, wie neulich...«

»Schön, Herr Director...«

»Halt, noch Eins, Peters, sowie Sie das Blumenzeug untergebracht haben,
springen Sie hinunter in's Parterre, und sobald der Vorhang fällt,
schreien Sie =da capo=!«

»Ich?«

»Sie und wen Sie dazu bringen können. Links hinten steht ein ganzer
Haufen Freibillets, die Kerle sollen alle =da capo= schreien, was sie
schreien können, oder kein einziger bekommt wieder frei Entrée! Nehmen
Sie mit hinein, wen Sie draußen finden! Sagen Sie dem Logenschließer
nur, ich hätte Sie beauftragt! Aber =da capo= brüllen, was Sie können.
Sie muß noch einmal springen, daß mir der Rebe fertig wird.«

»Der Rebe?«

»Er spielt den Hamlet.«

»Daß Dich die Milz sticht!« rief Peters -- »der Rebe?...«

»Fort mit Ihnen, fort! Wenn die da fertig mit Hopsen ist, ehe Sie unten
im Parterre sind, ziehe ich Ihnen eine halbe Monatsgage ab.«

»Dös a noch!« sagte Peters, indem er seinen Blumenflor aufpackte und wie
ein Pfeil damit dem Ausgang zuschoß. Dabei murmelte er: »Ob er mir nur
je im Leben damit gedroht hätte, er wollte mir eine halbe Monatsgage
zulegen -- Gott bewahre! Nicht einmal ein Paar neue Stiebeln setzt's,
und die hab' ich mir schon heute durchgelaufen! 's doch 'was Schönes
um's Theater, besonders wenn man nur die Laufereien zu besorgen hat und
Allerwelts-Packträger ist -- Blumenwerfen, =da capo-=Schreien -- es ist
erstaunlich, was nicht Alles von einem Theaterdiener verlangt wird! Und
der Rebe den Hamlet!« setzte er hinzu, indem er die jetzt vollkommen
leeren Treppen bis zum zweiten Rang emporflog -- »da werd' ich nachher
wohl auch noch zu der Hökerin hinüber und einen Korb voll fauler Aepfel
zum Einkaufspreis besorgen müssen.«

Peters war übrigens ein durchaus brauchbarer Mensch in jeder Branche
und entledigte sich seines Auftrages vollkommen. Während er da oben noch
Ordre gegeben hatte, auch von dort aus einen energischen =da capo-=Ruf
erschallen zu lassen, wofür sogar der Logenschließer gewonnen worden,
stürzte er hinunter in's Parterre, um die nöthigen Hülfstruppen zusammen
zu bringen.

Das Publikum indessen, das zum Anfang eine ernste Tragödie erwartet
hatte, war im Beginn des Tanzes überrascht und verhielt sich ziemlich
passiv, trotzdem daß die junge Dame einige ganz verzweifelte Sprünge
ausführte und eine Fertigkeit im Drehen und Beinwerfen entwickelte, die
in Haßburg in dieser Gewandtheit noch nicht gesehen worden. Noch immer
hatte sich aber keine Hand gerührt, bis endlich der Erbprinz selber,
wenn auch kaum durch das Zusammenklopfen seiner Fingerspitzen, ein
wenigstens sichtbares Zeichen der Zufriedenheit gab. Jetzt legte sich
das Parterre in's Geschirr, das auf diesen Anfang nur gewartet zu haben
schien, und Fräulein Bellachini warf einen halb schmachtenden, halb
dankenden Blick nach der Hofloge hinauf.

Krüger sah von alledem nichts, denn eben hatte er den eintreffenden
Meier erspäht, den er mit ungeduldigen Geberden in's Conversationszimmer
winkte.

Meier sah wirklich kläglich aus; er trug, trotz der warmen Witterung,
einen alten, sehr abgenutzten und an den Aermeln sogar beschädigten
Flausrock. Dabei hatte er sich den Backen mit einem dicken weißen Tuch
verbunden, in dem sogar möglicher Weise noch ein Umschlag lag, und um
vielleicht seinen Zustand noch etwas bedenklicher darzustellen, hielt
er sich sogar den Backen, als er zu seinem Vorgesetzten in das
Conversationszimmer trat.

Dieser aber schien auf seine Verfassung nicht die mindeste Rücksicht zu
nehmen, und kaum hatte er ihn im Zimmer, so rief er ihn an:

»Meier, das ist ein Glück, daß Sie zu Hause waren -- Sie müssen heut
Abend den Güldenstern spielen!«

»Nicht um eine Million!« rief Meier tragisch.

»Ich gebe Ihnen zehn Thaler Spielhonorar!«

»Baar oder Abzug vom Vorschuß?«

»Baar -- in die Hand -- heut Abend noch!«

»Es geht nicht, Herr Director -- ich kenne die Rolle gar nicht...«

»Die paar Worte lernen Sie im ersten Acte -- Sie kommen erst im zweiten
vor, und werden nachher gleich in England umgebracht.«

»Da bringen Sie mich lieber gleich um -- mit _den_ Zahnschmerzen kann
ich nicht Komödie spielen.«

»Ich lasse Ihnen den Zahn ausreißen...«

»Danke Ihnen, das kann ich selber, und in der Rolle steht doch
wahrhaftig nicht, daß der Güldenstern einen dicken Backen hatt.«

»Es ist ein Hofmann -- warum soll ein Hofmann nicht eben so gut einen
dicken Backen haben, wie ein anderer Mensch?« rief der Director.

»Aber der Rebe spielt ja den Güldenstern -- was ist denn mit dem los?«

»Der Rebe spielt den Hamlet -- Handor ist fort, Gott weiß wohin, hat
sich wenigstens heut Abend nicht sehen lassen...«

»Der Rebe spielt den Hamlet?«

»Schreien Sie nicht so, man hört ja jedes Wort draußen -- und wenn der
_die_ Rolle übernommen hat, werden Sie doch wahrhaftig die paar Worte
sprechen können!«

»Jetzt bitt' ich aber zu grüßen, Rebe den Hamlet, da wird Mauser wohl
als Geist debutiren.«

»Also Sie spielen?«

»Aber, bester Herr Director, der Rheumatismus ist mir in das Kreuz
geschlagen und ich kann das linke Hinterbein nicht mit fortbringen; ich
hinke wie ein Invalide.«

»Es steht nirgends in der Rolle, daß Güldenstern nicht hinkt; hinken Sie
in Gottes Namen, aber machen Sie, daß Sie in die Garderobe kommen und
sich anziehen.«

»Na, das wird gut gehen, aber ich habe noch nicht einmal meine Rolle,
und da fällt der Vorhang schon wieder.«

»Rebe hat sie, in Handor's Garderobe, lieber, bester Meier. Zehn Thaler
baar! so viel Spielhonorar haben Sie in Ihrem ganzen Leben noch nicht
gehabt!«

»Das weiß Gott! Na, meinetwegen;« stöhnte Meier, »wenn es denn einmal
auf meinen Ruin abgesehen ist, mir kann's recht sein!« Und mit dem Kopf
schüttelnd, begab sich der unglückliche, frisch geworbene Güldenstern
nach hinten und brummte unverständliche Verwünschungen über das
verdammte »Mimen« in den Bart.

Und draußen wirkte Peters.

Kaum war der Vorhang gefallen, als ein Paar riesige Hände
zusammenschlugen und eine scharfe Stimme =da capo!= brüllte, Andere
stimmten bei, und das Parterre, leicht geneigt, einem solchen Beispiel
zu folgen, fiel endlich, wenn auch nicht gleich in Uebereinstimmung, in
den Beifall ein. Auch auf der rechten Seite des zweiten Ranges wurde der
Ruf =da capo= laut, aber noch vereinzelt und von einer ganz unsichtbaren
Stimme; aber der Vorhang zögerte noch wieder aufzugehen, und nun wurde
das Publikum ungeduldig.

»Bellachini 'raus, Bellachini 'raus!« schrieen Einzelne -- »=da capo!=«
tönte der Ruf wieder, »=da capo!=« ging das Echo von da und dort, und
als der Vorhang jetzt rasch in die Höhe rollte und das junge, reizende
Mädchen mit einem wilden Sprung noch einmal auf der Bühne erschien,
brach der Beifall stürmisch aus.

»Musik, Musik!« schrie der Director, der selber hinunter an die
Orchesterthür gelaufen war -- »noch einmal anfangen -- rasch!«

Alle Musici wiederholten die Worte -- der Kapellmeister sah sich nach
der Thür um und bemerkte das erhitzte Gesicht seines Directors,
der Tactstock hob sich, und die Tänzerin, von der Musik überhaupt
hingerissen, begann noch einmal, während es jetzt von oben Kränze und
Bouquets ordentlich niederregnete.

Krüger aber brach im Conversationszimmer auf dem Sopha zusammen und
stöhnte:

»Und wenn ich so alt würde wie Methusalem, an _den_ Abend will ich
denken!«




19.

Der Verlobungsabend.


Und wo war Handor indessen?

Er hatte den Nachmittag dieses Tages in fieberhafter Unruhe und Ungeduld
verbracht, denn er stand an einem Wendepunkt seines Lebens, und die
nächsten Stunden mußten entscheiden, ob es zum Guten oder zum Bösen
neigen würde.

Liebte er Paula wirklich und aufrichtig? Er hatte an sein eigenes Herz
noch nie die Frage ernst gestellt, denn er wußte, daß es keiner solchen
Neigung fähig sei. Er liebte nur sich selbst; nur sein eigener Ehrgeiz,
sein eigenes Wohlbefinden stachelte ihn an, und das liebliche Grafenkind
mit einer halben Million im Hintergrunde reizte natürlich seine
Begierden. Er merkte bald, daß er einen Eindruck auf sie gemacht; die
Aufstellung eines Liebhabertheaters bot ihm erwünschte Gelegenheit, ihr
in einer Weise zu nahen, die ihm unter anderen Verhältnissen unmöglich
gewesen wäre, und Paula, überhaupt sinniger und schwärmerischer Natur,
glaubte in ihm das Ideal ihres Lebens gefunden zu haben.

Daß er an Rang, Vermögen und Bildung tief unter ihr stand, achtete oder
sah sie nicht; die Klagen des routinirten Liebhabers rührten ihr
Herz und machten ihr Mitleid mit seinen erheuchelten Leiden rege.
Die übermäßige und unvernünftige Strenge dabei, mit der sie von einer
hartgesottenen Gouvernante bewacht wurde, reizte sie zum Widerstande,
und sie vergaß sich zuletzt so weit, dem Geliebten heimlich
Zusammenkünfte zu gestatten.

Sie allerdings sah darin nichts Arges; ihr Herz hatte sich ihm so rein
und voll hingegeben, so gut und lieb und brav erschien er ihr in allen
Stücken, daß sie ihm auch mit ihrer Liebe ihre Ehre anvertraute und
selig träumend Monden lang an einem Abgrund stand.

So verschlossen aber ihr dabei sein wahres und inneres Gemüth geblieben,
so vollkommen hatte ihr Handor in das, keines falschen Gedankens fähige
Herz gesehen und bald gefunden, daß sie an ihm mit der ganzen Kraft
ihrer Seele hange. Er war ihre erste heilige Liebe; sie fühlte das
Bedürfniß einer Brust, in die sie die Gefühle der ihrigen ausgoß, sie
fühlte das Bedürfniß, zu lieben und zu vertrauen, und da ihre eigene
Mutter wohl stets freundlich, aber nie, nie herzlich mit ihr war, ihr
nie gestattete, ihr so zu nahen, wie ein Kind der Mutter nahen soll, und
besonders alle Gemüthsbewegungen als mit ihren Nerven nicht verträglich
auf das Sorgfältigste mied und von sich hielt, wuchs diese Liebe Paula's
zu dem einzigen Wesen, dem sie sich ganz und ungetheilt hingeben konnte,
endlich zu einer Leidenschaft an, die sie selbst erschreckt haben müßte,
wenn sie sich je derselben klar geworden wäre.

Handor benutzte das mit kalter Berechnung. Er wußte recht gut, daß der
stolze Graf nie seine Einwilligung zu der Verbindung seiner einzigen
Tochter mit einem bürgerlichen, pfenniglosen Schauspieler geben würde,
so lange er nicht _mußte_, aber er zweifelte auch keinen Augenblick,
daß er sich endlich, dazu gezwungen, fügen und sein Kind nicht verstoßen
oder ihm doch jedenfalls eine Summe zur Verfügung stellen würde, die dem
Rang der jungen Gräfin entsprechend war -- und mehr verlangte er nicht.
Damit hatte er Alles erreicht, was er wollte, und dahin arbeitete er
jetzt.

In Haßburg konnte er sich doch nicht länger halten. Seine Schulden waren
zu einer Höhe angewachsen, die selbst des Versuches spottete, sie
zu decken, und die Geduld seiner Gläubiger hatte sich erschöpft. Der
nächste Monat schon konnte deshalb eine Katastrophe herbeiführen, die
Alles vernichtete, was er bis dahin aufgebaut, und so scheu er den
entscheidenden Schritt bis jetzt noch immer hinausgeschoben, so wurde er
selber nun dazu gedrängt.

Der Erste des Monats nahte, für den er die volle Gage theils schon
verschleudert hatte, theils noch in der Tasche trug; Rebe hatte ihm
schon seinen Secundanten geschickt, er konnte ihm nicht ausweichen, die
Verlobung kam dazu, und Paula hatte ihm gesagt, daß Vater und Mutter
ganz im Stillen ihre Vorbereitungen träfen, um gleich am andern Morgen
Haßburg auf längere Zeit mit ihr zu verlassen. Da erhielt er noch von
Paula durch die Post einen Brief, den sie der Terrasse nicht hatte
anvertrauen mögen, und er erhielt die wenigen, inhaltschweren Worte:

»Wir müssen fliehen. Das Schrecklichste ist geschehen -- ich bin elend
mein ganzes Leben. Sei heute Abend vor neun Uhr mit einem Wagen am
Drahtthor des Parks. Jetzt auf ewig die Deine.«

Und heute Abend »Hamlet«! Handor lachte bitter vor sich hin, doch sein
Director machte ihm wenig Sorge. Mit dem Brief war aber die Entscheidung
seines eigenen Geschickes unmittelbar in seine Hand gelegt, und es blieb
ihm keine Wahl mehr.

Den Brief verbrannte er augenblicklich, dann ging er wohl eine halbe
Stunde mit raschen Schritten in seinem Zimmer auf und ab. Das Ob kam
nicht mehr in Frage, nur das Wie, und darüber brütete er jetzt. Daß
er ein Wesen elend gemacht, zu dem er wie zu einer Heiligen hätte
aufschauen sollen, trübte nicht einen seiner Gedanken. Sie war
jetzt sein, und nur mit Umsicht mußten die Schritte geschehen, eine
Vereitelung ihrer Flucht zu vermeiden, und dann, wenn er sich in
Sicherheit wußte, den alten Starrkopf von Vater zu beugen -- oder zu
brechen -- es galt ihm ziemlich gleich. -- --

Der Abend dämmerte; im Schloß des Grafen Monford waren alle nöthigen
Vorbereitungen getroffen, und die Gäste konnten jetzt jeden Augenblick
eintreffen. Die Gräfin selber stand schon fertig angezogen unten im
Empfangssaal, von dem aus links eine Reihe prachtvoller Zimmer lag,
deren Flügelthüren alle weit offen standen, während sich rechts der
große Salon befand, in dem gewöhnlich gespeist wurde.

Paula war noch nicht da, und ihre Mutter ging ein paar Mal auf und ab.
Endlich betrat Mademoiselle Beautemps das Zimmer.

»Ist meine Tochter noch nicht fertig?«

»Ich bedauere, Ihnen nichts Bestimmtes darüber sagen zu können, Frau
Gräfin,« bemerkte die Französin achselzuckend; »die Comtesse hat sich
so vollständig von mir losgesagt, daß ich nicht einmal mehr ihr Boudoir
betreten darf. Ich hatte mir auch vorgenommen, Sie zu bitten, mich,
obgleich meine Verpflichtung eigentlich noch einige Monate länger
dauert, schon morgen zu entlassen, da ich sehe, daß ich hier nicht
allein vollkommen nutzlos, sondern auch ein -- Gegenstand steigender
Unzufriedenheit bin. Sie werden selber begreifen, daß unter solchen
Verhältnissen meine Stellung keine angenehme sein kann.«

»Liebe Beautemps, Sie sehen die Sachen mit zu schwarzen Farben.«

»Ich sehe sie leider, wie sie wirklich sind, und die gnädige Gräfin
würden mich -- und ich glaube, auch die Comtesse -- sehr verpflichten,
wenn Sie meiner Bitte Gehör schenken wollten.«

»Nun gut, ich werde mit dem Grafen Monford darüber sprechen.«

»Dann erlauben Sie mir noch, Frau Gräfin, Sie auf eine Entdeckung
aufmerksam zu machen, zu der mich heute der Zufall brachte; sie betrifft
die Comtesse.«

»Eine Entdeckung?«

»Als ich heute Morgen die Comtesse auf der Terrasse suchte, überraschte
ich sie, wie sie einen kleinen, rosafarbenen Brief las. Sie erschrak,
als sie mich hörte, und drückte das Papier so fest in der Hand zusammen,
daß ich es nicht wieder zu sehen bekam.«

»Und was glauben Sie, daß es war?«

»Was es war? Ein Liebesbrief, =sans doute=.«

»Und von wem? Doch jedenfalls von ihrem Verlobten?«

»Weshalb dann das Geheimnißvolle gegen mich? Warum erschrak sie, wenn
sie ein reines Gewissen hatte?«

»Das ist nicht möglich!« rief die Gräfin rasch.

»Nicht möglich?« sagte achselzuckend die Gouvernante; »glauben Sie
mir, Frau Gräfin, Sie wissen noch gar nicht, was bei einem so jungen,
unerfahrenen Mädchen unmöglich ist. Ich kenne das, und so lange ich die
Aufsicht über die Comtesse und die Ueberwachung der jungen Dame in
meinen Händen hatte, konnte ich Ihnen für Alles, was geschah, gut
stehen. Da mich aber der Herr Graf durch einen Machtspruch derselben
enthoben, darf ich auch nicht mehr für die Folgen verantwortlich gemacht
werden.«

Die Gräfin hatte still und schweigend vor sich niedergesehen. Die
Französin wollte morgen ihr Haus verlassen, und sie wußte, daß sie
auf deren Verschwiegenheit in einer so zarten Sache, die ihre Familie
betraf, nicht rechnen konnte. Es mußte deshalb auf dieser Seite jeder
Verdacht zerstört werden, und sie sagte jetzt, die Gouvernante forschend
ansehend:

»Ein grünfarbiges Papier hatte sie in der Hand?«

»Nein, Frau Gräfin, ein rosafarbenes, ich habe es deutlich erkannt.«

»Rosafarben? Dann, liebe Beautemps,« lächelte die Gräfin, »war es der
nämliche Zettel, den ich ihr heute Morgen gegeben und der weiter nichts
enthielt, als das Verzeichniß einiger Sachen, die wir zu unserer in
nächster Zeit beabsichtigten Reise mitnehmen wollten. Ich habe es Paula
aufgeschrieben, damit nicht immer etwas vergessen wird.«

»Gnädige Gräfin, das Papier sah nicht aus wie ein Verzeichniß,« rief die
Gouvernante, die sich an ihren Verdacht klammerte.

»Es war auf meinem Rosabriefpapier geschrieben.«

»Es sah dunkler aus.«

»Wollen Sie eine Schattirung draußen im Freien und in einem solchen
Moment erkennen?« lächelte die Gräfin. »Nein, liebe Beautemps, dieses
Mal haben Sie einen falschen Verdacht, denn ich gab es Paula ein paar
Minuten vorher, ehe ich fortfuhr, und sie wird es dort gelesen haben.
Uebrigens danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, und ich würde selber
auf Paula strenge Obacht haben, wenn nicht mit dem heutigen Abend ein
jeder solcher Verdacht von selber aufhören müßte. Sie werden begreifen,
daß man ihn nachher nicht einmal mehr äußern dürfte, ohne das Kind aus
das Tödtlichste zu beleidigen.«

»Aber, Frau Gräfin,« rief die Französin, »ich kenne Beispiele, wo nach
der Verlobung, ja, sogar nach der Trauung...«

»Lassen wir das,« wehrte die Gräfin ab, der das Gespräch unangenehm
wurde; »hier mit Paula haben Sie sich geirrt, und ich werde, um Sie
selber zu überzeugen, mir nachher den Zettel von ihr geben lassen.«

»Wie die Frau Gräfin befehlen,« sagte die Gouvernante kalt, aber
höflich, und ordnete die Lichter auf den verschiedenen Tischen, wegen
deren sie hereingekommen war.

Und Paula kam noch immer nicht. Die Gräfin stand einige Minuten
ungeduldig in der offenen Thür, drehte sich dann um und schritt langsam
in das nächste Zimmer hinein, von dem ein Ausgang zu Paula's Boudoir
führte. Dort klopfte sie leise an, und Paula öffnete selber.

»Meine Mutter!« rief sie erstaunt.

»Bist Du fertig, mein Kind? Das ist recht; es wird auch in der That die
höchste Zeit, denn es hat schon geschlagen und unsere Gäste müssen
jeden Augenblick eintreffen. Aber Du siehst recht bleich aus, Paula; Du
hättest wahrhaftig ein klein wenig =rouge= auflegen sollen.«

»Meine Mutter!« rief Paula und wollte sich in überströmendem Gefühl an
ihre Brust werfen.

»=Ma fille=,« rief aber die Mutter, erschreckt zurücktretend, »Du
zerdrückst mir den ganzen Kragen, ich bin ja in voller Toilette, Kind!
Komm, komm, das geht nicht, diese Aufregung paßt nicht für einen Moment,
wo man eben Gäste empfangen will. Und Thränen -- um Gottes willen,
Du wirst im Saal mit rothen Augen erscheinen, und was soll dann Dein
Verlobter von Dir denken?«

Paula faßte ihr Herz mit der Hand, als ob es zerspringen wollte, -- sie
vermochte kein Wort darauf zu erwidern.

»Keine Aufregung heut Abend, liebes Kind,« fuhr die Mutter fort, indem
sie den in der That schon etwas derangirten Kragen vor dem Spiegel
wieder in Ordnung brachte; »morgen früh halten wir einen großen
Familienrath, wir Beide zusammen, und da sollst Du mir Dein Herz
ausschütten nach Herzenslust -- ich bin schon in der That hinter ein
paar von Deinen kleinen Geheimnissen gekommen; heute aber haben wir
keine Zeit dazu.«

»Morgen, liebe Mutter, morgen? O Gott, was liegt Alles zwischen dieser
kurzen Zeit!«

»Viel, in der That, mein Töchterchen: der erste entscheidende Schritt zu
Deinem ganzen künftigen Lebensglück -- geh ihn getrost, Du wirst es nie
bereuen. -- Aber da fährt wahrhaftig schon ein Wagen vor; rasch, Kind,
die Thränen fort; bade die Augen ein wenig in kaltem Wasser, und bleib
nicht lange, der Vater wird sonst böse!« Und mit den Worten rauschte sie
mit ihrem schweren Stoffkleid aus dem Zimmer und in den Empfangssalon,
um dort die zuerst eingetroffenen Gäste zu begrüßen.

Paula blieb, als die Mutter sie verlassen, mit gefalteten Händen, mit
bleichem Antlitz in der Stube stehen. Endlich flüsterte sie leise:

»Und kein Mitleid, kein Gefühl für das eigene Kind -- nicht einmal
ausweinen an ihrem Herzen durfte ich meinen Gram! Oh, Mutter, Mutter,
ahnst Du denn, wie furchtbar weh Du mir damit gethan? Aber nein, nein,
sie kann nicht selber fühlen, was mir die Brust hier mit qualvoller Pein
zerreißen will; ihr Gott ist der Ehrgeiz, dem selbst das eigene Kind
geopfert werden soll -- daß das selber einen Willen, ein Gefühl, ein
Verlangen haben könnte, scheint ihr entweder nicht möglich oder ist so
unbedeutend, daß es keine Beachtung verdient! So lebe wohl, Mutter! Wenn
ich denn allein im Leben stehen soll, will ich mir auch die Bahn
allein suchen! Gott schütze Euch und mich, aber Er weiß, ich kann nicht
anders!«

Eine eigene, feste Entschlossenheit kam über das junge Mädchen, fast
noch ein Kind. Ihr Auge blickte klarer, ihr Schritt wurde entschiedener,
und rasch trat sie zum Waschtisch, badete ihre Augen in klarem
Quellwasser, ordnete sich das Haar wieder ein wenig, festigte eine
locker gewordene Blume in ihrem Schmuck und legte dann selber die
kostbaren Brillanten um Nacken und Arme, die sie am letzten Weihnachten
von ihrem Vater erhalten hatte. Das Alles nahm ihr auch nur wenige
Minuten Zeit; rasch war sie damit fertig, und noch einen Blick in den
durch zwei Girandolen erleuchteten Spiegel werfend, schritt sie in den
Empfangssaal hinüber.

Der Mutterblick ruhte wohlgefällig auf ihr, als sie sah, in wie
kurzer Zeit und wie vollkommen ihre Tochter alles Andere von sich
abgeschüttelt, was ihr den heutigen Abend zu trüben drohte -- ach, wenn
sie hätte in ihr Herz sehen können!

Aber ein eigener unnatürlicher und starrer Trotz war über das sanfte,
hingebende Kind gekommen: -- der Entschluß, sich der Macht, die sie in
Fesseln schlagen wollte, für Lebenszeit und gegen ihren Willen, nicht
zu beugen, und nur ein einziges Mal schrak sie noch zusammen und fühlte,
wie ihre Glieder zitterten. Es war der Moment, in dem der ihr bestimmte
Bräutigam, Graf Bolten, den Saal betrat.

Und wie Glück und Freude strahlend sah Graf Bolten aus, als sein Blick
ungeduldig im Saal umherflog, die ihm bestimmte Braut zu suchen, und
sie jetzt erkannte! Wie rasch glitt er, nicht einmal die Eltern zuerst
begrüßend, auf sie zu und flüsterte, ihre Hand ergreifend:

»Meine Paula, meine liebe, liebe Paula, wenn Sie wüßten, wie
unaussprechlich glücklich mich der heutige Tag macht!«

»Sie sind sehr gütig, Herr Graf!« stammelte Paula, tief erröthend, denn
_dem_ Manne gegenüber war sie sich einer Schuld bewußt.

»Herr Graf? Wie kalt das klingt!« rief Hubert vorwurfsvoll. »Hab' ich
mir noch keinen besseren Titel verdient, als die fremde, kalte Form?
Seien Sie freundlich mit mir, Paula; mein ganzes Lebensglück liegt ja
in Ihren Händen. Lassen Sie es mich mit einem Lächeln, nicht mit einem
Trauerblick empfangen!«

»Lebensglück, Du großer Gott,« sagte Paula mit einem Seufzer, »wer von
uns armen Sterblichen weiß, was die nächste Stunde für ihn birgt? Hoffen
Sie auf kein Glück, Herr Graf; die Enttäuschung wäre zu furchtbar und
schmerzlich nachher!«

»Hoffen dürfen wir, liebe Paula,« sagte Hubert herzlich, »es ist das
schönste Vorrecht des Menschen und sein Trost und Stab. Lassen Sie mir
immer die Hoffnung, die mir Ihr lieber Anblick frisch und warm in's Herz
gießt -- aber was Plaudern wir da,« brach er lachend ab, »so ernst und
feierlich, als ob wir zu einem Begräbniß und nicht zu einer Verlobung
gingen. -- Da kommt auch die Mama, die wird böse, wenn sie nicht
freundliche Gesichter sieht.«

Die Gräfin kam in der That heran, und Hubert sah sich für die nächste
Zeit überhaupt von allen Seiten in Anspruch genommen, da das Geheimniß
der Verlobung ja doch nur ein öffentliches war und alle Welt ihm ihre
Glückwünsche darbringen wollte.

»Und wo steckt George? Ich habe ihn noch mit keinem Blick gesehen.«

»Vorhin,« sagte Hauptmann von Seydlitz, der neben Hubert stand, »fuhr er
an mir vorbei, aber mit einem Gesicht wie eine Wetterwolke. Er sah mich
gar nicht -- weiß der liebe Gott, was er hat!«

»George?« fragte die Gräfin erstaunt. »Was kann der haben, das ihn
verdrießlich machen dürfte? Er ist ja doch sonst immer das Leben selber;
aber er hat heute Mancherlei zu thun. Ich werde mich einmal nach ihm
umsehen.«

Sie traf George, als sie das nächste Zimmer betrat, in Verzweiflung, und
er winkte seiner Mutter, ihm über den Gang zu folgen.

»Aber was hast Du nur? Weshalb kommst Du nicht zur Gesellschaft?«

»Zur Gesellschaft? und was ich habe? Heiland der Welt, und dabei wird es
nicht für anständig gehalten, zu fluchen!«

»Aber, George!«

»Denke Dir nur, dieses alte, verwünschte Burgfräulein, die genau so
aussieht, als ob sie dreieckig geschnitten und dann aufgeklebt wäre,
dieses Fräulein von Wünschel läßt mir vor einer halben Stunde absagen!«

»Das ist allerdings fatal!«

»Fatal? Göttlich! Das nennst Du fatal? Und ich bin mit meiner ganzen
Geschichte, die mich die letzten acht Tage vollständig aufgerieben hat,
heut Abend auch noch obendrein blamirt!«

»Und was willst Du jetzt thun?«

»Weiß ich's denn selber? Ich liege hier auf der Lauer, um irgend ein
unglückliches, passendes Individuum abzufassen, das mir in den Weg
läuft. Glücklicher Weise sind es nur ein paar Worte zu sprechen, aber es
ist eine Hauptsache, die nicht wegbleiben kann.«

»Hast Du denn sonst Alle zusammen?«

»Rottacks fehlen noch; das wäre jetzt ein Hauptspaß, wenn die auch
ausblieben -- dann schösse ich mir eine Kugel über den Kopf weg...«

»Aber, George...!«

»_Ueber_ den Kopf, Mama; ich würde außerordentlich vorsichtig zielen,
daß ich kein Unglück anrichtete. -- Aber, beim Himmel, da kommt Fräulein
von Bazcow angefahren. Die entere ich, die thut mir auch den Gefallen!«

»Aber wir sind mit den Leuten erst so kurze Zeit bekannt!«

»Bah, zu Rottacks bin ich am nächsten Tag gegangen -- da kommen auch
Rottacks -- Hurrah, nun bring' ich die Sache doch noch am Ende zu
Stande!«

Und fort schoß er mit weiter nichts im Kopf, als der glücklichen
Durchbringung seines Liebhabertheaters.

Rottacks fuhren in der That in dem Augenblick vor, und Helene sah bleich
und erregt aus, hatte sie doch die stolze Gräfin seit jenem Abend nicht
wieder gesehen, da diese den verschiedenen Proben nicht mehr beiwohnte
und sie jetzt ein erneutes Begegnen ordentlich fürchtete. Aber es half
nichts; der Verpflichtung gegen George konnten sie sich nicht entziehen.
Er vor Allen war gerade immer so liebenswürdig und herzlich mit ihnen
gewesen, und es hätte ihn zu sehr gekränkt; das durfte nicht sein. So
mußten sie denn der Gesellschaft beiwohnen, und gerade die Gesellschaft
schützte sie ja auch vor einem für beide Theile vielleicht peinlichen
Zusammentreffen mit der Gräfin. In großen Gesellschaften wie in einer
großen Stadt kann man, wenn man will, allein sein und sich von der
übrigen Welt abschließen; in kleinen Cirkeln und Städten ist es
unmöglich. In der Gesellschaft verdeckt die Form auch alles Andere, denn
sie besteht nur aus vorgeschriebenen Bewegungen und Situationen, wie
ein Schauspiel fast auf offener Bühne, wo sich die im gewöhnlichen Leben
vielleicht feindseligsten Charaktere offen und herzlich in die Arme
fallen. Auch in der Gesellschaft wird Haß und Liebe übertüncht, und nur
die Höflichkeit und der gute Anstand regieren.

Helenens Befürchtung war deshalb auch ganz grundlos gewesen, denn an
keinem andern Platz der Welt hätte sie nach der damaligen Scene besser
mit ihrer Mutter wieder zusammentreffen können, als in diesem Kreise
geputzter, fröhlicher Menschen. Und trotzdem schlug ihr das Herz
ängstlich in der Brust, als sie den Saal betraten und die Gräfin auf sie
zukam, um sie zu begrüßen. Aber die Gräfin war eine Weltdame; kein
Zug ihres Antlitzes verrieth etwas Anderes, und durfte etwas Anderes
verrathen, als Freude über das Erscheinen ihrer Gäste.

»Meine liebe Gräfin Rottack, wie ich mich freue, Sie wieder begrüßen zu
können. Wir hatten solche Sorge neulich, als wir hörten, daß Sie
sich unwohl fühlten! Herr Graf, Sie sind uns herzlich willkommen --
hoffentlich hatte es mit Ihrer lieben jungen Frau weiter nichts zu
sagen!«

»Migräne, gnädige Gräfin.«

»Ach ja, das alte, häßliche Leiden, ich kenne es; in unserer Familie ist
es ordentlich epidemisch.«

»Auch Helene hat es geerbt,« sagte Graf Rottack ruhig. Aber die Gräfin
erwiderte freundlich:

»Dann muß sich Ihre liebe Frau recht in Acht nehmen und in Geduld
fassen, denn es verliert sich erst mit den Jahren. Und nun bitte, legen
Sie ab, lieber Graf. George hat schon ein paar Mal nach Ihnen gefragt,
er war selig, als er Sie kommen sah.«

»Er hat doch nicht etwa gefürchtet, daß wir ihn im Stich lassen würden?«
sagte Felix.

»Er hat heute alle Hände voll zu thun,« lächelte die Gräfin, »und
wirklich dabei das Unglaubliche geleistet, denn Paula ahnt noch gar
nichts von der Ueberraschung -- aber da kommt Paula, verrathen Sie sich
nicht!«

Paula hatte die junge Gräfin gesehen und kam rasch auf sie zu; aber je
mehr sie ihr nahte, desto mehr hemmte sie ihren Schritt, und wollte sie
und ihren Gatten eben in der gewöhnlichen stummen und hergebrachten
Form der vornehmen Welt begrüßen, als Helene auf sie zutrat, ihre beiden
Hände ergriff und mit herzlicher Stimme sagte:

»Meine liebe Comtesse, wie freue ich mich, Sie wiederbegrüßen zu
können!«

Die Worte klangen so gut, so lieb, so wahr -- Paula traten, so sehr sie
dagegen ankämpfte, die Thränen in die Augen, und unwillkürlich bog sie
sich zu Helenen über, die einen leisen Kuß auf ihre Stirn drückte.

Die Mutter sah es, und freundlich sagte sie:

»Nehmen Sie sich der Kleinen ein wenig an, Frau Gräfin; sie macht ein
viel traurigeres Gesicht heute, als es für den Tag paßt; sie ist mir
auch immer zu viel allein und sinnt und grübelt; das taugt nicht für ein
junges Mädchen. Aber jetzt entschuldigen Sie mich, meine Pflichten als
Hausfrau sind unerbittlich.«

»Wer ist denn dieser Graf Rottack eigentlich, und wo kommt er auf einmal
her?« sagte ein alter Herr mit einem entschieden militärischen
Anstrich, zu einem andern Herrn, der neben ihm stand und mit einem etwas
verbissenen Gesicht bis jetzt die Gesellschaft betrachtet hatte, als ob
er sich über jeden Einzelnen ärgere, daß er überhaupt auf der Welt wäre.
»Wissen Sie es nicht, Herr Staatsrath?«

»Thut mir leid,« entgegnete der also Angeredete, »er war lange in
Brasilien und hat sich auch seine Frau von dort mitgebracht.«

»Es ist ein reizendes Paar; wunderhübsches Frauchen.«

»Ja, passirt; er sieht mir aber eher wie ein Demokrat im Frack, als wie
ein Graf aus, macht auch Besuche bei Schauspielern. Ich glaube nicht,
daß viel dahinter ist. Apropos, Oberst, haben Sie denn schon diesen
neuen Beitrag zu unserer =chronique scandaleuse= gehört mit dem Baron
Beltine?«

»Mit Beltine? Nein. Da drüben steht er ja.«

»Ja, er ist wieder zurück. Vor acht Tagen machte er sich aber das kleine
Vergnügen, eine Schneiderstochter von hier zu entführen. Die ganze Stadt
war ja voll davon.«

»Ich habe kein Wort davon gehört; er ist ja aber verheirathet.«

»=Eh bien=, und was weiter -- seine Frau fuhr indessen allein in's
Theater.«

»Ach, das ist ja gar nicht möglich; das wäre ja eine Niederträchtigkeit
und Graf Monford der Letzte, der ihn danach wieder einladen würde.«

»Lieber Oberst, Sie kennen die Welt noch nicht, obgleich Sie beinahe
siebzig Jahre darin leben; der Baron ist außerordentlich reich.«

»Sind Sie auch mit ihm befreundet?«

»Befreundet,« sagte der Staatsrath, die Achseln zuckend; »mit wem ist
man eigentlich in der Welt befreundet, und ich in meiner Stellung schon
gar. Ich glaube nicht, daß es zwei Menschen in der Stadt giebt, die mich
nicht hassen, aber merken Sie das Jemandem an, Oberst? Sie sind Alle die
Höflichkeit selber, so lange sie mit mir verkehren, alles Andere
geht mich nichts an, und wie sie hinter meinem Rücken schimpfen, was
kümmert's mich? Ebenso halten es Andere. Der Baron kann mich auch nicht
leiden, eingebildeter, fader Narr, der er ist; aber er und ich geben
ausgezeichnete Dejeuners, und da brauchen wir einander.«

»Da kommt er gerade auf uns zu.«

»Ah, lieber Staatsrath! Herr Oberst, ich habe die Ehre!« »

»Mein bester Baron, wo haben Sie die ganze Woche gesteckt? Mir hat
ordentlich etwas gefehlt, wenn ich Ihnen Morgens auf meinem gewöhnlichen
Spaziergang nicht begegnete.«

»Sie sind sehr gütig, Herr Staatsrath; ich war auf einige Tage in der
Residenz, wohin mich Geschäfte riefen. Die gewöhnlichen Plackereien des
Lebens.«

»Ueber die ich Sie erhaben glaubte.«

»Keiner von uns, Keiner von uns, lieber Staatsrath; aber wo ist
eigentlich unser junges Pärchen?«

»Die Braut steht da drüben, sie sieht auffallend blaß und gedrückt aus;
Comtesse Monford ist sehr zart.«

»In der That, in der That. Sie entschuldigen, lieber Staatsrath, ich
habe der Comtesse noch nicht einmal meine Huldigung dargebracht.«

»Aber, meine liebe Paula, was ist Ihnen?« sagte Helene liebevoll, indem
sie ihren Arm um die schlanke Taille des jungen Mädchens legte; »Sie
sind so furchtbar aufgeregt.«

»Ach, wenn ich Ihnen Alles sagen könnte,« flüsterte Paula, »wenn ich Sie
früher gekannt hätte; Vieles, Vieles wäre vielleicht anders, besser, als
es jetzt ist!«

»Es ist selbst jetzt noch nicht zu spät,« sagte Helene herzlich, »und
ich hoffe, wir sollen recht gute Freunde werden!«

»Zu spät, zu spät!« hauchte Paula leise, daß der Schall der Worte kaum
zu Helenens Ohr drang.

»Das ist recht, meine liebe Frau Gräfin,« sagte in diesem Augenblicke
Graf Monford's Stimme, und der Graf grüßte freundlich die junge
Dame, »daß Sie mein kleines Töchterchen ein wenig aus ihrer Lethargie
emporrütteln -- das Köpfchen hoch, Paula, bist ja mein gutes Kind.«

»Mein lieber, lieber Vater!« rief Paula, leidenschaftlich des Vaters
Hand ergreifend.

»Bst, Kind, bst,« sagte der alte Herr, »ich habe mir vorgenommen, heut
Abend recht lustig und vergnügt zu sein, und da mußt Du mir helfen,
denn Du hast auch alle Ursache dazu. Es ist ein merkwürdiges Kind, Frau
Gräfin, so außerordentlich weich, gar nicht wie ihre Mutter, die einen
viel festeren und entschiedeneren Charakter hat. Aber ein gehorsames
Töchterchen ist es doch, das seinen Eltern große, unendlich große Freude
macht, und auf das sie wohl mit Recht stolz sein können.«

»Mein guter Vater!«

»Haben Sie nur Geduld mit ihr, Herr Graf,« sagte Helene; »es ist ja so
natürlich, daß sie einer so gewaltigen Wendung ihres ganzen bisherigen
Lebens nicht mit voller Ruhe und Sicherheit entgegengehen kann.«

»Ich habe auch Geduld mit ihr,« lächelte der Graf, »denn ich kenne meine
Tochter, und sie wird mir noch einmal mit thränenden Augen danken --«
und Paula freundlich zunickend und mit einer Verneigung gegen Helene
schritt er zu dem andern Theil des Saales hinüber. -- --

Unten in der Halle hatte der Haushofmeister eine Reihe von Bierfässern
und Körbe voll Wein an die eine Wand reihen lassen, und nicht allein
die Dienstleute des Gutes und die Forstbeamten und Holzhauer des
benachbarten Waldes wurden dort frei gehalten, sondern wer von der Stadt
heraufkam, erhielt, was er essen und trinken wollte, denn es sollte
Keiner hungrig von der Schwelle gehen, auf der die Freude herrschte.

Das hatten sich denn auch eine Menge von Leuten zu Nutze gemacht, und
der Platz hinter dem Schlosse, wohin sie sämmtlich gewiesen wurden,
schwärmte von ihnen.

Auch der alte Maulwurfsfänger war mit heraufgekommen, aber er mischte
sich nicht unter den Troß, ließ sich auch weder Getränk noch Speisen
geben, und drückte sich eigentlich mehr in den Büschen herum, abseit von
den Leuten. Es war fast, als ob er Jemanden suche oder erwarte.

Endlich kam der Förster den Weg herauf, seine Flinte wie immer auf dem
Rücken, und blieb erst eine Weile da, wo der Weg auf den freien Platz
ausmündete, stehen, um sich das fröhliche Treiben zu betrachten.
Gefallen that's ihm nicht; ein ächter Jäger mag keinen Lärm leiden,
ob er nun auf der Jagd ist oder nicht, denn immer an Ruhe und Stille
gewöhnt, stört es ihn. Aber der Förster trank gern ein Glas Wein, und da
sein Gehalt ihm nur Bier verstattete, und selbst das mäßig, war er doch
auch einmal herüber in's Schloß gekommen, um mit seinem alten Freund,
dem Haushofmeister, eine Flasche zu leeren. Der Holzhändler aus der
Stadt und der Müller vom Bache gleich unter dem Forsthaus, wie der
Schulmeister von Eslich, dem nächsten Dorf, hatten sich auch schon
eingefunden und saßen in des Haushofmeisters Stübchen um den runden
Tisch am Fenster, während sein eigener, besonders zu dem Zweck herüber
bestellter Forstgehülfe nicht weit davon beschäftigt war, ein paar
kleine Böller in Ordnung zu bringen, die gelöst werden sollten, wenn
drinnen im Saal zuerst die Gesundheit des Brautpaars ausgebracht wurde.

Eben kam auch die Militärmusik vom nächsten Ort auf einem Leiterwagen
angefahren, denn die hiesige hatte nicht abkommen können, da sie gleich
nach dem Theater nothwendig zu dem beabsichtigten Fackelzug und einem
Ständchen für den Erbprinzen gebraucht wurde.

Dem Maulwurfsfänger entging nichts von alledem. Seine kleinen grauen
Augen blitzten nach allen Seiten, ohne daß irgend einer der hier
Versammelten auch nur die geringste Acht auf ihn gehabt hätte; die
Wenigsten bemerkten ihn sogar, und die ihn bemerkten, fanden es
natürlich und ganz in der Ordnung, daß er sich ebenfalls zu diesem Feste
eingefunden; gehörte er doch mit zu den Arbeitern im Schlosse, in dessen
Park er in jeder Woche ein paar Mal zu finden war.

Der alte Bursche betheiligte sich aber nicht an dem Trinken. Wohl eine
halbe Stunde lang, als der Förster schon längst in der Stube war, stand
er noch halb versteckt in dem Gebüsch an einen Baum gelehnt. Dann erst,
als er sich vollständig überzeugt hatte, daß der Forstmann fest hinter
seinem Tisch und seiner Flasche Wein saß, zog er sich vorsichtig in das
Dickicht zurück und umging jetzt, immer durch das Buschwerk kriechend,
das Schloß.

Einmal mußte er freilich noch eine ganze Weile warten, denn wie er den
einen Weg kreuzen wollte, standen dort Leute aus dem Dorf und plauderten
miteinander. Endlich -- und wie lang ihm die Zeit dabei wurde -- zogen
sie sich ebenfalls zum Schlosse hin, und er glitt jetzt, immer die
Büsche haltend und alle offenen Wege vermeidend, der nämlichen Gegend
zu, in der ihn damals der Förster bei seiner nächtlichen Fasanenjagd
entdeckt, wenn auch nicht erwischt hatte. Aber nicht zu den Fasanen zog
ihn dieses Mal sein Trieb des Wilderns.

Der alte Förster war ein ganz ausgezeichneter Forstmann und es hätte
kaum einen besseren für die Waldculturen geben können, aber er war
kein Jäger, und das darf uns in unserer Zeit gar kein Wunder nehmen. --
Allerdings hegte er das Wild, weil es ihm der Graf befohlen hatte, und
er haßte und verfolgte alle Wilddiebe aus Leibeskräften, weil ihm das
einmal in der Natur lag, daß er keinen Eingriff in seine Rechte dulden
konnte. Aber eigentliche Liebe zum Wild hatte er nicht und konnte sie
nicht haben, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ihm schon seit
vielleicht zwanzig Jahren verboten war, selber etwas zu schießen, was
der Graf nur für ein Vorrecht der Cavaliere oder etwa eingeladener Gäste
hielt.

Der Förster sollte den ganzen Tag in seinem Walde sein; er sollte
abspüren und bestätigen, er sollte jeden Hirsch kennen, der auf den
verschiedenen Revieren stand, jeden Rehbock sogar; aber der ächten
Waidmannslust durfte er selber nie folgen.

In der Jagdzeit hatte der Graf immer eine Menge Gäste, zu deren
Ehren Treibjagen veranstaltet oder die mit dem Förster oder einem der
Forstgehülfen Bürschen geschickt wurden. Mußte aber Wild abgeschossen
werden, so bekamen nie oder nur in höchst seltenen Fällen die Forstleute
Auftrag dazu, sondern der junge Graf that es selber, oder lud sich ein
paar von seinen Kameraden dazu ein, die dann vielleicht die nöthige
Anzahl erlegten und noch außerdem drei oder vier andere Stück zu Holz
schossen.

Im Anfange war der Förster außer sich darüber, zuletzt wurde er
gleichgültig dagegen, und es dauerte nicht lange, so lag ihm die
Forstcultur viel mehr am Herzen, als das Wild, ja, er fing an, sich zu
ärgern, wenn der Wildstand zu sehr wuchs, da sie ihm in kalten Wintern
seine Culturen schädigten.

Hirsche und Rehe, so weit war er schon gekommen, nannte er »das
Viehzeug«, und wäre es dem Grafen einmal eingefallen, seinen ganzen
Wildstand auszurotten, der alte Förster würde ihm mit Vergnügen dabei
geholfen haben.

Solche Verhältnisse fanden übrigens nicht allein in Haßburg statt;
sie sind ziemlich allgemein in ganz Deutschland geworden, und unsere
Nachkommen dürfen sich nicht wundern, wenn sie in unserem Vaterland eben
so vergebens nach einem wirklichen Jäger suchen werden, wie man jetzt
bei uns noch nach einem Wolf, Luchs oder Bären sucht. Sie sind eben oder
werden wenigstens ausgerottet.

Der alte Förster hatte, mit einem Wort, »keine Passion« für das edle
Waidwerk; er _züchtete_ das Wild, wie eine Hausfrau Hühner und Gänse
züchtet, und deshalb war der alte Maulwurfsfänger ein so gefährlicher
Kunde für sein Revier.

Dieser nämlich, durch seinen Beruf schon vollkommen berechtigt,
überall im Park, in dem es einen sehr bedeutenden Damwildstand gab,
umherzusuchen, um angeblich nach Maulwürfen und ihren Gängen zu
forschen, hatte diese günstige Gelegenheit nicht unbenutzt verstreichen
lassen und kannte alle Wechsel des überhaupt vollkommen vertrauten
Wildes so genau, als ob er es hier seit seiner Jugendzeit beobachtet
habe; aber das genügte ihm nicht allein.

Er wußte recht gut, daß er in dem umschlossenen und kleinen Park nicht
schießen durfte, ohne im Augenblick die sämmtlichen Schloßbewohner auf
seiner Fährte zu haben; an ein Wegschaffen irgend eines erlegten Stück
Wildes wäre dann nicht zu denken gewesen. Der alte Bursche verstand
aber mehr als Maulwürfe zu fangen, und mit dem Terrain erst einmal genau
bekannt, hatte er auch bald seinen Plan entworfen.

Gleich hinter der Fasanerie lag ein schmales und langes Fichtendickicht,
das den Park gewissermaßen gegen das daranstoßende Feld abschloß und
absichtlich so dicht angesäet war, um besonders den jungen Fasanen
genügenden Schutz gegen Raubvögel zu gewähren. Hier hindurch hatte sich
das Damwild einen Wechsel angelegt, um zu dem Haferstück zu gelangen,
und sobald der Maulwurfsfänger den ausspürte, legte er am äußersten Rand
desselben auch noch eine Art von künstlicher Salzlecke an, indem er
oben unter die Aeste einer jenen Platz überragenden Eiche ein paar
kleine Salzsäcke band. Bei Regen und nasser Witterung tropfte das
aufgelöste Salz herunter, und das Wild hatte dann auch nach kaum drei
Wochen den Platz schon aufgefunden und leckte dort ein tiefes Loch in
den Boden, um den salzigen Geschmack der Erde zu bekommen.

Weiter wollte der Wilderer nichts; er ließ sie ruhig gewähren, bis seine
Zeit gekommen war, und den heutigen Abend hielt er dazu passend. Der
Förster saß oben bei der Flasche, der Forstgehülfe war mit den alten
Böllern beschäftigt und außerdem ebenfalls durstig; von den Beiden hatte
er also nichts zu befürchten. Aus dem Schloß selber kam Niemand heut
Abend in den Park, davon war er fest überzeugt; eine bessere und
günstigere Gelegenheit fand sich deshalb nicht wieder, und er war fest
entschlossen, sie zu benutzen.

Aber er hatte auch schon vorgearbeitet. Daß er ohne Schußwaffe und in
einer ziemlich dunkeln Nacht, da der Mond erst nach zwölf Uhr
aufging, nichts würde ausrichten können, wußte er recht gut. Zu seinem
Wilddiebstahl brauchte er aber kein Licht; ja, Dunkelheit war ihm eher
noch günstig, denn schon mit der einbrechenden Dämmerung hatte er sich
auf ihm vortrefflich bekannten Wegen in jenes Dickicht geschlichen und
dort auf dem Wechsel eine feste Drahtschlinge aufgestellt. Gleich nach
Dunkelwerden wechselte das Damwild gewöhnlich von der Parkwiese nach dem
Haferfeld hinüber, und nahm es dann wirklich einen andern Weg, so hatte
er weiter nichts zu thun, als außen am Park das Feld langsam abzugehen,
und er konnte sicher sein, daß eins oder das andere der Thiere den
kleinen Pfad annahm und sich dann fing.

Jetzt hatte er den Fichtenstreifen erreicht und kroch vorsichtig darin
hinauf; aber er war zu dicht, er kam nicht fort, und wieder in das
offene Holz hineinbiegend, glitt er unmittelbar am innern Rand der
Stelle zu, wo er seine Schlinge wußte.

Halt, was für ein Geräusch war das? Er hielt und horchte; es schlug
etwas den Boden.

»Hurrah,« jubelte er in sich hinein, »da steckt mein Sonntagsbraten,
dem auch die Flasche Wein nicht fehlen soll!« und wie ein Indianer fast,
rasch und geräuschlos, floh er über die trockenen Nadeln hin, mit denen
hier eine Anzahl mehr einzeln stehender Kiefern den Boden bestreut.
Jetzt erreichte er den Platz. Die Anstrengungen des gefangenen Wildes,
da es den Feind nahen hörte, wurden stärker; es riß und zerrte an den
Büschen und schnellte sich vom Boden empor. Aber die Schlinge, an die
elastischen Zweige der nächsten jungen Bäume befestigt, hielt, und
wenige Minuten später hatte der Maulwurfsfänger seine Beute, ein feistes
Schmalthier, gefaßt, zu Boden gerissen und ihm mit seinem scharfen
Genickfänger den Todesstoß gegeben.

       *       *       *       *       *

Die Gäste waren alle versammelt, und während ein Theil von ihnen, den
wundervollen Abend noch genießend, vorn auf der Terrasse spazieren
ging, bildeten sich auch in dem Saal selber, dessen Thüren und hohe
Fensterflügel weit geöffnet standen und die balsamische Luft wie den
Duft der Blumen überall herein ließen, einzelne Gruppen von Bekannten
untereinander.

Und jetzt kam auch George, der sich aber Einzelne unter den Gästen
aussuchte, um ein paar Worte mit ihnen zu flüstern. Auch zu Rottacks
ging er hinüber.

»Meine Herrschaften,« sagte er rasch und fröhlich, »gleich nach dem
Souper beginnt unser Wirken; thun Sie mir also den Gefallen und machen
Sie sich, sobald Sie möglicher Weise können, von der Tafel los, damit es
keinen Aufenthalt giebt. Ich darf doch auf Sie zählen?«

»Sicher,« sagte Rottack.

»Und Paula hat noch nichts gemerkt? Sie sprachen vorhin mit ihr
angelegentlich, Frau Gräfin.«

»Sie hat keine Ahnung und, ich fürchte, auch fast keinen Gedanken
für die Festlichkeit,« seufzte Helene; »das arme Kind kommt mir recht
angegriffen und so unnatürlich aufgeregt vor.«

»Desto besser, desto besser!« lachte George vergnügt vor sich hin, denn
er selber sah, hörte und dachte heute an nichts Anderes, als eben seine
beabsichtigte Ueberraschung.

»George, wo bist Du so lange geblieben?« rief in diesem Augenblick Paula
und eilte auf ihn zu; »ich habe Dich so ersehnt.«

»Mein liebes Herz, ich hatte zu thun und wußte Dich ja hier so gut
aufgehoben. Wie geht es Dir, Schatz?«

Paula antwortete ihm nicht. Sie sah ihn mit ihren großen Augen fest an,
und dann seinen Arm ergreifend und ihn leise ein paar Schritte mit sich
zur Seite führend, flüsterte sie:

»Bleibe mir immer gut, George; behalte Deine Schwester lieb.«

»Aber, Paula, was fehlt Dir? Du gehst ja doch noch nicht von uns, wenn
Du auch von jetzt an einem Andern angehören wirst; mache Dir doch keine
thörichten Sorgen.«

»Mein guter George!«

»Komm, Kind, da beginnt die Tafelmusik; um Gottes willen, was hast Du,
Paula, wir sind ja nicht allein!«

Paula hatte mit der Hand fast krampfhaft seinen Arm gefaßt, zog ihn an
sich und drückte einen heißen Kuß auf seine Schulter. Dann ließ sie ihn
plötzlich los und schritt der Thür der Terrasse zu.

Eine Weile noch wogten die Gäste durcheinander, hier sich begrüßend,
dort mitsammen plaudernd, bis der Haushofmeister endlich feierlich auf
den Grafen Monford zuschritt und ihm meldete, daß die Suppe servirt
werden könne.

»Meine Herrschaften, zur Tafel!« rief der Graf fröhlich; »meine Herren,
nehmen Sie sich Ihre Damen. Wo ist Hubert?«

»Er sprach eben im andern Zimmer mit der Mama,« sagte George.

»Rufe ihn einmal. Wo ist denn Paula? Sie war ja eben noch da.«

»Sie wird draußen auf der Terrasse sein; ich werde nachsehen.«

George ging hinaus, um die Schwester zu suchen; aber auf der Terrasse
war sie nicht, und von dort herein zogen jetzt die Gäste, dem
willkommenen Ruf zur Tafel folgend.

Langsam schritt Paar nach Paar in den zu Tageshelle erleuchteten Saal
und ordnete sich nach ihren, ihnen bestimmten Plätzen um die Tafel,
deren Pracht das Auge ordentlich blendete.

Riesige silberne Candelaber streckten ihre breitästigen Arme aus und
hielten zahllose flammende Wachskerzen. Prachtvoll gearbeitete Frucht-
und Blumenkörbe standen dazwischen, und den mittleren Theil deckten
sogar noch niedere Aufsätze von blank polirtem Silber, die wie eben so
viele Spiegel das Licht tausendfältig zurückstrahlten.

Was Deutschland nicht allein, nein, was die Welt an Blumen und Früchten
bot, war auf der Tafel angehäuft, von der saftigen Kirsche bis zur
goldgelben Banane und Ananas, und damit harmonirte der Saal selber, der,
so einfach auch decorirt, doch in jedem einzelnen Stück den Reichthum
sowohl wie den Geschmack des Besitzers verrieth.

Abgeschieden von den Gästen durch einen hohen, schwerseidenen Vorhang,
wie man ihn auf dem Theater wohl gemalt sieht, saß das Musikcorps, das
mit dem Wagner'schen Marsche aus »Tannhäuser« begonnen hatte, und nach
dem Tacte desselben ordneten sich unwillkürlich die Gäste; aber man
wollte sich setzen, und ungeduldig sah der Graf umher, denn Paula,
Hubert und George fehlten noch. Hatten sie den Ruf zur Tafel nicht
gehört?

Der Haushofmeister wurde hinausgeschickt, um nach ihnen zu sehen. Er
kehrte ebenfalls nicht wieder.

»Um Gottes willen,« flüsterte Helene ihrem Begleiter zu, »die Comtesse
wird doch nicht unwohl geworden sein; sie sah vorhin so bleich aus!«

»Das ist mir auch aufgefallen,« erwiderte dieser; »Graf Monford scheint
unruhig zu werden.«

»Eine kleine Störung,« lächelte der Staatsrath seiner Nachbarin,
einem gelben, aber sehr reichen Stiftsfräulein von Wurmholz, zu, »die
Elisabeth hat ihr Stichwort versäumt und der Festmarsch wird noch einmal
von vorn anfangen müssen.«

»Das junge Brautpaar,« sagte die Gnädige achselzuckend, »wird draußen
auf der Terrasse schwärmen und nicht bedenken, daß wir Hunger haben; es
ist schon ein Viertel nach Neun.«

»Grausame Liebe!« stöhnte der Staatsrath.

Der Graf wurde in der That unruhig, denn solch ein Verstoß gegen die
Etiquette gehörte mit zu den unangenehmsten Dingen, die ihm, wie er
glaubte, überhaupt passiren konnten.

Ein anderer Diener wurde hinausgeschickt, um den Haushofmeister zu
suchen. Er kehrte nach einigen Minuten zurück und flüsterte dem Grafen
einige Worte zu.

»Entschuldigen Sie einen Augenblick, meine verehrtesten Herrschaften,«
sagte der Graf ruhig, »ich glaube, meine arme Paula ist unwohl geworden;
aber es wird nichts zu sagen haben.«

Er verließ mit festen, langsamen Schritten den Saal. Draußen am Eingang
stand George.

»Nun, was ist? Was habt Ihr? Wo ist Paula?«

»Fort, Vater!« stöhnte George, der leichenblaß aussah.

»Fort?«

»Ihr Kammermädchen hat vorhin einen kleinen Koffer fortgetragen; mein
Jean will sie gesehen haben, und der Gärtner behauptet, hinten am
Drahtthor habe ein Wagen gehalten.«

»Wo ist Hubert?« sagte der alte Graf tonlos und hielt sich an dem
nächsten Sessel fest.

»Er läßt meinen Rappen satteln.«

Der alte Herr sah seinen Sohn stier an, dann drehte er sich langsam um,
als ob er in den Saal zurückschreiten wollte; aber hier verließen ihn
die Kräfte. George konnte eben noch zuspringen, um ihn in seinen Armen
aufzufangen.




20.

Hamlet, Prinz von Dänemark.


Director Krüger, den wir verlassen haben, als er im Conversationszimmer
von all' der Angst und Aufregung wie gerädert zusammenknickte, sollte
aber noch nicht zu Ruhe kommen, denn wieder mußte das Orchester
Nachricht haben, was es jetzt spielen sollte, da es den Trauermarsch
doch nicht noch einmal beginnen konnte. Außerdem kam Fräulein Bellachini
eben, von rauschendem Applaus und einer erneuten Blumensalve verfolgt,
athemlos und erhitzt, aber mit einem ganz seligen Gesicht in das
Conversationszimmer und warf dem Director lachend einen Blumenregen vor
die Füße. Der mußte er etwas Angenehmes sagen, sonst gab sie ihm das
zehnfach in allerlei Aergerniß wieder zurück, denn genau so stolz wie
eine Sängerin auf ihre Kehle, ist eine Tänzerin natürlich auf ihre Füße.

»Mein liebes, verehrtes Fräulein,« sagte er, sich mit einem innerlichen
Seufzer von dem Sopha emporrichtend, »Sie haben getanzt wie ein junger
Gott, wie eine Sylphide, eine Bajadere, eine Triade oder Gott weiß, wie
die Dinger heißen -- Sie haben getanzt wirklich zum -- zum Küssen. --
Erlauben Sie, daß ich Ihnen im Namen Deutschlands um den Hals falle...

»Mein bester Herr Director...«

Der Director fiel; während er sie aber etwas tragisch umarmte, sah er an
der Thür Sulzer stehen und rief zugleich aus:

»Schicken Sie doch zum Donnerwetter zum Kapellmeister, daß er irgend
etwas Schwermüthiges spielt -- aber kurz! -- Ist denn der Rebe fertig?«

»Er läßt eben sagen, es könne angehen.«

»Mein liebes Fräulein, der Erbprinz wird entzückt sein,« sagte Krüger,
sie bei Seite schiebend. -- »Jetzt müssen Sie aber hinaus, Sulzer, und
die Veränderung anzeigen.«

»Mit der Krone?«

»Meinetwegen mit dem Reichsapfel -- das ist ja alles Ein Deubel! Haben
Sie in's Orchester geschickt?«

»Ja -- was soll ich denn anzeigen?«

»Sagen Sie nichts von Rebe!« rief Krüger rasch -- »wegen plötzlich
eingetretener Heiserkeit des Herrn Handor hätte eins der Mitglieder die
Rolle des Hamlet gleich und ohne Vorbereitung übernommen -- Direction
bäte um Nachsicht.«

»Soll ich Meier's dicken Backen auch gleich anzeigen?«

»Den werden sie selber sehen -- na, wenn das heut Abend gut geht...«

»Wär' es nicht eigentlich passend, Herr Director, wenn Sie selber vorher
hinauf in die Loge zum Erbprinzen gingen und ihm...«

»Mit meiner großcarrirten Hose?« rief Krüger, »auf die mir noch der
Esel, der Schulze, vorher die Lampe gegossen hat? Sehen Sie einmal den
Oelflecken -- machen Sie, daß Sie hinauskommen!«

»Da fängt die Ouvertüre schon wieder an.«

»Na, dann warten Sie, bis sie fertig ist -- nachher aber gleich -- der
Vorhang braucht gar nicht wieder zu fallen -- Sie gehen nur ab.«

Es war jetzt in der That weiter nichts zu thun. Unten im Orchester
spielten sie eins jener monotonen Stücke, die gewöhnlich in Schauspielen
die Zwischenacte ausfüllen und nichts sind, als ein musikalisches
Geräusch, bei dem sich das Publikum ungestört unterhalten kann, und Aus-
und Eingehende die Thüren werfen.

»Ist denn Rebe _noch_ nicht unten?« fragte der Director ungeduldig --
»wenn wir jetzt noch einmal eine Pause machen müssen...«

»Ich stehe zu Ihren Diensten, Herr Director,« sagte aber dieser selber,
indem er in vollem Costüm auf seinen Chef zutrat.

Er hatte die vorher aufgetragene Schminke abgenommen und sah eigentlich
bei Lampenlicht geisterhaft bleich aus -- aber zu der Rolle paßte es.
Das Costüm saß seiner schlanken, edlen Gestalt ebenfalls wie angegossen,
und Krüger sah ihn ordentlich überrascht an.

»Und Sie haben wirklich noch Courage?«

»Sie sehen mich vollständig bereit, meinen Platz auszufüllen.«

»Na, Gott gebe seinen Segen dazu -- Sie haben es selber gewollt.«

Die Musik schwieg; Sulzer gab das Zeichen zum Aufziehen des Vorhanges
und trat dann rasch hinaus.

»Wer da?« schrie ihm Mauser aus dem Souffleurkasten, als ersten Ausruf
Bernardo's, entgegen, denn er hatte mit Schmerzen auf den Beginn
gewartet und glaubte natürlich, es sollte jetzt losgehen. Sulzer
stutzte, und im Parket, wo man den Ruf deutlich gehört hatte, lachten
Einige. König Claudius sammelte sich aber rasch wieder, und vortretend
und zuerst den Erbprinzen, dann das Publikum mit einer ehrerbietigen
Verbeugung begrüßend, brachte er die Anzeige der stattfindenden
Veränderung.

Das Publikum nahm dieselbe ruhig hin, und nur ein leises Flüstern lief
durch's Parterre, denn kein Name war genannt und Niemand wußte, wer
jetzt den Hamlet spielen solle. König Claudius ließ sich aber auf keine
weiteren Erklärungen ein, und Mauser selber unten im Souffleurkasten
war in der äußersten Spannung, wer von Allen die Hauptrolle im Stücke so
rasch übernommen haben konnte, daß er selber keine Ahnung davon hatte.

König Claudius aber war abgegangen. Aus der Coulisse trat der
wachthabende Posten, Francisco, vor und schulterte seine Hellebarde, und
Bernardo trat von der andern Seite auf.

Die erste Scene ging auch ruhig vorüber, und nur die Spannung des
Publikums wurde mit der Verwandlung gesteigert.

Jetzt traten der König, die Königin, Hamlet, Polonius, Laertes und die
Hofleute mit Gefolge auf, und Aller Augen hingen an dem Prinzen, aber
jetzt nicht an dem Erbprinzen, sondern an dem von Dänemark, den man mit
seinem bleichen Antlitz nicht einmal gleich erkannte. Aber plötzlich
-- Niemand wußte, woher er gekommen -- flog der Ruf in einem hörbaren
Zischeln durch das Theater:

»Rebe -- Rebe spielt den Hamlet!«

Auf einer der vordersten Bänke saß Jeremias, der heute Rebe, wenn auch
in einer kleinen Rolle, auf dem Zettel gefunden hatte und, ohne daheim
etwas davon zu sagen, in's Theater gegangen war, um ihn selber einmal
spielen zu sehen. War es überhaupt die letzte Rolle, in der er hier
auftreten sollte. Sein Nachbar rief jetzt ebenfalls: »Rebe spielt den
Hamlet!«, und es gab ihm einen ordentlichen Stich in's Herz, als er den
Ausruf hörte.

»Rebe den Hamlet -- na, wenn das gut geht!« stöhnte er, gleich
dem Director -- »was ist denn da vorgefallen und dem unseligen,
verzweifelten Menschen in den Kopf gestiegen? Wenn er sich da blamirt --
und natürlich wird er --, ist er für immer verloren!« -- Jeremias wäre
auch jetzt mit Vergnügen fortgegangen, denn er glaubte zu ahnen, was
geschehen würde, und mochte das Elend nicht mit ansehen; aber es war
unmöglich. Er saß gerade in der Mitte im Parquet, und die Sitze waren so
eng, daß die ganze eine Reihe hätte aufstehen müssen, um ihn hinaus zu
lassen, und was für Aufsehen würde das mitten im Act erregt haben! Er
mußte schon bleiben, wo er war, und geduldig still halten. Was auch
geschah, er konnte es doch nicht mehr ändern.

Und wie unbefangen der Mensch dabei aussah, und wie blaß aber auch!
Während der König mit Polonius sprach, unterhielt er sich mit den
Hofleuten, als ob ihn die ganze Geschichte gar nichts anginge. Im Hause
selber herrschte dabei noch immer einige Unruhe, und das flüsterte und
zischelte an allen Ecken und Enden. In dem Augenblick aber, wo sich der
König an Hamlet wandte:

  »Doch nun, mein Vetter Hamlet, und mein Sohn...«

herrschte Todtenstille, und man hätte ein Blatt Papier können fallen
hören.

Hamlet sprach aber seine kurzen Sätze einfach und verständig, die ersten
Worte nur noch etwas leise -- er war noch zu befangen. Trotzdem verstand
man jede Silbe, denn das Publikum wagte kaum zu athmen, und schon bei
der Anrede an die Mutter:

  »Scheint, gnäd'ge Frau? Nein -- ist! Mir gilt kein Scheint...«

schien er seine ganze Fassung erlangt zu haben oder hatte vielmehr das
Publikum so vergessen, daß er nur Auge und Ohr für seine Rolle hatte,
und nach dem Abgange der Uebrigen, bei den heftigen Worten:

  »Zerschmölze doch dies allzu feste Fleisch,
  Zerging' und löst' in einen Thau sich auf!
  Oh, hätte nicht der Ew'ge sein Gebot
  Gerichtet gegen Selbstmord! Gott, oh Gott,
  Wie ekel, schal und flach, wie unersprießlich
  Scheint mir das ganze Treiben dieser Welt...«

sprach er sie mit einer solchen edlen und auch in keiner Bewegung
übertriebenen Leidenschaft, daß der Director, der indessen hinter der
Coulisse wie auf glühenden Kohlen stand, fast unwillkürlich in sich
hineinmurmelte: »Gut, bei Gott, recht gut! Verfluchter Kerl, der Rebe,
wenn er nur so fortführe! Am Ende käme er noch unausgepfiffen durch.«

Rebe schien aber nichts Derartiges zu fürchten, denn in der nächsten
Scene mit Horatio, Bernardo und Marcellus benahm er sich mit so edlem
Anstand und sprach, was er zu sprechen hatte, so durchaus im Geist der
Rolle, daß das Staunen im Zuschauerraume wuchs, während er die Damen
durch seine wie für den Hamlet geschaffene Gestalt schon halb gewonnen
hatte. Aber trotzdem regte sich keine Hand, Alles saß lautlos und
still, wie erwartungsvoll, daß plötzlich irgend etwas Außerordentliches
geschehen solle, bis zu der Scene mit dem Geist, wo er diesem folgt und
ihn endlich stellt.

Barthel war schauerlich als Geist. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt,
daß ein im Fegfeuer leidendes Gespenst, wenn es einmal über der Erde
erscheine, auch seine dort unten erlittenen Qualen deutlich kund geben
müsse, und wimmerte seine Rolle kläglich ab. Die Haßburger hatten sich
aber an ihn gewöhnt; sie wußten es nicht anders, als daß der Geist
wimmern muß, und nur die Fremden im Theater schüttelten mit dem Kopf,
wagten aber kein Urtheil kund zu geben.

Desto besser war Rebe, der in dieser Scene ordentlich aus sich
herausging, ohne aber eine einzige unnatürliche Bewegung zu machen oder
im Geringsten stark aufzutragen. Das Grausen, das ihn erfaßte, als er
den Geist erblickte, theilte sich dem Publikum mit, und wie der Geist
mit dem »Ade, ade, gedenke mein!« abwimmerte und Hamlet in die Worte
ausbrach:

  »Oh Herr des Himmels! Erde! Was noch sonst?
  Nenn' ich die Hölle mit? --«

hörte man hier und da einzelne leise Ausrufe von: »Gut! Recht brav!«
Aber keine Hand rührte sich.

Der Erbprinz selber schien ganz ergriffen von dem Spiel und gab
unwillkürlich wieder das vorher so gut eingeschlagene Zeichen zum
Applaudiren, indem er die Fingerspitzen der weißen Glacéhandschuhe vorn
zusammenbrachte -- aber es half nichts.

Bei der Tänzerin war es etwas Anderes gewesen und diese eine berühmte
Notabilität; sie mußte beklatscht werden, oder ganz Haßburg hätte sich
blamirt. Ihren Rebe aber, den kannten sie besser als irgend jemand
Anders, und da hinein ließen sie sich nicht reden, und wenn es vom
Erbprinzen selber gewesen wäre.

Der Vorhang fiel, und schweigend wie das Grab saß das ganze Haus, bis
plötzlich wieder das Zischeln und Flüstern begann und Einer dem
Andern seine Bemerkungen leise mittheilte, oder erst vorsichtig dessen
Ansichten hören wollte.

Jeremias athmete tief auf. Wie der Vorhang fiel, war ordentlich, als
ob ein Alp von seiner Brust genommen wäre, in einer solchen, fast
fieberhaften Spannung hatte er in den vorigen Scenen gesessen und
zugesehen. Jetzt war es vorbei, er konnte wenigstens einmal wieder
ordentlich Luft schöpfen, und ein eigenes, merkwürdiges Gefühl
durchzuckte ihn, als er dabei die verschiedenen, aber fast sämmtlich
günstigen Urtheile über den neuen Hamlet hörte.

»Na, nu seh' einmal ein Mensch an; wer hätte das dem Rebe zugetraut?
Nicht gemuckst hat er bis jetzt, und gethan, als ob er nicht Drei zählen
könnte, und nun rückt er auf einmal mit dem Hamlet heraus.«

»Na, aber der Handor hätt' ihn doch besser gespielt...«

»Nicht so viel, nicht die Probe; geschrieen hätt' er mehr, ja -- aber
der verfluchte Kerl sah ordentlich wie ein Prinz aus!«

»Ja, das war nichts,« sagte da ein Anderer, »die Scene mit dem Geist
kann ein Jeder spielen, die spielt sich von selber -- aber nachher
wollen wir einmal sehen! Mein Hamlet wär's nicht.«

»Ach was, er macht's so gut er kann,« meinte Einer auf einer hintern
Bank, »und wer weiß denn auch, wann er die Rolle übernommen hat? Der
Handor steht ja noch auf dem Zettel.«

»Was nur dem heute fehlt?«

»Fehlen? Er hat wieder 'was zu viel -- der Champagner wird heute gut
geschmeckt haben!«

»Daß ihm nur noch Jemand 'was borgt! Mir ist er auch noch hundertfünfzig
Thaler schuldig -- das ist ein leichtfertiger Patron.«

»Da ist der Rebe ordentlicher, der bezahlt Alles, was er kauft.«

»Ja, aber er kauft nichts,« lachte ein kleiner dicker Mann; »der arme
Teufel hat immer kein Geld...«

»Bst, es geht wieder an!« -- Das Gespräch war abgeschnitten.

Oben auf der Bühne hatte indessen eine andere Scene gespielt, und kaum
fiel der Vorhang, als der Director, ordentlich verlegen, auf Rebe zukam
und, sich die Hände reibend, sagte:

»Nun, Herr Rebe, ich gratulire! Es -- es geht ja recht gut. Ich -- ich
muß Ihnen gestehen, ich -- habe das nicht erwartet.«

»Sie glaubten, ich würde durchfallen, Herr Director?«

»Aufrichtig gesagt, ja; das Schwierigste haben Sie freilich noch immer
vor sich, aber bei einer so plötzlichen Uebernahme einer Rolle ist das
Publikum auch immer rücksichtsvoll genug, ein Auge zuzudrücken. Ich
hoffe doch jetzt wenigstens, daß wir das Stück zu Ende bringen.«

»Woran Sie bis dahin gezweifelt haben. Es freut mich wenigstens, Herr
Director, daß Sie, wenn ich morgen Haßburg verlasse, kein so hartes
Urtheil über mich fällen werden, als das bisher vielleicht der Fall
war. Ich habe Ihnen doch wenigstens bewiesen, daß ich nicht blos zum
Stühlehinaustragen zu verwenden bin, und daß Sie mir die Rolle des
Güldenstern mit recht gutem Gewissen hätten anvertrauen können.«

»Mein lieber Herr Rebe« (»lieber« Herr Rebe hatte er ihn noch nie
genannt), sagte der Director wirklich etwas verlegen, »es -- es thut
mir in der Seele leid, daß wir es nicht früher einmal mit einer etwas
bedeutenderen Rolle versucht haben! Halten Sie sich nur heut Abend
tapfer; das Publikum ist noch merkwürdig still, aber verlieren Sie den
Muth nicht, es geht doch vielleicht noch gut.«

»Mit ein klein wenig Nachsicht hoffe ich mein Versprechen zu lösen,«
sagte Rebe; »aber das Orchester beginnt schon wieder. Entschuldigen Sie,
Herr Director, ich komme nachher von der andern Seite, und möchte noch
einen Blick in meine Rolle werfen.«

»Bitte, lassen Sie sich um Gottes willen nicht stören!«

Der Director war die übertriebene Höflichkeit. Er kannte sich selber
nicht wieder, und Peters ging immer hinten auf dem Theater auf und ab
und schüttelte mit dem Kopf. So etwas war ihm in seiner Praxis noch
nicht vorgekommen.

Hinter der Scene stand Pfeffer als Todtengräber mit dem Geist.

»Wißt Ihr 'was Neues, Barthel?«

»Nichts, mein Prinz,« erwiderte Barthel mit den Worten des Güldenstern,
»außer daß die Welt ehrlich geworden...«

»So will ich's Euch sagen,« rief Pfeffer, »in dem Rebe steckt ein
Schauspieler!«

»Es brauchte kein Todtengräber vom Grabe herzukommen,« citirte Barthel
weiter, nur mit einer Veränderung des Textes, »uns das zu sagen -- aber
was für einer, ist die Frage.«

»Ein tüchtiger, wackerer Schauspieler!« rief Pfeffer in Eifer. »Hol'
mich der Teufel, der Handor reicht ihm das Wasser nicht in der Scene.«

»Bah,« sagte Barthel, der von der Schauspielkunst ganz eigene Ideen
hatte, »er sprach den Hamlet etwa gerade so, als ob Sie oder ich einen
Geist gesehen hätten und außer sich wären -- von Kothurn keine Spur --
man darf doch nie vergessen, daß man auf dem Theater ist!«

»Ich will Ihnen 'was sagen, Barthel,« meinte Pfeffer, »Sie sind ein Esel
und verstehen vom Hamlet gerade so viel wie der Peters!«

»Ich will _Ihnen_ 'was sagen, Pfeffer,« erwiderte Barthel, »wir
sind gute Freunde, aber Sie brauchen deshalb nicht gleich so grob zu
werden...«

»Ruhe da hinten, es geht an!« rief der Inspector aus der Coulisse
heraus, und im nächsten Augenblick ging der Vorhang wieder in die Höhe.

In der zweiten Scene erregte der neugeworbene Güldenstern mit seinem
dicken Backen einige Heiterkeit, denn der Regisseur hatte ihn nicht mit
angemeldet; aber das Publikum beruhigte sich bald darüber, denn Meier,
als welcher er bald erkannt wurde, war eine zu beliebte und allbekannte
Persönlichkeit in der Stadt, für deren bestes Bier er als Orakel galt,
als daß man ihn irgend hätte kränken mögen. Außerdem lag es auf der
Hand, daß er nur aus Gefälligkeit in Rebe's Rolle eingetreten sei. Der
Erbprinz lachte aber, daß er sich zurückbeugen und sein Gesicht mit dem
Tuch bedecken mußte, und Meier warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.

Der zweite Act ging wieder so ruhig vorüber, als der erste. Nicht einen
einzigen Applaus bekam Hamlet, obgleich die Zuschauer doch bei Fräulein
Bellachini bewiesen hatten, daß sie applaudiren konnten. Peters ging um
den Director herum. --

»Herr Director!«

»Ja, Peters.«

»Der Rebe macht seine Sache gar nicht so schlecht; soll ich einmal
wieder in's Parterre hinunter und vielleicht mit einer Kleinigkeit...«
-- er zeigte dabei seine zwei hornharten Fäuste.

»Um Gottes willen, Peters!« rief der Director erschreckt. »Rebe ist
in dem Act viel schwächer, als im ersten -- ein einziges verkehrtes
Beifallszeichen, und der Teufel geht am Ende los! Wir wollen Gott
danken, wenn wir die Sache ruhig zu Ende bringen!«

»Wie Sie meinen; manchmal hängt's aber nur an einer Kleinigkeit...«

»Ja wohl thut's das,« rief der Director, »und wir wollen es selber
nicht muthwillig heraufbeschwören! Die Heidenangst, die ich heut Abend
ausstehe, werde ich überhaupt im Leben nicht vergessen!«

Als der Vorhang fiel, regte sich Niemand. Selbst der Erbprinz hütete
sich, einen zweiten Versuch zu machen, da der erste so gründlich
mißglückt war. Rebe schien etwas befangen, denn die übrigen Schauspieler
wichen ihm aus, aber er suchte seiner Furcht Herr zu werden.

Fräulein Bellachini tanzte wieder in diesem Zwischenact, und Rebe
benutzte die Zeit, um indessen hinter der Bühne mit dem Laertes, einem
jungen, ganz geschickten Schauspieler, die Zweikampf-Scene ein wenig
einzuüben, da diese in der Ausführung besondere Schwierigkeiten hat und
leicht lächerlich wird. Rebe selber wußte übrigens vortrefflich mit
der Stoßwaffe umzugehen, und da sich sein Gegner auch alle Mühe damit
gegeben hatte, ging es recht gut.

Jetzt kam der dritte Act -- kam die Scene mit der Mutter, und Rebe
entwickelte da eine so volle Kraft und schöne, edle Sprache, daß sich
im Publikum immer mehr ein Gefühl zu regen begann, er habe doch am
Ende wohl einen Beifall verdient, aber Jeder scheute sich den Anfang zu
machen.

Die Scene spielte er durch, von Anfang bis zu Ende ganz vortrefflich,
und todtenstill saß das Parterre dabei, denn der erste Rang hält es
gewöhnlich für unter seiner Würde, zu applaudiren. Es greift auch die
Glacéhandschuhe zu sehr an, und wie darf da der Schauspieler in Betracht
kommen, der all' seine Kräfte darangesetzt hat, seiner Aufgabe zu
genügen, und dem das Publikum durch nichts, nichts weiter auf der Welt
lohnen kann, als augenblicklichen Beifall!

So kamen die letzten Worte:

  »Nun, Mutter, gute Nacht -- der Rathsherr da
  Ist jetzt sehr still, geheim und ernst fürwahr,
  Der sonst ein schelm'scher alter Schwätzer war.
  Kommt, Herr -- ich muß mit Euch ein Ende machen --
  Gute Nacht, Mutter...«

Aber das letzte »Gute Nacht, Mutter« sprach er so ergreifend, so
wunderbar wahr, daß dem kleinen Jeremias die Thränen in die Augen
traten.

Und keine Hand regte sich. Jetzt aber hielt sich Jeremias nicht länger.
Seine Handschuhe hatte er schon lange ausgezogen, um zu augenblicklichem
Dienst bereit zu sein -- jetzt hieb er ein, und wie der erste Schall
durch das Haus flog, war es, als ob ein Zauber gebrochen wäre, der bis
jetzt Alle befangen gehalten hätte.

Einen solchen Applaus hatte selber die berühmte Tänzerin nicht bekommen:
das ganze Haus dröhnte förmlich vom Klatschen und Beifallssturm, in das
der Erbprinz jetzt mit augenscheinlicher Freude und mit gutem Willen
einstimmte.

»Rebe 'raus!« gellte da zwischendurch eine Stimme, und: »Rebe 'raus!«
schrie das Publikum wie aus Einem Munde und als ob es das Versäumte
jetzt mit Lärmen und Toben wieder nachholen wollte.

Der Vorhang stieg in die Höhe, aber Rebe kam nicht. Die Ungeduld wuchs,
die Leute geberdeten sich wie toll und pochten, stampften, klatschten
und schrieen: »'Raus, 'raus! Rebe, Hamlet, Hamlet! Rebe, 'raus, 'raus,
'raus!«

Ein schützender Engel waltet über Allem -- Fräulein Rottenhöfer glaubte
oder hoffte, ihren Namen mitzuhören.

»Aber, Herr Rebe, so kommen Sie doch, wir werden ja gerufen!«

»Aber, mein bestes Fräulein...«

»Sind Sie ein wunderlicher Heiliger! So kommen Sie doch!« und seine Hand
ergreifend, zog sie den schüchternen Hamlet unter einem neuen Ausbruch
von Jubel und Beifall auf die Bühne hinaus.

Rebe stand wie betäubt, und Pfeffer ging immer um ihn herum, als ob er
ihn anreden wollte, änderte aber eben so oft seine Absicht wieder und
machte fortwährend und in Gedanken vergebliche Versuche, seine Hände in
die gewohnten Seitentaschen seines alten Rockes zu bringen. Das Costüm
hatte leider keine.

Fräulein Bellachini zürnte. Sie war auch gerufen, aber nicht so, und
beim zweiten Mal hatte man sogar -- da es Peters nicht mehr für nöthig
fand -- ihren Tanz nicht einmal =da capo= verlangt.

»Sie schreien wie verrückt,« sagte sie, als sie sich in ihre Garderobe
zurückzog; »ich bin froh, daß ich mich nur für diesen einen Abend
engagirt habe.«

Jetzt war aber Bahn für Rebe gebrochen. Schon im vierten Act, bei
den kleinen Scenen, wurde jede einigermaßen passende Stelle lebhaft
applaudirt, und im fünften Act, in der Scene mit dem Todtengräber,
brach der Sturm auf's Neue aus. Es war gut, daß Fräulein Bellachini
das Theater verlassen hatte. Nicht enden wollte aber der Beifall in der
Fechtscene, die auch wirklich vortrefflich von Beiden gegeben wurde, und
als der Vorhang endlich zum Schlusse fiel, ging es von Frischem an.

Erst mußten Alle heraus, nur Meier mit seinem dicken Backen fehlte, und
Fräulein Rottenhöfer erschien im Mantel und ohne Stroh in den Haaren.
Dann wurde Rebe noch besonders gerufen, und wie der Vorhang kaum wieder
herunter war, mußte er noch einmal heraus.

Etwas Derartiges war in Haßburg noch nicht geschehen, so lange die alte
Stadt stand.

Jetzt endlich beruhigte sich der See -- er hatte sein Opfer, und
der Director wollte eben auf Rebe zugehen, um ihm seine Anerkennung
auszusprechen, als der Hofmarschall aus der Loge des Erbprinzen auf die
Bühne kam und den Director ersuchte, einen Augenblick zu dem gnädigsten
Herrn heraufzukommen, der ihn zu sprechen wünsche.

»Mich? Heiland der Welt!« sagte Director Krüger erschreckt; »aber ich
-- ich bin ja nicht -- entschuldigen Sie einen Augenblick!« und wie
ein Wetter schoß er in das Conversationszimmer, wo er wild nach Peters
schrie.

»Peters, Peters! Verfluchter Kerl, wo steckt der nur wieder?«

»Aber, Herr Director, hier bin ich ja -- ich habe vor Verzückung auf
Einem Bein gestanden!«

»Haben Sie meinen Frack mitgebracht? Ob ich es mir denn nicht immer
dachte, daß noch ein Unglück passiren würde! Meinen Frack will ich --
hören Sie denn nicht?«

»Aber da liegt er ja auf dem Sopha! Wo wollen Sie denn noch hin?«

»Zum Erbprinzen -- er hat ja nach mir verlangt!«

»Mit dem Fettfleck?«

»Herr Du mein Gott, an den Fettfleck habe ich gar nicht gedacht! Oh, daß
diesen Schulze der Teufel holte!«

»Glaube nur nicht, daß er unter den vielen Schulzes den richtigen
findet,« meinte Peters. »Aber warum nehmen Sie nicht Herrn Rebe's dunkle
Hosen? Er ist noch in der Garderobe.«

»Die sind mir ja um einen Fuß zu lang!«

»Krempeln wir auf,« sagte Peters.

»Es geht nicht mehr, er wartet!« ächzte der Director, der seinen
alten Rock schon abgeworfen hatte und sich in den etwas engen Frack
hineinzwängte -- »wo ist mein Hut? Ich halte meinen Hut vor!«

»Da sieht der Fettfleck beinah' noch besser aus,« sagte Peters; »Sie
haben den alten erwischt.«

»Na, dann kann's nichts mehr helfen; ein Unglück kommt nie allein, und
wenn ich jetzt in Oel eingekocht wäre wie eine Sardine, warten kann ich
ihn nicht länger lassen!«

»Das Schnupftuch hängt Ihnen hinten heraus,« sagte Peters.

Der Director steckte es in wilder Hast wieder ein, und sich unterwegs
die in Unordnung gerathenen Haare ein wenig zurecht drückend, schoß er
in voller Flucht zurück auf die Bühne, um sich dem übermäßig besternten
und beordenten Hofmarschall zur Verfügung zu stellen.

Dieser führte ihn auch ohne Weiteres der fürstlichen Loge zu, und
Krüger, etwa mit einem Gefühl wie ein Subalternbeamter, der vor einen
Vorgesetzten citirt ist und die Gewißheit hat, einen tüchtigen Rüffel zu
bekommen, folgte ihm so rasch er konnte.

Der Erbprinz erwartete ihn oben. Der Wagen stand schon lange unten,
seiner harrend, aber er blieb trotzdem zurück und sah indessen zu, wie
sich das Haus leerte.

»Herr Director Krüger, Königliche Hoheit.«

»Ah, lieber Director, es freut mich, Sie kennen zu lernen -- ich bin
Ihnen dankbar für Ihre Aufmerksamkeit!«

»Königliche Hoheit,« stotterte Krügen

»Heut Abend aber,« fuhr der Prinz fort, »bitte ich Sie, Ihrem Herrn
Rebe in meinem Namen für den Genuß zu danken, den er mir durch sein
vortreffliches Spiel bereitet hat. Er ist jetzt noch in Costüm, sonst
hätte ich ihn selber heraufrufen lassen, und so ersuche ich Sie denn,
ihm in meinem Namen diese Tuchnadel zu überreichen, die er mir
zum Andenken tragen mag,« und mit den Worten nahm er seine eigene
Brillantnadel aus der Cravatte und überreichte sie dem Director.

»Königliche Hoheit,« stammelte dieser wieder, »sind so gnädig...«

»Guten Abend, Herr Director, nochmals, ich bin Ihnen sehr dankbar!« und
fort war er, und in einer solchen Aufregung befand sich der Director,
daß er selbst seinen Fettfleck vergessen hatte, und in einem Zustand,
von dem er sich selber später keine Rechenschaft ablegen konnte, zurück
auf die jetzt leere und fast dunkle Bühne schoß. Er schüttelte dabei
fortwährend mit dem Kopf und murmelte in einem fort: »Noch gar nicht
dagewesen, noch gar nicht dagewesen!«

Rebe war noch in seiner Garderobe; Krüger folgte ihm dahin fast
willenlos.

»Herr Rebe, der Erbprinz läßt Ihnen in meinem Namen sagen...«

»In Ihrem Namen, Herr Director?«

»In seinem Namen, wollte ich sagen, daß er Ihnen unendlich dankbar für
den Genuß des heutigen Abends ist und Sie bittet, diese Tuchnadel --
Mensch, Sie haben ein Heidenglück! -- zu seinem Andenken zu tragen.«

»Herr Director!« sagte Rebe erschrocken.

»Es ist so, Rebe, bei Gott! Seine Königliche Hoheit war unendlich gnädig
und hat sich bei mir auch bedankt.«

»In der That?«

»Rebe,« fuhr der Director gerührt fort, »ich habe Ihnen Unrecht gethan,
Sie sind zurückgesetzt worden, ungerechter Weise zurückgesetzt worden
-- Sie hätten eigentlich besser beschäftigt werden müssen, und ich sehe
ein, daß Ihnen Unrecht geschehen ist.«

»Herr Director,« sagte Rebe ruhig, »es freut mich wenigstens, daß Sie
das noch im letzten Augenblick erkannt haben, und ich gebe Ihnen mein
Wort, daß das mein schönster Lohn heut Abend ist. Wir werden also
wenigstens in Frieden und Freundschaft scheiden.«

»Wir wissen noch gar nicht, ob wir scheiden, Rebe,« platzte der Director
heraus, »das wissen wir noch gar nicht! Kein Mensch weiß überhaupt,
was am nächsten Tag geschieht, ja, an dem nämlichen, und wenn mir heute
Morgen Jemand erklärt hätte, daß Sie heut Abend den Hamlet spielen
würden, so...« er schwieg erschrocken still, weil er sich beinahe
verschnappt hatte. Rebe aber fuhr lächelnd fort:

»Würden Sie ihn wahrscheinlich für verrückt erklärt haben.«

»Lieber Herr Rebe, ich bitte Sie um Gottes willen...«

»Ich danke Ihnen für Ihre bessere Meinung heut Abend, Herr Director,
aber Sie entschuldigen jetzt. Ich fühle mich doch etwas angegriffen und
will machen, daß ich nach Hause komme.«

»Soll ich Ihnen vielleicht einen Wagen besorgen?«

Rebe lächelte. -- »Tausend Dank, nein -- ich wohne gar nicht so weit von
hier und bin gewohnt, den Weg im schlechtesten Wetter zu Fuß zu gehen.
Gute Nacht, Herr Director.«

»Gute Nacht, lieber Rebe, schlafen Sie recht wohl -- Sie können heute
auf Ihren Lorbeern ausruhen.«

Rebe knöpfte sich seinen Rock bis oben zu und verließ rasch die
Garderobe. Unten an der Treppe ging ein Mann in einem braunen Ueberrock
auf und ab -- es war Pfeffer. Rebe wollte mit einem Gruß an ihm
vorübergehen.

»Herr Rebe!« rief ihn Pfeffer an.

»Mein bester Herr Pfeffer...«

»Geben Sie mir Ihre Hand.«

Rebe schüttelte die dargebotene aus allen Kräften.

»Sie sind ein ganzer Kerl!« sagte Pfeffer, drehte sich ab und verschwand
hinter einer der Coulissen.

Rebe verließ das Theater; er schöpfte tief und anhaltend Athem, als er
die frische Nachtluft draußen erreichte. Es war ihm so leicht, so
froh zu Sinn, er fühlte den Boden kaum, auf den er trat. Mit raschen
Schritten eilte er nach Hause -- Essen und Trinken? Er dachte gar nicht
daran. Seine Glieder zitterten, seine ganze Gestalt bebte, und als er
sein kleines, ärmliches Zimmer im vierten Stock erreichte, schob er den
Riegel hinter sich zu, warf sich auf das Sopha, barg sein Gesicht in den
Händen und weinte wie ein Kind.




21.

Der Wilddieb.


Unten im Stübchen des Haushofmeisters, im Monford'schen Schlosse saß der
alte Förster behaglich hinter einer Flasche Wein und einem großen Stück
Kuchen, fest entschlossen, es sich den heutigen Abend einmal gut sein
zu lassen -- kam es doch überhaupt nicht häufig vor -- als der
Wiesenmüller, der auf der Stadtseite an das Gut stieß und häufigen
Verkehr mit dem Haushofmeister hielt, das Zimmer betrat und sich mit zum
Tisch setzte.

Natürlich wurde ihm ebenfalls sogleich ein Glas vorgesetzt, und das
Gespräch drehte sich gerade um all' die verschiedenen Persönlichkeiten,
welche sich heute zu dem Freibier eingefunden, während Jonas, der
zwischen ihnen saß und immer noch glaubte, andere Leute merkten nicht,
daß er taub sei, mit hineinsprach und oft die verkehrtesten Dinge
vorbrachte.

»Der alte Fritz hat sich auch richtig eingefunden,« sagte der Müller;
»das ist ein durchtriebener Halunke und weiß seine Zeit vortrefflich
abzupassen.«

»Der Lump!« brummte der Förster in sein Glas hinein. »Der Graf hat ihm
ja verboten, sich nach Dunkelwerden auf dem Grund und Boden hier wieder
sehen zu lassen.«

»Ja, heute ist aber eine Ausnahme,« lachte der Holzhändler, »denn wenn
er bei hellem Tag erst käme, wär' die Geschichte vorbei und er kriegte
nichts mehr.«

»Schadete ihm auch nichts,« meinte der Müller, »und ich wollte, er hätte
die hiesige Gegend nie gesehen, denn seit er da ist, spür' ich's an
meinen Fischen.«

»Er stiehlt, wo er 'was kriegen kann,« nickte der Förster, »und meine
Fasanen wissen davon zu erzählen.«

»Und Eure Forellen auch,« lachte der Müller; »meinem Gevatter, dem
Mehlberg, hat er neulich sieben Pfund verkauft.«

»Der Cujon!« rief der Förster; »aber ich kann doch hier, Gott straf'
mich, nicht den ganzen Tag im Park stecken, wo ich da drüben das
große Revier und die Stadt in der Nähe habe, in der das Gesindel Alles
brauchen kann, was vorkommt. Wenn er sich aber hier am Fischwasser
herumtriebe, müßte ihn Jonas doch über Tag bemerkt haben. Habt Ihr den
Fritz schon einmal angeln sehen, Jonas?«

»Du lieber Gott,« sagte der alte Mann, der indessen seinen eigenen
Gedanken gefolgt war und jetzt merkte, daß er angeredet wurde, »als
kleines Kind hab' ich sie ja schon auf den Armen getragen!«

»Wen?« schrie der Müller.

»Die liebe Comtesse, und wenn mich Gott leben läßt, kann ich jetzt auch
vielleicht ihre Kindchen sehen.«

»Ob Ihr den alten Fritz nicht habt fischen sehen, fragt der Förster,«
schrie ihm jetzt der Müller in's Ohr.

Jonas sah ihn ganz erstaunt an, denn er begriff die Frage nicht einmal
gleich; endlich aber nickte er lächelnd mit dem Kopf und sagte:

»Den alten Fritz? Oh, gewiß, nach Maulwürfen. Seine Angelruthen stecken
ja über die ganze Wiese, und er ist darin ein tüchtiger Kerl, das muß
man ihm lassen; es macht's ihm Keiner nach.«

»Mit dem Alten ist ja nicht zu reden,« sagte der Förster halblaut, »und
wenn wir so schreien, hört's am Ende der Halunke da draußen und lacht
uns noch obendrein aus.«

»Hört einmal, Förster,« sagte der Müller leise, »der Maulwurfsfänger ist
mit allen Hunden gehetzt, und so hält es verdammt schwer, hinter
seine Schliche zu kommen; bei einem Glase Wein hat aber schon Mancher
ausgeplaudert, wovor er sich sonst wohl gehütet und sich lieber die
eigene Zunge abgebissen hätte. Wenn wir ihn nun einmal hereinriefen und
ihm ein bischen zusetzten?«

»Der trinkt uns Beide unter den Tisch,« brummte der Förster.

»Der noch lange nicht,« rief der Müller; »eine bessere Gelegenheit
finden wir auch im Leben nicht wieder. Merken kann er nichts, denn alle
Arten von Leuten sind heut Abend hier versammelt. Wollen wir's nicht
einmal versuchen?«

»Aber am Ende ist's dem Haushofmeister nicht recht, wenn wir den
Vagabonden hier in sein Zimmer bringen.«

»Ach was, zu dem Zweck hat er gewiß nichts dagegen, denn er mag ihn auch
nicht leiden, weil ihn der Lump immer so vornehm grüßt; und dann kommt
der auch nicht vor den nächsten zwei Stunden wieder herein, denn er
ist jetzt mit der Tafel beschäftigt, und nachher wird gespeist, wo er
ebenfalls dabei sein muß.«

»Na, meinetwegen, dann holt ihn; ich stehe mit ihm nicht so grün, daß
ich ihn einladen könnte, und er röche gleich Lunte.«

»Den wollen wir uns einmal langen,« lachte der Müller vergnügt vor sich
hin, indem er von seinem Sitz aufstand; »paßt auf, den kaufen wir uns.«

»Wollt Ihr schon fort?« fragte Jonas erstaunt.

Der Müller schüttelte nur mit dem Kopf und verließ langsam das Zimmer,
und der Förster qualmte indessen stärker aus seiner Pfeife, trank aber
nicht mehr, weil er sich das auf nachher aufsparen wollte! Der Müller
blieb aber entsetzlich lange; der alte schlaue Bursche wollte gewiß
nicht mit. Endlich kam er wieder herein.

»Na, das ist merkwürdig,« sagte er, »die ganze Zeit hat der Fritz da an
dem einen Baum gelehnt; der eine von meinen Burschen hat ihn deutlich
gesehen, und der Hund war auch bei ihm, und jetzt ist er fort und
nirgends mehr zu finden.«

»Er wird irgendwo an einem der Tische sitzen.«

»Gott bewahre; überall habe ich ihn gesucht, kein Mensch weiß etwas von
ihm, und der Berthold, der die Getränke zu vertheilen hat, will ihn noch
mit keinem Auge gesehen haben, und den hätte er sich gewiß gemerkt.«

»Dann hat die Canaille wieder 'was im Werk,« sagte der Förster, mit der
Faust auf den Tisch schlagend, »und glaubt, weil ich hier fest hinter
der Flasche sitze, daß ich ihm die Nacht nicht auf den Dienst passe. Ei
Du heiliger Kreuzhimmelschwerenöther Du!« Und mit den Worten stand er
von seinem Stuhle auf.

»Unmöglich wär's nicht,« lachte der Müller, »und dick genug hat er's
dazu hinter den Ohren. Aber was will er in der stockfinstern Nacht
machen? Der Mond geht erst um Mitternacht herum auf; da ist's nichts mit
dem Angeln und Wildern.«

»Und mit dem Netzfischen auch nicht, wie?« sagte der Förster, indem er
seine Flinte vom Nagel nahm. »Ne, Müller, wenn er nicht mehr da draußen
steckt, dann ist er auch im Park auf irgend eine Lumperei aus, und
da schmeckt mir doch hier kein Tropfen mehr, bis ich mich wenigstens
überzeugt habe. Wo ist denn mein Forstgehülfe?«

»Ja, der steht bei den Böllern und kann nicht fort, bis die abgefeuert
sind. Wartet lieber so lange, das wird nicht mehr so ewig dauern, und
Zwei sind besser als Einer.«

»Die Böller werden nicht eher abgefeuert, bis die Tafel fast vorüber
ist,« sagte einer der Diener, der sich einen Augenblick weggestohlen
hatte, um hier rasch ein Glas Wein zu trinken; »dann wird erst die
Gesundheit auf das Brautpaar ausgebracht.«

»So lange kann ich nicht warten,« brummte der Förster, indem er seinen
Hut aufstülpte; »brauche auch wahrlich keinen Gehülfen und werde mit dem
Lump schon allein fertig werden!«

»Was ist denn?« fragte der Lakai.

»Oh, ein Fuchs holt mir die Fasanen weg, und dem hab' ich ein Eisen
gestellt,« sagte der Förster; »will nur einmal nachsehen, ob er drin
sitzt.«

»Na, viel Glück!« rief ihm der Mann nach.

»Esel!« brummte der Waidmann vor sich hin, als er die Thür zudrückte und
sich durch das Gedränge der draußen herumschwärmenden Gäste Bahn brach.
Er hatte Gift und Galle im Herzen und erwiderte nicht einmal manchen ihm
hier und da gebotenen Gruß.

Es trieb ihn auch, aus der Nähe des Schlosses fortzukommen, und rasch
schritt er den Weg entlang nach dem Fluß hinüber, um dort vielleicht
den »alten Cujon«, wie er ihn nannte, auf frischer That bei verbotenem
Fischfang zu ertappen, und ihn dann den Gerichten ausliefern oder
doch wenigstens die Anzeige machen zu können, denn eher wurden sie den
frechen Gesellen nicht aus der Gegend los. Konnte er aber erst einmal
eines Vergehens überwiesen werden, dann verstand es sich auch von
selbst, daß man ihn hier erst abstrafte und nachher als Ausländer
einfach über die Grenze schaffte.

Am Fluß selber kannte er genau jede Stelle, an der sich ein Fischdieb
einigen Erfolg versprechen durfte, und am Strom hinauf hielt er sich
ein Stück davon entfernt auf dem dunkeln und weichen Rasen, bis er einen
solchen Platz erreichte und dann mit aller Umsicht dort hinüberschlich
-- aber immer vergebens. Da, wo er den Wasserrand erreichte, flog ein
aufgescheuchter Vogel aus den Büschen, dort sprang ein Frosch in's
Wasser, lauter Zeichen, daß sie kürzlich von keinem Menschen belästigt
oder gestört worden, und er hatte den Drahtzaun schon fast erreicht, als
er draußen vor dem Thor ein Pferd schnauben hörte.

»Na?« sagte der Förster und blieb erstaunt stehen, »wer hält denn jetzt
da draußen vor dem Gitter? Die Gäste haben doch die Auffahrt alle vorn.«
-- Er wäre auch gern einmal vorgegangen, um den Kutscher zu fragen, was
er da zu thun habe, denn Stadtwagen durften den Weg gar nicht fahren;
knüpfte er aber hier ein Gespräch an, so verrieth er sich vielleicht dem
möglicher Weise ganz in der Nähe befindlichen Fischdieb. Nicht einmal
über das Gitter konnte er hier; ohne von dem Kutscher bemerkt und
dann jedenfalls angerufen zu werden, und da der Maulwurfsfänger nicht
innerhalb der Umzäunung stak, mußte er doch jedenfalls draußen sein, wo
er auch noch weniger eine Entdeckung zu fürchten brauchte.

Der Förster also, dem nicht so viel daran lag, zu wissen, wer hier
unbefugt fahre, da das auch eigentlich Sache des Haushofmeisters oder
des Gärtners war, als vielmehr dem Maulwurfsfänger nachzuspüren, zog
sich wieder in den Schutz der dichten Erlenschatten zurück und kreuzte,
da er hier nicht durch den Fluß konnte, die Wiese. Weiter oben brauchte
er dann nur dicht unter dem Holz über den Drahtzaun zu steigen und einen
kleinen Bogen zu machen, und kam dann immer wieder, und zwar an einem
der besten und bequemsten Fischplätze, an's Wasser.

Wie er den Waldrand erreichte und daran hinschlich, hörte er plötzlich
ein Geräusch im Gehölz, als ob Jemand mit einem Stock auf den Boden
schlüge. Er stutzte und horchte -- jetzt war Alles ruhig. -- Sollte
denn der verteufelte Kerl selbst in dieser Nacht seinen Fasanen wieder
nachstellen? Aber das war ja gar nicht möglich! Was hätte er denn in
der Dunkelheit mit ihnen ausrichten können? Wenn man gegen die Bäume
hinaufsah, war nichts als ein dunkler, undurchdringlicher Fleck zu
erkennen, in dem man nicht einmal einen weißen Vogel so groß wie ein
Truthahn unterschieden haben würde, viel weniger einen dunkeln Fasan,
der sich an einen der gleichfarbigen und dichtbelaubten Aeste schmiegte.
Das war vollkommen unmöglich, und wenn -- da wieder -- wieder das
nämliche Geräusch in den Büschen, genau so, als ob ein Rehbock den Grund
mit den Vorderläufen schlägt.

Der Förster horchte noch gespannt, um sich der genauen Richtung zu
vergewissern, als er hinter sich nach der Wiese zu ein Geräusch hörte
und den Kopf rasch dorthin drehte.

Er selber stand hier vollständig gedeckt mit seiner dunkeln Kleidung im
Schatten der Bäume; ihn konnte Niemand sehen, das wußte er gut genug, so
lange er sich wenigstens nicht von der Stelle bewegte, und sich langsam
dem neuen Geräusch zukehrend, erkannte er jetzt eine lichte Gestalt, der
eine andere, dunkler gekleidete wie ein Schatten folgte. Beide schritten
auf dem hier mitten durch die Wiese führenden Kiesweg entlang und
eilten, allem Anschein nach, der Richtung zu, in der er das Pferd hatte
schnauben hören.

»Das ist doch merkwürdig,« dachte er, indem er mit dem Kopf schüttelte,
»da drinnen im Schloß fängt die Geschichte gerade an, und da sind zwei
Damen, die jetzt schon genug davon haben? Und aus der Stadt können sie
auch nicht sein, denn wie kämen die mit ihrem Wagen da hinten an das
Gitter? Muß doch einmal nachher den Haushofmeister fragen. Oder ging'
ich nicht lieber gleich selber hin und sähe zu? Die Sache kommt mir
beinahe verdächtig vor und 'was Heimliches muß jedenfalls dahinter
stecken.«

Der Förster stand noch unschlüssig, was er thun sollte, als sich der
Lärm im Busch wiederholte, jetzt aber viel lauter und anhaltender, als
vorher. Es schlug in den Büschen, als ob Jemand mit Gewalt durch ein
Dickicht brechen wolle und nicht hindurch könne, oder an einem Busch
risse, der nicht nachgeben wollte.

Selbst die beiden Frauen auf dem Weg schienen das Geräusch gehört zu
haben, denn wie der Förster den Kopf noch einmal dorthin wandte, sah er,
daß sie ihren Schritt beeilten, und besonders die erste in dem lichten
Kleide flog wie ein gescheuchtes Reh den Weg entlang, während die
andere, welche etwas zu tragen schien, nicht so rasch folgen konnte und
eine Strecke zurückblieb. Zu jeder andern Zeit würde dem Förster diese
nächtliche und, wie es schien, sehr eilige Wanderung der beiden Damen
verdächtig vorgekommen sein und er wahrlich nicht versäumt haben, der
Sache näher auf die Spur zu kommen. Aber da drin im Busche war etwas
los; das klang jetzt genau, als ob sich ein Stück Wild irgendwo
gefangen habe oder vielleicht im Todeskampf mit den Läufen austräte. Was
kümmerten ihn die Frauenzimmer; sein Beruf lag dort im Busch drin,
und sich den Hut fest auf den Kopf ziehend, daß er ihm nicht in der
Dunkelheit von irgend einem vorstehenden Zweig abgeschlagen wurde,
tauchte er rasch in den schmalen Streifen Dickicht ein, der die Wiese
von dem Kiefernwäldchen abschied und etwa zwanzig Schritt breit sein
mochte. War es doch nur eine Anpflanzung von Blüthenbüschen, um mit
diesen die Lichtung zu verdecken, welche die hochstämmigen Kiefern
bildeten.

Der Förster hütete sich dabei viel Geräusch zu machen. Während er aber
selber durch die Büsche kroch, konnte er natürlich nichts hören, denn
die Zweige rauschten zu viel neben ihm. Nur erst wie er den Rand und
damit das offene Holz erreichte, hielt er wieder still und horchte; da
drüben raschelte und schlug es noch, aber auch von links her glaubte er
ein Geräusch zu hören, und als er den Kopf dorthin wandte, vernahm er
die Schritte eines Menschen, der sich unfehlbar in dem dichten Schatten
jenes angepflanzten Fichtenstreifens hielt, denn zu erkennen war in der
Dunkelheit und hier in einer Art von Wald nicht das Geringste.

So wie er selber aber nichts sehen konnte, so brauchte er jetzt auch
nicht zu fürchten, von jemand Anderem gesehen zu werden, und vorsichtig
aus dem Gebüsch heraustretend, glitt er mit auf den Kiefernadeln
vollständig geräuschlosem Tritt der Richtung zu, nach der er die
Schritte und jetzt auch noch das immer stärker werdende Rascheln in den
Büschen hörte.

Wer es sei, der hier bei Nachtzeit in dem Dickicht herumsprang, ließ
sich allerdings nicht unterscheiden, ja, der Förster hatte noch nicht
einmal die Gestalt erkennen können; aber das blieb sich gleich. Wer sich
auch hier befand, war auf faulen Pfaden und hatte hier nichts in der
Nacht zu suchen, und die Flinte gespannt in der rechten Hand, den Finger
am Bügel, um rasch damit nach dem Drücker herunterfahren zu können,
glitt er so leise, aber auch so rasch, wie er möglicher Weise konnte,
weiter auf seiner Bahn.

Das Geräusch der Schritte hörte er dabei, als er einen Moment anhielt,
um zu horchen, eine kurze Strecke vor sich; jetzt ließ es sich nicht
mehr unterscheiden, da es aus einer Richtung mit dem andern kam, das
stärker und heftiger wurde, aber genau auf der nämlichen Stelle blieb.
Der Förster war nahe genug gekommen, um sicher zu bestimmen, daß es
aus dem schmalen Fichtenstreifen herrührte, der an dem jetzt draußen
angebauten Haferfeld entlang lief. Was, um Gottes willen, war da nur
los? Hatte sich ein Stück Wild gefangen -- Schlingen? Zum ersten Mal
zuckte es dem alten Forstmann durch den Sinn: dort war eine Schlinge
gestellt, und er ertappte den Verbrecher jetzt auf frischer That.

Der Maulwurfsfänger indessen, mit keiner Ahnung, daß ihm sein
grimmigster und gefährlichster Feind so dicht auf den Fersen sei, sprang
so rasch er konnte der Richtung zu, in der er das gefangene Wild mit den
Läufen schlagen hörte. Er achtete dabei nicht einmal auf seinen kleinen
Spitz, der dicht hinter ihm folgte, dem aber das Geräusch in der
Nachbarschaft dabei nicht entgangen war.

Das kleine kluge Thier stutzte und knurrte leise, denn es wußte recht
gut, daß es nicht laut werden durfte -- der Maulwurfsfänger hatte es
schon seit langen Jahren darauf dressirt, -- aber sein Herr hörte nicht.
Er lief ihm nach, bis er dicht hinter ihm war, und knurrte stärker, aber
mit nicht besserem Erfolg. Der Maulwurfsfänger, von der Leidenschaft
ergriffen, hörte und sah nichts weiter, als seine Beute. Der Förster
saß, er hatte ihn selber gesehen, in der Stube des Haushofmeisters
hinter einer Flasche Wein; der Forstgehülfe war mit den Böllern
beschäftigt, weiter hatte er Niemanden zu fürchten, und es blieb ihm da
übrig Zeit, den Lohn für seine Mühen zu nehmen und fortzuschaffen.
Und mit Einem Sprung in das Dickicht hinein, war er auf dem gefangenen
Schmalthier und genickte es ab.

Jetzt war Alles todtenstill -- nein, da drinnen regte sich 'was, und
sein Spitz, der in diesem Augenblick dicht hinter ihm stand, knurrte
lauter.

»Was giebt's, Spitz?« rief der Alte erschreckt. »Kommt Jemand?«

Der Spitz knurrte noch einmal und schlug plötzlich laut an; der Wilddieb
erschrak, denn das war ein untrügliches Zeichen, daß ihm Gefahr in
unmittelbarer Nähe drohe. Fast unwillkürlich griff er freilich nach der
Schlinge, um diese zu lösen und seine Beute frei zu bekommen; aber die
Hände zitterten ihm dabei, und er horchte gespannt nach den Kiefern
hinüber.

Lange in Zweifel sollte er aber nicht bleiben. War der Förster schon
überhaupt in nächster Nähe, durch den Todeskampf des Thieres der
richtigen Stelle zugelenkt worden, so verrieth jetzt das Bellen des
Hundes nicht allein den genauen Punkt, sondern auch den, mit dem er es
hier zu thun hatte.

»Hab' ich Dich endlich einmal erwischt, Dich neunhäutige Canaille?«
schrie er, indem er in die jungen Fichten hineinsprang, während er mit
der Linken sein Gesicht gegen die schlagenden und stachlichten Büsche
schützte, in der Rechten aber noch immer das gespannte Gewehr hielt.
»Steh, Schuft, oder ich schieße Dich wie einen tollen Hund über den
Haufen!«

Der Maulwurfsfänger hatte im Nu die Gefahr erkannt, aber er verlor seine
Besinnung nicht. Der Förster durfte nicht schießen, das wußte er recht
gut, die Gesetze verboten es; vor ihm lag das weite Haferfeld, und mit
drei Schritten Vorsprung hätte ihn der Alte im Leben nicht eingeholt. So
half es denn nichts; die schon sicher geglaubte Beute mußte er freilich
im Stich lassen, aber für sich selber fürchtete er auch keinen Moment,
und mit einem leisen, eigenthümlichen Pfiff, den sein Spitz gut genug
kannte, richtete er sich empor und sprang über das erlegte Stück hinweg,
um das Freie zu gewinnen -- aber hier fing er sich im wahren Sinne des
Worts in seiner eigenen Schlinge.

Der starke Messingdraht war nämlich hoch genug gespannt, um den Kopf
eines Stück Wildes in seinen Bereich zu bringen, wonach er dann, sobald
sich etwas darin gefangen hatte, auf der einen Seite losriß, damit
die Schlinge auf der andern desto fester angezogen werden konnte. Das
Wildkalb hatte aber, von der Gewalt, die es festhielt, fortdrängend,
seinen Kopf auf die entgegengesetzte Seite gebracht, und als es im
Todeskampfe zusammenbrach, drückte es hier den Messingdraht mit sich
nieder. Wenn sich aber der kleine, schwanke Fichtenstamm, an welchem
derselbe befestigt war, auch halb niederbog, so blieb der Draht doch
an jener Seite höher gespannt, was der Mann natürlich in der Dunkelheit
nicht sehen konnte. Als er deshalb über das Wildkalb hinwegsprang, hakte
sein einer Fuß darin, und ehe er den andern vorbringen konnte, um sich
zu stützen, verlor er das Gleichgewicht und schlug der Länge nach auf
den Boden nieder.

Der Förster, welcher jetzt dicht an ihm war, bekam hier einen freieren
Blick, als unter den dunkeln Kiefern, da schon das lichte Haferfeld den
Hintergrund bildete. Er hatte die aufspringende Gestalt auch bemerkt,
und trotz seiner Jahre noch immer ziemlich rüstig, zögerte er keinen
Augenblick, den Verbrecher zu packen. Sprang er dann in das Feld, ei,
in die Beine durfte er ihn schießen, das war erlaubt, das wollte er
wenigstens verantworten, oder dachte auch vielleicht in dem Augenblick
gar nicht einmal daran, ob da eine Verantwortung nöthig sei. Nur erst
einmal haben, das Andere fand sich alles nachher. Da sah er, wie der
Flüchtling auf den Boden niederschlug, er hörte den Fall und setzte mit
einem Jubelruf hinterdrein.

Hier aber störte ihn der Spitz, der ihm mit Wuthgekläff nach den
Beinen fuhr, so daß er unwillkürlich erschreckt zur rechten Seite
hinüberprallte, wo er ebenfalls gegen den starken Draht stieß. Das aber
war kein Hinderniß. Ein Tritt nach dem Hund machte ihm einen Augenblick
Luft; den Draht hielt er in der Hand und bückte sich geschwind darunter
durch, und so rasch war das Alles gegangen, daß er dem zu Boden
Geworfenen schon die Hand auf den Rock legte, als sich dieser von der
Erde wieder emporschnellte und jetzt mit Einem Satz in's freie Feld
hinausfliehen wollte.

Aber so leicht ging das nicht mehr. Der alte Förster hatte ihn wie mit
eisernem Griff am Rock, und fühlte jetzt nicht einmal, daß ihm der Köter
wieder nach den Beinen fuhr.

»Steh, Hund!« schrie er, die Flinte noch immer mit der Rechten haltend,
»oder, Gott straf' mich, ich schieß' Dich zusammen!«

»Alter Tropf,« zischte der zur Verzweiflung getriebene Wilddieb zwischen
den Zähnen durch, »Du hältst mich noch nicht!« Und den Arm herumwerfend,
schnitt er ihm mit dem scharfen Genickfänger, den er noch immer in der
Hand hielt, quer durch das Gesicht hinüber. In demselben Moment that
er einen Ruck, und während der Förster, durch Schmerz und Schreck
übermannt, einen Augenblick in seinem Griff nachließ, riß er sich
los und sprang jetzt, nicht in das offene Haferfeld, sondern in das
Fichtendickicht hinein, wohin ihm der Alte mit der Wunde gar nicht
folgen konnte.

Der Förster fühlte, wie ihm das Blut in's rechte Auge rann, und fast
rasend vor Wuth, riß er die Flinte an die Backe und drückte ab. Sehen
konnte er nichts, denn die Gestalt des Flüchtigen war schon im Dickicht
verschwunden; nur die Richtung hielt er, und fast unwillkürlich tief, um
keinen Mord zu begehen. Aber zeichnen wollte er den Halunken, daß er ihm
morgen seine Thäterschaft beweisen konnte, und kein Gericht in der Welt
hätte ihn deshalb, wie er meinte, verurtheilen dürfen.

Erst mit dem Schuß selber kam er eigentlich wieder zur Besinnung und
horchte jetzt in den Wald hinein, während er sich mit der linken Hand
in's Gesicht fühlte. Heiland der Welt, was ihm der Schuft für einen
Schnitt versetzt hatte, und wie das brannte und blutete! Seine ganze
Hand war naß, und er fühlte, wie ihm der warme Strom in den Bart
hineinlief. Aber nichts regte sich im Gebüsch; war der Bursche doch in's
freie Feld hinausgeflohen? Er sprang dort hinüber, aber er konnte nichts
sehen. Das rechte Auge war schon völlig zugeklebt, und vor dem linken
flimmerte es ihm wie tausend Sterne und Lichter.

Da drinnen war es ihm eben, als ob er etwas hätte rascheln hören; jetzt
Alles wieder ruhig, es konnte eine Maus gewesen sein -- oder hatte er
den Menschen todtgeschossen?

Es fing an ihm unheimlich da draußen allein im Walde zu werden -- und
wie ihn sein Gesicht schmerzte! Was konnte er auch weiter jetzt hier
thun? Es blieb am besten, er ging zurück in's Schloß, um dort seinen
Bericht abzustatten und sich die Wunde verbinden zu lassen, es wurde ihm
überhaupt schon so weich und schwach um's Herz und in den Gliedern.
Das war ein schöner Festabend, wo er einmal hatte recht vergnügt sein
wollen; Jesus, wie mußte er jetzt aussehen und die Leute erschrecken,
wenn er dort zurück zu den fröhlichen Menschen kam -- und heute gerade
Verlobung! Aber allein wäre er nicht mehr im Stande gewesen, sein
eigenes, fast eine halbe Stunde entferntes Forsthaus zu erreichen; er
wollte, daß er erst die kurze Strecke nach dem Schloß zurückgelegt, so
schwer, so furchtbar schwer wurden ihm die Glieder.

Draußen am Haferrand konnte er nicht hingehen; dort war ein tiefer
Graben, über den er jetzt nicht zu springen wagte. Er taumelte in das
Kieferwäldchen zurück, um wieder auf den freien Kiesweg im Innern
des Parks zu kommen. Dort hatte er auch nicht mehr so weit nach dem
Schlosse. Jetzt erreichte er die Büsche, die ihn noch vom Wege trennten;
dort hindurch führte irgendwo ein schmaler Pfad, aber wie sollte er den
jetzt finden? Er mußte gerade hindurch, und wie weh das that, wenn ihn
einer der Zweige auf die Wunde schlug, und wie schwindelig er wurde! Es
war ihm ordentlich, als ob der Boden unter seinen Füßen schwanke; aber
weiter, nur weiter, daß er wieder zu Menschen, zu Hülfe kam und dort
seine Geschichte erzählen konnte.

Jetzt sah er den lichteren Grasplatz vor sich -- da war auch der Weg
-- Gott sei Dank! Den Park entlang galoppirte ein Reiter, was das Pferd
laufen wollte; war das der Maulwurfsfänger? Aber wo hatte der so schnell
das Pferd herbekommen? Es wurde ihm immer schwächer zu Sinn; seine
Gedanken verwirrten sich, weite, glänzende Regenbogen flimmerten ihm vor
den Augen und der ganze Park drehte sich mit ihm. Hatte er denn auch die
rechte Richtung eingeschlagen und lag das Schloß dorthin zu oder dort
drüben? Er war ganz irre geworden und blieb stehen; wie ihm die Kniee
zitterten! Er streckte den Arm aus, um sich an etwas zu halten; aber
die tastende Hand griff nichts weiter, als die elastischen Zweige der
nächsten kleinen Büsche.

Noch that er einige Schritte vorwärts über den Weg hinüber auf den
Rasen; er fühlte, daß er umsinken müsse -- dann schwanden ihm die Sinne
und er brach ohnmächtig, wo er stand, zusammen.




22.

Ein gestörtes Fest.


Lautlose Stille herrschte in dem Festsaal, als der alte Graf ihn
verlassen hatte und nicht zurückkehrte. Man wußte, es war etwas
geschehen -- aber was? Die Gräfin behauptete noch immer ihren Platz;
ein Diener war an ihr vorbeigegangen und hatte ihr einige Worte
zugeflüstert. Sie hielt sich stolz aufrecht und suchte ruhig auszusehen.
War es möglich, noch einen Eclat zu vermeiden? Der Gedanke allein hielt
ihre Sinne gefesselt.

Helene befand sich in einer furchtbaren Unruhe. Irgend etwas mußte
vorgefallen sein. Selbst die Diener sahen verstört aus -- irgend etwas
Entsetzliches -- und Paula's Aufregung vorher! -- Aber die Musik, die
hinter ihrem Vorhang nichts davon bemerkte, spielte noch immer den
Festmarsch weiter.

»Meine Gnädige,« flüsterte der Staatsrath seiner Nachbarin zu, »wie mir
scheinen will, fallen wir mit unserem Tannhäuser vollständig aus der
Rolle. Die Verwirrung tritt schon ein, ehe der Festmarsch zu Ende ist,
und jetzt wird gleich der Chor der Pilger erschallen. Ich fürchte, wir
bekommen heut Abend nichts zu essen.«

»Das wäre entsetzlich!« sagte das alte Stiftsfräulein mit einem
giftigen Blick über die Tafel. »Und doch hat der Graf da Silber genug
aufgeschichtet, um das Banket eines Kaisers zu überfüllen.«

»Ich habe einen starken Verdacht, daß die Platten -- plattirt sind,«
flüsterte der Staatsrath.

»Wohl möglich,« meinte das Fräulein; »lieber Gott, es ist ja Alles
Schein heutzutage auf der Welt!« -- und sie hatte wirklich Ursache, so
zu reden, denn sie selber trug falsche Locken, falsche Zähne und falsche
Wattirungen, und der Staatsrath, mit einem boshaften Blick über ihre
Gestalt, flüsterte:

»Wie Recht haben Sie, meine Gnädige! Aber da kommt George, er sieht
blasser aus, wie gewöhnlich.«

Der alte Graf Bolten, der sich bis jetzt außerordentlich ruhig gehalten
und nicht von seinem Platz bewegt hatte, ging auf ihn zu, nahm seinen
Arm, flüsterte einen Augenblick mit ihm und verließ dann den Saal.

»Was ist, George?« sagte die Gräfin. »Warum kommt der Vater nicht
zurück? Wo bleibt Paula? Unsere Gäste warten...«

»Ein plötzliches Unwohlsein hat den Vater ergriffen,« sagte George mit
heiserer, fast tonloser Stimme. »Es thut mir leid, die Gesellschaft zu
stören; ich fürchte, er wird nicht bei der Tafel erscheinen können.«

Die Trompeten hinter dem Vorhange schmetterten ihre fröhlichen Weisen
so stark hervor, daß die Worte beinahe unverständlich wurden. George
schritt zu dem Vorhang, schlug ihn zurück und gebot Ruhe.

Mit einem Mißklang hörten die Leute überrascht mitten im Tact auf, und
eine unheimliche Stille lag in dem Moment auf dem Saal. Da trat der alte
Graf Bolten wieder in den Saal und sagte mit ernster, aber vollkommen
leidenschaftsloser Stimme:

»Meine Herrschaften, es thut mir leid, Sie benachrichtigen zu müssen,
daß wir uns in keinem Hause der Freude, sondern in einem Hause der
Trauer befinden. Meinen alten Freund Graf Monford hat ein ernster Unfall
betroffen, der seine Familie an sein Lager fesseln muß -- die Tafel ist
aufgehoben, denn es würde unmöglich sein, unter diesen Umständen noch
längere Störung hier zu verursachen.«

»Aber was fehlt ihm? Was ist geschehen?« rief es von allen Seiten.

»Hoffentlich nichts,« erwiderte abweisend der alte Herr, »was uns
verhindern könnte, in einigen Wochen, ja, vielleicht in einigen Tagen
wieder eben so fröhlich hier zusammen zu kommen -- Frau Gräfin, erlauben
Sie mir, daß ich Ihnen meinen Arm biete und Sie hinüber zu Ihrem Gemahl
führe.«

»Jetzt kommt der Chor der Pilger, meine Gnädige; habe ich es Ihnen nicht
gesagt? Und wie gut die Suppe riecht!« flüsterte der Staatsrath seiner
Nachbarin zu.

»Meine Nerven!« stöhnte diese und machte eine Bewegung, als ob sie sich
an seinen Arm hängen wollte, dem der Hofmann aber geschickt auswich,
indem er that, als ob er es gar nicht bemerkte, und sich rasch ab zu
einem Andern der Gesellschaft wandte. Die Dame wurde deshalb _nicht_
ohnmächtig.

Aber eine grenzenlose Verwirrung hatte sich indessen der Gäste
bemächtigt. Felix war rasch zu Helenen hinüber gegangen. Er wollte
mit George sprechen, aber dieser war seiner Mutter schon gefolgt, und
aufdrängen durfte er sich nicht. Er fühlte auch recht gut, daß man jetzt
der Familie keinen größeren Gefallen thun könne, als sie sobald als
irgend möglich von der Gegenwart Fremder zu befreien; deshalb Helenens
Arm ergreifend, flüsterte er ihr rasch zu:

»Komm, mein Herz, hier ist weiter nichts zu thun, als uns zu entfernen.
Bei der wundervollen Nacht gehen wir recht gut zu Fuß in die Stadt
zurück; laß uns ein wenig eilen, daß wir nicht in den Troß kommen.« Er
nahm ihren Arm und führte sie aus dem Saal, und das war das Zeichen zum
allgemeinen Aufbruch.

Draußen auf dem Gang stand ein alter Diener, der dem Grafen seinen Rock
gab.

»Können Sie mir nicht sagen, Freund, was vorgefallen ist?«

»Der große Gott weiß es!« sagte der Alte, und die Thränen standen ihm
in den Augen -- »aber Geheimniß kann's nicht mehr bleiben: die junge
Comtesse ist fort und Graf Bolten ihr nach. Draußen im Park fiel eben
ein Schuß, die Diener wollen mit Fackeln hinaus -- das überlebt der alte
Herr nicht.«

»Großer Gott, Paula?« rief Helene. Felix aber, ihr selber den Mantel
umwerfend und ihren Arm in den seinen ziehend, führte sie hinaus in's
Freie.

Nicht so rasch kam die übrige Gesellschaft fort. Viele der Damen,
ja, die meisten trugen weiße Atlasschuhe, da man sehr stark auf einen
kleinen Ball gerechnet hatte. Sollten sie in diesen den weiten Weg in
die Stadt zurücklegen? Aber die Wagen konnte man doch auch unmöglich
hier erwarten, und ein anderes Haus war nicht in der Nähe. Boten über
Boten wurden jetzt vorausgeschickt, Leute waren dazu genug versammelt,
um die Wagen zu beordern, daß sie wenigstens entgegenkamen, oder an
Droschken auftrieben, was sich finden ließ -- am Theater hielten jetzt
eine Menge --, und wie die wilde Jagd hetzten eine Anzahl von jungen
Burschen den Weg hinab und an Rottacks vorüber.

Immer leerer wurde es oben im Schlosse, immer unheimlicher. George
selber war auf einem zweiten Pferd davongesprengt -- wohin? Er wußte es
selber nicht.

In Paula's Zimmer stand die Gräfin und las ein kleines Briefchen, das
sie versiegelt auf der Tochter Toilettentisch gefunden. Ihr Gesicht
war marmorbleich, aber keiner ihrer eisenharten Züge verrieth, welche
Gefühle in diesem Augenblick ihr Inneres bewegten.

In dem Zettel, der »An meine Eltern« überschrieben war, standen nur
folgende wenige Worte: »Lieber Vater, liebe Mutter! Ich kann den jungen
Bolten nicht heirathen, ich würde unglücklich mein ganzes Leben sein.
Ich liebe mit aller Kraft meiner Seele Rudolph Handor und werde sein
Weib. Oh, verzeiht Eurer armen Tochter!«

Sie faltete das Billet zusammen, kleiner und kleiner, bis es einen
dünnen Streifen bildete, und fast mechanisch hob sie es dann empor zum
Licht, entzündete es und sah zu, bis es sich verzehrte, ja, die Spitzen
ihrer weißen Glacéhandschuhe versengte. Dann schritt sie langsam hinüber
zu ihrem Gatten, der noch immer bewußtlos auf einem Sopha lag, während
ihm der Haushofmeister mit zitternden Händen kalte Umschläge um die
Schläfe machte. Der alte Graf Bolten stand daneben, die rechte Hand auf
den Tisch gestützt, in starrer Ruhe und verwandte keinen Blick von dem
unglücklichen alten Manne.

Drei Boten waren nach verschiedenen Aerzten gesandt, um sie rasch
herbeizurufen; sie konnten aber noch nicht da sein, der Weg war zu weit.

Die Gräfin trat in's Zimmer; Graf Bolten rührte sich nicht und wandte
ihr den Blick nicht einmal zu. Sie zog ihre weißen Glacéhandschuhe aus,
nahm dem Haushofmeister das nasse Tuch ab und sagte tonlos:

»Sehen Sie nach der Tafel -- daß alle Fremden das Haus verlassen --
einige junge Leute behalten Sie zurück, wenn wir vielleicht noch Boten
gebrauchen sollten.«

»Zu Befehl, Frau Gräfin.«

»Wo ist George?«

»Fort -- er hat sich ein Pferd satteln lassen.«

»Es ist gut -- sehen Sie nach dem Hause.«

Der Haushofmeister zog sich mit einer Verbeugung und einem traurigen
Blick auf seinen Herrn zurück; er wäre noch so gern bei ihm geblieben,
aber seine Pflicht rief ihn auf seinen Posten. Die Frau Gräfin hatte
Recht: die Masse dort aufgestellten Silbers durfte nicht ohne Aufsicht
bleiben -- daß sie nur daran gedacht hatte!

Eine halbe Stunde verging so. Graf Bolten rührte sich nicht, er schien
wie aus Stein gehauen, und nicht regungsloser war der Ohnmächtige auf
dem Sopha, dem die Gattin ruhig und mechanisch die Umschläge wechselte.
Endlich fuhr ein Wagen vor. So still war es im Hause geworden, daß man
deutlich das Knirschen der leichten Räder auf dem Kies hören konnte. Es
war einer der Aerzte, der in Carrière herausgejagt sein mußte.

Draußen vor dem Fenster wurden auch Stimmen laut und Leute kamen mit
Fackeln. Weder Graf Bolten noch Gräfin Monford beachteten es. Der Arzt
schien einen Augenblick da draußen aufgehalten zu sein; es dauerte
wenigstens unverhältnißmäßig lange, ehe er eintrat, oder däuchte ihnen
die Zeit nur so lang? Endlich kam er und trat zu dem Lager des Kranken,
dessen Hand er nahm, um den Puls zu fühlen.

»Gnädige Gräfin, ich bedauere unendlich...«

»Was halten Sie von seinem Zustand, Doctor?«

Der Doctor schüttelte mit dem Kopf -- endlich frug er leise:

»Liegt irgend eine bestimmte Ursache dieser heftigen Störung der
Lebensthätigkeit vor? Schreck oder Gemüthsbewegung?«

»Es ist möglich,« erwiderte kaum hörbar die Gräfin.

Der Arzt nickte, ohne etwas weiter zu fragen oder den Puls des Kranken
loszulassen. Er hielt einen Aderlaß für nothwendig, aber ehe er ihn
anwenden konnte, schlug der Kranke die Augen auf und stierte den Doctor
bestürzt an.

»Mein bester Herr Graf, wie fühlen Sie sich jetzt? Es ist Ihnen
plötzlich unwohl geworden, nicht wahr?«

Der Graf antwortete nicht. Er schloß die Augen wieder und legte seine
Hand gegen die Stirn, als ob er sich auf etwas besänne. Er trug noch
seine weißen Handschuhe, und der Arzt entfernte sie jetzt vorsichtig,
was der Leidende ruhig geschehen ließ, und rieb ihm dann die Schläfe mit
=Eau de Cologne=.

»Ich danke Ihnen, Doctor,« sagte der Kranke nach einiger Zeit -- es
waren die ersten Worte, die er wieder sprach --; »bitte, legen Sie mir
die Handschuhe nicht fort, ich muß zur Gesellschaft zurück.«

Der Doctor sah die Gräfin fragend an.

»Heute Abend nicht mehr, George,« sagte diese. »Du hast sehr lange in
Ohnmacht gelegen, die Gäste sind längst nach Hause, es ist spät.«

Der Kranke sah sie rasch an, und wieder fuhr er sich nach der Stirn, lag
aber eine Weile ruhig. Endlich sagte er leise:

»Schicke George und Paula zu mir her; ich will sie sprechen.«

»Die Kinder sind schon im Bett,« erwiderte die Gräfin -- »morgen früh --
heute halte Dich nur ganz ruhig, daß Du morgen wieder wohl und kräftig
bist. Fühlst Du Dich besser?«

Der Arzt hatte zu Graf Bolten aufgesehen, als dieser ihm ein Zeichen gab
und das Zimmer verließ. Der Arzt folgte ihm nach einigen Secunden.

»Was halten Sie von dem Zustand des Kranken? Glauben Sie, daß es eine
bloße Ohnmacht war?«

»Ich -- hoffe, ja. -- Hat der Graf Monford dieses Zucken des linken
Augenlides schon öfter gehabt?«

»Ich glaube nicht; ich habe es nie bemerkt.«

»Es kann Schwäche im Auge sein; ich hoffe, es ist nicht mehr.«

»Und was fürchten Sie sonst?«

»Oh, nichts, in der That nichts! Nur im ersten Augenblick fürchtete ich,
daß es ein leichter Schlaganfall sein könne. Er ist aber ja schon wieder
vollkommen bei Besinnung.«

Der Graf nickte langsam mit dem Kopf und sagte endlich:

»Gehen Sie wieder zu dem Kranken hinein, Doctor, ich will nach Hause
fahren. Ich glaube, Ruhe wird ihm am wohlsten thun. Gute Nacht,
Doctor. Morgen früh bitte ich Sie, mir Nachricht zu senden, wie Sie ihn
verlassen haben."

»Sehr gern, Herr Graf, ich werde nicht ermangeln -- da draußen haben sie
ja auch einen Verwundeten...«

»Einen Verwundeten?« fragte der Graf hastig und erschreckt.

»Den alten Förster. Sie brachten ihn eben in's Haus, wie ich ankam, aber
es scheint nichts Gefährliches zu sein. Nur ein Schnitt oder ein Hieb
durch's Gesicht -- er war von Blutverlust wahrscheinlich ohnmächtig
geworden. Ich werde dann gleich nach ihm sehen.«

Der Graf zog seinen Ueberrock allein an, denn die Diener waren alle
hinausgegangen, nahm seinen Hut, nickte dem Arzt noch einmal zu
und verließ das Haus, um sich erst der Richtung hinter dem Schlosse
zuzuwenden, wo er noch die Fackeln sah.

Allgemeine Bestürzung herrschte indessen auch unter der Dienerschaft,
der das Vorgefallene natürlich kein Geheimniß bleiben konnte, ja, die
das eigentlich Geschehene sogar schon früher wußte, als die Herrschaft
selber. Der junge Gärtnerbursche hatte nämlich erzählt, daß er, als er
im Park heraufgekommen wäre, ein paar Frauen bemerkt hätte -- Damen mit
großen, weiten Kleidern, die rasch den Weg hinabgeeilt wären und von
denen die eine etwas Schweres getragen hätte. Vorher aber habe er
einen Wagen unten am Drahtthor halten sehen, und ein Herr dort habe ihn
gefragt, ob die Tafel schon begonnen hätte. Er glaubte damals, daß der
Herr mit zu den Gästen gehöre, vielleicht einer der Rittergutsbesitzer
aus der Nachbarschaft, der den Weg durch den Wald gekommen sei; nur daß
er nicht mitging oder das Thor nicht geöffnet haben wollte, wunderte ihn
-- auf was wartete er denn noch? Aber er mußte sich selber eilen, daß er
das Tractement nicht versäumte. Die Damen, denen er nachher begegnete,
machten ihn stutzig, und er erzählte, was er gesehen, dem einen Lakai,
der jetzt seinerseits die Kammerjungfer der gnädigen Comtesse suchte,
sie aber nirgends finden konnte. Ehe man aber der Herrschaft selber
Mittheilung davon machen konnte, war die Flucht der Comtesse oder
wenigstens ihre Abwesenheit schon bemerkt, und der Bericht des Gärtners
konnte nur die Richtung andeuten, die sie genommen. Bald darauf sprengte
Graf Bolten fort, und gleich danach fiel der Schuß in derselben Gegend.

Der Haushofmeister hatte eine Anzahl von Pechfackeln herausschaffen
lassen, um sie heute vielleicht beim Heimfahren der Herrschaften zu
verwenden. Mit einigen von diesen machte sich nun eine Anzahl junger
Burschen, darunter der Forstgehülfe, auf, um den Park abzusuchen, und da
sie sich auf den Wegen vertheilten, trafen sie hier auf den ohnmächtig
gewordenen alten Förster, den sie jetzt zurück zum Schloß trugen.
Mehrere wurden freilich nach dem Drahtthor geschickt, um dort nach dem
Wagen zu sehen, aber der war natürlich fort. Nur die Gleise desselben
fanden sie im Sande, wo er gehalten, dann hatte er den dort einzigen Weg
nach dem Dorfe eingeschlagen -- aber wohin dann weiter? Im Dorf selber
liefen vier Wege nach vier verschiedenen Richtungen ab -- welchen
hatte der Wagen nun verfolgt? Das Dorf lag auch zu weit, um dort jetzt
nachzusehen; auch ging der Wind heut Abend ziemlich heftig, und sie
hätten sich mit den Pechfackeln, die fortwährend Funken abwarfen, doch
nicht zwischen die Strohdächer hineinwagen dürfen. Die Bauern würden es
gar nicht gelitten haben.

Der Förster erholte sich übrigens sehr rasch wieder und kaum wie sie
ihn in des Haushofmeisters Zimmer auf ein schnell hergerichtetes Lager
gelegt hatten. Blutverlust mußte die Ursache seiner Ohnmacht gewesen
sein, vielleicht auch der Schmerz der Wunde mit der Aufregung. Wie aber
das vorquellende Blut gerann, hörte auch die Blutung von selber auf; der
Alte sah aber schrecklich aus.

Der Schnitt ging ihm über dem rechten Auge weg quer über die Nasenwurzel
und dann schräg die linke Backe hinab, den er vollständig geschlitzt
hatte, daß er auseinander klaffte. Seine Kleider waren dabei bis hinab
wie mit Blut getränkt, und die Leute fürchteten zuerst, daß er noch
vielleicht eine andere und gefährlichere Wunde an sich habe. Er wurde
deshalb ausgezogen und untersucht; es ergab sich aber glücklicher Weise
nichts Derartiges, und als er wieder zu sich kam, bestätigte er auch,
daß er nirgends sonst getroffen sei; nur den Schnitt habe ihm der
verfluchte Kerl, der Maulwurfsfänger, gegeben, als er ihn beim Wildern
erwischt, und die kleine Kröte, der Spitz, müsse ihn auch in die Beine
gebissen haben -- der eine Hinterlauf schmerze ihn schändlich da unten
um die Wade herum.

Das erwies sich in der That so; die Hose war dort an drei oder vier
Stellen zerrissen und das scharfe Gebiß der kleinen Bestie tief in das
Bein eingedrückt, daß das Blut daran herunter gelaufen.

Also mit der Flucht der Comtesse hatte diese Verwundung, wie die
Leute anfangs geglaubt, gar nichts zu thun. Dem alten Manne that
aber besonders die zerschnittene Backe so weh, daß ihm das Sprechen
außerordentlich schwer wurde. Er wollte noch etwas sagen, ließ es aber
wieder sein und flüsterte nur das Eine Wort: »Doctor --« dann legte er
den Kopf zurück, um sich auszuruhen. Der Doctor war aber noch drinnen
beim Grafen und konnte nicht herausgerufen werden -- er sollte sich nur
noch ein klein Weilchen gedulden, er käme gleich.

Jetzt fuhren noch rasch hintereinander zwei Wagen vor, in denen die
beiden anderen herbeigerufenen Aerzte saßen. Der eine von diesen wurde
auch sofort bedeutet, daß er, so schnell er irgend könne, hinüber in des
Haushofmeisters Zimmer käme, wo ein Verwundeter läge; vorher mußten die
beiden Herren aber pflichtschuldigst zum Grafen hinein. Der eine fragte
nur: »Was für eine Wunde?«

»Ein Schnitt durch's ganze Gesicht.«

»Nun, das ist nicht so gefährlich, ich komme gleich hinüber« -- und
damit war er rasch verschwunden, und der Förster mußte warten.

Bei dem Grafen aber konnten sie gar nichts thun. Er hatte sich wieder
erholt, fühlte sich jedoch noch sehr angegriffen und beantwortete die an
ihn gerichteten Fragen zuerst nur ganz unvollständig und dann gar nicht
mehr, und winkte endlich mit der Hand -- er wollte allein sein.

Die Aerzte zogen sich zu einer Berathung zurück, das heißt, keiner von
ihnen wollte den andern fragen, was er über die Sache denke -- er hätte
sich dadurch etwas vergeben können --, sondern nur seine Meinung geltend
machen. Der Hausarzt, ein Ober-Medicinalrath, behandelte die Sache auch
sehr cavalièrement. -- Es hatte nichts zu sagen: er kannte die Natur des
Grafen -- morgen würde nichts von der heutigen Schwäche übrig sein. Es
war nur eine Nervenaufregung oder Ueberreizung, er hoffe das Beste. Die
beiden anderen Herren waren ja doch nur aus Versehen, oder in der Angst,
ihn nicht gleich zu treffen, gerufen worden.

Der zuerst gekommene Arzt widersprach dem vollkommen und hielt es
für einen Nervenschlag, der vielleicht wiederkehren könne. Der
Ober-Medicinalrath zuckte die Achseln -- was half es ihm zu
widersprechen! Er hatte die Behandlung des Kranken ja doch von jetzt ab
allein, und die Consultation war eine bloße Höflichkeitsform. Er bat die
Herren, ihn zu entschuldigen, da er noch einen andern Fall im Hause zu
behandeln habe, und ging zu dem alten Förster hinüber.

Hier aber war nicht viel zu thun. Er nähte die furchtbare Wunde ziemlich
gleichmüthig zu, wobei er sich erkundigte, woher der Alte den Schnitt
habe, legte dann einen Verband um, betrachtete sich die Bißwunden, ließ
sie auswaschen, verordnete kalte Umschläge und ließ sich dann von dem
Haushofmeister ein Zimmer anweisen. Er wollte hier übernachten, falls
die Frau Gräfin noch einmal nach ihm verlangen sollte.

Der alte Förster fühlte sich indeß durch das Zunähen der Wunde und den
Verband sehr erleichtert; er ließ sich noch ein Glas Wein geben, um sich
ein wenig zu stärken, und verlangte dann nach seinem Forstgehülfen.

Während er so da lag, war ihm doch die Sache mit dem Schuß, und daß
er nachher noch ein Rascheln in den Büschen gehört hatte, im Kopf
herumgegangen. Wenn er den Menschen nun doch, obgleich er blind in den
Busch gefeuert und tief gehalten, getroffen? Der Forstgehülfe stand noch
draußen und besprach die Familienverhältnisse mit einem der Lakaien,
der höchst entrüstet über die Flucht war, denn das Kammermädchen schien
Eindruck auf ihn gemacht zu haben, und nicht ihm einmal hatte sie sich
entdeckt!

»Herr Förster, Sie haben nach mir verlangt!«

»Ach, Wenzel, sind Sie das? Stopfen Sie mir erst einmal meine Pfeife;
sie steckt in der linken Rocktasche und der Tabaksbeutel in der
rechten.«

»Ja wohl, Herr Förster.« Die Pfeife wurde gestopft und gebracht. Wenzel
zündete einen Fidibus an, aber das Rauchen wollte nicht recht gehen.
Hatte die Pfeife keinen Zug, oder that ihm dabei die Backe so weh? Der
Forstgehülfe selber probirte, sie zog vortrefflich; der Förster nahm sie
noch einmal zwischen die Lippen, aber es ging nicht. Er seufzte tief auf
und gab sie Wenzel zurück.

»Rauchen Sie sie selber, Wenzel,« sagte er traurig; »es geht nicht. Der
verfluchte Maulwurfsfänger!«

»Und weiter soll ich nichts?« fragte der Forstgehülfe, der, dem Auftrag
gehorsam, die Pfeife zwischen die Zähne nahm.

»Doch Wenzel; setzen Sie sich einmal einen Augenblick hierher. Das Maul
thut mir so weh, ich kann nicht laut sprechen. Nehmen Sie sich Jemanden
mit einer Laterne mit, und gehen Sie auf den Platz zurück, wo Sie mich
vorher gefunden haben. Das wissen Sie doch, wo das war?«

»Ja wohl, Herr Förster.«

»Gut, von da an gehen Sie auf meinem Schweiß zurück bis zu dem
Fichtenstreifen, der am Hafer hinläuft. Sie können nicht fehlen, er muß
überall auf den Büschen sitzen. Dort finden Sie eine Drahtschlinge, die
der verdammte Halunke, der Maulwurfsfänger, gelegt hat, und ein
Stück Wild darin; ich weiß nicht, was es ist, ich hatte keine Zeit,
nachzusehen.«

»Der Lumpenkerl!« sagte der Forstgehülfe in gerechter Entrüstung -- »ob
ich's mir nicht immer gedacht habe!« und qualmte stärker.

»Halten Sie's Maul und hören Sie zu!« sagte der Förster -- »gerade wo
das Stück liegt, hab' ich gestanden, auf der andern Seite drüben und
links hinein in die Fichten geschossen; die Schrote müssen noch in den
Zweigen sitzen. Nehmen Sie sich lieber zwei Laternen mit, daß Sie besser
sehen können, und suchen Sie mir die Fichten ab, ob ich den Lump nicht
doch vielleicht zu Holz geschossen habe.«

»Glauben Sie, daß er etwas hat?«

»Ich weiß es nicht; hingehalten hab' ich -- ein bischen tief -- aber
ich konnte nichts sehen; der Schweiß lief mir in's Auge und stockfinster
war's auch, und der Kerl stak in dem jungen Holz drin -- aber nachher
hat's geraschelt; es ist doch möglich, daß ihm ein paar Schrote in die
Beine gefahren sind -- 's ist zwar nur Nummer sechs, aber ich möchte
doch nicht gern, daß der Kerl die Nacht im Busch läge. Machen Sie, daß
Sie fortkommen. Wenn Sie zurück sind, sagen Sie mir Antwort, dann will
ich einschlafen.«

Der Forstgehülfe gehorchte dem Befehl; junge Burschen, die ihn begleiten
wollten, waren noch genug da, und die Fackeln aufgreifend, welche schon
vorher benutzt worden, schritt der kleine Trupp rüstig durch den Park,
bis sie die Gegend erreichten, wo sie vorher den Förster gefunden.

Hier übernahm der Forstgehülfe die Leitung. Zuerst mußten sie noch
eine kurze Zeit nach der wirklichen Stelle suchen, aber die war bald
gefunden, denn in den erst am Nachmittag frisch geharkten Wegen
waren die vielen Fußtritte deutlich erkennbar. Und dort lag auch
die Blutlache. Hier über den Weg war der alte Mann herübergekommen,
Blutzeichen fanden sich überall, die an den Kleidern niedergetropft;
dort war er aus den Büschen herausgekommen, ein paar Zweige, an die er
sich gehalten, fanden sie eingeknickt, niederhangend und voller Blut
-- überall hingen in der That die Spuren und führten deutlich zu dem
Fichtenstreifen hinüber, wo der von dem gefangenen Wildkalb geschlagene
Fleck ihnen schon von Weitem die Stelle zeigte.

»Himmelhund!« fluchte der Forstgehülfe, als er das verendete Thier, noch
in der Schlinge festsitzend, fand und sich jetzt niederbog, um es frei
zu machen und mit zum Schloß zu nehmen -- »wenn ihm der Alte doch nur
den.... vollgeschossen hätte!«

»Da knurrt ein Hund!« rief Einer der Leute. Alle horchten, und deutlich
hörten sie jetzt aus den Büschen heraus einen menschlichen Ruf nach
Hülfe.

»Da liegt er!« rief der Forstgehülfe, und sich rasch emporrichtend,
griff er nach einer der Fackeln und preßte durch die Fichtendickung der
Stelle zu, von der er den Ruf zu hören geglaubt. Er brauchte nicht weit
zu gehen. Kaum zehn Schritt in den Fichten drin schlug ein kleiner Hund
an, und dort fanden sie, bleich und mit Blut bedeckt, aber bei voller
Besinnung, den Maulwurfsfänger, der hier den Schuß erhalten hatte und
zusammengebrochen war.

»Hallo! wen haben wir da?« rief der Forstgehülfe, während er scheu vor
dem Anblick zurückprallte und der Hund ein wüthendes Geheul ausstieß.
Die dichten Büsche ließen auch kaum die Gestalt erkennen, denn die
Fichtenzweige bogen sich von allen Seiten über ihn hin.

»Tragt mich zu Jonas hinüber,« bat der Unglückliche -- »mir ist das Bein
zerschossen, ich kann nicht mehr!«

Der Vorschlag war in der That vernünftig. Des alten Gärtners Haus
lag kaum dreihundert Schritt von dort im Dickicht drin, während die
Entfernung nach dem Schloß die dreifache gewesen wäre. In's Schloß
hätten sie ihn aber überhaupt gar nicht schaffen dürfen; dort herrschte
überdies schon Verwirrung genug, und wenn jetzt der angeschossene Mensch
noch dazu gekommen wäre -- das ging gar nicht. Der alte Jonas hatte aber
oben in seinem Hause noch ein kleines Zimmerchen, das gar nicht benutzt
wurde. Dort konnten sie ihn bequem unterbringen, und die einzige
Schwierigkeit war jetzt nur, ihn aus dem Dickicht heraus auf den Weg zu
schaffen. Der Forstgehülfe schüttelte mit dem Kopf. --

»Seid Ihr bös getroffen?«

»Das Bein ist ab -- unter der Hüfte -- die Geschichte ist aus.«

Der Jäger wollte etwas darauf erwidern, aber er fühlte selber, daß
die Zeit dazu nicht passend wäre. Der arme Teufel schien hart genug
gestraft, und jetzt blieb ihnen nichts weiter übrig, als ihm so rasch
als möglich Hülfe zu bringen.

Einer der Leute -- denn es waren deren mehr herausgekommen, als sie
zum Fortschaffen brauchten -- mußte gleich in's Schloß zurück, um den
Ober-Medicinalrath zur Gärtnerwohnung zu begleiten, den anderen befahl
der Forstgehülfe, der sich ziemlich gut zu helfen wußte, ihre Jacken
auszuziehen und den Verwundeten, so gut es eben ging, hinein zu legen,
während drei auf jeder Seite trugen. Er selber ging ihnen dabei mit
seinem Beispiel voran und zog seinen Rock aus, und sie stellten dadurch
eine erträgliche Bahre her, um den Verwundeten so schmerzlos als irgend
möglich fortzuschaffen.

Zwei von den Leuten mußten vorangehen und die Büsche zurückbiegen; wie
sie aber den Verwundeten aufgreifen wollten, fiel der Hund wie toll über
sie her und biß nach ihnen.

»Ruhig, Spitz,« sagte der arme Teufel mit schwacher Stimme, »'s ist aus
mit uns Beiden; zurück, Spitz, zurück, komm, mein Hund!«

Das kleine kluge Thier winselte kläglich und zeigte noch immer die
Zähne; aber es war ordentlich, als ob es verstand, was sein Herr zu ihm
gesagt, denn es widersetzte sich nicht mehr den fremden Männern, die den
Hülflosen jetzt so sorgsam wie nur irgend möglich auffaßten und aus dem
Busch hinaustrugen.

Sobald sie erst einmal den offenen Weg erreichten, ging es etwas besser,
und der Maulwurfsfänger klagte auch nicht. Nur als sie ihn etwas weiter
am Teich vorbeitrugen, stöhnte er: »Wasser -- will mir Keiner einen
Tropfen Wasser geben?«

Einer der Männer sprang hinunter und holte Wasser in seinem Hut, von
dem der Verwundete gierig trank; dann lag er wieder still, bis sie
das kleine, ziemlich einsam gelegene Haus erreichten und ihm dort, mit
Laubstreu und einer wollenen Decke drüber, ein Lager zurecht machen
konnten. Einer blieb oben, um die Nacht bei ihm zu wachen, denn man
durfte ihn nicht hülflos dort zurücklassen.

Bald darauf kam auch der Ober-Medicinalrath, der, nachdem er die Wunde
untersucht hatte, den Kopf bedenklich schüttelte.

»Heut Abend scheint ja hier auf dem Schloß der Teufel los gewesen zu
sein,« sagte er, »und Ihr habt genug Unglücksfälle für ein ganzes Jahr.
Haltet Euch still, Freund, das ist das Beste, was ich Euch rathen kann.«

»Ich werde bald still genug sein,« flüsterte der Alte.

»Nun, so arg ist's nicht,« beruhigte der Arzt; »ein Schuß in's Bein ist
noch kein Schuß in den Leib, und ich denke, ich bringe Euch wieder auf
die Füße. Wo seid Ihr zu Hause?«

»Fragt die Maulwürfe, die könnten's Euch eben so gut sagen; für jetzt
wohne ich in Haßburg in der Färbergasse.«

»Ich will dafür sorgen, daß Ihr heut Abend noch bessere Pflege bekommt,«
sagte der Ober-Medicinalrath, »denn nach der Stadt kann ich Euch mit dem
Bein nicht transportiren lassen; wir müssen eine Entzündung vermeiden.
Habt Ihr eine gute Natur?«

»Wie ein Pferd,« sagte der Alte.

»Gut, dann hoffe ich Euch durchzubringen; aber Ruhe und keine
spirituösen Getränke, überhaupt keine Aufregung. Diese Nacht macht ihm
kalte Umschläge; ich will sehen, vielleicht bekomme ich noch Eis in der
Stadt und schicke Euch davon heraus. Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Herr Doctor!« sagte der Maulwurfsfänger, schloß die Augen
und legte sich auf seinem Lager zurück. -- --

Unten im Schloß war die Gräfin in dem Zimmer, in welchem der Graf lag,
in fieberhafter Ungeduld auf und ab gegangen; aber der weiche Teppich
ertödtete jeden Schall, so daß der Kranke, der wie schlafend lag, nichts
davon hören konnte. Sie erwartete Nachricht von George, von Hubert, denn
das Furchtbare war geschehen, ihre Tochter hatte sie vor den Augen
der Welt compromittirt, aber das Furchtbarste konnte ihr doch nicht
aufbehalten bleiben. Beide junge Leute waren den Flüchtigen nach,
die kaum eine Viertelstunde, ja vielleicht nicht einmal zehn Minuten
Vorsprung hatten, und Einer von ihnen mußte sie ja doch überholt haben.

Aber sie kamen nicht zurück; Minute nach Minute, Stunde nach Stunde
verging, und vergebens horchte sie den klappernden Hufen eines der
Pferde.

Der Ober-Medicinalrath kehrte zurück und erkundigte sich nach seinem
Patienten. Er schlief, oder lag wenigstens regungslos auf seinem Sopha,
wie er ihn vorher verlassen hatte, schien auch nicht zu hören, was um
ihn her vorging, beantwortete wenigstens keine der an ihn gerichteten
Fragen.

Der Ober-Medicinalrath wollte sich auf sein Zimmer zurückziehen und
rieth der Gräfin, ebenfalls schlafen zu gehen. Bei dem Kranken konnte ja
eine Wache zurückbleiben und sie augenblicklich rufen, sobald er etwas
verlange; ihr selber würde diese unnöthige und gewaltsame Aufregung nur
schädlich sein. Die Gräfin verweigerte es; sie wollte wachen, sie war
nicht müde.

Der Ober-Medicinalrath zuckte die Achseln und verließ das Zimmer; _er_
war müde.

Wieder verging eine halbe Stunde -- da hörte sie Hufschläge auf dem
Pflaster des Hofes, die anhielten. Sie öffnete rasch das Fenster
und horchte hinaus. Stimmen konnte sie hören, aber keine Worte
unterscheiden. Sie klingelte, und es dauerte eine Weile, bis ein Diener
kam.

»Wer ist da gekommen?«

»Graf Hubert.«

»Ich lasse ihn bitten, in das Empfangszimmer zu gehen.«

»Er ist schon wieder fort, Frau Gräfin,« sagte der Lakai.

»Schon wieder fort?«

»Ja, er fragte nur, ob Niemand zurückgekommen wäre, und dann, ob Graf
George im Hause sei. Als wir das verneinten, sprang er aus dem Sattel,
warf Einem der Stallleute den Zügel zu und schlug rasch den Weg nach der
Stadt zu Fuß ein.«

»Und Graf George, mein Sohn, ist noch nicht zurückgekehrt?«

»Nein, Frau Gräfin.«

»Was waren das für Leute mit Fackeln, heut Abend?«

»Der Förster hat einen Wilderer erwischt und auf ihn geschossen, den
alten Maulwurfsfänger, der immer in den Park kam, und dem Förster hat er
das ganze Gesicht mit dem Messer zerschnitten.«

»Der Maulwurfsfänger?«

»Ja, Frau Gräfin. Der Förster hat ihn in's Bein geschossen; er liegt
oben beim tauben Jonas im Hause.«

Die Gräfin hörte schon gar nicht mehr, was er sprach. »Sobald mein Sohn
zurückkehrt, werde ich gerufen,« sagte sie, »ich muß ihn sprechen, ehe
er zu Bett geht. Der Haushofmeister soll dann einen Augenblick zu meinem
Mann kommen; ich muß mich umziehen. Wo ist mein Kammermädchen?«

»Draußen, glaub' ich, Frau Gräfin; sie war vorhin in der Küche.«

»Sie soll in mein Zimmer kommen.«

Die Befehle waren rasch erfüllt, und die Gräfin zog sich hastig in
ihr Zimmer zurück, um ihren Ballstaat mit einem einfachen Hauskleid
zu vertauschen. Der Schmuck drückte sie, den sie trug, und das schwere
Seidenkleid, dessen Rauschen ihr wie Hohn und Spott in den Ohren klang.

Kaum war sie umgekleidet, als Graf George auf müde gerittenem Pferd
zurückkehrte. Es war indessen nahe an zwölf Uhr geworden.

Der Diener kam und meldete der Gräfin die Rückkehr ihres Sohnes, und
die Dame sagte rasch: »Er soll in den Speisesaal kommen, ich will ihn
sprechen.«

Noch zögerte sie einen Augenblick; aber der Graf schlief, wie es schien,
fest. Er hielt die Augen geschlossen und athmete leicht. Sie bog sich
über ihn und horchte seinen Athemzügen; er regte sich nicht, und leise
verließ sie das Gemach, um George zu sprechen.

Dieser hatte indessen sein Pferd abgegeben und der Mutter Botschaft
erhalten. Er betrat gleich nach ihr den Saal, dessen Tafel noch mit
allem Geschirr, wie es die Gäste verlassen, gedeckt stand -- wo hätten
die Diener Zeit gehabt, es fortzuräumen? Nur das Silber war beseitigt
und verschlossen, mit Ausnahme der schweren silbernen Armleuchter, von
denen noch zwei auf dem Tisch brannten. Weder die Gräfin noch der junge
Graf hatten ja zu Nacht gespeist, und das Essen mußte doch für sie
bereit gehalten werden, wenn sie danach fragen sollten.

»Wo warst Du, George?« rief ihm die Mutter entgegen, wie er nur die
Schwelle betrat. »Hast Du sie gefunden?«

George schüttelte finster mit dem Kopf. »In die Nacht bin ich hinein
geritten,« sagte er, »was mein Pferd laufen konnte; hätte ich zufällig
den rechten Weg getroffen, so mußte ich sie erreichen, ehe sie den
ersten Meilenstein hinter sich wußten. Aber im Dorfe gehen vier Wege ab
-- ich habe keine Spur von ihnen entdeckt.«

»Und jetzt?«

»Ich bin nur zurückgekommen, um zu hören, ob Hubert sie vielleicht
gefunden. Weit kann sie ja doch nicht sein, allein mit ihrem
Kammermädchen.«

»Hubert ist zurück -- umsonst! Und glaubst Du, daß sie allein gereist
ist?«

»Nun, mit Bertha; Beide sind sie ja gesehen worden, wie sie durch den
Park eilten.«

»Und weißt Du, wer im Wagen auf sie gewartet hat?«

»Im Wagen?« wiederholte George erschreckt.

»Jener Schauspieler Handor,« sagte die Mutter mit furchtbarer Ruhe.

»Handor?« schrie George emporfahrend.

»Still,« sagte die Mutter, »wir brauchen unsere Schande nicht selber
in die Welt zu schreien, es wird das ohnedies zeitig genug von anderen
Leuten geschehen!«

»Aber es ist nicht möglich,« rief George aus, der sich indessen auf die
Einzelheiten besann -- »Handor spielte heut Abend in der nämlichen Zeit,
in der Paula entfloh, in der Stadt den »Hamlet«, und das Theater
ist keinesfalls vor zehn Uhr aus gewesen, ja, kaum dann, da ich mich
erinnere, daß auch noch in den Zwischenacten etwas angezeigt war.«

»Ich habe den Brief, den mir Paula zurückgelassen, verbrannt,« sagte
die Mutter kalt; »sie nennt darin mit einfachen Worten ihren Verführer.
Möglich aber, daß sie allein von hier fortgefahren, wenn er wirklich
gespielt hat, um sich dann nach der Vorstellung irgend ein Rendezvous
zu geben und gemeinschaftlich ihre Reise fortzusetzen; aber in dem Wagen
hat ein Herr gewartet.«

»Im Wagen?«

»Der Gärtnerbursche hat ihn selber gesprochen.«

George ging mit gekreuzten Armen im Saale auf und ab. Auf dem Tisch,
neben den beiden zurückgelassenen Gedecken standen noch mehrere Flaschen
Wein. Er nahm die eine und goß in ein Wasserglas ein; aber er sah nicht,
was er ausgoß, so flimmerte es ihm vor den Augen, und die rothe Fluth
schoß über das Tischtuch. Dann stürzte er den Inhalt des Glases hastig
hinunter.

»Gute Nacht, Mutter!«

»Wo willst Du hin?«

»Noch einmal fort; ich habe mir nur den Schimmel satteln lassen und muß
vor Tag wenigstens die Spur haben. Das darf nicht sein, das darf nicht
sein, es ist zu furchtbar!«

»Und welchen Zweck hast Du dabei?«

»Welchen Zweck?« rief George erstaunt. »Dir Deine Tochter wieder
zuzuführen -- die Ehre unseres Hauses zu retten!«

»Ich habe keine Tochter mehr!« sagte die Gräfin mit eisiger Kälte. »Und
die Ehre unseres Hauses? Glaubst Du, daß es morgen in der Stadt noch
_eine_ Dienstmagd giebt, die nicht am Brunnen die Ehre unseres Hauses
bespräche?«

Ehe George etwas darauf erwidern konnte, öffnete sich plötzlich die
Thür, und der alte Graf, mit einem Antlitz, das auch jeder Blutstropfen
verlassen hatte, und gläsernen, stieren Augen, betrat den Saal.

»Mein Vater!«

»Bitte, meine verehrten Herrschaften, behalten Sie Platz!« sagte der
alte Herr mit markerschütternder Freundlichkeit; »meine Paula wird
gleich erscheinen -- nur ein leichtes Unwohlsein.«

»Großer, allmächtiger Gott,« stöhnte George und barg das Antlitz in den
Händen, »das ist schrecklich!«

Der alte Graf ging zum Tisch, setzte sich dort auf einen Stuhl und
stützte den Kopf in die Hand; während er aber so da saß, liefen ihm die
großen, hellen Thränen an den Wangen nieder.

»Mein lieber, lieber Vater!« rief George, sprang zu ihm und umschlang
ihn mit den Armen.«

»George,« rief der alte Mann und sah ihn an, »bist Du mir noch
geblieben?«

»Mein guter Vater, darf ich Dich jetzt zu Bett geleiten?«

»Ja, geh zu Bett, George,« drängte auch die Frau, »die Ruhe wird Dir
gut thun; es ist spät geworden.« Und sie half ihm dabei von der andern
Seite, um ihn vom Stuhl aufzuheben. Der alte Graf richtete sich aber von
selber empor.

»Ja, Kinder,« sagte er, »ich will zu Bett gehen, ich bin recht müde
geworden. Deinen Arm, George; so, das geht schon. Gute Nacht, Ottilie,
gute Nacht!« Und mit festen Schritten verließ er, von dem Sohn gestützt,
den Saal.




23.

Nach dem Theater.


Gleich nach der Vorstellung des »Hamlet« ging Fürchtegott Pfeffer nicht
unmittelbar nach Hause, denn er fühlte sich so merkwürdig aufgeregt,
daß er die Entschuldigung für sich hinreichend hielt, erst noch in der
»Hölle« einen Schoppen Wein zu trinken und etwas Warmes dazu zu
essen. Daheim fand er doch nichts weiter, als eine Tasse Thee und ein
Butterbrod, oder wenn er wollte, ein Glas Bier. An jedem andern Abend
hätte er sich aber auch vollständig damit begnügt, und war es in der
That gar nicht besser gewohnt; heute drängte es ihn aber außerdem, wenn
er es sich auch nicht selber gestehen wollte, Menschen zu sehen und
ein Urtheil über die Vorstellung zu hören. Er fühlte mit Einem Wort das
Bedürfniß, sich etwas mittheilen zu lassen.

Gedrängt voll saß aber die Stube schon, als er sie betrat, und ein
Durcheinanderwogen, Sprechen und Debattiren war dort, daß man sein
eigenes Wort kaum hören konnte. Aber auch kein Wunder, denn die
Vorstellung heut Abend hatte nicht allein schon genug Stoff geboten,
sondern man wollte auch den Fackelzug erwarten, der vor dem »Paradies«
vorbei mußte und den zu betrachten der Wirth der »Höllengesellschaft«
eins von seinen Zimmern vornheraus eingeräumt hatte. Sobald der Zug
ankam, sollten sie gerufen werden.

Jetzt dachte aber fast Niemand an etwas Anderes oder sprach von etwas
Anderem, als dem Erfolg Rebe's, und es war eigentlich nur Eine Stimme:
daß er die Bewohner von Haßburg auf das Aeußerste überrascht und
Niemand ihm ein solches Talent zugetraut habe. Allerdings gab es
auch Andersgesinnte, und unter diesen Doctor Strohwisch, der in der
unbestimmten Hoffnung herübergekommen war, Rebe hier zu finden und eine
Flasche Champagner mit ihm zu trinken, und jetzt, da er ihn nicht fand,
Manches an der »Auffassung« zu tadeln hatte. Er sollte den »tiefen
Sinn« einzelner Stellen nicht erfaßt und gewürdigt, Anderes wieder zu
»trivial« gesprochen haben, und wie die verschiedenen Recensentenphrasen
alle heißen -- aber er wurde überstimmt.

»Spielen Sie einmal den Hamlet,« rief der Maler Arnold dem Doctor
entgegen, »so rein vom Blatt weg, ohne Vorbereitung, ohne eine Probe,
ohne nur vorher in die Rolle hineinzusehen, und mit kaum Zeit genug, in
die Lumpen hineinzufahren! Die Nase rümpfen kann ein Jeder, aber meinen
Hals zum Pfande, daß unter hundert Schauspielern nicht zehn, ja, nicht
drei sind, die ihm das nachmachen!«

»Nun ja, ich habe ja nichts dagegen,« sagte Strohwisch einlenkend, denn
er war verschiedener Ursachen wegen noch nicht mit sich im Reinen, ob er
entschieden für oder gegen Rebe auftreten solle; er mußte erst mit ihm
»sprechen«. »Er hat in der That das Außerordentliche geleistet, und ohne
ihn hätte die Vorstellung gar nicht stattfinden können.«

»Wo, zum Henker, kann aber Handor gesteckt haben?« rief einer der
Officiere; »hat ihn denn Niemand gesehen?«

»Meine Herren,« sagte Trauvest, »meine Meinung ist die, daß ihn auch
Niemand wieder sehen wird.«

»Nicht wiedersehen?« rief Alles durcheinander. »Woher wissen Sie das?«

»Das will ich Ihnen sagen,« meinte Trauvest ruhig, indem er einen
Pfropfen aus einer Flasche Rüdesheimer zog und sie auf den Tisch
stellte. »Heute gegen Abend war er hier, ziemlich aufgeregt, und ließ
sich eine Flasche Champagner geben. Morgen ist der Erste, und er hatte
versprochen, da zu zahlen; ich konnte sie ihm nicht gut verweigern.
Da hinten an der Tischecke saß er, ganz allein, den Kopf in die Hand
gestützt, und schüttete das edle Getränk nur so hinunter; dann stand er
plötzlich auf, warf den Mantel um, sagte »Gute Nacht, Trauvest!« und
weg war er. Ich hatte freilich noch immer kein Arges daraus, denn ich
dachte, die Rolle ginge ihm im Kopf herum, weil mir Höfken erzählt
hatte, daß er den Morgen auf der Probe kein Wort davon gewußt, bis
ich heut Abend hörte, daß er gar nicht gekommen wäre und Herr Rebe den
Hamlet spielen wolle. Da wurde mir nicht wohl bei der Sache, und ich
machte mich in sein Logis hinüber -- aber wo war Herr Handor? Sein Wirth
schien selber schon Angst gekriegt zu haben, weil so viel Nachfrage nach
ihm gewesen, und tüchtig auf der Kreide steht er da drüben ebenfalls,
das können Sie sich wohl denken. Wir gingen deshalb zu ihm in die Stube
hinauf, und da blieb denn wohl kein Zweifel, daß Herr Handor eine kleine
Reise angetreten, wobei überdies noch das Mädchen bestätigte, daß er
gegen Abend einen Koffer weggeschickt habe. Einige alte Kleidungsstücke,
ein paar Stiefel und zwei oder drei Bücher lagen allerdings noch im
Zimmer, das war Alles, die Commodenkasten standen leer und der Vogel war
ausgeflogen.«

»Merkwürdig,« rief Barthel, »und morgen ist Gagetag!«

»Ja, als ob er die nicht schon weg hätte!« lachte Höfken. »Wenn aber
nun der Rebe nicht eingetreten wäre, das hätte eine Heidenwirthschaft
gegeben; und der Erbprinz hat dem Rebe seine eigene Tuchnadel
geschenkt.«

»Alle Wetter,« rief Strohwisch, »ist das begründet?«

»Ich habe selber dabei gestanden, wie sie Krüger herunter brachte; aber
hol' mich Dieser und Jener, er hat sie auch verdient!«

»Habt Ihr's schon gehört?« rief in diesem Augenblick einer der
gewöhnlichen Gäste, der Doctor Kleemann, welcher besonders viel
populär-medicinische Aufsätze für Zeitungen schrieb und Stammgast in der
»Hölle« war.

»Nun, was ist jetzt wieder?« rief Arnold. »Haben sie ihn erwischt?«

»Erwischt -- wen?«

»Den Handor.«

»Was hat denn der ausgefressen?«

»Durchgegangen ist er.«

»Alle Wetter!«

»Aber was wollten Sie denn erzählen?«

»Oben bei Monfords sollte doch heute Verlobungsabend sein und große
Gesellschaft war geladen.«

»Ja, welche Alle im ersten Range fehlten.«

»Sie hätten eben so gut in's Theater gehen können,« sagte Kleemann, »aus
der Verlobung ist nichts geworden; das wird einen Skandal geben in der
=haute volée=!«

»Aber was ist denn vorgefallen?« rief Strohwisch ganz Ohr, denn solchen
Stoff konnte er brauchen. »Alle Wetter, heut Abend jagen sich ja
ordentlich die Neuigkeiten; ich kenne mein Haßburg gar nicht wieder!«

»Was vorgefallen ist?« rief Kleemann; »ein Hauptspaß. Ich war heut Abend
beim Ober-Medicinalrath, als etwa vor einer halben Stunde ein Bote vom
Monford'schen Schlosse ganz außer Athem heruntergestürzt kam, um den
Ober-Medicinalrath, der dort Hausarzt ist, hinaufzurufen. Den alten
Grafen hat der Schlag gerührt, denn wie sie sich eben zur Tafel setzen
wollten, wo die Verlobung proclamirt werden sollte, geht die junge
Comtesse heimlich durch.«

»Die Comtesse Monford,« rief Arnold ordentlich erschreckt, »das
wunderhübsche, liebliche Mädchen -- aber mit wem?«

»Gott weiß es; hinten im Park soll ein Wagen gehalten haben, und der
angeführte Bräutigam war zu Pferde nach. Wahrscheinlich erwischt er sie
auch wieder, denn Vorsprung hatten sie nicht viel -- aber der Skandal,
und in _der_ Gesellschaft!«

»Donnerwetter,« sagte Höfken, seine Faust auf den Tisch legend und ganz
verdutzt im Kreise herumsehend, »das wäre eigentlich ein merkwürdiges
Zusammentreffen: die Comtesse fort und Handor ebenfalls ausgekniffen --
dem traue ich Alles zu!«

»Glauben Sie wirklich?« rief Strohwisch rasch; »die Vermuthung liegt
allerdings nahe.«

»Unmöglich ist's nicht,« sagte ein Anderer, »der Handor hatte in der
letzten Zeit so viel und heimlich mit dem jungen Grafen zu verkehren.«

»Na, der soll wohl dabei geholfen haben?« rief Arnold verächtlich. »Daß
der Welt doch eigentlich nie etwas erwünschter ist, als ein Skandal,
wenn er nur nicht sie selber betrifft!«

»Sollten wir etwa bemänteln helfen, was in der =haute volée= vorgeht?«
rief Strohwisch.

»Bemänteln? Davon ist keine Rede; aber nur nicht schmutziger machen, als
es wirklich ist!« rief Arnold. »Und überhaupt, was geht uns irgend eine
Familienangelegenheit an? Kehre Jeder vor seiner eigenen Thür, da hat er
gerad' genug zu thun!«

»Sie paßten schön zu einem Zeitungs-Redacteur,« rief Strohwisch lachend.

»Allerdings für kein Blatt, das nur den Stadtklatsch ausbeutet!« sagte
Arnold trocken, der den Menschen überhaupt nicht leiden konnte.

»Meine Herren, der Fackelzug!« rief in diesem Augenblicke Trauvest, dem
ein Kellner die Meldung gemacht hatte, daß der Zug gerade die Straße
heraufkam; »das Zimmer vorn ist offen.«

Alles sprang in die Höhe, um den Zug mit anzusehen, und das Gespräch war
unterbrochen. Die Gäste strömten auch alle nach vorn, um den für
Haßburg sehr seltenen Anblick eines solchen Schauspiels zu genießen, und
Pfeffer, der heut Abend, seiner sonstigen Gewohnheit ganz entgegen, kein
Wort in die Unterhaltung eingeworfen, nahm seinen Hut, zahlte seinen
Schoppen Wein und schritt langsam in die vom Volk gefüllte Straße
hinaus, nicht etwa, um den Fackelzug mit anzusehen, sondern gleich
querüber in eine Seitenstraße einzubiegen und seine eigene Wohnung
ungestört zu erreichen.

Er hatte auch ruhig die über Handor's Flucht ausgesprochene Vermuthung
mit angehört, aber es interessirte ihn nicht, denn mit jenen Kreisen kam
er nie in Berührung und kannte sie gar nicht. Andere Dinge gingen ihm
aber im Kopf herum, und vorzüglich, ja, ausschließlich die Wendung,
welche Rebe's Geschick unstreitig mit dem heutigen Abend genommen hatte,
und das Einzige, was ihn dabei ärgerte, war, daß er ihm selber früher
jedes Talent abgesprochen.

»Wer konnte das aber auch denken, wer konnte das auch denken?« murmelte
er dabei immer vor sich hin; »so ein Duckmäuser, so ein verwünschter
Duckmäuser! Und wie geheim er das Alles gehalten hat -- und was wird
die Jette dazu sagen? Nun ist's ganz vorbei, nun ist dem Faß der Boden
ausgestoßen! Und Jeremias, der hat die ganze Geschichte mit angesehen,
seine Glatze leuchtete ja ordentlich unten im Parket -- merkwürdig, rein
merkwürdig!«

Er hatte sein Haus erreicht, -- denn diese abgelegenen Straßen schienen
heut Abend von Menschen ganz gesäubert zu sein, so war Alles dem
Fackelzuge zugeströmt -- schloß auf und tastete sich die dunkle Treppe
hinauf. Wie er über den Gang schritt, sah er durch das über der Thür
angebrachte Fenster, das der Küche über Tag dürftiges Licht geben mußte,
bei seiner Schwester drinnen noch die Lampe hell brennen.

Pfeffer schüttelte mit dem Kopf. Das Mädel saß jedenfalls noch da
drinnen und arbeitete bis in die späte Nacht hinein, und der Jeremias
hatte es ihr streng verboten. Wettermädel das, und ihre Augen sahen so
schon roth genug vom vielen heimlichen Weinen aus! Aber er mochte die
Schwester nicht mehr stören, die wahrscheinlich schon schlief, sonst
wäre er gern noch einmal hinüber gegangen und hätte die Jette auch
in's Bett geschickt, oder ihr noch vielleicht gesagt, was heut Abend
vorgegangen; es brannte ihm ordentlich auf der Seele.

Das war aber heut Abend zu spät, morgen früh erfuhr sie's ja auch noch
früh genug. Er ging leise an sein Zimmer hinüber, um nicht zu viel
Geräusch zu machen, und er wollte aufschließen, denn der Schlüssel stak
immer von außen. Es war aber schon aufgeschlossen, wer konnte da drinnen
gewesen sein?

Kopfschüttelnd trat Pfeffer zu der Commode, auf der das Feuerzeug stand,
und entzündete ein Schwefelhölzchen, ließ es aber vor Schreck wieder
fallen, daß es verlöschte, als eine ruhige Stimme im Zimmer sagte:
»Guten Abend, Pfeffer; bist Du aber lange geblieben!«

»Herr Du meine Güte,« rief Pfeffer, aber immer noch mit unterdrückter
Stimme, indem er rasch ein neues Hölzchen entzündete, »wer, zum
Henker, hat sich denn da -- Jeremias,« setzte er jedoch in unbegrenztem
Erstaunen hinzu, als er beim Schein des aufflammenden Phosphors das
dicke, gutmüthige Gesicht seines Schwagers erkannte, »wo kommst Du denn
noch her?«

»Ich konnt's nicht mehr aushalten,« flüsterte Jeremias, »ich mußte
Dich heut Abend noch sprechen und sitze jetzt hier schon eine volle
Glockenstunde auf einer Lichtscheere, wie ich eben entdeckt habe, die'
auf dem verwünschten Stuhl gelegen hat. Junge, mir ist zu Muthe, als ob
ich tanzen müßte!«

»Auch eine sehr passende Zeit und Gelegenheit dafür,« brummte Pfeffer,
dem aber trotzdem nichts Lieberes hätte geschehen können, als daß er
seinen Schwager noch getroffen. Dabei zündete er das Licht an und setzte
es auf den Tisch. »Na, wie war's? Aber sprich leise, ich glaube, die
Guste schläft schon.«

»Licht haben sie noch; wie's dunkel war, schien es durch das
Schlüsselloch da drüben herein.«

»Das Blitzmädel arbeitet wieder bis nach Mitternacht; ich habe große
Lust, hinüber zu gehen und ihr die Lampe vor der Nase auszublasen. Du
warst im Theater?«

»Ja, Pfeffer.«

»Nun, wie -- bst -- ich glaube, die sprechen da drüben noch zusammen.«

»Jettchen,« hatte die Mutter, welche schon ein paar Stunden geschlafen,
die Tochter angerufen, »bist Du denn noch auf, Kind? Es muß ja schon so
spät sein.«

»Gar nicht, Mütterchen; aber morgen Abend ist ja der Ball, und ich muß
doch denen die Arbeit fertig machen, denen ich sie versprochen habe; und
der Brautkranz kam auch noch dazu.«

»Ist denn nicht noch Jemand drüben beim Fürchtegott?«

»Ich habe auch sprechen gehört. Vor einer Stunde etwa kam der Onkel nach
Hause, ich hörte wenigstens Schritte, und es ging Jemand in das Zimmer
nebenan, und dann hat sich nichts weiter gerührt. Jetzt kam wieder
Jemand, und nun sprechen sie mit einander.«

An die Verbindungsthür pochte es.

»Seid Ihr noch munter?« fragte Pfeffer's Stimme.

»Ja, Onkel.«

»Können wir einmal hinüberkommen?«

»Wir -- wer denn noch?«

»Der Jeremias.«

»Der Vater? War der es, der noch so spät kam? Es ist doch nichts
vorgefallen, Onkel?«

»Können wir noch einmal hinüberkommen?«

»Es ist zu spät, Fürchtegott,« sagte Jeremias abwehrend.

»Nie zu spät, eine gute Nachricht zu hören,« brummte Pfeffer; »wie?«

»Ja gewiß, Onkel; ich habe noch Licht.«

»Das weiß ich, Du kleine Hexe, und auch noch die Finger voll Blätter
und Staubfäden; na, warte!« Und sein Licht vom Tisch nehmend, winkte
er Jeremias und sah, als er sein Zimmer verließ, nur eben noch, wie
Jettchen in die Küche hineinhuschte.

Sie gingen hinüber. Das Bett der Kranken war jetzt im Wohnzimmer
aufgeschlagen worden, und die Frau, welche recht leidend aussah, hatte
sich aufgerichtet, um die beiden Männer begrüßen zu können.

»Nun, wie geht's heut Abend, Auguste? Wieder viel gehustet? Was machst
Du?«

»Es geht etwas besser, seit ich die häßliche Medicin nicht mehr trinken
muß.«

»War der neue Doctor da?« fragte Pfeffer rasch.

»Jeremias wollte es ja absolut; er behauptete immer, daß unser alter
Arzt mich falsch behandle.«

»Und was sagt der neue? Natürlich Alles verkehrt bisher, wie gewöhnlich,
und nun versucht er es einmal mit einer andern Quacksalberei; kommt mir
damit, das bleibt immer dasselbe.«

»Er hat mir fast gar keine gegeben,« sagte die Frau leise; »er
behauptet, ich wäre gar nicht krank, wenigstens könne er nichts
entdecken, was eine ernstliche Cur verlange. Nur vor Gemüthsbewegungen
solle ich mich hüten und nur besonders keine traurigen Gedanken machen,
denn es sehe ihm beinahe so aus, als ob mich nur die Furcht vor einer
Krankheit wirklich krank gemacht hätte.«

»Also mache Dir keine traurigen Gedanken!« lachte Pfeffer.

»Und kann ich denn anders?« sagte die Frau leise. »Sehe ich denn nicht
das arme Kind, das Jettchen, den ganzen Tag vor mir, wie es immer ruhig,
immer freundlich, mit keiner Klage auf dem Herzen auch mit jedem Tage
elender wird und sich verzehrt, und nur Abends, wenn sie glaubt, daß
ich schlafe, ihre Schmerzensthränen still und heimlich fließen läßt? Das
arme Jettchen! Aber was führt Dich noch so spät hierher, Jeremias? Es
ist doch nichts vorgefallen? Lieber Gott, ich habe jetzt immer eine
solche Angst, als ob irgend etwas recht Schlimmes eintreten müsse!«

»Und wenn's nun etwas recht Gutes wäre, Auguste,« sagte Jeremias, der
sich die ganze Zeit verlegen die Hände gerieben hatte -- »etwas recht
Gutes?«

»Recht Gutes?« rief die Frau aufmerksam werdend. »Ihr seht mir Beide so
sonderbar aus, und diese späte Stunde!«

»Wo steckt denn das Jettchen?«

»Hier ist sie schon, Onkel,« rief das junge Mädchen, die Thür öffnend.
»Guten Abend Vater! Ich hatte kurz vorher kochend Wasser gemacht,
weil die Mutter so hustete; das war den Augenblick wieder zum Kochen
gebracht, und da hab' ich Euch Beiden eine Tasse Thee aufgegossen. Onkel
trinkt ihn ja doch gern, wenn er Abends nach Hause kommt, nicht wahr?«

»Aber doch nicht um Mitternacht, Schatz; doch nun setze Dich einmal
dahin. Wie, Jeremias, nicht wahr? wir wollen den Beiden jetzt einmal
eine Geschichte erzählen?«

»Was hast Du nur, Onkel?«

»Dahin setzen und ruhig zuhören; erst gieb mir aber einmal den Zucker
her.«

Henriette gehorchte kopfschüttelnd, denn sie begriff gar nicht, was sie
aus dem Allen machen sollte. Der Onkel war aber innerlich vergnügt, das
hatte sie ihm auf den ersten Blick angesehen; was konnte nur vorgefallen
sein?

»So,« sagte jetzt Pfeffer, als er sich hinter den Tisch gesetzt und
behaglich seinen etwas späten Thee schlürfte, während ihn die beiden
Frauen erwartungsvoll ansahen -- »nun erzähl' einmal, Jeremias.«

»Nein, erzähl' Du's lieber,« meinte sein Schwager, »Du kannst's besser.«

»Hm, gut,« nickte Pfeffer, »dann will ich's erzählen; nun paßt einmal
auf. Heut Abend war also Hamlet im Theater.«

»Ist das Alles?« lächelte das junge Mädchen, als der Onkel schwieg.

»Doch nicht ganz,« sagte Pfeffer, der in Gedanken nach seiner
Cigarrentasche griff, sie aber wieder zurückschob und eine Prise nahm.
»Wie wir anfangen wollten, stellte sich nämlich die kleine Schwierigkeit
heraus, daß wir -- keinen Hamlet hatten.«

»Keinen Hamlet?«

»Handor kam nicht; die Ouvertüre spielte, die Tänzerin mußte ihre Künste
machen, und noch immer kein Hamlet.«

»Ja, aber was wurde denn da?«

»Es mußte ihn ein Anderer spielen,« sagte Pfeffer trocken.

»Ein Anderer?« fragte jetzt auch die Frau erstaunt. »Und wer konnte denn
in der kurzen Zeit den Hamlet übernehmen?«

»Rebe!« platzte Jeremias heraus.

»Rebe?« riefen die beiden Frauen fast erschreckt wie aus Einem Munde.

»Jetzt verdirbt mir der meine ganze Geschichte!« rief Pfeffer. »Konntest
Du denn nicht das Maul halten? Ich hätte sie noch eine ganze Stunde
rathen lassen.«

»Aber wie, um Gottes willen, war das möglich?« stöhnte Henriette,
während die Mutter ausrief:

»Und ging es gut?«

Jeremias wollte wieder etwas sagen; Pfeffer hatte ihn aber im Auge und
fuhr dazwischen:

»Halt, erst komm' ich! Ob es ging? Keine Hand rührte sich im Anfang,
Alles war todtenstill, und sie lachten nur, wie Meier mit einem dicken
Backen als Güldenstern auftrat. Krüger ging auf dem Theater herum, daß
es einen Stein hätte erbarmen sollen, gerade etwa wie Einer, der zum
ersten Mal auf einer Versenkung steht und nicht genau weiß, wann sie
mit ihm abgeht. Wir hatten übrigens Alle Heidenangst, und ich erwartete
jeden Moment, daß sie unten an zu pfeifen fingen. Aber ne -- auch der
zweite Akt ging vorüber, und im Parterre und Parket saßen sie wie die
Mauern.«

»Und dann?«

»Dann haben sie gejubelt und applaudirt und herausgerufen, wie ich's in
meinem Leben nicht für möglich gehalten!« rief jetzt Jeremias, der
nicht mehr länger an sich halten konnte. »Nein getobt haben sie, wie
die Indianer, und der Erbprinz hat dem Rebe seine eigene Tuchnadel als
Anerkennung geschickt!«

»Und woher weißt Du denn das schon?« rief Pfeffer.

»Auf der Straße erzählten sich's die Leute. Wie ein Lauffeuer ging's von
Mund zu Mund.«

Die Frau hatte vor Freude die Hände gefaltet. Jettchen aber saß still
und bleich auf ihrem Stuhl und rührte und regte sich nicht, aber um ihre
Lippen zuckte es; sie wollte aufstehen, sie konnte nicht, und plötzlich
dem neben ihr sitzenden Vater um den Hals fallend, lehnte sie ihren Kopf
auf seine Schulter und schluchzte leise.

»Mein liebes, liebes Jettchen,« sagte Jeremias gerührt, »aber so weine
doch nicht, Schatz! Das ist doch keine Ursache zum Weinen, nicht wahr,
Fürchtegott? Das ist doch eher Ursache zum Fidelsein. Er hat seine Sache
brav gemacht, recht brav, er ist ein ganz tüchtiger Schauspieler, sie
Alle sagten da unten, der Handor hätte die Rolle in seinem ganzen Leben
nicht so gespielt, und ich habe selber mit applaudirt, daß mir noch
jetzt die Hände weh thun.«

»Und was war mit Handor?« fragte die Mutter, die sich immer noch nicht
von ihrem Erstaunen erholen konnte.

»Durchgebrannt ist er und wird wahrscheinlich nicht wiederkommen,« rief
Pfeffer. »Jetzt aber geht schlafen, und Du auch, Jettchen; es ist spät
und Ihr sollt mir nicht länger wach bleiben.«

»Ja, ich will auch nach Hause gehen,« sagte Jeremias.

»Fällt Dir gar nicht ein,« brummte Pfeffer. »Glaubst Du, daß ich nach
all' der Aufregung jetzt schlafen kann?«

»Aber es ist zwölf Uhr vorbei.«

»Gerade deswegen, die Nacht ist doch einmal angebrochen, und Jettchen
hat gewiß noch heißes Wasser.«

»Ja, Onkel.«

»Sehr schön; auf den dünnen Thee schläft sich's überhaupt erbärmlich;
da setzen wir uns noch drüben in meine Stube, rauchen eine vernünftige
Pfeife oder Cigarre -- hast Du welche mit, Jeremias?«

»Gute, aber ich habe mich im Theater darauf gesetzt.«

»Auf was Du nicht Alles gesessen hast! Na, es wird schon gehen, trinken
ein anständiges Glas Grog dazu und besprechen noch so Manches, was wir
auf dem Herzen haben.«

»Ich mache Dir gleich wieder heißes Wasser, Onkel.«

»Setz' uns lieber das Wasser und den Spiritus hinüber, Schatz, und
vergiß den Zucker nicht. Du, Dein Rum ist famos, Jeremias; ich bin mit
der einen Flasche schon halb fertig -- und morgen wollen wir dann das
Weitere sehen.«

»Und nun machst Du Dir auch keine traurigen Gedanken mehr, nicht wahr
Auguste; es wird ja jetzt Alles gut gehen,« sagte Jeremias herzlich.

»Jetzt nicht mehr, Kinder, jetzt nicht mehr,« sagte die Frau gerührt,
»und jetzt wird Jettchen auch die rothen Ränder um die Augen verlieren
und nicht mehr heimlich weinen.«

»Aber, beste Mutter!«

»Ruhe im Quartier!« rief Pfeffer; »ich habe eine ordentliche Sehnsucht
nach einem Glase Grog. Und nun gute Nacht! Du bist doch nicht böse, daß
wir Dich heut Abend noch einmal gestört haben?«

»Ich bin recht glücklich, Fürchtegott!«

»Na, also denn Abgang mit allseitiger Zufriedenheit!« rief Pfeffer,
griff Jeremias unter den Arm und schleppte ihn mit in sein Zimmer
hinüber, wo die beiden Männer noch wenigstens zwei Stunden zusammen
saßen, mit einander rauchten und tranken und zuletzt so vergnügt wurden,
daß Pfeffer wieder vor verhaltenem Lachen seinen bösen Husten bekam und
hinten in den Alcoven ging und den Kopf in's Bett steckte, damit die
Frauen nebenan nicht davon gestört würden.




24.

Am andern Morgen.


Lange hatten keine zwei, solcher Art zusammentreffende Ereignisse
die Gemüther einer Stadt so gleichzeitig und in allen Schichten der
Gesellschaft in Aufregung gesetzt, als die in den vorigen Capiteln
beschriebenen.

Da war fast kein Haus in Haßburg, bis zu der niedrigsten Hütte hinab,
das sich nicht für den einen oder den andern Theil der Tragödie
interessirte, denn Graf Monford war nicht besser und genauer in den
höheren, als Handor in den mittleren Kreisen bekannt; und selbst die
Handarbeiter und Tagelöhner nahmen Partei in der Sache, denn sie alle
kannten den sogenannten »alten Fritz«, den Maulwurfsfänger, der jetzt
nicht auf einem einfachen Wildfrevel erwischt sein durfte, sondern
jedenfalls bei der Flucht der jungen Gräfin mit geholfen haben mußte.

Es läßt sich denken, daß die abenteuerlichsten Entstellungen dabei zum
Vorschein kamen, denn nichts ist so toll und unwahrscheinlich, das
nicht doch bei solchen Gelegenheiten eine Menge von Gläubigen und
Weiterträgern fände. Leider liegt es dabei nun einmal im Menschen
-- oder, wenn das zu allgemein ist, doch in dem größten Theil der
civilisirten Welt --, daß sie am liebsten Böses oder Nachtheiliges von
ihren Mitmenschen hören und es mit viel größerer Vorliebe nacherzählen,
als das Gegentheil. Selbst gute Menschen, die nie mit Absicht einem
Andern ein Unrecht oder einen Schaden zufügen würden, verweilen mit weit
gespannterem Interesse bei irgend einer Schreckenskunde, einem verübten
Verbrechen oder einem Unfall, wie bei irgend einem freudigen Ereigniß,
und betrifft die Sache nun gar bekannte, oder, noch mehr, befreundete
Familien, so können es die verschiedenen Persönlichkeiten kaum erwarten,
bis sie im Stande waren, der Sache die weiteste Verbreitung zu geben.

So verworren und unbestimmt alle solche »ersten Gerüchte« aber überhaupt
sind, etwas Wahres ist doch gewöhnlich daran, und die Gesellschaft hat
besonders eine kaum zu überschätzende Gabe im Combiniren, was ihr in
diesem Fall aber noch außerdem sehr erleichtert wurde.

Wie der Gedanke schon an jenem Abend in der »Hölle« aufgetaucht und
ausgesprochen worden, daß die Flucht des ersten Liebhabers am Theater
mit dem Verschwinden der jungen Gräfin auf das Genaueste in Verbindung
stehen könne, so verbreitete sich diese Erzählung des Geschehenen als
unwiderlegbare Thatsache am nächsten Morgen durch die ganze Stadt, und
die Gräfin Monford hätte jenes Abschiedsbillet ihrer Tochter nicht so
sorgfältig zu verbrennen gebraucht; der Inhalt desselben konnte nicht
genauer überall bekannt sein, und wenn es Feodor Strohwisch selber
gelesen hätte.

Es gab des Neuen aber in der That auf einmal zu viel, um es gleich
ordentlich zu sichten und zu verwerthen, und wahrlich, der Stoff, wenn
nur ordentlich eingetheilt, würde für den ganzen Sommer und bis spät
in den Herbst hinein gelangt haben, um die Gemüther in einer angenehmen
Aufregung zu erhalten. So puffte Alles mit Einem Mal in die Höhe; es war
ordentlich schade.

Und dabei sollten die Damen auch noch ihren Putz für den heut Abend
stattfindenden Ball herrichten, wo jede darauf brannte, Besuche zu
machen oder zu empfangen. Es war das schwierigste Stück Arbeit, das sie
in ihrem ganzen Leben geleistet, und nur die Aussicht, auch dafür
heut Abend wenigstens ihre Meinungen auszutauschen und noch eine Masse
interessanter Einzelheiten zu erfahren, konnte sie einigermaßen dafür
entschädigen.

Unberührt von dem Allen saß indessen der Held des vorigen Theaterabends,
Horatius Rebe, in seinem kleinen, ärmlichen Dachstübchen und träumte den
verlebten seligsten Tag seines Lebens noch einmal durch.

Er wußte von Allem nichts, weder von Handor's wirklichem Durchgehen,
noch von den Ereignissen, die sich in dem ihm überdies vollkommen
fremden gräflich Monford'schen Hause zugetragen, und das doch eigentlich
die directe Ursache seines gestrigen Triumphes gewesen.

Das Herz zum Zerspringen voll von Glück und Seligkeit, gab er sich ganz
dem einen erhebenden Gefühl hin, endlich seinen Beruf gefunden zu haben,
daß seine Zuversicht, sein Vertrauen zu sich selbst ihn nicht getäuscht
und daß er im Stande gewesen, nicht allein dem Publikum, nein, auch sich
selber zu beweisen, er verdiene den Namen eines Künstlers und sei besser
als das, wozu man ihn bis jetzt gemacht und gebraucht: ein Ausfüllsel
für werthvollere Stoffe.

Wie hatte ihn bis jetzt Alles unterdrückt und unter die Füße getreten,
vom Director nieder bis zum Souffleur, der ihm ja hier in seinem eigenen
Zimmer gesagt, daß er lieber Schuster oder Schneider werden, aber
jedenfalls die Bühne verlassen solle, weil er kein Talent dafür habe!
War ihm denn auch nur von Einer Seite Aufmunterung und Trost geworden
-- nur von Einer Seite? Aber ja, Henriette; sie allein hatte ihn immer
getröstet, wenn er schon verzweifeln wollte, sie allein war lieb und
freundlich mit ihm gewesen und hatte den armen Ausgestoßenen nie fühlen
lassen, wie verloren und verlassen er in der Welt stehe. Und würde er
sie wiedersehen? Gott allein wußte es; denn er ging heute Morgen einen
ernsten Gang, und jeden Augenblick erwartete er den Freund, einen alten
Commilitonen, der hier bei einem Arzt als Famulus eingetreten war,
zurück, um zu erfahren, welche Zeit er mit Herrn Handor für ihr
bestimmtes Rencontre ausgemacht und besprochen habe.

Und wenn er fiel? -- dann mit Gott, er fiel doch ehrenvoll! Er hatte
bewiesen und beweisen können, daß er den Kampf nicht muthwillig und in
Ueberschätzung seiner eigenen Kräfte gesucht, sondern daß er dazu durch
ungerechtfertigte Mißhandlung und Heruntersetzung gezwungen worden.

In diesem Augenblick klopfte es an die Thür, und ehe er noch »Herein«
rufen konnte, öffnete sich diese und der Erwartete trat ein.

»Nun, Frank, wie steht's?« rief ihm Rebe entgegen. »Wann ist die Zeit?
Je eher, desto besser!«

»Höre, Rebe,« sagte der junge Mann, »wenn Du absolut schlagen willst, so
mußt Du Dir schon einen Andern suchen, denn Handor ist fort!«

»Fort?«

»Ich hörte schon gestern Abend darüber munkeln, mochte Dir aber nichts
davon sagen, bis ich mich selber überzeugt hätte; aber es hat seine
Richtigkeit. Ausgekniffen nach allen Regeln der Kunst; aber wohl kaum
des Duells wegen, sondern mit einer jungen Dame aus einer der ersten
Familien der Stadt, der Comtesse Monford, und mit Hinterlassung eines
negativen Vermögens von circa zwanzigtausend Gulden.«

»Und gestern Abend schon?«

»Vor Dunkelwerden ist er noch gesehen worden; jetzt sucht ihn alle Welt,
und wird er wirklich eingebracht, möchte er wohl kaum im Stande sein,
Dir Genugthuung zu geben. Sei übrigens froh, denn Du bist auf diese Art
die unangenehme Geschichte am besten los geworden.«

»Ich begreife noch immer nicht...«

»Du wirst das Nähere schon über Tag hören, denn die ganze Stadt ist voll
davon; ich selber habe aber keine Zeit, denn ich muß zu Monfords hinaus,
wo gestern ein Mensch, der sich seit einigen Jahren hier im Lande
herumtreibt, beim Wildern vom Förster erwischt worden ist und einen
bösen Schuß in den Schenkel bekommen haben soll. Also auf Wiedersehen!
Sobald ich kann, komme ich zu Dir; die Sache ist aber abgemacht und Du
brauchst Dir deshalb nicht weitere Sorgen zu machen.« -- Und seinen Hut
aufsetzend, den er noch nicht einmal abgelegt, schoß er aus dem Zimmer.

Rebe ging eine Weile mit gekreuzten Armen in seinem kleinen Kämmerchen
auf und ab. Was war nicht Alles vorgefallen in den kurzen Tagen, wie
drängte sich Ereigniß auf Ereigniß, und wie würde sich selber jetzt sein
Schicksal gestalten? -- Handor fort auf Nimmerwiederkehren, denn
nach dem Geschehenen wäre ja doch seine Stellung am hiesigen Theater
unhaltbar gewesen. Sein eigener Contract war dabei mit dem heutigen Tage
abgelaufen, und er sollte jetzt die Stadt verlassen, in der er Alles
zurücklassen mußte, an dem sein Herz, seine Seele hing. Und war es doch
vielleicht möglich, daß er noch blieb? Waren die freundlichen Worte, die
ihm der Director gestern Abend nach der Vorstellung gesagt, nicht blos
eine leere Höflichkeitsform gewesen, die er heute vergessen hatte oder
vielleicht gar bereute?

Wieder klopfte es laut und herzhaft an, und auf Rebe's »Herein« öffnete
sich die Thür und Feodor Strohwisch stand in Lebensgröße auf der
Schwelle.

Rebe war in der That erstaunt, denn der gefürchtete Recensent Haßburgs
hatte ihn bis jetzt, wie er für ihn in der Kritik nie anders als
höchstens in einer höhnischen Bemerkung existirte, kaum eines Blickes
gewürdigt, wenn er ihm auf der Straße begegnete, ja, selbst die Form des
gewöhnlichen Anstandes so weit außer Acht gelassen, ihm nicht einmal auf
einen Gruß zu danken, so daß ihn Rebe von da an ebenfalls ignorirte. Und
der besuchte ihn jetzt?

Rede war so erstaunt, daß er nicht einmal gleich wußte, wie er ihn
empfangen solle. Feodor Strohwisch überhob ihn aber aller derartigen
Bedenklichkeiten, denn mit der liebenswürdigsten Cordialität streckte er
ihm, während er den Spazierstock unter dem Arm und den Hut auf dem Kopf
behielt, beide Hände entgegen und rief herzlich und entzückt:

»Lieber, bester Rebe, gestatten Sie mir, daß ich der Erste sei, der
Ihnen zu Ihrem gestrigen ungeheuern Erfolge Glück wünscht; Sie können
gar nicht glauben, wie ich mich darüber gefreut habe!«

»Herr Doctor,« sagte Rebe, der sich noch immer nicht von seinem
Erstaunen erholen konnte, »das ist in der That eine Ueberraschung, Sie
bei mir zu sehen.«

»Und das wundert Sie?« sagte Strohwisch vollkommen unbefangen; »ich muß
Ihnen nur gestehen, daß ich Ihr keimendes Talent schon lange im Stillen
beobachtet und erkannt habe, wenn ich auch natürlich nicht ahnen konnte,
daß es einmal plötzlich in einer solchen Flamme emporlohen würde.
Vortreffliches Bild, nicht wahr? Mit Krüger ist aber nichts anzufangen,
der reitet so lange auf seinen Steckenpferden herum, bis er sie alle zu
Schande geritten hat; denn wäre der meinem Rathe gefolgt, so würde er
Sie schon lange anständig beschäftigt haben -- aber Gott bewahre!«

»In der That, Herr Doctor?«

»Das können Sie mir glauben,« sagte Strohwisch, seinen Hut auf den Tisch
stellend und sich selber auf einen Stuhl werfend. Dabei sah er sich
augenscheinlich im Zimmer nach etwas um.

»Ich bin Ihnen dann in der That sehr zu Dank verpflichtet,« sagte
Rebe trocken, »und muß nur bewundern, wie geheimnißvoll Sie das Alles
betrieben haben.«

»Bescheidenheit, lieber Freund, vielleicht thörichte Bescheidenheit.
Aber =à propos=, haben Sie nirgendwo eine Cigarre? Meine Cigarrentasche
muß in einem andern Rock stecken.«

»Ich bedaure sehr, ich rauche gar nicht.«

»Sie rauchen nicht? Das ist merkwürdig, das müssen Sie sich noch
angewöhnen -- ein Künstler und nicht rauchen! Sie sind ein ganz
außerordentlicher Mensch, Rebe, ein ganz außerordentlicher Mensch!«

Dabei griff er in die Tasche, nahm die in dem andern Rock vermuthete
Cigarrentasche, und aus dieser eine Cigarre, biß sie ab und
entzündete sie dann mit dem auf dem Tisch neben dem Licht stehenden
Streichfeuerzeug.

»Und haben Sie auch schon davon gehört,« fragte Rebe endlich, da sein
Besuch keine Anstalt machte, das Gespräch wieder aufzunehmen, sondern
nur an seiner etwas schwergehenden Cigarre zog, »daß Herr Handor
wirklich durchgegangen sein soll?«

»Futsch,« erwiderte Strohwisch, indem er den Rauch in einer Wolke von
sich blies, »vollkommen futsch! Ich habe es schon lange erwartet; er
konnte sich auch hier nicht länger halten, oder wurde vielmehr nur noch
künstlich von mir über Wasser getragen. Es war vorbei, er hatte sich
ausgespielt; immer wieder dieselbe Geschichte, eine Rolle wie die
andere, ob er den Marquis Posa oder den Wetter vom Strahl, den Mar
Piccolomini oder den Faust spielte. Das Publikum ermüdete zuletzt und
sehnte sich nach einer frischen, natürlichen Kraft, und daher auch der
rasende Erfolg, den Sie gestern Abend errangen.«

»Aber Herr Handor war hier sehr beliebt.«

»Bah, gemacht; jeden Abend zwanzig Freibillets im Theater, und die,
richtig vertheilt, können 'was ausrichten. Sie glauben gar nicht, Rebe,
was ein einziges Paar Hände im rechten Moment bedeutet, und ich denke,
ich habe Ihnen gestern eine Probe davon gegeben, als ich im dritten
Act, wie ich das Publikum genugsam vorbereitet glaubte, mit einem Avec
einsetzte.«

»Sie, Herr Doctor?«

»Nun, versteht sich; daß das ein alter Prakticus war, konnten Sie doch
gleich am Zuschlagen hören. Das erste Rennen haben Sie dadurch gewonnen,
und jetzt kommt Alles darauf an, wie die Sache gehandhabt wird, um Ihnen
ohne allen Zweifel einen bleibenden Erfolg hier zu sichern.«

»Das würde wohl nutzlos sein,« meinte Rebe, »sich darüber den Kopf
weiter zu zerbrechen, denn mein Contract ist mit dem gestrigen Tage
abgelaufen. Es war der letzte Abend, der mir Gelegenheit bot, dem
Publikum doch wenigstens zu zeigen, daß ich nicht ganz so mittelmäßig
sei, als ich bis daher hingestellt worden.«

»Schwatzen Sie kein Zeug,« sagte Strohwisch mit einer Protectormiene,
»Sie jetzt Haßburg verlassen? Denken gar nicht daran -- der Director
wird doch kein Esel sein und darein willigen!«

»Es wird doch wohl so werden.«

»Und wo will er denn einen Andern herkriegen? Glauben Sie, die ersten
Liebhaber laufen auf der Landstraße herum, daß man nur einen Gensdarmen
hinzuschicken braucht, um sich einen einzufangen? Hahahaha, denken Sie
sich das Bild! Nein, wenn das Publikum mit Ihnen hier zufrieden ist,
so hat Krüger gar keine Wahl, und wer das Publikum eigentlich hier in
Haßburg ist, Rebe, ich dächte, das wüßten Sie doch -- das bin _ich_.«

»Sie, Herr Doctor?«

»Fragen Sie nicht so kindlich. Wer schreibt denn die Recensionen über
das hiesige Theater, und in wessen Händen liegt es denn, zu bestimmen,
ob ein Künstler hier reüssiren soll oder nicht? Sobald ich meine Hand
von ihm abziehe, ist er verloren, so lange ich ihn halte, jubelt ihm
das Publikum entgegen -- Publikum, wenn ich nur den Namen gar nicht mehr
hören müßte! Es ist eine zusammengelaufene, urtheilslose Masse, die nur
in höchst seltenen Fällen, selbst im Theater drin, eine eigene Meinung
kundzugeben wagt, bis sie erst einmal gehört und gelesen hat, wie die
Sache besprochen ist.«

»Aber gestern Abend war doch das Gegentheil der Fall.«

»Weil ich zu applaudiren an fing!« rief Strohwisch leidenschaftlich.
»Tausendmal haben Sie ja den Beweis mit einem neuen Stück; sitzen
sie nicht drin wie die Stöcke und rühren keine Hand, bis sie erst
am nächsten Morgen gelesen haben, wie das Stück gefallen hat. Und
applaudiren sie wirklich einmal und rufen heraus, und ich beweise ihnen
am nächsten Morgen, daß sie sich blamirt haben, sehen Sie einmal zu, ob
nachher bei der zweiten Ausführung noch zehn Menschen im Theater sind!«

»Sie mögen in mancher Hinsicht nicht Unrecht haben.«

»In mancher Hinsicht? Lieber Freund, ich habe in jeder Hinsicht Recht.
Wer applaudirt denn im Theater? Beantworten Sie mir einmal die Eine
Frage. Der erste Rang? Fällt ihm gar nicht ein, das schickt sich nicht
für das vornehme Pack und strapazirt die Glacéhandschuhe auch zu sehr,
denn man kann sich nicht alle acht Tage ein Paar neue kaufen. Das
Parterre ist's, das den Ton angiebt, und der dritte Rang bildet das
Echo und macht den Spectakel, und fängt jedesmal deshalb an heraus zu
schreien, weil sie den Vorhang noch einmal wollen aufgehen sehen und
dadurch etwas mehr für ihr Geld bekommen. Wer sitzt aber im Parterre?
Der ehrliche Bürger, Gevatter Schneider und Handschuhmacher, Bierbrauer,
Metzger, Posamentirer, lauter Leute, die sich blos für eine Kleinigkeit
amüsieren wollen und von denen Sie nicht verlangen können, daß sie auch
gleich ein fertiges Urtheil mit hineinbringen. Diese Leute repräsentiren
das Publikum, und der erste Rang, so sehr er auch die Nase darüber
rümpfen würde, wenn man ihm vorhalten wollte, daß er sich gerade von
diesen in seinem eigenen Urtheil bestimmen lasse, besteht doch aus
nichts als aufgeputzten Gliederpuppen, die Entrée bezahlen, das Theater
füllen und höchstens untereinander raisonniren.«

»Dann muß ich schon meine Chance nehmen, wie sie eben fällt,« sagte Rebe
achselzuckend, denn Doctor Strohwisch fing an ihm unangenehm zu
werden. »Wir wollen's abwarten. Sie haben mich gestern so freundlich
aufgenommen, daß ich wohl hoffen darf, sie werden mir auch ein
freundliches Andenken bewahren.«

»Andenken? Phantasie!« sagte Strohwisch. »Bilden Sie sich nur nicht ein,
daß Krüger Sie fortläßt, er darf es gar nicht, oder er hätte mich
auf dem Halse, und das riskirt er nicht. Nein, betrachten Sie Ihr
Wieder-Engagement als vollkommen gesichert; und dann, lieber Rebe, haben
Sie keine Sorge, ich mache die Geschichte, ich weiß Bescheid, und Sie
sollen einmal sehen, in acht Tagen kräht kein Hahn mehr nach Handor und
Sie spielen eine von seinen Rollen nach der andern ruhig weg.«

»Sie malen mir die Zukunft sehr verführerisch, Herr Doctor,« lächelte
Rebe, »aber die Hauptsache würde _ich_ doch wohl machen müssen, wenn es
wirklich dazu käme. Wenn die Kritik dabei ein wenig nachsichtig mit mir
verfahren wollte, so würde ich das dankbar anerkennen, denn ich kann
wohl sagen, ich bin durch mein langes Zurückhalten in kaum mehr als
Statistenrollen auch kaum mehr als ein Anfänger jetzt und muß wieder von
Neuem beginnen.«

»Und was zahlen Sie für die Spalte Honorar?« sagte der Doctor, der mit
einer liebenswürdigen Unbefangenheit, die nichts zu wünschen übrig ließ,
auf den Hauptpunkt übersprang.

»Zahlen für die Spalte?« sagte Rede wirklich überrascht, denn nach
seinen Ansichten von Ehrgefühl war es doch nicht denkbar, daß der
»Doctor« damit sagen wollte, er wünsche seine Recensionen von ihm
bezahlt zu haben. »Ich verstehe Sie nicht.«

»Sie sind wirklich kindlich,« lächelte Doctor Strohwisch; »Sie wissen
doch, daß ich meine Recensionen stets honorirt bekomme.«

»Aber doch nicht von dem Schauspieler!« rief Rebe ordentlich erschreckt.

»Nein, nicht von allen,« sagte der Doctor, »aber die haben sich die
Folgen dann auch selber zuzuschreiben.«

Rebe war ein seelensguter Mensch und hätte sich lieber das Aeußerste
versagt, ehe er im Stande gewesen wäre, irgend Jemanden wissentlich zu
beleidigen. Bei dieser Unverschämtheit, von der er bis jetzt wirklich
noch keinen Begriff gehabt, kochte ihm aber doch das Blut, und er mußte
sich Mühe geben, an sich zu halten.

Strohwisch dabei, mit keiner Ahnung, was in dem jungen Künstler vorging,
und in der Meinung, er überlege jetzt mit sich im Stillen, was er ihm
etwa bieten könne, sah ihn freundlich lächelnd an und blies ihm dazu den
Rauch seiner Cigarre in's Gesicht.

»Nun?« fragte er endlich.

»Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Doctor,« erwiderte ihm Rebe mit mühsam
errungener Fassung. »Erstlich ist die Sache mit einem Wieder-Engagement
hier noch im weiten Felde, ich glaube noch nicht einmal daran; wenn das
aber auch wirklich eintreten sollte, so bin ich fest entschlossen, was
ich erreiche, auch nur mir selber zu verdanken und nie im Leben eine
gute Kritik zu bezahlen, wenn ich sie mir nicht ehrlich verdient habe.
Ich werde mir die größte Mühe geben, ich werde fleißig lernen, und daß
ich der Sache Lust und Liebe entgegenbringe, deß ist Gott mein Zeuge.
Mehr kann aber auch kein Mensch von mir verlangen, und genüge ich damit
dem Publikum nicht, gut, dann setze ich meinen Stab weiter und will
versuchen, mich zu vervollkomnmen, bis ich den Rang erreicht habe,
nach dem ich strebe. Genüge ich ihm aber und finden Sie selber, daß ich
meinen Platz ausfülle, dann muß ich es Ihnen auch selber überlassen, was
Sie darüber schreiben wollen.«

»Mein lieber Herr Rebe,« sagte Strohwisch trocken, »mit diesen
Grundsätzen brauche ich kein Prophet zu sein, um Ihnen zu sagen, daß Sie
schon in den nächsten acht Tagen ausgepfiffen werden.«

»Herr Doctor!«

»Auf mein Wort, gar keine Frage,« lächelte Strohwisch; »ein Recensent
ist nun einmal nicht im Stande neutral zu bleiben. Entweder interessire
ich mich für oder gegen Sie, und jetzt haben Sie noch die Wahl. Seien
Sie vernünftig,« setzte er dann mit gutmüthigem Kopfschütteln hinzu;
»sehen Sie, ein Mensch kann ja doch nun einmal nicht mit seinem Schädel
durch eine Mauer rennen, und wie die Welt ist, ändern Sie sie ja doch
nicht. Wir wollen die Sache aber einfacher machen, Sie kennen doch das
Institut der Lebensversicherungen, nicht wahr? Nun gut; sehen Sie, wie
Sie dort Ihr Leben oder in einer andern Anstalt Ihre Möbel, Wäsche und
Kleider gegen eine Feuersbrunst versichern können, so versichern Sie bei
mir Ihre Carriere als Künstler, und ich will nicht hart mit Ihnen sein:
fünf Procent von Ihrer Gage -- beim Himmel, Sie dürfen sich nicht über
mich beklagen, und die ganze Geschichte kostet Sie im höchsten Fall
lumpige hundert Thaler das ganze Jahr.«

»Und wenn ich es für hundert Groschen, ja, für hundert Pfennige haben
könnte,« rief Rebe jetzt, von seinem Stuhl emporspringend und wirklich
ganz außer sich, »so würde ich mich vor mir selber schämen, einen
solchen -- Patron zu bestechen, wie Sie sich mir eben gezeigt haben!«

»Bitte,« sagte Strohwisch, sich mit spöttischer Höflichkeit von seinem
Stuhl erhebend, aber doch nicht gewillt weiter zu gehen, denn Rebe
war von sehniger Statur und muskulös gebaut. »Ich sehe, Sie sind
kein Geschäftsmann, Herr Rebe, und bedauere wirklich herzlich, Ihre
werthvolle Zeit heute Morgen so lange in Anspruch genommen zu haben. Ob
Sie recht daran gethan, mein freundliches Entgegenkommen in solcher Art
zurückzuweisen, mag die Zeit lehren. Für jetzt habe ich die Ehre, mich
Ihnen gehorsamst zu empfehlen!« Und seinen Hut aufgreifend, verließ er
mit einer sehr förmlichen Verbeugung das Zimmer.

Rebe fühlte sich eine Last von der Seele genommen, als der Mensch ging;
denn so lange er sich in seiner Nähe befand, war es ihm ordentlich, als
ob irgend ein böser Geist Macht über ihn gewinnen und ihn von seinem
ehrlichen Pfade ablenken wollte. Aber kehrte er noch einmal zurück?
Draußen knarrte wieder die Treppe. Aber nein, das waren zwei Personen;
er hörte Stimmen. Es wurde wieder geklopft.

»Herein!«

»Bitte, nach Ihnen, ich bin hier zu Hause!« hörte er Jemanden sagen. Das
war Peters. Die Thür öffnete sich weit und der Theaterdiener nöthigte
auch wirklich -- Rebe's Herz schlug hoch -- Henriettens Vater zuerst
hinein.

Jeremias hielt sich aber nicht lange bei der Vorrede auf. Er ging auf
Rebe zu, reichte ihm herzlich die Hand und rief: »Mein lieber Rebe, ich
komme hierher, um Ihnen Abbitte zu thun.«

»Mir, Herr Stelzhammer?«

»Ich habe Sie im Verdacht gehabt, daß Sie kein Schauspieler wären und
die Geschichte nur so aus Plaisir mitmachten; ich bin jetzt aber anderer
Meinung darüber. Bleiben Sie dabei, Sie gehören nirgends anders hin, und
-- ich hoffe, es soll noch Alles gut werden.«

»Mein bester Herr...«

»Nicht wahr, er hat seine Sache gut gemacht!« rief Peters, der selber
mit stolz auf den gestrigen Erfolg war, den der Director allerdings auch
seinen Beinen zu verdanken hatte. -- »Ja, ganz brav hat er's gemacht,
und hier, Herr Rebe, auch ein Brief vom Director. Sollen um zwölf
Uhr einmal zu ihm in's Bureau kommen, verstehen schon -- gratulire im
Voraus.«

»Und haben Sie bis dahin noch etwas vor?«

»Nicht das Geringste, Herr Stelzhammer.«

»Schön; hätten Sie etwas dagegen, mich einmal zu begleiten?«

»Wohin, Herr Stelzhammer?«

»Nu, natürlich in den Italienischen Keller,« sagte Peters mit einem
verschmitzten Lächeln; »wohin kann man einen Menschen um diese Tageszeit
wohl führen? Aber, Donnerwetter, was wollte denn der Doctor Strohwisch
schon bei Ihnen -- pumpen? Natürlich! Halten Sie sich den zum guten
Freunde, wenn ich Ihnen rathen soll; er hat ein bitterböses Maul.«

»War das der Herr, dem wir auf der Treppe begegneten?«

»Ja wohl, mit den kurzen Haaren und dem mopsigen Gesichte; aber er hat's
hinter den Ohren. Na, ich muß jetzt fort; vergessen Sie nicht, um zwölf
Uhr. Guten Morgen, meine Herren!« Und wie ein Pfeil schoß er wieder aus
der Thür hinaus.

»Und wohin soll ich Sie begleiten?«

»Das war der Theaterdiener, nicht wahr?«

»Ja, Peters.«

»Wohin Sie mich begleiten sollen? Wohin Sie wahrscheinlich recht gern
mitgehen,« lächelte der kleine Mann. »Sie wissen, was mein Schwager
Pfeffer von Ihrer Bewerbung um Jettchen hielt -- bitte, lassen Sie mich
ausreden. Pfeffer kennt das Theater durch und durch, und mit keiner
Aussicht, daß _Sie_ sich je eine unabhängige Stellung dabei erringen
könnten, hielt er es für seine Pflicht, ein Verhältniß abzubrechen, das,
wie er fürchtete, für Jettchen nur vergebliche Hoffnungen hatte und
aus dem doch nie etwas Ernstes werden konnte. Gestern Abend nun, oder
vielmehr noch diese Nacht, habe ich mit ihm die Sache überlegt, und wir
sind Beide zu dem Schluß gekommen, daß Sie...« Hier stak er fest, denn
er wußte jetzt nicht recht, wie er dem ihm mit hochgerötheten Wangen
gegenüber sitzenden jungen Mann die Sache weiter auseinander setzen
sollte.

»Und erlauben Sie mir, daß ich Henriette wiedersehen darf?« sagte
endlich Rebe mit leiser Stimme.

»Hurrjeh, deshalb bin ich ja hergekommen,« rief Jeremias, der sich
dadurch mit Einem Mal aller Verlegenheit enthoben sah. »Jetzt, auf
den Ruck wollen wir hingehen! Ich sage Ihnen, daheim ist es ein wahrer
Jammer die Zeit über gewesen, so hat sich das arme Ding, das Jettchen,
heimlich gesorgt und abgequält, und die Mutter ist dabei immer elender
und miserabeler geworden. Heute blüht Jettchen wie eine junge Rose und
singt im Hause herum, daß es eine Lust ist.«

»Mein lieber Herr Stelzhammer!«

»Machen Sie nur rasch, mir brennt's ordentlich unter den Sohlen,« rief
Jeremias; »weiß Gott, es war kein Spaß, das Leiden den ganzen Tag mit
anzusehen und nichts dabei thun zu können! Der Hamlet hat die ganze
Geschichte wieder auf die Strümpfe gebracht, und wenn Sie jetzt in Gang
bleiben, ist mir auch nicht bange.«

       *       *       *       *       *

Es mochte etwa elf Uhr Morgens sein, als der junge Graf Hubert, sein
braves Pferd in Schweiß gebadet, in die Stadt zurückkehrte. Er war seit
Tagesanbruch draußen gewesen und sah wild und verstört aus. Sein Gesicht
glühte dabei und seine Augen waren wie mit Blut unterlaufen.

Den Weg herunter kam in einem scharfen Trab George. Er hatte Hubert's
Pferd erkannt und wollte ihn sprechen.

»Um Gottes willen, Hubert, wo bist Du gewesen?« rief er den Freund
erschreckt an. »Wie siehst Du aus?«

»Du freilich siehst aus, als ob Du von einer Morgenpromenade kämest,«
erwiderte gereizt der junge Graf. »Wo ich war? Und das fragst Du auch
noch? Den Flüchtigen nach. Beim ewigen Gott, hätte ich ihn erreicht,
seine Minuten wären gezählt gewesen!«

»Und Du hättest Dich selbst unglücklich dadurch gemacht!«

»Unglücklich? Beim Teufel, glaubst Du, daß ich jetzt glücklich bin, wo
die ganze Stadt mit Fingern auf mich deuten wird? Tod und Hölle, ich
möchte rasend werden, wenn ich darüber nachdenke!«

George seufzte tief auf. Wie gern hätte er den Freund getröstet, aber
war er nicht selber jeden Trostes bar? Seine arme, arme Paula! --

»Handor hat wie ein Schuft gehandelt!« sagte er endlich düster.

»Wer?« schrie Hubert mit einer vor innerer Bewegung fast unhörbaren
Stimme, indem er den Arm George's krampfhaft ergriff und nur wieder
loslassen mußte, weil er sein Pferd zugleich mit den Sporen berührte und
dieses mit ihm nach vorn sprang. Hubert, überdies schon zum Aeußersten
gereizt, stieß ihm die Sporen jetzt fest in die Seiten, und zugleich es
am Zügel zurückreißend, mißhandelte er das Thier, daß es vor Angst und
Schmerz kaum stehen konnte. Aber er hatte keinen Sinn für sein Roß,
nur gegen George zu riß er es wieder herum, und mit heiserer Stimme
wiederholte er: »Wer, sagtest Du, wer?«

»Handor, der Schauspieler,« erwiderte George; »es ist kein Zweifel mehr,
und Gott nur weiß es, wie er das Herz des armen Kindes so zu berücken
wußte!«

»Handor? Hahahahahaha,« lachte Hubert jetzt wild und grell auf, »das ist
zum Todtschießen! Handor, der Komödiant, mit der Comtesse Monford, der
Braut des Grafen Bolten, bei Nacht und Nebel und vom Verlobungsschmaus
weg, so recht zum Hohn entflohen! Und daher Deine Freundschaft mit
diesem Menschen, die ich mir bisher nicht zu erklären wußte; daher Deine
heimlichen Zusammenkünfte und Berathungen mit ihm!«

»Hubert, Du weißt nicht, was Du sprichst!« rief George.

»Weiß ich's nicht?« lachte Hubert in aufkochendem Zorn. »Und weil Ihr
mich zum Tölpel gemacht und meine Gutmüthigkeit benutzt habt, glaubst
Du, daß ich meine Sinne nicht wiederfände?«

»Du bist rasend, die Leute werden schon aufmerksam!«

»Aufmerksam? Hahaha, in der ganzen Stadt wird wahrscheinlich jetzt von
nichts Anderem gesprochen, und mit Fingern werden sie gleich auf uns
zeigen: Da, das ist der Bräutigam, dem die Braut davongelaufen, und das
da der Bruder, der sie zusammengekuppelt hat!«

»Du bist von Sinnen, Hubert!« rief George, der Mitleid mit der
Leidenschaft des Freundes fühlte. »Reite nach Hause und beruhige Dich
erst, dann wollen wir Alles besprechen; jetzt und in diesem Zustand
kannst Du mich nicht beleidigen.« Und damit lenkte er sein Pferd ab und
wollte den Weg hinabreiten.

»Kann ich Dich nicht beleidigen, Kuppler?« schrie in diesem Augenblick
der fast außer sich Gerathene, indem er sein schon überdies halb wild
gewordenes Thier mit den Sporen in mächtigen Sprüngen nach vorn trieb,
daß es in wenigen Sätzen George's Pferd eingeholt hatte. »So nimm das
wenigstens zum Lohn!« Und ehe es George verhindern oder den Schlag
pariren konnte, hieb er ihm mit der schweren Reitpeitsche mit voller
Kraft am Kinn herunter über die Brust.

George zügelte im Nu sein Thier ein. Er war todtenbleich geworden; aber
so bleich und starr sein Antlitz war, so ruhig hielt er sich im Sattel,
und wie Hubert sein springendes Thier nur erst einmal wieder gebändigt,
sagte George mit eisiger Kälte:

»Gott vergebe Dir Deinen Wahnsinn, ich kann es nicht, das fordert Blut!«

»Hab' ich Dich endlich warm gemacht?« lachte der junge Graf höhnisch,
und seinem Pferd die Zügel lassend, flog er mit ihm in Carrière die
Allee entlang.




25.

Wie das Glück wechselt.


In ihrem freundlichen Boudoir saß Helene, scheinbar mit einer kleinen
Arbeit beschäftigt; aber ihre Gedanken waren weit von da, und nicht
einmal der Kinder achtete sie mehr, die neben ihr auf dem Teppich
spielten und aus einem mächtigen Baukasten Schlösser aufzurichten
suchten, um sie nachher von Günther's Bleisoldaten stürmen und der Erde
gleichmachen zu lassen. Und wie sie dann jubelten und lachten, wenn der
stattliche Bau, den sie schon wenigstens noch einmal so hoch als Mamas
Fußbank aufgerichtet, polternd in sich zusammenstürzte und Helenchen
dann mit den kleinen Patschchen, vor Freude aufkreischend, dazwischen
herumstrich, damit auch nicht ein Stein auf dem andern blieb!

Man sagt: Kinder zerstören gern; aber es ist nicht wahr. Nur neubilden
wollen sie, nur dem, was sie besitzen, eine andere Form und Gestalt
geben, und daß sie dabei leichtsinnig mit dem, was ihnen gegeben,
umgehen und nach der Zerstörung oft nicht wieder im Stande sind, das
Geschehene ungeschehen zu machen -- ist es ihre Schuld, und thun wir
großen, erwachsenen Menschen nicht so oft, oh, so entsetzlich oft im
Leben genau dasselbe?

Und die Mutter sah das Alles nicht, hörte nicht einmal den Jubel
der Lieblinge über eine vollbrachte diminutive Heldenthat, und leise
tropften dann und wann große, helle Thränen von ihren Wangen nieder und
auf die Arbeit, daß sie das Tuch zu Hülfe nehmen mußte, um nur wieder
klar sehen zu können.

Geräuschlos war Felix eingetreten; aber kaum hatten ihn die Kinder
bemerkt, als sie aufsprangen und sich jubelnd an seine Kniee hingen; er
konnte sich ihrer kaum erwehren, und die Mutter wischte indessen rasch
und verstohlen die verrätherischen Tropfen weg, daß der Gatte sie nicht
sehen sollte.

»Helene,« sagte Felix und schlang leise seinen Arm um sie, »mein liebes,
liebes Frauchen, immer noch die trüben, traurigen Gedanken?«

»Ach, Felix,« seufzte die junge Frau, »soll ich fröhlich sein, wenn ich
an das Schicksal der armen Paula denke?«

»Es ist unerklärlich,« rief Graf Rottack, indem er sie losließ und zum
Fenster trat, »rein unerklärlich, wie das scheue, schüchterne Wesen
nicht allein zu diesem Entschlusse, nein, zu der Ausführung desselben
gelangte; denn hätte mir Jemand vorher gesagt, daß gerade Paula so
selbstständig, so rücksichtslos selbstständig auftreten könne, ich würde
ihn für thöricht erklärt haben.«

»Und ist es bestätigt, daß sie mit jenem Schauspieler entflohen ist?«

»Das Gerücht in der ganzen Stadt sagt allerdings Ja, und es bleibt uns
beinahe nichts Anderes zu glauben übrig, als ihm beizustimmen. Handor
ist gestern Abend, etwa zu der nämlichen Zeit verschwunden, so daß ein
junger Anfänger im Theater seine Rolle übernehmen mußte, und leider
lautet das, was ich über jenen Handor heute Morgen in der Stadt hörte,
trostlos genug für Paula's künftiges Lebensglück.«

»Arme, arme Paula!«

»Daß sich die Eltern versöhnen ließen, daran ist nun vollends
kein Gedanke,« fuhr Felix fort, »und ich fürchte, ich fürchte, das
unglückliche junge Mädchen hat einem leichtsinnigen, gewissenlosen
Menschen ihre ganze Zukunft anvertraut!«

»Und kann denn gar nichts geschehen, um sie zu retten?«

»Es ist die Frage,« sagte Felix ernst, »ob ihr Vater unter dem ersten
Eindruck dieser tödtlichen Kränkung auch nur den Versuch dazu machen
wird, und nachher -- ist es zu spät. -- Aber wer ist das? George Monford
-- großer Gott, wie todtenbleich er aussieht!«

Es war in der That George, der in diesem Augenblick vor dem Gartenthor
abstieg und sein Pferd am Zügel in die innere Einfriedigung hineinziehen
wollte. Felix sandte augenblicklich einen Diener hinaus, um es ihm
abzunehmen, und wenige Minuten später betrat der junge Graf das Zimmer,
in dem die beiden Gatten sich befanden.

Beide begrüßten ihn auf das Herzlichste. George selber war aber so
bewegt, daß er anfangs gar nicht im Stande schien, ihre freundlichen
Worte zu erwidern. Endlich sagte er leise:

»Was müssen Sie von mir denken, wenn ich schon wieder mit einer Bitte
nahe, die aber dieses Mal freilich keinen heitern Scherz betrifft!«

»Lieber Graf,« sagte Rottack herzlich, »Sie wissen, wie willkommen Sie
uns immer waren, aber nie mehr, als gerade jetzt, wenn Sie uns Hoffnung
machen, daß wir Ihnen in Ihrem Schmerze beistehen können!«

George erwiderte kein Wort, aber er preßte fest die Hand, die er in der
seinigen hielt. Sie wurden gestört, denn die Bonne kam herein, um die
Kinder abzuholen, und Helenchen wollte nicht mitgehen, weil Günther noch
einen kleinen Thurm aufgebaut hatte, den sie vorher umwerfen mußte.
Der Vater ließ sie gewähren, und indeß sie das Zimmer verließen, hatte
George auch seine volle Ruhe wiedergewonnen. -- Kaum schloß sich die
Thür hinter ihnen, als er leise sagte:

»Sie wissen Alles, was gestern vorgefallen, und insofern ist es mir eine
Erleichterung, daß ich das Entsetzliche nicht zu wiederholen brauche.
Wohin sich Paula gewandt, ist unbestimmt, nur die Richtung, welche
der Wagen letzte Nacht genommen haben muß, oder wir würden ihn sicher
überholt haben, macht es wahrscheinlich, daß sie nach dem Rhein zu
geflohen. Wer aber soll sie dort in jetziger Zeit, wo Tausende von
Fremden auf und ab schwärmen, verfolgen? Trotzdem hatte ich die Absicht,
die Reise heut Abend anzutreten; es ist aber möglich, daß ich daran
verhindert werde, und in diesem Fall möchte ich Sie dringend bitten,
Ihre Bemühungen mit den meinigen zu vereinigen.«

»Oh, so gern, so gern,« rief Helene, »wenn wir nur eine Andeutung
bekommen können, nach welcher Himmelsgegend das unglückliche Kind
entflohen!«

»Wohl ist sie ein unglückliches Kind,« sagte George ernst, »denn ich
fürchte, sie gerieth in schlimme Hände; aber das zu bedenken ist jetzt
zu spät, und nur den Versuch müssen wir noch machen, sie zu retten, ehe
sie ganz verloren geht.«

»Und was sagen Ihre Eltern?«

»Von denen ist nichts zu hoffen,« seufzte George. »Die Mutter ist
unerbittlich, und nur den Vater könnte ich vielleicht noch gewinnen,
wenn nicht ein anderes Hinderniß dazwischen träte. Paula war immer
des Vaters Liebling, mit seiner ganzen Seele hing er an der Schwester;
deshalb traf ihn auch gestern die Schreckenskunde mit so furchtbarer
Schärfe, daß wir schon das Schlimmste fürchteten. Er war ganz außer sich
und phantasirte mit offenen Augen. Heute hat er sich erholt; er scheint
die Nacht ruhig geschlafen zu haben und war heute Morgen, als ich das
Schloß verließ, schon auf und am Fenster. Armer alter Mann, und was
steht ihm vielleicht noch bevor!«

»Geben Sie die Hoffnung noch nicht auf,« rief Helene bewegt, »Gott kann
noch Alles zum Besten lenken!«

»Ja,« sagte George leise, »aber bis dahin müssen wir thun, was in
unseren Kräften steht. Ich weiß nicht, woher es kommt,« fuhr er nach
einer kurzen Pause fort, »aber zu Ihnen, Frau Gräfin, und zu Ihrem
Gatten habe ich mich vom ersten Moment hingezogen gefühlt, habe
Vertrauen zu Ihnen gefaßt, und es war mir wunderbarer Weise immer, als
ob wir uns eigentlich gar nicht so fremd, als ob wir schon lange mit
einander bekannt, befreundet gewesen wären. Das gab mir damals den Muth,
sogleich ohne Weiteres zu Ihnen zu kommen und Sie um Beistand in einer
Sache zu bitten, die jetzt freilich anders geendet hat, als ich damals
dachte. Ihnen, Frau Gräfin, empfehle ich jetzt auch meine Paula. Ich
weiß, mit welcher Liebe die Schwester, der es genau so ging, an Ihnen
hing, wie oft sie in der kurzen Zeit von Ihnen sprach. Seien Sie ihr
eine Schwester, wenn ich -- vielleicht verhindert werden sollte, das
auszuführen, was ich heute begonnen.«

»Hier haben Sie meine Hand darauf,« sagte Helene, während sich ihre
Augen mit Thränen füllten; »wir werden sie wiederfinden, und was treue
Liebe vermag, sie zu trösten, ihr zu helfen, soll gewiß geschehen.«

»Ich danke Ihnen,« sagte George gerührt; »ich war davon überzeugt, ehe
ich zu Ihnen kam, und jetzt gehe ich fröhlicher an meine Arbeit, da ich
weiß, daß ich meine arme Paula nicht fremd, nicht hülflos ihrem Geschick
begegnen sehe. Sie haben mir eine schwere Last von der Seele genommen.«

»Aber wollen Sie denn fort von hier?«

»Wahrscheinlich auf eine kurze Zeit, es ist wenigstens möglich, und
da ich rasch abgerufen werden könnte, wollte ich doch nichts versäumt
haben. Ich komme auch eben vom Telegraphenamte, wo ich in jener Richtung
an vier verschiedene Freunde in verschiedenen Orten telegraphirt habe.
Für den Fall aber, daß ich nicht hier sein sollte, gab ich Ihre Adresse
auf; Sie sehen, Frau Gräfin, wie fest ich auf Ihre Güte rechnete.«

»Aber Paula wird doch gewiß unmittelbar an ihre Eltern schreiben,« sagte
Felix.

»Ich glaube es auch, aber ich fürchte, meine Mutter nimmt, in der ersten
Zeit wenigstens, keine Briefe von ihr an, und der Vater ist so leidend,
daß ich nicht auf ihn rechnen kann.«

»Großer Gott,« seufzte Helene, »welches Unheil kann ein einziger
schlechter Mensch über eine glückliche Familie bringen, und wie
furchtbar schnell fiel der Schlag!«

»Furchtbar schnell,« wiederholte George leise und fast tonlos die Worte,
»ganz furchtbar schnell, und wir waren so glücklich, so ahnungslos
glücklich! Aber es hat nicht sein sollen,« fuhr er plötzlich mit
fester Stimme und sich wieder hoch aufrichtend fort, »und da es einmal
geschehen, müssen wir dem Schicksal trotzig die Stirn bieten.«

»Sie wollen schon fort?«

»Ja, ich habe heute Morgen noch viel zu thun.«

»Sie sind ganz blutig am Kinn, Graf George.«

»Noch ein Andenken dieser Nacht,« sagte George, während ihm das Blut in
die Schläfe stieg, »ich hatte einen wilden Ritt. So leben Sie wohl, Herr
Graf, leben Sie wohl, Frau Gräfin, Gott schütze Sie und lohne Ihnen, was
Sie an meiner Schwester thun!«

Er drückte Beiden die Hand, wandte sich rasch ab und verließ das Haus,
um draußen sein Pferd wieder zu besteigen.

       *       *       *       *       *

In der nämlichen Zeit, in welcher George Monford Rottacks besuchte,
schritt Rebe an Jeremias' Seite Pfeffer's Wohnung zu, und wie leicht und
wie glücklich schlug ihm dabei das Herz!

Noch hatte er nicht alle Schwierigkeiten besiegt, das wußte er recht
gut, ja, eigentlich war nur der erste Schritt auf seiner Bahn gethan;
aber er war doch gethan, es war ihm doch gestattet worden, in die
Arena einzutreten, und seiner eigenen Kraft anheimgestellt, den Sieg zu
erringen, und mehr verlangte er ja nicht, mehr hatte er nie verlangt.
Was jetzt auch kommen mochte, er konnte doch erproben, ob er wirklich
im Stande sei, eine ehrenvolle Stellung auszufüllen, und dann, wenn
das nicht möglich war, mit dem Bewußtsein zurücktreten, sein Aeußerstes
versucht zu haben. Gelang es ihm aber, blieb er Sieger, dann war auch
sein heißester Seelenwunsch erfüllt, das Ziel seines ganzen Strebens
erreicht, und er sah eine Laufbahn vor sich, deren Lasten und Mühen
selbst nur so viel Genüsse für ihn waren, weil eben seine ganze Seele
daran hing, sein ganzes Streben dem gewidmet war.

Und wie lieb und freundlich wurde er oben im Hause von Allen empfangen!
Wie hold erröthend trat ihm Henriette entgegen, und wie ganz verändert
war selbst der sonst immer mürrische und verdrießliche Fürchtegott
Pfeffer gegen ihn geworden!

»Rebe,« sagte er, sowie dieser nur das Zimmer betrat, indem er ihn bei
einem Knopf erwischte, »Sie sind ein verfluchter Kerl. Sie haben sich
gestern Abend vortrefflich herausgebissen, und wenn Sie auch wirklich
nicht in Haßburg bleiben, was aber doch vielleicht der Fall ist, so
werden Sie Ihr Glück auf jeder Bühne machen.«

»Herr Pfeffer, Sie glauben gar nicht, wie ich mich freue...«

»Ist auch gar nicht nöthig,« unterbrach ihn Pfeffer, »ich wollte Ihnen
auch nur sagen, daß es mir leid thut, früher grob gegen Sie gewesen zu
sein; aber Sie dürfen es mir auch nicht übel nehmen, denn was für
ein trauriges Exemplar der menschlichen Gesellschaft ein schlechter
Schauspieler ist, wissen Sie wahrscheinlich besser, als ich es Ihnen
sagen könnte.«

»Aber, Fürchtegott, so laß uns auch einmal zu Worte kommen,« bat die
Frau, welche heute aber viel wohler schien, als sie bis jetzt gewesen.
Ihre Wangen hatten ordentlich etwas Farbe bekommen und ein liebes,
freundliches Lächeln spielte um ihre Lippen.

»Bin schon fertig,« brummte Pfeffer; »'s ist doch merkwürdig, daß Frauen
nie leiden können, wenn ein Anderer spricht.«

»Mein lieber Herr Rebe,« sagte Henriettens Mutter, dem jungen Mann die
abgemagerte Hand entgegenstreckend, »es hat uns Alle recht herzlich
gefreut, als wir Ihren gestrigen Erfolg gehört; Gott wird Sie ja weiter
führen und noch Alles zum Guten lenken.«

»Meine liebe, verehrte Frau,« rief Rebe bewegt, »seien Sie versichert,
daß ich alles in meinen Kräften Stehende thun werde, um weiter zu
kommen, und schon daß ich Ihnen dies sagen darf, ist mir ein großer
Trost.«

»Er stichelt,« meinte Pfeffer.

»Und Jettchen?« sagte Rebe leise, indem er seine Hand gegen sie
ausstreckte.

»Ich habe es fest geglaubt, daß Sie Ihr Ziel erreichen würden,«
flüsterte das junge Mädchen, das wie mit Purpur übergossen da stand,
indem es die dargebotene Hand schüchtern nahm.

»Na, dann ist die Geschichte ja abgemacht,« rief Pfeffer, »und viel
besser, als ich gedacht habe, denn ich hatte mich schon wieder vor einer
Ueberschwemmung gefürchtet. Aber wo willst Du denn hin, Jeremias?«

»Bin gleich wieder da, warte nur einen Augenblick,« rief der kleine
Mann. Er hatte bis jetzt an der Thür gestanden und ein paar Mal
hinausgehorcht. Jetzt kam Jemand die Treppe herauf, und wenige Minuten
später kehrte Jettchen's Vater mit einer Flasche Champagner unter jedem
Arm zurück, die er unbedingt unterwegs bestellt haben mußte.

»So,« rief er, »und nun trinken wir vor allen Dingen erst einmal die
Gesundheit des neuen Liebhabers -- und Guste auch mit.«

»Aber darf ich Wein trinken?«

»Du? Erst recht, daß Du wieder zu Kräften kommst,« rief Pfeffer. »Der
Rebe scheint überhaupt auch, wie er bis jetzt ein heimlicher erster
Liebhaber war, ein heimlicher erster Doctor zu sein, denn die Geschichte
von gestern Abend hat Dich mehr auf den Strumpf gebracht, als bisher
alle Medicinflaschen. Apropos, Rebe, haben Sie den Director schon
gesprochen?«

»Ich erhielt vor einer halben Stunde etwa einen Brief von ihm, worin er
mich bittet, um zwölf Uhr auf das Bureau zu kommen.«

»Bittet -- so? Haben Sie ihn bei sich.«

»Hier ist er.«

»Lassen Sie einmal sehen. »Mein lieber Herr Rebe!« Wie der Lump
freundlich sein kann, wenn's ihm auf den Nägeln brennt. »Sie würden
mich sehr verbinden, wenn Sie mich um zwölf Uhr heute Morgen auf meinem
Bureau besuchen wollten. Ich habe Ihnen eine erfreuliche Mittheilung
zu machen.« Glaub' ich ihm, dem Cujon! »Ihr ganz ergebenster Krüger,
Director.« 's ist unglaublich,« rief Pfeffer, mit der Hand in den Brief
schlagend, »und wie schreibt er sonst!«

»Aber, Onkel,« sagte Jettchen, »Herr Rebe ist ja doch nicht mehr bei ihm
engagirt!«

»Ach was da, er hätte 'mal gestern nicht sollen den Hamlet spielen und
heute Morgen Herrn Director Krüger um eine Unterredung gebeten haben,
möchte sehen, wie der Brief gelautet haben würde! Aber wie viel Uhr
ist's jetzt?«

»Halb Zwölf.«

»Also nun erst anstoßen auf das Wohl unseres ersten jugendlichen
Liebhabers,« rief Jeremias und ließ in dem nämlichen Augenblick einen
Pfropfen knallen, als ein scharfer Schrei in der Thür ausgestoßen wurde.

»Oh, mein Gott, haben Sie mich erschreckt!« stöhnte Fräulein Bassini,
die auf der Schwelle stand.

»Ob die nicht jedesmal zum rechten Moment kommt,« rief Pfeffer lachend;
»na, her, Alte -- noch ein Glas, Jettchen!«

»Alte? Fürchtegott, ich verbitte mir Deine Grobheiten! Aber, mein lieber
Herr Rebe, Sie haben uns Alle gestern Abend...«

»Die Geschichte ist lange abgemacht,« rief Pfeffer, ihren Arm fassend
und sie auf einen Stuhl ziehend.

»Aber ich darf doch...«

»Champagner trinken, gewiß; da stoß mit Horatius an, denn er muß fort,
um ein neues Engagement abzuschließen.«

»Also wirklich?« rief Fräulein Bassini entzückt. »Oh, da gratulire ich
von ganzem Herzen!«

»Und Rebe soll leben, vivat hoch!« rief Pfeffer.

Pfeffer war überhaupt in einer überaus aufgeregten Stimmung, litt aber
trotzdem nicht, daß Rebe über eine Minute seiner Zeit blieb, damit er
den Director nicht warten ließ. Das schickte sich nicht für einen jungen
Künstler, wie er meinte. Er mußte aber versprechen, ihnen gleich nachher
das Resultat mitzutheilen, und dann drückte er ihm selber den Hut auf
den Kopf und schob ihn zur Thür hinaus.

Rebe fand den Director in seinem Bureau mit auf den Rücken gelegten
Händen auf und ab gehen.

»Mein lieber Herr Rebe,« rief er und streckte ihm die Hand entgegen, »es
freut mich ausnehmend, daß Sie meinem Wunsche so pünktlich nachkommen;
eben schlägt es Zwölf.«

»Herr Director, Sie werden mir das Zeugniß geben, daß ich nie säumig
gewesen bin.«

»Nie, gewiß nicht, nein wahrhaftig! Sie hielten immer musterhaft auf
Ordnung; aber bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen?«

Rebe setzte sich und merkte dem Director an, daß er sich in irgend einer
Verlegenheit befand. Er schien wirklich nicht recht zu wissen, wie er
beginnen sollte, und rückte unruhig auf seinem Stuhle hin und her.

»Nun, wie haben Sie diese Nacht geschlafen?« begann er endlich.
»Nicht wahr, vortrefflich? Dachte es mir. Auf Lorbeern schläft sich's
vorzüglich,« setzte er lächelnd hinzu, »und ich muß Ihnen gestehen, daß
Sie die gestern reichlich und verdient geerntet haben.«

»Sie sind so gütig.«

»Bitte, Sie wissen, ich schmeichle nie; ein Theaterdirector kann das
auch nicht. Uebrigens haben Sie doch wohl erfahren, welchen Streich mir
Herr Handor gespielt?«

»Ich muß Ihnen gestehen, daß ich seine Flucht nicht begreife.«

»Es ist die bodenloseste Undankbarkeit, die mir je im Leben vorgekommen;
sie ist eigentlich undenkbar, classisch großartig, und er hat mich
dadurch in die furchtbarste Verlegenheit gesetzt.«

Rebe schwieg. Er war fest entschlossen, sich nicht anzutragen, und
Director Krüger durch den Ausruf in eine Sackgasse gerathen.

»Ja, furchtbarste Verlegenheit,« fuhr er nach einer etwas zu langen
Kunstpause fort, »aus der Sie uns allerdings für gestern Abend durch Ihr
kühnes Einspringen gerissen. Aber was jetzt weiter? Haben Sie sich schon
wieder engagirt, Herr Rebe?«

Rebe lächelte. »Sie wissen wohl, Herr Director, daß die Zeit dazu doch
etwas zu kurz gewesen wäre.«

»Hm, ja, und -- und hätten Sie Lust, an unserer Bühne noch ein paar
Versuche zu machen?«

»Mein Engagement ist mit dem heutigen Tage abgelaufen. Sie meinen auf
Gastrollen?«

»Hm, ja, und -- wenn auch --« Der Director rückte wieder herum. Er hatte
jedenfalls etwas, und Rebe konnte sich nicht denken, was es sein möchte.
»Hören Sie, Herr Rebe,« platzte er endlich heraus; »es kann nichts
helfen, ich muß aufrichtig mit Ihnen reden, denn das Drumherumgehen ist
meine Sache nicht; ich bring's nicht fertig.«

»Und ist das bei mir nöthig, Herr Director?«

»Ich will Ihnen etwas sagen,« fuhr Krüger entschlossen fort. »Sie
wissen, daß Sie gestern dem Publikum ausnehmend gefallen haben; es hat
Ihnen davon jeden Beweis gegeben. Auch der Erbprinz war entzückt von
Ihrem Spiel. Das will aber Alles noch nichts sagen, denn allen Respect
vor Seiner Königlichen Hoheit, aber ein Urtheil in solchen Dingen haben
die Herren sehr selten. Die Hauptsache jedoch bleibt die, Sie haben
_mir_ gefallen, Herr Rebe, Sie haben mich hingerissen, die Thränen sind
mir altem Esel in die Augen gekommen, was mir, so lange ich fast denken
kann, nicht passirt ist, und gestern Abend, ja noch heute Morgen bis
etwa vor einer Stunde, war ich fest entschlossen, Sie unter jeder nur
einigermaßen annehmbaren Bedingung an unsere Bühne zu fesseln.«

»Und jetzt?« sagte Rebe erwartungsvoll.

»Da bekam ich,« fuhr der Director fort, »vor etwa einer halben Stunde
den Wisch da.« Und er zeigte auf einen neben Rebe auf dem Tisch
liegenden Brief. »Lesen Sie.«

Rebe nahm den Brief und las ihn laut:

»Mein lieber Herr Director! Ich möchte keine Zeit versäumen, Sie
wohlmeinend vor einem voreiligen Schritt zu warnen. Rebe hat gestern
Abend den Hamlet gespielt, und das Publikum, dadurch bestochen, daß er
eine so große Rolle so rasch übernehmen konnte, war artig genug, ihn für
die Gefälligkeit zu honoriren. Die Gegenwart des Erbprinzen trug dazu
bei, die Leute etwas aufzuregen. Ich selber hatte eine Claque für
Handor besorgt, die aus mißverstandenem Diensteifer das auf seinen
augenblicklichen Nachfolger übertrug, und für den Abend war das gut.
Lassen Sie sich aber um Gottes willen nicht verleiten, dem unglücklichen
Menschen auch nur noch Eine Rolle anzuvertrauen. Er hat auch nicht die
Spur von Talent, und ich werde ihm und dem Publikum das in meiner morgen
erscheinenden Recension beweisen. Danken Sie Gott, daß Sie ihn los sind,
denn Sie dürfen das Publikum gar nicht so in's Gesicht schlagen, ihm
ein Subject wie diesen jungen Anfänger für einen Künstler einzuschieben.
Aber meine Furcht ist gewiß grundlos, Sie denken wahrscheinlich eben
so wenig daran, wie ich es hoffe. Nur das Interesse für unser Institut
konnte mich bewegen, diese Zeilen an Sie zu richten.

  Hochachtungsvoll Ihr ergebenster
  Feodor Strohwisch.«

»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte der Director.

»Weiter nichts,« lächelte Rebe, »als daß dieser selbe Herr Strohwisch
heute Morgen in aller Frühe bei mir war, mir zu meinem gestern
entwickelten Talent gratulirte und mir gegen ein mäßiges Honorar jede
Unterstützung versprach.«

»Aber das ist doch nicht möglich! Sie sagten es ihm doch zu?«

»Ich gab ihm zu verstehen,« sagte Rebe, während ihm das Blut in die
Schläfe stieg, »daß ich ihn, wenn er sich nicht gutwillig entfernte, die
Treppe hinunterwerfen würde!«

»Da haben wir's!« rief der Director aus, indem er wie besessen von
seinem Stuhl emporsprang und im Zimmer herumlief. »Unglückliches
Menschenkind, wissen Sie denn nicht, daß Sie der Recensent -- mit
Respect zu melden -- da wir doch unter uns sind -- hier todt machen kann
und auch wirktodt macht?«

»Durch sein Schimpfen?« sagte Rebe. »Mein lieber Herr Director, wenn ich
mir dadurch meinen Platz am Theater wahren könnte, daß ich einen dieser
erbärmlichen Lohnschreiber bezahlte, um mich zu loben, dann würde ich
noch heute der Bühne, an der ich mit ganzer Seele hänge, den Rücken
kehren.«

»Aber ändern Sie einmal die Welt,« rief der Director; »das Publikum
glaubt nun einmal, was es gedruckt sieht.«

»Und wer schreibt denn überhaupt all' diese Recensionen?« fuhr Rebe
fort. »Gehen Sie all' unsere Kritiker durch, und unter den Tausenden,
die davon leben, haben Sie kaum fünfzehn oder zwanzig ehrenwerthe und
tüchtige Männer, die auch wirklich selber etwas schaffen können. Die
Anderen sind lauter heruntergekommene oder noch nie oben gewesene
Literaten, die, nicht im Stande, etwas Selbstständiges zu arbeiten, sich
nun auf's hohe Pferd setzen und an uns armen Schauspielern, wenn wir
ihnen nicht das Blutgeld zahlen, oder an anderen Schriftstellern ihr
Gift und ihre Galle auslassen!«

»Aber was hilft Ihnen das? Es ist einmal so, und gegen den Strom kann
kein Mensch schwimmen.«

»Oh doch, Herr Director,« lächelte Rebe; »es geht allerdings etwas
langsamer, aber es geht.«

»Fangen Sie mit dem an,« rief Krüger, »der scheut sich vor keiner
schmutzigen Arbeit!«

»Das glaube ich Ihnen, das thun alle diese Herren nicht; aber ich
bezweifle doch, daß er das Publikum so in seiner Gewalt hat, um über
einzelne Individuen nach Belieben zu disponiren.«

»Passen Sie auf,« rief Krüger, »ich gebe Ihnen mein Wort, wenn er Sie in
seiner nächsten Nummer richtig herunter macht -- und das thut er jetzt,
darauf können Sie Gift nehmen, -- dann rührt sich am nächsten Abend
keine Hand, und was das Schlimmste ist, die Leute gehen vielleicht noch
ein- oder zweimal aus Neugierde in's Theater, wenn Sie spielen, aber
nachher bleiben sie aus wie Röhrwasser.«

»Ich muß es abwarten.«

»Bedenken Sie doch nur,« fuhr Krüger fort, »einem bösen Hunde giebt man
zwei Knochen. Was haben Sie denn davon, wenn Sie Tag um Tag im Blatt
heruntergerissen werden?«

»Aber wie kann ich's hindern?«

»Gleichen Sie's aus,« rief Krüger rasch, »Strohwisch ist kein Unmensch;
mit Geld ist Alles zu machen, und hier -- Apropos, lieber Rebe, eh'
ich's vergesse, hier habe ich auch Ihr Spielhonorar für gestern Abend.«

»Herr Director...«

»Bitte mir's aus, das stand nicht in Ihrem Contract, und wenn mir Jemand
gestern Abend das Messer auf die Brust gesetzt hätte, würde ich mit
Wonne das Vierfache bezahlt haben. Das dürfen Sie auch nehmen, Sie haben
sich's ehrlich und redlich verdient, und mein Dank für Sie bleibt dabei
immer noch derselbe.«

Dabei legte er ihm fünf Friedrichsd'or auf den Tisch, und Rebe's
Ehrgefühl sträubte sich erst, so nothwendig er das Geld auch brauchte,
dagegen, es anzunehmen, weil er gestern eben noch im Engagement
gestanden. Allerdings war es ein außerordentlicher Fall gewesen, und
Krüger, der, wenn er wollte, ganz liebenswürdig sein konnte -- er wollte
nur selten, -- bewies ihm mit einer solchen Herzlichkeit, daß er ihn
selber beleidigen würde, wenn er etwas verweigerte, was eine reine und
einfache Schuldsache der Direction sei, daß er es endlich nicht länger
ausschlagen konnte.

»Und -- nun,« sagte Krüger, »wenn Sie meinem Rathe folgen, gehen Sie
ohne Weiteres zu Strohwisch, Umstände brauchen Sie mit ihm nicht zu
machen, und drücken ihm zwei davon in die Hand. Sie sollen dann einmal
sehen, was für eine Recension morgen erscheint!«

»Da schenkt' ich sie lieber dem ersten armen Menschen, der mir begegnet,
Herr Director,« sagte Rebe. »Ich bin fest entschlossen, mir meinen Weg
zu erkämpfen; nur so kann ich mir selber genügen und Freude an der Sache
behalten. Im andern Falle müßte ich mich vor mir selber schämen.«

»Das ist sehr schön und ehrenwerth von Ihnen,« sagte der Director
trocken, »wird Ihnen aber hier den Hals brechen; Sie sollen sehen.«

»Und wollen Sie es trotzdem versuchen?«

»Ich will Ihnen etwas sagen, Rebe,« erwiderte der Director nach einer
kurzen Pause. »Es ist wohl nicht nöthig, ein Wort über die Vergangenheit
zu verlieren -- das ist abgemacht, und ich gestehe ein, daß wir Sie
verkannt haben. Sie besitzen in der That ein schönes Talent, und ich muß
aufrichtig sagen, daß ich selber neugierig wäre, dessen Entwickelung zu
beobachten. Nach dem gestrigen Abend würde ich Ihnen auch augenblicklich
einen neuen jährigen Contract mit ganz annehmbaren Bedingungen angeboten
haben, wenn Sie sich nicht mit diesem Strohwisch verfeindet hätten.
Glauben Sie nicht etwa,« fuhr er rasch fort, als er sah, Rebe wolle
etwas darauf erwidern, »daß ich selber nur _so viel_ für das Urtheil
jenes Menschen gebe. Er versteht vom Theater so viel wie eine Kuh, aber
das Publikum liest trotzdem jeden Morgen sein Blatt, und ich weiß aus
Erfahrung, welchen Einfluß es, so absurd das klingen mag, ausübt. Aber
ich will Ihnen einen Vorschlag machen; es muß Ihnen selber daran liegen,
Ihr Talent auch noch in anderen Rollen zu erproben. Ich engagire Sie
deshalb für einen Monat -- nennen Sie das Gastrollen, wenn Sie wollen --
gebe Ihnen zweihundert Gulden für die Zeit und außerdem das Versprechen,
Sie wenigstens in acht großen Rollen zu beschäftigen. Sind Sie das
zufrieden?«

»Sie begegnen meinem innigsten Wunsche,« sagte Rebe erfreut, »denn
gerade um das hatte ich Sie bitten wollen.«

»Desto besser, die Sache wäre also abgemacht. Wenn Sie denn Courage
haben, so beißen Sie sich in der Zeit mit Strohwisch herum, und
behaupten Sie das Feld, was ich aber, ehrlich gesagt, bezweifle, so
sprechen wir weiter mit einander; behaupten Sie es nicht, nun, so haben
Sie in der Zeit wenigstens Ihre Kräfte geprüft und ich selber Zeit
gewonnen, mich nach einem andern ersten Liebhaber umzusehen. Ich glaube,
das ist ein ehrlicher Handel.«

»Für den ich Ihnen von Herzen dankbar bin,« rief Rebe, in die gebotene
Hand einschlagend; »nur Eine Bedingung habe ich noch zu stellen.«

»Und die wäre?«

»Daß Sie den Contract von gestern datiren und die fünf Friedrichsd'or
als Abschlagszahlung betrachten.«

»Sie sind ein komischer Kauz,« lachte der Director, »und ich muß
Ihnen gestehen, etwas Aehnliches ist mir in meiner Praxis noch nicht
vorgekommen. Meier ging gestern Abend gar nicht eher weg, bis er seine
versprochenen zehn Thaler hatte.«

»Also es bleibt dabei?«

»Darüber sprechen wir noch. Jetzt muß ich nach Hause, und heute Abend
kommen Sie um acht Uhr, wenn Sie können, einmal in meine Wohnung, daß
wir mit Sulzer das Repertoire bereden. Also auf Wiedersehen, Rebe, und
-- halten Sie sich tapfer!«




26.

Der reiche Mann.


Die Welt! Wie wunderbar verschieden der Begriff sich stellt. Für den
Einen ist es das weite, unermessene Universum mit seinen kreisenden
Sonnensystemen, für den Andern das enge Haus, der kleine, beschränkte
Raum am eigenen Herd.

Auch unsere Erde nennen wir die Welt, und in wie viel tausend Welten
zerspaltet sich ein einzig Städtchen drin, eine jede abgesondert für
sich mit ihren Sorgen und Freuden, ihren Leidenschaften, ihrem Ringen
und Streben.

Wen von uns Allen ist nicht schon einmal ein solch' Gefühl überkommen,
wenn er Abends in später Stunde durch eine Straße wanderte und
die verschiedenen, nur durch dünne Mauern getrennten erleuchteten
Familienwohnungen sah! Hier Licht und Glanz und laute Fröhlichkeit;
dort, dicht daneben, nur durch einen dunkeln Strich geschieden, Jammer
und Elend und bleicher Sorge nagende Pein; hier Einigkeit und Liebe
in dürftiger Dachkammer, und dicht darunter, daß Eins die Schritte des
Andern hört, Haß und Zwietracht.

So bildet jedes Haus, jede für sich abgeschlossene Wohnung in der That
eine eigene kleine, abgeschlossene Welt für sich selber. Da drinnen wird
geboren, gelebt, gestorben, ohne daß der Nachbar mehr davon erfährt,
als wir von jenen Sternen wissen, die Abends vom klaren Nachthimmel
niederfunkeln; und während wir heute ein Fest feiern und die Gläser
lustig zusammenklingen, drückt nebenan ein armes Weib dem Gatten die
müden Augen zu, und weinend knieen am Bett die armen Waisen.

Aber die Welt rollt und mit ihr Fortuna's Rad, den einen Sterblichen
hoch empor zu Glück und Freude hebend, während es zu gleicher Zeit
vielleicht den Nachbar unter seinem Gewicht zermalmt. Und wie rasch
wechselt das; wie sehnen wir thöricht oft den nächsten Tag, die nächste
Stunde herbei, anstatt uns der gegenwärtigen zu freuen, und wissen doch
nie, was in dem Schooße der herbeigesehnten für uns verborgen liegt;
Dank dem Himmel, daß wir es nicht wissen!

Wie wenige Tage, ja Stunden fast, waren erst vergangen, daß man in
Haßburg die Monford'sche Familie, über welche alle Gaben des Glücks
verschwenderisch ausgestreut schienen, beneidete, und jetzt? Kummer und
Leid waren in die prachtvollen Gemächer eingezogen, und doch hatte das
Unglück erst begonnen, die gierige Hand nach ihnen auszustrecken.

Still und geräuschlos glitten heute die sonst so übermüthigen Diener
durch die leeren Räume; scheu und lautlos thaten sie ihre Arbeit, und
wenn einer dem andern etwas zu sagen hatte, geschah es nicht mehr mit
fröhlichem Zuruf, sondern in leisem Flüstern.

Drinnen in seinem Zimmer, am offenen Fenster, den Kopf in die Hand
gestützt, saß der alte Graf und starrte hinaus in's Leere. Er hatte
sich von seinem gestrigen Anfall vollständig erholt, und der
Ober-Medicinalrath war schon vor einer Stunde wieder in der gräflichen
Equipage zurück in die Stadt gefahren. Was sollte er auch länger hier
thun; die beiden Verwundeten konnte sein Famulus besorgen.

Der Graf hatte heute Morgen durch den Haushofmeister erfahren, daß der
Maulwurfsfänger durch den Förster beim Wildern ertappt und in's Bein
geschossen sei. Die Anzeige war in der Stadt gemacht worden und die
Polizei herausgekommen, um den Thatbestand zu untersuchen. Aber was
kümmerten den alten Herrn diese gleichgültigen Menschen, er hatte andere
Dinge im Kopf; sie sollten ihn damit zufrieden lassen.

Da der Förster übrigens mit einem heftigen Wundfieber ebenfalls im Bette
lag, ließ man ihn jetzt gewähren, um den Termin etwas später anzusetzen
und zu untersuchen, ob er zu dem Schusse berechtigt gewesen, d. h. ob
er ihn in Selbstvertheidigung gethan, und dagegen sprach allerdings,
daß der Getroffene den Schuß nicht von vorn, sondern seitwärts und sogar
mehr von hinten bekommen hatte. Man wollte den alten Maulwurfsfänger
auch in das Krankenhaus bringen, aber der gerade dazu kommende Famulus
des Ober-Medicinalraths litt das nicht. Wie er die Wunde genauer
untersuchte, stellte sich heraus, daß der Knochen des Oberschenkels
zersplittert war, und der Verwundete lag in einem so heftigen Fieber,
daß an einen Transport gar nicht gedacht werden durfte. Die Polizei
konnte hier vor der Hand gar nichts thun, nicht einmal an Ort und Stelle
verhören, denn der Kranke phantasirte wild und toll durcheinander. Von
den Beiden lief ihnen auch jetzt Keiner fort, und sie mußten eben ruhig
liegen bleiben.

Die Gräfin befand sich in ihrem Zimmer; sie hatte es vermieden, heute
Morgen mit ihrem Gatten zusammen zu treffen. Sie wollte ihn nicht wieder
auf's Neue aufregen, wie sie dem Haushofmeister sagte. Ruhe war für ihn
das Beste. Nach ihrem Sohne hatte sie einigemal gefragt, aber George war
noch nicht zurückgekehrt. Sobald er kam, sollte er ihr gemeldet werden.

Es schlug gerade Zwölf auf der Schloßuhr, als er in den Hof einritt. Er
stieg langsam die Treppe hinauf, zu dem Zimmer seiner Mutter, die aber
erschrak, als sie seiner ansichtig wurde.

»Um Gott, George, wie siehst Du aus?« rief sie ihm entgegen, »Du bist
krank; Dein Gesicht gleicht einem Todten.«

»Es ist nichts, liebe Mutter, wie geht es dem Vater?«

»Besser, er ist auf. Der Ober-Medicinalrath meint, es sei nur eine
Ohnmacht gewesen und habe nichts zu sagen. Aber Du mußt Dich schonen.
Die Aufregung dieser Nacht hat Dich furchtbar angegriffen und Du bist
wohl auch ohne Speise und Trank geblieben.« Sie klingelte, und als der
Diener das Zimmer betrat, rief sie ihm zu: »Das Frühstück für meinen
Sohn; bringen Sie es herein.«

»Ich danke Dir, Mutter, ich fühle weder Hunger noch Durst.«

»Aber Du mußt etwas genießen, daß Du mir nicht auch am Ende krank wirst.
Wir haben Elend genug im Hause, das weiß Gott,« sagte sie mit düsterer
Stimme.

Wieder schwiegen Beide, und der Diener kam jetzt herein und brachte
einige Speisen, zu denen er eine Caraffe mit Portwein auf den Tisch
stellte.

George schenkte sich ein Glas Wein ein, das er leerte, und aß ein paar
Bissen; dann schob er den Teller zurück. Er war aufgestanden und ging
ein paar Mal im Zimmer auf und ab.

»Mutter,« sagte er endlich leise, indem er vor ihr stehen blieb, »Paula
wird sicher in diesen Tagen an Dich schreiben.«

»Nenne mir den Namen nicht mehr,« rief die Gräfin heftig, indem ihr
Blick selbst finster und drohend wurde, »ich will ihn nicht wieder
hören.«

»Es ist der Name Deiner Tochter, Mutter, -- Deines Kindes.«

»Ich habe keine Tochter mehr,« sagte die Gräfin, indem sie sich
gewaltsam emporrichtete. »Nie hat eine Tochter ihre Eltern tödtlicher
beleidigt, nie gewaltsamer die Bande zerrissen, die sie an sie banden.
Es ist geschehen, aber deshalb kein Rücktritt auch mehr möglich. Ich
kenne sie nicht mehr.«

»Das ist nicht möglich, Mutter,« rief George bewegt, »so unnatürlich
kann Dein Herz nicht denken! Paula war unser Aller Liebling, gut und
unschuldsvoll, und daß die Zunge eines schlauen, bübischen Verführers
sich in ihr Ohr zu stehlen wußte, oh, bedenke, daß es sie schon
unglücklich gemacht, laß sie nicht auch damit die letzte Stütze
verlieren, die sie auf der Welt hat, die Liebe, den Schutz ihrer
Eltern!«

»Der ward ihr im reichsten Maß zu Theil,« entgegnete mit
zusammengezogenen Brauen die Frau. »Kein Kind ist mehr geliebt und auf
Händen getragen worden, wie dieses falsche, undankbare Geschöpf. Laß sie
jetzt ernten, wo sie gesäet; auf unsere Liebe hat sie keinen Anspruch
mehr.«

»Aber der Vater wird sie nicht verstoßen,« rief George heftig, »er kann
es nicht, sie war von je sein Liebling!« Er wandte sich, als ob er zu
ihm eilen und seine Hülfe anflehen wolle.

»Wenn Du ihn tödten willst,« rief die Mutter heftig, »dann gehe jetzt
zu ihm und nenne ihm Deiner Schwester Namen! Er hat sich kaum von seiner
Schwäche erholt und der Arzt streng befohlen, daß Alles ihm ferngehalten
werden müsse, was ihn nur im Geringsten aufregen und an den erlittenen
Verlust mahnen könne. Versuch' es, aber die Folgen auf Dich selber!«

»Großer Gott,« stöhnte George, »was für Hülfe kann die Unglückliche
von fremden Menschen erhoffen, wenn die eigenen Eltern ihr Herz vor ihr
verschließen?«

»Sie hat sich fremden Menschen in die Arme geworfen,« sagte die Mutter
kalt, »fremde Menschen mögen ihr denn auch das ersetzen, was sie hier
muthwillig von sich gestoßen; sie hat keine Eltern mehr.«

»Arme Paula!« seufzte George. »Aber Eins versprich mir, Mutter. Bist
Du wirklich im Stande, ein Kind so von Deinem Herzen zu reißen, dann
gestatte wenigstens fremden Menschen, sich desselben anzunehmen, und
kommt ein Brief von Paula -- sie wird und muß ja schreiben, -- so sende
ihn an Rottacks, die mir zugesagt...«

»Bist Du wahnsinnig?« rief die Mutter, ordentlich erschreckt
emporfahrend. »An Rottacks? Und was haben _die_ mit unserem Hause zu
thun?«

»Es sind brave, treffliche Menschen, die Paula von Herzen lieb haben,«
sagte George bewegt; »bei denen kann sie dann wenigstens Rath und Trost
und vielleicht auch wieder den Weg zurück zum Herzen der Eltern finden.
Willst Du mir das versprechen, Mutter?«

»Du bist von Sinnen!« sagte die stolze Frau finster. »Soll ich selber
Fremden unserer Familie Schmach aufdecken? Ich begreife Dich nicht,
George. Aber,« fuhr sie plötzlich aufmerksam werdend fort, »was sollen
all' diese Reden? Bleibst Du denn nicht selber hier? Du sprichst gerade,
als ob Du Vorbereitungen zu einer größeren Reise träfest.«

»Es ist möglich, daß ich in diesen Tagen auf einige Zeit fortgehe,«
sagte George leise; »ich weiß es noch nicht, ich muß erst mit dem Vater
darüber sprechen.«

»Und willst Du uns nicht nach Italien begleiten?«

»Vielleicht -- vielleicht komme ich nach.«

»Du bist so sonderbar, George. Was hast Du?«

»Nichts, liebe Mutter; der Kopf thut mir weh vom vielen Denken und
Grübeln.«

Die Gräfin nickte leise vor sich hin, sie kannte das Gefühl selber.
»Wohin willst Du jetzt?«

»Zum Vater hinüber.«

»Rege ihn nicht auf; ich wollte lieber, Du miedest ihn für ein paar
Tage.«

»Er würde unruhiger werden,« sagte George, »wenn er mich nicht wie
gewöhnlich sähe.«

»Du willst mit ihm über -- die Entflohene sprechen?«

»Nein, Mama, fürchte das nicht. Ich muß es Gott anheimgeben, daß er Eure
Herzen wieder dem Kinde zuwendet; ich fühle, daß meine Stimme zu schwach
dafür ist. Lebe wohl, Mutter!«

Er nahm ihre Hand, sah ihr einen Moment ernst und traurig in die Augen,
schloß sie dann in die Arme und küßte ihre Wange.

Die Gräfin erwiderte die Umarmung nicht, sie duldete sie nur, sagte auch
kein Wort, und George verließ rasch das Zimmer.

Den Vater fand er noch immer in der nämlichen Stellung, wie er schon
Stunden lang gesessen. Erst als George sein Zimmer betrat, wandte er
zuerst rasch und wie erschreckt das Antlitz der Thür zu, stand dann auf
und sagte leise: »Ah, Du bist es, George!«

»Ja, lieber Vater. Ist Dir jetzt besser?«

»Gewiß, gewiß. Wo ist Deine Mutter?«

»In ihrem Zimmer drüben.«

»Ich werde zu ihr hinübergehen; es ist so einsam hier.«

»Recht einsam, Vater.«

Der alte Graf sah ihn rasch und streng an, strich sich aber dann mit der
Hand über die Stirn und sagte: »Es ist gut so, ich habe es gern, ich bin
gern allein. Aber wo hast Du denn den ganzen Morgen gesteckt?«

»Ich war in der Stadt, Vater; ich wollte...«

»Ich brauche nicht zu wissen, was Du wolltest.«

»Mein lieber, lieber Vater!« Er hatte des Vaters Hand ergriffen und
hielt sie fest in der seinigen.

Der alte Graf sah ihn an; dann legte er ihm die andere Hand auf den Kopf
und sagte leise: »Ich will zu Deiner Mutter gehen; laß mich jetzt los,
George.«

»Lebe wohl, Vater!«

»Gehst Du wieder fort?«

»Ja, ich habe versprochen um vier Uhr in der Stadt zu sein.«

»Gut, gut, aber bleibe nicht zu lange.«

George küßte die Hand, die er in der seinigen hielt. Der alte Graf aber,
als ob er fürchte, daß der Sohn noch von etwas Anderem sprechen werde,
machte sich los, winkte ihm mit der Hand und verließ dann rasch das
Zimmer.

Eine Viertelstunde später ritt George wieder langsam zum Thor hinaus.
Der Himmel hatte sich umzogen, der Wind heulte das Thal hinauf und ein
feiner Regen begann zu fallen. Er fühlte es nicht. Draußen vor dem Thor
hielt er sein Thier noch einmal an und wandte den Blick zurück auf das
Schloß.

»Lebt wohl!« sagte er leise und bewegt. »Gott beschütze Euch!« Und das
Pferd wieder herumwerfend, trabte er rasch auf der Straße hinab, die
nach Haßburg führte.

Ueber die bewaldeten Berge zogen die Wolken in wilder Hast; von dort
herüber leuchtete auch schon fahler Blitze Schein und der Wind riß an
den alten Bäumen, als ob er ihre Kraft und Zähigkeit erproben wolle.

Es war eine sehr lange Zeit in Haßburg schönes und trockenes Wetter
gewesen. Jetzt schien es, als ob sich die Elemente dafür entschädigen
wollten, um mit verstärkter Wuth ihren Reigen aufzuführen. Ein zündender
Blitz, als wenn sich das Firmament öffnete, und hinterdrein ein
Donnerschlag, der die Erde erbeben machte, und alle Schleusen des
Himmels öffneten sich.

       *       *       *       *       *

Drin im Walde, am obern Ende des Parkes, mit dem Blick nach dem freien
Feld, lag das Häuschen des alten Gärtners Jonas, von ihm allein, seiner
elfjährigen Enkelin, die er zu sich genommen, weil ihre Eltern sie nicht
ernähren konnten, und einer alten Verwandten bewohnt. Das Haus aber, zu
einer Gärtnerwohnung eingerichtet, hatte mehr Räumlichkeiten, als der
alte Mann benutzen konnte, und der kleine Erker, der sich aber im Winter
nicht gut heizen ließ, stand deshalb vollkommen leer.

Hierher hatte man den armen Verwundeten gebracht, und vom Schlosse
selber war schon heute Morgen, nachdem man ihn gestern Abend nur
nothdürftig auf Laub und eine wollene Decke gelegt, ein ordentliches
und weiches Bett heruntergeschafft, damit ihm wenigstens diese
Bequemlichkeit nicht fehle.

Der junge Famulus, Rebe's Freund, Frank Hesse, stand neben seinem Lager.
Er hatte eben die furchtbare Wunde untersucht und verbunden und der
Kranke kaum den Schmerz überwunden, den er dabei gefühlt, wenn er auch
keinen Klagelaut ausstieß, sondern die Qual wie ein Mann ertrug.

»Nun, Herr Doctor,« sagte er endlich, als sich seine Nerven wieder ein
wenig beruhigt und er die Lippen von einander bringen konnte, »glauben
Sie, daß ich's noch lange mache?«

»Lieber Freund,« lautete die ermuthigende Antwort, »gebt Euch keinen
solch' traurigen Gedanken hin; es ist ja nur ein Schuß in's Bein, der
kann bald wieder heilen.«

»Aber der Knochen ist gebrochen,« sagte der Maulwurfsfänger; »ich
fühl's, morsch entzwei, und ob der sich wieder zusammenleimen läßt, der
Teufel weiß es.«

»Der Knochen ist allerdings gebrochen,« sagte der junge Arzt, »aber
darum doch nicht alle Hoffnung verloren. Der Schuß muß außerordentlich
nahe abgefeuert sein.«

»Viel Zeit hatte er allerdings nicht,« brummte der Maulwurfsfänger,
bitter vor sich hinlachend, »denn ich war eigentlich schon in den
Büschen drin; es können vielleicht eine acht oder zehn Schritt
gewesen sein, vielleicht nicht so viel. Die Schrote haben höllisch
zusammengehalten, nicht wahr?«

»Es ist beinahe wie ein Kugelschuß,« bestätigte der Arzt. »Habt Ihr denn
noch Schmerzen?«

»Nicht mehr, als um einen gewöhnlichen Menschen verrückt zu machen,«
sagte der arme Teufel; »ich kann aber einen Puff vertragen. Wie lange
leb' ich noch, Doctor?«

»Unsinn, schwatzt nicht solches Zeug! Ihr werdet noch manchem Maulwurf
gefährlich werden.«

»Glaub's kaum,« brummte der Alte, »so viel versteh' ich auch von der
Geschichte. Schienen kann man den alten Knochen da oben nicht mehr,
abnehmen auch nicht, also friß, Vogel, oder stirb. Wir müssen's
abwarten, wie Schrader in der Gosse. Ich will auch gar nicht wissen,
wie lang's noch dauern könnte, wenn sich der Schuß ausheilen sollte, ich
meine nur, wenn -- der Brand dazu käm', wie viel Zeit ich dann noch etwa
zum Leben hätte.«

»Darüber sprechen wir später,« sagte Frank, dem besonders daran lag, daß
sich der Verwundete keinen trüben Gedanken hingeben und dadurch seine
Lage verschlimmern sollte. »Jetzt seid guten Muths, Freund, es geschieht
hier Alles, was für Euch geschehen kann, und bis Ihr transportirt werden
könnt, müßt Ihr nun schon hier aushalten.«

»Transportirt? Ja,« brummte der Verwundete, »ich weiß schon, auf dem
alten, verdammten schwarzen Leichenkasten -- thut mir nachher kein
Finger und kein Bein mehr weh.«

»Vor der Hand noch nicht,« lachte Frank. »Uebrigens hütet Euch vor
spirituösen Getränken -- keinen Branntwein, keinen Wein und kein Bier;
den Kaffee hier könnt Ihr trinken, der regt nicht auf.«

»Nein, das weiß Gott,« sagte der Maulwurfsfänger, »höchstens die Galle,
daß man ein solches Spülwasser Kaffee nennt; also auf Wasser und Brod
gesetzt?«

»Nur für kurze Zeit; sobald das Wundfieber vorüber ist, dürft Ihr wieder
kräftige Nahrung zu Euch nehmen.«

»Aber das ist vorüber.«

»Doch nicht ganz; heute Morgen habt Ihr noch eine Menge tolles Zeug
geschwatzt.«

»Bah, das thu' ich immer,« sagte der Alte; »aber meinetwegen -- nur
Einen Wunsch hätt' ich.«

»Und der ist?«

»Den Förster möcht' ich gern einmal anschau'n, wie dem sein Gesicht
heut' Morgen aussieht,« lachte der Verwundete ingrimmig in sich hinein.
»Ruhig, Spitz,« fuhr er aber gleich darauf, den Hund beschwichtigend,
fort, als dieser plötzlich zu knurren anfing. »Ob der nur den Titel
des Schuftes hören kann, ohne sich selber zu giften! Ruhig, mein Hund,
unsere Zeit kommt doch vielleicht noch einmal!«

Er fiel matt und erschöpft auf sein Lager zurück, denn das viele
Sprechen hatte ihn angestrengt, und der junge Arzt suchte jetzt dem
kleinen Mädchen -- denn mit dem alten, tauben Jonas war nichts zu reden
-- begreiflich zu machen, in welcher Art sie den Kranken zu behandeln
habe. Das Kind fürchtete sich aber vor dem alten, ungeselligen Burschen,
der, wenn er allein war, immer vor sich hin lachte oder fluchte; ebenso
auch vor dem kleinen, bissigen Hund, der sie immer anknurrte, wenn sie
zum Lager wollte, und Frank beschloß deshalb, selber hinüber in das Dorf
zu gehen, um eine erfahrene Wärterin zu engagiren. Der Zustand der Wunde
war allerdings bedenklich und es durfte in der Behandlung derselben
nichts versäumt werden.

Das Gewitter hatte nachgelassen, der Wind sich aber von Südwest nach
Nordwest herumgedreht, und ein feiner, kalter Regen peitschte auf die
Erde nieder. Wie der Abend endlich dämmerte, war es recht kalt und
unfreundlich geworden, ja, so rauh, daß die Gräfin dem einen Diener
befahl, in ihrem Kamin ein kleines Feuer anzuzünden. Es fröstelte sie,
und der Raum kam ihr heute überdies so öde vor.

Es war völlig Nacht geworden und der Haushofmeister, von einem
Diener begleitet, der zwei große silberne und prachtvoll gearbeitete
Armleuchter auf den Tisch stellte, hatte die schwerseidenen Gardinen
vorgezogen.

Am Kamin, den Blick stier und nachdenkend auf die glühenden Kohlen
darin geheftet, saß die Gräfin, neben ihr am Tisch, mit einem Haufen von
Zeitungen und Büchern vor sich, der Graf. Aber kein Wort wurde zwischen
ihnen gewechselt, keine Frage gestellt, und der alte Herr hielt eben
eine große, bunt und elegant gedruckte Karte zwischen den Fingern, die
Einladung zu dem heutigen Ball in Haßburg. Nur sein Blick haftete darauf
und seine Lippen zogen sich zu einem bittern Lächeln zusammen.

»Wo nur George heute bleibt?« sagte die Gräfin endlich, aber mehr zu
sich selber, als zu ihrem Gemahl sprechend, leise vor sich hin. »Er
weiß, wie allein wir hier sind.«

Die Thür ging auf und sie wandte rasch den Kopf; aber es war nur der
Haushofmeister, der die Theemaschine mit den Tassen hereinbringen ließ.

Draußen heulte der Nordwest und fegte die Terrasse rein; die
dichtbelaubten Bäume rauschten und schüttelten schon hier und da einige
vergilbte Blätter los, die vom Sturm weit hinab in's Thal getragen
wurden.

»Ist der Briefträger noch nicht dagewesen?« fragte der Graf.

»Noch nicht,« erwiderte der Haushofmeister, »aber er kann jeden
Augenblick kommen; es ist jetzt seine Zeit, Herr Graf.«

»Wie das da draußen stürmt!«

»Der Regen hat nachgelassen, Herr Graf; aber einen solchen Sturm weiß
ich mich nicht zu entsinnen, seit wir hier oben wohnen. Es ist, als ob
er die Bäume aus der Erde reißen wollte.«

»Arme Menschen, die jetzt draußen in Wind und Wetter sind,« nickte der
Graf, »arme Menschen!«

Der Haushofmeister seufzte tief auf, aber er wagte nicht weiter etwas
zu sagen, ordnete das Theeservice, rückte den kleinen Tisch mit der
Maschine etwas näher zu seiner Herrin hin, und verließ dann das Gemach.

So verging wieder eine halbe Stunde. Draußen wurde die Vorsaalthür
geöffnet und schlug gleich darauf, vom Sturm gefaßt, wieder heftig zu.
Der Graf schreckte empor, beruhigte sich aber wieder und nippte an einer
Tasse Thee, die ihm die Gattin eingeschenkt.

Schritte draußen -- der Haushofmeister kam selber herein; er trug einen
silbernen Teller in der Hand, auf dem ein Brief lag. Aber seine Hand
zitterte, und mit vor Freude fast bebender Stimme rief er: »Ein Brief,
Herr Graf, ein Brief, der Postbote hat ihn eben gebracht!«

Unwillkürlich streckte der Graf die Hand danach aus, aber er ließ sie
wieder sinken. »Woher ist er?« fragte er leise.

»Ja, mein bester Herr, das Postzeichen kann ich nicht erkennen, es
schwimmt mir Alles vor den Augen; aber die Schriftzüge kenn' ich, die
lieben Schriftzüge!«

»Ich will ihn nicht haben,« sagte der Graf und wandte den Kopf zur
Seite, als ob er sich seiner Schwäche bewußt sei; »ich will ihn nicht
haben.«

»Aber die gnädige Frau Gräfin nimmt ihn dann,« sagte der alte Mann; »oh,
dem Himmel sei Dank, da kommt doch endlich Nachricht!«

Er hielt den Teller der Gräfin hin, und sein Blick dankte ihr, als sie
den Arm danach ausstreckte.

Finster und schweigend nahm die Gräfin den Brief; nur Einen Blick warf
sie auf die Adresse -- es waren die Schriftzüge ihrer Tochter --
und ohne weiter ein Wort zu sagen, schleuderte sie den Brief auf die
glühenden Kohlen im Kamin.

»Frau Gräfin!« schrie der alte treue Diener fast entsetzt auf, »er
ist von Ihrer Tochter, von der lieben, lieben Comtesse!« Und fast
unwillkürlich wollte er zuspringen, um das auflodernde Papier noch zu
retten.

»Halt!« sagte die Gräfin streng, indem sie den Arm abwehrend
vorstreckte. »Hußmann, Ihr überschreitet Eure Grenzen!«

Der alte Herr hatte ebenfalls fast unwillkürlich eine Bewegung gemacht,
als das Papier in die Flamme flog, aber es war nur ein Moment gewesen;
dann nickte er wie zustimmend mit dem Kopf und murmelte leise vor sich
hin: »Es muß sein, es muß sein; es geht nicht anders!«

Eine Rettung des Briefes war nicht mehr möglich. Die Gluthhitze des
Kamins hatte ihn in wenigen Secunden zerstört, nur noch ein kleiner
Haufe schwarzer, krustender Asche lag auf den Kohlen. Der alte Mann ließ
den Teller, den er in der Hand hielt, sinken, und ein paar helle Thränen
glänzten ihm in den Augen; aber er sagte kein Wort weiter -- er
durfte nicht. Die Frau Gräfin hatte ihn ja schon in seine Schranken
zurückgewiesen, und das noch nie nöthig gehabt, noch nie, so lange er
zurückdenken konnte, die vielen, vielen Jahre. Er konnte nichts weiter
sagen, es war ihm verboten worden, und daß er das Kind, die gnädige
Comtesse, hatte mit erziehen helfen und ihre Jugend mit fast Vaterliebe
überwacht, lieber Gott, er war ja nur ein Diener des Hauses, und das
vielleicht mehr als seine Schuldigkeit gewesen; wie hätte er können
Ansprüche darauf gründen, die ihm noch nie, selbst im Traum nicht,
eingefallen waren!

Nur das Eine stand fest, das arme, verlassene Mädchen hatte geschrieben,
an ihre Eltern geschrieben; in ihrer Macht war es gewesen zu erfahren,
wo sie jetzt weile, wie es ihr gehe -- und der Brief von der Flamme
rettungslos und für immer zerstört worden! Mit dem Bewußtsein verbeugte
sich der alte Mann demüthig, und mit einem recht schmerzlichen Blick
auf seinen Herrn, der über den Tisch gebeugt saß und nur immer leise vor
sich hin mit dem Kopf nickte, verließ er das Zimmer.

»Es ist Alles vorbei,« sagte der Graf flüsternd, als der Haushofmeister
schon lange die Thür wieder hinter sich zugezogen hatte -- »Alles
vorbei, Alles vorbei! Wo nur George bleibt? Und so glücklich hätten wir
sein können, so glücklich!«

Er nahm eine Zeitung auf, als ob er darin lesen wollte; aber die
Buchstaben tanzten ihm vor den Augen, er sah nur ein großes Blatt Papier
mit flimmernden Zeichen, und nur manchmal warf er den Blick fast wie
vorwurfsvoll nach der Gattin hinüber -- aber sie hatte doch Recht
gehabt. Es durfte ja nicht sein, es durfte ja nicht sein, die Ehre des
Hauses, stand auf dem Spiel, und der mußte jedes Opfer gebracht werden,
jedes -- selbst das eigene Kind!

Aber die Ehre des Hauses forderte noch mehr.

Wieder war eine kleine Zeit verflossen, da wurden draußen vor dem
Hause Stimmen laut, als ob eine Anzahl fremder Menschen unten im Garten
ankäme.

Die Gräfin horchte dort hinüber; jetzt war Alles wieder ruhig und die
Hausthür ging auf und fiel wieder zu. Dann sprangen einzelne Leute im
Schloß selber rasch vorüber. Was war das?

Sie ergriff die neben ihr stehende Glocke und drückte darauf, daß der
Ton hell und laut durch den stillen Raum schallte. Niemand gehorchte dem
Ruf. Wo war der Diener, den seine Pflicht in das Vorzimmer bannte? Die
Gräfin wiederholte ungeduldig das Zeichen.

Da öffnete sich rasch die Thür und einer der jüngsten Lakaien stürzte
mit verstörtem Angesicht herein.

»Was ist, Charles? Was habt Ihr da draußen? Weshalb hört Niemand?«

»Ach, gnädige Frau Gräfin,« rief der junge Bursche ganz entsetzt, »sie
-- sie bringen ihn!«

»Ihn -- wen?« rief der Graf und sprang von seinem Sitz empor.

»Den jungen Herrn Grafen.«

»George?« schrie die Gräfin, und Leichenblässe deckte ihre Züge.

»Ja,« jammerte der junge Mensch, »ganz blutig und so blaß!«

Der Graf gab keinen Laut von sich; einen der schweren silbernen
Armleuchter griff er auf und schritt der Thür zu.

»Ich bitte Dich um Gottes willen, George, bleib hier!« rief die Gräfin,
die ebenfalls aufgesprungen war und seinen Arm faßte.

Der Graf sah sie mit einem eisig kalten Blick an. »Willst Du mich auch
noch von meinem _letzten_ Kinde trennen?« sagte er mit einer Stimme, die
gar keinen irdischen Ton mehr hatte, und als ihn die Gräfin erschreckt,
entsetzt frei ließ, verließ er das Zimmer, aus dem sie ihm fast
willenlos, an allen Gliedern zitternd, folgte.

Sie sollten nicht lange über das Geschehene in Zweifel bleiben.

»Es hilft nichts, wir können es nicht verheimlichen,« hörten sie den
Hofmeister sagen, »der Stern des alten Hauses ist gesunken!«

Unten die Hausthür war geöffnet; fremde Männer trugen eine Bahre herein,
auf der ein Sterbender lag.

Der alte Graf schritt die Treppe hinab, als ob er auf Luft gegangen
wäre; er fühlte keine Stufe unter sich, er sah nichts als ein
todtenbleiches Antlitz, das von dem Licht zweier Fackeln und darüber
gehaltener Kerzen furchtbar deutlich erhellt wurde.

»George,« sagte er, und er selber hörte nicht einmal den Laut der Worte,
»George, was ist geschehen?«

»Unterstützt meinen Vater,« sagte der Verwundete leise, »und dann tragt
mich hinauf in mein Zimmer -- vorsichtig, es thut gar zu weh!«

Zwei der Diener sprangen zum alten Herrn, aber nur den Armleuchter ließ
er sich aus der Hand nehmen, den er noch fest und kräftig hielt; er
selber stand aufrecht, die rechte Hand, in der er den Leuchter gehalten,
noch immer in der nämlichen Stellung emporgehoben, und sein Blick
haftete wie gebannt an dem bleichen Antlitz seines Sohnes.

»Was ist geschehen?« wiederholte er, als sich die Mutter mit einem
gellenden Aufschrei an die Bahre des geliebten Kindes, an dem ihr Herz
mit allen Fasern hing, warf.

Ein Arzt in Uniform begleitete den Trauerzug. Er konnte eben noch
verhindern, daß die Unglückliche nicht auf den Verwundeten fiel und
seine Schmerzen vergrößerte.

»Hinauf mit Euch, Leute,« rief er, »rasch in das Zimmer, daß der Kranke
zu Ruhe kommt! Wollen Sie sich nicht der Dame annehmen?«

Die Worte galten dem Haushofmeister, der, kaum eines Gedankens fähig,
neben dem Entsetzlichen stand.

Weitere Worte waren auch unnütz. Während der Arzt selber das Kopfende
der Bahre mit unterstützte und alle Diener zusprangen, hoben sie
dieselbe leicht und sicher empor und trugen sie rasch die Treppe hinauf
in das Zimmer, wo sie den Unglücklichen gleich mit der Matratze, auf der
er hierher geschafft worden war, auf sein eigenes Lager legten.

George, todtenbleich und matt, während die Mutter jetzt an seinem Bett
kniete und seine Hand gefaßt hielt, war erschöpft und schloß die Augen,
und der Graf, den Arm des Arztes ergreifend, sagte mit leiser, aber
fester Stimme:

»Was ist vorgefallen? Sie sind verpflichtet, es mir zu sagen; ich muß
Alles wissen!«

»Es kann auch leider kein Geheimniß bleiben, Herr Graf,« sagte der Arzt
achselzuckend; »der junge Herr hatte heute Nachmittag um vier Uhr ein
Rencontre mit dem jungen Grafen Bolten.«

»Mit Hubert?«

»Mit dem jungen Grafen Hubert; Graf Bolten hatte den ersten Schuß und
traf seinen Gegner gleich zu furchtbar sicher. Bereiten Sie sich auf das
Schlimmste vor,« flüsterte er ihm leise zu, »Rettung ist unmöglich, die
Kugel hat die Lunge verletzt.«

Der Arm des Grafen sank wie gelähmt an seiner Seite nieder, als der
Verwundete die Augen aufschlug und leise sagte: »Vater! -- Mutter!«

»Mein George, mein liebes Kind, wir sind hier, wir sind bei Dir! Um
Gottes willen, was fehlt Dir?«

»Es ist vorbei,« flüsterte der Sterbende, -- »ich -- kann nicht -- mehr
sprechen. Seid gut -- mit Paula -- lebt -- wohl!«

Er schloß die Augen und ein Zucken lief über seinen ganzen Körper.

»George, George!« schrie die Mutter und warf sich über ihn. Er rührte
sich nicht mehr, es war vorbei, und während der Graf, ein wahres Bild
des Entsetzens, an seinem Lager stand und den Blick, wie durch einen
Zauber gebannt, nicht von dem starren Antlitz des Todten nehmen konnte,
lehnte der alte Haushofmeister in der Ecke und schluchzte laut.




27.

Die Recension.


Am nächsten Morgen um zehn Uhr ging Rebe wieder, wie verabredet, zum
Director Krüger, um dort das Repertoire für die nächste Vorstellung
mit ihm zu besprechen. Er traf den Director in einer nicht geringen
Aufregung, und als er nur das Zimmer betrat, rief ihm dieser schon, mit
der Hand auf den Tisch zeigend, entgegen:

»Sehen Sie, habe ich Ihnen das nicht vorausgesagt? Jetzt können Sie die
Folgen Ihres Leichtsinns erkennen.«

»Aber, bester Herr Director!«

»Haben Sie das Stadtblatt von heute Morgen schon gelesen?«

»Nein, noch nicht.«

»Na, dann machen Sie sich einmal ein Vergnügen. Da liegt der Wisch auf
dem Tisch; Strohwisch thut sein Aeußerstes.«

»In der That?« lächelte Rebe, indem er das Blatt aufnahm und hineinsah.
»Aber es wird dann auch das Aeußerste sein, und er ist nachher fertig.«

»Der? Noch lange nicht, da kennen Sie den nicht. Aber lesen Sie nur --
nein, bitte, laut. Ich habe nur einen Blick darauf geworfen, weil mich
der Grimm packte. Es ist wirklich ein malitiöser Kerl!«

Rebe las: »Theater in Haßburg. Hamlet, Prinz von Dänemark. Zur
Feier...«

»Das können Sie überschlagen,« unterbrach ihn der Director, »das
ist blos die Einleitung, und die Geschichte haben wir selber mit
durchgemacht. Gleich da unten geht's an: Wir sind uns einer Versäumniß
bewußt...«

»Ah, da. »Wir sind uns einer Versäumniß bewußt, dem Publikum nicht schon
gestern über das Stück berichtet zu haben; aber wir müssen gestehen,
daß wir volle vierundzwanzig Stunden gebraucht haben, um uns von unserem
Erstaunen über das Gesehene und Erlebte zu erholen. Herr Horatius Rebe
den Hamlet -- wenn wir es nicht selber mit gelitten und ertragen hätten,
wir würden es jetzt noch nicht glauben und das Ganze für einen wüsten,
unnatürlichen Traum halten. Aber leider ist es nur allzu wahr, und wir
müssen die Thatsache constatiren, daß Herr Horatius Rebe allerdings
vorgestern Abend den Hamlet, diesen dänischen Prinzen, auf eine Weise
mißhandelt hat, die unserem Nationalgefühl nichts zu wünschen übrig
ließ. Wir geben auch zu, daß ohne Herrn Horatius Rebe eine Störung
in der Vorstellung stattgefunden haben würde, das heißt, die ganze
Vorstellung wäre unmöglich geworden. Aber war das Publikum nicht
zehntausendmal besser daran, wenn es sein Geld zurück, als diesen
entsetzlichen Hamlet vorgesetzt erhalten?

»Was wir dabei nicht begreifen, ist die bodenlose Selbstüberschätzung
dieses jungen »Künstlers«, der es wagen konnte, ohne zu erröthen -- denn
er sah blaß aus, daß wir eine Zeit lang im Zweifel waren, welches der
Geist sei -- dem urtheilsfähigen und feingebildeten Haßburger Publikum
eine solche Qual zu bereiten. Die Noth entschuldigt dies keineswegs,
denn er konnte sich doch unmöglich einbilden, die geistvolle Auffassung
eines Handor uns ersetzt zu haben -- also was sonst? Er hat nur eine
Rolle hergesprochen, damit das Stück gegeben werden konnte -- nur damit
kein rechtlicher Grund vorhanden war, dem Publikum das Eintrittsgeld
zurückzuzahlen.

»Wir haben die Gutmüthigkeit des Publikums bewundert, daß es sich das
gefallen ließ und sogar dem Delinquenten noch applaudirte; es sollte ihm
das vielleicht in etwas die Angst vergüten, die er gehabt. Nun, Gott
sei Dank, der Abend ist auch überstanden und wird hoffentlich nicht
wiederkehren.

  Laß, Vater, genug sein des grausamen Spiels.

»Herr Horatius Rebe mag ein recht lieber, braver Mensch und ein guter
Bürger sein, aber wir können es ihm Schwarz auf Weiß geben, daß er ein
sehr mittelmäßiger Schauspieler ist. Sein Hamlet war der Beweis dafür:
keine Idee einer höheren Auffassung, keine Faser von Genialität,
kein Funke jenes göttlichen Feuers, das die der Kunst Geweihten auch
durchdringen und sie und dadurch den Zuschauer elektrisiren muß.

»Das Einzige, was uns Herr Rebe an jenem Abend gezeigt, ist, daß er
ein gutes Gedächtniß hat; möge er deshalb nie vergessen, daß er seine
ruhmreiche Laufbahn wohl noch immer auf einer kleinen Winkelbühne
Deutschlands fortsetzen kann, daß es aber dem Haßburger Publikum nicht
zugemuthet werden darf, einen solchen Genuß zum zweiten Male zu leiden.
Wir warnen die Direction wohlmeinend vor einem solchen Mißbrauch des
Vertrauens und hoffen, daß diese milde Rüge genügt hat, Herrn Horatius
Rebe dem hiesigen kunstsinnigen Publikum nicht mehr gefährlich zu
machen.

  F. S.«

»Nun, wie gefällt Ihnen das?« sagte Krüger, als Rebe die Epistel beendet
hatte und das Blatt wieder lächelnd auf den Tisch zurücklegte.

»Und sorgt Sie das wirklich, was ein Strohwisch schmiert?« sagte er.
»Ich kann mir doch nicht denken, daß es auch nur den geringsten Einfluß
auf das Publikum selber haben könnte; also lassen Sie ihn schreiben.
Notiz darf man ja doch von einem solchen Menschen micht nehmen.«

»Das sagen _Sie_, lieber Rebe,« rief der Director; »aber ich kenne die
Welt und mein Publikum besser, und ich versichere Ihnen, der Artikel hat
Sie hier zu Grunde gerichtet.«

»Und wollen Sie es trotzdem versuchen?«

»Ja, wollen _Sie_ es denn versuchen?« rief Krüger erstaunt. »Mann
Gottes, ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie bei Ihrem ersten Auftreten
ausgepfiffen werden!«

»Ich habe keine Furcht, Herr Director,« sagte Rebe ruhig und
entschlossen. »Mit solchen schmutzigen Waffen kann ich allerdings nicht
kämpfen und werde es nicht, aber wir können jetzt gleich an mir die
Probe machen, ob das Publikum wirklich ein Urtheil für sich selber hat,
oder ob es sich von jedem lumpigen Literaten leiten und an der Nase
herumführen läßt.«

»Aendern Sie einmal die Welt.«

»Ich will sie nicht ändern, ich will sie nur kennen lernen.«

»Na, das Vergnügen können Sie haben,« nickte Krüger; »so viel will ich
Ihnen aber sagen, ich habe Sie im Voraus gewarnt. Ich riskire nichts
dabei, denn ich bekomme jedenfalls ein volles Haus, und bin auch noch
immer erbötig, Sie für einen vollen Monat zu engagiren, aber mit der
Bedingung: fallen Sie beim ersten Auftreten gründlich durch, so ist
unser Contract gelöst.«

»Und soll Herr Doctor Strohwisch das Urtheil sprechen?« lächelte Rebe.

»Nein,« rief der Director, »Sie selber, denn nach der nächsten
Vorstellung bleiben wir nicht lange im Zweifel. Das Gute hat es
jedenfalls, daß wir genau wissen, woran wir sind.«

»Gut, ich nehme es an,« nickte Rebe; »ich bin fest entschlossen, dieser
Nichtswürdigkeit zu begegnen, und hoffe das Beste.«

»Hoffen, lieber Freund, hoffen ist gar nichts,« sagte der Director.
»Aber wollen Sie wenigstens dieses Mal einen guten Rath annehmen?«

»Und welchen, Herr Director?«

»Sie haben den ersten nicht befolgt und, will ich recht ehrlich
sein, vielleicht auch gut daran gethan. Ein solcher Mensch wie dieser
Strohwisch und alle diese Art Leute ist nicht zu kaufen, sondern nur
zu miethen, das heißt, mit Einer Zahlung können Sie sich ihrer nie
versichern. Sie brauchen immer Geld und sind unersättlich. Aber wenn es
Ihr Stolz auch nicht zuließ, jenen Burschen zu bestechen, so glaube ich,
werden Sie doch nichts dagegen haben, seine Pläne zu kreuzen.«

»Wenn das auf ehrenvolle Weise geschehen kann.«

»Ehrenvolle Weise?« sagte der Director, den Kopf ungeduldig herüber und
hinüber werfend. »Wenn mich ein unreines Thier anrennt, so sehe ich,
daß ich ihm ausweichen kann, und jede Weise ist dabei ehrenvoll, denn
Selbsterhaltung bleibt das Hauptgesetz in der Natur. -- Ehrenvoll?
Nennen Sie es etwa ehrenvoll, wenn Sie den Abend ausgepfiffen werden?«

»Wenn es ohne mein Verschulden und ungerecht geschieht.«

»Und wer fragt danach? Ich bitte Sie um tausend Gottes willen, lassen
Sie doch nur die verfluchten Redensarten und werden Sie vernünftig
-- ohne mein Verschulden und unrecht! Lassen Sie Jemanden auf einen
falschen Verdacht hin einstecken und ihm den Kopf herunterschlagen,
glauben Sie, daß ihm das nachher eine Beruhigung sein kann, daß es ohne
sein Verschulden und ungerecht geschah? Lauter Redensarten; hier haben
wir es mit der Sache selber zu thun, und wenn Sie Alles geschickt
anfangen, läßt sich dem Musjö doch noch am Ende ein Paroli bieten.«

»Aber wie?«

»Das will ich Ihnen sagen; Geld kostet die Geschichte, weiter nichts.
Einige Dutzend Freibillets sollen Sie von mir haben, dann engagiren Sie
noch eine Anzahl kräftiger Kerle, die...«

»Mein lieber Herr Director,« unterbrach ihn Rebe, »auf solche
Spitzfindigkeiten verstehe ich mich nicht; da wäre ein Mittel, meiner
Meinung nach, eben so niedrig wie das andere.«

»Aber die größten Künstler thun es!« rief der Director in Verzweiflung.

»Das mögen sie mit ihrem Gewissen ausmachen,« sagte Rebe ruhig; »ich
habe vielleicht, wie ich Ihnen gern zugestehen will, ganz eigenthümliche
Begriffe von Ehre, aber meine Meinung ist auch die, daß solche
literarische Blutegel gar nicht existiren könnten und elend zu
Grunde gehen müßten, wenn Alle so dächten wie ich. Von mir sollen sie
wenigstens nie auch nur eines Groschens Werth Unterstützung bekommen,
und sind _sie_ nur die Ursache, daß ich am Theater nicht vorwärts komme,
gut, dann habe ich mir selber wenigstens keine Vorwürfe zu machen und
kann nachher mit Ehren die Bühne verlassen.«

»Wieder »Mit Ehren«,« rief der Director ungeduldig. »Gut, dann machen
Sie meinetwegen was Sie wollen, ich werde mir die Zunge nicht weiter
daran verbrennen; Sie haben's nicht besser verlangt. Und worin also
gedenken Sie das nächste Mal aufzutreten? Unser Repertoire kennen Sie
ja.«

»Ich möchte Sie um den Fiesco bitten, Herr Director.«

»Fiesco, hm -- meinetwegen; Eins ist so gut wie's Andere, und Fiesco
auch eigentlich lange nicht da gewesen. Also nächsten Mittwoch, wenn es
Ihnen recht ist, denn Sonntags bringt mir eine Posse mehr ein.«

»Und als zweite Rolle möchte ich Sie um den...«

»Thun Sie mir den Gefallen und lassen Sie uns wegen der zweiten Rolle
noch nicht den Kopf zerbrechen. Erst wollen wir einmal sehen, wie die
erste abläuft.«

»Sie scheinen kein rechtes Vertrauen zu haben.«

»Hab' ich auch nicht,« sagte Krüger, »weil ich meine Pappenheimer kenne.
Also auf morgen werde ich die erste Probe ansetzen, Herr Rebe, Sie sind
doch fertig?«

»Ich könnte die Rolle morgen Abend spielen.«

»Alle Wetter, Sie wären in der That ein brauchbares Mitglied! Handor
mußte immer vierzehn Tage Zeit haben, und nachher haperte es noch.
Ueberlegen Sie sich nur die Sache mit den Freibillets noch einmal; ich
gebe Ihnen mein Wort...«

»Ich werde es mir überlegen, Herr Director,« unterbrach ihn Rebe, »und
bei jeder Stunde Nachdenken finden, daß ich so und nicht anders handeln
konnte.«

»Sehr schön, Herr Rebe,« sagte der Director trocken, »dann wollen wir
einmal am nächsten Mittwoch sehen, wie dick die Mauer sein wird, an der
Sie Ihren Kopf zu versuchen gedenken. Guten Morgen!«

»Guten Morgen, Herr Director!« sagte Rebe und verließ langsam und
nachdenkend das Haus.

Während Rebe die Unterredung mit dem Director hatte, wurde bei Pfeffers
ein ganz eigenes kleines Familienfest gefeiert.

Der Mutter kränklicher Zustand schien sich nämlich in den wenigen Tagen,
ja, man konnte fast Stunden sagen, so wesentlich gebessert zu haben,
daß Alles im Hause einen freundlicheren Charakter annahm. -- War es
die veränderte Diät gewesen? Der frühere Doctor, der Theaterarzt (der
»Thierarzt«, wie ihn Pfeffer gewöhnlich nannte), der die Stelle durch
Protection erlangt, hatte die arme Frau auf Gott weiß was curirt, und
ihr fast jede Nahrung entzogen. Es war eine ganz neue, von ihm erfundene
Hungercur, der, wie das Gerücht ging, bis jetzt erst wenige Menschen zum
Opfer gefallen. Dadurch aber kam Henriettens Mutter von Tag zu Tag mehr
herunter, bis sie zuletzt so schwach wurde, daß sie nicht einmal mehr
aufrecht sitzen konnte.

Wenn aber Jeremias auf der Welt irgend etwas haßte, so war es Hunger,
oder gar eine Hungercur, die den Körper natürlich so schwächen mußte,
daß er sich gar nicht mehr, nicht einmal gegen den Arzt, helfen und
schützen konnte. Er ruhte deshalb auch nicht, bis er Pfeffer, oder
vielmehr Auguste bewog, einen andern Doctor herbeizuziehen, und dieser
erklärte denn auch natürlich augenblicklich, daß sie der frühere
ganz falsch behandelt habe und die Kranke bei einer noch kurze Zeit
fortgesetzten ähnlichen Cur nicht sowohl ihrer Krankheit, als ihrem
Magen erlegen wäre. Nahrhafte Speisen wurden verordnet, und Jeremias
schleppte herbei, was nur aufzutreiben war: ein Glas stärkenden
kräftigen Weins; eine Stunde später stand ein Dutzend Flaschen alten
Portweins in der Stube, und dann wo möglich etwas Bewegung, vor der Hand
noch im Zimmer, und so viel frische Luft als thunlich.

Half dieses Alles, oder war es mehr ein Gemüthsleiden gewesen, das auf
der Seele der Kranken gelegen, aber schon seit gestern Abend trat eine
entschiedene Aenderung zum Besseren ein, und Henriette sang heute Morgen
wie eine Haidelerche im Hause herum.

Die Mutter saß am geöffneten Fenster, denn nach der gestrigen
stürmischen und kalten Nacht hatte sich die Luft gereinigt und die Sonne
schien warm und klar. Jeremias war fort gewesen, um Rebe aufzusuchen und
Näheres über seine weiteren Pläne und Aussichten zu hören, aber er
traf ihn nicht in seiner Wohnung und mußte unverrichteter Sache wieder
zurückkehren.

»Das ist ein ganz verzweifelter Mensch, Auguste,« sagte er, als er in
dem kleinen Zimmer auf und ab ging und sich den kahlen Kopf kratzte,
»wie ich gestern mit ihm sprach und ihm meine Hülfe in Allem, was
Jettchen betraf, antrug, faßte er mich bei der Hand und sagte: »Mein
lieber Herr Stelzhammer, ich danke Ihnen herzlich für Ihre guten und
freundlichen Absichten, und Sie wissen, daß Jettchen's Besitz das
Höchste ist, was ich erstrebe, aber ich bin auch fest entschlossen, ihn
mir selber zu verdanken. Ich will mir später nie Vorwürfe machen können,
daß ich durch meine Frau vorwärts gekommen sei.«

»Und da hat er ganz Recht,« sagte Pfeffer, der in diesem Augenblick
eingetreten war und die letzten Worte hörte, »der Rebe ist ein ganzer
Kerl, das sage ich noch einmal, und es thut mir jetzt schmählich leid,
daß wir ihn früher so unter der Kanone behandelt. Na, wie geht's heute
Morgen, Guste, besser? Donnerwetter, Du kriegst ordentlich wieder rothe
Backen!«

»Die höchste Zeit, daß ich von Brasilien herüber kam,« rief Jeremias,
»Ihr hättet sie hier heilig verhungern lassen.«

»Der verdammte Theaterfriseur,« fluchte Pfeffer, »na, komm Du mir über
die Schwelle, ausgenommen zu einem Krankheits- oder Pensionirungsattest!
Du meine Güte, wenn ich das erst einmal in Händen hätte und das
vermaledeite Komödienspielen an den Nagel hängen könnte!«

»Wünsch' Dir die Zeit nicht heran, Fürchtegott,« nickte die Frau, »alt
werden wir Alle früh genug, und doch zehntausendmal lieber von Morgens
bis Abends arbeiten, als so da liegen und anderen Menschen zur Last
fallen.«

»Zur Last fallen,« brummte Pfeffer, »wem bist Du schon zur Last
gefallen, und laß Du das das Jettchen hören, -- aber alle Wetter,«
unterbrach er sich plötzlich, aus dem Fenster sehend, »kommt denn da
nicht Fräulein Bassini wie ein orangefarbener Blitzstrahl angeschossen?
Na, die muß eine Neuigkeit haben, da möchte ich meinen Hals darauf
verwetten.«

»Kommt sie denn her?« fragte Jeremias.

»Eben ist sie in die Promenadenthür hineingefahren. Was das Frauenzimmer
für eine Eile hatte!«

»Wer weiß, was sie hat,« sagte seine Schwester.

»Sicher nichts Gutes,« nickte Pfeffer, »sonst liefe sie nicht so rasch,
darauf kannst Du Dich verlassen. Da ist irgend ein Unglück geschehen,
oder der Teufel sonst wo los. Ich kenne meine Schwester.«

»Wenn Du nur immer 'was auf die arme Lise bringen kannst,« lächelte die
Frau, »und Du hast sie doch lieb, und ich möchte keinem Andern rathen,
Uebles von ihr zu reden.«

»Wenn sie nur ein klein wenig Vernunft annehmen und sich nicht immer so
verflucht lächerlich machen wollte,« sagte Pfeffer, »sonst ist sie
ja gut genug, und auf's Theater paßt's. Sie spielt aber den ganzen
ausgeschlagenen Tag Komödie, von dem Augenblick an, wo sie Morgens
aufsteht, bis Abends, wenn sie wieder einschläft. Ein verrückteres
Frauenzimmer ist mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen.«

»Habt Ihr es schon gelesen?« rief in diesem Moment die besagte Dame, wie
sie nur den Kopf zur Thür hereinsteckte, »habt Ihr das Schandblatt schon
gesehen? Es ist himmelschreiend, daß so etwas nur die Censur passirt. Da
könnte man ja eben so gut in Brasilien bei den Cannibalen leben.«

»Bitte,« meinte Jeremias.

»Nun, hab' ich es nicht gesagt?« lachte Pfeffer.

»Was hast Du gesagt, was ist vorgefallen?« rief die Schwester heftig.

»Na, das mußt _Du_ doch am besten wissen. Was hast Du denn da für ein
Zeitungsblatt in der Hand?«

»Habt Ihr das Stadtblatt noch nicht gelesen? Dann habt Ihr nichts
gelesen,« rief Fräulein Bassini mit Emphase.

»So, und was steht darin?«

»Eine Kritik über Rebe.«

»Alle Wetter! Gut?«

»Da lies, mach' Dir ein Vergnügen,« sagte Fräulein Bassini, »hier, von
Herrn Doctor Strohwisch, Deinem guten Freund.«

»Meinem guten Freund?« brummte Pfeffer, indem er das Blatt nahm und
leise vor sich hinmurmelnd an zu lesen fing.

»Und habt Ihr schon gehört,« fuhr indessen Fräulein Bassini fort, um
ja keine Zeit zu versäumen, »daß sich des Lumps, des Handor wegen die
beiden jungen Grafen von Monford und Bolten gestern duellirt haben und
Graf Bolten den Andern todtgeschossen hat?«

»Oh Du lieber Gott,« stöhnte Auguste, »die armen Eltern!«

»Ja, das ist nun nobel,« sagte die Schwester, »damit geben sie einander
die Ehre wieder, daß sie sich abschlachten. Die ganze Stadt ist voll
davon.«

»Und so reiche, vornehme Leute!«

»Ja, wie gut könnten die es haben; aber ob es wohl Jemand einmal weiß,
wenn es ihm wohl ist. Gott bewahre, immer will er's noch wohler haben,
bis er zuletzt drin sitzt. So reiche Menschen; sie sitzen ja im Geld,
sie wissen nicht wie tief, und silberne Spucknäpfe sollen sie in den
Zimmern haben; aber Hochmuth kommt vor dem Fall.«

»Alle Teufel!« rief Pfeffer, der indessen die Einleitung überflogen
hatte und jetzt zu dem Kern des Ganzen kam. Jeremias stand neben ihm und
sah ihm über die Schulter in's Blatt.

»Oh Du Lumpenkerl!« murmelte er leise vor sich hin, und ballte schon in
Gedanken die Faust.

»Das ist ja ein sauberer Patron!«

»Wie? Nu, was habe ich gesagt?«

»Was schreibt er denn?« fragte Auguste.

»Kannst die Bescherung gleich lesen -- ei Du Himmelhund, Du Verdammter!
Wenn er ihm fünf Thaler in den Rachen geschoben hätte --«

»Ja, schieb einmal, wenn Du nichts hast,« sagte Fräulein Bassini.

»Das ist derselbe Musjö, dem ich einmal auf Rebe's Treppe begegnet bin,«
rief Jeremias.

»Nein, da hört Alles auf,« schrie Pfeffer, »ei zum Teufel mit dem
Wisch!« und damit knillte er das Papier zusammen und schleuderte es auf
die Erde.

»Aber, Fürchtegott,« rief Fräulein Bassini erschreckt, »die Zeitung
gehört ja dem Schuhmacher, meinem Hausherrn -- was hat denn das arme
Papier nur gethan?« -- und sie hob es auf und glättete es wieder aus.

»Bitte, laß es mich einmal lesen,« sagte Auguste, und streckte die Hand
danach aus.

»Ja, ich möchte es auch einmal haben,« meinte Jeremias, »kann man denn
nicht so eine Nummer zu kaufen bekommen?«

»Gewiß, in der Expedition, aber das fehlte auch noch.«

»Ich möchte doch eine Nummer haben,« meinte der kleine Mann, indem
er sich heftig die Hände rieb, »und wenn es nur das wäre, um jedes
Mißverständniß zu vermeiden.«

»Mißverständniß?«

»Das ist schändlich,« sagte Henriettens Mutter, »wirklich boshaft,
niederträchtig, und ich begreife nur nicht, daß sich das Publikum dies
gefallen läßt. Er sagt ihnen doch darin mit dürren Worten: Ihr versteht
Alle nichts, daß ihr so ein Wesen von dem Rebe macht, ich bin der allein
Kluge!«

»Und so ein Lump kriegt ein Freibillet,« rief Pfeffer, »na, wenn ich
Director wäre, ich wollte Dich befreibilletten!«

»Der Mensch wird außerdem jetzt Alles daran setzen, um den armen Rebe
vollends zu ruiniren,« sagte Fräulein Bassini, »denn er darf jetzt ja
nicht einmal mehr applaudirt werden, sonst hätte er nicht Recht gehabt.«

»Natürlich,« sagte Pfeffer, »was der jetzt thun kann, thut er.«

»Und ich glaube nicht einmal, daß ihn der Director nach _der_ Recension
wieder spielen läßt,« fuhr Fräulein Bassini fort, »ich kenne ihn, und
was der für eine Angst vor diesem aufgesteckten Strohwisch hat, kann gar
kein Mensch glauben.«

»Dann geschieht ein Unglück,« sagte Jeremias, und seine Stimme hatte
etwas Feierliches, »dann geschieht wahrhaftig ein Unglück.«

»Na, was wird für ein Unglück geschehen,« brummte Pfeffer, »wer einmal
Pech haben soll, verliert die Butter vom Brode.«

»Da kommt Jettchen,« rief die Mutter rasch, die das junge Mädchen
draußen hörte, »thut die Zeitung weg; sagt ihr nichts davon, das arme
Kind kränkt sich sonst zu sehr.«

Fräulein Bassini schob sie rasch in ihre Tasche, aber wie Jettchen
eintrat, stockte das Gespräch, und Jeremias selber machte ein so
bestürztes Gesicht, daß sie gleich wußte, es war etwas vorgefallen.

»Guten Morgen mitsammen,« rief sie lachend aus, sah aber Alle dann
erstaunt im Kreise an und sagte: »Nun, was habt Ihr denn, Ihr seht mich
ja Alle so merkwürdig an, was ist denn? Mutter, es ist irgend etwas
geschehen?«

»Nichts, was uns beträfe, Kind,« fiel aber hier Fräulein Bassini ein,
die sich noch am ersten faßte, »aber hast Du noch nichts von dem Unglück
bei Monfords draußen gehört?«

»Leider ja,« nickte Jettchen traurig -- »Du lieber Gott, so ein junges,
hoffnungsvolles Blut, und in seinem frischesten Alter!«

»Kanntest Du den jungen Grafen?«

»Ich habe ihn draußen im Schlosse gesehen, als ich früher der Comtesse
manchmal Arbeiten hinaufbrachte, und in letzter Zeit ist er auch
manchmal mit Graf Rottack hier vorbeigeritten. Es war derselbe, Onkel,
der damals dem armen Jungen hier vor dem Hause, dem Graf Bolten
den Karren überritten hatte, Geld gab, um ihn für den Verlust zu
entschädigen.«

»Und der Nämliche hat ihn jetzt todtgeschossen?«

»Und was für Strafe bekommt er nun?«

»Strafe?« sagte Fräulein Bassini, »solche vornehme Herren werden sie
auch strafen! Uebrigens ist er noch dieselbe Nacht fortgereist, und nun
sucht ihn, wenn Ihr ihn haben wollt.«

»Aber was hast Du nur, Vater?« sagte Jettchen, die erstaunt Jeremias
betrachtete. Dieser war indessen in der Stube, sich immer die Hände
reibend, auf und ab gegangen, und so mit seinen eigenen Gedanken dabei
beschäftigt, daß er die Frage nicht einmal gleich hörte.

»Was ich habe, Kind?« sagte er dann, als Jettchen die Worte wiederholte,
»oh, oh, nichts, ich dachte nur in dem Augenblick gerade an 'was, ich
habe noch etwas zu thun, beinah' hätte ich's vergessen. Also guten
Morgen miteinander!«

»Wo willst Du denn hin, Jeremias?«

»Ich muß einmal nach Hause, ich komme nachher wieder!«

»Um zwölf Uhr essen wir.«

»Gut, ich werde kommen, sollte ich aber um zwölf Uhr nicht da sein,
so wartet nicht auf mich, denn es ist doch möglich, daß ich Abhaltung
bekäme,« und mit den Worten schoß er zur Thür hinaus.

»Was hat nur der Vater?« sagte Jettchen verwundert; »er sah so
merkwürdig verstört, so zerstreut aus.«

»Gott weiß es,« brummte Pfeffer, »irgend noch ein paar brasilianische
Schrullen vielleicht, die ihm im Kopf herumgehen! Laß ihn nur laufen,
der findet sich wieder zurecht, dafür ist mir gar nicht bange. Wo warst
Du, Jettchen?«

»Ich habe den Brautkranz fortgetragen,« sagte das junge Mädchen, »und
jetzt gar nichts weiter zu thun, als den bestellten Kranz für Graf
Rottack zu machen.«

»Das ist gescheidt, da kannst Du Dich endlich einmal ausruhen.«

»Aber die Zeit wird mir lang werden, und was hätte ich Alles zu thun
bekommen können! Wie viele Arbeiten waren bestellt, aber Vater wollte es
ja nicht leiden.«

»Ganz vernünftig von ihm, denn Du hättest Dich caput gearbeitet, das ist
sicher. Nun aber sieh nach Deiner Küche, Schatz, daß wir 'was zu essen
bekommen!«

»Ist Alles in Ordnung, Onkel,« nickte Jettchen, »brauche nur ein wenig
nachzulegen, denn während es kochte, bin ich blos die zwei Schritt
hinüber gelaufen. Punkt zwölf Uhr kann das Essen auf dem Tisch stehen.«

Jeremias stieg in einer unbeschreiblichen Stimmung die Treppe hinab,
und niemand Anders war die Veranlassung dazu, wie der arme, unselige
Recensent.

»Oh Du Federfuchser,« rief er dabei halblaut vor sich hin und ballte
die gar nicht so unansehnliche Faust gegen das Treppengeländer, »oh Du
verfluchter Federfuchser -- hätt' ich Dich, wie wollt' ich Dich!« Aber
er hatte ihn eben nicht, und es blieb ihm nichts weiter übrig, als Rebe
aufzusuchen, um mit diesem zu besprechen, was sich etwa in der Sache
thun ließ, denn daß sich etwas thun ließ, davon war er fest überzeugt.

Rebe fand er allerdings, aber bei ihm selber auch nicht die geringste
Unterstützung in der Angelegenheit.

Rebe blieb dabei, daß die Persönlichkeit, von welcher der Angriff
stamme, so tief unter ihm stehe, daß er gar nichts in der Welt mit ihm
anfangen könne, und was das beträfe, gegen ihn zu agiren, so würde er
sich dadurch mit diesem Strohwisch genau auf Eine Stufe stellen, daran
sei also gar nicht zu denken. Die einzige Waffe, die er in Händen habe,
sei die, dem Publikum durch seine Darstellung zu beweisen, daß Jener
gelogen habe; weiter könne er nichts, weiter werde er nichts thun.

Jeremias suchte ihn darauf aufmerksam zu machen, daß er sein Fortkommen
an hiesiger Bühne sichern wolle, und Rebe behauptete, das wäre nur
dadurch möglich, daß er alle Chancen liefe. Aber sich jetzt und für Eine
Vorstellung einen Erfolg sichern und damit alle übrigen noch in Frage
gestellt lassen, käme ihm ungefähr ebenso vor, als ob Jemand über einen
mächtigen Strom schwimmen wolle und zuerst in einem Teich versuche, ob
er sich eine so lange Zeit über Wasser halten könne, bei dem Versuch
aber Blasen unter die Arme binde. Er täusche Niemanden damit als sich
selber, und müsse dann später dafür büßen.

Es war mit dem Menschen nichts anzufangen, denn er blieb hartnäckig
dabei, daß er ehrenvoll siegen oder lieber seine Stellung aufgeben
und anderswo beginnen wolle; denn nur dadurch könne er sich seine
Selbstachtung und die Achtung anderer ehrenwerther Leute bewahren.

Jeremias mußte ihm ja wohl im Herzen Recht geben. Es war ganz hübsch und
ehrlich gehandelt, aber dumm, stockdumm, wenn er das auch nicht gerade
aussprach, und in voller Verzweiflung lief er endlich hinüber zu
Director Krüger, um von diesem vielleicht eine andere Ansicht zu hören.
Das Mittagessen bei Pfeffers hatte er lange vergessen und versäumt.

Hier fand er seinen Mann. Krüger, dem selber daran lag, daß sich Rebe
am hiesigen Theater behaupten möge -- denn wo fand er solchen ersten
Liebhaber gleich für die Gage wieder, mit der er sicher die erste Zeit
mit Rebe abschließen konnte --, gab Jeremias in Allem Recht und war so
vollkommen in jeder Hinsicht seiner Meinung, daß ein Gespräch fast ganz
unmöglich wurde.

Der Director theilte dem kleinen, lebendigen Fremden auch ganz
aufrichtig seine eigenen Ansichten über den Recensenten mit; weshalb
sollte er sich auch geniren? Strohwisch kostete ihm überhaupt jährlich
viel Geld, und Jeremias begriff zuletzt nur das nicht, wie man sich noch
mit einem solchen Menschen abgeben und in persönlichem Verkehr mit ihm
stehen konnte.

»Lieber Gott,« sagte der Director, »was will ich dagegen thun? Soll ich
mir mein ganzes Theater fortwährend schlecht machen lassen? Das Publikum
bekäme doch zuletzt, wenn es das alle und alle Tage hörte und läse,
einen Widerwillen dagegen und ginge mir schließlich gar nicht mehr
hinein; deshalb zahle ich ihm das Blutgeld und stopfe ihm das Maul.«

»Also wann ist Fiesco?«

»Nächsten Mittwoch; wenn Sie etwas thun könnten -- aber um Gottes
willen, ohne daß es Rebe erführe, denn er würde die ganze Geschichte
verderben --, so wäre es mir sehr angenehm, und auf meine Unterstützung
dürfen Sie rechnen.«

»Aber in welcher Art?«

»Ich will Ihnen sagen, was ich fürchte,« erwiderte Krüger. »Ich fürchte,
Strohwisch wird Anstalten getroffen haben, Herrn Rebe das nächste Mal
auspfeifen zu lassen; er hat mir genau dasselbe schon einmal gemacht.«

»Aber das Publikum wird sich das nicht gefallen lassen.«

»Lieber Gott, alle Menschen erfreuen sich zuweilen an einem Skandal,«
sagte Krüger, »und wenn nur drei oder vier in derartigen Arbeiten
geschickte Leute vortheilhaft im Parterre placirt sind, so finden sie
überall ein paar nichtsnutzige Jungen, die ihnen helfen. Sie glauben gar
nicht, wie das Pfeifen ansteckt.«

»Hurrjeh,« sagte Jeremias, »vielleicht käme er selber hinein; wenn ich
nur dann in der Nähe wäre!«

»Er selber würde sich wahrscheinlich ruhig verhalten, aber das Ganze
dirigiren.«

»Na, warten Sie 'mal, dagegen ließe sich doch am Ende noch 'was thun.
Apropos, haben Sie Polizei im Theater?«

»Auf die dürfen Sie nicht rechnen,« sagte der Director; »allerdings
stehen ein paar Mann im Vorsaal, aber bei derartigen Gelegenheiten
verhalten sie sich rein passiv.«

»Sehr schön,« sagte Jeremias, »weiter verlange ich nichts, und nun
empfehle ich mich bestens!«

»Sie sind fremd hier in der Stadt, Herr Stelzhammer?«

»Fremd allerdings; aber ich glaube, ich weiß Jemanden, der mich
unterstützen kann.«

»Darf ich fragen, wen?«

»Ihren Theaterdiener Peters.«

»Da sind Sie in vortrefflichen Händen,« lachte Krüger vergnügt; »aber
lassen Sie ihn um Gottes willen nicht ahnen, daß ich von der Sache etwas
weiß!«

»Haben Sie keine Sorge -- bitte, bemühen Sie sich nicht, ich finde
schon meinen Weg!« Und während der Director oben in seinem Zimmer, sich
vergnügt die Hände reibend, auf und ab ging, stieg Jeremias langsam die
Treppe hinunter.

Director Krüger wohnte zwei Treppen hoch, und jede Etage bestand aus
zwei Abtheilungen Stufen, die in dem alten Hause ziemlich steil aufwärts
führten, aber durch Seitenfenster hell erleuchtet wurden.

Jeremias war eben den ersten Absatz hinabgestiegen, als ein Herr dicht
unter ihm die Treppe heraufkam und zu ihm aufsah. Der Fremde, welcher
etwa einen Kopf größer als unser kleiner Freund sein mochte, stand noch
drei oder vier Stufen unter ihm, als er den Kopf zu ihm empordrehte und
Jeremias plötzlich halten blieb.

»Hurrjeh!« rief er aus, indem er sich so klein machte, daß er seinen
Kopf ziemlich in eine Richtung mit dem die Treppe Heraufkommenden
brachte und beide Hände dabei auf die Kniee stützte. »Habe ich nicht das
Vergnügen, den Herrn Doctor Strohwisch vor mir zu sehen?«

»Das ist allerdings mein Name,« sagte der Herr. »Und mit wem hab' ich
die Ehre?«

»Na, seh'n Sie einmal an,« rief Jeremias, ohne die Frage zu beantworten,
»und so hübsch allein unter vier Augen! Da erlauben Sie mir vielleicht,
Ihnen gleich zu sagen, mein lieber Herr Strohwisch, daß Sie ein ganz
miserabler, erbärmlicher Dintenkleckser und Schubbejack sind!«

»Sie alberner Esel!« rief der Doctor, der gar nicht gleich wußte, über
was er am meisten erstaunen sollte, über die kleine, geduckte, komische
Gestalt, die vor ihm kauerte und die er deshalb auch, was persönliche
Kraft anbetraf, bedeutend unterschätzte. »Was unterstehen Sie sich?
Fort, oder ich werfe Sie die Treppe hinab!«

»So?« sagte Jeremias, der nur auf eine solche Einladung gewartet zu
haben schien, drückte sich mit der Linken seinen Hut fest und hatte aber
auch im nächsten Moment schon den Doctor beim Kragen, der sich wie ein
Kind in seinem Griffe wand.

»Herr, lassen Sie mich los!« schrie er.

»Treppe hinunter -- so?« rief Jeremias. »Wundervolle Idee -- Kopf weg
unten!« Und ehe der »Doctor« nur einen Hülferuf ausstoßen konnte, hatte
er ihn herumgedreht, und wie ein Pfeil schoß er die Treppe hinab.

Jeremias' Blut war aber jetzt aufgeregt. Alberner Esel hatte er
ihn genannt -- was vorangegangen, zählte nicht -- und die Recension
geschrieben, und da unten kullerte er auf der Treppe herum. Unglücklich
für ihn trug Doctor Strohwisch auch ein spanisches Rohr in der Hand, und
Jeremias wußte eigentlich später gar nicht mehr recht, wie es gekommen
war; ehe er sich aber auf etwas besann, war er die Stufen hinab unten
bei seinem Schlachtopfer, hatte ihm den Stock aus der Hand gerissen und
zerwalkte ihn dabei nach Herzenslust.

Strohwisch schrie um Hülfe und versuchte zuletzt, zur Verzweiflung
getrieben, Gegenwehr; aber jetzt wurde Jeremias erst recht böse. In der
Etage, wo er sich befand, wurden Stimmen laut, und um den Kampfplatz
auf neutrales Gebiet zu verlegen, faßte er den Unglücklichen wieder beim
Kragen und warf ihn vor sich her den nächsten Absatz hinunter, von
wo nur noch eine niedere Stufenreihe bis zur Hausthür blieb, und hier
folgte Fortsetzung.

Oben in der zweiten Etage stand Director Krüger, schaute über das
Geländer hinab und hätte vor Wonne applaudiren mögen, wenn er es sich
nur getraut hätte. Unten in der ersten Etage war das Dienstmädchen
und dann der Herr Ober-Appellationsrath X. mit der Frau
Ober-Appellationsräthin und Fräulein Tochter herausgekommen. An der
Hausthür, da der Schall des Tumults hinausdrang, hatten sich ebenfalls
Leute gesammelt und drängten zuletzt bis in's Haus hinein. Und oben auf
dem ersten Absatze stand Jeremias und prügelte Strohwisch, bis er
den Stock in Atome zerschlagen hatte und seinen Arm nicht mehr rühren
konnte; dann warf er ihn den letzten Absatz hinunter, den Stummel des
spanischen Rohrs, mit einem sehr zierlich geschnitzten Elfenbeinknopfe
daran, hinter ihm her, und während er selber an ihm vorüberschritt,
sagte er: »So, Herr Doctor, jetzt wünsche ich Ihnen wohl zu bekommen.
Mein Name ist Jeremias Stelzhammer.«

»Herr Stelzhammer,« sagte da ein Mann in einem rothen Kragen, der sich
indessen durch die immer anwachsenden Zuschauer in das Haus gedrängt
hatte, »es thut mir leid, Sie in Ihrer Beschäftigung zu stören.«

»Bitte, ich bin eben fertig,« meinte Jeremias.

»Nun desto besser,« sagte der Mann; »aber nun ersuche ich Sie auch,
einmal ein bischen mit mir zu kommen, denn ich habe hier auf Ruhe und
Ordnung zu sehen.«

»Mein lieber Herr,« erwiderte Jeremias, jetzt nicht im Geringsten um die
Folgen besorgt, denn er sah wohl, daß er es hier mit einem Polizeidiener
zu thun hatte, »Ruhe herrscht jetzt, und daß der Herr da _ordentliche_
Prügel besehen hat, wird er Ihnen selber bezeugen können. Ich hoffe, Sie
sind nun befriedigt.«

»Doch nicht so ganz,« lachte der Gerichtsdiener, »Sie müssen mit.«

»Verhaften Sie den Kerl im Namen des Gesetzes!« schrie jetzt Strohwisch,
der sich kaum von seiner Betäubung erholt hatte. »Ich bin hier auf die
nichtswürdigste Weise von ihm angefallen und mißhandelt worden;
mein Eigenthum ist dabei zerstört, mein Stock in Selbstvertheidigung
zerschlagen, meine Hose zerrissen und beschmutzt...«

»Die Keile nennt er Selbstvertheidigung!« lachte Jeremias.

»Na,« meinte der Polizeidiener mit einem Blick auf die robuste Gestalt
des Doctors, »Sie sehen mir allerdings aus, als ob Sie sich hätten
wehren können; aber das ist einerlei, Sie mögen das Beide vor Gericht
ausmachen.«

»Aber ich werde doch nicht...«

»Ja, Sie müssen auch mit,« sagte der Mann trocken; »ich kann hier nicht
untersuchen, wer angefangen hat. Also bitte, machen Sie keine Umstände.«

Immer mehr Leute hatten sich indessen in das Haus gedrängt; denn was
sieht das Publikum lieber, als eine Prügelei mit späterer Abführung
der Betheiligten durch die Polizei, die gerade so dazu gehört, wie die
Verlobung von zwei verliebten Paaren am Ende eines Lustspiels.

»Meine Herren,« sagte der Diener der öffentlichen Sicherheit zu den
Eindrängenden mit jener Hochachtung, die er stets Leuten gegenüber
beobachtete, gegen welche »noch nichts Gravirendes bekannt geworden«,
»seien Sie so gut und gehen Sie nach Hause; Sie sehen, es ist Alles
vorüber. Bitte, machen Sie Platz, es kann ja kein Mensch durch.«

Die Leute gaben langsam Raum; aber Doctor Strohwisch brauchte noch
einige Zeit, um seine sehr derangirte Toilette etwas in Ordnung
zu bringen. Er wollte auch noch Schwierigkeiten machen, mit einem
Polizeidiener am hellen Tag durch die Straßen zu gehen, aber es half ihm
nichts. Der Mann des Gesetzes blieb unerbittlich wie das Gesetz selber,
und wenige Minuten später expedirte der würdige Beamte die beiden
Uebelthäter zum innigen Vergnügen einer Anzahl zerlumpt und anständig
gekleideter Straßenjungen nach dem Rathhaus hin. --

Die Straße herab kam Graf Rottack. Er sah ernst und angegriffen aus, und
als er dem Menschenknäuel begegnete, wollte er eben, vor der Berührung
damit zurückscheuend, nach der andern Seite der Straße hinüberbiegen,
als sein Blick auf Jeremias fiel und er erstaunt und verwundert stehen
blieb.

»Aber, Jeremias, um Gottes willen, was haben Sie denn gemacht? Was ist
vorgefallen?«

»Nur eine Kleinigkeit, Herr Graf,« lächelte der kleine Mann, aber doch
etwas verlegen, in solcher Gesellschaft gerade von ihm betroffen zu
werden; »ich und der Herr da geriethen ein wenig aneinander.«

»Ich leiste Bürgschaft für den Herrn,« sagte Felix zu dem
Gerichtsdiener; »mein Name ist Graf Rottack.«

»Thut mir leid, Herr Graf,« erwiderte der Mann ruhig, »das hier nicht
annehmen zu können. Meine Pflicht ist, die beiden Männer auf's Rathhaus
hinaufzuführen und die Anzeige zu machen. Dort notirt dann der Herr
Actuar den Fall, und wenn Sie mit hinaufgehen, so hat es nicht die
geringste Schwierigkeit, daß der Gefangene augenblicklich auf freien Fuß
kommt.«

»Schön.«

»Aber, bester Herr Graf!«

»Gehen Sie nur voran,« lächelte dieser, »denn escortiren möchte ich mich
nicht gern lassen; ich folge Ihnen aber augenblicklich.«

Er zog sich zurück, denn einige der Zuschauer, die vielleicht gehofft
hatten, daß irgend ein gewaltsames Einschreiten oder sonst ein amüsanter
Zwischenfall eintreten könne, preßten näher. Das Rathhaus war nicht weit
entfernt, und nachdem die beiden Feinde, nicht gerade zur Erbauung des
ziemlich bös zugerichteten »Doctors«, noch eine Weile in dem Vorsaal
hatten warten müssen, da gerade ein Dienstmädchen wegen versuchten
Diebstahls verhört wurde, kamen sie endlich vor.

Die Verhandlung war übrigens eine kurze; Jeremias, der vorher seinen
Vor- und Zunamen wie überhaupt eine kurze Lebensbiographie zu Protokoll
geben und erklären mußte, daß er noch nie vor Gericht gestanden,
leugnete nicht, den Doctor Strohwisch zuerst angefaßt und geprügelt
zu haben, und da Graf Rottack jetzt ebenfalls vorgelassen wurde und
erklärte, Bürgschaft für das Erscheinen des Herrn vor Gericht leisten zu
wollen, so wurde der Delinquent entlassen.

Der Doctor, eine allbekannte Persönlichkeit in Haßburg, blieb noch oben,
um seine Klage gegen den Ueberfall zu formuliren und gleich aufnehmen zu
lassen.

»Aber nun sagen Sie mir um Gottes willen, Jeremias,« rief Rottack, als
sie wieder zusammen auf der Straße waren, »was hat Sie denn zu einem
solchen Gewaltstreich bringen können? Wir sind doch hier nicht mehr in
Brasilien!«

»Mein lieber Herr Graf,« sagte der kleine Mann und schämte sich jetzt
ein wenig der Rolle, die er gespielt, »Sie haben Recht -- ich hätt's
nicht thun sollen, aber die Galle lief mir über. Der Mensch war ein
Recensent, und -- da hab' ich noch einmal den Hausknecht herausgekehrt;
aber ich verspreche es Ihnen, es soll zum letzten Mal geschehen sein,
denn ich darf Ihnen doch keine Schande machen!«

»Und was, beim Himmel, haben Sie mit den Recensenten zu thun?« lachte
Graf Rottack.

»Das ist weitläufig, das erzähle ich Ihnen ein andermal. Und wie geht es
der Frau Gräfin?«

»Sie ist unwohl,« seufzte Felix; »manches Leid verwandter Freunde hat
sie tief betroffen und angegriffen. Aber von Ihnen selber weiß ich gar
nichts weiter, seit wir uns bei jenem Fräulein -- wie hieß sie doch
gleich?«

»Bassini.«

»Ja, ganz recht -- bei jenem Fräulein gesehen. Haben Sie Frieden
mit Ihrer Familie geschlossen? Sie hätten uns wohl einmal, als alten
Freunden, Nachricht geben können.«

»Ich gestehe, daß ich wie ein schlechter Kerl gehandelt habe,« rief
Jeremias; »aber erstens wußte ich nicht, ob ich Ihnen recht kam, und
dann hab' ich die Zeit über so viel zu thun gehabt. Aber Gott sei Dank,
es geht Alles recht gut, und wenn Sie es mir erlauben, so komme ich
einmal in diesen Tagen und statte ausführlichen Bericht ab.«

»Das soll ein Wort sein, Jeremias,« sagte Graf Rottack, ihm die Hand
reichend. »Glauben Sie mir, wir haben die alten Freunde noch nicht
vergessen und viel zu wenig neue gefunden, um sie entbehren zu können.«

»Lieber Herr Graf...«

»Auf Wiedersehen, Jeremias!« Und Graf Rottack schritt, tief aufseufzend,
die Straße hinab.




28.

Die Contremine.


Der junge, hoffnungsvolle und in der Blüthe seiner Jahre dahingeraffte
Graf George von Monford war begraben worden und damit die Tragödie, die
einige Tage die Stadt beschäftigt, zu Ende gespielt. Sein Gegner,
der junge Graf Bolten, schien seit der Zeit verschwunden; er hatte
jedenfalls den Staat verlassen, und die Secundanten wurden verhört und
sahen ihrer formellen Strafe entgegen, die ihnen aber jedenfalls leicht
genug gemacht wurde.

Es ist auch eine eigene Sache um das Duell und die dagegen erlassenen
Gesetze. Wir Alle sind wohl darüber einig, daß es eine gegen die
Moralität verstoßende Sitte ist, wenn zwei Menschen in der Absicht,
einander zu tödten, gegen einander auftreten. Wir finden es auch
natürlich, daß der Staat eine Strafe darauf setzt, aber wie Wenige von
denen, die wirklich gegen eine solche »Unsitte« streiten, würden sich
selber ihr entziehen, wenn sie sich zu einem solchen Kampf gezwungen
sähen!

Ich bin weit davon entfernt, Die zu tadeln, die aus moralischen oder
religiösen Bedenken das Duell durchaus für sündlich halten und sich
deshalb nicht schlagen. Es ist das eine Gewissenssache, über die kein
Anderer ein Recht hat zu urtheilen -- aber man soll auch Die nicht
verdammen, die mit einem -- möglicher Weise irrigen Ehrgefühl eine
erlittene Beleidigung nur glauben durch Blut auswaschen zu können. Auch
bei ihnen ist es eine Gewissenssache, und wenn hierbei eine Majorität
entscheiden könnte, so wären sie ganz entschieden und unzweifelhaft im
Recht.

Muth? -- Es ist möglich, daß mehr moralischer Muth dazu gehört, eine
Herausforderung abzulehnen, als sie anzunehmen; aber das Duell selber
ist noch ein letztes Ueberbleibsel fast der alten, kräftigen Ritterzeit,
wo der Mann auch für sein eigenes gutes Recht einstand und nicht um
jeden Quark die Polizei belästigte. Das Duell hat manchen Uebelstand,
ja; mancher Streit wäre auch vielleicht ohne solch ein gewaltsames
Mittel beizulegen gewesen, mancher Familie endloser Jammer, namenloses
Leid erspart worden, aber trotzdem ist es in vielen Fällen nicht
möglich, es zu vermeiden. Es ist ein anerkanntes Uebel, aber ein
nothwendiges, und nur eine Umwandlung unserer Ansichten und Meinungen
könnte dem Zweikampf ein Ende machen.

Hier freilich hatte alte Sitte ein furchtbares und schweres Opfer
gekostet, den einzigen Sohn des Hauses, das letzte Kind, und wie das
Glück in früheren Jahren nicht müde geworden schien, all' seine Gaben
mit verschwenderischen Händen über die von Tausenden beneidete Familie
auszustreuen, so unerbittlich schritt jetzt das Unglück durch die
verödeten Räume seine erbarmungslose Bahn, das Haus der Freude in ein
Haus des Jammers wandelnd.

Der junge Graf war, von einem prächtigen Leichengepränge begleitet, in
die Familiengruft beigesetzt worden, und wie die unglücklichen Eltern
in das Schloß zurückkehrten, schien das sonst so gastfreie und allen
geselligen Freuden geöffnete Haus in ein düsteres Kloster verwandelt zu
sein.

Draußen das blitzende Thürschloß des Gartenthors deckte, der englischen
Sitte nach, ein Trauerflor -- der größte Theil der Dienerschaft war
entlassen worden; der alte Graf wollte die vielen Menschen nicht mehr um
sich sehen, die Fenster wurden verhängt und nur so weit geöffnet, um
das nöthigste Tageslicht herein zu lassen, und die Gräfin selber lag
gebrochen auf ihrem Bett.

Der Verlust Paula's hatte sie erschüttert, aber weit mehr ihren Zorn als
ihren Schmerz erweckt; der Verlust des Sohnes, an dem ihr Herz mit aller
Liebe hing, deren es nur fähig war, brach die Kraft, die sie bis dahin
aufrecht gehalten, und sie gab sich jetzt so wild und rücksichtsvoll
ihrem Grame hin, als sie den vorher hart und kalt in ihrer Brust
zurückgehalten.

Das war ein trauriges Leben jetzt in dem sonst so fröhlichen Hause, und
der alte Haushofmeister schlich wie ein Geist in den Räumen umher, als
ob er die Verlorenen suche und ihren Verlust noch nicht glauben könne,
noch nicht denken möge. So aufmerksam er aber dabei den Grafen selber
bediente, so scheu hielt er sich von der bis dahin geliebten Herrin
zurück, denn an dem Abend, an dem sie den Brief seiner lieben kleinen
Comtesse kalt und erbarmungslos in die verzehrende Flamme warf, hatte
sich sein Herz ihr entfremdet, und wieder und wieder zuckte ihm der
Gedanke durch den alten Kopf, daß Gottes Strafgericht dafür das jetzt
dem Untergang geweihte Haus betroffen habe.

Der Graf selber freilich brauchte fast keine Bedienung. Er verließ sein
Zimmer nur dann und wann, um eine halbe Stunde auf der Terrasse auf und
ab zu gehen und frische Luft zu schöpfen, fühlte sich aber so schwach,
daß ihn ein Diener dabei unterstützen mußte. Er sprach auch wohl immer
vom Reisen und befahl dem Haushofmeister drei-, viermal im Tage, die
Koffer zu packen und Alles herzurichten, aber der Ober-Medicinalrath,
der Morgens und Abends kam, schüttelte dazu mit dem Kopf.

Der Graf war unmittelbar nach den gehabten Aufregungen viel zu schwach,
um jetzt an eine Reise denken zu können. Er mußte sich jedenfalls erst
wieder, eine kurze Zeit wenigstens, erholen. In vier oder sechs Wochen
ließ sich eher darüber reden. Jetzt brauchte er vor allen Dingen
sorgsame Pflege und Ruhe.

Ruhe, Du großer Gott, Ruhe herrschte allerdings in dem Hause, aber die
Ruhe des Grabes, und wie schon Jeder die Stätte der Trauer von selber
mied, wurden selbst die wenigen Personen, die theilnehmend Trost spenden
wollten, abgewiesen.

Auch Graf Rottack war hinaufgefahren, um den Unglücklichen sein inniges
Beileid auszusprechen und vielleicht zugleich etwas Näheres über
Paula's jetzigen Aufenthalt zu erfahren, um die sich Helene sorgte und
abängstigte; aber weder Graf noch Gräfin nahmen einen Besuch an. Sie
ließen der Nachfrage danken, fühlten sich aber jetzt zu leidend, um
Fremde zu empfangen.

Rottack wandte sich sogar an den Haushofmeister, um von diesem etwas
über den gegenwärtigen Aufenthalt der Comtesse zu hören. Lieber Gott,
der alte Mann wußte selber nichts darüber und liebte seine Herrschaft
viel zu sehr, das von ihr weiter zu erzählen, daß sie mit eigenen Händen
die einzige Kunde ihres verlorenen Kindes vernichtet hätten -- und ein
weiterer Brief war doch nicht eingetroffen.

Graf Rottack mußte unverrichteter Sache wieder nach Haßburg
zurückkehren.

Empört war er aber hier, in dem sogenannten Stadtblatt einen ganz
gemeinen Artikel über die Verhältnisse des Monford'schen Hauses zu
lesen, auf welches Doctor Strohwisch eine specielle Malice zu haben
schien. Es ist wahr, der alte Graf hatte ihn früher nicht mit der
Hochachtung behandelt, die er glaubte als Vertreter der Presse
beanspruchen zu dürfen. Sein erster Besuch im Schlosse war allerdings
angenommen, aber nicht einmal durch eine abgegebene Karte erwidert
worden, sein zweiter schlug total fehl, und nicht eine einzige Einladung
war an ihn, trotz aller »Feste und Gelage«, wie er es nannte, ergangen.
Man hatte ihn vollständig ignorirt, und er konnte deshalb eine so
günstige Gelegenheit, sich zu rächen, nicht unbenutzt vorüber lassen.

Leider verfehlte er aber dadurch vollkommen den beabsichtigten Zweck,
denn die Familie Monford war in Haßburg wirklich beliebt gewesen. Die
alten Herrschaften galten allerdings für stolz, aber kein
Nothleidender hatte je ihre Thür unbeschenkt verlassen, alle Armen-
und Wohlthätigkeits-Anstalten der Stadt waren von ihnen stets auf das
Freigebigste bedacht worden, und der junge Graf und die Comtesse durch
ihre Liebenswürdigkeit und ihr offenes, freundliches Betragen gegen
Jeden, mit dem sie in Berührung kamen, allbeliebt in ganz Haßburg
gewesen. Das furchtbare Schicksal der Eltern bei so schwerem Verlust
trug dann ebenfalls noch dazu bei, alle Schatten in dem allerdings etwas
übermüthigen Charakter der Gräfin selber zu verwischen; was mußte ihr
Mutterherz jetzt empfinden. -- Desto unangenehmer wurden die Leser fast
ohne Ausnahme von der rücksichtslosen Schadenfreude berührt, mit welcher
ein Leitartikel des Blattes das Unglück dieses edlen Hauses besprach.

Einen unglücklicheren Moment hätte Strohwisch auch nicht wählen können,
wenn ihm wirklich ein Erfolg am Herzen lag, als in derselben Nummer
den Versuch zu machen, die Entrüstung des Publikums gegen die
Theaterdirection aufzurufen, die an diesem Abend die Keckheit haben
wollte, ihnen Herrn Horatius Rebe nochmals als _Fiesco_ aufzuzwingen,
dem er ein gänzliches _Fiasco_ prophezeite.

Das Blatt wurde Herrn Rebe unter Kreuzband in's Haus geschickt.

Jeremias hatte es ebenfalls gelesen, aber er ließ sich an dem ganzen Tag
nicht bei Pfeffers blicken, sondern lief in einer merkwürdigen und an
ihm sehr ungewöhnlichen Aufregung in der Stadt herum. Die Klagesache mit
Strohwisch konnte es auch nicht sein, denn die war schon abgemacht und
er dieses Mal mit einer nicht unbeträchtlichen Geldstrafe davongekommen.
Er tauchte auch oft in abgelegenen Straßen in kleine, ganz unansehnliche
Spelunken ein, mit deren Bewohnern er einige Zeit verkehrte, stieg in
_dem_ Hause in den dritten, in jenem in den vierten Stock hinauf, und
entwickelte überhaupt eine Thätigkeit, wie er sie vielleicht seit seinen
Dienstjahren in Brasilien nicht mehr gezeigt hatte.

Um zwölf Uhr suchte er dabei kein Hotel auf, um sich nach der
ungewohnten Anstrengung zu restauriren, sondern eine ganz gewöhnliche,
noch dazu außer dem Weg gelegene Bierkneipe und Schenkwirthschaft, wo
er sich ein Glas Bier und eine Portion Graupen und Rindfleisch, die
einzigen Gegenstände, die auf der Speisekarte standen, geben ließ.

Er hatte dort aber noch nicht lange gesessen -- und es war dabei
augenscheinlich, daß er Jemanden erwartete, denn er sah fortwährend nach
der Thür -- als Peters, der Theaterdiener, auf der Schwelle erschien,
ihm ziemlich vertraut zunickte, seinen alten Hut an einen Nagel hing und
sich dann, wie zu einem alten Bekannten, neben ihn setzte.

»Na, das ist gescheidt, Peters, daß Ihr kommt,« sagte Jeremias.

»Werde doch die Fütterung nicht versäumen,« bemerkte dieser, »wo sollte
nachher die Kraft und Ausdauer herkommen!«

»Und Alles in Ordnung?«

»Alles; aber ich sage Ihnen, Herr Stelzhammer, ich fühle meine Beine
nicht, und habe den letzten Groschen von dem Gelde ausgegeben!«

»Hier ist mehr,« nickte ihm Jeremias zu, indem er ihm eine
Zwanziggulden-Note in die Hand drückte, »wenn es die Leute nur
vernünftig anfangen, daß es nicht auffällig wird.«

»Na, da können Sie sich ganz auf mich verlassen, aber der Durst...«

»Kellner, zwei Glas Bier!«

»Darin, dächt' ich, hätt' ich einige Uebung,« fuhr Peters fort, und
wischte sich schon im voraus nach dem Bier den Mund, »Alles mit dem
gehörigen Avec und zur rechten Zeit!«

»Und wenn welche pfeifen?«

»Desto besser, die werden hinausgefuhrwerkt. Uebrigens habe ich mir noch
einen Hauptkerl für derlei Sachen -- ein außerordentlich nützliches
Mitglied, wie unser Director sagt, hier um zwölf Uhr herbestellt, weil
ich ihn nicht zu Hause traf.«

»So? kommt er?«

»Gewiß; es ist eine Art verdorbenes Genie, der Gelegenheitsgedichte
und dergleichen macht und eigentlich mit dem »Doctor« befreundet; aber,
lieber Gott, er hat immer Durst; Ihr Wohl, Herr Stelzhammer, und ein
paar Gulden mehr auf die eine Seite können da schon 'was ausrichten!«

»Sie wissen, Herr Peters, daß es mir auf ein paar Gulden nicht ankommt.«

»Sehr hübsch von Ihnen, Herr Stelzhammer,« bemerkte Peters, »wollte, ich
könnte dasselbe von mir sagen.«

»Wenn die Sache gut abläuft, soll es Ihr Schade gewiß nicht sein!«

»Was thut man nicht im Interesse der Direction,« bemerkte Peters
bescheiden, »und wenn uns der Rebe nur ein klein wenig hilft, und ich
bin fest überzeugt, er wird seine Sache gut machen, so -- aber da kommt
er,« stieß er plötzlich seinen Nachbar heimlich mit dem Ellbogen an.
»Das ist der Hauptmatador von Allen -- aber jetzt ruhig, daß er nichts
merkt. Lassen Sie mich nur machen.«

Der Eintretende war eine ganz auffallende Erscheinung, ein baumstarker
Mensch mit blonden Haaren und blauen, etwas verschwommenen Augen. Die
Nase dabei ein wenig geröthet, das Gesicht unrasirt, ging er, in einen
braunen, sehr abgetragenen Ueberrock, trotz der warmen Witterung, bis
oben hin eingeknöpft, so daß auch nicht die Spur von reiner Wäsche
sichtbar wurde. Den Hut hatte er dabei keck und zuversichtlich auf einem
Ohr sitzen und in der Hand trug er ein dickes spanisches Rohr.

Wie er in die Thür trat, warf er einen Blick in das noch sehr spärlich
besetzte Zimmer, bemerkte Peters, nickte ihm huldvoll zu, hing dann
ebenfalls seinen Hut an den Nagel und setzte sich, ohne Jeremias weiter
zu beachten, dem Theaterdiener gerade gegenüber.

»Wollen Sie mit essen?« fragte der etwas schmutzig aussehende Kellner
ohne viele Umstände, »Graupen und Rindfleisch!«

»Danke -- Glas Bier!« war die Antwort. »Nun, Peters, wie geht's? Was
treibt Ihr?«

»Haben Sie denn schon gegessen, Herr Walther?« fragte dieser.

»Ich? -- hm -- nein -- speise gewöhnlich später...«

»Na, aber dann zur Gesellschaft. -- Heh, Kellner, Couvert für den
Herrn!« rief Peters, der sich alle gesellschaftlichen Formen angeeignet
hatte. »Die Herren kennen sich wohl noch nicht? Herr Walther, eine
literarische Größe; Herr Stelzhammer, ein Kaufmann aus Brasilien!«

»Sehr angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen,« sagte Herr Walther mit
einem völlig gleichgültigen Gesicht, indem er verlangend nach dem eben
gebrachten Bier hinüber sah, und auch drei Viertel des Glases auf einen
Zug leerte. »Was wollten Sie denn, Peters? Sie waren bei mir im Hause.
Ich hatte einige Besuche zu machen.«

»Sind Sie schon auf heut Abend engagirt, Herr Walther?« fragte Peters,
der weitere Umstände nicht für nöthig hielt.

Herr Walther nickte einfach, während er die für ihn bestellten
Speisen in Empfang nahm und trotzdem, daß er sonst später speiste, mit
außerordentlichem Erfolg zu bearbeiten begann.

»Alle Wetter,« rief Peters, »das wäre mir aber nicht lieb! Sie selber
würden viel dabei versäumen, Herr Walther, denn es liegt uns viel daran,
daß die Vorstellung heut Abend eine befriedigende ist!«

»So?« sagte Herr Walther.

»Aber vielleicht ließe es sich doch noch vereinigen.«

»Möchte wohl schwerlich gehen, Peters, -- ich werde pfeifen,« sagte der
Herr mit einer bodenlosen Ruhe.

Jeremias zuckte zusammen, Peters gab ihm aber unter dem Tisch einen Stoß
mit dem Fuß.

»Hm,« meinte er dann, als ob in der Antwort nicht das geringste
Außergewöhnliche gelegen hätte, »das ist dann freilich etwas Anderes.
Schade, aber wenn's nicht ist, ist es nicht -- Sie hätten indeß ein
schön Stück Geld verdienen können!«

»Bah,« sagte Herr Walther verächtlich, und kaute das nicht ganz zarte
Stück Rindfleisch, »was Ihr schön Stück Geld nennt -- frei Entrée und
einen halben Gulden Klopfgeld. Die andere Seite ist bequemer, dabei kann
ich die Hände in den Taschen behalten.«

»Ja, halben Gulden,« lachte Peters, »da wäret Ihr dieses Mal schön
angekommen -- mit halben Gulden wird sich nicht befaßt, aber, wie
gesagt, wenn's nicht ist, ist es nicht,« und dabei fiel er wieder über
das Rindfleisch her.

Herr Walther saß ihnen eine Zeit lang schweigend gegenüber und sein
Blick streifte dabei ein paar Mal Jeremias. Daß der mit darunter stak,
hatte er im Nu weg, und der Mann sah noch dazu aus, als ob er zahlen
könne. Er trank sein Bier aus.

»Kellner, unsere Gläser sind leer!« sagte Jeremias, und Peters nickte
bestätigend mit dem Kopf. Der Riese machte eine halbe Verbeugung gegen
den kleinen Mann, als Anerkennung seines Verdienstes um das öffentliche
Wohl, nahm aber das Gespräch nicht wieder auf und schien die Sache an
sich kommen zu lassen. Peters aber sagte auch nichts weiter, eine höchst
überflüssige Bemerkung ausgenommen, daß er heute einen entsetzlichen
Durst habe, und trank stark dabei.

»Kellner, unsere Gläser sind leer!« rief Jeremias wieder nach einer gar
nicht etwa so langen Pause.

»Bitte,« sagte dieses Mal Herr Walther, schob aber doch dem Kellner sein
geleertes Glas hin. Die Stille wurde ihm aber unheimlich -- mit Essen
waren sie fertig. Jeremias nahm seine Cigarrentasche heraus, zündete
sich eine Cigarre an und offerirte dieselbe dann dem Gegenübersitzenden
und Peters. Beide Herren acceptirten.

»Donnerwetter,« sagte Peters, »das ist 'was Feines -- allen Respect!«

»Ausgezeichnet,« bemerkte Herr Walther, und blies den Rauch mit
Kennermiene durch die Nase. Sein =vis-à-vis= stieg augenscheinlich in
seiner Achtung; Strohwisch rauchte nichtswürdige Cigarren.

Der kleine Jeremias war aber ein praktischer Geschäftsmann und fühlte,
daß jetzt die beiden würdigen Leute viel besser mit einander zu Stande
kommen würden, wenn er nicht dabei wäre. Seine Gegenwart störte mehr,
als daß sie half. Er stand auf und sagte: »Ach, lieber Herr Peters, Sie
entschuldigen mich wohl; ich habe noch in der Nachbarschaft etwas zu
thun und hole Sie in einer Viertelstunde wieder ab, berichtigt ist Alles
-- habe die Ehre« -- und dabei drückte er dem Theaterdiener noch einen
Zehngulden-Schein in die Hand, aber so, daß Herr Walther Zeuge der
Bewegung sein mußte. Dann machte er einen kleinen Spaziergang, und
zwar eine volle Viertelstunde. Als er aber wieder in die Schenke
zurückkehrte, fand er Peters allein vor, der mit freudestrahlendem
Gesicht hinter einem frischen Kruge Bier saß.

»Nun?«

»Alles in Ordnung,« lachte dieser, »Sie alter Menschenkenner Sie --
capital gemacht -- ausgeßeugnet. Mit Ihnen möchte ich öfter zu thun
haben. Donnerwetter, wenn ich da bedenke, wie zäh unser Alter ist!«

»Und er wird _nicht_ pfeifen?« sagte Jeremias.

»Das Unmögliche dürfen wir nicht verlangen,« erwiderte achselzuckend
Peters, »aber -- er läßt sich 'rausschmeißen, und damit haben wir Alles
gewonnen. -- Ja, Sie lachen,« fuhr Peters halb beleidigt fort, »aber
glauben Sie etwa, daß das eine Kleinigkeit ist? Wenn _der_ Stand halten
will, bringen ihn zwölf Menschen nicht hinaus, und zu großen Skandal
müssen wir vermeiden, sonst mischt sich doch die Polizei hinein. So aber
ist Alles in Ordnung. Pfeifen muß er, das sieht ein Kind ein; er hat das
Geld dafür schon genommen, aber er bleibt nahe an der Thür stehen,
dann fuhrwerken wir ihn wie der Wind hinaus, und damit ist der ganzen
Opposition die Spitze abgebrochen.«

»Und das kostet?«

»Ein Heidengeld -- fünfzehn Gulden; er wollte es aber nicht einen
Kreuzer billiger thun. Seine Ehre stände auf dem Spiel.«

»Gut,« lachte Jeremias vergnügt; »kommt nicht darauf an, und für die
Uebrigen stehen Sie?«

»Jetzt habe ich keine Sorge weiter,« rief Peters, »nun muß ich aber
fort. Donnerwetter, es ist schon ein Uhr vorbei, und ich kann nur die
Beine unter die Arme nehmen!«

»Haben Sie noch etwas getrunken?«

»Nur noch vier Glas -- das geht jetzt mit auf die große Rechnung --
also adieu, Herr Stelzhammer, bei Pompeji sehen wir uns wieder.« Und mit
einer eleganten Verbeugung schoß er aus dem Zimmer. --

»Fiesco oder die Verschwörung zu Genua. Fiesco, Graf von Lavagna -- Herr
Rebe« stand mit groß gedruckten Buchstaben auf den feuerrothen Zetteln,
die überall in der Stadt angeklebt waren und die Augen auf sich lenken
mußten.

Zugleich hatte sich aber -- wer weiß denn durch wen solche Sachen
bekannt werden -- das Gerücht verbreitet, Rebe würde heut Abend
ausgezischt werden, und wer nicht aus Theilnahme für das Stück und die
Darsteller hineinging, suchte sich ein Billet zu verschaffen, um den
Skandal mit anzusehen, so daß schon um vier Uhr an der Kasse sämmtliche
Plätze vergriffen waren.

Insofern hatte der Director also ganz richtig speculirt. Er bekam ein
ausverkauftes Haus, sogar das Orchester mußte geräumt werden, und im
Uebrigen war er nach keiner Seite hin gebunden; er konnte daß Resultat
ruhig mit ansehen.

Rebe selber erfuhr von allen den gegen und für ihn gespielten Intriguen
natürlich nichts, denn er hielt sich den ganzen Tag in seinem Zimmer
verschlossen, um seine Rolle noch einmal fleißig durchzugehen. Ein paar
Mal hörte er Schritte auf der Treppe, und es klopfte bei ihm an, aber
er gab keine Antwort; denn nur dem Theaterdiener hatte er ein bestimmtes
Anpochen gelehrt, wie er sich bemerklich machen sollte, wenn er
vielleicht irgend etwas von der Direction zu bestellen hätte. Aber
dieser kam nicht, und allen Anderen blieb die Thür verschlossen.

So kam die Theaterzeit heran, und schon eine Stunde vor Oeffnung der
Kasse drängte sich das Publikum der Gallerie und des Steh-Parterres vor
den verschiedenen Thüren des Eingangs, mit Ungeduld die Erschließung
derselben erwartend, und kaum geöffnet, füllten sich die Räume.

Die =haute volée= kam später, aber sie kam, denn Viele hatten an jenem
ersten Abend dem so plötzlichen Auftreten Rebe's nicht beiwohnen können,
und man war überhaupt neugierig geworden, wie sich ein junger Künstler,
den man bis jetzt gewohnt gewesen als Statisten zu betrachten,
entwickeln würde. Außerdem sollte er ja auch des vielbesprochenen Handor
Platz einnehmen. Wirkliches Interesse für ihn fühlten nur Wenige. Was
kümmerte sie der Schauspieler, sie wollten sich amüsiren, und wenn es im
Theater ein wenig Skandal gab, desto besser; welchen trefflichen
Unterhaltungsstoff hatte man dann wieder auf morgen! Daß die Existenz
eines jungen Talents auf dem Spiel stand -- wer dachte daran, oder
sorgte sich deshalb?

Wie die Vorstellung aber heranrückte, wurde dem Director doch nicht
wohl bei der Sache, denn durch seine Kundschafter hatte er schon lange
erfahren, was für den Abend beabsichtigt, und wer dabei betheiligt war.
Und wo stak Peters? Ob er des Menschen wohl habhaft werden konnte, der
wie ein losgelassener Irrwisch in der Stadt umherschoß! Aber was konnte
ihm Peters auch helfen?

  »Was will gescheh'n, es mag gescheh'n!«

declamirte er mit Pathos vor sich hin und ging dann in's Theater und auf
die Bühne, um zu sehen, ob dort wenigstens Alles in Ordnung und keine
Störung zu befürchten wäre.

Den Schauspielern selber hatte die Stimmung im Publikum aber auch nicht
verborgen bleiben können, und sie wußten aus eigener Erfahrung, welch
böses Zeichen es ist, wenn schon im Voraus bei einem Stück Skandal
angekündigt wird. Es giebt immer eine Masse nutzloses Volk, das mehr
Freude daran, als an einer guten Aufführung findet, und zuletzt den
Skandal, wenn er wirklich nicht ausbrechen sollte, provocirt.

Sie Alle wußten aber nicht, wie des Doctors Strohwisch boshafter Artikel
durch den Aufsatz über die Monford'sche Familie völlig paralysirt
worden. Der bessere Theil des Publikums, und, Gott sei Dank, bei jedem
Publikum die Mehrzahl, war entschieden entrüstet darüber, und dadurch
auch fest entschlossen, seinen Beifall nicht zurückzuhalten, wenn ihn
der Schauspieler wirklich verdienen sollte. Was sich dann im Parterre
vorbereitete, mußte man eben abwarten.

Um sechs Uhr sollte die Vorstellung beginnen. Etwa eine halbe
Stunde vorher betrat Jeremias, ziemlich erschöpft von dem heutigen
ereignißvollen Tag, Graf Rottack's Wohnung und wurde von dem Diener, der
ihn rasch wiedererkannte, sogleich gemeldet.

Graf Rottack war allein im Zimmer, als Jeremias in einer Transpiration,
die nichts zu wünschen übrig ließ, dasselbe betrat.

»Nun, Jeremias, wie geht's?« redete ihn der junge Graf freundlich an.
»Sie haben sich lange nicht bei uns sehen lassen. Was treiben Sie?«

»Was ich in meinem Leben nicht geglaubt hätte, Herr Graf,« sagte der
kleine Mann, sich den ganzen Kopf abtrocknend; »ich werbe Leute an, um
im Theater zu applaudiren.«

»Wollen Sie selber auftreten?« lachte Felix. »Dann stelle ich Ihnen
meine Hände ebenfalls zur Verfügung.«

»Danke Ihnen,« nickte Jeremias, »ich nehme sie an, wenn auch nicht für
mich selber. Aber ich bin Ihnen noch die Erzählung von meinem neulichen
Abenteuer schuldig, und wenn Sie einen Augenblick Zeit hätten, denn
lange kann ich selber nicht...«

»Setzen Sie sich, Jeremias -- für Sie immer.«

Jeremias ließ sich nicht lange nöthigen und erzählte jetzt dem jungen
Grafen mit kurzen Worten zwar, aber immer dabei nur das Hauptsächlichste
hervorhebend, seine eigene kleine Familienangelegenheit, zu welcher
der Schauspieler Rebe und dessen neulicher Erfolg in engster Beziehung
stand; dann die Bosheit jenes Literaten und sein neuliches Begegnen
mit demselben, und jetzt dessen rachsüchtige Machinationen, um den ihm
verhaßten Menschen zu stürzen, und seine eigene Contremine dagegen.

Rottack, welcher der Erzählung mit der gespanntesten Aufmerksamkeit
gelauscht, denn Handor's Flucht stand ja in der genauesten Beziehung
dazu, seufzte tief auf.

»Wie wunderbar das in der Welt ist,« sagte er, »daß Eines Glück des
Andern Elend birgt! Während durch jenes Menschen Flucht Ihr junger
Freund Lorbeern erntet und sich eine Existenz erringt, geht auf der
andern Seite darüber ein altes edles Haus zu Trümmern.«

»Ja, Du lieber Gott,« sagte Jeremias achselzuckend, »wie manches edle
Haus wird auch mit dem Untergang vieler armen Familien aufgebaut! Wer
kann's ändern? Der Himmel helfe dem nur, den's trifft; wir Anderen
schwimmen indessen sachte weiter. Aber, Herr Graf, was ich Sie fragen
wollte: gehen Sie heut Abend in's Theater?«

»Ich hatte nicht die Absicht, Jeremias. Meine arme Helene fühlt sich
noch recht angegriffen, und ich selber bin, aufrichtig gestanden, gerade
nicht in der Stimmung, Komödie zu sehen.«

»Sollte mir sehr leid thun,« sagte Jeremias, »ich hatte fest auf Sie
gerechnet.«

»Auf mich?«

»Ja, und Ihnen auch schon ein Billet besorgt für den ersten Rang.«

»Für mich?« lachte Felix. »Aber, bester Jeremias, wenn ich das Theater
besuchen wollte, würde ich mir doch das selber besorgen.«

»Kriegen aber keins mehr,« rief Jeremias, »das ist ja gerade die
Geschichte, nicht um eine Million; Alles ausverkauft bis in die Puppen
hinauf.«

»So voll wird es?«

»Na, da kommen Sie schön an; die eine Hälfte von Haßburg sitzt drin und
die andere steht vor der Thür.«

»In der That? Und hat Ihr Rebe wirklich brav gespielt?«

»Das nicht allein, er ist auch ein ehrlicher, anständiger Kerl, der sich
auf so gemeine Kniffe nicht einläßt, und da...«

»Haben _Sie_ ihm das besorgt,« lächelte Felix.

»'s ist beinahe so 'was; aber thun Sie mir den Gefallen und gehen Sie,
's ist wahrhaftig ein gutes Werk!«

»Und ich soll auch applaudiren?«

»Was Sie können; ziehen Sie nur keine Glacéhandschuhe an, es flappt
besser.«

»Das ist nicht übel,« lachte Rottack gerade heraus; »da werben Sie mich
also mit einem Freibillet zum Claqueur?«

»Nennen Sie's, wie Sie wollen, aber hauen Sie nur tüchtig ein,« rief der
kleine unverwüstliche Bursche; »ich wirke unten.«

Graf Rottack schüttelte den Kopf. »Gut, Jeremias,« sagte er endlich,
»ich will gehen.«

»Bravo! Der erste Rang ist die Hauptsache.«

»Aber ich habe eine Bedingung zu stellen.«

»Stellen Sie.«

»Sie sind mit vielen Leuten des Theaters bekannt?«

Jeremias nickte.

»Schön, so bitte ich Sie, genaue Nachforschungen zu halten, ob jener
Handor nicht wieder irgendwo aufgetaucht und wo er dann zu finden ist.«

»Der ist Ihnen wohl auch noch schuldig?« rief Jeremias. »Ja, der hat
Gott und die Welt angepumpt.«

»Das nicht,« lächelte Graf Rottack; »aber mir liegt sehr viel daran,
seinen jetzigen Aufenthaltsort zu erfahren, und ich würde Ihnen
unendlich dankbar sein, wenn Sie mir Auskunft darüber brächten.«

»Ja, was an mir liegt, mein lieber Herr Graf, da können Sie sich fest
darauf verlassen. Ich habe freilich noch nicht viel Bekannte, aber
Pfeffer kennt die ganze Theaterwelt von A bis Z, und was der Eine
da nicht weiß, weiß der Andere. Irgendwo muß er ja doch wieder zum
Vorschein kommen.«

»Also verlasse ich mich auf Sie.«

»Das können Sie, und wenn -- Hurrjeh, da schlägt's Sechs -- machen Sie,
daß Sie hinüberkommen!« Und wie der Blitz war er zur Thür hinaus.

Er hatte sich auch in der That nicht verhört; die Schloßuhr schlug
gerade noch, als er vor die Thür trat, und er lief jetzt mehr, als er
ging, dem Theater zu, um sich, dort angekommen, zu seinem Sperrsitz
durchzuarbeiten.

Das Orchester beendete eben sein Vorspiel, und Jeremias hatte gerade
noch Zeit, einen Blick im Theater selber umher zu werfen, wo Kopf an
Kopf dicht gedrängt saß, als der Vorhang aufging.

Fräulein Rottenhöfer als Leonore trat auf; aber sie spielte heut Abend
befangen, und kein Wunder, denn überall im Theater hatte sich schon das
Gerücht eines beabsichtigten Tumults kund gegeben, und die Schauspieler
selber konnten unmöglich unter diesem Eindruck ihre Ruhe bewahren.

Pfeffer, heute übrigens nicht beschäftigt, ging in Todesangst hinter der
Scene auf und ab und allen Menschen scheu aus dem Wege, und der Director
selber hatte sich in seine kleine, völlig versteckte Loge geflüchtet,
von wo er Alles übersehen und doch selber nicht gesehen werden konnte.

Jetzt kam die vierte Scene mit Julia und Fiesco, und im Parterre lachte
Jemand laut; aber Alles sah ihn an, es war zu früh und wurde Ruhe
geboten.

Rebe übertraf sich selber; mit voller Ruhe und edlem Anstand und zuletzt
mit glühender, hinreißender Leidenschaft spielte er die Scene durch.
Seine ganze Persönlichkeit paßte dabei vortrefflich zu dem Grafen
Lavagna; ein reiches, geschmackvolles Costüm hob sie noch mehr hervor,
und die Damen waren entzückt von ihm.

Im Parterre wurde jetzt hier und da leise mit einander geflüstert, aber
da bei seinem Abgang kein Zeichen des Beifalls gegeben wurde, unterblieb
auch jede Gegendemonstration.

Jeremias hatte indessen immer vom Parket aus nach dem ihm bekannten
Platz im ersten Rang hinaufgesehen, ob Graf Rottack noch nicht
erschienen wäre.

Jetzt trat Fiesco wieder auf, und in der nächsten Scene mit den drei
schwarzen Masken erschien auch Graf Rottack und nahm seinen Platz ein.
Auch diese Scene ging vorüber und die mit Bourgognino, und jetzt kam die
Hauptscene mit dem Mohren, den Höfken ganz vortrefflich gab. Aber auch
hier regte sich noch nichts. Es war ordentlich, als ob Alle, die Rebe's
Spiel befriedigte, gefürchtet hätten, durch irgend ein Beifallszeichen
den angedrohten Tumult hervorzurufen, und die Gegenpartei schien strenge
Ordre zu haben, nicht zu beginnen, weil sie sich dadurch leicht in
Nachtheil setzen konnte.

Der Vorhang fiel, Todtenstille herrschte im Hause, bis sich dieselbe in
ein lautes Flüstern auflöste. Jeremias war aufgestanden und hatte sich
umgedreht. Sein Blick fiel auf ein rothes, dickes Gesicht mit blonden
Haaren, das ihm lächelnd zunickte, -- das war richtig Herr Walther. Er
stand nicht weit von der Thür, und wie er weiter suchte, erkannte er
auch mitten im Parket, aber auf einer der letzten Bänke desselben, den
Doctor Strohwisch, der ihn hämisch und wie triumphirend belorgnettirte.
Jeremias lief die Galle über. War der Bursche seines Sieges so gewiß?

Aber der Vorhang ging wieder auf, und jetzt ließ sich die für Alle
unerträglich werdende Aufregung nicht länger zurückhalten.

Schon in Fiesco's erstem Auftreten mit dem Mohren sprach Rebe die Worte:
»Von einem Schurken das anzuhören!« so ganz vortrefflich, daß im ersten
Range Einige applaudirten, unter ihnen Rottack; im Parterre wurde darauf
an zwei, drei Orten gezischt, aber das konnte auch Ruhe bedeuten. Damit
aber hatte der Kampf begonnen, denn die vorhin ihren Beifall gezeigt,
ärgerten sich jetzt, daß sie Jemand daran verhindern wollte.

Das Flüstern steigerte sich während der folgenden Scenen, die Rebe ganz
vortrefflich gab, wozu Director Krüger hinter seinem Gitter fortwährend
beifällig mit dem Kopf nickte; und als er sich vom Mohren den Arm ritzen
ließ und mit dem Ausruf: »Mörder! Mörder! Besetzt die Wege, -- riegelt
die Pforten zu!« abstürzte, kam es zum Ausbruch.

Jetzt wurde nicht allein vom Parterre aus, sondern auch vom ersten und
zweiten Range lebhaft applaudirt, während an den verschiedensten Stellen
das Zischen die Bravos zu übertäuben suchte.

Leonore und Rosa traten rasch auf, konnten aber nicht zu Worte kommen
und zogen sich bestürzt zurück. Darüber wurde gelacht, und jetzt ertönte
der erste Pfiff, mit dem Herr Walther selber das Zeichen gab und der an
verschiedenen Seiten ein Echo fand.

»Da haben wir's,« stöhnte Krüger und sank in seinen Stuhl zurück; »oh,
dieser Strohwisch!«

Aber die Opposition war stärker, als die Pfeifer vermuthet hatten.
Im Parterre wurde eine Bewegung bemerkbar, und nach verschiedenen
Richtungen hin drängten sich Menschen, während Parket und erster Rang
plötzlich fest entschlossen schienen, ihren mit Recht gespendeten
Beifall nicht übertäuben zu lassen.

»Rebe heraus!« tönte es auf einmal an verschiedenen Stellen, und ein
gellendes Pfeifen antwortete, -- das war Strohwisch selber.

»Hinaus mit dem Lump!« rief Jeremias, der sich nicht mehr mäßigen, aber
auch nicht von seinem Platz konnte, wo er eingekeilt saß. Wieder pfiff
es rechts und links. Aber »Hinaus, hinaus mit den Kerlen! Rebe heraus!
Bravo, bravo!« tobte es jetzt von allen Seiten, und Herr Walther, der in
voller Gemüthsruhe unter einer Parketloge lehnte und laut vor sich hin
pfiff, als ob er sich ganz allein in einer einsamen Gegend befände, sah
sich plötzlich von zu ihm andrängenden Leuten gefaßt und fortgeschoben.

»Na, holla,« rief er, »was ist das? Ich habe meinen Platz bezahlt!«
Aber er leistete dabei nur geringen Widerstand, und Strohwisch, der
aufgesprungen war, beobachtete in ziemlicher Spannung die Entfernung
seiner Hauptstütze.

»Rebe heraus!« schrie es jetzt wieder von verschiedenen Seiten, und ein
schallender Applaus folgte.

Wieder Zischen und Pfeifen, aber schon bedeutend in der Minorität und
nur vereinzelt. »Rebe heraus!« schrie das Publikum, und links und
rechts wurden indessen einige räthselhafte Individuen aus dem Parterre
hinausgeworfen. »Rebe heraus!«

Krüger war auf die Bühne gesprungen. Rebe weigerte sich, hinaus zu
gehen, aber auf des Directors Bitten und Beschwörungen gab er endlich
nach und trat hinaus.

Stürmischer Applaus und ein einzelner gellender Pfiff dazwischen, den
der von Verzweiflung getriebene Recensent als letzten Versuch selber
ausgestoßen. Jetzt aber war die Geduld des Publikums auch erschöpft.

»Hinaus mit ihm!« schrieen die ihm Nächsten, während das übrige Publikum
nur so viel stärker applaudirte. Strohwisch wollte sich wehren --
umsonst; er klammerte sich an die Parketlehne -- umsonst. Kräftige Arme
hatten ihn gefaßt, und während Rebe unter rauschendem Applaus abging,
beförderte das Parterre mit einer merkwürdigen Geschwindigkeit und unter
dem noch fortwährend lebhaften Applaudiren des ersten Ranges und dem
Jubelgeschrei der Gallerie den unglücklichen Recensenten vor die Thür.

Jetzt hatte Rebe gesiegt. In der Scene mit dem Maler und nachher mit
den Verschworenen wurde er rauschend applaudirt, ohne daß die Opposition
auch nur einen Gegenlaut gewagt, nach dem Acte wie nach allen übrigen
Acten stürmisch, und zum Schlusse sogar, etwas Unerhörtes für Haßburg,
dreimal hervorgerufen.

Krüger umarmte ihn auf der Bühne vor allen übrigen Mitgliedern und bat
sich seinen Besuch auf morgen früh aus, und das Publikum ging mit dem
beruhigenden Gefühl nach Hause, seinen Willen durchgesetzt und sich
vortrefflich amüsirt zu haben.

Daß Rebe ein ausgezeichneter Schauspieler sei, darüber war von dem
Augenblick an nur Eine Stimme in Haßburg, und sein Triumph wurde
vollkommen, als am nächsten Morgen die Nachricht die Stadt durchlief,
daß der Eigenthümer des Stadtblattes Herrn Doctor Strohwisch die
Redaction des Feuilletons gekündigt habe.

Der boshafte Aufsatz über die Monford'sche Familie hatte ihm den Hals
gebrochen.




29.

Der Maulwurfsfänger.


In der Stadt Leben und Bewegung, lärmende Vergnügungen und fröhliches
Schaffen und Drängen -- draußen auf dem Monford'schen Stammsitz dumpfe
Schwüle und Grabesruhe.

Ja, die Sonne schien noch so warm und golden auf die schattigen
Waldungen und den sorgfältig gehaltenen Rasen nieder, die Blumen blühten
und dufteten wie vordem, der kleine Bergstrom rieselte rasch vorbei und
rauschte und plauderte, und die Nachtigallen sangen Abends ihr wunderbar
ergreifend Lied; aber still und geräuschlos glitten die Diener in
dem alten Schlosse umher, öffneten und schlossen die Thüren leise und
vorsichtig und sprachen nur flüsternd mit einander.

Der alte Graf hatte sich bis jetzt noch einigermaßen wohl gefühlt,
wenigstens jeden Tag seinen kurzen Spaziergang gemacht. Gestern Abend
aber, noch in später Stunde, war er plötzlich wieder, gerade als ihm der
Haushofmeister seinen Thee in's Zimmer brachte, vom Stuhle gefallen und
lag jetzt in dumpfem Hinbrüten in seinem Bette.

Der Ober-Medicinalrath war noch in der Nacht von Haßburg herausgeholt
worden und saß an dem Lager des Kranken. Das war keine Ohnmacht mehr
gewesen; der Tod hatte deutlich an des Lebens Pforte geklopft, und der
alte Arzt fühlte wieder und wieder den Puls des Kranken, stand dann auf,
ging in dem Zimmer auf und ab und setzte sich wieder am Bett nieder.

Die Gräfin kam nur selten in das Zimmer des Kranken, der allerdings
nicht bewußtlos, aber vollkommen theilnahmlos auf seinem Bette lag. Er
beantwortete auch keine der an ihn gerichteten Fragen, sah wohl nach der
Thür, wenn sich diese öffnete, starrte dann aber wieder halbe Stunden
lang zur Decke empor.

Des Ober-Medicinalraths Famulus war indessen von der Gärtnerwohnuug
herüber gekommen, um Bericht abzustatten und den Arzt zu bitten, sich
den Verwundeten dort oben selber einmal anzusehen. Es ging sehr schlecht
mit ihm, und er fürchtete, da eine Amputation an der Stelle unmöglich
war, das Schlimmste. Die Wunde nahm ungewöhnlich rasch einen bösartigen
Charakter an, da sich der Verwundete noch außerdem in heimlicher Weise
Branntwein verschafft und unmäßig davon getrunken hatte.

Der Ober-Medicinalrath schüttelte ungeduldig mit dem Kopf, versprach
aber im Laufe des Morgens hinüber zu kommen, und fragte, ob sich der
Geschossene nicht transportiren ließe.

Es war ganz unmöglich; bei der geringsten Bewegung schrie er laut auf.

Der alte Maulwurfsfänger befand sich wirklich in einer bösen Lage
und hatte die ganze Nacht ein heftiges Fieber gehabt. Erst mit der
Morgendämmerung ließ das etwas nach, und er fiel dann in einen unruhigen
Schlaf, aus dem er manchmal mit einem Schrei emporschreckte. Gegen
zehn Uhr wachte er auf und aß etwas Wassersuppe, aber er fühlte sich
todesmatt. Als ihm der junge Arzt nachher die Wunde verband, betrachtete
er sie selber auch kopfschüttelnd und sagte dann, indem er ihn fest
ansah:

»Hören Sie 'mal, Herr Doctor, die Ränder gefallen mir nicht; ich habe in
meinem Leben schon zu viel Derartiges gesehen. Das kommt mir beinahe vor
wie der Brand -- hm?«

»So weit ist's noch nicht,« beruhigte ihn Frank, »aber wenn Ihr noch
einen Tropfen Branntwein trinkt, steh' ich Euch für nichts.«

»Ja, jetzt hat's der Branntwein gethan,« nickte der Alte vor sich hin.
»Daß Ihr Doctoren doch immer genau wißt, woher es kommt, aber nie,
wohin es geht! Ich merke schon, wie die Geschichte ist, faul, überfaul,
und...« Er biß vor Schmerz die Zähne aufeinander und fiel, während der
Arzt die geöffnete Wunde wieder verband, auf sein Kissen zurück.

So lag er wohl eine halbe Stunde. Der Arzt war fortgegangen, und die
alte Wärterin, die ihn pflegen mußte, da man dem Kind im Hause das nicht
Alles überlassen konnte, war hinunter in die Küche gestiegen, um sich
ihr Mittagessen zu bereiten. In der Zeit mußte dann immer des alten
Jonas Enkelin bei ihm sitzen, um die Wärterin rufen zu können, wenn er
etwas verlangte, oder ihm selber vielleicht eine kleine Handreichung zu
thun.

Der Verwundete hatte eine Weile still gelegen Und auf seine Decke
niedergestarrt. Endlich sagte er leise:

»Bärbel!«

»Ja, Herr Fritz,« antwortete die Kleine, welche am Fenster stand und auf
die grünen Büsche hinausschaute, »wollt Ihr Wasser? Ich habe frisches
mit heraufgebracht.«

»Nein, Kind, jetzt nicht,« antwortete der alte Maulwurfsfänger; »aber
willst Du mir einen recht großen Dienst erweisen?«

»Ich darf Euch keinen Branntwein wieder bringen,« sagte die Kleine
erschreckt; »der Herr Doctor hat so mit mir gezankt.«

»Das sollst Du auch nicht, Kind,« lautete die matte Antwort; »den
letzten in diesem Leben werde ich wohl getrunken haben. Hast Du mir
nicht gesagt, daß Du jeden Tag zur Frau Gräfin hinaufgehst und ihr
Blumen bringst?«

»Ja, Herr Fritz, wenn die alte Rosie wieder zu Euch heraufkommt, gehe
ich gleich. Großvater hat sie schon abgepflückt -- immer Mittags.«

»Und siehst Du die Gräfin selber?«

»Ja, jedesmal; ich gehe immer gleich zu ihr in's Zimmer -- ich darf.«

»Willst Du mir einen Gefallen thun?«

»Recht gern, wenn ich kann.«

Der alte Maulwurfsfänger schwieg, zog aber von dem kleinen Finger der
linken Hand einen schmalen Goldreif mit einem kleinen grünen Stein
herunter. Vor acht Tagen noch war der Ring in's Fleisch gewachsen
gewesen, daß man ihn fast gar nicht mehr sehen konnte; jetzt fiel er
fast von selber ab.

»Willst Du mir auch versprechen, Bärbele, daß Du keinem Menschen etwas
von dem, was ich Dir jetzt sage, erzählst?«

»Es ist doch nichts Böses?« fragte das Kind erschreckt.

»Nein, Bärbele, nichts Böses, im Gegentheil, vielleicht macht es mich
wieder gesund. Aber höre, Kind; den Ring hier -- verlier ihn mir ja
nicht -- den Ring nimmst Du mit hinauf zur Frau Gräfin, und wenn Du ihr
die Blumen bringst, gieb ihr den Ring und sag' ihr, hier bei Euch im
Hause liege Jemand krank und wünschte sie noch einmal zu sprechen.«

»Aber die Frau Gräfin soll doch nicht zu Euch herüberkommen?« sagte das
Kind bestürzt; »das thut sie gewiß nicht.«

»Gieb ihr nur den Ring, Herz,« bat der Maulwurfsfänger, »und richte aus,
was ich Dir gesagt habe, weiter nichts. Willst Du das thun?«

»Gewiß; das ist nichts Böses.«

»Und Du sprichst mit keinem Menschen darüber?«

»Ich will's Keinem sagen, ich verspreche es Euch, und was man
verspricht, muß man halten, meinte die Mutter selig immer.«

»Ich danke Dir, Bärbel; ich werd's Dir auch gedenken. Geh jetzt mit
Deinen Blumen, je früher Du hinauf auf's Schloß kommst, desto besser;
denn -- wer weiß, wie lange es noch mit mir dauert.«

»Aber ich kann doch jetzt nicht fort, bis die Rosie wieder heraufkommt.«

»Geh nur, Kind, ich brauche jetzt nichts; ich schlafe so lange, und da
ist's besser, wenn ich Ruhe habe.«

Die Kleine zögerte einen Augenblick. Es war ihr nicht recht, daß sie
ihre Pflicht versäumen solle -- aber der Kranke bat sie so sehr.

»Ich will der Rosie sagen, daß sie dann und wann einmal heraufguckt,
und der Großvater muß auch gleich heimkommen,« nickte sie, band den Ring
dann in ihr kleines Taschentuch, daß sie ihn ja nicht verlor, und stieg
die Treppe hinab, um den Auftrag auszuführen. --

In ihrem Zimmer am offenen Fenster stand die Gräfin Monford in Trauer
gekleidet und sah gedankenvoll auf das freundliche Landschaftsbild
hinaus, das sich, jetzt freilich unbeachtet, unbewundert, vor ihr
entfaltete. Aber wie auch ihr Herz gebrochen sein mochte, ihr Stolz war
es nicht, ja, es schien weit eher, als ob er sich durch die furchtbaren
Verluste, die sie erlitten, noch mehr gehärtet, noch unzugänglicher
diese Brust einem wärmeren Gefühl gemacht habe.

Während ihres Gatten Krankheit waren noch zwei Briefe an diesen
eingelaufen, und zwar von Handor selber an den Grafen adressirt, doch
ohne nur einen Aufenthaltsort anzugeben, und so frech und unverschämt
nur Geld, große Summen für sich fordernd, ja, sogar mit Drohungen im
Falle der Weigerung gefüllt, daß die Gräfin sie im auflodernden Zorn
zerstörte. Und _dieses_ Menschen wegen hatte die eigene Tochter ihre
Eltern verlassen!

Kein Schmerz lag auch jetzt in den Zügen der finstern Frau; das war
Trotz allein, starrer, unbeugsamer Trotz dem Schicksal gegenüber,
und während ihr thränenloses Auge unter den zusammengezogenen Brauen
hervorblitzte, ballte sich unwillkürlich die weiße, mit Ringen bedeckte
Hand, als ob sie einem Feind begegne -- und doch stand ihr kein Feind
gegenüber; nur in der eigenen Brust wohnte er, und klopfte und bohrte
und mußte gewaltsam niedergehalten werden.

Ueber den Gartenplatz kam die kleine Bärbel mit ihren Blumen, sah die
Gräfin am Fenster stehen und machte ihren Knix. Aber die Gräfin bemerkte
sie gar nicht, wenn auch ihr Blick sie streifte, bis das Kind endlich,
das von der Dienerschaft immer unbelästigt hinaufgelassen wurde, draußen
schüchtern anklopfte.

Niemand antwortete; Bärbel klopfte noch einmal, und da noch immer keine
Antwort erfolgte, öffnete sie die Thür. Es war schon oft vorgekommen,
daß sich die Frau Gräfin nicht in ihrem Zimmer befand; dann ging sie
doch hinein und legte ihr die Blumen auf den Tisch. Heut aber mußte sie
ja drin sein, Bärbel hatte sie selber am Fenster gesehen. Wie sich die
Thür öffnete, drehte sich die Gräfin um und erblickte das Kind; Bärbel
war ihr Pathchen, und sie hatte die Kleine immer gern gehabt.

»Grüß Gott, Frau Gräfin!« sagte das Kind mit einem tiefen Knix, indem
sie ihr den Strauß entgegenhielt; »hier bring' ich die Blumen.«

»Ich danke Dir, Bärbel; leg' sie nur auf den Tisch, ich werde sie selber
in die Vase stellen.«

Die Kleine gehorchte und blieb dann zögernd stehen.

»Willst Du noch etwas, Bärbel?«

Bärbel drehte das Tuch verlegen in der Hand herum und knüpfte dann den
Ring heraus. »Ja, Frau Gräfin,« flüsterte sie; »bei uns liegt der arme
Mensch krank, der Maulwurfsfänger...«

»Ja, ich weiß, er ist vom Förster geschossen.«

»Ja, sehr, und da -- da hat er mich heute gebeten...«

»Nun, um was, Bärbel? Braucht er etwas?«

»Nein, Frau Gräfin,« sagte die Kleine ängstlich, denn es kam ihr jetzt
gar so entsetzlich vor, daß sie bestellen sollte, der alte, schmutzige
Maulwurfsfänger wolle die Frau Gräfin sprechen; »nein, er hat Alles und
die alte Rosie pflegt ihn.«

»Und was will er sonst? Was hast Du da, Bärbel?«

»Den Ring hat er mir gegeben,« sagte das Kind, jetzt gewaltsam Muth
fassend, denn es hatte ja versprochen den Auftrag auszurichten; »ich --
ich sollte ihn Euch bringen, Frau Gräfin.«

»Mir?« rief die Gräfin erstaunt. »Von wem?«

»Von dem alten Fritz, und er möchte -- er meinte, er -- er wäre recht
krank -- und er möchte die Frau Gräfin gern sprechen.« Das Kind seufzte
recht aus voller Brust auf -- jetzt war's heraus.

Die Gräfin schüttelte noch immer erstaunt mit dem Kopf; es mußte da
jedenfalls ein Irrthum obwalten, und die Kleine hatte irgend einen
Auftrag verkehrt ausgerichtet. »Und zu _mir_ solltest Du den Ring
bringen?«

»Ja, zu Euch, Frau Gräfin, und ihn Euch selber in die Hand geben.«

Die Gräfin streckte den Arm aus, und das Kind reichte ihr den kleinen
Goldreif, den sie mit zwei Fingern nahm und gleichgültig einen Moment
betrachtete; aber plötzlich wurde ihr Blick stier und haftete wie
entsetzt auf dem einfachen Schmuck.

»Wer gab Dir den Ring, Bärbel?« fragte sie und faßte des Kindes
Schulter. »Wer? Wo kommt er her?«

»Ach, Frau Gräfin, ich kann ja nichts dafür!« bat die erschreckte
Kleine; »der kranke Mann gab ihn mir.«

»Der Geschossene?«

»Ja, Frau Gräfin.«

»Und wie heißt er?«

»Ja, das weiß ich nicht,« sagte Bärbel, immer schüchterner werdend;
»Fritz heißt er, den alten Fritz nennen sie ihn im Dorfe.«

»Wo hat er den Ring her?« fragte die Gräfin, aber mehr mit sich selber,
als mit dem Kinde sprechend.

»Ja, das kann ich Euch auch nicht sagen,« rief die Kleine, immer
ängstlicher werdend. »Er wird ihn doch nicht gestohlen haben? Ich sollte
keinem Menschen etwas davon erzählen; aber ich kann ja wahrhaftig nichts
dafür!«

»Nein, Bärbel, beruhige Dich,« sagte die Gräfin, sich gewaltsam fassend,
»ich weiß, Du kannst nichts dafür; Du bist ein gutes Kind und hast nur
Deinen Auftrag ausgerichtet. Also ist der Mann wirklich so krank und
kann nicht ausgehen?«

»Ach Du lieber Gott,« sagte die Kleine, »nicht einmal tragen können
sie ihn; sehr krank ist er. Aber er wird den Ring doch nicht gestohlen
haben?«

»Nein, Kind, ich glaube nicht; ich -- ich werde ihn selber darum fragen
-- vielleicht hat er ihn gefunden.«

»Und er gehört Euch?«

»Ja, Bärbel. Aber nun geh wieder nach Hause. Sag' ihm, wenn ich heute
spazieren ginge, würde ich bei Euch einmal vorkommen und, wenn er so
sehr krank ist, sehen, ob sich etwas für ihn thun läßt.«

Bärbel knixte. Es war fast, als ob sie noch etwas sagen wollte; aber sie
brachte nichts mehr heraus und schien auch froh, wieder fort zu kommen,
denn die Sache mit dem Ring ging ihr doch noch immer im kleinen Kopf
herum.

In einer merkwürdigen Unruhe aber verließ sie die Gräfin, denn kaum
hatte sie die Thür hinter sich zugezogen, als sich diese in einen
Fauteuil warf und, ihr Antlitz mit den Händen deckend, eine lange Weile
regungslos sitzen blieb; dann sprang sie auf und betrachtete wieder den
Ring -- war es, daß ein Zweifel in ihr aufstieg, ob es der rechte sei?
Sie hielt ihn gegen das Licht und prüfte ihn genau, und ging dann,
während sie ihn an ihren Finger schob, mit unruhigen Schritten in dem
Gemach auf und ab. Plötzlich, wie zu einem Entschluß gekommen, blieb sie
am Tisch stehen und klingelte.

»Der Haushofmeister soll hereinkommen.«

Der Diener schloß die Thür wieder, und nach einer Weile kam der alte
Mann und fragte, was die Gräfin befehle.

»Hußmann,« sagte die Frau, welche indessen ihre ganze eiserne Ruhe
wiedergewonnen hatte, »was für ein Mensch ist das eigentlich, den in
jener Nacht der Förster geschossen hat? Wo kommt er her und wie lange
ist er schon da?«

»Ja, Frau Gräfin,« sagte der alte Mann achselzuckend, »viel Genaues bin
ich auch nicht im Stande, Ihnen darüber zu sagen. Ich weiß nicht einmal
seinen vollen Namen, denn hier auf dem Schlosse wurde er nur immer Fritz
oder, wie ihn die Leute nannten, der alte Fritz, geheißen, der sich, wie
alle derartigen Subjecte, im Lande herumtreibt und dort eine Zeit lang
bleibt, wo er Beschäftigung findet.«

»Und wie lange ist er hier?«

»Es mögen jetzt drei oder vier Jahre sein, daß er in die Gegend kam, ich
weiß es wirklich selber nicht einmal mehr genau; es war das Jahr, wo die
Maulwürfe so überhand genommen hatten, und in deren Vertilgung zeigte er
sich außerordentlich geschickt. Nachher war er einmal wieder von Zeit zu
Zeit fünf bis sechs Monate verschwunden, dann kam er wieder. Jetzt mag
er auf's Neue seit etwa zwei Monaten in der Gegend sein, und der Förster
hatte ihn schon lange in Verdacht, daß er nicht blos den Maulwürfen und
anderem Ungeziefer nachstellte; er war aber zu schlau, als daß er ihn
erwischen konnte, und nur in -- in jener Nacht mochte er sich vielleicht
sicherer fühlen als sonst, und hatte wohl nicht geglaubt, daß der
Förster auf seinem Posten wäre.«

»Und hat er sich zu Zeiten im Schlosse selber gezeigt?«

»Nie, Frau Gräfin. Es ist eigentlich ein sonderbarer Kauz; mit den
Bedienten hat er nie verkehrt, und die haben ihn auch deshalb immer
verspottet, daß er stolz wäre. Es scheint ein heruntergekommenes
Subject, das vielleicht einmal bessere Tage gesehen hat. In der letzten
Zeit fing er aber auch an, sich dem Trunk zu ergeben, und das muß ihn
jetzt besonders so krank gemacht haben. Ich fragte vorhin den Doctor; er
wird's nicht lange mehr machen. Der Brand ist zu der Wunde gekommen,
und da sich das Bein nicht amputiren läßt, wird er wohl seinen letzten
Jagdfrevel verübt haben. Mir thut's leid um den Förster, der kommt
dadurch gewiß in Ungelegenheit, und hat sich doch nur seines eigenen
Lebens gewehrt. Außerdem macht er sich ein Gewissen daraus den armen
Menschen so schwer getroffen zu haben.«

Die Gräfin stand am Fenster und sah gedankenvoll hinaus. Der
Haushofmeister blieb an der Thür. Sie hatte ganz vergessen, daß er im
Zimmer war. Nach einer Weile fragte er endlich: »Befehlen Sie sonst noch
etwas, Frau Gräfin?«

»Ich? -- Nein -- ja so -- es ist gut, Hußmann; ich danke Euch!« Und der
alte Diener verließ geräuschlos das Gemach.

Oben im kleinen Gärtnerhäuschen ging es mit dem Kranken recht schlecht.
Der Ober-Medicinalrath war dort gewesen, hatte sich die Wunde angesehen
und Alles, was bis jetzt dafür geschehen war, gutgeheißen. Aber es
stellte sich schon wieder ein Fieber ein. Der Verwundete schien von
einer merkwürdigen Unruhe erfaßt zu sein und klagte auch über Schmerzen
im Körper, über ein krampfhaftes Gefühl in der Herzgegend. Der
Ober-Medicinalrath verordnete Ruhe und Eisumschläge und als einzige
Nahrung eine dünne Wassersuppe; dann nahm er Hut und Stock und verließ
den Patienten.

Bärbel war zurückgekommen und zum Kranken hinauf gegangen; aber die alte
Rosie saß noch im Zimmer, und sie wußte nicht, ob sie in deren Gegenwart
etwas von dem Ring und der Frau Gräfin erwähnen durfte. Aber der Kranke
kam ihr zu Hülfe.

»Rosie,« sagte er, »gebt mir doch einen Trunk frisches Wasser. Nein,
nicht von dem,« fuhr er fort, als die Alte ihm aus dem Kruge einschenken
wollte, »das steht schon so lange im Zimmer; bitte, holt mir frisches,
gleich vom Brunnen.«

»Geh, spring einmal hinunter, Bärbel, und hol' frisch Wasser,« sagte die
Alte; »Du hast junge Beine.«

»Nein, geht Ihr nur selber; die Bärbel soll mir indessen das Eis wieder
auflegen, sie versteht's so gut.«

»Na, ich dächte, ich hätt's auch immer geschickt gemacht.«

»Ja, Rosie; aber bitte, laßt's jetzt einmal die Bärbel thun!«

»Na, meinetwegen; mir kann's recht sein.«

Die alte Person war ein wenig in ihrer Ehre gekränkt, aber sie nahm den
Krug auf und humpelte damit, immer vor sich hin murmelnd, die Treppe
hinab.

»Nun, Bärbel, hast Du's ausgerichtet?«

»Ja; ich hab's Euch ja versprochen.«

»Gutes Kind; und ihr selber gegeben?«

»Ja.«

»Und was sagte sie?«

»Sie wunderte sich, wie Ihr zu dem Ringe kämt. Habt Ihr ihn gefunden,
Maulwurfsfänger?«

»Ja, Kind, ich hab' ihn gefunden im Park draußen. Und wird sie kommen?
Sagte sie es Dir?«

»Sie will vorkommen, wenn sie spazieren geht, und sehen, ob es Euch an
'was fehlt.«

Der Kranke athmete tief auf.

»Bärbel!«

»Ja, wollt Ihr 'was?«

»Da unten an dem Bettpfosten hängt meine Weste; geh einmal hin, Kind.«

»Wollt Ihr sie haben?«

»Nein; in der linken Tasche steckt ein blanker Thaler. Hast Du ihn
gefunden?«

»Ja, da ist er.«

»Behalt ihn, Bärbel, den sollst _Du_ haben.«

»Den ganzen Thaler?«

»Thu' ihn in Deine Sparbüchse, Kind.«

»Aber darf ich denn das viele Geld behalten? Großvater zankt gewiß.«

»Behalt es mir zum Andenken, ich kann Dir ja doch sonst nichts geben,
und Du hast mich so oft gepflegt.«

»Aber das muß ich dem Großvater sagen, heimlich darf ich ihn nicht
behalten.«

»Sag's nur dem Großvater, Kind, er wird Dir's erlauben. So, und nun leg'
mir das Eis auf; die Rosie wird gleich wiederkommen. Oh Gott, wie das
feuert und klopft! Du wirst's nicht mehr oft zu thun brauchen, Bärbel.«

Es war fast, als ob das viele Sprechen oder auch vielleicht die gerade
von dem Arzte verbotene Aufregung ihn übermäßig angegriffen habe. Er
schloß die Augen, war sehr blaß geworden und lag still und regunglos auf
seinem Bett.

Die Rosie wollte ihm das verlangte Wasser geben; aber er antwortete
ihr gar nicht, und Bärbel selber schlich sich leise hinunter, um den
Großvater im Park aufzusuchen und ihm das Geschenk zu zeigen.

Etwa nach einer Stunde öffnete der Kranke die Augen wieder und sah sich
verstört um. Nur die Rosie war bei ihm im Zimmer.

Ob er 'was haben wollte? Nein; er schien unruhig, aber die alte Frau
auch keine Person, gegen die er sich aussprechen konnte. Er schüttelte
mit dem Kopf und horchte nur immer hoch auf, wenn sich unten im Hause
etwas regte. Immer heftiger wurde dabei sein Fieber, und das vorher so
bleiche Gesicht flammte jetzt ordentlich in wilder Gluth.

Die Rosie war wieder einmal hinunter gegangen, um etwas zu besorgen,
als sie plötzlich rasch die Treppe heraufkam und mit ängstlicher Stimme
sagte:

»Herr Du meine Güte, die gnädigste Frau Gräfin ist selber unten und will
heraufkommen -- die Ehre! Und wie's hier aussieht -- na, die wird schön
schauen! Aber wer hat daran auch gedacht?« Und dabei schob sie hastig
Alles aus dem Wege, was sich eben nicht gut zeigen ließ, und wischte
noch mit ihrer Schürze den einen dem Bett gegenüber stehenden Stuhl ab,
auf dem sie gewöhnlich saß, als die Thür schon aufging und die hohe,
stattliche Gestalt der Gräfin auf der Schwelle stand.

Das kleine Gemach hatte vielleicht noch nie so ärmlich ausgesehen, als
in dem Augenblick, wo die elegante Gestalt der Dame in ihrem schwarzen
rauschenden Seidenkleide darin erschien, und der ängstliche, scheue
Blick, den sie darin umherwarf, zeigte, daß sie das fühlte. Aber im
nächsten Moment haftete ihr Auge schon fragend und forschend auf dem
Antlitz des Kranken, der, als er ihren Schritt auf der Treppe hörte,
unwillkürlich emporgezuckt war, vom Schmerz gebannt aber in seine alte
Lage zurücksank und finster die Zähne zusammengebissen auf seine Decke
niederstarrte.

Ganz versteinert über die »hohe Ehre« stand indessen die Rosie in der
Ecke und knixte nur einmal nach dem andern, um dem vornehmen Besuch ihre
Ehrfurcht zu erweisen.

Aber die Gräfin, deren Blick nur über sie hinglitt, sagte leise: »Geh'n
Sie hinunter, gute Frau, ich habe mit dem Kranken etwas zu sprechen.«

»Zu Befehl, Frau Gräfin.«

»Und kommen Sie nicht eher wieder herauf, bis ich Sie selber rufe.«

»Zu Befehl, Frau Gräfin.«

Die Alte war seelenfroh, da oben weg zu kommen, und wie ihr die Gräfin
nur so viel Raum an der Thür ließ, daß sie hindurch konnte, ohne auf ihr
Kleid zu treten, schoß sie die Treppe hinab.

Die Gräfin war mit dem Maulwurfsfänger allein; aber noch immer sprach
sie kein Wort, noch immer haftete ihr Blick wie fragend und ungewiß auf
den eingefallenen Zügen des vor ihr Liegenden, und erst als dieser keine
Miene machte, sie anzureden, und nur wie krampfhaft in die Decke griff,
sagte sie leise:

»Sie haben mich zu sprechen verlangt. Was kann ich für Sie thun?«

Der Maulwurfsfänger drehte langsam den Kopf nach ihr um, denn selbst
diese Bewegung that ihm weh; dann aber flüsterte er, daß die Worte kaum
zu dem Ohr der Gräfin drangen und trotzdem wie mit einem Schlage das
Blut aus ihren Wangen jagten:

»Also hast Du den Ring wiedererkannt, Ottilie? Bist Du wirklich
gekommen, um mir Lebewohl zu sagen?«

»Heiliger, allmächtiger Gott!« stöhnte die Gräfin und faßte ihr Herz
mit beiden Händen, als ob sie es festhalten wolle in der Brust. »Wäre es
denn möglich -- wäre es wahr...?«

»Es ist wahr, Frau Gräfin,« sagte der Alte, indem ein bitteres
Lächeln um seine Lippen spielte, »die Jammergestalt hier auf dem Bett,
zerschossen und von Krankheit und Alter gebrochen, eigentlich auch schon
halb verfault, mit dem schleichenden Tod in den Gliedern, ist Alles,
was von dem einst so lebenslustigen und gefeierten Friedrich von Sitrop
übrig geblieben. Wenig, nicht wahr? Verdammt wenig -- und das Wenige
selbst verstümmelt und mißhandelt!«

Die Frau stand, das Gesicht in den Händen bergend, mitten in der Stube;
kein Laut kam über ihre Lippen, aber die ganze Gestalt zitterte und
bebte, und des Alten Blick haftete fast wehmüthig und mitleidsvoll an
ihr. Endlich fuhr er leise fort: »Setz' Dich, Ottilie -- etwas näher zu
mir; ich kann nicht so laut sprechen und fühle, daß ich auch nicht mehr
lange sprechen werde. Ich weiß Alles, was Du fragen möchtest, ich will
Dir Alles mit wenigen Worten sagen. Aber dann -- mußt Du mir auch Eine
Frage beantworten -- nur eine einzige Frage, die mir lange Jahre am
Leben gefressen hat und die ich -- noch vor meinem Tode gelöst haben
möchte. Setz' Dich, die Zeit vergeht und die Secunden fangen an kostbar
zu werden.«

Die Gräfin machte eine Bewegung gegen das Bett, und der Spitz, der bis
jetzt nur leise und fast unhörbar geknurrt hatte, schlug laut an. Der
Maulwurfsfänger pfiff leise durch die Zähne und sagte dann: »Ruhig,
Spitz, es ist vorbei; Du wirst jetzt abgelöst von Deinem Posten. Sei
ruhig, mein Hund, ich bin's ja auch; hörst Du?«

Das kleine treue Thier knurrte zwar noch leise, aber es kauerte sich
wieder unter dem Bett zusammen und winselte nur noch ein wenig, als die
Gräfin fast mechanisch nach dem Stuhl griff und sich darauf niederließ.
Dann lag er ganz still, schob die Schnauze wieder in seine langen
Haare und blieb regungslos liegen, hielt aber immer noch die kleinen
blitzenden, schwarzen Augen mißtrauisch auf das Kleid des fremdartigen
Besuchs geheftet.

Auch der Kranke schien sich erst von der ungewohnten Anstrengung des
Redens zu erholen; dann fuhr er langsam fort:

»Die Geschichte ist sehr kurz. Mein Vermögen brachte ich durch -- im
Spiel; arbeiten konnte und wollte ich nicht; in Frankreich, wohin ich
flüchtete, fälschte ich einen Wechsel, um Geld zu bekommen, und wurde
eingekerkert. Ich saß lange Jahre und kehrte, endlich freigelassen, nach
Deutschland zurück; aber den Baron hatte ich im französischen Gefängniß
oder vielmehr schon vor dessen Thür gelassen, leben mußte ich, Geld
hatte ich keins, -- das Einzige, was ich verstand, war das Spiel und die
Jagd; Croupier mocht' ich nicht werden, so tief war ich doch noch
nicht gesunken, zum Förster wollte mich Niemand, da« -- ein bitteres,
höhnisches Lächeln zuckte um die Lippen des Kranken -- »benutzte
ich eine frühere Passion von mir, das Fallenstellen, und -- wurde
Maulwurfsfänger. Sechs Jahre wanderte ich so in Deutschland umher, mich
den Henker mehr um die übrige Welt scherend, bis es mir keine Ruhe mehr
ließ, den Ort wieder aufzusuchen, wo...«

Er schwieg plötzlich; Todtenstille herrschte in dem kleinen Raum,
nur das schwere Athmen der Frau unterbrach die Stille oder machte sie
vielmehr noch unheimlicher.

»Das ist eigentlich Alles,« sagte der Kranke nach einer Pause. »Du
kanntest mich nicht wieder; hübscher war ich auch nicht geworden, und
mir machte es Spaß, so incognito gerade mit _diesem_ Platz zu verkehren.
Da begegnete ich neulich im Park einer jungen fremden Frau -- wie ein
Messer stach mir deren Anblick durch's Herz, -- es war, als ob die
langen Jahre zurück, statt vorwärts gegangen wären, und Du, Ottilie, wie
ich Dich in all' Deiner Schönheit und Jugend gesehen, standest wieder
vor mir, wie vor einem Vierteljahrhundert an derselben Stelle.«

Die Gräfin war aufmerksam geworden; ihre Hände sanken langsam in ihren
Schooß, und das große Auge haftete fragend auf dem Sprechenden.

»Ich erfragte den Namen,« fuhr dieser endlich leise fort, »er klang mir
fremd -- Rottack -- ich hatte ihn nie gehört.«

»Rottack?« hauchte die Frau.

Der Maulwurfsfänger nickte, und sein Blick hing forschend an ihren
Zügen; aber er bekam keine Antwort. Angst und Schmerz lagen in ihrem
Antlitz, aber die Lippen blieben unbewegt.

»Rottack,« wiederholte er endlich, »Helene Rottack. Aber Du mußt reden,
Ottilie,« fuhr er heftiger fort, »die Zeit verfliegt, meine Pulsschläge
sind gezählt, Du mußt meine Frage beantworten!«

»Und welche Frage ist das?«, hauchte die Frau, die sich dem alten,
kranken Manne vollkommen willenlos gegenüber befand.

»Was ist aus dem Kind geworden?« sagte der Alte leise. »Als der Graf
aus Westindien zurückkehrte, konnte ich Dir nicht wieder nahen, denn
ich wußte, daß er mich haßte. Bald darauf mußte ich selber flüchten,
schreiben durfte ich nicht -- was ist aus dem Kind geworden, Ottilie?«

Die Frau barg ihr Gesicht wieder in den Händen, aber sie antwortete
nicht, und fast mitleidig ruhte der Blick des Kranken auf ihr.

»Fürchte nichts,« sagte er endlich leise, »ich weiß, welches furchtbare
Unglück Dich in der letzten Zeit betroffen hat. Ich hätte es vielleicht
verhindern können,« setzte er düster hinzu. »Aengstige Dich nicht, daß
diese Lippen, die so lange geschwiegen, jetzt plaudern könnten; ein
Sterbender spricht zu Dir -- was ist aus dem Kind geworden?«

»Es lebt!« hauchte die Gräfin.

»Es lebt?« rief der Kranke. »Und -- und heißt Helene?«

Die Gräfin antwortete nicht, aber ohne zu ihm aufzusehen, neigte sie
leise das Haupt.

»Gott sei Dank!« stöhnte der Mann. »Aber -- mir wird auf einmal so
wunderbar schwach zu Sinn -- es flackert mir vor den Augen. Gieb mir
Deine Hand, Ottilie -- laß uns versöhnt scheiden -- so, das ist lieb von
Dir -- Gott segne Dich -- so -- und nun geh -- Du darfst nicht länger
hier bleiben. Schick' mir die Rosie herauf -- die Alte oder die Bärbel,
wenn sie unten ist. Oh, mein Gott, wie das brennt -- das Eis ist
fortgeschmolzen und zu glühend heißem Blei geworden...«

Die Gräfin hatte ihm die Hand gereicht; sie war aufgestanden, und ihre
Brust hob sich stürmisch, ihr Antlitz deckte Leichenfarbe. Sie wollte
sprechen, aber sie konnte nicht. Willenlos, fast bewußtlos hatte sie
bis jetzt in der Gegenwart des Furchtbaren gehandelt; was sie sich
vorgenommen, ehe sie das Haus betrat, wie sie mit kalter Verachtung
seiner Anklage begegnen, sein Erkennen verleugnen wolle -- es war
hingeschmolzen, als jene Jammergestalt auf dem Bett, der Schatten
dessen, der einmal im Leben ihre ganze Seele füllte, vor ihr lag. Alte
Erinnerungen, Reue, Zerknirschung und Mitleid bestürmten ihr Herz; aber
ihre Kräfte verließen sie, die Luft hier drohte sie zu ersticken.

»Leb' wohl!« flüsterte sie, und wie von Furien gejagt, floh sie aus dem
Zimmer hinaus in's Freie, in die Einsamkeit.

Draußen wurde ihr leichter. Wohl eine Stunde lang ging sie in dem weiten
Park auf und ab. Endlich wandte sie sich wieder dem Schlosse zu und ging
in ihr Zimmer hinauf.

Noch hatte sie nicht ihren Hut abgelegt, als es leise an die Thür
klopfte.

»Herein!«

Bärbel stand auf der Schwelle. »Ach, Frau Gräfin,« sagte die Kleine,
und die hellen Thränen liefen ihr an den Wangen nieder, »ich bin nicht
hergeschickt, aber -- ich -- ich wollte Ihnen nur melden, daß der alte
Maulwurfsfänger eben gestorben ist.«

»Todt?«

»Die Rosie sagt's. Er liegt kalt und starr auf dem Bett.«

Die Gräfin winkte mit der Hand; Bärbel verließ schüchtern das Zimmer.
Die Gräfin Monford wankte zu ihrem Sopha, und Thränen -- Thränen, die
ersten, die sie seit langen Jahren vergossen, netzten ihr die Wangen.

Sie war glücklich, denn sie konnte weinen.




30.

Pfeffer dictirt einen Brief.


Wochen vergingen und Monate. Die rauhen Herbststürme traten ein, Schnee
fiel, und der Winter deckte die freundlichen Hügel und Gebirgszüge um
Haßburg mit seiner weißen Decke und die Wasser mit Eis, und noch
hatte die Monford'sche Familie mit keinem Menschen in der Stadt wieder
verkehrt, noch hatte die Gräfin selber die Stadt nicht wieder betreten,
oder auch nur einen einzigen Besuch selbst ihrer früheren intimsten
Freunde angenommen.

Der Zustand des Grafen schleppte sich freilich auch nur langsam hin: die
früher eingetretenen Schlaganfälle hatten sich mehrfach wiederholt, und
so sehr Beide gewünscht haben mochten, diesen Ort, der jetzt für sie so
furchtbare Erinnerungen trug, zu verlassen und eine andere Gegend, ein
wärmeres Klima zu ihrem Aufenthalt zu wählen, so schüttelte doch
der alte Ober-Medicinalrath dazu auf das Entschiedenste den Kopf und
beharrte dabei, daß der Graf jetzt an eine Reise gar nicht denken dürfe,
wenn er sich nicht muthwillig der größten Gefahr aussetzen wolle. Ihm
bliebe vor der Hand nichts weiter übrig, als abzuwarten, ob sich sein
sehr bedenklicher Zustand bessern würde, wozu er die Hoffnung keineswegs
aufgegeben habe. Träte der Fall ein, dann würde er selber eine Reise
nach Italien oder einem andern warmen Himmelsstrich dringend anrathen.

Ganz verändert war indessen die Gräfin selber geworden. Wie sie früher
die Pflege des Kranken fast ausschließlich der Dienerschaft überlassen
hatte, so wich sie seit jenem Tag, an welchem sie das Gärtnerhaus
besucht, fast nicht mehr von dem Lager des Gatten, und wachte, wenn sich
sein Zustand dann und wann verschlimmerte, halbe Nächte neben seinem
Bett. Sie war auch viel freundlicher mit den Leuten selber geworden,
und sogar der alte Haushofmeister, der ihr seit jenem Abend, wo sie den
Brief verbrannte, lange Wochen durch wohl ehrerbietig, aber doch wie
scheu ausgewichen war, fing an sich ihr wieder zu nähern und Mitleid
mit ihr zu fühlen, denn er, vor allen Anderen, sah und fühlte die
Veränderung zum Besseren, die mit ihr vorgegangen. Fiel sie doch mit
einer wahren Hast über alle Briefe her, die ihr gebracht wurden, und
legte sie dann traurig und oft mit einer unterdrückten Thräne bei Seite,
wenn keiner von ihnen mehr die jetzt so heiß ersehnten Schriftzüge des
verlorenen Kindes trug.

Aber Paula schien verschwunden; kein Brief von ihr war mehr
eingetroffen, keine Zeitung nannte Handor's Namen, keine Nachforschung,
die sie im Geheimen, besonders durch den Ober-Medicinalrath, anstellen
ließ, führte zu irgend einem Resultat. Sie mußte todt sein oder
Deutschland verlassen haben, denn alle Nachfragen blieben fruchtlos.

In Haßburg selber hatte man die Monford'sche Familie, die für Wochen
lang das Tagesgespräch gebildet, fast vergessen. Eine Zeit lang
wurde die Erinnerung daran wohl noch durch die nach dem Tode
des Maulwurfsfängers gegen den Förster eingeleitete Untersuchung
aufgefrischt, und dieser auch wegen Tödtung -- aber mit mildernden
Umständen, da er selber dabei verwundet worden -- zu zwei Monaten
Gefängnißstrafe verurtheilt. Jetzt hatte er diese abgesessen und Niemand
sprach mehr davon oder dachte noch daran. --

Freundlicher hatten sich indessen die Verhältnisse in der Pfeffer'schen
Familie gestaltet.

Rebe's Erfolg am hiesigen Theater konnte als gesichert betrachtet
werden, denn nach der Aufführung des Fiesco wagte sich keine Opposition
mehr heraus -- oder wurde vielmehr nicht mehr bezahlt und fiel deshalb
von selbst weg. -- Strohwisch hatte Haßburg verlassen, und Rebe
bekam dadurch freien Raum und ehrliches Spiel, sich seine Stellung am
Haßburger Theater zu erkämpfen, was er ehrenvoll that. Nacheinander,
aber von dem vorsichtigen Director immer noch nur von Monat zu Monat
engagirt, trat er in den bedeutendsten und schwierigsten Rollen auf und
zeigte sich bald als ein so talent- und geistvoller Schauspieler, daß
ihn das Publikum immer lieber gewann und ihm jetzt allabendlich die
deutlichsten und lebhaftesten Zeichen seines Beifalls gab.

Aber trotzdem veränderte er seine Lebensart nicht. Seine Gage war schon
jetzt eine sehr anständige, und er hätte mit Leichtigkeit ein besseres
Quartier nehmen und besser leben können. Das Rechtlichkeitsgefühl aber,
das ihn bisher geleitet, führte ihn auch weiter, und wenn er schon
offen und ehrlich um Henriettens Hand bei den Eltern angehalten und ihre
freudige Einwilligung erlangt hatte, weigerte er sich doch, Henriette
früher heimzuführen, als er sich selber so viel Geld erspart habe, um
seiner Frau eine freundliche und angemessene Heimath gründen zu können.

Jeremias erbot sich allerdings augenblicklich, ihm jede verlangte und
nöthige Summe vorzustrecken, aber Rebe wies Alles, wenn auch freundlich
und dankend, doch entschieden zurück. Er wollte sich selber und aus
sich selber heraus seinen eigenen Herd gründen, und Henriette hatte ihn
deshalb nur um so lieber.

Darin stimmte er aber ganz mit Pfeffer überein, daß er jetzt bei Krüger
auch auf einen bestimmten und längeren Contract dringen müsse, denn das
Provisorium hatte lange genug gedauert. Rebe schrieb auch deshalb an
Krüger, und heute war eine schriftliche Antwort eingelaufen, worin
sich der Director in den schmeichelhaftesten Ausdrücken erbot,
einen fünfjährigen Contract mit Rebe als erstem Liebhaber und Helden
einzugehen, und ihm ein Concept desselben unter sehr annehmbaren
Bedingungen beilegte.

Rebe hatte augenblicklich zustimmen wollen, Pfeffer that aber
Einspruch und behauptete, daß in einer so wichtigen Angelegenheit auch
nothwendiger Weise großer Kriegsrath gehalten werden müsse. Außerdem sei
es nicht einmal gerathen, diesem »Blutsauger«, wie er seinen Director
im vertraulichen Gespräch gewöhnlich nannte, zu zeigen, daß man
augenblicklich zuschnappe, sobald er einen Brocken hinhielt. Er müsse
zappeln, er müsse eine Zeit lang in Ungewißheit gehalten werden, dann
erst dürfe man hoffen, auf einen andauernd guten Fuß mit ihm zu kommen;
sonst setze er seinen Schlachtopfern doch augenblicklich wieder den
Daumen auf's Auge.

Rebe wollte dagegen protestiren, aber es half ihm nichts; er wurde
gerade nicht überstimmt, aber von Pfeffer überschrieen, und willigte
endlich lächelnd in einen »großen Rath«, der an diesem Nachmittag bei
Pfeffer zusammenkommen und Rebe's Entschluß bestimmen solle.

Pfeffer's Schwester, die sich merkwürdig in den letzten Monaten erholt
hatte und schon tüchtig wieder im Hause wirthschaftete, arrangirte
mit Jettchen einen großen Kaffee, und selbst Fräulein Bassini war dazu
eingeladen worden und erschien, eine halbe Stunde vor der Zeit, im
höchsten Staat und Putz, so daß Pfeffer augenblicklich in sein Zimmer
stürzte, den alten Schlafrock abwarf, ein weißes, allerdings etwas
»mitgenommenes« Halstuch umband und in seinen alten blauen Frack mit
blanken Knöpfen hineinfuhr, dazu ein Paar schmutzige Glacéhandschuhe
anzog, seinen Cylinderhut aufsetzte und der Schwester nun, in der linken
Hand die lange Pfeife und an den Füßen noch immer die grüngestickten
Schlapp-Pantoffeln, entgegen ging, um sie höchst förmlich zu begrüßen.

Pfeffer hielt denn auch, als Alle versammelt waren, in diesem Costüm
seinen Vortrag, und Jeremias saß dabei und lachte, fing aber an mit
dem Kopf zu schütteln, als sein Schwager Rebe aufzuhetzen begann, den
Contract zurück zu weisen und höhere Bedingungen zu fordern. Die Gage
war nämlich von Krüger selber so hoch gestellt, wie sie nur Haßburg
mit seinen bescheidenen Verhältnissen zahlen konnte, und Jeremias
protestirte heftig gegen jede solche Ueberschreitung des Möglichen.
Pfeffer gab endlich nach.

»Gut, Kinder,« sagte er, während Fräulein Bassini daneben saß und an
einem entsetzlich langen, brennend rothen Strumpf strickte, »ich habe
nichts dagegen, wenn Rebe denn für eine solche Lumpengage bleiben soll,
wo er in Berlin und Wien das Doppelte bekommen könnte...«

»Wenn nicht dort alle Stellen besetzt wären, Herr Pfeffer...«

»So habe ich auch nichts dagegen,« fuhr Pfeffer fort, »aber in Einer
Sache müßt Ihr mir folgen -- Rebe muß ihm einen derben Brief schreiben,
in dem er den Contract allerdings annimmt, aber diesem Blutegel, diesem
Krüger, auch zu verstehen giebt, daß er ihn durchschaut und sich seines
Werthes vollkommen bewußt ist.«

»Aber, bester Herr Pfeffer,« sagte Rebe, »ich bin nicht im Stande
einen Brief zu schreiben, in dem ich etwas Anderes sagen soll, als ich
wirklich denke.«

»Dann werde ich Ihnen dictiren,« rief Pfeffer.

»Aber, Fürchtegott...« bat die Frau.

»Mach' mich nicht böse,« rief aber Pfeffer jetzt gereizt, »setzen Sie
sich dahin, Rebe, dort liegt ein Briefbogen und Feder und Tinte, und
fangen Sie an!«

»Aber willst Du das nicht lieber _mir_ dictiren, Onkelchen?« bat
Henriette, »Horatius kennt doch noch nicht so genau Deine Art und
Weise.«

»Ach was, Art und Weise -- er muß sich hinein finden, und so viel
Verstand wird er doch wohl haben! Schreiben Sie, Rebe!«

Seine Schwester Auguste saß dabei und schüttelte lächelnd den Kopf, aber
sie sagte kein Wort; ja, als Jeremias auch dagegen reden wollte, faßte
sie nur seinen Arm und flüsterte: »Laß ihn nur machen! Er will nun
einmal seinen Willen haben; das Jettchen wird schon Alles wieder in die
Reihe bringen!«

Rebe schien nicht halb damit einverstanden, aber er mochte Pfeffer auch
nicht böse machen, setzte sich also an den Schreibtisch, rückte sich den
Bogen zurecht, tunkte die Feder ein und sagte: »Also, Herr Pfeffer?«

Fürchtegott Pfeffer ging noch immer -- eine höchst possirliche Gestalt
-- mit seinem Frack und den grüngestickten Pantoffeln, wie der langen
Pfeife -- in der Stube auf und ab und blies den Rauch in kleinen hellen
Wolken von sich.

»Sind Sie so weit?«

»Ja!«

»Gut! so fangen Sie an. Ueberschrift: Herrn Director Krüger hier, --
Mohrengasse 42, erste Etage, rechts, -- erste Etage, rechts. Haben Sie
rechts?«

»Nur weiter, ich komme schon mit!«

»Also -- Schafskopf...«

»Aber, Herr Pfeffer,« sagte Rebe und sah verwundert zu ihm auf.

»So schreiben Sie doch nur, ich verliere ja sonst den Faden.«

Rebe schüttelte mit dem Kopf, und Henriette stand, mit der Hand seine
Stuhllehne gefaßt, und sah ihm lächelnd über die Schulter.

»Schreibe nur -- schreibe,« flüsterte sie, und ein eigener Zug von
Muthwillen zuckte ihr dabei über das liebe Antlitz.

»Haben Sie Schafskopf?«

»Ja, Herr Pfeffer!«

»Haben Sie endlich eingesehen, was ich Ihnen hier bin und leiste...«

»Aber,« wollte Rebe wieder remonstriren, Jettchen hielt ihm jedoch rasch
den Mund zu und flüsterte wieder: »Schreibe nur!« Er wurde gar nicht
klug aus ihr. Den Brief konnte er doch nicht dem Director schicken, das
ging ja unmöglich an.

»Was ich Ihnen hier bin und leiste -- haben Sie das?«

»Leiste,« wiederholte Rebe kopfschüttelnd.

»Das Lumpengeld, was Sie mir bieten, ist freilich kaum die Hälfte
dessen, was ich verdiene...«

Rebe schrieb jetzt -- er wollte wenigstens einmal sehen, was daraus
würde, war aber fest entschlossen, nie in dieser Weise selber zu
antworten.

»Haben Sie verdiene?«

»Verdiene...«

»Und in den zwei Monaten Urlaub, die Sie vernünftiger Weise
eingeschoben...«

»Eingeschoben,« sagte Rebe.

»Werde ich das Dreifache herausschlagen -- aber ich komme doch in der
Zeit...«

»In der Zeit...«

»Aus der Schmiere hier fort...«

Rebe lachte, aber er schrieb weiter.

»Ich fühle, daß Sie mir mit dem Contract das Fell über die Ohren
ziehen -- über die Ohren ziehen -- aber ich hoffe doch mit -- dem Gelde
auszukommen -- Hol' Sie der Deubel -- so, und nun Ihren Namen darunter.«

»Und den Brief soll ich fortschicken?«

»Gewiß!« nickte Pfeffer. -- »Aber nun lesen Sie mir erst einmal vor, was
Sie geschrieben haben.«

Rebe las: »Sie Schafskopf!«

»Ach, Donnerwetter -- Unsinn!« rief Pfeffer.

»Ja, aber das haben Sie mir doch dictirt!«

»Aber Sie müssen doch,« brummte Pfeffer, -- »den Teufel auch, Sie haben
ja gar keinen Begriff vom Briefschreiben -- da weiß Jettchen besser mit
umzugehen -- na, lesen Sie nur weiter!«

»Haben Sie endlich eingesehen,« las Rebe, »was ich hier bin und leiste?
Das Lumpengeld, das Sie mir bieten...«

»Schwerenoth,« schrie Pfeffer und riß ihm das Blatt aus der Hand, »das
wollen Sie doch nicht an den Director schreiben! Jettchen, setze Du
Dich einmal hin -- der Mensch ist so kindlich, als ob er gerade aus der
Schule käme -- Sie möchte ich zum Secretär haben!«

»Ja, lieber Onkel,« lachte Jettchen, und nahm Rebe's Platz ein, »nun
dictire Du _mir_ einmal.«

»Also, bist Du fertig?«

»Alles bereit.«

Pfeffer, Rebe's Brief in der Hand, dictirte nun dem jungen Mädchen genau
dasselbe, was auf dem Blatte stand, und Jettchen schrieb. Als er wieder
mit »Hol' Sie der Deubel« schloß, nickte Jettchen und stand auf.

»So, nun lies einmal vor.«

Jettchen las: »Hochverehrter Herr!«

Pfeffer nickte, »das klingt schon besser!«

»Recht herzlich freue ich mich, daß Sie Ihre Zweifel endlich besiegt
haben und mir vertrauen. Ich nehme den mir gebotenen Contract mit Dank
an und bin Ihnen besonders für den zweimonatlichen Urlaub verpflichtet,
den ich nicht allein dazu benutzen kann, andere Bühnen zu sehen und dort
mein Glück zu versuchen, sondern mich auch noch weiter auszubilden. Ich
fühle, daß Sie mir mit dem Contract...«

»Das Fell über die Ohren ziehen,« sagte Pfeffer.

»... ein ehrendes Zeugnis meiner bisherigen Leistungen geben,« las
Jettchen, »und hoffe auf ein recht freundliches künftiges Zusammenleben
mit Ihnen und meinen Collegen.«

»Hol' Sie der Deubel,« nickte Pfeffer vergnügt.

»Hochachtungsvoll,« las Jettchen, »Ihr ergebenster Horatius Rebe.«

»Bravo!« rief Pfeffer, »der Brief hat Hand und Fuß. Sehen Sie, Rebe, von
dem Mädel können Sie noch 'was lernen!«

»Ja, aber mein bester Herr Pfeffer,« lachte Rebe, »wenn Sie sagen: Hol'
Sie der Deubel...«

»Meine ich immer »hochachtungsvoll«,« rief Pfeffer -- »das versteht sich
doch von selbst und sieht ein Kind ein!«

Jeremias hatte ruhig dabei gesessen und sich vortrefflich über Pfeffer's
Briefdictiren amüsirt, als es plötzlich anklopfte und auf sein »Herein«
ein Bedienter in Livrée auf der Schwelle erschien. Jeremias kannte
übrigens die Livrée, es war die des Grafen Rottack.

»Sie entschuldigen -- ist Herr Stelzhammer hier zu -- ah,« unterbrach er
sich, als er den kleinen Mann erkannte und ihm einen Brief überreichte
-- »wären Sie so freundlich, mir Antwort zu sagen?«

Jeremias brach den Brief auf. Er enthielt nur wenige Zeilen, in denen
ihn Graf Rottack bat, sie doch, sobald es irgend anging, zu besuchen, da
er dringend weitere Auskunft wünsche.

»Ist der Herr Graf jetzt zu Hause?«

»Allerdings, und wartet jedenfalls, bis ich ihm Antwort bringe.«

»Schön -- dann sagen Sie ihm, ich würde gleich kommen.«

»Sehr wohl, Herr Stelzhammer,« und der Diener entfernte sich.

»Wegen der Geschichte?« fragte Pfeffer, als er fort war.

»Jedenfalls,« nickte Jeremias -- »und hast Du nichts weiter von der
Sache gehört?«

»Nichts weiter, als was die Lise erzählt hat.«

»Mit Handor?« meinte diese, »das ist sicher; die Ronelli, die vor
einiger Zeit in Prag gastirte, jetzt aber schon lange wieder von da fort
ist, hat mir selber geschrieben, daß er unter einem andern Namen dort
aufgetreten, aber durchgefallen wäre. Wo er aber jetzt stecken mag, weiß
Gott!«

»Und wie lange ist das her?«

»Ja, das schreibt sie nicht.«

»Kennen Sie denn Niemanden in Prag?«

»Keine Seele -- wenn nur der Mauser noch hier wäre -- der hat Verwandte
in Prag und könnte es von dort gewiß leicht erfahren.«

»Der Mauser? -- der Souffleur? Ist denn der fort?«

»Oh, schon über sechs Wochen -- er hatte ja einen Zank mit dem Director
und ging damals ab. Natürlich aber hat Keiner von uns je wieder etwas
von ihm gehört.«

»Wenn ich den Brief nur einmal bekommen könnte,« sagte Jeremias.

»Es steht weiter nichts davon drin,« versicherte Fräulein Bassini. »Die
Ronelli ist ja in Prag nur dreimal aufgetreten und dann nach Schwerin
gegangen, und schrieb mir auch das Wenige nur, weil sie glaubte, daß es
mich interessiren könne. Wenn nur der Mauser noch da wäre, der könnte
uns gewiß weitere Auskunft verschaffen. Doch was liegt daran, wo sich
der Lump, dieser Handor, jetzt aufhält, und ich möchte wirklich wissen,
was der Graf mit dem zu schaffen hat.«

»Ich will wenigstens hören, was er verlangt,« sagte Jeremias, seinen Hut
aufgreifend. »Sobald ich kann, komme ich zurück.«

Er fand den jungen Grafen Rottack schon seiner harrend, und dieser
kam auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen und rief: »Mein lieber
Jeremias, ich bin Ihnen unendlich dankbar für Ihre Freundlichkeit. Wir
haben Sie sehnsüchtig erwartet!«

»Mein bester Herr Graf!«

»Kommen Sie herein -- Helene ist auch drin und will Sie sprechen -- wir
müssen zusammen berathen, was zu thun ist.«

Helene begrüßte den alten Freund in der That auf das Herzlichste --
aber wie bleich und leidend sah sie aus -- wo war das Feuer und Leben
geblieben, das sonst aus ihren guten Augen sprühte -- wie wehmüthig
lächelnd reichte sie ihm die Hand, und wie ängstlich drängte sie danach,
die Sache erledigt zu sehen, die jetzt ihre ganze Seele in Anspruch
nahm: das Schicksal der armen Paula.

Rottack unterstützte sie darin. »Die Nachricht, die Sie uns neulich
gaben, Jeremias,« rief er aus, »hat Bestätigung erhalten. Ich habe
augenblicklich nach Prag an einen Freund geschrieben, und heute Morgen
kam die Antwort. Ein Schauspieler, der sich dort Boslaw nannte und in
Prag auftrat, scheint allerdings dieser unglückselige Handor zu sein,
der jene Gegend jetzt unter einem falschen Namen bereist, möglicher
Weise, um seinen Gläubigern keine Spur seines Aufenthalts zu geben. Das
Gerücht nannte dort wenigstens jenen Namen.«

»Und wo steckt er jetzt? Ist er noch in Prag?«

»Das weiß Gott,« seufzte Felix -- »von Prag scheint er fort zu sein.«

»Er kann es nicht gewesen sein,« rief Helene, »die Beschreibung jener
Person, die er bei sich hatte, paßt doch wahrhaftig nicht auf Paula.«

»Hatte er Jemanden bei sich?« sagte Jeremias.

»Allerdings,« nickte Felix, »dieser Boslaw soll mit einem Frauenzimmer
gereist sein, das er für seine Frau ausgab -- eine kleine dicke Person,
anscheinend eine Böhmin -- aber Gott weiß, was da vorgegangen ist!«

»Es ist nicht möglich!« rief Helene unter vorquellenden Thränen.

»Frau Gräfin,« sagte Jeremias, »es ist Alles möglich auf der Welt,
besonders das; denn daß sich eine anständige Dame nicht lange mit diesem
-- Lump glücklich fühlen konnte, war vorauszusehen. Aber was wollen Sie
jetzt thun?«

»Sie sollen uns helfen, Jeremias!« rief Graf Rottack.

»Ich? -- Aber wie?«

»Sie sind mit den Verhältnissen am Theater bekannt. Sie haben hier
eine Menge von Leuten kennen gelernt und können dort rasch neue
Bekanntschaften anknüpfen. Ich würde selber reisen, aber ich darf jetzt
meine arme Helene nicht allein lassen; so thun Sie uns die Liebe und
machen Sie den Versuch, ob Sie nicht an Ort und Stelle etwas Näheres
erfahren können. Daß Sie praktisch sind, weiß ich -- Sie werden nichts
versäumen, und an Geld steht Ihnen zu Gebot, was Sie brauchen.«

»Mein lieber Herr Graf,« sagte Jeremias verlegen, »das ist eine ganz
eigenthümliche Sache, und ob ich gerade zu so etwas passe, weiß ich
wahrhaftig nicht. Wirklich den Fall gesetzt, daß ich sie finde, was kann
ich thun? Wenn die junge Gräfin bei ihrem jetzigen Manne bleiben will,
wie kann ich als ein vollkommen fremder Mensch sie daran hindern,
und ihr Mann würde mich erst recht ansehen, wollte ich sie nur danach
fragen. Ich glaube, ich geriethe da in eine höchst unglückliche
Situation und müßte jedenfalls wieder unverrichteter Sache abziehen.«

»Sie sollen nichts thun, Jeremias,« rief Helene bittend, »als den
Thatbestand erforschen -- nur uns Gewisses über dort berichten, denn wir
kennen keinen Menschen, auf den wir uns so fest verlassen könnten, als
auf Sie.«

»Hm, das ließe sich schon eher hören,« nickte Jeremias, »abkommen könnte
ich jetzt hier; was ich zu thun hatte, ist besorgt, und wenn ich wüßte,
daß Ihnen damit ein Gefallen geschähe...«

»Ich würde Ihnen ewig dankbar dafür sein,« rief Helene.

»Topp! ich reise,« sagte Jeremias entschlossen -- »Ihnen, Frau Gräfin,
habe ich noch nie 'was abschlagen können, das wissen Sie wohl von alten
Zeiten her -- Apropos nichts wieder von Santa Clara gehört?«

»Wir haben Briefe erhalten,« sagte Felix, »aber es steht nichts darin,
was Sie interessiren könnte -- ausgenommen, daß die Colonie unter
Sarno's Führung blüht und gedeiht und -- ja, doch das Eine -- daß Baron
Jeorgy plötzlich verschwunden ist!«

»Durchgebrannt,« lachte Jeremias, -- »nur ein Wunder, daß er sich so
lange gehalten hat.«

»Und Director Sarno hat sich verheirathet,« sagte Helene.

»Hurrjeh!« rief Jeremias voller Erstaunen, indem er blitzschnell
herumfuhr -- »ob ich's ihm nicht immer prophezeit habe! Aber wen?«

»Ein junges, braves Mädchen, die Tochter eines Colonisten, die mit ihren
Eltern einen der furchtbaren Parcerie-Verträge im Norden durchgemacht
hatte,« sagte Felix.

»Und es geht ihm gut?«

»Vortrefflich -- aber jetzt, Jeremias, ist keine Zeit mehr zu versäumen.
Wenn Sie uns wirklich die Liebe erzeigen wollen, so müssen Sie
unverweilt aufbrechen. Sind Sie mit warmen Kleidern versehen?«

»Hinlänglich -- ich habe mich noch immer nicht wieder an die Kälte
gewöhnen können und friere mordmäßig.«

»Und bei Ihnen zu Hause geht Alles gut?«

»Danke, ja! Meine selige Frau ist wieder ganz auf dem Zeug.«

»Ihre selige Frau?« lachte Helene.

»Ach ja so,« sagte Jeremias erschreckt; »weiß der liebe Gott, wie es
kommt, aber das Wort fährt mir immer heraus. Es ist mir in einem fort,
als ob mir die Frau schon einmal gestorben und jetzt erst wieder
neu geboren wäre. Aber was kann's helfen,« setzte er seufzend hinzu,
»geschehen ist nun einmal geschehen, und das einzige Glück, daß ich doch
jetzt im Stande bin, Manches gut zu machen, was ich früher verdorben.
Nachher gehe ich wieder nach Brasilien.«

»Sie wollen zurück?« rief Helene erstaunt.

»Es wird sich nicht anders machen -- was soll ich hier, wenn ich das
Mädel versorgt weiß -- aber jetzt haben wir Anderes zu denken,« brach er
kurz ab, »und, wie gesagt, wenn ich Ihnen damit dienen kann, brech'
ich die Nacht noch auf -- viele Vorbereitungen habe ich überdies nicht
nöthig.«

»Und tausend Dank im Voraus,« rief Rottack, ihm die Hand herzlich
schüttelnd, »Sie glauben nicht, welche Last Sie mir dadurch von der
Seele nehmen.«

»Und wie heißt der Herr, der Ihnen von dort geschrieben?«

»Kommen Sie jetzt mit in mein Zimmer, Jeremias,« sagte der junge Graf,
»dort gebe ich Ihnen alle in meinem Besitz befindlichen Notizen,
und sobald Sie dort etwas Näheres erfahren, telegraphiren Sie
augenblicklich.«

Jeremias bedurfte keiner großen Unterweisung, denn er fand sich
außerordentlich leicht in Alles, also auch in das, was hier von
ihm verlangt wurde. Dann ging er noch einmal zu Pfeffers, um diesen
anzuzeigen, daß er auf acht oder zehn Tage verreisen werde, packte
nachher seinen Koffer und erwartete dann unten auf dem Bahnhof den
Abendzug, der zwischen neun und zehn Uhr durchkam.




31.

Jeremias auf Reisen.


Es war bitterkalt die Nacht, und obgleich der März schon seit ein paar
Tagen begonnen hatte, schien es doch fast, als ob der Winter noch gar
nicht daran dächte, Abschied zu nehmen, oder doch wenigstens noch einmal
zu guter Letzt zeigen wolle, was er könne.

Jeremias versuchte zu schlafen, aber es ging nicht; jede Viertelstunde
stiegen Passagiere aus und ein, und die Schaffner schlugen dann jedesmal
mit den Thüren, daß er immer wieder erschrocken emporfuhr. Und was ging
ihm auch nicht Alles im Kopf herum! Brasilien, ja, in Brasilien war's
jetzt freilich wärmer, und dort hätte er nicht so zu frieren brauchen
-- aber wieder dahin zurück? Früher hatte er sich dort allerdings
wohl befunden, aber die deutschen freundlichen Verhältnisse auch fast
vergessen gehabt. Jetzt, da er sie wiedergefunden, da er sich wohl
darin fühlte, sollte er sie wieder verlassen und allein in die Fremde
hinausziehen? Aber was wollte er hier? Sein Kind war jetzt bald versorgt
und glücklich, und seine Frau -- war es denn noch seine Frau, und er
nicht rechtskräftig und für immer von ihr geschieden? Ja, so lange sie
krank lag, konnte er sie besuchen und mit ihr verkehren; jetzt, da sie
gesund und kräftig geworden und sich von Tag zu Tag mehr erholte, mußte
das aufhören, das fühlte er selber, oder er brachte sie in das Gerede
der Leute, die sich nicht leicht eine Gelegenheit entschlüpfen lassen,
Uebles von ihren Nebenmenschen zu denken und zu reden. Und sollte er in
derselben Stadt mit ihr als Fremder leben? Das ging nicht, und es war
das Allergescheidteste, er schiffte sich ruhig wieder nach Brasilien ein
-- Brasilien -- Hundeleben dort, was ein Mensch nur aushalten mochte,
wenn er nicht mehr in Deutschland existiren konnte.

Er wickelte sich fester in seine dicke Reisedecke, zog die Pelzstiefel
noch höher herauf und drückte sich wieder in die Ecke. Er wollte
schlafen. Das Grübeln und Nachdenken sollte der Teufel holen.

So verging die Nacht und der Morgen dämmerte endlich durch die fest und
dick zugefrorenen Fenster des Coupés.

Jeremias beschäftigte sich jetzt eine Weile damit, sie mit Anhauchen
wieder aufzuthauen, und brachte endlich glücklich ein kleines Loch zu
Stande, durch das er hinaus in's Freie sehen konnte, gab es aber
in Verzweiflung wieder auf, als er die trostlose, monotone Gegend
entdeckte, durch die der Zug brauste. Schneefelder, so weit das Auge
reichte; einzelne Züge von schwarzen Raben und dann und wann eine
kleine, magere Kieferndickung; und dort drüben lag ein Dorf, ärmliche
Hütten mit Strohdächern, aus denen der blaue Rauch in's Freie quoll. Die
Aussicht lohnte nicht der Mühe, um sich fast die Seele aus dem Leib zu
hauchen. Er ließ die Oeffnung wieder zufrieren und bekümmerte sich nicht
weiter um die Landschaft, bis der Zug endlich, etwa gegen Mittag, in
Prag selber anhielt.

Er brauchte, dort angekommen, den halben Nachmittag, um sich erst wieder
zu restauriren und ordentlich aufzuthauen, und benutzte indessen
die Zeit, um sich aus dem Adreßbuch eine Anzahl Namen und Wohnungen
abzuschreiben.

Gegen Abend ging er auf seine erste Wanderung aus, und zwar um zuerst
jenen Herrn, einen Baron von Toggenburg, aufzusuchen, der dem Grafen
Rottack geschrieben und an welchen ihm dieser einen Empfehlungsbrief
mitgegeben. Dort aber, wie später beim Director des Theaters, erhielt
er nur ganz unbestimmte, vage Nachrichten, die allein darin
übereinstimmten, daß jener Boslaw, der wahrscheinliche Handor, Prag vor
einiger Zeit wieder verlassen und sich nach Schlesien gewandt habe.

Was nun? Schlesien war groß, und auf ein solches Gerücht hin konnte er
doch wahrhaftig nicht nach Schlesien reisen, um dort seine Nachforschung
fortzusetzen.

Eine andere Sache, die ihn förmlich verwirrt machte, war die genaue
Beschreibung der Person, die Boslaw bei sich gehabt: eine volle, üppige
Gestalt, aber mit einem gemeinen sinnlichen Ausdruck in den Zügen, die
besonders gern Champagner trank und in der kurzen Zeit ihres Aufenthalts
hier eine Masse Schulden machte.

Das war auf keinen Fall die junge, bildschöne Comtesse Monford gewesen,
und hatte wirklich Handor seinen Namen in Boslaw umgeändert, wo konnte
er dann das junge, unglückliche Geschöpf zurückgelassen haben, das er
aus seiner Eltern Haus entführt?

Jeremias ließ sich übrigens keine Mühe verdrießen und besuchte sogar
verschiedene Mitglieder des dortigen Theaters, um von diesen Näheres
über jenen Boslaw zu hören -- vergeblich. Die Leute wußten ebenfalls
nichts weiter, als daß der Herr Boslaw ein einziges Mal aufgetreten und,
da er total mißfiel, schon am nächsten Morgen wieder abgereist sei --
wohin? Lieber Gott, wer fragte hier danach! Vielleicht erfuhr er das auf
der Polizei.

Das war ein neuer Anhaltspunkt -- an die Polizei hatte Jeremias noch
nicht einmal gedacht. Spornstreichs lief er dorthin, und wenn es
auch einige Schwierigkeiten hatte, unter all' den Beamten endlich den
richtigen aufzufinden, der ihm über derartige Fremde Auskunft geben
konnte, so ließ er sich doch keine Mühe verdrießen, ja, saß selbst
anderthalb Stunden mit einer wahren Engelsgeduld auf einer Bank im
Vorsaal, zwischen lauter Galgengesichtern und Dienstmädchen, immer
von der Seite angesehen und beflüstert, was er wohl ausgefressen haben
mochte, daß er hier sitzen mußte, bis die Reihe an ihn kam -- und dann
auch umsonst.

Der betreffende Beamte brachte wirklich heraus, daß sich ein
Schauspieler Boslaw vor einiger Zeit hier in Prag drei Tage mit seiner
Frau, Kathi Boslaw, aufgehalten und im »König Wenzel« logirt habe, dann
aber wieder abgereist sei. Sein Paß war jedenfalls in Ordnung gewesen;
was kümmerten sich die Leute darum, wohin »derartiges Volk« zog, wenn es
ihnen hier nicht zur Last fiel!

»König Wenzel« -- dort war vielleicht noch eine Möglichkeit, etwas
Näheres zu erfahren, und Jeremias versäumte auch diese nicht -- und
wieder vergebens. Der Wirth wußte von dem jetzigen Aufenthalt des Herrn
Boslaw gar nichts; er wollte aber, er wüßte es, daß er den Herrn noch
fassen könnte, der nach bezahlter Rechnung seinem Kellner noch eine
Flasche Champagner abgeschwindelt und, ehe er es erfuhr, das Weite
gesucht hatte. Er schimpfte dabei entsetzlich auf die Schauspieler, die
seiner Meinung nach nur allein deshalb in der Welt herumzögen, um arme
Wirthe zu betrügen und sich nachher in's Fäustchen zu lachen.

Ueber die Frau, als Jeremias diese erwähnte, wußte er nun gar kein Ende
zu finden. Das sollte ein wahrer Drache gewesen sein, die mit seiner
eigenen Frau schon in der ersten Stunde Skandal gehabt und sich bodenlos
gemein betragen hätte.

»Und können Sie mir keine Spur angeben, wo ich den Menschen wieder
auffinden möchte?«

»Aha, Ihnen ist er wohl auch durchgebrannt?« lachte der Wirth. »Ja,
lieber Freund, und wenn Sie ihn träfen, was würd's Ihnen helfen? Das
ist eine pauvre Wirthschaft bei dem Pärchen, wenn die Madame
auch aufgedonnert genug geht; aber 's ist ja Alles falsch. Einen
Brillantschmuck hat die Person, der eine sechstausend Gulden werth
sein müßte, wenn er ächt wäre; aber wo sollte die solche ächte Steine
herkriegen? Landsleute sind's.«

»Herr Boslaw?« sagte Jeremias.

»Nein, die Steine -- böhmische, mein' ich. Wenn Sie meinem Rath folgen
wollen, lassen Sie ihn laufen; 's kommt nichts bei der Sache heraus, und
Sie verreisen mehr Geld und Zeit dabei, als die Lumperei werth ist.«

»Und wo sich Herr Boslaw früher aufgehalten hat, davon wissen Sie gar
nichts?«

»Nein, ich bin auch nicht neugierig danach und weiß nur so viel, daß wir
ihn hier nicht wieder zu sehen bekommen werden.«

Es war aus dem Mann nichts weiter heraus zu bekommen, und Jeremias
begann einzusehen, daß er sich seine Winterreise nach Prag hätte sparen
können, denn hier, an Ort und Stelle, erfuhr er nur einzig und allein
die Bestätigung dessen, was sie schon in Haßburg über den Aufenthalt des
Menschen in Prag gehört.

Und sollte er noch länger hier bleiben? Er wäre am liebsten gleich
zurückgekehrt, aber dem Grafen Rottack lag die Sache so am Herzen, die
liebe junge Gräfin hatte ihn so darum gebeten; er mußte jedenfalls noch
ein paar Tage zugeben; möglich ja doch, daß er noch irgend Jemanden
traf, der ihn auf eine bessere Spur bringen konnte. Er wollte es
jedenfalls versuchen, denn er haßte nichts mehr, als so ganz nutz- und
erfolglos in der Welt herumgefahren zu sein.

Nur allein von den Schauspielern selber konnte er aber hoffen, irgend
etwas über diesen vermeintlichen Handor oder seine früheren Verhältnisse
zu erfahren; er studirte deshalb einige Theaterzettel durch, um keinen
zu übergehen, schlug die Wohnungen auf und trat dann seine Wanderung
an, die ihn allerdings mit einigen sehr interessanten Persönlichkeiten
zusammenbrachte, sonst aber auch nicht den geringsten Erfolg hatte.
Einige behaupteten allerdings, jener Boslaw sei ihnen bekannt
vorgekommen und jedenfalls ein routinirter Schauspieler, sein jetziger
Name ihnen aber gänzlich fremd, und da er nie mit irgend Jemandem von
ihnen, ausgenommen auf der einen Probe, verkehrt, habe man sich auch
nicht weiter um ihn bekümmert.

Das war das nämliche Resultat überall, wohin er kam, bei den Herren wie
bei den Damen, und die letzteren besonders verwahrten sich gleich von
vornherein gegen die Möglichkeit, auch nur den entferntesten Umgang mit
einem solchen »Paar« gehabt zu haben, wie jener Herr und Frau Boslaw.

Jeremias wurde dadurch immer unsicherer und zuletzt ganz fest überzeugt,
daß er hier auf einer vollkommen falschen Fährte herumsuche, denn
Handor selber -- was er früher von ihm gesehen -- hatte sich immer sehr
anständig benommen, und seine junge Frau, die liebenswürdige Comtesse
Paula, hätte ja alle Herzen im Sturm erobern müssen. Boslaw und Handor
mußten also ganz entschieden zwei total verschiedene Persönlichkeiten
sein, und unter solchen Umständen blieb es dann allerdings das Beste,
nur wieder ruhig nach Haßburg zurückzukehren und von dort aus zu sehen,
ob man nicht eine bessere Spur bekommen könne.

Einmal mit diesem Entschluß im Reinen und in dem vollen Bewußtsein, in
dieser fremden Stadt sein Möglichstes gethan zu haben, um das in ihn
gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen, packte er auch seinen Koffer
wieder, zahlte seine Rechnung und ging hinaus auf den Bahnhof, um sein
Billet zu lösen.

Das Wetter war bitter kalt, aber die Sonne schien hell und klar auf den
knisternden Schnee nieder, und eine Menge Leute waren unterwegs, um den
freundlichen Tag zu einem Spaziergang zu benutzen. Geputzte Menschen
schritten überall an ihm vorüber oder er überholte sie; aber was
kümmerten ihn die Fremden, er kannte doch keinen von ihnen, und eilte
nur, ohne sich weiter umzusehen, dem Hausknecht nach, der in einem
halben Trab, mit seinem Koffer aus der Schulter, vor ihm her lief.

»Herr Stelzhammer!« schrie ihm da plötzlich Jemand so laut und so nahe
in die Ohren, daß er ordentlich zusammenfuhr und sich bestürzt umsah.
Dicht neben ihm stand aber ein kleiner, schmächtiger Herr, etwas schäbig
gekleidet, mit einer langen italienischen Cigarre im Munde, der ihn
ganz erstaunt zu betrachten schien. »Ja, wo zum Teufel kommen _Sie_ denn
her?«

Jeremias würde das ausdruckslose Gesicht im Leben nicht wieder erkannt
haben, wäre er nicht durch das unmäßige Schreien des Mannes an die
Persönlichkeit erinnert worden.

»Herr Du meine Güte,« rief er aus, »habe ich nicht das Vergnügen, mit
Herrn Mauser...?«

»Na versteht sich -- kennen Sie mich noch?«

»Heh, Hausknecht! Heh, holla!« schrie Jeremias indessen hinter dem
davongelaufenen Burschen her. »Entschuldigen Sie einen Augenblick, ich
bin gleich wieder da -- ich habe Ihnen etwas Wichtiges zu sagen!« Und
wie ein Pfeil schoß er hinter dem vorangegangenen Hausknecht her, um
diesen mit seinen Sachen wieder zurück in das Hotel zu dirigiren.

Mauser blieb indessen ordentlich verblüfft mitten auf der Straße stehen.
Der kleine Fremde aus Haßburg hatte _ihm_ etwas Wichtiges zu sagen und
brannte dabei durch, als ob er vor der Polizei davonliefe! Er sah ihm
kopfschüttelnd nach und überdachte sich eben, was möglicher Weise die
Ursache eines so wunderlichen Betragens sein könnte, als Jeremias mit
dem glücklich eingeholten Hausknecht, dem er schon unterwegs seine Ordre
gegeben, zurückkehrte, sich um diesen auch gar nicht weiter kümmerte,
sondern ohne Umstände den Souffleur unter den Arm faßte und zu ihm
sagte:

»Herr Mauser, Sie haben einen schmählichen Durst, wie? Hab' ich nicht
Recht? Man sieht's Ihnen an, einen Durst, der unter Brüdern fünf Gulden
werth ist und den es Sünde wäre, mit Wasser zu löschen. Sie sind doch
kein Kostverächter?«

»Bitte,« schrie Mauser, »nie im Leben gewesen, und habe auch wissentlich
nichts gethan, um einen solchen Verdacht zu rechtfertigen.«

»Schön, dann kommen Sie mit mir,« rief Jeremias, »oder wenn Sie einen
Platz wissen, wo vorzüglicher Wein zu haben ist -- denn das hiesige Bier
soll der Teufel holen, wann er Lust hat --, so führen Sie mich, daß wir
ein halbes Stündchen mit einander plaudern können.«

»Trinken Sie gern Ungarwein?« fragte Mauser, dem das Wasser schon im
Munde zusammenlief.

»Leidenschaftlich.«

»Brav, dann kommen Sie, dann bringe ich Sie zu einem Platz, an dem Sie
ein Glas Adelsberger kosten sollen, nach dem Sie alle zehn Finger lecken
-- bildlich gesprochen, natürlich.«

»Guter Mensch,« sagte Jeremias gerührt, während sich die Vorbeikommenden
schon um die Beiden sammelten, weil sie glaubten, es beginne dort eine
Prügelei, so furchtbar schrie Mauser. Jeremias faßte ihn aber ohne
Weiteres unter den Arm, und da ihm Mauser die Richtung bezeichnete,
schritten sie zusammen über die Brücke und betraten bald darauf eins
jener alten Schenklocale mit gewölbten, kellerartigen Räumen, wie sie
sich in vielen alten Städten, besonders aber in Oesterreich finden, wo
dann ein höchst mittelmäßiges Bier, aber ein ganz ausgezeichneter Wein
verzapft wird.

Dort, Jeder vor der Hand mit einem Seidel wackern Adelsberger vor sich,
saßen die Beiden, und Jeremias ergab sich jetzt in das Unvermeidliche,
von seinem Gefährten halb taub geschrieen zu werden, nur um aus ihm
heraus zu bekommen, was er wußte. Glücklicher Weise befanden sich aber
in diesem Augenblick gar keine Gäste weiter in dem niedern, halbdunkeln
Raum, denn zum Abendbier war es noch zu früh und das schöne, klare
Wetter hatte sie alle in's Freie hinausgelockt.

Jeremias brauchte mit seiner Sache nicht hinter dem Berg zu halten,
und nachdem er vor allen Dingen Mauser's Neugierde in Betreff Haßburger
Neuigkeiten befriedigt hatte, erzählte er ihm geradezu, weshalb er
hierher gekommen sei, und sich so gefreut habe, ihn anzutreffen. War
also jener Boslaw wirklich der vermuthete Handor?

»Na, versteht sich,« schrie Mauser, wie Jeremias nur die beiden Namen
zusammen nannte. »Ich sage Ihnen, mein lieber Herr Stelzhammer, der
Musjö kriegte keinen schlechten Schreck, wie er mich hier als Souffleur
fand, denn davon hatte er keine Ahnung, und ich mußte ihm in die Hand
versprechen, Keinem vom hiesigen Personal seinen wirklichen Namen zu
verrathen. Er habe, wie er meinte, seine Gründe, hier nicht gekannt zu
sein, und darin log er gewiß nicht. Ich versprach's ihm auch, und hab's
bis jetzt gehalten; wenn Sie aber apart deshalb hierher gereist kommen,
so sehe ich nicht ein, weshalb ich's Ihnen verheimlichen soll. Was
schert mich der Musjö Handor oder seine saubere Mamsell!«

»Aber das konnte doch unmöglich die junge Comtesse Monford sein! Heh,
Mamsell, bitte noch um ein paar frische Seidel für uns; der Wein ist
wirklich ausgezeichnet.«

»Freut mi, daß er Ihna schmeckt,« sagte das dralle Schenkmädel und nahm
die leeren Seidelflaschen mit fort.

»Die? Bah!« rief der Mauser, der dem Mädchen freundlich zugenickt hatte.
»Gott bewahre, wenn sie auch jetzt ihre Brillanten trägt. Das arme
Geschöpf hat er ja schon lange sitzen lassen, weil sie krank und elend
wurde.«

»Sitzen lassen?« rief Jeremias, fast von seinem Stuhl emporfahrend.

»Ih versteht sich, das war doch klar, daß er sich mit der nicht lange
herumschleppen würde. 's ist ein gewissenloser Halunke.«

»Aber _wo_, um Gottes willen, bester Mauser? Wissen Sie nicht, wo sie
zu finden ist? Gerade ihretwegen bin ich ja hier, was schert mich der
Schuft, der Handor!«

»So?« sagte Mauser. »Ja, ob sie noch jetzt da sitzt, weiß ich nicht, vor
zwei Monaten aber traf ich sie zufällig in einem kleinen, erbärmlichen
Dorf, ein paar Meilen von hier: Hrzib.

»Wohl bekomm's Ihnen!« sagte Jeremias. »Und wissen Sie nicht, wie das
Dorf hieß?«

Mauser sah ihn erstaunt an. »Ich nannte es Ihnen ja eben: Hrzib.«

»Wie?« rief Jeremias verblüfft.

»Hrzib!« wiederholte noch einmal Mauser mit einem ganz entschiedenen
Kopfschleudern.

»Du meine Güte,« sagte Jeremias, »ich glaubte vorhin, Sie hätten
geniest!«

»Ja, Sie müssen auch niesen, wenn Sie's aussprechen wollen,« versicherte
Mauser; »ganz verfluchte Namen, die böhmischen, die Zunge geht Einem
ordentlich entzwei.«

»Und wie weit von hier liegt das Dorf?«

»Ach, mit der Eisenbahn kommen Sie bald hin; aber garantiren kann ich
Ihnen nicht, daß sie noch dort ist. Sie war damals krank im Wirthshause;
ich sah sie in der Gaststube und hätte sie auch gern angeredet, aber
sie zog sich so furchtsam vor mir zurück, daß sie mir leid that, und ich
dachte mir auch, daß es ihr gerade nicht angenehm sein könnte, Jemanden
aus Haßburg zu begegnen.«

»Und wie kommt man am besten dorthin?«

»Wie Sie hinkommen? Sie fahren bis Podiebrad mit der Bahn und nehmen
sich dort einen Wagen oder Schlitten. Wo logiren Sie denn hier?«

»Im Schwarzen Roß.«

»Donnerwetter, Sie geben's fein; aber der Wirth dort kann Ihnen genau
die Route beschreiben. Ich fürchte, Sie machen eine Metzgerfahrt, denn
ich kann mir nicht denken, daß sich das arme Weibchen in dem Nest zwei
Monate aufgehalten hat.«

»Und ihr Mann war damals bei ihr?«

»Gott bewahre, der bummelte in der Welt herum. Wie mir die
Wirthsleute sagten, hatte er sie dort gelassen und versprochen, gleich
zurückzukehren, war aber schon vierzehn Tage fort, und wie er jetzt
hierher kam, trieb er sich mit einem so gemeinen Geschöpf herum -- pfui
Teufel!«

»Aber Sie nannten doch dort ihren Namen, daß die Leute in ihre Heimath
schreiben konnten?« rief Jeremias.

»Wo's mich nicht juckt, kratz' ich mich nicht,« sagte Mauser; »wenn
sie das wollte, konnte sie's selber thun. Werde mich hüten und mich in
Familien-Angelegenheiten mischen -- einmal gemacht, und nicht wieder.«

»Ob man wohl noch heut Abend hinkommen könnte?« sagte Jeremias, der
keine Ruhe mehr hatte.

»Sie sind wohl toll!« rief Mauser; »es dämmert schon und die Nächte
sind stockdunkel. Wenn Sie Nachts von Podiebrad fort wollten und bei dem
Schnee vom Wege abkämen, könnten Sie Hals und Beine brechen. Wollen
Sie absolut nachsehen, so fahren Sie morgen früh mit Tagesanbruch weg;
nachher haben Sie den ganzen Tag vor sich. 's wird doch ein vergebener
Gang sein, denn sie ist nicht mehr dort.«

»Und in welchem Wirthshause war sie?«

»In welchem? Glauben Sie, daß in dem Nest mehr wie eins ist? Ne, da
können Sie nicht irre gehen.«

»Aber den Namen von dem verwünschten Ort behalt' ich in meinem Leben
nicht. Wie hieß er?«

»Hrzib; na warten Sie, ich gehe nachher mit Ihnen in Ihr Hotel und
beschreib' es dem Wirth selber. Das wird das Gescheidteste sein -- wie?«

»Sie sind ein Goldmann, Herr Mauser; ich weiß nicht, wie ich es Ihnen
danken soll.«

»Bitte,« schrie Mauser; »trinken wir noch ein Seidel?«

»Sechs, wenn Sie wollen,« rief Jeremias, »da ich heut Abend doch nicht
mehr fahren kann; denn ich glaube selber, es ist am besten, ich warte
bis morgen früh.«

»Denken Sie nur gar nicht daran.«

»Dann sind Sie auch heut Abend mein Gast, und Sie haben sich noch
außerdem eine sehr wackere Familie zum höchsten Dank verpflichtet.«

»Reden wir nur gar nicht mehr davon,« schrie Mauser, äußerst vergnügt
über die Aussicht eines fidelen Abends; »famoser Zufall, daß wir uns
hier getroffen haben, und -- Apropos, wie geht es denn Fräulein Bassini,
Ihrer Fräulein Schwägerin? Sie soll leben, Herr Stelzhammer, Sie soll,
hol' mich der Teufel, leben!«

Jeremias fand, daß dem kleinen Mann der starke Wein etwas zu Kopf
gestiegen war, und da jetzt auch schon mit anbrechendem Abend einzelne
Gäste eintrafen, schlug er ihm vor, noch einen kurzen Spaziergang zu
machen und dann im »Schwarzen Roß« zu soupiren.

Das war nicht abzuschlagen, und Jeremias brachte später den kleinen
fidelen Souffleur -- der glücklicher Weise heut Abend nicht zu
souffliren hatte, oder es wäre um das Stück geschehen gewesen -- auf
seine eigene Stube, wo sie bei einem delicaten Abendbrod und noch
delicateren Weinen so lange zusammen saßen, bis Mauser selber erklärte,
heute fände er den Heimweg nicht mehr, so viel sei sicher, und morgen
früh würde ihn der Nachtwächter wohl halb oder dreiviertel erfroren an
irgend einer Straßenecke treffen.

Dem wollte ihn Jeremias doch nicht aussetzen, ließ ihm also ein
Zimmer im Hotel geben, brachte ihn selber zu Bett, und traf dann seine
Vorbereitungen, um am nächsten Morgen mit dem Frühzug nach Podiebrad und
von da ohne Säumen nach jenem bezeichneten Dorf mit dem entsetzlichen
Namen hinüber zu fahren.

Am liebsten hätte er freilich gleich noch heut Abend nach Haßburg
hinüber telegraphirt, daß er eine Spur gefunden habe und ihr jetzt
folgen wolle, um Rottacks wenigstens einige Hoffnung zu machen. War
aber das junge, unglückliche Wesen nicht mehr in jenem kleinen Nest und
verlor er dort wieder ihre Spur -- was dann? Es blieb immer besser, erst
dort an Ort und Stelle seine Nachforschungen zu beginnen, was er auch
mit der größten Sicherheit thun durfte, denn wenn er die Comtesse auch
schon in Haßburg gesehen hatte, ihn kannte sie auf keinen Fall, selbst
wenn er auch seinen Namen nannte.

Beim Portier ließ er jetzt nur noch auf die Tafel schreiben, daß er
zur rechten Zeit geweckt sein wolle, und legte sich dann mit dem
beruhigenden Bewußtsein schlafen, doch jetzt ein bestimmtes Ziel zu
haben, dem er nachfahren könne, und nicht mehr länger in der Irre
umhersuchen zu müssen.

Jeremias hatte am vorigen Abend wie Mauser ganz tüchtig gebechert, aber
der kleine Mann konnte auch eine ordentliche Portion vertragen, und
um halb sechs Uhr am nächsten Morgen saß er schon fertig angezogen und
reisebereit vor seinem Kaffee, und unten klingelten auch gleich darauf
die mit tönenden Schellen behangenen Pferde, als der Kutscher aus
dem Thorweg heraus und vor das Haus fuhr, um dort seinen Passagier zu
erwarten und nach dem Bahnhof zu bringen.

Und der Wind pfiff nicht schlecht am Fluß herauf, der Himmel hatte sich
dabei umzogen, und es fing an gefrorenen Regen herunter zu werfen, der,
wo er in's Gesicht traf, wie Nadeln stach. Aber was half's; der
Weg mußte zurückgelegt werden, und mit einer Anzahl wollener Decken
versehen, die er sich vom Wirthe geborgt hatte, um nachher von Podiebrad
Fuhrgelegenheit zu nehmen und ordentlich eingepackt zu sein, warf er
sich in sein Coupé und sah mit Ungeduld der Zeit entgegen, die ihm
Gewißheit über die Gesuchte bringen sollte.

In Podiebrad hatte es auch keine Schwierigkeit, ein Fuhrwerk nach jenem
Dorfe, dessen Namen er deutlich geschrieben auf einem Zettel bei sich
trug, zu finden, und gegen Mittag etwa erreichte er den kleinen Ort und
hielt bald darauf vor der Schenke -- einem traurigen, wüsten Aufenthalt.

Und hier sollte er die junge, an jede Bequemlichkeit von Jugend auf
gewöhnte Comtesse finden? Er schauderte ordentlich, als er sich die
Möglichkeit dachte, daß sie hier Monate lang allein und freundlos
gehaust habe. Das war auch gar nicht möglich, und er fürchtete jetzt
fast ebenso, ihr hier zu begegnen, wie er sich früher danach gesehnt
hatte, sie anzutreffen.

»Und was mache ich mit den Pferden, Herr?« fragte der Kutscher, als
Jeremias vor der Schenke aus dem Schlitten stieg.

»Stellt sie ein, Freund,« lautete die Antwort, »ein Stall wird doch
hier zu finden sein. Ich bleibe wahrscheinlich ein paar Stunden hier und
fahre dann wieder zurück.«

Damit trat er in das Haus und in die niedere, furchtbar geheizte
Gaststube, aus der ihm aber ein widerlicher Dunst entgegen schlug, daß
er ordentlich erschreckt einen Moment in der Thür stehen blieb, um seine
Lunge erst an diese Atmosphäre zu gewöhnen.

Gäste waren nicht im Zimmer, einen Fuhrknecht ausgenommen, der am Tisch
saß, ein großes Glas Branntwein vor sich hatte und aus einer kurzen,
schmutzigen Pfeife Wolken stinkenden Tabaksqualms ausstieß. Jeremias war
in Brasilien gerade nicht mit sehr vorzüglichem Tabak verwöhnt worden,
der hier roch ihm aber doch außer dem Spaß. Aber was half es; es mußte
ertragen werden, und mit einem freundlichen Gruß gegen den Mann, der
ihm nur kurz zunickte, wandte er sich an ein weibliches Individuum,
möglicher Weise die Wirthin oder auch vielleicht eine Dienstmagd, die
aber von Schmutz starrte, und fragte sie, ob hier im Hause eine Dame
seit einiger Zeit logire.

Die Antwort, welche er bekam, war böhmisch; das Frauenzimmer verstand
kein Wort Deutsch und zeigte nur dabei auf den Fuhrknecht, der ihr
wahrscheinlich als Dolmetscher dienen sollte.

Er wandte sich jetzt an diesen und wiederholte seine Frage, bekam aber
auch keine Antwort, denn der Mann unterhielt sich jetzt erst eine ganze
Weile mit der Frau in einem Kauderwälsch, von dem Jeremias natürlich
keine Sterbenssilbe verstand. Endlich drehte er wieder den Kopf nach ihm
herum.

»Wen suchen Sie?« sagte er allerdings auf Deutsch, aber so gebrochen,
daß Jeremias genau aufpassen mußte, wenn er die Worte verstehen wollte.

»Eine Dame,« sagte Jeremias, »die vor etwa zwei oder drei Monaten in
dieses Dorf gekommen und allein hier geblieben ist.«

»Eine Dame?« wiederholte der Mann erstaunt und mit dem Kopf schüttelnd.
»Was sollte die hier machen?«

»Ein junges Frauenzimmer,« lenkte Jeremias ein, der daran dachte, daß
der Bursche unter Dame vielleicht etwas ganz Anderes verstand.

»Ja so!« rief der Fuhrknecht, und jetzt begann wieder ein langes
Gespräch mit dem Weib hinter dem Ofen, das beschäftigt war, ein paar
Suppennäpfe auszuwischen. Jeremias wartete auch geduldig seine Zeit ab,
um die Beiden nicht zu stören.

»Sie kam mit einem Manne?« fragte endlich der Fuhrknecht wieder, und
Jeremias nickte nur.

»Und der Mann ging nachher fort und kam nicht wieder?«

»Dieselbe. Ist sie noch hier im Hause?«

Der Fuhrknecht schüttelte mit dem Kopf. »Nein, die ist lange fort.«

»Fort? Aber wohin?« rief der kleine Mann in Verzweiflung. »Kann mir denn
Niemand sagen, wo sie sich jetzt aufhält?«

»Bei Blshrad.«

»Herr Gott, wieder so ein Name!« stöhnte Jeremias. »Aber wo liegt das?«

»Wo das liegt?« sagte der Mann erstaunt.

»Ich meine, ob es weit von hier ist?«

»Ne,« sagte der Bursche.

»Aber wie komm' ich hin?«

»Wie Sie hinkommen? Na, ganz leicht; grad' über die Straße hinüber, das
vierte oder fünfte Haus links.«

»Hier im Ort?« rief Jeremias und fuhr mit Blitzesschnelle von seinem
Sitz empor.

»Nu ja, versteht sich,« nickte der Mann; »das Weibsen hatte kein Geld
mehr, und der Wirth hier, mit nur einer ordentlichen Stube im Hause, wo
sich Fremde unterbringen ließen, konnte die doch nicht Jemandem lassen,
der nicht einmal mehr dafür bezahlte. Es war aber auch zu kalt, um sie
auf die Straße zu setzen; sie wäre draußen erfroren, und da ist sie
derweil bei Blshrads untergebracht.«

Die Frau fuhr aber wieder dazwischen und redete auf den Fuhrknecht ein,
während dieser ihr beifällig zunickte.

»Was sagt sie?« fragte Jeremias.

»Wenn Ihr zu dem kranken Weibsen gehörtet,« meint sie, »so solltet Ihr
auch das zahlen, was sie hier noch schuldig ist, denn die paar Lumpen,
welche sie zurückbehalten hätte, wären nicht die Hälfte werth.«

»Oh Du mein großer Gott,« seufzte Jeremias vor sich hin, »zu welch'
erschrecklichem Elend bin ich da gekommen!«

»Und wollen Sie's zahlen?« fragte der Mann.

»Ja, Alles -- gewiß!« rief Jeremias in furchtbarer Aufregung; »führen
Sie mich nur hinüber. -- Hier, guter Mann, hier haben Sie Geld,
kommen Sie mit hinüber und zeigen Sie mir das Haus; ich möchte keinen
Augenblick mehr versäumen. Oh das arme, unglückliche Geschöpf!«




32.

Paula.


Der Fuhrknecht betrachtete erstaunt das Silbergeld, das ihm Jeremias in
die Hand drückte, war aber auch rasch erbötig, den reichen Lohn mit so
leichter Mühe zu verdienen, und trank nur eben noch vorsichtig sein Glas
aus, daß ihm indessen niemand Fremdes darüber kam. Dann führte er den
kleinen Mann ohne Weiteres über die Straße hinüber in das kaum hundert
Schritt entfernte Haus, wo die Kranke, der Aussage der Wirthin nach,
jetzt untergebracht sein sollte.

»Aber hier wohnt sie doch nicht?« rief Jeremias ordentlich erschreckt
aus, als ihn der Fuhrknecht auf eine Hütte zuführte, die eher einem
Stall, als einer menschlichen Wohnung glich, »das ist ja doch gar nicht
möglich!«

»Wenn es die ist, die Sie suchen und die Ihr Mann hier hat sitzen
lassen,« brummte der Bursche, der schon Angst hatte, daß er das Geld
wieder herausgeben müsse -- »gewiß. Gehen Sie doch nur erst einmal
hinein.«

Jeremias, doch wahrlich mit manchem Außergewöhnlichen auf seinen
langen Reisen und Irrfahrten vertraut, schauderte, als er den kalten,
schmutzigen, niedern Raum betrat; sein Führer schien aber hier bekannt,
und an ihm vorbeigleitend, öffnete er die Zimmerthür und rief einer dort
sitzenden, widerlich häßlichen Frau etwas auf Böhmisch zu.

Diese nickte nur und deutete auf eine andere Thür, und als Jeremias,
wirklich zitternd vor Furcht, die Gesuchte in diesem entsetzlichen
Aufenthalt zu finden, vorwärts trat, stieß sein Führer eine andere
niedere Thür auf, die zu einer kaum zehn Fuß im Quadrat haltenden Kammer
führte.

Dort stand ein Bett -- wenn ein erbärmliches Holzgestell mit Stroh
darauf so genannt werden kann, und auf demselben, mit einer einzigen
dünnen, noch überdies zerrissenen wollenen Decke überworfen, lag eine
schmächtige weibliche Gestalt. Nur ein ungewisses Licht fiel durch ein
fensterartiges Loch im Dach in den öden Raum, der nicht einmal geheizt
werden konnte, und neben dem Lager stand ein zerbrochener irdener Krug
mit Wasser, wahrscheinlich als einzige Labung.

»Großer, allmächtiger Gott,« rief Jeremias, »das hier, die
Jammergestalt, ist doch nicht die Comtesse Monford?«

Wie er den Namen nannte, hob die Kranke den Kopf, und ein wachsbleiches
Gesicht, mit unnatürlich großen, dunkeln Augen, starrte ihn an. Er
kannte es nicht -- aber die Hand, welche die Decke zurückschob, war zart
und fein, und die Finger daran so dünn, daß es fast aussah, als ob sie
bei der geringsten Anstrengung abbrechen müßten.

Jeremias stand sprachlos vor Entsetzen, aber der kleine praktische
Mann hielt sich auch nicht lange bei unnützen Gefühlsäußerungen auf.
Ordentlich krampfhaft faßte er den Mann, der ihn hierher geführt, am
Arm, und zog ihn wieder hinaus vor die Thür und dem Wirthshause zu.

»Nun, ist sie's nicht?« rief dieser.

»Ja, ja -- kommt -- kommt nur mit« -- -- er mußte Jemanden haben, der
für ihn sprach, und athemlos betrat er wieder die dumpfe, dunstige
Wirthsstube.

Hier aber war indeß der Wirth selber zurückgekehrt, der ein ziemlich
gutes Deutsch sprach, und Jeremias hatte das kaum ausgefunden, als er
auf ihn einstürmte.

»Habt Ihr ein gutes Zimmer hier im Hause?«

»Ja, Herr!«

»Was geheizt werden kann?«

»Ja, Herr!«

»Habt Ihr ein gutes, warmes Bett?«

»Ist auch zu beschaffen; es stehen zwei drin!«

»Wollt Ihr mir das Zimmer für einen guten Preis vermiethen?«

»Warum nicht -- wenn Ihr baar Geld zahlt?«

»Hier ist Geld -- ist es geheizt?«

»Nein, Herr, was sollen wir ein Zimmer heizen, in dem Niemand wohnt.«

»Könnt Ihr es gleich heizen, aber rasch?«

»Gewiß,« rief der Wirth, der staunend die Anzahl Silberstücke
betrachtete, die ihm Jeremias in Todesangst in die Hand gedrückt, und
dann rief er in böhmischer Sprache seiner Frau ein paar Worte zu, die
rasch zum Ofen humpelte, dort einen. Arm voll trockenes Holz nahm und
das Zimmer damit verließ.

»Und kann Eure Frau eine gute, kräftige Suppe kochen, mit einem Huhn
darin und Eiern?«

»Eier haben wir jetzt nicht, Herr,« sagte der Mann, »aber ein Huhn ist
da, und die Suppe soll bald fertig sein.«

»Rasch nur, rasch,« rief Jeremias, »ich bezahle Alles!« Und wie ein
Pfeil schoß er aus der Thür hinaus, griff draußen im Schlitten alles
von wollenen Decken auf, was er fassen konnte, und rannte damit in das
gegenüber liegende Haus.

Der Fuhrknecht, der wohl gemerkt hatte, daß hier Geld zu verdienen war,
denn der kleine Fremde warf mit den Silberstücken nur so um sich, hatte
ihm dabei geholfen, und dort breitete er Alles, was er mitgebracht, über
die Kranke aus, um sie nur erst einmal zu erwärmen.

Das besorgt, ordnete er mit Hülfe seines Dolmetschers die aufgelaufene
Rechnung der Kranken -- nur wenige Gulden für den Aufenthalt, und
schickte diesen dann fort, um Leute herbeizuholen, welche die Kranke mit
ihrem Bett in das für sie bereite Zimmer tragen konnten, sobald es nur
durchwärmt war.

Was läßt sich mit dem Geld nicht Alles machen! Die Wirthin feuerte
ein, daß der Ofen knisterte; die Betten wurden durchwärmt, eine gute,
nahrhafte Suppe bereitet, und die Träger, denen Jeremias indessen an
Branntwein geben ließ, was sie trinken wollten, warteten geduldig, bis
der kleine wunderliche Fremde ihnen befehlen würde, das Bett mit der
Kranken aufzugreifen und in das Wirthshaus herüberzutragen.

Jeremias dachte dabei an Alles. Auch ein paar Mädchen hatte er indes
besorgt, welche die Kranke von ihrem Strohlager in das warme und weiche
Bett legen sollten, und als er Alles nun bereit hatte, ging er mit ihnen
hinüber, um sie abzuholen.

Die arme Kranke, die unter den vielen wollenen Decken zum ersten Mal
wieder nach langer Zeit mochte warm geworden sein, hatte diese über
ihren Kopf gezogen, und erst als sie die fremden Stimmen um sich hörte
und fühlte, daß ihr Bett selber angefaßt wurde, warf sie erschrocken die
Decke von ihrem Gesicht zurück.

»Um Gottes willen, was wollt Ihr mit mir? -- oh, laßt mich ruhig
sterben.«

»Freunde sind da, gnädige Frau,« antwortete aber Jeremias, dem die
Rührung fast die Stimme erstickte -- »Ihre Sorge und Noth hat aufgehört,
wir bringen Sie in ein anderes Haus, wo Sie ordentliche Pflege finden
sollen.«

Paula starrte ihn noch immer ängstlich an, auf ein Zeichen von Jeremias
hoben aber die vier Männer das Bett rasch empor, und ehe sie noch
Einspruch thun konnte, war es gedreht und im andern Zimmer und durch
dieses hin auf die Straße gebracht. Dort liefen Neugierige zusammen. Die
arme junge Frau hüllte sich erschreckt wieder in ihre Decken ein, und
wenige Minuten später befand sie sich im andern Hause.

Hier freilich mußte sie den Frauen überlassen werden, denn das
unbeholfene Gestell ließ sich nicht die schmale Treppe hinaufschaffen.
Aber diese wußten auch vortrefflich damit umzugehen, und mit Hülfe der
Decken und eines Stuhles trugen sie die Arme rasch und leicht hinauf und
legten sie in das für sie schon hergerichtete durchwärmte Bett.

Das in Ordnung und der Wirthin noch einmal die Suppe auf die Seele
bindend, beorderte Jeremias die Pferde wieder, um so rasch als möglich
zur Stadt zu fahren. Er versprach aber noch an dem Abend mit einem Arzte
zurückzukehren, und eine Viertelstunde später glitt der Schlitten unter
fröhlichem Schellengeklingel nach Podiebrad hinüber.

Jeremias that aber nichts halb. Von dort nahm er nicht allein den besten
Arzt mit, der aufzutreiben war, sondern auch eine gute und tüchtige
Krankenpflegerin, und schickte zugleich ein Telegramm nach Haßburg, das
nur die Worte enthielt: »Graf Rottack, Haßburg. Kommen Sie -- gefunden
-- krank -- elend. Prag, Schwarzes Roß. Jeremias.«

Mit dem Doctor und der Wärterin kehrte er noch an demselben Abend nach
dem Dorf zurück, und erst als er Alles gethan, was in seinen Kräften
stand und was überhaupt vor der Hand nur möglicher Weise zu thun
war, fuhr er wieder nach Prag zurück, um dort Rottack's Ankunft, der
jedenfalls den nächsten Zug benutzte, zu erwarten. Der mochte dann
bestimmen, was weiter geschehen solle.

Wie Jeremias aber nach Prag zurückkehrte, fand er schon ein antwortendes
Telegramm vor.

»Ich komme mit dem nächsten Zug; wenn wir weiter fahren müssen, seien
Sie am Bahnhof.«

Dadurch wurde allerdings die wenigste Zeit versäumt, und Jeremias
behielt auch in der That kaum Raum genug, um etwas zu genießen und
gleich darauf wieder nach dem Bahnhof hinaus zu fahren; denn wenn Graf
Rottack den ersten Abendzug benutzt hatte, konnte er zu Mittag recht gut
in Prag eintreffen.

Und er kam in der That, aber nicht allein, denn Helene hatte es sich
nicht nehmen lassen, ihn zu begleiten, und Jeremias, als er sie am
Coupéfenster entdeckte, rief ordentlich erschreckt aus: »Oh Du mein
Gott, die Frau Gräfin!«

Rottack ließ ihm aber keine lange Zeit, sich zu besinnen. »Mein
lieber Jeremias,« rief er, herausspringend und ihm herzlich die Hand
schüttelnd, »wie dankbar sind wir Ihnen! Aber wo ist die Unglückliche --
hier?«

»Noch zwei Stunden zu fahren, Herr Graf.«

»Lösen Sie rasch Billets, daß wir den Zug nicht versäumen.«

Das war bald geschehen und das Gepäck umgeschrieben. Jeremias stieg mit
ein und hatte nun Zeit genug, ihnen unterwegs all' die Einzelheiten zu
erzählen und was bis jetzt geschehen war. Helene zerfloß dabei fast in
Thränen; aber sie eilten ja doch auch nun zur Rettung herbei, und in
peinlicher Ungeduld zählte sie die Minuten, die sie noch von ihrem Ziele
trennten.

Schon von der nächsten Station unterwegs telegraphirten sie wegen eines
großen, bequemen Schlittens oder zwei kleinerer, die am Bahnhof bereit
stehen sollten, und Helene nahm sich hier wirklich kaum Zeit, etwas zu
genießen, als sie selber schon weiter drängte.

Etwa um zwei Uhr erreichten sie Podiebrad, und es war noch heller Tag,
als sie endlich das kleine, erbärmliche Dorf vor sich liegen sahen. --
Und dort lag Paula?

Helene saß bleich und die Hände gefaltet in ihrem Schlitten und sah
zitternd auf die kleinen erbärmlichen Hütten, die ihre Armuth und ihr
Elend nur zu deutlich verriethen. Und vor einer von diesen -- es war
wenigstens eine der größten -- hielt jetzt das Fuhrwerk. Ein anderer
Schlitten stand schon vor der Thür; es war der des wieder herüber
gekommenen Arztes, der ihnen unten in der Wirthsstube entgegentrat.

Er stattete den Fremden einen kurzen Bericht über den Zustand der
Kranken ab, der leider Helenens gehegte Furcht bestätigte. Ihr Zustand
war in der That bedenklich. Nach einem falschen Wochenbett der Kälte
und dem Mangel preisgegeben, wahrscheinlich noch von geistiger Aufregung
gequält, hatte die Arme ein bösartiges Fieber ergriffen, und möglich,
daß treue Pflege die Gefahr, in der sie schwebe, noch abwenden könne;
aber man möge sich auf das Schlimmste wenigstens gefaßt machen.

Helenen liefen, während er sprach, die hellen Thränen an den Wangen
nieder; aber sie unterbrach ihn mit keinem Wort, und erst als er geendet
hatte, sagte sie leise und bittend: »Darf ich zu ihr?«

»Sie hat gestern Abend wieder viel phantasirt,« meinte der Arzt, »ist
aber heute ruhiger, und wenn Sie nicht selber fürchten sie zu stark
aufzuregen...«

»Aber eine Wärterin muß sie ja doch haben!«

»Der Herr dort hat schon gestern eine recht brave Person dazu besorgt,«
sagte der Arzt, »und es ist wirklich Alles geschehen, was jetzt noch,
nachdem der richtige Zeitpunkt längst versäumt worden, nur irgend
geschehen konnte. Möglich aber auch, daß es die Kranke wesentlich
beruhigt, wenn sie ein befreundetes Gesicht an ihrem Lager sieht, dem
Herrn würde ich aber entschieden abrathen...«

»Ich gehe allein,« rief Helene; »haben Sie auch keine Furcht, Herr
Doctor, daß ich sie aufregen werde. Ich bin ruhig -- gewiß, ich bin
ruhig,« setzte sie rasch hinzu, als der Arzt wie zweifelnd mit dem Kopf
schüttelte; »ich werde sicher kein Wort sagen, was sie nur im Geringsten
erregen könnte. Aber das arme, verlassene Kind muß doch erfahren, daß
Freunde in der Nähe sind, die über sie wachen, und dieses Gefühl wird ja
dann auch gewiß zu ihrer Beruhigung mit beitragen.«

»So gehen Sie, gnädige Frau,« sagte der Arzt freundlich, »ich verlasse
mich ganz auf Sie, und bringen Sie der armen Dame, was ihr bisher so
ganz gefehlt hat: Trost.«

Helene legte Hut und Mantel ab; ihre Glieder zitterten so, daß sie sich
kaum aufrecht halten konnte. Sie mußte sich erst sammeln, erst wieder
Fassung erlangen. Aber ihr starker Geist überwand das bald.

»Ich bin schon ruhig, Felix,« sagte sie, unter Thränen lächelnd, als
ihr Gatte zu ihr trat und ihr freundlich zureden wollte. »Fürchte auch
nicht, daß mich oben eine solche Schwäche übermannen wird. Du kennst
mich ja, vertraue mir nur, und jetzt,« rief sie, indem sie mit ihrem
Tuch die letzten Thränenspuren entfernte, »laß mich gehen.«

Damit wandte sie sich entschlossen ab, schritt der Thür zu und die
kleine, enge Treppe hinauf. Nur der Arzt begleitete sie, und Rottack und
Jeremias blieben unten in der dumpfigen, wüsten Wirthsstube allein mit
ihren peinlichen Gedanken zurück.

Helene hatte sich auch nicht zu viel zugetraut. Sie fühlte recht gut,
wie viel gerade jetzt von ihrer Haltung, der Kranken gegenüber, abhing,
und leise und geräuschlos wohl, aber mit festen Schritten stieg sie
hinauf und öffnete selber die Thür, welche zu der armen Verlassenen
führte.

Ein Glück, daß ihr der Anblick erspart worden, wie Jeremias sie
gefunden, denn so ärmlich das Zimmer auch aussehen mochte, so war es
doch reinlich gehalten und durchwärmt, und das Bett dabei so gut, als es
nur in einer so geringen Schenke sein konnte.

Die Wärterin saß am Bett, als Helene eintrat, und stand schüchtern auf,
die Kranke aber lag, die Augen geschlossen, das bleiche, abgehagerte
Antlitz der Thür zugedreht, als ob sie schliefe.

Helenen zog sich das Herz zusammen. Allmächtiger Gott, wie sah die
Arme aus? -- Wohin war das fröhliche Lächeln der sonst so lieben Lippen
verschwunden, wohin das Roth der Wangen, das schelmische Grübchen im
Kinn? Und als sie die großen, dunkeln Augen aufschlug und erstaunt, fast
erschreckt die Eintretende anstarrte, da hätte Helene ihr um den Hals
fliegen und an ihrem Herzen den Gram ausweinen mögen, der ihr die Seele
zusammenschnürte. Aber sie bezwang sich.

»Meine liebe Paula,« sagte sie, indem sie mit lautlosem Schritt dem Bett
zuglitt und die herabhangende, fast durchsichtige Hand erfaßte, »mein
liebes, süßes Herz, wie geht es Dir?«

Paula antwortete ihr nicht. Mit immer wachsendem Staunen betrachtete sie
die bekannten Züge, lauschte sie den zärtlichen, liebevollen Lauten.

»Kennst Du mich nicht mehr, Paula?«

»Doch, doch,« flüsterte die Kranke, »Du bist der Engel, den ich
herbeigesehnt und der mich dorthin führen soll, wo kein Schmerz und
Kummer, kein Haß, keine Falschheit mehr ist -- oh, ich danke Dir,
Gott, danke Dir recht aus voller Seele, daß meine Leiden jetzt ein Ende
nehmen! Oh, wie leicht wird mir, wie wohl, wie froh, oh nimm mich zu
Dir! Dein armes, armes Kind -- oh laß mich scheiden!«

Sie fiel zurück, Todtenblässe deckte ihre Züge, sie war ohnmächtig
geworden.

Helene sprach kein Wort, nur ihr Tuch tauchte sie in kaltes Wasser und
legte es der Kranken um die Schläfe, hielt ihr ein mitgebrachtes Flacon
unter die Nase und that Alles still und geräuschlos, um sie in's Leben
zurückzurufen.

Der Arzt hatte sie dabei unterstützt.

»Es wird vorübergehen,« flüsterte er leise, »bleiben Sie stark, gnädige
Frau -- vielleicht geht doch noch Alles gut.«

Nach einer langen Weile schlug Paula die Augen wieder auf. Helene war
über sie gebeugt und ihre Blicke begegneten sich.

»So hab ich nicht geträumt,« sagte Paula leise, »der Engel ist bei mir
geblieben.«

»Meine Paula, mein süßes, liebes Herz, kennst Du mich denn nicht mehr?
Kennst Du Deine Helene nicht?«

»Helene? Helene Rottack?« flüsterte die Kranke. »Aber -- wie kommen Sie
denn hierher, Frau Gräfin? Wie ist mir denn? Bin ich denn nicht...«

»Ich habe Dich gesucht und gefunden, Herz!« rief Helene, die nur mit
Gewalt die vorquellenden Thränen zurückdrängen mußte. »Jetzt bleib' ich
bei Dir, ich gehe nicht wieder von Dir fort, bis Du auf's Neue wohl und
gesund und kräftig bist. Darf ich bei Dir bleiben?«

»Bei mir?« flüsterte Paula, während ihr Blick scheu im Zimmer umherflog.
»Bei mir, der Ausgestoßenen, die ihren Bruder und Vater gemordet hat?
Bei mir?« Und dabei suchte sie Helenens Hand von sich fortzudrücken.
»Geh, geh fort, daß Dich nicht auch der Fluch trifft, der auf mir ruht!«

»Aber was sprichst Du, Paula?«

»Ich weiß Alles,« flüsterte die Arme, »in den Zeitungen stand es, die
ich draußen gelesen -- Alles -- Alles! Oh, daß ich gestorben wäre, um
nicht das -- das zu ertragen!«

»Hüten Sie die Kranke vor Aufregung!« flüsterte der Arzt.

»Nicht Alles ist wahr, was in den Zeitungen steht, mein Herz,« suchte
Helene sie zu beruhigen; »Dein Vater ist wohl krank, aber er lebt.«

»Er lebt -- ja,« sagte Paula düster -- »aber wie? Oh, Helene, und Du
hast Dich nicht von mir gewandt, wo mich Alles, Alles verlassen?«

»Nie, nie, mein armes Kind,« rief die junge Gräfin, »ich bleibe bei Dir;
Du darfst mich nicht von Dir weisen; es wird noch Alles gut werden --
hoffe nur, Paula!«

»Alles gut werden? Ja,« sagte die Arme leise, »wenn ich im Grabe liege
-- oh, daß ich ausruhen könnte von all' dem Herzeleid!«

Sie lag wieder still und ruhig. Helene suchte sie zu trösten, aber sie
antwortete nicht mehr, bis ihr Geist auf's Neue an zu wandern begann und
wilde, erschreckende Bilder vor die Seele heraufbeschwor. Sie jammerte
dabei nach ihrem Kinde, das man ihr weggenommen hätte, und wollte von
ihrem Lager aufspringen, so daß sie nur mit Mühe gehalten werden konnte;
dann lag sie wieder halbe Stunden lang still und wie todt.

Der Arzt schüttelte den Kopf, die Erregung war zuviel für die Kranke
gewesen; aber mit eines Engels Geduld saß Helene an ihrem Lager die
ganze Nacht hindurch, und kein Schlaf kam in ihre Augen.

Rottack und Jeremias, da der Arzt gegen Abend wieder nach der Stadt
zurück mußte, wo er auch ein paar gefährlich kranke Patienten hatte,
verbrachten die Nacht ebenfalls in trauriger Weise in der Wirthsstube
selber, und noch dazu in einem furchtbaren Tabaksdunst, da sich heute
eine Menge von Neugierigen eingefunden hatte, um die Fremden zu sehen,
die gekommen wären, die kranke Frau abzuholen.

Für heute ließ sich aber nichts mehr daran ändern, morgen konnte
vielleicht eher Rath geschafft werden. Beide waren ja auch überdies an
Beschwerden gewöhnt, und auf Stühlen und Bänken richteten sie sich ein,
so gut es eben gehen wollte.

Gegen Morgen endlich war die Kranke eingeschlafen, und Helene warf sich
ebenfalls in ihren Kleidern auf das noch im Zimmer befindliche Bett, um
ein klein wenig zu ruhen, während jetzt die Wärterin an dem Lager der
Kranken wachte.

Paula schlief lange und sanft, und als sie endlich erwachte und die
treue Freundin zu ihr trat, schlang sie ihren Arm um deren Nacken, zog
sie zu sich nieder und weinte still.

»Meine liebe, liebe Paula, Du darfst Dich nicht wieder aufregen, der
Arzt hat es streng verboten.«

»Und womit habe ich das verdient, Frau Gräfin,« flüsterte Paula, »daß
Sie mir in mein Elend gefolgt sind?«

»Oh, nicht den kalten Titel, Paula, nicht das fremde Sie,« rief Helene
bewegt, »nenne mich Helene, nenne mich Schwester, denn Gott ist mein
Zeuge, ich will Dir von jetzt an eine Schwester sein!«

»Meine liebe, gute Helene -- und Du bist mir nicht böse?«

»Ich Dir böse, Herz, wo ich mein eigen Leben für Dich hingeben könnte?«

Paula schüttelte leise mit dem Kopf und schloß die Augen wieder, und
Helene rührte sich nicht weiter, um ihr volle und ungestörte Ruhe zu
lassen.

So lag sie zwei volle Stunden in einer Art von Halbschlaf, aus dem sie
erst durch den zurückkehrenden Arzt wieder geweckt wurde.

Trotz der furchtbaren Aufregung des vergangenen Abends fand er die
Kranke aber heute bedeutend besser. Der Puls ging ruhiger und das Auge
war klarer.

Sie hatte jetzt Helenens Hand gefaßt, die sie, ohne ein Wort zu
sprechen, festhielt, als ob sie Furcht hätte, daß sie ihr wieder
entzogen werden könnte. Helene hielt mit einer rührenden Geduld bei ihr
aus, streichelte ihre Wange, küßte ihre Stirn und behandelte sie wie ein
krankes Kind, das nur durch Liebkosungen beschwichtigt sein will.

Rottack fragte den Arzt, ob er einen Transport der Kranken nach der
nächsten Stadt wenigstens für möglich halte; davon wollte dieser aber
nichts wissen, auf keinen Fall für die Folgen stehen, und er unterblieb
deshalb. Der Arzt sorgte aber doch dafür, daß die beiden Herren
wenigstens ein Quartier und ein paar Betten bei dem Geistlichen bekommen
konnten, der sie in liebenswürdiger Weise aufnahm und nicht einmal darin
nachließ, als er erfuhr, daß sie »Ketzer« wären. Er selber hatte schon
die arme kranke Frau besucht und ihr auch in der That wenigstens das
nothdürftige Unterkommen bei den armen Leuten besorgt, und freute sich
jetzt aufrichtig, daß ihr die nöthige Hülfe geworden war.

So vergingen vierzehn volle Tage, in denen das Befinden der Kranken
herüber und hinüber schwankte. Mit heftigen Anfällen ausbrechender
Phantasien wechselten Tage der Ruhe -- aber die Anfälle wurden seltener
und schwächer, und der junge, kräftige Körper Paula's überwand endlich
die furchtbare Mißhandlung, die er erlitten hatte und der er fast
unterlegen wäre.

Wie sich aber ihre Nerven kräftigten, schloß sie sich so viel inniger an
Helene an, die wieder ihrerseits keine Mühe und Aufopferung scheute, wo
es der Pflege des geliebten Schützlings galt.

Nach vier Wochen etwa gestand endlich der Arzt die Möglichkeit zu, die
Kranke nicht allein in die nächste Stadt, sondern auch gleich nach Prag
transportiren zu können, wo sie doch bessere Pflege und Bequemlichkeit
fand, und wenn auch noch jede nur mögliche Vorsicht gebraucht werden
mußte hoffte er doch, daß die Reise ohne Gefahr für sie ablaufen würde.

Jeremias wäre schon längst gern fort, denn es drängte ihn nach Hause,
aber er wußte auch nicht, in wie weit er doch noch hier sich nützlich
machen könne, und seine natürliche Gutmüthigkeit ließ ihn eben nicht.
In der ganzen Zeit aber erwähnte Keines von Allen ein Wort über die
Vergangenheit. Jedes schien die Berührung derselben zu fürchten, und
jede Andeutung selber wurde vermieden. Was hätte es auch geholfen, Paula
selber hatte leider schon aus den geschwätzigen Zeitungen das Unglück
ihres Hauses erfahren, denn was wird, besonders bei einem stillen
politischen Zustand, lieber verbreitet, als Verbrechen und Unfälle. Was
ihr aber selbst geschehen, Du guter Gott, es lag zu klar und deutlich
vor Aller Augen, und wo es noch einer Ergänzung bedurft hätte, konnte
Niemand die besser als Jeremias nach dem geben, was er in Prag über
Handor und seine Begleiterin gehört.

Ihre Verbindlichkeiten hier waren jetzt bald abgemacht und geordnet.
Das Wetter hatte sich auch gebessert; der Frühling zog siegreich in
das Land, und Schnee und Eis schmolz vor seinem warmen Hauch und
die Haselbüsche trugen schon ihre Schäfchen. Schneeglöckchen und
Himmelsschlüssel fingen an auszukeimen und die Saaten deckte frisches
Grün.

Jeremias fuhr selber nach der Stadt hinüber und besorgte einen guten und
verschlossenen Wagen. Fest in Tücher und Decken eingepackt, wurde
dann die Kranke dort hinein gehoben und hinüber geschafft, und mit dem
Schnellzug erreichten sie Prag in kurzer Zeit.

Paula hatte nicht einmal gefragt, wohin man sie führe, denn wenn sich
ihr Körper auch unter der guten und sorgsamen Pflege auffällig kräftigte
und erholte, ihr Geist blieb noch immer gedrückt, und scheu und zitternd
schmiegte sie sich an Helene an, wenn ihr Fremde nahten. Selbst vor
Rottack hatte sie im Anfang Furcht, und nur auf Jeremias' Züge, so
flüchtig sie ihn bei jenem ersten furchtbaren Begegnen gesehen, schien
sie sich zu erinnern und bot ihm die Hand, als er zum ersten Mal zu ihr
in's Zimmer trat.

Rottacks selber aber waren noch unschlüssig, wohin sie Paula führen
sollten. Nach Haßburg? -- jeder Versuch, mit der stolzen, hartherzigen
Gräfin von Monford anzuknüpfen, war vergebens gewesen -- und sie hier
allein lassen?

Rottack selber wollte Haßburg wieder verlassen, sobald er dort seine
Angelegenheiten nur einigermaßen ordnen konnte, aber das war nicht in
zwei oder drei Tagen abgemacht und verlangte vielleicht eben so viele
Wochen, und so lange konnte er die noch immer kranke Paula nicht mit
seiner Frau allein lassen. Es war deshalb das Beste, er nahm sie, bis
er seine Uebersiedelung selber geordnet hatte, mit nach Haßburg in sein
eigenes Haus. Niemand brauchte deshalb zu wissen, wen er beherberge.
Die Hoffnung, sie mit ihren Eltern auszusöhnen, hatte er freilich längst
aufgegeben; aber er war fest entschlossen, Paula nicht mehr von sich zu
lassen, und da seiner armen Helene die Liebe der Mutter versagt
worden, so hoffte er, daß sie in der Liebe der Schwester ihren Frieden
wiederfinden würde.

Jeremias hatte sich übrigens jetzt dahin entschieden, voraus zu reisen,
denn hier in Prag konnte er ja doch nichts mehr nützen, und es drängte
ihn, seine eigenen Angelegenheiten daheim in Ordnung zu bringen.

Vorher mußte er aber noch eine Pflicht der Dankbarkeit abmachen, zu
der ihn Rottack selbst drängte. Diesem hatte er nämlich gesagt, daß er
einzig und allein durch den Souffleur, Mauser -- der Graf mußte sich
ja doch an den Türken erinnern, der so unbändig schrie -- auf die Spur
gekommen sei, und Rottack zwang ihm nun unter jeder Bedingung zehn
Louisd'or auf, die er dem Manne für seine Kunde geben sollte.

Daß es Mauser sehr gut brauchen konnte, wußte Jeremias, das war in
seinem ganzen Wesen unverkennbar, und verdient hatte er es auch,
denn ohne ihn wäre die ganze Reise umsonst gewesen und die arme Paula
wahrscheinlich in Noth und Elend »verdorben und gestorben«. Jeremias
suchte ihn deshalb auf, und wenn er auch das bezeichnete Haus mit
Leichtigkeit fand, hatte es doch seine Schwierigkeiten, bis er die fünf
steilen Treppen emporkletterte, über denen der Souffleur -- noch immer
in dem nämlichen ungewaschenen Schlafrock und mit demselben Fez auf,
thronte.

Mauser erhob übrigens, als er ihn erblickte, ein solches
Freudengeschrei, daß die Leute aus der Etage unter ihm herausstürzten,
weil sie glaubten, es wäre Jemandem ein Unglück begegnet.

Jeremias mußte jetzt erzählen, aber er that das nur in aller Kürze, denn
er selber war mit seiner Zeit gedrängt; wie er aber zuletzt, im Namen
des Grafen Rottack, die zehn Louisd'or aus der Tasche nahm und auf
den Tisch legte, stand der Souffleur starr vor Schreck und Staunen. Er
wollte es erst gar nicht glauben, daß sie sein Eigenthum sein sollten,
blos dafür, daß er einen Abend mit »Stelzhammer gekneipt«. Als es
ihm dieser aber wieder und wieder versicherte und er sie in die Hand
genommen und gewogen, und wieder auf den Tisch gelegt und sich noch
einmal hatte bestätigen lassen, daß das fortan sein Eigenthum sei, da
kannte seine Ausgelassenheit keine Grenzen.

Wie ein Rasender sprang er in der Stube herum, den Fez schleuderte er in
die Ecke, ein Pantoffel flog da, einer dorthin, und das Haus dröhnte
von seinen Jubelrufen, die dem Kriegsgeheul der Indianer nicht unähnlich
waren.

Jeremias beruhigte ihn nur mit der größten Mühe, und als er sich endlich
zufrieden gab, wollte er absolut in seine Kleider fahren, um mit seinem
kleinen Wohlthäter, heute natürlich auf eigene Kosten, auszuprobiren, wo
der beste Wein sei. Jeremias wußte aber recht gut, daß er ihn dann den
ganzen Tag nicht wieder los würde, versprach ihm deshalb, wenn er es
irgend möglich machen könne, in einer Stunde etwa wieder herauf zu
kommen und ihn abzuholen, und eilte dann in das Hotel zurück, um von
Rottacks Abschied zu nehmen.

In derselben Zeit, in der Mauser oben in seinem Zimmer fertig angezogen
und mit einem schmählichen Durst saß und auf ihn wartete, fuhr Jeremias
auf den Bahnhof hinaus und eine halbe Stunde später gen Haßburg.




33.

Die Werbung.


Jeremias hatte schon von dem böhmischen Dorf aus, wie er nur etwa die
ungefähre Zeit seiner Rückkehr bestimmen konnte, nach Hause geschrieben,
und lauter Jubel empfing ihn hier, denn Rebe war in der Zeit nicht müßig
gewesen.

Director Krüger hatte seinen Contract contrasignirt, und wie er
selber der Liebling des Publikums geworden, besserten sich auch seine
pecuniären Verhältnisse.

In den vergangenen Monaten, wo er fast noch sparsamer gelebt als je,
kaufte er von der jetzt ziemlich hohen Gage nach und nach, was er in der
Wirthschaft brauchte. Jettchen's Aussteuer war ja schon von dem Vater
reichlich bedacht worden, und Alles jetzt bereit, um die Trauung in der
nächsten Zeit zu vollziehen. An demselben Sonntag, an dem Jeremias von
seiner Reise zurückkehrte, wurden sie zum ersten Mal aufgeboten, und
Jettchen fühlte sich selig in dem Gedanken, nun bald nicht mehr allein
zu stehen und dem Geliebten ganz anzugehören.

So eifrig das Jeremias früher auch selber betrieben hatte, so
niedergeschlagen zeigte er sich aber jetzt. Sein ganzer Humor schien
ihn verlassen zu haben, und wenn er sich auch fast noch herzlicher und
theilnehmender gegen Alle benahm, als bisher, so lag doch jedenfalls
etwas auf seiner Seele, das er Niemandem anvertrauen mochte.

Anfangs drang Pfeffer in ihn, ihm zu sagen, was ihn drücke. Geldsorgen
konnten das nicht sein, denn er schleppte Geschenke nach Geschenken für
Jettchen in's Haus -- aber was dann? Jeremias wich indeß allen Fragen
aus, und man mußte ihn endlich seinen Weg gehen lassen.

So war die Zeit immer mehr herangerückt. Es war Freitag geworden, am
Sonntag wurden die Brautleute zum letzten Mal aufgeboten und Montag
sollte die Hochzeit sein.

Jeremias hatte bei Pfeffers zu Mittag gegessen, aber fast kein Wort
dabei gesprochen. Nach dem Essen saß er auf dem Stuhl am Fenster, und
Jettchen war gerade hinausgegangen, um den Kaffee herein zu holen.

»Was siehst Du mich so sonderbar an, Jeremias?« sagte Auguste. »Ich weiß
gar nicht, wie Du heute bist.«

»Ich freue mich,« erwiderte der kleine Mann, aber mit ganz wehmüthiger
Stimme, »daß es Dir wieder so gut geht, Auguste. Du hast Dich in der
Zeit, wo wir in Böhmen steckten, merkwürdig erholt.«

»Wenn wir nur erst einmal herausbekommen könnten, was Sie in Böhmen
gemacht haben,« rief Fräulein Bassini.

»Wahrscheinlich,« meinte Pfeffer, »wird's nicht die ganze Stadt wissen
sollen, und deshalb erfährst Du's nicht.«

»Als ob ich nicht schweigen könnte!«

»So lange Du nichts weißt, gewiß. Aber 's ist wahr, die Guste hat sich
merkwürdig in der Zeit erholt; das dank' ihr aber der Teufel, keine
Sorgen mehr, gute Pflege -- das schlägt an!«

Jeremias nickte freundlich. »Ja,« sagte er, »und ich kann Euch jetzt mit
gutem Gewissen verlassen, denn für das Jettchen ist ja auch gesorgt.«

»Verlassen?« rief die Frau rasch. »Und willst Du wirklich wieder fort?«

»Ich muß, Auguste,« sagte der kleine Mann traurig. »Sieh, ich habe noch
so viel da drüben zu besorgen, eine Menge Land, Colonien, die jetzt in
fremden Händen sind und verwahrlost werden, wenn man nicht den Leuten
dann und wann auf die Finger sieht. Auch Geld hab' ich noch drüben
ausstehen, was ich nicht gern einbüßen möchte, und von dem Verkauf des
Hotels weiß ich auch nicht einmal, ob die Raten alle richtig eingezahlt
sind.«

»Hm,« brummte Pfeffer und schritt, den blauen Qualm ausblasend, in der
Stube nachdenkend auf und ab. Aber Auguste sagte kein Wort; sie sah
still und traurig vor sich nieder und seufzte tief auf.

»Und wann willst Du wieder fort, Jeremias?« fragte sie endlich so leise,
daß er die Worte kaum verstehen konnte.

»Gleich nach der Hochzeit,« lautete die Antwort; »der Dampfer geht,
glaub' ich, am Dreizehnten oder Fünfzehnten, und ich möchte noch ein
paar Tage in Bordeaux bleiben, um dort Manches einzukaufen.«

»Der Vater will fort?« rief Jettchen erschreckt, die eben den Kaffee
gebracht und die letzten Worte gehört hatte. »Um Gottes willen, nein,
Vater, Du darfst uns jetzt nicht wieder verlassen!«

»Es muß sein, liebes Herz,« sagte der kleine Mann gerührt, während sie
ihre Arme um ihn schlang, »es muß sein; gern thu' ich's ja auch nicht,
das darfst Du mir wohl glauben, und ich -- ich komme auch wohl bald
wieder zurück, sobald ich mich losmachen kann drüben. Wo ist denn der
Rebe eigentlich hin?«

»Er hatte etwas wegen seines Anzuges für morgen zu bestellen,« sagte
Fräulein Bassini; »er muß gleich wiederkommen.«

»Und wie traurig wird Horatius sein,« sagte Jettchen, »wenn Du uns so
bald wieder verläßt und Dich gar nicht mehr an unserem Glücke freust!
Jetzt ist mir der ganze frohe Tag verdorben, denn ich werde ja doch nur
immer an den Abschied denken.«

»Ich wollte Euch eigentlich gar nichts davon sagen,« bemerkte Jeremias
kleinlaut, »bis dicht vor dem Abschied, aber es ging doch nicht an;
es ist doch noch so Manches zu besprechen, und da -- da bleibt's immer
besser, man weiß es eine Weile vorher, daß man sich danach richten
kann.«

»Und kannst Du die Geschichte da drüben denn gar nicht durch jemand
Anders besorgen lassen?« fragte Pfeffer noch einmal, indem er vor ihm
stehen blieb. »Du sagtest doch früher, Du hättest einen zuverlässigen
Mann drüben.«

»Es geht nicht, Kinder, es muß sein,« schüttelte Jeremias mit dem Kopf;
»'s thut mir selber leid genug, aber läßt sich eben nicht ändern, und,
Du lieber Gott, das junge Volk braucht mich ja auch nicht mehr, die
haben jetzt genug mit einander zu thun.«

»Und wir Alten?« sagte Pfeffer.

»Na, ich -- ich hab' Euch ja doch jetzt einmal wieder gesehen und
weiß, daß es Euch gut geht, und alles Andere -- aber da kommt Rebe,«
unterbrach er sich rasch, indem er seinen Hut nahm; »sagt's ihm
nachher, wenn ich weg bin, ich möchte die Geschichte nicht noch einmal
durcharbeiten. »Nun, wo haben Sie gesteckt, Rebe?« fragte er diesen, als
er vor der Thür an ihm vorbei wollte. »Jettchen hat sich schon gesorgt,
daß der Kaffee kalt würde.«

»Sie wollen fort?«

»Ich komme nachher wieder.«

»Dann gehen Sie doch einmal bei Rottacks vorbei, Herr Stelzhammer.
Er begegnete mir vorhin auf der Straße und bat mich, Ihnen das
auszurichten.«

»Sie sind zurück?«

»Seit heute früh. Eben ist auch die Nachricht eingetroffen, daß in
dieser Nacht der alte Graf Monford gestorben sei; da draußen ist's jetzt
recht öde geworden.«

»Du lieber Gott,« seufzte Jeremias, »also doch noch! Ja, da will ich
gleich zu Rottacks gehen.«

Und Rebe freundlich zunickend, schritt er an ihm vorüber aus der Thür
und die Treppe hinab.

Es war ihm recht weh und weich zu Sinn, aber die Anderen durften ja doch
nichts davon merken, und sich tüchtig zusammennehmend, schritt er
den kurzen Weg hinüber nach Rottack's Haus, wo er auf das Herzlichste
begrüßt wurde. Er fand dort auch zu seiner Freude, daß sich Paula wieder
so weit erholt hatte, um die Reise ungefährdet fortsetzen zu können.
Nicht einmal die Dienerschaft im Hause wußte aber, wer die junge Fremde
sei, die krank und verschleiert angekommen, und jede Möglichkeit eines
Ausplauderns war dadurch abgeschnitten.

Jeremias wunderte sich freilich manchmal im Stillen, weshalb gerade
Rottacks ein so aufopferndes Interesse an der jungen unglücklichen
Comtesse nahmen, aber seine eigenen Pläne beschäftigten ihn doch auch
zu sehr, um lange darüber nachzudenken, und danach gefragt hätte er
überdies nie; was kümmerte das auch ihn, und er hatte Rottacks viel zu
lieb, als ihnen einen andern Beweggrund zuzuschreiben, wie aufopfernde
Freundschaft.

Dem jungen Grafen Rottack -- Helene war bei der Kranken in ihrem eigenen
Zimmer -- entging aber dagegen nicht die auffallend gedrückte Stimmung
seines kleinen Freundes, denn eine solche augenscheinliche Schwermuth
war er nicht an ihm gewohnt. Er fragte ihn deshalb direct um die
Ursache, und Jeremias gestand ihm denn nach einigem Zögern endlich mit
einem gewaltsam heraufgezwungenen Humor, daß er wieder nach »Brumsilien«
zurück wolle, um dort nach seinem Eigenthum zu sehen, und daß es ihm
schwer werde, jetzt von hier fortzugehen.

»Aber haben Sie mir denn nicht selber gesagt,« fragte der junge Graf,
»daß Ihnen Rohrland in Santa Clara Alles besorgt und daß Sie dem
das Ganze übergeben hätten? Auf Rohrland können Sie sich doch fest
verlassen.«

»Felsenfest,« bestätigte Jeremias, »besser als auf mich selber.«

»Und weshalb da die Reise, wenn Sie nicht gern gehen?«

»Herr Graf,« sagte Jeremias entschlossen und sah sich vorher wie scheu
im Zimmer um, ob sie auch ganz allein wären, »ich -- ich will Ihnen
reinen Wein einschenken; ich muß Jemanden haben, mit dem ich einmal
offen sprechen kann, es drückt mir sonst wahrhaftig das Herz ab.«

»Und daß Sie Keinen haben, Jeremias, der wärmeren Antheil an Ihnen
nimmt, wissen Sie doch,« sagte der junge Graf herzlich. »Kann ich
Ihnen mit etwas helfen, so reden Sie frei. Haben Sie vielleicht zu viel
Ausgaben gehabt und brauchen Sie Geld? Heraus mit der Sprache, offen und
ehrlich! Ich bin reich, und wo ich Ihnen helfen kann...«

Jeremias schüttelte den Kopf. »Das wär's nicht,« sagte er mit einer
komischen Verlegenheit, »Geld wär' da, und wie ich zurückkam, fand
ich sogar wieder einen Wechsel von Rohrland vor; ich habe mehr als ich
brauche, oder doch vollkommen genug.«

»Aber was, um Gottes willen, kann Sie sonst so niederdrücken? Ihr
Lieblingswunsch, die Verheirathung Ihrer Tochter mit dem jungen Rebe,
ist seiner Verwirklichung nahe, Ihre Frau hat sich, wie Sie mir selber
sagen, vollkommen wieder erholt und ist gesund, an Geld fehlt es Ihnen
auch nicht -- also an was sonst? Heraus mit der Sprache, Jeremias; Sie
haben uns mit wahrer Aufopferung beigestanden, machen Sie mir jetzt auch
die Freude, daß ich Ihnen helfen kann.«

Er hatte ihm dabei eine Cigarrenkiste und einen Stuhl hingeschoben, und
Jeremias, sich immer noch verlegen beider bedienend, sagte: »Ja, sehen
Sie, Herr Graf, das ist allerdings eine wunderliche Geschichte; es fehlt
mir eigentlich an gar nichts, als -- an der Hauptsache.«

»An der Hauptsache?«

»Sobald Jettchen geheirathet hat,« fuhr Jeremias fort, »so zieht
selbstverständlich die Mutter zu den Kindern, und auch Pfeffer hat
sich oben in dem Hause Stübchen und Kammer mit einer reizenden Aussicht
gemiethet. Soll ich mich dann mutterseelenallein hier irgendwo als
Junggeselle einquartieren und auf meine alten Tage da verloren sitzen?«

»Ja, aber weshalb ziehen Sie denn nicht zu Ihren Kindern?«

»Ich?« rief Jeremias ordentlich erschrocken. »Ja, aber das geht ja
doch gerade nicht. Von meiner Frau bin ich geschieden, und so lange
sie krank, elend und in Noth war, konnte kein Mensch etwas Uebles darin
sehen, wenn ich in dem Hause aus und ein ging. Jetzt aber, wo sie wieder
rüstig und gesund ist und mir mein früheres nichtsnutziges Betragen
vollständig vergeben hat, darf ich nicht in ein und dasselbe Haus mit
ihr ziehen. Denken Sie nur, was die Leute darüber reden würden, und wo
sie über Schauspieler oder was mit ihnen zusammenhängt losziehen können,
thun sie's ja doch nur gar zu gern. So aber als Fremder hier zu wohnen,
wo man eine Familie im Orte hat, das -- hielt ich auf die Länge der Zeit
nicht aus, und da ist's besser, ich gehe bei Zeiten.«

Die Unterhaltung zwischen Rottack und Jeremias stockte eine Weile, weil
Letzterer schwieg; dann aber fragte Graf Rottack: »Also in Brasilien
haben Sie wirklich nichts Wichtiges zu thun, nichts wenigstens, was
Ihnen nicht Rohrland eben so gut besorgen könnte?«

»Gar nichts,« schüttelte Jeremias mit dem Kopf; »das war nur eine
Ausrede, denn sagen kann ich's ihnen ja doch nicht.«

»Und Ihre Frau ist Ihnen wieder gut?«

»Es ist ein wahrer Engel von einer Frau, und ich fühle erst jetzt, was
ich für ein Esel gewesen bin.«

»Dann erklären Sie mir aber auch Eins: weshalb lassen Sie sich nicht
wieder mit Ihrer Frau trauen?«

»Hurrjeh,« rief Jeremias, von seinem Sitz emporfahrend, »das geht ja
aber doch nicht; wir sind ja geschieden!«

»Aber lieber, bester Freund,« lachte Rottack, »warum geht denn das
nicht? Ich kenne verschiedene Beispiele, daß sich früher geschiedene
Gatten wieder haben trauen lassen. Sie sind ja Beide frei und
unabhängig, und wer in aller Welt will Sie daran hindern oder könnte es
Ihnen, wenn Sie Ihre Frau noch lieben, verdenken?«

»Und Sie glauben wirklich?« rief Jeremias, ganz verstört von all' den
Gedanken, die ihm jetzt durch den Kopf schossen.

»Glauben -- was soll ich glauben?« sagte der junge Graf. »Die Sache ist
außer aller Frage. Sie erwerben sich dadurch ein Recht, für die Frau,
der Sie einst ewige Treue versprochen und dann ein bischen gewissenlos
durchgingen, auch in ihrem Alter zu sorgen und das, was sie gelitten,
wieder an ihr gut zu machen; und seien Sie überzeugt, daß man es Ihnen
überall sogar hoch anrechnen und Sie deshalb schätzen und lieben wird.«

»Ach, mein bester Herr Graf,« sagte Jeremias, indem er wieder in
seinen Stuhl zurücksank, »das ist ja schon seit langen Monden mein
Lieblingswunsch gewesen, schon wie Auguste noch krank war, um sie aller
Sorge für das Kind zu entheben; aber -- ich habe nie geglaubt, daß es
möglich wäre, und dann -- wenn ich es mir manchmal so dachte, fehlte es
mir immer an der Courage, es ihr zu sagen.«

»Fehlt es Ihnen noch daran?« lächelte Rottack.

»Ja,« sagte Jeremias kleinlaut; »ich brächt's nicht über die Lippen.«

»Soll ich dann Ihren Freiwerber machen?«

»Sie -- Sie wollten?«

»Und warum nicht? Trüg' ich doch nur dazu bei, einer braven Frau ihren
braven Mann wiederzugeben, und wie glücklich werden die Ihrigen sein,
wenn Sie sich nicht wieder von ihnen trennen wollen.«

»Ach Gott, ja, und ich auch,« seufzte Jeremias; »es war immer mein
Lieblingswunsch gewesen, aber nur ganz im Stillen, mich an dem nämlichen
Tag mit meiner seligen Frau -- ach, Unsinn, das Wort kommt mir immer auf
die Zunge -- mit meiner geschiedenen Frau wieder trauen zu lassen, an
welchem Jettchen Hochzeit machte.«

»Das wäre allerdings ein wenig rasch,« lachte Rottack, »und möchte
Schwierigkeiten machen. Ihre Papiere haben Sie?«

»Alles in musterhafter Ordnung.«

»Brasilianischer Bürger dazu, hm, wir wollen einmal sehen. Aber erst
müssen wir doch wohl mit Ihrer Frau sprechen.«

»Und Sie wollten das wirklich thun?«

»Hören Sie einmal, Jeremias,« sagte Graf Rottack, indem er aufstand
und seinen Hut nahm. »Bleiben Sie einmal da sitzen. Das Sprüchwort sagt
freilich: Gut Werk will Weile haben. Aber ich denke, ein gutes Werk kann
man nicht zu bald thun. Da stehen die Cigarren, in den Caraffen dort
auf dem Buffet steht Portwein und Sherry, wenn Sie in der Zeit einer
Stärkung bedürfen sollten. In einer halben Stunde bringe ich Ihnen
Antwort.«

»Ich trinke Ihnen indessen den ganzen Portwein aus,« sagte Jeremias.

Rottack lachte, nickte ihm zu und verließ das Haus. -- --

Bei Pfeffers saß die Familie indessen noch in einer recht wehmüthigen
Stimmung beisammen, denn Jeremias' eben angekündigter und so nahe
bevorstehender Abschied lag Allen auf der Seele. Pfeffer selber ging mit
immer größeren Schritten auf und ab und dampfte immer stärker; Fräulein
Bassini strickte, als ob der Strumpf noch heute fertig werden müßte, und
Rebe stand niedergeschlagen am Fenster, während Jettchen der Mutter Hand
in der ihrigen hielt und ihr mit leisen Worten Trost zuflüsterte.

Da klopfte es an die Thür, und auf das etwas erstaunte »Herein!«
Pfeffer's trat Graf Rottack in's Zimmer.

»Störe ich?«

»Herr Graf!« rief Pfeffer in einiger Verlegenheit, daß er schon wieder
in seinem alten Schlafrock ertappt wurde. »Sie entschuldigen einen
Augenblick!«

»Bitte, lassen Sie sich nicht stören!« rief Rottack. »Es ist eine
Familienangelegenheit, in der ich komme. Verehrte Frau, ich freue mich
herzlich, Sie dieses Mal so wohl und munter anzutreffen; Sie haben sich
wirklich in der kurzen Zeit merkwürdig erholt. Mein liebes Fräulein,
wenn auch verspätet, doch nicht minder herzlich ist mein Glückwunsch --
oder eigentlich sollte man besonders Ihnen Glück wünschen, Herr Rebe,
denn ich glaube, Sie sind am meisten zu beneiden. Ah, auch eine alte
Bekannte, Fräulein Bassini, wenn ich nicht irre -- aber bitte, wollen
denn die Damen nicht Platz behalten? Und was für betrübte Gesichter sehe
ich hier? Thränen in den Augen, mein Fräulein? Das schickt sich aber
nicht für eine Braut!«

Fräulein Bassini, die, als der Graf eintrat, rasch ihren etwas sehr
mitgenommenen Strickstrumpf bei Seite geschoben hatte und dann auf und
nieder geknixt war, bis er sie anredete, rief jetzt: »Ach, Herr Graf,
wenn Sie dem Jeremias nur zureden wollten, daß er nicht wieder nach
Brasilien ginge!«

»Und sind Sie _darüber_ so traurig?«

Die Frauen seufzten tief auf, als sich die Thür wieder öffnete und
Pfeffer, der rasch hinausgefahren war, ohne Pfeife und in seinem
unvermeidlichen langen braunen Rock erschien.

»Nun, Herr Graf, womit können wir Ihnen dienen?«

»Wir sprachen gerade über Jeremias' Abreise nach Brasilien,« sagte
Graf Rottack lächelnd, »und da die Damen hier nicht damit einverstanden
scheinen, kann ich Ihnen vielleicht einen Vorschlag zur Güte machen.«

»Sie?« rief Auguste rasch. »Oh, wenn Sie das über ihn vermöchten, Herr
Graf, daß er hier bei uns bliebe! Ich weiß, er hält außerordentlich viel
auf Sie.«

»Aber doch wohl nicht so viel, verehrte Frau,« lächelte der junge Graf,
indem er den ihm von Rebe gebotenen Stuhl dankend nahm, »daß ich mehr
über ihn vermöchte, als Sie, wenn Sie ihn schon darum gebeten haben.«

»Aber er sagt, er müsse zurück,« klagte Henriette, »seine Geschäfte und
Ländereien zwängen ihn dazu.«

»Das ließe sich doch vielleicht arrangiren,« meinte Rottack. -- »Ich
danke, ich schnupfe nicht.« Und Pfeffer schob seine Dose ordentlich
erschreckt wieder in die Tasche. -- »Darüber hab' ich mit ihm
gesprochen. Er kann mit leichter Mühe Alles brieflich abmachen; aber«
-- und sein Blick haftete dabei fest auf der Frau -- »eine andere Sorge
liegt ihm am Herzen, die er nicht den Muth hat auszusprechen.«

»Nicht den Muth?« rief Pfeffer. »Was in aller Welt kann das aber denn
nur sein?«

»Er hat kein Logis in Haßburg,« sagte Rottack, wieder den Blick der Frau
suchend.

»Kein Logis?« schrie Pfeffer. »Na, so schlage doch Gott den Deu -- Bitte
um Entschuldigung! Das geht über die Möglichkeit! Kein Logis?«

»Aber ich begreife den Vater nicht,« sagte auch Henriette; »das kann ihm
doch unmöglich Sorge machen.«

»Er muß rein verrückt geworden sein!« rief Fräulein Bassini. »Ich wollte
ihm genug Wohnungen in der Stadt verschaffen, um ein ganzes Regiment
einzuquartieren.«

Rottack sah still und lächelnd vor sich nieder. »Und glauben Sie auch,
verehrte Frau,« sagte er endlich, indem er zu Augusten aufsah, »daß ich
ihm das zusagen darf?«

Ein paar Thränen glänzten in den Augen der Frau, ihre Wangen glühten,
aber sie sagte leise: »Wenn er will -- ich glaube es gewiß.«

»Ich danke Ihnen in seinem Namen!« rief Rottack, indem er aufsprang und
ihr die Hand reichte. »Also werden wir von Ihrer Güte Gebrauch machen,
mein gnädiges Fräulein.«

»Von meiner Güte?« rief Fräulein Bassini. »Ja, ich verstehe aber kein
Wort davon!«

Henriette hatte ihre Mutter rasch und erstaunt angesehen; hohes Roth
färbte auch ihre Wangen, aber jubelnd warf sie sich an der Mutter Brust,
während Rebe auf Rottack zuging, seine Hand ergriff und sie herzlich
schüttelte.

»Ja, aber Fürchtegott,« rief Fräulein Bassini, »begreifst _Du_ etwas?«

»Und darf ich den Ausreißer herschicken?« fragte der junge Graf.

»Schicken Sie ihn,« sagte die Frau leise, »es kann ja Alles -- Alles
wieder gut werden!«

Rottack ging. Als aber kaum eine Viertelstunde später Jeremias zu ihnen
in's Zimmer trat, als ihm Henriette schon an der Thür um den Hals fiel,
und der kleine Mann, der vor Rührung kein Wort über die Lippen
bringen konnte, auf seine verlassene Frau zuging und ihr die Hand
entgegenstreckte, da lehnte sie die thränenbenetzte Wange an seine Brust
und flüsterte bewegt: »Ich danke Dir für Deine treue Liebe, Jeremias!«

Und glücklichere Menschen waren wohl kaum an dem Tage in Haßburg
versammelt, als in dem kleinen Raum, der diese hier umschloß.

Indessen aber war Rottack thätig. Er hatte in Haßburg in dem
Ober-Bürgermeister der Stadt einen Jugendfreund und Studiengenossen
seines Vaters gefunden und war mit ihm bekannt geworden. Diesem legte er
die Sache vor und befürwortete eine rasche oder vielmehr augenblickliche
Erledigung derselben, um es Jeremias zu ermöglichen, seinen
Lieblingswunsch zu erfüllen und die Erneuerung seiner Trauung mit den
Kindern zusammen zu feiern.

Es ging leichter, als er geglaubt hatte. Jeremias, als brasilianischer
Bürger, brauchte keinen Heimathschein. Zufällig, traf es sich, daß heut
Abend noch Rathssitzung war, wo das Gesuch vorgelegt werden konnte. Mit
dem Geistlichen, einem liebenswürdigen und aufgeklärten Manne, ließ
sich ebenfalls reden, von dem dreimaligen Aufgebot konnte dispensirt und
dasselbe gleich morgen erlassen werden. Rottack erbot sich dabei, jede
nur verlangte Bürgschaft zu leisten. Das Einzige, was Jeremias zu
thun hatte, war, seine Papiere noch heut Abend vor sechs Uhr in des
Bürgermeisters Haus zu bringen. Alles Andere ließ sich arrangiren.

Der alte Herr hatte auch in der That nicht zu viel versprochen. Wo der
gute Wille ist, geht Alles; nur der nöthigen und nicht zu vermeidenden
Form muß genügt werden, und am nächsten Montag machte Graf Rottack
selber in der menschengedrängten Kirche, da Alle einer so merkwürdigen
Trauung beiwohnen wollten, Jeremias' Brautführer.

Als der Zug fröhlicher Menschen aus der Kirche kam, begegneten sie dem
großen, schwarz verhangenen und mit silbernen Stickereien bedeckten
Leichenwagen der Stadt, der den alten Grafen Monford zu seiner letzten
Ruhestätte führte. Nur ein einziger Wagen folgte, in dem die Gräfin, das
Haupt mit einem dichten schwarzen Schleier bedeckt, saß.

Der alte Graf hatte es so, noch kurz vor seinem Tode, wo er wieder zur
Besinnung kam, verlangt. Niemand weiter sollte ihm folgen, auch keine
Leichenrede gehalten und bei dem Einsenken in die Gruft nur von vier
Männerstimmen Mendelssohn's herrliches »Auf Wiedersehen« gesungen
werden.

Rottack überlief ein ganz eigenes, eisiges Gefühl. Wie wunderbar
zeigte sich hier die schwankende Laune des Glücks, denn das, was seinen
Freunden hier Heil und Segen brachte, warf dort ein altes, edles Haus in
Trümmer.

Und wie einsam, wie verlassen die arme Frau in ihrer Staatscarrosse saß
-- aber hatte sie es anders gewollt? Starr und eisern war sie ihre Bahn
gewandelt, und jetzt bedeckte der Schleier freilich ihr Antlitz, aber
Rottack war fest überzeugt, daß diese Züge unter dem Schleier auch
ihre kalte Unerbittlichkeit gewahrt hatten und keine Thräne ihre Wange
netzte.

Oh, hätte er die arme Gräfin weinen sehen!




34.

Schluß.


Die Hochzeit -- die Beerdigung war vorüber, und während dort in der
Stadt frohe, glückliche Menschen der Zukunft entgegen jubelten, fuhr die
Trauer-Equipage, mit welcher die Gräfin allein ihrem Gatten das letzte
Geleit gegeben, in das Schloß zurück, und die in schwarze Wolle vom Kopf
bis zu Füßen gekleidete Frau -- der Schleier aber noch immer das Gesicht
verhüllend -- schritt langsam, wie die Ahnfrau ihres Hauses, die Stufen
hinauf, die in ihr Zimmer führten.

Sie hatte heute noch nichts gegessen. Der alte Haushofmeister brachte
ihr selber auf einem großen silbernen Präsentirbrett einen Imbiß hinaus.

Sie schüttelte den Kopf und winkte mit der Hand, daß es fortgenommen
würde.

So verbrachte sie den ganzen Tag. Sie saß in ihrem Stuhl am Fenster und
blickte auf das vor ihr ausgebreitete Thal hinaus; sie sprach nicht, sie
rührte sich nicht, und nur wenn sich ihr Jemand nahen wollte, winkte sie
ihn fort. So saß sie die ganze Nacht, nur erst am nächsten Morgen warf
sie sich, halb angekleidet, auf ihr Lager, und ihre Kammerfrau gerieth
schon in Angst und Sorge, als sie um zwölf Uhr Mittags ihr Zimmer noch
nicht wieder geöffnet hatte und Todtenstille darin herrschte. Aber sie
brauchte nichts zu fürchten, die Gräfin lebte und war gesund, und was
auch ihr Geist leiden mochte, ihr Körper unterlag dem Druck nicht.

Es war Nachmittag, als der Haushofmeister durch die Kammerfrau um die
Kofferschlüssel bitten ließ, da die Frau Gräfin neulich bestimmt habe,
daß sie gleich nach der Beisetzung ihres Gatten Haßburg verlassen
wolle. Sie ließ ihm wieder sagen, es habe noch Zeit; sie sei noch nicht
entschlossen, wann sie abreisen werde.

Er wollte selbst zu ihr, aber die Thür war wieder verschlossen, und erst
gegen Abend wurde er beordert, der Frau das Diner hinauf zu schaffen.

Einer der Diener deckte den Tisch, der alte Haushofmeister bediente
sie selber. Während sie aß, wurde kein Wort gesprochen. Als er abräumen
wollte, sagte die Gräfin:

»Ihr habt mich heute nach den Kofferschlüsseln fragen lassen?«

»Ja, gnädige Frau Gräfin...«

»Dort liegen sie auf dem Tisch.«

»Wann gedenken Sie abzureisen?«

»Wahrscheinlich Ende der Woche -- ich weiß es noch nicht. Ihr könnt Eure
Sachen immer zurecht machen. Ich werde nur meine Kammerfrau und Euch
mitnehmen, Hußmann.«

Der Haushofmeister erwiderte nichts -- er hatte die Hände eben an einen
der Präsentirteller gelegt, um ihn vom Tisch zu nehmen. Er blieb in der
Stellung -- endlich sagte er leise:

»Frau Gräfin, ich werde Sie bitten müssen, mich diesmal zu
entschuldigen.«

»Zu entschuldigen? Weshalb?« sagte die Frau, deren Gedanken indessen
schon weit abgeschweift gewesen.

»Von dem Mitreisen zu entschuldigen, Frau Gräfin,« sagte der alte Mann
leise, aber entschlossen.

»Ihr wollt mich auch verlassen, Hußmann?« rief die Gräfin ordentlich
erschreckt.

»Ich bin jetzt neunundvierzig Jahre in Ew. Gnaden Dienst, schon bei dem
hochseligen Herrn Vater, dann bei Ihnen -- ich werde alt, Frau Gräfin,
ich kann meinem Dienst nicht mehr so vorstehen, wie ich wohl möchte, und
-- das Reisen vertrage ich gar nicht mehr. Ich könnte Ihnen unterwegs
krank werden, und da ist's viel besser, ich -- bitte Sie in Zeiten um
meine Entlassung.«

Die Gräfin antwortete ihm nicht -- still und regungslos, den Kopf in
die Hand gestützt, saß sie am Tisch und starrte vor sich nieder. Der
Haushofmeister stand noch immer in ehrfurchtsvoller Stellung neben ihr,
eine Erwiderung erwartend.

Endlich winkte ihm die Herrin leise mit der Hand. »Es ist gut, Hußmann,«
sagte sie, »ich will es mir überlegen. Ihr habt Euren freien Willen --
geht jetzt, laßt mich allein, mir ist nicht recht wohl, ich muß Ruhe
haben -- geht doch nur!«

Sie sah auf, aber sie war schon allein. Der Haushofmeister hatte das
Zimmer so geräuschlos verlassen, daß sie sein Gehen gar nicht bemerkt.

Wie die Stunden dahin schlichen und die Tage in dem öden Haus, und wie
unheimlich selbst die Pracht das Ganze machte! Sammt, Silber, Seide und
Marmor schienen des Elends ordentlich zu spotten, das jetzt heimisch
in diesen Räumen geworden, und wie Schatten glitten die wenigen
zurückbehaltenen Diener über die weichen Teppiche der Stuben, durch die
kein Lichtstrahl mehr fiel, so dicht waren die Gardinen verhangen --
wie ein Schatten selbst schlich die düstere Gestalt der Gräfin mit
todbleichem Antlitz in den Sälen umher, die ihre einzige Heimath
bildeten und doch keine Heimath mehr boten.

Eine Woche mochte fast nach der Beisetzung des Grafen vergangen
sein. Die Gräfin hatte ihre Koffer noch nicht packen lassen, der alte
Haushofmeister aber den erbetenen Abschied erhalten. Seine Familie
lebte hier in Haßburg, und die Gräfin bat ihn nur, die Aufsicht über das
Schloß in ihrer Abwesenheit so lange zu übernehmen, bis sie einen andern
zuverlässigen Mann gefunden habe. Der Alte blieb also indessen als
Castellan des Schlosses zurück. -- Aber noch immer wurden keine
Anstalten zum Reisen gemacht, wenn auch das Silbergeschirr und andere
werthvolle Sachen schon lange gepackt und in die Stadt geschafft waren.

Da fuhr ein Wagen vor -- seit lange der erste wieder vor dem öden Platz.
Die Gräfin hatte ihn gehört und dem Geräusch, emporfahrend, gelauscht --
dann fiel sie wieder in ihre alte Stellung zurück.

Ein Diener trat in's Zimmer und überreichte ihr eine Karte.

»Herr Graf Rottack wünscht der Frau Gräfin seinen Abschiedsbesuch zu
machen -- die Frau Gräfin Rottack ließe sich entschuldigen, sie fühle
sich nicht wohl.«

Gräfin Monford zuckte zusammen, als sie den Namen hörte -- wie
unschlüssig hielt sie die Karte in der Hand, aber unwillkürlich fast
machte der Arm eine abwehrende Bewegung.«

»Ich kann nicht -- jetzt nicht -- ich fühle mich nicht wohl.«

»Der Herr Graf sagte mir,« berichtete der Diener, »daß die gräfliche
Familie morgen Haßburg verlassen würde.«

Die Gräfin blieb regungslos mehrere Secunden, aber wieder winkte sie
abwehrend mit der Hand.

Der Diener verließ das Zimmer, und gleich darauf rollte der Wagen wieder
fort; in ihren Stuhl aber sank die Gräfin und deckte ihr Antlitz mit den
Händen. -- --

Graf Rottack kehrte in seinem Cabriolet, das er selber fuhr, nach Hause
zurück. Schon vorher hatte er von Jeremias' jetzt glücklicher Familie
Abschied genommen, alle anderen Abschiedsbesuche waren ebenfalls
gemacht, und es band ihn nichts mehr an Haßburg, da er die Aufsicht über
sein Haus, bis er zurückkehrte, seinem kleinen brasilianischen Freund
übergeben.

Er war sehr langsam gefahren und sah ernst und niedergeschlagen aus.
Seine arme Helene! Wie hatte sie die Zeit ihres Aufenthalts in Haßburg,
wie der Mutter Liebe ersehnt, und wie trüb', wie furchtbar mußte sich
da Alles gerade in dieser Zeit gestalten! Aber er brauchte sich selber
keine Vorwürfe zu machen. Er hatte gethan, was in seinen Kräften stand,
und kein mögliches Mittel unversucht gelassen, um das eiserne Herz
der Frau zu erweichen. Es war Alles umsonst gewesen; nicht einmal die
unglückliche Paula durfte es wagen, ihr zu nahen, wenigstens jetzt noch
nicht, denn ihr Körper war so geschwächt, daß er die kalte Zurückstoßung
der Mutter nicht ertragen hätte. So mußte es denn der Alles lindernden
Zeit überlassen bleiben, auch diese Wunde zu heilen, auch diese starre
Brust zur Sühnung zu stimmen, und für Helene und Paula hoffte
jetzt Rottack in einem fremden Land -- wenn nicht Vergessen des
Unabänderlichen, doch Zerstreuung zu finden. Beide waren ja noch jung,
und eine schöne Natur, fremde Scenen und Bilder würden gewiß nicht ihren
Eindruck auf ihre Herzen verfehlen.

Nur jetzt fort von hier -- der letzte Versuch war gemacht, das Letzte
abgeschüttelt, und er konnte die Zeit der Abreise kaum erwarten.

Es dämmerte schon, als er in seine Wohnung zurückkehrte. Paula und
Helene saßen, seiner harrend, im Salon, der aber auch freilich schon die
Spuren bevorstehender Abreise zeigte.

»Und hast Du sie gesprochen?« rief ihm Helene mit bebender Stimme
entgegen, als er den Saal betrat, und auch Paula's Blick hing angstvoll
an seinen Zügen.

Felix schüttelte langsam den Kopf. »Nein,« sagte er leise -- »es ist
umsonst. In ihrem Herzen ist kein verwundbarer Punkt, und so stolz
und unerbittlich sie im Glück war, so kalt und so verschlossen hat das
Unglück sie erhalten. So, fort denn mit allen Plänen und Hoffnungen,
Kinder! Morgen früh ziehen wir hinaus in die weite Welt, und draußen im
Sonnenlicht und der freien, herrlichen Natur mag ein neues Leben seine
Pforten für Euch öffnen.«

»Und wollen Sie die arme Waise mit sich nehmen, Graf Rottack?« sagte
Paula gerührt -- »oh, womit habe ich das verdient?«

»Meine liebe Paula,« lächelte Felix, »Helene hat Sie als Schwester
adoptirt, und da müssen Sie es sich schon gefallen lassen, mir auch eine
freundliche und liebevolle Schwägerin zu sein -- aber als solche gehören
Sie doch jedenfalls mit zur Familie.«

»Und was wäre ohne Sie aus mir geworden?«

»Die Zeit ist vorbei, meine beste Paula,« rief Felix, »bannen Sie die
trüben Gedanken. Das Leben hat noch manchen sonnigen Tag für Sie!«

»Für mich?« sagte Paula, traurig mit dem Kopf schüttelnd, »der Bruder
und Vater todt -- von der Mutter verstoßen -- nur trübe Schatten liegen
auf meiner Bahn. Aber Gott lohne Euch Beiden tausendfach die Liebe, die
Ihr mir entgegenbrachtet, und je unerklärlicher es mir ist, daß Ihr das
arme, verlassene Mädchen an Eure Herzen ziehen konntet, so viel mehr
Dank schulde ich Euch dafür.«

»Meine Paula, meine Schwester,« rief Helene, und schloß sie in ihre
Arme. Rottack aber, der diese Scene um jeden Preis abzukürzen wünschte,
weil er fürchtete, daß die noch immer nicht vollkommen Genesene sich zu
sehr aufregen möchte, rief dazwischen:

»Nun muß ich Sie aber darauf aufmerksam machen, meine Damen, daß der Zug
morgen früh um halb zehn Uhr geht und Damen gewöhnlich eine Masse von
zu packenden Gegenständen bis zum letzten Augenblick aufheben. Ich bitte
Sie dringend, hiervon diesmal eine Ausnahme, und heut Abend wo möglich
noch Alles fertig zu machen, was irgend fertig gemacht werden kann.«

»Ja, Herz,« sagte Helene, »Felix hat Recht -- komm, ich helfe Dir, daß
sich unser gestrenger Herr und Gebieter morgen nicht zu beklagen hat,
oder uns vorwerfen kann, wir wären lässig gewesen. Komm, Paula, und nun
nicht mehr weinen,« fuhr sie fort, der Trauernden die Thränen mit ihrem
eigenen Tuch von den Augen wischend, »Du mußt hübsch folgen und brav
sein,« und ihren Arm um sie schlagend, führte sie die Schwester in ihr
Zimmer hinüber.

Felix blieb allein im Saale. Er hatte sich eine Cigarre angezündet
und ging eine Weile sinnend auf und ab. Es war indessen völlig dunkel
geworden, aber er klingelte noch nicht nach Licht -- er merkte es gar
nicht. Mit seinen Gedanken war er wieder in Brasilien. Wie wunderbar
sich Alles gestaltet hatte -- heute gerade wieder der Jahrestag seines
Abschieds von Santa Clara, wo er zu jener Frau in's Zimmer trat und sie
zwang, ihm das Couvert für Helene zu geben! Welche Hoffnungen hatten
sich daran geknüpft -- wie hatte Helene die Zeit herbeigesehnt, in der
sie ihrer Mutter in die Arme fliegen könne, und jetzt? Alles vorbei.
Wieder standen, wie damals, die Koffer gepackt, aber nicht mehr der
Heimath strebten sie entgegen, die Heimath gerade wollten sie eben
fliehen.

Der Diener kam mit Licht, und Rottack erschrak ordentlich, als der helle
Glanz sein Auge traf; aber er duldete es und warf sich, die Gedanken
abschüttelnd, in einen Fauteuil, um die den Nachmittag eingetroffenen
Zeitungen zu durchfliegen.

Eine Stunde mochte er so gesessen haben, als Helene zurückkehrte und,
ihren Arm um ihn legend, seine Stirn küßte.

»Ist Paula ruhiger?«

»Ja, Felix; sie hat sich erst drüben noch einmal ordentlich ausgeweint,
denn auf Deinen heutigen Besuch schien sie doch noch im Stillen wohl
eine letzte Hoffnung aufgebaut zu haben. Jetzt ist es vorbei und
überstanden, und sie sehnt sich nun selber weg von Haßburg mit seinen
furchtbaren Erinnerungen.«

»Wunderbar,« sagte Felix, »wie fast Alles, was mit dieser entsetzlichen
Katastrophe zusammenhing, todt und dahin ist. Da lese ich eben in der
Zeitung, daß Hubert, Graf von Bolten, vor wenigen Tagen in
Oesterreich beim Zureiten eines wilden, störrischen Pferdes von diesem
abgeschleudert, geschleift und todt nach Hause getragen wurde.«

»Es war ein wilder, übermüthiger Mensch.«

»Jetzt ist er ruhig,« sagte Felix leise -- »aber wo ist Paula? Laß
sie nicht so lange allein, Herz -- ihre trüben Gedanken kommen wieder.
Denke, was das arme Kind verloren hat!«

»Was ich verloren habe,« flüsterte Helene, die Stirn auf des Gatten
Haupt lehnend.

Draußen im Vorsaal hatte einer der Diener eben das Theegeschirr
herausgebracht und auf einen Tisch gestellt, um es der Herrschaft hinein
zu tragen, als sich die Hausthür öffnete und eine schwarz gekleidete
Dame, das Gesicht verschleiert, eintrat.

»Ist Deine Herrschaft zu Hause?«

»Ja, gnädige Frau,« sagte der Diener, über die plötzliche,
eigenthümliche Erscheinung fast erschreckt, »wen habe ich die Ehre zu
melden?«

»Niemanden,« sagte die hohe, stattliche Frau, aber mit fast tonloser
Stimme, »ich werde mich selber melden.«

»Bitte um Verzeihung, ich...« wollte der Diener einwenden, aber
eine gebietende Bewegung der verschleierten Dame, die ihm wie eine
Erscheinung vorkam, scheuchte ihn zurück, und diese schritt jetzt selbst
auf die Thür zu und öffnete sie.

»Meine Helene,« rief Felix, das Antlitz zu der Gattin emporhebend und
ihrem Kuß begegnend, »mein liebes, süßes Herz, vertraue auf die Zeit,
die auch Dir das Verlorene bringen kann!«

Die Thür öffnete sich, eine schwarz gekleidete Gestalt stand auf der
Schwelle. Felix hatte das Geräusch gehört und wandte den Kopf dorthin.
Er fuhr überrascht in seinem Stuhl empor. Eine Dame -- unangemeldet
Abends in seinem Zimmer?

»Was ist das?« flüsterte Helene.

Die Fremde schlug den Schleier zurück, und ein bleiches Antlitz starrte
daraus hervor.

»Gräfin Monford!« schrie Felix, von seinem Stuhl emporspringend.

»Meine Mutter!« flüsterte Helene und mußte sich an der Stuhllehne
anhalten, um nicht umzusinken.

Die Gräfin sprach kein Wort. Schweigend drückte sie die Thür hinter sich
in's Schloß und trat dem Tisch näher. Dort blieb sie stehen; aber jede
Spur von Stolz war aus den bleichen Zügen gewichen, in die der Gram
seine tiefen Furchen gegraben, und die rechte Hand langsam gegen die
Tochter ausstreckend, sagte sie mit leiser, kaum hörbarer Stimme:
»Helene!«

»Meine Mutter!« wiederholte Helene; aber nur wie ein Hauch quollen die
Worte über ihre Lippen. Sie rührte sich nicht, keine Bewegung machte
sie, dem Anruf zu begegnen.

»Helene, kennst Du Deine Mutter nicht mehr?« sagte die Gräfin aber so
weich, so bittend.

Felix sah staunend seine Frau an; aber sie rührte sich nicht. Ihre ganze
Gestalt bebte, ihr Antlitz war fast noch bleicher geworden, als das der
Mutter; aber während sie krampfhaft die Lehne des neben ihr stehenden
Stuhls gefaßt hielt, sagte sie mit fester Stimme:

»Und wo ist Deine Tochter Paula, Mutter?«

Die Gräfin barg ihr Antlitz in den Händen und stand regungslos; aber
plötzlich fuhr sie empor:

»Das ist der Name, der mich Tag und Nacht gequält,« rief sie in wilder
Erregung aus, »das ist der Wurm, die Reue, die an meinem Herzen genagt,
und Alles, Alles hat mich verlassen! Helene, willst auch Du mich
verstoßen? Du allein hättest ein Recht dazu -- aber sieh hier die
Thränen einer Mutter! Helene, mein Kind -- mein letztes Kind, stoße
mich nicht in Nacht und Verzweiflung!« Und in wilder Leidenschaft zu
ihr hinstürzend, ehe Felix noch eine Ahnung haben konnte, was sie
beabsichtige, warf sie sich vor Helenen nieder, umfaßte ihre Kniee und
barg das thränende Antlitz in ihrem Kleide.

»Frau Gräfin!« sagte Felix erschreckt. Aber jetzt hielt sich Helene auch
nicht länger.

»Mutter, Mutter!« rief sie, und sich neben die Knieende niederwerfend,
umschlang sie dieselbe mit ihren Armen und preßte ihr heiße und glühende
Küsse auf Kopf und Nacken.

»Und hast Du Erbarmen mit Deiner armen, armen Mutter, Helene? Willst Du
mich wenigstens nicht von Dir stoßen?«

»Nie, nie, Mutter! Nie, so lange dieses Herz noch schlägt!«

»Mein Kind -- mein liebes Kind!«

»Aber wie ist mir denn,« rief Helene plötzlich, sich ihrer Umarmung
entziehend, »stehl' ich denn hier nicht den Mutterkuß einem theuern
Haupt? Felix, Felix, bring der Mutter ihre Tochter!«

»Ihre Tochter -- welche?« rief die Gräfin, erschreckt emporzuckend.

Aber Helene hatte sie umfaßt, und sie von der Diele zu sich aufziehend,
warf sie sich an ihre Brust und rief unter Thränen jubelnd: »Dein Kind
-- Dein verlorenes Kind!«

»Paula?«

In der Thür stand Felix; aber in seinen Armen hielt er die
zusammenbrechende Gestalt Paula's, die, flehend und mit unsagbarem
Schmerz in ihrem bleichen Antlitz die zitternden Hände der Mutter
entgegenstreckte.

»Paula!« schrie die Gräfin, aber mehr vermochte sie nicht. Ihr
starrer Geist hatte Alles ertragen, Schlag nach Schlag des Schicksals
wirkungslos ihr Haupt getroffen, das Glück dieses Augenblicks ertrug es
nicht, und ohnmächtig sank sie in Helenens Arme.

Aber die Freude tödtet nicht so leicht. Von ihren Kindern zum Sopha
getragen, schlug sie die Augen wieder auf, und wer vermöchte die
Seligkeit dieses Wiedersehens zu schildern! Helene weinte und lachte,
und beide Töchter, vor der Mutter knieend, hielten sie fest umschlossen
und bargen ihr Haupt an ihrem Herzen.

       *       *       *       *       *

Am nächsten Tage wurde in Schloß Monford gepackt, und der alte
Haushofmeister, der wie der Geist einer vergangenen Zeit in dem öden
Gebäude umherschlich, schüttelte erstaunt mit dem Kopf, denn so ruhig,
ja heiter hatte er die Frau Gräfin seit dem Tage nicht gesehen, wo das
Unglück über das edle Haus hereinbrach und Säule nach Säule niederriß.

Was konnte nur mit ihr vorgegangen sein? Gestern Abend hatte sie zu Fuß
das Schloß verlassen und war durch den Grafen Rottack in dessen eigener
Equipage erst nach zwölf Uhr zurückgebracht -- und heute --

»Hußmann,« sagte die Gräfin, die eben aus ihrem Zimmer trat, »seid doch
so gut und tragt dieses Paket selber zum Grafen Rottack hinunter; es ist
für eine junge Dame bestimmt, die bei ihm wohnt. Mir liegt aber daran,
daß Ihr es in deren eigene Hände gebt, es ist werthvoll -- habt Ihr mich
verstanden?«

»Zu Befehl, gnädige Gräfin.«

»Der Wagen ist angespannt, Ihr fahrt hinunter, ich möchte, daß Ihr bald
zurückkämet.«

Der alte Haushofmeister nahm das Paket und fuhr in die Stadt. Aber er
blieb länger aus, als er eigentlich zu dem Weg gebraucht hätte, und wie
er zurückkam, sah er ordentlich verklärt aus.

»Habt Ihr meinen Auftrag ausgerichtet, Hußmann?« fragte die Gräfin, als
er wieder zu ihr in's Zimmer trat.

»Frau Gräfin,« rief der alte Mann, und seine ganze Gestalt bebte,
»gnädige Frau Gräfin!«

»Ich hätte so gern gehabt, daß Ihr uns auf der Reise begleitetet,
Hußmann, aber wenn Ihr denn gar nicht wollt...«

»Frau Gräfin,« sprach der alte Mann mit zitternder Stimme, ergriff ihre
Hand und netzte sie mit seinen Thränen, »darf ich denn mit?«

»Also deshalb, Hußmann?« sagte die Gräfin leise und wehmüthig.

»Oh, zürnen Sie mir nicht,« bat der Alte, »meine ganze Seele hing ja an
dem Kind, und daß Sie -- aber jetzt ist ja Alles gut, Alles gut, und so
lange ich nur kriechen kann, weiche ich ja nicht von Ihrer Seite.«

Am nächsten Morgen war ein ganzer Berg von Koffern am Perron des
Haßburger Bahnhofs aufgeschichtet, und Hußmann und Jeremias lösten eine
Anzahl Billets und gaben das Gepäck dann auf. Sämmtliche Marken daran
lauteten aber nach Triest.

Kurz vor Abgang des Zuges trafen die Equipagen der Herrschaften ein,
zwei von der Rottack'schen Wohnung, eine vom Schlosse Monford herunter,
und die alte Gräfin Monford, die allein in ihrem Wagen gekommen
war, eilte auf Rottacks zu, half die Kinder mit herausheben und nahm
Helenchen, die sich gar nicht vor ihr fürchtete, auf den Arm.
Helene selber nahm Günther an die Hand, und Graf Rottack führte eine
dichtverschleierte Dame dem Coupé zu.

Die Haßburger zerbrachen sich den Kopf, wer die Fremde wohl sein könne;
aber lange Zeit blieb ihnen nicht dazu übrig, denn eben brauste der
Schnellzug heran, und die Reisenden nahmen gleich ihre Plätze ein.

Jeremias stand draußen am offenen Fenster.

»Hurrjeh, Herr Graf,« rief er noch in den Wagen hinein, »ist das nicht
beinahe genau so, wie damals in Brasilien, nur daß wir dorten keine
Eisenbahn hatten -- wissen Sie noch, wie ich Ihnen die Sachen...?« Er
schwieg erschrocken still, denn wenn er sich seiner früheren Arbeit auch
nicht schämte, machte er doch nicht gern Staat damit.

»Und Sie haben treulich bei uns ausgehalten.«

»Bin nun schon beinahe daran gewöhnt, Sie auf den Trab zu bringen,«
lachte der kleine Mann. »Aber haben Sie keine Angst, hier soll indessen
Alles richtig besorgt werden.«

»Nehmen Sie sich in Acht, der Zug geht ab!« rief der Schaffner.

»Na, so behüt' Sie Alle Gott!« rief Jeremias, die Hand noch
einmal treuherzig in das Coupé hineinreichend. »Und auf ein frohes
Wiedersehen!«

»Mein alter, wackerer Freund!«

»Wir werden Sie nie vergessen!« sagte die verschleierte Dame und reichte
ihm die kleine weiße Hand.

»Gott lohne es Ihnen, Gott lohne es Ihnen!«

Ein scharfer Pfiff -- Jeremias trat vom Wagen zurück, Günther und
Helenchen winkten ihm noch jubelnd mit den Händchen zu -- und fort
rasselte der Zug seine wilde Bahn dahin.

  _Ende._

  Druck von G. Pätz in Naumburg a/S.




[Hinweise zur Transkription


Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.

Offensichtliche Fehler wurden korrigiert, bei Zweifeln der Originaltext
beibehalten. Änderungen in der Schreibweise sind in der nachstehenden
Liste ausgewiesen, Änderungen in der Zeichensetzung nicht.

Aenderungen:

  Seitenangabe
  originaler Text
  geänderter Text

  Seite 4
  über dem kleinen, mit bunten Kattun bezogenen Sopha
  über dem kleinen, mit buntem Kattun bezogenen Sopha

  ein Lobeerkranz verband sogar Beide mit einander
  ein Lorbeerkranz verband sogar Beide mit einander

  Seite 8
  Was das für eine reizende Frau und was
  Was das für eine reizende Frau ist und was

  Seite 12
  kannst Du es mir und dem Oukel verdenken
  kannst Du es mir und dem Onkel verdenken

  Seite 36
  die sich durch die verschienenen Baumgruppen schlängelten
  die sich durch die verschiedenen Baumgruppen schlängelten

  Seite 47
  plötzlich und mit einem Schlag sein eigener, freier Herr.
  plötzlich und mit einem Schlag sein eigener, freier Herr war.

  Seite 59
  was die sonstigen kleinen Leiden und Aegernisse betrifft
  was die sonstigen kleinen Leiden und Aergernisse betrifft

  Seite 61
  der das Fach der Charakterollen am Theater bekleidete
  der das Fach der Charakterrollen am Theater bekleidete

  Seite 64
  ehrlich bringt sie sich mit ihren kleinen Gage durch
  ehrlich bringt sie sich mit ihrer kleinen Gage durch

  Seite 79
  ihr Theatertername war damals Bassini
  ihr Theatername war damals Bassini

  Seite 88
  Das ist kein Gesicht für einen Bräutchen!
  Das ist kein Gesicht für ein Bräutchen!

  Seite 132
  und ireudige Dankbarkeit ... glänzte dabei in fhren Zügen
  und freudige Dankbarkeit ... glänzte dabei in ihren Zügen

  Seite 135
  »Ja, gewiß,« lächte Rottack
  »Ja, gewiß,« lächelte Rottack

  Seite 147
  versäumt haben, um sein Diebeshandwerk forzusetzen
  versäumt haben, um sein Diebeshandwerk fortzusetzen

  Seite 169
  und nachher wär's vielleich möglich
  und nachher wär's vielleicht möglich

  Seite 180
  es ist für den Commerizenrath
  es ist für den Commerzienrath

  Seite 208
  nach der Leseprobe noch einen Augenblick zu ververweilen
  nach der Leseprobe noch einen Augenblick zu verweilen

  Seite 218
  die Gräfin, dem jungen Grafen Bolten frenndzunickend
  die Gräfin, dem jungen Grafen Bolten freundlich zunickend

  Seite 219
  von den Zügel dabei gerissen, auf die Seite und an dem Karren
  von dem Zügel dabei gerissen, auf die Seite und an den Karren

  Seite 247
  noch Niemand sehen, den die staken noch alle
  noch Niemand sehen, denn die staken noch alle

  Seite 263
  die dem Rang der jungen Gräfin ensprechend war
  die dem Rang der jungen Gräfin entsprechend war

  Seite 298
  Sie können heute auf Ihren Lorbern ausruhen
  Sie können heute auf Ihren Lorbeern ausruhen

  Seite 307
  Jetzt war Alles todenstill
  Jetzt war Alles todtenstill

  Seite 317
  Eeau de Cologne
  Eau de Cologne

  Seite 341
  der nicht mehr länger an sich halten konne
  der nicht mehr länger an sich halten konnte

  Seite 347
  zu Ihrem gestrigen ungeheuern Erfoge Glück wünscht
  zu Ihrem gestrigen ungeheuern Erfolge Glück wünscht

  Seite 357
  das Herz des armen Kindes so zu berücken mußte
  das Herz des armen Kindes so zu berücken wußte

  Seite 364
  Ihre Wangen hatte ordentlich etwas Farbe bekommen
  Ihre Wangen hatten ordentlich etwas Farbe bekommen

  Seite 373
  25. Der reiche Mann.
  26. Der reiche Mann.

  Seite 414
  »Knellner, zwei Glas Bier!«
  »Kellner, zwei Glas Bier!«

  Seite 459
  »Herr Boslaw?« sagte Jemerias.
  »Herr Boslaw?« sagte Jeremias.

  Seite 469
  »Was sagt sie?« fragte Jeremais
  »Was sagt sie?« fragte Jeremias

  Seite 473
  das unbeholfere Gestell ließ sich nicht die schmale Treppe
  das unbeholfene Gestell ließ sich nicht die schmale Treppe

  Seite 489
  an gar nichts, als -- an der Haupsache
  an gar nichts, als -- an der Hauptsache

  Seite 500
  Paula's Blick hing anstvoll an seinen Zügen
  Paula's Blick hing angstvoll an seinen Zügen]







End of the Project Gutenberg EBook of Eine Mutter, by Friedrich Gerstäcker

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Foundation as set forth in Section 3 below.

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public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
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work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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