Das Protistenreich

By Ernst Haeckel

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Title: Das Protistenreich

Author: Ernst Haeckel

Release date: February 12, 2025 [eBook #75352]

Language: German

Original publication: Leipzig: Ernst Gunther's Verlag, 1878

Credits: Peter Becker, Alpo Tiilikka, Adrian Mastronardi and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS PROTISTENREICH ***





Anmerkungen zur Transkription

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist
~so ausgezeichnet~. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist =so
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DAS PROTISTENREICH.

Eine populäre Uebersicht
über das
Formengebiet der niedersten Lebewesen.


Mit einem wissenschaftlichen Anhange:

SYSTEM DER PROTISTEN.


Von

E. HÆCKEL.

Mit zahlreichen Holzschnitten.

[Illustration]


Leipzig.

Ernst Günther’s Verlag.

1878.


Alle Rechte vorbehalten.




Für das tiefere Verständniss unserer heutigen Entwicklungslehre und
der darauf gegründeten einheitlichen Weltanschauung dürften wenige
Zweige der Naturwissenschaft von so fundamentaler Bedeutung sein,
wie die Naturgeschichte der niedersten Lebewesen, der sogenannten
~Protisten~. Denn die urwüchsige Einfachheit im Körperbau und in
den Lebens-Erscheinungen dieser unvollkommnen »Urwesen« öffnet uns
erst den wahren Weg für das Verständniss der viel entwickelteren und
schwierigeren Erscheinungen, welche uns die Anatomie und Physiologie
der höheren und vollkommneren Organismen, der echten Thiere und
Pflanzen darbietet. Dennoch ist die Bekanntschaft mit den Protisten
bisher fast nur auf die gelehrten Fachkreise beschränkt geblieben
und erst sehr wenig in weitere Kreise eingedrungen. Das ist auch
leicht erklärlich. Denn die grosse Mehrzahl jener einfachsten
Lebensformen, die wir im »Protistenreich« zusammenfassen, ist dem
unbewaffneten Auge völlig verborgen. Erst durch das Mikroskop können
wir sie erkennen, und meistens erst mit Hülfe starker Vergrösserungen
ihre Form-Verhältnisse genau erforschen. Aber auch dann ist diese
Erforschung noch mit vielen Schwierigkeiten und Hindernissen verknüpft.
Denn die allgemeinen Anschauungen vom lebendigen Organismus, die
gewöhnlichen Begriffe von den Organen und Functionen der Lebewesen,
welche wir aus der alltäglichen Anschauung des höheren Thier- und
Pflanzen-Lebens uns gebildet haben, passen nur wenig oder gar nicht auf
jene niedersten Lebensformen. Ausserdem ist aber auch die gründliche
wissenschaftliche Forschung der letzteren kaum vierzig Jahre alt; und
erst die sehr ausgedehnten und sorgfältigen Untersuchungen der letzten
zwanzig Jahre haben ihre Kenntniss auf eine solche Höhe gebracht,
dass wir gegenwärtig wenigstens eine befriedigende Vorstellung von
der Eigenthümlichkeit und eine klare Einsicht in die Bedeutung des
Protisten-Reiches gewonnen haben.

Wenn wir nun hier den Versuch wagen, in allgemein-verständlicher Form
eine kurze Uebersicht über das ganze grosse Protistenreich zu geben,
und seine hohe Bedeutung für die Entwicklungslehre dem Verständniss der
gebildeten Kreise näher zu bringen, so sind wir uns der grossen damit
verknüpften Schwierigkeiten wohl bewusst. Wir glauben aber denselben
am besten zu begegnen, wenn wir uns auf die gedrungene Zusammenfassung
des Wichtigsten beschränken, und die Bekanntschaft mit dem höchst
mannigfaltigen und interessanten Detail dieses unendlich reichen
Forschungs-Gebietes dem Studium der Special-Werke überantworten.
Zunächst wird sicher für unsere moderne Entwicklungslehre und weiterhin
auch für unsere damit verknüpfte monistische Weltauffassung schon viel
gewonnen sein, wenn eine allgemeine Anschauung von dem weiten Umfang
des mikroskopischen Lebensreiches, von der Einfachheit und elementaren
Bedeutung des »kleinsten Lebens« sich einen Platz im Bewusstsein
unserer gebildeten Kreise erobert hat.

Die niedersten Lebewesen, die wir hier als ~Protisten~, d. h.
»~Erstlinge~« oder »~Urwesen~« zusammenfassen, werden in weiteren
Kreisen auch heute noch sehr oft mit den unpassenden Namen Infusorien
oder ~Infusionsthierchen~ (im weiteren Sinne!) bezeichnet. In
den systematischen Lehrbüchern der Naturgeschichte werden sie
meistens als ~Urthiere~ (oder »~Protozoa~«) aufgeführt. Die beste
deutsche Bezeichnung für die ganze grosse Gruppe wäre vielleicht:
~Zellinge~ oder Zellwesen; denn es würde dadurch die wesentlichste
Eigenthümlichkeit ihrer Organisation, die autonome Selbständigkeit und
permanente Individualität ihres einfachen Zellen-Leibes in präcisester
Weise ausgedrückt.

Obgleich Viele von der Existenz der meisten mikroskopischen Protisten
keine Ahnung haben, so kommt dennoch jeder Mensch unendlich oft
mit ihnen in Berührung. Jeder hat beim Wassertrinken, beim Essen
von Früchten, Austern und anderen rohen Speisen schon Tausende und
Millionen von lebenden Protisten verschluckt, ohne sich dessen bewusst
geworden zu sein. Denn obgleich diese merkwürdigen Geschöpfe von dem
unbewaffneten Auge des Menschen zum grössten Theile gar nicht erkannt
oder höchstens als ganz kleine Pünktchen wahrgenommen werden, sind sie
dennoch in zahllosen, höchst mannigfaltigen und interessanten Formen
allenthalben über unseren Erdball verbreitet. Unsere Mikroskope weisen
uns dieselben überall im süssen und salzigen Wasser nach. Alle Bäche
und Flüsse, alle Teiche und Seen, alle Tümpel und Gräben enthalten
solche Urthierchen, oft in unglaublicher Masse. Man kann keinen Stein,
keine Pflanze aus dem Wasser heben, ohne in dem daran haftenden
schleimigen Ueberzug wenigstens einzelne Infusorien zu finden. Ebenso
ist das Meer überall von ihnen belebt. Der weiche Schlamm, der den
Meeresgrund bedeckt, besteht zum grossen Theil aus dergleichen
Protozoen. Der feine schlammige Ueberzug, der bei ruhigem Wetter
den klaren Meeresspiegel überzieht, ist aus Milliarden schwimmender
Infusorien zusammengesetzt. Aber auch der Staub unserer Strassen, der
Sand unserer Dachrinnen, die Humus-Erde unserer Felder und Wälder,
enthält Millionen kleinster Infusorien-Keime, sowie eingetrocknete,
aber noch lebensfähige Körper derselben. Wir brauchen bloss diesen
Staub und Sand in einem Glase mit etwas Wasser zu übergiessen und
diesen Aufguss einige Zeit in der Sonne stehen zu lassen, um durch
unser Mikroskop Massen von beweglichen Infusorien wahrzunehmen;
theils haben sie sich in kürzester Zeit aus jenen Keimen entwickelt,
theils sind sie unter dem belebenden Einflusse des Wassers aus ihrem
Trockenschlafe zu neuem Leben erwacht. Ist es ja doch gerade diese
Erscheinung, die zu der Benennung: ~Infusoria~ oder Infusionsthierchen,
d. h. »~Aufgussthierchen~« Veranlassung gab.

Es sind jetzt kaum zweihundert Jahre verflossen, seitdem die
mikroskopischen Infusorien durch den holländischen Naturforscher ~Anton
van Leeuwenhoek~ zuerst in einem Topfe voll stehenden Regenwassers
entdeckt wurden. Die Holländer haben die zweihundertjährige Jubelfeier
dieser Entdeckung, die damals das grösste Aufsehen erregte, vor wenigen
Jahren (1875) feierlichst begangen; und sie thaten Recht daran. Denn
die wissenschaftliche Tragweite derselben ist in der That unermesslich,
und je mehr wir mit unseren vervollkommneten Mikroskopen in die
tiefsten Geheimnisse des Lebens eindringen, desto mehr werden wir uns
ihrer Bedeutung bewusst.

Unsere ganze Anschauung vom Wesen des ~Lebens~ und von der
~Entwicklung~ der organischen Gestalten ist durch die genauere
Erkenntniss dieser Urthierchen oder Infusionsthierchen unendlich
erweitert und gefördert worden. Anatomie und Physiologie,
Entwickelungsgeschichte und Systematik verdanken ihr die wichtigsten
Aufschlüsse. Selbst für die Geologie haben sie eine ausserordentliche
Bedeutung erlangt. Denn diese kleinsten Lebensformen haben keinen
geringeren Einfluss auf die Bildung der mächtigsten Gebirgsmassen
und auf die ganze Gestaltung unserer Erdrinde ausgeübt, als alle die
zahlreichen grossen Thiere und Pflanzen, die unsern Planeten seit
Millionen von Jahren belebt haben. Die mikroskopischen Kalkschalen
und Kieselgehäuse, welche sich die meisten Urthiere bilden, bleiben
nach dem Tode ihrer Bewohner unverändert übrig. Sie häufen sich
auf dem Grunde der Gewässer massenhaft an, bilden hier mächtige
Schlammschichten und werden im Laufe der Jahrtausende zu festem
Gesteine verdichtet. So sind z. B. die Kreide-Gebirge von England und
von der Insel Rügen, sowie die über der Kreideformation abgelagerten
eocänen Tertiärschichten zum grössten Theile, oft fast ausschliesslich,
aus den zierlichen Kalkschalen der Polythalamien zusammengesetzt.
Andere Gesteine, wie z. B. die tertiären Felsmassen von Barbados
und von den Nikobaren-Inseln, zeigen sich zum grössten Theile aus
den reizenden Kieselpanzern der Radiolarien gebildet. Viele von den
Gesteinen, welche solchen Urthierchen ihre Entstehung verdanken,
liefern ein vorzügliches Baumaterial; und manche unserer grössten
Städte sind vorzugsweise aus dergleichen Steinen erbaut, so z. B. Wien
und Paris.

       *       *       *       *       *

Die berühmten Tiefsee-Forschungen der neuesten Zeit, zu denen die
erste Legung des atlantischen Telegraphen-Kabels den Anstoss gab,
haben jene felsbildende Macht des kleinsten Lebens in das hellste
Licht gestellt. Sie haben uns gezeigt, wie noch heute in den
tiefsten Abgründen des Meeres unaufhörlich kreideartiges Gestein
aus feinstem Meeresschlamm entsteht, und wie dieser Schlamm fast
ausschliesslich aus den Kalkschalen und Kieselpanzern unglaublicher
Massen von Urthierchen gebildet wird. Vor Allem sind es hier die
unvergleichlichen Entdeckungen der bewunderungswürdigen britischen
~Challenger~-Expedition, welche uns mit einer Fülle neuer und
überraschender Anschauungen über die »~Mikrogeologie~«, über das
reiche, räthselvolle, mikroskopische Leben der Tiefsee-Thäler
bereichert haben.

Wie nun die eifrigen Forschungen des letzten halben Jahrhunderts unsere
Kenntniss vom Leben und Weben der Urthiere, von ihrer Gestaltung
und Entwickelung ungemein gefördert haben, so haben sie auch unsere
Ansichten von ihrer Stellung in der Natur und von ihrer systematischen
Gruppirung sehr wesentlich verändert. Das System der organischen Formen
ist ja immer mehr oder weniger der Ausdruck der Anschauungen, welche
wir von ihrer natürlichen Verwandtschaft besitzen, und so zeigen uns
denn auch die grossen Veränderungen, welche das System der Urthiere im
Verlauf der letzten Jahrzehnte erlitten hat, am klarsten den gewaltigen
Umschwung unserer bezüglichen Vorstellungen. Nachdem vor neunzig
Jahren (1786) ~Otto Friedrich Müller~ den ersten umfassenden Entwurf
eines Systems der Infusionsthierchen gegeben hatte, erschien vor
vierzig Jahren das grosse Prachtwerk des berühmten (1876 verstorbenen)
Naturforschers ~Ehrenberg~: »Die Infusionsthierchen als vollkommene
Organismen. Ein Blick in das tiefere organische Leben der Natur.«
Das war im Jahre 1838, in demselben für die Naturwissenschaft Epoche
machenden Jahre, in welchem der geniale Botaniker ~Schleiden~ in Jena
zuerst den Grund zu der höchst fruchtbaren ~Zellen-Theorie~ legte. In
der That ein merkwürdiger Zufall; eine seltsame Ironie des Schicksals.
Denn ~Ehrenberg~ war in seinem grossen Hauptwerke vor Allem bemüht,
das ihm eigene »~Princip überall gleich vollendeter Entwicklung~«
zur Geltung zu bringen. Er suchte bei den Infusorien eine eben so
vollkommene Organisation nachzuweisen, wie bei den höheren Thieren
und beim Menschen. Er glaubte überall Nerven und Muskeln, Darm und
Blutgefässe, männliche und weibliche Organe unterscheiden zu können.
Gerade dieses Prinzip war ~grundfalsch~; vielmehr sind die Infusorien
höchst einfache Organismen: die meisten haben nur die Bedeutung und den
Werth einer einzigen einfachen Zelle; und ihr wahres Verständniss wird
uns erst durch die Zellentheorie gegeben.

Der alte Name »Infusionsthierchen« wird heute nur noch auf einen
kleinen Theil der mikroskopischen Wesen angewendet, welche ~Ehrenberg~
in seinem grossen Werke als solche beschrieb. Nur die Wimperthierchen
oder ~Ciliaten~ und die Borstenthierchen oder ~Acineten~, oft
auch die Geisselschwärmer oder ~Flagellaten~ werden heute noch in
wissenschaftlichen Werken »Infusorien« genannt; die formenreichen
Kieselzellen oder ~Diatomeen~ werden dagegen meist von den Botanikern
zu den Algen gerechnet. Die Räderthierchen (_Rotatoria_), die für
~Ehrenberg~ gerade den Typus der Infusoria bildeten, sind Würmer,
also Thiere von viel höherer Organisation. Dagegen bilden die Amoeben
und ihre Verwandten heute eine besondere wichtige Protisten-Classe,
die wir Lappenthierchen oder ~Lobosa~ nennen. Neben diesen aber hat
die fortgeschrittene mikroskopische Forschung uns andere Classen von
Urthierchen kennen gelehrt, die viel zahlreichere, merkwürdigere und
mannigfaltigere Formen enthalten, als jene älteren Infusionsthierchen:
vor allen die wunderbare Classe der Wurzelfüssler oder ~Rhizopoden~;
die Sonnenthierchen oder ~Heliozoen~, die kalkschaligen ~Thalamophoren~
und kieselschaligen ~Radiolarien~. Diesen schliessen sich eng die
sonderbaren Schleimpilze oder ~Myxomyceten~ an, welche die Botaniker
früher zu den echten ~Pilzen~ (_Fungi_) stellten. Aber auch die
Stellung dieser letzteren im Pflanzenreiche ist ganz zweifelhaft
geworden und es bestehen gewichtige Gründe dafür, sie aus letzterem
in das Protistenreich zu versetzen. Als eine besondere, interessante,
wenn auch nur sehr kleine Protisten-Classe dürfen wir die ~Catallacten~
betrachten. Endlich finden wir unten auf der tiefsten Stufe jener
höchst einfachen, wunderbaren Wesen, mit denen das organische Leben in
denkbar einfachster Gestalt beginnt, die ~Moneren~.

Schon beim ersten Blick auf die wunderbare Formenwelt, welche uns hier
das Mikroskop entschleiert, wird sich jedem Unbefangenen zunächst
die Frage aufdrängen: »Sind denn diese sogenannten Urthiere oder
Infusionsthiere wirkliche, echte ~Thiere~ und warum werden sie von
den Naturforschern in das Thierreich gestellt?« Diese Frage ist
vollständig berechtigt; sie gehört zu jenen schwierigen Grundfragen
der allgemeinen Biologie, deren Lösung durch unsere fortschreitende
Kenntniss eher erschwert als erleichert wird. Wenn wir nämlich
althergebrachter Maassen die ganze organische Natur in die beiden
grossen Hälften: Thierreich und Pflanzenreich eintheilen, und wenn wir
damit glauben den natürlichen Gegensatz zwischen zwei völlig getrennten
Hauptgebieten auszusprechen, so ist diese Unterscheidung zwar durch
die festgewurzelte Anschauung und den Sprachgebrauch von Jahrtausenden
geheiligt; aber logisch begründbar und wirklich naturgemäss ist sie
nicht. Vielmehr lehren uns gerade unsere Urthierchen das Gegentheil.
Je genauer wir deren Formen und Lebenserscheinungen studiert haben,
je vollständiger uns ihre ganze Entwicklungsgeschichte bekannt
geworden ist, desto klarer hat sich herausgestellt, dass sie eine
ununterbrochene Verbindungsbrücke zwischen den tiefsten Stufen des
Thierreichs und des Pflanzenreichs herstellen. So leicht und sicher
wir die höheren und vollkommneren Stufen der beiden grossen Reiche
von einander unterscheiden können, so schwer, ja so unmöglich wird
diese Trennung auf den niedrigsten und unvollkommensten Stufen. Denn
hier sind beide Reiche durch eine zusammenhängende Kette von einfachen
Uebergangsformen untrennbar verbunden.

Die Erkenntniss dieser wichtigen Thatsache, welche heute unzweifelhaft
festgestellt ist, hat zu den lebhaftesten Streitigkeiten über die
Grenze zwischen Thierreich und Pflanzenreich Veranlassung gegeben.
Sie hat zugleich die abweichendsten Anschauungen über das Wesen der
zweifelhaften Infusorien hervorgerufen, die mitten zwischen den beiden
grossen Reichen der organischen Natur ein neutrales Grenzgebiet für
sich in Anspruch nehmen.

Während nämlich viele Infusorien von den Zoologen für Thiere,
von den Botanikern dagegen für Pflanzen erklärt, und demnach von
Beiden annectirt wurden, hatten Andere gerade das entgegengesetzte
Schicksal: sie wurden von Beiden verschmäht; bei einer dritten
Gruppe von Infusorien schien sogar nur die Annahme übrig zu bleiben,
dass sie abwechselnd als Thiere und Pflanzen lebten. Der daraus
entspringende Streit über ihre wahre Natur scheint am einfachsten
dadurch entschieden zu werden, dass man den ~Begriff~ von ~Thier~ und
~Pflanze~ scharf umschreibt, und diese unzweideutige Begriffsbestimmung
auf jene zweifelhaften Mittelwesen anwendet. Aber diese gesuchte
Begriffsbestimmung selbst ist ein unlösbares Problem; je mehr Mühe
man darauf verwendet hat, desto klarer hat sich herausgestellt, dass
es überhaupt auf einer falschen Fragestellung beruht, und dass die
Begriffe von Thier und Pflanze nicht in der Natur begründet sind.

Um nun den so entstandenen Schwierigkeiten zu entgehen, und um zu einer
vernünftigen Classification der organischen Wesen zu gelangen, ist
schliesslich nur ein Ausweg übrig geblieben: nämlich die Aufstellung
eines dritten, selbständigen Reiches von elementaren Organismen:
Das ist unser Reich der ~Protisten~ oder ~Zellinge~, das Reich der
neutralen Urwesen. Wir fassen demnach die ganze organische Natur, die
Gesammtheit aller lebenden Wesen unsers Erdballs, als ein grosses
einheitliches Ganze auf; und dieses umfassende Universalreich theilen
wir in drei Reiche: das Thierreich einerseits, das Pflanzenreich
andrerseits, mitten zwischen Beiden das neutrale Reich der Protisten.

       *       *       *       *       *

Um nun die Aufstellung unseres ~Protistenreich~ zu rechtfertigen,
wollen wir einen flüchtigen Blick auf die verschiedenen
Character-Seiten des Thier- und Pflanzenreichs werfen. Es wird sich
dabei von selbst ergeben, dass unsere Protisten weder dem einen, noch
dem anderen vollständig entsprechen. Verweilen wir zunächst einen
Augenblick bei der äusseren Gesammterscheinung. So characteristisch
uns da einerseits das höhere Thier mit der Gliederung seines Leibes
und seiner Gliedmaassen, anderseits die höhere Pflanze mit ihrem
Stengel und ihren Blättern entgegentritt, so wenig reicht diese
äussere Gliederung hin, um die niederen Formen beider Reiche zu
unterscheiden. Viele unzweifelhafte Thiere, wie z. B. die Korallen, die
Schwämme, ahmen so vollkommen die Gestalt echter Pflanzen nach, dass
man sie früher allgemein für solche gehalten hat. Umgekehrt giebt es
viele unzweifelhafte Pflanzen, wie z. B. viele Orchideen und andere
Schmarotzer, welche die Gestalt echter Thiere nachahmen. Und was sollen
wir nun vollends zu den unendlich mannigfaltigen Figuren unserer
Protisten sagen? Da treffen wir allein schon in der einen Classe der
kieselschaligen Radiolarien alle möglichen Grundformen verkörpert an,
die überhaupt in der Natur vorkommen können; und in welcher zierlichen
und wundervollen Ausführung! Da finden wir in einem einzigen Tropfen
Meerwasser nebeneinander Kugeln, Kreuze, Körbchen, Schrauben, Sterne,
Schachfiguren, Hörner, Hauben, Helme, u. s. w.; kurz eine Fülle der
mannigfaltigsten und merkwürdigsten Gestalten. Gewiss wird Jedermann,
der diese Formen zum ersten Male sieht, sie für Kunstproducte halten,
oder vielleicht für abgelöste Theile von grösseren Organismen. Und
doch sind es vollkommen entwickelte und selbständige Lebewesen! Aber
Niemand wird geneigt sein, sie für echte Thiere oder echte Pflanzen
zu erklären. Ebenso wenig können wir aus der äusseren Körperform der
meisten anderen Protisten einen sicheren Schluss auf ihre wahre Natur
ziehen. Sehr Viele bewahren zeitlebens die einfache Kugelgestalt.
Andere zeigen beständig die einfache Form eines Cylinders, einer
Scheibe, eines Kegels, einer Pyramide u. s. w. Noch Andere endlich
haben überhaupt gar keine bestimmte Gestalt, so namentlich die Moneren
und die Amoeben. Der ganze Körper dieser höchst einfachen Urwesen
besteht aus einem lebenden mikroskopischen Schleimklümpchen, das in
unablässigem Wechsel seine Gestalt beständig ändert: daher der passende
Name »Aenderling«, den ~Oken~ diesen Amoeben beilegte.

Doch verlassen wir die äussere Körperform! Denn dass diese ganz
unzureichend ist, um den Unterschied zwischen Thier und Pflanze zu
begründen, das ist längst allgemein anerkannt. Fragen wir uns lieber,
was denn eigentlich in der naiven Anschauung des täglichen Lebens
diese Unterscheidung begründet, und was dieselbe seit Jahrtausenden
in der Sprache und im Begriffsleben der Menschheit gerechtfertigt
hat. Unzweifelhaft sind es die Lebenserscheinungen der ~Empfindung~
und ~Bewegung~, welche uns hier zunächst entgegentreten. Empfindung
und Bewegung sind es, welche in der allgemeinen Anschauung das
Thier gegenüber der Pflanze auszeichnen, und aus denen wir auf ein
»~Seelenleben~« des Thieres schliessen, ein Seelenleben, das wir
der Pflanze absprechen. Wie verschieden auch die psychologischen
Vorstellungen sind, und wie weit auch die Ansichten über das
eigentliche Wesen der Seele aus einander gehen, darüber sind wir doch
Alle einig, dass mindestens den höheren Thieren eine Art Seelenleben
zukommt. Denn die Hausthiere, die wir täglich um uns sehen, bewegen
sich zweifellos ebenso willkürlich, wie wir selbst. Sie empfinden
die Eindrücke der Lust und Unlust, der Freude und des Schmerzes
zweifellos ähnlich, wie wir selbst. Auch lehrt uns ja sofort jede
anatomisch-physiologische Untersuchung, dass das Nervensystem, das
Organ dieser Seelenthätigkeiten, bei den höheren Wirbelthieren im
Wesentlichen eine ähnliche Einrichtung besitzt, wie bei uns selbst.

Von diesen augenfälligen Seelenthätigkeiten der höheren Thiere
ausgehend, schliessen nun die Zoologen, dass dieselben auch
allen anderen Thieren zukommen, und demgemäss werden seit alter
Zeit Empfindung und willkürliche Bewegung als charakteristische
Eigenschaften des Thieres betrachtet. Schon ~Linné~ sagt: »Die Pflanzen
leben, die Thiere leben und empfinden.« Und doch ist gerade diese,
allgemein angenommene Unterscheidung völlig unhaltbar. Wir brauchen nur
an den gewöhnlichen Badeschwamm zu denken, um uns davon zu überzeugen.
Dieser Badeschwamm, mit dem sich der Kulturmensch täglich zu waschen
pflegt, ist das todte Skelet, das innere Gerüst eines unzweifelhaften
Thieres. Im Leben stellt dieses Thier einen fleischigen, schwarzen,
formlosen Klumpen dar, der unbeweglich auf dem Meeresboden
festgewachsen ist. Aehnliche Seegewächse aus der Klasse der Schwämme
oder Spongien sitzen massenhaft auf dem Boden aller Meere, hunderte von
verschiedenen Arten. Die meisten zeigen keine Spur von Bewegung und
Empfindung; sie galten daher auch früher allgemein für Pflanzen. Erst
die genauesten Untersuchungen über ihre Entwickelungsgeschichte haben
uns in den letzten Jahren darüber belehrt, dass wir sie als echte,
unzweifelhafte Thiere betrachten müssen.

Aehnliche echte Thiere, welche in vollkommen reifem und ausgebildetem
Zustande der Empfindung und Bewegung entbehren, kennen wir jetzt
in Menge. Die meisten leben festgewachsen auf dem tiefen Grunde
des Meeres. Sie gehören sehr verschiedenen Classen an: Würmern,
Ascidien, Mollusken u. s. w. Viele von ihnen werden auf italienischen
Fischmärkten unter den Namen »Seefrüchte« (_Frutti di mare_) feil
geboten, und sowohl der Fischer, der sie verkauft, wie der Fremde, der
sie mit Appetit verspeist, hält sie für die Früchte von Seegewächsen.

Sogar unter den höheren Thierklassen, z. B. unter den Schnecken und
Krebsen, giebt es einzelne Arten, die in vollkommen reifem Zustande
einen formlosen runden Klumpen, ohne jede Spur von Bewegung und von
Empfindung, darstellen. In diesen Fällen ist es die schmarotzende
Lebensweise, durch welche das Thier seine »Seele« verloren hat. Das
gilt z. B. von der berühmten Wunderschnecke (_Entoconcha mirabilis_)
und von dem merkwürdigen Säckchenkrebse (_Sacculina_). Erstere lebt
als Parasit im Innern von Seegurken oder Holothurien: letzterer sitzt
schmarotzend auf andern Krebsen fest. Beide Thiere haben die Gestalt
eines einachen länglichen, runden Schlauches: und dieser Schlauch
enthält nichts weiter als Eier. Keine Spur von einem Kopfe und von
Sinnesorganen: keine Spur von Fühlhörnern und Beinen: keine Spur von
Empfindung und willkürlicher Bewegung. Gewiss würde kein Mensch in
diesen beiden seelenlosen Eierschläuchen wahre Thiere vermuthen, und
doch stellt die Entwickelungsgeschichte unzweifelhaft fest, dass das
eine eine Schnecke und das andere ein Krebs ist.

Als Gegenstück zu diesen »~seelenlosen Thieren~« treffen wir auf der
anderen Seite »~seelenvolle Pflanzen~«, die uns noch mehr überraschen.
Wir betreten einen tropischen Urwald und wollen uns ein zierlich
gefiedertes Mimosenblatt abpflücken. Aber kaum berühren wir den zarten
Zweig der schamhaften Sinnpflanze (_Mimosa pudica_), so klappen alle
Blätter ihre zierlichen Fieder-Reihen zusammen und die Blattstiele
sinken wie gelähmt herab. Ja manche dieser akazienartigen Bäume sind so
reizbar, so empfindlich, dass schon die Erschütterung des Bodens durch
den Tritt des herannahenden Wanderers hinreicht, sämmtliche Blätter
zum Schliessen zu bringen. Nicht minder empfindlich sind neben vielen
Anderen die durch ~Darwin~ berühmt gewordenen »insektenfressenden
Pflanzen«. Sobald eine unvorsichtige Fliege sich auf das Blatt einer
»Fliegenfalle« (_Dionaea_) setzt, klappt das reizbare Blatt zusammen,
und die mörderische Pflanze verzehrt das erfasste Insect mit offenbarem
Wohlbehagen. Wollten wir diesen hochorganisirten Pflanzen eine Seele
absprechen, so müssten wir sie ganz ebenso auch bei den empfindlichen,
aber festgewachsenen, pflanzenähnlichen Korallen leugnen; denn diese
geben keine anderen Aeusserungen ihres Seelenlebens.

Aber nicht allein solche hohe Empfindlichkeit, solche lebhafte
Beweglichkeit einzelner Körpertheile treffen wir vielfach bei echten
Pflanzen an. Nein, auch selbständige, freie Ortsbewegung, auch die
Willensthätigkeit, auf die wir aus der scheinbar willkürlichen Bewegung
schliessen, findet sich bei unzweifelhaften Pflanzen vor. Viele Algen,
z. B. viele von unsern einheimischen grünen Wasserfäden oder Conferven,
schwimmen in ihrer Jugend frei und lebhaft im Wasser umher. Die
jungen Pflänzchen bewegen sich dabei, ebenso wie viele junge Thiere,
durch zarte, haarförmige, schwingende Fäden, Geisseln oder Wimpern.
Bei dieser Schwimmbewegung äussern sie eben so viel Lebhaftigkeit,
eben so viel Ausdauer, eben so viel scheinbaren Willen, wie die ganz
ähnlichen, flimmernden Jugendformen vieler Thiere, z. B. die Gastrula.
Auf den Wiener Botaniker ~Unger~, der zuerst vor 35 Jahren (im Jahre
1843) diese frei beweglichen Jugendformen von Algen entdeckte,
machten dieselben einen so tiefen Eindruck, dass er seine bezügliche
Mittheilung betitelte: »Die Pflanze im Momente der Thierwerdung.«

Schon aus diesen wenigen Thatsachen, die wir noch durch Aufzählung
vieler ähnlicher Erscheinungen beträchtlich vermehren könnten,
geht unzweifelhaft hervor, dass die höheren Seelenthätigkeiten
der bewussten Empfindung und der willkürlichen Bewegung weder
allen Thieren eigenthümlich sind, noch allen Pflanzen fehlen. Sie
können daher nicht mehr in der üblichen Weise zur Unterscheidung
von Thier- und Pflanzenreich benutzt werden; und ebenso wenig sind
sie von systematischer Bedeutung für unser Protistenreich. Für die
Beurtheilung dieses letzteren ist es gleichgültig, ob sich die
Protisten sehr lebhaft bewegen und sehr fein empfinden, wie die meisten
Wimper-Infusorien; oder ob sie nur stumpfe Empfindung und träge
Bewegung besitzen, wie die meisten Wurzelfüssler. Viele Protisten
treten uns in zwei abwechselnden und ganz verschiedenen Zuständen
entgegen: einem unbeweglichen und unempfindlichen Ruhezustande, in
welchem sie uns als Pflanzen erscheinen; und einem frei beweglichen
und sehr empfindlichen Zustande, in welchem sie Thieren gleichen.
Wir dürfen von diesen merkwürdigen Urwesen geradezu sagen: sie
sind abwechselnd Thier und Pflanze. Und so sind sie auch wirklich
früher beurtheilt worden. So sind z. B. von manchen Flagellaten und
Myxomyceten die vegetativen Ruhezustände als Pflanzen, die animalen
Bewegungszustände als Thiere beschrieben worden, und erst viel später
wurde entdeckt, dass Beide nur verschiedene Lebens-Zustände eines und
desselben Protisten sind.

Wollen wir nun aber vom Standpunkte der vergleichenden Psychologie zu
einem Schlusse über das Seelenleben aller dieser Geschöpfe kommen, so
kann dieser Schluss nur lauten: »~Alle lebenden Wesen sind beseelt~,
die Pflanzen so gut wie die Thiere, und die Protisten so gut wie
die Pflanzen.« Innere Bewegungs-Erscheinungen, die scheinbar ohne
äussere Ursachen entstehen und auf Ortsveränderungen kleinster Theile
beruhen, insbesondere Protoplasma-Störungen, sind allen Organismen
gemeinsam, und insofern ist jedes lebende Wesen beseelt, jedes ist
zugleich reizbar, im gewissen Sinne empfindlich. Stufenweise erhebt
sich die Seelenthätigkeit, von den unscheinbarsten und niedrigsten
Anfängen ausgehend, zu immer höheren und vollkommneren Leistungen.
Während die niedrigsten Thiere sich in dieser Beziehung nicht von den
meisten Pflanzen und Protisten unterscheiden, steigt das Seelenleben
der höheren Thiere, das Wollen und Empfinden, Vorstellen und Denken, zu
einer ähnlichen Stufe wie beim Menschen empor.

Gleich der Seelenthätigkeit haben sich auch alle anderen Eigenschaften,
durch welche man Thiere und Pflanzen hat unterscheiden wollen,
als unzureichende Merkmale erwiesen. Unzweifelhaft der wichtigste
Unterschied zwischen Beiden beruht auf den entgegengesetzten
physiologisch-chemischen Verhältnissen ihrer Ernährung. Der gesammte
~Stoffwechsel~ in beiden Reichen, im Grossen und Ganzen betrachtet,
ist grundverschieden. Die Pflanzen allein besitzen das Vermögen, aus
den einfachen chemischen Verbindungen der leblosen anorganischen
Natur, aus Wasser, Kohlensäure und Ammoniak, jene verwickelten und
höchst zusammengesetzten, eiweissartigen Kohlenstoff-Verbindungen
herzustellen, welche als die wahren Träger aller eigentlichen
Lebens-Erscheinungen gelten, vor allen das ~Protoplasma~ oder den
Bildungsstoff (»_Plasson_«). Das können die Thiere nicht. Sie nehmen
die Eiweisskörper, die sie beständig verbrauchen und zersetzen, direct
oder indirect aus dem Pflanzenreich auf. Zur Aufnahme und Verdauung
ihrer Nahrung bedürfen sie einer Magenhöhle und einer Mundöffnung; und
das sind die am meisten characteristischen Organe des Thierkörpers,
welche dem Pflanzenorganismus stets fehlen.

Mit diesem fundamentalen Gegensatze in der Ernährung hängen auch noch
andere wichtige Unterschiede beider Reiche zusammen. Die Pflanzen
athmen für gewöhnlich Kohlensäure ein und hauchen Sauerstoff aus; die
Thiere gerade umgekehrt. Die meisten Pflanzen bilden massenhaft jenen
eigenthümlichen grünen Farbstoff, das Chlorophyll oder Blattgrün, dem
unsere Erde den grünen Schmuck ihrer Vegetationsdecke verdankt. Die
meisten Thiere hingegen bilden kein Chlorophyll. Ebenso erzeugen die
meisten Pflanzen Massen von Stärkemehl (Amylum) und von Cellulose; von
jener wichtigen stickstofflosen Verbindung, welche die Grundlage des
Holzes bildet. Die meisten Thiere produciren kein Amylum und keine
Cellulose. Und so könnten wir noch eine ganze Anzahl anderer chemischer
Verbindungen anführen, welche den Gegensatz im Stoffwechsel des Thier-
und Pflanzenreichs bezeichnen.

Unzweifelhaft ist dieser Gegensatz von der grössten Bedeutung. Denn
auf ihm beruht das beständige Gleichgewicht in der Oekonomie der
organischen Natur. Was das eine der beiden grossen Lebensreiche
ausgiebt, das nimmt das andere wieder ein. Was das eine als unbrauchbar
ausscheidet, das verzehrt das andere. Aber so bedeutungsvoll auch
diese Wechselwirkung jedenfalls ist, so wenig ist der damit verknüpfte
Gegensatz durchgreifend und zu einer beständigen Grenzmarke geeignet.
Denn zahlreiche ~Ausnahmen~ finden sich in jeglicher Beziehung.

Als solche wichtige Ausnahmen sind vor allen die zahlreichen
Schmarotzerpflanzen zu nennen: z. B. viele Orchideen, Orobanchen,
Lathraeen u. s. w. Diese Parasiten, deren nahe Verwandtschaft zu
echten hochentwickelten Pflanzen feststeht, haben durch ~Anpassung~ an
schmarotzende Lebensweise ihren Stoffwechsel gänzlich geändert. Statt
gleich anderen Pflanzen mühsam Eiweisskörper zu produciren, finden
sie es bequemer, gleich den Thieren diese wichtigsten Lebenstoffe aus
anderen Pflanzen aufzunehmen. Damit ändert sich aber ihre gesammte
Ernährung. Sie bilden kein Blattgrün mehr, sie athmen Sauerstoff
ein und Kohlensäure aus; sie bilden Verbindungen, die sonst nur im
Thierkörper erzeugt werden.

Umgekehrt finden wir nun wieder im Thierreiche merkwürdige Schmarotzer,
welche gleichfalls durch ~Anpassung~ an parasitische Lebensweise ihre
ganze Ernährung völlig geändert haben. Ausser den schon angeführten
Wunderschnecken und Säckchenkrebsen sind da besonders jene Würmer
(Bandwürmer, Kratzwürmer u. s. w.) hervorzuheben, welche im Innern
anderer Thiere leben und deren Säfte durch ihre Haut aufsaugen.
Mund und Magen sind dadurch überflüssig geworden und im Laufe der
Jahrtausende allmählich verloren gegangen. Die nächsten Verwandten
dieser darmlosen Parasiten besitzen einen wohl entwickelten Mund und
Darmkanal. Aber auch andere echte Thiere bieten in ihrem Stoffwechsel
beträchtliche Abweichungen dar, und einige produciren Verbindungen,
die sonst nur die Pflanzen erzeugen. So bilden sich z. B. die Ascidien
einen Mantel aus Cellulose; die grünen Süsswasserpolypen und einige
grüne Würmer erzeugen in ihrer Haut echtes Blattgrün oder Chlorophyll
u. s. w.

Angesichts dieser zahlreichen Ausnahmen kann uns denn auch der
Stoffwechsel unserer Protisten keinen Aufschluss über ihre wahre Natur
geben. Wenn viele von ihnen Chlorophyll, Cellulose und Stärkemehl
erzeugen, so beweist das ebensowenig für ihre Pflanzen-Natur, als
die Bildung von Kalkschalen bei vielen Anderen für ihre Thier-Natur
Zeugniss ablegt. Vielmehr sprechen auch die Verhältnisse der Ernährung
und des Stoffwechsels, im Grossen und Ganzen betrachtet, für die
~neutrale~ Natur der Protisten. Allerdings wissen wir von den
physiologisch-chemischen Vorgängen ihres Stoffwechsels im Ganzen noch
sehr wenig. Aber dies Wenige reicht doch hin, um uns auch hierin ganz
eigenthümliche Verhältnisse erkennen zu lassen. So nehmen z. B. die
formlosen Amoeben und die formenreichen Wurzelfüssler zwar ihre Nahrung
ähnlich den Thieren auf, aber ohne Mund und Magen. An jeder Stelle der
nackten Körperoberfläche können die Nahrungsbissen in’s Innere dringen.
Auch die thierähnlichsten Protisten, die Wimperthierchen, besitzen
keinen wahren Darm, keinen wahren Mund und Magen. Dieser fehlt vielmehr
allen Protisten.

       *       *       *       *       *

Wir sehen also, dass keine der verschiedenen Lebenserscheinungen
genügt, um uns über das Verhältniss der Protisten zu den Thieren und
Pflanzen vollkommen aufzuklären. Da nun auch die äussere Gestaltung uns
darüber keinerlei Aufschluss giebt, so bleiben uns nur noch diejenigen
Verhältnisse übrig, welche uns das Mikroskop im feineren Bau und in
der Entwicklungsgeschichte enthüllt. Ohne die genaueste Kenntniss
dieser Verhältnisse können wir uns ja überhaupt kein vollständiges Bild
von der Natur der Organismen machen. Alles nun, was wir bisher davon
erkannt haben, findet seinen umfassendsten Ausdruck in der berühmten
~Zellentheorie~, die seit 40 Jahren das wichtigste Fundament aller
biologischen Forschungen geworden ist.

Bekanntlich lehrt uns diese Zellentheorie, dass alle die tausendfach
verschiedenen Formbestandtheile, die wir im Körper sämmtlicher Thiere
und Pflanzen mittelst des Mikroskopes unterscheiden, lediglich
verschiedene Abarten und Umbildungen eines einzigen Grundorganes,
eines einzigen ursprünglichen Form-Elementes sind. Dieses Form-Element
ist die ~Zelle~, ein kleines, für das blosse Auge meist unsichtbares
Körperchen, welches bis zu einem gewissen Grade ein selbständiges
Leben führt. So unendlich mannigfaltig die Form der Zelle auch
ist, so ist sie doch immer aus zwei verschiedenen Bestandtheilen
zusammengesetzt: aus einem Stückchen weicher, eiweissartiger Substanz,
dem Bildungsstoff oder ~Protoplasma~, und aus einem festeren, davon
umschlossenen Körperchen, dem Kern oder ~Nucleus~. Die ursprüngliche
Selbständigkeit der Zelle ist so vollkommen, dass man sie mit Recht
als den ~Elementar-Organismus~, als das Individuum erster Ordnung
bezeichnet hat. Da die Zellen jede organische Form bilden, können wir
sie auch die »Bildnerinnen« oder ~Plastiden~ nennen. Der ganze Körper
der meisten Thiere und Pflanzen ist aus Milliarden solcher Zellen
zusammengesetzt: und was dieses Thier, was diese Pflanze leistet, das
ist in Wahrheit die Leistung ihrer zahllosen Zellen. Auch unser eigener
menschlicher Leib besteht aus Milliarden derartiger Zellen, und alle
unsere Lebensverrichtungen sind das höchst verwickelte Resultat aus
der Thätigkeit dieser mikroskopischen Wesen. Jedes Härchen besteht
aus vielen Millionen Zellen. Ein kleinstes Blutströpfchen von einem
Cubik-Millimeter Rauminhalt umschliesst schon fünf Millionen Blutzellen.

Für die richtige Auffassung der Zellentheorie, von der das ganze
Verständniss des Lebens abhängt, ist Nichts lehrreicher, als der
oft angewendete Vergleich des vielzelligen Organismus mit einem
wohlorganisirten menschlichen Staate. Die Existenz jeder geordneten
staatlichen Organisation, gleichviel ob wir Monarchie oder
Republik betrachten, beruht bekanntlich darauf, dass die einzelnen
Staatsbürger einen Theil ihrer persönlichen Freiheit aufgeben, sich
den Gesetzen des Staats unterwerfen und in die Arbeit des Lebens
theilen. Ebenso geniessen auch die Zellen in jedem vielzelligen
Organismus zwar bis zu einem gewissen Grade ihr selbständiges Leben;
aber sie sind doch zugleich den Gesetzen des Ganzen untergeordnet
und durch die Arbeitstheilung von einander abhängig. Wir können
diesen politischen Vergleich auch noch weiter ausdehnen, indem
wir den ~Pflanzen~-Organismus als eine Zellen-~Republik~, den
~Thier~-Organismus dagegen als eine Zellen-~Monarchie~ betrachten.
Denn die Pflanzenzellen sind durchweg selbständiger, gleichartiger,
unabhängiger von einander und vom Ganzen. Die Thierzellen hingegen sind
in Folge der vorgeschrittenen Arbeitstheilung ungleichartiger, mehr von
einander abhängig und zugleich in Folge der stärkeren Centralisation
der »Staatsidee« in höherem Maasse unterworfen.

Nun lehrt uns aber ferner die Entwickelungsgeschichte, dass jedes
Thier und jede Pflanze im Beginne der individuellen Existenz eine
einzige einfache Zelle ist. Das Ei, aus dem sich jedes Thier wie
jede Pflanze entwickelt, ist weiter nichts als eine Zelle. Das ist
eine der bedeutungsvollsten Thatsachen. Denn das ganze Problem der
individuellen Entwickelung löst sich demnach in die Frage auf: Wie
kann der vielzellige Organismus mit allen seinen verschiedenen Organen
aus einer einzigen Zelle entstehen? Und die Antwort hierauf lautet
höchst einfach: Durch wiederholte Theilung entsteht aus der einfachen
Zelle eine Zell-Gemeinde oder ~Association~, eine Gesellschaft von
zahlreichen gleichartigen Zellen; diese werden durch ~Arbeitstheilung~
ungleichartig und ordnen sich nach den Gesetzen der ~Vererbung~ und
~Anpassung~ zu einer centralisirten Einheit.

Wie verhalten sich nun unsere kleinen Protisten zu diesen höchst
wichtigen Thatsachen und zu der darauf gegründeten Zellentheorie?
Ist auch ihr winziger Leib aus vielen und ungleichartig entwickelten
Zellen zusammengesetzt? Findet sich auch in ihrem Organismus jene
Arbeitstheilung der associirten Zellen, durch welche die verschiedenen
~Gewebe~ und ~Organe~ entstehen? Das Mikroskop antwortet uns: ~Nein!~
Vielmehr ist bei den meisten Protisten der ganze Körper zeitlebens
~nur eine einzige Zelle~. Aber auch bei jenen Protisten, welche in
entwickeltem Zustande vielzellig sind, finden wir niemals wahre Gewebe
und Organe, niemals jene eigenthümliche Arbeitstheilung und Anordnung
der Zellen, welche den wahren Thierkörper und den wahren Pflanzenkörper
auszeichnet. Denn hier beherrscht immer die Gesammtform des Körpers
die ganze Anordnung und Bildung der Zellen, ihre Verbindung zu
den Geweben und Organen, aus denen er zusammengesetzt ist. Bei den
vielzelligen Protisten hingegen bewahren die gesellig verbunden Zellen
stets mehr oder weniger ihre Selbständigkeit; sie bilden immer nur
sehr lockere Gesellschaften, sociale Verbände ohne Arbeitstheilung,
die nicht als centralisirte Staaten anerkannt werden können. Wenn wir
vorher den einzelnen Organismus des Thieres wie der Pflanze einem
wohlorganisirten ~Culturstaate~ verglichen, so können wir dagegen die
lockeren Zellenhaufen der vielzelligen Protisten höchstens mit den
rohen Horden der uncultivirten ~Naturvölker~ vergleichen. Die meisten
Protisten bringen es aber, wie gesagt, nicht einmal zur Bildung solcher
~Zellen-Horden~, zu dieser niedersten Stufe der Association; sie ziehen
es vor, als Einsiedler für sich zu leben und ihre volle Selbständigkeit
in jeder Beziehung zu bewahren. Die meisten Protisten bleiben
zeitlebens einfache, isolirte Zellen, sie leben als ~Zellen-Einsiedler~.

       *       *       *       *       *

Wenn man die hohe Bedeutung der Protisten für die monistische
Entwicklungslehre richtig verstehen will, wenn man sich von der
selbständigen Stellung des Protistenreichs zwischen dem Thierreiche
einerseits und dem Pflanzenreiche anderseits überzeugen will, so
muss man vor Allem den autonomen, ~unabhängigen Zellen-Charakter~
ihres Organismus gehörig würdigen. Bei allen ~einzelligen~ Protisten,
die ihr ganzes Leben als »Zellen-Einsiedler« zubringen, versteht
sich das von selbst. Aber auch bei den vielzelligen Protisten, bei
den »Zellenhorden« finden wir immer die Individualität der locker
verbundenen Zellen gewahrt und vermissen jene Abhängigkeit derselben
von einander und vom Ganzen, welche wir in dem wohlorganisirten
Zellenstaate des Thier- und Pflanzenorganismus antreffen.

In dieser Auffassung des Protisten-Organismus liegt nach unserer
Ansicht der Schwerpunkt seines Verständnisses. Es wird daher zunächst
erforderlich sein, den ~Begriff~ der organischen ~Zelle~ überhaupt
festzustellen. Dieser Begriff hat seit der Begründung der Zellentheorie
mancherlei Wandlungen erfahren. Gegenwärtig nimmt man fast allgemein
an, dass zum Begriff der Zelle zwei verschiedene Bestandtheile gehören.
Erstens: der eigentliche ~Zellenleib~, ein lebendiges Stückchen von
weichem, eiweissartigen Bildungsstoff oder ~Protoplasma~; und zweitens
ein davon umschlossener ~Zellkern~ oder ~Nucleus~; ein kleinerer,
meist festerer Körper, der ebenfalls aus einer eiweissartigen, aber
vom Protoplasma etwas verschiedenen Materie besteht. Als dritter
Hauptbestandtheil kommt dazu bei vielen Zellen noch eine äussere
Umhüllungshaut oder Schale, die ~Zellhaut~ oder ~Membran~. Die meisten
Pflanzenzellen sind von einer solchen Kapsel oder Membran umschlossen:
~Schlauchzellen~. Hingegen sind die meisten Thierzellen hautlos und
nackt: ~Urzellen~. Die meisten Protisten zeichnen sich durch die
Bildung ganz eigenthümlicher Kapseln oder Schalen aus, welche ihrem
Zellenleibe eine sehr characteristische und mannigfaltige Gestalt geben.

       *       *       *       *       *

[Illustration: Fig. 1. Eine gewöhnliche ~Amoebe~ (~Amoeba vulgaris~)
in zwei aufeinander folgenden Zuständen der Bewegung dargestellt; in A
sind mehrere kurze, in B mehrere längere Fortsätze oder Lappenfüsschen
vorgestreckt. Im ~Protoplasma~ der nackten Zelle liegt der ~Kern~ (n)
und ausserdem einige fremde, als Nahrung aufgenommene Körperchen (i).]

Wenn wir nun zunächst unter unsern Protisten diejenige Gattung
aufsuchen, welche uns auf der Höhe ihrer Entwickelung die einfachste
Form eines solchen einzelligen Organismus, gewissermassen das ~Ideal
der Zelle~, darstellt, so treten uns vor allen Andern die berühmten
~Amoeben~ entgegen. (Fig. 1). Weit verbreitet in unsern süssen und
salzigen Gewässern, sind dieselben wegen ihrer höchst einfachen Bildung
und ihrer bedeutsamen Beziehungen zu anderen Zellen von ganz besonderer
Wichtigkeit. Die Amoeben sind nackte Zellen ohne Hülle und ohne
bestimmte Form. Ihr weicher Körper, der nur einen einfachen Zellkern
enthält, bewegt sich langsam kriechend im Wasser umher. Dies geschieht
dadurch, dass eine wechselnde Anzahl von veränderlichen, lappenförmigen
oder fingerförmigen Fortsätzen aus beliebigen Stellen der Oberfläche
vorgestreckt und wieder eingezogen werden. So ändern die kriechenden
Amoeben immerfort ihre unbestimmte Gestalt. Kommen sie zufällig mit
kleinen Körperchen in Berührung, die zur Nahrung dienen können, so
drücken sie dieselben mittelst der Bewegungen ihrer Fortsätze an einer
beliebigen Stelle ihrer Körper-Oberfläche in diesen hinein. Auch
kleinste Wassertröpfchen werden so verschluckt. Die einzellige Amoebe
kann also essen und trinken, ohne dass sie Mund und Magen besässe.
Nachdem die Amoebe durch fortdauerndes Wachsthum eine gewisse Grösse
erreicht hat, zerfällt ihr einfacher Zellenleib durch Theilung in zwei
Zellen. Zuerst theilt sich dabei der Kern, darauf das Protoplasma.
Auf dieselbe Weise vermehren sich auch die Zellen, die unsern eigenen
Körper zusammensetzen, und von denen viele beständig verbraucht und
durch neue Zellen ersetzt werden. Die grösste Aehnlichkeit mit den
Amoeben haben die farblosen Blutzellen, die milliardenweise in unserem
Blute kreisen. Auch diese bewegen sich nach Amoeben-Art, indem sie
ihre unbestimmte Form ändern. Auch diese können fremde Körperchen in
ihr Inneres aufnehmen; wir können sie unter dem Mikroskop z. B. mit
Carminkörnchen füttern, mit denen sie sich in kurzer Zeit anfüllen.
(Fig. 2).

[Illustration: Fig. 2. ~Fressende~, Amoeben ähnliche, farblose
~Blutzellen~ aus dem Blute einer nackten Seeschnecke (~Thetis
leporina~). Die Blutzellen führen in der Blutflüssigkeit lebhafte
Bewegungen, gleich echten Amoeben aus; und gleich Letzteren verzehren
sie feste Farbstoffkörnchen.]

Von besonderer Wichtigkeit für die Entwickelungsgeschichte ist die
interessante Thatsache, dass auch die ~Eier~ der Thiere in ihrer
frühesten Jugend nackte, formlose Zellen sind, welche Amoeben zum
Verwechseln ähnlich sehen und gleich diesen langsame, unbestimmte
Bewegungen ausführen, wobei sie ihre Form beliebig verändern (Fig. 3).
Bei den Schwämmen oder Spongien unternehmen diese amoebenähnlichen
Eizellen, langsam fortkriechend, oft weite Wanderungen durch den
Körper des Schwammes und sind daher früher als »parasitische Amoeben«
beschrieben worden, welche als fremde Eindringlinge im Schwammkörper
schmarotzend leben sollten (Fig. 4).

Es giebt auch Amoeben, welche ihren nackten Zellenleib theilweise
mit einer schützenden Schale umgeben, und diese bilden die Gruppe
der ~Arcellinen~ oder Thekolobosen. Bald schwitzen diese gepanzerten
Amoeben eine schleimige Masse aus, welche sofort erhärtet und mit
Sandkörnchen und anderen fremden Körperchen zu einer festen Kruste
zusammenbackt (_Difflugia_, Fig. 5). Bald wird die ganze Masse der
erhärteten Hülle blos von ausgeschwitzter organischer Substanz
gebildet, und diese zeigt oft eine sehr zierliche Structur, indem sie
aus sechseckigen oder viereckigen Täfelchen zusammengesetzt erscheint
(_Arcella_, _Quadrula_, Fig. 6).

[Illustration: Fig. 3. Jugendliche ~Eizellen~ verschiedener Thiere,
amoebenähnliche nackte] Zellen, welche unter langsamer Formveränderung,
gleich echten Amoeben, Bewegungen ausführen. In dem dunkeln
feinkörnigen Protoplasma liegt ein heller, bläschenförmiger Kern,
und in diesem ein dunkles Kernkörperchen. — A 1–4. Eizelle eines
Kalkschwammes (Leucon) in vier verschiedenen, auf einander folgenden
Bewegungs-Zuständen. — B 1–8. Eizelle eines Schmarotzerkrebses
(Chondracanthus) in acht verschiedenen, auf einander folgenden
Bewegungs-Zuständen. — C 1–5. Eizellen der Katze, in verschiedenen
Bewegungs-Zuständen. — D. Junge Eizelle der Forelle. — E. Junge
Eizelle des Huhnes. — F. Junge Eizelle des Menschen. Alle diese
amoebenähnlichen Eizellen befinden sich noch in der ersten Jugend:
später nehmen sie sehr verschiedene Beschaffenheit an.]

[Illustration: Fig. 4. Amoebenähnliche ~Eizelle~ eines Kalkschwammes
(Olynthus), weite Strecken im Körper des Letzteren fortkriechend.]

[Illustration: Fig. 5. ~Difflugia~ (oblonga), eine gepanzerte Amoebe,
welche ihre länglich-eiförmige Schale (a) aus feinsten Sandkörnchen
zusammenklebt. Aus der einfachen Mündung des Gehäuses (oder der
incrustirten Zellmembran) tritt der vordere Theil des weichen
Zellenleibes (b) mit seinen wechselnden Lappenfüsschen vor (c).
Im hinteren Theile ist ein heller kugeliger Kern mit zahlreichen
Kernkörperchen sichtbar (d).]

[Illustration: Fig. 6. ~Quadrula~ (symmetrica). Eine gepanzerte Amoebe,
deren Schale aus quadratischen Plättchen zierlich zusammengesetzt ist.
Oben liegt ein kugeliger Zellkern (n) im Protoplasma, unten treten
mehrere Lappenfüsschen vor (l).]

[Illustration: Fig. 7. ~Monocystis~ (agilis), eine schmarotzende
~Gregarine~ aus der Leibeshöhle des Regenwurmes. Der langgestreckte,
wurmförmig sich bewegende Körper ist eine einfache Zelle mit fester
Haut (a), Protoplasma (b) und Kern (c).]

Alle diese amoebenartigen Wesen, die echten, nackten Amoeben und
die gepanzerten zierlichen Arcellinen, können wir als besondere
Classe unter dem Namen Lappinge oder ~Lappenfüssler~ (_Lobosa_)
zusammenfassen, weil der auszeichnende Character dieser einzelligen
Urthiere die Bildung lappenförmiger Wechselfüsschen ist. An sie
schliessen sich aber ganz eng die sonderbaren Wesen an, welche die
besondere Gruppe der ~Gregarinen~ bilden. Alle Gregarinen leben
als Schmarotzer oder Parasiten im Innern anderer Thiere und sind
gewissen niederen Würmern so ähnlich, dass man sie früher selbst als
Eingeweide-Würmer beschrieben hat; auch stimmen die wurmförmigen
Bewegungen ihres kriechenden Körpers ganz mit denjenigen gewisser
Würmer überein. Trotzdem ist ihr ganzer, ziemlich grosser, oft mehrere
Millimeter langer Körper nichts Anderes, als eine einfache Zelle. Der
trübe, mit feinen Körnchen erfüllte Protoplasma-Leib (b) umschliesst
einen Zellkern (c) und ist von einer festen, homogenen, structurlosen
Hülle umgeben (a). Die flüssige Nahrung schwitzt aus den umgebenden
Säften des bewohnten Thieres durch diese Hülle oder Zellmembran
hindurch und dringt so in die Gregarine ein. Man kann die Gregarinen
als Amoeben betrachten, welche in das Innere von anderen Thieren
eingedrungen sind, sich hier an parasitische Lebensweise gewöhnt und
durch Anpassung mit einer schützenden Hülle umgeben haben.

Eine ganz andere Bewegungsform, als die langsam kriechenden Amoeben und
Gregarinen, zeigen uns die schwimmenden ~Flagellaten~, die ~Geissler~
oder Geisselschwärmer. Diese interessanten Protisten haben bis auf den
heutigen Tag unter einem ganz eigenthümlichen Schicksal zu leiden.
Wenn sie nämlich das Glück haben, grün gefärbt zu sein, werden sie von
vielen Naturforschern unbedenklich als echte Pflanzen betrachtet. Wenn
sie dagegen unglücklicherweise eine gelbe oder braune Farbe tragen, so
werden sie für echte Thiere erklärt; gewiss ein schlagendes Beispiel
von der Willkür der üblichen Classification. Zahlreiche Formen dieser
Geissler, die auch oft mit dem vieldeutigen Namen der ~Monaden~ belegt
werden, bevölkern das Süsswasser, wie das Meer, oft in unglaublichen
Massen. Wenn im Frühjahr zuweilen plötzlich unsere Teiche sich mit
einer grünen Schleimdecke überziehen, so beruht das gewöhnlich auf
der Entstehung zahlloser grüner Euglenen. Ebenso ist die seltener
auftretende blutrothe Färbung der Gewässer, die zur Sage vom Blutregen,
sowie zu vielen abergläubischen Vorstellungen und Hexen-Processen
Veranlassung gegeben hat, durch Milliarden rother Euglenen bedingt.
Durch verwandte rothe Protococcus-Formen wird auch der rothe Schnee
gebildet, der die Eisberge sowohl in den Polarmeeren, wie auf unseren
Alpenhöhen bisweilen in weiter Ausdehnung blutroth färbt.

[Illustration: Fig. 8. ~Phacus~ (longicauda). Ein Geisselschwärmer mit
einer langen schwingenden Geissel am vorderen, einem fadenförmigen
Anhang am hinteren Ende; hinter ersterem ein rother Augenfleck.]

[Illustration: Fig. 9. ~Peridinium~ (tripus). Ein Wimpergeissler,
dessen dreihörnige Kieselschale aus zwei Hälften zusammengesetzt ist.]

Diese Protococcen und Euglenen sind Einsiedler-Zellen, während andere
Flagellaten sich zu kleinen Gesellschaften zusammenthun. Sie schwimmen
im Wasser umher mittelst eines feinen fadenförmigen Fortsatzes, der
wie eine Geissel oder Peitsche hin und her geschwungen wird (Fig. 8).
Manche setzen sich auch fest auf dünnen Stielen. Ausser der Geissel,
ihrem Haupt-Bewegungsorgan, besitzen manche Geisselschwärmer noch einen
Kranz von feinen Wimpern mitten um den Zellenleib; diese heissen
~Wimpergeissler~ (_Peridinia_, Fig. 9). Von letzteren bilden sich
viele eine Kieselschale, die aus zwei ungleichen Hälften besteht;
die grössere Hälfte trägt zwei lange Hörner, die kleinere ein Horn;
zwischen beiden Hälften tritt der Wimperkranz und die Geissel hervor.
Durch die Schwingungen der Geissel werden kleine Nahrungskörnchen
dem Zellenleibe der Flagellaten zugeführt und an deren Basis durch
eine Art Zellenmund aufgenommen. Ihre Vermehrung geschieht meistens
durch einfache Theilung. Bei vielen finden wir abwechselnd einen frei
beweglichen und einen Ruhezustand. Während des letzteren kapseln sie
sich ein und zerfallen innerhalb der Hülle in vier oder acht Zellen.
Diese treten später aus der Kapsel aus und schwimmen frei umher.

[Illustration: Fig. 10. Ein Kugelthierchen (~Volvox globator~). Die
netzförmige Zeichnung an der Oberfläche der Gallertkugel entsteht
dadurch, dass die kleinen grünen, in den Knotenpunkten des Netzes
befindlichen Geisselzellen sich durch feine Fortsätze unter einander
verbinden. Im Innern der Kugel sind 6 Tochterkugeln (junge Colonien)
sichtbar.]

Nahe Verwandte dieser einzelligen Flagellaten sind auch die grünen
sogenannten ~Kugelthierchen~ oder ~Volvocinen~ (Fig. 10); grüne
Gallertkügelchen, welche die Grösse eines Stecknadelknopfes erreichen.
In jedem Kügelchen sind zahlreiche grüne einzellige Flagellaten zu
einer Gesellschaft vereinigt; und durch die gemeinsamen Schwingungen
ihrer Geisseln wird die ganze Kugel umherbewegt. Im Innern der
Gallertkugeln entstehen neue Tochterkugeln. Ausserdem vermehren sich
die Volvocinen aber auch geschlechtlich, wie durch ~Cohns’~ sorgfältige
Untersuchungen dargethan worden ist; ihre Befruchtung geschieht in
ähnlicher Weise wie bei vielen Algen; sie schliessen sich dadurch schon
enger an das Pflanzenreich an.

Eine sehr eigenthümliche Protistengruppe, die man auch noch zu den
Flagellaten rechnet, sind die grossen blasenförmigen ~Noctiluken~
oder ~Meerleuchten~. (Fig. 11). Sie bedecken oft die Meeresoberfläche
in unglaublichen Massen, strahlen im Dunkeln ein helles Licht aus
und spielen eine Hauptrolle bei dem wundervollen Phänomen des
Meerleuchtens. Die gewöhnlichen Noctiluken sind colossale rundliche
Zellen, welche ½-1 Millimeter Durchmesser erreichen und die Gestalt
einer Pfirsiche besitzen (Fig. 11). Der Hohlraum der blasenförmigen
Zelle ist mit wässeriger Flüssigkeit erfüllt, in welcher sich
verästelte Stromfäden (g) des Protoplasma bewegen, ausgehend von der
Wandschicht des letztern, welche innen an der Zellhaut anliegt. Der
Kern ist eiförmig (b). An einer Stelle ist die Zellhaut von einer
Oeffnung, einem ~Zellmund~ (_Cystostoma_), durchbrochen, und hier wird
Nahrung direct in das Innere aufgenommen. Hier befindet sich auch neben
der zarten Geissel ein grosser peitschenförmiger quergestreifter Anhang
(a), sowie ein zahnförmiger Fortsatz (d). Die Fortpflanzung erfolgt
theils durch einfache Theilung, theils durch eine eigenthümliche Form
der Sporenbildung.

[Illustration: Fig. 11. Eine Meerleuchte (~Noctiluca miliaris~).
1. Die ganze Geisselzelle von oben. 2. Im optischen Durchschnitt:
a Peitschenförmiger Anhang, b Kern, c Furche der Oberfläche, d
zahnförmiger Fortsatz, daneben die zarte Geissel; e, f grössere
Protoplasma-Ansammlung um den Kern herum; g, g verzweigte Stromfäden
des Protoplasma.]

Neuerdings ist eine Noctiluken-Form entdeckt worden, welche zum
Verwechseln einer kleinen schirmförmigen Meduse ähnlich ist, und gleich
einer solchen sich durch Zusammenklappen des zarten concaven Schirmes
schwimmend bewegt (_Leptodiscus medusoides_).

Während über die einzellige Natur der Geisselschwärmer und der Amoeben
heutzutage kein Zweifel mehr besteht, so ist diese dagegen bis vor
Kurzem streitig gewesen bei denjenigen Protisten, die man heute
vielfach als ~Infusionsthierchen~ im ~engeren~ Sinne bezeichnet. Dazu
gehören die beiden Klassen der Wimperthierchen oder ~Ciliaten~ (Fig.
12–15) und der Starrthierchen oder ~Acineten~ (Fig. 16, 17). Massenhaft
bevölkern sie alle stehenden und fliessenden Gewässer und sind auch in
allen Infusionen zu finden.

[Illustration: Fig. 12. Ein Trompetenthierchen (~Stentor~ polymorphus).
Oben ist der grosse, den Mund umgebende Wimperkranz sichtbar,
links darunter der lange, rosenkranzförmige Kern. Rechts neben dem
Stentor sind zwei kleine, bewimperte Zellen sichtbar, die aus dem
Innern desselben ausgeschwärmt sind, entweder Junge oder Parasiten
(Acineten-Schwärmer).]

[Illustration: Fig. 13. Ein Maiglocken-Thierchen (~Vorticella~
microstoma). Der einzellige Leib ist auf einem dünnen Stiele befestigt,
der sich korkzieherartig zusammenziehen kann. a Wimperkranz um den
Mund: v contractile Blase: n Zellkern; k, p, zwei Knospen, die sich
ablösen.]

Besonders die Ciliaten, die ~Wimperlinge~ oder ~Wimperthierchen~,
erscheinen in einer Fülle von niedlichen Formen; und durch die
Anmuth ihrer lebhaften Bewegungen fesseln sie uns stundenlang an
das Mikroskop. Nur einzelne Ciliaten sind schon mit blossem Auge
sichtbar, so z. B. das grosse Trompetenthierchen (_Stentor_, Fig. 12);
die meisten sind erst durch das Mikroskop erkennbar. Zahlreiche kurze
Wimperhärchen sind über den Körper zerstreut und werden willkürlich
schlagend bewegt. Wie die Geisseln der Flagellaten, so sind auch diese
Wimpern der Ciliaten directe Fortsätze vom Protoplasma des einzelligen
Körpers. Die meisten Wimperthierchen bewegen sich frei schwimmend oder
laufend mittelst dieser Wimpern umher. Es giebt aber auch festsitzende
Ciliaten, wozu die niedlichen Vorticellen (Fig. 13) und Freia (Fig. 14)
gehören.

[Illustration: Fig. 14. Ein Lappenthierchen. (~Freia elegans~). Der
einzellige Körper ist in eine ovale, auf Wasserpflanzen (unten)
befestigte Hülle eingeschlossen, aus deren Oeffnung der Vordertheil der
Zelle mit der Mundöffnung und zwei grossen Wimperlappen vortritt.]

[Illustration: Fig. 15. Ein Reusenthierchen (~Prorodon teres~). a
Mundöffnung (mit fischreusenähnlichem Schlundtrichter). b Contractile
Blase. c Verschluckte Nahrungsballen. d Zellkern (mit Kernkörperchen).]

Bei diesen Ciliaten dient der durch die Wimpern erzeugte Strudel dazu,
frisches Wasser und Nahrung der Zelle zuzuführen.

Das Protoplasma des Ciliaten-Körpers ist in eine festere
~Rindenschicht~ (_Exoplasma_) und eine weichere Markschicht
(_Endoplasma_), gesondert. In der ersteren befindet sich eine
beständige Oeffnung, eine Art ~Zellenmund~ (_Cytostoma_), durch welchen
sowohl feste Bissen als Wassertropfen verschluckt und in die weichere
Markmasse hineingedrückt werden. Bisweilen ist diese Mundöffnung zu
einem besonderen gefalteten Schlundtrichter erweitert, so z. B. bei
dem Fischreusen-Thierchen (Fig. 15 a). In dem weichen Protoplasma des
Inneren ballt sich die verschluckte Nahrung in Bissen (Fig. 15 c),
welche allmählig verdaut und aufgelöst werden; ~Ehrenberg~ beschrieb
diese Nahrungsballen als besondere Magensäcke und benannte deshalb
die Ciliaten »Vielmagenthierchen« (_Polygastrica_). Unsere magenlosen
Wimperthierchen können also essen und trinken, obwohl sie einfache
Zellen sind. Was aber noch mehr überrascht, das ist die Munterkeit
und die offenbare Willkür ihrer Bewegungen, der zarte und seelenvolle
Character ihrer Empfindungen. Gerade wegen dieser Eigenschaften werden
sie gewöhnlich als echte Thiere betrachtet. Dass sie das nicht sind,
geht aus ihrem feineren Bau und ihrer Entwickelung deutlich hervor.
Zeitlebens umschliesst ihr einfacher Zellenleib nur einen einzigen
Kern. Bald ist dieser ~Nucleus~ rundlich (Fig. 15 d), bald wurstförmig
(Fig. 13 n), bald langgestreckt, stabförmig oder rosenkranzförmig (Fig.
12). Die Ciliaten sind also wirklich ~einzellig~, wie zuerst der um die
Kenntniss der Protisten hochverdiente Zoologe ~Siebold~ dargethan hat.
Die Vermehrung der Ciliaten geschieht durch einfache Theilung; und wie
bei jeder gewöhnlichen Zellentheilung zerfällt zuerst der Kern, und
darauf das Protoplasma in zwei gleiche Hälften. Aber auch Fortpflanzung
durch Knospenbildung ist bei vielen Ciliaten zu finden, so z. B. bei
den Vorticellen (Fig. 13). Ausserdem scheinen sich Viele durch ~Sporen~
zu vermehren, d. h. durch junge Zellen, welche sich im Inneren der
Mutterzelle bilden und wobei der Kern betheiligt ist (Fig. 12).

Das Interessanteste an den Wimperthierchen, und diejenige Eigenschaft,
durch welche sie alle anderen Protisten übertreffen, ist der hohe
Grad von ~Empfindlichkeit~ und von ~Willens-Energie~, den sie bei
ihren lebhaften Bewegungen kundgeben. Wer lange und eingehend Ciliaten
beobachtet hat, kann nicht zweifeln, dass sie eine ~Seele~ so gut
wie die höheren Thiere besitzen. Denn die ~Seelenthätigkeiten~ der
Empfindung und der willkürlichen Bewegung üben sie eben so aus, wie
die höheren Thiere; und an diesen Thätigkeiten allein ist ja die
~Seele~ zu erkennen. Da nun der ganze Leib der Ciliaten bloss eine
einfache Zelle ist, so gewinnen sie die höchste Bedeutung für die
Theorie von der ~Zellseele~, für die Annahme, dass jede organische
Zelle ihre eigene individuelle »Seele« besitzt — oder vielmehr,
richtiger ausgedrückt: dass ~Seelenleben eine Thätigkeit aller Zellen
ist~.

[Illustration: Fig. 16. Eine ~Acineta~, auf einem kurzen Stiele (unten)
befestigt. p Saugröhren der Zelle. v Contractile Blasen im Protoplasma.
e eine Spore. n Zellkern.]

An die formenreiche Klasse der Wimperthierchen schliesst sich die
kleine Gruppe der naheverwandten Starrthierchen oder ~Acineten~ an
(Fig. 16, 17). Im Gegensatze zu ersteren zeigen diese letzteren nur
sehr wenig Beweglichkeit; sie sitzen meistens zeitlebens auf einem
Stiele fest. Statt der Wimperhärchen treten aus ihrem starren,
von einer Hülle umschlossenen Zellenkörper zahlreiche feine, oft
büschelförmig gruppirte Fortsätze hervor (Fig. 16 p). Dies sind sehr
feine Saugröhrchen, die am Ende mit einem Saugknöpfchen versehen
sind. Wenn ein schwimmendes Wimperthierchen unvorsichtig in die Nähe
einer solchen Acinete geräth, wird sie von den steif ausgestreckten
Saugröhren der letzteren festgehalten und ausgesaugt (Fig. 17). Das
Protoplasma des gefangenen Ciliaten (a) wandert langsam durch die
Saugröhren (f’’) in das Innere der Acinete hinein. Dass auch sie nur
eine einfache Zelle ist, beweist ihr Zellkern (n); im Protoplasma sind,
wie bei den Ciliaten, oft eine oder mehrere »contractile Blasen« oder
Vacuolen sichtbar, wassererfüllte kugelige Hohlräume, die sich langsam
zusammenziehen und wieder ausdehnen (Fig. 16v, Fig. 17x).

[Illustration: Fig. 17. Eine ~Acineta~, welche mit ihren Saugröhren (f)
ein Wimperthierchen (Euchelys a) ergriffen hat und dasselbe aussaugt.
x, v Contractile Blasen. n Zellkern.]

Die anhaltende Beobachtung der Acineten gewährt ebenso wie diejenige
der Ciliaten das höchste Interesse. An diesen Infusionsthierchen zeigt
uns die organische Zelle deutlich, wie weit sie es in ihrem idealen
Streben nach thierischer Vollkommenheit für sich allein bringen kann.
Wir können sagen: Die Wimperthierchen sind der gelungenste Versuch der
einzelnen ~Zelle~, sich zu einem wirklichen ~Thiere~ zu entwickeln.
Aber zu einem echten Thiere gehören ja mindestens zwei Keimblätter,
deren jedes aus zahlreichen Zellen zusammengesetzt ist. Also können wir
doch die Ciliaten und Acineten nicht als wirkliche Thiere gelten lassen.

Unter allen Protistenklassen die formenreichste und in geologischer
Beziehung die wichtigste ist die wunderbare Klasse der ~Wurzelfüssler~
oder ~Rhizopoden~. Ausser mehreren kleineren Gruppen gehören dahin
die kalkschaligen Thalamophoren und die kieselschaligen Radiolarien.
Beide Abtheilungen sind in zahllosen, höchst phantastisch geformten
Arten in allen Meeren verbreitet. Die Thalamophoren leben zum grössten
Theile kriechend auf dem Grunde des Meeres, besonders auf Seetang;
die Radiolarien hingegen schwimmen in dichtgedrängten Schaaren an der
glatten Oberfläche des Meeres oder schweben in verschiedenen Tiefen
desselben. Die bekanntesten und geologisch wichtigsten Rhizopoden sind
die ~Thalamophoren~, ~Kammerlinge~ oder Kammerthierchen; ausgezeichnet
durch eine feste, meistens kalkige Schale, in welche sich diese
Urthierchen, wie die Schnecke in ihr Haus, zurückziehen können. Bald
enthält diese Kalkschale nur eine einzige Kammer (~Einkammerige~,
_Monothalamia_, _Monostegia_); bald mehrere, durch Thüren mit einander
verbundene Kammern (~Vielkammerige~, _Polythalamia_, _Polystegia_).
Solche zierlich geformte, oft einem Schneckenhaus ähnliche Kalkschalen
haben sich seit vielen Millionen Jahren in ungeheuren Massen auf
dem Meeresboden angehäuft und an der Gebirgsbildung unserer Erde
den wichtigsten Antheil genommen. Schon die ältesten, aus dem Meere
abgesetzten Flötzgesteine, die laurentischen, cambrischen und
silurischen Schichten, enthalten dergleichen Polythalamien-Schalen
und sind wahrscheinlich zum grossen Theile aus ihnen gebildet. Das
älteste von Allen ist das berühmte _Eozoon canadense_ aus den unteren
laurentischen Schichten, dessen Polythalamien-Natur mit Unrecht in
Zweifel gezogen wurde. Die mächtigste Entwickelung erreichen diese
Rhizopoden jedoch erst viel später, während der Kreide-Periode und
der älteren Tertiär-Periode. Jedes kleinste Körnchen unserer weissen
Schreibkreide lässt uns unter dem Mikroskope zahlreiche solcher
zierlichen Kalkschalen erkennen. Der Grobkalk von Paris, aus dem viele
Paläste dieser Weltstadt erbaut sind, besteht ebenfalls zum grössten
Theile aus solchen Kammerschalen. Ein Kubikcentimeter des Kalkes aus
den Steinbrüchen von Gentilly enthält ungefähr 20,000, ein Kubikmeter
demnach gegen 20 Millionen Schalen. Die grössten Polythalamien aber
lebten während der ältesten Tertiärzeit, während der Eocaen-Periode.
Unter ihnen sind die Riesen des Protisten-Reiches, die gigantischen
~Nummuliten~ (Fig. 18), deren scheibenförmige Kalkschalen die
Grösse eines Zweithalerstückes erreichen. Der von ihnen erzeugte
Nummuliten-Kalk, aus dem unter Anderen die egyptischen Pyramiden gebaut
sind, bildet die ungeheuren Gebirgsmassen des Nummulitensystems.
Dies ist eins der gewaltigsten Gebirgssysteme unserer Erde, das von
Spanien und Marokko bis nach Indien und China hinüberreicht, und an der
Bildung der Pyrenäen und Alpen, des Libanon und Kaukasus, des Altai und
Himalaya den bedeutendsten Antheil nimmt.

[Illustration: Fig. 18. ~Nummulites~ (reticulatus). a, b, c in
natürlicher Grösse; d, e, f schwach vergrössert. Die linsenförmige
Scheibe ist in a vom Rande aus gesehen, in b und e von der Fläche, c
und d im Längsschnitt (Dickenschnitt).]

In welchen ungeheuren Massen die Polythalamien auch gegenwärtig
noch unsere Meere bevölkern, geht daraus hervor, dass z. B. der
Sand der Mittelmeerküsten an vielen Stellen zur grösseren Hälfte
aus den Schalen lebender Polythalamien-Arten besteht. Schon einer
ihrer ersten Beobachter, ~Bianchi~, zählte im Jahre 1739 in einem
einzigen Esslöffel Seesand von Rimini 6000 Individuen; und derjenige
Naturforscher, dem wir die genauesten Untersuchungen über ihre
Naturgeschichte verdanken, der berühmte Anatom ~Max Schultze~,
berechnete ihre Menge in einem Esslöffel Seesand von Gaeta auf mehr als
Hunderttausend.

Der weiche lebendige Körper der Kammerthierchen, welcher diese
wunderbaren Schalen- und Panzer-Bildungen erzeugt, ist stets von
höchst einfacher Bildung: ein Stück formloses Protoplasma, das
zahlreiche Zellenkerne einschliesst. Von der Oberfläche des weichen
Protoplasma-Leibes strahlen hunderte, oft tausende von äusserst feinen
Fäden aus. Diese Schleimfädchen, die den Namen ~Scheinfüsschen~ oder
~Pseudopodien~ führen, sind sehr empfindlich und beweglich. Sie können
sich verästeln, mit einander verschmelzen, Netze bilden und wieder in
die gemeinsame Centralmasse des Körpers zurückgezogen werden. Durch
die Zusammenziehungen dieser Fäden bewirken die Wurzelfüssler ihre
kriechende oder schwimmende Ortsbewegung. Wenn ein anderer Protist,
z. B. ein Wimperthierchen oder eine Bacillarie, in den Bereich dieser
Fäden gelangt, so wird es von ihnen erfasst, umschlungen und in das
Innere des Protoplasmakörpers hineingezogen, wo es einer höchst
einfachen Verdauung unterliegt. Wie bei den Amoeben kann jede Stelle
der Körperoberfläche dergestalt die Aufgabe eines Mundes und Magens
übernehmen. Auch die Vermehrung der Wurzelfüssler ist höchst einfach.
Der weiche Protoplasma-Leib des Kammerthierchens zerfällt in zahlreiche
kleine Stückchen. Jedes Stückchen erhält einen Zellkern, bildet also
eine echte Zelle, und diese nackte Zelle schwitzt alsbald wieder eine
Kalkschale aus.

Die vielgestaltige Schale des Acyttarien-Körpers besteht meistens
aus kohlensaurem Kalk, seltener aus einer erhärteten organischen
Substanz, die mit Sandkörnchen u. dergl. verkittet ist. Bald
besitzt die Schale nur eine grössere Mündung, ist aber übrigens
undurchlöchert (_Imperforata_); bald ist die Schale überall von sehr
zahlreichen kleinen Löchern durchbrochen (_Foraminifera_). Mit Bezug
auf die Schalenform unterscheidet man bei den zwei Hauptgruppen:
Einkammerige und Vielkammerige. Die ~Einkammerigen~ (_Monothalamia_)
sind verhältnissmässig wenig formenreich. Einer ihrer bekanntesten,
häufigsten und grössten Vertreter ist die ~Gromia~ (Fig. 19). Sie
besitzt eine eiförmige Schale, mit dunkelbraunem Protoplasma erfüllt,
und erreicht die Grösse eines Stecknadelknopfes. Die Netze der
Scheinfüsschen, welche davon ausstrahlen, kann man schon mit blossem
Auge deutlich erkennen.

[Illustration: Fig. 19. ~Gromia~ (oviformis). Die Hauptmasse des
eiförmigen einzelligen Körpers ist von einer biegsamen Schale
eingeschlossen. Durch die Oeffnung derselben tritt (unten) fliessendes
Protoplasma heraus, welches die ganze Schale umhüllt und von dem nach
allen Richtungen bewegliche Fäden ausstrahlen.]

Die ~Vielkammerigen~ (_Polythalamia_) bilden die Hauptmasse der
Acyttarien. Die einzelnen Kammern, welche ihre Schale zusammensetzen,
sind durch unvollständige Scheidewände getrennt, oft sehr zahlreich.
Meistens sind dieselben mehr oder weniger in Spiralen geordnet. So
entstehen Gehäuse, welche die grösste Aehnlichkeit mit denjenigen
gewisser Mollusken, namentlich Cephalopoden, besitzen (Fig. 20). Daher
wurden diese Rhizopoden von ihren ersten Entdeckern wirklich für
echte, mikroskopische Cephalopoden gehalten und auch später noch ihre
Organisation als solche beschrieben.

Erst vor 40 Jahren lernte man, zuerst durch ~Dujardin~, ihre wahre
Natur kennen, und überzeugte sich, dass ganz ähnlich geformte Schalen
das eine Mal von einem höchst vollkommen organisirten Weichthiere
(_Nautilus_), das andere Mal von einem höchst einfach gebauten
Wurzelfüssler (_Polystomella_) gebildet werden.

[Illustration: Fig. 20. ~Polystomella~ (venusta), ein Polythalam,
dessen Kammern in einer Spirale aufgerollt sind, ganz ähnlich wie bei
Nautilus. Aus den feinen Löchern der Schale treten überall bewegliche
fadenförmige Scheinfüsschen hervor.]

[Illustration: Fig. 21. ~Alveolina~ (Quoyi). Mehrere Reihen von Kammern
laufen in einer Spirale neben einander hin. Die durchschnittenen Wände
der Kammern sind weiss gezeichnet; die Verbindungsöffnungen mit den
darüber liegenden schwarz.]

Bei manchen Polythalamien laufen mehrere Spiralen neben einander
im Gehäuse hin, indem innerhalb der Kammern sich wieder parallele
Scheidewände bilden (Fig. 21). Bei den grossen Orbituliten und
Nummuliten liegen solche Kammerreihen sogar in mehreren Stockwerken
übereinander. Die Kammerreihen sind hier bald in zusammenhängenden
Spirallinien, wie bei den Nummuliten (Fig. 18) geordnet, bald in
concentrischen Ringen, wie bei dem gigantischen _Cycloclypeus_ (Fig.
22).

Die Gehäuse dieser letzteren sind runde Scheiben, welche sich am besten
mit einem Palaste vergleichen lassen, dessen Umfassungsmauern nach dem
Plane eines römischen Amphitheaters gebaut sind.

[Illustration: Fig. 22. ~Cycloclypeus~, ein colossales Polythalam von 3
Centimeter Durchmesser, in grossen Tiefen des Sunda-Meeres lebend. Man
sieht die eine Hälfte der in der Mitte durchschnittenen Schale, von der
links noch ein Stück der oberen Schicht abgeschnitten ist, um in die
Kammern hineinzublicken.]

[Illustration: Fig. 23. ~Parkeria~, ein colossales Polythalam von
3 Centimeter Durchmesser. Man sieht blos ein Stück der eiförmigen
Schale, so durchschnitten, dass man nach allen Richtungen hin die
Zusammensetzung des Gehäuses aus zahllosen kleinen Kammern erkennen
kann.]

Mehrere Stockwerke liegen übereinander, in jedem eine centrale
Hauptkammer, umgeben von vielen ringförmigen Corridoren, und jeder
Corridor durch viele Scheidewände in Kammern getheilt: alle diese
zahlreichen Stockwerke, Corridore und Kammern stehen durch Thüren mit
einander in Verbindung und kleine Fenster in der äusseren Schalenfläche
vermitteln die Verbindung mit der Aussenwelt, indem sie die feinen
Schwimmfüsschen durchtreten lassen.

Zu den grössten und am meisten zusammengesetzten Polythalamien
gehören die Parkerien, deren Gehäuse grösstentheils aus Sandkörnchen
zusammengesetzt sind (Fig. 23).

Während die grosse Mehrzahl der Thalamophoren auf dem Meeresboden
kriechend lebt, giebt es auch einige Arten, die an der Oberfläche des
Meeres schwimmen, und zwar oft in grossen Massen, mit Radiolarien
gemischt. Dahin gehören auch die merkwürdigen Pulvinulinen,
Globigerinen und Hastigerinen, letztere durch ihre sehr langen
borstenförmigen Kalkstacheln ausgezeichnet (Fig. 24).

Wenn schon bei diesen merkwürdigen Polythalamien die formbildende Kunst
des formlosen Protoplasma unsere höchste Bewunderung erregt, so wird
dieselbe noch gesteigert, wenn wir die nahe verwandten ~Radiolarien~,
die »Gitterthiere« oder Strahlinge betrachten. Bei diesen höchst
interessanten Wurzelfüsslern treffen wir die grösste Mannigfaltigkeit
von zierlichen und sonderbaren Formen an, die überhaupt in der
organischen Welt zu finden ist. Ja, alle möglichen Grundformen, welche
man nur in einem promorphologischen Systeme aufstellen kann, finden
sich hier wirklich verkörpert vor. Das Material aber, aus welchem das
formlose Protoplasma hier die unendlich mannigfaltigen Skelettheile
bildet, ist nicht Kalkerde, wie bei den Polythalamien, sondern
Kieselerde.

Der weiche lebendige Leib der Radiolarien ist übrigens etwas höher
organisirt, als derjenige der Polythalamien. Denn im Innern des
formlosen weichen Protoplasma-Körpers findet sich hier eine besondere
Kapsel, welche von einer festen Membran umschlossen ist, die
~Centralkapsel~ (Fig. 25).

In dieser bilden sich Massen von kleinen Zellen, welche eine bewegliche
Geissel erhalten, später die Kapsel durchbrechen und ausschwärmen.

[Illustration: Fig. 24. ~Hastigerina Murrayi.~ Ein Polythalam, dessen
Kalkschalen überall mit haarfeinen, sehr langen Kalkstacheln bewaffnet
ist.]

Da der ganze Inhalt der Centralkapsel zur Bildung dieser Keime,
welche gleich Flagellaten umherschwimmen und sich dann zu Radiolarien
entwickeln, verwendet wird, so kann man die Centralkapsel auch als
Sporenbehälter (~Sporangium~) der Radiolarien betrachten.

[Illustration: Fig. 25. ~Heliosphaera~ (inermis). Ein Radiolar, dessen
kugelige Gitterschale aus sechseckigen Maschen zusammengesetzt ist.
Im Innern schwebt eine kugelige Centralkapsel, welche einen dunkeln
Kern einschliesst, umgeben von kleinen gelben Zellen. Zahlreiche
fadenförmige Scheinfüsschen strahlen allenthalben aus, halten sich an
der Gitterschale fest und treten durch deren Löcher aus.]

Sie ist umschlossen von einer Schicht Protoplasma, von welchem nach
allen Richtungen zahllose, äusserst feine Scheinfüsschen ausstrahlen.
Diese verhalten sich im Uebrigen ebenso wie bei den Polythalamien.

Gewöhnlich finden sich im Protoplasma der Radiolarien ausserhalb der
Centralkapsel noch zahlreiche gelbe Zellen von unbekannter Bedeutung;
sie enthalten Stärkemehl.

Ausserdem bilden sich bei einigen Radiolarien rings um die
Centralkapsel grosse helle Wasser-Blasen aus (Vacuolen), welche von
einer sehr dünnen Gallerte umschlossen sind, so namentlich bei den
erbsengrossen Thalassicollen (Fig. 26).

[Illustration: Fig. 26. ~Thalassicolla~ (pelagica). Ein grosses nacktes
Radiolar (ohne Schale). Die innere kugelige Centralkapsel ist von
einem Mantel grosser Wasserblasen umgeben. An der Oberfläche strahlen
tausende von feinen Schleimfäden aus.]

Es giebt auch zusammengesetzte Radiolarien (Polycyttarien). Diese
bilden grössere Gallertklumpen von cylindrischer oder kugeliger Form,
von 1 bis 3 Centimeter Durchmesser. Die Gallerte besteht grösstentheils
aus solchen Wasserblasen, und in der Oberfläche sind ältere, im Innern
dagegen jüngere Centralkapseln vertheilt (Fig. 27; s. folg. S.). Jede
der letzteren ist oft von einer gegitterten Kieselschale umschlossen
(Fig. 28).

[Illustration: Fig. 28. Eine einzelne Kieselschale (stachelige
Gitterkugel) von ~Collosphaera~ (spinosa).]

Bei sehr vielen Radiolarien ist die Kieselschale eine Gitterkugel (Fig.
25, 28, 29, 31); oft gehen lange, regelmässig vertheilte Stacheln
davon ab (Fig. 29). Bei den Ommatiden (Fig. 30, 31) finden wir mehrere
solcher Gitterkugeln concentrisch in einander geschachtelt und durch
radiale Stäbe verbunden, ganz ähnlich dem bekannten zierlichen
Spielzeug, das die Chinesen aus Elfenbein anfertigen.

[Illustration: Fig. 27. ~Collosphaera~ (Huxleyi). Ein zusammengesetztes
Radiolar mit vielen Centralkapseln; die inneren kleineren ohne, die
äusseren grösseren mit Kieselschale. Zwischen den ausstrahlenden
Fäden sind zahlreiche kleine gelbe Zellen zerstreut. Im Centrum
der Colonie ist eine grosse Wasserblase sichtbar umgeben von einem
Protoplasma-Netz.]

Es giebt solche Gitterkugeln, die aus zwanzig im Centrum in einander
gestemmten Stacheln zusammengesetzt sind; verästelte Querfortsätze
der Stacheln, die in gleichem Abstande vom Centrum abgehen, setzen
die Gitterschale zusammen (_Dorataspis_, Fig. 32). Den letzteren nahe
verwandt sind die merkwürdigen ~Acanthometren~ (Fig. 33), ebenfalls
mit 20 Stacheln, die nach einem bestimmten mathematischen Gesetze
regelmässig vertheilt sind.

[Illustration: Fig. 29. ~Heliosphaera~ (actinota). Von der Gitterkugel
strahlen zwischen den Pseudopodien zahlreiche Kieselstacheln aus; im
Innern der Schale die Centralkapsel.]

[Illustration: Fig. 30. ~Actinomma~ (asteracanthion). Die Kieselschale
besteht aus drei concentrischen Gitterkugeln, welche durch sechs
radiale Stäbe mit einander verbunden sind. Die äusseren Enden der
letzteren bilden starke dreikantige Stacheln, und dazwischen stehen auf
der Oberfläche zahlreiche, sehr feine borstenförmige Kieselstacheln.]

[Illustration: Fig. 31. ~Haliomma~ (Wyvillei). Die Kieselschale
besteht aus zwei concentrischen Gitterkugeln, die durch zahlreiche
radiale Stacheln verbunden sind. Zwischen beiden Schalen findet sich
die Membran der Centralkapsel, so dass die eine innerhalb, die andere
ausserhalb der letzteren liegt.]

[Illustration: Fig. 32. ~Dorataspis~ (bipennis). Die Kieselschale
wird durch die gabelförmigen Querfortsätze von zwanzig, regelmässig
vertheilten Stacheln zusammengesetzt.]

[Illustration: Fig. 33. ~Xiphacantha~ (Murrayana). Eine Acanthometra,
deren 20 Stacheln kreuzförmige Querfortsätze tragen. Die Stacheln
bilden 5 parallele Zonen von je 4 Stacheln, die gleichweit von einander
abstehen.]

Bei noch andern Radiolarien ist die centrale Gitterkugel von einem
lockern Kiesel-Schwammwerke umhüllt und mächtige dreikantige Stacheln
mit spiralig gedrehten Kanten ragen daraus hervor (_Spongosphaera_,
Fig. 34).

Eine andere, äusserst formenreiche Gruppe von Radiolarien, die
~Cyrtiden~ oder Helm-Radiolarien, bilden Kieselschalen von der
Form eines Helmes (Fig. 35), einer Haube oder eines Körbchens, mit
siebförmig durchlöcherter Wand (_Podocyrtis_, Fig. 36). Noch Andere
gleichen einem Ordensstern (_Astromma_, Fig. 37), einer Sanduhr
(_Diploconus_, Fig. 38), einem dreiseitigen Prisma (_Prismatium_, Fig.
39) u. s. w.

In der grossen Abtheilung der ~Acanthometren~ wird das Skelet stets aus
zwanzig Kieselstacheln gebildet, welche im Centrum in einander gestemmt
und nach einem sehr merkwürdigen mathematischen Gesetze vertheilt
sind; dies entdeckte zuerst der grosse ~Johannes Müller~, dem wir
überhaupt die ersten genaueren Kenntnisse der Radiolarien verdanken.

Welche Bedeutung diese höchst mannigfaltigen, zierlichen und seltsamen
Formen besitzen; wie das formlose Protoplasma der Radiolarien dazu
kommt, sie zu bilden, — davon haben wir heute noch keine Ahnung.

[Illustration: Fig. 34. ~Spongosphaera~ (streptacantha). Neun
dreikantige Stacheln ragen aus der kugeligen Centralkapsel hervor,
welche von kieseligem Schwammgeflecht umhüllt ist und eine centrale
Gitterschale einschliesst.]

Neben den Thalamophoren und Radiolarien wird noch eine grosse Anzahl
von andern Protisten zur Klasse der Wurzelfüssler gerechnet. Viele
davon leben auch im süssen Wasser. Eines der häufigsten ist das
niedliche sogenannte »~Sonnenthierchen~«, welches vor nun hundert
Jahren (1776) vom Pastor ~Eichhorn~ in Danzig entdeckt und als
»lebendiger Stern« beschrieben wurde (_Actinosphaerium Eichhornii_,
Fig. 40).

[Illustration: Fig. 35. ~Dictyophimus~ (Challengeri). Helmförmige
Gitterschale mit drei Füsschen und Gipfelstachel.]

[Illustration: Fig. 36. ~Podocyrtis~ (Schomburgki). Die helmförmige
Gitterschale steht auf drei Füsschen und trägt auf dem Gipfel einen
Stachel; das Gitterwerk der drei Abtheilungen ist sehr verschieden.]

[Illustration: Fig. 37. ~Astromma~ (Aristotelis). Die schwammige
Kieselschale hat die Form eines Ordenskreuzes.]

[Illustration: Fig. 38. ~Diploconus~ (fasces). Die Kieselschale gleicht
einer Sanduhr, in deren Axe ein starker, an beiden Enden zugespitzter
Stab steht.]

[Illustration: Fig. 39. ~Acanthodesmia~ (prismatium). Neun Kieselstäbe
sind so verbunden, dass sie die Kanten eines dreiseitigen Prisma
bilden. Im Centrum schwebt eine kugelige Centralkapsel, von gelben
Zellen umgeben.]

[Illustration: Fig. 40. Das vielzellige grosse Sonnenthierchen
(~Actinosphaerium~ Eichhornii). Die innere dunkle Markmasse (c)
enthält, viele Zellkerne und einige Nahrungsbissen (d). Von der hellen,
schaumigen Rindenschicht (b), welche eben einen neuen Nahrungsbissen
(a) aufnimmt, strahlen zahlreiche Scheinfüsschen (e) aus.]

[Illustration: Fig. 41. Das einzellige kleine Sonnenthierchen
(~Actinophrys~ sol). Im Innern der strahlenden Protoplasma-Kugel liegt
nur ein Zellkern (n). Eine contractile Blase tritt an der Oberfläche
des Protoplasma vor (v).]

Es ist ein weiches, mit blossem Auge deutlich sichtbares, weiches
Schleimkügelchen, von der Grösse eines kleinen Stecknadelknopfes, oft
in Menge auf dem schlammigen Boden unserer Teiche und Gräben zu finden.
In der Mitte des schleimigen und blasigen Protoplasma-Kügelchens
liegen mehrere Zellkerne. Von der Oberfläche strahlen zahlreiche
empfindliche und bewegliche Fäden oder Pseudopodien aus. Durch diese
wird, wie bei den übrigen Wurzelfüsslern, die Nahrung aufgenommen.
Die Vermehrung ist erst kürzlich entdeckt worden. Das Sonnenthierchen
zieht dabei seine Fäden ein, umgiebt seinen kugeligen Körper mit einer
Gallerthülle und zerfällt in viele einzelne Kugeln. Jede von diesen
enthält einen Kern und schwitzt eine Kieselhülle aus, und jede dieser
kieselschaligen Zellen wird später zu einem neuen Sonnenthierchen. Man
kann dieselben aber auch künstlich vermehren. Man kann sie in mehrere
Stücke zerschneiden und aus jedem Stückchen wird alsbald wieder ein
selbständiges Wesen. Dasselbe gilt auch von vielen andern Protisten.

Während das grosse Sonnenthierchen oder Strahlenkügelchen
(_Actinosphaerium_) einen nackten Rhizopoden darstellt, der viele
Zellkerne enthält, also aus vielen vereinigten Zellen zusammengesetzt
ist, zeigt uns dagegen ein anderer, sehr häufiger Süsswasserbewohner,
das ~kleine Sonnenthierchen~ (_Actinophris sol_) den Organismus der
Wurzelfüssler in seiner allereinfachsten Gestalt (Fig. 41), nämlich als
eine nackte einfache Zelle mit einem einzigen Kern; von der Oberfläche
desselben strahlen viele feine Fäden aus, und indem das Protoplasma
an gewissen Stellen Wasser aufnimmt und wieder abgiebt, bildet es
»contractile Blasen oder Vacuolen.«

Eine der merkwürdigsten Protistenklassen, die ebenfalls oft zu den
Wurzelfüsslern gerechnet wird, sind die so genannten ~Schleimpilze~
oder ~Myxomyceten~, von Anderen auch ~Pilzthiere~ oder ~Mycetozoen~
genannt. Schon dieser doppelte Name bezeichnet ihre zweifelhafte
Protisten-Natur. Sie leben in zahlreichen verschiedenen Arten an
feuchten Orten, im abgefallenen Laube der Wälder, zwischen Moos, auf
faulendem Holze und dergl. Früher galten sie allgemein für Pflanzen,
und zwar für Pilze, weil ihr reifer Fruchtkörper täuschend dem
blasenförmigen Fruchtkörper der Gastromyceten oder Blasenpilze ähnlich
ist (Fig. 43B). Dieser Fruchtkörper bildet kugelige oder länglich
runde, oft auf einem Stiel festsitzende Blasen, meist von der Grösse
eines Stecknadelknopfes oder eines Hanfkorns, bisweilen aber auch von
mehreren Zoll Durchmesser. Die derbe äussere Hülle der Fruchtblasen
umschliesst ein feines Mehl, das aus Tausenden von mikroskopischen
Zellen besteht. Dies sind die Fortpflanzungszellen oder ~Sporen~.

[Illustration: Fig. 42. ~Keimung einer Myxomycete~ (~Physarum album~).
1. Eine Keimzelle oder Spore. 2. Aus der dunkeln Hülle der Spore tritt
die nackte Zelle hervor (3). Diese verwandelt sich in eine Geisselzelle
(4, 5) und darauf in eine Amoebe (6, 7). Mehrere Amoeben fliessen
zusammen (8, 9, 10, 11) und bilden so ein Plasmodium (12).]

Während aber bei den Blasenpilzen, wie bei allen anderen echten Pilzen,
sich aus diesen Sporen die characteristischen Pilzfäden oder Hyphen,
lange dünne Fadenschläuche entwickeln, entstehen daraus bei den
Myxomyceten ganz andere Keime. Aus der festen Zellmembran einer jeden
Spore schlüpft nämlich, sobald diese ins Wasser gelangt, eine nackte,
lebhaft bewegliche Zelle aus. (Fig. 42, 1–3). Anfangs schwimmt diese
Zelle mittelst eines langen Geisselfadens, den sie peitschenförmig nach
Art der Geisselschwärmer hin und her schwingt, frei im Wasser umher
(Fig. 42, 4, 5). Später sinkt sie zu Boden und nimmt die Form einer
Amoebe an (Fig. 42, 6, 7). Ganz gleich einer echten Amoebe kriecht
sie umher, indem sie veränderliche Fortsätze ausstreckt und wieder
einzieht. Auch nimmt sie nach Art der Amoeben ihre Nahrung auf.

Viele solcher amoeboiden Zellen können nun späterhin zusammenfliessen
und mit einander verwachsen (Fig. 42, 8–11). Dadurch entstehen grosse
Protoplasma-Netze mit vielen Kernen (~Syncytien~, Fig. 42, 12). Indem
ihre Kerne sich auflösen, werden sie zu kernlosen ~Plasmodien~ (Fig.
43A). Solche grosse Plasmodien, oft ganz colossale Protoplasma-Netze,
kriechen gleich einem riesigen Rhizopoden langsam umher und ändern
beständig ihre unbestimmte Gestalt.

[Illustration: Fig. 43. ~Myxomyceten.~ A. Ein grösseres Plasmodium (von
~Didymium leucopus~). B. Eine reife Frucht (von ~Arcyria incarnata~).
C. Dieselbe, nachdem die Wand (p) geplatzt und das Haarfaden-Geflecht
(Capillitium, cp) hervorgetreten ist.]

Zu den grössten Plasmodien gehören die glänzend gelben (oft mehrere
Fuss grossen) Protoplasma-Geflechte von _Aethalium_, welche die
Lohbeete der Gerbereien durchziehen und unter dem Namen »~Lohblüthe~«
allen Gerbern bekannt sind. Haben die Plasmodien durch Wachsthum und
Nahrungsaufnahme eine gewisse Grösse erreicht, so ziehen sie sich auf
einen kugeligen, birnförmigen oder kuchenförmigen Haufen zusammen,
umgeben sich mit einer Hülle und das ganze Protoplasma zerfällt
in zahllose kleine Sporen, zwischen welchen sich meistens (jedoch
nicht immer) ein Geflecht von äusserst feinen Haarfäden ausbreitet
(_Capillitium_, Fig. 43cp). Wenn diese Fruchtkörper (Fig. 43B) ganz
reif sind, platzt die äussere Hülle (Fig. 43C); das Capillitium wird
vorgetrieben und das feine Sporen-Pulver zerstreut.

Obgleich nun diese blasenförmigen Fruchtkörper mit ihrem Sporenpulver
und Capillitium die grösste Aehnlichkeit mit denjenigen von gewissen
echten Pilzen besitzen, haben sie doch mit diesen letzteren keine Spur
von Verwandtschaft, wie ihre gänzlich verschiedene Entwickelung zeigt.
Will man überhaupt die Myxomyceten in nähere Beziehung zu irgend einer
anderen Organismen-Gruppe bringen, so bleiben nur die ~Rhizopoden~
übrig. In der That gleichen die kriechenden netzförmigen Plasmodien der
Myxomyceten so sehr gewissen nackten Wurzelfüsslern (_Lieberkühnia_),
dass man sie gar nicht unterscheiden kann. Es giebt kein passenderes
Object, um sich die merkwürdigen Strömungen in dem kriechenden nackten
Protoplasma unmittelbar vor Augen zu führen, als die Plasmodien der
gemeinen Lohblüthe, die im Frühjahr auf den Lohbeeten der Gerbereien
sehr leicht zu haben ist und die Lohe in Form von gelben, rahmähnlichen
Schleimnetzen durchzieht. Bringt man ein wenig von diesem gelben
Protoplasma in einer feuchten Kammer auf ein Glasplättchen, so ist
letzteres schon nach 10–20 Stunden von einem feinen Faden-Netz
übersponnen, in dessen Fäden man unter dem Mikroskope die lebhafte
Protoplasma-Strömung prächtig verfolgen kann.

Im Anschluss an die Myxomyceten müssen wir hier auch auf die echten
~Pilze~ (_Fungi_) einen Blick werfen, mit welchen man die ersteren
früher irrthümlich vereinigt hat. Die echten Pilze, welche in so
zahlreichen, ansehnlichen und mannigfaltigen Formen in unsern Wäldern
und Feldern, auf Pflanzen- und Thierkörpern schmarotzend leben, werden
oft auch als ~Schwämme~ bezeichnet. Sie haben aber mit den echten
Schwämmen oder Spongien gar nichts zu thun; denn diese letzteren, wozu
der gewöhnliche Badeschwamm gehört, und welche sämmtlich — mit einziger
Ausnahme des Süsswasser-Schwammes, _Spongilla_, — im Meere leben, sind
echte ~Thiere~ und besitzen ein Darmrohr mit Mundöffnung u. s. w. Die
Pilze dagegen bilden eine gänzlich verschiedene und sehr eigenthümliche
Classe von niederen Organismen. Zwar gelten sie heute noch allgemein
als echte ~Pflanzen~. Allein in den wichtigsten anatomischen und
physiologischen Beziehungen weichen sie so sehr von allen übrigen
Pflanzen ab, dass es wohl richtiger ist, sie als eine selbständige
Classe von ~Protisten~ zu betrachten. Ernährung und Stoffwechel der
Pilze ist thierisch, nicht pflanzlich. Sie bilden kein Protoplasma,
kein Chlorophyll, kein Stärkemehl, keine Cellulose, wie die echten
Pflanzen. Vielmehr bedürfen sie, wie die Thiere, zu ihrer Existenz und
Ernährung vorgebildetes Protoplasma, welches sie aus dem Körper anderer
Organismen, lebender oder todter Thiere, Pflanzen und Protisten,
entnehmen.

Die Fortpflanzung der Pilze ist meistens ungeschlechtlich, und
auch da, wo sie geschlechtlich erscheint, ganz eigenthümlich. Das
Form-Element, aus dem sich der Körper aller Pilze aufbaut, ist nicht
eine echte, kernhaltige ~Zelle~, wie bei allen Thieren und Pflanzen,
sondern eine fadenförmige, kernlose ~Cytode~, die sogenannte ~Hyphe~
oder der »Pilzfaden.« Durch seitliche Sprossung und fortgesetzte
Theilung in einer ~Axe~, bilden sie verzweigte gegliederte Fäden, und
zahllose solche Pilzfäden, in langen Ketten an einander gereiht, sich
verästelnd und netzartig verbindend, setzen alle Organe der Pilze
zusammen. Der bekannte gestielte »Hut« oder Schirm unserer grossen
Hutpilze, z. B. vom ~Champignon~ (Fig. 44) ist blos der ~Fruchtkörper~,
welcher sich zur Zeit der Reife aus einem unscheinbaren Fadengeflechte
entwickelt, dem Mycelium (Fig. 44, I m); die strahligen, blattförmigen
Rippen, welche sich an der Unterseite des regenschirmähnlichen Hutes
bilden, sind von der Fruchthaut (_Hymenium_) überzogen, in welcher
sich ungeschlechtlich die Fortpflanzungs-Cytoden (»Sporen«) bilden.
Je genauer man die eigenthümliche Anatomie und Keimungsgeschichte
der Pilze verfolgt, je unbefangener man sie vergleicht, desto mehr
überzeugt man sich, dass diese merkwürdigen Organismen keine echten
Pflanzen sind, sondern eine ganz selbständige Classe von neutralen
Protisten darstellen.

Dasselbe gilt von der formenreichen Classe der ~Kieselzellen~
(_Diatomeae_ oder ~Bacillariae~), die auch gewöhnlich zu den Pflanzen
gerechnet werden. Diese zierlichen kleinen Organismen bevölkern in
ungeheuren Massen die süssen und salzigen Gewässer unseres Erdballs.
In grossen Mengen angehäuft, bilden sie gewöhnlich einen gelben oder
gelbbraunen Schleim, der Steine, Wasserpflanzen u. s. w. überzieht.
Bald sind die Diatomeen einzeln lebende Einsiedlerzellen, bald Colonien
oder Gesellschaften (Coenobien), welche aus vielen gleichartigen,
locker verbundenen Zellen zusammengesetzt erscheinen.

[Illustration: Fig. 44. Ein ~Champignon~, aus der Ordnung der
~Hutpilze~ (~Hymenomycetes~). A. Das Fadengeflecht (~Mycelium~), aus
verästelten und netzförmig verbundenen Reihen von Pilzfäden (~Hyphen~)
gebildet (m). Aus dem Mycelium sprossen solide birnförmige Fruchtkörper
hervor (I), in welchen sich ein ringförmiger Luftraum bildet (II,
III, l). Unterhalb sondert sich der Stiel (IV, st), oberhalb der
Schirm des Hutes (h), von welchem die Hymenium-Rippen in den Luftraum
hineinwachsen (V, l): der untere Boden des Luftraums platzt später und
hängt als Schleier (Velum) vom Rande des Hutes herab.]

Viele Diatomeen sitzen fest; die meisten aber bewegen sich in ganz
eigenthümlicher Weise, langsam schwimmend oder fortrutschend, im
Wasser umher. Die Organe dieser Ortsbewegung sind noch gänzlich
unbekannt, vielleicht feinste Wimperreihen.

Das Characteristische an dem Zellenkörper der Diatomeen ist die
eigenthümliche ~Kieselschale~, in welcher ihr Zellenleib eingeschlossen
ist. Diese Schale ist aus zwei Hälften zusammengesetzt, welche sich zu
einander genau so verhalten, wie eine ~Schachtel~ zu ihrem ~Deckel~
(Fig. 45). Die kernhaltige Zelle, welche in dieser Schachtel lebt,
theilt sich in zwei Hälften, und jede Hälfte bildet sich zu ihrem
Schachteldeckel eine neue Schachtel. Dieser Process wiederholt sich
mehrfach, wobei natürlich jede folgende Generation kleiner wird.
Schliesslich aber entsteht eine Generation, welche beide Schalenhälften
abwirft, wieder bis zur Grösse der ersten, grössten Generation
heranwächst, und sich nun mit einer neuen Kieselschachtel erster Grösse
umgiebt. Wegen der unendlich mannigfaltigen und zierlichen Gestalt
dieser Kieselschale, sowie wegen ihrer äusserst feinen Sculptur, sind
die Diatomeen sehr beliebte Unterhaltungs-Objecte für mikroskopischen
Formgenuss. Wenn sich die Kieselschalen der todten Diatomeen massenhaft
auf dem Grunde der Gewässer ansammeln und zu Stein verkitten, können
sie ganze Gebirgsschichten zusammensetzen, so z. B. den Polirschiefer,
das Bergmehl u. s. w.

[Illustration: Fig. 45. Eine Diatomee oder ~Bacillarie~ (~Surirella~
dentata). Die Schachtelzelle ist vom Rande gesehen, so dass man sieht,
wie die beiden Schalenklappen (s u. d) übereinander greifen, gleich
einer Schachtel (s) und ihrem Deckel (d). In der Mitte der Kern (n). p
Protoplasma.]

       *       *       *       *       *

Während die meisten, bisher von uns betrachteten Protisten-Gruppen
grosse und formenreiche Classen darstellen, giebt es nun noch eine
Anzahl von kleineren, isolirten, bisweilen nur durch eine oder wenige
Formen repräsentirten Protisten, deren Einreihung in das System sehr
schwierig ist. Dies gilt z. B. von den sonderbaren ~Labyrinthuleen~.
Gesellschaften von locker verbundenen, einfachen, spindelförmigen,
gelben Zellen, die in einer eigenthümlichen Fadenbahn umherrutschen.
Eine andere Gruppe, interessant wegen ihrer Mittelstellung
zwischen verschiedenen Protisten-Classen, bilden die ~Catallacten~,
durch die Gattungen _Synura_ und _Magosphaera_ repräsentirt. Sie
bilden schwimmende Gallertkugeln, zusammengesetzt aus einer Anzahl
birnförmiger gleichartiger Zellen, welche mit ihren spitzen inneren
Enden im Centrum der Gallertkugel vereinigt sind. Später lösen sich
diese Zell-Gesellschaften oder Coenobien auf. Die einzelnen isolirten
Zellen schwimmen noch eine Zeit lang selbständig umher und können
jetzt mit Ciliaten verwechselt werden. Dann aber sinken sie auf den
Meeresboden nieder und verwandeln sich in Amoeben-ähnliche Zellen.
Gleich echten Amoeben kriechen diese umher, fressen, wachsen und
kapseln sich schliesslich ein; der Zellenkörper zieht sich kugelig
zusammen und umgiebt sich mit einer Gallerthülle. Innerhalb derselben
theilt sieh die Zelle später wiederholt, in 2, 4, 8, 16, 32 Zellen
u. s. w. Diese werden birnförmig, erhalten bewegliche Wimpern und
verbinden sich wieder zu einer Flimmerkugel. Nun dreht sich die
Kugel rotirend um ihren Mittelpunkt, sprengt ihre Hülle und schwimmt
wieder frei in der Form umher, von welcher wir ausgegangen sind (Fig.
46). Das Interesse dieser merkwürdigen Protisten liegt also weniger
in besonderen Eigenthümlichkeiten, als vielmehr in der neutralen
Mittelstellung, welche sie zwischen Amoeben, Infusorien und Volvocinen
einnehmen, und wodurch sie diese verschiedenen Protisten-Classen
verknüpfen. Wir nennen sie daher »Mittlinge oder ~Vermittler~«
(_Catallacta_).

[Illustration: Fig. 46. ~Magosphaera~ (planula), eine schwimmende
Flimmerkugel von der norwegischen Küste. A von der Oberfläche, B im
Durchschnitt.]

       *       *       *       *       *

Werfen wir einen vergleichenden Rückblick auf alle bisher betrachteten
Protisten-Classen, so sehen wir, dass darin die organische Zelle bald
ganz selbständig auftritt, und als ~Einsiedler-Zelle~ (_Monocyta_)
den ganzen Organismus repräsentirt, bald mit ihresgleichen sich zu
lockeren Gesellschaften verbindet und einfache ~Zellen-Gemeinden~ oder
Zellen-Horden (_Coenobia_) darstellt. Nun ist aber hiermit keineswegs
die tiefste Stufe der Organisation erschöpft, welche uns die organische
Welt darbietet. Vielmehr treffen wir noch unterhalb dieser einzelligen
Protisten jene niedrigste und unvollkommenste Classe von Organismen an,
die wir als ~Moneren~ bezeichnen. (Fig. 47, 48).

[Illustration: Fig 47. ~Protamoeba~ (primitiva), ein Moner mit
lappenförmigen Pseudopodien, gleich einer Amoebe. a kriechend, b in
Theilung begriffen, c in zwei Hälften getheilt.]

Da wir diese in dem nachstehenden Anhange (S. 68–85) zum Gegenstande
einer besonderen Besprechung machen werden, wollen wir hier nur ganz
kurz die wichtigsten Punkte hervorheben, welche den Moneren ihre hohe
Bedeutung für die Entwicklungslehre verleihen.

Die ~Moneren~ sind wahre »Organismen ohne Organe«. Ihr ganzer
lebendiger Leib besteht in völlig entwickeltem Zustande nur aus einem
ganz einfachen Protoplasma-Stückchen, welchem selbst der Kern, der
Character der echten Zelle, noch fehlt. Bezüglich ihrer Bewegungen
gleichen diese denkbar einfachsten Organismen bald den Amoeben (Fig.
47), bald den Wurzelfüsslern (Fig. 48), bald den Geisselschwärmern.
(Fig. 50). Sie vermehren sich in einfachster Weise durch Theilung. Von
der grössten theoretischen Bedeutung sind sie für die dunkle Frage von
der ersten Entstehung des Lebens auf unserer Erde. Denn nur Moneren
können im Beginn des organischen Lebens auf unserm Planeten durch
Urzeugung entstanden sein; nur Moneren können die ältesten Stammältern
aller übrigen Organismen sein. Gerade in dieser Beziehung sind die
Moneren des Tiefseegrundes, und vor Allen der berühmte ~Bathybius~
(Fig. 49) vom höchsten Interesse.

[Illustration: Fig. 48. ~Protomyxa aurantiaca~, ein Moner mit
wurzelförmig verästelten fadenartigen Pseudopodien, gleich einem
Rhizopoden.]

[Illustration: Fig. 49. ~Bathybius~ (Haeckelii). Ein Plasmodium aus
den Tiefen des Oceans. Die verästelten Plasson-Ströme, durch deren
Verbindung das Netz entsteht, ändern sich beständig.]

[Illustration: Fig. 50. ~Zitterlinge~ (~Bacteria~), sehr stark
vergrössert. 1. ~Sarcine~, eine einfachste Cytode, im menschlichen
Magen schmarotzend, welche sich durch kreuzförmige Theilung vermehrt.
2. ~Bacillus~, gerade Stäbchen. 3. ~Vibrio~, korkzieherartig gewundene
Stäbchen. 4. ~Spirillum~, eben solche Spiralstäbchen, die aber an
beiden Enden eine äusserst feine, schwingende Geissel tragen.]

Eine sehr wichtige und interessante Monerengruppe bilden die
~Zitterlinge~ (_Vibriones_ oder _Bacteria_, Fig. 50). Obgleich diese
winzigen Körperchen, die zu den allerkleinsten Organismen gehören,
meistens von den Botanikern zu den Pflanzen gerechnet und als
»~Spaltpilze~ (_Schizomycetes_)« den echten Pilzen angereiht werden,
geschieht das doch ohne jeden genügenden Grund. Mindestens haben
diejenigen Zoologen, welche sie als einfachste Thiere betrachten,
ebensoviel Recht dazu. Die ~Bacterien~ sind eben echte ~Protisten~, und
zwar kleinste ~Moneren~, deren höchst einfache Organisation und ganz
neutraler Character sie weder dem Thierreich, noch dem Pflanzenreich
anzuschliessen gestattet.

Die Bacterien sind meistens stabförmige Körperchen, die sich lebhaft im
Wasser bewegen. Als Organ der Bewegung ist bei einigen grösseren Formen
eine äusserst feine, schwingende Geissel erkannt, die an beiden Enden
des Stäbchens vortritt, so bei _Spirillum_ (Fig. 50, 4). Wahrscheinlich
ist eine solche auch bei den kleineren Vibrionen vorhanden und nur
wegen ihrer ausserordentlichen Zartheit nicht wahrzunehmen. Die
Bewegung der Bacterien ist meistens sehr lebhaft, zitternd oder
wimmelnd, viele sind korkzieherartig gedreht und schrauben sich im
Wasser fort (Fig. 50, 3). In einem einzigen Wassertröpfchen können
Millionen solcher kleinsten Organismen vereinigt sein. Irgend
welche Organisations-Verhältnisse, namentlich ein Zellkern, sind an
denselben nicht nachzuweisen; sie sind daher auch nicht wirkliche
~Zellen~, sondern kernlose ~Cytoden~, gleich den anderen Moneren.
Ihre Fortpflanzung geschieht in einfachster Weise durch Theilung. Oft
zerfällt jedes Stäbchen in eine grosse Anzahl hinter einander gelegener
Stückchen.

Die grosse Bedeutung der Bacterien besteht darin, dass sie die
Zersetzung und Fäulniss der organischen Flüssigkeiten bewirken, in
welchen sie sich aufhalten. Sie ernähren sich von den organischen
Substanzen (namentlich eiweissartigen Körpern), die in solchen
Flüssigkeiten aufgelöst sind. Wahrscheinlich sind sie die Ursache
vieler der wichtigsten, ansteckenden und epidemischen Krankheiten.
So ist es neuerdings namentlich vom Milzbrand und den Blattern
festgestellt, dass nur die Bacterien, die im Blute der milzbrandkranken
und blatternkranken Thiere leben, die Uebertragung dieser tödtlichen
Krankheiten bewirken.

       *       *       *       *       *

Ueberblickt man unbefangen prüfend und vergleichend die Masse von
verschiedenartigen Urwesen, die wir in unserem Protistenreiche
vereinigt haben, so scheint die Selbständigkeit dieses letzteren
keines weiteren Beweises zu bedürfen. Denn es existirt noch heute eine
ungeheuere Menge von formenreichen, mikroskopischen Wesen, die wir
ohne willkürlichen Zwang weder zum Thierreich noch zum Pflanzenreich
rechnen können. Aber das natürliche Verhältniss dieser beiden grossen
Lebensreiche zu jenem ~neutralen~, zwischen Beiden mitten inne
stehenden ~Protistenreiche~ wird noch vielfacher Durchforschung und
Klärung bedürfen. Insbesondere wird die ~Entwickelungsgeschichte~
der Protisten noch viel genauer und umfassender zu erforschen sein.
Denn vor allen die Entwickelungsgeschichte wird hier, wie überall, der
»wahre Lichtträger« für das Verständnis der biologischen Erscheinungen
sein.

Uebrigens scheint gegen das Thierreich hin eine feste und klare
Abgrenzung des Protistenreichs schon jetzt sicher gewonnen zu sein.
Denn bei allen echten Thieren entwickelt sich der Leib aus zwei
ursprünglichen Zellenschichten, die unter dem Namen der ~Keimblätter~
bekannt sind.

[Illustration: Fig. 51. ~Gastrula~ (Darmlarve) eines Kalkschwammes,
~Olynthus~. A von der Oberfläche. B im Längsschnitt. e äusseres
Keimblatt (Hautblatt oder Exoderm). i Inneres Keimblatt (Darmblatt oder
Entoderm). o Urmund. g Urdarmhöhle.]

Aus dem äusseren oder animalen (_Exoderma_ oder ~Hautblatt~, Fig. 51 e)
entstehen die Organe der Empfindung und Bewegung; aus dem innern oder
vegetativen Keimblatte (_Entoderma_ oder ~Darmblatt~, Fig. 51 i) die
Organe der Ernährung. Das letztere umschliesst eine ernährende Höhle,
die erste Anlage des Magens, oder den ~Urdarm~ (g), und dieser öffnet
sich nach aussen durch eine einfache Mundöffnung, den ~Urmund~ (o). Die
bedeutungsvolle Keimform, welche uns den Thierleib dergestalt, blos
aus zwei Keimblättern gebildet, vor Augen führt, ist die ~Gastrula~
(Darmlarve oder Becherkeim).

[Illustration: Fig. 52–57. ~Gastrula~ von sechs verschiedenen Thieren.
Fig. 52 (B) ~Wurm~ (Sagitta). Fig. 53 (C) ~Seestern~ (Uraster). Fig. 54
(D) ~Krebs~ (Nauplius). Fig. 55 (E) ~Schnecke~ (Lymnaeus). Fig. 56 (A)
~Pflanzenthier~ (Gastrophysema). Fig. 57 (F) ~Wirbelthier~ (Amphioxus).
— Ueberall bedeutet: e Hautblatt (Exoderm), i Darmblatt (Entoderm), d
Urdarm, o Urmund.]

[Illustration: Fig. 58. ~Gastrula~ eines ~Säugethieres~ (Kaninchen).
e Hautblatt (Exoderm). i Darmblatt (Entoderm). d eine centrale
Entoderm-Zelle, welche die enge Urdarmhülle ausfüllt. o eine
Entoderm-Zelle, welche die Urmundöffnung verstopft. Ebenso wie beim
Kaninchen verhält sich wahrscheinlich auch die ~Gastrula~ beim
~Menschen~.]

Diese ~Gastrula ist das wahre Thier in einfachster~ Form. Denn
bei allen echten Thieren fängt die Entwickelung des Eies zur
verschiedenartigen Thierform mit der gleichartigen Bildung dieser
Gastrula an. Die niedersten Pflanzenthiere, die Physemarien (Fig. 56)
wie die Schwämme (Fig. 51), die niedrigsten Würmer (Fig. 52), ebenso
die Sternthiere (Fig. 53), die Gliederthiere (Fig. 54) ebenso wie die
Weichthiere (Fig. 55), ja sogar die niedrigsten Wirbelthiere (Fig.
57), durchlaufen in frühester Jugend diese ~Gastrula~-Keimform; die
anderen Thiere bilden zweiblättrige Keimformen, die nur als abgeänderte
Gastrula-Keime betrachtet werden können; so auch die Säugethiere, mit
Inbegriff des Menschen (Fig. 58); überall baut sich der echte Thierleib
ursprünglich ~aus zwei Keimblättern~ auf. Hingegen erhebt sich kein
einziges Protist zur Production von Keimblättern und zur Bildung einer
Gastrula.

       *       *       *       *       *

Weniger klar und scharf lässt sich unser Protistenreich gegen das
~Pflanzenreich~ hin abgrenzen. Doch dürften auch hier die Verhältnisse
der individuellen Entwickelung und des feineren Baues die Handhabe
liefern, mit deren Hülfe wir die Grenzlinie ziehen können. Auch bei
den echten Pflanzen ordnen sich die Zellen, welche den Körper zunächst
aufbauen, in bestimmter Weise zu Zellenreihen oder ~Zellenschichten~;
und die charakteristische einfachste Pflanzenform der Art bildet
den sogenannten ~Thallus~ oder das »Zellenlager«. Bei den niederen
Pflanzen bleibt der Thallus als solcher zeitlebens bestehen, bei den
höheren sondert oder differenzirt er sich in Stengel und Blätter. Auch
vermehren sich alle echten Pflanzen auf geschlechtlichem Wege, während
dies bei den Protisten nicht der Fall ist.

Eine ~absolute~ Grenze freilich zwischen den drei organischen Reichen
können und wollen wir nicht feststellen. Denn auch die echten Pflanzen,
wie die echten Thiere, durchlaufen in ihrer frühesten Entwickelung,
als einzelliges Ei, als einfacher Zellenhaufen u. s. w. niedere
Formzustände, welche gewissen Protisten gleichen. Nach unserem
biogenetischen Grundgesetze müssen wir daraus den Schluss ziehen, dass
sämmtliche Organismen, Thiere, Protisten und Pflanzen, von höchst
einfachen einzelligen Organismen abstammen; und wenn wir diese ältesten
Stammformen heute lebend vor uns hätten, würden wir sie jedenfalls für
neutrale ~Protisten~ erklären.

Eine gute ~negative~ Charakteristik der Protisten, gegenüber den
echten Thieren und den echten Pflanzen, lässt sich darauf gründen,
dass sie weder eine ~Gastrula~ mit zwei Keimblättern bilden, wie die
ersteren, noch einen ~Thallus~ oder ein Prothallium, wie die letzteren.
Damit in Zusammenhang steht der Umstand, dass die Protisten niemals
wirkliche (aus vielen Zellen zusammengesetzte) ~Gewebe~ und ~Organe~
bilden, wie alle echten Thiere und Pflanzen. Auch ist es sicher von
grosser Bedeutung, dass die grosse Mehrzahl aller Protisten sich
ausschliesslich auf ~ungeschlechtlichem~ Wege fortpflanzt (durch
Theilung, Knospenbildung, Sporenbildung). Aber selbst bei den wenigen
Protisten, welche sich bereits zur geschlechtlichen Zeugung in
einfachster Form erheben, geht der Gegensatz zwischen männlichen und
weiblichen Theilen niemals so weit, wie es bei allen echten Thieren
und Pflanzen der Fall ist. Sie repräsentiren in jeder Beziehung jene
~niedere~ älteste Bildungsstufe, welche jedenfalls der Entwickelung
echter Thiere und echter Pflanzen vorausgegangen sein muss.

Diese Betrachtungen führen uns auf denjenigen Weg, auf welchem
allein eigentlich das Verhältniss der drei organischen Reiche zu
einander entscheidend aufgeklärt werden kann, auf den Weg der
~Stammesgeschichte~ oder ~Phylogenie~. Wenn wir ganz genau wüssten,
wie sich das organische Leben auf unserem Erdball von Anfang an
entwickelt hat, wie die Thiere, Protisten und Pflanzen ursprünglich
entstanden sind, dann würden wir auch das Verhältniss der drei Reiche
zu einander klar und unzweideutig beurtheilen können. Aber der sichere
Weg der unmittelbaren Erfahrung bleibt uns für die Erkenntniss dieses
wichtigen Verhältnisses auf ewig verschlossen. Kein lebendes Wesen
und keine Schöpfungsurkunde kann uns erzählen, wie jener älteste
Entwickelungsgang des organischen Lebens vor vielen Millionen von
Jahren begonnen und wie er sich weiterhin zunächst gestaltet hat.
Tausende von Arten und Gattungen, Millionen von Generationen sind in’s
Grab gesunken, ohne uns sichtbare Spuren ihrer Existenz hinterlassen
zu haben. Und gerade die wichtigsten von Allen, die ältesten und
einfachsten Formen, konnten wegen des Mangels harter Körpertheile
keine Versteinerungen zurücklassen.

Aber wenn uns auch der streng empirische Weg der Erkenntniss in
dieser hochwichtigen Ursprungsfrage unwiderruflich verschlossen
ist, so bleibt uns doch hier, wie überall, zur Ausfüllung unserer
Erkenntnisslücken der Weg der wissenschaftlichen Hypothese offen. Wenn
diese ~historische Hypothese~ sich in umfassender Weise auf die bisher
erkannten wissenschaftlichen Thatsachen stützt, so ist sie in der
Naturgeschichte der Lebewesen ebenso berechtigt, wie in der Geologie,
in der Archaeologie, der Culturgeschichte und anderen historischen
Wissenschaften. Und wie uns die allgemein anerkannten geologischen
Hypothesen dazu geführt haben, eine befriedigende Einsicht in den
Entwickelungsgang unsers Erdballs zu gewinnen, so werden auch die
phylogenetischen Hypothesen, die wir auf die von ~Darwin~ reformirte
Descendenz-Theorie gründen, Licht über den Entwickelungsgang des
organischen Lebens auf der Erde verbreiten.

       *       *       *       *       *

Wir können hier nicht auf eine Beleuchtung und Begründung aller der
verschiedenen phylogenetischen Hypothesen eingehen, welche über
diesen Entwickelungsgang aufgestellt worden sind. Nur auf diejenige
Vorstellung wollen wir schliesslich noch einen flüchtigen Blick werfen,
welche heuzutage am meisten innere Wahrscheinlichkeit für sich hat.
Danach müssen wir annehmen, dass das Leben auf unserem Planeten mit
der selbständigen Entstehung der allereinfachsten ~Protisten~ aus
anorganischen Verbindungen begonnen hat. Diese ältesten Lebewesen der
Erde werden den heute noch existirenden ~Moneren~ ähnlich gewesen sein:
einfachste lebende Protoplasma-Stückchen ohne jegliche Organbildung.
Daraus werden sich zunächst durch Sonderung eines Darmes im Inneren
einzellige Protisten gebildet haben, und zwar höchst einfache, formlose
und indifferente ~Zellen~, gleich den ~Amoeben~. Indem einige von
diesen einzelligen Protisten, von geselligen Neigungen getrieben, sich
daran gewöhnten, in kleinen Gesellschaften vereinigt zu leben, werden
die ersten vielzelligen Organismen entstanden sein, und zwar zunächst
auch nur wieder einfache Zellenhorden, lockere Gesellschaften von
gleichartigen Zellen.

Nun ist es wohl wahrscheinlich, dass diese ältesten und einfachsten
Entwickelungsvorgänge des organischen Lebens sich an zahlreichen
verschiedenen Stellen des jugendlichen Erdballs gleichzeitig und
unabhängig von einander wiederholt haben. So können also verschiedene
und vielleicht zahlreiche Formen von Protisten unabhängig von einander
entstanden sein; zuerst einzellige, später vielzellige. Durch den
allgemeinen Kampf um’s Dasein, der auch unter diesen Protisten
frühzeitig sich geltend machte, werden dieselben allmählich zu höherer
Sonderung und Vervollkommnung angetrieben worden sein. Als wichtigster
Vorgang ist da sicher die gegensätzliche Sonderung von thierischen
und pflanzlichen Lebens-Processen hervorzuheben. Die einen Protisten
begannen mehr an thierische, die andere an pflanzliche Lebensweise
sich anzupassen, und mit der Lebensweise in Wechselwirkung entstand
die charakteristische Körperform. Eine dritte, conservative Gruppe von
Protisten behielt den ursprünglichen neutralen Character bei. Indem
jene Anpassungen sich im Laufe der Zeit durch Vererbung befestigten,
bildeten sich neben einander die drei grossen organischen Reiche aus.

Mit Beziehung auf den Stoffwechsel und die Ernährung würden wir
freilich sagen können, dass diese ältesten Bewohner unseres Planeten
~Pflanzen~ waren, — richtiger: Protisten mit pflanzlichem Stoffwechsel;
Protisten, welche gleich echten Pflanzen aus Wasser, Kohlensäure und
Ammoniak die wichtigste »Lebens-Basis«, das ~Plasson~, zusammensetzten,
und dieses Plasson sonderte sich später in Protoplasma und Nucleus.

Die ältesten ~Thiere~ hingegen — oder richtiger: die ältesten Protisten
mit thierischem Stoffwechsel, waren ~Parasiten~, schmarotzende
Protisten, welche es bequemer fanden, sich das von anderen Protisten
gebildete Protoplasma anzueignen, als selbst solches zu bilden.
Da eben ursprünglich viele Protisten-Stämme sich unabhängig von
einander entwickelt haben können, von verschiedenen autogonen
Moneren abstammend, so können auch diese Anpassungen sich mehrmals
(polyphyletisch) wiederholt haben.

Aber auch wenn wir diese vielstämmige (polyphyletische) Hypothese
verwerfen und wenn wir mehr zu der einstämmigen (monophyletischen)
Annahme hinneigen, dass der Ursprung aller lebenden Wesen auf eine
einzige gemeinsame Stammform zurückgeführt werden muss, auch dann
werden wir doch im Ganzen wieder zu ähnlichen Vorstellungen über das
Verhältniss der drei Reiche gelangen. Auch in diesem Falle werden
wir annehmen müssen, dass jene älteste ursprüngliche Stammform eine
einfachste Cytode, ein ~Moner~ war, und dass sich aus den Nachkommen
jenes Moners zunächst einfache ~Zellen~ entwickelten. Diese Zellen
werden sich wieder in thierische und pflanzliche gesondert haben,
und so wird sich nach einer Richtung hin das Thierreich, nach einer
anderen das Pflanzenreich ausgebildet haben, zwei gewaltigen, weit
verzweigten Stämmen vergleichbar. Aber aus der gemeinsamen Wurzel, in
der diese beiden grossen Stämme zusammenhängen, haben sich ausserdem
noch zahlreiche niedere und indifferente Wurzelschösslinge selbständig
entwickelt; und diese bilden zusammen unser Reich der ~Protisten~.

Gleichviel ob wir dieser einstämmigen oder jener vielstämmigen
Hypothese den Vorzug geben, so bleibt jedenfalls so viel sicher, dass
Thierreich und Pflanzenreich nur in ihren vollkommneren Formen sich
schroff gegenüber stehen, in ihren niederen Formen dagegen durch
das Protistenreich untrennbar zusammenhängen. Die wissenschaftliche
Begründung dieser wichtigen Anschauung ist uns erst durch die
grossartigen Fortschritte der letzten vierzig Jahre möglich geworden.
Aber mit dem Genius des Propheten hat schon vor siebzig Jahren einer
unserer tiefblickendsten Naturphilosophen, Deutschlands genialster
Dichter, dieselbe Anschauung ahnungsvoll ausgesprochen. In Jena schrieb
~Göthe~ 1806 den merkwürdigen Satz nieder: »Wenn man Pflanzen und
Thiere in ihrem unvollkommensten Zustande betrachtet, so sind sie kaum
zu unterscheiden. So viel aber können wir sagen, dass die aus einer
kaum zu sondernden Verwandtschaft als Pflanzen und Thiere nach und
nach hervortretenden Geschöpfe nach zwei entgegengesetzten Seiten sich
vervollkommnen, so dass die Pflanze sich zuletzt im Baume dauernd und
starr, das Thier im Menschen zur höchsten Beweglichkeit und Freiheit
sich verherrlicht.«




Bathybius und die Moneren.


»Der vielbesprochene Bathybius existirt nicht; seine Annahme beruhte
auf Täuschungen. So werden auch die übrigen Moneren nicht existiren;
auch diese angeblichen Urorganismen werden das Erzeugniss irrthümlicher
Beobachtungen sein. Mithin ist einer der wichtigsten Grundpfeiler der
modernen Entwickelungslehre gefallen; und so werden auch ihre übrigen
Stützpfeiler auf Täuschungen und Irrthum gegründet sein. Der ganze
Darwinismus ist ein grosses Luftschloss, die Selectionstheorie eine
Seifenblase, und die Abstammungslehre ist überhaupt nicht wahr.«

So ungefähr ist der Gedankengang zahlreicher Artikel, denen wir seit
einem Jahre in den verschiedensten Zeitschriften begegnen. Einzig und
allein auf die angebliche Nichtexistenz des ~Bathybius~ gestützt,
behauptet man kurzweg, dass es überhaupt keine ~Moneren~ gebe, und
dass damit die ganze Entwickelungslehre den schwersten Stoss erhalten
habe. Am liebsten wird diese Behauptung natürlich von den Gegnern
der Entwickelungslehre vorgetragen und in den mannigfaltigsten
Tonarten variirt. Der Clerus triumphirt bereits über den völligen
Untergang der Descendenztheorie. Aber selbst bei vielen Anhängern
der Entwickelungstheorie gilt die Nichtexistenz des Bathybius als
ausgemacht und es wird daraus eine Reihe von Schlussfolgerungen
gezogen, die als mehr oder minder gewichtige Einwürfe gegen
hervorragende Hauptpunkte des Darwinismus Bedenken erregen. Diese
Umstände, sowie die Unklarheit, in welcher sich der grösste Theil
des dafür interessirten Publicums über den eigentlichen Thatbestand
befindet, bestimmt uns, hier die Moneren-Frage mit besonderer Rücksicht
auf den Bathybius zu erörtern. Ich selbst erscheine zu dieser
Erörterung insofern besonders berechtigt, ja sogar verpflichtet, als
ich das zweifelhafte Glück geniesse, bei dem »berüchtigten Urschleim
der Meerestiefen« Gevatter gestanden zu haben. Als mein Freund ~Thomas
Huxley~ 1868 ihm bei der Taufe den Namen _Bathybius Haeckelii_
beilegte, konnte er freilich nicht ahnen, dass der arme Täufling, einem
Icarus gleich, in kürzester Zeit zu einer biologischen Celebrität
werden, die Sonnenhöhe irdischer Berühmtheit erlangen und noch vor
Ablauf seines ersten Decenniums in den dunkeln Hades der Mythologie
hinabstürzen werde! Sehen wir denn zu, ob er wirklich todt ist, ob
er überhaupt nicht existirt hat. Und wenn wir wirklich seine bloss
mythologische Schein-Existenz zugeben müssten, sehen wir weiter zu, was
daraus für die Moneren folgt!


I. Zur Geschichte der Moneren.

Im Frühling des Jahres 1864 beobachtete ich im Mittelmeere bei
Villafranca unweit Nizza schwimmende, winzige Schleimkügelchen von
ungefähr einem Millimeter oder einer halben Linie Durchmesser, die mein
höchstes Interesse erregten. Vorsichtig unter das Mikroskop gebracht,
erschien nämlich jedes dieser Kügelchen wie ein kleiner Stern, dessen
Mitte aus einem viel kleineren structurlosen Kügelchen bestand,
während von der Oberfläche ringsum mehrere Tausend äusserst feine
Fäden ausstrahlten. Die genaue Untersuchung bei starker Vergrösserung
lehrte, dass der ganze Körper des sternförmigen Wesens aus einfacher
eiweissartiger Zellsubstanz, aus ~Sarcode~ oder ~Protoplasma~
bestehe, und dass die Fäden, welche allenthalben von der Oberfläche
ausstrahlten, keine beständigen Organe seien, sondern ihre Zahl, Grösse
und Gestalt beständig änderten. Sie erwiesen sich als ebenso wechselnde
und unbeständige Fortsätze des centralen Protoplasma-Körpers, wie
die längst bekannten »Scheinfüsschen oder Pseudopodien«, welche die
einzigen Organe der Wurzelfüssler oder ~Rhizopoden~ darstellen. Während
aber bei diesen Letzteren Zellkerne im Protoplasma zerstreut sind
und ihr Körper somit den Formwerth von einer oder mehreren Zellen
besitzt, ist das bei jenen in Nizza beobachteten Protoplasma-Kügelchen
nicht der Fall. Im Uebrigen war kein Unterschied hier und dort zu
finden bezüglich der Bewegungsform der fliessenden Schleimfäden und
der Art und Weise, in welcher dieselben als Tastorgane zum Empfinden,
als Contractionsorgane zum Kriechen, und als Ernährungsorgane zur
Nahrungsaufnahme benutzt wurden. Um die Naturgeschichte des kleinen
Protaplasmakügelchens von Nizza, das ich auf das Genaueste untersuchte,
zu vervollständigen, fehlte es nur noch an der Beobachtung seiner
Fortpflanzung. Auch diese glückte schliesslich. Nach einiger Zeit
zerfiel das kleine Wesen durch einfache Theilung in zwei Hälften, von
denen jede ihr eignes Leben in derselben Weise weiterführte, wie
das erstere. Ich hatte somit den vollständigen Lebenscyclus eines
denkbar einfachsten Organismus erkannt, und nannte denselben in
Anerkennung seiner fundamentalen Bedeutung _Protogenes primordialis_,
den »Erstgebornen der Urzeit«. Seine genaue Beschreibung gab ich im
XV. Bande der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie (S. 360, Taf.
XXVI., Fig. 1, 2).

Schon im folgenden Jahre wurden zwei verschiedene, dem Protogenes
sehr ähnliche, höchst einfache Organismen von dem ausgezeichneten
Mikroskopiker ~Cienkowski~ beschrieben. Im ersten Bande des Archivs
für mikroskopische Anatomie (S. 203, Taf. XII.-XIV.) veröffentlichte
derselbe sehr interessante »Beiträge zur Kenntniss der Monaden.«
Unter den verschiedenen Protisten, die ~Cienkowski~ hier unter dem
alten, vieldeutigen und daher sehr unsicheren Begriffe der »Monaden«
zusammenfasst, befinden sich zwei mikroskopische Bewohner des süssen
Wassers, welche in der vollkommen einfachen und structurlosen
Beschaffenheit ihres kernlosen, strahlenden Protoplasma-Körpers dem
Protogenes gleichen, die Gattungen ~Protomonas~ (_Monas amyli_) und
~Vampyrella~ (letztere mit drei verschiedenen Arten). Sie unterscheiden
sich aber von dem ersteren durch die Art und Weise ihrer Fortpflanzung.
Während der Protogenes, nachdem er durch Wachsthum ein gewisses
Grössenmaass erreicht hat, dieses nicht weiter überschreitet, sondern
ohne Weiteres in zwei Stücke zerfällt, ziehen Protomonas und Vampyrella
ihre Strahlen ein und gehen in einen Ruhestand über, in welchem sich
die kleine Protoplasmakugel einkapselt oder encystirt, mit einer
Hülle (»Cyste«) umgiebt. Innerhalb dieser kleinen Hülle zerfällt die
Protomonas in sehr zahlreiche Kügelchen, die Vampyrella in vier Stücke
(Tetrasporen). Alle diese Theilstücke werden später frei und entwickeln
sich durch einfaches Wachsthum zu der reifen Form.

Inzwischen hatte ich selbst eine vierte ähnliche Gattung von höchst
einfachen Organismen im süssen Wasser bei Jena beobachtet, welche einer
gewöhnlichen Amoebe ganz gleich sich verhält, aber von dieser letzteren
durch den Mangel eines Zellkerns und einer contractilen Blase sich
unterscheidet. Ich nannte sie daher _Protamoeba primitiva_. Während
bei den drei ersterwähnten Schleimkügelchen (Protogenes, Protomonas,
Vampyrella) überall zahlreiche Fäden aus der Oberfläche des centralen
Protoplasma-Körpers ausstrahlen, sehen wir statt deren bei Protamoeba
— ganz wie bei der gewöhnlichen Amoeba — wenige kurze, fingerförmige
Fortsätze sich ausstrecken, welche ihre Gestalt beständig ändern; sie
werden eingezogen und an einer andern Stelle wieder vorgestreckt.
Hat die Protamoeba durch Nahrungsaufnahme (die ebenfalls wie bei
Amoeba erfolgt) eine gewisse Grösse erreicht, so zerfällt sie durch
Theilung in zwei Hälften. Ich machte die erste Mittheilung darüber
in meiner »generellen Morphologie« (Bd. I. S. 133). Später habe ich
von Protamoeba primitiva Abbildungen gegeben, welche u. A. in die
»Natürliche Schöpfungsgeschichte« (VI. Aufl. S. 167) und in die
»Anthropogenie« (III. Aufl. S. 414) aufgenommen sind.

Gestützt auf diese Beobachtungen, die späterhin durch die
Untersuchungen anderer Forscher, wie durch meine eigenen noch
beträchtlich erweitert wurden, gründete ich 1866 in der »Generellen
Morphologie« für alle diese Organismen von einfachster Beschaffenheit
eine besondere Classe unter dem Namen der ~Moneren~, d. h. der
»~Einfachen~«. Im ersten Bande (S. 135) sagte ich damals:

»Um diese einfachsten und unvollkommensten aller Organismen, bei denen
wir weder mit dem Mikroskop, noch mit den chemischen Reagentien irgend
eine Differenzirung des homogenen Plasmakörpers nachzuweisen vermögen,
von allen übrigen, aus ungleichartigen Theilen zusammengesetzten
Organismen bestimmt zu unterscheiden, wollen wir sie ein für allemal
mit dem Namen der »Einfachen« oder »Moneren« belegen. Gewiss dürfen wir
auf diese höchst interessanten, bisher aber fast ganz vernachlässigten
Organismen besonders die Aufmerksamkeit hinlenken und auf ihre
äusserst einfache Formbeschaffenheit bei völliger Ausübung aller
wesentlichen Lebensfunctionen das grösste Gewicht legen, wenn es gilt,
~das Leben zu erklären~, es aus der fälschlich sogenannten »~todten
Materie~« abzuleiten, und die übertriebene Kluft zwischen Organismen
und Anorganen auszugleichen. Indem bei diesen homogenen belebten
Naturkörpern von differenten Formbestandtheilen, von »Organen«, noch
keine Spur zu entdecken ist, vielmehr alle Moleküle der structurlosen
Kohlenstoffverbindung, des lebendigen Eiweisses, in gleichem Maasse
fähig erscheinen, sämmtliche Lebensfunctionen zu vollziehen, liefern
sie klar den Beweis, dass der Begriff des Organismus nur dynamisch
oder physiologisch aus den Lebensbewegungen, nicht aber statisch
oder morphologisch aus der Zusammensetzung des Körpers aus »Organen«
abgeleitet werden kann.«

In den folgenden Jahren wurde der Kreis unserer Erfahrungen über
diese wunderbaren »Organismen ohne Organe« wesentlich erweitert. Auf
meiner Reise nach den canarischen Inseln (1866 und 1867) richtete
ich natürlich meine ganze Aufmerksamkeit auf dieselben und war denn
auch so glücklich, noch mehrere neue Moneren-Formen zu entdecken. Auf
den weissen Kalkschalen, eines merkwürdigen Cephalopoden (_Spirula
Peronii_), die zu Tausenden an den Küsten der canarischen Inseln
angetrieben zu finden sind, bemerkte ich zuweilen zahlreiche rothe
Pünktchen, welche sich unter der Lupe als zierliche Sternchen und
bei starker Vergrösserung als orangerothe Protoplasma-Scheiben oder
-Kugeln zu erkennen gaben, von deren Umfange zahlreiche baumförmig
verästelte Fäden ausstrahlten. Die genauere Untersuchung zeigte, dass
auch diese (verhältnissmässig colossalen) Protoplasma-Körper kernlos
und structurlos waren und sich in ähnlicher Weise wie Protomonas
fortpflanzten, nämlich dadurch, dass der kugelig zusammengezogene
und eingekapselte Körper in zahlreiche kleine Stücke zerfiel. Ich
nannte diese interessante neue Moneren-Gattung _Protomyxa aurantiaca_
und habe sie zuerst auf Taf. I. der »Natürl. Schöpfungsgeschichte«
abgebildet. Eine ähnliche stattliche Monerenform entdeckte ich sodann
in demselben Jahre (1867) im Schlamme des Hafenbeckens von Puerto
del Arrecife, der Hafenstadt der canarischen Insel Lanzarote, und
bezeichnete sie als _Myxastrum radians_. Sie ist dadurch ausgezeichnet,
dass die Theilstücke oder Sporen, in welche der kugelige Körper bei der
Fortpflanzung zerfällt, sich radial gegen den Mittelpunkt der Kugel
ordnen und spindelförmige Kieselhüllen ausschwitzen, aus denen später
das junge Moner ausschlüpft.

Gestützt auf alle diese Beobachtungen, veröffentlichte ich 1868 in
der »Jenaischen Zeitschrift für Naturwissenschaft« eine ausführliche
~Monographie der Moneren~. (Bd. IV, S. 64, Taf. II. und III). Hier sind
alle eigenen und fremden Beobachtungen ausführlich zusammengestellt
und erläutert. Es ergaben sich damals sieben verschiedene Gattungen
von Moneren. Durch spätere Beobachtungen ist die Zahl der Arten auf
16 gesteigert worden, worüber ich in den »Nachträgen zur Monographie
der Moneren« berichtet habe (Jenaische Zeitschr. für Naturw. 1877. Bd.
VI. S. 23). Die Unterschiede aller dieser Moneren beruhen nur darauf,
dass die weiche, schleimige Körpermasse in verschiedener Form sich
ausbreitet und bewegt, und dass die ungeschlechtliche Fortpflanzung
(durch Theilung, Sporenbildung u. s. w.) auf verschiedene Weise
geschieht.


II. Zur Geschichte des Bathybius.

Das hohe Interesse, das die Moneren in morphologischer sowohl, als
physiologischer Beziehung darbieten, wurde noch gesteigert, als
1868 der erste Zoologe Englands, der berühmte ~Thomas Huxley~, eine
neue, ganz eigenartige Moneren-Gattung unter dem Namen ~Bathybius
Haeckelii~ beschrieb (Journal of microscop. science, Vol. VIII, N.
S. p. 1, Pl. IV). Abweichend von den übrigen Moneren sollte dieser
~Bathybius~ eigenthümlich geformte mikroskopische Kalkkörperchen
einschliessen: ~Coccosphaeren~ und ~Coccolithen~ (~Discolithen~ und
~Cyatholiten~); die formlosen Protoplasma-Klumpen desselben aber, von
sehr verschiedener Grösse, sollten in ungeheuren Massen die tiefsten
Abgründe des Meeres bedecken, unterhalb 5000 Fuss bis zu 25000 Fuss
hinab. Mit diesem formlosen Ur-Organismus einfachster Art, der zu
Milliarden vereinigt den Meeresboden mit einer lebendigen Schleimdecke
überzieht, schien ein neues Licht auf eine der schwierigsten und
dunkelsten Fragen der Schöpfungsgeschichte zu fallen, auf die Frage
von der ~Urzeugung~, von der ersten Entstehung des Lebens auf unserer
Erde. Mit dem ~Bathybius~ schien der berüchtigte »~Urschleim~« gefunden
zu sein, von dem ~Oken~ vor einem halben Jahrhundert prophetisch
behauptet hatte, dass alles Organische aus ihm hervorgegangen, und dass
er im Verfolge der Planeten-Entwickelung aus anorganischer Materie im
Meeresgrunde entstanden sei.

Der Tiefseeschlamm, welcher die ~Bathybius~-Massen enthält, wurde
zuerst bei Gelegenheit der grossartigen Tiefgrund-Untersuchungen
entdeckt, die seit dem Jahre 1857 behufs Legung des transatlantischen
Telegraphen-Kabels angestellt wurden. Man fand schon damals das
»atlantische Telegraphen-Plateau«, jene mächtige Tiefsee-Ebene, welche
sich in einer durchschnittlichen Tiefe von 12,000 Fuss von Irland bis
Neufundland erstreckt, allenthalben mit einem eigenthümlichen, grauen,
äusserst feinpulverigen Schlamme bedeckt: Derselbe zeichnete sich
durch zähe, klebrige Beschaffenheit aus und zeigte bei mikroskopischer
Untersuchung Massen von kleinen kalkschaligen Rhizopoden, insbesondere
Globigerinen, und ferner, als Hauptbestandtheile, die sehr kleinen,
als Coccolithen bezeichneten Kalkkörperchen. Aber erst elf Jahre
später, als ~Huxley~ 1868 mittelst eines sehr scharfen Mikroskopes
eine erneute genaue Untersuchung desselben Schlammes, auch in
chemischer Beziehung, vornahm, entdeckte er darin die nackten,
freien, formlosen Protoplasma-Klumpen, welche neben den genannten
Theilen die Hauptmasse des Schlammes bilden. »Diese Klumpen sind von
allen Grössen, von Stücken, die mit blossem Auge sichtbar sind bis
zu äusserst kleinen Partikelchen. Wenn man sie der mikroskopischen
Analyse unterwirft, zeigen sie — eingebettet in eine durchsichtige,
farblose und strukturlose ~Matrix~ — Körnchen, Coccolithen und zufällig
hineingerathene fremde Körper.«

~Lebender Bathybius~ wurde zuerst 1868 von Sir ~Wyville Thomson~
und Professor ~William Carpenter~, zwei ebenso erfahrenen
als scharfsichtigen Zoologen, während ihrer nordatlantischen
Tiefsee-Expedition auf dem Kriegsschiffe »Porcupine« beobachtet. Sie
berichten über den frisch heraufgeholten lebendigen Tiefsee-Schlamm:
»Dieser ~Schlamm war wirklich lebendig; er häufte sich in Klumpen
zusammen~, als ob Eiweiss beigemischt wäre; und unter dem Mikroskope
erwies sich die klebrige Masse als ~lebende Sarcode~.« (Annals and
magaz. of nat. hist. 1869, Vol. IV, p. 151). Ferner sagt Sir ~Wyville
Thomson~ in seinem höchst interessanten Werke über die Meerestiefen
(The depths of the Sea II. Edit. 1874. p. 410): »In diesem Schlamm
(Globigerinen-Schlamm aus 2,435 Faden oder ca. 14,600 Fuss Tiefe,
aus der Bay von Biscaya), wie in den meisten anderen Schlamm-Proben
aus dem atlantischen Ocean-Bett, war eine beträchtliche Quantität
einer weichen, gallertigen, organischen Materie nachweisbar, genug,
um dem Schlamme eine gewisse Klebrigkeit zu geben. Wenn der Schlamm
mit schwachem Weingeist geschüttelt wurde, fielen feine Flocken
nieder, wie von geronnenem Schleime; und wenn ein wenig von demjenigen
Schlamme, an welchem die klebrige Beschaffenheit am deutlichsten
hervortritt, in einem Tropfen Seewasser unter das Mikroskop gebracht
wird, können wir gewöhnlich nach einiger Zeit ein unregelmässiges
Netzwerk von eiweissartiger Materie sehen, unterscheidbar durch seine
bestimmten Umrisse und nicht mit Wasser mischbar. Man kann sehen, wie
dieses Netzwerk seine Form allmählig ändert und die eingeschlossenen
Körnchen und fremden Körper ihre relative Lage darin verändern. ~Die
Gallert-Substanz ist daher eines gewissen Grades von Bewegung fähig,
und es kann kein Zweifel sein, dass sie die Erscheinungen einer sehr
einfachen Lebensform zeigt.~« So wörtlich Sir ~Wyville Thomson~ (a. a.
O. S. 411).

Meine eigenen Untersuchungen des ~Bathybius~-Schlammes betrafen,
ebenso wie diejenigen von ~Huxley~, nur todtes, in Weingeist
conservirtes Material. Das Fläschchen, in welchem ich denselben von
den Far-Oer-Inseln zugesandt erhielt, trug die Aufschrift »Dredged
of Professor Thomson und Dr. Carpenter with the Steamer Porcupine
on 2435 fathoms. 22. July 1869. Lat. 47° 38'. Long. 12° 4'.« Es war
also dieser ~Bathybius~-Schlamm derselbe, an welchem die genannten
Forscher ihre Beobachtungen über amoeboide Bewegungen angestellt
hatten. Die Resultate meiner Untersuchung habe ich ausführlich in
meinen »~Beiträgen zur Plastiden-Theorie~« mitgetheilt (2. Bathybius
und das freie Protoplasma der Meerestiefen. Jen. Zeitschr. für Naturw.
1870. Bd. V. S. 499. Taf. XVII.) Die 80 Figuren, welche ich daselbst
(auf Taf. XVII) von den verschiedenen formlosen Protoplasma-Stücken
des Bathybius und den geformten Kalkkörperchen, die er einschliesst,
gegeben habe, sind bei sehr starker Vergrösserung mit Hülfe der Camera
lucida ganz genau gezeichnet. Einige dieser Figuren sind auch in den
Aufsatz über »das Leben in den grössten Meerestiefen« übergegangen,
welchen ich 1870 in Virchow-Holzendorff’s Sammlung publicirt habe. (Nr.
110).

Indem ich diesen, in starkem Alkohol sehr gut conservirten
Bathybius-Schlamm mit Hülfe der neuesten Methoden möglichst genau
untersuchte, und namentlich die vortheilhafte (von ~Huxley~ früher
nicht angewandte) Methode der Färbung mit Carmin und Jod übte,
suchte ich vor Allem die Quantität und Qualität der formlosen
Protoplasma-Stücke näher zu bestimmen, die überall in Masse zwischen
den geformten Kalktheilchen sich vorfanden. Diese eiweissartigen,
durch Carmin roth gefärbten Stücke waren sehr gleichmässig durch den
ganzen Schlamm verbreitet und schienen in den meisten untersuchten
Proben mindestens ein Zehntel bis ein Fünftel des gesammten Volums
zu betragen, in manchen Präparaten selbst die grössere Hälfte.
Dieselben Massen, welche durch Carmin sich mehr oder minder intensiv
roth färbten, nahmen durch Jod — und ebenso durch Salpetersäure —
eine gelbe Färbung an und zeigten auch im Verhalten gegen andere
chemische Reagentien ganz dieselben Eigenschaften, wie das gewöhnliche
Protoplasma der Thier- und Pflanzenzellen. Die Form der meisten
Stückchen war unregelmässig, rundlich oder mit stumpfen Fortsätzen,
einer Amoebe ähnlich; andere Stückchen bildeten unregelmässige, kleine
und grössere Sarcode-Netze, ähnlich denen der Myxomyceten.

Ob die kleinen geformten Kalktheilchen, die Coccolithen und
Coccosphären, welche in so grossen Massen im Bathybius-Schlamme
vorkommen, — und zwar ebenso wohl zwischen den Protoplasma-Stückchen,
als innerhalb derselben, von ihnen umschlossen, — wirklich zu
ihnen gehören, oder nicht, diese Frage musste ich um so mehr offen
lassen, als ich schon vorher ganz ähnliche Kalkkörperchen in dem
Körper mehrerer pelagischen, an der Oberfläche des canarischen
Meeres schwimmenden Radiolarien gefunden hatte (»_Myxobracchia_ von
Lanzerote«). Diese sonderbaren Kalkkörperchen, welche bald die Gestalt
einer einfachen, concentrisch geschichteten Scheibe, bald eines
Hemdknöpfchens, bald einer aus vielen Scheibchen zusammengesetzten
Kugel u. s. w. hatten, konnten ebensowohl Ausscheidungen der
Bathybius-Sarcode sein, als fremde Körper, die zufällig (oder bei der
Nahrungsaufnahme) in das Protoplasma hinein gelangt waren. In neuester
Zeit hat sich die grössere Wahrscheinlichkeit zu Gunsten der letzteren
Annahme herausgestellt und die meisten Biologen nehmen jetzt an, dass
alle diese Körperchen mikroskopische ~Kalk-Algen~ seien, verkalkte
einzellige Pflanzen.

Durch diese Untersuchungen, die von mehreren anderen Forschern
bestätigt wurden, schien festgestellt, dass auf dem Boden des
nordatlantischen Oceans, und zwar in Tiefen zwischen 5000 und 25000
Fuss, ein feinpulveriger Schlamm sich findet, welcher u. A. grosse
Mengen einer eigenthümlichen, noch kaum individualisirten Moneren-Art
enthält. Der Fehler, den wir nun begingen, bestand darin, dass
wir die Resultate dieser nordatlantischen Tiefsee-Untersuchungen
allzurasch generalisirten und überall den Boden des tiefen Oceans mit
ähnlichen Moneren bedeckt zu sehen erwarteten. Diese Erwartung wurde
vollständig getäuscht. Die sehr genaue und umfassende Untersuchung der
grossartigen ~Challenger~-Expedition, welche in 3½ Jahren die Erde
umkreiste und in den Tiefen der verschiedenen Oceane sorgfältig nach
dem Bathybius suchte, hat ihn nirgends wiedergefunden und erzielte
nur negative Resultate. Wir haben keinen Grund, in die Sorgfalt und
Genauigkeit der ausgezeichneten Naturforscher der bewunderungswürdigen
Challenger-Expedition irgend einen Zweifel zu setzen, um so weniger,
als ja der vorzügliche Director derselben, ~Sir Wyville Thomson~ selbst
zuerst die Bewegungen am lebenden Bathybius wahrgenommen hatte. Wir
müssen also wohl annehmen, dass an den vom Challenger untersuchten
Stellen des tiefen Meeresbodens die Bathybius-Moneren wirklich fehlten.
Folgt aber daraus, dass alle jene früheren Beobachtungen und Schlüsse
unrichtig waren?

Wie es sehr häufig in solchen Fällen zu gehen pflegt, so ging
auch jetzt plötzlich die einseitig übertriebene Ansicht in das
entgegengesetzte Extrem über. Vorher hatte man gehofft, ~überall~ im
Schlamme des tiefen Meeresbodens die Protoplasma-Klumpen des Bathybius
in Masse zu finden; jetzt wollte man sie mit einem Male ~nirgends~
mehr anerkennen. Insbesondere glaubte man sich zu der Annahme
berechtigt, der früher in Weingeist untersuchte Bathybius-Schlamm
sei weiter nichts, als ein feiner Gypsniederschlag, wie er überall
bei der Mischung von Weingeist mit Seewasser entsteht. Diese Ansicht
wurde zuerst von einigen Naturforschern der Challenger-Expedition
ausgesprochen und daraufhin widerrief Professor ~Huxley~ — wie mir
scheint, zu frühzeitig — seine frühere Ansicht vom Bathybius. In der
»~Nature~« (vom 19. Aug. 1875) und im »Quarterly Journal of microscop.
science« (1875, Vol. XV. p. 392) sagt derselbe wörtlich: »Professor
~Wyville Thomson~ theilt mir mit, dass die besten Bemühungen der
Challenger-Forscher, lebenden Bathybius zu entdecken, fehlschlugen,
und dass ernstlich vermuthet wird, das Ding, dem ich diesen Namen gab,
sei wenig mehr als schwefelsaurer Kalk, in flockigem Zustande aus
dem Seewasser durch den starken Alkohol niedergeschlagen, in welchem
der Tiefseeschlamm aufbewahrt wurde. Das Sonderbare ist aber, dass
dieser unorganische Niederschlag ~kaum von einem Eiweissniederschlag
zu unterscheiden ist~, und er gleicht, vielleicht noch mehr, dem
keimführenden Häutchen an der Oberfläche fauliger Aufgüsse, das
sich unregelmässig, aber sehr stark, mit Carmin färbt, Stücke von
bestimmtem Umriss bildet und in jeder Weise sich wie ein organisches
Ding verhält. ~Professor Thomson spricht sehr vorsichtig und sieht
das Schicksal des Bathybius noch nicht als ganz entschieden an.~ Aber
da ich hauptsächlich für den eventuellen Irrthum verantwortlich bin,
diese merkwürdige Substanz in die Reihe der lebenden Wesen eingeführt
zu haben, so glaube ich richtiger zu verfahren, wenn ich seiner oben
mitgetheilten Ansicht grösseres Gewicht beilege, als er selbst.«

Dies sind die Worte des Professor ~Huxley~, welche so grosses Aufsehen
erregten, und nach weit verbreiteter Ansicht dem armen Bathybius
den Todesstoss versetzt haben. Je mehr aber hier die eigentlichen
Eltern des Bathybius sich geneigt zeigen, ihr Kind als hoffnungslos
aufzugeben, desto mehr fühle ich mich als Taufpathe verpflichtet,
seine Rechte zu wahren und womöglich sein erlöschendes Lebensfünkchen
wieder zur Geltung zu bringen. Und da finde ich denn glücklicherweise
einen werthvollen Bundesgenossen in einem vielgereisten deutschen
Naturforscher, der erst in neuerer Zeit wieder ~lebenden Bathybius~,
und zwar an der Küste von Grönland, beobachtet hat. Der bekannte
Nordpolfahrer Dr. ~Emil Bessels~ aus Heidelberg, der von dem
Schiffbruche der Polaris glücklich zurückkehrte, macht bei Gelegenheit
seiner Beschreibung der ~Haeckelina gigantea~ (eines colossalen
Rhizopoden, der vielleicht mit der früher von ~Sandahl~ beschriebenen
~Astrorhiza~ identisch ist) folgende wichtige Angaben: »Während der
letzten amerikanischen Nordpol-Expedition fand ich in 92 Faden Tiefe
in dem Smith-Sunde grosse Massen von freiem undifferenzirtem homogenem
Protoplasma, welches auch keine Spur der wohlbekannten Coccolithen
enthielt. Wegen seiner wahrhaft spartanischen Einfachheit nannte ich
diesen Organismus, den ich lebend beobachten konnte, ~Protobathybius~.
Derselbe wird in dem Reisewerk der Expedition abgebildet und
beschrieben werden. Ich will hier nur erwähnen, dass diese ~Massen
aus reinem Protoplasma~ bestanden, dem nur zufällig Kalktheilchen
beigemischt waren, aus welchen der Seeboden gebildet ist. Sie stellten
~äusserst klebrige, maschenartige Gebilde dar, die prächtige amoeboide
Bewegungen ausführten, Carminpartikelchen sowie andere Fremdkörper
aufnahmen und lebhafte Körnchenströmung zeigten~. (Jenaische Zeitschr.
f. Naturw. 1875. Bd. IX., S. 277. Vgl. auch: Annual Report of the
Secret. of the navy for 1873). An einem anderen Orte, in den von
~Packard~ publicirten »Life histories of animals« (New-York, 1876 p.
3) ist eine Abbildung der Protoplasma-Netze des ~Protobathybius~ von
Dr. ~Bessels~ publicirt. Hiernach möchte ich annehmen, dass derselbe
von unserm echten Bathybius nicht verschieden ist. Der Unterschied,
dass letzterer gewöhnlich viele geformte Kalkkörperchen (Coccolithen
etc.) umschliesst, der erstere dagegen nicht, verliert seine Bedeutung
durch die immer wachsende Wahrscheinlichkeit, dass diese Kalkkörperchen
einzellige, als Nahrung aufgenommene Kalkalgen sind.«


III. Zur Kritik des Bathybius.

Nachdem wir jetzt die historischen Angaben über den Bathybius
zusammengetragen und die wichtigsten wörtlich angeführt haben, wenden
wir uns zur Kritik desselben. Versuchen wir, aus einer unpartheiischen
Würdigung jener Angaben uns ein selbständiges unbefangenes Urtheil
über den vielverschrieenen und jetzt fast aufgegebenen Urschleim der
grössten Meerestiefen zu bilden!

Bezüglich des ~todten Bathybius~, des in Weingeist conservirten
Tiefseeschlammes aus dem nord-atlantischen Ocean, sind alle Beobachter,
die denselben genau untersucht haben, einig, dass derselbe mehr oder
minder ansehnliche Mengen von geronnenem ~Protoplasma~ enthält, welches
im morphologischen und chemisch-physikalischen Verhalten die grösste
Aehnlichkeit mit gewissen Moneren besitzt. Die Resultate, welche
~Huxley~ an seinem »Porcupine«-Material erhielt, und die ich selbst
bestätigen und ergänzen konnte, sind von allen anderen Beobachtern, die
denselben Schlamm untersuchten, als richtig anerkannt worden.

Bezüglich des ~lebenden Bathybius~ liegen ~positive~ Angaben über
die characteristischen rhizopodenartigen Bewegungen desselben von
drei bewährten Beobachtern vor, von ~Sir Wyville Thomson~, Professor
~William Carpenter~ und Dr. ~Emil Bessels~. Alle drei stellten
diese Beobachtungen an Tiefseeschlamm aus dem nord-atlantischen
Ocean an. Dagegen lieferten die Bemühungen der Challenger-Forscher,
in verschiedenen Meeren jene älteren Beobachtungen über
Bewegungs-Erscheinungen zu wiederholen und zu bestätigen, nur
~negative~ Resultate.

Was folgt nun aus allen diesen Angaben, denen wir sämmtlich dieselbe
Glaubwürdigkeit zuerkennen müssen, und die sich doch theilweise
zu widersprechen scheinen? Angenommen, dass alle diese Angaben
richtig sind, so folgt daraus einfach weiter gar nichts, als dass
der ~Bathybius-Schlamm eine beschränkte geographische Verbreitung
besitzt~, und dass es eine voreilige Verallgemeinerung war, alle
tiefen Meeres-Abgründe mit demselben zu bevölkern. Daraus aber, dass
die Challenger-Expedition den lebenden Bathybius nicht wiederfinden
konnte, ist doch wahrlich nicht zu folgern, dass die ~an anderen
Orten~ angestellten Beobachtungen der Porcupine-Expedition über
lebenden Bathybius unrichtig waren! Oder sollen wir daraus, dass die
Challenger-Expedition den merkwürdigen »Radiolarien-Schlamm« nur auf
einen verhältnissmässig engen Verbreitungsbezirk des pacifischen Oceans
beschränkt fand, und sonst nirgends wiederfinden konnte, den Schluss
ziehen, dass derselbe überhaupt nicht existire? Wir wissen, dass die
allermeisten Organismen-Arten einen beschränkten Verbreitungs-Bezirk
haben. Warum soll denn nicht auch die Verbreitung des Bathybius
beschränkt sein?

Ich bekenne daher, nicht zu begreifen, wie ~Huxley~ seine Ansicht über
den Bathybius so rasch und so vollständig ändern konnte. Noch viel
weniger freilich begreife ich die Art und Weise, wie auf der deutschen
Naturforscher-Versammlung in Hamburg (im September 1876) der Bathybius
öffentlich zu Grabe getragen werden konnte. Ich finde darüber in der
Berliner Nationalzeitung folgende merkwürdige Mittheilung (datirt
Hamburg 21. September), betreffend einen von Professor ~Möbius~ aus
Kiel gehaltenen trefflichen Vortrag über die marine Fauna und die
Challenger-Expedition: »Ueber diese Ebenen — Tiefsee-Ebenen von 3700
bis 4000 Meter Tiefe — sollte sich der geheimnissvolle Urschleim,
der Bathybius ausbreiten, den der berühmte ~Huxley~ zu Ehren seines
genialen Freundes in Jena ~Bathybius Haeckelii~ genannt hat. Leider
aber passirte der Naturforschung ein böses Missgeschick. Der Bathybius,
der so gut zu den modernen Anschauungen von dem Beginne des organischen
Lebens passte, erwies sich als ein Kunstproduct, als Niederschlag von
im Meere gelöstem Gyps, in Folge des den Proben zugesetzten Alkohols.
Ueberall wo man die frischen Proben an Bord untersuchte, war keine
Spur von ihm zu entdecken. Es machte einen geradezu erschütternden
Eindruck auf die Zuhörer, als Herr ~Möbius~ den Bathybius nach einem
so einfachen Recepte vor ihren Augen in einem mit Meerwasser gefüllten
Glase durch Alkohol-Zusatz erscheinen liess!«

In der That eine merkwürdige Logik! Weil Weingeist in Seewasser einen
Gyps-Niederschlag erzeugt, deshalb ist der in Weingeist conservirte
Bathybius-Schlamm nur ein Gyps-Niederschlag! Und diese Beweisführung
machte auf alle Mitglieder einer deutschen Naturforscher-Versammlung
»einen geradezu erschütternden Eindruck!« Dass starker Weingeist in
Seewasser einen dünnen flockigen Gyps-Niederschlag erzeugt, weiss
Jeder, der Seethiere in Weingeist gesammelt hat. Ebenso weiss aber
auch Jeder, der den Bathybius-Schlamm der Porcupine-Expedition gleich
~Huxley~ und mir genau untersucht hat, dass die darin massenhaft
enthaltenen moneren-artigen Eiweisskörper wirklich aus einem
~eiweissartigen~ Körper und ~nicht aus Gyps~ bestehen. Sie färben
sich in Carmin roth, in Salpetersäure und in Jod gelb, werden durch
concentrirte Schwefelsäure zerstört und geben alle übrigen Reactionen
des ~Protoplasma~, was bekanntlich beim Gyps nicht der Fall ist.

Wenn man gewisse Kreide-Arten oder kreidigen Mergel fein pulverisirt,
so erhält man ein feinkörniges, weisses Mehl, welches zum Verwechseln
dem merkwürdigen »Radiolarien-Schlamm« ähnlich ist, den die
Challenger-Expedition in einem beschränkten Bezirke des Pacifischen
Oceans (und ~nur hier~!) in einer Tiefe von 12,000–26,000 Fuss Tiefe
gefunden hat. Dieser »Radiolarien-Ooze«, den ich eben jetzt untersuche,
besteht fast ausschliesslich aus den zierlichsten und mannigfaltigst
geformten Kieselschalen von zahllosen Radiolarien. Mit blossem Auge
aber ist dieser getrocknete Schlamm — ein wundervolles, mikroskopisches
Radiolarien-Museum — nicht zu unterscheiden von jenem pulverisirten
Kreide-Mergel, der nicht eine einzige Radiolarien-Schale enthält. Ich
schlage nun vor, auf einer nächsten deutschen Naturforscher-Versammlung
den experimentellen Beweis zu führen, dass jene colossalen und
höchst merkwürdigen, vom Challenger entdeckten Radiolarien-Lager in
den Tiefen des Pacifischen Oceans nicht existiren. »Das Recept ist
höchst einfach.« Man zerstösst in einem Mörser vor den Augen der
versammelten Naturforscher einen von jenen Kreide-Mergeln, die keine
Radiolarien enthalten. Das so erhaltene weisse Pulver enthält kein
einziges Radiolar — also auch der pacifische (blos aus Radiolarien
bestehende) Tiefsee-Schlamm nicht — denn beide sind mit blossem Auge
nicht zu unterscheiden. Quod erat demonstrandum! Wir sind überzeugt,
das schlagende Experiment wird auf alle Zuschauer »einen geradezu
erschütternden Eindruck machen« — und der Radiolarien-Schlamm existirt
nicht mehr!


IV. Zur Kritik der Moneren.

Wir glauben in Vorstehendem gezeigt zu haben, dass die »Nicht-Existenz
des Bathybius nicht erwiesen« ist. Vielmehr bleibt es sehr
wahrscheinlich, dass die Beobachtungen von ~Wyville Thomson~,
~Carpenter~ und ~Emil Bessels~ über die Bewegungen des lebenden
Bathybius richtig sind. Wir wollen nun aber einmal das Gegentheil
annehmen und wollen zugeben, dass Bathybius kein Moner und überhaupt
kein Organismus sei. Folgt daraus, — wie jetzt sehr oft gefolgert
wird, — dass auch die ~Moneren überhaupt nicht existiren~? Oder dürfen
wir daraus, dass die bekannte Riesen-Seeschlange der Fabel nicht
existirt, den Schluss ziehen, dass es überhaupt keine Seeschlangen
giebt? Bekanntlich giebt es deren eine Menge, die Familie der lebendig
gebärenden, sehr giftigen Hydrophiden (Hydrophis, Platurus, Aepysurus
etc.), welche meistens im indischen Ocean und Sunda-Archipel leben,
aber keine beträchtliche Grösse erreichen.

Es würde unnütz sein, hier nochmals darauf hinzuweisen, dass meine
eigenen, viele Jahre speciell auf diesen Gegenstand gerichteten und
möglichst sorgfältigen Untersuchungen die Existenz von mehr als einem
Dutzend verschiedener Moneren-Arten theils im Süsswasser, theils
im Meere nachgewiesen haben. Um so mehr will ich aber hervorheben,
dass diese Beobachtungen seitdem von einer Anzahl bewährter
Forscher wiederholt und bestätigt worden sind. Einige von diesen
Moneren scheinen sogar im süssen Wasser sehr verbreitet zu sein,
so namentlich die Gattungen Protamoeba und Vampyrella. _P. agilis_
und _V. spirogyrae_ kommen in Jena fast jeden Sommer gelegentlich
zur Beobachtung. _P. primitiva_ und _V. vorax_ sind von mehreren
verschiedenen Beobachtern in sehr entlegenen Gegenden gesehen worden.
Andere neue Moneren-Formen sind erst ganz neuerdings von ~Cienkowski~
und ~Oskar Grimm~ beobachtet. Wenn erst die allgemeine Aufmerksamkeit
der Mikroskopiker sich mehr diesen höchst einfachen Organismen
zuwendet, steht zu erwarten, dass unsere Kenntniss derselben sich noch
beträchtlich erweitern und vertiefen wird.

Ganz abgesehen also davon, ob Bathybius ein echtes Moner ist oder
nicht, kennen wir jetzt bereits mit Sicherheit eine Anzahl ~echter
Moneren~, deren fundamentale Bedeutung von ersteren ganz unabhängig
ist. Wir wissen, dass noch heute eine Anzahl von niedrigsten
Lebensformen in den Gewässern unseres Planeten existiren, welche
nicht nur die einfachsten unter allen wirklich beobachteten
Organismen, sondern überhaupt die ~denkbar einfachsten~ lebenden
Wesen sind. Ihr ganzer Körper besteht in vollkommen entwickeltem
und fortpflanzungsfähigem Zustande aus nichts weiter als aus
einem strukturlosen Protoplasma-Klümpchen, dessen wechselnde,
formveränderliche Fortsätze alle Lebensthätigkeiten gleichzeitig
besorgen, Bewegung und Empfindung, Stoffwechsel und Ernährung,
Wachsthum und Fortpflanzung. Morphologisch betrachtet ist der
Körper eines solchen Moners so einfach wie derjenige irgend eines
anorganischen Krystalles. Verschiedene Theilchen sind darin überhaupt
nicht zu unterscheiden; vielmehr ist jedes Theilchen dem andern
gleichwerthig. Diese wichtigen Thatsachen und die daraus sich
ergebenden weitreichenden Folgerungen gelten für ~alle Moneren~ ohne
Ausnahme — mit oder ohne Bathybius; — und es ist daher für die Theorie
ganz gleichgültig, ob der Bathybius existirt oder nicht.

Wenn wir diese Moneren als »absolut einfache Organismen« bezeichnen,
so ist damit nur ihre ~morphologische Einfachheit~, der Mangel
jeder Zusammensetzung aus verschiedenen Organen, ausgesprochen.
In chemisch-physikalischer Beziehung können dieselben noch sehr
zusammengesetzt sein; ja wir werden ihnen sogar auf alle Fälle eine
~sehr verwickelte Molecular-Structur~ zuschreiben müssen, wie allen
eiweissartigen Körpern überhaupt. Viele betrachten den schleimartigen
Eiweisskörper der Moneren als eine einzige chemische Eiweissverbindung,
Andere als ein Gemenge von mehreren solcher Verbindungen, noch Andere
als eine Emulsion oder ein feinstes Gemenge von eiweissartigen und
fettartigen Theilchen. Diese Frage ist für unsere Auffassung und für
die allgemeine biologische Bedeutung der Moneren von untergeordneter
Bedeutung. Denn auf alle Fälle — mag diese oder jene Ansicht richtig
sein — bleiben die Moneren in ~anatomischer~ Hinsicht ~vollkommen
einfach~: Organismen ohne Organe. Sie beweisen unwiderleglich,
dass das Leben nicht an eine bestimmte anatomische Zusammensetzung
des lebendigen Körpers, nicht an ein Zusammenwirken verschiedener
Organe, sondern an eine gewisse chemisch-physikalische Beschaffenheit
der formlosen Materie gebunden ist, an die eiweissartige Substanz,
welche wir Sarcode oder Protoplasma nennen, eine ~stickstoffhaltige
Kohlenstoffverbindung in fest-flüssigem Aggregatzustande~.

~Das Leben ist also nicht Folge der Organisation, sondern umgekehrt.~
Das formlose Protoplasma bildet die organisirten Formen. Da ich
die ausserordentlich hohe Bedeutung, welche die Moneren in dieser
Beziehung, wie in vielen andern Beziehungen besitzen, bereits in den
früher angeführten Schriften ausführlich erörtert habe, kann ich hier
einfach darauf verweisen. Nur die fundamentale Bedeutung, welche die
Moneren für die hochwichtige Frage von der ~Urzeugung~ behaupten, sei
hier nochmals ausdrücklich hervorgehoben. ~Die ältesten Organismen,
welche durch Urzeugung aus anorganischer Materie entstanden, konnten
nur Moneren sein.~

Gerade diese allgemeine Bedeutung der Moneren für die Lösung
der grössten biologischen Räthsel ist es, welche sie zu einem
besonderen Steine des Anstosses und Aergernisses für die Gegner
der Entwickelungslehre macht. Natürlich benutzen die Letzteren jede
Gelegenheit, ihre Existenz zu bestreiten, ähnlich wie es auch mit
dem berühmten ~Eozoon canadense~ geschah, jener vielbestrittenen
ältesten Versteinerung der laurentischen Formation. Die erfahrensten
und urtheilsfähigsten Kenner der Rhizopoden-Classe, an ihrer Spitze
Professor ~Carpenter~ in London und der verstorbene berühmte Anatom
~Max Schultze~ in Bonn, haben übereinstimmend die feste Ueberzeugung
gewonnen, dass das echte nordamerikanische ~Eozoon~ (aus den
laurentischen Schichten in Canada) ein wirklicher ~Rhizopode~ und
zwar ein dem ~Polytrema~ nächstverwandtes ~Polythalamium~ ist. Ich
selbst habe mich viele Jahre hindurch ganz speciell mit dem Studium
der Rhizopoden beschäftigt. Ich habe die zahlreichen, schönen
Eozoon-Präparate von ~Carpenter~ und von ~Max Schultze~ selbst genau
untersucht und hege danach nicht den mindesten Zweifel mehr, dass
dasselbe wirklich ein echtes Polythalamium und kein Mineral ist.

Aber gerade wegen der ausserordentlichen principiellen Bedeutung des
Eozoon, weil dadurch die Zeitdauer der organischen Erdgeschichte um
viele Millionen Jahre hinauf gerückt, die uralte silurische Formation
als verhältnissmässig junge erkannt und so der Entwickelungslehre ein
grosser Dienst geleistet wird, gerade deshalb fahren die Gegner der
letzteren fort, unbeirrt zu behaupten, dass das Eozoon kein organischer
Rest, sondern ein Mineral sei. Wie aber die hohe Bedeutung des Eozoon
durch diese fruchtlosen Angriffe unkundiger Gegner erst recht in ihr
volles Licht gesetzt worden ist, so gilt dasselbe auch von den Moneren
— mit oder ohne Bathybius! Die echten Moneren bleiben ein fester
Grundstein der Entwickelungslehre!

[Illustration]




Anhang.

System der Protisten.


Erste Classe des Protistenreiches.

1. =Monera= (HAECKEL) =Urlinge=.

Organismen ohne Organe. Der ganze Körper dieser einfachsten und
niedrigsten Organismen besteht in vollkommen entwickeltem Zustande aus
weiter nichts, als aus einem Stückchen ~Plasson~ oder »Urschleim«,
einer eiweissartigen Verbindung, die noch nicht in Protoplasma und
Nucleus differenzirt ist. Jedes Moner ist also eine ~Cytode~, noch
keine Zelle. Form meistens unbestimmt, mit wechselnden Fortsätzen.
Bewegung bald durch Lappenfüsschen, bald durch Wurzelfüsschen, bald
durch Flimmerfüsschen. Nahrungsaufnahme verschieden. Fortpflanzung
~ungeschlechtlich~, durch Theilung, Knospung oder Sporenbildung. Leben
im Wasser, meistens im Meere, auch parasitisch in anderen Organismen.


Erste Ordnung der Moneren:

~Lobomonera~ (HAECKEL). Lappen-Urlinge. Fig. 47.

Moneren von unbestimmter wechselnder Form, deren Bewegungen durch
~Lappenfüsschen~ (_Lobopodia_) geschehen: stumpfe, fingerförmige, meist
unverästelte Fortsätze, wie bei den ~Amoeben~.

~Gattung~: Protamoeba (Arten: P. primitiva, P. agilis etc.) Fig. 47.


Zweite Ordnung der Moneren:

~Rhizomonera~ (HAECKEL). Wurzel-Urlinge. Fig. 48, 49.

Moneren von unbestimmter wechselnder Form, deren Bewegungen durch
~Wurzelfüsschen~ (_Pseudopodia_) geschehen: feine, lange, fadenförmige,
meist verästelte und netzförmig sich verbindende Fortsätze, wie bei den
~Rhizopoden~.

~Gattungen~: Protomyxa (aurantiaca) Fig. 48. Vampyrella (Spirogyrae).
Bathybius (Haeckelii) Fig. 49.


Dritte Ordnung der Moneren:

~Tachymonera~ (HAECKEL). Geissel-Urlinge. Fig. 50. (Synonym:
_Schizomycetes_. Spaltpilze. ~Bacterien.~)

Moneren von bestimmter, meist, stabförmiger oder fadenförmiger Gestalt,
deren zitternde oder schwingende lebhafte Bewegungen (wohl immer)
durch äusserst feine ~Geisseln~ (Flagella) geschehen, wie bei den
Geisselschwärmern (_Flagellata_). Fortpflanzung ungeschlechtlich,
meistens durch Quertheilung. Erzeugen Zersetzung und Fäulniss in den
organischen Flüssigkeiten, in denen sie leben. Wahrscheinlich die
Ursachen vieler Krankheiten.

~Gattungen~: Bacterium (monas). Vibrio (lineola). Spirillum
(tremulans). Fig. 50.


Zweite Classe des Protistenreiches.

2. =Lobosa= (CARPENTER). =Lappinge=.

(Synonym: _Amoebina._ Infusoria rhizopoda. _Protoplasta._)

Einzellige Organismen (selten Syncytien), deren Zellenleib bald
nackt (_Gymnolobosa_), bald in einer verschieden gestalteten Schale
theilweise verborgen (_Thecolobosa_) ist. Die Zellen bewegen sich
durch ~Lappenfüsschen~ (_Lobopodia_): stumpfe, fingerförmige,
meist unverästelte Fortsätze, die an verschiedenen Stellen der
Oberfläche entstehen und vergehen. Die Nahrung wird durch diese
Lappenfüsschen umflossen und in das Innere der Zelle hineingedrückt.
Der Protoplasma-Leib der Zelle sondert sich häufig in eine helle,
structurlose, festere ~Rindenschicht~ (_Exoplasma_) und eine trübe,
feinkörnige, weichere ~Markschicht~ (_Endoplasma_). Oft enthält
derselbe eine oder mehrere contractile Blasen (Vacuolen); bald
beständig, bald unbeständig. Der Zellkern oder ~Nucleus~ ist meist
einfach, selten mehrfach vorhanden. Fortpflanzung ~ungeschlechtlich~,
meist durch Theilung, seltener durch Knospung oder Sporenbildung. Die
Lobosen leben meistens im Wasser, seltener in der Erde oder parasitisch
in anderen Organismen.


Erste Ordnung der Lobosen:

~Gymnolobosa~ (HAECKEL). Nackte Lappinge. Fig. 1.

Lobosen mit nacktem, weichem Zellenleibe, ohne Schale.

~Gattungen~: Amoeba (princeps). Podostoma (filigerum). Petalopus
(diffluens).


Zweite Ordnung der Lobosen:

~Thecolobosa~ (HAECKEL). Beschalte Lappinge. Fig. 5, 6. (Synonym:
Lepamoebae. Arcellinae. Amoebae cataphractae).

Lobosen mit einer Schale oder Zellmembran, von welcher der weiche
Zellenleib theilweise bedeckt wird.

~Gattungen~: Arcella (vulgaris). Difflugia (oblonga), Fig. 5. Quadrula
(symmetrica), Fig. 6.


Dritte Classe des Protistenreiches.

3. =Gregarinae= (DUFOUR). =Gregaringe.=

Einzellige Organismen oder Ketten von wenigen, an einander gereihten
Zellen, deren Leib von einer weichen, dicken, dehnbaren Haut allseitig
umschlossen ist. Diese ~Zellmembran~ ist glatt, ohne Oeffnung, an
einem Ende des Körpers oft mit hakenförmigen Haftapparaten versehen.
Das ~Protoplasma~ ist sehr dehnbar und contractil, mit vielen Körnchen
durchsetzt. Der ~Zellkern~ gross, meist ein helles kugeliges Bläschen,
mit einem Nucleolus. Die wurmähnlichen Bewegungen der kriechenden
Zellen geschehen durch Zusammenziehungen der (unmittelbar unter der
Membran liegenden) Rindenschicht des Protoplasma, welche bisweilen
in muskelähnliche Fäserchen differenzirt ist. Alle Gregarinen leben
~parasitisch~ im Darm oder in der Leibeshöhle (seltener in den
Geweben) von Thieren (besonders von Würmern und Gliederthieren). Sie
ernähren sich vom Safte dieser Wohnthiere, der durch die Membran der
schmarotzenden Zellen in das Innere ihres Protoplasma hindurchschwitzt
(Endosmose). Fortpflanzung ~ungeschlechtlich~, durch Theilung oder
durch Sporenbildung. Im letzteren Falle zieht sich eine einzelne
Gregarine, oder mehrere mit einander verschmelzende Gregarinen, kugelig
zusammen und umgeben sich mit einer Kapsel. Die Zellkerne verschwinden
und das Protoplasma zerfällt in zahlreiche Keimzellen oder ~Sporen~
(Psorospermien, Pseudonavicellen). Später schlüpft aus jeder Spore
ein ~Moner~ aus, welches sich durch Neubildung eines Nucleus in eine
~Amoebe~ verwandelt. Indem letztere sich mit einen Membran umhüllt,
wird sie zur ~Gregarine~.


Erste Ordnung der Gregarinen:

~Monocystida~ (STEIN). Einzellige Gregaringe.

Gregarinen-Leib eine einfache Zelle, mit einem einzigen Kern.

~Gattung~: Monocystis (agilis). Fig. 7.


Zweite Ordnung der Gregarinen:

~Polycystida~ (HAECKEL). Vielzellige Gregaringe.

Gregarinen-Leib eine Kette von zwei oder drei (selten mehr) an einander
gereihten Zellen, jede Zelle mit einem Kern.

~Gattung~: Didymophyes (paradoxa).


Vierte Classe des Protistenreiches.

4. =Flagellata= (EHRENBERG). =Geisslinge.=

(Synonym: _Mastigaria_. Geisselschwärmer. Geissel-Infusorien.)

Einzellige Organismen, seltener Coenobien oder Zellenhorden: Gemeinden
von mehreren oder vielen locker verbundenen Zellen. Bewegen sich durch
~Geisseln~ (_Flagella_), einen langen, fadenförmigen Fortsatz (oder
mehreren, an einem Punkte befestigten) des Protoplasma, welche hin und
her schwingen, wie eine Peitsche. Zellenleib bald nackt, bald von einer
Hülle umschlossen, aus deren Oeffnung die schwingende Geissel vortritt.
Selten sind die Flagellaten auf Gegenständen im Wasser festgewachsen,
meistens schwimmen sie frei umher. Bei vielen wechseln ruhende und
bewegliche Zustände mit einander ab; und dann geschieht die Vermehrung
meist während des Ruhezustandes, durch Theilung. Nahrungsaufnahme bald
durch Aufsaugung (Endosmose), bald durch einen Zellmund (Cytostoma).
Vermehrung ~ungeschlechtlich~, meist durch Theilung, seltener durch
Knospung oder Sporenbildung. Bei einigen (Volvocinen) Anfänge
geschlechtlicher Sonderung.


Erste Ordnung der Flagellaten:

~Nudoflagellata~ (HAECKEL). Nackt-Geissler. Fig. 8.

Geisslinge mit nacktem Zellenleibe, ohne Wimperkranz.

~Gattungen~: Euglena (viridis). Astasia (haematodes). Phacus
(longicauda, Fig. 8).


Zweite Ordnung der Flagellaten:

~Thecoflagellata~ (HAECKEL). Hüll-Geissler. Fig. 10.

Geisslinge, ohne Wimperkranz, deren Zellenleib von einer Hülle oder
Schale umschlossen ist. Die Geisseln treten aus einer Oeffnung der
Schale hervor. Oft ist die Schale auf einem sitzenden Stiele angeheftet.

~Gattungen~: Salpingoeca (marina). Dinobryon (sertularia).


Dritte Ordnung der Flagellaten:

~Cilioflagellata~ (J. MÜLLER). Wimper-Geissler. Fig. 9.

Geisslinge mit einem Kranze von kurzen Wimpern um die Mitte des
Zellenleibes, welcher von einer zweiklappigen Schale umschlossen ist.
Zwischen beiden Schalenhälften tritt frei die lange Geissel und der
Wimperkranz vor.

~Gattungen~: Peridinium (oculatum) Ceratium (tripus) Fig. 9.


Vierte Ordnung der Flagellaten:

~Cystoflagellata~ (HAECKEL). Blasen-Geissler. Fig. 11.

Geisslinge ohne Wimperkranz, mit grossem, blasenförmigen Zellenleibe,
welcher ausser der Geissel einen eigenthümlichen Peitschen-Anhang und
einen stabförmigen Körper im Innern besitzt.

~Gattungen~: Noctiluca (miliaris) Fig. 11. Leptodiscus (medusoides).


Fünfte Classe des Protistenreiches.

5. =Catallacta= (HAECKEL). =Mittlinge.=

Einzellige Organismen, welche eine Zeitlang zu einer ~Zellenhorde~
(~Coenobium~) vereinigt sind, später isolirt leben. Die Zellenhorden
oder Coenobien sind schwimmende Gallertkugeln, zusammengesetzt aus
zahlreichen Zellen, welche im Centrum der Kugel durch Fortsätze
vereinigt sind, während an der Oberfläche die schwingenden Flimmerhaare
vortreten. Die ~Einsiedler-Zellen~ (~Monocyten~), welche durch
Zerfall der Coenobien entstehen, bewegen sich anfangs schwimmend,
gleich ~Flagellaten~ umher; dann verwandeln sie sich in kriechende
~Amoeben~-ähnliche Zellen; schliesslich ziehen sie sich kugelig
zusammen und kapseln sich ein. Innerhalb dieses Ruhezustandes
entsteht durch wiederholte Theilung der Zelle ein neues kugelförmiges
Coenobium, welches die Hülle durchbricht und frei umherschwimmt. Diese
~ungeschlechtliche~ Fortpflanzung erinnert an die Eifurchung der
Thiere. Die Catallacten leben theils im Meere, theils im Süsswasser.

~Gattungen~: Magosphaera (planula) Fig. 46. Synura (uvella).


Sechste Classe des Protistenreiches.

6. =Ciliata= (J. MÜLLER). =Wimperlinge.=

(Synonym: Infusionsthierchen oder Infusoria im engsten Sinne).

~Einzellige~ Organismen, sehr selten ~Zellhorden~ oder Coenobien,
welche aus mehreren, locker verbundenen Zellen zusammengesetzt sind.
Bewegung durch zahlreiche kurze ~Wimpern~ (~Cilia~). Zellenleib
meistens nackt, seltener von einer Hülle oder Schale theilweise
umschlossen. Der Protoplasma-Leib der Zelle sondert sich meist in
eine helle, festere, hyaline Rindenschicht (_Exoplasma_) und eine
trübe, feinkörnige, weichere ~Markschicht~ (_Endoplasma_). Aus der
Rindenschicht treten stets zahlreiche kurze Wimperhärchen oder Cilien
hervor, welche lebhaft und willkürlich bewegt werden. Meistens laufen
oder schwimmen die Wimperthierchen rasch umher mittelst der Bewegungen
ihrer Wimpern; bei festsitzenden dienen letztere dazu, durch den
im Wasser erzeugten Strudel stets frisches Wasser und Nahrung dem
Zellmunde zuzuführen. Der ~Zellmund~ (_Cytostoma_) ist eine constante
Oeffnung in der Rindenschicht und lässt verschluckte Bissen in die
innere weichere Markmasse des Zellenleibes eintreten, wo sie verdaut
werden. An der Innenfläche der Rindenschicht liegt eine ~contractile
Blase~ (eine constante Vacuole), welche meistens durch einen kurzen
Kanal nach aussen zu münden scheint. Der ~Zellkern~ ist gross,
verschieden gestaltet, meistens einfach, sehr selten mehrfach. Die
Fortpflanzung geschieht meistens ~ungeschlechtlich~, durch Theilung
(Quertheilung oder Längstheilung), seltener durch Knospung. Wie weit
ausserdem Fortpflanzung durch Sporenbildung (oder vielleicht durch
geschlechtliche Zeugung einfachster Art), verbunden mit Conjugation, in
dieser Classe verbreitet ist, erscheint noch nicht sicher festgestellt.
Die Classe der Wimperthierchen oder Wimperlinge ist sehr umfangreich
und überall im Süsswasser und Meere verbreitet.


Erste Ordnung der Ciliaten.

~Holotricha~ (STEIN). Ueberall behaarte Wimperlinge.

Die ganze Oberfläche des Zellenleibes gleichmässig mit kurzen feinen
Wimperhärchen bedeckt.

~Gattungen~: Glaucoma (scintillans). Paramecium (aurelia). Trachelius
(ovum). Prorodon (teres) Fig. 15.


Zweite Ordnung der Ciliaten.

~Heterotricha~ (STEIN). Verschieden behaarte Wimperlinge.

Die ganze Oberfläche des Zellenleibes gleichmässig mit kurzen feinen
Wimperhärchen bedeckt; ausserdem noch ein Kranz oder Gürtel von
stärkeren und grösseren Wimpern (Griffeln oder Borsten) um den Zellmund
herum.

~Gattungen~: Bursaria (truncatella). Stentor (polymorphus) Fig. 12.
Freia (elegans) Fig. 14. Spirustomum (teres).


Dritte Ordnung der Ciliaten:

~Hypotricha~ (STEIN). Unterseits behaarte Wimperlinge.

Zellenleib blattförmig zusammengedrückt, an der oberen (oder Rücken-)
Seite nackt, an der unteren (oder Bauch-) Seite mit kleineren und
grösseren Wimpern bedeckt.

~Gattungen~: Chilodon (cucullulus). Euplotes (charon). Oxytricha
(pellionella). Aspidisca (costata).


Vierte Ordnung der Ciliaten:

~Peritricha~ (STEIN). Ringförmig behaarte Wimperlinge.

Zellenleib drehrund, grösstentheils nackt, nur mit einem Gürtel
(seltener zwei Gürteln) von Wimperhaaren versehen.

~Gattungen~: Dictyocysta (templum). Ophrydium (versatile). Trichodina
(pediculus). Vorticella (campanula).


Siebente Classe des Protistenreiches:

7. =Acinetae= (EHRENBERG). =Starrlinge.=

(Synonym: Infusoria suctoria. Saug-Infusorien.)

~Einzellige~ Organismen, seltener ~Zellenhorden~ (Coenobia) oder
Zellenfusionen (~Syncytia~), welche aus mehreren, locker oder enger
verbundenen Zellen zusammengesetzt sind. Zellenleib von einer ~Membran~
oder Kapsel umschlossen, durch welche sehr feine, zerstreute oder
büschelförmig vereinigte ~Saugröhren~ hervortreten. Mittelst dieser
borstenförmigen, am freien Ende mit einem Saugnäpfchen oder Knöpfchen
versehenen Saugröhren heften sich die Acineten an Ciliaten und
anderen Protisten an und saugen deren Protoplasma aus (ähnlich wie
die Vampyrellen unter den Moneren). Im Innern des Protoplasma findet
sich neben dem ~Zellkern~ oft eine contractile Blase (~Vacuole~).
Fortpflanzung ~ungeschlechtlich~, bald durch Theilung, bald durch
Knospung, bald durch Schwärmsporen. Letztere entstehen im Innern des
Zellenleibes, durchbrechen denselben und schwimmen mittelst feiner
Wimperhärchen umher, zwischen welchen feinste Saugröhrchen sitzen.
Die Acineten leben sowohl im süssen Wasser als im Meere, und sitzen
meistens unbeweglich auf Stielen fest; seltener schwimmen sie frei
umher.


Erste Ordnung:

~Monacinetae~ (HAECKEL). Einzel-Starrlinge. Fig. 16, 17.

Einzellige Acineten, deren einfacher Zellenleib nur einen einzigen Kern
enthält.

~Gattungen~: Podophrya (Cyclopum). Acinetella (mystacina).


Zweite Ordnung:

~Synacinetae~ (HAECKEL). Horden-Starrlinge.

Mehrzellige Acineten, deren verästelter Zellenleib mehrere Kerne
enthält.

~Gattungen~: Dendrosoma (radians).


Achte Classe des Protistenreiches.

8. =Labyrinthuleae= (CIENKOWSKI). =Labyrinthinge.=

~Zellenhorden~ (_Coenobia_), welche aus zahlreichen gleichartigen,
beweglichen Zellen locker zusammengesetzt sind. Die Zellen sind
meistens spindelförmig, umschliessen einen ~Kern~ und können ihre
Gestalt ändern. Sie leben in grossen Haufen gesellig beisammen, und
bewegen sich in eigenthümlicher, noch unerklärter Weise rutschend oder
gleitend umher (ähnlich manchen Diatomeen). Die Bewegung geschieht
nicht frei im Wasser, sondern ausschliesslich in einer eigenthümlichen
~Fadenbahn~ (_Linodium_), einem Gerüste von starren, baumförmig
verästelten und netzförmig verbundenen Fäden. Diese Fäden besitzen
faserige Structur und werden von den wandernden Zellen ausgeschieden.
Auf den mannigfachsten Umwegen gleiten die Spindelzellen in der
Fadenbahn umher, sammeln sich später in Haufen und kapseln sich ein.
Bei dieser ~Encystirung~ erhält jede Zelle eine Membran, und die ganze
gesammelte Horde eine Rindenkapsel. In jeder einzelnen Zelle entstehen
später vier junge Zellen (~Tetrasporen~). Die Labyrinthuleen leben im
Meere.

~Gattung~: Labyrinthula. (Arten: L. vitellina. L. macrocystis.)


Neunte Klasse des Protistenreiches.

9. =Bacillariae.= =Schachtlinge.=

(Synonym: Diatomeae. Diatomaceae. Stabthierchen.)

~Einzellige~ Organismen oder ~Zellenhorden~ (Coenobia); lockere
Gesellschaften von mehreren Zellen, welche in Gallertmassen oder auf
gemeinsamen, verzweigten Stielen vereinigt sind. Der Zellenleib ist
stets von einer ~zweiklappigen Kieselschale~ umschlossen, deren beide
Hälften so ineinander geschoben sind, wie eine ~Schachtel~ und ihr
~Deckel~. Meistens bewegen sich die Zellen rutschend oder schwimmend
umher, wahrscheinlich mittelst eines äusserst feinen Wimperkranzes,
welcher in dem engen Spalte zwischen der Schachtel und ihrem Deckel
frei vortritt. Ernährung und Stoffwechsel wie bei den einzelligen
Algen. Fortpflanzung ~ungeschlechtlich~, durch Theilung. Im Beginn
der Theilung schieben sich die beiden Klappen der schachtelähnlichen
Kieselschalen auseinander; der Kern theilt sich in zwei auseinander
weichende Hälften, ebenso das Protoplasma. Darauf bildet sich
jede Tochterzelle eine neue Schalenhälfte zu der alten Hälfte,
die den Schachteldeckel bildet. Die so entstehenden Generationen
werden fortgesetzt immer kleiner, bis zuletzt eine Generation (von
~Auxosporen~) entsteht, welche die ganze Kieselschale abwirft, mächtig
wächst und dann eine neue Kieselschale erster Grösse bildet. Die
Diatomeen oder Bacillarien leben in zahllosen, zierlichen Formen
überall im Meere und im Süsswasser.


Erste Ordnung der Bacillarien:

~Naviculatae~ (EHRENBERG). Kahn-Schachtlinge. Fig. 45.

~Gattungen~: Navicula (gracilis). Cocconeis (placentula).


Zweite Ordnung der Bacillarien:

~Echinellatae~ (EHRENBERG). Palm-Schachtlinge.

~Gattungen~: Cocconema (cistula). Achnanthes (longipes).


Dritte Ordnung der Bacillarien:

~Lacernatae~ (EHRENBERG). Gallert-Schachtlinge.

~Gattungen~: Frustulia (salina). Gloeonema (paradoxum).


Zehnte Klasse des Protistenreiches.

10. =Fungi= (LINNE.). =Pilze.=

~Polyplastide~ (sehr selten monoplastide) Organismen, deren Körper
nicht aus echten (kernhaltigen) Zellen, sondern aus fadenförmigen
(kernlosen) ~Cytoden~ zusammengesetzt ist (~Hyphen~). Diese
Fadenschläuche oder Hyphen bilden durch seitliche Sprossung und
quere Gliederung der Aeste ein vielfach verzweigtes ~Faden-Geflecht~
(_Mycelium_), welches parasitisch in oder auf anderen Organismen
(oder von deren Zersetzungs-Producten) lebt. Später entwickelt
sich aus diesem Mycelium ein ansehnlicher, höchst mannigfaltig
gebauter ~Fruchtkörper~ (_Stroma_), welcher an bestimmten Stellen
ein ~Sporenlager~ (_Hymenium_) bildet. In letzterem entstehen
die Keimzellen oder ~Sporen~ meistens ~ungeschlechtlich~, selten
geschlechtlich (in Folge eines eigenthümlichen Befruchtungs-Vorganges).
Der ~Stoffwechsel~ der Pilze ist ~thierisch~, nicht pflanzlich. Niemals
bilden die Pilze Chlorophyll und Amylum, wie die echten Pflanzen.
~Nirgends~ findet sich im Pilzkörper ein ~Zellkern~, wie er in den
Zellen aller echten Thiere und Pflanzen überall vorkommt.


Erste Ordnung der Pilze:

~Phycomycetes.~ Tangpilze.

~Gattungen~: Mucor (mucedo). Penicillium (glaucum).


Zweite Ordnung der Pilze:

~Coniomycetes.~ Rostpilze.

~Gattungen~: Ustilago (segetum). Puccinia (graminis).


Dritte Ordnung der Pilze:

~Ascomycetes.~ Schlauchpilze.

~Gattungen~: Morchella (esculenta). Claviceps (purpurea).


Vierte Ordnung der Pilze:

~Gastromycetes.~ Bauchpilze.

~Gattungen~: Lycoperdon (bovista). Phallus (impudicus).


Fünfte Ordnung der Pilze:

~Hymenomycetes.~ Hutpilze.

~Gattungen~: Agaricus (campestris). Boletus (laricis). Fig. 44.


Elfte Classe des Protistenreiches.

11. =Myxomycetes= (WALLROTH). =Netzinge.=

(Synonym: ~Mycetozoa.~ ~Myxogasteres.~ Schleimpilze.)

Organismen, welche in vollkommen entwickeltem und frei
beweglichem Zustande ein ~Plasmodium~ darstellen: einen formlosen
Protoplasmakörper, welcher aus vielen verschmolzenen Zellen
zusammengesetzt ist, deren Kerne sich aufgelöst haben. Dieses
Plasmodium kriecht frei umher, gleich einem colossalen Rhizopoden,
und bildet ausgedehnte netzförmige Körper, indem an der Oberfläche
formwechselnde, unbeständige ~Scheinfüsse~ (_Pseudopodia_)
hervortreten, deren Aeste an den Berührungsstellen zusammenfliessen.
Die Plasmodien ernähren sich von organischen Körpern ebenso wie die
echten Rhizopoden (Thalamophoren) und Radiolarien. Nach vollendetem
Wachsthum zieht sich das Plasmodium auf einen rundlichen Klumpen
zusammen und verwandelt sich in einen blasenförmigen ~Fruchtkörper~
(_Sporocystis_). Diese ~Sporenblase~ ist von einer festen,
structurlosen Haut allseitig umschlossen. Innerhalb derselben
zerfällt das Protoplasma in zahllose kleine ~Keimzellen~ (_Sporae_),
zwischen welchen sich meistens ein Geflecht von haarfeinen Fäden
entwickelt (_Capillitium_). Später platzen die Fruchtkörper und die
Sporen werden frei. Aus der Hülle einer jeden Spore schlüpft eine
amoebenartige, kernhaltige Zelle aus. Diese ~Amoeben~ verwandeln
sich in ~Flagellaten~, indem an einem Ende eine schwingende Geissel
vortritt. So schwimmen sie als »Schwärmsporen« umher, vermehren sich
durch Theilung und gehen dann wieder in amoebenähnliche Zellen über,
welche umherkriechen. Durch Zusammenfliessen vieler solcher Amoeben
entstehen die Plasmodien. Diese leben schmarotzend auf verwesenden
Pflanzen (faulen Blättern etc.).


Erste Ordnung der Myxomyceten:

~Physareae.~ Physareen.

~Gattungen~: Physarum (albipes). Aethalium (septicum). Fig. 42, 43.


Zweite Ordnung der Myxomyceten:

~Stemoniteae.~ Stemoniteen.

~Gattungen~: Stemonitis (typhoides). Diachea (elegans).


Dritte Ordnung der Myxomyceten:

~Trichiaceae.~ Trichiaceen.

~Gattungen~: Licea (serpula). Arcyria (lateritia).


Vierte Ordnung der Myxomyceten:

~Lycogaleae.~ Lycogaleen.

~Gattungen~: Lycogala (epidendron). Reticularia (maxima).


Zwölfte Classe des Protistenreiches.

12. =Thalamophora= (HERTWIG). =Kammerlinge.=

(Synonym: Acyttaria. Reticularia. Rhizopoda.)

Organismen, welche in entwickeltem Zustande ein ~Syncytium~ darstellen,
einen beweglichen Protoplasma-Körper, der viele Zellkerne enthält;
selten ist der Körper einzellig und enthält nur einen Kern. Von
der Oberfläche des Protoplasma strahlen sehr zahlreiche und feine
Scheinfüsschen (_Pseudopodia_) aus: dünne Fäden, welche sich
verästeln und an den Berührungsstellen netzförmig verschmelzen. Diese
Pseudopodien dienen sowohl zur Ortsbewegung und zur Empfindung, wie zur
Ernährung, indem die Acyttarien fremde organische Körperchen mittelst
derselben in ihr Inneres einziehen und dort auflösen. Stets ist das
Syncytium von einer ~Schale~ umschlossen, die äusserst vielgestaltig
ist. Die Pseudopodien treten entweder aus einer einzigen grösseren
Oeffnung der Schale hervor (_Imperforata_), oder aus zahlreichen
feinen Sieblöchern der Schale (_Foraminifera_). Meist besteht die
Schale aus kohlensaurem Kalk, seltener aus Kieselerde oder aus einer
organischen Substanz. Die Fortpflanzung erfolgt ~ungeschlechtlich~,
selten durch Theilung oder Knospung, meistens durch Sporenbildung.
Die meisten Acyttarien leben im Meere, einige im süssen Wasser; die
meisten kriechen auf dem Boden, wenige schwimmen an der Oberfläche; nur
einzelne sitzen auf einem Stiele fest.


Erste Ordnung der Thalamophoren:

~Monostegia~ (D’ORB.). Dichtschalige Einkammerlinge. Fig. 19.

Schale einkammerig, dicht, nicht siebförmig durchlöchert, nur mit einer
einzigen grösseren Oeffnung an einem Pole der Axe, selten mit zwei
grösseren Oeffnungen, an beiden entgegengesetzten Polen derselben.
(_Imperforata monostegia_).

~Gattungen~: Gromia (oviformis) Fig. 19. Lagynis (baltica). Squamulina
(laevis). Cornuspira (planorbis).


Zweite Ordnung der Thalamophoren:

~Polystegia~ (HAECKEL). Dichtschalige Vielkammerlinge.

Schale vielkammerig, dicht, nicht siebförmig durchlöchert, mit einer
einzigen grossen Oeffnung, am Ende der jüngsten Kammer. (_Imperforata
polystegia_).

~Gattungen~: Miliola (cyclostoma). Peneroplis (dendritina). Lituola
(nautiloides). Parkeria (ingens).


Dritte Ordnung der Thalamophoren:

~Monothalamia~ (M. SCHULTZE). Siebschalige Einkammerlinge.

Schale einkammerig, siebförmig von zahlreichen feinen Löchern
durchbrochen, ausserdem meist eine grosse Oeffnung an einem Pole der
Längsaxe. (_Foraminifera monothalamia_).

~Gattungen~: Orbulina (universa). Entosolenia (globosa). Lagena
(vulgaris).


Vierte Ordnung der Thalamophoren:

~Polythalamia~ (BREYN). Siebschalige Vielkammerlinge. Fig. 20–24.

Schale vielkammerig, siebförmig von zahlreichen feinen Löchern
durchbrochen, ausserdem oft eine grosse Oeffnung am Ende der jüngsten
Kammer. (_Foraminifera polythalamia_).

~Gattungen~: Nodosaria (radicula). Rotalia (veneta). Globigerina
(bulloides). Textularia (variabilis). Alveolina (vulgaris). Nummulites
(lentiformis).


Dreizehnte Klasse des Protistenreiches.

13. =Heliozoa= (HAECKEL). =Sonnlinge.=

Organismen, welche in entwickeltem Zustande bald eine einzige
kugelige ~Zelle~, bald ein kugeliges ~Syncytium~ darstellen,
welches aus mehreren verschmolzenen Zellen besteht. Im ersteren
Falle ist ein einziger ~Zellkern~, im letzteren mehrere Kerne im
Innern der Protaplasma-Kugel eingeschlossen. Letztere ist in eine
feinkernige innere ~Markmasse~ (_Endoplasma_) und eine schaumige
äussere ~Rindenschicht~ (_Exoplasma_) gesondert. Das Protaplasma
der Rindenschicht bildet Vacuolen (oder vergängliche, contractile
Wasserbläschen). Von seiner Oberfläche strahlen rings zahlreiche
haarfeine Fäden aus, die gewöhnlich einfach, nicht verästelt, ziemlich
starr sind und wenig Neigung zur Verschmelzung besitzen. Bald ist
der Körper ganz weich und nackt; bald bildet er ein festes Skelet,
welches aus vielen zerstreuten Nadeln (_Spicula_) zusammengesetzt ist,
oder eine Gitterschale darstellt. Meistens schweben die Heliozoen
frei im Wasser; seltener sind sie festgewachsen. Fortpflanzung
~ungeschlechtlich~, bald durch Theilung, bald durch Sporenbildung. Die
Heliozoen leben sowohl im süssen Wasser, als im Meere.


Erste Ordnung der Heliozoen:

~Aphrothoraca~ (HAECKEL). Nackte Sonnlinge. Fig. 40, 41.

Nackte Heliozoen, mit weichem, schaumigem Körper, ohne Skelet.

~Gattungen~: Actinophrys (sol). Actinosphaerium (Eichhornii).


Zweite Ordnung der Heliozoen:

~Chalarothoraca~ (HERTWIG). Bestachelte Sonnlinge.

Heliozoen mit einem Skelet, welches aus Spicula oder zerstreuten
Stäbchen (radialen Stacheln oder tangentialen Nadeln) zusammengesetzt
ist.

~Gattungen~: Acanthocystis (spinifera). Heterophrys (marina).


Dritte Ordnung der Heliozoen:

~Desmothoraca~ (HERTWIG). Beschalte Sonnlinge.

Heliozoen mit einem Skelet, welches eine kugelige, von Löchern
durchbrochene Schale bildet.

~Gattungen~: Hedriocystis (pellucida). Hyalolampe (fenestrata).


Vierzehnte Classe des Protistenreiches.

14. =Radiolaria= (J. MÜLLER). =Strahlinge.=

Organismen, welche in entwickeltem Zustande aus zwei verschiedenen
Haupttheilen bestehen, einer inneren, festen, mit Zellen gefüllten
~Central-Kapsel~ (_Capsula centralis_) und einem äusseren ~Syncytium~,
einer Protoplasma-Masse, welche die erstere allseitig umgiebt, und
von welcher ausserdem zahlreiche ~Scheinfüsschen~ oder ~Pseudopodien~
ausstrahlen; letztere verhalten sich ganz wie diejenigen der
Acyttarien. Der wesentliche Unterschied von den letzteren besteht in
der stets vorhandenen Centralkapsel; diese ist der Sporenblase der
Myxomyceten vergleichbar und stellt einen Fruchtkörper (_Sporangium_)
dar, indem ihr gesammter Inhalt sich in ~Keimzellen~ (_Sporae_)
verwandelt. Ausserhalb der Centralkapsel finden sich meist noch
eigenthümliche ~gelbe Zellen~, welche ~Stärkemehl~ enthalten. Nur
wenige Radiolarien sind weich und nackt; die meisten besitzen ein
~Skelet~, welches aus Nadeln (_Spicula_), einem Balkengeflecht oder
einer Schale besteht; diese ist meistens aus ~Kieselerde~ gebildet,
von äusserst mannigfaltigen und zierlichen Formen. Die Ernährung der
Radiolarien geschieht wie bei den Acyttarien durch die Pseudopodien.
Die Fortpflanzung erfolgt ~ungeschlechtlich~, selten durch Theilung,
meistens durch Sporenbildung. Die Sporen, welche innerhalb der
Centralkapsel entstehen und aus dieser ausschwärmen, sind mit Geisseln
versehene ~Schwärmsporen~. Alle Radiolarien leben im Meere und schweben
theils an der Oberfläche, theils in verschiedenen Tiefen.


Erste Ordnung der Radiolarien:

~Pancollae~ (HAECKEL). Gallert-Strahlinge. Fig. 26.

Radiolarien ohne Skelet, oder mit einem Skelet, welches bloss aus
zerstreuten soliden Nadeln zusammengesetzt ist.

~Gattungen~: Thalassicolla (nucleata). Collozoum (inerme).
Thalassosphaera (bifurca). Sphaerozoum (punctatum).


Zweite Ordnung der Radiolarien:

~Panacanthae~ (HAECKEL). Stachel-Strahlinge. Fig. 32, 33.

Skelet besteht aus radialen soliden Stacheln, welche im Mittelpunkt der
Central-Kapsel in einander gestemmt, locker verbunden oder verwachsen
sind. (Acanthometrida s. a.)

~Gattungen~: Acanthometra (Mülleri). Dorataspis (bipennis).


Dritte Ordnung der Radiolarien:

~Pansoleniae~ (HAECKEL). Röhren-Strahlinge.

Skelet besteht aus einzelnen hohlen Röhren, welche bald locker
zerstreut, bald in radialer oder concentrischer Anordnung verbunden
sind.

~Gattungen~: Aulacantha (scolymantha). Aulosphaera (trigonopa).
Coelodendrum (gracillimum).


Vierte Ordnung der Radiolarien:

~Plegmideae~ (HAECKEL). Schwamm-Strahlinge. Fig. 34.

Skelet besteht aus einem lockeren oder dichteren Geflecht von feinen
Kieselstäbchen, welche ohne bestimmte Anordnung (schwammähnlich)
verbunden sind. (Wachsthum vielseitig).

~Gattungen~: Acanthodesmia (vinculata). Spongurus (cylindricus).
Spongodiscus (mediterraneus). Spongasteriscus (quadricornis).


Fünfte Ordnung der Radiolarien:

~Sphaerideae~ (HAECKEL). Kugel-Strahlinge. Fig. 25, 29, 30.

Skelet besteht aus einer einzigen Gitterkugel oder aus mehreren
concentrischen Gitterkugeln, welche durch radiale Stäbe verbunden sind.
(Wachsthum radial).

~Gattungen~: Ethmosphaera (siphonophora). Collosphaera (Huxleyi).
Cladococcus (cervicornis). Haliomma (castanea). Actinomma (drymodes).


Sechste Ordnung der Radiolarien:

~Discideae~ (HAECKEL). Scheiben-Strahlinge. Fig. 37.

Skelet scheibenförmig, aus zwei parallelen Siebplatten zusammengesetzt,
zwischen welchen durch Kreuzung von concentrischen und radialen
Gitterstäben zahlreiche kleine Kammern gebildet werden. (Wachsthum
concentrisch).

~Gattungen~: Trematodiscus (sorites). Euchitonia (Mülleri). Coccodiscus
(Darwinii). Astromma (Aristotelis).


Siebente Ordnung der Radiolarien:

~Cyrtideae~ (HAECKEL). Kegel-Strahlinge. Fig. 35, 36.

Skelet eine Gitterschale, welche durch eine Hauptaxe mit zwei
verschiedenen Polen charakterisirt ist. Grundform daher kegelförmig.
Durch ringförmige Einschnürungen ist die Schale oft in mehrere, hinter
oder neben einander liegende Kammern abgetheilt. (Wachsthum unipolar).

~Gattungen~: Cyrtocalpis (amphora). Petalospyris (arachnoides).
Eucecryphalus (Gegenbauri). Eucyrtidium (lagena). Botryocampe
(hexathalamia).

[Illustration]


Druck von Hüthel & Herrmann in Leipzig.





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS PROTISTENREICH ***


    

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