Bübü vom Montparnasse

By Charles-Louis Philippe

Project Gutenberg's Bübü vom Montparnasse, by Charles-Louis Philippe

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Title: Bübü vom Montparnasse
       Ein Roman mit zwanzig Holzschnitten von Frans Masereel

Author: Charles-Louis Philippe

Illustrator: Frans Masereel

Translator: Camill Hoffmann

Release Date: December 20, 2014 [EBook #47710]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BÜBÜ VOM MONTPARNASSE ***




Produced by Jens Sadowski





                        Charles-Louis Philippe




                               Bübü vom
                             Montparnasse


                              Ein Roman
                                 mit
                        zwanzig Holzschnitten
                                 von
                            Frans Masereel

                                 1920
                      Kurt Wolff Verlag München

             Autorisierte Übersetzung von Camill Hoffmann

            Copyright 1920 by Kurt Wolff Verlag in München




I


Der Boulevard Sebastopol war am Tage nach dem vierzehnten Juli noch
lebendig. Halb zehn Uhr abends. Die Bogenlampen, schreiend weiß zwischen
den Baumreihen, überschneiden die Schatten oder sind im Blattwerk
verloren. Die Warenhäuser sind geschlossen: »Pygmalion«, die »Lämmlein«,
der »Holländische Hof«, »Zur billigsten Quelle der Welt«, und ihre
finstern Fassaden, die soeben den Bürgersteig erhellten, verdunkeln ihn
jetzt gleichsam. Die hohen vergoldeten Aufschriften, die an den Balkonen
in der Sonne glänzten, im ersten Stock, im zweiten und in den andern,
verlieren sich in dem Schwarz mit ihren Buchstaben aus gelbem Holz und
scheinen am Abend auszuruhen wie der Großhandel. Blumen und Federn,
Ausverkäufe, Lebensmittel, Stoffe haben auf dem Boulevard Sebastopol
ihre Rolläden heruntergelassen und sind verstummt.

Zu dieser Stunde betrachten die Fußgänger nicht mehr die Schaufenster.
Das Nachtleben beginnt, mit andern Zwecken. Die Wagen haben Laternen:
die Fiaker strahlende Lichter wie zwei vergnügte Augen und die Tramways
ein rotes oder grünes Feuer, und sie heulen wie eine erregte
Menschenmenge. Sie folgen einander, kreuzen sich, stampfen und rollen.
Am Horizont gegen die großen Boulevards erhellt die Luft sich stark,
erhebt sich zum Himmel und ist wie von leuchtendem Geist belebt. Das
Ziel ist nicht hier, auf dem Boulevard Sebastopol, wo die Warenhäuser
geschlossen sind. Die Wagen eilen. Die nach den großen Boulevards
wollen, fahren in das Licht hinein und hasten dahin wie Menschen, die
ein Schauspiel anzieht.

Der Boulevard Sebastopol lebt ganz und gar auf dem Bürgersteig. Auf dem
breiten Steig, in der blauen Luft einer Sommernacht, verbringt Paris und
verlängert am Tage nach dem vierzehnten Juli einen Überrest des Festes.
Die Bogenlampen, das Laub der Bäume, die Wagen, die rollen, und die
ganze Erregung der Fußgänger wirken zusammen so scharf und schwer wie
Rausch und Ermüdung. Es ist das übliche Schauspiel aller Abende, aber es
gibt Straßenecken oder Häuserfronten, die noch die Erinnerung an die
gestrigen Tänze bewahren. Es gibt gewisse Geräusche oder gewisse
Schreie, die an die Lieder der Betrunkenen denken lassen. Es gibt
Laternen oder Fahnen, die in den Fenstern zurückgeblieben sind und eine
Fortsetzung der Fröhlichkeit zu fordern scheinen. Man errät, was in den
Seelen vorgeht. Die einen, die sich gestern vergnügt haben, blicken noch
nach einem Vergnügen aus, dem sie sich hingeben könnten. Denn die
Menschen, die einmal die Freude kennen gelernt haben, rufen sie ewig
herbei. Die andern, die arm sind, die häßlich sind und die ängstlich
sind, ergehen sich zwischen den Überresten des Festes und suchen in den
Winkeln nach übriggelassenen Brosamen. Denn die Menschen, die niemals
die Freude kennen gelernt haben, sind gequält und suchen sie immerfort,
bis sie davon müde geworden sind, leer ausgegangen zu sein.

Die Luft scheint sich um sie zu regen. Gutgekleidete junge Leute kommen
zu zweit oder zu dritt und gehen von hinnen. Sie haben neue Kragen,
elegante und einfache Krawatten mit glitzernder Nadel und eilen dem
Lichte zu, Geld in den Taschen. Handelsangestellte plaudern unter ihnen:
»Wir haben bis Mitternacht getanzt. Sie hat allerhand mit sich machen
lassen. Ich habe sie in ein Hotel in der Rue Quincampoix gebracht. Wie
hat sie darauf Lust gehabt!« Zwei Freunde heften ihre Schritte an zwei
kleine Frauen, die, als sie von ihnen angeredet werden, sich mit
ersticktem Lachen anschauen. Junge Leute mit phosphoreszierenden Augen
blicken die Frau an, so oft ein Paar vorübergeht. Dicke Männer rauchen
eine Zigarre mit Genugtuung und denken: »Ich bin ein mächtiger Beamter
mit zwölftausend Francs Jahresgehalt.« Paare gehen vorüber. Eine
elegante junge Frau am Arm eines eleganten jungen Herrn: sie ist
glücklich darüber, reich auszusehen; er ist glücklich, beneidet zu
werden. Ein weniger elegantes junges Mädchen mit ihrem Geliebten, der zu
ihr spricht, indem er an die Liebe denkt. Andre Paare endlich, Ehemann
und Frau, blicken jeder auf seine Seite, wechseln nur dann und wann ein
Wort: ihr Geist und ihr Leib sind aneinander gewöhnt.

Sie gingen vorüber. Waren die einen entschwunden, sah man wieder andre.
Geschäftsleute schritten auf der Straße so weit auf und ab, als die
Auslage ihrer Läden breit war. Ein junger Mann preßte den Arm einer Frau
und folgte ihr unterwürfig. Man glaubte, er würde ihr bis ans Ende der
Welt folgen. Die Eitelkeit, die Heiterkeit, das Wohlleben spazierten im
Licht. Die Luft ward davon erhitzt. Ach, was hatte die Müdigkeit von
gestern zu sagen! Warme Wellen kamen bei der Erinnerung an die Orgie,
und die Herzen zogen sich vor Verlangen zusammen. Paris war wie ein
müder Hund, der weiter seiner Hündin nachläuft.

Die öffentlichen Mädchen übten ihr Gewerbe aus. Da ist die kleine
Gabrielle, die zwei Jahre mit Robert lebte, dem Mörder der Constance.
Ihr Liebhaber ist soeben ins Zuchthaus gekommen. Da ist die kleine
Jeanne, die siebzehn Jahre sein soll. Seit einem Monat geht sie auf dem
Boulevard Sebastopol. Sie hat auf ihrem Antlitz nur ein wenig Reispuder,
und ihre Augen glänzen von den ersten Feuern der Lust. Viele Leute
halten sie nicht für eine Prostituierte. Da sind Mädchen mit bloßem Haar
und Mädchen mit Hut. Die einen haben den schweren Gang von Kühen und
sprechen die Männer schamlos an. Andre zieren sich, zwinkern mit den
Augen und bereiten ihr Lächeln vor. An der Ecke der Rue Rambuteau hat
sich eine Gruppe gebildet. Sie reden alle zugleich. Man sieht die
feuchten Markthallen zur Linken, man denkt an Abfälle von Kohl. Man
möchte sagen: Frösche, die an einem Sumpfe quaken.

Die Geheimen der Sittenpolizei gehen zu zweien. Es ist leicht, sie an
ihrem Blick, an ihren unsaubern Kleidern und ihrem schweren Gang zu
erkennen. Sie sind unsauber wie ihr Beruf. Sie schreiten hölzern wie
Leute, die ein Amt ausüben. Sie messen die Frauen vom Kopf bis zu den
Zehen mit festem Auge. Der Blick der Vorübergehenden schaut, der der
Geheimen überwacht. Geschmückt mit einer Militärmedaille, schreitet ein
dicker Brauner, dessen starker Bart den Mund hervorhebt, dahin mit
ausladenden Schultern. Die öffentlichen Mädchen gehen steif, ohne den
Kopf zu wenden, mit ihrer Seele eines Sklaven, der weiß, daß der
Stärkere recht behält.

Die Rufe der Camelots. Sobald ein Schutzmann sich entfernt, taucht ein
Camelot auf. Die Mütze auf dem Kopf, das Gesicht erregt, den Bart
farblos, schreien sie voll Glut, denn ihre Leidenschaften sind heftig,
und sie wollen ihr Essen und Trinken verdienen. Jener dort, vielleicht
keine achtzehn Jahre alt, die Mütze bis an die Ohren gezogen, in
Röhrenstiefeln, umkreist eine Schar von Neugierigen, indem er seine
Stiefel hebt. Er verkauft um zwei Sous ein Heft mit durchscheinenden
Bildern und hält sie mit Taschenspielergebärden den Leuten vor die
Augen: »Und wenn Sie einen Schutzmann anrücken sehen, meine Herren und
Damen, so machen Sie mich aufmerksam, nur damit ich ihm
entgegenspazieren kann.« Die Polizei verfolgt sie wie die öffentlichen
Mädchen, deren Herzauserwählte sie sind.

                   *       *       *       *       *

Pierre Hardy, der den ganzen Tag in seiner Kanzlei gearbeitet hatte,
erging sich unter den Passanten des Boulevards Sebastopol. Ein junger
Mann von zwanzig Jahren, erst seit sechs Monaten in Paris, schreitet
unsicher durch das Pariser Schauspiel. Die Wagen, die rollen, die
grellen Lichter, die Menge in den Straßen, der Luxus und der Lärm bilden
eine babylonische Verwirrung, die bestürzt und einen Wirbel allzuvieler
Gedanken auf einmal entfesselt. Alle Provinzler haben dieses Unbehagen
gefühlt und sind darüber linkisch und traurig geworden. Ich versichere
Ihnen, daß die hübschen Dorfburschen, die zu Hause auf den Tanzböden
prächtig aussehen, auf den Boulevards eine trübselige Figur machen.

Ein Mensch, der geht, trägt alle Dinge seines Lebens und bewegt sie in
seinem Kopfe. Ein Schauspiel weckt sie, ein andres löscht sie aus. Unser
Körper hat alle unsre Erinnerungen bewahrt, wir vermengen sie mit unsern
Wünschen. Wir durchlaufen die Gegenwart mit unserm Gepäck, wir gehen und
haben es in jedem Augenblick bei uns.

Hier die Gedanken, die Pierre Hardy diesen Abend spazieren führte:

In das Haus eines Städtchens im Osten, wo seine Eltern Holzhandel
treiben, kehrt Pierre Hardy gern in Gedanken zurück, denn er ist zwanzig
Jahre und lebt erst seit dem Monat Januar in Paris. Es ist ein Haus auf
einer Anhöhe, ein wenig abseits von der Stadt und von einem Garten
umgeben. Dort ist gut sein an den Sommerabenden, wenn eine Brise die
Dämmerung durchweht und man sich im Garten niederläßt, um die Nacht
einzuatmen. Die Sterne ziehen die Gedanken an; es wetterleuchtet ein
paarmal, »Entladungen der Hitze«, und man lebt, die ersten Zigaretten
rauchend, friedlich unter den Seinen. Alle Einzelheiten sind reizend.
Wenn es zu heiß ist, trinkt man am Abend, statt Suppe zu essen, Milch;
das erfrischt bis ins Herz hinein. Oft kamen seine ältere verheiratete
Schwester und seine kleine Nichte auf eine Woche zu Besuch. Man kochte
ein wenig mehr, war ein wenig heiterer. Die jüngere Schwester spielte
die Mama der kleinen Juliette. Sie ging mit ihr aus und kaufte ihr
Näschereien. Nichts fehlte ihnen. Alle Mitglieder dieser Familie fühlten
klar, daß sie ein Ganzes in der glücklichen Natur bildeten.

Er dachte noch an seine drei Jahre Fachschule. Er hatte Brücken und
Maschinen von verwickeltem Aussehen zeichnen gelernt und säuberliche und
bewunderungswürdige Tuschzeichnungen mit Farbe decken. Seine Eltern
hatten sich in ihr Zimmer eine schöne Zeichnung einrahmen lassen, die
einen Bahnhof zwischen zwei Hügeln darstellte. Er hatte die Schule mit
Nummer 2 verlassen, mit einem Diplom und einer vergoldeten Medaille.

Er konnte als Zeichner mit hundertfünfzig Francs monatlich in eine
Eisenbahngesellschaft eintreten. Er bedauerte, nicht in die Ingenieur-
Fachschule eingetreten zu sein, wie seine Professoren ihm geraten
hatten. Seine Eltern hätten sich dies Opfer auferlegt und er hätte rasch
den Grad eines Bureauleiters erlangt.

Auf dem Boulevard Sebastopol, dessen elektrische Bogenlampen
schnurgerade liefen, erging er sich unter Tausenden von Fußgängern. Die
Lichter durchdrangen das Laubwerk der Bäume und fielen mit den Schatten
der Zweige auf den Bürgersteig. Es schien ihm, als wären die Lichter
glänzender und die Menge noch zahlreicher. Die jungen Leute aus der
Provinz glauben sich verloren inmitten der hunderttausend Menschen. Er
kannte niemand und ging immerzu, und neue Passanten schritten vorüber,
alle einander ähnlich in ihrer Gleichgültigkeit, und sahen ihn nicht
einmal an. Ihr Lärm umringte ihn wie das Tosen einer Vielheit, an der er
nicht teil hatte. Er sah sich in der Menge, die wirbelte und
gestikulierte und heiter war wie manches Lachen, das er im Vorübergehen
erschallen hörte, und strahlend wie mancher Frauenblick, den er auffing.

Er versuchte sich an etwas festzuklammern, um nicht zu versinken. Er
hatte das Bedürfnis, in sich selbst hinabzusteigen und dort, während all
dies ringsum geschah, irgend eine Freude zu finden, um mitten in der
allgemeinen Fröhlichkeit nicht verloren zu sein.

Er wollte einen Damm aufrichten gegen die steigende Flut und schreien:
»Ich bin auch da. Mit Stein und Zement stemme ich mich euch entgegen und
halte euch auf, wenn ihr auf mich einbrüllt!«

Er bewohnte in einem Hotel der Rue de l'Arbre-Sec ein Zimmer im fünften
Stock. Diese Hotelzimmer sind stets unsauber, weil allzu viele Mieter
darin gelebt haben. Das Bett, der Spiegelschrank, die beiden Stühle und
der Tisch auf Rädchen füllen sie. So klein sind sie, daß diese vier
Möbel sie übervoll zu machen scheinen. Hier lebt man für fünfundzwanzig
Francs im Monat ein Leben ohne Würde. Die Bettmatratzen sind schmutzig,
die Fenstervorhänge sind grau wie ein Armeleutetag. Der Kellner hat
einen Hauptschlüssel, der ihm erlaubt, jeden Augenblick in dein Zimmer
einzutreten. Deine Nachbarn wechseln alle vierzehn Tage und du hörst sie
durch die Scheidewand. Die einen sind Trinkerpaare, die sich streiten,
die andern riechen nach Prostitution, und sind manche ordentlich, so
flößen sie doch kein Vertrauen ein. Die armen Mieter in den Hotels haben
kein Daheim. Pierre Hardy konnte nicht sagen: »Ich habe eine Zuflucht,
wo ich unter Dingen bin, die mich anheimeln, wenn ich traurig werde«.

Die einzige Zuflucht war ihm sein Freund Louis Buisson, dem er sich seit
dem ersten Tage anschloß. Louis Buisson war fünfundzwanzig Jahre alt und
arbeitete als Zeichner in demselben Büro wie Pierre Hardy. Dieses
Männchen von 1 Meter 35 Höhe war wegen seines kleinen Wuchses vom
Militärdienst zurückgewiesen worden. Darum genoß er nicht viel Achtung
bei seinen Kameraden, die ihn für einen guten Burschen hielten, dessen
Bedeutung aber nur 1 Meter 35 maß. Ehemals hatte er beabsichtigt, die
polytechnische Hochschule zu besuchen, und Mathematik studiert, was ihn
daran gewöhnt hatte, alles zu analysieren, und bis zu zwanzig Jahren war
er in einem Provinzgymnasium gewesen, was ihn daran gewöhnt hatte, zu
dulden. Der Zusammenbruch seiner schönen Zukunftsträume machte ihn
bescheiden. Er dachte: »Ich verdiene hundertachtzig Francs monatlich.
Ich bin wie ein Mann aus dem Volke und arbeite, um das Brot zu
verdienen, das ich esse.« Am Abend beschäftigte er sich mit Literatur
und Philosophie, nachdem er auf der Straße spazieren gegangen war und
die jungen Frauen betrachtet hatte. Er sagte: »Sie laufen allem nach,
was glänzt, den reichen jungen Leuten und den schönen jungen Leuten. Die
reichen jungen Leute erziehen die Frauen zum Luxus, und die schönen
jungen Leute, von denen sie betrogen werden, lehren sie, daß die Liebe
nur ein simples Vergnügen sei. Sie kehren später zu uns zurück. Sie
richten uns durch Toiletten und Theater zugrunde und haben nicht mehr
Glut genug, um unsre Geliebten und unsre Gefährtinnen zu werden. Ich für
meine Person korrespondiere mit einer kleinen Bonne. Da sie schlicht und
arbeitsam ist, werden wir uns heiraten. Ich will wie ein Mann aus dem
Volke leben, mit einem Weibe aus dem Volke. Im übrigen hasse ich die
Reichen, die uns unsre Freuden stehlen.«

Er besaß seine Möbel und wohnte am Quai du Louvre in einem Zimmer im
fünften Stock. Pierre Hardy erstattete ihm Bericht von allen seinen
Stimmungen und allen seinen Abenteuern, und Louis Buisson legte ihm
gleiche Geständnisse ab. Solch eine Freundschaft gibt uns Lebensmut,
indem sie unsre Freuden verlängert und uns in unserm Kummer tröstet. Man
sagt sich: Das werde ich Louis erzählen, der mir sagen wird: »Mein
lieber Freund, wir leiden, weil wir arm und schüchtern sind und
hauptsächlich, weil wir ein reines Herz haben«. Sie waren durch einen
kleinen Unterschied in der Erziehung voneinander getrennt. Pierre Hardy
wohnte in der Rue de l'Arbre-Sec, die eine Pariser Straße ist. Louis
Buisson wohnte am Quai du Louvre, wo die Luft viel freier ist.

Aber es gibt Abende, an denen die Freundschaft nicht genügt. Die Worte
und der gewöhnliche Anblick der Freundschaft beruhigen uns. Wir haben
aber auch das Bedürfnis, uns zu ermüden. Pierre Hardy empfand inmitten
der Flut ein wenig Freude, die ihm sein Freund bereitete, und er
betrachtete die Menge, indem er dachte: »Ihr habt keinen Freund wie
Louis Buisson.« Aber das tröstete ihn nicht, und der ganze Lärm des
Boulevards sprach: »Besser ist, eine Frau zu haben.« Er dachte noch:
»Ich bereite mich auf die Prüfung für Brücken- und Straßenbau vor, ich
werde gewiß zum Bureauchef ernannt werden. So viele Männer, die da mit
Frauen am Arm vorübergehen, werden kleine Angestellte bleiben!« Aber die
ganze Menge schrie ihm im Vorübergehen zu: »Was macht das! Wir haben
Frauen und lachen.« Er antwortete: »Ich habe einen Vater und eine
Mutter, die mich mehr lieben, als euch eure Frauen!« »Was macht das!«
sprach die Menge. »Du bist allein und langweilst dich. Wir haben Frauen
und lachen.«

So wurde er gezwungen, zu verstehen, daß die ganze Festfreude wertvoller
sei als sein einsames Dasein. Er konnte dem Lichterglanz und der
entfesselten Lust nichts entgegensetzen. Louis Buisson, der von zwei
oder drei Philosophischen Grundsätzen passioniert war, schöpfte daraus
Kraft genug, den Menschen ins Gesicht zu sehen. Übrigens suchte er darin
irgendwelche weitere Grundsätze zu entdecken. Pierre Hardy war zwanzig
Jahre alt und fand sich mit tausend Wünschen ganz allein mitten in einem
sehr verführerischen Paris.

Und oft hatten seine Wünsche ihn geleitet. An manchen Abenden, wenn er
bis elf Uhr gearbeitet, schloß er seine Bücher und fühlte sich traurig
mit all ihrer Wissenschaft. Alle Diplome wogen das Glück nicht auf, zu
leben. Zwei oder drei Bilder von Frauen, die ihm begegnet waren,
tauchten in seiner Phantasie auf, und er hing ihnen zunächst nach, um
sich zu entspannen. Dann flammte das ganze Feuer seiner zwanzig Jahre
empor, alle seine Sinne empfanden, was eine vorüberschreitende Frau in
sich schließt. Da richtete er sich auf, die Kehle trocken und das Herz
zusammengepreßt, löschte die Lampe aus und ging auf die Straße hinunter.

Er schritt aus. Prostituierte tänzelten an den Straßenecken in ihren
ärmlichen Röcken und mit ihren fragenden Augen: er beachtete sie gar
nicht. Er schritt dahin, wie die Hoffnung schreitet. Irgendeine Frau mit
geschnürter Taille ging vor ihm her, da verlangsamte er den Schritt, um
sie besser zu sehen. Darauf lächelte sie ihm zu. Da beschleunigte er den
Schritt, um ihr rascher zu entfliehen, und weil schon eine andre Frau
mit geschnürter Taille . . . Er schritt dahin wie die Hoffnung
schreitet, von Frau zu Frau. Er wollte die einen nicht, weil sie zu
leicht zu haben waren. Er wagte nicht, die andern anzusprechen, weil sie
nicht den Eindruck machten, als wären sie leicht zu haben. Er schritt
dahin, wie die Hoffnung schreitet, von Frau zu Frau, bis ihm keine
Hoffnung mehr blieb.

Manchmal überholte ihn eine verspätete junge Arbeiterin, die schnell
ging, um nach Hause zu kommen. Sie hatte einen schwarzen Rock, eine
schlichte Bluse und einen schmucklosen Hut. Es war ein junges Mädchen,
das wie ein junger Mann arbeitet und an die Liebe denkt. Pierre Hardy
sagte sich dies naiv und folgte ihr, folgte ihr sehr schnell. Er prüfte
sie, schätzte in Gedanken die Menge Glück ab, die sie spenden könnte.
Wenn er neben ihr war, sagte er sich: »Ich will sie nicht jetzt
ansprechen, denn wir sind in einer zu belebten Straße«. Er folgte ihr
Schritt für Schritt, alle seine Gedanken aufrührend, und folgte ihr mit
großen Schritten, wie man ein Ideal verfolgt. Er wäre ihr sehr weit in
die Nacht gefolgt, denn sie war ihm das Licht. Alle seine Abenteuer
nahmen den gleichen Ausgang. Unerwartet läutete das junge Mädchen an
einer Haustür. Sie war zu Hause. Er sah sie ein letztesmal an und setzte
seinen Weg fort, indem er an morgen dachte und an alle die morgen, an
denen er dem Glück nicht begegnen sollte, das er soeben hatte entfliehen
lassen.

Und am Ende fühlte er noch, ermüdet von dem Marsch, das alte Verlangen,
das ihn vorwärtstrieb. Um Ruhe zu haben, nahm er die erste, die
daherkam, und in einem Hotel auf einem Bett um vierzig Sous ergoß er
sich in ein Mädchen, das schmutzig war wie ein öffentlicher Ausguß.

Am Abend des fünfzehnten Juli war der Boulevard Sebastopol viel
lebendiger. Die einen schlenderten paarweise und schienen ihre Liebe
auszuführen. Junge Leute sagten: »Sie hatte feste kleine Brüste. Ich
möchte sie doch wiederfinden.« Paris war unterwegs mit Wagen, die
rollen, mit Liedern der Betrunkenen und mit so vielen Straßenmädchen,
daß unter ihnen auch ein paar verführerische waren. Die Bogenlampen
umgaben sich mit einem Hof und bildeten, eine hinter der andern die Luft
zwischen den Häusern erhellend, einen großen leuchtenden Kanal, der die
Dächer säumte, bis zum Himmel stieg und ihm sein Feuer zuwarf. Diese
Atmosphäre badete einen in zartem Fluidum, in einem elektrischen
durchdringenden Bade. Dann verwandelten warme Winde, der Atem einer
Sommernacht, Paris gleichsam in ein brüllendes Tier, das, schweißbedeckt
und mit wahnsinnigen Augen, solange keucht, bis es ohnmächtig wird. Ein
Schrei antwortete dem andern, ein Fußgänger weckte das Verlangen des
andern, die Lichter entzündeten ihn wie einen Strohhalm, jedes Leben
schwoll auf dem Boulevard an und schrie wie das brünstige Tier bis in
die Tiefe der vergehenden Herzen.

Und Pierre Hardy erinnerte sich, wie er den Frauen nachgelaufen war. Er
schämte sich der Erinnerung unter den Lichtern zwischen Tausenden von
Passanten, aber er zürnte ihnen so, wie ein Mann großen Gedanken zürnt,
die ihn locken. Vor seinen Augen schritt das Weib mit seinem Geschlecht,
seinem offenen Geschlecht, wie Louis Buisson sagte. Pierre Hardy war
nichts mehr. Das entfesselte Paris trug ihn, nahm ihn auf seine großen
Fluten und entführte ihn, Pierre Hardy, den Sohn eines Holzhändlers,
Freund Louis Buissons, den künftigen Brücken- und Straßenbaumeister,
trug ihn zwischen den beiden verlorenen Ufern und entführte ihn bis ans
Ende der Welt.

                   *       *       *       *       *

An der Ecke der Rue Greneta gab es eine Ansammlung um vier Sänger herum.
Es war noch nicht zehn Uhr, und sie sangen an der letzten Straßenecke
vielleicht ihr letztes Lied. Der Vater kratzte eine Geige aus rotem
Holz, deren neue und kreischende Stimme nur ein Lärm war, und blickte
auf den Kreis von Gaffern mit Augen, in denen man Funken und Blut laufen
sah. Die Mutter, mit einem Bauch, geweitet von Geburten, mit den
hängenden Brüsten eines abgenutzten Tieres, hatte in ihrem zerstörten
Gesicht zwei Augen so blau wie zwei beschmutzte Blumen. Sie sang mit der
spitzen Stimme eines keifenden Weibes. Und die beiden kleinen Kinder,
die jeden Abend sangen, zitterten auf ihren Beinchen. Das eine von ihnen
rollte die Augen wie ein böses Tier; es ähnelte dem Vater; es war so
erschöpft, daß es hätte beißen mögen. Aber das kleinere, gelbhäutige,
mit blauen Augen, hätte wie die Mutter auf den Rücken fallen und
schlafen mögen. Paris hatte sie in seine zermalmende Hand genommen, und
alle vier, die guten und die bösen, waren sie zermalmt worden.

   »Erinnerst du dich noch, Lison,
   In deinem Stübchen
   Warf ich die Kleider rasch davon
   Wie du, mein Liebchen.«

Mütter mit ihren Töchtern hörten zu. Drei kleine Arbeiterinnen, die das
Lied sich gekauft hatten, folgten den Worten. Passanten waren müßig
stehen geblieben, andre warfen einen Blick hin und gingen weiter. Es gab
nicht viele Leute um die Sänger, weil es zuviele Lieder gab. Pierre
Hardy machte Halt. Man schaut es sich an, weil man etwas anschauen muß.
Ebenso mehrere öffentliche Mädchen, denn sie wissen, daß die
Ansammlungen ausgezeichnete Gelegenheiten bieten. Und die ungelenke
Stimme der roten Geige, über den drei andern Stimmen gleichgültig
schwebend, mechanisch, ohne Feinheit:

   »Du sagtest: >Lieb, ich zeige Dir
   Sehr lustige Dinge,
   Doch leg in meine Büchse hier
   Paar Silberlinge<.«

»Zu kaufen für zwei Sous!« Pierre Hardy erwarb das Lied. Er las es ohne
viel Aufmerksamkeit, als eine kleine Frau neben ihm, die mitgelesen
hatte, sagte: »Das ist nicht richtig, das Lied«. Er sah sie an und
bemerkte, daß das junge Weib schwarzes gescheiteltes Haar und ein
hübsches Gesicht hatte.

Er war davon gerührt: »Und wie ist es richtig?«

Sie antwortete: »Richtig lautet das Lied:

   Erinnerst du dich noch, Lison,
   Ein Sonntag war es . . .«

Ihm war's völlig gleichgültig, aber eine junge Frau mit gescheiteltem
Haar macht uns vieles interessant. Da hörte Pierre nicht mehr die
Sänger. Er sagte zu ihr: »Sie müssen schön singen, Fräulein.«

Sie antwortete: »Nicht jetzt, denn ich bin heiser.«

Es wurde zehn Uhr und die unglückselige Stimme der roten Geige schrie
noch, bis ihr zu schreien verwehrt wurde. Sie verließen die Schar der
Neugierigen, und da die junge Frau nicht schüchtern schien, bot er ihr
ein Glas Bier an. Er hatte große Angst, daß sie nicht annehmen würde.

So begegnete Pierre am Abend des fünfzehnten Juli Berthe. Er lächelte
über ihre Hübschheit und ihr gescheiteltes Haar.




II


Um halb eins, als Berthe Méténier in ihr Zimmer in der Rue Malebranche
zurückkehrte, lag ihr Liebhaber Maurice schon im Bett. Aus
Pflichtbewußtsein öffnete er halb ein Auge und erkannte sie. Sie
entkleidete sich. Die Kerze brannte auf dem Nachttisch, sie näherte sich
ihr, um einen kleinen Pickel zu sehen, der sie oberhalb des Knies
juckte. Dann steckte sie die Hand in den linken Strumpf, wo sie das Geld
aufzubewahren gewohnt war, zog die hundert Sous von Pierre heraus und
legte sie neben die Kerze. Diesmal öffnete Maurice beide Augen:

»Das ist alles, was du seit acht Uhr verdient hast?«

Sie erwiderte:

»Ach ja, geh doch selbst und schau, ob es leicht ist.«

Er drehte sich zur Wand, indem er die Achseln zuckte. Er dachte: »Zu
blöd, ein Weib zu haben, das seine Arbeit nicht versteht.«

Sie legte sich nieder, nachdem sie die Kerze ausgelöscht hatte. Maurice
war nicht ganz so unzufrieden, denn er hatte sich eine Kleinigkeit dazu
verdient. In der Weinstube hatte ihn sein Freund Paul mit einem jungen
Mann erwartet, der auf eine Kartenpartie einging und jeden von ihnen
dreißig Sous gewinnen ließ. Noch fehlten drei Tage bis zum Wochenende.
Berthe hatte Zeit, die sieben Francs für die Zimmermiete zu verdienen.
Sie konnten morgen also sechs Francs fünfzig ausgeben.

Er war nicht müde. Er drehte sich daher zu Berthe um und legte den Arm
um ihre Schulter. Sie küßte ihn mitten auf den Mund. Es ist zwischen
Mann und Frau gesund und gut, sich eine Viertelstunde vor dem Schlaf zu
vergnügen. Sie tat alles, die Wonne mit ihm auszukosten. Alles ging gut.
Sie wusch sich nie, wenn es mit ihrem Mann war.

Dann sagte sie:

»Du glaubst, es geht, wie man will. Heute abend wird mehr als eine keine
hundert Sous nach Hause bringen. Ich hab einen getroffen, der zuerst nur
drei Francs geben wollte, und dann war er mit fünf Francs einverstanden,
unter der Bedingung, daß ich eine Stunde bei ihm bin. Mir ist es lieber
so. Man schafft sich seine Kundschaft, und dann sind es bessere Leute.«

Maurice antwortete nicht. Sie fuhr fort:

»Oh! ja, ich weiß, du denkst an meine Schwester Blanche, weil sie
fünfzehn Francs verdient. Und nachher amüsiert sie sich mit kleinen
Jungens und arbeitet drei Tage nicht wieder.«

Maurice antwortete nichts.

»Ich könnte auch solche haben, die vierzig Sous zahlen. Die bieten sich
mir genug an. Und dann müßte ich die ganze Nacht herumlaufen wie
Blanche, um etwas zusammenzubringen. Ich komme dir jetzt schon zu spät
nach Hause.«

Sie hatte ein großes Bedürfnis nach Anerkennung. Die Schwache brauchte
einen Halt; die Sanfte brauchte gute Worte. Sie hätte lange geplaudert.
Er wußte, daß man sich in Geldsachen immer anspruchsvoll zeigen muß. Die
Frauen würden nicht mehr arbeiten, wenn die Männer sie anhören wollten.
Er antwortete:

»Laß mich in Ruh! Ich will schlafen.«

Maurice Bélu wurde geboren und lebte im Viertel Plaisance, wo seine
Mutter ein kleines Geschäft hatte. Bis zum Alter von sechzehn Jahren war
er in der Schule geblieben, weil es besser ist, etwas mehr Unterricht zu
genießen, und weil es nicht eilt, die Kinder in die Lehre zu schicken,
wo sie schlechte Gewohnheiten annehmen. Er empfing eine sorgfältige
Erziehung, verließ die Schule mit einfachem Abgangszeugnis und verkehrte
mit Jungen seines Alters, die ihm den Beinamen Bübü gaben. Er lernte
Kunsttischlerei bei einem Meister des Faubourg Saint-Antoine. Man nannte
ihn dort Maurice. Eines Tages, als er die Werkstatt verließ, rief einer
seiner früheren Schulkameraden, der ihn sah: »Halt, da ist Bübü!« Das
ging nun nicht verloren, weil nichts verloren geht. Maurice wurde wieder
Bübü.

Er war ein kleiner Kerl, dessen Rumpf kräftig auf strammen Beinen ruhte.
Er schlug sich auf die Brust mit den Worten: »Klein, aber feste!« Und
sein Kopf war knochig, und seine beiden eigensinnigen und etwas
duckmäuserischen Augen verbargen sich hinter Backenknochen. Er hatte vor
allem zwei gewölbte Kiefer, die ihre ganze Anatomie zeigten, wenn sie
die Nahrung zermalmten, wobei Knochen und Nerven und Muskeln krachten.
Das will nicht besagen, daß er riesigen Appetit hatte, sondern einfach,
daß er zuzubeißen verstand.

In der Zeit, da ihn die Mutter aus Furcht vor den schlechten
Gewohnheiten, die man in der Lehre annimmt, in die Schule geschickt
hatte, machte Bübü eine Reihe von Bekanntschaften. Die einen waren
Lehrlinge, die jeden Abend in allen Straßen herumstrichen und lachten.
Die andern waren etwas, dem man gern auf der Straße begegnet: die
kleinen Mädchen von vierzehn, fünfzehn und sechzehn Jahren. Es sind die
Töchter von nicht zu strengen Eltern, die die Jugend in Freiheit
erziehen. Sie wünschen sich vielerlei, und die sie erblicken, haben die
Kühnheit, ihnen noch mehr anzubieten. Du, Rue de Vanves, und auch ihr,
Festungsgräben, ihr habt an schönen mondlosen Abenden Bübü
vorüberstreifen sehen. Er lernte die Straße kennen, wie sie für die
Herumstreicher ist, mit ihren Schaufenstern, an denen man seine
Gewandtheit üben kann, und mit ihren Abenteuern. Er lernte etwas
Nützlicheres: er lernte mit Frauen umgehen.

Was eintreffen sollte, traf eines Tages ein, als Bübü, damals neunzehn
Jahre alt, die Bekanntschaft eines dicken Mädchens aus der Rue de la
Gaîté machte. Da sie nachts arbeitete, mußte Bübü über den Tag frei
verfügen, um sich seiner Liebe widmen zu können. Rasch entschlossen, wie
Bübü war, teilte er in der Werkstatt mit, daß er die Kunsttischlerei
aufgebe, um Möbelpacker zu werden. Er teilte das stolz mit, denn man
neckte ihn wegen seines schmächtigen Wuchses, und nun sollte allen
bewiesen werden, daß Bübü stark war wie ein Möbelpacker.

Er war mit seinem neuen Beruf, in dem der Tag gut bezahlt wird, man
freie Zeit in Überfluß hat und ein anstelliger Mensch sich einen
Nebenerwerb schaffen kann, zufrieden. Er kaufte zum Beispiel niemals
Schuhe. Seine Kenntnis der Frauen nahm im Verkehr mit der dicken
Hortense zu. Seine Mutter billigte nicht immer sein Tun, aber Bübü,
dessen Überzeugung stark war, fand feste Worte, die sie abmuckten, und
er zeigte ihr zwei- oder dreimal, daß er ein Mann der Tat war und
Widerspruch nicht liebte. Er verharrte auf seinem Weg, ließ Hortense im
Stich, dann erreichte er seine Volljährigkeit. Wegen eines Fußleidens
wurde er vom Militärdienst befreit.

So bereitete sich Maurice Bélu vor. In Wirklichkeit waren seine
Zukunftsideen unbestimmt, doch wußte er, daß man Geld und ein Weib
braucht. Diese zwei Mächte des gegenwärtigen Lebens bestimmen unser
zukünftiges Leben. Er ließ sich eine Summe von fünftausend Francs
auszahlen, die ihm vom väterlichen Erbe zukam. Mit dem Weibe versorgte
er sich selbst.

                   *       *       *       *       *

Der vierzehnte Juli kam. Hochglücklicher Tag, an dem die Weinstuben voll
Fahnen sind, an dem die sozialistisch-revolutionären Komitees ihre Siege
feiern. Am Abend sind die Tanzsäle mit Lampions umkränzt, die Trompeten
tönen kupfern und die Kaffeehaustische bedecken dank besonderer
behördlicher Erlaubnis die Straße. Das Volk läßt am Jahrestag der
Befreiung seine Töchter in Freiheit tanzen.

Berthe Méténier, kleine Blumenarbeiterin von siebzehn Jahren, schaute in
Begleitung Marthes, ihrer älteren Schwester, und Blanches, ihrer
jüngeren Schwester, dem Ball in der Rue de Vanves zu. Das schwarze Haar
rings um ihr Gesicht gab ihr ein blasses Aussehen, aber ihre Augen
lebten voll Sanftmut. Maurice forderte sie zum erstenmal zum Tanz auf,
dann tanzten sie ein zweites Mal und darauf ein drittes Mal.

Sie tanzten bewunderungswürdig alle beide, sie waren fast gleich groß,
er war sehr wohlerzogen, sie war sehr sanft. Er lud sie ein, etwas zu
sich zu nehmen, aber sie lehnte ab, weil sie mit ihren zwei Schwestern
da sei. Er ließ sich die ältere Schwester Marthe zeigen und trat auf sie
zu, indem er den Hut lüpfte:

»Verzeihung, Fräulein, aber da Sie Mutterpflichten erfüllen, will ich
eine Bitte an Sie richten. Wollen Sie mir erlauben, daß ich Ihrem
Fräulein Schwester ein Glas Limonade anbiete, und mir das Vergnügen
bereiten, auch etwas zu nehmen?«

Marthe wußte, daß man nicht Gefahr läuft, wenn man die Einladung eines
wohlerzogenen Mannes annimmt. Man setzte sich, man plauderte. Er war
Kunsttischler und konnte täglich sieben bis acht Francs verdienen.

Marthe war Wäscherin und arbeitete in einer Anstalt, wo Blanche in die
Lehre ging.

Wie sie ihm sagte, wollte man, daß Blanche für die andern waschen könne.
Sie hatten vier Brüder. Zwei sollten sich hier irgendwo herumtreiben.

Ihr Vater war Witwer. Er malte Neubauten aus, litt oft an Bleikoliken
und war nicht immer bequem. Man erzählte viele Einzelheiten. Die
ausgelassene Blanche war dabei glücklich und lachte, indem sie ihre
Himbeerlimonade trank.

Maurice verabredete ein Stelldichein mit Berthe für morgen. Sie kam,
konnte aber nicht lange bleiben, aus Angst vor dem Vater.

Sie spazierten plaudernd und küßten sich zweimal in einer dunklen
Straße.

Beim zweiten Stelldichein bot ihr Maurice einen Doubléring mit einem
rosa Brillanten an.

Beim dritten Stelldichein spazierten sie Arm in Arm, und sie willigte
ein, mit ihm in ein Café in der Avenue du Maine zu gehen. Maurice
beeilte sich nicht, denn er wünschte keine flüchtigen Liebschaften mehr.

Berthe war wie die jungen Vorstadtmädchen, die schon oft Gelegenheit
hatten, sich aber nicht hineinstürzten, weil sich ihnen morgen eine
bessere bieten würde. Sie kam zum vierten Stelldichein nicht. Maurice
paßte ihr am nächsten Tage auf und forderte von ihr eine Erklärung,
klipp und klar. Ihr Vater hatte sie verhindert, auszugehen. Er
antwortete:

»Fräulein, Sie haben es mir versprochen. Bei den Beziehungen, die
zwischen uns bestehen, haben Sie nicht das Recht gehabt, Ihr Versprechen
nicht zu halten. Mich würde keine menschliche Macht verhindern, zu Ihnen
zu gehen, wenn ich es zugesagt habe.«

Sie senkte den Kopf mit der hilflosen Miene der süßen armen Kinder, die
nichts zu sagen wissen, weil sie fürchten, Kummer zu bereiten.

Die kleine Lerche war schon gefangen.

Maurice schien ein beredter und beherzter junger Kavalier zu sein, wie
ihn junge Mädchen ersehnen, und seine aufrichtigen Erklärungen zeugten
für die Tiefe seiner Aufrichtigkeit. An manchen Dingen, die er
aussprach, und andern, die er nicht aussprach, merkte man, daß er
Geheimnis und Abenteuer barg. Auch das war verführerisch. Die sanfte und
sich hingebende Berthe gab sich, als Maurice sie bei der Hand faßte,
sanft hin. Sie gewöhnten sich daran, einander täglich zu sehen. Er ging
unter den Fenstern auf und ab, indem er auf besondre Weise pfiff:
fü-o-fi, fü-o-fi. Sie hörte es im tiefsten Herzen wie eine Stimme, die
sie schon lang zu hören erhofft hatte. Sie kam hinunter gelaufen.

Der Vater erfuhr schließlich alles:

»Ich kenne ihn. Ein sauberer Tischler! Den ganzen Tag bummelt er im
Viertel herum. Ich möchte gern wissen, wann er arbeitet. Mir scheint, es
steckt wenig Gutes in ihm.«

Er regte sich nicht weiter auf, denn als Vater von sieben Kindern hatte
er viel Unglück gehabt, und er hatte erfahren, daß das Leben stärker ist
als unser Wille.

Er wußte, daß die Pariser Mädchen zwischen all den Versuchungen
schwanken, und ihre Väter, ihre armen Väter, ihnen nichts bieten können,
sie davor zu bewahren. Er wußte, daß wir Pfuscher und Hunde sind, und
daß unser Teil nur das Unglück bleibt, in einer Welt, wo das Unglück
verflucht ist. Nach dem Unglück kommt noch ein Unglück, und man kann nur
knurrend den Kopf senken.

Er dachte:

Ȇbrigens ist es ihre Sache. Ich habe sie gewarnt. Wenn es ihre
Bestimmung ist, kann ich dagegen nichts tun.«

Die kleine Berthe verließ eines Abende das Vaterhaus, um mit Maurice
zusammenzuleben. Ihre Schwester Marthe war gerade in andern Umständen.
Die gassenbübische Blanche hatte ihrer Herrin hundert Sous gestohlen.

Maurice und Berthe lebten in einem Hotel in der Rue de l'Ouest. Ein
Zimmer für dreißig Francs, im dritten Stockwerk auf die Straße, mit
blauen Tapeten und zwei Lehnstühlen dünkte sie schön wie eine Wohnung,
in der man alle Bequemlichkeiten hat. Berthe blieb weiter in ihrem Beruf
als Kunstblumenarbeiterin tätig. Maurice griff seine fünftausend Francs
an. Sie brachte jede Woche fünfundzwanzig Francs und Maurice legte Geld
genug dazu, daß sie nichts zu entbehren brauchten. Jeden Abend tranken
sie ihren Kaffee in der Bar. Darauf gingen sie ins Cafékonzert oder auf
den Ball im Moulin de la Vierge oder ins Montparnassetheater. Die
Beziehungen und die Gedanken Berthes erweiterten sich. Sie lernte die
Freunde Maurices und ihre Frauen kennen. Die Freunde Maurices arbeiteten
nicht viel, denn ihre Frauen arbeiteten für sie, und außerdem kannten
sie die Welt hinlänglich, um Arbeit nicht nötig zu haben. Sie sah in
ihrem täglichen Leben die Zuhälter und die Spitzbuben und verstand, daß
sie nicht die Arbeit liebten, weil es sich mehr lohnt, das Vergnügen zu
lieben.

Sie blickten auf die vorüberziehenden Menschen und lachten darüber, die
Ellbogen auf dem Tisch zu haben, während sie die andern vorüberziehen
sahen. Berthe lernte die Geschichte ihrer Freundinnen kennen. Es gab
unverhoffte Glücksfälle für die Frauen, wenn sie an einem Abend zwanzig
oder fünfundzwanzig Francs verdienten. Am Morgen lachten sie erst recht,
zunächst über das Geld, und dann in Gedanken an jene, die für eine Frau
zwanzig oder fünfundzwanzig Francs bezahlen. Es gab unverhoffte
Glücksfälle für die Männer, wenn ihre Unternehmungen gelangen. Der lange
Jules brachte einmal von seiner Expedition einen Ballen schwarzer Seide
mit. Die Frauen aller Freunde erhielten ihren Anteil. Berthes Kleid kam
ihm schöner vor, weil sie es sich nicht auf dem gewöhnlichen Wege
verschafft hatte. Es geschah, daß er darüber auf der Straße lachen
mußte, wie zu einem guten Spaß. Der lange Jules mußte acht Monate in der
Santé absitzen, wegen Einbruchsdiebstahls. Er kannte die Welt und worauf
sie hinausläuft. Er wußte, daß am Ende der Welt sich das Gefängnis
befand, und rechnete damit. Er handelte fest nach seinem Willen. Er
verstand ein Schloß aufzubrechen und konnte glatt einen Menschen töten.
Die Frauen umgaben ihn mit Liebe wie Vögel, die Sonne und Kraft
besingen. Er war einer von jenen, die niemand bezwingen kann, denn ihr
Leben, außerordentlicher und schöner, schließt die Liebe zur Gefahr in
sich.

Berthe sah all dies, als sie vom Vater fortging, alles war von der Liebe
für Maurice überglänzt. Der erste Mann der jungen Mädchen von siebzehn
Jahren pflegt ihr Schicksal zu sein. Wenn sie den Omnibus bestieg, um
zur Arbeit zu fahren, schloß sie die Augen, weil sie ein wenig müde war,
und sah im Geiste Maurice mit seinen Freuden. Er sagte zu ihr: »Ich will
von der Tischlerei nichts wissen und nicht mehr Möbelpacker sein«, dann
empfand sie, daß er über alle Berufe erhaben war. Er sprach von seiner
Mutter, deren Gedanken über zwei Sous für Pfeffer und vier Sous für
Kaffee nicht hinausgingen; er sprach so, weil er selbst einen offenen
Kopf hatte. Er sagte zu Berthe: »Wie du bei deinem Vater warst und dich
angeödet und für deine Brüder geschuftet hast«, da war sie ihm dankbar
dafür, daß er sie befreit hatte.

Nach einem Monat schlug er sie, aber nicht aus Bösartigkeit. Das war so:
Maurice, der von entschlossenem Charakter war, teilte die menschlichen
Erfahrungen allzu genau ein. Wie Kaiser Karl der Große legte er die
Ideen, die ihm nicht gefielen, auf die eine Seite, und die Ideen, die
ihm gefielen, auf die andere. Er dachte: »Hier ist der Irrtum, aber dort
ist die Wahrheit.« Wie Kaiser Karl der Große hatte er kein Gefühl für
Abstufungen. Er verstand zum Beispiel niemals, daß man sich das Gesicht
wusch, ohne sich vorher die Hände zu waschen. Er sagte zu Berthe: »Du
greifst mit schmutzigen Händen in dein Gesicht, das ist eine komische
Art, sich zu waschen.«

Einmal bereitete sie ihm Eier auf der Pfanne zu. Sie tat Salz und
Pfeffer sofort hinein, nachdem sie die Eier zerbrochen hatte. Maurice
wußte, daß sie hineingehören, wenn die Eier schon gebacken sind. Sie
sagte mit scharfer Stimme: »Laß mich doch machen, wie ich's will.«
Maurice, der ein Mann der Tat war, glaubte an die Notwendigkeit
körperlicher Züchtigung. Er haute sie durch, in der Überzeugung, daß
Hiebe in ihr das Empfinden für Wahrheit festigen würden.

Er schlug sie ein andermal, weil sie ihn geärgert hatte, weil er in Zorn
oder weil sie hartnäckig war. Die arme Berthe empfing, sanft wie sie
war, diese Strafen unter Tränen. Sie bedauerte, ihren Vater verlassen zu
haben. Etwas später sah sie, daß alle Freunde Maurices ihre Frauen auch
schlugen, und verstand, daß es auf dieser Welt ein lenkendes Gesetz
gibt, das Gesetz des Stärkern. Sie fühlte, was der Ausdruck bedeutet:
»mein Mann«. Ein »Mann« ist eine Regierung, die uns schlägt, um uns zu
zeigen, daß sie der Herr ist, die uns aber im Augenblick der Gefahr zu
schützen wüßte.

Maurice glaubte, daß die Intelligenz der Energie entspricht und daß
infolgedessen seine Frau nicht intelligent sei, da sie sanft war. Er
sagte es niemand. Ganz im Gegenteil, vor den Freunden gefiel er sich
darin, Berthe zu manch einem etwas lebhaften Wort zu reizen, um den
Anschein zu erwecken, als sei sie schwer zu beherrschen. Man dachte: er
ist klein, aber fest. Er liebte sie dennoch sehr. Er liebte sie, weil
sie hübsch war. Abends, wenn sie von der Arbeit heimkam, hörte er sie
die Treppe hinaufsteigen. Er erkannte ihre eiligen Schrittchen und
glaubte zu sehen, wie sie sich ein bißchen hin- und herdrehte, um
schneller zu gehen. Er liebte die lächelnden und sanften Augen, die alle
seine Wünsche erfüllten. Und die roten, etwas weichen Lippen, die sich
fest an die seinen saugten. Und das lange schwarze Haar, und den
Scheitel und den Knoten über dem Nacken, der ihr ein Aussehen gab,
verschieden von dem anderer. Und ihre besondere Sinnlichkeit, wenn sie
ihren Körper gegen den seinen drängte, und wie sie sich schmiegte, damit
er sie durchdringen könne. Er liebte an ihr, was sie von all den Frauen
unterschied, die er gekannt hatte, weil sie süßer war, weil sie feiner
war und weil sie sein Weib war, das er als Jungfrau besessen hatte. Er
liebte sie, weil sie wohlerzogen war, weil sie ehrenhaft war und weil
man ihr das ansah, und aus all den Gründen, warum die Bürger ihre Frauen
lieben. Denn Maurice hatte bürgerliche Begriffe. Nicht ungestraft wird
man dreiundzwanzig Jahre, ohne mit dem Strafgesetz in Berührung zu
kommen.

                   *       *       *       *       *

Die Zeit verging. Zwei Jahre vergingen, und die fünftausend Francs
Maurices vergingen auch. Unser Geschick erfüllt sich nicht in einem Tag,
wenn unsre fünftausend Francs nach zwei Jahren gemeinsamen Lebens
erschöpft sind; es entscheidet sich bei jeder unsrer Gebärden und bei
jeder unsrer Zusammenkünfte. Seit langem wußte Berthe, daß die
Straßenmädchen ganz einfach das gleiche taten wie die andern Frauen.
Maurice hätte sie anders lieber gehabt. Trotzdem fügte er sich und litt
nicht viel. Er hatte Sinn für Besitz, aber in der Art der Besitzer, die
ihr Gut vermieten. Berthe sträubte sich nicht, als eines Abends Maurice
zu ihr sagte: »Mein Weibchen, wenn dir jemand auf dem Heimweg aus der
Werkstatt einen Antrag macht, geh mit, das wird uns immer etwas Geld
einbringen.«

Und dann ist der Dämon dabei, der anfangs ein lachendes Gesicht zeigt.
In der ersten Zeit verdiente Berthe zehn oder zwanzig Francs nur für
»einen Augenblick«, denn Maurice wollte nicht, daß sie nicht ausschlief.
Sie fanden ihren alten Geldüberfluß wieder, der Beruf war nicht hart für
sie, die immer gegen zehn Uhr zurückkehrte, und nicht mehr für ihn, der
nicht zu lang auf sie zu warten brauchte.

Etwas später gab sie die Werkstatt auf, da sie nicht mehr zehn Stunden
arbeiten wollte, um vier Francs zu verdienen. Sie ging jeden Abend gegen
acht Uhr aus und schritt über den Boulevard Sebastopol und die großen
Boulevards.

So wurde Berthe Méténier Straßenmädchen und Maurice wurde ein Individuum
ohne Beschäftigung. Er war intelligent, er lebte in Paris, wo die
Vergnügungen den Vorübergehenden anbrüllen; er hatte anfangs gearbeitet,
dann hatte er begriffen, daß die Arbeiter, die sich abrackern und
leiden, die Dummen sind. Er wurde Zuhälter, weil er in einer
Gesellschaft voll Reicher lebte, die stark sind und die Berufe
bestimmen. Sie wollen mit ihrem Gelde Frauen haben. Da muß es wohl
Zuhälter geben, die sie ihnen verschaffen.




III


Pierre Hardy fühlte sich am Tage nach der Begegnung mit Berthe ein wenig
beruhigt. Die kleine Frau, die er für fünf Francs eine ganze Stunde
gehabt hatte, war schmiegsam und gefällig wie die Frauen sein sollen,
die man nicht bezahlt. Seit langem hatte er, da er arm war, ein
Verhältnis zwischen der Freude und ihrem Preis hergestellt. Er wußte,
daß die Frauen begehrlich sind und daß sie im Handumdrehen den
Tagesverdienst eines Mannes verzehren. Als Sohn sparsamer Eltern taten
ihm, wenn er nicht immer Willensstärke genug hatte, um sich eines
Vergnügens zu berauben, wenigstens die Kosten leid. Aber wenn er an den
Körper Berthes dachte und an den elektrisierenden Druck ihrer Arme, als
sie ineinander aufgegangen, da war diese Erinnerung so gut wie etwas von
jener Wollust, die man mit zwanzig Jahren erhofft. Da wir in einer Welt
leben, wo die Freuden bezahlt werden, hielt Pierre diese Freude für fünf
Francs wert. Er gab ihr ein Stelldichein für die nächste Woche.
Achteinhalb Uhr abends an der Ecke des Pont Neuf und des Quai du Louvre.

Pierre war der Erste beim Stelldichein. Er sah sie bald kommen. Sie
hatte eine weiße Matrosenmütze auf dem Kopf, und ihr schwarzes Haar mit
dem dicken Knoten ließ ihr Antlitz wie etwas Weißes und unerwartet
Zartes hervortreten. Pierre empfand eine Art Stolz darüber. Er hätte mit
ihr Arm in Arm spazierengehen wollen, damit ihnen ein Freund begegnete.

»Meine liebe kleine Freundin, ich bin glücklich, daß du gekommen bist.«

Sie hatte das Lächeln eines armen Hürchens, jenes Lächeln, das sie für
diejenigen haben, die bezahlen. Sie antwortete:

»Wirklich?«

Der Abend war mild und bewegt. Längs der Seine war ein wenig Wind, der
wie Wasser floß und die Blätter zu haschen schien. Die Schatten, leicht
gewiegt über den Fußgängern, sprachen zu den Seelen und liehen ihnen das
leichte Wiegen. Man gewann alles lieb, weil es beruhigte. Die Seine, der
Himmel und die Wagen glänzten schlicht, und die Linie der Quais schien
mit ihren Bäumen eine Allee zu sein, in der man sich ergeht und allein
ist.

»Wir wollen einen kleinen Spaziergang machen.«

»Wenn du willst, ich habe keine Eile.«

Sie gingen über den Quai de la Megisserie. Pierre sagte:

»Ich habe dich mit deinen kleinen Schritten kommen sehen. Du bewegst
deine Beine unter dem Rock, drehst dich ein wenig hin und her, lächelst
und siehst sehr süß aus. Man fühlt, daß du einen guten Charakter hast.
Ich würde dich deshalb unter allen Frauen wiedererkennen, und es ist
doch zum zweitenmal, daß wir uns sehen. Aber mir ist, als würde ich dich
lang kennen.«

»Das ist nett, was du mir da sagst«, erwiderte sie. »Wir gehen auch
lieber mit Leuten, die wir schon gesehen haben.«

Sie schritten Arm in Arm, redeten einander in die Augen blickend, und
Pierre dachte sich daß sie wie zwei Liebende aussahen. Dieses zarte und
schmiegsame Frauchen glich den Frauen, denen man auf der Straße mit
Männern begegnet, die ihre Taille umfangen. Wenn der Abend sinkt und sie
gehen draußen, überkommt ein großes Verlangen die Welt. Herr, sende uns
solche kleine Frauen wie Berthe, daß wir sie küssen und daß ihre zwanzig
Jahre in unsern Küssen sich lösen. Pierre dachte nicht mehr daran, daß
dies Vergnügen ihn fünf Francs kosten sollte.

Kurz hinter dem Rathaus vereinigen sich die beiden Arme der Seine, die
die Insel Saint-Louis umgeben, und bilden einen breiten Strom. Diese
Wasserfläche floß dahin, glitt über die Reflexe der Lichter und setzte
ihren Weg mit dem einschläfernden Gang des Wassers fort. Aber dunstig
und grün wiegte die Luft sich darüber bis zum melancholischen Ende des
Quai Bourbon. Die Welt war ruhig und flimmernd wie die Luft und wie das
Wasser. Die Schiffe, bis auf den Grund der Seele erleuchtet, zerrissen
das Kleid des Flusses mit einer sichern großen Gebärde. Schöne Liebende,
durchdrungen von den Schönheiten der Welt! Auch Pierre fühlte sich bis
auf den Grund seiner selbst erleuchtet.

»Wie schön die Seine ist, o meine kleine Freundin!«

Er sagte noch:

»Sieh den Himmel. Da sind zwei-, dreihundert rote Wölkchen. Ich möchte
dir am liebsten ein Kompliment machen. In meinem Herzen sind zwei-,
dreihundert Gefühle, die für dich brennen.«

Sie lächelte und fragte:

»Was bedeutet das, wenn der Himmel rot ist wie heute abend?«

Er antwortete:

»In meiner Heimat behauptet man, daß das Krieg bedeutet. Aber ich denke,
daß wir beide uns nicht schlagen werden.«

Sie schritten langsam über den Rathausquai und einer fühlte den andern
neben sich. Die Tramways fuhren vorüber mit ihrem: Uan! Uan! wie wilde
Tiere. Aber Pierre vernahm nicht ihren Lärm, denn Berthe erzeugte in ihm
ein ganz andres Tosen. Die Häuser gegenüber erschienen fern, und die
Fußgänger auf dem andern Bürgersteig störten nicht. Er schritt neben ihr
mit übervoller Seele. Er sagte:

»Das erinnert mich an mein Städtchen.«

Es war nicht wahr, aber neben ihm schritt eine Frau und er wollte sie in
seine Neigungen und sein Leben einweihen. Er wollte sie mit seinem
Herzen vertraut machen, damit sie dachte: Das ist ein junger Mann mit
schönem Herzen, der aus einer Gegend schattiger Bäume und der Liebe
kommt. Er wollte sie mit all seinen Vertraulichkeiten anziehen.

»Das erinnert mich an mein Städtchen. Dort ist das Haus meiner Eltern,
umgeben von einem großen Garten. In Paris kennt man keine Gärten. Am
Abend wird das Leben dort angenehm. Man trinkt Milch, man ißt Hühner vom
eignen Hof. Da ist ein kleiner Bach und ein großer Wald. Die Bäume des
Waldes sind kühl. Ich habe einen Freund, der sagt: Sie sind grün wie die
Jugend und so kühl, daß man denken möchte, sie machen den Wind. Meine
kleine Berthe, ich würde dich auf den Wegen küssen. Wir würden uns ins
Moos setzen und, ohne daß uns jemand stört, alle deine Spiele spielen.«

Sie sagte:

»Ich kenne das Land nicht weiter als bis Clamart. Der Arzt wollte, daß
ich auf drei Monate wegen der guten Luft hinausgehe. Die Ärzte bilden
sich ein, man kann alle ihre Vorschriften befolgen.«

Er sagte noch:

»Wir spazieren beide auf diesen ruhevollen Quais. Es ist sehr gemütlich,
wenn ich bei dir bin, denn du läßt dich führen und legst dir keinen
Zwang auf. Du bist nicht wie manche, die Eile haben und nicht einmal
plaudern wollen. Es ist tierisch mit ihnen. Man merkt zu deutlich, daß
sie arbeiten und daß sie an der Arbeit kein Vergnügen haben.«

Und er wiederholte:

»Es ist sehr gemütlich, wenn ich bei dir bin. Du redest nicht viel heute
abend, aber ich rede, denn ich bin zufrieden. Du wirst sehen, daß ich
ein guter Kerl bin und daß ich den kleinen Frauen alles Gute machen
kann, was möglich ist. Ich küsse sie so, daß sie lachen, und ich könnte
sie mein Leben lang lieben, damit sie glücklich werden. Aber du, du hast
mir sofort gefallen. Du hast die Gestalt meiner Schwester. Wir gehen
beide spazieren und ich erzähle ihr meine Geschichten. Ich möchte sie
auch dir erzählen, weil du lieb bist und Vertrauen erweckst. Ich möchte
dir alles sagen, was ich weiß. Ich bin ganz allein in Paris, aber ich
bin im Grunde nicht unglücklich. Ich arbeite und schreibe nach Hause und
man antwortet mir. Mama antwortet mir. Sie kann nicht sehr gut
schreiben, aber wenn sie sagt: >Ich liebe dich sehr, sehr, mein Pierre<,
so fühle ich, daß die Worte ganze Sätze aufwiegen.«

»Ich«, sagte Berthe, »habe meine Mutter mit sechzehn Jahren verloren.
Sie starb, als ich im Krankenhaus war. Man wollte nicht, daß ich sie
sehe. Ich hatte die Bleichsucht, und das hat mich nicht gesund gemacht.
Ich sagte mir: Jetzt, wo meine Mutter tot ist, werde ich's schlimm
haben. Ich weinte trotzdem nicht, denn ich war zu krank, aber ich spürte
ihren Tod in allen Gliedern. Sie liebte uns sehr. Manchmal, am
Sonnabend, sagte sie: >Gehen wir, Kinder, ich zahle einen Kaffee.< Wir
gingen in die Bar mit meiner Schwester Marthe und meiner Schwester
Blanche. Die Kinder spielten vor der Tür. Ich hatte das sehr gern, weil
viele Leute da waren.«

Dann sagte sie:

»Wenn du willst, gehen wir jetzt zurück. Ich muß dich gegen zehn Uhr
verlassen, sonst könnte ich gar nicht lang genug bleiben.«

Sie kehrten um. Pierre henkelte sich aus, um ihre Taille zu umfangen,
und schloß sie im Gehen an sich. Er näherte sie seinem Körper, weil er
sie seinem Herzen genähert hatte. Er berührte dabei alles, was man
berühren kann: die schwebenden Hüften, die biegsame Taille, die sich
schmiegt und wiegt, die süßen und schon reifen Brüste der Straßenmädchen
von zwanzig Jahren. Er berührte alles, was man berühren kann, aber er
hätte noch mehr berühren wollen. Er hätte gewollt, daß sie ganz nackt
wäre, und sie spüren, und sie ganz abküssen, und sie schmecken. Alle
Ströme seines Blutes rollten in schweren roten Wellen und trieben seine
Sinne auf wie schwellende Früchte. Soeben hatte er daran gedacht, ihr
von Louis Buisson zu erzählen, von seiner Mutter und von seinen
Schwestern, um seine Seele völlig in die ihre zu schütten. Nun gab es
nichts auf der Welt außer ihr. Antlitz an Antlitz, küßte er sie auf die
Lippen, und sein Körper brach schon aus.

Aber Berthe sprach nicht. Sie sprach nicht und konnte nicht von ihrem
Leben und ihren Wünschen sprechen. Sie hörte Pierre zu. Die sanfte
kleine Prostituierte und Anfängerin dachte noch sanft: »Dieser junge
Mann hat ein gutes Herz und redet wie ein Verliebter.« Es war nicht
möglich, sein Herz über die fünf Francs hinaus auszubeuten, denn er
verfügte nicht über mehr. Was die Liebe betrifft, so war sie ihr allzu
verbraucht. Sie wußte, woraus die Liebe sich zusammensetzt, seitdem sie
die Männchen sich nachlaufen ließ, die alle Schwächen ausnützen und alle
Bedürfnisse befriedigen. Sie wußte, daß man die Liebe in Münzen
umwandeln muß, denn die Liebe ist ermüdend, das Geld aber verleiht neue
Kraft. All dies wußte Berthe mit zwanzig Jahren. Wer wovon zu leben hat,
sucht die Liebe, weil sie glücklich macht, doch die Straßenmädchen
dämpfen die Liebe ihrer Kunden, weil sie Schmerz bereitet. Und Pierre,
dieser glühende große Junge, war für Berthe ein Mann mehr, den sie zu
erdulden hatte.

Sie dachte an ihren Liebhaber Maurice, an ihr Kleid, an ihre Schuhe.
Gestern abend hätte sie ihr Zimmer bezahlen müssen. Die Hotelbesitzer
trauen nicht den Mädchen, die von Liebe leben. Sie hätte bezahlen
müssen. Aber sie konnte nicht sieben Francs hergeben, da sie nur fünf
hatte. Er bewilligte ihr einen Tag Gnadenfrist für die restlichen
vierzig Sous, aber es war selbstverständlich, daß sie im Falle der
Nichtzahlung in ihr Zimmer nicht zurückkehren würde. Daher aßen sie zu
Mittag einige Überreste von gestern, aber abends aß sie nichts. Maurice
sagte: »Du bist ein Dummkopf, der sein Geschäft nicht versteht.« Sie
hatte keinen Hunger, denn in den vielköpfigen Familien werden die Magen
der Kinder elastisch und können sich zusammenziehen, ohne zu weh zu tun.
Sie hätte dennoch gern Fleisch und kräftige Speisen gegessen, um sich
von der Erschöpfung durch die Liebe und die schlaflosen Nächte zu
erholen. Da bewirtete sie Pierre mit Reden! Sie beklagte sich nicht
darüber, denn manche Kunden sind grob. Gewiß, sie hätte ihm die Sache
gestehen können, aber sie fürchtete, daß er den Preis der Mahlzeit von
den fünf Francs abziehen würde. Sie begnügte sich mit dem Gedanken: »Ich
habe heute abend nichts gegessen, und das ist sehr langweilig.«

Und dann hatte sie ein Kleid an, dessen Rock schlampig war und dessen
Leibchen verschossen. Man findet im Carreau du Temple Wunder, die
zwanzig Francs kosten. Ihre Schwester Blanche hatte ein Seidenkleid
gekauft; übrigens stand es ihr schlecht.

Ihre Matrosenmütze war schmutzig und aus der Form gekommen, und nun gar
ihre Stiefel! In diesem Beruf, in dem man geht, werden die Absätze
schiefgetreten, die Sohlen durchlöchert, das Oberleder platzt . . . Aber
man braucht schöne Stiefel! denn die Eleganz des Stiefels hebt die
Fußform hervor, wenn man den Rock rafft, um den Mann anzuziehen. Und es
ist gewiß, daß Berthes Stiefel ihr in weniger als zwei Tagen vom Fuße
fallen werden. Glücklicherweise ist das Wetter schön. Sie berechnete, ob
ihr, nachdem sie morgen und übermorgen gegessen haben wird, etwas übrig
bleibt, damit sie sich Stiefel kauft.

Sie wird einen Händler in der Rue des Prêtres-Saint-Germain-d'Auxerrois
aufsuchen, bei dem man Gelegenheitskäufe für drei Francs findet.

Berthe dachte an all diese Dinge ihres Prostituiertenlebens. Sie dachte,
daß sie heute abend nach Pierre noch mit einem andern gehen müsse und
daß sie morgen noch mit zwei Männern gehen werde. Übermorgen müsse sie
für ihr Kleid arbeiten, darauf für ihren Hut, und dann würden die
Stiefel verbraucht sein.

Den Tagen der Ermüdung folgen die Tage der Vernichtung durch all die
Zeit, die wir durchschreiten. Der Boulevard Sebastopol und die großen
Boulevards mit ihren Linien von Bürgersteigen sind hart wie Stein, wenn
man sie lang begangen hat. Nirgends begegnet man ein wenig
Barmherzigkeit. Der junge Mann von heute abend wird Berthe wenigstens
zweimal benützen. Die andern werden sie für ihr Geld wollen. Die Männer
mißbrauchen unsern Körper und schinden ihn dafür, daß sie uns Brot
geben. Und diese Gedanken kreisten in ihrem Kopfe wie eine Welt von
schwarzen Tierchen, die summen, stechen und den Kindern wehtun.

Sie kamen vor Pierres Tür an. Hinter der Schwelle nahm er sie in seine
Arme und sagte:

»Ich liebe dich, o meine kleine Berthe!«

Dann fuhr er ihr in das Leibchen.




IV


In das Hotelzimmer in der Rue Chanoinesses, mit dem Fenster auf den Hof,
mit den grauen Vorhängen und den schmutzigen Würfeln, blickte mittags
ein schmutziger und grauer Tag. Das Papier auf den gelblichen Wänden,
der vernachlässigte Fußboden, die vier Möbel und der Koffer bildeten das
Heim eines Straßenmädchens, zu fünf Francs in der Woche. Der Tisch aus
weißem Holz, von Feuchtigkeit durchdrungen, die beiden aufgeschlitzten
Lehnstühle, der zweite Tisch mit dem Waschbecken schienen nicht alte
Sachen zu sein, sondern traurige und verschimmelte Sachen, die das Leben
zerfressen hat; und es war ein zerworfenes Bett da, auf dessen
verbrauchten Tüchern brauner Schweiß zwei Körper abzeichnete, dieses
Bett der Hotelzimmer, wo die Körper schmutzig sind und die Sachen auch.

Berthe stand eben im Hemd auf. Mit schmalen Schultern, das Hemd grau und
die Füße unsauber, mager und gelb, sah auch sie lichtlos aus. Mit
geschwollenen Augen und zerzaustem Haar war sie inmitten der Unordnung
des Zimmers selbst in Unordnung, und die Gedanken hockten
zusammengekauert in ihrem Kopfe. Das Erwachen um Mittag ist schwer und
pechtrüb wie das Leben des vergangenen Tags mit seiner Liebe, Alkohol
und Schlaf. Man hat ein Gefühl von Verfall im Vergleich zu dem Erwachen
von einst, als die Gedanken so klar waren, daß man gesagt hätte, der
Schlummer habe sie rein gebadet. Wenn du ausgeschlafen sein wirst, mein
Bruder, wirst du nichts vergessen. Sie verspürte noch die beengende
Last, die sie seit gestern am Atmen hinderte. Sie erinnerte sich an
alles, und das kniete auf ihre Brust wie ein wütendes Ungeheuer.
Wahrhaftig, ihre eingesunkenen Schläfen, ihre entfärbten Wangen und ihre
schlaffen Lippen ließen mitfühlen, daß sie wenig Gedanken und wenig Mut
hatte, und man fühlte noch, daß das Leben schlecht ist, weil es mit
schweren Schlägen auf die Kinder niederfährt, die Übles tun, ohne dessen
Umfang zu ermessen.

»Du weißt, Maurice, es wird das sein, was ich gemeint habe. Ich habe
gestern mit meiner Schwester Blanche darüber gesprochen. Sie hat mir
alles erklärt, wie sie's bekommen hat, und es ist dasselbe.«

Er antwortete kein Wort.

Sie stieg von Tag zu Tag bis zum Ursprung des Leidens hinab, aus
Bedürfnis, den Urheber zu erforschen. Man müsse vierzig Tage warten,
hatte man ihr gesagt. Sie ging daher Mann für Mann durch, bedachte der
Reihe nach die Umstände, und Waschbecken für Waschbecken. Der ganze
Vorbeimarsch der Liebe mit ihren Worten und Gebärden zog durch die
Hotelzimmer, aber sie hätte, in der Vergangenheit sich versenkend, mit
beiden Händen einen Mann fassen wollen, ihn erkennen und den Tag
austilgen, an dem sie ihn kennengelernt hatte. Sie glaubte ihn gefunden
zu haben, dann sagte sie sich, daß es jetzt vergeblich sei und daß alles
vergeblich sei! Da ergab sie sich und ließ sich von ihren traurigen
Gefühlen treiben.

Maurice unterbrach die Stille.

»Ich möchte den kennen, der dir das hinterlassen hat, und ich würde ihm
den Schädel einschlagen.«

Rasch kleidete sie sich an, dann ging sie einen Liter Wein und
Aufschnitt einholen. Sie aßen, sich gegenüber sitzend, an dem feuchten
Tisch. Die schmutzige Flasche der Mieter, die das klebrige Wasser der
Hotels trinken. Maurice kaute, den Kopf gesenkt, mit Kraft große Bissen,
die seine Backen hervorwölbten.

Er nahm zugleich mit seiner Mütze ein Hundert-Sous-Stück vom Nachttisch
und ging fort.

                   *       *       *       *       *

Der Augustnachmittag breitete sich auf dem blauen Himmel aus und fiel
auf die Schultern wie ein schwerer Mantel. Maurice folgte dem Quai aux
Fleurs, wo die Blumen dürsteten und die Händler friedlich schwitzten,
indem sie die Vorübergehenden betrachteten. Die Wärme drückte auf seinen
Kopf und belud ihn mit einer ungestalten Last von Gedanken, die er nicht
formen konnte, die er aber alle durcheinander jagen fühlte. Zum
erstenmal in seinem Leben lernte er die Unentschlossenheit kennen. Er,
der gewöhnlich ohne Bedenken aufs Ziel losging, schritt den wenig
bevölkerten Quais entlang ziellos hin und hörte seine Schritte klingen.
Er schlug den Weg über den Quai de l'Horloge ein, schritt längs der
Mauer des Justizpalastes, die nach Gefängnis riecht, überquerte die
Place Dauphine, den Pont Neuf und folgte der Linie der Quais zwischen
den Bäumen und den Büchern, mit großen schweren Schritten, als wollte er
seine Gedanken niedertreten. Er beachtete nichts, nicht einmal die
Erdarbeiter und die Maurer am Orleans-Bahnhof, nicht einmal die
fliegenden Fährboote und die Schlepper. Er schritt energisch hin im
Gewoge der Gedanken, die so in seine Gliedmaßen übergingen wie bei
Menschen der Tat, bei denen Gedanken zu Gebärden werden. Er machte Kehrt
an der Concorde-Brücke, ging wieder über die Linie der Quais, dann trat
er in die Rue Bonaparte, um seine Schritte nach Plaisance zu lenken.

Das große Wort entschlüpfte ihm, als er mit großen Schritten dahinging,
und schlug ein wie der Donner, während er marschierte, und rollte dann,
ihm den Marsch trommelnd wie ein schwarzer Tambour. Die Seuche, Berthe
und die Seuche! Er fühlte sie an seiner Seite wie einen roten und
blutenden Gefährten, wie einen unglaublichen und grausamen Gast. Er
wandte sich in die Rue Bonaparte, wie man sich ins Wasser wirft, wenn
einen die Flammen verzehren, und stieg nach Plaisance hinauf. Die
Seuche, Berthe und die Seuche! Er kannte seine Feinde und blickte ihnen
ins Gesicht wie ein Mann, der keine Furcht hat. Er verstand sich zu
schlagen, und er ging durchs Leben ohne Bedauern und ohne Schande, und
er nahm den Zufall so an, wie man ihn auf den Straßen von Paris mit
Diebstahl, Verbrechen und Gefängnis trifft. Aber die Seuche, Berthe und
die Seuche! Er hätte sie nehmen und sie rütteln wollen, Auge in Auge,
bis in den Tod und bis zum Sieg.

Er dachte an Dramen, an »Roberts Schmach«, an Gebrüll und Niederlagen.
Er erinnerte sich des wissenschaftlichen Namens »Syphilis«. Die
unerbittliche und schneidende Wissenschaft, die die Krankheiten benennt
und kennt, flößte ihm Angst ein, weil sie uns in Spitäler treibt, weil
sie uns erblickt und durchschaut, weil sie ihre Worte und ihre
Instrumente in unser Leben senkt, als wären wir nichts als Leib,
Krankheit und Tod.

Aber dies Wort, die »Seuche«, war noch schrecklicher. Gewiß, Maurice
hatte keine Furcht vor Worten. Die Worte sind Ausgeburten kranker
Phantasie, über die das Leben erhaben ist, das man leben muß, ohne an
Worte zu denken. Er war ein »Zuhälter«, ein »Subjekt ohne
Beschäftigung«, und darüber mußte er oft lachen. Über »das öffentliche
Mädchen Berthe Méténier« auch. Was hatten Worte für einen Wert, wenn man
nur nach Belieben lebte! Aber die Seuche! Er erinnerte sich an eine
Geschichte seiner Kindheit. Er war vierzehn Jahre, als einer der
Nachbarn zweiundzwanzigjährig starb. Die Nachbarinnen sagten: »Er ist
als ein wahrer Düngerhaufen gestorben. Man sagt, daß er durch und durch
verfault war.« Durch und durch verfault sein . . . Ihm kamen andre
Kindheitserinnerungen und Gedanken an Reinheit. Niemals war er krank
gewesen. Seine Mutter, die aus der Provinz stammte, hatte gesagt: »Das
sind Krankheiten, die man in unsern Familien nie gesehen hat.« Durch und
durch verfault sein . . . Er stellte sich rote und feuchte Wunden vor,
Verbände und Watte, und sah sich in einem Spitalsbett ausgestreckt mit
einem grünlichen und durch und durch verfaulten Leib. Zur Zeit, da er
Kunsttischler war, sagte einer seiner Kameraden: »Wenn mich einmal die
Syphilis erwischt, jage ich mir eine Kugel in den Kopf!«

In Plaisance ging er schnurstracks zu seiner Mutter. Sie lebte in einem
Krämerladen ein bescheidenes und bedrängtes Leben. Sie verkaufte nur
Kleinigkeiten zu zwei Sous, da die »Verpflegungsmagazine« alles Geld der
Viertel verschlingen. Sie stand hinterm Ladentisch, bediente und
plauderte mit dem zutraulichen geschwätzigen Gehaben der Kleinhändlerin.

Eine Nachbarin, die da war, sagte: »Da kommt ja Ihr Sohn.«

Er hatte jene betonte Höflichkeit, die in den Leuten eine bessere
Meinung erweckt und bewirkt, daß unsre Eltern uns niemals verleugnen. Er
ging in den Hinterraum. Er stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch
und sah die Gegenstände des Zimmers nach den Klängen einer Musik tanzen,
die seinen verstörten Kopf erfüllte. Gewöhnlich sah er sie an, wie man
ein kärgliches Leben ansieht, dachte an seine Freiheitsideen und kostete
ein Gefühl von Überlegenheit aus. Aber diesmal sah er, Maurice, der kein
Bedauern kannte, wie friedlich der Raum hinterm Laden und wie gut der
Frieden war, obgleich sein gänzlich aufgeregter Kopf tanzte und wie ein
Wrack endlos von Strudel zu Strudel wirbelte und tanzte.

Er schüttelte den Alpdruck ab:

»Gib mir ein Glas Wein.«

Sie fürchtete übrigens, daß er gekommen wäre, um ihr Geld abzuverlangen.
Sie sagte:

»Du siehst traurig aus.«

Er trank und antwortete:

»Ja, es geht mir dreckig heute abend.«

Dann erhob er sich und ging.

Er flüchtete sich und schritt mitten durch die schwarzen und volkreichen
Häuser, vorbei an den Läden und den Schenken seiner Jugend, während die
Wagen auf dem Pflaster schmetterten; er sah die Passanten der Vorstadt
dahingehen, angefangen bei den Arbeiterfrauen, die auf der Straße
keiften, bis zu den Kameraden in blauem Kittel, die ein Straßenmädchen,
ihr Weib, lachend begleitet. Das Leben erwachte und lebte in einer Art
Fieber, angefangen bei dem Geschrei und Rennen der einen bis zum Alkohol
und der Liebe der andern. Die Luft roch wie am Eingang eines
Gewürzladens _en gros_ oder am Eingang einer Weinhandlung. Da, im
Viertel Plaisance, dachte er an seinen Freund, den langen Jules, und
fühlte wieder die Hoffnung wachsen. Man geht eines Nachmittags im August
durch die Rue de Vanves, man erinnert sich, daß der lange Jules die
Syphilis gehabt hat, es fällt einem ein, daß Charlot, Paul und andre sie
noch haben, und man denkt, daß diesen allen die Syphilis nichts angetan
hat. Dann sagt man sich: »Aber nichts spricht dafür, daß ich selbst die
Krankheit habe.« Und man versucht, sich zu beweisen, daß man sie nicht
haben kann, weil Berthe die ersten Anzeichen bemerkt und man sich sofort
enthalten hat.

So kam er in der Avenue du Maine an, in bekannter Gegend. Es gibt hier
Bars, wo die Freunde sich aufhalten. Schon wollte Maurice sie aufsuchen,
als er auf einer Terrasse den langen Jules bemerkte.

»Ich dachte an dich. Da bist du.«

Der lange Jules trank einen Mokka auf der Barterrasse, ganz allein, und
blickte auf die Straße. Die Mütze im Nacken auf seinem festen und
geraden Kopf, blickte er auf die Dinge und die Passanten, und seine
Gedanken, sicher und ruhig wie er selbst, nahmen jeder seinen richtigen
Platz ein, sicher und ruhig, und hoben ihm den Kopf. Maurice setzte sich
neben ihn. Der lange Jules hatte ihn gern, obwohl er klein war, seines
Willens wegen, der seine Muskeln und seine Kinnbacken straffte. Die
Fußgänger zogen an ihnen vorüber, während sie sie betrachteten. Das
erinnerte an den Schöpfungstag, als Adam, der König der Welt, am Fuße
einer Eiche sitzend, die Tiere an sich vorüberziehen sah, sie prüfte und
sie benannte.

Schließlich hielt sich Maurice nicht länger zurück.

»Du hast Syphilis gehabt. Ist es wahr, daß sie einen umschmeißt?«

»Du hast Syphilis?«

»Nein, aber sie ist mir auf den Fersen.«

»Ha, ha, ha! . . .« machte der lange Jules. »Auf den Fersen ist sie
nicht. Bah! Die Syphilis tut nicht weh. Ich hatte sie vor zwei Jahren.
Sie haben mich Pillen einnehmen lassen, als ich in der Santé war. Ich
hatte nie etwas gehabt. Erst Francine, du kennst sie, hat sie mir
eingewirtschaftet. Ich hätte es vermeiden können, man hatte mich voraus
gewarnt, aber man läßt eine Frau nicht, weil sie krank ist.«

Er erklärte darauf, daß man Flecke auf der Haut und Belag im Munde hat
und daß das ganz von selbst vergeht. Auf seinem Stuhl sitzend, erklärte
er die Krankheit mit gleichmütigen Worten, dann, nachdem er gesprochen
hatte, dachte er an etwas andres. Weder das Gefängnis noch die Krankheit
hatte ihm je Pein bereitet, weil sein Wille stärker war, als alle Übel.
Er wanderte geraden Schrittes mitten durch die Gefahren und kämpfte ohne
Zorn und ohne Fieber, so bald er sich zum Kampf entschlossen hatte. Ich
sagte, daß er stärker war, als die Syphilis.

Er war übrigens erstaunt, daß Maurice sie noch nicht hatte: »Wir haben
sie alle«, wiederholte er. Maurice bestellte zwei Glas Mokka und leerte
das seine auf einen Zug. Wenn er die Krankheit nicht hatte, war es hohe
Zeit, Berthe zu verlassen. Er konnte sie nicht haben, da sie erst vom
ersten Anzeichen gesprochen hatte. Die Frauen wechseln, sie folgen
einander und sind so zahlreich, daß ein geschickter Mann nicht zu
fürchten braucht, keine zu haben. Diese heimlichen Gedanken schlichen
sich in sein Gehirn ein und schienen es zu umstricken. Aber die
Gedanken, die ihm der lange Jules mit sicherer Geste vorgeführt hatte,
lebten vor seinen Augen und er sah sie, wie sie, Seite an Seite,
aufrecht marschierten. Er leerte sein Glas auf einen Zug.

Jeder zahlte seine Runde, sie erhoben sich. Es war vier Uhr. Sie gingen
die Avenue du Maine hinab, die Hände auf dem Rücken, langsamen
Schrittes, mit dem kecken Blick der Mädchenhirten. Auf beiden Seiten der
breiten Straße schienen die Häuser niedrig, die Auslagen dürftig und die
Fußgänger spärlich zu sein. Um so mehr schienen Jules und Maurice zu
wachsen. Mit dem langsamen Schritt des Besitzers, dem kecken Blick des
Herrn, fühlten sie sich in ihrem Viertel, das sie kannten, wie man einen
Teil seiner selbst kennt, und über das sie Rechte besaßen. Maurice fand
ein wenig Selbstbewußtsein wieder: Ich bin Maurice, den man auch Bübü
von Montparnasse nennt. In diesem Viertel, wo er seine ersten Schritte
getan hatte, fühlte er sich angeregt und frei wie am ersten Tag,
betrachtete die Dinge und dachte, daß er sie schon früher gekannt, daß
er sie aber heute noch besser kannte, weil er mehr Erfahrung hatte.

Das Selbstbewußtsein! Wer sich selbst prüft und sich alles mögliche
Unglück einbildet, findet die alten Kräfte wieder, die ihn belebten, und
fühlt, daß sie ewig sind und das Unglück niederzwingen werden. Sie
begegneten der Dirne Cecile, die ohne Hut, in der Schürze, ebenso wie
sie selbst, gern in den Straßen des Viertels herumstrich. Sie war braun,
ein wenig dick, mit scharfen Zügen und ließ an Messerstiche denken. Sie
sagte:

»Ich habe Machin versetzt. Er will mir den Hals umdrehen. Ich habe ihm
gesagt: Oh! la, la, mein Kleiner! Du hast noch keinem Spatzen eine Feder
gebrochen.«

Der lange Jules lächelte, denn sie war eine seiner Frauen. Er wollte
keine behalten, hatte sich aber im Bereich seiner Tätigkeit gewisse
Rechte auf ihre Liebe gewahrt. Er nahm jeden Abend auf dem Heimweg eine
mit und schlief mit ihr ohne Umschweife.

Maurice lächelte, denn er war denen weit überlegen, die man versetzt.

Da kehrte ihm das ganze Selbstbewußtsein wieder: Ich bin Maurice, den
man auch Bübü von Montparnasse nennt. Er richtete sich auf, wölbte die
Brust, klappte die Hacken zusammen und fühlte vom Kopf bis zu den Zehen,
daß er Bübü von Montparnasse war.

Der lange Jules neben ihm ging seines Weges, still und seines Ruhmes
sicher wie eine vorwärtsmarschierende Armee. Maurice wußte nun, daß die
Syphilis zum männlichen Leben gehört. Schon lange wußte er's, aber es
gibt Kenntnisse, die nicht tief in unser Herz gegraben sind. Wie alle
Menschen gelangte Maurice zu vollem Wissen erst nach vielem Leiden.
Durch und durch verfault sein . . . Diese Worte belustigten ihn jetzt,
wenn er an Jules dachte und an alle, die nicht durch und durch verfault
waren. Die Syphilis und die Wissenschaft widersetzen sich unserm Willen
wie Ärzte, die man an der Straßenecke angreifen und berauben kann. Und
der Kramladen seiner Mutter war ein elendes Gewerbe, bei dem man sich
bückte und in Stücke riß, um einen Sou zu erraffen. Das nennt man Pech
haben. Das Pech der Syphilis ist ähnlich wie das Gefängnis, das man
vermeiden kann oder aus dem man unversöhnlich und gestärkt herauskommt.

Und in seiner neuen Freude bekam er Lust, zu trinken. Trinken ist
Freude, und wenn man schon ohnedies voll Freude ist, macht trinken
glückselig und berauscht uns. Sie ließen sich gegenüber dem Bahnhof
Montparnasse nieder. Zwei Absinth. Rüttelnde große Wagen, Fiaker mit
tanzenden Scheiben, Omnibusse und Tramways mit ihrem Gepolter und ihrem
Trompeten, Lokomotivpfiffe, schwitzende Passanten, die drückende Sonne
von fünf Uhr, der Staub eines Augustnachmittags, das Ankommen und
Abreisen, und dies Gehen von tausenden Menschen schufen ein höllisches
Leben zusammen mit den Dampfkranen, Waggons, Menschen, Fahrzeugen,
Tieren und Kisten, mit der Menge von Werkstätten und Bahnhöfen, mit
allem, was fährt, und allem, was vorübertollt, mit der Zeit, die
brüllend vergeht.

Man sagt sich: Das sind zwei Zuhälter, die ihren Absinth trinken, und
nimmt an, daß der Absinth das Gehirn der Zuhälter nicht beunruhigt.
Maurice hatte, während er neben dem langen Jules die Avenue du Maine
hinabgeschritten war, seinen Menschenglauben wiedergefunden und kostete
in seinem Bewußtsein alles Gute und alles Böse aus. Das Wissen um das
Böse ist gut wie eine gute Frucht auf trockener Straße und hilft uns,
zwischen Syphilis und Gefängnis ohne Heuchelei und ohne Furcht vorwärts
zu kommen wie große Reisende. Der Absinth setzte sein Gehirn in
Bewegung, trieb Fieber und Glück hinein. Ich bin Maurice, den man auch
Bübü von Montparnasse nennt! Maurice ist ein Mann, der die Frauen packt
und sie formt. Er packt Berthe, das Kunstblumenmädchen, wählt sie, weil
sie schön und jungfräulich ist, erst zu seinem Vergnügen, dann zu seinem
Lebensunterhalt. Er sieht sich um, erfaßt die Dinge auf einen Blick, und
für die Fahrräder und für die Schaufenster sind seine Finger rasch wie
ein Augenaufschlag. Er kennt die verwickelte Wissenschaft der
Umklammerung, die aus Handgriff und Muskeldruck besteht und uns die
Menschen preisgibt wie Kinder und die Panzerkassen wie Spielzeug. Er
kennt den leisen Schritt, den man Wolfsschritt heißt, und weiß die Nacht
zu durchspähen mit glühenden Augen. Er kennt den Hieb, der betäubt, und
den, der tötet, den Angriff und die Abwehr, und die Messerklinge, die
einen Weg zu bahnen vermag, wenn man in Gefahr schwebt. Er wandelt
sorglos durch die Straßen der Städte, während die einen leiden und die
andern sich rackern; was ihn umgibt, das kann er sich holen; er
schreitet dahin und ist wie ein Mensch, der sein eigenes Haus
durchschreitet. Er fühlte sich frei und vollkommen in seinen Ideen, in
seinen Organen, in seinem erträumten Leben, in seinem gelebten Leben
. . .

Der lange Jules schlug ihm auf die Schulter:

»He, Maurice, schlafe nicht!«

Er antwortete:

»Es macht mir Spaß, an meine Syphilis zu denken.«

Der lange Jules brach in Lachen aus:

»Du denkst an deine Syphilis!«

Er bestellte zwei weitere Absinths.

Der zweite Absinth erfüllte Maurice mit Gemurmel und floß wie eine Welle
und umspülte sein Herz. Er spürte im Kopfe tausend erwachte Gedanken
summen, die strömten, lachten und sangen. Das Echo des Guten antwortete
dem Echo des Bösen wie Stimmen, die sich locken, und wie Schritte, die
sich fliehen. Berthe neigte sich, um ihn zu lieben, und lachte über die
Krankheit. Die Welt ähnelte einem Menschen, der unschuldig und verseucht
Absinth trinkt auf den Terrassen. Große Gefühle wandelten schreiend auf
den Straßen, nahe den Bahnhöfen, ähnlich der Liebe, dem Glauben, dem
Wissen. Man sah Freude, die Bewegungen glichen Tänzen, die Menschen
waren klein neben dem, der träumte, und das Leben lachte wie eine Frau,
die man kennt und die man zu lenken versteht.

Plötzlich erinnerte er sich des Liedes. Deiner, das tröstet, o altes
Lied von der Seuche, das die Kranken besingt. Du stimmst uns mild und
dichterisch wie das Leiden der Verwundeten:

   »Alter Kunde vom Spitale . . .«

Du birgst ein Großteil Liebe und Ergebung und du birgst noch mehr als
Ergebung. Du schlägst uns ans Kreuz auf unserm Kalvarienberg, du weisest
uns unsre Wundmale, du besingst die Arzeneien und verlachst die
Schmerzen, du tanzest um unsretwillen und du läßt uns glauben, daß unsre
Leiden glorreich sind. Oh, sei gesegnet! Altes Lied von der Seuche! Im
Hospital, wo du geboren wardst, sangst du dich von Bett zu Bett in alle
Herzen hinein, du verklärtest die Sterbenden und du senktest deine
Flügel auf die Stirn der Siechen, altes Lied von der Seuche!

»Wem mehr gegeben ist zu leiden, der ist wert, mehr zu leiden.« Du
erinnerst an dies schöne Wort. Bist du das Wissen vom Guten, bist du das
Wissen vom Bösen? Du schmiegst deinen alten Leib an den unsern, du
sprichst von Quecksilber und du sprichst von Liebe. Du sagst:

   »Nein Bruder, dein Schwesterlein sitzt an des Bettes Rand
   Und legt dir aufs heilende Herz die Hand.«

Als Maurice Jules verlassen hatte, wandte er sich in die Rue de Rennes
und wollte nach Hause zurückkehren. Die frischere Luft von sieben Uhr
wehte zwischen den Häusern, kühlte die Stirne und sänftigte die Gedanken
nach der Tagesarbeit. Die Fußgänger, etwas schwer, spürten ihre
Schultern von der Arbeit befreit und wanderten nach ihren Häusern und zu
ihren Frauen mit dem hellen Gefühle des Sommers. Maurice war in besserer
Laune als gewöhnlich. Berauschtes Blut rann in seinen Gliedern, munter
bald, bald gütig. Warum ist das Menschenherz so groß?

»Ich bin heute abend drollig«, sagte er sich.

Er kam an einem großen Kolonialwarenladen vorüber und sah, die Auslagen
betrachtend, Schachteln mit Mandarinen. Kleine Mandarinen, kleine
saftige Nichts, ihr seid nicht für den Mund von Mädchenhirten
geschaffen! Er kam vor einen andern Laden und sah nach, ob es auch hier
Schachteln mit Mandarinen gab. Man hält es für schwer. Zunächst muß der
Blick entschlossen sein. Niemand sieht zu. Darum muß der Griff rasch und
unbefangen sein. Maurice schob die Schachtel mit Mandarinen unter seine
Weste, ohne sich aufzuhalten. Es war, um Berthe ein Vergnügen zu
bereiten, freigebig zu sein mit einem Geschenk, ein wenig Arbeit, ein
wenig Liebe, ein paar Mandarinen für einen feinen Mund!

Dann fiel ihm die Syphilis ein. Eh, wenn er nicht die Syphilis hatte!
wenn er nicht die Syphilis hatte! Da war es ihm, als würde das seinem
Ruhm schaden. Er schritt mit solcher Leidenschaft aus, daß seine Beine
zu stiegen schienen. Wenn er nicht die Syphilis hatte, war es hohe Zeit,
sie zu haben. Er ging auf sein Ziel los, die Mandarinen unter dem Arm,
die Seele geweitet, so stark vorwärts getrieben, daß er nicht daran
dachte, sich umzublicken.

Als er in sein Zimmer trat, kochte Berthe eine Kleinigkeit zum
Abendessen. Er sagte:

»Da schau her, ich bring dir eine Schachtel Mandarinen.«

Sie lächelte zart:

»Oh! Maurice! das hat aber was zu bedeuten, daß du so lieb bist.«

»Küß mich.«

Sie näherte sich, und wie sie ihm einen herzhaften Kuß auf die Lippen
gab, legte er ihr beide Arme um die Schultern und hielt sie fest. Er
küßte sie auch auf den Mund. Dann fuhr er fort: einmal sehr kräftig,
einmal leicht, dann sehr kräftig, dann weniger leicht . . .
Währenddessen zog er sie an sich, drückte sie sich an den Leib. Sie
sagte:

»Laß mich los, sonst brennt mir das Fleisch an.«

Er lachte.

»Das ist mir egal.«

Er nahm sie in den Arm, hob sie ein wenig, bog sie rückwärts, schmiegte
sie an seine Haut. Gewöhnlich war er nicht so eilig. Er zog sie in den
Kleidern ans Bett. Berthe sah ihm mit ihrem traurigen Blick in die
Augen:

»Du darfst nicht, Maurice, du weißt . . .«

Er sagte:

»Ich pfeif drauf.«

Als er sie durchdrang, fühlte er sein Herz zergehen, wurde sehr zärtlich
und sagte:

»Tu ich dir weh, meine kleine Frau?«




V


Louis Buisson bewohnte im fünften Stock, Quai du Louvre, ein kleines
viereckiges Zimmer. Man sah darin ein Eisenbett mit vier Messingkugeln,
ein Büchergestell aus weichem Holz, einen Waschtisch, einen Tisch mit
roter Decke, einen Stuhl und zwei »armenische Fauteuils«, die im
Rathausbazar zwölf Francs gekostet hatten. Linoleum bedeckte den
Fußboden, zwei Plakate und mehrere Stiche schmückten die Wände. Das war
das wohlgeordnete Leben eines Junggesellen, der sein Zimmer selbst
aufräumt und es einfach herrichtet, ein Abbild seines Geistes. Das
Fenster ging auf einen großen Flußarm hinaus neben dem Pont Neuf und
seiner kleinen Parkanlage, wo die Luft, das Licht und das Wasser ein
bewegtes und erfrischendes Schauspiel boten. Sind wir in Paris? Wir sind
hoch in den Lüften, in einem Land am Wasser, dessen Luft aber tost wie
rollende Wagen.

Diesen Abend kochte sich Louis Buisson einen Kaffee; die einfachen
Verrichtungen, das Zimmer machen oder den Kaffee zubereiten, beruhigen
unsern Geist und ordnen unsre Gedanken wie Möbel jeden an seinen Platz
. . . Übrigens hatte er seine Grundsätze für die Zubereitung des
Kaffees. Er benützte nicht den Satz und schüttete das kochende Wasser
Tropfen für Tropfen auf den frisch gemahlenen Kaffee. Es dauert ein
wenig länger, aber um etwas Gutes zu haben, muß man sich Mühe geben.

Als Pierre Hardy an die Tür klopfte, wartete er nur auf ihn, um den
Kaffee einzugießen. Louis Buisson sagte:

»Ich kenne mich nicht mehr aus. Ich hatte Dir von einer kleinen Bonne
gesprochen, mit der ich einen Briefwechsel unterhielt, und ich hoffte,
bei ihr meine Wünsche zu stillen. Die Frauen aus dem Volke sind einfach,
und alle Frauen lassen sich bilden. Ich lieh ihr ein paar Bücher, um sie
nach meinem Geschmack zu erziehen. Sie las gern. Ich sagte mir: >Sie
wird die delikaten Dinge verstehen lernen, die die Ordnung und das Glück
eines Haushaltes ausmachen. Abends werde ich zu Hause arbeiten. Sie wird
nähen und sich ausruhen, und ich werde sie an meiner Seite wie eine
kleine Flamme spüren, die brennt.< Hör, was geschehen ist: vorgestern
und gestern sind wir zusammen ausgegangen, da ihre Herrin verreist ist.
Meine kleine Bonne liebt alle Vergnügungen und leidet darunter, daß sie
sich im Cafékonzert nicht unterhalten, auf Bällen nicht tanzen und die
Lichter auf den Straßen nicht sehen kann. Ich mußte sie überall ein
wenig herumführen und dann wollte sie nach dem Bal Bullier gehen. Da
habe ich eingesehen, ich, der ein Mann des Volkes sein wollte, daß das
Volk allzusehr die schlechten Vergnügungen liebt. Ich mag wohl nicht aus
demselben Volk sein wie die andern, darum kann mich niemand verstehen
und Freude empfinden, wenn er sein Leben dem meinen anpaßt. Ich habe mit
ihr gebrochen. Ich habe geglaubt, mein Weib gefunden zu haben, und bin
jetzt ganz allein.«

Louis Buisson war ein wenig lehrhaft und redete lang. Man pflegte ihm im
Bureau zu sagen: »Oh! Sie, Sie wollen immer recht haben. Sie halten
Vorträge.«

Sie tranken ihren Kaffee, rauchten eine schlechte Zigarre, und jeder von
ihnen glich, wie er so im »armenischen Fauteuil« da saß, einem
schüchternen und ungeschickten jungen Bureaukraten. Weder den einen noch
den andern beglückten die Liebe, die zwanzigjährige Menschen bewegt, und
Paris, das gegen Arme hart ist. Pierre Hardy sagte:

»Ich habe angefangen, mich an meine kleine Freundin Berthe und ihre
hundert Sous zu gewöhnen. Jetzt liegt sie krank im Spital.«

Louis Buisson sagte:

»Ich habe Straßenmädchen gekannt, als ich im Hotel garni wohnte. Ihre
Ausgelassenheit bricht aus wie bei Kindern, die schreien, um sich nicht
zu fürchten.«

Pierre Hardy hatte bei seinem Freunde viel zu lernen. Sie lebten ein
gemeinsames Leben, zu dem Louis Buisson die Erklärungen lieferte. Er
untersuchte mächtig die Ereignisse und oft, wenn er irgend einen alten
Irrtum oder eine neue Wahrheit entdeckte, war er in Verlegenheit, wie er
seine Lebensführung mit seinen Ideen in Einklang bringen sollte. Die
Analyse ist keine kalte Wissenschaft, sie, die durch unser Herz geht und
es aufrührt. Die Erregungen Louis lösten Erregungen in Pierre aus, weil
ihr Leben gemeinsam und weil ihre Seelen aufrichtig waren. Pierre sagte
sich: »Es ist komisch, wie er immer recht hat!« Er dachte wie sein
Freund, aber er dachte viel niedriger.

Pierre Hardy fügte hinzu:

»Ich liebe sie viel mehr, seit sie krank ist. Sie schreibt mir
ungeschickte Briefe, aus denen man aber errät, daß sie leidet und daß
sie zartfühlender wird. Sie sagt: >Ich küsse dich vom ganzen Herzen
eines kranken Kindes.< Ich schicke ihr ein wenig Geld. Mir ist, als
würden wir uns nähergekommen sein, wenn sie geheilt sein wird.«

Louis Buisson legte mit seinen langen Geschichten los. Er lächelte,
indem er dachte: Ich will einen Vortrag halten. Dann sagte er:

»Man muß die Mädchen lieben, die dulden. Ich war immer davon überzeugt,
daß wir sie darum nicht retten können, weil wir sie nicht genug zu
lieben verstehen. Ich habe einmal eine Anfängerin gekannt. Sie machte
mit vierzehn Jahren bei ihrer Mutter, die wiederverheiratet war und
deren zweiter Mann einen Weinhandel hatte, die Bekanntschaft eines
Burschen mit wilden Augen. Sein Blick beherrschte sie wie eine Gewalt.
Eines Tages ging sie in ein Hotel mit ihm, wo sie, gelehrig wie sie war,
sein wurde. Sie hat mir erzählt, daß er sie, nachdem sie sich ganz nackt
ausgezogen hatte, in seine Arme nahm und mitten auf das Federbett legte.
Sie war so klein, daß sie in dem Bett versank; sie rührte sich nicht
mehr und schlief, völlig erschöpft, in ihrer verlorenen Jungfrauschaft
hier ein. Ich weiß nicht, warum ihre Eltern sie nicht suchen ließen. Die
beiden lebten vier Monate, ohne daß sie arbeitete, doch nach und nach
brachte er sie von der Ehrbarkeit ab. Er führte sie selbst auf die
großen Boulevards und suchte ihr die Kundschaft aus. Sie verdiente
fünfzehn Francs und darüber zeigte sie eine Art naiver Freude. Als ich
sie kennen lernte, war sie kaum sechzehn Jahre alt. Ich habe niemals ein
gleich mutiges Weib gesehen. Sie hatte schließlich Arbeit gefunden und
nähte Flitter. Mein lieber Freund, sie nähte bei Tage, dann nähte sie
bei Nacht. Sie war kaum sechzehn Jahre alt. Sie konnte niemals fünfzig
Sous täglich verdienen. Und der andere stand da, hinter ihr, mit seinen
zwei Fäusten und mit seinen zwei Kinnladen. Sehr oft geschah es, daß sie
auf die Straße hinabsteigen mußte, wenn sie ihr Zimmer bezahlen sollte.
Ich lernte sie kennen. Es gab Morgen, an denen sie mich um zwei Sous
bitten kam. Die Zeit verstrich für sie, indem sie ihr immer neues
Unglück brachte. Ihre Mutter wurde endlich unruhig, entdeckte sie und
ließ sie ein Jahr lang im Kloster der Nonnen vom heiligen Michael
einsperren, wo man junge Mädchen mit schlechten Anlagen unterbringt. Als
sie es verließ, hielt ihr Geliebter um ihre Hand an und ihre Mutter gab
die Einwilligung dazu. Der Irrsinn herrscht auf der Welt. Da fing die
alte Geschichte von neuem an. Er betrog sie, er belustigte sich damit,
sie zu betrügen. Eines Tages im Fasching promenierten sie zusammen in
der Menge, als ein Frauenzimmer vorüberkam. Er ging ihr nach und blieb
drei Tage fort, ohne zurückzukehren. Später trennten sie sich, doch kam
er von Zeit zu Zeit auf Besuch, er brauchte Geld. Damals hatte sie einen
jungen Mann von neunzehn Jahren zum Freund. >Wenn ich ganz alt werden
sollte<, sagte sie zu mir, >diesen Jungen werde ich niemals vergessen.
Nicht weil er reich war, sondern weil er soviel für mich getan hat.< Er
liebte sie mit einem guten Jünglingsherzen. Eines Nachts, als sie
erschöpft war, trug er sie in seinen Armen vom Bastilleplatz bis ans
Ende der Avenue Daumesnil. Er ging gern in ihre Wohnung, wenn sie
abwesend war, um irgend eine hübsche Überraschung auf den Tisch zu legen
und ihren freudigen Ausruf hören zu können, wenn sie heimkam. Mein
lieber Freund, dieser Junge, der zu Hause von Bedienten umgeben war und
dessen Mutter eine Kammerzofe hatte, besuchte seine kleine Freundin, und
räumte, wenn sie nicht da war, ihr Zimmer auf und putzte ihre Schuhe.
Ihre Geschichte nahm ein trauriges Ende, denn der Gatte verprügelte den
jungen Mann, daß er sechs Wochen das Bett hüten mußte. Es ist nicht lang
her, daß ich diese Dinge weiß, aber täglich verstehe ich sie besser. Der
junge Mann bewies so viel Liebe, daß er in das Herz eines armen Mädchens
eindrang. Und auch ich hätte in dieses Herz dringen sollen. Als der
junge Mann kam, war es viel zu spät, aber für mich wäre es die richtige
Zeit gewesen. Es ist drei Jahre her. Sie war nicht verheiratet, und ich
hätte sie aus den Armen eines Zuhälters befreien können. Ich hätte sie
nehmen und sie zu mir bringen und mich um sie schlagen sollen. Ich hätte
sie retten sollen. Versteh das: _Ich hätte sie retten können!_ Ach,
warum habe ich sie nicht genug geliebt? Ich hätte ihr das Zimmer
aufräumen sollen und ihre Schuhe putzen, ich hätte damit einverstanden
sein sollen, sechs Wochen das Bett zu hüten. In der Welt gibt es eine
Frau, die ich hätte retten können!«

Als Louis Buisson seine Geschichte beendet hatte, legte er den Kopf
zwischen die Hände, und es entstand eine Stille, während der beide
bemerkten, daß sie keinen Kaffee in der Tasse hatten. Man hörte fünf
Stockwerke tief die Wagen rollen. Louis Buisson nahm das Gespräch wieder
auf:

»Du sprachst mir von deiner Freundin Berthe, aber du hast mir nicht
gesagt, in welchem Krankenhause sie . . .«

Pierre antwortete:

»Im Brocaspital.«

Louis Buisson zuckte zusammen.

»Aber, mein lieber Freund, du kennst nicht das Brocaspital. Ich habe das
alles gesehen und ich sage dir, daß man im Brocaspital Mädchen sieht,
die sehr krank sind. Sie haben Syphilis.«

Da fühlte Pierre Hardy die Geschichte Louis Buissons wie ein Feuer in
seinem Herzen. Wahrhaftig, er fühlte die Dinge, tausend Dinge auf einmal
auf ihn einstürmen, ihre Stimme sich heben und senken wie eine Flut von
Unglück. Dann hatte er die Empfindung stillen Glücks, daß er sich aus
Liebe eines Abends auf den armseligen Tanz eingelassen hatte, der jetzt
das Aussehen der Syphilis und des Brocaspitals hatte. Er hatte diese
Empfindung stillen Glücks, sah die Fassade seines kleinen Provinzhauses
wieder und nun die Syphilis auf seiner Schwelle. Er begriff, daß ihm das
Leben bisher allzu leicht erschienen war.

Louis Buisson hielt seinen Vortrag:

»Ich pflegte ehemals in das Brocaspital zu gehen, wo einer meiner
früheren Gymnasialkameraden als Arzt assistierte. Ich habe gesehen, wie
die Mädchen alle auf ihre Krankheiten mit dem Spiegel untersucht wurden.
Ich habe die kleinen Frauen des Viertels gesehen, die Schanker hatten
und lachten, weil man ihnen sagte: >Die Syphilis ist nichts. Man nimmt
drei Jahre Pillen ein.< Ich habe Frauen gesehen, die anderthalb Jahre
Syphilis hatten und die weinten. Sie legten ihren Kopf unter die Arme,
weinten und sagten: >Ich werde nie gesund werden.< Die Ärzte trösteten
sie, indem sie in Lachen ausbrachen. Ich sah die Alten. Wie Tiere
spreizen sie die Beine. Sie sind ein armes Wild, das man verwundet hat
und das mit sich alles geschehen läßt, ohne Klage, da es gewöhnt ist,
verwundet zu sein.«

So sprach Louis Buisson, ohne an Pierre zu denken. Dann fiel es ihm ein
wie ein Blitz: aber Berthe, Pierre und Berthe! . . . Er blickte auf
seinen Freund, der, die beiden Hände auf den Knien, nicht daran dachte,
auch Vorträge zu halten. Er sah das arme verseuchte Mädchen in Tränen
gebadet, in Tränen der Verseuchten, und das war so traurig, daß er
keinen Vorwurf gegen sie erheben konnte. Den Charakter der Männer von
zwanzig Jahren bilden ebenso die Worte ihrer Freunde wie die Regungen
ihres Herzens. Pierre überdachte all die Gedanken über Liebe, die Louis
ausgesprochen hatte, und da noch sein natürlicher Edelmut hinzukam,
empfand er Mitleid mit Berthes Krankheit und zugleich Furcht vor der
seinen. Er fürchtete sich sehr. Er kannte die Krankheit nicht genug, als
daß er gewagt hätte, ihr ins Gesicht zu schauen, er wußte, daß man von
ihr spricht wie von der Schande und vom Unglück.

Da erhob sich Louis Buisson, näherte sich Pierre, ergriff seine beiden
Hände und drückte sie. Gewöhnlich war er mit seiner Zärtlichkeit
zurückhaltend. Aber ich habe, Herrgott, Unheil angerichtet mit meinen
Reden. Er revoltierte gegen sich selbst, gegen seine Worte, gegen die
Wahrheit, gegen das Brocaspital. Es kann nicht sein, denn es tut weh und
mein Herz ist gut. Er erhob sich, trat auf Pierre zu und sagte:

»Aber nein, Pierre. Aber nein, aber nein . . .«

Er schrie und er hatte Lust, es über die Dächer zu schreien:

»Aber nein, aber nein, aber nein . . .«

                   *       *       *       *       *

Nach Hause zurückgekehrt, schrieb Pierre an Berthe:

»Meine liebe kleine Freundin!

Es schmerzt mich, dir diesen Brief zu schreiben, weil es dich schmerzen
wird, ihn zu lesen. Du bist krank, meine kleine Berthe, ich möchte bei
dir sein, um dich zu trösten und dir zu beweisen, daß ich um deiner
Leiden willen leide. Dennoch gibt es Dinge, die ich dir sagen muß.

Bis heute abend kannte ich das Brocaspital nicht. Ich weiß jetzt, von
welcher Krankheit man dich dort kuriert. Du wirst sehr traurig sein,
aber glaube nicht, daß ich dich verlasse. Ich verlasse die Meinen nie
und du gehörst zu den Meinen, denn es sind schon drei Monate her, daß
wir uns kennen. Ich schicke dir eine Postanweisung auf drei Francs.

Das wollte ich dir sagen: unsre Beziehungen müssen sich ändern, denn ich
will nicht deine Krankheit bekommen. Ich zögere niemals ein Opfer
darzubringen, aber hier würde mir das Opfer ein Übel zuziehen, ohne dir
zu nützen. Wir werden uns weiter sehen, nicht wahr? Wir werden zusammen
spazierengehen, wenn du wollen wirst, und wir werden zwei Freunde sein,
Freund Pierre und Freundin Berthe.

Du verstehst wohl, daß ich deiner Krankheit nicht nachlaufen kann. Ich
glaube, ihr entwischt zu sein, denn ich sehe keinerlei Anzeichen, aber
ich bin noch nicht außer Gefahr. Einer meiner Freunde, der Mediziner
ist, hat es mir gesagt. Man muß vierzehn Tage abwarten.

Berthe, wenn ich krank wäre, würde ich dir verzeihen. Ich bin aus einer
Familie, in der man nie solche Krankheiten gehabt hat. Ich möchte sie
nicht auf andre übertragen. Übrigens wollen wir uns schreiben wie
früher. Ich hoffe, niemals zu bedauern, dich kennengelernt zu haben.

Ich schließe, meine liebe kleine Freundin, in Gedanken an dich. Ich
erwarte deine Antwort mit großer Ungeduld, um zu erfahren, ob du nicht
zu traurig darüber warst, was ich dir schreibe. Ich liebe dich immer,
und liebe dich noch mehr, weil du krank bist!

Dein dich küssender Freund

Pierre.«

Zwei Tage später erhielt er den folgenden Brief:

»Pierre!

Ich habe deinen Brief bekomen, er hat mich krank gemacht dise Keckheit
hab ich erwartet daß du das auf mich schübst und du glaubst fielleicht
daß das so gehen wird aber du ihrst dich ich hab niemals nicht aufgehört
zu glauben daß du es bist, von dem ich dise schrökliche Krankheit habe.
Und du hast recht ich hab niemals was gsagt weil du mich unterstüzt hast
aber jezt gibst du zu daß ich gnug hab aber ich leide und bin schröklich
traurig und dir ist es noch recht, was du angestellt hast und noch
andern Mädeln denen du bisl Gelt gibst und für die Mühe, die sie sich
mit dir geben ansteckst. Fielleicht haben sich dise Mädeln umgebracht
denn ich wenn ich nicht an meine Familli gedacht hät und ich hab
gedacht, daß mein Vater genug gelihten hat durch den Tot meiner Mutter,
um jezt von meinem Tot zu erfaren. Dann hab ich nicht glaubt daß ich
eines Tags meinen Henker begegne am 15. Juli auf dem Boulevard
Sebastopol. Was hab ich seit disem Tag geweint aber es ist zu spät ich
muß es tragen das alles sage ich dir weil ich sicher bin daß du mich
angsteckt hast du wirst mich unglückli gemacht fürs ganze Leben. Dann
komen noch schwere Täge für mich und noch für andre die leiden die tun
mir leid daß dise Leute deinwegn leiden denn meiner Treu die Leute, die
wissen daß du dran schult bist sind noch böser auf dich als ich aber ich
hör auf niemant und leide, ohne mich zu beklahgen. Du solst wissen, daß
ich kein gmeines Mädel bin denn wenn ich wolte könnte ich auch andre
Männer anstecken aber ich laß mich lieber kurihren bis ich gsund bin
werde ich mich umsehn ferzeihen aber werde ich dir niemals. Du
ferdiehnst es nicht ein Mensch der mir so vüll angetan hat was ich nicht
ferdiehnt hab, und ich hofte nicht eines Tags gemordet zu werden. wie du
weißt habe ich augenblüklich jezt große Halsschmerzen. Ich weiß ja daß
du dich drüber lustik machst aber ich erleichter mich und dann wirst du
besser wissen als ich wie es einem get, in diesem Zustand und mit der
Watte die ich kürzlich von der Erd aufghoben hab würdest du dir nicht
die Füse waschen woln und dann die Salbe, die auf dem Waschtisch unter
der Schüssel steht reibst du dich ein für die Krankheit ist es gut sonst
weniger . . . aber die Krankheit erfohrdert es oder du bekomst noch mehr
Geschichten und dann würde das Weib das mit dir geht es sofort krigen.
Ferdrieslich ist daß es sich verschlimmert, wenn man sich aufrehgt und
man steckt die andern an, dann versezt man sie und nimt wider eine andre
dann bist du neidisch daß die andern es nicht haben wie du. Aber ich
bitte dich Pierre kurihr dich wie ich damit du nicht imer mehr anstekst
denn einmal könnte es dir schlecht ergöhn und dir nicht gut bekomen das
rat ich dir. Dein Freund der Arzt ist ein reiner Schwindel denn du hast
mich satt und sonst nix.

Ich hoffe daß du auf mich nicht zu bös bist aber merke dir daß ich nicht
so schlim bin ich wünsche mir nur eins daß ich dir niemals nicht begegne
denn du bist nicht ein Freund wie du sagst du bist für mich weniger als
nix oder das Trotoar wo ich alle Täge geh aber du behalt mich in
Erinerrung wie ich dich aber als einen Menschen der nicht wert ist ein
Mädel wie ich gehabt zu haben denn ich bin entschihden das beste Mädchen
das man in Paris finden kan und das ist doch wahr. Ich beantworte deinen
Brief freundlichst und sag dir meine Meinung troz dem Abscheu die ich
vor dir hab.

Fräulein Berthe,

das Mädchen und die Unglükliche, die nur Abscheu hat vor dem der sie
angstekt hat.«

Vierzehn Tage später erkannte der Arzt, daß Pierre die Syphilis hatte.




VI


Berthe blieb anderthalb Monate im Krankenhaus.

Maurice wartete auf sie, wie man auf das tägliche Brot wartet, und
besuchte sie jeden Donnerstag und Sonntag. Sie sagte: »Die Ärzte wollen
mich noch einen Monat behalten.«

»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Maurice.

»Was willst du, ich muß mich kurieren.«

Er antwortete: »Oh, ich weiß, du willst alles nach deinem Kopf machen.«

Im Hotelzimmer saß er, trank das Wasser aus der Flasche und wartete auf
sie. Manchmal aß er nur Käse. Für drei Francs verkaufte er seinen
Regenschirm und wartete mit einem gewissen Vertrauen zwei Tage. Dann
tauchte ein Kamerad mit fünf Francs auf, der ihm das Zimmer bezahlte. Er
aß etwas bei der Mutter, aber Geld verweigerte sie ihm. Er sagte: »Du
könntest mich krepieren sehen!« Sie erwiderte: »Arbeite!«

Berthe konnte ihm ein paar Zehnsousstücke geben: im Krankenhaus braucht
man nichts. Es fanden sich zwei oder drei Frauen, die ihm ein Frühstück
anboten und ihm den Tabak bezahlten, aber keine von ihnen konnte das
Leben mit ihm teilen, denn er hatte gewählt, wie Männer wählen -- für
immer. Er saß und wartete, die Fäuste an den Kinnbacken, trockenes Brot
kauend.

Er wartete ganze Nachmittage in den Straßen, wo er zwecklos herumging.
Manchmal wurde ihm die Zeit trüb und blieb unbeweglich ihm zu Häupten
schweben wie ein Schleier der Öde, wie etwas Gleichgültiges und Totes.
Die Tage, an denen er mit den Kameraden zusammen gearbeitet hatte, und
die Abenteuer schienen ihm vergangene Tage zu sein, Tage alter Zeiten,
da man noch unter Menschen gelebt. Er hegte zwei oder drei Erinnerungen:
Berthe schleppte sich gähnend durch das Zimmer und rekelte sich. »Mir
ist es fad!« sagte sie. Er antwortete: »Wenn es dir fad ist, hau ich dir
eine übers Maul.« Er begriff nicht, wie man einen ganzen Abend lang
mutlos bleiben kann, während das Leben fiebert und die Welt voll Taten
ist.

Jetzt begriff er dies besser. Ein wenig Leid klärt uns auf und weist uns
die Schmerzen, die wir zu sehen nicht verstanden haben als ewige und
bessere Brüder. Er fühlte noch, daß das Glück unzuverlässig ist und
unser Herz ein schwankendes schwarzes Wrack. Er verlor seine Zuversicht
und schrieb an Berthe: »Ich sehne mich nach dir. Es ist das erstemal,
daß wir getrennt sind, und mir ist, als wären wir für immer getrennt.«
Ihm zogen nicht Gedichte durchs Herz, weil er keine kannte, aber eins
nach dem andern fielen ihm all die Liebeslieder wieder ein, die er
gehört hatte. Die schönsten und die lautersten waren die besten. Er
fühlte mehr als jemals, was Schönheit ist. Vor allem das Lied Lakmés
fällt uns ein und legt sich auf die Wunde, die uns schmerzt. Es kam von
seinen Lippen wie ein Schrei, wie ein Hauch und wie ein guter Duft:

   »Ja, ich finde dein Lächeln wieder
   Und will in deinem Aug' den Himmel schau'n.«

Aber es kam ein Tag, an dem Maurice des Wartens noch müder wurde. Seit
vierzehn Tagen war Berthe im Spital, das Elend schien ihm schon lang.
Die ersten Tage haben Freunde und Hilfsquellen, aber bald, wenn die
Schuhe durchgetreten sind und die Kleider zerfransen, wird das Elend des
trockenen Brotes zum Elend in Lumpen, gegen das die Freunde nicht mehr
aufkommen. Einst glaubte man an die Möglichkeit der Abenteuer. Stehlen
ist schön, solang man es zu seinem Vergnügen macht, wer aber aus
Bedürfnis stiehlt, wird zu erregt für seine Abenteuer, um sie sicher zu
bestehen. Dann macht trockenes Brot kraftlos. Er spürte einen
Nachgeschmack von alledem im Magen, einen lächerlichen Druck vom Käse,
die Schwere von schlechter Nahrung und Hunger. Der Aufruhr durchstürmte
seinen Körper, der Käsegeruch verursachte ihm Übelkeiten, der starke
Mann blickte mit durchdringenden Augen um sich.

Da suchte er seine Freunde wieder auf. Er suchte sie nicht auf wie
einst, da seine Seele an lustigen Nachmittagen unter ihnen sorgenfrei
war. Sie gingen damals in den Hinterraum der Weinstuben, ließen sich
nieder, die Ellbogen auf den Tisch, die Faust unters Kinn, plauderten
und tranken Rotwein. Er litt unter einer empfindlichen Melancholie, die
ihn an der täglichen Arbeit hinderte, und so bedurfte er eines Kampfes,
um entzündet zu werden, eines großen Abenteuers, das ihn aufrüttelte und
überwältigte, damit er eines Tages all die Energie Bübüs wiederfinden
und auf einmal wieder seine tägliche Arbeit verrichten konnte. Er
bedurfte eines großen Diebstahls, der ihm die Taschen hinlänglich mit
Gold füllte, daß er warten konnte wie ein Rentner der Liebe, wie ein
Dichter der Melancholie, der an nichts andres denkt, als wie seine
Schöne eines herrlichen Morgens zurückkehrt, und an neue
Hochzeitsfreuden.

                   *       *       *       *       *

Es war eine einfache und traurige Geschichte. Sie ereignete sich in
einem Tabakladen um drei Uhr morgens, mitten in verlassenen Straßen, wo
die Stille die Menschen ermutigt und so gut zu sein scheint wie ein
letzter Rat. Sie gingen dahin, die Kehle trocken und Blut in den
Fäusten. Los endlich, alle drei, meine Brüder, dämpft das Herz und paßt
auf beim Stehlen, wenn man zittert, wenn man sucht und wenn man findet.

Alles ging gut bis zur Kasse: die Tür und die Schubfächer widerstanden
nicht. Sie hatten kein Glück, weder er noch die andern! Maurice hatte es
sich immer gedacht. Die Kasse enthielt sechzehn Francs, nur sechzehn
Francs! So nahmen sie alles mit: die Briefmarken, die Stempelbogen, die
Zigarren, die Zigaretten und den Tabak. Sie stopften damit die Taschen
voll, dann das Hemd, dann packten sie in die Taschentücher. Als sie sich
entfernten, war die Straße noch leer, und sie trennten sich alle drei,
den Himmel zu Häupten und die Gedanken schwer.

Nach zwei Tagen hatten sie nicht viele Briefmarken verkauft und konnten
den Tabak nicht an den Mann bringen. Das Losschlagen gestohlener Sachen
ist unsicher wie der Diebstahl selbst, und die Tage sind schrecklich,
sobald die Nerven beim Anblick des Schatzes zu tanzen beginnen. Maurice
ging umher, die Taschen voll Briefmarken und Zigarettenpakete an der
Brust. Er hatte vielleicht Freunde. Am Morgen des dritten Tages, als er
auf dem Quai de l'Horloge dahinschritt, traten an einer Ecke zwei Männer
hervor. Er hatte sie schon am Tage vorher getroffen und ihre breiten
Schultern und ihr Maul bemerkt. Ein Blick rückwärts, die beiden Männer
folgten ihm. Er hörte ihre Schuhe wie einen Überfall, fühlte sie dröhnen
wie Fäuste und gewichtig wie die Polizei, die alles weiß. Er versuchte
rascher und unbefangener auszuschreiten. Dann erstarrt einem das Blut im
Leibe, es war vorauszusehen, zwei furchtbare Fäuste packen einen, zwei
Schultern stoßen mit namenloser Brutalität vorwärts und auf zwei Stimmen
ist keine Antwort möglich: »Marsch! Keinen Laut!«

Er hatte die Taschen voll Briefmarken und Zigarettenpakete an der Brust.

                   *       *       *       *       *

Berthe erfuhr dies durch ihre Schwester Blanche an einem Donnerstagabend
im Sprechzimmer des Brocaspitals. Blanche wußte es von Charlot, der es
vom langen Jules hatte, und man wußte ferner trotz den Gefängnismauern,
daß Maurice mit Syphilis angesteckt war. Blanche redete als Bringerin
einer großen Neuigkeit sehr wichtigtuerisch, mit Mienen und Gesten und
einer Art von Großartigkeit, wie eine Zeitung eine Nachricht in die Welt
setzt. Da trat in der schwarzen Spitalsluft, zwischen den vier Wänden
des Sprechzimmers, tiefe Stille ein, während die Kranken rings um Berthe
lebhaft waren und Berthe sich einsam fühlte. Dunkel sank auf die Häupter
und verschleierte die Augen. Das Spital wurde noch mehr Spital, das
Leben schien noch mehr das Leben zu sein, um das man ringt und das
verwundet. Berthe begriff, daß ihr das Leben bis hierher allzu leicht
erschienen war.

Aber Blanche sagte:

»Ach, was! Er hat dich lang genug geprügelt!«

                   *       *       *       *       *

In den folgenden Tagen richtete sich Berthe ihr Leben neu ein. Die
Gewohnheiten Maurices waren ihr in Fleisch und Blut übergegangen und
formten ihren Leib und ihre Gedanken. Sie war zunächst Berthe, aber sie
war auch die Frau, die ein Mann vier Jahre befruchtet hatte, wie der Nil
die Erde Ägyptens überflutet. Sie hatte große Angst gehabt. Mit ihren
siebzehn Jahren hatte er sie bei der Hand genommen und sie in die Welt
geführt. Dann hatte er gesagt: »Hier mußt du hingehen!« Und er hatte sie
bewacht auf ihrem Wege. Die Tage im Spital waren noch die Tage Maurices,
denn jeden Donnerstag und Sonntag besuchte er sie im Sprechzimmer. Und
dann wußte sie, daß sie ihn jeden Augenblick wiedersehen konnte. Nun
drehte sich alles um sie: Paris, das Spital, die Gegenwart, die Zukunft,
und die wirrsten Gefühle:

   Ein Wesen schwand dir hin,
   Und alles ist verödet.

In den folgenden Tagen versuchte Berthe, ihr Leben neu einzurichten. Sie
richtete es mit ihrer Schwester Blanche ein, mit einer kleinen Freundin
namens Adele, dann mit irgendwem, gleichgiltig wem, denn eine Frau soll
nicht allein sein. Sie suchte Männer in ihren Erinnerungen. Sie dachte
an Pierre, an ihn, den sie in ihrem Unglück angeklagt und der ihr
beschwörend geschrieben hatte, daß er nicht der Schuldige sei. Er hatte
geschworen, wie sie es gern hörte -- beim Haupte seiner Mutter --, denn
dann ist es die Wahrheit. Sie gedachte auch andrer Männer und ließ sie
in Gedanken vorüberziehen, um sich zu betäuben und Hoffnungen zu
schöpfen. Aber nichts vermochte die Erinnerung an Maurice auszulöschen,
und hätte ein Gott sich an der Tür niedergelassen, hätte er sie zu
seiner Gefährtin gemacht und sie zu höchster Herrlichkeit geleitet,
hätte er sie sogar beschenkt und sie geliebt, nie -- nie hätte sie den
einen vergessen können, der sie zur seinen gemacht hatte und der mehr
war als ein Gott, weil er ein Mann und sie eine Jungfrau gewesen war.
Sein Leib war dem ihren viel tiefer eingeprägt als alle Gefühle und alle
Wünsche. Sie wußte nicht, wie man die Leute im Gefängnis richtet, doch
alles Leid, das sie erlebt hatte, flößte ihr ein großes Mißtrauen gegen
die Zukunft ein und lehrte ihr, daß ein Unglück das andre nach sich
zieht. Sie war krank geworden, weil sie kein Glück hatte, und aus
demselben Grunde, glaubte sie, würde ihr Maurice jahrelang fernbleiben.

Da fühlte sie sich verloren, ihre Gedanken schweiften all die kommenden
Tage entlang, um ein kleines Glück zu entdecken, das sie mit gierigen
Händen ergriffen hätte, sie blieben vor allen möglichen Winkeln stehen,
aber nichts genügte ihrem Herzen, denn sie kam aus einem schönen Lande,
und das war sein Land.




VII


Und eines Abends verließ Berthe das Spital. Eines Sommerabends, eines
Herbstabends? . . . Die schönen Tage waren nicht mehr. Es war ein Abend,
an dem Berthe keinen Sou in der Tasche hatte . . . Sie suchte Pierre
auf, wie man hundert Sous holen geht. Er studierte in seinem Zimmer mit
der Willenskraft des Lothringers, der seinen Weg machen will, doch ohne
Begeisterung, denn das Studium der einsamen jungen Leute ist freudlos.
Er hatte ihren Brief beantwortet und ihre Kränkungen vergessen, sie
hatte ihm geantwortet, daß sie ihm glaube.

Sie kam, ohne daß er sie erwartet hätte. Etwas lag zwischen ihnen und
jeder fühlte rings um sich, was es war. Aber man soll sich überwinden
und das Ehrgefühl ausschalten, wenn man arm ist. Noch etwas lag zwischen
ihnen, was Mann und Frau scheidet: sie dachte daran, daß sie keinen Sou
besaß, er dachte daran, daß ihn der Besuch fünf Francs kosten werde.

Zunächst muß man leben, dann kann man Gefühle haben. Erst am nächsten
Morgen verließ Berthe Pierre, um sich bei Maurices Mutter, die sie
flüchtig kannte, Nachrichten zu holen.

Sie kam in dem kleinen Laden in Plaisance gegen zehn Uhr an.

Die andre sagte:

»Ah! Da sind Sie! Sie!«

Sie ließ sie in den Hinterraum treten, und ohne sich zu setzen, legte
sie schon los.

»Ihretwegen hat mein Sohn das getan! Ich weiß alles, daß Sie ihn mit
Ihrer Krankheit angesteckt haben, mit dieser Fäulnis, und ich weiß auch,
wo Sie herkommen. Mädchen wie Sie sind ein Unglück!«

Sie fuhr lange fort und redete dicke und unterstrichene Phrasen. In dem
Hinterraum des Ladens schienen die polierten Möbel die Worte
widerzuspiegeln und ihnen Kraft zu verleihen, so daß sie wie ein
Beispiel von Tugend sich der Verkommenheit entgegenzurecken schienen.

Sie sprach, sehr sauber und wohlgekämmt, mit der Entrüstung der ehrsamen
Frau und am Ende der Abrechnung drückte sie, da ihr Sohn Berthe nicht
vergesse, die Hoffnung aus, auch Berthe würde ihren Sohn nicht vergessen
und ihm von Zeit zu Zeit ein Fünffrancsstück schicken.

Berthe betrachtete gesenkten Hauptes ihre Hände, errötete, hörte der
alten Frau zu, wobei ihr die Gedanken ganz wirr durcheinandergingen,
wußte nicht mehr, was werden sollte, beugte ihre sanftmütige Seele und
fühlte sich schuldig. An manchen Tagen war sie so gütig, daß sie kein
Empfinden für das Unrecht hatte, das man ihr antat.

Sie ging zu ihrer Schwester Blanche.

Um nichts in der Welt hätte man geglaubt, daß Blanche die Schwester
Berthes sei. Sie war ein Mädchen von siebzehn Jahren, rosig und blond,
doch wenn ihre Haut jung und straff war, so ließen ihre Kleider und ihre
Haltung keinen Gedanken an Jugend zu, und auf der Straße galt sie in den
Augen der Zuhälter als der Inbegriff dessen, was man einen »Schweinigel«
nennt. Ihre über der Stirn kurz geschnittenen Haare waren an den
Schläfen gelockt und in Ringel gedreht, nach der Sitte der
Freudenmädchen in den Vorstädten, nach der ewigen Regel, daß Menschen
desselben Berufes sich gleich tragen und von gleichem Stolz erfüllt
sind. Sie ging ohne Hut, die Hände in den Schürzentaschen, den Leib
vorgewölbt und die Füße nachschleifend, wie man Pantoffeln schleift.
Seit ihrer Kinderzeit, in der sie ihrer Herrin hundert Sous gestohlen
hatte, war ein Tag gekommen, an dem sie in einem Hotel ihre
Jungfernschaft in den Händen eines Zuhälters gelassen hatte, und andre
Tage, an denen alle Gaben ihres Leibes und ihres Geistes sie der
Laufbahn entgegenstießen, die sie später freiwillig wählte. Sie lebte
zufrieden in ihrer Welt, nahm unwillkürlich deren Benehmen und Sprache
an, ganz jung noch wurde sie öffentliches Mädchen, wie Musset Dichter
wurde, ganz jung noch. Syphilitisch von Beruf, ohne einen Blick des
Bedauerns zurückzuwerfen, hatte sie den Kopf voll Läuse, ohne daß ihr
der Wunsch nach Sauberkeit kam, und ihre Röcke verbreiteten einen Geruch
von Laster und Schmutz um sich, der die Männer anzog. Sie lebte vergnügt
und skrupellos, und da das Geld ein Ziel auf dieser Erde ist, hatte sie
keine Vorstellung vom Guten oder von Ehrsamkeit und fühlte sich
glücklich wie ein Mensch am Ziele in dem Augenblick, wo sie die Taschen
voll Geld hatte.

Unter den Zuhältern der Rue de la Gaîté wählte sie einen Mann nach ihrem
Herzen -- einem unabhängigen und gleich dem Leben sich wandelnden Herzen
--, lockte ihn an sich und warf ihn, wenn sie seiner satt war, fort, um
einen andern zu wählen, wie ihre Begierde es bestimmte. Sie war ihre
eigne Herrin, und sie beschützte sich selbst mit einem großen Messer,
das sie stets in der Tasche trug und danach sie tastete, um sich seiner
zu versichern wie ein Reisender, den seine Waffen furchtlos machen, da
er weiß, daß es ihm an Mut nicht fehlen wird.

Berthe erzählte ihr die Szene, die sich soeben abgespielt hatte.

Blanche sagte:

»Wie! Du hast nicht gewußt, was ihr antworten? Ich hätte ihr alles
gesagt. Ich hätte ihr gesagt: Alte Heuchlerin, Sie sind ja froh, daß ich
ihn aushalte! Sie machen Geschichten, weil Sie wissen, wie dumm ich bin.
Er hat keinen Fetzen am Hintern, den er selber verdient hätte. Er soll
nur kommen, Sie werden sehen, wie ich den Zuhälter jagen werde!«

Berthe erwiderte:

»Gewiß, aber ich kann mich nicht wehren.«

                   *       *       *       *       *

Bei ihrer Schwester lebte Berthe, nachdem sie das Spital verlassen
hatte. Bei ihrer Schwester, denn das Familiengefühl ist stärker als
jedes andre, und Schwester bleibt man, was auch geschieht. . . So blieb
Berthe bei Blanche, die stark war und sie ein wenig stärkte. Blanche
ging wie ein Vorbild, ohne sich um die Welt zu kümmern, ihren Weg, und
Berthe, die abgeirrt war, brauchte nur ihren Schritten zu folgen. Sie
empfand in der ersten Zeit infolge der alten Gewohnheiten einen Rest von
Trauer und dachte in ihrer schlichten Seele: »Ich sehne mich nach
Maurice.« Sie dachte es sehr heftig und betrachtete die Dinge rings um
sich mit einer großen Unruhe, wie man einen Kameraden betrachtet, der
sein Äußeres verändert hat. Sie lebte bei Blanche, die ihr Gewissen
beschwichtigte und sagte: »Recht hast du.« Es war ihr gleichgültig, ob
sie recht hatte oder unrecht, aber wir suchen überall die Bestätigung
unsrer selbst, die einen Teil unsres Glücks ausmacht.

                   *       *       *       *       *

Abends zwischen neun und zehn Uhr gingen sie auf den Boulevard
Sebastopol hinunter. Von der Place du Châtelet dehnte er sich vor ihnen
mit seinen Trottoirs, seinen zwei Lichterzeilen und war ihnen wie ein
Werkzeug, dessen Handhabung sie kannten und das sie unermüdlich
gebrauchten, während ihr Körper dabei zerbrochen wurde. Alle
Straßenecken sprachen zu ihnen gleich Erinnerungen, bei jedem Schritt
wanderte ihr Zweck mit, sie dienten ihm ohne Lächeln und ohne Aufregung
wie ein Geschäftsmann, der sein Geschäft ausübt. Blanche machte sich den
Beruf leichter, indem sie die Männer direkt ansprach. Berthe warf ihnen,
ein wenig tänzelnd, Blicke zu. Da wimmelten junge Leute, die wie
Fragezeichen aussahen, Männer von vierzig Jahren, deren Erscheinung
ernst ist und deren Gespräche klar und klingend sind wie ein
Fünffrancsstück, Betrunkene, die nicht mehr rechnen können, die von
Liebe schwätzen und einschlafen und die man im Stich läßt . . . Zuhälter
mit schwarzer Schnauze stießen sie im Vorübergehen an mit Worten, mit
Blicken und Schlägen ihrer Rabenflügel. Die Mädchen betrachteten sie
flüchtig, wie man Menschen ansieht, die nicht zu uns gehören, und
zuckten die Schultern, als säßen sie darauf und sollten abgeschüttelt
werden. Blanche ging ohne Hut, mit festen großen Schritten wie
Wäscherinnen mit dem Korb, Berthe mit kleinen Schritten, mit dem
Aussehen der Blumenarbeiterinnen. Die öffentlichen Mädchen kamen
vorüber: solche, die jung und blendend sind wie ein Vergnügen von
siebzehn Jahren und die es nicht verstehen, sich der ersten Glücksfälle
und reichen Launen zu bemächtigen, -- solche, die nicht auf dem
Boulevard Sebastopol bleiben und mit ihren gestärkten Unterröcken
rauschend weitergehen, um rings um sich die Begierde auszustreuen, --
solche, die schon mehrere Jahre des Pflasters hinter sich haben, die es
kennen und bis auf den Grund ausnützen, -- und dann gab es Alte mit dem
schweren Gang von Kühen, die an den Straßenecken Halt machen und mutig
alle Passanten stellen, da es sich um das tägliche Brot handelt. Die
Lichter dienen dazu, die Gesichter der Straße zu studieren, die
Kaffeehausterrassen waren Lockplätze, wo sie die Blicke ausstreuten, um
dann zurückzukehren und nachzusehen, ob zu ernten sei, was man gesät
hat.

Etwas später verließ Blanche ihre Schwester und ging in der Richtung der
Markthallen und der Rue Montmartre. Sie arbeitete am liebsten allein,
denn ernste Arbeit braucht Einsamkeit, in der man seine Fähigkeiten
sammelt wie ein Mensch, der vorwärtskommen will. Es genügte, sie
anzusehen, und sie hängte sich an; und dem Verlangen gleich, das in
unserm Herzen schlummert, kam sie, war da, mit ihren Gebärden und ihren
Beschwichtigungen. Sie verkaufte billig, um häufiger zu verkaufen. Im
Stadtviertel der Zeitungen und der Bars, und zumal wenn es dunkelte,
waren die Männer leichter zu haben. Sie stärkte sich mehrmals, indem sie
einen Kaffee mit einem Gläschen zu fünfzehn Centimes trank, und kehrte
um vier Uhr morgens nach Montrouge zurück, die Börse gefüllt und das
Herz zufrieden.

Berthe machte auf dem Boulevard Sebastopol und den großen Boulevards die
Gefühlvolle. Angefangen von ihrem schwarzen gescheitelten Haar und ihrem
weißen Antlitz bis zu ihren Beinen, die an die Röcke schlugen, empfand
man ihren Gang als ein hübsches Geschehen in einem besondern Dasein,
empfand ihr Herz als das einer süßen und lieben kleinen Frau. Viele
Vögel ließen sich fangen. Die jungen Leute dachten: Das ist ein
zuverlässiges Vergnügen, denn außerdem macht sie den Eindruck, als
könnte man mit ihr verständig reden. Man sagte zu ihr: »Fräulein, ich
geh Ihnen nach und Sie lassen mich tüchtig rennen.« Sie antwortete
manchmal: »Ach, mein Herr, das erkläre ich Ihnen. Ich bin klein, und
wenn ich schnell gehe, merkt man's viel weniger.« Ein andermal gingen
sie neben ihr her und sagten nichts, weil sie so war und ihre Herzen
gerührt wurden. Sie lächelte dann und war anziehend, wie die Sanftmut
anziehend ist. Sie machte die Gefühlvolle bei den jungen Leuten und den
Männern, denn es gibt viel Liebe auf Erden, und die Liebe flutet heran
und trägt uns wie Kinder von hinnen, den Frauen entgegen, wo
Kindlichkeit und Güte sind.

Sie hatte Syphilis. Um diese Zeit litt sie viel Schmerzen im Munde, und
ich glaube, alle ihre Küsse hatten Syphilis. Viele Vögel ließen sich
fangen. Im Spital hatte sie sich gesagt: »Ich weiß nicht, wie ich es
machen soll, denn andere will ich nicht anstecken.« Sie war entlassen
worden. In den ersten Tagen dachte sie: »Ich werde ihm sagen: Wasch dich
gut.« Dann mußte sie essen: das Mitleid ist nichts für den täglichen
Gebrauch. Wenn sie lange gegangen war, begannen die Steine hart zu
werden und hingen sich ihr an die Füße wie Quadern und wie steinerne
Herzen. Sie dachte: »Das hat mich tüchtig gepackt.«

Das ist nichts, Herr Gott. Da ist ein Weib auf dem Straßenpflaster, das
dahingeht und ihren Lebensunterhalt verdient, weil es schwer anders
kann. Ein Mann bleibt stehen und spricht mit ihr, da Du uns das Weib
gegeben hast, auf daß wir uns daran erfreuen. Und dieses Weib ist
Berthe, und den Rest weißt Du schon. Das ist nichts. Da ist ein Tiger,
der Hunger hat. Der Hunger eines Tigers gleicht dem Hunger eines Lammes.
Du hast uns Nahrung gegeben. Ich glaube, dieser Tiger ist gut, denn er
liebt sein Weibchen und seine Jungen und er liebt das Leben. Aber warum
muß der Hunger eines Tigers Blut haben, während der Hunger eines Lammes
so sanft ist?

Da waren ganz junge junge Leute, die unwissend, mit vollem Herzen und
all ihrem Gelde mit den Frauen gingen. Da waren Männer von
fünfundzwanzig Jahren, die ihrer bedurften, sie suchten und lachten,
sobald sie sie gefunden hatten. Da waren verheiratete Männer, die
dachten: »Ein kleines Abenteuer, ein Lächeln, eine Laune für das Mädchen
da, weil sie etwas andres ist, als was mir beschieden war.« Da waren
Männer von vierzig Jahren, die Gesundheitsgründe vorschützten. Da waren
Passanten, gleichgültig was für Menschen, deren Schicksal sich
entschied.

Ein Mann von fünfzig Jahren kam aus der Bretagne, um in Geschäften eine
Woche in Paris zu verbringen. Er begegnete Berthe am Abend seiner
Ankunft. Jeden Abend bezahlte er ihr die Mahlzeit, führte sie ins
Café-Konzert und gar ein wenig in die Nachtrestaurants. So lernte er das
Leben von Paris kennen, das er als junger Mensch nicht hatte kennen
lernen können, weil er damals kein Geld hatte. Dann kehrte er in seine
Bretagne zu Frau und Töchtern zurück, das Herz leuchtend und die Lippen
feucht.

Ein andermal sprach sie ein Mann von fünfunddreißig Jahren an, und er
hatte eine Weile gebraucht, bevor er sie ansprach. Sie verbrachten die
Nacht in einem Hotel der Rue Saint Sauveur und er schenkte ihr fünfzehn
Francs. Er sagte zu ihr: »Vor dem Schlafengehen mach deine Haare
zurecht.« Er legte sich neben ihr nieder und küßte sie auf die Augen:
»So bist du einer Frau ähnlich, die ich sehr geliebt und die ich
verloren habe.« Er tat sonst nichts, stützte sich auf dem Kissen auf,
sie schlief ein, und die ganze Nacht strich er mit der Hand über ihr
Haar. Es gibt schöne Herzen, die heil bleiben.

Gewöhnlich kehrte Berthe um zwei Uhr früh nach Hause zurück, denn die
Straßen bieten dann nur mehr zufällig vierzig Sous und die Gefühle sind
matt.

Oft griff Blanche bei den Hallen gerade »ihren Mann« auf, der nicht
immer wußte, wo er schlafen sollte oder die Nacht durchwachen wollte.
Alle drei, er, Blanche und Berthe, schliefen nebeneinander, doch Blanche
behielt den Platz in der Mitte, um ihn an Übergriffen zu hindern und
weil sie sehr eifersüchtig war. Es waren schwüle Nächte mit den Seufzern
Blanches, den Belästigungen des andern und dem unruhigen Schlafe
Berthes. Am Morgen reckten sie sich dann, der unsaubere Mann und die
beiden Frauen, in ihrem Dunste, wälzten sich herum und sprangen gegen
Mittag aus dem Bett. Sobald Blanche hinunterging, um etwas zum Essen zu
holen, benützte der mit Berthe allein gebliebene Mann den Augenblick und
begann den Angriff, denn Berthe war hübsch und man hat nie Gelegenheiten
genug. Sie wehrte sich, ließ sich gehen, ängstigte sich und spaßte.

Berthe war eben Freudenmädchen. Das ist kein Beruf, den man am Morgen
verläßt und außerhalb dessen man das ist, was man sein soll, wie ein
Beamter außerhalb seiner Kanzlei. Kennst du den Hauch des Lasters, den
man einmal eingeatmet? Die Faustschläge der Zuhälter formen die Mädchen
und hinterlassen im weißen Fleische ihre Spur neben dem Verlangen, das
Gott hineingelegt hat. Sie leben miteinander, eine große Herde, Blanche,
Berthe und die andern, jede gleichsam ein Beispiel und eine Lehre für
die Nachbarin. Die Welt der Prostituierten verheißt zu Beginn ein Leben
in Freiheit, sinkt dann hinab und stinkt nach tausend Geschlechtern
durch den ganzen Tag. Und die Krankheit dringt unter die Röcke mit
fressenden Küssen. Das Trottoir, die Hotelzimmer und die Geldstücke sind
ein einziger Handel, bei dem man seine Seele verkauft, während man sein
Fleisch verkauft.

Man sucht das Glück. Das Glück der Freudenmädchen gleicht dem Rachen der
Straßen, der stark ist und das Leben zwischen den Kinnladen zermalmt.
Sie bedürfen eines Glücks, bei dem die Männer herrisch sind und sie mit
ihren Fäusten packen wie die Wut, unter der man sich duckt. Man sucht
die Liebe. Die Liebe der Passanten kommt und geht, ohne etwas von ihrer
Flüchtigkeit zu hinterlassen, aber es gibt für das Frauenherz eine
andere Liebe, die sie gefangen nimmt und sie niederbeugt und zu Fall
bringt. So war es einst mit Maurice.

Berthe suchte denn das Glück in der Liebe. Sie lernte zunächst Blondin,
den Radfahrer, kennen. Blondin, der Radfahrer, war groß, breit, rot,
hatte feste Hände und gediegene Füße, und schritt auf der Straße mit
einer Gewichtigkeit hin, daß schon seine Augen schwer auf unserer Brust
zu ruhen schienen. Er betrieb, wer weiß was für einen Fahrradhandel und
besaß zwei- oder dreimal ein Automobil, das ihm das Aussehen eines
geschickten Mechanikers und eines geschäftigen Kaufmanns lieh, der über
den üblichen Handel hinaus ist. Er führte Berthe aufs Land hinaus, und
auch das unterschied ihn von den gewöhnlichen Männern. Manchmal hatte er
die Taschen voll Geld, ein andermal mußte ihm, wie Berthe sagte,
»ausgeholfen« werden. Seine rohe und handfeste Liebe gewährte entweder
Üppigkeit oder forderte die vierzig Sous von dem Weib, das er liebte.
Und man liebte ihn, weil er einen umfing, daß die Knochen knackten, und
man gab ihm alles, weil er nicht für einen Dummkopf gehalten werden
wollte.

Sie lernte eines Nachts, als sie nach Hause ging, den Azteken vom
Grand-Montrouge kennen. Er stand an einer Straßenecke, blaß und hager,
mit feinem vorgeschobenen Mund und seinem angespannten Willen. Als er
sie ansprach, fühlte sie, daß es da keine Widerrede gab und daß ein Mann
alles vermag, wenn er der Welt in die Augen sieht.

Sie lernte eines Abends in einer Bar den »Kegel« kennen, der hinkte und
ein verpfuschter Zuhälter zu sein schien. Holterdipolter, die Lahmen
sind komisch, es war eine Liebe zum Lachen.

Sie lernte noch andre kennen: die Burschen vom Montrouge, vom
Montparnasse und aus dem Latin, die Liebe am Nachmittag, bei der man
herumbummelt, die Liebe bei Nacht, bei der man heimgeht; sie lernte auf
dem Boulevard Sebastopol sogar die Liebe flink wie der Wind, zwischen
zwei Kundschaften, kennen. Sie kugelte rundum durch die Bars und trank,
was man wollte, und lachte, wie man eine Kugel anlacht, die das rollende
Glück ist. Sie ward eine Hündin, die die Hunde beschnüffelten, einer den
andern drängend, das Ding aufgerichtet und das Maul toll wie brünstige
Hunde. Sie lernte sie alle kennen und wandelte durch die Straßen als
schwaches Fleisch, das unterliegt, ohne Widerstand, ohne einen Nerv, der
sich strafft, ohne irgendwas, dessen Herrin sie wäre. Sie warf ihr
Portemonnaie in die Luft, aus dem die Geldstücke rollten,
auseinanderstiebend im Wirbel eines zügellosen Lasters.

Sie lernte Kiki kennen. Kiki war sechzehn Jahre alt, mit spitzer Stimme,
und flitzte herum wie die Kinder um unsre Beine. Er verkaufte
gelegentlich Gemüse und kannte seine Straße, wie man sie kennt, wenn man
Handel treibt, am Gewicht betrügt und mit den Bestohlenen herumstreitet.
Die Männer nahmen ihn nicht ernst: deshalb wehrte sich Kiki mit Zähnen
und Krallen, heulte in den Straßen, stürzte sich auf alles und mußte
sich mehr als ein andrer Mühe geben, zur Geltung zu kommen. Einmal
begegnete er einem Kindermädchen mit einem Kinde. Das Kind hatte eine
Peitsche:

»Gib mir die Peitsche, ich knall mit ihr.«

Kiki unterhielt sich damit gute fünf Minuten, dann wollte das Mädchen
weitergehen und die Peitsche wiederhaben.

»Nichts da«, sagte Kiki.

Als sie sie ihm wegnehmen wollte, wich Kiki zurück und knallte vor dem
Gesicht des Mädchens, indem er sagte: »Nicht näherkommen!«

Der Junge weinte. Kiki entfernte sich, mit der Peitsche knallend, und
drehte sich von Zeit zu Zeit um, um sie auszulachen. Als er sie nicht
mehr sah, wurde ihm die Peitsche lästig und er schmiß sie hinter einen
Zaun.

Er war ein Gassenbub für Gassenbübinnen, einer der Bengel, deren
Geschichten unterhaltend sind. Berthe gab sich ihm aus Spaß hin, und das
ist schlimm, denn eine Frau, die sich achtet, soll einen Mann wählen,
der zu etwas taugt.

Berthe traf mitunter den langen Jules, der in der ersten Zeit mit ihr
stehen blieb und mit ihr plauderte wie mit der Frau eines Freundes. Er
nannte sie »Madame«. Aber als er von ihrer Lebensweise erfuhr, sprach er
nicht mehr mit ihr und ließ sie vorübergehen, den Kopf hoch, wie ein
Soldat in Waffen hinabsieht auf diejenigen, die Zucht und Gesetz
verletzen.




VIII


Es gab andre Tage für Berthe, und das waren jene Tage, an denen sie
Pierre Hardy besuchte. Er sagte zu ihr:

»Du hast mir schweres Leid angetan. Ich bin dir eines Tages begegnet;
wir waren einer wie der andre zwanzig Jahre, und ich habe gelitten, weil
ich Mann war. Zwanzig Jahre bedeuten Liebe, aber Liebe bedeutet Geld.
Ich gönnte mir ein wenig Liebe von meinen Ersparnissen. Sofort hatte ich
diese Krankheit. Mein armes Kind, das ist weder meine noch deine Schuld.
Wir leben in einer Welt, in der die Armen dulden sollen. Ich war weder
reich noch schön genug, um mir eine Frau unter denen zu wählen, die ich
kenne. Du weißt, daß ich dich zufällig gefunden habe. Ich glaube, daß du
viel Unglück gehabt hast, da du dich jedem, der vorüberkommt, anbietest.
Ich tröste mich ein wenig mit dem Gedanken, daß ich dir eines Tages das
tägliche Brot war. Ich bin kein Weiser, ich habe dich anfangs verachtet.
Aber ein Freund von mir hat mir die Worte gesagt, die ich dir
wiederhole: Ich habe erfahren, daß die Welt bös ist und daß wir zu
beklagen sind! Du hast mir schweres Leid angetan. Heute soll uns das
Leid, das du mir angetan hast, verbinden. Du bist für mich das einzige
mögliche Weib, denn meine Berührung bringt die Pest.«

Berthe erwiderte:

»Was willst du! Das ist unser Beruf.«

Sie aßen zusammen in einem Restaurant zu fünfundzwanzig Sous.
Speisezimmer im ersten Stock. Die weiß gedeckten Tische haben sechs
Plätze und sehen mit ihren Gläsern, ihren Karaffen, ihren Ölfläschchen
wie fein hergerichtete Tische aus, an denen man die ausgezeichneten
Gerichte der Reichen verzehrt: Rehschnitten, gebratene Kartoffeln,
Lämmerhaché, Spiegeleier, Schokoladenauflauf. Man sieht da Herren im
Zylinder stolz und höflich ankommen, wortlos essen, zurückhaltend und
tief davon durchdrungen, Magistratsbeamte zu sein. Dann ißt man da all
die Saucen, die die Eitelkeit erfand, um den Armen unrecht zu tun. Man
bestellt seine Speisen in Befehlston und spricht mit leiser Stimme, denn
wohlerzogene Menschen machen keinen Lärm. Auf Berthe übte der Luxus
einen großen Eindruck aus und sie sagte: »Hier ist es nicht übel«, sie,
die die billigen Selcherläden der Vorstadt gewöhnt gewesen war.

Aber nach der Mahlzeit gingen sie in ein benachbartes Kaffeehaus auf
eine Tasse Kaffee. Die Stunde war noch besser: Sie wählten eine Ecke
und, die Ellbogen auf dem Tisch, fern von den Leuten, die Lärm machen,
und von denen, die ihre Manieren unterstreichen, plauderten sie viel.
Berthe, die Herumtreiberin, die von Laster zu Laster lief, setzte sich
in eine Ecke, die Ellbogen auf dem Tisch, und aus der Tiefe ihres
Gewissens stieg ein trauriges und stilles Flämmchen auf. Pierre blickte
sie an und, eine Frau neben sich fühlend, glaubte er ein wenig Liebe zu
erblicken, ein steiles Flämmchen, das brannte und zart war. Ihre Worte
wurden gleich sehr aufrichtig. Sie hatte ein Bedürfnis danach, denn in
unsrer Seele gibt es einen unverrückbaren guten Winkel, der in Zeiten,
da wir nicht Übles tun, voll schlichter Gefühle ist; da dringen oftmals
Stimmen hinein und beginnen zu rufen wie verlassene Kinder. Berthe hatte
ein Bedürfnis danach, wie sie einer Mutter bedürfen, dann eines Gatten,
sie, die unbeschützten Frauen mit den haltlosen Herzen, die ihren Halt
auf der Straße suchen. Sie hatte ein Bedürfnis danach, zu sprechen: »So
bin ich, sieh mich an und sage mir, wie du mich findest.« Niemals war
Liebe zwischen ihnen, sondern etwas, das sie überdauert: Vertrauen und
Güte.

Sie sprach zu ihm von Maurice und sagte ihm alles. Sie hatte einen
Geliebten, der Maurice hieß, der schlecht war und sie aus vollen Händen
ohrfeigte.

»Ich weiß nicht, ob ich ihn liebe: er hat mich so geschlagen, daß ich
mich das nie gefragt habe.« Er war verrückt. Eines Tages habe er sie
geschlagen, bis er merkte, daß er sie erschlagen würde. Rechtzeitig
ergriff er ein Kissen, schleuderte es ihr über den Kopf und hieb mit der
Faust so lang darauf, bis er erschöpft war. Sie war im Gesicht ganz blau
geworden. Doch jetzt sei er im Gefängnis.

Und Pierre sah ihn. Er sah diese Dinge von zwanzig Jahren und senkte den
Kopf wie Adam, als er erkannte, daß Böses auf Erden sei. Herr Gott, es
gibt viel Böses auf der Welt. Da sind Frauen, die unter Deinen Augen
sind und Deine Kinder. Du hast sie geschaffen, Du hast sie uns an die
Seite gegeben für unsern Hunger wie einen schönen Kuchen. Sie dünken uns
so fein, daß wir sie nicht anzurühren wagen, Gott, Gott! Da sind
trotzdem Frauen unter Deinen Augen, die ein Kreuz von Eisen tragen.
Gott, Berthe: ein Mann zerdrückt ihre Schultern. Er hält sie mit seinen
Klauen fest und gräbt sich in ihre Haut, daß sie ihm nicht entschlüpfen
kann. Er zwingt sie vorwärts. Mit seinem ganzen Gewicht drückt er sie zu
Boden, damit sie kraftlos sei wie ein verendendes Tier, damit sie Dich
weder zu sehen noch zu hören vermag.

Pierre blickte Berthe an. Er sagte nichts. Er nahm ihre Hand und hielt
sie zwischen seinen Fingern, um sie sein Mitleid spüren zu lassen, ganz
einfach, um ihr ein wenig wohlzutun. Dann gingen sie. Er führte sie in
seine Wohnung und hielt sie auf der Straße an der Hand, damit niemand
sie berühre. Er neigte sich zu ihr und fügte, damit sie so recht fühle,
wie er's meinte, die Worte hinzu:

»Meine liebe Freundin, meine liebe Freundin!«

Manchmal kam ihnen Louis Buisson ins Kaffeehaus nach. Er setzte sich an
die andre Seite von Berthe und alle drei sahen, die Ellbogen auf dem
Tisch, ihren Kaffee trinkend, aus wie drei junge Leute, die zum Plaudern
zusammengekommen waren. Der eine von ihnen war ein armes Kind, eines von
jenen, die nicht wissen, wie sie dir etwas Gutes antun sollen, die dich
aber freundlicher stimmen, da du ihren heißen Wunsch spürst. Der andre
verstand viel besser dein Leid, und wenn er es mit dem Finger berührte,
spürtest du einen elektrischen und zarten Finger, der dich berührte und
dich sondierte, weil die Wunden sondiert werden müssen, bevor man sie
heilt.

Um diese Zeit erzählte Louis Pierre:

»Ich lese die Evangelien. In einer Nacht stieg Jesus mit seinen Jüngern
zum Ölgarten hinauf. Es war eine Nacht wie die Nächte in Paris, da wir
wissen, daß die Lust böse ist, weil ihr die Menschen nachgehen ohne
Liebe. Ihm zu Füßen lag Jerusalem, wo die Freudenmädchen und die
Verführung aufeinander prallten wie arge Waffen, die töten, um Vergessen
zu bringen. Er dachte daran, daß die Welt voll Geld sei, und daß die
Hohenpriester und die Soldaten Haß und Kampf hineintragen. Er stieg auf
den Ölberg, um zu seinen Aposteln zu sprechen: >Ich bin die Liebe.
Lasset uns dort oben zusammenkommen und durchwachen die Nacht vor meinem
Tode. Wir wollen zu Ihm beten, der mich auf euren Weg geführt hat, daß
er mich noch beschütze. Und morgen, wenn ich am Holze gestorben bin,
gehet hin durch alle Welt und sprechet: Die Liebe ist geboren, wir sind
gekommen, euch die Liebe zu lehren.< Er hielt sich abseits und betete
lange. Dann wollte er nochmals zu ihnen sprechen. Er wendete sich um und
sah, daß alle eingeschlafen waren. Petrus und Johannes und Judas und
Thomas und die andern, sie schliefen, die Arme unter dem Haupte so, als
hätten sie nichts anderes vor, als zu schlafen. Da bemerkte Jesus, daß
irdische Nacht ihn bedeckt hatte: >Jahr um Jahr habe ich meine Seele
über die Erde gegossen, um sie zu erleuchten. Vergib mir, mein Vater,
doch ich sehe, daß alles umsonst war. Diese hier schlafen heute, am
letzten Tage, den Du mir gegeben hast. Wenn die Besten erliegen, wenn
die Guten zu schwach sind für das Wort der Liebe, warum hast Du mich
hierhergesendet? Der menschlichen Güte ist nicht genug. Ich habe die
glühende Liebe gepredigt, und meine arme Liebe liegt im Sterben.< -- Und
ich dachte an Berthe, Pierre, beim Jesus auf dem Ölberg. Der Heiland hat
an seinem letzten Tage weinen können, aber das Wort der Liebe ist nicht
gestorben. Die Schläfer hatten es bewahrt, denn der Geist ist stark,
wenn auch das Fleisch schwach ist. Sie haben mehrere Seelen gerettet:
den heiligen Franziskus von Assisi und den heiligen Vinzenz von Paul.
Und uns, mein Freund, uns hat ein Freudenmädchen gefunden. Wir wollen
sie lehren, daß ihr Leben nicht gut sei, und wollen ein bißchen mehr
Güte in das unsre tun, damit sie es begreift und damit sie es liebt. Ich
weiß nicht, ob wir sie werden retten können, aber ich weiß, daß das Wort
der Liebe keine Grenzen kennt. Wenn wir scheitern, mein Bruder, dann
trösten wir uns mit dem Gedanken, daß wir ein wenig Licht in ihre Seele
gegossen haben und daß wir nicht wissen, ob wir nicht am Beginn ihres
Heils stehen.«

Und später, wenn er sich näher an Berthe gesetzt hatte, fragte er sie:

»Nun, meine Kleine, warum treibst du noch dein Geschäft?«

Sie hatte ein nichtssagendes Lächeln wie die Kinder, die wohl wissen,
aber sich nicht zu antworten trauen. Es wanderte eine Weile über ihr
Antlitz, während sie die Augen niederschlug, dann sagte sie nichts.
Anderswo hätte sie gesagt: »Ach geh, mach keine Faxen!« Sie hätte dies
gesagt, weil die Leute, die Anteil am Elend nehmen, es zuerst ausnützen
und dann nicht mehr daran denken, ihm zu helfen.

Doch Pierre sah sie an, als wollte er sagen: Nun, meine kleine Freundin,
du weißt gut, das bin ich, mit allem, was ich habe. Und alles, was er
hatte, strahlte auf seinem Antlitz wie ein Herdfeuer, das schöne Funken
gibt und aufsteigende Wärme. Darum sagte sie:

»Sie glauben, daß man tun kann, was man will.«

Sie fragten sie aus: Wieviel verdiente sie einst mit den Blumen? Sie
erwiderte, daß man davon wohl leben könnte, denn man verdiente
fünfundzwanzig Francs wöchentlich. Man nimmt ein kleines Zimmer für fünf
Francs, und abends kocht man zu Hause. Eine Frau ist nicht wie ein Mann,
sie besorgt sich alles selbst.

»Nun also, meine Kleine, warum treibst du dann noch dein Geschäft?«

Darum. Wenn Maurice etwas Geld hätte, würde sie sich einen Blumenladen
aufmachen. Sie hätte zwei Arbeiterinnen, denen sie täglich zwanzig oder
fünfundzwanzig Sous bezahlte und die ihr dreimal soviel verdienten.
Berthe kam dann auf all ihre Geschichten: Sie war einem Herrn begegnet,
der sie nach Rußland mitnehmen sollte. Sie lernte einen jungen Mann
kennen, der ihr Tanzunterricht gab, damit sie ins Moulin Rouge eintreten
könnte, wo man für das Mittanzen in den Quadrillen bezahlt wird. Sie
sollte in einem Café-Konzert singen, in einem blauseidenen Kleid, bis
daher ausgeschnitten. Maurice wollte einen Phonographen kaufen und beide
wollten auf den Festen der Umgebung von Paris umherziehen. Sehr gern
hätte sie Verkäuferin in einem Tabakladen sein wollen: »Zigarren
gefällig, mein Herr«, und man lächelte bei diesen Worten.

Sie erging sich in all den Geschichten einer armen herumstreichenden
Dirne. Ihre Phantasie machte allerhand Sprünge, und es war erquicklich,
ihr zu folgen und, was immer man unternahm, Glück zu haben. Die Männer
sagen sich: Man zieht sie auf und läßt sie schwätzen. Kennt man die
Welt, so ruht man wahrhaftig von seiner Plackerei aus, wenn man den
Kindern zuhört.

Aber Louis Buisson sagte:

»Meine Kleine, wenn du nicht glücklich sein wirst, mußt du uns besuchen.
Du wirst uns deine Geschichten erzählen, und ich weiß, daß uns das
Vergnügen bereiten wird.«

Dann verließ er sie, da er arbeiten wollte. Da sagte Pierre: »Du sollst
kommen. An den Tagen, an denen du traurig sein wirst, sollst du kommen.
Du wirst sagen: O, wie mir schwer zumute ist, wie mir schwer zumute ist!
Ich werde dir in die Augen sehen und dir antworten: Auch ich habe Tage,
wo mein Herz zerbirst. Du wirst sehen, wie Mann und Frau glücklich sind,
zusammen zu dulden. Ich bin ganz allein, und wenn ein Freund mich
besucht, ist es mir, als würde ich niemals mehr ganz allein sein. Abends
findest du mich, vor dem Essen, und wirst mit mir speisen. Nachher
findet man mich auch. Du wirst mein kleines Herz werden, du hast mir
gefehlt. Fürchte nichts. Die Frauen bilden sich immer ein, daß man sie
mißbrauchen will.«

So redete er und zu tiefst dachte er: »Es ist so schön, ein Weib neben
sich zu haben!«

                   *       *       *       *       *

Sie kam ziemlich oft. In der ersten Zeit traute sie sich nicht und
pochte zaghaft an der Türe, ein leises Kratzen von Ameisenfüßen.

»Ich komme dich besuchen. Ich bin hier vorübergegangen. Da hab ich mir
gesagt: Wart, ich schau zu Pierre hinauf.«

Das war anfangs vor dem Essen, wenn der Hunger den Wolf aus dem Walde
treibt.

Im Restaurant entschuldigte sie sich: »Bitte, verzeih, daß ich das Salz
vor Dir nehme.« Es gibt viel Schüchternheit in unserm Herzen, und ist
man ein Freudenmädchen mit tanzendem Herzen, so bleibt man trotzdem
unter Männern ein Weib, sanftmütig und zaghaft.

Etwas später sagte sie:

»Ich bin zu dir gekommen, ich weiß, daß es dir nicht fad ist.«

Sie kam ziemlich oft. Sie kam an den Tagen, da sie traurig war, noch
einen Rest der Liebesfreuden in den Kleidern und die Brutalitäten der
Mädchenhirten. Sie kam an den Tagen, da sie krank war und ihre Leiden
wie eine beständige Verzweiflung in ihrem Kopf herumgingen. Sie kam
niemals, wenn sie fröhlich war, denn dann sind die Straßen da, in denen
man herumtollt, die Zuhälter, bei denen die Freude ausgiebiger ist, und
das Geld der Straßenmädchen, das auf allen Schenktischen fliegt. Sie kam
besonders an Abenden, da sie mit ihrem Beruf abzurechnen hatte und ihr
Brot kriegen wollte.

»Wie geht es dir?«

»Schau her.«

Sie zeigte ihm Zunge und Gaumen, die voll Wunden waren, die ganze Abende
Küsse austeilten und ihren Speichel wie Lust in den Mund der Männer
gleiten ließen . . . Sie hatte Halsschmerzen und ihre Stimme kratzte,
als stieße sie gegen etwas, das sich im Halse festgesetzt hatte. Sie
fühlte auch in den Knochen Schmerzen, die aus ihrem Innern zu kommen
schienen wie aus einem Sammelbecken des Schmerzes. Übrigens wollte sie
Quecksilberpillen nicht einnehmen, weil sie gehört hatte, daß
Quecksilber das Leiden hervortreibe.

Sie kam an gewissen Abenden, ohne seit dem vorigen Tag gegessen zu
haben. Das merkte man ihr nicht an, das Unglück sieht wie jedermann aus.
Sie sträubte sich zunächst in einer Art von Stolz; im Restaurant aß sie
nicht mehr als sonst: »Ich darf ihm doch nicht mehr Auslagen machen«,
aber nach der Mahlzeit, wenn sie satt war, konnte sie sich nicht
zurückhalten: »Weißt du, was ich zu Mittag gegessen habe, hätte mir kein
Magendrücken verursachen können.«

Pierre sagte:

»Meine liebe Freundin, du tust mir weh. Du weißt gut, daß ich auf der
Welt bin, dir zu helfen. Komm nur, komm. Wahrhaftig, es ist schön, armen
Frauen Gutes zu erweisen. Man nennt das: der leidenden Menschheit
wohltun. Wenn du nichts zu essen hast, denk an mich. Du sagst nichts, du
kommst, und ich werde dich verstehen.«

Sie antwortete sanft:

»Das macht nichts. Ich bin heute um drei Uhr aufgestanden, da hab ich
den Hunger garnicht gespürt.«

                   *       *       *       *       *

Es war an einem Abend im Dezember. Ein schlimmer Dezember schritt durch
die Straßen mit Eis und Wind, herrisch, über unser Menschenfühlen
hinweg, drang bis ans Mark und haftete darin, stärker als aller Druck
und aller Kummer.

Ein Pariser Dezember, in dem die öffentlichen Mädchen ihre Schultern
einziehen, ihre Gesichter einschrumpfen fühlen und im Wind wehen mit den
Flammen der Laternen.

Pierre arbeitete in seinem Zimmer. Der Ofen brummte wie ein alter treuer
Kater, der zu sagen scheint:

»Bleib daheim, Herr, so wie ich.«

Pierre dachte:

»Das ist eine schändliche Krankheit und greift um sich, wie das Böse um
sich greift.«

Er dachte noch:

»Neujahr kommt heran. Die Neujahrstage haben sich sehr verändert. Ich
will vom Bureauchef acht Tage erbitten und nach Hause fahren. Mama wird
sagen: >Da ist mein Pariser!< Die alten Frauen werden sagen: >Jetzt
trauen wir uns nicht mehr, dich zu duzen.< Meine beiden Schwestern und
die kleine Nichte werden da sein, in der guten Wärme auf dem Lande, die
in unser Herz eindringt und unsre Gedanken ausbrütet wie kleine Kücken.
Das erste Jahr, in dem ich die Syphilis habe. Ich werde alle küssen und
aus ihren Gläsern trinken. Sie werden zu Juliette sagen: Geh,
Leckermaul, trink ein wenig aus dem Glas des Onkels. Ich will sie knapp
am Haar küssen, wo die Lippen weniger haften. Aber dann werde ich wegen
des Glases keine Ausrede gebrauchen können. Mama wird sagen: >Dazu hat
er nach Paris gehen müssen, um sich diese Fäulnis heimzubringen.< Papa
wird sagen: >Das ist eine feine Gesellschaft für seine Schwestern.< Und
alle jene, die in Paris keinen Posten gefunden haben, werden sehr
zufrieden sein.«

Er dachte auch:

»Ich muß trachten, zur Prüfung zum Brücken- und Straßenbaumeister
zugelassen zu werden. Man würde sofort meinen, daß ich nicht mehr gern
arbeite. Und ich arbeite, während ich Quecksilber schlucke, und weiß
nicht, ob ich, wenn die Zeit der tertiären Erscheinungen kommt, werde
leben dürfen.«

Mitten hinein klopfte jemand an die Tür. Pierre erhob sich und vergaß
schon seinen Kummer, da es Berthe war und da wir zu jeder Zeit einer
Frau bedürfen.

Es war Berthe.

Wie sie eintrat, trat der Winter ein mit ihren Röcken, denen die Kälte
entstieg.

Sie sagte:

»Das bin ich. Bei dir ist's schön.«

Dann:

»O, hör einmal, das weißt du nicht: meine Schwester Blanche ist im
Saint-Lazare! Da war eine Radfahrbahn. Blanche tut alles nach ihrem
Schädel, fuhrwerkte dort herum und zeigte ihre Waden und alles. Ich habe
ihr gesagt: >Tu das nicht, du wirst sehen, eines Tages werden sie dich
erwischen.< So geschah es: wie ich gesagt habe. Bei der Untersuchung auf
der Polizei wurde sie als nicht gesund erkannt und zur Heilung nach
Saint-Lazare geschickt.«

Berthe setzte hinzu:

»Und jetzt muß ich das Zimmer bezahlen.«

                   *       *       *       *       *

Sie setzte sich und sagte nichts mehr.

Sie rückte ganz nah an den Ofen, so nahe, daß man geglaubt hätte, sie
sei unempfindlich oder verrückt, und, die beiden Hände auf den Knien
gekreuzt, den Kopf gesenkt, saß sie da.

Unter ihrem Haar sah die arme kleine Frau mehlweiß aus, wie eine lockere
Puppe, die zerfällt und umsinkt.

Sie flüsterte noch:

»Und dann, nein, nein. Das dauert schon zu lange.«

Ihr Anblick tat sehr weh.

Nicht alle ihre Gründe waren verständlich, denn Gründe gibt es
unzählige, und sie schweben mit hunderttausend Eisenfäusten über unserm
Haupt, deren Wucht zusammen mit den Tagen, mit den Leiden, mit den
Schlägen, die man empfangen, mit dem Bösen, das man begangen, mit den
verbummelten Nächten niederlastet. Es kommt ein Abend, an dem alles zu
Ende ist, an dem so viele Mäuler uns zerbissen haben, daß uns keine
Kraft mehr bleibt, uns aufrecht zu erhalten, und uns die Fleischfetzen
vom Leibe hangen, als wenn all die Mäuler sie zerkaut hätten. Es kommt
ein Abend, an dem der Mann schluchzt, an dem das Weib sich am Ende
fühlt.

Sie hatte sich schließlich zu dem Jungen geflüchtet in der Empfindung,
umzukommen und das womöglich an dem besten Ort zu tun.

Und hier, auf dem Stuhle kauernd, war sie ein zusammengebrochenes Wild,
das sein letztes Leben in den Flanken spürt, das es für immer aushaucht
und mit dem Blick noch sein Lager streift, bevor es darin seine
Überreste zurückläßt.

Sie sagte:

»Laß mich hier schlafen. Ich kann nicht fortgehn. Ich bitte dich darum,
denn ich weiß, daß ich dir große Unannehmlichkeiten bereiten werde.«

Das sagte ein Straßenmädchen, dem die Nächte berufsmäßig kostbar sind,
daß sie eine jede auf zehn Francs einschätzt, und für das die verlorenen
Nächte brotlose Tage sind. Sie bat um Gnade, sie, die den Preis
gewährter Gnade kannte, die auch wußte, daß ein Menschenleib bezahlt
wird, und daß man Geld empfängt von denen, die man tröstet.

Er legte sich neben sie. Er nahm sie in seine Arme, in denen sie lag,
kalt vom Kopf bis zu den Füßen wie ein eisiger Sturm, wie ein Feld,
dessen Ernte vom Hagel zerbrochen ist. Er legte sie an sein Herz und
hielt sie lange warm in glühender Hingabe, ein leises mitleidvolles
Klagen entfuhr ihm einer Flamme gleich.

Er sagte nichts, er dachte nicht an das Weib, er war selbst von diesem
Schmerz ganz eingehüllt und hätte am liebsten gerufen:

»Arme kleine Heilige! Arme kleine Heilige!«




IX


Dezember dann und Neujahr, alles ging vorüber; aber seitdem Blanche fort
war, strich die Zeit mühselig dahin, als fehlte es auch ihr an Schwung.

Eines Tages, um vier Uhr nachmittag, kam Berthe auf dem Boulevard
Sebastopol an der Kirche Saint-Leu vorbei. Das ist eine Kirche aus
grauen Quadern wie alles rings um die Hallen, wo die Häuser an den
Fischmarkt und das große Mundwerk der Händlerinnen erinnern. In den
letzten Tagen spürte Berthe ein gewisses Schauern zwischen Zwerchfell
und Herzen, ein Spiel der Organe, von dem sie nicht erriet, was es zu
bedeuten habe. Manchmal kamen ihr komische Gedanken, die einen Anfang,
aber kein Ende hatten und dennoch einen süßen und lieblichen
Nachgeschmack hinterließen. Als sie an der Kirche Saint-Leu vorbeikam,
durchlief sie das Erschauern und umfing sie. Sie lächelte, indem sie
sich ihm hingab, und sagte sich: »Gehn wir hinein!«

Sie durchschritt zweimal die Kirche und war verwundert. Dann setzte sie
sich auf einen Stuhl und wußte einen Augenblick nicht, was sagen:

»Mein Gott, ich bin nur eine liederliche Dirne. Heute abend mußte ich in
die Kirche Saint-Leu treten, ohne zu wissen, warum. Da bin ich in Deiner
Kirche, mein Gott, ich denke an Dich. Du siehst uns nicht einmal an,
denn wir tun alles das, was Du verboten hast. Maurice sagte: Es gibt
keinen, aber ich sage Dir: Es gibt einen guten Gott. Mir ist, als wenn
ich den Boulevard Sebastopol lange verlassen hätte. Weil ich am Tag
meiner ersten Kommunion krank war, nahm ich meine erste Kommunion zwei
Wochen später. Wir waren zwei Kleine in Weiß, aus derselben Schule: die
Schwester nahm einen Fiaker und führte uns zur Kommunion nach
Notre-Dame. Wir waren sehr glücklich, im Fiaker zu fahren. Und dann hat
mich meine Mutter am liebsten gehabt. Sie sagte zu mir: Komm her,
Berthe, ich mach dir Locken und frisier dich schön. Ich bin in die
Katechismusstunden gegangen und liebe noch die Marienmonate sehr. Meine
Mutter war sehr gütig, sie war nicht wie die andern Frauen und war
Italienerin. Am Tag, wo sie gestorben ist, war ich im Spital. Meine
beiden Schwestern besuchten mich: Marthe war ganz blaß, aber Blanche
kratzte sich am Kopf und schien sich nicht viel daraus zu machen. Auf
der Stelle bereitete es mir nicht soviel Kummer, wie ich geglaubt hätte.
Mein Gott, ich denke an meine Mutter. Ich wäre so glücklich, wenn ich
sie wiedersehen würde, aber ich frage mich, ob es nicht Dummheiten sind,
was ich Dir sage. Ich will zu Dir beten, mein Gott, denn das Gebet tut
mir wohl. Wenn meine Bekannten wüßten, daß ich bete, sie würden es
lächerlich finden, und ich will trotzdem zu Dir beten. Ich bin nur eine
liederliche Dirne, aber ich bin noch nicht schlecht. Du wirst mich
ansehen und sagen: Ach, die kleine Berthe Méténier betet da.«

Sie ließ sich auf die Kniee nieder und sprach das »Vaterunser« und
»Gegrüßt seist Du, Maria«, aber sie konnte sich nicht an das »Ich
bekenne« erinnern. Kurz darauf setzte sie sich und blieb in ihrem Winkel
sitzen, ganz allein und ganz bescheiden wie ein kleines Kind, das ein
gutes Beispiel geben will.

Sie trat hinaus und ging geraden Wegs zu Pierre Hardy. Sie erzählte ihm:

»Weißt du, was ich heute gemacht habe? Ich kam an der Kirche Saint-Leu
vorüber. Da bin ich hineingegangen und hab für meine Mutter zum lieben
Gott gebetet!«

In ihm war ein Rest seiner katholischen Erziehung:

»Dafür wird dir vieles vergeben werden, meine kleine Berthe.«

Dann wurde er sich bewußt, daß diese Worte nichtssagend waren.

Nach dem Essen, während sie im Kaffeehaus saßen, packte es Berthe:

»Ach was, es ist blöd, daß ich mich gräme.«

Sie ergriff das Kognakfläschchen und schüttete es in die Tasse mit
entschlossener Gebärde und plötzlichem Kopfnicken. Wahrhaftig, komische
Einfälle trieben sie an, wirbelten durcheinander, man sah sie in ihren
Augen blitzen. Sie brach in Gelächter aus: Ja, manchmal packt es mich.
Sie trank den Alkohol aus wie nichts, und das genügte ihr nicht.

Sie rief: »Vorwärts! Musik!« und stürzte noch eins hinunter. Ein Irrsinn
überkam sie, den Ellbogen immer wieder zu heben, ein förmlicher Irrsinn
in Ellbogen und Kopf, in dem Trinken Lust bereitete und die Lust
vervielfachte. Sie trank mit einer Geste, wie wenn ein Gärtner sein
Blumenbeet begießt, es erhielt sie im Zuge, es trieb sie weiter und
mischte eine unbekannte Kraft in ihr Blut. Sie schüttete alles hinab,
was da war, und man hätte gedacht, sie schütte etwas zu.

An der Straßenecke stand ein kleiner Knirps. Berthe balancierte,
geradezu tanzend, wie ein Seiltänzer. Sie schwang ihm das Bein über den
Kopf und rief: »He, hopp!« Der Junge lachte auf, Berthe bückte sich, um
ihn zu küssen, und sagte: »Wie lieb er ist!«

Einen Augenblick war die ganze Welt lieb. Sie erfüllte alles mit Leben,
teilte allem ihre Lustigkeit mit und hätte am liebsten alles in ihren
Wirbel hineingerissen:

   »Mein Mädel, mit der Garde
   Marschieren wir herum,
   Tra ra tra ra bum bum!«

sang sie und stürzte sich in die offene Tür eines Kaffeehauses:

»Ich pfeif drauf, ich pfeif drauf. Das dauert mir schon zu lang. Die
ganze Komödie ödet mich an. Man spuckt in die Luft und es fällt einem
auf die Nase. Ich pfeif jetzt auf alles, und das ist das Beste. Sie
sagen mir: Was haben Sie für eine glückliche Natur, Sie lachen in einem
fort. Ich pfeif auf sie. Jetzt will ich mich amüsieren. Gewiß, ich hab
einen Nervenanfall gehabt heute abend, und ich möchte wissen, wozu mir
das gut ist. Geld bringt's nicht in die Tasche, wenn man sich grämt.
Ach, schau bloß mal den Schädel des Alten an! Wenn er trinkt, läßt er
das Bier herunterrinnen. Dann soll er keine Regenwürmer haben im Bart!
Die sind gut, die Alten. Man sagt zu ihnen: >Zahl mir vierzig Sous drauf
und ich küß dich.< Was muß Maurice da unten nicht alles schlucken? Seit
einer Woche wartet er, daß ich von mir hören lasse. Ich hab es satt.
Komisch, wie man aus der Ferne alle Fehler sieht. Da sagt mir unlängst
sein Kamrad: >Was du treibst, ist nicht recht.< Was hat er sich
reinzumischen?«

Aber Pierre, der steif dasaß, öffnete den Mund, und sie schwieg schon.
In der Luft lag etwas andres:

»Nein, der dein Mann ist, ist nur ein Mensch; ein Leib, der leidet, und
eine Seele darin, die büßt, sollen unserm Herzen teurer sein, als alle
Begierde und aller Haß und sollen wie ein ausgestoßener Schrei sein, der
so lange fortgellt, bis wir ihm unsre Liebe entgegenbringen. Ich weiß,
daß ein Mann dir weh getan hat, aber ich weiß auch, daß dieser Mann
allein ist. Ist dein Schmerz groß, so sei er auch schön, neige dein
Haupt wie ein guter Engel über Gottes Gerechtigkeit, dann erhebe dein
Haupt und lächle deinem Bruder Satan zu. Er brachte dir das Licht, als
du siebzehn Jahre warst, er setzte sich des Morgens neben dich und
sprach, deine Hände nehmend: >Schwester meiner Seele, begreifst du meine
Liebe?< Berthe und Maurice, als die Tage euch zusammenbanden, hat ein
Wunder sich erfüllt des Heiligen Geistes, der euch an jenem Tage
vermählte und für immer die Stunde eures Glücks eingrub in dein
Gedächtnis. Heute ist der Mann hinausgehetzt. Ich sage dir: Du sollst
den Mann vergessen, da er den Fluch seines Geschlechts auf dein Haupt
geladen hat, aber ich kniee zu deinen Füßen und flehe zu dir: Still ihm
das Blut seiner Wunden. Sprich zu ihm: >Ich gedenke deiner, der du in
der Tiefe der Hölle bist, und ich sende meinen Odem zu dir, deine
Flammen zu kühlen.< Und da der Tag der Auferstehung kommen wird, da die
Buße nicht ewig ist, so wirst du dein Haupt erheben und sprechen: >Ich
war eine barmherzige Schwester und verband Wunden. Ich bin ein Weib, das
du verwundet hast und das leben will; ich will genesen und kenne dich
nicht mehr.<«

Pierre sprach nicht so, Berthe vernahm dieses nicht, aber die Worte
schwebten in der Luft rund um ihre Gesichter und strichen über sie wie
ein Hauch, der erhabener ist als Menschenworte.

Sie verlangte Tinte und Feder, und im Schreiben war noch die Tollheit
der Dirne und Betrügerin. Sie nannte ihn »mein liebes Männchen« und fuhr
fort: »Ich weine, während ich diese Worte schreibe«, und sie lachte
darüber. Sie war schmeichlerisch nach der Sitte von Paris, wo man den
Straßenpassanten zulächelt und alles sich mit französischer Ironie
abspielt.

Sie begann nochmals zu trinken, kräftigen Schnaps, den sie kurz
umstülpte und mit einem Kosenamen belegte: kleines Schnäpschen. Die
Gläschen reihten sich im Gänsemarsch aneinander wie Kinder, die spielen;
sie nahm sie und goß sie tief in sich hinein in der Wut, alles zu
ersticken, was noch drinnen übrig geblieben sein konnte. Als sie bezecht
war, durchlief der Rausch sie ganz, folgte den Nerven entlang und
erregte ihr ein Gelächter, das sie schüttelte und aufkreischen ließ wie
eine zusammengepreßte Springfeder. Die Welt war drollig, die
Streichholzständer auf den Tischen, die Gaslampen, die Gäste und die
Bänke blickten sie mit einem Ausdruck an, den sie noch nicht kannte, sie
zu Grimassen herausforderte und stoßweise zum Lachen zwang.

Sie gingen endlich. Die Nacht war feuchtschwarz, die Sterne
durchlöcherten den Himmel und sanken wie Hagel herab, der Lärm rollte
wie Gottes Donner. Berthe sagte in ihrer arglosen und jähen Trunkenheit:

»Ich weiß nicht, was mit mir los ist, nie bin ich so traurig gewesen wie
heute.«

Er führte sie nach Hause, und als sie eintraten, löste sich die
Spannung. Die Wirtin erwartete sie:

»Fräulein, Ihr Bruder hat Sie hier gesucht. Er hat einen Brief da
gelassen.«

Sie las den Brief und begriff alle ihre Ahnungen.

Ihr Vater war gestorben.

Jean Méténier war, neunundvierzig Jahre alt, im Spital gestorben. Er
hatte sich eines Abends zu Bett gelegt, schwer wie ein Stein, und wand
sich vier Tage unter seiner Bleivergiftung. Dann verkrampfte er die
Fäuste, streckte sich auf den Rücken und fühlte die Schwere seiner
sieben Kinder in seinem Schädel: Marthe mit zwei Rangen, Berthe mit
Bübü, Blanche und Saint-Lazare mit dem ganzen Bettel, Gustave, der mit
der langen Marie, der Müßiggängerin, zusammenlebte, die drei kleinen
Jungen, die soviel Brot aßen und mit ihren offenen Spatzenschnäbeln hier
zurückblieben, -- und er starb mit zusammengebissenen Zähnen und
vorgestrecktem Kinn.

                   *       *       *       *       *

In diesen Tagen war Berthe so unglücklich. Man hofft auf ein
Wiedersehen, um sagen zu können: »Ich habe geirrt, aber habe dich
dennoch geliebt. Ich kehre zurück und nun wird die Familie wieder
vollzählig sein.« Er war tot, und Berthe erinnerte sich besonders eines
Ereignisses, das ihr Gustave erzählt hatte. Eines Tages überraschte der
Vater Blanche in der Rue Gaîté, wie sie am Arm eines Zuhälters ging. Er
kam nach Hause, setzte sich an den Tisch und sagte: »Ich habe drei
Töchter gehabt; mußten aus ihnen drei Huren werden?« Und große
Männertränen fielen ihm in den Bart. Er war tot, und das war etwas
Unabänderliches und Unerwartetes. Sie hatte viel von ihren
Kindergefühlen eingebüßt, aber als sie das ernste und gerechte
Totenantlitz erblickte, empfand sie einen Geißelhieb wie von einem
ewigen Vorwurf. Sie hatte Furcht, wie man sich nachts bei Albdrücken
fürchtet, bei Gewissensbissen, wenn die Finsternis nach dem Verbrechen
dicht und schwer ist gleich einer Strafe. Berthe empfand Scham über ihre
Vergangenheit, sie sah sie blitzartig beleuchtet und dachte: »Ich bin
die letzte der Letzten.«

Und dann wollte sie ein Trauerkleid haben. Nachts verließ sie unter
einem Vorwand die andern und ging los, um sich das Trauerkleid zu
verdienen. Sie strich wie gewöhnlich über den Boulevard Sebastopol. Drei
Stunden schritt sie dahin, die Füße auf den Steinen, in der
schrecklichen Todesnacht, und schließlich war es ihr, als schleifte sie
den Leichnam durch die Straße. Sie ging mit zwei Männern. Der erste gab
ihr zehn Francs, und als sie sich aufs Bett gelegt hatte, genoß Berthe,
das empfindungslose und unbeteiligte Freudenmädchen, den Mann und spürte
Liebeslust. Der zweite gab ihr hundert Sous und feilschte. Niemals
könnte sie den Mann vergessen. Er hatte einen roten Bart, sie hätte ihn
am liebsten gebissen und ihm gesagt: »Begreif doch die Gemeinheit, dich
auf mir herumzuwälzen am Tag, wo ich meinen Vater verloren habe!«

Diese Nacht rettete sie. Wenn die Schande so groß ist, daß man sie nicht
mehr ertragen kann, läßt man sich nieder, errötet noch, blickt aber auf
und flieht vor der Schande weit weg und kann nicht anders. Sie hatte den
Geschmack von all dem Erleben der so langen Tage, da der Vater starb, im
Munde, den Geschmack von Stein und Asche, vom Boulevard Sebastopol und
vom Spital, wo man verendet. Und ihr ganzer Beruf war davon erfüllt, all
ihre Tage der Krankheit und der Schmach, und die Hotelzimmer, wo man
sich aufs Bett legt, bewußtlos und gedankenlos wie ein Tier. Sie sah die
unnennbaren Gegenstände wieder, die Waschbecken und die herumliegenden
Sachen und das ausgehöhlte Kreuz in den feilen Nächten. Sie erinnerte
sich an alles: an das Auf- und Abgehen auf den Boulevards, den Alkohol
in den Cafés, die Küsse ohne Geschmack, mengte alles durcheinander,
verschmolz es in eine einzige Masse, und all die Nächte wurden in ihrem
Gedächtnis die Nacht, in der ihr Vater begraben werden sollte.

Die Familie hatte sich versammelt. Die Großmutter blickte sie mit
scharfen Augen an wie eine böse Hexe. Sie sagte: »Saumädel!« Berthe
erwiderte: »Und ich weiß nicht, was du gemacht hast, wie du jung warst.«
Der Bruder sagte: »Du schweig vor allem.« Man hatte über die drei
kleinen Kinder verfügt: Marthe nahm das zweite, Gustave die beiden
andern zu sich. Man hatte so vor ihr verfügt, ohne sie zu befragen, ohne
sie mitreden zu lassen, als gehörte sie nicht zur Familie. Als sie
anbot, mitunter auszuhelfen, antwortete Gustave mit einer Gebärde: »Hilf
dir zuerst selber!«

Sie litt unter all dem in der unsagbaren Angst der Verstoßenen und in
einem Entsetzen, das sie leise beben ließ. Sie fühlte, daß sie nicht
ehrsam war, und begriff unter den Ihrigen, die sich um einen Toten
scharten, wie schön es war, ehrsam zu sein. Zu gleicher Zeit wanderten
ihre Gedanken zu den Zuhältern und zum Laster. Die ununterbrochene
Verknüpfung von Gemeinheit und Kummer brachte sie in schwärzeste
Betrübnis, bis an einen verlorenen großen Abgrund, dessen bitteres
Wasser ihre Brust überflutete. In ihrem ungelenken Geiste formte das
Leben ein Bild, sie sah vor ihren Augen zwei gebrechliche Schultern und
auf sie Schläge niedersausen. Sie klagte über sich selbst mit Worten wie
zu Kindern: Arme kleine Berthe!

                   *       *       *       *       *

Da sah sie große Gefühle sich in den Tag erheben gleich der aufgehenden
Sonne. Sie ward erleuchtet, Magdalena, und als sie sich aufrichtete, um
ihr feuchtes Antlitz abzuwischen, schien ihr das Herz vom ersten Licht
erhellt zu sein. Sie sah jenseits der Dinge eine tiefe Liebe, eine große
Güte, die schwebte und mit den ganz leise bewegten Flügeln um ihre Stirn
schlug. Sie sah dies, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, doch
ihre Seele war erfrischt, wie wenn man Früchte genossen hat. Halleluja!
sangen die Engel. Auf Erden war ein Duften wie im Marienmonat. Wenn sie
an Pierre dachte, so dachte sie an ihre Eltern, an die Kunstblumen und
die gute Gewißheit eines Daseins an gleichmäßigen und friedlichen Tagen.
Wie begehrte sie danach, niederzusitzen und die Zeit verfließen zu
sehen, ohne Gebärde und gesammelt in Gedanken, die mit der Zeit
dahinströmten! Gleichwohl, wenn es mir jemand vor einer Woche prophezeit
hätte, ich hätte ihm nicht geglaubt, denn das Unglück verfolgt mich zu
lange. Ich hätte ihm gesagt: »Aufschneider! Hält man mal dort, wo ich
bin, so weiß man, daß es für immer ist. Schließlich, man kann nicht mehr
anders.« Sie dachte schon daran, am Sonntag aufs Land zu gehen, und sie
würde sich Blumen mitbringen. Wenn man das Spital fast geheilt verläßt,
so fühlt man sich rein gewaschen. Sie fühlte sich rein gewaschen!

Sie dachte: Gewiß, ich werde weniger Geld verdienen, und das wird schwer
sein, denn Geld bereitet Glück. Ich werde nicht mehr Tage zu zehn Francs
haben wie auf dem Sebastopol; aber wenn ich daran denke, macht mir der
Sebasto Herzleid. Offenbar, weil ich nicht so stark bin wie meine
Schwester Blanche. Übrigens hab ich nichts davon gehabt. Ich weiß nicht,
was im Menschen steckt, wenn er das Handwerk betreibt. Es ist richtig,
daß unrecht Gut nicht gedeiht. Mir ist, als würde ich ruhig sein, wenn
ich wieder Blumen mache. Ich werde den ganzen Tag zu tun haben, und so
werde ich keine Lust haben, viel Geld auszugeben. Schließlich, wenn man
ordentlich ist, so ist man immer belohnt. Ich werde noch jemand finden,
der sich für mein Los interessieren wird und mir wird helfen wollen.
Wahrhaftig, ich glaube, daß ich anständig sein werde. Ich stehe nicht
darum, zu heiraten, denn alle Männer haben ihre Mucken.

Sie ging die Maueranschläge in der Rue Réaumur nachsehen und fand sofort
Arbeit. Alles vollzog sich wie in den Büchern, wo man die Sonne die
Genesenden erwärmen sieht. Der Frühling schien den Winter abzulösen, und
der Himmel spendete blaue Lüfte, die in der Sonne zitterten, über die
Dächer sich breiteten und Gedanken an junge Liebende erweckten. In den
Straßen gingen die Passanten auf der Sonnenseite. Sie war frisch und
lebhaft und gut, von einer so großen Güte, daß man geglaubt hätte, all
das schöne Wetter komme aus ihrem Herzen. Sie arbeitete in einer
finstern Werkstatt, wo alte Winterreste in den Winkeln moderten, und die
bissige Besitzerin und all die Närrinnen mit ihren verliebten
Albernheiten schienen ihr anfangs schlimme Dinge zu sein, die sie schon
einst im Backfischalter erlebt hatte. Sie hatte sie sich eben abgewöhnt,
aber in einer Woche war sie wieder darin.

                   *       *       *       *       *

Abends, wenn sie von der Arbeit kam, ging sie zu Pierre. Sie erzählte
ihm die großen Neuigkeiten:

»Weißt du, ich hab es satt gehabt . . . Hör, was ich tun will: ich nehme
mir ein kleines Zimmer für fünf Francs in der Woche, nicht mehr. Ich
werde in diesem Viertel wohnen. Du wirst sehn, mein alter Pierre. Eines
Tages endet das mit einer Heirat. Jeden Abend machen wir, wenn du
willst, einen Spaziergang durch die Rue de Rivoli und gehn dann jeder
nach Hause. Manchmal begleite ich dich in dein Zimmer, aber nicht alle
Tage, denn man darf sich nicht zu sehr müde machen. Doch vorläufig mußt
du mich aufnehmen, bis ich den ersten Wochenlohn bekommen habe. Du wirst
mich ins Restaurant führen. Übrigens mach ich dir keine großen Ausgaben.
Wir werden uns gut unterhalten. Wir wollen den Einzug einweihen. Ich
kaufe ein Huhn und laß es irgendwo braten, und Gemüse, das wird ein
feines kleines Abendessen sein. Ich will mir einen Seiher verschaffen,
damit ich Kaffee kochen kann. Du wirst sehn, mein Alter, ich werde ein
fabelhaftes Essen bereiten.«

Und Pierre dachte:

»Ich habe kein Weib gehabt. Ich bin mit gesenktem Kopf herumgegangen und
wiederholte mir: ich habe kein Weib. Das Unglück unterbricht sich nicht,
so daß man glaubt, es sei schlimm, zu leben. Das ist vorüber. Ich fühle
jetzt, daß alles, was mir gefehlt hat, nun kommt und daß die Welt in
Ordnung ist. Aber das Gleichgewicht findet man nicht auf einmal. Ich
frage mich: Was habe ich denn getan, was ist denn mein Verdienst, daß
mir solch ein Glück beschieden wird?«




X


So schliefen denn Pierre und Berthe Rücken an Rücken, um drei Uhr
morgens, in jenen Nächten, die der Liebe gehörten.

Er fühlte sie neben sich wie den stillen Atem eines friedlichen Lebens,
wie die Sicherheit eines Glücks, das uns nicht einmal mehr erregt.

Sie war eingeschlummert, da sie müde war, und diese Müdigkeit erinnerte
an die Müdigkeit eines kleinen Kindes.

Die Frau erscheint uns schöner des Nachts und ist uns tiefer gewärtig
als am Tage. Ach, so schlafen zu können, wenn das Glück uns einschläfert
und unsern Schlummer einhüllt wie ein feines Linnen, das fromme Hände
gewebt haben!

Die Frau ist Jungfrau und sieht unserm Schutzengel gleich.

                   *       *       *       *       *

Als alle drei oben auf dem Treppengang angekommen waren, drückte Bübü
sein Ohr an die Türe; er hörte nichts und es war ihm, als vernähme er
nur seine Blutadern.

Der lange Jules stieß im Finstern in Adele:

»Geh voran!«

Sie klopfte dreimal, dann flötete sie:

»Ist Berthe da?«

Man hörte etwas, bald wurde die Türe geöffnet und das Licht angezündet.

Adele trat ein und sagte:

»Du machst schöne Geschichten!«

Hinter ihr Bübü, stumm, die Mütze abnehmend, dann der lange Jules,
aufgerichtet, die Mütze auf dem Kopf, und er schloß die Tür.

Man hatte sie nicht erwartet.

Bübü, klein und breit, machte zwei stramme Schritte wie ein Möbelpacker.

»Mein Herr, ich bedaure die Umstände. Sie werden verstehen, was das
bedeutet, wenn man vier Jahre mit einer Frau gelebt hat. Ich erfülle
meine Pflicht.«

Sie richteten sich beide im Bett auf in ihren Hemden und mit ihren
Schultern neben der zitternden Kerze, und sahen mit brennenden Blicken
drein.

Sie spürte einen Schlag, alle Ohrfeigen, die sie empfing, als einen
einzigen Schlag.

Bübü sagte:

»Stehen Sie auf, Madame!«

Sie erhob sich im Bett, die Stirn schmal, die Sinne benommen, so
schwach, daß sie nicht wußte, wie man redet.

Er wiederholte:

»Stehen Sie auf!«

Da sie nicht aufstand, begriff Bübü, daß man Energie haben muß, wenn man
das Recht hat.

Er näherte sich:

»Verzeihen Sie, mein Herr!«

Und er versetzte ihr eine gehörige Ohrfeige, um ihr ihre Pflicht in
Erinnerung zu bringen.

Pierre wollte sagen:

»Aber, mein Herr, wenn Sie Rechte haben . . .«

Der lange Jules schnitt ihm das Wort ab:

»Ja, wir haben Rechte.«

Und zu Berthe, die sich erhoben hatte, sagte der lange Jules:

»Sie haben das Glück, Madame, einen Mann zu besitzen, der Sie liebt.«

Dann sagte er:

»Wissen Sie, wir sind in aller Freundschaft hergekommen. Wir haben Ihnen
keine Schererein verursachen wollen. Ich habe den Hausdiener gefragt: Wo
ist Hardys Zimmer? Wir sind Freunde, die ihn wecken kommen.«

Und Bübü bemerkte:

»Ich bitte Sie um Entschuldigung, mein Herr, daß ich zu dieser
Nachtstunde bei Ihnen vorspreche. Übrigens werde ich wiederkommen, um
mich besser zu entschuldigen und damit Sie mich unter angenehmeren
Umständen kennen lernen.«

Da fühlte sich Adele übel, und ihr schöner Streich erschütterte sie so,
daß sie zu weinen begann.

Berthe hatte zu ihr gesagt:

»Ich habe einen guten jungen Mann kennen gelernt, der so und so heißt
. . .« Und sie hatte alles dem andern erzählt!

Bübü nahm sie bei der Hand:

»Bist du müde, mein Kleines?«

Pierre hatte einen Orangenlikör dastehen, und als Bübü davon in ein Glas
eingießen wollte, besann er sich:

»Ich muß das Glas ausspülen. Man muß bei Madame vorsichtig sein. Madame
ist krank, Madame hat einen wunden Mund . . .«

Berthe zog sich an; ihre Kleider glitten über sie wie nächtige Stille,
in der ein Gespenst auftaucht und verschwindet.

Sie zog die an der Ferse durchlöcherten Strümpfe an, die Strumpfbänder,
und es war ihr, als bekleidete sie ihren Körper zugleich mit etwas
unendlich Traurigem. Sie nahm dann den Unterrock und sagte:

»Habe ich gewußt, daß du wieder frei bist?«

Bübü antwortete:

»Es ist gut, Madame. Wenn man sich für seinen Mann interessiert, wie Sie
es getan haben, ist es erstaunlich, daß man das nicht weiß. Ach, Sie
haben nicht gewußt, daß ich wieder frei bin! Es gibt so etwas, das
Straferlaß heißt, und das haben Sie nicht erwartet.«

Sie war recht kärglich gekleidet für die Winterkälte, und nachdem sie
ihr weißes Trikot angelegt hatte, blieben nur mehr Rock und Leibchen.

Sie kämmte sich. Sie ließ ihr schwarzes Haar auf die Schulter fallen und
kämmte es langsam, denn sie hatte Zeit genug, zu sehen, was kommen
sollte.

Bübü sagte:

»Aha, noch die Haare. Beeilen Sie sich, meine Schöne, wir sind bei
Monsieur Pierre und wollen seine Geduld nicht mißbrauchen.«

Der erste Gedanke, den sie hatte, war an den Tod. Er nahm sie so wie
einen Gegenstand seines Lebens, den man holt, wo man ihn verpfändet hat.
Sie fühlte, daß sie ein Ding war, die ungestalte, kranke arme Berthe,
die brauchte, auf immer einzuschlafen, um es zu vergessen . . . Und wenn
ich ihm nicht folgen wollte, er würde mich töten . . . Sie wollte vor
dem Tode lieber ein bißchen überlegen und ihn nur dem eigenen Wunsche
verdanken. Sie zog setzt ihr Leibchen und ihren Rock an.

Der lange Jules sagte:

»Sie sehen, mein Herr, daß wir uns wie Freunde benommen haben. Wir
wissen, wer Sie sind und daß Madame Ihnen nur gesagt hat, was sie
wollte. Sie erlauben, daß ich mir eine Zigarette drehe, bevor ich
heruntergeh, und daß ich Ihnen die Hand drücke.«

Bübü sagte:

»Ich bedaure, mein Herr, die Störung, die ich Ihnen verursacht habe. Sie
haben Madame sehr gütig aufgenommen. Erlauben Sie mir, daß ich Sie bald
besuche, um Sie auf ein Gläschen zu bitten. Ich drücke Ihnen die Hand,
aber glauben Sie mir, es war nur eine peinliche Pflicht, die ich erfüllt
habe.«

Sie gingen. Auf dem Gang fragte Bübü:

»Haben Sie sich Ihre Liebesnacht bezahlen lassen, Madame?«

Berthe kam zurück:

»Sie wollen, daß du mir Geld gibst.«

»Hier sind hundert Sous.«

Sie schritt hinaus in eine Welt, wo das persönliche Wohltun machtlos
ist, denn dort herrschen die Liebe und das Geld, und diejenigen, die
Liebes tun, sind unerbittlich und die Freudenmädchen von Anbeginn als
die duldenden Tiere gezeichnet, die man auf die öffentliche Weide
treibt.

Dann schlug das Tor unten zu. Pierre begriff:

»Ach, ich weiß, daß du weinen wirst. Mein Gott, mein Gott! Ich habe kein
Glück. Ich habe nicht Mut genug, das Glück zu verdienen. Weine und
stirb! Wie sie dich allein gelassen haben, hättest du im Hemd und mit
bloßen Füßen hinunterlaufen sollen und schreien: Zu Hilfe! Du hättest
auf die Straße laufen sollen und die Vorübergehenden aufhalten und ihnen
sagen: Kommt alle schnell herbei! Sie morden dort eine Frau!«

Ende.




Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):

   [S. 98]:
   ... Fauteuils«, die im Rathhausbazar ...
   ... Fauteuils«, die im Rathausbazar ...

   [S. 110]:
   ... Schwelle. Er begriff, das ihm das Leben ...
   ... Schwelle. Er begriff, daß ihm das Leben ...

   [S. 160]:
   ... zu sehen noch zu hören vermag.« ...
   ... zu sehen noch zu hören vermag. ...

   [S. 169]:
   ... Wie geht es dir?« ...
   ... »Wie geht es dir?« ...






End of Project Gutenberg's Bübü vom Montparnasse, by Charles-Louis Philippe

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Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
Gutenberg-tm electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
1.E.8.

1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country outside the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

  This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
  most other parts of the world at no cost and with almost no
  restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
  under the terms of the Project Gutenberg License included with this
  eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
  United States, you'll have to check the laws of the country where you
  are located before using this ebook.

1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
provided that

* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
  the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
  you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
  to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
  agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
  within 60 days following each date on which you prepare (or are
  legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
  payments should be clearly marked as such and sent to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
  Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
  Literary Archive Foundation."

* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
  you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
  does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
  License. You must require such a user to return or destroy all
  copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
  all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
  works.

* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
  any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
  electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
  receipt of the work.

* You comply with all other terms of this agreement for free
  distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
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