Robinson in Australien: Ein Lehr- und Lesebuch für gute Kinder

By Amalie Schoppe

The Project Gutenberg EBook of Robinson in Australien, by Amalia Schoppe

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Title: Robinson in Australien
       Ein Lehr- und Lesebuch für gute Kinder

Author: Amalia Schoppe

Release Date: March 21, 2015 [EBook #48541]

Language: German


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  Robinson
  in
  Australien.

  Ein Lehr- und Lesebuch
  für gute Kinder.

  von
  Amalia Schoppe,
  geborne Weise.

  Heidelberg.
  Verlagshandlung von _Joseph Engelmann_.
  1843.




An meine jungen Leser und Leserinnen.


Hoffentlich, meine Geliebten, erzeuge ich Euch einen Gefallen mit diesem
neuen _Robinson_; einmal, weil mir fortwährend von vielen lieben Kindern
die Versicherung gegeben wird, daß sie meine Jugendschriften gerne lesen;
dann aber auch, weil der Titel viel Lockendes für Euch haben wird, indem
gewiß Euer junges Herz bei dem Namen _Robinson_ höher schlägt. Ihr werdet
also dieses neue Buch Eurer Freundin mit gespannter Erwartung in die Hände
nehmen und Euch hoffentlich nicht in derselben getäuscht sehen.

Mein Zweck war, als ich diesen neuen Robinson verfaßte, und in ihm die
Schicksale eines zwar armen, aber sinnigen und wackern Knaben mittheilte,
Euch zugleich mit einem Welttheile bekannt zu machen, von dem selbst viele
gebildete Erwachsene noch wenig wissen: Ihr sollt Australien, den zuletzt
entdeckten, nur noch mangelhaft erforschten Welttheil, in seinem Clima,
seinem Boden und Pflanzen- und Thierreiche näher kennen lernen; und somit
bitte ich Euch, mein Buch nicht bloß zur flüchtigen Unterhaltung, gleichsam
um die Zeit, unser Kostbarstes zu tödten, in die Hand zu nehmen, sondern
zugleich auch Belehrung, Bereicherung Eures Wissens, daraus zu schöpfen.
Daß der _Robinson_ Euch nebenbei auf eine angenehme Weise unterhalten soll,
glaube ich Euch versprechen zu dürfen.

Zu dem doppelten Zwecke: zu _bilden_, zu _belehren_ und Euch _frohe Stunden
zu bereiten_, schrieb ich bisher alle meine Bücher, und da Euch die frühern
immer willkommen waren, hoffe ich, wird es auch dieses sein.

Ich grüße Euch sämmtlich mit dem Gruße inniger Liebe. Nicht mehr in dem
großen, prächtigen Hamburg, nicht zwischen den Trümmerhaufen dieser mir
ewig theuren Stadt, sondern in _Jena_, dem freundlichen Orte zwischen den
Bergen, die das reizende Saalthal rings wie ein Rahmen umfassen, schrieb
ich den _Robinson_ für Euch.

Der Geber alles Guten sei mit Euch Allen, meine geliebten Kinder.

  _Jena_, im October 1842.

    _Eure treugesinnte_

      #Amalia#.




Der neue Robinson.




Erstes Kapitel.


Viele von Euch, meine geliebten Kinder, werden schon einmal von der großen
Handelsstadt Hamburg gehört haben. Sie liegt an einem herrlichen Flusse,
der Elbe, die hier schon eine Meile breit und ihrem Einflusse in die nur
zwölf Meilen von Hamburg entfernte Nordsee nahe ist.

In dieser großen Welt- und Handelsstadt giebt es viele prächtige Paläste,
dagegen aber auch eine Menge enger Gassen und kleiner Häuser; ja, ein Theil
der Bevölkerung wohnt sogar unter der Erde in sogenannten Kellern, trüben,
feuchten Wohnungen, in die das goldene Tageslicht nur spärlich fällt,
weßhalb auch die Bewohner derselben in der Regel bleich und kränklich
aussehen. Denn eben die Sonne, welche den duftigen Kelch der Rose färbt,
färbt auch die Wangen der Menschen.

In einem dieser Keller wohnte eine arme Wittwe mit ihrem einzigen Kinde,
einem Sohne von etwa zwölf bis dreizehn Jahren. Sie hatte, seit dem Tode
ihres Mannes, der ein Schiffscapitän gewesen war, einen kleinen Handel
angefangen, um sich und ihren _William_ -- so hieß der Knabe -- nothdürftig
zu ernähren. Allein das Geschäft ging seit einiger Zeit schlecht, da sich
in einem benachbarten Hause eine ähnliche Handlung, wie die der Wittwe
_Robinson_, etablirt hatte und diese ihr die Nahrung schmälerte. So sah die
arme Frau sorgenvollen Tagen und schlaflosen Nächten entgegen, besonders da
es bereits gegen den Winter ging, wo der Mensch zu seinem Unterhalte mehr
bedarf, als im Sommer.

Die Hülfe Anderer anzusprechen, davor würde sich Frau Robinson geschämt
und weit lieber den bittersten Hunger, als das demüthigende Gefühl ertragen
haben, von der Gnade anderer Menschen abhängig zu sein. Denn sie hatte
einst bessere Tage gesehen und gehörte durch ihre Geburt einer Nation an,
die sich in der Regel durch einen edlen Stolz auszeichnet: Der englischen
nämlich.

Ihr Vater war, wie ihr verstorbener Mann, ein Schiffscapitain gewesen und
zwar ein so erfahrener, geschickter, daß ein bedeutendes Handlungshaus,
das Rhederei trieb, ihn von England berief und ihm sein bestes Schiff,
die _Fortuna_, zur Führung anvertraute. Damit segelte dann der Capitain
_Elliot_ -- so hieß Frau Robinsons Vater -- durch alle Meere und führte von
allen Welttheilen die kostbarsten Waaren in den Hafen von Hamburg. Er galt
nicht nur für einen streng rechtlichen Mann, sondern er war es in der
That: denn statt sich selbst zu bereichern, wie so Manche es in seiner Lage
gethan haben würden, dachte er nur an den Vortheil seiner Rheder, das will
sagen, der Kaufleute, deren Schiff er führte, und so kam es, daß, als
er starb, er seiner einzigen, bereits mit einem ihm befreundeten
Schiffscapitain verheiratheten Tochter kaum mehr hinterließ, als einen
unbefleckten Namen und den Ruf eines durchaus redlichen und geschickten
Mannes.

Mit diesem Erbtheile war aber sowohl seine Tochter _Anna_, als auch deren
Mann, der wackere Schiffscapitain _Robinson_, völlig zufrieden; mit Recht
sagten Beide, daß ein guter Leumund das erste und köstlichste aller Güter
sei.

Der Ruf von strenger Redlichkeit, den sich Capitain Elliot erworben hatte,
kam auch seinem Schwiegersohne Robinson zu Gute; denn kaum hatte Elliot, in
Folge einer langwierigen Krankheit, seine Augen geschlossen, so trugen die
Rheder der Fortuna seinem Schwiegersohn die Führung des herrlichen Schiffes
an. Mit Recht schloß man, daß der ein Biedermann sein müsse, dem Capitain
Elliot seinen besten Schatz, die einzige geliebte Tochter, zum Eigenthume
gegeben hatte.

So stand also Capitain Robinson nach dem Tode seines Schwiegervaters als
Befehlshaber und Führer auf dem Verdeck der Fortuna und zwar unter noch
günstigeren Aussichten, als der wackere Elliot: die Rheder hatten ihm einen
Antheil an dem Gewinne zugesagt und wenn die Geschäfte nur einigermaßen
gingen, so konnte der junge Capitain in einigen Jahren ein wohlhabender
Mann sein.

Daß er das werden würde, dazu hatte es den besten Anschein. Er brachte zu
einer sehr gelegenen Zeit eine Ladung Gewürze von den molukkischen Inseln
bei Asien und der Gewinn war für die Rheder so bedeutend, daß eine
Summe von 10,000 Mark, etwa 4000 Thaler preußisch für den thätigen und
umsichtigen Robinson abfiel. Dieses Vermögen vermehrte sich noch im Laufe
einiger Jahre und man durfte glauben, daß unser Capitain binnen Kurzem ein
reicher Mann sein würde.

Wenn ihm diese Aussicht eine erfreuliche war, so war dies mehr um seine
liebe Frau und sein einziges Söhnchen William, als weil er den Reichthum an
und für sich schätzte. Diesen beiden Geliebten eine angenehme, sorgenlose
Existenz verschaffen zu können, der Gedanke war es, der seine Seele mit
Freude erfüllte und ihn ohne Murren den größesten Gefahren trotzen ließ.

So hatte Robinson schon fünf bis sechs Reisen mit der Fortuna gemacht und
auf jeder derselben bedeutende Vortheile für die Rheder und sich selbst
erzielt, als der Vorsteher des Hauses, ein eben so braver als geschickter
und vorsichtiger Kaufmann, starb. Zwei Söhne, die zum Kaufmannsstande
erzogen worden waren, erbten sein Vermögen und seine weltberühmte Handlung.
Allein des Vaters Geist ruhte nicht auf ihnen: sie wollten noch reicher
werden, als sie ohnehin schon waren, ließen sich auf große Speculationen
ein und, da diese mißglückten, sahen sie sich nach Verlauf einiger Jahre
um all ihr Erbgut gebracht. Ihnen blieb fast nichts mehr übrig, als die
Fortuna, das seither vom Capitain Robinson geführte Schiff.

Aber auch dieses Besitzthum war im Grunde nur noch ein eingebildetes; denn
die Fortuna war durch die Reihe von Jahren, die sie See gehalten hatte, so
morsch und schadhaft geworden, daß Capitain Robinson erklärte: es hieße
das Leben seiner Matrosen und sein eigenes auf's Spiel setzen, wenn er noch
eine Reise damit machte, und aus diesem Grunde verweigerte er es geradehin.

Man kann sich vorstellen, wie ungelegen eine solche Erklärung den beiden
jungen Rhedern kam, besonders in diesem Augenblick, wo sie fast ihre letzte
Hoffnung auf die Fortuna gesetzt hatten. Sie ließen auch nicht mit Bitten
und Vorstellungen nach, bis sie Robinson dahin vermocht hatten, noch eine
Reise mit der Fortuna zu machen, nachdem diese nothdürftig ausgebessert
worden war.

Es war ein sehr trüber Abend, als der Capitain Abschied von seiner lieben
Anna und seinem Söhnchen William nahm, um sich an den Bord der Fortuna zu
begeben. Zum ersten Male in seinem Leben empfand er eine Anwandlung von
Furcht; zum ersten Male, seitdem er in das Mannesalter getreten, drängte
sich ihm eine Thräne zwischen die Wimpern, als er seine Frau und sein Kind
umarmte, indem er Abschied von ihnen nahm. Auch sie konnten sich diesmal
nicht von ihm losreißen; auch sie hingen laut schluchzend an seinem Halse
und bedeckten ihn mit ihren Thränen und Küssen: allen dreien war, als gälte
es einen Abschied auf immer.

Aber es mußte doch geschieden sein und früh am andern Morgen, mit Anbruch
des Tages, segelte die Fortuna die Elbe hinab. Ein frischer Ostwind
schwellte ihre weißen Segel und da sich die Ebbe mit dem günstigen Winde
vereinte, erreichte die Fortuna schon nach wenigen Stunden die Nordsee bei
Cuxhafen. An diesem Orte nahm Capitain Robinson, wie es gebräuchlich ist,
Lootsen an Bord, die ihn durch die gefährlichen Stellen bis in die offene
See führen mußten, wo er selbst sein Schiff zu lenken verstand.

Da es unter meinen lieben jungen Lesern und Leserinnen gewiß viele gibt,
die nicht wissen, was _Lootsen_ für Leute sind, will ich es ihnen erklären.
Man benennt Männer mit diesem Namen, die eine so vollkommene Kenntniß
des Fahrwassers haben, daß sie die Tiefen, Klippen und Sandbänke auf das
Genaueste kennen. Solcher Hindernisse für die Schifffahrt gibt es nun am
meisten an der Mündung der Flüsse, weßhalb man an solchen Orten gewöhnlich
Lootsen annimmt, um keinen Schaden zu leiden. Ist man aber über die
gefährlichen Stellen hinaus, so besteigen die Lootsen ihr an das große
Seeschiff angehängtes kleineres Fahrzeug und kehren in den Hafen zurück.

Das thaten auch die Lootsen der Fortuna. Beim Scheiden händigte Capitain
Robinson denselben noch einen Brief an seine liebe Frau mit dem Befehl ein,
ihn in Cuxhafen auf die Post zu geben, und er kam der Madame Robinson auch
richtig zu Händen. Ach! er sollte das letzte Lebenszeichen sein, das die
arme Frau von ihrem geliebten Manne erhielt!

Zwar war die Fortuna noch in dem Hafen von Vera Cruz eingelaufen und
hatte daselbst eine Ladung an Bord genommen, mit der Robinson nach Hamburg
zurückkehren wollte; allein seit dem Augenblick, wo man die Fortuna von
diesem Hafen aus dem Gesichte verlor, wurde nichts weiter von ihr gesehen
noch gehört. Aller Wahrscheinlichkeit nach war also das Schiff gesunken,
indem es, alt und morsch wie es war, zu viel Wasser geschöpft hatte.

So vergingen sechs Monate, ohne daß Frau Robinson etwas von ihrem lieben
Manne, die Rheder etwas von der Fortuna hörten und jetzt fing man an, sich
erst leisen, dann immer heftigeren Besorgnissen hinzugeben. Endlich waren
neun Monate, dann ein rundes Jahr verstrichen und die Fortuna war noch
immer nicht in den Hafen eingelaufen. Da konnte die arme Frau nicht länger
an ihrem Unglück zweifeln: ihr geliebter Mann war auf der See geblieben und
sie sollte ihn nie wieder sehen!

Ihr Schmerz war grenzenlos und sie brachte Tag und Nacht fast nur mit
Weinen zu. Ihr einziger Trost war der kleine William, der ganz das Ebenbild
seines guten Vaters und ein schöner, freundlicher Knabe war. Wenn er die
Mutter weinen sah, umschlang er ihren Hals mit seinen beiden Aermchen und
bat: »Gute Mutter, weine doch nicht! Ich will auch ganz artig sein und Dir
und dem lieben Vater keinen Kummer machen!« Wenn er aber das sagte, dann
weinte die Mutter noch heftiger und er endlich mit ihr.

In einem alten Sprichwort heißt es: »Ein Unglück kommt selten allein.«
Dieser Spruch schien sich auch an Frau Robinson bewähren zu wollen.
Ein Jahr war kaum seit dem Verschwinden ihres Gatten dahingeflossen, so
erklärten die jungen Kaufleute, denen die Fortuna zugehört hatte, daß
sie ihren Gläubigern nicht gerecht werden, das heißt, ihre Schulden nicht
bezahlen könnten. Eine solche Erklärung heißt man _bancerott_ machen. Das
Wort stammt aus dem Italienischen von =Banca rotta= -- zerbrochenen Bank
-- her, indem es in Genua Gebrauch war, den Kaufleuten, die nicht bezahlen
konnten, zum Schimpfe die Zahlbank zu zerschlagen oder zu zerbrechen.

Einen solchen Bancerott machten nun die jungen Kaufleute und da der
Kapitain Robinson ihnen all sein erworbenes Geld anvertraut hatte, ging es
mit verloren. Frau Robinson erhielt von dem Vielen, das man ihr schuldete,
nur eine sehr geringe Summe ausbezahlt und von dieser war schon nach einem
Jahre kein Heller mehr übrig, da die Arme durch den erlittenen großen
Kummer in eine schwere Krankheit verfallen war, die ihre letzten
Hülfsmittel aufzehrte.

Endlich durch die Hülfe der Aerzte von dieser Krankheit wieder genesen,
sah sich die arme Frau aller Hülfsmittel für ihre eigene und ihres
Kindes Existenz beraubt. Sie mußte also darauf denken, durch Arbeit ihren
Unterhalt zu verdienen und so suchte sie eine ihren Kräften und Fähigkeiten
angemessene Beschäftigung. Man kam ihren Wünschen freundlich entgegen und
gab ihr feine Wäsche zum Nähen. Sie verrichtete diese Arbeit eine Zeitlang
mit großem Fleiße und der ihr eigenthümlichen Pünktlichkeit; allein zu
ihrem nicht geringen Erschrecken entdeckte sie, daß ihre Augen nicht mehr
recht dienen wollten und sie sie theils durch das viele Weinen, theils
durch die feine die Sehkraft allzusehr anstrengende Arbeit gänzlich
verdorben hatte. Sie befragte jetzt einen Arzt und dieser erklärte ihr,
daß, wenn sie nicht gänzlich erblinden wolle, sie die feine Arbeit ganz
aufgeben und eine andere Lebensweise ergreifen müsse.

»Wovon soll ich aber?« rief die arme Frau bei dieser Erklärung im höchsten
Grade erschrocken aus, »mich und mein armes Kind in Zukunft ernähren? Sie
werden wissen, lieber Herr Doktor,« fügte sie mit einem schweren Seufzer
hinzu, »daß ich meinen geliebten Mann und zu gleicher Zeit auch das von
ihm erworbene Vermögen verloren habe, folglich durch Arbeiten Brod für mein
Kind und mich erwerben muß.«

»Wohl weiß ich das, liebe Madame Robinson,« erwiederte ihr der Arzt, der
ein vortrefflicher Mann und ein wahrer Menschenfreund war; »aber ich muß
trotz dem bei meinem Ausspruche beharren und Sie dringend ermahnen, für
die Folge ihres Lebens allen feinen, die Augen anstrengenden Arbeiten zu
entsagen.«

»So würde mir nichts weiter übrig bleiben, als mein Kind an die Hand zu
nehmen und von Haus zu Haus betteln zu gehen,« sagte sie, indem ein Strom
von Thränen ihr über die bleichen Wangen schoß, »und das Herr Doktor,
vermöchte ich nicht. Lieber sterben, als betteln!«

»Kommen Sie morgen um dieselbe Stunde wieder zu mir,« sagte der Arzt nach
einem kurzen Nachdenken. »Ich will die Sache mit meiner Frau überlegen; sie
ist wohlmeinend und verständig; ich hoffe, sie wird uns irgend einen Ausweg
zeigen können, und was an mir liegt, so können Sie auf mich rechnen; so
weit es meine Kräfte erlauben, will ich Ihnen beistehen. Ich bin leider
noch ein junger Arzt und besitze kein eigenes Vermögen; auch ist meine
Praxis noch klein, sonst würde ich gewiß mehr thun, als ich jetzt werde
thun können. Sorgen Sie indeß weder für die Bezahlung meiner ärztlichen
Bemühungen, noch für die Medicin und wenden Sie die Ihnen von mir
verschriebenen Medicamente sorgfältig an.«

Er reichte ihr bei diesen Worten zum Abschiede die Hand und die arme,
grambeladene Frau kehrte in ihre bescheidene Wohnung zurück. Am andern
Morgen war sie wieder bei ihrem zur Hülfe willigen Freunde. Dieser schien
sie schon erwartet zu haben und führte sie zu seiner Frau, die sie zu sich
auf den Sopha lud und sie auf das Liebevollste und Zuvorkommendste empfing.
Gute und gefühlvolle Menschen sind stets am höflichsten gegen Unglückliche;
niedere Seelen dagegen kriechen vor Reichthum, Ansehen und Macht. Wenn
ich Personen hart und unhöflich mit Leidenden, in ihrem Vermögen
Heruntergekommenen umgehen sehe, dann habe ich gleich keine gute Meinung
weder von ihrem Herzen, noch von ihrem Verstande.

»Meine liebe Madame Robinson,« sagte die treffliche Frau, indem sie ihr die
Hand reichte, mit jener herzgewinnenden Freundlichkeit, die Leidenden so
wohl thut, »mein guter Mann hat mir von Ihnen und Ihrem unverschuldeten
Leiden erzählt, indem er mich zugleich aufforderte, Ihnen nach Kräften
mit Rath und That zu Hülfe zu kommen. Nach längerem Nachsinnen ist mir
ein Ausweg eingefallen. Da drüben,« -- sie wies auf ein gegenüberliegendes
Häuschen -- »wohnte eine Frau, die sich lange Zeit hindurch anständig durch
den Verkauf von Südfrüchten und allerlei Eingemachtem ernährte. Es war
freilich bei dem kleinen Handel nicht viel übrig; allein er schützte die
Frau gegen Mangel und Sorge. Seit wenigen Tagen ist sie gestorben und das
Häuschen steht zur Miethe. Wenn Sie wollen, miethen _wir_ es für Sie --
der sehr geizige Hauswirth würde es wohl schwerlich ohne eine genügende
Bürgschaft an _Sie_ vermiethen -- und strecken Ihnen ein Sümmchen zum
Ankaufe der nöthigen Artikel vor. Auf diese Weise, so scheint es mir,
würden Sie das Nothwendige erwerben können, ohne Ihre armen Augen noch
ferner anzustrengen. Was sagen Sie zu diesem Vorschlage?«

Die gute Frau Robinson glaubte die Stimme eines Engels zu hören, als sie
diese Worte vernahm. Es fehlte nicht viel, so wäre sie der trefflichen Frau
zu Füßen gefallen, um ihr zu danken, wie es ihr Herz ihr gebot; sie hatte
kaum Worte, nur Thränen.

»Nicht wahr,« fragte ihre Wohlthäterin gerührt, »nicht wahr, Sie gehen
auf meinen Vorschlag ein und mein Mann macht noch heute die Sache mit dem
Hauswirthe richtig, damit uns kein Anderer zuvorkomme?«

»O, wenn Sie die Güte haben wollten!« stammelte Frau Robinson, indem sie
die Hände der Trefflichen ergriff. Sie wollte mehr sagen, vermochte es aber
vor Rührung nicht.

»Die Sache ist so gut wie abgemacht,« entgegnete ihr diese, »und jetzt, ich
bitte Sie, beruhigen Sie sich, regen Sie sich nicht zu sehr auf,« fügte
sie liebevoll hinzu; »mein Mann behauptet, daß Sie solche Gemüthsbewegungen
nicht gut ertragen können, und namentlich Ihren Augen dadurch schaden
würden.«

Frau Robinson ging jetzt und schon nach acht Tagen bezog sie mit ihrem
lieben William die neue Wohnung und trat ihr neues Geschäft an.




Zweites Kapitel.


Drei Jahre hindurch verlebte Frau Robinson, wenn auch nicht in Glück und
Freude -- denn noch immer konnte sie sich nicht über den Verlust ihres
Mannes trösten -- doch in Friede und ohne allzuschwere Sorge in dem ihr von
dem wackern Arzte gemietheten Hause. Das Geschäft war leicht und nicht eben
unangenehm und William, der jetzt zwölf Jahre alt geworden war, ging ihr in
seinen Musestunden so wacker dabei zur Hand, als wäre er noch einmal so alt
gewesen. Er war ein überaus sinniger und verständiger Knabe, der auf Alles
Acht gab und schnell diesen und jenen ihm gezeigten Handgriff begriff.
In der Schule, die er fast unausgesetzt besuchte -- so wollte es seine
verständige Mutter -- liebten ihn die Lehrer und seine Mitschüler, weil
er gegen erstere stets ehrerbietig, gegen die letzteren hülfreich und
freundlich war. Man konnte ihn freilich nicht eben einen großen Kopf
nennen, und ein Licht der Gelehrsamkeit würde wohl schwerlich, selbst
bei dem besten Unterrichte, aus ihm geworden sein; allein er war fleißig,
sinnig und ein höchst verständiger Knabe, der zu mechanischen Arbeiten eine
große Neigung hatte; auch wollte er, wie er sagte, entweder ein Tischler
oder Drechsler werden und die Mutter hatte nichts dagegen, daß er ein
Handwerk ergriffe.

Die edle Familie, welche sich der Frau Robinson in der Zeit ihrer Noth so
menschenfreundlich angenommen, hatte indeß seit länger denn einem Jahre
Hamburg verlassen, indem der junge Arzt einem ehrenvollen Rufe nach Rußland
folgte, wo er bei der Armee als Stabsarzt angestellt wurde. Er hatte
nämlich das Glück gehabt, einem reisenden, sehr reichen und vornehmen
Russen, einem Prinzen, durch seine große Geschicklichkeit und Sorgfalt das
Leben zu retten. Als dieser heimgekehrt war, empfahl er dem Kaiser seinen
Erretter so dringend, daß man den geschickten Mann unter den glänzendsten
Bedingungen nach Rußland berief, wo er in der Folge eben so reich als
angesehen wurde.

Durch diesen Zufall hatte Frau Robinson ihre großmüthigen Beschützer
verloren, und so glücklich es für diese war, so unglücklich war er für die
arme Frau. Kurz nach der Abreise der Beiden fiel es einem Speculanten ein,
die kleinen Häuser, wovon Frau Robinson das eine bewohnte, zu kaufen,
sie bis auf den Grund niederreißen und an deren Stelle große, prachtvolle
Häuser erbauen zu lassen, und da er dem Besitzer der kleinen Wohnungen eine
ansehnliche Summe bot, war man des Handels bald einig. Frau Robinson mußte
also ihre bisherige Wohnung, in der es ihr so wohl ergangen war, verlassen
und sich nach einer andern umsehen. Da sie in der Gegend als eine redliche
und zuverlässige Frau bekannt war und fürchten mußte, ihre Kundschaft zu
verlieren, wenn sie in einen andern Theil der sehr großen Stadt zöge, sah
sie sich in der Nähe ihrer bisherigen Wohnung nach einer andern um. Allein
die Häuser waren zum Theil so groß und die Miethe so theuer, daß ihr
endlich nichts weiter übrig blieb, als einen eben frei werdenden Keller zu
miethen.

Dies war ein enger, trauriger und düsterer Aufenthalt; nur auf wenige
Augenblicke fiel ein Sonnenstrahl in das kleine, dumpfe Stübchen und die
noch kleinere Schlafstätte entbehrte sogar gänzlich des lieben Tageslichts.
Indeß mußte man sich doch noch glücklich schätzen, diese Wohnung um einen
mäßigen Preis erstanden zu haben und Williams Umsicht und Liebe wußte sie
zu verschönern.

An Sparsamkeit von Jugend auf gewöhnt, hatte er alle seine Schulhefte
aufgehoben und beklebte mit dem dadurch gewonnenen Papier die nur mit Kalk
beworfenen Wände. Als er damit fertig und alles gehörig getrocknet war,
verschaffte er sich Farbe und einen Malerpinsel und strich die Papierwände
so eben und gut mit einer hellen Farbe an, daß das Ganze wirklich ein recht
freundliches Ansehen gewann. Dann zog er auch vor dem kleinen Fenster des
Stübchens eine Menge Blumen, die er sich zu verschaffen gewußt hatte. Da
er bei Allen beliebt war, gab ihm bald dieser, bald jener seiner Mitschüler
ein hübsches Pflänzchen oder auch nur einen Absenker und er verstand es
so zu hegen und zu pflegen, daß es in kurzer Zeit freudig emporwuchs
und Stengel, Blüthen und Blumen trieb. So oft er eine Stunde Zeit hatte,
beschäftigte er sich mit seinen Blumen, trug sie ins Freie hinaus, begoß
und putzte sie und hatte seine herzinnige Freude daran, wenn die Blicke
seiner lieben Mutter mit Wohlgefallen darauf ruhten.

An diesem Orte verlebte man so noch ein Jahr und es schien, als ob das
Schicksal müde geworden sei, die arme Frau Robinson zu verfolgen. Die
alten Kunden blieben ihr getreu und der kleine Handel ging ganz so gut,
wie vorher. Da, als man sich dessen nicht versah, miethete einer der ersten
Fruchthändler der Stadt, ein Mann, der bereits durch diesen Handel reich
geworden war, eins der neu erbauten Häuser und etablirte sich in demselben,
indem er einen Gehülfen hineinsetzte. Alle nur erdenklichen Früchte und
die Leckereien aller Zonen und Welttheile wurden hinter Spiegelfenstern
zur Schau ausgestellt; in krystallenen Gefäßen schwammen Forellen und
Goldfische; hier glühten Orangen, Citronen und Apfelsinen; dort dufteten
Ananasse, Melonen und Granatäpfel; von den köstlichsten Trauben waren
Guirlanden gebildet, Käse standen da in Ananasform; Kastanien, Rosienen,
Mandeln u. s. w. bildeten den Hintergrund; kurz, Alles was nur Auge und
Gaumen reizen konnte, war da und in der größesten Fülle.

Wie armselig nahm sich dagegen der Keller der Frau Robinson aus! Auch sah
Keiner mehr auf denselben nieder, sondern die Blicke aller Vorübergehenden
wendeten sich auf das großartige Etablissement in dem schönen Hause; Alles
strömte dahin, während der Keller fast gänzlich verödete.

Dies war ein furchtbarer Schlag für die Vielgeprüfte und hätte sie nicht
Gott im Herzen gehabt, nicht ihm vertraut, so würde sie diesem neuen
Unglücke vielleicht erlegen sein. Sie aber wandte Herz und Auge zum Himmel
empor und sagte: »Herr, in Deine Hände lege ich mein Geschick: Du wirst
wissen, wozu mir diese neue Prüfung nütz ist und Dein Kind nicht allzusehr
prüfen. Dein heiliger Wille geschehe im Himmel, wie auf Erden. Amen!«

Trotz dieses frommen, unerschütterlichen Vertrauens zu ihrem himmlischen
Vater trat ihr aber doch eine Thräne in das Auge, wenn sie an die Zukunft
ihres lieben Williams dachte. Denn die Zeit war nahe, wo er zu einem
Meister in die Lehre gethan werden mußte und dazu war vor allen Dingen Geld
erforderlich. Woher aber dieses nehmen, da der Erwerb so schmal geworden,
daß man an manchen Tagen sich kaum an trockenem Brode satt essen konnte?
Wenn man den Keller hätte verlassen und in einem andern Theile der Stadt
eine andere Wohnung miethen können, so wäre vielleicht noch alles gut
gegangen; allein das konnte man nicht, da man, in der Furcht, vielleicht
von dem Hauswirthe in der Miethe aufgetrieben zu werden, den Keller auf
Contract, das heißt, auf mehrere Jahre gemiethet hatte. Man mußte also
bleiben, wo man war und seinem völligen Ruin entgegensehen.

So standen die Sachen, als der Fruchthändler, welcher das große Haus
gemiethet hatte, zur nicht geringen Verwunderung der Frau Robinson an einem
Morgen zu ihr eintrat und sie fragte; ob sie geneigt sei, seinem Geschäfte
vorzustehen? wofür er ihr eine billige Vergütung geben, auch die Miethe für
den Keller auf sich nehmen wolle.

Zu dieser Anfrage wurde er durch den Umstand veranlaßt, daß er entdeckt
hatte, wie der von ihm eingesetzte Gehülfe ihn um bedeutende Summen
betrogen. Er mußte ihn also aus dem Dienste jagen und sich nach einer
redlichen, auch mit dem Geschäfte vertrauten Person umsehen. Man schlug
ihm dazu Frau Robinson vor, deren Charakter man ihm sehr rühmte, und da
sie überdieß diese Art von Handel kannte, stand er nicht an, auf sie zu
reflectiren.

Ein solcher Vorschlag war nicht zu verachten; allein der hinkende Bote kam
nach: Herr _Berger_ -- so hieß der große Fruchthändler -- forderte von Frau
Robinson, daß sie sich schon jetzt von ihrem Sohne trennen und ihn in
die Lehre geben solle, obgleich er noch nicht das gehörige Alter und
die erforderlichen Körperkräfte erlangt hatte. »Denn,« sagte er, »so ein
Bürschchen kann leicht in Verführung gerathen und könnte es mir eben so mit
ihm ergehen, wie mit meinem früheren Gehülfen, der mein Geld verthat und
mich in großen Verlust brachte.«

Vergebens betheuerte ihm Frau Robinson, daß er dergleichen von ihrem
William nicht zu befürchten habe: er blieb bei seiner Meinung und seinen
Ansichten und verließ sie mit den Worten:

»Ueberlegen Sie meinen Vorschlag: ich lasse Ihnen bis Morgen Mittag Zeit.
Gehen Sie dann nicht auf denselben ein, so muß ich mich nach einer andern
Hülfe umsehen.«

»Mutter,« nahm William das Wort, »liebe Mutter, Du solltest den Vorschlag
des Herrn Berger nur annehmen, und Dir keine unnöthige Sorge um mich
machen.«

»Was redest Du mein Kind?« versetzte die Mutter, »bist Du doch mein Ein und
mein Alles, und lebe ich nur noch für Dich!«

»O, ich weiß, welche große Liebe Du mir schenkst,« versetzte William
gerührt; »aber ich dächte, daß ich doch vielleicht schon einen Meister
fände, der mich zu sich nähme, obschon ich noch nicht das gehörige Alter
habe. Ich würde in diesem Falle ein Jahr länger Lehrbursche sein müssen und
das wollte ich gerne, wenn ich Dich nur einer so schweren Sorge überhoben
sähe. Erlaubst Du mir,« fügte er schmeichelnd hinzu, »erlaubst Du, liebes
Mütterchen, mir, zu dem Meister Brandt zu gehen, und ihn zu fragen, ob er
mich schon jetzt zu sich nehmen und mich in seinem Handwerke unterrichten
wolle? Ich denke, daß er es thun werde, da er gut und freundlich ist und
mir versprochen hat, daß er mein Lehrherr werden wolle.«

Die Mutter machte noch einige Einwendungen gegen diesen Vorschlag, dann
aber willigte sie, den dringenden Bitten Williams nachgebend, endlich
doch ein und der gute Knabe sprang die Gasse hinunter, um sich zum
Tischlermeister Brandt zu begeben, der nicht weit von ihnen wohnte.

Er fand den Meister, einen freundlichen und geschickten Mann, in seiner
Werkstatt beschäftigt. Als er unsern William eintreten sah, ließ er die
fleißige und kunstfertige Hand, die den Hobel führte, einen Augenblick
ruhen, um sie ihm zur Bewillkommung entgegen zu strecken.

»Nun,« sagte er, »da bist Du wieder, um zuzusehen? Es gefällt mir an Dir,
daß Du schon jetzt eine so große Neigung für Dein künftiges Geschäft hast
und in Deinen Mußestunden meiner Arbeit zusiehst. Aus Dir wird, so hoffe
ich zu Gott, einmal ein tüchtiger Mann in unserm Fache werden und ich freue
mich schon auf die Zeit, wo Du zu mir ins Haus und in die Lehre treten
wirst.«

»Lieber Meister,« antwortete ihm William etwas schüchtern, wie man es
allemal zu sein pflegt, wenn man eine Bitte vorzutragen hat, von deren
Gewährung viel für uns abhängt. »Lieber Meister Brandt, sollte es nicht
möglich sein, daß Ihr mich schon jetzt gleich, wo möglich schon Morgen, zu
Euch in die Lehre nähmet?«

»Wenn das von mir abhinge,« versetzte der wackere Mann freundlich, »so
nähme ich Dich lieber heute als morgen um so mehr, da ich so eben einen
Lehrburschen habe fortschicken müssen, der träge, unlustig zur Arbeit,
verlogen und mit so vielen andern Fehlern behaftet war, daß ich ihn nicht
bei mir behalten konnte, schon meiner Kinder wegen, die er mir vielleicht
mit verdorben haben würde. Ich muß mich daher nach einem andern
Lehrburschen umsehen und«.....

»Der werde _ich_ sein? nicht wahr?« unterbrach ihn William mit freudig
bewegter Stimme.

»Der würdest Du unfehlbar sein,« versetzte der Meister, »wenn Du zwei Jahre
älter und schon confirmirt wärest.«

»O, confirmirt könnte ich ja später werden,« sagte William, »und was mein
Alter anbetrifft, so könnte es Euch, lieber Meister, wohl gleichgültig
sein, wenn ich nur die erforderlichen Kräfte und Fähigkeiten besäße; ich
gelobe Euch aber, daß ich durch Fleiß und Aufmerksamkeit ersetzen will, was
mir noch an Jahren abgeht.«

»Weßhalb wünschest Du denn aber, sofort bei mir einzutreten?« forschte der
Meister; »Du hast Dich doch nicht etwa gar mit Deiner braven Mutter erzürnt
und wünschest deßhalb, sie auf der Stelle zu verlassen?«

»Gott bewahre!« rief William, dem bei dieser Aeußerung des Meisters das
Blut in die Wangen stieg, und nun erzählte er dem guten Manne mit seiner
gewohnten Offenheit, wie die Sachen standen und was es eigentlich war, das
ihn zu dem Wunsche bewog, die geliebte Mutter schon jetzt zu verlassen.

Brandt hörte ihm mit theilnehmender Aufmerksamkeit zu, dann, als er geendet
hatte, reichte er ihm die Hand und sagte mit gerührter Stimme:

»Wie glücklich würde ich sein, wenn ich Deinen Wunsch gewähren könnte; das
kann ich aber leider nicht. Wir Handwerker haben unsere eigenen Gesetze
und die verbieten es uns, einen Knaben, der noch nicht das fünfzehnte Jahr
erreicht hat und noch nicht confirmirt ist, in die Lehre zu nehmen. So leid
es mir also auch thut, so muß ich Dir Deine Bitte abschlagen.«

Das war nun für unsern William ein trostloser Bescheid. Er war mit der
größesten Hoffnung hergekommen, da er der Güte Brandt's fest vertraute, und
hoffnungslos sollte er jetzt von ihm scheiden. Der Gedanke, was jetzt aus
seiner guten Mutter werden solle, preßte ihm bittere Thränen aus, deren
Strom Meister Brandt vergebens zu hemmen bemüht war.

In dem Augenblick, wo diese am heftigsten flossen, öffnete sich die
Thür der Werkstatt und ein Mann von mittleren Jahren, von untersetzter,
kräftiger Gestalt, mit einem von der Sonne gebräunten Gesichte, trat zu
den Beiden ein. Seine Kleidung war sehr fein und ganz neu, hing ihm aber
ziemlich weit auf dem Leibe; er hatte einen weißlichen Kastorhut auf dem
Kopfe; um den Hals war ein buntes, seidenes Tuch geknüpft, dessen Zipfel
weit auf die Brust herabfielen; er trug sehr weite Hosen von blauem Tuche,
eine lange, goldene Uhrkette mit einem halben Dutzend goldener Uhrschlüssel
und Pettschaften daran und aus der Tasche seines Rockes guckte ein
hochrothes, seidenes Schnupftuch hervor. Unser William erkannte auf den
ersten Blick einen Schiffskapitain in diesem Manne und im Andenken an
seinen lieben, verschollenen Vater schlug sein Herz mächtig beim Anblick
desselben.

Da er sich, als die Thüre sich öffnete, nach dem Eintretenden umgesehen
hatte, blickte dieser ihm in das von Thränen überströmte Gesicht und mit
seemännischer Freundlichkeit auf ihn zugehend, sagte er:

»Was ist denn dem Jüngelchen, daß es so weint?«

William erröthete über und über bei dieser Frage des fremden Mannes und
Kapitain _Hansen_ -- dies war sein Name -- der es bemerkte, fuhr fort:

»Du brauchst Dich vor mir Deiner Thränen nicht zu schämen, Kleiner;
freilich wenn Du ein großer Kerl wärest und flenntest dann, so würd'
ich 'ne schlechte Idee von Dir bekommen. Sag' mir lieber, was Dir ist,
vielleicht kann ich Dir helfen.«

»Das arme Kind ist übel daran,« nahm jetzt Meister Brandt das Wort, und
nun erzählte er dem Kapitain, wie die Sachen standen. Dieser hörte ihm
mit gespannter Aufmerksamkeit und sichtbarer Theilnahme zu; dann, als er
geendet hatte, nahm er das Wort und sagte:

»Dem armen Jungen und seiner Mutter würde leicht zu helfen sein, wenn beide
keine Abneigung gegen das Seeleben hätten.«

»Die habe ich gewiß nicht,« antwortete ihm William, »waren doch mein Vater
und Großvater eben so gut Schiffscapitaine, als, wie ich glaube, der Herr
es sind.«

»So? Dein Vater und Großvater waren Seeleute?« fragte Kapitain Hansen
überrascht. »Wie hießen sie, mein Jüngelchen?«

»Mein Großvater hieß Elliot und mein Vater Arthur Robinson,« versetzte
William, schon etwas dreister.

»Das sind Namen, die zur See guten Klang halten,« nahm Hansen wieder das
Wort. »Ich hörte oft von ihnen reden, sowohl in Europa, als in andern
Welttheilen, und es freut mich, daß ich die Bekanntschaft des Sohnes
und Enkels so braver Leute gemacht habe,« fügte er liebevoll hinzu.
»Hoffentlich bist Du, mein Kind, nicht aus der Art geschlagen und wenn dem
so sein sollte, würde es eine große Freude für mich sein, erst aus Dir eine
tüchtige Theerjacke,[1] dann aber einen Capitain zu machen, wie es Deine
Vorfahren waren. Hättest Du wohl Lust, mit mir auf die See zu gehen?«

  [1]: In der seemännischen Sprache nennt man so die Matrosen.

William erröthete bei diesem Vorschlag über und über. Es war ihm bis jetzt
noch gar nicht eingefallen, daß ein solcher Ausweg ihm übrig bliebe, um
seine gute Mutter von der Sorge um ihn zu befreien und so überraschte er
ihn um so mehr. Hansen, der sein Erröthen falsch deuten, sagte:

»Wenn Du Dich aber fürchtest, so bleib' lieber zu Hause: ein Seemann muß
vor allen Dingen Muth in der Brust haben und sich vor Nichts fürchten.«

»O, ich fürchte mich vor dem Wasser gewiß nicht,« war die Antwort Williams,
»und wenn meine gute Mutter nur wollte, wie ich will, so wäre der Handel
bald geschlossen.«

»So befrage Deine Mutter,« versetzte der Capitain, »und bringe mir Morgen,
zwischen acht und neun Uhr, Deine Antwort. Hier ist meine Adresse,« fügte
er hinzu, indem er ein Blatt Papier aus seiner Brieftasche riß und seinen
Namen und seine Wohnung darauf bemerkte. »Du mußt Dich aber schnell
entschließen,« fuhr er fort; »mein Schiff liegt segelfertig und ich warte
nur noch auf günstigen Wind, um den Hafen zu verlassen. Bringst Du mir
Morgen früh bis neun Uhr keine Antwort, so suche ich mir einen andern
Jungen, denn ich muß einen haben; Du aber würdest mir der liebste sein, da
Du von so wackern Seeleuten abstammst.«

Der Capitain wandte sich jetzt an Meister Brandt, mit dem er von Geschäften
zu sprechen hatte, und unser William, dem durch den Vorschlag Hansens
eine neue Welt aufgegangen war, eilte mit schnellen Schritten nach seiner
Wohnung zurück, um ihn der Mutter mitzutheilen.




Drittes Kapitel.


Als die Mutter ihn so eilig und mit vor Freude glühenden Wangen bei sich
anlangen sah, glaubte sie schon, daß Meister Brandt auf den Wunsch Williams
eingegangen sei und ihm versprochen habe, ihn schon jetzt zu sich in
das Haus zu nehmen. Diese glückliche Täuschung währte aber nur wenige
Augenblicke, indem William ihr die abschlägige Antwort des Tischlers,
zugleich aber den Vorschlag Hansens, ihn mit auf die See nehmen zu wollen,
mittheilte. Die gute Frau wurde todtenbleich vor Schrecken, als William sie
dringend bat, ihm ihre Erlaubniß zur Mitreise nicht versagen zu wollen und
nach einem kurzen Nachdenken erklärte sie mit Bestimmtheit, daß sie lieber
Alles erdulden, als ihr Liebstes dem unsichern Elemente anvertrauen wolle.

»Ich habe,« sagte sie unter Thränen, »kein anderes Gut auf Erden, als Dich
und der Gedanke, mich von Dir trennen zu sollen, würde völlig unerträglich
für mich sein. Möge daher kommen was da will: ich lasse Dich nicht und
will lieber Hunger und Kummer mit Dir ertragen, als getrennt von Dir im
Wohlleben schwelgen.«

Vergebens bot William seine ganze kindliche Beredsamkeit auf, sie zu einem
andern Entschlusse zu bringen: sie beharrte bei dem einmal gefaßten und
befahl ihm, sofort zu dem Capitain Hansen zu gehen, um diesem zu sagen,
daß er nicht auf ihn rechnen und sich sobald als möglich einen andern
Kajütenwächter suchen möge.

Mit schwerem Herzen und zum ersten Male mit innerm Widerstreben
gehorchte William ihr. Nicht mit schnellen Schritten sondern langsam und
niedergedrückt, wanderte er den Vorsetzen zu, wo sich die Wohnung des
Capitains befand. Er traf diesen nicht zu Hause an, wohl aber seine Frau,
die ihm sagte, daß ihr Mann so eben an Bord gegangen sei, weil der Wind
sich gedreht habe.

»Da es möglich ist,« fügte die Frau Capitainin hinzu, »daß mein Mann noch
heute absegelt, lasse ich mich sogleich an das Schiff fahren, um Abschied
von ihm zu nehmen, und wenn Du willst, kannst Du mit mir gehen, um selbst
Deine Bestellung an ihn auszurichten.«

William, der noch nie, so weit seine Erinnerung reichte, auf einem großen
Schiffe gewesen war, nahm diesen Vorschlag mit Freuden an und ehe noch eine
halbe Stunde vergangen war, befanden Beide sich am Bord der _Hoffnung_, wie
das große, prächtige vom Kapitain Hansen befehligte Kauffarteischiff hieß.

Als der Capitain ihn mit seiner Frau an Bord kommen sah, lächelte er ihm
freundlich zu und sagte:

»Nun, ich sehe, Du bist von ächtem Schrot und Korn und zauderst nicht, Dein
Glück auf dem schönen Elemente zu versuchen. Es ist mir sehr lieb, daß Du
da bist; der Wind ist so günstig als möglich und in einer Stunde geht
es vorwärts. Es würde mich, da ich fest auf Dich gerechnet, in große
Verlegenheit gesetzt haben, wenn Du nicht gekommen wärest.«

»Ach, lieber Herr Capitain,« versetzte William mit unsicherer, fast von
Thränen erstickter Stimme, »ich bin nicht hier, um mit Ihnen in See zu
gehen, sondern um Ihnen zu sagen, daß meine Mutter mir mit Bestimmtheit die
Erlaubniß verweigert hat, ein Seemann zu werden.«

»Ei, da mußt Du, sofern Du wirklich Neigung zum Seeleben hast, es ihr über
den Kopf nehmen,« antwortete ihm Hansen. »Die Mütter sind gar zaghafte,
ängstliche Geschöpfe,« fügte er hinzu. »Mit der meinigen ging es mir nicht
besser; die hätte weit lieber einen Federfuchser aus mir gemacht, als einen
Seemann; ich aber schlug ihr ein Schnippchen und ehe sie es sich versah,
schwamm ich auf dem Meere. Als ich einmal fort war, mußte sie sich schon
trösten und beruhigen, und das wird auch die Deinige thun, wenn die Sache
einmal nicht mehr zu ändern ist. Nicht wahr, Du bleibst bei mir?« schloß er
seine Rede, indem er William die Hand reichte.

»Ach, dürfte ich das doch, ohne eine Sünde zu begehen,« sagte der arme
Knabe, dem die hellen Thränen über die Wangen flossen, »aber der liebe
Gott würde es mir, denke ich, nie vergeben, wenn ich meine gute, liebevolle
Mutter durch solchen Ungehorsam betrübte; es könnte überdieß ihr Tod sein,
wenn sie nicht wüßte, wo ich geblieben wäre.«

»Dafür dürfte leicht Rath geschafft werden,« versetzte der Capitain. »Meine
Frau kehrt an's Land zurück und die könnte Deiner Mutter schon Bescheid
sagen. Wo wohnt sie?«

William nannte ihm die Gasse und die Hausnummer, bestand aber trotz dem
darauf, daß er mit der Frau Capitainin an's Land zurückkehren wolle.

»Du kannst Dir das noch ein Weilchen überlegen,« sagte Hansen nach einem
kurzen Nachdenken: »das Schiff segelt noch nicht ab und Du wirst noch
immer vor Dunkelwerden an's Land kommen können. Komm mit in die Kajüte und
verzehre ein Waizenbrod mit mir; dabei kannst Du überlegen, was Du zu thun
hast.«

William, der wirklich mit sich selbst kämpfte, folgte dieser Einladung und
Capitain Hansen bewirthete seinen jungen Gast auf das Beste. Er bot ihm
auch ein Gläschen Cognac an, das William, der nie dergleichen gekostet
hatte, aber verschmähte. Hansen ließ darauf eine Flasche süßen Weins,
Mallaga, bringen und drang William ein Gläschen davon auf; es mundete
ihm, da der Wein sehr süß und angenehm war. Er kannte die Gefahr eines so
feurigen Getränkes nicht und trank in aller Unschuld, schon halb von dem
ersten Glase berauscht, ein zweites, vielleicht gar ein drittes; denn
schon wußte der arme Knabe nicht mehr, was er that, und bevor noch ein
Viertelstündchen vergangen war, lag er in einem so tiefen Schlafe auf dem
Sopha in der Kajüte des Capitains, daß die Welt hätte untergehen können,
ohne daß er es bemerkt haben würde.

»Du willst ihn also mit Gewalt und wider seinen Willen mitnehmen?« fragte
die Frau des Capitains, einen mitleidigen Blick auf den armen Schlafenden
wendend, ihren Mann.

»Gewiß will ich das,« versetzte Hansen mit einem häßlichen Lachen; »kam er
mir doch eben recht und ist mir völlig unentbehrlich. Du weißt, welche Mühe
ich mir gegeben habe, einen Schiffsjungen zu erhalten, nachdem der frühere,
aus Amerika mitgebrachte, mir hier entlaufen ist, und jetzt sollte ich die
gute Gelegenheit unbenutzt lassen, mir das durchaus nothwendige Subjekt zu
verschaffen?«

»Was wird aber die Mutter des armen Knaben sagen? wie wird sie sich
ängstigen und grämen!« wandte die gute Frau ein. »Ich glaube, daß ich vor
Angst stürbe, wenn mir das begegnete,« fügte sie hinzu; »Du solltest ihn
wecken und mit mir an's Land gehen lassen!«

»Daß ich ein Narr wäre!« rief Hansen unwillig. »Wollte man auf
Weibergeschwätz hören und auf Weiberthränen sehen, so würde man zu Nichts
in der Welt kommen. Laß mich mit Deinen Vorstellungen in Ruhe und kehre Du
in Gottesnamen allein an das Land zurück. In einer Stunde sind wir aus dem
Hafen und, wenn der Wind so bleibt wie er jetzt ist, schon über Nacht in
See. In dieser Jahreszeit hat man keine Stunde zu verlieren; der Dezember
ist nahe und wenn ich mich nicht spute, friert mir die Hoffnung gar noch
hier ein.«

Die Frau, welche ihren Mann genau kannte und recht gut wußte, daß man durch
Vorstellungen nichts über seinen starren, bösen Sinn gewann, wandte ihr
Auge seufzend von dem armen Schläfer ab und schickte sich an, das Schiff
ohne ihn zu verlassen, was sie that, nachdem sie einen kurzen Abschied von
ihrem Manne genommen hatte.

Die Sache war die, daß Capitain Hansen in dem Rufe eines bösen Mannes und
argen Tyrannen stand, weßhalb es ihm allemal schwer fiel, sein Schiff zu
bemannen, am allerschwersten aber, einen Kajütenwächter zu finden,
weil diese armen Unglücklichen, in seiner unmittelbaren Nähe lebend, es
schlimmer als die wirklichen Matrosen hatten, die, da sie bereits Männer
waren, ihm bei vorkommenden Gelegenheiten die Stirn boten.

Sobald er den armen William bei dem Tischlermeister erblickte, fuhr der
Gedanke ihm durch den Kopf: das könnte wohl ein Schiffsjunge für dich sein,
und er nahm die Miene großer Freundlichkeit gegen den armen Getäuschten an,
um ihn desto sicherer ins Netz zu locken. Es war auch nicht an dem, daß er
von dem Vater und Großvater William's etwas gehört hatte; da es ihm aber
auf eine Lüge mehr oder minder nicht ankam, brachte er auch die vor, daß
ihm der Name und Ruf derselben bekannt sei.

Trotz dem wäre ihm sein Vorhaben mißlungen und er hätte ohne Kajütenwächter
absegeln müssen, wenn der Zufall den armen William nicht an Bord und in die
Gewalt des bösen Mannes geführt hätte; so wie der Knabe aber das Verdeck
betreten hatte, gelobte Hansen es sich, daß er nicht wieder von Bord solle,
und wir haben gesehen, durch welches abscheuliche Mittel er seinen bösen
Willen durchzusetzen wußte.

Während nun William im tiefsten Schlafe in der Kajüte des Capitains lag und
die Hoffnung alle ihre Segel entfaltete, um den Hafen noch vor Anbruch der
Nacht zu verlassen, stand Frau Robinson eine unbeschreibliche Angst um ihr
armes Kind aus. Es dämmerte bereits und noch immer war William nicht wieder
da. Der Weg bis zu den Vorsetzen, wo, wie sie wußte, Capitain Hansen seine
Wohnung hatte, war zwar weit; aber trotz dem hätte der Knabe, wenn ihm kein
Unfall zugestoßen, doch schon längst zurück sein müssen. Endlich wurde es
völlig dunkel und das Geräusch in den Gassen nahm bereits ab; mit jeder
dahinschwindenden Minute vermehrte sich die Angst der armen Frau und diese
nahm endlich so sehr überhand, daß sie ihren Keller zuschloß und sich
auf den Weg nach den Vorsetzen machte, wo sie sich nach der Wohnung des
Capitains Hansen erkundigen wollte.

Obgleich sie so schnell ging, als es ihre Kräfte nur irgend erlaubten, war
es ihr doch, als ob sie nicht von der Stelle käme. Endlich hatte sie
die Vorsetzen erreicht und nach langem Fragen auch die gesuchte Wohnung
gefunden. Bevor sie diese betrat, mußte sie erst einige Augenblicke an der
Thüre stehen bleiben, um Athem und Muth zu schöpfen; denn was sollte wohl
aus ihr werden, wenn man ihr auch hier keine Nachricht über ihren William
ertheilen könnte?

Nach einigen Minuten der Erholung drückte sie den Thürklopfer nieder und
trat in das Haus. Es war völlig dunkel auf der Flur und es herrschte
eine Stille in der Wohnung, als wäre sie gänzlich unbewohnt. Erst als sie
mehrere Male und mit immer lauterer Stimme »guten Abend!« gerufen hatte,
öffnete sich im Hintergrunde der Flur eine Thür und eine noch ziemlich
junge Frau trat, mit einem Lichte in der Hand, aus derselben ihr entgegen.

»Bin ich hier recht?« fragte Frau Robinson mit vor Angst und Beklemmung
bebender Stimme; »ich suche den Herrn Schiffskapitain Hansen?«

»Wenn Sie den zu sprechen wünschen,« antwortete ihr die Frau, »so kommen
Sie leider zu spät: mein Mann ist bereits seit einigen Stunden abgesegelt.«

»So habe ich die Ehre, seine Frau zu sprechen,« fragte die arme Mutter.

»Ihnen zu dienen,« war die Antwort; »aber treten Sie gütigst zu mir ein,«
fügte die Capitainsfrau hinzu, indem sie die Stubenthür öffnete.

»Verzeihen Sie meine Zudringlichkeit, liebe Madame,« nahm Frau Robinson
wieder das Wort; »einer armen Mutter, die schier vor Angst vergeht, werden
Sie gewiß einige Nachsicht schenken. Ich suche meinen Sohn, den ich
mit einem Auftrage an Ihren Mann schickte, und der, ganz wider seine
Gewohnheit, nicht wieder nach Hause zurückgekehrt ist. Mein Name ist
Robinson; vielleicht hörten sie ihn von Ihrem Manne nennen, der so gütig
sein wollte, meinen William mit sich zu nehmen, was ich aber nicht zugeben
konnte.«

»Ach! Sie sind die Mutter des jungen Menschen?« antwortete ihr die
Capitainin nicht ohne Verlegenheit. »Es freut mich,« fuhr sie nach einigem
Zögern fort, denn ihr fiel die Lüge eben so schwer, als sie ihrem Manne
leicht fiel, »es freut mich, Ihnen sagen zu können, daß er sich in seiner
neuen Lage ganz wohl befindet und wahrscheinlich vollkommen glücklich
fühlt, da er seinen Beruf mit großer Liebe ergriffen hat.«

»Von welchem Berufe reden Sie, Madame?« fragte Frau Robinson erbleichend;
»sollte mein William, der bisher der zärtlichste, gehorsamste und beste
Sohn war, wider meinen ausdrücklichen Willen gehandelt und sich bei Ihrem
Manne als Kajütenwächter verdungen haben?«

»Ich weiß nichts davon, ob es mit oder gegen Ihren Willen geschah,«
versetzte die Gefragte sichtbar verlegen; »nur so viel kann ich Ihnen
sagen, daß ihr Sohn mit meinem Manne gegangen ist und jetzt wahrscheinlich
schon mehrere Meilen von hier auf der Elbe schwimmt.«

Wie ein Donnerschlag traf diese Nachricht die arme Mutter: sie gab in
diesem Augenblick ihr geliebtes Kind, ihr einziges Gut auf Erden, nicht
nur leiblich, sondern auch moralisch verloren; denn was durfte sie noch von
einem Sohne erwarten, der so lieblos gegen sie gehandelt, sie so getäuscht
hatte?

Ihr wurde dunkel vor den Augen; die Knie wankten unter ihr und sie wäre,
von einer Ohnmacht befangen, zu Boden gesunken, wenn die Frau Hansen ihren
Zustand nicht bemerkt hätte und ihr zur Hülfe gekommen wäre. Sie eilte auf
die Schwankende zu, unterstützte sie mit ihren Armen und führte sie zum
Sopha, wo sie dem Anscheine nach ohne Leben niedersank.

Die Frau Hansen war im ersten Augenblick so erschrocken, daß sie nicht
wußte, was sie thun, was beginnen solle. Dann lief sie zur Klingel und zog
diese mit Heftigkeit an, um ihre Magd herbei zu rufen, die sie, so wie sie
eingetreten war, zum nächsten Arzt schickte. So wie dieser den Zustand der
Frau Robinson untersucht hatte, erklärte er, daß die Krankheit nicht viel
zu bedeuten habe und gab ihr einige starke Sachen zu riechen, um sie aus
ihrer Ohnmacht zu erwecken. Unter diesen Bemühungen kam die Leidende bald
wieder zu sich und ihr Gefühl machte sich in einem Strome von Thränen Luft.

Frau Hansen weihte ihr die innigste Theilnahme, und hatte sie vorher schon
in ihrem Herzen die Handlungsweise ihres Mannes getadelt, so that sie es
jetzt, wo sie die arme Mutter einer so großen Betrübniß hingegeben sah,
doppelt; aber sie hatte trotz dem nicht den tugendhaften Muth, ihr die
Wahrheit zu sagen, obgleich sie ihren Kummer dadurch um die Hälfte hätte
vermindern können; denn immer und immer wieder rief Frau Robinson mit
schmerzlich bewegter Stimme:

»Das konnte mir ein Kind thun, welches ich mit so vieler Liebe groß gemacht
habe? Auf solche Weise konnte mein William mich hintergehen, er, den ich
für die Redlichkeit und Aufrichtigkeit selbst hielt?«

Weniger betrübte sie die Trennung von dem geliebten Sohne, als der Flecken,
der scheinbar durch dieselbe auf sein Gemüth und seinen Charakter fiel: und
durch ein einziges Wort hätte Frau Hansen sie hierüber beruhigen können.
Mußte sie aber nicht die schändliche Handlungsweise ihres Gatten zugleich
mit enthüllen? Dieser Gedanke verschloß ihr die Lippe und sie ließ die
Mutter mit der ganzen Last ihres Kummers von hinnen gehen. Dies war ein
großes, unverzeihliches Unrecht von der sonst so guten und gefühlvollen
Frau.




Viertes Kapitel.


Indeß schwamm die _Hoffnung_, von einem frischen Ostwinde getrieben,
majestätisch mit geblähten Segeln die Elbe hinunter und nahm bei
Cuxhafen die Lootsen ein. William schlief, von dem starken und ihm völlig
ungewohnten Wein benebelt, als wolle er nie mehr erwachen: hatte er
doch schon sonst einen festen gesunden Schlaf, wie er der lieben Jugend
eigenthümlich ist, und mußte am Morgen stets von der guten Mutter mehrere
Male geweckt werden, um die Schulstunden nicht zu versäumen. Das Geräusch
auf dem Verdecke störte ihn nicht, da er es in seiner Vaterstadt gewohnt
geworden war, bei einem solchen zu schlafen.

Hoch stand bereits, trotz der weit vorgerückten Jahreszeit, die liebe Sonne
am östlichen Himmel, als er endlich erwachte. Er setzte sich über Erde,
rieb sich die Augen, fühlte nach seinem Kopfe, der ihn sehr schmerzte,
wie es nach einem gehabten Rausche der Fall zu sein pflegt, und sah mit
verwirrten Augen umher. Alle ihn umgebenden Gegenstände waren ihm völlig
unbekannt und schon wollte er sich wieder zum Schlafe niederlegen, weil er
zu träumen glaubte, als er den Capitain zu sich eintreten sah.

»Nun, Jüngelchen,« sagte dieser lachend, »das nenne ich geschlafen!«

»Wo bin ich denn?« fragte William, indem er sich die Augen rieb.

»Wo Du bist?« fragte der Capitain gleichfalls. »Weißt Du denn nicht mehr,
daß Du Dich an Bord der _Hoffnung_ und schon mitten im Meere befindest?«

Bei diesen Worten sprang der arme Knabe vollends auf und sein eben noch vom
Schlafe geröthetes Gesicht wurde todtenbleich.

»So habe ich die Zeit verschlafen und das Schiff ist mit mir fortgesegelt?«
rief er mit dem Tone des höchsten Entsetzens aus. »Großer Gott! was soll
jetzt aus mir armen Knaben, was aus meiner unglücklichen Mutter werden? und
wird sie sich nicht gar zu Tode um mich grämen? Setzt mich, Herr Capitain,
ich flehe Euch darum um Gotteswillen an, setzt mich sobald als möglich an's
Land! Wenn es auch noch so weit ist, will ich gerne zu Fuße nach Hamburg
zurücklaufen; gute Menschen werden mir schon den Weg dahin zeigen; denn
es wäre doch gar zu traurig, wenn meine gute Mutter aus Kummer um mich
und meinen vermeinten Ungehorsam stürbe, oder sich ihre lieben, ohnehin so
kranken Augen blind weinte.«

»Närrchen,« versetzte der Capitain, dessen böses Herz sich an der Angst des
armen Knaben ergötzte, »Närrchen, vom Festlande wird nicht eher die Rede
sein, bis wir die Insel Java, bei Asien, erreicht haben: denn dahin steuern
wir, und Du mußt Dich schon auf dem Wasser zufrieden geben. Was aber
Deine Mutter anbetrifft, so wird sie sich schon bei meiner Frau nach Dir
erkundigen und von der hören, wie die Sachen stehen; Du aber denke von nun
an nur darauf, Deine Pflichten am Bord gehörig zu erfüllen, und mir keine
Gelegenheit zur Unzufriedenheit zu geben, denn sonst würde es Dir nicht gut
ergehen.«

Vergebens bat und beschwor William noch ferner den bösen Mann, ihn ans
Land setzen zu lassen, da er nicht wußte, daß dies unter den gegenwärtigen
Umständen völlig unmöglich sei; und wäre es auch möglich gewesen, so würde
Capitain Hansen doch nie darein gewilligt haben, seine Beute wieder fahren
zu lassen. Dem armen William blieb also nichts weiter übrig, als sich in
sein Schicksal zu ergeben, was er nach vielen vergossenen heißen Thränen
that.

Seiner Mutter wurde aber doch am folgenden Tage, als sie ihr Unglück den
theilnehmenden Nachbarn klagte, ein großer Trost. Auf dem Wege zu dem
Capitain war William nämlich einem seiner Schulgefährten, der gleichfalls
in der Nachbarschaft wohnte, begegnet, und diesem hatte er erzählt, daß er
zu dem Capitain Hansen gehe, um ihm im Namen seiner Mutter zu sagen, daß
diese nicht in seine Entfernung willige, und bei dieser Gelegenheit hatte
er gegen den Schulfreund geäußert: »Er würde um keinen Preis wider den
Willen seiner Mutter mit dem Capitain gehen, denn das würde eine große
Sünde sein.«

Diese Mittheilung beruhigte die gute Frau Robinson in Etwas und sie dachte
sich ungefähr den Zusammenhang der Sache. Eine große Last war ihr vom
Herzen genommen, als sie sich sagen mußte, daß ihr William an den ihr
bereiteten Schmerzen gewiß unschuldig sei; ihn schuldig, ungehorsam und
lieblos zu wissen, das war es, was sie so sehr zu Boden gedrückt hatte.
Ihre Thränen flossen also sanfter, und wie immer legte sie voll Vertrauen
ihr eigenes und das Geschick ihres theuren Kindes in die Hände ihres
himmlischen Vaters.

Der Wind blieb indeß günstig; er hatte sich gedreht, als man die Elbe
verließ und wehte jetzt so, daß man gar bald die hohe See und schon
nach einigen Tagen den Kanal erreichte. Man nennt die Meerenge zwischen
Frankreich und England so, wie diejenigen unter Euch Geliebten schon wissen
werden, die sich bereits etwas mit der eben so angenehmen als nützlichen
Wissenschaft der Erdbeschreibung oder Geographie vertraut gemacht haben.
Die Passage durch den Kanal, den die Franzosen =La Manche= nennen, wird
von den Seeleuten für eine gefährliche gehalten, der vielen Klippen und
Felsenriffe wegen, die an beiden Küsten, sowohl an der französischen als an
der englischen angetroffen werden. Indeß mußte man es dem Capitain Hansen
zum Ruhme nachsagen, daß er, wenn auch kein guter, gefühlvoller Mensch,
doch ein tüchtiger Seemann war, und da Wind und Wetter günstig blieben,
hatte man bald den gefährlichen Kanal hinter sich und steuerte in den
großen atlantischen Ocean hinein, der seine ungeheuren Wasserflächen
zwischen den beiden Welttheilen Europa und Amerika ausbreitet. Den großen
Weltmeeren, deren man in der Geographie fünfe zählt, gibt man aber den
Namen _Ocean_.

Ich bitte diejenigen unter Euch, die durch diesen »_neuen Robinson_« nicht
blos unterhalten, sondern zugleich auch belehrt sein wollen, und
deren werden hoffentlich recht viele sein, eine Weltcharte oder ein
_Planiglobium_ zur Hand zu nehmen und unserm jungen Reisenden auf derselben
zu folgen. Es ist eine schöne Fähigkeit, stets das Nützliche mit dem
Angenehmen zu verbinden, und ich ermahne Euch, sie zeitig zu üben. Ihr
werdet dadurch nach und nach eine Menge Kenntnisse erlangen, die Euch sonst
vielleicht fremd blieben. Jetzt aber zurück zu unserm Robinson, der
seinen, in England häufig vorkommenden Namen nicht vergebens führte, da das
Schicksal ihn dazu ausersehen hatte, ähnliche Begebenheiten zu erleben,
wie der, den Vater Campe, zum Ergötzen so vieler Kinder, in seinem
vielgelesenen Buche geschildert hat.

Unser William Robinson war also auf dem hohen Meere und fing bereits an,
sich mit seinem Schicksale auszusöhnen, da er einsehen gelernt hatte, daß
es ein unabänderliches sei. Zwar war Capitain Hansen ein strenger, ja sogar
böser und ungerechter Gebieter, der seine schlimme Laune stets an seiner
Umgebung ausließ; allein William hatte es doch besser bei ihm, als die
frühern Schiffsjungen, weil er sanft, geduldig und stets aufmerksam gegen
seinen Herrn, stets freundlich und dienstfertig gegen seine Mitmannschaft
war. Hatte der Capitain einmal seine böse Laune -- und diese trat allemal
ein, wenn Wind und Wetter der Fahrt nicht günstig waren, weßhalb die
Matrosen ihn unter sich immer nur die _Wetterfahne_ nannten -- so ging
William ihm klug aus dem Wege und verdoppelte seine Aufmerksamkeit gegen
ihn. Er trat dann so leise auf, daß man ihn kaum hören konnte, und sah
immer nach den Augen des See-Tyrannen, um jeden leisen Wunsch desselben
zu errathen, bevor er noch nöthig hatte, ihn auszusprechen. Sein von Natur
gutes Gedächtniß und die große Geschicklichkeit, welche er sich bei allen
Handhabungen durch frühzeitige Uebung erworben hatte, kamen ihm jetzt sehr
zu statten. Er führte pünktlich die ihm ertheilten Befehle aus, ließ weder
Teller, Tassen noch Gläser fallen, wie andere plumpe Schiffsjungen es
häufig gethan hatten, und hielt die Kajüte des Capitains so rein und
ordentlich, daß auch nicht ein Stäubchen darin zu entdecken war. Er dachte,
so lange sein Dienst dauerte, nicht an andere Dinge, sondern nur an seine
Pflichten und Obliegenheiten. Abends aber, wenn er sein hartes Lager
aufsuchen und die ermüdeten Glieder darauf ausstrecken durfte, dann
gedachte er der jetzt so fernen Heimath, der geliebten Mutter und ihrer
Zärtlichkeit für ihn, und manche Thräne floß aus seinen Augen und benetzte
sein hartes Kopfkissen von Seegras.

Es konnte nicht fehlen, daß ein Charakter, wie der unsers William, nicht
eine gewisse Gewalt auf das rohe, unfreundliche Gemüth des Capitains
ausüben mußte. Ohne daß dieser selbst einmal eine Ahnung davon hatte,
liebte er den stillen, freundlichen und behenden Knaben, und weil er
ihn liebte, ging er besser mit ihm um, als mit irgend einem Andern der
Mannschaft; Alle aber gönnten William diesen Vorzug von Herzen, weil er
gegen Jeden gut und gefällig war, auch nie die Vorliebe des Capitains dazu
mißbrauchte, die übrigen Matrosen bei ihm zu verklagen oder ihm von diesen
begangene kleinere oder größere Versehen mitzutheilen.

Die Neigung, welche Capitain Hansen nach und nach für William faßte, gab
sich nicht blos dadurch kund, daß er ihm von Zeit zu Zeit von den bessern
Speißen, die auf seine Tafel kamen, etwas mittheilte, sondern auch dadurch,
daß er in vielen andern Dingen für ihn sorgte. So war unser neuer Robinson
durch seine Kleidung nicht wenig in Verlegenheit gesetzt. War er doch wie
er ging und stand nur mit den Kleidern, die er anhatte, zur See gegangen
und hatte nicht einmal ein zweites Hemd zum Wechseln mitnehmen können. Man
kann sich vorstellen, wie schrecklich eine solche Entbehrung für den an
strenge Reinlichkeit gewöhnten William sein mußte, und seine Noth wurde
noch größer, als er sein schmutziges Hemd nicht mehr unter der Jacke
verbergen konnte, an der bald alle Knopflöcher ausgerissen waren, weil er
sie täglich und bei der schwersten Arbeit auf dem Leibe hatte. Er sah auch
bald einem schmutzigen, zerlumpten Bettler so ähnlich, wie _ein_ Ei dem
andern; nur Gesicht und Hände konnte er rein halten und das that er.

Endlich bemerkte der Capitain seinen üblen Zustand und sagte:

»Du siehst ja aber verteufelt zerlumpt aus! Hast Du denn nichts Anderes
anzuziehen?«

»Ach nein!« versetzte der arme Knabe, und dabei schossen ihm die hellen
Thränen über die Wangen.

Der Capitain, welcher nicht leiden konnte, daß Jemand weinte, wollte schon
auffahren, als er sich plötzlich besann und sagte:

»Daran habe ich wahrhaftig nicht gedacht! Du bist ja ohne alle weitere
Kleidung, als die, welche Du am Leibe hattest, an Bord gekommen. Nun,«
fügte er freundlicher hinzu, »dem soll abgeholfen werden und zwar gleich.
Für's Erste will ich Dir eins von meinen Hemden geben, damit Du wechseln
und das waschen und ausbessern kannst, was Du bis jetzt getragen, und
Franz, der, wie ich gehört habe, einem Schneider aus der Lehre gelaufen
ist, um ein Seemann zu werden, -- woran er nach meinem Bedünken sehr gut
that -- Franz soll Dir sogleich von meinem abgesetzten Zeuge einen andern
Anzug machen, damit Du nicht länger wie eine Vogelscheuche unter uns umher
gehst.«

Gesagt, gethan! Capitain Hansen war gewohnt, das, was er wollte, schnell
ins Werk gerichtet zu sehen, und so vergingen nicht zwei Tage, als William
schon seinen neuen, netten Anzug hatte. In seinem ganzen Leben hatte er
sich noch nicht so über eine neue Kleidung gefreut, als über diese; er
kam sich so verändert darin vor, daß er sich einige Augenblicke mit
Wohlgefallen in dem sonst sorgfältig mit den Blicken vermiedenen Spiegel
betrachtete. Vor allen Dingen aber erfreute ihn das reine Hemd und er
konnte es nicht genug befühlen und betrachten. So lernen wir erst durch die
Erfahrung den hohen Werth mancher Güter kennen, die wir, eben weil sie
uns bisher nicht gefehlt haben, weil wir glaubten, sie _dürften_ uns nicht
fehlen, nicht gehörig zu schätzen wußten und sie ohne Dank gegen Gott und
Menschen hinnahmen. Auch unser William, so gut und dankbar er im Ganzen
war, hatte nie daran gedacht, seiner guten Mutter dafür zu danken, daß sie
stets für seine Kleidung und Wäsche eine so große Sorgfalt gehabt hatte;
jetzt aber dankte er ihr aus voller Seele dafür und Thränen der Rührung
traten ihm dabei in die Augen.




Fünftes Kapitel.


Um von Europa nach Asien zu kommen, muß man den ganzen atlantischen Ocean
durchschiffen und dann von diesem, indem man um das äußerste südliche
Vorgebirge Afrikas, das sogenannte Cap, biegt, in den großen indischen
Ocean übergehen. Am Cap oder, wie es auch genannt wird, dem _Vorgebirge der
guten Hoffnung_, mußte man anlegen, um Wasser und Lebensmittel einzunehmen,
weil die Vorräthe, die man von Hamburg mitgenommen, nicht weiter reichen
wollten.

Wie wohl that es unserm jungen Seemanne, als er, nachdem er so lange nur
das bewegliche Element des Wassers unter sich gehabt hatte, endlich den
festen Boden wieder betrat! Wie lange hatte er kein grünes Blatt gesehen,
keinen Vogelgesang gehört, in kein anderes Menschen-Antlitz geschaut, als
in das der Matrosen und des Capitains, die die Reise mit ihm gemacht! Wie
ein junges Füllen, das nach langen Wintertagen aus dem Stalle hervorgeholt,
zuerst die grüne Weide wieder betritt, sprang er am Ufer umher und jauchzte
laut auf vor Freude, als er den ersten, grünen Baum wieder erblickte.
Ueberdies bot dieser ihm einen ganz neuen, überraschenden Anblick dar, denn
es war eine Palme, die er zwar bereits in Abbildungen, aber noch nie in der
Natur gesehen hatte. Er lief in vollen Sprüngen auf den herrlichen Baum zu
und umfaßte den knotigen Stamm desselben mit seinen beiden Armen, wie er
sonst in der Freude seines Herzens oft bei seiner lieben Mutter gethan
hatte. Dabei liefen ihm die hellen Thränen über die Wangen; sie flossen
diesmal aber nicht dem Schmerze, sondern dem Entzücken.

Nachdem sich dieses einigermaßen gelegt hatte, sah er sich weiter um
und gewahrte in einiger Entfernung eine Gruppe von Bäumen, deren Kronen
ziemlich rund, wie die der in seiner Vaterstadt gesehenen Kugel-Akazien,
waren. Er eilte darauf zu und wurde schon aus der Ferne durch den
lieblichen, fast betäubenden Duft der schneeweißen Blüten auf die
Vermuthung gebracht, daß er Orangenbäume vor sich habe. Als er näher kam,
sah er an den goldgelben Früchten, womit diese Bäume bedeckt waren, daß er
sich in seiner Meinung nicht geirrt habe. Nicht nur die Zweige waren mit
Blüten und reifen und halbreifen duftigen Früchten bedeckt, sondern sie
lagen auch in Massen abgefallen am Boden, wie bei uns Aepfel und Birnen,
wenn der Sturm die Fruchtbäume im Herbste geschüttelt hat. Viele davon
waren noch frisch und gut, andere aber schon verfault, weil sich Keiner
darum zu bekümmern schien, sie aufzulesen. Unser William hatte zwar großen
Appetit, seinen brennenden Durst durch diese eben so duftigen als saftigen
Früchte zu löschen; da ihm aber seine Mutter die größeste Ehrfurcht vor dem
Eigenthume Anderer eingeflößt hatte, wagte er es doch nicht, sich zu bücken
und einige von den herrlichen, am Boden liegenden Orangen aufzuheben, bis
andere Matrosen von dem Schiffe sich zu ihm gesellten und, indem sie sich
die Taschen und Mützen mit Orangen füllten, ihm sagten: daß es hier Jedem
erlaubt sei, so viele Früchte zu nehmen, als ihm beliebe, indem sie wild
wächsen und Allen gleichsam zugehörten. Sie konnten das wissen, da sie
schon mehrere Male das Vorgebirge der guten Hoffnung besucht hatten und
hier eben so gut Bescheid wußten, wie in ihrer Heimath. Er ließ sich
das nicht zwei Mal sagen und erquickte sich jetzt auch an den duftigen
Früchten.

»Komm nur weiter mit uns,« sagte jetzt _Jakob_, ein bereits ziemlich alter
Matrose, dessen stark gebräuntes Gesicht verrieth, daß er schon lange zur
See gefahren; »komm nur, wir wollen Dir etwas noch Besseres zeigen, als
diese süßen Orangen. In dieser Gegend wächst eine Rebe, deren Früchte nicht
Ihresgleichen in der ganzen übrigen Welt hat. Der davon gewonnene Wein
wird, nach dem Weinberge, von dem man ihn erzielt, _Constanzia_ genannt und
so theuer in Europa verkauft wie kein anderer Wein; die Trauben aber sind
das Köstlichste, was der Mensch nur genießen kann.«

»Gehört denn auch dieser Weinberg Niemanden an und darf man auch von ihm
Trauben pflücken, ohne Jemanden nahe zu treten?« fragte William, als man
bei demselben angelangt war.

»Das nun wohl nicht,« versetzte Jakob, durch diese unerwartete Frage des
Knaben etwas in Verlegenheit gesetzt; »vielmehr würde der Besitzer, ein
Holländer, es sehr übel vermerken, wenn er uns dabei ertappte, daß wir
von seinen Trauben nähmen, aus denen er einen so großen Gewinn zu ziehen
versteht; wer aber würde sich wohl daran kehren, wo es etwas so Gutes zu
erhaschen gibt?« fügte er hinzu.

»Ich werde mich wohl daran kehren,« versetzte William; »fern sei es von
mir, mir das Geringste mit Unrecht anzueignen. So hat meine brave Mutter es
mir gelehrt und dabei will ich, so lange ich lebe, bleiben.«

»Thue das, mein Sohn!« ließ sich jetzt plötzlich eine Stimme vernehmen,
die, Allen ganz unerwartet, hinter einer dichten Hecke hervorkam, und zu
gleicher Zeit erhob sich ein menschliches Antlitz hinter derselben. Die
Andern, welche sich schuldig fühlten -- sie hatten ja stehlen wollen --
ergriffen erschrocken die Flucht; unser William, dessen Gewissen völlig
rein war, blieb aber stehen und sah den alten Mann, der ihr Gespräch
belauscht hatte, furchtlos an.

»Ich habe Alles gehört, mein Sohn,« sagte der Besitzer des Weinbergs --
denn er war es selbst -- »und freue mich, die Bekanntschaft eines so braven
jungen Menschen gemacht zu haben. Bleibe bei Deinen guten Grundsätzen und
es wird Dir stets wohl ergehen. Warte aber einen Augenblick: ich will Dich
für Deine Redlichkeit belohnen, indem ich Dir die sonst fest verschlossen
gehaltene Pforte meines Weinbergs öffne und Dich in denselben führe, damit
Du Dich nach Herzenslust an meinen guten Trauben sättigest; denn für einen
so braven, redlichen Burschen habe ich immer noch einige davon übrig.
Den andern aber würde es schlecht bekommen sein, wenn sie, über den Zaun
steigend, auf anderm Wege in meinen Weinberg gedrungen wären. Ich muß auf
solche ungeladene Gäste gefaßt sein, da Jeder, der hier landet, von meinen
weitberühmten Trauben naschen will, und würde wohl schwerlich eine
einzige davon in die Kelter bringen, wenn ich nicht die gehörige Vorsicht
angewendet hätte. Zu dem Ende ließ ich mir _Fußangeln_ aus Europa
herüberkommen und legte sie dicht an der Hecke rund um den Weinberg.
Von Zeit zu Zeit habe ich Warnungstafeln aufgestellt, auf denen in allen
lebenden Sprachen zu lesen ist, welches Unheil die häßlichen Näscher in
meinem Weinberge erwartet; denn ungewarnt sollten selbst diese nicht in ihr
Unglück gehen.«

Als er diese Worte geendet hatte, öffnete er mit einem schweren Schlüssel,
den er bei sich trug, die große und hohe eiserne Pforte und lud unsern
William zum Eintritt, zugleich aber auch zum Genusse seiner herrlichen
Trauben ein, wobei er ihm seine Lebensschicksale erzählte, die seltsam
genug waren. Als ein armer Knabe war er aus Holland, seinem Geburtslande,
auf einem großen Handelsschiffe nach dem Cap gekommen und Krankheits halber
daselbst zurückgeblieben. Ein Deutscher nahm sich des Verlassenen an,
weßhalb er auch die deutsche Sprache vollkommen gut sprach und verstand.
Durch Fleiß und Redlichkeit erwarb er sich im Laufe der Jahre einiges
Vermögen, kaufte darauf den Weinberg, dessen Werth man damals noch nicht
kannte, für eine geringe Summe an, kultivirte die üppig wachsenden Reben
desselben, grub und düngte den sehr steinigten, trockenen Boden gehörig und
sah sich nach einigen Jahren in dem Besitze eines Weinbergs, um den jeder
ihn beneidete und der ihn nach und nach durch seinen Ertrag zum reichen
Manne machte.

Dieses Alles erzählte der freundliche Greis unserm William, während dieser
sich, auf seine Einladung, an Trauben sättigte, von deren Köstlichkeit und
Würze man in Europa keinen Begriff haben kann. Als William nicht mehr zu
essen vermochte, füllte er ihm Mütze, Taschen und sein Sacktuch auch noch
mit Trauben an, ermahnte ihn dringend, auch ferner stets auf Gottes Wegen
zu gehen, und entließ ihn endlich mit seinem Segen.

Dieses Abentheuer war das angenehmste, das unser junger Freund noch in
seinem, freilich kurzen, Leben erlebt hatte und selbst noch als Greis
erinnerte er sich desselben mit großer Freude, indem er zugleich
behauptete, ihm habe nie wieder etwas so geschmeckt, wie diese ihm mit so
großer Liebe und Freundlichkeit geschenkten Trauben.

Als er endlich zu seinen, ihn in einiger Entfernung erwartenden Genossen
zurückkehrte, erzählte er ihnen, was ihm begegnet war und vertheilte die
ihm mitgegebenen Trauben an sie.

»Wetter!« rief der alte Jakob, als William ihm von den von dem Holländer
gelegten Fußangeln erzählte. »Da hätten wir schön ankommen und uns
vielleicht für unsere ganze Lebenszeit unglücklich machen können; denn mit
den Dingern ist nicht zu spassen und wer zufällig darauf tritt, wird leicht
zum Krüppel, weil sie tief in den Fuß eindringen und oft unheilbare Wunden
zurücklassen.«

Man hatte wirklich Gott für die Abwendung einer so großen Gefahr zu
danken; unser William ging für die Mittheilung seiner auf rechtlichem Wege
erworbenen Trauben auch nicht leer an Dank aus und Alle waren höchlichst
zufrieden.

Es war bereits ziemlich spät, als man von diesem, mit Erlaubniß des
Capitains unternommenen Ausfluge zurückkehrte und Capitain Hansen donnerte
und fluchte schon über das allzulange Ausbleiben. Er besänftigte sich
indessen, als er William, den er schon gar nicht mehr entbehren konnte, mit
zurückkehren sah. Er hatte sich nämlich selbst Vorwürfe darüber gemacht,
daß er diesem erlaubt hatte, mit den Andern ans Land zu gehen, da er
fürchten mußte, daß der auf so hinterlistige Weise Angeworbene ihm
entfliehen und Schutz bei der Behörde gegen ihn suchen würde; er war daher
herzlich froh, als er ihn wiederkommen sah. An dergleichen dachte aber
Williams redliche, arglose Seele nicht einmal; auch hatte er sich jetzt
bereits an das Seeleben gewöhnt, um so mehr, da Capitain Hansen ihn wider
seine sonstige Gewohnheit ziemlich gut behandelte.

Für einen jungen, strebsamen Menschen, der sich gern in der Welt umsieht
und auf Alles merkt, muß eine Reise in so entfernte Gegenden auch immer
einen großen Reiz haben. Jeden Tag, ja jede Stunde, gab es da etwas Neues
und die Quelle der Belehrung versiegte keinen Augenblick. Bald war es ein
Delphin, der neben dem Schiffe herschwamm, bald ein fliegender Fisch,
der sich in seinem silbernen Schuppenkleide aus der grünen Tiefe
emporschnellte; bald ein gräulicher Hayfisch, der seinen gestachelten
Rachen weit öffnete, um seine Beute zu erhaschen, der seine Aufmerksamkeit
und Wißbegierde auf sich zog. Bald sah man in großer Entfernung graue,
gezackte Nebelwölkchen am Horizonte aufsteigen und die erfahrenen Seeleute
erklärten ihm, daß es die Berge der entfernten Küste wären, die er
erblickte, bald ließ sich ein Wandervogel, ermüdet von der weiten Reise
über das unendliche Meer, auf die Spitze des Mastes nieder, um auszuruhen
und wurde mit lautem Jubel von der Mannschaft begrüßt; bald warf man, bei
Windstille, Netze und Angelhacken aus, um die Bewohner der kühlen Tiefe zum
leckern Mahle zu fangen; bald schwammen die Trümmer gescheiterter
Schiffe an ihnen vorüber und gaben reichlichen Stoff zu Erzählungen von
Schiffbrüchen und andern Unfällen zur See; bald endlich theilte der
alte Jakob, der ein lebendiges Magazin von Sagen und Mährchen war, der
aufmerksamen ihm zuhörenden Mannschaft die allerschönsten Sagen mit; kurz,
es fehlte weder an Unterhaltung, noch an Abwechslung an Bord, und so gefiel
sich endlich unser William gar sehr in seinen neuen Verhältnissen; ja,
hätte der Gedanke an den großen Kummer, den seine gute Mutter erdulden
würde, seine Heiterkeit nicht oft getrübt, so würde er sich vielleicht
vollkommen glücklich gefühlt haben.




Sechstes Kapitel.


Nach dem ersten glücklich abgelaufenen Versuche, den der Capitain mit
unserm William gemacht hatte, stand er nicht an, diesem ebensowohl als der
übrigen Mannschaft die Erlaubniß zu ertheilen, die sogenannte Capstadt zu
besuchen. Hier bekam unser junger Freund viel Merkwürdiges zu sehen, unter
andern sah er dort auch die _Hottentotten_, wie die Holländer diese, an der
Südspitze Afrika's lebende Nation nennen, die sich selbst _Quanquis_ nennt.
Die gelbbraune Farbe derselben, ihr der Wolle ähnliches, schwarzes Haar,
ihre großen Mäuler und eingedrückten Nasen, mehr aber noch ihre höchst
seltsame Sprache, die mehr einem Schnalzen, denn einer menschlichen Sprache
glich, waren für unsern Neuling so auffallende Dinge, daß er sich nicht
satt daran sehen konnte und oft vor Verwunderung außer sich war. Von ihrem
Schmutze, der selbst den der Grönländer noch übersteigt, von ihren höchst
seltsamen Sitten und Gebräuchen, wußte man ihm viel zu erzählen und er
hörte dem Erzähler mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu. Dieses Volk ist
übrigens gutmüthig und friedlich, mit Ausnahme eines Stammes, den man die
Buschmänner nennt, weil sie in einer waldigen Gegend wohnen. Diese sind
tückisch, räuberisch und oft sogar grausam; sie machen auf die europäischen
Ansiedler oder Colonisten förmlich Jagd, wie wir auf wilde Thiere, und wehe
dem, der in ihre Hände fällt!

Sie treiben durchaus keinen Ackerbau, sondern leben fast nur von der Jagd
und dem Raube; sie berauben aber nicht blos die Europäer, die sie mit
Recht als ihre Feinde ansehen, sondern die ihnen verwandten Stämme der
Hottentotten und _Kaffern_, wie eine andere, gleichfalls in der Nähe der
Südspitze von Afrika wohnende Nation heißt. Wie die Thiere, denken die
Buschmänner nicht an den folgenden Tag, sorgen auch niemals für die
Vermehrung ihres Viehstandes. So wie sie ein Stück Vieh geraubt und
in Sicherheit gebracht haben, schlachten sie es und verzehren es,
größtentheils roh, auf der Stelle; sie haben so wenig Eckel, daß sie selbst
die Eingeweide zur Nahrung nicht einmal verschmähen. Haben sie sich recht
satt gegessen, so legen sie sich hin und schlafen, bis der Hunger sie
wieder weckt und zu neuen Raubzügen anspornt. Können sie nichts erhaschen
und quält der Hunger sie allzusehr, so schnallen sie sich mit breiten
Lederstreifen den Magen und Unterleib ein und sollen dann sehr lange
hungern können.

Sie sind überaus wild, grausam und rachsüchtig und vergiften die Spitzen
ihrer Pfeile mit dem Safte von nur ihnen bekannten giftigen Pflanzen, so
daß jede Wunde, die sie damit beibringen, sogleich tödtlich wird.

Dieser Buschmänner werden aber immer weniger, da die Colonisten
genöthigt sind, Militär gegen sie auszusenden und gegen sie eine Art von
Vertilgungskrieg zu führen. Wie schrecklich! daß Mensch gegen Mensch auf
diese Weise verfährt.

Von allen diesen, für unsern William fast unglaublichen Dingen hörte er in
der Capstadt erzählen und konnte nicht satt werden, sich davon erzählen zu
lassen. Ja, er trug sogar kein geringes, wenn gleich mit Furcht gemischtes
Verlangen, einmal einen Buschmann von Angesicht zu Angesicht zu sehen, was
ihm freilich wohl sehr übel bekommen seyn würde.

Endlich hatte Capitain Hansen die nöthigen Vorräthe eingenommen und
wartete nur noch auf einen günstigen Wind, um wieder unter Segel und seinem
Bestimmungsorte, der, wie schon gesagt, die den Holländern gehörige Insel
_Java_ war, entgegen zu gehen.

Dieser mit so großer Sehnsucht erwartete günstige Wind stellte sich endlich
ein und die _Hoffnung_ verließ mit geblähten Segeln den Hafen. Bald schwamm
das Schiff jetzt im großen indischen Weltmeere und steuerte den sogenannten
_Sunda-Inseln_, wovon Java eine ist, zu; die drei andern zu dieser großen
Inselgruppe gehörigen Inseln heißen _Borneo_, _Sumatra_ und _Celebes_;
außer diesen vier großen Sunda-Inseln gibt es noch eine Menge kleinerer,
mit deren Aufzählung ich Euch aber nicht belästigen will.

Die Fruchtbarkeit dieser Inseln ist außerordentlich groß und der Handel
derselben beträchtlich. Die edelsten und von den Europäern am meisten
gesuchten Produkte wachsen dort und werden durch die Handelsschiffe nach
allen bewohnten Theilen der Erde ausgeführt. Aus Java, besonders aus
der Hauptstadt _Batavia_, erhält man Reis, Kaffee, Tabak, etwas Indigo,
Baumwolle und Gewürze. Hier, wo so viele treffliche und nützliche Produkte
wachsen, findet man aber auch den so vielbesprochenen Giftbaum, den
_Bohan-Uzas_, von dem ich Euch, da Ihr wohl schon oft davon gehört haben
werdet, etwas Näheres mittheilen will. Er wächst in waldigen, nicht zu hoch
gelegenen Gegenden auf den Sunda- und _Philippinischen_ Inseln, die in der
Nähe der erstern liegen, besonders aber auf Java. Er wird an hundert Fuß
oder fünfzig Ellen hoch und hat einen geraden Stamm, mit knochenartigen
Auswüchsen. Die Blüten sind gelb mit grüner Blütendecke; die Blätter
oval-länglich mit feinen Härchen besetzt. Man hat diesem, allerdings
überaus giftigen Baum doch weit mehr Böses nachgesagt, als er verdient,
wie z. B. daß darüber hinfliegende Vögel, von den Ausdünstungen des Uzas
berührt, sogleich todt aus der Luft zur Erde niederfielen und Menschen
und andere Säugethiere, die sich in seine Nähe wagten, dasselbe Schicksal
erlitten; ja, man nannte ein Thal auf Java, wo ein solcher Bohan-Uzas
stand, sogar das _Thal des Todes_, weil von den giftigen Ausdünstungen
desselben sogleich alles Leben ersterben sollte. Dieses alles gehört nicht
der Wahrheit, sondern allein der Fabel an. Der Baum ist allerdings sehr
giftig; aber die Wilden gewinnen das Gift für ihre tödtlichen Pfeile allein
dadurch, daß sie den Stamm des Bohan-Uzas mit einem Messer oder scharfen
Steine ritzen, woraus ein milchiger Saft aus der Rinde hervorquillt, der
schnell zu einem Gummi-Harze gerinnt. Diesen Saft vermischen die noch
wilden Javanensen mit andern giftigen Substanzen und tauchen ihre
Pfeilspitzen hinein, worauf jede damit gemachte Wunde auf der Stelle
tödtlich wird. Der giftreiche Uzas hat übrigens ein sehr schönes Ansehen
und ist ein kräftiger Baum mit einer wohlgewachsenen, herrlichen Krone. Er
trägt eine steinigte Frucht. So viel von dem Uzas.

Auf Java, und überhaupt auf den Sunda-Inseln, besonders auf Borneo, findet
man auch das dem Menschen so ähnliche Thier, den _Urang-Utang_, den die
Ureinwohner für einen wirklichen Menschen halten, der aus Trägheit
weder sprechen noch arbeiten wolle; man nennt den Urang-Utang auch den
_Waldmenschen_. Er geht, wie Euch schon bekannt sein wird, aufrecht und
hat oft einen Knittel als Spazierstock oder als Waffe in einer seiner
Vorderhände; denn daß die Affen vier Hände haben, werdet Ihr schon
wissen. Wenn er angegriffen wird, vertheidigt er sich wacker und soll ein
gefährlicher Feind sein, wenn man ihm allein begegnet.

Unser William würde, wenn er nach Java gekommen wäre, dieses Alles und noch
viel Merkwürdiges gesehen haben; allein das Schicksal wollte es anders und
er sah diese Insel nur aus weiter Ferne, ohne sie je zu erreichen, wie ich
Euch nachstehend in dieser wahrhaften Geschichte erzählen werde.

Wind und Wetter blieben zu Anfang der Fahrt vom Cap der guten Hoffnung ins
indische Weltmeer hinein durchaus günstig, und wie ein großer Vogel mit
seinen weitausgebreiteten Schwingen die blaue Luft durchschneidet, so
durchschnitt die mit schönen weißen Segeln bespannte _Hoffnung_ den Ocean.
Stolz und herrlich mußte sich das Schiff ausnehmen, indem es so sicher
durch die bewegte Wasserfläche hinglitt. Wie lustig flatterten nicht die
hochrothen Wimpel, die schöne Flagge mit dem königlichen Wappen im Winde!
Wie glänzte und schimmerte Alles am Bord, wo eine wahrhaft musterhafte
Reinlichkeit und Ordnung herrschte; denn das mußte man dem Capitain Hansen,
trotz seiner sonstigen üblen Eigenschaften, lassen, er war ein ganzer
Seemann und hielt in allen Dingen auf die strengste Ordnung; nicht ein
einziges Endchen Tau durfte am unrechten Orte umherliegen und die erste
Putzdame konnte nicht eifersüchtiger über ihren Staat wachen, als unser
Capitain über die Sauberkeit seiner schönen _Hoffnung_.

Endlich an einem Morgen, als es eben Tag zu werden begann, rief der
Matrose, der oben im Mastkorbe saß, mit lauter und freudiger Stimme »Land!«
aufs Verdeck hinunter. Der Capitain kam auf diesen Ruf schnell aus der
Kajüte hervor und befahl William, der ihm gefolgt war, das prächtige,
weitsehende Fernrohr zu bringen, damit er untersuchen könne, ob der sich
im Nord-Ost am fernen Rande des Horizontes zeigende, graue Nebelstreif
wirklich Land, und, wie er vermuthen durfte, die Küste von Java sei. Er
richtete lange das Fernrohr, das er auf Williams Schulter gelegt hatte, auf
den grauen Streif; denn die Entfernung war noch so groß, daß man nur mit
Mühe unterscheiden konnte, ob man wirklich Land oder nur eine Wolkenschicht
vor sich habe. So wie aber die Sonne etwas höher gestiegen war, unterschied
er mit dem Fernrohr deutlich die hohen Bergspitzen Java's und sagte jetzt
freudig: »Es ist wirklich Land und bald werden wir am Ziele sein.«

Dieser Ausspruch erfreute die Herzen Aller, die ihn hörten. Wenn man so
lange auf der See geschwommen und nichts als Himmel über, als Wasser unter
sich gehabt hat, dann sehnt man sich endlich doch wohl nach einem
festen, grünen Boden unter seinen Füßen, und wenn man so lange nichts als
gepöckeltes Fleisch und trockene Hülsenfrüchte, wenn es hoch kömmt, eine
Mehlspeise oder Fische gegessen hat, nach frischem Fleische und grünem,
saftigem Gemüße.

Es herrschte also über diesen Ausspruch des Capitains große Freude am Bord:
wußte man doch, daß man sich auf ihn verlassen konnte, besonders, da es
nicht das erste Mal war, daß er diese Reise machte. Eine so glückliche,
ungetrübte Fahrt, wie diese, hatte man noch nicht gemacht; so behauptete
selbst der älteste Matrose am Bord, der alte Jakob, der von seinem
fünfzehnten, bis zu seinem fünfzigsten Jahre fast immer auf der See gewesen
war.

Indeß sollte die große Freude der Mannschaft und des Capitains bald getrübt
werden. Die bisher so ruhige, gleichsam spiegelglatte See fing an, sich zu
kräuseln; es tauchten immer größere Wellen, als ob das Meer unten koche,
aus der Tiefe empor; zwar verspürte man auf dem Schiffe noch keinen Wind,
vielmehr schwieg dieser gänzlich, als wolle eine Windstille eintreten;
allein das Meer braus'te hohl und gab ein Getöse von sich, wie wenn in
weiter Ferne der Donner rollt.

Die Mannschaft kannte so etwas und Alles wurde still, als sich diese Boten
eines herannahenden Sturmes kund thaten. Je größer die vorhergehende Stille
gewesen war, je mehr hatte man von jenem zu fürchten. Ein anderes, Allen
wohlbekanntes übles Zeichen waren die über das Schiff hinfliegenden großen
Wandervögel, die ein klägliches Geschrei in der Luft erhoben und statt
sich zum Ausruhen auf die Masten und Segelstangen nieder zu lassen, im
schnellsten Fluge vorüberschossen. Das thaten sie, um wo möglich noch vor
dem ausbrechenden Orkane das Festland zu erreichen.

Die See färbte sich immer dunkler; die Wellen wurden mit jeder Stunde
größer und begränzten sich mit schneeweißen Rändern von Schaum. Der
Capitain verließ das Verdeck nicht und schaute sich mit ernster Miene
und ohne ein Wort zu sagen nach allen Seiten um, ob er nicht noch andere
Zeichen des nahenden Sturmes entdecke. Endlich erblickte er, gerade in
der Richtung, von welcher der Wind herkam, ein kleines dunkles Wölkchen am
Himmel, und sich an den Steuermann wendend, sagte er:

»Jetzt kommt es! Aufgepaßt!«

Er ertheilte dann der Mannschaft die nöthigen Befehle, um auf das Kommende
bereit zu sein, ließ einen Theil der Segel einziehen und befahl die
größeste Vor- und Umsicht.

»Das Wetter wird wahrscheinlich sehr schlimm werden und wir haben uns zu
früh über die glückliche Fahrt gefreut,« sagte er mit bedenklicher Miene.
»Von Glück werden wir zu sagen haben, wenn wir mit leidlichem Schaden davon
kommen. Habt ihr das dunkle Wölkchen da unten,« -- er zeigte gen Westen
mit der Hand -- »wohl gesehen?« wandte er sich an den neben ihm stehenden
Untersteuermann; »das bedeutet nichts Gutes und wird schnell genug, Tod
und Verderben in seinem Schooße tragend, heraufkommen. Dazu wird es bereits
Abend; es darf Keiner diese Nacht zu Bett gehen, denn wenn uns das Unwetter
im Schlafe überraschte, könnte das Unheil groß werden. Daher aufgepaßt!
sage ich nochmals und keiner verlasse seinen Posten!«

William, der neben dem Capitain stand und jedes seiner Worte vernahm, hatte
denn doch ganz seltsame Empfindungen in seiner Brust, als er von Sturm
und Unwetter reden hörte und, wie es sehr wahrscheinlich war, sie selbst
mitbestehen sollte. Er hatte bereits oft von Schiffbrüchen und andern
Unfällen zur See gehört oder gelesen; das aber erfüllte ihn nur mit einem
gewissermaßen angenehmen Grausen und stachelte blos seine Neugierde auf
den Ausgang der Sache; jetzt aber, wo er selbst daran und eine mitspielende
Person in dem großen Drama sein sollte, war ihm ganz anders zu Muthe und
trotz der drückenden Schwüle des Abends rieselte ihm von Zeit zu Zeit ein
kalter Schauder durch die Glieder.

Indeß begriff er doch noch nicht, wie das bezeichnete kleine dunkle
Wölkchen am fernsten Rande des westlichen Horizontes so verderblich für
Schiff und Mannschaft werden könne; war es doch noch so fern und kaum
wenig größer, als daß er es mit seinen beiden ausgebreiteten Händen hätte
bedecken können. Er wagte es mit einiger Schüchternheit, seine bescheidenen
Zweifel nicht gegen den Capitain selbst, wohl aber gegen den ihm
befreundeten Obersteuermann zu äußern; dieser aber belehrte ihn eines
Bessern, indem er zu ihm sagte:

»Die Wolke da drüben _scheint_ nur klein, ist es aber nicht. Nur die
außerordentlich große Entfernung und der große unermeßliche Raum, in dem
sie schwimmt, läßt sie unsern Blicken so unbedeutend erscheinen. Du wirst
schon selbst bemerkt haben, lieber William, wie sehr die Entfernung zur
scheinbaren Verkleinerung der Gegenstände beiträgt. Wenn man z. B. auf
einem Berge, auf einem hohen Thurme oder auch nur auf dem Dache eines
Hauses steht, erscheinen die unten wandelnden Menschen und Thiere uns in
fast zwerghafter Gestalt. Eben so ist es mit den Gegenständen, die wir am
Horizont erblicken. Nimm nur einmal die Sonne oder den Mond, deren Scheibe
man fast mit der Hand bedecken kann, und doch ist die erstere 113 Mal
großer als unsere Erde, obgleich diese eine Masse von 2659 Millionen 310190
kubischen Meilen hat; eine kubische Meile ist aber eine, die eine Meile
lang, breit und hoch ist. Bedenke, wie groß also die um 113 Mal so große
Sonne sein muß und doch macht die außerordentliche Entfernung, daß sie
uns nicht größer _erscheint_, wie der innere Theil eines mäßigen Tellers.
Hiernach wirst Du schließen können, daß auch jene, jetzt so klein
scheinende Wolke sehr groß sei und uns, wenn sie sich über uns ausbreiten
sollte, Gefahr und Verderben bringen könnte. Alles wird für uns davon
abhängen, ob der Wind in seiner jetzigen Richtung bleibt, oder davon
abspringt; ist das letztere der Fall, so dürfte die Gefahr minder groß
werden.«

William, der dem unterrichteten Manne mit der gespanntesten Aufmerksamkeit
zugehört hatte, dankte für die ihm ertheilte Belehrung und richtete jetzt
auch seine Blicke fast unausgesetzt auf die kleine dunkle Wolke.




Siebentes Kapitel.


Der Wind stand indeß noch immer aus Westen und die Wolke, von ihm
getrieben, kam immer näher und näher; so wie sie aber heraneilte, wurde
sie größer. Noch hohler als früher schon ging die See; die Wellen schlugen
gegen die Seitenwände des Schiffs, als wollten sie sie zerschellen; der
Schaum spritzte, so wie der Kiel die Wogen durchschnitt, so hoch empor, daß
er auf's Verdeck niederfiel. Jetzt ließen sich auch bereits einzelne,
noch in ziemlich großen Pausen kommende Windstöße verspüren; die freien
Zwischenräume wurden immer kürzer, die Stöße selbst anhaltender. Endlich
war der vollständigste Orcan da. Der Himmel hatte sich schwarz bezogen; es
donnerte aus den Wolken; Blitze zuckten, die ganze Natur schien in Aufruhr
zu sein. Die Wellen gingen so hoch, daß sie über das Verdeck stürzten
und von demselben Manches mit sich in die Tiefe hinabrissen. Dazu kam die
Nacht, die das Grausenhafte der Scene noch vermehrte.

Der Capitain war dem Anscheine nach ruhig, aber sehr bleich; ein Beben
seiner Stimme, so oft er einen Befehl ertheilte, verrieth, daß er seine
innere Furcht nur bemeisterte, vielleicht, um die Mannschaft nicht zu
erschrecken: war diese doch ohnehin, trotz ihres Muthes, schon erschrocken
genug, indem sich kaum einer erinnerte, je einen solchen Orkan erlebt zu
haben.

Die ältesten und verwegensten Matrosen, Männer, denen sonst immer, nach
der schlechten Gewohnheit der Soldaten und Seeleute, Flüche auf den Lippen
schwebten, ließen alle Augenblicke ein: »Gott steh' uns bei!« oder:
»Gott sei uns armen Menschen gnädig!« hören. Man vernahm weder mehr ein
fröhliches Singen noch Pfeifen am Bord; Alles verrichtete seine Arbeit
still; nur die Stimme des Capitains wurde von Zeit zu Zeit, Befehle
ertheilend, gehört; oft übertobte der Sturm sie.

Die Gewalt desselben nahm mit jedem Augenblick zu, und obgleich die
meisten Segel eingerefft waren, wurde das Schiff doch pfeilschnell vorwärts
getrieben. Der Steuermann vermochte das Steuer nicht mehr zu regieren,
sondern mußte das Schiff dem Winde und den Wellen fast gänzlich überlassen.
Menschenmacht und Menschenhülfe vermochte nichts mehr: man mußte sich in
Gottes Hand geben und glaubte dem Ende seiner Tage nahe zu sein.

Um das Unheil zu vermehren, brach endlich auch noch das Steuer entzwei,
indem eine Stoßwelle dagegen schlug; jetzt gab es keine Lenkung des
Schiffes mehr, und Luft und Wasser hatten freies Spiel.

Selbst dem Capitain entsank der Muth; bis dahin hatte er einen wirklich
bewunderungswürdigen gezeigt. Sein Ansehen hatte etwas Furchtbares; sein
Gesicht war todtenbleich, und sein krauses Haar sträubte sich auf dem
Haupte empor; in seinen Mienen lagen Furcht und Entsetzen; allein kein
Wort, das Furcht verrathen hätte, entfuhr seinen Lippen. Nur als er an
William vorüberging, der in der Kajüte auf seinen Knieen lag und, wie seine
fromme Mutter es ihm im Glück und Unglück gelehrt hatte, zu Gott um Rettung
emporflehte, sagte Capitain Hansen wie vor sich hin:

»Armer Junge! Dein Leben habe ich auf dem Gewissen! Ich beging ein schweres
Unrecht, das ich vor Gott zu verantworten haben werde, indem ich Dich
Deiner Heimath und einer minder gefahrvollen Beschäftigung entriß.«

Obgleich nun die Gefahr mit jedem Augenblick höher stieg und Alle sich
ihres Lebens begaben, war doch durch das Gebet eine größere Ruhe über das
Herz des armen William gekommen. Wie oft hatte er seine gute Mutter in
Augenblicken der Noth die Worte sagen hören:

»Nicht wie ich, sondern wie mein Vater im Himmel will?« und dieser sich
jetzt erinnernd, sagte er sie auch, wodurch eine wahrhaft himmlische Ruhe
über sein Herz kam. Zwar erfüllte ihn der Gedanke mit Betrübniß, schon so
jung, so fern von der theuren Mutter und der geliebten Heimath sterben zu
sollen, in die grausenvolle Tiefe des Meeres hinabsinken zu müssen; allein
Schrecken oder wohl gar Entsetzen flößte er ihm nicht ein: wußte er doch,
daß es nach diesem Leben noch ein anderes, wie die heilige Schrift verhieß,
_besseres_ geben würde; wie hätte er sich also wohl vor dem Tode fürchten
sollen? Daß er aber zu leben _wünschte_, wie natürlich war das nicht?

So beschämte dieser Knabe in seiner durch wahrhafte Frömmigkeit und
Gottergebenheit hervorgegangenen Ruhe die ältern Männer. Trotz derselben
ließ er aber doch die Hände nicht in den Schoos sinken, sondern verrichtete
mit Kraft und Besonnenheit die ihm aufgetragenen Geschäfte.

Die grauenvolle Nacht ging endlich vorüber und der Himmel klärte sich
etwas auf. Von Zeit zu Zeit fiel ein Sonnenstrahl durch den dunklen
Wolkenschleier, womit er überzogen war; aber der Sturm legte sich nicht
und trieb das Schiff wie ein Spielwerk vor sich her. Wo man war, wußte man
nicht, da eine Sturzwelle den Kompaß über Bord gerissen hatte, folglich
der Capitain seine Beobachtungen nicht anstellen konnte; gelenkt konnte das
Schiff auch nicht mehr werden, weil das Steuer zerbrochen war. Man sah kein
Land mehr, nichts als das Wasser unter, den Himmel über sich.

Dies war, obwohl an sich schrecklich genug, doch gewissermaßen ein Trost
für die armen Schiffbrüchigen, indem die größeste Gefahr ihnen von der Nähe
des Landes kommen mußte. In dieser Nähe ist nämlich das Meer gewöhnlich
mit verborgenen oder offenbaren Klippen und Felsenriffen besät, an denen
steuerlose Schiffe unfehlbar scheitern müssen, wenn der Wind sie gegen
dieselben treibt. Daher war es für unsere Seefahrer tröstlich, daß sie
nirgends Land zu erspähen vermochten. Legte sich der Orcan nur bald,
so durfte man sogar noch auf Rettung hoffen: das Schadhafte konnte
ausgebessert, die zerrissenen Segel konnten geflickt werden und man,
wenn gleich nur nothdürftig und mit großer Anstrengung, doch noch einen
rettenden Hafen erreichen.

So betete jetzt Alles am Bord, ganz im Gegensatze zu früher: »Nur kein
Land! Nur kein Land!« Der Sturm konnte, _mußte_ sich ja endlich doch
legen; wenn aber das Schiff auf Klippen stieß, dann war keine Rettung mehr
möglich.

Allein auch die letzte Hoffnung sollte zu Trümmern gehen. Nachdem das
Schiff noch einige Stunden, vom Sturme gepeitscht, gegen Osten getrieben
worden war, erblickte man ganz deutlich, und bereits mit bloßem Auge, den
bewußten grauen Streif am Himmel, der auf Land deutete, und der Wind trieb
das Schiff in gerader Richtung darauf zu.

Jetzt verstummte Alles vor Schrecken; der Capitain selbst bewahrte seine
äußere Fassung nicht mehr und sagte der erschrockenen Mannschaft geradezu
heraus, daß sie ihre Seele Gott befehlen möchten.

Immer deutlicher trat die Küste hervor -- ob es eine Insel oder ein
Festland sei, vermochte man nicht zu entscheiden, da man nicht wußte, wo
man sich befand -- und um den Schrecken noch zu vermehren, sah man, daß
sie bergig war. Wenn sich aber Berge am Lande befanden, so durfte man
schließen, daß sie bis ins Meer hinein sich erstrecken würden. Die
Erfahrung lehrt nämlich, daß jedes Gebirge drei Abstufungen hat: das
höchste oder Hauptgebirge; das Mittel- und endlich das Vorgebirge, welches
letztere gewöhnlich sich in Klippen und Felsenriffen im Meere endigt.
Letztere hatte man also jetzt auch an der Küste zu erwarten, auf die das
steuerlose Schiff zugetrieben wurde.

Der Capitain ertheilte jetzt keine Befehle mehr; denn wie hätte man sie
ausführen sollen? Die Mannschaft arbeitete nicht mehr; denn wozu konnte die
Arbeit noch nützen? Eine tiefe, lautlose Stille herrschte am Bord; nur
von Zeit zu Zeit stieg der Schiffszimmermann mit einer Laterne in den Raum
hinab, um nachzusehen, ob auch kein Leck entstanden sei und das Schiff
Wasser schöpfe. In dieser Hinsicht brachte er immer tröstliche Nachrichten
mit herauf: der Boden des Schiffes war noch fest und kein Leck zu
entdecken.

Da, als eben der Zimmermann wieder die Leiter hinan stieg, um sich aufs
Verdeck zu begeben, erhielt die _Hoffnung_, Allen unerwartet, einen
furchtbaren Stoß, so daß ihre eichenen Rippen erkrachten und Diejenigen,
welche standen, in Gefahr waren umzufallen.

»Nun ist das Unglück da!« rief der Capitain aufspringend. »Es kann nicht
fehlen, der Stoß muß einen Leck gegeben haben. Schnell hinab, Zimmermann!«
herrschte er diesen an, »schnell hinab und nachgesehen, was es da unten
gibt.«

Er hatte kaum diese Worte ausgesprochen, so erfolgte ein zweiter, noch
weit heftigerer Stoß; dann stand das eben noch pfeilschnell dahinschießende
Schiff plötzlich still, woraus man schloß, daß es sich zwischen zweien im
Meere verborgenen Felsenriffen festgeklemmt habe.




Achtes Kapitel.


Die Blässe des Todes hatte alle Gesichter überzogen, so wie das Schiff
plötzlich still stand; es war, als wäre das eben noch so lebendige zur
Leiche geworden. Die tiefste Stille herrschte an Bord; dann brachen einige
in laute Klagen aus, die der Capitain dadurch zu beschwichtigen suchte, daß
er zu ihnen sagte:

»Was hilft das Wimmern und Klagen? Es steht nun einmal im Buche des
Schicksals geschrieben, daß wir in der salzigen Fluth unsern Untergang
finden sollen, und dabei ist es denn doch einigermaßen ein Trost, daß wir
auf ächt seemännische Weise umkommen. Der Tod wird hier wahrscheinlich nur
ein Augenblick sein; wären wir am Lande gestorben, so hätte es vielleicht
länger gedauert, bis wir damit durch gewesen wären.«

Dieser Trost wollte aber bei Keinem Eingang finden; mehrere der Matrosen
waren noch jung und liebten das Leben und selbst die älteren unter ihnen
mochten nicht an den Tod denken.

In der Seele unsers Williams gingen seltsame Dinge vor, als er den Capitain
also reden hörte und die hellen Thränen schossen ihm aus den Augen,
indem er an die theure Mutter und ihren Schmerz, an die Heimath und seine
Gespielen dachte, die er nun wahrscheinlich nicht wieder sehen sollte.
Dieser Schmerz war so natürlich und er hatte sich seiner nicht zu schämen,
um so weniger, da er noch ein Knabe und kein gereifter Mann war.

Der tiefen Betrübniß und dem thatenlosen Schrecken der Mannschaft folgte
bald ein anderer Zustand und die Hoffnung, daß dennoch vielleicht Rettung
möglich sei, blitzte in vielen Herzen, gleich einem Stern in dunkler Nacht,
auf. Die Thätigkeit erwachte wieder: man sah sich nach Rettungsmitteln
um; das große Boot war noch da; man konnte sich, wenn das Schiff wirklich
sinken oder in Trümmer gehen sollte, zum Theil auf diesem, zum Theil durch
Befestigen an den Schiffstrümmern vielleicht noch retten.

Der in den Raum hinabgestiegene Schiffszimmermann kam wieder herauf; seine
Miene verkündete nichts Gutes; die Blicke Aller richteten sich ängstlich
und erwartungsvoll auf ihn.

»Es sind schon sechs Fuß Wasser im Raume,« sagte er mit fast tonloser
Stimme, »und es wächst mit jeder Minute; ein großes Leck muß da sein: wo
aber? vermag ich nicht zu entdecken, da das Wasser schon so hoch gestiegen
ist.«

»An die Pumpen! An die Pumpen!« erscholl es jetzt aus dem Munde der
Matrosen und Alle stürzten, ohne erst den Befehl des Capitains abzuwarten,
in den Raum hinab, um die Arbeit zu beginnen.

»Arme Jungens!« sagte der Schiffszimmermann mit einem schmerzlichen Lächeln
um den bleichen Mund, »arme Jungens, es wird Euch nichts helfen: das Leck
ist zu groß und Eure Kräfte werden nicht ausreichen, das Wasser im Raume zu
bewältigen.«

»Ist das Eure feste Ueberzeugung, Meister?« fragte ihn der Capitain, der
aus einem dumpfen Dahinbrüten plötzlich zu erwachen schien.

»Ja,« versetzte der Gefragte, »und wenn ihrer zweimal so viele wären, so
würden sie nicht Herr des Wassers werden.«

»So sollen sie die Zeit nicht mit unnützer Arbeit verlieren,« sagte der
Capitain und ließ einen Ruf erschallen, auf den Alle wieder auf's Verdeck
kamen.

»Meister Steffen sagt,« nahm der Capitain das Wort, als die Matrosen ihn
umstanden, »daß es mit dem Pumpen nichts sei und wir eine wahrscheinlich
sehr kostbare Zeit nur damit verlieren würden. Wir dürfen seinem Worte
vertrauen, da er ein geschickter, vielerfahrner Mann ist und sich schon
oft den Wind um die Nase hat wehen lassen. Denken wir also auf eine andere
Rettung. Laßt das Boot ins Meer hinab; vielleicht legt sich der Sturm in
Kurzem und wir können mit dem Boote See halten. Die Küste kann nicht fern
sein! Gott könnte sich unser erbarmen und uns an dieselbe führen. Wendet
also Eure Kräfte darauf, das Boot ins Meer hinabzulassen und sobald sich
der Sturm nur in Etwas legen sollte, wollen wir es besteigen.«

Gehorsam diesem Befehle machten sich die Matrosen an die Arbeit und schon
nach Verlauf weniger Minuten schauckelte sich das Boot auf den bewegten
Wellen. Nur kurz dauerte aber die Freude: eine ungeheure Sturzwelle kam
und riß in ihrem Anprall das Boot mit sich fort; ihre Kraft war so groß
gewesen, daß sie das starke Tau zerrissen hatte, als wäre das Fahrzeug an
einem Zwirnsfaden befestigt gewesen.

Ein Schrei des Entsetzens entfuhr bei diesem Anblick dem Munde Aller; der
Capitain aber sagte, wie vor sich hin, mit dumpfem Tone:

»Nun ist's aus! Gott erbarme sich unser!«

In dem Augenblicke fing das eben noch ganz fest liegende Schiff an, eine
schwankende Bewegung zu machen, ein Krachen, wie vom Einsturz eines großen
Gebäudes, ließ sich vernehmen und zugleich stieg das Wasser von unten
herauf aufs Verdeck. Das Schiff war geborsten und bestand nur noch aus
Trümmern.

Jeder wußte jetzt, was es galt und griff nach einer rettenden Planke. Der
große Mast, der bereits geknickt gewesen war, begrub in seinem Umsturze
zwei Matrosen, die in der Richtung standen, in der er fiel. Ob sie dadurch
getödtet wurden, oder erst in den Wellen ihr Ende fanden, ist nicht zu
bestimmen, denn Jeder dachte in dem Augenblick nur an sich und an die
eigene Rettung.

Unser William, noch ein Neuling auf dem Meere, wußte nicht, was er thun,
was er beginnen sollte. Er stand neben dem Capitain, rang die Hände und
schickte Gebete für seine Rettung zum Himmel empor. Zufällig fiel der Blick
des Capitains auf den armen Knaben und, trotz der eigenen Noth und Gefahr,
jammerte sein Schicksal ihn; es war sein Gewissen, das ihm Theilnahme und
Mitleid für ihn einflößte.

»Komm,« sagte er zu unserm William, indem er ihm die Hand reichte; »komm,
wir wollen zusammen unser Heil versuchen, und sollten wir untergehen, so
vergib mir Deinen Tod, an dem ich schuld bin.«

Er zog ihn mit sich fort, zum großen Maste hin, der bereits auf dem Verdeck
im Wasser schwamm, denn so hoch war dieses bereits gestiegen, ergriff ein
starkes Tau und befestigte mit diesem den halbtodten Knaben an den Mast.
Darauf suchte er ein zweites Tau, umschlang sich damit und befestigte es
gleichfalls daran. Kaum war dies geschehen, so schwamm der Mast von den
Schiffstrümmern ins Meer hinab und die Wogen schossen darüber hin.

Was weiter mit ihm vorging, vermochte unser William nicht zu sagen: die
Sinne hatten ihn verlassen und er hing wie schon todt an dem Maste, der,
der Richtung des Windes folgend, an eine unbekannte Küste trieb, wo er, von
einer ungeheuren Welle hoch aufs Land hinaufgeworfen, am Ufer liegen blieb.

Der Ton einer Stimme erweckte William aus seiner Betäubung; er erkannte die
des Capitains, aber sie war so schwach, daß er sie kaum zu unterscheiden
vermochte.

»Lebst Du noch?« fragte diese Stimme.

William riß die Augen auf und sah sich um.

»Was gibts? und wo sind wir?« fragte er verwundert.

»Am Lande,« versetzte der Capitain, »und vielleicht gerettet,« fügte er
hinzu, »wenn Du nämlich noch so viele Kraft hast, Dein Messer nehmen und
erst Dich, dann mich losschneiden zu können, damit wir uns vor der nächsten
Sturzwelle höher auf das Ufer hinauf retten. Bleiben wir aber hier, so
führt sie uns wohl wieder ins Meer hinab und dann Ade, Leben!«

William hatte jetzt seine volle Besinnung wieder und da seine Arme frei
waren, zog er das große, an einem Bande um seinen Hals hängende Messer
aus seinem Busen hervor, öffnete es mühsam mit seinen vom Wasser ganz
erstarrten Händen, schnitt die ihn an den Mast befestigenden Stricke
entzwei und machte den Versuch, sich zu erheben. Allein er war wie ein
Betrunkener und taumelte gleich wieder zur Erde nieder.

»Mach schnell oder wir sind verloren!« rief der Capitain mit schon
ersterbender Stimme. »Ich kann mich nicht rühren,« fügte er hinzu, »und
habe wahrscheinlich etwas an meinem Leibe zerbrochen, auch strömt mir das
helle Blut über das Gesicht.«

William raffte jetzt den letzten Rest seiner Kräfte zusammen und taumelte
zu seinem Leidensgenossen hin. Der Anblick desselben war ein entsetzlicher.
Das Blut rieselte, wie aus einer Quelle, aus einer großen Kopfwunde hervor
und hatte sowohl sein Gesicht, als seine Kleidung überströmt. Ein Schrei
des Entsetzens entfuhr bei dem Anblick den Lippen des Knaben; aber trotz
dem verließ ihn seine Geistesgegenwart nicht. Er ging zu dem Kapitän,
zerschnitt die Bande womit er an dem Maste befestigt war, und zog ihn, da
er erklärte, nicht gehen zu können, höher auf den Strand hinauf, um ihn
vor den Sturzwellen in Sicherheit zu bringen. Es war die höchste Zeit damit
gewesen, denn keine halbe Minute verging, so riß eine mächtige Welle den
rettenden Mast wieder in das Meer hinab und würde folglich auch unsere
Beiden mit sich fortgerissen haben, wenn sie sich nicht zuvor weiter
entfernt hätten.

Schrecklich war es anzuhören, wie der Capitain ächzte und stöhnte, als
William ihn fortzog; der Unglückliche hatte den Schenkel zerbrochen und war
überdies mit Wunden bedeckt, worunter die große Kopfwunde die gefährlichste
war. Er hatte diese schrecklichen Verwundungen dadurch erlitten, daß das
Ende des Mastes, an das er sich befestigt hatte durch die Gewalt der Wellen
gegen ein Korallenriff getrieben wurde, und der Stoß war so heftig gewesen,
daß er ihm das Bein zerbrach; überdieß hatten die spitzig hervorragenden
Zacken des Riffs ihm mehrere Wunden beigebracht, die alle stark bluteten.

Der Anblick dieses unglücklichen Mannes preßte William heiße Thränen aus
und ließ ihn sein eigenes Unglück vergessen. Wie es uns in Augenblicken
großer Gefahr zu ergehen pflegt, erging es auch unserm William: Gott hatte
ihm größere geistige Kräfte, denn je zuvor verliehen und diese machten es
möglich, daß er mit Besonnenheit handeln und überlegen konnte, was er zu
thun habe, um die Leiden und Schmerzen seines Genossen zu lindern.

Dieser redete schon nicht mehr und lag mit festgeschlossenen Augen da; der
letzte Rest seiner Kräfte hatte ihn verlassen und er schien bereits eine
Beute des Todes zu sein.

Trotz dem gab William den Versuch seiner Rettung nicht auf. Er entkleidete
sich und zog sein Hemd aus, um durch Zerreißen desselben die nöthige
Leinwand zum Verbinden der großen Kopfwunde zu erhalten. Er machte aus
diesem Hemde, das natürlich vom Seewasser ganz durchdrungen war, ein
starkes Polster und eine Binde, legte das erstere auf die Wunde und
befestigte es mit der letztern um den Kopf. Kaum aber berührte das mit
salzigem Wasser getränkte Polster die Wunde, so schrie der arme Verwundete
vor Schmerz laut auf und fuhr mit der Hand nach dem Haupte, um es wieder
abzureißen.

Trotz dem, daß der Schrei und die heftige Bewegung des Leidenden ihn
erschreckten, freute er sich doch über dieses neue Lebenszeichen, denn er
hatte den Capitain schon todt oder doch im Sterben begriffen geglaubt.

»Was machst Du? und weßhalb thust Du mir weh?« rief der Capitain, ihn mit
zornigen Blicken anstarrend.

»Lieber Herr Capitain,« antwortete ihm der zitternde Knabe, »ich wollte
Ihre schwere Wunde verbinden und bin vielleicht nicht vorsichtig genug
gewesen. Ach wie leid thut es mir, Ihnen wider meinen Willen wehe gethan zu
haben,« fügte er, vor Angst und Wehmuth schluchzend, hinzu.

»Laß es gut sein,« sagte der Capitain mit bereits ersterbender Stimme, »laß
es gut sein und mache mir keine Schmerzen mehr. Mit mir ist es aus, und
ich bin ein Mann des Todes,« fügte er mit einem schweren Seufzer hinzu, der
fast wie Aechzen klang.

»Das wolle Gott verhüten!« versetzte William; »sind wir doch am Ufer und
gerettet!«

»Ja, Du bist, dem Himmel sei gedankt! wahrscheinlich gerettet,« erwiederte
ihm der Capitain; »aber ich werde nicht mit dem Leben davon kommen; rieselt
es mir doch schon wie Todesschauer durch Mark und Bein und umflort sich
mein Blick, so daß ich Deine Gesichtszüge kaum mehr unterscheiden kann. Das
ist, wie ich glaube, der Tod,« fügte er mit ersterbender Stimme hinzu.

William, der selbst glaubte, daß es bald mit dem armen Manne aus sein
würde, konnte ihm vor Weinen nicht antworten. Sein Schmerz war so groß, als
aufrichtig, und er dachte in diesem Augenblick nicht mehr daran, wie
dieser Mann gegen ihn gehandelt, und daß er ihm sein trauriges Schicksal zu
verdanken hatte.

Nach einigen Minuten, während welcher William weinend neben ihm kniete,
öffnete der Capitain wieder die Lippen und schien sprechen zu wollen;
allein seine Kraft war dahin, und nur wie ein leiser Hauch ertönte
das Wort: »Wasser!« von seinem blassen Munde. William, der sich zu ihm
niedergebeugt hatte, vernahm es und erhob sich, um das Verlangte zu holen.
Jetzt aber fiel plötzlich der Gedanke seiner Hülflosigkeit und seiner
ganzen schrecklichen Lage auf sein Herz. Großer Gott! woher Wasser nehmen?
und wenn er auch wirklich welches fände, in welchem Gefäße es schöpfen und
zu dem vor Durst Verschmachtenden bringen?

Er stand wie erstarrt da und wußte sich weder zu rathen noch zu helfen.

»Wasser! Wasser! Ich verbrenne!« rief jetzt der Sterbende mit der letzten
Anstrengung seiner Kräfte, und William stürzte, ohne zu wissen, was er
that, von ihm fort, tiefer in das Land hinein.

Bald betrat er einen grünen, mit starkem, in großen einzelnen Büscheln
stehenden Grase bedeckten Boden und schaute umher. Hie und da erhob sich
ein Baum aus dem Erdreiche, dessen seltsam geformtes, unserm Farrenkraute
ähnliches Laub ihm aufgefallen sein würde, wenn seine Gedanken nicht
gänzlich darauf gerichtet gewesen wären, Wasser zu finden. Dieses
aber zeigte sich seinen Blicken nicht, so ängstlich sie auch darnach
umherspähten. Fast eine Viertelstunde war er gelaufen und seine nur noch
so schwachen, vom heißen Sonnenbrande noch mehr aufgezehrten Kräfte drohten
bereits zu erliegen, als er den Boden unter sich weich werden fühlte. Er
bückte sich und faßte mit der Hand darnach, und, o Freude! er war feucht!
Wo sich aber ein feuchter Boden zeigte, da mußte auch Wasser in der Nähe
sein.

Dieser Gedanke stärkte und ermuthigte ihn und er schritt vorwärts. Es
dauerte auch nicht lange, so vernahm sein sorgsam lauschendes Ohr
ein leises Rieseln; er stand still, um zu horchen und vernahm dieses
erfreuliche Geräusch jetzt ganz deutlich in der nächsten Nähe. Ein in
dichteren Büscheln stehendes Gras, dessen Farbe überdies frischer, als die
des übrigen Grases war, fiel ihm auf; er bückte sich darnach nieder, bog es
auseinander und, o Entzücken! ein schmaler Silberstreif des allerhellsten
Wassers zeigte sich zwischen dem saftigeren Grase.

»Worin es aber schöpfen, um es dem armen Verschmachtenden zu bringen?«
werdet Ihr, meine Geliebten, jetzt gewiß fragen.

Unser William, den ich Euch als einen klugen und sinnreichen Knaben
geschildert habe, wußte das bereits: er hatte seine _Tasche_ zum
Wassergefäße ausersehen.

»Seine Tasche?« werdet Ihr wieder rufen; »seine Tasche? Du willst uns wohl
zum Besten haben, liebe Amalie? Wissen wir denn nicht, daß Leinwand eben
so gut wie ein Sieb ist und die Flüssigkeit hindurch laufen läßt? Da würde
also der arme Verwundete keinen Tropfen erhalten und vollends verschmachten
müssen, um so mehr, da der William fast eine halbe Stunde zu laufen hatte,
bevor er wieder zu ihm gelangte.«

Ganz recht, meine lieben Kinder; aber unser William brachte trotz dem das
Wasser in seiner Tasche zu dem armen Sterbenden und erquickte ihn damit.
Diese Tasche war aber nicht von Leinewand, sondern, wie es bei den Matrosen
Sitte ist, von _Leder_, das, wie Ihr wissen werdet, so leicht das Wasser
nicht hindurch läßt. Der gescheidte Knabe hatte sich dieses Umstandes
erinnert, und auf dem Wege bereits diese lederne Tasche aus seiner Hose
geschnitten, um sie, sobald er Wasser fände, als Schlauch zu gebrauchen.
Auf diesen Gedanken war er gekommen, weil er sich erinnerte, in einer
Reisebeschreibung gelesen zu haben, daß die Spanier ihren Wein zum Theil
in Schläuchen von Ziegenleder aufbewahren. Hieraus könnt ihr ersehen, wie
förderlich es ist, wenn man beim Lesen guter Bücher auf Alles merkt und das
Gelesene seinem Gedächtnisse einzuprägen sucht.

William hatte jetzt also nicht nur helles, kühles, köstliches Wasser,
sondern auch, Dank seiner Aufmerksamkeit und Besonnenheit, ein Gefäß, um
es zu schöpfen und fortzutragen. Er schöpfte es aber nicht ohne weiteres in
seinen ledernen Schlauch oder vielmehr Beutel, sondern reinigte die Tasche
erst gehörig von dem salzigen Seewasser, von dem sie fast durchdrungen war;
dann löschte er erst selbst seinen brennenden Durst und als er fand, daß
das Wasser in seinem Beutel völlig geschmacklos war, schöpfte er ihn wieder
voll und kehrte zum Strande zurück, wo der arme Verwundete nach einem
kühlenden Trunke schmachtete. Die Menschenliebe, dieses wahrhaft göttliche
Gefühl, verlieh ihm eine ungewöhnliche Kraft, und schneller als er selbst
gedacht hatte, langte er bei dem Sterbenden an.

Dieser lag mit todtenbleichem Antlitze und festgeschlossenen Augen da;
William glaubte, daß er bereits verschieden sei und wollte sich eben
weinend neben ihn niedersetzen, als ein Seufzer den Lippen des Sterbenden
entfuhr und wieder glaubte William das Flehen um Wasser zu hören.

»Hier ist Wasser, Gott sei gedankt!« rief er laut und mit freudig bewegter
Stimme.

Der Sterbende vermochte ihm nicht zu antworten; aber er öffnete, zum
Zeichen, daß er ihn verstanden habe, die Lippen, als begehre er zu trinken.
William flößte ihm mit der größesten Vorsicht einige Tropfen Wasser ein.
Diese brachten eine so große Wirkung auf den Capitain hervor, daß er schon
nach wenigen Minuten die Augen aufschlug und seinen jungen Wohlthäter mit
dankbaren Blicken ansah.

William, welcher bemerkte, daß der Leidende sehr schlecht und unbequem
mit dem Kopfe lag, was ihm noch mehr Schmerzen verursachen mußte, sann auf
Mittel, ihm eine bequemere Lage zu geben, ohne seinen armen zerschlagenen
Körper zu bewegen. Bald hatte sein erfinderischer Geist das Nöthige
erfunden: er erinnerte sich des hohen Grases, womit der Boden in einiger
Entfernung vom Strande bedeckt war, eilte fort und schnitt mit seinem
Taschenmesser so viel davon ab, als er mit beiden Armen zu fassen
vermochte. Dies gab ein weiches, kühles und köstliches Kopfkissen ab, indem
er es behutsam unter das Haupt des Verwundeten schob.

Dieser schien jetzt, nachdem er sich gehörig an dem köstlichen,
krystallhellen Wasser gelabt, völlig wieder zur Besinnung gekommen zu sein.
Reden konnte er zwar noch nicht; allein er schaute seinen jungen Wohlthäter
mit liebevollen Blicken an und drückte ihm von Zeit zu Zeit die Hand, zum
Zeichen seiner Dankbarkeit; William bemerkte, daß ihm dabei die hellen
Thränen über die Wangen liefen.

Obgleich selbst entkräftet und fast todtmüde, dachte der gute Junge doch
nicht an sich und seine eigenen Leiden und Entbehrungen, sondern allein
an den armen Mann, der tausendmal größere Schmerzen zu erdulden hatte.
Er dachte auch nicht daran, daß eben dieser sein Feind die Ursache seines
gegenwärtigen Mißgeschicks war, sondern allein daran, wie er ihm helfen,
auf welche Weise er seine Leiden lindern könne.

Nur einige wenige Minuten ruhte er aus, nachdem er ihm das weichere Lager
für sein Haupt bereitet hatte, dann erhob er sich wieder, um einen Schutz
gegen die sengenden Sonnenstrahlen für seinen lieben Kranken zu suchen. Auf
diesem Wege fielen ihm die Bäume mit dem farrenkrautartigen Laube auf. Er
eilte auf sie zu und schnitt eine Menge von den über eine Elle langen und
halb so breiten Blättern ab, die er auf einen Haufen legte, bis er eine
gehörige Menge von Stöcken geschnitten haben würde, von denen er eine Art
von Hütte aufbauen und diese mit dem breiten Laube des Farrenkraut-Baumes
bedecken wollte. Denn Ihr müßt wissen, geliebte Kinder, daß die Pflanze,
welche bei uns an feuchten und schattigen Stellen niedrig am Boden wächst
und kaum eine Höhe von einem Fuße erreicht, in Australien zum stattlichen,
überaus schönen Baume gedeiht. Solche Farrenkraut-Bäume hatte nun unser
William vor sich; da er aber von der Pflanzenkunde wenig oder gar nichts
wußte, konnte er diese herrliche Pflanze nicht benennen; nur so viel sagte
er sich, daß sie zu dem beabsichtigten Zwecke ganz vortrefflich passe.

Vermittelst seines starken und zum Glücke sehr scharfen Messers -- es war
ein Geschenk von dem armen alten Jakob, der wohl jetzt tief im Meeresgrunde
lag und den ewigen Schlaf schlief -- schnitt er eine Menge Stecken ab
und trug sie zum Strande, wo er sie ziemlich tief in den sandigen Boden
einsteckte und über dem Körper des Verwundeten eine Art von Gerüst davon
aufbaute. Er hatte zwar weder Hammer, Bohrer noch Nägel, um die Stöcke
aneinander zu befestigen; allein er wußte sich trotz dem zu helfen. Er
hatte nämlich bemerkt, daß die Frucht tragenden Halme des Grases, wovon er
für seinen lieben Kranken ein Lager für das Haupt gemacht hatte, sehr stark
und zäh waren, und so bediente er sich derselben statt der Stricke, um
die Stäbe aneinander zu binden. Dabei kam ihm wieder die Aufmerksamkeit zu
statten, die er von jeher allen ihm begegnenden Dingen und Sachen schenkte.
Seine Mutter war früher mehrere Male um die Erndtezeit mit ihm ins Feld
gegangen und da hatte er bemerkt, daß die Garbenbinderinnen eine Handvoll
Stroh zusammendrehten, um damit die Garben zu binden. Ebenso verfuhr er
mit den ziemlich langen und sehr zähen Grashalmen, die auf solche Weise
behandelt, die ihm fehlenden Stricke vollkommen ersetzten.

Als sein Gerüst aufgebaut war, holte er das Farrenkraut und bedeckte seinen
Bau mit den breiten Blättern desselben. Es nahm sich fast so aus, wie die
Lauberhütten der Israeliten und gewährte nicht nur dem Leidenden
Schutz gegen die brennenden Sonnenstrahlen, sondern auch, als die Sonne
untergegangen war, gegen die eintretende Kühle der Nacht.

Unter diesen liebevollen Bemühungen des guten Knaben war es Abend geworden.
Die Sonne hatte bereits ihre Laufbahn vollendet und war am westlichen Rande
des Horizonts ins Meer hinabgesunken. Der Verwundete lag in einer Art von
Halbschlummer, aus dem er aber von Zeit zu Zeit erwachte, um Wasser zu
fordern. Daß er dem Schmachtenden dieses immer geben könne, auch dafür
hatte unser William auf eine sinnreiche Weise gesorgt, indem er an seiner
Ledertasche einen Stiel befestigte; er hatte nämlich oben am Rande zwei
Löcher hineingebohrt, durch die er einen ziemlich langen Stecken schob, und
indem er das untere Ende des Steckens schräg in die Erde steckte, erhielt
sich sein Wassergefäß schwebend, so daß kein Tropfen verloren ging.

Auf diese Weise hatte unser Freund nun freilich für das nächste Bedürfniß
seines lieben Verwundeten gesorgt; allein wer sorgte für das seinige? Es
meldete sich nämlich bald ein böser Gast bei ihm: der Hunger, und er hatte
nichts, um ihn zu befriedigen. An einer reichlich besetzten Tafel ist der
Hunger ein höchst willkommener Genosse, der alle Speisen würzt; allein in
der Einöde, wo es an allen Mitteln fehlt, ihn zu befriedigen, da macht er
sich nicht wenig unangenehm.

Dies empfand unser William jetzt, und er faßte oft an seinen armen Magen,
der anfing, gewaltig zu knurren.

»Ach!« seufzte er, den Blick auf das schöne Gras werfend, welches in
reichster Fülle rund umher stand, »wie glücklich, wer doch hier ein Pferd
wäre!«

Es war indeß schon zu spät, noch auf die Entdeckung eines menschlichen
Nahrungsmittels auszugehen und so legte er sich mit dem frommen Spruche:
»der liebe Vater im Himmel wird schon helfen!« auf den Sand neben seinen
Kranken nieder und schlief bald ein.

[Illustration: ~Seite 71.~]




Neuntes Kapitel.


Nicht lange konnte unser junger Freund schlafen, indem ein immer stärker
werdendes Aechzen des neben ihm ruhenden Capitains ihn weckte. Er fuhr
empor, rieb sich die Augen und sah sich nach allen Seiten um. Die erst
anbrechende Morgendämmerung ließ ihn die ihn umgebenden Gegenstände kaum
noch erkennen und ein angenehmer Traum hatte überdies seine Gedanken
verwirrt. Ihm träumte nämlich, daß er wieder in der geliebten Heimath, im
Arme seiner theuren Mutter sei, die ihn unter Freudenthränen willkommen
hieß, und ihm das Versprechen abnahm, daß er sie nicht wieder verlassen
wolle. Auch er hatte im Traume Thränen der Freude und Rührung vergossen,
und seine Augen waren beim Erwachen noch feucht davon.

Das immer lauter und schmerzlicher werdende Aechzen des armen Leidenden
neben ihm entriß ihn bald seinen angenehmen Vorstellungen und machte ihn
darauf aufmerksam, wo er sich befinde. Er sprang schnell auf und trat zu
der über dem Körper des Capitains gemachten Laubhütte, außerhalb deren er
geschlafen hatte, weil nur Raum für _eine_ Person darin war. Er machte
sich die bittersten Vorwürfe, daß er hatte schlafen können, während
ein menschliches Wesen so entsetzlich neben ihm litt, und doch war es,
besonders bei seinem Alter, so natürlich, daß er nach den gehabten großen
Anstrengungen in Schlaf verfiel.

»Wie ist Ihnen, Herr Capitain?« fragte er mit vor Mitleid bebender Stimme,
»und kann ich Ihnen mit irgend Etwas zu Hülfe kommen?« Er vergaß in dem
Augenblick seine gänzliche Hülfslosigkeit und daß er dem Leidenden nichts
zu bieten habe, als höchstens einen Trunk Wasser aus der entdeckten Quelle.

Er erhielt längere Zeit keine Antwort auf seine Frage; dann sagte der
Capitain mit kaum vernehmbarer Stimme:

»Laß mich in Ruhe sterben! -- Es ist der Tod, mit dem ich kämpfe -- und er
ist bitter -- bitter, wenn man nicht so gelebt hat, wie man gesollt hätte.
O meine arme Frau! -- mein liebes Kind! -- und auch Du, armer Junge!« Er
konnte nicht weiter reden; ein lautes Schluchzen unterbrach seine Worte,
und auch William, dem sich das Herz in der Brust krampfhaft zusammenzog,
vermochte kein Wort hervorzubringen.

»Ja! Ja!« fuhr der Capitain nach einer ziemlich langen Pause fort; »ja, nun
kömmt's! Ich wollte in meinem wüsten Leben immer nicht daran glauben, daß
eine Stunde kommen würde, wo ich mit Abscheu auf mich selbst, mit Zittern
in die Zukunft blicken würde, und nun ist sie doch da! und nun greift die
Furcht vor dem unbestechbaren Richter da oben, vor den Strafen, die mich
Jenseits erwarten, nach meinem Herzen und ich zittere wie ein armer Sünder,
den man zum Hochgerichte führt. -- Ich verspottete früher das Alles -- ich
glaubte weder an Gott, noch an Tugend! ich sprach der letztern Hohn und
fröhnte unbedachtsam meinen wilden Trieben; ich spottete über die, die es
anders, besser machten, und nun ist die Hölle in meinem Herzen, und nun, wo
ich nichts mehr gut machen, mich nicht mehr bessern, reinigen kann, nun
muß ich verzweifeln!« Er verzerrte bei den letztern Worten so grausam die
Mienen seines Gesichts, daß William, der in Thränen zerfließend neben ihm
kniete, entsetzt aufsprang und gern weit, weit weg geflohen wäre.

Der Sterbende wurde jetzt still und William trat ihm schüchtern wieder
näher. Mit andächtig gefalteten Händen stand er neben dem Verzweifelnden
und schickte heiße Gebete für sein Seelenheil zum Himmel empor.

Nach einer ziemlich langen Pause rief der Capitain, indem er die Augen weit
aufriß und William damit anstarrte.

»Wo bist Du? Ich sehe Dich ja nicht mehr? Hast auch Du mich verlassen, und
willst mir in meiner Sterbestunde nicht beistehen?«

»Ich bin hier, Herr Capitain,« antwortete ihm William schluchzend; »ich
habe Sie nicht verlassen und werde nicht von Ihnen weichen. O könnte ich
doch mit meinem armen Leben das Ihrige retten!« fügte er mit dem Tone der
Wahrheit hinzu.

»Guter Knabe!« erwiederte ihm der Sterbende mit einer Stimme, die vor
Rührung brach; »guter Knabe, ich habe so viele Liebe und Treue nicht von
Dir verdient. Ich handelte auch gegen Dich schlecht -- ich war hart, war
grausam gegen Dich; das kleinste Versehen brachte mich in Zorn und zog Dir
Strafe zu -- O!«

»Nein!« rief William, indem er mit seiner heißen Hand nach der bereits
erkaltenden des Capitains griff, »nein, Herr Capitain, Sie sind so hart
nicht gegen mich gewesen, wie Sie selbst sich jetzt anklagen! Erinnern Sie
sich noch, wie Sie mir eins von Ihren Hemden gaben, als Sie entdeckten,
daß ich nur das einzige habe, was ich auf dem Leibe hatte? O, das war eine
große Wohlthat, die Sie mir erwiesen, und so lange ich lebe, werde ich
derselben dankbar gedenken.«

»Das ist ein kleiner Trost,« versetzte der Sterbende; »ich war also doch
nicht allzu hart auch gegen Dich? Ich hinterlasse doch ein Herz, das nicht
in Haß gegen mich schlägt, sondern mir vielmehr dankbare Gefühle weiht? O,
wie süß muß es sein, sich in der Sterbestunde sagen zu können: ich that
so viel Gutes, als ich vermochte; ich entpreßte keinem Auge Schmerzens-,
vielen aber Freudenthränen; ich freute mich mit den Glücklichen, weinte mit
den Kummervollen; ich handelte nach dem Gebot des Evangeliums und war ein
guter Christ und Mensch! -- Könnte ich nur noch einmal von vorne anfangen,
wie ganz anders sollte es werden, welch ein gottgefälliges Leben wollte ich
führen!« fügte er nach einer langen Pause hinzu. »Aber nun ist es aus --
das Ziel, von dem es keine Umkehr mehr gibt, ist erreicht -- ich muß
vor meinen Richter da oben treten und die Handlungen meines Lebens
verantworten! O!« -- --

Seine Stimme brach und Thränen schossen ihm aus den Augen hervor, in denen
die Sehkraft bereits erloschen war. Ein Mitleid, wie William es in seinem
Leben noch nicht empfunden hatte, ergriff sein Herz; er erfaßte die bereits
gänzlich erstarrte Hand des Sterbenden und sagte schluchzend:

»Bedenken Sie, lieber Herr Capitain, daß unsere heilige Religion unsern
Gott nicht blos einen gerechten, sondern auch _gnädigen_ Gott nennt
und sagt, daß der bereuende Sünder Gnade vor seinen Augen finden werde.
Vertrauen Sie diesen tröstenden Worten und sterben Sie in Frieden.«

»Dank! Dank! Dir für diesen tröstlichen Zuspruch,« versetzte der Sterbende;
»und nun reiche mir Deine Hand, die ich noch fühlen werde, wenn schon mein
Auge Dich nicht mehr sehen kann, weil der herannahende Tod seine Sehkraft
gelähmt hat; reiche mir Deine Hand und gib mir auch noch den Trost mit auf
die große Reise, daß Du mir vergeben hast, was ich an Dir frevelte; dies
wird mir den sonst so schweren Tod doch in Etwas erleichtern.«

»Sterben Sie meinetwegen in Frieden,« versetzte William, indem er seine
Hand innig drückte, »und möge Gott Ihnen nicht mehr zürnen, als ich es
thue.«

»Du bist ein guter Knabe;« war die gerührte Antwort des Sterbenden;
»bleibe wie Du bist, werde immer besser und gedenke so lange Du lebst
der Sterbestunde und der Verzweiflung eines sündhaften Menschen. Wenn Du
kannst, so sage mir ein Gebet oder ein frommes Lied her, unter dem meine
Seele hinüberschlummere in das bessere Jenseits.«

William besann sich einige Augenblicke auf ein passendes Gebet oder ein
tröstendes Lied; endlich fiel ihm das herrliche Gedicht von einem großen
deutschen Dichter, _Klopstock_, ein, welches so anfängt:

  »Auferstehn, ja auferstehn
  »Wirst Du
  »Mein Staub nach kurzer Ruh!
  »Unsterblich Leben
  »Wird der Dich schuf
  »Dir geben:
  »Gelobt sei Gott!«

und da er es gänzlich auswendig wußte, sagte er es mit gerührter Stimme
her. Die eben noch so schmerzlich verzerrten Züge des Sterbenden nahmen
nach und nach einen mildern, freundlichern Ausdruck an; die bisher starr
vor sich hinsehenden, bereits gebrochenen Augen schlossen sich und die
Lippen bewegten sich leise, indem sie das herrliche Gedicht nachsprachen.

Es war ein großer, feierlicher Augenblick. Die Sonne ging blutroth am
fernsten östlichen Rande des Horizontes auf und bestreute die Meereswellen
mit Gold und Purpur. Die feierlichste Stille herrschte rings umher und
nichts wurde gehört, als das Rauschen der Wellen, die, nachdem sich der
Sturm gelegt, wie spielend an das Ufer kamen und sich an den Steinen und
Muscheln des Strandes brachen.

Endlich war William mit dem Hersagen seines Gedichts und der arme Capitain
mit dem Leben fertig: er hatte ausgelitten und es blieb jetzt nichts mehr
von dem vor Kurzem noch so thatkräftigen Manne übrig, als eine leblose
Hülle. Wohl ihm, wenn der Ruf der Tugend und Frömmigkeit, wenn gute, edle
Thaten ihn überlebt hätten! Wie fröhlich und getrost hätte er dann
eingehen können in das Reich Gottes, wie zuversichtlich vor den Thron des
unbestechlichen Richters treten!

William wußte nicht, daß er todt sei und hielt den Todesschlaf für einen
gewöhnlichen Schlummer. Zwar fiel ihm die große Veränderung auf, die mit
den Gesichtszügen des Sterbenden seit einigen Minuten vorgegangen war;
allein er, der noch niemals einen Todten gesehen hatte, wußte nicht, was
dieses zu bedeuten habe, und da er den vermeintlich Schlafenden nicht
stören wollte, sich auch das Bedürfniß des Hungers wieder mächtig bei ihm
meldete, stand er leise vom Boden auf und entfernte sich von der Leiche,
um, wo möglich, irgend einen Gegenstand zu suchen, durch den er sich
sättigen könnte.

Er schlug den ihm bereits bekannten Weg zur Quelle wieder ein und kam
endlich zu einer Gruppe von Bäumen, die ihm schon aus der Ferne bekannt
vorgekommen waren; als er ihnen näher kam, sah er, daß er sich in seiner
Voraussetzung nicht geirrt habe: es waren _Akazien_, die er erblickte.

»Akazien?« höre ich Euch, meine Geliebten, rufen. »So war das Schiff durch
den Sturm wohl wieder nach Europa verschlagen worden? Denn in unsern Gärten
stehen Akazien und erfüllen im Frühlinge die Luft mit dem Dufte ihrer
herrlichen schneeweißen Blüten.«

»Allerdings,« antworte ich Euch auf Eure Frage, »haben wir die Akazie in
unsern Gärten; allein sie sind nicht heimisch bei uns, sondern aus andern
Welttheilen, namentlich aus Australien, dem fünften Welttheile zu uns
herübergebracht. Wir haben auf diese Weise uns eine Menge von Bäumen
und schönen Zierpflanzen angeeignet, unter andern auch die segensreichen
Fruchtbäume, die größtentheils aus Asien herstammen. Die Akazie verpflanzte
man nun zwar nicht ihrer labenden Früchte wegen auf unsern Boden, sondern
weil sie ein überaus schönes Ansehen, einen hohen, schlanken Wuchs, eine
schön gebildete Krone und ein überaus anmuthig geformtes, hellgrünes,
gefiedertes Laub, vor allen Dingen aber köstlich duftende Blüten hat. Sie
ist eine Zierde unserer Gärten und öffentlichen Plätze, obgleich sie bei
uns die Schönheit und Pracht nicht erreicht, die sie in ihrem heimathlichen
Lande zur Schau trägt.«

William war nicht wenig erfreut, auf so gute Bekannte in einer so
entfernten Gegend zu stoßen und sah die prächtigen Bäume mit wahrem
Entzücken an, obschon er glaubte, daß sie ihm keine Nahrung darbieten
würden. Darin aber hatte er sich geirrt, denn als er die vor ihm
stehenden Bäume genauer betrachtete, sah er, daß fast aus jedem Zweige ein
krystallhelles Gummi hervorgeschwitzt war, das vollkommen dem arabischen
glich, und da er sich erinnerte, gehört zu haben, daß ein solches Gummi
sehr vielen Nahrungsstoff enthalte, bog er einige Zweige zu sich herab und
sammelte eine Handvoll Gummi, das ohne allen Geschmack war und ihm sehr
leicht auf der Zunge verging. Zwar konnte er sich an diesem Nahrungsmittel
nicht vollkommen sättigen; allein schon nach wenigen Minuten ließen die
Schmerzen in seinem völlig ausgehungerten Magen nach und ein Gefühl von
Wohlbehagen trat an die Stelle desselben, das noch vermehrt wurde, als
er vermittelst seines mitgenommenen Beutels einen frischen Trunk aus der
schönen Quelle geschöpft hatte.

Jetzt, wo sein dringendstes Bedürfniß wenigstens einigermaßen gestillt war,
dachte er wieder an seinen lieben Kranken und in der Hoffnung, daß auch
ihm vielleicht beim Erwachen mit einem Nahrungsmittel gedient sein dürfte,
sammelte er noch eine gute Handvoll von dem Gummi, füllte seine Ledertasche
mit Wasser an und wanderte dem Strande wieder zu.




Zehntes Kapitel.


Der Capitain lag noch, als er bei demselben anlangte, ganz in der Stellung,
in der er ihn verlassen hatte. Sein Gesicht war aber wachsbleich geworden
und seine leichtgekrümmten, über der Brust liegenden Finger hatten dieselbe
Farbe angenommen. Einen höchst widerwärtigen Eindruck machte es auf ihn,
daß eine Menge geflügelter Insekten seinen armen Freund umflogen und
sich mit Gier auf die verwundeten Stellen seines Kopfs und Gesichts
niederließen, von denen sie das Blut zu saugen schienen. Er verjagte sie
mit einem breiten und langen Blatte des Farrenkraut-Baumes, das er vom
Dache der Hütte abgenommen hatte; allein sie ließen sich nicht vertreiben
und kamen immer und immer wieder. Der Capitain aber ließ alles mit sich
geschehen, und rührte kein Glied, zuckte nicht einmal mit den Augenwimpern.

»Ach!« sagte jetzt William, nachdem er ihn lange mit Aufmerksamkeit
betrachtet hatte, mit schmerzlich bewegter Stimme: »ich glaube, er ist
todt!«

Um sich zu überzeugen, ob er es sei, knieete er neben ihm nieder und faßte
nach seiner Hand; sie war eiskalt und steif; die Arme und Finger hatten
ihre Beweglichkeit verloren; die Brust hob sich nicht mehr wie beim Athmen;
die Augen waren fest geschlossen und der Mund stand etwas offen.

»Ja, er hat ausgelitten, er ist todt!« rief jetzt William, dem ein Strom
von Thränen über die Wangen schoß; »er ist wirklich todt und ich bin jetzt
ganz allein auf der großen, weiten Erde!«

Der Gedanke hatte etwas so Entsetzliches für ihn, daß seine Thränen heißer
strömten und er in laute Klagen ausbrach. Niemand trocknete diese Thränen
von seinen Wangen; keine menschliche Stimme redete Worte des Trostes
zu ihm: er war allein, verlassen von aller Welt; Keiner theilte seinen
Schmerz, Keiner würde sich seiner Freude freuen.

Zum ersten Male im Leben begriff er, welche Wohlthat Gott uns Menschen
schon allein dadurch erzeigt hat, daß er uns in der Gesellschaft Anderer
aufwachsen läßt; daß er uns Eltern, Geschwister, Genossen gab. Er hatte
daran nie zuvor gedacht und, wenn gleich Gott für sehr viel Gutes, doch
dafür niemals aus der Fülle der Seele gedankt.

Der Anblick der Leiche erfüllte ihn endlich mit einem Gefühle von Grauen,
über das er nicht Herr zu werden vermochte. Aber wohin mit ihm? wie ihn,
da er kein anderes Geräth, als sein Taschenmesser besaß, ein Grab bereiten?
Sie unbestattet am Strande liegen, sie die Beute habsüchtiger Insekten
werden zu lassen, dagegen sträubte sich sein Gefühl. Er konnte freilich
von dannen, tiefer in das Land hineingehen und für die Folgezeit diesen
traurigen Ort vermeiden; allein das würde ihn nicht beruhigt haben; er
mußte, um sich zufrieden geben zu können, die Leiche dem heiligen Schooße
der Erde anvertrauen, damit sie, wie es in der Schrift heißt, wieder zur
Erde würde.

Bald hatte sein erfinderischer Geist ein Hülfsmittel ersonnen. Es bedurfte
jetzt, da sein armer Genosse todt war, keiner Hütte zu seinem Schutze mehr;
er riß also einen der stärkern Stäbe, die das Laubdach stützten, aus
dem Boden und bediente sich seiner statt einer Schaufel. Die Arbeit war,
besonders bei dem heißen Sonnenbrande -- denn es war in Australien Sommer,
während in Europa noch Schnee und Eis zu sehen war -- sehr mühsam und ging
nur langsam von statten, da der Stecken eine Schaufel oder ein Grabscheit
nur sehr unvollkommen ersetzte, allein seine Ausdauer überwand alle
Schwierigkeiten und der überaus lockere, so nahe am Meere sandige Boden
unterstützte ihn bei der Arbeit, so daß gegen Abend ein Loch bereitet war,
in das er den Körper des Verstorbenen zu senken vermochte. Er bedeckte
diesen dann nothdürftig mit der ausgeworfenen Erde und zum Ueberflusse auch
noch mit den Stäben und Blättern, die seither zur Hütte gedient hatten.

Als das Grab fertig und diese heilige Pflicht von ihm erfüllt war, machte
er, zur Bezeichnung der Stätte, wo die irdischen Uebereste des Capitains
ruhten, aus zwei kreuzweis zusammengebundenen Stäben ein Kreuz und pflanzte
es neben dem Grabe in den Boden.

Seine Kräfte waren völlig erschöpft, als er mit dieser mühsamen Arbeit
endlich fertig war. Zwar hatte er sich dadurch zu stärken und den Hunger
vom Leibe zu halten gesucht, daß er von Zeit zu Zeit ein Stück von dem
mitgenommenen Gummi in den Mund nahm und dazu einen Schluck Wasser trank;
allein dieses leichte Nahrungsmittel reichte für die Länge nicht aus,
besonders bei so schwerer Arbeit nicht, und sein Magen zeigte ein
dringendes Verlangen nach einer nahrhafteren, festeren Speiße. Woher
sie aber nehmen? wo sie aufsuchen? Das wußte er sich nicht zu sagen
und wünschte sich jetzt den ledernen Riemen der Kaffern, von dem er am
Vorgebirge der guten Hoffnung erzählen gehört hatte, um sich den bellenden
Magen damit zusammen zu schnüren. Er verzweifelte zwar nicht daran, daß er
noch so glücklich sein würde, eine consistentere Nahrung, und wenn es auch
nur eine eßbare Wurzel wäre, zu finden; allein seine gänzlich erschöpften
Kräfte und die wenige Zeit, die ihm noch bis zum völligen Anbruche der
Nacht übrig blieb, reichten nicht dazu aus, sie zu suchen: hatte er doch
kaum noch so viele Kraft, den Ort, wo die Leiche ruhte, zu verlassen und
den Platz unter den Akazien zu erreichen, wo er die Nacht zuzubringen
beschlossen hatte.

Der Boden war hier hart, da, wie schon gesagt, das ziemlich hohe Gras nicht
wie bei uns dicht neben einander, sondern in einzelnen Büscheln stand; auch
bedeckten weiche Moose den Boden nicht, wie in Europa an schattigen Orten;
denn bis jetzt hat man, so viel mir bekannt, noch keine Moose in Australien
entdeckt; aber trotz dem verfiel unser Freund bald in einen tiefen Schlaf;
denn dem Müden ist leicht gebettet und hätte der Hunger und die auf sein
Gesicht fallenden Sonnenstrahlen ihn nicht früh geweckt, so würde er wohl
bis zum hellen Mittage auf seinem harten Lager geschlafen haben.

Sein erstes Geschäft nach dem Erwachen war, Gott für den ihm in der Nacht
gewährten Schutz und guten Schlaf zu danken. So hatte seine Mutter es
ihn gelehrt, und obgleich er jetzt durch mehrere tausend Meilen von ihr
getrennt war, so behielt er diesen frommen Gebrauch doch bei. Nachdem er
gebetet hatte, ging er zur Quelle, erfrischte sich durch einen Trunk daraus
und wusch sich dann Gesicht und Hände in der krystallhellen Fluth. Ihm
war so wohl und leicht dadurch geworden, daß er aller schweren Sorgen sich
entschlug und seinem Vater im Himmel gänzlich vertraute.

Der Morgen war so schön, wie man sich ihn nur denken kann. Die Sonne stand
an einem hohen, tiefblauen, völlig wolkenlosen Himmel; die Erde war mit
köstlichem Grün und einer Menge noch nie zuvor gesehener Blumen bedeckt;
die durch die Nachtluft erfrischten Bäume hauchten einen winzigen Duft aus
und bunte Vögel schüttelten ihr Gefieder in den Zweigen derselben, indem
sie zugleich ihr Morgenlied zum Lobe des Schöpfers aller Dinge erschallen
ließen.

William hatte, da ihn nichts an den Platz unter den Akazien fesselte, seine
Wanderung wieder angetreten und ging, in der Hoffnung, irgend etwas Eßbares
zu finden, tiefer ins Land hinein; konnte es ihm doch gleichviel sein,
wohin er wanderte.

Auf dieser Wanderung fiel es ihm nicht wenig auf, daß er die Stämme
mehrerer ihm unbekannten Bäume völlig von ihrer Rinde entblößt erblickte.
Diese lag, wie von der Hand eines Baumschänders abgeschält, unter den
Bäumen. Noch auffallender aber war es ihm, daß trotz dem die Krone der
Bäume so frisch und grün war, als wäre dem Stamme nichts geschehen. Er
wußte, daß bei uns Bäume absterben, deren Stamm man frevelhafter Weise
abgeschält hat, und staunte so nicht wenig, hier das Gegentheil zu finden.
Unser Freund wußte damals noch nicht -- in der Folge erfuhr er es durch
angestellte Beobachtungen -- daß in Australien die meisten Bäume gegen den
dortigen Frühling, der um die Zeit unseres Herbstes fällt, die Rinde von
selbst abstreifen, sich also gleichsam wie unsere Krebse und Schlangen
_häuten_, und daß unter der alten, abgestorbenen Rinde schon eine neue,
zarte, dem Auge kaum bemerkbare sitzt.

Indem seine Blicke nun überall sorgfältig umher spähten, um wo möglich ein
Nahrungsmittel zu entdecken, fiel ihm ein anderer Baum auf, dessen Wuchs
dem unserer Kirsche glich und der bei ganz ähnlichen Blättern auch eine
ähnliche, hochrothe Frucht trug, nur mit dem Unterschiede, daß der Kern,
oder wie wir die holzige Hülle des Kerns nennen, der _Stein_, statt im
Innern der Frucht, an der Seite nach _außen_ saß. Dies fiel ihm so auf,
daß er lange in Betrachtung dieser wunderbaren Erscheinung stehen blieb.
Endlich wagte er es, auf die Gefahr hin, vielleicht eine giftige Frucht
zu genießen, denn das war leicht möglich, da er sie nicht kannte, eine
Handvoll davon zu pflücken und sie zu verzehren. Sie hatte allerdings im
Geschmacke einige Aehnlichkeit mit unserer Kirsche, allein sie war herber
und nicht eben angenehm: trotz dem erfrischte sie ihn und da er, nachdem
er einige Zeit unter dem Baume ausgeruht hatte, keine üble Wirkung davon
verspürte, wagte er es, sich völlig satt an diesen Kirschen zu essen. Der
Baum war allerdings die _australische Kirsche_.

Als er, etwas gestärkt durch die festere Nahrung, seine Wanderung weiter
fortsetzte, nahm er wahr, daß die Stämme vieler Bäume, namentlich ältere,
völlig hohl waren. Man findet zwar auch in andern Welttheilen hohle Bäume,
aber deren lange nicht so viele, als er hier fand. Diese Erscheinung
rührte, wie er späterhin wahrnahm, von zwei Arten in Australien häufig
vorkommenden Ameisen, den weißen und den schwarzen, her. Die weißen werfen
sich zuerst auf einen solchen Baum, den sie sich zum Sitze ausersehen
haben, und bohren ihn von unten bis oben voll Löcher, so daß er fast zum
Siebe wird. Haben Sie ihre Brut gemacht, so folgen ihnen die schwarzen
nach, die die von ihnen gemachten Löcher wieder so genau mit Erde
ausfüllen, daß kein einziges leer bleibt. Aber die so durchbohrten Theile
des Stammes sterben mit der Zeit ab und dies macht, daß man in Australien
so viele hohle Bäume findet. Noch auffallender dürfte es für Euch, meine
Theuren, sein, daß Reisende uns die Mittheilung machten, daß eine Menge
Bäume in Australien ein _unverbrennliches_ Holz liefern. Dies soll
daher rühren, daß das Holz sehr viele Alauntheile enthält, die dem
Verbrennungsprozesse bekanntlich hinderlich sind. Man benutzt diese
unverbrennlichen Bäume daher gern zum Zimmerholze, indem sie dem Brande
eben so gut widerstehen, als Häuser es thun würden, die ganz von Stein
aufgeführt wären.

Auch Mannabäume -- der Botaniker nennt sie in der Kunstsprache =Eucalyptus
mannifera=, welchen Namen Ihr Euch merken mögt -- fand unser William auf
seiner Wanderung; er kannte aber weder ihren Namen, noch wußte er, daß
man dieses, in Flocken an den Bäumen hängende Harz in unsern Apotheken als
Arzneimittel gebraucht. Ein Glück war es für ihn, daß er dießmal nichts
davon genoß, denn es ist ein tüchtiges Abführungsmittel, wie er späterhin
gewahr werden sollte, als er sich in einer Anwandlung von Naschhaftigkeit
zum Genusse dieses süßlichen Saftes verleiten ließ.

Zu seinem nicht geringen Erstaunen fand unser William hier, wo Alles
so ganz anders, als in Europa war, eine gute alte Bekannte, die Nessel
nämlich. Als er sie erblickte, glaubte er, doch vielleicht eine andere, nur
der äußern Form nach ähnliche Pflanze vor sich zu haben, auch war sie hier
viel größer und üppiger; als er sich aber bückte, um sie leise anzurühren,
entdeckte er, daß sie ganz dieselbe Eigenschaft besitze, wie die
europäische: er verbrannte sich nämlich recht derb die Hand, an der gleich
eine Menge von Pusteln aufliefen, die heftig juckten. Hätte er die Nessel
nur recht derbe angegriffen, so würde das nicht geschehen sein, denn dann
würden die feinen Härchen, womit Blatt und Stengel dieser Pflanze übersät
sind und die durch ihr Eindringen in die Haut eben die Pusteln und das
lästige Jucken hervorbringen, von seinen Fingern _niedergedrückt_ worden
und hätten ihm nicht schaden können. Den Versuch könnt Ihr jederzeit in
unsern Gärten und Feldern machen.

Da das Jucken von der unvorsichtig berührten Nessel fast unerträglich war
und William sich erinnerte, daß man es durch Eintauchen in kaltes Wasser
lindern könne, sah er sich nach seiner lieben Quelle um: wo aber war die
jetzt? Vergebens durchsuchte er die Stellen, wo das Gras etwas dichter, als
an den übrigen stand; vergebens durchstreifte er, trotz seiner Müdigkeit,
noch eine große Strecke: die Quelle war wie verschwunden und er entdeckte
auch keine andere, wenigstens für den Augenblick nicht.

Das war denn sehr traurig für unsern armen jungen Freund. Wenn er das
lästige Jucken auch geduldig ertragen hätte, so stellte sich doch ein so
brennender Durst bei ihm ein, daß er ihn mit den Kirschen, deren er noch
einige fand, nicht zu löschen vermochte, um so weniger, da hier diese
Frucht weder so angenehm schmeckend, noch saftig war, wie in Europa.

Zu dieser großen Plage gesellte sich bald eine zweite: eine so große
Ermüdung, daß seine Beine ihn nicht weiter zu tragen vermochten. Dabei
brannten seine Füße wie Feuer, da sie stets auf einem fast glühend heißen
Boden fortgewandelt waren. Zwar war dieser, wie schon gesagt, mit Gras
bedeckt; allein es stand in einzelnen Büscheln ziemlich weit auseinander
und ließ große freie Zwischenräume, auf die William treten mußte, wenn er
nicht alle Augenblicke über die sehr hohen Grasbulte stolpern wollte. Die
Ursache, weßhalb das Gras in Australien, trotz der so außerordentlichen
Fruchtbarkeit des Bodens, nur in einzelnen Büscheln steht, ist die, daß
es hier nur sehr wenige Arten von Futterkräutern gibt, während ein
Naturforscher, _Sainclair_, auf einen Quadratfuß Wiesenland in England zwei
und zwanzig Arten davon entdeckte. Diese große Verschiedenheit der Gräser
bewirkt, daß der Rasen in unserm Welttheile so dicht und schön ist; denn
jedes dieser Kräuter zieht _andere_ Nahrungsstoffe aus der Erde an sich,
folglich können sie sehr gut neben einander bestehen, ohne sich in Hinsicht
der Nahrung zu beeinträchtigen. Ich will Euch, meine Geliebten, dies durch
ein Beispiel zu erläutern suchen. Gesetzt, man sperrte zwei oder
drei verschiedenartige Vögel in einem Käfige ein und gäbe ihnen
verschiedenartiges Futter in hinlänglicher Menge, so würden sie recht gut
neben einander bestehen und sich lange ernähren können, wenn der eine Vogel
diese, der andere jene Körner zu seiner Nahrung erwählte; würden aber alle
nur die _eine_ Sorte von Körnern fressen wollen, so würde der Vorrath bald
aufgezehrt sein und Mangel für alle entstehen. Aus eben dem Grunde gedeiht
der nur mit sehr wenigen Grasarten bedeckte australische Rasen nicht so gut
wie der unsrige.

Nachdem William noch über eine Stunde gelaufen war, um seine geliebte
Quelle oder auch eine andere wieder zu finden, wollten seine Kräfte
zum fernem Umherlaufen nicht mehr ausreichen und er sank in tödtlicher
Ermattung unter einem großen Baume nieder, der ihm wenigstens einigen
Schatten gewährte. Die Plage, welche der brennende Durst ihm verursachte,
war so groß, daß er sich zuerst von seinem bisherigen Muthe verlassen
fühlte und sich hinsetzte und bitterlich zu weinen anfing. Was sollte
auch in der That aus ihm werden, wenn er kein Wasser mehr fände, um seinen
brennenden Durst zu löschen.

Da aber nichts so leicht müde macht, als das Weinen, und er überdies durch
das lange Umherstreifen in der brennenden Sonnenhitze völlig ermattet war,
fiel er bald in einen tiefen Schlaf und vergaß, wenigstens auf einige Zeit,
seine Leiden.

O, welche Wohlthaten der Natur oder vielmehr der Gottheit sind Wasser und
Schlaf, und wie Wenige danken doch ihrem himmlischen Vater für beide
großen Gaben! Nur der Verschmachtende, der plötzlich eine frisch sprudelnde
Quelle, der Kranke, welcher nach langem, den letzten Rest seiner Kräfte
verzehrendem Wachen endlich einen erquickenden Schlaf findet, nur sie
werden vielleicht die Pflicht des Dankes gegen den Schöpfer aller Dinge
erfüllen.




Elftes Kapitel.


William würde, trotz des ihn quälenden Durstes, vielleicht noch länger
geschlafen haben, wenn die Berührung eines eiskalten Gegenstandes, der
über seine am Boden ruhende Hand hinkroch, ihn nicht geweckt hätte. Diese
Berührung weckte ihn auf und er zog die Hand, welche sie erlitten hatte,
eilig an sich. In demselben Augenblick schoß eine wohl 12 bis 14 Fuß lange
Schlange mit der größesten Schnelligkeit und wie erschreckt durch seine
rasche Bewegung durch die hohen Grasbüschel fort. Sein Schrecken bei diesem
Anblicke war, wie Ihr Euch vorstellen könnt, nicht gering, denn er wußte,
daß es viele giftige Schlangen gibt und fürchtete sich so mit Recht vor
der Nähe dieser Thiere. Seine Furcht war dießmal vergeblich gewesen, wie er
späterhin erfahren sollte. Die Schlange, welche über seine Hand gekrochen
war, war die Diamant-Schlange, die einzige _nicht_ giftige dieser Gegend,
weßhalb sie auch von den Eingeborenen als ein Leckerbissen verzehrt wird.
Ihr möchtet wohl nicht darauf zu Gaste gehen? -- Ich auch nicht.

Die Furcht, eine Beute dieses häßlichen Reptils zu werden, trieb William
nicht nur vom Boden empor, sondern sogar zur eiligen Flucht: konnten doch
noch mehrere dieser Thiere an dem Orte sein. Da der Schlaf ihn gestärkt
hatte, eilte er rasch von dannen; nach welcher Richtung? das wußte er
selbst nicht; auch konnte es ihm ja so ziemlich gleichgültig sein, da er
nun aufs Geradewohl fortlaufen mußte, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben.
Ihm war nur darum zu thun, so weit als möglich aus dem Bereiche der
häßlichen Schlangen zu kommen, vor denen er, ihrer giftigen Eigenschaften
wegen, eine große Furcht hatte. Diese war in der That so groß, daß er fast
seines Durstes darüber vergaß und erst wieder daran erinnert wurde, als
plötzlich ein Rauschen, wie von herabfallendem Wasser, an sein Ohr drang.

Er stand still, um zu lauschen; dann rief er plötzlich mit dem Tone des
höchsten Entzückens aus:

»Ja! das ist Wasser!«

Vor ihm lag ein mäßiger Hügel und obgleich, in der Ebene geboren, des
Bergsteigens nicht gewohnt, klomm er ihn so schnell hinan, als wäre er ein
Kind der Alpen. Auf der Spitze des Hügels angelangt, zeigte sich seinen
Blicken ein entzückendes Schauspiel. Zwischen einer Reihe mäßiger Hügel lag
ein schönes, mit dem lieblichsten Grün bekleidetes, den herrlichsten, nie
zuvor gesehenen Blumen besä'tes Thal, durch das sich ein silberheller Bach
murmelnd hinwand. Dieser stürzte sich von der Spitze des Hügels, auf dem er
stand, in das schöne Thal hinab und bildete, indem er von Zeit zu Zeit über
hervorspringende Felsstücke hinrauschte, die anmuthigsten Wasserfälle, von
denen ein schneeweißer Schaum emporspritzte; unten am Fuße des Hügels
aber angelangt, wurde das Wasser hell wie Bergkrystall, so daß sich der
tiefblaue Himmel darin abspiegelte.

Ein Freudenruf, nur von Gott und der schweigenden Natur gehört, entfuhr bei
diesem entzückenden Anblick den Lippen unsers jungen Freundes. Er glaubte
das Paradies vor sich zu haben, denn etwas so Reizendes, wie dieses Thal,
hatte er in seinem Leben noch nicht gesehen. Wie ein Vogel flog er den
Hügel hinunter, zu dem schönen Bache hin, legte sich an denselben nieder
und schöpfte seine erquickliche Fluth mit der Hand; er ließ sich in
seiner Freude und seinem großen Durste nicht erst die Zeit, sein ledernes
Trinkgefäß hervorzuziehen, um Wasser darin zu schöpfen, sondern bediente
sich lieber des jedem Menschen angebornen Schöpfgefäßes, der hohlen Hand,
um zu trinken. Als er seinen Durst gelöscht und somit das erste dringendste
Bedürfniß befriedigt hatte, dachte er schon an Luxus, denn so machen es die
Menschen in allen Verhältnissen des Lebens. Schnell warf er seine Kleider
ab und stand mit _einem_ Sprung mitten im Bache. Welche Erquickung, als
die kühle Fluth seine heißen Glieder berührte; aber zugleich auch welche
Unvorsichtigkeit, so erhitzt ins Wasser zu springen. Die Folgen davon
sollte er nur zu bald empfinden.

Zuerst hatte er nichts als Wohlbehagen und Erquickung davon; allein der
hinkende Bote kam nach. Als er sich gehörig erfrischt und längere Zeit im
Wasser geplätschert hatte, verließ er den Bach endlich wieder und fühlte
sich so leicht und frisch, als wäre er neugeboren. Eines Handtuchs, um
sich abzutrocknen, bedurfte er unter diesem Himmelsstriche nicht: die
liebe Sonne verrichtete dieses Geschäft in wenigen Minuten, so daß er seine
Kleider gleich wieder anziehen konnte. Vielleicht wäre selbst jetzt noch
Alles gut gegangen, wenn er sich auf die heftige und plötzliche Abkühlung
im Wasser gleich wieder in starke Bewegung, wo möglich in Schweiß gesetzt
hätte. Daran dachte aber unser Unbesonnener nicht, sondern er legte sich,
etwas ermüdet durch das genommene Bad, neben dem Stamme eines sehr großen
und schönen Gummi-Baumes nieder, dessen breite und blätterreiche Krone ihm
einen vollkommenen Schutz gegen die Strahlen der Sonne gewährten.

Er schlief nicht, denn er war nur etwas ermüdet und fühlte das Bedürfniß
des Schlafes nicht, sondern er ruhte nur und schaute mit aufmerksamem
Auge um sich, schon aus Furcht vor den Schlangen, mit denen er keine
Gemeinschaft pflegen mochte. Zu seiner nicht geringen Verwunderung sah er
zwischen dem Grase Frösche umherhüpfen, die eine schöne, dunkelgrüne Farbe,
hellgelbe Streifen über den Rücken und viele schwarzen Punkte hatten. Da
Niemand sie in dieser Wildniß störte und verfolgte, thaten sie nicht im
geringsten schüchtern, sondern krochen zutraulich heran oder hüpften dicht
neben ihm im Grase.

Noch eine andere alte Bekannte, die Eidechse, traf er hier an; sie
schlüpfte aus einem kleinen Loche in der Erde hervor und sah ihn mit ihren
klugen, glänzenden Augen so verständig an, als wolle sie eine Conversation
mit ihm anknüpfen. Wie zudringlich und wenig scheu diese Thiere, sowie auch
die Frösche waren, sollte er in der Folge in Erfahrung bringen, da sie sich
in Menge in seiner Wohnung einfanden und so bekannt mit ihm thaten, als
wären sie eingeladene liebe Gäste. Sie schliefen oft bei ihm auf seinem
Graslager, thaten ihm aber nie etwas, so daß er ganz vertraut mit ihnen
wurde und sie nicht selten mit gefangenen Fliegen und andern geflügelten
Insekten fütterte, die, wie er aus der Naturgeschichte wußte, ihre
Lieblingsspeise waren. Er sah sie auch auf die Bäume klettern; allein
zu ihrem Verderben; denn hier lauerten einige Raubvögel ihnen auf und
verzehrten sie, ohne viele Complimente zu machen.

Nachdem William allerlei Beobachtungen und Betrachtungen angestellt
hatte, erhob er sich wieder, um weiter zu wandern; denn kaum war das eine
Bedürfniß befriedigt, so meldete sich schon ein anderes, der Hunger.

Indem er so durch das reizende Thal hinstreifte, kam er zu einer Stelle,
wo das hohe Gras sichtbar niedergebrannt war, und als er etwas weiter ging,
zeigte sich ein Haufen Asche, um den einige Knochen umherlagen, seinen
nicht wenig überraschten Blicken; sogar einige halbverbrannte Holzstücke
lagen umher. Hier hatten also Menschen gehaus't; -- welche Entdeckung!

Vor Erstaunen wurzelte sein Fuß am Boden. Er bückte sich, um die Asche zu
befühlen und überzeugte sich auch durch das Gefühl, daß sein Auge ihn
nicht getäuscht habe. Hier waren demnach -- wie hätte er noch länger
daran zweifeln können? -- Menschen gewesen und hatten sich aller
Wahrscheinlichkeit nach Speise bereitet; denn wozu sonst Feuer anzünden? Es
waren vielleicht gar welche ganz in der Nähe, etwa hinter den Hügeln,
die das Thal einschlossen? Welcher Art aber waren sie? und hatte er das
Begegnen nicht viel mehr zu fürchten, als zu wünschen? Hatte er doch von
Menschenfressern unter den Wilden gehört? Er wußte nicht, ob er sich über
eine solche Nähe freuen oder betrüben sollte.

Eine andere Entdeckung, die er machte, erfüllte ihn indeß mit der reinsten
Freude. Er sah an einer Stelle eine Pflanze aus dem Boden hervorgewachsen,
deren Kraut einige Aehnlichkeit mit dem unserer Kartoffel hatte, nur daß
der Stamm höher und dicker und die Blätter etwas anders geformt waren. Um
sich zu überzeugen, ob er sich nicht in seiner Voraussetzung geirrt habe,
grub er mit seinem Taschenmesser ein Loch in die Erde und wühlte bald eine
längliche, ziemlich große Knolle daraus hervor. Der Zufall hatte ihn die
wilde Patate, die unsern Kartoffeln sehr ähnlich ist, entdecken lassen.
Wie glücklich würde ihn dieser Fund gemacht haben, wenn er zugleich Feuer
gehabt hätte, um sie zu braten; das aber fehlte ihm, und wie sich welches
verschaffen?

Die Noth indessen ist die Mutter der Erfindungen. William hatte noch nicht
lange nachgesonnen, so glaubte er es schon zu haben. Er dachte an sein
ziemlich großes, starkes, vom besten Stahl gemachtes Taschenmesser, dessen
Rücken gar füglich die Stelle eines Feuerstahls vertreten konnte. Es kam
also nur noch darauf an, einen Feuerstein und etwas Zunder zu finden,
denn um Holz durfte er nicht verlegen sein und nur zu der Brandstätte
zurückkehren, um es zu finden; auch für Zunder trug er keine Sorge: ein
Eckchen von seinem dünnen baumwollenen Taschentuche konnte gar füglich die
Stelle desselben vertreten.

Der Stein aber machte ihm Sorge und so emsig er auch suchte, so konnte er
doch keinen entdecken, der dem Kieselsteine nur entfernt ähnlich gewesen
wäre. Endlich, als er bereits die Hoffnung aufgeben wollte, das Gewünschte
zu finden, fiel ihm ein, daß er beim Baden in dem Bache auf Steinchen
getreten war und sich an einem derselben den Fuß leicht geritzt hatte: das
konnte möglicherweise ein Kieselstein gewesen sein, und er glaubte dies
um so eher, als er von Europa her wußte, daß die Bäche gern ein Bett von
Kieseln habe.

Er eilte also mit schnellen Schritten zu seinem geliebten Bache zurück,
zog Schuhe und Strümpfe aus und watete mit bloßen Füßen mitten in denselben
hinein. Es dauerte auch nicht lange, so fühlte er seine Fußsohlen wieder
von einem etwas scharfen Gegenstande berührt; er bückte sich, langte auf
den Grund des Baches nieder und brachte mit der Hand eine Menge Steine
herauf, worunter sich ein prächtiger Kieselstein befand, der fast die Form
eines Flintensteines hatte und also zu dem beabsichtigten Zwecke vollkommen
dienen konnte.

Wer war froher als er! Er trocknete den Stein, ging damit zu der
Brandstelle, sammelte die angebrannten Holzstückchen zusammen, raufte
einige Hände voll gänzlich vertrockneten Grases aus, sammelte ein Häufchen
von der abgefallenen Baumrinde, die so trocken wie Stroh war, und riß, als
er dieses Alles vorbereitet hatte, ein Stück von seinem Taschentuche ab,
das die Stelle des Zunders vertreten sollte.

Er hatte die Sache sich aber leichter gedacht, als sie in der That war:
sein Zunder taugte nichts und wenn auch wirklich ein Fünkchen auf das
baumwollene Zeug fiel und zündete, so verlosch es doch sogleich wieder.
Eine halbe Stunde und länger mühte er sich mit dem Feuerschlagen ab und
wollte schon den Gedanken aufgeben, sich Feuer zu verschaffen, als ihm
einfiel, das Stückchen Zeug zwischen zwei Steinen gleichsam zu einer Art
von Pulver zu zerreiben, was nach seiner Meinung besser zünden würde,
als das Läppchen von dem Tuche. Auch diese Arbeit war nicht ohne Mühe und
kostete viele Zeit; endlich siegte er aber doch durch Beharrlichkeit über
alle Hindernisse und siehe da! der Sieg war sein. Kaum waren ein Paar
Fünkchen in den Zunder gefallen, so glimmte das Ganze; er legte schnell
erst von dem trockenen Grase darauf und blies es zur Flamme an, dann
legte er von der Rinde dazu und endlich die gefundenen angebrannten
Holzstückchen, die bald in einer lustigen Flamme emporloderten.

Als er damit zu Stande war, holte er eine gute Hand voll von seinen
herrlichen Pataten, wusch sie an der Quelle rein und legte sie an das
Feuer, wo sie schnell brieten; ein grüner, sehr biegsamer Baumzweig, den er
wie eine Zange zusammenbog, mußte die Stelle der Feuerzange beim Umwenden
der Pataten vertreten; mit der Hand konnte er diese nicht anfassen, da sie
bereits glühend heiß vom Feuer waren.

Sein Appetit war durch den Anblick der kartoffelartigen Frucht so
gestachelt worden, daß er ihn kaum mehr zu zügeln vermochte und
wahrscheinlich -- er selbst hat nichts davon gesagt -- einige davon halbroh
verzehrte, welche Gier ihm unter diesen Umständen schon nachzusehen sein
durfte, so schlecht eine solche sonst auch für uns Menschen läßt, indem sie
uns den Thieren ähnlich macht.

Nie hat wohl dem ärgsten Prasser, dem größesten Leckermaul eine Mahlzeit,
mochte sie auch noch so ausgesucht, noch so trefflich bereitet sein,
so geschmeckt, wie dieses Gericht Pataten unserm ausgehungerten William
mundete. Er hatte weder Butter noch Fett, ja nicht einmal Salz dazu; aber
an solche Leckereien dachte der gute Junge gar nicht; überdies hatten die
Pataten einen etwas süßlichen, mehr dem Obste ähnlichen Geschmack, als
unsere gewöhnlichen Kartoffeln.

Wie schmeckte, nach eingenommenem Mahle, auch ein frischer Trunk aus
dem Bache, und wie lustig sangen buntgefiederte Vögel in den Zweigen des
Gummi-Baumes, unter dem er sich zur Ruhe niederlegte; wie dufteten Blumen
und Kräuter, die ihm zum Lager dienten; O, er wäre vollkommen glücklich
gewesen, und hätte kaum noch einen Wunsch übrig gehabt, wenn er seine
geliebte Mutter bei sich haben und ihr den Reichthum und die Herrlichkeit
dieser Wildniß hätte zeigen können.

Sein erster Gedanke, nachdem er sich unter dem Gummi-Baume zur Ruhe
niedergelegt hatte, war ein Gebet an Gott, ein heißes, inniges Dankgebet;
sein letzter, bevor er einschlief, der an seine Mutter und die theure
Heimath.

Eine empfindliche Kälte erweckte ihn gegen Morgen. Es hatte, wie es in
diesen Gegenden der Fall zu sein pflegt, stark gethaut und Gesicht,
Haare und Kleidung waren ganz naß davon. Schauder, wie von Fieberfrost,
durchströmten sein Gebein; er zitterte vor Kälte und innerem Unbehagen,
obgleich es eben nicht kalt, sondern die Luft nur etwas frischer, als
gewöhnlich war. Er wollte, trotz dem daß der Tag nur erst zu grauen begann,
aufstehen und sich durch Bewegung etwas zu erwärmen suchen; allein es
verursachte ihm große Beschwerde, sich vom Boden zu erheben. Seine Glieder
wurden steif und so wie er Hand, Fuß oder Nacken bewegte, hatte er den
empfindlichsten Schmerz auszustehen.

Trotz dem erhob er sich; allein er wäre bald wieder umgefallen, so
schwindelte ihm der Kopf, der obendrein sehr wehe that; auch wurde ihm das
Schlucken schwer. Dies waren die traurigen Folgen des kalten Badens nach
einer großen Erhitzung. Wenn es nun schon ein großes Ungemach ist, krank
zu sein, wenn uns alle erdenkliche Hülfe geleistet, jegliche mögliche
Erleichterung verschafft wird, ein wie viel größeres mußte es nicht für
unsern William sein, dem Keiner zu Hülfe kommen, den Keiner hegen und
pflegen konnte. Trotz dem raffte er sich auf und taumelte eine Strecke
fort. Alle Gegenstände drehten sich im Kreise um ihn her; das Sehen fiel
ihm schwer; sein Athem war kurz und beengt und Hände und Füße versagten ihm
den Dienst; er fühlte sich so krank, wie er noch nie im Leben sich gefühlt
hatte, selbst damals nicht, als die Masern bei ihm zum Ausbruche kamen, und
er glaubte, daß sein letztes Stündchen gekommen sei, als er in tödtlicher
Ermattung und unter den heftigsten Gliederschmerzen in der Nähe des Baches
zur Erde sank.

Erst jetzt dachte er über die vermuthliche Ursache einer so plötzlichen
Erkrankung nach, und hatte sie bald ausgefunden. Wie oft hatte seine
sorgsame Mutter ihn nicht vor plötzlicher Erkältung nach großer Erhitzung
gewarnt, und ihm die so leicht schädlichen Folgen einer solchen Erkältung
vorgestellt; wie oft hatte sie ihm nicht das Glas vom Munde genommen, wenn
er nach einem raschen Gange trinken wollte! Und jetzt hatte er an alle
diese wohlgemeinten Warnungen nicht gedacht, sondern war, fast triefend von
Schweiß, in das kalte Wasser des Baches gegangen. Mit wie vielen Leiden
und Schmerzen mußte der Arme diese Unvorsichtigkeit und ein Gefühl
augenblicklichen Wohlbehagens nicht bezahlen!

Bald wechselte der Frost, der seine Glieder geschüttelt hatte, mit einer
brennenden Hitze ab. Sein Gesicht, seine Hände, seine Fußsohlen glühten:
dabei schmerzte ihn jedes Glied seines Körpers; seine Zunge klebte vor
Durst am Gaumen fest; seine Augen waren roth und brannten wie Feuer. Er
hatte das größeste Verlangen, aus dem nahen Bache seinen glühenden Durst zu
löschen; allein er vermochte nicht aufzustehen, nicht die wenigen Schritte
bis zu demselben zu machen.

Seine Lage war in der That die schrecklichste und preßte ihm Wehklagen und
Jammern aus. Bedenkt, Kinder, was es sagen will, von aller Welt verlassen,
ohne Erquickung, ohne eine Handreichung, ja, ohne liebevollen Zuspruch, so
in einer Wüste krank da zu liegen, und schenkt unserm armen Freunde Euer
aufrichtiges Bedauern, verargt es ihm auch nicht, daß er wimmerte und
weinte. Thut ihr das doch wohl auch einmal in schweren Krankheiten, trotz
dem daß Alles liebevoll um Euch bemüht ist und die Kunst Alles aufbietet,
Euch Linderung zu verschaffen; ja, klagt und wimmert Ihr vielleicht nicht
blos -- denn das würde Euch im Uebermaße der Schmerzen schon nachzusehen
sein -- sondern werdet sogar ungeduldig und gegen Eure Umgebung undankbar
und ungerecht! Das Letztere aber ist eine Sünde; jeder Kranke sollte
dankbarer sein, als der Gesunde, weil ersterer noch weit mehr Liebe und
Sorgfalt bedarf und findet als letzterer.

Unser William konnte aber weder dankbar noch undankbar sein: es nahm sich
Keiner seiner an; keine Hand schob ihm ein weiches Kopfkissen unter
sein armes, heftig schmerzendes Haupt; keine trocknete ihm die hellen
Schweißperlen von der glühenden Stirn; keine reichte ihm den kühlen Trunk,
nach dem er schmachtete; er war allein, verlassen von aller Welt und selbst
unfähig, irgend Etwas für sich zu thun. Der arme, arme William!




Zwölftes Kapitel.


Trotz der großen Schmerzen, die es ihm verursachte, mußte der Kranke doch
aufstehen, um seinen Durst zu löschen, der endlich zu einer unerträglichen
Qual für ihn wurde, um so mehr, da er die Rolle des Tantalus zu spielen
gezwungen war und ganz in der Nähe des köstlichsten Wassers, das er rieseln
und rauschen hörte, vor Durst verschmachten sollte. Er erhob sich also;
allein seine Beine versagten ihm den Dienst und er sank mehrere Male um;
endlich erreichte er aber doch den Bach und trank nun mit vollen Zügen. Er
konnte sich nicht wieder von dem herrlichen erquicklichen Wasser trennen
und eingedenk der Mühseligkeiten und Schmerzen, die es ihm gemacht hatte,
bis zu demselben zu gelangen, legte er sich ganz in der Nähe des Baches
nieder.

Ein Glück war es für ihn, daß er keinen Hunger verspürte, wie man dies bei
Kranken in der Regel bemerkt, denn wie hätte er, der kaum seine Hände zu
rühren und keine zehn Schritte ohne die entsetzlichsten Schmerzen zu gehen
vermochte, sich Nahrungsmittel suchen sollen?

Dieser schreckliche Zustand dauerte volle drei Tage und der arme William
glaubte sich dem Tode nahe. Er würde in seiner völlig hülflosen Lage,
verlassen von aller Kreatur, völlig haben verzweifeln müssen, wenn er
nicht von seiner Mutter zur Frömmigkeit angehalten worden wäre und ein
unbegrenztes Vertrauen zu seinem himmlischen Vater gehabt hätte. Dieses
Vertrauen und ein inbrünstiges Gebet zu Gott erhielten seinen Muth aufrecht
und wurden vielleicht seine Lebensretter; denn wie sehr würde es seinen
Zustand verschlimmert haben, wenn er, statt sein Leben und Schicksal in die
Hände seines himmlischen Vaters zu legen, sich einer wilden Verzweiflung
überlassen hätte.

Seine größte Plage war die Schlaflosigkeit, die theils durch seine großen
Schmerzen, theils dadurch herbeigeführt wurde, daß er sich gar keine
Bewegung machen konnte. Da war es denn eine gute Sache für ihn, daß er
sich zeitig daran gewöhnt hatte, auf Alles Achtung zu geben, was um ihn her
vorging, denn sonst würde er die tödtlichste Langeweile gehabt haben. Am
Tage schenkte er den ihn umstehenden Gräsern und Blumen, den schöngefärbten
Schmetterlingen und Libellen, die ihn umflatterten, den Käfern und
Würmchen, die sich auf den Spitzen der Grashalme wiegten, oder am Boden
hinkrochen, seine Aufmerksamkeit und jeder Gegenstand gab ihm hinlänglichen
Stoff, Betrachtungen anstellen zu können, da Alles hier ganz anders als
in Europa war. In der Nacht beschäftigte er sich damit, die Gestirne
zu beobachten und mit seinen Blicken ihren Lauf zu verfolgen, sich die
Stellung zu bemerken, in der die einzelnen Gestirne gegeneinander standen.
Zuweilen gewährte das Flattern oder der Ruf eines Nachtvogels ihm eine
angenehme Unterhaltung; selbst das Quacken der Frösche, die am Rande des
Baches ihr eintöniges Nachtlied anstimmten, war für sein Ohr jetzt
kein unangenehmer Ton, so wenig er früher auch dieser Musik der
Sumpf-Nachtigallen Geschmack hatte abgewinnen können: belebte es doch die
sonst so schweigsame Natur!

Nachdem unser William drei volle Tage und Nächte so gelegen, ohne irgend
Etwas zu sich zu nehmen, als das Wasser, das er aus seinem lieben
Bache schöpfte, fing er endlich an, eine leise Anwandlung von Hunger zu
verspüren; dies war das erste Zeichen der wiederkehrenden Genesung und er
dankte Gott dafür, obgleich er nicht wußte, wie er den erwachenden Appetit
stillen solle; war er doch noch zu schwach, um mit seinem Messer sich
Pataten aus der Erde graben zu können, und woher hätte er vollends die
Kraft nehmen sollen, Feuer anzumachen, um sie zu braten? Er mußte sich
also einer neuen Geduldsprobe und Hungerkur unterwerfen, bis er sich wieder
etwas stärker fühlen würde. Dieser Mangel an Nahrung -- so unglaublich
diese Behauptung Euch auch klingen mag -- beförderte seine Genesung
bedeutend. Ein kranker Körper bedarf in der Regel gar keiner Nahrung, ja
sie schadet ihm in den meisten Fällen, und vermöchten alle Kranke es über
sich, die strengste Diät zu halten, so würden sie noch einmal so schnell
genesen. Zu einer solchen Enthaltsamkeit sah sich aber unser William durch
seine Lage gezwungen und erst am fünften Tage, als sein Appetit recht groß
geworden war, zwang ihn dieser, den Versuch zum Aufstehen zu machen, und
jetzt ging es.

Zwar schwankte er noch wie ein vom Winde hin und her bewegtes Rohr; zwar
drehten sich scheinbar alle Gegenstände um ihn her im Kreise, wie es bei
großer Schwäche der Fall zu sein pflegt; zwar mußte er sich nach zehn bis
zwanzig zurückgelegten Schritten erst niedersetzen, um auszuruhen; allein
es ging doch immer besser und besser und in der Zeit von einer Stunde hatte
er eine gute Strecke zurückgelegt, indem er immer dem Laufe des Baches
folgte.

Ein zwar niedriges, aber dem Anscheine nach dichtes Gebüsch zeigte sich in
einiger Entfernung. In der Hoffnung, dort vielleicht irgend etwas Eßbares
zu finden, strengte er den letzten Rest seiner Kräfte an, um es zu
erreichen. Wie belohnte sich aber diese Anstrengung nicht für unsern armen
Hungernden! Als er sich dem Gesträuche bis auf einige wenige Schritte
genähert hatte, sah er fast jeden Zweig desselben mit schwellenden,
dunkelrothen Beeren bedeckt, die traubenweise daran hingen und auf den
ersten Blick von ihm für Himbeeren erkannt wurden. Seine Schwäche gänzlich
vergessend, stürzte er auf diese labenden, duftigen Früchte zu und aß eine
gute Menge davon. Es war ein Glück für ihn, daß er keine festere Nahrung
gefunden hatte, weil er sich mit einer solchen den völlig ausgehungerten
Magen gewiß gänzlich verdorben haben würde. Jetzt aber fühlte er sich nach
dem Genusse der kühlenden und duftigen Frucht außerordentlich erquickt
und so behaglich, wie seit längerer Zeit nicht; ja, er konnte sogar ohne
allzugroße Beschwerde zu seiner geliebten Quelle zurück kehren, denn von
dieser trennte er sich nur ungern.

Es ging von nun an immer besser; ja er konnte sogar seinen Appetit wieder
an den nährenden Pataten stillen, die, nächst dem Wasser, die größeste
Wohlthat für ihn waren.

So wie er nun seine ersten Bedürfnisse befriedigt sah, dachte er bereits
auf andere. Obgleich der Himmelsstrich, unter dem er sich befand, einer
der wärmsten, mildesten der Erde war, so empfand er doch oft, des stark
fallenden Thaues wegen, Nachts ein heftiges Frösteln, besonders gegen
Morgen, wo die Nachtkühle immer am empfindlichsten ist. Er sah sich also,
so wie seine Kräfte es nur erlaubten, nach einem schützenden Obdache um,
das aber nicht allzuweit von seinem geliebten Bache entfernt sein durfte.

Er hatte mehrfach gelesen und gehört, daß manche Berge Höhlen enthielten
und seine Gedanken waren auf eine solche gerichtet. Er umkreißte also
die nächsten Hügel und war bald so glücklich, eine geräumige Höhle
zu entdecken. Der Boden derselben war zwar mit Staub und Schmutz, die
Seitenwände mit Spinnenweben bedeckt; auch zeigten viele Thierspuren,
sowohl von Vögeln als vierfüßigen Thieren, daß die Höhle diesen seither
zum Aufenthalte gedient hatte; allein der Unrath konnte leicht beseitigt
werden, und dann bot sie ihm einen willkommenen, schützenden Aufenthalt.

Ein Besen war sehr leicht gemacht, indem er eine Handvoll von den ziemlich
starken Blättern des Farrenkraut-Baumes vermittelst des zähen und langen
Grases zusammenband und in diesen Bündel einen starken Stock steckte, um
ihn gehörig handhaben zu können. Er war so ämsig bei der Arbeit und vergaß
seine gegenwärtige verlassene Lage so gänzlich, daß er sich mehrere Male
auf das Verdeck des Schiffes versetzt glaubte, wo er Arbeiten der Art zu
verrichten gehabt hatte und bald mit Diesem, bald mit Jenem der Mannschaft
eine Unterhaltung anzuknüpfen im Begriff war. Aber ach! keine Stimme
antwortete ihm, kein Auge blickte wohlwollend auf ihn: er war verlassen von
aller Welt, gleichsam abgetrennt von aller menschlichen Gesellschaft, und
mit einem tiefen Seufzer setzte er bei diesen niederschlagenden Gedanken
sein Reinigungsgeschäft fort.

Bald jedoch kehrte, zugleich mit dem unbegrenztesten Vertrauen zu seinem
himmlischen Vater, seine ihm angeborene Heiterkeit zurück und mit lauter
Stimme sang er demselben ein Dank- und Loblied. Wie angenehm wurde er bei
dieser Gelegenheit nicht überrascht, als eine andere Stimme der seinigen
gleichsam zu antworten schien. Er stand halb erschrocken, halb erfreut,
still und schaute sich nach allen Seiten um; nun aber schwieg die Stimme
und ließ sich erst wieder vernehmen, als er sein Lied fortsetzte. Jetzt
begriff er, was es war: er hatte das nahe Echo durch seine eigene Stimme
geweckt und seine eigenen Laute waren es, die, von einer etwa 60 Schritt
von ihm entfernten Felsenwand zurückgeworfen, ihm antworteten. Er lächelte,
als er diese Entdeckung machte, und diese Laute in der Einöde, dieser Ton
einer menschlichen Stimme, wenn gleich nur seiner eigenen, machten ihm so
viele Freude, daß er mehrere Male den geliebten Namen seiner Mutter, so wie
der frühern Bekannten, rief, um ihn von dem Echo wiedergegeben zu hören.
Daß er keinen menschlichen Laut in dieser ganzen Zeit vernommen, dies
hatte ihn besonders in seiner jetzigen Einsamkeit betrübt und so enthob die
Entdeckung des Echos ihn eines beklemmenden Gefühls, indem es diese Einöde
gleichsam belebte.

Endlich war unser William mit seinem Reinigungs-Geschäfte fertig und jetzt
konnte er auf ein weiches, bequemes Lager für die Nacht denken. Auf die
Entdeckung eines zu diesem Zwecke besonders sich eignenden Mooses glaubte
er verzichten zu müssen, da er auf seiner Wanderung keine Pflanze der
Art erblickt hatte; allein das hohe Gras und mehr noch die Blätter des
Farrenkraut-Baumes versprachen ihm eine erwünschte Aushülfe. Zwar machte es
ihm keine kleine Mühe, mit seinem Taschenmesser so viel Gras abzuschneiden,
als er zu einem Lager bedurfte; zwar vergoß er Ströme von Schweiß bei
dieser in der brennendsten Sonnenhitze verrichteten Arbeit; aber er ließ
doch nicht davon ab: war er doch auf dem Schiffe an eine oft eben so
ermüdende Thätigkeit gewöhnt worden. Auch stärkte ihn der Gedanke, wie süß
es sich im kühlen Schatten der Höhle, auf dem weichen, duftigen Lager ruhen
würde, bei seiner mühevollen Arbeit, und wie schmeckten ihm seine Pataten,
wie der Trunk aus kühler Quelle nach derselben.

Er war jedoch so ermüdet, daß er, als er sich mit Anbruch der Nacht zur
Ruhe niederlegte, keines Schlummerliedes bedurfte, um einzuschlafen. Wie
lange er geschlafen haben mochte, als er sich, noch mitten in der Nacht,
und in der größesten Dunkelheit, durch einen rauhen Gegenstand geweckt
fühlte, der über sein Gesicht hinstrich, vermochte er nicht zu bestimmen.
Er fuhr erschrocken in die Höhe und wußte sich im ersten Augenblick nicht
zu besinnen, wo er sich befände, noch weniger aber sich zu sagen, was es
gewesen war, das ihn so unerwartet geweckt hatte. Er rieb sich die Augen,
als wenn er auch in der ihn umgebenden rabenschwarzen Finsterniß so besser
sehen könne, und schaute sich nach allen Seiten mit lautpochendem Herzen
um.

Lange sah er nichts; endlich aber erblickte er in einiger Entfernung vor
sich zwei glänzende Punkte, die, da sie oft ihre Stelle veränderten, von
einem lebenden Geschöpfe herkommen mußten. Dieser Anblick erfüllte ihn
mit solcher Angst, daß ihm der Schweiß aus allen Poren seines Körpers
hervorbrach und er regungslos nach dem Winkel schaute, wo er die beiden
feurigen Punkte erblickte. Bald vernahm er auch ein erst leises, dann immer
stärker werdendes Schnurren, wie von einer großen Katze. An eine solche
dachte er in seiner Angst nicht, sondern an Löwen und Tiger, die, wie er
aus der Naturgeschichte wußte, gleichfalls zum Katzengeschlechte gehörten
und, wie er meinte, recht gut Bewohner dieses Landes sein könnten. Sein
Wissen reichte nicht so weit, wie ohne Zweifel das eurige, meine geliebten
Kinder! Ihr würdet Euch in Australien nicht vor Löwen und Tigern gefürchtet
haben, weil Euch gewiß bekannt ist, daß dieser Welttheil keine Thiere der
Art besitzt.

Unser William wagte nicht, sich zu bewegen, aus Furcht, die Aufmerksamkeit
seines vermeintlichen Feindes und Verschlingers durch das leiseste Geräusch
auf sich zu ziehen. Starr waren seine Augen auf die beiden beweglichen
leuchtenden Punkte gerichtet und mit immer mehr steigendem Entsetzen
erfüllte ihn das Schnurren, das aus demselben Winkel hervorkam. Jeden
Augenblick glaubte er die Beute des vermeintlichen Ungeheuers zu werden und
seine Angst war so groß, daß er nicht einmal Gott um die Erhaltung seines
Lebens zu bitten vermochte.

Unter welchen Empfindungen er den Rest der Nacht verbrachte, vermöcht Ihr
Euch nicht vorzustellen. Kein Schlaf kam mehr in seine Augen und um die
eben so nöthige als ersehnte Ruhe war es geschehen; ja, er wagte nicht
einmal, sich wieder niederzulegen, aus Furcht, daß er durch irgend ein
Geräusch die Aufmerksamkeit seines Feindes auf sich ziehen möchte.

Endlich brach der so heiß ersehnte Tag an und zu seiner eigenen
Verwunderung lebte er noch. Er sah durch die Oeffnung der Höhle einen
schwachen Lichtschimmer dringen, und nicht lange dauerte es, so fiel selbst
ein Sonnenstrahl auf den Vordergrund des Einganges. Dieser Anblick, den er
nicht mehr zu erleben gehofft hatte, stillte sein Bangen in Etwas und er
wagte es jetzt, sich zu erheben, um wo möglich die Höhle zu verlassen und
auf irgend einem Baume eine Zuflucht gegen seinen vermeintlichen Feind zu
suchen.

So wie er sich aber erhob -- o Schrecken! erhob sich dieser auch; allein
er sprang nicht auf ihn zu, um ihm seine kralligen Tatzen in den Leib zu
schlagen, sondern schlüpfte, schnell und geschmeidig wie ein Aal, zur Höhle
hinaus.

»Wer war denn aber dieser böse nächtliche Störenfried?« höre ich Euch
neugierig fragen.

»Eine Katze.«

»Eine Katze? Du spaßest mit uns! Wie sollte die dorthin gekommen sein?«

Und doch war es eine Katze, geliebte Kinder; zwar keine gezähmte, wie
die, welche wir der Mäuse und Ratten wegen in unsere Wohnungen aufgenommen
haben, sondern eine _wilde_ Katze, ähnlich der, die man auch noch in
einigen Wäldern Europas antrifft. Sie sind in Australien aber kleiner, als
bei uns, braun und schwarz gestreift, lang, dünn und lang geschwänzt;
ihre Krallen sind sehr lang und scharf und ihre Schnauze gleicht der eines
Ferkels. Sie fallen übrigens nie Menschen und größere Thiere an, sondern
begnügen sich mit Vögeln, die sie in ihren Nestern auf den Bäumen im
Schlafe überraschen.

Als unser William dieses winzige Thierchen erblickte, das wahrscheinlich
eine noch weit größere Furcht vor ihm, als er vor dem vermeintlichen Löwen
oder Tiger gehabt hatte, und zugleich seiner ausgestandenen Angst gedachte,
mußte er unwillkührlich lächeln; dies war wohl das erste Lächeln, das seit
seinem Schiffbruche ihm auf den Lippen schwebte.

Bald zog ihn ein leises Wimmern im Innern der Höhle wieder in diese zurück;
er lauschte und vernahm fest deutlich Töne, die nur von jungen Kätzchen
herkommen konnten. In dieser Voraussetzung hatte er sich nicht geirrt;
schon nach kurzem Suchen entdeckte er in einer Felsenspalte ein Nest mit 7
bis 8 jungen Kätzchen, die wahrscheinlich ein solches Klaggeschrei erhoben,
weil ihre Mutter und Ernährerin sie verlassen hatte. Der Anblick dieser
artigen Thierchen erfreute Williams Herz: er kroch auf dem Bauche in die
Felsenspalte und holte sich eins davon heraus, um es zu streicheln; aber es
erhob ein noch lauteres Klaggeschrei, was vermuthlich die draußen ängstlich
harrende Mutter vernahm. Mit _einem_ Satze war diese in der Höhle, mit
einem zweiten auf Williams Schulter und ehe er es sich versah, hatte sie
mit ihrem Maule das schreiende Kätzchen erfaßt und sprang damit zum Neste,
wo sie es zu den andern Thierchen legte; bald sogen alle begierig an ihr,
sie aber sah sehr zornig aus, und sowie sich William nur der Felsenspalte
näherte, erhob sie sich, sträubte das Haar empor, machte einen Katzenbuckel
und schlug mit dem Schwanze um sich. Trotz ihrer Furcht vor dem ihr
völlig unbekannten Geschöpfe, trotz der großen Ueberlegenheit an Größe und
körperlichen Kräften, die dasselbe vor ihr hatte, bereitete sie sich doch
aus mütterlicher Liebe auf einen Kampf mit unserm William vor und würde
wahrscheinlich lieber ihr Leben, als eins ihrer Kätzchen in seinen Händen
gelassen haben. William ehrte ihre Gefühle und erkannte ihre Rechte an.
Er beschloß, die arme, so rührend zärtliche Mutter nicht ferner zu
beunruhigen, sie aber wo möglich durch Wohlthaten für sich zu gewinnen. Er
ließ sie daher in Ruhe; als er aber sein Mittagsessen verzehrte, warf er
ihr einige von seinen gebratenen Pataten in die Felsenspalte und suchte
zu beobachten, welche Wirkung diese Gabe auf seine Nachbarin hervorbringen
würde. Ohne Zweifel hatte unser Freund auf einige Erkenntlichkeit
gerechnet; allein er sah sich in dieser Erwartung getäuscht. Zwar beroch
die Katze die Pataten, dann aber ließ sie sie unangerührt liegen und kehrte
zu ihren Jungen zurück. Dies setzte ihn einigermaßen in Erstaunen: er wußte
nicht, daß diese zu den Raubthieren gehörenden Geschöpfe im wilden Zustande
nur animalische Nahrung zu sich nehmen und Vegetabilien oder Pflanzenkost
gänzlich verschmähen.

Die Katze wollte also von ihm nichts wissen; trotz dem aber war ihm ihre
Gesellschaft sehr angenehm, seit er sich nicht mehr vor ihr fürchtete,
und als die Nacht heran kam, legte er sich völlig unbesorgt vor seiner
Nachbarschaft zur Ruhe nieder; ja, er schlief auf seinem Lager von Gras
und Blättern vollkommen so gut, wie in einem weichen Bette: gesünder,
naturgemäßer aber gewiß.




Dreizehntes Kapitel.


Das Allernothwendigste hatte unser William jetzt: Wasser, um seinen Durst
zu löschen, die Pataten, welche seinen Hunger stillten und endlich gar ein
schützendes Obdach mit einem guten Lager; selbst an Leckereien fehlte es
ihm nicht, da die schönsten Himbeeren, obschon an so niedrigen Sträuchen
wie bei uns die Heidelbeeren, in so großer Fülle vorhanden waren, daß er
sich vom Morgen bis zum Abende daran hätte satt essen können. Trotz dem
aber fehlte ihm nicht nur Etwas, sondern sogar sehr Viel; besonders trug er
ein großes Verlangen nach einer animalischen oder thierischen Kost, an die
er von frühester Jugend auf gewöhnt worden war. Wie sich aber eine solche
verschaffen? Er hatte weder eine Flinte noch Bogen und Pfeile, ja nicht
einmal eine Schlinge vermochte er zu machen, weil er sich nicht darauf
verstand, um irgend ein Thier darin zu fangen. Zwar hätte er Nachts, wo
die wilde Katze oft auf längere Zeit auf Beute ausging, leicht eines der
Kätzchen nehmen und es tödten können, dagegen aber sträubte sich sein
Gefühl, auch vielleicht ein ihm selbst kaum bewußter Eckel gegen eine so
ungewohnte Kost, und so blieben die wilden Kätzchen ungefährdet von ihrem
menschlichen Nachbar.

Da das Verlangen nach einer veränderten Nahrung immer stärker wurde,
beschloß er, den Weg zum Strande zu suchen. Er hegte die Hoffnung, dort
vielleicht eine Schildkröte oder doch Muscheln zu finden, die er dann am
Feuer braten und zur Speise bereiten wollte. Da ihm sehr daran gelegen sein
mußte, den Rückweg zu seiner Höhle nicht zu verfehlen, ging er erst immer
hart am Bache hin, dann aber, als dieser sich nach und nach zwischen dem
immer höher und dichter werdenden Grase verlor, schnitt er mit seinem
Messer ziemlich große Kerben an die zu Seiten seines Weges stehenden Bäume,
wodurch er sich den Rückweg offen erhielt.

Lange wanderte er fort, ohne das Meer zu entdecken; endlich hörte er es,
zu seiner nicht geringen Freude, hinter einem Felsen brausen und rauschen.
Schnell erklomm er den Felsen und hatte jetzt das unermeßliche Meer vor
sich, das an der Stelle, wo er sich befand, einen ziemlich tief in das Land
hineingehenden Meerbusen bildete. Erstaunt und entzückt schaute er auf
das großartige Schauspiel, das sich seinen Blicken darbot. Durch die lange
Fahrt auf dem Ocean war er so vertraut mit dem Meere und dieses ihm so lieb
geworden, daß ihm beim Anblick desselben die hellen Freudenthränen über die
Wangen schossen. Hatte er doch auch besondere Ursache, es zu lieben, da ihm
allein Rettung durch ein etwa an der Insel landendes Schiff kommen konnte.
Nachdem er sich längere Zeit an Betrachtungen vergnügt hatte, stieg er den
Felsen hinab, um am Strande nach eßbaren Muscheln -- er träumte sogar von
Austern, die man ihm in Hamburg als große Leckerbissen gerühmt hatte -- zu
suchen. Er fand zwar eine Menge der allerschönsten, buntesten Muscheln, die
er unter andern Umständen gewiß begierig aufgelesen haben würde, jetzt
aber unbeachtet liegen ließ, weil sie leer und von ihren frühern Bewohnern
sämmtlich verlassen waren.

Statt des vergebens Gesuchten that er aber einen Fund, dessen Wichtigkeit
ihm bald einleuchten sollte. Eine ziemliche Strecke vom Wasser entfernt,
aber doch an der Grenze des Strandes, sah er einen Stein liegen --
wenigstens hielt er eine Zeitlang den ihm auffallenden Gegenstand dafür
-- dessen regelmäßige Form seine Aufmerksamkeit erregte. Er näherte
sich demselben mit eiligen Schritten und wie ward ihm, als er, statt des
erwarteten Steins, eine braunroth angemalte Kiste fand! Er erkannte sie auf
den ersten Blick für die des Schiffs-Zimmermanns der »Hoffnung«, auch war
der Name dieses Mannes, wenn auch die mit weißer Oelfarbe darauf gemalten
Buchstaben zum Theil abgerieben waren, noch ganz deutlich darauf zu lesen;
über diesem Namen war das ihm so wohlbekannte Hamburger Wappen, die drei
Thürme, mit dem sie haltenden Löwen daneben, in bunten Farben abgebildet.

Die hellen Thränen schossen ihm über die Wangen bei dieser unerwarteten
Erinnerung an die geliebte Vaterstadt, an das Schiff, auf dem er den
weiten Ocean durchschwommen, an die Mannschaft desselben, die jetzt tief
im Meeresgrunde lag oder wohl schon die Beute gefräßiger Hayfische geworden
war. Mit unaussprechlicher Rührung mußte er in diesem Augenblicke jedes
gütigen, freundlichen Worts gedenken, das der Eine oder Andere dieser
Männer während seines langen und steten Beisammenseins mit ihnen zu
ihm gesprochen hatten, der fröhlichen Gesänge, die sie in ihren wenigen
Musestunden erschallen ließen, der Mährchen und Sagen, deren sie eine so
große Menge wußten, und mit anmuthiger Einfachheit zu erzählen verstanden;
der kleinen Neckereien, die sie sich im harmlosen Scherze gegen einander
erlaubten; der Belehrungen, die er von den Aelteren und Ernsteren empfing,
wenn er diese oder jene Sache noch nicht anzugreifen verstand. Und das
Alles war nun todt und hin; die fröhlichen Laute der bekannten Stimmen
waren für immer erstorben; die bald heitern, bald ernsten Blicke erloschen,
die Kraft dieser Muskeln gelähmt -- todt! todt war so viel Leben und
Regsamkeit!

Wer würde in diesem Augenblick wohl ungerührt geblieben sein? wer hätte
in demselben wohl an die, unter den gegenwärtigen Umständen unermeßlichen
Schätze denken können, die eben diese Kiste, welche unserm William
heiße Thränen entlockte, in ihrem Innern barg? Er dachte gewiß im ersten
Augenblick nicht daran, sondern kniete neben derselben nieder, küßte sie
unter Thränen und nannte mit leiser, von Schluchzen unterbrochener Stimme
den Namen des ehemaligen Besitzers. Dieser war, obschon äußerlich ein
ernster, fast rauher Mann, doch im Grunde ein vortrefflicher, wohlmeinender
Mensch gewesen, der besonders unserm jungen Freunde sehr gewogen war und
ihm manchen Liebesdienst erwiesen hatte.

William war so in Schmerz und Erinnerung versunken, daß er nicht bemerkte,
daß es bereits Abend geworden war, und zu dunkeln begann. Als er sich
endlich aufraffte und an die Rückkehr nach seiner Höhle dachte, war es
bereits zu spät dazu und er mußte sich entschließen, die Nacht am Strande
zuzubringen, da er, wenn er den Rückweg angetreten, sich leicht hätte
verirren können, weil er die an den Bäumen gemachten Einschnitte nicht mehr
erkennen konnte. Er bereitete sich daher ein Lager am Strande, indem er
sich gewissermaßen in den warmen Sand einwühlte, und lehnte das müde Haupt
gegen die geliebte Kiste.

Erst spät, als bereits der Vollmond hoch am Himmel stand, schlief er ein
und träumte von der geliebten Heimath, von der theuren, über Alles theuren
Mutter, von seinen Gespielen und Schulgenossen. O, er war noch einmal
vollkommen glücklich; aber ach! der erste im Osten sich zeigende Strahl der
Sonne verscheuchte dieses holde Glück, indem er ihn weckte. Er rieb sich
die Augen, seufzte tief auf, indem er um sich blickte, und erhob sich
schwankend von seinem beweglichen Lager.

Der Gedanke, wie nützlich ihm der Inhalt der Kiste werden könne, konnte
nicht lange ausbleiben; zugleich aber erhoben sich in seiner Seele
Bedenklichkeiten über sein Recht, sich die darin enthaltenen Sachen
aneignen zu dürfen, und lange kämpfte er mit sich selbst darüber.
Endlich sagte er sich, daß einmal der frühere Besitzer dieser Kiste aller
Wahrscheinlichkeit nach todt, dann aber für ihn keine Möglichkeit vorhanden
sei, selbst wenn er lebte, sie ihm wieder zuzustellen. Ferner war die Noth,
in der er sich befand, so groß und er aller sonstigen Hülfe so gänzlich
beraubt, daß er meinte, Gott werde es ihm schon vergeben, daß er sich des
Inhalts der Kiste bemächtige und zu seinem Besten verwende.

Eine andere Frage, nachdem er diese beseitigt hatte, war nun die, wie er
die Kiste öffnen solle? Der Zimmermann hatte sie aller Wahrscheinlichkeit
nach selbst und, da er ein tüchtiger Mann in seinem Geschäfte war, gewiß
sehr fest gebaut. Zwar hätte er trotz dem den Deckel leicht mit einem
großen und kantigen Steine zerschlagen können; allein zu diesem Auswege,
der ihm noch übrig blieb, wenn kein anderer sich erdenken ließ, konnte er
immer noch greifen und der Gedanke, die Kiste ganz zu erhalten, war ihm so
angenehm, daß er lieber erst alles Andere versuchen, als sie zertrümmern
wollte. Er hatte bemerkt, daß die Schlosser mit einem an der Spitze etwas
krumm gebogenen Instrumente von Eisen leicht zugesprungene Schlösser
aufmachten, und da er als ein kluger und aufmerksamer Knabe sich alle dabei
angewandten Handgriffe gemerkt hatte, kam es nur darauf an, daß er einen
gehörig starken Nagel fände, der dann vermittelst eines statt des Hammers
dienenden Steins leicht die gehörige Form erhalten könnte. Er ging also, um
einen Nagel zu suchen, noch etwas weiter den Strand hinauf.

Dieser Weg wurde ihm reichlich belohnt, indem er noch eine Menge
Schiffstrümmer, sogar den ganzen Spiegel des gescheiterten Schiffs,
und einige Tonnen mit Zwieback am Ufer fand. Seine Freude bei diesem
unerwarteten Anblick war nicht gering und er machte sich sogleich ans Werk,
die Trümmer weiter auf den Strand hinauf zu ziehen, damit nicht etwa eine
höher gehende See sie wieder ins Meer zurückführte. Wie vielen Schweiß
vergoß er bei dieser, seine Kräfte fast übersteigenden Arbeit; aber
obgleich ihn Hunger und Durst nicht wenig bei derselben quälten, versagte
er sich doch die Befriedigung dieser dringenden Bedürfnisse, um seinen
Schatz erst in Sicherheit zu bringen. Jedes Stückchen Brett, mochte es
auch schon halb zertrümmert sein, war ein Schatz für ihn, dem es an allem
fehlte. Nur den Spiegel des Schiffs vermochte er, seiner Schwere wegen,
nicht von der Stelle zu bringen, und ihn zu zertrümmern, dazu fehlte es ihm
an den gehörigen Geräthschaften. Was hätte er nicht jetzt darum gegeben,
einen Genossen zu haben, der ihm hülfreiche Hand bei der sauren Arbeit
leistete!

Als er das, was ihm möglich gewesen war zu retten, höher auf den Strand und
somit in Sicherheit gebracht hatte, dachte er zunächst daran, seinen Hunger
und Durst zu stillen und freute sich in seinem Herzen nicht wenig, den
ersteren mit dem in den Tonnen enthaltenen Zwiebacke stillen zu können. Er
zerschlug daher eine derselben und die Zwiebacke kamen zu Tage; aber ach!
sie hatten sich, aufgeweicht durch das Seewasser, in einen Brei verwandelt
und dieser schmeckte so salzig und bitter, daß er nicht einen Mund voll
davon herunter zu würgen vermochte.

Die Hoffnung, die er auf diesen Fund gesetzt hatte, war also eine
vergebliche gewesen, und er mußte sich nach einem andern Nahrungsmittel
umsehen. In der Nähe war dieses nicht zu finden, was ihn sehr betrübte,
da er mit dem Aufsuchen so viele Zeit verlieren mußte; denn auch mit der
Hoffnung, Muscheln am Strande zu finden, war es nichts gewesen. Erst nach
langem, fruchtlosen Umherirren fand er einen Baum, der große Aehnlichkeit
mit unserm Birnbaume und eine Frucht wie dieser hatte.

»Ha! Birnen!« rief er bei diesem willkommenen Anblicke mit freudig bewegter
Stimme aus, und schon nach wenigen Augenblicken hatte er zehn bis zwölf
Stück mit einem Stecken, den er sich geschnitten, heruntergeschlagen.
Jetzt sollte es ans Schmausen gehen; aber o weh! wie bitter sah sich
unser William abermals in seiner Hoffnung getäuscht! Die ihn so lieblich
anlächelnden Birnen waren nichts weiter, als die Saamenkapseln eines
dem Birnbaum ähnlichen Baumes und die Schale war so hart, daß sie seinen
tüchtigen Zähnen Trotz bot. Er ließ sie also liegen und setzte, etwas
entmuthigt, seine Wanderung fort. Die gleichfalls nicht eben einladenden,
aber doch genießbaren Kirschen mußten endlich aushelfen und waren deßhalb
willkommen, weil sie den Hunger und Durst zugleich stillten. Er aß
eine tüchtige Portion davon, legte sich dann unter den Schatten eines
prachtvollen, seine Aeste weit ausstreckenden Gummi-Baumes nieder und
verfiel in einen sanften Schlaf.

Zwar hatte er sich beim Einschlafen vorgenommen, nur ein Stündchen zu ruhen
und dann an den Strand zu gehen, um seine Kiste zu öffnen; allein aus dem
sich gegönnten Stündchen wurden drei bis vier Stunden und als er endlich
wieder erwachte, sank die Sonne bereits in das Meer hinab, so daß er eilen
mußte, wenn er den Strand noch vor Dunkelwerden wieder erreichen wollte. In
der Eile mochte unser Freund aber nicht auf den rechten Weg gemerkt haben,
denn das Meer wollte sich noch immer seinen Blicken nicht zeigen und
doch dunkelte es bereits. Endlich mußte er für diesen Abend die Hoffnung
gänzlich aufgeben, seine Schätze noch zu erreichen und es blieb ihm weiter
nichts übrig, als Schutz und nächtliche Ruhe unter freiem Himmel oder einem
stark belaubten Baume zu suchen. Früh, mit Anbruch des Tages, weckten ihn
aber die empfindliche Morgenkühle und der überaus stark gefallene Thau, der
bereits seine wenigen Kleidungsstücke gänzlich durchnäßt hatte. Da er jetzt
schon die Gefahr einer solchen Durchnässung kannte, sprang er schnell
auf und machte sich eilig auf den Weg, um sein Blut wieder in Bewegung
zu setzen. Er war noch keine halbe Stunde gegangen, so vernahm er aus
der Ferne das Brausen und Rauschen der Wellen, die seinem Ohre wie die
lieblichste Musik erklangen, und nicht lange, so stand er wieder an dem
heißersehnten Meeresstrande, zwar in einiger Entfernung von den geborgenen
Schätzen, aber doch so nahe, daß er sie bereits mit seinen scharfen Blicken
erreichen konnte.

Als er ihnen näher kam, fiel es ihm nicht wenig auf, daß er sich etwas
Lebendiges zwischen den Schiffstrümmern bewegen und hin und hergehen sah.
Sein erster Gedanke war, daß es vermuthlich ein Raubthier sei; denn vor
diesen fürchtete er sich immer noch, da er nicht wußte, daß Australien
keine fleischfressenden Thiere besitzt, die dem Menschen gefährlich werden.
Als er aber, schüchtern und mit großer Vorsicht näher ging, bemerkte er, zu
seiner nicht geringen Ueberraschung, daß sein vermeintlicher Feind auf zwei
Beinen und aufrecht ging.

»Gewiß ein Affe, vielleicht gar ein Urang-Utang!« sagte er bei sich. Er
irrte aber in dieser Voraussetzung, denn auch Thiere dieser Gattung sind in
Australien nicht zu Hause.

Sein Erstaunen erreichte aber den höchsten Grad, als er am Strande,
unfern der von ihm geborgenen Sachen, ein Canot, oder indianisches Boot,
erblickte. Es hatte die Gestalt eines großen Troges und war aus einem
ausgehöhlten Baumstamme gemacht. Aus Vorsicht hatte der Besitzer desselben
es auf den Strand gezogen, was sich seiner Leichtigkeit und Kleinheit wegen
leicht bewerkstelligen ließ.

William, der sich jetzt vor einem vielleicht Menschen fressenden Wilden,
wie zuvor vor Löwen und Tigern, fürchtete, ging nur langsam und mit großer
Vorsicht auf den Wilden zu, der seinerseits so ämsig mit dem Aufschlagen
der Kiste beschäftigt war, daß er die Ankunft unsers Freundes nicht eher
bemerkte, als bis dieser ihm ganz nahe stand.

Ein Schrei des Entsetzens entfuhr dem armen Wilden, der ein Knabe von
dreizehn bis vierzehn Jahren zu sein schien, krauses Haar und eine ziemlich
dunkle Hautfarbe, aber im Uebrigen einen sehr wohlgebildeten Körper hatte,
so bald er eines Menschen ansichtig wurde, wie er noch nie zuvor einen
gesehen. Er glaubte ohne Zweifel den weißen Geist, eine Gottheit, die von
diesen Wilden angebetet und sehr gefürchtet wird, vor sich zu haben und
stürzte zur Erde nieder, das Gesicht gegen den Boden drückend und die Hände
weit von sich streckend. Dabei stieß er so erbärmliche, seltsam klingende
Töne aus, daß William sich kaum eines Lächelns erwehren konnte, so wenig
ihm auch sonst darnach zu Muthe war. Der Augenblick, wo er einen Menschen
wiederfand, war ja ein großer, überaus wichtiger für ihn.

Da William sah, daß er Furcht einflößte, schwand natürlich die seinige und
das Mitleid mit dem armen, zitternden Wilden nahm die Stelle derselben ein.
Er bückte sich zu dem armen _Kolbi_ -- dies war sein Name, wie er späterhin
erfuhr -- nieder und berührte seinen nackten Körper sanft mit der Hand,
indem er ihm gute Worte gab und ihm Muth einzusprechen suchte. Aber Kolbi
verstand ihn nicht und die sanfte Berührung von Seiten des vermeinten
Geistes vermehrte dermaßen sein Entsetzen, daß sein armer Körper wie ein
Espenlaub zitterte.

William, der nicht wußte, was er anfangen sollte, um den armen Knaben zu
beruhigen, kniete neben ihm nieder, streichelte seinen Kopf und sprach in
so sanften Tönen zu ihm, daß es dem armen Zitternden, obgleich er seine
Worte nicht verstehen konnte, doch begreiflich wurde, daß er nichts Böses
von ihm zu befürchten habe. Er erhob also das Haupt etwas vom Boden und
sah unsern William von der Seite an; so wie er ihm aber in das Gesicht sah,
schauderte er sichtbar zusammen und schloß die Augen wieder, ganz wie der
Strauß es machen soll, der seinen Kopf in den Busch steckt und meint, sein
Verfolger sehe ihn nicht, weil er diesen nicht mehr sieht.

Endlich gelang es unserm jungen Freunde doch, dem Wilden einiges Vertrauen
einzuflößen; Kolbi erhob sich wenn gleich noch leise zitternd, und reichte
dem weißen Manne sogar die Hand, als dieser ihm die seinige bot. Beide
gingen jetzt wieder zu der Kiste, die William so sehr am Herzen lag. Kolbi
hatte ihm die Mühe erspart, das Schloß vermittelst eines krumm gebogenen
Nagels zu öffnen, indem er in seinem Unverstande den Deckel mit einem Stein
zertrümmert hatte, so daß der Inhalt bereits zu Tage lag. Diesen bildeten,
außer Wäsche und Kleidungsstücken, etwas Geld, das für William jetzt ohne
allen Werth war, da er nichts dafür kaufen konnte, eine Menge sehr guter
Handwerksgeräthe, als Sägen, Hobel, Bohrer, Hammer, ein Beil, Meissel
u. dgl. m., einige Seecharten, ein Gebet- und Gesangbuch und endlich eine
silberne Uhr, die zwar still stand, weil sie nicht aufgezogen war, aber
durchaus nicht gelitten hatte, wie überhaupt die Sachen in der Kiste nicht.
Denn der brave Zimmermann hatte seine Lade so tüchtig gearbeitet und sogar
das Schlüsselloch mit einem so gut schließenden Schieber versehen, daß auch
nicht ein Tropfen Seewasser in das Behältniß gedrungen war.

Der Anblick der Uhr machte William eine außerordentliche Freude, und da der
Schlüssel an einer schweren silbernen Kette daran hing, zog er sie gleich
auf; sie ging! Kolbi sah Alles, was er that, mit neugierigem Erstaunen an;
als ihm William aber die Uhr vor das Ohr hielt, damit er sie picken höre,
erschrack er nochmals so, daß er fast wieder zur Erde gefallen wäre, und
die Uhr angebetet hätte, wie früher unsern Freund; ja, das lebhafteste
Entsetzen spiegelte sich in seinen Blicken ab, als er William den
vermeinten Gott in seine Tasche stecken sah.

Unser Schiffbrüchiger war durch das Auffinden der Kiste und der Trümmer des
Schiffs, weit mehr aber noch durch das Begegnen Kolbis auf einmal zu einem
Reichthum gelangt, den er nicht mehr zu hoffen gewagt hatte. Es gelang ihm
auch, dem jungen Wilden ein so großes Vertrauen einzuflößen, daß dieser
ihm, als er gegen Abend zu seiner geliebten Höhle zurückkehrte, willig
dahin folgte. Kolbi war ihm von sehr großem Nutzen, indem er einen Theil
dessen, was William gleich in Sicherheit bringen wollte, auf seine starken
Schultern nahm, so daß, da Beide trugen, der werthvolle Inhalt der Kiste
gleich in die Höhle geschafft wurde. Nicht wenig erstaunte Kolbi, als
er William, so wie sie in derselben angelangt waren, vermittelst eines
gleichfalls gefundenen Feuerstahls, Schwamms und Steines Feuer anmachen,
und die Pataten daran legen sah. Als diese gehörig gebraten waren, theilte
William sein einfaches Mahl mit seinem schwarzen Freunde, der vermuthlich
lange keine so gute Kost genossen hatte, denn er ließ es sich vortrefflich
schmecken und auch keine einzige Patate blieb übrig. Auch William hatte den
besten Appetit von der Welt; in zwei Tagen waren es nur Kirschen gewesen,
mit denen er ihn hatte stillen können, und so war ihm die derbere Nahrung
jetzt sehr erwünscht.

Als Beide sich gehörig gesättigt und ihren Durst durch einen frischen Trunk
aus der Quelle gestillt hatten, legten sie sich auf dem weichen Lager,
einträchtig wie Brüder, neben einander nieder und schliefen bald ein; unser
William jedoch erst, nachdem er die Pflicht des Dankes gegen seinen so
gnädigen und gütigen Vater im Himmel erfüllt hatte, und o! für wie viel
Gutes hatte er ihm nicht mit gerührter Seele am Abende dieses Tags zu
danken!

[Illustration: ~Seite 131.~]




Vierzehntes Kapitel.


Als er am andern Morgen erwachte, hatte er Mühe sich zu überzeugen, daß die
Erlebnisse der beiden vorhergehenden Tage nicht ein bloßer Traum gewesen
sey, und erst als er Kolbi am Eingange der Höhle erblickte -- dieser war
etwas früher erwacht und aufgestanden als er -- begriff er sein Glück. Auch
er erhob sich, ging zu seinem jungen Freunde, gab diesem freundlich die
Hand und kniete dann am Eingange der Höhle nieder, um Gott sein Morgen- und
Dankgebet darzubringen. Kolbi, der glaubte, daß er Alles nachmachen müsse,
was der »gute weiße Geist« -- so nannte er unsern William noch -- that,
kniete neben ihm nieder und faltete eben so andächtig seine Hände, als
hätte er gewußt, warum es sich handelte; davon hatte der Arme aber keinen
Begriff.

William führte darauf Kolbi zu der Stelle, wo die Pataten wuchsen, damit
er ihm behülflich sey, einige davon aus der Erde zu nehmen, weil sie ihr
Frühstück damit halten wollten. Wie es schien, verstand sich der junge
Wilde besser darauf, als er selbst; er brach einen Stecken vom nächsten
Baume, und wühlte die Erde so schnell und geschickt damit auf, daß er eine
Menge dieser eßbaren Knollen ans Tageslicht förderte. Als William ihn so
gut unterrichtet sah, machte er Feuer an, um sie zu braten; Kolbi verstand
auch jetzt, was er wollte, und trug die gewonnenen Früchte eilig herbei;
jetzt aber mußte William seiner großen Geschäftigkeit Einhalt thun, denn
der Wilde, der weder von Eckel noch Reinlichkeit viel wußte, wollte die
Pataten mit aller daranhängender Erde an das Feuer legen und sie würden ihm
auch so ganz vortrefflich gemundet haben. Aber nicht so William, dieser riß
sie wieder vom Feuer, legte sie Kolbi in die Arme, nahm den Rest und eilte
damit dem Bache zu, wohin ihm der Wilde nicht ohne einige Verwunderung
folgte. Hier angelangt, wusch er erst die Frucht rein und bedeutete dann
Kolbi durch Zeichen, daß er sie jetzt ans Feuer legen und braten lassen
dürfe, was dieser auch that, ohne begreifen zu können, wozu die eben
gesehene Procedur gut seyn konnte.

Nach eingenommenem Frühstücke führte William erst seinen Freund zu der
Stelle, wo die Himbeeren in so großer Fülle wuchsen; auch diese kannte
Kolbi und ließ sich nicht lange nöthigen, zuzugreifen. Als man sich
gesättigt hatte, füllen sie ein mitgenommenes Beutelchen, das man unter den
geretteten Sachen gefunden hatte, mit diesen duftigen Früchten an und auch
die Ledertasche wurde mit Wasser angefüllt, worauf Beide wieder den Weg
zum Strande antraten, um auch die zurückgebliebenen Bretter, Nägel, Balken
u. s. w. zu bergen.

William, der jetzt schon klüger geworden war, hatte einige Endchen starken
Bindgarns mitgenommen und befestigte vermittelst desselben einige Bretter
so aneinander, daß sie eine Art von Schleife bildeten, worauf man bequem
andere Bretter fortbringen konnte, indem man die Schleife hinter sich
herzog. Nicht wenig mußte sich unser junger Freund über die Klugheit und
Gelehrigkeit des Wilden wundern. So wie William etwas that, richtete er
aufmerksam seine Blicke auf jede seiner Bewegungen, und es dauerte nicht
lange, so hatte er seine Absicht begriffen, in die er dann eben so klug als
geschickt und behende einging.

Welch ein Trost, welch eine Freude war der Besitz Kolbis für William!
Zwar konnte er nicht anders, als durch Zeichen zu ihm reden; zwar verstand
Keiner die Sprache des Andern; aber trotz dem unterhielten sie sich doch
schon durch Blicke und Zeichen, die Kolbi schnell begriff, denn er war ein
sehr gescheidter junger Mensch. Welch Entzücken war es für unsern Freund,
als er wieder in ein Menschenauge blicken und Liebe und Dankbarkeit daran
lesen konnte! Auch that Kolbi gar nicht mehr scheu gegen ihn, sondern
bezeigte sich jetzt vollkommen zutraulich, und wenn er gleich William,
seiner weißen Hautfarbe wegen, noch für ein überirdisches Wesen hielt,
so fürchtete er sich doch nicht mehr vor ihm, wie er zu Anfang ihrer
Bekanntschaft gethan hatte. Ihr müßt nämlich wissen, liebe Kinder, daß
die Schwarzen sich den bösen Geist _weiß_ malen, während wir den Teufel
schwarz. Der Anblick eines Europäers, des ersten, den er in seinem Leben
sah, war also wohl dazu geeignet, unserm armen Australier eine ungemessene
Furcht einzuflößen. Fast drei Tage bedurfte man, um die geborgenen
Schiffstrümmer zu der Höhle zu schaffen; denn auch den Spiegel des Schiffs
hatte man fortbringen können, da man ihn vermittelst des gefundenen Beiles
kleiner gemacht hatte. Am dritten Tage, als man den letzten Weg zum Strande
-- wenigstens für diesmal -- machte, warf Kolbi plötzlich die Last, womit
er seine Schultern beladen hatte, zu Boden, und ehe William es sich versah,
hatte er den Stamm eines sehr hohen Baumes, fast bis zum Gipfel desselben,
erklettert. William wußte nicht, was diese Erscheinung zu bedeuten habe,
und stand erwartungsvoll unter dem Baume, um abzuwarten, was sein Gefährte
da oben schaffen würde. Er sah, daß dieser mit der Hand in eine Höhlung
des Baumes langte und sie bald wieder hervorzog; er hielt dabei, wie
triumphirend, etwas in die Höhe; was es war, konnte aber William nicht
unterscheiden, bis Kolbi wieder unten bei ihm anlangte.

Könnt Ihr vielleicht errathen, was der Wilde dort oben in dem Baume gesucht
und gefunden hatte? Strengt einmal Euere Denkkraft an; solltet Ihr mein
Räthsel aber nicht lösen, so will ich Euch den Schlüssel dazu in die Hand
geben. Es gibt in Australien, eben so gut wie bei uns, Bienen.... -- »O!
nun wissen wir Dein Geheimniß schon!« rufen jetzt gewiß Viele von Euch:
»Der Kolbi brachte eine Honigscheibe herunter; nicht wahr?«

Ja, eine Honigscheibe hielt er wirklich in der Hand, und zwar eine mit
dem hellsten, schönsten Honig, den man sich nur denken kann. Gewohnt, mit
seinen überaus scharfen Augen überall umherzuspähen, hatte er einige wilde
Bienen entdeckt, welche die Spitze des Baumes umschwärmten und daraus
geschlossen, daß er dort oben ein Nest finden würde. Daß er sich in dieser
Voraussetzung nicht geirrt hatte, zeigte die Honigscheibe in seiner Hand.
Mit der ihm eigenthümlichen rührenden Gutmüthigkeit bot er den leckern
Fund seinem Freunde dar, bevor er selbst noch das Geringste davon gekostet
hatte; William nahm das Geschenk zwar an, allein er wollte es mit ihm
theilen, was Kolbi jedoch nicht litt, denn er sollte den Honig einmal
allein behalten. William, der so vielen Honig nicht auf einmal genießen
konnte, kostete etwas davon und beschloß den Rest für eine andere Zeit
aufzuheben. Er legte ihn daher, so wie man in der Höhle angelangt war,
auf einen Felsenvorsprung, denn Gefäße hatte man ja nicht, um ihn anders
aufzuheben.

Mitten in der Nacht wurden beide Schläfer, trotz ihres festen Schlafs,
durch ein höchst lästiges Kriechen und Krabbeln, das sie auf allen
entblößten Theilen ihres Körpers -- der arme Kolbi über seinen ganzen
nackten Leib -- empfunden, mehreremale aufgeweckt; sie waren aber so
schlaftrunken, daß sie sogleich wieder einschliefen und erst gegen Morgen
völlig munter wurden. Wie erschracken aber Beide, als sie sich anblickten!
Jeder war über den ganzen Leib mit Ameisen bedeckt, die ihnen zwar nichts
thaten, sondern nur über die beiden Schläfer weg, zu dem Honig krochen,
dessen Geruch die ganze Ameisen-Nachbarschaft in die Höhle gelockt hatte;
denn Süßigkeiten sind für diese Thierchen ein wahrhafter Leckerbissen, und
sie gehen ihnen emsig nach.

Sobald Kolbi sah, was es gab, sprang er auf, entkleidete sich von der
Binde, die er um seine Lenden gewunden hatte, und eilte, die Binde
schwankend und schüttelnd, um sie von den lästigen Gästen zu befreien, dem
Bache zu, indem er sich tüchtig badete und abwusch, um das lästige Brennen
und Jucken los zu werden. William begriff, daß die von seinem Gefährten
ergriffene Maßregel eine sehr ersprießliche sey, und folgte seinem
Beispiele, was ihn sehr erfrischte.

Ein schlimmer Umstand trat aber jetzt ein: die Höhle war für sie, wenn auch
vielleicht nicht für immer, doch für längere Zeit, verloren und man mußte
sich beeilen, die darin geborgenen Sachen herauszunehmen. So lange die
Ameisen nach dem Geruch des Honigs witterten, drangen sie in großen Zügen
in die Höhle und es war nicht darauf zu rechnen, daß dieser Geruch sich
sobald wieder verlieren würde, selbst wenn man den Honig herausnähme. Das
war dann freilich eine betrübte Sache; sie entmuthigte indeß unsere Beiden
nicht; hatte man doch jetzt Holz und Bretter genug, um sich eine Hütte
bauen zu können, und noch an demselben Tage wurde der Anfang damit gemacht.
William wollte aber eine solche nicht bloß für eine kurze Zeit, sondern
gleich gehörig herstellen, und so mußte man es sich gefallen lassen, einige
Nächte unter freiem Himmel zuzubringen. Man legte die Hütte auf einem
kleinen Vorsprunge des Hügels, von wo aus man eine sehr reizende Aussicht
auf das umliegende Thal hatte, an, und machte sie so geräumig, daß man
nicht nur selbst Platz darin fand, sondern auch alle Geräthschaften
bewahren und gegen die Einflüsse von Luft und Wetter schützen konnte.

Kolbi zeigte sich auch bei diesem Geschäfte überaus thätig und gelehrig.
Man sah es ihm an, daß dieß nicht die erste Hütte war, die er erbaute;
nur mit den europäischen Geräthschaften wußte er nicht umzugehen, und sah
besonders William mit großem Erstaunen zu, als dieser vermittelst einer
Säge, die von den Handwerkern der Fuchsschwanz genannt wird, ein Brett
durchschnitt, das für den beabsichtigten Zweck zu lang war.

Beim Einrammen der das Dach der Hütte tragen sollenden Pfähle bewies
sich Kolbi so geschickt, daß er William weit hinter sich ließ. Dieser war
nämlich sehr um eine Schaufel oder eine Grabscheit verlegen, und wußte
nicht, wie er ohne diese, ihm unentbehrlich scheinenden Instrumente ein
gehörig tiefes Loch in die Erde graben sollte. Das verstand Kolbi aber
vortrefflich: er suchte sich unter den vielen umherliegenden Steinen einen
Stein aus, der fast die Form einer Schaufel hatte, legte sich neben der
Stelle, wohin der Pfahl kommen sollte, auf den Bauch nieder und schaufelte
jetzt mit beiden Händen die Erde so schnell weg, daß schon nach wenigen
Minuten ein ziemlich tiefes Loch da war. Auch beim Befestigen der Pfähle
zeigte er sich eben so geschickt. Erst schaufelte er alle ausgeworfene Erde
davon, dann klopfte er den Boden fest und endlich trieb er in diesen noch
Steine und Holzsplitter ein, was wesentlich dazu beitrug, die Stäbe recht
fest zu machen.

Da William sah, daß er seinem Freunde diese Arbeit ruhig überlassen könne,
machte er sich an andere, die er besser verstand. Die Schiffstrümmer
enthielten eine große Menge Nägel von fast allen Größen; sie mußten aber
erst herausgezogen und auf einem Steine gerade geklopft werden, bevor man
sie nochmals gebrauchen konnte. Das war eine sehr schwierige Arbeit; allein
William war es bereits gewohnt, mit vielen Hindernissen zu kämpfen, und
so überwand er endlich auch diese. Die Menge von Nägeln, die er auf diese
Weise gewann, war ein ordentlicher Schatz für ihn, auch verachtete er, die
Wichtigkeit desselben einsehend, nicht das kleinste Stiftchen.

Bald standen die Pfähle und an die Bedachung konnte gedacht werden. William
machte diese so gut und zierlich und das Ganze hatte überhaupt ein so
gefälliges Ansehen, daß er selbst seine Freude daran hatte und Kolbi,
der gewohnt war, sie auf andere Weise kund zu thun, die possierlichsten
Freudensprünge machte. Sogar an eine Hausthüre konnte man denken, da es an
einigen Hängen nicht fehlte, und es zeigte sich bald, wie gut man gethan
hatte, die Hütte damit zu versehen. Das Wetter blieb nicht immer gut,
sondern es kam eine sehr schlimme Zeit, von der ich Euch, meine Geliebten,
späterhin erzählen werde.

Als die Hütte einigermaßen im Stande war, dachte William bereits auf einige
Mobilien, als auf Tische und Bänke, die bisher noch gefehlt hatten. Die
Arbeit ging zwar langsam von statten, aber er wurde dabei von Kolbi gut
unterstützt, indem dieser schnell manchen Handgriff faßte und mit großer
Beharrlichkeit bei der Arbeit aushielt. Ein großes Vergnügen war es dabei
für William, Kolbi in seiner Muttersprache zu unterrichten. Er zeigte auf
die verschiedenen Gegenstände und nannte bloß das Hauptwort, als: Sonne,
Mond, Baum, Blume u. s. w., und zu seinem nicht geringen Erstaunen lernte
Kolbi gleich nach dem ersten Namen die verschiedenen Namen der Gegenstände
auswendig und wandte sie das nächstemal richtig an. Man hat überhaupt die
Bemerkung gemacht, daß das Gedächtniß wilder Menschen sehr scharf ist und
diese nicht nur schnell lernen, sondern das Gelernte auch gut behalten.
Dies war ganz besonders bei Kolbi der Fall, den die Natur überhaupt
mit ganz vortrefflichen Gaben ausgestattet hatte. In Hinsicht der
Schnelligkeit, Biegsamkeit und Behendigkeit konnte kein Europäer sich mit
ihm vergleichen; auch waren Gesicht, Geruch und Gehör von einer wirklich
erstaunungswürdigen Schärfe.




Fünfzehntes Kapitel.


Unsre Colonisten hatten jetzt zwar das Nothwendigste: ein schützendes
Obdach, die nothdürftige Nahrung und Geselligkeit; aber trotz dem blieb
für Beide noch mancher Wunsch unbefriedigt und dahin gehörte vorzüglich der
nach einer abwechselnden Speise, an die besonders William sich in seinem
frühern Leben gewöhnt hatte. Die Pataten und Früchte, womit sich Beide
seither gesättigt hatten, füllten ihnen zwar den Magen, aber sie wurden
trotz dem nicht völlig satt davon, und selbst nachdem sie ihren Hunger
gestillt hatten, blieb eine empfindliche Leere in demselben zurück.

Sobald William sich seinem Freunde verständlich machen konnte, theilte er
ihm seinen Wunsch nach einer nährendern Speise mit. Es machte ihm freilich
viele Mühe, Kolbi sein Verlangen mitzutheilen, und dies mußte mehr durch
Zeichen, als durch Worte geschehen; endlich aber begriff der gute Wilde
ihn und nickte, wie bejahend, mit dem Haupte. Bald darauf forderte er von
William das Messer, mit dem er bereits sehr geschickt umzugehen wußte, und
entfernte sich damit in das nahe Gebüsch. William wußte nicht, was er im
Sinne hatte, ließ ihn aber gewähren und erwartete geduldig seine Rückkehr.

Er blieb ziemlich lange weg, dann kehrte er, in seiner Hand mehre
Baumzweige tragend, mit freudigem Gesichte zurück und wies seinem Freunde
triumphirend das Mitgebrachte. William begriff erst nicht, was Kolbi mit
den geschnittenen Stecken wollte und sah ihm mit einiger Neugierde zu,
als er sich auf den Boden niedersetzte und an seinen Stecken zu schnitzen
anfing. Bald aber wurde ihm die Absicht seines Freundes klar: Dieser
schnitzte aus dem mitgebrachten Holze einen überaus zierlichen Bogen
und als dieser fertig war, auch eine Handvoll Pfeile, erstere von einem
biegsamen, letztere von sehr hartem, festen Holze. Die Arbeit konnte aber
nicht vollendet werden, denn dem Bogen fehlte noch die Sehne, den Pfeilen
die scharfe Spitze von Metall und die Federn; William war nicht wenig
neugierig, wie Kolbi es anfangen würde, diesem Mangel abzuhelfen.

Schon in der nächsten Nacht sollte diese Neugierde befriedigt werden. Er
sah Kolbi, so wie es völlig dunkel geworden war, fortwandern; wohin, konnte
er nicht in Erfahrung bringen, da der Wilde sich ihm nicht verständlich
machen konnte. Er blieb so lange weg, daß William sich sehr um ihn
ängstigte und schon im Begriffe war, ihm nachzugehen und ihn aufzusuchen,
als er ihn mit raschen Schritten herbeieilen hörte. Was er gethan, und was
er von seiner nächtlichen Wanderung mitgebracht hatte, konnte er nicht in
Erfahrung bringen, da, als Kolbi zurückkehrte, der bis dahin leuchtende
Mond untergegangen war und eine vollkommene Dunkelheit in der Hütte und
selbst draußen herrschte; Licht hatten aber unsre Beiden nicht, um sich die
Nacht zu erhellen.

So wie Kolbi wieder angelangt war, warf er sich auf sein Lager nieder,
seinem Freunde eine gute Nacht zurufend, denn diese Worte und die Bedeutung
derselben hatte er bereits von William gelernt, der sie ihm jeden Abend
zurief, so wie er sich zum Schlafen niederlegte. Früh am andern Morgen,
als erst William, dann Kolbi erwacht war, ging letzterer aus der Hütte in's
Freie hinaus und kehrte gleich darauf mit zwei todten Vögeln in der Hand,
die dem Ansehen nach unsern Tauben glichen, nur weit größer und von
einem schönen schillernden Gefieder waren, zu seinem Genossen zurück. Mit
triumphirenden Blicken zeigte er seinen Fang, bedeutete William, daß er auf
seinen Streifereien am vorhergehenden Tage ein Nest dieser Thiere hoch in
der Spitze eines sehr hohen Baumes entdeckt, und beide Eltern, die Mutter
darin, den Vater daneben, überrascht und getödtet habe. Er hatte sich
die Stelle, wo der Baum mit dem Neste stand, und diesen selbst so genau
gemerkt, daß er ihn auch während der Nacht wieder zu finden vermochte,
wobei ihm freilich der Mondschein etwas zu Hülfe kam.

Man kann sich vorstellen, wie erfreut William über den Anblick dieser Vögel
war, die ihm einen leckern Braten verhießen. Er zündete sogleich ein gutes
Feuer an, steckte zu beiden Seiten derselben zwei Stäbe in die Erde, die
oben durch ihre Zweige eine Gabel bildeten, und schnitzte von starkem
Holze einen Spieß, an den er die Tauben stecken und ihn dann auf die beiden
Gabeln legen wollte, zwischen denen sich das Feuer befand. Kolbi ließ ihn
gewähren und machte sich seinerseits an die Arbeit. Mit einer wirklich
bewunderungswürdigen Geschicklichkeit und Schnelligkeit rupfte er die
Tauben, wobei er Sorge trug, daß kein Federchen verloren ging, denn diese
waren von der größten Wichtigkeit für den von ihm beabsichtigten Zweck. Als
er mit dieser Arbeit fertig war, schnitt er den Vögeln den Bauch auf und
nahm behutsam aus beiden die Eingeweide heraus, mit welchen er zum nahen
Bache ging, um sie von allem Unrathe zu reinigen; die Tauben selbst aber
warf er William zu, der sich anschickte, sie an seinem improvisirten Spieße
zu braten.

Was Kolbi mit den Federn wollte, hatte William bereits begriffen; aber was
er mit den Eingeweiden anzufangen gedachte, blieb ihm so lange ein Räthsel,
bis dieser mit den gereinigten Gedärmen vom Bache zurückkehrte, und indem
er mehrere davon sehr fest zusammendrehte, eine Bogensehne davon machte.
William bewunderte die Geschicklichkeit und Aemsigkeit seines Freundes
nicht wenig, und brach in einen Jubelruf aus, als Kolbi ihm triumphirend
den fertigen Bogen und die vermittelst der Taubenfedern bereits befiederten
Pfeile zeigte, an welchem letztern nichts mehr fehlte, als die tödtende
Spitze. Er zweifelte jetzt aber keinen Augenblick mehr daran, daß Kolbi
auch dazu Rath schaffen würde, und dieses Vertrauen durfte er, nach den
Proben, die er von seiner Geschicklichkeit und Einsicht abgelegt, wohl zu
ihm haben.

Die beiden Tauben waren indeß gebraten, und wenn sie gleich nicht so lecker
waren, wie die, welche eure gute Mutter, unterstützt von einer geschickten
Köchin, zuweilen auf den Tisch bringt, wenn sie auch nicht in einem Meere
von Butter schwammen; ja, wenn ihnen sogar das Salz zur Würze fehlte, so
glaubte doch William, in seinem ganzen Leben kein so leckeres Mahl gehalten
zu haben, als dieses. Auch Kolbi ließ sich seine Taube wohl schmecken,
wobei er mit der größten Sorgfalt die Knöchelchen sammelte und auf die
Seite legte. Was er damit beginnen, zu welchem Zwecke er sie benutzen
wollte, begriff William wieder nicht, bis er seinen Freund die vorher schon
geschnitzten und befiederten Pfeile hervornehmen und ihn sie mit kleinen
scharfen Spitzen versehen sah, die er von den Knöchelchen vermittelst des
Messers geschnitzt hatte.

Jetzt war ihm Alles klar, und seine Freude nicht gering, als er sich
nun sogar auch im Besitze einer Waffe sah, die ihm noch viele solche
Leckerbissen versprach, wie er eben genossen hatte.

In Hinsicht der Handhabung des Bogens sah er sich aber weit von Kolbi
übertroffen, dessen Augen und Hände so sicher waren, daß er fast nie sein
Ziel verfehlte, während William, zum nicht geringen Ergötzen des wilden
Jägers, unter zehnmal kaum _einmal_ traf. »Uebung macht den Meister,« heißt
es im Sprichwort; so ging es auch mit William bald besser, und er wurde
lange nicht mehr so oft von dem über seine größere Geschicklichkeit
triumphirenden Kolbi ausgelacht.

Jetzt hatte man in der That keine Noth mehr zu leiden. Die Gegend wimmelte
von Vögeln aller Art; da gab es nicht nur wilde Tauben und Hühner in Menge,
sondern auch Gänse und Enten, worunter die sogenannte _Holz-Ente_, welche
ihre Jungen im Walde ausbrütet, als besonders schmackhaft erfunden wurde.
Auf dem Bache erblickte man den schwarzen Schwan; denn in Australien, das
fast in allen Dingen gänzlich verschieden von den andern Welttheilen ist,
haben die bei uns schneeweißen Schwäne ein schwarzes Gefieder.

Unter den Vögeln fiel unserm William besonders der _Emu_ -- so nannte
Kolbi dieses Thier -- oder der australische Kasuar, auf. Wenn die Kasuare
aufrecht stehen und ihre langen Hälse in die Höhe strecken, erreichen
sie fast die Größe eines Mannes. Sie sehen in der That wunderbar aus, und
William konnte sich sogar einiger Furcht vor diesen riesigen Thieren nicht
erwehren, wenn er ihnen auf seinen Streifereien begegnete. Der Emu hat
einen langen Hals und sehr lange Beine, einen plump gebauten Körper und,
obgleich er zum Vogelgeschlechte gehört, weder Federn noch Flügel. Die
Stelle der Federn vertritt eine Art von Haaren, die aber sehr dünn auf den
Körper gesäet und gleichsam ein Mittelding zwischen Haaren und Federn sind;
statt der Flügel hat er zwei kurze Lappen an der Seite. Eine Stimme hat man
noch nicht an dem Emu bemerkt. Das Fliegen ist diesen Thieren unmöglich,
dagegen aber laufen sie, wenn sie verfolgt werden, sehr schnell.

Die Eingeborenen machen mit Hunden Jagd auf sie. Man kann nur die Keulen
zur Speise benutzen, diese aber schmecken ganz wie unser Rindfleisch. Auch
die Eier sind ein Leckerbissen. Man findet sechs bis sieben in einem
Neste, und sie sind so groß, daß man die Schaalen zu Gefäßen benützen kann.
William war nicht wenig erfreut, als Kolbi auf einen ihrer Streifereien ein
Emunest entdeckte; jubelnd trug man es heim, genoß mit großem Behagen den
Inhalt, und hatte noch obendrein mehre ganz artige Gefäße, an denen es
ihnen seither sehr gefehlt hatte.

Die wilden Truthähne -- zwei Arten entdeckte man bis jetzt davon, die
dunkeln und die blaufarbigen -- waren ein großer Leckerbissen für unsre
Colonisten. Ihr Fleisch war zart und saftig, und hatte den allerbesten
Geschmack, da es fetter als das der übrigen wilden Vögel war. Sie bewohnen
die buschigen Stellen der Insel und sind nicht leicht zu erlegen, da sie
sehr furchtsamer und vorsichtiger Natur sind. Außer diesen Vögeln fand man
noch Schnepfen, die große Taube, die von Kolbi _Wanga-Wanga_ genannt wurde;
zwei Arten brauner Tauben, und die schöne Federbusch- und grüne Taube. Ein
sehr schönes Thier ist auch der Bergfasan, welcher nicht nur vortrefflich
schmeckt, sondern auch ein Spottvogel ist, der die Stimmen anderer Vögel
nachzumachen versteht. Auch Krähen und Elstern, gute Bekannte unsers
Williams von der Heimath her, zeigten sich in großer Menge; allein unsere
Schützen machten keine Jagd darauf, da ihr Fleisch nicht genießbar ist. Auf
den Gipfeln der Berge hauste der König der Vögel, der Adler, der hier einen
weißen Kopf hat; auch an andern Raubthieren, namentlich an Falken,
fehlte es nicht. Sie sind die Feinde der andern Vögel und sehr von ihnen
gefürchtet.

Auf einem Spaziergange, den William und Kolbi an einem schönen Abende
machten, erblickte ersterer einen schneeweißen, schön befiederten Vogel,
den er auf den ersten Blick für einen Kakatu erkannte; er hatte nämlich
einen solchen früher in einer Menagerie gesehen, und war nicht wenig
erfreut, ihn hier im Naturzustande zu erblicken. Späterhin entdeckte er
vier Arten von Kakatus: zwei schwarze, ohne Federbüsche, mit gelbgefleckten
Flügeln und eben so gestreiften Schwänzen; dann den weißen mit gelben und
endlich den schieferfarbigen mit rothem Federbusch. Besonderes Vergnügen
gewährten unserm William, für den diese ganze Thierwelt völlig neu war, die
vielen Papageien, die er erblickte. Man findet sie in Australien fast von
allen Farben und Größen und prächtiger gefiedert, als sonst irgendwo. Er
sah diese Thiere, die man in Europa so theuer bezahlt, in ganzen Schwärmen
umherfliegen und fast jedes Gebüsch davon belebt. Da war der schöne
Königspapagei mit seinem herrlichen grünen Gefieder, dem glänzendrothen
Kopf und Nacken -- auch ihr werdet ihn schon gesehen haben; -- den kleinen
Rosehillpapagey mit rothem Kopf und gelber Brust; den Bergpapagei, der blau
ist und in allen Farben des Regenbogens schillert. Williams Auge konnte
nicht müde werden, diese schönen Thiere zu betrachten und da sie, niemals
bisher von den Menschen verfolgt, durchaus nicht scheu thaten, konnte er
ihnen ganz nahe kommen und sie mit Muße besehen. Kolbi, der gute Kolbi
bemerkte kaum, welche Freude sein Genosse an diesen Vögeln hatte, so war
er auch schon darauf bedacht, einige davon für seinen Freund zu fangen.
Er legte ihnen sehr geschickt Schlingen, und da er ihre Lieblingsnahrung
kannte, lockte er sie vermittelst derselben in diese. William hatte bald
eine vollständige Sammlung dieser schönen Geschöpfe, und man sah sich
genöthigt, einen Winkel der Hütte mit Brettern abzukleiden, um einen
großen Käfig für die lieben Gäste herzustellen. In müßigen Stunden vertrieb
William sich die Zeit damit, diese Vögel zu zähmen und ihnen, da er ihre
große Gelehrigkeit kannte, Worte aussprechen zu lehren. Hierin zeichnete
sich vor allen andern der große Königspapagei aus, der sehr bald, zu
Williams nicht geringem Ergötzen, ganz deutlich seinen und Kolbis Namen
aussprach und nach und nach auch noch andere Worte, als: Mutter, Vater,
guten Morgen erlernte; William wollte ihm auch den Namen seiner geliebten
Vaterstadt Hamburg lehren; allein dies war eine zu schwierige Aufgabe für
seine kleine Kehle, und das Wort kam nur sehr unvollkommen heraus.

So hatten unsre Beiden in ihrer Einsamkeit und Abgeschiedenheit auch ihre
kleinen Genüsse und Freuden, die noch durch das Einfangen eines jungen
australischen Hundes, den man _Dingo_ nennt, vermehrt wurden. Diese Hunde
sind von den unsrigen sehr verschieden. Sie haben entweder dunkles oder
röthliches Haar, das sehr zottig ist, lange, buschige Schwänze, spitzige
Ohren, sehr dicke Köpfe und etwas spitzige Schnautzen. Sie laufen mit
wahrhaft erstaunenswerther Schnelligkeit und beißen tüchtig um sich, wenn
sie sich zu vertheidigen gezwungen sind. Sie bellen nicht wie unsre Hunde,
stoßen aber oft ein erbärmliches Geheul aus, das besonders bei Nachtzeiten
höchst widerlich klingt. Sie sind Raubthiere und werden von andern
Thieren sehr gefürchtet, die sie vermöge ihrer großen Schnelligkeit leicht
erreichen. Sie tödten sie nicht, reißen ihnen aber mit ihren scharfen
Zähnen ein Stück Fleisch aus und an dieser Wunde sterben dann die armen
Gebissenen eines qualvolleren Todes, als wenn sie auf der Stelle von ihnen
getödtet worden wären.

Kolbi, der eben kein Kostverächter war, hatte schon mehre Male Dingos
erlegt und sich einen für seinen Gaumen höchst schmackhaften Braten davon
gemacht; William mochte dabei aber nicht sein Gast sein, weil das Fleisch
einen überaus widerlichen Geruch hatte. Die Aehnlichkeit dieser Thiere mit
den ihm von der Heimath her so lieb gewordenen Hunden, bewog ihn aber zu
dem Wunsche, einen jungen Dingo zu besitzen, um ihn zähmen und abrichten
zu können. Kaum war Kolbi dieser Wunsch bekannt geworden, so dachte er auch
schon darauf, ihn zu befriedigen. Die Sache war aber nicht eben leicht in's
Werk zu richten, indem der Dingo, der sehr scheu ist, sein Nest überaus
gut zu verstecken weiß; auch war es, selbst wenn man bewaffnet war, nicht
ungefährlich, sich dem Lager zu nähern, wenn die Alten gegenwärtig waren,
da diese ihre Jungen wüthend vertheidigten.

Indeß verzagte unser Kolbi trotzdem nicht, und als er erst einmal so
glücklich gewesen war, das Nest eines Dingo's zu entdecken, lauerte er
so lange auf, bis er die bereits dem Säugen entwachsenen Jungen allein
überraschte. Er ergriff eines davon und trug es eilig zur Hütte, sich nicht
daran kehrend, daß es sich sträubte und mit den kleinen spitzigen Zähnen
tüchtig um sich biß.

Nicht wenig erfreut war William, sowohl über diesen neuen Beweis von der
Zuneigung seines Kolbi, als über den Besitz des artigen Thieres; denn
obschon im erwachsenen Zustande mehr häßlich als hübsch, sind die jungen
Dingos doch ganz allerliebst; auch wollte William das Thier weniger zum
Zeitvertreibe haben, als es zum Wächter erziehen.

Der kleine Dingo machte unsern Beiden zu Anfang das Leben sehr schwer. Er
biß um sich, so wie man sich seinem Behälter nur nahte, heulte die ganzen
Nächte hindurch und verschmähte zuerst sogar jegliche Nahrung, so daß
unsre Freunde, die fürchten mußten, ihn elendiglich umkommen zu sehen, aus
Mitleid schon im Begriffe waren, ihm seine Freiheit wieder zu geben. Da
änderte das kleine Ungethüm, vermuthlich, weil der Hunger ihm allzu sehr
zusetzte, plötzlich seine Natur: er genoß nicht nur etwas von dem ihm
hingeworfenen Fleische, sondern nahm es schon nach wenigen Tagen begierig
aus der Hand Williams oder Kolbis; ja, es waren nun erst einige Wochen
verstrichen, so wollte er keine andere Nahrung nehmen, als die einer der
beiden Freunde ihm reichte; selbst das Wasser, welches man ihm in einer
der von den Kasuar-Eiern gewonnenen Schaalen reichte, mußte ihm hingehalten
werden, wenn er es trinken sollte, und statt die ihm hingehaltene Hand, wie
früher, zu beißen, leckte er sie dankbar. Jetzt, da er sich so vernünftig
und zuthunlich bezeigte, glaubte man ihm die Freiheit schenken zu dürfen.
Man öffnete seinen kleinen Kerker und er kroch aus demselben hervor. Er
mißbrauchte die ihm gewährte Freiheit auch nicht, sondern trennte sich
nicht mehr von seinen Gebietern, die freilich seine volle Zuneigung auch
durch ihr liebreiches Betragen verdienten. Es war entschieden beider
Liebling und mancher Leckerbissen fiel ihm zu. Wenn sie ihr einfaches Mahl
hielten, gesellte er sich allemal zu ihnen und war offenbar »_in ihrem
Bunde der Dritte_.« Mit klugen Augen sah er bald den Einen, bald den Andern
an, ob nicht etwa ein Bissen für ihn abfiele, und erhielt er ihn, so leckte
er dankbar die Hand des Gebers. William, der ihn nie neckte und zerrte, wie
Kolbi zuweilen in seinem kindischen Muthwillen that, schien ganz besonders
seine Gunst zu besitzen, denn jede Nacht schlief er ganz dicht neben jenem.
Man hatte auf Williams Wunsch dem Dingo den Namen _Waldmann_ gegeben, nach
einem artigen Tackelchen, das in der Heimath der Liebling unsers Freundes
gewesen war, und das Thier hörte bald sehr verständig auf diesen Namen.
Ueberaus schwer war es aber gefallen, den Hund an gekochte oder vielmehr
gebratene Speisen, noch schwerer aber, ihn an den Genuß der Pataten zu
gewöhnen. Seiner Natur nach fraß er nichts als rohes Fleisch und durchaus
keine Pflanzenkost; endlich gewöhnte er sich aber doch daran, die Knochen
des gebratenen Fleisches zu nagen, und als man ihn einige Zeit hatte
hungern lassen, fraß er sogar mit Begierde die ihm dargereichten Pataten.
So fehlte es unsern beiden Einsiedlern keineswegs an kleinen Genüssen und
Freuden, ja sogar nicht an Unterhaltung, indem Kolbi nach und nach Williams
Sprache verstehen und selbst nothdürftig sprechen lernte. Zwar klang das,
was er sagte, oft überaus possierlich und mit den Fürwörtern wußte er
namentlich noch immer nicht zurecht zu kommen, auch verwechselte er die
Artikel; allein eben dieses Kauderwälsch ergötzte William und überdies
verstanden sie einander ganz vollkommen, zumal da letzterer bereits
eine Menge Wörter von der Papuas-Sprache -- der Volksstamm, zu dem Kolbi
gehörte, nennt sich die Papuas -- verstand, so daß, wenn Kolbi eine Sache
auf deutsch nicht zu nennen wußte, er sie nur in seiner Muttersprache zu
nennen brauchte, um sich seinem Freunde verständlich zu machen. William
würde sich geschämt haben, sich von Kolbi in der Gelehrigkeit übertreffen
zu lassen, und so legte er sich auf die Papuas-Sprache, wie Kolbi auf die
deutsche.

Wenn es dunkel wurde und sie folglich keine Arbeit mehr verrichten konnten,
vertrieben sie sich die Zeit wechselseitig mit Erzählungen von ihrer
Vergangenheit und den Sitten und Gebräuchen der Nation, zu der sie
gehörten. William war der Erste, welcher seinem Freunde die von ihm
erlebten Schicksale mittheilte, und Kolbi folgte seinem Beispiele.

Er erzählte ihm, daß er auf seinem winzigen, aus einem ausgehöhlten
Baumstamme gemachten Canot von der Küste eines großen, großen
Landes herübergekommen sei, weil die Feinde seines Stammes, in deren
Gefangenschaft er im Kriege gerathen war, ihn hatten braten und verzehren
wollen.

-- »Verzehren?!« rief William entsetzt bei diesen Worten aus; »verzehren?
das wäre ja abscheulich gewesen!«

-- »O, Menschenfleisch soll sehr gut schmecken,« versetzte Kolbi ruhig,
»und wäre ich nur noch ein Jahr älter gewesen, so würde auch ich es gewiß
gekostet haben; denn bei meinem Stamme erhalten es nur die tapfern Krieger,
die schon einen Feind erlegt oder gefangen genommen haben. Wäre ich nun
größer und stärker geworden, so hätte ich auch schon einen Feind tödten
oder mit meinen Händen gefangen nehmen wollen, und dann würde man es mir
nicht verwehrt haben, sein Fleisch zu braten und zu verzehren.«

-- »Ich danke Gott dafür, Kolbi, daß du eine solche Sünde nicht begingest,«
sagte William, der bei dem Gedanken schauderte, daß sein so herzlich
geliebter Kolbi ein Menschenfresser hätte werden können.

-- »Ich weiß nicht, was eine Sünde für ein Ding ist,« versetzte Kolbi;
»aber so viel weiß ich, daß es mir sehr leid thut, daß es hier keine Feinde
gibt, die man erlegen und deren Fleisch man essen kann; denn es soll besser
schmecken, als das der Kängeruh, selbst wenn diese noch jung und zart sind.
So sagte mir wenigstens mein Vater, der oft Menschenfleisch genossen hat,
nun aber keins mehr ißt, weil er todt und wahrscheinlich von den Feinden
aufgegessen ist. Ich selbst sah ihn in der Schlacht fallen, als ich ihm die
Waffen in derselben nachtrug, und da die Feinde den Sieg erhielten, weil
der gute Geist, den wir _Koyan_ nennen, sich von uns abgewendet hatte,
werden sie ihn wohl gefunden und mit sich geschleppt haben.«

-- »Wie geriethest aber du in Gefangenschaft? und wie gelang es dir,
dich aus derselben zu befreien und hieher in dem Canot zu retten?« fragte
William, der, von Neugierde getrieben, es für ein Andermal versparte,
seinen Freund davon zu unterrichten, was eine Sünde sei.

-- »Das will ich dir sagen,« versetzte Kolbi. »Als mein Vater von der Lanze
eines Feindes getroffen worden war und blutend zu Boden sank, wurde ich so
betrübt, daß ich neben ihm niederfiel und vor übergroßer Betrübniß nicht
daran dachte, mich zu retten. Zwar rief er mit der letzten Anstrengung
seiner Kräfte zu: »Flieh, mein Sohn! Rette dich! sonst werden die Feinde,
wenn sie den Sieg erhalten, auch dich schlachten und verzehren!« allein ich
war viel zu betrübt, um diesem Befehle Folge leisten zu können; auch mochte
ich meinen Vater nicht verlassen, so lange noch Leben in ihm war. Als aber
sein Athem stockte; als er die Augen schloß, um sie nicht mehr aufzuthun,
da war es zu spät, mich zu retten. Die Feinde hatten unsern Stamm in die
Flucht geschlagen; ich wurde neben der Leiche meines Vaters ergriffen;
man band mir die Hände auf den Rücken fest und schleppte mich fort an den
Strand des Meeres, wo man ein Siegesfest feiern und die Erschlagenen, mich
wahrscheinlich auch, nachdem man mich geschlachtet, verzehren wollte.
Ich war sehr traurig, denn ich mochte mich nicht braten und verzehren
lassen......«

-- »Das verdenke ich dir nicht,« unterbrach William den Erzähler; »ich
hätte das auch nicht gemögt. Aber erzähle weiter; ich bin sehr begierig
darauf, wie du dich rettetest.«

-- »Als die Feinde mich mit sich an's Ufer geschleppt hatten,« fuhr Kolbi
fort, »banden sie mich an einen Baum fest, der unfern des Platzes stand,
wo sie ihr Siegesfest feiern wollten und wo sie bereits ein großes Feuer
angezündet hatten, an dem die Getödteten und ich gebraten werden sollten.
Ich weinte bitterlich und erwartete jeden Augenblick den Tod. Sie
bereiteten indeß den _Kawa_, indem sie eine Wurzel kauten und den dadurch
erhaltenen Brei mit Wasser vermischten, wie es bei uns Sitte ist; wer aber
viel von diesem Getränke trinkt, der wird wie toll und weiß nicht mehr, was
er thut; er macht die närrischten Sprünge und ist so ausgelassen lustig,
daß es eine Freude ist, ihn zuzusehen. Die Feinde tranken nun vielen Kawa
und als ich sie in dem dir eben beschriebenen Zustande sah, glaubte ich,
daß es Zeit sei, an meine Rettung zu denken. Ich versuchte, eine meiner
Hände aus der Schlinge zu ziehen, mit der beide an den Baum befestigt
waren, und nach einiger Anstrengung gelang es mir. Denn, als Alles das
bereits hoch empor lodernde Feuer umtanzte und Keiner mehr Acht auf mich
gab, warf ich mich auf den Boden nieder und kroch auf dem Bauche, wie eine
Schlange, durch das hohe Gras hin, bis ich in einen Wald gelangte. Hier
erhob ich mich und eilte so schnell von dannen, daß es den Feinden nicht
möglich gewesen sein würde, mich noch wieder einzuholen. Lange irrte ich in
dem mir völlig unbekannten Walde umher, nährte mich von Beeren und
Wurzeln und schlief des Nachts auf Bäumen, zwischen deren Zweigen ich mich
festklemmte, um im Schlafe nicht herunter zu fallen. Endlich gelangte ich
wieder an das Meer und da ich, zu meiner Freude, am Strande ein Canot fand,
schob ich es in das Wasser, setzte mich hinein und ruderte fort. Wohin?
das wußte ich selbst nicht, auch war es mir gleich viel, wenn ich nur nicht
wieder in die Gewalt derer fiele, die mich braten und verzehren wollten.
Ich hatte gehört, daß gegen Aufgang des großen Gestirns, das du Sonne
nennst, nicht allzufern von der Küste, ein Eiland läge, und dahin steuerte
ich in der Hoffnung es zu finden. Das Glück verließ mich nicht, und nachdem
ich fast einen halben und einen ganzen Tag auf dem Meere umhergeschifft
war, erblickte mein Auge in der Abenddämmerung die Küste der Insel, die ich
bald glücklich erreichte. Ich zog mein Canot auf den Strand und legte mich
darein, um zu schlafen; denn es war dunkel geworden und ich so müde, daß
ich kaum an meinen großen Hunger dachte. Am andern Morgen, als ich die
an den Strand getriebenen Trümmer des großen Hauses auf dem Meere, das du
Schiff nennst, betrachtete, und die gleichfalls entdeckte Kiste öffnete,
fandest du mich. Alles Andere aber weißt du auch, daß ich dich zu Anfang
für den bösen Geist _Potayan_ hielt, der den armen schwarzen Leuten großen
Schaden zufügt, und mich sehr vor dir fürchtete.« Hier schloß Kolbi seine
Erzählung, die ich Euch nicht in seiner unvollständigen, kauderwälschen
Sprache, sondern in der mitgetheilt habe, die Euer Ohr gewohnt ist.




Sechszehntes Kapitel.


Dadurch, daß unsre Freunde jetzt hinlänglich mit Jagdgeräth versehen waren
-- denn Kolbi hatte für William auch einen trefflichen Bogen gemacht und
Pfeile schnitzte er stets in Menge -- konnten sie bereits darauf denken,
auch den vierfüßigen Thieren der Insel den Krieg zu erklären. Es gab deren
nicht viele auf derselben, wie Australien überhaupt nicht eben reich an
vierfüßigen Thieren ist; dafür aber waren sie desto seltsamer, und unser
William, dem sie bisher völlig unbekannt geblieben waren, konnte oft vor
Erstaunen kein Wort hervorbringen, wenn er ihnen auf seinen Streifereien
begegnete.

Da war zuerst das _Kängeruh_, wovon es wohl fünf bis sechs verschiedene
Arten gab, und das größte einheimische Thier Australiens ist, und, obschon
es oft an 200 Pfund wiegt, zum _Mäusegeschlecht_ gehört.

-- »Zum Mäusegeschlecht sollte ein so großes Thier gehören?« fragt wohl der
Eine oder Andere voll Verwunderung.

-- Zu keinem andern, ist meine Antwort, und wenn Ihr eine Naturgeschichte
zur Hand nehmt, die mit Abbildungen versehen ist, werdet Ihr finden, daß
dieses große und seltsam gebildete Thier in seinem Bau, bis auf die langen
Hinter- und sehr kurzen Vorderfüße, eine große Aehnlichkeit mit unsern
Mäusen hat. Es gibt graue, röthliche und schwarzbraune Kängeruhs, und fast
von allen Größen, bis zur Kängeruhratte hinab, die gern in hohlen Bäumen
wohnt.

Kaum kann ein Anblick seltsamer sein, als der dieser Thiere. Der Körper
derselben ist, wie schon gesagt, wie der einer großen Maus gestaltet, sie
haben aber wohl dreimal so lange Hinter- als Vorderfüße und gehen fast
beständig auf den ersteren, folglich in aufrechter Stellung.

Der sehr kurzen Vorderfüße bedienen sie sich fast nur, um ihre Nahrung zu
erfassen, die in Gras und Kräutern besteht. Ihres überaus langen, starken
und dicken Schwanzes bedienen sie sich zum Stützpunkte, er vertritt
also gleichsam die Stelle eines dritten Beins. Ihr Gang ist eine Art von
beständigem Hüpfen, wobei sie sehr schnell von der Stelle kommen. Sie haben
nur _ein_ Junges zur Zeit, das sie, bis es gehörig ausgewachsen, in einem
unter ihrem Leibe befindlichen Beutel tragen, weshalb man sie auch zu den
_Beutelthieren_ zählt. Sie sind durchaus harmlos und, wo man nicht häufig
Jagd auf sie macht, auch wenig scheu. Wenn sie verfolgt werden, machen sie
ungeheure Sprünge und setzen oft sogar über breite Bäche und Hecken weg,
wobei ihnen ihr starker Schwanz gleichsam als Springstock dient. Man jagt
sie, da ihr Fleisch sehr schmackhaft und beliebt ist, mit Hunden, die sie
in die Beine beißen, umwerfen und durch Bisse in die Kehle tödten.

Ein anderes seltsames Thier, dem unsere Freunde zuweilen in den Wäldern
begegneten, war der _Koala_ oder australische Bär. Er hat die Größe eines
erwachsenen Pudels und ist hellgrau von Farbe. Ihm fehlt der Schwanz
gänzlich. Die Ohren stehen unten sehr weit und breit, oben spitzig hoch
über dem Kopf empor und geben ihm ein seltsames Ansehen. Als Kolbi einst
ein solches Thier erblickte, und dieses, um sich durch die Flucht vor ihm
zu retten, einen sehr hohen Gummibaum erklomm, was sie, trotz ihres etwas
plumpen Körpers mit großer Gewandtheit thun, war auch er nicht träge und
ehe zwei Minuten verstrichen waren, hatte er es im höchsten Gipfel des
Baumes erreicht, nahm es in seine Arme, drückte ihm die Kehle zu und warf
es, da er es todt glaubte, hinunter; denn der Koala gilt bei den Wilden für
einen großen Leckerbissen, und man war eben um einen guten Braten verlegen.
Dieses Thier vermittelst Pfeilschüsse zu erlegen, wäre nicht gut möglich
gewesen, da es ein sehr dickes, zottiges Fell hat.

Kolbi war nicht wenig froh, daß die Expedition ihm so gut gelungen war; er
hatte aber die Rechnung ohne den Wirth gemacht: der Koala war nicht völlig
in seinen Armen erstickt und so glücklich gefallen, daß er, nachdem er
einige Augenblicke wie betäubt unter dem Baume gelegen, sich plötzlich
aufrichtete und davon lief. Dies rettete ihn jedoch nicht, denn kaum hatte
er sich auf die Beine gemacht, so war Waldmann, der Dingo, sein natürlicher
Feind, schon hinter ihm, erreichte ihn bald und erwürgte ihn. Auch die
Koalas oder Beutel-Bären gehören zu den Thieren, die ihre Jungen in
einem Beutel unter ihrem Leibe tragen. Sie sind völlig harmlos wie die
Kängeruh's[2] und nähren sich nur von Pflanzenkost, am liebsten von den
jungen Sprossen der Gummi-Bäume. Wenn nun gleich unser William bisher schon
über die vielen ungewohnten Erscheinungen in der Thierwelt erstaunt gewesen
war, so sollte er es durch ein in seiner Art einziges Thier noch mehr
werden.

  [2]: Der große Naturforscher _Oken_ schreibt den Namen dieses Thieres
  in seiner Naturgeschichte _Känge-Ruh_.

Als er mit seinem Kolbi an einem Abende an dem herrlichen Bache entlang
spaziren ging, sah er in der kristallhellen Fluth ein Thier sich bewegen,
von dem er nicht zu sagen wußte, ob es ein Fisch, ein Vogel oder ein
Säugethier sei. Es war ungefähr 1½ Fuß lang, hatte einen mit kurzen braunen
Haaren bewachsenen Körper, der in einer Art von Fischschwanz endete, hinten
zwei längere, vorn zwei sehr kurze Füße, deren Klauen mit Schwimmhäuten
versehen waren, und, was das Wunderbare der Erscheinung vermehrte, ein
Maul, das vollkommen einem breiten Eulenschnabel glich, was ihm ein
vogelartiges Ansehen gab.

Diese Erscheinung war so auffallend, daß William beim unerwarteten Anblick
dieses seltsamen Thieres einen Ruf der Verwunderung erschallen ließ, auf
den Kolbi zu ihm trat, um zu sehen, was es gäbe. William zeigte mit der
Hand nach der Gegend, wo das Thier sich im Wasser bewegte und sah seinen
Freund fragend an, als wolle er von ihm Aufschluß über diese seltsamste
aller Erscheinungen verlangen. Kolbi zeigte aber kein Erstaunen in seinen
Mienen, denn für ihn war das Thier kein Fremdling und mit gleichgültigem
Tone sprach er das Wort _Mouflengong_ aus, mit welchem Namen die
Eingeborenen es benennen. Es war aber das sogenannte _Schnabelthier_
(=Ornithorhynchus paradoxus=), über das von den Naturforschern schon so
viel geschrieben worden ist. Nach langem Streiten, ob das Thier ein Fisch,
ein Vogel oder ein Säugethier sei, ist ausgemacht worden, daß es zu den
Säugethieren gehört, denn es bringt lebendige Junge zur Welt und säugt sie.

Gern hätte William dieses seltsame Geschöpf noch länger beobachtet, allein
Kolbi warf aus Muthwillen mit einem Steine darnach, und alsobald tauchte
es unter, kam auch nicht wieder zum Vorschein, was William sehr leid that,
denn er konnte sich nicht satt daran sehen.

Das Schnabelthier wird nur in den Flüssen und Seen Australiens gefunden,
wo es sich von Insecten und deren Eiern nährt, die es unter den Wurzeln
der Wasserpflanzen sucht. Ein Naturforscher, Herr _Bennett_, ein Engländer,
reiste eigends in der Absicht nach Australien, die Natur dieses seltsamen
Geschöpfes zu erforschen, und ihm verdanken wir größtentheils, was wir
darüber wissen.

Außer den Euch bereits genannten und zum Theil beschriebenen Thieren, sah
unser William auch noch die sogenannten fliegenden Füchse, harmlose Thiere,
die aber ein gar häßliches Ansehen und Aehnlichkeit mit unsern Fledermäusen
haben, fliegende Eichhörnchen, Opossums, _Bandikuts_, die viermal so
groß wie unsere Ratten und den Wilden eine angenehme Speise sind. Auch
an Stachelschweinen fehlte es nicht; sie hatten Aehnlichkeit mit den
europäischen.

Kolbi, dem diese Thierwelt schon bekannt war, konnte nicht begreifen, wie
William so großes Vergnügen daran finden konnte, diese für ihn so völlig
neuen Gegenstände genau in Augenschein zu nehmen, und mehre Male meinte er,
es müsse wohl in dem Vaterlande seines Freundes weder Thiere noch Pflanzen
geben, da William so oft sein Erstaunen über dieses oder Jenes an den Tag
legte. Dieser belehrte ihn zwar eines andern, indem er ihm sagte, daß man
zwar in Europa auch Thiere und Pflanzen, aber ganz anderer Art habe.

-- »Nun,« versetzte Kolbi, »so begreife ich nicht, weshalb du dich bei den
unsrigen so lange aufhältst: Thier ist Thier, und Pflanze, Pflanze!«

Daß es ein großes Vergnügen für einen denkenden Menschen sei, sich zu
belehren, davon hatte unser Wilder keinen Begriff. Für ihn hatten nur
solche Dinge Bedeutsamkeit, von denen er mehr oder minder Nutzen ziehen
konnte. In dieser Zeit machte Kolbi, der die Augen überall hatte, die
Entdeckung, daß ein Thier, welches er _Wombat_ nannte, in der Nähe ihrer
Hütte sein müsse, und er pries seinem Freunde dasselbe als eine sehr
leckere Speise. Er hatte nämlich eine Höhle dieses Thiers entdeckt; denn es
gräbt sich solche in die Erde, um während des Tages darin zu schlafen.
Der _Wombat_ oder das Beutel-Murmelthier, ist bis jetzt nur in Australien
gefunden worden, und gehört zu den Pflanzen fressenden Thieren. Es ist fast
so groß, wie eine englische Dogge, grau von Farbe und sehr plump gebaut;
in seinen Bewegungen ist es äußerst langsam. Man brachte zwei dieser Thiere
nach Paris, um ihre Lebensweise zu erforschen, und sie waren bald so
zahm, wie unsre Hunde; allein sie zeigten weder den Verstand noch die
Gelehrigkeit derselben, sondern waren dumm und so träge, daß man sie selbst
durch Schläge nicht zum schnellerem Fortlaufen zu bewegen vermochte. Sie
gehören zu den Beutelthieren, d. h. zu den Thieren, die ihre Jungen
in einem an ihrem Leibe befindlichen Beutel bei sich tragen, bis diese
selbstständig sind und sich selbst ernähren können.

Die Wilden stellen ihnen besonders ihres Fetts wegen nach, und eben deshalb
war unser Kolbi auch so begierig, eins zu fangen und zum leckern Mahle zu
bereiten. Lange entzog es sich seinen Bemühungen und der Dingo, der tief
in seine Höhle einkroch und es mit dem Maule aus derselben hervorzog, mußte
endlich das Beste dabei thun. Kolbi tödtete es jetzt, zog ihm das Fell ab
und zertheilte es in kleinere Stücke. Das Fleisch des Wombats war in der
That ein Leckerbissen und so fett, daß beim Braten sehr viel Fett in's
Feuer trof. Was hätte unser William nicht darum gegeben, dieses auffangen
und statt des Oels oder Talgs gebrauchen zu können; es fehlte ihm aber an
einer Bratpfanne, um es aufzufangen. Er hätte dieses Fett aus dem Grunde
so gern aufgehoben, weil es die bereits sehr langen Abende, die man völlig
müßig wegen Mangel an Licht zubringen mußte, ihm verkürzt haben würde; denn
der Müßiggang war für unsern Freund eine entsetzliche Plage.

Am Tage gab es freilich Beschäftigung für Beide genug. Man hatte immer noch
mit der Hütte zu thun, in der man diese oder jene Bequemlichkeit anbrachte,
und deren Ritzen man sorgfältig mit Gras verstopfte, weil Kolbi geäußert
hatte, es werde nun bald eine sehr schlimme Zeit kommen, in der »viel, viel
Wasser« -- so drückte er sich aus, vom Himmel herabfallen würde. Daß
er darunter den Regen verstand, werdet Ihr, meine Geliebten, wohl schon
begriffen haben.

Ferner hatte man angefangen, einen Garten auf dem Abhange des Hügels,
worauf die Hütte lag, anzulegen und ihn, zum Schutze gegen die wilden
Thiere mit einer steinernen Mauer zu umgeben. An Steinen dazu fehlte es
nicht, nur machte es einige Mühe, sie den Hügel hinanzuschleppen. Als
die Umzäumung fertig war, machte William von einem Stücke Eichenholz ein
Grabscheit, die die gewünschten Dienste beim Umgraben des Bodens leistete;
auch einen Rechen oder eine Hacke machte er, um das gegrabene Land zu
ebnen, das dann in ordentliche Beete eingetheilt wurde. Auf diese Weise
gewann das Plätzchen ganz das Ansehen eines Gartens. Als der Boden bereitet
war, dachte man auch daran, ihn zu bepflanzen. Zuerst setzte man neben der
Mauer und rund um dieselbe, Himbeersträuche, die, da man sie fleißig begoß,
bald fröhlich fortwuchsen. Aber wie mühselig war dieses Begießen, da man
kein anderes Gefäß dazu hatte, als die Ledertasche oder die Eierschalen,
die William von den Eiern des _Emus_ oder australischen Kasuars gewonnen
hatte. Wie viele Male mußte man den Berg hinab und wieder hinaufsteigen,
um die vielen Pflanzen zu begießen! Dabei bewies aber Kolbi eine wirklich
außerordentliche Ausdauer, die die Williams bei Weitem übertraf.

Auf die bereiteten Beete pflanzte man dann Pataten, diese für unsre
Einsiedler so wichtige Frucht. William verfuhr ganz so damit, wie man in
Europa mit den Kartoffeln verfährt und sein Fleiß wurde reichlich belohnt.

Ein besonderes Interesse gewährten ihm aber einige Apfelsinen-Körne, die
er in einer der Taschen der Kleidungsstücke gefunden hatte, welche ehemals
seinem guten Freunde, dem Zimmermann, angehört hatten. Zu welchem Zwecke
dieser sie aufgehoben -- vielleicht, um sie bei seiner Rückkehr nach Europa
selbst zu pflanzen? -- wußte er sich nicht zu sagen; genug, er fand zehn
bis zwölf Stück davon, die sorgfältig in Papier gewickelt waren, und
zugleich mit ihnen einige platte Körner, die er auf den ersten Blick für
Gurkenkörner erkannte, die aber, wie sich späterhin auswies, Körner von
Melonen waren.

Dieser Fund versetzte unsern William in eine Art von Freudentaumel und es
hätte nicht viel gefehlt, daß er die lieben Körner geküßt. Er bereitete für
sie eine besondere gute Stelle, reinigte sie von allen Steinchen und legte
die Körner, etwa zwei bis drei Fuß von einander entfernt, einen halben Zoll
tief in die Erde, was er mit einer Art von heiliger Empfindung that. Damit
nicht etwa die Papageyen, deren Genäschigkeit ihm bereits bekannt war,
über die _Steffens-Stelle_ -- so hatte er sie im Andenken an den guten
Zimmermann benannt -- kämen, die gelegten Körner hervorwühlten und
aufpickten, bedeckte er sie mit den Blättern des Farrenkrautbaumes, die
ihnen hinlänglichen Schutz gewährten. Er hatte die Vorsicht gehabt, die
vermeinten Gurkenkerne von den Orangenkörnen zu trennen, und dies bekam
ihm sehr gut, wie die Folge zeigte. Die sich bald über alle Erwartung
ausbreitenden, die Größe unserer Kürbispflanzen erreichenden
Melonenpflanzen würden die zarten Orangenstämmchen bald überwuchert und
gänzlich unterdrückt haben.

Da die Erde überaus trocken war, begoß er sie jeden Abend; allein trotz dem
lagen die Körner viel zu lange für seine Ungeduld in der Erde, ohne sich
zu zeigen. Endlich aber zuckte das erste grüne Blättchen, das noch die
zersprengte Hülse gleich einem Mützchen auf dem Kopfe hatte, aus dem Boden
hervor, und der Jubel der Freunde war kein kleiner. Es waren die Melonen,
die sich zuerst hervor gemacht hatten; bald aber zeigten die Orangen
gleichfalls ihre zarten Spitzen und wuchsen von nun an fröhlich fort.

Wenn Einer von Euch Lieben auch einmal vom Schicksale zum Robinson bestimmt
sein und gerade auf dieses Eiland kommen sollte, so werdet Ihr Euch an
den herrlichen Früchten dieser Stämmchen laben und unsers Williams dabei
gedenken können, der selbst sie nicht genießen sollte. Auch die Melonen
dürften sich selbst fortgepflanzt haben und nicht weniger willkommen sein,
als die saftigen und duftigen Orangen.




Siebenzehntes Kapitel.


In der kleinen Colonie trugen sich indeß zwei Vorfälle zu, bei welchem
William, bei dem erstern mit einem kleinen, bei den letzern aber mit einem
großen Schrecken davon kam.

William, der einstmals allein auf der Insel umherstreifte, weil Kolbi eben
beschäftigt war, neue Pfeile zu spitzen, ließ sich durch eine ihm
sonst nicht eigenthümliche Naschhaftigkeit verleiten, etwas von dem
weißröthlichen Stoffe zu kosten, der in leichten Flocken an dem Grase unter
den Bäumen hing, die von den Naturforschern =Eucalyptus manniferra= genannt
werden. Diese Bäume schwitzen einen solchen Saft in großer Menge aus und
streuen ihn auf den unterliegenden Rasen, oder er bleibt auch in leichten
Flocken an den zarten Zweigen hängen.

Diese Flocken hatten einen sehr angenehmen, süßlichen Geschmack, und das
war es, was unsern Freund verführte, ziemlich viel davon zu genießen. Aber
o Himmel! wie schlecht bekam ihm seine Naschhaftigkeit, fast so schlecht
wie »_Fritz dem Näscher_,« in dem Euch gewiß bekannten Gedichte, die
seinige.

Kaum hatte er das Manna -- denn dieses war es, was er genossen hatte --
zehn Minuten im Leibe, so wurde ihm entsetzlich übel und dabei stellte
sich ein Bauchgrimmen ein, wie er es nie zuvor gehabt hatte. Seine Kräfte
drohten ihn gänzlich zu verlassen und nur mit der äußersten Anstrengung
vermochte er sich nach Hause zu schleppen, wo er wie ein halbtodter Mensch
niedersank und in ein solches Aechzen und Stöhnen ausbrach, daß Kolbi
erschrocken seine Arbeit niederwarf und ihn fragte: ob er denn todt bleiben
wolle?

-- »Ach!« stöhnte William »ich glaube, daß ich irgend ein Gift genossen
habe und sterben muß. Armer Kolbi, was soll denn aus dir werden?«

-- »Wenn du stirbst, dann sterbe ich auch,« versetzte der gute Junge; »ich
mag nicht mehr ohne William leben; William ist so gut gegen Kolbi!« Die
hellen Thränen traten ihm bei diesen Worten in die Augen und weinend setzte
er sich zu seinem, sich wie ein Wurm windenden und krümmenden Freunde
nieder; wie er ihm helfen, wodurch seinen Zustand erleichtern solle? das
wußte er nicht.

-- »Kolbi,« nahm William nach einer Pause wieder das Wort, »Kolbi, ich
glaube nicht, daß ich davon kommen werde, denn die Schmerzen in meinen
Eingeweiden sind zu groß, als daß ich sie lange aushalten könnte. Wenn ich
aber sterben sollte, dann versprich mir zwei Dinge: erstlich, nicht mit mir
sterben, sondern nach Gottes Willen auch ohne mich fortleben zu wollen,
und dann, mich ordentlich zu begraben, in dem Gärtchen vielleicht, das
wir angelegt haben, und dessen Früchte ich wohl schwerlich noch genießen
werde.« -- »Ich will wohl ein großes Loch in die Erde graben und dich
hineinlegen, wenn du dich nicht mehr rühren und nicht mehr die Augen
aufschlagen kannst,« versetzte Kolbi; »allein wenn du darin liegst, dann
grabe ich gleich ein zweites Loch für mich, denn ich will nicht ohne dich
leben.«

William wollte ihm aber das Sträfliche eines solchen Vorsatzes
auseinandersetzen, als das Manna die Wirkung auf ihn hervorbrachte, wegen
welcher es in unsern Apotheken aufbewahrt wird: es ist nämlich ein sehr
starkes Abführungsmittel, und da William eine gute Portion davon zu sich
genommen hatte, war die Wirkung dem angemessen. Hilf Himmel! wie oft mußte
der arme Junge nicht ein entlegenes Plätzchen aufsuchen, um seinem Freunde
nicht beschwerlich zu fallen! Wie ermattet, wie elend fühlte er sich nicht,
wie oft wünschte er nicht, durch den Tod von seinen Leiden befreit zu
werden!

Die ganze Nacht ging es so fort, und erst mit Anbruch des nächsten Morgens
legten sich die Schmerzen und die übrigen lästigen Wirkungen des Mannas, so
daß er ein wenig einschlafen konnte. Der gute Kolbi saß weinend neben
ihm und lauschte auf seine Athemzüge, ob sie auch schon stockten; denn er
glaubte nicht anders, als daß sein geliebter William »über das große Wasser
hinfliegen« würde, denn die Wilden Australiens stellen sich so den Tod vor.

Einige Stunden ruhigen Schlafs wirkten aber wie ein Wunder: William fühlte
sich beim Erwachen wie neugeboren und ganz ohne Schmerzen. Zwar war er noch
so matt, als hätte er eine lange Krankheit überstanden, und sah so bleich
aus wie einer, der schon lange im Grabe gelegen; aber trotz dem war sein
Zustand jetzt doch so, daß er wieder neue Lebenshoffnungen zu schöpfen
begann; ja, es regte sich sogar wieder einiger Hunger bei ihm, was, nach
der erlittenen großen Ausleerung, eben kein Wunder war.

Als Kolbi sein Verlangen nach Nahrung vernahm, war er sehr vergnügt, denn
mit Recht dachte er, daß sein Freund sich jetzt in der Genesung befinden
müßte. Er hatte noch ein Stück von einer gebratenen Taube und gab es
William, der es mit gutem Appetit verzehrte. Einige Himbeeren, die Kolbi
ihm zu seiner Erquickung pflückte, bekamen ihm ganz vortrefflich, indem
sie seinen brennenden Durst zugleich löschten. Schon nach zwei Tagen
befand William sich vollkommen wieder wohl; so oft er aber einen Mannabaum
erblickte, mußte er an sein Abentheuer denken.

Der zweite Vorfall wäre bald weit schlimmer abgelaufen.

Ihr werdet euch erinnern, daß William unter den Sachen des Zimmermanns
auch eine silberne Uhr gefunden hatte und sie sehr werth hielt. Er zog sie
regelmäßig jeden Morgen auf und stellte sie jede Woche einmal um Mittag,
wenn die Sonne gerade über seinem Scheitel stand, so daß sie doch ungefähr
die richtige Tageszeit anzeigte. Kolbi sah immer sehr aufmerksam zu,
wenn er die Uhr aufzog, denn jetzt fürchtete er sich nicht mehr vor
dem »lebendigen Dinge,« wie er sie nannte, nachdem ihm William die
Zusammensetzung der Uhr, das Ineinandergreifen der Räder u. s. w. gezeigt
und ihm die Sache nothdürftig erklärt hatte. Zwar war trotzdem noch immer
eine geheime Scheu in dem Wilden vor dem »lebendigen Dinge,« und er sah es
oft furchtsam von der Seite an; allein er erschrack nicht mehr davor, wie
früher, wenn er es zufällig berührte.

An einem Morgen, wo William über eine andere Beschäftigung vergessen hatte,
die Uhr aufzuziehen, kam eine ganz besondere Kühnheit über den armen Kolbi.
Nach einigem Zögern nahm er die Uhr, legte sie ans Ohr und steckte den
Schlüssel in das Loch, so wie er sie nicht mehr gehen hörte, um sie
aufzuziehen. Dies hatte er oft von William gesehen und glaubte es auch zu
können. Er drehte und drehte; die Uhr fing an zu zucken und seine Freude
war groß; konnte er ja nun doch auch das Ding lebendig machen! Er kam sich
zugleich wie ein Held und wie ein großer Künstler vor.

Er drehte also, da die Sache so gut ging, erst langsam, dann immer
geschwinder fort, bis es auf einmal im Innern der Uhr knack! sägte und es
furchtbar zu schwirren anfing. Ein wahrhaftes Entsetzen ergriff ihn, und er
ließ sie in diesem Augenblick auf den Boden fallen. Da sie auf den harten
Stein fiel, zerbrach das Glas und sprang in Splittern weit umher.

Einige Augenblicke stand Kolbi wie vom Schlage gerührt. Er glaubte nun doch
an Zauberei, und daß irgend ein Geist in der Uhr verborgen sei, der seinen
Zorn gegen ihn durch das Schwirren habe kund geben wollen. Wenn ihm dieser
Gedanke an sich nun schon eine panische Furcht einflößte, so wurde sie noch
durch die Vorstellung von dem Zorne vermehrt, den William wie er meinte,
darüber an den Tag legen würde, daß er die Uhr zerbrochen hatte, so daß der
arme Wilde keine andere Rettung, als durch eine eilige Flucht sah.

Er schlich sich aus der Hütte, kroch hinter der steinernen Befriedigung des
Gartens auf seinem Bauche fort, um von dem im Garten beschäftigten William
nicht gesehen zu werden, und fort war er!

Als William mit seiner Arbeit fertig war und in das Haus zurückkehrte,
wunderte er sich zwar, Kolbi nicht dort zu finden; allein er hatte doch
keine Ahnung davon, wie die Sachen standen, sondern glaubte vielmehr, daß
sein Freund vielleicht auf die Jagd oder sonst wohin gegangen sei, um ihm
eine angenehme Ueberraschung zu bereiten, wie er oft zu thun gewohnt war.
Als aber der Abend herankam und Kolbi noch immer nicht zurückgekehrt war,
ja, als es endlich sogar Nacht wurde und Mond und Sterne hell am Himmel
standen, da ergriff ihn eine unendliche Angst um den so innig geliebten
Genossen und diese trieb ihn aus der Hütte fort, um ihn zu suchen. So
lange war Kolbi noch nie weggeblieben: es mußte ihm also irgend ein Unfall
begegnet sein!

Er durchstreifte die ganze Umgegend; er rief ohne Aufhören den Namen seines
Freundes; keine andere Stimme aber antwortete ihm, als seine eigene, die
durch das nahe Echo zurückgeworfen wurde.

Jetzt bemächtigte sich eine wahrhafte Verzweiflung seiner. Er kehrte in die
Hütte zurück und sank laut weinend auf sein Lager. Kein Schlaf kam in seine
Augen.

Früh, mit dem ersten Strahl des Tages, erhob er sich wieder, um seine
Nachforschungen fortzusetzen. Er durchstreifte nicht nur die Umgegend und
den nahen Wald von Gummibäumen, sondern wagte sich sogar in Gegenden,
die noch nicht von ihnen besucht worden waren, so daß er endlich an
das jenseitige Meeresufer gelangte. Obgleich die Sonne ihre sengendsten
Strahlen vom Himmel herniedersendete; obgleich er den ganzen Tag nichts
genossen hatte, als dann und wann einen Trunk aus der Quelle, so fühlte
er in seiner großen Angst doch weder Hunger und Durst, sondern rannte nur
immer vorwärts, stets den Namen Kolbi's rufend, bis die Stimme ihm den
Dienst versagte und er nicht mehr rufen konnte.

So brach der zweite Abend an und da William zu weit von der Hütte entfernt
war, um noch dahin zurückkehren zu können, warf er sich laut weinend unter
einem Baume nieder, um, wo möglich, einigen Schlaf zu finden.

Stellt Euch, meine jungen Freunde, die trostlose Lage unseres Williams
vor, und Ihr werdet nicht nur seinen Schmerz begreifen, sondern gewiß
das innigste Mitleid mit ihm haben. Wenn es schon eine bittere Sache ist,
inmitten der menschlichen Gesellschaft einen geliebten Freund zu verlieren,
um wie viel härter mußte es nicht sein, den _einzigen_ Genossen einbüßen
zu sollen? Und Kolbi war, obschon nur ein Wilder, der beste zärtlichste
Freund. Seine Liebe und Hingebung für William kannte keine Grenzen; er war
immer nur darauf bedacht, ihm eine Freude zu machen, ihm die Arbeiten zu
erleichtern und die größeren Beschwerden abzunehmen. Er besaß das reinste,
beste Herz von der Welt und übte, ohne einmal zu wissen, was Tugend
sei, die schönsten, erhabensten Tugenden. Er war unfähig zur Lüge und
Verstellung, stets wahr, treu, uneigennützig und aufopfernd; an sich
selbst dachte er immer zuletzt, desto mehr aber an seinen William, den er
gleichsam wie ein höheres Wesen verehrte, weil er fühlte, wie sehr dieser
ihm an Verstand, Einsicht und Wissen überlegen sei. Dabei besaß er eine
unverwüstlich gute Laune und war immer zu Scherzen und Spässen aufgelegt.
Er sang den ganzen Tag bei der Arbeit, hüpfte und sprang wie ein Reh,
machte Purzelbäume und die närrischsten Capriolen, so daß er William
zugleich auf die angenehmste Weise unterhielt.

Er konnte aber auch wieder ernsthaft sein und sich zusammennehmen, und zwar
besonders beim Lernen. William, der Mitleid mit seiner großen Unwissenheit
hatte, war nämlich auf den Gedanken gekommen, seinen Kolbi in manchen
Dingen zu unterrichten und ihm richtigere Ideen davon beizubringen. Zu den
Gegenständen, worin er ihn unterrichtete, gehörte auch das Lesen. Er hatte
ja in der Kiste des Zimmermanns zwei Bücher gefunden, und diese konnten ihm
sehr gut dazu dienen, seinem Kolbi eine Wissenschaft beizubringen, die mit
Recht als die Mutter aller übrigen Wissenschaften angesehen wird. Er zeigte
ihm also in dem mit ziemlich großen Lettern gedruckten Gesangbuche erst
die Lettern des großen, dann auch die des kleinen A-B-Cs, und lehrte ihn
zugleich die Aussprache. Um Kolbi nicht zu ermüden, oder ihm, der das
Lernen nicht gewohnt war, gar einen Eckel dagegen einzuflößen, zeigte er
ihm jeden Tag nur _einen_ Buchstaben, so daß er in vier und zwanzig Tagen
erst das Alphabet kennen lernte. Das aber konnte Kolbi bald so gut, daß
er gar nicht mehr fehlte, und jetzt konnte William schon zum Buchstabiren
übergehen. Der eben nicht sehr geschmeidigen Zunge fielen aber manche Laute
sehr schwer und es war possirlich anzuhören, wie er sich damit abkasteite;
besondere Mühe machte es ihm, Worte auszusprechen, in denen mehre stumme
Buchstaben hinter einander vorkamen, und die Silben gehörig trennen
zu lernen. Indeß überwand sein Eifer und sein Fleiß endlich doch alle
Hindernisse. An und für sich machte ihm das Lesenlernen gar kein Vergnügen,
weil er noch nicht begriff, wozu es gut sein solle; aber er sah, daß er
William durch seinen Fleiß Freude machte, und so unterwarf er sich ihm zu
Liebe dieser Anstrengung.

Ich denke, Kinder, daß Ihr den guten Kolbi auch schon lieb gewonnen
habt; wie viel mehr mußte William, der täglich und stündlich mit ihm
zusammenlebte, ihn nicht lieben! Und jetzt sollte er diesen theuren Freund,
seinen einzigen Genossen, vielleicht für immer verlieren! Der Gedanke
drückte ihn so zu Boden, daß selbst das heiße, innige Gebet, welches er zu
Gott vor dem Einschlafen emporschickte, ihn nicht zu ermuthigen vermochte.

Endlich aber schlief er doch vor übergroßer Ermüdung ein, und war im Traume
glücklicher, als er beim Wachen gewesen war: er erblickte seinen geliebten
Kolbi, der in der Hütte am Boden saß und Pfeile schnitzte. Dieser Traum
erweckte ihn: er erhob sich und schaute verwirrt um sich. Es war noch sehr
früh und der Thau lag noch auf den Gräsern und Pflanzen. Wie ward ihm, als
er auf diesen die Spuren von Menschentritten wahrnahm! Die Insel war also
noch von andern menschlichen Geschöpfen bewohnt? Oder sollte Kolbi?.....
Der Gedanke machte, daß er aufsprang und nach allen Seiten um sich blickte.
Er verfolgte dann die Fußspuren im Grase, und gelangte, ihnen immer
folgend, zu einer Art von Vorgebirge, das in das Meer hinaus lief und fast
bis an den Strand hinabging. Er erklomm einen der Hügel desselben und sah
nun -- wer beschriebe wohl sein Entzücken? -- Kolbi, seinen geliebten
Kolbi auf einer Felsenklippe sitzen und in das vor ihm liegende blaue Meer
hinausschauen. Es konnte kein Anderer als Kolbi sein: er erkannte ihn
an der Kleidung, die er ihm endlich, nach langer Weigerung, aufgedrungen
hatte; denn der Wilde fand sie zu Anfang -- vielleicht auch jetzt noch --
eben so unbequem als überflüssig und ließ sich schwer dazu bereden, eine
leichte Hose von Leinwand und eine Jacke von demselben Stoffe anzuziehen.

-- »Kolbi! Kolbi!« rief William mit lauter, freudig bewegter Stimme und
streckte zugleich die Arme gegen ihn aus. Kolbi vernahm sogleich die Laute
der ihm so theuern, wohlbekannten Stimme; allein er antwortete nicht wie
sonst freudig auf den Zuruf, sondern erhob sich, sah sich nach William um,
und ergriff eiligst die Flucht.

-- »Was ist das?« fragte sich William, der ihm erschrocken nachstarrte.
»Sollte ich ihn vielleicht beleidigt oder gekränkt haben, ohne es zu
wissen? War er doch so freundlich und liebevoll gegen mich, als ich ihn das
letzte Mal sah?«

Während William diese Betrachtungen anstellte, war er jedoch dem geliebten
Flüchtlinge nachgeeilt, und sei es nun, daß er diesmal schneller als Kolbi
war; sei es, daß dieser bereits bittere Reue über seine unbedachtsame
Flucht empfand, und sich willig einholen ließ; genug, er wurde von dem ihn
Verfolgenden am Saume des Waldes glücklich eingeholt.

-- »Was ist dir, Kolbi? und weshalb fliehst du vor mir?« fragte ihn
William, so wie er ihn erreicht und zum Stehen gebracht hatte.

Statt ihm auf diese Frage zu antworten, warf sich der arme Junge vor ihm
auf die Knie nieder, umfaßte seine Füße, als wolle er Verzeihung von ihm
erstehen, und vergoß einen Strom von Thränen.

-- »Sprich, Kolbi, mein theurer Kolbi, was ist dir?« fragte William, indem
er sich zu ihm niederbog und ihn, wiewohl vergebens, aufzuheben suchte, um
ihn in seine Arme zu schließen und an sein Herz zu drücken.

Kolbi hatte aber noch immer keine andere Antwort, als Thränen.

-- »Ach!« sagte jetzt William mit traurigem Tone; »jetzt begreife ich Dich!
Du wolltest mich heimlich verlassen, Kolbi; Du sehntest dich nach deinen
Landsleuten, nach deinen frühern Gespielen und wolltest versuchen, zu ihnen
über das Meer zurück zu schwimmen? Unsre Einsamkeit war dir lästig geworden
und du hattest nicht den Muth, von mir Abschied zu nehmen? Sprich, Kolbi,
ist es nicht so?«

-- »O nein! nein!« schluchzte Kolbi; »William ist mir der Liebste auf der
Welt, lieber als die ganze Welt! Kolbi müßte sterben, wenn er William nicht
mehr hätte!«

-- »Nun, was war es denn, was Dich zur Flucht antrieb?« fragte William,
dessen Verwunderung mit jedem Augenblicke wuchs.

-- »Kolbi ist nicht werth, daß William ihn lieb hat,« sagte der arme Junge,
indem ein neuer Strom von Thränen ihm über die schwarzen Wangen floß;
»Kolbi hat William betrübt, hat das _Ding_ entzwei gemacht; Kolbi ist ein
ganz schlechter Mensch geworden und will todt bleiben!«

-- »Du hast die Uhr zerbrochen?« fragte William, der wußte, was er unter
dem »Dinge« verstand, aufathmend.

-- »Ja, die Uhr,« versetzte der arme Wilde, »und der Geist in dem Dinge
wurde sehr böse -- o, sehr böse! -- und er zischte mich an, wie die große
gelbe Schlange, wenn man sie mit einem Stecken schlägt. Kolbi war so
erschrocken darüber, daß er das Ding fallen ließ und es zerbrach; o, Kolbi
war sehr böse!«

-- »Gott sei gedankt, daß es nichts weiter ist!« rief William erfreut aus.
»Zwar war mir die Uhr sehr werth, indem sie mich an ihren frühern Besitzer
erinnerte, der ein gar braver Mann war; allein tausend solcher Uhren,
und noch weit mehr gäbe ich freudig um dich hin, mein Kolbi! Tröste und
beruhige dich daher: ich bin gar nicht böse, nicht einmal betrübt; habe ich
doch dich wieder, meinen guten, guten Kolbi!« Er breitete ihm bei diesen
Worten die Arme entgegen, in die Kolbi laut schluchzend sank. Der Friede
war jetzt wieder zwischen den Freunden geschlossen und Arm in Arm traten
unsere Beiden den Rückweg zur Hütte an.

Auf dem Wege erzählte Kolbi, daß William ihm oft ganz nahe gewesen sei und
er seinen Ruf deutlich vernommen, dann aber aus Furcht vor ihm die höchsten
Bäume erklommen habe, auf denen William ihn nicht gesucht. Dies war auch
der Fall an dem Abende gewesen, wo William, vom langen Umherstreifen
gänzlich ermattet, sich unter dem Eucalyptus zum Schlafen niedergelegt.
Sobald Kolbi, der sich keine hundert Schritte von ihm befand, ihn
eingeschlafen sah, hatte er sich vorsichtig näher geschlichen und sich,
beschützt von der Dunkelheit, neben ihm niedergelegt. Mit Anbruch des Tages
hatte er ihn aber verlassen, um seine Flucht fortzusetzen; »denn,« fügte er
mit traurigem Tone hinzu, »ich wollte dir nicht wieder vor Augen treten und
in der Einsamkeit vor Hunger und Kummer umkommen.«




Achtzehntes Kapitel.


Unter solchen Gesprächen waren sie endlich wieder bei der Hütte angelangt,
die sie in ihrem vorigem Stande fanden; nur der arme Dingo und die
Vögel hatten große Noth gelitten, da ihnen Speise und Trank während der
Abwesenheit der Freunde ausgegangen waren, und sie sich beides nicht hatten
verschaffen können, weil William sie während der Nacht einzusperren gewohnt
war und vergessen hatte, sie bei seinem Weggehen aus ihrem Kerker zu
befreien.

-- »Gieb Futter! Gieb Futter!« rief der große Königspapagei unaufhörlich:
denn diese Worte hatte William ihn gelehrt und so oft er Futter haben
wollte, rief er sie; der Dingo aber heulte erbärmlich, so daß die Freunde
nichts Eiligeres zu thun hatten, als die armen Gefangenen zu befreien und
ihnen Speise und Trank zu reichen. Der Dingo lief sogleich an den Bach, um
seinen gewiß sehr peinigenden Durst zu löschen, und Kolbi folgte ihm mit
dem Lederbeutel dahin, um Wasser für die Vögel zu schöpfen, die indeß
von William mit den für sie eingesammelten Körnern und Früchten gespeiset
wurden. Auch für Waldmann waren noch einige Knochen da, über die er sich
begierig hermachte, und so war der großen Noth der armen Thiere abgeholfen.

Schon auf dem Wege zur Hütte hatte Kolbi sich oft nach dem Himmel
umgesehen. Jetzt, als man die Thiere versorgt hatte, that er es nochmals
und sagte dann zu William:

-- »Böse Zeit! Böse Zeit!«

Dieser wußte nicht, was die Worte zu bedeuten haben sollten und sah
neugierig bald Kolbi, bald den Himmel an. Letzterer hatte sich mit noch
leichten Wölkchen bedeckt, die sich aber bald zusammenzogen und wie
ungeheure Berge am fernsten Rande des Horizontes aufthürmten.

Kolbi, der aus Erfahrung wußte, daß diese Erscheinung den nahen Ausbruch
von Sturm, Regen und Gewitter bedeute, lief zu der Stelle, wo die ihnen
so nothwendigen Pataten in Menge wuchsen, grub so viele davon aus, als ihm
möglich war, und lud William, der ihm erstaunt zusah, mit den Worten:

-- »Böse Zeit kommt! Pataten sammeln! Nicht zögern, Pataten in die Hütte zu
bringen!« zur Theilnahme an seinem Geschäfte ein.

William begriff jetzt, was er mit seinem: »Böse Zeit! Böse Zeit!« sagen
wollte, und war ihm eifrig bei seiner Beschäftigung behülflich. Sie mußten
sich in der That sputen: immer dichter zogen sich die Wolken zusammen,
immer dunkler wurde der Himmel und schon hörte man das ferne Rollen des
Donners; dabei hatte sich ein Wind erhoben, der in einzelnen Stößen zwar
nur noch, doch die Luft heftig erschütterte. Obgleich man über eine halbe
Stunde vom Meere entfernt war, hörte man es doch »_rohren_,« wie die
Seeleute das hohle Brausen des Meeres, welches großen Stürmen und Gewittern
voranzugehen pflegt, zu nennen pflegen. Kolbi, der immer in der freien
Natur und in der Nähe des Meeres gelebt hatte, war ein scharfer und
unfehlbarer Beobachter in allen Dingen der Art geworden und seine
Prophezeihungen trafen immer richtig ein.

Die Richtigkeit seiner Voraussage sollte sich auch diesmal bewähren: immer
stärker und hohler braußte das Meer; immer heftiger und anhaltender wurden
die Windstöße; immer schwärzer überzog sich der Himmel: immer stärker wurde
das Rollen des Donners, das bald zu einem furchtbaren Krachen und Prasseln
wurde, dem zackige Blitze jedesmal vorangingen, und nicht lange, so fielen
große, schwere Regentropfen vom Himmel nieder. Es war ein Glück für unsre
Freunde, daß Kolbi die Naturerscheinungen so genau kannte; denn sehr
schlimm würde es für sie gewesen sein, wenn sie sich nicht gehörig mit
Vorräthen versehen hätten. Während des Unwetters Pataten aus der Erde zu
graben, sie in die Hütte zu bringen, das wäre völlig unmöglich gewesen.
Der Regen ergoß sich nicht etwa wie bei uns, sondern beständig, wie ein
heftiger Platzregen, der alle Niederungen schon nach wenigen Stunden
in Sümpfe und Pfützen verwandelt hatte. Der sonst so sanft und ruhig
dahinfließende Bach war bald zu einem reißenden Strome geworden und
überschwemmte, aus seinen Ufern getreten, die umliegenden Gegenden. Er
erhielt immer neue Nahrung von den kleineren Bergquellen, die sich in ihn
ergossen und die ganze Niederung, das ganze früher so lachende Thal wurde
in einen einzigen großen See verwandelt.

Dabei rollte der Donner fortwährend in den Lüften; zackige Blitze
durchzuckten die dunklen Wolkenmassen und fuhren bald in diesen, bald
in jenen Baum, dessen Spitzen sie abbrachen oder den sie gänzlich
niederstürzten, so daß er krachend zu Boden fiel.

Die Gewitter halten in diesen Gegenden nicht, wie bei uns nur einige
Stunden, sondern fast immer mehrere Tage an, auch sind sie weit
furchtbarer. Die ganze Natur scheint bei ihnen in Aufruhr zu sein und Alles
tritt aus seiner gewohnten Ordnung.

Da es das erste Gewitter der Art war, welches William erlebte, erschreckte
es ihn zu Anfang nicht wenig; bald aber gewöhnte er sich auch daran, und
jetzt gewährte ihm das wirklich großartige Schauspiel sogar Genuß.

Die Hütte legte bei diesem Unwetter ihr Probestück ab und lobte ihre
Baumeister. Obschon nur von Brettern aufgebaut und mit Brettern gedeckt,
trotzte sie doch den sich vom Himmel herabstürzenden Fluthen und ließ auch
nicht _einen_ Tropfen Wasser durch, so daß sie Menschen und Thieren den
vollkommensten Schutz gewährte. Die letztern bezeigten sich furchtsamer als
Kolbi, der auch nicht die geringste Aengstlichkeit verrieth. Er verrichtete
alle ihm obliegende Geschäfte so ruhig, als wäre kein Aufruhr in der Natur
gewesen; dagegen heulte der Dingo fast unaufhörlich und die Papageien
schrieen ganz erbärmlich, indem sie zugleich mit den Flügeln schlugen,
als wollten sie den Regen, von dem sie doch nicht getroffen wurden,
abschütteln.

William, der jetzt wieder ganz ruhig und gefaßt geworden war, dachte daran,
diese schlimme Zeit zu einer Arbeit zu benützen, die eigentlich schon
längst hätte beschafft werden müssen, aber immer aufgehoben worden war,
weil es draußen nothwendigere Dinge zu thun gab. Der Mangel an Gefäßen,
worin man etwas aufbewahren, namentlich, worin man einen Vorrath von Wasser
sammeln konnte, war unsern beiden Einsiedlern schon lange empfindlich
gewesen, und jetzt, wo man doch nichts anderes beginnen konnte, sollte
endlich demselben abgeholfen werden.

Man besaß noch einige Holzblöcke, die vermuthlich die Trümmer von dem
großen Maste des gestrandeten Schiffs, auf dem William gereist war, oder
eines andern Schiffes waren. Man hatte sie an einem Tage, wo man das
Meer besuchte -- und dies geschah fast täglich, da man ämsig nach einem
rettenden Schiffe umherspähte -- am Strande gefunden und sie, ihrer
Nützlichkeit wegen, in die Hütte gebracht. Dies war freilich, bei ihrer
Größe und Schwere, eine mühselige Arbeit gewesen, bei der unsre Beiden
manchen Schweißtropfen vergießen mußten; aber sie scheuten solche
Anstrengungen nicht, und so war ihnen das saure Werk gelungen. William
forderte Kolbi auf, ihm behülflich zu sein; man legte die Holzstücke auf
eine Art von Stellage und schnitt dann mit der Säge Stücke von 1 Fuß oder
1½ Fuß Länge davon. Da sie von einem Maste abstammten, hatten sie
von selbst eine runde Form; man hatte also nur nöthig, sie sorgfältig
auszuhöhlen, was man vermittelst eines Meissels mit nicht allzugroßer Mühe
that. Freilich war auch diese Arbeit keine leichte und ein Drechsler würde
in wenigen Minuten vielleicht zu Stande gebracht haben, wozu sie bei dem
angestrengtesten Fleiße einen ganzen Tag bedurften; aber dies schreckte sie
nicht, und drei bis vier hübsche Gefäße wurden fertig, wovon eines sogleich
zum Trinktrog für die Thiere bestimmt wurde.

Außerdem verfertigte Kolbi, der sich darauf verstand, noch einige
allerliebste Körbe von einem sehr starken Grase, das auf den Inseln
Australiens gefunden und von den Europäern neuseeländischer Flachs
genannt wird. Die Fasern dieses Grases sind so stark und biegsam, daß
man angefangen hat, Anker- und andere Schiffstaue davon zu machen, die an
Haltbarkeit bei weitem die von Hanf gemachten übertreffen sollen.

Von diesem trefflichen Grase hatte Kolbi schon vor einiger Zeit eine gute
Portion neben der Hütte aufgehäuft, weil man schon lange mit der Idee
umgegangen war, Körbe und Körbchen davon zu flechten.

Während nun William den Drechsler spielte, machte sich Kolbi an die Körbe,
und er gab seinem Freunde Gelegenheit, seine Geschicklichkeit zu bewundern.
Mit unglaublicher Schnelle machte er das artigste Körbchen von der Welt
fertig, und es fehlte ihm sogar nicht einmal an Zierlichkeit und angenehmer
Form. Er verstand runde und längliche zu machen und versah jedes Körbchen
mit so festen Henkeln, daß man ihm etwas anvertrauen konnte, ohne fürchten
zu müssen, daß der Inhalt auf die Erde fiele.

So verstrich denn auch diese Zeit, die sonst so trüb und unangenehm für sie
gewesen sein würde, auf eine wirklich angenehme Weise, indem sie während
derselben sich unausgesetzt einer lohnenden, nützlichen Thätigkeit
befleißigten. Ja, das Unwetter hätte noch weit länger dauern können, ohne
ihnen lästig zu fallen, um so mehr, da ihr Vorrath an Pataten noch immer
ausreichte, Dank sei es der Fürsorge Kolbi's.

Endlich schien die bisher sich so empört gezeigt habende Natur in ihr
früheres Geleis zurücktreten zu wollen, nachdem das Unwetter etwa acht Tage
angehalten hatte. Eine ordentliche Regenzeit, die fünf bis sechs Wochen
zu dauern pflegt, wie man sie in andern tropischen Ländern[3] zu finden
gewohnt ist, giebt es in Australien nicht. Die Stelle derselben vertreten
ziemlich starke und länger als bei uns anhaltende Gewitter und Regengüsse,
die aber die Natur außerordentlich erfrischen und den Pflanzenwuchs
befördern.

  [3]: Tropische Länder nennt man solche, die zwischen den Wendekreisen
  liegen.

Das Gewitter hatte schon längere Zeit aufgehört; der Sturm legte sich nach
und nach, auch der Regen fiel nicht mehr in Strömen, sondern bereits in
kleineren Tropfen. Am Abende des achten Tages regnete es noch etwas,
als man aber am Morgen des neunten erwachte, lachte die Sonne hell vom
heitersten Himmel herab.

Unsere Freunde konnten jetzt wenigstens aus der Hütte in's Freie
hinaustreten, wenn sich gleich noch nicht in das gänzlich überschwemmte
Thal wagen. Ihr erster Gang war in den Garten, um nach ihren lieben
Pflanzen und Pflänzchen zu sehen.

Hätten sie den Garten unten im Thale angelegt, so würde es vermuthlich übel
um die jungen Orangen- und Melonenpflanzen ausgesehen haben; aber zum Glück
lag er an einem Abhange des Hügels, auf dem die Hütte stand, und so hatten
ihre kleinen Anlagen nicht den mindesten Schaden gelitten. Im Gegentheil,
es war bewunderungswürdig, wie sie gewachsen waren, seit man sie zuletzt
gesehen. Die Orangen hatten schon allerliebste Blättchen und die Melonen
fingen bereits an, sich auf dem Boden auszubreiten.

Williams Freude bei diesem Anblick könnt Ihr Euch vorstellen, meine
geliebten Kinder. Der Eine oder Andere von Euch besitzt gewiß auch ein
Gärtchen oder doch ein Beet, worauf er säen, pflanzen und wirthschaften
kann und wird in diesem Falle mitempfinden können, was unser William
empfand, als er Alles so weit gediehen erblickte. Mir ist es wenigstens als
Kind oft so ergangen, daß ich Abends vor Ungeduld kaum einschlafen konnte,
wenn irgend eine schöne Blume auf meinem Beete sich zu entfalten, ihren
farbigen Kelch dem Lichte zu öffnen im Begriff war; und früh, wenn kaum der
junge Morgen sich im Osten zeigte, wenn noch die glänzenden Thauperlen an
den Spitzen der Gräser hingen, war ich schon wieder im Garten und stand
entzückt vor meiner lieben, lieben Blume. Dieser Freude an der Natur und
dem, was sie hervorbringt, habe ich vielleicht meiner Gewohnheit, früh
aufzustehen, zu verdanken, für die ich Gott nicht genug danken kann. Die
Natur ist am Morgen am schönsten, der Mensch selbst am frischesten und am
besten zur Thätigkeit aufgelegt. Dies habe ich erkannt und mich daher bei
der guten Gewohnheit erhalten. Die meisten von den vielen Büchern, die
Euch und andern gute Kinder schon erfreut haben, sind in solchen Stunden
geschrieben worden, in denen der gern spät aufstehende Großstädter sich
noch im warmen Bette dreht. Macht es so wie ich, und Ihr werdet, meine
Geliebten, viele Zeit, ein gutes Wohlbefinden, Kraft und Munterkeit dadurch
gewinnen.

William konnte sich nicht satt sehen an seinen Pflänzchen und auch Kolbi
stimmte in seine Freude ein, obgleich er noch keinen Begriff davon hatte,
welche köstliche Früchte sowohl die Melonen, als die Orangen zu tragen
bestimmt waren. Die Früchte der erstern sollte er jedoch bald kennen
lernen; denn die Pflanzen wuchsen, daß man hätte glauben sollen, sie
wachsen zu sehen.

[Illustration: ~Seite 185.~]




Neunzehntes Kapitel.


Man kann sich keinen Begriff davon machen, wie angenehm die Luft, wie
erfrischt Alles nach diesem anhaltenden Regen und nach der Entladung der
Luft durch das Gewitter von allen in ihr angehäuften Unreinigkeiten war.
Alle Pflanzen glänzten, dufteten und standen kräftiger. Es dauerte auch
nicht gar lange, so hatte der Boden das überflüssige Wasser eingesogen und
unsre Beiden konnten sich wieder in das Thal hinabwagen, wo der schöne Bach
seine gewöhnlichen Ufer wieder gefunden hatte.

Unsre Einsiedler konnten jetzt auch wieder ihren gewohnten Beschäftigungen
nachgehen und sich durch die Jagd einen leckern Braten verschaffen; ja,
wie der Mensch ungenügsam von Natur ist, William bezeigte sogar ein Gelüste
nach Fischen, so daß er darauf dachte, von dem zähen neuseeländischen
Flachse ein Netz zu machen, in dem er am Meere die harmlosen Bewohner der
kühlen Fluth zu fangen gedachte. Er hatte aber die Rechnung ohne den Wirth
gemacht: hart am Strande waren keine Fische und an einem Kahne fehlte es
ihnen, weil William nicht die Vorsicht gebraucht hatte, das Canot, auf dem
Kolbi hergekommen, gehörig zu befestigen: die nächste etwas hochgehende See
hatte es also mit sich fortgerissen.

Indessen verzweifelten unsre Freunde keineswegs daran, auch noch ein Canot
herzustellen; sie trauten sich, im Besitze ihrer Geräthschaften, schon
immer mehr und mehr zu, besonders da sie mit jedem Tage geschickter in der
Handhabung derselben wurden. Ein Baumstamm konnte vermittelst der Säge und
der Axt in wenigen Tagen gefällt werden und das Aushöhlen desselben
durch darin angezündetes Feuer verstand Kolbi sehr gut. Es wurde also
beschlossen, schon in den nächsten Tagen zum Werke zu schreiten und es kam
nur noch darauf an, einen passenden Baum zu finden.

Dieser Plan, der gewiß von ihnen ausgeführt worden wäre, sollte aber durch
ein schreckliches Ereigniß, das sich mit ihnen zutrug, zu Wasser werden.

An einem Morgen, als sie aus dem Schlafe erwachten und sich eben anschicken
wollten, ihr Frühstück zu bereiten, kam der Dingo, welcher bereits die
Hütte verlassen hatte, mit einem kläglichen Geheul angerennt und zu ihrem
nicht geringen Entsetzen sahen sie, daß in seinem Fell ein Pfeil hing. Das
arme Thier schüttelte sich, um die ihn auf den Tod verwundende Waffe los
zu werden, aber es war vergeblich! der Pfeil stack fest, und winselnd kroch
er, seine Gebieter mit dem der Wunde entquillendem Blute bespritzend, zu
ihnen heran. Kolbi war sogleich bereit, den Pfeil aus der Wunde zu ziehen,
um seine Qual zu enden; allein der arme Waldmann war auf den Tod getroffen,
und schon nach wenigen Augenblicken verendete er zu den Füßen unserer
erschrockenen Colonisten.

Dies war, da man das gute Thier sehr lieb gewonnen hatte, freilich schon an
und für sich ein trauriges Ereigniß und sie konnten sich nicht enthalten,
ihrem treuen und zuthunlichen Genossen eine Thräne nachzuweinen; allein die
Sache hatte eine noch weit schlimmere Seite; es mußte eine Menschenhand,
die eines Wilden gewesen sein, die den Pfeil auf den Dingo abgeschossen
hatte; denn Europäer würden das Thier mit andern Waffen erlegt haben.

Dieser Gedanke drängte sich Beiden zugleich auf, und die größte Furcht
bemächtigte sich ihrer. Was sollte aus ihnen werden, wenn Wilde an der
Insel gelandet wären und sie vielleicht durchstreiften? Ihr Schicksal
war nicht zweifelhaft, wenn sie diesen in die Hände fielen: man würde sie
ergreifen, tödten und verzehren.

Nachdem sich ihr Schmerz über den Tod des treuen Thieres etwas gelegt
hatte, waren sie auf ihre eigene Sicherheit bedacht, und Kolbi, der
behender als William war, schlug vor, daß er den höchsten Baum des nächsten
Hügels erklimmen wolle, um von diesem hohen Standpunkte aus die Insel zu
überschauen, während William am Fuße desselben auf seine Berichte wartete.
Gesagt, gethan! Schnell wie ein Eichhörnchen erklomm Kolbi den hohen
Eukalyptus, aber weit schneller noch, als er hinaufgeklettert war, kam er,
ohne ein Wort gesprochen zu haben, wieder herab, ergriff Williams Hand und
rief ihm mit dem Tone des Entsetzens zu:

-- »Fort! Fort! sie kommen!«

William folgte ihm wie betäubt; doch verlor er selbst in diesem furchtbaren
Augenblicke seine Besinnung und Besonnenheit nicht. Er bat Kolbi, ihm zur
Hütte zu folgen und hier angelangt, bepackte er ihn und sich selbst mit
ihren besten, unentbehrlichsten Geräthschaften, wozu auch die von Kolbi
verfertigten Waffen gehörten, und dann erst ergriffen Beide die Flucht.

»Wohin aber?« fragte man sich. Die Insel war, wie sie jetzt wußten, nur von
geringem Umfange und bot nirgends einen sichern Versteck dar, sie hätten
einen solchen dann in den höchsten Gipfeln der Bäume des nahen Waldes
suchen müssen. Zwar dachte man an die Ameisenhöhle, wie man die Höhle
neben der Hütte nach dem Besuche der lästigen Thierchen nannte; allein man
verwarf diesen Gedanken sogleich wieder, da sie zu nahe bei der Hütte
lag. Es stand mit Recht zu vermuthen, daß die Wilden, so wie sie die Hütte
entdeckten, auf Menschen schließen würden, die sie erbaut und bewohnt
hätten, und in diesem Falle würde man sie in der nahe gelegenen Höhle
zuerst suchen. Schon auf dem Wege in den Wald kam William noch ein
guter Gedanke und er theilte ihn Kolbi mit: man wollte die Hütte durch
Niederreißen zerstören, um den Wilden Glauben zu machen, daß sie bereits
seit längerer Zeit von ihren Bewohnern verlassen worden sei. Man kehrte
also, so dringend auch die Gefahr bereits war, nochmals zur Hütte zurück,
bediente sich der Axt, die das Dach tragende Pfähle umzuhauen, und sah
schon nach einer kurzen Frist in Trümmer zusammensinken, was man mit so
großer Mühe und Anstrengung aufgebaut hatte.

Jetzt erst dachte man an eilige Flucht. Es war aber auch die höchste Zeit,
denn kaum hatte man den schützenden Wald erreicht und sich hinter dichtem
Gebüsch verborgen, so sah man die Wilden in dicken Schaaren über den Hügel
herabkommen, an dessen Abhange die kleine Besitzung lag. Unsere Beiden
waren noch so nahe, daß sie deutlich Alles unterscheiden und sogar den Ruf
einzelner Stimmen vernehmen konnten.

Bald drängte sich Alles auf _einer_ Stelle zusammen und bildete einen
dichten Menschenknäuel: ohne Zweifel hatte man die Trümmer der Hütte
entdeckt und war verwundert, in dieser Einöde die Reste einer menschlichen
Wohnung zu finden. Bald sah man auch einzelne Wilde die Spitze des Hügels
erklimmen und sich sorgfältig nach allen Seiten umsehen, als suche man
Etwas; allein zum Glücke waren unsre Beiden gut versteckt durch das dichte
Gebüsch, und die Späher kehrten zu den Uebrigen zurück, ohne Etwas entdeckt
zu haben.

Man durfte aber nicht in dieser Nähe weilen, weil es den Wilden jeden
Augenblick einfallen konnte, in das Gebüsch zu dringen und es zu
durchsuchen. Unsre Flüchtlinge setzten daher, so eilig sie konnten, ihren
Weg weiter fort und drangen immer tiefer in das Gehölz ein. Aber bald waren
sie auch hier nicht mehr sicher, denn schon vernahm ihr Ohr am Eingange
des Waldes verwirrte Stimmen, und so wälzte sich der Schwarm, aller
Wahrscheinlichkeit nach, hieher. Ihre Angst erreichte den höchsten Gipfel
und sie wußten nicht, wohin ihre Zuflucht nehmen; da sahen sie in einer
geringen Entfernung einen Koala oder australischen Bären aus einem dichten
Gewinde von Rankengewächsen hervorkriechen, und daraus schließend, daß er
dort seine Höhle haben werde, eilten sie auf die Stelle zu. Sie sahen sich
in dieser Erwartung nicht getäuscht, und fanden unter dem Gesträuche einen
in die Erde hinabgehenden Eingang, der zwar nicht breiter war, als daß sie
auf dem Bauche kriechend, in die Höhle des Bären gelangen konnten, ihnen
aber für den Fall der Noth doch einige Sicherheit gewährte.

Schnell machten sie sich daran, mit der Axt und ihren Händen, die die
Stelle einer Schaufel vertreten mußten, den Eingang zu erweitern, wobei sie
sich wohl hüteten, die aufgeworfene Erde umherzustreuen, denn das würde den
Wilden ihren Zufluchtsort verrathen haben; sie warfen sie vielmehr zwischen
die Ranken und vertilgten mit großer Sorgfalt jede Spur ihrer mühsamen
Arbeit.

Diese wurde über alle Erwartung belohnt; denn kaum hatten sie die Oeffnung
einige Fuß tief erweitert, so dehnte sich die Höhle aus und wurde endlich
so breit und geräumig, daß sie, wenn auch nicht aufrecht darin stehen, doch
darin sitzen konnten.

Ein Knurren und Brummen ganz in ihrer Nähe verrieth ihnen, daß die Höhle
noch außer ihnen von einem andern Geschöpfe bewohnt sei, wahrscheinlich
von einem weiblichen Koala, das hier seine Jungen säugte. Eine solche Nähe
konnte ihnen, obgleich sie sich nicht vor dem harmlosen Thiere fürchteten,
nicht angenehm sein, schon des üblen Geruchs wegen, den diese Geschöpfe
verbreiteten, und so mußten sie sich entschließen, den eigentlichen
Besitzer der Höhle aus derselben zu vertreiben, was ihnen nach einigen
derben Püffen, die sie dem armen Thiere versetzten, gelang. Knurrend und
brummend nahm es, seine Jungen mit sich führend, seinen Abschied und unsre
Beiden sahen sich im ruhigen Besitze des usurpirten Zufluchtsorts. Diese
Besitznahme war im Grunde eine Ungerechtigkeit; aber die dringende Gefahr
konnte ihnen zur Entschuldigung gereichen.

Hier saßen nun unsre Beiden in der tiefsten Finsterniß im Schooße der Erde;
ihnen fehlte Alles und doch hatten sie Gott zu preisen, daß er ihnen einen
solchen Zufluchtsort gezeigt hatte, der ihnen wenigstens die Hoffnung ließ,
ihr Leben zu bewahren. Hand in Hand saßen William und Kolbi da und waren so
niedergedrückt, daß sie kein Wort zu reden wagten.

Nicht lange sollte ihre Ruhe dauern. Kaum waren sie eine halbe Stunde in
der Höhle gewesen, so drang ein Ton verwirrter Stimmen, das dem Summen
eines Bienenschwarmes glich, zu ihren Ohren und sie schlossen daraus,
daß die Wilden sich ihrem Zufluchtsorte genähert hätten. In dieser
Voraussetzung irrten sie sich nicht: die Wilden hatten wirklich den
kühleren Wald zu ihrem Aufenthaltsorte ausersehen und waren zu der Insel
gekommen, um hier ein großes Fest zu feiern.

Ihr bisheriger Häuptling war nämlich im Kriege gefallen, und sie wollten
einen neuen erwählen, bei welcher Gelegenheit stets große Festlichkeiten
von ihnen veranstaltet werden. Zu solchen gehörten vor allen Dingen
Schmausereien -- macht man es doch bei solchen Gelegenheiten im
civilisirten Europa nicht besser! -- und da ihnen bekannt sein mochte, daß
die Insel sehr viel Wildpret hege, waren sie herübergeschifft, um hier ihre
Gastmähler zu halten.

Lautes Rufen, Geschrei, Gesang sogar, ließen sich bald ganz in der Nähe
vernehmen, und Kolbi, der kühner als sein Freund, auf dem Bauche bis
zum Eingange der Höhle vorgekrochen war, sah, vom Gestrüpp und den
Rankengewächsen verdeckt, daß man viel trockenes Holz herbeischleppte, um
ein großes Feuer anzuzünden. Alles war überhaupt beschäftigt. Einige Wilde
trugen Erde und Laub zusammen, woraus sie einen Hügel machten, vermuthlich
zum Sitze für den neu zu erwählenden Häuptling; andere schärften ihre
Waffen und die Weiber und Kinder trugen Laub und Blumen herbei, aus denen
sie Kränze winden wollten.

Unter einem hohen Baume und mit dem Rücken gegen den Stamm desselben
gelehnt, saß aber ein Greis, den Kolbi auf den ersten Blick für den
_Zauberer_ erkannte, denn so nennen die Wilden ihre Priester. Er war zwar,
wie die übrigen Wilden, bis auf ein Schurzfell, welches er um den Leib
gebunden hatte, völlig nackt; allein um seinen Hals hatte er ein Gewinde
von todten Schlangen, das ihm ein abschreckendes Ansehen gab, und in der
Hand trug er ein großes steinernes Messer.

Dieses Messers bedienen sich die Priester, um den jungen Mädchen die beiden
ersten Gelenke des kleinen Fingers an der linken Hand abzuhauen; denn wie
die Europäerinnen ihre Ohren durchbohren lassen, um Ringe hineinzuhängen,
was gleichfalls eine sehr lächerliche Mode ist, so verstümmeln die Wilden
ihre Hand und glauben sich dadurch recht schön zu machen.

Dem Zauberer oder Priester näherte sich Alles mit der größten Ehrfurcht,
und Keiner würde es gewagt haben, ihm den Rücken zuzukehren.

Während die Männer sich zur Jagd anschickten, sammelten die Weiber die
Wurzeln von einer Art von Farrenkraut, die ihnen zur Speise dienen. Sie
zerklopften sie mit Steinen und rösteten sie am Feuer; diese nicht eben
wohlschmeckende Speise nannten sie _Uga-Due_. Noch Andere sammelten von
einem Gummibaum ein grünes Gummi, das sie _Kudi_ nannten. Es vertritt, da
es einen scharfen Geschmack hat, die Stelle des Branntweins bei ihnen und
sie kauen es beständig. Auch Pataten, von den Wilden _Kumara_ genannt,
sammelten sie in Menge zu dem vorhabenden Gastmahle ein. Zu diesen
Vegetabilien lieferten die Männer bald Fleischspeisen. Sie schossen mit
ihren Pfeilen eine Menge _Kukupas_ (wilde Tauben), einen Dingo, einige
Stachelschweine, fliegende Füchse und endlich gar ein Kängeruh, worüber
sich ein großes Freudengeschrei erhob, als die glücklichen Jäger damit
angeschleppt kamen.

Als William sah, daß sein Freund Kolbi in seinem sichern Verstecke
unbemerkt blieb, trieb ihn die Neugierde, auf seinem Bauche auch aus der
Höhle hervorzukriechen, um den Treiben der Wilden zuzusehen.

Er sah, daß dieser Menschenschlag fast ganz so schwarz, wie sein Kolbi war;
nur hatte dieser letztere eine etwas angenehmere Gesichtsbildung und sah
vor allen Dingen freundlicher aus. Sie hatten einen kleinen, aber sehr
regelmäßigen Wuchs, ein etwas breites Gesicht, das bei den Männern sehr
bärtig war; eine stumpfe Nase, durch deren Scheidewand sie kleine Knochen-
oder Rohrstücke gezogen hatten, was sie sehr verunstaltete; dicke
Lippen, sehr weiße Zähne, schwarze, tiefliegende Augen und sehr buschige
Augenbraunen. Auf dem Kopfe trugen sie ein kleines Netz von Opossum-Haaren,
das ihnen fast die Augen verdeckte, so daß sie es zurückschlagen mußten,
wenn sie etwas genauer sehen wollten. Die meisten hatten eine feuerfarbene
Binde, woran ein kleines Schurzfell hing, um den Leib geschlungen und ihre
Haut war so glänzend, wie polirtes Ebenholz. Wie Kolbi seinem Freunde schon
früher erzählt hatte, reiben sie sich den Körper mit Fischöhl ein, wichsen
sich also gleichsam, wie wir unsere Schuhe und Stiefel. Lange konnte
William nicht begreifen, womit sie sich den Kopf geschmückt hatten, der
einige Aehnlichkeit mit dem eines Stachelschweins durch einen höchst
seltsamen Aufputz hatte, bis Kolbi ihm erklärte, daß seine Landsleute
sich das Haar mit einer Art von Gummi zusammenklebten und es dann mit
Fischgräten und Vogelknochen besteckten. Viele von den Wilden waren vom
Kopfe bis auf die Füße tätowirt, d. h. mit weißer und rother Farbe bemalt;
Kolbi erklärte ihm, daß sie sich mit der rothen bemalten, wenn es in den
Kampf gehen sollte, mit der weißen aber, wenn zum Tanze. Sehr häßlich
machten sie die breiten weißen Ringe, die sie sich unter den Augen von
einer weißen, unserer Kreide ähnlichen Erde gemacht hatten. Allen Männern
fehlte ein Vorderzahn, den man ihnen unter großen Ceremonien ausreißt, so
wie sie in das Jünglingsalter treten. Ihr Haar ist übrigens nicht kurz,
kraus und wollig, wie das der Neger, sondern vielmehr glatt, lang und sehr
schwarz; es könnte eine Zierde an ihnen sein, wenn sie es nicht =à la=
Stachelschwein frisirten.

Alle ohne Ausnahme waren bewaffnet, selbst die Knaben trugen eine Art von
Wurfspieß; Andere hatten eine Keule, die sie _Waddis_ nannten oder Stangen
(_Womerra_), Schilde, Lanzen, Bogen und Pfeile, steinerne Aexte u. s. w.
Diese Waffen sind reich mit ausgeschnitzten Figuren verziert, die oft nicht
ohne Anmuth sind. Sie führen immer Feuer mit sich, weil sie es, des vielen
unverbrennbaren Holzes wegen, schwer anmachen.

Ihre musikalischen Instrumente, worauf sie aber wirkliche Töne
hervorbrachten, bestanden in einer Art von Rohrflöte oder vielmehr Pfeife,
die sie aber nicht mit dem Munde, sondern mit den _Naslöchern_ spielten,
was sich seltsam genug annahm. Andere Musikanten hatten plumpe Leyern
mit drei Saiten und noch andere Muscheln, die man See-Trompeten nennt und
worauf sie Töne hervorbrachten, als sei das jüngste Gericht gekommen. Vom
Tacte, von einer Melodie scheinen sie keinen Begriff zu haben; Jeder blies,
was ihm einfiel, und dies gab die köstlichste Katzenmusik von der Welt.
Dies Alles würde unserm William, für den es völlig neu war, sehr belustigt
haben, wenn er nicht für sein Leben hätte fürchten müssen. Die bisher
heitre Sonne verwandelte sich aber bald in eine sehr tragische. Ein Knabe,
der vielleicht dreizehn bis vierzehn Jahre alt sein mochte, kam jubelnd mit
einem _Opossum_ angeschleppt, das er erlegt hatte. Dies ist ein Thier von
der Größe eines Fuchses, hat aber in seinem Wesen viel vom Eichhörnchen;
auch nährt es sich nur von Pflanzenkost. Wenn es schläft, rollt es sich
wie eine Kugel zusammen; wenn es wacht oder frißt, setzt es sich auf die
Hinterfüße, legt den Schwanz auf den Rücken und hält seine Speise mit den
Vorderfüßen, wie ein Affe. Es hat auf dem Rücken lange braune Haare, die
nach dem Bauche zu in's Gelbliche fallen. Wird es verfolgt, so stößt es ein
rauhes Geschrei aus. Die Augen sind groß und klug, die Schnauze ist sehr
spitz. Will es auf den Bäumen von einem Zweige zum andern springen, so
wickelt es seinen langen Rollschwanz um einen Ast und springt dann mit dem
übrigen Theile seines Körpers. Das Opossum gehört zu den Beutelthieren,
wovon es so verschiedene Arten in Australien giebt.

Kaum hatten die Wilden den armen Knaben mit seiner Beute erblickt, so
sprangen alle, welche bisher am Boden gelagert gewesen waren, mit dem
Geschrei:

  »Tapu! Tapu!«

auf, schwangen ihre Waffen und umringten den zitternden Knaben, der
erschrocken seine Beute hatte fallen lassen und vor Schrecken am ganzen
Leibe zitterte. Der Zauberer oder Priester, welcher bisher unbeweglich,
einer Statue gleich, unter seinem Baume gesessen hatte, erhob sich jetzt
auch; seine Augen funkelten vor Zorn und drohend schwang er sein großes
steinernes Messer über seinem Haupte. Alles machte dem Zornigen ehrerbietig
Platz, so daß er sich ungehindert dem armen Knaben nähern konnte, der vor
Angst auf seine Knie niedergesunken war und seine Arme kreuzweis über die
Brust gelegt hatte. Als der Priester bei ihm angelangt war, murmelte
er einige unverständliche Worte, die wie das ferne Rollen eines Donners
klangen, und senkte dann sein großes Messer tief in die Brust des armen
Schlachtopfers, das sogleich umsank und aus dessen Leibe ein dicker Strom
von Blut hervorquoll.

Entsetzen ergriff William bei diesem Anblick, während Kolbi so ruhig zusah,
als wäre gar nichts geschehen, und nahe war ersterer daran, einen lauten
Schrei auszustoßen; er hielt ihn aber zum Glück zurück, denn er würde
sie den Wilden verrathen haben und dann wäre ihr Loos gewiß kein besseres
gewesen, als das des armen Knaben.

Dieser wälzte sich noch einige Augenblicke in seinem eigenen Blute am
Boden, dann wurde er plötzlich still. Das arme Opfer des Aberglaubens hatte
ausgelitten: es war todt.

Mit der Freude und dem Feste der Wilden war es jetzt augenscheinlich aus.
Man nahm die Waffen auf; man warf Blumen und Kränze zur Erde; die lärmende
Musik verstummte und der Zug entfernte sich mit langsamen Schritten und
auf die Brust gesenktem Haupte, von dem Priester geführt. Dieser hielt
sein blutiges Messer hoch empor und rief von Zeit zu Zeit mit schauerlichem
Tone: »Tapu! Tapu!«

-- »Jetzt sind wir sicher,« sagte Kolbi, sich vom Boden erhebend; »sie
schiffen sich sofort wieder ein, und kehren nie nach diesem Eilande zurück,
da der Tapu durch den Knaben gebrochen worden ist.«

-- »Was aber ist der Tapu?« fragte William, der vor Entsetzen stumm
geworden war und erst jetzt seine Sprache wiederfand. -- »Was der Tapu
ist?« wiederholte Kolbi und sah ihn verwundert über seine Unwissenheit an.
»Der Tapu ist der Tapu,« fügte er hinzu; »weiß William denn das nicht?«

»Nein,« versetzte dieser; »wie sollte ich wissen, was ein Tapu ist? Nur
soviel habe ich eben erfahren, daß es etwas Schreckliches ist, da er dem
armen Knaben das Leben gekostet hat.«

Unser Kolbi war nicht gelehrt genug, um William die Sache gehörig erklären
zu können, auch verstand er sie in der That selbst kaum und wußte nur
soviel, daß, wer den Tapu gebrochen, sein Leben verwirkt hat. Da Ihr, meine
Theuren, gewiß aber eben so neugierig seid, wie unser William war, will ich
Euch die Erklärung nicht vorenthalten.

_Tapu_ oder auch _Tabu_ -- das erstere Wort ist das richtigere -- bedeutet
so viel als ein Verbot, dieses oder jenes Thier, diese oder jene Pflanze,
einen Stein, ein Haus, ein Feld, kurz irgend eine Sache berühren, das
Thier, worauf der Tapu gelegt, tödten, die andern Gegenstände berühren zu
dürfen. Es ist dies eine sich selbst auferlegte freiwillige Entbehrung,
etwa wie unsere katholischen Glaubensbrüder sich an gewißen Tagen des
Fleischgenusses enthalten. Das Wort des Priesters oder des Oberhaupts, ein
Traum, den der Eine oder Andere gehabt hat, läßt den Tapu auf eine Sache
legen; das Wort bedeutet also dem Sinne nach so viel als _Verbot_.

Dieses Verbot darf, bis es wieder aufgehoben ist, von keinem Mitgliede
des Stammes gebrochen werden, und bricht es Einer, so ist er dem Tode
verfallen. Der arme Knabe hatte wahrscheinlich vergessen oder überhört, daß
der Priester den Tabu über das Opossum ausgesprochen, und als er jetzt mit
einem erlegten Thiere dieser Art ankam, war er dem Tode verfallen. Der
Ort aber, wo der Tapu gebrochen worden ist, wird von den Wilden als
ein entweihter, als ein Ort des Unheils angesehen, daher augenblicklich
verlassen, um nie wieder betreten zu werden. Das geschah auch jetzt, und
bevor noch eine Stunde verflossen war, befand sich kein Mensch, außer
unsern beiden Freunden, mehr auf der Insel.

Wie gern wäre Kolbi, der noch immer an seinen abergläubischen Vorstellungen
hing, seinen Brüdern gefolgt; da er aber in ihnen die Feinde seines Stammes
erkannt hatte, wagte er es nicht, sondern wollte lieber auf der Insel
seinem Schicksale entgensehen.




Zwanzigstes Kapitel.


Der Anblick, den das Haus und dessen Umgebung gewährte, war der
niederschlagendste von der Welt. Die Wilden hatten die Hütte nicht nur
eingerissen, sondern auch einen Theil der Bretter verbrannt. Von den
Geräthen, die mit so großem Fleiße und unter so anhaltender Anstrengung
von ihnen verfertigt worden waren, fand man nur einige wenige unter den
Trümmern vor, und auch diese waren zum Theil zerstört. Das Behältniß, worin
man die Thiere aufbewahrt hatte, war erbrochen und diese selbst fort:
ob die Wilden sie getödtet, ob ihnen die Freiheit gegeben hatten? wer
vermochte das zu bestimmen?

Unsre Freunde waren so betrübt über den Anblick, der sich ihnen darbot,
daß sie ganz verstummt waren und sich mit Augen ansahen, in denen Thränen
perlten.

Ein schwerer Gang stand unserm William, der sich mehr als Kolbi für die
Gartenanlage interessirte, noch bevor: er wagte es kaum, die Gartenmauer zu
ersteigen; denn was konnte er erwarten, als auch in diesem die Gräuel der
Verwüstung zu erblicken?

Endlich raffte er sich auf und erstieg die Mauer; als er oben auf derselben
stand, verklärte ein Lächeln, das erste nach längerer Zeit, sein Antlitz
und mit lauter, freudig bewegter Stimme rief er: »Kolbi! Kolbi!«

Dieser kam auf den Ruf seines Freundes eiligst herbeigerannt und fragte,
was es gäbe?

»Freude! Freude!« rief ihm William entgegen. »Unser Garten ist unversehrt
und die Melonen stehen in vollster Blüte.« --

Kolbi, der nicht wußte, welch' eine köstliche Frucht die Melone sei,
bezeigte weniger Freude, als William erwartet hatte, und sagte sogar
verdrießlich:

»Da sie uns alles Andere zerstört haben, hätten sie den Garten auch noch
zerstören können!«

-- »So denke und spreche ich nicht,« versetzte William etwas geärgert durch
die Gleichgültigkeit seines Freundes; »ich danke vielmehr Gott, daß er uns
diese Freude noch ließ.« --

-- »Ich würde deinem Gott auch gedankt haben, obgleich ich ihn noch nicht
recht kenne und mich fast so sehr vor ihm fürchte, wie vor dem bösen Geiste
_Potayan_, wenn er uns die Hütte und alles Andere auch bewahrt hätte: da
nun aber die Hütte in Trümmer liegt und unsere Gefäße zerschlagen sind,
hätte er die Blumen immerhin auch mit zerstören lassen können; denn Blumen,
und viel schönere als diese, blühen ja überall.«

-- »Wenn du erst einmal die Früchte dieser Blumen gekostet haben wirst,«
versetzte William, »dann wirst du anders sprechen; ich aber danke meinem
Gott, der ein freundlicher Gott ist, für die kleine Gabe, wie für die
große.«

Er verließ mit diesen Worten Kolbi, um nach seinen Orangenbäumchen zu
sehen, die ihm fast eben so sehr am Herzen lagen, als die Melonen, obgleich
er wußte, daß er noch viele Jahre würde warten müssen, bevor er von ihnen
Früchte zu ernten erwarten durfte. Zu seiner nicht geringen Freude waren
auch sie, wie alles Andere, unversehrt; ja sie hatten während der Regenzeit
artige Blättchen getrieben und sahen ganz frisch und kräftig aus.

Als er Alles gehörig besehen hatte und eben wieder zu Kolbi zurückkehren
wollte, der traurig neben den Trümmern der Hütte saß, hörte er die Worte
rufen:

-- »Gieb Futter! Gieb Futter!«

-- »Ach! da bist auch du noch?!« rief er freudig bewegt aus und ging auf
die Gegend zu, von welcher der Ton gekommen war. Lange konnte er das artige
Thierchen nicht finden; es hatte sich unter der Gartenmauer verkrochen,
verrieth sich aber bald durch seinen wiederholten Ruf: »Gieb Futter! Gieb
Futter!«

Endlich entdeckte William seinen Schlupfwinkel, und als er die Hand
hineinsteckte, hüpfte das artige Thier -- Ihr werdet schon errathen haben,
daß es der Königspapagei war -- ihm auf dieselbe, und sah ihn mit klugen
Blicken an, als er es in die Höhe hob.

William trug ihn sogleich zu dem trauernden Kolbi, dessen Gesicht beim
Anblick seines Lieblings vor Freude verklärt wurde. Der Verlust des
Papageis war ihm fast eben so nahe gegangen, als der der Hütte und alles
Andern, und so hatte er durch das Wiederfinden desselben auch seine
Freude in der Trübsal. Er nahm ihn von Williams Hand auf die seinige und
streichelte ihn mit der andern, was das Thierchen sich willig gefallen
ließ.

-- »Höre,« sagte dann Kolbi, »nun mag ich deinen guten Geist, den du Gott
nennst, schon besser leiden; daß er uns den lieben Vogel wieder gab, war
wirklich recht gut von ihm.«

-- »Du wirst den lieben Gott schon noch näher kennen und ihn dann eben so
lieben lernen, wie ich ihn liebe,« war Williams Antwort.

-- »Wenn er aber so gut ist, wie du sagst,« versetzte Kolbi, »weshalb ließ
er denn die Feinde an das Eiland kommen und unsern Dingo tödten, unsre
Hütte zerstören, unsre Gefäße zertrümmern? Du sagst mir immer, daß er eine
so große Macht habe und Alles könne, was er wolle; so hätte er ja auch die
Feinde abhalten können, uns so großen Schaden zuzufügen und uns in solche
Angst zu versetzen?«

»Ich weiß noch nicht,« versetzte William ernst, »wozu es gut und für uns
heilsam war, daß wir dieses Unheil erfahren mußten; allein ich hege das
feste Vertrauen zu der Gnade, Weisheit und Freundlichkeit meines Gottes,
daß er es auch in dieser Prüfung gut mit uns meinte, und daß sie zu unserm
wahren Heile dienen werde.«

Kolbi konnte dies noch nicht recht verstehen, sondern schüttelte bedenklich
das Haupt und meinte: Gottes Güte offenbare sich nur in dem seinen
Geschöpfen verliehenen _Glücke_. Er sollte aber, zu seinem Heile, eines
Bessern belehrt und davon überzeugt werden, daß Gott seine Menschen eben
am meisten liebt, wenn er ihnen Trübsal sendet. William legte indeß nicht
lange die Hände in den Schooß, sondern machte sich sogleich davon, die
Trümmer der Hütte zu untersuchen, um zu sehen, ob die Wiederherstellung
derselben wohl möglich sein würde. Diese Untersuchung gewährte aber
ein ziemlich trostloses Resultat: weit über die Hälfte der Bretter war
verbrannt und der noch übrig gebliebene Theil in einem solchen Zustande,
daß an den Wiederaufbau nicht gedacht werden konnte; ja, der Rest der
Bretter reichte nicht einmal hin, das Dach einer von großen Steinen
ausgeführten Hütte zu decken. Das war dann freilich eine ziemlich trostlose
Aussicht, um so mehr, da die Höhle noch immer von den Ameisen bewohnt
wurde, die sich für immer häuslich darin niedergelassen zu haben schienen.
Indeß mußte doch ernstlich auf ein sicheres Obdach gedacht werden, da, wenn
wieder ein Unwetter eintreten sollte, sie ohne ein solches nicht hätten
sein können.

Die Sache hatte indeß große Schwierigkeiten, denn einestheils hatte man
bereits die in der Nähe aufzutreibenden größern Steine zur Umzäunung
des Gartens benutzt, und die Gartenmauer wieder einzureißen, dazu konnte
William sich nicht verstehen, da er sich des vielen vergossenen Schweißes
erinnerte, unter dem sie die nöthigen Steine herbeigeschafft und
aufgethürmt hatten; anderntheils wurden zum Bau der Hütte eine so große
Menge von Steinen erfordert, daß man Monate lang daran hätte schleppen
müssen, und doch war das Bedürfniß eines schützenden Obdachs so dringend.
Die Mauern, welche die Hütte bilden sollten, mußten von einer doppelten
Lage von Steinen aufgeführt werden, damit sich die eine Lage gegen die
andere stütze; denn man hatte ja keinen Mörtel, um die Steine gehörig
miteinander zu verbinden und aneinander zu befestigen.

»Es sieht sehr schlimm um uns aus,« sagte William zu Kolbi, der sich wie
ein Kind noch immer mit dem wiedergefundenen Papagei beschäftigte und für
nichts Anderes Sinn zu haben schien, »es sieht sehr schlimm um uns aus, und
wir werden, fürchte ich, noch manche Nacht unter freiem Himmel zubringen
müssen, bevor wir wieder eine neue Hütte haben werden.«

»Daß wir unter freiem Himmel schlafen, ist nicht nöthig,« versetzte Kolbi
mit gleichgültigem Tone; »für mich wäre das übrigens kein allzugroßes
Unglück, da ich daran gewöhnt bin,« fügte er hinzu, »und Regen und Unwetter
wird es sobald wohl nicht wieder geben: hat doch der böse Geist alles
Wasser ausgegossen und muß erst neues wieder sammeln, um es über uns
auszuschütten.«

»Ich aber fürchte mich davor, unter freiem Himmel übernachten zu müssen,«
nahm William wieder das Wort, »weiß ich doch, wie nachtheilig das auf meine
Gesundheit wirkt.«

»Nun, so arbeiten wir nur am Tage hier,« versetzte Kolbi, »und kriechen
Nachts in die Höhle des Koala, die nicht allzuweit von hier ist. Das Thier
wird sie uns schon noch längere Zeit abtreten müssen und sollte es sich
zudringlich zeigen, so haben wir ja noch unsere Axt, um es todt schlagen zu
können.«

William, der an diesen Ausweg nicht gedacht hatte, war sehr erfreut über
Kolbis Vorschlag und nahm ihn mit Freuden an. Dann wurde sogleich zum Werk
geschritten: man räumte die Trümmer weg, legte alles brauchbare Holz auf
die Seite, reinigte den Boden und schleppte Steine herbei, welches letztere
freilich eine unendlich mühsame Arbeit war, da man die Steine zum Theil
sehr weit suchen mußte. Indeß verlor man trotz dem den Muth nicht und auch
die Kräfte reichten aus, da man sie durch eine gehörige Nahrung und einen
gesunden Schlaf wieder stärkte.

Auch für eine größere Bequemlichkeit in der Höhle des armen Koala wurde
gesorgt, indem man sie so erweiterte, daß Beide bequem Platz nebeneinander
fanden, und man den Boden mit ausgerauftem Grase bedeckte, das ein weiches,
duftiges Lager bildete.

Man arbeitete unausgesetzt den ganzen Tag über, mit Ausnahme der Zeit,
deren man zur Zubereitung und zum Genusse der Speisen bedurfte, und
schon nach etwa vierzehn Tagen hatte die Steinmauer, die man in einem
regelrechten Viereck aufführte, die halbe Höhe ihres Leibes erreicht. Mit
herzinniger Freude sahen unsere Freunde ihr mühsames Werk mit jedem Tage
mehr wachsen, und so sauer ihnen auch manchmal der Transport der schweren
Steine wurde, die noch obendrein bergauf geschleppt werden mußten, so
hörte man doch keine Klage von ihnen, und unter fröhlichen Gesprächen und
Gesängen schritt das Werk vorwärts.

Die Melonen waren indessen auch nicht faul, und gaben sich Mühe zu wachsen,
wie mir einstmals ein kleiner Knabe naiv von den über Nacht aufgebrochenen
Blumen sagte. Die Ranken breiteten sich bereits über eine große Fläche des
Bodens aus und die Blätter hatten eine in Europa nicht vorkommende Größe
erreicht; unter ihnen aber reifte still die herrliche, saftreiche und
duftige Frucht, die hier, unter dem heißen Himmelsstriche, die Größe eines
mäßigen Kürbis erreicht. Es war der Samen der schönen Netzmelone gewesen,
den William gefunden und der Erde anvertraut hatte. Jeden Tag bildete sich
das weißliche Netz deutlicher auf der grüngelben Fläche der Frucht aus, und
endlich ließ sich eine davon bereits etwas weicher anfühlen, so daß William
meinte, man könne schon zum Genusse derselben schreiten.

Es würde mir schwer werden, Euch zu beschreiben, mit welchen Empfindungen
unser Freund sein Messer hervorzog, um die Frucht abzuschneiden; ich möchte
sie eine heilige nennen, denn seine Seele war mit Dank gegen Gott, den
Geber alles Guten, erfüllt; Kolbi aber stand ziemlich gleichgültig dabei
und sah zu, wie William die Melone abschnitt und aufhob; ihn ergötzte noch
nichts daran, als die Größe der Frucht und ihr ungewohntes Ansehen; Gott
für die Gabe zu danken, kam ihm aber nicht in den Sinn.

William trug indeß die Melone unter einen großen Gummi-Baum, holte ein
Stückchen Brett herbei, legte es auf den Boden und die Melone darauf, um
sie auf diesem improvisirten Teller zu zerschneiden. So wie das Messer
hineindrang, fuhr ein hochgelber Saft aus der Wunde hervor, die er
der Frucht beigebracht hatte, so daß ihm das Wasser schon im Munde
zusammenlief; dann schnitt er ein Paar tüchtige Schnitte ab und gab erst
Kolbi eine, dann nahm er selbst eine andere und biß hinein. O, wie süß
schmeckte die Frucht, wie duftig, wie labend war sie, wie angenehm kühlend!

Kolbi sagte nichts, aber nicht, weil ihm die Melone nicht schmeckte,
sondern weil sie ihm _so gut_ schmeckte, wie noch nie etwas in seinem
Leben; das Entzücken beraubte ihn der Sprache und er kaute mit beiden
Backen.

»Nun,« sagte William, der ihm mit Vergnügen zusah, »nun, wie schmeckt
Dir die Melone? und war es nicht ein Glück, daß die Feinde die lieben
Pflänzchen verschonten? Gelt, Du hast jetzt auch Deine Freude daran,
Kolbi?«

»Ein großes Glück war es, daß sie die Pflanzen nicht auch zerstörten, wie
alles Andere,« versetzte Kolbi, indem er sich die vom Safte der Frucht
beträufelten Finger ableckte -- denn ein manierlicher Esser war der arme
Wilde noch keineswegs; -- »ein großes Glück, William! Du aber bist sehr
geschickt, daß Du solche gute Melonen machen kannst! ich könnte das nicht!«

»Ich habe sie nicht gemacht,« war Williams Antwort; »sie ist eine Gabe
unseres lieben Vaters im Himmel, des guten Gottes.«

»O, Du willst mir etwas vorlügen,« sagte Kolbi schlau lächelnd; »aber Kolbi
ist nicht so dumm, Kolbi hat gesehen, wie Du die Melonen gemacht hast, und
er glaubt Dir nicht, daß Dein Gott sie gemacht habe.«

»Ich konnte nichts weiter thun, als daß ich die gefundenen Kerne in die
Erde steckte,« versetzte William; »aber diese Kerne waren ein Werk, ein
Geschenk Gottes, und er gab Sonnenschein und Regen und das liebe Erdreich
dazu, in denen sie wuchsen und gediehen; ich konnte weder die Erde, noch
Sonnenschein und Regen machen, das konnte nur Gott.«

Kolbi antwortete seinem Freunde nicht, denn er war noch nicht im Stande,
ihn zu verstehen; er starrte aber lange vor sich hin, als wenn er recht
ernstlich über die Sache nachdächte, dann sagte er:

»Höre William, wenn es wahr ist, daß dein Gott die Melonen gemacht hat --
und ich glaube es Dir, weil Du Kolbi noch niemals belogen hast -- so
will ich ihn auch lieb haben, lieber als den guten Geist _Koyan_, den wir
anrufen, wenn wir in Noth sind oder etwas haben wollen; denn Koyan kann so
gute Melonen nicht machen. Wenn meine Brüder diese Melonen schmeckten, und
ich ihnen sagte: die hat der Gott der weißen Leute gemacht, so würden sie
ihn auch lieben, wie ich ihn jetzt liebe.«

»Thue das,« versetzte William gerührt, »und danke ihm zugleich für die
herrliche Gabe.«

»Kann er denn meinen Dank hören?« fragte Kolbi verwundert und sah sich fast
ängstlich nach allen Seiten um, als fürchte er, Gott, zu erblicken.

»Wohl kann er das,« versetzte William.

»Er ist ja aber nicht da und ich sehe ihn nirgends?«

»Er ist _unsichtbar_, aber _überall_,« war die Antwort.

Das verstand Kolbi wieder nicht, selbst da nicht, als William ihn darauf
aufmerksam machte, daß man in seinem Lande doch auch an einen guten und
bösen Geist glaube, obgleich ihn keiner gesehen.

»O, die hat man wohl gesehen!« versetzte Kolbi.

»Sahst Du sie denn je?« fragte William.

»Nein, ich nicht, auch keiner meiner Brüder; aber die Zauberer sahen sie
und sprachen mit ihnen,« versetzte Kolbi.

»Das glaube ich nicht,« erwiederte William; »Eure Zauberer sind Lügner,
wenn sie das sagen; den guten Geist, wie Ihr den nennt, den wir Gott
nennen, sieht Niemand, hört Niemand: er ist unsichtbar, wie ich Dir schon
gesagt habe.«

»Wie aber weiß man denn, daß er da ist?« fragte Kolbi.

»Man erkennt sein Dasein an seinen Werken.«

Das war wieder zu hoch für unsern armen, unwissenden Wilden; William aber
wollte ihm die Sache gern deutlich machen und fuhr fort:

»Gesetzt, Du und ich, Kolbi, trennten uns auf einige Zeit; Du gingest
dahin, ich dorthin und wir sähen einander auch gar nicht mehr, so würdest
Du doch, wenn Du nach einiger Zeit hierher zurückkehrtest und die Hütte
gänzlich vollendet fändest, bei Dir sagen: »die hat William fertig
gemacht;« so würdest Du sagen, wenn Du mich auch gar nicht mehr sähest.«

»Ja, das würde ich; denn wer sonst sollte sie gemacht haben?« war Kolbis
Antwort.

-- »Sieh,« fuhr William fort, »eben so hat sich der liebe Gott in früherer
Zeit den Menschen offenbaret, damit sie an sein Dasein glauben und ihn
anbeten sollten; jetzt, wo sie das thun, redet er nicht mehr zu ihnen,
sondern offenbart sich ihnen nur noch durch seine Werke. Er ist es, der die
Welt geschaffen hat und erhält; der die Sonne, den Mond, die Sterne, das
Meer, die Erde machte, der sie mit Menschen und Thieren bevölkerte, der
Regen und Sonnenschein, Sturm und Gewitter giebt, der die Keime in der Erde
sich entwickeln, die Pflanzen wachsen und gedeihen, die Frucht reifen läßt,
damit sich seine Geschöpfe davon nähren, daran erfreuen. Er kann, was
er will, denn er ist _allmächtig_; er will immer nur das Beste seiner
Geschöpfe, denn er ist _allgütig_, er lenkt Alles zum Besten, denn er ist
_allweise_, das heißt, er besitzt mehr Verstand und Einsicht, als alle
seine übrigen Geschöpfe zusammen; er sieht und hört Alles, denn er ist
_allgegenwärtig_.«

-- »Höre William,« versetzte Kolbi nach einer ziemlich langen Pause,
während welcher er ernstlich nachgedacht zu haben schien, »höre, ich will
deinen Gott, von dem du so viel Gutes sagst, auch lieb haben, noch lieber,
als den guten Geist, von dem die Zauberer erzählen.«

»Thue das, mein Kolbi,« antwortete ihm William, indem er ihm die Hand
reichte, »und wenn du willst, lehre ich dich beten zu unserm guten Gott im
Himmel; das Gebet, der Dank seiner Menschen sind ihm angenehm.«

-- »Ach!« versetzte der arme Kolbi mit einem tiefen Seufzer, »wie werde ich
das lernen können? bin ich doch dumm!«

-- »Du bist keineswegs dumm, sondern nur unwissend,« antwortete ihm
William; »dumm ist nur Der, _der nichts lernen kann_, unwissend aber,
welcher wohl lernen könnte, bisher aber noch nichts gelernt hat.«

-- »Es wäre ein großes Glück, wenn ich nicht dumm wäre und noch beten --
sagtest du nicht so? -- lernen könnte,« erwiederte Kolbi.

Unter diesen und ähnlichen Gesprächen verbrachten die Freunde ein sehr
angenehmes Stündchen. Sie ließen sich dabei die Melone vortrefflich
schmecken, von der William, ein guter Haushälter, die Kerne sorgfältig
sammelte, um sie demnächst der lieben Erde wieder anzuvertrauen, damit sie
neue Früchte trüge. Er trocknete sie, indem er sie auf ein großes Blatt
legte, an der Sonne und steckte dann hie und da einen Kern in die Erde. Als
sie emporkeimten, sah Kolbi nicht mehr mit Gleichgültigkeit auf die jungen
Pflänzchen, sondern freute sich ihrer, wie früher William.

Die überflüssigen Kerne -- Ihr werdet wissen, welch' eine Menge eine
einzige Melone hat, und unsre Colonisten hatten davon mehr als hundert --
blieben auch nicht unbenutzt. Der schöne zahme Papagei naschte nicht nur
sehr gern von der duftigen Frucht, sondern fast lieber noch von den Kernen,
die süßlich und sehr wohlschmeckend sind. Man gewann also ein sehr gutes
und reichliches Futter für das liebe Thierchen und hatte nicht mehr nöthig,
es mühsam zu suchen, was man früher gezwungen gewesen war zu thun.

Der Bau der Hütte rückte indeß vorwärts und da man jetzt Zeit hatte,
an Alles zu denken, wurde im Hintergrunde derselben sogar ein Feuerherd
angelegt, den man zwar nicht immer, wohl aber während eines heftigen Regens
benutzen wollte. Man hatte nämlich während der Regentage große Mühe gehabt,
die Hütte vor dem Verbrennen zu beschützen, da man gezwungen gewesen war,
das Feuer in derselben anzumachen, weil der draußen fallende heftige Regen
es ausgelöscht haben würde. Dazu gesellte sich noch ein höchst heftiger
Rauch, dem man keinen Abzug geben konnte, weil man die Thüre nicht immer
öffnen durfte. Diesen großen Unbequemlichkeiten sollte jetzt durch den Bau
eines Heerdes und Schlotfanges abgeholfen werden. Die Sache war nicht eben
leicht, aber William probirte so lange, bis sie gieng, und an Ausdauer
übertrafen ihn Wenige. Zwar mußte er, um den Schlotfang bilden zu können,
einige von seinen Brettern hergeben; allein die Sache war zu wichtig und
so durfte er nicht anstehen, sie in's Werk zu richten. In allem Andern
vertraute er Gott und hoffte mit Zuversicht auf seinen Beistand.

Endlich war die Hütte so weit, daß nur noch das Dach fehlte, aber um dieses
stand es übel: die übrig gebliebenen Bretter reichten kaum zur Hälfte aus
und an eine Thür war vollends nicht zu denken. Doch war letztere durchaus
nothwendig, schon der giftigen Schlangen wegen, die ihnen unfehlbar
nächtliche Besuche abstatten würden, wenn sie die Hütte nicht wohl
verwahrten; hatten sie doch schon in der Erdhöhle des Koala Mühe genug,
sich dieser feindlichen Gäste zu erwehren.

Die Sachen standen also ziemlich trostlos; man verlor jedoch den Muth
nicht und beschloß, die ganze Insel, immer am Meeresstrande hingehend,
zu umkreisen, in der Hoffnung, vielleicht noch einige Planken von dem
gestrandeten Schiffe zu entdecken, auf dem William hergekommen, oder auch
von einem andern, das von demselben unglücklichen Schicksale betroffen
worden war.

Zu dieser Reise, obgleich die Insel nicht groß war, bedurfte es doch
einiger Vorbereitungen, weil man nicht sicher sein konnte, überall
Lebensmittel zu finden. Man mußte daher einige Vorräthe mit sich nehmen und
ersah zu diesem ein paar Melonen, so wie eine Portion Pataten aus, die man
in einem linnenen Quersacke mit sich nahm. Nachdem man Alles wohl bedacht
und beschafft hatte, trat man in Gottes Namen die Wanderung an.




Einundzwanzigstes Kapitel.


Fröhlich und wohlgemuth, theils unter heitern, theils unter belehrenden
Gesprächen, wanderten unsere Freunde fort. William, der das herzlichste
Verlangen trug, seinen geliebten Kolbi mit dem erhabenen Wesen näher
bekannt zu machen, auf das er sein vollstes, innigstes Vertrauen setzte, zu
dem er sich in Freud' und Leid immer zuerst wandte, redete seinem Begleiter
auf diesem Wege viel von Gott, und zu seiner Freude fand er jetzt schon ein
offeneres Ohr für die Wahrheiten der Religion bei demselben, als er früher
gefunden haben würde. Nach und nach entsagte Kolbi seinen abergläubischen
Vorstellungen und wandte sein Herz dem einigen wahren Gott zu. William,
dem das eine unaussprechliche Freude machte, versäumte keine sich ihm
darbietende Gelegenheit, ihn auf die Wunder der Natur und zugleich auf die
erhabenen Eigenschaften Gottes aufmerksam zu machen, und da er zwar nicht
gelehrt, aber eindringlich und aus innerster Ueberzeugung sprach, fanden
seine Worte Eingang bei seinem Freunde.

Den eigentlichen Zweck ihrer Wanderung schienen unsre Beiden indeß
verfehlen zu sollen. Wie sorgsam sie auch spähten, so erblickten sie doch
am Meeresstrande nicht das Geringste, das ihnen zu ihrem Zwecke hätte
dienen können. Es lagen zwar viele schöne bunte Muscheln und Steine genug
am Ufer, allein auch nicht das kleinste Stückchen Holz, das ihnen zu ihrem
Bau hätte dienen können.

Dies war ihnen natürlich sehr unangenehm; allein es entmuthigte William
keineswegs, sondern er sann sogleich auf Abhülfe, die ja auch noch immer
möglich war, da sie ihre Geräthschaften vor der Zerstörungswuth der Wilden
gerettet hatten.

Am zweiten Morgen ihrer fruchtlosen Wanderung war es Kolbi, der zuerst
erwachte und dem nahen Meere zueilte, um sich in der kühlen Fluth zu baden,
wie es seine Gewohnheit in der Heimath gewesen war. Er hatte kaum seine
wenige Bekleidung abgeworfen und schickte sich eben an, sich ins Wasser zu
stürzen, als sein über das Meer hinstreifender scharfer Blick ein kleines
dunkles Pünktchen am äußersten Rande des Horizontes entdeckte. Er starrte
es einige Augenblicke an und bemerkte, daß es beweglich war. Jetzt weckte
er William, um ihn auf die Erscheinung aufmerksam zu machen; denn er wußte
mit Gewißheit, daß das schwarze Pünktchen am vorhergehenden Abende nicht an
der Stelle gewesen war, und so erregte es mit Recht seine Aufmerksamkeit.

William, der durch Kolbi in einem lieblichen Traume gestört worden war, der
ihn nach der geliebten Heimath, in das Haus seiner Mutter versetzte, war
fast ein wenig unwillig, daß Kolbi ihn erweckt hatte, er rieb sich die noch
schlaftrunkenen Augen und fragte, was es denn gäbe?

»Einen schwarzen Punkt gibt es da drüben, der gestern Abend vor unserm
Einschlafen noch nicht da war,« antwortete ihm Kolbi; »komm nur und sieh
selbst.«

Jetzt sprang William auf; denn er wußte noch von seiner Seereise her,
was solche schwarze Punkte am äußersten Rande des Horizontes zu bedeuten
hatten, und sein Herz schlug fast hörbar in der Brust.

»Wo siehst Du denn den Punkt?« fragte er, seine ganze Sehkraft, wiewohl
vergeblich, anstrengend; denn sein Auge war, obschon sehr gut, doch nicht
so scharf sehend, als das seines Freundes.

»Da! da!« war Kolbis Antwort, indem er mit der Hand nach der Gegend
hinzeigte. »Siehst Du es denn nicht?«

»Ich sehe nichts, gar nichts!« antwortete ihm William; »Du hast Dich wohl
getäuscht, Kolbi?«

»Gewiß nicht! Ich sehe es deutlich, ganz deutlich, und es bewegt sich!«

»O mein Gott!« rief William bei diesen Worten, und er wurde blaß vor
Freude; »o mein Gott, wenn es ein Schiff wäre!«

»Es ist nur ein Punkt, sage ich Dir, und kein Schiff,« versetzte Kolbi,
»wenn es ein Canot wäre, müßte es ja größer sein.«

»Aus großer Ferne gesehen, erscheinen die Dinge viel kleiner,« antwortete
ihm William, der noch immer nach der ihm bezeichneten Gegend hinstarrte,
aber leider nichts sehen konnte.

»Siehst Du denn den Punkt noch immer?« fragte er Kolbi nach einer ziemlich
langen Pause, die zwischen den Freunden entstanden war.

»So deutlich, wie ich Dich sehe,« war die Antwort, »und der Punkt ist jetzt
schon größer, als er in dem Augenblicke war, wo ich ihn zuerst sah.«

Wie pochte das Herz in Williams Brust bei diesen Worten! Wie strömten seine
Gefühle über! Konnte er noch daran zweifeln, daß das, was sein schärfer
sehender Freund sah, ein Schiff, vielleicht gar ein von Europa kommendes
Schiff sei? So war vielleicht Rettung, Erlösung nahe! So sollten Leiden und
Entbehrungen vielleicht ihr Ende bald finden! Thränen traten ihm, besonders
bei dem Gedanken, seine über Alles theure Mutter, die geliebte Heimath
wiedersehen zu sollen, in die Augen, und rollten in Strömen über seine
Wangen. Kolbi, der ihn weinen sah, fragte theilnehmend:

»Du weinst? Hat Kolbi Dich betrübt, William? Was hat Kolbi Dir Böses
gethan?«

»O nichts, nichts, Du guter, lieber Kolbi,« rief William, indem er den
Freund umarmte; »Du hast mir im Gegentheil durch Deine Entdeckung eine
unendlich große Freude gemacht. Das, was Du mit Deinem geübteren
Auge bereits siehst und was ich noch nicht sehen kann, ist aller
Wahrscheinlichkeit nach eines von den großen schwimmenden Gebäuden, von
denen ich Dir so viel erzählt habe, und die wir Schiffe nennen. Auf einem
solchen Schiffe bin ich hierhergekommen, wie Du schon weißt, und wenn es
Gottes Wille wäre, mich zu erretten, so könnte das, was Du siehst, hier in
der Nähe Anker werfen, die Mannschaft könnte ans Land kommen und mich mit
sich nehmen, nach Europa, in die geliebte Heimath zurück.« --

»Und dann bliebe Kolbi hier allein zurück und stürbe aus Kummer über
William?« fragte der Wilde traurig.

»Nicht doch! Wie könnte ich Dich wohl verlassen, Dich, meinen einzigen,
meinen liebsten Freund auf der Welt?« war Williams Antwort. »Nein, Kolbi,«
fügte er unter Thränen hinzu; »nein, ohne Dich ginge ich nicht! Aber
meine weißen Brüder würden uns Beide mitnehmen; ich würde Dich in meine
Vaterstadt Hamburg, in das Haus meiner Mutter führen, würde ihr sagen: da
ist mein Freund, mein Bruder Kolbi; nimm ihn an zu Deinem Sohne und liebe
ihn, wie Du mich liebst; und sie würde Dich eben so lieben, Kolbi, denn sie
ist gut und liebevoll!«

Das Alles sprach er unter immer heftiger strömenden Thränen und Kolbi, der
ihn nicht weinen sehen konnte, ohne mitzuweinen, weinte auch diesmal mit.

Eine Stunde und drüber verging indeß noch, bevor auch William den
beweglichen schwarzen Punkt am Horizont unterscheiden konnte; so wie er ihn
aber gesehen hatte, sank er auf seine Kniee nieder und sandte ein heißes
Dankgebet zu seinem himmlischen Vater empor; denn sein Herz zweifelte schon
nicht mehr an der Rettung.

Der Morgen und selbst der noch übrige Rest des Tages verging den Freunden
in einer Art von bänglicher Erwartung. William besonders war in tiefster
Seele bewegt; Kolbi dagegen, seit er das Versprechen von seinem Freunde
hatte, daß er ihn nicht allein auf der Insel zurücklassen wolle, weit
ruhiger; letzterer konnte sogar von den mitgenommenen Speisen genießen,
während William keinen Bissen über seine Lippen zu bringen vermochte, wie
man gewöhnlich in einer so großen innern Bewegtheit nicht an Speise und
Trank zu denken vermag.

Die Freunde hatten sich auf einer kleinen Erhöhung in der Nähe des Strandes
niedergesetzt und schauten mit unverwandten Blicken auf das Meer hinaus.
Der zu Anfang so kleine Punkt trat mit jeder Stunde deutlicher hervor und
als es zu dämmern begann, konnte man bereits die Umrisse des Schiffs genau
unterscheiden.

Was hätte William nicht darum gegeben, wenn die Natur diesmal zu seinen
Gunsten ihre gewohnte Ordnung umgekehrt und es nicht hätte Nacht werden
lassen? Aber ach! sie ging ihren gewohnten Gang fort und mit jedem
Augenblick wurde es dunkler, bis endlich vollkommene Nacht auf den
Gegenständen ruhte, und das Auge nichts mehr unterschied, als über sich den
Himmel und die Sterne.

William konnte trotz dem, daß er nichts mehr zu sehen vermochte, kein Auge
zuthun; Kolbi aber schlief, wie gewöhnlich und erwachte erst, als sein
Freund ihn mit lautem, fröhlichem Zuruf erweckte. Die liebe Sonne war zwar
noch nicht aufgegangen; aber schon zeigten sich ihre rosigen Boten, schöne,
purpurrothe Wölkchen am östlichen Himmel und die Helligkeit verdrängte
siegreich die Nacht, die bisher mit ihren Schleiern Meer und Erde bedeckt
hatte.

Man sah jetzt ganz deutlich, etwa in der Entfernung einer deutschen Meile,
das Schiff liegen; doch war es der Insel nicht näher gekommen; vermuthlich
hatte es sich aus Vorsicht während der Nacht vor Anker gelegt, um nicht
zwischen die Klippen und Felsenriffe zu gerathen, womit das Meer in der
Nähe der Insel besät sein konnte. Kaum war es indeß völlig Tag geworden,
so entfaltete es seine schneeweißen Segel wieder und schwamm zwar langsam,
aber majestätisch heran.

William verwandte kein Auge mehr davon und folgte mit seinen Blicken jeder
Bewegung des Schiffes. Es schien ihm indeß nothwendig, der Mannschaft
desselben ein Signal zu geben, daß man Menschen, auf Rettung hoffende
Menschen, auf der Insel finden würde, und so bat er Kolbi, mit dem Beile,
das man mit auf die Wanderung genommen hatte, im nächsten Gehölze einige
lange Aeste zu fällen und sie her zu bringen. Kolbi willfahrte ihm, ohne
begreifen zu können, was er mit dem Begehrten wolle.

Als er mit seinen Aesten wieder bei William angelangt war, band dieser sie
zusammen, so daß sie eine ziemlich lange Stange bildeten, und befestigte an
der Spitze derselben sein weißes Hemd, das er inzwischen ausgezogen hatte.
Beide steckten dann die improvisirte Fahne so tief in den Sand des Strandes
ein, das sie fest und aufrecht stand. William wußte, daß man auf den
Schiffen die Gewohnheit hat, sich fleißig mit dem Fernrohr nach allen
Seiten umzuschauen, und gab sich so der Hoffnung hin, daß man auch sein
Signal bald entdecken werde.

Dies geschah in der That; er bemerkte, daß eine große Bewegung auf dem
Schiffe entstand und hoffte, obgleich er noch nichts genau zu unterscheiden
vermochte, daß man ein Boot aussetzen und einige Mannschaft zur Insel
senden würde.

Es dauerte auch nicht gar lange, so rief Kolbi:

»Ein Canot! Ein Canot!«

Bei diesem Rufe sank William betend auf seine Kniee nieder und sendete
ein heißes Dankgebet zu seinem himmlischen Vater empor: durfte er doch nun
nicht mehr daran zweifeln, daß die Rettung nahe sei!

[Illustration: ~Seite 224.~]




Zweiundwanzigstes Kapitel.


Nach Verlauf von etwa anderthalb Stunden war das Boot der Insel bis auf
einige Flintenschüsse nahe gekommen. William und Kolbi standen hart am
Strande und streckten den Rettern flehend die Hände entgegen. Man winkte
ihnen mit Mützen und Taschentüchern, man schien sie anzurufen; allein die
Brandung des Meeres übertönte den Ruf der menschlichen Stimme.

»Kolbi,« sagte jetzt William, »wir Beide können schwimmen; komm, laß uns
in das Meer stürzen und zu unsern Rettern hinüberschwimmen, die vielleicht
durch die Furcht zurückgehalten werden, ihr leichtes Fahrzeug durch im
Meere verborgene Klippen gefährdet zu wissen; ich glaube aber, daß man an
dieser Stelle, trotz der heftigen Brandung, ohne Gefahr landen kann, und
das wollen wir ihnen sagen.«

Kolbi war mit dem Vorschlage seines Freundes zufrieden; im Nu waren die
Kleider abgeworfen und Beide sprangen beherzt in das Meer. Als das die
Leute in der Barke sahen, setzten sie die Ruder, die bisher geruht hatten,
wieder in Bewegung, und man steuerte getrosten Muthes auf die beiden kühnen
Schwimmer zu, die man bald erreichte.

So wie William und Kolbi in der Nähe des Bootes angelangt waren, rief man
ihnen in deutscher Sprache -- o welch ein himmlischer Klang war die für
das Ohr unsers Williams! -- zu: sie möchten nur getrost an Bord kommen,
und schon nach wenigen Minuten standen unsere Freunde mitten unter der
Mannschaft.

Man begrüßte einander, man befragte sie nach ihrem Namen, nach ihren
Schicksalen, ihrem Vaterlande; man war nicht wenig erstaunt, auch einen
Eingeborenen des Landes -- denn dafür erkannte man Kolbi auf den ersten
Blick -- ziemlich fertig Deutsch reden zu hören, und hörte mit sichtbarer
Theilnahme Williams Erzählung zu.

Diese Theilnahme bewies ihm vor allen Andern ein hoch und schlank
gewachsener Mann von mittleren Jahren, aus dessen angenehmen, gewinnenden
und freundlichen Gesichtszügen zugleich Milde, Freundlichkeit und Geist
hervorstrahlten. Er trug ziemlich langes, lockiges Haar, das fast bis auf
die Schultern hinabfiel, und sprach fertig Deutsch, obwohl mit einem etwas
fremdartigen Accent.

Alle, die im Boote waren, bezeigten gegen diesen Mann eine ganz besondere
Ehrfurcht und Zuneigung, denn so wie er sprach, schwiegen sogleich alle
Andere.

Während die Matrosen sich besonders mit Kolbi beschäftigten, der ihre
Aufmerksamkeit fast mehr noch als William in Anspruch nahm, mußte
Letzterer sich zu dem freundlichen Manne setzen, um ihm ausführlicher
seine Erlebnisse mitzutheilen. Als William ihm sagte, daß er, obschon von
englischen Eltern abstammend, doch ein Hamburger von Geburt sei, verklärte
ein angenehmes Lächeln das Gesicht des liebenswürdigen Mannes und er sagte:

»Hamburg kenne ich sehr gut und habe mich zu verschiedenen Zeiten daselbst
aufgehalten.«

Das war denn eine große Freude für William, besonders als der Fremde seine
geliebte Vaterstadt lobte und sagte, daß sie eine der angenehmsten und
bedeutendsten Städte der Welt sei und er sie sehr lieb gewonnen habe.

Das von einem vorsichtigen und geschickten Steuermann gelenkte Boot landete
endlich an der Insel und Alle stiegen aus; zuerst unsere beiden Freunde,
die jetzt wieder dem Anstande huldigen und sich bekleiden wollten; denn
auch Kolbi mochte nicht gern mehr ganz blos gehen und hatte sich schon
gänzlich an seine Kleidung gewöhnt.

Sobald man gelandet war, erging die Bitte an unsere beiden Colonisten, der
Mannschaft eine gute Quelle zu zeigen, damit man die mitgebrachten Fässer
damit anfülle, denn der Wassermangel, welcher an dem großen Schiffe fühlbar
geworden war, hatte den Kapitain desselben vermocht, seinen Curs nach der
Insel zu richten, in der Hoffnung, daselbst diesem empfindlichen Mangel
abhelfen zu können.

Daß man sich in dieser Hoffnung nicht getäuscht hatte, wißt Ihr, meine
Lieben. William und Kolbi führten die Mannschaft auf dem kürzesten Wege
zu ihrem herrlichen Bache in der Nähe der halbfertigen Hütte, und Alle
erlabten sich an dem köstlichen Getränke, das sie so lange schon in solcher
Frische vermißt hatten; niemals hatte ihnen der feurigste Wein so gut
geschmeckt, wie jetzt der frische Trunk aus der Quelle.

William und sein Kolbi konnten aber auch noch auf andere Weise der Pflicht
der Gastfreundschaft genug thun. Einige der köstlichen Melonen wurden aus
dem Garten geholt und an die Mannschaft des Boots vertheilt; man machte
ein großes Feuer an und legte eine Menge Pataten an die hoch emporlodernde
Flamme; während diese brieten, pflückte man die aus Gras und Stäben
geflochtenen Körbe, voll der saftigsten Himbeeren, die nicht minder
willkommen als die Melonen waren, und Kolbi, der schon gar nicht mehr fremd
gegen die weißen Männer that, versprach, daß er, wenn man ihm nur einige
Zeit lassen wolle, einen guten Braten zum Gastmahle liefern würde.

Dieses Anerbieten war nicht zu verachten, da die Mannschaft so lange kein
frisches Fleisch genossen und sich seit Monaten allein mit gesalzenem
beholfen hatte, und so sprang Kolbi auf, griff nach Bogen und Pfeilen und
stürmte fort.

Während er auf die Jagd ging, wurde beschlossen, die mitgebrachten
Wasserfässer zu füllen und an Bord zu schaffen, damit sich die auf dem
großen Schiffe befindliche Mannschaft daran erquicke, der Kapitain aber
auch zugleich Nachricht über den Stand der Angelegenheiten erhalte.
William, der selbst in seiner fast übergroßen Freude seine Besonnenheit
nicht verloren hatte, schlug vor, aus einigen Brettern, die das Dach der
Hütte bildeten, eine Art von Schleife zu machen und vermittelst derselben
die jetzt gefüllten, mithin schweren Wasserfässer leichter ans Ufer zu
führen. Dieser Vorschlag wurde mit Freuden angenommen, und bevor noch eine
Stunde vergangen war, hatte man mit vereinten Kräften die Schleife in Stand
gesetzt und zog sie, mit den Fässern und einigen Melonen beladen, unter
lautem Jubel an den Strand.

Ein Theil der Mannschaft, unter diesen der freundliche Mann, den William
gleich beim ersten Anblick schon so lieb gewonnen hatte, blieb auf der
Insel zurück, um die Ankunft der Uebrigen daselbst zu erwarten, denn man
zweifelte nicht daran, daß Alle nach der Reihe kommen würden, um sich auf
der Insel zu erfrischen.

Der liebe Mann, welcher William so sehr gefiel, war aber kein Anderer, als
der berühmte Dichter und Botaniker _Adalbert von Chamisso_, der auf der
russischen Brigg »_Rurik_«, geführt von dem Capitain _Otto_ von _Kotzebue_,
die Reise um die Welt mitmachte und jetzt mit den Andern auf diese
australische Insel gekommen war. Sollte der Eine oder Andere von Euch
die nachgelassenen Werke dieses eben so liebenswürdigen als edlen und
interessanten Mannes noch nicht kennen, so bittet Eure Eltern, daß sie
Euch damit bekannt machen, namentlich mit der »_Reise um die Welt_,« die
er geschrieben hat und mit seinen Gedichten, die zu den schönsten gehören,
welche wir besitzen, obgleich ihr Verfasser von Geburt ein Franzose war.

Adalbert von Chamisso ist jetzt todt, aber sein Andenken lebt in seinen
Freunden und Freundinnen, zu welchen letztern auch ich mich zählen darf,
fort, und seine Werke werden ewig leben.

Sobald der Marquis -- denn das war Chamisso von Geburt -- sich einigermaßen
erfrischt hatte, bat er William, sein Führer auf der Insel zu sein, deren
Pflanzenwelt für den Botaniker oder Pflanzenkundigen ein großes Interesse
haben mußte. William war gern dazu bereit, und unsere Beiden traten ihre
Wanderung an. Alle Augenblicke blieb Chamisso stehen, um bald dieses,
bald jenes Pflänzchen zu beschauen und zu pflücken, und Alles, was seine
Aufmerksamkeit erregte, wurde sorgfältig in eine blecherne Kapsel gelegt,
die er an einem ledernen Riemen über der Schulter hängen hatte.

Der Spaziergang, den beide machten, brachte sie einander noch näher.
William empfand gegen diesen liebenswürdigen und gelehrten Mann zugleich
die innigste Zuneigung und Ehrfurcht, und der offene William gefiel auch
ihm ganz besonders. Erst nach mehreren Stunden kehrte man zur Hütte zurück,
wo man eben beschäftigt war, die Jagdbeute Kolbis zum Braten vorzubereiten.
Diese bestand in mehreren wilden Tauben und einem jungen Kängeruh, das er
zu erlegen glücklich genug gewesen war. Man rupfte und sengte die Tauben
und zog dem Kängeruh das schöne, sammtweiche Fell ab; man zersägte und
zerhieb die Bretter, die einen Theil des Daches der Hütte gebildet hatten
und machte ein mächtiges Feuer an, um die Speisen daran zu braten. Allen
lief das Wasser im Munde zusammen, wenn sie an den sie erwartenden leckern
Genuß dachten; aber allgemein war auch die Klage: »Hätten wir doch nur
daran gedacht, Salz und Schüsseln mit vom Schiffe bringen zu lassen!« Denn
Fleisch ohne Salz zu essen, verstanden sie noch nicht, wie unser William,
der sich Jahre lang ohne dieses nothwendigste aller Gewürze hatte behelfen
müssen.

Groß war daher ihre Freude, als die vom Schiffe Zurückkehrenden, mit ihrem
Kapitain an der Spitze, sorgsamer als sie gewesen waren und sowohl an Salz,
als an Gefäße zum Kochen und Braten gedacht hatten. Ein fröhliches Hurrah!
begrüßte sie, als sie das mitgebrachte von der Schleife packten und es
neben dem Feuer aufstellten. Jetzt erst konnte ein leckerer Braten gemacht,
konnten die Pataten in einem großen Kessel, den man über dem Feuer aufhing,
in Salz und Wasser gehörig gekocht werden.

Der Reichthum, den die Insel an Wildbret und Geflügel darbot, bestimmte den
Kapitain der Brigg »Rurik,« sich für ein längeres Verweilen auf derselben
zu erklären, da die Mannschaft des Schiffes sowohl durch den in der letzten
Zeit eingetretenen Wassermangel, als durch den beständigen Genuß des
gesalzenen Fleisches etwas gelitten hatte. Es waren mehrere Krankheitsfälle
an Bord vorgekommen, und der Schiffsarzt hatte einen Wechsel der
Nahrungsmittel für die Mannschaft gewünscht.

Auch Adalbert von Chamisso war mit dem längern Verweilen auf der Insel sehr
zufrieden, da er eine Menge ihm bis dahin unbekannter Pflanzen darauf
fand, die er sorgfältig trocknete und in sein Herbarium (oder seine
Kräutersammlung) legte. Er war vom frühesten Morgen bis spät in die Nacht
auf den Beinen; oft begleitete ihn der Schiffsarzt, der sich auch sehr für
die Pflanzenkunde interessirte, öfterer aber noch unser William, für den
er eine besondere Neigung gefaßt zu haben schien, und der ihm von seinem
Aufenthalte auf der Insel so viel zu erzählen wußte.

Allen erging es auf derselben sehr wohl, zumal da man in dem herrlichen
Bache eine Art von Brunnenkresse gefunden hatte, die für die am Scorbut
leidenden Kranken eine wahre Wohlthat war, indem sie sie von dieser
lästigen Krankheit schnell wieder herstellte. Allein die bisher so wenig
von William und Kolbi belästigte Thierwelt hatte es seit der Landung der
russischen Mannschaft sehr schlimm. Man stellte Allem, was nur irgend
genießbar war, beharrlich nach: die wilden Tauben waren nicht mehr in den
höchsten Gipfeln der Bäume sicher; der Koango nicht mehr in seiner Höhle;
die sonst so wenig scheuen Kängeruh's wurden von allen Seiten umstellt und
mit Pulver und Blei getödtet. Alle Augenblicke erschallte der Knall einer
Flinte, denn auch die an Bord befindlichen Naturforscher stellten den
kleineren Thieren nach, um sie ausstopfen und ihren Sammlungen hinzufügen
zu können! kurz, der Krieg zwischen Menschen und Thieren war ausgebrochen,
die letzteren aber sehr im Nachtheile, da sie kein Vertheidigungsmittel
hatten und völlig wehrlos niedergeschossen wurden.

Höchst seltsam war die Wirkung anzusehen, die der erste Flintenschuß, den
Kolbi in seinem Leben vernahm, auf den armen Wilden machte. Zwar hatte er
die von der Schiffsmannschaft mitgebrachten Flinten gesehen und sie sogar,
neugierig wie er von Natur war, in die Hand genommen und sie von allen
Seiten betrachtet; er war auch gegenwärtig gewesen, als man sie mit Pulver
und Blei lud und hatte jede Bewegung der sie Ladenden mit angestrengter
Aufmerksamkeit verfolgt; allein was nun aus dem »_Dinge_« -- Ding nannte
er Alles, was er noch nicht kannte -- werden solle, das wußte er nicht.
Zufällig war es der Arzt, mit dem er auf seine Einladung ausgegangen war,
welcher den ersten Schuß that, den er in seinem Leben hörte. Dieser hatte
hoch in dem Wipfel eines Eucalyptus einen sehr schönen Papagey erblickt und
wünschte ihn für seine Sammlung zu haben. Kolbi sah, wie er »_das Ding_«
von der Schulter nahm, hörte das kleine Geräusch, welches durch das
Aufspannen des Hahns verursacht wurde, sah, wie der Arzt anlegte und zielte
und erwartete zwar mit Neugierde, aber auch mit Ruhe, was nun kommen würde.
Da -- o wie ward ihm! -- da knallte es plötzlich dicht neben ihm los, und
zugleich mit dem gutgetroffenen Papagey stürzte der Arme zur Erde.

Der Arzt war über die doppelte Wirkung, die sein Schuß gehabt hatte, sehr
erschrocken; er warf das Gewehr weg und kniete neben Kolbi nieder, der mit
festgeschlossenen Augen dalag und mit Händen und Füßen zappelte, als wäre
er selbst von dem tödtlichen Blei getroffen worden.

Vergebens redete der Arzt ihm zu, ohne alle Furcht zu sein, indem ihm weder
Schaden zugefügt worden sei noch werden solle; er antwortete ihm nicht,
sondern zappelte mit seinen Extremitäten fort und ächzte mit noch immer
geschlossenen Augen wie ein Sterbender.

Erst nach langem Zureden gelang es dem selbst durch den Vorfall
erschrockenen Arzte, ihn einigermaßen zu beruhigen und ihn dahin zu
bringen, daß er sich vom Boden erhob; dazu konnte er ihn aber nicht
bewegen, daß er ihn noch ferner auf seiner Streiferei begleitete; Kolbi
ergriff die Flucht, so wie er auf seinen Beinen stand, und lief zu William,
um diesem unter Thränen sein Unglück zu klagen und ihn zu bitten, mit ihm
die Flucht zu ergreifen; denn, sagte er, er wolle keinen Verkehr mehr mit
den »_Donner-Leuten_« haben.

Es wurde selbst William sehr schwer, ihn nur einigermaßen zu beruhigen,
und ihn von der Flucht abzuhalten; dazu aber konnte er ihn nicht wieder
bringen, nochmals ein Gewehr in die Hand zu nehmen; denn darin säße der
böse Geist, behauptete er.

Endlich, nachdem man sich beinahe acht Tage auf der Insel aufgehalten und
ihr, auf den Wunsch Chamisso's, den Namen _Rosmarien-Insel_ gegeben hatte,
-- so nannte er sie nach einer theuren Freundin, welche Rosa-Maria hieß und
ihm auch bereits in die Ewigkeit gefolgt ist -- schickte man sich an, sie
zu verlassen und auf's neue mit dem »Rurik« die hohe See zu suchen.

William und Kolbi, die man natürlich mitnahm, packten von ihren wenigen
Sachen ein, was sie nur konnten, denn jetzt, wo sie für immer von ihrer
lieben Insel scheiden sollten, hatte Alles, was sie dort besaßen, einen
doppelten Werth für sie. Besonders trug William Sorge dafür, in die Kiste
des Schiffszimmermanns Alles zu legen, was noch von den darin enthaltenen
Sachen vorhanden war. Er hatte die Absicht, wo möglich das Fehlende in
Hamburg zu ersetzen und das Ganze dann den Erben seines verstorbenen
Freundes zuzustellen; daß diese in seiner Vaterstadt lebten, wußte er und
hoffte so, sie auffinden und ihnen ihr rechtmäßiges Erbthum zustellen zu
können. Wie werth und theuer mußte nicht für diese Leute jedes Stück sein,
das der arme Steffen einst besessen hatte.

Kaum werdet Ihr es glauben können, und doch war dem so: William vermochte
sich nicht ohne heißen Schmerz von seiner geliebten Insel zu trennen,
obschon ihn das Wiedersehen der über alles geliebten Mutter, der theuren
Heimath bevorstand. Hatte er doch auf der Insel manchen guten Tag, manche
herzerhebende Stunde im Umgange mit seinem geliebten Kolbi verlebt; hatte
er doch auf ihr Nahrung und Obdach gefunden und seine körperlichen und
geistigen Kräfte üben und erkennen gelernt; der Gedanke an dieses Alles
erfüllte ihn zugleich mit Wehmuth und Dankbarkeit.

Am letzten Abende, als die Insel früh am andern Morgen verlassen werden
sollte, ergriff er die Hand seines Kolbi, um allein mit diesem noch einen
langen Spaziergang zu machen. Es war bereits kühl geworden und sie
konnten also rasch fortwandern. Himmel und Erde waren gleich schön: die
untergehende Sonne spiegelte sich im Meere ab; die Luft führte ihnen
balsamische Düfte zu; die Gipfel der hohen Eucalypten waren noch mit dem
Golde der scheidenden Sonne bestreut; die Vögel sangen ihr Abendlied in den
Wipfeln; der Bach murmelte so traut; die hohen Gräser bewegten sich leise
im sanften Abendwinde und es war eine Stille und Feier in der Natur, die
ihre Herzen unaussprechlich rührte.

Lange standen beide Hand in Hand auf der Spitze des Hügels, an dessen
Abhange ihr Häuschen lag, das jetzt nur noch eine unförmliche Steinmasse
mehr war, und schauten auf dasselbe mit von Thränen feuchten Blicken
hinab. Dann gingen sie in den Garten, und zugleich mit Wehmuth und Liebe
betrachteten sie die Pflanzen, die so fröhlich darin wuchsen und von nun an
ihre Pflege entbehren würden. Auch Kolbi war sehr still und augenscheinlich
bewegt; was er in diesem Augenblick empfand, vermochte er nicht
auszudrücken; aber auch in seinem dunklen Auge glänzte eine Thräne.

Williams Gefühle wallten endlich in einem Dankgebete über; er sank auf
seine Kniee nieder und dankte Gott aus der Fülle seines Herzens für alles
Gute, was er von seiner Gnade empfangen hatte. Dann reichte er Kolbi die
Hand, und Beide setzten schweigend ihre Wanderung fort, von der sie erst
mit Anbruch der Nacht zurückkehrten.




Dreiundzwanzigstes Kapitel.


Früh am andern Morgen ging es an Bord des »Ruriks,« an den man bereits am
vorhergehenden Tage alle gesammelten Lebensmittel geschafft hatte.

William und Kolbi waren die letztern in dem Zuge, der sich unter fröhlichem
Geplauder, unter Scherzen und Lachen dem Strande näherte. Da, als man
bereits eine gute Strecke von der Hütte entfernt war, hörten unsere beiden
Freunde plötzlich das ihnen so wohlbekannte: »Gieb Futter, Gieb Futter!«

»O, mein Gott!« rief William, den Arm Kolbis loslassend und einige Schritte
zurückgehend, »bald hätten wir unsern guten Freund hier vergessen! Wie
würde mich das betrübt haben!«

Es dauerte keine Minute, so saß der schöne Lori ihm auf der Schulter; denn
da er ihn nie neckte, wie Kolbi aus Muthwillen zuweilen that, hatte der
Papagei eine ganz besondere Vorliebe für ihn gefaßt.

»Komm,« sagte William, das glänzende Gefieder des schönen Thieres sanft
streichelnd, »komm, Lori, Du sollst mit mir und, wenn Gott mir meine
geliebte Mutter erhalten hat, ihr zur Freude, mir aber zur Erinnerung an
dieses rettende Eiland dienen; denn nie werde ich deine Stimme vernehmen,
ohne an Alles erinnert zu werden, was ich hier erlebte.«

Der Vogel sah ihn mit seinen klugen Augen so verständig an, als verstünde
er seine Worte, und auf dem Wege zum Strande hörte er nicht auf, zu
plaudern und zu pfeifen, denn auch das Letztere hatte er von seinen
Erziehern gelernt.

Der Wind war günstig; das Schiff lichtete, sowie alle am Bord waren, die
Anker; die Segel schwellten und der majestätische »Rurik« setzte sich in
Bewegung. Es dauerte nicht lange, so hatte man die geliebte Insel aus dem
Gesichte verloren.

Immer frisch ging es vorwärts, denn der »Rurik« war auf der Heimreise
begriffen. Der Wind blieb lange günstig; man lief in der Nacht vom 30. auf
den 31. März in die _Tafelbai_, beim _Vorgebirge der guten Hoffnung_, ein
und verweilte daselbst acht Tage, was unserm William Gelegenheit gab,
den Besitzer des Constantia-Weinbergs, seinen guten Holländer, wieder
aufzusuchen, und ihm zugleich seinen auf der Reise und durch den erlittenen
Schiffbruch erworbenen Freund Kolbi vorzustellen.

Dieser treffliche Mann war so erfreut über das Wiedersehen Williams und
hörte seiner interessanten Erzählung mit so großem Interesse zu, daß sich
unser Freund ganz wie zu Hause bei ihm fühlte. Als es endlich an's Scheiden
ging, umarmte der gute Holländer William fast unter Thränen der Rührung und
drückte ihm ein Päckchen mit den Worten in die Hand:

-- »Nimm das zum Geschenke von mir und möge es dir Segen bringen, mein
Sohn! Wenn es dir in deiner Vaterstadt wohl ergeht, dann gedenke auch
zuweilen meiner!«

Er wandte sich jetzt mit nassem Auge von den beiden Freunden ab und ging;
auch William, minder sein Kolbi, war tief gerührt.

Die fernere Reise war, bis auf einige wenige stürmische Tage, sehr vom
Glück begünstigt und ich wüßte Euch, meine Geliebten, nicht eben viel
Neues davon zu erzählen. Nur des Umstandes muß ich noch erwähnen, daß
der »_Rurik_« bei der Insel _St. Helena_ vor Anker ging und man also
Gelegenheit hatte, den größesten Mann des Jahrhunderts und einer der
größesten aller Zeiten, auf dieser durch ihn so berühmt und bekannt
gewordenen Insel zu sehen. Ich brauche Euch wohl kaum noch den Namen
_Napoleon Bonaparte_ zu nennen; denn Ihr werdet wissen, daß dieser als
Gefangener auf der Insel St. Helena schmachtete und daselbst auch sein
thatenreiches Leben endete. Freilich sah unser William den großen Mann nur
flüchtig auf einem Spazierritte, den er in Begleitung der ihn bewachenden
Officiere machte; aber die Erinnerung an diese Begegnung blieb ihm für den
Rest seines Lebens eine höchst angenehme.

Endlich lief der »_Rurik_«, nach einer eben so schnellen als glücklichen
Fahrt, am 16. Juni des Jahres 1818 in den Hafen von Portsmuth in England
ein, und schon am 18. gingen William und Kolbi in Begleitung ihres Freundes
und Beschützers, Adalbert von Chamisso, an das Land. Hier trennte dieser
sich von Beiden, nachdem er großmüthig die Ueberfahrt für sie auf einem
eben nach Hamburg unter Segel gehenden Paquetboote bezahlt hatte. Der
Abschied war sehr schmerzlich; denn sowohl William als Kolbi hatten ihren
Beschützer von Herzen lieb gewonnen. Er versprach ihnen aber, falls er nach
Hamburg kommen sollte, sie aufzusuchen, und hat auch hierin Wort gehalten.

Wie schlug William das Herz, als er nach einer eben so schnellen als
glücklichen Fahrt und nach einer Abwesenheit von fast vier Jahren, die
Thürme seiner Vaterstadt und endlich den mit Schiffen angefüllten Hafen
derselben wieder erblickte!

Tausend Fragen drängten sich ihm auf, worunter die: ob er seine geliebte
Mutter auch noch wieder finden würde? ob der Gram um ihn sie nicht
vielleicht gar getödtet habe? sein Herz zu ängstlichen Schlägen bewegte.

Endlich konnte er aus der leichten Barke an's Land springen; Kolbi folgte
ihm. Dieser, dem Alles neu war, wollte jeden Augenblick stehen bleiben und
bald über Dieses, bald über Jenes Auskunft von ihm haben; allein er war
nicht im Stande, ihm die gewünschten Erklärungen zu geben, sondern eilte
rastlos vorwärts, bis er bei der niedern Wohnung anlangte, in der er seine
Mutter verlassen hatte.

Eine ihm völlig fremde Frau stand vor der Kellertreppe, und fast athemlos
vor banger Furcht fragte er nach seiner Mutter. Die Frau, welche erst vor
Kurzem eingezogen war, wußte ihm keine Auskunft zu geben, und schon wollte
sich Verzweiflung seiner Seele bemächtigen -- denn er glaubte die gute
Mutter todt -- als sich die Thür des dem Keller gegenüberliegenden Hauses
öffnete und ein ihm gleich auf den ersten Blick wohlbekanntes Gesicht
aus derselben neugierig auf Kolbi schaute; dieser erregte durch
sein ungewöhnliches Aeußere natürlich die Aufmerksamkeit aller ihnen
Begegnenden.

-- »Fritz! Fritz!« rief William mit lauter Stimme und stürzte auf seinen
Jugendgespielen und Schulgenossen zu.

Dieser erkannte ihn nicht sogleich. William war seit ihrer Trennung um vier
Jahre älter geworden und von der südlichen Sonne so gebräunt, daß er weit
eher einem Mulatten, als einem Europäer ähnlich sah.

-- »Erkennst du mich denn nicht mehr, Fritz?« fragte ihn William mit
traurigem Tone; »erkennst du deinen Freund William Robinson nicht mehr?«
fügte er hinzu.

-- »Mein Gott! Du!« rief dieser jetzt, indem er ihm in die Arme stürzte.
»Du lebst, William? Wie wird sich deine Mutter freuen, die dich als todt
beweinte!«

-- »So lebt sie doch noch?« rief William, und ein Strom von Freudenthränen
schoß ihm über die Wangen. »O Gott, mein guter gnädiger Gott, wie danke
ich Dir!« sagte er, die Hände zum Himmel emporstreckend. Viel hätte nicht
gefehlt, so wäre er auf der offenen Gasse auf seine Kniee niedergesunken,
um seinem himmlischen Vater für die ihm erzeigte große Gnade zu danken.

-- »O, führe mich zu meiner Mutter!« rief er dann, die beiden Hände seines
Jugendfreundes erfassend, »führe mich auf der Stelle zu ihr: mein Herz
droht vor Sehnsucht nach der Geliebten zu zerspringen!«

-- »Gemach, mein Freund,« antwortete ihm der besonnene Freund; »Du
darfst so unerwartet nicht zu ihr eintreten: Die Ueberraschung könnte
sie vielleicht gar tödten. Tritt erst in unser Haus und warte, bis ich
zurückkomme. Sie wohnt da drüben, in dem großen Fruchtlager; ich gehe zu
ihr, um sie vorsichtig auf die Freude vorzubereiten, die ihrer harrt; denn
sonst könnte leicht aus dem Glück ein Unglück entstehen.«

William fand das, was Fritz sagte, vernünftig und trat mit seinem Kolbi
in das Haus, während Fritz zu der Frau Robinson hinübersprang, um sie
vorzubereiten. Er machte seine Sache sehr geschickt. Erst sagte er ihr,
daß man glaube, das schöne Schiff, die »_Hoffnung_«, sei doch nicht
untergegangen, wie man so lange gewähnt; dann ging er weiter und immer
weiter und endlich trat er mit der vollen, glücklichen Wahrheit hervor.
Trotz der gebrauchten Vorsicht war die zärtliche Mutter doch fast einer
Ohnmacht nahe, als er ihr die Versicherung gab, daß ihr William lebe und
nur wenige Schritte von ihr entfernt, in seinem Hause sei. Als sie sich
einigermaßen von ihrem freudigen Schrecken erholt hatte, ließ sie sich
nicht länger halten; sie stürzte fort, dem Hause von Fritzens Eltern zu und
lag, halb todt vor Uebermaaß an Freude, in den Armen des so lange als todt
beweinten Sohnes.

_Welche Feder_ wäre wohl im Stande, dieses Wiedersehen zu schildern? Die
meine ist zu schwach dazu und ich muß es Euch, meine Geliebten, überlassen,
Euch selbst alle die nun folgenden rührenden Scenen auszumalen.

Als der erste Sturm der Empfindung sich in Etwas gelegt hatte, ergriff
William die Hand seines Kolbi und führte ihn mit den Worten zu seiner
Mutter:

-- »Umarme auch ihn und nenne ihn deinen zweiten Sohn, denn er ist mein
liebster Freund, mein Bruder und nach dir mir der liebste auf der Welt.«

-- »Ja, er soll auch mein Sohn sein,« versetzte die Mutter und umarmte bei
diesen Worten den tiefgerührten Kolbi, der die Mutter seines Williams auch
schon lieb gewonnen hatte.

Dann ging's an's Erzählen und Ihr könnt Euch vorstellen, wie interessant
der Frau Robinson jedes Wort war, das ihr geliebter Sohn zu ihr redete.
Fast bis um Mitternacht dauerten die Mittheilungen Williams, und selbst da
konnte man noch nicht einschlafen.

Etwa zehn Jahre nach diesen glücklichen Vorfällen sprach man sehr viel
in der Stadt von dem reichen Kaufmann Herrn William Robinson, von dem man
behauptete, daß ihm alle seine Speculationen über Erwartung glückten. Als
Compagnon war ein Eingeborener Australiens, der die heilige Taufe erhalten
und den Namen _Williams_ in derselben angenommen hatte, in die Handlung
aufgenommen worden und er zeichnete sich durch Geschicklichkeit und
Fleiß eben so sehr aus, als durch sein liebreiches Wesen und seine
Wohlthätigkeit.

Die Sache hing so zusammen:

Als William einige Tage nach seiner Rückkehr seine Sachen vom Bord des
Paquetboots geholt hatte -- auch den Lori vergaß er nicht -- fiel ihm
das Päckchen in die Hände, das der gute Holländer am Vorgebirge der guten
Hoffnung ihm beim Abschiede in die Hand gedrückt hatte, und das bis dahin
uneröffnet geblieben war. Jetzt öffnete er es und fand, zu seiner nicht
geringen Ueberraschung, eine Rolle blanker Louis'dors, fünfzig an der Zahl,
darin. Zitternd vor Freude brachte er der Mutter seinen Schatz und erzählte
ihr zugleich, wie er dazu gekommen.

-- »Das Geld,« sagte die fromme und verständige Mutter, »mußt Du im Handel
anlegen: es wird dir Segen bringen, da du es durch deine Rechtschaffenheit
erwarbst. Meine Lage in diesem Hause ist zwar nicht glänzend, aber Herr
Berger behandelt mich anständig und hat Vertrauen zu mir; so kann ich es
schon noch eine Weile bei ihm aushalten; segnet aber Gott deine Geschäfte,
dann ziehe ich zu dir.«

Und Gott segnete das Geschäft des guten, redlichen Williams. Schon nach
einem Jahre hatte sich sein kleines Kapital verdoppelt, und, wie schon
angedeutet worden, nach etwa zehn Jahren war er ein reicher, reicher
Mann, hatte ein großes Haus, eine liebenswürdige tugendhafte Frau und ein
Häuflein hoffnungsvoller Kinder.

Die Mutter und sein Kolbi, der indeß von geschickten Lehrern unterrichtet
worden war, wohnten bei ihm und letzterer war sogar sein Compagnon
geworden.

Oft, wenn die Freunde in traulichen Gesprächen ihrer Vergangenheit und
wunderbaren Lebensschicksale gedachten, sagte William:

-- »Erinnerst du dich noch, Kolbi« so nannte er ihn noch immer, wenn sie
allein waren -- »was ich dir bei Gelegenheit der Zerstörung unserer Hütte
durch die Feinde deines Stammes sagte: daß Gott es oft dann am besten mit
uns meint, wenn er uns Trübsal sendet?«

-- »Wohl erinnere ich mich deiner Worte,« versetzte Kolbi, »und habe
derselben sehr oft gedenken müssen. Hätten die Feinde unsere Hütte nicht
zerstört, so würden wir vielleicht nicht an den Strand gegangen sein,
um Bretter zu suchen: der »_Rurik_« wäre wahrscheinlich an der Insel
vorübergesegelt, ohne sie zu besuchen, und wir säßen jetzt wohl noch auf
derselben. Gelobt sei Gott, der gnädige, allweise Gott, der seine Menschen
segnet, indem er sie zu prüfen scheint.«




In der Verlagshandlung von #J. Engelmann# in _Heidelberg_ sind auch
folgende

  Unterhaltungs- und Jugendschriften etc.

erschienen, und in allen _Buchhandlungen_ zu den beigesetzten Preisen zu
haben.


#Beck#, =Dr.= (Schuldirektor in Neuwied), Geschichten, Sagen und
Naturgemälde des Rheins, aus dem Munde deutscher, besonders rheinischer
Dichter. Ein Erinnerungsbuch für Fremde und Einheimische sowie auch für
Gedächtniß- und Vortragsübungen in und außer der Schule. Mit der Ansicht
von Rheinstein. 12. Brosch. 2 fl. od. 1 Thlr. 8 gr.

  Der Herausgeber dieser eben so vollständigen als zweckmäßigen Sammlung
  hat sich nicht blos auf die _Geschichte_ beschränkt, sondern auch,
  woran das Rheinland so reich ist, seine _Sagen_ berücksichtigt,
  und endlich dem weitgepriesenen Rheinwein zu Ehren, eine Reihe
  Rheinweinlieder beigefügt.


#Engelmann#, =Dr.= #J. B.#, Gebete und Erweckungen zum Gebet. Ein
Andachtsbuch für Familien. Mit einem Kupfer. In allegorischem Umschlage.
geb. 1 fl. 24 kr. od. 22 gr.

  Dieser herrliche Kranz ist aus den schönsten Blumen, welche die Muse
  der Religion und des Gefühls spendet, gewunden -- aus den erwähltesten,
  die ihre geweihte Sänger: _Klopstock_, _Cramer_, _Gellert_, _Caroline_,
  _Rudolphi_, _Herder_, _Novalis_, _Jacobi_, _Krummacher_, _Seume_,
  _Haller_, _Kosegarten_, _Pfeffel_, _Julie_, _Veillodter_, _Bürger_,
  _Hölty_, _Matthisson_ und mehrere, auf den Altar des Heiligen, Guten
  und Wahren niederlegen. -- In den Betrachtungen über Gott, Jesus,
  Tod und Unsterblichkeit, in den Trostgesängen bei den Gräbern unserer
  Lieben, in den Morgen- und Abendliedern, und andern vermischten
  Inhalts, wird das fromme Gemüth Erhebung zur Andacht, Beruhigung im
  Leiden und Kraft zum heitern Fortschreiten auf der Prüfungsbahn dieses
  Lebens finden -- und so wird dieses Buch jedem Familienkreise und jedem
  Einzelnen, der ein solches zu haben wünscht, ein willkommener Begleiter
  sein.


#Geib, Karl#, die Volkssagen der Rheinlande. In Romanzen und Balladen. Mit
22 Kupfern. 8. 1. Band 1828. In schönem Einbande 3 fl. oder 2 Thlr.

Deren 2. Band. In Romanzen, Balladen und poetischen Erzählungen. Mit 21
Kupfern 1836. Geschmackvoller Einband in Catton-Taffent. 3 fl. od. 2 Thlr.

Jeder Band wird besonders gegeben. Beide Bände _zusammen genommen_ kosten
5 fl. 24 kr. oder 3 Thlr. 12 gr.

  Die in diesen beiden Bänden enthaltenen _Sagen_ in poetischem Gewande
  sind bereits, dem größern Theile nach, in dem Taschenbuch Cornelia 1824
  und folgende Jahrgänge abgedruckt.

  Aufgefordert durch den allgemeinen Beifall, den diese Dichtungen
  erhielten, und durch die Wünsche vieler Freunde und Bewunderer
  des Rheins, haben wir uns entschlossen, eine besondere, elegant
  ausgestattete Sammlung derselben herauszugeben, die sich auch darum zu
  Geschenken der Freundschaft und Liebe ganz besonders eignet. Außer den
  zu den _Sagen_ gehörigen schönen Kupfern und Stahlstichen, enthält der
  1. Band noch ein neues, vortreffliches Titelkupfer.


#Haug, Fr.#, Fabeln für Jung und Alt. In sechs Büchern. 16. br.
1. fl. 12 kr. od. 18 gr.

  Die _Fabel_ ist in neueren Zeiten wenig, oder vielmehr gar nicht
  cultivirt worden. _Fr. Haug_ versuchte sich vor einigen Jahren in
  diesem Fache. Er fand Beifall, und sendete nun, ermuthigt, jenen
  _dreihundert Fabeln zweihundert weitere_ nach. Sie sind nicht der
  _Jugend_ allein, auch dem _Alter_ geweiht, und großentheils berühmten
  Dichtern anderer Nationen frei nachgebildet.


#Helwig, Amalie# v., geb. v. Imhoff. Die Sage vom Wolfsbrunnen, Mährchen.
2. Aufl. Mit 1 Kupf. 8. Brosch 1 fl. oder 16 gr. Ausgabe mit 5 Kupfern,
elegant geb. in Futteral, 2 fl. od 1 Thlr. 8 gr.


#Reinhardt, Lina.# Festgabe in zehn neuen dramatischen Spielen für die
deutsche Jugend. 12. 2 fl. 24 kr. oder 1 Thlr. 15 gr.

  Die Kinderschauspiele der vortrefflichen _Lina Reinhardt_ haben in dem
  Kreise, für den sie zunächst bestimmt sind, so wie bei Erwachsenen
  so viel Beifall gefunden -- _zwei_ Ausgaben mußten in kurzer Zeit
  veranstaltet werden -- daß ich mich gern entschloß, eine neue Sammlung
  der Art aus der beliebten und belobten Feder dieser Schriftstellerin
  zu bringen. Heiterkeit, Frischheit und Neuheit zeichnen diese kleinen
  Dramen vor allen andern der Art vortheilhaft aus. Zum besondern
  Verdienste gereicht es der Verfasserin, daß sie bei allen diesen
  Stücken immer eine _streng moralische_ Tendenz vor Augen hatte, so daß
  sie nicht nur erheitern und erfreuen, sondern zugleich auch _bilden_
  und _belehren_.

-- -- Neues Kindertheater, der heranwachsenden Jugend bestimmt. 2 fl. 24
kr. oder 1 Thlr. 14 gr.

  Auch diese Sammlung schließt sich würdig an die früheren derselben
  Verfasserin an. Nicht die Absicht, aus Kindern Bühnenkünstler oder nach
  Lob begierige Declamatoren zu bilden, hat die Herausgabe dieses »neuen
  Kindertheaters« veranlaßt, sondern die von den ausgezeichnetsten
  Pädagogen anerkannte Erwägung, daß die dramatische Darstellung
  vorzüglich geeignet ist, Eindruck auf das jugendliche Gemüth zu machen,
  und recht angewendet, in der Form des Spiels dem Saamen des Guten einen
  gedeihlichen Boden bereiten kann.

-- -- Noth und Rettung am Lebensmorgen. Sechs Erzählungen für die reifende
Jugend. 1 fl. 36 kr. od. 1 Thlr. 2 gr.

  Die streng religiös-moralische Tendenz aller Schriften der Verfasserin
  zeichnet auch diese Erzählungen für die reifere Jugend aus. Glückliche
  Wahl der behandelten Gegenstände, anziehende Darstellung und eine
  blühende Sprache haben dem Büchlein schon viele Freunde verschafft, und
  mit dem größten Rechte ist es allen Vätern und Müttern zu empfehlen,
  die ihren Kindern eine anziehende und doch gediegene, wahrhaft Geist
  und Herz bildende Lectüre verschaffen wollen.


#Schoppe, A.#, geb. Weise. Elegantes Geschenk zur Fest-, Namens- und
Geburtstagsfeier. Zugleich ein Geschenk- und Erinnerungsbüchlein für
Reisende am Rhein-, Main-, Mosel- und Nekarstrande. Enthaltend 60 Stahl-
und Kupferstiche zu den schönsten Volkssagen. 26 Porträts berühmter und
interessanter Personen und 26 Genre-Bilder, im Ganzen 112 Stahl-
und Kupferstiche, mit den dazu gehörenden Sagen und Beschreibungen.
5 fl. 24 kr. oder 3 Thlr. 12 gr.


#Schoppe, A.#, Christliche Erzählungen für die gebildete Jugend beiderlei
Geschlechts. 12. 2 fl. od. 1 Thlr. 8 gr.

  In einer Zeit, wo so viele darauf hinarbeiten, sowohl die christliche
  Lehre, als Gesinnung zu untergraben, durften diese Erzählungen aus der
  Feder einer _Amalie Schoppe_ geb. Weise, gewiß vielen höchst willkommen
  sein. Wie hoch sie den wahren Christensinn hält, wenn er sich nicht
  blos in Worten, sondern in Werken zeigt, thun diese trefflichen
  Erzählungen dar, deren jede ein Spruch der Bergpredigt zum Grunde
  gelegt und als Motto vorangestellt ist. Ueber den Beruf der Verfasserin
  zu Schriften der Art noch etwas sagen zu wollen, wäre höchst
  überflüssig, da 140 Bände von ihr, mit gleicher Gunst vom Publikum
  aufgenommen, wohl zur Genüge für ihr Talent sprechen. Familien, die
  es wahrhaft gut mit ihren Kindern meinen, empfehlen wir mit vollster
  Ueberzeugung diese ausgezeichnet christlich-moralischen Erzählungen.

-- -- Erste Nahrung für Geist und Herz. Elementar-, Lehr- und Lesebuch zur
Unterhaltung und zum stufenweißen Unterricht der Kinder vom sechsten Jahre
an. Frei nach dem Englischen der =Early Lessons=, von _M. Edgeworth_ für
die deutsche Jugend bearbeitet. 4. Bdch. 8. _Gebunden_. 4 fl. 48 kr. od.
3 Thlr. 4 gr.

  Diese vortrefflichen in ihrer Art _einzigen_ Werke, welche im Original
  _zehn_ Auflagen erlebten, sind hier zuerst dem deutschen Publikum in
  einer freien Bearbeitung aus der Feder einer allgemein bekannten und
  mit Recht beliebten Jugendschriftstellerin dargeboten. Was man davon
  zu fordern berechtigt ist, sprechen die Titel vollständig aus; der
  Verleger aber glaubt in diesen Werken einem lang- und tiefgefühlten
  Bedürfnisse abgeholfen zu haben, indem er der deutschen Jugend
  Lesebücher bietet, wie sie sie bisher in solcher Gediegenheit noch
  nicht besaß. Tiefer, aber immer milder Ernst bei der Erziehung wechselt
  mit der geistreichsten und angenehmsten Unterhaltung ab. Unablässig
  wird auf Geist und Gemüth, sowie auf zweckmäßige Belehrung hingewirkt,
  und besonders auch erhalten sinnige und sorgfältige Eltern und Erzieher
  hier Winke, sowohl beim Unterricht, als bei der Menschenbildung, die
  sie gewiß mit Dank und Achtung aufnehmen werden. Die hier
  gegebenen Bände bilden einen wahren und vollständigen _Haus-_ und
  _Familien-Schatz_, der auch in unserm Vaterlande diejenige ehrenvolle
  Anerkennung finden wird, die diese Werke bei unsern überseeischen
  Nachbarn in so reichlichem Maaße fand, wo man sie fast in jeder
  gebildeten, für das Wohl ihrer Kinder wahrhaft besorgten Familie
  antrifft.

Damenbibliothek. Aus dem Gebiete der Unterhaltung und des Wissens.
Einheimischen und fremden Quellen entnommen. Den Gebildeten des schönen
Geschlechts gewidmet. Herausgegeben von Hofrath _A. Schreiber_. 16
Bändchen. 8. brosch. 9 fl. 36 kr. od. 6 Thlr. 8 gr.

  Die Aufnahme, welche die Damenbibliothek gefunden, war aufmunternd für
  den Herausgeber und Verleger, und unbefangene Leser haben anerkannt,
  daß die Tendenz dieser Bibliothek nie aus den Augen gelassen
  worden, und viele der darin enthaltenen Aufsätze einen nicht blos
  vorübergehenden Werth haben. Der in mancher Hinsicht merkwürdige
  Chinesische Roman: Die beiden Muhmen, wurden unverstümmelt und in einer
  gediegenen Uebersetzung gegeben; die geistreichen Bemerkungen der
  Frau von Minutoli über Egypten, die Notizen über das französische
  Ritterthum, das Gemälde des französischen Hofes im achtzehnten
  Jahrhundert, die Geschichte des Marquis von Posa, die mit allgemeinem
  Beifall aufgenommenen Novellen des Herausgebers, die Erzählungen von
  Caroline Stille, Amalie Schoppe, die Beiträge von Alednog, Geib, Haug,
  Ingemann, Saldagno etc. etc. würden jeder ähnlichen Sammlung
  Ehre machen, und man darf überhaupt von den meisten Aufsätzen der
  Damen-Bibliothek rühmen, daß sie auch bei wiederholter Lektüre noch ein
  frisches lebhaftes Interesse gewähren. Dazu kommt die elegante äußere
  Ausstattung, und der geringe Preis, der in der That genau erwogen
  und verglichen, ebenso billig ist, als der der berufenen
  Zweigroschen-Ausgaben, nur daß hier für 36 kr. auf einmal geboten wird,
  was dort in kleinen Gaben erscheint.


#Schreiber, A.#, Sagen aus den Gegenden des Rheins und des Schwarzwaldes.
Zweite sehr vermehrte Auflage. Brosch. 2 fl. od. 1 Thlr. 8 gr. -- Derselben
2tr. Bd. 2 fl. od. 1 Thlr. 8 gr.

  Diese anziehenden Sagen sind in der einfachen schmucklosen Sprache
  erzählt -- der einzig wahren für solche geschichtlichen Traditionen
  -- deren der Herr Verfasser wie des höhern Styls so mächtig ist. Ein
  zweites Bändchen -- längst erwartet und gewünscht, aber verspätet durch
  andere literarischen Arbeiten des Herrn Verfassers -- ist im Manuscript
  vollendet und wird demnächst erscheinen.

Die _französische_ Ausgabe mit 32 Kupfern, gezeichnet und gestochen von
den besten Meistern. 2te Auflage. Geb. in Futteral 4 fl. 48 kr. od.
3 Thlr. 4 gr.

Der zweite Band allein, schön geb., mit 17 Kupfern 3 fl. oder 2 Thlr.

Die _englische_ Ausgabe mit 33 Kupfern 4 fl. 48 kr. oder 3 Thlr. 4 gr.

Dieselbe ohne Kupfer 1 fl. 40 kr. od. 1 Thlr. 4 gr.


#Stille, Caroline#, Moralische Erzählungen für die gebildete Jugend. Nach
Miß _Edgeworth_ frei bearbeitet. 12. Aufl. Velinpapier brosch. 1 fl. od.
16 gr.

  Die zu London in zwei Theilen erschienenen =Tales by Maria Edgeworth=,
  mit so ausgezeichnetem Beifall aufgenommen, daß sie bereits die
  10. Auflage erlebt haben, sind hier von der geachteten Schriftstellerin
  _Caroline Stille_, für die deutsche, vorzugsweise die weibliche
  Lesewelt bearbeitet.

  Durch das Anziehende der treu aufgefaßten und geistvoll wiedergegebenen
  Darstellungen aus dem Leben, verdient das Werk die Anerkennung, deren
  es sich in seinem Vaterlande zu erfreuen hat, in eben so hohem Grade,
  als durch die reinsittlichen Andeutungen, welche sich durch das Ganze
  verflechten.


#Thieme, M.# Kleiner deutscher Ehrentempel, oder das Leben berühmter
Deutschen neuerer Zeit. Zur Unterhaltung, Nacheiferung und Erweckung
der Vaterlandsliebe für Jung und Alt. Mit einem Titelkupfer. 8. brosch.
1 fl. 30 kr. od. 1 Thlr.


#Cornelia.# Taschenbuch für deutsche Frauen, begründet von A. Schreiber,
für das Jahr 1843, fortgesetzt von _Amalie Schoppe_, geb. Weise. Mit 7
Stahlstichen. 28ter Jahrgang. Zweite Folge 2ter Jahrgang.




[ Hinweise zur Transkription


Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt. Textanteile, die in
=Antiqua-Schrift= gedruckt wurden, sind jeweils markiert.

Illustrationen wurden jeweils an Kapitelenden geschoben. Ob die vierte,
hier schwarz-weiße Illustration im Originalbuch coloriert ist, konnte nicht
geklärt werden.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich
uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "ämsig" -- "emsig",
"Hülflosigkeit" -- "Hülfslosigkeit", "Leinewand" -- "Leinwand", "Orcan"
-- "Orkan", "Schiffscapitain" -- "Schiffscapitän" -- "Schiffskapitain",
"Speise" -- "Speiße",

mit folgenden Ausnahmen:

  Anführungszeichen wurden korrigiert;

  Seite 26:
  "wir" geändert in "mir"
  (Nicht wahr, Du bleibst bei mir?)

  Seite 38:
  "Kajütte" geändert in "Kajüte"
  (und hielt die Kajüte des Capitains so rein und ordentlich)

  Seite 42:
  "Baume" geändert in "Bäume"
  (den goldgelben Früchten, womit diese Bäume bedeckt waren)

  Seite 44:
  "ergeben" geändert in "ergehen"
  (und es wird Dir stets wohl ergehen)

  Seite 59:
  "Keil" geändert in "Kiel"
  (der Schaum spritzte, so wie der Kiel die Wogen durchschnitt)

  Seite 60:
  "hattte" geändert in "hatte"
  (wie seine fromme Mutter es ihm im Glück und Unglück gelehrt hatte)

  Seite 62:
  "Felsenriffe" geändert in "Felsenriffen"
  (mit verborgenen oder offenbaren Klippen und Felsenriffen besät)

  Seite 103:
  "hrem" geändert in "ihrem"
  (allein zu ihrem Verderben)

  Seite 104:
  "." eingefügt
  (die Blätter etwas anders geformt waren. Um sich zu überzeugen)

  Seite 104:
  "milde" geändert in "wilde"
  (die wilde Patate, die unsern Kartoffeln sehr ähnlich ist)

  Seite 121:
  "ihm" geändert in "ihr"
  (seit er sich nicht mehr vor ihr fürchtete)

  Seite 132:
  "," eingefügt
  (und schloß die Augen wieder, ganz wie der Strauß es machen soll)

  Seite 137:
  "Frucht" geändert in "Furcht"
  (unserm armen Australier eine ungemessene Furcht einzuflößen)

  Seite 137:
  "?" geändert in "."
  (so will ich Euch den Schlüssel dazu in die Hand geben.)

  Seite 138:
  "Bäume" geändert in "Bienen"
  (wilde Bienen entdeckt, welche die Spitze des Baumes umschwärmten)

  Seite 144:
  "bemerkt" geändert in "gemerkt"
  (und diesen selbst so genau gemerkt)

  Seite 148:
  "Keilen" geändert in "Keulen"
  (Man kann nur die Keulen zur Speise benutzen)

  Seite 156:
  "schleppten" geändert in "schleppte"
  (und schleppte mich fort an den Strand des Meeres)

  Seite 175/176:
  "Let-ern" geändert in "Lettern"
  (gedruckten Gesangbuche erst die Lettern des großen)

  Seite 190:
  "Baustamm" geändert in "Baumstamm"
  (Ein Baumstamm konnte vermittelst der Säge und der Axt)

  Seite 192:
  "belegenen" geändert in "gelegenen"
  (in der nahe gelegenen Höhle zuerst suchen)

  Seite 200:
  ";" geändert in ","
  (welche bisher am Boden gelagert gewesen waren, mit dem Geschrei)

  Seite 202:
  "mußte" geändert in "wußte"
  (verstand er sie in der That selbst kaum und wußte nur soviel)

  Seite 238:
  "schellen" geändert in "schnellen"
  (nach einer eben so schnellen als glücklichen Fahrt)

  Seite 246:
  "Sammlnng" geändert in "Sammlung"
  (eine neue Sammlung der Art)

  Seite 247:
  "Bedürfuisse" geändert in "Bedürfnisse"
  (einem lang- und tiefgefühlten Bedürfnisse abgeholfen zu haben)

  Seite 248:
  "," eingefügt
  (Ingemann, Saldagno etc. etc. würden jeder ähnlichen Sammlung)]







End of Project Gutenberg's Robinson in Australien, by Amalia Schoppe

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ROBINSON IN AUSTRALIEN ***

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is also defective, you may demand a refund in writing without further
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1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.