Das Kloster bei Sendomir

By Franz Grillparzer

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Title: Das Kloster bei Sendomir

Author: Franz Grillparzer

Release Date: September, 2005 [EBook #8999]
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[This file was first posted on September 1, 2003]

Edition: 10

Language: German

Character set encoding: ISO Latin-1

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS KLOSTER BEI SENDOMIR ***




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DAS KLOSTER BEI SENDOMIR

von FRANZ GRILLPARZER


Erzählung

Nach einer als wahr überlieferten Begebenheit


Die Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten die Abhänge eines der
reizendsten Täler der Woiwodschaft Sendomir. Wie zum Scheidekuß
ruhten sie auf den Mauern des an der Ostseite fensterreich und
wohnlich prangenden Klosters, als eben zwei Reiter, von wenigen
Dienern begleitet, den Saum der gegenüberliegenden Hügelkette
erreichten, und, von der Vesperglocke gemahnt, nach kurzem,
betrachtendem Verweilen, ihre Pferde in schärfern Trott setzten,
taleinwärts, dem Kloster zu.

Die Kleidung der späten Gäste bezeichnete die Fremden. Breitgedrückte,
befiederte Hüte, das Elenkoller vom dunklen Brustharnisch gedrückt,
die straffanliegenden Unterkleider und hohen Stulpstiefeln erlaubten
nicht, sie für eingeborne Polen zu halten. Und so war es auch. Als
Boten des deutschen Kaisers zogen sie, selbst Deutsche, an den Hof des
kriegerischen Johann Sobiesky, und, vom Abend überrascht, suchten sie
Nachtlager in dem vor ihnen liegenden Kloster.

Das bereits abendlich verschlossene Tor ward den Einlaßheischenden
geöffnet, und der Pförtner hieß sie eintreten in die geräumige
Gaststube, wo Erfrischung und Nachtruhe ihrer warte; obgleich, wie er
entschuldigend hinzusetzte, der Abt und die Konventualen, bereits zur
Vesper im Chor versammelt, sich für heute die Bewillkommnung so werter
Gäste versagen müßten. Die Angabe des etwas mißtrauisch blickenden
Mannes ward durch den eintönigen Zusammenklang halb sprechend, halb
singend erhobener Stimmen bekräftigt, die, aus dämpfender Ferne durch
die hallenden Gewölbe sich hinwindend, den Chorgesang einer
geistlichen Gemeine deutlich genug bezeichneten.

Die beiden Fremden traten in das angewiesene Gemach, welches, obgleich,
wie das ganze Kloster, offenbar erst seit kurzem erbaut, doch
altertümliche Spitzformen mit absichtlicher Genauigkeit nachahmte.
Weniges, doch anständiges Geräte war rings an den Wänden verteilt.
Die hohen Bogenfenster gingen ins Freie, wo der in Osten aufsteigende
Mond, mit der letzten Abendhelle kämpfend, nur sparsame Schimmer auf
die Erhöhungen des hüglichten Bodens warf, indes in den Falten der
Täler und unter den Bäumen des Forstes sich allgemach die Nacht mit
ihrem dunkeln Gefolge lagerte, und stille Ruhe, hold vermischend,
ihren Schleier über Belebtes und Unbelebtes ausbreitete.

Die eigenen Diener der Ritter trugen Wein auf und Abendkost. Ein
derbgefügter Tisch, in die Brüstung des geöffneten Bogenfensters
gerückt, empfing die ermüdeten Gäste, die, auf hohe Armstühle gelagert,
sich bald an dem zauberischen Spiele des Mondlichtes ergötzten, bald,
zu Wein und Speise zurückkehrend, den Körper für die Reise des
nächsten Tages stärkten.

Eine Stunde mochte auf diese Art vergangen sein. Die Nacht war
vollends eingebrochen, Glockenklang und Chorgesang längst verstummt.
Die zur Ruhe gesendeten Diener hatten eine düsterbrennende Ampel, in
der Mitte des Gemaches hängend, angezündet, und noch immer saßen die
beiden Ritter am Fenster, im eifrigen Gespräch; vielleicht vom Zweck
ihrer Reise, offenbar von Wichtigem. Da pochte es mit kräftigem
Finger an die Türe des Gemaches, und ehe man noch, ungern die Rede
unterbrechend, mit einem: Herein! geantwortet, öffnete sich diese, und
eine seltsame Menschengestalt trat ein, mit der Frage: ob sie Feuer
bedürften?

Der Eingetretene war in ein abgetragenes, an mehreren Stellen
geflicktes Mönchskleid gehüllt, das sonderbar genug gegen den derben,
gedrungenen Körperbau abstach. Obgleich von Alter schon etwas gebeugt
und mehr unter als über der Mittelgröße, war doch ein eigener Ausdruck
von Entschlossenheit und Kraft über sein ganzes Wesen verbreitet, so
daß, die Kleidung abgerechnet, der Beschauer den Mann eher für alles,
als für einen friedlichen Sohn der Kirche erkannt hätte. Haar und
Bart, vormals augenscheinlich rabenschwarz, nun aber überwiegend mit
Grau gemischt und, trotz ihrer Länge, stark gekräuselt, drängten sich
in dichter Fülle um Stirne, Mund und Kinn. Das Auge, klösterlich
gesenkt, hob sich nur selten; wenn es aber aufging, traf es wie ein
Wetterschlag, so grauenhaft funkelten die schwarzen Sterne aus den
aschfahlen Wangen, und man fühlte sich erleichtert, wenn die breiten
Lider sie wieder bedeckten. So beschaffen und so angetan, trat der
Mönch, ein Bündel Holz unter dem Arme, vor die Fremden hin, mit der
Frage: ob sie Feuer bedürften?

Die beiden sahen sich an, erstaunt ob der seltsamen Erscheinung.
Indessen kniete der Mönch am Kamine nieder und begann Feuer anzumachen,
ließ sich auch durch die Bemerkung nicht stören, daß man gar nicht
friere, und seine Mühe überflüssig sei. Die Nächte würden schon rauh,
meinte er und fuhr in seiner Arbeit fort. Nachdem er sein Werk
vollendet, und das Feuer lustig brannte, blieb er ein paar Augenblicke
am Kamin stehen, die Hände wärmend, dann, ohne sich scheinbar um die
Fremden zu bekümmern, schritt er schweigend der Türe zu.

Schon stand er an dieser und hatte die Klinke in der Hand, da sprach
einer der Fremden: "Nun Ihr einmal hier seid, ehrwürdiger
Vater"-"Bruder!" fiel der Mönch, wie unwillig, ein, und ohne sich
umzusehen, blieb er, die Stirn gegen die Türe geneigt, am Eingange
stehen.

"Nun denn also, ehrwürdiger Bruder!" fuhr der Fremde fort, "da Ihr
schon einmal hier seid, so gebt uns Aufschluß über einiges, das wir zu
wissen den Wunsch hegen."

"Fragt!" sprach, sich umwendend, der Mönch.

"So wißt denn", sagte der Fremde, "daß uns die herrliche Lage und
Bauart Eures Klosters mit Bewunderung erfüllt hat, vor allem aber, daß
es so neu ist und vor kurzem erst aufgeführt zu sein scheint."

Die dunkeln Augen des Mönches hoben sich bei dieser Rede und hafteten
mit einer Art grimmigen Ausdruckes auf dem Sprechenden.

"Die Zeiten sind vorüber", fuhr dieser fort, wo die Errichtung solcher
Werke der Frömmigkeit nichts Seltenes war. Wie lange steht das
Kloster?"

"Wißt Ihr es vielleicht schon?" fragte, zu Boden blickend, der Mönch,
"oder wißt Ihr es nicht?"

"Wenn das erstere, würde ich fragen?" entgegnete der Fremde.

"Es trifft sich zuweilen", murmelte jener. "Drei Jahre steht dies
Kloster. Dreißig Jahre!" fügte er verbessernd hinzu und sah nicht auf
vom Boden.

"Wie aber hieß der Stifter?" fragte der Fremde weiter. "Welch
gottgeliebter Mann?"--Da brach der Mönch in ein schmetterndes
Hohngelächter aus. Die Stuhllehne, auf die er sich gestützt hatte,
brach krachend unter seinem Druck zusammen; eine Hölle schien in dem
Blicke zu flammen, den er auf die Fremden richtete, und plötzlich
gewendet, ging er schallenden Trittes zur Türe hinaus.

Noch hatten sich die beiden von ihrem Erstaunen nicht erholt, da ging
die Türe von neuem auf, und derselbe Mönch trat ein. Als ob nichts
vorgefallen wäre, schritt er auf den Kamin zu, lockerte mit dem
Störeisen das Feuer auf, legte Holz zu, blies in die Flamme. Darauf
sich umwendend, sagte er: "Ich bin der mindeste von den Dienern dieses
Hauses. Die niedrigsten Dienste sind mir zugewiesen. Gegen Fremde
muß ich gefällig sein, und antworten, wenn sie fragen. Ihr habt ja
auch gefragt? Was war es nur?"

"Wir wollten über die Gründung dieses Klosters Auskunft einholen",
sprach der ältere der beiden Deutschen, "aber Eure sonderbare
Weigerung"-"Ja, ja!" sagte der Mönch, "Ihr seid Fremde, und kennet Ort
und Leute noch nicht. Ich möchte gar zu gerne Eure törichte Neugierde
unbefriedigt lassen, aber dann klagt Ihrs dem Abte, und der schilt
mich wieder, wie damals, als ich dem Palatin von Plozk an die Kehle
griff, weil er meiner Väter Namen schimpfte. Kommt Ihr von Warschau?"
fuhr er nach einer kleinen Weile fort.

"Wir gehen dahin", antwortete einer der Fremden.

"Das ist eine arge Stadt", sagte der Mönch, indem er sich setzte.
"Aller Unfrieden geht von dort aus. Wenn der Stifter dieses Klosters
nicht nach Warschau kam, so stiftete er überhaupt kein Kloster, es
gäbe keine Mönche hier, und ich wäre auch keiner. Da Ihr nicht von
dorther kommt, mögt Ihr rechtliche Leute sein, und, alles betrachtet,
will ich Euch die Geschichte erzählen. Aber unterbrecht mich nicht
und fragt nicht weiter, wenn ich aufhöre. Am Ende sprech ich selbst
gerne wieder einmal davon. Wenn nur nicht so viel Nebel dazwischen
läge, man sieht kaum das alte Stammschloß durchschimmern--und der Mond
scheint auch so trübe."--Die letzten Worte verloren sich in ein
unverständliches Gemurmel, und machten endlich einer tiefen Stille
Platz, während welcher der Mönch, die Hände in die weiten Ärmel
gesteckt, das Haupt auf die Brust gesunken, unbeweglich da saß. Schon
glaubten die beiden, seine Zusage habe ihn gereut, und wollten
kopfschüttelnd sich entfernen; da richtete er sich plötzlich mit einem
verstärkten Atemzuge empor; die vorgesunkene Kapuze fiel zurück; das
Auge, nicht mehr wild, strahlte in fast wehmütigem Lichte; er stützte
das dem Mond entgegengewendete Haupt in die Hand und begann:

"Starschensky hieß der Mann, ein Graf seines Stammes, dem gehörte die
weite Umgegend und der Platz, wo dies Kloster steht. Damals war aber
noch kein Kloster. Hier ging der Pflug; er selber hauste dort oben,
wo jetzt geborstene Mauern das Mondlicht zurückwerfen. Der Graf war
nicht schlimm, wenn auch gerade nicht gut. Im Kriege hieß man ihn
tapfer; sonst lebte er still und abgeschieden im Schlosse seiner Väter.
Über eines wunderten sich die Leute am meisten: nie hatte man ihn
einem weiblichen Wesen mit Neigung zugetan gesehen, sichtlich vermied
er den Umgang mit Frauen. Er galt daher für einen Weiberfeind; doch
war er keiner. Ein von Natur schüchterner Sinn, und--laßt sehn ob
ichs treffe!" sagte der Mönch, indem er sich aufrichtete--"ein über
alles gehendes Behagen am Besitz seiner selbst, hatte ihm bis dahin
keine Annäherung erlaubt. Abwesenheit von Unlust war ihm Lust.--Habt
Ihr noch Wein übrig? Gebt mir einen Becher! Der Graf war so schlimm
nicht."

Der Mönch trank, dann fuhr er fort: "So lebte Starschensky, so
gedachte er zu sterben; doch war es ihm anders bestimmt. Ein
Reichstag rief ihn nach Warschau. Unwillig über die Verkehrtheit der
Menge, deren jeder nur sich wollte, wo es das Wohl des Ganzen galt,
ging er eines Abends durch die Straßen der Stadt; schwarze Regenwolken
hingen am Himmel, jeden Augenblick bereit, sich zu entladen, dichtes
Dunkel ringsum. Da hörte er plötzlich hinter sich eine weibliche
Stimme, die zitternd und schluchzend ihn anspricht: Wenn Ihr ein
Mensch seid, so erbarmt Euch eines Unglücklichen! Rasch umgewendet,
erblickt der Graf ein Mädchen, das bittend ihm die Hände
entgegenstreckt. Die Kleidung schien ärmlich, Hals und Arme
schimmerten weiß durch die Nacht. Der Graf folgt der Bittenden. Zehn
Schritte gegangen, tritt sie in eine Hütte, Starschensky folgt, und
bald steht er mit ihr allein auf dem dunkeln Flur. Eine warme, weiche
Hand ergreift die seinige.--Seid Ihr Ordensritter?" unterbrach sich
der Mönch, zu dem Jüngeren der Fremden gewendet. "Was bedeutet das
Kreuz auf Eurem Mantel?"--"Ich bin Malteser", entgegnete dieser.--"Ihr
auch?" wendet der Mönch sich zum zweiten.--"Keineswegs", war die
Antwort.--"Habt ihr Weib und Kinder?"--"Beides hatt' ich nie."--"Wie
alt seid Ihr?"--"Fünfundvierzig."--"So! so!" murmelte kopfnickend der
Mönch. Dann fuhr er fort:

"Ein bis dahin unbekanntes Gefühl ergriff den Grafen bei der Berührung
der warmen Hand. Sie erzählen ein morgenländisches Märchen von einem,
dem plötzlich die Gabe verliehen ward, die Sprache der Vögel und
andern Naturwesen zu verstehen, und der nun, im Schatten liegend am
Bachesrand, mit freudigem Erstaunen rings um sich überall Wort und
Sinn vernahm, wo er vorher nur Geräusch gehört und Laute. So erging
es dem Grafen. Eine neue Welt stand vor ihm auf, und bebend folgte er
seiner Führerin, die eine kleine Türe öffnete, und mit ihm in ein
niederes, schwacherleuchtetes Zimmer trat.

Der erste Strahl des Lichtes fiel auf das Mädchen. Starschenskys
innerstes Wesen jubelte auf, daß die Wirklichkeit gehalten, was die
Ahnung versprach. Das Mädchen war schön, schön in jedem Betracht.
Schwarze Locken ringelten sich um Stirn und Nacken, und erhoben, mit
der gleichgefärbten Wimper, bis zum Sonderbaren den Reiz des hellblau
strahlenden Auges. Der Mund mit üppig aufgeworfenen, beinahe zu
hochroten Lippen, ward keineswegs durch eine kleine Narbe entstellt,
die, als schmale, weißlich gefärbte Linie schräg abwärts laufend, sich
in den Karmin der Oberlippe verlor. Grübchen in Kinn und Wangen;
Stirn und Nase, wie vielleicht gerade der Maler sie nicht denkt, wie
sie aber meinen Landsmänninnen wohl stehen, vollendeten den Ausdruck
des reizenden Köpfchens und standen in schönem Einklange mit den
Formen eines zugleich schlank und voll gebauten Körpers, dessen üppige
Schönheit die ärmliche Hülle mehr erhob als verbarg.--Nicht wahr,
davon wißt Ihr nichts, Malteser? Ja, ja, bei dem alten Mönch rappelts
einmal wieder! Laßt uns noch eins trinken!--So, und nun gut.

Der Graf stand verloren im Anschaun des Mädchens und bemerkte kaum,
daß in einem Winkel der Hütte, auf moderndes Stroh gebettet, einen
zerrissenen Sattel statt des Kissens unter dem Kopfe, mit Lumpen
bedeckt, die Jammergestalt eines alten Mannes lag, der jetzt die Hand
aus seinen ärmlichen Hüllen hervorstreckte, und mit erloschener Stimme
fragte: Bist dus, Elga? Wen bringst du mir da?--Hier der Unglückliche,
sprach das Mädchen zu Starschensky gewendet, für den ich, durch
äußerste Not getrieben, Euer Mitleid ansprach. Er ist mein Vater, ein
Edelmann von altem Stamm und Adel, durch Verfolgung bis hierher
gebracht.--Damit ging sie hin, und am Lager des Greises niedergekauert,
suchte sie, durch Zurechtrücken und Ausbreiten, in die Lumpen, die
ihn bedeckten, einen Schein von Anständigkeit und Ordnung zu bringen.

Der Graf trat näher. Er erfuhr die Geschichte. Der vor ihm lag, war
der Starost von Laschek. Er und seine zwei Söhne hatten sich in
politische Verbindungen eingelassen, die das Vaterland mißbilligte.
Ihre Anschläge wurden entdeckt. Die beiden Söhne samt einigen
Unvorsichtigen, die mit ihnen gemeinsame Sache gemacht, traf
Verbannung; der Vater, seiner Güter beraubt, war im Elend.

Im ersten Augenblicke, als Starschensky den Namen Laschek hörte, wußte
er auch schon, daß die Lage des Unglücklichen nicht ganz unverschuldet
war. Denn, wenn er auch einer unmittelbaren Teilnahme an den
Anschlägen seiner Söhne nicht geradezu überwiesen werden konnte, so
hatte er doch durch Leichtsinn in der Jugend und üble Wirtschaft im
vorgerückten Alter seinen Söhnen die rechtlichen Wege des Emporkommens
schwierig, und Wagnisse willkommen gemacht. All dies war dem Grafen
nicht verborgen. Aber es galt einen Unglücklichen zu retten, und
Elgas Vater hatte den beredtesten Fürsprecher bei dem Entbrannten für
seine Tochter.

Laschek ward in eine anständige Wohnung gebracht, er und seine Tochter
mit dem Notwendigen versehen. Starschensky verwendete seinen Einfluß,
seine Verbindungen, er ließ sich bis zu Geld und Geschenken herab, um
die Wiederherstellung des Entsetzten, die Rückberufung der Verbannten
zu erwirken. Glücklicherweise waren die äußeren Verhältnisse längst
vorüber, welche die Anschläge jener Unvorsichtigen gefährlich gemacht
hatten. Verzeihung ward bewilligt; die Verwiesenen rüsteten sich zur
Heimkehr. Mehrere der Unglücksgenossen hatten, ihrem Leichtsinne treu,
Dienste in fremden Landen genommen; nur Lascheks beide Söhne und ein
entfernter Verwandter des Hauses, Oginsky genannt, machten Gebrauch
von der schwer erlangten Erlaubnis. Täglich erwartete man ihre
Ankunft.

Die Wiedergabe von Lascheks eingezogenen Gütern zeigte sich indes als
wenig Nutzen bringend. Täglich erschienen neue Gläubiger. Hauptstock
und rückständige Zinsen verschlangen weit den Wert des vorhandenen
Unbeweglichen. Starschensky trat ins Mittel, bezahlte, verschuldete
seine eigenen Güter und konnte dennoch kaum einen geringen Rest der
Stamm-Besitzungen, als ein Pfropfreis für die Zukunft, retten.

Glücklicher schien er mittlerweile in seinen Bewerbungen um Elgas Herz.
Als das Mädchen sich zum erstenmale wieder in anständigen Kleidern
erblickte, flog sie ihm beim Eintritte aufschreiend entgegen, und ein
lange nachgefühlter Kuß von ihren brennenden Lippen lohnte seine
Vorsorge, sein Bemühn. Dieser erste Kuß blieb freilich vorderhand
auch der letzte, nichtsdestoweniger durfte sich aber doch Starschensky
mit der Hoffnung schmeicheln, ihrem Herzen nicht gleichgültig zu sein.
Sie war gern in seiner Gesellschaft, sie bemerkte und empfand seine
Abwesenheit. Oft überraschte er ihr Auge, das gedankenvoll und
betrachtend auf ihn geheftet war; ja einigemale konnte er nur durch
schnelles Zurückziehen verhindern, daß nicht ein Kuß, den er gar zu
gerne seinen Lippen gegönnt hätte, auf seine Hand gedrückt wurde. Er
war voll der schönsten Hoffnungen. Doch mit einemmale änderte sich
die Szene. Elga ward düster und nachdenkend. Wenn sonst ihre Neigung
für Zerstreuungen, für Kleiderzier und Lebensgenuß sich aufs
bestimmteste aussprach, und manchmal hart an die Grenzen des Zuviel zu
streifen schien, so mied sie jetzt die Gesellschaft. Streitende
Gedanken jagten ihre Wolken über die schöngeglättete Stirne; das
getrübte Auge sprach von Tränen, und nicht selten drängte sich ein
einzelner der störenden Gäste unter der schnellgesenkten Wimper hervor.
Starschensky bemerkte, wie der Vater sie dann ernst, beinahe drohend
anblickte, und eine erkünstelte Heiterkeit das Bestreben des Mädchens
bezeichnete, einen heimlichen Kummer zu unterdrücken. Einmal, rasch
durchs Vorgemach auf die Türe des Empfangszimmers zuschreitend, hörte
Starschensky die Stimme des Starosten, der aufs heftigste erzürnt
schien und sich sogar ziemlich gemeiner Ausdrücke bediente. Der Graf
öffnete die Türe und sah ringsum, erblickte aber kein drittes; nur die
Tochter, die nicht weinend und höchst erhitzt, vom Vater abgekehrt, im
Fenster stand. Ihr mußten jene Scheltworte gegolten haben. Da ward
es fester Entschluß in der Seele des Grafen, durch eine rasche Werbung
um Elgas Hand, der marternden Ungewißheit des Verhältnisses ein Ende
zu machen.

Während er sich kurze Frist zur Ausführung dieses Vorsatzes nahm und
Elgas vorige Heiterkeit nach und nach zurückkehrte, langten die aus
der Verbannung heimberufenen Angehörigen an. Elga schien weniger
Freude über den Wiederbesitz der so lange entbehrten Brüder zu
empfinden, als der Graf vorausgesetzt hatte. Am auffallendsten aber
war ihre schroffe Kälte, um es nicht Härte zu nennen, gegen den
Gefährten von ihrer Brüder Schuld und Strafe, den armen Vetter Oginsky,
den sie kaum eines Blickes würdigte. Gut gebaut und wohl aussehend,
wie er war, schien er eine solche Abneigung durch nichts zu verdienen;
vielmehr war in seinem beinahe zu unterwürfigen Benehmen das Streben
sichtbar, sich um die gute Meinung von jedermann zu bewerben. Keine
Härte konnte ihn aufbringen; nur schien ihm freilich jede Gelegenheit
erwünscht, sich der beinahe verächtlichen Behandlung Elgas zu
entziehen. Zuletzt verschwand er ganz, und niemand wußte, wo er
hingekommen war.

Nun endlich trat der Graf mit seiner Bewerbung hervor, der alte
Starost weinte Freudentränen, Elga sank schamerrötend und sprachlos in
seine Arme, und der Bund war geschlossen. Laute Feste verkündeten der
Hauptstadt Starschenskys Glück, und wiederholte, zahlreich besuchte
Feste versicherten ihn der allgemeinen Teilnahme. Durch eine
Ehrenbedienstung am Hofe festgehalten, lernte er bald sich in Geräusch
und Glanz fügen, ja wohl gar daran Vergnügen finden, wenigstens
insoweit Elga es fand, deren Geschmack für rauschende Lustbarkeiten
sich immer bestimmter aussprach. Aber war sie nicht jung, war sie
nicht schön? Hatte nicht, nach langen Unfällen, jede Lust für sie den
doppelten Reiz, als Lust und als neu? Der Graf gewährte und war
glücklich. Nur eines fehlte, um ihn ganz selig zu machen: schon war
ein volles Jahr seit seiner Vermählung verstrichen, und Elga gab noch
keine Hoffnung Mutter zu werden.

Doch plötzlich ward der Rausch des Glücklichen auf eine noch weit
empfindlichere Weise gestört. Starschenskys Hausverwalter, ein als
redlich erprobter Mann, erschien, trübe Wolken auf der gefurchten
Stirn. Man schloß sich ein, man rechnete, man verglich, und es zeigte
sich bald nur zu deutlich, daß durch das, was für Elgas Verwandte
geschehen war, durch den schrankenlosen Aufwand der letzten Zeit, des
Grafen Vermögensstand erschüttert war und schleunige Vorsorge
erheischte. Das Schlimmste zu dieser Verwirrung hatten Elgas Brüder
getan. Wie denn überhaupt das Unglück nur Besserungsfähige bessert,
so war die alles verschlingende Genußliebe des leichtfertigen Paares
durch die lange Entbehrung nur noch gieriger geworden. Auf die Kasse
des Grafen mit ihrem Unterhalte angewiesen, hatten sie den
überschwenglichsten Gebrauch von dieser Zugestehung gemacht, und
nachdem der in Seligkeit schwimmende Graf auf die ersten Anfragen
seiner besorgten Geschäftsleute ungeduldig die Antwort erteilt hatte:
man solle es nicht zu genau nehmen und seinen Schwägern geben was sie
bedurften, war bald des Forderns und Nehmens kein Ende.

Der Graf übersah mit einem Blicke das Bedenkliche seiner Lage und,
ordnungsliebend wie er war, hatte für ihn ein rasches Umkehren von dem
eingeschlagenen Taumelpfade nichts Beängstigendes. Nur der Gedanke an
Elga machte ihm bange. Wird das heitere, in unbefangenem Frohsinn so
gern hinschwebende Wesen--? Aber es mußte sein, und der Graf tat, was
er mußte. Mit klopfendem Herzen trat er in Elgas Gemach. Aber wie
angenehm ward er überrascht, als, da er kaum die Verhältnisse
auseinandergesetzt und die Notwendigkeit geschildert hatte, die Stadt
zu verlassen, um auf eigener Scholle den Leichtsinn der
letztverflossenen Zeit wieder gut zu machen, als bei der ersten
Andeutung schon Elga an seine Brust stürzte, und sich bereitwillig und
erfreut erklärte. Was er wolle, was er gebiete, sie werde nur
gehorsam sein! Dabei stürzten Tränen aus ihren Augen, und sie wäre zu
seinen Füßen gefallen, wenn er es nicht verhindert, sie nicht
emporgehoben hätte zu einer langen, Zeit und Außenwelt aufhebenden
Umarmung.

Alle Anstalten zur Abreise wurden gemacht. Starschensky, der, von
Jugend auf an Einsamkeit gewohnt, alle Freuden des Hofes und der Stadt
nur in der Freude, die seine Gattin daran zeigte, genossen hatte,
segnete beinahe die Unfälle, die ihn zwangen, in den Schoß seiner
ländlichen Heimat zurückzukehren. Elga packte und sorgte, und in den
ersten Nachmittagsstunden eines warmen Maientages war man mit Kisten
und Päcken in dem altertümlichen Stammschlosse angekommen, das, neu
eingerichtet, und aufs beste in Stand gesetzt, durch Nachtigallenschlag
und Blütenduft wetteifernd ersetzte, was ein verwöhnter Geschmack in
Vergleich mit den Palästen der Städte, allenfalls hätte vermissen
können.

Bald nach der Ankunft schien sich zum Teile aufzuklären, warum Elgan
die Änderung der bisherigen Lebensweise so leicht geworden war. Sie
stand in den ersten Monaten einer bis jetzt verheimlichten
Schwangerschaft, und Starschensky, mit der Erfüllung aller seiner
Wünsche überschüttet, kannte keine Grenzen seines Glücks.

Frühling und Sommer verstrichen unter ländlichen Ergötzlichkeiten,
ordnenden Einrichtungen und frohen Erwartungen. Als das Laub gefallen
war und rauhe Stürme, die ersten Boten des Winters, an den Fenstern
des Schlosses rüttelten, nahte Elgan die ersehnte und gefürchtete
Stunde, sie gebar, und ein engelschönes, kleines Mädchen ward in die
Arme des Grafen gelegt, der die Tochter mit segnenden Tränen benetzte.
Leicht überstanden, wie die Geburt, waren die Folgen, und Elga blühte
bald wieder einer Rose gleich.

Soviel günstige Vorfälle wurden leider durch unangenehme Nachrichten
aus der Hauptstadt unterbrochen. Der alte Starost, Elgas Vater, war
gestorben, und hatte seine Umstände in der größten Zerrüttung
hinterlassen. Die beiden Söhne, in ihrer tollen Verschwendung nicht
mehr von ihrem bedächtlicher gewordenen Schwager unterstützt, häuften
Schulden auf Schulden, und ihre Gläubiger, die in der Hoffnung auf den
Nachlaß des alten Vaters zugewartet hatten, sahen sich zum Teile in
ihrer Erwartung dadurch getäuscht, daß in dem Testamente des Starosten
eine beträchtliche Summe, in Folge einer früher geschehenen förmlichen
Schenkung, an jenen armen Vetter Oginsky überging. Dieser Vetter war,
wie bekannt, seit längerer Zeit verschwunden. Er mußte aber doch noch
leben, und sein Aufenthalt nicht jedermann ein Geheimnis sein, denn
die ihm bestimmte Summe ward gefordert, übernommen, und die Sache
blieb abgetan.

Zu den Verschwendungen der beiden Laschek gesellten sich überdies noch
Gerüchte, als ob sie neuerdings verbotene Anschläge hegten und
Parteigänger für landesschädliche Neuerungen würben. Starschensky sah
sich aufs überlästigste von seinen Schwägern und ihren Gläubigern
bestürmt, er wies aber, nachdem er getan, was in seinen Kräften stand,
alle weitere Anforderung standhaft von sich, und hatte das Vergnügen,
Elgan in ihren Gesinnungen mit den seinigen ganz übereinstimmen zu
sehen. Ja, als die Brüder, gleichsam zum letzten Versuch, sich auf
dem Schlosse des Grafen einfanden, sahen sie sich von der Schwester
mit Vorwürf en überhäuft, und man schied beinahe in Feindschaft.

So gingen mehr als zwei Jahre vorüber, und der Friede des Hauses
blühte, nach überstandenen Stürmen, nur um so schöner empor. Sah sich
gleich der Graf in seinen Wünschen nach einem männlichen Stammhalter
fortwährend getäuscht, so wendete sich dafür eine um so größere, eine
ungeteilte Liebe auf das teure, einzige Kind.

Kaum konnte aber auch etwas Reizenderes gedacht werden, als das kleine,
rasch sich entwickelnde Mädchen. In allen schon angekündigten Formen
der Mutter Abbild, schien sich die schaffende Natur bei dem holden
Köpfchen in einem seltsamen Spiele gefallen zu haben. Wenn Elga bei
der Schwärze ihrer Haare und Brauen durch ein hellblaues Auge auf eine
eigene Art reizend ansprach, so war bei dem Kinde diese Verkehrung des
Gewöhnlichen nachgeahmt, aber wieder verkehrt; denn goldene Locken
ringelten sich um das zierliche Häuptchen, und unter den langen
blonden Wimpern barg sich, wie ein Räuber vor der Sonne, das große
schwarzrollende Auge. Der Graf scherzte oft über diese, wie er es
nannte, auf den Kopf gestellte Ähnlichkeit, und Elga drückte dann das
Kind inniger an sich und ihre Lippen hafteten auf den gleichgeschwellten,
strahlenden von gleichem Rot.

Der Graf widmete alle Stunden, die er nicht den häuslichen Freuden
schenkte, einzig der Wiederherstellung seiner, durch die unüberlegte
Freigebigkeit an Elgas Verwandte herabgekommenen Vermögensumstände und
der Verbesserung seiner Güter. Tagelang durchging er Meierhöfe und
Fruchtscheuern, Saatfelder und Holzschläge, immer von seinem
Hausverwalter begleitet, einem alten, redlichen Manne, der, vom Vater
auf den Sohn vererbt, dessen ganzes Vertrauen besaß. Schon seit
längerer Zeit bemerkte Starschensky eine auffallende Düsterheit in den
Zügen des Alten. Wenn er unvermutet sich nach ihm umwendete,
überraschte er das sonst immer heitere Auge beinahe wehmütig auf sich
geheftet. Doch schwieg der Mann.

Einst, als beide die Hitze eines brennenden Vormittages mit den
Schnittern geteilt hatten und der Graf, im Schatten eines Erlenbusches
gelagert, mit Behagen einen Trunk frischen Wassers aus der Hand seines
alten Dieners empfing, da rief dieser losbrechend aus: Wie herrlich
Gottes Segen auf den Feldern steht! Wie glücklich sich der Besitzer
von dem allen fühlen muß! Das tut er auch, entgegnete, kopfnickend
und zu wiederholtem Trinken ansetzend, der Graf. Es begreift sich
allenfalls noch, fuhr der Alte fort, wie es in den Städten
Unzufriedene gibt, die an Staat und Ordnung rütteln, und denen die
Gewalt nichts zu Danke machen kann, aber auf dem Lande, in Wald und
Feld, fühlt mans deutlich, daß doch am Ende Gott allein alles regiert;
und der hats noch immer gut gemacht bis auf diesen Augenblick. Aber
die Ruhestörer haben keine Rast, bis sie alles verwirrt und zerrüttet,
Vater und Bruder in ihr Netz gezogen, Schwester und Schwäger. Gottes
Verderben über sie!--Der Graf war aufgestanden. Ich merke wohl,
sprach er, daß du auf meiner Frau Brüder zielst. Hast du etwa
neuerlich von ihnen gehört? Da fiel der alte Mann plötzlich zu
Starschenskys Füßen, und in heiße Tränen ausbrechend, rief er: Herr,
laßt Euch nicht verlocken! Denkt an Weib und Kind! An so manches,
was Ihr besitzt! An Eurer Väter ruhmwürdigen Namen!--Was kommt dir
an? zürnte der Graf.--Herr, rief der Alte, Eure Schwäger sinnen Böses,
und Ihr wißt um ihr Vorhaben!--Spricht der Wahnsinn aus dir? schrie
Starschensky.--Ich weiß was ich sage, entgegnete der Alte. Ein
Vertrauter Eurer Schwäger kommt zu Euch heimlich aufs Schloß.
Heimlich wird er eingelassen. Tagelang liegt er in der halbverfallenen
Warte am westlichen Ende der Tiergartenmauer verborgen. --Wer sagt das?
--Ich, der ich ihn selbst gesehen habe.--Heimlich aufs Schloß kommend?
--Heimlich aufs Schloß!--Wann?--Oft!--Ein Vertrauter meiner Schwäger?
--In Warschau sah ich ihn an ihrer Seite.--Weißt du seinen Namen?--Euch
ist wohlbekannt, daß ich nur einmal in Warschau war, und da hatte ich
Wichtigeres in Eurem Dienste zu schaffen, als mich um die Namen von
Eurer Schwäger zahlreichen Zechgesellen zu bekümmern. Aber, daß ich ihn
mit ihnen sah, des bin ich gewiß.--Zu welchen Stunden sahst du ihn aufs
Schloß kommen?--Nachts! --Starschensky schauderte unwillkürlich zusammen
bei dieser letzten Antwort, obgleich eine kurze Besinnung ihm so viele
mögliche Erklärungsarten dieser rätselhaften Besuche darbot, daß er bei
seiner Nachhausekunft schon wieder beinahe ganz ruhig war. Nur fragte er
wie im Vorbeigehen Elgan: ob sie schon lange keine Nachricht von ihren
Brüdern erhalten habe? Seit sie zuletzt selbst hier waren, keine,
entgegnete sie ganz unbefangen. Der Graf gebot dem alten
Hausverwalter, dem er seine patriotischen Besorgnisse leicht
ausgeredet hatte, das tiefste Stillschweigen über die ganze Sache,
beschloß aber doch, wo möglich, näher auf den Grund zu sehen.

Einige Zeit verstrich, da war er eines Nachmittags zu Pferde gestiegen,
um eine seiner entferntern Besitzungen zu besuchen, wo er mehrere
Tage zubringen wollte. Schon hatte er einen guten Teil des Weges
gemacht, und der Abend fing an einzubrechen, da hörte er hinter sich
laut und ängstlich seinen Namen rufen. Umblickend, erkannte er den
alten Hausverwalter, der auf einem abgetriebenen Pferde keuchend und
atemlos ihn einzuholen sich bestrebte und mit Rufen und Händewinken
anzuhalten und ihn zu erwarten bat. Der Graf zog den Zügel seines
Rosses an und hielt. Angelangt, drängte der Alte sich hart an seinen
Herrn und stammelte ihm keuchend seine Kunde ins Ohr. Der Veranlasser
jener Besorgnisse, der rätselhafte Unbekannte war wieder in der Nähe
des Schlosses gesehen worden. Der Graf wandte sein Roß, und eines
Laufes sprengten sie den Weg zurück, heimwärts, mit Mühe von den
Dienern gefolgt. Eine gute Strecke vom Schlosse stiegen beide ab und
gaben die Pferde dem Diener, der angewiesen wurde, ihrer an einem
bezeichneten Platze zu harren. Durch Gestrüpp und Dickicht gingen sie
jener Warte zu, wo der Fremde sich am öftesten zeigen sollte. Es war
indes dunkel geworden, und der Mond zögerte noch aufzugehen, obschon
bereits durch eine dämmernde Helle am Saum des Horizontes angekündigt.
Da fiel plötzlich durch die dicht verschlungenen Zweige ein Licht in
ihre Augen, in derselben Richtung, in der jene Warte liegen mußte.
Sie beeilten sich, den Rand des Waldes zu erreichen, und waren nun am
Fuße des von Bäumen entblößtem Hügels angekommen, auf dem die Warte
stand. Aber kein Licht blickte durch die ausgebröckelten
Schußscharten; keine Spur eines menschlichen Wesens. Zwar wollte der
alte Verwalter bei dem Schein des eben aufgehenden Mondes frische
Fußtritte am Boden bemerken, auch war es keineswegs in der Ordnung,
die Türe unverschlossen zu finden; aber das erste Anzeichen konnte
täuschen, das andere ließ sich so leicht aus einer Nachlässigkeit des
Schloßwarts erklären.

Leichter atmend, ging der Graf mit seinem Begleiter den Hügel herab,
dem Schlosse zu. Der Mond warf sein Silber über die ruhig
schlummernde Gegend und verwandelte das vor ihnen liegende Schloß in
einen schimmernden Feenpalast. In der Seele Starschenskys ging,
reizender als je, das Bild seiner Gattin auf. Jetzt erst gestand er
sichs, daß ein Teil des in ihm auf keimenden Verdachtes ihr gegolten
hatte, und nun, im Gefühle seines Unrechts, ihr Bild, wie sie sorglos
schlummernd im jungfräulichen Bette lag, vor den Augen seiner Seele,
entstand eine Sehnsucht nach ihr in seinem Innern, wie er sie seit den
Tagen des ersten Begegnens, der bräutlichen Bewerbung kaum je
empfunden hatte.

So träumte er, so ging er. Da fühlte er sich plötzlich angestoßen.
Sein Begleiter wars; der zeigte mit dem Finger vor sich hin in das
hellerleuchtete Feld. Starschensky folgte der Richtung und sah eine
Mannsgestalt, welche, die vom Monde unerleuchtete, dunkle Seite ihnen
zugekehrt, übers Feld dem Schlosse zuschlich. Der Graf war sein
selbst nicht mächtig. Mit einem lauten Ausruf, den gezückten Säbel in
der Faust, stürzte er auf die Gestalt los. Der Fremde, frühzeitig
gewarnt, floh, vom Schlosse ab, den Bäumen zu. Schon im Begriffe, ihn
dahin zu verfolgen, ward der Graf durch eine zweite Erscheinung davon
abgehalten, die dicht an der Mauer des Schlosses sich hinschob. Diese
zweite ward bald erreicht und gab sich zitternd und bebend als Dortka,
der Gräfin Kammermädchen, kund. Auf die erste Frage: Was sie hier
gemacht? stotterte sie unzusammenhängende Entschuldigungen; die zweite:
wie sie hierher gekommen? beantwortete an ihrer Statt das geöffnete
Ausfallpförtchen, das, gewöhnlich versperrt und verriegelt, nur auf
des Grafen Befehl mit einem Schlüssel, den er selbst verwahrte,
geöffnet werden konnte.

Alle Versuche, von dem Mädchen ein Geständnis zu erpressen, waren
vergeblich. Da ergriff sie der Graf hocherzürnt bei der Hand und
führte sie gewaltsam durch die mannigfach verschlungenen Gänge bis zu
den Zimmern seiner Gemahlin, die er noch erleuchtet und unverschlossen
fand. Elga selbst war wach und in Kleidern. Der Graf, stotternd vor
Wut, erzählte das Geschehene und verlangte, daß das Mädchen entweder
augenblicklich bekenne, oder auf der Stelle aus Dienst und Hause
entfernt werde. Dortka war auf die Kniee gefallen und zitterte und
weinte.

Starschensky hatte sich seine Gattin verlegen oder seinem gerechten
Zorne beistimmend gedacht. Keines von beiden geschah. Kalt und
teilnahmslos bat sie ihn anfangs, die Ruhe des Hauses nicht durch sein
lautes Schelten zu stören, und als er fortfuhr und die Entfernung des
Mädchens begehrte, da erklärte sie mit steigender Wärme: Ihr gebühre,
über das Verhalten ihrer Dienerinnen zu richten, sie selbst werde
untersuchen und entscheiden. Der Graf, außer sich, zog das Mädchen
vom Boden auf, sie gewaltsam aus dem Zimmer zu bringen, aber Elga
sprang hinzu, ergriff des Mädchens andere Hand, riß sie zu sich, indem
sie ausrief: Nun denn, so stoß auch mich aus dem Hause, denn darauf
ist es doch wohl abgesehen! daß ich früher dich so gekannt!
Unglückliche, die ich bin! fuhr sie laut weinend fort; gekränkt,
mißhandelt! Aber schuldlose Diener sollen nicht um meinetwillen
leiden! Dabei zeigte sie dem Mädchen mit dem Finger auf die Türe
ihres Schlafgemaches; diese verstand den stummen Befehl und ging eilig
hinein. Elga folgte und schloß die Türe hinter sich ab.

Starschensky stand wie vom Donner getroffen. Einmal raffte er sich
empor und ging auf das Zimmer seiner Frau zu; halben Weges aber blieb
er stehen und versank neuerdings in dumpfes Staunen. Der alte
Hausverwalter trat zu ihm und sprach einige Worte; der Graf aber ging
ohne Antwort an ihm vorüber zur Türe hinaus, über die Gänge, auf sein
Gemach, das im entgegengesetzten Flügel des Schlosses lag. An der
Schwelle wendete er sich um, durch eine Bewegung der Hand jede
Begleitung zurückweisend, und die Türe ging hinter ihm zu. Wie er die
Nacht zubrachte; wer kann es wissen? Der Diener, der des Morgens zu
ihm eintrat, fand ihn angekleidet, auf einem Stuhle sitzend. Er
schien zu schlafen, doch näher besehen, standen die Augen offen und
starrten vor sich hin. Der Diener mußte einigemal seinen Namen nennen,
bis er sich bewegte. Dann erst meldete jener seine Botschaft, indem
er ihn im Namen der Gräfin bat, das Frühstück auf ihrem Zimmer
einzunehmen. Starschensky sah ihn staunend an, dann aber stand er auf
und folgte schweigend, wohin jener ihn, vortretend, geleitete.

Heiter und blühend, als ob nichts vorgefallen wäre, kam ihm Elga
entgegen; sie erwähnte halb scherzend der Ereignisse der verflossenen
Nacht. Das Kammermädchen ward eines heimlichen Liebeshandels
angeklagt, Dortka selbst gerufen, die ein unwahrscheinliches Märchen
unbeholfen genug erzählte. Zuletzt bat sie um Verzeihung, welche die
Gräfin, mit Rücksicht auf sonst gezeigtes gutes Betragen, im eigenen
und in ihres Gatten Namen großmütig erteilte. Der Graf, am Schlusse
doch auch um seine Zustimmung befragt, erteilte diese kopfnickend, und
das Mädchen blieb im Hause.

Schweigend nahm Starschensky das Frühstück ein, stumm ging er aus dem
Schlosse. Der alte Hausverwalter, der ihm auf seinem Wege entgegenkam,
wagte, neben ihm hergehend, nicht, das Stillschweigen zu brechen, und
suchte nur in den Zügen seines Herrn Antwort auf seine
zurückgehaltenen Fragen und Zweifel. So gingen sie, so verrichteten
sie ihre Geschäfte, wie sonst, wie immer. Der Graf bestrebte sich
nicht bloß, über die Vorfälle des gestrigen Tages nichts zu denken, er
dachte wirklich nichts. Denn wenn der verfolgte Strauß sein Haupt
verbirgt und wähnt, sein Nichtsehen der Gefahr sei zugleich ein
Nichtdasein derselben, so tut der Mensch nicht anders. Unwillkürlich
schließt er sein Auge vor einem hereinbrechenden Unvermeidlichen, und
jedes Herz hat seine Geheimnisse, die es absichtlich verbirgt vor sich
selbst.

Einige Tage darauf wollte Starschensky eintreten bei seiner Gemahlin.
Es hieß, sie sei im Bade; doch hörte er die Stimme seines Kindes im
nächsten Gemache, und er ging hinein. Da fand er die Kleine am Boden
sitzend, mitten in einer argen Verwirrung, die sie angerichtet. Elgas
Schmuck und Kleinodien lagen rings um das Kind zerstreut, und das
offene, umgestürzte Schmuckkästchen nebst dem herabgezogenen Teppich
des daneben stehenden Putztisches zeigte deutlich die Art, wie es sich
das kostbare Spielzeug verschafft hatte. Starschensky trat gutmütig
scheltend hinzu, stritt dem Kinde Stück für Stück seinen Raub ab, und
versuchte nun die glänzenden Steine wieder an ihre Stelle zu legen.
Der Deckel des Schmuckkästchens, augenscheinlich ein doppelter, war
durch den Sturz vom Tische aus den Fugen gewichen, und da der Graf
versuchte, ihn, mit dem Finger drückend, wieder zurückzupressen, fiel
der innere Teil der doppelten Verkleidung auf den Boden und zeigte in
dem rückgebliebenen hohlen Raume ein Porträt, das, schwach eingefügt,
leicht von der Stelle wich und das nun der Graf hielt in der
zitternden Hand.

Es war das Bild eines Mannes in polnischer Nationaltracht. Das Gefühl
einer entsetzlichen Ähnlichkeit überfiel den Grafen wie ein
Gewappneter. Da war das oft besprochene Naturspiel mit den schwarzen
Augen und blondem Haare, wie--bei seinem Kinde.--Er sah das Mädchen an,
dann wieder das Bild.--Diese Züge hatte er sonst schon irgend gesehen;
aber wann? wo?--Schauer überliefen ihn.--Er blickte wieder hin. Da
schaute ihn sein Kind mit schwarzen Schlangenaugen an, und die blonden
Haare loderten wie Flammen, und die Erinnerung an jenen verschmähten
Vetter in Warschau ging gräßlich in ihm auf.--Oginsky! schrie er und
hielt sich am Tische, und die Zähne seines Mundes schlugen klappernd
aneinander.

Ein Geräusch im Nebenzimmer schreckte ihn empor. Er befestigte den
Deckel an seine Stelle, schloß das Kästchen, das Bild hatte er in
seinen Busen gesteckt; so floh er, wie ein Mörder.

Diesen Tag ward er im Schlosse nicht mehr gesehen. Sein Platz blieb
leer am Mittagstische. Gegen Abend kam er ins Zimmer der Wärterin und
verlangte nach dem Kinde. Das nahm er bei der Hand und führte es in
den Garten, der einsam gelegenen Mooshütte zu. Dort fand ihn nach
einer Stunde der suchende Hausverwalter, in eine Ruhebank
zurückgelehnt. Das Kind stand zwischen seinen Knieen, er selbst hielt
ein Bild in der Hand, abwechselnd auf dieses, dann auf die Kleine
blickend, wie einer, der vergleicht, meinte der alte Mann.

Am folgenden Morgen war Starschensky verreist, niemand wußte wohin.
Er aber war in Warschau; dort forschte er, zu spät! nach Elgas
früheren Verhältnissen. Er erfuhr, daß sie und Oginsky, der in des
alten Starosten Hause erzogen war, sich schon frühzeitig geliebt, daß,
aus Besorgnis vor der wachsenden Vertraulichkeit, der aussichtslose
Vetter entfernt wurde; daß, aus seiner Verbannung zurückkehrend, kurz
vor Starschenskys Vermählung, er seine Ansprüche erneuert habe und
jene bedeutende Summe Geldes, die in des alten Laschek letztem Willen
ihm zugedacht war, zum Teil der Preis seines Rücktrittes war; daß Elga
sich nur schwer von ihm getrennt und seine Armut und Starschenskys
Reichtum, verbunden mit dem Andringen ihrer Verwandten, der Hauptgrund
ihrer Einwilligung zur Verbindung mit dem Grafen gewesen war. All
diese Geheimnisse soll einer von Elgas Brüdern, gegen den er sich zur
rechten Zeit freigebig zeigte, dem Grafen für Geld verraten und ihm
zugleich den Ort angezeigt haben, wo Oginsky, einem geleisteten Schwur
zufolge, sich verborgen hielt.

Auf dem Schlosse herrschte unterdessen Unruhe und Besorgnis. Elga
selbst war übrigens augenscheinlich die Ruhigste von allen. Sie
schien das befremdliche Betragen ihres Gatten noch auf Rechnung jener
nächtlichen Überraschung zu schieben, über die, da durchaus niemandem
etwas Bestimmtes zur Last gelegt werden konnte, der Graf, wie sie
hoffte, sich am Ende wohl selbst beruhigen werde. Jenes Kammermädchen
war noch immer in ihren Diensten.

Unvermutet erschien nach einiger Zeit der Graf auf der Grenze seiner
Besitzung, in seinem Gefolge ein verschlossener Wagen, von dessen
Inhalt niemand wußte. Eine verhüllte Gestalt, vielleicht durch Knebel
am Sprechen verhindert, ward herausgehoben und dem durch Briefe im
voraus an die Grenze beschiedenen Hausverwalter übergeben. Die alte
Warte an der Westseite des Tiergartens, seitdem sorgfältig
verschlossen, nahm die sonderbare Erscheinung in ihren Gewahrsam, und
dunkle Gerüchte verbreiteten sich unter den Bewohnern der Umgegend.

Der Graf ging auf sein Schloß. Laut jubelnd kam ihm Elga entgegen,
das Kind an ihrer Hand. Er hörte, wie unruhig man über seine
plötzliche Abreise gewesen, wie sehnlich man ihn zurückerwartet. Der
Kleinen Fortschritte wurden gerühmt, einige Proben der erlangten
Geschicklichkeit auf der Stelle abgelegt. Da die Zeit des Abendessens
gekommen war, erklärte Starschensky sich unpaß und ermüdet von der
Reise. Er ging, trotz aller Gegenvorstellungen, allein auf sein
Zimmer, wo er sich einschloß. Doch war sein Bedürfnis nach Ruhe nur
vorgegeben, denn nachts verließ er sein Gemach und ging allein nach
der Warte, wo er bis zum grauenden Morgen blieb.

Am darauf folgenden Tage war Elga verdrüßlich, schmollend. Des Grafen
nächtlicher Gang war nicht unbemerkt geblieben. Elga fand sich
vernachlässigt und zeigte ihre Unzufriedenheit darüber. Starschensky
unterbrach ihre mißmutigen Äußerungen, indem er von ihrer
beiderseitigen Lage zu sprechen anfing. Er bemerkte, daß bei seinem
jetzigen Aufenthalte in Warschau, bei dem erneuten Anblick der
Zerstreuungen jener genußliebenden Stadt es ihm klar geworden, wie ein
so reizendes, lebensfrohes Wesen, als Elga, auf dem Lande gar nicht an
ihrer Stelle sei. Er fragte sie, ob sie den Aufenthalt in der
Hauptstadt vorziehen würde? An seiner Seite, entgegnete sie.--Er
selbst, versicherte der Graf, werde durch seine Geschäfte auf den
Gütern festgehalten; seine Vermögensumstände seien schlimmer, als man
geglaubt, er müsse bleiben. Dann bleibe auch sie, sagte Elga. An
seiner Seite wolle sie leben und sterben. Nun verwünschte sie die
beiden Brüder, die durch ihre unverschämten Forderungen den allzu
guten Gatten in so manche Verlegenheit gestürzt. Sie versicherte, nun
aber auch jeden Rest von Liebe für sie abgelegt zu haben. Wenn ihre
Brüder bettelnd vor der Türe ständen, sie würde nicht öffnen, sagte
sie. Der Graf übernahm zum Teil die Verteidigung seiner Schwäger. Er
habe sie in Warschau gesprochen. Es war einer ihrer Verbannungsgefährten
bei ihnen--wie hieß er doch?--Elga sann gleichfalls nach.--Oginsky!
rief der Graf und blickte sie rasch an. Sie veränderte nicht eine Miene
und sagte: Die Genossen meiner Brüder sind alle schlecht, dieser aber
ist der schlechteste!--Welcher?--Den du nanntest!--Welcher war das?
--Nun, Oginsky! antwortete sie, und ein leichtes Zucken in ihren Zügen
verriet eine vorübergehende Bewegung.

Der Graf war ans Fenster getreten und blickte hinaus. Elga folgte ihm,
sie lehnte den Arm auf seine Schulter. Der Graf stand unbeweglich.
Starschensky, sagte sie, ich bemerke eine ungeheure Veränderung in
deinem Wesen. Du liebst mich nicht, wie sonst. Du verschweigst mir
manches. Der Graf wendete sich um und sagte: Nun denn, so laß uns
reden, weil du Rede willst. Du kennst die Zerrüttung meiner
Vermögensumstände, du kennst deren Ursache. Was noch sonst mich
drückt, weiß nur ich. Wenn nun diese Ereignisse schwer auf mir liegen,
so martert nicht weniger der Gedanke, daß ich die Ursache wohl gar
selbst herbeigeführt habe. Gewiß war der Leichtsinn tadelnswert, mit
dem ich das Erbe meiner Väter verwaltete; vielleicht war ich aber
sogar damals strafbar, als ich, der Störrische, an Abgeschiedenheit
Gewohnte, um die Hand des lebensfrohen Mädchens warb, unbekümmert über
die Richtung ihrer Gefühle und Neigungen, unbekümmert, ob ich sie,
meine Frau geworden, zu einer Lebensart verdammte, deren Einförmigkeit
ihr unerträglich werden mußte.--Starschensky! sagte Elga und sah ihn
mit schmeichelndem Vorwurfe an.--Man hat mir fremde Dienste angeboten,
fuhr Starschensky fort, und genau besehen, ist es vielleicht am besten,
ich meide für einige, vielleicht für längere Zeit das Land meiner
Väter. Gestern noch waren meine Entschlüsse finsterer. Aber die
Überlegung der heutigen Nacht zeigte mir diesen Entschluß als den
besten. Heute nacht, versetzte Elga mißtrauisch, heute nacht hast du
überlegt? Und wo? Auf jener Warte etwa? Und da Starschensky
betroffen zurückfuhr: Hab ich dich?--fuhr sie fort. Von dort her
holst du deine Besorgnisse? Von dorther deinen Wunsch zu reisen? Und
die Reisegefährtin wohl auch? Durch das Gerücht mußte ich erfahren,
wie eine verhüllte Gestalt, wahrscheinlich eine glücklichere Geliebte,
dort abgesetzt ward, zu der du nun allnächtlich die Zärtlichkeit
trägst, die du an dem Altare mir zugeschworen. Ist das mein Lohn?
Komm! wendete sie sich zu dem danebenstehenden Kinde, komm! Wir sind
ihm zur Last! Er hat andere Freuden kennengelernt, als in dem Kreise
der Seinen! Damit wendete sie sich zum Gehen. Ein gellendes
Hohngelächter entfuhr dem Munde des Grafen, über das er selbst
zusammenschrak, wie über das eines andern. Elga wendete sich um. Ich
wußte wohl, sagte sie, daß es nur Scherz war. Aber die Enthüllung des
Geheimnisses jener Warte ersparst du dir doch nicht. Ich muß selbst
schauen, was sie verbirgt. Versprichst du mir das? Der Graf war auf
ein Ruhebett gesunken und verhüllte das Gesicht in seine beiden Hände.
Da hörte er eine Türe gehen. Durch die Finger blickend, sah er das
Kammermädchen seiner Frau, die eben mit ihrem Nachtzeuge eintreten
wollte, und Elgan, die mit einem listigen Gesichte ihr Entfernung
zuwinkte. Elga nahte hierauf dem Ruhebette und, sich neben ihren
Gatten hinsetzend, sprach sie: Komm, Starschensky, laß uns Frieden
schließen! Wir haben uns ja doch schon so lange nicht ohne Zeugen
gesprochen. Damit neigte sie ihre Wange an die seinige und zog eine
seiner Hände an ihr klopfendes Herz. Ein Schauder überfiel den Grafen.
Höllenschwarz stands vor ihm. Er stieß sein Weib zurück und entfloh.

Mitternacht hatte geschlagen. Alles im Schlosse war stille. Elga
schlief in ihrem Zimmer. Da fühlte sie sich angefaßt und, aus dem
Schlafe emporfahrend, sah sie beim Schein der Nachtlampe ihren Gatten,
der, eine Blendlaterne in der Hand, sie aufstehen und sich ankleiden
hieß. Auf ihre Frage: wozu? entgegnete er: Sie habe Verlangen gezeigt,
die Geheimnisse jener Warte kennenzulernen. Am Tage ginge das nicht
an; wenn sie aber Finsternis und Nachtluft nicht scheue, so möge sie
ihm folgen. Aber hast du nichts Arges im Sinne? fragte die Gräfin; du
warst gestern abends so sonderbar! Wenn du nicht folgen willst, so
bleibe, sprach Starschensky und war im Begriffe, sich zu entfernen.
Halt! rief Elga. Wenn Furchtsamkeit der Weiber allgemeines Erbteil
ist, so bin ich kein Weib. Auch muß dieser Zustand von Ungewißheit
enden. Vielleicht bist du in dich gegangen, hast erkannt.--Wenn du
dich überzeugen willst--sprach Starschensky, so steh auf und folge mir.
Elga war aus dem Bette gesprungen und hatte einen Schlafpelz
übergeworfen. Sie wollte gehen. Aber indes war das Kind erwacht, das
in dem Bette ihr zur Seite schlief. Es fing an zu weinen. Dein Kind
wird die Bewohner des Schlosses wecken, sagte der Graf. Da, ohne ein
Wort zu sprechen, nahm Elga die Kleine empor, wickelte sie in ein
warmverhüllendes Tuch und, das Kind auf dem Arme, folgte sie dem
leitenden Gatten.

Die Nacht war kühl und dunkel. Die Sterne zwar schimmerten
tausendfältig am trauergefärbten Himmel, aber kein Mond beleuchtete
der Wandler einsamen Pfad, nur des Grafen Blendlaterne warf kurze
Streiflichte auf den Boden und die untersten Blätter der mitternächtig
schlummernden Gesträuche.

So hatten sie den, von seiner ehemaligen Benützung so genannten
Tiergarten durchschritten und waren nun bei jener Warte angelangt, dem
eigentlichen Ziele ihrer Wanderung. Da wendete der Graf sich um zu
seiner Gattin und sprach: Du bist nun im Begriffe, das verborgenste
Geheimnis deines Gatten zu erforschen. Du willst ihn überraschen über
dem Bruche seiner ehelichen Treue, ihn beschämen in Beisein einer
verworfenen Geliebten. Es ist billig, daß Gefahr und Vorteil auf
beiden Seiten gleich sei. Bevor du eintrittst, schwöre mir, daß du
selber nie eines gleichen Fehls dich schuldig gemacht, daß du rein
seist an dem Verbrechen, dessen du zeihst deinen Gatten. Du suchst
Ausflüchte, sprach Elga. Weib! fuhr der Graf fort, durchgeh in
Gedanken dein verflossenes Leben, und wenn du eine Makel, ich will
nicht sagen, ein Brandmal, darin entdeckst, so tritt nicht ein in
dieses Gemäuer. Elga drängte sich am Grafen vorbei, dem Eingange zu.
Er stellte sich ihr von neuem in den Weg, indem er ausrief: Du gehst
nicht ein, bevor du mirs endlich versichert. Lege die Hand auf das
Haupt deines Kindes und schwöre! Da legte Elga die Rechte auf das
Haupt der schlummernden Kleinen und sprach: So überflüssig mir ein
solcher Schwur scheint, so gut du selbst davon überzeugt bist, wie
sehr er es sei, so bekräftige ich doch!--Halt! schrie Starschensky, es
ist genug. Tritt ein und sieh!

Der Graf schloß auf. Sie stiegen eine schmale Wendeltreppe hinan, die
zu einer gleichfalls verschlossenen Türe führte. Der Graf öffnete
auch diese, und nun traten sie in ein geräumiges Gemach, dessen
innerer Teil durch einen dunklen Vorhang abgeschlossen war. Der Graf
setzte Stühle an einem vorgeschobenen Tische zurecht, entzündete an
dem Lichte seiner Blendlaterne zwei Wachskerzen in schweren, ehernen
Leuchtern, zog aus der Schublade des Tisches ein Heft Papiere hervor
und winkte seiner Frau, sich zu setzen, indem er sich gleichfalls
niederließ. Elga sah rings um sich her, bemerkte aber niemand. Sie
saß und hörte.

Da begann der Graf, dem Lichte näher rückend, zu lesen aus den
Papieren, die er hielt: 'Auch bekenne ich mit der Tochter des
Starosten Laschek unerlaubte Gemeinschaft gepflogen zu haben; vor und
nach ihrer Vermählung mit dem Grafen Starschensky. Ihrer Ehre
einziges Kind--' Unerhörte Verleumdung! schrie Elga und sprang auf.
Wer wagt es, mich solcher Dinge zu zeihen? Oginsky! rief der Graf.
Steh auf und bekräftige deine Aussage! Bei diesen Worten hatte er den
Vorhang hinweggerissen, und eine Mannsgestalt zeigte sich, auf Stroh
liegend, mit Ketten an die Wand gefesselt. Wer ruft mir? fragte der
Gefangene. Elga ist hier, sagte der Graf, und fragt, ob es wahr sei,
daß du mit ihr gekost? Wie oft soll ichs noch wiederholen? sagte der
Mann, sich in seinen Ketten umkehrend.--Hörst du? schrie der Graf zu
seiner Gattin, die bleich und erstarrt dastand. Nimm hier den
Schlüssel und öffne die Fesseln dieses Mannes! Elga zauderte. Da riß
der Graf seinen Säbel halb aus der Scheide, und sie ging. Klirrend
fielen die Ketten ab, und Oginsky trat vor. Was wollt Ihr von mir?
sagte er. Du hast mich am Tiefsten verletzt, sprach der Graf. Du
weißt, wie Männer und Edelleute ihre Beleidigungen abtun. Hier nimm
diesen Stahl, fuhr er fort, indem er einen zweiten Säbel aus seinem
Oberrocke hervorzog, und stelle dich mir!--Ich mag nicht fechten!
sagte Oginsky. Du mußt! schrie Starschensky und drang auf ihn ein.
Mittlerweile hörte man Geräusch auf der Treppe. Elga, die unbeweglich
dagestanden hatte, sprang jetzt der Türe zu und versuchte diese zu
öffnen, indem sie laut um Hülfe schrie. Starschensky ereilte sie, da
sie eben nach der Klinke griff, stieß das Weib zurück und schloß die
Türe ab. Die Zwischenzeit benützte Oginsky, und während der Graf noch
am Eingange beschäftigt war, riß er das Fenster auf und sprang hinab.
Der Fall war nicht tief; Oginsky erreichte unbeschädigt den Boden, und
als der Graf von der Türe weg zum Fenster eilte, verhallten bereits
die Fußtritte des Entflohenen in weiter Entfernung.

Der Graf wendete sich nun zu seiner Gemahlin. Dein Mitschuldiger ist
entflohen, sagte er, aber du entgehst mir nicht. Kannst du jene
Verleumdung glauben? stammelte Elga. Ich glaube dem, was ich weiß,
sprach Starschensky, und dem Stempel der Ähnlichkeit in den Zügen
dieses Kindes. Du mußt sterben, sagte er, und zwar hier auf der
Stelle! Elga war auf die Kniee gefallen. Erbarme dich meines Lebens,
rief sie. Beginne mit mir, was du willst! Verbanne mich! verstoße
mich! heiße mich in einem Kloster, in einem Kerker den Rest meiner
Tage vollbringen, nur laß mich leben! leben! Der Graf bedachte sich
eine Weile, dann sprach er: Weil du denn dieses schmacherfüllte,
scheußliche Dasein schätzest, über alles, so wisse: ein einziges
Mittel gibt es, dich zu retten. Nenn es, nenne es, wimmerte Elga.
Der Brandfleck meiner Ehre, sprach der Graf, ist dies Kind. Wenn
seine Augen der Tod schließt, wer weiß, ob mein Grimm sich nicht legt.
Wir sind allein, niemand sieht uns, Nacht und Dunkel verhüllen die
Tat. Geh hin und töte das Kind!--Wie, ich? schrie Elga. Töten? Mein
Kind? Unmenschlicher! Verruchter! Was sinnst du mir zu? Nun denn!
rief Starschensky und hob den weggeworfenen Säbel vom Boden auf. Halt!
schrie Elga, halt! Ich will! Sie stürzte auf ihr Kind los und
preßte es an ihren Busen, bedeckte es mit Tränen. Du zauderst? schrie
Starschensky und machte eine Bewegung gegen sie. Nein! nein! rief
Elga. Verzeihe mir Gott, was ich tun muß, was ich nicht lassen kann.
Verzeihe du mir, zum Unglück Gebornes! Damit hatte sie das Kind
wiederholt an ihre Brust gedrückt; mit weggewandtem Auge ergriff sie
eine große Nadel, die ihren Pelz zusammenhielt; das Werkzeug blinkt,
der bewaffnete Arm--Halt! schrie plötzlich Starschensky. Dahin wollt
ich dich haben! sehen, ob noch eine Regung in dir, die wert des Tages.
Aber es ist schwarz und Nacht. Dein Kind soll nicht sterben, aber,
Schändliche, du! und damit stieß er ihr den Säbel in die Seite, daß
das Blut in Strömen emporsprang, und sie hinfiel über das unverletzte
Kind.

Dieselbe Nacht war eine des Schreckens für die Bewohner der
umliegenden Gegend. Von einer Feuerröte am Himmel aufgeschreckt,
liefen sie zu und sahen die alte Warte an der Westseite der
Tiergartenmauer von Starschenskys Schlosse in hellen Flammen. Alle
Versuche zu löschen waren vergebens; bald standen nur schwarze Mauern
unter ausgebrannten rauchenden Trümmern. Man wollte den Grafen wecken;
er fehlte, mit ihm sein Weib, sein Kind. Die Brandstätte ward
durchsucht, und zwar allerdings menschliches Gebein aufgefunden, aber
sollten das die Reste dreier Menschen sein?

Beim Scheiden derselben Nacht aber fühlte sich ein armes Köhlerweib im
Gebirge die glücklichste aller Sterblichen. Denn als sie mit ihrem
Manne lag und schlief, pochte es an der Hüttentüre. Sie stand auf und
öffnete; da sah sie im Scheine des anbrechenden Morgens ein weinendes
Kind von etwa zwei Jahren vor sich stehen, statt aller Kleider in ein
weites Tuch gehüllt, ein Kästchen neben sich. Geöffnet, zeigte dieses
mehr Gold, als sich das arme Paar je beisammen geträumt hatte. Ein
paar beigelegte Zeilen empfahlen das Kind der Vorsorge der beiden und
versprachen fernere Geldspenden in den Zukunft.

Nach zwei Tagen erschien der Graf wieder in der Mitte der Seinigen,
aber nur, um sich zu einer Reise nach Warschau zu bereiten. Dort
angelangt, suchte und erhielt er persönliches Gehör beim Könige, nach
dessen Beendigung der Fürst, sichtbar erschüttert, seinen Kanzler
holen ließ und ihm offene Briefe auszufertigen befahl, welche dem
Grafen Starschensky, als letzten seines Stammes, die freie Verfügung
über seine Lehengüter einräumten.

Die Güter selbst wurden teils verkauft und der Erlös zur Tilgung von
Schulden verwendet, teils als Stiftung einem Kloster zu Eigentume
gegeben, das man nicht fern von der Stelle zu bauen anfing, wo die
alte, abgebrannte Warte gestanden hatte. Das ist die Geschichte
dieses Klosters", endete der Mönch.

"Der Graf selbst aber?"--fragte einer der Fremden.

"Ich habe Euch gleich anfangs gewarnt", sagte der Mönch, "nicht weiter
zu fragen, wenn ich aufhöre, nun tut Ihrs aber doch! Zahlreiche
Seelmessen wurden gestiftet für die Ruhe derjenigen, die eine rasche
Gewalttat hinweggerafft in der Mitte ihrer Sünden; um Vergebung für
den Unglücklichen, der in verdammlicher Übereilung Verbrechen bestraft
durch Verbrechen. Der Graf war Mönch geworden in dem von ihm
gestifteten Kloster. Anfangs fand er Trost in der Stille des
Klosterlebens, in der Einförmigkeit der Bußübungen. Die Zeit aber,
statt den Stachel abzustumpfen, zeigte ihm stets gräßlicher seine Tat.
Über ihn kam seines Stammes tatenheischender Geist und die
Einsamkeit der Zelle ward ihm zur Folterqual. In Zweisprach mit
Geistern und gen sich selber wütend, hütete man ihn als Wahnsinnigen
manches Jahr. Endlich geheilt, irrte er bei Tag umher; jedes Geschäft
war ihm Erquickung, an den Bäumen des Forstes übte er seine Kraft.
Nur nachts, um die Stunde, da die beklagenswerte Tat geschah, die
erste nach Mitternacht, wenn die Totenfeier beginnt"--So weit war er
in seiner Erzählung gekommen, da ward diese durch die ersten Töne
eines aus der Klosterkirche herübertönenden Chorgesanges unterbrochen;
zugleich schlug die Glocke ein Uhr.

Bei den ersten Lauten schütterte der Mönch zusammen. Seine Kniee
schlotterten, seine Zähne schlugen aneinander, er schien hinsinken zu
wollen, als sich plötzlich die Türe öffnete, und der Abt des Klosters
in hochaufgerichteter Stellung, das Kreuz seiner Würde funkelnd auf
der Brust, in die Schwelle trat. "Wo bleibst du, Starschensky?" rief
er. "Die Stunde deiner Buße ist gekommen." Da wimmerte der Mönch und
zusammengekrümmt, wie ein verwundetes Tier, in weiten Kreisen, dem
Hunde gleich, der die Strafe fürchtet, schob er sich der Türe zu, die
der Abt, zurücktretend, ihm freiließ. Dort angelangt, schoß er wie
ein Pfeil hinaus, der Abt, hinter ihm, schloß die Türe.

Noch lange hörten die Fremden dem Chorgesange zu, bis er verklang in
die Stille der Nacht und sie ihr Lager suchten zu kurzer Ruhe.

Am Morgen nahmen sie Abschied vom Abte, ihm dankend für die
gastfreundliche Bewirtung. Der jüngere gewann es über sich, nach dem
Mönche der gestrigen Nacht zu fragen, worauf der Prälat, ohne zu
antworten, ihnen eine glückliche Reise wünschte.

Sie zogen nach Warschau und nahmen sich vor, auf der Rückreise weitere
Kunde von dem Zustande des Mönches einzuziehen, in dem sie wohl den
unglücklichen Starschensky erkannt hatten. Aber eine Änderung in
ihren Geschäften schrieb ihnen eine andere Straße zur Rückkehr vor,
und nie haben sie mehr etwas von dem Mönche und dem Kloster bei
Sendomir gehört.


Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Das Kloster bei Sendomir, von
Franz Grillparzer.







End of Project Gutenberg's Das Kloster bei Sendomir, by Franz Grillparzer

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS KLOSTER BEI SENDOMIR ***

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