Der Schatz der Sierra Madre

By B. Traven

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Title: Der Schatz der Sierra Madre

Author: B. Traven

Release date: July 12, 2025 [eBook #76484]

Language: German

Original publication: Berlin: Buechergilde Gutenberg, 1927

Credits: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER SCHATZ DER SIERRA MADRE ***


                      DER SCHATZ DER SIERRA MADRE




                               DER SCHATZ
                            DER SIERRA MADRE


                             VON B. TRAVEN


                    VERLAG DER BÜCHERGILDE GUTENBERG
                              BERLIN 1927


   Satz und Druck besorgte die Buchdruckwerkstätte, G.m.b.H., Berlin
    Buchbinderarbeiten Leipziger Buchbinderei A.-G. / Ausstattung C.
                                Reibetantz
                           Nachdruck verboten
       Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung vorbehalten
            Copyright 1927 by B. Traven, Tamaulipas (Mexico)




   DER SCHATZ, DEN ZU FINDEN DU DIE MÜHEN
   EINER REISE NICHT FÜR WERT HÄLTST,
   DAS IST DER ECHTE SCHATZ, DEN ZU SUCHEN
   DIR DEIN LEBEN ZU KURZ ERSCHEINT.
   DER FUNKELNDE SCHATZ, DEN DU MEINST,
   DER LIEGT AUF DER ANDERN SEITE.




                                   1


Die Bank, auf der Dobbs saß, war keineswegs gut. Die eine Latte war
herausgebrochen, und eine zweite Latte bog sich nach unten durch, darum
konnte man recht gut das Sitzen auf dieser Bank als Strafe empfinden. Ob
er diese Strafe verdient habe oder ob sie ungerecht über ihn verhängt
worden sei, wie die Mehrzahl der Strafen, die verhängt werden, darüber
dachte Dobbs in diesem Augenblicke gerade nicht nach. Daß er unbequem
saß, würde er wahrscheinlich erst erfahren haben, wenn ihn jemand
gefragt hätte, ob er auf der Bank gut sitze. Die Gedanken, die Dobbs
beschäftigten, waren dieselben, die so viele Menschen beschäftigen. Es
war die Frage: Wie komme ich zu Geld? Wenn man schon etwas Geld hat,
dann ist es leichter, zu Geld zu kommen, weil man etwas anlegen kann.
Wenn man aber gar nichts besitzt, dann hat es seine Schwierigkeiten,
diese Frage zur Zufriedenheit zu lösen.

Dobbs hatte nichts. Man darf ruhig sagen, er hatte weniger als nichts,
weil er nicht einmal ganze und vollständige Kleidung hatte, die unter
beschränkten Verhältnissen als ein bescheidenes Anfangskapital angesehen
werden darf.

Aber wer arbeiten will, der findet Arbeit. Nur darf man nicht gerade zu
dem kommen, der diesen Satz spricht; denn der hat keine Arbeit zu
vergeben, und der weiß auch niemand zu nennen, der einen Arbeiter sucht.
Darum gebraucht er ja gerade diesen Satz, um zu beweisen, wie wenig er
von der Welt kennt.

Dobbs würde Steine gekarrt haben, wenn er solche Arbeit bekommen hätte.
Aber selbst diese Arbeit bekam er nicht, weil zu viele da waren, die auf
diese Arbeit warteten, und die Eingeborenen immer mehr Aussicht hatten,
sie zu bekommen, als ein Fremder.

An der Ecke der Plaza hatte ein Schuhputzer seinen hohen Eisenstuhl
stehen. Die übrigen Schuhputzer, die sich keinen Stuhl leisten konnten,
liefen mit ihren kleinen Kästchen und Klappbänkchen wie die Wiesel rund
um die Plaza und ließen niemand in Ruhe, dessen Schuhe nicht
spiegelblank waren. Er mochte auf einer der zahlreichen Bänke sitzen
oder spazierengehen, er wurde immerwährend belästigt. Also selbst die
Schuhputzer hatten es nicht leicht, Arbeit zu finden, und gegenüber
Dobbs waren sie Kapitalisten, denn sie besaßen eine Ausrüstung, die
wenigstens drei Pesos kosten mochte.

Selbst wenn Dobbs die drei Pesos gehabt hätte, Schuhputzer hätte er
nicht werden können. Nicht hier zwischen den Eingeborenen. Es hat noch
nie ein Weißer versucht, Schuhe auf der Straße zu putzen, hier nicht.
Der Weiße, der zerlumpt und verhungernd auf der Bank auf der Plaza
sitzt, der Weiße, der andre Weiße anbettelt, der Weiße, der einen
Einbruch verübt, wird von den übrigen Weißen nicht verachtet. Wenn er
aber Stiefel auf der Straße putzt oder bei Indianern bettelt oder
Eiswasser in Eimern herumschleppt und verkauft, sinkt er tief unter den
schmutzigsten Eingeborenen hinab und verhungert doch. Denn kein Weißer
würde seine Arbeit in Anspruch nehmen, und die Nichtweißen würden ihn
als unlauteren Konkurrenten betrachten.

Auf den hohen Eisenstuhl an der Ecke hatte sich ein Herr in weißem Anzug
hingesetzt, und der Putzer machte sich über dessen braune Schuhe her.
Dobbs stand auf, schlenderte langsam hinüber zu dem Stuhl und sagte ein
paar leise Worte zu dem Herrn. Der Herr sah kaum auf, griff in die
Hosentasche, brachte einen Peso hervor und gab ihn Dobbs.

Einen Augenblick stand Dobbs ganz verblüfft, dann ging er zurück zu
seiner Bank. Er hatte auf nichts gerechnet oder auf zehn Centavos
vielleicht. Er hielt die Hand in der Tasche und koste den Peso. Was
sollte er damit tun? Ein Mittagessen und ein Abendessen, oder zwei
Mittagessen, oder zehn Pakete Zigaretten Artistas, oder fünfmal ein Glas
Milchkaffee mit einem Pan Frances, das ein gewöhnliches Brötchen ist.

Nach einer kurzen Weile verließ er die Bank und wanderte die paar
Straßen hinunter zum Hotel Oso Negro.

Das Hotel war eigentlich nur eine Casa de Huespedes, ein Logierhaus. In
der Vorderfront war an der einen Seite ein Laden mit Schuhen, Hemden,
Seifen, Damenwäsche und Musikinstrumenten; an der andern Seite war ein
Laden mit Drahtmatratzen, Liegestühlen und photographischen Apparaten.
Zwischen diesen beiden Läden war der breite Hausdurchgang, der zum Hofe
führte. In dem Hofe befanden sich die morschen und fauligen
Holzbaracken, die das Hotel bildeten. Alle diese Baracken hatten kleine,
enge, dunkle, fensterlose Kammern. In jeder Kammer standen vier bis acht
Schlafgestelle. Auf jedem Gestell lagen ein schmutziges Kissen und eine
alte verschlissene Wolldecke. Licht und Luft für die Kammern kamen durch
die Türen, die immer offen standen. Trotzdem waren die Kammern stets
dumpfig, weil sie alle zu ebener Erde lagen und die Sonne nur ein Stück
weit in jeden Raum eindringen konnte. Luftzug war auch nicht, weil die
Luft in dem Hofe stillstand. Diese Luft wurde durch die Abortanlagen,
die keine Wasserspülung hatten, noch mehr verschlechtert. Außerdem
brannte mitten auf dem Hofe Tag und Nacht ein Holzfeuer, auf dem große
Konservenbüchsen standen, in denen Wäsche gekocht wurde. Denn in dem
Hotel befand sich auch noch die Wäscherei eines Chinesen.

Links in dem Hausdurchgang, ehe man zu dem Hofe kam, war ein kleiner
Raum, in dem der Hausmeister saß. Ein zweiter Raum, gleich neben diesem
Empfangsraum, war bis oben hin mit Drahtnetz vergittert. Hier lagen auf
Regalen die Koffer, Kisten, Pakete und Pappschachteln der Hotelgäste
aufbewahrt. Es lagen da Koffer von Leuten, die hier vielleicht nur eine
Nacht geschlafen hatten; denn manche der Koffer und Kisten waren dick
mit Staub bedeckt. Es hatte gerade für eine Nacht gereicht, das Geld,
das der Gast hatte. Am nächsten Tage hatte der Mann dann irgendwo
draußen geschlafen und auch die folgenden Nächte. Eines Tages kam er
dann, nahm ein Hemd oder eine Hose oder sonst einen Gebrauchsgegenstand
aus dem Koffer, schloß ihn ab und gab ihn wieder zurück zum
Weiteraufbewahren. Und eines andern Tages machte sich der Mann auf die
Reise. Da er kein Bahngeld oder Schiffsgeld hatte, mußte er zu Fuß
wandern, und dabei konnte er seinen Koffer nicht gebrauchen. Heute war
der Mann vielleicht in Brasilien oder längst irgendwo in einer Wüste
verdurstet oder auf einem Buschwege verhungert oder erschlagen.

Nach einem Jahr, wenn der Aufbewahrungsraum für die Koffer zu gepackt
wurde, so daß die Sachen der Neuankömmlinge nicht einmal mehr
untergebracht werden konnten, dann machte der Hotelbesitzer ein
Aufräumen. An den Sachen befand sich manchmal ein Zettel mit dem Namen
des Besitzers jener Kiste oder der Pappschachtel. Es kam vor, daß der
Mann vergaß, welchen Namen er angegeben hatte, und weil er inzwischen
seinen Namen geändert hatte, nun seinen Koffer nicht zurückverlangen
konnte, weil er sich auf seinen damaligen Namen nicht besinnen konnte.
Er vermochte den Koffer wohl zu bezeichnen. Dann fragte der Hausmeister
nach dem Namen, und weil der Name mit dem Zettel, der mit einer
Stecknadel auf den Koffer gepickt war, nicht übereinstimmte, so wurde
ihm der Koffer nicht ausgehändigt.

Oft war der Zettel mit dem Namen auch abgefallen. Manchmal war er nur
mit Kreide angeschrieben, die sich ausgewischt hatte. Zuweilen hatte der
Hausmeister in der Eile vergessen, nach dem Namen zu fragen, und er
hatte nur die Bettnummer mit Blaustift auf die Pappschachtel
geschrieben. Die Bettnummer aber hatte der Besitzer der Pappschachtel
nie gewußt, und hätte er sie gewußt, würde er sie wohl kaum behalten
haben. Ein Datum war nie mit angegeben.

Es war also nie festzustellen, wie lange eine Kiste oder ein Koffer hier
in dem Aufbewahrungsraum lag. Die Dauer der Aufbewahrungszeit wurde nach
der Dicke der Staubschicht beurteilt, die auf den Sachen lag. Und nach
dieser Dicke vermochte der Hotelbesitzer ziemlich genau zu sagen,
wieviel Wochen jener Koffer oder dieser Zuckersack hier lag. Berechnet
wurde für die Aufbewahrung nichts. Wenn aber der Raum zu eng wurde, dann
kamen die Sachen, die den dicksten Staub aufweisen konnten, heraus. Der
Besitzer durchsuchte den Inhalt und sortierte ihn. Meist waren es
Lumpen. Es kam ganz selten vor, daß irgendein Gegenstand von Wert in den
Koffern gefunden wurde; denn wer noch Wertgegenstände besaß, ging nicht
in den Oso Negro übernachten, oder er verbrachte dort nur eine Nacht.
Diese Lumpen verschenkte der Logierhausbesitzer dann an zerlumpte
Hotelgäste, die darum bettelten, oder an andre zerlumpte Leute, die
gerade vorbeikamen. Es ist ja nun einmal so in der Welt, daß keine Hose
so zerlumpt, kein Hemd so zerschlissen, kein Stiefel so abgetreten sein
kann, als sich nicht jemand fände, der jene Hose oder jenes Hemd noch
als sehr gut bezeichnen würde; denn kein Mensch auf Erden kann so arm
sein, daß nicht ein andrer sich noch ärmer glaubte.

Dobbs hatte keinen Koffer, den er zum Aufbewahren hätte geben können,
nicht einmal eine Pappschachtel oder einen Papiersack. Er hätte nicht
gewußt, was er hätte hineinstecken sollen; denn alles, was er besaß,
trug er in seinen Hosentaschen. Eine Jacke hatte er seit Monaten nicht
mehr.

Er trat in den kleinen Raum des Hausmeisters. Dieser Raum hatte zwar in
der Vorderwand, die im Haupteingang lag, ein Schalterbrett, aber niemand
benutzte es, nicht einmal der Hausmeister selbst. Auf diesem
Schalterbrett, dicht vor dem Schiebfenster, stand eine Wasserflasche und
ein kleines Krügchen aus Steingut. Das war die gemeinschaftliche
Wasserflasche für alle Hotelgäste. In den Schlafräumen selbst war kein
Wasser und keine Wasserflasche. Wer Durst hatte, mußte hier zu dem
Schalterfensterchen kommen, um zu trinken. Einige erfahrene Gäste,
besonders solche, die nachts häufig Durst bekamen, nahmen eine leere
Tequilaflasche mit Wasser gefüllt in die Schlafräume.

Der Hausmeister war noch ein ganz junger Mann, kaum fünfundzwanzig Jahre
alt. Er war klein und mager und hatte eine lange spitze Nase. Er hatte
Dienst von morgens um fünf bis abends um sechs. Abends um sechs trat der
Hausmeister für die Nacht seinen Dienst an. Denn das Hotel war Tag und
Nacht ununterbrochen geöffnet, nicht so sehr wegen der Eisenbahnzüge,
die nur dann nachts einliefen, wenn sie Verspätung hatten, als vielmehr
derjenigen Arbeiter wegen, die hier im Hotel schliefen, und die in
Restaurants oder in andern Geschäftszweigen tätig waren, wo die
Arbeitszeit sehr spät in der Nacht, manchmal erst gegen Morgen, zu Ende
war.

Tag und Nacht wurde in dem Hotel geweckt, weil immer welche da waren,
die zu irgendeiner Zeit aufstehen mußten, weil sie zu ihrer Arbeit zu
gehen hatten. Da schliefen Privatnachtwächter, Bäcker, Asphaltierer,
Straßenpflasterer, Zeitungsverkäufer, Brotaustrager und Angehörige von
Berufen, die sich mit einem Worte gar nicht beschreiben lassen. Viele
dieser Leute hätten sich ein Privatlogis mieten können, wo sie besser
geschlafen hätten und sauberer und nicht in Gemeinschaft mit
Unbekannten, Fremden und Strolchen. Aber des Weckens wegen, ihres
pünktlichen Arbeitsbeginns wegen, wohnten sie hier im Hotel, wo sie sich
darauf verlassen konnten, daß sie genau zu der Minute geweckt wurden,
die sie angaben. Beide Hausmeister waren sehr tüchtige Leute. Es kamen
täglich neue Gäste und alte verschwanden. Es wechselte jeden Tag. Alle
Nationalitäten waren vertreten, es kamen weiße, gelbe, schwarze, braune,
rotbraune Gesichter an dem Schalter vorüber. Aber der Hausmeister, der
Dienst hatte, wußte stets, ob der Mann bezahlt hatte oder nicht. Wenn er
im Zweifel war, sah er sofort im Buch nach und verfolgte den Mann vom
Fenster aus, das nach dem Hofe zu ging, in welchen Raum er lief.

Es waren einige ganz kleine Räume noch vorhanden, in denen nur ein Bett
stand, ein verhältnismäßig breites und mit einer Matratze. Die Matratze
war zwar sehr hart, aber die Gäste waren nicht verwöhnt. Diese Räume
waren für zwei Personen bestimmt und kosteten für jede Person einen
Peso. Es waren die Räume, die von denen genommen wurden, die mit einer
Frau kamen. Für einzelne Frauen und Mädchen waren auch einige Baracken
vorhanden mit mehreren Schlafgestellen für fünfzig Centavos. Diese Räume
hatten zwei Türen, aber die Türen schlossen nicht und hingen so schief
in den Angeln, daß man sie nicht einmal richtig zumachen konnte. Die
Schlafgestelle der weiblichen Einzelgäste hatten aber Moskitonetze,
unter denen sich die Mädchen verbergen und auskleiden konnten. Besonders
die Mädchen einfacher Herkunft und die indianischen Mädchen besitzen
eine erstaunliche Geschicklichkeit, sich unter diesen Netzen aus- und
anzukleiden und darunter die Nacht so ungesehen zu verbringen, als wären
sie innerhalb der gemauerten vier Wände eines Hauses. Meist waren es
Küchenmädchen und Spülmädchen aus den Restaurants, die hier wohnten.

Die Männer hatten alle viel zu viel mit ihren eigenen Angelegenheiten zu
tun, als daß sie sich um die Mädchen bekümmert hätten. Und die Mädchen
schliefen in diesem Hotel, wo alles so offen und unabgeschlossen war,
wie es sich nicht vorstellen läßt, sicherer als an manchen andern
Plätzen, die unter dem Namen „Gutes Familienhotel“ laufen. Die
zerlumpten männlichen Schlafgäste des Oso Negro würden den Mann
totgeschlagen haben, der es gewagt haben würde, sich zu den Mädchen
hineinzuschleichen und dort einen Unfug zu verüben.

Es waren Gäste in dem Hotel, die hier schon zwei, drei, ja sogar fünf
Jahre wohnten. Da sie immer dasselbe Schlafgestell innehatten, dieselbe
Ecke bewohnten, so wohnten sie eigentlich ebenso sauber wie in einem
Privathause. Nur ihre Schlafgenossen wechselten natürlich meist jede
Nacht. Aber es kam vor, daß sich genügend Dauergäste zusammenfanden, die
einen ganzen Raum für sich füllten. Das Leben für die Männer war viel
freier als in einem Privathause. Sie konnten kommen, wann sie wollten,
ohne die Wirtin wütend zu machen, sie durften gehen, wann sie wollten,
ohne daß sich jemand um sie bekümmerte, und wenn sie schwer geladen
heimkamen, so kümmerte sich erst recht niemand um sie.

Schränke gab es nicht in den Räumen. Die Sachen hängte man an Nägeln
auf, die in die Holzwände getrieben waren. Manche Gäste, die schon
länger hier wohnten und in Arbeit standen, packten ihre Sonntagssachen
in eine große Holzkiste, die sie mit einem Vorhängeschloß verschließen
konnten. Andre machten einen Überhang aus Sackleinen, um ihre Sachen vor
Staub zu schützen. Wieder andre zogen kreuz und quer dicke Schnur über
ihre aufgehängten Sachen, so fest, daß sich eine einzelne Hose nur sehr
schwer hervorstehlen ließ. Es wurde selten gestohlen; denn wenn jemand
etwas im Arm trug, wurde er von dem Hausmeister mißtrauisch betrachtet,
und wenn der Hausmeister gar die Hose kannte, daß sie einem andern
gehörte, dann kam der Spitzbube schon gar nicht damit durch. Und die
Hausmeister kannten die Jacken und Hosen ihrer Dauergäste recht gut. Der
Hausmeister saß ziemlich eng in seinem Raum, denn der Raum war
vollgepackt mit allen möglichen Gegenständen. Kleine Pakete, kleine
Schachteln, ganz kleine Handtaschen und solche Sachen, die sich kaum
lohnten, daß man ihretwegen den Drahtkäfig aufschloß, weil sie nur auf
kurze Zeit hier abgegeben waren. Sie sollten in einer halben Stunde oder
so abgeholt werden. Meist wurden sie auch in der verabredeten Zeit
abgerufen, manchmal aber lagen sie auch Wochen hier und waren von dem
Besitzer vergessen worden, der plötzlich abgereist war, vielleicht als
Seemann bis an das entgegengesetzte Ende der Welt. Denn wenn ein Schiff
grade rausfuhr und es fehlten Leute, so wurde der mitgenommen, der am
schnellsten bereit war zu gehen und alles hinter sich im Stich ließ,
gerade ging, wie er da stand.

Dann war in dem engen Raum noch ein hohes Regal mit Handtüchern, Seife
und Seiflappen aus Bast für die Badegäste. Es gab nur Brausebäder. Jedes
kostete fünfundzwanzig Centavos. Das Wasser war kalt und sehr knapp.

Dann stand da noch ein Regal für Briefe und allerlei Papiere. Es war
alles verstaubt.

Endlich war da noch ein Geldschrank. Hier wurden die Wertsachen
aufbewahrt, die von den Schlafgästen abgegeben wurden: Geld, Uhren,
Ringe und Apparate, die Wert hatten. Unter solchen Apparaten waren
Kompasse, Feldmeßinstrumente und ähnliche Sachen, die Geologen oder
Gold- und Silbersucher brauchten. Denn auch Leute, die solche Apparate
hatten, kamen oft tief herunter und landeten hier als Schlafgänger.
Gewehre, Revolver, Angelgeräte hingen auch herum.

Vor sich auf der kleinen Ecke des Tisches, die noch frei geblieben war
von Papieren, Paketen und Schachteln, lag das dicke Fremdenbuch. Hier
wurde jeder Hotelgast eingeschrieben. Nur der Familienname und die
Bettnummer sowie die bezahlte Summe. Wie der Gast sonst noch hieß,
welche Nationalität er besaß, welchen Beruf, welches Ziel und woher er
kam, das interessierte den Hotelbesitzer gar nicht. Noch weniger
interessierte sich die Polizei dafür, die sich das Buch nie ansehen kam.
Das Buch interessierte bestenfalls nur noch die Steuerbehörde, wenn der
Hotelbesitzer nachweisen wollte, daß man seine Einnahmen zu hoch
festgesetzt hatte. Nur da, wo viel überflüssige Beamte herumlaufen und
vom Staate bezahlt werden, kümmert sich die Polizei um jeden Dreck und
will bis auf die Farbe des einzelnen Haares einer Warze wissen, wer der
Hotelgast ist, woher er kommt, was er hier tun will und wohin er zu
gehen beabsichtigt. Die Beamten wüßten ja sonst nicht, womit sie sich
beschäftigen sollten, und die Steuerzahler würden bald herausfinden, daß
man sie nicht nötig hat.

Dobbs kam hinein zu dem Hausmeister, legte seinen Peso auf den Tisch und
sagte: „Lobbs, für zwei Nächte.“

Der Hausmeister blätterte in dem Buche herum, bis er ein leeres Bett
fand, schrieb „Jobbs“, weil er nicht richtig verstanden hatte und zu
höflich war, noch einmal zu fragen, und fügte dann hinzu: „Raum sieben,
Bett zwei.“

„Gut“, sagte Dobbs und ging seiner Wege. Er hätte sich gleich hinlegen
dürfen, den Rest des Nachmittags, die ganze Nacht, den ganzen folgenden
Tag, die darauffolgende Nacht und den ganzen nächsten Vormittag bis
zwölf Uhr durchschlafen dürfen, wenn er gewollt hätte. Aber er hatte
Hunger und mußte auf die Jagd gehen oder auf den Fischfang.

Die Fische bissen aber nicht so leicht an. Es gab ihm niemand etwas.
Dann sah er vor sich einen Herrn im weißen Anzug gehen. Er holte ihn
ein, murmelte etwas, und der Herr gab ihm fünfzig Centavos.

Mit diesen fünfzig Centavos ging Dobbs erst einmal zu einem Chinesen, um
zu Mittag zu essen. Mittag war zwar längst vorbei. Aber es gibt immer
Mittagessen beim Chinesen, und wenn es schon zu spät ist, daß man es
noch Comida Corrida nennen könnte, dann nennt man dasselbe Essen eben
einfach Cena, und das ist dann Abendessen, wenn es auch kaum vier Uhr
von der Kathedrale geschlagen hat.

Dann ruhte sich Dobbs ein wenig auf der Bank aus, und endlich dachte er
an Kaffee. Er pirschte wieder eine Weile vergebens, bis er einen Herrn
im weißen Anzug sah. Und der Herr gab ihm fünfzig Centavos. Ein
Silberstück.

„Ich habe Glück mit Herren im weißen Anzug heute“, sagte Dobbs und ging
zu dem runden Kaffeestand an der Seite der Plaza de la Libertad, die dem
Zoll- und Passagierhafen am nächsten lag.

Er setzte sich auf den hohen Barstuhl und bestellte ein Glas Kaffee mit
zwei Hörnchen. Das Glas wurde zu drei Viertel mit heißer Milch gefüllt
und dann schwarzer heißer Kaffee draufgegossen, bis das Glas bis an den
Rand gefüllt war. Dann wurde ihm die Zuckerdose hingestellt, die zwei
schönen braunen Kreuzhörnchen und ein Glas Eiswasser.

„Warum habt ihr Banditen denn den Kaffee schon wieder um fünf Centavos
erhöht?“ fragte Dobbs, dabei verrührte er den Berg Zucker, den er sich
in das Glas geschüttet hatte.

„Die Unkosten sind zu hoch“, sagte der Kellner, während er sich mit
einem Zahnstocher im Munde herumfuhrwerkte und sich dann gelangweilt
gegen die Bar lehnte.

Dobbs hatte die Frage nur gestellt, um etwas zu sagen. Für ihn und
seinesgleichen machte es zwar sehr viel aus, ob der Kaffee fünfzehn oder
zwanzig Centavos kostete. Aber er regte sich über die Preiserhöhung
nicht auf. Wenn er fünfzehn Centavos aufbringen konnte, dann konnte er
auch zwanzig aufbringen, und wenn er keine zwanzig machen konnte, dann
fehlten ihm auch die fünfzehn. Im Grunde genommen war es also ganz
gleich.

„Ich kaufe keine Lose, verflucht noch mal, laß mich endlich zufrieden“,
rief er dem Indianerjungen zu, der ihm schon seit fünf Minuten die
langen dünnen Fahnen der Lotterielose vor der Nase herumschwenkte.

Aber der Junge ließ sich so leicht nicht abweisen.

„Ist die Lotterie des Staates Michoacan. Sechzigtausend Pesos der
Hauptgewinn.“

„Mach’ endlich, daß du fortkommst, du Räuber, ich kaufe kein Los.“

Dobbs tauchte sein Hörnchen in den Kaffee und schob es in den Mund.

„Das ganze Los ist nur zehn Pesos.“

„Hundesohn, ich habe keine zehn Pesos.“ Dobbs wollte einen Schluck
Kaffee trinken, aber das Glas war zu heiß, er konnte es nicht anfassen.

„Dann nehmen Sie doch nur ein Viertel, das ist zwei Pesos fünfzig.“

Dobbs hatte sehr geschickt das Glas an den Mund gebracht. Aber als er
jetzt gerade trinken wollte, verbrannte er sich die Lippen, so daß er
das Glas rasch wieder hinsetzen mußte, weil es ihm durch das lange
Halten auch in den Fingern zu heiß geworden war.

„Wenn du jetzt nicht sofort machst, daß du mit deinen gestohlenen Losen
zum Teufel gehst, dann gieße ich dir das Wasser ins Gesicht.“

Dobbs sagte es diesmal wütend. Nicht aus Wut über den geschäftstüchtigen
Jungen als vielmehr aus Wut, daß er sich die Zungenspitze verbrüht
hatte. An seiner Zunge konnte er seine Wut nicht auslassen, auch nicht
an dem Kaffee, den zu vergießen er sich wohl hütete. Darum ließ er seine
Wut an dem Jungen aus.

Der Junge machte sich nicht viel daraus. Er war solche Wutausbrüche
gewöhnt. Auch war er ein guter Kaufmann, der seine Leute kannte. Wer
hier um diese Zeit Kaffee trinken und zwei Hörnchen dazu essen konnte,
der war auch imstande, ein Lotterielos zum Besten des Staates Michoacan
zu kaufen.

„Dann nehmen Sie doch nur ein Zehntel, Senjor. Kostet nur einen Peso.“

Dobbs nahm das Glas mit dem Eiswasser auf und schielte dabei zu dem
Jungen hin. Der Junge sah es, ging aber nicht vom Fleck.

Dobbs trank einen Schluck von dem Wasser. Der Junge schwenkte ihm dabei
seine Fahnen mit den Losen vor der Nase herum. Mit einem Schwupp hatte
ihm Dobbs das Wasser ins Gesicht geschüttet, und die Lose trieften vom
Wasser.

Der Junge war aber nicht wütend darüber. Er lachte nur, schüttelte das
Wasser aus den Losen und strich sich mit dem halben Handrücken das
Wasser von seinem zerlumpten Hemd herunter. Diesen Wasserguß betrachtete
er mehr als einen Ausdruck freundschaftlicher Geschäftsanbahnung denn
als ein Zeichen unversöhnlicher Feindschaft. In seinem kleinen Kopf
hatte sich einmal die Meinung festgesetzt, daß derjenige, der ein Glas
Milchkaffee trinken und zwei Hörnchen dazu essen könne, auch ein Los
kaufen müsse, um durch einen Lotteriegewinn diese Ausgabe wieder
hereinzubekommen.

Das größte Glas Kaffee geht einmal mit seinem Inhalt zu Ende. Dobbs
drückte den letzten Tropfen heraus, der nur herauszuholen war, ohne das
Glas zerbrechen zu müssen. Endlich war auch die letzte Krume der schönen
Hörnchen aufgepickt, und Dobbs gab seinen Fünfziger hin, um zu zahlen.
Er bekam zwanzig Centavos heraus, in einem kleinen Silberstück. Darauf
schien der Junge nur gewartet zu haben.

„Kaufen Sie doch ein Zwanzigstel von der Monterreylotterie, Senjor.
Kostet nur zwanzig Centavos. Hauptgewinn zwanzigtausend Pesos. Da nehmen
Sie das. Das ist eine gute Nummer.“

Dobbs wiegte das Silbermünzchen in der Hand. Was sollte er damit machen?
Zigaretten kaufen. Er hatte gerade jetzt nach dem Kaffee keinen
Geschmack auf Zigaretten. Lotterielos war weggeworfen. Immerhin, weg ist
weg. Und man konnte ein paar Tage hoffen. Es dauerte ja nicht viele
Monate, sondern immer nur ein paar Tage, bis die Ziehung war.

„Na, gib her dein Los, du Hundesohn. Nur damit ich dich endlich nicht
mehr mit deinen Losen sehe.“

Eilfertig riß der kleine Kaufmann das Zwanzigstel von der langen Fahne
herunter. Es war ganz hauchdünnes Papier. So dünn, daß der Druck auf der
rückwärtigen Seite ebenso stark war wie auf der Vorderseite.

„Das ist eine sehr gute Nummer, Senjor.“

„Warum spielst du sie denn da nicht selbst?“

„Ich habe nicht das Geld dazu. Da ist das Los. Vielen, vielen Dank,
Senjor. Beehren Sie mich beim nächsten Mal.“

Dobbs schob sein Los ein, ohne sich die Nummer anzusehen. Dann ging er
baden. Das war ein weiter Weg. Raus, weit hinter dem Cementerio. Dann
den Berg hinunter zum Fluß. Ehe man herankam, mußte man über Kanäle und
Pfützen springen und durch sumpfige Stellen waten.

Im Wasser tummelten sich schon Dutzende von Indianern sowie von Weißen,
die auf der gleichen gesellschaftlichen Stufe standen wie Dobbs und von
dem lebten, was andre abfallen ließen. Badehosen hatte niemand. Aber es
war auch niemand da, der sich darum bekümmert hätte. Es gingen sogar
Frauen und Mädchen an diesen Badestellen vorüber, die nichts Besonders
darin sahen, daß die Männer hier ganz unbekleidet badeten, und auch mit
keinem Gedanken daran dachten, Ärgernis oder Anstoß daran zu nehmen.
Freilich, die feinen amerikanischen oder europäischen Frauen hätten es
unter ihrer Würde gefunden, hier vorbeizugehen. Die standen oben auf der
Höhe, auf den Balkonen und in den Fenstern ihrer Häuser mit guten
Prismengläsern und sahen den Badenden zu. Die Damen, die nicht hier
wohnten, sondern auf der andern Seite der Avenida Hidalgo, in der
Colonia Guadalupe und in den andern Kolonien, die ließen sich von Damen,
die hier wohnten, zum Tee einladen. Jede Dame brachte ihr Prismenglas
mit, um – um sich die weite Landschaft von der Höhe aus zu betrachten.
Denn die Aussicht war sehenswert. Darum hieß die Kolonie hier auch
Colonia Buena Vista.

Das Baden war erfrischend, und Dobbs sparte fünfundzwanzig Centavos, die
er für das Brausebad im Hotel hätte bezahlen müssen. Aber das
Baden hatte auch wieder seine Schattenseiten. Da waren die
Riesen-Taschenkrebse, die im Schlamm saßen. Und diese Krebse dachten
zuweilen, die Zehen der Badenden seien gutes Fleisch, das man nicht
verachten dürfe. Es zwickte ganz verteufelt, wenn so ein guter alter
ausgewachsener Krebs ordentlich zupackte und mit der Zehe abrücken
wollte.

Der Fluß teilte sich hier in viele Arme. An einzelnen Ufern saßen die
Krebsfischer. Es war ein mühseliges Geschäft, und es konnte nur
ausgeführt werden von jemand, der unerhört viel Geduld hatte.

Die Krebsfischer waren meist Indianer oder sehr armes Halbblut. Der
Köder war altes stinkiges Fleisch. Je mehr es stank, desto besser war
es. Ein großer Brocken des Fleisches wurde auf einen Angelhaken
gespießt, der an einer sehr langen Schnur befestigt war. Dann wurde der
Brocken sehr weit in den Flußarm hinausgeworfen.

Hier blieb er eine gute Weile liegen. Nun begann der Fischer die Schnur
ganz, ganz langsam einzuziehen, so langsam, daß man es kaum sah. Es
dauerte eine Ewigkeit, bis der Haken mit dem Brocken wieder am Ufer war.
Dann wurde die Schnur weiter langsam herausgezogen auf das flach
aufsteigende schlammige Ufer. Sechs bis zehnmal war es vergebens. Der
Haken mußte wieder hinausgeworfen werden, oft mit einem neuen Brocken,
weil der alte abgefressen war, dann wieder mit unendlicher Geduld
langsam herangeholt werden.

Die Krebse packten mit der Schere den Brocken Fleisch fest, und sie
hielten so krampfhaft den Brocken fest, daß sie sich damit herausziehen
ließen, weil sie den Brocken nicht mehr hergeben wollten. Wurde zu rasch
gezogen, dann konnte der Krebs so schnell nicht mit, oder es kam ihm
verdächtig vor, und er ließ los. Oft packte er auch den Brocken so
kräftig, daß er ihn vom Haken abkniff, und dann hatte der Krebs
gewonnen.

Geduldige Fischer machten ein gutes Tagesgeschäft, denn manche der
Krebse wogen ein halbes oder gar dreiviertel Kilo, und die Restaurants
zahlten gute Preise, weil das Fleisch von Liebhabern sehr begehrt ist.

Als Dobbs den Fischern so zusah, fand er, daß es kein Geschäft für ihn
sei. Er hätte die Geduld nicht gehabt, die hier nötig war. Ein kleiner,
unbedachter hastiger Ruck ließ die Beute gehen. Dieses Fischen
erforderte eine Ruhe der Nerven, die Dobbs, der im Tumult einer
amerikanischen Großstadt aufgewachsen war, nicht hätte aufbringen
können, selbst wenn er für jeden Krebs fünf Pesos bekommen hätte.

Er torkelte wieder zurück zur Stadt. Das Baden und die Wanderung hatten
ihn hungrig gemacht, und er mußte zusehen, wie er zu seinem Abendessen
kam. Wieder war es eine Zeitlang vergebens, und er mußte manche
peinliche Bemerkung einstecken und runterschlucken. Aber man wird
abgebrüht, wenn man Hunger hat, und wenn man keinen andern Weg sieht, um
zu einem Abendessen zu kommen.

Endlich sah er einen Herrn in einem weißen Anzug. Er dachte, mit Herren
im weißen Anzug habe ich heute Glück, wir werden es wieder einmal
versuchen. Und er hatte richtig geraten. Es waren fünfzig Centavos, die
für das Abendessen reichten.

Nach dem Abendessen und nach einer angemessenen Ruhe auf einer Bank
dachte er, es wäre doch recht gut, wenn ich etwas Kleingeld in der
Tasche hätte, weil man ja nie weiß, was vorkommen kann. An dieses
Kleingeld dachte er nicht aus sich selbst heraus, sondern der Gedanke
kam ihm, als er einen Herrn in einem weißen Anzug drüben auf der andern
Seite der Plaza vorübergehen sah. Er ging gleich auf ihn los.

Der Herr griff auch richtig in die Tasche und brachte einen Fünfziger
hervor. Dobbs wollte zulangen, aber der Herr hielt seinen Fünfziger
fest. Dann sagte er ganz trocken: „Hören Sie mal, mein Junge, eine so
unerhörte Frechheit ist mir doch noch nie im Leben vorgekommen, und wenn
mir das jemand erzählen würde, so würde ich es nicht glauben.“

Dobbs stand ganz verdattert da. So etwas war ihm auch noch nicht
vorgekommen, daß jemand eine so lange Ansprache an ihn hielt. Er wußte
nicht recht, ob er stehenbleiben oder ob er fortlaufen sollte. Aber da
er den Fünfziger immer noch in der Hand des Herrn sah, hatte er das
Gefühl, daß dieser Fünfziger früher oder später doch für ihn bestimmt
sei, und daß der Herr eben nur das Vergnügen haben wolle, eine Predigt
dabei anzubringen. Die Predigt kann ich mir für den Fünfziger ja ruhig
mit anhören, ich habe ja weiter nichts zu tun, sagte sich Dobbs. Und so
blieb er ruhig stehen.

„Heute nachmittag erzählten Sie mir,“ fuhr der Herr jetzt fort, „Sie
hätten noch nicht gegessen. Daraufhin gab ich Ihnen einen Peso. Dann
traf ich Sie wieder, und Sie sagten, Sie hätten kein Schlafgeld,
daraufhin gab ich Ihnen fünfzig Centavos. Wieder später kamen Sie und
sagten, Sie hätten noch nicht zu Abend gegessen, und ich gab Ihnen
abermals einen Fünfziger. Nun sagen Sie mir das eine, wozu wollen Sie
denn jetzt noch Geld?“

„Für morgen früh zum Frühstück“, sagte Dobbs geistesgegenwärtig.

Der Herr lachte, gab ihm den Fünfziger und sagte: „Das ist das
letztemal, daß ich Ihnen etwas gebe. Nun gehen Sie auch einmal zu einem
andern und nicht gerade immer zu mir. Es fängt mir an, langweilig zu
werden.“

„Entschuldigen Sie nur,“ sagte Dobbs, „ich habe nicht gewußt, daß Sie
immer derselbe sind. Ihr Gesicht habe ich mir nie angesehen, das sehe
ich jetzt zum ersten Male. Aber ich werde nun nicht wiederkommen.“

„Damit Sie auch Ihr Wort bestimmt halten und mich nicht mehr belästigen,
will ich Ihnen noch einen Fünfziger mehr geben, damit Sie auch noch
morgen das Mittagessen haben. Aber von dann an wollen Sie gefälligst für
Ihren Lebensunterhalt ohne meine Mitwirkung sorgen.“

„Dann wäre diese Quelle ja auch erschöpft“, sagte Dobbs zu sich. Und er
kam zu der Erkenntnis, daß es besser sei, einmal über Land zu gehen und
zu sehen, wie es da ausschaut.




                                   2


Es traf sich so, daß Dobbs in seinem Schlafraum einen Mann fand, der
einem andern Schlafkameraden erzählte, daß er nach Tuxpam gehen wolle,
aber keinen Weggenossen hätte. Kaum hatte Dobbs das gehört, als er auch
gleich sagte: „Mensch, ich gehe mit nach Tuxpam.“

„Sind Sie Driller?“ fragte der Mann von dem Bett aus. „Nein, Pumpmann.“
„Gut,“ sagte der Mann darauf, „warum nicht, wir können ganz gut
zusammengehen.“

Am nächsten Morgen machten sich die beiden auf, die zahlreichen Ölfelder
auf der Strecke nach Tuxpam nach Arbeit abzusuchen. Sie frühstückten
erst ihr Glas Kaffee und ihre beiden Brötchen in einem Kaffeestand, und
dann zogen sie beide ab.

So direkt kann man ja nun nicht nach Tuxpam gehen. Da gibt es keine
Bahn. Nur Flugzeuge. Und da kostet eine Fahrt fünfzig Pesos. Aber da
fahren viele Lastautos hinunter zu den Feldern. Das eine oder andre
nimmt einen vielleicht mit. Den ganzen Weg zu laufen, ist nicht so
einfach. Es sind mehr als hundert Meilen, und immer in glühender
Tropensonne und wenig Schatten.

„Das ist das allerwenigste,“ sagte Barber, „wenn wir nur erst rüber sind
über den Fluß.“

Das Übersetzen über den Fluß kostete fünfundzwanzig Centavos, und diese
fünfundzwanzig Centavos wollten sie nicht ausgeben.

„Ja, da bleibt uns nichts weiter übrig,“ sagte Barber, „da müssen wir
auf die Huasteca-Frachtfähren warten. Die nehmen uns umsonst mit
hinüber. Das kann aber bis um elf Uhr dauern, ehe wieder eine kommt, die
fahren ja nicht nach der Zeit, sondern nach der Fracht, die sie haben.“

„Dann setzen wir uns nur hier in Geduld auf die Mauer“, erwiderte Dobbs.
Er hatte sich von dem Überschuß des Frühstücksgeldes ein Päckchen mit
vierzehn Zigaretten gekauft für zehn Centavos. Er hatte Glück. In dem
Päckchen war ein Bon für fünfzig Centavos, den er gleich beim
Zigarettenhändler gegen Bargeld eintauschte. Nun besaß er die große
Summe von einem Peso und zehn Centavos in barer Münze.

Barber hatte auch etwa einen Peso und fünfzig Centavos als Reisekapital.
Sie hätten das Fährgeld ja bezahlen können; aber da sie reichlich Zeit
hatten und nichts versäumten, so konnten sie auch ganz gut auf die
Frachtfähre warten und das Geld sparen.

Hier an der Fähre war ein reger Verkehr. Dutzende von großen und kleinen
Motorbooten warteten auf Fahrgäste. Spezialboote, die über der Taxe
fuhren, brachten die Kapitäne und die Manager der Ölkompagnien hinüber,
die es zu eilig hatten, um auf die Taxboote zu warten, die immer erst
ihre vier oder sechs Fahrgäste voll haben wollten, ehe sie losratterten.
Und da hier immer Aufenthalt war und besonders die Arbeiter, die
drüben arbeiteten und hier wohnten, in den Morgen- und in den
Nachmittagsstunden hier zu Hunderten und oft zu Tausenden schwärmten,
ging es an der Fähre zu wie auf einem Jahrmarkt. Da waren Tische, wo es
Mittagessen gab, oder Kaffee, oder geröstete Bananen, oder Früchte, oder
Enchiladas, oder heiße Tamales, oder Zigaretten, oder Süßigkeiten. Alles
lebte von der Fähre und durch die Fähre. Autos und Straßenbahnen
brachten die Fahrgäste aus dem Stadtinnern in ununterbrochener Folge.
Das ging den ganzen Tag und die ganze Nacht ohne Aufhören. Drüben waren
die Hände, hier auf dieser Seite, in der Stadt, war das Hirn, waren die
Zentralbureaus, die Banken. Drüben auf der andern Seite des Flusses war
die Arbeit, hier war die Erholung, die Rast, das Vergnügen. Drüben war
der Reichtum, das Gold des Landes, das Öl. Drüben war es wertlos. Hier
erst, auf dieser Seite, in der Stadt, in den steilen Bureauhäusern, in
den Banken, in den Konferenzräumen, in der All America Cable Service
bekam das Öl, das auf der andern Seite völlig wertlos war, seinen Wert.
Denn Öl wie Gold sind wertlos an sich, ihr Wert wird erst durch viele
andre Handlungen und Vorgänge bestimmt.

An dieser Fähre wanderten Milliarden an Dollars vorüber. Nicht in
Banknoten, nicht in gemünztem Golde, ja nicht einmal in Schecks. Diese
Milliarden wanderten hier vorüber in kurzen Notizen, die jene Leute, die
meist, aber nicht immer in Spezialbooten außer Taxe fuhren, in ihren
kleinen Taschenbüchern, manchmal nur auf einem Stückchen Papier, trugen.
Reichtümer und Werte in unserm Jahrhundert lassen sich in Notizen
ausdrücken und in Notizen herumtragen.

Um halb elf kam dann endlich die Frachtfähre, angefüllt mit Fässern,
Kisten und Säcken. Dutzende von indianischen Männern und Frauen kamen
herüber, schwer bepackt mit Körben, in denen sie Feldfrüchte zur Stadt
brachten, oder Matten, Taschen aus Bast, Hühner, Fische, Eier, Käse,
Blumen und kleine Ziegen.

Barber und Dobbs stiegen ein, aber es dauerte doch noch eine Stunde, ehe
die Fähre wieder hinüberfuhr. Die Fahrt war lang, ging den Fluß weit
hinunter, ehe die Anlegestelle erreicht wurde. Weit den Fluß hinauf lag
ein Tankschiff neben dem andern, um das Öl aufzunehmen und über den
Ozean zu tragen.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses war der Verkehr ebenso
rege, und es war ein ebensolcher Jahrmarktsverkehr wie auf der
Stadtseite. Nicht nur den Fluß hinauf, sondern noch viel weiter den Fluß
hinunter, bald bis zur Mündung, lagen die großen Tankschiffe.

Weiter zurück vom Ufer, auf den Höhen, lagen die Riesentanks,
vollgefüllt mit dem wertvollen Öl. Zahlreiche Rohre führten das Öl
aus den Tanks hinunter zum Flußufer. Hier wurde es durch
Metalldrahtschläuche in die gewaltigen Tanks der Schiffe gepumpt. Wenn
das Öl einkam oder das Schiff voll gefüllt war, hißte es die rote
Gefahrflagge. Denn das Rohöl gaste, und eine unvorsichtige Behandlung
mit offenem Feuer konnte das Schiff ausbrennen bis auf das Wasser.

Scharen von Händlern mit Früchten, Papageien, Tigerkatzen, Tiger- und
Löwenfellen, Affen, Büffelhörnern, mit kleinen Palästen und Kathedralen,
aus Muscheln kunstvoll gebaut, trieben sich hier herum und boten den
Seeleuten ihre Waren an. Wenn sie kein Geld kriegen konnten, nahmen sie
auch andre Dinge, Anzüge, Regenmäntel, Lederkoffer oder was sie sonst an
wertvollen Sachen eintauschen konnten.

Die Raffinerien bliesen Wolken von Rauch und Gas aus. Das abgeblasene
Gas setzte sich in den Lungen und Luftröhren fest, wo es wie dünne
Nadeln stach. Dann hüstelten die Leute, und wenn der Wind diese Gase gar
hinübertrieb in die große Stadt, dann fühlte sich die ganze Bevölkerung
wie in einem Giftofen. Die Ungewohnten, die Neuankömmlinge, bekamen ein
unsicheres, ängstliches Gefühl. Sie faßten sich immerwährend an die
Kehle oder versuchten zu niesen oder zu schnauben und wußten meist
nicht, was los war. Viele der Neuen hatten ein Empfinden, als müßten sie
sterben, so giftig war das stechende Gefühl in der Kehle und in der
Lunge.

Aber die Altgewohnten nahmen es leicht. Solange dieses stechende giftige
Gas durch die Stadt schwelte, rann das Gold durch die Gassen, und das
Leben sah rosig aus, von welcher Seite aus man es auch betrachtete.

Hier waren die Saloons, einer neben dem andern. Alle lebten sie von den
Seeleuten. Die besten Kunden waren die amerikanischen Seeleute. Denn die
bekamen in ihrer Heimat weder Bier noch Wein noch Branntwein. Die holten
hier alles nach, was sie daheim versäumten, und tranken soviel Vorrat,
daß sie es gut eine Weile in ihrem trocknen, stumpfen Lande wieder
aushalten konnten. Sie waren an hohe Preise für geschmuggelten
Branntwein gewöhnt. Und hier, wo die Preise normal waren, erschien es
ihnen, als ob der Whisky und das Bier überhaupt nichts kosteten, als ob
sie alles geschenkt erhielten. So wanderte ein Dollar nach dem andern in
die Cantinas und in die Bars. Und wenige Häuser weiter waren die schönen
Damen, die ihnen den Rest ihres Geldes abnahmen. Aber die Seeleute
fühlten sich nie übervorteilt. Sie waren glücklich, und sie würden den,
der ihnen durch Verbote und Gesetze das Trinken und die schönen Damen
genommen hätte, mit tausend Flüchen belastet haben. Sie brauchten keinen
Vormund. Und die Seemannsmission, die sich nur darum bekümmert, daß die
Seeleute ein sauberes Bett bekommen und einen trocknen warmen Raum, wo
sie Zeitungen lesen können, wird von den Seeleuten am höchsten geachtet.
Wer Sehnsucht hat, in die Kirche zu gehen, findet immer eine Kirche; man
braucht sie dem Seemann nicht an den Mittagstisch oder in den Schlafsaal
zu tragen und das wenige an Religion, das ihm die Schule noch gelassen
hat, hier auch noch zu verekeln. Seeleute und Gefängnisgäste sind die
beiden Volksklassen, die man als die wehrloseste Beute ansieht, die man
mit Religion bis zum Überdruß des Erbrechens vollpacken darf. Aber
Überfütterung hat noch nie gut getan. Und weil sie nie gut tut und das
Gegenteil erzeugt von dem, was beabsichtigt ist, wird dem Verbrecher und
wird dem Seemann immer noch mehr Religion aufgepackt. Der Verbrecher im
Gefängnis und der Seemann an Land, nachdem er sein ganzes Geld
ausgegeben hat, bilden die beste Betgemeinde. Sie würden beide eine
kräftige Kinovorführung vorziehen, aber die können sie nicht umsonst
haben.

Barber sagte: „Es ist gerade Mittag, wir könnten eigentlich zu einem
Tanker raufklettern. Vielleicht fällt ein Mittagessen ab.“

„Das ist nicht so übel“, erwiderte Dobbs. „Wir können nur wieder
runtergepfeffert werden, das ist alles.“

Sie sahen zwei Männer mit nackten Armen bei einem Fruchthändler stehen.
Barber ging gleich drauflos und sagte: „Von welchem seid ihr denn?“

„Von der Norman Bridge. Warum?“

„Habt ihr schon gegessen?“ fragte Barber.

„Nein, wir sind gerade auf dem Wege dazu.“

„Wie ist es denn mit einem Mittagessen für uns beide?“ fragte Barber.

„Kommt nur gleich mit rauf. Die sind alle rübergegangen in die Stadt.
Masse übrig.“

Als Dobbs und Barber eine Stunde später das Schiff verließen, konnten
sie kaum gehen, so voll hatten sie sich gegessen. Sie setzten sich an
eine Wand, um erst eine Weile zu verdauen. Aber dann wurden sie unruhig,
weil sie ja weiter wollten und für die Nacht ein Unterkommen haben
mußten.

„Wir können auf zwei Wegen gehen“, sagte Barber. „Wir können hier auf
dem Hauptwege gehen, immer in der Nähe der Lagune bleibend. Aber ich
denke, der Weg ist nicht gut. Der wird von allen abgelaufen. Da gibt es
nichts in den Camps, die sind alle überlaufen von den Strolchen. Arbeit
gibt es hier auch nicht, weil da genug Leute kommen.“

„Dann brauchten wir doch überhaupt gar nicht erst rüber, wenn das
aussichtslos ist“, sagte Dobbs unwillig.

„Aussichtslos? Das habe ich nicht gesagt“, verteidigte sich Barber. „Nur
hier auf diesem Hauptverkehrswege da ist nicht viel los, weil zu viele
da laufen. Ich denke, wir gehen besser auf dem inneren Wege. Da treffen
wir mehr Felder, die ganz unbekannt sind, die mehr abseits der großen
Wege liegen. Da stoßen wir auch auf Camps, die gerade anfangen zu bauen.
Da gibt es immer etwas zu tun. Wir gehen jetzt mal hier den Fluß rauf
und gehen dann links ab, und in einer halben Stunde sind wir schon in
Villa Cuauhtemoc.“

„Dann los, wenn Sie glauben, daß jener Weg besser ist“, sagte Dobbs.

Der ganze Weg war Öl und nichts als Öl. Links auf den Höhen standen die
Tanks wie Soldaten aufmarschiert. Rechts war der Fluß. Bald hörten die
Schiffe auf, und das Flußufer wurde frei. Aber das Wasser war dick mit
Öl überzogen, die Ufer waren dick mit Öl bedeckt, und alle Gegenstände,
die der Fluß oder die einkommende Flut auf das Ufer geworfen hatten,
waren mit zähem schwarzem Öl überzogen. Der Weg, auf dem die beiden
gingen, war an vielen Stellen sumpfig von dickem Öl, das aus geborstenen
Röhren quoll oder aus der Erde sickerte. Öl und nichts als Öl, wohin
auch immer man sah. Selbst der Himmel war mit Öl bedeckt. Dicke schwarze
Wolken, die von den Raffinerien herüberwehten, trugen Ölgase mit sich
davon.

Es kamen dann Anhöhen, die freundlicher aussahen. Dort waren die
hölzernen Wohnhäuser der Ingenieure und der Bureaubeamten. Sie wohnten
hier schön und luftig, und was sie am Stadtleben einbüßten, das mußten
sie hier durch Grammophone und Radioapparate ersetzen. Denn abends aus
der Stadt hierher zurückzukommen, war ziemlich umständlich und auch
nicht sicher. Es trieb sich genug Gesindel herum, das auf leichte
Gelegenheiten wartete und das Leben eines andern nicht hoch einschätzte.

Villa Cuauhtemoc ist die eigentliche alte Stadt, eine uralte
Indianerstadt, die schon hier war, ehe die Spanier kamen. Sie liegt
gesünder als die neue Stadt, und sie liegt am Ufer eines großen Sees,
der Fische, Enten und Gänse in unübersehbarer Menge spendet. Das
natürliche Trinkwasser in der alten Stadt ist besser als das in der
neuen Stadt. Aber die neue Stadt wußte die alte weit und schnell zu
überholen. Denn die neue Stadt liegt dicht am Ozean und an einem Flusse,
auf dem die größten Ozeanriesen bis zum Hauptbahnhof fahren können und
hier so sicher gegen die wildesten Orkane ruhen, als ob sie in einer
Badewanne lägen. Von der alten Stadt wird in der neuen kaum noch
gesprochen. Tausende, Zehntausende von Bewohnern der neuen Stadt wissen
gar nichts davon, daß auf der andern Seite des Flusses und eine halbe
Stunde weiter ins Land hinein die eigentliche ursprüngliche Stadt liegt.
Aber diese beiden Städte, Mutter und Tochter, entfernen sich immer mehr.
Die neue Stadt, gerade hundert Jahre alt, die zweihunderttausend
Einwohner hat, mit ständiger Wohnungsnot, liegt im Staate Tamaulipas,
während die alte Stadt im State Vera Cruz liegt. Die alte Stadt wird
immer bäuerlicher, die neue Stadt wird immer mehr und mehr Weltstadt,
die ihren Namen in die fernsten Winkel der Erde sendet.

Kaum hatten die beiden Wanderer, die nun sehr eilig waren, um
voranzukommen, am Ende der Stadt, gegenüber der Lagune, den Höhenweg
erreicht, als sie einen Indianer am Wege hocken sahen. Der Indianer
hatte gute Hosen an, ein sauberes blaues Hemd, einen hohen spitzen
Strohhut und Sandalen. Eine große Basttasche, gefüllt mit einigen
Habseligkeiten, lag vor ihm auf dem Boden.

Sie beachteten den Mann nicht und gingen rasch weiter. Nach einer Weile
drehte sich Dobbs um und sagte: „Sie, was will denn der Indianer, der
kommt immer hinter uns her.“

Barber wandte sich um und sagte: „Es scheint so. Jetzt bleibt er stehen
und tut, als ob er etwas da im Busch sucht.“

Zu beiden Seiten war der dicke undurchdringliche Busch.

Sie gingen weiter, aber als sie sich umdrehten, sahen sie, daß der
Indianer ihnen folgte. Er schien sogar rascher zu gehen, um näher
heranzukommen.

Barber fragte: „Hatte der Bursche einen Revolver?“

„Ich habe keinen gesehen“, meinte Dobbs.

„Ich auch nicht. Ich fragte Sie nur, um zu erfahren, ob Sie vielleicht
etwas gesehen haben. Scheint also kein Bandit zu sein.“

„So sicher ist das nicht“, sagte Dobbs nach einer Weile, nachdem er sich
wieder umgedreht hatte und den Indianer folgen sah. „Er kann ja ein
Spion der Banditen sein, der uns im Auge zu behalten hat. Wenn wir dann
Lager machen, überfällt er uns, oder seine Spießgesellen kommen.“

„Unangenehm“, erwiderte Barber. „Am besten wäre es, wenn wir umkehrten.
Man weiß nie, was diese Burschen im Sinne haben.“

„Was will man uns denn nehmen?“ Dobbs suchte nach Sicherheiten.

„Nehmen?“ wiederholte Barber. „Aber wir tragen doch kein Schild an uns,
daß wir nur jeder etwa einen Peso haben. Und wenn wir ein solches Schild
trügen, würden sie es nicht glauben, sondern uns erst recht überfallen,
weil sie denken, wir haben eine Menge Geld. Zwei Pesos sind für diese
Leute überhaupt eine Masse Geld. Wir haben ja auch Schuhe, Hosen und
jeder ein Hemd und einen Hut. Das alles sind Wertsachen.“

Sie gingen aber weiter. Immer, wenn sie sich umdrehten, sahen sie, daß
der Indianer hinter ihnen war, jetzt kaum noch fünfzehn Schritte
entfernt. Wenn sie stehenblieben, blieb der Indianer auch stehen. Sie
fingen an nervös zu werden. Der Schweiß brach ihnen aus.

Dobbs atmete schwer. Endlich sagte er: „Wenn ich jetzt einen Revolver
hätte oder ein Gewehr, ich würde den Burschen ohne weiteres erschießen.
Dann hätte man Ruhe. Das halte ich nicht mehr aus. Wie wäre es, Barber,
wenn wir ihn fangen und irgendwo festbinden an einen Baum oder ihm eins
über den Kopf hauen, daß er nicht mehr hinter uns herlaufen kann?“

„Ich weiß nicht,“ gab Barber zur Antwort, „ob das gut wäre. Vielleicht
ist er ganz unschuldig. Aber wenn man ihn los würde, es wäre ganz gut.“

„Ich bleibe jetzt stehen und lasse ihn herankommen“, sagte Dobbs
plötzlich. „Ich kann so nicht mehr laufen. Das macht mich verrückt.“

Sie blieben stehen, taten aber so, als ob sie von einem Baum irgend
etwas herunterholen wollten, eine Frucht oder einen Vogel.

Auch der Indianer blieb stehen.

Dobbs kam nun auf eine Idee. Er wurde immer eifriger um den Baum
beschäftigt, als ob dort irgendein Wunder in den Ästen sei. Wie
vermutet, fiel der Indianer darauf herein. Er kam langsam, Schritt für
Schritt, näher, die Augen stierend auf den Baum gerichtet. Als er
endlich ganz dicht neben den beiden Männern stand, machte Dobbs eine
aufgeregte Geste und schrie: „Da, da rennt er davon!“ Und dabei zeigte
er mit ausgestrecktem Arm in den Dschungel hinein, Barber heranzerrend
und ihm den Davonrennenden genau zeigend.

Gleich darauf aber drehte er sich um und sagte zu dem Indianer: „Wo
wollen Sie denn hin? Warum laufen Sie denn immer hinter uns her?“

„Ich will dorthin“, sagte der Indianer und zeigte in die Wegrichtung, in
die Barber und Dobbs ebenfalls zu gehen gewillt waren.

„Wohin?“ fragte Dobbs wieder.

„Dorthin. Da, wo Sie hingehen wollen.“

„Sie wissen doch nicht, wo wir hin wollen“, sagte Dobbs.

„Doch, das weiß ich“, erwiderte der Indianer ruhig. „Sie wollen nach den
Ölcamps. Da möchte ich auch hin, vielleicht kriege ich Arbeit.“

Barber und Dobbs atmeten erleichtert auf. Das war die Wahrheit. Der Mann
wollte nur Arbeit suchen gehen, genau so wie sie. Er sah auch gar nicht
so aus, als ob er ein Bandit wäre.

Um aber auch den letzten Rest von Mißtrauen in sich zu verscheuchen,
fragte Dobbs: „Warum gehen Sie denn nicht allein? Warum rennen Sie denn
hinter uns her?“

„Ich sitze da schon drei Tage von frühmorgens bis zum Abend, da am Ende
der Stadt und warte auf Weiße, die zu den Camps gehen wollen.“

„Sie finden den Weg doch auch allein?“

„Das schon“, sagte der Mann. „Aber ich fürchte mich vor den Tigern und
Löwen. Es gibt hier so viele. Da mag ich nicht allein gehen. Die könnten
mich auffressen.“

„Ich glaube nicht, daß wir selbst so sicher vor den Tigern sind“, meinte
Dobbs.

„Doch“, erwiderte der Indianer. „Die mögen Weiße nicht. Die gehen lieber
auf Indianer. Aber wenn ich in Gesellschaft gehe, dann kommen sie nicht
und fressen mich auch nicht.“

Nun lachten Barber und Dobbs über ihre eigne Angst, die sie gehabt
hatten, als sie so erfahren mußten, daß der Indianer, vor dem sie sich
gefürchtet hatten, mehr Furcht hatte als sie.

Der Indianer lief jetzt mit ihnen. Er redete kaum und trottete nebenher
oder hinterdrein, gerade wie es der Weg zuließ.

Kurz vor Sonnenuntergang kamen sie an ein Indianerdorf, und sie
gedachten hier in einer der Hütten zu übernachten. Die Indianer sind
sehr gastfreundlich, aber jeder wies die drei zu dem Nachbar, immer mit
der Entschuldigung, daß sie keinen Platz hätten. Das Dorf hatte nur ein
paar Hütten. Und auch der letzte der Dorfbewohner, den sie aufsuchten,
konnte sie nicht aufnehmen.

Er machte ein besorgtes und ängstliches Gesicht und sagte: „Es ist
besser, Sie gehen zum nächsten Dorf. Das ist ein großer Ort mit mehr als
dreißig Hütten. Da werden Sie alle gut aufgenommen.“

„Wie weit ist denn das?“ fragte Dobbs mißtrauisch.

„Weit?“ sagte der Indianer. „Das ist gar nicht weit. Das sind nur eben
zwei Kilometer. Da sind Sie dort lange vor der Nacht. Die Sonne ist ja
noch nicht ganz unter.“

Es blieb nichts andres übrig, sie mußten auf das nächste Dorf losgehen.
Sie wanderten zwei Kilometer, aber von einem Dorfe war nichts zu sehen.
Sie liefen zwei Kilometer mehr, und immer noch nicht war ein Dorf in
Sicht.

„Der hat uns schön angeschwindelt“, sagte Barber ärgerlich. „Ich möchte
nur wissen, warum die uns nicht dabehalten wollten und uns hier in die
Wildnis hinausgeschickt haben?“

Dobbs, nicht weniger ärgerlich, sagte: „Ich kenne ja die Indianer auch
ein wenig. Und ich hätte es besser wissen sollen. Die machen es sonst
nie, daß sie jemand fortweisen. Aber die haben Furcht vor uns gehabt.
Das ist der ganze Grund. Wir sind drei Mann und können die Familien
nachts in der Hütte leicht erschlagen.“

„So ein Unsinn“, erwiderte Barber. „Warum sollten wir denn die armen
Teufel erschlagen. Die haben ja selber nichts, vielleicht noch weniger
als wir.“

„Die haben aber Furcht. Da ist nichts dagegen zu machen. Die beurteilen
ihre Werte, die sie haben, ja ganz anders als wir. Da ist ein Pferd oder
zwei oder eine Kuh oder ein paar Ziegen. Das ist alles hoher Wert. Wir
können doch Banditen sein. Wer sagt ihnen denn, daß wir keine sind. Und
vor Banditen haben sie eine Höllenangst.“

Barber nickte und sagte dann: „Das ist alles gut. Aber was nun? Wir
sitzen jetzt hier mitten im Busch, und in zehn Minuten ist stockdunkle
Nacht.“

„Bleibt uns eben nichts andres übrig, als hier haltzumachen.“ Dobbs sah
keinen andern Ausweg. „Ein Dorf ist hier sicher nicht allzu weit. Der
Weg ist befahren, und Kuhdreck liegt auch herum und Pferdeäppel. Aber
das Dorf kann noch eine Stunde weit sein. In der Nacht können wir nicht
gehen. Da kommen wir vom Wege ab und landen vielleicht in irgendeinem
Sumpf oder in einem Dickicht, wo wir nicht mehr rausfinden. Und wenn wir
auch in das Dorf kommen, die hetzen uns die Hunde auf den Hals. Um diese
Zeit ist es ganz und gar verdächtig, wenn da drei Mann in das Dorf
kommen und Unterkunft haben wollen.“

Mit einigen Zündhölzern suchten sie den Boden ab, um einen geeigneten
Schlafplatz zu finden. Aber da waren nur dicke Kakteen und andre
Stachelgestrüppe. Auf dem Boden selbst kroch alles mögliche Getier
herum, das ein Ruhen oder gar Schlafen verhindert hätte. Nun hatte der
Indianer auch noch von Tigern und Löwen gesprochen, die hier in dieser
Gegend frei herumliefen. Der Indianer mußte es ja wohl wissen, denn er
war ja aus dieser Gegend.

Sie standen eine Weile herum, dann wurden sie müde vom Stehen und legten
sich doch hin. Dobbs lag neben Barber. Aber kaum lagen sie zwei Minuten,
da drängte sich der Indianer zwischen sie wie ein Hund. Ganz vorsichtig
und langsam, aber nachdrücklich. Er fühlte sich nur sicher, wenn er
zwischen den beiden Weißen lag; denn der Tiger wird ja nicht gerade den
mittelsten wählen, sondern den, der außen liegt. Und für die eine Nacht
wird er an dem einen ja wohl genug haben.

Dobbs und Barber waren aber mit dieser Platzverteilung nicht
einverstanden. Sie preßten und pufften an dem Indianer herum, daß er
einen blauen Fleck neben dem andern haben mußte. Aber er ließ sich das
ruhig und widerspruchslos gefallen. Hatten sie ihn endlich mit Fäusten
und Füßen aus ihrer Mitte herausgeschoben, so wartete er eine Weile, bis
er glaubte, sie seien am Einschlafen. Und es brauchte sich nur der eine
oder der andre ein wenig mehr auf die Seite zu legen und so einen
schmalen Spalt zwischen beiden zu öffnen, sofort schob er sich wieder
dazwischen und würgte so lange, bis er der ganzen Länge nach wieder
regelrecht zwischen beiden lag. Sie gaben schließlich den Kampf auf,
weil es ganz vergebens war.

Barber wachte auf durch irgendein Kriechtier, das ihm über das Gesicht
gelaufen war. Er setzte sich aufrecht und strich sich den Körper ab.
Aber er fand nichts weiter. Während er nun so saß und in das Singen und
Zirpen des nächtlichen Busches hineinlauschte, schreckte er plötzlich
zusammen.

Er hörte ganz deutlich ein Heranschleichen von vorsichtigen Tritten. Es
war kein Zweifel, es waren die Tritte eines großen Tieres. Sobald er die
Tritte wieder gehört hatte und überzeugt war, daß er sich nicht
täuschte, rüttelte er Dobbs auf.

„Was ist denn los?“ fragte Dobbs schläfrig.

„Da ist ein Löwe oder ein Tiger auf der Fährte. Gleich hinter uns.“

„Ich glaube, Sie träumen“, sagte Dobbs, langsam wach werdend. „Ich
glaube nicht, daß ein Tiger herankommt und sich an uns wagt.“

Er lauschte nun ebenfalls. Als er das Geräusch hörte, sagte er, sich
weiter aufrichtend: „Das scheint doch so, als ob Sie recht haben. Das
ist ein großes Tier. Ein Mensch schleicht nicht zur Nachtzeit hier
umher. Der hat mehr Angst als wir. Das ist ein Tier, die Tritte sind
ziemlich schwer.“

Ob der Indianer schon die ganze Zeit wach gelegen hatte oder jetzt erst
aufwachte, war nicht ganz klar. Jedenfalls dachte er, daß er am
sichersten sei, wenn er sich nicht melde und ruhig hier zwischen den
beiden liegenbleibe. Nun aber richtete er sich mit einem Ruck auf, und
gleich stand er. Sein Gesicht konnte man nicht erkennen, denn es war
stockfinster. Aber sicher war es von Furcht verzerrt. Aus dem Tonfall
seiner Stimme konnten die beiden andern fühlen, wie sein Gesicht wohl
jetzt aussehen müsse.

„Da ist ein Tiger, gleich da dicht bei uns“, sagte er mit bebender
Stimme. „Nun sind wir alle verloren. Der wird gleich losspringen. Der
steht da drüben im Gebüsch und lauert.“

Dobbs und Barber blieb der Atem stecken. Der Indianer kannte den Schritt
und den Geruch eines Tigers, er gehörte ja zu diesem Lande.

„Was machen wir da nur?“ fragte Dobbs.

„Am besten, wir schreien und machen großen Lärm“, riet Barber.

„Das ist nicht gut. Daraus macht sich ein Tiger nichts. Das lockt ihn
erst noch mehr und rascher an.“

Atemlos standen die drei da und lauschten auf die Schritte. Minutenlang
hörten sie nichts, dann wieder vernahmen sie einen oder zwei Tritte.

„Ich weiß einen Ausweg“, sagte mit leiser Stimme Dobbs. „Wir klettern
auf einen Baum. Da sind wir am sichersten.“

„Tiger klettern auch auf Bäume“, sagte darauf Barber ebenso leise. „Das
sind doch Katzen, die klettern und springen wie nichts.“

„Das ist aber der sicherste Platz.“ Dobbs bestand auf seinem Plan.

Er tastete sich vorsichtig herum und kam auch nach zwei Schritten zu
einem Mahagonibaum. Ohne noch lange zu überlegen, begann er
hochzuklimmen.

Kaum hatte der Indianer gemerkt, was los sei, sofort war er auch an dem
Baum, nur um nicht der Letzte und Unterste sein zu müssen. Er folgte
Dobbs ziemlich rasch nach auf den Baum. Seine Basttasche hatte er aber
mitgenommen.

Barber wollte nicht allein hier unten zurückbleiben, und so kletterte er
endlich auch nach.

Hier oben, nachdem sie sich so eingenestelt hatten, wie das in der
Dunkelheit nur möglich war, atmeten sie das erstemal wieder ein wenig
auf und betrachteten ihre Lage ruhiger. Sie fühlten sich nun doch
sicherer hier als auf dem Boden. Barber hatte ganz recht, als er sagte:
„Unten kann der Tiger einen wegschleppen. Hier kann man sich
festhalten.“

„Festhalten, ja“, meinte Dobbs. „Aber ein Bein oder einen Arm nimmt er
mit.“

„Besser, als wenn man ganz mit muß“, sagte Barber.

Die Müdigkeit wurde größer und die Furcht geringer. Der Indianer war
wieder in der Mitte, unter sich hatte er Barber, über sich Dobbs. Er
fühlte sich am geborgensten. Sie hatten sich alle drei mit ihren
Leibgürteln an einem Ast festgeschnallt, um zu verhüten, daß sie etwa im
Schlaf hinunterfielen.

Es war eine lange Nacht, oft unterbrochen von schweren Träumen und von
halbwachen Visionen. Endlich aber wurde es Morgen.

Beim hellen Licht der Sonne sah alles sehr natürlich aus, nichts von dem
Grauen und den wilden Vorstellungen der Nacht war geblieben. Sogar der
Erdboden sah viel einladender aus, als er in der Nacht erschienen war.
Nur dreißig Schritte weiter lag eine Grasfläche, die traulich durch die
Bäume leuchtete.

Die drei setzten sich nieder und frühstückten jeder eine Zigarette. Der
Indianer brachte ein paar trockene Tortillas zum Vorschein, von denen er
den beiden je eine abgab.

Während die drei nun dasaßen und rauchten und kauten, gerade einmal
nicht redeten, hörten sie wieder die Tritte des Tigers. Alle drei
schreckten gleichzeitig auf. Diese Art der Tritte kannten sie so genau,
als ob sie die Tritte ihres nächsten Verwandten seien. Sie würden sie
nach zehn Jahren noch genau so wiedererkannt haben wie heute; denn sie
waren in jede Fiber ihres Körpers eingedrungen und hatten sich dort
festgesetzt.

Am hellen lichten Tage ein Tiger. Warum nicht? Aber so dicht in der Nähe
von drei Menschen? Das war denn doch zu ungewöhnlich.

Dobbs hatte sich umgedreht in der Richtung, von woher die Tritte in der
Nacht gekommen waren und auch jetzt kamen. Er lugte durch die Bäume, sah
rüber auf die Grasfläche, und dort war der Tiger.

Jetzt konnten ihn alle drei deutlich sehen. Der Tiger graste und war an
einen Baumstumpf mit einer langen Leine angebunden, damit er nicht
entlaufen solle. Es war ein harmloser Tiger, der froh war, wenn man ihm
nichts tat und ihm sein Gras gönnte. Es war ein Esel.

Der Indianer sagte nichts darauf. Er wußte genau, daß er in der Nacht
einen Tiger gehört hatte, und er kannte Tiger.

Dobbs und Barber sahen sich an. Sie sagten kein Wort, aber sie wurden
beide rot im Gesicht. Dann lachten sie, als ob sie bersten wollten.

Endlich sagte Dobbs: „Um eins bitte ich Sie, Mensch, erzählen Sie das
niemand. Wir können uns sonst nirgends wieder sehen lassen.“




                                   3


Das Dorf, von dem die Indianer vergangenen Abend gesprochen hatten, war
nur kaum zwanzig Minuten entfernt. Daß hier ein Esel angebunden war und
graste, bewies ja schon genügend, daß ein Dorf nicht weit sein könne.
Aber man kann sich auch täuschen, denn es kann der Esel eines
Holzfällers oder eines Kohlenbrenners sein.

In dem Dorf bekamen sie etwas zu essen, Bohnen, Tortillas und Tee aus
Zitronenblättern. Spät am Nachmittag kamen sie in das erste Camp. Dobbs
ging gleich zu dem Aufseher, aber es war keine Stelle frei.

„Wollen Sie essen?“ fragte der Aufseher.

„Ja“, sagte Dobbs. „Wir möchten auch gern übernachten hier, wenn es
geht.“

„Es wird sich wohl auch dafür ein Plätzchen finden“, sagte der Aufseher
und ging wieder in seine Baracke, nachdem er zur Küchenbaracke
rübergewinkt hatte.

Der Indianer ging den beiden nicht vom Halse. Er heftete sich an sie,
als sei er an sie angebunden. Als sie nun rüberkamen zur Küche, guckte
sie der chinesische Küchenvorsteher an, und dann entschied er, daß sie
in der Küche zu essen hätten. Es war des Indianers wegen. Wären Dobbs
und Barber allein gewesen, so hätten sie in dem Speiseraum für die
weißen Arbeiter gegessen. Mit dem Indianer ging das nicht, weil die ihre
eigene Küchenbaracke haben.

„Den Mann müssen wir uns vom Halse schaffen“, sagte Dobbs kauend. „Wir
können doch nicht mit ihm in all den Camps herumziehen. Das geht so
nicht mehr.“

„Morgen früh werden wir ihn heimjagen“, erwiderte Barber, der sich den
Appetit nicht verderben wollte dadurch, daß er jetzt Pläne entwarf.

Später gingen Dobbs und Barber zu den Arbeitern, um zu hören, was hier
oder in den Nachbarcamps los sei.

„Nichts ist los“, sagte ein langer Schwede. „Alles tote Brunnen. Vier
haben Salzwasser, zwei haben Sand und acht nichts als Lehm. Bauen alle
ab. Braucht gar nicht weiterzugehen. Weiter runter nach Süden wird
wieder neu gebohrt. Aber da könnt ihr von hier aus nicht hin. Da müßt
ihr über Panuco, oder ihr könnt auch über Ebano, da kommt ihr in den
andern Distrikt.“

Sie fanden Schlafgelegenheit in einem Lagerschuppen auf alten Säcken, wo
sie vor Eseln sicher waren, und den Schlaf, den sie der Tiger wegen in
der vergangenen Nacht verloren hatten, nachholten.

Es gab am Morgen auch noch ein leichtes Frühstück, und dann marschierten
sie ab.

„So, ehe wir nun noch zu den zwei andern Camps gehen, wo vielleicht was
los ist oder wo wir wenigstens unser Essen holen können, müssen wir den
Indianer umbringen“, sagte Dobbs, als sie eine halbe Stunde vom Camp
fort waren.

„Hören Sie,“ redete Dobbs den Indianer an, „wir gehen jetzt allein. Wir
können Sie nicht gebrauchen.“

Ängstlich blickte der Indianer auf und sagte: „Aber die Tiger, Senjor!“

„Das müssen Sie mit den Tigern allein abmachen“, mischte sich nun Barber
ein. „Wir wollen Sie los sein.“

„Ja, das ist richtig,“ sagte Dobbs, „und wenn Sie nicht freiwillig
gehen, dann setzt es was, aber etwas Kräftiges.“

Unschlüssig stand der Indianer da. Er dachte nicht daran, zu bitten oder
zuzureden. Die beiden hatten gesagt, er solle sich seiner Wege scheren,
und damit hatte er sich zufrieden zu geben. Ob er verstand, daß er ihnen
lästig sei, ob er begriff, daß die beiden durchaus im Recht seien, sich
die Reisegesellschaft zu wählen, die ihnen zusagte, wurde nicht klar. Er
stand da und sagte nichts.

Dobbs und Barber gingen los. Aber wie ein verstoßener Hund, der sich von
seinem Herrn nicht trennen kann, folgte der Indianer hinter ihnen her.
Anhänglichkeit oder Treue oder irgendein ähnliches Gefühl leitete ihn
nicht. Er war ein ganz nüchterner Materialist. Er wußte, daß die beiden
zu den Ölfeldern gehen; er wußte, daß die beiden immer zu essen
bekommen; und er wußte endlich, daß, wenn er sich an sie anhänge, er nie
verhungern könne. Ginge er allein, so würde er in keinem Camp auch nur
eine Krume bekommen, kaum von seinen eignen Rasseangehörigen, die dort
zu Dutzenden in jedem Camp arbeiteten. Die Furcht vor den Tigern war
echt. Zu den Camps wollte er unter allen Umständen, um wegen Arbeit zu
fragen; aber allein zu gehen oder mit einem andern Indianer traute er
sich nicht. Er kannte die Schrecken des Busches und des Dschungels
besser als die Weißen.

Nachdem die beiden eine halbe Stunde gegangen waren, drehte sich Barber
um und sagte: „Da kommt dieser braune Teufel doch wieder hinter uns
hergeschlichen.“

Dobbs nahm Steine auf und begann den Indianer mit Steinen zu
bombardieren. Aber der Indianer ging den Steinen gut aus dem Wege und
blieb jetzt nur noch weiter zurück, um nicht getroffen zu werden, wenn
Dobbs oder Barber ab und zu unversehens einen Stein aufnahmen und ihn
auf den Indianer lospfefferten.

„Den werden wir nicht los“, sagte Barber. „Ich weiß kein Mittel mehr.“

„Erschlagen wie eine kranke Katze“, sagte Dobbs wütend, während er
wieder einen Stein nahm und ihn nach dem Indianer feuerte.

Richtig, als sie im nächsten Camp ankamen, trottete der Indianer wieder
mit ihnen in die Küchenbaracke und bekam seine Portion Essen mit. Der
Aufseher machte ein merkwürdiges Gesicht, als er den Indianer hinter den
beiden herziehen sah.

Dobbs und Barber erzählten dem Aufseher, daß der Indianer immer hinter
ihnen herlaufe, aber der Aufseher zuckte mit den Schultern. Er wußte
nicht recht, was er aus den beiden machen sollte, die mit einem Indianer
durch die Camps ziehen.

Hier im Camp hatten die beiden den Indianer schön zur Seite, um ihn
gründlich zu verprügeln. Aber hier konnten sie es nicht tun. Der
Aufseher würde alle drei sofort aus dem Camp verweisen lassen, wenn sie
sich zu prügeln anfingen. Und in der Nacht draußen sein im Busch war das
letzte, was sich Dobbs und Barber wünschten.

So ging es auch den folgenden Tag. Der Indianer trottete immer
getreulich hinter ihnen her, stets aus der Schußweite bleibend, und
gegen alles, was die beiden sagten, war er so stumpf, daß nichts mit ihm
anzufangen war. Er klebte fest an ihnen.

Da endlich kamen die beiden zu einer Entscheidung. Hier in den Camps
herum war sowieso kaum irgendeine Arbeit zu erwarten, und so beschlossen
sie, auf dem kürzesten Wege zurück zur Stadt zu gehen. Es war die
einzige Möglichkeit, den Indianer loszuwerden.

Gegen Abend kamen sie nach Villa Cuauhtemoc, wo sie den Indianer an der
Straße zu den Feldern getroffen hatten. Er war nicht verwundert, daß die
Reise schon zu Ende sei. Er hockte sich wieder auf seinen Platz, wo er
vor drei Tagen gesessen hatte. Und dort wartete er auf neue Opfer, die
zu den Camps gehen wollten.

Dobbs und Barber gingen am selben Abend zurück zum Flußufer. Übersetzen
konnten sie nicht mehr. Sie schliefen hier auf dieser Seite des Flusses
unter einem breitästigen Baum, wo sie noch drei andre Schlafgäste
antrafen, die hier schon seit vier Wochen ihr Leben fristeten, im Freien
unter diesem Baum schliefen und ihre Mahlzeiten von den Tankschiffen
bezogen. Es gab hungrige Tage, und es gab fette Tage. Es gab Tage, wo
sie auf keinem Schiff auch nur einen Bissen Brot erhielten, und es gab
wieder Tage, wo sie auf drei oder vier Schiffen zu Mittag oder zu Abend
essen gehen konnten. Es war das reine Lotteriespiel.

Am nächsten Morgen setzten die beiden mit der Fähre rüber zur Stadt. In
den paar Tagen, die sie fortgewesen waren, hatte sich in der Stadt
nichts geändert. An der Bank, vor dem Imperial, vor den
Speiserestaurants, in denen die Ölleute verkehrten, trieben sich noch
genau die gleichen Burschen herum, die zwei, drei, sechs Wochen vorher
dort gewesen waren und ihre Sprüchlein hergesagt hatten.

Barber ging wieder seine eignen Wege, und Dobbs war in der Zwischenzeit
nur um das klüger geworden, daß in den Ölfeldern die Arbeit ebenso knapp
sei wie hier. Diese Erfahrung war etwas wert. Man machte sich keine
Vorwürfe, daß man nicht jede Gelegenheit, die sich einem böte, mit
beiden Händen ergriffe. Mehr konnte man nicht tun, als daß man der
Arbeit nachlief, wo immer welche auftauchte. In den Feldern war keine
und hier war keine.

Aber eines Morgens bekam Dobbs etwas zu tun. Maschinenteile verladen. Es
war schwere Arbeit, und es gab nur drei Pesos den Tag, von denen sich
nichts ersparen ließ. Nach fünf Tagen war auch diese Arbeit beendet. Er
stand dann eines Tages an der Fähre, die hinübergeht zu dem Bahnhof für
die Bahn nach Panuco. Da kamen fünf Leute gelaufen, die es sehr eilig zu
haben schienen.

Einer von den Leuten, ein untersetzter, knorriger Mann, sah Dobbs
dastehen. Er hielt an, sagte ein Wort zu seinen Begleitern und rief dann
rüber zu Dobbs: „Sie, he! Suchen Sie Arbeit?“

„Ja“, rief Dobbs und kam einen Schritt näher.

„Kommen Sie her! Flink! Ich habe Arbeit für Sie, wenn Sie tüchtig
zupacken können.“

Dobbs war jetzt ganz dicht herangekommen.

„Ich habe da einen Kontrakt übernommen, ein Camp aufzuriggen. Ein Mann
ist mir ausgeblieben. Wird Fieber haben oder Malaria. Weiß ich nicht.
Kann nicht auf den Jungen warten. Sie können an seine Stelle treten.“

„Gut, mache ich. Was wird gezahlt?“ fragte Dobbs.

„Ich zahle acht Dollars den Tag. Verpflegung geht ab. Macht einsachtzig
oder zwei, weiß ich noch nicht. Sechs Dollars bleiben Ihnen klar in der
Tasche. He? Was ist?“

„Ich komme mit.“ Dobbs, der zehn Minuten vorher einer Beschäftigung, die
nur zwei Dollars den Tag brachte, nachgelaufen wäre wie eine hungrige
Katze, ist jetzt so, als ob er dem Contractor einen Gefallen erwiese,
wenn er mitginge.

„Da müssen Sie aber gleich kommen, auf der Stelle“, sagte nun der
Contractor hastig. „So wie Sie da sind. Ihre Sachen zu holen, dazu haben
wir keine Zeit. Der Zug nach Panuco fährt in einer Viertelstunde, und
wir müssen noch übersetzen. Also los, los! Hurtig, abgefegt!“

Er packte ihn am Ärmel und zerrte ihn hinter sich her zur Fähre.




                                   4


Pat McCormick, der Contractor, war Amerikaner irischer Herkunft. Er war
nicht mehr sehr jung. Den größten Teil seines Lebens hatte er in den
Ölfeldern von Texas und Mexiko verbracht. Er hatte gearbeitet als
Driller, als Tooldresser, als Truckdriver, als Teamster, als Timekeeper,
als Bodegaman, als Pumpman und noch in allen möglichen andern Zweigen,
die in den Ölfeldern vorkommen mögen. In den letzten Jahren arbeitete er
mehr selbständig. Er übernahm das Aufriggen der Camps. Und diese Arbeit
übernahm er in Kontrakt. Er machte seinen Preis, nachdem er die Stelle,
wo das Camp errichtet werden sollte, sorgfältig geprüft hatte. Diese
Vorprüfung vorteilhaft auszuführen, erforderte grade die lange
Erfahrung, die er besaß. Es kam darauf an, wie weit das Camp von der
nächsten Eisenbahnstation lag, wie weit von der nächsten Straße, auf der
man noch mit Lastautos fahren konnte, ob es Busch oder Dschungel oder
Prärie war, wo das Camp errichtet wurde. Ob Wasser in der Nähe war, ob
es billige Hilfsarbeiter unter den Eingeborenen in jener Gegend gab,
alles mußte vorgesehen werden, ehe der Preis festgesetzt wurde. War der
Preis zu hoch, übergab die Kompanie den Kontrakt vielleicht einem
andern; war der Preis zu niedrig, verlor der Contractor von seinen
Ersparnissen. Aber die amerikanischen Kompanien sind nicht knickrig;
wenn es ihnen bewiesen wurde, daß Umstände vorlagen oder eintraten, die
eine Erhöhung der Kontraktsumme nötig machten, zahlten sie bereitwillig
nach.

Von Panuco fuhren sie mit Lastautos, die gleich Material mitnahmen,
runter zu den südlichen Distrikten, bis die Straße, die schlecht genug
war, zu Ende ging. Von dieser Endstelle aus war ein Weg durch den Busch
gehauen, etwa drei Meilen lang. Dieser Weg war gerade breit genug, daß
die indianischen Hilfsarbeiter mit Packmulas durchkonnten. Der Weg
endete in einer Lichtung von etwa hundert Meter Durchmesser, die aus dem
Busch herausgehauen worden war. In dieser Lichtung sollte das Camp
errichtet werden, weil die geologischen Sachverständigen der Kompanie
gefunden hatten, daß hier mit hoher Wahrscheinlichkeit Öl sei.

Zwanzig indianische Hilfsarbeiter, die in Dörfern wohnten, einige Meilen
entfernt, waren hier bereits eine Weile tätig, um die Lichtung
herauszuschlagen und jetzt die Straße bis zur Hauptstraße so zu
verbreitern, daß man auf ihr mit den Lastwagen fahren konnte.

Die ersten paar Tage schliefen die sechs Leute in einem einfachen Zelt.
Zwei Chinesen sorgten für das Zubereiten der Mahlzeiten.

Bohlen und Bretter, Werkzeuge, Nägel, Schraubenbolzen waren schon auf
Maultieren und Eseln herbeigeschleppt, und alle zwei Stunden traf wieder
eine neue Karawane ein. Die Karawanenführer arbeiteten ebenfalls im
Kontrakt. Sie erhielten für jede Ladung bezahlt und nicht für die Zeit,
die sie arbeiteten. Hätte man ihnen nach der Zeit bezahlt, so hätten sie
sich unterwegs hingelegt und geschlafen. Auch das Ausschlagen der
Lichtung und der Straße, alles wurde in Kontrakt vergeben. Die Leute
verdienten gut dabei, viel besser, als wenn sie im Tagelohn gearbeitet
haben würden. Zuerst wurde nun eine Baracke gebaut, wo die weißen
Arbeiter wohnen und schlafen konnten. Dann kam die Küche und der
Speisesaal an die Reihe. Das war alles in zwei Tagen getan.

Einer der Leute nun wurde frei gemacht, um mit einer ganzen Horde von
Indianern die weiteren Baracken aufzurichten, während die übrigen fünf
unter dem Kommando Pats das Derrick aufbauten.

Das war eine ganz verteufelte Arbeit. Dobbs hatte noch nie an einem
Derrick gearbeitet. Zentnerschwere Bohlen mußte er auf den Schultern
herbeischleppen, während die Sonne erbarmungslos herunterglühte. Nach
drei Tagen waren seine Schultern wie rohes Fleisch. Die Haut hing in
Fetzen und Streifen auf seinem Halse herum, zur Hälfte abgebrannt, zur
Hälfte abgeschürft.

Waren die Bohlen herangeschleift, dann mußten die Löcher für die
Schraubbolzen durchgedrillt werden. Und das alles ging wie ein
Expreßzug. Kaum richtig Zeit zum Essen wurde genommen, um das Tageslicht
voll auszunützen. Nach der Uhr wurde nicht gesehen. Vom ersten Strahl
der Sonne bis zum letzten rötlichen Schimmer wurde gewuchtet und
geschuftet. Nach Sonnenuntergang wurde auch noch bei Laternenlicht
gearbeitet, wenn es sich um Arbeiten handelte, die man bei Lampenlicht
verrichten konnte. Das elektrische Licht kam ja erst viel später, wenn
die Maschinen hier waren.

Die geübteren Leute richteten die Bohlen auf, verbolzten sie,
verstrebten sie, und immer höher stieg der Bohrturm in die Lüfte, und
immer gefährlicher wurde das Arbeiten in schwindelnder Höhe. Die
Derrickbauer klammerten sich mit den Knien an eine Strebe, während sie
mit den beiden Armen und Händen und mit Unterstützung der Oberschenkel
wieder eine dieser wuchtigen Bohlen höher schoben und dann, in
schwindelnder Höhe in den Kniegelenken hängend, die schwere Bohle so
lange hin und her dirigieren und dann halten mußten, bis der Bolzen in
die gedrillten Löcher geschoben und verschraubt war. Wie die Affen
mußten die Leute sein oder gar noch geschickter als die Affen, um nicht
abzustürzen und sich das Genick zu brechen oder Arme und Beine zu
zertrümmern.

Endlich konnte das fertige Derrick, der Bohrturm, gekrönt werden. Die
schweren eisernen Rollen, über die die dicken Drahtseile laufen, die den
Bohrer und den Klärer heben und senken, wurden hochgewunden und
festgebolzt.

Die schwerste Arbeit war getan. Nun kam das Maschinenhaus an die Reihe.
Dann die Werkzeug- und Lagerschuppen.

Inzwischen war der Weg fertig geworden, und das erste Lastauto konnte
von der Bahnstation aus unmittelbar bis hierher durchfahren.

Ein schmaler Fluß lag drei Meilen weiter in den Busch hinein. Zu diesem
Fluß wurden Wasserrohre gelegt, und am Ufer des Flusses wurde das
Pumphaus errichtet und die Motorpumpe aufgesetzt. Bis zu diesem Tage war
das Wasser für das Camp in Kannen, die auf Eseln geschleppt wurden, vom
Flusse herbeigeschafft worden. Nun wurde es hergepumpt und in Tanks
aufgespeichert.

Dann kam die Dampfmaschine an, die auf einem mächtigen Traktor
herangefahren wurde. Am nächsten Tage brachte der Traktor, den man
stundenweit durch den Busch fauchen und stöhnen und rattern hörte, den
Dampfkessel.

Wieder einen Tag später wurden die gewaltigen hölzernen Triebräder
herbeigeschleift, die wie große Räder einer Wassermühle aussehen und
über die die Seile und Ketten für Bohrer, Klärer und Rohre laufen. Und
die Dynamo kam, die Leitungen wurden gelegt, und eines Abends erstrahlte
der Platz in dem Busch, der noch vor wenigen Wochen unberührt in seiner
tropischen Einsamkeit gelegen hatte, ebenso unberührt wie er lag seit
Erschaffung der Welt, in dem grellen elektrischen Lichte, das keine
Nächte mehr kennt. Dem Busch wurde die Nachtruhe genommen, und wohin die
Strahlen des nie vergehenden Lichtes trafen, begann der Busch zu
siechen. In hohen Hügeln lagen des Morgens Millionen und aber Millionen
von Insekten unter den elektrischen Lampen aufgehäuft.

Von dem Geratter der Maschinen, das nun ununterbrochen, Tag und Nacht,
den Busch erfüllte, wurden die Bewohner des Busches hinweggetrieben aus
ihrer Heimat. Sie mußten auswandern in unbekannte neue Gebiete, wo sie
hofften, Ruhe und Nahrung zu finden.

Nun kamen die eigentlichen Ölmänner. Die Arbeit der Rigbuilder, der
Camp-Erbauer, war getan. Sie reisten zurück zur Stadt und warteten auf
einen neuen Kontrakt. Der neue Kontrakt konnte in drei Tagen kommen, er
konnte in sechs Wochen da sein, und es war auch möglich, daß sie auf den
neuen Kontrakt in sechs Monaten noch immer warteten. Öl ist wie
Würfelspiel. Es werden zehntausend, zwanzigtausend, fünfzigtausend
Dollars in ein Camp gesteckt, und wenn so tief gebohrt worden ist, wie
das nur irgend angängig ist, dann ist da kein Öl, sondern Salzwasser,
oder Sand oder Lehm. Und der Busch wird seinen rechtmäßigen Besitzern
zurückgegeben, die so schnell von ihm Besitz ergreifen und so
nachhaltig, daß ein Jahr darauf jede Spur von Menschen verwischt ist.

Öl ist ein Glücksspiel. Man kann sein ganzes Vermögen verlieren, und man
kann mit fünftausend Dollar fünf Millionen Dollar gewinnen. Und darum
sind alle, die mit Öl zu tun haben, heute reich und morgen arm. Sie
arbeiten wochen- und monatelang tief im Busch oder im Dschungel
vergraben. Und was sie dort in schwerer Arbeit verdient haben, verlumpen
sie in drei Tagen in der Stadt. Und die es nicht verlumpen, die
Vorsichtigen und Sparsamen, werden ihr Geld auch los. Sie warten und
warten und warten auf Arbeit, bis der letzte Peso ausgegeben ist und sie
die Leute anbetteln, die in das Imperial, in die Luisian, in das
Southern, in die Bank gehen. Arbeit zu bekommen ist eine Glücksache in
den Ölländern, wie es eine Glücksache ist, auf Öl zu stoßen.

So war es Dobbs gegangen. Er stand da und dachte nicht an Arbeit. Und da
fiel sie ihm in die Tasche.

„Wie ist denn das nun mit meinem Gelde?“ fragte Dobbs den Contractor.

„Was ist denn los?“ sagte Pat. „Drängen Sie doch nicht so. Sie werden
Ihr Geld schon kriegen. Ich laufe Ihnen nicht fort damit.“

„Dann geben Sie wenigstens etwas“, forderte nun Dobbs.

„Na gut“, erwiderte Pat. „Ich gebe Ihnen dreißig Prozent.“

„Und das andre?“ fragte Dobbs.

„Weiß ich noch nicht. Habe mein Geld selber noch nicht bekommen.“

Dobbs bekam die dreißig Prozent seines verdienten Lohnes. Die übrigen
Leute hatten ihr Geld auch nicht erhalten. Diejenigen, die energisch
drängten, bekamen von Pat vierzig oder fünfzig Prozent. Zwei andre, die
ihn bei guter Laune halten wollten, damit er sie beim nächsten Kontrakt
wieder mitnehmen möge, erhielten nur fünf Prozent, weil sie ihm ganz
schüchtern erzählten, daß sie noch nicht zu Abend gegessen hätten und
auch ihr Hotel nicht bezahlen könnten.

„Ich möchte nur wissen, ob der Schwindler sein Geld bekommen hat oder
nicht“, sagte Dobbs zu Curtin, der auch mit zu dem Kontrakt gehört
hatte.

„Ja, wenn man das nur wüßte“, antwortete Curtin. „Die Kompanien sind
manchmal sehr langsam in dem Auszahlen des Kontraktes, weil sie knapp
mit barem Gelde sind und nun das Drillen losgeht, das eine Unmasse Geld
verschlingt.“

Eine Woche lang konnten weder Dobbs noch Curtin den McCormick ausfindig
machen. In seinem Hotel war er nicht. Aber eines Tages ging Pat
McCormick auf der andern Seite der Straße vorüber.

„Los, drauf auf ihn!“ rief Curtin dem Dobbs zu. Und wie der Teufel war
er drüben. Dobbs war sofort an seiner Seite.

Curtin packte Pat am Hemdärmel. Pat hatte keine Jacke an.

„Wo ist unser Geld, du Hundesohn? Sofort gibst du jetzt unser verdientes
Geld her, oder wir schlagen dich in kleine Stücke. Auf der Stelle!“
Curtin sagte es ziemlich laut und mit drohenden Fäusten.

„Aber flink, und keine Ausflüchte mehr!“ mischte sich nun auch Dobbs
ein. „Wir warten nun über drei Wochen auf unser Geld.“

„Seien Sie doch ruhig“, sagte Pat halblaut und zog sie mit sich in eine
Bar, wo er sofort drei große Glas Habanero bestellte. „Wir können doch
das in aller Ruhe erledigen. Sehen Sie mal, ich habe da in nächster
Woche wieder einen neuen schönen Kontrakt, und gleich darauf noch einen,
den einen in Amatlan, den andern in Corcovado. Da nehme ich Sie beide
wieder mit. Sie sind tüchtige Arbeiter, mit denen ich gern zusammen
arbeite. Gesundheit!“

Er hob sein Glas und stieß mit den beiden an.

Sie tranken.

Dann sagte Curtin: „Das ist ganz gut, daß Sie uns wieder mit in Ihre
neuen Kontrakte nehmen wollen. Aber ohne Geld arbeiten wir nicht. Wo ist
unser Geld?“

„Ich habe das Geld noch nicht bekommen. Der Scheck ist noch nicht
überwiesen.“ Dann wandte er sich gleichzeitig zu dem Bartender und
kommandierte: „Noch drei große Habaneros.“

„Sie, Mann,“ sagte nun Curtin ungeduldig, „glauben Sie nicht, daß Sie
uns jetzt entwischen und uns hier mit dem Schnaps einseifen können.“

„Einseifen?“ Pat tat erstaunt. „Ich Sie einseifen mit Schnaps? Das ist
nicht gerade sehr –“

„Was es ist, das ist ganz gleichgültig“, sagte Dobbs. „Wir wollen unser
Geld, für das wir schwer genug gearbeitet haben. Ob Sie uns wieder mit
in neue Kontrakte nehmen oder nicht, hat doch keinen Wert, wenn Sie
nicht zahlen.“

„Hund verfluchter, wo ist unser Geld?“ Curtin schrie es ganz plötzlich
heraus, als ob er mit einem Male seine Sinne verloren habe. Vielleicht
hatte der Schnaps auf ihn eine andre Wirkung, als Pat erwartet hatte.

„Aber ich kann euch doch nur wiederholen, ich habe das Geld selbst noch
nicht ausgezahlt bekommen.“

Da packte ihn Curtin vorn an der Kehle, schüttelte ihn und sagte: „Das
Geld jetzt her, du Räuber, oder ich zerhämmere deinen Schädel hier auf
der Tischplatte.“

„Ruhig, Gentlemen, ruhig“, mischte sich nun der Bartender ein. Er nahm
aber im übrigen keine Notiz weiter von dem Vorgang. Er putzte die
Barplatte ab, wo die Gläser ihre Ränder zurückgelassen hatten, und
zündete sich dann eine Zigarette an.

Pat war ein kräftiger Bursche, und er wehrte sich. Aber Curtin besaß die
größere Wut. Dobbs kam näher, als ob er auch gleich auf Pat mit
losspringen wolle.

Nun drehte sich Pat aus der Kehlschlinge heraus, ging einen halben
Schritt zurück und sagte hämisch: „Ihr seid ja in der Tat die richtigen
Banditen. Das hätte ich nur wissen sollen. Aber lieber schneide ich mir
sonst was ab, als daß ich euch beide Schufte noch einmal mit in einen
meiner Kontrakte nehme. Da habt ihr euer Geld, und nun laßt euch ja
nicht mehr sehen.“

„Da werden wir Sie nicht um Erlaubnis fragen“, sagte Curtin.

Pat griff in die Hosentasche und holte eine Handvoll Dollarscheine
hervor, die er ganz zerknüllt in der Tasche trug.

„Da ist ihr Geld“, sagte er zu Dobbs. Er hatte im Augenblick die
richtige Summe abgezählt. Er wußte im Kopfe auf den Cent genau, wieviel
er jedem schuldete. Er schob das Geld Dobbs hin, und dann zählte er mit
derselben Hand, mit der er die Scheine hielt, das Geld für Curtin ab und
warf es ihm rüber.

„So,“ sagte er nun in dem Tone, wie man lästige Gläubiger abfertigt,
„nun belästigen Sie mich gefälligst nicht mehr. Sie haben jetzt Ihr
Geld, und ich werde mich wohl hüten, noch einmal solche Handlanger, die
nichts verstehen, in meinen Kontrakt zu nehmen.“

Er warf drei Pesos auf die Bar für die Schnäpse. Dann schob er den Hut
in den Nacken und verließ das Lokal, die beiden Leute stehen lassend,
als hätten sie ihm eine unerhörte Beleidigung zugefügt.




                                   5


„Warum wohnen Sie denn im Cleveland, Mensch?“ fragte Dobbs den Curtin,
als sie auf die Straße traten und am Southern Hotel vorüberschlenderten.
„Da zahlen Sie doch wenigstens drei Pesos für die Nacht.“ „Vier“, gab
Curtin zur Antwort. „Kommen Sie doch mit in den Oso Negro, fünfzig
Centavos“, riet Dobbs. „Ist mir zu dreckig da und nichts als
Beachcombers und solche Strolche“, sagte Curtin.

„Wie Sie wollen. Wenn das Geld alle ist, landen Sie auch im Oso Negro
wie wir alle. Ich hätte es ja selbst nicht nötig. Aber ich will die paar
Böckchen zusammenhalten. Wer weiß, wann wieder etwas aufblüht. Ich gehe
auch zum Chink essen für fünfzig, genau wie vorher.“

Sie waren zur Ecke der Plaza gekommen, wo das große Juwelengeschäft La
Perla war. Sie blieben dort stehen und sahen sich die Herrlichkeiten an.
Das funkelte von Gold und Diamanten. Ein Diadem lag da für
achtzehntausend Pesos. Sie sagten nichts, betrachteten nur die
aufgespeicherten Schätze, dachten an den Wert, der hier lag, und dachten
an das viele Geld, das manche Leute hier in der Stadt besitzen müssen,
um solche Dinge kaufen zu können.

Vielleicht war es das, was sie hier aufgehäuft sahen, das ihre Gedanken
einmal vom Öl ablenkte. Denn wer hier lebte, dachte nur an Öl, dachte
nur in Öl und dachte nur an Lebensmöglichkeiten, die mit Öl irgendwie
verknüpft waren. Ob man arbeitete oder spekulierte, immer war es Öl. Sie
lehnten mit dem Rücken gegen die großen Glasscheiben und sahen
gelangweilt über die Plaza, hinter der die Schiffsmasten sichtbar waren.
Das erinnerte sie beide an Reisen und auch daran, daß es noch andre
Länder gäbe und andre Erwerbsquellen als die, die hier in dieser Stadt
in Frage kamen.

„Was haben Sie nun eigentlich vor, Curtin?“ fragte Dobbs nach einer
Weile. „Immer hier herumstehen und herumwarten, bis man rein zufällig
etwas bekommt, das wird man endlich leid. Es ist immer nur Warten und
Warten. Das Geld wird immer weniger, bis man eines Tages gar nichts mehr
hat. Dann geht die alte Flöte wieder los, die anbetteln, die aus den
Camps für einen Tag oder für eine Nacht hereinkommen. Ich habe ganz
ernsthaft im Sinn, nun einmal etwas andres zu tun. Gerade jetzt ist
Zeit, solange man noch Geld hat. Ist es erst wieder fort, dann steht man
da und kann sich nicht rühren.“

„Dieselbe Frage beschäftigt mich nun zum dritten Male“, erwiderte
Curtin. „Ich weiß, wie das ist und wie das geht. Aber ich habe keine
einzige Idee. Goldgraben, das ist das einzige.“

„Da haben Sie es gesagt“, fiel Dobbs ein. „Daran dachte ich auch gerade.
Es ist schließlich keine gewagtere Spekulation, als auf Arbeit in den
Ölfeldern zu warten. Es gibt ja kaum noch ein Land, wo soviel Gold und
soviel Silber darauf wartet, daß man es ausbuddelt, wie dieses Land
hier.“

„Lassen Sie uns da hinübergehen und auf die Bank setzen“, sagte Curtin.
„Ich will Ihnen sagen, ich bin hier runter gekommen nicht wegen Öl,
sondern wegen Gold“, erzählte nun Curtin, nachdem sie sich niedergesetzt
hatten. „Ich habe hier in den Öldistrikten nur einige Zeit arbeiten
wollen, bis ich genügend Geld in den Fingern haben würde, um auf die
Goldsuche loszugehen. Es kostet eine gute Summe. Da ist die Reise, da
sind die Schaufeln, Hacken, Pfannen und sonstigen Werkzeuge. Dann muß
man auch vier bis acht Monate leben können, ehe man was verdient. Kommt
es endlich zum Rechnunglegen, kann es sein, daß man alles verloren hat,
Geld und Mühe, weil man nichts gefunden hat.“

Dobbs wartete darauf, daß Curtin noch weitersprechen sollte, aber Curtin
schwieg, er schien nichts mehr zu sagen zu haben.

Da sagte nun Dobbs: „Das Risiko ist nicht so groß. Hier herumzulungern
und auf Arbeit zu warten, ist ein ebensolches Risiko. Hat man Glück,
kann man monatlich dreihundert Dollars verdienen, vielleicht noch mehr,
sechs, zehn, achtzehn Monate lang. Hat man kein Glück, findet man keine
Arbeit, hat man genau so gut alles verloren. So glatt liegt das Gold ja
nicht auf dem Haufen, daß man es nur abzuschaben und einzusacken
braucht. Das weiß ich auch. Aber ist es nicht Gold, dann ist es
vielleicht Silber, und ist es kein Silber, so ist es vielleicht Kupfer
oder Blei oder gute Steine. Wenn man das auch nicht selbst ausbeuten
kann, so findet man immer eine Kompanie, die einem die Mutung abkauft
oder die einen mit guten Anteilen als Teilhaber aufnimmt. Jedenfalls
werde ich mir das einmal gut überlegen.“

Sie sprachen nun von etwas anderm. So schwer gewichtig werden solche
Gespräche über Goldsuchen hier nie genommen. Jeder sagt es, jeder plant
es, und von zehntausend geht dann einer los und tut es, weil das eben
nicht so schlicht zugeht, als ob man auf Kaninchenjagd zu gehen
beabsichtigt. Es lebt nicht ein Mann hier, der nicht einmal wenigstens
daran gedacht hat, auf die Goldsuche zu gehen. Die vielen Hunderte von
Minen für andre Metalle, die hier im Lande sind, wurden alle gefunden
und gegründet von Leuten, die auf Gold suchten und dann das nahmen, was
sie fanden. Manche Mine, die weder Silber noch Gold hervorbringt, trägt
ihren Besitzern größere Reichtümer zu, als zahlreiche Goldminen es
können. Je mehr die elektrische Industrie sich ausbreitet, desto
wertvoller wird Kupfer. Es kann die Zeit kommen, daß man Gold für
durchaus entbehrlich ansieht; von Kupfer, Blei und vielen andern
Metallen kann man das nicht so leicht sagen.

Kein Mensch hat einen Gedanken ganz für sich allein, und es hat noch nie
jemand ganz für sich allein eine originelle Idee gehabt. Jede neue Idee
ist das Kristallisationsprodukt tausend verschiedener Ideen, die andre
Menschen haben. Einer findet dann plötzlich das rechte Wort und den
richtigen Ausdruck für die neue Idee. Und sobald das Wort da ist,
erinnern sich Hunderte von Menschen, daß sie diese Idee schon lange
vorher gehabt haben.

Wenn in einem Menschen ein Plan auftaucht, der Gedanke, etwas Bestimmtes
zu unternehmen, heranreift, darf man sicher sein, daß zahlreiche
Menschen in seiner Nähe den gleichen oder einen ähnlichen Plan haben.
Darum verbreiten sich Massenstimmungen so rasch wie ein fegender
Feuerbrand.

Etwas Ähnliches geschah hier.

Curtin wollte noch eine Nacht im Cleveland bleiben und erst am folgenden
Tage umziehen zum Oso Negro. Als Dobbs heimkam, waren außer ihm nur noch
drei Amerikaner in dem Raum. Die übrigen Betten schienen heute nicht
besetzt zu sein. Einer der Neuangekommenen war ein älterer Mann, dessen
Haar weiß zu werden begann.

Als Dobbs den Raum betrat, unterbrachen die drei ihr Gespräch. Aber nach
einer Weile nahmen sie es wieder auf. Der Alte lag im Bett, der eine der
beiden andern lag angekleidet auf dem Bett, und der dritte saß auf dem
Bett. Dobbs begann sich auszukleiden.

Zuerst verstand er nicht, wovon die Rede war. Dann aber wußte er mit
einemmal, daß der Alte seine Erfahrungen als Goldsucher den Jüngeren
mitteilte. Die beiden Jüngeren waren hierher gekommen, um auf Gold zu
suchen; denn man hatte ihnen in den Staaten unerhörte Dinge von dem
Goldreichtum des Landes erzählt.

„Gold ist eine verteufelte Sache“, sagte Howard der Alte. „Es ändert den
Charakter. Man kann noch soviel haben, noch soviel finden, soviel
aufzupacken haben, daß man es allein gar nicht wegschleppen kann, immer
denkt man daran, noch etwas hinzuzubekommen. Und um noch etwas
hinzuzubekommen, hört man auf, zwischen Recht und Unrecht zu
unterscheiden. Wenn man rausgeht, nimmt man sich vor, mit dreißigtausend
Dollars zufrieden zu sein. Wenn man nichts findet, setzt man seine
Erwartungen herab auf zwanzigtausend, dann auf zehntausend, und man
erklärt, daß man sich mit fünftausend völlig begnügen würde, wenn man
sie nur finden möchte, auch wenn man hart darum arbeiten muß. Findet man
dann aber etwas, dann ist man mit den ursprünglich erhofften
dreißigtausend nicht satt zu kriegen, dann geht man immer höher und
höher, möchte fünfzig-, hundert-, zweihunderttausend Dollars haben. Dann
kommen die Verwicklungen, die einen hin und her schmeißen und nicht mehr
zur Ruhe kommen lassen.“

„Bei mir nicht,“ sagte einer der beiden, „bei mir nicht, das kann ich
beschwören. Zehntausend und Schluß. Schluß, und wenn da noch für eine
halbe Million läge. Das ist gerade die Summe, die ich brauche.“

„Wer nicht selber draußen war,“ meinte Howard in seiner langsamen
Redeweise, „der glaubt es nicht. Von einer Spielbank kann man leicht
weg, von einem Haufen Gold, den man nur zu nehmen braucht, um ihn zu
besitzen, kann keiner weg. Ich habe in Alaska gegraben und gefunden, ich
habe in Britisch-Columbia gegraben, in Australien, in Montana, in
Colorado. Habe ganz schön etwas zusammengebracht. Na, und nun bin ich
hier im Oso Negro und fertig. Meine letzten fünfzigtausend im Öl
verloren. Jetzt muß ich alte Freunde anbetteln, auf der Straße.
Vielleicht gehe ich noch mal los mit meinen alten Knochen. Habe aber
nicht das Betriebskapital. Das ist nun überhaupt auch so: Geht man
allein, ist es am besten. Man muß aber die Einsamkeit vertragen können.
Geht man zu zweien oder zu dreien, lauert immer Mord herum. Geht man zu
einem Dutzend, dann kommt nicht viel auf den einzelnen Mann, und Zank
und Mord ist erst recht herum. Solange nichts da ist, hält die
Bruderschaft. Wenn aber die Häufchen wachsen und wachsen, dann wird die
Bruderschaft eine Luderschaft.“

Und so begann der Alte Goldgeschichten zu erzählen, Geschichten, die
unter den fahrenden Gästen des Oso Negro und verwandter Häuser mit mehr
Eifer gehört werden als die schamlosesten Liebesgeschichten.

Wenn so ein alter Goldgräber erzählte, dann konnte er die ganze Nacht
erzählen, und keiner schlief ein, und keiner rief: „Nun will ich Ruhe
haben.“ Ein solches Rufen nach Ruhe wäre ja in jedem Falle, ob es sich
um Goldgeschichten, um Diebesgeschichten oder um Liebesgeschichten
handelte, immer vergeblich gewesen. Ruhe durfte einer ja verlangen. Tat
er es aber zu oft und vielleicht gar zu energisch, dann gab es Senge,
weil die Erzähler darauf bestanden, ebensoviel Rechte hier zu besitzen
wie die, die Ruhe haben wollten. Es ist das gute Recht eines jeden
Menschen, seine Nächte mit Erzählen zu verbringen, wenn er das Bedürfnis
dazu fühlt. Wenn einem andern das nicht gefällt, so hat er das Recht,
sich einen ruhigeren Platz zu suchen. Wer nicht unter dem Donner von
Geschützen, unter dem Gerassel von Wagen, unter dem Gefauche von Autos,
unter dem Gewirr kommender und gehender, lachender, singender,
schwätzender, schimpfender Menschen sanft und ruhig schlafen kann, soll
nicht auf Reisen gehen und soll nicht in Hotels wohnen.

„Kennt ihr die Geschichte von der Grünwassermine in New Mexico?“ fragte
Howard. „Die kennt ihr sicher nicht. Aber ich kenne Harry Tilton, der
dabei war, und von dem ich die Geschichte weiß. Da ging eine Bande von
fünfzehn Mann los auf die Suche. Sie gingen nicht so ganz blind. Da war
ein altes Gerücht, daß in einem Tale eine reiche Goldmine sei, die von
den alten Mexikanern gefunden und ausgebeutet wurde, und die ihnen
später die Spanier wegnahmen, nachdem sie durch gräßliche Folterungen,
durch Ausreißen der Zungen, durch Anbohren des Schädels und mehr solcher
christlichen Liebesbezeigungen die Indianer gezwungen hatten, ihnen den
Ort der Mine zu verraten.

Dicht bei der Mine war ein ganz kleiner See, der in einem Felsenbette
lag. Und das Wasser dieses kleinen Sees war grün wie ein Smaragd. Darum
hieß die Mine die Grünwassermine, La Mina del Agua Verde. Es war eine
ungemein reiche Mine. Das Gold lag rein in dicken Adern da. Man brauchte
es nur so fortzunehmen.

Die Indianer aber hatten die Mine mit einem Fluche belegt, so wurde von
den Spaniern behauptet, weil alle Spanier, die mit der Mine zu tun
hatten, weggerafft wurden. Manche durch Schlangenbisse, andre durch
Fieber, wieder andre durch entsetzliche Hautkrankheiten oder durch
Krankheiten, deren Ursache niemand erklären konnte. Und eines Tages war
die Mine verschwunden. Kein Mensch wurde mehr gesehen, der zu der Zeit
bei der Mine gewesen war.

Als die Sendungen ausblieben und auch keine Berichte einliefen, sandten
die Spanier eine Expedition zu der Mine. Trotzdem die Mine genau in den
Karten eingezeichnet war, trotzdem man weit genug den Weg verfolgen
konnte, die Mine war nicht mehr zu finden. Und es war so leicht, ihre
Lage zu bestimmen. Da waren drei steile Berggipfel, die mußten alle drei
in einer Linie liegen, dann war man auf dem richtigen Wege, und wenn
eine vierte Bergspitze, deren Form sehr auffallend war, in Sicht trat
und in einem bestimmten Winkel zu der Linie stand, dann war man so dicht
bei der Mine, daß man sie nicht verfehlen konnte. Aber obgleich
monatelang gesucht wurde, es wurde weder die Mine noch der Felsensee
gefunden. Das war im Jahre 1762.

Diese reiche Mine ist nie aus dem Gedächtnis aller derjenigen
entschwunden, die sich für Goldminen interessieren.

Als New Mexico von den Amerikanern annektiert wurde, machten sich gleich
wieder Leute auf, um diese Mine zu suchen. Viele kamen nicht wieder. Und
die wiederkamen, waren halb idiotisch von dem vergeblichen Suchen und
von Halluzinationen, die sie in dem Herumirren in jenem Felsental gehabt
hatten.

Es war dann Mitte der achtziger Jahre, ich glaube, es war 1886, da zogen
wieder einmal Leute auf die Suche, eben jene fünfzehn Mann. Sie hatten
Abschriften von den alten Berichten und Kopien von den alten spanischen
Karten. Das mit den vier Bergspitzen war ja so einfach. Aber sie mochten
noch so sehr und noch so genau die Bergspitzen zur Zielrichtung nehmen,
von der Mine war nichts zu sehen. Sie gruben und sprengten da und dort,
und nicht eine Spur kam auf. Sie arbeiteten in Kolonnen, jede Kolonne zu
drei Mann, um große Umkreise abzusuchen. Ihre Lebensmittel wurden immer
knapper, aber die Männer gaben nicht auf.

Eines Spätnachmittags bereitete eine Kolonne ihr Abendessen. Das Feuer
brannte, aber der Kaffee wollte nicht kochen, weil der Wind zu stark
war, der die Kanne kühlte. Deshalb begann einer das Feuer tiefer zu
legen. Und als er grub und auf etwa einen und einen halben Fuß war, fand
er einen Knochen. Er warf den Knochen beiseite, ohne ihn näher
anzusehen, und schob nun das Feuer in das Loch, nachdem er Züge gemacht
hatte.

Als die Kolonne dann beim Abendessen saß, nahm einer so beiläufig jenen
Knochen in die Hand und malte damit in den Sand.

Da sagte plötzlich sein Nachbar zu ihm: ‚Lassen Sie mal den Knochen
sehen.‘ Und nach einer Weile sagte er: ‚Das ist der Armknochen eines
Menschen. Wo ist denn der Knochen her?‘

Der Mann, der das Loch gegraben hatte, sagte nun, daß er beim Graben
darauf gestoßen sei und den Knochen aus dem Sand gezogen habe.

‚Dann muß da das ganze Skelett liegen, denn wie sollte nur ein einzelner
Armknochen gerade hierher kommen?‘ sagt der Mann nachdenklich.

Es war nun dunkel geworden. Sie hüllten sich in ihre Decken und legten
sich schlafen.

Am nächsten Morgen sagte der, der den Armknochen entdeckt hatte, ich
will ihn Bill nennen, weil ich seinen Namen nicht weiß, also da sagt
Bill: ‚Da, wo der Armknochen war, muß das Skelett sein. Nun ist mir in
der Nacht ein Gedanke gekommen. Ich habe mich gefragt, wie das Skelett
hierherkommt.‘

‚Einfach. Jemand erschlagen worden oder verhungert‘, sagte einer.

‚Das ist natürlich möglich, sagte Bill darauf. ‚Es sind ja viele hier
herumgelaufen. Aber ich glaube nicht, daß sie gerade hier erschlagen
wurden oder gerade hier verhungerten. Mir ist nun der Gedanke gekommen,
daß die Mine durch einen Sandsturm oder durch ein Erdbeben oder durch
einen Bergsturz oder so etwas Ähnliches verschüttet worden ist. Und weil
von den Spaniern keiner wiederkam, so sind die dabei mit verschüttet
worden. Sie sind in der Nähe der Mine verschüttet worden. Wenngleich
dieser Armknochen auch ganz gut jemand gehören kann, der vor uns hier
gesucht hat und hier umgekommen ist, so kann es ebensogut möglich sein,
daß dieser Armknochen einem der verschütteten Spanier gehörte. Und wenn
hier sein Armknochen liegt, dann liegt auch hier dicht dabei sein
Skelett. Und wenn wir diesem Skelett nachgehen, kommen wir vielleicht
auf die Mine. Ich denke, wir graben einmal hier bei dem Feuerloch.“

Sie gruben und fanden auch wirklich die übrigen Teile des Skeletts,
Stück bei Stück. Sie gruben im Kreise weiter und fanden ein zweites
Skelett. Sie gruben in der Richtung des zweiten Skeletts weiter und
kamen auf ein drittes. Und so fanden sie die Richtung, die der Bergsturz
oder das Erdbeben genommen hatte. Sie folgten dem Wege und gruben
Werkzeuge aus, und endlich stießen sie auf Goldbrocken, die offenbar
verstreut worden waren.

‚Wir haben die Mine. Was nun?‘ sagte Bill.

‚Wollen die andern herbeirufen‘, sagte einer.

‚Daß du ein Esel bist, habe ich immer gewußt,‘ sagte der Dritte, ‚aber
daß du so ein großes Rind bist, das habe ich nicht gewußt. Wir werden
schön brav das Maul halten und nichts sagen. Wir gehen mit den andern
zurück in ein paar Tagen. Und nach ein paar Wochen kommen wir drei
allein wieder hierher und legen die Mine aus.‘

Damit waren die drei auch einverstanden. Sie sammelten die paar
Goldbrocken zusammen und steckten sie ein, damit sie dafür eine gute
Ausrüstung kaufen konnten. Dann schütteten sie alles wieder sorgsam zu.
Ehe sie aber alles zu hatten, kam eine andre Kolonne herbei. Die Männer
der andern Kolonne betrachteten sich das Gegrabe mißtrauisch, und dann
sagte der eine von ihnen: ‚He, ihr Burschen, was spielt ihr denn hier?
Wollt uns wohl raushalten aus der heiligen Messe.‘

Die drei bestritten, daß sie etwas gefunden hätten, und daß sie faules
Spiel treiben wollten. Es kam zum Zanken. Und als ob die Luft die Reden
der ersten Kolonne davongetragen hätte, fanden sich hier in derselben
Stunde zwei weitere Kolonnen ein. Die erste Kolonne und die zweite, die
die erste überrascht hatte, waren gerade dicht vor dem Augenblick, wo
sie bereit waren, sich zu einigen, einen Pakt zu schließen, bei dem die
übrigen drei Kolonnen ausgeschaltet werden sollten, als die beiden
andern Kolonnen hier ziemlich gleichzeitig eintrafen.

Jetzt natürlich kehrte die zweite Kolonne sofort von dem halben Pakte ab
und beschuldigte die erste Kolonne des Verrats. Ein Mann wurde
abgeschickt, um auch die letzte Kolonne herbeizuholen, und als sie
angelangt war, wurde Rat gehalten. Es wurde beschlossen, die drei
Mitglieder der ersten Kolonne wegen der beabsichtigten Unterschlagung
des Fundes zu hängen.

Die drei wurden gehängt. Es erfolgte kein Widerspruch, denn es fielen
drei Anteile weg, die nun unter die übrigbleibenden zwölf mit verteilt
werden konnten.

Dann wurde an die Arbeit gegangen, und die Mine wurde bloßgelegt. Es war
in der Tat eine unerschöpflich reiche Mine. Aber nach einiger Zeit
wurden die Lebensmittel so knapp, daß fünf Mann abgeschickt wurden, um
Lebensmittel heranzuholen.

Harry Tilton, der mir selber die Geschichte erzählte, sagte, daß er mit
dem, was bis jetzt auf seinen Anteil falle, zufrieden sei, und daß er
mit den fünf Männern, die Lebensmittel holen gehen, abwandern wolle. Er
nahm seinen Anteil und zog ab. Es wurden ihm dafür in der Bank
achtundzwanzigtausend Dollars ausbezahlt. Für das Geld kaufte er sich
eine Farm, wo er sich dauernd niederließ.

Die fünf Mann, die um Lebensmittel gegangen waren, kauften Packpferde
ein, bessere Werkzeuge, reichlich Lebensmittel und ließen ihr
Mutungsrecht registrieren. Dann kehrten sie zurück.

Als sie bei der Mine ankamen, fanden sie das Camp niedergebrannt und die
zurückgelassenen Männer ermordet, oder richtiger, von den Indianern
erschlagen. Das Gold war nicht angetastet. Nach den Spuren zu urteilen,
hatte ein fürchterlicher Kampf stattgefunden in der Zeit, während die
Leute fort waren, um Lebensmittel zu besorgen. Die zurückgekehrten
Männer begruben die getöteten Kameraden und begannen, weiter in der Mine
zu arbeiten.

Es vergingen nur drei oder vier Tage, da kehrten die Indianer zurück.
Sie waren mehr als sechzig Mann stark. Sie griffen sofort an und töteten
nun auch noch den Rest. Einer dieser Leute aber war nicht getötet
worden, sondern nur schwer verwundet. Als sein Bewußtsein wiederkam,
kroch er voran. Tagelang oder wochenlang. Er wußte es nicht. Endlich
wurde er von einem Farmer gefunden und zu dessen Hause gebracht. Er
erzählte seine Erlebnisse. Ehe er jedoch genau den Ort, wo sich das
alles zugetragen hatte, bezeichnen konnte, starb er an seinen Wunden.
Die Farmer der Gegend, wo der Mann gestorben war, machten sich auf, die
Goldmine zu finden. Sie suchten viele Wochen, aber sie fanden sie nicht.
Harry Tilton, der in einen der Nordstaaten gegangen war, erfuhr von den
Dingen, die sich hier ereignet hatten, nichts. Er kümmerte sich nicht
mehr darum, lebte zufrieden auf seiner Farm, und er glaubte alle seine
Kameraden, die mit ihm ausgezogen waren, reiche oder wohlhabende Leute,
die, nachdem sie genügend Gold erworben hatten, nach dem Osten gereist
seien. Er war an sich ein schweigsamer Mensch. Er hatte davon
gesprochen, daß er sein Geld durch Goldgraben erworben hätte. Aber das
war nicht ungewöhnlich. Da er nicht übertrieb, sondern, wenn er schon
von seiner Goldgräberzeit sprach, nur ganz schlicht und einfach
erzählte, so kam diese reiche Mine ganz in Vergessenheit.

Mit der Zeit jedoch verdichtete sich das Gerücht immer mehr, daß Tilton
sein Geld in wenigen Tagen erworben habe. Das bestritt er nicht. Und
daraus schloß man, daß die Stelle, wo er das Gold gegraben habe, sehr
reich an Schätzen sein müsse. Immer mehr Glücksjäger bedrängten ihn,
doch einen Plan auszuarbeiten, so daß man die Mine wiederfinden könne.
Er tat es schließlich auch. Aber inzwischen waren mehr als dreißig Jahre
vergangen. Sein Gedächtnis war nicht mehr so gut. Ich war mit einer der
Kolonnen ausgerückt, die dem Plane nachgingen.

Wir fanden die Orte alle, die Tilton angegeben hatte. Aber die Mine
selbst fanden wir nicht. Sie war vielleicht damals durch einen Bergsturz
oder durch ein Erdbeben verschüttet worden, oder die Indianer hatten
alle Spuren verwischt, und sie hatten es so gut getan, daß nichts zu
finden war. Sie wollten keine Leute in ihrem Gebiete haben; denn eine
solche Mine hätte Hunderte von Menschen herangelockt und die Gegend in
einen solchen Tumult geworfen, daß das Leben, das sie zu führen gewohnt
waren, verdorben wäre.

Ja, wenn man so eine Mine finden könnte,“ beendigte Howard seine
Erzählung, „wäre man gemacht. Aber da kann man vielleicht sein ganzes
Leben lang suchen, und man findet nichts. Das ist wie mit jedem andern
Geschäft. Wenn man das rechte Geschäft findet, und man hat Glück, dann
hat man seine Goldmine. Jedenfalls, wenn ich auch ein alter Knabe schon
bin, ich mache immer wieder mit, wenn es auf Gold losgeht. Aber man
braucht Kapital wie für jedes andre Ding.“

Die Geschichte, die Howard hier erzählt hatte, enthielt nichts,
das ermutigte, und nichts, das warnte. Es war eine übliche
Goldsuchergeschichte, zweifellos wahr und doch wie ein Märchen klingend.
Aber alle Geschichten, die von reichen Gewinnen erzählen, klingen
märchenhaft. Um zu gewinnen, muß man wagen. Wer Gold haben will, muß es
suchen gehen. Und Dobbs beschloß in dieser Nacht, auf die Goldsuche zu
gehen, selbst wenn er nur mit einem Taschenmesser ausgerüstet sein
sollte.

Nur eine Frage, eine einzige Frage war es, die sich in seinen Plan
drängte. Sollte er allein gehen oder mit Curtin oder mit dem alten
Howard oder mit Curtin und Howard?




                                   6


Es war am nächsten Morgen, als Dobbs die Geschichte, die er von Howard
gehört hatte, an Curtin weitererzählte. Curtin hörte andächtig zu.
Endlich sagte er: „Ich glaube, das ist eine wahre Geschichte.“

„Aber natürlich ist es eine wahre Geschichte. Warum sollte sie denn
erlogen sein?“ Dobbs war höchst verwundert, daß jemand die Richtigkeit
der Geschichte bezweifeln könnte. Aber dieser Zweifel, den Curtin
geäußert hatte, hatte eine Einwirkung auf ihn. Ihm war die Geschichte so
natürlich erschienen wie die Tatsache, daß es Morgen sei, wenn die Sonne
aufgeht, und Abend, wenn sie untergeht. Es war nichts in der Geschichte
enthalten gewesen, was erdichtet hätte sein können. Der Zweifel jedoch,
den Curtin in seine Frage gelegt hatte, machte die Geschichte
abenteuerlich. Und während Dobbs bisher das Suchen von Gold mit ebenso
nüchternen Augen angesehen hatte wie das Suchen von passenden Stiefeln
in den verschiedenen Schuhgeschäften einer Stadt oder wie das Suchen
nach Arbeit, sah er plötzlich ein, daß Goldsuche unbedingt mit etwas
Unheimlichem umgeben sein müsse. Nur darum war ihm jetzt so sonderbar
zumute, weil er dieses Unheimliche, Mystische, Fremdartige niemals
vorher empfunden hatte, wenn von Goldsuchern die Rede war. Als Howard
ihm die Geschichte so trocken erzählt hatte, hatte er keine andre
Empfindung gehabt als die, daß Gold und Steinkohle im Grunde ganz
dasselbe seien, daß Steinkohle einen Menschen, der sich mit ihr befaßt,
genau so reich machen kann, als wenn es sich um Gold handelt.

„Erlogen?“ sagte Curtin. „Davon habe ich nichts gesagt. Die Geschichte
in sich ist nicht erlogen. Da gibt es Hunderte solcher Geschichten.
Ganze Berge solcher Geschichten habe ich in den Zeitschriften gelesen,
die solches Zeug drucken. Aber ich glaube, die Geschichte ist, auch wenn
alles andre unwahrscheinlich sein sollte, sicher wahr in jenem Teil, wo
diese drei Burschen versuchen, die übrigen von der Kompanie übers Ohr zu
hauen und kalt abfahren zu lassen.“

„Richtig!“ Dobbs nickte. „Das ist der Fluch, der auf dem Golde lastet.“
Als er das sagte, kam ihm klar zum Bewußtsein, daß er einen solchen Satz
eine Stunde vorher nicht gesprochen haben würde, weil ihm gar nicht der
Gedanke gekommen wäre, daß Fluch am Golde haften müsse.

Curtin hatte eine derartige Wandlung in seiner Anschauung nicht
mitgemacht. Vielleicht nur darum nicht, weil ihm ein so unerwarteter
Zweifel nicht gegenübergetreten war, wie ihn soeben Dobbs erlebt hatte.

Dieses innere Erlebnis, das Dobbs in dieser Minute gehabt hatte, trennte
diese beiden Männer, ohne daß es ihnen zum Bewußtsein kam. Es war eine
Trennung innerhalb ihrer Gefühlswelt. Von nun an gingen beide
einem andern Ziel ihres Lebens entgegen. Ihre verschiedene
Schicksalsbestimmung begann sich zu formen.

„Fluch auf dem Golde?“ sagte Curtin widersprechend. „Sehe ich nicht. Wo
ist denn der Fluch? Es liegt ebensoviel Segen darauf. Es hängt nur davon
ab, wer es in Händen hat. Die bestimmten Charaktereigenschaften seines
Besitzers schaffen den Fluch oder den Segen. Gib einem Schurken
Kieselsteine in die Hand oder trockne Schwämme, er wird sie gebrauchen,
um einen Schurkenstreich damit zu verüben.“

„Habgier ist die einzige Charaktereigenschaft, die Gold in seinem
Besitzer auslöst.“ Dobbs wunderte sich, wie er zu dieser Meinung kam.
Sie erschien ihm fremd. Aber er redete sich ein, daß er diese Meinung
nur geäußert habe, um Curtin zu widersprechen.

„Das ist nun blanker Unsinn, was du da sprichst“, erwiderte Curtin.
Unbeabsichtigt hatte er mehr eine vertrauliche Form der Anrede gewählt,
auf die Dobbs ebenso gedankenlos einging, als hätte er den Wechsel gar
nicht gefühlt.

„Es kommt doch ganz und gar darauf an,“ setzte Curtin seine Rede fort,
„ob der Besitzer das Gold an sich liebt, oder ob er es nur als Mittel
betrachtet, um bestimmte Ziele zu erreichen. Es gibt ja auch in der
Armee Offiziere, die mehr darauf sehen, daß das Lederzeug peinlich
sauber geputzt ist, als daß sie darauf achten, daß das Lederzeug sich in
einem brauchbaren Zustande befindet. Das Gold selbst ist nicht
notwendig. Wenn ich jemand glauben machen kann, daß ich viel Gold
besitze, kann ich dasselbe erreichen, als wenn ich es wirklich hätte. Es
ist nicht das Gold, das die Menschen verwandelt, als vielmehr die Macht,
die sie mit Hilfe des Goldes ausüben können, das die Menschen so
aufregt, sobald sie Gold sehen oder von Gold auch nur hören.“

Dobbs lehnte sich zurück auf der Bank, wo die beiden saßen. Er sah hoch
und bemerkte auf einem Dache eines der gegenüberliegenden Häuser zwei
Arbeiter, die Telephondrähte legten. Sie standen so unsicher, daß man
jeden Augenblick erwarten konnte, daß sie abstürzen würden. „Für vier
Pesos oder vier Pesos fünfzig den Tag,“ dachte Dobbs, „und immer die
Aussicht, sich das Genick zu brechen oder die Knochen zu zerschlagen;
beim Derrickbauen ist es ebenso, nur daß man die Aussicht etwas besser
bezahlt bekommt.“

Dann dachte er, es ist doch ein rechtes Luderleben, das man als Arbeiter
führt. Und diesen Gedanken weiterführend, fragte er: „Würdest du denn
deine Freunde verraten, um alles Gold für dich allein zu haben, so wie
es die drei versuchten?“

„Das kann ich jetzt nicht sagen“, gab Curtin zur Antwort. „Ich glaube
nicht, daß es einen einzigen Menschen gibt, der genau sagen kann, was er
tun würde, wenn er eine große Menge Gold für sich allein erwerben kann,
und wenn er eine Gelegenheit hat, andre Teilnehmer auszuschalten. Ich
glaube bestimmt, daß noch jeder Mensch anders gehandelt hat, als er
selbst erwartete in dem Augenblick, wo er plötzlich viel Geld bekam oder
die Möglichkeit sah, durch eine Handbewegung einen Haufen Gold
einzusacken.“

Dobbs sah noch immer hinauf zu den Telephonarbeitern. Obgleich er es den
Arbeitern nicht gönnte, hoffte er dennoch leise, daß einer
herunterfallen möchte, weil das ein wenig Abwechselung in das eintönige
Leben gebracht haben würde.

Weil nun keiner von den Arbeitern herunterfiel, kam ihm zum Bewußtsein,
daß er unbequem sitze, und daß ihm die Schultern weh täten. Er setzte
sich wieder gerade auf die Bank und zündete sich eine Zigarette an. Er
sah dem Rauch nach und sagte dann: „Ich würde es machen wie Tilton. Das
ist das Sichere, und man braucht nicht mehr so zu schuften und nicht
mehr so hungrig herumzulungern. Ich würde mich mit einer kleinen Menge
begnügen und meiner Wege ziehen. Die andern mögen sich meinetwegen
herumschlagen.“

Curtin wußte nichts darauf zu antworten. Das Thema war erschöpfend von
ihnen behandelt, und sie sprachen von etwas anderm, von etwas ganz
Gleichgültigem, nur um zu sprechen und nicht so blöde dazusitzen.

Am Nachmittag aber, als sie vom Baden am Flusse zurückgekommen waren und
sich den ganzen Weg über geärgert hatten, daß sie die lange staubige
Avenida hatten laufen müssen, weil sie die fünfzehn Centavos für die
Straßenbahn sparen mußten, kam das Goldthema wieder zur Sprache. Immer
nur halbsatt, immer durstig nach einem Glase Eiswasser, immer schlecht
geschlafen in den harten und unbequemen Bettgestellen, arbeitete der
Gedanke an Gold in ihnen ununterbrochen. Woran sie wirklich dachten, das
war eine Veränderung ihrer gegenwärtigen Lage. Diese Lage ließ sich nur
ändern durch Geld. Und Geld war so nahe verwandt mit Gold. So wurde der
Gedanke an Gold immer stärker in ihnen und löschte alle andern Gedanken
aus. Sie sahen schließlich ein, daß Geld ihnen nicht helfen könnte, daß
nur Gold, ein großer Berg Gold sie aus diesem Leben, aus diesem
Herumhängen zwischen Verhungern und Niemalssattwerden befreien könnte.
Sie waren in einem Lande, wo unerhörte Schätze an Gold zu finden waren.
Sie sahen das Gold funkelnd vor sich liegen, selbst dann, wenn sie die
Augen schlossen, weil die Sonne so unbarmherzig blendend auf der weißen
staubigen Plaza lag. Vielleicht war es nicht das Gold, vielleicht war es
das heiße Asphaltpflaster, der weiße Staub, die weißen Häuser, das sie
so ungeduldig machte. Aber sie mochten hin und her denken, sie kamen
immer wieder auf Gold zurück. Gold war Eiswasser, Gold war ein
zufriedener Magen, Gold war eine kühle Wohnung in dem hohen eleganten
Riviera-Hotel. Gold, nur Gold, und dann hörte das Stehen vor der
amerikanischen Bank, wo man hoffte, die Manager von den Ölfeldern um
einen lockeren Peso oder um Arbeit anzufleddern, auf. Es war
entwürdigend, und es war ein schäbiges Leben. Das kann so nicht in alle
Ewigkeit fortgehen. Man muß ein Ende machen. Nachdem drei Tage vergangen
waren, sich keine Aussicht auf Arbeit zeigte und es durchaus so aussah,
als ob auch in den nächsten drei Monaten sich keine Aussicht auf Arbeit
zeigen würde, sagte Dobbs zu Curtin: „Ich gehe jetzt los auf Gold. Und
wenn ich auch ganz allein gehen muß, ich gehe. Ob ich hier verrecke oder
in der Sierra zwischen den Indianern, das ist mir nun wahrhaftig
Schmalzkuchen wie Sirupfaß. Ich gehe los.“

„Denselben Vorschlag wollte ich dir soeben machen,“ sagte Curtin, „ich
bin zu jedem Pferdediebstahl bereit.“

„Es bleibt dir ja auch nichts andres mehr übrig als die Wahl zwischen
Taschendiebstahl und Santa Maria?“

„Santa Maria?“ fragte Curtin. „Ich bin nicht katholisch.“

„Ob du katholisch bist oder nicht, das fragen sie dich nicht. Aber wenn
du Pech hast beim Taschendiebstahl, dann wirst du schon lernen, wer
Santa Maria ist. Das ist die Strafinsel an der Westküste, wo man dich
nicht nach der Religion fragt, sondern nur wissen will, wieviel Jahre du
abzumachen hast. Wenn du diese Santa Maria kennengelernt hast, weißt du,
warum die Heilige Maria immer ein aufgeklapptes Taschenmesser in ihrem
Herzen hat. Das hat ihr nämlich einer hineingetrieben, der von jener
Insel lebendig zurückgekommen ist.“

„Wir könnten dann ja gleich morgen losgehen.“

Dobbs überlegte eine Weile, dann sagte er: „Ich habe gedacht, daß wir
den alten Howard mitnehmen könnten. Wir wollen ihn heute abend fragen,
wie er darüber denkt.“

„Howard? Warum? Der ist ja so alt. Vielleicht können wir ihn auf dem
Rücken schleppen.“

„Alt ist er“, bestätigte Dobbs. „Aber er ist zähe wie eine gekochte alte
Stiefelsohle. Wenn es darauf ankommt, hält der mehr aus als wir beide
zusammengenommen. Ich muß nur gleich gestehen, ich habe nicht viel
Ahnung von Goldgraben und weiß nicht einmal recht, wie es aussieht, wenn
man es vor sich im Dreck liegen sieht. Howard hat Erfahrung, er hat
selber gegraben und hat auch fein Geld gemacht. Im Öl ist alles wieder
draufgegangen. So einen alten erfahrenen Burschen mitzuhaben, ist schon
halb eingesackt. Wer weiß, ob er überhaupt mitgeht.“

„Fragen wir ihn einfach“, riet Curtin.

Sie gingen zum Oso Negro. Howard lag im Bett und las Banditengeschichten
im Western Story Magazine.

„Ich?“ sagte er sofort. „Was für eine Frage? Natürlich bin ich dabei.
Bin immer dabei, wenn es auf Gold geht. Ich habe noch dreihundert
Dollars hier auf der Bank. Zweihundert lege ich an für die Sache. Ist
mein letztes Geld. Wenn das zu Ende ist, bin ich fertig. Aber man muß
etwas wagen.“

Nachdem sie alles Geld zusammengeworfen hatten, erinnerte sich Dobbs
seines Lotterieloses. „Sei doch nicht so abergläubisch“, sagte Curtin
lachend. „Ich habe noch nie jemand gesehen, der in der Lotterie gewonnen
hätte.“

„Macht nichts“, sagte Dobbs darauf. „Ich gehe die Liste wenigstens
einmal nachsehen. Das kann nichts schaden.“

„Da gehe ich mit. Das lange Gesicht, das du machst, möchte ich gern
sehen.“

Überall hingen die Listen aus. In jedem kleinen Laden, wo man Lose
verkaufte. Die Listen waren auf Leinwand gedruckt. Weil niemand eine
Liste kaufte, die Lotterie auch nie ein Nebengeschäft aus dem
Listenverkauf machte, so wurden die Listen von Hunderten von Leuten
betastet. Sie mußten sehr dauerhaft sein, um den Angriffen derer zu
widerstehen, die glaubten, diesmal ganz sicher gewonnen zu haben.

Da gleich an der Ecke der Madrid Bar hing so eine Liste, groß wie ein
Handtuch.

Dobbs warf einen Blick darauf und sagte zu Curtin: „Dein Aberglaube ist
lächerlicher als meiner. Da, siehst du die fettgedruckte Nummer? Das ist
meine Nummer. Auf mein Zwanzigstel kriege ich jetzt hundert Pesos
ausgezahlt.“

„Wo?“ fragte Curtin erstaunt.

„Gehen wir gleich zur Agentur kassieren.“

Dobbs legte sein Los auf den Tisch. Der Agent prüfte es, und ohne einen
Abzug irgendwelcher Art zu machen, händigte er Dobbs zwei dicke goldne
Fünfzigpesostücke aus.

Als sie wieder auf der Plaza standen, sagte Curtin: „Nun will ich noch
hundert Dollars heranschaffen. Dann langt es. Ich habe da einen Freund
in San Antonio, drüben in Texas. Der schickt mir das Geld.“

Er telegraphierte, und das Geld kam pünktlich an. Sie nahmen den
Nachtzug nach San Luis. Von dort fuhren sie mit dem nächsten Zug hinauf
nach Durango.

Hier saßen sie über Karten und studierten die Gegenden.

„Wo Eisenbahn läuft, da brauchen wir gar nicht erst hinzugehen“, sagte
Howard sachlich. „Das lohnt sich nicht. Wo eine Bahn ist, wo nur eine
gute Straße ist, da kennt man jeden Winkel, in dem etwas sein könnte.
Die wilden Ecken sind es, wo was zu holen ist. Da, wo kein Steg ist, wo
keine Geologen sich hintrauen, wo kein Mensch weiß, was ein Auto ist, da
muß man herumkriechen. Und so eine Gegend müssen wir uns aussuchen.“ Er
stöberte auf der Karte herum und sagte dann: „Ungefähr hier. So genau
kommt es nicht darauf an. Ist man erst einmal da, dann muß man die Augen
aufmachen. Das ist alles. Ich habe einmal einen gekannt, der konnte das
Gold riechen, gerade so wie ein durstiger Esel Wasser riecht, wenn er
Lust hat, hinzugehen.“

„Richtig,“ sagte Dobbs, „da fällt mir ein, wir wollen gleich einmal hier
in einem Nachbardorfe Esel kaufen, die uns die Packen schleppen.“




                                   7


Curtin und Dobbs lernten sehr bald, daß sie ohne den alten Howard
hilflos gewesen wären. So dick und so offen liegt das Gold nicht da, daß
man darüber fällt. Man muß verstehen, es zu sehen. Man kann darüber
hinweglaufen, und man sieht es nicht. Aber Howard sah es, auch wenn nur
eine Spur davon in der Nähe war. Er sah es der Gegend an, ob sie Gold
haben könne oder nicht, ob es die Mühe lohne, die Spaten von den
Traggestellen abzubinden und ein paar Schaufeln voll Sand auszuheben und
zu waschen. Wenn Howard herumpickte und herumwühlte oder gar in der
Bratpfanne zu waschen begann, dann war es hoffnungsvolle Erde, die von
Rechts wegen Gold haben mußte. Viermal hatten sie schon Gold gefunden.
Aber die Menge, die sich auswaschen ließ, war so gering, daß man nicht
auf einen guten Tagelohn kommen konnte. Einmal hatten sie einen sehr
aussichtsreichen Platz gefunden, aber das Wasser, das sie benötigten, um
auszuwaschen, war sechs Stunden weit, und sie mußten den Platz aufgeben.

So waren sie immer weiter gezogen, immer tiefer in das Hochgebirge
hinein.

Eines Morgens fanden sie sich wie festgekeilt auf ihrem schmalen Wege.
Sie krochen und kletterten keuchend herum und hatten Mühe, die Esel
vorwärtszubringen. Sie waren verteufelt schlecht gelaunt.

Und Howard sagte noch dazu in diese schlechte Laune hinein: „Da habe ich
mir aber zwei feine Kostgänger ausgesucht in euch beiden, das habe ich,
verflucht noch mal.“

„Halt’s Maul!“ rief Dobbs wütend.

„Feine Kostgänger“, wiederholte Howard trocken und höhnend.

Curtin hatte ein gewaltiges Schimpfwort auf der Zunge. Aber ehe er es
abfeuern konnte, sagte Howard: „Ihr seid ja so dumm, so schietenklötrig
dumm, daß ihr die Millionen nicht einmal seht, wenn ihr mit beiden Füßen
darauf herumtrampelt.“

Die beiden Jüngeren, die vorangingen, blieben stehen und wußten nicht,
ob Howard sie verhöhnte, oder ob er infolge der Anstrengungen der
letzten Tage einen Anfall von Schwachsinn bekommen hätte.

Aber Howard griente sie an und sagte ganz nüchtern, ohne irgendeine
Aufregung zu zeigen: „Da geht ihr auf dem nackten, klaren, funkelnden
Golde spazieren und seht es nicht einmal. Wie ich eigentlich dazu
gekommen bin, mit solchen Skunks auf die Goldsuche zu gehen, wie ihr
seid, das wird mir für den Rest meines Lebens noch viel zu denken geben.
Ich möchte nur wissen, welch eine schändliche Sünde ich abzubüßen habe,
daß ich euch erdulden muß.“

Dobbs und Curtin waren stehengeblieben. Sie blickten vor sich auf den
Boden, dann sahen sie sich gegenseitig an, und dann guckten sie Howard
an, mit einer Miene, die nicht ganz deutlich zeigte, ob sie anfingen zu
verblöden, oder ob sie glaubten, daß Howard auf dem Wege dazu sei.

Der Alte bückte sich, grub mit der Hand in den losen Sand und hob eine
Handvoll Sand auf. „Wißt ihr, was ich hier in der Hand habe?“ fragte er.
Ohne eine Antwort abzuwarten, fügte er hinzu: „Das ist Zahldreck, oder
wenn ihr das nicht versteht, das ist Goldstaub. Und das ist so viel, daß
wir alle drei es auf unserm Rücken nicht fortschleppen können.“

„Laß sehen“, riefen beide gleichzeitig und kamen näher.

„Braucht nicht heranzukommen. Braucht euch nur zu bücken und es
aufzuheben, dann seht ihr es und habt es in der Hand.“

Ungläubig hoben sie eine Handvoll Sand auf.

„Sehen werdet ihr es ja kaum,“ sagte Howard grinsend, „ihr Küchlein.
Aber am Gewicht werdet ihr es wohl fühlen können, was los ist.“

„Wahrhaftig,“ rief Dobbs, „jetzt sehe ich es auch. Wir könnten gleich
die Säcke vollfüllen und damit zurücktreiben.“

„Das könnten wir freilich“, sagte Howard und nickte. „Aber das wäre ein
schlechtes Geschäft. Besser, wir waschen es rein aus. Warum sollen wir
uns mit dem überflüssigen Sand schleppen? Den Sand kriegen wir nicht
bezahlt.“

Howard setzte sich nieder und sagte: „Da holt nur erst einmal ein paar
Eimer Wasser heran. Ich werde eine Prozentprobe machen.“

Und nun begann die eigentliche Arbeit. Es mußte Wasser gesucht werden.
Sie fanden welches, aber es lag hundert und einige zwanzig Meter tiefer
am Berg und mußte eimerweise heraufgeschleppt werden. Den Sand
hinunterzuschleppen und gleich am Wasser zu waschen, machte größere
Mühe, wenn es auf Zeit berechnet wurde. Das Wasser ließ sich immer
wieder verwenden. Es wurde zwar nach jedem Waschen weniger, aber man
brauchte nur diesen Vorrat ersetzen, während man umgekehrt allen Sand
hinunterschleppen mußte und es vorkommen konnte, daß in zwei dicken
Säcken Sand kaum ein Gramm Gut darin war.

Sie bauten das Camp, bauten die Schaukelgerüste und die
Schwenkflitschen, gruben Rinnen für das Wassergefälle und stachen einen
Tank aus, den sie mit Kalk und Lehm so sauber abdichteten, daß der
Wasserverlust so gering wurde, daß es nicht der Mühe wert war, davon zu
sprechen.

Nach zwei Wochen konnten sie an die produktive Arbeit gehen.

Es war Arbeit. Das durfte man schon sagen. Sie schufteten wie blöd
gewordene Sträflinge. Am Tage war es sehr heiß, und in der Nacht war es
bitterkalt. Ihr Arbeitscamp lag hoch im Gebirge, in der Sierra Madre.
Kein geordneter Weg führte dorthin, nur ein Maultierpfad bis zum Wasser.
Um die nächste Eisenbahnstation zu erreichen, dazu war ein Eselsritt von
zehn oder zwölf Tagen erforderlich. Und der Marsch ging über steile
Pässe und Gebirgspfade, durch Flußläufe, durch Hohlwege, an hohen
scharfen Felsenwänden entlang. Auf dem ganzen Wege waren nur einige
kleine Indianerdörfer.

„So habe ich in meinem ganzen Leben nicht geschuftet“, meinte Curtin
eines Morgens, als ihn Howard noch vor Sonnenaufgang hochrüttelte. Er
stand aber doch auf, sattelte die Esel und schleppte die Wassermenge,
die für den Tag nötig war, obgleich er vor sieben Uhr keinen Bissen in
den Magen bekam.

Als sie dann alle drei bei dem Frühstück saßen, sagte Howard: „Manchmal
frage ich mich ganz ernsthaft, was ihr euch eigentlich unter Goldgraben
und so gedacht habt? Ich bin sicher, ihr habt euch das so gedacht, daß
man sich nur zu bücken braucht und das Gold, das wie Kieselsteine
herumliegt, aufklaubt, in Säcke füllt und damit abzieht. Wenn das so
einfach wäre und so leicht ginge, dann hätte das Gold aber eben auch nur
den Wert von Kieselsteinen.“

Dobbs brummte vor sich hin und sagte nach einer Weile: „Da muß es doch
aber Plätze geben, wo man es dicker findet, wo es nicht so kläglich
mühselig ist, eine Unze beieinander zu haben?“

„Solche Plätze gibt es, aber die sind so selten wie der Hauptgewinn in
einer Lotterie“, antwortete der Alte. „Ich habe Plätze gesehen, in denen
man auf Adern stieß, wo die Burschen faustgroße Nüsse heraushieben oder
ausbuddelten. Drei, vier, acht Pfund an einem Tage habe ich gesehen. Und
dann habe ich gesehen, daß an derselben Stelle vier Mann drei Monate
sich zu Tode rackerten und zu viert in den drei Monaten kaum fünf Pfund
machten. Ihr könnt es mir gern glauben: Gut haltenden Sand waschen ist
das Sicherste. Es ist schwere Arbeit, aber wenn man seine acht oder zehn
Monate gemacht hat, kann man ein sauberes Sümmchen in die Tasche
schieben. Und wenn man es fünf Jahre aushalten kann, ist man für den
Rest seines Lebens gesichert. Aber den will ich erst sehen, der es fünf
Jahre macht. Meist gibt das Feld schon nach ein paar Monaten völlig aus,
und man muß wieder auf die Wanderung gehen, um ein andres, junges Feld
zu finden.“

Die beiden Grünlinge hatten sich das Goldgraben leichter gedacht. Diesen
Gedanken hatten sie in jeder Stunde viermal. Graben und graben von
Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in einer teuflischen Hitze. Dann
aufschmeißen und aufschmeißen, schwenken und schütteln und sieben. Und
das alles drei-, vier-, fünfmal wiederholen. Immer wieder zurück in die
Schwenkpfannen, weil es nicht rein herauskam.

So ging das Tag für Tag, ohne Unterbrechung. Sie konnten nicht gerade
stehen, nicht liegen und nicht sitzen, so tat ihnen der Rücken weh. Ihre
Hände wurden wie verknorpelte Krallen. Sie konnten die Finger nicht mehr
gerade biegen. Sie rasierten sich nicht, und sie schnitten sich nicht
das Haar. Sie waren zu müde dazu und gleichgültig gegenüber solchen
Dingen. Wenn ihnen die Hemden oder die Hosen zerrissen, so nähten sie
nur dann etwas daran, wenn es unbedingt nötig war, um die Sachen zu
erhalten, weil sie sonst auseinandergefallen wären.

Da war kein Sonntag; denn der Ruhetag, den sie sich gesetzt hatten, war
notwendig, um die primitive Maschinerie auszubessern, sich einmal zu
waschen, ein paar Vögel oder ein Reh zu schießen, einen neuen Weideplatz
für die Esel zu suchen und nach einem Indianerdorfe zu wandern und dort
Eier, geriebenen Mais, Kaffeebohnen, Tabak, Reis und Bohnen einzukaufen.
Sie mußten schon zufrieden sein, wenn sie solche Dinge überhaupt
erhielten. An Mehl, Speck, weißen Zucker und Büchsenmilch konnten sie
nur denken, wenn einer eine volle Tagereise unternahm, um zu dem
größeren Dorfe zu gelangen, wo man diese Raritäten zuweilen, durchaus
nicht immer, erhalten konnte. Wenn es bei einer solchen Expedition
gelang, sogar eine Flasche Tequila mitzubringen, dann wurde das als ein
Triumphzug angesehen.

Es kam dann die Frage auf, wie man sich zu der Lizenz verhalten solle.
Ohne Lizenz durften sie suchen, aber nicht graben und raffinieren. Aber
das mit der Lizenz hatte seine Schwierigkeiten. Einer mußte zur
Regierung, mußte dort genau angeben, wo das Feld sei, und hatte ein
nettes Sümmchen zu bezahlen. Von dem Ertrag mußten sie auch noch einen
Prozentsatz abgeben. Und alles in allem konnte es einige Wochen dauern,
bis die ganzen Angelegenheiten geregelt waren.

Das alles wäre nicht so schlimm gewesen. Was jedoch das Schlimmste war,
das war allein nur die Tatsache, daß sie durch die Einholung der Lizenz,
auch wenn sie noch so vorsichtig waren, sich Banditen auf den Hals
hetzten. Jene Banditen, die nicht säen, aber ernten. Die lagen wochen-
oder monatelang auf der Lauer, ließen die Männer tüchtig schuften, und
wenn sie dann mit ihrer Ladung abzogen, wurden sie überfallen und ihnen
alles Gold abgenommen. Und nicht nur das Gold wurde ihnen genommen,
sondern auch die Esel und das Hemd, das sie auf dem Leibe hatten. Ohne
Esel und ohne Hosen, Hemd und Schuhe aus der Wildnis herauszukommen, war
eine verdammt schwierige Sache. Häufig sahen das die Banditen auch ein,
und um die Ausgeraubten nicht in solche Bedrängnis gelangen zu lassen,
nahmen sie ihnen auch noch das Leben ab, weil sie mitleidige Seelen
waren. Wer konnte wissen, wo die armen Teufel geblieben waren? Der Busch
ist so groß, seine Tiefen sind so undurchdringlich, seine Gefahren so
viele. Da sucht einmal nach einem Vermißten. Und ehe das Suchen auch nur
beginnen kann, hat der Busch kaum noch ein letztes Knöchelchen
übriggelassen. Da soll man von diesem Knöchelchen dann noch erzählen,
wer der Mann war, zu dem das Knöchelchen gehörte. Und die Banditen? Die
werden vor das Standgericht gestellt. Aber um das zu können, muß man sie
erst einmal haben. Und weil sie das wissen, daß ihnen niemand etwas tun
kann, ehe man sie eingefangen hat, darum ist es ein so leichtes
Geschäft, Bandit zu sein, anstatt sich abzurackern und das Gold, das für
jeden daliegt, durch eigne Arbeit zu gewinnen.

Wenn eine Lizenz gezogen wird, das spricht sich immer herum. Und es wäre
auch nicht das erstemal, daß nicht Banditen, sondern die Schächer einer
großen und vornehmen Minenkompanie die proletarischen Entdecker aus dem
Wege räumen. Dann wird das Feld ein paar Monate nicht ausgebeutet, die
Lizenz verfällt, und die Kompanie erwirbt sich nunmehr die Lizenz, die
ihr auch gegeben wird, weil der frühere Inhaber seine Rechte durch
Abwesenheit aufgegeben hat.

Es war deshalb durchaus vernünftig, sich nicht um die Lizenz zu scheren.
War man dann nach einer Zeit zu dem Entschluß gekommen, daß man das Feld
verlassen könne, weil man genug habe, so konnte man die Beute
unauffällig fortschaffen. Kein Mensch wird diese zerlumpten Herumtreiber
untersuchen, und sie können leichten Mutes alle Leute, die ihnen
begegnen und die Banditen sein könnten oder bei passender Gelegenheit
Banditen werden wollen, um Tabak anbetteln.

Da ist also die Sache mit der Lizenz. Hat man eine, kann einem das Gold
abgenommen werden von Banditen. Hat man keine, und es kommt heraus,
nimmt einem die Regierung den halben oder den ganzen Bettel ab als
Strafe. Da ist der Busch, der so groß, so weit, so verschwiegen ist. Und
da sind so viele andre Dinge. Sobald man etwas besitzt, sehen alle Dinge
in der Welt gleich ganz anders aus. Auf alle Fälle gehört man von dem
Augenblick an zur Minderheit, und alle, die nichts besitzen oder die
weniger besitzen, bekommt man zu Todfeinden. Man muß dann immer auf der
Hut sein. Man hat dann immer etwas zu bewachen. Solange man nichts hat,
ist man der Sklave seines hungrigen Magens und der natürliche Sklave
derer, die einen hungrigen Magen füllen können. Wenn man aber etwas hat,
ist man der Sklave seines Besitzes.




                                   8


Die drei Männer, die sich hier zusammengefunden hatten, waren niemals
Freunde gewesen. Sie hatten auch kaum je daran gedacht, irgendwann
einmal Freunde zu werden. Sie waren, um das Beste in dieser Hinsicht zu
sagen, Geschäftsfreunde. Aus reinen Nützlichkeitsgründen hatten sie sich
zusammengetan. Sobald dieser Grund verschwand, hörte auch ihre
Gemeinschaft auf. Sie kamen in Streitigkeiten, und sie zankten sich, wie
das immer geschieht, wenn Menschen eine Weile beieinander sind. Dieses
Zanken hätte sie mit der Zeit zu Freunden machen können. Das wäre nicht
so verwunderlich gewesen. Wenn Menschen, die nicht Freunde sind, zu
streiten anfangen und sich zanken, so ist das meistens der Beginn einer
langen Freundschaft.

Die gemeinsamen Mühen, die gemeinsamen Sorgen, die gemeinsamen
Hoffnungen, die gemeinsamen Enttäuschungen, die jene drei Männer in den
Monaten, die sie nun schon beieinander waren, durchgemacht hatten,
mußten nach allen Weisheiten der Soziologie zur Freundschaft führen. Sie
waren doch Kriegskameraden, bessere Kriegskameraden, als je ein Krieg
hervorbringen konnte. Da war mehr als ein Fall vorgekommen, daß Howard
dem Dobbs, Curtin dem Howard, Dobbs dem Curtin das Leben gerettet hatte;
dann wieder, daß Dobbs den Howard, ein andermal den Curtin vor dem
Verlust des letzten Atems bewahrt hatte. Alle möglichen Kombinationen
waren vorgekommen. Jeder war immer sofort bereit gewesen, dem andern zu
helfen und seine eignen Knochen oder gar das eigne Leben dran zu wagen,
den Abgestürzten in Sicherheit zu bringen. Was war da alles schon
vorgekommen. Da brach ein angefällter Baum zu früh, und Dobbs fing ihn
mit der Schulter auf und gab ihm dadurch eine andre Richtung, sonst
hätte der Baum Curtin zerschmettert. Wie die Schulter nachher aussah!

„Fein war das, Dobbs“, sagte Curtin. Und das war alles. Was sollte er
mehr sagen.

Zwei Wochen später brach ein Erdstollen durch, als Dobbs drin war, und
Curtin wühlte ihn heraus, obgleich eine dicke schwere Schwarte
kieseliger Erde über ihm hing und jeden Augenblick herunterbrechen
konnte, um Curtin so sicher zu vergraben, daß Howard, der an der andern
Seite den Stollen durchzustechen versuchte, auf alle Fälle zu spät
gekommen wäre, um auch nur zu ahnen, wo die beiden hingekommen seien.

Als Dobbs dann herausgezerrt war, sein Bewußtsein wieder hatte und zu
atmen anfing, sagte er: „Wenn ihr einmal mehr in die Hände gespuckt
hättet, dann hätte ich auf diesen Sandhaufen nicht mehr spucken können.“
Dabei spie er ein Maul voll Erde aus.

Da wurden nie viel Worte gewechselt in solchen Fällen. Es war ganz
nüchterner Dienst, den einer dem andern erwies. Aber diese Dienste,
diese Hilfeleistungen brachten sie nicht näher zueinander. Sie wurden
nicht Freunde. Sie würden nicht Freunde geworden sein, auch wenn sie
noch zehn Jahre lang sich gegenseitig das Leben gerettet hätten.

Sie selbst konnten sich nicht beobachten, sie waren beteiligte Partei.
Wer sie aber zuweilen hätte vor dem Feuer sitzen sehen, kurz vor dem
Schlafengehen, der würde den Eindruck gewonnen haben, daß jeder von
ihnen auf eine gute Gelegenheit warte, um den beiden andern an den Hals
zu springen. Dennoch war es nicht Mord, was in ihren Augen glimmerte.
Vielleicht war es Neid? Doch wenn jeder einzelne von ihnen gefragt
worden wäre, was er gegenüber den andern empfinde, er würde nicht gesagt
haben, „Neid“ oder „Habgier“. Das war es ganz bestimmt nicht. Jeder
besaß gleich viel, jeder wußte, daß der andre so ziemlich alles Vermögen
in das gemeinsame Unternehmen gesteckt hatte, daß jeder hart gearbeitet,
jeder bitter gedarbt, jeder unmöglich Erscheinendes erduldet hatte, um
zu etwas zu kommen. Wie konnte man da Neid empfinden? Oder Habgier? So
widernatürlich fühlt ein gesunder Mensch nicht.

Jeden Abend, noch bei hellem Tageslicht, wurde der Ertrag des Tages
sorgfältig abgeschätzt, dann in drei Teile geteilt, und jeder nahm
seinen Teil an sich. Das hatte sich gleich von Anfang an wie von selbst
gegeben.

„Am besten, wir teilen jeden Abend, und jeder nimmt seinen Anteil an
sich.“ Diesen Vorschlag machte Curtin am zweiten Abend der Woche, in der
die Arbeit anfing, die ersten Gewinne abzuwerfen.

„Dann brauche ich wenigstens nicht euer Schatzhüter zu sein“, sagte
Howard.

Sofort sahen die beiden andern auf: „Wir hatten nichts davon gesagt, daß
du das Gut in Verwahrung haben solltest. Das wäre erst noch sehr die
Frage gewesen, ob wir dir das alles anvertraut hätten.“

„Schaut ihr aus dem Fenster heraus?“ lachte Howard. Er fühlte sich nicht
beleidigt. Er hatte solche Wandlungen zu oft erlebt, als daß er sich
deswegen aufgeregt hätte. Gutmütig sagte er: „Ich habe nur gedacht, daß
ich der Vertrauenswürdigste hier bin.“

„Du?“ rief Dobbs. „Wir wohl nicht? Wir sind wohl entlaufene Sträflinge?“

Und Curtin sagte: „Was wissen wir denn, wo du alt geworden bist.“

Howard ließ sich nicht aus der guten Laune bringen. „Freilich wißt ihr
das nicht. Aber ich denke, hier draußen und zwischen uns, da zählt das
alles nicht. Ich habe keinen von euch gefragt, wo er herkommt und wo er
seine Jahre der Unschuld verbracht hat. Das wäre auch sehr unhöflich
gewesen. Man soll niemand zum Lügen verführen. Hier draußen, wo kein
Hahn kräht, da rettet kein Schwindel. Ob wir uns hier gegenseitig was
vorlügen, oder ob wir uns einander die blutige Wahrheit erzählen, das
ist keinen Nickel wert. Aber ich bin unter uns dreien der einzige, der
hier draußen vertrauenswürdig ist.“

Die beiden andern grienten. Aber ehe sie Zeit fanden, eine saftige
Antwort zu geben, fuhr Howard fort: „Braucht nicht aufzufahren. Es ist
richtig, was ich sage. Hier gilt nur die nackte Tatsache. Wir könnten ja
dir“, dabei nickte er zu Dobbs hinüber, „das Gut zur Aufbewahrung
anvertrauen. Aber wenn ich im Busch sitze und Stützen zimmere und Curtin
in den Laden hinuntergeritten ist, packst du auf und ziehst ab.“

„Das ist eine Gemeinheit, so etwas zu sagen“, brauste Dobbs auf.

„Mag sein,“ erwiderte Howard ruhig, „daß es eine Gemeinheit ist, es
auszusprechen. Aber es ist dieselbe Gemeinheit, so etwas zu denken. Und
du wärst der erste Mensch, dem ich je begegnet bin, der so etwas nicht
denken würde. Mit dem Gute der andern durchzubrennen ist, da will ich
euch gleich meine Meinung sagen, keine Gemeinheit, sondern hier draußen
ist das nur eine ganz natürliche Sache. Ein Dummkopf, der es nicht tut.
Ihr seid nur zu schäbig, es einzugestehen. Aber laßt uns mal zwanzig
Kilo Fein im Schatze haben, dann will ich einmal sehen, was ihr denkt.
Ihr seid nicht besser und nicht schlechter als irgendwelche andre
Burschen. Ihr seid ganz natürliche Menschen. Und wenn ihr mich hier
eines Tages an einen Baum bindet, alles aufpackt und dann abzieht und
mich hier verrecken laßt, um mein Gut zu haben, so tut ihr nur das, was
jeder tun würde, wenn er nicht im rechten Augenblick den Gedanken
bekäme, daß es sich letzten Endes vielleicht nicht voll bezahlen ließe.
Ich kann mit eurem Gut nicht abkneifen. Ich bin nicht mehr flink genug
auf den Beinen. Mich hättet ihr innerhalb zwölf Stunden am Kragen und
hängt mich ohne Gewissensbisse am nächsten Baum auf. Ich kann nicht
ausrücken, ich bin auf euch angewiesen. Darum dachte ich, daß ich hier
der einzige Vertrauensmann bin.“

„Wenn man das so überdenkt,“ sagte Curtin, „dann hast du recht. Aber auf
alle Fälle ist es besser, wir machen jeden Abend Teil, und jeder bewacht
sein Gut allein. Dann kann jeder gehen, wann er will.“

„Nichts dagegen“, sagte Howard. „Ist gar nicht so schlecht. Dann ist
jeder besorgt, daß der andre sein Versteck belauschen könnte.“

„Was für einen bösen Charakter mußt du haben, Howard,“ meinte Dobbs,
„daß du immer nur an Niederträchtigkeiten denkst!“

„Kannst mich nicht beleidigen, Junge“, gab Howard zur Antwort. „Ich
kenne meine Leute und weiß, welch lieblicher Taten und Gedanken sie
fähig sind, wenn Gold in Frage kommt. Im Grunde genommen sind die Leute
alle gleich, wenn das Gold mitspielt. Alle gleich niederträchtig. Da, wo
sie gepackt werden können, sind sie nur vorsichtiger, verlogener,
verheuchelter. Hier draußen brauchen sie nicht zu heucheln, hier ist das
Geschäft immer klar und durchsichtig. Einfach und schlicht. Drinnen in
den Städten, da sind tausend verschiedene Widerstände und Hemmungen.
Hier ist nur ein Widerstand, das Leben des andern. Und hier ist immer
nur eine Frage.“

„Welche?“ fragte Dobbs.

„Die möchte ich wissen?“ fragte Curtin zur gleichen Zeit.

„Hier ist nur die eine Frage, ob einem nicht eines Tages die Erinnerung
wird zu schwer zu schaffen machen. Taten belasten nicht. Es sind immer
nur die Erinnerungen, die an der Seele fressen. Kommen wir schon zum
Schluß. Es wird also jeden Abend geteilt, und jeder sucht sich ein gutes
Versteck. Wenn es erst einmal fünf Kilo sind, dann können wir das Gut
sowieso nicht mehr den ganzen Tag in einem baumelnden Beutelchen auf der
Brust hängen haben.“




                                   9


Viel Mühe und alle ihre Erfindungsgabe hatten die Männer darauf
verwandt, um ihren Arbeitsplatz gut zu verbergen. Das Camp, wo sie
schliefen und kochten, verlegten sie, so daß es einen halben Kilometer
von der Mine entfernt war. Der Platz, wo die Mine lag, wurde so
vortrefflich mit Buschwerk und großen Steinen von der einzigen Stelle,
wo der Zugang möglich war, abgekleidet, daß niemand, der sich in der
Nachbarschaft herumtrieb, auf den Arbeitsplatz stoßen konnte. Nach einer
Woche schon waren das Buschwerk, die Hügel, die Löcher, die Steinblöcke
so verwachsen, daß selbst Eingeborene, die auf die Jagd gingen, nichts
Auffälliges dort gesehen hätten, das sie zu dem Arbeitsplatz hätte
führen können.

Das Camp zu verstecken, lag nicht in der Absicht der Männer. Das Lager
hielten sie ganz offen. Um ihren Aufenthalt dort zu rechtfertigen,
spannten sie rohe Felle und Vogelbälge auf aufgestellten Rahmen aus. Das
ließ sie ohne weiteres als Felljäger und als Sammler seltener Vögel
erscheinen. Da wurde nicht der geringste Verdacht rege, denn Hunderte
von Leuten betreiben das als einträgliches Geschäft.

Von dem Lager führte ein verschwiegener Pfad zur Mine. Um auf den Pfad
zu kommen, mußten sie die ersten zehn Meter auf dem Bauche rutschen.
Wenn sie durch waren, wurde der Pfad mit grünem Dornengestrüpp
verstellt. Kamen sie zurück zum Lager, wurde erst sorgfältig das Lager
beobachtet, ob jemand in der Nähe sei. Wäre das der Fall gewesen, dann
hätten sie einen weiten Umweg gemacht und wären aus einer ganz
entgegengesetzten Richtung in das Lager gekommen, so als ob sie eben von
der Jagd heimkämen.

In all der Zeit, die sie hier nun schon lebten, hatte sich nicht ein
einziges Mal jemand sehen lassen, weder ein Weißer noch ein
Eingeborener. Es war auch durchaus unwahrscheinlich, daß sich jemand in
diese wilde Gegend je verlaufen würde. Aber die Männer waren zu klug und
zu vorsichtig, als daß sie sich darauf eingelassen hätten, Opfer eines
Zufalls zu werden. Nicht einmal ein flüchtiges Wild, das von einem Jäger
verfolgt wurde, hätte auf dem Arbeitsplatze nach Sicherheit suchen
können. Der Geruch der hier arbeitenden Menschen trieb es in eine andre
Richtung.

Und Hunde sind im Busch zu furchtsam, sie bleiben immer bei ihrem Herrn
und schnüffeln nicht herum.

Aber das Leben, das die drei Leute hier führten, war erbarmungswürdiger
als das eines litauischen Fabrikarbeiters in Detroit. Es war das
jammervollste Leben, das sich nur vorstellen läßt. Dobbs meinte eines
Abends, daß er sich in dem verschlammtesten Schützengraben Frankreichs
menschlicher gefühlt habe als hier während der letzten Wochen. Curtin
und Howard konnten das nicht beurteilen, weil sie nicht die Ehre hatten,
in Frankreich gewesen zu sein, um die zarten unschuldigen Säuglinge an
der Brust amerikanischer Mütter vor den Bajonetten der Hunnen zu
schützen. Und mit jedem weiteren Tag, den sie hier zubrachten, wurde das
Leben unerträglicher. Das ewig gleichförmige Essen, hastig zubereitet
von übermüdeten Händen, ekelte sie an. Aber sie mußten es
hinunterwürgen. Die öde Einmütigkeit ihrer Tätigkeit machte die Arbeit
noch schwerer, als sie an sich schon war. Graben, Sieben, Schwenken,
Ausklauben, Wasserschleppen, Abstützen. Eine Stunde wie die andre, ein
Tag wie der andre. Woche für Woche. Und so ging das nun schon Monate.

Die Arbeit hätte sich vielleicht ertragen lassen. Hunderttausende von
Menschen verrichten ihr ganzes Leben lang keine andre Arbeit und fühlen
sich dennoch verhältnismäßig wohl dabei. Hier aber wirkten andre Mächte
gegen sie.

Die ersten Wochen hatten sie verbracht, ohne daß ihnen zum Bewußtsein
gekommen wäre, wie schwierig sich ihr Dasein gestalten könne. Sie
dachten nicht einen Augenblick darüber nach, daß an ihnen Mächte fressen
und nagen könnten, von deren Vorhandensein sie bisher nie etwas gewußt
hatten. In der ersten Zeit gab es jeden Tag etwas Neues. Jeden Tag wurde
etwas Neues geplant und ausgeführt. Jeder von ihnen wußte ein paar Witze
zu erzählen oder ein Geschäftchen, das den beiden andern unbekannt war.
Jeder war ein Studium für den andern, jeder besaß eine Besonderheit, die
den andern interessierte oder vielleicht anwiderte, aber doch wenigstens
seine Aufmerksamkeit erweckte.

Nun aber hatten sie sich nichts mehr zu erzählen. Keiner hatte in seinem
ganzen Sprachschatz ein Wort übriggelassen, das der andre nicht kannte.

Und er kannte jedes Wort des andern sogar mit der Betonung und der
Geste, die mit seinem Worte verknüpft waren.

Dobbs hatte die Gewohnheit, beim Sprechen zuweilen das linke Auge halb
zuzukneifen. Anfangs hatten Howard und Curtin das höchst lustig
gefunden, und sie machten Scherze über diese Eigenheit. Da kam aber dann
ein Abend, an dem Curtin sagte: „Wenn du verfluchter Hund das nicht sein
läßt, immerfort das linke Auge zuzukneifen, schieße ich dir eine Unze
Blei in den Bauch. Du weißt ganz gut, du Zuchthäusler, daß mich das
ärgert.“

Mit einem Satz war Dobbs auf und hatte den Revolver gezogen. Hätte
Curtin seinen Shooter ebenso rasch hoch gehabt, dann wäre die schönste
Schießerei im Gange gewesen. Aber Curtin wußte, daß er sofort sechs
Kugeln im Magen haben würde, sobald er nur mit der Hand nach hinten
langte.

„Ich weiß schon ganz gut, wer du bist“, schrie Dobbs, den Revolver im
Handgelenk schwenkend. „Du bist doch in Georgia ausgepeitscht worden,
weil du Mädchen überfallen und vergewaltigt hast. Rein zum Vergnügen
bist du doch nicht hier in Mexiko, du Frocklifter.“

Ob Dobbs ein Zuchthäusler war, wußte Curtin genau so wenig, wie Dobbs
wußte, ob Curtin jemals in Georgia gewesen war. Sie saugten sich das aus
den Tabakspfeifen oder kauten es aus den Speckschwarten heraus, und
jetzt sagten sie es, um sich gegenseitig zur höchsten Wut anzustacheln.

Howard ließ sich nicht stören, er qualmte dicke Wolken Tabaksrauch und
starrte in das Feuer. Als die beiden aber schwiegen und keine neuen
Schimpfereien so schnell erfinden konnten, sagte er: „Aber Jungens, laßt
doch die Schießerei sein. Wir haben hier keine Zeit, um Kranke zu
pflegen.“

Dobbs schob nach einer Weile seinen Revolver ein und legte sich
schlafen. Curtin blieb aber mit Howard am Feuer sitzen und zündete sich
eine neue Pfeife an.

Nicht lange darauf kam ein Morgen, an dem Curtin dem Dobbs den
Revolverlauf in die Hüfte pokte: „Jetzt sagst du noch ein Wort, und ich
ziehe ab, du Giftkröte.“

Das war so gekommen: Dobbs hatte zu Curtin gesagt: „Schmatz’ nicht immer
so wie ein Mastschwein, wenn du frißt. In welcher Verbesserungsanstalt
bist du denn groß geworden?“

„Ob ich schmatze oder ich rotze, das geht dich ganz gewiß einen
Hundedreck an. Ich wenigstens ziehe nicht immerfort durch den hohlen
Zahn wie eine pfeifende Ratte.“

Worauf Dobbs erwiderte: „Haben denn die Ratten in Sing Sing hohle
Zähne?“

Der muß erst gefunden werden, der nicht weiß, was diese Frage bedeutet;
denn Sing Sing ist der unfreiwillige Aufenthalt jener New-Yorker, die
gefaßt werden. Die übrigen New-Yorker, die nicht gefaßt werden, haben
ihre Bureaus in der Wall Street.

Eine solche freundschaftliche Anspielung konnte Curtin nicht ruhig
ertragen, und er stieß Dobbs den Lauf des entsicherten Revolvers
zwischen die Rippen.

„Verflucht noch mal,“ rief Howard jetzt aufgebracht, „ihr betragt euch,
als ob wir alle gegenseitig verheiratet wären. Steck’ das Eisen ein,
Curtin.“

„Du?“ schrie Curtin erbost. Er ließ den Arm mit dem Revolver fallen und
wandte sich gegen den Alten: „Was hast du denn hier zu kommandieren, du
Krüppel?“

„Kommandieren?“ entgegnete Howard, „an Kommandieren denke ich gar nicht.
Aber ich bin hierhergekommen, um Gold zu graben und mein Geschäft zu
machen, nicht aber mich hier mit dummen Jungen herumzuzanken. Wir
brauchen einer den andern, und wenn einer zusammengeschossen wird,
können die beiden andern abziehen, mit zweien läßt sich das gar nicht
machen oder nur so unbequem, daß wir kaum auf einen gesunden Tagelohn
kommen.“

Curtin hatte seinen Revolver eingeschoben und sich wieder hingesetzt.

„Und ich? Das will ich euch gleich sagen,“ fuhr Howard fort, „ich bin
das herzlich leid nun. Ich habe keine Lust, mit einem von euch hier
übrigzubleiben, und ich gehe. Es langt mir, was ich jetzt habe.“

„Aber uns langt es nicht“, schrie Dobbs wütend. „Du mit deinen alten
Knochen hast genug für die sechs Monate, die du noch zu leben haben
magst. Wir aber nicht. Und wenn du hier auskneifen willst, ehe wir alles
ausgelaugt haben – wir werden schon noch ein Mittelchen finden, dich
hierzubehalten.“

„Komm uns nicht mit solchen Kindereien, Alter“, mischte sich nun auch
Curtin ein. „Wir kriegen dich innerhalb vier Stunden, wenn du etwa
abrutschen willst. Weißt du, was wir dann mit dir machen?“

„Kann ich mir denken, du Schurke“, höhnte Howard.

„Kannst du dir nicht denken“, sagte Curtin darauf und grinste. „Wir
nehmen dir deinen Kümmel ab und binden dich an einen Baum, sicher und
sorgfältig, und dann gehen wir, wir ohne dich. Morden, wie du dir
vielleicht gedacht hast? Nein, das gibt es nicht.“

„Sicher nicht,“ antwortete Howard, „dazu seid ihr viel zu fromm. Ich
könnte euch ja euer kinderreines Gewissen belasten. Anbinden und allein
lassen. Sieh mal einer an. Ihr seid wahrhaftig nicht wert, daß man euch
anspuckt. Und ihr wart doch so feine Jungen, als ich euch da unten in
der Stadt traf.“

Eine Weile schwiegen alle drei.

Dann sagte Dobbs: „Das ist ja alles Unsinn, was wir hier reden. Aber
verteufelt noch mal, wenn man kein andres Gesicht sieht nun schon seit
Monaten, immer zusammenhocken muß, man wird sich zum Ekel. Ich glaube,
daß es so mit verheirateten Leuten geht. Erst können sie nicht ohne
einander auch nur eine halbe Stunde leben, und sobald sie zusammenleben
müssen und keiner mehr einen neuen Satz zu reden weiß, den der andre
nicht schon hundertmal gehört hat, dann spucken sie sich gegenseitig an
und möchten sich vergiften. Das weiß ich von meiner Schwester. Zuerst
wollte sie sich ertränken, weil sie ihn nicht kriegen sollte, und als
sie ihn eine Weile hatte, wollte sie sich ertränken, um ihn nicht mehr
sehen zu müssen. Jetzt ist sie geschieden und will es mit einem andern
versuchen.“

„Wieviel denkst du denn, Howard, wieviel es ist, was wir jetzt haben?“
fragte Curtin dann unerwartet.

Der Alte dachte eine Weile nach. Dann sagte er: „So genau läßt sich das
nicht berechnen. Wir kriegen das nicht so rein heraus. Da ist immer noch
manchmal etwas unreines Metall dazwischen. Aber ich denke, daß wir jeder
vierzehn- bis sechzehntausend Dollars geschafft haben.“

„Dann möchte ich den Vorschlag machen,“ sagte Dobbs, „daß wir noch sechs
Wochen dreingeben, dann das Camp einebnen und abwandern.“

„Bin ich einverstanden“, warf Curtin ein.

„Länger werden wir ja auch gar nicht zu tun haben“, meinte nun Howard.

„Wenn ich nicht ganz im Irrtum bin, dann werden wir nach vier Wochen
bereits so dünn sein, daß es die Arbeit nicht mehr lohnt. Habt ihr
gesehen, daß zehn Schritte weiter rauf, wo wir jetzt das Bett ausheben,
sich die Erde ändert? Da ist kein Sand mehr. Entweder ist der Fluß an
der Stelle von oben den Berg hinuntergefallen, oder er ist aus dem Berge
herausgekommen. Das kann man jetzt nicht mehr sehen. Da ist sicher
einmal ein Bergrutsch gewesen, und seitdem hat der Fluß einen andern Weg
genommen, oder die Quellen und Beibäche haben sich verlegt.“

Der Friede war im Lager wieder eingekehrt. Ein so bitterböser Streit,
wie der letzte gewesen war, kam nicht mehr vor. Sie hatten jetzt ein
bestimmtes Ziel, einen festgesetzten Tag, an dem sie das Lager aufgeben
wollten. Und das veränderte ihre Stimmung und ihr Wesen so vollkommen,
daß sie nicht begreifen konnten, wie solche Streitigkeiten überhaupt
möglich gewesen waren. Sie beschäftigten sich jetzt damit, den besten
Plan zu entwerfen, wie sie hier unauffällig fortkommen und ihre Beute in
Sicherheit bringen konnten, wo sie sich niederlassen wollten, und was
sie mit dem erlösten Gewinn anzufangen gedachten. Dieses Entwerfen von
Plänen gab ihren Gesprächen eine andre Richtung. Sie lebten schon in dem
Vorgefühl, wieder in einer Stadt und zwischen allen den Dingen, die
Zivilisation bedeuten, zu leben. Und wissend, daß es ja nun nicht mehr
lange sein werde, fanden sie sich mit einem Male ganz leicht mit den
Gewohnheiten der Mitgenossen ab. Sie sahen in jenen Gewohnheiten nicht
mehr das Häßliche, nicht mehr das, was den einen bis zur Wut ärgern
konnte, sondern sie wurden nachsichtig gegeneinander. Wenn jetzt der
eine vielleicht sich nachhaltig auf dem Kopfe kratzte und dann nachher
das Abgekratzte an den Fingernägeln gedankenlos betrachtete, als ob es
etwas Genießbares sei, so erfolgte keine hämische Bemerkung des andern,
der ja auch seine üblen Gewohnheiten hatte, sondern er sagte lächelnd:
„Beißen sie, Curtinken? Na warte, das Fleisch ist gleich fertig
geröstet, dann bist du auf diese filzige Mahlzeit nicht mehr
angewiesen.“ Worauf dann Curtin, ebenfalls lachend, antwortete: „Es ist
gut, daß du mich daran erinnerst, ich muß mir doch diese verfluchte
Angewohnheit abgewöhnen, sonst schmeißen mich die Leute vielleicht gar
aus dem Hotel hinaus.“

Und je näher der Tag, an dem sie das Camp aufheben wollten, heranrückte,
desto besser fingen sie sich an zu vertragen. Howard und Dobbs sprachen
sogar schon davon, als Geschäftsteilhaber zusammen zu arbeiten und in
Monterrey oder in Tampico ein Kino aufzumachen und gemeinschaftlich zu
leiten. Dobbs sollte der künstlerische Leiter sein, also die Filme
kaufen, die Vorführungen leiten, die Programme schreiben und die Musik
überwachen, während Howard die geschäftlichen Angelegenheiten, die
Kasse, die Mieten, die Löhne, die Druckarbeiten, die Reparaturen und die
Verschönerungen des Theaters übernahm.

Curtin hatte es nicht so leicht. Er konnte sich nicht schlüssig werden,
ob er in Mexiko bleiben oder nach den States zurückkehren solle. In
einem Satze hatte er einmal gelegentlich hingeworfen, daß er so etwas
Ähnliches wie eine Braut in San Antonio in Texas habe. Er schien sich
aber nicht viel daraus zu machen. Wahrscheinlich tat er auch nur so, um
nicht mit seiner Braut aufgezogen zu werden. Von Frauen wurde im Camp
selten gesprochen, und wenn man schon von ihnen sprach, so geschah es
immer im wegwerfenden Sinne. Warum sollte man sich auch mit solchen
Gedanken plagen? Man spricht immer im wegwerfenden Sinne von Dingen, die
man nicht haben kann. Es wäre auch ziemlich schwergefallen, sich diese
drei Männer vorzustellen, daß sie in ihrem Arm eine Frau oder ein
Mädchen hätten. Es hätte sich nur um die entlaufene Frau eines
Straßenräubers handeln können. Ein anständiges Mädchen hätte sich lieber
in einem Sumpfloch ertränkt, als daß sie sich mit einem dieser Männer
hier eingelassen haben würde. Wenigstens in dem Zustande, wie sie jetzt
aussahen, wie sie sich betrugen, und in welcher Art und Weise sie ihre
Gedanken ausdrückten.

Das Gold, das eine schöne und elegante Dame am Finger trägt oder das als
Krone einem Kaiser auf seinem Kopfe wackelt, ist meist in recht
merkwürdiger Gesellschaft schon gewesen, und es hat viel häufiger sich
in Blut gebadet als in Seifenwasser. In allen Fällen hat eine Krone aus
Blumen und ein Kranz aus den Blättern eines Baumes eine Herkunft, die
edler ist. Die Dauerhaftigkeit des Materials, die Dauerhaftigkeit einer
Blumenkrone verglichen mit der Dauerhaftigkeit einer Goldkrone ist nur
relativ.




                                   10


Curtin war in der Tienda des Dorfes gewesen und hatte Proviant
eingekauft. Es war der letzte Proviant, den sie benötigten, und er
sollte reichen bis zu ihrer Abreise. „Mann, wo steckst du nur so lange?“
fragte Howard, als Curtin angeritten kam und sich schickte, den Tragesel
abzuladen.

„Ich wollte grade meinen Esel satteln und dir entgegenkommen“, warf
Dobbs ein. „Wir dachten, es sei dir etwas zugestoßen. Du hättest doch
eigentlich spätestens um zwei Uhr zurück sein müssen.“

Curtin antwortete nicht, sondern lud den Esel ab und brachte die Säcke
zum Feuer. Dann setzte er sich nieder, steckte sich eine Pfeife an, gab
den Tabak aus den Säcken heraus, verteilte ihn, und endlich sagte er:

„Ich habe verteufelte Umwege machen müssen. Da unten im Dorfe trieb sich
ein Bursche herum. Sagt, er sei von Arizona.“

„Was will denn der hier?“ fragte Dobbs.

„Das wollte ich gern erfahren“, erwiderte Curtin. „Aber die Indianer
sagten nur, er sei schon ein paar Tage da und lungere herum. Er fragte
die Leute, ob hier Minen seien oder Gold oder Silber. Darauf erklärten
ihm die Indianer, Minen seien hier nicht, und Gold gäbe es auch nicht
hier, auch kein Silber und überhaupt nichts; sie könnten sich grade
recht und schlecht ernähren von Mattenflechten und Töpfemachen. Aber
dann sagte ihm der blöde Esel von der Tienda, daß da irgendwo in den
Bergen ein Amerikaner herumkrieche, der wilde Tiere jage. Er weiß ja
nicht, daß ihr auch hier seid, er kennt ja nur mich. Das denke ich
wenigstens. Und da hat er ihm gesagt, daß ich zuweilen käme, um Proviant
einzukaufen, und daß ich wohl jetzt in dieser Woche kommen würde. Da hat
dann der Bursche aus Arizona gesagt, er wolle auf mich warten.“

„Und da hat dieses dreckige Vieh auch richtig gewartet?“

„Ja, das hat er. Als ich da unten ankam, fiel er mich gleich an, was ich
hier täte, ob „was zu machen sei“, ob hier nicht mächtig viel Gold wäre,
und all solchen Unfug. Ich war ziemlich kurz angebunden und gab kaum
Antwort.“

„Hast du ihm nicht ordentlich etwas vorgesohlt?“ fragte Dobbs.

„Das habe ich. Wenn ich überhaupt antwortete, so habe ich ihm saubere
Geschichten geliefert. Aber das half alles nichts. Er wollte durchaus
mit zu meinem Camp kommen. Er meinte, hierherum müsse unbedingt Gold
sein, er sähe es aus dem Lauf der ausgetrockneten Flüsse, aus dem
heruntergeschwemmten Sand und aus Brocken, die vom Gebirge oben
abgespalten und heruntergestürzt seien.“

„Das ist ein großer Mann,“ sagte Howard, „wenn der aus solchen Dingen
sehen kann, daß hier Gold sein müsse.“

„Gar nichts weiß der Bursche“, fiel Dobbs ein. „Das ist ein Spion, da
bin ich ganz sicher. Entweder ein Spion von der Regierung wegen der
Taxe, oder er ist ein Spion von den Banditen, die uns auf der
Rückwanderung aufheben wollen. Wenn sie auch gar nicht an Gold denken,
aber wir haben doch Esel und Werkzeuge und Kleidungsstücke, Messer,
Revolver und Felle, wie sie glauben. Das ist alles Wert. Da lohnt es
sich schon, uns anzufallen.“

„Nein,“ sagte Curtin, „ich glaube nicht, daß er ein Spion ist. Ich
glaube, er ist wirklich hinter Gold her.“

„Hat er denn eine Gräberausstattung?“ fragte Howard.

„Ich habe keine gesehen. Er hat ein Maultier, auf dem er reitet, eine
Decke, einen Kaffeekessel, eine Pfanne und einen Sack, wo er
wahrscheinlich noch ein paar Lumpen drinhaben mag. Das ist alles.“

„Mit seinen Fingern kann er das Gold nicht rausbuddeln“, sagte Dobbs.
„Vielleicht hat man ihm die Werkzeuge gestohlen, oder er hat sie
verkaufen müssen. Aber was haben wir denn mit diesem Windhund zu tun?“

Curtin kratzte sich am Kopf und wollte sich dann die Fingernägel
betrachten. Als er aber bemerkte, daß Dobbs und Howard ebenfalls auf
seine Fingernägel guckten, ließ er die Hand sinken und nahm sich wieder
einmal vor, es nicht mehr zu tun. Dobbs und Howard jedoch hatten diesmal
nicht deshalb auf seine Fingernägel geschaut, um ihn daran zu erinnern,
daß er in wenigen Tagen auf dem Rückwege zur Zivilisation sei. Sie
hatten vielmehr aus reiner Gedankenlosigkeit die altgewohnte Bewegung
Curtins verfolgt. Man darf es auch nicht einmal Gedankenlosigkeit
nennen. Ihre Gedanken waren mit dem geheimnisvollen Burschen aus Arizona
beschäftigt, und sie hatten das unklare Empfinden gehabt, als ob
dadurch, daß Curtin sich seine Fingernägel betrachte, wie er es gewohnt
sei, sich das Geheimnis, das jenen Burschen umgab, lüften könne.

Curtin stierte ins Feuer. Dann sagte er: „Ich konnte nichts aus ihm
machen. Er sieht nicht so aus, als ob er von der Regierung oder von den
Banditen sei. Er sieht ziemlich unschuldig aus, als ob er das, was er
sage, auch wirklich meine. Aber wir haben schon etwas mit ihm zu tun,
wenn Dobbs auch glaubt, wir haben es nicht. Er ist mir gefolgt. Er
fragte erst, ob er nicht mit in mein Camp kommen könne. Das habe ich ihm
verweigert. Dann ist er hinter mir hergeritten. Ich bin stehengeblieben
und habe ihn abgewartet. Dann habe ich ihm gesagt, er solle sich zum
Teufel scheren und mich nicht belästigen. ‚Ich will Sie ja aber gar
nicht belästigen,‘ sagte er darauf, ‚ich will nur ein paar Tage in
Gesellschaft sein, ich bin schon ganz verrückt, immer so hier im Gebirge
herum und immer nur mit diesen Indianern. Ich möchte ein wenig sprechen
und ein paar Abende mit einem weißen Burschen am Feuer sitzen. Dann gehe
ich wieder.‘ Da habe ich ihm gesagt, er solle sich einen andern
Kameraden suchen, ich wolle nichts mit ihm zu tun haben. Strolch konnte
ich ja nicht gut sagen, er hätte es mir wiedergeben können, wie wir
schon aussehen.“

„Wo ist er denn jetzt?“ fragte Howard.

„Er ist doch nicht etwa hier?“ sagte Dobbs und drehte sich um.

„Das glaube ich nicht“, erwiderte Curtin. „Ich machte alle möglichen
Umwege und Windungen durch das Gebüsch. Aber wenn ich den Weg übersehen
konnte, sah ich immer, daß er auf dem richtigen Wege hierher war. Wäre
ich zu Fuß gewesen, hätte ich ihn völlig abgeführt. Aber nun versuche
das einmal, wenn du zwei Esel hast. Es ist ja auch nur nötig, daß er
weiß, daß hier jemand im Gebirge haust, und wenn er die Richtung nur
ungefähr weiß, so muß er heute oder morgen oder übermorgen auf uns
stoßen. Das wird er sicher. Es ist nur eine Frage: Was tun wir mit dem
Manne, wenn er hier auftaucht? In seiner Gegenwart können wir nicht zur
Mine.“

„Das ist eine böse Sache, eine sehr böse Sache“, sagte Howard. „Wenn es
ein Indianer wäre, das wäre nicht so schlimm. Der bleibt nicht, der geht
wieder zu seinem Dorfe, zu seiner Familie. Aber dieser Bursche klebt wie
Pechpflaster. Der riecht auch gleich, daß hier was los ist. Denn warum
sollen sich denn gerade hier drei Weiße verkriechen? Hier im Gebirge?
Wir können ihm nur erzählen, daß wir drei Raubmörder seien, die sich
hier verborgen halten müssen. Aber wenn er dann runtergeht, kriegen wir
ein Regiment Soldaten her, und dann ist es aus mit unsern schönen
Zukunftsplänen. Und wenn da ein Offizier unter den Soldaten es wirklich
glaubt von wegen den Raubmördern, läßt er uns vielleicht gar auf der
Stelle niederknallen, um ganz sicher zu sein, daß wir ihm nicht
entwischen.“

„Es ist ganz einfach“, sagte nun Dobbs. „Mit dem Burschen werden wir
rasch fertig. Wenn er kommt, sagen wir ihm, er möge sich sofort hier aus
der Gegend fortscheren, und wenn wir ihn noch einmal hierherum sähen,
würden wir ihn mit Blei laden.“

„Das wäre eine rechte Eselei“, meinte Howard. „Dann geht er runter,
redet unten dummes Zeug, trifft vielleicht gar irgendwo Landpolizei, und
wir haben hier den schönsten Bockmist. Dann kannst du ihm auch ebensogut
erzählen, daß wir entsprungene Sträflinge von der Heiligen Maria sind.“

„Well, bleibt eben nur der grade Weg.“ Dobbs sah entschlossen aus.
„Sobald er kommt, wird er geknipst und fertig. Oder wir hängen ihn an
den Baum da drüben und schälen die Rinde ab. Dann haben wir Ruhe.“

Eine Weile sagte niemand etwas zu diesem Vorschlag.

Howard stand auf, sah nach den Kartoffeln, einem unerhörten Luxus, stach
darin herum, setzte sich wieder und sagte: „Das mit dem Abknipsen wäre
eine Dummheit. Er ist vielleicht ein ganz unschuldiger Tramp, der lieber
durch Gottes weite Welt zieht und zu seinem lieben Schöpfer betet
dadurch, daß er sich an all dem so recht von Herzen erfreut, was da um
ihn herum Schönes zu sehen ist, als daß er sich in den Ölfeldern oder in
den Minen abrackert für einen Drecklohn. Und so einen unschuldigen
Vagabunden abzuknipsen wäre ein Verbrechen.“

„Wir wissen doch aber nicht, ob er unschuldig oder ein Gauner ist“,
protestierte Dobbs.

„Es kann auch herauskommen“, sagte Howard.

„Ich möchte wissen, wie?“ Dobbs wurde nur noch mehr überzeugt, daß sein
Plan der beste sei. „Wir graben ihn ein, niemand findet ihn. Wenn die
unten erzählen, sie hätten ihn hinaufgehen sehen, wir haben ihn nicht
ankommen sehen, damit fertig. Wir können ihn ja auch dort die Schlucht
hinunterpfeffern. Kann auch von selber runtergefallen sein.“

„Willst du das machen?“ fragte Howard.

„Warum ich? Wir können ja ein Hölzchen ziehen, wer es zu machen hat.“

Der Alte grinste. „Ja, und der, der es gemacht hat, kann dann sein
ganzes Leben vor den beiden andern, die es gesehen haben, auf dem Bauche
rutschen. Das ist alles so schön und gut, wenn man ganz allein ist. Aber
hier, wie die Dinge liegen, ich jedenfalls sage: Nein.“

„Ich sage auch: Nein.“ Endlich hatte sich auch Curtin wieder in das
Gespräch gemischt. „Das ist alles zu teuer, alles zu dumm. Wir müssen
etwas andres finden.“

„Bist du denn überhaupt so ganz sicher, ob er dir folgt und ob er hier
heraufkommen wird?“ fragte Howard.

Curtin sah vor sich nieder und sagte resigniert: „Ich bin durchaus
überzeugt, daß er kommt, und daß er uns auch findet. Er erweckte ganz
den Anschein, als ob er –.“ Hier hob Curtin die Augen, sah nach der
schmalen Lichtung im Gehölz und sagte mit müder Stimme: „Da steht er
schon.“

Weder der Alte noch Dobbs fragte „Wo?“ Sie waren so überrascht, daß sie
sogar vergaßen, einen Fluch locker zu machen. Sie folgten den Augen
Curtins, und in dem Schatten der hereinbrechenden Nacht, von dem Schein
des Lagerfeuers ungewiß beleuchtet, stand der Fremde. Neben sich, am
Zügel haltend, hatte er sein Maultier.

Er stand ganz still, rief nicht das übliche „Hallo!“ herüber, rief auch
nicht „H’ye“ (How do you do?) und bot auch keinen Abendgruß. Er stand
nur da und wartete. Stand da wie ein hungernder Mann, der zu stolz ist,
um für irgend etwas zu betteln.

Als Curtin von dem Manne, den er unten im Dorfe getroffen hatte,
erzählte, machte sich jeder der beiden Zuhörenden eine bestimmte
Vorstellung von dem Aussehen des Mannes. Sowohl Howard als auch Dobbs
hatten sich den Mann völlig anders vorgestellt. Dobbs hatte sich einen
Mann gedacht mit den rohen, halbvertierten Gesichtszügen eines
Vagabunden in den Tropen, der sein Leben fristet von Straßenraub, und
der vor keinem Mord zurückschreckt, wenn er ihn um seiner eignen
Sicherheit willen oder einer besseren Beute wegen für notwendig hält.

Howard dagegen dachte sich den Fremden als den üblichen Goldsucher,
robust, wetterfest, Gesicht wie Leder, Hände wie ausgetrocknete
Baumwurzeln, keine Gefahr fürchtend und keine Hindernisse kennend, um
kein Mittel verlegen, den Sinn und alle Gedanken stier und hartnäckig
auf das einzige Ziel gerichtet, Gold zu finden und es rücksichtslos
auszubeuten. Er hatte die Vorstellung eines grundehrlichen Goldsuchers
von gutem Schlage, der niemals ein Verbrechen begehen wird und einen
Mord nur dann verübt, wenn es der Verteidigung seiner Mine oder seiner
Beute gilt.

Und nun waren beide überrascht. Der Fremde fügte sich weder in die
Vorstellung des Dobbs noch in die des Howard ein. Er sah so ganz anders
aus. Diese Tatsache, daß er so anders aussah, als sie ihn sich
vorgestellt hatten, und die andre Tatsache, daß er so plötzlich, viel
rascher, als sie erwartet hatten, da vor ihren Augen stand, waren der
Grund, daß niemand etwas sagte, keiner einen Ausruf des Überraschtseins
fand.

Der Fremde stand noch immer still in der schmalen Öffnung, die durch das
Gebüsch zum Lager führte. Er schien genau so überrascht zu sein wie die
drei Männer, die am Feuer saßen. Er hatte nur den einen Mann, Curtin,
hier zu treffen erwartet, und zu seinem Erstaunen fand er drei Männer.
Das Maultier schnüffelte an dem Gebüsch herum. Dann roch es
wahrscheinlich die Esel der Männer, und es begann zu brüllen. Es stieß
aber nur einen Schrei aus. Noch mitten in dem Schrei, ohne ihn zu
vollenden, verstummte es, als ob es Angst bekäme vor der Schweigsamkeit,
die hier zwischen den Männern herrschte.

Die drei fanden noch immer keine Worte, sie achteten weder auf das Feuer
noch auf die Mahlzeit, die auf dem Feuer brodelte. Sie starrten nur
immer auf den Fremden, und sie schienen zu erwarten, daß er irgend etwas
sage oder irgend etwas täte. Aber er rührte sich nicht.

Nun stand Dobbs auf und ging mit langsamen Schritten auf den
Eindringling zu. Er hatte die Absicht, ihn barsch anzufahren, was er
hier wolle, wie er hierherkomme, wer er sei. Aber als er nun dicht vor
ihm stand, sagte er nur: „Hallo!“ Der Fremde sagte ebenfalls: „Hallo!“

Dobbs hatte die Hände in den Hosentaschen. Er wußte nicht, was er sagen
sollte. Dann endlich: „Kommen Sie rüber zum Feuer.“

„Danke“, sagte der Fremde kurz.

Er kam näher, hob den alten Sattel mit den beiden Sackpacken vom
Maultier, koppelte die Vorderbeine des Tiers, gab ihm einen Schlag mit
der Hand auf den Schinken, und dann trottete es langsam in jene
Richtung, wo die Esel weideten.

„Guten Abend“, grüßte er und setzte sich an das Feuer.

Nur Howard antwortete: „Wie geht es?“

„Hm!“ erwiderte der Fremde.

Curtin rührte in den Bohnen herum und schüttelte die Kartoffeln durch.
Howard wendete das Fleisch, und Dobbs, der sich noch nicht wieder
gesetzt hatte, hackte das Holz kurz und warf es auf.

„Ich weiß wohl, daß ich nicht willkommen bin hier“, sagte der Fremde.

„Das habe ich Ihnen ja unten schon deutlich genug klargemacht.“ Curtin
sah nicht auf, während er das sagte.

„Ich kann nicht immer nur mit den Indianern zusammenhocken. Ich würde
gern wissen, wie richtige Menschen aussehen.“

„Dann gehen Sie doch raus und sehen Sie sich sie an.“ Howard war recht
unhöflich. „Wir wissen auch nicht, was draußen geschieht.“

„Wir sind auch gar nicht interessiert“, warf Dobbs brummig ein. „Wir
haben andre Sorgen. Damit Sie es auch gleich wissen, diese andre Sorge
sind Sie. Wir können Sie hier durchaus nicht gebrauchen, nicht einmal
zum Feueranzünden. Besser, Sie machen sich morgen früh auf und davon.
Sonst können wir sehr unangenehm werden.“

Der Fremde sagte nichts darauf. Er saß still und sah zu, wie die andern
sich mit dem Abendessen beschäftigten. Als es fertig war, sagte Curtin:
„Langen Sie zu und essen Sie. Heute wird es für Sie ja mitreichen. Ob
morgen noch, das werden wir erst sehen.“

Die Mahlzeit ging sehr schweigsam vorüber. Wenn einer etwas sagte, so
bezog es sich nur auf das Essen, daß das Fleisch nicht gut sei, oder die
Bohnen zu hart und die Kartoffeln zu wässerig. Der Fremde mischte sich
nicht in das Gespräch. Er aß nur wenig.

Als das Mahl vorüber war, zündeten sich die drei ihre Pfeifen an.

„Haben Sie Tabak?“ fragte Dobbs.

„Ja“, sagte der Mann ruhig, und er begann, sich eine Zigarette zu
drehen. Die drei, um nicht ganz stumm dazusitzen und gleichzeitig den
Fremden von der Fährte abzulenken, redeten von Jagd. Aber weil sie sich
mit Jagd nicht befaßten, so klang ihre Rede nicht sehr überzeugend. Sie
hatten auch das Gefühl, daß der Fremde mehr von Jagd verstand und von
Fellen und allem, was mit diesem Geschäft zusammenhing, als sie. Dadurch
wurden sie unsicher und begannen davon zu sprechen, das Camp hier
aufzugeben und nach einer andern Gegend zu ziehen, wo es mehr Großwild
gäbe.

„Das ist hier überhaupt keine Jagdgegend“, mischte sich der Fremde
plötzlich ein, als die andern gerade eine auffallend lange
Gesprächspause machten. „Aber das ist hier eine gute Goldgegend. Hier
ist Gold. Ich sah es schon vor einigen Tagen an den alten
ausgetrockneten Flußläufen, die hier vom Gebirge herunterkommen.“

„Hier ist kein Gold“, erwiderte Dobbs. „Wir sind lange genug hier, um
das zu wissen. Wir würden auch lieber Zahldreck buddeln als jagen. So
ein Unsinn!“ fügte er höhnisch lachend hinzu. „Kleinkindergewäsch. Wir
sind auch nicht von gestern, und wir können auch Goldklumpen von
Kieselsteinen unterscheiden. Brauchen Ihre Ratschläge nicht.“

Er stand auf und ging zum Zelt, um sich schlafen zu legen.

Niemand hatte etwas dazu gesagt, und der Fremde schien die unhöfliche
Redeweise des Dobbs nicht übelzunehmen. Vielleicht war er eine solche
Art und Weise der Unterhaltung auch gewohnt.

Howard reckte sich und gähnte. Curtin klopfte seine Pfeife aus. Dann
standen beide nacheinander auf und gingen langsam ebenfalls zum Zelt.
Sie sagten weder „Gute Nacht!“ zu dem Fremden, noch luden sie ihn ein,
mit in das Zelt zu kommen.

Der Fremde stand nun auch auf. Er pfiff, und nach einer Weile kam sein
Maultier humpelnd heran. Er ging ihm entgegen, klopfte es freundlich auf
den Nacken, sprach einige Worte zu ihm, und durch einen Schlag mit der
flachen Hand trieb er es wieder seiner Wege.

Dann legte er Holz aufs Feuer, setzte sich und summte vor sich hin.
Endlich stand er wieder auf und ging zu seinem Sattelzeug. Er brachte
einen der beiden Packsäcke zum Feuer, zerrte eine Decke daraus hervor,
rollte sich lang in die Decke ein, legte sich mit dem Kopf auf den Pack,
streckte die Füße dem Feuer entgegen und begann zu schlafen.

Drinnen im Zelt wurde geredet. Es war weit genug vom Feuer entfernt, daß
der Fremde nichts verstehen konnte. Sie sprachen auch nur halblaut, aber
doch sehr eifrig.

„Ich bin aber doch dafür,“ sagte Dobbs, „daß wir ihn uns vom Halse
schaffen. Auf irgendeine Weise.“

„Bis jetzt wissen wir doch noch gar nicht, was mit ihm ist.“ Der Alte
sagte es in einem beruhigenden Tone. „Er sieht durchaus unschuldig aus.
Ich denke auch nicht, daß er ein Spion ist. Sieht nicht danach aus.
Würde auch nicht allein kommen und wäre auch nicht so verhungert. Ich
denke, er hat etwas auf dem Gewissen. Die sind hinter ihm her,
irgendeiner Sache wegen.“

„Man könnte einen Streit mit ihm anfangen,“ sagte Curtin, „und dann
wischt man ihm eins für gut.“

„Das hört sich recht drollig an,“ sagte Howard, „aber es ist nicht sehr
empfehlenswert. Es ist dreckig.“

„Dreckig hin, dreckig her.“ Dobbs fuhr ihn wütend an. „Wir müssen ihn
loswerden, das ist alles. Er ist doch rechtzeitig gewarnt worden.“

Sie redeten noch eine Weile, kamen jedoch immer wieder auf dasselbe
heraus, daß er hinweg müsse, aber daß sein Umbringen manche Nachteile
habe. Darüber schliefen sie endlich ein.




                                   11


Am nächsten Morgen trafen sie sich sehr übelgelaunt am Feuer. Der Fremde
hatte bereits Holz herangeschafft und das Feuer wieder hochgebracht. Er
hatte seinen Kessel mit Wasser gefüllt und an das Feuer gesetzt. Dobbs
begrüßte ihn gleich: „Lieber Freund, wo hast du denn das Wasser her?“

„Das habe ich aus dem Eimer geschöpft.“

„So. Aus dem Eimer geschöpft. Das ist sehr nett von dir. Aber du mußt
nicht denken, daß wir dich bedienen und das Wasser für dich
heraufschleppen.“

„Das verlange ich nicht. Ich werde den Eimer wieder füllen gehen.“

Als er das sagte, kam gerade Curtin zum Feuer, vielleicht noch
schlechter gelaunt als Dobbs. Auch er redete ihn gleich mit du an:
„Wasser stehlen? Unser Holz räubern? Was denkst du dir denn? Faß nur
noch einmal hier was an, das uns gehört, dann kriegst du Blei gebrannt.
Buschrecht.“

„Ich habe geglaubt, daß ich unter anständigen Leuten bin, die mir einen
Trunk Wasser gönnen werden.“

Sofort sprang Dobbs auf ihn zu: „Was sagst du, du Pest? Wir seien
unanständige Menschen? Vielleicht Banditen?“ Und er hieb ihm einen
gutgezielten Faustschlag ins Gesicht.

Der Fremde fiel der Länge nach hin. Langsam stand er wieder auf.

„Ich könnte dir ja jetzt ebenfalls einen Guten versetzen. Aber was kann
ich gegen euch drei anfangen? Ihr wartet ja nur darauf, daß ich ziehe,
um mich mit einem Recht abzuknipsen. Aber das mache ich nicht. Ich bin
kein Narr. Es kommt vielleicht die Zeit, wo wir abrechnen können.“

Howard, der inzwischen gleichfalls zum Feuer gekommen war, fragte nun
ruhig: „Hast du etwas zu essen, Fremder?“

„Ich habe ein Beutelchen mit Tee, habe auch Bohnen und Reis und zwei
Büchsen Milch.“

„Kaffee kannst du mit uns trinken. Auch essen. Heute. Morgen mußt du für
dich selbst sorgen.“

„Danke!“ erwiderte der Mann.

„Morgen?“ fragte Dobbs. Seine Wut hatte sich durch den Faustschlag, den
er mit soviel Erfolg dem Eindringling verabreicht hatte, merkwürdig
abgekühlt. „Morgen? Ja, höre einmal, willst du dich denn hier dauernd
einrichten?“

„Ich denke, ja“, gab der Mann ruhig zur Antwort.

Da schrie Curtin: „Einrichten, hier? Doch nur mit unsrer Erlaubnis.“

„Der Busch und die Berge sind frei für jeden, der kommt.“

„Na, so ist das nun nicht, alter Junge“, sagte darauf Howard. „Frei ist
das Gebirge und der Busch und der Dschungel unten und die Wüste da
hinten. Das ist alles frei. Aber wir sind hier die ersten, und der erste
hat das Siedlungsrecht.“

„Das ist schon richtig. Aber es fragt sich, ob ihr die ersten hier seid.
Vielleicht war ich schon vorher hier, ehe ihr überhaupt daran dachtet,
euch hier niederzulassen.“

„Hast du dein Recht eintragen lassen?“

„Ihr habt doch auch keinen Brief.“

„Ich frage dich, denn augenblicklich sind wir hier. Du hast, wenn es
überhaupt wahr ist, daß du jemals hier warst, hier nichts abgesteckt und
hast den Platz verlassen, damit hast du alle Rechte verloren.“

Der Fremde schwieg eine Weile. Die drei machten sich mit dem Bereiten
des Frühstücks zu schaffen. Sie eilten sich nicht sehr damit, denn sie
wußten nicht, was sie nach dem Frühstück anfangen sollten. Arbeiten
konnten sie nicht gehen, weil der Fremde ja dann die Mine gefunden
hätte. Auf die Jagd gehen, um dem Fremden eine Beschäftigung
vorzutäuschen, mochten sie auch nicht. Einer hätte im Lager
zurückbleiben müssen, um den Fremden zu verhindern, daß er hier
herumstöbere und die Mine vielleicht fände. Aber diesen einen, der hier
zurückblieb, hätte der Fremde auch überwältigen können. Es blieb noch
ein Ausweg übrig. Zwei konnten auf dem geheimen Umweg die Mine erreichen
und dort arbeiten, während einer hier zurückblieb, um den Fremden zu
überwachen. Aber der Fremde würde nicht stille sitzen bleiben, sondern
herumstreifen. Wenn es ihm der, der mit ihm zurückblieb, verböte, so
würde das nur erst recht seinen Verdacht erwecken, daß hier irgend etwas
Geheimnisvolles vor sich ginge.

Endlich kam Curtin auf einen Ausweg. „Wir gehen nach dem Frühstück
zusammen auf die Jagd“, sagte er zu dem Fremden. „Wir könnten etwas
Fleisch gebrauchen.“

Der Fremde sah die andern an, als ob er in ihren Mienen nach dem Zweck
dieses Vorschlages suche. Allein mit dem auf die Jagd gehen? Das gab dem
eine Gelegenheit, ihn verunglücken zu lassen, und so war er aus dem Wege
geräumt. Schließlich aber sagte er sich, daß, wenn sie ihn beseitigen
wollten, sie das doch tun würden. Ein Grund findet sich immer.

„Heute kann ich ja mit dir auf die Jagd gehen,“ sagte er, „damit wir
Vorrat haben. Aber morgen habe ich wenig Zeit.“

„Warum?“ fragten alle drei zu gleicher Zeit und sahen ihn erstaunt an.

„Morgen fange ich an, hier nach Gold zu suchen. Hier ist Gold. Und wenn
ihr hier noch keins gefunden habt, so wäre das nur ein Beweis, daß ihr
ziemlich blöde sein müßt.“

Das wurmte den Alten, und er platzte heraus: „Wenn wir aber nicht so
blöde sein sollten, wie du denkst. Wenn wir hier Gold gefunden hätten?“

„So wäre das nur ganz natürlich“, sagte der Fremde. „Aber ihr habt keins
gefunden. Oder wenn ihr welches habt, dann nur ein paar Hände voll, nur
so etwas oben herumgekratzt. Hier liegt es aber dicke, hier irgendwo.
Hier liegt eine gute Million.“

„Eine Million?“ fragte Howard mit aufgerissenen Augen.

Dobbs und Curtin vermochten überhaupt nichts zu sagen vor Aufregung.

„Ihr habt die dicke Grube nicht erwischt, das weiß ich“, redete der
Fremde ruhig weiter. „Ich weiß, daß ihr hier schon bald ein Jahr seid.
Die Indianer haben es mir unten gesagt, daß hier einer schon so lange
oben sei. Hättet ihr die dicke Ader angeklopft, dann hättet ihr so viel
Mist, daß ihr längst abgezogen wäret, denn ihr könntet es gar nicht
abtransportieren, ohne aufzufallen. Oder ihr hättet hier eine geregelte
Mine laufen, mit Lizenz und Maschinen und zwei oder drei Dutzend
Leuten.“

„Wir haben hier überhaupt nichts, gar nichts“, sagte Dobbs.

„Ihr könnt mich ja nun halten, für was ihr wollt. Aber ein Kind bin ich
nicht. Und wenn ihr drei Mann hier soundso viele Monate lebt, so tut ihr
das nicht zum Vergnügen. Ich denke, wir gehen ganz klar aufeinander los
und legen die Karten offen auf den Tisch. Was hat das Versteckspielen
für einen Wert? Ich bin kein Luder, bin zumindest ebenso anständig wie
ihr. Besser als ihr will ich gar nicht sein. Wir sind alle auf Gewinn
aus, ob hier im Busch oder irgendwo in der Stadt. Ihr könnt mich
natürlich aus dem Wege schaffen, das weiß ich ganz gut. Aber das kann
mir woanders und durch andre auch passieren. Das Risiko muß ich schon
übernehmen. Also wollen wir nicht ganz klar zueinander sein?“

„Laß uns einmal eine Weile miteinander sprechen“, sagte Howard.

„Das ist schon gut, Howard“, erwiderte Dobbs. „Ich bin der Meinung, wir
geben ihm eine Gelegenheit, zu beweisen, daß er weder ein Spion ist,
noch sonst etwas im Hinterhalt hat, das uns nicht gefällt.“

Nun wandte er sich unmittelbar an den Fremden: „Wir können dir ja nicht
inwendig hineinsehen, ob du ein Schuft bist, oder ob du klar bist. Es
ist richtig, wir haben hier einige Monate Quälerei hinter uns, ehrliche
Quälerei, das kannst du uns glauben. Freilich, wenn wir uns mit dir
einigen, kannst du uns vielleicht Scherereien machen. Was kann es
kosten? Verlust unsrer Mühen und Entbehrungen. Aber ich kann dir
versichern, wir kriegen dich, und wenn du bis zur Hudson-Bai hinauf dich
verkriechst. Wir kriegen dich, und dann gibt es kein Erbarmen. Also komm
heraus, was willst du, und was hast du vor?“

Der Fremde trank seinen Kaffee aus, und dann sagte er: „Ich bin ganz
ehrlich zu euch gewesen, von Anfang an. Ich habe euch gesagt, daß hier
Gold sei, und daß ich komme, es aufzupicken.“

„Was weiter?“ fragte Curtin.

„Nichts weiter“, gab der Fremde zur Antwort.

„Gut. Schön und gut“, warf Howard ein. „Was aber dann, wenn wir hier
Zahlmist gefunden haben? Du denkst doch nicht, daß wir das mit dir
verrechnen. Wir haben selber genug geschuftet. Na, well, da ist es
heraus. Ja, wir haben was gefunden und sind bald fertig.“

Ohne zu zögern sagte nun der Fremde: „Das ist ein Anfang. Kommt ihr
grade, so komme ich euch grade, und wir wollen sehen, wie wir uns
einigen. Gleich, um zu beginnen: Auf diesen Platz habe ich ein Recht.
Wartet, nur nicht gleich hitzig. Ich habe natürlich kein Recht, das
verbrieft ist, keine Lizenz und nichts dergleichen. Mein Recht beruht
darauf, daß ich etwas weiß, was ihr nicht wißt. Das ist besser als die
schönste gestempelte und versteuerte Lizenz. Ihr habt nichts gefunden,
gar nichts. Ein paar Körner vielleicht. Die dürft ihr ruhig behalten.“

„Das tun wir, da kannst du Schlämmkreide drauf fressen, daß wir das, was
wir haben, auch behalten“, sagte Curtin.

„Die Sache ist so.“ Der Fremde sprach sehr langsam. „Allein kann ich das
nicht machen, was ich im Sinne habe. Ich brauche Leute, und ich habe mir
gedacht, daß ihr am besten geeignet seid. Ihr habt ebensoviel Interesse
daran, die Geschichte solange wie notwendig geheimzuhalten, wie ich es
habe. Ihr habt die Werkzeuge, ich habe keine. Ich könnte das, was ich
weiß, an eine Gesellschaft verkaufen. Aber es wird mir schwerlich jemand
auch nur hundert Dollar darauf bezahlen. Die Leute wollen Tatsachen
sehen. Die Tatsachen kann ich nur hier zeigen. Ich habe zudem gute
Gründe, nicht allzuviel Lärm zu machen, weil sonst jemand mit
sogenannten Rechten angerückt kommen könnte. Ich mache euch einen
Vorschlag. Was ihr habt, behaltet ihr. Von dem, was von heute an
einkommt, dadurch einkommt, daß ihr mit mir an meinem Plane arbeitet,
erhalte ich zwei Fünftel.“

Die drei sahen sich eine Weile gegenseitig an und lachten.

Dann sagte Howard: „Späne können wir uns selber vormachen, lieber Junge,
und Geschichten können wir uns selber erzählen. Was meint ihr?“ Er
wandte sich an seine Kameraden.

Dobbs sagte: „So oder so. Wir sind ja so gut wie durch und fertig. Wir
verlieren nichts, wenn wir ein paar Tage zugeben.“

„Das denke ich auch, wir verlieren nichts. Wenn da wirklich etwas dran
ist, warum soll man es nicht versuchen, da wir doch schon hier sind“,
meinte Curtin.

„Ich mache nicht mit“, sagte der Alte. „Das sind Räubergeschichten, und
ich hab genug von der Wilderei. Ich möchte wieder einmal ein richtiges
Bett unterm Hintern haben. Mir langt es. Aber natürlich, wenn ihr hier
mitmacht, muß ich auch mitmachen. Allein kann ich nicht gut die zwei
Wochen durch den Busch und durch die Wüste zappeln.“

„Höre, alter Bursche“, sagte Curtin, „viel Lust, lange Überstunden zu
machen, habe ich nicht. Ich habe da jemand auf mich warten. Wir wollen
eine Woche draufgeben. Kommen wir in dieser Woche auf die Geschichte,
die uns das Vögelchen da erzählt hat, dann ist es gut, und dann können
wir ja sehen, ob es sich lohnt. Kommen wir innerhalb einer Woche nicht
zu einem Ergebnis, dann gehe ich mit dir los, Alter. Alle damit
einverstanden?“

Sie sagten „Ja“, und der Fremde hatte das Wort, um seine Pläne
klarzulegen.

„Wie heißt du denn überhaupt, Mensch?“ fragte Howard.

„Lacaud,“ sagte der, „Robert Lacaud, aus Arizona.“

„Verwandt mit den Lacauds in Los Angeles, Möbeln?“ fragte Howard.

„Ja, von Großvaters Seite her. Aber ich habe nichts mit denen zu
schaffen. Wir sind geschieden auf Tod und Verdammnis, und wenn wir
überzeugt sein sollten, daß die in den Himmel gehen, dann äschern wir
ein halbes Dutzend Kirchen ein, um in die Hölle zu kommen und nur nicht
mit denen zusammenzusitzen. Aber nur keine Sorge, die kommen nicht in
den Himmel, diese Erbschleicher.“

„Dann mußt du dich aber verflucht dranhalten, daß man dich in den Himmel
aufnimmt,“ lachte Dobbs, „so wie du jetzt beschaffen bist, wirst du wohl
deinem Familienzweig nicht aus dem Wege gehen können.“

„Vielleicht doch“, sagte Curtin. „Wenn ich richtig informiert bin, hat
man da verschiedene Siedeabteilungen, und er kann ja rechtzeitig den
Antrag stellen, daß er nicht gerade in denselben Kessel eingetaucht
wird, in dem die andern ehrenwerten Mitglieder seiner erlauchten Familie
schmoren. So etwas läßt sich doch immer einrichten, denn Beelzebub hat
doch ein Herz, wie könnte er denn sonst soviel Spaß haben und immer so
lustig und guter Dinge sein.“

Howard war aufgestanden, um nach den Eseln zu sehen, damit sie nicht zu
weit abstreiften. Dabei war er auf einen höher gelegenen Vorsprung des
Berges geklettert, um einen besseren Überblick zu haben.

„Hallo!“ rief er laut aus.

„Was ist?“ riefen Dobbs und Curtin gleichzeitig. „Sind die Esel fort?“

„Kommt rasch her. Aber verteufelt rasch.“

Die beiden sprangen auf und liefen hinüber. Auch Lacaud folgte eilig
nach. „Was ist das, da drüben, was da auf unsern Berg zukommt?“ rief der
Alte. „Vielleicht könnt ihr das besser erkennen.“

„Das sind Soldaten oder berittene Landpolizei“, sagte Dobbs.

Und gleich fügte er hinzu: „Ei, du Schuft, du infamer!“ Er wendete sich
Lacaud zu. „Also das bist du. Die Entdeckung ging ja schnell.“

Mit einem Ruck hatte er den Revolver heraus und hob ihn gegen Lacaud.

Aber Howard, der hinter ihm stand, drückte seinen Arm nieder.

„Du bist im Unrecht“, sagte Lacaud, der bei der raschen Bewegung des
Dobbs bleich geworden war. „Ich habe nichts mit den Soldaten oder mit
der Polizei zu tun.“

„Höre, Kindchen“, sagte Howard zu Lacaud. „Mach’ uns hier keine dicke
Suppe. Wenn sie hinter dir her sind, dann los, aber sofort. Laß dich von
ihnen sehen, aber wir wollen hier keine Polizei herauf haben. Marsch,
runter hier und auf ihren Weg, sonst jagen wir dich ihnen direkt in den
Rachen. Wir können die hier oben nicht gebrauchen.“

Curtin war ein wenig höher geklettert und hatte lange und sorgfältig
hinuntergesehen.

„Mal Geduld Jungens“, sagte er. „Ich glaube, das sind keine Soldaten.
Das ist auch keine Polizei. Sind unregelmäßig angezogen, haben auch
verschiedene Gewehre. Wenn ich recht sehe, hat der eine einen mordsmäßig
langen Schießprügel, der seine hundert Jahre alt ist. Ich weiß jetzt,
was die sind. Das sind Banditen.“

„Verflucht,“ rief Howard, „da kommen wir aus dem Regen in das Sumpfloch.
Banditen können wir noch zehnmal weniger gebrauchen als die berittene
Staatspolizei. Das geht ans Leben. Die Polizei setzt uns fest, und da
wir ja nichts verbrochen haben, nur gerade die Taxe geschunden, können
wir uns einigen. Aber bei den Banditen, da heißt es beißen.“

Als ob ihm plötzlich etwas einfiele, wandte er sich nun an Lacaud: „Na,
Sohn, nun komme uns mal klar. Also du hast uns die Banditen hier
heraufgewichst. Also Banditenspion. Dachte ich doch eine Zeitlang ganz
richtig.“

„Ich habe auch nichts mit den Banditen zu tun“, sagte Lacaud. „Laß mich
einmal selbst sehen.“

Er kletterte hinauf zu Curtin, sah eine Weile angestrengt hinunter und
sagte dann: „Das sind Banditen. Ich weiß jetzt auch, was für Banditen.
Habe ich auf der Hazienda des Senjor Gomez gehört. Der hatte eine
Zeitung mit der Beschreibung. Ich sehe da einen mit einem
goldbronzierten Strohhut, der in der Beschreibung erwähnt wurde. Der hat
Courage, daß er den Hut nicht umgetauscht hat. Wird sicher nicht wissen,
daß der Hut in der Beschreibung ist. Die sehen ja keine Zeitung und
können auch keine lesen. Das wären die allerletzten Banditen, mit denen
ich etwas zu tun haben wollte.“

Und während nun alle vier die Bewegungen der Banditen von der Höhe aus
beobachteten und darauf warteten, ob die Reiter in den Pfad einbiegen
würden, der sie mit großer Wahrscheinlichkeit hier auf den Berg führen
würde, erzählte Lacaud, was er in der Zeitung über jene Banditen gelesen
habe, und was die Leute auf der Hazienda darüber alles zu berichten
gewußt hatten. Denn wenn auch die Mehrzahl der Indianer und der
indianischen Arbeiter in den Haziendas keine Zeitung lesen können, so
verbreiten sich dennoch die Berichte über solche Ereignisse durch das
weite offene Land mit der Schnelligkeit rennenden Präriefeuers.




                                   12


Auf einer kleinen Bahnstation, wo der Nachtzug für zwei Minuten hielt,
um die Post zu erledigen, zwei oder drei Fahrgäste aufzunehmen oder
abzusetzten, kamen etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Männer in den Zug
gestiegen. Es war zwischen sieben und acht Uhr und bereits stockdunkle
Nacht.

Es kam nie vor, daß auf dieser kleinen Station so viele Leute
einstiegen, aber weder der Stationsmeister noch das Zugpersonal dachten
darüber nach. Es konnten ja Männer sein, die irgendwo zu Markte fahren
wollten, oder die in den Minen gearbeitet hatten und streikten, oder die
in andern Minendistrikten Arbeit suchen wollten.

Sie waren alle Mestizen, hatten alle ihre großen Strohhüte auf, Hosen
und Hemd an. Sandalen oder Stiefel an den Füßen. Alle waren in ihre
Decken gehüllt, da die Nacht kühl war. Da nach Einbruch der Dunkelheit
auf kleinen Stationen keine Fahrkarten verkauft werden, kamen sie ohne
Fahrkarten, die sie im Zuge lösen konnten. Die Station war stockfinster,
nur der Stationsmeister hatte seine Laterne und die Zugbeamten, die
eilfertig am Zuge entlang liefen. So hatte niemand die Gesichter der
Männer gesehen, die sie auch noch – was nicht auffällt, da es üblich ist
– bis zur Nase mit ihren Decken verhüllt hatten.

Alle stiegen in den ersten Wagen der zweiten Klasse, der gleich hinter
dem Gepäckwagen folgt. In diesem Wagen zweiter Klasse saßen wie üblich
die zwölf Soldaten mit ihrem Offizier, alle mit scharf geladenen
Gewehren, um den Zug gegen Banditenüberfälle zu schützen.

Die Mehrzahl der Männer blieb in dem ersten Wagen zweiter Klasse, aber
einige gingen von diesen Wagen, nachdem der Zug sich in Bewegung gesetzt
hatte, über die Plattform in den zweiten Wagen zweiter Klasse, um
wahrscheinlich bessere Plätze zu finden. Die beiden Wagen zweiter Klasse
waren gut besetzt mit Landleuten, kleinen Geschäftsleuten und Indianern,
die ihre Waren zur nächsten größeren Stadt bringen wollten. Hinter den
beiden Wagen zweiter Klasse folgte der Wagen erster Klasse, der
gleichfalls gut besetzt war, und hinter dem, als letzter Wagen, folgte
der Pullman-Schlafwagen.

Der Zug kam schnell in gute Fahrt. Bis zur nächsten Station waren
zwanzig Minuten oder einige mehr. Als der Zug nun in voller rasender
Fahrt war und die Beamten damit beschäftigt waren, an die
neueingestiegenen Reisenden die Fahrkarten zu verkaufen, besetzten die
Männer die Türen der Wagen, in deren Nähe sie von Beginn an gestanden
hatten, als ob sie sich viel Zeit nehmen wollten, nach guten Plätzen zu
suchen.

Gleichzeitig, ohne ein Wort zu sagen, ohne eine Warnung zu rufen, zogen
sie unter ihren Decken Gewehre und Revolver hervor und begannen
Schnellfeuer zu eröffnen. Insbesondere richtete sich das Feuer auf die
Soldaten, die ihre Gewehre zwischen ihren Knien stehen oder seitlich
gegen die Wand gestellt hatten, oder die in Fibeln lasen, um lesen und
schreiben zu lernen, oder die an ihrem Abendbrot kauten, oder die
eingenickt waren.

Die Schießerei dauerte nur etwa zehn Sekunden; dann wälzten sich alle
Soldaten in ihrem Blute, die Mehrzahl war tot, die übrigen röchelten und
waren am Sterben. Die Zugbeamten lagen erschossen, tot oder zu Tode
verwundet auf dem Boden oder auf den Bänken. Zwanzig Fahrgäste waren
getroffen, eine Anzahl tot, andre verbluteten an fürchterlichen Wunden.
Säuglinge an der Brust der Mutter, Frauen und Kinder blutend und
sterbend in einem wirren Knäuel. Männer und Frauen lagen auf den Knien
und flehten um Gnade, Mütter hielten ihre wimmernden Kinder hoch, um
Mitleid bei den Banditen zu erwecken, andre boten ihre armseligen
Habseligkeiten als Preis für ihr Leben an. Aber die Banditen schossen
und schossen, bis die Kammern leer waren.

Dann begannen sie auszurauben, und sie nahmen alles, was ihnen nur
irgendwelchen Wert bedeutete. Ein Teil der Banditen war in die erste
Klasse gegangen und plünderte hier, ohne zu schießen. Uhren und
Geldbörsen, Fingerringe und Ohrringe, Halsketten und Armbänder. Wenn die
Beute nicht reich genug erschien, half ein Stoß in den Magen mit dem
Revolver oder dem Gewehr, daß sich der Betroffene rasch erinnerte, noch
ein paar Goldstücke in der linken Hosentasche und einen Brillantring im
Koffer zu haben.

Hierauf wurde der Pullmanwagen abgeleuchtet, die Fahrgäste aus den
Betten gejagt und ihnen alle bewegliche Habe abgenommen.

Der Zug raste während der ganzen Zeit seines Weges. Vielleicht hatte der
Lokomotivführer das Schießen nicht gehört, oder er hatte es gehört und
hoffte, die nächste Station zu erreichen in so schneller Fahrt, daß die
Banditen nicht abspringen konnten.

Aber die Banditen zogen nun wieder nach vorn, durch die beiden Wagen
zweiter Klasse, wo die Panik der Fahrgäste, als die Banditen
zurückkamen, unbeschreibliche Formen annahm. Die Räuber kümmerten sich
um nichts und kehrten sich an nichts. Sie gingen über die Plattform zu
dem Gepäckwagen, brachen die Koffer auf oder warfen sie hinaus, um sie
nachträglich aufzulesen. Sie ermordeten den Gepäckbeamten und kletterten
an dem fahrenden Zuge entlang in den Postwagen, wo sie die beiden
Postbeamten niederschossen und die Postsäcke durchwühlten.

Inzwischen hatte der Lokomotivführer gehört, daß etwas nicht in Ordnung
sei, oder aber er sah einige Banditen aus dem Postwagen schon in den
Tender klettern. Die Station war noch weit, und er konnte sie nicht mehr
erreichen. Er warf den Hebel herum, und der Zug schien zu zerkrachen, so
rasch hielt er an.

Der Heizer sprang sofort ab und suchte das Dickicht am Fuße des
Bahndamms zu erreichen. Aber von einem halben Dutzend Kugeln getroffen
brach er zusammen und rollte den Damm hinunter. Ehe der Lokomotivführer
Zeit gewann, abzuspringen, hatten vier Mann die Lokomotive erklommen und
hielten den Lokomotivführer fest, ohne ihn zu erschießen. Im Expreßwagen
hatten die Banditen zahlreiche Kannen mit Petroleum und Gasolin
entdeckt, die als Expreßgut für eine Tienda gingen. Mit diesen
Flüssigkeiten übergossen sie die Wagen, schütteten durch die
zerschlagenen Fenster das Gasolin hinein, und dann warfen sie brennende
Zündhölzer in die Wagen. Explosionsartig schlugen die Flammen hinauf in
den schwarzen Nachthimmel.

Schreiend und heulend und wimmernd, wie vom Wahnsinn getrieben,
versuchten die in den Wagen eingeschlossenen Reisenden durch die Fenster
ins Freie zu kommen. Sie stauten sich an den Fenstern, und wenn sie
durchkamen, so fielen sie von der Höhe hinunter auf den Damm, versengt,
angebrannt und sich nun die Glieder brechend oder verrenkend. Wer zu
schwer verwundet war und in der Panik keine Hand fand, die ihn nach sich
zog, mußte qualvoll verbrennen.

Vorn auf der Lokomotive standen zwei Banditen, die ihre Revolver auf den
Lokomotivführer gepreßt hielten und ihm befahlen, die Lokomotive
abzukoppeln und mit den Banditen, die sich alle auf den Tender gepackt
hatten, loszufahren, bis sie anordnen würden, zu halten.

Die Lokomotive fuhr ab und ließ den brennenden Zug und die Menschen
zurück, die von den wilden Flammen grauenhaft beleuchtet wurden und in
dieser grauenhaften Beleuchtung, wahnsinnig vor Schrecken, Schmerzen und
Trauer, durcheinanderjagten, gestikulierten, schrien, heulten und
beteten und Zurückgebliebene aus dem Flammenmeer zu retten versuchten.
Alles und alles hatte keine sieben Minuten gedauert, und die Station,
der die Lokomotive entgegenraste, war noch immer weit. Und plötzlich
befahl einer der Männer dem Lokomotivführer, anzuhalten. Die Lokomotive
hielt an, und die Männer sprangen ab. Der letzte schoß den
Lokomotivführer nieder und stieß ihn mit den Füßen den Damm hinunter.
Dann folgte er seinen Genossen.

Nach einiger Zeit wachte der Lokomotivführer aus seiner Bewußtlosigkeit
auf. Mit dem Rest seiner Lebenskraft kroch er den Damm hinauf und zog
sich auf seine Lokomotive. Trotz seiner Schmerzen, trotzdem er jeden
Augenblick fürchtete, zusammenbrechen zu müssen, brachte er es zuwege,
die Lokomotive laufen zu lassen. Sie erreichte mit ihm die Station. Der
Stationsmeister, verwundert über die einsame Lokomotive und verwundert
über das Ausbleiben des Zuges, der von der vorigen Station lange
angemeldet war, kam sofort zur Lokomotive und fand den blutenden
Lokomotivführer. Mit Hilfe der Fahrgäste, die hier auf den Nachtzug
warteten, trug er den Mann in die Stationshütte, und hier konnte der
sterbende Beamte gerade noch das Notwendigste von dem grauenhaften
Überfall erzählen, ehe es mit ihm zu Ende ging.

Der Stationsmeister telegraphierte eiligst nach beiden Seiten. Er bekam
die Stationen, und man sagte sofort einen Hilfszug zu. Hier auf der
Station stand ein Güterzug, der den Passagierzug durchzulassen hatte. Es
wurden zwei leere Güterwagen aus dem Zuge rangiert, an die
Güterzuglokomotive angehängt, und der erste Hilfszug war fertig.

Aber wer sollte ihn fahren und wer begleiten? Die Banditen waren sicher
noch auf der Strecke, um alles, was sie aus dem Zuge geworfen hatten,
einzusammeln. Sie würden den Hilfszug sofort angreifen, schon um die
ganze Beute zu sichern. Wahrscheinlich hatten sie auch Schienen
aufgerissen oder die Gleise blockiert.

Der Stationsmeister sagte: ‚Es ist besser, wir warten den großen
Hilfszug ab, der sicher Militär mitbringen wird.‘

Aber der Lokomotivführer des Güterzuges fiel ihm gleich ins Wort: ‚Ich
fahre. Da liegen Frauen und Kinder im Blute, und da liegen meine
Kameraden, von denen wir einigen vielleicht noch helfen können. Ich
fahre den Zug. Heizer, was machst du?‘

Nun sind die Eisenbahner in Mexiko ohne Ausnahme alle organisiert in
einer ganz vortrefflichen Gewerkschaft. Sehr radikal und immer
streiklustig. Aber sie halten zusammen, zäh wie Pech. Und in ihrer
Organisation und durch den Geist, der dort herrscht, und der sie zu
aufrechten Männern macht, die immer bildungshungrig sind, die sich ihres
Wertes für die Entwicklung ihres Landes bewußt sind, werden sie diese
höflichen, hilfsbereiten, immer lachenden und scherzenden
Eisenbahnleute, die so unähnlich den brummenden und schnauzenden
Unteroffizieren sind, die als Eisenbahnbeamte in Mitteleuropa den
Menschen das Reisen so oft verbittern. Sie sind keine Untergebenen
stolzer und hochmütiger Vorgesetzter, sondern sie sind alle Kameraden,
alle Genossen ihrer stolzen Organisation. Der Heizer ist nicht selten
Präsident und Wortführer in jener Ortsgruppe, wo der Linienchef
bescheiden mit den Rangierern, Weichenstellern und Schmierern auf
derselben Bank sitzt, um ruhig und aufmerksam zuzuhören, was der
Präsident Heizer für Vorschläge im Interesse der Lebenslage der
Eisenbahnangestellten zu machen hat. Und wenn gestreikt wird, dann
organisiert der Linienchef, der zehnmal mehr Gehalt bekommt als die
Schmierer und Rangierer, keine Technische Nothilfe, sondern er arbeitet
die Plakate und Anschläge aus, die die Öffentlichkeit über die Ursachen
und Notwendigkeiten des Eisenbahnerstreiks unterrichten sollen, weil er
ja schriftgewandter ist als der Heizer, der Vorsitzender und Sprecher
ist. Und weil das so ist, weil der Linienchef und der Rangierer ja aus
derselben Schüssel essen, sozusagen, weil infolge der Organisation dem
Linienchef der dreckige Schmierer nähersteht als der Staat und als die
Interessen des Handels und der Industrie und des Volkswohls, die für ihn
alle erst nach den notwendigen Lebensbedürfnissen seines Genossen
Weichenstellers kommen, so braucht der Lokomotivführer eigentlich nicht
erst lange zu fragen: ‚Heizer, was machst du?‘ Er weiß die Antwort schon
lange vorher. Und er weiß, was alle übrigen Eisenbahner, die hier
herumstehen und auf die Abfertigung des Güterzuges warten, antworten
werden.

Da sind erst einmal die eignen Kameraden von der Gewerkschaft. Und wenn
die auch alle gesund wären, da würden sie dennoch gehen. Denn da sind ja
auch die Fahrgäste, die in Not sind. Denn wenn auch die
Gewerkschaftsgenossen an erster Stelle kommen, an zweiter kommen dann
aber gleich die Fahrgäste, für deren Wohl der Eisenbahner sich mehr
verantwortlich fühlt als für das seiner eignen Familie. Denn das lehrt
ihn seine Gewerkschaft. Und seine Gewerkschaft hat immer recht, was auch
alle andern, der Erzbischof eingeschlossen, sagen mögen.

So sagt der Heizer: ‚Ich fahre die Personenzuglokomotive voraus als
Sicherheit. Du folgst auf fünfhundert Meter und hast dann genügend Zeit,
deinen Zug zu halten, wenn ich mit der Vorlokomotive abrutsche, weil die
Gleise raus sind.‘

Die Lokomotive wird in Gang gebracht, ein Schmierer springt als Heizer
mit rauf, und dann fährt die Lokomotive rückwärts hinaus.

Der kleine Hilfszug ist inzwischen fahrtbereit, und alle
Güterzugbeamten, obgleich sie alle Frauen und Kinder haben, springen
rauf. Es springen auch noch einige der herumstehenden Leute nach, und
der Zug schießt los in die Nacht hinaus.

Die Sicherheitslokomotive fand die Schienen in Ordnung. Es war nichts
blockiert. Aber als sie näher zur Unfallstelle kam, wurde Schnellfeuer
auf sie eröffnet.

Die Banditen hatten in der Nähe jener Stelle, wo sie den Lokomotivführer
zum Halten zwangen, ihre Pferde verborgen gehabt. Sie waren noch mit dem
Auflesen der Beute beschäftigt. Und die, die hier bei den Pferden
standen, schossen sofort auf die Lokomotive, um sie am Weiterfahren zu
hindern, damit sie die übrigen Banditen nicht am Einsammeln stören
sollte.

Der Heizer erhielt einen Schuß ins Bein, sein Hilfsmann einen
Streifschuß am Ohr. Aber sie rasten voran, nachdem sie dem folgenden
Zuge mit der Laterne das Signal gegeben hatten, daß die Strecke selbst
in Ordnung sei. Der Hilfszug wurde auch mit Schüssen begrüßt. Aber
einige der Beamten hatten Revolver und antworteten. Die Banditen konnten
in der Dunkelheit nicht erkennen, ob in den unbeleuchteten Wagen
vielleicht gar schon ein Trupp Soldaten sei. Sie schienen es anzunehmen.
Denn sie eilten zu den Pferden und ließen alles liegen, was sie bis
jetzt noch nicht hatten auspacken können. Sie saßen auf und ritten
davon, hinein in den dichten Dschungel, die Richtung auf das Gebirge
haltend.

Die Beamten des Hilfszuges luden mit Hilfe der gesunden Fahrgäste alle
Toten und Verwundeten in den Zug und fuhren mit ihrer traurigen Fracht
zur Station zurück.

Dort war bereits das Telegramm eingelaufen, daß ein Lazarettzug
unterwegs sei, der aber vor morgen früh nicht an der Stelle sein könne.
Dann waren noch weitere Telegramme in der Station von der Regierung und
von den nächsten Garnisonen. Die Regierung telegraphierte, daß alle
Abteilungen der berittenen Landpolizei der Nachbardistrikte auf dem
Marsche seien, und daß vier Regimenter Kavallerie der Federal-Armee
mobilisiert seien und noch vor Anbruch des Morgens mit Spezialzügen zur
Überfallstelle gesandt würden, um die Verfolgung der Banditen
aufzunehmen.

Eine Nähnadel in einem Haufen Heu zu finden, ist keineswegs leicht. Aber
wenn sie durchaus gefunden werden muß, so kann sie gefunden werden, auch
wenn der Heuhaufen noch so groß ist. Nach den Gesetzen der Mathematik
kann man berechnen, daß man sie finden muß, und wann man sie finden
wird. Aber einen Banditen zu finden, der einen erheblichen Vorsprung hat
über Dschungelwege, die er am besten kennt und der Verfolger überhaupt
nicht kennt, und der nach Überkreuzen des Dschungels Gebirge erreicht,
das Hochgebirge in Mexiko, das ist mit dem Finden einer Nähnadel in dem
größten Heuhaufen überhaupt nicht zu vergleichen.

Aber die Soldaten sind meist ja selbst Indianer. Das ist schon etwas
wert. Sie wissen auch, wo zu einer bestimmten Zeit die Banditen gewesen
sind, nämlich hier an dieser Bahnstrecke zwischen zwei genau bekannten
Stationen. Und es dauerte nicht allzulange, da hatten die Offiziere
heraus, daß die Banditen sich in kleine Gruppen aufgeteilt hatten und
nach verschiedenen Richtungen auseinandergegangen waren. Die Nähnadel in
dem Heuhaufen war nun auch noch in kleine Stücke gebrochen.

Oberflächliche Beschreibungen der Banditen waren herumtelegraphiert
worden. Aber da kann einer der Beschriebenen ruhig durch ein
Indianerdorf reiten, die Soldaten können ihn sogar treffen, sie können
ihn in Verdacht haben. Aber wenn er nichts in seinen Taschen oder auf
seinem Leibe hat, das an den Zugüberfall erinnert, was nützt dann die
Beschreibung? Er hat immer ein Alibi. Er hat in jener Nacht zwanzig
Kilometer entfernt von der Überfallstelle unter einem Baum an der Straße
nach Chalchihuites geschlafen. Das Gegenteil kann ihm niemand beweisen.

Aber da reitet ein Trupp Federal-Kavallerie durch Guazamota. Vor einer
Hütte hocken zwei Mestizen, in ihre Decke eingewickelt und rauchend. Die
Soldaten reiten ruhig vorüber. Der eine Mestize will aufstehen und
hinter die Hütte gehen. Aber er bekommt einen Wink von dem andern, kehrt
wieder zurück und hockt sich ruhig wieder hin.

Der Trupp ist schon vorüber. Da dreht sich der führende Offizier um und
läßt den Trupp halten. Er ist durstig und reitet zu einer Hütte. Nachdem
er getrunken hat, reitet er auf die andre Seite hinüber und steigt ab.
Hier hocken die beiden rauchenden Männer.

‚Wohnt ihr hier in diesem Dorf?‘ fragt der Offizier.

‚Nein, wir wohnen nicht hier, Senjor.‘

‚Wo seid ihr denn her?‘

‚Wir haben unser Haus in Comitala.‘

‚Gut‘, sagt der Offizier und stellt seinen Fuß in den Steigbügel. Er
will aufsitzen und mit seiner Abteilung wieder abreiten.

Er ist etwas müde, das Pferd tänzelt herum, er kann den Steigbügel nicht
kriegen. Einer der beiden Mestizen steht auf, weil das Pferd ihm beinahe
auf den Füßen herumtrampelt. Er kommt näher und faßt den Steigbügel, um
dem Offizier behilflich zu sein. Die Decke fällt von seinen Schultern.

Der Offizier stellt den Fuß wieder auf den Erdboden.

‚Was haben Sie denn da in Ihrer Hosentasche?‘ fragt er nun den
aufgestandenen Mestizen.

Der Mann sieht an sich herunter und auf seine Hosentasche, die ziemlich
bucklig hervorsteht. Er dreht sich halb um, als ob er weiter zur Hütte
treten wolle, als ob er ein Loch suche. Dann sieht er auf die Soldaten
und auf den Offizier, zieht an seiner Zigarette, nimmt sie aus dem
Munde, bläst den Rauch in einem kurzen Stoß aus und lächelt.

Mit einer raschen Bewegung hat ihn der Offizier am offenen Hemdkragen
gefaßt und mit der linken Hand gleichzeitig in die Tasche gegriffen.

Der andre Mestize ist nun ebenfalls aufgestanden, zuckt die Schultern,
als ob ihm die Störung seiner Ruhe lästig wäre, und als ob er sich einen
andern Platz suchen wolle, wo er in Ruhe hocken und rauchen kann.

Ein Sergeant und zwei Soldaten sind abgesprungen und stehen so, daß die
beiden Mestizen nicht entweichen können.

Der Offizier läßt den Hemdkragen des Mannes los und besieht sich das,
was er ihm aus der Tasche geholt hat. Es ist ein gutes, rundes, ziemlich
kostspieliges Lederportemonnaie. Der Offizier lacht, und der Mestize
lacht. Der Offizier öffnet das Portemonnaie und schüttet den Inhalt in
die Hand. Es ist nicht viel, etwas Gold, große Silberstücke, alles in
allem etwa fünfundzwanzig Pesos.

‚Ist das Ihr Geld?‘ fragt er.

‚Freilich ist das mein Geld.‘

‚Das ist viel Geld. Da könnten Sie sich doch ein neues Hemd kaufen.‘

‚Das werde ich auch morgen tun, ich will zur Stadt gehen.‘

Aber in dem Portemonnaie ist auch eine Fahrkarte erster Klasse nach
Torreon. Dieser Mestize fährt nie erster Klasse. Außerdem hat sie das
Datum des Überfalltages.

Der andre Mann wird durchsucht. Er hat auch Geld, hat es aber lose in
der Tasche. Er hat aber auch einen Brillantring in der Uhrtasche seiner
Hose. Auf einen Wink des Sergeanten sind alle Soldaten jetzt abgesessen.

‚Wo habt ihr denn eure Pferde?‘

‚Die stehen da hinten‘, sagt der erste Mestize, schüttet sich Tabak auf
das Blatt, zieht mit den Zähnen das Säckchen zu und rollt sich eine neue
Zigarette. Er ist nicht nervös und verschüttet nicht ein Krümchen Tabak.
Ruhig und lächelnd zündet er sich die Zigarette an und raucht, während
ein andrer Unteroffizier alle seine Taschen durchsucht.

Die Pferde der beiden werden herangebracht und durchsucht. Armselige
Sättel, minderwertiges Zaumzeug und ein zerschlissener Lasso.

‚Wo sind die Revolver?‘ fragt der Offizier.

‚Wo die Pferde gestanden haben.‘

Der Sergeant geht hin und kratzt mit den Stiefeln in einer Ecke des
Erdbodens herum, wo er einen Revolver und eine alte Pistole
hervorbringt.

‚Wie heißt ihr denn?‘

Die beiden Leute sagen ihre Namen. Der Offizier schreibt die Namen ein
und was er gefunden hat.

Leute aus dem Dorfe haben sich angesammelt. Der Offizier fragt einen
Burschen: ‚Wo ist denn der Kirchhof hier, der Cementerio?‘

Der Offizier, die Soldaten und die beiden Mestizen in ihrer Mitte folgen
dem Burschen, der den Weg zum Cementerio zeigt. Hinter ihnen her kommen
die Leute des Dorfes, Männer und Kinder und die Frauen mit ihren Kleinen
auf dem Arm.

Auf dem Cementerio gehen die Soldaten in eine Ecke, ein Spaten wird
gebracht, und die beiden Mestizen graben ihre Löcher. Der Offizier
raucht, die Soldaten rauchen und schwatzen mit den Leuten des Dorfes.
Als die Löcher tief genug sind, setzen sich die beiden Mestizen und
ruhen sich aus. Sie drehen sich wieder Zigaretten, und nach einer Weile
sagt der Offizier: ‚Wenn ihr wollt, könnt ihr jetzt beten.‘

Der Offizier kommandiert sechs Mann, die sich aufstellen.

Die beiden Mestizen bleiben durchaus ruhig, sie sind nicht nervös, nicht
ängstlich. Sie bekreuzigen sich, murmeln etwas, bekreuzigen sich wieder
und stecken sich eine neue Zigarette an. Dann stellen sie sich
nebeneinander auf, ohne einen Befehl abzuwarten.

Der Offizier ruft: ‚Fertig!‘

Die beiden Banditen rauchen noch ein paar Züge, dann werfen sie die
Zigaretten fort.

Nachdem die Löcher zugeschaufelt sind, nehmen der Offizier und die
Soldaten die Mützen ab, stehen eine Weile schweigend, setzen die Mützen
wieder auf, verlassen den Friedhof, sitzen auf und reiten los.

Warum soll sich der Staat unnötig größere Ausgaben machen, wenn der
Endzweck doch derselbe ist!

Ein andrer Trupp Kavallerie bemerkte in dem bergigen Gelände acht Männer
einige Kilometer voraus auf Pferden reitend. Die Männer schienen die
Soldaten gesehen zu haben, denn plötzlich fielen sie in Trab und
verschwanden. Der Offizier folgte mit seinem Trupp, konnte aber nicht
finden, wohin sich die Reiter gewandt haben mochten. Die Hufspuren auf
dem sandigen Wege waren so zahlreich und gingen so weit auseinander, daß
der Offizier keine Spur aufnehmen konnte. Er beschloß, den Spuren zu
folgen, die am frischesten schienen.

Nach einigen Stunden kamen die Soldaten zu einer einsamen Hazienda. Die
Soldaten ritten in den weiten Hof und saßen ab, um ein wenig zu rasten.
Der Besitzer kam heraus, und der Offizier fragte ihn, ob er nicht eine
Anzahl Reiter gesehen habe. Der Besitzer erklärte, niemand sei
vorübergeritten, er müßte es sonst wissen. Darauf erklärte der Offizier,
er müsse die Hazienda durchsuchen, worauf ihm der Besitzer antwortete,
er möge tun, was ihm beliebe.

Der Besitzer ging in das Haus zurück, und als die Soldaten sich nun dem
Hause näherten, wurde auf sie von mehreren Seiten aus geschossen. Ein
Soldat war tot und vier verwundet, als sie das Hoftor beim Zurückgehen
erreicht hatten.

Eine Hazienda ist wie ein großer Gutshof. Sie ist mit einer dicken hohen
Mauer umgeben und steht wie eine kleine Festung im Gelände.

Die Soldaten hatten ihre Gefallenen mit hinausgeschleppt. Sobald sie
draußen waren, wurde das Tor von innen geschlossen und über die Mauer
auf die Soldaten weitergefeuert.

Und nun beginnt ein wackres Gefecht, das, wie beide Parteien genau
wissen, nur mit der völligen Vernichtung des andern endet oder mit
Mangel an Munition. Die Belagerten haben nichts zu verlieren, erschossen
werden sie auf jeden Fall. Die Verteidigung ist die einzige Gelegenheit,
die sie haben, um ihre Lage zu ändern.

Der Offizier läßt erst einmal alle Pferde so weit zurückbringen, daß sie
nicht geschossen werden können. Die Banditen verschwenden keine Kugel
auf die Pferde während des Rücktransports, so reichlich haben sie die
Munition nicht.

Die Soldaten sind übel dran. Die Hazienda liegt in einem offnen Gelände
von Äckern und Viehweiden. Aushungern können sie die Banditen nicht, auf
Artillerie zu warten, würde der Offizier und würden auch seine Leute als
eine Schande betrachten. Es muß also angegriffen werden.

Die Hazienda ist rechteckig, und von allen vier Seiten greift eine
Abteilung an. Es geht sehr kriegsmäßig dabei zu. Die Soldaten machen
kurze Sprünge, legen sich wieder auf den Boden, eröffnen das Feuer, um
die andere Front einen Sprung näher machen zu lassen. Die Mauer können
sie nicht nehmen; sie richten den Angriff auf die beiden Tore, das in
Front und das an der Rückseite. Nach dreistündigem Kampfe lockt der
Offizier die Belagerten zum Vordertor, während er das Rücktor, das nur
von drei Mann verteidigt wird, erklettern und aufbrechen kann.

So leicht geben die Banditen den Kampf aber nicht auf. Es entwickelt
sich im Hofe und dann vom Wohnhause aus eine kleine Schlacht. Am späten
Nachmittag sind die Soldaten unbestrittene Besitzer der Hazienda. Sie
haben vier Tote, zwei Schwerverwundete und neun mit leichten Schüssen.
Im Hause und im Hofe finden sie nicht nur die acht, die sie vor sich
reiten sahen, sondern noch einige andre Zugräuber.

Sieben sind tot, fünf verwundet, die gleich erschossen werden. Unter den
Toten ist der Besitzer der Hazienda, von dem man nicht weiß, ob er
selbst ein Bandit ist, oder ob er von den Banditen unter Androhung des
Todes gezwungen wurde, ihre Anwesenheit abzuleugnen. Das Hofpersonal hat
sich verkrochen und kommt jetzt hervor. Es hat nichts mit der Sache zu
tun. Das ist sicher. Die Familie des Haziendabesitzers ist auf Besuch in
der Hauptstadt. In den Kleidern der Männer finden die Soldaten Unmengen
von Sachen, die aus dem Zugüberfall herstammen. So werden die Banditen
nach und nach abgefangen. Einzeln und in Horden. Aber sie alle innerhalb
einer kurzen Zeit zu fangen, hat seine Schwierigkeiten. Und je mehr Zeit
vorübergeht, ehe man sie alle hat, um so seltener werden die letzten
erwischt. Diese nicht Gefangenen schließen den Rest ihrer Tage sicher
nicht in beschaulicher Ruhe ab.

Und ihr,“ beendete Lacaud seinen Bericht, „ihr glaubt ganz ernsthaft,
daß ich etwas mit diesen Banditen zu tun haben könnte, die ein so
grauenhaftes Verbrechen wie jenen Zugüberfall begangen haben?“

„Dann haben wir hier nichts zu lachen, wenn die heraufkommen“, sagte
Howard. „Also diese Vertrauensfrage wäre auch geklärt.“

„Dann sind die Kerle da unten wahrscheinlich jene letzten, von denen du
sprichst“, sagte Dobbs.

„Das glaube ich wohl. In dem Bericht war erwähnt, daß einer einen
goldbronzierten Strohhut aufgehabt hätte, und daß man den für einen
Hauptmacher hält, der sich am rohesten betragen hat.“

„Dann haben wir hier nichts zu lachen, wenn die heraufkommen“, sagte nun
Curtin. „Aber ich sehe sie gar nicht mehr.“

„Die kannst du nicht sehen, die sind jetzt an der Schleife“, sagte
Dobbs. „Wenn sie an der Schleife vorüber sind, dann kommt die Stelle, wo
wir sehen können, ob sie heraufkommen, oder ob sie unten das Felsental
entlang gehen.“




                                   13


Sie saßen da auf dem Fels und starrten hinunter, um die Reiter aus der
Schleife hervorkommen zu sehen.

„Wieviel hast du denn gezählt?“ fragte Howard.

„Zehn oder zwölf“, sagte Curtin.

„So viel können doch von den Banditen gar nicht mehr übrig sein nach
deiner Erzählung“, sagte Howard nun zu Lacaud.

„Sicher nicht. Die haben den größten Teil abgefangen. Aber die vier oder
fünf, die noch übrig sind, können sich ja mit andern getroffen und zu
einer neuen Bande vereinigt haben, die etwas Neues planen.“

„Ich glaube, Bob hat recht. Und wenn das so ist, und die kommen herauf,
dann geht es uns schlecht. Die brauchen Revolver und Munition.“

„Du kennst doch das Dorf und die Leute da unten“, wandte sich Howard an
Curtin. „Vielleicht haben die Burschen da unten im Dorf nach Revolvern
gesucht, und die Indianer haben in ihrer Angst gesagt, daß du hier oben
seist und ein Gewehr hättest, weil du da auf der Jagd bist.“

„Verteufelt noch mal, du hast recht, Alter. So wird es sein. Dann kommen
sie auf jeden Fall hier herauf, um sich das Gewehr zu holen.“

„Dann tun wir besser, keine Zeit weiter zu verlieren und gleich an
Vorbereitungen zu denken“, sagte Dobbs. „Curtin, du magst hier sitzen
bleiben, weil du scharf sehen kannst, und beobachten, ob sie kommen. Wir
werden alles dicht machen.“

Sie fingen nun gleich die Esel ein, brachten sie in ein Dickicht an der
andern Seite des Felsens und banden sie fest. Dann brachten sie ihre
Waffen, zwei Eimer mit Wasser und die Pakete mit Biskuit in eine tiefe
Erdrinne, die sich dicht an der Felswand befand. Diese Rinne war gut zur
Verteidigung geeignet, denn sie konnten weder von hinten angegriffen
noch umgangen werden und hatten den freien ausgerodeten Platz vor sich,
wo sie jede Bewegung der Angreifer verfolgen und jeden Mann gut aufs
Korn nehmen konnten.

„Wir hätten aber genügend Zeit,“ sagte Curtin während dieser
Vorbereitungen, „auf den Fels zu klettern, dort in eine Spalte zu
kriechen und abzuwarten, bis sie wieder fort sind.“

„Ach, du Rind,“ sagte Dobbs, „dann kommen sie doch an die Mine, und wir
können nicht mehr heran, um unsern Teil, den wir dort versteckt haben,
auszuheben.“

„Ich habe hier keine Mine gesehen“, sagte Lacaud.

„Freilich nicht“, erwiderte Dobbs. „Wir müssen dir ja nun doch wohl die
offnen Handflächen zeigen. Natürlich haben wir hier eine Mine. Solange
wir den Platz halten, kommen sie nicht dran. Aber wenn wir uns
verkriechen, dann suchen sie nach Curtin und nach seinem Gewehr, und
dann kommen sie natürlich auf die Mine, heute oder morgen. Das alles
rauszubuddeln haben wir nicht Zeit genug, und wir können auch hier nicht
mehr weg, wenn jemand an der Mine ist, können also unsre Sache nicht
heimbringen. Wir müssen immer über den Platz hier und können ihnen auf
dem Wege nicht ausweichen. Wir müssen schon auf den Knochen beißen. Auch
wenn die gar nichts wissen, daß wir hier feine Sache haben, Gewicht,
verstehst du, die ziehen uns aus, völlig, lassen uns nicht mal die
Stiefel. Können wir dann hier verrecken.“

„Das ist so“, bestätigte Howard. „Wenn wir einen andern Ausweg hätten,
ich würde es auch nicht auf Ernst ankommen lassen. Wir müssen, das ist
alles.“

„Sie sind eingebogen. Sie kommen rauf“, schrie Curtin und sprang von der
Felskante herunter. „Nun aber rasch und alles klar gemacht.“

„Was denkst du denn, wie lange es noch dauert, bis sie hier sein
können?“ fragte Howard: „Du kennst doch den Weg am besten.“

„Das dauert jetzt genau fünfzig Minuten. Dann sind sie hier. Wenn sie
ohne Pferde kommen und die Abschneider wüßten, dann könnten sie zehn
Minuten früher hier sein.“

„Du bist sicher, ganz sicher, daß sie heraufkommen?“ fragte Dobbs.

„Nachdem sie hier eingebogen sind, können sie gar nicht anders gehen.
Sie müssen rauf. Da geht kein Weg nach einer andern Seite ab.“

„Aber sie könnten doch vielleicht auch wieder umkehren?“

„Natürlich können sie das. Aber darauf warten wir besser nicht.“

„Wir werden das Zelt niederlegen“, riet Dobbs. „Dann sehen sie nicht
gleich, daß hier mehr als eine Person sein kann. Sieht auch so aus, als
ob wir wer weiß wie reich seien.“

Das Zelt wurde eingeholt und in die Rinne gebracht. Dann stachen sie
Schußlöcher aus, damit sie mit dem Kopfe nicht hoch brauchten und doch
alles übersehen konnten. Sie berieten noch einen Kriegsplan, und endlich
schlug allen das Herz, denn sie hörten die Stimmen der Männer, die an
der letzten Wegkrümmung waren.

Einige Minuten später traten die Männer aus dem Busch heraus und kamen
an den Rand des offenen Platzes. Die Pferde hatten sie offenbar an der
letzten Wegbiegung zurückgelassen, denn gerade das letzte Stück des
Weges war für Pferde sehr schwer zu nehmen. Aber sie hatten vielleicht
noch einen andern Grund, warum sie die Pferde hinter sich ließen. Sie
waren sieben Mann, die übrigen drei waren sicher bei den Pferden oder
standen an günstigen Stellen auf Beobachtung. Alle waren sie bewaffnet.
Jeder hatte einen Revolver, einige hatten außerdem auch noch Gewehre.
Alle hatten sie ihre großen Hüte auf und bunte Tücher um den Nacken
gebunden, aber sonst waren sie sehr abgerissen. Zwei besaßen nur
Sandalen, zwei waren barfuß, einer hatte an dem einen Bein eine
Ledergamasche, das andre Bein war ohne Gamasche; und während das Bein
mit der Gamasche einen gelben Schnürstiefel am Fuße hatte, trug der Mann
am andern Fuße einen schwarzen Gummistiefel. Keiner hatte ein völlig
ganzes Hemd an; dafür aber besaßen einige Lederjacken, und drei hatten
lange, bis zum Knöchel reichende, enganliegende braune Lederhosen. Alle
aber trugen einen oder gar mehrere Patronengürtel. Einige trugen Decken
über die Schultern geworfen. Wahrscheinlich waren die Decken der andern
sowie die Taschen mit den Lebensmitteln bei den Pferden.

Als sie den Platz, der an der hinteren Seite von dem steilen Fels und an
den übrigen Seiten von dichtem, undurchdringlich erscheinendem Buschwerk
und dornigem Gesträuch, untermischt mit Bäumen, eingezäunt war, betreten
hatten, sahen sie sich neugierig um. Sie erweckten den Eindruck, als
hätten sie etwas andres erwartet, als was sie nun sahen. Daß hier ein
Lagerplatz war, der noch vor kurzer Zeit als Camp gedient hatte, mußten
sie ja erkennen. Da lag noch das Holz herum, die Feuerstellen sahen noch
frisch und unverweht aus, leere Konservenbüchsen, Scherben zerbrochenen
Tongeschirrs, Papier- und Zeitungsfetzen lagen verstreut, und dann war
noch da die lichte Stelle, wo das Zelt gestanden hatte, ganz scharf
abgegrenzt. Der Platz war ein unregelmäßiges Viereck von etwa sechzig
Schritt Seitenlänge, der dadurch immer größer geworden war, weil von den
Seiten täglich das Holz fortgenommen wurde, das für das Feuer gebraucht
wurde. Auch an den frisch abgeschlagenen Bäumen ließ sich erkennen, daß
der Platz noch ganz kürzlich bewohnt gewesen sein mußte.

Die Männer standen in einer Gruppe und begannen zu rauchen. Einige
hockten sich nieder, und die übrigen redeten. Der Mann mit dem
goldbronzierten Strohhut schien der Führer zu sein, denn alle sahen sie
auf ihn, wenn er etwas sagte.

Sie kamen einige Schritte näher in den Platz. Dort standen sie wieder
und besprachen sich. Es war deutlich zu sehen, daß sie nicht wußten, was
sie tun oder was sie unternehmen sollten. Einzelne schienen zu der
Überzeugung zu kommen, daß der Gringo, der Amerikaner, ausgezogen war,
und daß man zu spät komme. Das schien endlich auch der Führer, den sie
Ramirez nannten, anzunehmen.

Das Gespräch wurde lauter, weil die Leute anfingen, sich weiter zu
zerstreuen und sich in größerer Entfernung voneinander zu unterhalten.
So konnten die Männer in der Erdrinne beinahe alles verstehen, was dort
geplant war, und sich danach richten. Vielleicht zogen die Banditen nach
einer längeren Rast wieder ab, und sie bekamen hier endgültig Ruhe.

Obgleich einzelne der Banditen bei ihrem Herumstreifen bis an die
seitlichen Grenzen des Platzes kamen, so war doch kaum zu befürchten,
daß sie so leicht den Weg zur Mine finden würden; denn Dobbs und Curtin
hatten ihn in der letzten Stunde noch besonders gut verkleidet, und
solange das eingesteckte Dornengestrüpp nicht dürr und welk wurde, war
der Weg zur Mine durchaus sicher.

Endlich, nach langem Hin- und Herreden, schienen die Banditen zu einem
Entschluß gekommen zu sein. Sie sprachen so laut und sie gestikulierten
dabei so heftig, daß die Belagerten nun schnell lernten, was die
Banditen zu tun gedachten. Sie hatten beschlossen, hier für einige Zeit
ihr Hauptquartier aufzuschlagen, bis die Sache mit dem Zugraub etwas
verblaßt war und die Soldaten in weiter abliegenden Distrikten auf der
Verfolgung waren. Der Platz schien ihnen außerordentlich günstig zu
sein. Etwas tiefer unten fanden sie Wasser, Gras für die Pferde würde
auch wohl in der Nähe sein, und die Lebensmittel konnte man irgendwo von
den Feldern unten im Tale stehlen, wenn man Wild nicht mehr essen könne.
Weiter unten auf dem Wege hatten sie eine offene Stelle gefunden, von wo
aus man die Wege im Tal beobachten könne, und wenn man die Soldaten
wirklich kommen sähe, so könne man rechtzeitig noch entwischen, wenn man
in der Zwischenzeit einen andern Rückweg ausfindig mache; denn herunter
von diesem Platz müßten sie, wenn Soldaten auf den Weg kämen, weil man
hier in einer Falle sitze.

In der kurzen Zeit hatten sie wirklich gut die Gegend beobachtet. Sie
brauchten nur einen andern Rückweg zu finden, und das würde ihnen schon
glücken, wenn nicht gerade von hier oben, dann weiter unten auf dem
Wege, vielleicht in der Nähe der Quelle.

„Gerade hatte ich gedacht,“ sagte Howard leise zu Curtin, „daß wir doch
rechte Esel gewesen seien, daß wir nicht zur Mine gekrochen sind. Aber
jetzt sehe ich, daß dies das Dümmste gewesen wäre, was wir hätten tun
können. Denn wenn die sich hier einnisten, würden sie uns an der Mine
doch sehr bald aufspüren. Es ist schon das beste, was wir getan haben.“

„Was wir aber nun machen sollen, wenn die hier ihr Hauptquartier
aufschlagen, das weiß ich wirklich nicht“, flüsterte Dobbs. „Daran hat
keiner von uns gedacht. Ich wenigstens habe angenommen, daß sie kommen
und wieder gehen.“

„Warten wir einmal eine Weile,“ sagte nun Lacaud, „vielleicht ändern sie
ihren Plan wieder und gehen.“

„Ich schlage vor,“ riet Howard, „wir verteilen uns auf die Länge der
Rinne. Wenn sie hier herumstreifen sollten, brauchen sie uns nicht alle
auf einem Klumpen zu finden und uns abzuschießen wie die Kaninchen. Die
glauben ja, daß nur einer hier oben ist, und wenn wir sie dann von
mehreren Seiten packen, bringen wir sie vielleicht so in Verwirrung, daß
sie losziehen.“

Howard und Lacaud nahmen nun die beiden fernen Ecken der Rinne. Jeder
der beiden hatte eine gute Jagdbüchse. Curtin und Dobbs verteilten sich
so in der Mitte der Rinne, daß beide nicht gleichzeitig von einer Person
gesehen werden konnten, die etwa in der Nähe der Rinne herumstreifen
sollte.

Die Banditen hockten im Haufen auf dem Platze, nicht weit von dem
schmalen Eingang. Sie rauchten, redeten und lachten; zwei lagen lang
ausgestreckt und schliefen oder dösten. Einer war zu den Pferden
gegangen, um den Posten dort zu erzählen, daß man hierbleiben würde, und
daß sie dort weiter unten nach einem Futterplatz für die Pferde suchen
sollten. Ein andrer war zu dem Beobachtungsposten geschickt worden, um
mit ihm gemeinsam das Tal zu überblicken. Allen, die in der Rinne saßen,
kam jetzt der Gedanke, daß es die beste Gelegenheit für sie wäre, die
fünf Kerle, die noch auf dem Platze waren, gut aufs Korn zu setzen und
abzuknallen. Wenn dann die übrigen fünf zur Hilfe kämen, könnte man sie
aus der sicheren Deckung heraus erfolgreich empfangen, und man wäre dann
die ganze Sippschaft los. Und jeder ärgerte sich, daß man einen solchen
Plan nicht rechtzeitig beraten habe. Mord war es ja kaum zu nennen,
dachten sie, denn das waren ja keine Menschen, das waren Bestien.

Dobbs dachte sich immer mehr in diesen Plan hinein, und dann konnte er
ihn nicht mehr für sich behalten. Er kroch zu Howard, der ihm am
nächsten war.

„Dasselbe habe ich gerade auch gedacht“, erwiderte der Alte. „Aber dann
haben wir die toten Kerle alle hier herumliegen.“

„Die graben wir doch ein“, flüsterte Dobbs.

„Natürlich. Aber ich will hier keinen Kirchhof haben, wo wir vielleicht
noch ein paar Wochen hausen müssen. Kirchhof ist ja notwendig, aber man
muß ihn doch nicht gerade Tag und Nacht vor dem Fenster haben. Sonst
wäre ich ganz damit einverstanden; einer, der mit dem blatternarbigen
Gesicht, sieht so niederträchtig aus, daß man sich als ausgewachsener
Mann vor ihm fürchten muß, wenn man mit ihm zusammen in der Kirche
sitzt.“

„Dem wirst du in der Kirche nicht begegnen.“

„Aber gerade. Gerade dem und gerade dieser Mörderbande. Ich schwöre dir,
gerade diese sind es, die der heiligen Jungfrau von Guadalupe oder dem
San Antonio die meisten silbernen Beinchen und Ärmchen unter die Füße
hängen. Die rutschen auf den Knien von der Kirchtür bis zum Altar und
dreimal um die vier Wände herum. Geh mal hin und untersuche sie mal, die
haben alle ihr Bildchen oder ihre Münze um den Hals hängen. Hier die
Regierung in Mexiko, die weiß schon recht gut, warum sie mit der Kirche
so handfest umspringt. Die Leute sind ja zehnmal abergläubischer als die
schwärzesten Heiden in Zentralafrika. Die sind – aber Mensch, was will
denn der da? Der kommt ja geradeswegs hier herüber. Rasch auf deinen
Posten.“

Geschwind wie eine Katze kroch Dobbs davon.

Da kam in der Tat einer der Männer auf die Rinne zugeschlendert, gerade
auf die Stelle zu, wo Curtin saß. Er sah nicht vor sich hin oder in
Richtung der Rinne, er hielt vielmehr den Kopf hoch und betrachtete sich
die Felsenwand in ihrer ganzen Länge. Es schien, daß er dort nach einem
Rückwege suche. Vielleicht war ihm die Idee gekommen, daß der gesuchte
Gringo dort irgendwo stecken könne, oder daß er dort seinen Weg ins Tal
habe, weil man ihn ja nicht auf dem andern Wege getroffen habe.

Er sah aber, daß dort kein gangbarer Weg sei, es war alles wie
vermauert. Er pfiff vor sich hin und drehte sich, um wieder
zurückzugehen. Dabei sah er nach unten und bemerkte die Erdrinne. Sicher
dachte er, das sei der Weg, den sie gebrauchen könnten. Er kam näher,
beinahe bis zum Rand der Rinne, und da erblickte er Curtin.

Curtin hatte ihn den ganzen Weg lang beobachtet; er war deshalb nicht
überrascht, als er ihn dicht über sich sah.

„Caramba!“ rief der Bandit, drehte sich zurück und rief laut hinüber zu
seinen Genossen: „Kommt hierher. Hier sitzt das Vögelchen in seinem Nest
und brütet seine Eier aus.“ Er lachte laut auf.

Die übrigen Männer waren sofort aufgesprungen und kamen überrascht
näher. Als sie aber auf halbem Wege waren, schrie Curtin: „Halt, ihr
Banditen, ich schieße.“

Die Banditen blieben sofort stehen. Sie wagten nicht, nach ihren
Revolvern zu greifen. Sie wußten ja nicht recht, was los sei.

Der Mann, der Curtin entdeckt hatte, hielt sofort beide Hände hoch und
ging, immer die Hände hoch haltend, zurück zu der Mitte des Platzes, wo
die übrigen standen.

Eine Weile war alles ruhig, und dann begannen die Männer eilig und
aufgeregt miteinander zu reden.

Endlich trat der Führer etwas in den Vordergrund und sagte: „Wir sind
keine Banditen. Wir sind von der Polizei. Wir suchen die Banditen.“

Curtin steckte den Kopf ein wenig hoch. „Wo habt ihr denn die Schilder?
Wenn ihr von der Polizei seid, so müssen Sie doch wenigstens ein Schild
haben. Zeigen Sie es einmal offen her.“

„Ein Schild?“ erwiderte der Mann. „Ich habe kein Schild. Ich brauche
auch keins. Brauche auch gar keins zu zeigen. Kommen Sie da mal heraus.
Wir wollen mit Ihnen sprechen.“

„Sie können auch von dort aus mit mir sprechen. Ich verstehe ganz gut,
was sie sagen.“

„Wir werden Sie in Arrest nehmen. Sie jagen hier und haben keine Lizenz
zum Jagen. Wir werden Sie verhaften und Ihnen den Revolver abnehmen und
Ihr Gewehr.“

Curtin lachte hinüber. „Wo ist Ihr Schild? Dürfen Sie denn Waffen
tragen? Sie haben doch kein Schild, und Sie sind nicht von der
Federalpolizei, auch nicht von der Staatspolizei. Sie können mich gar
nicht in Haft nehmen.“

„Hören Sie, Senjor,“ sagte der Wortführer und kam einen Schritt näher,
„wir werden Sie nicht in Arrest nehmen. Geben Sie uns nur Ihren
Revolver. Das Jagdgewehr dürfen Sie behalten. Wir brauchen den Revolver
und auch die Munition.“

Er kam noch einen Schritt näher, und die übrigen Männer folgten ihm.
„Nicht einen Schritt näher,“ rief Curtin, „sonst wird gefeuert, damit
Sie es wissen.“

„Seien Sie doch ein wenig mehr höflich, Senjor. Wir wollen Ihnen doch
gar nichts tun, wir brauchen nur den Revolver.“

„Den benötige ich selbst.“

„Werfen Sie das Eisen hier herüber, dann belästigen wir Sie nicht mehr
und gehen unsrer Wege“, rief einer der übrigen Männer.

„Nichts kriegen Sie, und nun machen Sie, daß Sie fortkommen.“

Curtin war ein wenig höher gestiegen, um den Platz besser übersehen zu
können.

Die Männer berieten nun wieder, was zu tun sei. Sie sahen, daß der
Gringo in der Erdrinne augenblicklich im Vorteil war; er lag gut
gedeckt. Sobald sie zogen, ließ er sich fallen, und ehe sie den
Durchgang zum Busch erreichen konnten, hatte er sechsmal gefeuert, und
wenn er gut geschossen hatte, lagen sie alle flach. Sie gingen deshalb
wieder zurück und setzten sich auf den Erdboden. Es war inzwischen zehn
Uhr geworden, und sie dachten daran, sich ihre Tortillas und Tamales
oder was sie sonst mit sich führten, zu wärmen. Sie zündeten ein kleines
Feuer an und hockten sich herum, um ihre dünne Mahlzeit zu bereiten.

Sicher waren sie zu der Überzeugung gekommen, daß der Gringo ihnen ja
auf alle Fälle in die Hände schlüpfen müsse. Er konnte dort nicht weg,
und da sie hier auf dem Platze ihr Feldlager hielten, so handelte es
sich gewiß nur um zwei Tage, und der Belagerte mußte aufgeben. Er würde
ja auch einmal schlafen, und dann könne man ihn leicht überraschen.

Sie aßen, dann legten sie sich hin und hielten ihren Mittagsschlaf. Das
dauerte zwei Stunden, dann wurden die Leute wieder lebendig und redeten
aufeinander ein. Sie suchten sich zu beschäftigen. Und aus diesem
Betätigungsdrange heraus kamen sie auf den Gedanken, Curtin zu
überlisten, ihn gefangenzunehmen und sich dann mit ihm den Nachmittag
angenehm zu vertreiben. Das Opfer findet gewöhnlich einen solchen
Zeitvertreib weniger angenehm. Den Höhepunkt jenes lieblichen
Gesellschaftsspiels mit Pfändern überlebt es oftmals nicht. Die Leute
sehen ja alle in der Kirche so viele Bilder und Gemälde mit den
blutigsten Greueln, sehen die aufgestellten Figuren der Heiligen und
Märtyrer mit zerfetzten Körpern, Leiber, die mit Speeren und Pfeilen
vollgespickt sind, offene Mäuler, aus denen der abgeschnittene Stumpf
der Zunge herausgrinst, herausgerissene Menschenherzen, an denen das
Blut heruntertropft und aus denen rote Flammen schlagen, zernagelte und
blutüberströmte Hände und Füße, aufgebrochene Knie und zermalmte
Kniescheiben, Rücken, die mit Angelhaken gepeitscht werden, und Häupter,
auf die Dornenkränze mit einem dicken Holzhammer getrieben werden. Und
vor diesen Bildern und hölzernen Figuren, die so realistisch sind, daß
man von unsagbarem Grauen geschüttelt wird, wenn man sie sieht, und im
Schlafe aufgerissen wird, wenn sie einem im Traum erscheinen, liegen die
Gläubigen und Frommen stundenlang auf den Knien mit weit ausgestreckten
Armen und ausgebreiteten Händen und wimmern und stöhnen und beten und
murmeln und singen mit leiser Stimme hundert, zweihundert, fünfhundert
Ave Marias. Und diese Männer, wenn sie ihren Zeitvertreib mit ihren
Opfern suchen, brauchen keine Erfindungsgabe zu besitzen, sie brauchen
nur nachzuahmen, was sie von Kindheit an in der Kirche gesehen haben.
Und sie ahmen es nach, geschickt und treu nach den Mustern, denn ihre
ganze geistige Vorstellung, die sie haben, wurzelt in der Religion, aber
in einer Religion, die auf sie nur durch das Äußerliche, durch die
realistische Darstellung, durch die mysteriösen Zeremonien wirkt. Und
hier ist es, unter diesen Menschen, wo in der Karwoche die ganze
grausame Folterungsgeschichte in allen ihren minutiösen Einzelheiten an
lebensgroßen Figuren in erschütternder Naturwahrheit den gläubigen
Mengen vorgeführt wird. Das ist kein Passionsspiel; die Vorführungen
werden buchstäblich und unmittelbar von diesen Menschen aufgenommen, von
diesen bedauernswerten Menschen, die durch unheilvolle Mächte seit
Jahrhunderten und bis auf den heutigen Tag in Aberglauben und
Unwissenheit gehalten werden, im nackten egoistischen Interesse jener
Mächte. Und eine Regierung, die in wahrhaft modernem Geiste zum Segen
dieser gequälten, unglücklichen Menschen zu arbeiten trachtet und
den Kampf gegen jene Mächte zu führen gezwungen ist, muß
Kavallerieregimenter ausschicken, um diejenigen, die nichts weiter tun,
als das nachzuahmen, was sie sehen, einzufangen und als Verbrecher zu
behandeln. Kann ein derartiger Zugüberfall mit so unerhörten
Grausamkeiten ausgeführt werden von normalen Menschen? Die heidnischen
Indianer in der Sierra Madre, in Oaxaca, in Chiapas und in Yucatea sind
solcher Bestialitäten nicht fähig. Die Mestizen und Mexikaner aber, die
vor der Begehung des Verbrechens zur Mutter Gottes beten und vor San
Antonio eine Stunde lang knien und darum flehen, daß er ihnen helfen
möge, damit die Tat auch gelinge, die nach dem Verbrechen wieder auf den
Knien liegen und die Mutter Gottes anflehen und ihr zehn Stearinkerzen
versprechen, damit sie nicht von den Truppen erwischt werden mögen, die
kennen kein Verbrechen und keine Grausamkeit, die auszuüben sie sich
nicht für fähig hielten. Ihr Gewissen ist stets unbelastet, sie legen
die Bürde ihrer Schuld auf die Rücken der Figuren, die nach ihrer
Meinung für diesen Zweck geschaffen sind.

Und an eine angenehme Nachmittagsunterhaltung, die ganz unschuldig damit
beginnt, daß man dem Opfer glühende Holzstückchen in den Mund schiebt,
schienen die Männer jetzt zu denken. Und davon sprachen sie auch ganz
offen und so klar und nüchtern, daß Curtin verstehen konnte, was ihn
erwartete.

Einer der Männer zog seinen Revolver und schob ihn so unter seine offene
Lederjacke, daß man es nicht bemerken konnte, daß die Waffe schußbereit
war. Curtin konnte die Bewegung nicht sehen, weil sie ihm gegenüber
verdeckt war; aber Lacaud hatte sie beobachtet.

Die Männer standen einer nach dem andern auf, reckten sich und kamen
wieder zur Mitte des Platzes.

„Hören Sie, Senjor,“ rief der Mann mit dem goldbronzierten Strohhut,
„wir wollen miteinander verhandeln. Wir wollen jetzt gehen, weil wir
nichts mehr hier zu essen haben, und wir wollen auch noch nach dem Markt
morgen früh. Da müssen wir uns jetzt aufmachen. Geben Sie uns den
Revolver. Ich habe hier eine goldene Uhr mit guter Kette. Die gebe ich
Ihnen für den Revolver. Die Uhr ist hundertfünfzig Pesos wert. Das ist
ein gutes Geschäft für Sie.“

Er zog die Uhr aus der Hosentasche und schwenkte sie an der Kette in der
Luft herum.

Curtin war wieder hochgekommen. Er rief hinüber: „Behalten Sie Ihre Uhr,
ich behalte meinen Revolver. Ob Sie zu Markte gehen oder nicht, ist mir
gleich. Aber den Revolver kriegen Sie nicht, und damit ist jetzt
Schluß.“

Er stützte die Arme auf und wollte wieder hinunterspringen. Und jetzt
hatte der Mann, der den Revolver unter der Jacke bereitgehalten hatte,
die Waffe gerichtet. Er stand hinter einem andern gedeckt, und selbst
wenn Curtin den Mann sah, so konnte er doch nicht sehen, daß die Waffe
in Anschlag lag.

Ehe jedoch der Bandit abdrücken konnte, krachte ein Schuß, und der
Revolver fiel dem Manne aus der Hand, während er den Arm hoch in die
Luft warf und schrie: „Ich habe eins gekriegt.“

Als der Schuß gefallen war, wandten sich die Männer alle überrascht der
Rinne zu. Sie sahen ein schwaches Wölkchen hochsteigen. Aber das
Wölkchen kam aus der linken Ecke und nicht von da, wo Curtin gesessen
hatte. Sehen konnten sie aber weder den Schützen noch die Waffe.

Sie waren so erstaunt, daß sie kein Wort herausbrachten. Vorsichtig
rückwärtsgehend kamen sie an den Rand des Gehölzes. Dort setzten sie
sich auf den Erdboden und begannen wieder zu reden. Was sie redeten,
konnten die Belagerten in der Rinne nicht verstehen, aber sie sahen doch
so viel, daß die Banditen sich in höchster Verwirrung befanden. Das war
doch nicht etwa Polizei, die hier versteckt war?

Nun kamen auch noch drei andre, die im Busch auf Posten waren,
heraufgeeilt, weil sie den Schuß gehört hatten und glaubten, sie hätten
hier einzugreifen. Aber der Führer schickte sie wieder fort, weil er es
offenbar in diesem Augenblick für wichtig hielt, daß die Pferde bereit
seien.

Nachdem sie eine Zeit gesprochen hatten, lachten sie mit einem Male laut
auf. Sie erhoben sich, und unausgesetzt lachend kamen sie wieder mehr
zur Mitte des Platzes.

„Sie, Senjor, mit uns können Sie solche Tricks nicht spielen“, rief der
Führer. „Wir haben es gesehen. Sie haben da in der Ecke das Gewehr
angebunden und mit einer Leine abgezogen. Aber wir fallen auf solche
Späße nicht rein.“

Die Männer lachten belustigt auf. Und mit einem Ruck hatten sie jetzt
alle die Revolver in der Hand.

„Kommen Sie hervor, Bürschchen, sonst holen wir Sie“, rief der Führer.
„Wird es bald. Eins, zwei, drei. Na, raus nun.“

Curtin schrie: „Ich denke gar nicht daran. Wenn Sie einen Schritt
machen, wird geschossen.“

„Wollen wir schon sehen, Hombre.“

Plötzlich ließen sich die Männer alle auf den Erdboden fallen und
begannen, den Revolver in der Faust, von verschiedenen Seiten auf die
Stelle zuzukriechen, wo Curtin saß. Sie kamen aber nicht weit. Vier
Schüsse krachten aus vier verschiedenen Stellen der Rinne, und zwei der
Männer schrien, daß sie getroffen seien. Sicher hatten sie nur
Streifschüsse, denn sie alle wendeten sich und krochen zurück zum
Gebüsch.

Hier berieten sie nun, was zu tun sei. Es war ihnen klargeworden, daß
die Rinne von mehr als einem, vielleicht gar von vier oder fünf Mann
besetzt sei. Und diese Leute konnten keine andern sein, als Leute von
der Polizei. War das wirklich Polizei, dann waren sie geliefert, denn
die Polizei würde nicht hier oben nur sein, die würde inzwischen auch
den Weg besetzt halten und ihnen den Rückzug absperren. Es blieb also
nur eins übrig. Der Kampf mußte nun aufgenommen werden. Aber es erweckte
den Anschein, als ob sie nicht beginnen wollten, und als ob sie abwarten
möchten, was die Leute in der Rinne tun würden. Sie erwarteten von dort
den Angriff. Als aber kein Angriff erfolgte und sie keinen Laut von der
Rinne her hörten, wurden sie wieder unbestimmt und glaubten aufs neue,
daß der Gringo da nur Tricks spiele. Denn wären es Soldaten, die würden
nicht warten, die würden angreifen und sie in die Arme der Soldaten
treiben, die auf dem Wege stehen.

Aber die Posten hatten nichts gemeldet, und als einer von ihnen
heraufkam, schüttelte er mit dem Kopfe und ließ erkennen, daß da unten
keine Soldaten seien, daß die Straße frei wäre.

Es schien dann einer den Vorschlag zu machen, daß man die Leute hier in
der Rinne, ob sie nun Soldaten oder Jäger seien, regelrecht belagern
solle, denn nun lohne es sich erst recht. Seien da mehrere Leute, dann
hätten sie auch mehrere Waffen, Lebensmittel und auch sonst noch Dinge,
die man gebrauchen könne, in der Mehrzahl können sie nicht sein, weil
sie sonst ihren Vorteil zur rechten Zeit wahrgenommen und einen direkten
Angriff gemacht haben würden in dem Augenblick, als die Schüsse die
Leute in Verwirrung gesetzt hatten.

Die vier Mann in der Rinne fanden jetzt ein wenig Zeit, um sich zu
besprechen, denn sie sahen, daß die Banditen vorläufig nichts
unternehmen würden. Sie krochen alle zu jener Ecke, wo Howard saß, und
berieten, was man tun könne. Sie aßen etwas, tranken einen Becher Wasser
und leisteten sich dieselbe Freude, die die Banditen nun schon viele
Stunden lang gehabt hatten, und rauchten.

„Wenn man nur wüßte, was sie jetzt vorhaben!“ sagte Curtin.

„Ob wir das wissen oder nicht, kommt auf dasselbe heraus“, sagte Howard.
„Wir können immer nur handeln, wenn die beginnen.“

„Wir können doch raus und drauflosgehen“, riet Dobbs.

„Dann hätten sie uns.“ Howard schüttelte den Kopf und stopfte seine
Pfeife. „Jetzt wissen sie nicht, wieviel wir sind. Aber dann können sie
sich verteilen. Den Platz können wir halten, aber auf den Weg kommen wir
nicht, da liegen sie im Hinterhalt. Und den Platz können wir besser
halten, wenn wir ruhig in der Rinne bleiben. Wir wissen ja auch nicht
einmal, ob nicht noch ein andrer Trupp unterwegs ist.“

„Ich denke auch, es ist besser, wenn wir ruhig in der Rinne bleiben“,
sagte Lacaud. „Für immer werden sie dort nicht sitzenbleiben.“

„Wie reichen wir denn mit dem Wasser und mit dem Speck und den
Crackers?“ fragte Curtin.

„Sparsam müssen wir damit sein, dann geht es für drei Tage.“

Nun begannen die Esel zu schreien. Die Männer horchten auf, kümmerten
sich aber weiter nicht darum. Vielleicht gab ihnen das auch die
Sicherheit, daß doch keine Soldaten hier seien, denn die würden nicht
auf Eseln kommen. Zu den Eseln, wenn sie überhaupt daran dachten, sie
mitzunehmen, konnten sie nicht gelangen, ehe sie nicht den Platz
beherrschten.

Howard sagte nun: „Wir müssen uns auf die Nacht einrichten. Da können
sie einen Schleichanfall machen.“

„Nicht in dieser Nacht und nicht in der nächsten“, sagte Lacaud. „Es ist
Vollmond, und der Platz ist beleuchtet, als ob es am Tage wäre, ich weiß
es von der vergangenen Nacht.“

„Das ist wahr“, bestätigte Howard. „Da haben wir Glück. Für die Nacht
gehen wir besser zwei und zwei Mann zusammen und halten beide Ecken.
Einer kann dann immer schlafen, und der andre hält die Sicht. Freilich,
das brauche ich ja nicht zu sagen, wenn beide schlafen, wachen wir alle
nicht mehr auf.“

Von den Banditen ließ sich keiner mehr auf dem Platze sehen. Sie blieben
im Busch, wo man sie reden hörte und zwischen dem Gestrüpp zuweilen hin
und her laufen sah.

„Das wäre jetzt gut Zeit, daß zwei einen Vorschlaf halten“, sagte Howard
eine halbe Stunde später. „Die kommen uns während des Tages nicht mehr,
da können wir ganz sicher sein. Ich glaube aber bestimmt, die kommen
kurz vor Morgengrauen. Darauf wette ich mit euch.“

Sie teilten sich nun den Schlaf ein, und die Nacht ging ganz ruhig
vorüber, bis auf eine behutsame Annäherung, die bei Anbruch der
Dunkelheit erfolgte. Als aber ein Schuß krachte, während erst zwei aus
dem Busch heraus waren, gaben sie es auf. Ein wenig später war auch der
Mond so hell, daß man eine Katze hätte über den Platz huschen sehen.

Aber um drei Uhr morgens stieß Lacaud Curtin an, und Howard gab Dobbs
einen Puff.

„Bist du wach?“ fragte Howard.

„Ja, vollständig.“

„Drüben rührt sich’s. Die kommen. Von vier Seiten krabbeln sie raus.“

„Das scheinen alle zehn Mann zu sein“, sagte Dobbs, nachdem er eine
Weile hinübergesehen hatte.

„Ja, die gehen jetzt aufs Ganze. Hoffentlich sind die beiden drüben in
der Ecke auch auf dem Posten. Ich will dir etwas sagen, Dobbs, sobald
sie in der Mitte sind, feuern wir. Nimm sie gut aufs Korn, damit sie
gleich einen guten Empfang haben. Wenn die in der Ecke, Curtin ist ja
eine verschlafene Ratte, dösen sollten, dann werden sie durch unser
Schießen munter werden. Sie haben dann noch immer Zeit.“

Aber ehe die Angreifer die Mitte des Platzes erreicht hatten, krachten
schon aus der Ecke, wo Curtin und Lacaud saßen, zwei Schüsse. Denn auch
sie hatten gedacht, es sei vielleicht notwendig, Dobbs und den Alten
aufzuwecken, ehe die Banditen zu nahe waren.

Die Angreifer ließen sich aber nicht abschrecken. Sie krochen weiter. Es
schien keiner von ihnen getroffen zu sein, jedenfalls nicht erheblich.
Weder ein Fluch noch ein Schrei war zu hören gewesen.

Nun schossen auch Dobbs und der Alte, und einer der Banditen fluchte,
hatte also offenbar einen zu sitzen.

Wahrscheinlich glaubten die Männer, jetzt sei alles verschossen, und es
sei nur ein Trick mit angebundenen Gewehren gewesen, oder wer weiß, was
sie sonst glauben mochten, jedenfalls wollten sie nun der Sache ein
rasches Ende bereiten. Eine kleine Strecke krochen sie noch, dann
sprangen sie auf und liefen halbgebückt auf die Rinne zu, breit über
ihre ganze Länge verteilt.

Dadurch boten sie natürlich ein viel besseres Ziel. Drei wurden sofort
getroffen. Zwei von ihnen hielten sich den Arm, der verwundet war, und
der dritte schleppte sich schwer hinkend zurück zum Busch, weil er einen
Treffer ins Bein erhalten hatte. Von der Rinne wurde unausgesetzt
weitergeschossen, während die Angreifer von ihren Waffen keinen Gebrauch
machen konnten, denn sie sahen niemand, auf den sie hätten halten
können. Sie wußten ja auch nicht, wie es in der Rinne aussehe, wo sie
vielleicht in Fallen gehen konnten.

Sie ließen sich wieder auf den Boden fallen, riefen sich etwas zu und
begannen, zum Busch zurückzukriechen.

Dann kam der Morgen rasch herauf, und während des Tages war an einen
Angriff, wie sie nun endgültig wußten, viel weniger zu denken als in der
Nacht.

Als die vier sich wieder in der Ecke trafen, um zu frühstücken, sagte
Howard: „In der nächsten Nacht kommen sie wieder. Da werden sie wohl mit
einem andern Plan kommen. Aufgeben tun sie nicht, jetzt nicht mehr. Sie
haben inzwischen gelernt, ein wie guter Verteidigungsposten diese Rinne
ist. Ein besseres Hauptquartier können sie gar nicht finden. Dann noch
unsre Schießeisen, und was wir sonst haben. Wir müssen gut nachdenken,
was wir tun können.“

Aber vier gegen zehn, die einen Rückweg haben, vier, deren Trinkwasser
in Bechern abgezählt werden muß, gegen zehn, die sich über den offnen
Rückweg mit Wasser und Lebensmitteln und sogar mit Hilfskräften versehen
können, da gibt es nicht viel Pläne zu machen. Und weil auch immer der
Angreifer bestimmt, wann geschlafen werden darf, und wann gewacht werden
muß, so hat er noch einen weiteren Vorteil.

Curtin, der, während die übrigen frühstückten, auf Wache stand, rief
plötzlich aus: „Mal her. Was machen die da? Das wird nun ernst.“

Die drei kamen sofort zu den Schußlöchern und erkannten alle
gleichzeitig, daß es nunmehr um Kopf und Kragen gehe.

Die Banditen waren sehr tätig. Sie hieben Äste und Stämmchen ab und
begannen Schiebeschanzen zu bauen nach der Art der Indianer. Dahinter
verborgen konnten sie in aller Ruhe bis an die Rinne rutschen und die
Belagerten bequem ausheben. Ein paar Schüsse würden ja in der Rinne
gewechselt werden, aber das Endresultat war entschieden.

Gegenüber diesem Plan wußte auch Howard keinen Rat mehr. Es konnte sich
nur noch darum zu handeln, im letzten Nahkampfe sich so kostspielig wie
möglich zu machen. Wer lebend in deren Hände fiel, der hatte gewiß keine
Freudentränen zu vergießen.

„Mich wundert es ja eigentlich nur, warum sie nicht schon vorher darauf
gekommen sind“, sagte Curtin. „Es ist doch ein alter Indianertrick.“

„Es macht zuviel Arbeit“, erwiderte Howard.

Sie berieten hin und her, kamen aber auf keinen Gedanken, der sie aus
der verteufelten Lage, in der sie sich jetzt befanden, hätte befreien
können. Es war vielleicht doch möglich, sich durch das Dickicht einen
Weg zu hauen. Aber das hätten die Männer drüben sofort gesehen. Sie
dachten auch an die Mine. Jedoch das war nur ein unbedeutender
Zeitgewinn. Schließlich kamen sie doch wieder darauf, daß es mit einem
Angriff versucht werden sollte, trotzdem es hoffnungslos war, denn dann
standen sie auf dem freien Platze, während die andern im Dickicht saßen
und den Weg hielten. Und endlich kamen sie auch davon wieder ab, weil
zuletzt selbst Dobbs, der diesen Plan am eifrigsten verfochten hatte,
einsah, daß es eine bodenlose Dummheit sei.

Hätte sich nur die Felswand erklettern lassen! Aber die war zu steil,
und wenn sie es auch versuchten, in der Hoffnung, vielleicht weiter
oben, über der vorspringenden Ecke, einen Halt zu finden, es war dennoch
aussichtslos. In der Nacht ging es nicht, und am Tage konnten sie ohne
Mühe abgeschossen werden, ohne sich auch nur wehren zu können.

Sie konnten nichts weiter tun, als denen da drüben ruhig zuzusehen, wie
sie arbeiteten. Um vier Uhr nachmittags konnte alles fertig sein, und
dann würde wohl der Angriff zu erwarten sein, wenn sie nicht den
Einbruch der Dunkelheit als den besseren Zeitpunkt ansahen.

Es war gegen elf Uhr. Die Männer saßen am Eingang zu dem Platz und
hielten ihr Mittagsmahl. Sie waren guter Dinge und lachten. Die vier in
der Rinne waren offensichtlich der Hauptgegenstand ihrer Scherze, denn
immer, wenn sie einen guten Witz gemacht zu haben glaubten, den sie
belachten, dann sahen sie hinüber zu der Rinne.

Da hörte man ganz plötzlich einen Ruf: „Ramirez, Ramirez, pronto muy
pronto, nun aber rasch.“

Einer der Posten kam den Weg heraufgelaufen und stürzte auf den Führer
los. Die Männer sprangen alle auf und gingen in den Weg hinein. Man
hörte sie reden und reden, aber das Reden entfernte sich immer weiter.

Dann wurde es still, und die Belagerten wußten nicht, was sie daraus
machen sollten.

„Das ist ein Trick“, sagte Dobbs. „Sie tun jetzt so, als ob sie
fortgegangen seien, damit wir herauskommen sollen auf den Weg. Dort
liegen sie im Hinterhalt und warten auf uns.“

„Unwahrscheinlich ganz unwahrscheinlich“, meinte Howard. „Hast du nicht
gesehen, daß da einer der Posten aufgeregt angelaufen kam?“

„Das gehört mit zu dem Trick, damit wir glauben sollen, sie seien eilig
auf und davon gegangen.“

Howard aber schüttelte den Kopf. „Die brauchen keinen Trick
auszuspielen, seit sie auf die Indianeridee gekommen sind.“

Dobbs ließ sich aber nicht überzeugen. „Die Indianeridee ist schon ganz
gut. Sie kann aber immerhin einigen Leuten das Leben oder einige
Verwundungen kosten. Vielleicht sind sie auch knapp an Munition. Wenn
sie uns fangen können, ohne daß sie Munition zu verschießen brauchen,
und ohne daß wir unsre Munition verschießen, die sie ja schon als ihr
Eigentum betrachten, wären sie doch dumm, wenn sie es nicht wenigstens
versuchen sollten. Glückt es nicht, dann kommen die Schiebeschanzen noch
immer zurecht.“

„Du scheinst recht zu haben“, gab jetzt Howard zu. „Es ist unsre
Munition, die sie sparen wollen; denn wenn sie auf uns losrücken,
verschießen wir natürlich alles, was wir haben.“

Curtin hatte sich nicht in das Gespräch gemischt. Er war in der Rinne
vorsichtig weitergekrochen und dann auf den Felsvorsprung geklettert. Da
die Banditen nicht zu sehen waren und sich ihre Stimmen weit genug
entfernt hatten, konnte er es einmal wagen, Ausschau zu halten.

Er saß auf dem Felsvorsprung und sah hinunter in das Tal. Eine gute
Weile lang. Dann plötzlich rief er aus: „Hallo, raus mit euch. Da unten
kommt eine Schwadron Kavallerie. Die sind hinter unsern Freunden her.“

Die drei kamen nun auch hervorgekrochen, und alle stiegen sie auf den
Aussichtspunkt. Von dort aus betrachteten sie ein recht bunt bewegtes
Bild. Die Soldaten hatten sich in sechs Gruppen verteilt und schwärmten
in der Ebene umher. Sie hatten zweifellos erfahren, daß die Banditen
hier irgendwo sein müßten. An diese Felsenwildnis dachten sie vorläufig
noch nicht, weil sie ja wußten, daß die Banditen Pferde hatten, und sie
wahrscheinlich nicht glaubten, daß man mit Pferden heraufkommen könne.

Lacaud war aber andrer Ansicht. Er sagte: „Es sieht so aus, als ob die
schon wissen, wo die Räuber stecken. Aber die sind nicht so ungeschickt,
sich hier in einen Hinterhalt zu begeben. Auf dem steilen Wege, der von
dichtem Gebüsch und von Felsenwänden eingeschlossen ist, können sie
nichts ausrichten oder nur unter großen Verlusten. Entweder die belagern
den Berg, oder sie spielen einen Plan aus. Und ich glaube, das tun sie.“

Die Soldaten zogen weiter, fünf oder sechs Kilometer weiter hinaus in
das Tal. Die Banditen hatten bisher sicher gedacht, daß ihr Versteck den
Soldaten bekannt sei. Nun aber, als sie die Soldaten weiterreiten sahen,
begannen sie sich hier geborgen zu fühlen. Ein Stück des Weges konnte
von dem Felsen aus übersehen werden, und Curtin bemerkte, daß die
Banditen wieder zurückgeritten kamen, um ihr Hauptquartier hier wieder
aufzuschlagen. Aber die Offiziere der Federaltruppen waren ihnen an
Schlauheit weit überlegen.

Als die Truppen weit genug entfernt waren, begannen sie, deutlich
weithin sichtbar, nach Spuren zu suchen. Mit großen Bewegungen und mit
auffälligem Hin- und Herreiten ließen sie erkennen, daß sie nun endlich
herausgefunden hatten, daß die Banditen in der Felsenwildnis sein
müßten. Ohne große Eile sammelten sie sich und zogen nun auf die Felsen
los, um den Weg zur Höhe zu suchen. Das war ihr Trick. Sie wußten, daß
die Banditen es mit allen Mitteln vermeiden würden, sich in der
Felsenwildnis einschließen zu lassen, wenn sie eine Gelegenheit haben
konnten, andres Gelände zu gewinnen. Aus den Felsen konnten sie nicht
mehr heraus, wenn sie einmal eingeschlossen waren, und die Soldaten
konnten in Ruhe die Zugangswege besetzt halten, ohne anzugreifen und
ohne sich in den inneren Wegen den Kugeln der im Gebüsch und in
Bergspalten lauernden Banditen auszusetzen.

Die Posten der Banditen hatten die Bewegungen der Soldaten gut
beobachtet. Als sie nun erkannten, daß ihr Versteck entdeckt war,
beschlossen sie, rasch den Vorsprung zu benutzen, und durch den Busch
vortrefflich gedeckt, die andre Seite des Geländes zu gewinnen. Dort
konnten sie entweichen, ohne gesehen zu werden oder erst so spät bemerkt
zu werden, daß sie mit ihren ausgeruhten Pferden leicht den Vorsprung,
den sie hatten, so zu erweitern vermochten, daß die Soldaten ihre Spur
vielleicht wieder verloren.

Aber eine kleine Abteilung der Soldaten lag im Busch auf der Seite des
Geländes, das die Banditen zu erreichen trachteten, versteckt. Diese
Abteilung war in der vergangenen Nacht in diese Stellung gegangen, ohne
daß die Banditen, die ja hier oben mit ihrem nächtlichen Angriff
beschäftigt waren, etwas davon hätten erfahren können. Die Soldaten
hatten das Schießen in der Nacht, das die Felsenwände weit in das Tal
hinaushallten, wohl gehört, und es hatte sie davon überzeugt, daß sie
auf richtigem Wege waren. Die Ursache des Schießens kannten sie zwar
nicht, aber sie hatten geglaubt, daß die Banditen entweder betrunken
seien oder unter sich einen Streit auszufechten hätten.

Die vier saßen hier oben auf dem Felsvorsprung und warteten auf das
Gefecht, das sich nach ihrer Rechnung in einer Stunde abspielen würde.
War das vorüber, dann konnten sie endlich wieder in Ruhe an ihre
unterbrochene Arbeit gehen.

Die Schüsse begannen zu krachen, und die Abteilungen, die weit
abgeschwenkt hatten, um die Banditen herauszulocken, kamen nun in vollem
Galopp herangestürmt. Der Rückweg hinauf zu den Felsen schien den
Banditen abgeschnitten zu sein, und sie jagten los, mit wildem Geschrei,
Schwenken der Arme und brutalem Einschlagen der fingerlangen Sporen ihre
Pferde zur höchsten Leistung aufraffend. Und die Pferde rasten auch in
unbeschreiblicher Eile das Tal hinunter.

Hinterher folgten die Soldaten, die im Busch gelegen hatten. Sie hatten
erst aufsitzen müssen, als die Banditen vorbeikamen, denn die Banditen
waren nicht so nahe vorübergekommen, wie die Soldaten erwartet hatten;
sie hatten infolgedessen nicht genügend gute Ziele abgegeben. So hatten
die Banditen auch hier einen Vorsprung gewonnen. Sie ritten nicht nur,
sie schossen auch während des Reitens auf ihre Verfolger.

„Das ist gut, wenn sie einen tüchtigen Vorsprung gewinnen“, sagte
Howard.

„Warum?“ fragte Dobbs erstaunt.

„Dann kommen die Soldaten hier aus der Gegend weg. Die könnten ja
denken, daß hier oben noch mehr Banditen versteckt seien, und kommen uns
besuchen. Wir können sie nun durchaus nicht gebrauchen, wenn sie uns
auch hier oben aus einer verteufelten Lage befreit haben. Ich möchte
ihnen aber doch lieber auf unsrer Rückreise unsern Dank abstatten.“

Die reitenden Gruppen entfernten sich immer weiter, das Schießen klang
immer leiser herauf, und bald konnten die Beobachter auf dem Felsen
nicht mehr sehen, was unten vor sich ging, denn die Reiter wurden von
dem flimmernden Horizont verschluckt.




                                   14


Die Männer hatten ihr Lager wieder aufgebaut, hatten gekocht und
gegessen und sich lang am Feuer ausgestreckt. Es war noch lange bis
Sonnenuntergang, aber keiner machte den Vorschlag, heute noch zu
arbeiten.

Als es dann dunkel wurde und sie, ihren Kaffee trinkend und ihre Pfeifen
rauchend, um das Feuer saßen, sagte Curtin: „Ich glaube doch, daß Howard
recht hat, und daß wir am besten tun, aufzugeben und die Mine
zuzupacken. Wir könnten noch vielleicht einen Tausender machen, aber
besser ist es, uns zu begnügen mit dem, was wir sicher haben. Es können
uns wieder einmal solche ungebetenen Gäste hier hereinregnen, und ob man
immer so gut herauskommt, ist eine Frage.

Zuerst sagte keiner etwas darauf. Dann, nach einer längeren Pause,
meinte Dobbs: „Meinetwegen, ich bin damit einverstanden. Bauen wir
morgen ab, übermorgen früh bringen wir unsre Sachen in Ordnung und die
Packe und die Tiere, und den folgenden Tag früh ziehen wir los. Ich habe
auch keine Lust mehr.“

Lacaud hörte sich das an, ohne sich einzumischen. Er rauchte und sah
scheinbar gleichgültig in das Feuer. Ab und zu stand er auf, brach Äste
über seinem Knie, und was er nicht zerbrechen konnte, warf er in ganzer
Länge auf das Feuer.

„Kennt ihr die Geschichte von der Cienega-Mine?“ fragte er plötzlich.

„Wir kennen so viele Geschichten von Minen“, sagte Howard gelangweilt.
Er träumte gerade von seinen Plänen, wie er das Geld, das er verdient
habe, am vorteilhaftesten anlegen möchte, daß er ein bequemes Leben
führen könne, während sich das Geld, ohne viele Mühe darauf zu
verwenden, verdopple, dann vervierfache, endlich verhundertfache. Er war
durch die Frage Lacauds aus der Reihe, wie er sich den Vorgang der
Verhundertfachung dachte, gekommen. Vielleicht auch hatte er einen
Fehler in seinen Berechnungen entdeckt, und da er zu müde war, um sich
die Anstrengung zu machen, die ganze Gedankenreihe und die vielen
Zahlenreihen, die er vor seinen geistigen Augen entwickelt hatte, noch
einmal aufzubauen, durchzudenken und durchzuarbeiten, sagte er: „Ach,
richtig, dich hatten wir ja ganz vergessen.“

Da sahen auch Dobbs und Curtin auf.

Curtin lachte: „Da siehst du, wie bedeutungslos du hier bist. Dich haben
wir völlig übersehen, obgleich du mit uns gekämpft und jetzt in Ruhe mit
uns gegessen und getrunken hast. Wir haben eben unsre Gedanken, und da
bist du nicht mit drin.“

„Sagtest du nicht was von einem Plan?“ fragte Dobbs. „Den kannst du nun
für dich behalten. Ich mache mir nichts draus. Wenn da auch noch
zehntausend drin sein sollten. Ich will sie nicht. Ich will in die
Stadt, will Mädchen sehen, am Tisch sitzen und das Essen vom Kellner auf
die weiße Decke gesetzt haben und zusehen, wie andre Leute kochen und
sich für einen Drecklohn abschinden.“

„Da sind aber mehr drin als zehntausend“, sagte Lacaud.

„Wo?“ fragte Curtin.

„In meinem Plan.“

„Ach so“, erwiderte Curtin und gähnte.

„Das Zeug liegt ganz offen da.“ Lacaud versuchte die drei zu
interessieren. Es schien nicht zu gelingen, denn Dobbs sagte: „Wenn es
offen daliegt, dann heb’ es nur ja auf und laß es nicht etwa liegen. Es
könnte dir sonst leid tun, und du bist ganz der Bursche, der immer
bereut und immer etwas zu bereuen hat. Hallo, ich gehe schlafen.“

Auch Howard und Curtin standen schwerfällig auf, reckten sich, gähnten
und gingen zum Zelt. Auf dem Wege dorthin blieb Curtin nachdenklich
stehen, hierauf drehte er sich um, reckte sich wieder und sah dabei nach
dem Monde hinauf.

Es fiel ihm etwas ein, und er rief ins Zelt: „Howard, hast du denn den
Weg verstellt heute nachmittag, als du die Esel losbandest?“

„Freilich,“ rief er, „an der Biegung hinter der Grasfläche, wie immer,
bei der Wasserpfütze.“

Lacaud holte seine Packen herbei und legte sich am Feuer nieder.

Curtin sah es und kam zum Feuer.

„Kannst doch auch ins Zelt kommen, Mensch. Soviel Platz für deine Ecke
ist schon noch vorhanden.“

Aber Lacaud erwiderte: „Ich schlafe ganz gut hier. Ich schlafe überhaupt
lieber am Feuer als in einem Zelt. Aber höre, willst du denn nicht
mitmachen? Es ist ordentlich etwas drin, kannst du mir glauben.“

„Was mitmachen? Ach ja, dein Plan. Nein, ich bin froh, wenn ich hier weg
bin. Ich halte es nicht mehr aus. Es bleibt keiner von uns hier. Was
hier zu finden war, das haben wir herausgeholt, und ich rühre keine Hand
mehr.“

Curtin ging hinüber zum Zelt und kroch hinein.

„Was wollte denn der Knabe von dir?“ fragte Dobbs.

„Sein Plan, ich habe aber abgewinkt.“

„Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich aus dem Burschen machen soll“, sagte
Howard. „Beinahe glaube ich, er hat seine Schrauben nicht alle richtig
eingedreht, da sind ein paar locker. Ich brauchte nur zu wissen, was er
in den letzten sechs Monaten gemacht hat, und wo er gewesen ist, dann
könnte ich euch ganz genau sagen, ob er der ewige Goldsucher ist oder ob
er buschverrückt ist. Vielleicht ist er beides.“

„Ewiger Goldsucher?“ fragte Curtin neugierig.

„Ja, einer, der ewig sucht und sucht, ein Dutzend märchenhafte
Geschichten von verschütteten und verlorengegangenen Goldminen weiß, ein
Dutzend Pläne und Zeichnungen in der Tasche oder im Kopfe hat, die ihm
den sicheren Weg zu einer verschollenen Mine zeigen, ein Dutzend alberne
Schwätzereien von Indianern und Mestizen in seinem Hirn herumwälzt über
Plätze, wo Gold oder Diamanten zu finden seien. Er sucht und sucht, je
unwegsamer und wilder das Gebirge, je größer die Gefahren, desto mehr
ist er überzeugt, daß er dicht an den armdicken Adern sitzt. Aber er
findet nie eine Linse Gold, obgleich er bestimmt weiß, daß er
unmittelbar davorsteht und morgen die Ader klopft. Es ist auch ein
Verrücktsein, das genau so gefährlich für seine Mitmenschen werden kann,
wie jedes andre Verrücktsein. Und die Besessenen sind mehr zu
bemitleiden als andre Wahnsinnige, weil sie immer wandern, ruhelos und
ziellos. Bald sterben sie beinahe an Hunger, bald an Durst; bald haben
sie ihr Leben gegen Berglöwen, gegen Klapperschlangen und sonstiges
giftiges Tier- und Kriechzeug zu verteidigen, bald gegen mißtrauische
Indianer; dann wieder stürzen sie wo ab, brechen sich die Knochen und
liegen da, bis sie von einem Indianer oder Banditen gefunden werden, der
sich die Mühe macht, sie wieder aufzupäppeln. Aber kuriert können sie
nicht werden. Sie wissen immer, daß sie morgen die Mine bestimmt finden
werden.“

„Den Eindruck macht er aber auf mich nicht“, sagte Dobbs. „Da ist noch
etwas andres hinter ihm versteckt.“

„Möglich“, gab Howard zu. „Ich habe jetzt keine Lust, darüber
nachzudenken. Meinetwegen mag er sein, was er will. Ich weiß nur noch
nicht, was wir mit ihm tun, falls er etwa den Versuch machen sollte, mit
uns abzuwandern. Das können wir nicht gebrauchen.“

„Morgen wird er natürlich die Mine sehen“, sagte Curtin.

„Schadet jetzt nichts mehr“, erwiderte Howard. „Wir bauen sie zu, und
wenn er zurückbleibt und sie wieder aufmacht, so ist das seine Sache.“

Am nächsten Morgen, nachdem sie ein kurzes Frühstück gehabt hatten,
gingen Howard, Dobbs und Curtin kräftig an die Arbeit. Zu ihrer
Verwunderung zeigte Lacaud keine Absicht, mit ihnen zu ihrer Mine zu
kriechen. Sie hatten ihn zwar nicht dazu aufgefordert, aber sie hatten
erwartet, daß er doch wohl in einer so bedeutenden Sache wie eine
Goldmine interessiert sein würde. Er fragte nicht einmal danach. Nachdem
er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, stand er auf und begann den Weg
hinunterzugehen.

Curtin folgte ihm, weil er glaubte, Lacaud würde hinunter ins Dorf
gehen, um dort zu sagen, daß es nun Zeit sei, hier das Nest
durchzusuchen, weil es morgen zu spät sein würde. Lacaud wußte nicht,
daß Curtin hinter ihm her sei. Er ging sorglos seiner Wege, sah sich nur
aufmerksam jeden größeren Baum, jeden Stein genau an, als ob er nach
irgendwelchen Merkmalen suche. Zuweilen blieb er stehen und bückte sich,
um den Boden zu untersuchen. Endlich kam er zu der Grasfläche, wo die
Tiere waren. Er ging hinüber und kam auch an die Wasserpfütze. Als er
die aufmerksam betrachtet hatte, sah er hoch und ging auf die Felswand
zu. Dort begann er nun herumzukriechen und zu suchen.

Nun überzeugt, daß Lacaud andre Absichten habe, als den Männern
Schwierigkeiten zu bereiten, kehrte Curtin wieder zurück zu den beiden
und erzählte, was er gesehen habe.

„Es ist schon so,“ sagte Howard, „wie ich euch gestern abend gesagt
habe, der ewige Goldsucher. Wir wollen uns nicht mit ihm aufhalten.“

Sie waren am Abbrechen der Gerüste, und Dobbs hatte sich die Hand
aufgerissen. Er wurde ärgerlich und sagte: „Wozu bauen wir denn
überhaupt ab? Lassen wir es stehen, und gehen wir unsrer Wege.“

„Wir haben das doch vorher, als wir hier anfingen, untereinander
vereinbart, daß, wenn wir etwas machen, abbauen und zuwerfen wollen.“

„Es hält uns nur auf, und ich weiß auch nicht, wozu es gut ist“, brummte
Dobbs.

„Na, Junge, erst einmal denke ich, daß man gegen den Berg, der sich so
freigebig erwiesen hat, wenigstens die eine Dankbarkeit zeigt, daß man
ihn nicht schimpfiert zurückläßt, daß man die Wunde, die man ihm
geschlagen hat, auch wieder schließt. Und dem Berg die Gerüste vor der
Nase stehenzulassen und ihm seinen Garten wie einen dreckigen Bauplatz
zurückzulassen, das ist unanständig. Der Berg hat es doch wahrlich
verdient, daß man seine Schönheit respektiert. Ich will auch lieber an
diesen Platz so zurückdenken, wie ich ihn fand, als wir kamen, denn daß
ich immer diesen Schuttplatz vor Augen habe, wenn ich an diese Monate
denke. Schlimm genug, daß wir nur gerade den guten Willen zeigen können,
und daß der Platz noch unerträglich genug aussehen wird, wenn wir
gegangen sind.“

„Merkwürdig ist deine Ansicht von der Persönlichkeit des Berges,“ sagte
Curtin, „aber ich denke auch, man soll die Stube, die man sauber fand,
ausfegen, wenn man sie verläßt, auch wenn niemand dabeisteht, der einen
dafür lobt.“

„Einen andern Grund hat es auch noch,“ setzte der Alte fort, „es könnte
ja sein, daß hier jemand heraufkommt, während wir noch auf dem Wege
sind. Da hat er denn gleich heraus, was wir hier gemacht haben, und er
kommt uns mit einem halben Dutzend Kerlen hinterher. Wenn das hier
wieder schlicht gemacht ist, soweit wie wir es schaffen, dann sieht es
aus, als ob es nur eben ein langes Camp war, wo wir alles mögliche getan
haben mögen, nur nicht gerade gelbes Schwergewicht gewaschen. Na, Dobbs,
pack nur kräftig mit zu; wir haben so manchen Tag umsonst gearbeitet,
ehe der Berg seine Hand aufmachte, und dieser Tag hier sieht eine gute
und noble Arbeit, auch wenn sie nichts an bar einbringt. Wenn du dir
einen Blumengarten vor deiner Haustür einrichtest, so denkst du auch
nicht daran, daß er dir bares Geld einbringen soll.“

Das Mittagessen, wie es die drei in den verflossenen Monaten zu ihrer
Gewohnheit gemacht hatten, war kurz und einfach. Sie kochten einen
Kessel Tee und aßen dazu ein ledernes Stück Mehlpfannkuchen, das in der
Frühe mitgebacken wurde. Sobald der Tee getrunken war und jeder eine
Pfeife zu Ende geraucht hatte, wurde wieder frisch weitergearbeitet. Das
Licht des Tages mußte bis zur Minute voll ausgenutzt werden; wenn die
Sonne des Morgens aufging, mußte das Frühstück beendet sein, und das
Abendessen wurde begonnen, wenn die Sonne untergegangen war. Nur so war
es ja möglich gewesen, daß die drei Männer soviel schaffen konnten. Die
Länge des Tages war das ganze Jahr hindurch so gut wie immer die
gleiche, der geringe Unterschied wurde von ihnen kaum bemerkt. Die
Regenzeit hatte ihre Arbeit auch nicht wesentlich beeinflussen können.
Es kam vor, daß einige Stunden lang wahre Wolkenbrüche heruntergegossen;
aber dann gab es immer genügend andres zu tun. Außerdem hatte der Regen
auch wieder seine Vorteile, weil er ihren Erdtank, den sie sich gegraben
hatten, um immer genügend Wasser für das Waschen des Sandes zu haben,
auffüllte und ihnen so das Heraufschleppen des Wassers erspart wurde.

„Es ist doch eine elende Schufterei gewesen“, meinte Curtin, als er sich
einen Augenblick hinsetzte, um zu rasten.

„Schon richtig“, bestätigte der Alte. „Aber wenn wir das ausrechnen,
dann hat wohl noch keiner von uns einen so guten und so hohen Tagelohn
gehabt, als wir ihn hier verdient haben.“

Auch Dobbs hatte den Spaten hingestellt, sich niedergesetzt und begann
eine Pfeife zu stopfen. „Es kommt mir jetzt so in den Sinn,“ sagte er
langsam, „als ob wir noch gar nicht so recht zufrieden sein können.
Nicht, was unsern Verdienst anbelangt, sondern ich meine, ehe wir nicht
den ganzen Zauber sicher und geborgen in einer Stadt haben und
unauffällig in unserm Hotelzimmer schön zusammen aufgeschichtet vor uns
sehen, können wir nicht gut sagen, daß er uns gehört.“

„Das ist mir die letzten Wochen auch im Kopf herumgegangen“, sagte der
Alte. „Das wird eine schwierige Reise. Das wird die schwierigste Sache.
Da sind Banditen, da sind Unglücksfälle auf dem Wege, da ist die
Landpolizei, die neugierig ist und wissen möchte, was wir
transportieren. Und findet sie den gelben Kies, so haben wir ihn
entweder gestohlen oder jemand umgebracht und es geraubt, oder wir haben
es gegraben ohne Lizenz und ohne die Taxen zu bezahlen. Das wird noch
manches zu bedenken geben. Ja, denkt mal auch ein wenig drüber nach, wie
wir den Pfeffer am besten und sichersten verschiffen.“

Die beiden jüngeren Teilhaber schwiegen, dann zogen sie die Stirnen in
Falten, als ob sie angestrengt nachdächten, dann stöhnten sie, weil
ihnen das Denken Mühe machte, mehr Mühe als die schwerste Minenarbeit,
und endlich taten sie einen tiefen Atemzug, standen auf und warfen die
Haufen auseinander.

Spät am Nachmittag schichteten sie die zusammengeschlagenen Gerüste
übereinander und steckten sie in Brand, damit sie verschwänden. Am
nächsten Tage sollte dann die Brandstelle mit Erde überworfen werden.
Dann sollten noch einige Sträucher, junge Bäumchen und Grasfladen, die
an andern Stellen ausgerupft waren, hier verstreut eingepflanzt werden.
Der Alte hatte so nebenbei hingeworfen: „Es kann ja sein, daß einer von
uns sein Zeug nicht durchkriegt, oder er verjubelt es in ein paar
Wochen, oder er hat sonst Pech. Der kann dann hier zurückkommen und
nochmal durchbuddeln, er findet schon immer noch einen anständigen
Tagelohn. Das ist mit ein Grund, warum wir das so unverdächtig
zurücklassen wie nur möglich. Dann kommt so leicht niemand auf die Idee,
sich hier umzusehen.“

Das war etwas, das Dobbs und Curtin besser verstanden, als was der Alte
gesagt hatte über Dankbarkeit gegen den Berg, und daß man die Natur
nicht geschändet hinter sich lassen solle. Dobbs war der Meinung, daß
die Natur für sich selber sorgen könne, sie habe mehr Zeit und mehr
Geduld als er, er sei nicht der Nachtwächter einer einsamen
Berglandschaft. Aber man hatte das dem Alten versprochen, und so tat man
es nun auch; er war eben alt und hatte seine Grillen, wenn er auch sonst
ein Partner war, mit dem sich schon auskommen ließ.

Als sie dann Feierabend machten, sah der Platz wahrhaftig so aus, daß
keiner, der vorüberkam und nur gerade so oberflächlich hinsah, vermutet
hätte, daß hier einmal eine Mine gewesen wäre. Nur der Haufen der
zusammengeschlagenen Gerüste kohlte und rauchte noch. Morgen würde auch
die Erinnerung an ihn verschwunden sein.

Lacaud war um die Mittagszeit nicht am Feuer gewesen, ob er vorher oder
später auf dem Campplatze gewesen war, wußten die drei nicht. Sie hatten
ihn überhaupt ganz vergessen. Sie waren viel zu sehr mit ihren eigenen
Sorgen beschäftigt, als daß sie sich seiner erinnert hätten. Erst jetzt,
als sie auf ihrem Umwege zum Platz gekrochen kamen und ihn dort hocken
und das Feuer in Ordnung bringen sahen, fiel ihnen ein, daß der Mann
noch immer da sei.

„Hast du deine Goldmine inzwischen gefunden?“ fragte Dobbs, während er
mit dem Wasserkessel zum Feuer trat.

„Noch nicht,“ erwiderte Lacaud, „aber ich denke, ich bin nie so dicht
dabei gewesen wie heute.“

„Dann viel Glück“, lachte Curtin, der mit seiner Pfanne kam.

Lacaud hatte einen Kessel mit seinem eigenen Reis am Feuer stehen.

„Kaffee brauchst du nicht zu kochen,“ sagte Howard gutmütig, „den kannst
du mit uns trinken. Mehr Kaffee schütten wir nicht auf, nur mehr Wasser,
und das Wasser brauchen wir ja jetzt nicht mehr zu sparen.“

„Danke!“ sagte Lacaud kurz.

Sie wuschen sich, dann aßen sie, und dann hockten sie am Feuer. Howard,
Dobbs und Curtin fühlen sich wie Fabrikarbeiter am Samstagabend. Sie
wußten, daß sie morgen früh nur eine gute Stunde die angenehme Arbeit
des Bepflanzens des Platzes zu machen haben würden, dann folgte die viel
angenehmere Arbeit des Packens, und dann hatten sie nur noch die leichte
Aufgabe zu erfüllen, die Tragkarawane vorzubereiten. Alles schöne,
leichte Arbeit, bei der man rauchen, singen und schwatzen konnte.

Deshalb saßen sie auch, zum ersten Male seit Monaten, gemütlich und
gutgelaunt zusammen am Feuer. Der Gedanke, daß sie sich bald zu trennen
haben würden, nachdem sie beinahe ein volles Jahr Mühe und Arbeit und
unglaubliche Entbehrungen gemeinschaftlich getragen hatten, ließ sie so
verträglich zueinander werden, wie sie es nie vermocht hatten. Zum
ersten Male fühlten sie, daß ein festes Band sie umschlösse, das
Freundschaft, Kameradschaft, Bruderschaft bedeute. Sie fühlten, daß der
eine dem andern beistehen könne, auch wenn es das Leben kosten solle.
Sie fühlten sich mehr verwandt als leibliche Brüder. Ohne es laut zu
sagen, baten sie sich im stillen gegenseitig alles ab, was sie einander
in den letzten Monaten an kleinen, oft aber auch an sehr nichtswürdigen
Bosheiten zugefügt hatten.

Lacaud war ausgeschlossen von dieser Bruderschaft, weil er die
Empfindungen der andern nicht so lesen und verstehen konnte, wie die es
konnten, die sich gegenseitig ausgelernt hatten. Sie konnten nichts
voreinander verbergen, was in ihnen vorging und was sie dachten; aber
vor Lacaud konnten sie alles verbergen, was sie ihn nicht wissen lassen
wollten, ihn vermochten sie sogar irrezuführen und zu täuschen, wenn sie
wollten. Das wäre den dreien untereinander nicht geglückt. Jeder von
ihnen hatte in den verflossenen Monaten kein andres Studium gehabt als
das seiner beiden andern Genossen. Weder Bücher, noch Zeitungen, noch
andre Gesichter, noch unerwartete Landschaftsbilder konnten sie ablenken
von ihrem Studium. Es kam oft vor, daß der eine nur einen Satz anfing,
und die beiden andern wußten sofort den ganzen Inhalt des Satzes und
sogar die genauen Worte und die genaue Wortfolge, die der Sprecher
gebrauchen würde. Es hatte sich dadurch auch die merkwürdige Gewohnheit
bei ihnen herausgebildet, daß keiner von ihnen je seinen Satz
vollendete, weil er es nicht nötig hatte und der andre schon antwortete,
wenn nur drei oder vier Worte des Satzes gesprochen waren. Das war ja
mit einer der Gründe gewesen, warum sie sich so sehr auf die Nerven
fielen, daß sie sich gegenseitig hätten ermorden können, nur um nicht
immer schon vorher die Worte und Gedanken des andern wissen zu müssen
und sich über sie tödlich zu langweilen oder zu Tode zu ärgern. Aber auf
welche Weise hätten sie ihren Wortschatz und ihren Ideenreichtum
vermehren können? Es handelte sich immer um dieselben Angelegenheiten,
immer um dieselben Begriffe, immer um dieselben Aufgaben. Es hatte sich
auch, ohne daß es ihnen selbst zum Bewußtsein gekommen wäre, zwischen
ihnen eine ganz eigenartige Form der Unterhaltung entwickelt, der ein
Fremder hilflos gegenüberstehen mußte.

Da hatten sie ein Schaufelrad gebaut. Mit Hilfe eines primitiven Göpels,
den ein Esel ziehen mußte, wurde das Schaufelrad in Bewegung gesetzt, um
das Wasser auf die Rinne zu schöpfen, von wo es herabfiel in die
Waschpfannen, in denen der Sand ausgewaschen wurde. Weil es die
leichtere Arbeit war, den Göpel zu bedienen, so hatte diese Arbeit
Howard zu verrichten. Ursprünglich wurde gerufen: „Howard, schütte das
Wasser auf, wir sind so weit.“ Dieser ganze lange Ruf hatte sich
verdichtet zu dem einen Wort: „Schitt.“ Und dieses Wort „Schitt“ hatte
schließlich die Bezeichnung für Wasser überhaupt zu übernehmen, weil es
kürzer und einfacher zu sagen war als „water“. Selbst wenn von Wasser
zum Kaffeekochen oder zum Trinken die Rede war, es hieß einfach: „Schitt
a’ feu?“, was bedeuten sollte: „Steht das Wasser am Feuer?“ Der Spaten
wurde aus Gründen, die später keiner von ihnen erklären konnte, der
„Kat“, die Pickhacke wurde zum „Scheik“, die Dynamitpatrone wurde
genannt die „Mary“. Wenn die „Mary“ gezündet werden sollte, so
gebrauchten sie hierfür zwei Worte, das eine hieß „Mary“, das andre kann
aus Höflichkeitsgründen und auch aus andern Gründen hier nicht genannt
werden, wenngleich es unter gewissen Voraussetzungen und unter gewissen
Bedingungen mit einer Mary schon in Verbindung gebracht werden kann. Und
dieses Wort wurde dann auch gebraucht, wenn es sich um die Pfeife oder
das Feuer anzuzünden handelte. „Essen“, also die Mahlzeit, bekam eine
Bezeichnung, die eigentlich mehr das Gegenteil bezeichnen würde, wenn
man das Wort unter gesitteten Menschen überhaupt anwendet, wo man es
aber vermeidet und sogar sehr vorsichtig ist, wenn man es zu umschreiben
hat.

Howard wurde nie bei seinem Namen gerufen, sondern nur „Olb“. Das hatte
sich entwickelt aus „Old boy“, alter Knabe oder alter Bursche. Curtin
war „Kuh“, und Dobbs wurde gerufen „Pamp“. Warum, wußte er selbst nicht,
keiner hätte es erklären können.

So ging das mit allen Worten und Bezeichnungen. Sie konnten miteinander
zehn Minuten sprechen, ohne daß Lacaud etwas verstanden hätte. Sie
selbst natürlich wußten nicht, daß Lacaud das nicht verstehen konnte; es
kam ihnen gar nicht einmal in den Sinn, darüber nachzudenken, daß er
zuweilen glauben müßte, er sei unter Leuten, die aus irgendeinem
unbekannten und fremden Lande seien. Sie hatten sich so daran gewöhnt,
daß sie sich lächerlich vorgekommen wären, wenn sie anders gesprochen
hätten.




                                   15


„Ja, mit dem Fortkommen“ –, Howard nahm den Gedanken da wieder auf, wo
er ihn bei dem kurzen Gespräch am Nachmittag verlassen hatte. Statt
Fortkommen sagte er „Kippen“, aber man muß die Reden schon in eine Form
bringen, daß auch diejenigen sie verstehen, die nicht zur Bruderschaft
gehören.

„Ja, mit dem Fortkommen, das ist so eine verteufelte Sache. Fortkommen
und weiterkommen werden wir schon. Warum nicht. Aber wenn man auch alles
schön in Sicherheit zu glauben hat, so hat man es noch lange nicht auf
sein Bankguthaben eingeschrieben. Habt ihr jemals die Geschichte der
Donja Catalina Maria de Rodriguez gehört? Sicher nicht. Bei ihr handelte
es sich auch nicht um das Gold und das Silber, sondern um das Fortkommen
und um das Abliefern an die sichere Stelle.“

„In Guadalupe ist das Gnadenbild unsrer lieben Frau von Guadalupe, der
Schutzpatronin von Mexiko. Kannst von Mexico City mit der Straßenbahn
hinfahren. Zu diesem Gnadenbilde pilgern alle Mexikaner und Indianer,
die etwas auf dem Herzen haben, in der sicheren Hoffnung, daß das
Gnadenbild ihr Verlangen erfüllen werde, sei es nun, daß sie ihrem
Nachbar einen Acker abnehmen wollen, sei es, daß dem Mädel der Liebhaber
fortgelaufen ist, oder sei es, daß die Frau in Ängsten ist, es könne
herauskommen, daß sie ihren Mann mit einem Kräutchen unter die Erde und
sich dadurch zu einem andern Manne geholfen hat.“

„So was ist doch alles Schwindel und Aberglaube“, warf Dobbs ein.

„Durchaus nicht“, erwiderte der Alte. „Du mußt nur daran glauben, dann
ist es kein Schwindel. Wer an einen Gott glaubt, für den gibt es einen,
und wer nicht an einen obersten Lenker und Verwalter der Gestirne
glaubt, für den gibt es keinen. Aber darum wollen wir uns nicht lange
streiten. Ich sage ja nicht einmal, was ich selbst davon halte. Ich
berichte eben nur die ungeschminkte und nüchterne Tatsache.

Das sind nun mehr als hundertfünfzig Jahre her, so ungefähr in der Zeit
der amerikanischen Revolution. Da lebte in der Nähe von Huacal ein
wohlsituierter Indianer, der zu den Häuptlingen der Chiricahuas gehörte.
Er hatte eine schöne Farm und beteiligte sich nicht an den Mord- und
Raubzügen der benachbarten Sippen. Die Sippe seines Stammes war hier
seßhaft geworden und fand in der Landwirtschaft mehr Freuden und
Wohlstand als in den Streifzügen und in den ewigen Kämpfen mit den
Spaniern. Der Häuptling hatte nur ein Leid auf der Welt: sein einziger
Sohn, Erbe und Erhalter seines Adelsranges, war blind. In früheren
Zeiten wäre der Sohn ja getötet worden; seitdem der Stamm aber seßhaft
geworden war und die Sippen sich zum Christentum bekannt hatten, war man
weitherziger geworden. In diesem Falle sprach auch noch die Tatsache
mit, daß der Junge sonst wohlgebaut und kräftig war, und daß er ein
selten schöner Knabe genannt werden durfte.

Ein Mönch, der herumzog und die Freigebigkeit des Häuptlings bis zur
letzten Nagelprobe auszunützen verstand, riet dem Vater, er möge mit
seiner Frau und dem Jungen eine Pilgerreise zur gnadenreichen
Gottesmutter von Guadalupe unternehmen und mit der Opferung ja nicht
sparen, denn dafür sei die Gottesmutter sehr empfänglich, und sie wisse
den Wert der Gabe wohl zu schätzen.

Der Häuptling ließ sein Gut unter der Aufsicht seines Onkels zurück und
machte sich auf die Pilgerfahrt. Er durfte weder Pferd noch Esel, noch
Wagen gebrauchen und mußte diese gewaltige Strecke von beinahe
zweitausend Kilometer mit Frau und Kind zu Fuß machen, mußte in jeder
Kirche, an der er vorüberkam, dreihundert Ave Marias beten und eine
Anzahl Kerzen und silberne Augen opfern.

Endlich erreichte er Mexiko, und nachdem er viele Stunden in der
Kathedrale gebetet und gefleht hatte, begann der letzte Teil seiner
harten Aufgabe. Von der Kathedrale bis zum Gnadenbilde in Guadalupe sind
fünf Kilometer. Diese fünf Kilometer hatten er, seine Frau und der
kleine Junge auf den Knien zu rutschen, und jeder hatte dabei eine
brennende Kerze in den Händen zu tragen, die trotz Wind und Regen nicht
ausgehen durfte. Wenn eine Kerze zu Ende ging, dann mußte rechtzeitig
eine neue, die geweiht war und darum mehr Geld kostete als andre,
gewöhnliche Kerzen, an der ausbrennenden angezündet werden. Die ganze
Nacht hindurch ging die mühselige Reise. Der Junge schlief ein, und noch
im Schlaf wimmerte er um ein Stückchen Maiskuchen und um Wasser. Aber
sie durften weder essen noch trinken. Sie warteten, bis der Junge sich
wieder ein wenig erholt hatte, und dann ging die Prozession weiter. Alle
Leute, Spanier und Indianer, die ihnen begegneten, wichen ihnen scheu
aus und bekreuzigten sich; denn was für eine unerhörte, nichtswürdige
Sünde mußte diese Familie begangen haben, daß sie eine so furchtbare
Pilgerfahrt abzubüßen hatte.

Völlig erschöpft kamen sie an den Fuß des Cerrito de Tepeyacac,
des Hügels, auf dem die Gottesmutter im Jahre 1531 dem
Quauhtlatohua-Indianer Juan Diego persönlich dreimal erschienen war und
ihr Bild in seinem Ayate, seinem Überwurf zurückgelassen hatte. Hier
lagen sie drei Tage und drei Nächte auf den Knien, betend und flehend.
Der Häuptling hatte sein Vieh und seine ganze Ernte der Kirche
versprochen, wenn ihm die Gottesmutter in seiner Not hülfe. Doch kein
Wunder ereignete sich. Da versprach er endlich, dem Rate des Mönches
folgend, seine ganze Farm und alles, was er habe, zu opfern, wenn die
Gottesmutter seinem Kinde das Augenlicht gäbe.

Aber das erwartete und ihm so sicher versprochene Wunder vollzog sich
auch jetzt nicht. Der Knabe wurde so erschöpft von dem langen Fasten und
der anstrengenden Reise, daß sich seine Mutter endlich ganz seiner
Pflege widmen mußte, um ihn am Leben zu erhalten. Der Häuptling, nicht
mehr wissend, was er noch mehr tun könnte, begann an der Macht der
Gottesmutter im besonderen und an der Macht der christlichen Religion im
allgemeinen zu zweifeln, und er sagte, daß er nun zu den Medizinmännern
seines Stammes gehen wolle, die seinen Vätern oft genug Beweise von der
Macht und der Wunderkraft der alten indianischen Götter gegeben hätten.
Die Mönche verboten ihm, so gotteslästerliche Reden zu führen, und
drohten ihm an, daß seine Familie noch bösere Gebrechen zu erwarten
habe, wenn er nicht aufhöre, seine Zweifel zu äußern. Und sie sagten
ihm, daß er allein die Schuld trüge, die Gnadenmutter wisse wohl, was
sonst kein Mensch wisse, daß er auf der Reise Fehler gemacht habe, eine
Kirche überschlagen habe, sich bei dem Beten der Ave Marias absichtlich
verzählt habe, um schneller fertig zu sein, daß er gegessen habe, wenn
er nicht sollte, und daß er verschiedene Male des Morgens Wasser
getrunken habe, ohne vorher niederzuknien und zu beten. Der Häuptling
mußte schließlich zugeben, daß er wohl einmal nicht dreihundert, sondern
nur zweihundert und achtzig Aves gebetet habe, weil es ihm schwerfalle,
so hohe Zahlen zu behalten. Und gewiß, sagte ein andrer Mönch, habe er
verschiedene Sünden anzugeben unterlassen, als er in der Kathedrale
gebeichtet habe, denn noch jedem, der es verdient habe, hat die
Gnadenmutter aus der Bedrängnis geholfen. Darum möge er die Pilgerfahrt
nach sechs Monaten wiederholen.

Vielleicht ging dem Häuptling das doch zu weit, oder aber – und das ist
wohl das, was am wahrscheinlichsten sein mag – er hatte den Glauben an
die Wundermacht des Bildes verloren. Jedenfalls ging er zurück nach
Mexiko, aß tüchtig und gut und nahm auch seine junge Frau wieder in
seine Arme, was er, getreu der Aufgabe folgend, während der ganzen Reise
nicht getan hatte. Dann hörte er herum in der Stadt, und man nannte ihm
das Haus eines Don Manuel Rodriguez. Don Manuel war ein berühmter
spanischer Arzt, aber er war sehr habgierig und machthungrig. Er
untersuchte den Jungen und erklärte dem Häuptling, daß er wahrscheinlich
fähig sein würde, dem Kinde das Augenlicht zu geben. Was denn der
Indianer zahlen könne?

Der Häuptling sagte, daß er eine Farm habe und viel Vieh. Das ist aber
kein Geld, antwortete ihm Don Manuel, ich brauche Geld, viel Geld.
Darauf sagte ihm der Häuptling, daß er den Arzt zum reichsten Manne in
ganz Neu-Spanien machen wolle, wenn er seinem Sohne das Augenlicht gäbe.
Wie er denn das machen wolle mit seiner Farm, fragte Don Manuel. Ich
weiß eine reiche Gold- und Silbermine, sagte ihm der Häuptling, und die
will ich Ihnen zeigen, wenn mein Sohn sehen kann. Und sie machten den
grausamen Kontrakt, daß Don Manuel das Recht haben solle, dem Kinde das
Licht der Augen wieder auszulöschen, wenn die Mine nicht existiere oder
schon jemand anders gehöre.

Don Manuel arbeitete und operierte mit dem Jungen zwei volle Monate und
vernachlässigte alle seine andern Patienten, darunter sogar den
Geheimsekretär des Vizekönigs. Und nach zwei Monaten konnte der Knabe
sehen wie ein Adler, und Don Manuel erklärte dem Häuptling, daß nun das
Augenlicht dauernd sei. Und das war richtig.

Die Freude des Häuptlings war grenzenlos, und seine Dankbarkeit kam aus
treuem Herzen. ‚Nun will ich dir sagen, Don Manuel, daß ich dich nicht
belogen habe‘, war seine Antwort, als der Arzt wegen der Bezahlung
fragte. ‚Die Mine gehört meiner Familie. Als die Spanier kamen, wurde
sie von meinem Urvater verschüttet, weil wir keine Spanier in unserm
Distrikte haben wollten, weil wir die Spanier haßten, und weil wir
wußten, daß die Weißen das Gold und das Silber mehr liebten als ihren
Gottessohn. Die Mine war verraten worden, und die Spanier kamen und
rissen meinem Urvater und seinem Weibe lebendig die Zungen aus, um zu
erfahren, wo die Mine sei. Aber obgleich sein Mund voll Blut war und die
Schmerzen ihn wahnsinnig machen wollten, lachte mein Vater ihnen ins
Gesicht, und sie bekamen die Mine nicht. Und mein Urvater zeichnete die
Worte nieder, und nach seinem Tode gingen sie von dem Mund des Sohnes zu
dessen Sohne und so fort bis zu meinem Munde: Wenn dir oder deiner
Familie oder deinem Stamme von einem Menschen ein großer Dienst erwiesen
wird, den dir weder der federgekrönte Gott unsres Volkes noch der
blutgekrönte Gott des weißen Volkes erweisen wollte oder nicht erweisen
konnte, so gib den Schatz jenem Menschen, und ihm soll er gehören. Du,
Don Manuel, hast in meinem Sohne mir, meiner Familie und meinem Stamme
jenen Dienst erwiesen, den zu erweisen trotz aller meiner Mühen und
Gebete und Opfer der Gott des weißen Volkes zu schwach war, und dir
gehört darum die Mine. Folge auf meinem Wege, den ich dir sagen will,
nach drei Monaten und sprich zu niemand, was du weißt, und ich will dich
zum reichsten Manne machen in ganz Neu-Spanien.“

„Die Indianer wissen nicht viel mehr Minen, als wir wissen“, sagte
Howard, als er seine Erzählung weiterspann. „Sie haben einmal alle
verborgenen Minen, die nach der Eroberung Mexikos die Indianer, aus
Vergeltung für die Greuel, die man an ihnen verübte, verschüttet und
unauffindbar gemacht hatten, sehr genau gewußt. Aber die Indianer sind
ja nicht wohnen geblieben, wo sie zur Zeit der Eroberung lebten.
Tausende wurden von den Spaniern als Arbeiter und Sklaven nach andern
Distrikten verschleppt, andre wurden in Rebellionen und Kämpfen von
ihren Wohnplätzen in die Gebirge und Dschungel verjagt, andre wurden
durch Blattern und durch Epidemien, die ihnen die weißen Kulturträger
ins Land brachten, ausgerottet, Häuptlingsfamilien starben weg oder
wurden getötet, ehe sie ihr Wissen auf ihre Nachkommen weitergeben
konnten. Darum wird es immer seltener, daß ein Indianer eine
verschüttete Mine kennt. Häufig glaubt er sie nur zu kennen, weil das,
was in seiner Familie über diese oder jene Mine bekannt ist, so
legendenhaft geworden ist, so sehr mit gefundenen und bekannten Minen
verknüpft wurde, daß der wahre Ort unauffindbar ist, um so mehr, als oft
der Ort mit Worten und Merkmalen und Richtungen bezeichnet wurde, die
sich im Laufe der Zeit im Sprachgebrauch geändert haben und auf falsche
Wege führen müssen. Diese Geschichte aber liegt ja weit zurück in einer
Zeit, wo das Erinnerungsvermögen der Indianer noch frischer war, weil es
nicht so sehr durch den Verkehr beeinflußt wurde, wie das der Fall ist,
seit die Eisenbahnen laufen und die Indianer sich viel mehr und rascher
zerstreuen als früher, weil auch sie dahin ziehen, wo sie ihren
Lebensunterhalt leichter finden als an ihrem Geburtsplatz.

Nachdem Don Manuel seine Geschäfte in Mexiko abgewickelt hatte, machte
er sich mit seiner Frau Maria auf die lange und beschwerliche Reise nach
Huacal. Er fand den Häuptling und wurde von ihm aufgenommen besser als
ein Bruder. ‚Mir ist auf der Reise eingefallen,‘ sagte Don Manuel zu
seinem Gastgeber, ‚daß es recht merkwürdig ist, warum du selbst nicht
die Mine ausbeutest, Aguila? Du hättest mir doch hunderttausend
Goldgulden geben können, und ich hätte getan, was du von mir
verlangtest.‘ Der Häuptling lachte: ‚Ich brauche kein Gold, und ich
brauche kein Silber. Ich habe zu essen, habe eine schöne und gute Frau
und einen Sohn, den ich liebe und der stark ist und wohlgebaut. Was wäre
mir Gold? Die Erde bringt Segen, reichen Segen, die Früchte bringen
Segen, reichen Segen, meine Viehherde bringt Segen, reichen Segen. Gold
bringt keinen Segen, und Silber bringt keinen Segen. Bringt es euch, den
weißen Spaniern, Segen? Ihr mordet euch um das Gold. Ihr haßt euch um
das Gold. Ihr verderbt die Schönheit eures Lebens um das Gold. Wir haben
nie das Gold zu unserm Herrn gemacht, wir waren nie seine Sklaven. Wir
sagten, Gold ist schön, und darum machten wir Ringe daraus und andre
Schmucksachen, und wir schmückten uns, unsre Frauen und unsre Götter
damit, weil es schön ist. Aber wir machten es nicht zu Geld. Wir konnten
es ansehen und uns daran erfreuen, aber wir konnten es nicht essen.
Unser Volk und auch die Völker im Tal haben nie um Gold gekämpft oder um
Gold Kriege geführt. Aber wir haben viel gekämpft um Land, um Äcker, um
Flüsse und Seen, um Städte, um Salz, um Herden. Aber um Gold oder um
Silber? Es ist doch nur schön anzusehen. Doch wenn ich Hunger habe, kann
ich es nicht in meinen Magen stecken, und also hat es doch keinen Wert.
Es ist nur schön wie eine Blume, die blüht, oder schön wie ein Vogel,
der singt. Aber wenn du die Blume in den Magen steckst, ist sie nicht
mehr schön, und wenn du den Vogel kochst, singt er nicht mehr.‘ Da
lachte Don Manuel und sagte: ‚Ich werde mir das Gold nicht in den Magen
stecken, Aguila, das glaube nur.‘ Und der Häuptling lachte auch und
sagte: ‚Das glaube ich dir wohl. Ich kann wohl für die Erde dienen, aber
ich kann nicht für Gold dienen, weil ich sonst nichts zu essen habe,
keine Tortillas und keine Camotes. Du verstehst nicht, was ich sage, und
ich verstehe nicht, was du sagst. Du hast ein andres Herz. Aber ich bin
dennoch dein Freund.‘

Sie brauchten drei Tage, in denen sie in den Bergen herumkrochen und im
Dickicht suchten, kratzten und gruben. Don Manuel war geneigt, das lange
Suchen zu mißdeuten und zu glauben, daß der Indianer ihn um seinen Lohn
gebracht habe. Aber wenn er dann wieder sah, wie geschickt und wie
planmäßig der Häuptling die Gegend durchforschte, wie genau er auf den
Stand der Sonne achtete und auf die Schatten, die von den Berggipfeln
geworfen wurden, mußte er doch erkennen, daß ein bestimmter Weg verfolgt
wurde. ‚So ganz leicht, wie du es dachtest, ist das nicht‘, sagte der
Häuptling. ‚Da sind Erdbeben gewesen, und da waren ein paar hundert
Jahre lang Regenzeiten und Wolkenbrüche und Erdrutsche, da haben Flüsse
ihren Lauf geändert, da sind Bäche versiegt und andre sind neu
entstanden. Da sind kleine Bäume groß geworden, und große Bäume, die
einmal Ziele waren, sind gestorben. Es kann auch noch eine Woche dauern,
Don Manuel, du mußt Geduld haben.‘

Es dauerte auch noch mehr als eine Woche. Und der Häuptling sagte am
Abend: ‚Morgen kann ich dir die Mine geben; denn morgen habe ich sie in
meinen Augen.‘ Don Manuel wollte wissen, warum er nicht gleich mit dem
Häuptling hatte reisen können, als jener heimging. ‚Dann hätten wir
trotzdem bis morgen warten müssen, weil die Sonne nicht im Ziel stand.
Jetzt steht sie im Ziel. Ich weiß auch seit ein paar Tagen, wo der Platz
ist, aber morgen habe ich die Mine und kann sie dir geben.‘

Wirklich, am folgenden Tage fanden sie die Mine in einer Schlucht. ‚Da
ist einmal der Berg abgebrochen. Das kannst du auch sehen. Darum war es
so schwer, den Platz zu finden. Da liegt die Mine, und sie ist nun dein.
Mein Haus mußt du aber heute verlassen‘, sagte der Häuptling. ‚Warum?
Ich würde es auch so verlassen, denn ich will in der Nähe der Mine mein
Haus bauen.‘ ‚Ja, mein Haus ist nun nicht mehr gut. Du hast die reiche
Mine und bringst keinen Segen.‘ Der Häuptling wollte ihm die Hand
reichen, aber Don Manuel sagte: ‚Warte, Aguila. Ich möchte dich noch
etwas fragen. Wenn ich von dir hunderttausend Goldgulden verlangt hätte,
damit ich deinen Sohn heilen soll, hättest du dann nicht die Mine selbst
aufgemacht?‘ ‚Gewiß hätte ich das getan,‘ sagt der Gefragte, ‚ich wollte
doch mein Kind geheilt sehen. Aber wenn ich die Summe gehabt hätte,
würde ich die Mine wieder verschüttet haben, weil Gold nicht gut ist.
Was hätte ich auch tun können? Die Spanier würden es erfahren, und sie
hätten mich, meine Frau und meinen Sohn ermordet, um die Mine zu
bekommen. Nach euren Sitten wird ja wegen Gold immer gemordet. Sei
vorsichtig, Don Manuel, daß nicht auch du gemordet wirst, wenn deine
Leute wissen, daß du eine Goldmine hast. Wenn sie wissen, daß du nichts
weiter hast als Brot und Tortillas, wirst du niemals gemordet. Ich will
immer dein Freund bleiben, aber wir müssen uns nun trennen.‘

Don Manuel begann hier sein Lager aufzubauen, und Aguila zog zurück zu
seinem Hause, das eine Tagereise weit von der Mine entfernt lag. Vor
seiner Abreise hatte sich Don Manuel die Certificados von der Regierung
verschafft, die ihn berechtigten, nach Edelmetallen zu suchen und die
Plätze, wo er welche fände, mit seinem Bergungsrecht zu belegen. Er
reiste zurück in die nächste Stadt, wo er seine Frau zurückgelassen
hatte, brachte seine Frau mit sich, und zu gleicher Zeit warb er
Arbeiter an und kaufte die notwendigen Maschinen, Werkzeuge und
Sprengmittel. Nun ging er an die Arbeit, die Mine freizulegen. Seine
kühnsten Erwartungen wurden übertroffen. Die Mine war so reich an
Silber, daß sie alle andern bekannten Minen überbot. Sie gab als
Hauptprodukt Silber, aber als Nebenprodukt kam auch Gold mit vor.

Viele Vorkommnisse hatten ihn gelehrt, daß es am besten sei, wenn man
nicht zu sehr von seiner Mine spreche, sie nicht zu sehr preise. Nicht
nur Privatpersonen, sondern selbst die königlichen Beamten und die hohen
Würdenträger der Kirche verstanden es nur zu gut, einem Manne, der nicht
genügend Macht im Rücken hatte, die Mine aus den Händen zu spielen. Der
Besitzer verschwand plötzlich, niemand wußte, wo er geblieben war, und
die Mine wurde als herrenloses Gut entweder der Krone oder der Kirche
überwiesen. Die Inquisition, die in Mexiko viel länger ihre unheilvolle
Macht ausübte als irgendwo sonst auf der Erde, die erst endgültig hier
verschwand, als die Revolution siegte und das Land eine freie und
unabhängige Republik wurde, wirkte zu jener Zeit noch immer mit
ungeschwächten Kräften. Es genügte, daß ein Bischof Kenntnis einer
reichen Mine erlangte, und der Finder und Besitzer jener Mine wurde
wegen Gotteslästerung, Ketzerei, Zauberei, mangelnden Respekts gegen die
Wunderkraft eines Gnadenbildes vor das Tribunal der Inquisition
geschleppt. Vor diesem Tribunal zitterte selbst der mächtigste Mann im
Lande, der Vizekönig. Wenn er geladen war, trat er diesem Tribunal nur
in Begleitung einer schwerbewaffneten Leibwache gegenüber mit der
Ankündigung, daß seine Truppen und die Artillerie den Befehl haben, auf
das Gebäude der Hohen Inquisition rücksichtslos zu feuern, falls er
innerhalb einer kurz bemessenen Frist nicht wieder in seinem Palaste sei
und sich seinen Soldaten gezeigt habe. Was konnte dann so ein einfacher
Privatmann tun? Es traten zehn oder zwanzig Zeugen auf, die beschworen,
gesehen zu haben, daß der Mann vor der Monstranz nicht gekniet habe,
oder die gehört hätten, daß er gesagt habe, es falle ihm schwer, zu
glauben, daß der Sohn gleichzeitig sein eigener Vater sein könne, oder
daß der Papst keine Irrtümer begehen könnte. Und wurde das beschworen,
so wurde der Missetäter verbrannt, und er durfte es als besondere Gnade
ansehen, wenn er nicht lebendig verbrannt, sondern vor der Verbrennung
erdrosselt wurde. Wie immer aber auch die Strafe ausfiel, war beschworen
worden, daß er schuldig sei, so verfiel sein ganzer Besitz der Kirche.
Darum war es durchaus nicht so merkwürdig, daß hier diejenigen Leute,
die reichen Besitz hatten oder die sich weigerten, der Kirche und den
Klöstern das Land oder die Minen, die sie begehrten, freiwillig
abzutreten, oft viel rascher der Ketzerei angeklagt und schuldig
gesprochen wurden als arme Indianer, die von der Inquisition viel
glimpflicher behandelt zu werden pflegten; denn wer sollte für den armen
Indianer die hohen Kosten der komplizierten Untersuchung zahlen? Denn
hoch waren die Kosten für das Tribunal. Es tat niemand etwas umsonst,
wie die Akten beweisen, und die Zeugen waren die allerletzten, die es
billig machten aus Rücksicht für den heiligen Zweck. Die Macht einer
jeden Religion ist begrenzt. Keine Religion kann diese Grenzen berühren
oder gar zu überschreiten versuchen, ohne abzusterben. Eine Religion,
die zu starr geworden ist, eine Religion, die ihre Elastizität so sehr
verloren hat, daß sie sich in die Entwicklung und in die Zeit nicht mehr
einfügen kann, stirbt ab. Es können nicht ewig ungestraft Kriege geführt
werden von Völkern, deren Religion ihnen verbietet, das Schwert zu
ziehen, und deren Religion ihnen gebietet, nicht zu töten.

Don Manuel war gewitzigt dank der reichen Erfahrungen, die andre gemacht
hatten. Er schickte kein Silber und kein Gold fort. Er speicherte es auf
und wartete auf seinen Tag. Trotzdem ihm die Mine so reichen Gewinn
abwarf, behandelte er doch seine indianischen Arbeiter recht erbärmlich,
zahlte ihnen kaum so viel Lohn, daß sie satt wurden, ließ sie arbeiten,
bis sie zusammenbrachen oder gar wegstarben, und wenn sie nicht genügend
schafften, ließ er noch mit der Peitsche nachhelfen. Mit Negern läßt
sich so für eine lange Zeit wirtschaften, mit Indianern nicht. In den
dreihundert Jahren spanischer Herrschaft in Mexiko haben die Spanier nie
und zu keiner Zeit das ganze Land in unbestrittenem Besitz gehabt.
Irgendwo war immer Rebellion, Aufruhr und Empörung. Und war sie an einer
Stelle brutal und menschenunwürdig unterdrückt, brach sie woanders
wieder aus. Das war im großen so, und das war auch so im kleinen. Und
eines Tages war Rebellion in der Mine des Don Manuel. Seine Frau, Donja
Maria, konnte noch rechtzeitig fliehen, aber er wurde erschlagen. Seine
Schätze wurden nicht geraubt, sondern, nachdem Don Manuel tot war,
verließen die indianischen Arbeiter den Platz und kehrten in ihre Dörfer
zurück.

Als Donja Maria durch Boten erfahren hatte, daß die Mine wieder sicher
sei, kehrte sie zurück, um die Arbeit fortzusetzen. Sie fand die
erbeuteten Schätze schön und sicher vergraben. Was sie besaß, hätte
genügt, daß sie ihr Leben sorgenlos führen konnte bis an das Ende ihrer
Tage.

Aber sie hatte sich in den Kopf gesetzt, nach Spanien zurückzugehen und
dort als die reichste Frau zu erscheinen. Da sie noch jung war und auch
Schönheit reichlich mit auf den Lebensweg bekommen hatte, so hegte sie
die Hoffnung, in Spanien ein Schloß und ein adliges Gut zu kaufen und
durch die Verheiratung mit einem Marquis dem Hofe nahezukommen. Es
hatten ja spanische Granden Töchter aztekischer, tezkukischer und andrer
indianischer Fürsten Mexikos und Perus geheiratet nur ihres Reichtums
wegen. Warum sollte sie, die aus anständigem bürgerlichen Hause war, mit
Hilfe ihres unermeßlichen Vermögens nicht viel leichter noch einen
Marquis zum Gatten bekommen?

Sie verstand zu rechnen, vielleicht noch besser als ihr erschlagener
Mann. Sie rechnete aus, wieviel ein Schloß und wieviel ein altadliges
Gut in Spanien kosten würde, wieviel die Unterhaltung dieses Besitzes,
Dienerschaft, Wagen, Pferde und Reisen kosten würden, wieviel der
Marquis gebrauchen würde, und wieviel sie selbst noch täglich auszugeben
hätte, um eine glänzende Rolle bei Hofe spielen zu können. Sie kam auf
eine ansehnliche Summe. Aber immer fand sie, daß da noch vieles sei, was
sie nicht bedacht habe, daß da noch Abgaben an die Regierung seien, daß
sie eine Kirche zu bauen habe, um die hohen Herren der Inquisition
günstig zu stimmen und sie nicht lüstern werden zu lassen. Und dann
arbeitete sie noch so lange, bis der ausgerechnete Betrag verdoppelt
werden konnte. Damit war sie gegen alle Fehlrechnungen gesichert. Es
waren fürwahr harte Jahre, wo sie zu kämpfen hatte. Fern von der
Zivilisation, fern jeder, auch der kleinsten Bequemlichkeit, Tag und
Nacht auf dem Posten, geschickt mit den Arbeitern umgehend, daß ihr Lohn
nicht zu hoch sei, daß er aber auch wieder gut genug sei, daß sie
aushielten und sich nicht empörten. Da mußte auch an Überfälle gedacht
werden, an Banditenhorden, die sich aus Verbrechern, aus desertierten
Soldaten, aus entsprungenen Strafgefangenen, aus dem Auswurf der Städte
gebildet hatten und die marodierend, unter Indianern und Weißen gleich
Schrecken verbreitend, im Lande umherzogen.“




                                   16


Der blasse Neid muß es der Donja Maria lassen, daß sie sich den
zahlreichen Aufgaben besser gewachsen zeigte als ihr ehemaliger Gatte.
Sie fürchtete weder Tod noch Teufel, weder marodierende Banditen noch
rebellierende Indianer, und sie wäre sicher auch noch mit der
Inquisition in irgendeiner Weise fertig geworden, wenn die Frage an sie
herangetreten wäre. Sie war robust, ausdauernd und unternehmend; aber
wenn sie damit nicht durchkam, so gewann sie um so sicherer mit ihren
diplomatischen Fähigkeiten. Sie konnte lachen, wenn es ihr nützlich
erschien, sie konnte weinen, wenn sie das für wertvoller hielt, sie
vermochte zu fluchen wie ein Straßenräuber, und sie konnte inniger beten
als ein Franziskanermönch. Arbeiten konnte sie für sechs Indianer, und
wenn es nicht so ging, wie sie es wollte, dann packte sie mit gesunden
Fäusten selbst zu, und die Indianer, ungewohnt, eine Frau so schwere
Arbeit scheinbar spielend verrichten zu sehen, gerieten in eine Art von
Bann, wo sie tun mußten, was Donja Maria von ihnen verlangte. Das ging
so Jahre hin. Schließlich aber bekam sie doch eine solche Sehnsucht nach
Spanien, nach einem sauberen Hause, einer guten Küche, einem molligen
Schlafzimmer und nach einem Gesponst, mit dem sie hätscheln und
tätscheln konnte, daß sie sich eines Tages entschloß, aufzupacken und
abzuziehen. Als sie ihr Vermögen überschlug, fand sie, daß es reichen
konnte für jeden Luxus, der sich nur ausdenken lasse.

Sie hatte sich einen bewaffneten Schutztrupp herangebildet, der dafür
diente, die Mine und die aufgespeicherten Schätze zu bewachen und zu
verteidigen. Der Trupp bestand aus Indianern, einigen Mestizen und zwei
spanischen Soldaten, die desertiert oder entlassen worden waren. Einer
dieser beiden Spanier machte sie zum Führer bei Tage und den andern zum
Führer in der Nacht.

Das Metall, von dem etwa ein Sechstel Gold, alles übrige aber gediegenes
Silber war, hatte sie in rohe Blöckchen und Barren gegossen, damit es
sich leichter transportieren lasse. Diese Blöckchen wurden in Kisten
sicher verpackt. Wie groß der Reichtum war, den sie aus der Mine geholt
hatte, ist daraus zu ersehen, daß sechzig Maultiere, jedes einzelne bis
zur Grenze der Tragfähigkeit beladen, nötig waren, um das Metall
abzutransportieren.

Die Karawane mit ihren zwanzig bewaffneten Begleitmannschaften machte
sich auf die Reise. Zweitausend Kilometer bis nach der Hauptstadt
Mexiko. Keine richtige Straße, über Wüstengelände, über steile Gebirge,
durch Flüsse, durch Schluchten und Felsklammen, durch Urbusch und
Urwald, durch Dschungelgebiete, einige Tage in den eiseskalten Winden
der Sierra, dann in der glühenden Hitze der tropischen Regionen und dann
wieder über schneebedeckte Gebirgspartien und wieder durch fieberschwüle
Dschungellandschaften.

Und dann kam ein Abend, wo ihr das Lager merkwürdig bewegt erschien. Sie
sah näher zu und fand, daß der eine Spanier den Versuch gemacht hatte,
die Dinge zu seinen Gunsten zu ändern. Er kam zu ihr und fragte: ‚Wollen
Sie mich heiraten oder nicht, Donja Maria?‘ ‚Ich, Sie? Einen solchen
Straßenräuber? Einen, der vom Galgen heruntergefallen ist, weil der
Henker einen morschen Strick gebraucht hat, statt eines guten neuen?‘
Darauf sagte der Bursche: ‚Ich nehme es auch ganz gern ohne Sie,
Senjora. Ich kriege auch noch eine Hübschere.‘ ‚Was nehmen Sie ohne
mich?‘ fragte Donja Maria. ‚Was da in den Kisten ist.‘ ‚Nicht, solange
ich dabei bin, du Bastard.‘ Der Mann hob die Hand, zeigte rüber, wo die
Leute lagerten, und sagte grinsend: ‚Dann sehen Sie nur erst einmal
dorthin, vielleicht überlegen Sie es sich mit der Heirat. Eine Stunde
will ich schon gern warten.‘ ‚Da magst du auch gut dein ganzes Leben
warten, wenn du nicht vorher gehenkt wirst.‘

Sie ging aber doch rüber zu den Leuten und fand, daß der Bursche eine
schöne Arbeit geleistet hatte. Der andre Spanier und die Indianer waren
gebunden, während die Mestizen auf der Seite dieses Mannes waren und an
dem Geschäft teilzunehmen gedachten. Sie standen da, die Pistolen im
Gürtel, und sahen die Frau frech und grienend an.

‚Schöne Arbeit, das muß ich sagen‘, meinte Donja Maria zu dem Burschen,
der ihr hinterher folgte. ‚Nicht wahr?‘ gab er zur Antwort. ‚Da werden
Sie wohl nun nicht mehr lange überlegen und brav und schön ja sagen‘,
fügte er hinzu.

‚Nein, da hast du recht, du Hund von einem Bastard, da werde ich nicht
lange überlegen‘, sagte sie. Gleichzeitig hatte sie von einem der
Sättel, die auf dem Boden lagen, eine Peitsche ergriffen, und ehe der
Mann auch nur sah, was los war, hatte sie ihm einen erbarmungslosen Hieb
quer über das Gesicht gezogen, der seine Augen blendete. Er taumelte,
und sie ließ blitzschnell ein halbes Dutzend über sein Gesicht
nachfolgen. Dann brach er zusammen und rührte sich nicht mehr. Aber sie
fing erst an. Die Mestizen waren so erstaunt über das, was sie sahen,
daß sie weder an Fortlaufen noch an Schießen dachten. Und als sie zum
Bewußtsein kamen, was mit ihrem Führer geschehen war, sausten ihnen auch
schon die Peitschenhiebe über das Gesicht. Die nicht fielen, begannen,
mit den Armen ihr Gesicht bergend, zu rennen. Donja Maria sprang zu dem
andern Spanier und schnitt die Stricke, mit denen er gefesselt war, mit
ein paar kurzen Rucken auf. Der befreite sofort die Indianer, und die
waren im Nu auf den Pferden und lassoten die Mestizen ein.

‚Häng’ den Bastard‘, rief Donja Maria und zeigte auf den Spanier, der
sie zu heiraten gedacht hatte und der sich schwerfällig vom Boden zu
erheben begann. Eine halbe Minute später hing er. ‚Was habe ich dir Hund
gesagt?‘ rief sie ihm zu, während die Indianer ihn hochzogen. ‚Ich habe
dir doch gesagt, daß du vorher gehenkt wirst. Und mit euch?‘ wandte sie
sich den Mestizen zu. ‚Euch müßte ich auch hängen lassen. Aber ich werde
euch noch ein Loch offen lassen, ihr lauft ja doch alle dem Henker in
die Schlinge, und ich will ihm nicht das Geschäft verderben. Aber das
kann ich euch sagen, wenn ihr das noch einmal versucht, peitsche ich
euch persönlich, bis die Fetzen von eurem Kadaver hängen, dann lasse ich
euch rösten und darauf hängen. Ihr braucht nicht zu bleiben, könnt
gleich gehen, brauche euch nicht. Lohn kriegt ihr nicht, und die
Pistolen nehme ich euch auch wieder ab. Aber wenn ihr durchaus bleiben
wollt, schenke ich euch in Mexiko die Pistolen, die Sättel und die
Pferde, die ihr reitet. Höre mal, du Spanier,‘ sie ging nun zu dem Manne
hin, der auf ihrer Seite war, ‚wie heißt du? Ja, Rügo. Wenn wir in
Mexiko sind, kriegst du‘ – sie hatte sagen wollen ‚das ganze Maultier‘,
überlegte es sich aber noch rechtzeitig und sagte: ‚da kriegst du die
rechte Seitenladung des Mulas da drüben, und die Indianer kriegen die
halbe Ladung der linken Last, die können sie sich teilen.‘ Damit war die
Meuterei zu Ende.

Da waren aber auch die marodierenden Horden, mit denen man sich
herumzubalgen hatte und gegen die sie die Fracht auf Blut und Leben zu
verteidigen hatte. Was scherten sich die Horden um Blut und Leben? Die
kämpften bis auf den letzten Tropfen, denn es gab immer nur zu gewinnen,
und auf das Leben, das sie dagegen einsetzten, pfiffen sie, weil darüber
ja sowieso schon lange in einem Gerichtsurteil, oft in mehreren,
endgültig verfügt war.

Es fiel auch ein Tier mit seiner Ladung in die Schlucht, und die Ladung
mußte geborgen werden, oder ein Tier sank mit seinem Reichtum in einen
Sumpf oder verschwand beim Überschreiten eines Flusses. Es war noch sehr
in Frage zu stellen, ob es leichter war, die Schätze aus der Mine zu
holen, oder ob es leichter war, die Schätze sicher nach Mexiko zu
bringen, ohne daß das Leben der Donja Maria auf der Strecke blieb.

Sie durchlebte auf der Reise eine wahrhaft beklagenswerte Zeit, und wenn
sie an die harte Zeit der vielen Jahre bei der Mine zurückdachte, so war
jene Zeit nicht weniger beklagenswert gewesen. Nie war sie ihres Lebens
froh gewesen, seit sie im Besitze der Mine war. Und sie wußte sich nicht
einer einzigen Stunde zu erinnern, wo sie sich ihres Lebens oder ihres
Schatzes vollkommen sicher gefühlt hatte. In Wahrheit, wenn sie an alles
dachte und sich aller Tage erinnerte, so hatte sie das erbärmlichste
Leben geführt, das sich nur denken läßt, ein Leben, viel erbärmlicher
als das eines Tieres. Immer in Furcht, immer in Sorgen. Schwere Träume
störten ihren Schlaf, und sie fand nie eine Erholung aus den qualvollen
Gedanken, die sie hetzten und jagten während des Tages. In all dem
Jammer ihres traurigen Daseins hatte sie nur ein, nur ein einziges
leuchtendes und strahlendes Bild: jenen Augenblick, wenn sie ihren
Schatz abgeliefert hatte in dem Sicherheitshause der königlichen
Regierung in Mexiko.

Dieser Augenblick, den zu erleben sie ein so erbarmungswürdiges Dasein
während der letzten Jahre geführt hatte, kam. Sie erreichte die Stadt
Mexiko, ohne daß sie auch nur einen Barren ihres kostbaren Gutes
verloren hätte. Sie wurde vom Vizekönig persönlich empfangen, und es
wurde ihr die hohe Ehre zuteil, daß der Vizekönig sich mit ihr in
Privataudienz lange unterhielt. Ihre Freude und ihre Dankbarkeit gegen
den hohen Herrn kannte kaum noch irgendwelche Grenzen, als er ihr
versprach, daß er den Schatz, den sie in so harter entsagungsreicher
Arbeit erworben habe, in den Gewölben aufbewahren wolle, die sonst nur
der Verwahrung des königlichen Schatzes und der Staatsgelder dienen.

Das war viel mehr, als Donja Maria je erhofft hatte. Nirgends in ganz
Neu-Spanien, nicht einmal in den Katakomben der Kathedrale oder in einem
Kloster war ihr Schatz so gut verwahrt und so sicher aufgehoben wie in
den festen Gewölben der Regierung und unter der persönlichen
Verantwortung und Bürgschaft des Vizekönigs, der höchsten Macht im
Lande. Hier endlich lag ihr Schatz sicher und wohlverwahrt, bis sie ihn
unter militärischer Bedeckung zum Schiff transportieren und dann mit
sich nach dem Lande ihrer Sehnsucht nehmen konnte. Sie versprach dem
Vizekönig für seine gnädige Fürsorge, die er ihr angedeihen ließ, einen
Anteil an ihrem Schatze, der hoch genug war, daß selbst ein Vizekönig in
Neu-Spanien ihn einen fürstlichen Anteil nennen konnte.

Dann zahlte sie ihren Leuten die Löhne und entließ sie. Hierauf suchte
sie ihren Gasthof auf, den besten, den die Stadt hatte.

Und nun endlich, nach so vielen Jahren, konnte sie sich ruhig zum
Schlafe niederlegen. Zum ersten Male seit Jahren konnte sie ruhig
aufatmen, ruhig und bedachtsam und ungestört essen. Endlich durfte sie
auch einmal andre und schönere Gedanken haben, als sie in allen den
Jahren in ihrem Hirn herumzuwälzen gehabt hatte.

Aber dann geschah etwas, was sie nicht erwartet hatte, obgleich es
keineswegs merkwürdig, sondern ganz natürlich war. Der Schatz verschwand
nicht und wurde auch nicht aus den Gewölben bei Nacht und Nebel
gestohlen. Aber etwas andres verschwand. Donja Maria hatte sich in dem
Gasthofe zum Schlafe niedergelegt, wohlgeborgen in einem weichen,
herrlichen Bett. Aber niemand hatte sie wieder aufstehen sehen. Niemand
hat je wieder etwas von Donja Maria gesehen. Niemand hat je wieder etwas
von ihr gehört. Sie war verschwunden, und kein Mensch konnte angeben, wo
sie geblieben war.

Das ist eben sehr einfach,“ so schloß Howard seine Erzählung, „die Donja
Maria hatte nur eins vergessen, daß Gold auch manchmal unsichtbar macht.
Ich wollte euch die Geschichte ja auch nur erzählen, um euch zu zeigen,
daß der Transport ebensogut seine Schwierigkeiten hat wie das Suchen und
das Graben. Und selbst wenn man alles so schön in Sicherheit zu haben
glaubt, so ist das dann noch nicht entschieden, ob man sich davon auch
nur eine Tasse Kaffee wird kaufen können. Das alles ist ja der Grund,
warum Gold so teuer ist.“

„Gibt es denn da keine Möglichkeit,“ sagte Curtin, „daß man vielleicht
herausfinden kann, wo die Mine war? Die Frau hat doch nicht alles
ausgebeutet, die hat doch genug zurückgelassen.“

„Die Mine kannst du sehr leicht finden,“ erwiderte Howard, „aber du
kommst zu spät. Die wird von einer großen Minengesellschaft ausgebeutet,
und sie hat der Gesellschaft schon zehnmal mehr eingebracht, als sie der
verschwundenen Senjora gebracht hatte. Die Mine scheint in der Tat
unerschöpflich zu sein. Kannst sie ganz leicht finden, sie heißt
‚Donja-Maria-Mine‘, und sie liegt in der Nähe von Huacal. Kannst
arbeiten da im Wochenlohn, wenn es dir Vergnügen macht.“

Die Männer saßen noch eine Weile um das langsam verglimmende Feuer, und
dann begannen sie aufzustehen. Sie reckten sich, traten mit den Füßen
auf den Boden und wollten hinüber zum Zelt gehen.

„Die Geschichte ist schon mehr als hundert Jahre alt“, sagte da Lacaud.

„Das hat ja niemand bestritten“, sagte Dobbs.

„Ich weiß aber eine Geschichte, die nur zwei Jahre alt ist und die
ebensogut ist oder noch besser.“

„Ach, halt’s Maul,“ sagte Dobbs gähnend, „wir wollen deine Geschichte
nicht hören, auch wenn sie nur eine Woche alt sein sollte. Deine
Geschichte kennen wir schon, die interessiert uns ebensowenig wie du.
Und wenn du gar nichts sagst, so ist uns das schon am liebsten. Du bist
ja ein Ewiger.“

„Ein was?“ fragte Lacaud.

„Ein Nischt“, sagte Dobbs und trottete hinter den beiden, die
vorausgegangen waren, nun auch zum Zelt hinüber.

Am folgenden Morgen, dem vorletzten, den sie hier zu verbringen
gedachten, waren die drei so aufgeregt, daß sie sich kaum Ruhe nahmen,
zu frühstücken. Sie krochen in ihre geheimen Verstecke, und jeder
brachte sein Häuflein Arbeitsgut hervor. Es waren Körnchen, Sand und
Staub, sorgfältig eingedreht in altes Zeltleinen und mit einem Bindfaden
verschnürt. Jeder besaß ein ganz ansehnliches Häufchen solcher Säckchen.
Die Aufgabe war nun, diese Säckchen gut und unauffällig zu verpacken.
Sie kamen in getrocknete Wildhäute, und so wurden nun festverschnürte
Packen gemacht, die durchaus den Anschein erweckten, als seien sie
Packen, die nur aus trockenen Fellen bestanden. Diese Packen kamen
hierauf in Säcke, und die Ladung war fertig.

Dobbs und Curtin gingen dann auf die Jagd, um noch ein Stück Wild zu
bekommen für die Reise. Howard zimmerte Tragsättel für die Esel und
überholte das Riemen- und Leinengut, damit sie auf der Reise nicht durch
Brüche der Verpackungen aufgehalten würden. Lacaud war wieder seine
eigenen Wege gegangen und stöberte in dem Gebüsch in der Nähe der
Weidefläche herum. Aber er sagte nicht, was er suche, und von den dreien
fragte ihn niemand. Sie betrachteten sein Gebaren weder mit dem Ausdruck
von Mitleid noch mit dem von Spott. Mitleid war ihnen fremd, und um ihn
zu verhöhnen, dazu fühlten sie sich nicht interessiert genug. Es war
ihnen nunmehr ganz gleichgültig, was der Mann tat, solange er ihnen
keine Unbequemlichkeiten bereitete. Selbst wenn er einen Berg aus
gediegenem Golde gefunden haben würde, sie wären noch sehr im Zweifel
gewesen, ob sie ihren Plan, am folgenden Morgen abzureisen, auch nur um
einen Tag verschoben hätten. Sie hatten sich in die sofortige Abreise so
sehr verbissen, daß nichts sie hätte aufhalten können. Sie waren mit
einem Male der Einsamkeit, der Schufterei und der harten Lebensweise so
überdrüssig geworden, daß sie nichts nennen konnten, was sie bewogen
haben könnte, auch nur einen Tag länger hierzubleiben. Ihre Stimmung war
so, daß sie Lacaud halbtot geprügelt haben würden, wenn er auch nur den
Versuch gemacht haben würde, sie zu überreden, noch eine Woche hier zu
verweilen, weil er einer großen Sache auf der Spur sei. Als Howard so
nebenbei hinwarf, daß Lacaud genau zu wissen scheine, was er wolle, denn
er handle nicht ganz so träumerisch wie ein Ewiger, da sagte Curtin:
„Mich kann nichts verführen. Er könnte mir ein Stück bringen so groß wie
meine Faust. Ich will es gar nicht haben.“

„Haben? Warum nicht?“ sagte Dobbs. „Haben schon. Aber wie fortkriegen?
Wir können das, was wir haben, ja schon kaum heimkriegen. Ich will
nichts mehr, oder er müßte es mir schon nach Durange bringen. Also nun
ruhig davon.“

Diesen Abend saßen sie ziemlich schweigsam am Feuer. Jeder war mit
seinen Gedanken und Plänen viel zu sehr beschäftigt, als daß er etwas
erzählt hätte, oder als daß er einem andern in Ruhe hätte zuhören
können. Es war noch dunkel, als sie das Zelt abbrachen und sich auf den
Weg machten.

„Du bleibst wohl noch hier?“ fragte Curtin den Lacaud.

„Ja, ich habe hier noch zu tun“, sagte der.

„Dann viel Glück, Junge. Vielleicht haben wir später einmal Zeit, deine
schöne Geschichte zu hören“, meinte Dobbs lachend. „Dann kannst du
vielleicht auch Beweise bringen.“

Lacaud schob die Hände in die Taschen und antwortete: „Beweise? Beweise,
sagst du? Die kann ich jetzt schon bringen. Aber ihr habt ja keine
Zeit.“

„Die haben wir auch nicht“, sagte Dobbs. „Darum müssen wir jetzt gehen.
Wir haben es eilig, ins Trockne zu kommen.“

Howard gab Lacaud die Hand und sagte: „Ich habe dir da Salz, Pfeffer und
noch einige andre Kleinigkeiten zurückgelassen, die uns nur im Wege
sind. Kannst du vielleicht brauchen. Da liegt auch noch ein Stück
Zelttuch. Magst du auch haben, ist gut für den Regen in der Nacht.“

„Danke“, erwiderte Lacaud.

Auch Dobbs und Curtin schüttelten Lacaud die Hand. Dobbs gab ihm Tabak,
und Curtin gab ihm eine Handvoll Patronen. Jetzt, als sie schieden,
wurden sie mit einemmal Freunde. Curtin hatte es bereits auf der Zunge,
ihn einzuladen, mit ihnen zurückzugehen, weil es ja hier für ihn
fürchterlich sein müsse, allein in dem Dickicht zu hocken, und wo gar
keine Hoffnung sei, etwas zu finden, weil sie lange genug hier gewesen
seien und jedes Steinchen umgewendet hätten und sie genau wüßten, was
und was nicht hier zu finden sei. Aber er sagte es nicht und sagte nur:
„Good bye.“

Howard hatte ein ähnliches Verlangen. Er wollte ihn ersuchen,
mitzukommen, und er gedachte, ihm eine Anstellung in seinem Kino zu
geben, als Vorführungsoperateur oder als Hausverwalter. Aber auch er
sprach das nicht aus, gab ihm nur die Hand und sagte nur: „Good luck.“

Und Dobbs dachte, daß ein Mann mehr auf der Reise nicht schaden könne,
es sei ein Schutz mehr gegen Banditen, und wenn man die Ladung auf vier
Mann verteile, sehe sie nicht so auffällig aus, aber er schüttelte ihm
die Hand nur kräftig und sagte freundlich: „So long.“

Lacaud hatte jedem ebenfalls ein kurzes Wort zum Abschied gesagt, dann
stand er eine Weile und sah den Leuten nach. Als er sie nicht mehr sehen
konnte, drehte er sich zum Feuer, stieß mit der Stiefelspitze darin
herum und sagte laut: „Schade.“




                                   17


Die Reisenden hatten mit ihrem Packzuge einen weiten Umweg zu gehen, um
zu vermeiden, das Dorf, wo Curtin die Einkäufe zu machen pflegte, nicht
zu berühren und nicht von den Bewohnern gesehen zu werden. Sie wollten
die Leute des Dorfes in dem Glauben lassen, daß Curtin noch immer dort
oben sei. Als sie weit aus dem Bereiche des Dorfes waren, blieben sie
auch nicht auf den Wegen, sondern wanderten Pfade, wo sie sicher waren,
selten jemand zu begegnen. Je weiter sie aus dem Distrikt sich
entfernten, desto mehr durften sie hoffen, ungesehen die Stadt zu
erreichen. Waren sie erst einmal in der Stadt, dann waren sie und ihr
Gut in Sicherheit. Da gingen sie in ein Hotel, packten alles schön um
und setzten sich mit unauffälligen Koffern in die Bahn.

Sie hatten jetzt kaum noch bares Geld in der Tasche, einige Pesos, und
die sollten reichen bis zur Stadt. Dort konnten die Esel und was man
sonst nicht brauchte, verkauft werden, und das gab dann das Fahrgeld.
Aber die Stadt mußte erst geschafft werden. Und das erforderte seine
Zeit. Die Entfernung war nicht so erheblich. Aber die Wege wollten sie
nicht gehen, weil sie dort leichter Banditen oder Landpolizei treffen
konnten als auf den versteckten Pfaden. Je weniger Leuten sie
begegneten, um so lieber war es ihnen.

Nun liefen die Pfade nicht alle so, wie sie es gewünscht hätten. Alle
Pfade führen entweder zu einem Dorf oder zu einer menschlichen
Behausung. Da stießen sie zuweilen ganz plötzlich auf ein Dorf, wenn sie
es weder erwartet noch gewollt hatten. Und waren sie erst einmal in
Sicht eines Dorfes, so konnten sie nicht gut umkehren. Das hätte sie
verdächtig gemacht.

So kamen sie am zweiten Tage in ein Indianerdorf. Es hatte sich nicht
vermeiden lassen. Sehr ungewöhnlich ist es nicht, daß eine Eselkarawane
durch einen Ort zieht. Daß nur weiße Männer diese Karawane führen, ist
zwar selten, aber es machte sich niemand Gedanken darüber, weil die
Weißen ja manchmal recht merkwürdige Ideen haben.

Als sie nun mitten im Ort waren, sahen sie vor einer Hütte vier
Mexikaner stehen. Drei von ihnen hatten einen Patronengürtel
umgeschnallt und hinten auf der Hüfte den Revolver.

„Das ist Polizei“, sagte Dobbs zu Howard. „Jetzt sitzen wir drin.“

„Scheint wahrhaftig Polizei zu sein“, erwiderte der Alte.

Dobbs hielt die Esel an, aber Howard stieß ihn an und sagte: „Nur keine
Dummheiten jetzt. Wenn wir so plötzlich anhalten oder gar umkehren, dann
sind wir fertig. Dann merken die gleich, daß hier etwas nicht stimmt.
Nur ganz ruhig darauflos, als ob wir ein klares Gewissen hätten. Das
haben wir ja auch. Es ist nur wegen der Taxe und der nicht eingeholten
Lizenz.“

„Kann uns aber den ganzen Bettel kosten.“ Dobbs fluchte.

Inzwischen kam auch Curtin näher.

„Was will denn der Mann mit der Brille?“ fragte er und deutete mit dem
Kopf hinüber zu dem Manne, der nicht bewaffnet war, und der am Eingang
zu der Hütte stand und offenbar mit den Bewohnern redete.

„Ist wahrscheinlich ein Regierungskommissar“, sagte Dobbs. „Weiß der
Henker, was hier los ist. Laß uns ganz ruhig weitergehen.“

Die Mexikaner hatten die Ankommenden nicht bemerkt. Erst als sie den
Platz erreichten, wo die Hütte stand, drehte sich einer der Polizeileute
nach ihnen um. Dann schien er den andern etwas zu sagen, und darauf
drehten sich alle um und sahen den Reisenden nach, die gemächlich
weitergingen. Als sie schon den Platz beinahe überschritten hatten, rief
mit einem Male einer der Männer ihnen nach: „Hola, Senjores, un
momento!“

„Nun sitzen wir fest“, sagte Dobbs halblaut.

„Ich gehe rüber, allein,“ schlug Howard vor, „ihr bleibt hier bei den
Eseln. Ich will hören, was die wollen.“

Howard ging hinüber. Als er vor den Männern stand, sagte er: „Guten Tag,
womit können wir dienen?“

„Kommen Sie von den Bergen runter?“ fragte einer der Beamten.

„Ja, wir haben gejagt.“

„Sind Sie alle geimpft?“ fragte der Mann nun.

„Ob wir was? Ob wir geimpft sind?“ Howard sprach es mit leichten Worten,
denn er hatte sofort erkannt, was die Männer hier wollten.

„Freilich, wir sind alle geimpft. Schon als ganz kleine Kinder. Das ist
bei uns gesetzlich. Ich bin sicher schon zehnmal geimpft worden in
meinem Leben.“

„Wann das letztemal?“

„Vor zwei Jahren.“

„Haben Sie das Certificado bei sich?“

Howard lachte: „Das trage ich doch nicht immer in der Tasche.“

„Natürlich nicht“, sagte nun der Mann. „Aber dann muß ich Sie jetzt hier
impfen. Wir sind die Impfkommission, und wir müssen jeden impfen, den
wir hier in den Dörfern treffen.“

Der Mann mit der Brille ging in die Hütte und kam mit seinem Kasten
hervor. Er öffnete ihn, Howard entblößte den Oberarm, und der Mann
kratzte ihm mit der Nadel ins Fleisch. „Mit Ihnen haben wir es leichter
als mit den Leuten hier“, sagte er lachend. „Hier die Leute müssen wir
auflauern, die rennen in die Berge und in das Dickicht, weil sie
glauben, wir wollen ihnen den Kopf abschneiden.“

„Ja,“ meinte einer der Polizeimänner, während er ein Buch herausnahm,
„hier die gesamte Einwohnerschaft zu impfen, kostet uns mehr Mühe, als
wenn wir eine Horde Banditen einfangen sollen. Aber die Seuche nimmt
überhand, wenn wir nicht alles hier zum Impfen herankriegen. Die Kinder,
das ist das Schlimmste. Die Frauen machen ein Geschrei, als ob wir die
Kinder ermorden wollten, und kämpfen wie Wahnsinnige mit uns, wenn wir
die Nadel ansetzen wollen. Da, sehen Sie mein Gesicht, ganz zerkratzt
von den Weibern, und hier mein Kollege hat eine schwere Beule am Kopfe,
wo ihn die Weiber mit einem Stein getroffen haben. Wir sind schon vier
Tage hier. Alle haben sich verkrochen, und wir müssen sie aushungern,
bis sie wieder hereinkommen. Nach und nach kommen sie ja, weil sie
gesehen haben, daß die Kinder, die wir schon geimpft haben, noch immer
am Leben sind. Aber wie sollen wir es ihnen denn klarmachen, daß wir nur
zum Besten der Leute und ihrer Kinder hier arbeiten.“

Während der Zeit hatte er in dem Buche herumgeblättert und kam zu den
leeren Blättern.

„Schreiben Sie hier auf beide Seiten Ihren Namen hin“, sagte der Beamte.

Howard schrieb und gab das Buch zurück.

„Ihr Alter?“

Der Beamte schrieb es ein, unterschrieb das Blatt, riß die eine Hälfte
des Blattes an der perforierten Linie aus und gab sie Howard.

„Hier haben Sie Ihr Certificado, diesen andern Abschnitt behalten wir in
unserm Buch. Schicken Sie Ihre beiden Kameraden auch herüber. Es wird
ihnen nichts schaden, auch wenn sie schon zehnmal geimpft sind.“

„Was habe ich denn nun zu bezahlen?“ fragte der Alte. „Wir sind sehr
knapp mit Geld.“

„Da haben Sie nichts zu bezahlen. Das kostet nichts. Bezahlt die
Regierung.“

„Das wäre ja dann recht billig“, sagte Howard lachend und schob den
Ärmel herunter.

„Wir wissen ja,“ sagte nun einer der andern Beamten, „daß Sie alle
geimpft sind, oder wir nehmen es wenigstens an. Aber wir tun es hier mit
Vorliebe, daß wir Sie impfen. Wir sind recht dankbar, daß Sie gerade
hier zur rechten Zeit vorbeikommen. Die Einwohner hier, die sehen von
ihren Verstecken aus ja jede Bewegung, die wir machen. Darum haben wir
uns auch gerade diese Hütte ausgesucht, die steht am freiesten. Wenn die
Leute nun sehen, daß wir keinen Unterschied machen zwischen Indianern
und Weißen, und daß Sie hier Ihren Arm hinhalten, als ob Sie das jeden
Tag täten, so bekommen die Leute Vertrauen und sehen, daß es nicht das
Leben kostet.“

Howard ging hinüber und schickte Dobbs und Curtin zum Impfen.

„Ich wüßte nicht, was ich lieber täte,“ sagte Curtin lachend, „jeden
Augenblick dachte ich, sie werden kommen und dumme Fragen machen.“

„Wenn es dir Vergnügen macht,“ sagte Howard, „dann kannst du denen
erzählen, was du in den letzten Monaten getan hast. Die haben kein
Interesse für deine Familienangelegenheiten. Die sind die
Impfkommission, und alles, was nicht mit Impfen zu tun hat, läßt sie
kalt. Die impfen einen verfolgten Banditen, der gerade vorüberkommt, und
lassen ihn laufen. Es gehört nicht zu ihrem Geschäft, Banditen
einzufangen.“

„Na, na,“ unterbrach Dobbs, „besser, du hältst das Maul, wir lassen uns
impfen, und dann sofort weiter.“

„Habe ich denn gesagt, daß wir uns hier niederlassen sollen?“

„Aber du redest gerade so, als ob wir denen um den Hals fallen sollten“,
sagte Dobbs und trottete hinüber zu der Hütte.

Howard schüttelte den Kopf mit einer bedauernden Gebärde und wandte sich
an Curtin: „Dieser Dobbs ist ohne Humor, was ich immer sage. Ich falle
doch lieber einer Impfkommission um den Hals als einer Polizeitruppe,
die Minen kontrollieren geht, in die Hände. Nun laufe nur rüber, Curtin,
und lasse dir dein Papier geben, daß wir weiterkommen.“

Am Abend lagerten sie in der Nähe des Örtchens Amapuli. Sie hatten dort
bleiben müssen, weil man ihnen gesagt hatte, daß sie bis zur nächsten
Wasserstelle vor Einbruch der Nacht nicht kommen könnten.

Während sie noch ihr Abendessen bereiteten, kamen vier Indianer des
Dorfes zu ihrem Lager. Sie grüßten und fragten sehr höflich, ob sie sich
niedersetzen dürften.

„Como no?“ sagte Howard. „Warum nicht, Sie stören uns in keiner Weise.“

Die vier Indianer saßen eine Weile und sahen zu, wie die Fremden ihr
Fleisch rösteten und ihren Reis kochten.

„Sie kommen gewiß von weit her,“ sagte endlich einer der Indianer, „und
Sie wollen gewiß noch weit reisen? Sie sind wohl sicher sehr kluge
Männer.“

Curtin sagte: „Wir können Bücher lesen, und wir können Briefe schreiben,
und wir können mit Zahlen rechnen.“

„Mit Zahlen?“ fragte einer. „Zahlen? Das kennen wir nicht.“

„Zehn ist eine Zahl,“ erklärte Curtin, „und fünf ist eine Zahl.“

„Oh,“ meinte nun einer der Besucher, „das ist nur halb. Zehn ist nichts,
und fünf ist nichts. Sie meinen zehn Finger oder fünf Bohnen oder drei
Hühner, nicht wahr?“

„So ist es“, mischte sich Howard ein.

Die Indianer lachten, weil sie es verstanden hatten, und einer sagte:
„Zehn kann man nicht sagen. Man muß immer sagen, was zehn? Zehn Vögel
oder zehn Bäume oder zehn Männer. Wenn man zehn oder drei oder fünf
sagt, ohne daß man auch sagt, was man meint, so ist das ein Loch, und
das ist leer.“

Dann lachten sie wieder. Nach einem längeren Schweigen sagte dann einer:
„Mein Sohn ist ins Wasser gefallen. Wir haben ihn gleich wieder
gefischt. Aber ich glaube nicht, daß er tot ist. Er wacht aber nicht
auf. Sie haben gewiß Bücher gelesen und wissen, was man tun kann.“

Howard fragte: „Wann ist Ihr Sohn ins Wasser gefallen? Gestern?“

„Nein, heute nachmittag. Aber er wacht nicht auf.“

„Ich werde mit Ihnen gehen und mir Ihren Sohn ansehen“, sagte Howard.
„Ich werde sehen, ob er tot ist.“

Die Männer standen auf, und Howard ging mit ihnen. Sie kamen in ein
Haus, das aus getrockneten Lehmziegeln gebaut war. Auf einem Tische lag
eine Matte, und auf der Matte lag der Verunglückte.

Howard sah ihn sehr sorgfältig an, hob die Augendeckel, legte sein Ohr
auf die Brust, fühlte die Hände und Füße ab und sagte: „Ich will einmal
versuchen, ob er zu sich kommt.“

Er machte eine Viertelstunde lang Atembewegungen, dann ließ er dem
Jungen heiße Umschläge auf den Leib legen, rieb die Füße und Hände, und
als er sein Ohr wieder auf die Brust legte, fand er, daß das Herz zu
schlagen begann. Nach einer Stunde begann der Junge selbst zu atmen, und
wenige Minuten darauf öffnete er die Augen.

Die Männer und Frauen, die in der Hütte standen, hatten der Tätigkeit
des Fremden zugesehen, ohne einen Laut zu äußern. Die beiden Frauen, die
sich mit dem Erwärmen der Umschläge befaßten, verständigten sich nur
durch Gesten oder durch ein leise geflüstertes Wort. Selbst jetzt, als
der Junge völlig erwacht war, trauten sich die Leute nicht zu sprechen.

Howard nahm seinen Hut, setzte ihn auf und ging zur Tür. Niemand hielt
ihn zurück, und niemand sagte etwas. Nur der Vater kam ihm nach, gab ihm
die Hand und sagte: „Vielen Dank, Senjor.“ Dann ging er wieder zurück in
sein Haus.

Es war nun finster geworden, und Howard hatte Mühe, das Lager zu finden.
Aber der Lichtschein des Feuers zeigte ihm endlich den Weg.

„Was hast du denn ausgerichtet?“ fragte Dobbs.

„Kleinigkeit“, sagte Howard. „Künstliche Atmung, und da kam er schon.
Hatte nur gerade einen Schock. Wäre sicher nach ein paar Stunden selbst
hochgekommen ohne Hilfe. Hat gerade ein Maulvoll Wasser abbekommen. Habt
ihr mir noch etwas übriggelassen vom Fleisch?“

Vor Sonnenaufgang waren sie schon wieder auf dem Marsche. Sie wollten
recht bald Tomini erreichen und versuchen, dort das Hochgebirge zu
kreuzen.

Als sie ihre Mittagsrast beendet hatten, die Esel aufgepackt waren und
sie eben begannen, die Tiere auf den Weg zu bringen, sagte Curtin: „Was
ist denn da los? Sieht ja aus, als ob wir jemand auf den Hacken haben.“

„Wo?“ fragte Dobbs. „Ja, jetzt sehe ich. Indianer auf Pferden. Die
brauchen doch aber nicht gerade auf unsern Hacken zu sein. Können doch
ebensogut auf einem Spazierritt sein oder zu Markt reiten.“

Es dauerte nicht lange, und die Reiter waren herangekommen. Sie
erkannten die vier Indianer, die ihnen gestern abend den Besuch
abgestattet hatten, und außerdem waren da noch zwei Männer, die Howard
in dem Hause gesehen hatte.

Die Männer grüßten, und dann sagte der eine: „Aber, Senjores, warum sind
Sie uns denn fortgelaufen?“

Howard lachte und sagte: „Wir sind nicht fortgelaufen, aber wir müssen
weiterreisen, wir müssen zur Stadt. Wir haben dort wichtige Geschäfte,
die eilig sind.“

„Oh,“ sagte der Indianer, dessen Sohn in Lebensnöten gewesen war,
„Geschäfte können warten. Geschäfte sind nicht eilig. Es gibt noch mehr
Tage, nicht nur heute und nicht nur morgen und nicht nur übermorgen.
Aber ich muß Sie doch erst einladen. Ich kann Sie doch nicht fortlassen.
Sie haben meinem Sohn das Leben wieder zurückgegeben. Dafür müssen Sie
mein Gast sein. Zwei Wochen. Ach, das ist zu wenig. Sie müssen sechs
Wochen lang mein Gast sein. Ich habe Land. Ich habe viel Mais. Ich habe
Kühe. Ich habe viele Ziegen. Ich gebe Ihnen jeden Tag einen guten
Truthahn zu essen und Eier und Milch. Meine Frau wird Ihnen jeden Tag
Tamales machen.“

„Wir danken Ihnen von ganzem Herzen,“ sagte Howard, „aber wenn wir nicht
rechtzeitig in der Stadt sind, verlieren wir unser Geschäft.“

„Geschäfte laufen nicht davon“, sagte nun ein andrer der Indianer.
„Geschäfte sind zäh wie das Fleisch einer alten Ziege. Geschäfte machen
Sorgen. Warum wollen Sie sich Sorgen machen, wenn Sie es so gut bei uns
haben sollen. Sie werden keine Sorgen haben, und wir haben auch Musik
und Tanz.“

„Nein, wir müssen gehen, wir müssen ganz bestimmt zur Stadt“, sagte
Dobbs, und er wurde ein wenig ärgerlich.

„Wir haben Ihr Geschenk angenommen,“ sagte nun der Vater, „und Sie
müssen auch unser Geschenk annehmen.“

Als die Indianer sahen, daß es schwieriger war, die Fremden zu Gast zu
bitten, als sie sich gedacht hatten, sagte einer: „Die beiden jüngeren
Männer mögen ruhig gehen, aber du,“ und er wendete sich Howard zu, „du
darfst nicht gehen. Der Sohn meines Bruders würde sicher sterben, wenn
wir dich nicht zu Gaste bitten. Wir müssen deine Medizin bezahlen, weil
du so gut warst zu dem Jungen.“

So verärgert die drei Reisenden auch waren, so sehr sie sich wehrten,
sie konnten nicht entkommen. Sie waren umringt von den sechs Männern und
waren in deren Gewalt.

Endlich kam Dobbs auf einen Gedanken. Er sagte zu Howard: „Die Dummheit,
die wir gestern getan haben, läßt sich nicht rückgängig machen. Die sind
zufrieden, wenn du bleibst. Sie wollen nur dich hierbehalten. Wir gehen
weiter, und du kannst später nachkommen. Das ist der einzige Ausweg.“

„Du hast gut reden“, sagte Howard. „Aber was wird aus meinen Packen?“

„Die behältst du bei dir“, sagte Curtin.

Dobbs widersprach und sagte: „Würde ich nicht raten. Die stöbern das
durch und nehmen es dir weg, oder sie reden herum, und es kommt heraus,
und wenn die dich nicht erschlagen, dann hören Banditen davon und lauern
dir auf.“

„Was soll ich denn nun tun?“ fragte Howard.

„Wir nehmen dein Gut mit und liefern es bei der Bank auf deinen Namen
ein. Oder traust du uns etwa nicht?“ Das sagte Dobbs.

„Trauen? Warum nicht trauen?“ Howard lachte und sah von einem zum
andern. „Wir haben ja beinahe ein ganzes Jahr zusammen gelebt und
zusammen gearbeitet. Da war doch immer etwas zu trauen. Oder etwa
nicht?“

Und da ihnen nichts weiter übrigblieb, mußten sie zu einer Entscheidung
kommen, mit der auch die Indianer zufrieden waren. Denen war es nur
darum zu tun, Howard ihre Dankbarkeit zu erweisen. So schien es der
beste Ausweg zu sein, daß Howard den beiden Arbeitsgenossen sein Gut
übergab. Beide übernahmen die Verantwortung für die Ablieferung, und
beide gaben ihm einen Zettel, auf dem sie das Gut quittierten, soundso
viele Säckchen, jedes ungefähr das gleiche Gewicht von soundso vielen
Gramm ausgewaschenen Sandes.

„Und wo liefert ihr es ab?“ fragte Howard.

„Wir geben es in ein Safe der Banking Company in Tampico, auf deinen
Namen“, sagte Curtin.

„Gut denn“, sagte Howard, und sie schieden voneinander.

„Ist ja nur ein paar Wochen, Alter“, sagte Curtin. „Ich warte auf alle
Fälle auf dich in Tampico. Triffst mich im Southern oder im Imperial.
Ich würde mit dir hierbleiben, aber das ist ja solche Zeitvergeudung,
und du weißt doch, ich habe jemand auf mich warten.“

Howard bekam eines der Pferde, während der Indianer, der sein Pferd
hergegeben hatte, zu einem andern Manne mit aufs Pferd stieg. Dann zogen
sie lachend und zufrieden in ihr Dorf, Howard im Triumph in ihrer Mitte
führend.




                                   18


Durch den Aufenthalt und durch die langen Unterhandlungen, bei denen die
Indianer keine Eile zeigten, wohl aber Zähigkeit, ihren Willen
durchzusetzen, war ein halber Tag verlorengegangen. Es erweckte ganz und
gar den Eindruck, als ob die Indianer auf die Begleitung der beiden
Genossen Howards nicht allzu großen Wert legten. Hätte Howard gewünscht,
daß die beiden in die Gastfreundschaft eingeschlossen sein müßten, so
hätten sie mitgehen müssen, und man würde ihnen dieselben
Freundlichkeiten erwiesen haben wie Howard. Aber die Indianer schienen
keinen Gefallen an den beiden zu finden. Vielleicht war es deren Blick,
der ihnen nicht zusagte, und sie legen auf den Blick mehr Wert als auf
das übrige Aussehen.

Dieser Aufenthalt war die Ursache, daß Curtin und Dobbs heute nicht
einmal Cienega, ein winziges Indianerdorf, erreichten und so einen Tag
mehr zu reisen hatten, ehe sie zu dem Paß im Hochgebirge kamen, wo sie
den Übergang machen wollten.

Sie waren beide durch den Vorfall ärgerlich geworden und mißmutig. Kaum
daß sie ein Wort miteinander sprachen, und wenn sie etwas zu sagen
hatten, so sagten sie es knurrend. Sie waren wütend, daß sie die Fracht
Howards zu transportieren hatten, daß sie seine Esel zu treiben hatten,
daß sie sein Gut abladen und aufladen mußten, und daß er fehlte und
seinen Teil an der Arbeit nicht verrichtete. Und es waren gerade die
Esel des Howard, die auszubrechen liebten, es waren gerade seine Packen,
die nicht gut aufgeschnürt waren und während des Transports sich von den
Tragsätteln lösten. Sie luden fluchend auf. Und während sie das taten,
begannen die übrigen Esel zu streuen, und mußten eingeholt werden.
Solche Dinge kamen nicht vor, wenn da drei Mann waren. Auf Howard
konnten sie nur aus der Ferne fluchen und schimpfen. Sie sahen bald ein,
wie lächerlich das war; denn Howard konnte es nicht hören, und da war es
törichte Kraftverschwendung, auf ihn loszuwettern. Sie fluchten dann auf
die Esel. Aber die antworteten nicht und nahmen es nicht ernst. Sie
trotteten ihren Weg, zupften da ein Hälmchen aus und rissen dort ein
Zweiglein von einem Strauch, wenn immer sie eine Sekunde Zeit hatten,
ihre Zunge zu bewegen und das nächste Tier im Zuge nicht so unhöflich
drängte.

Schließlich blieb den beiden Burschen nichts andres übrig, als sich
gegenseitig anzuknurren, sich alberne Vorwürfe zu machen, sich für ferne
und weit zurückliegende Dinge die Schuld zuzuschieben, nur um Antworten
zu hören und sich an den Antworten immer mehr zu erhitzen. Es sind immer
die Antworten, die einen Streit machen. Denn welcher von beiden hätte
die philosophische Ruhe gehabt, auf Vorwürfe, Anschuldigungen und
lächerliche Behauptungen nicht zu antworten? Curtin hatte die Spitze des
Zuges und Dobbs den Schwanz. Und über die Esel hinweg, die geduldig und
langmütig zwischen den beiden trollten, warfen sie sich ihre lieblichen
und wohlgemeinten Reden zu. Die Esel drehten ihre Ohren bald nach vorn,
um einen strahlenden Fluch Curtins auszukosten, und bald drehten sie
ihre Ohren nach hinten, um zu hören, in welch kräftiger Form Dobbs die
Schmährede Curtins aufnehmen und beantworten werde. Dann kamen die Esel,
die nebeneinander gingen, mit ihren Nasen zusammen, schnüffelten sich
an, flüsterten etwas und grinsten mit breiten Mäulern. War der Pfad zu
schmal, so daß sie nicht nebeneinander aufkommen konnten, so schnüffelte
der eine Esel an den Hinterbacken des vor ihm marschierenden. Der drehte
sich dann um, nickte und grinste und gab unzweideutig zu erkennen, daß
er es verstanden und sich seine Meinung gebildet habe. Sie gaben dann
ihre Meinungen unter sich weiter, immer durch Schnüffeln und Umdrehen,
Nicken und Grinsen und Wackeln und Drehen der armlangen Ohren. Hätten
sich Dobbs und Curtin nur einen Augenblick Zeit genommen und einmal
darauf geachtet, was und wie die Esel über die Angelegenheit dachten, so
würden sie sicher einen Begriff von wahrer Weltweisheit bekommen haben.
Aber wer wird sich denn so weit herablassen, daß er den Esel als
Lehrmeister duldet?

„Ich mache Stopp hier“, sagte Dobbs plötzlich. „Ich bin doch kein Vieh,
daß ich den ganzen Tag so drauflosrenne.“

„Es ist ja erst drei Uhr, Mensch“, erwiderte Curtin.

Dobbs schrie wütend über die Esel hinweg: „Ich habe dir doch nicht
geheißen, hier Lager zu machen. Meinetwegen kannst du losbürsten bis
morgen früh.“

„Geheißen? Du?“ blökte Curtin zurück. „Du hast mir gar nichts zu heißen.
Du bist doch nicht der Boß.“

„Du vielleicht? Sag’s nur. Ich warte nur darauf, das von dir zu hören.“
Dobbs wurde rot im Gesicht.

„Gut,“ sagte Curtin etwas ruhiger, aber doch noch verärgert, „wenn du
nicht mehr weiter kannst –“

„Kannst? Kannst?“ schrie Dobbs. „Mit dir kann ich noch um die Wette.“

„Ja, ja, das ist gut. Also wenn du nicht mehr willst, dann können wir
abladen und Lager machen. Meinetwegen, mir auch recht.“

„Hier ist doch Wasser,“ sagte Dobbs, ebenfalls ruhiger werdend, „wer
weiß, ob wir am Abend Wasser finden.“

Essen stimmt immer versöhnlich, wenn während des Essens nicht über die
Kostenfrage geredet wird.

Auch hier stimmte das Essen versöhnlich, obgleich es kein Festessen war.
Und auch hier wurde ein Trinkspruch ausgebracht. Auch hier auf den
andern.

Dobbs war der Redner des Abends. Er sagte: „Was wird denn der alte
Bursche machen?“ Und dabei dachte er nicht an ihn, sondern an sich
selbst, an seine eigenen Interessen. Freilich, zuerst war ja sein
Gedanke wohl in der Tat bei Howard. Aber noch ehe er den Satz beendete,
wurde ihm klar, daß etwas andres ihm näher lag als Howard. Er sah
hinüber zu den Packen, und sein Blick haftete eine Weile an den Packen
Howards.

Curtin sah ebenfalls hinüber zu den Packen. Aber er deutete den Blick
des Festredners unrichtig. Denn er sagte: „Oh, ich denke, wir kriegen
die ganze Schiffsladung fein und sauber ins Häuschen. Wir sind jetzt
weit genug fort vom Berg. Das ist nun ganz unverdächtig. In zwei Tagen,
wenn wir einen guten Blick haschen von der Höhe, können wir schon die
Eisenbahn rauchen sehen.“

Dobbs sagte nichts darauf. Er stierte ins Feuer, dann sah er hinüber, wo
sich die dunklen Schatten der grasenden Esel bewegten, und weil er nicht
wieder ins Feuer starren und nicht wieder die Esel beobachten wollte, so
fiel sein Blick abermals auf die Packen und blieb an den Packen Howards
hängen.

Plötzlich stieß er Curtin mit der Faust an und lachte laut auf. Sein
Lachen wurde glucksend und schluckend und holpernd.

Curtin sah ihn erstaunt und verwirrt an, wurde von dem Lachen etwas
angesteckt, lächelte und sah sich um, als wolle er nach der Ursache
suchen, warum Dobbs vergnügt und lachlustig war.

Endlich fragte er mit lachendem Munde: „Mensch, worüber lachst du denn
eigentlich so sehr?“

„Ach Söhnchen, ach Söhnchen“, sagte Dobbs, herausplatzend mit Lachen,
„Söhnchen, das ist ja so sehr komisch, so unsagbar komisch.“

„Was ist komisch?“

„Denke dir doch nur, dieser Esel von einem Mann gibt uns seine ganze
Bronze. Hier draußen in der Wildnis. Und wir können damit so leicht
abziehen. Kein Windhauch bleibt mehr übrig von uns. Wo will er uns denn
suchen, dieser alte Knochen?“

Curtin hatte aufgehört zu lächeln. „Ich verstehe dich nicht, Dobbs“,
sagte er. „Wovon redest du denn?“

Dobbs lachte und stieß Curtin wieder mit der Faust an: „Verstehst nicht?
Du Bähschaf, wo bist du denn groß geworden?“

„By Jolly, ich verstehe dich nicht.“ Curtin schüttelte den Kopf.

„Was ist da zu verstehen? Sei doch nicht so hartleibig. Wir ziehen ab.“

Curtin zeigte keine Miene, daß er verstände, was man von ihm wolle.

„Wir ziehen ab“, erläuterte Dobbs. „Verladen alles sauber und teilen
auf, und jeder geht seiner Wege.“

„Ich fange nun an zu begreifen.“ Curtin nickte.

„Es hat lange gedauert“, sagte Dobbs und klopfte ihm auf die Schulter.

Curtin stand auf. Er trat ein paar Schritte herum, dann kam er wieder
zum Feuer. Er setzte sich aber nicht, sondern blieb stehen und sah hoch
in den Himmel. Dann sagte er kurz und hart: „Wenn du meinst, daß wir
Howard leichtmachen sollen um seine Arbeit, wenn du meinst –?“

„Was denn sonst? Freilich meine ich das. Und ich meine es im Ernst!“

„Ja, also wenn du das meinst,“ setzte Curtin fort, als sei er gar nicht
unterbrochen worden in seinem Satze, „da mache ich nicht mit. Ich bin
nicht von dieser Partei.“

„Am Ende,“ sagte nun Dobbs, während er aufstand und sich ganz dicht vor
den stehenden Curtin hinstellte, „am Ende brauche ich deine Erlaubnis
dazu nicht. Wenn du das durchaus wissen willst. Dich frage ich nicht.
Und wenn du nicht mitmachst, so ist das dein Schade. Dann nehme ich das
ganze Süßholz allein, und du kannst dir die Rotznase wischen, wenn du
einen Lappen hast. Verstehst du das?“

„Ja, das verstehe ich jetzt.“ Curtin schob die Hände in die Taschen und
trat einen Schritt zurück, um Dobbs nicht so dicht auf dem Leibe zu
haben.

„Und?“ fragte Dobbs hart. „Und was?“

„Solange ich hier bin, kriegst du nicht eine Linse von dem, was dem
Alten gehört. Ich habe ihm den Zettel unterschrieben –“

„Habe ich doch auch, pfeife ich drauf. Er soll uns erst einmal finden.
Dann erzähle ich ihm, Banditen haben es uns abgenommen. Klar wie ein
Diamant.“

Curtin sprach unbeirrt weiter: „Ich habe den Zettel unterschrieben, und
ich habe ihm mein Wort gegeben, daß ich es mit dir oder ohne dich
richtig abliefern will. Es ist nicht allein wegen des Zettels und wegen
meiner Unterschrift und wegen meines Versprechens. Man verspricht so
viel im Leben, und man unterschreibt so viel im Leben, wenn man das
alles halten sollte, hätte man keine Zeit mehr zum Leben. Das ist es
nicht. Es ist etwas andres. Er hat es nicht gestohlen, er hat es nicht
irgendwo aufgelesen, er hat es nicht in der Lotterie oder an der Börse
oder an der Monte Bank gewonnen. Er hat es treu und schwer und ehrlich
erarbeitet. Ich habe vor nichts Respekt. Aber etwas achte ich. Und das
ist das, was jemand hart und treu mit seinen Händen erarbeitet hat.“

Dobbs machte eine wegwerfende Geste: „Laß doch die bolschewistischen
Ideen woanders. Da kannst du deine Hühner damit füttern. Die kenne ich
auswendig.“

„Hat gar nichts mit Bolschewisten zu tun“, erwiderte Curtin. „Ist ja
vielleicht möglich, daß dies die Absicht der Bolschewisten oder
Kommunisten ist, allen Nichtarbeitern, die das Geld schon haben, den
Respekt vor dem Arbeitslohn beizubringen, daß man dem Arbeiter den Lohn
gibt, den er wirklich verdient, und daß man ihm den Lohn nicht auf
allerlei Umwegen und Schleichwegen wieder aus der Tasche zieht und dafür
Dinge tut, die den Arbeiter gar nicht interessieren. Aber das steht ja
auf einem andern Blatt. Das können die mit sich abmachen. Ich habe
nichts damit zu tun. Und nun kurz und deutlich, Junge: Solange ich im
Zuge oder in der Nähe des Zuges bin, faßt du nicht ein Körnchen an von
dem, was dem Alten gehört. An seine Bronze gehst du nicht, solange ich
auf zwei Beinen stehe. Nun weißt du es.“

Curtin setzte sich, nahm seine Pfeife und begann sie zu stopfen. Er gab
sich Mühe, ruhig zu erscheinen.

Dobbs blieb stehen und sah Curtin unverwandt an. Dann lachte er laut und
höhnisch auf: „Du hast recht, Söhnchen. Nun weiß ich es. Nun weiß ich,
was du vorhast. Ich habe es schon lange gewußt.“

„Was hast du schon lange gewußt?“ fragte Curtin, ohne aufzusehen.

„Daß du das selber im Sinn hast, daß du mich heute oder morgen nacht
niederknallst, mich verscharrst wie einen krepierten Hund, dann mit
Howards Packen und mit meinen noch dazu abziehst und dir eins lachst,
was für blöde Kühe wir gewesen sind.“

Curtin ließ die Pfeife, die er eben anzünden wollte, sinken und sah auf.
Seine Augen waren weit geöffnet. Aber sie waren hohl und leer. Gegenüber
dieser Anschuldigung verlor er die Fähigkeit, seinen Augen einen
Ausdruck zu geben. An eine Tat, wie sie ihm hier unterschoben wurde,
hatte er nie gedacht. Er zählte sich durchaus nicht zu den ehrenhaften
Mustermenschen. Er wußte wohl zuzugreifen, wenn es etwas zum Zugreifen
gab, und er ließ sich von Gewissensskrupeln nicht plagen. Die schweren
Ölmagnaten, die Stahlkönige, die Eisenbahnriesen könnten nicht sein, was
sie sind, wenn sie sich von dem sogenannten Gewissen beeinflussen lassen
würden. Warum sollte er, der Kleine, der Winzige ein edleres und
feineres Gewissen haben als jene, die als die Sterne der Nation
bezeichnet werden, und die in Zeitungen, Zeitschriften und Lesefibeln
als die großen Beispiele der Tatkraft, der Willenskraft und des Erfolges
hingestellt werden? Aber was Dobbs ihm hier unterstellte, das war die
schäbigste Tat, die er sich denken konnte. Vielleicht hätte er die Tat
nicht so sehr schäbig gefunden, wenn er von selbst auf den Gedanken
gekommen wäre. Da sie ihm jedoch von Dobbs in so hämischer und
widerwärtiger Weise an den Kopf geworfen wurde, fand er sie so
hundsgemein wie keine Tat, von der er je gehört hatte. Denn dadurch, daß
ihm Dobbs diese Tat zutraute, erkannte er mit einemmal die grenzenlose
Schäbigkeit und Gemeinheit des Dobbs. Wie konnte er so etwas von jemand
denken? Doch nur, weil er es selbst im Sinne hatte. Hatte er aber eine
solche Tat im Sinn, dann war Curtin ein toter Mann; denn Dobbs wird
nicht zögern, ihn umzubringen, um alles Gut zu besitzen. Und dieses
Bewußtsein, daß es nun um sein Leben ginge, war es, das jeden Ausdruck
in seinen Augen verlöschte. Er sah die Gefahr und konnte ihr nicht
entgehen.

Er war hilflos. So hilflos wie ein Mensch selten sein kann. Denn wie
konnte er sich gegen Dobbs schützen? Vier oder fünf Tage hatten sie noch
zu wandern. Allein, selbst wenn sie jemand trafen, so war das keine
Sicherheit. Dobbs brauchte den Leuten, denen sie begegneten, nur
anzudeuten, was es zu verdienen gäbe, und sie würden sofort auf seiner
Seite sein. Und trafen sie niemand, um so besser für Dobbs. Eine Nacht
konnte Curtin wohl ohne Schlaf zubringen und sein Fell bewachen. Aber in
der nächsten Nacht schlief er nur um so fester. Dobbs brauchte dann gar
nicht einmal eine Kugel zu vergeuden. Er konnte ihn binden, ihm einen
Hieb über den Kopf geben und eingraben. Den Hieb konnte er sich sogar
noch sparen.

Da war nur ein Ausweg. Curtin hatte das mit Dobbs zu tun, was Dobbs mit
Curtin vorhatte. Eine andre Rettung gab es nicht. Schlinge oder du wirst
verschlungen. Da ist kein andres Gesetz.

Seine Bronze will ich gar nicht haben, dachte Curtin, aber ich muß ihn
beiseiteschaffen. Der Alte bekommt seine Ladung, ich behalte meine, und
die des Schurken grabe ich ein. An ihm will ich mich nicht reich machen,
aber mein Leben ist ebensoviel wert wie das seine.

Er hatte die linke Hand mit der Tabakspfeife in seinem Schoße ruhen.
Seine rechte Hand lag auf dem Knie. Jetzt zog er die rechte Hand langsam
an sich und ließ sie nach hinten zur Hüfttasche gleiten.

Aber im selben Augenblick hatte Dobbs seinen Revolver hoch.

„Eine Bewegung, Junge,“ rief er, „und ich ziehe ab.“

Curtin hielt die Hände ruhig.

„Hoch damit!“ sagte Dobbs.

Curtin streckte die Arme hoch.

„Habe ich doch ganz richtig vermutet“, sagte Dobbs höhnisch.
„Verräuchern mit langen Redensarten. Da kommst du bei mir nicht durch.“

Dobbs kam näher. „Steh auf!“ sagte er.

Curtin sprach kein Wort. Er war blaß geworden. Als er stand, kam Dobbs
ganz nahe, ging um ihn herum und griff in die Revolvertasche des Curtin,
um ihn zu entwaffnen.

Mit einem kurzen Ruck fuhr Curtin herum. Dobbs schoß. Aber durch die
unerwartete Bewegung des Curtin fehlte die Kugel, und ehe Dobbs ein
zweites Mal ziehen konnte, hatte ihm Curtin einen Faustschlag gegen das
Kinn gegeben, der Dobbs zu Boden warf. Curtin warf sich sofort auf ihn
und entwand ihm den Revolver. Dann sprang er auf und trat einige
Schritte zurück.

„Die Karten sind jetzt anders gemischt, Dobbs“, sagte er.

„Sehe ich“, erwiderte Dobbs. Er richtete sich hoch, blieb aber auf dem
Boden hocken.

„Nun will ich dir nur sagen, daß du ganz im Unrecht bist“, meinte
Curtin. „Ich habe nicht einen Augenblick daran gedacht, dir etwas
abzunehmen oder dich gar aus dem Wege zu räumen.“

„Kannst du mir jetzt gut erzählen. Aber wenn du ein so gutes frommes
Kind bist, wie du behauptest, dann gib mir meine Kanone wieder.“

Curtin lachte. „Das werde ich doch besser bleibenlassen. Das ist kein
Spielzeug für dich.“

„Verstehe“, erwiderte Dobbs kurz und ging zum Feuer.

Curtin zog die Patronen aus dem Revolver des Dobbs und schob sie in die
Tasche. Dann wog er die Waffe eine Weile in der Hand. Er wollte sie
Dobbs zureichen, und Dobbs streckte auch schon den Arm aus. Aber er
besann sich und schob den Revolver ebenfalls in die Hosentasche. Dann
setzte er sich auch ans Feuer, achtete aber darauf, daß er genügend
Platz hatte, um einem unerwarteten Angriff des Dobbs auszuweichen.

Nun brachte er seine kurze Tabakspfeife hervor und zündete sie an. Dobbs
sprach kein Wort, und Curtin hatte reichlich Gelegenheit, seinen
Gedanken nachzuhängen.

Er war keineswegs besser dran als eine halbe Stunde vorher. Er konnte
nicht vier Tage und vier Nächte Dobbs bewachen. Endlich würde er
einschlafen, und Dobbs würde ihn überwältigen. Dobbs wird kein Erbarmen
zeigen. Er ist ja nun überzeugt, daß er richtig vermutet hatte, daß er
in Notwehr handele, wenn er Curtin beseitige. Es konnte nur einer
überleben. Beide würden halb wahnsinnig werden vor Furcht und vor
Übermüdung. Wer einschlief, war das Opfer des andern.

„Könnten wir uns nicht morgen früh oder heute nacht noch trennen und
jeder seinen eigenen Weg ziehen?“ fragte endlich Curtin.

„Würde dir gefallen.“

„Warum gefallen?“

Dobbs lachte höhnisch auf. „Mich von hinten packen? Nicht wahr? Oder mir
Banditen auf den Nacken hetzen?“

„Dann freilich, wenn du das denkst,“ sagte Curtin, „dann weiß ich nicht,
wie wir auseinanderkommen. Dann werde ich dich wohl binden müssen, Tag
und Nacht.“

„Ja, das wirft du wohl müssen. Also komme nur heran und binde. Ich bin
dabei.“

Dobbs hatte recht. Das war nicht so einfach, ihn zu binden. Das konnte
leicht dazu führen, daß die Karten abermals vertauscht würden. Und das
wäre zum letzten Male gewesen. Dobbs war der, der robuster war, der
rücksichtsloser zugriff. Er war durch die Robustheit seines Gewissens
der Stärkere der beiden. Der Rücksichtslose überlebt den Zögernden.
Diejenigen, die einer raschen Tat mehr vertrauen als einem ruhigen
sorgfältigen Überlegen und Abwägen, sind die Eroberer. Aber die andern
sind die Sieger und werden die Besitzer. Hier aber kam nur die Eroberung
in Frage, weil die Sicherheit des eignen Lebens allein in der
rücksichtslosen Überwältigung und Vernichtung des andern lag. Curtin
hatte die Macht, aber er fürchtete sich, sie zu gebrauchen. Er war
Politiker, aber kein Schöpfer. Dobbs dagegen konnte vergeuden, aber
nicht verschwenden; er konnte vernichten, aber nicht zerstören. Und
darum war auch er kein Schöpfer; denn der Schöpfer kann verschwenden und
zerstören.




                                   19


Für Curtin begann eine entsetzliche Nacht. Nicht aber für Dobbs. Nachdem
er die schwache Seite Curtins entdeckt hatte, fühlte er sich durchaus
sicher. Er konnte nun mit Curtin spielen.

Curtin hatte sich so weit entfernt von Dobbs niedergelegt, daß er ihn
gut im Auge behalten konnte und zu gleicher Zeit Raum genug hatte, um
ihn mit vorgehaltener Waffe zu empfangen, falls er einen Überfall
versuchen sollte. Curtin bemühte sich mit allen Kräften, wach zu
bleiben. Er war durch den Tagesmarsch ermüdet, und er fühlte, daß es
nicht leicht sein würde, die ganze Nacht durchzuhalten. Umhergehen
mochte er nicht, weil er glaubte, das würde ihn noch mehr ermüden. Er
saß eine Weile aufrecht, aber auch das ermüdete ihn. Dann dachte er, es
sei besser, sich in die Decke zu rollen und niederzulegen. Dabei könne
der Körper ruhen. Dobbs würde auch nicht wissen, wenn er ein wenig
einschliefe, weil er das nicht so genau sehen könnte.

Nach einer Stunde etwa, als Curtin sich so lange nicht bewegt hatte,
richtete sich Dobbs auf und begann zu kriechen. Sofort hatte Curtin den
Revolver hoch: „Nicht einen Schritt weiter“, rief er hinüber.

„Guter Nachtwächter“, erwiderte Dobbs und lachte.

Spät nach Mitternacht wachte Dobbs durch das Schreien eines der Esel
auf. Er machte wieder den Versuch zu kriechen, aber Curtin hielt ihn
sofort auf.

Nun wußte Dobbs, daß er gewinnen würde, und schlief fest ein. Er holte
sich seine Nachtruhe, die er durch die beiden kleinen Tricks Curtin
entzog. Die nächste Nacht gehörte ihm.

Am Tage hatte Dobbs die Spitze des Zuges zu nehmen. Da konnte er nichts
ausrichten. Dann kam wieder der Abend und dann die Nacht.

Kurz nach Mitternacht stand Dobbs ganz ruhig auf, ging hinüber zu Curtin
und nahm ihm die Revolver ab. Dann stieß er ihm mit dem Fuße heftig in
die Rippen.

„Auf, du Schurke,“ sagte er, „die Karten sind abermals gemischt. Diesmal
aber zum letzten Male.“

Curtin war schlaftrunken und fragte: „Was? Karten gemischt?“

Dann begriff er und wollte aufstehen.

„Bleibe nur sitzen“, sagte Dobbs und setzte sich vor ihm nieder. Er
stieß das Holz weiter ins Feuer, und die Flammen leuchteten auf.

„Viel zu sprechen haben wir wohl nicht“, fuhr Dobbs fort. „Ich mache
nicht für dich die Kinderwärterin wie du für mich die letzte Nacht und
den vergangenen Tag. Ich mache jetzt reines Geschäft. Ich will hier
nicht die ganze Zeit in Angst leben.“

„Also Mord.“ Curtin sagte es ohne Aufregung. Er war zu müde, als daß er
den Sinn des ganzen Vorganges erfaßt hätte.

„Mord?“ antwortete Dobbs. „Wo ist Mord? Ich muß mich doch meiner Haut
wehren. Ich bin doch nicht dein Gefangener. Ich bin doch nicht auf deine
Gnade angewiesen, wie lange du mich zappeln läßt.“

„So glatt wird das nicht gehen“, sagte Curtin, langsam zu seinen
Gedanken kommend. „Der Alte wird dich ja nicht so leise abziehen
lassen.“

„Wird er nicht? Einfach. Du hast mich an einen Baum gebunden und bist
mit der ganzen Güte abgezogen. Ist doch ganz einfach. Der sucht nach
dir. Du bist der Schuft. Daß er dich nicht findet, das laß nur ruhig
meine Sorge sein. Auf nun und marsch, vorwärts.“

„Wohin vorwärts?“ fragte Curtin.

„Zum Begräbnisplatz. Oder hast du vielleicht gedacht zum Tanzvergnügen?
Es steht dir ja frei, es aufzufassen wie du willst. Zu beten hast du
wohl nicht. Ich möchte auch wissen, zu wem. Du kommst schon ganz von
selbst an den richtigen Ort. Sei darum nur nicht in Sorge. Ich kürze nur
die Zeit ein wenig ab, das ist alles. Also los, marsch, vorwärts.“

„Und wenn ich nicht gehe?“ fragte Curtin. Er war noch immer müde und
schlaftrunken. Daß es bitterer Ernst sei, was um ihn herum hier vorging,
das wußte er genau. Aber seine Müdigkeit ließ ihn den Vorgang nicht in
dem vollen Sinne erfassen, daß er weiterdenken konnte als bis zu dem
Schuß, den er gleich hören würde. Er faßte in seiner Schläfrigkeit nicht
die Tatsache auf, daß es nach dem Schuß mit seinem Dasein aus sein
würde. Ihm erschien alles das, was geredet und getan wurde, wie ein
Traum. Und in diesem Traum verlor er nicht ganz das Bewußtsein, daß es
ein Traum sei und nichts weiter, daß er morgen früh aufwachen und sich
des Traumes nur ganz fern erinnern werde. Dennoch versuchte er, die
Vorgänge in diesem Traume seinem Gedächtnis fest einzuprägen, damit er
sie im wachen Zustande genau wiederholen könne. Es schien ihm wichtig zu
sein, diesen Traum nicht zu vergessen, weil dieser Traum ihm ein so
scharfes Charakterbild des Dobbs zeigte, wie er es nie vorher gesehen zu
haben glaubte. Er erinnerte sich ganz deutlich, einmal gehört zu haben,
daß man im Traum einen Menschen zuweilen besser kennen und beurteilen
lerne als im wachen Leben, und er nahm sich vor, von morgen früh an vor
Dobbs noch mehr auf der Hut zu sein als bisher.

„Ich kann doch auch hier sitzen bleiben“, sagte er, während seine Augen
geschlossen waren. „Warum soll ich erst noch lange marschieren, ich bin
müde und will schlafen.“

„Kannst dich dann lange genug ausschlafen“, sagte Dobbs. „Vorwärts, hoch
und los!“

Das laute barsche Kommandieren des Dobbs quälte Curtin, und um es nicht
mehr hören zu müssen, stand er schwankend und stolpernd auf. Dobbs stieß
ihn mit den Fäusten vor sich her. Fünfzig oder sechzig Schritte weit in
das Gehölz. Dann schoß er ihn nieder.

Curtin brach sofort zusammen. Dobbs beugte sich nieder, und als er weder
einen Atemzug noch ein Seufzen hörte, schob er den Revolver in die
Tasche und ging zurück zum Feuer.

Hier saß er eine Weile und versuchte auszudenken, was nun zu tun sei.
Aber es kam ihm auch nicht ein Gedanke. Er fühlte sich ganz leer. Er
starrte ins Feuer, schob Holz nach oder stieß es mit den Füßen in die
Glut. Dann zündete er sich eine Pfeife an.

Als er ein paar Züge getan hatte, huschte endlich ein Gedanke durch sein
Hirn. Er dachte, daß er vielleicht Curtin gar nicht getroffen habe, daß
der nur gestolpert und hingefallen sei, gerade als der Schuß gefeuert
wurde. Er drehte sich um nach dem Gehölz, wo Curtin lag. Eine Weile sah
er scharf hinüber, als erwarte er, daß Curtin auf ihn zukommen würde.

Dann wurde ihm das Sitzen unbequem. Er stand auf, ging ein paarmal um
das Feuer und stieß mit den Stiefelspitzen die Äste nach. Er setzte sich
wieder und zog seine Decke heran. Er wickelte sich ein und streckte sich
dann lang aus. Mit einem tiefen Atemzug gedachte er einzuschlafen. Aber
mitten im Atem hielt er an. Er war sicher, daß er Curtin nicht getroffen
hatte, und daß der plötzlich vor ihm stehen würde mit dem gezogenen
Revolver. Das ertrug er nicht. Es störte ihn am Einschlafen.

Er riß einen dicken brennenden Ast aus dem Feuer und ging damit ins
Gehölz. Curtin lag noch an derselben Stelle. Er atmete nicht und hatte
die Augen geschlossen. Dobbs hielt ihm den flammenden Ast dicht vor das
Gesicht. Aber Curtin rührte sich nicht. Sein Hemd war auf der Brust voll
von frischem Blut.

Zufriedengestellt wollte Dobbs gehen. Aber noch ehe er drei Schritte
getan hatte, drehte er sich um, zog den Revolver und feuerte abermals
einen Schuß auf Curtin. Dann kehrte er zurück zum Lagerplatz.

Er schlug sich die Decke um die Schultern und setzte sich ans Feuer.

„Verflucht, mir schlug doch das Gewissen,“ sagte er lachend zu sich
selbst, „wenn ich denke, daß er etwa gar noch hätte leben können. Aber
nun bin ich beruhigt.“

Dieses Wort „Gewissen“, das er jetzt gebraucht hatte, setzte sich aber
in seinen Gedanken fest. Es arbeitete selbständig weiter, und jeder
Satz, der sich in ihm bildete, gruppierte sich um das Wort „Gewissen“.
Nicht so sehr um den Begriff als vielmehr um das nackte Wort.

Nun will ich doch sehen, ob das Gewissen mir einen Streich spielt,
dachte er. Mord ist das Schlimmste, das man tun kann. Also wird nun das
Gewissen wach werden. Aber ich habe nie von einem Henker gehört, daß ihn
sein Gewissen geplagt hätte. Mr. McDollin in Sing Sing hat
hundertfünfzig in den elektrischen Stuhl gesetzt, und es scheint ihm
Vergnügen zu machen. Er schläft sicher ruhig in seinem Bett jede Nacht,
ohne daß ihn das Gewissen peinigt. Vielleicht sind da vier Knöpfe, und
es drücken vier Mann jeder auf einen Knopf, und keiner weiß, welcher
Knopf der Todesknopf war. Aber Mr. McDollin muß jeden Burschen doch
festklammern im Stuhl. Er hat hundertfünfzig oder mehr schon umgebracht
und ist doch ein geachteter Mann, ein Staatsbeamter.

Wieviel Deutsche habe ich denn in Frankreich abgeschlachtet? Fünfzehn?
Ich glaube, es waren dreiundzwanzig. „Fein“, sagte der Colonel. Und ich
habe immer gut geschlafen, es ist mir keiner von den Deutschen je im
Schlafe erschienen, keiner hat mein Gewissen beunruhigt. Nicht einmal
ihre Mütter oder ihre Frauen oder ihre kleinen Kinder haben mich
belästigt im Schlaf oder im Wachen. Wie war das da auf der Argonnenhöhe?
Ein Maschinengewehrnest der Deutschen. Donnerwetter, wie wacker haben
sich die gehalten. Mit zwei vollen Kompanien konnten wir nicht heran.
Dann waren sie verschossen. Winkten mit einem weißen Fetzen. Waren noch
elf übrig von diesen wackern Jungen. Wir kamen ran. Sie hielten alle die
Hände hoch. Sie lachten uns an. Es waren ehrliche Soldaten. Dachten uns
auch ehrliche Soldaten. Wir haben sie alle abgestochen wie Vieh. Der am
schlimmsten gestochen und gewütet hat und auch keinen Verwundeten
schonte, war ein Steinhofer mit Namen. In Deutschland geboren und mit
siebzehn Jahren rübergekommen. Seine Eltern und Geschwister sind noch
alle in Deutschland. Der war der, der kein Erbarmen kannte. Da waren ein
paar, die baten um ihr Leben, weil sie so viele Kinder hätten. Was sagte
der feine Steinhofer zu jenen Vätern? Wie war es doch? Na, es war so
gemein, und er stach. Ich glaube, er hat eine Medaille bekommen. Aber
ein englischer Ordonnanzoffizier kam gerade hinzu, als das Schlachten um
die letzten paar Jungen ging, die sich gar nicht wehrten, sondern ganz
stillhielten. Und der Engländer sagte: „Dirty dogs, solltet euch was
schämen.“ Wenn sich nicht einmal Steinhofer schämte, wenn sich
nicht einmal so viele andre seiner Landsleute schämten, die
deutschmörderischer wurden bei der Kriegserklärung als der blutgierigste
Jingo, warum sollte ich mich schämen? Mir hat das Gewissen um jene
deutschen Jungen nie geschlagen, Steinhofer erst recht nicht. Warum soll
mich das Gewissen nun beunruhigen dieses widerwärtigen Burschen Curtin
wegen? Wenn er nur tot ist, dann ist das Gewissen beruhigt. Das Gewissen
schlägt nur dann, wenn das Zuchthaus wartet oder der Henker mit dem
Strick dasteht. Wenn man freigesprochen ist oder die Strafe abgesessen
hat, erscheint einem der Gemordete nicht mehr.

Er erscheint einem nur dann, wenn man Angst hat, daß es herauskommen
könnte, oder daß man gefaßt werden könnte.

Und weil Soldaten und Henker bezahlt werden, darum läßt sie das Gewissen
immer in Ruhe, auch wenn sie noch so viele Menschen umbringen. Wovor
sollte ich Angst haben? Ich habe die Beute, und Curtin wird nie
gefunden. Besser, ich grabe ihn morgen früh noch ein.

Dobbs lachte laut heraus. Er fand es lustig, daß seine Gedanken
plötzlich so lebhaft geworden waren und so eilig durcheinanderliefen. Es
erschien ihm merkwürdig, daß er so weise geworden war, daß er so kluge
Gedanken hatte. Er dachte, das ließe sich vielleicht niederschreiben,
und man würde ihn für einen Gelehrten halten. Und er wunderte sich über
sich selbst, daß er nie vorher gewußt habe, wie klug und vorurteilslos
er denken könne. Er dachte jetzt, es müsse doch sehr leicht sein, mit
den Moralpredigern, die immer von dem Gewissen faseln, ohne daß sie
jemals mit dem Gewissen in einer großen Sache in Berührung gekommen
sind, fertig zu werden und ihnen zu beweisen, daß alles das, was sie da
reden und schreiben, und womit sie die Menschen ihr Leben lang
ängstigen, nichts als Humbug ist. Wenn man an ein Gewissen glaubt, dann
hat man eins, und dann schlägt es einem auf Kommando; wenn man nicht an
ein Gewissen glaubt, so hat man keins, und es belästigt einen nie.

Dobbs streckte sich am Feuer lang aus, und während er einzuschlafen
begann, fühlte er, daß er so gut schlafen würde, wie er seit Tagen nicht
geschlafen habe. Und in der Tat schlief er fest durch bis zum Morgen.

Er trank etwas von dem Kaffee, der von gestern abend übriggeblieben war,
und begann aufzupacken. Erst beim Aufpacken fiel ihm ein, daß Curtin tot
sei. Das betrachtete er als eine Tatsache, die ihn nicht mehr anging,
als wenn Curtin an irgendeiner Krankheit gestorben wäre, oder daß ihn
irgend jemand erschlagen habe. Er fühlte sich als Zuschauer. Es kam ihm
nicht einen Augenblick lang ein Gefühl des Mitleids oder etwa gar ein
Gefühl der Reue. Er hatte nichts zu bereuen. Curtin war aus dem Wege
geschafft, und das gab ihm vollkommene Ruhe.

Er überlegte, ob er das Gut Curtins an sich nehmen oder ob er es einfach
hier liegenlassen solle. Aber kaum zu Ende gedacht, hatte er auch schon
entschieden. Es wäre Unsinn gewesen, die Packen hier zurückzulassen. Sie
wären eine Beute der Banditen oder herummarodierender Indianer geworden.
Curtin konnte das Zeug doch jetzt nicht mehr gebrauchen. Dagegen: was
konnte er, Dobbs, mit dieser wertvollen Last alles anfangen! Er konnte
zum Beispiel – aber das war ja gar nicht zum Ausdenken, was er damit tun
konnte. Es wäre zwar übertrieben gewesen, zu sagen, daß ihn die ganze
Ladung zum steinreichen Mann machen würde. Nicht einmal zu einem reichen
Manne. Aber doch zu einem wohlhabenden. Und da er sich nicht müßig damit
zur Ruhe setzen würde, sondern etwas damit unternehmen, eine Fabrik oder
eine große Viehfarm oder Spekulation oder –. Nein, Spekulation besser
nicht. Fraglich, ob er Glück haben würde. Aber warum nicht? Etwa des
kleinen Erlebnisses der Notwehr wegen? Die schäbigsten Spitzbuben haben
das größte Glück. Nur der Anständige und der Ehrenwerte, die haben immer
Pech, was sie auch anpacken, was sie auch beginnen mögen. Freilich, wenn
er alles Gut hier zurückließe, konnte ihm niemand den Vorwurf machen,
daß er etwa gar der Beute wegen zur Notwehr gegriffen habe. Es gibt
Leute und sogar Richter, die eine Sache völlig verdrehen und verwickeln
können, daß am Ende ein glatter Raubmord herauskommt. Läßt er aber die
Ladung des Curtin hier zurück, und sie wird von andern aufgelesen,
glaubt ihm keine Menschenseele, daß er nichts genommen habe, was Curtin
gehörte. Besser schon, er nimmt es getrosten Mutes mit und macht sich
vorläufig einmal keine Sorgen darüber. Kommt etwas zum Licht, dann hat
er noch immer reichlich Zeit zu sagen: „Was wollt ihr denn, hier ist
doch das ganze Eigentum des Mannes; ich habe ihm nichts gestohlen.“ Er
wird erst einmal sehen, wie lange es gut geht, und wie weit er kommt.

Geht ebenso leicht mit dem Gute Howards. Wenn er ihn auffindet, well, da
ist es genau so, wie du es mir übergeben hast. Er soll ihn erst einmal
auffinden. Und findet er ihn später einmal, man kann es nicht wissen, es
gibt manchmal so merkwürdige Zufälle, dann haben ihm Banditen auf der
Reise eben alles abgenommen, und er hat gerade das nackte Leben und
einen seiner eignen Säcke retten können. Es sind ja so viele Banditen
herum. Denen kann man schließlich alles aufhängen, weil ihnen ja alles
zuzutrauen ist. Die haben auch den Curtin erschossen. Vielleicht ist es
doch besser zu sagen, sie hätten sich beide gezankt und verprügelt, und
dann hätten sie sich getrennt. Curtin ist dann einen andern Weg
gegangen, und was aus ihm geworden ist, das kann er nicht wissen. Aber
es ist doch besser, lieber gleich die Geschichte mit dem Überfall der
Banditen zu erzählen. Wozu sich lange den Kopf zerbrechen, was er sagen
und erzählen wird. Erst einmal in Sicherheit in der Stadt sein, dann
wird sich auch ein Ausweg finden, wie das alles schön geordnet werden
kann. Man könnte auch ganz offen auf den Alten in Tampico warten und ihm
mit einer wilden Geschichte entgegenspringen, so daß er jede
Nachforschung sein läßt. Den einen oder die zwei Säcke, die man gerettet
hat aus den Klauen der Banditen, kann man teilen mit dem Alten. Dann ist
er ganz zufrieden, daß er wenigstens etwas übrigbehalten hat, und sagt
kein Wort weiter. Vielleicht stößt auch dem Alten auf der Reise bis zur
Bahn noch etwas zu. Wenn man nur ein paar Mestizen zur Hand hätte. Für
zwanzig Pesos oder fünfundzwanzig könnten sie dem Alten auflauern und
ihn beiseiteräumen; dann weiß überhaupt niemand etwas von der ganzen
Sache.




                                   20


Die Esel waren aufgepackt. Sie standen geduldig da, trotteten einen
Schritt oder zwei umher und standen wieder still. Ab und zu drehten sie
sich um. Sie warteten auf den Zuruf und verstanden nicht recht, warum es
denn nicht voranging. Sie waren an ihre Zeit gewöhnt, und es war schon
spät am Vormittag. Das Laden hatte Dobbs viel mehr Mühe gemacht, als er
erwartet hatte. Es war nicht so leicht, die Tiere ganz allein ohne die
Hilfe einer zweiten Person so zu laden, daß die Packen nicht zu rutschen
begannen; denn er konnte nicht an beiden Seiten des Tieres zu gleicher
Zeit stehen. Beide Seitenpacken zugleich auf den Tragsattel zu bringen,
ging nicht, weil die Packen zu schwer waren und er sie nicht so hoch
heben konnte, daß sie gleichzeitig aufkamen und das Gleichgewicht
hielten. Wenn sich die Esel wenigstens zum Laden niederlegen wollten wie
die Kamele. Aber das tun die Esel nicht, weil sie eben keine Kamele
sind. Sie können auch mit einer solchen Last sich nicht erheben,
obgleich sie mit der Last Stunden und Stunden hoch die Berge hinauf und
wieder hinunter trotten können, ohne eine Spur von Ermüdung zu zeigen.
Endlich war es Dobbs aber doch gelungen, mit dem Laden zu Ende zu
kommen.

Er wollte gerade den Eseln zurufen und ihnen einen Hieb versetzen, als
er an Curtin dachte. Er hatte zwar während des ganzen Morgens und
besonders während des Ladens ununterbrochen an Curtin gedacht, aber mehr
als an einen Abwesenden oder Vorausgegangenen denn an einen Toten. Daß
Curtin tot war, tot für immer, war noch nicht mit dem Bewußtsein so
völlig verschmolzen, daß er nur an einen toten Curtin hätte denken
können.

Jetzt aber, als der Zug losmarschieren sollte, dachte er an den toten
Curtin. Und da fiel ihm ein, daß er ihn ja vor dem Abmarsch hatte
begraben wollen, der größeren Sicherheit wegen. Einen kurzen Augenblick
zögerte er, ob er ihn nicht einfach liegenlassen solle, wie er lag. Die
Coyoten, Berglöwen, Geier, Ameisen und Fliegen würden ihn schon schnell
genug verschwinden lassen. Aber dann blieben immer noch einige Knochen
und Lumpen zurück. Das war nicht gerade nötig, daß die Knochen Reklame
machten und erzählten, was geschehen sei, oder was geschehen sein
könnte.

Diese Gedanken mischten sich aber mit einem andern Gedanken, der ihm bis
jetzt ganz fremd gewesen war und ihn unschlüssig machte. Er dachte, daß
er vielleicht den Leichnam nicht sehen könne, ohne eine Dummheit zu
machen. Alles um ihn herum war so unnatürlich einsam und still. Der Wald
war so mager, die Bäume schienen nicht ganz ausgewachsen zu sein. Sie
schienen sich nicht entscheiden zu können, ob sie noch ein wenig größer
wachsen sollten, oder ob sie besser bleiben möchten, wie sie sind. Die
Trockenheit ist gar zu lang und kann ans Leben gehen, wenn man zuviel
Wasser braucht. Und weil manche aus Klugheit nicht größer werden
wollten, die Erde unter ihnen aber nicht mit ihnen übereinstimmen
wollte, so wuchsen sie krumm, krüpplig, schief und grotesk.

Kaum daß ein Vogel sang oder ein Wild durch das Unterholz huschte. Es
war Wind in der Luft. Dobbs fühlte ihn und sah es an den ziehenden
Wolken. Aber die Bäume bewegten sich nicht. Sie standen wie versteinert.
Sie schienen nicht grün zu sein, sondern graubläulich wie spröde
Lavamasse. Die Luft um ihn herum schien eine ebenso graue Lavafarbe
anzunehmen, und es war ihm, als sei sie versteinert und kaum zu atmen.

Die Esel standen nun ganz ruhig, als warteten sie darauf, versteinert zu
werden, wie alles andre umher. Sie drehten zuweilen den Kopf unheimlich
langsam zu Dobbs herum und sahen ihn mit den großen schwarzen Augen
lange an. Er bekam einen Augenblick Furcht vor den Eseln. Und um die
Furcht abzuschütteln, ging er zu einem Esel und zog die Leinen fester
an. Dann ging er zu einem andern und rüttelte an den Packen, als ob er
prüfen wolle, ob sie fest genug sitzen und beim Abstieg von der Höhe
nicht etwa rutschen würden. Sie saßen aber fest genug. Das Puffen gegen
die Körper der Tiere und das Betasten ihres Felles beruhigten ihn, und
er vergaß den Blick der großen gläsernen, leuchtenden Kohlebrocken.

Ob er die Augen auf hat, gläsern, leer und matt? dachte Dobbs. Das ist
nur natürlich, sagte er sich, jeder Tote hat die Augen auf, und die
Augen sind immer gläsern und matt. Nein, dachte er wieder, sie sind
nicht gläsern und leuchten auch nicht wie die Eselaugen, sie sind
eingeschrumpeltes mattes, trübes Glas. Sie sind überhaupt nicht gläsern,
sie sind glasig. Es ist doch besser, ich grabe ihn ein. An die Augen
könnte ich vielleicht denken. Aber ich muß ihn eingraben.

Er zog einen Spaten aus dem Gepäck. Aber als er ihn in der Hand hatte,
dachte er wieder, daß das Eingraben überflüssig sei und nur einen
Zeitverlust bedeute. Er könne dadurch vielleicht gerade den Zug nicht
bekommen, und je eher er aus der Gegend fort sei, desto besser sei es.

Während er den Spaten wieder zwischen die Gurten schieben wollte, packte
ihn aber die Neugierde, zu wissen, ob Curtin vielleicht schon von den
Geiern angefallen sei. Das genau zu wissen, würde ihm eine große
Sicherheit geben, dachte er. Er zog den Spaten wieder heraus und ging
hinüber in das Gehölz.

Er ging geradeswegs auf die Stelle zu, wo Curtin lag. Er hätte die
Richtung, vielleicht gar die Stelle mit geschlossenen Augen finden
können. Als er aber zu dem Platz kam, war dieser leer. Er hatte sich
geirrt. Die Dunkelheit des vergangenen Abends und das unsichere Licht
des brennenden Astes hatten die Richtung verschieden erscheinen lassen.
Er begann zu suchen, kroch durch das Unterholz und schob sich durch das
Geäst der Gebüsche. Er fühlte sich plötzlich nicht wohl dabei. Er
fürchtete, auf den Leichnam zu stoßen, wenn er es am wenigsten erwarte.
Das wollte er vermeiden. Er dachte, es könne sogar geschehen, daß er
unversehens dem Leichnam ins Gesicht fasse. Der Gedanke bereitet ihm ein
unbehagliches Gefühl. Er gedachte nun, das Suchen sein zu lassen.

Als er jedoch den halben Weg zurückgegangen war, sagte er sich, daß er
niemals Ruhe finden würde, wenn er nicht jetzt den Leichnam vor sich
noch einmal liegen gesehen habe und überzeugt sein könne, daß Curtin
wirklich tot ist und keine Dummheiten bereiten würde.

Abermals begann er zu suchen. Kreuz und quer lief er durch den Busch.
Dann rannte er zurück zu dem Lagerplatz, um von dort aus die Richtung
aufzunehmen. Er konnte sich plötzlich nicht mehr genau erinnern, in
welche Richtung er am vergangenen Abend Curtin getrieben hatte. Zehnmal,
fünfzehnmal, zwanzigmal jagte er in jene Richtung. Es war vergebens. Er
fand den Leichnam nicht. Sollte er sich derartig in der Richtung
getäuscht haben?

Seine Aufregung steigerte sich immer mehr. Die Sonne stand jetzt steil
hoch und glühte unerbittlich. Er keuchte und geriet in Schweiß. Er bekam
fürchterlichen Durst. Aber er trank nicht, sondern goß das Wasser
gedankenlos in großer Menge in sich hinein.

Wenn er wieder durch das Gestrüpp kroch, drehte er sich jeden Augenblick
nervös um. Eine Sekunde lang glaubte er, das müsse Furcht sein. Aber er
redete sich ein, daß es nur Nervosität sei. Gewissen war es ganz
bestimmt nicht, dessen war er sicher. Es war nur die Aufregung.

Die Esel waren ungeduldig geworden. Die vordersten hatten begonnen
abzumarschieren. Und bald folgte der übrige Zug nach. Gleichgültig
trottend. Mit einem Fluch sprang er ihnen nach. Das machte die Esel
scheu und verwirrt. Sie begannen zu rennen. Er mußte die vordersten
überholen, um sie aufzuhalten. Das brachte ihn ganz außer Atem. Er jagte
die Esel wieder zurück zum Lagerplatz. Nun standen sie ruhig und nagten
an dem mageren Gras. Der eine oder der andre drehte sich um nach ihm und
sah ihn groß und verwundert an. Das erschreckte Dobbs, und er nahm sich
vor, ihnen die Augen zu verbinden.

Aber er begann wieder zu suchen. Und als er nun zum hundertsten Male
überzeugt war, auf der Stelle zu sein, wo er Curtin niedergeschossen
hatte, sah er das Stück eines verkohlten Astes liegen. Und nun wußte er,
daß er auf dem richtigen Platze war. Das Stück war in der vergangenen
Nacht von dem Ast abgebrochen, den er zum Leuchten gebraucht hatte.

Der Boden sah unruhig aus. Aber das konnte ebensogut von seinem eigenen
Herumwühlen und Herumlaufen sein. Blut konnte er nicht sehen. Auf diesem
Boden hätte man es auch kaum sehen können. War Curtin von einem Tier
verschleppt worden? Oder hatte ihn jemand gefunden und aufgehoben?
Selbst konnte er nicht fortgekrochen sein, denn er war tot. Davon hatte
sich Dobbs doch überzeugt. Er war sicher von einem Tier verschleppt
worden.

Um so besser, dachte Dobbs. Dann wird bald nichts mehr von dem Leichnam
übrig sein. Etwas ruhiger geworden, begann er nun, an den Abmarsch zu
denken. Aber er drehte sich immer wieder um. Bald glaubte er, daß er
Curtin zwischen den Bäumen gesehen habe, bald schreckte er zusammen,
weil er meinte, einen andern Menschen bemerkt zu haben. Dann wieder fuhr
er auf, weil er überzeugt war, er hätte Stimmen gehört. Und wenn
irgendwo ein Ast brach oder ein Stein rollte, so glaubte er, ein
Berglöwe schliche um ihn herum, derselbe, der Curtin verschleppt hatte,
sei nun auf den Geschmack gekommen und wolle ihn hinterrücks anfallen.

Er rief den Eseln zu, und sie begannen zu marschieren. Aber der Marsch
war viel schwieriger als Dobbs geglaubt hatte. Ging er vorn an der
Spitze, dann blieben die hinteren Esel zurück und fingen an zu streuen
und auf Seitenpfaden und im Gebüsch nach Gras zu suchen. Verschiedene
Male mußte er den Zug anhalten, weil er zurückgebliebene Esel
einzubringen hatte.

Dann ging er am Ende des Zuges. Nun streuten die vorderen Esel, und der
ganze Zug kam auseinander. Dann nahm er Leinen und band jeden Esel an
den Tragsattel des vorangehenden, um sie zusammenzuhalten.

Wieder nahm er die Spitze. Aber sobald einer der folgenden Esel nicht
nachkam und am Sattel des vorderen zog, blieb der vordere stehen, und
der ganze Zug kam zum Halten.

Er begann nun, sich nur mit dem führenden Esel zu beschäftigen, ihn
anzupeitschen und so zu zwingen, die andern nachzuziehen. Das ging
einige fünfzig Schritte. Dann wurde es dem Esel zu dumm. Er blieb
stehen, stemmte die Vorderbeine fest nach vorn, warf die langen Ohren
zurück und stand fest wie ein Fels. Dobbs mochte ihn peitschen oder ihm
die Stiefel in die Weichen schlagen, der Esel rührte sich nicht. Er
wußte ja nicht, was los war. Er sollte vorwärtsmarschieren und wurde
gleichzeitig nach hinten gezogen. Dobbs änderte abermals seine Taktik
und stellte sich selbst an die Spitze des Zuges und zog den vorderen
Esel. Das ging eine Weile sehr gut. Die Esel kamen alle nach. Aber als
der führende Esel gelernt hatte, daß es für ihn leichter und bequemer
sei, gezogen zu werden, als freiwillig zu laufen, ließ er sich immer
mehr ziehen und schleppen, bis Dobbs schließlich eine solche Last zu
ziehen hatte, als hänge ein ganzer Eisenbahnzug an der Leine, die er
über der Schulter nach sich zog. Er mußte es aufgeben und versuchte es
wieder, von hinten anzutreiben und am Zug immer auf- und abzurennen, um
die streuenden Esel zusammenzuhalten.

Dann kam eine Zeit, wo der Zug ganz willig und mühelos ging. Die Esel
waren in Gang gekommen und hielten sich schön auf dem Pfade. Das ging
nun so ruhig und angenehm, daß Dobbs gemütlich hinterhertrotten und sich
eine Pfeife anzünden konnte. Und da er nichts weiter zu tun hatte, als
ruhig seines Weges zu schlendern, begannen die Gedanken wieder in ihm zu
arbeiten.

Ich habe nicht sorgfältig genug nachgesehen, dachte er. Der war
vielleicht nicht tot, sondern nur schwer verwundet. Jetzt kriecht er
durch das Holz und kommt schließlich in ein Indianerdorf. Dann ist alles
aus. Er drehte sich mit einem Ruck um, denn er glaubte die Indianer, die
ihn verfolgten, um ihn der Polizei zu übergeben, schon hinter sich zu
hören.

Er kann aber noch nicht in einem Dorfe sein. Die Dörfer sind weit. Und
wenn er auch nicht tot sein sollte, so ist er doch so schwer getroffen,
daß er nur ganz langsam vorwärtskommen kann. Ich muß ihn finden und ihm
den Rest geben, dachte Dobbs weiter. Nun ist es doch schon auf alle
Fälle Mordversuch und Straßenraub. Das kostete zwanzig Jahre
Heilige-Maria-Insel.

Endlich sah er keinen andern Ausweg, als wieder umzukehren und aufs neue
nach dem Leichnam oder dem verwundeten Curtin zu suchen. Es fiel ihm
ein, daß er nach einer Richtung nicht ein einziges Mal gesucht hatte.
Das war die entgegengesetzte Richtung, von der Stelle aus, wo er Curtin
hatte liegenlassen, über das Lagerfeuer in die andre Seite des Busches.
Da hatte er nie nachgeforscht. Und es war ganz klar, daß Curtin
weitergekrochen war, weil diese Richtung zurückführte in die Nähe jenes
Dorfes, das sie gestern nachmittag gesehen hatten. Dobbs hatte ruhig
geschlafen und nichts gesehen und nichts gehört. Vielleicht war Curtin
auch gar nicht ganz dicht an das Lager gekommen, um Dobbs nicht
aufzuwecken und den Rest zu bekommen. Wehren konnte er sich ja nicht. Da
war kein Zweifel, in jene Richtung war Curtin gekrochen, und dort mußte
er gesucht werden.

Es war kurz vor Abend, als Dobbs wieder zum alten Lagerplatz zurückkam.
Er nahm sich keine Zeit, die Esel abzuladen, sondern begann sofort zu
suchen. Nun suchte er in jener Richtung mit der gleichen Hast und dem
gleichen Eifer, mit denen er am Vormittag in der entgegengesetzten
Richtung gesucht hatte.

Die Nacht aber kam rasch, und Dobbs mußte das Suchen aufgeben.

Nun blieb nur noch ein Ausweg für ihn übrig. Er durfte keine einzige
Stunde mehr auf das Suchen verschwenden. Morgen früh mußte er sofort
aufbrechen und mit der größten Schnelligkeit die Station in Durango
erreichen, sofort die Esel und Werkzeuge verkaufen und sich in den
nächsten Zug setzen, um in einer größeren Stadt zu verschwinden. Nach
Laredo, Eagle Pas, Brownsville oder einer andern Grenzstation durfte er
vorläufig nicht. Denn wenn wirklich Curtin ein Dorf erreicht hatte, oder
Howard auf dem Wege war, dann wurde die Grenze ganz sicher zuerst nach
ihm abgesucht.

Am vergangenen Nachmittag hatte Dobbs, von der kahlen Stelle eines hohen
Berges aus, schon in der Ferne die Rauchschwaden eines fahrenden Zuges
gesehen. Es konnte demnach nicht mehr allzu weit sein.




                                   21


Frühzeitig war Dobbs auf dem Marsche. Der Zug marschierte leidlich gut,
nachdem er in Gang gekommen war. Die Tiere waren williger als am Tage
zuvor, weil sie nicht solange hatten zu stehen brauchen und weil sie den
ersten Teil des Weges schon kannten. Immerhin, ein Esel brach aus und
Dobbs konnte ihn nicht einbringen. Er mußte ihn aufgeben, weil er sonst
zuviel Zeit verloren hätte. Bei dem Hinterherjagen war das Gepäck heftig
gegen Bäume gestoßen, die Gurten waren gerissen, und der Esel trabte
ohne das Gepäck weiter. Dobbs nahm sich aber die Mühe, das Gepäck
aufzuteilen. Der Esel würde ja folgen und am Abend am Lager freiwillig
eintreffen.

Nun konnte Dobbs beinahe ununterbrochen die Bahnlinie in der Ferne
sehen. Der Weg führte den ganzen Tag hindurch immer abwärts, hinunter
ins Tal. Er hätte leicht am selben Nachmittag die Stationen Chinacates
oder Guatimape erreichen können. Aber in diesen winzigen Dörfchen wäre
er zu sehr aufgefallen mit seinem Zuge, jetzt um so mehr als vorher,
weil er ganz allein war. Das hätte Verdacht erregt. Außerdem kaufte ihm
in diesen kleinen Örtchen niemand seine Esel, Werkzeuge oder andre
Gegenstände ab, die er verkaufen mußte, um die Fahrkarte und die
Expreßfracht zu bezahlen.

Es blieb ihm darum keine andre Wahl, als noch die Strecke bis Durango zu
machen, wo er seine Geschäfte unauffälliger abwickeln konnte. Das waren
noch zwei kräftige Marschtage. Vielleicht gar drei. Wenn er nur wüßte,
ob Curtin tot ist oder nicht. Aber schließlich soll man ja seinem guten
Glück auch etwas zu tun übriglassen.

Als Dobbs an dem Abend das Lager aufschlug, fühlte er sich ruhiger als
die beiden Tage vorher. Es war in der Tat nicht das Gewissen gewesen,
das ihn beunruhigt hatte. Es war vielmehr nur das trübe Gefühl gewesen,
das man bekommt, wenn man eine Arbeit nur halb oder unzulänglich getan
hat. Und er hatte seine Arbeit mehr als unzulänglich getan. Das rächte
sich. Das machte ihn unsicher. Er hätte dem Curtin den Schädel
vollständig zertrümmern, ihm das Messer in das Herz stoßen und ihn noch
im selben Augenblick eingraben sollen. Das wäre eine vollkommene Arbeit
gewesen, die ihm wahre Zufriedenheit und Ruhe gebracht hätte. „Tu deine
Arbeit vollkommen und tu sie sofort“, war ihm schon als Kind gelehrt
worden. Wo es endlich einmal darauf ankam, hatte er sie weder vollkommen
noch sofort getan.

Aber da kam der Esel angetrottet, der am Tage ausgebrochen war und jetzt
zu seinen Genossen zurückkehrte. Zwei der grasenden Esel steckten den
Kopf weit vor und brüllten. Sie waren gewiß seine intimeren Freunde. Der
Heimgekehrte aber ging zu einem andern Esel, schnüffelte an seinem Halse
herum, kratzte ihn dort mit den Zähnen und begann dann neben ihm zu
grasen, so gleichgültig, als sei er gerade nur einmal für fünf Minuten
beiseitegetreten und nicht einen ganzen vollen Tag lang einige Meilen
hinter dem Zuge hergetrottet.

„Da habe ich ja schon Glück“, rief Dobbs lachend aus, als er den Esel
antrotten sah. „Das wären fünfzehn Pesos gerettet. Noch zwei Tage, dann
kann ich dem Alten ruhig einen Brief schreiben und dem andern Burschen
einen Doktor schicken. Die können mich dann nicht mehr unter dem
Fingernagel kratzen.“

Er wurde so guter Laune, daß er zu pfeifen und schließlich zu singen
begann. Auch schlief er in dieser Nacht viel ruhiger als die
vorhergehende Nacht, wo er mehrere Male aufgescheucht worden war von
Geräuschen, die ihn erschreckten, obgleich sie ganz natürlich waren.

Gegen Mittag des nächsten Tages konnte er schon, als der Pfad über einen
Hügel ging, Durango in der Ferne liegen sehen. Durango, das liebliche
Juwel der Sierra Madre, das, immer gebadet im goldenen Licht und leise
gefächelt von weichen lauen Winden, die es umschmeicheln wie zarte
Frauenhände, kosig eingebettet ist zwischen den schützenden Bergen. „Die
Stadt des Sonnenscheins“ wird es genannt von denen, die es sahen und die
sich zurücksehnen nach seiner trauten Lieblichkeit. Ein Wunderwerk hat
Mutter Erde ihm zur Seite gestellt, wie es kaum ein zweites gibt, den
„Cerro del Mercado“, einen Berg aus purem Eisen, 600 Millionen Tonnen
reines Eisen. Mutter Erde ist nicht knickerig, wenn sie einmal die Laune
zeigt, Geschenke zu machen.

An diesem Abend schlug er das letzte Lager auf. Morgen abend wird er in
Durango sein und am darauffolgenden Morgen im Zuge nach Canitas sitzen.
Der Verkauf der Esel und der übrigen Sachen wird schnell vor sich gehen,
er wird so viel verlangen, wie er ungefähr benötigt.

Er frohlockte. Er fühlte sich auf der sicheren Seite. Wenn der Wind
günstig herüberwehte, konnte er das Bellen der Güterzüge durch die
Stille der Nacht hören. Und dieses merkwürdig heulende Bellen der
Lokomotiven, das so unheimlich und geisterhaft klingen kann, flößte ihm
Empfindungen ein, als wäre er schon in einem Hotel nahe der Eisenbahn.
Es war der Schrei der Zivilisation. In diesem Schrei fühlte er sich
geborgen. Er sehnte sich nach den Gesetzen, nach der Rechtlichkeit, nach
den festen Mauern der Stadt, nach allen den Dingen, die sein Gut
beschützen sollten. Innerhalb jenes Bereiches, wo Gesetze das Eigentum
bestätigten und wo starke Mächte dem Gesetz Achtung verschafften, war er
sicher. Dort mußte jede Sache, jede Anschuldigung bewiesen werden. Und
konnte nichts bewiesen werden, dann war der Inhaber der rechtmäßige
Besitzer, dessen Eigentum mit Gewehren und Gefängnissen geschützt wurde.
Aber er würde es überhaupt vermeiden, sich in Beweisführungen
einzulassen. Er geht vorsichtig aus dem Wege, allen den Steinen und
Steinchen, über die man so leicht stolpern kann, wenn man seine Augen
nach allen Seiten offen halten muß. Was kann Howard machen? Nichts.
Versucht er, mit der Polizei oder dem Gericht etwas zu erreichen, dann
sitzt er selber drin. Er hat ja eine Mine gegraben und ausgebeutet, ohne
die Erlaubnis der Regierung einzuholen. Er hat den Staat und die Nation
bestohlen. Wird sich also schön hüten und etwas gegen ihn unternehmen.
Und Curtin? Wenn er wirklich leben sollte, was kann er gegen ihn tun?
Ebensowenig. Auch er, Curtin, hat den Staat bestohlen, er muß es ja
eingestehen, wenn er eine Anzeige machen will. Dobbs hat den Staat nicht
beraubt. Es kann ihm niemand beweisen. Mordversuch? Auch das kann Curtin
nicht beweisen. Es hat niemand gesehen. Die Schußnarben? Wer weiß, in
welcher Schlägerei oder gar in welchem Straßenraub, den er verübt hat,
er die Wunden bekommen haben mag. Dobbs ist jetzt ein feiner, eleganter,
wohlhabender Herr, der sich einen teuren Anwalt mieten kann. Ihm glaubt
man, wenn er mit vornehmer wegwerfender Geste erklärt, die beiden andern
seien Straßenräuber. Man braucht sie ja nur anzusehen und außerdem haben
sie ja den Staat bestohlen. Er wird das schon drehen. An ihn können sie
nicht heran, nicht wenn er unter dem Schutz des Gesetzes steht. Es ist
doch gut, daß es Gesetze gibt.

Nur hier, ehe er die Station erreicht, ehe er in die schützenden Arme
des Gesetzes sich bergen kann, können die beiden etwas gegen ihn
unternehmen. Aber die sind weit und morgen ist er in Sicherheit.
Vielleicht finden sie ihn rein zufällig später einmal irgendwo, in den
States oder in Kuba oder in Mexiko oder gar in Europa. Sie können ihm
natürlich dreist ins Gesicht hinein schreien, daß er ein Raubmörder, ein
Straßenräuber, ein ganz infamer Schuft sei. Das können sie tun. Dagegen
ist man wehrlos. Er wird sich nichts daraus machen. Oder wenn sie es zu
bunt treiben, dann bringt er eine Anklage gegen sie ein wegen
Verleumdung und Beschimpfung. Denn das ist eine Verleumdung, weil kein
Richter in einem zivilisierten Lande glauben wird, daß solche Dinge
geschehen könnten irgendwo auf der Erde. Jetzt nicht mehr, heute nicht
mehr. Das war vor hundert Jahren, vor fünfzig vielleicht noch möglich.
Heute nicht mehr. Nirgends auf der Erde. So abgelegene und ungeschützte
Gegenden gibt es nicht mehr. Das weiß jeder Richter. Er lacht darüber.
Und dann muß der Verleumder tüchtig Strafe zahlen oder ins Gefängnis
gehen, denn Dobbs ist ein ehrenwerter und vermögender Mann, der sich
sein Geld durch gesetzliche Spekulationen erworben hat.

Der Alte oder Curtin können ihn natürlich meuchlerisch umbringen. Das
können sie, dagegen ist man trotz aller Gesetze wehrlos. Aber dann
werden sie gehenkt oder kommen in den elektrischen Stuhl. Das wissen sie
vorher, und darum werden sie es schön bleiben lassen.

Da bellt wieder eine Lokomotive durch die Nacht. Es ist für Dobbs, als
höre er Musik. Die Musik des Geborgenseins.

Merkwürdig, daß Curtin gar nicht schrie, als er ihn niederschoß, daß er
nicht stöhnte, nicht wimmerte, nicht röchelte, nicht seufzte. Nichts,
nichts. Er brach zusammen wie ein gefällter Baum. Schlug lang hin und
war tot. Nur das Blut quoll und preßte sich dick und zähe durch das
Hemd. Das war die einzige Bewegung. Und als Dobbs mit dem brennenden Ast
ihn beleuchtete und erwartete, daß er ein Grauen empfinden würde, sah er
nur das weiße starre Gesicht. Er hätte sich auch gar nicht grauen
können, denn Curtin lag so komisch verrenkt da, daß Dobbs beinahe
gelacht hätte über die groteske Verrenkung des Körpers.

Und Dobbs lachte nun vor sich hin. Er fand es so komisch, alles, wie
Curtin hingeschlagen war, wie er da so stumm lag, und wie ein ganzes
Leben so mit einem leisen Bewegen des Abzuges eines Revolvers für immer
ausgelöscht ist.

Wo kann nur der Leichnam sein? Verschleppt? Gefunden und in Sicherheit
gebracht? Von einem Löwen oder einem Jaguar fortgezerrt? Das hätte er
aber sehen müssen. Vielleicht war er nicht tot?

Dobbs wurde unruhig. Er begann zu frieren. Er schürte im Feuer herum.
Dann drehte er sich um und sah über die kahlen Flächen, dann hinüber in
das Gesträuch. Endlich mußte er aufstehen. Er ging umher. Er redete sich
ein, daß er es tun müsse, um sich zu erwärmen. Aber in Wahrheit tat er
es, weil er so leichter nach allen Seiten beinahe zugleich sehen konnte.
Zuweilen glaubte er, daß er jemand heranschleichen sehe. Dann wieder
meinte er zu hören, wie jemand sich dem Feuer nähere. Und dann plötzlich
hatte er das Gefühl, daß jemand ganz dicht hinter ihm stände, daß er
eben dessen Atem an seinem Ohr verspürt habe, und daß die Spitze eines
langen Messers in seinen Rücken ziele. Mit einem kurzen Ruck sprang
Dobbs vorwärts und drehte sich um, den Revolver gezogen. Aber er sah
nichts. Er sah nichts weiter als die dunklen Schatten der Esel, die
gelangweilt grasten oder sich gelegt hatten.

Dobbs entschuldigte sich gegenüber, daß man immer auf seiner Hut sein
müsse, und daß ein solches Gebaren durchaus nicht lächerlich sei und mit
Furcht oder gar Gewissen nichts zu tun habe. Wer so allein in der
Wildnis ist und wertvolles Gut mit sich führt, ist immer etwas nervös.
Das ist ganz natürlich. Und wer das nicht eingesteht, der betrügt sich
nur selbst. Er schlief in dieser Nacht nicht ganz so gut wie in der
vorhergegangenen. Aber er wußte auch gleich die Ursache. Es war nur
darum, weil er zu sehr übermüdet war. Der Abmarsch am Morgen verzögerte
sich, weil einige Esel weit abgestrichen waren und eingeholt werden
mußten. Dobbs war zu nachlässig gewesen, als er die Knebel festlegte. Er
verlor volle zwei Stunden.

Der Weg wurde besser, und gegen zwölf Uhr konnte Dobbs ausrechnen, daß
er in drei Stunden in Durango sein würde. Es war nicht seine Absicht,
gleich mitten in die Stadt zu gehen, sondern er wollte an der ersten
Fonda, die er am Rande der Stadt traf, halten und abladen. Dort wollte
er mit dem Besitzer der Fonda verhandeln, daß er ihm Käufer für die
Tiere besorgen möge, falls er sie nicht vielleicht gleich selbst zu
einem billigen Preise übernehme, um ein gutes Geschäft zu machen. Dann
würde er alles übrige Gepäck, also die Säcke mit dem allein wichtigen
Gut, auf einen Wagen verladen und zur Expreßgutstelle fahren lassen. Das
würde dann in keiner Weise auffallen. Deklarieren könne er leicht als
trockne Felle. Er bezahlt die Höchstrate für Handelsware, dann kümmert
sich niemand mehr darum.

Der Weg wurde ungemein sandig und staubig. Die eine Seite des Weges war
offen. An der andern Seite aber erhob sich eine Wand von trocknem,
brüchigem Lehm und bröckelndem, zerfasertem und ausgewettertem Stein.
Dorniges Gesträuch und Magueypflanzen standen müde, durstig und mit
dickem Staub bedeckt an einigen Stellen am Wege.

Wenn sich der Wind erhob, oder wenn eine Bö gezogen kam, so standen
dicke Wolken erstickenden Staubes in der Luft. Sie erschwerten das
Atmen. Und der Sand spreute in die Augen, daß sie schmerzten und für
einige Minuten zu erblinden schienen. War die Bö vorübergefegt, so stand
die Luft still, schwer, eisern und lastend über dem Lande. Dann kochte
und glühte die Luft, und der Staub sengte und röstete die Haut. Die
Erde, seit Monaten wartend auf den Regen, konnte die auf ihr lastende
Gewalt der Sonne nicht ertragen, und sie warf das Leuchten zurück zur
Höhe in quälender Brunst. Das glastende Flimmern des wuchtenden
Sonnenlichtes hieb Menschen und Tieren in die Augen und in das Hirn, daß
sie sich taumelnd dahinschleppten, die Augen schlossen und nichts mehr
denken konnten als das Ende dieser Pein.

Die Esel torkelten mit halbgeschlossenen Augen weiter. Keiner streute,
keiner brach aus. Sie gingen wie Apparate. Sie bewegten kaum den Kopf.
Auch Dobbs hatte die Augen zu. Wenn er sie nur ganz schmal öffnete, hieb
die sengende Flut des grellen Lichts in sie hinein, daß er glaubte, die
Augäpfel müßten ihm verbrennen mit einem Husch.

Durch einen schmalen Ritz in den Augen sah er dann einige Bäume am Wege
stehen. Er dachte, daß er hier ein wenig halten wolle, fünf Minuten oder
zehn, um sich eine Weile gegen den Baumstamm lehnen zu können, den
Schatten zu fühlen und die Augen aufzumachen, um sie zu erholen. Die
Esel werden ja leicht stehenbleiben und zufrieden sein, einen Augenblick
rasten zu können im Schatten.

Er kam zu den Bäumen, lief nach vorn, wendete den führenden Esel, und
der Zug stand. Die Esel drängten sich von selbst in den Schatten und
blieben ruhig. Dobbs ging zum Wassersack, spülte sich den Staub aus dem
Munde und trank.

„Keine Zigarette, Mensch?“ hörte er da jemand sprechen.

Er zuckte zusammen. Seit Tagen die erste menschliche Stimme, die an sein
Ohr klang.

Im ersten Augenblick, als er sprechen hörte, dachte er an Curtin, dann
sofort an Howard. Aber dann begriff er, noch in derselben Sekunde, daß
es spanisch war, und daß es also keiner seiner beiden Genossen sein
könne. Er wendete den Kopf und sah unter einem der nächsten Bäume drei
Männer liegen. Sie waren völlig zerlumpte und heruntergekommene
Mestizen. Leute, die vielleicht vor langer Zeit bei irgendeiner
Minengesellschaft gearbeitet hatten und nun seit vielen Monaten ohne
Arbeit waren. Sie trieben sich hier draußen in der Nähe der Stadt herum,
schliefen, faulenzten, bettelten, und wenn sie irgendwo einen kleinen
Diebstahl verüben konnten, betrachteten sie das als eine Fügung Gottes,
der keinen Spatz verhungern läßt, auch wenn er weder pflügt noch sät.

Vielleicht auch waren sie ausgebrochene Sträflinge, oder sie wurden
einer verunglückten Sache wegen gesucht und verbargen sich hier, bis
ihnen ein Bart gewachsen war und sie hoffen durften, zurück in die Stadt
zu gehen, ohne erkannt zu werden. Was die Stadt nicht einmal auf ihrem
Kehrichthaufen duldet, das treibt sich draußen an den Wegen, die zur
Stadt führen, herum. Eine gute Strecke weiter draußen als da, wo die
verrosteten Konservenbüchsen, die zerbrochenen Flaschen, die
durchlöcherten Emailletöpfe, die zerbeulten Eimer, die vergilbten
Zeitungsfetzen und all der übrige Speichel beginnt, den eine
zivilisierte Stadt täglich auswirft. Es ist in den Tropen nicht besser
denn anderswo. Kein Tier erzeugt soviel Unrat und Kot wie der
zivilisierte Mensch; und den Unrat, den er täglich erzeugt, zu
beseitigen, kostet ihn ebensoviel Mühe, Arbeit und Nachdenken wie die
Anfertigung und der Verbrauch der Dinge, die er nötig zu haben glaubt.

Dobbs war ja lange genug im Lande, um zu wissen, daß er sich nun in
einer der verteufeltsten Lagen befand, die er je erwartet hatte. Diesen
Auswurf der Städte kannte er. Das waren die Leute, die nichts zu
verlieren hatten, hier in einem Sinne, der sich auf keine andre
Menschenschicht anwenden läßt.

Er dachte jetzt, daß er einen bösen Fehler begangen hatte, vom Wege
abzuweichen, um hier eine Viertelstunde im Schatten zu rasten. Sicherer
war er auf dem Wege auch nicht, aber er war nicht ganz so in der Falle
wie augenblicklich.

„Eine Zigarette habe ich nicht. Habe selber seit zehn Monaten keine mehr
gekostet.“

Das klang sehr gut. Er sagte damit gleichzeitig, daß er selbst ein armer
Teufel sei, der sich nicht einmal eine Zigarette kaufen könne.

„Aber ich habe etwas Tabak noch übrig“, fügte er hinzu.

„Papier zum Rollen?“ fragte einer der Männer.

Die Männer lagen noch ruhig und faul am Boden. Alle hatten sich ihm
zugewendet, einer halb sitzend, einer auf einen Arm gestützt, und der
andre lang auf dem Bauche liegend und den Kopf träge zur Seite geneigt,
um Dobbs anzusehen.

„Ein Stück Zeitungspapier habe ich“, sagte Dobbs.

Er zog den Tabaksbeutel, brachte ein Stück Papier aus der Tasche und
reichte es dem, der ihm am nächsten lag, hinunter; denn der bemühte sich
nicht, aufzustehen, um den Tabak anständig in Empfang zu nehmen.

Alle rissen ein Stück Papier ab und schütteten den Tabak auf. Dann
rollten sie die Zigaretten, und der vorderste gab den Tabakbeutel
zurück.

„Cerillos? Zündhölzer?“ fragte der eine, der den Beutel zurückgab.

Dobbs griff in die Tasche und brachte die Zündhölzer hervor. Auch die
Schachtel mit den Zündhölzern gaben die Leute wieder zurück.

„Nach Durango?“ fragte einer.

„Ja, ich will die Esel verkaufen. Ich brauche Geld. Ich habe nichts.“

Das war eine kluge Antwort, dachte Dobbs, jetzt wissen sie schon, daß
ich nichts in der Tasche habe.

Alle drei lachten auf. „Geld. Das ist es gerade, was wir auch brauchen,
was, Miguel? Da warten wir drauf, auf das Geld.“

Dobbs lehnte gegen einen Baum so, daß er die drei im Auge behalten
konnte. Er stopfte sich jetzt seine Pfeife und zündete sie an. Jede
Müdigkeit war vergangen. Er suchte nach einem Auswege. Ich könnte sie
vielleicht als Treiber mieten, dachte er, dann fällt es gar nicht auf,
wenn ich in die Stadt komme; es ist besser, als wenn ich ganz allein mit
der Karawane ankomme. Dann sind sie sicher, sie haben Arbeit, erwarten
jeder einen Peso, und da vergessen sie andre Absichten. Sie fühlen dann
schon das Essen im Magen und ein paar Gläser Tequila.

„Ich könnte zwei oder drei Treiber gebrauchen“, sagte er.

„Könntest du?“ lachte einer.

„Ja, die Esel machen mir zu schaffen. Sie halten nicht zusammen.“ „Was
willst du denn zahlen?“ fragte ein andrer.

„Einen Peso.“

„Allen drei oder jedem?“

„Jedem. Freilich erst, wenn wir in der Stadt sind und ich dort Geld
einkassiert habe, jetzt habe ich keinen Centavo in der Tasche.“

Wieder dachte Dobbs, wie klug und deutlich die Antwort sei.

„Bist du denn ganz allein?“ fragte nun der, der sich auf den Arm
gestützt hatte.

Was soll ich antworten, dachte Dobbs. Um aber nicht zu lange auf eine
Antwort warten zu lassen und dadurch Verdacht zu erregen, sagte er:
„Nein, ich bin nicht allein. Es kommen zwei andre meiner Freunde hinter
mir auf dem Wege, mit den Pferden.“

„Das ist merkwürdig, Miguel, meinst du nicht auch?“ sagte der, der lang
ausgestreckt auf dem Bauche lag.

„Ja,“ gab Miguel zu, „das ist wirklich merkwürdig. Geht hier ganz allein
mit seiner großen Karawane und läßt seine Freunde auf Pferden
hinterherkommen.“

„Siehst du die Freunde kommen, auf den Pferden?“ fragte der, der den
Kopf aufgestützt hatte.

„Will mal zusehen“, erwiderte der Ausgestreckte. Er erhob sich langsam,
trat aus den Bäumen heraus und sah den Weg hinauf, den man in der Ferne
besser übersehen konnte als gerade in der letzten Strecke.

Er kam zurück und sagte: „Die beiden Freunde mit den Pferden sind noch
weit hinterher. Sicher eine Stunde weit. Das ist merkwürdig, Miguel,
meinst du das nicht auch?“

„A decir verdad,“ sagte Miguel, „ich denke auch, das ist sehr
merkwürdig. Was hast du denn da alles geladen?“ fragte er dann, stand
auf und ging zu einem der Esel.

Mit der geballten Hand klopfte er die Packen ab.

„Felle, scheint es“, sagte er.

„Ja, auch Felle“, gab Dobbs zu. Er fühlte sich immer unbehaglicher und
dachte an Aufbruch.

„Tiger?“

„Ja,“ sagte Dobbs leichthin, „es ist auch Tiger dabei.“

„Bringen schönes Geld“, meinte Miguel mit sachverständiger Miene und
trat von dem Esel wieder zurück.

Um seine Unbehaglichkeit zu verbergen, ging Dobbs nun zu einem Esel und
zog die Gurten fester, obgleich es gar nicht nötig war. Dann ging er zu
einem andern und rüttelte an den Packen, als ob er sich davon überzeugen
müsse, daß sie fest genug sitzen. Hierauf zog er seinen Gürtel an und
zerrte die Hosen höher, als ob er sich zur Weiterreise fertigmache.

„Werde ich wohl – ja, da muß ich wohl nun wieder weiter, um noch vor
Abend in der Stadt zu sein.“ Er klopfte dabei seine Pfeife an seinem
hochgehobenen Stiefelabsatz aus, als er das sagte. „Wer will denn als
Treiber mitgehen nach Durango?“ Er sah sich um, umkreiste aber
gleichzeitig die Esel, um sie zusammenzuholen.

Keiner der Burschen gab eine Antwort. Sie sahen sich an und wechselten
Blicke miteinander. Einen der Blicke fing Dobbs auf, und er stieß einen
der Esel an, um ihn in Gang zu bringen. Der Esel trottete los, und ein
andrer folgte ihm träge. Die übrigen aber blieben stehen und nagten an
dem Gras. Dobbs ging zu einem andern Esel und rief ihm zu. Auch der
begann abzutrotten.

Die Männer waren aufgestanden. Sie schlenderten zwischen die noch
stehenden Esel und drängten sie, scheinbar unabsichtlich, zurück oder
stellten sich so, daß die Esel nicht folgten, sondern wieder
stehenblieben, wenn sie schon einen Schritt gemacht hatten.

Dann aber begannen sie unruhig zu werden, als sie sahen, daß die Spitze
marschierte und schon auf dem Wege war, und sie drängten die Männer zur
Seite, um Platz zu bekommen. Aber die Männer wurden nun lebhaft und
griffen den Eseln dreist in die Leinen und hielten sie fest.

„Weg da von den Eseln!“ schrie Dobbs erbost.

„Was da?“ sagte Miguel frech mit vorgestrecktem Kopf. „Die können wir so
gut verkaufen wie du, die werden nicht schlechter dadurch, daß wir sie
verkaufen.“

Die beiden andern lachten und packten noch einen zweiten Esel.

„Weg da von den Eseln, sage ich noch einmal!“ schrie Dobbs mit erhöhter
Stimme. Er sprang einen Schritt zurück und zog den Revolver.

„Mit deinem Eisen da kannst du uns nicht erschrecken,“ höhnte einer,
„uns nicht. Du kannst nur einen schießen, und dem ist es ohnehin
gleichgültig.“

„Zurück und die Esel los!“ schrie Dobbs.

Dann schoß er auf den nächsten. Es war Miguel. Aber der Revolver klickte
nur kalt und hart. Dreimal, fünfmal, siebenmal klickte der Revolver.
Kein Schuß krachte. Dobbs starrte, und die Männer starrten. Sie vergaßen
vor Erstaunen zu lachen oder zu höhnen.

Aber einer bückte sich und ergriff einen schweren Stein.

Eine Sekunde nur folgte, eine kurze Sekunde. In dieser Sekunde jedoch
kamen die Gedanken so schnell auf Dobbs ein, daß er, selbst in dieser
kurzen Sekunde, wo es sich um sein Leben entschied, noch denken mußte,
wie es nur möglich sei, daß man in einer Sekunde so viel denken könne.
Sein erster Gedanke war, wie es geschehen konnte, daß der Revolver
versagte. Aber da kam eine ganz lange Geschichte in sein Bewußtsein. In
jener Nacht, wo er Curtin erschoß, hatte er sich an den schlafenden
Curtin geschlichen, dessen geladenen Revolver gezogen und ihn später mit
diesem Revolver niedergeschossen. Curtin hatte beide Revolver in den
Taschen gehabt, seinen eignen und den des Dobbs. Da beide Revolver
gezeichnet waren und Howard die Revolver hätte nennen können, warf Dobbs
den Revolver Curtins, mit dem er die Schüsse getan hatte, zu dem
Leichnam, als er ihn das zweite Mal aufsuchte und ihm den zweiten Schuß
gab. Den eignen Revolver aber steckte er zu sich. So gewann es den
Anschein, falls Curtin gefunden wurde, als sei er angegriffen worden und
habe sich verteidigt. Der Revolver des Dobbs hatte ein andres Kaliber,
aus seinem Revolver konnten die Schüsse nicht gefeuert worden sein.
Dobbs hatte nur eins vergessen. Als er seinen eignen Revolver wieder an
sich nahm, vergaß er, ihn zu laden. Er hatte es vergessen, daß in jener
Nacht, als Curtin ihm den Revolver abnahm, Curtin den Revolver entladen
hatte. Unter allen andern Gedanken, die ihn während der letzten Tage so
viel beschäftigten, hatte er nicht einmal daran gedacht, daß der
Revolver noch immer ungeladen sei.

Immer noch in derselben Sekunde dachte jetzt Dobbs an eine andre Waffe.
Er stand dicht bei einem der Esel, an dessen Packen ein Machete gebunden
war. Er griff zu, um den Machete zu ziehen und sich damit zu
verteidigen. Das wäre ihm auch gelungen. Er hätte, den Machete in der
Hand, vielleicht Zeit gefunden, den Revolver zu laden, denn er hatte
einige Patronen lose in der Hemdtasche.

Aber da war die Sekunde zu Ende, und der Stein sauste an seinen Kopf. Er
sah ihn kommen, konnte aber den Kopf nicht rasch genug abwenden, weil er
seine letzten Gedanken ganz auf den Machete gerichtet hatte.

Der Stein streckte ihn nieder, mehr durch die Wucht und den Anprall als
durch die Verletzung.

Ehe er jedoch Zeit gewann, wieder aufzuspringen, war Miguel schon am
Machete, auf das er durch die Bewegung des Dobbs erst aufmerksam
geworden war. Mit einem gewandten Griff zog er den Machete aus der
langen Lederscheide, sprang zu dem liegenden Dobbs, und mit einem
kräftigen, kurz und sicher ausgeholten Hieb schlug er Dobbs den Kopf
glatt vom Nacken.

Nicht so sehr erschreckt als vielmehr verblüfft über diese rasche Tat
starrten alle drei auf den Leichnam. Die Augen des Kopfes, der nur um
die Breite des Machete vom Rumpfe entfernt lag, zuckten nervös und
blieben dann im scharfen Ruck zu dreiviertel geschlossen stehen. Beide
Hände spreizten sich lang aus und krampften sich fest zusammen. Das
taten sie mehrere Male. Dann, nachdem sie das letztemal die Nägel in die
eignen Handflächen gepreßt hatten, lösten sie sich sanft und starben,
halb geöffnet.

„Das hast du getan, Miguel“, sagte einer der beiden andern halblaut und
kam näher.

„Halt dein Maul“, rief Miguel wütend und drehte sich so rasch nach dem
Sprecher um, als wolle er ihn auch erschlagen. „Das weiß ich selber, wer
ihm eins draufgewichst hat, du Hänfling. Wenn es herauskommt, werdet ihr
beide genau so gut erschossen wie ich. Das wißt ihr doch, oder soll ich
es den Gendarmen erzählen. Bei mir macht es sowieso keinen Unterschied
aus und ich bin eure Pflegemutter nicht.“

Er betrachtete den Machete. Es war nur ganz wenig Blut daran. Er rieb
ihn ab an dem Baume und dann schob er ihn wieder in die Scheide.




                                   22


Die Esel, die sich ja im allgemeinen nicht so in die Angelegenheiten der
Menschen zu mischen pflegen, wie die Hunde es so gern tun, waren lässig
abmarschiert. Da sie viel klüger sind, als Menschen, die nie etwas mit
Eseln zu tun haben, gemeinhin glauben, so marschierten sie auf dem
richtigen Wege immer auf Durango zu.

Die Männer hatten in ihrer Erregung die Esel ganz vergessen. Sie nahmen
dem Leichnam die Hosen und die Stiefel ab und zogen die Sachen gleich
an. Viel Wert hatten weder die Hosen noch die Stiefel; denn sie hatten
die letzten zehn Monate mehr getan, als man von solchen Dingen erwartet.
Dennoch waren sie, verglichen mit den Fetzen, die jene Männer trugen,
wahre Prachtstücke.

Das Hemd aber wollte niemand haben und niemand wollte es anziehen,
obgleich alle drei an Stelle der Hemden etwas trugen, von dem man schwer
hätte sagen können, welches die kompaktere Masse war, die Löcher oder
die darumhängenden Fetzen.

„Warum willst du denn das Hemd nicht nehmen und anziehen, Ignacio?“
fragte Miguel, während er mit dem Fuße gegen den Leichnam stieß, der
jetzt nichts weiter anhatte als das mürbe getragene Khakihemd.

„Ist nicht viel wert“, erwiderte Ignacio.

„Du hast Grund, so etwas zu sagen, du Hund, du dreckiger“, sagte Miguel
darauf. „Gegen das deine betrachtet ist es besser als neu.“

„Ich mag es nicht“, meinte nun Ignacio und wandte sich ab. „Es ist zu
nahe am Halse. Warum nimmst du es denn nicht?“

„Ich?“ fragte Miguel und zog wütend die Stirne hoch, „ich ziehe nicht
das Hemd an, das so ein Hund von einem Gringo warm am Leibe gehabt hat.“

Die Wahrheit aber war, daß das Hemd auch für Miguel zu nahe am Halse des
Leichnams war. Es hatte zwar keine Blutflecken, aber trotzdem wollte es
keiner anziehen. Sie hatten das Vorgefühl, daß sie sich in dem Hemde
nicht wohlfühlen könnten. Sie vermochten das Gefühl nicht zu erklären
und gaben sich alle damit zufrieden, daß das Hemd eben zu nahe am Halse
sei, und daß es darum als Wertgegenstand nicht mehr in Betracht kommen
könne.

„Der Schurke wird ja wohl in seinem Packen noch ein paar andre Hemden
haben“, sagte Ignacio.

Miguel fuhr ihn sofort an. „Da wartest du erst einmal, bis ich
nachgesehen habe, und was dann übrigbleibt, da können wir darüber
sprechen.“

„Bist du hier vielleicht der Hauptmann?“ schrie nun der dritte, der die
letzten Minuten scheinbar uninteressiert, gegen einen Baum gelehnt
dagestanden hatte. Er hatte guten Grund, uninteressiert zu scheinen,
denn er hatte sich die Hosen angeeignet, während Miguel die Stiefel
genommen hatte. Nur Ignacio war leer bei dieser Teilung ausgegangen,
weil er das Hemd nicht gemocht hatte.

„Hauptmann?“ brüllte Miguel erbost. „Hauptmann oder kein Hauptmann, was
hast du denn bis jetzt getan?“

„Habe ich ihm denn nicht den Stein an den Schädel gefeuert?“ prahlte der
dritte. „Du hättest dich ja sonst nicht an ihn gewagt, du Cobarde.“

„Du mit deinem Stein,“ höhnte Miguel, „das war gerade wie ein
Zahnstocher. Wer von euch beiden räudigen Katzen hätte sich denn
herbeigemacht und ihm den Rest gegeben? Ihr Jammerfetzen, die ihr seid.
Und damit ihr es wißt, gleich jetzt, den Machete kann ich auch noch ein
zweites Mal gebrauchen und auch noch ein drittes Mal, für euch beide.
Ich werde euch nicht um eure Erlaubnis fragen.“

Er wendete sich um und wollte zu den Packen gehen.

„Wo sind denn die Esel hin, verflucht noch mal?“ rief er erstaunt.

Erst jetzt kam es allen ins Bewußtsein, daß die Esel abmarschiert waren.

„Nun aber nach und die Biester eingeholt, sonst kommen sie in die Stadt,
und wir haben gleich darauf die Schwärme von Gendarmen hier
herumsausen“, rief Miguel.

Die Männer machten sich auf und rannten dem Zuge nach. Sie hatten gut zu
laufen, denn die Esel, die hier kaum ein trockenes Hälmchen am Wege
fanden, das sie aufgehalten hätte, waren munter vorangetrottet. Es
dauerte mehr als eine Stunde, ehe die Männer mit den Tieren wieder
zurück bei den Bäumen waren.

„Wir werden ihn besser einscharren,“ sagte Miguel, „sonst schwärmen die
Geier herum, und jemand, der nichts Besseres zu tun weiß, könnte
nachsehen kommen, was die Geier hier gefunden haben.“

„Ja, willst du denn vielleicht einen Zettel mit deinem Namen bei ihm
zurücklassen?“ fragte Ignacio höhnisch. „Es kann uns doch gleichgültig
sein, ob man das Aas findet oder nicht. Er wird es nicht mehr erzählen,
wen er zuletzt getroffen hat.“

„Du bist aber schlau, mein Hühnchen“, sagte Miguel. „Wenn man den Hund
findet und bei uns seine Esel, dann kannst du nichts mehr abstreiten.
Aber wenn man bei uns die Esel findet und nirgends den Kadaver, da soll
dir erst mal einer beweisen, daß du dem Gringo in die Hölle verholfen
hast. Wir haben die Esel von dem Gringo gekauft. Aber wenn man das
findet, was noch von ihm übrig ist, glaubt dir niemand, daß du die Esel
gekauft hast. Also los an die Arbeit.“

Und mit demselben Spaten, mit dem Dobbs den Curtin einzugraben gedacht
hatte, wurde er nun selbst eingescharrt. Es ging sehr rasch. Die Männer
machten sich nicht viel Mühe. Sie taten gerade das Allernotwendigste und
überließen die Arbeit den Ameisen und den Würmern.

Dann machten sie sich auf und trieben den Zug wieder ins Gebirge zurück,
weil sie sich zur Stadt nicht wagten, einmal aus persönlichen Gründen,
dann aber auch, weil sie dachten, sie möchten dort jemand begegnen, der
den Zug kannte und erwartete. Es war auch recht gut möglich, daß Dobbs
die Wahrheit gesagt hatte und wirklich noch zwei Männer mit Pferden auf
seinem Wege folgten. Denn es schien ihnen in der Tat sehr
unwahrscheinlich zu sein, daß Dobbs den ganzen Zug allein geführt haben
sollte. Und um zu vermeiden, jenen Männern, die vielleicht existierten,
zu begegnen, bogen sie von dem Wege, den Dobbs ihrer Rechnung nach
gekommen war, ab und zogen auf einem andern Maultierpfade hinauf ins
Gebirge.

Als sie wieder im Busch waren, konnten sie ihre Neugier nicht länger
zurückhalten. Sie wollten wissen, wie groß die Beute sei und welche
guten Dinge in den Packen waren.

Es war dunkel geworden, und der Busch machte den Platz, wo sie nun
hielten, um hier zu übernachten, noch dunkler. Um ihren Aufenthalt nicht
zu verraten, solange sie noch in dieser Gegend waren, unterließen sie
es, Feuer anzuzünden.

Sie wurden geschäftig. Sie luden die Tiere ab und begannen die Packen
aufzuschnüren. Da war noch eine Hose und noch zwei Paar leichte Schuhe.
Da war auch Kochgeschirr, aber nur noch eine Handvoll Bohnen und eine
Faustvoll Reis.

„Scheint wirklich nicht so ein reicher Bursche gewesen zu sein“, sagte
Ignacio. „Hatte es sehr nötig, zur Stadt zu kommen.“

„Geld hat er auch nicht gehabt“, knurrte Miguel, während er den Packen,
den er aufgeschnürt hatte, durchsuchte. „Hatte gerade noch siebzig
Centavos in der Hosentasche, der Schurke. Vom Besten sind die Felle auch
nicht, die er hier hat. Werden kaum ein paar arme Pesos bringen.“

Dann kam er zu den Säckchen.

„Was hat er denn hier? Sand, wahrhaftig Sand. Möchte wissen, wozu er den
Sand hier mit sich herumschleppt, in lauter kleinen Säckchen?“

„Das ist ganz klar“, sagte Ignacio, der nun ebenfalls die Säckchen in
seinem Packen fand. „Ist durchaus klar. Der Bursche war ein Ingenieur
von einer Mining Company. Der hat hier im Gebirge herumgesucht und
bringt nun die Sandproben mit zur Stadt, damit sie dort im Bureau von
den andern Ingenieuren und Chemikern untersucht werden. Dann wissen die
amerikanischen Kompanien gleich, wo sie Land abstecken können.“

Er schüttete die Säckchen alle aus. Auch Miguel schüttete den Inhalt der
Säckchen, die in seinen Packen waren, aus, und als er sah, daß die
Säckchen nur wertlose abgerissene Fetzen waren, verfluchte er Götter,
Teufel und alle Gringos. Es war so dunkel geworden, daß sie den
Charakter des Sandes selbst dann nicht hätten erkennen können, wenn sie
mehr darüber gewußt hätten.

Auch Angel, der dritte, fand die Säckchen in seinem Packen. Er gab ihnen
eine andre Deutung. Er sagte: „Der Bursche war ein echter amerikanischer
Schwindler und Betrüger, das kann ich euch sagen. Die Säckchen hat er
alle so schön zwischen den Fellen versteckt gehabt und dann die Felle
dicht verschnürt. Wißt ihr warum? Der hat die Felle in Durango nach
Gewicht verkaufen wollen, und damit sie mehr wiegen sollten, hat er den
Sand dazwischengesteckt, und damit der Sand nicht herauskommen sollte,
darum hat er ihn in kleine Säckchen gesteckt. Der hätte die Felle am
Abend verkauft, und am nächsten Morgen, ehe der Käufer den Schwindel
gemerkt hätte, war der Vogel fortgeflogen mit der Bahn. Dem haben wir
den Schwindel schön verdorben, diesem Hund.“

Und Miguel und Ignacio fanden, daß dies die beste Erklärung für den Sand
sei, und sie beeilten sich, ihn loszuwerden.




                                   23


Noch in der Nacht packten sie auf und zogen weiter. Am Nachmittag kamen
sie in ein Dorf, und sie fragten einen Indianer, den sie vor seinem
Hause trafen, ob er niemand wüßte, der Esel kaufen würde, sie hätten die
Absicht, einige der Esel zu verkaufen, weil sie keine Verwendung für sie
hätten. Der Indianer sah sich die Esel an, ging um sie herum, sah nach
den Brandzeichen, dann sah er sich die Packen an, dann sah er
unauffällig auf die Stiefel des Miguel und auf die Hosen des Angel, als
ob er willens sei, das alles zu kaufen. Endlich sagte er: „Ich kann
keine Esel kaufen, ich habe jetzt kein Geld. Aber mein Onkel, der kauft
vielleicht die Esel. Der hat auch Geld genug dazu, ich habe keins. Ich
will euch zu meinem Onkel führen, und mit dem könnt ihr verhandeln.“

Das ging ja leicht, dachten die drei Halunken, denn für gewöhnlich kann
man in ein halbes Dutzend Indianerdörfer gehen, ehe man jemand findet,
der einen Esel kauft. Meist haben die Leute ja kein Geld, und ein Peso
bedeutet schon eine große Summe für sie.

Nach einigen hundert Schritten kamen sie zu dem Hause des Onkels. Das
Haus war, gleich den meisten der übrigen Häuser, aus getrockneten
Lehmziegeln gebaut und mit Gras gedeckt. Es befand sich an dem großen
Dorfplatze, wo der Markt, die Unabhängigkeitsfestlichkeiten, die
Revolutionserinnerungsfeiern und die politischen Versammlungen
abgehalten werden. In der Mitte des Platzes war ein bescheidener
Pavillon errichtet, wo die Musik zu spielen pflegte, wenn eine
öffentliche Festlichkeit war, und wo sich auch die Redner hinzustellen
hatten, wenn sie eine Ansprache halten wollten. Von diesem Pavillon aus
sprachen auch die Führer der Gesundheitskommissionen, wenn sie aufs Land
kamen, um die indianische Bevölkerung über Gesundheitspflege und
Kinderfürsorge zu unterrichten. Die Arbeiterregierung leistet auf diesen
Gebieten mehr als alle Regierungen seit der Ankunft der ersten Spanier
zusammengenommen.

Der Indianer ging in das Haus seines Onkels, um mit ihm über den Ankauf
der Esel zu sprechen. Es dauerte nicht lange, da kam der Onkel heraus
und ging auf die drei Wegelagerer zu, die sich im Schatten der paar
Bäume, die in der Nähe des Hauses standen, niedergehockt hatten.

Der Onkel war ein älterer Mann, grauhaarig schon, aber fest und sehnig.
Sein kupferbraunes Gesicht war straff, und seine schwarzen Augen
glänzten wie die eines Knaben. Das strähnige Haar trug er ziemlich lang
und seitlich nach hinten gestrichen. Er kam sehr aufrecht und langsam
auf die Männer zu. Er grüßte und trat dann sofort zu den Eseln, um sie
zu prüfen. „Sehr gute Esel, Senjor,“ sagte Miguel, „sehr gute, verdad,
die können sie nicht besser auf dem Markt in Durango kaufen.“

„Das ist wahr,“ sagte der Onkel, „es sind gute Esel. Freilich, ein wenig
abgearbeitet und ein wenig hungrig. Ihr habt wohl eine weite Reise
gemacht?“

„Oh, nicht so weit, kaum zwei Tage“, mischte sich Ignacio ein.

Miguel stieß ihn in die Rippen und sagte: „Da hat mein Freund hier nicht
ganz die Wahrheit gesagt. Wir sind jetzt allerdings nur zwei Tage
marschiert, seit dem letzten Ruhetag. Aber in Wirklichkeit sind wir doch
schon seit einigen Wochen auf der Reise.“

„Dann ist es ja auch kein Wunder, daß die Esel etwas herunter sind. Die
werden wir aber schon wieder auffüttern.“ Als er das sagte, sah er sich
die Leute genauer an, ihre Kleidung und ihre verkommenen Gesichter. Er
ließ es sich aber nicht anmerken, daß er sie beobachtete, er erweckte
vielmehr den Anschein, als ob er sie nur ganz gedankenlos betrachte,
während sich sein Geist mit dem Kauf und mit den Zahlen beschäftigte.

„Was sollen sie denn kosten?“ fragte er nun, die Leute immer weiter
betrachtend.

„Oh, ich denke,“ sagte Miguel lächelnd und den Kopf vertraulich neigend,
„ich denke, daß zwölf Pesos kein zu hoher Preis ist.“

„Für alle?“ fragte der Onkel ganz unschuldig.

Miguel lachte laut auf, als habe er einen guten Witz gehört: „Aber
natürlich nicht für alle, ich meine, zwölf Pesos für jeden einzelnen.“

„Das ist ein sehr hoher Preis,“ sagte nun der Onkel geschäftsmäßig,
„dafür kann ich sie auch auf dem Markt in Durango kaufen.“

„Wer weiß?“ gab Miguel zur Antwort. „Da sind sie viel teurer, fünfzehn
oder gar zwanzig Pesos. Dann müssen Sie sie aber noch heimtreiben.“

„Richtig,“ nickte der Onkel, „aber dann verdienen sie auch schon auf der
Reise ihr Geld. Da kann ich Ware mit heimbringen und den Eseln
aufpacken.“

Miguel lachte breit aus: „Ich sehe, ich habe es mit einem klugen
Geschäftsmann zu tun, und da wollen wir auch nicht so hartnäckig auf
unserm Preis bestehen. Mein letztes, mein allerletztes Wort – da
schlagen Sie zu, mein allerletztes Wort ist neun Pesos für jeden
einzelnen. Ich weiß, Sie haben es auch nicht so dick, und wir haben
dieses Jahr eine lange Trockenzeit.“

„Neun Pesos,“ sagte der Onkel ruhig, „das kann ich nicht zahlen. Vier
Pesos und nicht einen Centavito mehr.“

„Machen Sie es fünf, und die Esel sind alle Ihr Eigentum“, sagte Miguel
und schob die Hände in die Hosentaschen, als ob er das Geld schon im
Sack habe.

„Vier Pesos ist mein Gebot“, sagte der Onkel ruhig.

„Sie ziehen mir die Haut über die Ohren, Senjor; aber gut, ich will
gewiß nicht selig werden, und blind will ich morgen früh sein, wenn ich
Ihnen die Esel nicht in Wahrheit geschenkt habe für einen solchen
Preis.“ Das sagte Miguel und sah dabei der Reihe nach vom Onkel zu dem
Neffen und dann zu seinen beiden andern Strauchdieben. Die nickten und
machten eine traurig sein sollende Miene, um anzudeuten, daß sie soeben
ihr letztes Hemd für nichts weggegeben hätten.

Der Onkel nickte nun ebenfalls, aber mit einer Gebärde, als hätte er
schon gestern nachmittag gewußt, daß er heute Esel für vier Pesos das
Stück kaufen würde.

Er ging wieder zu den Eseln und sagte dann: „Wollt ihr denn die Packen
auf euren Rücken weiterschleppen?“

„Ja, richtig, die Packen“, sagte Miguel verblüfft und sah nach seinen
beiden Kumpanen; diesmal aber nicht so protzend, wie er es gewöhnlich
tat, sondern so, als ob er sie um eine gute Antwort oder einen Rat
anflehen wollte.

Ignacio verstand den Blick und sagte: „Die Packen wollen wir auch
verkaufen, wir wollen mit der Bahn weiterfahren.“

„Das ist wahr,“ gab Miguel nun geläufig zu, „die verkaufen wir auch. Das
war unsre Absicht.“

In Wahrheit hatten sie die Packen ganz vergessen über dem Eselverkauf.

„Was habt ihr denn in den Packen?“ Der Onkel ging wieder näher heran und
stieß mit der Faust in einen Packen.

„Felle,“ sagte Miguel, „gute Felle. Auch unser Kochgeschirr und dann
noch Werkzeuge. Das Gewehr können Sie uns ja wohl kaum bezahlen, das ist
zu teuer.“

„Was sind denn das für Werkzeuge?“ fragte der Onkel.

„Das ist so allerlei,“ erwiderte Miguel, „das sind Spaten und Pickhacken
und Brecheisen und alles so etwas.“

„Wie kommt ihr denn zu solchen Werkzeugen?“ fragte der Onkel scheinbar
ganz nebensächlich, so als wolle er nur das Gespräch weiterführen.

„Oh – die Werkzeuge – das ist –“ Miguel wurde plötzlich unsicher. Er
fühlte ein Unbehagen und mußte ein paarmal schlucken. Auf eine solche
Frage war er nicht vorbereitet gewesen.

Dann platzte Ignacio hinein: „Wir haben doch bei einer amerikanischen
Minengesellschaft gearbeitet, da kommen wir doch nun gerade her.“

„Jawohl, so ist es“, sagte nun Miguel rasch und warf einen dankbaren
Blick zu Ignacio hinüber. Er nahm sich vor, diese Hilfeleistung dem
Ignacio nie zu vergessen.

„Dann habt ihr bei der Minengesellschaft diese Werkzeuge also
gestohlen?“ sagte der Onkel trocken.

Miguel lachte vertraulich und blinzelte den Onkel an, als ob er mit ihm
im Bunde sei. „Nicht gerade gestohlen, Senjor,“ sagte er, „stehlen ist
nicht unsre Sache. Wir haben die Werkzeuge nur nicht abgeliefert, als
wir unsre letzte Schicht gemacht hatten. Das kann doch niemand stehlen
nennen. Wir wollen ja nicht viel dafür haben, vielleicht zwei Pesos für
die ganzen Werkzeuge. Nur damit wir sie nicht zur Bahn zu schleppen
brauchen.“

„Ich kann die Esel natürlich nicht alle kaufen“, sagte nun der Onkel
langsam. „So viele Esel brauche ich gar nicht. Aber ich werde die
übrigen Einwohner zusammenrufen lassen. Jeder hat etwas Geld, und dann
kann ich euch versprechen, ihr werdet die Esel und auch das übrige Zeug
alles leicht los. Ich werde mein Bestes tun. Setzt euch nieder. Wollt
ihr Wasser haben oder ein Paket Zigaretten?“

Dann ging Angel ins Haus und kam mit einem Krug Wasser und mit einem
Päckchen Supremos heraus.

Der Onkel redete mit seinem Neffen, und der Neffe machte sich auf, die
Männer des Dorfes zusammenzurufen.

Die Männer kamen. Alte und Junge. Sie kamen einzeln oder zu zweien.
Manche trugen ihren Machete im Gürtel, andre trugen ihn offen in der
Hand, wieder andre trugen gar nichts. Sie alle gingen zuerst in das Haus
des Onkels und sprachen mit ihm. Dann kamen sie heraus, sahen sich die
Esel sehr sorgfältig an und betrachteten darauf die drei Fremden
ebenfalls. Sie betrachteten die Verkäufer vielleicht noch sorgfältiger
als die Esel, aber sie taten es bei weitem unauffälliger als bei den
Eseln. Die Fremden merkten nicht, daß sie so genau besehen wurden, sie
hielten es für die übliche Neugier der indianischen Landbevölkerung.

Nach einer Weile kamen auch die Frauen der Männer langsam und ein wenig
scheu herangeschlichen. Sie alle brachten ihre Kinder mit. Einige Frauen
trugen sie im Tuch über den Rücken geknotet, andre trugen sie auf dem
Arm. Die Kinder, die laufen konnten, liefen um ihre Mütter herum wie die
Küchlein um die Henne.

Endlich schienen die Männer alle versammelt zu sein; denn es kam keiner
mehr. Nur vereinzelte Frauen näherten sich noch langsam dem Hause. Der
Onkel trat nun aus dem Hause. Alle die Männer, die noch bis zuletzt mit
ihm im Hause gewesen waren, folgten ihm. Sie bildeten eine dichte
Gruppe. Aber andre, die schon vorher herausgekommen waren und sich die
Esel angesehen hatten, blieben zwischen den Eseln stehen. Dadurch waren
die Straßenräuber, ohne es zu bemerken, unauffällig eingeschlossen.
Wohin auch immer sie sich wenden mochten, der Rückweg war ihnen
abgeschnitten. Und dennoch sah es ganz natürlich aus, denn die Männer
waren doch hier, um sich die Esel auszusuchen.

„Der Preis wäre nicht zu hoch,“ sagte der Onkel, „wir wundern uns nur
alle sehr darüber, daß ihr so gute Esel so billig verkaufen könnt.“

Miguel zog ein breites Lachen und sagte: „Sehen Sie, Senjor, wir
brauchen eben Geld, das ist es, und darum müssen wir verkaufen.“

„Haben die Esel einen Brand?“ fragte nun der Onkel so beiläufig.

„Natürlich,“ sagte Miguel, „alle haben einen Brand.“ Er sah sich um nach
den Eseln, um den Brand zu erkennen. Aber die Männer verdeckten die Esel
so, daß keiner der Strauchdiebe den Brand sehen konnte.

„Was für einen Brand haben denn die Esel?“ fragte nun der Onkel.

Miguel fing an, sich sehr unbequem zu fühlen, und seine Freunde begannen
sich zu drehen und zu wenden, um den Brand zu sehen. Aber die Indianer
drängten sie scheinbar unabsichtlich immer weiter ab von den Eseln.

Der Onkel sah Miguel unverwandt an. Und Miguel wurde immer unsicherer.
Er fühlte, daß sich ihm etwas näherte, was für sein ferneres Dasein
entscheidend werden konnte. Als der Onkel, ohne seine Frage zu
wiederholen, ihm weiter so merkwürdig scharf ins Gesicht sah, wußte
Miguel, daß er die Frage zu beantworten hatte.

Er druckste ein wenig und würgte, und dann sagte er: „Der Brand – ja,
der Brand, das ist ein Ring mit einem Strich darunter.“

Der Onkel rief hinüber zu den Männern, die bei den Eseln standen, und
fragte: „Ist das der Brand, Hombres?“

„Nein“, riefen die zurück.

„Ich habe mich geirrt,“ sagte darauf Miguel, „der Brand ist ein Ring mit
einem Kreuz darüber.“

Die Männer sagten: „Das ist nicht der Brand.“

„Ich bin ganz verwirrt,“ sagte nun Miguel, beinahe zusammenklappend,
„der Brand ist natürlich ein Kreuz und ein Ring herum um das Kreuz.“

„Ist das richtig?“ fragte der Onkel.

„Nein,“ sagten die Männer, „das ist falsch.“

„Ihr habt mir doch erzählt,“ sagte nun der Onkel ruhig, „daß dies eure
Esel seien.“

„Sind sie auch“, platzte Ignacio dreist heraus.

„Aber keiner von euch weiß den Brand, das ist merkwürdig.“

„Da haben wir nicht darauf geachtet“, sagte Miguel und versuchte, eine
wegwerfende Miene aufzusetzen.

„Habt ihr“, wandte sich nun der Onkel zu allen Männern, die anwesend
waren, „jemals einen Menschen gesehen, der Esel oder sonst irgendwelches
Vieh besaß und nicht jeden einzelnen Brand wußte, selbst wenn die Brände
verschieden waren und das Vieh aus verschiedenen Zuchten kam?“

Die Männer lachten alle und sagten nichts.

„Ich weiß,“ sagte der Onkel, „wo die Esel her sind.“

Miguel sah sich um nach seinen Kumpanen, und die blickten nach allen
Seiten, um zu sehen, ob sich nicht ein Loch fände, wo sie entwischen
könnten, sobald der nächste Satz kam.

„Die Esel sind von der Senjora Rafaela Motilina in Avino, der Witwe des
Senjor Pedro Leon. Ich kenne seinen Brand. Es ist ein L und ein P
rückwärts am Strich des L. Ist das richtig, Hombres?“ rief der Onkel.

Und die Männer, die bei den Eseln standen, riefen: „Das ist richtig. Das
ist der Brand.“

Der Onkel sah sich um in der Gruppe und rief: „Porfirio, komm her.“

Ein Indianer kam nahe heran und stellte sich ihm zur Seite.

Nun sagte der Onkel: „Mein Name ist Alberto Escalona. Ich bin der
Alkalde des Ortes hier, ordnungsmäßig gewählt und vom Gouverneur
bestätigt. Dieser Mann hier, Porfirio, ist der Polizeimann des Ortes.“

Es ist die Verschiedenheit der Länder und des Klimas, die
Verschiedenheit der Menschen, ihrer Erziehung und des Einflusses, dem
sie unterliegen, und noch vieles andre. Jedenfalls ist es so: Wenn in
Mitteleuropa jemand sich mit einem Titel vorstellt, so hat er die
Absicht, in seinem Gegenüber ein schauerndes Gefühl, das der Ehrfurcht,
zu erwecken, und er erwartet, daß sein Gegenüber, erschüttert von der
Erhabenheit der Begebenheit und des Ereignisses, sich respektvoll
verbeugt und von diesem Augenblicke an dem Titelträger den schuldigen
Respekt nicht versagt. Hier, auf diesem Kontinent, gilt ein Titel gar
nichts, ein Name nicht viel und die Persönlichkeit selbst alles. Es
verbeugt sich niemand, vielleicht in Ausnahmefällen vor einer Dame, und
es würde der, der zu dem Präsidenten Exzellenz sagt, ebenso lächerlich
wirken wie der Präsident, der sich mit Exzellenz anreden ließe. Der
Präsident ist viel seltener der Mr. Präsident oder der Senjor Präsident,
als viel häufiger und eigentlich in der Regel immer der Mr. Coolidge
oder der Senjor Calles, und wer mit ihm etwas zu tun hat, der schüttelt
ihm die Hand, wenn er kommt, und wenn er geht, und redet mit ihm ebenso,
als wenn er sein ganzes Leben lang mit ihm aus derselben Schüssel
gelöffelt hätte. Das müssen die neugebügelten Zylinderhutpräsidenten der
frischgekochten europäischen Republiken erst noch lernen. Denn die
europäischen Präsidenten nehmen sich noch immer die absoluten Könige zum
Vorbild, während die Präsidenten hier sich keine Vorbilder nehmen,
sondern, wenn sie ein Vorbild brauchen, sich selbst als Vorbild wählen
und dadurch eben als solche Menschen erscheinen, wie jeder andre des
Landes auch. Und wenn hier jemand sagt: „Unser Präsident ist ein großes
Rindvieh!“, so läßt ihn der Präsident nicht für einige Monate ins
Gefängnis sperren, sondern wenn er davon hört, so sagt er zu sich oder
zu seinen Freunden: „Dieser Mann weiß mehr über mich als ich selbst, er
scheint ein kluger Mann zu sein.“

Wenn aber hier jemand sich mit seinem Titel vorstellt und sagt: „Ich bin
der Bürgermeister des Ortes, und der da ist der Polizeipräsident“, dann
hat es etwas ganz andres zu bedeuten als in Europa.

Die drei Wegelagerer wußten sofort, was es zu bedeuten hatte, und daß
nun, nachdem die Titel genannt waren, das Händeschütteln ein Ende hatte.
Sie setzten sofort auf und versuchten abzuziehen, ohne ihre Esel
mitzunehmen. Sie hätten alle Esel jetzt für einen Peso verkauft, sie
hätten sie willig verschenkt, wenn sie nur hätten das Dorf verlassen
können. Aber sie wurden nun deutlich festgehalten.

Miguel versuchte, seinen Revolver zu ziehen. Aber er fand die Tasche
leer. Er hatte es in seiner Aufregung gar nicht bemerkt, daß Porfirio
ihm diese Mühe schon abgenommen hatte. Der Revolver hätte freilich nicht
viel genutzt, denn er war ja noch immer nicht geladen. Aber die Leute
konnten das nicht wissen, und sie hätten ihn vielleicht gehen lassen,
wenn er die Waffe auf sie gerichtet hätte.

„Was wollen Sie von uns?“ schrie Miguel.

„Bis jetzt nichts“, sagte der Alkalde. „Wir wundern uns nur, warum Sie
uns so schnell verlassen wollen, ohne Ihre Esel mitzunehmen.“

„Wir können unsre Esel mitnehmen oder nicht, wir können mit unsern Eseln
machen, was wir wollen“, rief Miguel wütend.

„Mit Ihren Eseln, ja, aber das sind nicht Ihre Esel. Ich kenne die
Geschichte dieser Esel. Senjora Motilina verkaufte diese Esel vor zehn
oder elf Monaten an drei Amerikaner, die in die Sierra auf Jagd gehen
wollten. Ich kenne die Amerikaner.“

Miguel grinste und sagte: „Das ist dann ganz richtig. Von diesen drei
Amerikanern haben wir die Esel gekauft.“

„Zu welchem Preis?“

„Zwölf Pesos das Stück.“

„Und nun wollt ihr sie hier für vier Pesos das Stück verkaufen? Ihr seid
schlechte Verkäufer.“

Die Indianer lachten.

„Ihr habt mir doch erzählt,“ sagte der Alkalde, „ihr hättet die Esel
schon sehr lange. Wie lange denn?“

Miguel überlegte eine Weile und sagte dann: „Vier Monate.“ Es war ihm
eingefallen, daß er gesagt hatte, sie hätten in einer Mine gearbeitet
und hätten eine lange Reise gemacht.

Der Alkalde sagte trocken: „Vier Monate? Das ist eine seltsame
Geschichte. Die Amerikaner sind vor wenigen Tagen da drüben vom Gebirge
gekommen. In den Dörfern hat man sie gesehen. Da hatten sie noch alle
die Esel, die ihr von ihnen vor vier Monaten gekauft habt.“

Miguel versuchte es wieder einmal mit seinem vertraulichen Lächeln: „Die
Wahrheit zu sagen, Senjor, wir haben die Esel vor zwei Tagen gekauft,
von den Amerikanern.“

„Das stimmt schon eher. Also von den drei Amerikanern habt ihr sie
gekauft?“

„Ja.“

„Das können aber nicht drei Amerikaner gewesen sein, denn ich weiß, daß
einer von den dreien auf der andern Seite der Sierra in einem Dorfe ist,
er ist ein Doktor.“

„Es war nur ein Amerikaner, von dem wir gekauft haben.“ Miguel kratzte
sich im Gesicht und im Haar.

„Wo habt ihr denn die Esel gekauft?“ fragte der Alkalde unerbittlich
weiter.

„In Durango.“

„Das ist kaum möglich“, sagte der Alkalde. „Der Amerikaner konnte noch
nicht in Durango sein, und wenn er es war, konntet ihr noch nicht hier
sein.“

„Wir sind die Nacht durchmarschiert.“

„Das kann sein. Aber warum sollte denn der Amerikaner gerade euch die
Esel verkaufen, wenn er schon in Durango war, wo er genug Käufer fand,
andre Käufer.“

Nun mischte sich Ignacio ein: „Wie können wir denn wissen, warum er
gerade uns die Esel verkaufen wollte und nicht andern? Das war eine
Laune von ihm.“

„Da müßt ihr doch eine Quittung haben,“ sagte der Alkalde, „eine
Quittung mit dem Preis und dem Brand, sonst kann ja die Senjora Motilina
jederzeit die Esel reklamieren, weil ihr Brand eingetragen ist.“

„Eine Quittung hat er uns nicht gegeben“, erwiderte Miguel. „Er wollte
die Stempelmarken nicht bezahlen.“

„Die paar Centavos hättet ihr doch dann selbst bezahlt, um einen Beweis
für den Kauf zu haben“, sagte der Alkalde.

„Verflucht noch mal,“ schrie nun Miguel und drohte mit beiden Fäusten,
„was wollen Sie denn eigentlich von uns? Wir ziehen friedlich unsre
Straße, und sie umzingeln uns hier. Wir werden uns beim Gouverneur über
Sie beschweren, daß Sie abgesetzt werden, verstehen Sie das?“

„Das ist doch nun die Grenze.“ Der Alkalde lächelte. „Sie kommen hierher
in unser Dorf und wollen uns Esel verkaufen. Wir wollen die Esel kaufen
und sind auch über den Preis einig. Da haben wir doch wohl aber das
Recht, nachzusehen, wo die Esel herkommen. Sonst kommen vielleicht
morgen früh die Soldaten und sagen, wir seien Banditen und hätten die
Esel von ihrem rechtmäßigen Besitzer fortgeführt und den Besitzer
erschlagen, und wir werden erschossen.“

Miguel wandte sich zu seinen Freunden und warf ihnen einen Blick zu.
Dann sagte er: „Wir wollen die Esel jetzt überhaupt nicht mehr
verkaufen. Nicht einmal für zehn Pesos alle zusammen. Wir wollen jetzt
weiter.“

„Aber die Werkzeuge und die Felle könntet ihr uns doch verkaufen?“
fragte der Alkalde.

Miguel dachte eine Weile nach, und als ihm einfiel, daß die Felle und
die Werkzeuge ja keinen Brand hatten, sagte er: „Gut, wenn ihr die Felle
und die Werkzeuge haben wollt –. Was meint ihr?“ wandte er sich seinen
Freunden zu.

„Wir sind einverstanden“, sagten die. „Die Sachen können weg.“

„Das sind doch eure Sachen?“ fragte der Alkalde.

„Natürlich“, antwortete Miguel.

„Warum hat denn der Amerikaner die Felle nicht in Durango verkauft?
Warum schleppt ihr denn die Felle wieder hier zurück? Ihr tragt doch
auch kein Wasser auf Eselsrücken in den Fluß?“

„Die Preise waren nicht gut in Durango, und wir wollen eine bessere Zeit
abwarten.“ Miguel begann ein wenig auf und ab zu gehen, soweit ihm die
Männer Platz ließen.

„Ist der Amerikaner nackt zur Bahn gegangen?“ Der Alkalde warf die Frage
unerwartet auf.

„Was meinen Sie?“ Miguel wurde blaß.

„Sie haben doch seine Stiefel an, und der da hat seine Hosen an. Warum
hat denn keiner von euch sein Hemd an, das noch ganz gut war? Es war
jedenfalls so gut wie ein neues, verglichen mit dem Fetzen, den Sie da
tragen.“

Miguel schwieg.

„Warum hat es keiner von euch genommen?“ wiederholte der Alkalde. „Ich
kann es euch sagen,“ fuhr er fort, „warum das Hemd niemand von euch
anziehen wollte.“

Weder Miguel noch einer der beiden andern wartete ab, was der Alkalde
weiter sagen würde. Mit einem Satz war jeder auf die Männer gesprungen,
die jedem am nächsten standen. Das war den Männern so überraschend
gekommen, daß sie nicht schnell genug zugriffen. Die Burschen
entwischten ihnen und rannten die Straße des Dorfes hinunter, um ins
Freie zu kommen.

Der Alkalde winkte einigen der Männer, und wenige Minuten später sausten
fünf Leute auf ihren Pferden hinter den Flüchtlingen her. Sie hatten
sich nicht einmal Zeit genommen, die Pferde zu satteln. Lediglich die
Kopfleinen hatten sie den Tieren übergeworfen.

Die Strauchdiebe waren nicht weit gekommen. Die Indianer holten sie ein,
ehe sie das letzte Haus des Dorfes erreicht hatten. Sie wurden an den
Lasso genommen und wieder auf den Dorfplatz gebracht.

„Wir werden nun den Amerikaner suchen gehen und ihn fragen, zu welchem
Preise er euch die Esel verkauft hat, und warum er sich nackt ausgezogen
hat, um euch seine Stiefel und seine Hosen zu schenken. Wir werden sein
Hemd mitbringen, das keiner von euch haben wollte.“ Der Alkalde sagte es
in einem mitteilenden Tone, ohne daß er eine Antwort erwartete.

Die Burschen waren gebunden worden und wurden nun von drei Indianern,
die sich ihnen gegenüberhockten und ihren Machete auf den Knien liegen
hatten, bewacht.

Die Männer sattelten ihre Pferde, packten Tortillas in ihre
Basttäschchen und machten sich dann auf den Weg. Der Alkalde und
Porfirio ritten mit ihnen.




                                   24


Es kann schwerlich jemand lange in jenen Distrikten reisen, ohne daß er
gesehen wird. Auch wenn er versucht, allen Ortschaften und allen Leuten
aus dem Wege zu gehen, immer sind Augen da, die ihn sehen, die seinen
Weg verfolgen und sein Tun beobachten. Er selbst weiß es meist nicht,
daß er beobachtet wird. Die ihm entgegenkommen, weichen lange, ehe er
sie sieht, vom Wege ab und kriechen in den Busch, wo sie ihn
vorüberziehen lassen und nicht eher wieder hervorkommen, bis er außer
Sicht ist. Sie haben ihn genau gesehen, er hat nicht einmal geahnt, daß
er vom Kopf bis zu den Füßen so eingehend betrachtet wurde, daß wenige
Stunden später das ganze Dorf weiß, wie der Mann ausgesehen hat, und was
er mit sich führte. In Bewässerungsgräben, hinter Hügeln, hinter
Felsblöcken, hinter Sträuchern sehen die Augen jede Bewegung und jeden
Schritt, den der Fremde tut.

Die Leute auf den Pferden verfolgten den Weg, den Dobbs gegangen war,
und nicht den, den die Wegelagerer gekommen waren. Da sie auf Pferden
saßen und kein Gepäck hatten, waren sie schon am Nachmittag an dem
Platze, wo Dobbs haltgemacht hatte. Der Platz war leicht zu finden.

Zwei der Männer verfolgten die Spuren weiter vom Platze aus zur Stadt.
Aber sie fanden bald, daß die Esel nur gestreut hatten und dann
zurückgetrieben worden waren.

Nun war es ein leichtes Spiel für den Alkalden, selbst ein
Vollblutindianer, die ganze Begebenheit zu erzählen. Die Esel hatten
gestreut, also hatte niemand Zeit gehabt, sich um sie zu bekümmern.
Infolgedessen mußte an dem Platze etwas vorgegangen sein, was alle
Anwesenden, deren Fußspuren zu erkennen waren, so in Anspruch genommen
hatte, daß sie nicht gesehen hatten, wann die Esel zu streuen begannen.
Und der Vorgang mußte ein schwerwichtiger gewesen sein, denn sonst
hätten die Esel nicht so weit streuen können.

Weder von dem Platze aus, wo die Bäume standen, zu der Stelle, wo die
Esel wieder eingeholt worden waren, noch von dieser Stelle aus weiter
zur Stadt waren Fußspuren des Amerikaners zu sehen. Auch wenn er barfuß
gegangen wäre, seine Spuren hätte man leicht erkannt. Die Form seines
Fußes ist nicht so schön wie die eines Indianers, weil er immer Stiefel
trägt und häufig solche, die die Zehen verkrüppeln. Außerdem sind die
Füße der Weißen viel größer als die der Indianer, die allgemein
zierliche und kleine Füße haben.

Da von dem Platze keine Spuren des Amerikaners weiterführten, so mußte
er noch auf dem Platze sein. Und da er nicht tief und nicht sorgfältig
genug eingegraben war, auch kein Regen gefallen war, so hatten die
Männer sein Grab in wenigen Minuten gefunden.

„Wegen Mord kann man nur angeklagt werden, wenn der Leichnam gezeigt
werden kann“, hatte Miguel gesagt. Damit hatte er recht gehabt. Das ist
das Gesetz, und das darf man ein gutes Gesetz nennen, denn in so großen
Ländern können Menschen sich so unsichtbar machen, daß ein Leichnam
leichter gefunden werden kann als der Mensch, der freiwillig verschwand.

Der Leichnam war gefunden, und da die drei Wegelagerer das Eigentum
jenes Leichnams besaßen, ohne das Besitzrecht beweisen zu können, so war
diese Angelegenheit im Grunde abgetan.

Der Alkalde betrachtete sich den Leichnam nur eine Sekunde, dann sagte
er: „Machete.“

Dann zogen die Männer dem Körper das Hemd aus, das der Alkalde an sich
nahm, und hierauf gruben die Indianer den Leichnam wieder ein. Sie taten
es entblößten Hauptes, und als sie die Grube, die sie tiefer gemacht
hatten, obgleich sie es nur mit ihren Machetes tun konnten, wieder
zugeschüttet hatten, standen sie eine Weile ohne Hüte um den Hügel. Sie
beteten nicht, aber sie sahen alle mit gebeugtem Kopfe auf den Hügel
hinab.

Während die Männer noch vor dem Hügel standen, ging der Alkalde zum
nächsten Baume. Er hieb mit dem Machete einen dünnen Ast ab und hieb den
Ast dann in zwei Stücke. Er band sie mit einem Stück Faden zu einem
Kreuz zusammen und steckte es in den Hügel, wo der Kopf lag.

Am nächsten Morgen waren die Männer wieder zurück in ihrem Dorfe. Der
Alkalde zeigte den Burschen das Hemd. Sie sahen es an und zuckten mit
den Schultern.

Zwei Männer waren inzwischen zur nächsten Station der berittenen
Landpolizei geritten. Im Laufe des Vormittags kamen die Soldaten. Der
Inspektor, nachdem er die Leute gesehen hatte, sagte zu dem Alkalden:
„Auf dem da“, er deutete auf Miguel, „ist eine Belohnung. Ich glaube
dreihundert Pesos oder zweihundertfünfzig. Genau weiß ich es nicht.
Bandit. Hat vordem schon zwei umgebracht. Die beiden andern Vögel werden
wohl von derselben Art sein. Ich kenne sie nicht. Die Belohnung wird auf
Sie fallen, Senjor, auf Porfirio und auf die übrigen Männer hier. Was
tun Sie denn nun mit den Eseln und dem Gepäck?“

„Das bringen wir morgen zu den Eigentümern“, sagte der Alkalde. „Ich
weiß, wo sie sind. Der eine ist ein Doktor, den wollen sie drüben auf
der andern Seite nicht fortlassen. Wir wollen ihn auch noch für eine
Woche haben. Er bekommt ja nun seine Sachen und wird es nicht so eilig
haben, fortzugehen.“

Dann wurden die drei Strauchdiebe von der Polizei übernommen. Sie kamen
nicht an Lassos. Sie trotteten in der Mitte der berittenen Soldaten. Da
ist das Hemd, da ist die Hose, da sind die Stiefel, da sind die Esel, da
sind die Packen, und da ist das Kreuzlein auf dem Hügel. Also wird die
Gerichtsverhandlung wohl schwerlich länger als zwei Stunden dauern. Ein
kostspieliges Gerüst wird nicht gebaut, weiße Handschuhe werden auch
nicht angezogen. Für diese Dinge hat der Staat nicht viel Geld übrig.
Das Geld muß für wichtigere Sachen gespart werden.




                                   25


Howard war ein viel beschäftigter Mann. Er konnte sich nicht der Ruhe so
erfreuen, wie er gehofft hatte. Er war der große berühmte Wunderdoktor.
Die Indianer des Hochgebirges sind alle sehr gesund, und sie erreichen
ein Alter, das dem Europäer wie ein Märchen klingt. Nur gegen
eingeschleppte Krankheiten sind sie wehrlos. Aber wenn sie auch alle
eine beneidenswerte Gesundheit haben, so leiden sie doch an Krankheiten
und Gebrechen, die sie sich so lange einreden, bis sie fest überzeugt
sind, daß sie die Krankheit haben. Man braucht ihnen nur von einer
Krankheit zu erzählen und die Symptome zu schildern, es vergehen keine
drei Tage, und sie haben die Krankheit. Aus diesem Grunde machen Ärzte
und Kirchen ein so gutes Geschäft im Lande.

Da kam eine Frau zu Howard, die wissen wollte, warum sie Läuse habe,
während ihre Nachbarin keine hätte. Was sollte Howard verschreiben?
Lausesalbe wäre das einzige Mittel gewesen. Aber wenn sie verbraucht
ist, dann sind die Läuse wieder da, und die Frage taucht erneut auf:
„Warum habe ich Läuse und meine Nachbarin keine?“ Howard half sich in
einfacher Weise, denn er war ein echter Medizinmann. Er sagte: „Das
kommt daher, daß Sie sehr gutes und gesundes Blut haben, das die Läuse
lieben, während Ihre Nachbarin sehr schlechtes und krankes Blut hat.“

Darauf kam die Nachbarin, eine blühend gesunde Frau, die ein Mittel
verschrieben haben wollte gegen ihr schlechtes und krankes Blut. Würde
sie zur Stadt zu einem studierten Arzt gehen, der würde ihr Salvarsan
verschreiben, obgleich sie keine Spur von einer Krankheit hat, gegen die
sonst Salvarsan gegeben wird. Aber die Leute bilden sich ein, daß
Salvarsan das Blut heile, und der Arzt verschreibt es ihnen.

Howard hatte kein Salvarsan zur Hand. Er hatte überhaupt keine Medizin.
Er verschrieb immer „Heißes Wasser trinken, jeden Tag zwei Liter.“ Um
genügend Variation hineinzubringen, verschrieb er zwei Liter oder
eindreiviertel Liter oder einundeinhalb; dann wieder heißes Wasser mit
Zitronensaft oder mit Apfelsinensaft oder mit sonst irgendeinem Kraut
oder Gemüse, das er kannte, und von dem er wußte, daß es keinen Schaden
anrichten könne.

Merkwürdigerweise für den, der die Heilkraft des Wassers nicht kennt,
wurden die Männer, Frauen und Kinder, die den Wunderdoktor belagerten,
alle gesund. Sie behaupteten es wenigstens. Und es ist ja mit allen
Krankheiten so, wenn man überzeugt ist, daß man nicht mehr krank ist, so
ist man eben gesund.

Gegen äußere Leiden, wo „der Tod directamente dicht unter der Haut lag“,
wie die Leute erzählten, und sie den Tod schon deutlich fühlen konnten,
wenn sie auf die Haut drückten, da verschrieb Howard heiße Umschläge.
Der Abwechslung wegen manchmal wieder kalte Umschläge. Umschläge auf den
Kopf, auf den Nacken, auf die Handflächen, auf den Puls, auf den
Unterleib, auf die Fußsohlen, wo immer Platz war. Und die Leute wurden
auch hier alle gesund. Der Tod kroch weg unter der Haut, weil es ihm, je
nachdem, zu heiß oder zu kalt wurde.

Mit Arm- und Beinbrüchen, Verstauchungen und Verrenkungen wurden die
Leute allein fertig. Da konnte ihnen kein Arzt etwas zeigen. Und
Geburtshilfe brauchte Howard auch nicht leisten. Das ging ganz glatt.

Der Ruhm Howards wuchs mit jedem Tage, und hätte er mehr Sinn und Liebe
für ein Zusammenleben mit natürlichen Menschen gehabt, so hätte er hier
in Frieden und Glückseligkeit sein Leben verbringen können. Aber er
dachte doch täglich an seine Abreise. Es waren ihm so verschiedene
Gedanken gekommen hinsichtlich der beiden Mitarbeiter, ob sie sein Gut
auch ordentlich abliefern würden, und ob sie sicher durchkommen möchten
zur Bahn. Er tröstete sich damit, daß er jetzt nichts tun könne und sich
auf die Geschicklichkeit und Ehrlichkeit der beiden verlassen müsse.

Dann kam eines Morgens ein Indianer ins Dorf geritten und suchte das
Haus, wo der große Doktor wohnte. Er sprach zuerst mit dem Gastgeber
selbst, und dann gingen beide auf Howard zu.

Der Gastgeber sagte: „Senjor, da ist ein Mann aus einem Dorfe von drüben
über das Gebirge hinweg. Er hat Ihnen eine Geschichte zu erzählen.“

Der Indianer setzte sich nieder, drehte sich eine Zigarette, zündete sie
an, und dann begann er zu erzählen.

„Lazaro war im Busch und brannte Holzkohle. Er ist ein Kohlenmann. Es
war früh am Morgen. Er hatte gerade aufgeschichtet. Da sah er etwas auf
der Erde kriechen. Und als er nun näher hinsah, da erkannte er, daß es
ein weißer Mann war, der da kroch. Er war ganz voll Blut und konnte
nicht mehr weiter. Lazaro gab ihm zu trinken. Dann ließ er seinen
Holzhaufen allein, packte den weißen kranken Mann auf seinen Esel und
brachte ihn ins Dorf in sein Haus.

Als der Mann im Hause auf eine Matte gelegt war, war er tot. Dann kam
aber ein andrer Mann, sah sich den Weißen an und sagte: ‚Der ist nicht
ganz tot. Der ist nur sehr krank oder sehr schwach. Da muß Filomeno
hinüberreiten zu dem weißen Wunderdoktor, weil Filomeno ein Pferd hat,
und weil ein Esel nicht so schnell läuft.‘

Ich bin Filomeno, Senjor, und ich habe ein schnelles und gutes Pferd.
Ich bin nun gekommen. Sie können dem weißen kranken Mann gewiß helfen,
wenn Sie gleich mitkommen.“

„Wie sieht der weiße Mann denn aus?“ fragte Howard.

Filomeno konnte ihn so deutlich beschreiben, als stünde er neben ihm,
und Howard wußte, daß es Curtin war.

Er machte sich sofort bereit, zu gehen. Sein Gastgeber und noch drei
andre Indianer begleiteten ihn.

Es war ein langer beschwerlicher Ritt. Aber als die Männer ankamen,
hatte sich Curtin schon ein wenig mehr erholt und schien außer Gefahr zu
sein. Den Leuten im Dorfe hatte Curtin mit wenigen Worten erzählt, daß
er auf dem Wege angeschossen worden sei, von wem, das wisse er nicht. Er
wollte vermeiden, daß man Dobbs verfolge, weil sonst alles
verlorengegangen wäre.

„Diese nichtswürdige Kreatur hat mich kaltblütig niedergeschossen,“
sagte Curtin zu Howard, „weil ich mich weigerte, mit ihm dein Gut zu
teilen. Er spielte erst einen Trick, als ob er in Notwehr sei. Aber ich
wußte gleich, worauf er aus sei. Ich hätte ja eigentlich zustimmen
können zu der Teilung, und wenn wir in der Stadt waren, die Sache wieder
in Ordnung bringen können. Aber du wärest vielleicht früher bei uns
gewesen, ehe ich erwartete, und dann würdest du geglaubt haben, ich
hätte dich betrügen wollen. Du würdest sicher nicht geglaubt haben, daß
ich der Teilung nur scheinbar zugestimmt hätte. Er kippte mir eine in
die linke Seite und ließ mich im Busch liegen, damit ich dort verrecke.
Nun habe ich aber zwei Schüsse, ich kann mich jedoch nur auf einen
besinnen. Ich denke beinahe, dieser Schurke ist später, als ich
bewußtlos dalag, noch einmal zurückgekehrt und hat mir noch eine
gekippt, um seiner schönen Arbeit auch ganz sicher zu sein. Spät in der
Nacht kam ich zu mir und torkelte und kroch so rasch von der Stelle
fort, wie es nur möglich war. Ich dachte, der kommt sicher am Morgen,
ehe er weitermarschiert, noch einmal her, und wenn er sieht, daß ich
immer noch einen Atemzug habe, gibt er mir den Rest. Ich bin dann auf
einen Indianer gestoßen, der im Busch Kohle brannte. Zuerst lief er weg,
weil er sich fürchtete. Als ich aber dann zu ihm sprach und ihm sagte,
daß ich in Not sei, half er mir sofort und brachte mich hierher. Ohne
seine Hilfe wäre ich sicher umgekommen, denn ich konnte nicht mehr
weiter, und kein Mensch würde mich da je gefunden haben.“

„Dann ist der Bursche also mit allem durchgegangen?“ fragte Howard.

„Ohne Zweifel.“

Der Alte dachte eine Weile nach. Dann sagte er: „Eigentlich ein Lump war
er nicht. Ich glaube, er ist im Grunde ein ehrlicher Kerl. Der Fehler
war, daß er mit dir allein abzog. Es ist eine verdammt böse Versuchung,
mit einer Menge Gold und nur mit einem Mann zur Seite, auf Seitenpfaden
und Schleichwegen durch diesen einsamen Busch tagelang zu ziehen. Dieser
Busch lockt und lockt und schreit und flüstert unaufhörlich: ‚Ich
plaudere nichts aus, greif zu, es ist eine Gelegenheit, die nicht
wiederkommt, ich bin verschwiegener als Gräber.‘ Wenn ich jung wäre wie
Ihr, ich weiß nicht, ob ich die vielen Tage hindurch einer solchen
verfluchten Lockung hätte widerstehen können. Es ist ja nur eine
Sekunde, eine einzige Sekunde, um die es geht. Und rechne einmal selbst,
wie viele Sekunden ein Tag von vierundzwanzig Stunden hat. Eine Sekunde,
in der sich blitzschnell die Begriffe verschieben, und ehe die Begriffe
sich in der nächsten Sekunde wieder in das alte Geleise einrenken, hat
man schon geknipst. Dann kann man nicht mehr zurück und muß volle Arbeit
tun.“

„Der Schurke hatte kein Gewissen, das ist alles“, sagte Curtin.

„Der hat soviel und sowenig Gewissen wie wir alle, wenn er denkt, daß er
die Ellbogen gebrauchen muß, um raufzukommen. Wo kein Ankläger zu
erwarten ist, da schweigt es wie eine leere Schnapsflasche, die in einem
verstaubten Winkel liegt. Das Gewissen wird nur lebendig, wenn es
unterstützt wird. Dafür sind ja die Zuchthäuser, die Henker, die
Höllenstrafen. Haben unsre Munitionslieferanten, die ihr Geld machten,
daß sie halfen, die europäischen Völker abzuschlachten, ein Gewissen?
Hat unser Mr. Wilson ein Gewissen gehabt, als er fünfzigtausend von
unsern Jungen ermorden ließ, weil Wallstreet fürchtete, ihr Geld zu
verlieren, und die Munitionsmacher noch bessere Geschäfte machen
wollten? Ich habe nie davon gehört. Immer nur wir kleinen Kicker müssen
das Gewissen haben, andre brauchen keins. Jetzt wird wohl dem Freunde
Dobbs das Gewissen lebendig werden, wenn er erfährt, daß er mit dir nur
halbe Arbeit gemacht hat. Nein, lieber Junge, laß mich mit dem Gewissen
nur ganz aus dem Spiele. Ich glaube nicht daran. Wir müssen uns jetzt
nur darum bekümmern, wie wir dem Burschen die Beute wieder abjagen.“

Howard wollte nun sofort nach Durango reiten, um Dobbs noch einzuholen
oder ihn wenigstens in Tampico zu erreichen, ehe er aus dem Lande
verschwand. Curtin sollte hier im Dorfe in Pflege bleiben und später
nachkommen.

Als Howard seinen Gastgebern erklärte, daß er nun nach seinem Eigentum
sehen müsse, weil Curtin hier krank läge, gaben sie ihm recht, daß er
abreisen müsse, wenngleich es ihnen schwerfiele, ihn so bald gehen zu
lassen.

Am nächsten Morgen war Howard bereit, nach Durango zu gehen. Aber die
indianischen Freunde wollten ihn nicht allein gehen lassen. Sie wollten
ihn begleiten, damit er auch sicher in der Stadt ankäme, und damit ihm
nicht ein ähnliches Schicksal widerfahre wie seinem Genossen Curtin.
Deshalb ritten sie alle mit ihm.

Sie waren gerade bis zum nächsten Dorf gekommen, als sie den Indianern
begegneten, mit dem Alkalden als Führer, die auf dem Wege waren, um die
Esel und die Packen zu Howard zu bringen.

„Wo ist denn euer Senjor Dobbs, der Amerikaner, der diesen Zug nach
Durango bringen sollte?“ fragte Howard, als er sich umgesehen hatte und
keinen Dobbs finden konnte.

„Der ist erschlagen“, sagte der Alkalde ruhig.

„Erschlagen? Von wem?“ Howard sagte es rein mechanisch.

„Von drei Wegelagerern, die gestern von den Soldaten gefangen genommen
wurden.“

Howard sah auf die Packen, und sie schienen ihm merkwürdig dünn zu sein.
Er sprang hinzu und öffnete einen seiner eignen Packen. Die Felle waren
vollzählig drin, aber die Säckchen waren fort.

„Wir müssen die Wegelagerer einholen,“ rief er, „ich muß sie etwas
fragen.“

Seine Begleiter waren dazu bereit. Man ließ den Zug in das Dorf bringen,
wo Curtin lag. Die übrigen Männer ritten auf geraden Pfaden den Soldaten
nach.

Die Soldaten hatten sich nicht sehr beeilt, voranzukommen. Bei solchen
Patrouillenritten werden immer noch die Ortschaften, die in der Nähe des
Hauptweges verstreut liegen, besucht, um zu hören, was los ist, und den
friedlichen Einwohnern zu zeigen, daß die Regierung sie nicht vergessen
hat und sie unter Schutz hält. Die Gefangenen, die mitgeführt werden,
vertiefen nur den Eindruck bei der indianischen Landbevölkerung, daß sie
ruhig ihrer Arbeit nachgehen kann, und daß die Regierung nach dem
Rechten sieht und den Banditen und den Wegelagerern tüchtig auf den
Fersen sitzt. Die Banditen und diejenigen, die vielleicht gerade im
Sinne haben, es einmal mit diesem Geschäft zu versuchen, werden durch
die Gefangenen, deren Los vorher hinreichend bekannt ist, eindrucksvoll
genug belehrt, daß es auch seine Schattenseiten hat, auf Straßenräuberei
auszugehen. Solche Warnungen sind wirkungsvoller als Berichte in den
Zeitungen, die hier nicht hinkommen, und wenn sie hinkommen, nicht
gelesen werden können.

Am darauffolgenden Tage waren die Soldaten schon eingeholt. Der Alkalde
stellte dem Offizier Howard als den rechtmäßigen Eigentümer der Esel und
der Packen vor, und Howard erhielt ohne weiteres die Erlaubnis, die
Banditen auszufragen. Wie sie Dobbs umgebracht hatten, das interessierte
ihn nicht, der Alkalde hatte es ihm schon deutlich genug erzählt. Er
wollte nur wissen, wo die Säckchen seien.

„Die Säckchen?“ fragte Miguel. „Ach ja, diese kleinen Säckchen, die
haben wir alle ausgeschüttet. Da war nur Sand darin, um den Fellen mehr
Gewicht zu geben.“

„Wo habt ihr denn die Säckchen ausgeschüttet?“ fragte Howard.

Miguel lachte. „Was weiß ich? Irgendwo im Busch. Das eine Säckchen hier,
das andre weiter fort. Es war finster. Wir sind dann in der Nacht
weitermarschiert, um fortzukommen. Wir haben kein Kreuz hingenagelt, wo
wir die Säcke ausgeschüttet haben. Sand gibt es überall. Sie brauchen
sich nur zu bücken. Und wenn Sie gerade den Sand, den Sie vielleicht als
Proben hatten, suchen gehen wollen, ich glaube nicht, daß sie noch ein
Körnchen finden. In der vorletzten Nacht hatten wir einen fürchterlichen
Sturm. Der hat alles fortgeweht, auch wenn ich genau wüßte, wo es war,
wo wir die Säckchen ausschütteten. Ich würde es Ihnen sonst gern sagen,
für ein Säckchen Tabak. Aber ich weiß es nicht und kann mir den Tabak
nicht verdienen.“

Howard wußte nicht, was er sagen sollte. Alles, was er äußern oder was
er tun konnte, war nur, ein solches Gelächter anzustimmen, daß die
übrigen Männer und auch die Soldaten mitlachen mußten, obgleich sie
nicht wußten, wo der Witz lag. Aber das Lachen klang so gesund, daß sich
niemand gegen seine Wirkung wehren konnte.

Howard warf den Strauchdieben ein Säckchen Tabak zu, dankte dem
Offizier, verabschiedete sich von ihm, und dann ritt er mit seinen
Freunden wieder zurück.

„Well, my boy“, sagte Howard, während er sich auf den Rand des Lagers
setzte, auf dem Curtin lag. „Das Gold ist dahin gegangen, wo es herkam.
Diese prachtvollen Halunken haben es für Sand gehalten, mit dem wir die
Fellhändler in der Stadt betrügen wollten beim Auswiegen der Felle. Und
diese Lämmer haben den Sand alle ausgeschüttet. Wo, wissen sie nicht
mehr, weil es finster war. Und dann hat der Hurrikan in der vorletzten
Nacht den Rest besorgt. Für ein Säckchen Tabak war jetzt die ganze
Bronze zu haben, für die wir zehn Monate schufteten.“

Und er begann so zu lachen, daß er sich krümmen mußte, weil ihm der
Bauch weh tat.

„Wie du da lachen kannst, das ist mir ganz und gar unverständlich“,
sagte Curtin halb erbost.

„Das verstehe ich nicht“, sagte Howard, nur noch immer mehr lachend.
„Wenn du hier nicht lachen kannst, bis du platzt, dann weißt du nicht,
was ein guter Witz ist, und dann kannst du mir leid tun. Dieser Witz ist
zehn Monate Arbeit wert.“

Und er lachte, daß ihm die Tränen über die Backen liefen.

„Mich haben sie zum Wunderdoktor gemacht,“ blökte der Alte lachend, „ich
habe mehr erfolgreiche Kuren und für weniger Medizin aufzuweisen als der
beste Arzt in Chikago. Du bist zweimal totgeschossen worden und lebst
immer noch, und der gute Dobbs hat den Kopf so völlig verloren, daß er
ihn selber nicht einmal mehr damit suchen gehen kann. Und das alles für
Gold, das uns gehört, und von dem niemand weiß, wo es ist, und das
billiger ist als ein Säckchen Tabak für fünfunddreißig Centavos.“

Nun endlich begann Curtin zu lachen, und er wollte gerade ebenso kräftig
damit herausbrüllen, wie es der Alte schon die ganze Zeit tat. Aber
Howard hielt ihm die Hand auf den Mund: „Nicht so laut, alter Junge,
sonst platzt dir der Lungenflügel. Und den mußt du behalten, weil wir
sonst nicht nach Tampico kommen. Mit der Bahn wird es wohl kaum viel
werden. Wir müssen auf den Eseln zurückreiten, und die wir nicht zum
Reiten gebrauchen, die müssen wir verkaufen, damit wir wenigstens
Tortillas und Frijoles zu essen haben, wir Millionäre, die wir sind.“

„Was können wir denn nur anfangen?“ fragte Curtin nach einer Weile.

„Ich überlege schon, ob ich mich hier nicht dauernd als Medizinmann
niederlassen soll. Wir können das Geschäft gemeinsam betreiben. Ich
komme allein sowieso nicht durch. Ich brauche einen Assistenten, und ich
will dir alle meine Rezepte vermachen. Die sind gut, das kann ich dir
versprechen.“

Als Howard die Packen alle einzeln durchzusuchen begann, fand er einen
Packen, aus dem die Säckchen nicht ausgeschüttet waren. Entweder waren
sie übersehen worden, oder der von den Strauchdieben, der sich diese
Packen angeeignet hatte, war zu bequem gewesen, die Packen alle
aufzuschnüren, weil er gedacht hatte, sich das für später aufzuheben,
wenn sie es nicht so eilig hatten, weiterzukommen.

„Das wird gerade reichen für – für was?“ sagte Howard.

„Mit dem Kino wird es wohl nichts?“ fragte Curtin.

„Dazu reicht es nicht. Aber ich habe gedacht, vielleicht ein ganz
kleines Delikatessen- und Konservengeschäft?“

„Wo? In Tampico?“ Curtin setzte sich halb auf.

„Natürlich. Wo dachtest du denn?“ erwiderte Howard.

„Aber im letzten Monat, als wir in Tampico waren, machten ja vier große
Delikatessengeschäfte innerhalb von sechs Wochen Pleite.“ Curtin hielt
es für wichtig, den Alten zu erinnern.

„Das ist richtig“, sagte Howard. „Aber das war vor zwölf Monaten. Das
kann sich nun geändert haben. Man muß sich doch ein wenig auf sein Glück
verlassen können.“

Curtin überlegte einen Augenblick und sagte dann: „Vielleicht ist doch
dein erster Vorschlag der bessere. Wir versuchen es erst einmal eine
Zeit mit dem Medizingeschäft, da ist uns wenigstens das Essen und die
Wohnung sicher. Ob das bei den Delikatessen der Fall sein wird, weiß ich
noch nicht recht.“

„Aber Mensch, da sitzt du doch mitten drin. Da brauchst du doch nur den
Büchsenöffner zu nehmen und eine Büchse aufzumachen oder auch zwei, wenn
es dir schmeckt.“

„Well und schön. Aber das sollst du mir erst noch sagen, was du essen
willst, wenn sie kommen und das Delikatessengeschäft versiegeln. Dann
kannst du doch nicht mehr ran an die Konservenbüchsen.“

„Daran habe ich nicht gedacht“, sagte Howard betrübt. „Das ist wahr,
dann können wir nicht mehr ran an die Büchsen, und der schönste
Büchsenöffner ist dann wertlos. Ich denke auch, es ist vielleicht doch
besser, die Delikatessen vorläufig allein zu lassen und uns lieber auf
Medizin zu legen. Außerdem ist es ein höchst ehrenwerter Beruf.
Delikatessenwarenhändler kann schließlich jeder Esel werden, Medizinmann
noch lange nicht. Dazu muß man geboren sein. Und das darf ich von mir
mit Fug und Recht behaupten. Komm nur erst rüber in mein Dorf, da wirst
du etwas sehen und lernen. Den Hut wirst du ziehen vor mir, mein Junge,
wenn du siehst, was für eine geachtete Persönlichkeit ich da bin. Die
wollten mich vor einigen Tagen schon zur gesetzgebenden Körperschaft
machen. Was sie sich darunter denken, habe ich aber nicht erfahren
können.“

In dem Augenblick kam sein Gastgeber herein.

„Senjor,“ sagte er, „wir müssen jetzt fortreiten. Es ist gerade ein Mann
herübergeritten gekommen. Der sagt, es seien so viele Leute im Dorf, die
den Doktor sehen wollten, daß sie im Dorf Angst bekämen. Darum müssen
wir sofort losreiten.“

„Da hörst du es ja“, wandte sich Howard an Curtin, als er ihm die Hand
gab.

Curtin lachte und sagte: „Ich denke, daß ich in drei Tagen rüberkommen
kann, um den Wunderdoktor zu sehen.“

Howard hatte keine Zeit, zu antworten. Die Indianer hatten ihn
untergefaßt, hinausgetragen und aufs Pferd gehoben.

Dann ritten sie mit ihm davon.




                     Anmerkungen zur Transkription


Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):

   [S. 31]:
   ... „Das ist aber der sicherste Platz.“ Dobbs bestand auf
       seinen Plan. ...
   ... „Das ist aber der sicherste Platz.“ Dobbs bestand auf
       seinem Plan. ...

   [S. 55]:
   ... begann sich zu forden. ...
   ... begann sich zu formen. ...

   [S. 145]:
   ... „Ein Nischt“, sagte Dobbs und trottete hinter den beiden,
       die voraufgegangen ...
   ... „Ein Nischt“, sagte Dobbs und trottete hinter den beiden,
       die vorausgegangen ...

   [S. 149]:
   ... einem Male einer der Männer ihnen nach: „Holla, Senjores,
       un momento!“ ...
   ... einem Male einer der Männer ihnen nach: „Hola, Senjores,
       un momento!“ ...






*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER SCHATZ DER SIERRA MADRE ***


    

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the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
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facility: www.gutenberg.org.

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