The Project Gutenberg eBook of Im Banne der Furcht
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Title: Im Banne der Furcht
Sitten und Gebräuche der Wapare in Ostafrika
Author: Ernst Kotz
Release date: October 30, 2025 [eBook #77152]
Language: German
Original publication: Hamburg: Advent-Verlag, 1922
Credits: Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IM BANNE DER FURCHT ***
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Anmerkungen zur Transkription
Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1922 so weit
wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Offensichtliche Fehler
wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr
verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert.
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einzelnen Varianten im Text mehr als einmal auftreten.
Die Fußnote wurde an das Ende des betreffenden Kapitels versetzt.
Der Originaltext wurde in Frakturschrift gesetzt. Abweichende
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fett: =Gleichheitszeichen=
gesperrt: +Pluszeichen+
Antiqua: ~Tilden~
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[Illustration:
Phot. Geßmann.
Pare-Medizinmann]
Im
Banne der Furcht
Sitten und Gebräuche der Wapare
in Ostafrika
Erzählt von =Ernst Kotz=
[Illustration]
Advent-Verlag (E. V.)
Hamburg * Basel * Wien * Budapest * Den Haag
Text und Buchschmuck urheberrechtlich geschützt.
Meinem hochverehrten Lehrer,
Herrn Professor D. Carl Meinhof,
Direktor des Seminars für afrikanische und Südseesprachen
an der Universität zu Hamburg,
in tiefgefühlter Dankbarkeit gewidmet.
Zur Einführung.
Dem Wunsche des Herrn Missions-Sekretärs E. Kotz, seinem Buche ein
kleines Geleitwort beizugeben, entspreche ich mit aufrichtiger Freude
und wahrer Dankbarkeit. Aus genauer Kennerschaft von Land und Leuten
hat uns der Verfasser in diesem Buche eine wissenschaftlich völlig
einwandfreie Monographie über die +Wapare+ geschenkt, die für die
Völkerkunde von Ostafrika dauernd von großem Wert sein wird. Der Titel
„Im Banne der Furcht“ klingt freilich etwas belletristisch, aber wer
je ernsthaft über die Psyche der Farbigen in Afrika nachgedacht hat,
weiß, wie schwer jeder einzelne früher unter abergläubischen und
Wahnvorstellungen gelitten hat und wie erst durch die Bestrebungen der
Missionare und durch die Berührung mit anderen wohlmeinenden Europäern
diese schwere Last allmählich von den Schultern der Farbigen genommen
wird.
Es hat eine Zeit gegeben und sie liegt nicht einmal sehr ferne zurück,
in der es in vielen wissenschaftlichen Kreisen üblich war, die Mission
als solche gering zu schätzen und in jeder Art zu bekämpfen; kaum daß
die rein sprachlichen Arbeiten einzelner Missionare anerkannt wurden,
aber das ganze Missionswesen als solches galt als sentimental und
überflüssig, ja als staatsfeindlich, und es in jeder Weise einzuengen
und zu hemmen, erschien manchen fast wie eine wissenschaftliche
Pflicht. Gerade als ich 1885 als Direktorial-Assistent an das
Berliner Museum für Völkerkunde berufen wurde, war eine solche
Kampagne in vollem Gange. Ein Missionar hatte berichtet, er habe
einen ganzen Berg von Götzenbildern aufgetürmt, „eine Kanne Petroleum
und ein Streichholz“ und das Christentum hätte einen neuen großen
Sieg gefeiert; der Mann sollte zurückberufen und wegen Vernichtung
unersetzlicher wissenschaftlicher Schätze zur Verantwortung gezogen
werden. Ich sandte ihm damals aus eignen Mitteln einen bescheidenen
Geldbetrag und die unbescheidene Bitte, künftighin solche alte
Schnitzwerke erst genau zu studieren und dann an ein heimisches
Museum zu senden; damit war das Eis gebrochen; es entwickelte sich
rasch ein für beide Teile gleich vorteilhafter Verkehr zwischen
Missionaren aller Richtungen und dem Berliner Museum; zahlreiche
Missionare hörten Jahr für Jahr meine Vorlesungen an der Universität,
und auf dem Kolonial-Kongreß von 1910 konnte ich öffentlich erklären,
daß die Interessen der Mission und die der Völkerkunde durchaus
solidarisch seien. Von dieser wahren und echten Solidarität gibt das
hier vorliegende Buch ein in jeder Beziehung glänzendes Beispiel.
Frei von jeder törichten Prüderie berichtet es auch über allerhand
intime Vorgänge im Leben der Farbigen, die dem flüchtigen Reisenden in
der Regel völlig unbekannt bleiben und andererseits von den älteren
Missionaren fast durchwegs als „unanständig“ mit Bewußtsein ignoriert
wurden. Der Verfasser behandelt derlei Dinge aber in einer so absolut
dezenten und doch wissenschaftlich korrekten Art, daß niemand an seiner
Darstellung Anstoß nehmen kann.
Uneingeschränktes Lob verdienen auch die sorgfältig ausgewählten
und gut reproduzierten Abbildungen, deren Zahl schon an sich darauf
schließen läßt, daß der Verleger auf einen großen Absatz des Buches
rechnet. Tatsächlich wird es in keiner ethnographischen oder
afrikanistischen Bibliothek fehlen dürfen und ebenso wird es sicher in
den weiten Kreisen der Missionsfreunde sehr viele und begeisterte Leser
finden.
Ganz besonders aber sei das Buch den gebildeten Laien empfohlen, die
sich aus ihm rascher und leichter ein Bild von dem Geisteszustand
des farbigen Afrikaners machen können, denn aus sehr vielen größeren
Reisewerken. Diese Laien werden das Buch jedenfalls alle mit der
Anschauung aus der Hand legen, wie völlig verkehrt es ist, wenn immer
und immer wieder von schwarzen „Wilden“ gesprochen wird. Die Kultur der
Farbigen ist sicher eine ganz andere als die unserige, aber sie ist
darum nicht an sich schlechter.
=v. Luschan.=
Berlin, 10. April 1922.
Inhaltsverzeichnis.
Erstes Kapitel: =Negerpsychologie und Negersprache= 15
Zweites Kapitel: =Geburt= 22
Drittel Kapitel: =Die ersten Lebensjahre des Mädchens= 30
Namengebung 30
Zahnzauber 31
Schutzzauber 34
Beschneidung des Mädchens 36
Viertes Kapitel: =Das erste Frauenfest= 37
Fünftes Kapitel: =Das zweite Frauenfest= 42
Sechstes Kapitel: =Die ersten Lebensjahre des Knaben= 53
Der Zahnzauber 53
Erziehung bis zur Beschneidung und nachher 54
Die Beschneidung 57
~Kuliwa masoro~ 58
Siebentes Kapitel: =Das Waldfest= 60
Eine Skizze nach dem Leben über das Pare-Waldfest 73
Achtes Kapitel: =Die Heirat= 84
Werbung, Hochzeit, Haussklave 84
Ehescheidung 95
Einblick in die Negerküche 100
Neuntes Kapitel: =Auszüge aus dem Pare-Recht= 105
Das Familienrecht 105
Das Erbrecht 107
Das Vermögensrecht 109
Das Recht an beweglichen Sachen 113
Der Leih- und Kaufvertrag 114
Bürgschaft 117
Das Strafrecht 119
Diebstahl 120
Körperverletzung 121
Totschlag 121
Das Prozeßrecht 121
Zehntes Kapitel: =Technik und Wirtschaftsform= 130
Der Hausbau 130
Die Koch- und Hausgeräte 134
Die Schmiedekunst 138
Die Jagdgeräte 141
Die Kleidung 143
Ackerbau und Viehzucht 145
Elftes Kapitel: =Formen des Kultus bei den Wapare= 153
Allgemeine Seelenvorstellungen 153
Das Blut als Seelenträger 156
Die Wachstumsprodukte 159
Der Speichel 161
Ausscheidungsprodukte als Seelenträger 163
Die Seele im Blick 163
Hauch- oder Schattenseele 164
Der Name als Seelenträger 165
Der Seelenwurm und andre Seelentiere 167
Baumseelen 172
Flüsse als Seelenträger 174
Der Totemismus 176
Der Nkoma-Dienst und Opfergebräuche 178
Der Dämonen- und Fetischglaube 183
Der Vegetations- und Dämonenkultus 183
Der Fetischdienst 189
Die Himmelskörper 192
Zwölftes Kapitel: =Der Aberglaube im täglichen Leben= 194
Das Orakel 203
Dreizehntes Kapitel: =Der kranke Heide= 207
Wenn Heiden sterben 213
Vierzehntes Kapitel: =Mission, Islam und Neger= 219
Fünfzehntes Kapitel: =Dichten und Denken= 225
Sechzehntes Kapitel: =Die Not der Heiden und das Evangelium= 239
Verzeichnis der Kunstdruckbeilagen.
gegenüber Seite
Pare-Medizinmann (Titelbild)
Kilimandjaro am Abend 16
Goma-Wasserfall, oberer Teil 16
Goma-Wasserfall, unterer Teil 17
Schlucht im Paregebirge 32
Trägerkarawane 33
Vor Abfahrt der Zentralbahn 33
Bogenschützen aus Pare 48
Aus dem Mädchenfest: Zwei Novizen mit ihrer Führerin 48
Einholen der Novizen zum letzten Mädchenfest 49
Negertanz 49
Pare-Mädchen 64
Mwai mit Fellschurz und Schellengurt 65
Mwai vor der Hütte mit ihren Handtrommeln 65
Mgaia mit Ohrschmuck 80
Darstellung auf dem Markt nach Beendigung des letzten
Mädchenfestes 80
Tanz der Frauen beim letzten Mädchenfest 81
Pare-Frauen 81
Schülerinnen, im Vordergrunde ~vabora va masambi~ 96
Kleinkinderschule 96
Tor, das zum Festplatz in dem Hain des Stammesfestes führt 97
Christenfrauen beim Maisstampfen 112
Wapare beim Mpure-Essen 113
Muhamed bin Ali, Kihurio 128
Zahmer Hundsaffe mit seinem schwarzen Wärter 129
Kiondo in Tränen 129
Mwanangwa von Ntusu mit Frau und Kind 144
Hirsehüter in Ntusu 145
Eingeborene bei der Feldbestellung 160
Bananenstauden 161
Maisstapel 161
Große Wäsche am Mombobach 176
Missionszöglinge mit einer hl. Riesenschlange vor einem
Affenbrotbaum 177
Frau mit Elefantiasis 192
Taubenhaus aus übereinandergetürmten Bienenstöcken 192
Kleines Hospital auf der Missionsstation Friedenstal 193
Schlafkrankes Mädchen 193
Pare-Häuptlinge 208
Missionsdirektor Conradi überreicht dem Sultan von Majita eine
elektrische Taschenlampe 208
Taufe in Friedenstal, Südpare 209
Missionar Kölling und Pare-Lehrer 209
Missionsstation Majita 224
Sprachkonferenz in Friedenstal 224
Die Missionsglocke 225
Verzeichnis der Textzeichnungen.
Chirurgisches Messer 29
Senamwai 79
Zwei Quirle 100
Trinkschalen 101
Holzmörser und Stampfer 101
Töpfe 102
Kürbisflaschen 103
Hütte im Rohbau 131
Feuerstelle 132
Erfindung der „Herdringe“ 132
Mattensackgewebe 135
Wie ein Kitangu entsteht (Boden) 135
Fertiges Körbchen 135
Hocker 136
Werkzeuge des Fundi 137
Feuerzeug 137
Bienenstock 137
Schwerter 138
Buschmesser 138
Verschiedene Pfeilspitzen 139
Befestigte Pfeilspitzen 139
Umwickelter Pfeilgriff 139
Befestigen der Federfahnen am Pfeilschaft 139
Die Fahne der Feder wird stückweise von der Spule losgelöst 139
Einquirlen der Pfeilspitze in den Schaft 139
Bogen 140
Schild 140
Köcher 140
Würgefalle 142
Bohlenfalle, je nach Größe für Ratten und Raubtiere 142
Hacke und Axt 149
Ifingo 197
[Illustration]
Erstes Kapitel.
Negerpsychologie und Negersprache.
Wer auch immer mit den Schwarzen zu tun hat, sei es als Pflanzer,
Kaufmann, Beamter oder Missionar, ein ersprießlicher Verkehr kann sich
nur da entwickeln, wo man versucht, sich gegenseitig zu verstehen.
Dies verlangt aber ein Studium. Wißmann sagt einmal: „Gerade weil der
Neger die weit höhere Stellung des Europäers anerkennt, besteht das
wirksamste Erziehungsmittel darin, ihn bis zu einem gewissen Grade als
seinesgleichen anzuerkennen.“ Dieser Ausspruch ist interessant, weil er
den Standpunkt vertritt, den die Mission von jeher hat einnehmen müssen
und der vielfach als übertriebene Liebe zu den Eingebornen mißdeutet
worden ist. Nur auf diesem Wege findet man den Schlüssel zur Erkenntnis
der Negerpsyche.
Paulus schreibt an die Galater (4, 12): „Seid doch wie ich bin, denn
ich bin wie ihr!“ Wir dürfen den Schwarzen immer wieder sagen: Seid
doch wie wir, indem wir ihren sittlichen und kulturellen Stand zu
heben suchen; erkennt ja doch auch die Bibel die bevorzugte Stellung
Japhets Ham und verwandten Völkern gegenüber an. Aber der Nachsatz:
„denn ich bin wie ihr“, bewahrt entschieden vor einer der übelsten
tropischen Erkrankungen -- dem Tropenkoller. Boetcher schreibt in
seinem Buche „Rund um Afrika“, daß er nur wenige Europäer gesehen habe,
die im Verkehr mit den Schwarzen ihre natürliche Stimme beibehalten
hätten. „Sobald sie mit Negern sprechen, nimmt der Ton eine gewisse
Schimpffärbung an, in die einige Tropfen Galle geträufelt sind.“ Das
ist leider sehr wahr. Doch wer auch immer den Neger erziehen will, sei
es auf religiösem oder wirtschaftlichem Gebiet: in dem Augenblick,
wo er sich schämt, im Neger den Menschen anzuerkennen, hat er einen
Weg beschritten, der einen wahren und dauernden Erfolg ausschließt.
Je mehr man sich dagegen bemüht, den oft verschlungenen Wegen der
Negerpsyche nachzugehen, desto leichter fällt es, sich den paulinischen
Grundsatz zueigen zu machen. Und warum auch nicht? Wenn man sieht, wie
die Schwarzen lieben, hassen, leiden und sich freuen, nach Stellung
und Ansehen streben; wenn man in ihre Sprache eindringt und ihre
Märchen und Sprichwörter liest, stellt man unwillkürlich Vergleiche
mit den heimatlichen Verhältnissen an und wundert sich über die Fülle
verwandter Anschauungen.
Manches wird uns bei solchen Betrachtungen mit Recht abstoßend
vorkommen; aber auch der Neger ist in vielen Dingen, und ebenfalls
oft mit Recht, bei weitem nicht von der Überlegenheit unsrer Sitten
überzeugt. Manches wird uns zuerst unverständlich erscheinen, genau so
wie der Inlandneger z. B. mit Staunen wahrnimmt, daß wir im Gasthaus
für Lager und Essen bezahlen müssen, während wir dem Wirte doch wie
unserm alten Bekannten die Hand drücken. Verächtlich spinnt er den
Gedanken weiter aus und glaubt es fest: Die Europäer schreiben alles
auf, was ihre Kinder essen oder an Kleidung gebrauchen, damit sie
nachher sich alles zurückzahlen lassen können. So wenig sie für so
manche unsrer Sitten die Voraussetzungen kennen, können wir uns oft
ihre Beweggründe klarmachen.
~Dr.~ Karstedt sagt in seinem lesenswerten Büchlein „Beiträge zur
Praxis der Eingebornen-Rechtsprechung“: „Wenn mir ein Neger im tiefsten
Unyamwezi alle Fragen glatt mit den handgreiflichsten Phantasien
beantwortet, so kann ich ihn allerdings einen Lügner nennen, weil ich
in keiner europäischen Sprache den Ausdruck finde, der ihn in seinem
Bestreben charakterisiert, den Europäer das hören zu lassen, was er
nach seiner -- des Eingebornen -- Meinung hören will. Trotzdem lügt
der Mann im Sinne des Negers nicht [s. auch S. 165. 166]; denn was ihn
zu seinen Lügen veranlaßt, ist nicht die Absicht der Täuschung des
Fragenden, sondern zunächst sein Unverständnis für den Zweck dieser
Fragen. Diesen allerdings klar zu machen, erfordert eine Geduld und
Konzentrierung aller Sinne, die im Einzelfall aufzubringen nicht
immer möglich ist. Ist es aber gelungen, dann ist die gegenseitige
Verständigung nicht mehr schwer, denn es gibt kein leichter zu
behandelndes Wesen als unsern Inlandsneger!“
[Illustration: Kilimandjaro am Abend.]
[Illustration: Goma-Wasserfall, oberer Teil.]
[Illustration:
Phot. H. Wilke.
Goma-Wasserfall, unterer Teil.]
Wer sich berufen fühlt, den Neger zu erziehen und versucht, ihm
innerlich näherzukommen, wird seine Bemühungen von Erfolg begleitet
sehen. Eins der wichtigsten Hilfsmittel bei diesem Versuche, die
Negerpsyche zu verstehen, ist die Sprache. Das ist ein Gebiet, auf
welchem manchmal unglaubliche Anforderungen an die Kombinationsgabe des
-- Schwarzen gestellt werden. Daß der Erzieher auch die Pflicht hat,
sich seinen Schülern verständlich zu machen, wird zu oft vergessen.
Entweder betrachtet man die Negersprache als eine derartig einfache
Sache, daß sie ein eingehenderes Studium überhaupt nicht lohnt, oder
man tröstet sich damit, daß man sagt: Der Neger mag Deutsch lernen!
Meiner Ansicht nach wäre dann der Umgang mit den Schwarzen gerade kein
Genuß mehr, ganz abgesehen von den großen Schwierigkeiten, die unsre
Sprache dem Eingebornen bietet. Um so leichter wird ja dem Europäer das
Erlernen der Bantusprache fallen, und erst dann, wenn diese Brücke zum
Verständnis geschlagen ist, kann die Erziehung richtig einsetzen. Doch
wie schon gesagt, man muß sich oft wundern, wie gut der Neger selbst
das wenige, was ihm hier geboten wird, noch zu verarbeiten versteht.
Und wie oft wird er bestraft, weil er zufällig nicht richtig kombiniert
hatte, oder weil er genau das ausführte, was sein Herr ihm sagte, aber
nicht hatte sagen wollen!
Wer an das Studium der Negersprachen mit dem Gedanken herangeht, die
Sache mit einigen Lektionen abzutun, hat sich gründlich getäuscht
und wird allerlei unliebsame Überraschungen erleben. Er wird Formen
finden, die unsre grammatikalischen Ansichten auf den Kopf stellen,
und dabei einen Reichtum z. B. der Verbformen, der direkt verwirrend
wirkt und der selbst nach langen Jahren der intensiven Beschäftigung
mit der Sprache noch nicht erschöpft ist. Die Buchstaben unsres
Alphabetes sind bald zu Ende, aber noch lange nicht alle Laute
bezeichnet. Die Hauptwörter haben keinen Artikel, werden aber dafür
z. B. im Chasu in 24 Singular- und Pluralklassen eingeteilt. Noch
schwieriger wird die Sache bei den Tonhöhen. Da hat ein und dasselbe
Wort vier oder mehr Bedeutungen, die gänzlich voneinander verschieden
sind. Der Schwarze verwechselt sie nie, weil sein Ohr geschult ist,
die feinen Tonunterschiede zu hören. Der Europäer steht da in vielen
Fällen vor einem fast hoffnungslosen Unternehmen. Dasselbe gilt von
vielen Hauptwörtern, die, falsch betont, dem Redner oft zu einer
unfreiwilligen Komik verhelfen. Wie schwer die rechte Wiedergabe der
Tonhöhe in diesen „primitiven“ Sprachen ist, dafür im folgenden nur
einige wenige Beispiele. ~Enekukoma~ heißt je nach der Betonung:
Er wird sich töten. -- Wird er sich töten? -- Er wird dich töten! --
Wird er dich töten? Bei allen Wörtern spielt der Ton für die wahre
Bedeutung eine große Rolle und der Neger versteht uns meistens nur,
weil er durch das Zusammenleben mit uns die „deutsche Art der Betonung“
gelernt hat, oder er errät die Bedeutung des jeweiligen Wortes aus dem
Zusammenhang. Je nach der Betonung heißt ~makuku~ grüner Mais oder
Schmutz oder große Hühner, ~mwezi~ Mond oder Amme, ~mvera~
Tor oder Dank, ~nkanga~ Kleiderstoff oder Rost oder Perlhühner,
~muto~ Kissen oder lange Reihe von Leuten oder Spitze, ~musi~
Stampfer oder Tag, ~mwaži~ krank oder offen, ~muvwa~ Dorn
oder Blasebalg, ~nkungu~ Knöchel oder Sturm oder Nuß. Dieser kurze
Hinweis wird genügen, den Leser verstehen zu lassen, wie schwer es ist,
die Negersprachen wirklich richtig zu sprechen.
Will man die Sprache der Eingebornen verstehen, so muß man die
Bedeutung der Gleichnisse kennen, mit denen sie ihre Rede schmücken,
oder man setzt sich andauernd Mißverständnissen aus. Im Chasu
heißt unser Buße tun: ~kuchwa muti~ = Baum brechen; denn bei
Entsühnungen und zum Zeichen der Reue brechen sie einen kleinen Zweig
durch. Kommt da ein Missionszögling zum jungen Missionar und bezeugt
seine Reue mit den Worten: ~nnechwa muti~ = ich werde einen Baum
brechen. Der übersetzt den Ausdruck wörtlich mit Holz spalten und
erzählt gerührt seinem Kollegen, daß der Junge sich selbst erboten
hätte, zum Zeichen seiner Reue Holz für ihn zu spalten....
Manchmal redet auch der Europäer wieder in Gleichnissen, über die
dann der Schwarze starr ist. Ein Sergeant tadelte einen Askari
(schwarzen Soldaten), der einen alten Mann trotz seines geschwollenen
Fußes geschlagen hatte, und kleidete den Verweis in das klassische
Kisuaheli: ~Sababu kupiga hii mzee, mguu yake ana mimba~ (statt
~umevimba~). Übersetzt heißt das etwa: Warum du schlagen dieses
alte Mann, sein Fuß ist schwanger (statt geschwollen). Es wurde uns
Zuhörern schwer, die Situation zu retten und den Ernst zu bewahren.
Die nur geringe Kenntnis der Eingebornensprache bildet auch den Grund
für zahlreiche Mißverständnisse und Fehler, die von Afrikareisenden
bei der Notierung von landesüblichen Namen für Berge, Flüsse usw.
gemacht werden. Ganze Sätze sind da schon als Berg- oder Flußnamen
aufgeschrieben worden. ~Dr.~ R. Kandt, der unter deutscher
Herrschaft Regent von Urundi war, schreibt darüber in seinem äußerst
interessanten Buche „Caput Nili“:
„Ich habe in dieser Beziehung die komischsten Mißverständnisse
konstatieren können. So zeigte mir einmal ein Herr eine Rundpeilung,
deren Berge von dem Eingebornen, dessen Blick der hinweisenden Hand
des Europäers folgte, ungefähr so bezeichnet wurden: ‚Deine Hand‘,
‚Ein Berg‘, ‚Ich sehe ihn‘, ‚Ich kenne ihn‘, ‚Er ist sehr groß‘
usw. Manchmal handelt es sich in solchem Fall um Abwehrlügen der
Eingebornen, manchmal macht es ihnen auch Spaß, den Europäer zu foppen;
am häufigsten aber ist ein naives Mißverstehen, besonders dann, wenn
keiner des andern Sprache kennt, und der gute dumme Neger glaubt, daß
der Europäer auf die Objekte der Unterhaltung wegen zeigt, worauf er,
ob solcher Herablassung entzückt, sich verpflichtet fühlt, jedesmal in
irgendeiner harmlosen Bemerkung seinen Senf dazuzugeben, einen Senf,
der protokolliert und in Karten und Atlanten verewigt wird....“
Bezeichnend für die Art und Weise, wie die sprachlich unbegabten
Engländer mit den Eingebornen verkehren, war folgende Unterhaltung
eines englischen Polizeisergeanten mit einem Schwarzen. Der Engländer
befahl ihm: ~Safisha W. C. killa siku very clean, and if you don’t
safisha the W. C. very clean, you will get hamsa shrain!~ (Reinige
den Abort jeden Tag sehr sauber, und wenn du den Abort nicht sehr gut
reinigst, wirst du 25 Hiebe bekommen.) Vor diesem Gemisch von Englisch,
schlecht ausgesprochenem Kisuaheli und noch schlechterem Arabisch
versagte selbst die Kombinationsgabe des Schwarzen. Ratlos schaute er
von seinem neuen, drohend den Kiboko (Peitsche) schwingenden „humanen“
Herrn zu mir. Und der „Herr“, ebenfalls zu mir gewandt, meinte
ärgerlich: ~The beggar does not understand +his own language!+~ (Der
Kerl versteht nicht mal +seine eigene Sprache+!)
Sicherlich ist es in jeder Hinsicht lohnend, sich mit einer der
zirka 600 afrikanischen Sprachen zu beschäftigen, ist doch auch
die Wissenschaft an ihrer Erforschung äußerst interessiert. Über
die Sprache unserer Vaasu kann jeder Interessierte in der kleinen
Chasugrammatik[1] das Hauptsächlichste nachlesen. Hier wollen wir
uns im folgenden über Sitten und Gebräuche der Leute unterhalten.
Ich schicke da die Bitte an die Leser voraus, nichts Erschöpfendes
zu erwarten. Viele Lücken werden noch bleiben und manche Symbolik
wird auch weiterhin unverständlich sein. In China war es, glaube ich,
wo ein Forscher über die Chinesen befragt wurde. „Das weiß ich noch
nicht, ich bin erst 30 Jahre hier,“ gab er zur Antwort. Das ist wohl
die Erfahrung eines jeden, der sich draußen mit dem Geistesleben der
Neger beschäftigt: Täglich Überraschungen, täglich neue Einblicke
in Dinge, die man bisher übersehen hatte. So wird es wohl auch noch
auf Jahre hinaus bleiben. Was mir aber in etwa 13jährigem vertrauten
Umgang mit dem Volke bekannt geworden ist, will ich versuchen hier
mitzuteilen, und zwar wollen wir mit der Beschreibung der Geburt
eines Kindes beginnen und es dann auf seinem Lebenswege begleiten.
Vorher aber sei mir noch eine allgemeine Bemerkung gestattet.
Glücklicherweise hat man auch in christlichen Kreisen den -- zudem
völlig unbiblischen -- Standpunkt überwunden, demzufolge die Jugend
in allen sexuellen Fragen möglichst unwissend gehalten werden sollte.
Unsre Neger haben diese ungesunde Ansicht nie gehabt. Ihre Kinder
erhalten die sexuelle Aufklärung früh, zum nicht geringen Teil in den
weiter unten beschriebenen Fruchtbarkeitsfesten. Mit 5-6 Jahren sind
wohl die meisten von ihnen mit den Vorgängen, die wir im nächsten
Kapitel besprechen wollen, bekannt. Sie würden mit vollem Recht sehr
erstaunt sein, wenn wir ihnen die Märchen erzählen wollten, mit denen
man uns in der Jugend aus Gründen der Moral das Werden des Menschen
zu erklären suchte. Demnach könnte man in den vielen symbolischen
Gebräuchen und Festgesängen der Eingebornen noch einen kleinen
sittlichen Kern erblicken, der sicherlich einmal vorhanden war. Aber
leider haben sich die Wapare auch hierin nicht in aufsteigender Linie
bewegt, sondern sind in das noch schlimmere Extrem verfallen. Bei den
Heiden wird in den meisten Fällen, besonders aber gelegentlich der
Fruchtbarkeitsfeste, die an und für sich anzuerkennende Aufklärung in
der allerverwerflichsten, nämlich in der mit voller Absicht aufreizend
gehaltenen Form geboten, einer Form, die um so bedenklicher scheint,
als sie durch religiöse Vorstellungen mit dem Volkstum unlösbar
verbunden ist. Mit diesen religiösen Vorstellungen aber muß sich vor
allem der angehende Missionar beizeiten vertraut machen; denn niemals
wird er mit Erfolg eine neue Religion zu lehren vermögen, ohne die
alte zu kennen. Anderseits wird er durch seinen von Berufs wegen
vertrauten Umgang mit den Eingebornen manchen Beitrag zur Völkerkunde
liefern können. Solche völkerkundlichen Untersuchungen sind aber auch
für weitere Kreise von Interesse. In dem Sinne schreibt Geheimrat v.
Luschan, Direktor des Museums für Völkerkunde zu Berlin: „So scheinen
also Mission und Völkerkunde genau ebenso auf gegenseitige Förderung
und Hilfe angewiesen, wie wir längst schon eingesehen haben, daß auch
politische Erfolge in den Schutzgebieten stets nur auf der Grundlage
ethnographischer Erfahrungen erwartet und erreicht werden können,
und daß Unkenntnis der ethnographischen Verhältnisse nur allzuoft
von politischen Mißerfolgen und von großen Verlusten an Geld und
Menschenleben gefolgt war.“
Allzu Anstößiges ist nach Möglichkeit fortgelassen worden. Ich habe
versucht, den Paremann dem Leser menschlich näher zu bringen. Und
sicherlich wird mancher des öftern mit dem Dichter sprechen müssen:
„Es gilt ein altes Buch zu blättern,
Vom Harz bis Hellas lauter Vettern.“
Wenn nun bei Erwähnung grausiger Sitten oder törichten Aberglaubens die
Schwarzen wieder in den Augen des Lesers verlieren sollten, so wolle er
freundlichst bedenken, daß Pauli Wort für alle gilt: „Es ist in keinem
andern Heil, ist auch kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen
gegeben, darin wir sollen selig werden.“ Vielleicht daß es ihm dann ein
Herzensbedürfnis wird, an seinem Teil mitzuhelfen, ihnen dieses Heil zu
bringen.
[1] Grammatik des Chasu, vom Verfasser, „Archiv der deutschen
Kolonialsprachen“, Band X; Reimer, Berlin.
[Illustration]
Zweites Kapitel.
Geburt.
Besondere Sitten und Gebräuche, die während der Schwangerschaft
im allgemeinen beobachtet werden, sind mir, abgesehen von einigen
Fällen, nicht bekannt geworden. Es ist bei den Schwarzen die Ansicht
verbreitet, daß es Frauen gibt, die Kinder erst nach ungewöhnlich
langer Zeit, etwa nach 12-16 Monaten zur Welt bringen. Für gewöhnlich
rechnen sie mit dem 10. Mondmonat. Scheint sich die Niederkunft zu
verzögern, oder liegen sonst schlechte oder gefahrdrohende Anzeichen
vor, so wird schleunigst zum Orakel gesandt, um die Ursache erforschen
zu lassen. Dieses stellt nun fest, daß die Frau von einem heiligen
Hain, einer Schlange, einem Ahnengeist oder auch von einem bösen
Zauberer verhext ist. Ein oft näher bezeichneter Arzt muß den Bann
brechen. Hier möchte ich gleich erwähnen, daß die Wapare streng
zwischen einem Arzt, dem Mganga, und dem bösen Zauberer, dem Msavi,
unterscheiden. Später werde ich etwas näher darauf eingehen. Die oben
erwähnte Entsühnung nennen die Leute ~kubažižwa mguva~ = das
Zuckerrohr spalten. Der Medizinmann und einige Frauen begeben sich an
einen Fluß oder auf einen Kreuzweg. Dort wird ein weißes Zuckerrohr
und eine Papyrusstaude bis auf ein kleines oberes Ende gespalten.
Beide Teile werden zusammen aufgestellt und unten auseinandergezogen,
daß sich eine Art Tor bildet, welches der Arzt auf der einen und die
Frauen auf der andern Seite halten. Durch dieses geweihte Tor muß
die Schwangere viermal hindurchgehen, nachdem der Medizinmann auf
den rechten Arm weiße Erde und auf den linken, den „schlechten“, Ruß
gerieben hat. Die Frau soll „rein“ (weiß) werden, der böse Zauberer
„schwarz“ (besiegt). Beim letzten Male darf die Patientin sich nicht
mehr umsehen, sondern geht stracks nach Hause. Der Medizinmann reißt
nun die Papyrusstaude vollends auseinander, wirft die Teile zu beiden
Seiten des Standortes der Frau hin und murmelt seine Beschwörung:
„Falls du verzaubert bist, falls ein Ahnengeist oder ein böser Zauberer
dir den Leib verschlossen hat, so lassen wir alles Schlechte hier
liegen. Jetzt bist du ‚weiß‘ (entsühnt) wie die Kreide auf deinem Arm.“
Nach dieser Zeremonie wird nun die Entbindung nicht mehr lange auf
sich warten lassen. Die Frau sagt bald zu einer Nachbarin oder zu
ihrer Mutter: „~Navegwa~, ich verspüre Wehen.“ Nachdem diese sich
überzeugt hat, daß es die Eröffnungswehen sind, sagt sie: ~Kididi,
ni nkondo~ = der Krieg ist wahrhaftig gekommen. Ist die Frau eine
Erstgebärende, so schlafen gewöhnlich vier erfahrene Frauen bei
ihr, sonst wohl auch nur zwei. Bei ganz schwierigen Fällen ist aber
manchmal das Haus voll, und im äußersten Notfall werden selbst Männer
hinzugezogen.
Verzögert sich der Anfang der Geburt ungewöhnlich lange, so wird
wiederum das Orakel nach der Ursache gefragt. Dieses sagt oft: „Es
sind die Ahnengeister, ihnen ist nicht geopfert worden.“ Die Frau
gibt den Geistern dann ein Wasseropfer als Gelübde für ein später
darzubringendes besseres Trankopfer. Dieses Wasseropfer heißt ~kuchwa
mpombe~. Sie nimmt dabei den Mund voll Wasser, spützt es wieder auf
die Erde und betet: ~Saramari! Nkoma guhani! Vava nairwa iti ni we
wenitea ’huo, mira tonga ushinjie, ambu mi ni nkungu mposha~ = Dank
ihr Geister, nehmt hin! Vater, mir wird gesagt, daß du es bist, der mir
dieses zufügt, aber gehe, schlafe (und kümmere dich nicht um mich) denn
ich bin (jetzt in meiner Krankheit wie) eine taube Nuß (um die sich der
Hamster auch nicht kümmert). Vgl. S. 199 das Verhalten des Häuptlings
Mauya.
Nun werden die Geister das Kind bald in die rechte Lage rücken, und
die Geburt kann vor sich gehen. Die Kreißende +sitzt+ auf einem
Klotz oder Stein. Die Lage ist ähnlich wie bei den im Mittelalter
angewandten Gebärstühlen. Den Hebammendienst versieht abwechselnd
eine der anwesenden weisen Frauen. Sie sitzt vor der Gebärenden und
übt den Dammschutz aus (~kugwira kamgamba~, oder ~kakondavi~). Nun
beginnt für die arme Frau eine Leidenszeit, die aber weniger in den
Schmerzen der Geburt selbst als vielmehr in dem endlosen Schimpfen der
Hebammen besteht, die durch solche Redensarten die Geburt beschleunigen
und günstig beeinflussen wollen. „Presse, presse, du willst das Kind
nur töten, wir werden dir den Leib aufschneiden,“ und noch weniger
angenehme Dinge werden der Frau zugerufen. Aber es bleibt nicht allein
bei den Worten, sondern mit allen möglichen Kunststückchen wird
versucht, eine schnelle Geburt herbeizuführen. Streichhölzchen werden
plötzlich vor den Augen der Frau entzündet, oder draußen vor der Hütte
wird ein Gewehr abgeschossen, damit die Frau durch den Schrecken das
Kind „losläßt“, denn „die Angst hält ihr den Leib zu“. Je größer die
Nervosität und das Geschrei der Hebammen wird, desto drastischer
werden auch die „Hilfsmittel“, wie ich mich oft mit eignen Augen habe
überzeugen können und wie mir ältere Christenfrauen erzählt haben. Da
wird der Kreißenden der Mund zugehalten, oder ihr eine Bogensehne um
den Finger oder gar die Nase geschnürt, damit die Ärmste durch den
Schmerz verhindert wird, das Kind „zurückzuhalten“. Oder man legt ihr
zur Unterstützung der Geburt gar einen großen Stein auf den Kopf. Ganz
erstaunt waren Heiden und Christen, als es bei Geburten auf der Station
unter der Aufsicht meiner Frau so ruhig herging, und schon viele sind
seither auf die Station gekommen, um der Quälerei zu Hause zu entgehen
und auch ihre Kinder vor dem Schlimmsten zu schützen.
Geht die Geburt immer noch nicht voran, so werden wohl die Bogen
des Mannes, die im Hause stehen, „gelöst“, d. h. die Sehne wird
abgebunden und so der Bogen entspannt, damit sich auch das Kind löse.
In der höchsten Not muß die Frau sogar Harn ihres Mannes, der als
Ausscheidungsprodukt Träger besonderer Seelenkräfte ist (vgl. S.
163), trinken. Eine solche Medizin ist den Leuten natürlich genau so
widerlich wie uns schon die bloße Erwähnung; aber sie leben „im Banne
der Furcht“. Diese Furcht erweist sich auch hier stärker als alle
ästhetischen Bedenken.
Endlich wird der Kopf geboren. Die Hilfe leistende Frau bespützt ihn
gleich bei seinem Erscheinen eifrig, daß er nicht wieder zurücktritt.
Bald folgen die Schulter und der übrige Körper, und das Kind liegt
in den Armen der Hebamme. Diese muß genau aufpassen, daß nicht etwa
ein Beinchen oder Ärmchen des Neugebornen auf die Erde rutscht, sonst
ist sein Leben verwirkt. Dann schreien die Frauen: „Das Kind hat den
Erdboden berührt, das ist nicht unser Kind, es ist ein Unglückskind,
es muß getötet werden, oder es wird uns alle umbringen.“ Dasselbe
geschieht noch in vielen andern Fällen, z. B. wenn das Neugeborene mit
der Plazenta in Berührung kommt oder ein Teil der Plazenta vorliegt und
zuerst geboren wird. Dies alles sind Unglückszeichen, und nur durch
den Tod des kleinen unschuldigen Wesens kann das +der ganzen Sippe+
drohende Unglück abgewendet werden.
Eine unsrer Christinnen, die alte Hanna, erzählte mir folgendes: Sie
war mit einigen andern Frauen zur Geburtshilfe gerufen worden. Das Kind
kam zur Welt, aber ein Teil der Plazenta lag vor und wurde gleichzeitig
mit ihm geboren. Das Kind schrie sofort und war ganz normal, aber
die andern Frauen rissen es aus Hannas Hand und sagten: „Das ist
ein Unglückskind! Da ist etwas nicht in Ordnung! Das haben wir noch
nicht gesehen, es muß getötet werden.“ Später holte eine Frau Wasser
und goß es in einen Holzmörser, der zum Maisstampfen dient. Das arme
Wesen wurde mit dem Kopf hineingehalten und elendiglich in dem Wasser
ertränkt. Nachdem es tot war, wurde es in Bananenblätter gewickelt
und weit fort im Busch auf einen Stein gelegt. Bald würden die Hyänen
kommen und die letzten Spuren des Mordes verwischen. --
Wie viele neugeborene Kinder werden so hingemordet, nur weil irgendein
unglücklicher Zufall das Herz der armen Eltern mit tödlicher Furcht
erfüllt. Da offenbart sich das Heidentum in seiner ganzen Not und
Finsternis. Nein, wenn man solche Einblicke in den heidnischen Jammer
getan hat, dann glaubt man nicht mehr an die Geschichte von den Negern,
die im tiefsten Frieden und aller Glückseligkeit wunschlos dahinleben
und kein Verlangen nach dem Evangelium tragen. Deutlich vernimmt jedes
Ohr, das für die Nöte des Heidentums geöffnet ist, den makedonischen
Ruf der Afrikaner: „Kommt herüber und helft uns!“ Die Furcht, die in
ihrer animistischen Religion begründet liegt, treibt sie von einer
Schreckenstat zur andern und gar häufig zum Kindsmord. Zwillinge,
Kinder die irgendwie verkrüppelt zur Welt kommen, und mag es auch
nur eine Hasenscharte sein, sie sind dem Tode verfallen, weil die
Medizinmänner es so lehren.
Gewiß, heute verbietet die Regierung alles dies streng; aber jeder
weiß, daß trotz aller Verbote kein Zwilling am Leben bleibt. Alle
regelwidrig gebornen Kinder müssen getötet werden, da sie sonst für die
Eltern und die ganze Sippe eine beständige Quelle der Furcht wären.
Nur von innen heraus kann da wirklicher Wandel geschaffen werden, wenn
+der+ ins Herz einzieht, der da sagt: „Ich bin’s, fürchtet euch nicht!“
Nachdem das Kind geboren ist, wird es sofort abgenabelt, da die
Hauptsorge der Hebamme darauf hinzielt, das Kind aus der noch
gefährlichen Nähe der Mutter zu bringen; denn würde die Plazenta mit
dem Kind in Berührung kommen, so wäre es, wie schon oben dargetan, dem
Tode verfallen. Der Nabel des Kindes wird jetzt erst mit einer Schnur
aus Bananenbast oder einem Stückchen Zeug abgebunden, während das nach
der Mutter zu führende Ende unabgebunden bleibt. Man muß sich wundern,
daß bei diesem Verfahren, das von Asepsis weit entfernt ist, nicht alle
Kinder sterben. Man sieht aber häufig schlecht verheilte Nabel.
Zögert der Austritt der Plazenta, so wird mit Arzneien nachgeholfen.
Besonders ist dies der Fall, wenn einmal, was wohl nicht oft vorkommt,
die Plazenta nicht geboren wird. Von einer operativen Lösung ist mir da
nichts bekannt geworden, vielmehr muß die Wöchnerin Arzneien trinken,
damit die Nachgeburt im Leibe „verfault“ und so abgetrieben wird. Das
soll manchmal bis vier Tage dauern. Ein ganz vorzügliches Mittel, die
Lösung der Plazenta zu beschleunigen, besteht bei ihnen darin, daß
man die Frau sich auf die Hände stützen und mit aller Macht in eine
vorgehaltene Flasche blasen läßt. Dies ist fast immer von sofortigem
Erfolg begleitet und der Versuch nach meiner Erfahrung selbst bei
gesunden weißen Frauen einer operativen Lösung und dem Credéschen
Handgriff vorzuziehen. Die Nachgeburt wird bei unsern Wapare draußen
verscharrt.
Ist das Kind zur Welt gekommen und die Mutter eine Mwai oder
Erstgebärende, so geht eine Frau vor die Tür und tanzt dort, mit den
Füßen heftig auf den Erdboden stampfend, einen Freudentanz, indem sie
den durch ganz Afrika verbreiteten Freudentriller ausstößt. Er klingt
wie ein sehr hohes, oft wiederholtes Lululu oder Lilili, wobei die
Zunge sehr schnell von einer Seite nach der andern bewegt wird. In der
Hütte haben die Hebammen inzwischen ein Kleid oder Fell zusammengedreht
und der Frau um den Leib gebunden, um die Rückbildung der Organe zu
unterstützen.
Die Frau sitzt nackt am Feuer und wird mit sehr heißem Wasser
abgewaschen oder bekommt eine Massage des Kreuzes und Leibes. Bei einer
Mwai bleiben die vier Frauen meist alle bis zum Ende des Wochenbettes
zugegen, bei einer Mehrgebärenden wohl nur zwei von ihnen. Das
Wochenbett dauert vier Tage, während welcher die Frau am Feuer liegt.
Es wird dem Leser schon aufgefallen sein, daß die Zahl vier immer
wiederkehrt. Sie ist die heilige Zahl und wird uns noch öfter begegnen.
Das Neugeborene schläft in dieser Zeit bei einer der Frauen. Es hat
noch keinen Namen, auch sein Geschlecht wird nicht bekanntgegeben,
selbst der Vater weiß nichts Näheres von seinem Kinde. Die Frauen
nennen es ihren „Gast“ (~mjeni wetu~) oder ~kataa~, den
kleinen Leoparden. Würde es schon beim Namen, der ja ebenfalls
Seelenträger ist, genannt werden, so würde es beständig weinen. Auch
darf man die Dämonen nicht unnötig auf das kleine Wesen aufmerksam
machen, da „sein Geist vorerst nur lose mit dem kleinen Körper
verbunden ist“ und diese Verbindung besonders in den ersten Tagen durch
den geringsten bösen Einfluß gestört werden könnte (vgl. S. 34 unten).
Am vierten Tage endlich darf auch der Vater, der bis dahin auswärts
schlafen mußte, ins Haus kommen, um seine Frau zu begrüßen und sein
Kind zu sehen. Ist die Mutter eine Erstgebärende, so wird der Mann
von vier andern Männern feierlich ins Haus geführt. Eine der Frauen
gibt dann einem Manne aus der Begleitung des Eheherren das kleine
Kind mit den Worten: Hier hast du den oder die Soundso. Damit hat das
Kind seinen Namen erhalten, mit welchem es auch dem Vater überreicht
wird. Dann begrüßen die Eingetretenen die Hebamme mit dem Gruß, der
den glücklich aus dem Kriege Kommenden dargeboten wird: (Männer:)
~Mcheku mpongezi!~ = Mutter, du bist glücklich entronnen! (Frau:)
~Ee apa~ = ja, Vater. An diese Worte schließt sich dann der
gewöhnliche Gruß, den wir noch besprechen wollen. Darauf begrüßt der
Mann seine Frau: ~Mpongezi mche wangu!~ = Heil dir, meine Frau!
-- Ist die Frau Mehrgebärende, so erwidert sie: ~Mpongezi nawe mwosi
wangu!~ = auch dir Heil, mein Mann. Ist die Frau dagegen eine Mwai,
so antwortet sie nur mit einem verschämten Ee! Sie erhält dann auch als
besondere Auszeichnung von ihrem Ehemanne ein Geschenk in Form eines
Kleides.
Wenn die Zeit der Geburt heranrückt, sucht der Ehegatte Speisevorrat
für seine Frau. Die allgemein übliche Wöchnerinnenkost besteht
aus getrockneten Bananen, die als Brei zubereitet und mit einer
sehr fettreichen Nuß vermischt werden (~makafi na makungu~).
Gleich nach der Geburt beginnt das Füttern des Neugebornen, und
wir gehen sicher nicht fehl, wenn die Hauptursache der sehr hohen
Säuglingssterblichkeit mit auf das Konto dieser Unsitte gesetzt
wird. Die Wapare glauben nämlich, daß das Kind sehr hungrig zur Welt
komme und ihm deshalb baldigst Nahrung zugeführt werden müsse. Die
Muttermilch ist aber in den ersten zwei Tagen verpönt, da sie erst
„rein“ werden muß. So streicht man nun dem armen Würmchen schon in
der ersten Nacht trotz seines heftigsten Sträubens zweimal einen Brei
in den Mund, den eine der Frauen herstellt, indem sie eine trockne
Banane und eine der oben erwähnten Nüsse dem Kinde vorkaut. Diese erste
Speisezufuhr heißt ~kudembua mwana~, die Speise selbst ~papa ya
mwana~. Die Sterblichkeit der Säuglinge in den ersten Lebenstagen
ist natürlich eine entsprechend hohe, da der kleine Verdauungsapparat
auf eine derartige Nahrung noch nicht vorbereitet ist. Die Kinder
leiden an Hartleibigkeit oder Durchfall. Die fast regelmäßige und
meistens richtige Diagnose, die unsre Paremedizinmänner stellen,
lautet auf Würmer. Die Leute kommen dann sehr gerne auf die Station
und verlangen die weiße Wurmarznei (Santonin), welche sich eines
guten Rufes unter ihnen erfreut, weil sie schon manchem Erwachsenen
geholfen hat. Natürlich bekommen sie bei uns keine Arznei für die
Säuglinge, sondern wir dringen auf eine naturgemäßere Lebensweise.
Selbst den Heiden ist es schon aufgefallen, daß fast alle Kinder, die
auf der Missionsstation geboren sind, groß und kräftig werden und nicht
sterben. Es gibt auch schon sehr viele unter den Eingebornen, die ihren
Frauen verbieten, den Kindern ~papa~ zu geben, aber leider ist es
oft vergeblich.
Am dritten Tage etwa kommt der Medizinmann, um die Milch der Frau zu
untersuchen. Er preßt sich etwas in seine Hand und prüft sie. Da heißt
es dann vielleicht: „Eine Brust hat gute Milch, die andre schlechte,
das Kind darf nur an die eine gelegt werden.“ Oder die Milch wird
überhaupt als ungenießbar für das Kindchen erklärt. Dann soll die
Ernährung ausschließlich in jenem erwähnten ~papa~ bestehen.
Mancher Heide glaubt heute wohl noch dem ersten Wahrspruch des
Medizinmannes, aber nicht mehr an die Nützlichkeit der Breifütterung.
So kommt er dann auf die Station und kauft sich eine Kinderflasche mit
Gummisauger, die wir nach den nötigen Belehrungen über peinlichste
Sauberkeit gewöhnlich auch abgaben; denn Kuhmilch ist doch immer noch
besser als jener schwer verdauliche Brei.
Am 4. Tage steht die Wöchnerin (~mvyee~) auf und fängt an, leichte
Arbeit zu tun. Die Rückbildung der Organe geht bei den Schwarzen
meist sehr schnell vor sich, und selten muß eine Frau ein längeres
Wochenbett einhalten. Die Kinder sind bei der Geburt fast weiß oder
doch ganz hellbraun. Aber in den ersten Tagen und Wochen dunkeln sie
schnell nach, bis dann die Stammesfarbe erreicht ist. Hellfarbige
Leute gelten für schöner als die tiefschwarzen. Ebenfalls eine Folge
der abergläubischen Furcht ist der Brauch, in der ersten Zeit von dem
Kinde als von einem „jungen Leoparden“ (~kataa~) zu sprechen. Die
Kinder werden im Durchschnitt zwei Jahre und länger gesäugt, wenn nicht
eine neue Schwangerschaft das Stillen früher verbietet. Im allgemeinen
wird jedoch darauf gehalten, daß die Kinder nicht zu rasch aufeinander
folgen.
Es wäre hier wohl der Platz, noch etwas über besondere Zufälle unter
der Geburt und ihre Behandlung durch die eingeborenen Medizinmänner
zu sagen. Wenn auch die Negerfrauen natürlicher leben als viele
Europäerinnen und ihr Körper nicht durch irgendwelche äußeren Einflüsse
in eine häßliche Form gedrängt worden ist, die dann später die Geburt
zu einem lebensgefährlichen Vorgang machen, so kann man doch auch hier
immer wieder von schweren Geburten hören, wenn auch die Mehrzahl ohne
weitere Komplikationen verläuft. Ein Fall von vorliegender Plazenta ist
mir bekannt geworden. Auch Querlagen, Fußlagen (~mwana akingama~)
und Steißlagen (~mwana aza mchwiri~) kommen vor. Jede regelwidrige
Lage hat nach der Geburt den Tod für das Kind zur Folge. Deshalb
wird bei Querlagen versucht, diese beizeiten in eine Kopflage zu
verwandeln. Gelingt das nicht durch den inneren Eingriff, oder wird
das Kind überhaupt nicht geboren, so schreitet der Medizinmann zur
Enthauptung im Mutterleibe. Der Arzt reinigt sich zuerst die Hände und
schneidet die Fingernägel ganz kurz ab. Die Hände werden mit Butter
eingefettet. Die Abbildung zeigt das gebräuchliche „chirurgische“
Messer. Es wird mit Bananenbast umwunden, und nur an der Spitze bleiben
ungefähr 2 ~cm~ frei. Nun wird der Arm vorsichtig eingeführt
und das Kind enthauptet. Läßt sich der Kopf selbst dann noch nicht
herausziehen, so wird auch wohl der Unterkiefer abgeschnitten. Die
anderen Teile werden dann so entwickelt. Nach der Beschreibung scheinen
die Leute damit sehr gut Bescheid zu wissen, wie sie ja überhaupt als
Hirten, die öfter Tiere schlachten, über den Knochenbau mehr wissen
als der Durchschnittseuropäer. Kindbettfieber ist als Folge von
zurückgebliebenen Teilen der Plazenta bekannt und wird mit allerlei
Arzneien behandelt. Heiß zu trinkende Fleischbrühe spielt dabei eine
Hauptrolle. Im allgemeinen haben die Eingebornen ziemlich genaue
Kenntnisse von den Vorgängen bei der Geburt, nur daß solche Kenntnisse
immer wieder durch den heidnischen Aberglauben verdunkelt und verkehrt
werden.
[Illustration: Chirurgisches Messer.]
[Illustration]
Drittes Kapitel.
Die ersten Lebensjahre des Mädchens.
Namengebung.
Den Namen geben nicht die Eltern sondern die Frauen, die bei der
Geburt halfen. Manchmal erhält das Mädchen den Namen der Großmutter,
der Knabe den des Großvaters. Doch sprechen bei der Namengebung die
verschiedensten Dinge mit. Fliegt z. B. gerade ein Heuschreckenschwarm
vorbei, so heißt das Mädchen etwa Nanzige (Mutter der Heuschrecken),
der Junge könnte in dem Falle Senzige (Vater der Heuschrecken) genannt
werden (~nzige~ = Wanderheuschrecke). Oder das Kind wird während
einer Hungersnot (~nzota~) geboren, dann kann der Mädchenname
Nanzota, oder der Knabenname Senzota lauten. Geht im Augenblick der
Geburt jemand an der Hütte vorüber, so wird dem Kinde der Name des
Betreffenden gegeben. Besondere, auffallende Ereignisse, Kriege usw.
beeinflussen die Namengebung gewöhnlich. Manchmal wurden Kinder, deren
Anverwandte mich zur Geburtshilfe hatten rufen lassen Mwarimu (Lehrer)
genannt.
Sobald die Knaben oder Mädchen zu jungen Männern und Jungfrauen
heranreifen, legen sie sich neue Namen zu, bei denen sie sich auf den
nächtlichen Viravu-Tänzen rufen. Da singt ein Mädchen etwa:
~Iyoyeo lele,
ni mi ng’anya e, o, ee.~
Das heißt:
Seht alle hierher,
ich bin die Soundso, juchhe!
Diesen neuen Namen führt sie nun fortan neben ihrem eigentlichen
Kindernamen bis zu ihrer Verheiratung. Ähnlich geben sich auch die
Knaben singend einen andern Namen, den sie aber oft, im Gegensatz
zu den Frauen, auch als Männer noch beibehalten. Sind später in der
Ehe Kinder vorhanden, so verdrängt der dann auftretende Nebenname
Seng’anya, Kong’anya (Vater, Mutter des Soundso) manchmal den
eigentlichen Namen.
Zahnzauber.
Im vierten Monat wird das Paremädchen in die Behandlung einer
älteren Frau, der Mwasirika gegeben. Deren Aufgabe besteht darin,
das Durchbrechen der zwei unteren und oberen Schneidezähnchen zu
überwachen. Vor allem muß sie verhüten, daß die oberen vor den unteren
herauskommen. Zuerst „bringt sie die Zähne zusammen“ (~kuvunganya
majego~), indem sie unter ziemlichem Druck eine Massage des
Zahnfleisches nach der Mitte hin ausübt. Damit aber ja nicht etwa die
oberen oder seitlichen Zähne auch schon durchbrechen, streicht sie
auf jene Teile des Kiefers eine Zaubersalbe, die aus Eidechsenkot und
einigen Kräutern besteht. Diese „Behandlung“ wird einen Monat lang
fortgesetzt, und zwar geschieht es im Lichte der auf- und untergehenden
Sonne, die bei unsern Wapare verehrt wird. Im selben Monat bindet die
Mwasirika dem Mädchen eine Schnur um den Hals, die aus dem Bast einer
weißen Banane besteht. Daran bindet sie ein ganz kleines hölzernes
Gäbelchen (vom Mrushu-Baum) mit zwei Ausgängen, entsprechend den zwei
neuen Zähnen, die „herausgebracht“ werden sollen. Dieses Amulett heißt
Mlinga. Im nächsten Monat macht sie mit dem langen Nagel des Daumens
der rechten Hand da, wo die beiden Zähne zu erwarten sind, einen
Schnitt ins Zahnfleisch des Unterkiefers. Das austretende Blut wird mit
einem Blatt des Mdangu-Strauches abgewischt und auf die zwei wunden
Stellen eine Salbe aus Asche und Salz gelegt, welche „gräbt“ und das
Zuheilen verhindert. Dann hält sie das Kind hoch in der Richtung nach
Sonnenaufgang und -untergang, sie „übergibt es der Sonne“, damit auch
sie das Wachstum fördere.
Am nächsten Tage wird der Eiter, der sich auf der Wunde gebildet hat,
mit einem Blatt des Mdangu-Strauches entfernt. Mit einer zugespitzten
Kohle werden die Wundränder noch ein klein wenig auseinandergedrängt,
und die Wunde wieder mit Asche und Salz bestreut. Mit dem kleinen
Gäbelchen streicht die Frau dann zwei oder viermal über das Kinn nach
oben. Sie darf nicht etwa fünfmal streichen, da dann ein fünfter
Zahn durchbrechen könnte, der dem Leben des Kindes ein Ende machen
würde. Diese Behandlung wird solange morgens und abends fortgesetzt,
bis die unteren Zähne durchgekommen sind. Dann wendet die Frau ihre
Aufmerksamkeit dem Oberkiefer zu, um auch da das Durchbrechen der Zähne
zu überwachen und vor allem zu sehen, daß die beiden mittleren Zähne
zuerst durchbrechen. Sind diese auch glücklich zum Vorschein gekommen,
dann ist die Tätigkeit der Mwasirika beendigt.
Die Mutter des Mädchens darf in dieser ganzen Zeit kein Kleid nähen, da
ja entsprechend jedem Nadelstich ein Zahn bei dem Kinde hervorbrechen
könnte. Auch keinen Pilz wird sie ausgraben, da er nur „eine Wurzel“
hat (ungerade Zahl) und vielleicht die Veranlassung würde, daß statt
der erwarteten zwei bzw. vier Zähne nur einer durchkäme. Im übrigen
muß sowohl die Mutter des Kindes wie auch die behandelnde Frau in
jeder Weise enthaltsam leben. Andre Gewohnheiten und Gebräuche lassen
sich hier schlecht wiedergeben, nur will ich noch erwähnen, daß es
verpönt ist, die Zähne bis zu einer gewissen Zeit beim wahren Namen zu
nennen. Sie heißen vielmehr Vujembe, die kleinen Hacken, eine Sitte,
die uns erst dann verständlich wird, wenn wir wissen, daß durch solche
kleinen Kniffe die dämonischen Kräfte getäuscht werden sollen. (Vgl. S.
198-200.)
[Illustration: Schlucht im Pare-Gebirge.]
[Illustration: +Einst+
gab es keine andre Möglichkeit, Afrika zu bereisen als auf diese
mühsame Weise, und die Parole war „~mpoa, mpoa~“ = „langsam und
vorsichtig“.]
[Illustration: Phot.
Lutteroth.
+Jetzt+
ist das Land von einem Eisenbahnnetz überzogen. -- Vor Abfahrt der
Zentralbahn.]
Die Mühe, die sich die Leute beim Überwachen dieses Vorgangs nehmen,
hat ihren Grund wieder in einer abergläubischen Furcht. Die Regel
bei ihnen ist folgende: Zuerst die unteren mittleren Zähnchen. Der
Mondmonat, in dem das geschieht, muß unter allen Umständen vorüber
sein, ehe die oberen Zähne durchbrechen. Kommen die oberen noch im
selben Monat, oder kommen sie gar zuerst, oder kommen die oberen wohl
im rechten Monat aber fast gleichzeitig mit anderen mehr seitlichen
Zähnen, so ist damit dem armen Kinde das Todesurteil gefällt. Die
Vaasu sagen dann: ~Mwana abuka ijego~ -- dem Kind ist ein
Zahn herausgeplatzt; während der normale Ausdruck lautet: ~Mwana
akweža ijego~ -- es hat gezahnt. Im ersteren Falle wird die ganze
Verwandtschaft des Mannes und der Frau zusammengerufen und ihnen
gesagt: „Beseht euch das Kind! Das ist nicht unser Kind! Wir haben
etwas Schlechtes bei ihm gesehen!“ Wenn dann die andern den unzeitig
hervorgekommenen Zahn bemerken, sagen sie: „Was sollen wir da tun? Nun
kann das Kind nicht am Leben bleiben, sonst werden wir alle sterben
müssen.“ Ist das Urteil im Familienrat gefällt, dann stimmen alle die
Totenklage an und holen die Schüsseln, Geräte und Kleider des Kindes
herbei. Später tragen die Verwandten das Kind und alle seine Sachen in
den Busch. Kleine Kinder wurden einfach an den Felsen hinabgestürzt,
größere erstickt. Man legte sie auch wohl, wenn sie schliefen, an das
abschüssige Ufer eines Teiches oder einer hohen Klippe. Wachten sie
später auf, dann wurde ihnen die erste Bewegung verhängnisvoll. Die
Mutter saß währenddessen zu Hause und sang ein ergreifendes Klagelied:
O weh, o weh!
Mein Kind, mein Kind!
Wenn ich’s (das Unglück) bekriegen könnte,
ich würde es bekriegen.
Wenn ich es zertreten könnte,
ich würde es zertreten.
O weh, o weh!
Mein Kind, mein Kind!
Ihr Geister, warum habt ihr euch nicht besonnen,
warum habt ihr mir mein Kind genommen?
Ach hätt’ ich doch für es sterben können,
wie gern würd’ ich ihm das Leben gönnen.
Nun wird keiner in meinen Armen schlafen!
O weh, o weh!
Es ist ergreifend, von solcher Klage zu hören und diese Nöte des
Heidentums kennenzulernen. Viele Frauen wollen in ihrem Schmerz
Selbstmord begehen. Wohl hat die Regierung derartige Greuel verboten;
aber der Aberglaube und die Furcht sind größer als die Scheu vor der
Regierung, und solche Kinder werden auch heute noch heimlich aus dem
Wege geräumt.
Es ist früher schon vorgekommen, daß ein Vater sich weigerte, trotz
des Unglückszahnes sein Kind töten zu lassen. Einige Fälle sind mir
bekannt geworden. Das Kind wuchs auf, aber ein Verwandter nach dem
andern mußte sterben. Das Orakel sagte: „Da ist einer, der euch alle
umbringen wird. Nur sein Tod kann die Geister versöhnen.“ Das Kind
war nun mittlerweile, wie in einem mir mitgeteilten Falle, zum Manne
herangereift, der Frau und Kinder hatte. Nachdem mancher Versuch, ihn
mit Gift zu ermorden, mißlungen war, lud man ihn einst zum Essen ein.
Als er seine Hand in die Schüssel tauchte, wurde er überfallen und
erwürgt. Auch die Kinder mußten sterben, um den Zorn der Ahnengeister
zu besänftigen.
Im Banne der Furcht! --
Sind die vier Zähnchen gut durchgebrochen und auch in dem betreffenden
Monat keine weiteren hinzugekommen, so wird ein kleines Fest
veranstaltet, das heißt „das Kind zeigen“ (~kuvonyesha mwana~,
oder: ~kuvambaža mwana~). Allen erschienenen Männern und Frauen
wird das Kind „gezeigt“ und jeder muß sich die Zähne ansehen. Die
Gäste begrüßen die glücklichen Eltern mit dem Gruß, der heimkehrenden
Kriegern oder sonst Leuten, die einer schweren Gefahr entronnen sind,
zuteil wird. Dabei werden Vater, Mutter und die nächsten Verwandten
tüchtig an den Ohren in die Höhe gezogen, eine Zeremonie, deren
Bedeutung mir nicht ganz klar geworden ist. (Vgl. Entsühnung nach dem
Genuß eines toten Tieres. S. 178.)
Die Frau wird mit den Worten begrüßt: „Freundin, Heil dir!“ und sie
erwidert: „Das geht uns alle an“ (denn wenn das Kind ein „Zahnkind“
geworden wäre, wären wir alle in gleiche Todesgefahr geraten; und
wenn es hätte getötet werden müssen, dann wäret ihr ja ebenso traurig
gewesen wie ich). Auch der Vater und die Verwandten werden ähnlich
begrüßt. Die Besucher bringen dem Kinde kleine Geschenke mit,
Perlenschnüre, Geld oder gar ein Stück Baumwollstoff. Die „Arzneien“
(Zaubergeräte) werden von der Mutter mit einem Säckchen voll Mais und
einer Kürbisflasche voll Zuckerrohrbier zu der Frau gebracht, die die
Zahnbehandlung gegeben hat. Der Säugling ist nunmehr in einen neuen
Lebensabschnitt eingetreten, und die größten Gefahren, die das kleine
Wesen schon in frühester Jugend bedrohten, sind glücklich überstanden,
zur nicht geringen Freude der Eltern, die bis dahin oft genug für sein
Leben haben zittern müssen.
=Schutzzauber= (~kikobwa~).
Die Kinder werden in einem Lederbeutel oder in einem Tuch auf den
Hüften oder dem Rücken der Mutter getragen, in welcher Lage sie schön
in Schlaf gewiegt werden. Etwa vom zweiten Monat nach der Entbindung
an geht die Frau ihrer gewohnten Beschäftigung im vollen Umfange
wieder nach. Will sie auf dem Felde arbeiten, nimmt sie das Kind mit
und setzt es auf dem Acker in den Schatten eines Baumes. In den ersten
Monaten wird aber ängstlich darauf geachtet, daß nicht viele Leute das
Kind zu sehen bekommen, aus Furcht vor dem bösen Blick und sonstiger
Verzauberung. Das gilt im besonderen für die Zeit, solange die Zähne
noch nicht durchgekommen sind, also die Möglichkeit besteht, durch
Verzauberung diesen Vorgang ungünstig zu beeinflussen.
Zum Schutz gegen diese Zauberer wird frühzeitig ein Medizinmann
gesucht, welcher der Mutter und dem Kinde ein Amulett (~kikobwa~)
macht, das beide vor den bösen Einflüssen schützt. Dazu schneidet er
etwa 4 ~cm~ vom Hals einer Kürbisflasche ab. In diesen Zylinder
werden von Fuß und Hand je ein Stückchen Zehen- bzw. Fingernagel, des
weiteren ein kleines Büschel Haare und etwas Erde hineingetan, auf
die man vorher den Schatten der Hände, der Füße und des Kopfes der
Mutter hat fallen lassen. Die Wahl dieser Mittel läßt sich aus dem
Seelenglauben der Neger erklären. (S. 164. 165.) Die Öffnungen des
Behälters werden mit Wachs verschlossen. Dieses Amulett trägt das
Kind an einer Schnur um den Hals. Für die Mutter wird ein gleicher
Zauber bereitet und mit Nägeln und Haaren usw. des Kindes gefüllt.
Der Medizinmann nimmt nun eine Schale mit Bier, setzt sich an dem
Opferplatz neben der Haussäule auf die Erde und gießt etwas von dem
Bier als Trankopfer für die Ahnengeister auf den Boden. Dabei betet er:
~Nkoma nijenjani, ambu nekirita, nde nywi vabaha, nemuarira. Ambu
twekivona vwedi aho mtondo tunemukumbukawa!~ = Geister, helft mir!
denn wenn ich auch hier behandle, ihr bleibt die Großen, denen ich
vertraue. Wenn alles glücklich abläuft, so werden wir uns euer erinnern!
Der Rest des Trankopfers wird an die Hausbewohner verteilt, auch
die kleinen Kinder trinken davon. Anschließend findet ein kleines
Biergelage statt, bei welchem der Medizinmann den Eltern die Sorgen
ob der Zähne des Kindes und seiner weiteren Entwicklung damit zu
verscheuchen sucht, daß er sie auf den Schöpfer hinweist: ~Kiumbi ni
kibaha~ = der Schöpfer ist groß, ihr habt eure Pflicht getan, nun
laßt ihn sorgen!
Dem Kinde wird das Haupthaar nicht eher abrasiert, als bis es laufen
kann. Die Mutter läßt dementsprechend ein Haarbüschel auf der Mitte des
Kopfes stehen. Wird das Kind nachher krank, so wird es zum Hausarzt
gebracht, der es behandeln muß. Nachdem die Zahnung glücklich vorüber
ist, und das Kind laufen kann, wird der Arzt wieder gerufen. Er bringt
den Ahnengeistern das versprochene Speis- und Trankopfer dar mit den
Worten: „Habt Dank, ihr Geister, nun wissen wir, daß ihr mächtig seid
und helfen könnt. Helft dem Kinde weiter; wenn es groß ist, wird es
euch seinen Dank bringen.“
Der Rest des Trankopfers wird von allen Anwesenden getrunken, dann
wieder andres Bier eingegossen, um dem Kinde und der Mutter den Kopf
damit zu waschen, nachdem der Medizinmann ihnen die Haare abrasiert hat.
Beschneidung des Mädchens (~kuiva~).
Ist das Mädchen ungefähr vier Jahre alt geworden, dann sagt die
Mutter zu ihrem Manne: „Jetzt wird es Zeit, daß wir unser Mädchen
beschneiden lassen, damit sie nicht das Messer (mit Verstand) sieht“,
d. h. versteht, was an ihr vorgenommen werden soll und aus Angst vor
dem Messer fortläuft. Die Eltern beschaffen Speisevorrat für das
Beschneidungsfest. Auch ein Ziegenbock wird bereitgehalten. Dann
wird für den zweiten oder vierten Wochentag nach ihrer Zählung das
Beschneidungsfest angesagt. Eine ältere Frau führt gewöhnlich die
Operation aus.
Die Beschneidung findet im Busch nahe bei dem Hause statt. Die Frau
bindet dem Mädchen je eine Zauberschnur um den rechten Fuß und um das
Handgelenk. In diese Schnur hat sie unter Beschwörung Zauberknoten
hineingemacht, die den allzu reichlichen Blutverlust verhindern sollen.
Nachdem die anwesenden Frauen sich im Kreise aufgestellt haben, um
jedem etwa heimlich Zuschauenden die Aussicht zu versperren, nimmt
eine Frau ihre Kleider ab und legt sich auf die Erde. Das Mädchen wird
nun auf diese Frau gelegt, und sofort treten einige andre hinzu, die
es an Armen, Kopf und Beinen festhalten. Die Operateurin schneidet
dann schnell die Klitoris ab und verbirgt sie in einem kleinen Ballen
Kuhmist. Auch das Blut wird sorgfältig damit aufgetupft, um nichts
davon in die Hände eines bösen Zauberers fallen zu lassen, dem damit
die Macht gegeben wäre, das Kind zu verhexen. Diese Kotkugel wird
in einem Spalt in der Hauswand versteckt und mit Lehm verklebt. Das
Mädchen wird nach Hause getragen, nachdem man ihm eine Zauberschnur
um den Leib gebunden und auf die Wunde etwas Butter gebracht hat.
Die Operateurin bekommt Bier und einen Vorderfuß der inzwischen
geschlachteten Ziege.
Die Wunde wird jeden Tag mit einer Feder gereinigt, bis nach einigen
Wochen die Heilung eingetreten ist. Im Anschluß daran müssen sich die
beiden Eheleute noch einer eigenartigen Zeremonie im Hause unterwerfen,
deren Wiedergabe hier nicht angängig ist.
Nach der Beschneidung wartet das Mädchen ungefähr vier Jahre, um dann
das nächste Frauenfest (~kuaika~) durchzumachen. Inzwischen
unterrichtet die Mutter es im Ackern und Kochen. Auch übt es sich im
Tanzen, darf es doch bald die Tanzfeste besuchen.
[Illustration]
Viertes Kapitel.
Das erste Frauenfest.
(~Kuaika.~)
Mittlerweile ist das Mädchen etwa 7-9 Jahre alt geworden, und die
Eltern denken daran, es in die Mysterien einzuweihen. Wenn ich schon
die allgemeine Bitte voraussandte, keine erschöpfende Beschreibung
aller hierher gehörigen Vorgänge zu erwarten, so möchte ich diese
Bitte hier mit Bezug auf die Feste wiederholen. Man hat ja versucht,
mit Alkohol und Geld die Zunge der Neger zu lösen. Es dürfte dies
aber kaum der richtige Weg sein, denn dazu sitzt die abergläubische
Furcht dem Neger zu tief im Herzen. Bei unsern Christenfrauen ist diese
Furcht nicht mehr vorhanden, und so brauchen sie keine Rücksichten zu
nehmen. Sie erzählen auch alles bis ins kleinste, wie es auf diesen
Festen zugeht. Diese Beschreibungen bieten aber eine solche Fülle von
Stoff, enthalten eine derartige Menge von schwer zu beschreibenden
und auch höchst anstößigen Dingen, daß ich es mir versagen muß, hier
darauf einzugehen, und mich deshalb nur auf die äußeren Umrisse
beschränken werde. Auch die vielen Lieder, die da gesungen werden,
bieten, abgesehen von ihrem fast durchweg erotischen Inhalt, wegen
ihrer poetischen und altertümlichen Sprache der Übersetzung die größten
Schwierigkeiten. Die Leute selbst verstehen den Sinn der Lieder zum
Teil nicht mehr.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich über die Wocheneinteilung noch etwas
sagen, da noch manchmal darauf Bezug genommen werden wird. Die Woche
heißt ~ndisha~, gebildet von dem Stammwort ~kurisha~, hüten.
Es ist die Hütewoche und zählt sechs Tage, nach welchen sich die Hirten
ablösen. Der erste Tag heißt ~nguta~, dann zählen sie weiter:
~ndisha keri~ = zweiter Hütetag, ~ndisha katatu~ = dritter
Hütetag, bis zum fünften Tage. Der letzte Tag heißt ~žekisia~ =
wenn sie (die Hütewoche) aufhört.
Vor ungefähr 25 Jahren soll einer ihrer Propheten, vielleicht unter
dem Eindruck der christlichen Festtage, von denen sie Kunde erhalten
haben werden, den ersten und letzten Tag der Woche zu Feiertagen
gemacht haben. Heute wird an den Tagen Nguta und Zekisia (dem ersten
und letzten Tag der Woche) bei den Wapare auf Befehl eines ihrer
großen Medizinmänner nicht geackert. Andre Arbeit ist erlaubt. Der
zweite und vierte Wochentag sind die wichtigsten, an welchen man
z. B. dem Schwiegervater die Morgengabe überreichen kann. Auch für die
Frauenfeste sind diese Tage von Bedeutung.
Für das Fest legen die Eltern einen Speisevorrat zurecht. Zekisia,
also am letzten Wochentage abends kommen 10-20 kleinere Mädchen zu
der Novize, um bei ihr zu schlafen. Diese Mädchen heißen ~vabora va
masambi~ = Schamschurzmädchen, denn sie tragen noch zwei Felle, ein
langes hinten und ein kürzeres vorne. Ist das Mädchen in die Mysterien
eingeweiht, so trägt es nur noch das bis an die Knie reichende vordere
Fell, um auch dieses nach der Verheiratung gegen den eigentlichen
Frauenfellschurz einzutauschen. Es wird dann entweder an jüngere
Geschwister abgegeben oder als letztes Zeichen der Jungfrauenschaft
zerrissen und fortgeworfen.
Am ersten Wochentage morgens ganz früh binden diese Mädchen der Novize
so viele Bananenbastschnüre um den Leib, daß die beiden Schurzfelle
darunter vollständig verschwinden. Dann kommen zwei alte Frauen,
begrüßen den Vater und die Mutter und setzen sich erst ruhig hin,
um sich dann plötzlich auf des Hauses Tochter zu stürzen, indem sie
versuchen, ihr die beiden Schamschurze zu entreißen. Die kleinen
Mädchen umgeben ihre Freundin, um sie zu „schützen“, aber mit Hilfe
der Eltern gelingt es den beiden Frauen doch, die vielen Stricke,
unter denen die Felle versteckt waren, zu durchschneiden. Nachdem
eine Frau die beiden Felle gelöst hat, eilt sie vor die Hütte und
stößt Freudentriller aus, in welche die andern Frauen einstimmen.
Währenddessen sitzt das kleine Mädchen im Hause und weint:
~Woyami, isambi langu mcheku,
mcheku wanishina,
waniaika ne mdori,
wajiwa ni ani vujikwi,
wajiwa ni ani kapombe.
Kave ii misi muniagana.
Nanga namanya nikaaha.~
Das heißt in der Übersetzung etwa:
O weh Mutter, wo ist mein Fell,
warum, o Mutter bist du mir böse?
Warum muß ich ins Fest so schnell?
Wer wird nun für dich auf Holzsuche gehn,
wer wird für dich künftig Wasser holen?
/#
(Das ist ihr in Zukunft nicht mehr erlaubt.)
#/
Gegen mich habt ihr euch dieser Tage verbündet,
hätt’ ich’s gewußt, ich wär’ fortgelaufen.
Die Mutter macht dem Weinen aber dadurch ein Ende, daß sie sagt: „Mach
uns hier nicht nervös, wer ist dir denn gestorben, daß du so weinst?“
Das Mädchen bekommt vorläufig die beiden Schurzfelle wieder. Dann fängt
die alte Frau an, sie mit Asche einzureiben, und das Mädchen selbst
pudert sich am ganzen Körper damit ein. Das ist nun vier Tage lang ihre
Arbeit, während welcher Zeit sie sich nicht waschen darf. Auch jeder
Junge oder Mann, der in die Nähe der Hütte kommt, erhält von ihr ein
Aschezeichen auf den Fuß.
Am Abend wird das Kind von zwei Mädchen besucht, die schon eingeweiht
sind, das Fest aber noch nicht beendigt haben. Sie heißen ~vai va
nyumba~. Zugleich kommen auch eine Menge junger Mädchen und Männer,
um im Hause der Novize die berüchtigten Bauchtänze (~viravu~)
zu veranstalten. Die Tänze an und für sich wirken auf die Leute
äußerst erregend, und den Abschluß bilden die schlimmsten Orgien
in den Nachbarhäusern oder auch im Freien. Die Mädchen tragen bei
diesen Tänzen ihre Kleider, die Vortänzer der Männer haben nur einen
Lendenschurz aus Bananenblättern an. Sie stampfen beim Tanzen mit dumpf
dröhnenden Bambusstangen auf die Erde. Diese Viravu-Tänze werden vier
Tage lang abgehalten.
Am fünften Tage findet die „Beraubung“ (~kidedeho~) statt. Männer
und die kleinen Mädchen haben keinen Zutritt, nur Frauen und die
Mädchen, welche das Fest schon hinter sich haben. Die beiden Vai va
nyumba zeigen der Novize, wie sie sich zu verhalten hat. Sie muß fein
züchtig auf den Boden schauen und darf sich nicht einmal den Schweiß
abwischen, dafür hat sie sowie die andern beiden Vai ihre Helferin
(~mkunjiga~). Die Beraubung findet auf dem Boden des Hauses statt.
Nur die Novize und einige alte Frauen und Verwandte des Mädchens
begeben sich dorthin. Die Leiterin faßt das Mädchen an dem Arm und
setzt sie viermal einer jeden Frau in den Schoß. Bei der letzten Frau
angelangt, werden dem Mädchen endgültig alle seine Kleidungsstücke
abgenommen und die Festabzeichen angelegt. Die Frauen singen dabei
folgendes Lied:
~Tunemuhambua, tunamunke vingi,
twekimunka vingi, vinamuazere!~
Das heißt:
Wir werden sie berauben, und andres dafür geben,
auch das, was wir ihr geben, wird sie sehr gut kleiden.
Nun bekommt sie statt der Perlenschnüre Eisenketten um Hals und Leib,
sowie Ketten aus Kaurimuscheln, eiserne Hals- und Armbänder und einen
Schamschurz, der aus lauter kleinen länglichen Eisenschellen besteht.
Die Novize ist jetzt das geworden, was die Vaasu mit „Jungfrau
des Hauses“ (~mwai wa nyumba~) bezeichnen. Sie wird von der
Festleiterin über ihre neuen Pflichten belehrt: „Du darfst nun nicht
mehr ans Sonnenlicht gehen, dein Aufenthaltsort ist dieses Haus. Nur
nach Sonnenuntergang darfst du das Haus verlassen und dich draußen
aufhalten. Wenn jemand ins Haus kommt, so flüchte in den äußersten
Winkel; wenn jemand vorbeigeht und ins Haus hineingrüßt, so darfst du
als Antwort nur pfeifen. Mit keinem Manne oder Knaben sollst du dich
abgeben.“ Dies ist ein besonders wichtiges Gebot. Denn es kommt vor,
daß eine solche Mwai in den Jahren, die sie nun im Hause zubringen muß,
schwanger wird, besonders wenn der Vater aus Armut oder andern Gründen
diese Zeit der Jungfrauschaft ungebührlich lange ausdehnt. Solche
Mädchen heißen ~kirya~. Sie werden aus der Volksgemeinschaft
ausgestoßen. Dem Mädchen wird das Fell eines Schafes auf den Rücken
gebunden, dann wird ein Loch in die Lehmwand des Hauses gemacht und es
durch diese Öffnung, das Symbol des Grabes, hinausgetrieben. Allein
muß es irgendwo weit von den Seinigen die Niederkunft abwarten. Nie
darf es nach Hause zurückkehren. Sieht die Mutter es zufällig später
einmal auf dem Markt, so kehrt sie sofort um und weint, weil sie „die
Tote“ wiedergesehen hat. Wenn sie vertrieben worden ist, stimmen die
Zurückbleibenden den Totengesang an. Die Mutter klagt:
O weh, wie schmerzt der Abschied so sehr,
mein Kind, wenn ich rufe, antwortet nicht mehr.
Daß das Unheil käme über den Bösen (Verführer)!
Wenn auch mich der Tod doch wollte erlösen
von dem Schmerz, hier ohne mein Kind zu sein!
Bei einem Volke wie unsern Vaasu, die den Kindern den freien
geschlechtlichen Verkehr, man kann ruhig sagen, zur Pflicht machen,
sind es natürlich auch in einem solchen Falle nicht etwa moralische
Bedenken, die zur Ausstoßung der Tochter führen, sondern wiederum
die Furcht, die Ahnengeister würden sie bei Nichtbefolgung der
althergebrachten Sitte umbringen.
Die Mwai wa nyumba führt ein sehr sorgenfreies Leben, besonders wenn
noch viele andre Mädchen ihrer Altersklasse im gleichen Feste sind
und sie sich auf den nächtlichen Viravu-Tänzen treffen können, wo sie
dann mit ihren Trommeln den jungen Leuten zum Tanz aufspielen. Denn
ihre Hauptbeschäftigung zu Hause ist die, etwa sechs Handtrommeln zu
schlagen, die sie mit den Stielen zwischen ihren Beinen festklemmen.
Noch heute klingt mir das melancholische Ping-ping, peng-peng,
pang-pang, pong-pong, pung-pung der abgestimmten Trommeln in den Ohren,
das ich so oft beim Ritt durch die Landschaft aus den Hütten schallen
hörte. Wenn eine Mwai Tanzgesellschaft zu sich einladen will, setzt sie
sich nach Sonnenuntergang vor die Tür und trommelt. Kurze Besuche oder
Ausgänge darf sie ganz früh morgens oder abends machen, doch muß sie
von einer Helferin begleitet sein. Früher blieben die Mädchen oft 5-6
Jahre im Hause. Heute ist diese Sitte durchbrochen, da die meisten Vai
schon fröhlich in die Schule kommen. Nur die Helferin geht auch heute
noch dem Mädchen, das nur alte Kleider anziehen darf, voraus. So paßt
sich das Heidentum den Forderungen und Bedürfnissen der Neuzeit an,
und es entstehen neue Sitten, die die Alten erst mit Verwunderung und
Verachtung betrachten. Aber der Zeitpunkt ist nicht mehr allzufern, wo
die alten Sitten der Vergessenheit anheimgefallen sein werden und das
Christentum den Eingebornen bessere Werte gegeben hat. Da wird dann
vielleicht die alte Großmutter den staunenden Enkelkindern abends am
Feuer von den Tanzfesten, den Trommeln und Schellen erzählen und von
dem Leben, das sie vor vielen, vielen Jahren geführt hat als
Mwai wa nyumba.
[Illustration]
Fünftes Kapitel.
Das zweite Frauenfest.
(~Kufwinya~ = herausbringen.)
Etwa ein bis fünf Jahre, früher auch wohl noch länger, bleibt das
Mädchen in der Hütte als „Jungfrau des Hauses“. Während dieser Zeit
darf sie sich ihr Haar nicht scheren lassen, sondern sie trägt die
jeder Mwai wa nyumba eigene Frisur. Zu dem Zwecke kaut sie Zuckerrohr
aus, und mit dem so gewonnenen Sirup reibt sie den Kopf von Zeit zu
Zeit ein. Gegen Ende der Jungfrauschaft hängen diesen Mädchen die
zusammengeklebten Haare wie lange Stäbchen bis tief in den Nacken.
Diese Frisur macht beim Tanzen jede Bewegung mit, und gerade darin
soll, wie ich mir sagen ließ, der Hauptzweck der ganzen Manipulation
liegen. Wahrscheinlich ist aber wohl, daß auch hier, wenigstens
ursprünglich, aus religiösen Motiven und animistischen Vorstellungen
das Abschneiden des Haupthaares verboten wurde.
Nach der oben angegebenen Zeit beraten sich die Eltern und beschließen
das Mädchen „herauszubringen“, d. h. ihrer Mwaischaft ein Ende zu
machen. Ihr selbst wird vorläufig nichts Näheres mitgeteilt, weil sie
den Schritt aus dem Dolcefarniente einer Mwai wa nyumba ins Leben nur
ungerne tun wird. Wohl aber wird ihr gesagt, sie möge zu einem sechs
Tage lang währenden Kiravu-Tanz einladen. Mit ihm sollen nämlich
die Festlichkeiten eröffnet werden. Diese besonderen Tänze heißen
~maaganya~ = Abschiedstänze.
Schon in jener Woche kommen hin und wieder Frauen und helfen der
Mutter bei der Mehlbereitung. Der Haupttag aber ist Nguta, der erste
Wochentag, an welchem alle diese Frauen zusammenkommen, um unter
Freudentrillern der Mutter bei den Vorbereitungen zur Hand zu gehen.
Für denselben Tag hat auch der Vater seine Freunde zu sich gebeten,
damit sie ihm bei der Bierbereitung helfen. Nachdem die Männer die
Zuckerrohre geholt und auch gleich auf dem Felde geschält haben,
bringen sie die Lasten nach dem Hause der Mwai. Der Vater geht mit
leeren Händen dem Zuge voran. Die Männer singen:
~Oe, oe, hea!
Ninkani shengo na lumo
nizeharuria magenge!
Magenge agwa na nyika,
lila lakweia kwa mbee gu,
oe, oe, hea!~
Der erotische Text ist hier zur Wiedergabe nicht geeignet. Zu Hause
angelangt, umziehen sie die Hütte viermal. Dann nehmen ihnen die Frauen
die Zuckerrohrlasten ab und geben ihnen Speise.
Abends ist wieder Kiravu-Tanz. Wenn die Leute sich müde getanzt
haben, singen die Mädchen (~vabora va masambi~ und ~vabora va
shuke~) der Jungfrau folgendes Lied:
~Serere, serere, Semboge woyoiyo,
ahee, e Semboge ehee!
Ibaru werati kuia, tuia?
Tuiie cha yoo se?
Ahee, etuiae!
Serere, serere, ni mhero muhakano.~
Das heißt:
Du Mwai, du wolltest doch weinen,
Nun weine!
Beweinst du nicht, was heute vorgeht?
Nur zu, bewein es!
Das ist das Ende, das Allerletzte.
Dann werfen sie sich alle in einem Winkel über der Mwai zur Erde und
weinen. Nach diesem Vorgang heißt der ganze Tanz ~kiravu cha kuia~
= der Tanz des Weinens. (Siehe ähnlichen Vorgang in Hes. 8, 14. Das
Weinen über den Thammus [griech. Adonis], der Liebling der Liebesgöttin
Venus, dessen zeitweiliges Verschwinden in der Unterwelt von den
Weibern sieben Tage lang beweint wurde. Das Fest hatte wahrscheinlich
seine tiefere Bedeutung im Verschwinden des schönen Naturlebens nach
Eintritt der höchsten Sonnenhitze. Man beweinte die verschwundene
Schöne des Jahres und zeigte Angst vor dem kommenden Winter. So wird
hier von der sorgenfreien Jugend weinend Abschied genommen.)
Die Mwai selbst stimmt das Abschiedslied an:
~Ngoma yangu ya ugu,
kishede changu, mcheku!
Mcheku wanishina, vava wanishina,
mwanifwinya, ne mdori.
Nekibiga ngoma, tamwazihirwa?~
Das heißt:
Wo bleibt nun meine Trommel,
wo bleiben meine Schellen, Mutter?
(Schellen = Wahrzeichen einer glücklichen Jugend.)
Mutter, du bist mir böse,
und du Vater, du zürnst mir!
Warum stellt ihr mich so jung schon ins Leben?
Hat euch mein Trommelspiel etwa mißfallen?
Wenn das Mädchen dann immer mehr weint, sagt die Mutter wohl kurz: „Laß
nur das Weinen, wer ist denn eigentlich gestorben? Willst du denn hier
im Hause wie ein Ochse großgefüttert werden, ohne zu arbeiten?“ Einige
der Mädchen bleiben auch während der Nacht bei der Jungfrau, die andern
gehen wieder nach Hause.
Am nächsten Morgen begeben sich die Frauen zum Festplatz, um dort
geschälte Zuckerrohre auf Steinen zu einer faserigen Masse zu
verreiben. Diese wird von den Männern ausgepreßt und aus dem so
gewonnenen Saft das Bier hergestellt. Die Arbeit wird regelmäßig
von vielen Gesängen begleitet, und die Berge hallen wider von den
Freudentrillern der Frauen. Den Abschluß bildet ein Festessen. Die
andern Mädchen sind schon am Morgen ganz früh in die Büsche gegangen,
um dort allerlei Früchte und Pflanzen zu suchen, oder wie es offiziell
heißt: ~kuatunda~ = zu pflücken. Die so gesammelten Dinge werden
sorgfältig vor den Augen aller Unberufenen, besonders der Männer,
verborgen, indem sie in Säckchen gesteckt oder mit Bananenblattscheiden
umwickelt werden. Bei den in der kommenden und besonders der
nächstfolgenden Nacht stattfindenden symbolischen Tänzen spielen
diese Dinge eine große Rolle. Aber selbst +dem+ Europäer, der mit
ihren Sitten ziemlich vertraut ist, fällt es außerordentlich schwer,
sich in diesem Wirrwarr von anscheinend nichtssagenden Handlungen und
Gesängen zurechtzufinden und von allem die Bedeutung zu verstehen.
Erschwert wird der Versuch bei den Liedern noch durch die altertümliche
Sprache, der gegenüber oft meine sämtlichen Gewährsleute versagten.
Vor Männern werden diese Dinge überhaupt streng geheim gehalten, und
aus einer Heidenfrau ist unter keinen Umständen etwas herauszubringen,
weil eine jede, die etwas ausplaudert, verflucht ist. So hieß es, bei
diesen Forschungen das Eisen zu schmieden, solange es heiß war, denn
die heranwachsenden Christenmädchen werden diese Dinge hoffentlich
überhaupt nie kennenlernen. Den in jenen Jahren getauften Frauen und
Mädchen war aber noch alles frisch im Gedächtnis.
Bei der Rückkehr vom „Pflücken“ singen die Mädchen:
~Ho cha ndere
mbora dengera henyu!
Ahee, ho cha ndere.~
Das heißt:
Mädchen, solange du noch zu Hause bist,
geht es dir gut!
Die Gespielinnen der Mwai werden an der Tür der Hütte von einer Frau
empfangen. Diese nimmt dem ersten Mädchen die „Sachen“ ab, und auch die
andern bringen ihre „Geheimnisse“ ins Haus. Sie erhalten Speise, worauf
die Nahewohnenden nach Hause gehen. Abends ist ein Tanz, der ~itunda
idori~ = das kleine Pflücken heißt. Eingeleitet wird er damit, daß
die Frauen alle die verfluchen, die sie bei ihren Festgeheimnissen
belauschen. Die ganze Nacht hindurch werden schwer zu beschreibende
symbolische Tänze aufgeführt, durch die der angehenden Frau und Mutter
allerlei Lehren veranschaulicht werden sollen.
Am Morgen des dritten Tages gehen die Mädchen wiederum in die Büsche,
~kuatunda~ = weitere wilde Früchte usw. zu „pflücken“. Bei ihrer
Rückkehr erhalten sie Speise und Bier. Auch die Männer haben sich zu
einer kleinen Kostprobe eingefunden und sehen nach, ob das Bier schon
gut ist.
Am Abend findet ein Tanz statt, der ~itunda ibaha~ = das große
Pflücken heißt. Durch die an diesem und am vorhergehenden Tage geholten
Früchte, Bananenblütenstengel usw. werden zumeist die an diesem Abend
besungenen Naturvorgänge illustriert. Alle diese Tänze finden im
Festhause statt. Etwaige Lauscher werden zuerst wiederum verflucht.
Eine besondere Zeremonie wird mit allen den jungen Mädchen vorgenommen,
die noch nie einem solchen Feste beigewohnt haben. Sie müssen sich an
die Feuerstelle begeben. Auf jeder Seite steht eine Novize und eine
Eingeweihte. Letztere streicht der Novize Asche an sämtliche Gelenke.
Sie muß sich dann mit den Händen auf die Knie stützen, während die
Eingeweihte von hinten herzutritt, ihr die Augen zuhält und den
„Fluchtanz“ beginnt.
Eins der Lieder, die in jener Nacht gesungen werden, heißt ~Kaia
mpelele, keyoie mpanga~ = der Klippschliefer weint angesichts der
Höhle (die ihm doch Schutz und Versteck bietet). Damit wird auf die
nunmehr bald bevorstehende Heirat des großjährig erklärten Mädchens
angespielt und auf die Tatsache, daß jetzt die Sorgen erst kommen
werden. Alle, die während der Tänze in der Hütte vom Schlaf überwältigt
werden, „züchtigt“ man mit dem Stengel einer Schmarotzerpflanze
(~kasosa~) bis sie wieder munter sind. Gegen Morgen werden
zwei Knollengewächse (~maomba a nguve~) hervorgeholt, die mit
Perlschnüren geschmückt sind und zwei Kinder vorstellen. Damit beginnt
ein neuer Tanz und Gesang, in welchem die zukünftige Mutterschaft des
Mädchens mit ihren Leiden und Freuden besungen wird. Beim Morgengrauen
soll in einem weiteren Tanz der angehenden Gattin gezeigt werden, wie
der Krieg mit rauher Hand das Familienglück zerstört und der Mann
oft sein Leben lassen muß. Eine der Frauen steigt auf den Boden und
ruft plötzlich: „Der Krieg ist gekommen!“ Die Untenstehenden stoßen
daraufhin den Hilferuf aus und singen:
~Kimpanga, kimpanga, e,
e hora ee, e ho
ne Kiondo tearoka, tearoka e
e hora ee eho.~
Das heißt:
O Schwert, o Schwert,
dein Mann kommt nicht wieder,
er kommt nicht zurück.
Dabei schlagen sie mit Lianen, die Schwerter vorstellen, auf die Erde.
Am Morgen des vierten Tages wird die Öffentlichkeit wiederhergestellt,
indem die Frauen und Mädchen mit der Mwai vor die Tür gehen und dort
noch allerlei symbolische Tänze aufführen. Zum Schluß laufen die
Mädchen mit der Mwai etwas vom Hause fort, nehmen Blätter von den nahen
Sträuchern, werfen sie von sich und rufen: ~Nandigo we, Nandigo we,
na ukatahuža, ihumpa lako zilo!~ Die Nandigo hatte nämlich vor
langen Jahren das Schlimmste getan, was eine Mwai überhaupt machen
kann, sie war vor Beendigung des Festes ~kirya~ geworden. An
dieses Vorkommnis wird erinnert, wenn die Mädchen die Blätter von sich
werfen und rufen: „Du Nandigo, wenn du auch schweigst, da ist deine
Seuche!“ D. h. wir wollen davon nicht angesteckt werden. Unsre Mwai ist
ja nun bald aus dem Fest entlassen. Sie hat sich ordentlich gehalten
und es nicht so gemacht wie du.
Die Mwai wird darauf von ihren Gespielinnen mit trocknen
Bananenblättern geschmückt, und auch die Mädchen selbst behängen sich
damit. Abwechselnd nehmen sie dann die Mwai auf den Rücken und tragen
sie bis nach ihrem Hause. Dort gehen sie mit ihr viermal um die Hütte
herum. Dann nimmt eine Frau der Mwai den Bananenblattschmuck ab und
legt ihn etwas entfernt von dem Hause auf die Erde. Die Mädchen werfen
ihre Bananenblätter alle dazu. Darauf befiehlt ihnen die Frau, unter
diese Blätter zu kriechen und grunzende Laute auszustoßen, während sie
selbst eine große Schale mit Bier über ihnen opfert, indem sie es auf
die Köpfe der Kinder und in den Haufen der trockenen Bananenblätter
gießt. Dabei spricht sie die bedeutsamen Worte: ~Muni, wala
ng’ombe!~ = Muni, nun hast du deine Opferkühe bekommen! Die letzten
beiden Worte sprechen die umstehenden Frauen laut mit. Darauf dürfen
die Kinder wieder hervorkriechen, und der ganze Blätterhaufe wird
angezündet. Die Mwai und ihre Gefährtinnen müssen mehrere Male durch
die Flamme springen, bis das Feuer nahezu ausgebrannt ist. Mit den
Füßen treten sie die glimmende Asche vollends aus und tanzen auf ihr
herum. In die Asche gießt eine Frau Bier, die Mädchen vermischen sie
außerdem noch mit Kuhmist. Die so hergestellte geweihte Salbe streichen
sie mit einem Pinsel, den sie sich aus einer jungen Bananenstaude
herstellen, jedem Manne und Burschen, der zum Biertrinken in das
Festhaus kommt, auf den rechten Fuß.
Als ich von dem oben erwähnten Brauch und dem Namen Muni hörte, mußte
ich sofort an Moloch und den Sonnendienst im Altertum denken. Ich
gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß wir es hier mit Überresten
eines solchen Dienstes zu tun haben. Daß die Kinder als Munis Opfer
bezeichnet werden und sie auch durch die Flamme springen müssen,
erinnert augenfällig an den Molochdienst. Herrschte doch im Altertum
die Sitte, Kinder durchs Feuer zu reinigen und zu weihen, eine Taufe,
die schon in der Bibel verboten ist (3. Mose 18, 21). Hoffentlich
läßt sich bei andern Stämmen noch mehr über ähnliche Vorkommnisse
in Erfahrung bringen, die dann auch den Namen Muni vielleicht näher
erklären oder die sprachliche Ableitung besser erkennen lassen.
Die kleinen Mädchen werden nun mit gekochten Bananen, Fleisch und
Bier, die größeren Mädchen mit Maisspeisen und Bier bewirtet. Wenn sie
sich sattgegessen haben, gehen sie nach Hause, die kleineren um nicht
zurückzukehren, da sie bei dem Tanz in der letzten Nacht nicht anwesend
sein dürfen.
Gegen 3 Uhr nachmittags gehen die Vai va shuke und die jüngeren
Frauen wieder zum „Pflücken“ in den Wald. Sie bringen u. a. einen
Blütenstengel der wilden Banane (~irigo~) mit heim. Am Festhause
angekommen, ziehen sie viermal um dasselbe herum. Dann nimmt eine
alte Frau dem führenden Mädchen den Sack ab, der die Festgeheimnisse
(~ngasu~) enthält, und gibt ihnen allen Bier. Am Abend beginnt
der Tanz, der die ganze Nacht hindurch währt. Ich will den Leser nicht
mit einer Beschreibung der Einzelheiten ermüden. Die Vorgänge sind
z. T. sehr schwer klarzulegen, wenn man nicht allzu ausführlich sein
will, z. T. bleibt die Bedeutung dieser Tänze und Gesänge selbst den
Eingeborenen dunkel.
Gegen Morgen wird an den oben erwähnten Blütenstengel der wilden
Banane ein Strick aus Bananenfasern gebunden und dieser über die
Erde geschleift. Der Irigo stellt ein Rind vor; die Mwai geht mit
einem kleinen Stöckchen hinterher und treibt die „Kuh“. Die andern
Frauen greifen dann auch nach dem Strick, als ob sie die Kuh rauben
wollten. Die Mwai stößt den Hilferuf aus und sie lassen ihn wieder
fahren. Endlich wirft die Führerin den Strick auf die Erde. Die
Mwai ruft: „Laß das Fest noch nicht aufhören, mein Mann ist der
Soundso.“ Die Erklärungen, die mir gemacht wurden, klangen alle sehr
unwahrscheinlich. Die meisten Leute kennen die tiefere Bedeutung
mancher religiösen Zeremonien selbst nicht mehr.
Unterdes ist es Morgen geworden. Nun ist der Augenblick gekommen, die
Jungfrau aus dem Fest zu entlassen und sie dem Leben wiederzugeben. Die
Frauen singen:
~Mwai, twakudoka shuke,
kangi twakudoka kirama.~
Das heißt: Mwai, wir ziehen dir nun wieder ein gewöhnliches Kleid an,
wie es die andern Leute auch tragen.
[Illustration: Bogenschützen aus Pare.]
[Illustration: Aus dem Mädchenfest: Zwei Novizen mit ihrer Führerin.]
[Illustration: Einholen der Novizen zum letzten Mädchenfest.]
[Illustration: Negertanz.]
Eine Frau bringt ein Schurzfell, welches heute nach der Zeremonie
gewöhnlich bald mit einem Stück Baumwollstoff vertauscht wird. Auch
Perlschnüre werden ihr umgehängt. Die Mwai weint bei dieser Handlung,
durch die sie vor einen neuen Lebensabschnitt gestellt wird.
Sämtliche Frauen gehen alsdann mit ihr vor die Hütte. Hier wirft sich
eine von ihnen auf eine Kuhhaut und legt die Mwai über sich, ähnlich
wie wir es bei der Beschneidung sahen. Haben die Frauen festgestellt,
daß die Mwai noch nicht defloriert ist, so stoßen sie alle die
Freudentriller aus, und die Mutter sagt wohl: „Ich habe doch eine
verständige Tochter geboren, die mich nicht vor allen Leuten beschämt.“
Die Mwai wird mit Butter gesalbt, man bindet ihr den Lederschurz
wieder um, und nun wird sie viermal unter Freudentrillern in die Höhe
geworfen, wobei die Frauen singen: ~Karya ng’ombe, karya ng’ombe, eya
he he!~ = iß die Kühe, iß die Kühe! Dadurch geben sie ihrer Freude
Ausdruck, daß der Mutter nun die beiden Ziegen (Kühe), die der kommende
Bräutigam für die Jungfrau zu zahlen hat, nicht verloren gehen. Dem
Mädchen wird gesagt: „Nun bist du eine ~mwai wa shuke~“ = eine
bekleidete Jungfrau, die sich wieder außerhalb der Hütte aufhalten darf.
Am Nachmittag kommt der Onkel der Mwai mit vier oder sechs
Kürbisflaschen voll Bier und ebenso vielen Frauen, die ihm das Bier
tragen. Um die vorderste Flasche ist ein Ledergürtel gebunden, den die
Mwai als ein besonderes Geschenk von ihrem Onkel erhält. Die Jungfrau
wird bei seiner Ankunft von ihrer Führerin auf den Rücken genommen und
alle umgehen das Haus in feierlichem Zuge viermal, indem sie wieder
wie oben aus Freude ob der Unbescholtenheit des Mädchens singen:
~Karya ng’ombe, halele kitonga ni ndoyo, halele nitamya.~ Die
Gäste erhalten Bier und bleiben bis zum Abend oder gar wohl die Nacht
hindurch beisammen.
Die Mwai sitzt jetzt tagsüber nahe beim Hause im Freien und schlägt
ihre Trommel wie zuvor. Weitere Ausgänge oder Hausarbeiten wie Wasser
und Holz holen darf sie immer noch nicht übernehmen. Auch spricht sie
mit jüngeren Männern nur nach Erhalt kleiner Geschenke. Noch eine
oder gar mehrere Wochen vergehen. Dann ruft die Mutter wiederum ihre
Gespielinnen, jene kleinen und größeren Mädchen, damit sie die Mwai auf
ihrem ersten Ausgang begleiten. Die Vaasu nennen das ~kuramosha~
= aufs Feld bringen. Der geeignete Tag ist der zweite oder vierte
Wochentag. Bald kann man ihren Gesang hören:
~Kushesha e, kushesha e,
kwakwe mwai, e,
kushesha ni kusheshera,
e hoye e, hoye.~
Das heißt:
Verweilen, verweilen,
verweilen muß die Mwai.
Verweilen das meint langsam gehen,
e hoye e, hoye.
Die Jungfrau wird mit diesem Lied erinnert, wie sie sich zu verhalten
habe. Fein züchtig muß sie auf die Erde schauen, langsamen, würdevollen
Schrittes einhergehen, ohne sich mit jemand zu unterhalten. Wie wir
noch sehen werden, haben auch die Knaben ähnliche Festregeln zu
beobachten.
Die Mädchen gehen so im Gänsemarsch weiter, bis sie an ein Gehölz
kommen. Dort muß sich die Mwai auf die Erde setzen und nach gewohnter
Weise ihre Trommeln schlagen. Ihre Freundinnen suchen inzwischen jede
eine Last Holz und binden vier Stücke zu einer besonderen Last für die
Mwai zusammen. Man zeigt ihr auch einen Ast, den sie mit einer Axt
abschlagen muß, da sie jetzt gewissermaßen im kleinen alle die Arbeiten
verrichten soll, die sie später als ~mwai wa shuke~ (bekleidete
Jungfrau) und Frau zu übernehmen hat. Die Mädchen legen der Mwai ein
Tragpolster (~ngata~) auf den Kopf und die Miniaturholzlast
darauf. Dann bekommt sie ein kleines Stöckchen, welches sie bis zum
Ende des Festes behält und das sie beim Gehen auf den nunmehr bald
erlaubten Ausgängen lose in beiden Händen vor sich trägt. Nachher, wenn
die Mwai endgültig aus dem Fest entlassen ist, wird dieses Stöckchen
verbrannt.
Die Mädchen nehmen ihre kleinen Holzlasten ebenfalls auf, und der
Zug setzt sich wieder dem Hause zu unter Trommelschall und Gesang in
Bewegung. Wenn die als eigentliche Festleiterin bestellte Frau sie im
Festhause hört, stößt sie den Freudenruf aus und kommt heraus. Der Zug
geht viermal um die Hütte herum, worauf die Frau der Führerin und der
Mwai ihre Lasten abnimmt. Sämtliche Tragpolster werden aufgehoben, um
nachher ebenfalls verbrannt zu werden. Im Hause werden die Mädchen dann
mit Bier und Speise bewirtet.
Nachdem sich alle gestärkt haben, treten sie wiederum vor die Hütte,
und die Frau setzt der Mwai unter Freudentrillern eine Kürbisflasche
zum Wasserholen auf den Kopf und sagt ihr: „Jetzt bist du eine Mwai wa
shuke, nun darfst du wieder Wasser holen wie die andern.“ Die Mädchen
gehen dann alle an die Schöpfstelle, um Wasser zu holen.
Des weiteren bringt die alte Frau das Mädchen in einen Bananenhain, um
ihr bei einigen Hackenschlägen die Hand zu führen. Bald sagt sie dann:
„Nun ist es Abend, du bist müde von der Arbeit, laß uns wieder nach
Hause gehen.“ Dort angekommen, bindet ihr die Frau nach Landessitte
einen kleinen Fasersack um, bringt sie in ein Bohnenfeld, führt ihre
Hände zu den Bohnen, und die Mwai pflückt einige davon. Damit ist sie
in alle diese Arbeiten, die ihr so lange untersagt waren, eingeführt
und darf sie in Zukunft wieder verrichten. Die Frau erbittet von den
Mädchen und auch von andern Leuten noch recht viele Perlschnüre, und
die Mwai wird damit so geschmückt, wie das Bild es zeigt.
Bei dieser Gelegenheit will ich wenigstens erwähnen, daß es außer
den hier beschriebenen Mädchenfesten noch eine Reihe anderer gibt,
die den besonderen Stämmen eigentümlich sind. Sie weisen mehr oder
weniger große Unterschiede auf oder sind ganz von den uns schon
bekannten Festen verschieden. Das letzte Frauenfest des Stammes derer
von Bwambo, der angeblichen Ureinwohner von Pare, heißt ~kuchungua
ngovi~. Sie haben die gute Sitte, daß vor erfolgter Menstruation und
dem sich daran anschließenden Fest bei ihnen ein Mädchen unter keinen
Umständen heiraten darf. Die Bilder zeigen drei Novizen (~vai~) mit
den eigentümlichen, über ¾ ~m~ hohen Kronen aus den jungen, noch
unentwickelten Blattrieben des Zuckerrohres. Diese einzelnen Feste
ausführlich zu beschreiben, würde hier zu weit führen.
Nach Ablauf einer oder mehrerer Wochen wird die Mwai „auf den Markt
gebracht“ (~kufwinya mwai kiete~). Jene „Frau des Festes“ legt dem
Mädchen allen Schmuck an, und die ganze Gesellschaft, die sich wieder
eingefunden hat, begibt sich auf den Markt. In dessen Nähe angekommen,
wird die Mwai von den Mädchen auf den Rücken genommen und getragen.
Auf dem Marktplatz wird sie auf Bananenblätter gesetzt, manchmal wohl
auch mit einem Tuch verhüllt. Andere wiederum stehen mit nach unten
gerichteten Augen ruhig da. Ist der Markt vorüber, wird die Mwai wieder
ein Stück des Weges auf dem Rücken getragen, um dann mit den andern zu
Fuß nach Hause zu gehen. Nun ist auch den weiter Fortwohnenden, die zum
Markt gekommen sind, bekannt geworden, daß die Jungfrau ihre Festeszeit
ordnungsmäßig beendet hat und damit zumeist heiratsfähig geworden ist.
Am nächsten Tage wird dem Mädchen das in langen Strähnen
herunterhängende Haar abgeschoren, von der Mutter sorgfältig
gesammelt, und auf den Dachboden gelegt, damit es ja nicht einem
Zauberer in die Hände fällt, der damit Unheil über das Mädchen bringen
könnte. Immer noch muß die Mwai die ihr eingeschärften Umgangsformen
beobachten, langsam gehen usw. Nach ungefähr einer Woche wird dem
Mädchen das neugewachsene Kopfhaar bis auf eine kleine Stelle rundherum
abgeschnitten. Die stehengebliebenen Haare werden wieder so mit dem
Saft von ausgekautem Zuckerrohr behandelt wie während der Festzeit
selbst. Nach Verlauf von ungefähr einem Monat wird das Haar noch
einmal abgeschoren, und die schon mehrfach erwähnte Frau nimmt der
Mwai den Stirnperlenkranz ab und stößt den Freudentriller aus. Die
Mwai entledigt sich selbst der übrigen Ketten und Schmuckstücke. Die
alte Frau richtet noch die für die moralische Auffassung unsrer Wapare
bezeichnenden Worte an die Mwai: „Nun bist du aus dem Fest entlassen.
Wenn wir dich jetzt sehen sollten, daß du dich mit den jungen Burschen
abgibst, so haben wir nichts dagegen.“ .. Die Jugend ist dahin. Bald
wird ein Mann, der oft seinem Alter nach ihr Großvater sein könnte, um
sie werben, und wenn die Eltern sehen, daß er reich oder vornehm ist,
dann haben sie viele Mittel an der Hand, das furchtsame heidnische
Herz der Tochter ihrem Willen gefügig zu machen und oft den geliebten
Jugendgespielen fahren zu lassen. Von ihm nimmt sie Abschied. Tränen
werden nicht dabei geweint, dazu sind sie beide zu stolz. Sie sagt ihm
wohl: „Ich muß ihn nehmen!“ Vor wenigen Wochen oder Monaten hatte man
ihr der Sitte gemäß beim „Tanz des Weinens“ das Festlied gesungen:
Du Jungfrau, du wolltest doch weinen,
nun weine!
Beweinst du nicht, was heute vorgeht?
Nur zu, bewein’ es.
Das ist das Ende, das Allerletzte!
Wahrscheinlich hatte sie den Sinn dieses wie so mancher anderer
Festlieder nicht verstanden. Aber bald dämmert ihr die Erkenntnis, daß
sie damals wirklich Grund zum Klagen gehabt hat. Es war „das Ende,
das Allerletzte“ der schönen, sorglosen Jugendzeit. -- -- -- In den
kommenden Jahren der mühsamen Feldarbeit und aufreibenden Nachtwachen
in dürftigen Wachhütten wird die bald verblühte Frau oft an ihre
sorglose Jugendzeit denken, die sie zum größten Teil verbracht hat als
~Mwai wa nyumba.~
[Illustration]
Sechstes Kapitel.
Die ersten Lebensjahre des Knaben.
=Der Zahnzauber= (~kusirika~).
Nachdem wir uns das Hauptsächlichste aus den Frauenfesten vor Augen
geführt haben, wollen wir nun versuchen, die bedeutendsten Ereignisse
im Leben des Knaben kennenzulernen. Über den Zahnzauber der Mädchen ist
das meiste schon unter S. 31 ff. gesagt worden und braucht hier nur
noch das eine oder andre nachgeholt zu werden.
Schon in den ersten Wochen nach der Geburt wird dem Kinde eine
Bastschnur oder etwas ähnliches um den Hals gebunden, „damit er nicht
aussieht wie ein Toter“, denn ein Toter wird ja auch begraben, wie er
geboren ist, nämlich völlig nackt und ohne Schmuck. Oder sie sagen
auch wohl: „Unser Junge soll nicht aussehen wie eine ~ibunga~,
d. i. ein schlecht geformter Flaschenkürbis, dessen Hals ja ebenfalls
keinerlei Schmuck aufweist.“
Während das Mädchen erst im vierten Monat in die Behandlung der Frau
gegeben wird, geschieht dies bei dem Knaben bereits im dritten, in
welchem er das erste Zahnamulett, das Mlinga, erhält, das wir schon
beim Mädchen kennenlernten. Bis zum Durchbruch der unteren Zähne
wird der Junge auf der nach unten gelegenen Hausseite behandelt. Die
Behandlung der oberen Zähne wird auf der entsprechenden oberen Veranda
vorgenommen. Allerlei Sympathiemittel dienen auch hier wieder dazu,
den Durchbruch der gewünschten Zähne zu erleichtern und das vorzeitige
„Herausplatzen“ der gefährlichen seitlichen Zähnchen zu verhüten. Dem
ersteren Zwecke dient z. B. Kot von Schnecken. Wie aus dem Kopf der
Schnecke die „Hörner“ hervorkommen, sollen auch auf der mit ihrem Kot
bestrichenen Stelle die Zähne durchbrechen. Kot von Hyänen dient dem
entgegengesetzten Zweck, nämlich der Verhütung des Durchbrechens der
seitlichen Zähne. Wie diese feigen Tiere sich fast nie dem Menschen
zeigen, sollen auch die „schlechten Zähne“ unsichtbar bleiben. Die
erste Arznei heißt „Zugpflaster“, die andere „Zurückhaltungsarznei“.
Sind die vier ersten Zähnchen glücklich durchgekommen, so wird das
schon weiter vorn erwähnte Fest gefeiert: ~kumvonyesha mwana~
= das Zeigen des Kindes. Würde dies nicht geschehen, so müßten
die Verwandten doch Befürchtungen hegen, ob alles mit der Zahnung
in Ordnung sei. So aber kann jeder sich überzeugen, daß die Zähne
regelmäßig gekommen sind, und keiner darf das Kind in späteren Jahren
beschuldigen, daß es durch sein Dasein als „Zahnkind“ das Leben seiner
Verwandten gefährde und nachträglich getötet werden müsse.
Erziehung bis zur Beschneidung und nachher.
Im allgemeinen sind die Wapare sehr nachsichtig gegen ihre Kinder und
mit körperlichen Strafen nicht schnell bei der Hand. Ihre Erziehung
liegt ihnen aber doch am Herzen. Eine Frau, die selbst sauber ist,
erzieht schon ihren Kleinen zur Reinlichkeit und versetzt ihm wohl
auch, wenn das Reden nichts nützt, einen Klaps; aber die körperliche
Züchtigung ist bei ihnen immer die ~Ultima ratio~. Schon der
kleine Junge ist bei irgendeiner Krankheit, nachdem der Arzt gerufen,
von diesem behandelt worden, indem die betreffende kranke Stelle des
Körpers mit einem kleinen Messer überall aufgeritzt und Arznei in die
Wunden gerieben wurde. Dabei ging es natürlich nicht ohne viel Ach
und Weh ab. Ist nun der Junge unfolgsam, so sagt die Mutter wohl:
„Gleich werde ich den Doktor rufen!“ Das hilft in den meisten Fällen.
Einmal ritt ich an einem Gehöft vorbei, als die Mutter gerade ihrem
ungehorsamen Sohne sagte: „Siehst du, das ist der Europäer mit dem
großen Tier, welches dich schon immer fressen sollte. Versprich mir,
daß du dein Schwesterchen nie mehr auszankst!“ Als er mit der Abgabe
des Versprechens zögerte, hielt ich mein Maultier an, und sofort
gelobte er unter großem Geschrei, sich fernerhin sittsam zu betragen.
Werden die Jungen größer, so machen sie sich bald über solche Drohungen
der Mutter lustig. Da nimmt denn die Mutter als letztes Mittel einen
großen Mattensack, tut Brennesseln hinein und auch den Bösewicht,
der sich nun in dem zugebundenen Sack auf der Erde wälzt und dadurch
das Verfahren zu einem immer peinlicheren macht. Diese Strafe soll
eine sehr gefürchtete sein. Auch mit dem ~ngurunguru~, dem
Waldungeheuer, von welchem wir noch weiter unten hören werden, wird den
Kindern gedroht. Anderseits verspricht die Mutter als Belohnung für
gehorsam getane Arbeit, den Kindern etwas vom Markt mitzubringen, etwa
schöne, reife Bananen.
Spielend lernt das Kind zu arbeiten. Dem Knaben gibt die Mutter eine
wilde Frucht, bindet eine Schnur daran und sagt zu ihm: „Das ist deine
Kuh, führe sie fort.“ Sie macht ihm frühzeitig einen kleinen Bogen und
kleine, einfache Pfeile, wenn er auch noch nichts damit schießen kann.
Ihrer Tochter gibt sie ein Stück von einer Bananenstaude, zerstößt das
eine Ende etwas, daß die Fasern wie die Haare einer Mwai wa nyumba
herunterhängen, und sagt dem Mädchen: „Das ist dein Kind, verwahre es.“
Mit solchem Spielzeug sind die kleinen Parekinder mindestens ebenso
glücklich wie die unsern mit ihren manchmal recht kostbaren Puppen
und Pferden. Neues kann außerdem jeden Tag angefertigt werden. Die
Phantasie des Kindes ersetzt auch bei den Negern das Fehlende.
Wird der Junge größer, dann übernimmt er schon selbständig kleinere
Arbeiten. Er bewacht während eines kurzen Ausganges der Mutter den
Mais, daß die Affen nichts stehlen, oder der Vater übergibt ihm ein
krankes Schäflein, damit er es in der Nähe des Hauses an einem Stricke
weide. Da wird dem Jungen dann die Phantasie rege. Er sieht sich schon
als Besitzer einer großen Herde, bindet sein ihm anvertrautes Schaf
an einen Baum und baut sich einen kleinen Stall. Dahinein trägt er
allerlei Früchte, große und kleine, das sind seine Kühe und Ziegen.
Und er hat sich so in sein Spiel vertieft, daß er gar nicht bemerkt,
wie sich das Schaf mit einem Ruck losreißt und in Nachbars Garten den
Mais abfrißt. Erst des Vaters scheltende Stimme ruft den in sein Spiel
Vertieften in die Wirklichkeit zurück. Und wenn dann der Nachbar sich
seinen Schadenersatz beim Vater holt, wird dem angehenden Hirten wohl
auch handgreiflich demonstriert, daß die Arbeit, wenn auch spielend
erlernt, einmal erlernt eben kein Spiel mehr ist.
Mit zunehmendem Alter verfertigt der Vater seinem Sohne einen richtigen
Bogen und Pfeile und unterweist ihn gleichzeitig in der Kunst des
Schießens. Fast jeder etwa zehnjährige Parejunge ist schon ein kleiner
Meister im Verfertigen dieser Waffen. Zuerst übt er sich, indem er etwa
auf eine Bananenstaude schießt, später auf Vögel und Affen. Beim Hüten
lernt der kleine Bursche auf die mannigfaltigen Vorgänge in der Natur
zu achten und seine Kenntnisse von all diesem würden manchen doppelt
so alten Gymnasiasten in der europäischen Großstadt in Erstaunen
versetzen. So ein Junge kennt schon die meisten Bäume bei Namen, weiß
von den Gewohnheiten vieler Tiere und der Verwendung von mehr als
einer Arzneipflanze. Auf der andern Seite erwirbt er schon in frühester
Jugend besonders auf den Tanzfesten mancherlei Kenntnisse, die seine
Gedanken vergiften und die es ihm nachher schwer machen, sein Herz dem
Christentum zu öffnen. Solange die Jungen noch klein sind, schlafen
sie zu Hause. Aber schon im jugendlichen Alter werden sie auf die
nächtlichen Viravu-Tänze gebracht, damit sie sich beizeiten an diese
Dinge gewöhnen. Bald wird es dann nicht mehr für anständig gehalten,
daß sie zu Hause bei ihren Eltern schlafen. Sie suchen sich, meistens
mehrere Genossen zusammen, eine Schlafstelle bei irgendeinem Bekannten,
bei dem sie bleiben, bis sich jeder von ihnen selbst ein Heim gründet.
Zu Hause wird der Knabe früh daran gewöhnt, mit seinem Vater zu essen,
das Mädchen mit ihrer Mutter, damit die Kinder, wenn Gäste kommen,
keine Schwierigkeiten machen; denn dann müssen der Sitte gemäß Männer
und Frauen ihre Mahlzeit getrennt einnehmen.
Die Missionsschule hat natürlich etwas ganz Neues in das Leben der
Kinder gebracht. Zuerst verhielten sich die Alten sehr ablehnend, weil
sie glaubten, jeder, der die Schule besuchte, müßte notwendigerweise
zum Christentum übertreten. Auch verlangten sie wenigstens Tagelohn für
jeden Schüler. Nachdem sie aber gesehen hatten, daß viele die Schule
durchmachten, ohne Christen geworden zu sein, daß sie auch nicht dazu
gezwungen wurden, haben sie mit raschem Blick den dargebotenen Vorteil
erkannt. Wenn auch bei vielen die Bedenken noch nicht geschwunden
sind, so dringen doch die meisten Eltern erfreulicherweise bei ihren
Kindern auf einen regelmäßigen Schulbesuch, wenigstens war das in
Pare der Fall, wo wir auf unsern vier Stationen und den dazugehörigen
Außenschulen über 2000 Knaben und Mädchen in allen Elementarfächern
unterrichteten. Die Kleinen lernen im allgemeinen sehr leicht, und
es ist eine Freude, sie zu unterweisen, besonders wenn man etwa 150
aufgeweckte Steppenkinder vor sich hat. Dieselben dummen Streiche, die
zu Hause in der Schule verübt werden, findet man auch hier wieder, und
überhaupt ist der ganze Schulbetrieb der gleiche wie in Deutschland.
Sobald der Junge schreiben kann, schreibt er leidenschaftlich gern
Briefe. Ja, selbst die erste schüchterne Anfrage bei der künftigen
Frau geschieht heutzutage brieflich. Ist der Junge etwa 16 Jahre
alt, dann wird er von der Regierung zur Steuerzahlung herangezogen.
Unter deutscher Herrschaft erhielt er eine Arbeitskarte, die ihn
verpflichtete, innerhalb vier Monaten fünf Wochen beim Europäer zu
arbeiten. Die Einführung dieser Sitte war für die allgemeine Hebung des
Volkes sicher von Bedeutung. So ist der Parejüngling in einem Alter, wo
die meisten Europäer noch Kinder sind, schon Arbeiter, Steuerzahler und
oft auch Familienvater.
Die Beschneidung.
Das Alter der für diese -- bei unsern Wapare entschieden religiöse
Handlung -- in Frage kommenden Knaben ist verschieden. Manche werden
in früher Jugend beschnitten, andre erst, wenn sie 8-10 Jahre alt
sind. Ich selbst konnte auf die Einladung eines hiesigen Häuptlings
hin einmal der Beschneidung eines etwa sechsjährigen Knaben beiwohnen.
Als „Festspeise“ wurde ein Ochse geschlachtet. Weniger vornehme Väter
begnügen sich mit einem Ziegenbock. Während der Mann seine Freunde
zum Zuckerrohrschneiden einlädt, ruft die Frau ihre Nachbarinnen, ihr
bei der Bereitung der Speise und dem Zerreiben der Zuckerrohre zwecks
Bierbereitung zu helfen.
Am Abend des der Beschneidung voraufgehenden Tages richtet der Vater in
seinem Hause an die Ahnengeister etwa folgendes Gebet: ~Nkoma, guhani
luhwa lwenyu, ambu mawa enyu e uko wanga. Mrereheni uu mwana, ambu
yavo henevecha mkea aha. Uu mwana ni nkungu mposha, tevonwa ni mbiba.
Mukome vibamba meso, kangi hasitee verigana.~ -- Ihr Ahnengeister,
nehmt dieses Opfer von ungegorenem Bier an, denn euer gegorenes Bier
ist oben auf dem Hausboden (wo es über Nacht der Gärung harrt)! Habt
acht auf diesen Jungen, denn morgen wird ein Dieb hier vorbeigehen.
Unser Junge ist eine taube Nuß, um die kümmert sich der Mbiba (Hamster)
nicht. Macht alle die Käfer blind, sorgt dafür, daß kein Streit
entsteht. -- Zum Verständnis sei folgendes bemerkt: Das eigentliche
Wort für schneiden, ~kuchwa~, wird ungerne gebraucht, die Wunde
würde dann schlecht heilen. Deshalb nimmt man dafür das Wort „stehlen“,
der behandelnde Arzt ist der „Dieb“, der bei dem Hause vorbeikommen
wird, um das Präputium zu stehlen. Der Junge wird mit einer tauben Nuß
verglichen. Deshalb sollen sich die bösen Zauberer um ihn so wenig Mühe
machen wie der Hamster um eine taube Nuß, die er schon beim Aufheben
als solche erkennt und wieder fallen läßt. Auch werden die Geister
gebeten, allen Käfern, gemeint sind die Hexen, die Augen zuzuhalten,
damit sie durch ihren bösen Zauber die Wunde nicht zu einer schwer
heilenden machen. Das würde auch geschehen, wenn die Gäste im Rausche
einander Grobheiten sagen.
Zur gleichen Zeit betet der Hausarzt über seinem kleinen chirurgischen
Messer zu seinen Ahnen wie auch zu den Ahnen der Familie derer, die
das Fest veranstalten: „Ihr Geister, ihr habt euch doch bei Lebzeiten
gekannt, helft meinem Messer, daß alles glücklich verläuft und ich ein
angesehener Arzt werde, den alle Leute rufen.“
Am andern Tage findet dann die eigentliche Beschneidung statt. Etwas
im Gebüsch verborgen treffen die Männer die Vorbereitungen, die
in der Hauptsache im Schlachten und Zerlegen des Ochsen oder der
Ziege bestehen. Sie erhalten gleich ihren Anteil, den sie mit nach
Hause nehmen dürfen. Unterdes ist auch der Arzt erschienen. Schnell
setzt sich einer der Männer auf ein bereitliegendes Fell. Der meist
ahnungslose Junge wird gegriffen und auf dieses Mannes Schoß gesetzt.
Andere halten ihn an Armen und Beinen fest, und in etwa einer Minute
ist die Operation beendigt. Sie ist natürlich für den kleinen Kerl
äußerst schmerzhaft, und er schreit dementsprechend unaufhörlich.
Nach Beendigung der Operation nimmt der Arzt einen Schluck Bier und
bespützt damit die Wunde. Um zu verhüten, daß die Leisten oder andre
Teile anschwellen, wird eine Schnur aus der Rinde des Rizinusbaumes mit
vier Zauberknoten dem Knaben um den Leib gebunden. Das Präputium sowie
das auf dem Fell haftende Blut wird sorgfältig in einen Ballen aus
Kuhmist getan und dieser in die Wand des Hauses eingemauert. Denn wenn
solche Seelenträger einem bösen Zauberer in die Hände fielen, wäre die
schnelle Heilung der Wunde ausgeschlossen.
Das Messer des Arztes ist ein heiliges Messer, d. h. es wird zu
nichts anderem als nur zum Zwecke der Beschneidung gebraucht. Nach
der Operation findet ein Festmahl und Biergelage statt. Die Wunde
wird am andern Tage von der Mutter oder vom Vater mit einer Feder
gewaschen und mit feinem Sand bestreut. Ist dieser Sand am nächsten
Tage festgetrocknet, so überläßt man das übrige ruhig der Natur. In
etwa zwei Wochen ist alles verheilt. In diesen Tagen bedeckt der Junge
nur den Oberkörper mit einem kleinen Lappen und wartet im Hause seiner
Eltern die Heilung ab.
~Kuliwa masoro.~
Ist der Junge etwa 7 Jahre alt, so laden die Eltern wiederum ihre
Verwandten und Nachbarn ein, um für den Jungen ein offizielles
Mehlbrei-Essen zu veranstalten, damit er dann durch das
Waldfest, welches im nächsten Kapitel beschrieben wird, in die
Stammesgemeinschaft aufgenommen werden kann.
Nachdem Männer und Frauen das Bier bereitet und die Frauen außerdem
für genügend Speise gesorgt haben, findet am vierten Wochentage die
Zeremonie statt. In dem betreffenden Hause sind nur Frauen anwesend.
Die Mutter und vielleicht auch Verwandte setzen sich in dem Hause
auf die Erde. Sie sind alle unbekleidet. Eine Frau nimmt nun das
Kind und setzt es viermal in den Schoß der Mutter und dann auch der
andern Verwandten. Dabei hört man die üblichen Freudentriller. Darauf
kommt der Vater mit drei seiner Genossen herein, und auch ihm gibt
man das Kind in den Arm. Der Junge (oder das Mädchen) erhält nun
einen neuen Namen, gewöhnlich den seines Großvaters väterlicherseits.
Der nächstgeborene Junge würde den des Großvaters mütterlicherseits
erhalten. Danach heißt auch das Festessen „Namen-Mehlbrei“. In der
Hauptsache ist es den Leuten, wie mir scheint, daran gelegen, einen
Grund zu haben, sich nochmals tüchtig zu betrinken und gut zu essen.
Bei manchen Stämmen schließt sich daran noch ein weiteres Frauenfest,
~mchumbi~, welchem nur solche Frauen beiwohnen dürfen, die das
gleiche Fest auch durchgemacht haben. Der Mutter werden Perlkränze
und Schmuck umgehängt und andre Erinnerungen aus der Jugendzeit
aufgefrischt, so daß sie sich für eine kurze Zeit wieder als Mwai wa
nyumba fühlen kann. Eine nähere Beschreibung ist hier nicht angängig.
Ich will nur noch erwähnen, daß es in dieser Zeit des Kampfes
zwischen Christentum und Heidentum schon vorgekommen ist, daß Leute
für ältere Kinder, die schon getauft waren und sich weigerten, das
Fest mitzumachen, dasselbe auch ohne die Kinder feierten, um die
hergebrachte Sitte dennoch zu befolgen.
[Illustration]
Siebentes Kapitel.
Das Waldfest (~mshitu~).
Der Mshitu oder das Waldfest ist das erste aller Parefeste. Soll es
gefeiert werden, so verbreitet sich die Kunde mit Blitzesschnelle
durch alle Lande, selbst bis nach Usambara hinüber. In langen
Schlangenlinien kommen dann aus allen Richtungen die Festteilnehmer
mit den aufzunehmenden Knaben über die Berge gezogen, und weithin
erschallt eins der Marschlieder durch die stille Landschaft: ~Kombo
ehee, kombo-e, hoe!~ Über dieses berühmte Mshitu sind schon allerlei
Märchen erzählt worden. Was ich selbst auf verschiedenen Festen, zu
denen mir von den Leuten der Zutritt erlaubt worden war, sah, und
was mir dann von meinen z. T. christlichen Gewährsleuten erklärt und
ergänzt wurde, will ich in der Hauptsache im folgenden erzählen. Da
die Lieder, die bei diesem Fest gesungen werden, sowie auch manche der
symbolischen Handlungen z. T. äußerst anstößig sind, so muß ich mich
darauf beschränken, nur eine Auswahl niederzuschreiben, bzw. den Text
in der Übersetzung freier wiederzugeben.
Gewöhnlich hat jeder Stamm und jede Sippe ihren eigenen Mshitu oder
Wald. Diese heiligen Wälder sind in grauer Vorzeit von den Ahnen
angelegt worden. Sie dürfen zwar betreten werden, aber niemand fällt
einen Baum oder sucht Holz in ihnen. Jeder „Holzfrevel“ wird mit einer
Ziege gesühnt, die dann im Walde geopfert werden muß, damit er wegen
der „Wunde“, die er erhalten hat, versöhnt wird.
Nun kommt es vor, daß jemand kein Kind hat. Das Orakel sagt ihm, daß
der Mshitu die Ursache sei. Daraufhin geht er in den heiligen Wald
und bittet ihn, ihm doch zu einem Kinde zu verhelfen, oder, falls
die Frau schon guter Hoffnung ist, frühere Kinder aber regelmäßig
gestorben sind, das zu erwartende Kind doch leben zu lassen. Er gelobt
dem Walde bzw. den Ahnen als seinen Hütern ein großes Opferfest,
eben das Waldfest. Dieses Fest ist für die Nachkommenschaft von
außerordentlicher Bedeutung, da alle Wapare behaupten, vom Walde
geboren zu sein. Selbst unfruchtbare Frauen werden, wie wir noch
weiter unten sehen werden, durch Beteiligung an dem Kirumbe-Tanz
Nachkommenschaft erhalten. Der Mshitu wird also auch das oben
erwähnte Gebet erhören, und der Mann wird die Freude haben, seinen
Sohn aufwachsen zu sehen. Vergißt er nun sein Gelübde, so erinnern
die Geister ihn durch Krankheit und andere Beschwerden und durch ihr
Sprachrohr, das Orakel, wieder daran. Er ruft dann die Angehörigen
seiner Sippe zusammen und hält eine Besprechung mit ihnen ab, als deren
Ergebnis der Beschluß gefaßt wird, in einigen Wochen das Waldfest
stattfinden zu lassen und nun die Vorbereitungen dazu zu treffen. Sie
warten gewöhnlich bis kurz vor Beginn der Regenzeit, denn „der gleich
nachher einsetzende Regen wird alle Spuren des Festes verwischen“.
Ungefähr sechs Wochen vor Beginn des eigentlichen Festes werden die
männlichen Glieder der Sippe dessen, der das Fest veranstaltet, zu
ihm ins Gehöft geladen und hier alle Maßnahmen besprochen, die für
den ordentlichen Verlauf des Mshitu getroffen werden müssen. Der
Wirt hat vorher dafür gesorgt, daß seine Gäste nicht zu verdursten
brauchen und einen tüchtigen Vorrat von Zuckerrohrbier gebraut. Auf
dieser Versammlung wird alles besprochen und Verabredungen über die
nächsten Zusammenkünfte werden getroffen. So kommen sie am vierten
Tage der folgenden Woche in der Nähe des Festplatzes zusammen, um
die Wege auszuholzen und einen Tanzplatz (~kiuga~) zu schaffen.
Diesen Kiuga-Platz nennen sie den „Minister“ des Waldes. Ihm wird
ein Opfer dargebracht und er dabei gebeten, dem „Häuptling“, nämlich
dem Walde selbst, Mitteilung von ihrem Kommen zu machen. Es würde
zu weit führen, alle diese Vorgänge eingehend zu schildern. Es mag
genügen, zu erwähnen, daß sie auch in den folgenden Wochen jedesmal
am heiligen vierten Tage im Walde erscheinen, um allerlei Sühnopfer
vorzunehmen und vor allem aus der Lage der Opfertiere sowie aus deren
Eingeweiden und Leber zu ersehen, ob dem Walde das Opfer angenehm
sein wird. Auch kommende Hungersnöte und Seuchen werden hier erkannt
und vorausgesagt. Bei der letzten dieser Versammlungen wird dann die
nächste Zusammenkunft in der eigentlichen Festwoche auf den zweiten
Tag festgesetzt, von welchem Tage an die Männer bis zum „Schließen
der Tore“ am sechsten Tage im Walde bleiben und nicht mehr nach Hause
gehen.
Die Kunde vom bevorstehenden Feste verbreitet sich schnell überall im
Lande und auch in den ferner gelegenen Gebieten.
Beizeiten schon haben die Veranstalter einen gewöhnlich ganz alten
Mann gebeten, während des Festes gewissermaßen die Funktionen des
Oberpriesters auszuüben. Er heißt ~kimbokoko~. Diesen nehmen sie
nunmehr mit in den Wald. Manche erzählen, daß der Oberpriester für
seine Bemühungen ein Extrarind bekäme, denn er würde nun nicht mehr
lange zu leben haben. In Westusambara wohnt der eigenartige Volksstamm
der nach dorthin aus der Parelandschaft Bwambo ausgewanderten
Wambugu. Es sind keine Bantuneger; aber durch langen Aufenthalt in
Pare haben sie die Sitten der Wapare zum Teil angenommen, besonders
das Waldfest. In Chome haben sie einen großen Wald, in welchem das
Fest nach einer Reihe von Jahren abgehalten wird. Zu diesem kommen
dann die Wambugu in langen Zügen von den Usambarabergen nach Pare
herüber. Über das Fest wußten mir weder Christen noch Heiden etwas zu
berichten, da die Wambugu keinen Mann eines anderen Stammes zulassen.
Als Eigentümlichkeit wurde mir nur erzählt, daß sie ihren Oberpriester,
den Kimbokoko, nicht wieder mit aus dem Fest nach Hause zurückbrächten,
sondern daß er im Wald getötet würde, zum Heil seiner Nachkommen. Es
hätte ihn noch niemand zurückkommen sehen. Wie weit diese Angaben den
Tatsachen entsprechen, konnte ich nicht mehr nachprüfen.
Bis zum vierten Tage der Festwoche ziehen nunmehr abends die
Ngurunguru, „die Kinder des Waldtieres“ durch das Land, um die Leute
noch besonders auf die Nähe des Festes aufmerksam zu machen. Die
eigentlichen Ngurunguru sind Schwirrhölzer, etwa 30 ~cm~ lang und
10-15 ~cm~ breit, die von den Trägern an einem Bande geschwungen
werden und einen brummenden Ton erzeugen. Das sind die Kinder des
Waldtieres, denn selbst ist es zu groß, als daß es im Lande umherziehen
könnte. Es verschlingt nur die Kinder, die ins Fest kommen, um sie
dann wieder auszuspeien. Hören die Leute in den Häusern den Ton, so
setzen sie Essen draußen hin. Die Ngurunguru streuen Kot oder Sand auf
das Übriggebliebene, um so noch mehr ihren übermenschlichen Charakter
darzutun. Finden die Hausbewohner am Morgen ein kleines Stöckchen neben
dem Topf liegen, so deutet das auf die baldige Geburt eines Mädchens
in dem Hause hin; ein ganz kleiner, nur angedeuteter Bogen läßt sie
einen Knaben erwarten. Wenn die Ngurunguru sich vor der Tür melden, so
antworten die Hausbewohner: ~Murye~ = friß ihn auf, und spielen
damit auf die Haupttätigkeit des Waldtieres, Kinder zu fressen, an. Die
Männer, die in der Zeit im Walde bleiben, haben ein Schlachtfest nach
dem andern und vertreiben sich die Zeit mit Tanzen.
Am vierten Tage haben die Novizen, die das Fest zum ersten Male
mitmachen sollen, sich einer besonderen Zeremonie zu unterziehen. Die
Kleider werden ihnen offiziell ausgezogen, denn die Novizen müssen
unbedingt nackt sein. Die Wapare nennen das ~lungasu luchungwa~ =
das Fest wird aufgebunden. Die Novizen sammeln sich mit ihren Helfern
(~vakunjiga~) in einem der Häuser aus der Nachbarschaft. Einer von
den Festbereitern oder auch sonst einer aus dem Dorfe wird zusammen
mit einer alten Frau erwählt, das „Fest aufzubinden“. Die Mutter eines
jeden Novizen oder eine beliebige Frau setzt sich auf die Erde. Dann
nimmt die erwählte Alte jeden der Jungen und setzt ihn viermal in den
Schoß der anderen Frau. Der daneben stehende Mann sagt jedesmal dazu
~uhu~, die andern erwidern ~uhu~, darauf die auf dem Boden
sitzende Frau ~uwa~. Der Wortlaut der gleichzeitig stattfindenden
Gesänge läßt sich hier schicklich nicht wiedergeben. Die Alte hat
unterdes dem Novizen sämtliche Kleider abgenommen und sie dessen
„Helfer“ übergeben, der sie bis zum Ende des Festes verwahrt. Sind
sämtliche Jungen entkleidet, so ziehen sie alle unter Vorantritt des
Mannes und der Alten viermal um die heilige Feuerstelle herum, unter
Absingen der Festmarschlieder. Da der Mshitu ja ein Fruchtbarkeitsfest
ist, so haben die meisten der Lieder einen für unser Empfinden
anstößigen Text, doch manchen liegt auch eine anziehende Symbolik
zugrunde. So lautet eins:
~Kommbo ehee, Kommbo-e,
hoe!
Kommbo ehee, Kommbo-e,
hoe!
Mche watosha sikukome, Kommboe-e,
hoe!
Ambu na nkinda iratosha, Kommbo-e,
hoe!~
Es wird mit diesem Lied die Frau, die ein totes Kind zur Welt gebracht
hat, mit dem Hinweis getröstet, daß selbst die doch als sehr fruchtbar
bekannte Banane (die deshalb auch das Symbol der Fruchtbarkeit
besonders in den Frauenfesten ist) manchmal wohl eine Traube
hervorbrächte, die aber vor der Reife wieder vertrockne. Die Banane
treibt jedoch neue Schößlinge. So wird auch die Frau nach der Feier
des Waldfestes neuen Kindersegen erhoffen dürfen, Kinder, die unter dem
Schutz der Ahnen auch aufwachsen werden.
Nach Beendigung des Rundganges müssen sich sämtliche Novizen mit ihren
Helfern einer neben dem andern mit dem Leib auf die Erde hinlegen und
die Augen mit den Händen zuhalten. Dann tritt ein Mann herzu, der
unter seinem Schurzfell einen gabelförmigen kurzen Knüttel verborgen
hat. Zuerst wälzt er sich auf den Rücken der auf dem Boden Liegenden
herum und stößt brummende Laute aus wie das Waldtier: Vvv, vvv, vvv!
Die andern antworten: ~Murye~ (friß ihn)! Endlich kniet er vor dem
ersten Helfer, der bereits eingeweiht ist, nieder und hält ihm eine
längere Ermahnungs- und Strafrede: „Wenn ihr euch von den Mädchen
betören laßt und ihnen etwas aus dem Mshitu mitteilt, wovon Frauen doch
nichts wissen dürfen, dann werdet ihr sterben.“ Zum Schluß schlägt er
den auf dem Boden Liegenden mit seinem Knüttel unter Uhu-Rufen und
Heha-Antworten der Übrigen heftig dreimal auf Fersen, Waden, Kreuz und
Schulterblatt, den letzten Schlag gibt er besonders kräftig auf den
Kopf. Nachdem alle Novizen mit ihren Helfern diese sehr eindringliche
Ermahnung „angehört“ haben, erhält jeder der Burschen von seinem Helfer
einen vorher bereitgelegten, ganz weiß geschälten Stock (~msenge~)
von etwa 2½ ~m~ Länge. Diesen Stock halten die Knaben auf allen ihren
Ausgängen in den Händen, sie dürfen aber nicht die Erde damit berühren,
sonst heißt es ~ngasu yakela~ = die Festregel ist übertreten, der
Stock will „lecken“. So wird dann der Übertreter bei der nächsten
„eindringlichen Ermahnung“ besonders bedacht.
Nun setzt sich der ganze Zug wieder in Bewegung, um draußen viermal
um das Haus zu marschieren. Liegt das betreffende Dorf weit von
dem Festplatz ab, so begeben sie sich jetzt in langem Zuge zu den
nähergelegenen Häusern, um dort die Nacht zu verbringen. Sie singen
unterwegs:
~Mcheku chunga idafa
ambu mwanao agwa nyika.~
Das heißt:
Mutter, umgürte dich (zum Zeichen der Trauer) mit
einem Strick von Bananenfasern,
denn dein Sohn ist in die Steppe gefallen.
Das bedeutet: das Waldfest bietet durch den „Festlöwen“ dieselben
Gefahren wie ein Marsch durch die Steppe mit ihren Löwen.
Kommt der Zug an einen Wasserlauf, so wird Halt gemacht, und die
Novizen müssen sich wieder alle nebeneinander auf die Erde legen, um
mehr oder weniger heftig geschlagen zu werden. Nachdem die Vai (wie
auch die männlichen Novizen heißen) in Häusern nahe beim Festplatz
untergebracht sind, begeben sich die Männer in den Wald, um dort
die Nacht hindurch zu tanzen. Am andern Morgen, das ist am fünften
Wochentage nach kipare Zählung, werden die Vai morgens ganz früh
abgeholt und auf die große, früher bereits gesäuberte Wiese geführt.
Von hier aus bringt dann jeder Helfer seinen Schützling in den Wald
hinein. Zuerst kommen die Kinder aus der Sippe derer an die Reihe,
die das Fest veranstaltet haben. Dann folgen wohl noch zwei oder drei
angesehene Häuptlinge mit den ihrigen und hierauf die andern.
[Illustration: Pare-Mädchen.
Mädchen rechts mit umgehängter Schnupftabaksdose.]
[Illustration: Mwai mit Fellschurz und Schellengurt.]
[Illustration: Mwai vor der Hütte mit ihren Handtrommeln.]
Im Innern des Waldes sind von den Festbereitern vier Tore aus
Bäumen und Zweigen hergestellt. Durch diese Tore muß jeder Helfer
seinen Schützling durchbringen. Schauerlich schallt im Düstern und
in der Stille des Waldes das ungeheure Gebrumm des Waldtieres, das
sich anschickt, die Neulinge zu verschlingen, um sie dann wieder
auszuspeien. An jedem Tor stehen einige Wächter, die mit Knütteln die
Anstürmenden zurücktreiben, so daß stets nur einer durch die etwa 75
~cm~ hohen Tore hindurch kann. Hinter dem letzten Tor sitzt das
„Waldtier mit seiner Frau“, so wenigstens glauben die Neulinge es. Zu
beiden Seiten des Tores steht je ein Mann, der eine Art Bambusrohr in
seiner Hand hält, dessen Ende in einen großen Topf ausmündet. Das Rohr
und auch der Topf ist mit einem schwarzen Tuch verhüllt. Der andre
Mann hat einen etwas kleineren Apparat, der das weibliche Waldtier
vorstellt. An diesen beiden wird nun der nackte, meist vor Kälte und
Angst zitternde Junge vorbeigeführt. Die Augen hält ihm sein Helfer
fest zu, denn sehen soll er das vermeintliche Ungeheuer nicht. Erst
beim nächsten Waldfest darf er, nunmehr selbst zum Helfer geworden,
einen kleinen Jungen durch die Tore führen und sieht dann, daß der
gefürchtete Festlöwe bedeutend ungefährlicher ist als sein Ruf. Heute
ist ja dem Waldfest sein Schrecken genommen, weil die Regierung
gefürchtet wird. Aber in früheren Jahren war das anders. Da standen
bei dem letzten Tor in der Nähe des Waldtieres eine Menge Männer, mit
Knüppeln in den Händen, um die anstürmende Menge, die zum letzten
Tore hinauswollte, abzuhalten und nur einzeln durchzulassen. Große
Schlägereien waren an der Tagesordnung. Oft soll es vorgekommen sein,
daß der nebenhergehende Mkunjiga (Helfer) gerade noch sah, wie sein
Schützling von einem aus der Menge mit einer Keule erschlagen wurde.
Ihm blieb dann die traurige Pflicht, der armen Mutter die Kleider
ihres Sohnes zurückzubringen mit der Botschaft: ~Ngasu yammia~
= das Fest hat ihn verschlungen. Deshalb wurde ja auch der Mutter
beim Fortgehen des Sohnes im Liede geraten, als Zeichen der Trauer
einen Bananenstrick um den Leib zu binden, denn sie konnte nicht
wissen, ob ihr Sohn wieder lebendig zurückkommen würde. Die glücklich
Heimkehrenden aber singen, wie wir noch sehen werden: „Mutter, binde
den Bananenstrick los. Denn alles ist gut verlaufen, und deinen Sohn
haben wir gesund zurückgebracht.“
Sind die Vakunjiga mit ihren Schutzbefohlenen durch das letzte Tor, und
am Waldtier ohne Unfall vorübergekommen, so wird den Vai von einem dort
bereitstehenden Manne mit einem kurzen Stück Holz eines heiligen Baumes
mittels Kreide ein Siegel auf Stirn, Schläfen und Gelenke gedrückt. Den
Frauen wird gesagt: „Das ist der Speichel des Waldtieres, es hat die
Knaben verschluckt, aber wieder ausgespien.“ Die Helfer gehen mit ihren
Schützlingen auf die Wiese, aus welcher der Kirumbe-Tanz aufgeführt
wird. Sie singen:
~Kirumberumbe ee,
ehee, teri ya ng’ombe.~
Das heißt:
Eine ungeheure Menge,
ja, wie der Staub unter den Rindern.
So soll nämlich der nun zu erwartende Kindersegen werden. Hier
tanzen auch sterile Frauen in derselben Hoffnung. Draußen sammeln
sich die einzelnen Abteilungen und überreichen den Veranstaltern des
Festes je eine Kürbisflasche mit Bier. Die Vai erhalten ihre Stöcke
(~misenge~) wieder, und wie sie kamen, sieht man sie in großen
Schlangenlinien wieder über die Berge abziehen. Dabei singen sie dann:
Einer: ~Horere, horere ehee~,
Chor: ~Ee horo munyanya, ehee~,
Einer: ~Meheku chungua idafa~,
Chor: ~Ee horo munyanya, ehee~,
Einer: ~Ambu mwanao twamwete~,
Chor: ~Ee horo munyanya.~
Das heißt:
Mutter, binde dein Trauerband los, denn wir haben deinen Jungen
wieder mitgebracht.
Alle möglichen Vorgänge werden nun aus dem Stegreif besungen. So sang
bei einem kürzlich abgehaltenem Feste ein alter kriegslustiger Heide,
als er an einem unsrer Christendörfer vorbeikam:
~Vazungu navahongere,
vaturundižiža vaana,
vaosha vabwange va mikosha.~
Das heißt:
Schönen Dank den Europäern,
sie machen unsre Kinder zu Dummköpfen,
die Knaben machen sie zu Stockträgern.
Anstatt daß sie auch fernerhin, wie sich das für einen Varemann
geziemt, Bogen und Pfeile auf ihren Ausgängen mitnehmen müssen, haben
sie nur noch ein Spazierstöckchen nötig, denn Krieg gibt es ja leider
keinen mehr. Das ist natürlich ein sehr vereinzelter Standpunkt
früherer „Raubritter“, der in diesem Spottgesang zum Ausdruck kam. Im
allgemeinen freuen sich die Leute, daß sie heute, nachdem die Regierung
Ordnung geschaffen, ohne Waffen durch das Land ziehen können.
Die Veranstalter des Festes bleiben bis zuletzt im Walde. Wenn alle
andern hinaus sind, beraten sie sich über die Verteilung der Häute
und das Geschenk für den Kimbokoko. Das füllt den Rest des fünften
Tages aus. Am letzten, dem sechsten Tage der Parewoche, werden die
Tore „geschlossen“. Der Kimbokoko fängt bei dem Topf, der das Waldtier
darstellte, an zu beten und opfert Bier und Fleisch der vorher
geschlachteten Opfertiere. Zu dem Zweck nimmt er etwas Bier in den Mund
und spützt es in der Nähe des Topfes auf die Erde. Ebenso macht er es
mit einem Bissen Fleisch. Dann betet er: „Ihr Ahnen, hier habt ihr euer
Opfer, das Waldfest ist aus. In fünf Jahren kommen wir wieder, um dir,
o Wald, ein Opfer zu bringen. Wenn irgendeiner in der Zwischenzeit
an dir frevelt, deine Ruhe stört, Holz fällt oder sonst etwas
Unanständiges in dir tut, so verfolge ihn!“ -- Alle: „Ja, verfolge
ihn!“ -- „Hat sich jemand über dieses Waldfest und seinen Veranstalter
geärgert, der möge sterben!“ -- Alle: „Ja, der soll sterben!“ -- „Aber
jeder, der das Waldfest und seinen Veranstalter ehrt, der möge lange
leben!“ -- Alle: „Ja, ewig leben!“ --
So wird auch an jedem der einzelnen Tore gebetet und damit das Tor
geschlossen. Die kommende Regenzeit und die dann besonders üppig
aufsprießende Vegetation wird in wenigen Wochen jede Spur des Festes
verwischt haben. Bald liegt über dem Ganzen die den afrikanischen
Hochwäldern eigentümliche Grabesstille. Die Sonne bemüht sich
vergebens, das Gewirr von Bäumen und Schlingpflanzen zu durchdringen.
Affen turnen wieder von Ast zu Ast; selten, daß ein einsames Vöglein
seine Stimme für einen Augenblick erschallen läßt, sonst feierliche
Totenstille. Der Mshitu hat sein Opfer erhalten .... ~mshitu
washinjia~ .... der Wald schläft!
Die Festbereiter gehen nun in das Haus des eigentlichen Veranstalters,
um der vorhergehenden Beratung gemäß die Felle der geschlachteten
Opfertiere zu teilen. Diese sollen sich oft auf 30-40 belaufen. Die
Männer bitten die Ahnen des Veranstalters, sie in den kommenden
Jahren zu behüten. Dem Kimbokoko geben sie dann noch eine Strecke das
Ehrengeleit, und jeder geht darauf seines Weges.
In der Zwischenzeit haben die Mütter zu Hause viel Speise gekocht
und Bier bereitet. Wird der Gesang der Heimkehrenden vernommen, so
kommen die Frauen alle vor dem Hause eines angesehenen Mannes oder des
Häuptlings zusammen, um dort ihre Kinder zu erwarten. Sie gehen ihnen
eine Strecke Wegs entgegen und stampfen tanzend vor Freude heftig mit
den Füßen auf die Erde. Wenn aber die Heimkehrenden singen: ~Mcheku,
umanyere~ = Mutter, gewöhne dich daran (nämlich daß du keinen Sohn
mehr hast), dann weiß man: Einer ist nicht wieder zurückgekommen, das
Waldtier hat ihn verschlungen.
Auf dem Gehöft werden nun Tänze aufgeführt und folgende Lieder
gesungen, die ich z. T. etwas abgekürzt wiedergebe:
~Hoyehoyeho, ee hoyeho,
shota miziru~ (verbrenne die Stöcke),
~oe twangia, ee twafuma ee,
shota miziru~.
Das heißt:
Wir sind hineingegangen (in den Wald)
und glücklich herausgekommen,
verbrenne die Stöcke!
Die glückliche Heimkehr wird besungen und auf das Ende des Festes
hingewiesen, bei welcher Gelegenheit die langen heiligen Stöcke
(~misenge~, hier ~miziru~) verbrannt werden. Aber hauptsächlich
freut man sich, daß die Zurückkehrenden nun offiziell in den Stamm
aufgenommene Männer sind und reicher Kindersegen zu erwarten ist. Diese
Hoffnung findet Ausdruck in dem zweiten Liede:
~Lukungu tandama ee,
na lutandame!
Lukamoga ntungo ahee,
lukamoga na mirere.~
Das heißt:
Nußbaum, breite dich aus,
ja, breite dich aus!
Bringe Früchte hervor,
kleine und große!
Hier wird die nunmehr zu erwartende Fruchtbarkeit besungen; manchmal
werden auch einzelne Teilnehmer, um ihnen eine besondere Ehre zu
erweisen, mit Namen aufgerufen und ihre Nachkommenschaft mit der
Lukungu-Schlingpflanze verglichen, die, wenn sie sich ausbreitet,
zahlreiche Nüsse hervorbringt. Aber in der allgemeinen Festfreude,
die in diesen Tagen besonders solche ergreift, die einige Kinder
oder wenigstens eins haben, soll sich keiner überheben und die
Minderbegünstigten oder gar Krüppel verspotten, denn:
~Enemuseka Ngoye,
kwao enevyala ntumbiri,
hiyanga hombo homaya, hee,
kwao enevyala ntumbiri.~
Das heißt:
Wer sich über einen Krüppel lustig macht,
des Mutter wird Affen gebären.
Die Alten, die von diesem Fest keine direkten Folgen zu erwarten haben,
trösten sich in der Erinnerung an die Vergangenheit mit der Freude an
ihren Kindern und Enkeln:
Meine Zeugungskraft ist zwar erloschen,
~hiyanga hombo homaya~,
aber sie hat mir ein Kind gegeben,
~hiyanga hombo homaya~,
ein außergewöhnlich schönes Kind,
~hiyanga hombo homaya~.
Unterdes ist es Abend geworden. Die Vai und ihre Helfer haben sich an
Speise und Trank gütlich getan und ziehen sich nun in das Haus eines
älteren Mannes zurück, dessen Frau in einer andern Hütte schlafen muß.
Ihre Stöcke stecken die Vai in das Dach des Hauses. Die ganze Nacht
hindurch wird getanzt. Wenn einer der Helfer sieht, daß jemand vom
Schlaf überwältigt wird, so stößt er den Uhu-Ruf aus. Sofort herrscht
Stille, und nach einer kurzen Begründung erhält der Betreffende wegen
dieses Mangels an Disziplin die oben schon erwähnte Prügelstrafe mit
dem gabelförmigen Holz in mehr oder weniger gelinder Form.
Kommen Besucher, die auch an dem Tanz teilnehmen wollen, so müssen sie
sich draußen kniend mit dem Uhu-Ruf melden. Sofort ist drinnen Stille,
alle erwidern: ~Heha!~ Nun muß der Einlaßbegehrende die Festparole
abgeben.
Wer diese Parole hersagen kann, wird ins Haus gelassen, andernfalls
muß er draußen warten, oder er bekommt die bekannte Prügelstrafe. Die
Wiedergabe der Parole selbst ist hier nicht angängig.
Am sechsten Tage frühmorgens fegen einige Männer einen Platz, wenn
möglich in einer Höhle, rein, oder es wird ein andrer Platz vom
Gestrüpp befreit. Er heißt dann ~kiuga~. Bei Sonnenaufgang gehen
die Vai mit ihren Helfern in die Landschaften, um, wie wir es schon bei
den Mädchen gesehen haben, zu pflücken (~kuatunda~). Sie dürfen
in den Garten irgendeines Mannes gehen, um hier eine Bananentraube,
dort einige Zuckerrohre oder Nüsse und Mais zu holen. Auf den Gehöften
erhalten sie Hühner. Sollte etwa einer der Leute den Vai die Mitnahme
seines Huhnes oder anderer Dinge, die sie „gepflückt“ haben, verweigern
und keinen Ersatz dafür anbieten, so stecken sämtliche Novizen
ihre Misenge (Stöcke) in das Dach seines Hauses. Nun wird er bald
andern Sinnes werden und ihnen mehr geben als sie erbeten hatten. Im
schlimmsten Falle, wenn der Mann wirklich den Mut hätte, eine ganze
Nacht zu trotzen und die Misenge in seinem Dach stecken zu lassen, so
würde er sicher schon am andern Morgen mit einer Ziege erscheinen, um
durch diese Sühne die Vai zum Abholen der Stöcke zu veranlassen.
Die Jungen haben einen besonderen „Pflückgesang“ und ziehen damit durch
die Landschaft. Alles was sie mitnehmen, müssen sie mit den Händen,
ohne Zuhilfenahme eines Messers, abreißen. Kommen sie unterwegs über
ein größeres Wasser, so erhalten die Novizen wiederum die bekannte
Prügelstrafe, die einen „schlagenden“ Beweis für ihre Männlichkeit
liefern soll. Man sagt den Jungen, die dabei Miene zum Weinen machen:
„Seid männlich und haltet aus; hiermit erkauft ihr euch das Recht zu
heiraten.“
Nachmittags zieht der Trupp zum Kiuga (Tanzplatz) zurück, an dessen
Eingang sie die oben erwähnte Parole in der Kniebeuge abzugeben haben.
Unterdes haben die Mütter in die Nähe Essen hingestellt und dies durch
Freudentriller angekündigt. Ein Mann holt das Essen herbei, da den
Frauen jede Annäherung streng verboten ist. Die Nacht hindurch wird
wiederum getanzt, während die Vai allerlei Belehrungen erhalten und
Kraft- und Geschicklichkeitsproben ablegen müssen. Es wird z. B. jedem
einzelnen die Aufgabe gestellt, sich auf den Rücken zu legen, Hände
und Arme aufzustützen und dann mit dem Munde ein leicht in die Erde
gestecktes Hölzchen herauszuholen. Entfällt einem dabei der Mut, so
wird er mit der Prügelstrafe immer wieder angefeuert.
Der zweite Pflücktag verläuft ähnlich. Die Jungen bringen von ihren
Ausgängen allerlei mit nach Hause, so eine Art Erdwespe. Am dritten
Tage holen sie Brennesseln sowie eine Zwiebelart (~kimuumuu~),
welche bei der Berührung mit der Haut diese sehr reizt, sowie eine
Bananentraube mit geschlossener Blüte am Ende des Fruchtstandes.
Am Morgen des vierten Tages gehen die Novizen ganz früh an einen Teich,
um sich zu waschen und allerlei symbolische Handlungen vorzunehmen.
Dann kehren sie auf den Kiuga zurück, um dort bis zum Mittag zu tanzen.
Unterdes sind die mitgebrachten Zwiebeln zerrieben worden und in
Verbindung mit diesen sowie den Brennesseln und der Bananenblüte, die
eine Frau darstellt, werden nun die Vai zur Belustigung der zusehenden
Alten allerlei Standhaftigkeitsproben unterworfen, die sich hier nicht
wiedergeben lassen, auf die aber schon Paulus in Röm. 1, 24 hingewiesen
hat. Später werden die Vai an einen Baum geführt, und es wird ihnen
gesagt: „Hier sind wilde Bienen, die ihr ausräuchern sollt.“ Bei dieser
Gelegenheit werden sie dann mit allerlei brennesselartigen Pflanzen
„gestreichelt“, z. B. unter der Nase. Jetzt, so sagt man dem Knaben
dabei, hast du auch einen Bart, jetzt bist du ein erwachsener Mann
und kannst heiraten. Bis alle so einzeln vorgenommen worden sind, ist
es nachmittag geworden. Nun wird ein Feuer angezündet, in welchem
sofort alle Überreste der Speisen und die Federn der verzehrten Hühner
verbrannt werden. Auch die Stöcke der Vai werden bis auf ein etwa ¾ ~m~
langes Stück, welches ihnen verbleibt, ins Feuer geworfen. Um dieses
Feuer tanzen die Helfer mit ihren Schützlingen und springen dann auch,
ähnlich wie wir es schon beim Mädchenfeste beobachteten, durch die
weihende Flamme. Die Helfer verfluchen alle, die jemals die Mysterien
dieses Festes Fremden preisgeben.
Schon vorher sind an die kurzen Überreste der Stöcke Halsfedern eines
Hahnes und andere geheimnisvolle Dinge von den Helfern angebunden
worden. Die Frauen, die das Essen brachten, haben für ihre Kinder
Öl und Perlschnüre bereitgelegt. Nunmehr salben die Helfer ihre
Schützlinge und schmücken sie mit den Perlen. Wie den Mädchen werden
auch ihnen Stirnkränze umgelegt. Ihre bis dahin vom Helfer verwahrten
Kleider dürfen sie nunmehr wieder anziehen. Die Vai werden ermahnt,
ihre Misenge quer vor sich zu halten, keinen zu grüßen, sondern
stumm vor sich zu sehen. Vor dem Häuptlingshause wird noch einmal
der Kirumbe-Tanz aufgeführt. Daraufhin bringt jeder Mkunjiga seinen
Schützling nach Hause, wo er, falls er unverheiratet oder sonst
abkömmlich ist, noch einige Tage bleibt, um den Knaben zu all seinen
Verwandten zu führen. Hier wird der neu in die Stammesgemeinschaft
aufgenommene junge Paremann überall mit Pfeilen, Ketten, Hellern
usw. beschenkt. Frauen und Mädchen spricht er nicht eher an, bis er
ein Geschenk von ihnen erhalten hat. Die Mädchen treten auf ihn zu
und kitzeln ihn; aber wenn er eine Gabe erhalten will, darf er nicht
lachen, sondern muß, wie es einem Manne ziemt, würdevoll und ernst
dabei bleiben. Er spricht auch nur mit leiser Stimme.
Nach einer Woche etwa bringt eine ältere Frau den ganzen Trupp der Vai
auf einen Acker und führt ihnen die Hände bei einigen, gewissermaßen
offiziellen Hackenschlägen. Um der Tatsache ihrer Aufnahme in den
Stamm möglichste Verbreitung zu sichern, werden sie später auch auf
den Markt geführt, aber nicht getragen wie die Mädchen. Dann wird
ihnen der Festschmuck abgenommen. In der Woche, in welcher den Novizen
zum Abschluß des Mshitu auch die Misenge genommen werden, bereitet
man Bier. Am vierten Tage gehen die Vai wiederum nackt aus in die
Landschaft, um zu „pflücken“. Die „gesammelten“ Bananen usw. werden
gekocht, und die Alten schlachten sich bei dieser Gelegenheit den Hahn,
dem man vorher die Halsfedern ausgezogen hatte, um die Misenge damit
zu schmücken. Alle Überreste werden in einem Feuer verbrannt und auch
die kurzen Stockenden hineingeworfen. Wiederum müssen die Vai durch
das Feuer springen; für den Fall der Preisgabe der Mysterien werden sie
dabei verflucht. Nachdem die Knaben mit Öl gesalbt und mit Perlschnüren
geschmückt worden sind, setzt sich der Zug zum letzten Male vom Kiuga
nach dem Dorfe zu in Bewegung, wo nochmals gemeinschaftlich der
Kirumbe-Tanz aufgeführt wird. Dann werden die Vai entlassen, und manche
legen noch am selben Abend ihren Schmuck endgültig ab.
Damit ist das berühmte und für unsre Wapare bedeutendste Fest zum
Abschluß gelangt. Ich lasse hier eine in mehr belletristischer Form
gehaltene Skizze folgen. Ich hoffe dadurch dem Leser die geschilderten
Vorgänge noch anschaulicher zu machen und innerlich näherzurücken.
Eine Skizze nach dem Leben über das Pare-Waldfest.
Es ist kurz vor der Regenzeit auf den Höhen Südpares. Die Sonne
hat bald ihren Tageslauf vollendet. Noch einmal vergoldet sie
die Usambaraberge, küßt abschiednehmend die Spitzen Pares, um
dann blutigrot fern am Horizont in die ungeheure Massaisteppe
unterzutauchen. Steigt man auf eine der höchsten Erhebungen, so kann
man deutlich im Norden den Kilimandjaro sehen, der sein eis- und
schneebedecktes Haupt in starrem Trotz von der afrikanischen Sonne
bescheinen läßt. Die Schluchten und Abhänge des östlich liegenden
Usambaragebirges erscheinen jetzt nach Sonnenuntergang eine kurze
Zeitlang wie in ein Farbenmeer getaucht. Hell- und dunkelgrüne, graue,
gelbe, blaue und tiefschwarze Töne liegen in den zartesten Abstufungen
über dem ganzen Gebirgszug. Große Rauchwolken und ungeheure Feuer,
die nach Eintritt der Dunkelheit sichtbar werden, lassen erkennen,
wie fleißig der schwarze Bauer auch dort dabei ist, die Acker- und
Rodungsarbeiten noch vor dem ersten Regen zu beenden.
Ein verspäteter Hirte treibt die Kühe seinem Dorf zu, die säumigen
durch Namensruf zur Eile antreibend: ~Nanzia, Ibanti: herikoni~
(vorwärts)! Einige Vögel singen im Busch ihr Abendlied -- -- --
afrikanischer Abendfrieden! Es ist so still geworden, daß man das Tosen
des Goma-Wasserfalles vernehmen kann. Durch die Schilfdächer der oft
bis auf Rufweite auseinanderstehenden Hütten dringt dicker Rauch, der
anzeigt, daß die Hausfrauen bei der Bereitung des „leckeren Mahles“
sind.
Einige junge Mädchen stehen in fröhlicher Unterhaltung bei der
Schöpfstelle beisammen. Mit einem Holzpfriemen hat jemand in den
Lauf des Quellwassers ein Stück ausgehöhlte Bananenstaude so auf der
Erde befestigt, daß das spärliche Wasser in ihr fortgeleitet wird.
Am Ende dieser Wasserleitung kann man Topf oder Kürbiskalabasse
bequem hinstellen und vollaufen lassen, ohne erst mit dem Mbobo, der
Schöpfkelle, schöpfen zu müssen. Mehrere der Mädchen sind nur mit einem
Fellschurz bekleidet, der den wohlgebauten Oberkörper völlig freiläßt.
Andere, besonders solche, welche die Missionsschule besuchen, tragen
einfache Baumwolltücher. Der Hirte mustert sie wohlgefällig und zieht
grüßend vorüber. Wohl hat er seine Braut unter den Dirnen bemerkt; aber
äußerlich sind beide voller Zurückhaltung. Der junge Bursche hat in
der Herde auch ein Stück eigenes Vieh, einen Teil seines Brautpreises,
nämlich eine Färse und einen Ochsen. Freudigen Auges betrachtet er sie,
wie sie wohlgenährt sind und so sicherlich Gnade vor den Augen des
künftigen Schwiegervaters finden werden.
Unterdes ist die kurze Dämmerung der Nacht gewichen. Die Mädchen haben
noch von dem Tanzfest gesprochen, das am übernächsten Abend im Gehöft
des alten Sempeho stattfinden soll und hoffen, alle ihre Freunde
und Freundinnen zu treffen. Es wird sicherlich recht lustig werden;
fatal ist nur, daß der Missionar ihnen allen am nächsten Morgen die
durchschwärmte Nacht ansieht und womöglich versäumte Schularbeit unter
seiner Aufsicht nachmachen läßt. Aber die eine oder andere tröstet sich
damit, daß Vater oder Mutter zum Lehrer gehen und die Tochter wegen
plötzlicher schwerer Erkrankung entschuldigen wird. Die Freude auf das
Tanzfest läßt sie den gewichtigen Tonkrug mit Wasser leicht heben. Ein
sehr praktisches, aus Bananenbast gearbeitetes Tragpolster ermöglicht
es, die Last frei und sehr graziös auf dem Kopfe zu tragen. Eine jede
eilt auf schmalem Pfade der Hütte der Eltern zu, die im Bananenhain
versteckt liegt.
Langsam schiebt sich der Mond hinter der schwarzen Gebirgswand
Usambaras hervor und taucht alles in sein sanftes Licht. Die saftgrünen
Bananenblätter glänzen wie flüssiges Silber. -- Abend wird es wieder;
über Wald und Feld säuselt Frieden nieder, und es ruht die Welt. --
Es ist eine eigentümliche Stimmung, die über einer afrikanischen
Abendlandschaft liegt. Sie ist ganz verschieden von der unheimlichen
Grabesstille, die über den Palmenhainen der ägyptischen Wüste selbst
tagsüber brütet. Sie regt vielmehr zum beschaulichen Denken an. Man
fühlt sich Gott näher, über die nichtigen Kleinlichkeiten des Alltags
erhaben, als sei man bereits da, „wo der Mensch nicht hinkommt mit
seiner Qual“; denn das Grausamste und Störendste in der Natur ist der
zivilisierte Mensch. Das hat in Afrika so recht der Krieg gezeigt. --
Irgendwo in der Ferne läßt ein Klippschliefer sein melancholisches
„Kochiko“ ertönen. Hin und wieder trägt der Wind uns Bruchstücke einer
Melodie ins Ohr, zu deren Takt einige Kinder sich im Tanze wiegen. Man
denkt zurück an die eigene Kindheit, an die Heimat und die Lieben dort.
Aber trotz allem Weh, das hin und wieder bei solchen Betrachtungen im
Herzen aufsteigen will, erfaßt uns gleichzeitig eine heiße Liebe zu dem
Lande, das uns eine zweite Heimat geworden ist. Hier fühlt man sich
geborgen, weitab vom tollpulsierenden Großstadtleben, aller ungesunden
Kultur und heuchlerischen Zivilisation. Die Verbindung mit den
Naturkindern wird zum Bedürfnis. Man spricht ihre Sprache, man lernt
ihre oft kraus erscheinenden Gedankengänge verstehen, und man gewinnt
ihr Vertrauen. Erst dann kann man die so verschlungenen Wege der
Negerpsyche studieren, und wer sich die Mühe nimmt, die Inlandschwarzen
+so+ kennenzulernen, der nur lernt sie recht kennen und -- lieben.
Wenn sie nur wüßten, die schwarzen Freunde, wie mancher von denen,
die ihnen nur als ~bwana mkubwa~ (großer Herr) oder als ~bibi mkali~
(gestrenge Herrin) gegenübergetreten sind, heute eine große Sehnsucht
nach ihnen und ihrem Lande im Herzen tragen und ihnen manche ungerechte
Schroffheit im stillen abgebeten haben!
Doch kehren wir im Geiste in die oben beschriebene Parelandschaft
zurück, so sehen wir zwei der Wasserträgerinnen, die am weitesten bis
zu ihrer Hütte zu laufen hatten, plötzlich erschrocken stehen bleiben.
Die jüngere unterdrückt mit Mühe ein Uwi!, den Hilferuf des Stammes.
Ein schauriger Laut hat für einen Augenblick die Luft erfüllt. Es klang
wie das zornige Gebrüll eines Ungeheuers, vielleicht eines Löwen,
die hin und wieder ihre Raubzüge bis ins Gebirge ausdehnen. Da war
er wieder! Nun schon ganz in der Nähe! Mit zornigem Gebrumm naht das
Ungeheuer. Sein tiefes Vvuu ist in der ganzen Landschaft vernehmbar.
So schnell wie möglich legen die beiden Mädchen die kurze Strecke bis
zur Hütte der Eltern zurück. Drinnen stellen sie mit allem Ausdruck der
Angst ihre Töpfe hin und fragen: „~Vava, mcheku~ (Vater, Mutter!),
habt ihr es gehört? Ein Löwe! Wir sind tot!“ Die ebenfalls in der
Hütte anwesenden drei Knaben hatten sich, als das unheimliche Gebrumm
ertönte, sofort in den finstersten Winkel der Hütte zurückgezogen.
Sie wußten, daß es mit dem Waldfest in Verbindung stand. Hatte doch
die Mutter bei jedem ihrer dummen Streiche auf die Zeit hingewiesen,
wo sie im Mshitu, dem Waldfest, für ihre Ungezogenheiten würden zu
büßen haben, wenn sie das Waldtier nicht überhaupt ganz verschlänge.
So hielten sie es jetzt für sicherer zu verschwinden. Vater und Mutter
tauschten heimlich ein Augurenlächeln aus, als sie die Angst ihrer
Kinder sahen; aber nur heimlich! Je geheimnisvoller den Kindern die
alten Gebräuche und Kulthandlungen erscheinen, desto weniger werden
sie geneigt sein, das Christentum anzunehmen. Die Eltern haben ein
über das Diesseits hinausgehendes Interesse daran, daß ihre Kinder
an dem alten Ahnendienst festhalten. Denn wie schlecht wird ihre
Stellung im Geisterreiche sein, wenn ihre eigenen Kinder keine Opfer
bringen! Sind sie Christen geworden, so werden sie das natürlich
nicht tun, und darum versuchen dies die Eltern mit allem Aufwand von
Gewalt und List zu verhindern. Der Vater erklärt also: „Die Tiere, die
draußen durch die Landschaft ziehen, sind Ngurunguru, die Abgesandten
oder Kinder des Waldtieres. Dieses selbst ist zu groß, um im Lande
umherzuziehen. Es bleibt im Walde, um auf die Knaben zu warten, die
es frißt und dann wieder ausspeit. Seine Boten aber machen im ganzen
Gebirge, ja selbst bis nach Usambara hinüber auf das bald stattfindende
Wald- und Stammesfest aufmerksam.“ Hätten die erschrockenen Kinder
allerdings gesehen, daß jenes fürchterliche Gebrüll von Männern
hervorgebracht wird, die an einem Strick ein etwa 30 ~cm~ langes
Schwirrholz durch die Luft sausen lassen, ihre Furcht hätte sich
wohl gelegt. So aber erhebt der schwarze kleine Krauskopf Kiondo
im Winkel ein klägliches Geheul, als ihm die Mutter droht, ihn nun
diesen Waldungeheuern zum Fraße vorzuwerfen. Er hatte sich heute
wieder, anstatt auf die ihm anvertraute Ziege aufzupassen, in sein
Spiel mit Pfeil und Bogen vertieft. Die Mutter hatte noch feuchten,
eben enthülsten Mais in einem Strohteller auf das niedrige Hüttendach
zum Trocknen gestellt. Der war von der Ziege heruntergestoßen und
aufgefressen worden. Ein ganz kleiner Teil lag noch auf der Erde
verstreut. Als die Mutter mit einer Last Holz auf dem Kopfe nach Hause
kam, fand sie ihren hoffnungsvollen Sprößling auf der Erde kniend
und damit beschäftigt, eifrig den Schmutz aus dem traurigen Rest des
schnell aufgelesenen Maises zu blasen, um zu versuchen, den Status
quo ante wieder herzustellen. Beim Anblick der zornigen Mutter fiel
dem kleinen Missetäter im Augenblick keine bessere Ausrede ein, als
den Sturm für das fatale Ereignis verantwortlich zu machen. Aber die
herrschende Windstille und des Buben schuldbewußtes Armsündergesicht
nahmen seinen Ausführungen jegliche Beweiskraft, und die Mutter
drohte ihm eine furchtbare Strafe an. Jetzt bot sich Gelegenheit, die
Ngurunguru für ihre häusliche Pädagogik heranzuziehen, und davon wurde,
wie das langanhaltende Geheul Kiondos bewies, ausgiebiger Gebrauch
gemacht, bis er versprach, fortan ein wahrer Musterhirte zu sein.
Was war nun die Veranlassung, daß an jenem Abend die „Kinder des
Waldtieres“ wiederum einladend das Land durchzogen? Der alte reiche
Häuptling Kantu hatte von seiner Lieblingsfrau kein Kind. Alle
Medizinmänner hatten ihre Kunst versucht. Das Orakel hatte auf diesen
oder jenen möglichen Hinderungsgrund aufmerksam gemacht. Aber umsonst,
die Frau blieb steril. Schließlich, vielleicht durch einen Traum oder
durch den Wahrsager auf die rechte Spur gebracht, ging Kantu in den
heiligen Wald und erbat von ihm, das heißt von seinen Hütern, den
Ahnen, einen Sohn. Er gelobte ein großes Opfer, eben das Waldfest,
falls sie seine Bitte gewähren würden. Im nächsten Jahr hielt er
einen Sohn in seinen Armen. Etwa fünf Jahre sind darüber ins Land
gezogen. Da wird der Junge schwerkrank, und das Orakel bezeichnet
die Krankheit als eine Botschaft der Waldgeister, die Kantu an sein
Opfergelübde erinnern, das er schnell mit einem Gebet um Genesung des
Kindes erneuert. Als auch diese seine Bitte Erhörung gefunden, hat er
die Angehörigen seiner Sippe und die Alten und Angesehenen des Landes
zusammengerufen, und man verabredet, in etwa sechs Wochen das Fest zu
feiern.
Das war also der Grund für die oben erwähnten Ngurunguru, durchs Land
zu ziehen, um allen, die aufnahmefähige Söhne haben, das Nahen des
Termines kundzutun. Nur Söhne kommen in Frage, denn Frauen dürfen das
geheimnisvolle Dunkel des Waldes nicht betreten. Trotzdem hat das
Mshitufest auch für sie als Fruchtbarkeitsfest eine hohe Bedeutung,
behaupten doch alle Vapare, vom „Walde“ geboren worden zu sein, indem
sie anscheinend dort die Wurzel ihrer Zeugungskraft erblicken. --
Kaum hatte sich der kleine Kiondo in seinem Winkel beruhigt, als die
Ngurunguru mit starkem Brummen vor der Hütte erschienen, vom Vater
drinnen der Sitte gemäß mit ~Murye, murye!~ = Friß ihn! begrüßt.
Die Mutter stellt schnell etwas Essen vor die Tür, hofft sie doch am
andern Morgen einen kleinen Stock daneben liegen zu finden als Hinweis
auf ein bald zu erwartendes Töchterchen.
Der Vater teilt nun seinen drei Söhnen mit, daß sie auch das Fest
mitmachen müßten, um als vollberechtigte Stammesglieder zählen zu
können. Kiondo ist ja eigentlich noch reichlich jung; aber in den
heutigen Zeiten mit ihren modernen Ideen, welche die Jungen aus der
Schule und von ihren Besuchen in den durch Trägerverkehr und Islam
aufgeklärten Steppenortschaften mitbringen, ist es besser, dem Kinde
die Stammeszugehörigkeit so bald als möglich zu sichern. Denn ein
Mensch, der nicht im Mshitu gewesen, ist nichts, ist ein Mshundi,
ein Ausgestoßener, der eine Gefahr für seine Eltern und Anverwandten
bildet, indem er den Zorn der Geister auf sie herabbeschwört. Er
kann nicht heiraten, kann kein Opfer darbringen; er ist eben kein
Volksgenosse. Hat er aber das Stammesfest mitgemacht, so kann er schon
eher Christ werden. Seinem Rücktritt ins Heidentum steht dann jederzeit
der Weg offen. Was für Kämpfe die jungen Christen durchzumachen haben,
welche die Teilnahme an diesem Hauptfest auf Grund ihrer neugewonnenen
Überzeugung verweigern, können wir Europäer uns erst dann richtig
vorstellen, wenn wir erkannt haben, welch einschneidende Folgen die
Nichtbeachtung solch heidnischer Form nicht nur für den Betreffenden
selbst, sondern auch für seine heidnischen Angehörigen nach ihrem
Glauben hat. Diese werden natürlich in solchem Falle sämtlich mobil
gemacht, um durch Güte und Gewalt den Jüngling zurechtzubringen.
[Illustration: Senamwai.]
So war es auch bei Kiondos Bruder, Senamwai, dem Primus der
Missionsschule gewesen. Von Jugend auf schwächlich, hatte er bei
einer Pockenseuche das rechte Auge eingebüßt. Aber in dem schwachen
Körper wohnte ein lebhafter Geist. Schon bevor die Mission in sein
Land kam, hatte Senamwai es sich angelegen sein lassen, an Hand einer
alten Fibel, die aus der Regierungsschule Tanga ihren Weg ins Innere
gefunden hatte, die Anfangsgründe des Lesens zu erlernen. Kaum war
die Missionsschule gebaut, als er nicht nur der regelmäßigste und
beste Schüler wurde, sondern in seinem Bildungsdrange den Missionar
um besondere Fortbildungsstunden bat. Groß war seine Freude, als
er eines Tages als Anerkennung seines Fleißes ein Neues Testament
in der Kisuahelisprache erhielt. Offen kündigte er seinen Eltern
an, daß er beabsichtige, Christ zu werden. Gerade hatte man den
Aufbruch zum Mshitu für einen der nächsten Tage verabredet, als diese
Worte Senamwais wie eine Bombe ins Haus fielen. Das gab eine schöne
Aufregung; denn beim letzten Mshitu vor etwa fünf Jahren hatte Senamwai
an Lungenentzündung daniedergelegen und konnte nicht mitgenommen
werden. Nun boten seine Eltern alles auf, den Jungen zu überreden,
sich nicht etwa durch die Taufe in das „christliche Fest“ aufnehmen zu
lassen, bevor er den Mshitu mitgemacht habe. Unter anderm drohten sie,
ihm die Herausgabe jeglichen Viehs für den Brautpreis zu verweigern,
wenn er sie in die Gefahr bringen würde, einen Ausgestoßenen zum Sohn
zu haben. Auch erzählte man ihm, daß er bei dem „Fest der Aufnahme“
(Taufe) in die christliche Gemeinschaft Schlangen und Krähen essen
müsse und bald nach Europa geschickt würde. Übrigens habe man ihn schon
beim Missionar für die Dauer des Festes vom Schulbesuch entschuldigt,
und dieser habe seine Einwilligung gegeben. Ausschlaggebend aber
war das Versprechen, nach Beendigung des Mshitu seiner Teilnahme am
Taufunterricht auf der Mission keinerlei Schwierigkeiten mehr in den
Weg zu legen. Diese Aussicht machte Senamwai dem Willen der Eltern
gefügig.
Der vierte Tag der Festwoche ist herangekommen, und damit der Tag des
„Aufbindens des Festes“. Jeder Neuling hat einen bestimmten Helfer, den
Mkunjiga, zum Führer, der ihm sagt, was er zu tun und zu lassen hat.
Sie haben sich schon alle in einem der größeren Gehöfte versammelt,
und jedem Mwai werden von einer Frau unter Beobachtung sehr anstößiger
Zeremonien und Absingen allerlei geiler Lieder die Kleider völlig
ausgezogen. Da das Mshitufest ein ausgesprochenes Fruchtbarkeitsfest
ist, so wird das sexuelle Moment in allen Liedern scharf betont. Bald
darauf haben sie ihre erste Standhaftigkeitsprobe, die im vorigen
Kapitel näher beschrieben worden ist, zu bestehen. Als der Mann sich
auf den Rücken der auf dem Boden Liegenden herumwälzt und die Zuschauer
ihr Murye! rufen, klopft dem kleinen Kiondo das Herz zum Zerspringen.
Gedenkt er doch der furchtbaren Dinge, die ihm seine Mutter als Strafe
für seine Unarten so oft in Aussicht gestellt hat. Früher hat er sie
ausgelacht, aber hier wird ihm doch recht weinerlich zumute. Die Sache
scheint bitterernst zu werden. Hoffen wir, daß er im stillen Besserung
gelobt. Sein Bruder, Senamwai, hat ihm heute morgen erst anvertraut,
daß er sich, sobald das Fest beendet sei, in den Taufunterricht des
Missionars aufnehmen lassen wolle. In der christlichen Lehre, soviel
hat auch er schon in der Schule gelernt, ist nichts Furchterweckendes,
wie es mit den meisten heidnischen Gebräuchen und auch mit diesem
Waldfest verbunden ist. Vielleicht will Kiondo sich gerade in seinem
Herzen ebenfalls für das Christentum entscheiden, als er in diesem
Entschluß gleichzeitig erschüttert und bestärkt wird, denn nunmehr hält
der Pseudo-Waldlöwe ihnen allen eine Ermahnungsrede: „Laßt euch von den
Mädchen nicht betören und teilt ihnen nichts aus unserm Fest mit, damit
ihr nicht aussätzig werdet. ..“ Weil Senamwai und sein Freund Mavura
zum Christentum hinneigen, fügt er jetzt noch mit besonders drohender
Stimme hinzu: „Verspottet unsre Mysterien nicht und gebt sie nicht den
Europäern preis! Laßt euch nicht taufen und fallt nicht von uns ab.
Reden euch die Missionare zu, so sagt ihnen: Wir können das nicht tun,
wir werden sonst bestimmt aussätzig werden!“
Um nun dieser eindringlichen Mahnung den nötigen Nachdruck zu
verleihen, gibt er jedem der Daliegenden einige heftige Schläge mit
dem Knittel auf Fersen, Waden, Kreuz, Schulterblatt und Kopf. Senamwai
und Mavura erfahren hier wohl zum ersten Male, daß sie als Christen
für ihre Überzeugung werden dulden müssen, denn sie werden besonders
„eindringlich ermahnt“.
Die hier geschilderten Vorgänge beim „Aufbinden des Festes“ haben
sich genau so in allen Dörfern des ganzen Gebirges, die Kinder zum
Mshitu entsenden wollen, abgespielt. Nachmittags kommen Scharen
nackter Burschen, ihre Stöcke in der Hand, einer hinter dem andern
marschierend, in großen Schlangenlinien von allen Seiten angezogen,
um die Nacht in Hütten zu verbringen, die in der Nähe des heiligen
Haines sind. Einem dieser Züge schließen sich unsre drei Bekannten mit
ihren Freunden an. Von allen Seiten hallen die Berge wider von ihrem
Marschgesang: „Kommbo ehee, kommbo-e, hoe!“ Oder sie singen: „Mutter,
binde dir einen Strick von Bananenfasern um, denn dein Sohn ist in die
Steppe gewandert.“
[Illustration: Mgaia mit Ohrschmuck.]
[Illustration: Darstellung auf dem Markt nach Beendigung des letzten
Mädchenfestes.]
[Illustration: Tanz der Frauen beim letzten Mädchenfest.]
[Illustration: Pare-Frauen.
Rechts unten stehende Frau mit kreisförmig abrasiertem Kopfhaar gleich
dem des Kindes.]
Plötzlich sieht man einen der Züge haltmachen und alle Burschen sich
hinlegen. Sie sind vor einem Wasserlauf angekommen, und der Gebrauch
will es, daß sämtlichen Neulingen vor dem Übergang zuerst die oben
geschilderte Prügelstrafe erteilt wird. Wenn die Eltern bis dahin
versäumt haben mögen, den Stock anzuwenden, so wird hier alles in
einem summarischen Verfahren nachgeholt, und mancher der Jungen wird
nach solch mehr oder weniger schmerzlichem Vorspiel mit ziemlichen
Bedenken dem Hauptakt, dem Verschlungen- und wieder Ausgespienwerden
durch den Festlöwen, entgegensehen. Viele ärgern sich, daß die
Standhaftigkeitsproben, die sie hier und später noch auszuhalten haben,
gleichzeitig zur Belustigung der zuschauenden Männer erfunden zu sein
scheinen. Mancher mag sich damit trösten, daß er in den nächsten
Jahren auch Zuschauer sein wird, während dem einen oder andern der
Geweckteren wohl eine Ahnung von der Torheit all dieser heidnischen
Gebräuche kommt. Gewiß, es liegen in diesen und vielen andern Sitten
auch erzieherische Momente. Aber die verderblich wirkende Schale, durch
die man sich hindurcharbeiten muß, ist so dick, daß der kümmerliche
ethische Kern zu teuer erkauft ist, und ob außer philosophisch
veranlagten Europäern von den Negern je einer vor lauter Schale den
kleinen guten Kern jemals erkannt hat? Es ist hier wie so oft der
Fall, daß das Christentum den Kern, das erstrebenswerte Ziel, deutlich
zeigt und auch den Weg, dies Ziel zu erreichen, während das Heidentum
selbst den kümmerlichen Kern, den es noch erhalten hat, durch eine rein
sinnliche Schale verdeckt, wenn nicht völlig vernichtet.
Unsre drei Freunde sind nun unter den im vorigen Kapitel beschriebenen
Zeremonien von dem Waldungeheuer verschlungen und wieder ausgespien
worden. Auf Senamwai hat das Fest keinen Eindruck gemacht. Im
Gegenteil, ihm erscheint das Ganze recht sinnlos, und deutlich erinnert
er sich einer Predigt in der Missionskapelle. Da hatte der Missionar
aus dem 1. Kapitel des Römerbriefes gelesen, daß die Heiden aus der
Schöpfung Gott nicht ersehen, sondern seine Herrlichkeit in das
Bild des vergänglichen Menschen verwandelt hätten. Das waren ja die
Ahnengeister, die im Waldfest angerufen und versöhnt werden sollten.
In dem heiligen Buche hatte er weiter gelesen, daß Gott es solcher
Verirrung halber zugegeben habe, daß sie in ihrem Dichten eitel
geworden und ihr unverständiges Herz verfinstert worden sei. Dem schon
älteren und sehr aufgeweckten Jüngling erschien plötzlich das ganze
Heidentum wie das geheimnisvolle Dunkel des Mshitu, den sie soeben
verlassen hatten, aus dem gleichzeitig fröhlicher Tanzgesang und die
furchterweckende Stimme des Waldungeheuers erschollen war. Sie hatten
mitten darin gestanden, nackt, vor Furcht und Kälte zitternd. Er wußte,
daß trotz aller fröhlichen Feste und Gelage, welche die Alten so häufig
in der ausgelassensten Weise abhalten, ein Gespenst ihnen auf Schritt
und Tritt folgte: die Furcht vor ihren selbsterwählten Göttern, den
Ahnengeistern, und vor dem Heer der andern zu versöhnenden Wesen.
Diese Furcht ließ sie nie recht froh werden. Es war ihm, als ob dieses
Gespenst in jeden Becher der Freude ein paar Tropfen Wermut träufele.
Ja, sie waren im Banne der Furcht. Sie standen nackt und zitternd im
Finstern, wie das Wort des Christengottes es gesagt hatte. Und weiter
hatte der Missionar gelesen: „Darum hat sie auch Gott dahingegeben in
ihrer Herzen Gelüste, in Unreinigkeit, zu schänden ihre eigenen Leiber
an sich selbst.“ Wie viele schändliche und unanständige Worte hatte
er in diesen Tagen gehört! Ja, selbst jetzt, während sie so schamlos
nackend mit ihrem Misenge in den Händen dahinziehen mußten, waren sie
da nicht eine lebendige Illustration der Worte: „Darum hat sie Gott
auch dahingegeben“ und „sind in ihrem Dichten eitel geworden, und ihr
unverständiges Herz ist verfinstert“? Ja, die letzten Zweifel waren ihm
geschwunden. Sein Entschluß, Christ zu werden, stand fest.
Während diese Gedanken Senamwais Herz bewegten, erscholl der Gesang
seiner vor und hinter ihm im Gänsemarsch gehenden Kameraden laut durch
die Landschaft:
„Mutter, binde deine Trauerbänder los,
denn wir haben deinen Jungen wieder mitgebracht.“
In jedem Flecken, durch den sie kommen, werden sie von den Frauen und
Mädchen mit Freudentrillern empfangen. Die Mütter im Heimatdorf haben
in der Zwischenzeit reichlich Speise gekocht und Bier bereitet. Sobald
der Gesang der Heimkehrenden hörbar wird, sammeln sich die Frauen vor
der Hütte des Häuptlings, um dort ihre Kinder zu erwarten.
Die nächsten Tage werden auf dem Kiugaplatz zugebracht, wohin die
Neulinge mit ihren Helfern nach jedem „Pflückgang“ zurückkehren. Als
an einem Tage der reiche aber geizige Selukindo sah, daß man ihm
seinen besten Hahn „pflücken“ wollte, sprang er wütend dazwischen und
verweigerte den „Dieben“, wie er die Knaben in seinem Zorn schalt,
nicht nur die Mitnahme des Hahnes, sondern auch jeden Ersatz. Das war
eine starke Verletzung der althergebrachten Sitte, die gesühnt werden
mußte. Auf Befehl ihrer Helfer steckten also alle Vai ihre „Misenge“
in das Dach seines Hauses und zogen dann ab. Das so gespickte Dach
wurde dem Alten mit der Zeit doch unheimlich, und immer wieder trat
er vor die Hütte und streifte mit scheuem Blick die ihm jetzt Grauen
erregenden weißen Stöcke. Unzweifelhaft, der Fluch des Waldes und der
Ahnen würde auf ihm ruhen. Was konnte das alles für Folgen haben! Ihm
graute vor der Nacht. Überhaupt fühlte er schon solch eigentümliche
Mattigkeit in den Gliedern! Etwas mußte geschehen. Unter dem mit den
heiligen Stöcken gespickten Dache würde er keine Ruhe finden. Noch
eine Weile rang er mit seinem Geiz. Endlich machte er sich mit einem
Ziegenbock auf den Weg zum Kiugaplatz, wo die Festgesellschaft diese
Sühne gern entgegennahm und sogleich die Misenge durch die Vai holen
ließ.
Auf diesem Kiugaplatz bleiben die Knaben mit den Alten bis gegen Ende
der Woche. Durch Geschicklichkeit und Standhaftigkeitsproben muß sich
jeder das „Recht auf die Frauen“ erringen. Endlich, nachdem die Knaben
allen beschriebenen Zeremonien unterworfen worden sind, läßt man sie
noch einmal durch die weihenden Flammen eines Feuers springen. Dann
legen die Vai ihren Schmuck ab. In die Landschaft, die tagelang von
Festgesängen und Freudentrillern widerhallte, ist wieder der Alltag
eingekehrt. Nur die kleinen Burschen unterhalten sich wohl noch
längere Zeit von dem Feste und sehen halb mit Neugierde, halb mit
Bangen der Zeit entgegen, wenn auch sie von den nunmehr Eingeweihten
hineingebracht werden in das
Ngasu ya mshitu.
[Illustration]
Achtes Kapitel.
Die Heirat.
Werbung, Hochzeit, Haussklave.
Vor der Verheiratung herrscht ziemlich große Sittenlosigkeit. Der
Verkehr zwischen beiden Geschlechtern beginnt früh. Dem Knaben wird
bei diesem Verkehr nichts in den Weg gelegt. Im Gegenteil, ihm
würde ein moralisches Betragen als unmännlich ausgelegt werden und
den Namen ~kirundu~ = Dummkopf eintragen. Und das möchte sich
keiner sagen lassen. Es ist bezeichnend für die Auffassung unsrer
Leute in dieser Sache, daß sie für einen sittenreinen Lebenswandel
eines jungen Burschen, wenn er einmal beobachtet werden sollte, als
Grund nur Impotenz anzugeben wissen. Ist der Vater arm, so ermahnt er
wohl seinen Jungen zur Vorsicht, da er nicht genügend Kühe habe, ihm
eine Frau zu „kaufen“ und auch noch für die Folgen seiner Torheiten
Bezahlung zu leisten. Aber diese Ermahnung bezieht sich nicht auf den
unmoralischen Lebenswandel selbst sondern nur auf seine Folgen, die
in einigen wenigen Fällen ein an den Vater des Mädchens zu zahlendes
Sühnegeld erheischen. Für einen impotenten Mann ist eine Verheiratung
völlig ausgeschlossen, oder die Ehe wird in allerkürzester Zeit wieder
aufgelöst.
Bei den jungen Mädchen besteht nun die Gefahr, daß dieser Verkehr vor
Beendigung der Frauenfeste Folgen haben und sie so ~kirya~ werden
könnten. Diese Furcht hat bei den Sippen, die das letzte Frauenfest
nicht vor dem Eintritt der ersten Menses feiern, das Gute, daß die
Mädchen im allgemeinen bis zu diesem Zeitpunkte unberührt bleiben.
Dieselbe Furcht trägt aber bei den meisten andern Stämmen dazu bei,
die Kinder möglichst früh die Feste durchmachen zu lassen. So kommt
es, daß sie oft schon längst vor Eintritt der ersten Menses aus dem
Ngasu entlassen werden und bei dieser Gelegenheit, wie wir oben schon
sahen, offiziell die Erlaubnis zum Verkehr mit den jungen Burschen
erhalten. Trotz aller Versuche ist es wohl ausgeschlossen, gegen diese
sicher äußerst verderbliche Unsitte irgendwie wirksam vorzugehen. Sie
wird wohl solange bestehen, bis das Christentum den Bann der Furcht
gebrochen und die Anschauungen der Wapare auch in diesem Punkte
veredelt hat.
Hat der Parejunge zu irgendeinem Mädchen eine Zuneigung gefaßt, so
geht er eine Art Scheinheirat mit ihr ein (~kugwira kiso~), d. h.
der Jüngling gibt dem Mädchen irgendein kleines eisernes Halskettchen
od. dgl. und erhält wohl auch eine Perlschnur als Unterpfand der
Liebe. Für das Mädchen hat das Pfand noch eine praktische Bedeutung.
Denn für die Defloration erhält die Mutter zwei Ziegen, und zwar als
ihr persönliches Eigentum. Aus diesem Grunde wird, wie wir schon am
Ende des zweiten Mädchenfestes sahen, das Hymen von den Frauen einer
Besichtigung unterzogen und das „reine“ Mädchen unter Freudentrillern
in die Höhe geworfen. Wenn es dann mit jungen Burschen verkehrt,
so findet man das ganz in Ordnung. Wenn es aber nachher nicht den
festzustellen vermag, der die zwei Ziegen an die Mutter zu zahlen
hat, so gilt das als sehr verwerflich, und die Mutter ist äußerst
entrüstet. Denn von der ganzen Morgengabe gehören ihr nur diese beiden
Ziegen. Sie bilden überhaupt das einzige Gut, über welches der Frau das
Verfügungsrecht zusteht. Um so begreiflicher ist beider Wunsch, diese
Ziegen nicht verloren gehen zu lassen, was nach Erhalt eines derartigen
„Verlobungszeichens“ auch kaum möglich ist. Durch Rückgabe der Kette
wird die Liebschaft aufgelöst.
Hat dieser freie Verkehr Folgen, so muß der Vater die üblichen drei
Ziegen zahlen. Das uneheliche Kind heißt ~mwana wa kaya~ =
Hauskind, nämlich das im Elternhause geborene. Früher blieb es bei
den Eltern des Mädchens als ihnen gehörig. In neuerer Zeit wird oft
der folgende Rechtsgrundsatz beobachtet: Ist das Kind männlichen
Geschlechtes, so ist dem Vater des Mädchens ein Ochse zu zahlen,
im andern Fall eine Färse. Dafür gehört das Kind dem Vater, der es
gezeugt hat. Doch das ist, wie gesagt, eine neue Sitte. Früher hatte
der Erzeuger kein Recht an das Kind. Er mußte nur bezahlen, und zwar
selbst in dem Falle, wenn er sich mit der Absicht trug, das Mädchen zu
ehelichen.
Will ein Parejüngling heiraten, so macht er seinem Vater von seinem
Vorhaben Mitteilung. Hat dieser nicht genügend Rinder für die zu
zahlende Morgengabe, dann sucht er eventuell ausstehende Forderungen
bei seinen Schuldnern einzutreiben oder eine oder zwei Kühe zu borgen.
Wenn er vermögend ist, steht dem Sohne nichts im Wege, auf Brautschau
zu gehen. In früheren Zeiten wurden die Verhandlungen einfach zwischen
den beiderseitigen Eltern geführt, die eine Verbindung ihrer Kinder
wünschten und dann oft mit Gewalt durchsetzten. Heutzutage zwingt man
die Kinder auch noch oft genug zu einem solchen Schritt; aber in der
Regel sucht sich der junge Mwasu seine Braut selbst. Hat er ein Mädchen
gefunden, das seinen Augen gefällt, dann hält er entweder selbst darum
an oder sendet einen Freund als Brautwerber zu ihr. Briefliche Anfragen
sind schon gar nichts Seltenes mehr, bei der Schreiblust der Neger
eine begreifliche Tatsache. Und wenn man diese Briefe liest, von der
ersten schüchternen Anfrage an bis zum glühenden Liebesbrief, so kommt
man immer wieder zu der Einsicht: Farbe, Sprache, Sitten und manches
andere mag uns sehr fremdartig anmuten; aber was das rein Menschliche
betrifft, bestehen keine nennenswerten Unterschiede. Einmal las ich
einen solchen Brief folgenden Inhalts: „Ich liebe Dich heiß und möchte
Dich heiraten. Wenn Dein Herz so fühlt wie meins, dann werden wir
nicht voneinander ablassen. Du und ich, wir sind wie der Fisch und das
Wasser (d. h.: Wir können nicht voneinander lassen, ohne zu sterben).“
Um nicht den Eindruck zu erwecken, daß es schon lange gerade auf +den+
Freier gewartet habe, stellt sich das Mädchen zuerst so, als wolle es
ihm einen Korb geben. Heute, wo auch die Mädchen schreiben und lesen
können, sind sie diesbezüglich etwas freier und geben oft ihrerseits
die Zusage schriftlich. Sind sich die beiden einig, dann geht der
Freier zu seinem zukünftigen Schwiegervater und hält um die Hand seiner
Tochter an. Der sagt ihm wohl: „Wenn meine Tochter dich nur liebt,
ich bin schon damit einverstanden. Komme morgen wieder her, heute
abend werde ich mit ihr reden.“ Am Abend entspinnt sich etwa folgendes
Gespräch:
Vater (zu seiner Frau): Du, Frau, heute hat der Soundso um unsre
Tochter angehalten; frage sie doch einmal, ob sie den leiden mag.
Mutter: Nun hat sie es ja schon gehört, da brauch’ ich sie nicht
nochmals zu fragen.
Tochter (verschämt): Was der Vater Dir erzählt hat, habe ich nicht
verstanden.
Mutter wiederholt.
Tochter: Wenn ihr ihn liebt, dann mag er mich heiraten, gegen euren
Willen will ich nichts unternehmen.
Vater: Wir haben ihn gerne, es hängt nur von dir ab.
Tochter: Ich mag ihn leiden.
Am nächsten Tage spricht der angehende Bräutigam wieder vor, um sich
seine Antwort zu holen. Der Schwiegervater teilt ihm mit, daß seine
Tochter einverstanden sei, er aber seinen Vater sehen möchte. Dieser
vereinbart später mit dem Vater des Mädchens einen Tag, an welchem er
ihm die Morgengabe (~kikwe~) zeigen will. Die Zahl der Rinder,
welche den „Kaufpreis“ bilden, schwankt etwas bei den verschiedenen
Stämmen. Die Vampare haben den Satz: zwei Färsen (~mori~), einen
Ochsen (~isemuntu~), vier Ziegen (~ža ntaira~) und noch
zwei weitere Ziegen (~lutara~ und ~kirongorira ng’ombe~).
Andre Sippen fordern zwei Ochsen, aber weniger Ziegen, die Vamuhezi
gar drei Färsen, drei Ochsen und eine Ziege. Die verschiedenen Tiere
tragen ihre bestimmten Namen, mit welchem oft auf die Ziegen bzw.
Ochsen Bezug genommen wird, welche man während des Mädchenfestes der
Sitte gemäß hatte schlachten müssen. ~Isemuntu~, zusammengesetzt
aus ~ise~ = der Vater, und ~muntu~ = des Menschenkindes,
ist der Ochse, der in erster Linie dem Vater der Braut allein gehört
und meistens bei irgendeiner Gelegenheit am Bratspieß sein Leben
beschließt. Selbstverständlich gehören auch die übrigen Rinder
ihm; aber die Söhne würden doch aufbegehren, wenn es dem Vater in
den Sinn kommen sollte, ihr ganzes Erbe zu verschleudern oder gar
„aufzuessen“. Die eine der Ziegen nennt man ~kirongorira ng’ombe~
= „Vorläufer der Kühe“. Am wichtigsten ist die ~mbuži ya lutara~
= „Zähl-Ziegenbock“. Mit ihm hat es folgende Bewandtnis. Am Tage der
Übergabe der Kikwe bereitet der Vater des Bräutigams reichlich Bier.
Vier Kalabassen trinkt man mit all den Erschienenen draußen vor dem
Hause aus. Dabei machen sich die beiden Väter auf ihre Verpflichtungen
aufmerksam, die für einen jeden nach Sitte und Recht bestehen und die
Ehescheidung erschweren sollen. Diese Beratungen nennt man ~kuchunga
lutara~ = das Gezählte (Vieh der Morgengabe) festbinden. Der Vater
der Braut will nämlich die ihm als Kikwe übergebenen Kühe nicht nur
eine kurze Zeit „hüten“, um sie dann wieder wegen Auflösung der Ehe
zurückzuzahlen. Er hat vielmehr ein Interesse daran, die Kühe dauernd
zu besitzen, was selbst nach Auflösung der Ehe unter bestimmten
Umständen rechtlich zulässig ist. Nach dieser Lutara-Besprechung
trägt der oben erwähnte Ziegenbock seinen Namen. Er ist deshalb so
außerordentlich wichtig, weil die Ersatzpflicht für sämtliche dem
Schwiegervater bereits übergebenen Kühe erst nach seiner Bezahlung
erlischt. Anderseits besteht selbst nach erfolgter Scheidung das
Eheverhältnis noch so lange, bis diese Lutara-Ziege von dem ehemaligen
Schwiegervater erstattet wurde, was rechtlich oft von großer Bedeutung
ist.
Hat man die vier Kalabassen leergetrunken, so wird der Bräutigam
aufgefordert, seinen Schwiegervater und dessen Begleitung in das
elterliche Haus zu führen, wo die Gäste im engeren Kreise nochmals
bewirtet werden. Den Scheidenden gibt man eine recht bauchige
Bierflasche mit auf den Weg. Es bleibt noch zu erwähnen übrig, daß man
gewöhnlich der Sitte gemäß nicht alle Rinder gleich einfordert, sondern
nur eine Färse und einen Ochsen. Erst nach der Geburt des ersten Kindes
läßt der Schwiegervater sich das restliche Vieh geben. Dann ist nämlich
die Gefahr einer Ehescheidung so ziemlich beseitigt.
Nach einigen Wochen wird die offizielle Hochzeit festgesetzt. Der
Vater des Mädchens beauftragt seinen Schwiegersohn vorher noch, zwei
Kalabassen mit Bier zu bringen, ~cha mzango~ (das der Werbung)
und ~cha mvužo~ (das der Frage, welche die Eltern an die Tochter
richteten). Eigentlich hätte man das Bier schon früher bei den
betreffenden Gelegenheiten bringen sollen; aber man macht sich nicht
gerne die Mühe des Bierbrauens, ehe man sicher weiß, daß die Heirat
zustandekommen wird. Am Hochzeitstage verlegen die Brüder der Braut
und die Nachbarn den Weg zum elterlichen Hause mit Dornzweigen, um das
Einholen der Braut zu einer schwierigen Sache zu machen. Vielleicht
hat früher geübter Frauenraub zu dieser Sitte mit die Veranlassung
gegeben. Heute ist sie aber zu einer bloßen Form geworden, über deren
eigentliche Bedeutung die Leute selbst nichts zu sagen wissen. Bald
erscheint der Bräutigam mit einer Schar junger Mädchen und Frauen, die
zwölf Kalabassen mit Bier tragen. Weithin hört man ihren Gesang:
~Niratere ng’ombe yangu e,
hahee!
orerie!
Sina nkondo na muntu.~
Das heißt:
Ich gehe meiner Kuh (dem gezahlten Brautpreis) zwar nach,
hahee!
orerie!
Doch Krieg hab’ ich mit niemand.
Damit soll gesagt sein: Ich bin nicht etwa von jemand beraubt worden,
daß ich nun Krieg mit ihm machen müßte (Viehraub ist Kriegsgrund). Es
soll also in diesem Gesang der friedliche Charakter des „den Kühen
nachgehen“ zum Ausdruck kommen. Denn sonst könnte man denken, es handle
sich um jemand, der seinem geraubten Vieh nachgehe und Krieg machen
wolle.
Unter jenem Wechselgesang nähert man sich dem Brauthause. Die
Dornenhindernisse werden beiseitegeworfen. Die in der Nähe des Dorfes
Stehenden rufen dem Zuge höhnisch entgegen: ~Tekaende!~ = sie wird
nicht gehen! Der Brautzug antwortet zuversichtlich: ~Eneenda!~ =
sie wird schon gehen! Vor dem Hause angekommen, singen sie:
~Kavata isanzu, ranya, ranya
Ho ranya ehee!~
Das heißt:
Die Dornenzweige haben wir zertreten,
Wir haben sie zerstampft, zerstampft!
Und unter Tanz singen sie alle:
~Mring’a kuchechente, ni hala webandie~!
Das heißt:
Du Massai, spring hoch und tanze,
denn du bist dick vom Essen!
Damit wird auf das Bier angespielt, welches der Bräutigam in genügender
Menge mitgebracht hat und er deshalb so siegesgewiß auftreten kann.
Unter allerlei Formalitäten wird nun das mitgebrachte Bier in zwei
große und mehrere kleine Kürbisflaschen gegossen, die alle ihre
besonderen Namen haben. Im Hause findet darauf ein großes Festessen
statt. Der reichliche Biergenuß erzeugt bald eine ausgelassene
Stimmung. Endlich mahnt der Bräutigam zum Aufbruch. Der Vater bittet
einen Augenblick um Ruhe, um für seine scheidende Tochter den Ahnen ein
Trankopfer darzubringen. Mit dem gefüllten Trinkhorn hockt er vor dem
Hausaltar nieder und betet:
„Ihr Ahnen, nehmt dies Bier! Meine Tochter übergebe ich heute ihrem
Manne. Wenn sie jetzt mit ihm geht, laßt es ihr wohlergehen, daß sie
friedlich lebt und Kinder bekommt, daß ich mich des Besitzes der
erhaltenen Rinder freuen kann.“ Bei diesen Worten gießt er das Bier
langsam auf die Erde.
Natürlich fehlt es bei einer solchen Hochzeit nicht an vielen
anzüglichen Gesängen, die nach unsrer Anschauung die Grenzen des
Schicklichen weit überschreiten. Aber es ist größtenteils die
Unbefangenheit der Naturkinder solchen Dingen gegenüber, die darin
zum Ausdruck gelangt. Das Natürliche ist ihnen eben natürlich, eine
Auffassung, der wir auch in der Bibel oft begegnen. Sie sind sogenannte
„Wilde“, die Europas übertünchte Höflichkeit nicht kennen, und die,
um mit einem englischen Ausdruck zu reden „~a spade a spade~“
nennen. Damit will ich nicht etwa alle diese Dinge entschuldigen oder
als harmlos hinstellen. Nur weil wir so leicht zur Überhebung neigen,
ist es angebracht, immer wieder zu betonen, daß wir „Zivilisierte“
auch in diesem Stück nicht das geringste Recht haben, uns irgendwie
besser und sittlicher zu dünken als jene Neger. Im Gegenteil hätte
mancher europäische Vater, der seine Tochter „verkauft“ hat, allen
Grund, vor unserm Paremann zu erröten. Denn wie oft kommt es auf
unsern geräuschvollen Hochzeiten mit ihren „vielen anzüglichen
Gesängen, die nach unsrer Auffassung die Grenzen des Schicklichen weit
überschreiten,“ vor, daß der Hausvater aus gläubigem Herzen ohne Scheu
vor seinen Gästen ein Gebet für das fernere Wohlergehen seiner Tochter
spricht? -- -- --
Unterdes hat man zwei Nachbarskinder gebeten, der jungen Frau in
ihr neues Heim zu folgen, damit sie gleichsam ein Stück ihrer alten
Umgebung 3-4 Tage lang um sich hat und das Heimweh nicht aufkommen
kann. Auch geben ihr die Eltern einen Mattensack mit, der mit allerlei
Speisen angefüllt ist.
Die junge Frau weint vor sich hin und sagt: „Muß ich nun wirklich
fort?“ Der Bruder nimmt sie kurzerhand auf den Rücken und trägt sie
bis außerhalb des Gehöftes, wo er sie an den Bräutigam und seine
Genossen abgibt, die sie nun so lange tragen müssen, bis sie sich mit
einem kleinen Geschenk bei der jungen Frau von der Verpflichtung dazu
losgekauft haben. Aus dem ganzen Wege erschallt der Hochzeitsgesang der
begleitenden Frauen:
~Hohiyo, hohiyo,
mwari ati: havo,
ngeri eti: hetu,
ala marira
ni a ng’ombe žavo.~
Das heißt in freier Übersetzung:
Hohiyo, hohiyo,
Früher sagte die Braut: „bei ihnen zu Hause“;
(sie sprach von ihrem Bräutigam und seinen Angehörigen als von
Fremden in der dritten Person. Nach ihrer Verheiratung gehört sie
jedoch zum Hause ihres Mannes, denn:)
jetzt aber sagt sie: bei +uns+ zu Hause,
auf jenen Triften dort
da weiden +ihre+ Kühe.
(Jetzt kann sie nicht mehr die Kühe ihrer Eltern mit: unsre Kühe
bezeichnen.)
Am Hause ihrer Schwiegereltern angekommen, bleibt die junge Frau
solange stehen, bis die Schwiegermutter ihr ein kleines Geschenk
gegeben hat, dann erst setzt sie sich draußen nieder. Durch weitere
Geschenke läßt sie sich zum Eintritt ins Haus bewegen. Auch der
Schwiegervater gibt ihr ein Tuch od. dgl. und sagt ihr ein paar
ermunternde Worte. Nachdem man nochmals gut gegessen und getrunken
hat, ziehen sich die Neuvermählten in irgend ein Nachbarhaus zurück
oder tanzen auch mit den übrigen den größten Teil der Nacht hindurch.
Vier Tage lang genießen sie ungestört ihr junges Glück, empfangen
Besuche von Freunden und Verwandten, die alle nicht mit leerer Hand
kommen. Am fünften Tage zeigt der junge Ehemann seiner Frau die ihm
gehörigen Äcker, manchmal führt ihr auch eine Frau die Hand zu einigen
Hackenschlägen, die sie gewissermaßen in ihre zukünftige Arbeit
einführen sollen.
Diese feierliche Einholung der Frau (~mlondolo~) kann sich mancher
in seinen jungen Jahren nicht leisten, weil seine Eltern das viele Bier
und die sonstigen Festspeisen nicht zusammenbringen können. Er begnügt
sich dann damit, seinem Schwiegervater zwei Kürbisflaschen voll Bier zu
bringen und nimmt dann ohne weitere Formalitäten seine Frau zu sich.
Das nennt man etwas verächtlich ~ihurura~ = das Herbeischleifen.
Die große Hochzeit muß aber nach der Paresitte unbedingt veranstaltet
werden, evtl. noch im hohen Alter, sonst dürfen weder die eignen Kinder
noch die Enkel nach dieser Form heiraten bzw. geheiratet werden. So
kann man hier das Schauspiel genießen, der nachträglichen Hochzeit
alter Leute beizuwohnen, die sich unter genauer Beobachtung der oben
beschriebenen Formen abspielt. Die oft schon bejahrte Frau wird aus dem
elterlichen Gehöft, wohin sie sich für eine Nacht zurückgezogen hat,
abgeholt, auf dem Rücken getragen usw.
Das Paremädchen kommt völlig aufgeklärt in die Ehe. Kinder sind sehr
erwünscht. Mittel zur Verhütung der Konzeption sind zahlreich bekannt,
werden aber von Eheleuten wohl nie angewandt. Sonst ist künstlich
mit pflanzlichen Mitteln herbeigeführter Abortus häufig (z. B. bei
Kirya). Kinder, besonders Mädchen, sind schon aus dem Grunde erwünscht,
weil bei ihrer Verheiratung die Morgengabe des Bräutigams den Vater
mit einemmale zum reichen Manne machen kann. Aber auch Knaben sind
willkommen als Stammhalter und Erben. Die Eltern hängen mit großer
Liebe an ihren Kindern. Leider ist die heidnische Furcht in so sehr
vielen Fällen größer als die Liebe, und aus nichtigen Gründen werden
viele der unschuldigen Kleinen gemordet -- Opfer des Aberglaubens
unwissender Eltern.
Die beiderseitigen Angehörigen des jungen Paares springen ihm in der
ersten Zeit noch oft hilfreich unter die Arme. Man schenkt der Frau
allerlei Hausrat und Nahrungsmittel, um die Sorgen des Lebens noch eine
Weile fernzuhalten. Doch nicht immer beginnt die Ehe so glücklich,
wie hier geschildert. Mancher Vater borgt auf die von dem zukünftigen
Bräutigam seiner Tochter zu erwartende Morgengabe hin tüchtig, und wenn
der Tag der Hochzeit kommt, wandert der ganze Brautpreis in fremde
Hände. Noch schlimmer liegt die Sache, wenn der Vater den ganzen
oder größten Teil des Brautpreises borgt und dann seine Tochter dem
Darleiher zur Ehe verspricht. Da muß das arme Ding oft gegen ihren
Willen mit einem Manne die Ehe eingehen, der schon mehrere Frauen hat
und seinem Alter nach gut ihr Vater sein könnte. Übrigens sieht es
manche Mutter gar nicht ungern, wenn ein älterer Mann um die Hand ihrer
Tochter anhält. „Kind,“ sagt sie, „schau nicht auf die jungen Burschen.
Sie sind wohl schöner in deinen Augen; aber sie werden dich, wenn ihr
erst einmal verheiratet seid, lange nicht so gut behandeln. Dieser Alte
wird dich nicht schlagen, wie sie es sicher tun werden, sondern dich
sanftmütig zurechtweisen.“
Nicht immer ist der volle oder „große Brautpreis“ zu zahlen.
Handelt es sich um eine ältere Witwe oder eine geschiedene Frau in
vorgerücktem Alter, so bezahlt man eine Kuh, oder wenn die Braut
schon im Matronenalter steht, gar nur drei Ziegen. Manch junger
Bursche, der gerne ein hübsches Mädchen heiraten würde, aber nicht
die erforderlichen Kühe hat, heiratet so eine „Mutter“, die tüchtig
für ihren jungen Gatten ackert und ihm in einigen Jahren soviel Kühe
erarbeitet hat, daß er daran denken kann, sich noch eine jüngere Frau
dazuzunehmen. Solch armen Burschen sagen die Alten: „Heirate nur eine
‚Mutter‘, damit du erst einmal ein Heim hast,“ oder, wie sie sagen,
einen Platz, „deinen Bogen hinzulegen“.
Stirbt der Ehemann kurz nach der Verheiratung, so gibt der Vater des
Mädchens in der Regel den Brautpreis zurück. Ist das Mädchen bereits
ein- oder zweimal niedergekommen, war also schon ein paar Jahre mit dem
Manne verheiratet, so behält der Vater gewöhnlich die Morgengabe. Die
Frau wird dann entweder von einem Bruder des Verstorbenen geerbt (5.
Mose 25, 5), oder ein neuer Freier zahlt seine Kühe an den Vater des
ersten Mannes. Unter keinen Umständen ist es statthaft, daß jemand zwei
Brautpreise für seine Tochter „ißt“, wie der Paremann sagt. Ist das
Mädchen einmal verheiratet, so hat der Vater alle Rechte abgetreten.
Wird später nochmals aus irgendeinem Grunde -- Scheidung oder Tod des
Gatten -- die Morgengabe bezahlt, so sind immer andre Interessenten da,
an die man sich zu halten hat.
Uns erinnert die Zahlung des Brautpreises zu sehr an den Abschluß
eines Geschäftes, als daß sie uns auf den ersten Anblick sympathisch
erscheinen würde. Auch aus Missionskreisen hat sich schon mancher
dagegen ausgesprochen. Mir scheint es aber, daß die Sitte auch sehr
viel Gutes an sich hat. Vor allem erschwert sie die Ehescheidung,
wie wir noch weiter unten sehen werden. Und solange die christliche
Auffassung von der Ehe noch nicht Allgemeingut geworden ist, kann man
sich meiner Ansicht nach mit diesem Brauche abfinden und hat vorläufig
noch keinen Grund, ihn aus den christlichen Gemeinden verbannt zu
wünschen, ganz abgesehen von dem großen Widerstand, auf den ein Versuch
seiner Abschaffung auch bei den Christen selbst stößt.
In der Regel hat der Mwasu mehrere Frauen. Früher hatte jede Frau
ihr eigenes Haus. Aber seitdem für jede Hütte Steuer zu zahlen
ist, hat mancher seine Frauen zusammen unter einem Dache, ein
Zustand, der dem häuslichen Frieden wenig förderlich ist. Man
sucht das auch nach Möglichkeit zu umgehen. So werden die Frauen
in kleinen, schlechtgebauten Wachthütten untergebracht, wo sie nun
die meiste Zeit zubringen müssen und gewöhnlich auch kochen. Zieht
dann der Steuerschreiber der Regierung durchs Land, um die Hütten
aufzuschreiben, so werden die Töpfe usw. in das „große Haus“ getragen,
damit die Hütehütten nicht ebenfalls als Wohnhäuser angesprochen
werden und man nicht auch für sie Steuer zu zahlen braucht. Das ist
sicherlich ein in jeder Hinsicht unerfreulicher Zustand, der mit
einem Schlage abgeschafft werden könnte, wenn man für jede weitere
Frau einfach die 3 Rupien Jahressteuer erheben wollte, ohne Rücksicht
darauf, ob sie ein besonderes Haus bewohnt oder nicht. Vielleicht
würde dadurch die Vielweiberei etwas eingeschränkt; sicher aber würde
das Versteckenspielen der Regierung gegenüber aufhören und auch die
häuslichen Verhältnisse in vielen Dingen geregelter werden.
Will ein Mann eine zweite Frau heiraten, so bereitet er einen großen
Topf Bier und trägt ihn zu seinem Vater, ihm gleichzeitig seine
Bitte vorlegend. Hat der Vater noch genügend Kühe, so ist er damit
einverstanden, und die Dinge nehmen dann denselben Verlauf, wie oben
beschrieben.
Noch einer Sitte möchte ich Erwähnung tun: der Haussklaverei
(~vuzoro~). Steht nämlich ein Bursche völlig mittellos da, weil
er entweder gänzlich verwaist oder sein Vater arm ist, dann geht er zu
einem reichen Mann, und bittet ihn, ihm zu einer Frau zu verhelfen,
d. h. ihm ein Darlehen in Gestalt der Morgengabe zu geben. Das nennt
der Mwasu ~kuzora~ = kaufen. D. h. durch das Darlehen „kauft“ der
Reiche den Armen. Der Sklave heißt deshalb ~mzoro~ = der Gekaufte.
Nun dürfen wir bei diesem Brauch nicht an Verhältnisse denken, die wir
in Europa mit dem Wort Sklaverei zu verbinden gewohnt sind. In den
meisten Fällen geht es dem Gekauften gar nicht übel, wenigstens nie
so, wie wir bei dem Wort Sklave zu vermuten geneigt sind. Er nennt
seinen Herrn Vater (~vava~), und dieser heißt ihn seinen Sohn. Das
Hörigkeitsverhältnis kann jederzeit durch Rückzahlung der geborgten
Rinder aufgelöst werden.
Ist der betreffende reiche Mann willens, den bei ihm Hilfe Suchenden
zu „kaufen“, so trägt er ihm auf, mit seinem nächsten Verwandten, sei
es auch einer Frau, zu ihm zu kommen, damit ein Zeuge da ist, der ihm
den Sklaven „übergibt“. Diese Übergabe findet statt, und der Mzoro
bringt seinem Vava als erste Liebesgabe zwei Kalabassen voll Bier mit,
welche während der Verhandlung leergetrunken werden. Alle möglichen
Fälle werden besprochen und die Rechtslage festgestellt. Sind diese
Formalitäten erledigt, so sagt der „Vater“ seinem „Sohne“: „Nun geh und
suche dir eine Frau!“ Alle Pflichten, die sonst der leibliche Vater bei
der Verheiratung seines Sohnes zu erfüllen hat, übernimmt nunmehr der
Herr. Die Hauptgegenleistung des Sklaven besteht im Hüten und Ackern.
Im Hüten wechselt er sich mit seinem Herrn und dessen leiblichen
Söhnen ab, so daß auch da von einer Sklaverei in unserm Sinne nicht
die Rede sein kann. Oft stellt der „Vater“ einige seiner Kühe bei
dem Hörigen unter, dessen Frau nun aus Butter und Milch einen schönen
Verdienst hat. Auch die Tatsache, daß mancher Sklave weit von seinem
Herrn weg wohnt, zeigt zur Genüge, daß zwischen Herr und Sklave hier
ein mehr patriarchalisches Verhältnis besteht. Natürlich gibt es auch
Sklaven, die ihrem Herrn trotzig begegnen und sich nicht allzu gefällig
erweisen. Da hat dann allerdings der „Vater“ ein Mittel in der Hand,
seinen „Sohn“ hart zu strafen. Er nimmt dem Ungefügigen ohne weiteres
die Frau fort und bringt sie wieder zu ihren Eltern, um später bei
ihrer Verheiratung mit einem andern seine Rinder wiederzuerhalten. Es
kommt auch vor, daß der Herr selbst die Frau seines früheren Sklaven
heiratet. In dieser unbeschränkten Gewalt über die Frau des Hörigen
scheint mir das Bedenkliche an der ganzen Einrichtung zu liegen. Und
noch eine weitere Sache: Die Hörigkeit vererbt sich, wenn der Vater
nicht noch bei Lebzeiten die Schuld bezahlt hat. Die Söhne des Mannes
stehen also alle nach dem Tode ihres Vaters im Sklavenverhältnis, bis
es ihnen gelungen ist, das ursprüngliche Darlehen zurückzuzahlen.
Verboten war es, einen Sklaven zu töten. Geschah es doch, so mußte das
Lösegeld, etwa zehn Rinder, an die Verwandten des Mzoro gezahlt werden,
und das Hörigkeitsverhältnis war ebenfalls gelöst.
Ist der Sklave nicht imstande, seine ihm geborenen Söhne zu
verheiraten, und nimmt er zum zweitenmal die Hilfe seines Herrn in
Anspruch, so sagen die Wapare: „Er ist ein Sklave für alle Ewigkeit.“
Sie nennen das ~kishong’o~. Hat der Mzoro Töchter, so kann er
den Kaufpreis für eine von ihnen an seinen Herrn überweisen und hat
sich damit freigekauft. Sonst muß er bei jeder Verheiratung einer
Tochter den Isemuntu-Ochsen an seinen Herrn bezahlen, gewissermaßen
als Anerkennungsgebühr, weil ja die Töchter „von den Kühen des Herrn
Geborene“ sind! Das heißt: Die Töchter hätte der Sklave nicht ohne die
Frau, die Frau hätte er nicht ohne die ihm geliehenen Rinder. Auch
alles, was sich der Sklave sonst erarbeitet, ist im Grunde genommen
Eigentum des Herrn; deshalb fällt auch beim Tode des Sklaven all sein
Gut an diesen und nicht an seine Verwandten. Es ist eben alles auf die
geliehenen Kühe zurückzuführen, und ehe diese nicht bezahlt sind, steht
das Parerecht auf seiten des Herrn.
=Ehescheidung= (~kukoma nyumba~).
Ehescheidungen sind bei unsern Wapare an der Tagesordnung. Uns berührt
es dabei eigentümlich, daß es meistens junge Leute sind, die einander
überdrüssig werden. Ist erst ein Kind da, so ist meistens ein festes
Band um die beiden Ehegatten geschlungen. Dabei sprechen aber nicht nur
ideelle Gründe mit, sondern auch materielle, wie wir noch sehen werden.
Die Ehe scheiden nennt der Paremann „das Haus töten“. Gründe sind unter
anderm: Zauberei des einen Teils, schlechte Versorgung des Mannes durch
die Frau, Diebereien der Frau, für welche der Mann aufkommen muß,
Impotenz des Mannes oder Sterilität der Frau. Natürlich gibt es noch
tausend andere Gründe; aber besonders diese beiden letzten kann man oft
hören. Als Missionar hat man im Laufe der Zeit reichlich Gelegenheit,
Einblicke in das Eheleben der Neger zu tun. Denn man ruft ihn zu gerne
als Schiedsrichter an. Die intimsten Dinge werden da von beiden Seiten
ohne Scheu vorgetragen. Manchmal werden auch eigentümliche Gründe
angegeben. So kam eines Tages eine Frau zu mir, die durchaus von ihrem
Manne getrennt werden wollte. Als ich sie fragte, ob der Mann sie etwa
schlüge, meinte sie lakonisch: „Geschlagen zu werden, das ist das Los
einer Parefrau; aber mein Mann ißt nicht mehr bei mir, deshalb will
ich lieber nach Hause gehen.“ „Nicht essen“ ist übrigens nur eine
Umschreibung für eine andere Art der Nichtbeachtung.
Ist die Frau steril und die Behandlung durch die Medizinmänner
vergeblich gewesen, oder weigert sich der Gatte, das Orakel
diesbezüglich zu fragen, so ist die Scheidung sicher zu erwarten. Der
Schwiegervater wagt auch in solchen Fällen kaum, den Gatten einer
unfruchtbaren Frau an die Bezahlung der evtl. noch ausstehenden Rinder
zu mahnen. Tut er es aber doch, so sagt der Schwiegersohn, wie ich das
selbst einmal hörte: „Wenn ich ihm die restlichen Rinder bezahle, muß
er mir neben jede Kuh ein Kind stellen, denn von seiner Tochter bekomme
ich doch keine, die bringt mir nichts ein.“ Darin tritt die häßliche
Grundauffassung der Eingebornen mit Bezug auf die Ehe zutage. Sie ist
ein Handel, bei welchem die Frau die Pflicht übernimmt, dem Manne den
„Schaden“, den er durch die Bezahlung des Brautpreises gehabt hat,
durch Kinder zu ersetzen. Ist diese Bedingung erfüllt, dann kann die
Ehe ganz glücklich sein.
[Illustration: Schülerinnen, im Vordergrunde ~vabora va masambi~.]
[Illustration: Kleinkinderschule.]
[Illustration: Tor, das zum Festplatz in dem Hain des Stammesfestes
führt.]
Natürlich versuchen unsre Wapare auch allerlei, die Eheleute
zusammenzuhalten und eine Scheidung zu erschweren. Klagt eine Partei
bei den Ältesten, dann bestellt man einen Mann, der gewissermaßen die
Aufsicht über das Ehepaar führt und den schuldigen Teil feststellen
soll. Sobald nun einer von den beiden sich ungerecht behandelt
fühlt, ruft er diesen Schiedsrichter als Zeugen an, der dann sein
Bestes tut, den andern zu ermahnen und die Eheleute zu versöhnen. Will
aber der häusliche Friede nicht wiederkehren, wenn das Haus ein „Haus
des Lärmens“ geworden ist, dann geht der Mann zum Schwiegervater,
um seine Frau „zurückzubringen“. Sie haben da ein etwas drastisches
Sprichwort, um auszudrücken, daß man eine Frau, wenn man ihrer
überdrüssig ist, nirgends anders hinbringen kann als in ihr elterliches
Haus. Sie sagen: „Der Kehrichthaufen (auf den man das Faulgewordene
werfen muß) für einen Menschen ist das Elternhaus.“
Der Schwiegervater ruft in solchem Falle einige seiner Nachbarn
herbei, mit deren Beistand er den Streit noch einmal zu schlichten
hofft. Beide Gatten bringen ihr Anliegen vor und bitten, die Ehe
aufzulösen. Doch die Männer wollen von einer Scheidung nichts wissen
und suchen zu vermitteln. Sind schon verschiedene solcher Beratungen
vorausgegangen, und ist Aussicht auf Einigung nicht mehr vorhanden,
dann willigt der Vater ein, seine Tochter wieder in sein Haus zu
nehmen. Ist der Mann als der schuldige Teil festgestellt, oder verlangt
er die Scheidung ohne guten Grund, so erhält er die Morgengabe nicht
wieder zurück, sondern muß warten, bis die Frau von einem andern
Manne geheiratet wird, der dann die Kühe nicht an den Schwiegervater
sondern an den ersten Mann zu zahlen hat. Ist die Frau dagegen
überführt, so müssen dem Ehemann sofort sämtliche Kühe einschließlich
der inzwischen geworfenen Kälber zurückgegeben werden. Diese Tatsache
allein genügt schon, dem Vater den Gedanken an eine Scheidung seiner
Tochter gründlich zu verleiden, und die Tochter fürchtet sich
ihrerseits vor dem Zorn der Ihrigen, wenn sie ihnen auf diese Weise
Schwierigkeiten macht. Wiederum hat für den Gatten der Gedanke, nach
einer unbegründeten Scheidung vielleicht noch lange auf die Rückzahlung
seines Brautpreises warten zu müssen, auch wenig Tröstliches.
Ist die Frau ihres Unrechts überführt, und sind beide willig, die
eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen, so nimmt sie wohl eine Kette
von ihrem Hals und übergibt sie den Männern mit den Worten: „Ich habe
gefehlt, hier das Zeichen meiner Buße.“ Ist sie eine Rückfällige,
dann muß sie ihrem Manne Bier brauen. Hat der Mann sich verfehlt, so
übergibt er wohl den Männern ein Messer od. dgl. mit einigen bereuenden
Worten.
Schwieriger liegen die Verhältnisse, wenn es sich um schon lange
verheiratete Eheleute handelt. Will der Mann die Ehe ohne guten Grund
lösen, so erhält er die Kühe, wie wir schon sahen, erst von dem neuen
Freier wieder. Dieser aber wird für die nunmehr alte und verblühte Frau
kaum den ganzen Brautpreis zahlen, und der erste Mann hat den Schaden.
Ist die Frau der schuldige Teil, so kann der Mann in den meisten Fällen
wenigstens auf die Rückzahlung des ursprünglichen Brautpreises dringen.
Ist die Frau oft niedergekommen, so hütet er sich wohl, auch die
inzwischen geworfenen Kälber zu verlangen, da dann dem Schwiegervater
für jeden Sohn, dem seine Tochter das Leben schenkte, ein Ochse und für
jede Tochter eine Färse zusteht. Dabei ist es ganz gleichgültig, ob die
Kinder noch am Leben oder längst gestorben sind.
-- Schon bei der Besprechung des ersten Frauenfestes erwähnte ich die
Kirya, die armen Mädchen, die noch vor Beendigung des Festes schwanger
werden. Das Mädchen wird für tot erklärt, das Totenopfer dargebracht
und ein Scheingrab insofern gegraben, als die Hauswand an einer Seite
aufgebrochen und das Mädchen da hinausgetrieben wird. Hier in Pare
wurden sie gewöhnlich in die Steppe gejagt. Alles wird dem Mädchen
gegeben, was die Eltern sich an Trommeln, Perlschnüren und anderm
Festzubehör geborgt hatten, und der Verführer muß es bezahlen. Hinter
dem Mädchen her wird bis an die Grenze der betreffenden Landschaft der
Mageninhalt des Sühneschafes auf den Weg gesprengt, um auch das ganze
Land zu entsühnen. Den Verführer kommt die Torheit übrigens recht teuer
zu stehen. Außer dem Sühneschaf muß er den Verwandten und Angehörigen
des fortgejagten Kindes einen oder gar mehrere Ochsen bzw. Ziegen
geben, „um ihre Tränen zu trocknen“ (~ža kuhanguža mashoži~.)
Dann wird er zur Zahlung des bei vorsätzlichem Totschlag üblichen
Lösegeldes in Gestalt von zehn Kühen verurteilt (~irivi~). Endlich
muß er noch eine Ziege schlachten, und der Häuptling läßt unter
Beobachtung der bei der Blutsfreundschaft gebräuchlichen Formen den
Verführer sowohl wie den Vertreter der andern Partei ihre Zustimmung
zu dem Rechtsbeschluß in beschwörender Weise aussprechen. Die beiden
sitzen bei dieser Zeremonie auf einem Stück Kleiderstoff, welches
der Häuptling auf die Erde legt. Hiernach heißt auch der Vorgang:
~kugwisha shuke~ = Niederwerfen des Kleides. Auch hier soll der
Eid ein Ende alles Haders -- in diesem Falle der Blutrache -- sein,
weshalb sich beide Parteien eidlich versichern, daß diese Angelegenheit
für alle Zeiten erledigt sei. Hat der Verurteilte zuletzt noch an
den Häuptling die Abgabe in Gestalt einer Färse bezahlt, „um das
Kleid wieder aufzuheben“, welches jener für die Blutsbeschwörung auf
die Erde gebreitet hatte, so ist die Verhandlung beendigt. An der
Bezahlung dieses Lösegeldes beteiligen sich natürlich alle Verwandten
des Verurteilten, da es für ihn allein in den meisten Fällen unmöglich
wäre, soviel Kühe zusammenzubringen.
Wenn nun solch ein armes Mädchen von irgendeinem Mann in der Steppe
geheiratet wurde, so geschah das ohne die geringsten Formalitäten,
da sie ja eigentlich eine Tote war. Man kann verstehen, daß mancher
Bursche, der seine Heiratspläne infolge seiner Armut schon aufgegeben
hatte, bei dem Gerücht: „Morgen wird oben im Gebirge eine Kirya
verjagt“, neuen Mut faßte und ihr schon entgegenging, um ihr Herz und
Hand anzubieten. Wir hatten seinerzeit auf der Missionsstation zwei
solche junge Frauen wohnen, die, von ihren Angehörigen vertrieben, auf
der Mission eine Zufluchtsstätte gesucht und gefunden hatten. Bald
fanden sich viele Freier, heidnische und christliche, ein, die alle
begehrten, solch „billige“ Frau heimzuführen.
Stirbt die Frau kurze Zeit nach der Hochzeit, so werden dem Witwer alle
Kühe zurückerstattet. Haben beide aber einige Jahre miteinander gelebt,
ohne daß der Ehe Kinder entsprossen wären, dann gibt der Schwiegervater
etwa die Hälfte der Kühe wieder heraus. Manchmal stellt auch das
Orakel fest, daß der Tod durch Verzauberung vonseiten irgendeines
Blutsverwandten des Mädchens verursacht worden ist. Dann verlangt wohl
der Gatte die Rückgabe seiner sämtlichen Kühe.
Ehebruchsprozesse nehmen einen breiten Raum in den
Gerichtsverhandlungen der Wapare ein. Die Strafen weichen in den
einzelnen Distrikten stark voneinander ab. In der Landschaft Vudee
soll die Sache sehr leicht genommen werden. In Pare legt sich der Zorn
des Ehemannes bereits nach Erhalt eines Topfes Bier. Andre lassen
sich Kühe oder Ziegen zahlen. Im zwölften Kapitel werden wir noch
einen Bundestrank kennenlernen, den die Frau mit ihrem Manne trinkt
zum Zeichen, daß sie ihm Treue halten und er ihrem Treuschwur glauben
will. Dieser Trank wird zum Gottesurteil, wenn ihn die im Verdacht der
Untreue stehende Frau auf Verlangen ihres Mannes trinken muß, um ihre
Schuld oder Unschuld zu beweisen. Einer ähnlichen Rechtssitte, wenn
auch auf anderer Grundlage, begegnen wir bei den alten Israeliten.
Bei ihnen mußte die im gleichen Verdacht stehende Frau verfluchtes
Wasser trinken, welches der Priester unter einem genau von Jehova
vorgeschriebenen Zeremoniell der Frau gab. Dieses Eifergesetz ist uns
in 4. Mose 5, 11-31 erhalten.
Doch nun wollen wir uns nach all diesen unangenehmen Verhandlungen
wieder in die Hütte des jung vermählten Paares begeben und einmal
zuschauen, was die junge Frau ihrem Gatten kocht. Der nächste Abschnitt
soll uns einen wenn auch nur flüchtigen
Einblick in die Negerküche
tun lassen.
[Illustration: Zwei Quirle
(~mtinko~ und ~kivarevare~).]
Das beliebteste Gericht ist wohl der Maisbrei, ~vugai~ oder
~vusoro~ genannt. Als Zuspeise gibt es Fleisch und eine manchmal
sehr schmackhaft zubereitete Tunke oder eine einfache Tomaten- oder
Gemüsesoße. Zuerst wird der trockene Mais gestampft, um ihn von der
harten äußeren Schale zu befreien. Die so geschälten Körner werden
zwei oder mehrere Tage in Wasser eingeweicht und dann im Mörser zu
feinem Mehl verarbeitet. Das erste Stampfen heißt ~kusankana~ =
schälen, das zweite ~kuhua~ = mahlen. Inzwischen hat die Hausfrau
Wasser aufs Feuer gesetzt und in einem andern Gefäß einen Teil des
Mehles mit warmem oder kaltem Wasser angerührt, der in das kochende
Wasser geschüttet wird. In diesem Stadium heißt die Speise ~muswa~
= Schleimsuppe und wird besonders von Kranken viel genossen. Dann
tut die Köchin etwas von diesem Muswa in eine Schüssel, und gibt den
Rest des Mehles in den Topf, der auf dem Feuer steht. Wird der Brei
nun zu steif, so gießt sie von der Reservemuswa hinzu. Der große
Rührlöffel heißt ~mtinko~. Mit diesem wird auch der Brei aus dem
Topf genommen und in Strohkörbchen oder Strohtellern aufgetragen. Die
Oberfläche wird vorher mit einem Maiskolben schön geglättet.
Die Gäste hocken auf der Erde um den verlockend dampfenden Brei, neben
dem die Tunke und ein Gefäß mit Wasser steht, in welchem sich jeder
die rechte Hand wäscht. Es ist verpönt, die Schale zum Reinigen beider
Hände zu benützen. Der Betreffende wird dann wohl gefragt: „Hast du
dich heute noch nicht gewaschen?“ Mit Daumen und Zeigefinger wird nun
kunstvoll ein Kloß „abgeschnitten“, wie der Fachausdruck lautet, dieser
in der Hand „geformt“ und in der Mitte eine Vertiefung (~kirindi~)
eingedrückt, die zur Aufnahme der Tunke bestimmt ist, in welche der
Kloß jetzt getaucht wird. Dann ist er zur weiteren Verwendung fertig.
Mit Entsetzen hat sich schon mancher auf Anstand beim Essen haltende
Schwarze von einem darüber anders denkenden Volksgenossen oder
-- Europäer abgewandt, nachdem er seine Tischgenossen eine Weile
beobachtet hatte. Wir dürfen uns nämlich nicht denken, daß man bei den
Negern nicht auf Sitte und Takt hielte. Weit gefehlt! sie haben ein
außerordentlich feines Empfinden für das, was sich schickt. Nur daß
sie oft andre Formen gewählt haben, ihre Empfindungen zum Ausdruck zu
bringen bzw. ihren Anstand zu beweisen. Wenn z. B. der Gast nach einer
wenn auch bescheidenen Mahlzeit recht kräftig und wiederholt aufstößt,
so bedeutet das in unsre Sprache übersetzt etwa: „Vielen Dank für die
erwiesene Gastfreundschaft! Sie sehen, ich bin völlig gesättigt, es
hat mir sehr gut gemundet.“ In einer Negerhütte mag auch diese Art des
Dankes die natürlichste sein; in europäischer Umgebung aber ist es
etwas außerordentlich Befremdliches. Deshalb wird man das Entsetzen
meiner Frau verstehen, als ihr der Regierungshäuptling auch bei uns in
der Wohnung nach einem kleinen Imbiß, den er eingenommen, auf obige
Weise kräftig und wiederholt „mitteilte“, daß er wohl gespeist habe.
An zweiter Stelle erscheint auf dem Küchenzettel der Parehausfrau ein
Maisgericht, ~mpure~.
Der harte Mais wird wiederum durch Stampfen im Holzmörser von den
Schalen befreit. Dieser so gewonnene „reine Mais“ wird mit Wasser
aufgesetzt und einige Stunden auf großem Feuer gekocht. Man gibt
Gemüse, wilde Spinatsorten, Kürbis, Tomaten oder ähnliches hinzu und
läßt alles auf dem Feuer gar werden. Die Speise wird gewöhnlich in
einer Tonschale (~kiviga~) serviert, oft auch noch saure Milch
hineingegossen. Dieses Mpure ist sehr schmackhaft.
[Illustration: Trinkschalen.
Von links nach rechts: ~kihampa~, ~mbobo~, ~mbobo wa
mrori~.]
[Illustration: Holzmörser und Stampfer.]
Ein andres Essen aus grünem Mais wird auf folgende Weise zubereitet:
Ganz junger Mais wird vom Kolben gelöst und im Mörser gestampft. Die
Masse wird nun in einen Topf mit Wasser getan und mit den Händen im
Topf immer wieder ausgepreßt. Die Rückstände werden wieder gestampft
und ausgepreßt. Beim drittenmal etwa schwimmen die Hülsen oben auf
dem Wasser, werden noch einmal ausgepreßt und dann fortgeworfen. Die
eßbaren festen Bestandteile (~shengwa~) werden im Mörser wieder
gestampft, bis sie ganz fein geworden oder, wie die Parefrau sagt,
„gestorben“ sind. Dann wird die Brühe unter Umrühren auf großem Feuer
gekocht, bis sie sämig wird. Dieser Muswa wird in Tonschalen auf den
Tisch gebracht, wollte sagen: auf die Erde gesetzt. Dabei fällt mir
gerade ein, wie einer unsrer Zöglinge einmal witzig bemerkte: „Die
Europäer essen auf Tischen, wir essen aber auf dem Erdball!“
[Illustration: Töpfe.
Obere Reihe von links nach rechts: ~nyungu~, ~nyungu~,
~kidenende~, ~kiviga~. Untere Reihe: ~msungi~,
~sangu~, ~kinaru~.]
Andre Speisen sind Bohnen und grüne Bananen, zusammengekocht,
verschiedene Bananenarten mit der Schale gekocht und dann mit etwas
Salz genossen, grüner Kolbenmais in den Hüllblättern gekocht, grüner
gerösteter Mais, gekochte oder geröstete Süßkartoffeln.
Wenn der Paremann ein Stück Vieh schlachtet, so läßt er möglichst
wenig abfallen. Das Blut wird gewöhnlich gleich auf dem Schlachtplatz
verzehrt. Ich war selbst Zeuge, wie es in Töpfe aufgefangen und mit
dem Mageninhalt des Schlachtochsen vermengt wurde! Die Masse wird
beim Kochen steif und wird mit Salz genossen. Überhaupt sind die
Pareleute beim Reinigen des Magens und der Gedärme nie sehr sorgfältig.
Sie scheinen den Mageninhalt bei diesen Pflanzenfressern als Gemüse
anzusehen. Wir brauchen uns aber gar nicht zu sehr über diese Barbarei
zu entsetzen; denn der Neger seinerseits hört mit Ekel von eßbaren
Vogelnestern, Austern, Muscheln, Schnecken und Froschschenkeln.
[Illustration: Kürbisflaschen.
Obere Reihe: ~finga~, ~ibunga~, ~cha mpesya~. Untere
Reihe: ~cha tori~, ~cha tori~, ~mketi~.]
Kinder essen die kleinen Heupferde, indem sie sie auf Holzstäbchen
lebendig aufspießen und dann über dem Feuer rösten, sowie auch Ratten.
Bei den Waschambaa ist die Feldratte sogar ein beliebtes Gericht. Die
große Wanderheuschrecke wird allgemein als Leckerbissen geschätzt. Sie
werden in einer Tonscherbe geröstet und mit Salz genossen. Auch die
Termiten werden zur Zeit ihres Hochzeitsfluges in Massen gefangen und
geröstet oder gar roh gegessen.
Bienenstöcke kann man allenthalben in den Bäumen sehen. Da es keine
Absperrungsvorrichtungen im Innern der Stöcke gibt, wodurch die
Tätigkeit der Königin nur auf einen Teil des Stockes beschränkt würde,
befinden sich sehr viele Larven in den Waben und weniger Honig. Aber
der Paremann weiß sich zu helfen, indem er die kleinen Bienenlarven
kurzerhand mit aufißt. Honig wird auch als Zusatz zu Zuckerrohrbier
geschätzt.
Bier bereiten die Wapare vor allem von Zuckerrohr. Die geschälten
Zuckerrohre werden auf Steinen zerrieben, diese Masse in das Wasser,
in welchem bereits die Schalen gekocht worden sind, ausgepreßt. Zur
Beschleunigung der Gärung werden Früchte des Leberwurstbaumes der
Mischung zugefügt. Am andern Tag wird das bereits gegorene Bier in
Kürbisflaschen gefüllt, und mittels dünner Rohrstäbchen, die zum
Aufsaugen dienen, gelangt das leichte Bier in die allezeit durstigen
Kehlen unsrer Wapare. Die Arbeit der Frauen ist das Zerreiben der
Zuckerrohre, die Männer pressen die Masse aus. Die Lieder, die
regelmäßig bei solchen Gelegenheiten gesungen werden, sind äußerst
schamlos, besonders wenn das Bier für die Fruchtbarkeitsfeste bereitet
wird.
Diese Aufzählung der Hauptspeisen, die einem Paremann nach günstiger
Ernte zur Verfügung stehen, mag genügen, um zu zeigen, daß der
Speisezettel des Schwarzen gar nicht so einförmig ist, wie man wohl
annehmen möchte.
[Illustration]
Neuntes Kapitel.
Auszüge aus dem Pare-Recht.
Zur liebsten Beschäftigung des Negers und auch unsrer Pareleute gehört
unstreitig das Prozessieren. Schon in früher Jugend sitzen sie auf
der Baraza des Häuptlings und folgen mit Interesse den Worten der
Alten. Da kann es uns nicht weiter wundern, daß schon junge Burschen
eine erstaunliche Kenntnis der Rechtsgepflogenheiten ihres Stammes
und der stattgefundenen Verhandlungen haben. Müssen sie doch bei
jedem Prozeß des Vaters zugegen sein, um evtl. später nach dessen
Tode unbillige oder bereits gezahlte Schuldforderungen abweisen zu
können. Denn wenn unser Paremann einen Prozeß bei +einem+ Häuptling
oder Regierungsbeamten verloren hat, so gibt er noch lange nicht
die Hoffnung auf. Sobald ein +neuer+ Häuptling eingesetzt ist oder
der Beamte seinen Europa-Urlaub angetreten hat, versucht er bei dem
+andern+ sein Heil wieder. Daher die Redensart: „Unsre Kinder werden
diesen Rechtshandel nochmals ausfechten.“ Denn jedesmal ist der Mwasu
überzeugt, daß der Gegner nur mit Hilfe von Bestechung des eingebornen
Häuptlings seine Verurteilung erlangt hat. Er wartet also stets den
günstigen Augenblick ab, um die Sache wieder aufzunehmen. So kann man
immer wieder Shauris (Verhandlungen) hören, die bis auf den Urgroßvater
oder noch weiter zurückgehen. Bei solchen Verhandlungen bleibt dann oft
als einziger Ausweg das alte Gottesurteil übrig, dem sich die Parteien
auch gerne unterwerfen.
Besprechen wir zuerst
das Familienrecht,
so verweise ich betr. Ehe, Scheidung, Sklaverei und Festgebräuchen auf
die vorhergehenden Kapitel. Der Ehemann und Hausvater ist das Haupt der
Familie, dessen Anordnungen die andern Familienglieder einschließlich
der Frau Folge zu leisten haben. Er bestimmt den Wohnort, evtl. in
der Fremde, wohin ihn Frau und Kinder begleiten müssen. Er kauft und
verkauft nach eigenem Ermessen Vieh und hat für dessen Unterbringung
und Haltung zu sorgen. Er ist verpflichtet, für Kleidung und Unterhalt
seiner Familie aufzukommen und in Hungersnöten etwa durch Verkauf von
Vieh Speise zu beschaffen. Die Ackerarbeit nimmt ihm zum großen Teil
die Frau ab; er muß natürlich auch helfen und vor allen Dingen die
Felder wässern. Das ist ausschließlich Männerarbeit. Ist er außerdem
das Haupt der Sippe, also der Älteste seiner Brüder, hat er das
Recht, in dringenden Fällen selbständig über das Erbe zu verfügen,
wenn auch erwartet wird, daß er nachher seinen jüngeren Geschwistern
Mitteilung davon macht. Der Familienvater hat darüber zu wachen, daß
seine Kinder rechtzeitig die heidnischen Stammesfeste mitmachen. Falls
ihm ein Freier seiner Tochter nicht gefällt, kann er die Annahme der
Morgengabe verweigern. Er hat das Recht, seine Tochter zu „verkaufen“,
d. h. auf die zu erwartende Morgengabe hin zu borgen, indem er dem
Gläubiger die Tochter „zeigt“ und ihm so deren Morgengabe als Pfand
übergibt. Er verkauft mit oder ohne Zustimmung seiner Frau deren
Äcker. Allerdings behält die Frau über das auf diese Weise erworbene
Vieh immerhin ein gewisses Mitbestimmungsrecht. Der Mann hat seiner
Frau über seine intimen Freundschaften außerhalb der Ehe keinerlei
Rechenschaft abzulegen; dagegen sucht er möglichst ihre Einwilligung zu
erlangen, bevor er eine zweite Frau nimmt. Für ihre schwere Stunde hat
er die üblichen Speisen zu beschaffen. In Krankheitsfällen gehört es zu
seinen Obliegenheiten, zum Orakel zu gehen und die Opfer heischenden
Gottheiten zu befriedigen.
Da die Ehe nach Ansicht der Eingeborenen ein Kauf ist, durch den die
Frau in den Besitz des Mannes übergeht, so betrachtet man die ganze
Arbeit der Frau sowie auch die Kinder gewissermaßen als Zinsen des
Kapitals, welches der Mann dem Schwiegervater in Gestalt der Morgengabe
ausgezahlt hat. Nur die für die Defloration der Tochter gezahlten
zwei Ziegen mit ihrem Nachwuchs sind unbestrittenes Eigentum der
Frau. Alles andere, was sie erarbeitet, gehört dem Manne, denn er hat
auch „ihre Hände gekauft“ (~akombola mikono~). Deshalb sagt der
Schwiegervater zum Bräutigam: „Hände und Augen (Werkzeuge der Arbeit)
und Ohren (deine Anordnungen anzuhören) habe ich dir übergeben, nur den
Schädel zerschlage nicht!“ d. h. du hast keine Gewalt über ihr Leben.
Müssen die Kinder den Anweisungen des Vaters Folge leisten, so haben
die Söhne auch ihrerseits das Recht, von ihm die Morgengabe für
ihre Frauen zu fordern. Im Falle der Weigerung können sie den Vater
verklagen, wie das oft vorkommt. Ordentliche Jungen sorgen allerdings
dafür, daß sie einige selbstverdiente Ziegen beisteuern können. Sind
die Söhne, wie das heutzutage nicht selten ist, alle bei einem Europäer
in Stellung und so nicht in der Lage, sich mit dem Vater im Viehhüten
abzuwechseln, so unterstützen sie ihn mit Kleidern und Geld und zahlen
auch wohl die Regierungssteuer für ihn.
Das Erbrecht.
Will jemand vermeiden, daß nach seinem Tode Schwierigkeiten wegen des
Erbes entstehen, so bespricht er sich mit seinem Bruder in der Weise,
daß sie sich gegenseitig für den Fall ihres Ablebens als Universalerben
einsetzen. Um diesen Beschluß den andern und vor allem den Kindern
mitzuteilen, wird ein kleines Fest veranstaltet und alle Angehörigen
werden eingeladen. Der Älteste setzt den Anwesenden auseinander, worum
es sich handelt. Er sagt dann seinem jüngeren Bruder: „Sterbe ich, so
bist du der Erbe meines ganzen Gehöftes. Sorge für die Kinder. Helft
euch gegenseitig. Gebrauche das Erbe nicht für dich allein, sondern gib
jedem seinen Anteil, wenn du z. B. einen Ochsen schlachtest. Sollte
eines meiner Kinder einen Teil des Erbes an sich reißen, laß ihn nur
machen, er wird keinen Segen haben, denn ich werde ihn schon von der
Unterwelt aus beobachten. Ihr Kinder, wenn ich tot bin, ist dieser
euer Vater, habt ihr es alle verstanden?“ Dann nimmt er etwas Bier
und opfert seinen Ahnen mit der Bitte, sein Testament zu bestätigen.
Solches Tun nennt man ~kuchuma nduu~ = die Verwandtschaft
zusammennähen.
Stirbt nun einer der Brüder, so erbt der andre sämtliches Vieh und auch
die Frauen. Will eine Frau in ihr Elternhaus zurückkehren, hat sie die
Berechtigung dazu. Der für sie im Falle ihrer Wiederverheiratung zu
zahlende Brautpreis fällt an den Erben. Der Onkel hat mit Übernahme
des Besitzes sämtliche Rechte und Pflichten eines Vaters seinen Neffen
gegenüber auf sich genommen. In erster Linie muß er ihnen also zu
Frauen verhelfen und ihnen auch sonst den Vater ersetzen. Das ist die
alte Form der Erbfolge, die jetzt meist nur dann beobachtet wird,
wenn die leiblichen Kinder des Verstorbenen noch unmündig sind. Der
Erbe übernimmt gleichzeitig die Pflicht, ausstehende Schulden zu
begleichen. Aus diesem Grunde weigert sich der Bruder oft, das Erbe
anzutreten, wenn er weiß, daß zahlreiche Gläubiger vorhanden sind,
deren Ansprüche aus dem hinterlassenen Vermögen nicht befriedigt werden
können. Das war allerdings in früheren Zeiten kein ganz stichhaltiger
Grund, sondern man mußte sich erst durch eine besondere Zeremonie von
der Pflicht der Erbesübernahme befreien. Sah man nämlich, daß der
Bruder über seine Verhältnisse lebte, so brachte man eine Ziege zum
Häuptling, schlachtete sie dort und verteilte das Fleisch an alle
Anwesenden. Auf diese Weise machte man bekannt, daß man nach dem
Tode des leichtlebigen Bruders dessen Gläubigern gegenüber keinerlei
Verpflichtungen übernehme. Das nennt man ~kukugera ibwe~ = sich
mit einem Stein werfen, d. h. für tot erklären. Auch Kinder „wirft
man mit einem Stein“, wenn man öffentlich erklärt, daß man für ihre
Schulden oder strafbaren Handlungen nicht haften wolle. Im Falle
der Weigerung des eigentlichen Erben halten sich die Gläubiger an
die vorhandene Vermögensmasse. Leute, die später noch irgendwelche
Ansprüche geltend machen, werden mit dem zu erwartenden Brautpreis für
die Witwe vertröstet.
Es kommt auch vor, daß der Vater zu seinen Söhnen sagt: „Wenn ich
tot bin, soll euer Onkel nur die Frauen erben, das Gut aber sollt
ihr selbst verwalten. Sagt ihm als meinen Willen: ~Uyoe mbee ugu,
usirerehe mbee ishi!~“ = Sieh nach der Wohnung, aber nicht nach
dem Stall, d. h. nimm die Frauen aber nicht das Vieh! Denn wenn auch
vorher dargetan wurde, daß der Bruder als Universalerbe gelten kann,
so ist doch dazu die Einwilligung der Kinder als der eigentlichen
Erben erforderlich. In obigem Falle nimmt der Onkel nur die Witwen zu
sich. Das Familiengut fällt sämtlich an den ältesten Sohn, der es für
seine Brüder verwaltet. Entstehen Streitigkeiten, oder erkennen die
andern in ihm einen schlechten Verwalter, so können sie darauf dringen,
das Erbe gleichmäßig zu teilen; aber in den Augen der Wapare ist das
keine schöne Sitte. Hat der Onkel nur die Witwen übernommen, so ist er
dadurch nicht verpflichtet, irgendwelche Schulden zu zahlen. Wollen
die Kinder ihn aber im Hinblick auf die so mühelos erworbenen Frauen
dazu drängen, so sagen die Nachbarn ihnen: ~Muvusha kisago, fwiri
ženyu težikaliwe?~ = Wollt ihr die Vogelscheuche umwerfen, damit
eure Bohnen gefressen werden? Denn der Alte weiß um die Schulden eures
Vaters besser Bescheid als ihr, und ihn fürchten die Gläubiger deshalb.
Wenn ihr euch mit ihm überwerft, dann könnt ihr auf seinen Rat nicht
mehr rechnen, und ihr werdet von den Gläubigern oft betrogen werden.
Die Sippe der Vabwambo und Vamjema erben ihre jüngeren Stiefmütter
selbst. Die Töchter sind im allgemeinen nicht erbberechtigt. Hat der
Verstorbene dagegen nur eine Tochter hinterlassen und ist sonst aus der
Verwandtschaft kein männlicher Erbe vorhanden, so besorgt die Schwester
des Toten alles Nötige zur Reinigungsfeier und verwaltet fortan den
hinterlassenen Besitz gemeinsam mit der Tochter. Nur die Vollbrüder
sind berechtigt, die Morgengabe ihrer Schwester an sich zu nehmen, zu
„essen“, wie die Wapare sagen. Sind keine Vollbrüder da, so übernimmt
der älteste Stiefsohn als Repräsentant der Familie die Morgengabe.
Das Vermögensrecht.
Recht an Grund und Boden, Weide, Wald und Wasser.
Aller Grund und Boden gehört Gott, bzw. seinem Vertreter auf Erden, dem
Häuptling, dem das Recht zusteht, Äcker an die Leute seiner Landschaft
zu verteilen. Läßt sich ein Fremder bei ihm nieder, so gibt ihm der
Häuptling einen Acker (~mgunda~), der mit Bananen bestanden ist,
ein abgeerntetes Feld (~mbua~) und etwas brachliegendes Buschland
(~kisaka~). Ist ihm das nicht genug, so verkauft er ihm noch
mehr gegen eine oder mehrere Ziegen. Verläßt er das Land wieder, so
fallen die Äcker sämtlich an den Häuptling zurück, auch das gekaufte
Land; das letztere aber mit dem Unterschiede, daß der Mann nach einer
etwaigen Rückkehr vom Häuptling dessen Herausgabe verlangen kann. Alles
was er an Feldfrüchten nicht abernten kann, verbleibt dem Häuptling,
der es meistens Leuten, die sich eben angesiedelt haben, übergibt.
Davon ausgenommen ist eine Knollenart, die Jamswurzel (~vile~),
die Parenuß (~lukungu~) und der Mais (~mahemba~), weil das
Saatgut hierzu, wenigstens wenn es sich um größere Mengen handelt,
gekauft wird. Diese Bestände darf der Wegziehende vorher veräußern.
Zuckerrohr, Bananenhaine, Kartoffeln dürfen nicht verkauft werden,
da ihre Pflänzlinge bzw. Ableger auf jedem Felde kostenlos entnommen
werden können. Wenn allerdings jemand längere Zeit vorher bestimmt
weiß, daß er verziehen wird, sucht er Zuckerrohr- und Kartoffelfelder
möglichst schnell unter der Hand zu verkaufen. Sämtliche Felder
bleiben im Besitz derselben Familie, solange sie in der Landschaft
wohnt. Verkauft kann immer nur die Feldfrucht werden, der Acker
selbst ist unverkäuflich. Ersteht also jemand ein Kartoffelfeld, so
hat er nie und nimmer das Recht, nach Ausgraben der Früchte auch
das Land zu bearbeiten. Es gehört nach wie vor dem ursprünglichen
Besitzer. Bei diesen äußerst gesunden Verhältnissen ist Bodenwucher
völlig ausgeschlossen, denn der Boden gehört Gott: ~msanga ni wakwe
Murungu~! Armut in unserm Sinne gibt es deshalb bei den Schwarzen
überhaupt nicht, nur an der Küste, wo der Boden in großen Komplexen
schon lange nicht mehr Gott gehört! Da zieht auch die Armut ein, wie
wir sie von den Kulturländern her kennen. Das Wort, das unsre Schwarzen
für Arme haben, lautet ~mkiva~ und bedeutet bezeichnenderweise
ein Waisenkind oder höchstens jemand, der kein Vieh hat, -- also nicht
heiraten kann.
Vermehrt sich eine Familie stark, so daß die Felder nicht mehr
ausreichen, geht der Vater mit einer Kürbisflasche voll Bier zum
Häuptling, um für einen oder zwei Söhne neue Felder zu erbitten. Auch
ist es Brauch, bei einem Manne, der über viele Felder verfügt, einen
davon zum Ackern zu erbitten. Doch steht es dem ersten Besitzer auch
nach Jahren frei, sein Feld zurückzufordern.
Dem Paremann gehört auf seinen eignen Äckern nur das von ihm selbst
Angepflanzte. Die mancherlei wilden Kräuter, die als Zukost zu den
Speisen genossen werden, sind Gemeingut. Jedermann ist berechtigt, sie
auf fremdem Land zu suchen. Bäume, Schilf, Gras, wildes Obst u. a.
gehört allen Bewohnern der Landschaft gemeinsam, ohne daß der einzelne,
auf dessen Grund und Boden die Dinge wachsen, besonders berücksichtigt
wird. Pflänzlinge von Bananen und Ableger von Zuckerrohr und Kartoffeln
können auf jedem Felde, natürlich unter Schonung der Bestände,
entnommen werden, ohne vorherige Benachrichtigung des Eigentümers. Der
Hungrige darf sowohl Zuckerrohr als auch reife Bananen irgendwo essen,
nur muß er seinen Hunger an Ort und Stelle stillen. Nimmt er etwas
mit nach Hause, so ist das Diebstahl. Weide ist ebenfalls Gemeingut,
allerdings nicht überall uneingeschränkt. Im südlichen Teil des
Paregebirges z. B. sind überall besondere Zeichen (~visimbiko~)
als Grenzmerkmale für die Hirten der verschiedenen Landschaften
aufgestellt. Jedermann ist berechtigt, irgendwo Bäume zu fällen, sofern
die Fruchtbestände des andern durch den niederfallenden Baum nicht
beschädigt werden können. Ausgenommen sind natürlich heilige Bäume und
solche, an welchen Nußpflanzen hochgerankt sind.
Besonders interessant ist das Wasserrecht. Eine große Anzahl kunstvoll
angelegter Kanäle durchzieht das Land, durch die das kostbare Naß auf
die Felder geleitet wird. In der Landschaft Kihurio fällt so wenig
Regen, daß alle Kulturen bewässert werden müssen. Dort findet man wohl
das größte Kanalnetz und das am besten ausgebaute Wasserrecht. Das
Reinigen der Kanäle von Gras ist Sache der ganzen Bevölkerung. Der
Wasserhauptmann macht bekannt, wann und wo mit den Reinigungsarbeiten
begonnen werden soll. Wer ohne Entschuldigung zu Hause geblieben
ist, dem nimmt man bei der Rückkehr nötige Gebrauchsgegenstände fort
(~kuhambua~). Diese Pfänder können mit einer Kalabasse voll
Bier oder hier mit 25 Hellern, dem Tagelohn für Arbeiter, eingelöst
werden. Der Häuptling bestimmt einige Männer, die an einem andern Tage
zusammen mit ihm das Wasser im Fluß dämmen sollen, um es in den Kanal
zu leiten. Das ist eine wichtige Sache, denn es muß dabei den Ahnen
geopfert, und alle leichtsinnig übertretenen „Kanalvorschriften“ müssen
durch Besprengen mit dem Mageninhalt des Opfertieres gesühnt werden.
Solche Kanalvorschriften sind u. a.: „Ein rußiger oder heißer Topf darf
nicht zum Wasserschöpfen benutzt werden.“ „Frauen, die ihre Menses
haben, Männer, deren Ohrläppchen gerissen ist, dürfen nicht bis an die
Mündung des Kanals kommen, sondern werden bei einem bestimmten Grenzmal
zurückgelassen.“ Durch Nichtbeachtung dieser Vorschriften reißt der
Damm, und der Kanal wird trocken. Diese Auffassung wurzelt in der
Vorstellung, daß eine Handlung leicht automatisch eine zweite auslöst,
die sogar völlig andrer Natur sein kann, wenn sie nur sprachlich
durch das gleiche Wort ausgedrückt wird oder sonst Ähnlichkeiten
aufweist (s. S. 185, Verhalten des Häuptlings beim Pflanzen). Solche
Gedankenverbindungen sind es auch, die uns Europäern zuerst oft völlig
ratlos vor vielen ihrer Sprichwörter oder Rätsel stehen lassen, weil
uns das Verständnis für das, worauf es ankommt, durchaus fehlt, während
bei ihnen jedes Kind den Zusammenhang sofort sieht. Wie das Ohrläppchen
also „gerissen“ ist, wird auch der Damm „reißen“. Kommt das Wasser im
Kanal mit dem heißen Kochtopf in Berührung, in welchem schon soviel
Wasser „versiegt“ (verkocht) ist, dann wird es im Kanal auch versiegen.
Ich halte es für wahrscheinlich, daß dieselbe Gedankenverbindung
vorliegt, wenn nach Sonnenuntergang die Leute nur von Kindern geführt
in manche Hirtendörfer gehen dürfen (s. S. 196). Das einfache
„Hineingehen“ würde die magische Ursache für den Löwen sein, auch
„hineinzugehen“. Aber das „Geführt werden“ kann er nicht nachmachen.
Alles, was nach Sonnenuntergang ins Dorf hereinkommt, soll einen so
ungefährlichen Charakter tragen, daß ein Kind die Führung übernehmen
kann.
Wo der Kanal in den Fluß einmündet, wird ein Schaf und ein schwarzes
Huhn geschlachtet. Der Wasserhauptmann betet: „Ihr Geister hier
am Wasser, nehmt euer Opfer! Für den Fall, daß irgend jemand eure
Regeln mißachtet hat, haben wir den Kanal entsühnt; nun helft, daß
das Wasser unterwegs weder versickert noch durchbricht!“ So ist der
Brauch in Kihurio. Jede Landschaft hat außerdem noch andre Kanalregeln.
Nie darf ein Weib den Damm aufführen, um den Kanal zu füllen. Im
übrigen fängt man an, sich weniger an den alten Sitten zu stören,
sollen doch besonders im Gebirge allerlei schwierige Vorschriften den
Kanalarbeitern auferlegt worden sein, deren man sich bei passender
Gelegenheit, z. B. beim Tode des die Wassergesetze vertretenden
Wasserhauptmanns, gerne entledigt.
Die Verteilung des Wassers ist genau geregelt. Im Gebirge schlachtete
der Häuptling eine Ziege (~mbuži ya makamba~). Dabei wurde es
als Gesetz bekanntgegeben, daß jeder, der Wasser auf seinen Acker
leite, ehe die Reihe an ihn gekommen sei, als Buße eine Ziege an den
Häuptling und eine weitere an die Ältesten des Landes zu zahlen habe.
Der Wasserhauptmann hat verschiedene Helfer, welche die Verteilung in
ihren Distrikten regeln. Diese Leute sehen in der Steppenlandschaft
Kihurio selbst die Felder nach, um immer dem am meisten Bedürftigen das
Wasser zuerst zu geben. Auch wir hielten uns an diese Wasserhauptleute
und taten sehr gut daran, da sie in gewissem Sinne die Verantwortung
für rechtzeitige Bewässerung mittragen. So wollte ich einmal für eins
unsrer Maisfelder Wasser haben. Der betreffende Verteiler, einer unsrer
Christen, bat mich aber, noch zu warten, da noch Bedürftigere da seien.
Ich sagte ihm: „Gut, wenn du denkst, es hat noch Zeit, dann übergebe
ich dir den Mais; wenn du siehst, daß er ‚sterben‘ will, gib uns
Wasser.“ Da er tatsächlich sehr trocken war, kam der Mann schon nach
einigen Tagen und mahnte uns, den Mais nunmehr zu wässern. Manchmal
sind solche Dinge auch nur Proben, die dartun sollen, ob der Europäer
sich der Landessitte unterwirft oder gewaltsam vorgeht. Das erstere
festzustellen ist für den Schwarzen eine große Freude und für den
Europäer nur nützlich.
[Illustration: Christenfrauen beim Maisstampfen.]
[Illustration: Wapare beim Mpure-Essen.]
Wird jemand dabei ertappt, daß er Wasser „stiehlt“, muß er in der
Steppe 5 Rupien, den Wert einer Ziege, zahlen, doch wird die Strafe
oft erlassen. Man wässert tags und nachts. Man darf erst dann das
zugesprochene Wasser auf sein Feld leiten, wenn der Vordermann seine
Bewässerungsarbeit beendet hat. Hat dieser statt zu wässern seine Zeit
vertrödelt, kann es ihm allerdings abgenommen werden, bevor er mit
seiner Arbeit fertig ist.
Zum Schluß will ich noch erwähnen, daß in Kihurio das Wasser i. J. 1914
zum erstenmal ohne besondere Formalitäten in den Kanal geleitet worden
ist. Ein Wolkenbruch im Gebirge hatte dem Fluß solche Wassermassen
zugeführt, daß der reißende Strom die alte Mündung des Grabens
vollständig verschüttete, so daß ein neuer Weg in den Felsen gesprengt
werden mußte. Nach wochenlanger Arbeit wurde dann das Wasser von den
Leuten selbst ohne irgendwelche Formalität in den neuen Kanal geleitet,
trotzdem sich manch warnende Stimme erhob, die von einer Rache der
Geister sprach. Aber die Ältesten schienen sich darüber klar geworden
zu sein, daß bei der ausgedehnten Anwendung von Dynamit und Bohrstahl
mit Hilfe des Missionars die Ahnengeister doch wohl weniger beteiligt
gewesen sein konnten.
Das Recht an beweglichen Sachen.
Findet jemand etwas, dessen rechtmäßigen Besitzer er nicht kennt, so
hebt er es eine Zeitlang für ihn auf. Bringt er später den Eigentümer
in Erfahrung, kann er Finderlohn (~cha iziso~ = für das Auge)
beanspruchen, der bis zu 25% des Wertes beträgt. ~Cha iziso~ nimmt
man meistens nur von Fremden. Stellt sich der Besitzer nicht ein, nimmt
der Finder den Gegenstand in Gebrauch, denn ~cha kutoa si kuiva~ =
finden ist nicht stehlen!
Für Vieh darf niemand Finderlohn beanspruchen. Jedermann, dem Vieh
zuläuft oder der herrenloses Vieh mit nach Hause nimmt, hat die
Pflicht, es bekanntzugeben; sonst steht er in Gefahr, als Dieb bestraft
zu werden. Stellt sich der Eigentümer erst nach Jahren ein, was aber
wohl selten vorkommt, hat der Finder das Recht, von dem Nachwuchs
soviel zu verlangen, wie ihm als Hirten zugekommen wäre. Es ist
nämlich eine beliebte und praktische Sitte der Wapare, ihr Vieh bei
verschiedenen Bekannten unterzustellen (~kuvizya~). So gehören
meistens von der Herde, die ein Mwasu in seinem Kral hat, ihm selbst
nur wenige Stück Vieh. Durch eine derartige Verteilung schützt man
seinen Bestand am einfachsten gegen Seuchen und früher auch gegen
Viehraub. Der Hirte erhält als Bezahlung bei Kühen deren Milch. Für das
Großziehen eines Ochsen gibt man eine Ziege oder je nach Vereinbarung
etwa ein Viertel des Fleisches. Dem Ziegenhirten steht der dritte Wurf
zu. Sind es zwei Lämmchen auf einen Wurf, so nimmt er eins davon.
Dasselbe gilt für Schafe. Bei Hühnern nimmt der Züchter abwechselnd
ein bis zwei Küken als seinen Anteil. Zu erwähnen ist noch, daß Ziegen
hin und wieder Drillinge oder Vierlinge werfen. Der Paremann fürchtet
sich aber vor so reichem Segen und überläßt immer eins der Lämmer dem
jeweiligen Hirten.
Die Jagd ist überall frei. Bei Treibjagden hat der Schütze, der ein
Stück Wild zur Strecke gebracht hat, ein Anrecht auf die Schußprämie,
bestehend in Hals und Haut des erlegten Tieres. In das übrige Fleisch
teilt er sich mit den andern Jagdgenossen. Hat jemand in einer
Fallgrube ein Schwein gefangen, bringt er dem Häuptling ein Vorderbein,
weil er ja der Verwalter des Bodens ist. Fischfang darf von jedem
ausgeübt werden.
Der Leih- und Kaufvertrag.
Ist der Mwasu in Not, braucht er dringend ein Stück Vieh, so denkt
er nie an sein eigenes, sondern er borgt (~ela rando~ = er ißt
Schulden). Allerdings würde ihm auch kaum ein Stammesgenosse zumuten,
seine vielleicht trächtige oder melke Kuh seinem Gläubiger auszuliefern
oder von seinen wenigen Ziegen in Krankheitsfällen eine zu schlachten.
Das Borgen ist jedenfalls für ihn der bequemere Weg.
Will der Betreffende sich nicht ohne weiteres sein Vieh abborgen
lassen, so gibt ihm der andre ein Pfand (~mchunga~). Das Pfand
für eine Färse (~mori~) besteht gewöhnlich in einer Kuh, für
einen Ochsen gibt man ein Mori, für eine Ziege einen Ochsen. Wie wir
schon früher sahen, übergibt man auch die eigne Tochter jemand als
Pfand, wenn man z. B. einen größeren Prozeß verloren hat und viel Vieh
bezahlen muß. Das eigentliche Pfand bildet natürlich die Morgengabe der
Tochter, „wenn sie bei der Hand genommen“ d. h. geheiratet wird. Diese
Sitte hat nur die eine üble Seite, daß die Mädchen später oft gezwungen
werden, den Gläubiger zum Mann zu nehmen.
Dem Gläubiger steht die Nutznießung des ihm übergebenen Pfandes
zu. Im übrigen ist er nur Verwalter und hat z. B. eine Kuh mit
sämtlichem Nachwuchs herauszugeben, sobald der Schuldner zahlt. Das
Geliehene wird aber nicht mit Zinsen etwa in Gestalt von Nachwuchs
zurückgegeben, sondern man erstattet nur den gleichen Wert dessen, was
man tatsächlich geborgt hat. Der Gläubiger hat also kein Recht, ein
Kalb der ihm übergebenen Pfandkuh zurückzubehalten, weil seine dem
Schuldner überlassene Ziege im Laufe der Zeit zehn Lämmer geworfen
hat. Anderseits haftet der Gläubiger auch in keiner Weise für das ihm
übergebene Pfand. Er muß nur dem Schuldner sofort Nachricht zukommen
lassen, wenn die Pfandkuh gestorben ist, damit dieser das Fleisch
verwerten kann. Ißt er das Fleisch selbst auf, oder verkauft er es,
so hat das Schuldverhältnis aufgehört. Doch darf in dem Falle der
Schuldner auch nicht geltend machen, daß das Pfand bedeutend mehr
wert gewesen wäre als seine Schuld. Die tote Färse wird dann eben dem
lebenden Ochsen gleichgerechnet.
Läßt der Schuldner, dessen Kuh für ihn bei seinem Gläubiger ja sehr gut
aufgehoben ist, zu lange nichts von sich hören, so darf der letztere
nicht einfach das Pfand verkaufen, sondern muß es seinem Schuldner
zurückgeben. Dann kann er auf sofortige Bezahlung dringen.
Meistens borgt man einen Ochsen und verspricht eine Färse dafür zu
suchen, um dann vom Gläubiger nach der Sitte noch einen weiteren Ochsen
und eine Ziege (~msaguo~) oder insgesamt drei Ziegen zu erhalten.
Als Pfand gibt man eine Kuh, von der meistens ausgesagt wird, daß sie
trächtig sei. Begeht nun jemand die Torheit, etwa weil sein Schuldner
nicht ans Bezahlen denkt, dieses Pfand zu verkaufen, so schweigt der
Schuldner dazu. Er kann seiner Sache sicher sein. Eines Tages erscheint
er dann bei seinem Gläubiger und bringt das versprochene weibliche
Kalb an. Der Gläubiger muß nun bekennen, daß das Pfand inzwischen
verkauft sei, da ihm die Wartezeit auf die Erstattung der Schuld zu
lange gedauert habe. Aber der Mann läßt die vereinbarte Färse bei
ihm und strengt einen Prozeß an. Mit Hilfe seiner Blutsfreunde war
es ihm ein leichtes, sich genau zu unterrichten, wohin seine Kuh
verkauft worden ist und wie viele Kälber sie inzwischen geworfen hat.
Der ursprüngliche Gläubiger wird nun verurteilt, die Pfandkuh mit
ihren Kälbern zurückzuzahlen. Besteht der Kläger darauf, dieselbe Kuh
wiederzuerhalten, die er als Pfand gegeben hat, so muß der Verklagte
sich mit dem betreffenden Käufer ins Benehmen setzen. Weigert dieser
sich, die Kühe gegen andere umzutauschen, wird er von den Häuptlingen
durch allerlei Drohungen eingeschüchtert, bis er in den Tausch willigt.
Gestorbene Kälber müssen von Rechts wegen auch ersetzt werden. Meistens
befreien die Ältesten jedoch den Verurteilten ganz oder teilweise von
dieser Pflicht. Sie sagen einfach: „Die restlichen Kühe haben wir
‚gegessen‘.“ Ist der Kläger damit nicht einverstanden, so wird ihm
bedeutet, daß man im Falle seiner Weigerung, das Urteil der Ältesten
und des Häuptlings anzuerkennen, seine Sache einfach fallen lassen
würde.
Bei Verträgen handelt es sich natürlich auch fast immer um Vieh.
Ein Vertrag (~kichungo~ = Band) ist ewig bindend. Daher
das Sprichwort: ~Kichungo chechunguka ni cha idafa, cha momo
tekichunguka~ = ein Bananenband (aus trockner Bananenrinde)
zerreißt, aber ein Wortband (Vertrag) nicht. Ein Vertrag wird vor
Zeugen (~vioni~) geschlossen. Hat z. B. jemand für eine Färse
den üblichen Ochsen und drei Ziegen erhalten, so wird ein Kaufvertrag
abgeschlossen. Der frühere Besitzer der Ziegen trifft etwa folgende
Abmachungen: „Das heutige Gras (welches die Tiere gefressen haben) ist
mein“, d. h. werden die Ziegen krank, so nehme ich sie zurück. „Auch
morgen noch, denn morgen kommt ‚mein Gras‘ heraus. Von übermorgen ab
darfst du sie mir nicht mehr zurückbringen. Werden sie dann krank, so
haben sie die Krankheit auf deiner Weide bekommen.“ Ein derartiger
Vertrag kann nicht rückgängig gemacht werden.
Nach Paresitte erhält man für eine Färse entweder zwei Ochsen (= vier
Ziegen) und eine Ziege (den Msaguo), oder einen Ochsen (= zwei Ziegen),
zwei weitere Ziegen und den Msaguo. Es kann nun bei einem solchen
Kauf vorher vertraglich festgesetzt werden, daß der Käufer keine drei
Ziegen, sondern einen Ochsen und die Msaguo-Ziege zu bringen hat. An
diesen Vertrag muß der Käufer sich halten. Bei diesem sehr beliebten
Tauschhandel wird meistens nur ein Ochse angezahlt. Der Kaufvertrag
wird aber erst vollständig durch Zahlung des Msaguo. Solange die
letzte Ziege nicht bezahlt ist, hat der Verkäufer jederzeit das Recht,
seine Färse gegen Auslieferung der Anzahlung zurückzuverlangen,
besonders wenn der Käufer unfähig ist, den Kauf auf Wunsch sofort
abzuschließen. Der Verkäufer hat aber gar kein Interesse daran, den
Käufer an die restliche Msaguoziege zu mahnen; denn von Rechts wegen
gehört der Nachwuchs solange ihm, bis der Msaguo bezahlt ist. Es kommt
sogar häufig vor, daß der Verkäufer nach Jahren den erhaltenen Ochsen
zurückgibt und die Kuh mit den inzwischen geworfenen Kälbern an sich
nimmt. Die Leute nennen das zwar ~utungulu~ = Raub; aber der
Buchstabe des Gesetzes schützt diese „Räuber“. Trotzdem nun jeder Mwasu
andauernd sieht, wie seine Nachbarn sich wegen einer nicht gezahlten
Msaguo-Ziege verklagen, unterläßt er es in unbegreiflichem Leichtsinn
doch immer wieder, durch den Msaguo einen Kauf abzuschließen. Daher
gehören diese Prozesse zu den häufigsten.
Werden trächtige Tiere verkauft, so gehört das Kalb immer dem
Verkäufer. Stirbt die Kuh, so muß der Käufer die Leibesfrucht
(~kioromori~) dem Verkäufer überbringen, der sie ißt. Unterläßt
er es, so muß er später dem Verkäufer ein anderes Kalb ersetzen. Oft
wird auch die noch ungeborene Leibesfrucht mitverkauft. Sie wird immer
mit den für ein Stierkalb üblichen zwei Ziegen berechnet. Wirft die Kuh
später ein weibliches Kalb, hat der Käufer nichts nachzuzahlen. Ein
solcher Kauf, der dadurch, daß die Kuh trächtig ist, ein Anlaß zu den
schönsten Prozessen werden kann, wird natürlich nur vertraglich vor
genügend Zeugen abgeschlossen. Wird die Leibesfrucht nicht mitgekauft,
und stirbt die Kuh nachher unter der Geburt etwa durch Querlage, muß
dem Käufer eine andere Kuh als Ersatz gegeben werden.
Hat ein minder begüterter Paremann einen Ochsen, so verkauft er diesen
gerne gegen eine noch ungeborene Färse. ~Evonywa itombo~, d. h.
er läßt sich das Euter einer trächtigen Kuh zeigen. Wirft die Kuh ein
Stierkalb, dann muß er den nächsten Wurf abwarten, der manchmal seine
Hoffnungen auch nicht erfüllt. Während darüber oft Jahre vergehen
können, hat er anderseits den Vorteil, endlich am Ziele seiner
Wünsche angelangt, nur noch die Msaguo-Ziege zahlen zu brauchen (in
den Landschaften rechts vom Sasenifluß außerdem noch eine Ziege). Er
hat also eine oder zwei Ziegen gespart. Sein Kalb erhält er, sobald
es entwöhnt ist und die Ngombo-Krankheit, eine Anschwellung der
Halsdrüsen, überstanden hat.
War jemand wegen Aufruhrs beim Häuptling gebunden worden, so mußte er
einen Ochsen (~nzao~) herbeischaffen lassen, um von der Bogensehne
(~luge~), mit welcher er gefesselt war, befreit zu werden. Dieser
Ochse hieß ~nzao ya luge~. Hatte der Gebundene keinen solchen
in seinem Besitz, gab er eine Färse oder eine Kuh. Diese wurde dann
einfach gegen einen beliebigen Ochsen auch ohne Wissen des Besitzers
eingetauscht. Das war also ein Zwangseinkauf, mit dem der Betreffende
sich aber gerne zufriedengab, weil er außer dem genommenen Ochsen
nichts weiter für die Kuh zu zahlen hatte.
Bürgschaft.
In den früheren unsicheren Zeiten kam es oft vor, daß ein Schuldner
sich seiner Zahlungspflicht dadurch zu entziehen suchte, daß er zu
einem fremden Häuptling flüchtete und dessen Schutz mit einer Kuh
erkaufte. Da hatte der Gläubiger dann oft das Nachsehen. In solchen
Fällen hielt man sich an den Bürgen (mwikome), der die Schuld zu zahlen
hatte. In späterer Zeit, als sich kein Bösewicht dem „langen Arm der
(deutschen) Regierung“ entziehen konnte, haftete der Bürge nicht mehr
in der Weise für die Schuld, sondern er hatte nur die Verpflichtung,
den Schuldner im Interesse des Gläubigers aufzusuchen und zu mahnen.
Heutzutage werden Bürgen hauptsächlich deshalb gestellt, weil ihr
Vorhandensein den besten Beweis bildet, daß jemand seinen Prozeß als
verloren anerkannt hat. Leugnet er das später ab, was oft vorkommt,
so kann er durch Hinweis auf die Bürgen alsbald überführt werden.
In früheren Zeiten haftete aber der Mwikome entweder für sämtliche
zu zahlenden Rinder oder nur für eine Färse und einen Ochsen. Diese
nannte man ~luimiži~ = Fackel; denn nachdem der Gläubiger diese
vom Bürgen erhalten hatte, mußte er sich selbst auf den Weg machen,
um mit seiner „Fackel“ das Haus des Schuldners nach weiteren Kühen
„abzuleuchten“. Der Bürge war somit seiner Haftpflicht ledig. Ein
derartiger Vertrag mußte aber gleich bei der Gerichtsverhandlung
geschlossen werden. Handelte es sich nur um wenige Rinder, dann genügte
auch schon ein Ochse als „Fackel“.
Auf folgende Weise wird man Bürge: Jeder, der öffentlich zur Zahlung
von Rindern verurteilt worden ist, muß einen Bürgen stellen. Der
Häuptling sagt ihm: ~Gwira ikome~ = stelle Bürgschaft! Dieser
nimmt einen seiner Bekannten bei der Hand und sagt: ~Nakugwira
ikome~. Handelt es sich um viele Kühe, und ist der Verurteilte
ein unsicherer Kandidat, so bedingt sich der Bürge aus, im Falle
des Verschwindens seines Klienten nur in Höhe der „Fackel“ haften
zu müssen. Der Verurteilte bittet seinen Bürgen dringend, ihm zu
vertrauen. All sein Hab und Gut wolle er ihm zum Pfande übergeben.
Diese schöne Absicht nützte dem Bürgen natürlich bitter wenig, wenn
sein Mann eines Tages über alle Berge war. Um seiner Aussage den
nötigen Nachdruck zu verleihen, nimmt der Mann sein Schwert oder
Messer, leckt daran, führt es im Kreise um sein Haupt und hält es
mit der Spitze auf seinen Leib. Das ist ein heiliger Schwur, dem man
Glauben schenken kann. Der Mwikome läßt sich nochmals genau darlegen,
für wie viele Rinder er bürgen soll. Er sagt dann für jede Ziege, die
er anerkannt hat, ~mää~, für jede Kuh ~ng’oo~, für jeden
Stier ~tuu-tuu~.
Eine sehr beliebte Art der Bezahlung ist das Verweisen an den eignen
Schuldner. Hat A von B fünf Rupien geborgt und C bei A eine Ziege im
gleichen Werte, so kann A dem B vorschlagen, sich von C bezahlen zu
lassen. A nimmt zu diesem Zwecke den C bei der Hand und übergibt ihn
dem B. Zahlt aber C nicht schnell genug, dann kann B ihn wieder dem
ursprünglichen Gläubiger A zuführen und damit auch gleichzeitig das
Schuldverhältnis des A zu ihm selbst wiederherstellen. Nunmehr wird
allerdings A rücksichtslos die Schuld von C einzutreiben suchen, da
er von jetzt ab in B einen unerbittlichen Gläubiger hat, der auf jede
Weise versuchen wird, zu seinem Gelde zu kommen.
Das Strafrecht.
Die Strafgewalt liegt in den Händen des Häuptlings, der von den
Ältesten des Landes beraten wird. An diese Körperschaft hat sich jeder
Geschädigte zu wenden. Selbsthilfe wird bestraft, wenn sie das erlaubte
Maß überschreitet. Wenn jemand z. B. einem hartnäckigen Schuldner
mit Gewalt eine Kuh fortnimmt, stößt dieser den Kriegsruf aus, denn
Viehraub ist Krieg. Das langgezogene ~uuuwi!~ pflanzt sich von
Mund zu Mund durch die Landschaft fort. ~Na hio?~ = wohin? fragt
man und erfährt so den Ort, an den man sich mit den Waffen zu begeben
hat. Dort angelangt fragt man den Schuldigen: „Warum bist du nicht
zum Häuptling gegangen und hast einen Prozeß angestrengt?“ Die Kuh
nimmt man ihm ab und bindet ihn selbst mit einer Bogensehne solange,
bis er sich durch Zahlung des „Ochsen der Sehne“ löst. Mit diesem
Sühnetier müssen „die Bogen nach Hause, die Pfeile in die Köcher und
die Schwerter in die Scheiden“ zurückgebracht werden. Dieselbe Strafe,
nämlich die Zahlung des Nzao ya luge, trifft den, der ohne Grund den
Kriegsruf ausstößt. Der Häuptling wacht darüber, daß die Leute nicht
aus Spielerei zu den Waffen gerufen werden, damit der Hilfe- und
Kriegsruf im Ernstfalle nicht unbeachtet bleibt. Stößt eine Frau, die
von ihrem Manne geschlagen wird, den Hilferuf aus, so ruft der Mann
schnell, um Verwirrung zu vermeiden: „~Hohoyo, hohoyo~, es handelt
sich nur um einen Mann, der sich mit seiner Frau streitet.“
Während gewaltsame Selbsthilfe ohne besondre Erlaubnis des Häuptlings
nicht gestattet ist, darf man hartnäckigen Schuldnern gegenüber
folgendes Zwangsverfahren anwenden. Der Gläubiger begibt sich
frühmorgens vor das Haus des Schuldners und bindet dessen Haustür
mit einem Strick fest zu oder legt sich einfach auf die Schwelle.
Der Schuldner wagt nun nicht, sein Vieh hinaus zu lassen, damit der
eigentümliche Türhüter nicht verletzt wird. Der Gläubiger tut kund,
daß er sich nicht eher zu entfernen beabsichtige, als bis seine Schuld
beglichen sei. Der Mann muß schließlich wohl oder übel diesem Zwange
nachgeben, wenn die hungrigen Kühe immer ungeduldiger im Stalle
brüllen.
Bei
Diebstahl
unterscheidet man zwischen Tag- und Nachtdieb. Ersterer wird weniger
hart bestraft, weil er keine größeren Diebstähle ausführen kann.
Er wird zur Zahlung von drei Ziegen verurteilt. Eine gehört dem
Bestohlenen, die zweite dem Häuptling; die dritte wird öffentlich
auf einem freien Platze (~shigati~) geschlachtet und von den
Ältesten einschließlich des Diebes gegessen. Diese Ziege heißt deshalb
~mbuži ya shigati~. Wird ein Dieb nachts ergriffen, hat er an
den Bestohlenen eine Ziege (~mbuži ya kidanga~) zu zahlen. Der
Häuptling erhält ein weibliches Kalb und die Ältesten einen Ochsen
(~nzao ya shigati~).
Versucht jemand, ein ihm anvertrautes Rind heimlich beiseite zu
schaffen, wird die hohe Diebesstrafe über ihn verhängt. Auf gewaltsame
Schuldeintreibung steht, wie wir schon im vorigen Abschnitt sahen,
Zahlung eines Nzao ya shigati als Buße. Viehraub wurde mit dem Tode
bestraft, der den Räuber meistens bei der Verfolgung ereilte. Sonst
verkaufte man ihn in die Sklaverei, konnte er sich nicht durch ein
hohes Lösegeld vor diesem Schicksal bewahren.
Legt sich der Dieb aufs Bitten, so nimmt der Geschädigte ihm alles ab,
was er bei sich hat. Besonders Frauen ziehen diesen Weg vor; denn als
Dieb gebrandmarkt zu werden, ist bei den Wapare eine große Schande. Es
soll oft vorkommen, daß die so überraschte Frau eine „Freundin“ des
Bestohlenen wird; denn wenn der Ehebruch in den Augen der Leute auch
ein neues Unrecht ist, so ist er doch keine Schande wie der Diebstahl.
Stiehlt jemand Parenüsse, Hühner, Kleider oder Honig, so wird er zur
großen Diebesstrafe verurteilt, weil gerade diese Dinge oft weitab
vom Dorfe unbeaufsichtigt sind und daher durch das Gesetz besonders
geschützt werden müssen. Bemerkenswert ist es, daß der Häuptling einen
unverhältnismäßig hohen Prozentsatz für sich erhält. Er repräsentiert
eben die Staatsgewalt, die für Leben und Sicherheit sorgt und
berechtigt ist, Strafgelder einzuziehen.
Da es, wie schon eben gesagt, eine große Schande ist, als Dieb
bezeichnet zu werden, so läßt man sich das auch nicht ohne weiteres
gefallen. Gelingt es dem Beschuldiger nicht, den Wahrheitsbeweis
anzutreten, muß er den zu Unrecht Verleumdeten „nach Hause bringen“
(~kuarosha~), d. h. er nimmt durch Zahlung von einer oder zwei
Ziegen die Beleidigung mit dem Ausdruck des Bedauerns öffentlich
zurück.
Körperverletzung
konnte bei Schwertspielen oder Fechtübungen vorkommen. Sie wurde
nicht bestraft. Starb der Verletzte, so mußte der Täter zwei Rinder
bezahlen, die ~ng’ombe ža mashoži~ = Rinder der Tränen, damit
die Angehörigen den Toten leichter „vergessen“ konnten. Wurde der
Verwundete krank, brachte der Täter ihm eine ~mbuži ya mshombe~ =
Ziege zur Fleischbrühe. Wurde er wieder gesund, war die Sache erledigt.
Verletzte einer den andern böswillig im Streit, mußte er außer der
oder den „Ziegen zur Fleischbrühe“ auch noch eine Färse zahlen zur
„Verheilung der Narbe“ (~mori ya kujiva nkovu~). Für ein Auge
waren die übliche Buße manchmal viele „Ziegen zur Fleischbrühe“ und
eine Färse sowie ein Stier als „Narbenschließer“. Zerriß jemand dem
andern eins seiner künstlich ausgeweiteten Ohrläppchen, mußte er das
mit einem Mori sühnen. In Notwehr begangene Verletzungen wurden nicht
bestraft. Allerdings hatten sich die Angehörigen der betreffenden Sippe
vor der Blutrache zu hüten. Bei schweren Verletzungen war man bedacht,
so schnell wie möglich die Rinder „zur Verheilung der Narbe“ zu zahlen.
Geschah das nicht, so übten die Angehörigen des Verletzten eine
Erpressung nach der anderen aus. Starb der Mann schließlich, wenn auch
an anderer Ursache, so verklagten sie den Täter sicherlich auf Zahlung
des Blutpreises. Diesen gab man als Sühne für
Totschlag
und zwar unterschied man vorsätzliche Tötung (~tiri~) und
fahrlässige Tötung (~vanga~). Im ersteren Falle war der große
Blutpreis zu zahlen, oder der Täter wurde der Blutrache preisgegeben.
Der große Blutpreis (~irivi~) bestand in 10-12 Rindern, wie
schon S. 98 erwähnt. Für fahrlässige Tötung waren fünf Rinder zu
zahlen. Handelte es sich um völlig unbeabsichtigte Tötung oder um
Körperverletzung mit tödlichem Ausgang, wurden nur die beiden „Rinder
der Tränen“ bezahlt. Bei all diesen Zahlungen bildet ein Blutsbund
zwischen beiden Parteien den offiziellen Abschluß; denn dieser im
Verein mit dem „Niederwerfen des Kleides“ (s. S. 98. 99) schiebt
späteren Erpressungsversuchen einen Riegel vor.
Das Prozeßrecht.
Oberster Gerichtsherr ist der Häuptling (~mfumwa~). Er leitet
die Verhandlungen, indem er der einen oder andern Partei das Wort
erteilt. Sehr oft findet eine Vorverhandlung vor den Ältesten oder
Unterhäuptlingen statt, deren Ergebnis, sofern der Fall damit
entschieden ist, dem Häuptling nur mitgeteilt wird. Natürlich handelt
es sich dabei nur um unbedeutende Prozesse. Sonst ist es trotz aller
Vorbesprechungen das alleinige Recht des Häuptlings, das Urteil zu
sprechen (~kuchwa masa~ = den Prozeß abschneiden).
Nachdem die Regierung überall besoldete Akiden eingesetzt hat, denen
als unterster Instanz die Rechtspflege obliegt, sind viele alte Sitten
in Wegfall gekommen, oder sie werden heute als Bestechung behandelt.
Früher ging jeder, der eine Klage hatte, mit einer Kalabasse voll Bier
zum Unterhäuptling (~mlao~). Mit ihm besprach er sich über die
nötigen einleitenden Schritte. Der Mlao teilte ihm mit, wann er vor
dem Häuptling erscheinen solle und was er als Gerichtskosten im voraus
an diesen zu zahlen habe (~sibiro~). Handelte es sich um einen
größeren Prozeß, so bestand das Sibiro in einem Mori für den Mfumwa
und einer oder zwei Ziegen für die Valao. In den Augen der Wapare war
dies Sibiro keine Bestechungsgabe sondern der Schlüssel, mit welchem er
sich den Zugang zum Gericht verschaffen mußte. Verlor er seinen Prozeß,
durfte er keinerlei Ansprüche auf Rückzahlung des Sibiro erheben.
Gewann er, mußte sein Gegner auch die bezahlten Gerichtskosten in
voller Höhe ersetzen. Nebenbei bemühten sich natürlich die einzelnen
Parteien, durch allerlei Bestechungsversuche die Gunst der Richter zu
erlangen.
Die Verhandlung wird damit eröffnet, daß der Mlao dem Gerichtshof
kundtut, wer Kläger und Verklagter sei, ohne auf die Tatsachen selbst
einzugehen. Dann erhält der Kläger das Wort. Eine wichtige Rolle
spielte der ~mndumiži~ = Zustimmer. Dieser läßt jedesmal nach
einigen Sätzen des Redenden sein zustimmendes Yee erschallen, womit
gleichzeitig für Ruhe gesorgt wird. Es ist äußerst interessant, einer
solchen Gerichtssitzung beizuwohnen. Die Redner überbieten sich in
der treffenden Anwendung von passenden Sprichwörtern und humorvollen
Redewendungen, die wahre Lachsalven bei den Zuhörern auslösen. So etwas
läßt sich schlecht wiedergeben; wem es aber je vergönnt war, das alles
in der Landessprache mit anzuhören, findet es leicht begreiflich,
daß die Männer nirgends lieber sitzen, als auf der Baraza (Veranda)
des Häuptlings. Haben die beiden Parteien sich ausgesprochen, so
übernehmen zwei der Ältesten oder der Häuptling selbst und einer der
Alten die Rolle des Vertreters der Anklage bzw. des Rechtsanwaltes.
Mit aller List sucht man einander beizukommen, Kläger und Verklagter
greifen helfend und richtigstellend ein. Zeugen werden vernommen. Am
Ende ziehen sich die Alten zu geheimer Beratung zurück, um nach dem
Eindruck, den der Gerichtshof durch die Verhandlungen erhalten hat, das
Urteil zu fällen.
Wird von einem der Prozessierenden ein Zeuge namhaft gemacht, so
wird dieser herbeigeholt und ihm eine Ziege als „Schuh“ d. h. als
Bezahlung für die Reise in Aussicht gestellt, wenn es sich um
eine große Entfernung handelt. Auch die Boten (~vachanki~)
erhalten eine ähnliche Belohnung. Ist es nicht tunlich, den Zeugen
selbst herbeizuholen, so sendet der Gerichtshof zwei Unparteiische
(~vamondo~ = Seitliche). Diese werden vorher durch den Blutsbund
vereidigt, damit sie sich nicht durch eine der beiden Parteien
bestechen lassen. Bei dem Zeugen angekommen, wird auch dieser durch
Schließung des Blutsbundes mit einem der Boten vereidigt, die reine
Wahrheit zu sagen. Dann erst teilt man ihm mit, worum es sich handelt
und nimmt sein Zeugnis entgegen.
Oft ist aber kein Licht in die alten Prozesse zu bringen, weil keine
Zeugen mehr leben oder überhaupt keine angegeben werden können. In
dem Falle unterwerfen sich beide Parteien willig dem Gottesurteil
(~mashotano~). Die gebräuchlichsten Gottesurteile sind folgende:
~Moto wa nkuku~ = Hühnerfeuer; das Gottesurteil macht nämlich
dem Eigensinn des Schuldigen ein Ende wie das Feuer, das alle Dinge
verbrennt, deshalb ~moto~ = Feuer; ~Moto wa kimanganu~ =
Betäubungs-Feuer; ~moto wa lagula~ = Lagula-Orakelfeuer; ~moto
wa lusingu~ = Nadelfeuer; ~moto wa ntongo~ = Kugelfeuer.
Um die Sache kennen zu lernen, habe ich selbst einmal auf der Station
ein derartiges Gottesurteil veranstalten lassen. Die Leute hatten mich
gebeten, einen großen Prozeß, bei welchem es sich um mehrere Rinder
handelte, zu entscheiden. Da es mir seinerzeit darum zu tun war, die
Rechtssitten unsrer Leute eingehend zu studieren, nahm ich mich der
Sache an. Mangels jeglicher Zeugen baten schließlich beide Parteien
nach längeren Verhandlungen um das Gottesurteil mit Hühnern. Es wurden
für jede Partei zwei Männer erwählt (~vakendi~). Derjenige,
der behauptet, sein Vater oder Großvater habe die fraglichen Kühe
bezahlt oder ausgeliehen, zieht sein Schwert und spricht etwa folgende
Beschwörung: „Vater, haben jene wirklich unsre Kühe nicht genommen, laß
sie hier und auch dort (in der Unterwelt bei euch) ‚rein‘ werden, und
ich will hier und dort unterliegen. Haben sie aber die Kühe von dir
erhalten, laß sie unterliegen hier und dort und mich ‚rein‘ werden.“
Bei diesen Worten wirft er sein Schwert auf die Erde. Dasselbe tut der
Gegner nach einer ähnlichen Beschwörung. Die vier Vakendi gehen nun
in die Landschaft, und zwar je zwei mit einem der Schwerter. Finden
sie auf einem Gehöft einen großen Hahn, so nehmen sie ihn, ohne zu
fragen und hinterlassen ihr Schwert als Pfand. Sind die beiderseitigen
Sekundanten zurück, begibt man sich auf ein etwas abschüssiges
Gelände. Dort werden den Hähnen von den Vakendi unter ähnlichen
Beschwörungen die Hälse abgeschnitten. Alsbald läßt man sie auf die
Erde fallen wo sie im Todeskampf den leichten Abhang hinunterrollen.
Durch Händeklatschen und vielstimmiges mela mela = rolle rolle! sucht
man sie zu höchster Leistung anzuspornen. Der Besitzer des Hahnes,
der in diesem eigentümlichen Wettlauf am weitesten gekommen ist, hat
den Prozeß gewonnen. In dem Falle auf unsrer Station wurde die Sache
dadurch noch besonders aufregend, daß die Sekundanten der Partei, die
ich vorher schon auf Grund der Verhandlung als die wahrscheinlich
unterlegene bezeichnet hatte, ihren Hahn in regelwidriger Weise weit
von sich warfen. Diese Unredlichkeit nützte ihnen aber wenig; denn
der tote Hahn machte zum Erstaunen aller auf halbem Wege plötzlich
kehrt und stolperte, heftig mit den Flügeln schlagend, den Berg etwa
1 ~m~ wieder hinauf. Das Gottesfeuer hatte deutlicher als je
gesprochen, und bald waren die zu zahlenden Kühe zur Stelle.
Kimanganu ist ein Betäubungsmittel, welches man meistens zur
Feststellung eines Zauberers benutzt, da der also Betäubte alle seine
Verbrechen ausplaudert und so seiner Strafe zugeführt werden kann. Auch
bei Diebstählen wurde es angewandt.
Ebenso dient das Lagula-Orakel als Gottesurteil. Nachdem auch hier wie
überall die Beschwörung zu Hause voraufgegangen ist, begeben sich die
Parteien mit ihren Vakendi zum Orakel. Der Medizinmann versetzt sich
mit seinen Arzneien in Ekstase, riecht immerwährend an seiner kleinen
Medizin-Kalabasse und beginnt dann mit dem Wahrsagen:
Ihr meine Leute -- (die Ratsuchenden:) lagula!
Wo kommt ihr mir her? -- lagula!
Erforsche, mein Freund (das Orakel)! -- lagula!
Ihr kommt von Mamba -- nein -- lagula!
Nein, oder von Ndungu -- nein lagula!
Es riecht doch nach Ndungu -- lagula!
Ja, ihr kommt von Ndungu -- lagula!
Gebt es nur zu, sonst wird mein Kopf unklar -- taire!
Die Ratsuchenden lassen also erst dann ihr zustimmendes Taire!
erschallen, wenn der Medizinmann trotz des nichtssagenden Lagula! immer
wieder auf denselben Ort zurückkommt. Dann geht es weiter:
Suche, mein Freund, suche! -- lagula!
Es riecht mir nach Streit -- lagula!
Es riecht mir nach Streit -- lagula!
Ihr streitet wegen einer Kuh -- lagula!
Es handelt sich um den Msaguo -- taire! taire!
Sobald also die Sache genau definiert ist, erschallt das zustimmende
und den Medizinmann begeisternde taire! = wisse! d. h. du bist ein
Wissender.
Es ist eine gefleckte Kuh -- taire!
Die Kuh hat zwei Kälber geworfen -- taire!
Man hat die Kuh jetzt versteckt -- taire! taire!
Das sagen natürlich nur die Sekundanten des Bestohlenen. Das Orakel
macht die Parteien und Sekundanten ausfindig; die Prozessierenden
selbst sitzen schweigsam dabei:
Du bist der Kläger -- taire!
Und du bist der Dieb -- taire! taire!
Du hast die Kuh da und dahin gebracht -- taire!
Wenn es Lüge ist, bestreitet es -- taire! usw.
Das Lusingu ist eine etwa 10 ~cm~ lange Nadel, wie sie bei dem
gleichnamigen Orakel gebraucht wird. Beim Gottesurteil wird sie
nach voraufgegangener Beschwörung den Parteien durch die Mundwinkel
gestoßen. Bei dem Unterlegenen fließt Blut aus der kleinen Wunde,
bei dem andern nur eine wässerige Flüssigkeit. Das Lusingu wird bei
kleineren Rechtshändeln angewandt, z. B. Diebstählen, Eheklagen u. a.
Das größte Gottesurteil ist das Ntongo in der Landschaft Chome. Es
wird nur bei Zaubern angewandt. Fünf kleine Eisenkugeln wurden in
einem irdenen Topf glühend gemacht und dann Schaffett und Honig
darüber in den Topf gegossen, daß eine hohe Flamme herausschlug. Der
im Verdacht der Zauberei stehende Mann mußte nun vier solcher Kugeln
einzeln herausholen, zwischen den Händen reiben und fortwerfen.
Die Dabeistehenden sangen: ~Mwewe, hora nyama~! = Habicht,
stoße aufs Fleisch, d. h. die glühenden Kugeln. Zu Hause hatte man
dem Verdächtigten die Hände genau auf etwaige Schwielen und Wunden
untersucht. Zeigten sich nach der Feuerprobe neue Blasen oder Wunden,
so war sein Urteil gesprochen. Im andern Falle wurde er zum Zeichen
seiner Unschuld mit weißer Erde eingerieben. Daher wird das Wort
~kuzera~ = weißwerden auch gebraucht, wenn man ausdrücken will:
von falschem Verdacht befreit werden. Übrigens hat das hier verwendete
Feuerholz gewissermaßen schon in erster Instanz als Gottesurteil
gedient. Beide Parteien müssen nämlich vorher je zwei Holzstücke mit
zwei Axtschlägen in vier Teile spalten. Gelang das dem Beklagten und
dem Kläger nicht, so war der Verdacht unbegründet, und man redete
dem letzteren zu, die Klage zurückzunehmen und eine Ziege oder einen
Ochsen als Buße zu zahlen. Ließ dieser es aber erst auf die Feuerprobe
selbst ankommen, und wurde sie bestanden, so war als Buße eine Färse
zu zahlen. Auf dem ganzen Wege erschallt der Triumphruf des „Reinen“:
~Wee, hocha rya!~ Hat der Verkläger recht behalten, so ruft man:
~Wee, hocha sire!~ = Rache!
Das ist in kurzen Worten das Hauptsächlichste aus dem Verlauf der
bekanntesten Gottesurteile. Während diese nun für die Beteiligten
keinerlei Lebensgefahr in sich bergen, gibt es eine weitere Art der
Beschwörung oder Vereidigung, die für den Schuldigen den Tod in
bestimmter Frist bringt. Es ist hier nicht der Ort, Versuche zur
Erklärung dieser Erscheinungen zu machen, bei denen die Furcht und
Suggestion sicherlich eine Rolle spielen. Ich will nur erwähnen, daß in
allen Fällen, von denen mir Kenntnis geworden ist, der eine der Gegner
in der festgesetzten Frist starb.
Diese berühmteste der Beschwörungen an Eides Statt ist das „Hineingehen
zum Dachfetisch“ (~kungia he mpingu~ oder ~murungu wa gu~).
Der Verlauf ist in der Hauptsache so: die beiden Streitenden
erscheinen jeder mit seinem nächsten erbberechtigten Verwandten vor
dem Fetischpriester. Der Priester setzt ihnen auseinander, daß diese
Eidesform keine Spielerei bedeute, sondern unwiderruflich den Tod für
einen bringen müsse. Die Parteien erklären aber, bei ihrem Entschluß
beharren zu wollen. Jeder hat eine Opferziege mitgebracht, von denen
die eine bei der Beschwörung geschlachtet wird, während man die andre
für die spätere Entsühnung aufhebt. Beide Gegner fassen die Ziege an je
einem Vorderfuß und bitten den Dachgötzen, schon jetzt sein Urteil zu
sprechen, indem er in dem lebendigen Tiere die Eingeweide auf der einen
oder andern Seite verfaulen lassen soll. Jeder schlägt dann die Ziege
mit der Hand in die ihm zugewandte Seite. Dann wird das Tier erstickt,
und der Priester ersieht aus den Eingeweiden und der Leber den
voraussichtlichen Ausgang der Sache. Wenn die Ermahnungen des Priesters
auch jetzt die erbosten Parteien nicht veranlassen können, von der
Anrufung des Fetisches Abstand zu nehmen, gehen beide Prozessierenden
in den „Tempel“. Jeder hat ein Bruststückchen der inzwischen gerösteten
Ziege in der Hand und reibt es an der Haussäule, indem er die Gottheit
beschwört, seine Schuld oder Unschuld ans Licht zu bringen. Dann essen
beide das Fleisch auf, und der Priester bittet den Fetisch, innerhalb
einer bestimmten Frist das Todesurteil zu sprechen. Ist einer der
Gegner zur festgesetzten Frist gestorben, hat der als Zeuge tätig
gewesene Erbe des Unterlegenen die Ansprüche des andern zu befriedigen.
Ist das vereinbart, wird die beim Priester zurückgelassene zweite
Ziege getötet, um „die Beschwörungen herauszunehmen“ (~kung’ola
miomo~). Der Erbe teilt dem Fetisch mit, daß er sich seinem Urteil
unterwerfe und zur Zahlung der Rinder bereit sei. Unterläßt der Erbe
das Sühnopfer, steht auch er in Todesgefahr.
Ein nicht minder gefürchteter Beschwörungseid der auch heute noch bei
schwierigen Rechtsstreiten mit Erlaubnis der Behörde von den Leuten
selbst angewandt wird, ist das „Topfschlagen oder Topfessen“. Beide
Parteien fassen einen Tontopf mit den Händen an, spützen hinein, und
jeder spricht seine Beschwörung etwa wie folgt: „Du Topf, bringe
meinen Prozeß zu Ende. Bin ich im Unrecht, töte mich, ehe der Mais
reif ist; ist mein Gegner im Unrecht, töte ihn zur selben Zeit!“
Nach der Beschwörung wird eine Ecke aus dem Topf geschlagen und
hineingelegt. Andre brechen den Topf mit den Händen in zwei Stücke.
Ganz hitzige Gegner werfen die Stücke in den Fluß, damit eine spätere
Entsühnung ausgeschlossen ist und die ganze Sippe ausstirbt. Gewöhnlich
aber wird der Fluchtopf bei einem Alten untergestellt, bis er sein
Urteil gesprochen hat. Statt des Speichels kommt auch hier Urin
als Seelenträger in Frage. Hat der Topf gewirkt und den Schuldigen
getötet, so muß seinem weiteren Wirken durch ein Sühnopfer Einhalt
geboten werden. Sühnmittel ist auch hier wieder der Mageninhalt
des Opfertieres, beim Dachgötzen meist eine Ziege, beim Fluchtopf
gewöhnlich ein Schaf.
In einem früheren Kapitel lernten wir die Blutsfreundschaft
(~mma~) kennen, deren Verletzung ebenfalls den Tod zur Folge hat.
Es gibt noch zahlreiche derartige Mima, die an Eides Statt angewandt
werden, um bei schwierigen Prozessen den Schuldigen herauszufinden.
Handelt es sich z. B. um einen Kuhhandel, und behauptet der erste
Besitzer, die Msaguo-Ziege nicht erhalten zu haben, ohne daß Zeugen
für diese Behauptung beigebracht werden können, so nimmt man seine
Zuflucht zum ~mma wa ng’ombe~ -- Bluteid mit der Kuh. Die
beiden Parteien fassen die umstrittene Kuh je an einem Ohr. Der die
Beschwörung leitende Mann sagt: „Du Kuh, halte still, und trenne die
Streitenden.“ Diese sprechen dann ihre Beschwörungen, indem jeder sich
sozusagen verpflichtet, im Falle seiner Schuld zu sterben, bevor die
Kuh zum zweiten Male gekalbt hat. Der „Priester“ schießt alsdann die
Kuh mit einem glatten Pfeil in die Halsader. Das hervorquellende Blut
wird in einem Töpfchen aufgefangen und auch der Pfeil in diesen Topf
gesteckt; denn die zu erwartende Krankheit soll ja den Schuldigen in
den Leib treffen wie der Pfeil die Kuh. Beide Gegner trinken das Blut.
Der Bogen wird der Kuh über den Kopf gehalten und die Sehne mit den
Worten zerschnitten: „Du Kuh, bringe die Leute schnell auseinander“,
d. h. sorge dafür, daß dem Betrüger schnell die Adern und Sehnen im
Leibe zerreißen, wie symbolisch am Bogen vorgemacht. Der Topf wird
vom „Priester“ in Verwahrung genommen, um später in bekannter Weise
entsühnt zu werden.
Häuptlinge versichern sich auf ähnliche Weise eidlich ihre
Friedensabsichten, was gewiß besser geholfen hat als die Haager
Friedenskonferenzen. Auch Bündnisse mit der Verpflichtung gegenseitiger
Heeresfolge wurden so geschlossen (~mma wa nkondo~). Ein im
Verdacht der Zauberei Stehender muß Mma mit der Erde, die seine Opfer
„gegessen hat“, oder mit Blut aus seinem eignen Knie essen.
So haben unsre Wapare in schwierigen Fällen immer Mittel an der Hand,
auch verwickelte Fragen zu erledigen: Entweder das Gottesurteil oder
den Bluteid, der allem Hader ein Ende macht.
[Illustration: Muhamed bin Ali, Kihurio.]
[Illustration: Zahmer Hundsaffe mit seinem schwarzen Wärter.]
[Illustration:
Phot. Lutteroth.
Kiondo in Tränen.]
In den jungen Christengemeinden wird natürlich derartigen Gebräuchen
nicht mehr gehuldigt. Es ist aber verständlich, daß bei einem
Streitfalle der eine oder der andre resigniert sagt: „Mein Bruder
leugnet nur, weil er weiß, daß ich ihn als Christ nicht mehr
nach heidnischer Weise den Blutseid ablegen lassen kann. Vor dem
Gottesurteil würde er sich fürchten.“ Sehr geschickt erinnerte Adamu,
einer unsrer älteren Christen, gelegentlich eines Streitfalles, der vor
die Gemeindeältesten gebracht wurde, an den „christlichen Blutsbund“
im hl. Abendmahl. Er wies auf die große Hilfe hin, welche die Heiden
durch ihre Zaubergebräuche hätten, und illustrierte das durch folgende
Geschichte: „Ein Mann hatte einst seinen Blutsfreund geschickt, Kleider
für ihn einzukaufen. Der kam wieder und behauptete, er sei unterwegs
von Räubern angefallen worden und er habe, um sein Leben zu retten, die
Kleiderlast wegwerfen müssen. In Wirklichkeit hatte er aber die Kleider
nur versteckt, um sie später zu holen. Der Besitzer blieb bei dieser
Erzählung ganz ruhig und sagte nur: ‚Das macht nichts, haben die Räuber
dich wirklich überfallen, dann war ich mit dabei, mein Blut ist ja
in dir. Hast du die Last dagegen versteckt, so bin ich auch auf dem
Gange bei dir gewesen. Unser Blutsbund ist der Richter.‘ Da fürchtete
sich der Dieb und gestand sein Unrecht ein.“ Adamu erinnerte nun die
Beteiligten, daß Christen nicht nur den Blutsbund untereinander gemacht
hätten, sondern im Abendmahl auch mit Jesu. Wir hätten aber noch
mehr Grund als die Heiden anzunehmen, daß Er, unser Bruder, überall
dabeigewesen wäre, sollten uns also noch mehr hüten, die Unwahrheit
zu sagen als jene. Daraufhin gestand der Beschuldigte beschämt sein
Unrecht ein.
[Illustration]
Zehntes Kapitel.
Technik und Wirtschaftsform.
Der Hausbau.
Will der Mwasu ein neues Haus errichten, und hat er einen ihm
zusagenden Platz gefunden, so säubert er diesen von allem Strauchwerk
und Gras (~kufora kivanza~ = den Bauplatz graben). Dann geht er in den
Busch und fällt dünne und dickere Stämme, die er mit Hilfe seiner Frau
und einiger Nachbarn an den Bauplatz bringt. Zunächst muß er sich nun
Stricke besorgen, mit denen er die Latten und Balken zusammenfügen
kann. Dazu dienen ihm gewisse besonders geeignete Lianenarten
(~kaganda~, ~kikozi~, ~kigwira nguluwe~, ~luhaga~, ~senkunde~). In der
Steppe werden meistens die Fasern der Sansiveren verwandt.
Um die Hauswand schön kreisförmig zu machen, schlägt er in der Mitte
des Bauplatzes einen Pflock in die Erde und befestigt daran einen
Strick. Diesen schlingt er um seinen Fuß, daß die Entfernung vom
Mittelpunkt etwa 2 ~m~ beträgt. Dann zieht er einen Kreis,
indem er mit dem angebundenen Fuß die Kreislinie auf dem Erdboden
markiert. Dieser folgend, hebt er einen schmalen, etwa 30 ~cm~
tiefen Graben (~mkembe~) aus und gießt Wasser hinein. In den so
aufgeweichten Boden stößt er die angespitzten Stangen im Abstande
von etwa 30 ~cm~. Um dieses kreisförmige Gerüst wird dann die
untere Mauerlatte, bestehend aus einer Anzahl zusammengelegter dünner
Stangen, in etwa 2 ~m~ Höhe befestigt. Auf diese werden später die
Bodenbalken gelegt. Die Lücken in der Hauswand werden durch weitere
in den Boden gestoßene Stangen ziemlich dicht ausgefüllt, Querlatten
befestigt und schließlich auch die obere Mauerlatte angebracht, auf
welcher die Dachsparren ruhen sollen.
Das Dach baut man auf ebener Erde, um es in halbfertigem Zustande
auf das Haus zu setzen. Zu dem Zweck verfertigt sich der Mpare einen
kleinen Ring von etwa 10 ~cm~ Durchmesser aus starkem Strick,
gerade weit genug, um die vier ersten Sparren hindurchzwängen zu
können. Um diese windet er kreisförmig dünne Dachlatten, dabei immer
neue Sparren einschiebend. Das so gebildete ~kiare~ wird, bevor
es zu schwer ist, mit Hilfe einiger Freunde auf das Haus gesetzt, wo
es vollendet wird und die Sparren durch einfaches Anstecken bis auf
den durch Stützen getragenen äußeren Lattenring verlängert werden
(s. Abbild.). Das Dach wird mit Schilf gedeckt, im Gebirge auch mit
Bananenblattscheiden (~malamba~). Das gut getrocknete Schilf wird
in kleinen Bündeln mit Sansiverenfasern oder Lianen von unten anfangend
auf die Dachlatten gebunden, während man die etwa 10 ~cm~ breite
Malamba einfach von unten an um die einzelnen Latten schlingt und die
Enden nach außen herunterhängen läßt.
[Illustration: Hütte im Rohbau.]
Das Ausfüllen der Wände mit Lehm nennt man ~kukanda~. Zu dieser
Arbeit werden sämtliche Nachbarn geladen. Frauen tragen das Wasser,
während die Männer den Lehm mit den Füßen kneten und das Fach- bzw.
Flechtwerk damit ausfüllen. Diese Arbeit trägt den Charakter eines
Festes, da sämtliche Teilnehmer Speise mitbringen, die am Ende
gemeinschaftlich vertilgt wird. -- Auch der Dachboden wird mit Lehm
ausgeschmiert. Später wird die Wand innen und außen mit Sand und
Kuhmist geglättet (~kukuluga~).
[Illustration: Feuerstelle.
~a~ und ~b~ große Herdsteine, ~c~ Haussäulen, ~d~
Kochtopf, ~e~ „Herdringe“.]
[Illustration: Erfindung der „Herdringe“.
~a~ große Herdsteine, ~b~ große Steinplatte als dritter
Herdstein, ~c~ Haussäulen, ~d~ Kochtöpfe verschiedener
Größe, ~e~ erster „Herdring“, ~e¹~ und ~e²~ weitere
„Herdringe“ für noch kleinere Töpfe.]
Diese Art des runden Hauses nennt man nyumba ya lukumbi, d. h.
Verandenhaus. Es ist anscheinend von den in der Steppe wohnenden
Wazegua übernommen worden. Die ursprüngliche Art scheint mir das
~nyumba ya msoma si~ (auf die Erde stoßendes Haus) zu sein.
Bei ihm gehen Dach und Wand ineinander über. Von außen wird solches
Haus bis zur Erde mit Schilf oder Bananenblattscheiden gedeckt und
innen mit Lehm verschmiert. Diese Art sieht man heute fast nur noch
im Gebirge. Dem mit der Kultur in Berührung gekommenen Schwarzen
sagt das Verandahaus mehr zu, weil es geräumiger ist und man durch
Aufführung einer Verandamauer leicht weitere große Räumlichkeiten
schaffen kann. Ebenso hat die rechteckige Hausform schon viele Freunde
gefunden, was auch vom hygienischen Standpunkte aus sehr zu begrüßen
ist, da in derartige Häuser meistens Fenster eingesetzt und für Küche,
Schlafraum und Stall besondere Abteilungen gebaut werden. In den andern
Wohnstätten fehlen Licht und Luft dagegen fast vollständig.
Am Tage, der auf das erstmalige Ausschmieren der Wände mit Lehm
folgt, zieht der Mwasu in sein neues Heim ein. Er hat es mit seinem
Umzug so eilig, weil er verhüten muß, daß irgendein böser Mensch
ihm einen Schabernack spielt und z. B. in der neuen Hütte uriniert.
Damit hätten nämlich die den Ausscheidungsprodukten innewohnenden
Seelenkräfte von dem Hause Besitz ergriffen (~kuvyala nyumba~)
und würden den rechtmäßigen Eigentümer quälen und schließlich töten.
Liegt ein derartiger Verdacht vor, so ruft der Mpare den schon des
öfteren erwähnten Sühnepriester, den Mtani, der die bösen Geister
vertreiben muß. Liegt dagegen kein Bedürfnis vor, den Mtani rufen zu
lassen, so begibt sich der Besitzer mit den Nachbarn ins Haus. Die
Frauen fegen die Hütte aus, während die Männer eine große Steinplatte
herbeischleppen, die an die beiden Mittelstützen gelehnt wird. Vor
diese werden zwei weitere Steine gelegt, und der Küchenherd ist fertig.
Ist ein Topf zu klein, um ohne weiteres auf diese drei Steine gestellt
zu werden, so klemmt die Hausfrau flache Steinstückchen zwischen Topf
und hintere Herdplatte ein. Wir haben also hier die Urform vor uns, die
sich im Lauf der Zeit zu unsren Herdringen entwickelt hat.
Doch zurück zu unserm Hausbesitzer. Dieser schreitet nämlich jetzt zur
Zeremonie des Feueranzündens. Hierzu darf er sich keine glühende Kohle
vom Nachbar holen, sondern er muß selbst neues Feuer mit Hilfe der
Reibhölzer erzeugen. Dieses heilige Feuer ist ein Bild der alle Morgen
neues Leben gebenden Sonne. Dann opfert er den Ahnen, indem er etwas
Bier an den Fuß der Mittelstütze gießt und betet: „Ihr ~nkoma~
(Ahnen), nehmt euer Bier! Ich beziehe heute mein neues Haus. Laßt mich
hier guten Schlaf finden und von Krankheiten verschont bleiben. Laßt
mich hier viele Kinder zeugen und Kühe, Ziegen und Hühner züchten.
Teilt das Opfer mit den Ahnen der männlichen und weiblichen Linien.
Freuet euch und schlaft! -- ~nkoma shinjiani!~“ Die Erschienenen
trinken den „Rest“ des Bieres (nebenbei bemerkt, übertrifft er wie
immer so auch hier die Menge des Opferbieres um ein Erkleckliches) und
nehmen wohl auch einen kleinen Imbiß, den die Hausfrau zurechtgestellt
hat.
Zum Schluß noch die Bemerkung, daß der Polygamist früher für jede
Frau eine besondere Hütte baute. Seit der Einführung der Hüttensteuer
unterläßt man es jedoch. Dies hat allerlei das Volksleben schädigende
Folgen nach sich gezogen, auf die ich schon hingewiesen habe. Mädchen-
und Knabenhäuser gibt es bei unsern Wapare nicht, ebensowenig besondere
Häuptlingshütten.
Die Koch- und Hausgeräte.
Die Töpferei ist ausschließlich Arbeitsgebiet der Frau, genau so
wie die Anfertigung der Fasersäcke. Hat die Frau sich in einem
Sack genügend Tonerde geholt, so geht sie an deren Bearbeitung. Zu
dem Zwecke breitet sie den Ton auf einem großen flachen Stein aus,
zerkleinert die großen Stücke und liest Steine und andre Unreinigkeiten
aus. Mit Hilfe eines Holzstößers wird der reichlich angefeuchtete Ton
ganz fein gestampft und dann noch mit den Händen wie Kuchenteig auf
dem Stein durchgeknetet. Aus dieser Masse formt die Frau einen je nach
Umfang des gewünschten Topfes verschieden großen Tonzylinder, der mit
dem Stampfer durchstoßen wird. Aus diesem Mantel formt sie nun unter
fortwährendem Anfeuchten und Abschaben mit einfachen Modellierhölzern
die obere Hälfte des Topfes. Das untere noch auf dem Stein haftende
Ende bedeckt sie sorgfältig mit grünen Bananenblättern, um den Ton
dort feucht zu erhalten. Das obere Ende ist am nächsten Tage bereits
soweit an der Luft erhärtet, daß die Frau den Topf umstürzen kann,
um den Boden anzufertigen. Die Öffnung wird immer kleiner, so daß
sie schließlich nur noch einen Finger zur Glättungsarbeit durchläßt,
und schließlich wird sie sauber mit einem kleinen Stückchen Ton
geschlossen. Etwa fünf Tage lang bleibt das Kunstwerk auf dem Boden
stehen, um völlig auszutrocknen. Dann werden meistens mehrere
zusammen in einem offenen Feuer gebrannt. Das Feuerholz wird von
bestimmten Bäumen genommen (~mugi~, ~kisosongo~) und ist
von zunderartiger Beschaffenheit. Es wird unter und zwischen den
Töpfen aufgeschichtet. Die Frau wendet die Gefäße mit einem Stock und
prüft durch gleichzeitiges Beklopfen ihre Beschaffenheit. Klingen
sie endlich, dann sind sie „gar“ d. h. durchgebrannt und werden zum
Abkühlen hingestellt. Mit einer grünen Banane zieht die Künstlerin von
der Mitte des Topfbodens ausgehend gerade Striche nach dem Rande hin,
die sich sofort weiß färben und so auf dem Markte den neuen Topf,
wenn auch in recht bescheidener Weise, verzieren. Die zum Wasserholen
bestimmten Töpfe werden mit Blättern des Nkasha-Strauches rot gefärbt.
Diese Gefäße sowie auch die kleineren Eßnäpfe werden vor dem Brennen
mit einem etwa 4 ~cm~ breiten Punktierhölzchen am Halse bzw. am
Rande verziert. Abbildungen siehe unter dem Abschnitt Negerküche auf S.
102. Während diese eigentliche Töpferarbeit ausschließlich von Frauen
verrichtet wird, werden die tönernen Pfeifenköpfe nur von Männern
angefertigt.
[Illustration: Mattensackgewebe.]
[Illustration: Wie ein Kitangu entsteht (Boden).]
Wie schon erwähnt, gehört auch das Säckeknüpfen zu den Arbeiten,
die nur von Frauen ausgeführt werden. Nachdem man aus den grünen
Sansiveren-Blättern durch Klopfen die Fasern gewonnen, dann gewaschen
und gereinigt hat, werden sie in langen Strähnen von etwa 5 ~mm~
Dicke zusammengeknüpft. Die Art des so gebildeten Gewebes, das übrigens
meist recht weitmaschig ist, ersieht der Leser an der Skizze.
[Illustration: Fertiges Körbchen.]
Des weiteren verfertigen die Frauen Strohteller (~vitangu~), in
denen u. a. Maisbrei und Kartoffeln aufgetragen werden. Sie dienen
auch im Handel je nach Größe als Korn- und Fruchtmaße. Die Vitangu
bestehen aus einem spiralförmig aufgewickelten Stück Bananenbast, das
mit einer etwa 2-4 ~cm~ breiten Palmblattschnur umsponnen wird.
Die Körbchen sind äußerst haltbar. Der Preis belief sich auf etwa 15
Pfennig. Während die meisten Frauen, wenigstens im Gebirge, solche
Teller und Säcke machen können, wird die Töpferkunst nur von kundigen
Meisterinnen ausgeübt. Sie vererbt sich auf die Töchter und entbehrt
auch nicht eines gewissen religiösen Einschlages, da oft Säumige von
den Ahnen an ihre Pflicht, das Gewerbe auszuüben, erinnert werden.
Als Handwerker könnte man wohl die Männer ansprechen, die, wenn auch
nur im Nebenberuf, Mörser, Stühle, Bienenstöcke usw. verfertigen.
Eine geschlossene Hauswirtschaft im Sinne der Lehre Büchers existiert
also nicht oder wenigstens nicht mehr. Nach ihr ist auf einer
primitiven Stufe jeder Haushalt imstande, alle seine Bedürfnisse
aus sich selbst heraus und ohne Zuhilfenahme des Tausches oder des
Handels zu befriedigen. Man ist also in Erzeugung und Verbrauch von
niemand außerhalb der eignen Sippe abhängig. Die Tatsache, daß im
Gebirge solche Unabhängigkeit selbst heute noch größer ist als in den
bereits zivilisierten Steppenlandschaften, spricht dafür, daß sie
nur allmählich verlorengegangen ist bzw. verlorengeht. Dazu trägt
hauptsächlich die Kultur bei. Dem schwarzen Diener, Wäscher, Maurer,
Aufseher, Soldaten, Eisenbahn- oder Postbeamten fehlt die Zeit und
vor allem die durch Übung erworbene Geschicklichkeit, irgendwelche
Geräte selbst zu verfertigen. Er ist also mehr als sein fern von
der „Zivilisation“ lebender Stammesgenosse auf den ~fundi~,
den Handwerker oder Meister angewiesen, und auch unter diesen haben
sich mit der Zeit immer mehr Spezialisten ausgebildet: der eine
macht Hocker, der andre Mörser oder Betten, der dritte flicht die
starken Ochsenstricke. Für Pfeilgift und Schmiedearbeiten ist diese
Abhängigkeit von Nachbarstämmen bzw. besonderen Schmiedemeistern
wohl uralt, aus dem einfachen Grunde, weil Pfeilgifte nicht überall
hergestellt werden können und die Schmiede von jeher eine besondere
Kaste gebildet haben (s. S. 138).
[Illustration: Hocker.]
Hocker werden aus 25 ~cm~ hohen Holzklötzen geschnitzt, Mörser
aus etwa 50 ~cm~ hohen Holzzylindern. Die Werkzeuge des Fundi
sind kleine Äxte, Kratzer und Stemmeisen mit langen und kurzen
Griffen. Die langen Hefte der Stemmeisen erhalten an dem Ende, wo
das Eisen befestigt wird, als Verstärkung einen Ring aus der Schale
der Dumpalmenfrucht, der festsitzt wie Eisen und ein Spalten des
Griffes völlig unmöglich macht. Die Abbildungen lassen auch weitere
Gebrauchsgegenstände erkennen, die von Männern angefertigt werden.
Interessant ist die Tatsache, daß Kürbisflaschen, die geborsten sind,
wieder genäht werden unter Anwendung der gleichen Technik die unsre
Schuhmacher beim Nähen haben. Die Naht wird außen mit der Milch des
Mwasi-Baumes wasserdicht verklebt.
[Illustration: Werkzeuge des Fundi.]
Der Apparat zur Feuererzeugung besteht aus dem Quirlholz
(~kinindi~, Zweig des Mrinditi-Baumes) und dem untergelegten
flachen Holz, ~nke~ genannt. In den Rand des Nke schneidet man
einen Kerb, durch welchen dann beim Quirlen mit dem Kinindi die glühend
gewordenen Holzteilchen auf das untergelegte Messer fallen. Mit Hilfe
eines aus zerriebenen trocknen Bananenblattscheiden gebildeten Zunders
wird die glimmende Asche zum Feuer entfacht.
[Illustration: Feuerzeug.]
[Illustration: Bienenstock.]
Bienenstöcke verfertigt man auf folgende Weise. 100-125 ~cm~
lange Baumstämme werden mit langen Holzkeilen in der Mitte gespalten
und beide Hälften ausgehöhlt. Eine etwa handbreite Öffnung auf
einer der Längsseiten dient zum Ausnehmen des Honigs und wird mit
einem hineingesteckten Holzplättchen verschlossen. Die beiden den
Bienenstock bildenden Holzschalen werden zusammengeschnürt und auf
einen Baum gehängt. Den Honig nimmt man gewöhnlich abends aus. Mittels
Rauch werden die Bienen verscheucht bzw. in das Innere des Stockes
zurückgetrieben. Dann entnimmt der Pare-Imker dem Stock soviel der
begehrten Süßigkeit, wie ohne Gefahr für das Volk möglich ist. Das Bild
zeigt elf übereinandergelegte Bienenstöcke, die als Taubenhaus benutzt
wurden.
Die Schmiedekunst.
Die Schmiede bilden eine besondere Kaste. Das Waldfest begehen sie
mit den andern Vaasu zusammen, die Frauenfeste dagegen feiern sie
streng nur innerhalb der eignen Kaste. Meine Untersuchungen sind
leider durch den Krieg unterbrochen worden und meine Aufzeichnungen
verloren gegangen, so daß ich von den mystischen Schmiedefesten unsrer
Wapare nur sehr wenig schreiben kann. Man erzählte mir, wie ich mich
erinnere, daß z. B. dem Hammer als dem Hauptschmiedewerkzeug bei seiner
Anfertigung geopfert würde. Der Novize, der in die „Innung“ aufgenommen
werden soll, muß in der Festnacht einen großen und zwei kleine Hämmer
schmieden. Dabei sollen die Teilnehmer eigentümliche Lieder singen
und Totenklage halten. Den Text dieser Lieder habe ich leider mit so
manchem andern Material in Afrika lassen müssen.
[Illustration: Schwerter.]
[Illustration: Buschmesser.]
Die Mädchen aus der Schmiedekaste werden von den Burschen der meisten
andern Sippen gemieden. Verkehr mit ihnen würde eine bestimmte
Krankheit zur Folge haben. Nur Jünglinge aus der gleichen Kaste können
sie ohne Gefahr ehelichen.
Die Eisengewinnung ist Arbeit der Frau. Sie holt sich zu dem Zweck am
Bach den schwarzen, eisenhaltigen Sand, trägt ihn auf einen Haufen
und wäscht ihn aus. Dann baut sie sich ihren primitiven Hochofen auf,
der in seiner Einfachheit gegenüber den bei andern afrikanischen
Völkern gebräuchlichen Öfen wohl den Urtyp darstellt. Er besteht
nämlich nur aus bis zu einer Höhe von etwa 30 ~cm~ ringförmig
aufgebauten Feldsteinen und ist in den Fugen und Ritzen nicht einmal
mit Lehm abgedichtet. In das Innere dieses sehr primitiven Hochofens
schiebt sie eine 100-150 ~cm~ lange Tondüse zur Luftzuführung
ein. Abwechselnd stapelt sie nun Holzkohlen und Eisenstaub in dem
Ringofen übereinander auf. Die Holzkohlen hat sie sich auch vorher
selbst dazu gebrannt, indem sie hierfür geeignetes Holz angezündet
und im rechten Augenblick mit Wasser und Erde gelöscht hat. Am Ende
der Tondüse stellt sie nunmehr den Blasebalg auf, und hält diesen,
nachdem das Feuer angezündet ist, mit Hilfe einer Nachbarin einige
Stunden lang in Tätigkeit. Der Sand hat sich inzwischen durch die
Einwirkung der Hitze in große Schlackenklumpen verwandelt. Aus diesen
Schlacken (~maganga~) gewinnt sie dann durch Zerklopfen das darin
eingebettet liegende ausgeschmolzene Eisen (~menya~). Diese
Stückchen bringt sie zum Schmied, der sie stark erhitzt, Staub als
Schweißpulver im Feuer darüberstreut und alle zu einem größeren Stück
zusammenschweißt.
[Illustration: Befestigte Pfeilspitzen.]
[Illustration: Verschiedene Pfeilspitzen.]
[Illustration: Der Pfeilgriff wird durch Umwicklung gegen Einreißen
durch die Bogensehne geschützt.]
[Illustration: Wie die Federfahnen am Pfeilschaft befestigt werden.]
[Illustration: Die Fahne der Feder wird stückweise v. d. Spule
losgelöst.]
[Illustration: Einquirlen der Pfeilspitze in den Schaft.]
[Illustration: Bogen.]
[Illustration: Schild.]
[Illustration: Köcher.]
Die Schmiede verfertigen Waffen (wie solche aus den Abbildungen
ersichtlich sind), außerdem allerlei Schmucksachen: Hals- und Armringe,
kleine Eisenketten und andre Dinge, die ein Negerherz erfreuen. Da wir
gerade von Waffen sprechen, will ich den Parebogen erwähnen. Er ist
glatt und an beiden Enden zugespitzt. Man benutzt nur das Holz des
Gare-Baumes. Die Bogensehne wird aus Rücken- und Fußsehnen des Rindes
gefertigt. Zur Herstellung von Pfeilen eignet sich eine große Anzahl
von Bäumen. Den Werdegang bei der Herstellung lassen die Abbildungen
erkennen. Mit den Blättern des Mshasha-Baumes, dem Glaspapier der
Eingebornen, werden die Pfeilschäfte schön glattgerieben.
Pareschilde sieht man nur noch selten. Sie bestanden aus Büffelhaut,
die in der Längsrichtung durch eine mit Handgriff versehene Leiste
gesteift wurde. Den Rand bildete ein Eisendraht, um den herum die
Haut vernäht wurde. Zum Schutze der Hand erhielt der Schild in der
Mitte eine Verstärkung. Zuletzt wurde er mit Fett eingerieben und am
Feuer gehärtet. Der Köcher besteht aus Kuhhaut, die man durch ein- bis
zweitägiges Lagern in einem Düngerhaufen geschmeidig macht. Das Maß für
den Lederzylinder nimmt der Mwasu mittels eines Stückchens Bananenbast
an seinem Arm in der gewünschten Stärke. Nach diesem Maß schneidet
er sich ein rechteckiges Stück Leder für den Köcher, indem er die
straffgespannte Bogensehne als Lineal benutzt. Die beiden Längsseiten
werden mit Darm zusammengenäht und dann am unteren Ende eine feste, am
oberen eine abnehmbare Lederkappe als Deckel angebracht.
Die Jagdgeräte.
Die hauptsächlichsten Jagdwaffen sind Bogen und Pfeile und vereinzelt,
besonders bei Berufsjägern in der Steppe, der Vorderlader. Sind die
Pfeile vergiftet, so bilden sie selbst für den Elefanten oder das
Nashorn eine todbringende Waffe, und für solches Großwild nimmt man
nur Giftpfeile. Der angehende Jäger läßt sich von einem Medizinmann
behandeln, damit seine Furcht schwindet. Diese, auf Autosuggestion
beruhende „Behandlung“ in Verbindung mit allerlei Amuletten, die
seinen Leib schützen sollen, gibt ihm die nötige Kaltblütigkeit und
Treffsicherheit. Auch am Bogen oder Gewehr werden Sympathiemittel zur
Erhöhung der Schußwirkung angebracht.
Den heimkehrenden Jäger begrüßt man: ~Mgosi maingo?~ = Mann, gibt
es Beute? worauf er erwidert: ~Žangia!~ = sie ist da! Einzeljagd
war ziemlich selten. Beliebter waren Jagdgesellschaften oder auch
Treibjagden. Man versteht es, Hunde für die Jagd abzurichten, d. h. das
angeschossene Wild zu verfolgen und gegebenenfalls niederzureißen. Nach
glücklich verlaufener und erfolgreicher Jagd wird das Fleisch der Beute
in ganz dünne Streifen geschnitten und an Sansiverenstricken in der
glühenden Steppensonne zum Trocknen aufgehängt.
[Illustration: Würgefalle.]
[Illustration: Bohlenfalle, je nach Größe für Ratten und Raubtiere.]
Beliebt ist die Jagd mittels Fallen und Fallgruben. Runde Fallgruben
gegen die Wildschweine findet man allerorts in den Feldern. Jäger
fangen damit auch gerne Giraffen. Die verschiedenen Arten der Fallen
beruhen fast alle auf dem gleichen Prinzip und sind sehr wirksam. Durch
die Spannkraft eines niedergebogenen Bäumchens oder durch das Gewicht
eines Klotzes wird der Falle die nötige Druck- oder Zugkraft gegeben.
Das vorzeitige Losschnellen der Fallenschnur wird durch ein kleines, an
ihr befestigtes Querhölzchen verhindert. Dieses ist so angebracht, daß
in der gespannten Falle der Druck auf den Köderträger übertragen und
dieser solange in seiner Lage festgehalten wird, bis der Köder berührt
wird. Im gleichen Augenblick wird die Hemmung ihres Haltes beraubt und
die Schlinge durch die nunmehr unmittelbar auf sie wirkende Spannkraft
des aufschnellenden Astes zugezogen, oder bis dahin in der Schwebe
gehaltene Gewichte, wie Bohlen, Klötze, Steine, werden zum Fallen
gebracht.
Fische fängt man mit der Angel. Auch Fischgift wird gerne angewandt.
Man gewinnt es aus den Blättern des Mkala-Baumes. Diese werden
zerstampft und in das Wasser des Flusses ausgepreßt. Durch den Saft
werden die Fische alsbald betäubt und schwimmen an der Oberfläche. Sie
sollen sich aber, wie die Eingebornen mir versicherten, im Wasser nach
einiger Zeit wieder vollständig erholen.
Die Kleidung.
Die kleinen Kinder der Wapare laufen in den ersten Lebensjahren meist
nackt umher. Etwa vom dritten bis vierten Jahre an machen die Eltern
ihnen Schurzfelle. Die Mädchen tragen vorn einen kleinen Schamschurz
und hinten ein langes schmales Fell, das bis auf die Waden reicht. In
diesem Alter heißen sie ~vabora va masambi~ = Mädchen der (beiden)
Schurzfelle. Später, wenn sie die Frauenfeste durchgemacht und sie
die von den erwachsenen Frauen getragenen großen Schurzfelle erhalten
haben, nennt man sie bis zu ihrer Verheiratung ~vai va shuke~ =
bekleidete Jungfrauen im Gegensatz zu den völlig unbekleideten ~vai
va nyumba~ der Festzeit und der nur notdürftig durch die zwei
Schurzfelle verhüllten Jugend.
Die Felle der Männer heißen ~lukopwa~, wenn es sich um eine Art
Toga handelt, die auf der einen Schulter zusammengebunden wird. Sie
besteht aus mehreren zusammengenähten Ziegenfellen. Eine andre Art
nennt man ~kizurwa~. Wird eine Kuhhaut zum Fellkleid verarbeitet,
nennt man es ~ikunya~. Die Frauenfelle heißen ~mizia~. Sie
bestehen aus drei mittels Darm zusammengenähten Ziegenfellen.
Die Kunst des Gerbens ist den Wapare unbekannt. So versuchen sie sich
ihre Kleidung auf andre und zwar ziemlich mühsame Weise geschmeidig zu
erhalten. Die Technik ist ungefähr folgende: Nachdem das frische Fell
in der Sonne ausgespannt und getrocknet worden ist, wird es an beiden
Enden mit Verzierungen versehen, indem man zwei zickzackförmige oder
sonstwie gemusterte Haarstreifen stehen läßt und die übrigen Haare
abschabt. Bei den Mizia (Frauenschurzfellen) z. B. werden dann noch
aus zwei weiteren Fellen Seitenteile und Querstreifen zugeschnitten.
Die einzelnen Teile werden mit beiden Händen in kreisförmiger
Bewegung gewalkt bis sie schmiegsam sind und sich gut zusammennähen
lassen. Ist der ganze Schurz fertig, wird er wieder auf die Erde
gespannt und mit Fett und roter Erde (~ngetwa~) oder einer
pulverisierten Baumwurzel (~ikorobohwa~) eingerieben. Nunmehr
werden die äußersten Streifen mit den Spannlöchern abgeschnitten
(~kuvambaa~); das Fell wird abermals durchgewalkt und kann dann
getragen werden. Das Walken (~kusuka~) hat jeden Morgen zu
geschehen. Unterläßt man es, so wird das Fell steif, und sein Träger
bewegt sich recht geräuschvoll auf seinem Lebenswege. Die Vaasu nannten
die Schurzfelle wegen des Lärmes, den selbst die gut gewalkten beim
Gehen verursachen, ~mtuka~. Das Wort kam während des Krieges auf,
und zuerst war ich mir über den sprachlichen Ursprung nicht klar,
bis ich nach langem Bemühen auf des Rätsels Lösung kam. Mtuka ist
eine Zusammenziehung des englischen Wortes ~motor-car~, d. h.
Automobil. Auf meine erstaunte Frage, die ich nach dieser Entdeckung an
einige Schwarze richtete, erwiderte einer von ihnen, die Felle machten
das gleiche Geräusch wie die Automobile, und außerdem röchen sie genau
so schlecht wegen des zum Einreiben benutzten Fettes. Das war mir dann
allerdings auch sofort einleuchtend und der anfangs ziemlich dunkle
Zusammenhang klar.
Im übrigen haben die europäischen Baumwollstoffe die Fellkleidung
fast gänzlich verdrängt. Als während des Weltkrieges Ostafrika völlig
von der Außenwelt abgeschnitten war, kam sie allerdings wieder zu
Ehren. In einer der Landschaften unsres Missionsgebietes behauptete
ein Medizinmann sogar, er sei von den Ahnengeistern beauftragt, die
Wapare vor dem Abfall von den väterlichen Sitten auch bezüglich der
Kleidung zu warnen und forderte zum schleunigen Verkauf der noch in
ihrem Besitz befindlichen europäischen Stoffe auf. Einige Heiden ließen
sich einschüchtern und verschleuderten ihre Baumwollstoffe an die
hocherfreute aufgeklärte Jugend. Die Kleidernot wurde nachher so groß,
daß die Neger gerne 30 Mark und mehr für ein Stück Stoff von ca. 2
~m~ Länge zahlten, wenn sie es nur bekommen konnten.
[Illustration: Mwanangwa von Ntusu mit Frau und Kind.]
[Illustration: Hirsehüter in Ntusu.
Kinder verjagen mit Stecken, Schleudern und vielem Geschrei tagsüber
die Vögel aus dem Getreide.]
Als Schmuck werden Kettchen am Oberarm und über den Waden getragen.
Häufig sieht man bis zu 25 ~cm~ lange Armspiralen aus Eisen oder
Messingdraht, Hals- und Armringe sowie die verschiedenartigsten
Halsketten aus eingeführten Glasperlen. Auch die Schamschurze
der Vai va nyumba werden oft, wie aus dem Bild ersichtlich, mit
Kaurimuscheln bestickt. Ziernarben (~mitambara~) am Körper macht
man auf folgende Weise: Mit einem spitzen Haken wird die Haut an der
betreffenden Stelle leicht gehoben und dann mit einem Messer geritzt.
Ist auf diese Weise das Muster aufgezeichnet, dann reibt man die
Schnittwunden mit einem leicht angerösteten entkernten Maiskolben.
Diese Prozedur wird bis zur Heilung der Wunden fortgesetzt. Es bilden
sich auf diese Weise etwa 1 ~cm~ lange „Zierschmisse“, allerdings
auf ganz ungefährliche Art und Weise erworben. Beliebt bei Mädchen und
jungen Frauen ist die Gesichtsbemalung mittels ätzender Pflanzensäfte.
Früher war das Muster ein großer Strich von der Stirn bis auf die
Nasenspitze und ein Ring von je 6-10 Punkten unter den Augen. Später
entschied sich die Mode für einen Kreis mit dickem Punkt auf Stirn
und Backen. Der Pflanzensaft ätzt die Haut völlig ab. Es entsteht
eine Wunde, die nach ihrer Verheilung das Muster in zuerst heller,
später tiefschwarzer Farbe erkennen läßt. Auch durch nur stellenweises
Abrasieren der Kopfhaare versteht der Paremann sowie auch sein Weib
sich das Haupt zu schmücken. Da das Haar Seelenstoffträger ist, liegen
hier sehr oft animistische Vorstellungen zugrunde.
Der Leser wird aus dem Vorstehenden schon ersehen haben, daß auch im
dunklen Afrika die Mode herrscht. Wenn die Schwarzen auch oft recht
eigentümliche Formen wählen, sich zu schmücken, z. B. mit Ohren- und
Lippenpflöcken, so haben wir dennoch kein Recht, deshalb auf sie
herabzusehen; sie würden uns ihr schönes Sprichwort vorhalten: „Der
Affe lacht nur deshalb über den Buckel seines Genossen, weil er den
eignen nicht sieht.“ Was für Europa lange Zeit Paris war, das ist
für Afrika die Küste. Von dort her dringen die jeweiligen Moden ins
Innere vor: heute grellfarbige Stoffe, morgen oft recht ansprechende
bunte Muster, dann wieder Tücher, die mit allerlei tiefen Sinnsprüchen
in Deutsch, Arabisch oder Kisuaheli bedruckt sind, wie: „Guten
Morgen Bibi, wie geht es dir?“ oder: „Guten Tag, mein Liebling!“
und dergleichen mehr. Doch wollen wir uns nun von der Mode, deren
Herrschaft auch den schwarzen Ehemann recht viel Geld kostet, etwas
Produktiverem zuwenden und von
Ackerbau und Viehzucht
sprechen. Die Wapare sind in erster Linie ein Ackerbau treibendes
Volk. Daneben halten die meisten wenigstens einige Kühe, Schafe oder
Ziegen. Die Viehzucht bildet nämlich die fast alleinige Anlage des aus
der Landwirtschaft gewonnenen Kapitals. Sie ist eine ziemlich sichere
Anlage und verzinst sich sehr gut. Viele Vaasu hüten ihr Vieh nicht
alles selbst, sondern stellen es an verschiedenen Plätzen bei andern
Leuten unter, damit sie bei einem „Bankkrach“, in diesem Falle bei
einer Viehseuche oder einem räuberischen Einfall des Nachbarstammes,
nicht mit einem Male alles verlieren. Dem Hirten gehört als Lohn die
Milch der Kuh, bei Kleinvieh ein bestimmter Teil des Wurfes. Ochsen,
die gemästet werden sollen, werden schon als Kalb kastriert und dann
im Stalle noch besonders mit saftigen Bananenstauden gefüttert. Im
allgemeinen ist aber Stallfütterung bei unsern Wapare im Gegensatz zu
andern Stämmen nicht gebräuchlich. Natürlich gibt es auch bei ihnen
„Arme“, die kein Vieh ihr eigen nennen. Die Armut der Eingebornen
ist eben fast nur Besitzlosigkeit an Vieh; denn dank des gesunden
und sozialen Bodenrechtes ist eine Armut in unserm Sinne unbekannt.
Wer ackern will, bekommt Land und selbst Samen kostenlos. Jedem, der
fleißig seine Äcker bearbeitet, ist Gelegenheit gegeben, Kapitalist
zu werden, d. h. er kann den Überfluß seiner Ernte verkaufen oder
gegen Vieh eintauschen. Bei einigem Fleiß kann jeder es bald zu etwas
bringen, und niemand hat ein Recht, ihn ob seines Kapitals scheel
anzusehen, hat doch ein jeder die gleiche Gelegenheit. Selbst das Vieh
für seine Morgengabe hat sich mancher Paremann so in zäher Arbeit
„erackert“, wie sie selbst sagen. Bei den Negern kann also der einzelne
noch leichter seines Glückes und Wohlstandes Schmied werden, weil die
Bodenverhältnisse noch ähnlich den in der Bibel von Gott niedergelegten
Grundsätzen geregelt sind, wie wir das bei der Besprechung des
Bodenrechtes sahen.
Die Wapare treiben Wechselwirtschaft, d. h. sie bebauen einen Acker
drei bis vier Jahre und lassen ihn dann ein bis zwei Jahre ruhen.
Eine bestimmte Fruchtfolge wird nicht eingehalten, man weiß aber,
daß Bohnen „dem Felde Kraft geben“ und pflanzt sie zwischen den
Mais. Der Zeitpunkt hierfür wird so gewählt, daß die nach der Ernte
stehengebliebenen trockenen Maisstengel den dann gerade Ranken
treibenden Bohnen (~nkwasha~) eine Stütze bieten. Legt man ein neues
Feld an, so pflanzt man Mais, Zuckerrohr, Kartoffeln und Bananen
zusammen, von letzteren nur einige Stauden. Im nächsten Jahre kann
der Bauer dann noch einmal Mais pflanzen. Später ist das Zuckerrohr
bereits zu groß, als daß noch eine Zwischenkultur gedeihen würde.
Zuckerrohrfelder stehen oft sechs Jahre, bei guter Pflege noch länger.
Es gibt folgende Arten: 1. ~mguva~, 2. ~mguva mjewa~, 3. ~mguva
mjiru~, 4. ~mguva wa mnyambe~, 5. ~mguva wa itaga ngari~, 6. ~mguva wa
mbohwe~, 7. ~mfushi~, 8. ~mguva wa itamba~ u. a. An Bananenarten seien
folgende genannt: 1. ~idio~, 2. ~ižigu~, 3. ~ihoye~, 4. ~ndiži~, 5.
~irurue~, 6. ~muhalahala~, 7. ~mremwa wa idio~, 8. ~mremwa wa ižigu~,
9. ~munyerere~, 10. ~nkare~ u. a. Diese Arten sieht man überall.
Außerdem werden in den Steppenlandschaften schon von der Küste her
eingeführte Bananensorten gefunden. Von den verschiedenen Batatenarten
(Süßkartoffel) seien folgende erwähnt: 1. ~kodingiri~, 2. ~kiteta~,
3. ~kagoe~, 4. ~komkamba~, 5. ~maloza~, 6. ~kimbere~, 7. ~kigingi cha
ng’ombe~, 8. ~kajungu~, 9. ~kagi~, 10. ~kokipau~ u. a. Daneben werden
Bohnen, Erbsen und die Jamswurzel häufig angebaut. Durch kunstvoll in
manchmal recht schwierigem Gelände angelegte Kanäle werden die Äcker in
der Trockenzeit bewässert.
Wenn die Bibel sagt, daß der Mensch im Schweiße seines Angesichtes sein
Brot essen soll, so ist das auch von den Schwarzen wahr. Die meisten
Europäer sind ja geneigt, den Fleiß der Neger an ihrer Willigkeit zu
messen, mit der sie sich uns für unsre Arbeiten zur Verfügung stellen.
Daß dies ein sehr einseitiger Standpunkt ist, wird jedem Unparteiischen
einleuchten. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, daß der Neger
nicht beim Europäer arbeiten könnte oder sollte. Aber ich möchte nur
der Beweisführung entgegentreten, der Eingeborne müsse schon aus dem
Grunde beim Europäer arbeiten, weil er auf seinen Feldern ja absolut
nichts zu machen habe, die tropische Natur bringe alles fast ohne sein
Zutun reichlich hervor, die Früchte wüchsen ihm in den Mund, und das
unumgänglich Notwendige mache doch die Frau. Diese Beweisführung ist
durchaus irreführend und unzutreffend. Denn das tropische Klima läßt
neben dem Korn auch das Unkraut üppig hervorschießen, und dies will
auf den Feldern der Eingebornen genau so ausgejätet sein wie auf den
Pflanzungen der Europäer. Aber es gibt noch mehr Übel. Ist das Land
urbar gemacht und der Regen gefallen bzw. die Arbeit des Wässerns
erledigt, dann wird der Mais gepflanzt. Gleichzeitig sind aber auch
die Affen da, die sich sofort über die Pflanzlöcher hermachen und
die Saatkörner wieder ausgraben. Da gilt es nun für die Eingebornen
tagsüber ununterbrochen Wache zu stehen, bis nach etwa zehn Tagen der
aufgegangene Mais so groß geworden ist, daß er in dem Stadium seine
Anziehungskraft für die Meerkatzen verloren hat. Einige Tage später
muß der schwarze Bauer bereits mit der ersten Reinigung des Feldes
vom Unkraut beginnen, denn der Acker sieht aus wie ein großer grüner
Teppich. An das erste Behacken schließt sich oft ein nochmaliges
Bewässern und dann die zweite Reinigung. Damit hat sich der Mais soweit
entwickelt, daß er Fruchtkolben ansetzt, ein freudiges Ereignis für den
schwarzen Bauern, sowohl wie für die zahllosen Affen und Wildschweine,
die den Tisch für sich gedeckt wähnen. Nun muß der Neger mit seiner
Familie in den meisten Gegenden von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang
ohne Ermüden mit Pfeil und Bogen auf der Lauer liegen. Denn die Bäume
ringsum sind von den grauen Meerkatzen und andern Affen belebt, die
nur darauf warten, daß der Wächter ihnen einen Augenblick den Rücken
zuwendet, um sofort auf Raub auszugehen. Aber auch nachts gibt es keine
Ruhe. Wohl schlafen die diebischen Affen in ihren Baumverstecken; aber
aus dem Dickicht kommen in großer Anzahl die gefräßigen Wildschweine.
Die ganze Nacht hindurch hört man die Berge vom Trommeln auf leeren
Petroleumtins und anderm Lärm widerhallen, mit welchem der Bauer die
Wildschweine zu verscheuchen sucht. Wenn er auch schon beizeiten seinen
ganzen Acker mit einem starken Holzzaun umgeben hat, so gewährt selbst
diese mühsame Arbeit keinen unbedingten Schutz, besonders nachdem unter
dem Einfluß der Witterung und vor allem der Termiten der schöne Zaun
morsch geworden ist. Diese Tag- und Nachtwachen bedeuten für die ganze
Familie zumeist ein Übersiedeln aus den Wohnhütten in die primitiven
Wachhütten. Wer einmal auf irgendeine Weise an diesen Arbeiten
teilgenommen oder wenigstens eine Kenntnis von den damit verbundenen
Strapazen erhalten hat, wird sich hüten, geringschätzig davon zu
sprechen.
Ist der Mais reif, so wird er geerntet, d. h. die einzelnen Kolben
abgebrochen, deren sechs bis acht mit den Hüllblättern zusammengebunden
und diese zuletzt zu 1-1½ ~m~ langen Büscheln (~mako~) vereinigt,
die weithin sichtbar in den Bäumen hängen. Trotzdem diese Scheunen
in der Nähe der Hütten angelegt sind, muß man immer vor den stets
hungrigen Affen auf der Hut sein. Sie sind so dreist, daß man oft
einen besonderen Wächter zu den Mako stellen muß. Ganz ohne sein Zutun
wachsen also dem Eingebornen die Früchte doch nicht in den Mund. Darauf
weist auch Prof. Weule mit sehr beachtenswerten Worten hin, wenn er
sagt: „Ein Gemeingut der älteren ethnographischen Literatur ist die
ständige Wiederkehr des Wortes von der Trägheit der Neger; nur die
Frau arbeite und rackere sich ab, der Herr des Hauses aber liege auf
der Bärenhaut und tue nichts. Auch diese Ansicht bedarf einer kleinen
Berichtigung. Freilich arbeitet der Wilde nur das Allernotwendigste
und auch dieses nur im letzten Augenblick. Es soll jedoch auch im
zivilisierten Europa Leute geben, denen es nicht viel anders ergeht.
Dieses Hinausschieben bis zum letzten Moment ist allem Anschein
nach die Ursache für das Aufkommen des Rufs der Trägheit gewesen;
in Wirklichkeit ist der Feldbauer unter den Wilden eigentlich immer
tätig, indem schon der Mangel an vollkommeneren Geräten ihn zwingt,
für die Arbeit des Grabens, Hackens, Reinigens, Erntens usw., auch
des Hausbaues und vieler andrer Verrichtungen eine ungleich längere
Zeit zu verbrauchen als der technisch weit besser gestellte Europäer.
Auch die Sammler und Jäger zwingt die Ursprünglichkeit ihrer Methoden
zu einer Tätigkeit, die den Körper vermutlich mehr mitnimmt als die
neun oder zehnstündige Arbeitszeit in unsern Betrieben, so daß die
langen +Ruhepausen+ der Angehörigen dieser Wirtschaftsstufe schon
+in Rücksicht auf ihre oft unerhörten Strapazen nötig+ sind. Was es
heißt, in glühendster Tropenhitze im heißen Kalaharisand am hellen
lichten Tage ein Wild zu beschleichen, kann man so recht aus Passarges
lebhafter Schilderung des Buschmannlebens erkennen. Wenn die armen
Teufel hinterher essen, bis sie beinahe platzen, und wenn sie an den
neuen Jagdzug erst wieder herantreten, wenn der Hunger sie dazu treibt,
so ist das sehr wohl zu verstehen ...“
[Illustration: Hacke und Axt.]
Das Hauptackergerät des Paremannes ist die kurzstielige Hacke. Mit
ihr lockert er den Boden, reinigt die Felder vom Unkraut, macht die
Pflanzlöcher und leitet bei der Berieselung das Wasser über die Äcker.
Die Berieselung wird in dem regenarmen Südpare sehr viel, in der
Steppe immer angewandt. Bei Besprechung der Rechtssitten sahen wir
bereits, wie die ordnungsmäßige Verteilung des Wassers an die Entnehmer
einem Deichhauptmann obliegt, der, besonders bei großer Trockenheit,
auch nachts wässern läßt. Da die Bewässerung bei der Dunkelheit aber
äußerst schwierig ist, so steht dem Bauern, der nachts an die Reihe
gekommen ist, gewöhnlich das Wasser des ganzen Kanals zur Verfügung,
während er sonst nur die Hälfte oder ein Drittel entnehmen darf. Will
jemand nachts wässern, so trifft er schon am Tage vorher die nötigen
Vorbereitungen. Er gräbt einen flachen Kanal, in welchem er abends
das Wasser bis auf sein Feld leitet, wo es sich dann in einem Netz
von kleinen ebenfalls vorher angelegten Rinnen auf den ganzen Acker
verteilen kann. In diesen läßt er das Wasser „schlafen“ und beschränkt
seine Tätigkeit in der Hauptsache darauf, die schadhaft gewordenen
Stellen im Zuleitungskanal immer wieder auszubessern; damit das Wasser
unterwegs nicht verloren geht. Beim ersten Morgengrauen hat er dann,
wenn alles gut vorbereitet war, nur noch nötig, das Wasser auf die
in der Dunkelheit übersehenen und deshalb trockengebliebenen Stellen
(~mabango~) zu leiten.
Oft kommt es allerdings vor, daß ein andrer Bauer, dessen Feld auch
dringend des köstlichen Nasses bedarf, den Staudamm im Hauptkanal
ein wenig einreißt, um ihm weiter unterhalb Wasser für seinen Acker
entnehmen zu können. Bald ist der Zuleitungskanal des ersten Bauern
trocken, und der muß nun den oft weiten Weg bis zu seinem Staudamm
zurücklegen, um die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Wiederholt
sich der Fall, und werden am Stauorte Fußspuren bemerkt, so weiß der
Bauer, daß es sich um einen Dieb handelt, der ihm sein Wasser stiehlt.
Zornig geht er dann wohl nach Hause, um am nächsten Morgen in aller
Frühe das Feld zu suchen, das in der Nacht bewässert worden ist. Den
Betreffenden verklagt er dann beim Wasserverteiler. Der Dieb versucht
sich auszureden. Er sei völlig unschuldig an der ganzen Sache. Der
Kläger habe sich zuviel Wasser in seinen Kanal geleitet und nur
dadurch sei der Damm immer wieder gerissen. Aber alle diese Ausreden
werden hinfällig der Tatsache gegenüber, daß sein Feld schön berieselt
ist. Wohl sucht er auch das als eine ganz zufällige Folgeerscheinung
hinzustellen. Er habe, als das Wasser gekommen sei, geglaubt, es
gehöre niemand, und habe es, um einen nutzlosen Abfluß auf jeden Fall
zu verhüten, auf seinen Acker geleitet. Aber es hilft ihm nichts, er
wird als überführt betrachtet und muß die auf Wasserdiebstahl stehende
Strafe zahlen.
Oft gibt es fruchtbare oder sonst gut gelegene Stellen Land, die
aber stark mit Quecken bewachsen sind. Diese werden mit einem langen
Grabstock (~mulo~) gründlicher umgeackert, als es mit der kleinen
Hacke möglich wäre. Dieser Grabstock wird in die Erde gestoßen,
dicke Erdschollen werden umgebrochen und diese dann mit dem Mulo
auseinandergeschlagen. Einen kurzen Mulo, etwa 75 ~cm~ lang,
gebraucht man gerne zum Ausgraben der Bataten.
Einen Teil seiner Maisernte legt der Eingeborne auf den Boden seiner
Hütte, wo er durch den Rauch wohl äußerlich völlig gebräunt, zugleich
aber wirksam vor dem alles zerfressenden Bohrkäfer und der Fäulnis
geschützt wird. Auch entkernter Mais und Bohnen werden in großen
Tontöpfen auf diese Weise geräuchert und erhalten. Im übrigen ist das
Aufbewahren von Körnerfrüchten in den Tropen eine äußerst schwierige
Sache. Schon in der Trockenzeit hat man neben den diebischen Affen
die Bohrkäfer und Termiten zu bekämpfen, in der Regenzeit dagegen
die besonders im Gebirge fast nicht zu beseitigende Neigung zur
Schimmelbildung. Kein Wunder also, daß der Neger alsbald einen Teil
der Ernte bei fröhlichen Gelagen vertrinkt und daß er überhaupt
nicht mehr anbaut, als zu seinem Unterhalt nötig ist. Daß aber die
Produktionskraft des schwarzen Bauern, auch des Paremannes, leicht
gesteigert werden kann, zeigte sich überall da, wo er für seine
Produkte in irgendeinem europäischen Betriebe einen +sicheren+ Abnehmer
gefunden hatte.
Beliebt ist der Verkauf von Mais gegen Vieh. Einer der oben erwähnten
großen Maisstapel, der Mako, kostet eine Ziege, also je nach Größe
4-5 Rupien. Drei Mako kosten einen Ochsen. Bei einer Hungersnot
oder schlechten Ernte schnellen die Preise für einen solchen Stapel
natürlich sofort in die Höhe, aber meistens nur dann, wenn man mit
barem Gelde kauft. Für den Tausch gegen Vieh bleiben gewöhnlich die
alten Sätze bestehen, trotzdem die Viehpreise nicht gleichzeitig
mit den Nahrungsmittelpreisen in die Höhe gehen, sondern ziemlich
beständig sind, besonders im Tauschhandel. Diese Erscheinung findet
ihre Erklärung darin, daß nach althergebrachter Sitte der feste
Satz für einen solchen Stapel eine Ziege ist. Nimmt der Bauer bares
Geld, etwa 10 Rupien, so ist das ein „moderner“ Handel, über den im
ungeschriebenen Gesetzbuch der Väter keinerlei Bestimmung getroffen
worden ist, der folglich auch auf dem Rechtswege nicht angefochten
werden kann. Würde der Verkäufer aber dem Stammesgenossen zwei
Ziegen, die früher nominell nicht einmal den gleichen Wert wie 10
Rupien besaßen, abverlangen, so würde der Käufer später, wenn die Not
vorbei, diesen Kauf unter Berufung auf das Gesetz rückgängig machen,
bzw. auf Herausgabe eines zweiten Stapels klagen. Aber auch nach der
finanztechnischen Seite hin entbehrt diese gute Sitte ihrer Begründung
nicht; denn während Bargeld für den Eingebornen totes Kapital ist,
welches dazu noch sehr leicht gestohlen werden kann, verzinst sich in
Vieh angelegtes Geld im allgemeinen sehr gut.
Ehe ich dieses Kapitel beschließe, möchte ich noch darauf hinweisen,
daß man auf einigen an steilen Hängen gelegenen Batatenfeldern die
Anfänge einer Terrassierung beobachten kann. Die Steine werden
nämlich überall zu kleinen Mauern zusammengetragen und die so
gebildeten Terrassen sind bald völlig mit Erde und Bataten bedeckt.
Sie erleichtern auch die an solch steilen Hängen äußerst schwierige
Bewässerung, da sie das Wasser immer wieder im Lauf aufhalten und
verteilen. +Düngung+ mit Kuhmist wird eigentümlicherweise, soweit mir
bekannt ist, nur auf Tabakfeldern angewandt, die man deshalb auch fast
immer nahe bei der Hütte angelegt findet.
Zusammenfassend kann man wohl sagen, daß der Paremann ein den
Verhältnissen seines Landes und seiner primitiven Technik entsprechend
guter Bauer ist, und daß auch von ihm und seinem Ackerbau das gilt,
was Prof. Weule von den Eingebornen Afrikas im allgemeinen sagt:
„Die einfache Art der Urbarmachung und Bestellung des Feldes besagt
keineswegs, daß der Hackbau nun auch überall eine minderwertige
Wirtschaftsform sei. Wer einmal gesehen hat, wie sauber die Neger ihre
oft weitgedehnten Anpflanzungen mit den vielen kleinen Feldern von
Hirse und Bohnen in mehreren Arten von Mais, Maniok, Süßkartoffeln,
Erdnüssen usw. halten und wie sie sie hegen und pflegen und von hohen
Wachthäuschen aus mit Geschrei und Schleuderwurf die kleinen Schädlinge
(Vögel), mit Bogen und Flinte die großen, die Affen, Schweine und
Elefanten, zu verjagen trachten, und was sie aus dem Boden trotz
der überall fehlenden Düngung herausholen, wird rasch vom Gegenteil
überzeugt sein.“
[Illustration]
Elftes Kapitel.
Formen des Kultus bei den Wapare.
„Ihr werdet mitnichten des Todes sterben.“
Satan.
Allgemeine Seelenvorstellungen.
Die mannigfaltigsten Erscheinungen auf dem Gebiete des Seelenglaubens
und des Seelenkultus fassen wir mit dem Worte Animismus zusammen (vom
lat. ~anima~ = Seele). Erstrecken sich die mit dem Seelenglauben
verbundenen Vorstellungen auch auf Tiere, so haben wir eine besondere
Form des Animismus vor uns, den Animalismus.
Wer die Vorgänge, mit denen wir es hier zu tun haben, eingehend
studieren will, den verweise ich auf das höchst interessante und
ausführliche Buch: W. Wundt, „Völkerpsychologie Bd. 2, Mythus und
Religion“, auf welches ich mich im folgenden des öfteren beziehe.
Es wird häufig gesagt: Der Animismus sei die primitive Religion der
Primitiven, und wie man von den Wirtschaftsformen der Primitiven
Rückschlüsse auf die ursprüngliche Form der Wirtschaft macht, so
glaubt man dasselbe auch bei der Religion tun zu können. Aber aus
dem Aberglauben kann sich keine Religion entwickeln, und selbst
wenn heute echt heidnischem Aberglauben ein christlicher Mantel
umgehängt wird, so ist deshalb aus dem Aberglauben noch keine Religion
geworden. Animismus ist keine Religion sondern Aberglaube, er ist
nicht entwicklungsfähig sondern bereits degeneriert. Nur ganz wenige
Spuren in ihm deuten darauf hin, daß den Urahnen göttliche Grundsätze
bekannt waren. Das am Kopfe dieses Kapitels stehende Motto besagt
schon, wer nach unsrer Auffassung der Urheber des Glaubens an eine
in sich unsterbliche Seele ist, an eine Seele, die beim Tode nicht
stirbt, sondern ewig lebt „wie Gott“; die nicht durch eine besondere
Äußerung der göttlichen Lebenskräfte „die Unsterblichkeit anzieht“,
sondern bereits unsterblich ist und nach dem Tode bewußt an den
Schicksalen der Menschen teilnimmt bzw. dieselben gar beeinflußt.
Es liegt nicht im Rahmen dieser Abhandlung, die theologische Seite
der Frage weiter auszuführen. Die Bedeutung der Unsterblichkeitslehre
erhellt aber schon aus der Tatsache, daß mit ihr jedes heidnische
bzw. aus dem Heidentum übernommene Religionssystem zusammenbrechen
würde und ebenso manche „christlichen“ Gebräuche, die aber, wie Wundt
das überzeugend nachweist, rein heidnischen Ursprungs sind. Mit den
Worten unsres Mottos wurde schon im Paradiese der Grund zum Animismus
gelegt. Wundt schreibt in seiner „Völkerpsychologie“, (Abschn. „Die
Körperseele“): „Gegenüber den bereits geläuterten Vorstellungen von
einer rein geistigen Psyche, wie sie die griechische Philosophie
entwickelt hatte, kehrte so das Christentum wieder zu der Idee der
Körperseele zurück, und erst der Philosophie der Renaissance war es
vorbehalten, auch hier die Gedanken der griechischen Philosophie zu
erneuern, ohne damit freilich bis zum heutigen Tage dem geltenden Dogma
gegenüber durchzudringen.“ Wenn man nun danach trachtet, die Gedanken
der griechischen Philosophie zu erneuern und dem Christentum statt der
Idee der Körperseele die der rein geistigen Psyche zu geben, so steht
doch nach unsrer Überzeugung fest, daß beide Ideen mit dem Christentum
und der Bibel nichts zu tun haben. Der Vorgang bliebe immer nur die
Entwicklung von einer heidnischen Idee zur andern.
Die Worte: „Ihr werdet mitnichten des Todes sterben“ und der Anblick
eines toten Menschen ließen sich nicht anders zusammenreimen, als
daß man bei dem Toten nicht das Leben als erloschen ansah, sondern
nur die Bewegung. Der Tote sieht und hört alles und nimmt an der
Gestaltung der Geschicke seiner Nachkommen regen Anteil. Diese
Vorstellung findet ihren Ausdruck in den Kulten, die eine Erhaltung
der Leiche oder gewisser Teile derselben bezwecken. Bei einem großen
Teil unsrer Wapare äußert sie sich in dem Bestreben, den Schädel als
wichtigsten Knochen der Leiche aufzubewahren. Der an diesen Schädel
gebundenen Körperseele werden später allerlei Speisopfer dargebracht,
und man glaubt, daß die Seele davon genieße. Diese echt heidnische
Vorstellung von der Körperseele fand ich z. B. auch in Rußland, Serbien
und Bulgarien wieder, als ich dort die Priester dem Leichenzuge mit
einem Speisopfer voranschreiten sah, das angeblich auf dem Grabe des
Verstorbenen geopfert wird. Über die weitere Entwicklung dieser Art
des Seelenglaubens sagt Wundt: „Da diese Methoden der Konservierung
die wichtigsten Teile der Körperform, die des Angesichtes, stark
beeinträchtigten, so hat hier die spätere ägyptische Sitte dadurch
abzuhelfen gesucht, daß der Mumie das Portrait des Verstorbenen
beigegeben wurde, eine Sitte, die auf dieser im übrigen schon weit
fortgeschrittenen Stufe des Totenkultus noch einmal die Macht jener
Assoziationen bezeugt, aus denen die Vorstellung der Körperseele
hervorgegangen ist. Indem sich aber hier diese Assoziationen teilweise
von dem Körper loslösen und auf dessen künstliche Nachbildung
übergehen, bringt diese Erscheinung zugleich den Kultus der Körperseele
in unmittelbare Beziehung zu zahlreichen andern, auf die nämliche
Quelle zurückgehenden Erscheinungen. Ist es doch die gleiche,
festgewurzelte Assoziation, die bis in die höheren Kulturformen
hinauf in jedes einzelne Götterbild oder auf christlichem Boden in
jedes Marien- oder Heiligenbild etwas von der Seele des dargestellten
Wesens übergehen läßt.“ Derselbe Gedankengang ist die Ursache, daß
der Neger nur mit großem Grauen sein eigenes Bild betrachtet und es
auch offen ausspricht, daß ihm durch dieses ein Teil seiner Seele
bzw. Seelenkräfte genommen worden sei. Ich denke hier an unsre ersten
Erfahrungen mit den Wapare beim Photographieren. Glücklich hatte ich
eine interessante Gruppe zusammengestellt. Als ich aber hinter den
Apparat trat und das schwarze Tuch über den Kopf nahm, da liefen sie
alle schreiend auseinander, weil ich, wie sie glaubten, ihre Seele in
den wunderlichen Kasten sperren wollte. Auch heute noch betrachten
besonders heidnische Frauen ihr Bild oft mit Ausrufen des Entsetzens.
Diese Gedankenverbindung, daß nämlich die Seelenkräfte des Verstorbenen
auf sein Bild übergehen, kann aber in unsrer modernen Zeit auch
bedeutend freundlichere Vorstellungen auslösen. So wurde folgendes
aus Wien gemeldet: „Ein Bataillon des 32. I. R. weilte bei den
Schießübungen in Triest und wurde von dort nach Vasovitza kommandiert.
Nächst der Ortschaft befindet sich in einer Felsennische eine
Marienstatue, für die ein reicher Gutsbesitzer eine Goldkrone im Werte
von 10000 Kr. anfertigen ließ. Ein Soldat, der im ganzen Regiment als
sehr fromm bekannt war, verrichtete dort täglich seine Andacht. Eines
Tages nun verschwand die Goldkrone vom Haupte der Marienstatue und
wurde schließlich im Koffer jenes frommen Soldaten gefunden. Der gute
Mann erzählte, er habe die Heilige um Unterstützung gebeten, worauf die
Statue Leben bekommen und ihm die wertvolle Krone gereicht habe. Das
Protokoll gelangte im Instanzenwege bis zum Kriegsminister, der sich
jedoch in derlei Dingen nicht kompetent fühlte und an den Feldvikar
die schriftliche Anfrage richtete, ob heute noch Wunder geschähen.
Die Antwort lautete: Wiewohl auch heute noch Wunder geschehen können,
ist doch die Mannschaft dahin zu belehren, daß ähnliche wertvolle
Geschenke selbst von der hl. Maria nicht angenommen werden dürfen.“ Der
fromme Soldat wurde tatsächlich freigelassen, und die Statue erhielt
ihre Krone wieder.
In großen Kirchen St. Petersburgs sah ich Heiligenbilder, auf welchen
die täglichen Küsse der Gläubigen tiefe Spuren hinterlassen hatten. In
Kiew, der heiligen russischen Stadt, besuchten wir die Gräber einer
großen Anzahl von Heiligen, die sich bei Lebzeiten ein Kloster unter
der Erde gebaut hatten und auch dort gestorben waren. Während wir
mit Kerzen in der Hand die finsteren Gänge durchschritten, an deren
Wänden die Särge der Heiligen aufgestellt waren, konnten wir uns davon
überzeugen, wie heute mitten in der Christenheit rein heidnische
Gedanken genährt und erhalten werden. Denn wir sahen Mütter immer
wieder ihre Kinder hochheben, damit sie die Strohpuppen küßten, die in
den Särgen lagen und die Heiligen vorstellen sollten. Da der Kuß auch
zu einem Symbol der Vermischung des seelentragenden Hauches geworden
ist, so lag dieser unhygienischen Handlungsweise jener russischen
Orthodoxen, wenn auch unbewußt, der Aberglaube zugrunde, daß die Kinder
durch den Kuß der Seelenkräfte der Verstorbenen -- sei es auch nur in
Gestalt eines Segens -- teilhaftig würden. So sehen wir den heidnischen
Glauben an die Körperseele noch heute mitten in der Christenheit
kräftig erhalten. Leicht ließe sich dieser Glaube in vielen andern
Fällen nachweisen, und wir brauchten durchaus nicht nach Rußland
zu gehen, um Material dafür zu sammeln. Ich habe diese allgemeinen
Bemerkungen nur vorausgeschickt, um dem Leser die entsprechenden
Gedankengänge des Paremannes näherzubringen. Denn mancher gute Christ
hört heute nur mit Schaudern von den tiefstehenden, unzivilisierten
Wapare, daß sie den Schädel des Vaters wieder ausgraben, um ihm ihre
Opfer darzubringen und seinen Segen zu erflehen. Er übersieht nur zu
leicht, daß er in vielen Fällen trotz aller Aufklärung einen Animismus
in seinem Herzen bewahrt hat, der ihn in diesem Stück auf die gleiche
Stufe mit dem verachteten Neger stellt. Ob in christlicher oder
heidnischer Aufmachung, Aberglaube bleibt eben immer Aberglaube.
Das Blut als Seelenträger.
Wenden wir uns nun den Dingen zu, die für den Paremann im besonderen
als Träger der Körperseele gelten, und betrachten wir zuerst die
Stellung, die das Blut hier einnimmt. Die Bibel verbietet den Genuß
des Blutes, weil „des Leibes Leben“ darin ist. Aber mit der Zeit kamen
die Menschen dahin zu glauben, daß ihnen durch das Verbot des Blutes
auch die ihm innewohnenden Seelenkräfte vorenthalten würden. So finden
wir bei den Wapare den Brauch, die Opfertiere durch Ersticken zu
töten, damit kein Blut verlorengehen kann. Dieses mit fettem Fleisch
gekocht, gilt bei ihnen als besonderer Leckerbissen. Kühe werden oft
zur Ader gelassen und ihr Blut in Töpfen aufgefangen. Gequirlt wird
es als gute Arznei gegen Gallenbeschwerden getrunken, sonst auch
mit Milch vermischt. Daß die Alten dem Blute besondere Seelenkräfte
zuschrieben, ersieht man aus der Beschreibung Homers von der Hadesfahrt
des Odysseus, wo die Schatten der Abgeschiedenen durch den Genuß von
Blut zu vorübergehender Besinnung erwachen. Bei den Wapare hat sich
dieser Gedanke am augenfälligsten in der Sitte der Blutsfreundschaft
erhalten. Wie sich beim Kuß die Hauchseelen vermischen sollen, so
tritt dies beim gegenseitigen Genuß des Blutes vom Freunde mit der
Körperseele ein. Ich will hier versuchen, eine kurze Beschreibung der
Blutsfreundschafts-Zeremonie zu geben.
Irgendein Fremder, der für eine Nacht gastliche Aufnahme in einer
Hütte gefunden hat, bittet den Gastfreund, mit ihm den Blutsbund
zu machen oder umgekehrt. Die Nachbarn werden eingeladen, der
Handlung beizuwohnen. Die beiden Männer setzen sich auf ein am
Boden ausgebreitetes Fell. Vor ihnen steht ein Strohteller mit zwei
Parenüssen, von denen eine in genau vier Teile zerschnitten ist. Der
Zeremonienmeister faßt nun eine Hautfalte am Leibe des einen Mannes
mit der linken Hand, und der gegenübersitzende Bundesbruder faßt
ebenfalls mit der Rechten zu, während die Linke seinem Gegenüber auf
der Schulter liegt. Dann macht der Bundespriester mit einem kleinen
Messer einen leicht blutenden Schnitt, zuerst beim einen, dann beim
andern. Nun legen sich beide Männer gegenseitig die Hände auf die
Schultern, nachdem jeder vorher mit einem der vier Nußstückchen das
herausträufelnde Blut aufgefangen hat. Jetzt beginnt der Bundespriester
mit seiner Beschwörung. Seine Worte werden von den beiden Freunden
und allen Umstehenden mit einem lauten ~hau~ bekräftigt. Die
Beschwörung lautet ungefähr wie folgt:
„Du Soundso -- hau -- du trinkst jetzt -- hau -- Blutsfreundschaft
-- hau -- mit einem namens Soundso. -- Wenn er zu dir kommt -- und
du gibst ihm nicht Speise wie deinem eigenen Kinde, -- dann hast du
die Blutsfreundschaft verachtet, -- dann möge dein Leib anschwellen
und platzen; -- in deinem Leibe soll es (das Blut deines Freundes)
wie Frösche schreien, -- jawohl, wie ein kahler Bergrücken sollst du
aufplatzen. -- Und wenn dein Freund zu dir kommt -- und du sagst, den
Kerl kenn’ ich nicht, -- dann sollst du auf dem Bauche kriechen müssen
wie die Schlangen, -- so soll es sein.“
Das feierliche ~hau~ muß der Leser hinter jedem Satzglied
ergänzen. Nachdem auch dem andern Bundesbruder die Folgen vorgehalten
worden sind, die eine Verletzung der Blutsfreundschaft nach sich ziehen
würde, wendet sich der Priester -- übrigens ein beliebiger Paremann --
wieder an den ersten, um nunmehr auf beide den Segen herabzuflehen,
falls sie die Bundestreue bewahren:
„Wenn du aber dies alles genau beachtest -- und die Kuh deines
Freundes wie deine eigene hältst, -- so sollst du schön sein wie der
Kibogletscher (Kilimandjaro). -- Wenn die Leute von eurem Bunde hören,
so sollen sie sagen: -- Dieser ist nicht sein Blutsfreund, -- es ist
sein leiblicher Bruder. -- Dann sollst du unterhalb des Wasserkanals
ackern (weil es da fruchtbar ist), -- ein wenig von dir soll dir Großes
bringen; -- aus einem deiner Rinder sollen viele werden. -- Friede sei
mit euch! -- So soll es sein! -- ~hau!~“
Nach dieser Beschwörung reichen beide sich gegenseitig das Stückchen
der Nuß mit ihrem Blut und nachher noch ein weiteres ohne Blut. Die
zweite Nuß wird unter die Bundeszeugen verteilt und dient wohl als
Symbol der Opfermahlzeit. Daraufhin stehen beide auf; der Hausherr
hebt die Hände seines neuen Freundes empor und zeigt auf den Boden
des Hauses, indem er sagt: „Wenn du einmal kommen solltest und es ist
keiner hier in ‚deinem‘ Hause, so wisse: Oben findest du Bier, unten
steht Speise. Du brauchst nicht zu warten, bis jemand kommt.“ --
Dies alles sind nicht etwa leere Formalitäten und äußere Zeremonien,
sondern der Paremann glaubt so fest an die durch das Blut übertragenen
magischen Seelenkräfte, daß er es mit der Blutsfreundschaft sehr
genau nimmt. Die ganze Handlung macht übrigens einen sehr feierlichen
Eindruck, der durch die bilderreiche Sprache in Segen und Fluch nur
noch erhöht wird.
Für den Paremann ist die Blutsfreundschaft von allergrößter Bedeutung.
Um nur ein Beispiel als Beweis dafür herauszugreifen: Er mag einen
Prozeß führen um eine Kuh, die weit weg, vielleicht in Usambara
steht. Wird ihm diese Kuh mit allen inzwischen geworfenen Kälbern
zugesprochen, so wird er durch den in der Nähe wohnenden Blutsfreund
genau auf dem Laufenden erhalten, und der Verurteilte sieht sich
außerstande, irgendein Stück Vieh heimlich beiseite zu schaffen. Wenn
er sich des einen oder andern Kalbes nicht mehr erinnern sollte, -- der
Blutsfreund des Klägers hilft ihm denken.
Von weit größerer Wichtigkeit als heute war die Blutsfreundschaft in
den alten Zeiten, als noch Mord und Totschlag an der Tagesordnung
waren. Da war es dann oft der Blutsbruder des in Gefahr stehenden
Mannes, der an den Beratungen der Feinde seines Freundes teilnahm und
ihn rechtzeitig warnen konnte.
Es kommt nun vor, daß jemand im Grunde seines Herzens gar nicht daran
denkt, dem andern gegenüber die Pflichten der Blutsbruderschaft
zu erfüllen. Ein solcher sagt dann statt des bekräftigenden ~hau~
das ähnlich klingende Wort ~hai~, welches nein bedeutet, geht nach
Beendigung der Zeremonie heimlich an einen Feigenbaum und reibt den
Rest des Blutes auf dessen Rinde mit den Worten: „+Du+ bist mein Freund
und Bundesbruder.“
Außer diesem hier erwähnten Blutsbund gibt es noch mehrere andere
derartige auf animistischen Vorstellungen beruhende Beschwörungen
(~mima~), z. B. der Schutz- und Trutzbund zweier Häuptlinge, durch
den sie sich zu gegenseitiger Hilfeleistung im Kriege verpflichten, und
ein andrer mma, den der Ehemann seiner Frau zu trinken gibt, um ihrer
ehelichen Treue sicher zu sein.
Auf einen weiteren Aberglauben will ich hier noch kurz hinweisen, der
so recht erkennen läßt, daß man sich besonders große Seelenkräfte
an das Blut gebunden denkt. Es ist ein Zauber, der dazu dient, die
Schattenseele des Menschen so fest mit seinem Körper zu verbinden,
daß es den bösen Zauberern unmöglich wird, den Schatten zu stehlen.
Zu dem Zweck läßt sich der Paremann einen angesehenen Medizinmann
kommen. Dieser ritzt die Haut des „Patienten“ an den verschiedensten
Körperstellen und selbst auf der Zunge. Das so gewonnene Blut wird
zusammen mit etwas Hühnerblut sowie Haaren, Zehen- und Fingernägeln und
etwas Erde, auf welche man den Schatten von Kopf und Hand hat fallen
lassen, auf ein Blatt gestrichen. Aus diesen Seelenträgern wird vom
Medizinmann ein Amulett verfertigt und so dem Treiben der berüchtigten
~vasavi~, der bösen Zauberer, die die Schattenseelen des Menschen
stehlen, ein Riegel vorgeschoben.
Die Wachstumsprodukte.
Es ist mir hier natürlich unmöglich, einen auch nur annähernd
vollständigen Bericht all der Sitten zu geben, in welchen die
Seelenvorstellungen ihren Ausdruck finden. Und würde ich selbst alles
das, was mir an solchen Gebräuchen in diesen Jahren zu Ohren gekommen
ist, niederschreiben, so wäre es höchst wahrscheinlich nur ein geringer
Bruchteil dessen, was uns ein Medizinmann mitteilen könnte, wenn er
wollte.
Bei den Wapare gelten Haare und Nägel als Träger der Seelenkräfte. Läßt
sich z. B. jemand vom Medizinmann behandeln, daß seine Person gegen
jeglichen bösen Zauber gefeit wird, so schneidet ihm der Arzt einige
Haare und den Nagel eines Fingers, gewöhnlich des kleinen Fingers ab
und legt dies auf ein schwarzes Läppchen zusammen mit seiner andern
Arznei. Nunmehr heißt er den „Patienten“ etwas von seinem Speichel
mit der Arznei vermischen. Nachdem er dann geheimnisvolle Sprüche
gemurmelt hat, wird das Läppchen zusammengebunden, und das Amulett
ist fertig. Denselben Vorgang lernten wir schon bei der Besprechung
des Kikobwa-Schutzzaubers kennen. Dort wurden auch die Haare sowie
Zehen- und Fingernägel als kräftige Seelenträger bei der Bereitung des
Amulettes mitverwandt. Unzählige Vorschriften betreffs des Scheerens
der Haare sind auf den Seelenglauben zurückzuführen. So bestimmt der
Arzt manchmal, daß einem kleinen Kinde nach seiner „Behandlung“ nicht
eher das Kopfhaar abrasiert werde, bis er es selbst unter Einhaltung
gewisser Regeln tun werde. Da hierüber manchmal zwei Jahre vergehen, so
müssen dem Kinde (genau wie bei den Vai va nyumba) die Haare mit Wasser
und Fett eingerieben werden, so daß sie mit der Zeit in langen Strähnen
herunterhängen. Auch auf die Mutter dehnt sich diese Vorschrift oft
aus. In Zukunft darf das Kind nur von diesem Arzt behandelt werden, bis
die Haare wieder abgeschnitten sind. Der behandelnde Arzt wird also
gewissermaßen zum Hausarzt ernannt. Für ihn hat dieser Glaube auch
noch die praktische Seite, daß ihm so auf jeden Fall sein „Honorar“
nicht von einem zweiten Arzt abwendig gemacht werden kann. Wir sahen
oben schon (S. 51. 52), daß die langen Haare des Mädchens, wenn es die
Frauenfeste durchgemacht hat, auf dem Dachboden sorgfältig versteckt
werden, um sie nicht in die Hände von Zauberern fallen zu lassen, denen
damit eine gewisse Macht über das Kind verliehen wäre. Sie könnten es
z. B. unfruchtbar machen. Daß südafrikanische Neger dem in der Fremde
Gestorbenen eine Haarlocke abschneiden und diese dann in der Heimat
begraben, ist schließlich die letzte Folgeerscheinung der Vorstellung,
welche die Seelenkräfte in die Wachstumsprodukte des Körpers verlegt.
[Illustration: Eingeborene bei der Feldbestellung.]
[Illustration:
Phot. Geßmann.
Bananenstauden.]
[Illustration:
Phot. Geßmann.
Maisstapel.]
Der Speichel.
Eine noch ausgedehntere Rolle in den Anschauungen unsrer Wapare spielt
der Speichel als Seelenträger. Am häufigsten tritt das bei dem Brauch
des Bespützens in die Erscheinung. Zauberschnüre aus Bananenbast werden
vor dem Anlegen an den betreffenden Körperteil bespützt. Mit Wunden
geschieht das gleiche, um die Blutung zu stillen, eine suggestive
Behandlungsweise, die sich ja selbst in Deutschland noch in manchen
Gegenden erhalten hat. Jede Arznei wird vor dem Gebrauch bespützt.
Sobald bei der Geburt der Kopf des Kindes erschienen ist, wird dies
Mittel eifrigst angewandt, um ein Zurücktreten zu verhüten. Den
ungeratenen Sohn verflucht der Vater oder die Mutter, indem sie den
Opferplatz an der Haussäule bespützen und ihren Fluch aussprechen.
Man sagt dann: ~Mwana einkiwe lute~ = der Junge hat „Speichel“
bekommen, welcher Ausdruck deutlich erkennen läßt, daß dem Speichel
die magischen Kräfte zugeschrieben werden, die ausgesprochenen
Drohungen zu verwirklichen. Will der Vater seinen Sohn dagegen
segnen, so spützt er leicht in dessen Hände, und dieser reibt sich
die Spuren des „Seelenträgers“ ins Gesicht. Bei Sternschnuppenfällen
und Kometenerscheinungen wird nach der betr. Gegend hin gespützt, um
Krankheit, Hungersnot und Krieg abzuwehren, also ähnliche Vorgänge, wie
sie sich in dem aufgeklärten Europa zur Zeit des Halleyschen Kometen
zeigten.
Hier wäre noch die Herstellung eines Amuletts zu erwähnen, welches
gegen alle Arten von Verzauberung schützen soll und aus einer Mischung
von mancherlei Seelenträgern besteht. Der Medizinmann saugt zu
behandelnden Personen mittels eines Schröpfkopfes Blut aus und gießt
es in eine Topfscherbe, wo es zu Asche geröstet und dann mit andern
Sympathiemitteln vermischt wird. Von diesem Pulver streut er einen
Teil in einige kleine schwarze Läppchen. Die zu behandelnden Leute tun
etwas von ihrem Speichel, Haupthaar, Augenbrauen und Wimpern sowie
Finger- und Zehennägel dazu. Des weiteren bildet Erde, auf welche man
den Schatten von Hand, Fuß und Kopf hat fallen lassen, einen wichtigen
Bestandteil. Die Läppchen werden zusammengebunden, und die „Medizin“
ist fertig. Um sie möglichst wirksam zu machen, muß sie oft spät am
Abend auf einem Kreuzwege eingegraben und nach Mitternacht beim ersten
Hahnenschrei wieder hervorgeholt werden.
Der Speichel bildet übrigens schon einen Übergang von dem Begriff der
gebundenen Körperseele zu dem der Hauchseele. Dies tritt besonders
bei dem Bespützen zu Tage, indem der Name an den +Speichel+ erinnert,
die eigentliche Tätigkeit sich aber fast ganz darauf beschränkt, den
+Hauch+ zwischen den wie zum Kuß gespitzten Lippen hervorzustoßen.
Hier scheint also die Vorstellung des Hauches als Seelenträger den
ursprünglichen Gedanken an den magischen Speichel allmählich zu
verdrängen. Einer meiner Gewährsleute erklärte mir auch das Bespützen
der Medizinmänner eigentümlicherweise klipp und klar dahin, daß der
„Geist“ (Hauch) des Arztes in den Kranken hineinfahren und dessen
Gesundung bewirken solle.
Einige besondere Arten von Freundschaftsbündnissen oder
Seelenvermischungen bestehen zwischen Eheleuten. Auch hier spielt der
Speichel neben andern schon erwähnten Seelenträgern eine Rolle. Der
Grund zu solchen Bündnissen bildet meistens die Eifersucht. Manchmal
sind natürlich auch andre Motive vorhanden; z. B. ist mir ein Fall
bekannt, wo die Frau ohne Anhang dastand und sie den Mann für jeden
Fall an sich fesseln wollte. Bezeichnend für die Auffassung des
Eheverhältnisses unter unsern Wapare ist die Tatsache, daß in den
meisten Fällen nur die Frau sich verpflichtet, die eheliche Treue zu
halten. „Der Mann kann das verlangen, er hat ja Kühe für seine Frau
bezahlt!“
Sind sich beide Teile darüber klar geworden, daß sie ein solches
Bündnis eingehen wollen, so nehmen sie einen kleinen Topf mit irgend
einer Fleischbrühe, Bier oder Milch. Zuerst speit jeder einmal in den
Topf, um dann von der Oberfläche einiger seiner Fingernägel etwas
abzuschaben und es ebenfalls mit der Brühe im Topf zu vermischen. Nun
fängt der Mann etwa mit der Beschwörung an:
„Wenn du die Ehe brichst, soll dich unsere Bundesspeise töten; bist du
aber treu, so werde sie dir an deinem Leibe wie Öl. Wenn ich dich mit
andern Männern schwatzen sehe, eifersüchtig werde und dich schlage,
so soll mich die Bundesspeise töten, darum, daß ich ihr nicht getraut
habe, denn sie ist ja fortan dein Tugendwächter.“
Hierauf erwidert die Frau:
„Wir machen den Bund, weil wir uns lieben. Wenn du mich schlägst und
ich bin nicht untreu gewesen, so soll dich die Bundesspeise töten; gebe
ich mich aber mit einem andern Manne ab, so wird mich die verwünschte
Speise umbringen.“
Nun reicht einer dem andern mit zwei Händen den Topf an den Mund
und läßt ihn trinken. Ist das geschehen, so schlägt der Mann eine
kleine Ecke aus dem Topf, um ihn dann zu vergraben. Es gibt viele
verschiedene Arten der Seelenvermischung zwischen Mann und Frau, von
denen einige zu anstößig sind, um sie hier beschreiben zu können.
Ausscheidungsprodukte als Seelenträger.
Wir sahen schon, daß man der Kreißenden, wenn die Geburt sich in
die Länge zieht, Urin des Mannes zu trinken gibt, um ihr auf diese
Weise besondere Seelenkräfte zuzuführen. Ich erwähnte bereits weiter
oben die Amulette, welche die Wapare sich von ihren Medizinmännern
gegen Verzauberung machen lassen. Oft ordnet der behandelnde Arzt
an, daß sein Patient sich vier Tage lang nicht waschen solle. Nach
Ablauf der Zeit zerkaut er eine Ölnuß und reibt sich mit dem so
gewonnenen Brei den Körper ab. Die auf diese Weise erhaltenen,
gewissermaßen konzentrierten Ausscheidungsstoffe werden den Amuletten
des Medizinmannes als wertvolle Bestandteile einverleibt. Der Leser
sieht, statt der christlichen Hoffnung besitzt der arme Neger nur recht
traurige und unappetitliche Ersatzmittel. Bei den Tänzen, die von den
Vai va nyumba bei den verschiedenen Gelegenheiten aufgeführt werden,
steht immer ihre Helferin in der Nähe, um ihr den Schweiß abzuwischen.
Würde jemand anders aus der Umgebung das vornehmen, so könnte er sich
starken Unannehmlichkeiten aussetzen, da er sofort gefragt würde, was
er mit dem Schweiße beginnen wolle. Also auch hier wiederum der Glaube,
daß der Besitz von solchen Dingen, die als Seelenträger andrer gedacht
werden, wenigstens zu gewissen Zeiten dem Besitzer Gewalt über die
betreffenden Seelen verleiht.
Die Seele im Blick.
Auch im Auge denkt sich der Mwasu (Mpare) besondere Seelenkräfte
konzentriert. Er sieht im Auge des Sterbenden den Glanz und das Feuer
erlöschen, es wird matt, er kann sein eignes Spiegelbild im Auge des
andern nicht mehr entdecken. Da denkt er sich, die Seele, die dem Auge
Glanz und Kraft verliehen habe, sei entwichen.
Diese Seelenkräfte im Auge, welche sich bei den meisten Menschen als
ganz harmlos erweisen, können doch in manchen Fällen Unheil anrichten,
indem sie durch das Sehloch austreten und im Körper anderer Krankheiten
verursachen. Besonders sind es die Frauen, die durch den „bösen Blick“
vor allem kleine Kinder der Nachbarn verzaubern und töten. Als die
Regierung zum Dorfbau aufforderte, um die ganz vereinzelt liegenden
Hütten zusammenzubringen, war dieser Aberglaube ein Grund zu weiteren
Befürchtungen, da es ja nun durch das nahe Zusammenwohnen den Hexen
bedeutend leichter sein würde, die Kinder umzubringen. Während das
Auge der Hexen und Zauberer böse Seelenkräfte ausstrahlt, ist es beim
Regenzauberer das Mittel, den Regen herbeizuholen oder zu vertreiben.
Selbstverständlich bedient sich der Regendoktor dazu auch noch andrer
Zauberarzneien; aber es genügt schon, wenn er in der heißen Steppe
wandert, daß er starr nach oben sieht, um die Wolken zu veranlassen,
sich vor die Sonne zu schieben. Diese Leute werden von ihren
Lehrmeistern unter den Augen geritzt und behandelt, um die Fähigkeit
zu erlangen, Regen zu „ziehen“. Mit diesem ist schon der Übergang zur
freien Psyche, der
Hauch- oder Schattenseele
gegeben. Der Schattenseele sind wir schon bei verschiedenen Gebräuchen
begegnet, so beim Kikobwa-Zahnzauber. Dort läßt ja der Zauberer den
Schatten des Kopfes und andrer Körperteile auf die Erde fallen, um dann
von der Stelle etwas Erde in das Amulett zu bringen. Das entsprechende
Chasuwort für Hauchseele ist ~kisuka~, oder auch ~kivuri~ = Schatten.
Es gibt zwei Schatten, den großen und kleinen. Letzteren können die
bösen Zauberer, die Vasavi, stehlen um den Menschen zu peinigen oder
zu töten. Die Legenden berichten von solchen Zauberern, welche die
gefangenen Schatten nachts an die Arbeit auf dem Felde und im Hause
stellen. In der Dunkelheit kommt der böse Zauberer mit seinen Amuletten
und zwei Bambusstäben, die er durch Stoßen auf den Erdboden erdröhnen
läßt. Bis auf einige vertrocknete Bananenblätter ist er unbekleidet.
Durch eins der kleinen Fensterlöcher bläst er seinen Zauber ins Haus,
dessen Bewohner nun in einen tiefen Schlaf verfallen. Dann ruft er
die Schattenseele seines Opfers heraus und nimmt sie mit. Ist der
Betreffende vorher von einem berühmten Arzt behandelt worden, so wird
der Msavi bald merken, daß es ihm nicht möglich ist, die Schattenseele
vom Körper des Betreffenden zu lösen. Gelingt es ihm aber, dann nimmt
er sie mit sich nach Hause und verbannt sie in eine Höhle oder auf
einen Baum. Er bringt ihr Speise und schlägt sie auch oft; dann wird
der Mensch ohne Schatten immer kränker. Eigentümlicherweise glauben sie
nun, daß der böse Zauberer oft die Schattenseele tötet, um damit auch
dem Leben ihres früheren Besitzers ein Ende zu machen. Umgekehrt ist
es nach manchen ihrer Geschichten schon vorgekommen, daß der Mensch
+vor+ seiner Schattenseele gestorben ist und der Schatten dann den
Hausbewohnern erschien, bis auch er getötet wurde. Aber nicht immer
ist der Ausgang tödlich. Begibt sich der Kranke rechtzeitig in die
Behandlung eines tüchtigen Arztes, so besteht die Möglichkeit, die
Schattenseele wiederum in den Körper zurückzurufen. Das geschieht unter
bestimmten Zeremonien. Oft läutet der Arzt als Teil seiner „Behandlung“
mit einer Glocke und ruft: „Du Soundso, bist du in einer Höhle oder auf
einem Baume, so komme wieder.“ Daß die Leute sich besonders im Anfang
unsres Hierseins sehr vor jeder Photographie und besonders vor ihrer
eignen fürchteten, ist demnach leicht verständlich.
Der Name als Seelenträger.
Wenn man einen Paremann nach seinem Namen fragt, so gibt er für
gewöhnlich einen falschen an. Ich habe oft, besonders an Orten, wo ich
fremd war, Mütter nach dem Namen ihrer Kinder gefragt, und man gab mir
unrichtige Auskunft. Warum geschieht das? Will man dem Europäer nur
etwa vorlügen? Nein, denn auch einem Schwarzen, der ihnen unbekannt
ist, sagen sie ihren wahren Namen nicht ohne weiteres. Als Erklärung
dafür gaben einige meiner Gewährsleute an, daß die Fragesteller Leute
sein könnten, die eine alte Schuld von Großvaters Zeiten her eintreiben
wollten und nach dem Schuldner forschen. Aber man ist sich auch hier
wie so oft der ursprünglichen Bedeutung der Sitten nicht mehr bewußt
und sucht nach Erklärungen. Daß es sich bei der Verschweigung des
Namens wenigstens ursprünglich um Dinge gehandelt hat, die in das
Gebiet des Seelenglaubens gehören, zeigt ein Brauch, der allgemein
bekannt ist. Es ist nämlich bei den Wapare sehr verpönt, irgend jemand
bei Nacht mit Namen anzurufen. Man ruft vielmehr: „Du da unten im
Hause!“ oder gebraucht ähnliche Umschreibungen. Dies geschieht, damit
„dem Zauberer nicht durch den Klang des Namens der betreffende Mensch
selbst überliefert werde“. Denn bei Säuglingen und überhaupt nachts,
wenn die Traumseele so leicht den Körper verläßt, würde schon die
bloße Namennennung genügen, einem in der Nähe befindlichen Zauberer
den Raub der Seele zu erleichtern. Aus diesem Grunde legen sich die
Wapare für ihre nächtlichen Tanzfeste besondere Namen zu, bei denen
sie sich dann ohne Gefahr auch nachts rufen können. Natürlich sprechen
da noch andre Gründe mit, die hier nicht erörtert zu werden brauchen.
-- Selbst die Stimme nehmen die bösen Zauberer und bringen dadurch
Unheil über den Sprecher. So werden kleine Kinder verwarnt, des Nachts
nicht zu schreien, damit sie nicht verzaubert würden. Heute, wo auf
Steuerzetteln und Arbeiterkarten der Mann den Namen angeben muß, den
er immer führt, wird dieser Aberglaube etwas bekämpft. Trotzdem ist
es bezeichnend, daß die Leute für diese Karten fast immer falsche
Namen angaben, so daß sie verschiedentlich unter Androhung von Strafen
aufgefordert werden mußten, diese Sitte fallen zu lassen.
Viele Leute nahmen auf Reisen die bekannten Safari- oder Reisenamen an,
eine Sitte, der ursprünglich sicher animistische Motive zugrunde lagen.
Mit der Zeit merkten die Betreffenden dann bald, daß es auch noch andre
Vorteile hatte, wenn man als ~Pendakulala~ = „Schlafmütze“ (solche
Namen sind besonders bei den Wanyamwezi beliebt) in A. einen Diebstahl
ausführen konnte, um dann in B. als ~Mwacheapotee~ = „Laß ihn nur
laufen!“ wiederum aufzutauchen. Diese Erkenntnis war aber sicher eine
im Laufe der Zeit erworbene.
Das Ganze ist übrigens ein Beispiel dafür, wie vorsichtig man in seinem
Urteil über das eine oder andre sein muß, was beim Neger unangenehm
auffällt, weil es schwer ist, den Irrgängen der Negerpsyche immer
nachzugehen. Dasselbe ist auch bei ihren Übertreibungen der Fall. Der
Gedanke zu lügen liegt ihnen im ersten Augenblick dabei ganz fern. Aber
sie wollen durch ihre übertriebene Darstellung (z. B. des Unglücks) die
Geister veranlassen, von ihnen abzustehen.
Eine eigentümliche Sitte unsrer Wapare besteht darin, die oberen vier
Schneidezähne spitz zu meißeln und die unteren beiden Schneidezähne
auszubrechen. Diese Operation wird bei Knaben und Mädchen etwa im
achten Jahre vorgenommen. Zu dem Zweck wird ihnen ein Holz quer in den
Mund gelegt, auf welches sie beißen müssen. Es soll das zum Schutz des
Gaumens dienen und auch gleichzeitig das Schließen des Mundes verhüten.
Dann nimmt der Operateur, der übrigens kein Arzt zu sein braucht, sein
Instrument und meißelt die Zähne spitz. Später werden von einem andern
Operateur die unteren Zähne ausgebrochen, falls der erste diese Kunst
nicht auch versteht.
Zur Begründung dieser Sitte werden heute die wunderlichsten Dinge
angegeben. Den kleinen Kindern erzählt man, daß die ungefeilten Zähne
nachts aus dem Munde wandern und Kot kauen. Das dient wohl nur dazu,
sie für die manchmal schmerzhafte Behandlung willig zu machen. Sonst
hört man, daß für das Feilen der Zähne nur Schönheitsrücksichten
maßgebend seien. Wundt aber führt auch diese Sitte auf den
Seelenglauben zurück, indem durch das Feilen und gänzliche Ausbrechen
der Zähne der Hauchseele der Austritt erleichtert werden sollte, was
z. B. bei Jägern dazu diente, der Beute um so leichter habhaft zu
werden. Heute sind sich jedenfalls die Leute einer solchen ursprünglich
sicher vorhanden gewesenen Seelenvorstellung nicht mehr bewußt,
höchstens daß sie in dem Glauben, Leute mit ungefeilten Zähnen hätten
bei den Frauen kein Glück, noch leise durchklingt.
Der Seelenwurm und andere Seelentiere.
Sah man -- etwa auf einem Kampfplatz -- die aus dem verwesenden
Leichnam kriechenden Fäulniswürmer, so mußte man auf den Gedanken
kommen, daß mit ihnen Seelenkräfte den Körper verließen. Und von
da war es kein allzugroßer Schritt, in gewissen Schlangen das Bild
dieser Seelenträger zu sehen. Der Gedanke wird verständlicher,
wenn man hört, daß auch heute noch eine in der Nähe des Dorfes
getötete Riesenschlange verbrannt wird, weil im andern Falle die dem
verwesenden Leibe entkriechenden Würmer alle zu Riesenschlangen würden.
Der Schlangendienst beschränkt sich nicht, wie die Verehrung der
Totemtiere, auf gewisse Sippen, sondern er wird allgemein unter den
Wapare angetroffen. Ich will noch vorausschicken, daß die Leute für
ihren Ahnendienst sowie für einige andre Götzen den Ausdruck kutasa =
beten (opfern) gebrauchen, während sie bei den Seelentieren das Wort
~kusemba~, was hier ungefähr beschwichtigen heißt, anwenden. Das
mag daher kommen, daß diese Seelentiere meistens vom Orakel als die
Ursache irgendeines Unglückes festgestellt werden, so daß ihr Zorn
deshalb beschwichtigt werden muß. Anderseits werden ihnen aber auch
Gelübde dargebracht um etwas Gutes, z. B. Kindersegen, zu erlangen,
wenigstens ist das bei der Riesenschlange der Fall.
Neben der Riesenschlange wird die Puffotter verehrt. Ihr werden, wenn
sie als Ursache einer Krankheit ermittelt ist, Hühner geopfert.
Sieht ein Mpare eine tote Riesenschlange am Wege liegen, so befürchtet
er sofort, daß sie ihn in kommenden Tagen krank machen könnte. Um sich
aber für jeden Fall ein +kleines+ Opfer zu sichern, bricht er einen
Zweig ab und spricht die für den ganzen Animismus bezeichnenden Worte:
„Du Schlange, ich habe dich nicht getötet, meine Kuh hat nur zwei
Beine“, d. h.: Wenn du mich krank machen solltest, so werde ich dir
als Sühneopfer nur ein Huhn bringen. Für gewöhnlich besteht das Opfer
für die Riesenschlange nämlich in einer Ziege oder einem Schaf. Das
Abbrechen oder Durchbrechen eines kleinen Zweiges ist das gewöhnliche
Sühnezeichen.
Oft genug mag es nun vorkommen, daß das Orakel irgendeine Krankheit im
Hause des Ratsuchenden darauf zurückführt, daß der Betreffende selbst
oder irgendeiner seiner Vorfahren eine Riesenschlange getötet hat.
Solch ein Mann sucht nun einen andern Stammesgenossen auf, der bereits
in die Riten des Schlangendienstes früher durch ähnliche Umstände
eingeweiht worden ist. Er teilt ihm mit, daß das Orakel etwa die
Krankheit seines Kindes auf eine früher getötete Schlange zurückführe.
Er solle nun der Schlange ein Scheinopfer bringen, um sie zu
veranlassen, den Kranken nicht weiter zu quälen. Dieses Scheinopfertier
ist das Pfand für das der Schlange später zu schlachtende Schaf. Der
Chasuausdruck lautet auch ~kugwira mchunga~ = der Schlange „ein Pfand
geben“. Der Priester läßt nun den Mann, der das Opfer später bringen
will, irgendein, wenn auch ihm nicht gehöriges Schaf am Ohr festhalten,
während er selbst seine Hand dem Tier in den Nacken legt. Dann betet
er: „Geist der Schlange, du sollst die Ursache für die Krankheit des
Kindes sein. Dies Schaf hier ist dein Pfand. Stirbt das Kind, so
erhältst du nichts, denn dann ist etwas anderes die Ursache gewesen.
Wird es aber wieder gesund, so sollst du dein Opfer haben.“
Ist das Kind von seiner Krankheit genesen, so sucht der Vater
einen Schafbock. Hat er ihn gefunden, dann ruft er wiederum den
Schlangenpriester, der ihm helfen soll, das gegebene Versprechen
einzulösen. Um das Opfer darzubringen, begeben sich alle
Familienglieder mit dem Priester in den Busch. Der Priester erkundigt
sich, ob die Schlange von einem Verwandten mütterlicher (~nkeni~)
oder väterlicher Seite (~lumeni~) getötet worden sei. Ist das
festgestellt, so richtet der Priester den Kopf des Schafes nach
der Gegend, aus welcher die Betreffenden hergekommen sind. Alle
Familienglieder treten jetzt an das Opfertier und fassen es mit einer
Hand an, um damit ihre Teilnahme an dem Opfer auch äußerlich darzutun.
Der Priester macht den Geist der Schlange darauf aufmerksam, daß die
Familie ihr Gelübde nunmehr eingelöst habe. Alle bis auf den Priester
lassen dann los und setzen sich auf die Erde in der Richtung nach der
Gegend hin, wo seinerzeit die Schlange getötet worden ist. Der Priester
führt jetzt das Schaf viermal um die Opfernden herum, indem er betet:
„Du Schlange, ich habe dir kürzlich ein Pfand gegeben. Heute ist es
eingelöst worden. Hier ist dein Schaf. Nun laß den Mann in Frieden,
laß ihn ruhig schlafen mit all seinen Kindern, segne ihn, denn er
opfert dir, gib ihm neuen Kindersegen und laß die Kinder groß werden.“
Das Schaf wird dann erstickt aber nicht enthäutet. Mit einem
zweischneidigen Messer wird aus allen Körperteilen ein Stückchen
herausgeschnitten und auf ein Bananenblatt gelegt. Aus den Bewegungen
der Eingeweide ersieht der Priester, ob die Schlange das Opfer
angenommen hat oder nicht. In letzterem Falle muß wieder die Hilfe des
Orakels in Anspruch genommen werden. Ist das Opfer genehm, so legt
der Priester das Fleisch an der Wurzel eines heiligen Baumes nieder.
Das Schaf wird zerstückt und mit der Haut geröstet und gegessen. Die
Knochen bringt der Priester zu dem eigentlichen Opferfleisch, wobei
auffallend ist, daß er bei dieser Zeremonie rückwärts auf den Baum
zuschreitet.
Fleisch von einem Schlangenopfer muß an Ort und Stelle verzehrt
werden. Kranken, die im Dorf zurückbleiben mußten, kann man wohl
etwas mitnehmen, aber es muß draußen vor dem Tor gegessen werden. Ins
Dorf selbst darf man nichts davon tragen. Nach beendeter Mahlzeit
waschen sich alle sorgfältig die Hände und entfernen die Fasern aus
den Zähnen, um ja nicht gegen obige Regel zu verstoßen. Damit ist das
Opfer beendigt. Es sei nur noch erwähnt, daß Männer für männliche
Familienglieder, die verhindert sind, dem Opfer beizuwohnen, einen
Grasring (~ikongwe~) um das Handgelenk binden, damit auch diese
vertreten seien und an den durch das Opfer bewirkten Erleichterungen
ihren Anteil haben. Dasselbe tun die Frauen für weibliche Verwandte.
Es ist rührend zu sehen, was diese im „Banne der Furcht“ lebenden
„glücklichen Naturvölker“ alles auf sich nehmen, um den Frieden zu
erlangen, den ihnen doch nur einer geben kann. -- Nach geraumer Zeit,
manchmal erst nach Jahren, wird der Schlange das dazugehörige zweite
Schaf oder „Fettopfer“ gebracht, welches sich aber von dem oben
beschriebenen in der Hauptsache nur durch seinen Namen unterscheidet.
Ein weiteres Tier, welches aus animalistischen Gründen sehr gefürchtet
und nicht getötet wird, ist ein großer Vogel, der mdidi. Über die
Ursache, die zu dieser Furcht Veranlassung gegeben hat, ließ ich mir
folgende Sage erzählen: In grauer Vorzeit hatte ein Mdidi sein Nest
an einen morschen Baum gebaut. Ein Mann namens Seikwicho legte Feuer
an den Baum, und so verbrannte die junge Brut des Mdidi. Seit der
Zeit ruft der Vogel andauernd: ~Se-Seikwicho, va-vaana vangu!~ =
Seikwicho, meine Kinder! Es geht einem hier wie so oft, wenn man sich
die Bedeutung der Tierstimmen einmal von einem Paremann hat erklären
lassen, man glaubt tatsächlich die Worte vernehmen zu können, so genau
deckt sich die Nachahmung mit dem Original. -- Der Seikwicho starb mit
allen seinen Kindern, und seit der Zeit tut niemand dem Vogel etwas
zuleide. Selbst dem toten Tiere geht man scheu aus dem Wege, um sich
nicht zu verunreinigen. Das Sühnopfer für den Mdidi besteht in einem
Schafbock, der auf einem Hügel erstickt und enthäutet wird. Das Fleisch
läßt man unberührt dort liegen, ein Zeichen, daß die Leute den Vogel
sehr fürchten, denn im allgemeinen nehmen sie von den Opfertieren den
Löwenanteil für sich in Anspruch.
Deutlicher tritt noch die animalistische Wurzel zutage bei der
Verehrung, die der ~harya~ (Madenhacker) genießt. Dieser Vogel ist
schon deshalb bei den Leuten beliebt, weil er die Kühe von Ungeziefer
reinigt. Es ist interessant zuzusehen, wie das kleine Tierchen emsig
von dem Rücken, aus den Ohren und selbst vom Bauche all die bösen
Zecken abliest und so die Kühe von manchem Plagegeist befreit. Wird er
bei dieser Arbeit von dem Schwanz der Kuh oder gar durch ein Versehen
des Hirten durch einen Steinwurf betäubt, so melkt man dem „kleinen
Häuptling“ in eine Schale etwas Milch von einer schwarzen Kuh, um ihn
wieder zu sich zu bringen. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß das
Nest des Harya einen wichtigen Bestandteil bei der Bereitung eines
der Hauptgötzen der Wapare bildet. Dies Nest besteht aus Haaren, die
sich der Vogel von allerlei Tieren, die er besucht, auszupft und in
einem Baumloch zusammenträgt. Das Tier ist also schon allein mit
seinem Neste der Lieferant wichtiger Stoffe, die wir bereits als
Seelenträger kennenlernten. Aber auch dem Vogel selbst wird, falls
er durch Unvorsichtigkeit getötet worden ist, ein Honig- und Ölopfer
dargebracht, und zwar wird das Fett und der Honig an den Stamm eines
Baumes gestrichen, in welchem solche Harya wohnen. „Denn“, sagen unsre
Leute, „der Harya ist ein Häuptling, den muß man ehren.“
Auch Katzen werden manchmal vom Orakel für irgendein Unglück
verantwortlich gemacht. Ist solch ein Tier vor langer Zeit getötet
worden, so rächt sein Geist sich oft nach Jahren an irgendeinem
Familiengliede. Der Katze wird dann auf Anraten des Orakels ein
Schafbock geopfert. Der eigentümliche Stamm der Wambugu, der nach
Pare eingewandert ist, scheint den Katzendienst weiter ausgebildet
zu haben, wenigstens holen sich die Wapare einen Mbugupriester, der
für sie das Opfer darbringt. Dieser Priester hüllt sich während
der Zeremonie in ein schwarzes Tuch. Sämtliche Familienglieder
müssen beim Opfer anwesend sein, wollen sie sich nicht der Rache des
Katzengeistes aussetzen. Eine große Menge Honig und Zuckerrohrbier wird
bereitgehalten. Der Priester zerschneidet ein wenig Fleisch, tut es
zusammen mit Honig in eine Topfscherbe und gibt es einer mitgebrachten
Katze zu fressen. Während sämtliche Anwesenden im Kreise herumstehen,
sitzen der Priester und der Veranstalter des Opferfestes in der Mitte
und beschwören den Geist der Katze: „Du Katze, hier ist die Sühne
dieses Mannes. Sein Vorfahr hatte einen deines Geschlechtes getötet,
nun laß aber ab von ihm, denn er opfert dir. Laß ihn reich werden an
Vieh und Kindern.“
Der Opfernde betet dem Priester diese Worte nach. Auch Bier und etwas
Speise schüttet der Priester noch auf die Erde. Diese Speise bildet
übrigens eine Eigentümlichkeit des Katzenopfers, da sie sich aus lauter
solchen Feldfrüchten zusammensetzt, die von der vorjährigen Ernte
herrühren müssen. Das Beibringen dieser vorjährigen Früchte macht
meistens ziemlich viel Mühe, da sich ja in den Tropen fast nichts
überwintern läßt. Daher sagt dann auch wohl der Paremann, wenn er
einen Gläubiger bezahlt hat und nach Jahren zu Unrecht zum zweitenmal
zahlen soll: „Ich habe doch keine Katze getötet, daß ich noch heute
damit beschäftigt sein müßte, das ‚Lösegeld‘ zusammenzusuchen;“ d. h.:
Die Sache ist längst erledigt und hat mir lange nicht soviel Mühe
gemacht, als wenn ich für eine Katze das reichhaltige Speisopfer hätte
zusammenstellen müssen. -- Einer Katze legt auch niemand einen Strick
um den Hals. Solch ein Vergehen würde zur Folge haben, daß die ganze
Sippe ebenfalls von ihren Feinden mit Stricken gebunden würde. Man
hütet sich sogar, die Katze zu schlagen, aus Furcht sie dabei zu töten
und damit die ganze Sippe vor die schwierige Aufgabe zu stellen, das
Löseopfer zu bringen.
Bei dem benachbarten Stamm der Washambaa besteht eine Art von
genießendem Totemismus, indem bei ihren Zauberopfern Hundefleisch
gegessen wird. Unsre Wapare fürchten sich im Gegensatz dazu gerade vor
toten Hunden und gehen ihnen möglichst aus dem Wege. Als Hundesühnopfer
nimmt man einen Bock oder eine Ziege. Während der Geist einer getöteten
Katze sich gewöhnlich erst an den Nachkommen des Betreffenden
rächt, bringt ein getöteter Hund dem Übeltäter selbst Unglück, bis
er das schuldige Opfer gebracht hat. Dabei ist es wie auch bei der
Katze und andern Seelentieren gar nicht einmal nötig, daß man das
Tier selbst getötet hat. Schon der Anblick eines solchen Kadavers
genügt, jemand sühnepflichtig zu machen. Der Kranke läßt in dem Falle
einen Hundepriester kommen und durch ihn dem Geiste des Hundes ein
Pfand geben, wie wir es schon beim Schlangenopfer kennenlernten.
Hundepriester sind die Washambaa. Hat der Mann keine Ziegen, so nimmt
er wohl auch nur eine Hacke und gibt sie dem Hunde als Pfand, indem er
verspricht, im Falle seiner Genesung damit eine Ziege zu erackern,
d. h. einen Acker gegen eine Ziege umzutauschen. Der weitere Verlauf
ist ähnlich wie beim Schlangenopfer.
Als letztes Seelentier will ich hier noch die +Hyäne+ erwähnen, deren
Tötung ebenfalls mit Gefahr für die Nachkommen verbunden ist. Es war
ja ein sehr naheliegender Gedanke, in einem solchen Leichenräuber, der
in seiner Gier selbst Knochen, also wichtige Seelenträger verschlingt,
ebenfalls ein Seelentier zu erblicken. Eine gewisse Erkrankung der
Atmungsorgane führt das Orakel regelmäßig auf den Geist einer von
irgendeinem Vorfahren getöteten Hyäne zurück. Die Leute aus der
Landschaft Chome sollen Hyänen in ihren Hütten halten, und sie sind
auch die Priester, die man für ein Hyänenopfer kommen läßt.
Zuerst betet der Priester im Hause des Kranken zu dem Geist des Tieres,
er möge geben, daß das ihm zu opfernde Tier „rein“ sei. Findet man
nämlich bei derartigen Opfertieren in den Eingeweiden oder der Leber
eigentümliche Zeichen oder Narben, so kann das Opfer nicht stattfinden,
wie wir auch noch weiter unten sehen werden. Nach diesem Gebet zu Hause
begibt sich der Priester mit dem Kranken oder dessen Stellvertreter in
die Chomelandschaft, um dort unter Beobachtung allerlei eigentümlicher
Zeremonien das Hyänenopfer darzubringen.
Baumseelen.
Bevor wir dazu übergehen, den Seelenkult zu besprechen, bei welchem
man sich die Seele an den Schädel als wichtigsten Knochen gebunden
denkt, müssen noch zwei Bäume erwähnt werden, die ebenfalls Gegenstand
eines Kultus sind: der ~mdarya~, ein unscheinbares Bäumchen mit
apfelartigen, eßbaren Früchten und der ~mramba~ (Affenbrotbaum).
Der Mdaryabaum ist sozusagen der Stellvertreter für die Ahnengeister,
der Platz, an welchem sie sicherlich angetroffen werden, ähnlich wie an
Flußläufen. Um den Stamm legt man Steine, welche den Opferaltar bilden,
auf welchem die Speis- und Trankopfer niedergelegt werden. Wird nun
einer aus der Sippe derer, die den Mdaryabaum für heilig erachten,
krank, so führt man dies nicht auf den Baum selbst sondern auf die
Ahnengeister zurück, als deren Vertreter er gilt. Die Opferriten sind
den bei der Anbetung der ~nkoma~ (Ahnenschädel) befolgten ähnlich,
die wir weiter unten besprechen wollen.
Im Gegensatz zum Mdarya ist dem Affenbrotbaum eine selbständigere
Stellung eingeräumt. Ihm selbst, nicht wie bei dem Mdaryabaum den
Ahnengeistern, werden Speis- und Trankopfer dargebracht. Er kann den
Leuten Unglück bringen, um sie an ihre Opferpflicht zu erinnern. Hat
das Orakel einen Affenbrotbaum als Ursache zu irgendwelcher Krankheit
festgestellt, so geht der Betreffende zum Baumpriester seiner Sippe und
teilt ihm die Sachlage mit. Es wird ein Tag festgesetzt, an welchem sie
mit den andern Angehörigen der Sippe das Baumopfer darbringen wollen.
Jeder der Geladenen hat eine Ziege mitzubringen, außerdem genügend
Bier, welches teils aus schwarzen, teils aus weißen Zuckerrohrstangen
bereitet sein muß. Dann ziehen sie alle mit Weibern und Kindern zu
dem heiligen Baum, der ebenfalls durch an den Stamm gelegte Steine
gekennzeichnet ist. Der Priester nimmt bei der Opferung etwas Bier
in den Mund, bespützt damit den Affenbrotbaum, und betet ungefähr
folgendes: „Wir sind nun alle hier. Du hast nach uns verlangt. Wir
haben uns auch schon lange nicht mehr sehen lassen. Wenn du uns
wirklich das Unglück gebracht hast, dann laß es uns daran erkennen, daß
unsre Opfertiere ‚rein‘ sind!“
Dann befiehlt er, die Ziege, die er mitgebracht hat, zu töten.
Sorgfältig untersucht man die Eingeweide und die Leber auf irgendwelche
verdächtigen Zeichen hin. Finden sich solche, dann nimmt man vorerst
von dem Opfer Abstand, um beim Orakel die Ursache für das unerwartete
Hindernis zu erforschen. Da melden sich dann oft die Ahnen, der
Geist des Vaters oder der Mutter, oder sonst ein Fetisch wie der
~mpingu~, von welchem wir noch sprechen wollen, und verlangen
ihr Opfer. Der Priester wird nun beauftragt, dem betreffenden Geiste
vorerst ein Scheinopfer darzubringen und ihn zu bitten, sich solange zu
gedulden, bis der Mramba das seinige erhalten habe.
An dem nunmehr neu anberaumten Tage wird sich alles glatt abwickeln,
die erste Ziege wird ‚rein‘ sein und damit auch die andern. Der
Priester läßt kleine Stückchen Fleisch von allen Körperteilen der
Ziege in einen Strohteller legen und betet dann, indem er von dem
mitgebrachten Bier an den Baum spützt und kleine Fleischstückchen
auf den „Altar“ legt, etwa wie folgt: „Du Affenbrotbaum, wenn du es
bist, der uns bisher all das Unglück in unsern Gehöften und unsern
Herden gebracht hat, dann sorge, daß wir das von nun an nicht mehr zu
befürchten brauchen, denn heute opfern wir dir. Hilf uns, daß wir Kühe
und Hühner bekommen und viele Kinder sowie reichliche Speise.“
Der eigentliche Veranstalter des Festes betet dem Priester diese Worte
nach. Jetzt erhalten auch sämtliche Anwesende, die während des Gebets
der beiden im Kreise um den Affenbrotbaum herumstehen, Bier, und alle
bespützen damit den Baum. Dann fängt der Priester seine Beschwörung an:
Pr.: „Wer auch immer sich darüber aufhält, daß dieser Mann dem Mramba
sein Opfer dargebracht hat, der soll sterben!“
Alle: „Ja, der soll sterben!“
Pr.: „Wer auch immer sagen wird: Es ist gut, daß man ihm geopfert
hat, denn nun werden sie Ruhe haben, der soll leben!“
Alle: „Ja, ewig leben!“
Nunmehr werden auch die andern mitgebrachten Ziegen getötet, d. h.
erstickt, und man gibt sich erleichterten Herzens den Freuden einer
ziemlich reichlichen Opfermahlzeit hin.
Flüsse als Seelenträger.
Wenn der Paremann auch an Flüsse zieht und dort Gelübde und Opfer
darbringt, so ist da wohl die Vorstellung von der Psyche vorherrschend.
Man kann sich das so erklären, daß man in dem schnell dahinbrausenden
Fluß, der aus dem Erdinnern kommt, wohin man die Toten gebettet
hat, die flüchtige Hauchseele wiedererkennt. Wenigstens mag diese
Vorstellung mit dazu beigetragen haben, das Wasser als einen weiteren
Aufenthaltsort der Ahnengeister zu betrachten; denn selbst die Sippen,
die den Schädel der Ahnen aufbewahren, sind sich ebenso sicher, von
diesen Ahnengeistern auch an irgendeinem Flußlauf oder Teich gehört
zu werden. Sind ja doch Flüsse, Teiche und Wiesen der Aufenthaltsort
für alle Geister, die aus irgendeiner Ursache zu Hause nicht angebetet
werden, wovon wir noch weiter unten sprechen wollen. Es ist da wieder
einmal ersichtlich, wie verschlungen die Wege auf diesem Gebiete sind,
indem hier die Vorstellung einer an die Knochen gebundenen Körperseele
direkt Hand in Hand geht mit dem Glauben an eine leicht beschwingte
Psyche, die in jedem Fluß oder größeren Wasser angetroffen werden kann.
Es mag sein, daß diese Gedankenverbindung den Übergang zu dem Glauben
an Wasserdämonen bildet oder aber daß der besonders nachts unheimlich
daherrauschende Fluß und der gefährliche Sumpfsee einen Treffpunkt der
Schatten bildet analog dem Blocksberg und den Kreuzwegen. So glaubt
man auch tatsächlich an Flußläufen Freudentriller, Gesang, Gelächter
und Trommelschlag zu hören. Da haben die Schatten ihr nächtliches
Tanzgelage. Die wilden Enten auf den Flüssen nennt der Paremann „Hühner
der Schatten“, welcher Ausdruck, wie mir scheint, den Aufenthalt der
Schatten im Wasser mehr als einen dauernden bezeichnet. Auf diese
„Hühner der Schatten“ Jagd zu machen, würde der heidnische Paremann
unter keinen Umständen wagen.
Es mag nun sein, daß der Mpare den Schädel seines Vaters vergeblich
um Erhörung einer Bitte angefleht hat, dann versucht er es wohl, sein
Gebet am Fluß darzubringen, wo er die Ahnengeister auch anzutreffen
hofft. Wohnt er in der Fremde, wo es ihm nicht möglich ist, vor den
Schädeln seiner Ahnen zu opfern, so geht er wohl ohne Umschweife an
irgendeinen Flußlauf, um dort sein Gelübde und später auch das Opfer
darzubringen. Während des Gebetes, welches mit Anrufung der dort
„seßhaften Geister“ beginnt, wirft er etwas von irgendeiner Speise oder
gar nur Sand ins Wasser und gelobt Größeres, wenn seine Bitte erhört
werde. Nun betet er etwa so: „Ihr Geister, die ihr hier in diesem
Flusse wohnt, nehmt diesen Sand. Wenn ihr meine Bitte erfüllt, werde
ich euch veranlassen, den Sand wieder auszuspeien, und ich bringe euch
dafür einen Ziegenbock.“
Findet seine Bitte Erhörung, so wird bald irgendeine Krankheit den
Vergeßlichen an sein Gelübde erinnern; „denn“, sagte einer meiner
Gewährsmänner, „Opfergelübde sind wie Schulden, die bezahlt man
gewöhnlich nicht eher, als bis man von dem Gläubiger gemahnt wird!“
Der Mann sucht nun einen Ziegenbock, borgt ihn vielleicht von Freunden
oder Nachbarn. Eine Nacht muß der Bock in seinem Hause sein, um
gewissermaßen in seinen Besitz überzugehen. Am Morgen bringt er
zuerst an der Haussäule den Ahnen ein Trankopfer dar und bittet sie,
das Opfertier möge ihnen genehm sein und in seinen Eingeweiden keine
Merkmale tragen, die den Grund zu neuen Befürchtungen legen würden.
Nachdem sich die geladenen Gäste durch eine Kostprobe des Opferbieres
gestärkt haben, ziehen sie alle an jene Stelle des Flusses, wo das
Gelübde abgelegt worden war. Hier betet der Betreffende: „Ihr Geister,
die ihr hier in diesem Fluß wohnt. Als ich seinerzeit Trübsal hatte, da
flehte ich euch an, und ihr habt mir das Erbetene gegeben, habt Dank
und nehmt euren Ziegenbock.“
Dann wird das Opfertier erstickt und kleine Stückchen von allen
Gliedern, beim rechten Vorderfuß angefangen, auf zwei Brathölzchen
gespießt und gebraten. Von diesem gebratenen Fleisch schneidet man
wieder kleine Stückchen ab, um diese mit anderer Speise und Bier unter
nochmaligem Gebet in den Fluß zu schütten. Der Rest des gebratenen
„Geisterfleisches“ wird von den Anwesenden als Einleitung zur
eigentlichen Opfermahlzeit verspeist. Einen Teil des Fleisches nimmt
jeder mit nach Hause.
Der Totemismus.
Es ist möglich, daß die bei unsern Wapare bestehenden Speiseverbote
nichts weiter als Ausklänge eines alten Totemismus sind. „Totems“
wurden von einigen nordamerikanischen Indianerstämmen die Tiere
genannt, welche eine kultische Verehrung genossen. Unter dem Worte
Totemismus faßt man heute alle Erscheinungen zusammen, die sich auf
die Verehrung von Tieren beziehen. Es ist natürlich sehr schwer
festzustellen, ob die eine oder andere Erscheinung dem Totemismus oder
dem Animalismus zuzurechnen ist. In den Totemtieren sieht der primitive
Mensch entweder seine Ahnen, von denen er auch sein Geschlecht
ableitet, oder aber eine Art Schutzdämonen, die zu töten nicht in
seinem Interesse liegen kann. Die erstere, genealogische Beziehung kann
auf weitere Dinge wie Pflanzen, Bäume und Steine übertragen werden.
Dadurch ist wiederum der Weg gebahnt für zahlreiche Wechselbeziehungen
zu andern Gebräuchen, die mehr in das Gebiet des Glaubens an
Felddämonen und des Fetischdienstes gehören.
[Illustration: Große Wäsche am Mombobach.]
[Illustration: Missionszöglinge mit einer hl. Riesenschlange vor einem
Affenbrotbaum.]
Als echten Totemismus könnte man bei den Wapare die Scheu der
Muhezisippe ansprechen, die graue Meerkatze umzubringen, trotzdem
diese Affenart eine wahre Landplage ist. Sie dürfen aber nicht getötet
werden, weil die Leute sagen, daß diese Affen ihre „Brüder“ sind. Das
genealogische Moment käme also hier zum Vorschein. Die Angehörigen der
erwähnten Sippe gehen sogar soweit, auch von einer fremden Person,
die einen ihrer „Brüder“ getötet hat, das Lösegeld (~irivi~) zu
fordern, welches allerdings nur in einem oder mehreren Maiskolben
besteht, die der Muhezimann zum Teil für seine „Brüder“ in den Busch
legt. Die Leute haben in ihrer Landschaft auch einen heiligen Hain, in
welchem den Meerkatzen geopfert wird. Der Betreffende muß sich aber
die Speisen zu dem Opfer vorher auf dem Markte stehlen und sich so der
Lebensauffassung seiner „Brüder“ nähern. Die Gebete sollen ähnlich sein
wie die bisher besprochenen.
Andre wieder verehren die schwarzen Ameisen. Kommen sie ins Haus, dann
werden sie nicht mit Feuer vertrieben und getötet sondern nur mit Asche
oder Erde bestreut. Andre nehmen wohl eine Schnecke, werfen sie in den
Ameisenhaufen und sagen: „Hier ist euer Ochse, laßt uns in Frieden und
geht wieder nach Hause.“ Wenn im Anschluß an diese Sitte der Beleidiger
dem Beleidigten zuruft: „Dich versöhne ich mit nichts weiter als einem
‚Schnecken-Ochsen,‘“ wie man das bei den winzigen Ameisen macht, so
ist das der größte Schimpf, den man ihm antun kann und den er kaum
ruhig hinnehmen wird. Aber auch die Sippen, welche die Ameisen nicht
unmittelbar verehren, sehen in ihnen besonders dann Abgesandte der
Ahnengeister, wenn sie sich nicht aus ihren Hütten vertreiben lassen
wollen. Man bringt dem unbekannten Gott, der die Ameisen gesandt hat,
ein Scheinopfer dar. Ziehen sie danach ab, dann erkundigt man sich beim
Orakel, wem und wo man zu opfern habe.
Des weiteren sind Krähen Tiere, die nicht getötet werden dürfen. Der
Grund hierzu scheint mir in der Annahme zu liegen, daß die Genossen
einer getöteten Krähe alsbald zum Fluß eilen und sich baden, wie es
nach einem Todesfall üblich ist. Es heißt aber, daß die Tiere diesen
Teil des Totenopfers für den darbringen, der ihren Genossen getötet
hat und nun bald sterben muß. Hat man deshalb doch eine Krähe, die
den Kücken nachstellte oder den gepflanzten Mais wieder aus der Erde
herausscharrte, mit dem Pfeil erschossen, so macht der Schütze schnell
einen Riß in sein Kleid und wäscht sich im Fluß, um durch solche bei
einem Todesfall übliche Handlung den andern Krähen zuvorzukommen und
die Gefahr von sich abzuwenden.
Unzählig sind die Tiere, die von den verschiedenen Sippen nicht
gegessen werden dürfen. Manchmal erstrecken sich die Speiseverbote
auch nur auf gewisse Teile wie Herz, Leber, Lunge. Bei der Bwambosippe
z. B. müssen sich die Leute solchen Verboten unterwerfen, wenn sie
verschiedene Feste mitgemacht haben, Sitten, die aufzuzählen hier zu
weit führen würde. Die Wamjema essen kein Buschbockfleisch, dürfen
Buschböcke aber töten und das Fleisch auf dem Markte verkaufen. Wenn
sie ihren großen Fetisch anbeten, den ~murungu wa gu~, den Gott
des Dachbodens, dann muß jeder, der Buschbockfleisch gegessen hat
oder im Verdacht steht, eine Ziege bringen, die geschlachtet wird,
um den Betreffenden das verbotene Fleisch „erbrechen“ zu lassen. Der
Ausdruck ist natürlich nur ein Sinnbild dafür, daß er nunmehr rein
geworden ist. Wenn Frauen der Wamjema-Sippe von Männern andrer Stämme
geheiratet werden, so können die Ehemänner durch einfaches Ziehen an
den Ohrläppchen ihre Frauen von diesem Gebot befreien.
Der Nkoma-Dienst und Opfergebräuche.
~Nkoma~ bedeutet Ahnengeister und ist zugleich das Wort für die
Schädel, an welche man sich die Schatten gebunden denkt. Die Nkoma
bilden den Eckstein an dem ganzen Gebäude des Animismus, wie er sich
bei unsern Wapare vorfindet. Mag da Freude oder Leid sein, die Nkoma
sind in den meisten Fällen die Ursache. In der höchsten Not ruft man
laut zu den Ahnengeistern. Sie werden gefürchtet als die Urheber von
mancherlei Unglück und Krankheit, so daß man sie auf den Rat des
Orakels mit allerlei Speis- und Trankopfern versöhnen muß. Andernfalls
wendet man sich vertrauensvoll in den vielen Nöten des Lebens an sie.
Und doch zeigt sich hier wiederum der klaffende Unterschied zwischen
Christentum und Heidentum. Denn während der Christ jubelnd ausruft:
„Der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht!“ glaubt der Paremann
erst dann Garantie für Frieden und Glück zu haben, wenn seine Ahnen
sich möglichst nicht um ihn kümmern. Schlafen sie, dann droht ihm so
leicht keine Gefahr, wachen sie auf, dann muß ein Opfer sie schnell
wieder unschädlich machen. Wahrlich, ein trauriger Götzendienst,
der seinen Ausdruck so recht in dem Kiparegebet findet: ~Nkoma
shinjiani!~ = Ihr Geister, schlaft!
Die Opfer, welche den Verstorbenen dargebracht werden, sind keine
Zauberopfer, durch welche man die Geister zwingen will, sondern reine
Sühnopfer, welche die Nkoma günstig stimmen sollen. Übrigens ist der
Mpare vorsichtig genug, zumeist das Opfer nur zu versprechen oder ein
Scheinopfer darzubringen. Wenn z. B. das Orakel die Ahnengeister als
Ursache dieses oder jenes Leides festgestellt hat, so betet er zu
ihnen, indem er etwas Wasser auf die Erde spützt und aus einer Schale
auf die Erde gießt (~kuchwa mpombe~). So nähern sich die meisten
Opfer wiederum dem Begriff des Dankopfers, indem sie gewöhnlich
erst nach Erhörung der Gebete dargebracht werden. Am Fuße der beiden
mittleren Haussäulen, in der Nähe der Feuerstelle, befindet sich der
Hausaltar, d. h. der Opferplatz.
Ist ein Mpare gestorben, so wird er sich nach einiger Zeit bei seinen
Angehörigen in die Erinnerung zurückrufen, indem er das eine oder
andere Familienglied mit Krankheit oder dergleichen plagt. Der um Rat
befragte Medizinmann führt das Übel darauf zurück, daß der Schädel
des Vaters noch nicht ausgegraben worden sei und bisher keine Opfer
erhalten habe. Der Sohn sucht nun eine Ziege, lädt noch einige Freunde
ein und geht mit ihnen an das Grab. Er legt dort der Ziege die Hände
auf und betet: „Vater, du hast mich gerufen. Hier bin ich mit deinem
Opfer. Laß dich schnell finden, damit ich deine Ziege schlachten kann!“
Vorsichtig wird jetzt das Grab geöffnet, bis sie auf den Schädel
stoßen, den sie auf eine mitgebrachte Topfscherbe legen. Nunmehr wird
die Ziege geschlachtet bzw. erstickt und das Grab mit ihrem Mageninhalt
entsühnt. Dieser Mageninhalt ist nämlich das immer wieder angewandte
Entsühnungsmittel. Der Sohn betet: „Vater, jetzt haben wir dich
ausgegraben, wir wollen dich nach Hause bringen zu deinen Genossen.
Auch dein Grab haben wir gereinigt.“ Nachdem er zweimal etwas rohes
Fleisch auf das Grab gespützt hat, ist die Zeremonie beendigt. Einer
trägt dann den Schädel nach Hause. Der Träger darf unterwegs niemand
grüßen noch auf einen Gruß antworten. Zu Hause angekommen, wird der
Schädel vorläufig auf der Tonscherbe in einem besonderen Abteil des
Hauses (~vusini~) aufbewahrt, und man legt einen Tag fest, an
welchem man wieder zusammenkommen will, um das erste Totenopfer zu
bringen und den Geist der Reihe der zu verehrenden Ahnen anzugliedern
(~kusimika nkoma~).
Es bleibt noch übrig zu erwähnen, daß man die Schädel gewöhnlich im
Hause des ältesten Verwandten der Familie aufbewahren läßt, der somit
auch ihr Priester ist. Am Morgen des bestimmten Tages geht dieser
Priester auf den Boden des Hauses, um das dort bereitgestellte, einige
Tage vorher von dem leiblichen Sohn gebraute Bier einer Kostprobe zu
unterziehen. Ist es verdorben, so gerät man wieder ob dieses bösen
Zeichens in Unruhe und befragt das Orakel. Im anderen Falle aber gießt
der Mann ein Trankopfer am Hausaltar auf die Erde und betet: „Ihr
Geister! dies ist euer Bier. Heute wollen wir euch einen Genossen
zuführen, damit seine Kinder ihm hier opfern können.“ Unterdes sind die
andern Teilnehmer am Opfer mit der Ziege gekommen; den Schädel hat man
von der Scherbe fortgenommen und in einen Topf getan. Zwei verschieden
geformte Kürbiskalabassen werden mit Bier gefüllt, dann wird die Ziege
geschlachtet. Von dem Fleisch werden Stückchen von allen Körperteilen
auf vier Brathölzchen gespießt und gebraten. Zwei sind für die Männer
und zwei für die Frauen bestimmt. Ist es gebraten, so werden kleine
Stückchen davon abgeschnitten und auf je einen Strohteller gelegt. Der
Priester läßt sich nunmehr eine Schale voll Bier einschenken und bringt
dem Schädel als dem Sitz der Körperseele das erste Gebet dar: „Du
Soundso, heute haben wir dich der Reihe der Ahnen angegliedert. Hier
ist dein Bier und Opferfleisch. Trink und iß und gib es deinem Vater
und deinem Großvater und denen, die bei euch sind. Sag’ ihnen, daß wir
dir heute ein Opfer gebracht haben, damit ihr euch freut und wir uns
auch freuen können.“ Unter solchen Worten gießt er etwas Bier vor dem
Topf mit dem neuen Schädel aus und legt einige Fleischstückchen mit auf
die Erde. Dasselbe geschieht dann vor den andern Ahnentöpfen.
Nunmehr wendet er sich unter Beobachtung derselben Zeremonien an die
weiblichen Geister, beginnend mit der Stammutter, die auch den andern
von dem Opfer mitteilen soll. Nach dem Priester betet der leibliche
Sohn des Toten: „Vater! du hast dich beschwert, daß wir dich nicht
ausgegraben haben. Jetzt ist es geschehen, wir haben dich zu deinen
Genossen gebracht usw.“ Der Rest des gebratenen Opferfleisches wird
unter die anwesenden Männer und Frauen verteilt, und die gewohnte
Mahlzeit schließt sich an.
Von Leuten, die keine Kinder haben, werden die Schädel nicht
aufgehoben. Für sie ist auch sonst keine Möglichkeit vorhanden, unter
die Ahnen eingereiht zu werden. Da soll schon mancher Vater, dessen
einziges Kind die christliche Taufe empfing, geseufzt haben: „Ich hatte
mir es schon so schön gedacht, einstmals Opfer zu erhalten. Aber jetzt
bin ich wie einer, der kein Kind hat, und meine Hoffnung ist dahin.“
Die Flußläufe, Teiche und große Wiesen bilden den Aufenthaltsort für
die Schatten, die kinderlos gestorben sind. Dahin ziehen sich auch die
Urahnen zurück; denn nur zu Vater, Mutter, Großvater und Großmutter
betet der Mpare. Die Schatten der Urahnen wie der Kinder halten sich
an oben erwähnten Plätzen auf und freuen sich, wenn auch sie bei
Gelegenheit ein Opfer erhalten.
Von Zeit zu Zeit bringen sich die Ahnen bei ihren Nachkommen in
Erinnerung, der Mwasu sagt: ~Nkoma žirota.~ Man erhält erst
durch die Vermittlung des Orakels Kenntnis davon, welches man wie
immer sofort bei irgendwelchem Unglück oder Krankheit zu Rate
zieht. Irgendeiner von den Ahnen, die Großeltern der Mutter oder
des Vaters, oder Mutter und Vater selbst werden für die Krankheit
verantwortlich gemacht. Das Orakel behauptet, einer der Ahnen fühle
sich vernachlässigt und wolle ein Speis- und Trankopfer. In der schon
erwähnten vorsichtigen Weise, welche die Wapare bei jedem Gelübde ihren
Götzen gegenüber an den Tag legen, wird ein Scheinopfer dargebracht,
und erst wenn die Genesung des Kranken die Sicherheit geboten hat,
daß es sich tatsächlich um den vom Orakel als Ursache festgestellten
Ahnengeist handelt, erhält er das wirkliche Opfer. Es besteht
gewöhnlich aus irgendeiner gekochten Speise und Bier. Der Schädel wird
aus dem Topf geholt und etwas von dem anhaftenden Schmutz und den
Spinngeweben gereinigt, dann mit Öl gesalbt und auf ein Fell an den Fuß
der Haussäule gelegt. Hierauf wird dem Geiste das Opfer in der schon
beschriebenen Weise dargebracht.
Ein andres Opfer, welches den Ahnen etwa am sechsten Tage nach der
Geburt eines Kindes von den beiden Eheleuten dargebracht wird,
heißt ~vishindio~. Es besteht aus gekochten Wurzelknollen, die
zuerst der Mann und gleich nachher die Frau beim ersten Morgengrauen
an einem Kreuzwege niederlegen, „damit das Neugeborene nicht ewig
schläft“! Hiermit wäre schon die Überleitung zu den freiwilligen Opfern
gegeben, welche die Wapare ihren Ahnen darbringen, ohne vorher durch
Unglück und Orakel gemahnt worden zu sein. Sie nennen das ~kukezya
nkoma~ = die Geister begrüßen. Allerlei Speis- und Trankopfer werden
den Schatten dargebracht, entweder als Dank für die Erhörung von
Gebeten oder aber um sie versöhnlich zu stimmen. Mancher Mwasu läßt
solch eine Gelegenheit nicht vorübergehen, ohne die Ahnen in nicht
mißzuverstehenden Worten an ihre Pflicht zu erinnern, ihm zu Kühen --
die für das Herz eines Paremannes der Inbegriff alles Begehrenswerten
bilden -- zu verhelfen. Er betet wohl: „Ihr Geister, hier habt ihr ein
wenig Maisbrei. Das ist meine Kuh, ihr gebt mir ja keine andere, da
kann ich euch auch kein Fleisch bringen, und ihr müßt eben Mehlbrei
essen.“
Einer unsrer Christen hörte einen Mann namens Konamboa, der dazu noch
der Familienpriester war, in einer Schädelhöhle folgende Worte an die
Ahnengeister richten: „Hier sind Leute, die euch anbeten wollen, laßt
mich aber in Frieden. Kinder habt ihr mir keine gegeben, Rinder habe
ich auch keine, und dazu wollt ihr immer Opfer haben, soll ich euch
denn Menschen opfern? Ihr Kerle habt auch keine Ohren (~mantu aa na
masikio esina~)!“ Daß tatsächlich die Ahnen oder andre Götzen im
höchsten Zorn einmal so beschimpft werden, nur, um sich wahrscheinlich
bald mit einem Opfer wieder versöhnen zu lassen, wurde mir auch von
einem heidnischen Gewährsmann bestätigt.
Die verschiedenen Opfer und die dabei zu beobachtenden Gebräuche sind
viel zu zahlreich und auch schon nach den Landschaften verschieden,
als daß sie sich alle hier aufzählen ließen. Ich muß mich damit
begnügen, das Hauptsächlichste anzuführen, und will deshalb nur noch
eines wichtigen Gebrauches Erwähnung tun, des Kirurumo-Opfers. Dieses
muß jedem Ahn einmal dargebracht werden, und zwar wartet man, bis die
Geister selbst ihr Opfer fordern, was festzustellen wie immer die
Aufgabe des Orakels ist. Man bespricht sich mit den Verwandten. Dann
wird ein Ochse gesucht, der unbedingt unbeschnittene Ohren haben und
von ganz schwarzer Farbe sein muß.
Der Opfertag ist der heilige vierte Wochentag. An den vorhergehenden
Tagen werden umfassende Vorbereitungen getroffen und Bier aus dunklem
und hellem Zuckerrohr gebraut. In der Nacht vom dritten auf den vierten
Wochentag wird der Ochse gegen drei Uhr morgens erstickt. Dabei dürfen
nur Leute tätig sein, die das Kirurumo-Opfer den Ahnen bereits gebracht
haben. Der Priester betet vorher, daß alles gutgehen möchte und der
Ochse im Todeskampf niemand verletze, daß ferner aus dem Befund der
Eingeweide und der Leber die Annahme des Opfers bestätigt werden möge.
Aus zwei Kalabassen gießt der Priester zuerst Bier von dunklem und
darauf von hellem Zuckerrohr als Trankopfer auf die Erde. Der Rest wird
von den Versammelten getrunken. Das Tier wird nunmehr auf die Erde
geworfen und auf grausame Weise erstickt, indem ihm schwammartige,
trockene Zuckerrohrfasern, Restbestände von der Bierbereitung, mit
einem „schwarzen“ Zuckerrohr in Maul und Nase gestoßen werden. Bevor
der an allen vieren stark gefesselte Ochse ganz tot ist, setzen sich
die Nachkommen des betreffenden Mannes viermal auf das Opfertier, und
zwar zuerst die Männer, dann die Frauen. Dabei sagen sie: „Vater, jetzt
haben wir dich vergessen.“
Bei Tagesanbruch bringt man dem Ahn zuerst an der Haussäule ein
Trankopfer dar und später, nachdem man den Ochsen enthäutet und zerlegt
hat, erhält er ein weiteres Fleisch- und Bieropfer an einem Kreuzwege.
Man betet: „Hier ist dein Rind. Wir haben dich nun deinen Freunden dort
ebenbürtig gemacht, teile es mit ihnen, damit auch sie dir in Zukunft
nichts vorenthalten!“
Die Geladenen erhalten zu Hause jeder seinen Anteil an dem Fleisch
und stärken sich vor ihrer Rückkehr noch durch einen guten Trunk. Am
Abend bringt der Sohn seinem Vater das letzte Opfer dar und bittet um
seinen Segen. Am nächsten Tage wird der Schädel des Ochsen von der
Haut befreit, und nachdem die Ratten ihn im Laufe der Zeit völlig
saubergenagt haben, dient er den Leuten als Stuhl. Bei der Gelegenheit
sei noch erwähnt, daß man für Leute, die im Kriege erschlagen
worden sind und deren Leichen man nicht aufgefunden hat, eine Ziege
schlachtet, deren Schädel dann später den übrigen Ahnenschädeln
beigefügt wird und die Stelle des eigentlichen Nkoma einnimmt.
Bis jetzt ist es mir nicht gelungen, den Schleier, der über diesem
Opferfest zu liegen scheint, zu lüften. Für das geheimnisvolle
viermalige Niedersetzen auf dem Opfertier und den eigentümlichen Namen
~kirurumo~, von dem Verbum ~kururuma~ = brummen, brüllen,
donnern, abgeleitet, habe ich keine Erklärung finden können.
Nächtliche Tanz- und Trinkgelage, wochenlang anhaltende Feste, welche
die Berge widerhallen machen von den Freudentrillern und Tanzgesängen,
alle diese Dinge sind dazu angetan, dem Uneingeweihten das Wesen des
Heidentums zu verbergen. Aber zieht man diesen Schleier etwas zurück,
so sieht man, wie diesen „lustigen Naturkindern“ auf Schritt und Tritt
ein grausiges Gespenst folgt: +die Furcht+. Da wird das Gebet zu einer
ergreifenden Klage, zu einer wuchtigen Anklage gegen den Bösen, der
seinen nach Frieden schreienden Kindern statt des Brotes einen Stein
anbietet: ~Nkoma shinjiani!~ -- -- -- Ihr Geister, schlaft!
Der Dämonen- und Fetischglaube.
Der Vegetations- und Dämonenkultus.
Die Fülle der auf dem Gebiete des Animismus teils ineinandergreifenden,
teils nebeneinander hergehenden Seelenvorstellungen mit ihren
Übergängen ist eine derartig große, daß ich auch hier den sich dafür
Interessierenden auf das Werk von W. Wundt, „Völkerpsychologie
~II~, Mythus und Religion“, hinweisen muß. Das Studium dieses
Werkes wird jedem, der draußen mit Negern zu arbeiten hat, oft
überraschende Aufschlüsse über wohl längst bekannte aber unverstandene
Gebräuche geben. Wenn ich hier zuerst vom Vegetationskultus schreiben
will, dem ein Dämonenglaube zugrunde liegt, so muß ich dabei
vorausschicken, daß die Wapare von eigentlichen Dämonen nichts zu
wissen scheinen, höchstens im Unterbewußtsein. Soviel ist sicher,
daß all die magischen Handlungen, von welchen wir im folgenden
sprechen werden, etwas Ungenanntes bannen sollen, und wir werden nicht
fehlgehen, wenn wir in diesem Ungenannten die Felddämonen suchen. Wundt
unterscheidet zwischen inneren, in den Pflanzen wohnenden Dämonen und
solchen, die ihren Sitz in Sonnenschein, Regen und Wind haben, also
äußeren. Beides fand ich hier bestätigt. Die Sippe der Vamramba schickt
die Hungersnot ins Land, indem sie in einem bestimmten Haine betet, der
also den Hungerdämon beherbergt. Anderseits herrscht die allgemeine
Ansicht, daß alle Seuchen aus der Sonne kommen. Hier scheint also noch
einmal der Sonnengott den Charakter eines Dämonen anzunehmen, während
der Sonne im allgemeinen als schöpferische und erzeugende Macht eine
höhere Stellung zugewiesen ist.
Wenn die Wapare sehen, daß eine Hungersnot vor der Tür steht, gehen
sie zu ihrem obersten Häuptling, um ihn zu bitten, etwas gegen das
drohende Unglück zu unternehmen. Dieser befiehlt jeder Landschaft
die Stellung einer Ziege. Sind diese alle zusammen, dann geht eine
Gesandtschaft mit einem Unterhäuptling an den Zauberer ab, der durch
seine Medizin die bösen Dämonen, die schon einen großen Teil der Ernte
vernichtet haben, bannen soll. Der stellt ein Sympathiemittel her,
indem er allerlei Kräuter stampft und das Ganze mit einigen Exemplaren
der Insekten vermengt, die die Felder des betreffenden Landes im
besonderen heimgesucht haben, nach dem Grundsatz der magischen Medizin:
„~Similia similibus!~“ Den fertigen Brei bespützt er unter
geheimnisvollem Gemurmel, indem er den Atem heftig zwischen den fest
zusammengepreßten Lippen hervorstößt, als ob er in eine Trompete blasen
wolle. Zu Hause angekommen, verteilt der Oberhäuptling den Extrakt an
die Häuptlinge der einzelnen Landschaften. Je zwei und zwei Männer
sprengen diesen mit Wasser reichlich verdünnten Zauber auf die Felder
ihres Bezirks. Zum Sprengen verwenden sie einen Pinsel, der in einem
am Ende zerstoßenen Bananenschößling einer bestimmten Art besteht. Die
Leute müssen tiefschwarze Hautfarbe haben, damit die Maisstauden und
die andern Pflanzen schwarz (d. h. saftgrün) werden. Würden hellfarbige
Männer das Weihwasser sprengen, so läge die Gefahr nahe, daß auch die
Maisstauden eine kümmerliche hellgrüne Farbe annähmen. Das Besprengen
geschieht vier Tage lang. An diesen wird unter keinen Umständen
geackert. Holz darf nur gebrochen, aber nicht mit der Axt abgeschlagen
werden. Auch der Gebrauch des Messers zum Abschneiden einer
Bananentraube oder eines Zuckerrohrs ist untersagt. Die Restbestände
des Zaubers werden im Hause des Häuptlings aufbewahrt. So verfährt man
in Zeiten der Dürre und andrer die Ernte bedrohender Plagen, um von den
Anpflanzungen zu retten, was noch zu retten ist.
In ähnlicher Weise wird ein andrer Zauber angewandt, der dazu dient,
von vornherein einen reichen Ernteertrag zu sichern. Berühmte
Medizinmänner, die in diesem Fach Bedeutendes leisten sollen, sind
die Vamramba, die Affenbrotbaumleute. Diese Sippe soll angeblich ihre
Toten bei solchen Bäumen niederlegen, die wohl ihr Totem bilden.
Vorerst erhält der Zauberer für seine Mühewaltung zwei Ziegen und
nach erreichtem Erfolg eine Färse und einen Ochsen. Den Leuten werden
zweierlei Zaubermittel verabfolgt. Das erste verdünnt der Häuptling in
einem Topf und legt etwas Saatmais in das geweihte Wasser. Am nächsten
Morgen ganz früh entnimmt er dem Topf ein wenig von der Saat, macht
auf seinem Acker unten und oben je zwei Saatlöcher und pflanzt den
geweihten Mais. Zu beachten ist auch hier die immer wiederkehrende
heilige Zahl vier. Er hütet sich, vorher etwas zu essen, weil das für
alle Insekten sozusagen eine Einladung wäre, auch zu essen, und diese
würden natürlich ihren Hunger an den Früchten des Feldes stillen. Hat
der Häuptling den Anfang gemacht, dann kommen alle Leute der Landschaft
in sein Gehöft. Jeder nimmt sich eine Handvoll des geweihten Maises
aus dem Topf, schüttet eine gleiche Menge seiner mitgebrachten Saat
wieder hinein und begibt sich auf seinen Acker, um zu pflanzen. Später
werden die Felder mit der andern „Arznei“ besprengt unter Beobachtung
derselben Regeln, wie oben beschrieben.
Ist die Erntezeit gekommen, so sendet der Häuptling Leute, die auf
jedem Acker einige Maiskolben brechen und diese Steuer (~mshanjo~)
an einem Scheidewege zusammentragen. Hier wird der Ernteschmaus
gehalten. Jeder Fremde, der vorübergeht, darf teilnehmen. Was
übrigbleibt, läßt man zur freien Benutzung für jedermann am Wege
liegen. Damit ist die Ernte offiziell eröffnet.
Auch Seuchen an Menschen und Vieh werden durch Besprengung mit
derartigem Weihwasser vertrieben. Alle Leute stehen am bestimmten
Tage ganz früh gegen 4 Uhr morgens auf, und in jedem Hause werden die
Feuer, die Abbilder der alten Sonne, ausgelöscht in der Hoffnung,
daß auch die Seuche so erlöschen möge. Jede Frau trägt eine alte
Kürbisschale mit gekochtem Mais und ein Stück Feuerholz. Letzteres
wird beim Hause des Häuptlings niedergelegt. Der Medizinmann führt die
ganze große Versammlung an einen Busch, wo die Frauen schnell ihre
Schalen hinsetzen und alle, ohne rückwärts zu schauen, in das Gehöft
des Häuptlings zurückkehren. Das nennt man ~kutaga ihumpa~ = die
Seuche fortwerfen.
Auf dem Hofe des Häuptlingshauses erzeugt der Zauberer mit den
Vinindi-Stäbchen neues Feuer, ein Abbild der nunmehr erneuerten
Sonne, und verbrennt einige Zaubermittel. Die Frauen legen ihre
mitgebrachten Scheite hinein, lassen sie tüchtig anbrennen und tragen
diese neugewonnenen Feuer in ihre Hütten, während die ausgewählten
Männer vier Tage lang mit ihrem Weihwasser durch die Landschaft ziehen
und Häuser, Menschen und Vieh besprengen. Bei dieser Arbeit dürfen
sie übrigens kein Wort reden und müssen selbst beim freundlichsten
Gruß stumm bleiben. Ich will nicht vergessen zu erwähnen, daß allen
diesen Medizinen natürlich auch das allgebräuchliche Sühnemittel, der
Mageninhalt eines Schafes, beigemengt ist. Der unparteiische Beobachter
muß auch hier wieder sagen: Ob der hochkultivierte Europäer sich
kleine Kräuterbündel in der Kirche weihen läßt und diese dann gegen
Blitzgefahr unter das Dach hängt, oder ob sich der unkultivierte Neger
von seinem Medizinmann Weihwasser gegen Hungersnot und allerlei Seuchen
machen läßt, es handelt sich bei beiden um die gleichen Vorstellungen.
Die Kultur, selbst im Verein mit der Kirche hat oft nur die Schale
verändern können, ohne den Kern zu berühren. Die reinen und einfachen
Lehren des Wortes Gottes werden aber beim Neger nicht nur eine
Änderung in der Lebensform bewirken sondern auch seine Gedankenwelt,
besonders aber seine Seelenvorstellungen von Grund aus reformieren.
Wir freuen uns, daß wir heute schon Hunderte von christlichen Negern
haben, die sich schämen würden, geweihte Sträußchen oder dergleichen
Dinge gegen Blitzgefahr in ihr Haus zu hängen, weil sie, die noch
gestern Heiden waren, genau wissen, daß heidnischer Dämonenkult auch
in christianisierter Form bleibt, was er war. Wundt bestätigt das am
Ende seiner Besprechung über die Schutzdämonen, und seine Worte sollten
uns Kulturmenschen, die wir wohl auf die Ideenwelt des Negers mit
Geringschätzung herabblicken, nachdenklich stimmen. Wundt schreibt:
„Aber die Majorität dieser mit Heiligennamen geschmückten Dämonen
gilt doch den Plagen und Befürchtungen, die den Menschen vor jeder
Kultur schon bedrängen. Laurentius hilft gegen Schulterschmerzen,
Sebastian vertreibt die Pest, Rochus die Syphilis, Johannes der
Evangelist bewahrt vor Vergiftung, Benediktus vor Behexung, Vincentius
bringt Verlorenes zurück, Klara verhilft den Mädchen zu Männern. So
hat die Kasuistik des abergläubischen Heiligenkultus jedem Heiligen
sein besonderes Übel zugewiesen, gegen das seine Anrufung schützen
soll. In dieser Teilung der Aufgaben gleichen die Heiligen ganz den
Schutzdämonen der heidnischen Litauer oder der römischen Indigitamenta.
Aber es sind nicht mehr Kulturdämonen, die angerufen werden, sondern
Zauberdämonen des primitiven Animismus, die von den Kulturdämonen nur
das Prinzip der Arbeitsteilung und von den christlichen Heiligen die
Namen übernommen haben.“
Die Vaasu haben außerdem eine ganze Reihe von heiligen Hainen, in
welchen sie Kulthandlungen vornehmen. Ob wir es nun hier mit rein
animistischen Vorstellungen zu tun haben, oder ob die zu besprechenden
Erscheinungen dem Dämonen- oder Fetischkult zuzurechnen sind, das wage
ich nicht zu entscheiden. Ein Zaubermittel aus Holz oder Stein wird
nach Wundt erst dann zum Fetisch, wenn es Objekt eines Kultus wird.
Das findet hier anscheinend in einigen Fällen statt. Anderseits lassen
aber die dabei üblichen Gebräuche so sehr die sonst dem Fetischkult
eigentümlichen Zeremonien außeracht, daß man doch mehr an einen
Dämonenkultus zu denken hat.
Im ganzen Lande zerstreut liegen die heiligen Haine, die
~matasio~. Dicht bei unsrer Missionsstation Friedenstal liegt
der berühmte Zimbwe-Hain, dessen Entstehung uns ein alter Häuptling
folgendermaßen erzählte: In grauer Vorzeit fand ein Mann namens Mabeku
an der heutigen Opferstätte eine junge Riesenschlange, die immer an
einer Stelle liegen blieb. Da seiner Sippe die Schlange heilig war, so
deckte er seinen Fund mit einem Topfe zu und pflanzte einen Isai-Baum
sowie eine Jore-Schlingpflanze daneben. Die Schlange fütterte er, bis
sie groß war, und machte bekannt, daß an der Stelle seines Opferplatzes
kein Baum gefällt werden dürfte. So entstand mit den Jahren ein
großer Hain und zahlreiche Töchterhaine, die von den Gläubigen
mittels Ablegern in ihren eignen Landschaften angelegt wurden. Aber
Zimbwe blieb immer der „Häuptling“, der auch bei den Gebeten in den
andern Hainen als Mächtigster genannt wird. Charakteristisch für die
Umwandlung, die solche Vorstellungen durchmachen können, ist die
Tatsache, daß die Erinnerung an die Schlange immer mehr verblaßte und
mit der Zeit der Hain als solcher angebetet wurde, der Kindersegen
verleihen und den Unschuldigen an den Bösen rächen kann. Man betet
also: ~We Zimbwe, wekininka vaana, nnekunka nzao na ndorome ya
mafuta!~ = Du Zimbwe-Hain, wenn du mir Kinder schenkst, so werde
ich dir einen Ochsen und einen fetten Schafbock opfern! So ist der
ursprüngliche Seelenkult zum Vegetations- und Dämonenkult geworden.
Der Wald, der anfänglich nur den geheimnisvollen Hintergrund für den
Schlangendienst bildete, tritt nunmehr als eine Art selbständiger
Dämon auf, dessen Hilfe man sich durch Versprechungen von Opfertieren
zu sichern sucht. Als Folge dieser Wandlung der Assoziationen wurde
das Verbot, in einem solchen Walde Bäume zu fällen, immer bestimmter,
indem man den Holzschlag nicht mehr als einen am Opferplatz verübten
Frevel ansah, sondern vielmehr als eine dem Hain selbst zugefügte
Beleidigung betrachtete. Natürlich spielen die an die Schlange sich
anknüpfenden Seelenvorstellungen beim Opfer noch immer eine Rolle.
So legt der Priester die Eingeweide des Opfertieres auf die Erde und
ersieht aus den Bewegungen des Dick- und Dünndarmes, ob das Opfer auch
der Riesenschlange und deren kleineren Genossen, ihren Boten, angenehm
ist.
Der echte Dämonenkult tritt uns in andern Hainen, den sogenannten
~mpungi~ entgegen. In ihnen ist der Opferplatz nur durch
Isai-Bäume gekennzeichnet, die im Kreise herumgepflanzt sind. In
der Mitte steht gewöhnlich ein Topf mit unbekanntem Inhalt und ein
Isai-Baum. Solch ein Mpungi macht sich auf dieselbe unangenehme Weise
bemerkbar wie andre Geister. Wenn die Kinder sterben, Menschen und
Vieh erkranken, sagt das Orakel: „Euer Mpungi ist die Ursache, er will
ein Opfer haben.“ In der Nähe einer unsrer Stationen ist ein berühmter
Regen-Mpungi. Diesem Dämon werden große Bieropfer dargebracht, wie
ich selbst einmal sah. Auch ein Ochse wurde getötet. Man betet: „Du
Regen(dämon), wir bringen dir dein Opfer: mach’ uns gesund und mehre
uns und unser Vieh usw.“ Dieser Regendämon scheint also mit der Zeit
seinen Machtbereich weit über sein eigentliches Gebiet ausgedehnt zu
haben, was ja nicht sehr verwundern kann, da für unsre Wapare als
Ackerbauer und Viehzüchter der Regen Lebensbedingung ist. Übrigens
geht jeder, der sich Regenzauber kaufen will, zuerst in diesen Hain,
um dort unter anderm mit einem der schon oben erwähnten Bananenpinsel
geweihtes Wasser als Bild des Regens nach allen Richtungen in die Luft
zu spritzen. Dabei wird der Regen genau so herbeigerufen, wie man sonst
die Rinder ruft, nämlich: ~Purko ko ko!~ Doch meine Freizeit,
die ich dieser Arbeit gewidmet habe, reicht nicht aus, alle diese
mannigfaltigen Gebräuche aufzuzeichnen; daher muß ich mich mit diesen
Andeutungen begnügen.
Noch einen Zauber will ich erwähnen, der eine Art Hausdämon günstig
stimmen soll. Er wird immer in der Nähe des Hauses angebracht und
besteht in einem kleinen etwas eingegrabenen Topf, hinter welchem
unter anderm ein Isai-Baum gepflanzt wird. Am Tage der Opferfeier wird
Speis- und Trankopfer dargebracht. Jeder tritt herzu und macht in
eines der Blätter des heiligen Isai-Baumes einen Knoten und trägt dem
Dämon dabei seine Bitten vor. Diese Sitte ist wohl gleichbedeutend mit
dem Gebrauch bei andern Stämmen, ihren Fetischfiguren bei besonderen
Anlässen einen Nagel einzuschlagen, um sie zu gewissen Dienstleistungen
zu verpflichten. Obige Zeremonie nennen die Wapare ~kusoma kisiko~
= den Kisiko-Zauber eingraben. Auf andre Eigentümlichkeiten, z. B. das
Austreiben eines schwarzen Schafes und einer gleichfarbigen Färse,
denen je eine Glocke um den Hals gebunden ist, kann ich hier nicht
eingehen.
Während sich diese Dinge mehr oder weniger dem Fetischdienst nähern,
hat der Mwasu auch andre Zaubermittel, die ins Gebiet der Magie
gehören. Sie werden unter entsprechenden Beschwörungen von den
Medizinmännern auf Zugangswegen vergraben und halten Seuchen, Kriege
und wilde Tiere dem Lande fern. Man nennt sie ~mafingo~ (s. S. 196).
Ihnen wird nicht geopfert.
Der Fetischdienst.
Wenn ein Zauber dadurch zum Fetisch wird, daß man ihn zum Gegenstand
eines Kultus macht, so ist hier an erster Stelle der berühmte Dachgötze
mpingu und sein Adjutant (~mlao~), der ~mfuko~ oder „die Tasche“ zu
erwähnen. Auch die Anfertigung dieses Fetischs kann hier nur in großen
Umrissen wiedergegeben werden. Ist der Götze zufällig mit seinem Tempel
verbrannt oder altersschwach geworden, dann ruft der Sippenälteste,
der zugleich Mpingu-Priester ist, die ganze Sippe zusammen, um mit ihr
die Beschaffung der Opferziegen und des Bieres zu besprechen, Dinge,
die bei der Neubereitung des Mfuko und danach des Mpingu geopfert
werden müssen. Nach einigen Tagen werden vier Männer ausgesandt, um
Blätter und Rinde von bestimmten Bäumen zu holen, und zwar gehen zwei
in den Gebirgswald und zwei in den Steppenbusch. Unter Beobachtung
der mannigfaltigsten Gebräuche werden die Rindenstücke pulverisiert,
die Blätter zu Asche verbrannt und mit der Mischung an zwanzig kleine
Kürbisfläschchen gefüllt. Diese werden vorläufig in einem Mattensack
aufbewahrt. Bei einer neuen Zusammenkunft werden die erste Opferziege
und ein Hahn, beide von bestimmter Farbe, geschlachtet. Aus der Lage
des geschlachteten Hahnes auf dem Erdboden und den Eingeweiden der
Ziege wird ersehen, ob die Tiere „rein“ sind oder ob irgendeine andre
dämonische Macht eine Forderung hat. Das Orakel erteilt in solchem
Fall Aufschluß. Ist alles in Ordnung, so stoßen die Frauen viermal den
Freudentriller aus, und es wird dem Mfuko im Hause ein Fleisch- und
Bieropfer dargebracht. Der Priester betet an der Haussäule: „Du Mfuko,
wir sind gekommen, dich neuzumachen, denn du hast uns durch allerlei
Übel daran erinnert. Nun segne uns und mehre uns und unser Vieh!“ Das
Fell der Ziege wird unausgespannt in der Sonne getrocknet, und jeder
Mann reibt es, um es geschmeidig zu machen. Aus diesem Fell wird nun
vier Wochen lang jedesmal am vierten Wochentage der Mfuko, die Tasche,
genäht und ihm an der Haussäule, dem späteren Träger des Fetisches,
Bieropfer dargebracht. Am vierten Wochentage der fünften Woche wird die
„Tasche“ mit den kleinen Kürbisflaschen und etwa hundert Kungu-Nüssen
gefüllt und feierlichst auf den Dachboden gebracht. Am vierten Tage
der sechsten Woche wird dem neuen Fetisch ein Reinigungsopfer wegen
der inzwischen verstorbenen Ältesten der Sippe dargebracht, damit
+auch er selbst, wie das bei den Hinterbliebenen der Toten üblich ist,
entsühnt werde+. Welche verwickelten Gedankengänge und Vorstellungen
mögen wohl zu solchen Sitten geführt haben! Am vierten Tage der achten
Woche hält man ein neues Zauberopfer ab, das ~kugera mikono~ = Hände
hineinstecken. Der Mfuko wird vom Boden heruntergeholt und auf ein Fell
gesetzt, Kürbisfläschchen und Nüsse werden herausgenommen. Der Priester
heißt jeden eine oder zwei von den heiligen Nüssen nehmen und dafür
sofort einige der mitgebrachten in die Tasche legen. Ein jeder muß
seine Nuß kauen und vermischt den fetthaltigen Nußbrei mit ein wenig
Zauberasche aus den Kürbisfläschchen. Mit dieser Salbe reibt er sich
den ganzen Körper ein. Damit ist die Reihe der Mfuko-Opfer zu Ende.
Der Oberpriester, in dessen Haus der Fetisch aufbewahrt wird, entläßt
die Versammlung mit dem Auftrag, weitere Opferziegen für die nicht
vor Jahresfrist vorzunehmende Neubereitung des Hauptfetisches Mpingu
bereitzustellen.
Dieser wird nun auch unter Beobachtung aller möglichen Zeremonien
zusammengestellt. Er besteht in der Hauptsache aus einer riesigen
Königin der schwarzen Ameisen, einem Nest des Harya-Vogels
(Madenhacker), einem entkernten Maiskolben und dergleichen mehr.
Alles wird mit dem Horn eines Schafbocks zusammengebunden, mit Bast
des Affenbrotbaumes umwickelt und dann noch überflochten. Das ganze
Bündel wird mit Reihen von Kaurimuscheln benäht, und zwar erhält
jede Sippe ihre besondere Reihe. Die Ameisen lernten wir schon als
Seelenträger kennen, auch den Madenhacker. Wie erwähnt, besteht sein
Nest nur aus Haaren von Menschen und allen möglichen Haus- und wilden
Tieren. Ein Gebilde aus derartig vielen Seelenträgern eignet sich
vorzüglich zur Bereitung eines Dämonenzaubers oder Fetisches. Außerdem
sind die in Baumlöchern angelegten Harya-Nester sehr schwer zu finden
und schon dadurch wertvoll. Der entkernte Maiskolben wird nur bei
Wachthütten gesucht, in welchen die Vaasu nachts ihre Felder gegen
Schweine bewachen. Durch dieses Symbol wird dem Dachgötzen Wachsamkeit
mitgeteilt. Tagsüber bleibt sein Tempel, wenn man die Hütte so nennen
will, stets offen, weil der Fetisch selbst darüber wacht, daß in der
Hütte nichts gestohlen wird. Zahlreich sind die Tempelvorschriften.
Buntgekleidet oder mit bedecktem Haupte darf keiner in den Tempel
treten. Schwarz ist die Opferkleidung. Rauchen ist nicht gestattet.
Der Mpingu-Fetisch wird auf dem Dach in einem Topf aufbewahrt, wo er
im Gegensatz zum Mfuko auch bei Opferfesten verbleibt, also nicht wie
jener heruntergenommen wird. Unter besonderen Zeremonien werden die
Novizen in die Fetischgemeinde aufgenommen, indem ihnen der Mpingu
gezeigt wird. Nur auf diese Weise eingeweihte Personen werden zu den
Opfern zugelassen. Die der betreffenden Sippe zugehörige Muschelreihe
wird bei dieser Gelegenheit gesäubert und mit Fett eingerieben, was
zu gleicher Zeit die Festigkeit der Baumfaserschnüre erhöht. Eine
besondere Eigentümlichkeit des Dachgötzen besteht darin, daß ihm nur in
den regenlosen Monaten geopfert wird. Der Mpingu ist für den Paremann
die höchste Instanz und wird außerordentlich gefürchtet. Schwierige
Rechtsfälle werden vor ihm entschieden. Die Entscheidung lautet immer
für die unterliegende Partei auf Tod innerhalb einer genau angegebenen
Frist.
Ein weiteres Amulett, welches ich glaube zu den Fetischen zählen
zu dürfen, nennt man ~kidanga~. Es ist ein gedrehtes eisernes
Armband, und das Opfer besteht darin, daß diese Armbänder unter
besonderen Zeremonien beim Schmied angefertigt werden. Vielleicht
ist die Sache so, daß Kidanga der eigentliche Name für den Dämon ist
und sein Name auf sein Abzeichen übertragen wurde. Daher auch das
Orakel von einem Gott der Vidanga spricht (~murungu wa vidanga~).
Erkrankt jemand an einer Art Ringwurm oder ringförmigen Flechte, so
führt das Orakel diesen Ausschlag auf den Kidanga-Fetisch zurück. Es
rät, den Dämon durch ein entsprechendes Zauberopfer zu bannen. Der
Kranke borgt sich bei einem Nachbar ein solches Armband und betet etwa
folgendermaßen: „Du Gott der Vidanga, bist du es, der mich krank macht,
so gelobe ich dir, dein Abzeichen schmieden zu lassen, wenn du mich
wieder herstellst.“ Ist das eingetreten, dann sagt er sich mit seiner
Sippe bei einem Schmied an. Am bestimmten Tage erscheint er dort mit
einer grünen Bananentraube, einem Hahn und zwei Kalabassen mit Bier,
und zwar enthält die eine Bier aus dunklem, die andre solches aus
hellem Zuckerrohr. Diese Zuckerrohrfarben werden übrigens bei allem
Opferbier für den Mpingu-Fetisch vorgeschrieben. Der Schmied spützt
etwas Bier auf die Stelle, an welcher sein Schmiedefeuer gewöhnlich
brennt, und betet: „Du Gott der Vidanga, wenn du diesen Mann bedrängt
hast, hilf, daß deine Abzeichen wohlgelingen, sonst laß sie abbrechen.“
Nunmehr schmiedet er für jedes Glied der Sippe, auch für Abwesende,
einen Armring. Den Männern wird er um das rechte Handgelenk gelegt, den
Frauen um das linke. Damit ist die Zeremonie beendigt.
Die Himmelskörper.
Ich fragte einmal einen ganz alten Mann, welche Vorstellung er sich
von Gott mache und was die Wapare Näheres von ihm wüßten. Er gab mir
folgende Antwort: „Kiumbe ist der Schöpfer, der alles erschaffen hat.
Von ihm wissen wir nichts mehr, er kümmert sich nicht um uns und wir
nicht um ihn, aber die Sonne ist groß, und der Mond ist groß, der
Mond gebiert die Menschenkinder.“ Ein andrer Gewährsmann drückte sich
folgendermaßen aus: „Der Kiumbe ist als Schöpfer uns allen bekannt.“
Aber wenn ein Paremann nähere Auskunft über ihn geben soll, dann weiß
er nichts zu sagen und kommt deshalb auf Sonne und Mond als bekanntere
und vor allem sichtbare Dinge zurück. Sonne, Mond und Sterne haben noch
als Nebennamen: ~msembeki~ = Ankläger, ~mrenge~ = Verräter,
~mloreži~ = Beobachter. Für diese Namen habe ich verschiedene
Erklärungen gehört, die mich aber nicht ganz befriedigten. Am besten
schien mir folgende Redensart den Sinn wiederzugeben: „Tötest du am
Tage, so sieht dich der Tag (Sonne = Ankläger); tötest du in der Nacht,
so sieht dich die Nacht (Mond = Verräter, Sterne = Beobachter).“ Reste
eines uralten Sonnendienstes ähnlich dem Molochdienst glaube ich hier
bei den Vaasu in dem Muni-Opfer bei den Frauenfesten gefunden zu haben
(s. S. 47). Auch bei der Zahnung der Kinder sahen wir schon, daß die
Säuglinge der Sonne „gezeigt“ werden. Ein jüngerer Häuptling erinnerte
sich, daß vor etwa 20 Jahren auf einer Wiese der Sonne und dem Mond
ein großes Speisopfer dargebracht wurde. Heute noch kann man in der
Gerichtshalle besonders immer wieder als eine Art Eidesformel rufen
hören: „Groß ist die Sonne, die uns hütet und sieht!“ Der Mond zeigt ja
seinen Einfluß auf die Menschen vor allem bei den Menses der Frauen.
Auch dadurch, daß die Zähne bei den Säuglingen genau nach festgelegten
Mondmonaten kommen müssen, wie wir beim Zahnzauber sahen, gewinnt
rückwirkend der Mond bei den Vaasu an Bedeutung.
[Illustration: Frau mit Elefantiasis.]
[Illustration: Taubenhaus aus übereinandergetürmten Bienenstöcken.]
[Illustration: Kleines Hospital auf der Missionsstation Friedenstal.]
[Illustration: Schlafkrankes Mädchen.]
Sieht ein Häuptling sich vom andern ohne Grund mit Krieg bedroht, so
bereitet dieser in einem kleinen Topf etwas Honigbier und steigt damit
auf die Spitze seiner Hütte, wo er den Topf hinsetzt und dem Schöpfer
(~kiumbe~), dem Firmament (~kilunge~), der Sonne und dem
Mond ein Trankopfer darbringt, indem er zweimal nach Sonnenaufgang
und zweimal nach Sonnenuntergang spützt. Er bittet dabei, daß sein
Feind wohl sehen möge, wie die Sonne aufgehe, aber nicht mehr wie sie
untergehe. Diese Beschwörung nimmt er vier Tage lang vor und gibt am
Tage des Gefechtes seinem Gegner durch Zuruf davon Kenntnis.
Auch die Ärzte gehen mit ihrer Arzneiflasche am Schluß der Behandlung
vor das Haus, um gegen Osten und Westen zu spützen, indem sie der Sonne
zurufen: „Nimm unsre Krankheiten an dich und geh mit ihnen dahin, wo
du hingehst!“ Einen ähnlichen Vorgang lernten wir schon kennen, als
wir von der Vertreibung der Seuchen sprachen. Es wurden alle Feuer
ausgelöscht, ein Bild der untergehenden alten Sonne, welche die Seuchen
mitnehmen sollte.
Dieses Kapitel will ich nicht schließen, ohne erwähnt zu haben, daß von
der Küste her über Usambara auch in Pare ein neuer Dämon seinen Einzug
gehalten hat, der ~mzuka~. Er wird gebannt, indem man ihm unter
„seinem Baum“ ein etwa 1 ~m~ hohes Hüttchen baut, worin ihm in
einer Tasse allerlei Speisopfer dargebracht werden.
[Illustration]
Zwölftes Kapitel.
Der Aberglaube im täglichen Leben.
Wenn man bedenkt, wieviel Aberglaube heute noch in europäischen Ländern
herrscht, besonders bei der Landbevölkerung, so darf man sich nicht
wundern, wenn auch die Wapare darin befangen sind. Da sie kein höchstes
Wesen mehr kennen, sondern nur zahlreiche nebengeordnete Gottheiten,
deren Zorn und unerwünschte Aufmerksamkeit durch tausend Zufälligkeiten
des Lebens erregt wird, kann es nicht überraschen, wenn die Leute
solchen Dingen ihre erhöhte Aufmerksamkeit zuwenden und ihnen Bedeutung
für ihr Wohlergehen zuschreiben. Durch Vornahme magischer Handlungen
oder das Anlegen von Zaubermedizinen können sie allerlei Kräfte
zwingen, ihnen dienlich zu sein. Diese an und für sich völlig harmlosen
Zaubermittel haben für den Mwasu jedenfalls den praktischen Wert, daß
sie sein Selbstbewußtsein oder seine Zuversicht in den glücklichen
Ausgang z. B. eines schwebenden Prozesses heben und so sein Auftreten
in für ihn günstiger Weise tatsächlich beeinflussen. Man kann übrigens
heute dieselben Dinge, die hier die finsteren Medizinmänner verkaufen,
bei uns im Anzeigenteil irgendeines modernen Blattes aufgeführt finden,
z. B.: „Die Zufälligkeiten des Lebens und die ihnen zugrunde liegenden
Gesetze“, für 2 Mark oder: „Lehrbuch zur Anfertigung von Amuletten und
Talismanen, die Erfolg in der Liebe und sicheres Auftreten verleihen“,
für 50 Pfg. usw.
Zuerst will ich die _ndee mbivi_ und die _ndee yedi_ erwähnen, d. h.
die schlechten und die guten Vorzeichen. Hat der Mpare eine Reise
angetreten, und läuft ihm gleich zu Beginn ein Buschbock, eine
Riesenschlange oder eine kleine schwarze Schlangenart über den
Weg, so kehrt er wieder um und befragt das Orakel, was seinem
Vorhaben entgegenstehe. Dies stellt entweder fest, daß das Omen ein
Warnungssignal eines wohlgesinnten Ahnengeistes war, der irgendein
Unglück von seinem Schützling abwenden wollte oder aber die Erinnerung
an ein fälliges Opfer bedeute. Im letzteren Falle bittet der Mann die
betreffende Gottheit um eine glückliche Beendigung seiner Reise und
seines etwaigen Prozesses. Gleichzeitig bringt er als Bürgschaft für
das einstweilen aufgeschobene Dankopfer ein Scheinopfer mit Wasser dar,
wie wir es schon kennenlernten.
Des weiteren hört man aus dem Schrei bestimmter Vögel und dem Gekreisch
der schwarzen Meerkatzen, ob man auf der Reise Erfreuliches oder
Trauriges erleben wird. Reist jemand zur Erledigung eines Prozesses
und trifft als erste Person eine schwangere Frau, zwei Frauen oder
auch zwei Männer, dann freut er sich, denn „das ist seine Kraft“
und bedeutet einen glücklichen Ausgang seiner Sache. Trifft er nur
eine Frau, die nicht schwanger ist, so wird er wohl zu seinen Kühen
kommen; aber „sie haben keine Kraft“ und werden nicht lange in seinem
Stalle bleiben. Einen einzelnen Mann zu treffen, heißt den Prozeß
verlieren. Auch eine beliebige Zehe kann die Rolle eines Glück- oder
Unglückbringers spielen, je nach der Erfahrung des einzelnen. Stößt
er sich an die Glückszehe, so hat seine Reise Erfolg und umgekehrt.
Daher kommt die Redensart eines Glücklichen: „Ich habe mich an die
Glückszehe gestoßen.“ Ein Mittel, welches in das Gebiet der Magie
gehört, wendet der Mpare an, wenn er jemand bestimmt zu Hause antreffen
will. Er bricht zu dem Zweck ein Blatt von einem Baum, legt es auf
den Weg und beschwert es mit einem Stein, damit es da liegen bleibt.
Wie nun der Wind vergeblich an dem beschwerten Blatt zerrt, so kann
auch der andre nicht fort, sondern wird von einem unbestimmten Gefühl
bewogen, zu Hause zu bleiben. Ähnlich machen es die Zauberer, wenn ein
Dieb verfolgt werden soll. Sie nehmen etwas Erde aus der aufgefundenen
Fußspur des Diebes und binden sie mit Bananenbast zu einem Zauberknoten
zusammen. Dadurch werden die Füße des Fliehenden gleichsam gebunden,
und er wird seinen Verfolgern in die Hände fallen.
Ein beliebter Zauber ist der ~ndere~. Allerlei Sympathiemittel und
Seelenträger werden zu Asche verbrannt und in einem Kürbisfläschchen
mit Honig oder Fett vermengt. An dieser Masse leckt man und reibt
sich ein wenig davon ins Gesicht, um so die beabsichtigte Wirkung
hervorzurufen. Man hat Liebesndere, mit Hilfe dessen man ein Don Juan
werden kann oder wenigstens zu einer Frau kommt, falls man bisher nur
Körbe erhalten hat. Andre Ndere sichern den günstigen Ausgang aller
Prozesse, vermehren das Vieh usw.
Berühmt waren die Zauber, welche den Besitzer unverwundbar machten. An
solche Mittel glauben die Leute auch heute noch fest, wenngleich sie
zugeben, daß mit dem Erscheinen der Europäer ihren alten Medizinen die
Kraft genommen worden sei. Der ~majimaji~ d. h. Wasser-Aufstand
1905 im Süden unsrer Kolonie ist auf die Umtriebe solcher Medizinmänner
zurückzuführen, welche die Leute glauben machten, durch die Kraft ihrer
~dawa~ würde nur Wasser aus den Gewehren der Europäer kommen.
Andere Mittel halten die bösen Tiere ab, machen die Flüsse trotz der
vielen Krokodile passierbar u. dgl. m. Hierher gehören ferner die
verschiedenen Arten der ~mafingo~, welche Kriege, Seuchen und
wilde Tiere abhalten. In dem großen Hirtendorfe Makokane z. B. werden
die zahlreichen Kühe und Ziegen vor den gleichfalls zahlreichen Löwen
und Leoparden durch derartige Mafingo geschützt. Der Medizinmann
schreibt nach Vergraben seines Zaubers den Dorfbewohnern mancherlei
Verhaltungsmaßregeln vor, von deren Beobachtung die Wirksamkeit des
„Ifingo“ abhängt. Z. B. darf nach Sonnenuntergang kein Kochtopf mehr
aus dem Hause getragen noch Wasser oder Holz ins Dorf gebracht werden.
Leute, die nach Sonnenuntergang das Dorf betreten wollen, müssen sich
von einem Kinde an der Hand hineinführen lassen. (Erklärung dieses
Brauches und ähnlicher Vorstellungen, S. 111.)
Esel standen bei den Wapare in schlechtem Ruf als Überbringer von
Seuchen und Hungersnöten. Brachte in früheren Zeiten ein Küstenneger
seinen Esel nach Pare, dann wurde der Weg hinter ihm her mit Schafmist
entsühnt. Auch heute noch verbieten die alten Frauen den Mädchen, über
einen Esel zu lachen, wenn sie sich auf dem Wege zum Markte befinden,
da ihnen sonst nichts abgekauft werde. Dasselbe gilt für Hunde und
Affen.
Kommt eine rote Ameisenart oder eine schwarze Schlange ins Haus,
so geht man zum Orakel, um die Ursache festzustellen. Während die
Ameisen meistens als Gesandte irgendeiner Gottheit aufgefaßt werden,
die ein Opfer erheischt, ist die schwarze Schlange oft der Vorbote
zu erwartender Elternfreude. Sie beißt Menschen nur auf Veranlassung
irgendeiner Gottheit oder eines bösen Zauberers. Allgemeine Bestürzung
ruft das Erscheinen der großen Steppeneule im Gebirge hervor, denn
sie gilt als Vorbote nahender Seuchen. Schleunigst sucht man einen
Medizinmann, der seinen Zauber in die Luft bläst, um die Tiere zu
verscheuchen. Schreit die Eule dagegen auf dem Hause des einzelnen,
so geht dieser unverzüglich zum Orakel, um sich die nötigen
Gegenmaßregeln angeben zu lassen; denn in dem Falle ist das Tier von
einem bösen Zauberer geschickt worden, und die Krankheit wird nicht
lange auf sich warten lassen, wenn der Mann sich keine Gegenmedizin
besorgt. Von dieser Zugehörigkeit der Eule zum bösen Zauberer ist
folgendes Sprichwort abgeleitet, welches man dem Häuptling vorhält,
wenn er für eine offenbar ungerechte Sache Partei ergreift: „Du bist
eine Eule geworden und hältst es mit dem Zauberer.“
[Illustration: Ifingo.
Zauber am Eingang der Hütte gegen Krankheit und böse Geister.
~a~ Bananenstaude, ~b~ Holzpfeile, die den Zauberer bedrohen, ~c~ und
~d~ Bogen und Pfeil des „Wachenden“, ~e~ Medizinhörner, ~f~ Steine, ~g~
in den Boden gesteckte Reiser.]
Der Geier bildet die Ursache der Krämpfe der Kinder, die man direkt
~ndeje~ = Vogel nennt. Erscheint das Tier im Dorfe, wird es
durch einen Zauberer zum Wegziehen veranlaßt, und die Kinder läßt man
behandeln. Aber auch die Haustiere können zu bösen Zauberern werden,
die man sofort töten oder verkaufen muß, will man nicht das Leben
sämtlicher Familienangehörigen verwirken. Wenn der Mwasu eine gute
Milchkuh verkauft, dann kann man sicher sein, daß sie zaubert, denn
ohne Grund verkauft er sein Vieh nicht. Ich habe schon verschiedentlich
solche Kühe billig erstehen können. Setzt sich eine Kuh, ein Schaf
oder eine Ziege nach Hundeart auf die Hinterfüße, saugen sie an
ihrem eigenen Euter, oder stellen sich Kühe nach Ziegenart auf die
Hinterbeine, um Gras von höher gelegenen Stellen abzurupfen, so haben
sie sich damit als Zauberer dargetan und müssen samt ihrem Nachwuchs
verkauft oder getötet werden. Legt ein Huhn auf einmal zwei Eier, kräht
es wie ein Hahn, legt es ein Ei in der Nacht oder auf dem Dachboden,
so wird es ebenfalls getötet. Dasselbe geschieht mit einem Hahn,
der zufällig dabei gesehen wird, wie er sich in die Schwanzfedern
beißt. Selbst leblose Gegenstände wie Bienenstöcke, aber auch
Zuckerrohrstauden, Mais und andre Dinge zaubern und versetzen den armen
Paremann in Todesfurcht, sobald er irgendwelche Unregelmäßigkeiten an
ihnen bemerkt. Eilends sucht er Rat beim Medizinmann, um das drohende
Verhängnis abzuwenden.
Bei allen Krankheiten spielt naturgemäß der Aberglaube eine große
Rolle. Kleine Kinder versteckt man förmlich, um sie vor Verzauberung
und bösem Blick zu schützen. Man gibt auch Knaben für Mädchen aus und
umgekehrt, um den Hexen entgegenzuarbeiten. Unzählige Krankheiten
führt das Orakel auf Verzauberung und bösen Blick zurück. Gegenzauber
lernten wir schon bei der Besprechung der Seelenvorstellungen kennen.
Da legt jemand seinem Feinde nachts eine Medizin vor die Tür, und wenn
dieser am andern Morgen darüber hinwegschreitet, wird er krank. Von da
war es nur noch ein Schritt zur Giftmischerei, um sich seines Feindes
gänzlich zu entledigen. Die Giftmischer sind die eigentlichen bösen
Zauberer oder Vasavi, mit denen die Vaganga oder Medizinmänner mit
ihren Zauberarzneien nichts zu tun haben. -- Eine einfache, wenn auch
wenig menschenfreundliche Weise, seine Geschwüre zu heilen, ist die der
Übertragung auf andre. Etwas Eiter reibt man auf eine Geldmünze, ein
Stückchen Kette oder an die Früchte des Mdarya-Baumes mit den Worten:
„Hier nimm meine Geschwüre, dem Finder mögen sie anhaften.“
Die Kenntnisse der Vorgänge in der Natur sind meistens durch
Aberglauben stark getrübt. Der Regenbogen ist je nach der Form
das Zeichen eines guten oder bösen Zauberers. Erdbeben bilden
die Begleiterscheinung beim Tode eines großen Häuptlings oder
Medizinmannes.
Der Aberglaube unsrer Leute wurzelt in der Vorstellung von sie
umgebenden Kräften und Dämonen, die ihnen als körperlose Wesen an
Macht weit überlegen sind, die sie aber doch anderseits durch allerlei
Kniffe zu überlisten oder gar einzuschüchtern suchen. Erinnern wir
uns an das Wort von der „Opferkuh mit zwei Beinen“, also ein Huhn,
welches der Mwasu einer toten Riesenschlange in Aussicht stellt,
falls sie ihn, den an ihrem Tode Unschuldigen, trotzdem beunruhigen
sollte. Er schiebt also Erpressungsversuchen seiner Gottheit beizeiten
einen Riegel vor. Der Häuptling Mauya in Mamba kam zu mir und klagte
in stark übertriebener Weise über den Mais auf seinem Felde, der
unrettbar vertrocknet sei. Als ich bemerkte, daß doch sein Mais recht
gut aussehe, meinte er: „So hilf mir doch schimpfen, dann kommt Regen!“
Wenn also die bösen Dämonen hören, daß man die Hoffnung auf eine gute
Ernte bereits aufgegeben hat, halten sie den Regen nicht länger auf
(vgl. das Gebet der Frau vor der Geburt, S. 23). Aus diesem Grunde
sagt man auch von Neugeborenen: „Es ist ein kleiner Marder geboren
worden, er ist aber ziemlich krank. Wir müssen uns nach Arznei umtun.“
Dabei kann das kleine Wesen munter und kräftig sein: aber man will mit
solchen herabsetzenden Worten bösen Dämonen und Menschen die Lust zum
böswilligen Eingreifen nehmen.
Auch die Wapare fürchten sich vor der Götter Neide. Hat jemand eine
ungewöhnlich große Ernte und gerät ihm alles wohl, dann sagt man: „Das
ist ein unheimlicher Segen, er wird damit nicht fertig werden, sondern
vorher sterben.“ Man gibt auch die Zahl seines Viehes höchstens mit
zwei an, und wenn es hundert sind, um keinerseits Neid zu erregen und
eine feindliche Gesinnung der Dämonen herauszufordern. Trotzdem sucht
man ihnen nicht nur durch falsche Darstellungsweise, welcher der Glaube
an die Macht des gesprochenen Wortes zugrunde liegt, ein Schnippchen
zu schlagen, sondern sie selbst durch Drohungen einzuschüchtern. Einer
meiner Gewährsmänner erzählte mir hierzu folgendes Beispiel: „Kommt
eines Tages ein Bekannter namens Madiwa zu uns und sucht seinen Onkel,
der als Familienpriester zu dem Schädel seiner Großmutter beten soll.
Madiwas Mais war nämlich zweimal nicht aufgegangen, und das Orakel
hatte den Geist der Großmutter als Ursache festgestellt. Der Mann
schalt nun seine Großmutter laut, die, anstatt ihn durch eine leichte
Krankheit oder sonst ein vorübergehendes Übel an seine Opferpflicht
zu erinnern, sich darauf versteift habe, seine ganze Ackerarbeit
illusorisch zu machen. Er verlangte, man solle ihm den Schädel
zeigen, er wolle für Änderung sorgen. Als wir ihm entgegenhielten,
daß er doch nicht anstelle des Priesters beten könne, meinte er:
‚Beten will ich auch nicht, aber ihren Topf decke ich auf; dann mag
sie eine Zeitlang so in der Sonne sitzen. Vielleicht daß ihr dann
die Lust vergeht, andauernd meine Saat zu verderben.‘“ Ein ähnliches
Beispiel erwähnte ich schon bei der Besprechung des Nkomadienstes.
Doch wie gesagt: die Drohungen bilden Ausnahmen, lieber legt man sich
auf kleine Listen. Wenn deshalb der Mwasu in seiner Krankheit mehr
klagt, als unbedingt nötig wäre, oder wenn er jedem seine Leiden in
den schrecklichsten Farben schildert, so liegt hier im letzten Grunde
weniger Zimperlichkeit vor als vielmehr das Bestreben, böse Kräfte,
die im Spiele sind, zu veranlassen, von ihm als bereits Erledigtem
(~nkungu mposha~ = taube Nuß, s. S. 23) abzustehen.
Die Wapare kennen einen Zauber, den sie ~ibuge~ nennen und der in
seiner Wirkung dem Hypnotismus gleichkommt. Der Besitzer eines solchen
Ibuge begibt sich abends zu dem Hause eines wohlhabenden Mannes und
bläst etwas von der Medizin durch ein Fensterloch in dessen Hütte.
Die Bewohner mögen gerade beim Essen sein oder ihrer Beschäftigung
nachgehen, bald fallen sie in einen tiefen Dornröschenschlaf. Der
Zauberer geht nunmehr in das Haus und fordert den Besitzer auf, eine
Kuh loszubinden und beim Forttreiben behilflich zu sein. Unterwegs wird
er wieder zurückgeschickt, und erst wenn die Diebe weit genug fort
sind, weckt der Zauberer durch besondere Manipulationen die noch im
Hause schlafenden Leute aus ihrer Hypnose auf.
Ein ähnlicher Erfolg im Viehraub wurde mit einer Medizin der Wateta
erzielt. Sie hieß ~ndere ya kiteta~. Der Hypnotiseur begab sich
in ein Gehöft, grüßte die Anwesenden und trat an die Kühe heran. Er
fragte dann wohl: „Warum willst du dem Soundso (seinem Klienten) die
Kühe nicht herausgeben, die du ihm schuldest? Heute gehen sie mit mir!“
Inzwischen hatte er die Tiere an seiner Zaubermedizin lecken lassen
und ihnen auch etwas davon an die Stirn gerieben. Er lief dann einfach
schnell davon, und die Tiere folgten ihm. Bis die bestürzte Hausmutter,
die man möglichst allein zu treffen sucht, sich von ihrem Schrecken
erholt und einige Nachbarn herbeigerufen hatte, war der Dieb mit seinen
Helfershelfern längst im Busch verschwunden.
So wie der Rattenfänger von Hameln Tiere und Menschen seinem Willen
gefügig machte, erzählen die Wapare auch von einem Ndere ya kiteta, der
Menschen dem Willen seines Besitzers völlig unterwarf. Es sei da hin
und wieder ein Mteta ins Land gekommen, manchmal auf dem Kriegszug,
habe irgendein schönes Mädchen gezwungen, an seiner Medizin zu lecken
und ihr etwas davon auf die Stirn gerieben mit der Ermahnung, ihm in
kürzester Zeit seine Tasche, die er ihr lasse, in sein Land und Haus
zu bringen. Solch ein Mädchen habe dann allen Vorstellungen der Seinen
zum Trotz einem unwiderstehlichen Drange folgend dem fremden Manne
nachreisen müssen und immer nur geltend gemacht, es müsse doch die
Tasche an ihren Ort bringen. Mag auch der einen oder andern Erzählung
ein wahrer Kern zugrunde liegen, denn es gibt sicherlich bei den Vaasu
viele Dinge, von denen sich unsre Schulweisheit nichts träumen läßt, so
steht anderseits fest, daß findige Medizinmänner mit solchen Artikeln
einen einträglichen Handel betrieben haben und noch betreiben.
Andre Zauberer verstehen es, sich in Zeiten der Not durch ihre
Verwandlungskünste der Verfolgung zu entziehen. So soll sich der
Häuptling Semnyongo noch im letzten Augenblick der Verfolgung des von
Kiswani erschienenen deutschen Beamten durch Verwandlung entzogen
haben. Krieger berichten, daß sie auf ihren Zügen statt der noch
soeben gesehenen Herde mit ihrem Hirten plötzlich Steinen und einem
Baum gegenübergestanden hätten. Auch in Leoparden können sich die
Menschen verwandeln, das gehört aber schon zu der bösen Zauberkunst
(~vusavi~), die dem Nächsten Schaden zufügen will. Der Mwasu
unterscheidet streng zwischen Vasavi und Vaganga, den bösen Zauberern
und den guten Zauberdoktoren. Vasavi werden mit dem Tode bestraft. Sie
treiben ihr Unwesen bei Nacht. In mondlosen Nächten schleicht sich
der Zauberer vor die Hütte seines Feindes, nur mit einigen dürren
Bananenblättern bekleidet, und vergräbt vor der Tür seine „Medizin“.
Tritt der Besitzer aus der Hütte und über die Stelle, wo das Mittel
vergraben ist, so wird sein Bein anschwellen, vereitern, und zuletzt
muß er sterben. Oder er ruft des Nachts den Betreffenden an, hält dabei
eine Medizinkalabasse offen und schließt diese, sobald der Angerufene
antwortet. Mit der Stimme hat er nun auch den „Schatten“ gefangen, und
die Seele wird auf einen Baum gebunden, wo sie nachts oft schreit.
Vergrabene Zaubermittel sucht man heute noch mit Hilfe des ~mzuza~
(s. u.), und oft soll in der Hütte eine wilde Jagd danach entstanden
sein, denn das Zaubermittel hat hin und wieder die Eigenschaft, vor
dem Wünschelrutenmann davonzulaufen. Das Verfahren, welches die
Eingebornen anwenden, um jemand der Zauberei zu überführen, haben wir
bereits bei der Besprechung der Rechtssitten kennengelernt. War jemand
überführt, wurden auch seine Söhne getötet und seine Töchter in die
Sklaverei verkauft. Das letzte in Kihurio stattgefundene Strafgericht
dieser Art wurde mir wie folgt beschrieben: Der Zauberer wurde an einen
Pfahl gebunden, glühende Kohlen wurden ihm auf den Kopf gelegt. Sein
Leib wurde mit glühenden Eisenstäben „behandelt“, um die „Krankheit“
auszutreiben. Alt und jung gingen vorüber, schlugen ihn und trieben
ihm Dornen in Körper und Augen. Man band ihn mit seinem Sohn zusammen
an eine Stange, hob sie hoch und ließ sie auf die Erde fallen. Nachdem
dies wiederholt gemacht worden war, sagte man: „Vielleicht ist es
unserm Häuptling kalt.“ Er wurde in die heiße Sonne gebracht und in
unmittelbarer Nähe des Körpers ein riesiges Feuer angezündet, damit er
sich „wärmte“. Er endete auf dem Scheiterhaufen.
Als letztes will ich hier noch den Uzuza-Zauber erwähnen. Den
Besitzer nennt man ~mzuza~ = Aufspürer. Er ist nämlich imstande,
vergrabene böse Zaubermittel oder verlorene bzw. gestohlene Gegenstände
aufzufinden. Seine Medizin soll er sich aus einer Hyänen- und
Schweinsschnauze sowie aus einem Habichts- und Geierkopf herstellen,
welche Stoffe verbrannt und pulverisiert werden. Das Geschäft
ist einträglich. Macht er z. B. einen verfluchten Topf (s. unter
Rechtssitten) auf einem verlassenen Hausplatz ausfindig, erhält er
dafür zwei Ziegen. Ist so ein Unglückstopf gar in einem hl. Haine
vergraben, verlangt der Wünschelrutenmann eine Färse als Bezahlung. Der
Vorgang beim Aufspüren ist ungefähr folgender: Nachdem das Orakel den
Tod eines Familiengliedes auf einen verfluchten Topf zurückgeführt hat,
wird der Mzuza gerufen und ihm mitgeteilt, in welcher Gegend ungefähr
der Topf zu suchen sei. Nun begibt der Zauberer sich auf die Suche. In
der rechten Hand trägt er einen Gnuschwanz. Ein wenig seiner „Medizin“
vermengt er mit Erde von dem Platze, wo der Gegenstand gesucht werden
soll und schnupft die Mischung zum Teil, ein wenig streut er auf den
Gnuschwanz. Diesen hält er unter fortwährendem Schnüffeln an die Nase
und auf die Erde, bis er die Spur und endlich auch den Ort gefunden
hat, an welchem der zu suchende Gegenstand verborgen liegt. Die gute
Belohnung möchte natürlich auch mancher Schwindler einstecken. Einer
meiner Gewährsleute beobachtete einmal einen solchen, wie er einen
kleinen Topf eingrub, um ihn nachher „aufzuspüren“. Unter gewissen
Umständen sind solche Machenschaften wohl möglich, oft dagegen völlig
ausgeschlossen. Denn wenn ein Mpare eine Kuh für solche Sache bezahlt,
dann paßt er doch gut auf, daß man ihm keinen falschen Zauber vormacht.
Wenn man als Missionar bemüht ist, dem Paremann möglichst sein Volkstum
zu erhalten, so wird man leider immer wieder die Erfahrung machen, daß
man nur einen ganz kleinen Rest seiner Sitten und Gebräuche ungefährdet
ins Christentum hinübernehmen kann, weil sein ganzes Dichten und Denken
vollständig mit heidnisch religiösen und abergläubischen Vorstellungen
durchtränkt ist. Da werfen schon die kleinen Kinder ihre ausgefallenen
Milchzähne der Sonne zu mit den Worten: „Hier, Sonne, nimm meinen
Zahn, und gib mir einen neuen!“ oder man bindet dem Kinde das kleine
Füßchen einer Antilope ans Bein, damit es auch bald so laufen kann wie
diese. Während viele Christen die mancherlei Lebenskräfte ohne Dank
gegen ihren Schöpfer hinnehmen, sucht der Neger erst durch tausend
abergläubische Handlungen diese Kräfte zu bewegen, sich in der von ihm
gewünschten Weise zu betätigen.
=Das Orakel= (~nzaro~).
Das Orakel ist die Brücke, welche die Menschen mit der unsichtbaren
Welt verbindet. Was sollte der Mwasu anfangen, wenn er kein Orakel
hätte, welches ihm bei der verwirrend großen Anzahl seiner Gottheiten
einen Fingerzeig gibt, welcher von ihnen zu opfern ist! Das Nzaro ist
ihm der Ratgeber in allen Lebenslagen. Er plant eine Reise, will mit
seinem Nachbar prozessieren, er hat eine Seuche in der Herde, er oder
ein Familienglied ist krank, er hat irgend etwas verloren, seinem Kinde
kommen die Zähne nicht zur rechten Zeit oder es hat Stuhlverstopfung,
kurz: in allen Nöten fragt er das Orakel um Rat. Man muß gestehen, daß
eine so vielseitige Einrichtung für Leute, die im Banne der Furcht
gefangen gehalten sind, eine außerordentliche Hilfe bedeutet. Für 25
Heller kann man die Ursache jeder Krankheit erfahren, und man weiß,
welche Gottheit ein Opfer erheischt. Berühmte Orakel sind entsprechend
teurer.
Von den verschiedenen Orakeln sind die hauptsächlichsten folgende: 1.
~nzaro ya mbotwe~; 2. ~nzaro ya mapande~; 3. ~nzaro ya lusinga~; 4.
~nzaro ya vijwiijwii~; 5. ~nzaro ya lagula~; 6. ~nzaro ya mlamulo~; 7.
~nzaro ya kidonga~; 8. ~nzaro ya ugonezi~.
1. Mbotwe sind große braune Samen eines Baumes, hier „Steine“ genannt.
Diese werden mit allerlei Medizinen in einem Stück Bambusrohr
aufbewahrt. Soll das Orakel befragt werden, so riecht der Besitzer
zuerst gründlich in den Behälter hinein, um seine Sinne für die
Aufnahme der zu erwartenden Botschaften vorzubereiten. Dann ermahnt
er das Nzaro mit folgenden Worten: „Du Orakel, Freund der Ahnen, was
ich dich auch frage, bejahe es mit vier Steinen, verneine es mit einem
Stein.“ Nach ihm bekannten Regeln legt er nun immer Häufchen von je
fünf Samen zusammen, und aus dem übrigbleibenden Rest ersieht er ja
oder nein.
2. Das Nzaro ya mapande ist eine Schere aus Holz mit vielen Gliedern,
wie man sie bei uns zur Fastnachtszeit als Scherzartikel verkauft. An
den Bewegungen der ausgezogenen Schere ersieht der Zauberer die Antwort
der Geister.
3. Das Nzaro ya lusinga besteht aus einer etwa 15 ~cm~ langen
Metallnadel, die an ihrem einen Ende einen kleinen Holzgriff trägt.
Der Medizinmann reibt die Spitze in etwas Asche und versucht dann,
die Nadel durch eins der bereitgelegten vier Stückchen einer
Bananenblattrippe zu stoßen. Geht die Nadel glatt durch, so bedeutet
das nein; bleibt sie trotz Anwendung von Kraft stecken, so hat das
Nzaro die Frage bejaht.
Der Verlauf einer solchen Sitzung ist etwa folgender: Dem Nachbarn,
der den Orakelspruch unentgeltlich abgibt, teilt man zur Abkürzung
des Verfahrens gleich mit, daß etwa die Tochter krank sei, und es
wird die Ursache festgestellt. Ein fremder Medizinmann, der für seine
Mühewaltung Bezahlung verlangt, muß dagegen selbst feststellen, was den
Ratsuchenden zu ihm geführt hat und damit gleichsam eine Probe seines
Könnens ablegen. Er wird also in diesem Falle nach wenigen Augenblicken
dem Manne sagen: „Du kommst wegen deines Kindes zu mir.“ Der antwortet:
„Drücke dich bestimmter aus!“ -- „Es handelt sich um deine Tochter.“
Der andre ruft nun zur Bestätigung: ~Taire!~ d. h. du bist ein
Wissender, du hast es getroffen. Dann fragt der Medizinmann sein Orakel
nach allen möglichen Krankheitsursachen ab: Ist es ein Ahn? Ist ein
böser Zauberer im Spiel? Handelt es sich um ein getötetes Seelentier?
-- Jede Feststellung wird dem Klienten mitgeteilt und von diesem, wenn
sie zutrifft, mit einem Taire beantwortet. Oft macht das Nzaro auch
ganz bestimmte Angaben, etwa: Vor einigen Wochen oder Tagen hat dich
ein Mann mit heller Gesichtsfarbe besucht. -- Taire! -- Der ist dann
noch öfter zu dir gekommen. -- Taire! -- Nun, der ist es, der deine
Tochter verzaubert hat. Grabe da und da nach, so wirst du mit Hilfe
der Mzuza einen Zauber vorfinden. -- Das Orakel hat seine Schuldigkeit
getan, das Weitere ist Sache des nunmehr aufzusuchenden Medizinmannes.
In wichtigen Angelegenheiten befragt man Orakel in anderen Landschaften
oder gar fernen Provinzen, wo eine Kenntnis der Verhältnisse des
Klienten ausgeschlossen erscheint.
4. Das Nzaro ya vijwiijwii besteht aus einem kleinen Kürbisfläschchen,
welches der Medizinmann zuerst tüchtig anraucht, worauf in der Flasche
ein lautes Piepen ertönt, durch welches das geheimnisvolle Ding dem
Zauberer auf seine Fragen antwortet.
5. Berühmt ist das Nzaro ya lagula, welches ebenfalls aus einem
Kürbisfläschchen mit Medizin besteht. Der Zauberer setzt sich vor die
Erschienenen und riecht an seiner Flasche. Dann fängt er an zu singen,
die Herumsitzenden antworten im Chor: „Lagula!“ bei zutreffenden
Feststellungen: „Taire!“ etwa wie folgt:
Ihr meine Leute -- lagula!
Wo kommt ihr her? -- lagula!
Ihr kommt aus Mamba -- taire!
Was wollt ihr denn hier? -- lagula!
Ihr habt einen Prozeß -- taire!
Es handelt sich um eine Kuh -- taire! usw.
Der Medizinmann soll, wie mir Christen erzählten, die geheimsten Dinge
ans Licht bringen. Da es sich oft um völlig fremde Leute handelt, die
eine weite Reise zurückgelegt haben, ist auch hier eine vorherige
Verständigung durch andre kaum anzunehmen.
6. Das Nzaro ya mlamulo besteht aus etwa 40 fingerlangen Stäbchen,
die zu je vier abends auf den Boden gelegt und mit Mehl bestreut
werden. Da gibt es eine Gruppe des bösen Zauberers, andre bezeichnen
die verschiedenen Gottheiten, die als Krankheitserreger auftreten
können, usw. Sind am nächsten Morgen z. B. die vier für den Dachgötzen
hingelegten Hölzchen auseinandergeworfen, so ist dieser als Ursache
festgestellt.
7. Das Nzaro ya kidonga besteht aus einer kleinen Medizinkalabasse,
deren Inhalt, nachdem die Flasche geschüttelt wurde, glänzende Blasen
wirft. Ein Medizinmann, den ich eines Tages gerade beim Wahrsagen
antraf, erklärte mir nachher, daß er aus der Art der sich bildenden
Blasen das Gewünschte ersehen könne.
8. Das Nzaro ya ugonezi ist ein berühmtes Orakel und erinnert an jenes
zu Delphi. Nachdem der Medizinmann im Hause der Ratfragenden den ganzen
Abend allerlei ihn inspirierende Lieder gesungen, seine Medizinen
getrunken und Weihrauch verbrannt hat, zieht er sich in die für ihn
bereitgehaltene Hütte zurück mit dem Gesang:
„Ihr guten Geister folgt mir nach,
Ihr schlechten bleibet fern!“
Am Kopfende seines Bettes stößt er einen Stab in die Erde, an welchen
er seine Medizinflaschen hängt, und dann begibt er sich zur Ruhe,
während Weihrauchdämpfe die Hütte erfüllen. Im Traum erhält er von
den guten Geistern Aufschluß über die schwebenden Fragen; auch manche
andre Zukunftsblicke lassen sie ihn tun. Während die meisten Orakel
für etwa eine Rupie zu kaufen sind, belaufen sich Ausrüstungs- und
Unterrichtskosten für dieses Nzaro auf eine Färse und einen Ochsen.
Außer den aufgezählten gibt es noch andre Orakel, die unsre Wapare
z. T. von fremden Stämmen übernommen haben. Die verschiedenen Nzaro
eingehend zu besprechen, würde einen breiten Raum erfordern und die
Darlegungen würden starken Zweifeln begegnen; sicherlich oft nicht zu
Recht, denn manches wird doch unerklärlich bleiben. So suchte einer
dieser Wahrsager, ein Greis mit weißem Haar, am Tage der Einnahme von
Taveta 1914 den Missionar einer unsrer Nachbarstationen zu bereden,
die Flagge hochzuziehen, weil Taveta von den Deutschen genommen sei.
Er habe in der Nacht im Gesicht den Kanonendonner gehört und die
deutsche Flagge dort wehen sehen. Zu der Zeit war uns Europäern von
der tatsächlichen Einnahme noch nichts bekannt, da die Nachricht erst
mehrere Tage später eintraf.
[Illustration]
Dreizehntes Kapitel.
Der kranke Heide.
In sehr vielen oder gar den meisten Fällen sieht der Heide in Krankheit
und Tod keinen natürlichen Vorgang sondern eine Verzauberung. Daher
beschränkt sich die Behandlung seitens ihrer Ärzte nicht auf die
Verabfolgung der sicherlich oft recht guten Medizinen, sondern es wird
viel Zauber nebenbei gemacht. Das ist von nicht zu unterschätzender
Bedeutung. Denn mehr noch als die eigentliche Arznei trägt „der Zauber“
zur Stärkung der Zuversicht und damit zur Heilung des Kranken bei.
Krankheitsursachen sind u. a.:
1. Ein Ahnengeist will ein Opfer.
2. Tötung eines Seelen- oder Totemtieres. Frevel in einem hl. Hain.
3. Irgendein Vorfahr, etwa der Großvater, hat sich in einem dieser
Punkte etwas zuschulden kommen lassen.
4. Ein unerfülltes Gelübde.
5. Ein Fluchtopf.
6. Verzauberung.
Ist einer von den ersten vier Punkten als Ursache festgestellt, bringt
man für die Ahnen ein Scheinopfer dar; den Seelentieren oder dem
Walddämon wird einstweilen ein Pfand in der bereits beschriebenen Weise
gegeben. Tritt am nächsten Tage Besserung ein, so war die Angabe des
Orakels richtig, sonst geht man zu einem andern Nzaro, welches etwa als
Nebenursache noch Verzauberung feststellt. Nunmehr wird ein Medizinmann
bestellt, der die Behandlung übernimmt. So ist der Verlauf bei leichten
Erkrankungen, die sich verschlechtern. Man sendet also am vierten oder
fünften Tage zum Wahrsager. Tritt die Krankheit sofort in ein heftiges
Stadium, wird natürlich sogleich ein Arzt gerufen, während ein andrer
Nachbar zum Nzaro läuft.
Die Behandlung besteht hauptsächlich im Einritzen der Haut des ganzen
Körpers und nachfolgendem Einreiben der pulverisierten Arzneimittel in
die je nach Art der Behandlung leicht oder stärker blutenden Wunden.
Andre Medizinen sind zum Einnehmen, flüssig oder in Pulverform, mit
Honig vermischt. Alle Arzneien sind vorher vom Medizinmann bespützt
bzw. angehaucht worden, indem der Hauch mit Hilfe der Zunge heftig
zwischen den Lippen hervorgestoßen wurde. Der Kranke wird ebenfalls
nach der Arzneibehandlung heftig bespützt, um ihm die Seelenkräfte des
Arztes mitzuteilen und die bösen Zauberkräfte zu vertreiben. Die enge
Verbindung zwischen Speichel und Hauch als Seelenträger tritt auch
sprachlich in die Erscheinung; denn diese Art des „Anhauchens“ heißt
im Chasu ~kutufia~, abgeleitet von ~kutufa~ = ausspeien. Das
Bespützen beschränkt sich oft nur auf die Medizinen, um ihnen größere
Wirksamkeit zu verleihen. Bessert sich der Kranke durch die Behandlung
nicht, so wird er oft von einem Dorf ins andre und schließlich in ganz
erbärmliche Hütehütten geschleppt, um in der Einsamkeit den Einflüssen
der bösen Zauberer zu entgehen.
Die mir im Laufe der Zeit bekanntgewordenen Behandlungsarten und
Sympathiemittel, die bei einer schweren Krankheit angewandt werden,
bilden sicherlich nur einen geringen Bruchteil der medizinischen
Wissenschaft unsrer Wapare. Aber selbst dies Wenige ist zu zahlreich,
um hier aufgeführt werden zu können. Nur das eine oder andre will ich
aus dem Vielen herausgreifen, damit der Leser ein ungefähres Bild
bekommt. Eine sterile Frau z. B. führt der Arzt an einen Mvumo-Baum,
wo beide mit einem Messer in die Haut bzw. Rinde geritzt werden. Das
austretende Blut der Frau reibt der Medizinmann in die Schnittwunden
des Baumes und umgekehrt. Dabei spricht er: „Du Geist des Baumes, gehe
in die Frau, und du Dämon der Frau, fahre in den Baum!“ Führt das
Orakel die Krankheit auf einen vor Zeiten vergrabenen Topf zurück, so
wird dieser durch einen Wünschelrutenmann aufgesucht und mit einem
Schafopfer entsühnt.
[Illustration: Pare-Häuptlinge. Links Häuptling Mauya.]
[Illustration: Missionsdirektor Conradi überreicht dem Sultan von
Majita eine elektrische Taschenlampe.]
[Illustration: Taufe in Friedenstal, Südpare.]
[Illustration: Missionar Kölling und Pare-Lehrer.]
Wie wir schon im Abschnitt über die Geburt erwähnten, haben die
Ärzte ziemlich gute Kenntnisse von den hierher gehörigen Vorgängen.
Nur verhüllen Furcht und Aberglaube das Gute immer allzu leicht.
Enthauptungen und Wendungen im Mutterleibe, operative Erweiterung des
äußeren Geburtsweges sind bekannt. Knochenbrüche werden geschient. Sind
jemand durch einen Unglücksfall die Testes aufgeplatzt, so werden sie
mit einer gewöhnlichen Nadel und Schafdarm wieder zusammengenäht.
Die Ohrläppchen besonders der Frauen werden schon in der Jugend durch
eingesteckte Holzplättchen und später durch Palmblattspiralen stark
vergrößert, daß sie oft wie dünne Schnüre auf die Schultern reichen.
Reißen sie, oder will einer, der Mode folgend, die Sache verkürzt
haben, so verwundet der Chirurg die beiden Enden künstlich, legt sie
aufeinander und umwickelt die Stelle mit einem Faden.
Kräuter-Dampfbäder stehen in gutem Ruf und werden häufig angewandt.
Die Kräuter werden gekocht und der Topf dann vor den Patienten
gestellt, der unter einer umgehängten Decke tüchtig schwitzen muß.
Eine Abreibung mit dem inzwischen lauwarm gewordenen Wasser beschließt
diese Art der Behandlung. Zur Ader läßt man mittels eines Schröpfkopfes
(~ndumiko~). Dieser besteht aus einem kleinen Ziegenhorn, welches
am Ende durchbohrt ist und mit einem Wachspfropfen verschlossen werden
kann. Der Arzt ritzt die Haut an der zu schröpfenden Stelle, setzt
das Hörnchen fest auf, saugt die Luft heraus und schließt während
des Saugens die kleine Öffnung in dem Wachspfropfen mit den unteren
Schneidezähnen. Bei starken Kopfschmerzen wird der Ndumiko an den
Schläfen aufgesetzt, auch bei Stichen in der Brust wird er angewandt.
Zauberhörnchen, welche die Vasavi dem Patienten in seinen Körper
gezaubert haben, werden mittels des Schröpfkopfes wieder entfernt.
Werden Zweifel laut, wie es möglich sei, daß solche Gegenstände durch
die kleinen Ritzwunden hindurch ans Tageslicht befördert werden
könnten, so begegnet der Medizinmann diesen mit dem außerordentlich
logischen Hinweis, daß der böse Msavi beim Hineinzaubern ja nicht
einmal diese Ritze gehabt habe. Was durch die heile Haut hineingehe,
müsse doch durch die eingeritzte um so leichter hinausgehen. Gegen
diese Logik können die Leute nichts machen, denn der „Arzt“ zeigt
ihnen die ausgetretenen Gegenstände, des Patienten Lebensmut wächst,
nachdem er die scheußlichen Dinge losgeworden ist, die er in der Hand
des Medizinmannes gesehen hat, und diesem heiligt wohl der Erfolg die
angewandten Mittel. Auch die Sühnzeremonie wendet der Arzt an, um böse
Einflüsse während seiner Behandlung fern zu halten. Er nimmt zu dem
Zweck ein kleines Hölzchen, bricht über dem Kopf des Kranken mehrere
Stückchen ab und wirft sie fort, indem er sagt: „Das Böse, was den Mann
krank macht, soll meiner Behandlung nicht entgegenstehen, sei es nun
Zauber oder Ahnen oder irgend etwas anderes.“
Eine Krankheit, die früher bei den Wapare unbekannt war, ist die
Besessenheit oder ~pepo~. Diese bösen Dämonen, bzw. der Glaube an
sie, sind von der Küste her über Usambara auch nach Pare eingedrungen
und heute überall verbreitet. Unsre Wapare nehmen an, daß sie mit den
Kleidern der Suaheli-Kaufleute eingeschleppt worden seien. Man glaubte
nämlich, daß die Kleider, nachdem sie „aus dem Meere gekommen“ wären,
von den Küstenkaufleuten in einen „Hain der bösen Seuchen“ gelegt
würden, um auf diese Weise ihr Land zu reinigen und die Seuchen mit
den Kleidern ins Land der Käufer abzuschieben. Deshalb brachte jeder
vorsichtige Mwasumann seine Kleider, die er von reisenden Kaufleuten
erstanden hatte, zuerst in eine Höhle, um sie da vier Tage „ablagern“
zu lassen. Mit dem zu diesem und ähnlichen Zwecken vorrätig gehaltenen
trockenen Mageninhalt eines Schafes wurden sie dann entsühnt.
Der Mzuka ist der Oberste aller dieser bösen Dämonen. Es gibt
eine große Anzahl von Pepoerkrankungen, die alle je nach ihrer
Erscheinungsform ihren Namen tragen, z. B.:
1. ~Pepo ya Mzungu~, Europäerdämon. Der Kranke trägt beim
Beschwörungstanz einen weißen Turban, hält ein weißes Huhn in der Hand
und ißt oft (wie die Europäer zum Entsetzen der Neger hier tun) rohe
Eier.
2. ~Pepo ya Mnyindo~, Dämon eines Küstenstammes. Der Kranke tanzt
mit schwarzem Turban und schwarzem Huhn.
3. ~Pepo ya Mlungwana~, Dämon eines Küstenstammes.
4. ~Pepo ya Mkwavi~, Massaidämon. Der Kranke nimmt beim Tanz einen
Massaispeer usw.
Fast ausschließlich sind es Frauen, die von der Besessenheit befallen
werden. Der Beschwörer verspricht dem Dämon allerlei Liebesgaben, damit
er die Kranke eine Zeitlang in Ruhe lasse. Bei dem immer heftiger
und aufreizender werdenden Klang der Geistertrommeln wird die Kranke
unruhig und fängt schließlich an zu tanzen, während der Medizinmann mit
dem Dämon spricht. Reagiert die Patientin auf die erste Tanzmelodie
nicht, so geht der Beschwörer zu einer andern über.
Die Pepokrankheit ist bei vielen Frauen zur Modesache geworden. Einige
sind hysterisch veranlagt, bei andern ist die Tanzsucht so groß, daß
jeder Vorwand benutzt wird, ihr zu huldigen. Erotische Momente spielen
wohl auch mit hinein, denn man tanzt meist vor männlichen Zuschauern.
Mehrere Wapare sagten mir selbst: „Die Dämonenbeschwörung ist oft nur
eine Tanzlustbarkeit.“ Aber immerhin liegen in manchen Fällen doch
krankhafte und merkwürdige Erscheinungen vor. So sah ich bei einem
solchen nächtlichen Beschwörungstanz Frauen, die in ihrer Ekstase
glühende Kohlen anscheinend ohne Schaden in den Mund nahmen; andre
stiegen bis auf den Dachfirst und legten sich dort zum Schlafen nieder.
Andre schneiden plötzlich einem Schaf die Kehle durch und trinken das
hervorquellende Blut u. dgl. m. So haben die Wapare auch noch unter
den Plagen andrer Stämme zu leiden. Der Islam beläßt sie nicht nur in
der Furcht vor ihren Gottheiten, denen ja die meisten mohammedanischen
Eingebornen im Innern nach wie vor opfern, sondern seine Träger, die
Küstenleute, bringen noch neue Dämonen in ihren Vorstellungskreis, um
die Herzen völlig in den Bann der Furcht zu schmieden. Für sie wie
für jeden Menschen ist nur Heil im Namen dessen, der den unsaubern
Geistern mit Macht gebieten konnte. Das bezeugen heute mehrere unsrer
Christenfrauen fröhlichen und dankbaren Herzens. Denn seitdem sie
in Jesu Tod getauft worden sind, haben sie von den bösen Geistern,
die ihre heidnischen und mohammedanischen Schwestern quälen, nichts
mehr zu leiden. Also nicht nur dem gesunden Heiden mit all seinen
Wahnvorstellungen, die ihn peinigen, sondern in noch weit höherem Maße
dem kranken Heiden können wir in seinen Nöten nur das Evangelium von
Jesu bringen: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen
seid, ich will euch nicht nur Kultur geben, ihr sollt auch nicht nur
zu geschickten Arbeitern beim Europäer gemacht oder nur unterrichtet
werden, eure eignen Äcker vorteilhafter oder in größerem Maßstabe zu
bearbeiten; das sollen alles nur Folgeerscheinungen des Evangeliums
sein. Aber Frieden und Ruhe will ich euch geben für eure Seelen! -- Und
wenn man sich nur in die Erinnerung zurückruft, daß z. B. die Mutter
des zahnenden Säuglings am Ende der Zahnzeit mit dem Gruß erfreut wird,
den sonst der aus Todesgefahr heimkehrende Krieger erhält, weiß man,
daß die Heiden sich nach Frieden sehnen. Dies Evangelium ließ eine
unsrer Christinnen auf dem Sterbebett triumphierend ausrufen: „Ich
weiß, daß mein Erlöser lebt!“ Seine Frieden bringende Kraft gab unserm
treuen Lehrer Anderea Senamwai auf seinem Lager das Lied in den Mund:
„Näher, mein Gott, zu Dir,“ bis der Tod ihm die singenden Lippen schloß.
Verlangt irgendein Gesunder die vorbeugende Behandlung des
Medizinmannes etwa gegen Verzauberung, so muß er zuerst den
„Taschenöffner“ (~kichungua mfuko~) in Form einer Hacke oder
25 Heller bezahlen. Gleichzeitig wird der Preis für die Behandlung
(~ichungwi~) festgesetzt. Diese besteht gewöhnlich in einer oder
zwei Ziegen, bei reichen Häuptlingen wohl auch in einer Färse. In den
meisten Fällen ist die „Beruhigung“, die der Patient als einziges
Resultat solcher Zauberbehandlung verspürt, mit der geforderten
Ichungwi recht teuer bezahlt. Wird der Arzt dagegen zu einem Kranken
gerufen, so hat dieser bis zu seiner Gesundung nichts zu zahlen,
sondern holt erst später den Kichungua mfuko und Ichungwi nach. Stirbt
der Patient, oder ist die Behandlung erfolglos, so ist an den oder die
Ärzte nichts zu zahlen, jedenfalls eine ideale Auffassung des Berufes
von seiten der afrikanischen Mediziner. Der Arzt ist gleichzeitig
Apotheker, so daß auch in dieser Hinsicht keine Kosten entstehen.
Nebenbei bemerkt, habe ich für das Biologische Institut in Amani
eine Anzahl Arzneipflanzen der Wapare gesammelt, die z. T. in Berlin
bestimmt wurden. Bei den meisten der eingesandten Exemplare war die
ihnen hier von den Ärzten zugeschriebene Arzneiwirkung auch zu Hause
bekannt. Die Vaganga werden also sicherlich eine große Reihe gut
wirkender Heilkräuter kennen und wären wahrscheinlich in der Lage, auch
unsre Kenntnis in diesem Stück beträchtlich zu erweitern.
Oft muß der Arzt wegen seiner ihm vorenthaltenen Bezahlung
prozessieren. Andre sagen: „Wenn du mir mein Honorar nicht geben
willst, ~unani, teheterire kucha~ (= nur zu, es ist noch nicht
aller Tage Abend). Bei deiner nächsten Krankheit wirst du mich oder
meine Kollegen vergeblich rufen.“ Folgende Geschichte erzählen sich die
Leute von der Rache eines betrogenen Arztes:
Ein Mganga reiste durch die Landschaft Vwaga und wurde zu einem
Schwerkranken gerufen, für dessen Heilung man ihm eine Kuh in Aussicht
stellte. Die Heilung gelang ihm; aber man wollte dann nur noch eine
Ziege zahlen. Als der Mganga sah, daß er betrogen werden sollte, hieß
er seine Begleiter mit den von andern Patienten erhaltenen Ziegen
usw. vorausmarschieren. Er selbst gab sich den Anschein, als mache er
gute Miene zum bösen Spiel und wolle die Behandlung des Kranken noch
vorerst zum Abschluß bringen. Sein Patient mußte in eine leere Hütte
gebracht werden. Er befahl den Leuten, draußen stehen zu bleiben und
jeden Schmerzensruf des Kranken genau so zu beantworten. Das war weiter
nichts Verwunderliches, weil ja bei jeder Behandlung die Wechselgesänge
üblich sind. Als er dann in der Hütte mit dem undankbaren Patienten
allein war, stach er ihm zuerst mit einem Messer ein Auge aus. Der
entsetzte Mann schrie: „Woyahae, jetzt werde ich nicht behandelt,
er sticht mir ein Auge aus!“ Der Chor draußen antwortete: „Eeee, o
weh, jetzt werde ich nicht behandelt, er sticht mir ein Auge aus!“
Der Arzt stach ihm dann auch das zweite Auge aus. Der mißhandelte
Patient schrie: „Jetzt sticht er mir auch das zweite Auge aus!“ Der
Chor draußen: „Eee, jetzt sticht er dir auch das andre Auge aus!“ Der
Ärmste sah, daß es ihm ans Leben gehen würde und rief noch einmal:
„Ihr draußen, denkt nicht, daß ich euch etwas vormache, ich werde
hier getötet!“ Aber wie Hohn klang die den Draußenstehenden vom Arzte
vorgeschriebene Antwort an die Ohren des Kranken: „Eee, wir denken
nicht, daß du uns etwas vormachst, du wirst jetzt getötet!“ Der Mganga
erstach dann den Undankbaren, bedeckte ihn mit einem Tuch und befahl
den Angehörigen, nicht vor Sonnenuntergang die Hütte zu betreten, damit
der Zauber nicht verderbe. Als man die Leiche abends fand, war der
Mörder über alle Berge. --
Wenn die Krankheit zu Befürchtungen Anlaß gibt, so ruft der Vater
seine Kinder, oder, falls sie noch zu klein sind, einen vertrauten
Freund, dem er die Sorge für die Kinder und ihr Erbe ans Herz legt.
Er macht ihm auch seine Gläubiger und Schuldner namhaft, damit kein
Unberechtigter mit einer Schuldforderung an die Kinder herantreten noch
ein Schuldner die Bezahlung verweigern kann.
Wenn Heiden sterben.
Manchmal sind alle Bemühungen der Ärzte vergeblich. Der Kranke wird
ohnmächtig (~esempuka~), die Augen werden gläsern, und der Tod
schwingt seine Sense. Eifrig beugt sich der Medizinmann über den
Sterbenden, um ihm durch andauerndes Bespützen seine Seelenkräfte
mitzuteilen. Von Zeit zu Zeit legt er dem Kranken die Hand aufs Herz,
um zu sehen, ob es noch schlägt. Ist der Tod eingetreten, dann sagt er
wohl: ~Nkore ya Murungu teikombolwa~ = Gott kann man auch durch
Zahlung eines Lösegeldes seine Beute nicht entreißen. Oder er nimmt
gefaßt seine zahlreichen Arzneikalabassen fort mit den Worten: „Der Tod
hat uns ausgelacht,“ d. h. er hat die Partie gewonnen. Sofort stimmen
die Angehörigen und alle Anwesenden die Totenklage an (~ntiro~).
Die Gattin weint, daß sie ihren Mann nicht mehr sieht:
„O weh des Jammers, wohin soll ich gehn?
Ruf’ ich meinen Mann, antwortet er nimmer.“
Die Kinder beklagen den Verlust ihres Vaters, andre tragen dem
Verstorbenen weinend Grüße an ihre Lieben in der Unterwelt auf. Im
Augenblick ist das Haus voll mitleidiger Nachbarn, die mitweinen und
die Angehörigen trösten: „Wir wollen nicht zuviel weinen, Tränen
bringen ihn nicht wieder, sonst wäre schon mancher wiedergekommen.“
Das Begräbnis findet bald nach Eintritt des Todes statt. Während die
Männer das Grab schaufeln, schweigt die Totenklage, weil man sonst
auf felsigen Boden stoßen würde. Dem Toten werden beide Arme auf die
Brust gelegt und die Beine hoch an den Körper angezogen. Sämtlicher
Schmuck und auch die Kleider werden ihm abgenommen, und völlig nackt
legt man ihn in hockender Stellung in die etwa 1½ ~m~ tiefe Grube.
Dabei richtet man den Leichnam mit seinem Gesicht immer nach der
Gegend, in welcher die Heimat seiner Sippe liegt. Ist das Grab bis
an den Hals der Leiche zugeschaufelt, stützt man den Kopf durch vier
kreuzweise eingelegte Stäbe. Diese haben den Zweck, den Schädel auch
nach eingetretener Verwesung in seiner Lage zu erhalten, damit man ihn
später leicht auffinden und in den „Tempel“ zu den übrigen bringen
kann. Auf das fertige Grab legt man zu Häupten des Leichnams einen
Stein oder Topf oder auch ein Stückchen des Mugi-Baumes, welches leicht
anwächst. Übrigens sind die diesbezüglichen Sitten in den einzelnen
Landschaften und Sippen verschieden. So legen andre ihre Toten auf die
rechte Körperseite lang ausgestreckt ins Grab. Nach getaner Arbeit
begeben sich die Totengräber wieder ins Haus, wo die Klage von neuem
ertönt.
War der Verstorbene ein großer Häuptling, so wurde sein Tod jahrelang
geheim gehalten, und erst im vierten Jahre nach seinem Ableben
erscholl die Totenklage. In den früheren unsicheren Zeiten war das
von Bedeutung. Denn die Gefahr lag nahe, daß irgendein feindlicher
Häuptling auf die Kunde vom Tode seines Gegners die Tage der Verwirrung
benutzte, die Hinterlassenschaft gewaltsam an sich zu reißen. So aber
gewann man Zeit, alles zu regeln.
Eine eigentümliche Erscheinung bilden die _vatani_. Der Mtani ist eine
Art Sühnepriester, der die Angehörigen fremder Sippen entsühnt. Hat
z. B. jemand eine Ritualvorschrift übertreten, so bringt der Mtani das
wieder in Ordnung, indem er den Ahnengeistern sagt, daß es sich in dem
Falle ja nur um einen Tölpel und Dummkopf handle, der keinen Verstand
besäße, der Sache sei also keine Wichtigkeit beizumessen. Diese Vatani
kamen auch oft ins Sterbehaus. Sie scheinen mir mit ihren derben
Späßen gewissermaßen den Sieg der Lebensfreude über alle Todestrauer
zu versinnbilden. Der Mtani fragte wohl mit lauter Stimme draußen
vor dem Trauerhause: „Was wird denn hier für ein Fest gefeiert? Ihr
singt ja eigentümliche Lieder!“ Drinnen raunen sie einander zu: „Das
ist die ‚Mtani-Pest‘.“ Der läßt sich aber nicht irre machen, weist
auf den frischen Grabhügel und sagt: „Wer hat denn hier nach meinen
Kartoffeln gegraben?“ Man bedeutet ihm, stille zu sein, der Soundso
sei gestorben; aber er entgegnet, wenn irgend ein Hund stürbe, solle
man doch nicht soviel Aufhebens machen. Bei solchen Späßen können
manche der Anwesenden das Lachen nur schlecht unterdrücken. Der Bann,
den der Todesfall auf die Herzen gelegt hatte, ist gebrochen, wenn
auch auf eine uns Christen recht kläglich anmutende Art. Immerhin hat
einer angesichts des Todes den Mut gefunden, zu rufen: „Es lebe das
Leben!“ Etwas Ähnliches haben wir bei uns wohl in der lustigen Musik
und dem Schmaus nach einem Begräbnis. Die Totenklage dauert zwei Tage.
Am dritten Tage früh am Morgen versammeln sich die Verwandtschaft
und einige Nachbarn im Sterbehause. Der Mtani ist auch da und nimmt
sich gleich die Pfeife des Verstorbenen, um daraus zu rauchen. Die
andern sagen ihm: „Du darfst doch nichts von der noch unentsühnten
Hinterlassenschaft in Gebrauch nehmen!“ Der Spottvogel erwidert aber
kaltblütig: „Unsinn, was ist denn da zu entsühnen, wenn so ein Kerl ins
Gras beißt. Übrigens ist er mir gerade eben noch begegnet, er ist also
gar nicht tot.“ Hat man noch dies und jenes besprochen und geordnet,
gehen alle zum Fluß, wo der Mtani die Kleider des Verstorbenen
wäscht. Die Witwe und der Erbe waschen sich am ganzen Körper, die
andern nur Gesicht, Hände und Füße. Der Mtani führt dann den Zug
wieder ins Haus zurück, wo er die soeben gereinigten Kleider sowie
auch die Hinterbliebenen selbst mit dem Mageninhalt einer inzwischen
geschlachteten Opferziege völlig entsühnt. Die Kleider übergibt er nach
Vornahme noch andrer Zeremonien dem Bruder oder Erben und höhnt ihn:
„Du freust dich ja doch, daß er tot ist und du all die Kleider und
Frauen erben kannst!“ Und den andern ruft er glückstrahlend zu: „Doch
eine schöne Sache, solch ein Todesfall; wenn der jetzt nicht gestorben
wäre, hätten wir heute keinen Festbraten!“ Das gebratene Fleisch wird
an die Anwesenden verteilt, das übrige nimmt man mit nach Hause. Diese
Trauerfeier nennt der Mpare ~fwire~. Am gleichen Tage finden die
oft schwierigen Verhandlungen betreffs der Erbschaft statt, und die
Hinterlassenschaft samt den Frauen gehen in klarliegenden Fällen in den
Besitz des Bruders über.
Am folgenden Tage werden den Hinterbliebenen vom Mtani die Kopfhaare
abrasiert. Einige Tage später ritzt er ihnen leicht mit einem Messer
die Schläfen, Stirn und alle Gelenke. Jeder kaut eine stark ölhaltige
Nuß, und reibt sich mit dem so erhaltenen Brei ein. Die Rückstände
werfen sie, ohne sich umzusehen, unter einen großen Baum mit den
Worten: „Das Schlechte lassen wir hier zurück!“ Damit sind die
Reinigungszeremonien beendet. Den Abschluß bildet auch hier ein kühler
Trunk des bereitgestellten Bieres. Man erzählt sich noch dies oder
jenes von dem Verstorbenen und tröstet sich damit, daß „die Erde nicht
auswählt“, d. h. der Tod jeden wahllos ereilt, ja, sogar den Guten eher
als den Schlechten; denn „der beste Pfeil bleibt nicht lange im Köcher“!
Zu erwähnen bleibt noch, daß man für eine Mwai, die vor beendetem
zweiten Frauenfeste gestorben ist, das Fest zu Ende führt, damit sie
nicht unfertig in die Unterwelt fahre. Es handelt sich hier um eine
ähnliche Anschauung, wie sie bei uns der Nottaufe zugrunde liegt, indem
auch hier die unbiblische Art der Taufe den Charakter eines heidnischen
Zaubergebrauches angenommen hat.
Hat der Tote irgendein Gebrechen, sei es eine Wunde oder eine
Geschwulst, so wird das betreffende Glied abgeschnitten und besonders
begraben, damit die ganze Sippe nicht an denselben Übeln erkrankt.
Stirbt eine schwangere Frau, so schneidet man den Leib auf und begräbt
das Kind besonders. Leute, die an den Pocken gestorben waren, ließ
man unbegraben im Busch liegen. Recht barbarisch war das Verfahren,
sich der Aussätzigen zu entledigen; denn starben solche Leute zu
Hause, glaubte man, die schreckliche Seuche würde die ganze Sippe
befallen. Merkte man also, daß die Krankheit weit vorgeschritten war,
besprach man sich mit den Angehörigen der Sippe und dem Sohne, welcher
seine Zustimmung zur Beseitigung des Vaters geben mußte. Dann rief
man acht Vatani. Vier von ihnen nahmen den sich heftig sträubenden
Kranken und schleppten ihn weit fort in den Busch unter eine große
Kandelabereuphorbie. Der Aussätzige wußte natürlich beim Erscheinen
der Vatani sofort, was ihm bevorstand, und verfluchte seine grausamen
Henker oder bat sie flehentlich, ihn doch nicht zu töten. Diese aber
hießen ihn vorwärtsschreiten. An der Stelle, wo der zu fällende riesige
Baum niedergehen mußte, wurde das Opfer festgebunden. Krachend fiel
dann unter den Axtschlägen der Männer die Euphorbie um und bildete
sofort mit ihren dornigen Zweigen einen Grabhügel über dem Kranken.
Die andern vier Vatani schafften unterdes sämtliche Kleider und
Gebrauchsgegenstände des Aussätzigen herbei und legten die Sachen
neben dem Baume nieder. An Ort und Stelle wurde dann eine Sühneziege
geschlachtet, an deren Fleisch die Männer sich nach der grausigen
Arbeit stärkten.
Krankheit und auch Tod haben für den Mwasu stets tieferliegende
Ursachen, die das Orakel feststellen muß. Die überlebenden Verwandten
lassen sich nach einem Todesfall vom Nzaro eiligst die innere Ursache
angeben; denn solange das betreffende Seelentier oder der Ahnengeist,
auf dessen Einfluß das Orakel den Tod zurückführt, nicht versöhnt ist,
schweben sie ebenfalls in Todesgefahr. So tritt uns auch hier wiederum
das Grundübel des Animismus entgegen, die Furcht, die sich den Leuten
an die Sohlen heftet und sie nicht nur während der Krankheit eines
Familiengliedes, sondern selbst über dessen Tod hinaus ängstigt.
Vor einigen Jahren starb Rebeka, die Frau unsres Lehrers Petero
Mlungwana in Usukuma. Er war mit seiner Gefährtin einem Ruf in unser
dortiges Missionsfeld gefolgt, und diese erkrankte dort nach einigen
Monaten am Schwarzwasserfieber. Unsre Pare-Lehrer waren gerade in der
Kapelle in Kihurio versammelt, als die Nachricht eintraf. Wie ich
nachher hörte, knieten sie alle nieder und baten Gott um Kraft für
ihren Genossen in der Fremde. Ein Auszug aus einigen Briefen, welche
sie ihm dann schickten, möge hier als Abschluß des Kapitels Platz
finden. So schrieb der Lehrer Hezekieli Kibwana aus Buiko: „An meinen
Bruder Petero! Ich habe gehört, daß Deine Frau verschieden ist. Ich
weiß, jetzt bist du in großer Traurigkeit; aber wir alle kennen ja
die Geschichte des Hiob. Ich bitte dich, laß das Wort in Offenbarung
2, 10 in dein Herz geschrieben sein. Du kennst mich, Petero, ich kann
dir nicht viel sagen, denn du bist ja kein Unwissender. Du weißt,
daß Reichtum und Armut, Trauer und Freude bei Gott alles eins ist.
Du weißt auch, daß Gott unfehlbar ist. Man kann ihn nicht belehren,
warum hast du es nicht so oder so gemacht. Verkündige Du nur den Namen
Jesu mit Macht! Mache seine Wunder und seinen Ruhm kund! Denn unsre
Hoffnung besteht nicht in einem Leben auf dieser Welt sondern in dem
zukünftigen. Du weißt, wenn es mir möglich wäre, so käme ich jetzt zu
Dir, aber ich habe keinen Weg. (Es war während des Weltkrieges). Aber
da ist einer, dem niemand den Weg versperren kann, das ist der Herr
Jesus. Sein Wort wird dich stärken und dein Herz erfreuen. Ja, Bruder,
dieser Tod ist der Sünde Sold, wir können dem nicht aus dem Wege gehen;
unsre Hoffnung aber ist die Wiederkunft des Herrn Jesu, der uns aus
aller Not erlösen wird. Dann werden wir nie mehr Trauer haben oder den
Tod sehen, sondern im ewigen Reich wohnen und ewiges Leben haben. Lies
1. Thessalonicher 4, 13-18 ....“
Der Schwager des Petero schrieb: „.... Als ich hörte, daß meine
Schwester gestorben sei, habe ich große Not in meinem Herzen gehabt,
nicht meiner Schwester wegen; denn wenn sie im Glauben gestorben ist,
dann steht ja geschrieben: ‚Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir
die Krone des Lebens geben.‘ Aber ich habe Schmerz deinetwegen gehabt.
Hat meine Schwester, bevor sie starb, noch irgendein Wort Gottes
gesagt, dann schreibe mir darüber ....“
So befreit die selige Hoffnung des Christen den Heiden nicht nur im
Leben von der Götzenfurcht, sondern läßt ihn auch angesichts des
Todes nicht verzagen und verhilft ihm zu einer tiefer gegründeten
Lebensfreude, als die faden Späße des Mtani dem Heiden zu geben
vermögen. Und wenn behauptet wird, das Christentum verdüstere die
Gemüter, so kann der Gegenbeweis nicht schlagender erbracht werden
als durch eine kleine Christenschar, die am offenen Grabe freudig und
triumphierend singt:
„Christus, der ist mein Leben
Und Sterben mein Gewinn;
-- Ihm hab’ ich mich ergeben,
Mit Fried’ fahr ich dahin.“
[Illustration]
Vierzehntes Kapitel.
Mission, Islam und Neger.
Wohl manchem angehenden Missionar hat man in der Heimat von dem in
Frieden und Bedürfnislosigkeit dahinlebendem Negervolke erzählt. Auch
hat man ihm wohl die Berechtigung abgesprochen, diesem Naturvolke
christliche Lehren zu bringen, nach denen es kein Verlangen trage und
die auch eine viel höhere Kulturstufe zur Voraussetzung hätten. Im
Missionslager dagegen wird gerade in diesen Jahren immer wieder darauf
hingewiesen, daß bald die Stunde schlagen wird, in der die Afrikaner
sich für das Christentum oder für den Islam entscheiden.
Über die Gefahr, die der sich immer schneller ausbreitende Islam für
die Kolonien bildet, ist schon vieles geschrieben worden. Man kann die
Frage vom religiösen oder vom politischen Standpunkt aus betrachten, in
beiden Fällen aber muß man zu dem gleichen Schluß kommen.
Wer die Stärke der Schutztruppe kennt, muß sich wundern, daß eine
solch erdrückende Übermacht von Negern, zum Teil sehr kriegslustigen
und kriegsgeübten Stämmen, sich von dieser Minderzahl in Schach halten
läßt. Warum kommt es nicht zu einer mächtigen Erhebung mit dem Ziele,
die Herrschaft der Europäer zu beschränken oder gar abzuschütteln?
Der Gründe sind natürlich mehrere; aber ein Umstand, der die
Kolonisatoren unterstützt hat, ist die sprachliche Zerrissenheit
Afrikas und die zum Teil dadurch bedingte Aufteilung des Landes unter
kleine und kleinste Häuptlinge. Wirklich mächtige Herrscher, die großen
Reichen vorstehen, gibt es mit wenigen Ausnahmen nicht. Wir hatten
in Afrika, bevor die deutsche Herrschaft eingriff, dasselbe Bild wie
in Deutschland vor seiner Einigung: ungezählte Häuptlinge, die sich
meistens grimmig bekämpften. Die erwähnte sprachliche Zerrissenheit
begünstigte diese Fehden und steht heute noch der Einigung der
verschiedenen Stämme unter einem Häuptling im Wege, natürlich nicht
als einziges Hindernis.
Es ist nun wiederholt darauf gedrungen worden, für Afrika mit seinen
Hunderten von Dialekten eine Verkehrs- und Einheitssprache zu schaffen.
Das Kisuaheli, die Sprache der Küstenleute, der Wasuaheli, eignet sich
hierzu am besten. Der Neger ist auch sehr begierig, das Kisuaheli als
die Sprache der Gebildeten zu erlernen. Hand in Hand damit geht aber
leider das Bestreben der Schwarzen, den Wasuaheli in andern Dingen,
besonders in der Religion, ebenfalls gleich zu werden. Da diese nun zum
weitaus größten Teil Mohammedaner sind, so kommt es schließlich dahin,
daß der Neger glaubt, durch seinen Übertritt zum Islam die höchste für
ihn erreichbare Stufe der Bildung erklommen zu haben.
Es könnte nun jemand den Einwand erheben, daß die Leute auch aus
ähnlichem Grunde zum Christentum überträten. Dies ist im allgemeinen
ausgeschlossen. Während der christlichen Taufe ein oft jahrelanger
Unterricht vorausgeht, sind die mohammedanischen Lehrer sehr schnell
mit der Taufe bei der Hand. Und was die soziale Stellung anbelangt,
so sieht der Weiße gewöhnlich doch auch den getauften Neger nicht in
dem Maße für gleichberechtigt an wie das der Araber oder Küstenneger
mit dem früheren mshenzi, dem Buschneger, tut, wenn er einmal nach
mohammedanischem Ritus getauft worden ist. Wie oft habe ich diese
Leute in der Moschee sitzen sehen, immer wieder schreiend: ~La illah
illa Allahu. Mohammed resoul Allah!~ = Kein Gott außer Gott! Mohammed
ist sein Prophet!, ohne daß sie die Bedeutung selbst dieser wenigen
stets wiederkehrenden Worte erfaßt hätten. Aber sie +fühlen+ sich
als Mohammedaner, und dies Gefühl kann als einigender Faktor unter
Umständen außerordentlich beachtenswerte Folgen haben.
Der Islam macht es seinen Anhängern nicht zu schwer. Deshalb treten
denn auch alljährlich, besonders im Monat Ramazan, viele zu ihm über,
ohne auch nur eine leise Ahnung von der neuen Lehre zu haben. Das
Arabische bleibt dem Neger im allgemeinen ein Buch mit sieben Siegeln;
aber über +eine+ Sache hat man sich doch schnell verständigt: Haß gegen
die Ungläubigen! Offiziell sind sie allerdings alle die treuesten
Untertanen; aber unter der Asche schlummert das Feuer. „Du täuschst
dich, es ist noch nicht so weit,“ sagte ein mohammedanischer Häuptling
einem andern, der ihn 1905 zum Losschlagen überreden wollte, als im
Süden Ostafrikas der große Aufstand ausbrach. Daß aber der Europäerhaß
tatsächlich gepredigt wird, läßt sich schon daraus erkennen, daß
hoch in unsern abgeschlossenen Bergen sich schon einige Leute von dem
Soliman erzählt haben, der einst an der Spitze aller Anhänger des
Propheten die Europäer vertreiben würde. Wenn die Mohammedaner es nun
fertig bringen, den Fanatismus, der sie selbst beherrscht, auch in die
Reihen der Schwarzen zu tragen, dann dürfte sich die Lage ziemlich
ernst gestalten. Daß es aber möglich ist, die Neger besonders in einem
einheitlichen Sprachgebiet zu fanatisieren, hat der Aufstand 1904-05
im Süden der ostafrikanischen Kolonie bewiesen, wenn auch da der
Fanatismus und die teilweise Einigung noch auf die Umtriebe eingeborner
Medizinmänner zurückgeführt werden konnte. In einem „wirklichen hl.
Kriege, in welchem auf der einen Seite +nur+ gläubige Moslem gegen die
Ungläubigen kämpfen“ (Ausspruch eines Negerhäuptlings 1915), würde
solche Einigung in Afrika für die Weißen katastrophale Folgen haben. In
diesem Zusammenhange dürfte die Rede eines Schwarzen interessieren, die
am 30. Aug. 1921 auf dem Panafrikanischen Kongreß in Brüssel gehalten
wurde. Er sagte u. a.: „Der Augenblick ist gekommen, da +die 40
Millionen Schwarzen Afrika für sich+ verlangen müssen. Es handelt sich
aber nicht darum, England, Frankreich, Belgien und Italien zu fragen:
‚Warum seid ihr hier?‘ sondern ihnen die Weisung zu erteilen, sich
zu entfernen! Der blutigste Krieg kommt noch. Wenn erst Europa seine
Kräfte gegen Asien einsetzen wird, wird für die Schwarzen die Stunde
gekommen sein, das Schwert für die Erlösung Afrikas zu ziehen. Wer hat
den Weltkrieg gewonnen? Das Blut der Schwarzen auf den Schlachtfeldern
der Weißen ..... Ihr aber wißt, welches der Dank der Weißen war ...
Wir lachen über die eingebildeten Weißen und sagen: Da wir gut genug
waren, uns auf den europäischen Schlachtfeldern töten zu lassen, um
unsern Lehrmeistern zu helfen den Krieg zu gewinnen, so hätten sie
uns wenigstens die Freiheit gewähren können, in deren Namen sie sich
totschlugen. Wir haben aber auch gelernt, zu töten, und ich frage auch
meine Freunde, was wird dann sein, wenn wir erst für unsre eigene Sache
kämpfen werden?“
Daran läßt sich nun weiter die Frage knüpfen: Wie kommt es, daß der
Islam so schnell in das Volk hineindringt? Oft begegnet man draußen
bei Europäern, die allerdings in dem Falle meist allem Christentum
gleichgültig gegenüberstehen, der Ansicht, daß der Mohammedanismus
schon durch seine günstige Aufnahme bei so vielen Schwarzen den Beweis
in sich trage, daß er die gegebene und praktischste Religion für den
Schwarzen sei. Man sollte sicher auch draußen den Grundsatz der
Glaubens- und Gewissensfreiheit walten lassen; aber es ist doch sehr zu
bedauern, wenn sogar von Europäern der Ausbreitung des Islam Vorschub
geleistet wird. Ich will mich hier auf ein treffliches Wort Prof.
~D.~ Richters beschränken: „Der Vorschlag, die primitiven Völker
dem Islam als einer ihnen angemessenen Religion zu überlassen, kommt
einem Selbstmord der christlichen Kultur gleich.“ „Ev. Missionskunde“,
S. 32 ff.
Vergleicht man nun die christliche und mohammedanische
Missionstätigkeit, so wird man unschwer erkennen können, daß dem Islam
in vielen Dingen die Wege geebnet sind. Während die christlichen
Gemeinschaften teure Missionare hinaussenden, deren Unterhalt
und Arbeit jährlich beträchtliche Summen verschlingt, tut der
mohammedanische Händler für seinen Glauben äußerlich dieselben Dienste,
ohne der Gemeinschaft auch nur die geringsten Kosten zu verursachen.
Er ist überall zu finden, handelt mit dem Koran, erteilt Unterricht
in demselben und macht auf alle mögliche Weise Propaganda für seinen
Glauben. An Zahl sind diese Leute den Missionaren weit überlegen. Wie
stände es wohl mit dem Christentum, wenn alle Weißen auch nur annähernd
so eifrig für ihr Glaubensbekenntnis eintreten würden!? Solange der
arabische Einfluß in Ostafrika geherrscht hat, galt auch der Islam
als Religion der Gebildeten, und er ist heute noch bei sehr vielen
Häuptlingen Tradition.
Es kommt hinzu, daß der Araber durch seine Hautfarbe dem Neger
näher steht als der Europäer. Dies wissen die Mohammedaner
geschickt auszunützen, indem sie dem Neger beibringen: „Der Islam
für die Farbigen, das Christentum ist Sache des weißen Mannes,
unsres gemeinsamen Unterdrückers.“ Gar mancher Neger läßt sich da
bereitfinden, die Lehre des Propheten anzunehmen, besonders wenn der
Häuptling und seine Großen vorangegangen sind. Daß die Unterschiede der
christlichen Glaubensbekenntnisse den Negern in die Augen fallen, sie
von dem Bestehen der zahlreichen mohammedanischen Sekten aber meist nur
wenig Kenntnis erhalten, ist eine weitere Hilfe für den Islam.
Auch die +Lehre+ des Propheten ist dem Neger bedeutend bequemer als das
Christentum. Vor allem darf er die Vielweiberei beibehalten. Jeder, der
draußen gewesen ist, weiß, was das für den Schwarzen sagen will. Aber
auch sonst sind die Forderungen des Koran nicht so streng, und wenig
genau nimmt man es mit den Vorschriften, die da sind. Seine Amulette
trägt der zum Islam übergetretene Heide ruhig weiter. Ja, er kauft sich
von seinen jetzigen Lehrern noch neue mit arabischen Inschriften dazu.
Recht bezeichnend war die Antwort des hiesigen Regierungshäuptlings,
den ich, als er wieder einmal vollständig betrunken war, auf das
Enthaltsamkeitsgebot des Propheten aufmerksam machte: ~Allahu aallam!~
= Gott weiß es am besten! war seine seelenruhige Antwort. Er bleibt
trotzdem ein guter Mohammedaner, haben ihm doch seine arabischen Lehrer
aus dem Koran vorgelesen: „Gott gönnt euch das Leichte, nicht das
Schwere. ... Er will es euch leicht machen, denn der Mensch ist zur
Schwachheit geboren.“
Ein weiterer Umstand, der die christliche Missionstätigkeit vor der des
Islams beeinträchtigt, ist die Haltung der weitaus meisten Europäer
draußen, die, gelinde gesagt, die Missionstätigkeit nicht gerade
unterstützen. Während dem Schwarzen, der den Dingen nicht auf den Grund
sehen kann, im Islam Afrikas wohl auch verschiedene Sekten, aber doch
als einigendes Moment neben der Sprache bei ihnen allen eine religiöse
Bekenntnisfreudigkeit entgegentreten, sieht er bei den Christen, daß
ein innerer religiöser Zusammenhang zwischen den wenigen „Lehrern“
und den vielen offiziellen Bekennern kaum oder nur in wenigen Fällen
besteht. Solche Erwägungen, die der Neger tatsächlich macht, treiben
ihn dann leicht dem Mohammedanismus in die Arme.
Durch ihn ist aber dem Neger +innerlich+ nicht geholfen. Seine
abergläubischen Vorstellungen behält er bei. Auch von seiner Furcht,
dem Gepräge seiner animistischen und animalistischen Religion, wird
er nicht befreit. Jesus ist hier der wahre Friedensspender, nicht
trügerischen äußeren Friedens und Freudenrausches, wie ihn auch das
Heidentum kennt, sondern „Friedens wie ein Wasserstrom“. Und die
Erkenntnis, daß auch die Heiden durch das Evangelium diesen Frieden
erlangen können, macht den Beruf des Missionars zu dem schönsten.
Wenn man sieht, wie die Heiden am Krankenbette ratlos stehen, wie
sie von einem Medizinmann zum andern gehen, wie sie immer wieder den
Wohnplatz wechseln, um die bösen Hausgeister loszuwerden, wie sie alle
möglichen Opfer darbringen, zu denen das Orakel rät, selbst vor dem
Kindermord nicht zurückschrecken aus Furcht vor den Ahnengeistern,
wenn man die völlige Ratlosigkeit und Schmerzensausbrüche am Totenbett
beobachten kann und dagegen z. B. eine junge Christenfrau auf ihrem
Sterbelager fröhlich zeugen hört: „Ich fürchte mich nicht, ich glaube
an meinen Heiland, ich weiß, daß mein Erlöser lebt, er ist mir kein
Fremder,“ der zweifelt nicht mehr daran, daß das Christentum in
Wahrheit kein Phantasiegebilde, sondern +die+ Kraft ist, die selig
macht, die auch den Heiden gebracht werden muß.
Die alte Prophezeiung der Wapare-Medizinmänner, daß einst weiße Leute
mit neuen Sitten kommen würden, hat sich erfüllt. Sie sind gekommen und
haben die Errungenschaften einer alten Kultur mitgebracht. Besonders
die Eisenbahn hat die Verhältnisse im ganzen Lande umgestaltet.
Der Schwarze versucht sich der neuen Zeit anzupassen. Daß er dabei
manchmal, besonders was Kleidung betrifft, zur Karikatur wird, liegt
wohl in der Hauptsache daran, daß das gesunde Entwicklungsstadium
fehlt. Doch wenn man den Neger am Telegraphen, am Telephon oder vor
der Schreibmaschine sieht, den Lerneifer und die außerordentliche
Auffassungsgabe der Kinder in den Schulen, besonders in den
Steppenschulen beobachtet, so ist man sicher, daß auch das Wort vom
Kreuz von diesen Völkern verstanden werden kann, gilt ihnen doch im
besonderen die Verheißung des Messias: „Selig sind, die da geistlich
arm sind; denn das Himmelreich ist ihrer!“
[Illustration: Missionsstation Majita.]
[Illustration: Sprachkonferenz in Friedenstal.]
[Illustration: Die Missionsglocke.]
[Illustration]
Fünfzehntes Kapitel.
Dichten und Denken.
Die Sprache ist der Schlüssel zur Erkenntnis der Psyche eines Volkes.
In dem Maße, wie der Forscher lernt, die Sprache zu beherrschen,
erschließt sich ihm das Verständnis für die Denkungsart der Leute und
das ist für jeden Kolonisten nötig. Wohl jeder weiß zuerst mit ihren
Sprichwörtern und Erzählungen wenig anzufangen. Schon die äußere Form,
in der die Lehre geboten wird, um sie uns recht anschaulich zu machen,
bringt mancherlei Unbekanntes. Durch diese uns fremd anmutende Schale
können wir zum eigentlichen Kern nur langsam vordringen. Wenn z. B. das
Sprichwort lautet: „Mit +einem+ Lianenstrick zieht man nicht +zwei+
Bienenstöcke in den Baum hinauf,“ so versteht jeder Eingeborene sofort,
daß damit gesagt sein soll: „Niemand kann zwei Herren dienen.“ Er
weiß, daß an einem solchen Strick jedesmal nur einer von den schweren
hölzernen Bienenstöcken auf den Baum hinaufgezogen und dort aufgehängt
werden kann, weil es aus vielen Gründen unpraktisch wäre, zwei zugleich
daran zu befestigen. Ein derartiger Strick kann eben nur +einem+
Stocke dienen. Wenn man das alles weiß, ist der Vorgang ganz klar.
So zeigt schon dieses Beispiel deutlich, wie schwer es ist, Europäer
in die Gedankenwelt der Neger einzuführen, wenn ihnen die Kenntnis
der rein äußeren Vorgänge, auf die im Märchen oder Sprichwort Bezug
genommen wird, fehlt. Wenn der Neger mir erklärt: „Du bist eine Eule
geworden und hältst es mit dem Zauberer,“ so muß ich erst die weiter
unten erklärte Anschauung kennen, bevor ich verstehen kann, welchen
Vorwurf er mir mit dem Sprichwort gemacht hat. Erst mit den Jahren
gewinnt man diesen Einblick in ihre Sitten und erlangt eine Kenntnis
von den Feinheiten der Sprache und ihrer Grammatik. Welch wunderbare
Sprachschattierungen lassen sich allein mit den Präfixen erzielen!
Vor den Stamm rundu des Zeitworts ~runda~ = dumm sein, setzt man
entweder das ~m-~ der Menschen, das ~ki-~ der Sachen oder das ~i-~
der Klasse der großen oder verächtlichen Dinge und bildet so jedesmal
das Wort „Dummkopf“, aber in feiner Weise den Grad der Verachtung
immer mehr steigernd. So verfügt der Neger über eine einfache und doch
ausgezeichnete Möglichkeit, sein Empfinden zum Ausdruck zu bringen. Und
nun erst das bantu Verbum! Hier sind die Möglichkeiten fast unbegrenzt.
Ob etwas schnell oder langsam, wiederholt oder nur einmal, gleichgültig
oder intensiv getan wird, ob der Handelnde zur Zeit, in die uns der
Bericht versetzt, noch dabei ist oder dabei war, seine Tätigkeit
auszuüben, zusammengesetzte Futura neben dem einfachen Futurum, alle
diese Dinge sind nur einige der vielen Überraschungen, die unser beim
Studium warten. In den meisten bantu Grammatiken werden ja solche
Formen behandelt; hier will ich mich darauf beschränken, auf die
Abhandlungen unsres hervorragenden Forschers der Bantusprachen, Prof.
~D.~ Meinhof von der Hamburger Universität, hinzuweisen.
Für uns Europäer erfordert es ein angestrengtes Studium und ein
völliges Sichversenken in die Eigenart der Neger, bis man gelernt hat,
„schwarz zu denken“. So denken lernen muß aber jeder, der irgendwelchen
dauernden Einfluß auf die Leute ausüben will, und dazu ist die Sprache
der Schlüssel. Ist man jedoch erst einmal in der Lage, sich mit den
Negern so zu unterhalten, daß man auch von den Alten verstanden wird,
oder, was noch mehr sagen will, daß man auch sie versteht, dann ist
der erste Schritt zum Verständnis ihres Dichtens und Denkens getan.
Gerne würde ich dem Leser einige der schönen Paremärchen erzählen, in
denen sich der Humor und die großartige Beobachtungsgabe der Neger
widerspiegelt. Aber ich habe die Sache nach einem Versuch als zu
schwierig wieder aufgegeben. Denn wenn man erst einmal am Lagerfeuer
gesessen, den Erzählungen der Leute gelauscht hat und ihnen so
recht folgen konnte, ja sich oft hat mitreißen lassen von der kaum
zu übertreffenden Erzählerkunst, die durch lebhaftes Gebärdenspiel
wirkungsvoll unterstützt wird, dann fühlt man, daß nur ein ganz
geübter Schriftsteller es wagen darf, diese Märchen und Gleichnisse
ins Deutsche zu übertragen. Außerdem geht in der Übersetzung gerade
das, was den Kenner dabei am meisten ergötzt, nämlich die sprachlichen
Feinheiten und die Tonmalereien, verloren. So will ich mich hier auf
den Versuch beschränken, einen Teil ihrer Sprichwörter (~simo~)
wiederzugeben; denn diese kurzen Simo haben schon manchem einen
besseren Einblick in die Negerpsyche vermittelt, als eine lange
Abhandlung es hätte tun können.
Der Neger ist ein guter Menschenkenner, der mit offnen Augen durchs
Leben geht, wenigstens ist das von unsern Wapare wahr. Der unverdorbene
Eingeborne ist äußerst feinfühlig und versteht den leisesten Tadel,
der auf ihn besser wirkt als lange Schimpfreden. Er hat es seinerseits
gelernt, nicht immer nach außen hin merken zu lassen, was in seinem
Innern vorgeht. Deshalb läßt er sich auch durch des andern Maske nicht
lange täuschen. Er ist kein Freund harter Reden, dazu mißt er dem Wort
als solchem viel zu viel Kraft bei. Ein kühles und gemessenes Verhalten
gilt bei ihm als ein viel würdigeres und eindrucksvolleres Zeichen
der Unzufriedenheit als das bei Europäern oft so beliebte laute und
polternde Schelten. Doch nun wollen wir versuchen, etwas von seiner
Weltanschauung aus seinen Sprichwörtern kennenzulernen.
Auch der Parephilosoph hat den Egoismus der menschlichen Natur erkannt.
Steuern, ja, die sind gut, wenn +die andern+ sie zahlen müssen. Man
stimmt dafür, daß öffentliche Arbeiten vom Stamme für die Regierung
geleistet werden, solange man als Aufseher oder sonstiger „Beamter“
+die andern+ zu solcher Arbeit heranziehen kann. Da sagen dann wohl
diese „andern“: ~Ibuži la mwiyao telina kukoma~ = solange es sich
um die Ziege des andern handelt, erscheint dir das Schlachten eine
Kleinigkeit; aber deine eigene schonst du.
Wohl ist es Tatsache, daß des Freundes Auftrag uns oft mehr
Kopfschmerzen verursacht als die eigene Sache, z. B. machen uns fremde
Kinder, die uns für ein paar Tage anvertraut sind, mehr ängstliche
Sorge als selbst die eignen, denn: ~Cha mwiyao kikuyaža meso, kangi
si chako~ = die Angelegenheit deines Freundes läßt keinen Schlaf in
deine Augen kommen, trotzdem sie dich eigentlich nichts angeht. Im
übrigen aber ist, von solchen durch besondere Rücksichtnahme bedingten
Ausnahmen abgesehen, jeder sich selbst der Nächste: ~Mwashotia ihemba
erongoža lakwe~ = wer Maiskolben rösten will, legt seinen eignen
zuerst ans Feuer, oder: ~Mwaimika nyoka evoka he magu akwe~ = wer
den Platz nach einer Schlange ableuchtet, der fängt da an, wo er mit
seinen Füßen steht. Erst nachdem man sich selbst sichergestellt hat,
kann man auch an die andern denken. Bei diesem egoistischen Zug in
der Welt ist es klar, daß der Schwache unterdrückt und im Falle des
Mißlingens eines Unternehmens für alles verantwortlich gemacht wird.
So würde der Paremann angesichts des Bestrebens fast der gesamten
Welt, dem „verwaisten“ Deutschland die Schuld am Kriege aufzubürden,
diese Unterstellung mit dem tiefsinnigen Spruch zurückweisen: ~Ihemba
la mwana mkiva nilo lekomie moto~ = der Maiskolben des Waisenknaben
hat natürlich das Feuer erstickt! Wenn alle um die Herdstelle herum
sitzen und Mais rösten, dann liegen schließlich so viele Maiskolben
im Feuer, daß es ausgeht. Der Waisenknabe, der nach seiner Eltern Tod
keinen eigentlichen Verteidiger und Beschützer mehr hat, muß es nun
erleben, daß man behauptet, ausgerechnet sein Maiskolben habe das Übel
verschuldet! Der Leser kann sich denken, wie ein solches Sprichwort
auch in diesem, wenn ich so sagen darf, europäischen Zusammenhang dem
Neger die Lage in einem Augenblick so klar und verständlich macht, wie
es eine lange Beweisführung nicht vermöchte. Er würde, wie es auch in
der Vergangenheit geschehen ist, uns gleich mit einem andern Hinweis
zu trösten suchen: ~Kushigire, teheterire kucha!~ = Laß nur gut sein,
es hat noch nie aufgehört, wieder +Morgen+ zu werden! Denn wenn auch
die Menschen allerlei Listen ersinnen, +ihre+ Pläne zur Ausführung zu
bringen, sie müssen doch mit einer andern Kraft rechnen, die sie im
letzten Augenblick noch verhindern kann, ihr Ziel zu erreichen: ~Muntu
etega, Murungu eonza~ = der Mensch stellt die Fallen auf, aber Gott
sieht nach, ob etwas gefangen ist (d. h. nimmt es manchmal aus der
Falle und vereitelt somit die Pläne des Menschen). Diese Vorsehung ist
es, die jemand oft gerade in das Unglück stürzt, das er seinem Nächsten
gewünscht hatte. Deshalb warnt die Pareweisheit vor solcher Tücke:
~Wekimforira mwiyoa ikongo, we uneralisea~ = wenn du deinem Genossen
eine Grube gräbst, so wirst du hineinfallen.
In den Simo der Wapare tritt es recht deutlich zutage, daß sie lachen
und weinen, lieben, hassen und neiden genau wie wir. Hat ein tüchtiger
Mann unter der Mißgunst der andern zu leiden, etwa dadurch, daß man
ihn beim Häuptling anzuschwärzen sucht, so tröstet sein Freund ihn mit
den Worten: ~Nkuku njewa niyo yekwahiwe ni kihama~ = das weiße
Huhn hat (weil es sich durch die Farbe von den andern abhebt) besonders
viel vom Habicht zu leiden. Manchmal bringt man auch einem unscheinbar
aussehenden Manne, trotzdem er eine einflußreiche Stellung hat, nicht
die rechte Ehrerbietung entgegen. Man läßt sich durch das Äußere zur
Mißachtung verleiten, weil man bezweifelt, daß der andre Verstand genug
habe, seinen Einfluß geltend zu machen. Aber der Parephilosoph macht
auf das Gefährliche eines solchen Verhaltens aufmerksam, denn: ~Neri
simba yebigiwe ni mvua ikee sa ifolong’o~ = selbst ein Löwe, wenn er
vom Regen durchnäßt ist, sieht wie ein Hundsaffe aus, und: ~Mingori
ya hale teina mabwe~ = von weitem sehen die Berge aus, als ob sie
keine Felsen und Schluchten hätten. Lernt man sie aber erst einmal aus
der Nähe kennen, findet man manches bedeutend anders als erwartet.
Der Schein trügt eben, man muß den Dingen auf den Grund gehen, um sie
richtig einschätzen zu können. Dabei sollte man auch an die Folgen
einer Handlung denken. Wenn das immer geschähe, würde manche Torheit
unterbleiben. Besonders die leichtsinnig veranlagte Jugend steht in
Gefahr, sich durch den Schein oder die Lust des Augenblicks trügen und
in Schwierigkeiten bringen zu lassen. Sie wird auf die Ntundwi-Frucht
hingewiesen, die wohl eine schöne rote Schale hat, inwendig aber in der
Hauptsache aus einem dicken Kern besteht. Darum heißt es: ~Usirerehe
ntundwi kulangala, uko ndeni hena ibwe!~ = Laß dir die Augen von dem
roten Glanz der Ntundwi-Kirsche nicht blenden, innen besteht sie fast
nur aus dem Stein! Mit der Sünde, das wissen auch unsre Neger, macht
man immer dieselbe Erfahrung wie mit einer andern Frucht, die „zuerst
im Munde süß ist, aber nachher im Halse kratzt“.
Ja, wenn die Jugend nur immer auf den Rat der Alten hören wollte! Aber
sie neigt vielmehr dazu, den Greis zu verachten, der nach all den
überstandenen Lebensstürmen dem ausgewachsenen Bananenblatte gleicht,
das vom Winde vollständig zerzaust und unansehnlich geworden ist. Es
steht in starkem Gegensatz zu dem vom Safte strotzenden jungen Triebe.
Daher die Ermahnung: ~We ntumburuju, usiseke isago, ambu isago nalo
nekire ntumburuju!~ = Du frischer Trieb, lache nicht über das
alte Bananenblatt, denn auch dieses war früher einmal ein frischer
Trieb! So siehst du, was du später sein wirst. Wenn die Ehrerbietung,
die aus solchen Überlegungen entspringt, dem Alter im allgemeinen
entgegengebracht werden soll, so hat die Mutter ganz besonderen
Anspruch darauf, denn: ~Kamango ni kamango, na kerekongomala~ =
dein Mütterchen ist dein Mütterchen, auch wenn es runzlig geworden ist.
Schöner könnte man wohl kaum zur Kindespflicht auffordern, als es hier
unsre Wapare in ihrer melodischen Sprache getan haben.
Sie kennen und betonen auch den Wert der Erziehung in der Jugendzeit.
Gewisse Schranken sind allerdings dabei durch die Vererbung gesetzt,
denn: ~Ng’onji teishiga mbari~ = von einem Schaf darf man nur ein
Schaf erwarten, und: ~Msese wekila magi iguhie he ikolo~ = wenn eine
junge Henne die Eier auffrißt (anstatt sie auszubrüten), so hat sie
das von der Mutter her. Mit diesen vererbten Untugenden muß man also
rechnen. Was aber in der Erziehung getan werden kann, das muß in der
Jugend geschehen. So wie man die Welsfische +vor+ dem Räuchern in die
im Handel übliche Form, nämlich Kopf und Schwanz zusammengebogen,
bringen muß, weil sie nach dem Räuchern platzen würden, so muß die
Erziehungsarbeit dann geschehen, wenn die Kinder noch biegsam sind.
Deshalb sagt man: ~Koma nguluma yecheri mbisi, wekiishiga ikaoma,
wekiikoma ineboika!~ = Biege den Welsfisch, solange er noch roh
ist; wenn du ihn erst räucherst und dann biegst, wird er brechen!
So erzogen, werden gerade die jungen Leute nützliche Glieder der
Gesellschaft werden und ihre besonderen Aufgaben trotz oder vielmehr
wegen ihrer Jugend besser erfüllen können als die Alten; denn: ~Miti
mifuhi niyo yegerira mako~ = auf den niedrigen Bäumen richtet man
gewöhnlich die Kornspeicher ein; die bereits hochgewachsenen eignen
sich dazu weniger.
Frühzeitig werden die Kinder angehalten, sich auf dem Acker und zu
Hause nützlich zu machen. Daß Müßiggang aller Laster Anfang ist, wird
dem Parekinde mit dem Hinweis auf die diebischen Affen klargemacht, die
sich fast ausschließlich vom Stehlen der Feldfrüchte nähren. Und warum?
~Ntumbiri kuiva ni kusaima~ = der Affe stiehlt, weil er nicht ackert.
Im Lauf der Jahre erkennt man immer mehr, mit welch feinem
Verständnis der Eingeborene die einfachsten Vorgänge des täglichen
Lebens betrachtet und wie er in ihnen mit der Tiefgründigkeit eines
Philosophen ewige Wahrheiten findet. Er sieht den Ackersmann, der mit
seiner Hacke den Boden bearbeitet. Kling! die Hacke ist auf einen Stein
gestoßen. Im nächsten Augenblick wird das Hindernis auf den Haufen zu
den übrigen Steinen geworfen. Bald darauf wiederum der gleiche Vorgang.
Wie wollte der Bauer auch jemals mit seiner Arbeit fertig werden, wenn
er anfangen würde, alle Steine, die er auf seinem Acker findet, in die
Hand zu nehmen, sie lange zu betrachten oder gar zu zählen? So ist es
auch mit den Sorgen dieses Lebens. Zähle sie nicht, halte dich nicht
lange mit ihnen auf, wirf sie kurz entschlossen fort, damit deine
Arbeitskraft nicht gelähmt wird, denn: ~Wekitala mabwe, tukafwinye
ngemo!~ = Wenn du die Steine zählst, wirst du das Tagewerk nie
fertigbringen.
Unser Neger ist der geborene Diplomat. Wenn es seinem Vorwärtskommen
dienlich ist, läßt er fünf gerade sein, wenn ein Mächtiger diese
Behauptung aufgestellt hat. Denn die Großen muß man ehren, auch wenn
man nicht immer von ihrer alles andre in den Schatten stellenden
Weisheit überzeugt ist. Ich sehe meine schwarzen Freunde im Geiste
vor mir, wie sie mit dem feinen Lächeln eines, der die Schwächen und
Eitelkeiten der Menschen versteht, erklären: ~Lumbo lwa mfumwa teluna
kivivi!~ = Die Gesänge des Häuptlings sind ausnahmslos schön!
Auch in andrer Hinsicht ist es geraten, im Verkehr mit solchen
Menschen, die Gewalt über uns haben, vorsichtig zu sein. So ist es
z. B. nicht ratsam, den Häuptling auf irgendeine notwendige Arbeit
aufmerksam zu machen. Man würde sich dabei nämlich nur unnötig der
Gefahr aussetzen, von ihm „ehrenamtlich“ mit der Erledigung dieser
Arbeit betraut zu werden. Das sind ungefähr die Erwägungen, die unserm
schwarzen Philosophen vorschweben, wenn er sagt: ~Mwamkumbusha
mfumwa viratu niye evionja~ = wer den Häuptling an seine (von ihm
vergessenen) Sandalen erinnert, der wird dann auch beauftragt, sie zu
holen.
Aber selbst ein einflußreicher Mann sollte nie zuviel von seinen
Untergebenen verlangen, vor allem nicht eine Arbeit, die einem Mann
überhaupt nicht ziemt. Man ist ja willens, allerlei zu machen, gleich
der Ratte, die alle erdenklichen Gegenstände annagt. Aber auch sie hat
doch Dinge, an die sie nicht herangeht. Einen Tabaksbeutel z. B. läßt
sie unberührt liegen, da er selbst ihrem wenig verwöhnten Geschmack
nicht zusagt. Ebenso darf der Häuptling in dieser Beziehung den Bogen
nicht zu straff spannen, denn man würde ihm sagen: ~Ku ngoswe ni
ngoswe, mira sikale mfuko wa tumbatu~ = ich bin zwar nur eine Ratte,
aber den Tabaksbeutel nage ich doch nicht an. Ganz besonders gilt
dies mit Bezug auf solche Launen eines Mächtigen, deren Befriedigung
mit Lebensgefahr für den Untergebenen verbunden sein würde. Gewiß,
die Pareweisheit läßt nicht außeracht, daß auch gefährliche Versuche
gemacht werden müssen. So muß man unbedingt festzustellen suchen,
ob das Pfeilgift nach einer gewissen Zeit noch stark genug ist und
tödlich wirkt. Aber dazu nimmt man, und das sagt man gegebenenfalls dem
Häuptling auch, keine Menschen, sondern: ~Vusungu vuježwa he ichura~ =
die Wirkung des Pfeilgiftes stellt man versuchsweise +an Fröschen+ fest.
Der Platz vor der Häuptlingshütte, wo die Prozesse verhandelt werden,
ist der Ort, an welchem man die meisten Sprichwörter hören kann.
Kläger und Verklagte, besonders aber die Ältesten des Landes, die als
Beisitzer und Anwälte wirken, wetteifern darin, ihre Ausführungen durch
solche Simo möglichst überzeugend zu gestalten. Ist da etwa ein Mann,
der sich früher von seinem Nachbar eine Ziege geborgt hat, nun aber
eine außerordentliche Gedächtnisschwäche zeigt, oder versucht bei
einer Beleidigungsklage der Beleidiger seine Unschuld durch den Hinweis
zu beteuern, daß er sich keiner verletzenden Äußerungen mehr entsinnen
könne, so entkräftet der Kläger oder irgend jemand, der sich zu seinem
Anwalt macht, diesen Beweis mit den Worten: ~Kihama kiivaa, nkuku
teiivaa~ = der Habicht vergißt es (nämlich, daß er dem Huhn die
Küken geraubt), das Huhn vergißt es nicht.
Sehr viele Sprichwörter der Neger sind dem Tierreich entnommen. Hier
eine kleine Auswahl:
~Cheho mweteni tekiirwa nywa~ = Tiere, die im Wasser leben,
fordert man nicht zum Trinken auf. Das hieße ja Wasser ins Meer gießen.
Den gleichen Gedanken wollen die Leute ausdrücken, wenn sie sagen:
~Ena kise teirwa: dika!~ = Zu jemand, der immer gastfrei ist, sagt
man nicht: Koche Speise! Das versteht sich bei einem solchen Menschen,
sobald er Gäste hat, ganz von selbst.
~Iguro ligwirwa singo ni mwenye~ = nur der Herr kann seinen
Hund ohne Gefahr am Halse fassen. Lehre: Mische dich nie in fremde
Angelegenheiten, denn du weißt nie, welchen Ausgang sie für dich nehmen
können.
~Kumogwa kwa ng’ombe ni masikio, mpembe žitameia vilanga~ =
was zur Kuh von Geburt an gehört, sind die Ohren; die Hörner kommen
dann später mehr zur Zierde hervor. Wenn also mein Haus auch noch
nicht so schön verputzt und geweißt ist wie deins, so erfüllt es den
eigentlichen Zweck eines Hauses genau so gut: es schützt mich vor
Nässe und Kälte. Das weitere kann man als nebensächlich ruhig der Zeit
überlassen.
Unsre Neger wissen auch, daß man die Haut des Bären nicht verkaufen
darf, ehe man ihn erlegt hat. Da sie aber keine Bären kennen, so geben
sie den Gedanken ihren Verhältnissen angepaßt in folgender Form wieder:
~Kadeje wesinakakoma usikafutie moto!~ = Für das Vögelchen, das du
noch nicht geschossen hast, zünde lieber noch kein Bratfeuer an!
Wurde in früheren Zeiten jemand durch das Gottesurteil der bösen
Zauberei überführt, so tötete man nicht nur ihn selbst, sondern auch
seine Kinder und begründete das wohl mit dem Spruch: ~Nyoka teina
ndori~ = bei Schlangen sieht man nicht auf die Größe, da die kleinen
oft die gefährlichsten sind oder werden. Oder man sagte: ~Wekitema
muti, isukuži lineraoka muti wa~ = wenn du den Baum fällst und den
Stumpf stehen läßt, so wird wieder ein Baum daraus werden.
Unsre Wapare essen die Nashornvögel gerne; noch beliebter aber sind bei
ihnen die grünen und fetten Papageientauben. Deshalb sagt der Jäger:
~Sikakenje mivwi na mahondo, ninga žekiza nnegera-ni?~ = Ich werde
doch meine Pfeile nicht alle auf die Nashornvögel verschießen; wenn die
Tauben kommen, was soll ich dann auf die Sehne legen? Dies Gleichnis
läßt sich natürlich gleich allen andern bei den verschiedensten
Gelegenheiten verwerten. So gebraucht die Hausfrau es -- um nur ein
Beispiel anzuführen -- wenn sie einen Speisevorrat aufhebt für etwa
noch später kommende Gäste oder gar ihren Mann.
Die Eule ist nach der Anschauung unsrer Wapare die Dienerin des bösen
Zauberers, das einzige Lebewesen, das es mit ihm hält. Ergreift nun
der Häuptling, vielleicht weil er sich hat bestechen lassen, die
Partei eines Mannes, der nach Ansicht aller Ältesten seinen Prozeß
verloren hat, so läßt sich wohl der Kläger ob solcher offensichtlichen
Rechtsbeugung in seinem Zorn auf den Richter zu den Worten hinreißen:
~Waoka mnkwingwi, wamuka na msavi~ = du bist eine Eule geworden,
die es mit dem bösen Zauberer hält.
In einer ganzen Reihe von Sprichwörtern verspottet der Negerphilosoph
den Gierigen, der immer in Angst lebt, er könne irgendwie benachteiligt
werden, oder ihm könne das beste Stück entgehen. In seinem Bestreben,
recht viel zu bekommen, schneidet er an dem Fleisch herum, bis er die
Strafe hat: ~Msulu echwa chaa chakwe~ = der Gierige schneidet
sich zuletzt in seinen Finger. Oder er wählt lange aus, um ja das
beste Stück des bereits zerlegten Ochsen zu bekommen, auch hier zu
seinem eignen Schaden, denn: ~Msagura maeto eguha ieto la ivende~
= der Wählerische greift schließlich nach einem Stück Fleisch, das
einen dicken Knochen hat. Deshalb bezähme dich, du Gieriger, sonst
ergeht es dir wie jener Hyäne. „Es war einmal eine Hyäne, die durch
den Busch ging und an einen Scheideweg gelangte. Als sie sich die
beiden Wege genau betrachtete, bemerkte sie auf beiden die Spuren von
Kühen. O, dachte sie, ich werde den Kühen nachgehen, vielleicht ist
eine unterwegs krank geworden und liegengeblieben. Die beiden Wege
liefen zuerst nebeneinander her, und es fiel der Hyäne schwer, sich
für den einen oder andern zu entscheiden, da beide Beute verhießen. So
lief sie mit den linken Füßen auf dem einen und mit den rechten Füßen
auf dem andern Wege. Und weil die Unersättliche in ihrer Gier keinen
Weg aufgeben wollte, diese Wege aber immer weiter auseinandergingen,
zerplatzte sie schließlich mit lautem Knall.“
Die meisten solcher Weisheitssprüche lassen sich in der Heidenpredigt
gut verwerten, so die folgenden: ~Vazoro na vazoro tevekombolana~
= Sklaven können sich nicht gegenseitig freimachen. Der Eingeborne
hält seine Kühe nicht alle im eignen Stall, sondern stellt sie in
verschiedenen Landschaften bei seinen Freunden unter, „teilt sie aus“,
damit zur Zeit einer Viehseuche nicht sein ganzer Besitz auf einmal
gefährdet ist. Ja, wenn er genügend hat, dann borgt er auch ganz gerne
dem andern ein Stück Vieh; denn gerät man selbst einmal ins Unglück und
verliert all sein Eigentum, dann kommt einem solche noch ausstehende
Forderung sehr gelegen. Deshalb sagen die Vaasu: ~Kugwirisha si
kunesha, kuinkiža ni kuvika~ = festhalten ist kein mehren, aber
austeilen bedeutet sparen. An Hand eines solchen Spruches kann man
leicht Texte wie Matth. 6, 19. 20 erklären. Oder wir wollen ihnen das
Psalmwort predigen: „Auf Gott hoffe ich und fürchte mich nicht; was
können mir die Menschen tun?“ Ps. 56, 12. Der kritisch veranlagte Neger
hat in seinem Herzen sogleich allerlei Bedenken, wenn er sie auch nicht
äußert. Er philosophiert: „Ja, so sagt ihr Europäer, ihr seid die
Herren im Lande, ihr glaubt auch nicht an Zauberer, die Häuptlinge und
Mächtigen im Volke können euch in der Tat nichts anhaben; aber auf uns
paßt der Spruch doch wohl nicht.“ Wie gut ist es da, wenn man ihnen mit
einem ihrer Sprichwörter zeigen kann, daß der Gedanke des Psalmisten
bereits keimhaft in ihrem eignen Volksempfinden vorhanden ist und
nur durch den christlichen Glauben veredelt werden soll. Denn unsre
Eingeborenen sagen: ~Kizinya kigango, lukumbi lwekidofa luna-ni~
= wenn nur das Dach in der Mitte am Firstbalken dicht ist; wenn es
auf der Veranda durchregnet, das macht nichts. Damit will der Mwasu
sagen: Wenn der Oberhäuptling auf meiner Seite steht, dann brauche ich
die andern nicht zu fürchten. Wie leicht hat es da der Missionar, der
solche Sprüche kennt, auf Gott als den Obersten aller hinzuweisen und
das Gefühl der Geborgenheit unter seinem Schutze mit Paulus zu preisen:
„Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“
Auf der andern Seite lehrt die Negerweisheit aber auch, daß alles
verloren ist, wenn +der+ uns verläßt, auf den allein wir bauen konnten.
Wenn jemand von einer Schlange gebissen wird, so ist das allerdings
sehr gefährlich; aber man braucht die Hoffnung nicht aufzugeben;
denn da ist der Mnkulo-Baum. Von dessen Holz läßt man sich schnell
etwas auf die Wunde schaben, und das Gift wird zerstört. Die Kraft
des Mnkulo-Baumes ist eben doch noch größer als selbst die des
Schlangengiftes. Was für das Haus der Firstbalken, das ist für die
Medizin das Mnkulo-Pulver. So ist Gott für uns die einzige Rettung aus
irgendwelcher Not.
Doch der Parephilosoph spinnt den Gedanken des Gleichnisses weiter.
Für den Schlangenbiß hast du zwar den bekannten Baum als Gegenmittel.
Was kannst du aber anwenden, wenn dieser Baum, der doch schon das
kräftigste aller Heilmittel ist, dich „beißt“, d. h. statt deine
Rettung deine Vernichtung will? ~Wekiumwa ni nyoka, uneshaiwa
mnkulo, mira wekiumwa ni mnkulo, uneshaiwa-ni?~ = Wenn du von einer
Schlange gebissen wirst, schabt man dir Mnkulo(pulver) auf die Wunde,
aber wenn du vom Mnkulo gebissen wirst, was dann? Die Frage bleibt
unbeantwortet. Es gibt dann eben keine Rettung mehr. Nun wird plötzlich
dem ungläubigsten Heiden klar, warum Könige, Große und Gewaltige an
jenem Tage zu den Bergen und Felsen sagen werden: „Fallet über uns und
verberget uns vor dem Angesichte des, der auf dem Stuhl sitzt, und
vor dem Zorn des Lammes (das sonst immer nur als Heiland den Menschen
gegenübergetreten, jetzt als der, der die Kelter des Zornes Gottes
tritt)! Denn es ist gekommen der große Tag seines Zorns, und wer kann
bestehen?“
Wunderbar weiß der Eingeborne in der Not zu trösten, und mancher
Europäer, der mit seinem schwarzen Diener, Dolmetscher oder Soldaten
gemeinsam schwere Stunden verlebte, hat das bezeugt. Angesichts des
Todes, der einem sein Liebstes geraubt hat, fügt man sich in das
Unabänderliche: ~Nkore ya Murungu teikombolwa~ = die Beute Gottes
kann man nicht wieder auslösen. Gewöhnlich sind es gerade die besten,
die früh dahingerafft werden, wie auch der Jäger die guten Pfeile
zuerst verschießt. Damit tröstet man die Hinterbliebene, indem man
sagt: ~Mivwi yedi teikaa he iziaka~ = die guten Pfeile bleiben
nicht lange im Köcher.
Wie die Märchen, so verraten auch die Simo unsrer Wapare ihren
prächtigen Humor und ihre in manchen Dingen optimistische
Lebensauffassung. Selbst einer an und für sich unangenehmen Sache
versuchen sie noch eine Lichtseite abzugewinnen, wie auch unser Dichter
sagt: „So schwarz ist keines Unglücks Nacht, ein Blümlein hängt an
seiner Kette.“ Der Eingeborne gibt den gleichen Gedanken durch das
folgende drastische Gleichnis wieder: ~Kugwa he muti nikwo na
kusea~ = nachdem man vom Baume heruntergefallen ist, ist man damit
auch herabgestiegen. Gewiß, das Herunterfallen von einem Baum ist an
und für sich nichts Angenehmes. Wenn es aber einmal Tatsache geworden
und man mit ziemlich heiler Haut davon gekommen ist, dann gilt es zu
überlegen, ob an dieser Kette nicht ein Blümlein hängt. Das ist hier
der Fall; denn der Abstieg von einem hohen Baume ist nicht immer leicht
und ungefährlich. Wer aber heruntergefallen ist, der ist damit der Mühe
des Abstiegs enthoben. Mit solchen Erwägungen tritt der Mwasu würdig an
die Seite Leberecht Hühnchens, der es bekanntlich ähnlich machte.
Eines Tages sah ein Neger, wie ein Huhn trotz seiner kurzen Füße und
seines geringen Körpergewichtes auf einem schlüpfrigen Wege einen
Fehltritt tat und ausrutschte. Daran knüpfte er seine Betrachtungen.
Wenn das schon bei einem Huhn vorkommt und entschuldigt werden muß,
wieviel mehr bei einem Menschen, der soviel größer und schwerer ist.
Deshalb warnt er vor allem unbarmherzigen Richten mit den schönen
Worten: ~Heshereta nkuku, kalando muntu~ = ein Huhn gleitet aus,
wieviel mehr ein Mensch! Man sieht ja auch viel leichter den Splitter
in des andern Auge als den Balken im eignen. So geht es dem Affen, der
seine Genossen in der krummen, buckligen Haltung auf den Bäumen sitzen
sieht und sich ausschütten möchte vor Lachen, weil der eigne Buckel
seinen Augen verborgen bleibt: ~Ntumbiri iseka nundo ya mwiyae, yakwe
teiwene~ = die Meerkatze lacht über den Buckel ihres Genossen, weil
sie den eignen nicht sieht.
Ein Gläubiger, der seinen Schuldner ziemlich häufig besucht und
mahnt, entschuldigt seine Ungeduld mit den Worten: ~Hantu hena
mpengo, tehetera lumi~ = wo eine Zahnlücke ist, da fährt die Zunge
immer wieder hin. Die Hausfrau, welche von Gästen und Besuchern, die
natürlich auch bewirtet sein wollen, überlaufen wird, klagt wohl halb
scherzend, halb ernsthaft: ~Mi ni inoo la nzieni, evecha eranoa~
= ich bin wie ein großer Stein am Wege, an dem niemand glaubt
vorübergehen zu können, ohne sein Messer zu wetzen. Mit trefflichem
Humor erinnert der Volksmund den Gast, der sich bei seinem Freunde am
Fleisch einer ihm zu Ehren geschlachteten Ziege gütlich tut, daran,
daß eine Liebe der andern wert ist: ~Wekila ibuži la mwiyao, lako
libigwa ni mutwi~ = wenn du die Ziege deines Freundes verspeist,
dann hat deine Ziege zu Hause (als Vorbote ihres nahen Todes!) bereits
Kopfschmerzen. Hat man dir eine Ziege geschlachtet, wirst du deinen
Freund nicht mit Bohnen und Tomatentunke abspeisen können.
Die Neger sind sehr gastfrei und nehmen anderseits die Gastfreundschaft
ihrer Stammesgenossen unbedenklich in ausgedehnter Weise in Anspruch.
Aber auch sie wissen, daß es zu Hause am besten ist: ~Hetu ni hetu~ =
zu Hause ist zu Hause. Hat man es draußen noch so gut, man kann sich
doch nicht so geben wie zu Hause, denn: ~He vujeni uia sa ng’ombe,
henyu uia sa nzao~ = in der Fremde brüllst du nur wie eine Kuh, zu
Hause brüllst du wie ein Bulle. Manche Frau mag das schon ihrem Manne,
der sich nur bei andern zusammennahm und bescheiden zeigte, während
er zu Hause „wie ein Bulle brüllte“, auch in diesem, ebenfalls sehr
zutreffenden Sinne gesagt haben. Einen ähnlichen Gedanken drückte
einmal unser schwarzer Ältester Hezekiel aus, als er seinen Brüdern
vorhielt: „Wir haben zwei Gesichter, ein sanftes, gutmütiges, das
zeigen wir +fremden+ Männern und Frauen, und ein strenges, hartes,
das setzen wir auf, sobald wir mit unsern eignen Frauen sprechen.“
Hoffentlich leidet keiner der lieben Leser und Leserinnen an solchem
„zweiten Gesicht“ der Frau bzw. dem Manne gegenüber, und ist ihnen im
Gegenteil nur die gegenseitige Liebe und das Aufeinander-Angewiesensein
bekannt, von dem einer meiner schwarzen Freunde an seine Braut
schrieb: ~We na mi tukee sa mpombe na nguluma, žesishigana mira žifwia
hamwe~ = du und ich, wir sind wie der Fisch und das Wasser, die nicht
voneinander lassen können und zusammen sterben. Damit wollte er sagen:
Wir gehören zusammen und sind aufeinander angewiesen wie der Fisch auf
das Wasser. Vertrocknet es, so muß er auch sterben.
Damit will ich abbrechen. Ich hoffe, die Leser haben an Hand der
wenigen Sprichwörter einen kleinen Einblick in die Gedankenwelt
der Wapare tun können. In meiner sprachlichen Sammlung, die leider
in Afrika verbleiben mußte, hatte ich Hunderte solcher Simo
zusammengestellt. Aber hier fehlt der Raum, selbst nur die alle
anzuführen, deren ich mich heute noch entsinne. Wenn irgend etwas
dazu angetan ist, die Schwarzen uns innerlich näherzurücken, so ist
es nach meinem Dafürhalten die Beschäftigung mit ihrer Sprache und
allem, was damit zusammenhängt. Dann merkt man bald: die Leute sind
nicht so primitiv, wie sie durch das Fehlen der meisten technischen
Errungenschaften auf den ersten Blick scheinen. Jedenfalls sind sie
gute Menschenkenner, die mit ihrem gesunden Urteil meistens den
Nagel auf den Kopf treffen und z. B. mit den Spitznamen, die sie dem
Europäer oder auch den Stammesgenossen geben, zeigen, daß sie das
Charakteristische an einer Person alsbald erfaßt haben. Ja, nicht
nur trifft das bei Personen zu, sondern, was weitaus schwieriger
ist, bei ganzen Völkern. Wenigstens kenne ich ein Beispiel dafür aus
allerjüngster Vergangenheit. Die Engländer nahmen die Kolonie. Sie
brachten Kleider, und +die+ wurden von den Negern durchweg mit Jubel
begrüßt. Mancher Eroberer mag den Jubel auf sich bezogen haben, das war
dann fast durchweg ein Irrtum. Bald stellten die Neger auch Vergleiche
zwischen den beiden Rassen an. Hier in einem kurzen kisuaheli Wortspiel
das Ergebnis dieser „primitiven“ Philosophen: ~Wadachi maneno makali,
roho mzuri. Wangereza maneno mazuri, roho mkali!~ = Die Deutschen:
strenge Worte, gutes Herz. Die Engländer: gute Worte, strenges Herz!
Wer wollte es unternehmen, die beiden Nationen noch treffender und
kürzer zu charakterisieren?
Manchmal schätzt man eine Sache erst dann richtig ein, wenn man sie
verloren hat. Ich habe schon mit vielen „Afrikanern“ gesprochen, die
ihre Liebe zu den Schwarzen erst jetzt entdeckt und ihnen im stillen
manche ungerechtfertigte Schroffheit abgebeten haben. Aber gerne haben
wir die Schwarzen alle gehabt, und sie uns. Die Worte, die mir einige
unsrer Waparechristen nachriefen, als wir von Afrika als Gefangene nach
Indien gebracht wurden, habe ich nicht so aufgefaßt, als ob sie mir
oder uns Missionaren allein gälten, sondern sie waren der Abschiedsruf
aller Schwarzen an alle Deutschen: ~Nkwina kusia ni kuzana!~ = Unsre
Sehnsucht hört erst auf, wenn wir uns wiedersehen! Und sie haben uns
nötig. Sie brauchen nicht nur Leute, die ihnen die Errungenschaften
der Technik und Kultur übermitteln, sondern sie brauchen mehr.
Trotzdem sie geistig längst nicht so tief stehen, wie man gewöhnlich
annimmt, brauchen sie einen Erretter. Einen Erretter aus dem Sumpfe
der Immoralität -- die aber nicht schlimmer ist als hierzulande; einen
Erretter aus den Banden des Aberglaubens -- den man aber auch bei uns
reichlich findet; vor allem jedoch einen Erretter aus dem Banne der
Furcht, die sie zu Dingen treibt, die man +nur+ bei Heiden finden kann.
Diese Furcht bildet ihre große Not, und von der wollen wir im nächsten
Kapitel sprechen.
[Illustration]
Sechzehntes Kapitel.
Die Not der Heiden und das Evangelium.
Die heiße, helle Tropensonne lacht an einem wolkenlosen Himmel. Sie
taucht die weite Steppe und die hohen Berge in ein blendendes Licht,
leuchtet auch hinein in einen grausigen Abgrund, an dessen Rand ein
kleiner schwarzer Säugling friedlich schläft. Wie mag er nur in diese
gefährliche Lage gekommen sein? Wir sehen, daß die geringste Bewegung
ihm den Tod bringen muß. Aber gleich wird ja die sicherlich schon
besorgt suchende Mutter glücklich ihren schwarzen Liebling an ihrem
Herzen bergen. Nun reibt er sich die Äuglein, reckt die Ärmchen und
Beinchen, gerät ins Rollen -- und ist im nächsten Augenblick unsern
Augen entschwunden. Zur selben Zeit sitzt die arme gequälte Mutter in
ihrer Hütte und klagt um ihr Kind, das als „Zahnkind“ ein Opfer der
heidnischen Furcht hat werden müssen. „O weh, o weh, mein Kind, mein
Kind,“ klingt erschütternd ihre Totenklage. Sie sieht im Geiste ihren
Liebling am Rande der Klippe, sieht seinen zerschellten Körper am Fuße
des Abgrundes, sieht, wie in der Nacht aus dem Busch ein paar feurige
Augen auftauchen, verschwinden und wieder näher kommen. Im Geiste hört
sie kurz darauf das schaurige, höhnische Lachen der Hyäne, die die
letzten Spuren des furchtbaren Mordes verwischen wird. Da wird es Nacht
in ihr, wie es draußen Nacht geworden ist; aber aus ihrem Herzen ringt
sich, wenn auch mit andern Worten, doch unbewußt das ergreifende Gebet
des Jeremias: „Die Ernte ist vergangen, der Sommer ist dahin, und uns
ist keine Hilfe gekommen. Ich bin zerschlagen wegen der Tochter meines
Volkes, ich gehe trauernd einher, Entsetzen hat mich ergriffen. Ist
denn keine Salbe in Gilead, oder ist kein Arzt da?“ -- Das ist die Not
der Heiden.
Ein anderes Bild! Acht Männer ziehen durch die Landschaft. Einer von
ihnen führt an einem Strick einen Schafbock, ein andrer trägt allerlei
Eßgeräte und sonstige Sachen in seiner Hand, die wahrscheinlich dem
alten kranken Manne gehören, den die andern mit sich zerren. Der Alte
jammert und fleht um sein Leben, aber immer weiter bewegt sich der
traurige Zug. Unter einer riesigen Kandelabereuphorbie wird der Kranke
angebunden. Bald hallen durch die Stille des afrikanischen Busches die
Axtschläge der Männer, die darangegangen sind, den Baum zu fällen, der
im nächsten Augenblick mit gewaltigem Krachen umstürzt und den Alten
unter der Last seiner dornigen und fleischigen Äste begräbt. So hatte
es das Orakel angeordnet, um Unglück von der Familie abzuwenden; denn
auf Schritt und Tritt verfolgt den Neger die Furcht vor den Geistern
der Dämonen. -- Das ist die Not der Heiden!
Ein drittes Bild! Wir befinden uns bei einer Negerhütte, aus der uns
Stimmengewirr entgegentönt. Plötzlich wird die Lehmwand des Hauses
durchgebrochen und ein junges Mädchen zu dieser Öffnung hinausgestoßen.
Es ist fast nackt, nur mit dem Fell eines soeben geschlachteten
Opferschafes bekleidet. Hinter ihr her geht ein Medizinmann und
entsühnt den Weg. Weinend zieht das Mädchen in die Steppe, während
die Mutter in der Hütte sitzt und klagt: „O weh, wie schmerzt der
Abschied so sehr; mein Kind, wenn ich rufe, antwortet nicht mehr.“
Das Mädchen hat gegen ein Gebot der Ahnen, nicht etwa der Moral,
verstoßen. Nun ist sie lebendig tot. So hat es das Orakel durch den
Medizinmann verlangt und auf all das Unglück hingewiesen, das über die
ganze Sippe hereinbrechen würde, wenn man sich über die Gebote der
Ahnen hinwegsetze. Die Furcht ist im heidnischen Herzen stärker als die
Liebe. Aber die klagenden Männer und Frauen in der Hütte sind uns die
beste Antwort auf unsre Frage: Was spielt sich hier ab? -- Es ist ein
Kapitel aus der traurigen Geschichte der Not der Heiden.
Ein letztes Bild! Wir wollen in eine andre Hütte eintreten. Zuerst
müssen wir uns an die Finsternis und den Rauch gewöhnen. Endlich können
wir die Umrisse der Dinge erkennen. Wir stehen am Lager einer Frau, die
soeben einem kräftigen Zwillingspaar das Leben geschenkt hat. Ermattet
liegt sie da; aber sie kann keine Ruhe finden, denn aufgeregt schreien
die anwesenden Frauen durcheinander. Zwillinge dürfen nicht am Leben
bleiben. Der Zorn der Geister würde die ganze Sippe bedrohen. Die arme
Mutter weiß, was ihnen bevorsteht. Aber doch will ihr Herz brechen.
Soviel Schmerzen hatte sie aushalten müssen, so sehr hatte sie sich
auf Nachkommenschaft gefreut, die das Band zwischen ihr und dem Gatten
endlich fest gestalten würde. Mit angstvoll geweiteten Augen sieht
sie nun, wie die Frauen Wasser in einen Holzmörser gießen und dann die
Neugebornen mit den Köpfen so lange hineinhalten, bis sie ganz ruhig
geworden sind. -- Die Ahnen haben ihr Opfer; aber die Tränen, die immer
wieder aus den dunklen Augen der Mutter rinnen und das Fell netzen, auf
dem sie liegt, diese Tränen zeugen von der Not der Heiden +ohne+ das
Evangelium.
Wie freudig können demgegenüber unsre Christen bezeugen, daß völlige
Liebe die Furcht austreibt! Wie oft kamen Christenfrauen zu uns,
strahlend ihren kleinen Liebling auf dem Arm haltend. Er war ein
„Zahnkind“ geworden. Lachend zeigte man uns die „bösen“ Zähnchen.
„Früher hätten wir unser Kind töten lassen müssen; aber Christus hat
uns von diesem Aberglauben freigemacht.“ Von solcher Freudigkeit selbst
angesichts des Todes ist auch der Brief Hezekiels und Peteros, der
S. 217. 218 wiedergegeben ist, ein Beweis. Ja, das ganze Denken der
Heiden wird durch das Evangelium umgestaltet. Etwas Neues kommt in ihr
Leben, das Furcht, Haß und Rachedurst überwindet. Davon legte nach dem
Bericht eines unsrer Missionare Wazera ein gutes Zeugnis ab. „Im Jahre
1910, als Missionar R. noch unter den Wasanaki, einem Stamm in der Nähe
des großen Victoria-Njansa-Sees, arbeitete -- für die er schließlich
auch sein Leben ließ -- kam eines Tages ein wild aussehender junger
Mann zu uns auf die Station, um für ein Lendentuch zu arbeiten und die
Missionsschule zu besuchen. Wazera -- so war sein Name -- verursachte
uns keine geringe Mühe, da er sehr streitsüchtig war und oft in
Raufereien mit andern jungen Leuten geriet. Schließlich verließ er uns
und kehrte nur dann und wann in unregelmäßigen Zeitabschnitten zurück,
um seine Freunde zu besuchen. Man konnte jedesmal sicher sein, daß er
auch mit irgend jemand in Streit geriet. Als er dann im Jahre 1913
darum nachsuchte, als Missionszögling aufgenommen zu werden, schien es
noch, als hätte alles, was er bis dahin gehört und empfangen hatte, nur
einen geringen Eindruck auf sein Geistesleben gemacht. Es war sogar
fraglich, ob es überhaupt einen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Bald
jedoch stellte es sich heraus, daß der ausgestreute Same aufzugehen
begann. Mit ganzem Herzen und ganzer Seele gab er sich der Arbeit
hin. Kehrte er abends von seiner Arbeit auf der Bananenpflanzung zur
Missionsstation zurück, dann pflegte er gewöhnlich zu den andern zu
sagen: ‚Freunde, wir wollen nicht mit leeren Händen zur Missionsstation
zurückgehen. Hier sind einige reife Bananen, die wir mitnehmen
sollten.‘ Schnell schnitt er die Büschel mit seinem Messer ab und
begab sich dann, indem er selbst das größte trug, nach der Station.
Eines Tages wurde eine hochbetagte und schwache Frau, die die
Gewohnheit hatte, jedesmal, wenn sie an unsrer Station vorbeikam,
meiner Frau einen Besuch abzustatten, von einigen Burschen belästigt.
Als Wazera dies hörte, stellte er sie wegen ihres Verhaltens ernstlich
zur Rede und sagte darauf zu der Frau: ‚Komm, Großmutter, ich werde
dich nach Hause begleiten.‘ Wenn er selbst nach Hause ging, seine
Eltern zu besuchen, konnte er gewöhnlich einige besonders schöne
Bananen mitnehmen, die er für sie gespart hatte. Kam er zur Station
zurück, dann bereitete es ihm immer große Freude, wenn er unserm Kinde
ein paar hübsche bunte Steinchen oder andre Kleinigkeiten mitbringen
konnte. Zu unsrer größten Überraschung erschien er eines Tages mit
einem Strauß schöner Blumen für ~mama wetu~ = unsre Mama, wie sie
meine Frau nannten. Ich sage deshalb ‚zu meiner größten Überraschung‘,
weil es sonst nie vorkommt, daß Blumen für einen heidnischen Afrikaner
irgendwelchen Wert hätten, noch daß sie dort jemand zu schätzen wüßte.
Abends aber pflegte Wazera über seinem Neuen Testament zu sitzen und
darin zu lesen, bis er nicht mehr sehen konnte. Ab und zu stellte er
dabei Fragen, die uns deutlich verrieten, daß der Geist Gottes an
seinem Herzen arbeitete und immer mehr von ihm Besitz ergriff.
Wazera war noch gar nicht lange getauft, als wir gezwungen wurden,
während eines Aufstandes unter den Eingeborenen unsre Station zu
verlassen. Wazera und einige andre unsrer treuen eingebornen Christen
kehrten jedoch wieder um und gingen zur Station zurück, um das
Missionseigentum zu bewachen, bis es uns gelingen würde, Erlaubnis
zur Rückkehr zu erhalten. Während unsrer Abwesenheit kamen eingeborne
Soldaten auch nach unsrer Station und begannen alles zu nehmen, was
sie gerade gebrauchen konnten. Als unsre Christen dagegen Einspruch zu
erheben wagten, wurden sie ärgerlich und peitschten einige von ihnen
mit der schrecklichen Nilpferdpeitsche. Vor allem aber wurde Wazera,
der Aufseher, geschlagen. Ich fragte Wazera, was er nach solcher
Behandlung empfunden habe. Er sagte mir darauf, daß er zuerst sehr
böse geworden sei. Dann aber sei ihm eingefallen, daß Christen auch
ihre Feinde lieben und denen Gutes tun sollten, von denen sie gehaßt
werden. Darauf sei er hingegangen und habe für die Soldaten eine
vorzügliche Mahlzeit bereiten lassen. Auf seine Einladung, zum Essen
zu kommen, hätten diese aber nicht gewagt sein Haus zu betreten, weil
sie fürchteten, umgebracht zu werden. Er habe ihnen dann das Essen
hinaus ins Freie bringen lassen. Aus Furcht, daß die Speisen Gift
enthalten könnten, hätten sie auch dann noch nicht eher gegessen, als
bis er ihrer Aufforderung nachgekommen sei, selber an der Mahlzeit
teilzunehmen. Jene Soldaten seien, nachdem sie die Station wieder
verlassen hatten, zum Häuptling gegangen und hätten sich danach
erkundigt, was das für Leute gewesen sein könnten, die sie drunten auf
der Missionsstation getroffen hätten. Ihnen sei erklärt worden, daß es
~abasomi~ wären, d. h. ‚Leser‘, mit welchem Namen die Eingebornen
dort die Christen bezeichnen.
Das Evangelium erweckt in dem bekehrten Heiden neben so manchem
Neuen auch ein Gefühl der Verantwortlichkeit andern gegenüber. Der
Gedanke ist dem Neger an und für sich fremd. Er versucht im Gegenteil
seine Krankheiten und Gebrechen durch allerlei Sympathiemittel und
Zaubereien auf den ahnungslosen Nächsten zu übertragen. Er denkt meist
nur an sich, was ja bei seiner egozentrischen Weltauffassung leicht
erklärlich ist. Wenn schon den Juden die Erweiterung ihres Begriffes
vom ‚Nächsten‘ dringend nottat, so ist das in soviel größerem Maßstabe
bei unsern Negern der Fall.
Daß nun tatsächlich der bekehrte Heide zu solchem Gefühl der
Verantwortung seinen Mitmenschen, z. B. den andern Heiden in aller Welt
gegenüber erwacht, dafür liefern u. a. ihre Missionsgaben einen uns
oft beschämenden Beweis. Mais, ganze Zuckerrohr- und Kartoffelfelder
wurden als Opfer gegeben. Ein Häuptling brachte eine Kuh, das größte
Opfer, das ein Mparemann geben kann. Nichts freut sie mehr, als von dem
Fortschritt der Evangeliumsbotschaft in aller Welt zu hören. Oft kamen
sie noch in später Nachtstunde zum Missionar, um ihre Missionsgaben
abzuliefern. ‚Es ist weiß gewordenes (Pare-Ausdruck für heiliges) Geld,
das ich nicht unnötig lange mit mir herumtragen möchte,‘ sagte Petero
Sebuge. Die Bibel wird ihnen ein köstlicher Schatz, der sie in Zeiten
der Anfechtung tröstet und stärkt. So schreibt unser Petero Risase
Anfang 1921 in einem Briefe aus Afrika an den Verfasser: ‚Die Gnade
unseres Herrn Jesu Christi sei mit Dir alle Tage, dann möge Gott Dich
trösten unsretwegen, denn ich weiß, Du hast diese Trauer bei Dir.‘
Viele Grüße von mir und eine Erinnerung, die sich nicht töten läßt.
Deine Grüße habe ich sehr oft erhalten, und ich habe mich sehr gefreut.
Ich kann Dir weder auseinandersetzen die Art meiner Freude, wenn ich
Deine Grüße bekam, noch die Art meines Nichtseins mit Freude, wenn ich
verfehlte sie zu erhalten.
Was ich Dir auseinandersetzen möchte, ist dieses: Ich danke Gott
viele Male, weil er mich in den Nöten, die mich erreicht haben, nicht
verlassen hat. Bedeutung: Im Jahre 1917 starb mein Vater, 1918 starb
auch meine Frau Maria Risase und 1919 starb auch Debora Risase, mein
einziges Kind. Als diese alle starben, wurde meine Trübsal sehr groß.
Im Gebetshaus war kein Prediger, von dem ich die Dinge der Wahrheit
hätte vernehmen können. Mama Kotz hat meine Not gesehen, als sie einmal
(aus dem Internierungslager Tanga) herkommen durfte. Und sie tröstete
mich in einem Briefe, der sagte: ‚Petero, laß den Teufel nicht dein
Herz verderben, denn diese Tage sind die des Endes.‘ Da vernahm ich,
wie mein Herz mir sagte: Suche dir selbst geistige Speise und iß!
Früher bist du gewöhnt gewesen, daß man dir das brachte, was satt
macht, heute grabe selbst und iß ...“ Dann erzählt er weiter, wie
das Wort Gottes ihm in jenen schweren Jahren eine beständige Hilfe
gewesen sei und welche guten Erfahrungen er mit Gott gemacht habe.
In mancherlei Schwierigkeiten haben die meisten von ihnen treu zum
Christentum gestanden, Schmach, Verfolgung, Gefängnis und körperliche
Strafen um ihres Herrn willen erduldet und mit aller Tatkraft die
verwaiste Missionsarbeit aufgenommen. So ist es in jeder Hinsicht wahr,
was einer von ihnen einmal sagte: „Das Evangelium hat neue Menschen
aus uns gemacht.“ Und das tut in Pare besonders not, wie in den
vorhergehenden Kapiteln immer wieder zu zeigen versucht wurde.
Wenn sie uns auch die Wapare als Menschen erkennen ließen, die längst
nicht auf so tiefer Kulturstufe stehen, wie gewöhnlich angenommen wird,
so haben sie auch die Bande gezeigt, die sie im „Banne der Furcht“
gefangen halten. Sie zählen zu den Völkern, die wir als die primitiven
zu bezeichnen pflegen, und die doch lieben und hassen, lachen und
weinen und sich, wenn auch oft unbewußt, nach Erlösung sehnen, genau
wie wir. Sie haben ein Sprichwort: „Auf meinen Hilferuf in der Wüste
hin kam ein neuer Feind!“ Sie befinden sich noch in der Wüste des
Götzendienstes, umgeben von den Gefahren des Aberglaubens, und stoßen
bewußt und unbewußt den Ruf aus: Kommt herüber und helft uns! Kultur
ohne Christentum ist aber nur ein neuer Feind und läßt die Heiden
rettungslos dem Islam entgegentreiben, welcher sie weder von ihrem
Heidentum noch von ihrem Aberglauben erlösen kann.
Oberstabsarzt ~Dr.~ Otto Dempfwolff schreibt in einem Artikel über
die Notwendigkeit der christlichen Mission für die Kolonisation: „Es
soll und wird das Christentum als einziger Retter auch die Naturvölker
von ihrem Heidentum und Aberglauben erlösen, von den Banden befreien,
die jetzt in Zaubervorstellungen und Dämonenfurcht sie hindern, ihren
Geist für die Kulturgaben zu öffnen, die wir als Kolonisatoren bringen
wollen.
Es kann zweifelhaft sein, ob die Fähigkeiten der Rasse und die
Bedingungen des Klimas es je zulassen werden, daß die Farbigen an
Leistungen den Weißen je ganz gleich kommen. Um sie aber zu dem zu
entwickeln, was sie überhaupt leisten können, um sie soweit als möglich
unsrer Kultur zugänglich zu machen, dazu gibt es keine bessere Methode,
als ihnen das Christentum zu bringen.
Dieses allein kann dem Eingebornen neue Ideale an Stelle der von uns
Weißen unbewußt zerstörten bringen und auch ihn den Sinn des Lebens
lehren, so daß er begreift, was uns ‚Kultur‘ heißt: Herr über die Natur
zu werden, weil man sich als Kind Gottes fühlen darf!“
Herr über die Natur und damit aus dem Banne der Furcht befreit zu
werden, das wollen wir auch unsern Wapare wünschen. Dann wird Nkoma
und Dämon aus ihrem Leben ausgeschaltet sein und Christus ihnen A
und O werden, nämlich der Anfang zu einem neuen Leben, und aller
animistischen Furcht
Ende.
Vom gleichen Verfasser empfehlen wir die Schrift
Von Schwarzen und Weißen.
Diese 64seitige Broschüre gibt in recht anregender und unterhaltender
Form die Geschichte unsrer Mission im Südparegebiet (Ostafrika) wieder.
Sie umfaßt einen Zeitraum von elf Jahren. Die Schilderung, wie sich die
Hand Gottes in den Anfängen bekundete, unter welchen Schwierigkeiten
die Arbeit aufgenommen und fortgeführt wurde, dient zur Stärkung
des Glaubens. Mit regem Interesse wird der Leser die Negerküche
kennenlernen, von der Schularbeit vernehmen und den Missionar in seiner
recht vielseitigen Tätigkeit als Helfer der Schwarzen begleiten. Kleine
Erlebnisse verschiedenster Art und zahlreiche Bilder beleben die
Seiten. Das Evangelium hat Schwarze und Weiße eng verbunden, so daß
weder Raum noch Zeit sie trennen können.
Man verlange Preisliste vom Verlag.
Der Advent-Verlag (E. V.), welcher durch Schwesterhäuser und
Niederlagen in allen Teilen der Welt vertreten ist, verlegt christliche
Bücher, Zeitschriften und kleinere Schriften, die inhaltlich rein
biblische Grundsätze vertreten, in annähernd 100 verschiedenen
Sprachen. Außer religiösen Themen werden auch Fragen der Gesundheit
und Mäßigkeit in erschöpfender Weise behandelt; ebenso ist der
Jugendliteratur ein breiter Raum angewiesen. Besonders reichhaltig ist
die Auswahl in der englischen und deutschen Sprache, doch sind auch in
anderen Sprachen, z. B. der dänischen, schwedischen, französischen,
holländischen und spanischen eine gute Anzahl Bücher, Schriften
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Preislisten werden auf Wunsch kostenlos zugesandt.
Man wende sich an den
Advent-Verlag (E. V.)
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=Hamburg=, Grindelberg 15 a, Deutschland.
=Basel=, Birmannsgasse 31, Schweiz.
=Wien=, ~VII.~ Wimbergergasse 46.
=Budapest=, ~I.~, ~Krisztina körút~ 167, Ungarn.
=Den Haag=, Conradkade 4, Holland.
Druck und Verlag: Advent-Verlag (E. V.), Hamburg.
*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK IM BANNE DER FURCHT ***
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