Robinson Crusoe's Reisen, wunderbare Abenteuer und Erlebnisse

By Daniel Defoe

The Project Gutenberg EBook of Robinson Crusoe's Reisen, wunderbare
Abenteuer und Erlebnisse, by Daniel Defoe

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Title: Robinson Crusoe's Reisen, wunderbare Abenteuer und Erlebnisse

Author: Daniel Defoe

Illustrator: F. H. Nicholson

Release Date: November 1, 2019 [EBook #60344]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ROBINSON CRUSOE'S REISEN ***




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Im Original endet jedes Kapitel mit einer ornamentalen Illustration.
Verweise auf diese sind für die reine Textfassung entfernt worden.




[Illustration: Robinson und seine Familie.]




                           Robinson Crusoe's
              Reisen, wunderbare Abenteuer und Erlebnisse

              Fürs Deutsche bearbeitet nach dem Original

                                  des

                             Daniel de Foe

                          Zwanzigste Auflage

                        Mit 41 Text-Abbildungen

  nebst *vier* Farbendruckbildern nach Zeichnungen von *F. H. Nicholson*

                            [Illustration]

                                Leipzig

                       *Verlag von Otto Spamer*

                                 1904




*Inhalt*


                                                                   Seite

Erstes Kapitel.

  =Robinsons Jugend und erste Fahrten, von ihm selbst erzählt=         1

Robinsons Herkunft. -- Hang zum Seeleben. -- Unterredung mit seinem
Vater. -- Besuch in Hull. -- Er geht zur See. -- Sturm. -- Des Schiffes
Untergang auf der Reede zu Yarmouth. -- Robinsons Unschlüssigkeit. --
Reise nach London.


Zweites Kapitel.

  =Robinsons Gefangenschaft und Flucht=                               16

Robinsons Gefangenschaft in Saleh. -- Flucht mit Xury. -- Ankunft in
Brasilien.


Drittes Kapitel.

  =Robinson als brasilischer Pflanzer=                                24

Robinsons Aufenthalt in Brasilien als Pflanzer. -- Eine neue Reise. --
Schiffbruch.


Viertes Kapitel.

  =Rettung nach dem Schiffbruch=                                      31

Robinson schwimmt an das Wrack. -- Erbauung eines Flosses. --
Glückliche Landung mit der Fracht. -- Tägliche Fahrten nach dem Wrack.
-- Errichtung seiner Wohnung. -- Erbeutung von Ziegen. -- Robinsons
Kalender. -- Tagebuch.


Fünftes Kapitel.

  =Robinsons Tagebuch=                                                45

Neujahr. -- Sicherung der Hütte. -- Wilde Tauben. -- Beleuchtung.
-- Getreideähren. -- Erdbeben. -- Ein Schleifstein. -- Ein Fäßchen
Pulver. -- Zertrümmerung des Wracks. -- Fischjagd. -- Schildkröten. --
Krankheit. -- Nächtlicher Traum. -- Fieber. -- Reuige Betrachtungen. --
Wiederherstellung durch Tabak. -- Bibelfund. -- Pflanzen und Früchte
im Innern der Insel. -- Bau eines Landhauses. -- Die Katze und ihre
Jungen. -- Jahrestag der Landung. -- Ernteerfolge.


Sechstes Kapitel.

  =Robinson als Handwerker und Ackersmann=                            57

Robinson säet Getreide. -- Korbflechterei. -- Töpferarbeiten. --
Weitere Entdeckungsreisen auf der Insel. -- Tierreicher Küstenstrich.
-- Robinson bringt einen Papagei sowie eine Ziege nach Hause. --
Tröstliche Gedanken über Sonst und Jetzt. -- Tageseinteilung. --
Verheerung des Getreidefeldes. -- Exekution an den Kornplünderern. --
Kleine Ernte.


Siebentes Kapitel.

  =Robinson als Bäcker und Schiffbauer=                               67

Robinson macht sich einen Mörser und ein Sieb. -- Ernte. -- Brotbacken.
-- Vergebliche Anstrengungen wegen der Schaluppe. -- Robinson baut
ein Boot: vereitelte Hoffnungen. -- Rückblicke auf das dreijährige
Inselleben. -- Trauriger Zustand der Kleidung. -- Robinson wird
Schneider.


Achtes Kapitel.

  =Robinsons unglückliche Bootfahrt=                                  77

Gefährliche Seereise. -- In die See hinausgetrieben. -- Sehnsuchtsvolle
Betrachtungen. -- Die beiden Strömungen und glückliche Landung. -- Des
Papageis Ruf. -- Robinsons »Familie«. -- Ziegenfang und Ziegenpark. --
Schneiderkünste. -- Neue Beobachtungen. -- Rückblicke.


Neuntes Kapitel.

  =Robinson entdeckt Spuren von Menschen=                             84

Neuer Ausflug auf Entdeckungen. -- Menschliche Spuren. -- Robinsons
Bangen. -- Untersuchung der Fußspuren. -- Allerlei seltsame Gedanken.


Zehntes Kapitel.

  =Stillleben mit Unterbrechungen=                                    99

Robinsons Menagerie. -- Viehzucht und Bierbrauerei. -- Neuer Besuch von
Wilden. -- Das Wrack. -- Ein neuer Freund. -- Reiseträume.


Elftes Kapitel.

  =Zusammenstoß mit den Kannibalen=                                  112

Landung der Wilden. -- Die beiden Schlachtopfer. -- Der Flüchtling
und sein Beschützer. -- Reste des Kannibalenschmauses. -- Freitags
Dankbarkeit. -- Seine Ausstattung. -- Erste Sprechstudien. -- Freitag
als Koch und Bäckerlehrling. -- Nachrichten über die Nachbarländer. --
Die Kariben und ihre religiösen Anschauungen.


Zwölftes Kapitel.

  =Eine Zeit großer Ereignisse=                                      131

Bau eines neuen größeren Bootes. -- Probefahrten. -- Neuer
Kannibalenbesuch. -- Der Kampf mit den Wilden. -- Der Spanier und
Freitags Vater. -- Verpflegung der Befreiten. -- Bestattung der
Gefallenen. -- Geschichte des Spaniers. -- Zukunftspläne.


Dreizehntes Kapitel.

  =Durch Kampf zum Sieg=                                             151

Abreise von Caballos und Freitags Vater. -- Ankunft weißer Männer. --
Ein englisches Schiff. -- Vergebliche Furcht vor Seeräubern. -- Die
Gefangenen. -- Befreiung derselben. -- Bestrafung der Meuterer. --
Die Meuterer werden in die Irre geführt, überfallen und gefangen. --
Wiedergewinnung des Schiffes. -- Der englische Gouverneur.


Vierzehntes Kapitel.

  =Robinsons Abreise von seiner Insel=                               169

Robinson als Gouverneur und Richter. -- Abschied von der Insel und
deren Bevölkerung. -- Ankunft in England. -- Alles fremd in der Heimat.
-- Reise nach Lissabon. -- Stand der brasilischen Besitzungen. -- Der
brave Portugiese. -- Günstige Vermögenslage. -- Landreise durch Spanien
und Frankreich. -- Wölfe in den Pyrenäen. -- Freitag und der Bär. --
Stillleben in London.


Fünfzehntes Kapitel.

  =Aufenthalt in England und neue Reise=                             185

Neue Reiselust. -- Abfahrt. -- Das Totenschiff. -- Im Antillenmeer. --
Der Büffeljäger. -- Ankunft in der Kolonie.


Sechzehntes Kapitel.

  =Die Schicksale der Kolonie=                                       195

Ankunft auf der Insel. -- Freitag und sein Vater. -- Bericht über
die Wirren während der Anwesenheit des Gründers. -- Neue Ordnung. --
Weitere Reisepläne.


Siebzehntes Kapitel.

  =Fortgang und Schluß von Robinsons Weltfahrt=                      207

Abschied von der Kolonie. -- Kämpfe zur See. -- Freitags Tod. --
Brasilien. -- Sturm am Kaplande. -- Verschlagen ins Eismeer. -- Das
»Venedig des Eismeeres«. -- Gefangen im Eise. -- Durchbruch. --
Der verlassene Matrose. -- Ein »Robinson« auf einer schwimmenden
Eisscholle. -- Irrfahrten. -- Das Gespensterschiff. -- Zusammenstoß mit
den Kochinchinesen. -- In China und Sibirien. -- Rückkehr nach England.
-- Endliche Ruhe.


Buntbilder:

  Robinson  und  seine  Familie                                Titelbild

  Robinson  und  seine  Ziege         Seite                           46

  Robinson  und  Freitag               "                             114

  Unter den  Wölfen                    "                             180




                            Daniel de Foe.

                          =Robinson Crusoe.=




[Illustration]

Erstes Kapitel.

Robinsons Jugend und erste Fahrten, von ihm selbst erzählt.


  Robinsons Herkunft. -- Hang zum Seeleben. -- Unterredung mit
  seinem Vater. -- Besuch in Hull. -- Er geht zur See. -- Sturm. --
  Des Schiffes Untergang auf der Reede zu Yarmouth. -- Robinsons
  Unschlüssigkeit. -- Reise nach London.

Im Jahre 1632 erblickte ich in der Stadt York das Licht der Welt. Mein
Vater, aus der Familie Creutznaer in Bremen stammend, hatte sich als
Kaufmann in Hull, in England, niedergelassen. Hier war ihm das Glück
hold, so daß es ihm gelang, sich ein ansehnliches Vermögen zu erwerben.
Darauf zog er sich von den Geschäften zurück und siedelte nach York
über, um seine ferneren Lebensjahre in Ruhe zu verbringen. Dort führte
er meine Mutter heim; sie zählte zu einer alten und angesehenen
Familie, Namens Robinson. So kam es, daß ich den Doppelnamen *Robinson
Creutznaer* empfing; letzterer Name wurde indes durch die Leute
gewöhnlich in *Crusoe* umgewandelt, wie man es in England oft findet.
Wir behielten auch in der Folge diesen Namen bei.

Ich hatte zwei ältere Brüder; der eine diente als Oberstleutnant in
einem englischen Infanterieregiment in Flandern und fand seinen Tod,
als die Engländer unter Cromwell Dünkirchen den Spaniern abgewannen.
Was aus meinem zweiten Bruder geworden ist, habe ich niemals erfahren,
ebensowenig als meine Eltern je darüber Aufschluß erhielten, wie es mir
selbst später ergangen ist.

Ich war also der dritte Sohn meiner Eltern und hätte eigentlich daran
denken sollen, ihnen einmal eine Stütze zu werden. Ohne ernstlich die
Wahl eines Lebensberufs zu erwägen, hing ich indessen abenteuerlichen
Gedanken und Plänen nach; ich dachte nur an die Herrlichkeiten fremder
Länder und träumte Tag und Nacht von Palmenwäldern, Goldbergen und den
fabelhaften Schönheiten fremder Zonen. Nichts ging mir über das Leben
eines Schiffers, der in seinem leichten Fahrzeuge sich auf dem blauen
Meere wiegen und alle jene von mir erträumten Wunder mit Augen schauen
kann.

Zwar ließ es mein Vater an guten Lehren und an Schulunterricht nicht
fehlen, zumal er wünschte, daß ich späterhin ein Rechtsgelehrter werden
sollte. Allein der Hang zum Seeleben, den weder seine ernstlichen
Warnungen noch die schmeichelnden Bitten der Mutter verdrängen konnten,
nahm meine Gedanken unwiderstehlich gefangen und ließ mir alles, was
die Heimat bot, gleichgültig erscheinen.

Eines Morgens rief mich mein Vater in sein Zimmer, das er infolge der
Gicht hüten mußte, und sprach zu mir in warmen und eindringlichen
Worten.

»Mein Sohn«, begann er ernst und nachdrucksvoll, »du bist auf dem Wege,
mir und deiner Mutter großen Kummer zu bereiten. Mein Sohn, ich meine
es gut mit dir; laß ab von deinen abenteuerlichen Plänen! Du willst
den heimischen Herd, das Vaterland verlassen; glaubst du, daß du es
anderwärts besser findest als hier, wo dir bei Fleiß und Kenntnissen
eine sorgenfreie Zukunft erblühen wird? Täusche dich nicht! Nur solche,
die arm und hoffnungslos sind, oder die ein ungebändigter Ehrgeiz
treibt, mögen durch außergewöhnliche und kühne Unternehmungen Glück
und Ruhm erjagen. Für dich sind alle diese Dinge entweder zu hoch
oder zu niedrig. Gewöhne dich, den Mittelstand, dem wir angehören,
als den glücklichsten Stand anzusehen. Ist er nicht der Wunsch aller?
Gar manche Könige, in Glanz und Prunk aufgewachsen, hätten gern den
goldenen Thron mit dem bescheidenen Handwerk vertauscht. Selbst der
weiseste Herrscher hat einst den Mittelstand als den glücklichsten
gepriesen, indem er Gott bat, ihm weder Reichtum noch Armut zu geben!
Wer hier die Mittelstraße geht, den stacheln weder Neid noch glühende
Wünsche des Ehrgeizes, noch wohnen in ihm Stolz und Mißgunst.«

[Illustration: Robinson Crusoe wird von seinem Vater ermahnt.]

So ermahnte mich mein Vater eindringlich, nicht mich selbst ins
Elend zu stürzen. Er gab mir seine väterliche Absicht kund, daß er
alles aufbieten würde, um mich auf der Laufbahn, die er für mich
bestimmt habe, so freigebig zu unterstützen, als es mir in jeder Weise
förderlich sein würde.

»Beherzige meine Worte!« fuhr er fort. »Dasselbe sagte ich auch deinen
Brüdern, aber sie gingen ihren eignen Weg. Was war ihr Los? Fern vom
Heimatshaus fiel dein ältester Bruder auf flandrischer Erde, und wo
das Gebein deines zweiten Bruders modert, das weiß Gott allein. Glaube
mir, deinem Vater, der nur auf das Glück deiner Zukunft bedacht ist;
folgst du meinen Ermahnungen nicht, unternimmst du den unüberlegten
Schritt, aufs Geratewohl in die weite Welt hinauszustürmen, so wirst du
sicherlich eines Tages, wenn das Unglück bei dir einkehrt und niemand
der Deinen um dich ist, bitter bereuen, daß du meine Mahnungen nicht
beachtet hast.«

Tief ergriffen hielt er nach diesen Worten inne, während Thränen der
Wehmut und Rührung seine Wangen netzten.

In jener Stunde nahm ich mir vor, gehorsam dem Willen meines Vaters
mich zu beugen. Doch schon nach wenigen Tagen erwachte die alte
Sehnsucht aufs neue, und alle guten Vorsätze waren vergessen. Bei
meinem Vater durfte ich nicht hoffen, mit meinen Bitten durchzudringen;
deshalb versuchte ich meine Mutter günstig zu stimmen. Ihr stellte
ich vor, daß mein Trieb, die Welt zu sehen, unüberwindlich sei, daß
ich bereits im achtzehnten Jahre stehe und nun zu alt sei, um die
juristische oder die kaufmännische Laufbahn zu betreten. Sie möge den
Vater zu der Erlaubnis bewegen, mich wenigstens eine Reise unternehmen
zu lassen; gefiele mir das Seemannsleben nicht, so wolle ich dann mit
doppeltem Eifer das Versäumte nachholen.

Von diesen wiederholten Herzensoffenbarungen war meine besorgte Mutter
durchaus nicht erbaut; sie sagte mir rundweg, daß es ganz zwecklos sei,
mit dem Vater noch einmal über diesen leidigen Gegenstand zu sprechen.
Trotzdem teilte sie gelegentlich die Unterredung dem Vater mit, und
dieser gab ihr seufzend zur Antwort: »Der Junge könnte zu Hause ein
ganz gutes Leben haben; geht er aber davon, so wird er der elendeste
Mensch auf Erden. Ich gebe meine Einwilligung nicht!«

So verging abermals ein Jahr, währenddessen die wiederholten
Ermahnungen meiner Eltern nur tauben Ohren gepredigt wurden. Eines
Tages war ich nach Hull gegangen und traf dort zufällig mit einem alten
Schulkameraden zusammen, der im Begriff stand, auf einem Schiffe seines
Vaters nach London abzufahren. Er überredete mich, ihn zu begleiten,
indem er mich nach Seemannsart mit den Worten lockte: »Die Fahrt soll
dich nichts kosten, mein Junge.«

Mein Entschluß war gefaßt. Unbekümmert um die Sorgen der Eltern,
bestieg ich das Schiff; es war am 1. September 1651.

Selten hat die Strafe für den Leichtsinn so schnell begonnen und so
lange gedauert wie bei mir. Kaum waren wir aus dem Hafen ausgelaufen,
als es zu stürmen begann und die See hohl ging. Ich hatte noch nie
eine Seereise mitgemacht, und so ergriff mich denn die unerbittliche
Seekrankheit. Jetzt überfiel mich auch schon die Reue über meine
unbesonnene Handlungsweise; meine Gedanken kehrten ins Elternhaus
zurück, wo gewiß Vater und Mutter unter Thränen vergeblich meiner
Wiederkehr harrten.

Der Sturm brauste immer heftiger, das Schiff sank bald in den Abgrund,
bald wurde es hoch emporgeschleudert -- mich überkam namenlose Angst.
In diesen qualenvollen Augenblicken gelobte ich, sofort wieder in
das elterliche Haus zurückzukehren, wenn es nur Gott gefallen würde,
mich aus der Gefahr zu erlösen. Als sich aber am nächsten Tage Sturm
und Wellen gelegt hatten, waren auch alle meine guten Vorsätze
dahin. Gegen Abend klärte sich das Wetter auf; die Sonne ging rein
und glänzend unter, um am nächsten Morgen in gleicher Herrlichkeit
wieder aufzugehen. Ihr heller Schein spiegelte sich auf der weiten
Meeresfläche wider; ich konnte mich an diesem ungewohnten, prachtvollen
Schauspiel nicht satt sehen.

Während der Nacht hatte ich gut geschlafen und mich auch von meiner
Seekrankheit wieder erholt. Mein Blick schweifte über den glatten
Spiegel des Meeres, dessen Wellen gestern noch so unheilvolles
Verderben drohten. Eben stand ich in tiefes Sinnen versunken, da trat
mein Freund, der mich zu dieser Seereise beredet hatte, an mich heran
und sagte lachend:

»Nun, Robin, wie ist dir die Bewegung von gestern bekommen? Du hast
dich doch wegen des kleinen Windstoßes nicht geängstiget?«

»Was? Windstoß? Ich habe in meinem Leben noch keinen solchen Sturm
ausgestanden.«

»Das nennst du einen Sturm? Nichts war es. Hat man nur ein gutes Schiff
und ist auf offener See, dann macht uns eine Mütze voll Wind mehr oder
weniger nicht bange. Aber davon verstehst du noch nichts; du bist nur
ein Süßwassermensch, mein Junge. Komm, wir wollen eine Bowle Punsch
machen und alles vergessen. Sieh, was für prächtiges Wetter wir haben!«

Der Punsch wurde gebraut und ich mußte tüchtig trinken, als sei ich
schon seit Jahren Matrose. Da ging im Rausche alle Reue über meinen
Ungehorsam unter; ich vergaß alle guten Vorsätze. Zwar kamen noch
Augenblicke, in denen meine Vernunft widersprach, doch sah ich bald
in solcher Regung nur eine Schwäche und bemühte mich, meine Grillen,
wie ich es nannte, dadurch zu vertreiben, daß ich lustige Gesellschaft
aufsuchte und fleißig den Kameraden zutrank. Nach wenigen Tagen hatte
ich mein Gewissen beschwichtigt und die Erinnerung an alle väterlichen
Lehren übertäubt.

Am sechsten Tage unsrer Fahrt gelangte unser Schiff auf die Reede von
Yarmouth; widrige Winde und Windstille hatten uns seit jenem Sturme
nicht erlaubt, eine größere Strecke zurückzulegen, und wir sahen uns
genötigt, vor Anker zu gehen. Der Wind, anfangs minder stark, wuchs
aber bald bis zum Orkan; alle Hände mußten zugreifen, um die Stengen
und Raaen zu streichen. Die Wellen schlugen über unser Schiff, und ein
paarmal glaubten wir, unser Ankertau sei zerrissen. Auf Anordnung des
Oberbootsmannes wurde nun der Taganker ausgeworfen, so daß wir sicherer
vor zwei Ankern liegen konnten.

Der Sturm raste fort; Angst und Entsetzen lagerten sich auf den
Gesichtern der Matrosen. Der Kapitän ließ alle Vorsichtsmaßregeln
anwenden, sein Schiff zu erhalten; doch schien er schon selbst die
Hoffnung aufzugeben, denn als er an meiner Schlafstelle vorüberkam,
hörte ich ihn in die Worte ausbrechen: »Der Herr sei uns gnädig!
Wir sind alle verloren!« -- Da bemächtigte sich meiner eine solche
Todesangst, daß ich für den ersten Augenblick wie gelähmt in der
Kajütte liegen blieb. Ich vermag es nicht zu schildern, was ich
fühlte! Dann aber sprang ich aus der Kajütte auf das Verdeck und
schaute umher. Welch entsetzliches Schauspiel bot sich meinen Blicken!
Die Wellen gingen bergehoch und brachen sich an unsern Schiffswänden
nach je drei oder vier Minuten; wohin ich auch sehen mochte, erblickte
ich nichts als Angst und Not. Zwei schwerbeladene Fahrzeuge, die sich
in unsrer Nähe befanden, hatten ihre Masten am Fuße gekappt -- -- eine
halbe Stunde von uns entfernt sahen wir ein Schiff untergehen. Zwei
andre, von ihren Ankern losgerissen, wurden in die See hinausgeworfen.
Die leichteren Fahrzeuge hatten weniger zu leiden; dennoch trieben zwei
oder drei, nur mit dem großen Blindsegel versehen, bei uns vor dem
Winde vorbei.

Gegen Abend baten der Hochbootsmann und der Steuermann den Kapitän
um seine Einwilligung, den Vordermast zu kappen. Er mußte es schon
zugeben, da der Hochbootsmann versicherte, das Schiff sei sonst
unrettbar verloren. Als nun der Vordermast gefallen war, stand der
große Mast ohne Stütze und erschütterte das Schiff so sehr, daß man
sich genötigt sah, auch diesen umzuhauen.

Der Zustand, in welchem ich mich damals bei meiner Unerfahrenheit
mit den Gefahren des Seelebens befand, ist unbeschreiblich. Deutlich
erinnere ich mich, daß mich während dieser qualvollen Stunden mehr die
Reue marterte, von meinen guten Vorsätzen abgegangen zu sein, als mich
die Furcht vor dem Tode schreckte. Der Gedanke, daß dieses Unglück
eine Strafe Gottes für meinen Ungehorsam sei, stürzte mich in tiefe
Betrübnis. Aber das Maß unsrer Leiden war noch nicht voll.

Der Sturm tobte mit solcher Wut, daß selbst die Matrosen gestanden,
nie einen ähnlichen erlebt zu haben. Obschon unser Fahrzeug tüchtig
war, schwankte es doch heftig hin und her, so daß die Matrosen jeden
Augenblick ausriefen: »Wir kentern!« d. h. wir schlagen um. Ja, was
bei Seeleuten nur selten vorkommt, der Kapitän, der Hochbootsmann und
mehrere andre sanken betend auf die Kniee und starrten hoffnungslos dem
Untergange entgegen.

Um Mitternacht rief plötzlich einer der Matrosen: »Ein Leck im Schiff!«
Ein andrer schrie: »Das Wasser steht schon vier Fuß hoch im Raum!«
Alles mußte jetzt an die Pumpen. Ich war wie gelähmt und sank auf mein
Lager zurück. Die Matrosen weckten mich unsanft aus meiner Erstarrung
auf und meinten, wenn ich auch vorher zu nichts genutzt hätte, so
könnte ich doch jetzt an den Pumpen mit helfen gleich den andern.

Mechanisch folgte ich dieser Aufforderung; ich erhob mich und arbeitete
tüchtig. Während dieser Zeit erblickte der Kapitän einige leichte
Fahrzeuge, die, weil sie wegen des Sturmes vor Anker nicht aushalten
konnten, das Tau hatten schlüpfen lassen; sie sahen sich gezwungen,
das offene Meer zu gewinnen, und wendeten alle Mittel an, um einen
Zusammenstoß mit uns zu vermeiden. Der Kapitän ließ durch einen
Kanonenschuß ein Notsignal geben. Da ich nicht wußte, was das zu
bedeuten habe, und glaubte, das Schiff ginge krachend in Trümmer, fiel
ich vor Schrecken besinnungslos nieder. Niemand achtete jetzt meines
Zustandes.

Jeder war nur für sein eignes Leben besorgt; ja ein Matrose, der mich
für tot hielt, schob mich mit dem Fuße seitwärts und trat an meine
Stelle. Es dauerte geraume Zeit, ehe ich wieder zu mir selbst kam.

Trotz der angestrengtesten Arbeit stieg das Wasser im Schiffe immer
höher. Es war gewiß, daß wir sanken. Obgleich der Sturm ein wenig
nachgelassen hatte, konnten wir doch kaum hoffen, einen rettenden Hafen
zu erreichen. Fort und fort erdröhnten die Notschüsse; ein leichtes
Fahrzeug in einiger Entfernung wagte es, uns ein Boot zu Hilfe zu
senden. Nur durch einen glücklichen Zufall kam das Boot in unsre Nähe;
aber es war uns lange nicht möglich, an Bord zu kommen, da es nicht
anlegen konnte. Die Leute im Boote ruderten unter Lebensgefahr mit
allen Kräften. Als sie endlich nahe genug gekommen waren, konnten wir
ihnen ein Tau zuwerfen.

Sie fingen es auf und legten an Bord. Im Nu waren wir alle im Boote;
doch mußten wir es aufgeben, jenes Schiff zu erreichen, das uns so
menschenfreundliche Hilfe gesendet hatte. Daher beschloß man, das Boot
treiben zu lassen, indem man vorsichtig nach der Küste zu steuerte. Der
Kapitän versprach, es zu ersetzen, wenn es durch Stranden zertrümmert
werden sollte. So, teils rudernd, teils mit dem Winde treibend,
steuerten wir dem Lande zu, gegen das Vorgebirge von Winterton-Neß.

Wir hatten das Schiff kaum eine Viertelstunde verlassen, als wir es
*sinken* sahen. Meine Augen umflorten sich, als die Matrosen auf das
untergehende Schiff hinzeigten. Schon von dem Augenblicke an, wo ich in
das Rettungsboot mehr geworfen worden als gestiegen war, legten sich
auch Furcht und Gewissensangst wie Blei auf mein Herz.

[Illustration: Des Schiffes Untergang.]

Die Schiffsleute ruderten rastlos, um das Land zu erreichen. Sobald
unser Boot sich hoch aus den Wellen emporhob, bemerkten wir eine
Menge Menschen längs der Küste, die alle bereit waren, uns Hilfe zu
leisten, wenn wir nahe genug gekommen sein würden. Allein unsre Fahrt
ging nur sehr langsam von statten. Erst nachdem wir den Leuchtturm von
Winterton umschifft hatten, wo das Ufer sich westwärts gegen Cromer
umbiegt und die Wogen deshalb nicht mehr so heftig sind, gelangten
wir mit unsäglicher Anstrengung glücklich ans Land. Wir gingen dann
nach Yarmouth, wo wir Schiffbrüchigen mit aller Menschenfreundlichkeit
behandelt wurden. Die Obrigkeit wies uns gute Quartiere an, und die
Kaufleute und Reeder der Stadt steuerten eine Summe Geldes zusammen,
die jeden von uns in den Stand setzte, entweder nach London zu gehen
oder sich nach Hull zurückzubegeben.

Hätte ich meinen Menschenverstand zusammengenommen und wäre nach Hull
zurückgekehrt -- alle Not würde zu Ende gewesen sein. Mein Vater hätte,
um mich der Worte der Heiligen Schrift zu bedienen, in der Freude
seines Herzens ein gemästetes Kalb geschlachtet.

Wie mir später mitgeteilt ward, hatte er erfahren, daß das Schiff, auf
welchem ich mich befand, auf der Reede von Yarmouth untergegangen sei,
und erst lange danach wurde ihm Gewißheit darüber, daß ich aus dem
Schiffbruch gerettet worden. Aber es schien, als hätte ein schlimmer
Geist meinen Sinn verblendet. Zwar regte sich manchmal die Vernunft
in mir und mahnte mich, die Schritte wieder zum väterlichen Hause zu
lenken; dennoch hielt mich ein Etwas ab, dieser inneren Stimme zu
gehorchen. Zu der Lust an Abenteuern und am Wandern, die mich zu dem
ersten Schritte des Ungehorsams gegen meine Eltern verleitet hatte,
gesellte sich jetzt die Scham; umkehren wollte ich nicht mehr, und so
trieb mich das Schicksal weiterem Unglück entgegen.

Mein Kamerad, des Schiffsherrn Sohn, der mir vorher Anleitung gegeben,
mein Gewissen zu beruhigen, war jetzt mutloser als ich. Erst einige
Tage nach unsrer Ankunft in Yarmouth kam ich wieder mit ihm zusammen,
da unsre Quartiere weit auseinander lagen. Jetzt schlug er einen andern
Ton an als vorher; mit trüber Miene fragte er mich, wie es mir gehe.
Als sein Vater dazu kam, teilte er diesem mit, wer ich sei, daß diese
Reise nur ein Versuch für mich gewesen sei, und daß ich weiterreisen
wolle. In dem Kapitän mochten die Erinnerungen an durchlebte
gefahrvolle Tage des Seelebens emporsteigen, er wurde ernst, fast
streng und sagte zu mir: »Junger Mann, Ihr dürft nicht wieder aufs Meer
gehen; die kaum überstandenen Ereignisse müssen Euch die Überzeugung
aufdringen, daß Ihr nicht zum Seemann geboren seid.«

»Wie, mein Herr«, erwiderte ich verwundert, »wollen Sie denn auch nicht
mehr zur See gehen?«

»Bei mir ist das etwas andres; das ist mein Beruf, meine Pflicht, Ihr
aber habt mit dieser Reise nur einen Versuch machen wollen, und ich
dächte, Ihr hättet einen hinlänglichen Vorgeschmack dessen bekommen,
was Euch bevorsteht. Doch sagt mir, wie kommt es eigentlich, daß Ihr
zur See gehen wollt?«

[Illustration: Die Schiffbrüchigen auf dem Boote.]

Ich erzählte dem Kapitän den Verlauf meines bisherigen Lebens. Als ich
geendigt hatte, fuhr er in unmutigem Tone und tief erregt auf: »Womit
habe ich verdient, daß solch ein Unbesonnener zu mir an Bord kommen
mußte? Um keinen Preis möchte ich je wieder mit Euch meinen Fuß auf
dasselbe Schiff setzen!«

Das Unglück, welches ihn betroffen, hatte den Kapitän ganz
außerordentlich heftig gestimmt. Indessen sprach er später liebevoller
mit mir und stellte ganz eindringlich mir vor, wie thöricht das
Beginnen sei, die Vorsehung tollkühn versuchen zu wollen; ich thäte
sicher besser, zu meinem Vater zurückzukehren.

»Seid überzeugt, junger Mann«, schloß er seine wohlgemeinten
Ermahnungen, »daß, wenn Ihr nicht zurückkehrt, Eurer überall nichts als
Täuschungen und Elend harren, und daß die ernsten Worte Eures Vaters in
Erfüllung gehen werden.«

Ich erwiderte nichts, sondern verabschiedete mich von dem wohlmeinenden
Manne. -- Ich habe ihn leider nicht wiedergesehen.

Da ich etwas Geld besaß, begab ich mich zu Lande nach London,
unentschlossen, was ich eigentlich thun sollte. Nach Hause zu gehen
verbot mir, wie gesagt, die Scham; auch fürchtete ich das höhnische
Gerede der Nachbarn. Wie thöricht ist doch die Jugend! Sie schämt sich
oft mehr der Reue als der Sünde und stemmt sich mit Gewalt gegen die
Weisungen des Verstandes. Sowie die Erinnerung an die ausgestandenen
Gefahren schwand, trat auch der Gedanke an die Heimkehr in den
Hintergrund; zuletzt gab ich ihn ganz auf und entschloß mich kurz, an
Bord eines überseeischen Schiffes zu gehen.

Mein größtes Unglück auf allen meinen Reisen war die Hartnäckigkeit,
mit der ich mich weigerte, als Matrose zu dienen. Zwar hätte ich dann
gleich den andern tüchtig die Hände rühren müssen, aber ich hätte auch
Aussicht gehabt, im Laufe der Zeit zum Steuermann, Hochbootsmann,
Leutnant, ja vielleicht gar zum Kapitän emporzusteigen. Allein ich
hatte ein besonderes Geschick, überall das Ungünstige zu wählen, und
da mein Geld noch ausreichte und meine Kleider sich in leidlich guter
Beschaffenheit befanden, so begab ich mich als Passagier an Bord, wobei
ich freilich nichts zu thun hatte, aber auch nichts lernen konnte.

Ich kam also nach London. Dort hatte ich das Glück, in gute
Gesellschaft zu geraten, was bei einem lockeren, leichtsinnigen
Burschen, wie ich war, sicherlich selten genug ist. Meine erste
Bekanntschaft war der Kapitän eines Schiffes, welches von der Küste von
Guinea zurückgekehrt und im Begriff stand, wieder dorthin abzusegeln.
Dieser treffliche Mann fand Wohlgefallen an mir und schlug mir vor,
auf seinem Schiffe die Reise nach Guinea zu unternehmen. Er meinte, es
solle mich nichts kosten, und wenn ich einige Waren einkaufen wollte,
um sie in Afrika mit Vorteil loszuschlagen, so würde ich dadurch
vielleicht einen erklecklichen Gewinn machen.

Wer war froher als ich? Ich nahm des Kapitäns Anerbieten ohne Bedenken
an. Auf seinen Rat hatte ich für etwa 40 Pfund Sterling (800 Mark)
Glaswaren und andre kleine Gegenstände eingekauft. Diese Geldmittel
hatte ich durch Hilfe einiger Verwandten aufgebracht, mit denen ich
in Briefwechsel geblieben, und letztere hatten auch meinen Eltern mein
Schicksal und mein Vorhaben mitgeteilt, ja dieselben wohl vermocht,
etwas zu meinem ersten Unternehmen beizusteuern.

Dies war die einzige Reise, von der ich sagen kann, daß sie glücklich
ablief. Allerdings hatte mich das Mißgeschick nicht gänzlich unberührt
gelassen; infolge der allzugroßen Hitze in den Tropen verfiel ich
in ein heftiges Fieber, so daß ich längere Zeit in Afrika krank
daniederlag; aber die Reise war doch nicht erfolglos für mich gewesen.
Dies hatte ich lediglich der Rechtschaffenheit meines Freundes, des
Kapitäns, zu danken, unter dessen Anleitung ich nicht unbedeutende
Kenntnisse in der Mathematik und der Seemannskunde erlangte. Ich lernte
ein Schiffstagebuch führen, nautische Beobachtungen anstellen, kurz
Dinge, die ein Seemann wissen muß. Er fand ein gleiches Vergnügen
daran, mich zu unterrichten, wie ich, von ihm zu lernen, und so
bildete mich die Reise zum Kaufmann und Seemann. Mein Tauschhandel
ging gut; ich brachte über fünf Pfund Goldstaub zurück, gegen die ich
in London 300 Guineen (6000 Mark) erhielt. Dieser Erfolg erfüllte mich
mit hochfliegenden Gedanken; aber Hochmut kommt stets vor dem Falle,
und dieser Hochmut war die Ursache, daß ich eine dornenvolle Bahn
durchwandern mußte!




[Illustration: Da ergriff ich die zweite Flinte und traf den Löwen so
sicher durch den Kopf ... (Zu S. 19.)]

Zweites Kapitel.

Robinsons Gefangenschaft und Flucht.


  Gefangenschaft in Saleh. -- Flucht mit Xury.

So war ich also ein Guineakaufmann geworden. Zu meinem größten
Leidwesen starb mein Freund bald nach unsrer Rückkehr, und ich
entschloß mich, auf eigne Faust dieselbe Reise noch einmal zu
unternehmen, und zwar auf demselben Fahrzeuge, welches jetzt der
frühere Oberbootsmann führte. Es ward eine der unglücklichsten Fahrten.

Ich nahm für 100 Pfund Sterling (über 2000 Mark) Waren auf die Reise
mit und ließ 200 Pfund in den Händen der Witwe meines Freundes zurück,
die denn auch das Übergebene treulich bewahrte und mein Vertrauen in
ihre Redlichkeit nicht getäuscht hat.

Reich an Hoffnungen steuerten wir zwischen den Kanarischen Inseln und
der afrikanischen Küste hin. Da wurden wir plötzlich eines Morgens,
noch in der Dämmerung, von einem maurischen Seeräuber überrascht, der
bald, alle Segel aufhissend, auf uns Jagd machte.

Gegen 3 Uhr nachmittags kam er uns nahe und warf auf unser Deck 60
Mann, die sofort unser Tau- und Takelwerk zusammenhieben. Es kam zum
Kampfe. Nachdem aber von unsern Leuten drei getötet und acht verwundet
waren, mußten wir andern uns der feindlichen Übermacht ergeben. Wir
wurden nach Saleh gebracht, einem unbedeutenden Hafen an der Küste der
Barbareskenstaaten. Man führte mich jedoch nicht, wie meine übrigen
Schicksalsgenossen, in das Innere des Landes, nach der Residenz des
Kaisers, sondern der Kapitän behielt mich bei sich selbst zurück, weil
ich ihm dienstbar sein sollte. So waren denn alle hochfliegenden Pläne
des jungen »Guineakaufmanns« mit einem Schlage vernichtet. Ich war
jetzt nichts als ein unglücklicher Sklave, und meines Vaters mahnende
Stimme trat oft vor meine Seele; niemand war da, der mir rettenden
Beistand geleistet hätte.

Indessen stieg die Hoffnung in mir auf, daß mich mein neuer Herr an
seinen Seeunternehmungen werde teilnehmen lassen. Ich malte mir schon
im Geiste meine Errettung durch ein spanisches oder portugiesisches
Kriegsschiff aus. Eine derartige Gelegenheit sollte indes noch lange
auf sich warten lassen. Inzwischen mußte ich meinen Herrn häufig auf
seinen Spazierfahrten begleiten, die er in einem kleinen Fahrzeuge auf
dem Meere unternahm, um nahe der Küste zu fischen. Einst hatte er zu
einer gleichen Fahrt als Gäste mehrere vornehme Mauren eingeladen und
traf hierzu außerordentliche Vorbereitungen.

Schon am Tage vorher mußte ich in die Schaluppe mehr Lebensmittel
als gewöhnlich bringen, ebenso drei Flinten mit Pulver, Kugeln und
Schrot für die Jagd auf Seevögel. Als ich am nächsten Morgen mit dem
blankgeputzten Boote auf das Erscheinen meines Herrn wartete, kam
letzterer allein und erklärte, daß seine Gäste wegen unerwarteter
Geschäfte behindert seien; ich möchte nur mit dem Maurenknaben auf den
Fischfang fahren, da seine Gäste des Abends bei ihm speisen würden.
Dann ging mein Herr und ließ mich mit dem Boote und dem Knaben allein.

Welche günstige Gelegenheit zur endlichen Ausführung meiner
Fluchtpläne! Wir fuhren hinaus, und ich fischte anscheinend eine
Zeitlang, sprach dann aber zum Knaben: »Wir fangen heute nichts, wir
müssen weiter hinausfahren.« Als wir fern genug von der Küste uns
befanden, sagte ich plötzlich zu dem Knaben: »Xury, wenn du mir treu
sein willst, so werde ich dich zu einem großen Manne machen; schlage
dich ins Gesicht und schwöre mir bei Mohammed und dem Barte deines
Vaters Treue, sonst werfe ich dich in die See.« Der Knabe lächelte mich
in voller Unschuld an und versprach, mit mir zu gehen bis an das Ende
der Welt.

Bei dem frischen Winde ging unsre stille Wasserfahrt so schnell vor
sich, daß wir am nächsten Tage, nachmittags 3 Uhr, als wir uns dem
Lande näherten, längst über das Gebiet des Kaisers von Marokko hinaus
sein mußten, denn wir sahen keine Spur von Menschen an der Küste.

Die Furcht, wieder in die Hände der Mauren zu fallen, hielt mich indes
ab, an das Land zu steigen oder die Anker auszuwerfen. Vielmehr segelte
ich fünf Tage lang ununterbrochen fort und warf erst dann, als ich mich
außer aller Verfolgung glauben durfte, den Anker nicht weit von der
Mündung eines kleinen Flusses, ohne zu wissen, wo ich mich eigentlich
befand. Es kam mir niemand zu Gesicht, und ich wollte auch niemand
sehen; alles, was ich bedurfte, war frisches Wasser. Wir liefen am
Abend in die Bucht ein und beschlossen, mit einbrechender Nacht zu
landen, um die Küstengegend zu untersuchen.

Von meiner ersten Reise her wußte ich, daß die Kanarischen Inseln und
die Inseln des Grünen Vorgebirges nicht weit entfernt sein konnten. Da
ich aber die Lage nicht genau kannte, so hatte ich nur die Hoffnung,
vielleicht einem englischen Schiffe zu begegnen, das uns aufnehmen
könnte. Nach meinem Vermuten lag das Land, welches ich gesehen hatte,
zwischen dem Kaisertum Marokko und Nigritien, dessen weite Einöden nur
von wilden Tieren bewohnt sein sollten. Die Neger hatten sich von hier
aus südwärts gezogen, aus Furcht vor den Mauren; letztere aber betraten
diese unfruchtbaren Landstriche nur, um in Haufen von Tausenden große
Jagden abzuhalten. Löwen und Leoparden, Schakale und Hyänen fanden
wir auf der ganzen Strecke, die wir an der Küste hinfuhren, äußerst
zahlreich, und während der Nacht musizierten diese wilden Bestien in
allen Tonarten.

Eines Morgens legten wir, um frisches Wasser einzunehmen, an einer
kleinen, ziemlich hohen Landzunge an; die Flut stieg höher und höher,
und wir wollten sie eben benutzen, um weiter vorwärts zu treiben, als
Xury, der ein schärferes Auge hatte als ich, mir zuflüsterte: »Herr,
wir müssen fort, dort an dem Felsen ist ein fürchterliches Tier.«

Ich blickte hin und erkannte in der That einen großen Löwen, welcher
sorglos schlief.

Nachdem ich meinem Knaben bedeutet hatte, still zu sein, lud ich unser
größtes Gewehr mit zwei Kugeln und legte es neben mich, hierauf machte
ich auch meine zweite Flinte schußfertig und lud die dritte mit fünf
Posten. Wohl zielte ich beim ersten Schuß genau nach dem Kopfe des
Löwen; aber da er die Tatzen über die Schnauze hielt, so traf der Schuß
eine derselben über dem Gelenke und zerschmetterte sie. Er fuhr auf,
sank aber wieder nieder und erhob sich von neuem auf drei Pfoten, indem
er ein entsetzliches Gebrüll ausstieß. Da ergriff ich die zweite Flinte
und traf ihn so sicher durch den Kopf, daß er sich in Todeszuckungen
wälzte. Jetzt faßte Xury sich ein Herz und wollte ans Ufer gehen; er
sprang ins Wasser und schwamm, während er mit der einen Hand die Flinte
über seinem Kopfe hielt, mittels der andern an das Ufer. Als er in der
nächsten Nähe des Tieres war, setzte er ihm das Gewehr an das Ohr und
tötete es vollends.

Da fiel mir ein, daß uns vielleicht das Fell des Löwen von Nutzen
sein könnte. Wir machten uns sofort an die Arbeit. Obwohl Xury recht
geschickt damit umzugehen wußte, plagten wir uns dennoch einen ganzen
Tag lang, ehe wir die Haut vollständig abgestreift hatten; darauf
ließen wir sie zwei Tage auf dem Dache der Kajütte ausgebreitet
trocknen, und ich bediente mich dann ihrer zum Lager.

Nach diesem Aufenthalte steuerten wir wieder mehrere Tage südwärts.
Sorgsam schonten wir unsern Mundvorrat, der bald zu Ende gehen mußte,
und landeten nur, um frisches Wasser einzunehmen. Meine Absicht ging
dahin, den Fluß Senegal oder den Gambia zu erreichen, d. h. die Höhe
des Grünen Vorgebirges, um vielleicht ein europäisches Fahrzeug zu
treffen; denn ich wußte, daß alle nach der Küste von Guinea, nach
Brasilien oder Ostindien bestimmten Schiffe das Grüne Vorgebirge
umsegeln mußten.

An einigen Orten kamen nackte schwarze Menschen an den Strand, um
uns anzustaunen. Einmal wollte ich zu ihnen ans Land gehen, aber der
kluge Xury riet mir davon ab. Die Wilden waren ohne Waffen, nur ein
einziger trug einen langen Stab; Xury belehrte mich, es sei eine Lanze,
welche diese Neger auf weite Entfernungen mit wunderbarer Sicherheit
schleudern können. Ich hielt mich daher in angemessener Entfernung
und suchte nur durch Zeichen ihnen zu verstehen zu geben, daß wir
Lebensmittel wünschten. Sie winkten mir darauf, mit dem Boote still
zu halten, ich legte bei und näherte mich dem Ufer, während zwei der
Männer landeinwärts liefen und nach einer halben Stunde zwei Stücke
getrocknetes Fleisch nebst etwas Korn zurückbrachten. Gern hätten
wir zugegriffen, wir wagten uns jedoch nicht unter die Neger. Allein
diese hegten ebenso große Furcht vor uns; sie legten die Lebensmittel
am Strande nieder, zogen sich dann zurück und warteten, bis wir das
Niedergelegte geholt hatten, worauf sie sich wieder dem Ufer näherten.

Wir dankten ihnen durch Zeichen, da wir ihnen etwas andres nicht zu
bieten hatten; doch sollte sich bald eine Gelegenheit finden, durch
die wir ihnen einen großen Dienst erweisen konnten. Zwei furchtbare
Tiere, von denen das eine das andre verfolgte, rannten von den Bergen
gegen die See herab. Die Neger liefen in hastigem Laufe davon, nur der
Mann mit der Lanze blieb stehen. Die beiden Bestien dachten indes nicht
daran, die Schwarzen anzufallen, sondern stürzten in das Wasser, als
seien sie nur gekommen, um sich an einem frischen Bade zu erquicken.
Ich lud unsre drei Gewehre, und da eines der Tiere nahe genug gekommen
war, schoß ich dasselbe gerade durch den Kopf, so daß es untersank.
Bald aber kam es wieder in die Höhe, tauchte bald auf, bald unter
und schien mit dem Tode zu ringen. Das andre Tier, von dem Blitz und
Knall des Gewehres abgeschreckt, schwamm an das Ufer und lief nach der
Wildnis zurück.

Unmöglich läßt sich das Staunen der Neger beschreiben, das sie bei
dem Knalle und dem Feuer meiner Flinte befiel. Als sie aber das Tier
tot auf dem Wasser schwimmen sahen und ich ihnen winkte, ans Ufer zu
kommen, faßten sie wieder Mut. Ich schlang dem Tier einen Strick um
eine Pfote und warf dessen Ende den Negern zu, welche dann den Leichnam
ans Land zogen. Jetzt erst bemerkte ich, daß es ein kräftiger, schön
gefleckter *Leopard* war. Die Neger gaben mir zu verstehen, daß sie
nicht übel Lust hätten, das Fleisch des Leoparden zu essen; und da ich
ihnen durch Zeichen ausdrückte, daß ich ihnen diese Beute zum Geschenk
machen wolle, schienen sie außerordentlich dankbar zu sein und gingen
sogleich daran, dem Tiere die Haut abzuziehen.

Von dem Fleische, das sie mir anboten, nahm ich nichts an, sondern
verlangte nur das Fell, das sie mir gern überließen. Noch begehrte
ich von ihnen Wasser, indem ich einen Krug mit der Hand umkehrte, um
anzudeuten, daß er leer sei. Sofort riefen sie einige Weiber herzu, die
dann ein großes irdenes Gefäß herbeibrachten. Sie stellten es an das
Ufer, wie früher die Lebensmittel, und ich schickte Xury ab, um unsre
drei Krüge aus diesem Gefäße mit Wasser zu füllen.

So war ich denn mit Fleisch, Korn und Trinkwasser versehen, nahm daher
von den freundlichen Negern Abschied und segelte wiederum in der
bisherigen Richtung zehn Tage lang, ohne zu landen, bis ich endlich
vier oder fünf Stunden entfernt das Land weit in das Meer vorspringen
sah. Die See war still; ich umsegelte diese Landspitze in einer
Entfernung von ungefähr zwei Stunden. Bei dieser Fahrt sah ich ganz
deutlich das andere Ufer des Kaps und vermutete -- wie ich erfuhr, mit
Recht -- daß es das Grüne Vorgebirge sei und die Kapverdischen Inseln.
Ich machte keinen Versuch, nach den letzteren zu steuern, da ich
fürchtete, ein widriger Wind könnte mich in den offenen Ozean treiben.

In dieser Lage ging ich in die Kajütte und hing meinen Gedanken nach.
Plötzlich rief Xury, der am Steuer saß: »Herr, ein Schiff mit Segeln!«
Er war ganz außer sich vor Schrecken, weil er glaubte, unser maurischer
Herr setzte uns mit einem Fahrzeug nach. Ich sprang aus der Kajütte und
sah sofort, daß das Schiff ein portugiesisches war. Ich segelte und
ruderte, so sehr ich konnte, um es einzuholen; endlich bemerkte man uns
und zog die Segel ein, um uns herankommen zu lassen.

Man fragte mich auf portugiesisch, auf spanisch und auf französisch,
wer ich sei, allein ich verstand keine dieser Fragen. Zuletzt
erkundigte sich ein schottischer Matrose, der sich an Bord befand, auf
englisch nach meinen Verhältnissen, und diesem sagte ich, daß ich ein
Engländer und aus der Sklaverei der Mauren in Saleh entflohen sei.
Man ließ mich nun an Bord kommen und nahm uns beide samt meiner Habe
freundlich auf.

Ich empfand über meine Rettung unaussprechliche Freude und bot dem
Kapitän als Beweis meiner Dankbarkeit mein ganzes Besitztum an. Allein
er erwiderte mir großmütig, daß er nichts annehmen wolle: »Nein, Senhor
Inglese (Herr Engländer), ich bringe Euch aus reiner Christenliebe nach
Brasilien, und die Gegenstände, die Ihr mir anbietet, werden Euch dort
zum Lebensunterhalt und zur Rückreise dienen.«

So edelmütig sein Vorschlag war, so pünktlich erfüllte er ihn auch.
Keiner seiner Matrosen durfte etwas von meiner Habe anrühren. Als er
mein Boot in gutem Zustande sah, machte er mir den Vorschlag, es ihm
zu verkaufen. Ich antwortete ihm, er habe sich so edelmütig gegen mich
gezeigt, daß ich es mir zur Ehre schätze, ihm mein Boot umsonst zu
überlassen. Der Kapitän nahm jedoch das Anerbieten nicht an, sondern
bezahlte das Boot und gab mir 80 Stück Dublonen; ebenso bot er 60
Stück für meinen Jungen Xury. Er wollte sich verpflichten, Xury nach
zehn Jahren freizugeben, wenn er zum Christentum überginge; der Maure
willigte freudig ein, und ich überließ ihn dem Kapitän.

Nach einer glücklichen Fahrt, die ohne Unfälle von statten ging, liefen
wir in die Allerheiligenbai ein. Der edelmütige Kapitän ließ mich
nichts für die Überfahrt bezahlen; er gab mir 20 Dukaten für das Fell
des Leoparden und 40 für das des Löwen; er lieferte mir alle meine
Sachen aus und kaufte mir alles ab, was ich ihm ablassen wollte, so z.
B. den Flaschenbehälter, zwei meiner Flinten. Dies brachte mir gegen
220 Stück Dublonen ein; mit diesem Kapital ging ich in Brasilien ans
Land.

Kurze Zeit darauf empfahl mich der Kapitän dem Hause eines Mannes,
der ebenso rechtschaffen war, wie er selbst, und eine Zuckerpflanzung
mit Siedewerk betrieb. Ich blieb einige Zeit bei ihm und machte mich
bald mit dem Verfahren der Zuckerpflanzung vertraut. Dabei hatte
ich Gelegenheit, das bequeme Leben der Pflanzer sowie ihren schnell
emporblühenden Reichtum zu beobachten, so daß in mir der Wunsch
aufstieg, mich ebenfalls als Pflanzer niederzulassen. Ich dachte nun an
Mittel, mein in London gelassenes Geld hierher kommen zu lassen, kaufte
so viel Land, als meine Mittel erlaubten, und entwarf einen Plan zur
Errichtung meiner Pflanzung.




[Illustration: Robinson als Pflanzer.]

Drittes Kapitel.

Robinson als brasilischer Pflanzer.


  Robinsons Aufenthalt in Brasilien als Pflanzer. -- Eine neue Reise.
  -- Schiffbruch.

Mein edelgesinnter Kapitän hatte drei Monate auf Ladung gewartet und
stand eben im Begriff, die Rückreise anzutreten, als ich das Gespräch
auf das Kapital brachte, welches ich noch in London stehen hatte. Er
erteilte mir den wohlmeinenden Rat: »Senhor Inglese, gebt mir Vollmacht
und legt mir einen Brief bei an diejenige Person in London, bei welcher
Euer Geld steht. Laßt Eure Effekten nach Lissabon gehen, die ich als
Euer Bevollmächtigter Euch auf meiner nächsten Reise mitbringen werde.
Da aber die menschlichen Dinge tausend Zufälligkeiten ausgesetzt
sind, so möchte ich Euch raten, mir nur eine Anweisung auf 100 Pfund
Sterling, als die Hälfte Eures Vermögens, auszustellen; denn geht diese
verloren, so bleibt Euch doch noch die andre Hälfte.«

Ich nahm diesen Rat an und ließ die Vollmacht für den Portugiesen
ausfertigen. Der Witwe des englischen Kapitäns schilderte ich meine
Abenteuer, meine Sklaverei, mein Entrinnen sowie das Zusammentreffen
mit dem portugiesischen Kapitän und dessen menschenfreundlichen
Beistand. Als der Mann nach Lissabon kam, fand er Mittel, der Frau
meines verstorbenen Freundes meinen Brief zu übersenden, worauf sie ihm
nicht nur das bare Geld, sondern auch ein Geschenk für seine liebevolle
Teilnahme einschickte. Der Kaufmann in London legte diese 100 Pfund
in englischen Waren an, wie ihm der Kapitän aufgetragen hatte, und
sandte sie nach Lissabon ein. Diese Waren nebst allerhand nützlichen
Werkzeugen überschickte mir der Kapitän; ja sogar einen Diener hatte
er für die fünf Pfund Sterling, die er von der Witwe zum Geschenk
erhalten, für mich angeworben mit der Verpflichtung, mir sechs Jahre
zu dienen. Auch der Erlös aus den englischen Manufakturwaren übertraf
meine Erwartungen, so daß ich mit meinen Vermögensverhältnissen
vollkommen zufrieden sein konnte. Nun dachte ich daran, noch einen
europäischen Diener zu mieten und einen Neger zu kaufen. Die Ernte im
nächsten Jahre fiel glänzend aus.

Wäre ich in den Verhältnissen geblieben, in welchen ich mich
jetzt befand, so hätte ich bis an mein Lebensende ein ruhiges und
beschauliches Glück genießen können. Allein in meinem Kopfe tummelten
sich tausend hochfahrende Unternehmungen. Dergleichen Pläne sind ja
oft das Verderben selbst erfahrener Männer, und ich sollte das auch
empfinden.

Als Pflanzer in Brasilien hatte ich zum Nachbar einen Portugiesen aus
Lissabon von englischer Herkunft, Namens Wells, dessen Umstände den
meinigen ähnlich waren. Zwei Jahre lang hatten wir alle Hände voll zu
thun, um nur unsern Lebensunterhalt zu verdienen, aber schon im dritten
Jahre ernteten wir Tabak, und im vierten Jahre gedachten wir Zuckerrohr
zu bauen. Ich hatte 50 große Rollen Tabak, von denen jede 100 Pfund
wog, auf meinem eignen Grund und Boden erbaut und sie für die Rückkehr
der Flotte von Lissabon wohl aufbewahrt. Indes fühlten wir recht
drückend den Mangel an mithelfenden Armen, und ich wünschte mehr als
je meinen flinken Xury zurück, der mir recht gute Dienste hätte leisten
können.

Da wir die sämtlichen Arbeiten nicht selbst ausführen konnten, blieben
wir mit vielem im Rückstande. Es währte nicht lange, da fühlte ich mich
in meiner Lebensweise unbehaglich. Natürlich! Ich hatte mich einer
Beschäftigung hingegeben, die meiner Wanderlust gerade entgegenlief.
Jetzt sah ich ein, daß mein Vater recht hatte, als er mir den
Mittelstand als den glücklichsten angepriesen. »Und dies alles«, sagte
ich häufig zu mir selbst, »hättest du leichter in deinem Vaterlande
haben können; manche Leiden hättest du dir erspart, wenn du daheim
geblieben wärst! Jetzt mußt du nun hier leben, wo kein Freund an deinem
Schicksal teilnimmt.«

Während der vier Jahre meines Aufenthalts in Brasilien hatte ich die
Landessprache erlernt und ebenso die Bekanntschaft mehrerer Kaufleute
in San Salvador gemacht, mit denen ich mich manchmal über meine
Jugendschicksale und besonders über die Reisen an der Guineaküste
unterhielt. Dabei ließ ich nicht unerwähnt, mit welcher Leichtigkeit
man dort durch Austausch von Kleinigkeiten, wie Glasperlen, Spiegeln,
Messern, Spielzeug und dergleichen, gegen Goldstaub ein gutes Geschäft
machen könne. Besonders aufmerksame Zuhörer hatte ich an jenen
Kaufleuten, wenn ich von dem Negerhandel sprach, der damals noch
ausschließlich von Spanien und Portugal aus getrieben wurde.

Eines Tages kamen drei jener Kaufleute zu mir, um mir einen Vorschlag
zu machen; sie teilten mir mit, sie hätten alle drei gleich mir
Pflanzungen, denen es zum besseren Betriebe nur an geeigneten
Arbeitskräften fehle. Deshalb wollten sie ein Schiff nach Guinea
ausrüsten, nicht etwa um Sklavenhandel zu treiben, sondern um Schwarze
aus Afrika zu holen und sie gleichmäßig unter sich zu verteilen. Es sei
nur noch die Frage, ob ich als Aufseher des Schiffes mitgehen und den
Handel an der Guineaküste leiten wolle. Für die Einwilligung würden sie
mich durch einen gleichen Anteil an den Negern entschädigen sowie durch
den Vorteil, keine Kosten zu dem Unternehmen beisteuern zu müssen.

Obgleich dieser Vorschlag unrecht war, wie aller Negerhandel, war ich
doch so thöricht, darauf einzugehen. Ich stellte nur die Bedingung, daß
meine Pflanzung bis zu meiner Rückkehr gut überwacht würde und, falls
mir ein Unglück widerführe, demjenigen übergeben werden sollte, den ich
als Nachfolger bezeichnete. Zu meinem Universalerben setzte ich den
portugiesischen Kapitän ein, unter der Bedingung, daß er die Hälfte
meines Vermögens nach England gelangen lassen solle.

Die Ausrüstung des Schiffes ging rasch vor sich; am 1. September 1659,
demselben Tage, an welchem ich vor acht Jahren das elterliche Haus
verlassen hatte, um mich in Hull einzuschiffen, stachen wir in See.
Unser Schiff hatte gegen 120 Tonnen, führte sechs Kanonen und 14 Mann,
den Kapitän samt seinem Schiffsjungen und mich eingerechnet. Die Ladung
des Schiffes bestand nur aus solchem Tand, der sich am besten zum
Handel mit Negern eignet.

Wir steuerten anfangs längs der Küste von Brasilien nordwärts, weil
wir beabsichtigten, den 12. Grad nördlicher Breite zu erreichen und
dann, wie damals üblich, nach Afrika hinüberzusegeln. Solange wir an
der Küste hinfuhren, wurden wir von dem prächtigsten Wetter begünstigt;
bei dem Kap St. Augustin verloren wir das Land aus dem Gesicht und
steuerten, als wollten wir die Insel Fernando de Naronha erreichen,
Nordost bei Nord. Die eben genannte Insel ließen wir aber östlich
liegen und passierten nach einer Fahrt von zwölf Tagen die Linie.
Bisher hatten wir uns des schönsten Wetters zu erfreuen gehabt, jetzt
aber brach ein heftiger Wirbelwind los.

Zwölf Tage hindurch blieben wir ein Spiel der Winde. Dann ließ der
Sturm endlich etwas nach; der Steuermann fand, daß wir uns in der
Richtung nach der Küste von Guinea oberhalb des Amazonenstromes und
nicht weit vom Orinoko befanden. Wir überlegten, was unter diesen
Umständen zu thun sei, zumal das Schiff ein Leck bekommen hatte;
endlich entschlossen wir uns, nach Barbados zu segeln, indem wir
uns weit genug auf offener See hielten, um die Einfahrt in den
Mexikanischen Meerbusen zu vermeiden. In vierzehn Tagen konnten wir bei
den Karibischen Inseln sein und steuerten deshalb nordwestlich.

Es sollte jedoch anders kommen, als wir dachten. Unter dem 14.
Breitengrade erhob sich von neuem ein gewaltiger Sturm und trieb uns
weit fort, als plötzlich inmitten aller Schrecknisse der Ruf: »Land!
Land!« ertönte. Schon wollten wir sehen, welchem Teile der Welt wir
entgegengingen, als ein erneuter heftiger Windstoß unser Fahrzeug auf
eine Sandbank trieb.

Die Wogen stürzten schäumend über das Deck, und jeder flüchtete in
sein Quartier, um sich vor der Wut des Elementes zu schützen. Der Wind
tobte fortwährend heftig, und das Fahrzeug konnte in wenigen Minuten
zertrümmert sein, wenn es nicht plötzlich umschlug. Am Hinterteil
des Schiffes hing unser Boot, sein Steuerruder war zertrümmert und
die zerschmetterten Teile tanzten auf den empörten Wellen. Zwar lag
noch die Schaluppe an Bord, doch schien es uns unmöglich, dieselbe
ins Wasser zu setzen. Die Todesangst zwang uns endlich doch, einen
verzweifelten Versuch zu machen, und den vereinten Anstrengungen gelang
es, die Schaluppe über Bord zu bringen. Wir sprangen alle hinein und
ließen uns -- im ganzen elf Personen -- von Wind und Wogen treiben,
wohin es Gott gefiel.

Wir sahen wohl ein, daß unser Boot bei der hochgehenden See nicht lange
aushalten würde. Mit allen Kräften ruderten wir dem Lande zu, aber
so schweren Herzens, als ginge es zum Hochgericht; denn wir konnten
voraussetzen, daß das Boot, wenn es sich der Küste näherte, von der
Macht der Wogen zertrümmert werden würde. So schien es, als ob wir
selbst unsern Untergang beschleunigten.

Von welcher Beschaffenheit die Küste vor uns war, ob felsig oder
sandig, hoch oder flach -- wir wußten es nicht. Der einzige
Hoffnungsschimmer, der uns noch winkte, blieb die Möglichkeit, in die
Mündung eines Flusses oder eines Meerbusens einzulaufen, wo wir das
Wasser ruhiger finden konnten. Allein nichts von alledem, ja, das
Land erschien uns, je näher wir kamen, grauenhafter als die See, denn
es starrten uns fürchterliche Felsenriffe entgegen. So mochten wir
etwa anderthalb Meilen fortgetrieben sein, als eine berghohe Welle
hinter unsrer Schaluppe einherrollte, uns mit sicherem Untergang
bedrohend; sie stürzte mit solcher Heftigkeit auf unser Boot, daß es
augenblicklich umschlug. Wir wurden getrennt und versanken in den
Abgrund, Gott um Beistand anflehend.

Obgleich ich gut schwimmen konnte, so vermochte ich mich doch nicht
zur Oberfläche emporzuarbeiten, um Atem zu holen, bis endlich die
Woge, die mich gegen das Ufer hingerissen hatte, sich zurückzog und
mich auf dem Trockenen zurückließ, freilich zum Tode ermattet und
außer Atem durch das Wasser, welches ich verschluckt hatte. Ich
fühlte noch so viel Geistesgegenwart und Kraft des Körpers, daß ich
mich aufraffte und, da ich die Küste nahe vor mir sah, einen Versuch
machte, sie zu erreichen, ehe eine andre Welle mich wieder zurückriß.
Meine Widerstandskraft erwies sich jedoch dem Elemente gegenüber als
zu schwach. Ich sah die See riesengroß, wie einen erbitterten Feind,
von neuem gegen mich heranrauschen und ich hatte keine Kraft mehr, ihr
zu widerstehen. Das Wasser drang an, ich suchte den Kopf oberhalb zu
behalten und schwimmend landeinwärts zu kommen. Doch die Wassermenge
begrub mich viele Meter tief, und ich fühlte, wie ich von ihr nach dem
Ufer gerissen wurde.

Schon war ich dem Ersticken nahe, als ich mit Kopf und Händen aus
dem Wasser emporschoß. Ich faßte neuen Mut, obgleich ich mich nur
zwei Sekunden über Wasser hielt, um Atem zu schöpfen. Darauf stürzten
wieder die Wellen über mich weg, und dann bemerkte ich, wie sie wieder
zurückgingen.

Die letzte Welle hätte mir gefährlich werden können, denn ich wurde
mit solcher Gewalt gegen ein Felsenriff geschleudert, daß ich fast das
Bewußtsein verlor. Jetzt klammerte ich mich fest an das Felsenstück (S.
31) und hielt den Atem so lange an, bis das Wasser zurückgegangen war.
Nun kletterte ich die Klippen empor und warf mich auf das Gras, sicher
vor dem Anfluten des Wassers und seinen Gefahren. Ich blickte zum
Himmel und dankte inbrünstig dem Herrn, der mich so wunderbar vom Tode
errettet hatte.

Das gescheiterte Schiff lag, von berghohen Wogen umbraust, in weiter
Ferne, und meine Lage kam mir trostlos vor. Ich war ganz durchnäßt,
und doch konnte ich die Kleider nicht wechseln, Hunger und Durst
quälten mich, und es fehlten mir Waffen, um durch Erlegung eines Tieres
mein Leben zu fristen. So bot sich mir nur die Aussicht, entweder
Hungers zu sterben oder von wilden Tieren zerrissen zu werden. Ich
hatte nichts weiter bei mir als ein Messer, eine Tabakspfeife und etwas
Tabak in einem Beutel; das war mein ganzer Vorrat und -- der war naß.

Verzweifelt ging ich einige hundert Schritte vorwärts und fand frisches
Wasser, das mich wunderbar erquickte; Nahrungsmittel sah ich indes
nirgends und begnügte mich daher, nach Seemannsbrauch, Tabak zu kauen.
Die Nacht brach allmählich herein. Schwere, finstere Wolken jagten am
Himmel dahin und ließen die Nacht nur um so unheimlicher erscheinen.
Der Wind schüttelte die Äste der Bäume, und die Wellen brachen sich
tosend an den Klippen. Mich überkam die Furcht vor reißenden Tieren,
denen ich waffenlos preisgegeben war.

Da kam mir der Gedanke, mir einen handfesten Stock zur Waffe
abzuschneiden und mit diesem mich auf einen Baum emporzuschwingen und
darauf die Nacht zuzubringen. Bald versank ich in einen tiefen Schlaf,
aus welchem ich erst nach vielen Stunden wiedererwachte.




[Illustration: »Gerettet!«]

Viertes Kapitel.

Rettung nach dem Schiffbruch.


  Robinson schwimmt an das Wrack. -- Erbauung eines Floßes. -- Er
  landet glücklich mit seiner Fracht. -- Tägliche Fahrten nach dem
  Wrack. -- Errichtung seiner Wohnung. -- Erbeutung von Ziegen. --
  Robinsons Kalender. -- Tagebuch.

Als ich erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Das Wetter war
heiter, der Sturm hatte sich gelegt; das Meer war ruhig. Am meisten
überraschte mich der Umstand, daß das Schiff durch die Flut gehoben und
fast bis zu dem Punkte getrieben wurde, an welchem mich tags vorher
die Wogen gegen die Felsen warfen. Das Schiff war jetzt nur eine
halbe Stunde vom Strande entfernt und schien sich noch aufrecht zu
halten. Ich nahm mir deshalb vor, an Bord zu gehen, um mich mit noch zu
beschaffenden Bedürfnissen zu versehen.

Nachdem ich aus meinem Schlafquartier in der luftigen Höhe
herabgestiegen, bemerkte ich zuerst das Boot, welches etwa eine Stunde
entfernt rechter Hand auf dem Strande lag. Ich suchte dasselbe zu
erreichen, doch hinderte mich daran ein kleiner Meeresarm; ebensowenig
vermochte ich zu dem Schiffe zu gelangen.

Am Nachmittag war die Flut bereits so weit zurückgewichen, daß ich
mich bis auf wenige hundert Schritte dem Wrack nähern konnte. Ich
legte meine Oberkleider ab und schwamm dem Schiffe zu. Als ich indes
nahe kam, fand ich eine neue Schwierigkeit; das Schiff hatte sich auf
die Seite gelegt und ragte hoch über das Wasser empor; daher konnte
ich nicht an Bord kommen. Zweimal schwamm ich um das Fahrzeug herum,
ohne etwas zu finden, woran ich mich hätte in die Höhe arbeiten
können. Endlich gewahrte ich ein Tauende, welches am Vorderteil so
weit herabhing, daß ich daran emporklettern konnte. Oben angekommen,
sah ich, daß das leck gewordene Schiff viel Wasser eingelassen hatte.
Es lag auf einer Schlammbank; das Hinterteil ragte empor, während das
Vorderteil fast ganz vom Wasser bedeckt war. Mein erster Gang galt
der Brotkammer, wo ich zu meiner Freude Mundvorräte in unverdorbenem
Zustande fand. Ich füllte meine Taschen mit Schiffszwieback und
entdeckte dann in der Kajütte Rum, von dem ich einen tüchtigen Schluck
zu mir nahm. Es fehlte mir jetzt nur an einem Boote, um die mir nötigen
Sachen ans Land zu schaffen. Da beschloß ich, mir selbst ein Floß zu
bauen. An Bord fand ich einige Raaen, zwei oder drei hölzerne Balken
und ein paar Bramstengen. Aus der Zimmermannskiste entnahm ich Sägen,
Beile, Hammer und Nägel. Ich warf nun die Holzbalken in das Meer,
nachdem ich sie vorher mit Tauen untereinander verbunden hatte, damit
sie nicht fortgerissen werden konnten. Dann stieg ich an der Seite des
Schiffes hinab und verband die Holzstücke zu einer Art Floß; hierauf
nagelte ich einige Bretter darüber und konnte mich nun schon
darauf wagen. Allein für eine größere Ladung wäre es immerhin noch zu
leicht gewesen; ich schnitt deshalb mit der Zimmermannssäge eine der
Bramstengen in drei Stücke und verstärkte mit diesen mein Floß. Dann
dachte ich daran, wie ich es am vorteilhaftesten befrachten und die
Ladung gegen das Wasser sichern könnte. -- Zuvörderst brachte ich auf
das Floß alle Bretter, deren ich habhaft werden konnte; hierauf füllte
ich zwei Matrosenkisten mit Brot, Reis, holländischen Käsen, fünf Stück
geräucherten Ziegenfleisches und einem kleinen Rest Roggen und Gerste.

[Illustration: Robinsons Rückkehr vom Wrack.]

Während ich alle Gegenstände zusammenpackte, begann die Flut zu
steigen; ich bemerkte, daß meine Weste und mein Hemd, die ich am Ufer
zurückgelassen hatte, davonschwammen. Ich nahm deshalb Bedacht, nach
Kleidungsstücken zu suchen, deren ich genug fand; auch dachte ich an
Munition und Waffen. In der großen Kajütte waren zwei gute Jagdflinten
sowie zwei Pistolen; daneben entdeckte ich einen kleinen Beutel mit
Schrot, zwei alte verrostete Degen und etliche Pulverhörner. Ich
erinnerte mich, daß drei Pulverfässer auf dem Schiffe waren, aber ich
wußte nicht, wo unser Geschützmeister sie hingestellt hatte. Nach
vielem Suchen fand ich sie; zwei zeigten sich trocken und gut erhalten,
während das dritte durch das Wasser verdorben war; die beiden ersteren
samt den Waffen trug ich auf mein Floß. Dann fielen mir noch etliche
Ruder in die Hände, die zur Schaluppe gehört hatten, sowie zwei Sägen,
eine Axt, ein Hammer und andre brauchbare Werkzeuge. Nunmehr setzte
ich mein Floß in Bewegung; etwa eine halbe Stunde weit strich es
glatt dahin, nur trieb es ein wenig seitwärts, woraus ich schließen
mußte, daß eine Bucht oder die Mündung eines Flusses diese Strömung
herbeiführte. In der That zeigte sich bald vor mir eine kleine Öffnung,
in welche die Flut mächtig eindrang.

So gut ich konnte, lenkte ich nun mein Floß, um es in die Mitte des
Fahrwassers zu bringen. Ich bot alles mögliche auf, indem ich meinen
Rücken gegen die Kisten stemmte und zu gleicher Zeit mich bemühte, das
Floß richtig zu leiten. Fast eine halbe Stunde mußte ich in dieser
anstrengenden Stellung aushalten, bis endlich die steigende Flut mein
Floß hob, worauf ich glücklich in die Bucht einlief. Da aber die Ufer
steil emporstiegen, so bemühte ich mich, mein Floß durch das Ruder wie
durch einen Anker festzuhalten, bis die Flut ihre größte Höhe erreicht
haben würde. Später trieb ich auf eine flache Uferstelle und heftete
zwei meiner zerbrochenen Ruder an zwei Enden in den Grund. Auf diese
Art lag ich so lange still, bis die Ebbe wiedereintrat, worauf mein
Floß samt seiner Ladung auf dem Trockenen sitzen blieb.

Ich darf hier nicht vergessen, daß wir an Bord einen Hund und zwei
Katzen hatten. Letztere hatte ich auf das Floß mitgenommen, der Hund
aber war selbst ins Meer gesprungen und folgte mir schwimmend bis ans
Ufer. Dieses anhängliche Tier blieb jahrelang mein treuer Gefährte und
leistete mir wesentliche Dienste. Es fehlte ihm nur die Sprache, um mir
die Gesellschaft eines Menschen zu ersetzen.

Kaum eine halbe Stunde fern dem Punkte, wo ich mit meinem Floß gelandet
war, erhob sich ein steiler Berg, welcher aus einer Kette andrer Berge,
die sich nach Norden hinzog, am höchsten emporragte. Ich nahm eine
Jagdflinte, eine Pistole und ein gefülltes Pulverhorn, und so bewaffnet
erklomm ich die Spitze des Berges. Von hier aus sah ich erst, daß ich
mich auf einer Insel befand. Nirgends war größeres Land zu sehen, nur
in der Ferne hohe, kaum erkennbare Felsenriffe, und nach Westen zu,
etwa zwei Stunden weit, zwei kleinere Inseln. Allem Anscheine nach war
die Insel, auf der ich mich befand, unbewohnt; auch von wilden Tieren
konnte ich nichts wahrnehmen. Dagegen sah ich eine große Menge Vögel,
deren Gattung ich nicht kannte und die sich vielleicht zur Speise nicht
einmal eigneten. Bei meiner Rückkehr schoß ich einen großen Vogel, der
auf einem Baume saß. Es war wohl der erste Schuß, welcher hier seit
Erschaffung der Welt gefallen. Denn kaum ertönte der Knall, als sich
aus allen Teilen des Gehölzes unzählige Vögel aller Art erhoben und mit
wirrem Geschrei durcheinander emporschwirrten. Der erlegte Vogel glich
an Farbe und Gestalt einem Habicht, nur die Form seiner Klauen war
etwas abweichend. Leider erwies sich sein Fleisch als ungenießbar.

[Illustration: Robinson auf der Vogeljagd.]

Ich mußte schon mit den Ergebnissen dieser ersten Entdeckungsreise
zufrieden sein und kehrte deshalb nach meinem Floß zurück. Jetzt
schiffte ich meine Ladung aus, womit ich den Rest des Tages verbrachte.
Was in der Nacht aus mir werden sollte, wußte ich noch nicht,
denn auf bloßer Erde zu schlafen schien mir bedenklich. Deshalb
verbarrikadierte ich mich mit Kisten und Brettern, die ich ans Land
gebracht hatte, und baute mir für die Nacht eine Art Hütte.

Am nächsten Morgen überlegte ich, daß ich aus dem gestrandeten Schiffe
wohl noch eine Menge brauchbarer Dinge mir beschaffen könnte, und
ich beschloß, wenn möglich, eine zweite Reise nach dem Fahrzeuge
zu unternehmen, ehe ein nächster Seesturm das Wrack vollständig
zertrümmern würde.

Zu solchem Zwecke beschloß ich, in gleicher Weise wie das erste Mal zu
verfahren. Ich ließ meine Kleider in der Hütte zurück und behielt außer
dem Hemd nur leinene Beinkleider sowie die Schuhe an. In diesem Anzuge
schwamm ich an das Wrack und baute dort schneller als das erste Mal ein
geeigneteres Floß zur Aufnahme einer neuen Ladung. Unter den Vorräten
des Zimmermanns fand ich ein paar Beutel mit Nägeln und Schrauben,
einen großen Bohrer, eine Anzahl Beile und Äxte und einen Schleifstein.
Von den Gerätschaften des Kanoniers nahm ich zwei oder drei Hebeeisen,
zwei Fäßchen mit Musketenkugeln, sieben Musketen und eine Bergflinte,
einen kleinen Vorrat Pulver, einen tüchtigen Beutel mit Schrot und eine
große Rolle dünngeschlagenes Blei.

Außerdem eignete ich mir alle Kleidungsstücke an, die ich nur finden
konnte, ferner ein Vormarssegel sowie eine Hängematte mit Bettzeug.
Reich beladen brachte ich dann das Floß zu meiner Freude glücklich ans
Land.

Nun gab es alle Hände voll zu thun, um mittels der Segel und etlicher
Pfähle ein Zelt zu errichten, und alles, was etwa durch die Witterung
Schaden leiden könnte, unter Dach und Fach zu bringen. Ich stellte
leere Fässer, Kisten und Tonnen um das Zelt und umgab mich mit einem
Wall, so daß ich mich vor einem ersten Angriff oder Überfall von
Menschen oder Tieren gesichert glauben durfte. Auch verschloß ich den
Eingang mit Brettern, breitete eine der Matratzen auf den Boden, legte
zwei Pistolen an das Kopfende, eine geladene Flinte längs der Seite des
Lagers und schlief zum erstenmal wieder in behaglicher Weise ungestört
bis zum Morgen.

Am dritten Tage begab ich mich wiederum an Bord des Wracks. Diesmal
nahm ich alle Taue, Stricke und Schnüre mit, die noch aufzufinden
waren, ebenso ein großes Stück Zeug zum Ausbessern der beschädigten
Segel sowie das Faß mit dem naß gewordenen Pulver. Natürlich ließ ich
auch die Segel nicht zurück, die mir später trefflich zu statten kamen.
Die größte Freude verursachte es mir jedoch, als ich eine große Tonne
mit Brot, drei Fässer voll Rum, eine Kiste Zucker und eine Tonne mit
feinem Mehl entdeckte. Auch diesmal brachte ich meine Ladung unversehrt
ans Land.

So unternahm ich regelmäßig meine täglichen Ausfahrten und hatte in
zwölf Fahrten alles von dem gestrandeten Schiffe geborgen, was ich auf
meinem kleinen Floß fortbringen konnte. Als ich mich zum letztenmal auf
dem Schiffe befand, entdeckte ich noch in der Schublade eines kleinen
Tisches einige Rasiermesser, über ein Dutzend Tischmesser, Gabeln und
Löffel, sowie europäische und brasilische Gold- und Silbermünzen im
Werte von 40 Pfund Sterling (800 Mark). Ich konnte mich bei dem Funde
eines spöttischen Lächelns nicht erwehren. »Was soll mir doch«, dachte
ich zunächst, »dieses glänzende Metall nützen? Ein einziges Messer
ist mir nützlicher als all das Gold und Silber! Lohnt es sich wohl
der Mühe, es nur vom Boden aufzuheben? Ich brauche es nicht; mag es
bleiben!« Aber schon nach wenigen Augenblicken besann ich mich eines
andern, wickelte das Geld in ein Stück Leinwand und machte mich dann an
die Errichtung des Floßes.

Während ich mit dieser Arbeit beschäftigt war, erhob sich ein starker
Wind vom Lande her, und den Himmel überzogen schwere, dunkle Wolken.
Ich sah wohl ein, daß keine Zeit zu verlieren war, daher sprang ich
ins Wasser und erreichte schwimmend glücklich das Ufer. Immer heftiger
blies der Wind und immer hohler gingen die Wogen der See; ich aber
saß wohlgeborgen in meinem kleinen Zelte -- jetzt noch ein Krösus
unter meinen Reichtümern. Die ganze Nacht hindurch hatte der Sturm mit
solcher Heftigkeit getobt, daß am Morgen von dem gestrandeten Schiffe
nichts mehr zu erblicken war. Nur bei tiefstem Wasserstande konnte man
dürftige Trümmer des Wracks aus den Fluten emporragen sehen. Zunächst
war ich nicht wenig bestürzt; dann aber schlug ich mir das ganze
Schiff aus dem Sinne, indem ich mich damit tröstete, die wertvollste
Habe, selbst die Tiere, die ich noch lebend gefunden, in mein neues
Standquartier gerettet zu haben.

Darüber konnte ich freilich nicht im Zweifel sein, daß meine Wohnung
nur den ersten Anforderungen genüge, denn sie befand sich in der Nähe
der Küste auf feuchtem Boden. Aber was sollte ich nun zum Aufenthalt
wählen? Ein Zelt oder eine Höhle? -- Vielleicht beides! Ich begab mich
wiederum auf Entdeckungsreisen und gelangte an einen Hügel, dessen
eine Seite eine hohe senkrechte Felsenwand bildete. Diese erschien
mir geeignet, Schutz vor feindlichen Menschen und Tieren sowie vor
glühenden Sonnenstrahlen zu gewähren. Außerdem bot sich mir von
dieser Stelle auch die Aussicht auf das weite Meer, so daß ich jedes
vorbeisegelnde Schiff erblicken konnte. Am Fuße der Felswand bemerkte
ich eine Vertiefung, die jedoch keine eigentliche Höhle genannt werden
konnte. Ihr unmittelbar gegenüber wählte ich meine Wohnstätte auf dem
oberen Teile der Fläche. Diese Ebene war ansehnlich breit und dehnte
sich noch einmal so lang wie ein grüner Rasenteppich vor meinem Zelte
aus. Da sie auf der Nordwestseite des Hügels lag und den kühlenden
Winden freien Zutritt gestattete, so sah ich mich auch vor der
glühenden Hitze des tropischen Himmels geschützt.

Ehe ich mein Zelt aufschlug, beschrieb ich vor der Höhlung einen
Halbkreis, der etwa 9 Meter vom Felsen aus enthielt. In diesen
Halbkreis rammte ich, je 16 Zentimeter voneinander, zwei Reihen Pfähle
so fest in die Erde ein, daß sie wie Säulen standen; sie ragten
anderthalb Meter über den Boden empor und waren oben zugespitzt.
Hierauf legte ich die Tauenden, die ich auf dem Schiffe abgeschnitten
hatte, zwischen diese beiden Palissadenreihen auf der Spitze
übereinander und stemmte von der Seite andre Pfähle dagegen, so daß
weder Menschen noch Tiere diesen Zaun zu durchbrechen vermochten.

Der Eingang bestand nicht in einer Thür, sondern ich mußte mit Hilfe
einer Leiter darüber klettern. In diese Zaunfestung nun brachte ich
mit unendlicher Anstrengung alle meine Reichtümer und errichtete dann
ein geräumiges Zelt, das ich doppelt fertigte, indem ich über die
untere Zeltdecke noch eine obere spannte. Diese letztere bedeckte ich
wiederum mit beteerter Leinwand, welche ich unter dem Segelwerk des
Wracks gefunden hatte. Statt auf niederer Erde zu schlafen, wie in
meinem ersten Quartier, streckte ich mich jetzt behaglich in derselben
Hängematte, in welcher sich früher der Kapitän gewiegt hatte.

Meine nächste Arbeit galt nun der Aufgabe, den Felsen weiter
auszuhöhlen, um dort alle jene Lebensmittel und sonstigen Gegenstände
unterzubringen, die ich gegen Nässe schützen mußte. Diese
Beschäftigung nahm mich mehrere Tage in Anspruch; doch ehe noch alles
zustande gekommen war, trat ein Ereignis ein, das mich zu großer
Vorsicht mahnte.

Eines Tages stand ein schreckliches Gewitter am Himmel, und der
Regen ergoß sich in Strömen auf den Erdboden. Da fuhr plötzlich ein
blendender Blitz hernieder und erhellte die Landschaft auf einige
Sekunden mit blaurotem Licht. »Mein Pulver, mein Pulver!« dachte ich.
Mein Herz pochte mit gewaltigen Schlägen; dann ließ ich alle andern
Arbeiten im Stich und beschäftigte mich damit, meinen Pulvervorrat in
kleine Pakete zu teilen und in Kistchen und Beuteln wohl zu verwahren.
So hatte ich 240 Pfund in etwa hundert verschiedene Päckchen gesondert
und jedes derselben vorsichtig so weit von dem andern entfernt
gestellt, daß, wenn sich auch unglücklicherweise eines derselben
entzündete, doch die übrigen nicht zugleich in die Luft fliegen konnten.

Bei meinem ersten Morgenspaziergange, welchen ich, mit einer Flinte
bewaffnet, unternahm, um irgend etwas Eßbares zu schießen, machte
ich die erfreuliche Entdeckung, daß die Insel mit zahlreichen Ziegen
bevölkert war; doch zeigten sie sich so scheu und schnellfüßig, daß ich
mich ihnen nicht auf Schußweite nähern konnte. Ich hatte beobachtet,
daß sie stets erschreckt davonliefen, wenn sie vom Berge herab mich im
Thale bemerkten; weideten sie jedoch im Thale und ich selbst stand auf
dem Felsen, so nahmen sie keine Notiz von mir. Dies brachte mich auf
die Vermutung, daß jene Tiere wohl leicht von oben herab, aber schwer
von unten nach oben sehen könnten. Um zu erfahren, ob meine Vermutung
richtig sei, stieg ich auf einen Berg, während unten die Herde graste.
Mit dem ersten Schuß, den ich abfeuerte, erlegte ich eine Ziege, die
ein Junges bei sich hatte. Als ich mich dem getöteten Tiere näherte,
um es aufzuheben, blieb jenes ganz harmlos stehen, ja es folgte mir
freiwillig in mein Zelt. Ich hoffte, das Junge aufziehen zu können;
doch da es keinerlei Futter annehmen wollte, so sah ich mich genötigt,
es zu schlachten und zu verzehren. Durch diese beiden Tiere war ich auf
etliche Tage hinlänglich mit gutem Fleisch versehen und sparte dadurch
an meinem Vorrat, welchen ich vom Schiffe gerettet hatte.

[Illustration: Robinson erlegt die erste Ziege.]

Einige Zeit nach meiner Landung dachte ich daran, eine *Zeitrechnung*
aufzustellen, um in der Tag- und Monatsfolge nicht ganz irre zu werden
und ebenso den Sonntag nicht mit den Werktagen zu verwechseln. Da
ich weder Papier, noch Tinte, noch Federn besaß, verfiel ich auf die
Abfassung einer Art Kalender.

Ich rammte einen viereckigen Pfahl in die Erde und befestigte an dessen
oberen Teil in Gestalt eines Kreuzes eine länglich viereckige Tafel;
nach den Berechnungen, die ich anstellte, war ich am 30. *September*
1659 an dieser Insel angelangt, die etwa 9° 22' nördlich vom Äquator
gelegen sein mußte: deshalb schnitt ich auf die Tafel mit großen
Buchstaben ein:

     »_Hier landete Robinson Crusoe am 30. September 1659._«

An jedem neuen Tage machte ich an der Kante des Pfahles einen
Messereinschnitt, deren siebenter, länger als die übrigen, den Sonntag
bezeichnete. Der erste Tag eines Monats wurde durch einen stärkeren
größeren Schnitt angemerkt. So ging es eine längere Zeit fort, während
welcher ich emsig an der Vergrößerung meiner Höhle arbeitete, auch
einen Tisch und einen Stuhl fertigte. Dabei kamen mir noch allerhand
Dinge zu statten, die ich nicht einzeln, sondern in Kästen und Säcken
verpackt vom Wrack abgeholt hatte. So fand ich mehrere Kompasse,
mathematische Instrumente, Ferngläser, Seekarten, deren Nützlichkeit
mir in meiner damaligen Lage nur wenig einleuchtete. Was mich aber in
eine freudige Aufregung versetzte, war der Fund eines vollständigen
Schreibzeuges. Nun fühlte ich mich in meiner Einöde nicht mehr so
verlassen wie vorher, konnte ich doch dem Papiere alle meine Gedanken
und Eindrücke anvertrauen. Also begann ich ein *Tagebuch* anzulegen und
schrieb meine Lebensgeschichte seit dem 30. September nieder. Leider
hatte ich in meinem Tagebuche gar bald ein Ereignis zu verzeichnen, das
leicht unglücklich für mich hätte ablaufen können. Ich schrieb darüber
die nachstehenden Zeilen nieder:

  Am 10. *Dezember*. -- Ich hatte an der Vergrößerung meiner Höhle
  gearbeitet, die Erdarbeiten waren glücklich von statten gegangen,
  meine Arbeit schien beinahe vollendet; da stürzte plötzlich unter
  furchtbarem Gekrach eine gewaltige Erdmasse von der Decke und von
  einer Seite nieder. Jedenfalls hatte ich meine Minierarbeit zu weit
  ausgedehnt und dadurch den Einsturz selbst veranlaßt. Ein Glück
  war's, daß ich mich in demselben Augenblicke nicht in der Höhle
  befand, sonst wäre ich unzweifelhaft mein eigner Totengräber geworden.

Die Wiederherstellungsarbeiten -- die Reinigung des Ganges, die
Unterstützung der Decke -- nahmen eine geraume Zeit in Anspruch.

  Am 27. *Dezember*. -- Die Tage des Weihnachtsfestes verliefen sehr
  traurig; es regnete unaufhörlich, und so blieb ich in das Innere
  meiner Hütte gebannt. Da tauchten die trauten Bilder der Heimat
  und der fröhlichen Jugendzeit mit schmerzlicher Sehnsucht in mir
  auf, und ich überließ mich willenlos gaukelnden Träumen, die mich
  hinübertrugen weit übers Meer an Englands Küste und in das Vaterhaus,
  in welchem die Eltern gewiß weinend des verschollenen Sohnes
  gedachten. Meine Wehmut löste sich in ein inbrünstiges Gebet auf zu
  dem, der alles herrlich hinausführt; allmählich zog Trost ein in mein
  banges Herz.

Am zweiten Tage nach Weihnachten klärte sich das Wetter, und eine
erfrischende Brise kräuselte die Wogen des Meeres. Ich streifte in mein
Revier hinaus und schoß eine junge Ziege; eine andre verwundete ich
nur, fing sie deshalb und führte sie in meine Hütte. Dort verband ich
ihr den verwundeten Fuß, legte ihr Schienen an und pflegte sie auf das
sorgsamste. Unter meiner ärztlichen Behandlung gedieh das Tier ganz
vortrefflich und wurde mit der Zeit so zahm, daß es bei meiner Wohnung
behaglich graste, ohne davonzulaufen.




[Illustration: Robinson im Gebet.]

Fünftes Kapitel.

Robinsons Tagebuch.


  Neujahr. -- Sicherung der Hütte. -- Wilde Tauben. -- Beleuchtung. --
  Getreideähren. -- Erdbeben. -- Schleifstein. -- Ein Fäßchen Pulver.
  -- Zertrümmerung des Wracks. -- Fischjagd. -- Schildkröten. --
  Krankheit. -- Nächtlicher Traum. -- Fieber. -- Reuige Betrachtungen.
  -- Wiederherstellung durch Tabak. -- Bibelfund. -- Pflanzen und
  Früchte im Innern der Insel. -- Bau eines Landhauses. -- Die Katze
  und ihre Jungen. -- Jahrestag der Landung. -- Ernteerfolge.

Zum neuen Jahre, am 1. Januar 1660, beglückwünschte ich mich selbst. Es
ist freilich ein Neujahr auf einer öden Insel, und ich verlassen von
allen menschlichen Wesen! Doch nicht verzagt, Robinson! Mutig in die
Zukunft geblickt!

Ich hing meine Flinte über die Schulter und wanderte nach dem Innern
der Insel. Die Hitze war gewaltig, denn bekanntlich ist im Januar
unter den Tropen ebenfalls heiße Jahreszeit; so sah ich mich genötigt,
wiederholt unter dem Schattendache belaubter Bäume auszuruhen. Den
ganzen Tag wanderte ich umher. Allmählich nahte der Abend heran,
nachdem ich mehrere liebliche Thäler durchschritten hatte, die sich
nach dem Herzen des Eilandes verliefen. Hier sah ich an verschiedenen
Plätzen zahlreiche Herden von Ziegen weiden; aber so oft ich auch
versuchte, mich diesen Tieren zu nähern, immer wußten sie mit schlauer
List zu entrinnen. Deshalb beschloß ich am andern Tage, meinen Hund
mitzunehmen und ihn auf die Ziegen zu hetzen, um womöglich mehrere
lebendig in meine Gewalt zu bekommen und sie wie Hausvieh an mich zu
gewöhnen. Ich hatte indes die Rechnung ohne den Wirt gemacht; denn als
ich am nächsten Tage meinen Phylax auf eine Herde losließ, kehrten
sich die Tiere plötzlich gegen den Hund um, dieser aber verspürte
keine absonderliche Lust, mit den hörnernen Waffen der Langbärte
Bekanntschaft zu machen. Er schmiegte sich furchtsam an mich, und so
ließ ich die Sache einstweilen ruhen.

Bis gegen die Mitte des Monats April beschäftigten mich die Arbeiten
für eine bessere Umzäunung meiner Burg; während dieser Zeit hatte
mich der Regen oftmals gezwungen, mehrere Tage hintereinander mit
meinen Befestigungskünsten einzuhalten. Daß mir die Herrichtung jedes
einzelnen Pfostens große Schwierigkeiten verursachte, kann man sich
wohl denken, zumal die Pfähle weit aus dem Innern der Insel zu holen
waren und die Einrammung meine Kräfte stark in Anspruch nahm.

Einst traf ich eine Art *wilder Tauben*, welche nicht wie die andern
Holztauben ihre Nester auf Bäumen bauen, sondern nach Art der
Erdschwalben in den Ritzen des Gesteins nisten. Ich nahm einige der
Jungen aus und fütterte sie groß; als ihnen jedoch später mit den
wachsenden Flügeln der Mut gewachsen war, flogen sie davon, ihren alten
Heimatssitzen zu.

Obwohl ich viele Dinge besaß, die mir in meiner Einsamkeit trefflich zu
statten kamen, so empfand ich doch nicht selten aufs schmerzlichste den
Mangel an *Beleuchtung*. Ein guter Gedanke leitete mich auf das Fett
der Ziegen, welches ich bisher nur verspeiste. Ich sammelte das Fett
in ein irdenes, an der Sonne getrocknetes Gefäß und verfertigte mittels
eines von Kabelgarn bereiteten Dochtes mir eine Art Kerzen.

[Illustration: Robinson und seine Ziege.]

Während dieser Zeit hatte ich eine freudige Überraschung eigentümlicher
Art. Wenige Schritte von meiner Festung bemerkte ich zehn oder zwölf
Ähren Gerste und außer diesen etliche Weizen- und Reishalme. Wie
mochten jene Getreidearten nach diesem Eiland und in dieses Klima
gekommen sein? Unwillkürlich kam ich auf den Gedanken, daß die
Vorsehung Gottes hier ein Wunder zugelassen habe. Endlich erinnerte ich
mich, daß ich während der Regenzeit an dieser Stelle jenes Säckchen
ausgeschüttet hatte, in welchem sich noch einige kümmerliche Reste der
durch die Ratten benagten Gersten-, Weizen- und Reiskörner befanden.
Jenes Säckchen hatte ich mittlerweile zum Pulverbeutel benutzt.

Mit dieser natürlichen Erklärung des Wunders regte sich bei mir erst
recht das Gefühl der Dankbarkeit gegen Gott. Hatte ich doch alle
Ursache, die Erhaltung dieser wenigen Körner als ein besonderes Zeichen
seiner Güte anzusehen.

Die Umhegung meiner Hütte war um Mitte April nun vollendet, und ich
glaubte mich jetzt für hinreichend geschützt halten zu können. Aber
schon am nächsten Tage hätte nicht viel gefehlt, und es wären fast alle
meine Arbeiten, die Frucht so langer Zeit und so vieler Mühen, zerstört
worden.

Ich war gerade hinter meinem Zelte mit einer Arbeit beschäftigt, als
plötzlich der Boden anfing zu erzittern. Von der Decke der Höhle
fiel Schutt nieder, die Stützen der Mauern wankten und stürzten mit
fürchterlichem Gekrach zusammen. Aus Furcht, unter den Trümmern
begraben zu werden, legte ich eiligst die Leiter an und sprang über die
Palissaden hinüber. Kaum hatte ich den Erdboden erreicht, so sah ich,
wie eine ziemliche Strecke von mir entfernt ein mächtiger Felsblock
sich von einem der Berge ablöste und mit donnerähnlichem Getöse in die
wildbrandenden Wogen hinabrollte. Noch nie hatte ich ein so heftiges
Erdbeben erlebt; meiner Sinne nicht mächtig, war ich unter einem Baume
niedergesunken und unwillkürlich rief ich: »Herr Gott, erbarme dich
meiner!«

Zwar faßte ich wieder etwas Mut, aber die Luft wurde immer schwerer,
der Himmel umzog sich mit dichten Regenwolken, und es erhob sich ein
Wind, der bald zum schrecklichen Orkan anwuchs. Die See kochte, der
Schaum kräuselte sich in wildem Tanze auf ihrer Oberfläche, und die
Fluten stürzten brausend an die Ufer. Nach drei Stunden ließ das Toben
nach, und ein heftiger Regen strömte hernieder. Jetzt erst fiel mir
ein, daß Wind und Regen die Folgen des Erdbebens seien und daß sie
das Ende desselben anzeigen könnten. Durch diesen Gedanken ermutigt,
kehrte ich nach meinem Zelte zurück und flüchtete ganz durchnäßt in die
Höhle, obwohl ich noch immer befürchtete, es möchte die Decke über mir
zusammenbrechen.

Der Regen währte die ganze Nacht und den größten Teil des folgenden
Tages, was mich am Ausgehen verhinderte. Es drängte sich mir der
Gedanke auf, daß ich mich durchaus nach einer andern Wohnung umsehen
müßte; denn wie leicht konnte mich die Wiederholung eines Erdbebens
lebendig unter den Trümmern meiner Höhle begraben! Da ich aber sah,
wie alles um mich her sich in schönster Ordnung befand, wie ich
eigentlich sicher und bequem wohnte, und als ich an die unsägliche
Mühe dachte, welche mir die Einrichtung meines kleinen Festungswerkes
verursacht hatte, so konnte ich mich nur schwer dazu entschließen,
meinen jetzigen Aufenthalt zu ändern. Ich zog es daher vor, einstweilen
noch in meiner alten Wohnung zu bleiben, bis ich eine neue errichtet
hätte, und begnügte mich damit, vor der Hand den herabgefallenen Schutt
herauszuschaffen.

Vor der Ausführung meiner Pläne prüfte ich meine drei starken Äxte
sowie mehrere kleine Beile. Diese waren durch das Fällen und Behauen
des harten Palissadenholzes so schartig und unbrauchbar geworden, daß
ich sie in solchem Zustande nicht mehr benutzen konnte. Da blitzte
ein Gedanke in mir auf: ich besaß ja einen Schleifsein. Aber wie ihn
drehen? Nach langem Sinnen glückte es mir, eine Trittvorrichtung
zu vollenden, welche ich mit dem Fuße in Bewegung setzen konnte,
während mir beide Hände frei blieben. Und nun wurde ich der eifrigste
Schleifer, der nur jemals gefunden werden kann.

Als ich einige Tage darauf, am Morgen des ersten Maitages, bei
niederem Wasserstande nach dem Meere hinausschaute, gewahrte ich
einen Gegenstand, der wie ein Fäßchen aussah und sich als eine kleine
Tonne nebst einigen Trümmern unsres Schiffes erwies, dessen Lage sich
durch den letzten Sturm verändert hatte, denn sein Rumpf ragte höher
aus dem Wasser hervor. Das Vorderteil steckte nicht mehr im Sande,
sondern stand zwei Meter über der Wasserfläche empor. Das Kastell, von
dem übrigen Teile losgerissen, lag auf der Seite, und Berge von Sand
hatten sich um das Schiff herum aufgehäuft, so daß ich jetzt zur Zeit
der Ebbe trockenen Fußes zu dem Wrack gelangen konnte. Ich begriff
sehr bald, daß diese Veränderung durch das Erdbeben veranlaßt war. Die
Gewalt desselben hatte ohne Zweifel das Schiff noch mehr zertrümmert,
denn täglich spülte die Flut abgelöste Stücke ans Land. Ich wälzte die
gefundene Tonne weiter an das Ufer und fand nach Eröffnung derselben,
daß sie Pulver enthielt.

Am 3. Mai ging ich mit einer Säge an das Wrack und durchschnitt einen
Balken, der augenscheinlich einen Teil des Oberdecks trug. Hierauf
räumte ich, so gut es ging, den Sand fort, sah mich aber genötigt,
die Arbeit einzustellen, da die Flut zu steigen begann. Den nächsten
Tag versuchte ich zu angeln. Zwar hatte ich keinen Angelhaken, nahm
aber ein Stück gekrümmten Eisendraht an einer langen, aus aufgedrehten
Tauen gemachten Schnur; ich fing auch eine Menge Fische, unter andern
einen jungen Delphin. Später wiederholte ich diese Fischjagden öfters,
trocknete meistens die gefangene Beute und aß sie gedörrt.

Fast täglich arbeitete ich nun auf dem Wrack, brach Bretter los, schlug
eiserne Bolzen und andre Stücke von demselben Metall heraus und fand
auch neben mancherlei andern verwendbaren Dingen eine Rolle Blei,
von welcher ich kleine Stücke abschlug, um diese einzeln in meinen
Gewahrsam zu schaffen.

Während der ganzen Nacht des 16. Mai blies der Wind so heftig, daß
die Reste des gestrandeten Schiffes fast ganz zertrümmert wurden. Die
Flut trieb Kisten, Zimmermannsholz und Deckplanken an das Ufer, und
der Holzvorrat, welchen ich am Lande aufgestapelt hatte, war zu einem
solch ansehnlichen Haufen angewachsen, daß ich davon eine Barke hätte
erbauen können, wenn ich nur einen Begriff von Schiffbaukunst gehabt
hätte. Auch ein Faß mit Schweinefleisch kam ans Land geschwommen; ich
hätte dasselbe gern gegessen, mußte jedoch auf den Genuß verzichten,
weil es durch das eingedrungene Seewasser gänzlich ungenießbar geworden
war.

Als ich eines Morgens im Monat Juni früh am Ufer des Meeres entlang
ging, sah ich eine große *Schildkröte*, die erste, welche ich fand.
Ich tötete und zerlegte sie, und ihr Fleisch, das ich kochte, schien
mir das angenehmste und saftigste zu sein, das ich je gegessen. Hatte
ich mich doch seit meiner Ankunft auf der Insel auf das Fleisch wilder
Ziegen und Vögel beschränken müssen!

Bald darauf, in den letzten Tagen des Juni, kam eine schwere Prüfung
über mich. Ich fühlte starkes Frösteln und brachte die Nächte zum Teil
schlaflos zu. Hierzu gesellten sich heftige Kopfschmerzen. Das *Fieber*
mit abwechselndem Frost und Schweiß hatte mich gepackt, so daß ich
leider den ganzen Tag über, ohne Speise und Trank zu genießen, an mein
Lager gefesselt war. Mich quälte unsäglicher Durst, doch hatte ich
nicht Kraft genug, um mir Wasser zu holen. Nach langer Zeit richtete
ich wieder einmal meine Gedanken auf Gott, alle meine Sinne waren so
eingenommen, daß ich nichts weiter ausrief als: »O Gott, sieh gnädig
auf meine Not, erbarme dich meiner!« Endlich schlief ich vor Ermattung
ein. Erst spät in der Nacht erwachte ich und fühlte mich um vieles
besser, nur wurde ich durch heftigen Durst gequält. Da ich indes keinen
Tropfen Wasser in meiner Wohnung hatte, so mußte ich auf dieses Labsal
verzichten und schlief endlich wieder ein.

Während dieses zweiten Schlafes hatte ich einen fürchterlichen Traum.
Mir war es, als säße ich außerhalb der Umzäunung auf dem Boden an der
Stelle, wo ich dem Ausgange des Erdbebens entgegensah. Da stieg aus
einer großen grauschwarzen Wolke ein Riese herunter, den leuchtende,
mich brennende Flammen umgaben. Lange schlängelnde Blitze durchzuckten
die Luft, und als seine Füße den Erdboden berührten, erbebte die Erde
in ihren innersten Grundfesten. Er schwang einen langen Speer, den er
in der Hand trug, gegen mich und sprach mit drohender Donnerstimme:
»Da so viele Warnungen dich nicht zur Reue erweckt haben, so stirb
jetzt, Elender, von meiner Lanze durchbohrt!«

[Illustration: Robinson, von Reue erfüllt.]

Bei diesen Worten schreckte ich aus meinem Traume auf, und noch lange
Zeit nach meinem Erwachen konnte ich mich kaum überzeugen, daß alles
nur ein Traum gewesen sei.

Leider hatten die Worte dieser nächtlichen Erscheinung nur Wahrheit
ausgesprochen, denn ich war ein gefühlloser Mensch, der eigentlich
gar keine Gottesfurcht empfand. Die guten Lehren meines Vaters waren
längst während der acht Jahre vergessen, in denen ich fast nur mit
gottlosen Leuten verkehrt hatte. Niemals hatte ich daran gedacht,
das Mißgeschick, das mich in so vielfachen Gestalten traf, als eine
gerechte Strafe des Himmels anzusehen. Solange ich in Afrika als
Gefangener lebte, hatte ich mich kaum ein einziges Mal an Gott um
Beistand gewendet, auch dann nicht, als ich mit Xury den gefahrvollen
Fluchtversuch ausführte. Als ich hierauf von dem portugiesischen
Kapitän aufgenommen ward, regte sich kein Gefühl der Dankbarkeit für
eine so wunderbare Rettung. Ja, als ich später nackt und hilflos auf
dieses Eiland geworfen wurde, fühlte ich nicht einmal Reue über die
Verhärtung meines Gewissens, sondern hatte nur Klagen darüber, daß ich
zu nichts als zum Unglück auf der Erde bestimmt sei.

Zwar regten sich damals, als ich mich gerettet aus Sturmesfluten und
wohlbehalten auf der Insel wiederfand, Gefühle in mir, die einem Danke
für Gottes Güte gleichen mochten; allein sie endeten nur als Äußerungen
der Freude, Gefühle des wechselnden Augenblicks. Ich dachte nur daran,
mich gegen den Hunger zu schützen, und trug lediglich Sorge für meinen
Unterhalt und um meine Verteidigung.

Nur vorübergehend hatte die Entdeckung des aufsprossenden Getreides
mein Gemüt dankbar gestimmt; ebenso vorübergehend nur war ich durch die
Furchtbarkeit des Erdbebens an Gottes Allmacht gemahnt worden. Erst die
Heftigkeit des Fiebers, die ganze Hilflosigkeit meiner Lage preßten
mir Thränen aus und riefen die Stimme meines Gewissens wach. »Jetzt«,
sagte ich mir, »jetzt ist die Prophezeiung deines Vaters in Erfüllung
gegangen; niemand ist um mich, der mir Trost und Beistand gewähren
könnte. O meine guten Eltern, hätte ich doch eure Ermahnungen beachtet
und der Heimat nicht lebewohl gesagt. O Gott, bei dem da ist alle Kraft
und alle Barmherzigkeit, verlaß mich nicht, denn mein Elend ist groß!«

So betete ich nach langer Zeit inbrünstig zum erstenmal. Nachher ließ
der Fieberanfall nach, obgleich der Traum der vergangenen Nacht noch
lange einen großen Schreck in mir zurückließ.

Ein Viertelstündchen der Erholung benutzte ich dazu, um eine Flasche
mit Wasser sowie etwas Rum vor mein Lager zu stellen; auch röstete ich
auf Kohlen ein Stück Ziegenfleisch, doch wollte es mir noch nicht recht
munden.

Hierauf unternahm ich einen Spaziergang ins Freie, konnte aber wegen
Ermattung nur eine kleine Strecke zurücklegen. Auf einem Felsenstück
ließ ich mich nieder, von welchem das Auge weit über den jetzt ruhigen
Spiegel des Meeres schweifen konnte. Da tauchten Gedanken in mir auf:
»Wer ist es, der alle diese Dinge, Meer, Himmel und Erde, geschaffen
hat? Und wer erhält und lenkt sie unwandelbar? Ist es nicht Gott, der
alles weiß und sieht? Ja, er sieht auch mich. Durch seinen Willen, ohne
den nichts geschieht, lebe ich auf diesem Eiland; ich ergebe mich in
seine Fügung, der Herr wird es wohl machen!«

Diese Betrachtungen flößten mir Trost ein, und ich kehrte nachdenkend
in meine Wohnstätte zurück. Noch vor derselben fiel mein Blick auf
die von der Sonne goldig gebräunten Ähren, welche jetzt harte Körner
trugen. Ich pflückte die Stengel, nahm sorgfältig die Frucht aus den
Rispen und bewahrte sie für die kommende Säezeit auf.

Dieser Ausgang hatte mich mehr angegriffen als ich gedacht, und es
überkam mich die Furcht, aufs neue vom Fieber geschüttelt zu werden.
Da fiel mir ein, daß die Brasilianer fast alle ihre Krankheiten mit
*Tabak* kurieren. Sofort ging ich nach dem Keller, wo ich einen
ziemlichen Vorrat in einer Kiste aufbewahrte. Gott selbst mußte mir
diesen Gedanken eingegeben haben; denn neben dem Tabak fand ich auch
jene drei Bibeln, die mir von England nach Brasilien geschickt waren.
Welch ein kostbarer Fund!

Wie aber sollte ich den Tabak gebrauchen? Ich wußte es nicht und
versuchte es daher auf verschiedene Weise. Zuerst kaute ich ein
Stückchen von dem Blatte; dann ließ ich ein andres zwei Stunden
lang in Rum liegen, um davon zu trinken, und als dritte Heilmethode
verbrannte ich ein Blatt auf Kohlen und hielt die Nase darüber, um
den beißenden Dampf in vollen Zügen einzuatmen. Die Pausen, welche
zwischen diesen drei Bereitungen lagen, suchte ich durch Lesen in der
Bibel auszufüllen; allein die Betäubung durch meine etwas sonderbare
Medizin ließ mich nur eine Stelle erkennen, auf welche meine Augen
zuerst gefallen waren: »Rufe mich an in der Not, so will ich dich
erretten, und du sollst mich preisen!« Diese Worte, so ganz auf meine
gegenwärtige Lage passend, machten einen überwältigenden Eindruck auf
mich. O wie sehnte ich mich jetzt nach der Heimat zurück, aber lange,
lange Jahre sollten noch vergehen, ehe sich dieser Wunsch verwirklichte.

Der Genuß des durch Tabak gebeizten Rums versetzte mich in einen
Zustand ungewöhnlicher Betäubung; ich verfiel bald in einen so tiefen
Schlaf, daß ich erst am andern Tage nachmittags erwachte. Ja, ich mußte
sogar glauben, daß ich noch einen ganzen Tag verschlafen habe, denn es
fehlte mir in der Folge ein voller Tag in meiner Zeitrechnung. Indessen
fühlte ich mich merklich wohler, und es stellte sich auch wieder ein
tüchtiger Hunger ein. Ich bereitete mir daher eine kräftige Suppe von
saftreichem Schildkrötenfleisch und genas von dieser Zeit an täglich
mehr, obgleich ich am 2. Juli noch einmal zu meiner Arznei, einer Dosis
Tabak, greifen mußte.

So fand ich denn auf seltsame Weise die erwünschte Besserung -- durch
ein Mittel, für dessen ganz unfehlbare Heilkraft ich nicht immer
einstehen möchte. Obwohl ich noch schwach und abgemagert war, so
versäumte ich doch nicht, mit meinem stets geladenen Gewehr kleine
Ausflüge in mein »Königreich« zu unternehmen. Einmal stieß ich hierbei
auf herrlich grüne Wiesengründe, die ich vorher noch nicht bemerkt
hatte. Ich fand daselbst Tabakspflanzen mit langen, starken Stengeln,
eine Gattung Aloe und Zuckerrohr. Hernach kam ich in einen waldigen
Grund, wo ich mancherlei eßbare Früchte traf, namentlich saftige
Melonen am Boden liegend, und eine Art wildwachsender Weintrauben,
welche in vollster Reife aus Rebenlaub hervorschauten, das sich von
Baum zu Baum üppig weiterrankte. Diese Trauben sammelte ich, um sie an
der Sonne zu trocknen; denn ich mochte die Frucht nicht in frischem
Zustande genießen, da ich mich erinnerte, daß mehrere englische
Sklaven, die zu viel davon genossen hatten, während meines Aufenthalts
in der Berberei an der Brechruhr gestorben waren.

Meine Entdeckungsreise hatte mich so sehr in Anspruch genommen, daß
mich der Abend überraschte, ehe ich es gemerkt hatte. Auch fühlte ich
mich zu abgespannt, um wieder nach meiner Burg zurückkehren zu können.
So schlief ich zum erstenmal außerhalb meiner Wohnung. Wie am Tage
meiner Landung auf der Insel, kletterte ich auch heute auf einen Baum
und brachte hier die Nacht unversehrt zu. Am andern Morgen setzte ich
meinen Weg weiter fort und behielt immer die Richtung nach Norden im
Auge, da meine Aussicht zu beiden Seiten durch einige Hügelreihen
begrenzt war.

Am Ende meines Marsches breitete sich ein offenes Gefilde aus, das
von einem nach Osten verlaufenden Bache durchschlängelt wurde. Eine
reizende Gegend in grünem Wiesenschmuck, gleich einem Teppich von
tausend und abertausend bunten Blumensternen durchwirkt. Palmen
streckten ihre Kronen empor; Orangen-, Zitronen- und Limonenbäume luden
mich ein, ihre Früchte zu pflücken. Schwer beladen mit köstlichen
Früchten schied ich von dem paradiesischen Garten, um meiner länger als
sonst verlassenen Hütte zuzueilen.

Als ich in meinem »Hause« ankam, fand ich die Trauben verdorben und
die Beeren zerquetscht, während die Zitronen, deren ich überhaupt nur
wenige gefunden hatte, vortrefflich erhalten waren.

Jenes Thal mit seinem reichen Pflanzenwuchs zog mich so sehr an, daß
in mir der Gedanke aufstieg, meine Wohnung dorthin zu verlegen; allein
die Erwägung, daß ich von meinem Hause am Strande die offene Aussicht
über das Meer hatte und so ein vielleicht hier vorbeisegelndes Fahrzeug
erspähen könnte, brachte mich von dem schnell gefaßten Plane ab, und
ich beschränkte mich darauf, eine Art Lusthaus in jenem gesegneten und
reizvollen Thale zu errichten. Ohne Zeit zu verlieren, ging ich ans
Werk und umgab meine zweite Wohnstätte mit einer doppelten Pfahlreihe,
die ich noch durch ein Flechtwerk von Schlingpflanzen und Baumstämmen
verstärkte. Diese Arbeiten beschäftigten mich bis Anfang August.

Unterdessen fand ich meine aufgehängten Weintrauben nun genug
getrocknet, und ich beeilte mich, sie einzusammeln, denn schon kündigte
sich die in der heißen Zone übliche Regenzeit auf fühlbare Weise an.
Zweihundert Päckchen von Rosinen schaffte ich in meine Vorratskammer,
und so konnte ich mir nun die folgenden Monate hinreichend versüßen.

Am 14. *August* erlebte ich die Freude einer Vermehrung meiner
Familie. Meine Katze nämlich, die ich vom Wrack mitgenommen hatte, war
eine Zeitlang verschwunden, ohne daß ich mir erklären konnte, wohin
sie geraten sei. Während ich nun an jenem Tage über die Landschaft
schaute, sah ich meine alte Freundin samt drei jungen Sprößlingen
wohlgemut auf meine Hütte zukommen und zögerte nicht, die neuen Gäste
freundlichst aufzunehmen. Sie hatte die Jungen in einem Versteck so
weit groß gezogen, daß sie vor den Angriffen des Katers sicher waren,
und führte sie mir jetzt zu. Mit diesem Tage begann auch die Regenzeit,
und ich machte mich wieder darauf gefaßt, wochenlang in meinem
wohlgeschützten Strandhause zubringen zu müssen. Vom 14. bis 29. August
währte ununterbrochen der Regen; meine Nahrung bestand aus Rosinen,
Ziegenfleisch und gerösteter Schildkröte. Dabei war ich täglich
beschäftigt mit der Erweiterung meines Kellers.

Gegen Ende September erinnerten mich die Einschnitte, die ich in meinen
hölzernen Kalender gemacht hatte, daß seit meiner Landung auf der Insel
ein Jahr verflossen war. Ich feierte diesen Tag mit dankerfülltem
Herzen gegen Gott, dessen Güte mich so wunderbar beschirmt hatte.




[Illustration: Robinson vor seinem Kalender.]

Sechstes Kapitel.

Robinson als Handwerker und Ackersmann.


  Robinson säet Getreide. -- Korbflechterei. -- Töpferarbeiten. --
  Weitere Entdeckungsreisen auf der Insel. -- Tierreicher Küstenstrich.
  -- Robinson bringt einen Papagei sowie eine Ziege nach Hause. --
  Tröstliche Gedanken über Sonst und Jetzt. -- Tageseinteilung. --
  Verheerung des Getreidefeldes. -- Exekution an den Kornplünderern. --
  Kleine Ernte.

Mit Anfang November ließ der Regen nach, und es lockte mich an dem
ersten schönen Tage nach dem Innern der Insel zu meinem Lusthause. Hier
fand ich noch alles so unversehrt, wie ich es wenige Monate vorher
verlassen hatte. Die Hecke, welche ich um meine Villa gezogen, war
wohl erhalten, nur der »lebendige« Zaun war mit einem Wäldchen grüner
frischer Reiser geschmückt, die in wilder Unordnung sich ineinander
schlangen. Diese verschnitt ich und suchte in das ganze Gewirr einige
Ordnung zu bringen. In der That versprach die Fenz schon nach wenigen
Jahren ein dichtes und schattiges Laubdach zu bilden. Eine gleiche
grüne Mauer zog ich auch um mein festeres Haus am Strande, und die
Folgezeit lehrte, welchen Vorteil mir diese Pflanzung bei Verteidigung
meiner Stammburg brachte.

Da mein ohnehin kleiner Vorrat von Tinte durch die tägliche und
umständliche Aufzeichnung der gewöhnlichen Begebenheiten und
Beschäftigungen sehr auf die Neige ging, so mußte ich ernstlich auf
möglichste Beschränkung meiner Schreibseligkeit Bedacht nehmen, und nur
die merkwürdigsten Ereignisse wurden fortan noch aufgezeichnet.

Schon früher erwähnte ich der mir unerwartet zugekommenen
Getreidehalme. Ich glaubte nun gut zu thun, wenn ich die gewonnenen
Körner nach der Regenzeit säete. Deshalb grub ich ein Stück Land, so
schwer es mir auch wurde, mit einem hölzernen Spaten um, teilte es in
zwei Hälften und übergab die Körner der ernährenden Mutter Erde; den
dritten Teil derselben behielt ich indes aus Vorsorge zurück, falls
ich die Jahreszeit nicht richtig gewählt haben sollte. Der folgende
Monat war ein außerordentlich trockener und ließ meine Saat kaum zum
Aufkeimen kommen; ja, ich mußte ganz auf eine Ernte verzichten, da
sich die Keime vor der wiederkehrenden Regenzeit nicht bis zur Reife
entwickeln konnten. Ich suchte nun einen feuchteren Boden auf, grub
ihn um und säete den zurückbehaltenen Rest der Körner im Februar, kurz
vor dem Eintritt der nassen Jahreszeit. Die regnerischen Monate März
und April waren meiner Pflanzung, auf die ich meine letzten Hoffnungen
gegründet hatte, so günstig, daß ich etwa ein Liter von jeder Gattung
erntete.

Die Jahreszeiten wechselten unter dem Himmel meiner Insel nicht mit so
angenehmen Übergängen wie in der Heimat, sondern sie schieden sich nur
in zwei Perioden, in eine trockene und eine nasse: von Mitte Februar
bis Mitte April Regen, von Mitte April bis Mitte August trockene Zeit;
von Mitte August bis Mitte Oktober Regen, von Mitte Oktober bis Mitte
Februar Trockenheit.

Die gezwungene Zurückgezogenheit in den Regenmonaten benutzte ich
zu allerhand nützlichen Beschäftigungen. So versuchte ich unter
anderm auch, einen Korb zu flechten, und wurde in dieser Arbeit durch
Erinnerungen aus frühester Kindheit unterstützt. Wie hätte ich vorher
ahnen können, daß die Besuche bei unserm Nachbar Korbflechter, in
dessen Werkstatt ich ein täglicher Gast gewesen, mir später nützlich
sein würden? Die ersten Zweige, mit denen ich meine Arbeit beginnen
wollte, zeigten sich freilich recht spröde. Meine Blicke lenkten sich
unwillkürlich auf die jungen Stecklinge um die Hütte; diese versprachen
besseres Flechtmaterial. Ich fand sie wirklich so geschmeidig wie
Weidenruten, und es ward meinen Künstlerhänden nicht schwer, die
verschiedensten Körbe zu mannigfachen Zwecken herzustellen.

Meine häuslichen Verhältnisse hatten sich immer behaglicher
gestaltet, nur noch ein einziges Gerät vermißte ich schmerzlich: ein
Kochgeschirr. Zwar besaß ich einen Kessel; allein dieser war von so
bedeutender Größe, daß ich darin weder ein kleines Stück Fleisch
kochen, noch weniger mir Fleischbrühe bereiten konnte. Wie ließ
sich diesem Übelstand abhelfen? Ich dachte so: wenn es mir gelänge,
Thonerde zu finden, so könnte wohl die Glut der tropischen Sonne
meine Töpferarbeiten trocknen. Ach! -- meine Töpferarbeiten! Ich
will hier nicht erzählen, wie viel ungeschickte Versuche ich machte,
welche ungeheuerlichen Formen sich die Mutter Erde unter meinen Händen
gefallen lassen mußte, wie oft meine Gefäße in der großen Sonnenhitze
zerbröckelten oder beim Fortschaffen zerbrachen. Erst nach zwei Monaten
hatte ich endlich zwei Erzeugnisse zusammengebracht, die nicht einmal
mit den schlechtesten Schiffskrügen nur annähernd verglichen werden
konnten. Weniger mißlangen meine Versuche im Anfertigen kleinerer
Gefäße, z. B. der Teller, Töpfe, Krüge, kurz aller Gerätschaften,
die sich mit der Hand formen ließen. Dabei kam mir auch die günstige
Witterung zu statten; die Sonne meinte es in diesen Tagen überaus gut,
so daß mein Töpfergeschirr in erwünschter Weise Härte gewann.

Mittels meiner fortschreitenden Töpferkünste hatte ich mir Gefäße zum
Aufbewahren von allerlei Lebensmitteln beschafft, aber noch immer
fehlten mir solche, welche auch das Feuer auszuhalten vermochten. Da
ich weder einen Begriff von der Einrichtung eines Ofens, noch von der
Glasur hatte, mit der die Töpfer ihre Waren überziehen, so beschränkte
ich mich darauf, drei Krüge dicht nebeneinander zu stellen; auf diese
setzte ich kleinere Geschirre, und um die so aufgetürmte Pyramide
zündete ich dann ein tüchtiges Feuer an, welches die Sandbestandteile
der Thonerde schmelzen sollte. Die Töpfe nahmen nach Verlauf von fünf
bis sechs Stunden eine hochrote Farbe an. So wurde ich schließlich
der glückliche Besitzer von drei leidlichen Krügen nebst zwei irdenen
Töpfen, die sich auch als feuerfest erwiesen.

Von meiner Insel blieb noch mancher Teil zu durchstreifen übrig.
Deshalb nahm ich eines Tages meine Flinte samt der nötigen Munition,
ein Beil, zwei Zwiebäcke sowie ein Päckchen Rosinen mit und machte
mich in Begleitung meines Hundes auf den Weg. Am Ende des Thales
angelangt, in welchem meine Villa lag, sah ich westwärts auf das Meer
und, da die Luft äußerst rein und durchsichtig war, fern am Horizont
einen nebligen Streifen, der von West nach West-Süd-West verlief und
eine Ausdehnung von fünf bis sechs Stunden haben mochte. Zwar wußte
ich nicht, ob ich die Küste einer Insel oder die des amerikanischen
Festlandes erblickte; vielleicht war ich auf dem rechten Wege, als
ich vermutete, daß die spanischen Kolonien nicht allzu entfernt von
jenem Küstenstriche lägen, und daß sich doch wohl ein Schiff in diesen
Gewässern sehen lassen müsse. Möglicherweise konnten aber auch dort
jene wilden, menschenfressenden Völkerschaften hausen, die unter dem
Namen »Kannibalen« weithin gefürchtet sind.

Unter solcherlei Gedanken schritt ich über Ebenen und Wiesen, die mit
Pflanzen und Blumen prächtig geschmückt und auch mit Sträuchern besetzt
waren. Auf den Bäumen hatten sich Scharen von Tauben niedergelassen,
deren Gegirr von dem schrillen Geschrei buntgefiederter Papageien
übertönt ward. Solch einen schmucken Papagei mußte ich haben, und in
der That gelang es mir, einen jungen Vogel dieser Art zu fangen, indem
ich ihn durch einen Wurf mit meinem Wanderstab so gut traf, daß er
betäubt vom Aste herabfiel. Ich hob ihn auf, er kam allmählich wieder
zu sich, und ich nahm ihn mit mir.

In den Niederungen sah ich außerdem Tiere, welche ich für Hasen hielt;
wieder andere mochten Füchse sein; aber ich ließ meine Flinte in Ruhe,
denn Ziegen, Tauben und Schildkröten lieferten so leckeres Fleisch, und
ich besaß an Rosinen eine so schmackhafte Zukost, daß selbst der beste
Markt von London nichts Besseres geliefert haben würde.

Auf meiner Entdeckungsreise durch die Insel rückte ich täglich nur
zwei bis drei Meilen vor, doch machte ich nach links und rechts manche
Abstecher, bis ich ermüdet an einem solchen Platze anlangte, welcher
mir zum Nachtlager geeignet schien. Zum Bett mußten entweder die
breiten Äste eines Baumes oder der harte Boden der Erde dienen. Als ich
an das Ufer des Meeres kam, sah ich zu meiner Überraschung, daß die
Küste meines Königreichs viel angenehmer und von Tieren mehr bevölkert
war als der entgegengesetzte Strand. Zahlreiche Schildkröten sonnten
sich hier im Sande, und Seevögel marschierten mit stolzer Würde umher.

[Illustration: Schildkröten und Fetttaucher auf der Insel.]

Trotz alledem verspürte ich keine Lust, meine Wohnung in diese Gegend
zu verlegen. Indessen setzte ich meine Reise noch etwa zwölf Stunden
gegen Osten weiter fort. Den äußersten Grenzpunkt meiner Wanderungen
bezeichnete ein eingerammter Pfahl, der mir später einmal als
Erkennungszeichen dienen sollte. Dann wandte ich mich gegen Westen, um
auf einem andern Wege nach Hause zurückzukehren. Nachdem ich etwa drei
Meilen zurückgelegt hatte, befand ich mich in einem Thalkessel, der
rings von hohen, dicht mit Waldung gekrönten Bergen umsäumt war, so daß
ich mich beim weiteren Fortschreiten, um mich zurecht zu finden, nach
dem Stande der Sonne richten mußte.

Während der drei Tage, die ich in diesem Thale verweilte, hing aber
der Himmel voll trüber Wolken, und ich wußte oft nicht, wohin ich mich
wenden sollte, ob nach Ost, West, Süd oder Nord. So sah ich mich denn
genötigt, nach meinem Pfahl zurückzukehren und von da aus den Heimweg
anzutreten.

Unterwegs fing mein Hund eine junge Ziege ein. Eiligst sprang ich
hinzu, um sie seinem scharfen Gebiß zu entreißen, was mir auch glückte.
Bald war dem Tiere ein Halsband übergeworfen, ein Strick durchgezogen,
und weiter ging nun die Wanderung, bis wir endlich, jedoch erst nach
mehreren Tagemärschen, durch die sengende Sonnenglut aufs äußerste
ermattet, in meinem Wohnsitze ankamen. Ich empfand wirklich eine große
Freude, wieder daheim zu sein! Wie sanft schlief ich nach einer
Abwesenheit von mehr als einem Monate zum erstenmal wieder in meiner
Hängematte.

Das nächste, wofür ich Sorge zu tragen hatte, war, meinem Papagei,
welcher sich an mich bereits etwas gewöhnt hatte, einen Käfig zu bauen,
sowie die Ziege, welcher ich einstweilen in meinem Lusthause ihren
Aufenthalt angewiesen, nach Hause zu schaffen, um das ausgehungerte
Tierchen mit frischem Futter zu versorgen.

Ich fand es angebunden an derselben Stelle, wo ich es verlassen hatte,
und es folgte mir wie ein zahmes Haustier Schritt für Schritt, indem es
fortwährend aus meiner Hand das Futter fraß, mit dem ich es lockte.

       *       *       *       *       *

Wieder war der 30. September gekommen, und wieder hatte ich unter
inbrünstigem Gebet den Jahrestag meiner Strandung begangen. Zwei Jahre
lebte ich nun schon auf dem Eilande als dessen alleiniger Bewohner,
mein eigner König und mein einziger Unterthan; -- zwei Jahre reich an
Prüfungen und Erfahrungen! Und doch hatte sich mir nicht einmal ein
Strahl von Hoffnung gezeigt, diese einsame Insel verlassen zu können.
Indessen dankte ich Gott für die unendliche Güte, mit welcher er
mein armseliges Dasein fristete und meine Einsamkeit mir erträglich
erscheinen ließ.

Wenn ich in der ersten Zeit meines Verlassenseins hinausstreifte auf
die Ebenen und Berge, sei es, um ein Tier auf der Jagd zu erlegen, oder
sei es, um auf Entdeckungen auszugehen, da begleitete mich der stete
Gedanke an mein Unglück und meine oft trostarme Lage. Ich kam mir vor
wie ein Gefangener, der, eingeschlossen durch die endlosen Riegel und
riesigen Schlösser des Ozeans, in einer Wüstenei, ohne Hoffnung auf
Befreiung, ein erbärmliches Dasein fristet, und aufgelöst in Schmerz
und Betrübnis rang ich die Hände und weinte bitterlich.

Jetzt war es anders! Neue Gedanken, geschöpft aus der Heiligen Schrift,
dem Buche der Bücher, gaben meinem Geiste eine heilsame Richtung, und
ich gewann meine ganze Seelenstärke wieder, wenn meine Augen auf die
Worte des Trostes fielen. Ich fand Beruhigung in dem Gedanken, daß
ich in meinem gegenwärtigen Zustande der Vereinsamung glücklicher sein
könnte, als ich es vielleicht in irgend einer andern Lebensstellung
geworden wäre. Ich dankte dann Gott dafür, daß er mich auf dieses
Eiland geführt hatte. Dann wieder schien mir jener Gedanke zu
weitgehend. »Solltest du wirklich so zwiespältig im Gemüte sein«, sagte
ich zu mir selbst, »Gott für die Versetzung in eine Lage zu danken, aus
welcher erlöst zu werden ein verzeihlicher und natürlicher Wunsch ist?«
Jedenfalls dankte ich Gott doch innig dafür, daß ich jetzt endlich zur
Selbsterkenntnis hinsichtlich der begangenen Fehler gelangt war.

Nun trat ich in das dritte Jahr meines Insellebens. In meine täglichen
Beschäftigungen hatte ich eine gewisse Regelmäßigkeit gebracht.
Zunächst verwandte ich auf die Erfüllung meiner religiösen Pflichten,
insbesondere auf das Lesen in der Bibel täglich eine bestimmte Zeit;
dann jagte ich, wenn das Wetter schön war, ungefähr drei Stunden des
Morgens. Kam ich nach Hause zurück, so hatte ich die mitgebrachten
Lebensmittel wohl aufzubewahren oder zuzubereiten. Die Hitze während
der mittleren Tageszeit gestattete keinen Ausflug, und ich überließ
mich dann gewöhnlich der Ruhe. Manchmal arbeitete ich auch des Morgens
und ging des Abends auf die Jagd.

Ende November war herangekommen, und ich konnte bereits meiner Gersten-
und Reisernte entgegensehen. Aber wie groß war mein Schrecken, als ich
bei einer Besichtigung meines kleinen Ackerfeldes gewahr wurde, daß
die Ziegen alle jungen saftigen Halme abgefressen hatten. Es galt nun,
schleunigst weiteren Verwüstungen vorzubeugen. Ich umgab mein Zelt mit
einer dichten Umzäunung, worüber ich nahe an drei Wochen zubrachte.
Ferner schoß ich auf die Tiere, welche sich am Tage heranwagten, und
ließ während der Nacht meinen Hund Wache halten, so daß sich endlich
die abgeschreckten Eindringlinge fern hielten.

Gleichwie die behaarten Vierfüßler sich zu den kräftig emporsprossenden
Halmen hingezogen fühlten, hatten es die gefiederten Zweifüßler auf
die Körner abgesehen. Als ich eines Tages nach dem Stande meiner
Feldfrüchte sah, wimmelte die ganze Umgebung von zahlreichen
verschiedenartigen Vögeln. Ich schoß unter den dicksten Haufen, und
sofort erhob sich mit wirrem Schreien mitten aus dem Kornfeld eine
wahre Wolke von Vögeln, die ich vorher gar nicht bemerkt hatte.

Meine Ernteaussichten schienen nach solchen Betrachtungen trostloser
Natur zu sein; doch durfte ich um keinen Preis den Rest meines
Getreides der Vernichtung überlassen.

Während ich nun neben meinem Felde stand und die Flinte von neuem lud,
saßen die durch meinen ersten Schuß aufgescheuchten Vögel auf den
nächsten Bäumen und schienen nur auf meine Entfernung zu harren. Als
ich mich etwas entfernte, fielen die gefräßigen Tiere von neuem über
die Körner her. Ihre für mich so verderbliche Eilfertigkeit versetzte
mich derart in einen unverständigen Zorn, daß ich nicht einmal wartete,
bis alle herangekommen sein würden, sondern sogleich unter die ersten
schoß, wodurch drei der kleinen Räuber getötet wurden. Dann vollführte
ich an ihnen eine Art Strafgericht; gleichwie man anderwärts die Diebe
aufhängt, so hing ich auch die Vögel auf, damit sie ihren lüsternen
Genossen als warnendes Beispiel dienten.

Die Wirkung war auffallend: keines der Tiere wagte sich mehr auf mein
Feld, ja sie verließen sogar allesamt jenen Teil der Insel, auf dem
es ihnen nicht mehr geheuer zu sein schien. Nach diesem Säuberungszug
hatte ich die Freude, gegen das Ende des Dezember, zur Zeit der zweiten
Reife, mein Korn einernten zu können. Ich sammelte die abgemähten Ähren
in einen großen Korb und körnte sie einzeln mit den Händen aus. Das
Liter Samen hatte mir nach oberflächlicher Schätzung zwei Scheffel
Reis sowie einen halben Scheffel Gerste eingetragen, und ich beschloß,
den ganzen Ertrag an Körnern für die nächste Aussaat aufzubewahren.
Inzwischen versuchte ich, zur passenden Umgrabung des Ackerbodens mir
einen Spaten zu fertigen, was mich eine ganze Woche Zeit kostete. Ein
besonderes Meisterwerk war mir mit diesem Spaten allerdings nicht
gelungen, denn er wurde mir vermöge seiner Schwerfälligkeit oft recht
unbequem; indes empfand ich doch ein Gefühl der Befriedigung darüber,
daß sich meine Einrichtungen abermals um einen Schritt weiter
vervollkommnet hatten. Die Getreidekörner wurden auf den geräumigen
Feldern ganz nahe an meiner Wohnung in die Erde gebracht, wobei ich für
den Reis die feuchteste Stelle aussuchte, da, wie ich bemerkt hatte,
derselbe nur auf nassem Boden eine einträgliche Ernte versprach.

Ich umzäunte die Felder mit einem starken Gehege und durfte nun hoffen,
am Ende des Jahres eine grüne und schattige Hecke zu haben, welche nur
hier und da einmal ausgeputzt zu werden brauchte.

Während der inzwischen eingetretenen Regenzeit hielt ich mich meist
im Innern meiner Hütte auf und beschäftigte mich mit mancherlei
häuslichen Verrichtungen. Empfand ich hin und wieder das Bedürfnis,
mich von meinen anstrengenden Arbeiten zu erholen, dann unterhielt ich
mich mit meinem munteren Hausgenossen, dem Papagei, und lehrte diesen
sprechen; bald konnte das gelehrige Tier seinen Namen nachplappern und
wiederholte mit deutlicher Stimme: »Poll! Poll!« Das war der erste
artikulierte, wie von einer Menschenstimme kommende Laut, den ich auf
dem Eilande in meiner Einsamkeit, fern von allen menschlichen Wesen,
vernahm.




[Illustration: Wie Robinson die Halme niedermäht.]

Siebentes Kapitel.

Robinson als Bäcker und Schiffbauer.


  Robinson macht sich einen Mörser und ein Sieb. -- Ernte. --
  Brotbacken. -- Vergebliche Anstrengungen wegen der Schaluppe. --
  Robinson baut ein Boot; vereitelte Hoffnungen. -- Rückblicke auf das
  dreijährige Inselleben. -- Trauriger Zustand der Kleider. -- Robinson
  wird Schneider.

Von allen bekannten Handwerken war mir bis zu dieser Zeit meines Lebens
keines so wildfremd geblieben, wie das eines Steinmetzen, und doch
mußte ich darauf sinnen, mir einen Mörser oder ein andres geeignetes
Werkzeug zu schaffen, um das Getreide in Mehl zu verwandeln. Lange
Zeit suchte ich vergebens nach einem Steinblock, der sich mörserartig
aushöhlen ließe; dann entschloß ich mich endlich, einen harten
Holzblock aus meinem Forst zu holen.

Mit unsäglicher Anstrengung fällte ich einen dicken Baumstamm, hieb
am unteren Ende ein amboßähnliches Stück ab, rundete es ringsum mit
meiner Axt und höhlte es durch Feuer aus, wie es die wilden Eingebornen
Brasiliens mit ihren kleinen Seefahrzeugen (Kanoes) thun. Als Stampfe
diente mir eine wuchtige Keule aus demselben harten Holze.

Aber auch für ein Sieb mußte gesorgt werden, um das durch Stampfen
gewonnene Mehl durchzuschütten und es von der Kleie zu sichten. Hier
war guter Rat teuer, denn ich hatte weder Kanevas noch Bastgeflechte.
Aber unter den Matrosensachen, die ich vom Wrack gerettet hatte,
befanden sich etliche Halstücher von Kattun und Musselin; aus diesen
verfertigte ich drei kleine Siebe, die ich auch ziemlich brauchbar fand.

Die Zeit der Ernte nahte heran. Mit meinen Körben schritt ich hinaus
aufs Feld und überschaute den Früchtereichtum des Bodens. Dann schnitt
ich die Ähren, sammelte sie in Garbenbüscheln in die Körbe und trug die
segenschwere Last nach Hause. Hier ließ ich alles so stehen, wie ich es
eingeheimst hatte, bis ich Zeit und Mittel finden konnte, das Getreide
auszukörnen; denn ich hatte weder eine Tenne noch einen Dreschflegel.

Im ganzen brachte ich 20 Scheffel Gerste und ebensoviel Reis in mein
Kornmagazin, weshalb es sich als notwendig herausstellte, das letztere
besser einzurichten. Aus Erfahrung wußte ich jetzt, daß ich jährlich
zweimal säen und ernten könne; die Entscheidung darüber, was in Zukunft
für mich und meinen Hausstand am zweckmäßigsten sein würde, wollte ich
von der Größe meines diesmaligen Verbrauchs abhängig sein lassen.

Zunächst nahm ich meine Ähren, rieb sie aus, stampfte die Körner
in meinem Mörser und siebte sie durch die Matrosenhalstücher. Zum
Brotbacken braucht man aber bekanntlich einen Ofen, und die Not
macht erfinderisch. Ich baute mir große irdene Gefäße zusammen, die
wohl breit, aber nicht zu tief waren; dann härtete ich diese mehr
pfannenartigen Gefäße im Feuer. Wollte ich nun Brot backen, so zündete
ich ein tüchtiges Feuer auf meinem Herde an, den ich mit rotgebrannten
Steinen eigner Fabrik gepflastert hatte. Sobald das Holz hierauf zu
glühender Kohle ausgebrannt war, breitete ich dieselbe derart auf dem
Boden aus, daß die Steine gehörig durchhitzt wurden. Dann zog ich die
Kohlen zurück, fegte die Asche weg, legte meine Brote oder vielmehr
flachen Kuchen an deren Stelle, bedeckte dieselben mit den beiden
irdenen Gefäßen und häufte ringsumher glühende Kohlen und Asche, um die
Hitze noch zu verstärken. So bereitete ich meine Brote ebenso gut, als
wären sie im besten Ofen der Welt gebacken worden; ja, ich versuchte
mich sogar im Backen verschiedener Arten von Kuchen und Reispuddings,
die in meinen einförmigen Speisezettel eine angenehme Abwechselung
brachten.

Bei all dieser mich sehr in Anspruch nehmenden Arbeit beschäftigten
sich doch meine Gedanken wiederholt mit jenem Küstenlande, welches
ich auf meiner letzten Entdeckungsreise deutlich als dunklen Streifen
am Horizont wahrgenommen hatte. Im Glauben, daß jenes Land zum
amerikanischen Festlande gehöre, flogen meine Wünsche über die weite
Meeresfläche und regten mit aller Gewalt in mir die Sehnsucht an,
dorthin zu gelangen.

Indes empfand ich die Wahrheit des alten Spruches: »Das Wasser hat
keine Balken.« Ich wünschte mir lebhaft meinen treuen Xury und das
Boot mit den lateinischen Segeln zurück, mit dem ich eine so weite und
gefahrvolle Reise längs der afrikanischen Küste zurückgelegt hatte;
ohne Bedenken hätte ich mich dann von neuem dem unsicheren Elemente
anvertraut.

Da fiel mir eines Tages die Schaluppe unsres Schiffes ein, welche
weit auf die Küste geworfen worden war. Flugs machte ich mich auf, um
zu untersuchen, in welcher Verfassung sie sich befände. Ich traf sie
auch noch an der nämlichen Stelle, wo sie zuerst gelegen hatte, aber
in umgekehrter Lage, denn die Gewalt der Fluten und der Stürme hatte
sie auf eine sehr hohe Sandbank geworfen und aufs Trockene gesetzt. Es
kam zunächst darauf an, die Schaluppe wieder umzukehren und flott zu
machen. Nach vielen vergeblichen Mühen und Anstrengungen kam ich auf
den Einfall, den Sand unter dem Boote wegzugraben, um es von selbst
herabgleiten zu lassen und den Abrutsch durch untergeschobene Walzen
und Stützen zu lenken. Aber auch hierdurch gelang es mir nicht, die
Schaluppe vorwärts zu schieben und ins Wasser gelangen zu lassen,
deshalb gab ich nach einer fruchtlosen Arbeit während drei bis vier
Wochen die ganze Sache auf.

So sehr auch meine Hoffnungen vereitelt waren, so wurden doch meine
Begierde und mein Mut nur verstärkt, und ich faßte den Entschluß,
selbst ein Kanoe aus einem Baumstamm zu bauen. Ich hielt dies nicht
nur für möglich, sondern sogar für leicht, zumal ich über viel mehr
Hilfsmittel verfügte als die Neger oder Indianer. Freilich hätte
ich auch überlegen sollen, daß ich Vereinsamter mit ganz andern
Schwierigkeiten zu kämpfen haben würde als die Indianer, die einander
beistehen. Was half es mir am Ende, falls ich auch das schönste Kanoe
von ganz Amerika zustande brächte, wenn ich es nicht ins Meer zu
schaffen vermöchte?

Man sollte denken, daß die Erfahrungen, die ich vordem mit der aufs
Trockene gelegten Schaluppe gemacht hatte, mir hinsichtlich der
Möglichkeit, das Boot in das Wasser zu bringen, einen handgreiflichen
Wink gegeben hätten: nichts von alledem! Meine unstäten Gedanken
verschmolzen sich schon so sehr mit der Meerfahrt, daß ich die Sache
möglichst ungeschickt anfing. Aber stets beschwichtigte ich alle
Befürchtungen mit der thörichten Tröstung: »Laß nur gut sein, Robinson!
Erst das Boot fertig, das übrige wird sich finden!«

Kurz, mein Eigensinn siegte über den Verstand. Ich fand auch einen
prächtigen Baum, der mir für meinen Zweck ganz wie geschaffen schien.
Zwanzig Tage brachte ich dazu, den Riesen zu fällen, und vierzehn Tage
mußte ich darauf verwenden, Äste und Krone abzuhauen. Dann kostete
es fast einen ganzen Monat Zeit, dem Stamme jene bauchförmige äußere
Gestalt des Bootes zu geben, damit er auf dem Wasser schwimmen könne,
ohne sich zur Seite zu neigen. Weiterhin brauchte ich noch drei Monate,
um das Innere auszuhöhlen, und zwar bediente ich mich dazu nicht des
Feuers nach Art der Indianer, sondern nur des Beiles und des Meißels.

Als ich mit meiner Arbeit zu Ende war, empfand ich eine wahrhafte
Freude an meiner Schöpfung, denn ich hatte in der That noch nie einen
so großen, aus einem einzigen Baumstamm gehauenen Ruderkahn gesehen,
groß genug, um mehr als zwanzig Mann zu fassen, und demzufolge auch
mich samt meinen Habseligkeiten zu tragen. Das Boot hatte unzählige
Axt- und Hammerschläge, manchen Schweißtropfen gekostet, und wäre es
mir gelungen, dasselbe flott zu machen, wer weiß, ob ich nicht die
unüberlegteste Reise gewagt hätte, wie sie nur je ein wagehalsiger
Abenteurer unternehmen konnte.

Mein neues Fahrzeug lag zwar nicht weit vom Meere entfernt; aber das
große Hindernis bestand darin, daß das Ufer zum Meere bergan lief.
Ich ließ indes den Mut nicht sinken, sondern versuchte, die Anhöhe
wegzuräumen und das Land nach der Küste zu abfällig zu machen. Als der
Weg so ziemlich geebnet war, befand ich mich um nichts gefördert, denn
das Kanoe rückte äußerst wenig von der Stelle, so wenig wie vordem
die Schaluppe. Hierauf maß ich die Entfernung ab, welche zwischen
meinem Boote und dem Meere lag, sowie die Tiefe des Bodens und die
erforderliche Breite, um einen genügend breiten und tiefen Kanal bis
zum Meere zu bauen und in diesem Bassin mein Boot hinabzuführen. Indem
ich den Kraftaufwand hinsichtlich solch kolossaler Bauten veranschlagte
-- denn der Kanal hätte sehr viel Tiefe haben müssen -- und damit die
mir zu Gebote stehenden Arbeitsmittel, d. h. meine zwei rüstigen Arme,
in Vergleich brachte, erlangte ich als Ergebnis meines Voranschlags die
Überzeugung, daß recht gut zehn bis zwölf Jahre vergehen könnten, ehe
ich ans Ziel meiner Wünsche kommen konnte.

Dieses erfüllte mich mit großer Betrübnis; ich sah jetzt, leider zu
spät, ein, wie thöricht es ist, ein Werk zu beginnen, wenn man sich
vorher nicht Klarheit darüber verschafft, ob der Größe des Unternehmens
gemäß auch die zur Verfügung stehenden Mittel zur Ausführung
hinreichen.

Mitten unter dieser Arbeit hatte ich mein *viertes* Jahr auf dem Eiland
zurückgelegt. Ich feierte den Jahrestag meiner Ankunft, wie in früheren
Jahren, durch ernste und gottergebene Betrachtungen, die mir reichen
Trost einflößten.

An eben demselben Jahrestage, an welchem ich meinen Eltern entlief,
um mich in Hull einzuschiffen, ward ich durch den Seeräuber von Saleh
gefangen genommen und zu Sklavendiensten gezwungen. An dem nämlichen
Tage, als ich aus dem Schiffbruch auf der Reede von Yarmouth gerettet
ward, entfloh ich glücklich aus Saleh. Am 30. September 1659 endlich,
an meinem 26. Geburtstage, wurde ich wunderbar gerettet und auf diese
Insel verschlagen.

Der erste meiner Vorräte, welcher mir nach der Tinte ausging, war der
Schiffszwieback, und obgleich ich mit demselben höchst haushälterisch
umgegangen war, so hatte ich ihn dennoch schon ein Jahr vor meiner
Kornernte gänzlich aufgezehrt, was mich allerdings etwas in
Verlegenheit versetzte.

Mit meiner Kleidung sah es gleichfalls recht windig aus, denn seit
längerer Zeit besaß ich nichts weiter als wenige Matrosenhemden,
die meine Haut vor den stechenden Sonnenstrahlen schützten. Bei
einer Durchsuchung meiner Kisten fand ich jedoch etliche taugliche
Kleidungsstücke sowie ein paar große Überröcke. Fast mußte ich über
den Fund dieser letzteren lächeln, denn ich hätte es in denselben vor
Hitze nicht aushalten können, und doch wußte ich auch hieraus etwas
Brauchbares zu schaffen. Da sich nämlich alle meine Jacken in einem
Zustande bedenkenerregender Zerfahrenheit befanden, so lag es sehr
nahe, mich auch einmal als ehrsamen Kleiderkünstler zu versuchen, und
ich fertigte nun drei Jacken, die ich ziemlich lange tragen zu können
hoffte. War aber schon das Fabrikat derjenigen Kleidungsstücke, die
meinen Oberkörper bedecken sollten, in einer Weise ausgefallen, die
selbst das Mitleid nachsichtiger Leute herausforderte, so legten meine
Versuche hinsichtlich der Beinkleider ein noch glänzenderes Zeugnis
bejammernswürdiger Unbeholfenheit ab.

Ich muß hier nachträglich erwähnen, daß ich die Häute aller getöteten
vierfüßigen Tiere aufbewahrte und auf Stäben an der Sonne trocknen
ließ. Einige derselben waren so hart geworden, daß sie zu nichts mehr
taugten; andre aber, die nicht bis zu jener Steife zusammengedörrt
waren, leisteten mir leidlich gute Dienste.

Das erste, was ich mir nun verfertigte, war eine neue große
Kopfbedeckung aus Ziegenfell, an welchem ich die Haar außerhalb ließ,
um mich so besser gegen den Regen zu schützen.

Noch etwas andres stellte sich mir als unentbehrlich heraus,
nämlich ein *Regen-* oder *Sonnenschirm*. Denn da ich meist im
Freien weilen mußte, so quälte mich die Hitze der tropischen Sonne
äußerst empfindlich. Lange Zeit währte es, bis ich etwas Taugliches
zustande brachte. Die Hauptschwierigkeit bestand darin, den Schirm
so zu verfertigen, daß ich ihn zusammenlegen konnte; im andern Falle
hätte ich ihn stets aufgespannt tragen müssen, was sicherlich die
Bequemlichkeit nicht sehr vermehrt haben würde. Ich bedeckte dieses
tragbare Wetterdach mit Ziegenfellen, deren Haare ich nach auswärts
kehrte; so schützte ich mich, so gut es gehen wollte, gegen den Regen
wie gegen die Sonnenstrahlen. Bedurfte ich seiner nicht mehr, so
klappte ich den Schirm zusammen.

Vor der Hand hatte ich nun so ziemlich alle Bedürfnisse befriedigt,
die sich in meiner Einsamkeit überhaupt einstellen konnten; aber nie
schweigen die Wünsche des Menschen still. Ich wollte mit dem gewonnenen
Nützlichen auch das Angenehme verbinden, und was konnte mir da wohl
näher liegen als der Besitz -- einer *Tabakspfeife*? Hatte ich mich
doch in der Töpferei hinlänglich erprobt, daß mir die Fabrikation eines
Pfeifenkopfes nur leichtes Spiel schien; auf künstlerische Verzierung
dieses Thonstückes mußte ich freilich immer noch Verzicht leisten. Ein
ausgehöhltes Rohr herzurichten, machte wenig Kopfzerbrechen, und so
konnte ich nun mit meinem edlen Kraute das Inselreich durchdampfen.

Ich kann nicht sagen, daß mir in fünf Jahren etwas Ungewöhnliches
begegnet sei, denn ich lebte in derselben Lage, an dem nämlichen Orte,
auf die gleiche Weise wie früher. Ich baute mein Korn, buk Brot,
erntete Trauben ein und sorgte immer für einen ausreichenden Vorrat
hinsichtlich aller nötigen Nahrungsmittel; oft ging ich auf die Jagd,
schoß Vögel und Ziegen, fing auch, um eine sehr schmackhafte Suppe zu
haben, dann und wann eine Schildkröte und angelte Fische. Daß ich auch
die ehrsamen Gewerke eines Zimmermanns, Töpfers, Korbflechters, selbst
des Schneiders in Ehren hielt, habe ich bereits erwähnt.

Während dieser fünf Jahre richtete ich mein Hauptaugenmerk darauf, mir
eine andre Barke zu bauen, diesmal aber die Sache klüger anzufangen
als vorher. Zwar fand ich auch jetzt nicht näher am Strande einen für
mein Vorhaben tauglichen Baum; denn die Baumregion begann erst eine
ziemliche Strecke vom Ufer. Da schlenderte ich eines Tages ungefähr
eine halbe Stunde landeinwärts, längs dem Ufer jenes Baches hin, wo
ich mit den Flößen gelandet war. Dort fand ich endlich, etwa zehn
Schritt vom Wasser, was ich suchte. Ich fällte den Baum, handhabte
dann unablässig Beil und Meißel und hatte schließlich die Freude,
meine Piroge fertig zu sehen. Nun grub ich einen Kanal, schaffte unter
manchem Schweißtropfen mein Kanoe von der Werft auf das Wasser und
flößte es nach dem Meere hinab in die Bucht.

[Illustration: Robinsons Tabakspfeife.]

Obgleich ich nicht weniger als zwei Jahre mit meinen
Schiffszimmerarbeiten zugebracht hatte, so entsprach doch die Größe
der Barke nicht dem Zwecke, welchen ich bei Erbauung der ersteren
verfolgte, nämlich dem, mit derselben das gegenüberliegende Festland
zu erreichen, welches nach meiner Schätzung wohl vierzig englische
Meilen entfernt lag. Dennoch empfand ich eine nicht zu beschreibende
Freude, als ich mein selbsterbautes Fahrzeug so sicher und leicht
auf den Wellen dahingleiten sah, und wenn ich auch auf den Wunsch
verzichten mußte, jenes ferne Küstenland zu erreichen, so schien mir
mein Boot doch hinlänglich fest, um in demselben eine Rundreise um
mein Eiland unternehmen zu können. Zu diesem Zwecke pflanzte ich einen
kleinen Mast auf meinen Ruderkahn und brachte ein Segel zustande, das
ich aus mehreren Stück Leinwand zusammenschneiderte. Ebenso sorgte
ich an beiden Seiten für Kästchen und sonstige Behältnisse, um darin
Lebensmittel, Pulver und Blei aufzubewahren und so gegen den Regen und
den Gischt des Meeres gesichert zu sein. Im Innern des Bootes machte
ich der ganzen Länge nach eine Höhlung, legte meine Flinte hinein
und nagelte zum Schutze gegen die Nässe Leinwand darüber. Außerdem
befestigte ich noch meinen Schirm am Hinterteile der Barke, zum Schutze
gegen die brennenden Sonnenstrahlen, setzte ein Steuerruder sowie
einen Anker in Bereitschaft und versuchte mich zunächst in kleinen
Lustfahrten in der Nähe meiner Besitzung.

Nachdem ich die Tauglichkeit meines Bootes durch solche Ausflüge auf
dem Wasser erprobt hatte, konnte ich doch der Begierde, den ganzen
Umfang meines kleinen Königreichs kennen zu lernen, nicht länger
widerstehen. Ich brachte in mein Kanoe eine hinlängliche Menge
Proviant, nämlich zwei Dutzend Brote oder vielmehr Gerstenkuchen, einen
Topf mit Reis, eine Ziegenhälfte und ein Fläschchen Rum; auch nahm ich
Pulver und Blei mit, sowie zwei Überröcke, die mir in kühlen Nächten
teils als Matratzen, teils als Decke dienen sollten.

So ausgerüstet begab ich mich am 6. November des sechsten Jahres meines
Insellebens an Bord und stach in See. Indessen sollte diese Seefahrt
eine andre Wendung nehmen, als ich gedacht hatte. Nachdem ich eine
Strecke hinausgefahren und an die östliche Küste gelangt war, bemerkte
ich eine Kette von Felsen, die meilenweit ins Meer hinausragten und von
denen einige Klippen über, andre unter der Wasserfläche vorschoben. Am
Ende des Riffs breitete sich noch eine Sandbank von einer halben Stunde
in derselben Richtung aus, so daß ich einen großen Umweg zu machen
hatte, wenn ich die Spitze umsegeln wollte.

Diese Entdeckung kam mir sehr ungelegen, und da mir die Fahrt denn doch
etwas gefährlich schien, steuerte ich in meine Bucht zurück und legte
meine Barke vor Anker. Hierauf griff ich zur Flinte, stieg ans Land
und erklomm einen Hügel, von wo ich das ganze Felsenriff überschauen
konnte.

Ich bemerkte eine heftige Strömung, die in der Richtung nach Osten
ganz nahe an der äußersten Spitze der Sandbank hinlief. Dieser Umstand
konnte für mich sehr gefährlich werden; denn wenn mich der Strom
packte und mit sich fortriß, so mußte ich der Insel vielleicht auf
immer lebewohl sagen. Von der Südseite ließ sich ein ähnlicher Strom
in der Richtung nach Ost-Nordost wahrnehmen, jedoch in einer größeren
Entfernung vom Ufer. Dann sah ich eine ziemlich genau angedeutete
Sandbank, die gegen die Küste verlief. Diesen Beobachtungen zufolge
mußte ich meinen Kurs so nahe an der ersten Sandbank halten, als es
ohne Gefahr, zu stranden, irgend anging.

Ein steifer Wind aus Ost-Südost sauste gerade dem nordöstlichsten Strom
entgegen und drängte das Wasser in heftiger Brandung an das Riff und
die Spitze der Landzunge. Deshalb konnte ich mich nicht auf das Meer
wagen. Wegen der Brandung war es doch zu gefährlich, mich nahe am Lande
zu halten, und die Strömung legte mir anderseits die Notwendigkeit auf,
mich nicht weit vom Lande zu entfernen. Aus diesem Grunde blieb ich
ruhig in meiner Bucht zwei Tage vor Anker liegen.




[Illustration: Robinsons Nachtruhe.]

Achtes Kapitel.

Robinsons unglückliche Bootfahrt.


  Gefährliche Seereise. -- In die See hinausgetrieben. --
  Sehnsuchtsvolle Betrachtungen. -- Die beiden Strömungen und
  glückliche Landung. -- Des Papageis Ruf. -- Robinsons »Familie«. --
  Ziegenfang und Ziegenpark. -- Schneiderkünste. -- Neue Beobachtungen.
  -- Rückblicke.

Am Morgen des dritten Tages legte sich der Wind, das Meer wurde
ruhig, und nun erst begann ich meine Seefahrt. Mein Schicksal möge
unerfahrenen und wagehalsigen Schiffern zur Warnung dienen! Kaum hatte
ich die Spitze der Sandbank erreicht, von dem Ufer nur um die Länge
meiner Barke entfernt, als ein Strom gleich einer Mühlschleuse mich
mit überwältigender Heftigkeit packte. Alle Mühe, dagegen anzukämpfen,
erwies sich als umsonst; immer weiter trieb mich die Strömung von der
Sandbank, die mir zur Linken lag. Weder Segel noch Ruder konnte ich
mit Erfolg gebrauchen. Wurde ich von der Strömung etwa in die See
hinausgeworfen, so schien mein Untergang unvermeidlich, insbesondere
wegen des Mangels an Lebensmitteln. Denn die am ersten Tage in die
Barke geschafften Vorräte nebst einer noch am Meeresufer von mir
gefangenen Schildkröte konnten nicht ausreichen, wenn ich weit hinaus
auf den unermeßlichen Ozean getrieben wurde, vielleicht viele Meilen
von der Küste entfernt.

Jetzt gedachte ich meiner einsamen und verlassenen Insel, die mir
nun wie ein behaglicher und reizender Ort erschien. »Glückliche
Einöde!« klagte ich, »werde ich dich jemals wiedersehen? Nie wollte
ich dich wieder verlassen!« So erkannte ich, als mir meine Besitzung
schon verloren schien, erst ihren vollen Wert. Ich ruderte aus allen
Kräften und blieb möglichst in derselben Richtung, in welcher die
Strömung die Sandbank treffen konnte. Plötzlich erhob sich ein leichter
Süd-Süd-Ostwind, der sich nach einer halben Stunde zu einer frischen
Brise verwandelte. Das Wetter zeigte sich günstig; ich sah nach meinem
Mast, ob er auch noch feststehe, breitete meine Segel aus und suchte
mich aus der Strömung zu bugsieren. Bald bemerkte ich, daß der Strom
nicht mehr so trübe und heftig war und sich an Felsenklippen brach, so
daß der Hauptstrich dieselben nordöstlich liegen ließ und selbst nach
Süden lief. Der andre Arm hingegen, von der Klippe abprallend, strömte
nach Nordost. Mit Hilfe dieser Brechung und vom Winde unterstützt,
segelte ich eine Zeitlang fort, bis ich bemerkte, daß mich die Strömung
zu weit nach Norden und von der Insel ablenken würde. Nun befand ich
mich zwischen zwei großen Flutarmen: dem des Südens, der mich zuerst
mit fortgerissen hatte, und dem des Nordens, welcher auf der andern
Seite der Insel die Strecke von etwa einer Meile beherrschte. Ich bot
daher meine ganze Kraft auf, um mich etwas westlich zu halten und mein
Fahrzeug in stilleres Wasser zu bringen. Es gelang mir, und etwa gegen
5 Uhr nachmittags kam ich, durch den Wind begünstigt, auf meiner Insel
wieder an.

Sobald ich unter meinen Füßen wieder Land fühlte, lieh ich den Gefühlen
meines dankbaren Herzens in einem Gebet zu Gott Worte und gelobte mir
feierlich, auf jeden weiteren Versuch einer Meerfahrt zu verzichten
und mich nicht mehr auf die offene See zu wagen. Nachdem ich mich
erholt und durch eine kleine Mahlzeit gestärkt hatte, legte ich mich
im Schatten der Bäume nieder und schlief bald ein. Am andern Tage
überlegte ich, wie ich die Rückreise zu meiner Behausung antreten
sollte. Ich entschloß mich, an der Küste hin gegen Westen zu steuern,
um ein sicheres Asyl für mein Boot zu finden. Bald entdeckte ich einige
Meilen weiter einen Kanal, der weit in das Land einmündete, immer
schmäler wurde und in einen kleinen Fluß auslief.

Hier ließ ich mein Fahrzeug zurück und beschloß, den Rückweg zu Fuß
zurückzulegen, nahm auch von dem ganzen Gepäck nur mein Gewehr und
meinen Sonnenschirm mit. Wohlbehalten kam ich gegen Abend auf meinem
Landsitze wieder an und fand daselbst alles noch, wie ich es verlassen
hatte. Flugs überstieg ich den Zaun, legte mich im Schatten nieder und
schlief, von der Hitze und dem weiten Wege ermüdet, auch bald ein. Ich
mochte etwa eine Stunde geschlafen haben, als ich durch eine Stimme
erweckt wurde, die mehrmals rief: »Robin, Robin, Robin Crusoe! Wo bist
du? Robin Crusoe, wo bist du? Wo bist du?«

[Illustration: Glückliche Rückkehr nach verunglückter Seefahrt.]

Es war mein lieber Poll, der, auf einem Zaune sitzend, die Worte
sprach, die ich ihn mit vieler Mühe gelehrt hatte, wenn der Kummer über
meine Verlassenheit mich anwandelte. Ich wußte mir nicht zu erklären,
wie das Tier hierher gekommen war; dasselbe setzte sein Geschwätz und
seine Schmeicheleien fort, als wäre es glücklich, mich wieder zu haben.
Natürlich nahm ich den Schwätzer ohne Verzug mit mir. -- Gern hätte ich
mir den Besitz des Fahrzeuges gesichert, aber ich fand kein Mittel,
diesen Wunsch zu verwirklichen; auch fühlte ich geringe Neigung, mich
noch einmal den überstandenen Gefahren auszusetzen.

In ruhiger Stimmung des Gemütes und ohne besondere Wandlungen in
meinen Verhältnissen verbrachte ich fortan einige weitere Jahre. Ich
hatte mich mit meiner Lage ausgesöhnt, so daß ich mich auch ohne
menschliche Gesellschaft leidlich glücklich fühlte. Während dieser Zeit
vervollkommnete ich mich in vielen Handfertigkeiten, die ich in meiner
Lage glaubte besitzen zu müssen. Es gelangen meine Zimmermannsarbeiten,
trotz der mangelhaften Werkzeuge, immer mehr nach Wunsch; auch die
Gerätschaften, die aus meiner Töpferwerkstatt hervorgingen, zeigten
nicht mehr die frühere Unförmigkeit, selbst die Korbflechterei nahm
unter meinen fleißigen Händen einen immer höheren Aufschwung.

Der ernsthafteste Mensch hätte sich eines Lächelns nicht enthalten
können, hätte er mich im Kreise meiner *Familie* gesehen. Vor allem
würde er meine eigne, absonderlich aufgeputzte Person bewundert haben,
mich, den König der Insel, den unumschränkten Herrn über Leben und Tod
aller ihrer Bewohner. Mit königlicher Würde hielt ich Tafel und speiste
in Gegenwart meines gesamten Hofstaates. Poll, mein Günstling, genoß
allein das Vorrecht, mit mir zu sprechen, und machte davon häufigen
Gebrauch, wobei er sich nicht selten auf meine Schulter stellte. Mein
Hund, der alt und gebrechlich geworden war, behauptete stets, wie
ein alter erprobter Diener, den Platz zu meiner Rechten. Zwei Katzen
warteten zu beiden Seiten des Tisches wie ein paar Hofschranzen auf
ein Zeichen meiner Huld und schnappten begierig die Brocken auf, die
ich ihnen zuwarf. Diese zwei Tierchen mit den Samtpfötchen waren aber
nicht diejenigen, welche ich vom Schiffe mitgebracht hatte, denn diese
hatte ich längst mit eigner Hand in der Nähe meiner Wohnung zur Erde
bestattet. Die jüngeren Katzen, die mich jetzt umgaben, waren die
Nachkommen der ersteren. Dieses Geschlecht hatte sich in solchem Grade
vermehrt, daß es endlich eine wahre Geißel für mich wurde; die Tiere
plünderten und hausten in meiner Wohnung schonungslos. So sah ich mich
endlich genötigt, gegen sie energisch einzuschreiten und die Mehrzahl
von ihnen aus der Welt zu schaffen.

Während der langen Zeit meines Aufenthalts war mein Pulver so sehr
auf die Neige gegangen, daß ich ernstlich daran denken mußte, das für
mich so wertvolle Gut zu ersetzen. Wie sollte ich Ziegen und Vögel
schießen? Wie konnte ich mich im Falle eines Angriffs verteidigen? Bis
auf die äußerste Not durfte ich es nicht ankommen lassen, deshalb ging
ich darauf aus, Ziegen zu *fangen*, um meinen letzten Vorrat an Pulver
zu schonen. Besonders gern hätte ich eine Mutter mit ihren Jungen
gehascht, und es mochten sich vielleicht auch schon einige gefangen
haben, aber die Netzstricke waren nicht stark genug, und wenn ich eine
Beute zu haben glaubte, fand ich die Schlingen zerrissen. Endlich
versuchte ich es mit *Fallgruben* und machte an jenen Plätzen, wo die
Ziegen zu weiden pflegten, tiefe Löcher, legte über diese Gruben ein
Flechtwerk von dünnen Ruten, streute Erde darauf und auf diese wiederum
Reis und Gerste. An der Spur der Ziegen bemerkte ich, daß diese die
Körner gefressen hatten, und als ich am andern Morgen erwartungsvoll
meine Fangmaschinen besichtigte, sah ich in der That sämtliches
Getreide abgefressen -- aber keine Ziege gefangen. Nach einigen
weiteren mißlungenen Versuchen hatte ich endlich doch eines Morgens die
Freude, in einer der Gruben einen großen, feisten Bock, sowie in einer
andern drei junge und zwei ältere Ziegen und einen Bock gefangen zu
erblicken. Der letztere, ein alter Bursche, war so wild, daß ich mich
nicht an ihn herangetraute, und ihn zu töten konnte nicht in meiner
Absicht liegen, da sein zähes Fleisch für meinen Gaumen durchaus nicht
verlockend schien. Ich gab ihm daher ohne langes Besinnen die Freiheit,
und er floh in weiten Sätzen davon.

Damals dachte ich freilich noch nicht daran, daß der Hunger selbst
einen Löwen zähmen kann; hätte ich den Bock nur drei bis vier Tage
hungern lassen, ihm dann Wasser und grünes Futter gegeben, so würde
er gewiß zahm geworden sein wie ein Lamm. Meine Zicklein nahm ich
eines nach dem andern aus der Grube, band sie mit Stricken aneinander
und trieb sie nach Hause. Anfangs wollten sie durchaus nicht fressen;
als ich sie jedoch ein paar Tage hatte hungern lassen und ihnen dann
saftige Kräuter vorhielt, ließen sie sich zum Fressen verlocken und
wurden in kurzer Zeit zahm.

Das war der erste Anfang zu meiner Ziegenherde, und ich sah schon im
Geiste der Zeit entgegen, wo ich, ohne Pulver und Blei nötig zu haben,
fortwährend mit Ziegenfleisch versorgt sein würde. Freilich drängte
sich mir bei dieser frohen Aussicht der Gedanke an einen leidigen
Übelstand auf. Da ich nämlich um jeden Preis zu verhüten hatte, daß die
Tiere mit ihren Brüdern im Thale und in den Wäldern zusammenträfen, so
mußte ich einen Park von Hecken oder Palissaden errichten, damit weder
meine zahmen Ziegen entfliehen, noch die wilden von außen hereinbrechen
konnten.

Wer in der Errichtung solcher Gehege einige Übung besitzt, würde sich
kaum eines Lächelns haben enthalten können, hätte er gesehen, wie ich
zu meiner ersten Hürdenanlage eine jener großen Wiesen aussuchte, die
man in den Ländern des Westens Savannen nennt.

Einige klare Bäche schlängelten sich durch den Wiesengrund, an dessen
einem Ende schattige Bäume standen; um aber diese Wiese mit einem Zaune
zu umgeben, bedurfte es einer Reihe Palissaden von beinahe einer halben
Meile Ausdehnung. Hierbei bedachte ich allerdings nicht, daß in einem
so großen Umkreis die Ziegen ebenso schwer zu fangen sein mußten, als
wenn sie frei auf der ganzen Insel hätten umherlaufen dürfen.

Schon hatte ich etwa 150 Schritte fertig, als mir dieser Gedanke
nachträglich beikam. Ich beschloß deshalb, nur ungefähr 200 Schritt
einzufriedigen, was für eine Herde, wie ich sie in einiger Zeit haben
konnte, wohl genügen mochte. Nach Vollendung jener Arbeit, welche drei
Monate in Anspruch nahm, waren meine Ziegen schon so zahm geworden,
daß sie mir überallhin folgten und mir aus der Hand fraßen. Binnen
zehn Monaten hatte sich meine Herde bis auf zwölf Stück junge und alte
vergrößert, in zwei Jahren war sie auf 43 gestiegen, obgleich ich
mehrere davon zu meinem Lebensunterhalt geschlachtet hatte.

Nicht allein Fleisch hatte ich nun im Überfluß, auch Milch hatte
meine Speisekammer mehr wie ausreichend aufzuweisen. Nach einigen
vergeblichen Versuchen lernte ich sogar Butter und Käse machen, da
ich auch Salz gefunden hatte, was durch Verdunstung von Seewasser in
Vertiefungen am Meeresufer sich in Krusten gebildet hatte.

Die größte Beeinträchtigung erfuhr meine Würde als Herr des Insellandes
durch die Beschaffenheit meiner Kleidung. Mein Anzug würde in jedem
von Menschen bewohnten Lande die größte Heiterkeit oder vielleicht
auch Furcht erregt haben. Als Kopfbedeckung trug ich eine hohe
aus Ziegenfell gefertigte Mütze mit einem Zipfel, der bis auf die
Schultern fiel, um mich vor der Sonne und vor Regen zu schützen. Rock
und Beinkleider stammten gleichfalls von Ziegen her, und meine Füße
schützte ich durch eine Art Sandalen, die an der Seite festgehalten
wurden. Den Rock hielt ein Gurt von Leder zusammen, in welchem statt
des Degens eine Axt und eine Säge hingen. Ein andres umgehängtes
Band diente dazu, um meine mit Pulver und Schrot gefüllten Taschen
festzuhalten. In einem Tragkorbe befanden sich meine Lebensmittel,
meine Flinte hing über der Schulter, und außerdem hatte ich noch meinen
Sonnenschirm zu halten, der sich mir als ganz unentbehrlich zeigte.
Was meine Gesichtsfarbe betrifft, so war sie nicht so braun, als man
bei dem heißen Klima vermuten möchte. Das kam natürlich daher, daß ich
meinen Regen- und Sonnenschirm immer bei mir führte, auch wenn ich mich
nur eine kleine Strecke von meiner Wohnung entfernte.

Jedenfalls war ich in jeder Beziehung ein Landesherr, der
seinesgleichen suchen konnte.




[Illustration: Robinsons Ziegenherde.]

Neuntes Kapitel.

Robinson entdeckt Spuren von Menschen.


  Neuer Ausflug auf Entdeckungen. -- Menschliche Spuren. -- Robinsons
  Bangen. -- Untersuchung der Fußspuren. -- Allerlei seltsame Gedanken.

Mit allem Notwendigen ausgerüstet, begann ich einen neuen Ausflug, auf
den ich fünf bis sechs Tage zu verwenden gedachte. Mein erster Weg
führte mich an jenen Ort, wo ich meinen Anker ausgeworfen hatte, um
die Felsen zu ersteigen und die Gegend zu überblicken. Auch diesmal
erstieg ich die Höhe und gewahrte zu meinem Erstaunen, daß die See
glatt war wie ein Spiegel, nirgends vermochte ich eine Brandung zu
entdecken. Diese befremdliche Erscheinung hatte jedenfalls ihren
natürlichen Grund in der abwechselnden Bewegung der Ebbe und Flut. Da
ich mir jedoch darüber noch nicht ganz klar war, so wollte ich wie
ein Naturforscher der Sache auf den Grund gehen. Ich stieg deshalb
gegen Abend, als es bereits dämmerte und die Ebbe eintrat, hinauf
auf den Hügel und sah auch jetzt wieder ganz deutlich die ungestüme
Strömung. Zugleich bemerkte ich aber, daß dieselbe eine halbe Stunde
von der Küste entfernt schien, während sie früher dicht an der Sandbank
hinlief. Auf diese Beobachtungen gestützt, sagte ich mir, daß ich die
Insel ohne Schwierigkeit mit meinem kleinen Fahrzeug umschiffen könnte,
wenn ich nur genau auf die Wiederkehr der Flut und Ebbe achtete. Indes
hatten die überstandenen Gefahren einen so nachhaltigen Eindruck in mir
zurückgelassen, daß ich für jetzt auf das Wagnis einer neuen Seefahrt
verzichtete. Es kam mir nun ein ganz entgegengesetzter, wenn auch
höchst mühselig auszuführender Plan in den Sinn.

Sollte es nicht möglich sein, mir eine neue Piroge zu bauen, um auf
jeder Küste meiner Insel ein Fahrzeug zu besitzen?

Ich hatte damals sozusagen zwei Pflanzungen. Zunächst war es am
Fuße des Felsens und in der Nähe des Ufers mein Zelt oder meine
Burg samt Einzäunung und Höhle hinter dem Zelte. Letztere hatte ich
allmählich vergrößert und neue Gemächer geschaffen, worin ich meine
Vorräte, namentlich das Erzeugnis meiner Ernten, in zahlreichen
großen Körben aufbewahrte. Im Verlauf der Jahre waren die Pfähle der
zweiten Umhegung, die, wie ich erwähnte, Zweige getrieben hatten,
bereits zu stattlichen Bäumen angewachsen und ihre Äste so ineinander
verschlungen, daß man selbst in ziemlicher Nähe hinter diesem grünen
Flechtwerk keine menschliche Wohnung bemerkt hätte. Etwas weiter in
das Land hinein lagen meine beiden Kornfelder, auf deren Bebauung ich
stets den größten Fleiß verwandte, so daß ich jährlich durch reichliche
Ernten belohnt wurde.

Eine weitere Pflanzung hatte ich mir noch in der Nähe meines Landhauses
angelegt. Auch dort, in jenem reizenden Thale, wuchs die grüne Hecke
stattlich empor und gewährte erquickenden Schatten. In der Mitte
spannte sich das Zelt von Segeltuch aus, und die Ziegenfelle, welche
ich dorthin gebracht hatte, boten ein weiches Lager, während eine
wollene Decke und ein großer Mantel mir während der kühlen Nächte
zum Zudecken dienten. So konnte ich hier, wenn ich mein »Schloß« auf
einige Zeit mit dem Lusthaus vertauschen wollte, mehrere Tage in aller
Bequemlichkeit zubringen.

Ganz in der Nähe des Landhauses hatte ich, wie bereits erwähnt, die
Einzäunungen für meinen Viehstand angebracht. Die beständige Sorge,
daß mir die Ziegen einmal ausbrechen möchten, ließ mir keine Ruhe,
bis ich das Palissadenwerk so dicht gemacht hatte, daß man kaum
eine Hand hindurchstecken konnte. Als gar während der Regenzeit die
Ruten und Stäbe ausschlugen, bot dieses Gehege den Vorteil einer
undurchdringlichen Mauer.

In demselben Thale befanden sich auch die Weinstöcke, welche mir
beträchtliche Vorräte für den Winter lieferten, und da die wertvollen
Reben meine Tafel mit den saftigsten Beeren versahen, so versäumte ich
nie, zur gehörigen Zeit die Trauben zu trocknen.

Eines Tages überkam mich wieder die Lust zu einem Ausflug nach der Ost-
und Nordseite meiner Insel, und ich wollte im Vorbeigehen auch nach
meiner Barke sehen.

Zunächst begab ich mich an jenen Hügel, von welchem aus ich meine
Beobachtungen angestellt hatte; dann wartete ich die Ebbe ab, um bei
niedrigem Wasserstande über die Mündung des Baches zu gelangen, der
am Fuße des Hügels hinfloß. Anfangs hielt ich mich längs des Ufers
desselben, dann aber bog ich nordwärts ab und kam so gegen Abend an
einen Fluß, der bei weitem bedeutender war als alle übrigen, welche ich
bisher aufgefunden hatte. Diesen passierte ich schwimmend und befand
mich bald an der Küste, die sich hier sehr wild und öde, teils hügelig,
teils felsig und nur mit Gestrüpp bewachsen zeigte.

Schon brach die Nacht herein, als ich endlich mein Fahrzeug auffand;
ich machte es mir darin so bequem als möglich und war, von dem Ereignis
des heutigen Tages befriedigt, bald in tiefen Schlaf versunken.

Kaum hatte mich die Morgensonne aus meinem Schlummer erweckt, als ich
wohlgemut meine Reise weiter fortsetzte. Nachdem ich einige Meilen
zurückgelegt hatte, wurde mir eine Überraschung zu teil, die mich
in die peinlichste und für die Folge auch schädlichste Aufregung
versetzte: ich sah im Sande die deutliche Spur eines -- *Menschenfußes*.

[Illustration: Ein Menschenfuß!]

Eigentlich hätte ich mich freuen sollen, nach so langer Einsamkeit
einmal die Spur eines menschlichen Wesens zu treffen; mein erster
Gedanke galt jedoch den Wilden, den Menschenfressern, die, wie früher
erwähnt, die benachbarten Gebiete oder Inseln bewohnen sollten. Wie vom
Blitz getroffen, blieb ich beim Anblick des Fußabdrucks stehen; ich
lauschte, ich blickte umher, sah und hörte aber nicht das Geringste.
Ich bestieg in der Nähe einen kleinen Hügel, von welchem aus ich einen
größeren Raum überblicken konnte; dann ging ich wieder an das Ufer des
Meeres hinab und durchlief die Küste von einer Seite zur andern, um
zu sehen, ob noch andre Fußtritte im Sande abgedrückt wären, aber ich
konnte nichts entdecken. Hierauf untersuchte ich die zuerst erblickte
Spur noch einmal, um mich zu vergewissern, ob mich vielleicht meine
Sinne getäuscht hätten. Allein Zehen, Ferse, Ballen, kurz alle Teile
eines Menschenfußes waren nur zu deutlich abgedrückt. Woher mochte
diese Spur kommen?

Es schien fast unmöglich, dieses Geheimnis zu enträtseln. Entsetzen
durchfuhr meine Glieder, wenn ich an die kaum mehr zu bezweifelnde Nähe
von Kannibalenhorden dachte, und in äußerster Verwirrung schlug ich den
Heimweg ein. Jetzt erschrak ich vor jedem Strauche, vor jedem Baume
und fürchtete bei dem Rascheln eines Blattes einen Wilden auf mich
losstürzen zu sehen. In halber Besinnungslosigkeit traf ich endlich
wieder in meiner Burg ein, ohne daß ich mich nachträglich besinnen
konnte, ob ich auf der Leiter oder durch die Felsenthür hereingekommen
war. Kein Fuchs sucht hastiger seinen Bau auf, als ich nach meinem
Zufluchtsorte eilte.

Vor Sorgen vermochte ich die ganze Nacht kein Auge zuzudrücken. Meine
erregte Einbildungskraft erschreckte mich durch die furchtbarsten
Trugbilder, und ich glaubte sogar einen Augenblick, daß jene Spur
von dem leibhaftigen Gottseibeiuns herrühre. Konnte denn irgend ein
menschliches Geschöpf ohne Fahrzeug meine Insel erreichen? Wo aber war
irgend ein Schiff zu sehen, und wie kam es, daß ich nur eine einzige
Fußspur entdeckte, da doch der Boden ringsum ganz dieselbe sandige und
lockere Fläche zeigte?

Die Fußspur im Sande kam mir nicht aus dem Sinn. Konnten aber nicht
die Kannibalen von jenem Festlande, welches ich gesehen hatte, durch
irgend welchen Zufall auf meine Insel verschlagen worden sein?
Vielleicht fühlten sie, da sie gerade an dem ödesten Teile der Insel
landeten, kein sonderliches Behagen, hier Hütten zu bauen; sie konnten
dann sehr wahrscheinlich meine Piroge gesehen und hieraus geschlossen
haben, daß die Insel von Menschen bewohnt sei. Wie, wenn sie nun in
größerer Anzahl von neuem erschienen, mich gefangen nahmen und nach
ihrer barbarischen Weise schlachteten und verzehrten? Oder, wenn auch
das nicht, so konnten sie doch meine Ziegen wegführen, meine Felder
zerstören und mich meiner Vorräte berauben.

Solche und ähnliche Gedanken marterten meinen Geist drei Tage und drei
Nächte lang, und ich wagte nicht, nur einen Schritt weit von meiner
Felsenburg mich zu entfernen. Indessen gingen meine Vorräte an Wasser,
Milch und Gerstenkuchen völlig zu Ende, und ebenso notwendig, als
diese zu ersetzen waren, mußte ich meine Ziegen melken, weil sonst zu
befürchten stand, daß ihnen die Milch vergehen möchte. Da half kein
Zaudern mehr, und so schwer es mir auch ankam, wieder landeinwärts zu
gehen, so mußte ich mich doch der Notwendigkeit fügen. Nachdem ich
einige Schritte gegangen war, wurde ich etwas beherzter, ja ich fing
an, mich über meine Zaghaftigkeit selbst auszuschelten. Dann endlich an
Ort und Stelle angekommen, melkte ich meine Ziegen, welche mich schon
längst erwartet zu haben schienen.

Einige Tage verlebte ich hier, ohne daß ich etwas Besonderes bemerkt
hätte. Ich streifte wieder mit meiner Flinte umher, besichtigte meine
Pflanzungen und melkte meine Ziegen wie zuvor; aber meine frühere
Ruhe und Unbefangenheit waren dahin. »Die Fußspur! die Fußspur!« Ich
mußte Gewißheit darüber haben, ob ich den Abdruck meines eignen oder
eines fremden Fußes gesehen habe. Zu meiner Beruhigung entschloß ich
mich endlich, noch einmal an Ort und Stelle eine genaue Besichtigung
vorzunehmen. Als ich aber den Ort des Schreckens erreichte, überzeugte
ich mich zunächst, daß ich bei meiner Landung mit dem Boote unmöglich
diese Gegend berührt haben konnte, denn sie lag jedenfalls weit davon
entfernt. Nachdem ich vollends die rätselhafte Spur mit meinem Fuße
gemessen hatte, ergab sich's deutlich, daß sie viel länger und breiter
war. Nun stellte es sich für mich als klar und unumstößlich heraus: das
Merkmal rührte von einem fremden und sicherlich wilden Menschen her.

Bei dieser Entdeckung bemächtigte sich meiner von neuem Angst und
Bangen, eisiger Frost schüttelte mich wie einen Fieberkranken;
ich wußte nicht, was ich beginnen sollte. Die Furcht gab mir die
unsinnigsten Gedanken ein.

Im ersten Augenblick wollte ich meine Umzäunungen niederreißen und
all mein Vieh in den Wald hinauslassen, aus Furcht, daß es der
unbekannte Feind finden und verlockt werden möchte, öfter hierher
zurückzukehren. Dann wollte ich meine Pflanzungen, mein Zelt und
das schützende Wäldchen vernichten, um jede Spur einer menschlichen
Wohnung zu tilgen. Die Verwirrung meiner Gedanken hielt mich die ganze
Nacht munter, und erst gegen Morgen schlief ich bis zum Tode ermattet
ein. Als ich erwachte, dachte ich weniger befangen über meine Lage
nach. Endlich kam ich zu dem Schluß, daß die anmutige und fruchtbare,
nur in mäßiger Entfernung vom Festland gelegene Insel nicht so ganz
verlassen sein könne, als es mir bis jetzt vorgekommen, und daß sie
wenigstens mitunter von Wilden, die entweder freiwillig oder gezwungen
mit ihren Kanoes hier landeten, besucht würde. Zwar hatte ich seit
den *fünfzehn Jahren* meines Aufenthalts auf dieser Insel noch keinen
einzigen Menschen gesehen; doch mochte dies ohne Zweifel daher rühren,
daß diejenigen, welche aus irgend einem Grunde hierher kamen, keine
Veranlassung fanden, länger zu verweilen. Die einzige Gefahr für mich
war eine zufällige Landung herumstreifender Menschen vom Festlande. Da
es aber wahrscheinlich war, daß diese nicht leicht aus eignem Antriebe
die Insel besuchen würden, so beeilten sie sich auch wohl, dieselbe
schnell zu verlassen, und mochten sich nicht einmal eine Nacht an der
Küste aufhalten, aus Furcht, die günstige Strömung und die Tageshelle
zur Rückfahrt entbehren zu müssen. Sonach hatte ich also für den Fall,
daß die Anwesenheit von Wilden außer allem Zweifel stand, nichts weiter
zu thun, als mich in meine Festung zurückzuziehen und mich hinter den
Wällen still zu verhalten.

Trotz solcher beruhigenden Erwägungen steigerten Zweifel meine Unruhe
und Angst. Mein Vertrauen auf die allwaltende Güte Gottes war dahin;
Trübsal und Verwirrung umschatteten meinen Geist so sehr, daß er sich
nicht aufzurichten vermochte in einem Gebet zu dem, der da spricht:
»Rufe mich an in der Not, und ich will dich erretten.« Hätte ich nur
auf diese Stimme gehört und den Herrn in meiner Not angerufen, so
wären sicherlich fester Mut und größere Beharrlichkeit in meine Seele
eingezogen; Zaghaftigkeit und Furcht, die alle meine Sinne gefangen
hielten, würden dann niedergekämpft worden sein.

Jetzt bereute ich es, daß ich mir einen Ausgang aus meiner Höhle
gegraben hatte, der nicht durch Verschanzungen gesichert war. Ich
nahm mir daher sogleich vor, in einiger Entfernung von der Mauer eine
zweite Palissadierung im Halbkreise aufzuführen, gerade da, wo ich vor
zwölf Jahren eine doppelte Reihe von Bäumen angepflanzt hatte. Diese
standen ohnehin schon dicht genug, daß es nicht mehr viel bedurfte,
um die Zwischenräume zwischen ihnen auszufüllen, so daß nach wenigen
Jahren ein undurchdringliches Gehege emporwuchs. So schützte mich eine
doppelte Mauer, und die äußere ließ sich noch durch Bohlen, alte Taue,
Schutt und Erdreich verstärken. Diesen Wall führte ich nicht nur über
den Ausgang, sondern auch über die Quelle hinaus, um nie Gefahr zu
laufen, daß es mir an Wasser mangle.

Nachdem dies alles geschehen war, besteckte ich den ganzen Abhang der
kleinen Wiese vor meinem zweiten Befestigungswerke mit mehr als 2000
Schößlingen von jenem weidenähnlichen Holze, ließ aber überall zwischen
denselben und meinem Baumwall einen beträchtlichen freien Raum, damit
ich den Feind herankommen sehen, er aber hinter den jungen Bäumen kein
Versteck finden konnte. Schon nach drei bis vier Jahren war das Gehölz
um meine Festung so dicht, daß es in der That undurchdringlich schien
und kein Mensch hinter diesem Gebüsch eine menschliche Wohnung vermuten
konnte. Da ich keinen Weg nach meinem Schlosse offen gelassen hatte, so
gelangte ich über den äußeren Wall nicht anders als mit Hilfe zweier
Leitern.

Die eine lehnte ich gegen einen sehr hohen Teil des Felsens, auf dem
ich die zweite unterbringen konnte. Waren beide Leitern weggenommen,
so konnte kein Mensch zu mir gelangen, ohne sich der größten
Gefahr auszusetzen. In der inneren Verschanzung brachte ich sieben
Schießlöcher an, nicht größer als nötig, um den Arm durchzustecken;
außerdem verstärkte ich diesen Wall bis auf drei Meter, indem ich
dagegen Erde aufschüttete, die ich aus der Höhle schaffte und mit den
Füßen feststampfte. In jene sieben Öffnungen brachte ich sieben mir
noch übrig gebliebene Musketen, richtete Gestelle für sie auf, auf
denen sie so ruhten, wie Kanonen auf ihren Lafetten, und ich war somit
im stande, alle meine Gewehre binnen einer Minute abzuschießen.

Auf diese Weise hatte ich alle Maßregeln ergriffen, welche die
Klugheit eingeben konnte, und ich fand später, daß sie mir von Nutzen
waren. Während dieser Arbeit versäumte ich jedoch meine übrigen
Angelegenheiten nicht; besonders war ich um meine Ziegenherde besorgt.

Verschiedene kleine Rasenplätze, mit hohen, dichten Wäldern umzäunt,
boten einen geeigneten Park für meine Herden, und dies erschien mir um
so ratsamer, als ich dann nur wenig mittels Einzäunung nachzuhelfen
brauchte. Nach einem Monat hatte ich diese Hecken vollendet und trieb
nun zehn junge Ziegen und zwei Böcke dorthin.

Für die Sicherheit eines Teiles meiner lebendigen Vorräte war jetzt
gesorgt. Nun durchstreifte ich die Insel, um einen Platz ausfindig zu
machen, der sich zu einem Reservepark umschaffen ließe. Bei diesen
Wanderungen drang ich weiter, als dies bisher geschehen war, gegen die
westliche Spitze der Insel vor, und als ich meine Augen auf die See
hinausrichtete, kam es mir vor, als schaukle ein Boot auf den Wellen.

Ich war jetzt an einer Stelle der Insel, die ich bis dahin noch nicht
betreten hatte. Wer aber malt mein Entsetzen, als ich mich hier
umschaute! Jetzt fand ich mit einem Mal Aufklärung über jene Fußspur,
und zwar in einer Art, die meine vormalige Furcht völlig rechtfertigte.
Ringsum sah ich das Ufer mit Hirnschädeln, Arm- und Fußknochen und
andern menschlichen Körperteilen bedeckt. Besonders fiel mir ein
Kreis in die Augen, den die Kannibalen in die Erde gegraben hatten,
um wahrscheinlich innerhalb desselben bei einem großen Feuer ihre
abscheulichen Festmahlzeiten abzuhalten.

[Illustration: Die Reste der Kannibalenmahlzeit.]

Dieser Anblick erschütterte mich so, daß ich im Augenblick an die eigne
Gefahr gar nicht dachte. Mein ganzes Gefühl empörte sich gegen eine
solche Entartung der menschlichen Natur. Dieser Platz war mir fortan
ein Ort des Grauens, und ich eilte, so schnell mich meine Beine trugen,
nach meiner Wohnung zurück. Als ich eine halbe Meile gelaufen, blieb
ich plötzlich stillstehen, um meine Gedanken zu sammeln. Mit thränenden
Augen blickte ich zum Himmel empor und dankte Gott aus der innersten
Tiefe meines Herzens, daß er mich unter Menschen geboren werden ließ,
wo solche Abscheulichkeiten nicht vorkommen. Ebenso dankte ich auch der
Vorsehung, daß sie mich an derjenigen Seite der Insel stranden ließ,
wo jene Kannibalen nur höchst selten, ja vielleicht niemals landeten,
und daß trotz meiner öfteren Hin- und Herzüge in und um das Land
meine Anwesenheit von ihnen noch nicht bemerkt worden war. Beherrscht
von dieser trostreichen Stimmung, setzte ich meinen Gang fort und
kam endlich in meiner Burg wieder an, weit mehr beruhigt über meine
Sicherheit als zuvor.

Dieses Gefühl der Sicherheit dauerte indes nicht lange; die Unruhe nahm
wieder überhand, und ich verhielt mich fast zwei Jahre lang in meinen
Wohnungen gleichsam wie ein Gefangener, kaum daß ich mich zu meinen
drei Pflanzungen, meinem Lusthause und meiner Weide im Walde hinwagte,
welche letztere ich nur besuchte, um Ziegen zu fangen. In beständiger
Besorgnis, daß die Wilden meinen Aufenthalt auswittern möchten, suchte
ich alles zu vermeiden, was ihnen die Spur meines Verweilens verraten
konnte.

Vor allen Dingen unterließ ich es jetzt, ein Feuergewehr abzuschießen,
weil ich befürchtete, von den Wilden gehört zu werden. Aber ein ander
Ding war es mit dem Rauch, der aus meinem Versteck aufstieg! Wie leicht
konnte er mich den Falkenaugen der Kannibalen verraten! Wenn ich daher
Brot zu backen oder irdene Geschirre zu brennen hatte, so wendete ich
Holzkohlen an. Ich hatte nämlich als Knabe in der Heimat gesehen,
wie man Holz unter Torferde anzündete und durch Glühen in Kohlen
verwandelte. Dieses Verfahren wandte ich jetzt an und vermied dadurch
das Aufsteigen des Rauches.

Auch ging ich während dieser Zeit nicht mehr aus, um nach meinem
Kanoe zu sehen; denn unter den jetzigen Umständen durfte ich nicht
daran denken, das andre Fahrzeug zurückzuholen. Stets unternahm ich
meine Ausflüge nur unter dem Schutze von zwei oder drei Pistolen
sowie eines Degens, zu welchem ich mir ein eignes Bandelier gemacht
hatte. Man wird mir wohl glauben, daß ich in diesem Aufzuge im stande
war, einigermaßen Furcht einzuflößen. Auf der Rückseite des bekannten
Hügels fand ich einen Ort, wo ich die Wilden, falls sie landen sollten,
von ihnen unbemerkt beobachten, mich auch durch das dichte Gebüsch
heranschleichen, in einem hohlen Baume verbergen und ihrem barbarischen
Treiben zuschauen konnte. Da stellte ich mir denn einige zwanzig
Menschen vor, die unter meinen Kugeln oder Hieben zu Boden stürzten;
die umherliegenden Schädel und Gebeine steigerten nur noch meinen
Rachedurst.

Jede meiner Musketen lud ich mit vier bis fünf größeren Kugeln, die
Jagdflinte mit grobem Schrot und die Pistolen mit drei bis vier
kleineren Kugeln. Nachdem ich alles zu einem Kriegszuge ausgerüstet
hatte, wanderte ich jeden Morgen auf einen Hügel, der ungefähr eine
Meile von meiner Burg entfernt war, um zu beobachten, ob sich nicht ein
Boot auf der See zeige, das nach meiner Insel zusteuere. Drei bis vier
Monate lang hielt ich hier Tag für Tag Wache und spähte auf das Meer
hinaus, ohne auch nur die geringste Spur eines Fahrzeugs zu entdecken.
-- Nach so vielen fruchtlosen Bemühungen war es natürlich, daß sich
mein Eifer abkühlte; eine andre Anschauung der Verhältnisse gewann in
mir die Oberhand.

Wer, so fragte ich mich selbst, hatte mich denn zum Richter über diese
Menschen gesetzt, die noch gänzlich ihren grausamen Gewohnheiten
ergeben vielleicht der Meinung leben, sie verrichten eine ihrer
Gottheit gefällige Handlung? Ist es doch bei diesen Völkern
Kriegsbrauch, welchen sie seit alten Zeiten von ihren Vätern ererbt
haben, Gefangene mit sich zu führen und sie zu töten, und scheint es
ihnen doch ebensowenig strafwürdig, als wenn wir ein unschuldiges Tier
schlachten.

Allerdings geben sich die Wilden einem blutdürstigen Götzendienste hin,
welcher Menschenopfer fordert; aber ist diese Barbarei zu vergleichen
mit den Greueln, welche die Spanier in Mexiko und in Peru verübt
hatten, wo sie ganze Völkerschaften vertilgten? Als ich daran dachte,
was mir mein Vater aus jenen grausamen Zeiten erzählt hatte, wurde
ich milder gegen die unglücklichen Kannibalen gestimmt, und ich fand
es selbst von meiner Seite unmenschlich, sie in feindseliger Absicht
anzugreifen, solange sie mich nur selbst in Ruhe ließen.

Außerdem hätte ich wahrscheinlich durch ein allzu rasches Handeln
meinen eignen Untergang herbeigeführt. Denn gesetzt, es wäre eine
Anzahl von 30 Wilden auf mich eingestürmt, war ich denn wirklich so
sicher, sie alle zu töten? Ja, wenn nur ein einziger mir entkam, um
seinen Kriegsgefährten in der Heimat Kunde zu bringen, so landeten
bald Hunderte, vielleicht Tausende, um den Tod ihrer gefallenen
Freunde zu rächen. Aus alledem zog ich den Schluß, daß die Klugheit
und die Menschlichkeit mir in gleicher Weise verböten, mich in die
Angelegenheiten jener halbtierischen Menschen überhaupt zu mischen.

Die Religion vereinigte sich mit der Besonnenheit, um mich zu
überzeugen, daß meine grausamen Entwürfe gegen die Wilden, die mir
noch nie etwas zuleide gethan hatten, meinen Pflichten durchaus
zuwiderliefen. Ich hatte jetzt alle Ursache, Gott auf den Knieen dafür
zu danken, daß er mich nicht eine That begehen ließ, die ich nunmehr
für einen Menschenmord ansah. Ich flehte zu Gott, mich vor diesen
Barbaren zu bewahren, und gelobte mir, nur dann Hand an sie zu legen,
wenn meine Selbstverteidigung dies erforderte. Bei solchen Gesinnungen
beharrte ich fast ein ganzes Jahr und war so wenig gegen die schlimmen
Nachbarn ungehalten, daß ich während dieser Zeit nicht einmal den Hügel
bestieg, um zu sehen, ob sich ihre Fahrzeuge in der Ferne zeigten oder
ob sie kürzlich auf der Insel gewesen wären.

*Achtzehn* Jahre lebte ich nun schon auf meiner Insel, und noch hatte
ich nicht mehr als einen einzigen Fußabdruck im Sande und die Reste
einer Blutmahlzeit angetroffen. Ich durfte daher wohl annehmen, daß
die Besuche der Wilden auf dem Eilande sehr selten stattfanden und
daß ich auch in der Folgezeit unentdeckt bleiben würde. Mein kleines
Boot schaffte ich auf die östliche Spitze der Insel in eine durch
Felsen geschützte Bucht, wohin die Fremden wegen der widrigen Strömung
nicht gelangen konnten. Inzwischen war mein Vorrat an Kohlen zu
Ende gegangen, und ich mußte darauf bedacht sein, denselben wieder
zu erneuern. Deshalb wanderte ich in jenes Felsenthal, wo meine
Ziegenherden untergebracht waren und wo ich in einer Höhle am Fuße
eines Berges einen passenden Platz für meine Kohlenbrennerei gewählt
hatte. Während ich in der Nähe eines Felsens Äste abhieb, gewahrte ich
hinter einem dichten Gebüsch eine dunkle Höhlung in der Bergwand,
die sich ziemlich tief in den Berg verlief. Schon hatte ich mir durch
das Gestrüpp einen Weg gebahnt, um meine Neugierde zu befriedigen, da
funkelten mich gleich flammenden Sternen zwei große mächtige Augen an.
Hierdurch vollständig in Verwirrung gesetzt, rang ich längere Zeit
nach Fassung; endlich fing ich an, mich über meine Furcht zu schämen.
Als ich wieder vor der Felswand stand, nannte ich mich einen Feigling,
indem ich mir sagte, daß ein Mensch, der seit fast 20 Jahren allein
auf einem öden Eiland gelebt, doch mehr Besonnenheit haben sollte, um
nicht vor jedem außergewöhnlichen Anblick wie ein furchtsames Kind zu
erzittern. Ich faßte also frischen Mut, nahm einen Feuerbrand und trat
in die Grotte ein. Kaum hatte ich jedoch drei bis vier Schritte gethan,
als ich erschrocken zurückfuhr, so daß auf meiner Stirn Schweiß stand.
-- Meine Haare sträubten sich empor, denn aus dem Innern der Höhle
klang es wie das Seufzen eines leidenden Menschen, dann folgten ein
Stöhnen und tiefes Seufzen.

Ich sammelte alle meine Kräfte und ermutigte mich durch den Gedanken,
daß Gott allgegenwärtig sei und mich überall beschützen könne. Noch
einmal trat ich mit dem Feuerbrand in die Höhle zurück, und nun
erst gewahrte ich, daß es nichts weiter war, als ein großer, alter
*Ziegenbock*, der hier im Sterben lag. Vergebens bemühte ich mich, ihn
aufzurütteln, er sank immer wieder in seine vorige Lage zurück. Ich
ließ ihn also liegen und sah mir die Höhle etwas genauer an. Sie war
ziemlich groß und hoch und offenbar nicht durch Menschenhand, sondern
von der Natur selbst gebildet. Im Hintergrunde entdeckte ich eine
Öffnung, die noch tiefer in die Erde ging, indes so niedrig war, daß
man nur auf Händen und Füßen hineinkriechen konnte. Für heute begnügte
ich mich aber mit den gemachten Beobachtungen, brannte meine Kohlen,
melkte die Ziegen und kehrte nach meiner Wohnung zurück.

Am andern Tage kam ich mit sechs großen Lichtern an demselben Orte
an. Ich muß hier erwähnen, daß ich schon seit mehreren Jahren ganz
leidlich Lichter aus Bocksfett herstellte, zu deren Dochten ich teils
alte Lumpen oder Tauenden, teils die getrockneten Stengel einer
Nesselpflanze verwandte. Der alte Bock hatte sich während meiner
Abwesenheit bis an die Öffnung der Höhle geschleppt, wo er auch
liegen blieb. Ich schaffte das schwere Tier beiseite und begrub es
sogleich. Dann zündete ich zwei Lichter an und trat in die Höhle. Als
ich an die enge Öffnung im Hintergrunde kam, duckte ich mich nieder
und kroch ungefähr drei Meter weit auf den Händen fort; da erweiterte
sich die Öffnung, und meine Augen wurden durch ein prachtvolles
Schauspiel gefesselt. Ich befand mich nämlich in einer herrlichen
Wölbung, an deren Wänden sich der Strahl der Lichter in tausendfachem
Schimmer brach. Waren es Diamanten oder vielleicht Goldkörner, die
sich an die Felsenwände kristallisiert hatten? Ich konnte es nicht
entscheiden. Der Boden war trocken und eben, mit äußerst feinem
Kies bedeckt, und nirgends eine Spur von Feuchtigkeit, schädlichen
Ausdünstungen oder widerwärtigen Tieren. Als einzigen Übelstand fand
ich die Beschwerlichkeit des Eingangs und die dichte Finsternis.
Dennoch freute ich mich über meine Entdeckung, da die Grotte eine
sichere Zufluchtsstätte zu bieten versprach; ich beschloß also gleich,
diejenigen Gegenstände, die mir am wertvollsten schienen, ohne Zögern
hierher zu schaffen.

Vor allem brachte ich meinen Vorrat an Pulver samt meinen beiden
Jagdflinten und drei Musketen nach der Grotte. Bei dieser Gelegenheit
öffnete ich auch mein letztes Pulverfäßchen, das ich aus der See
aufs Trockene gerettet hatte, und bemerkte, daß das Meerwasser
ein Stück eingedrungen, das Pulver soweit zu einer harten Schale
zusammengebacken, der Rest aber vollständig gut erhalten war. Alles das
schaffte ich in die Grotte und behielt für meinen gewöhnlichen Bedarf
nur wenig zurück. Auch das Blei, welches ich noch besaß, um daraus
Kugeln zu gießen, barg ich nebst andern wertvollen Dingen an diesem von
der Natur so geschützten Orte. Ich gewann nun die Überzeugung, daß,
wenn mich die Kannibalen auf der Insel auszuspähen versuchten, sie
mich hier kaum finden würden; jedenfalls glaubte ich nun vor Angriffen
sicher zu sein. Ich kam mir jetzt vor wie einer der Riesen aus der
Vorzeit, welche in Höhlen und Felsenklüften lebten, in denen sie
unnahbare Zufluchtsstätten fanden.




[Illustration: Robinson bringt seinen neuen Freund ins Trockene.]

Zehntes Kapitel.

Stillleben mit Unterbrechungen.


  Robinsons Menagerie. -- Viehzucht und Bierbrauerei. -- Neuer Besuch
  von Wilden. -- Das Wrack. -- Ein neuer Freund. -- Reiseträume.

Dreiundzwanzig Jahre lebte ich nun auf meinem Eilande, und ich hatte
mich während dieser Zeit mit meinem Schicksal ausgesöhnt. Nur selten
überkam mich ab und zu die Furcht, durch die Überfälle der Wilden
beunruhigt zu werden. In meinem Hauswesen hatte ich mir alle möglichen
Bequemlichkeiten verschafft, ja selbst an Vergnügungen fehlte es nicht.
Zwar war mir schon nach dem 16. Jahre meiner Einsiedelei in meinem
Phylax ein treuer Gefährte gestorben, doch ersetzten zwei oder drei
Lieblingskatzen diesen Verlust. Außerdem sprangen noch einige zahme
Ziegen und ein Böckchen um mich her, die mir überall folgten und ihr
Futter aus meiner Hand nahmen. Den größten Zeitvertreib gewährte
mir mein alter Freund *Poll*, der im Laufe der Zeit so vielerlei und
deutlich sprechen lernte, daß er mich fast die Sehnsucht nach dem
Umgang mit Menschen vergessen ließ; ich besaß nebenbei aber auch noch
zwei andre Papageien, aus deren Schnabel ebenfalls lustig ein lautes
»Robin, Robin!« »Crusoe, Crusoe!« ertönte. Überdies hatte ich sogar
mehrere Land- und Seevögel zahm gemacht, ihnen die Flügel gestutzt und
in dem Zaungehege meines Schlosses ihren Nisteplatz angewiesen, wo sie
sich bald vermehrten und durch ihr reges Treiben Leben um meine Burg
verbreiteten.

Neue Pläne beschäftigten fortan meinen Geist, um die selbstgeschaffene
Behaglichkeit zu vermehren. So geriet ich unter anderm auf den Einfall,
mir den Lebensgenuß durch die Beschaffung des edlen Gerstensaftes zu
erhöhen. Wochen und Monate brachte ich mit zahllosen Versuchen zu, ohne
ein Ergebnis zu erzielen. Indessen glaubte ich doch, daß ich bei meiner
Beharrlichkeit noch einen trinkbaren Gerstensaft zusammengebraut haben
würde, wenn nicht die beständige Sorge vor den Wilden mich zu andern
Beschäftigungen angetrieben hätte.

So nahte der Dezember des 23. Jahres heran, und die Aussicht auf eine
gedeihliche Ernte hatte mich häufiger als je auf meine Felder und
Pflanzungen gelockt; da wurde ich von neuem in eine nicht geringe
Aufregung versetzt. Als ich nämlich, noch in der Morgendämmerung,
ausrückte, sah ich zu meinem großen Erstaunen den Widerschein eines
Feuers am Ufer, aber nicht etwa in der meiner Wohnung entgegengesetzten
Seite, sondern gerade vor meinem Bezirk, und zwar höchstens eine halbe
Stunde entfernt. In großer Bestürzung zog ich zuerst mich in ein
Wäldchen zurück, das ich nicht zu verlassen wagte. Dann aber lief ich
geradeswegs nach meiner Burg zurück, zog die Leiter an mich heran und
traf Anstalten zu meiner Verteidigung.

Fest entschlossen, mich bis auf den letzten Blutstropfen zu
verteidigen, lud ich alle meine Kanonen, wie ich die auf den Lafetten
liegenden Musketen nannte, sodann auch meine Pistolen mit Kugeln und
Eisenstücken. Darüber vergaß ich aber nicht, mich dem Schutze Gottes
zu empfehlen und ihn zu bitten, er möge mich vor den gefährlichen
Unholden bewahren.

In dieser Lage verharrte ich fast zwei Stunden; endlich konnte ich die
peinliche Ungewißheit nicht länger ertragen. So lehnte ich wieder meine
Leiter an, stieg auf den neben meinem Schloß befindlichen Felsen und
spähte nun mit dem Fernglase nach der Richtung hin, wo ich das Feuer
bemerkt hatte. Hier sah ich gegen zehn ganz unbekleidete Wilde um
einen Herd herum kauern, auf dem sie ein loderndes Feuer unterhielten,
um eine ihrer entsetzlichen Menschenmahlzeiten abzuhalten. Plötzlich
erhoben sie sich und führten unter allerlei Gebärden einen Tanz auf.
Die Kannibalen hatten zwei Kanoes am Ufer befestigt, und da gerade die
Zeit der Ebbe war, so schien es, als ob sie die Zeit der Flut abwarten
wollten, um wieder von der Insel abzufahren. Es ist schwer, sich einen
Begriff von der Verwirrung zu machen, welche dieser Anblick in mir
hervorrief; aber ich hatte richtig geurteilt, denn als die Flut zu
steigen begann und nach Westen strömte, sah ich, wie sich die Wilden
sämtlich wiedereinschifften und fortruderten. Die Beobachtung, daß die
Fremden nicht anders als mit der Ebbe ankommen könnten, gab mir eine
große Beruhigung. Solange die Flutzeit dauerte, konnte ich also mit
aller Sicherheit umherstreifen.

Nunmehr nahm ich meine beiden Gewehre auf die Schultern, steckte ein
paar Pistolen zu mir, hängte ein großes Jagdmesser um und begab mich
eilends nach der Stelle, wo die Fremden ihr blutiges Fest gehalten
hatten. Da sah ich denn gräßliche Spuren ihrer Grausamkeit: Blut,
Knochen und einige Stücke Fleisch von den menschlichen Opfern. Dann
begab ich mich auf jenen Hügel, wo ich das erste Mal ähnliche Überreste
gefunden hatte, und bemerkte von hier aus, daß noch drei andre Kanoes
mit Wilden dagewesen waren, welche sich gleichfalls an Menschenfleisch
gesättigt hatten. Ein Blick auf das Meer zeigte mir, wie sie ihrer
Heimat zufuhren. Von neuem flammte mein Zorn auf, und ich beschloß.
den ersten, der sich mir auf Schußweite nahen würde, durch eine Kugel
niederzustrecken. Wieder gab ich mich zornigen Gefühlen gegen die
Barbaren hin und sann auf Mittel, wie ich sie am vorteilhaftesten
überraschen könnte, wenn sie sich, wie bei dem vorhergegangenen
Besuche, in zwei Haufen trennten.

Inzwischen vergingen Jahr und Tag, ohne daß sich der Besuch der Wilden
wiederholt hätte; wenigstens konnte ich keine Spur davon entdecken.
Zudem durfte ich auch sicher sein, daß sie in der Regenzeit sich
nicht auf die hohe See hinauswagten. Dennoch befand ich mich während
dieser ganzen Zeit in großer Unruhe. Bange Träume von Verfolgung und
Blutvergießen marterten mein Hirn, so daß ich selbst im Wachen zwischen
Beängstigung und Rachedurst schwebte.

Es war am 16. Mai des 24. Jahres meiner Herrschaft als Inselkönig,
als ein heftiger Sturm, begleitet von fast ununterbrochenen Blitzen
und Donnerschlägen, einen ganzen Tag sowie den größten Teil der
Nacht hindurch tobte. Ernste Gedanken über meine gegenwärtige Lage
beschäftigten mich. Eben hatte ich gegen Abend meine Trösterin, die
Bibel, zur Hand genommen, um aus diesem ewig quellenden Born neue
Zuversicht zu schöpfen, da schreckte mich plötzlich ein *dumpfer
Knall*, wie von einer Kanone, aus meiner Andacht auf.

Eine Bestürzung ganz eigner Art rief die verschiedensten Gefühle in
meiner Seele wach. Eiligst kletterte ich über die Fenz und stieg auf
meine Warte hinauf. Gerade in dem Augenblicke, als ich den Gipfel
erreichte und nach der tobenden See schaute, verkündigte von dort her
ein Blitz einen zweiten Schuß, dessen Knall auch nach mehreren Sekunden
mein Ohr erreichte. Er kam von jener östlichen Strömung her, in die
ich früher selbst einmal mit meinem Kanoe geraten war. Ich vermutete
sofort, daß der dumpfe Knall von einem in Not geratenen Schiffe
herrühre, welches einem andern in seiner Nähe dahinsegelnden durch
Signale von seiner gefährlichen Lage Kenntnis geben wollte. Wiewohl
ich den in Not Geratenen doch keine Hilfe zu bringen vermochte, so
konnten sie vielleicht mir helfen. Ich trug daher so viel trockenes
Holz, als sich in der Eile zusammenraffen ließ, auf der Warte zusammen,
schichtete es in einen hohen Haufen und zündete es an, obgleich der
Wind heftig wehte. Bald schlug die Lohe hoch empor, und sicherlich
wurde sie von den auf dem brandenden Meere Befindlichen gesehen, denn
das Fahrzeug feuerte kurz hintereinander mehrere Kanonenschüsse ab.
Während der ganzen Nacht blieb ich auf meinem Posten und unterhielt den
Brand durch immer neu hinzugetragenen Zündstoff; von Zeit zu Zeit drang
der dumpfe, unheimliche Knall der Notsignale durch Sturm und Nacht an
mein Ohr, bis endlich alles verstummte.

Der Morgen brach hell und freundlich an; der Sturm hatte ausgerast.
Ich lugte mit meinem Fernrohr gegen Ost und gewahrte in ziemlicher
Entfernung von der Insel einen nur undeutlich erkennbaren Gegenstand;
aber nach meiner Überzeugung mußte es ein Schiff oder Wrack sein.
Da ich nun auch den Tag über, wie man sich leicht denken kann, mit
gespanntester Aufmerksamkeit nach diesem Punkt hinsah, derselbe aber
sich nicht von der Stelle rührte, so schloß ich daraus, daß ich wohl
ein gestrandetes Schiff vor mir habe. Um hierüber klar zu werden, nahm
ich mein Gewehr samt Pistolen und eilte nach dem südlichen Teile der
Küste und der Felsen, gegen welche mich einst die Strömung getragen
hatte. Dort angekommen, sah ich deutlich bei vollkommen klarem Himmel
Bug und Masten eines dem Untergang verfallenen Schiffes, genau an
derselben Stelle, an welcher einst auch unser Fahrzeug ein gleiches
Schicksal ereilte. Dieselben Riffe waren es, welche durch die bewirkte
Gegenströmung meine Rettung aus der verzweifeltsten Lage bei Umsegelung
der Insel herbeiführten.

So wird das, was dem einen Rettung bringen kann, oft Ursache zum
Verderben des andern.

Das gestrandete Schiff brachte mich auf allerhand Betrachtungen.
Besonders fiel mir auf, daß von der ganzen Mannschaft auch nicht ein
einziger zu sehen war. Ich dachte, daß die Leute bei nächtlicher
Dunkelheit die Küste der Insel nicht bemerkt hatten, sonst möchten
sie sich gewiß beeilt haben, mit ihrem Ruderboote anzulegen. Dem
widersprach jedoch das Signalisieren mit den Kanonen, denn ohne Zweifel
hatten sie mein Feuer auf der Bergesspitze wahrgenommen und mußten
demnach Land in der Nähe vermuten. Möglich war es auch, daß sie in ihre
Schaluppe gestiegen, aber von dem Strome, der mich vormals in Gefahr
gebracht hatte, gepackt und weit hinaus in die hohe See geworfen worden
waren, wo sie sicherlich dem Verderben verfielen. Kaum vermag ich die
Worte zu finden, um das Gefühl auszudrücken, welches sich meiner beim
Anblick der Schiffstrümmer bemächtigte. »Ach!« rief ich aus, »wenn
sich doch nur einer oder zwei von den Verunglückten gerettet hätten,
Gefährten, mit denen ich umgehen, Wesen meiner Art, an die ich ein Wort
richten könnte!« Während meines langen Aufenthaltes auf der Insel trat
meine Sehnsucht nach Umgang mit den Menschen nie so heftig zu Tage,
überwältigte mich der Schmerz über meine Vereinsamung nie so bitterlich.

Plötzlich stieg in mir der Gedanke auf: Wie? wenn ich eine Bootfahrt
nach dem Wrack wagte? Vielleicht konnte ja noch ein Menschenleben zu
retten sein, und selbst im Falle, daß ich mit meiner Hilfe zu spät
käme, konnte ich doch sicherlich hunderterlei nützliche Dinge auf dem
Schiffe erlangen. Die Begierde, nach dem Wrack zu segeln, ward so
heftig, daß ich es für eine Eingebung, einen Befehl des Himmels hielt
und nicht länger anstand, an die Ausführung des Unternehmens zu gehen.

Ich eilte nach meiner Burg, nahm einen tüchtigen Vorrat Brot, einen
Topf mit Trinkwasser, eine Flasche Rum, einen Korb Rosinen sowie
einen Kompaß mit. So beladen schritt ich zu meinem Kahne, schöpfte
das Wasser, welches sich darin angesammelt hatte, aus und machte ihn
flott. Hierauf legte ich alles ordnungsmäßig hinein und kehrte nach
Hause zurück, um eine zweite Ladung herbeizuschaffen. Diesmal nahm ich
einen großen Sack voll Reis mit, einen zweiten Topf frischen Wassers,
etwa zwei Dutzend Brote und Kuchen, eine Flasche Ziegenmilch und einen
Käse samt meinem unentbehrlichen Sonnenschirm. Im Schweiße meines
Angesichts brachte ich dieses Rüstzeug ins Boot und, indem ich Gott
um Schutz anflehte, stieß ich vom Strande ab. Ich steuerte längs der
Küste hin, bis ich die Spitze der Sandbank am nordöstlichen Ende der
Insel vor mir sah. Nun galt es, von hier aus mich auf die offene See zu
wagen. Ein Blick auf die reißende Strömung, die auf beiden Küsten der
Insel sich in gewisser Entfernung bemerkbar machte, erinnerte mich an
die Gefahren, die ich vor Jahren hier bestanden hatte. Der Gedanke,
ich könne durch eine dieser Strömungen auch heute mit fortgerissen
werden und die Küste gänzlich aus dem Gesicht verlieren, entmutigte
mich dermaßen, daß ich, unschlüssig geworden, an das Land sprang und
mein Boot in einer kleinen Bucht befestigte. Ich setzte mich auf einen
kleinen Hügel nieder, und zwischen Furcht und Verlangen ging ich mit
mir zu Rate, was das Zweckmäßigste sei.

Während dieser Betrachtungen bemerkte ich das Eintreten der Flut, ein
Umstand, der meine Reise um einige Stunden verzögern mußte. Hierauf
dachte ich, ob es nicht möglich sei, daß eine der Strömungen mich mit
derselben Schnelligkeit dem Ufer zuführe, mit welcher mich die andre
von demselben entfernt hatte. Ich stieg auf einen Hügel, von wo aus
ich das Meer nach beiden Seiten genau beobachten konnte. Hier fand ich
denn, daß die Strömung der Flut in der Nähe des Landes nach Norden
ging, und daß ich, um meiner Rückkehr sicher zu sein, nichts weiter zu
thun hatte, als mich einfach nach dieser Seite zu halten. Nun gewann
ich meinen früheren Mut wieder, ging den Berg hinunter, bestieg von
neuem mein Boot und lavierte anfänglich zwischen dem nördlichen Strome
und der Sandbank hin und her. Dann steuerte ich nach Nordnordwest, um
die Strömung zu erreichen, ließ mich von dieser nach Nordost treiben
und kam nach etwa zwei Stunden glücklich bei dem Wrack an.

Das Schiff, seiner Bauart nach ein *spanisches*, bot einen
bejammernswerten Anblick dar: ich fand es am Felsen eingeklemmt. Das
Vorderteil und ein Teil des Decks waren durch die Wucht der Wogen
zertrümmert, der Haupt- und der Fockmast an ihrem Fuße abgebrochen; der
Bugspriet dagegen schien wohlerhalten geblieben zu sein.

Als ich an das Schiff herankam, zeigte sich auf dem Deck ein *Hund*,
der bei meinem Anblick laut zu bellen und zu heulen anfing. Ich rief
ihn; sogleich sprang er ins Wasser und schwamm meiner Barke zu, in
welche ich ihm hineinhalf; das arme Tier war halb verschmachtet vor
Hunger und Durst! Ich gab dem Tiere zu saufen und fütterte es mit Brot,
welches der Hund mit der Gier eines Wolfes verschlang, der 14 Tage lang
im Schnee gehungert hat.

Hierauf stieg ich an Bord. Das erste, worauf meine Blicke fielen,
waren zwei in der Vorderkajütte ertrunkene Menschen, die einander im
Tode noch fest umschlungen hielten. Sonst ließ sich nichts von Tier
oder Mensch mehr auf dem Schiffe bemerken. Der größte Teil der Fracht
schien durch das Seewasser stark gelitten zu haben. Im Mittelraume sah
ich, als die Ebbe eintrat, einige Tonnen mit Wein oder Branntwein;
allein sie waren zu groß, als daß ich sie hätte von den Stelle bewegen
können; ebenso fand ich einige Koffer, die wahrscheinlich den Matrosen
gehörten. Daher brachte ich sie in mein Boot, ohne ihren Inhalt erst zu
durchsuchen.

Wäre das Vorderteil des Fahrzeugs nicht zertrümmert gewesen, so hätte
sich gewiß reiche Beute machen lassen; aller Wahrscheinlichkeit nach
kam das Schiff von Buenos Ayres oder vom Rio de la Plata, südlich von
Brasilien, und befand sich auf dem Wege nach Havana.

In der Nähe der Koffer fand ich auch ein kleines Fäßchen mit Likör,
ungefähr 20 Liter enthaltend; in der Kajütte lagen mehrere Gewehre und
ein großes Pulverhorn. Da ich jedoch hinreichend Schießwaffen besaß, so
ließ ich jene liegen und nahm nur das Horn mit, in welchem sich etwa
vier Pfund Pulver befanden. Was mir aber am nützlichsten werden konnte,
das waren eine Feuerschaufel, eine Zange, zwei kleine kupferne Kessel,
eine kupferne Schokoladenkanne und ein Rost. Mit dieser Ladung und von
dem Hunde begleitet, trat ich die Heimkehr an, und von der wachsenden
Flut begünstigt, erreichte ich eine Stunde nach Sonnenuntergang das
Ufer meiner Insel.

Ich fühlte mich von den Anstrengungen des Tages so ermattet, daß ich
nicht mehr nach meiner Burg zurückkehren mochte, vielmehr legte ich
mich, nachdem ich Speise und Trank zu mir genommen, in meiner Barke
schlafen, vor einem plötzlichen Überfall sicher, da ich ja einen
Wächter in dem Hunde zur Seite hatte.

Neu gestärkt erwachte ich am folgenden Morgen. Nach eingenommenem
Imbiß, den ich mit meinem neuen Freunde gewissenhaft teilte, schaffte
ich meine Fracht ans Ufer und durchsuchte jedes Stück. Der Branntwein
in dem Fäßchen erwies sich als eine Art Rum, und in den Koffern
entdeckte ich mancherlei, was mir sehr willkommen war, z. B. ein
Flaschenfutter von sehr schöner Arbeit, in welchem sich mehrere,
drei Liter haltige, mit silbernen Stöpseln versehene Flaschen feiner
Branntweine befanden; sodann zwei Töpfe mit eingemachten Früchten,
die so fest verschlossen waren, daß das Seewasser nicht einzudringen
vermocht hatte; ferner etliche gute Hemden, anderthalb Dutzend
weißleinene Taschentücher und mehrere farbige Halstücher. Auf dem
Boden des Koffers fand ich zuguterletzt noch drei große Beutel mit
Silbermünzen, im ganzen 1100 Stück; in dem einen waren 6 Dublonen in
Gold und etliche kleine Goldbarren. Gern hätte ich das ganze Gold, das
ich nicht viel höher als Kieselsteine schätzte, für drei oder vier Paar
englische Schuhe und Strümpfe dahingegeben, die ich seit so vielen
Jahren schmerzlich entbehren mußte. In dem andern Koffer befanden sich
Kleidungsstücke sowie ein kleiner Pulvervorrat, dessen außerordentliche
Feinheit darauf hinwies, daß er nur zur Vogeljagd bestimmt sein
konnte. Der Koffer, welchen ich zuletzt öffnete, enthielt noch eine
Geldsumme in Realen, aber was mir am meisten Freude bereitet, war der
Fund von Papier, Federn, Schreibzeug, Federmessern und einer großen
Flasche voll Tinte.

Alsbald brachte ich den ganzen Fund unter Dach und Fach nach meiner
Grotte, das Boot aber wieder an seinen alten Ort; ich selbst kehrte
darin nach der Burg zurück, wo ich alles in derselben Ordnung vorfand,
wie ich es kürzlich verlassen.

Zwar entstand ein nicht geringer Aufruhr unter den Ziegen und Katzen,
als sie meinen vierbeinigen Gefährten erblickten, der sie laut bellend
anfuhr; doch ich schlichtete bald den Streit der Parteien, und
sämtliche tierische Genossen lebten dann in ungestörtem »Burgfrieden«
einträchtig bei einander.

[Illustration: Traurige Überraschung]

Als ich nach ein paar Tagen wiederum an das Ufer in die Nähe des
Schiffbruchs kam, bemerkte ich zu meinem großen Schmerze den Leichnam
eines Schiffsjungen, den die Wogen ans Land gespült hatten. Er trug
nur eine Matrosenjacke, an den Knieen zerrissene Beinkleider, sowie
ein Hemd von dunkelblauer Leinwand. Nichts verriet, welcher Nation
er angehörte. In seinen Taschen fand ich zwei kleine Münzen und eine
Pfeife, über welche letztere ich hoch erfreut war, und die in meinen
Augen hundertmal mehr Wert hatte als Gold und Silber! Von der ganzen
verunglückten Schiffsmannschaft, soviel ich auch umherspähte, entdeckte
ich nicht das Geringste.

Nach den eben beschriebenen Ereignissen trat in meinem Leben wieder die
frühere Eintönigkeit ein, nur daß ich bei allen Verrichtungen, die ich
vornahm, behutsamer zu Werke ging und wachsamer auf alles acht gab,
was sich außerhalb meiner Burg etwa ereignete. Wenn ich mein Landhaus
besuchte, so wagte ich nicht, mich dahin zu begeben, ohne mich bis an
die Zähne zu bewaffnen. Traf es sich aber, daß mich der Weg nach dem
östlichen Teile der Insel führte, so konnte ich schon mit größerer
Sicherheit, wenn auch immer nicht unbewaffnet, meine Reserveparks
besichtigen. Manchmal wandelte mich in dieser Zeit die Lust an,
eine zweite Reise nach dem gestrandeten Fahrzeuge zu unternehmen;
allein mein Verstand sagte mir, daß es nichts enthielte, was die
Beschwerlichkeiten und Gefahren vergüten könnte.

Die fehlgeschlagene Hoffnung, bei meinem Besuche auf dem Wrack
Menschen, Gefährten in meiner Einöde zu finden, ließ noch ganz andre
Pläne in mir emportauchen, die fast ans Ungeheuerliche grenzten. Mich
packte wieder die alte Wanderlust, meine »Ursünde«, wie ich sie nannte,
und ich wollte wenigstens einmal den beiden meiner Insel zunächst
gelegenen Eilanden mit meinem Boote einen Besuch abstatten. Von da aus
konnte ich dann auch einen Abstecher nach dem Festlande von Amerika
unternehmen. Auch jetzt fiel mir wieder die Barke ein, auf der ich
einst mit dem Maurenknaben Xury aus Saleh entflohen war; hätte ich sie
in den Augenblicken meiner Reiseleidenschaft zur Verfügung gehabt, ich
würde mich wahrscheinlich wieder auf gut Glück dem trügerischen Element
anvertraut haben, um zu irgend einer Ansiedelung von Menschen zu
gelangen. Gern hätte ich auch wissen mögen, welchen Teil des Erdballs
jene Fremdlinge bewohnten, die mich für immer aus meiner sorglosen Ruhe
aufgeschreckt hatten, wie weit ihr Land von meiner Insel entfernt sei,
und ich fragte mich selbst, warum ich nicht ebenso gut an *ihrer* Küste
landen könnte, als sie an der meinigen.

Es war in der Regenzeit, im März des 24. Jahres meiner Anwesenheit auf
der Insel, als ich eine ganze Nacht schlaflos in meiner Hängematte
zubrachte, obgleich ich mich körperlich gerade nicht unwohl fühlte.
Es ging nochmals die ganze Geschichte meines vergangenen Lebens wie
in einem Zauberbilde an meinem geistigen Auge vorüber. Freudige
Betrachtungen wechselten mit traurigen in rascher Folge. Ich rief
mir die verschiedenen Zeitabschnitte meines einsamen Aufenthalts
zurück und verglich die frühere ruhige Lage mit der beängstigenden
Existenz, die ich seit dem Augenblicke führte, als ich in dem Sande
die verhängnisvolle Spur eines Fußes fand. Ich zweifelte durchaus
nicht, daß die Wilden schon vorher meiner Insel wiederholte Besuche
abgestattet hatten; aber da mir dieselben unbekannt blieben, so hatte
ich sorglos dahingelebt. Wie gütig nimmt sich doch immer unser
Herrgott unser an, indem er unser Urteil und unsre Voraussicht in so
enge Grenzen schließt. Ruhig und unbeirrt wandeln wir zwischen Gefahren
hindurch, deren Anblick uns allen Genuß an der Gegenwart rauben würde.
Wie oft wanderte ich vormals im Gefühle der größten Sicherheit in
meinem Königreich einher! Vielleicht hatte ich es nur einem Baum, einem
Hügel, dem Einbruch der Nacht zu verdanken, wenn ich nicht in die Hände
der Kannibalen gefallen war.

Tief gerührt dankte ich dem Allmächtigen für die Bewahrung vor so
vielen augenfälligen und unbekannten Gefahren.

Alle diese Gedanken setzten mein Blut stark in Wallung, und mein Puls
hämmerte heftig wie im Fieber. Erst gegen Morgen sank ich vor Ermattung
in einen tiefen Schlaf. Da unternahm ich im Traume meinen gewöhnlichen
Morgenspaziergang an die Küste auf der Ostseite der Insel und sah zwei
Kanoes, aus denen elf Wilde stiegen samt etlichen Gefangenen, die sie
verzehren wollten. Plötzlich sprang eines der Schlachtopfer davon und
suchte eine Zufluchtsstätte in dem Buschwerk, das meine Burg umgab. Ich
ging ihm entgegen und forderte ihn auf, näher zu mir zu kommen. Der
arme Gefangene stürzte vor mir auf die Kniee nieder, um meinen Beistand
gegen seine Peiniger anzuflehen. Darauf kam es mir vor, als zeigte ich
ihm meine Leiter, hälfe ihm über die Mauer und führte ihn in meine
Wohnung, wo er mein Diener wurde. »Mit diesem neuen Gefährten«, sagte
ich mir selbst, »werde ich endlich meinen sehnlichsten Wunsch erfüllen
können. Nichts hindert mich jetzt, auf den Ozean hinauszusteuern; denn
er wird mir als Pilot oder Lotse dienen und mir sagen, was ich thun
oder unterlassen soll.«

Ich hatte so lebendig geträumt, und alle Einzelheiten des im Schlafe
Geschauten waren so eindrucksvoll an mir vorübergeschwebt, daß ich mich
nach dem Erwachen noch längere Zeit der Täuschung überließ, ich könnte
das in Wirklichkeit erlebt haben, was mich so außerordentlich ergriff
-- und ich jauchzte vor Freuden laut auf.

Indes Träume -- sind Schäume, sagte das Sprichwort, ich rieb mir die
Schlaftrunkenheit aus den Augen, und als ich aus meiner Umgebung die
Gewißheit gewann, daß meine Rettungspläne nichts als Hirngespinste
waren, bemächtigte sich meiner eine große Niedergeschlagenheit.

Dieser Vorfall brachte mich auf den Gedanken, womöglich einen Wilden,
den die Kannibalen nach meiner Insel führten, um ihn abzuschlachten,
aus ihren mörderischen Händen zu befreien; auf keine andre Art schien
mir eine Rettung für meine eigne Person denkbar zu sein. Aber ein
solches mit den größten Schwierigkeiten und Gefahren verknüpftes
Unternehmen -- wie leicht konnte es fehlschlagen! Auf der andern Seite
kamen mir wieder Zweifel gegen die Angemessenheit meiner Pläne bei,
ich scheute vor dem Gedanken an Blutvergießen zurück. Kurz, Gründe und
Gegengründe stritten lebhaft in mir; endlich siegte der Drang nach
Befreiung, und ich beschloß, auf eine Gelegenheit zu achten, um einen
Wilden in meine Hände zu bekommen. Nun kam es darauf an, wie zu meinem
Ziele zu gelangen sei?

Das nächste Thunliche bestand darin, auf die Kannibalen zu lauern,
wenn sie an dieser Küste landeten, und das übrige meinem Glücke
anheimzustellen. Ich ging von nun an täglich auf Kundschaft aus,
besonders nach dem westlichen und südwestlichen Teile meines Eilandes;
aber wie sehr ich auch ringsumher spähte, nirgends wollte sich ein mit
wilden Eingeborenen besetztes Boot zeigen. So verlief eine geraume
Zeit. Indessen weit davon entfernt, mich unmännlicher Entmutigung
hinzugeben, fachte ich meinen Zorn gegen die Kannibalen zur hellen
Flamme an, so daß sich täglich in mir immer mehr die Begierde regte,
im Kampfe mit meinen Feinden mich zu messen, und es verging kaum eine
Nacht, in welcher ich mich im Traume nicht im Streite mit meinen
grimmen Feinden befunden hätte.




[Illustration: Robinson auf seiner Warte.]

Elftes Kapitel.

Zusammenstoß mit den Kannibalen.


  Landung der Wilden. -- Die beiden Schlachtopfer. -- Der Flüchtling
  und sein Beschützer. -- Reste des Kannibalenschmauses. -- Freitags
  Dankbarkeit. -- Seine Ausstattung. -- Erste Sprechstudien. -- Freitag
  als Koch und Bäckerlehrling. -- Nachrichten über die Nachbarländer.
  -- Die Kariben und ihre religiösen Anschauungen.

Auf die beschriebene Weise mochten weitere anderthalb Jahre
verstrichen sein, als ich eines Morgens noch in der Dämmerzeit fünf
Kanoes bemerkte, welche dicht nebeneinander und in der Richtung nach
meiner Wohnung an der Küste gelandet waren. Eine solche Zahl machte
mich stutzig, ich wußte, daß sich gewöhnlich fünf bis sechs Mann in
einem Boote befanden, und es erschien mir deshalb ein verzweifeltes
Wagestück, allein vielleicht ihrer dreißig angreifen zu sollen. Mit
Besorgnissen erfüllt, zog ich mich daher hinter meine Festungswälle
zurück. Hier traf ich die nötigen Anstalten, jedem feindlichen Besuch
gebührend zu begegnen.

Nachdem ich geraume Zeit vergeblich auf die Ankunft der Gäste gewartet,
wollte ich um jeden Preis wissen, was in meinem Inselkönigreich
vorgehe. Mein Gewehr legte ich am Fuße der Leiter nieder; gleich
nachher war ich selbst mit zwei Sätzen auf dem Gipfel des Hügels.
Hier gewahrte ich durch mein Fernglas gegen 30 Wilde, die unter den
seltsamsten Gebärden um ein Feuer tanzten. Darauf sah ich, wie man zwei
Unglückliche aus den Kanoes herbeischleppte, um sie zu schlachten. Der
eine von ihnen stürzte sogleich zu Boden, wahrscheinlich durch eine
Keule getötet; in wilder Hast fielen zwei oder drei von den Kannibalen
über ihn her und schnitten ihn in Stücke, während das andre Opfer ein
gleiches Schicksal erwartete. Plötzlich erwachte in dem Unglücklichen
die Lust zum Leben; er ergriff die Flucht und rannte mit unglaublicher
Schnelligkeit am Ufer hin, gerade auf meine Burg zu. Ich war auf den
Tod erschrocken, als ich ihn diese Richtung einschlagen sah, zumal
ein Trupp ihm alsbald nachsetzte. Ich rührte mich nicht und schöpfte
erst dann frischen Mut, als ich bemerkte, daß nur noch drei Männer dem
Flüchtling folgten, der unterdessen einen beträchtlichen Vorsprung
gewonnen hatte.

Zwischen ihnen und meiner Festung lag die Bai, deren ich öfter schon
erwähnt habe. Wollte der Flüchtling seinen Verfolgern entrinnen, so
mußte er diesen Meeresarm durchschwimmen. In der That warf er sich ohne
Zaudern in die Flut und gewann das andre Ufer. Er erkletterte behende
das Gestade und setzte seine Flucht mit gutem Erfolge fort. Als die
drei Verfolger an das Wasser kamen, kehrte einer bedächtlich um und
begab sich zu seinen schmausenden Gefährten zurück; die beiden andern
dagegen schwammen dem Flüchtling nach, brauchten aber noch einmal so
viel Zeit dazu.

Jetzt schien der Augenblick gekommen, wo mein Traum sich erfüllen
konnte. Ich hielt mich von der Vorsehung geradezu für berufen, dem
Verfolgten zu Hilfe zu kommen. Rasch stieg ich von meiner Warte herab,
nahm die beiden Gewehre, die ich am Fuße der Leiter gelassen, und eilte
dem Meere zu, indem ich einen kürzeren Weg einschlug. Bald befand ich
mich denn auch zwischen dem Entflohenen und den Verfolgern. Jenen
rief ich laut an, allein der Arme erschrak fast noch mehr über mich,
als er sich vor seinen Feinden fürchtete. Ich machte ihm deshalb mit
der Hand ein Zeichen, zu mir zu kommen, und wandte mich sodann gegen
die Verfolger, stürzte mich auf den Vordersten und schmetterte ihn
mit einem Kolbenschlage zu Boden. Der Gefährte des Erschlagenen blieb
entsetzt stehen; als ich mich aber ihm nahte, griff er nach Bogen und
Pfeil, um auf mich zu schießen. Ich kam ihm indes flugs zuvor und
streckte ihn durch einen Flintenschuß nieder.

Knall, Feuer und Rauch machten den armen geretteten Schwarzen so
bestürzt, daß er wie angewurzelt stehen blieb. Unschlüssig, was zu
thun sei, schien er mehr geneigt, weiter zu fliehen, als sich mir zu
nähern. Wiederholt winkte ich ihm mit der Hand, zu mir heranzukommen.
Er mochte meine Zeichensprache verstehen, that auch einige Schritte
vorwärts, hierauf stand er wieder etwas still, kam dann etwas näher,
hielt hernach aber von neuem inne. Ich fuhr jedoch fort, ihm zuzuwinken
und ihm durch freundliche Gebärden seine Todesangst zu benehmen.
Dies bewog ihn, sich allmählich zu nähern, aber wiederholt kniete er
nieder, um mir seine Unterwürfigkeit auszudrücken. Endlich kam er zu
mir heran, legte sich nieder, küßte die Erde, ergriff meinen rechten
Fuß und setzte ihn auf seinen Kopf. Vermutlich wollte er mir dadurch zu
verstehen geben, daß er von diesem Augenblicke an mein Sklave sei. Ich
richtete ihn auf, sah ihn freundlich an und that alles mögliche, um ihm
Mut einzuflößen.

[Illustration: Robinson findet Freitag.]

Währenddessen war der Wilde, den ich erschlagen zu haben glaubte,
wieder zu sich gekommen und fing an, sich zu regen. Ich machte meinen
Schützling darauf aufmerksam. Derselbe richtete hierauf an seinen
Verfolger einige Worte, die mir aber seit 25 Jahren nicht mehr gehörte
liebliche Laute waren, kamen sie doch aus dem Munde eines Menschen.
Jetzt war jedoch keine Zeit, sich Betrachtungen zu überlassen, der
Verwundete stand bereits im Begriff, sich wiederzuerheben. Deshalb
legte ich auf ihn an, um ihn niederzuschießen, allein mein Schützling
gab mir durch Zeichen zu verstehen, daß ich ihm den Säbel, der an
meiner Seite hing, überlassen möge. Ich reichte ihm die Waffe, und mit
Blitzesschnelle stürzte er mit derselben auf seinen Feind los und
hieb ihm mit einem einzigen Streiche den Kopf vom Rumpfe ab. Mittels
dieses Meisterstücks schien er sich bei mir in Achtung setzen zu
wollen, denn er wandte sich triumphierend mir zu, lachend und allerhand
mir unverständliche Bewegungen ausführend, und legte Kopf und Degen mir
zu Füßen.

Was ihn aber am meisten in Erstaunen und in schreckhafte Bewegungen
versetzte, war der Umstand, daß ich den einen seiner Verfolger
aus weiter Entfernung niedergestreckt hatte. Er ließ mich seine
Empfindungen durch Zeichen erraten und schien um die Erlaubnis bitten
zu wollen, sich überzeugen zu dürfen, ob sein Feind wirklich tot sei,
was ich ihm nicht verwehrte. Als er vor dem Leichnam stand, betrachtete
er ihn mit großer Verwunderung, wendete ihn dann bald auf die eine,
bald auf die andre Seite und untersuchte die Wunde, aus der nur wenig
Blut floß, denn die Kugel war tief in die Brust eingedrungen und das
Blut hatte sich nach innen ergossen. Nach dieser Leichenschau kam mein
Wilder mit Bogen und Pfeilen des Getöteten wieder zurück, und da ich
jetzt heimgehen wollte, gab ich ihm zu verstehen, mir zu folgen. Er
aber, als echter Sohn der Wildnis, war vorsichtiger als ich und deutete
mir durch Zeichen an, wir möchten die Toten in den Sand eingraben,
damit deren Genossen sie nicht so leicht finden konnten. Damit stimmte
ich vollständig überein, und nach Verlauf einer Viertelstunde waren die
beiden Kannibalen in die Erde eingescharrt.

Noch wußte ich nicht, wohin ich den Wilden bringen sollte. Meinem
Traume gemäß hätte ich ihn nach meiner Burg führen müssen, doch besser
schien es, mit ihm nach der Grotte, zu dem von meiner Hauptwohnung
entferntesten Teile der Insel, zu gehen. Dort gab ich ihm Brot, Rosinen
und frisches Wasser, was ihm trefflich mundete. Alsdann wies ich ihm
eine Schütte Reisstroh zum Lager an und gab ihm dazu noch eine Decke.
Bald war er ruhig eingeschlafen.

Es war ein schöngebauter, kräftiger, schlanker Bursche von etwa 25
Jahren. Seine regelmäßigen Züge waren einnehmend, sie hatten im Grunde
wenig Wildes und trugen den Ausdruck männlichen Stolzes. Wenn er
lächelte, sprach sogar eine gewisse Sanftmut aus denselben, wie sie
meist den Wilden nicht eigen ist; seine langen Haare waren nicht wollig
oder kraus, sondern hingen schlicht auf den Nacken nieder; seine Haut
war dunkelbraun, von einer olivenfarbigen Schattierung. Sein Gesicht
war rund und voll, die Stirn frei, der Mund nicht übel geformt, seine
Zähne weiß wie Elfenbein.

Während der Wilde schlummerte, begab ich mich nach dem nahen Gehege,
um meine Ziegen zu melken. Noch war ich damit beschäftigt, als mein
Indianer, der höchstens eine halbe Stunde geruht hatte, eilends auf
mich zukam, sich wiederum demütig vor mich hinlegte, meinen Fuß
auf seinen Kopf setzte und mir durch alle möglichen Zeichen seine
Dankbarkeit ausdrückte.

Ich verstand seine Zeichen und gab ihm meinerseits zu erkennen, daß
ich mit ihm zufrieden sei; -- nachher machte ich ihm verständlich,
daß er den Namen Freitag führen solle, weil ich nach meinem Kalender
glaubte, daß ich ihm an einem *Freitag* das Leben gerettet hätte. Dann
bedeutete ich ihn, mich *Herr* zu nennen, da er meinen Weisungen Folge
zu leisten hätte; in gleicher Weise lehrte ich ihn den Unterschied
zwischen *Ja* und *Nein* sowie die Aussprache dieser Worte. Hiermit
endigte die erste Lektion im sprachlichen Unterricht. Dann gab ich ihm
Brot und Milch in einem irdenen Gefäße, ich selbst aber brockte mir ein
Stück Gerstenkuchen in die Milch und winkte ihm zu, meinem Beispiele zu
folgen.

Ich blieb mit ihm den übrigen Teil des Tages und die folgende Nacht in
der Grotte. Sobald es aber Morgen geworden war, nahm ich ihn mit in
meine Burg, um ihn mit Kleidung zu versehen, denn er lief herum, wie
ihn Gott erschaffen hatte. Als wir an der Stätte vorbeikamen, wo die
getöteten Wilden eingescharrt waren, zeigte er mir genau die Stelle
und machte ein Zeichen, als denke er daran, die Toten auszugraben, um
sie zu verzehren. Er erschrak nicht wenig, als ich ihm deutlich meinen
Abscheu ausdrückte.

Nach einer kleinen Weile winkte ich meinen Gefährten zu mir heran,
um mit ihm meine Warte zu ersteigen. Vor allem wollte ich mich
vergewissern, ob die Wilden fort wären; deutlich ließ sich durch
das Fernrohr die Stelle erkennen, wo sie geweilt hatten. Von ihnen
selbst aber und ihren Kähnen war nicht die geringste Spur mehr zu
entdecken; sie hatten sich also offenbar entfernt, ohne sich um die
zurückgebliebenen Gefährten zu bekümmern. Ich mußte mir Gewißheit
verschaffen, gab meinem Freitag einen Säbel in die Hand, hing ihm Bogen
und Pfeile um und gab ihm überdies eine Flinte für mich zu tragen. Ich
selbst ergriff zwei Gewehre, und so bewaffnet marschierten wir nach dem
Lagerplatz der Wilden.

Als wir den Ort der Blutmahlzeit erreichten, erstarrte bei dem
grauenvollen Anblick, der sich mir darbot, mein Blut in den Adern.
Der Boden war ringsum mit Blut gefärbt, Menschenknochen lagen
zerstreut umher. Drei Schädel, fünf Hände, die Knochen von drei
oder vier Beinen und mehrere halbverzehrte Stücke Fleisch waren
die Überbleibsel des Siegesfestes. Freitag gab mir durch Gesten zu
verstehen, daß die Kannibalen vier Gefangene hierher geschleppt hatten;
eine große Schlacht zwischen seinem und dem benachbarten Stamme
habe stattgefunden. Ich ließ Freitag die Schädel, die Knochen, die
Fleischstücke auf einen Haufen tragen und zündete ein großes Feuer an,
um alles zu Asche zu verbrennen. Hierbei regte sich in Freitag die
alte Kannibalennatur; er trug nicht übel Lust, seinem Appetite nach
Menschenfleisch Rechnung zu tragen. Aber ich verbot ihm dergleichen
Gelüste auf das entschiedenste, so daß er nicht wagte, sein Verlangen
zu befriedigen.

Nachdem wir dem Schauplatze menschlicher Grausamkeit den Rücken
gewendet, schlugen wir den geraden Weg zur Burg ein; hier wollte ich
vor allem meinen Diener mit Kleidern versehen. Zuerst gab ich ihm ein
paar Leinwandhosen, dann fabrizierte ich eine Weste von Ziegenfell nach
dem bequemsten Schnitt, denn ich war ein leidlich gewandter Schneider
geworden. Auch für eine Jacke oder ein Wams wurde nun gesorgt, und
eine bequeme, gar nicht übel aussehende Mütze von Hasenfell vollendete
die Ausrüstung Freitags. Für den ersten Augenblick schien er entzückt
darüber zu sein, fast ebenso auszusehen wie sein Herr; doch fühlte er
sich gar bald in seinem Kostüm unbehaglich. Die Beinkleider schienen
ihm zur Last zu sein, und die Wamsärmel drückten ihm Schultern und Arm.
Nachdem ich aber an den Stellen, die ihm Zwang verursachten, etwas
nachgeholfen, gewöhnte er sich bald an seine Tracht und legte sie
zuletzt sogar mit einem gewissen Wohlgefallen an.

Ich sann nun darüber nach, wo ich meinen guten Freitag unterbringen
könnte, ohne daß ich von ihm etwas zu fürchten hätte; es schien mir
das geeignetste, zwischen meinen beiden Festungswerken ein Zelt
aufzuschlagen. Da man von hier aus einen Eingang zur Höhle hatte, so
brachte ich daselbst eine hölzerne Thür an und setzte diese in die
Öffnung, sodann verriegelte ich die Pforte und zog auch meine Leiter
mit herein. Meine innere Mauer trug eine Bedachung von langen Stangen,
welche mein Zelt bedeckte und sich an die Felsenwand anlehnte. Über
jene Stangen waren als Latten kleine Stäbe gelegt und auf letztere
eine Schicht Reisstroh gebreitet, so daß es einem Rohrdach glich. Die
Öffnung, durch welche man aus und ein gelangen konnte, hatte ich mit
einer Art von Fallthür geschlossen und dadurch mich gegen Freitag
vollkommen gesichert. Hätte *er* ja in feindlicher Absicht durchbrechen
wollen, so wäre ich durch das Zuwerfen der Thür aufmerksam gemacht
worden; aber ich behielt auch stets Gewehr, Pfeil und Bogen in meiner
Nähe.

Doch alle diese Vorsichtsmaßregeln waren, wie ich mich immer mehr
überzeugte, durchaus nicht notwendig; denn es konnte kaum eine treuere
und diensteifrigere Seele gefunden werden, als dieser Freitag war. Nie
legte er Eigensinn, nie Mutwillen an den Tag; stets fand ich in ihm
nur die aufrichtigste Ergebung in meinen Willen. Er war mir herzlich
zugethan und liebte mich wie einen Vater, so daß ich wohl sagen
kann, er hätte gern und freudig sein Leben für mich hingegeben. Bald
konnte ich von seiner Anhänglichkeit so überzeugt sein, daß ich alle
getroffenen Maßregeln wieder einstellte. Seine Heiterkeit und seine
Unverdrossenheit bei jedweder Arbeit, die ich ihm auftrug, nahm mich in
so hohem Grade für ihn ein, daß ich keinen sehnlicheren Wunsch hatte,
als mich mit ihm über allerlei Dinge unterhalten zu können. Mit Eifer
setzte ich daher den begonnenen Sprachunterricht fort und hatte meine
Freude an seiner Lernbegierde. Hauptsächlich suchte ich bei ihm dahin
zu wirken, daß er die unnatürliche Begierde, Menschenfleisch zu essen,
unterdrücke. Um dieses zu erreichen, bot ich ihm ein andres Fleisch an.
Ich nahm ihn mit zu meinen Ziegen, und als ich eine Ziege mit ihren
beiden Jungen in geringer Entfernung von mir liegen sah, faßte ich ihn
beim Arme und sprach zu ihm: »Halte dich still und rege dich nicht!« In
demselben Augenblick schoß ich eines der Zicklein nieder.

Der arme Bursche war so erschrocken, daß er vor Furcht selber
zusammenstürzte; ja, er glaubte sogar, ich habe ihn erschießen wollen,
denn er riß sein Wams auf, um zu fühlen, ob er verwundet sei. Dann fiel
er vor mir auf seine Kniee nieder, stammelte unverständliche Worte und
schien mich um Schonung seines Lebens zu bitten. Ich aber nahm ihn
bei der Hand, redete ihm freundlich zu, deutete auf das Zicklein, das
ich erlegt hatte, und gebot ihm, dasselbe zu holen. Während er meinem
Befehle nachkam und das tote Tier mit Staunen betrachtete, lud ich von
neuem mein Gewehr. Er war noch nicht klar darüber, wie das Tier getötet
sein konnte.

Um ihm diesen Vorgang erklärlich zu machen, zeigte ich mit dem Finger
auf die Flinte und dann auf einen Papagei, den ich in schußgerechter
Entfernung auf einem Baume sitzen sah. Hierauf gab ich ihm zu
verstehen, daß ich auch diesen Vogel durch mein Gewehr töten könne,
hieß ihn seine Augen scharf nach dem Tiere richten, drückte los und
schoß den Papagei vom Baume herunter.

Aber auch diesmal erschrak der arme Freitag auf das heftigste und
zeigte eine wahre abgöttische Scheu vor meinem Jagdgewehr. Da er
nämlich nicht gesehen, wie ich es geladen hatte, so glaubte er, die
Waffe enthielte eine unerschöpfliche Zauberkraft des Schreckens,
des Todes und der Vernichtung, fähig, Menschen und Tiere aus jeder
beliebigen Entfernung zu töten. Er sprach mit dem Gewehr, als ob er
verstanden werden könne, bat dasselbe, daß es ihn doch ja nicht töten
möge, und schien hierauf eine Antwort zu erwarten, während er wie
Espenlaub zitterte. Es dauerte noch etliche Tage, bevor er es wagte,
die Flinte anzurühren.

Nachdem sich Freitag von seinem Staunen erholt hatte, gebot ich
ihm, den geschossenen Vogel herbeizuholen. Nach längerem Ausbleiben
-- denn der Papagei war noch nicht ganz tot und eine Strecke weit
fortgeflattert -- brachte er ihn endlich. Hierauf ergriffen wir auch
das Zicklein und kehrten nach Hause zurück; dort zerlegte ich das Tier
und kochte einen Teil noch denselben Abend.

Freitag verzehrte mit dem trefflichsten Appetit das saftige Fleisch.
Auffallend erschien es ihm hierbei, daß ich meine Speisen mit Salz
würzte, und er gab mir zu verstehen, daß dies seinem Geschmack ganz
zuwider sei. Um mir seine Abneigung zu verdeutlichen, legte er ein
Stück Salz auf seine Zunge, verzog das Gesicht mit unnachahmlicher
Grimasse, spuckte den salzigen Schleim wieder aus und spülte darauf den
Mund mit frischem Wasser aus. Ich meinerseits suchte ihn mit seinen
eignen Gründen zu schlagen, indem ich ein Stück Fleisch ohne Salz zu
mir nahm und mich in ähnlichen Gesichtsverrenkungen gefiel, eine Art
von Beweisführung, die ihm jedoch nicht stichhaltig schien.

Am andern Tage setzte ich meinem Hausgenossen einen vortrefflichen
Ziegenbraten vor; zur Bereitung desselben wendete ich ein Mittel
an, wie ich es einst in England gesehen hatte. Ich steckte nämlich
zwei Stäbe in gewisser Entfernung voneinander neben einem tüchtigen
Feuer in die Erde, einen dritten Stab legte ich quer über die beiden
ersten, hing an denselben mein Fleisch am Ende einer Schnur und ließ
es drehen. Freitag drückte über dieses sinnreiche Verfahren seine
Verwunderung aus. Als er aber erst den Braten gekostet hatte, gab er
durch wohlgefälliges Schnalzen und Zähnefletschen kund, welch ein
Leckerbissen das Genossene für ihn gewesen sei; ja er war davon so
entzückt, daß er mir hoch und teuer versicherte, nie mehr in seinem
Leben Menschenfleisch essen zu wollen.

Tags darauf wies ich Freitag an, Gerste auszukörnen und sie auf die
schon beschriebene Art zu reinigen, wozu er sich ganz geschickt
anstellte.

Ferner unterrichtete ich ihn, wie ich es mit dem Backen hielt und
wie ich meine Kuchen zurichtete. Auch das begriff er so rasch, daß
ich schon nach kurzer Zeit ihm dergleichen Arbeiten getrost allein
überlassen konnte.

Da ich jetzt außer mir noch einen Menschen mit kräftiger Eßlust zu
versorgen hatte, mußte ich eine größere Menge Korn säen, um reicheren
Vorrat zu gewinnen. Zu diesem Zwecke suchte ich ein umfangreicheres
Stück Ackerland aus und zäunte es auf ähnliche Weise ein wie die
früheren. Bei der Arbeit unterstützte mich Freitag aufs eifrigste,
zumal er schon wußte, dies alles geschähe, um für mich und ihn das
nötige Brot backen zu können.

Dieses Jahr war von allen, welche ich auf meinem Eilande bisher
zugebracht hatte, das angenehmste. Freitag konnte binnen wenigen
Monaten sich recht geläufig englisch ausdrücken und wußte die Namen
fast aller Dinge, die ich von ihm fordern, und aller Orte, wo ich ihn
hinschicken konnte.

So genoß ich, nach einer langen Reihe von Jahren, endlich wieder das
Vergnügen menschlicher Unterhaltung in meiner Muttersprache; aber außer
diesem langentbehrten Genusse fand ich auch täglich mehr Freude an
meinem Genossen. Seine Herzenseinfalt und seine Anhänglichkeit machten
ihn mir immer teurer, und er wiederum liebte mich, wie er vielleicht
niemand zuvor geliebt haben mochte. Einstmals versuchte ich zu
ergründen, wie groß sein Verlangen sei, sein Heimatland wiederzusehen,
und da er so viel Englisch verstand, um auf meine Fragen Auskunft geben
zu können, so sagte ich zu ihm:

»Hat der Stamm, dem du angehörst, bei seinen Kriegszügen öfters den
Sieg davon getragen?«

»O ja!« sprach Freitag lächelnd, »wir kämpften immer als beste.«

»Ihr kämpftet am besten, waret den andern also überlegen! Wie kommt es
aber dann, daß sie dich zum Gefangenen gemacht haben?«

»Mein Stamm hat deshalb doch den Sieg behalten!«

»Den Sieg? Ich glaub' es nicht; sonst wärest du jetzt kein Gefangener.«

»An jenem Tage, o Herr, waren die Feinde gerade zahlreicher als die
Brüder meines Stammes; sie nahmen eins, zwei, drei Brüder und mich
gefangen; mein Stamm hat sie aber an einem andern Platze, wo ich nicht
war, besiegt; mein Stamm hat ihnen dafür eins, zwei, ein zehnmal zehn
und noch einmal zehnmal zehn genommen.«

»Aber warum haben deine Gefährten nichts für deine Befreiung gethan?«

»Sie nahmen rasch eins, zwei, drei und mich und schafften uns in ihre
Kanoes; mein Stamm hatte damals keine Kanoes.«

»Und was macht dein Stamm mit den Gefangenen? Schleppt er sie auch fort
und verzehrt sie, wie die Menschen, die hier auf der Insel waren?«

»Ja, Herr, mein Stamm ißt auch Menschen, ißt alle Gefangenen auf.«

»Wohin aber bringt ihr sie?«

»An einen andern Platz, als sie denken.«

»Bringt ihr sie auch manchmal hierher, Freitag?«

»Ja, ja, hierher und an noch andre Orte.«

»Bist du auch schon mit ihnen hierher gekommen?«

»Ja, Herr, von dort!« Hierbei zeigte Freitag nach der nordwestlichen
Seite der Insel, wo der Landungspunkt lag.

»Aber, verirren sich nicht zuweilen die Kanoes auf der Überfahrt?«

»O, das hat keine Gefahr, Herr! Nur darf man nicht in den Strom fallen,
der weit ins Meer hinausläuft; auch weht ein guter Wind des Morgens und
wieder ein andrer des Abends.«

Anfangs glaubte ich, Freitag wolle von Ebbe und Flut reden; später
indes überzeugte ich mich selbst, daß in der That zwei verschiedene
Windströmungen in diesen Gewässern herrschten, die wahrscheinlich
von der heftigen Flut und Rückflut des gewaltigen *Orinoko*stromes
herrührten, an dessen Mündung meine Insel lag. Das Land, das ich im
Westen und Nordwesten erblickte, war die große Insel *Trinidad*.

Ich richtete an Freitag nun noch vielerlei Fragen, die sich auf
sein Land und dessen Einwohner, das Meer, die Küstenstriche und
die benachbarten Völkerschaften bezogen. Er beantwortete alles mit
bereitwilliger Offenheit, so gut es eben ging, aber ich konnte aus ihm
betreffs der Menschen keinen andern Namen bringen als die Bezeichnung
»*Karibs*«, woraus ich schloß, daß es die *Kariben* seien, die den
Landstrich von der Mündung des Orinoko bis nach *Guayana* und *St.
Martha* bewohnen.

Er erzählte mir ferner: weit jenseit des Mondes -- d. h. westwärts, wo
der Mond unterging -- gäbe es auch so weiße und bärtige Männer, wie
ich sei (dabei deutete er auf meinen langen Bart), und diese Männer
hätten viele Leute getötet. Es war daraus leicht zu erraten, daß er
die *Spanier* meinte. Die Grausamkeit derselben war ja in ganz Amerika
bekannt und hatte sich durch Erzählung von Geschlecht zu Geschlecht
fortgepflanzt.

Als ich ihn fragte, wie ich es anzufangen habe, um jene Insel zu
erreichen und zu den weißen Männern zu gelangen, antwortete er mir:
»Ja, ja, du kannst hingehen in zwei maß Kanoes.«

Ich verstand nicht, was er mit »zwei maß Kanoes« sagen wollte, bis
sich herausstellte, daß er einen Kahn meinte, zweimal so groß wie der
meinige.

Da Freitag immer größere Fortschritte im Erlernen der englischen
Sprache machte, so versäumte ich nicht, ihn in die Hauptlehren der
christlichen Religion einzuführen. Es entwickelte sich dabei folgendes
Gespräch:

»Sage mir doch, Freitag, wer hat das Land, das Meer, die Berge und die
Wälder gemacht?«

»Ein erhabener Greis, Namens *Benamucki*. Er wohnt auf dem höchsten
Berge und ist viel älter als das Meer und das Land, als Mond und
Sterne.«

»Wenn also«, fragte ich weiter, »Benamucki alle Dinge erschaffen hat,
beten ihn dann nicht alle lebendigen Wesen der Welt an?«

Freitag nahm hierbei eine ernste Miene an und sagte mit der größten
Herzenseinfalt: »Alle Wesen sagen zu ihm: O!«

»Gehen die Menschen, die in deinem Vaterlande sterben, nach ihrem Tode
in eine andre Welt über?«

»Ja, sie gehen alle zu Benamucki.«

»Und kommen die Menschen, die ihr gefressen habt, auch dahin?«

»Gewiß, o Herr!«

»Hast du auch schon einmal mit Benamucki gesprochen?«

»Nein, junge Leute dürfen nicht zu ihm gehen, sondern nur alte Männer,
die *Uwukaki*, welche >O!< sagen. Wenn sie vom Berge herabsteigen, so
verkünden sie, was Benamucki ihnen mitgeteilt hat.«

Die Uwukaki waren also die Priester der benachbarten Eingeborenen, die
sich und ihr Treiben in den Schleier des Geheimnisses hüllten und die
unwissende Menge in Aberglauben erhielten. Ich suchte meinem Schüler
einen Begriff von dem wahren Gott, dem Allvater, dem Schöpfer des
Himmels und der Erde, beizubringen; ich sprach von seiner Allmacht:
alles liege in seiner Hand, er könne geben und nehmen nach seinem
weisen Willen.

Freitag hörte mir mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Mit besonderer
Freude vernahm er die Lehre von der Erlösung durch unsern Heiland Jesus
Christus sowie von der Wirkung unsrer Gebete, die wir an Gott im Himmel
richten.

Darauf bemerkte Freitag in seiner unbefangenen Weise: »Gut! Wenn Gott
über der Sonne und den Sternen thront und dort Gebete hört, so muß er
ja wohl viel größer sein als Benamucki, der nur dann die Gebete der
Uwukaki hört, wenn sie selbst zu ihm hinaufsteigen!«

»Du hast recht, Freitag! Gott ist groß und mächtig wie kein andres
Wesen.«

[Illustration: Robinson als Lehrer.]

Täglich unterrichtete ich nun Freitag in den Lehren unsrer Religion
und weihte ihn besonders ein in das Geheimnis der Erlösung durch
unsern Heiland, der sich auf Golgatha zur Beseligung der sündigen
Menschheit geopfert hat. All mein Kummer kam mir jetzt leichter
vor, seitdem ich einen so aufmerksamen Gesellschafter hatte. Meine
Wohnung war mir teurer und angenehmer geworden; ich hielt es nicht
mehr für ein Unglück, an die Küste dieser Insel verschlagen worden
zu sein. Im Gegenteil, ich empfand unaussprechliche Freude, wenn ich
daran dachte, ein armes Wesen, wie Freitag, zur Glückseligkeit wahrer
Gotteserkenntnis geleitet zu haben.

Während des Zeitraums von drei Jahren, die wir so miteinander
verlebten, fühlten wir uns vollkommen glücklich und gehoben durch
den ernsten Vorsatz, fest auszuharren in dem unwandelbaren Vertrauen
auf die Barmherzigkeit unsres himmlischen Vaters. Während ich meinem
Gefährten die Bibel auslegte, wie mein Verstand es mich lehrte, mußte
ich selbst notwendigerweise tiefer eindringen in das Studium der
Heiligen Schrift, und die hunderterlei Fragen Freitags gaben mir häufig
Veranlassung zum fruchtbringenden Nachdenken über unsre verschiedenen
Heilslehren.

Neben den religiösen Gesprächen machte ich meinen Freund auch
mit meinen früheren Lebensschicksalen bekannt, was mir oft genug
Gelegenheit bot, sittliche Lehren in das empfängliche Herz des Wilden
einzupflanzen. Dann erzählte ich ihm auch wohl von den Ländern Europas
und dessen Völkern, schilderte ihm mein Vaterland mit seinen gewaltigen
Städten, in denen eine betriebsame Bevölkerung sich geschäftig regt.
Ebenso führte ich ihn in die geheimnisvollen Wirkungen von Pulver und
Blei ein und brachte ihm die Elemente der edlen Weidmannskunst bei.
Zuletzt überließ ich ihm ein großes Messer zum Gebrauche, worüber
er eine ungemeine Freude empfand; ich versah ihn mit einem Gürtel,
an welchem eine Scheide hing, ähnlich der, wie man sie in meinem
Vaterlande für die Jagdmesser gebraucht, und endlich bewaffnete ich ihn
mit einem kleinen Beile.

Auf einem unsrer gemeinschaftlichen Ausflüge zeigte ich ihm auch die
Überreste meiner Schaluppe, die jetzt ganz und gar zerfallen war. Bei
ihrem Anblick stand Freitag eine Weile nachdenklich still. Ich fragte
ihn, woran er dächte, und er gab mir endlich zur Antwort:

»Ich sah ein Schiff kommen, ganz wie dieses da, zu meinem Volke.«

Ich verstand den Sinn dieser Worte nicht und forschte danach, was er
meine. Da erklärte er mir denn, daß ein Boot wie das meinige in seiner
Heimat durch widrige Winde an die Küste getrieben worden sei.

Ich dachte zuerst, daß in jenen Gewässern ein europäisches Schiff
gestrandet und daß eine von demselben losgelöste leere Schaluppe an das
Land der Kariben geraten wäre. Als aber Freitag weiter hinzusetzte:
»Wir haben die weißen bärtigen Männer vom Ertrinken gerettet« -- da
ward meine Aufmerksamkeit aufs höchste gespannt, und ich fragte ihn:
»Wieviel weiße Männer haben sich in jenem Boote befunden?«

»Siebzehn Männer, Herr«, berichtete Freitag, an den Fingern zählend.

»Und was ist aus ihnen geworden?«

»Sie leben wohl alle noch, sie wohnen bei meinen Brüdern.«

»Weißt du auch, wie lange dies her ist?«

»Ich entsinne mich genau, Robin, es sind seitdem vier Jahre
verstrichen.«

Jetzt erinnerte ich mich auch, daß diese Zeitangabe genau mit der
Strandung jenes Fahrzeugs übereinstimmte, dessen Trümmer an meiner
Insel festsaßen. Vielleicht hatte sich die Mannschaft des Schiffes
in eine Schaluppe geflüchtet und war, dem Sturme und den Wellen
preisgegeben, an die Küste der Wilden getrieben worden.

»Du sagtest mir vorhin, Freitag, daß die weißen Menschen bei deinem
Volke lebten. Wie kommt es denn, daß deine Landsleute sie nicht
aufgefressen haben?«

»Sie haben Brüderschaft mit uns gemacht«, erwiderte Freitag; »und wir
essen nicht Menschen, wenn sie nicht im Kriege gefangen sind. Sie
befinden sich dort ganz wohl, und unsre Brüder liefern ihnen, was sie
zum Unterhalt gebrauchen.«

Es war eine geraume Zeit nach dieser letzten Unterredung vergangen,
als ich einstmals mit meinem Gefährten auf einen Berg der südöstlichen
Hügelreihe stieg. Der Himmel war heiter, und kein Wölkchen zeigte sich
an dem tiefblauen Firmament; die Luft war durchsichtig, und von der See
her wehte uns eine frische Brise entgegen. Freitag sah auf das weite
Meer hinaus und blickte nach einer Weile unverwandt auf einen Punkt
hin.

Plötzlich ward er unruhig, fing an zu tanzen, zu springen und zu jubeln
und rief mich zu sich heran:

»Robin, Robin, komm schnell hierher!«

»Was gibt's, Freitag?«

»O meine Freude! Ich bin glücklich, selig! Ich sehe mein Heimatvolk!
Dort kommt mein Volk.«

Das, was meinen guten Freitag in so überschwengliche Aufregung
versetzte, rief in mir die entgegengesetzten Gefühle hervor. Was
lag näher als die Vermutung, daß in den unverhohlenen Ausbrüchen
der Freude sich die Sehnsucht Freitags nach den Seinen aussprach?
Von dem Augenblick an erwachte in mir Argwohn gegen meinen Freund
und beunruhigte mich wochenlang. Ich zeigte mich unfreundlich, ja
verschlossen; aber hierdurch that ich dem armen Burschen das größte
Unrecht, denn er kam mir stets mit einem Vertrauen, mit einer Hingebung
entgegen, daß ich endlich alle meine Zweifel an seine Aufrichtigkeit
fallen ließ.

Eines Tages, als wir auf demselben Bergesgipfel, aber bei nebeligem
Wetter, zusammen waren, begann ich Freitag auszuforschen.

»Du würdest dich wohl sehr glücklich preisen, Freitag, wenn du wieder
in deine Heimat kommen und deine Brüder sehen könntest?«

»O ja, Robin, ich würde sein viel froh, zu sehen mein Volk.«

»Und möchtest wohl gern wieder, wie deine wilden Brüder,
Menschenfleisch beim Siegesschmaus essen?«

»O nein, nein! Niemals wird Freitag wieder Menschenfleisch essen; er
wird sagen seinen Brüdern, sich untereinander zu lieben, nicht mehr zu
Benamucki zu beten, Fleisch von Ziegen und andern Tieren zu essen und
Brot von Korn und Gerste zu backen.«

»Aber fürchtest du nicht, Freitag, daß sie dich umbringen würden, wenn
du so zu ihnen sprächest?«

»O nein, nein, Robin, sie werden mich nicht töten; sie wollen gern
lernen.«

»So möchtest du also wieder zu den Deinen zurückkehren?«

»Ja, das schon! Aber wie könnte ich so weit bis dort zu jenem Lande
schwimmen?«

»Ich will dir ein Kanoe bauen, Freitag.«

»Aber dann gehst du mit? Denn ohne dich würde ich die Insel nie
verlassen.«

»Ich, Freitag? Nur zu bald würden deine Brüder über mich herfallen,
mich töten, in Stücke zerlegen und über dem Feuer schmoren lassen.«

»Nein, nein, Robin, das wird nimmermehr geschehen; ich werde ihnen
sagen, daß du mir das Leben gerettet hast, daß du mich liebst wie einen
Bruder, und dann werden sie dich auch lieben und dir Gutes thun.«

»Aber nochmals, warum willst du nicht allein zu den Deinen
zurückkehren?«

»O Herr, du bist gewiß recht böse auf mich, daß du mich fortschicken
willst!«

»Nicht im geringsten, mein guter Freitag! Vielmehr gedachte ich dir
eine Freude zu bereiten, wenn ich dich freiwillig in deine Heimat
entließe.«

Und Freitag bleibt dabei: nichts ohne seinen Herrn.

»Was sollte ich aber bei deinem Volke anfangen?«

»O, dort gibt's genug für dich zu thun; wie du mich unterrichtet und
gebessert hast, so wirst du auch meine Brüder sanft erziehen.«

»Mein guter Freitag! Du weißt selbst nicht, was du sprichst. Zu einem
solchen Werke fehlt es mir an Kraft und Ausdauer.«

»O, du kommst doch mit, Robin?«

»Nein, nein, Freitag! Geh du ohne mich; ich werde hier bleiben und
wiederum so leben wie vor deiner Ankunft.«

Die treue Seele war tief gerührt, Thränen standen ihm in den Augen.
Dann griff er an seinen Gürtel, holte das Beil hervor und überreichte
es mir.

»Was soll ich damit, Freitag?«

»Mich totmachen, Herr!«

»Aber was fällt dir ein?«

»Ja, schlage lieber Freitag damit tot, als daß du ihn fortjagst; er
kann nicht ohne dich leben.«

Diese Wendung der Unterhaltung nahm den letzten Zweifel über Freitags
Anhänglichkeit aus meinem Herzen, und in mir selbst regte sich von
neuem die alte Begierde, eine weitere Seereise zu unternehmen und nach
dem großen Festlande zu steuern, auf welchem nach Freitags Bericht die
weißen bärtigen Gesichter -- Portugiesen oder Spanier -- zu treffen
sein mußten. Eines Tages führte ich Freitag zu jenem Boote an der
Bai, das ich seit mehreren Jahren nicht in Gebrauch genommen, sondern
im Wasser versenkt hatte, damit es mich den Wilden nicht verraten
sollte. Wir schöpften das Wasser aus dem Kanoe und setzten uns dann
selbst hinein. Dabei zeigte Freitag in der Lenkung des Bootes eine
Geschicklichkeit und Sicherheit, die mich in Erstaunen setzte. Nach
einer Weile sagte ich zu ihm: »Nun, Freitag, wie wäre es, wenn wir
jetzt in diesem Boote nach deinem Vaterlande segelten?« Er schien über
meine Frage verwundert, denn er fand das Boot viel zu klein, um darin
eine so weite Reise zurückzulegen. Hierauf sagte ich ihm, daß ich wohl
noch ein größeres Fahrzeug hätte, und daß wir es am nächsten Tage
aufsuchen wollten. Ich führte ihn denn auch, wie versprochen, zu dem
Orte, wo die Barke lag, die ich nicht hatte ins Wasser bringen können;
da ich mich indes länger als 20 Jahre nicht weiter um sie gekümmert
hatte, seit ich sie gebaut, so war sie von der Sonne ausgetrocknet und
gesprungen, daß sie sich in einer ganz kläglichen Verfassung befand.
Freitag aber sagte, daß ein Fahrzeug von dieser Größe, da man genug
Eß- und Trinkvorräte darin unterbringen könne, ganz tauglich zu einer
Seereise sei, und diese Versicherung kam meinen Plänen entgegen.




[Illustration: Zusammenstoß mit den Kannibalen.]

Zwölftes Kapitel.

Eine Zeit großer Ereignisse.


  Bau eines neuen größeren Bootes. -- Probefahrten. -- Neuer
  Kannibalenbesuch. -- Der Kampf mit den Wilden. -- Der Spanier und
  Freitags Vater. -- Verpflegung der Befreiten. -- Bestattung der
  Gefallenen. -- Geschichte des Spaniers. -- Zukunftspläne.

Da ich unaufhörlich an die siebzehn weißen Männer dachte, welche nach
Freitags Behauptung bei seinen Landsleuten wohnen sollten, so wuchs
in mir das Verlangen, dieselben aufzusuchen. Ich machte mich daher
unverzüglich ans Werk, um mit Freitags Hilfe ein neues Boot zu bauen.
Alsbald hatte Freitag, der in der Wahl des Holzes besser Bescheid wußte
als ich, einen Baum gefunden, wie wir ihn bedurften. Er wollte sich
nun anschicken, das Innere des Stammes, nach Art seiner Landsleute,
mittels Feuers auszuhöhlen. Aber ich lehrte ihn, wie man denselben
Zweck durch Handwerkszeug erreichen könne, und er zeigte sich auch bald
als ein brauchbarer Schiffszimmermann. Nach Verlauf eines Monats war
endlich ein Fahrzeug von gefälliger Form zustande gebracht; denn wir
hatten auch die Außenseiten sorgfältig mit den Äxten bearbeitet. Noch
lag ein schweres Stück Arbeit vor uns; denn um die Barke mit Walzen und
Hebebäumen bis an das Meer zu schaffen, gebrauchten wir zwei Wochen.
Als sie dann endlich flott geworden, betrachtete ich sie mit einem
Gefühle von Genugthuung, denn ihre Größe hätte hingereicht, 20 Mann an
Bord aufzunehmen. Auch Freitag empfand lebhafte Freude, und er lenkte
das Fahrzeug trotz dessen Größe mit ungemeiner Geschicklichkeit.

»Nun, Freitag, was meinst du wohl, können wir uns mit dieser Barke bis
an die Küste deiner Heimat wagen?«

»O gewiß!« entgegnete Freitag; »wir werden darin sehr gut fahren,
selbst wenn großer Wind weht.«

Aber ich hatte noch einen andern Plan gefaßt. So wie es war, genügte
mir unser Boot noch nicht; ich wollte es auch noch mit einem Mast,
einem Segel und einem Steuer versehen. Ein Mast war nicht schwer zu
erlangen; ich fand einen jungen, schlanken Baum ganz in der Nähe, wie
zu meinem Vorhaben geschaffen. Während Freitag denselben fällte und den
Stamm nach meiner Anleitung behieb, übernahm ich selbst die Herstellung
der Segel. Unter meinem Vorrat alter Segelstücke fanden sich noch
einige ziemlich gut erhaltene Stücke, und ich nähte ein dreieckiges
oder lateinisches Segel daraus zusammen. Auch brachte ich für den Fall,
daß der Wind umsetzte, ein kleines Focksegel und ein Besansegel an;
besonders aber ließ ich es mir angelegen sein, ein Steuerruder an dem
hinteren Teile der Barke herzurichten.

Als unsre Takelage beendigt war, bestiegen wir das Boot und segelten in
der Bai umher. Freitag war zwar ein guter Ruderer, aber er hatte noch
keinen Begriff von der Handhabung eines Steuers und dem Gebrauche eines
Segels. Er schaute mir daher voll Bewunderung zu, wie ich das Fahrzeug
nach meinem Willen vor- und rückwärts lenkte.

[Illustration: Freitag erhält Unterricht im Schiffbau.]

Ich hatte jetzt das 27. Jahr meiner »Verbannung« auf meiner Insel
angetreten. Nie unterließ ich es, den Jahrestag meines Schiffbruchs
und meiner Ankunft auf der Insel in inbrünstigen Gebeten zu Gott zu
begehen. Seine Güte hatte mich bisher so wunderbar behütet, und nun
erfüllte mich die beglückende Hoffnung, wieder in die Gesellschaft der
Menschen zurückzukehren. Auch während der letzten Zeit setzte ich meine
Tagesarbeiten fort. Ich grub, pflanzte, ergänzte meine Einzäunungen,
sammelte Korn, Reis, Baumfrüchte und Trauben ein; ich besorgte meine
Ziegenherden, buk Brot und Kuchen, verfertigte Kleider, Körbe und
Töpfe. -- Unterdessen war die Regenzeit herangenaht, und ich mußte
Bedacht darauf nehmen, unser Boot sicher unterzubringen. Ich schaffte
es daher so weit auf den Strand, als die steigende Flut es erlaubte,
und gebot Freitag, daneben ein Becken zu graben, tief genug, um das
Boot beständig flott zu erhalten. Als die Flut dann zurückwich, führten
wir einen starken Damm auf, der das Becken verschloß und dem Eindringen
des Meeres vorbeugte. Um aber unser Fahrzeug gegen den Regen zu
schützen, bedeckten wir es mit einem Dach und erwarteten so den Monat
November oder Dezember, um die ersehnte Fahrt anzutreten.

Mit Beginn der schönen Jahreszeit beeilten wir uns, die nötigen
Zurüstungen zur Reise zu treffen. Denn ich gedachte, vielleicht schon
in acht bis zwölf Tagen das Wasserbecken zu öffnen und das Boot
auslaufen zu lassen. Eines Morgens hatte ich Freitag nach dem Meere
hinabgeschickt, um eine Schildkröte zu fangen, weil wir sowohl das
Fleisch als auch die Eier dieses Tieres sehr wohl zu schätzen wußten.
Aber schon nach wenigen Minuten kam er eiligst wieder zurück und
übersprang den ersten Festungszaun.

»O Herr, Herr, o Jammer!«

»Was gibt's denn, was hast du?«

»Dort unten, dort unten! Eins, zwei, drei Kähne!« Freitag war
so erschrocken, daß er am ganzen Körper zitterte; er hatte sich
eingebildet, daß die Wilden nichts Geringeres beabsichtigten, als ihn
einzufangen, in Stücke zu zerhauen und aufzuessen. Ich suchte ihn zu
beruhigen, so gut ich konnte, und ihm begreiflich zu machen, daß ich ja
ganz in der nämlichen Gefahr schwebe wie er.

»Freitag«, sagte ich, »wir müssen mit ihnen um unser Leben kämpfen;
bist du bereit dazu?«

-- »Jawohl, ich schieße auf sie; aber ihre Zahl ist groß.«

»Was thut das, Freitag? Unsre Gewehre werden einen Teil von ihnen
niederstrecken, und das Feuer und der Knall wird die andern in die
Flucht schlagen. Wenn ich dich aber mit meinem Leben verteidige, willst
du mir auch treulich zur Seite stehen und alles thun, was ich dir sage?«

»Ja, Herr, ich will sterben, wenn du mir zu sterben befiehlst.«

Hierauf holte ich eine Flasche Rum, um Freitag in seiner mutigen
Stimmung zu erhalten; dann gebot ich ihm, die beiden gewöhnlichen
Jagdgewehre herbeizubringen, und ich selbst lud sie mit tüchtigen
Posten.

Hiernach stieg ich mit meinem Fernrohr auf die Warte, um zu sehen, was
an der Küste vorging. Da entdeckte ich nun, daß 21 Wilde in drei Kanoes
gelandet waren, und zwar an der Südostküste, was mich um so mehr wunder
nahm, als ich noch nie an dieser Stelle das geringste Anzeichen einer
Landung der Kannibalen bemerkt hatte. Der Ort, wo sie ausgestiegen
waren, schien sehr flach, der Strand niedrig; etwa 100 Schritte davon
begann der Saum eines dichten Gebüsches, welches sich ziemlich weit
bis in die Felsengruppen der inneren Insel hineinzog. Es deuchte mich,
als ob sie drei Gefangene bei sich hätten und auch diesmal aus keinem
andern Grunde an meine Insel gekommen wären, als wieder eines ihrer
Siegesfestmahle abzuhalten.

Zunächst lud ich nun vier Musketen mit sieben Kugeln, sowie meine
beiden Pistolen mit zwei Kugeln. Den Degen steckte ich in den Gürtel
und befahl Freitag, sein Beil, ein Pistol, zwei Musketen und eine
Flinte nebst Vorrat von Pulver und Blei zu ergreifen; ich selbst aber
nahm das andre Pistol und die übrigen Schießgewehre. Außerdem steckten
wir einige Brotkuchen und getrocknete Rosinen zu uns, sowie ein
Fläschchen Rum zur Stärkung unsrer Lebensgeister. So gerüstet rückten
wir aus. Auf einem Umweg von ungefähr einer Viertelmeile bogen wir nach
dem Rande des Gehölzes ein, um hier, ungesehen von den Wilden, bis an
die Bucht zu gelangen und sie in Schußlinie vor uns zu haben.

Unter Beobachtung größter Vorsicht gelangten wir an das Ende des
Gehölzes und somit in die Nähe der Feinde, von denen mich nur noch
eine einzige Baumgruppe trennte. Ich befahl Freitag, auf einen Baum zu
steigen, um zu sehen, was die Wilden vornähmen. Er kletterte sehr bald
wieder herab und berichtete, er habe die Feinde ganz deutlich gesehen;
sie säßen rings um ein Feuer und verzehrten das Fleisch eines ihrer
Gefangenen; ein andrer liege dicht daneben an Händen und Füßen gebunden
und werde wahrscheinlich demnächst an die Reihe des Verspeisens kommen.
»Aber«, fügte Freitag bedeutungsvoll hinzu, »es ist keiner von unserm
Stamme, sondern einer von den weißen bärtigen Männern, die sich in
unserm Vaterlande angesiedelt haben.« Dieser Bericht versetzte mich in
Zorn und Wut. Ich stieg nun mit meinem Fernglas ebenfalls auf einen
Baum und erkannte deutlich an Gesicht und Bekleidung in dem gebundenen
Manne einen Europäer.

Ein kleines Gebüsch zog sich von der Waldspitze noch ungefähr 100
Schritte nach links gegen den Strand hin, und ich konnte, durch
dasselbe gedeckt, den Wilden mich noch mehr nähern. Am Ende des
Buschwerks gelangte ich auf einen kleinen Sandhügel oder eine Düne,
von wo aus ich die jetzt nur noch in einer Entfernung von 80 Schritt
lagernden Wilden aufs genaueste beobachten konnte. Es war kein
Augenblick mehr zu verlieren, denn eben bemerkte ich, wie sich zwei der
Kannibalen anschickten, des Europäers Hände und Füße von den Fesseln zu
befreien, um ihn dann am Feuer zu schlachten. Ich sah mich nach Freitag
um.

»Jetzt«, sagte ich zu ihm, »thue, wie ich dir sagen werde.«

»Ja, Herr! Befiehl!«

»So ahme genau das nach, was du *mich* thun siehst, und fehle nicht!«

Mit diesen Worten legte ich eines der Jagdgewehre und eine der Musketen
auf den Boden. Freitag that dasselbe. Dann zielte ich auf die beiden
mit ihrem Schlachtopfer beschäftigten Wilden und gebot Freitag, unter
den übrigen Haufen zu feuern.

»Bist du fertig, Freitag?« -- Freitag nickte zustimmend.

»Nun -- dann Feuer!«

Zwei donnerähnliche Schüsse hallten hinaus auf Land und Meer. --

[Illustration: Befreiung eines Gefangenen.]

Als sich der Pulverdampf verzogen hatte, sah ich, was wir ausgerichtet
hatten. Durch meinen Schuß war der eine getötet, der andre verwundet
worden; Freitag dagegen hatte sogar zwei erlegt und drei verwundet.
Der Schrecken aber, der durch den Knall unsrer Gewehre unter die
Wilden fuhr, ist nicht zu beschreiben. Die Verwundeten jammerten und
wälzten sich am Boden, die andern sprangen entsetzt auf und suchten
zu entfliehen. In der gräßlichen Verwirrung liefen sie jedoch nur hin
und her; denn sie wußten nicht, von welcher Seite ihnen das Verderben
drohte. Freitag verwendete kein Auge von mir, um zu sehen, was ich
weiter thun würde. Nach der ersten Salve legte ich mein Gewehr auf den
Boden und ergriff die Flinte; Freitag that dasselbe. »Hahn gespannt.
Angelegt. Feuer!« Wiederum rollte der Donner unsrer Gewehre über die
Häupter der Wilden hinweg. Diesmal stürzten, da unsre Flinten nur mit
grobem Schrot geladen waren, bloß zwei Männer zu Boden, aber es waren
ihrer so viele verwundet, daß die meisten, mit Blut bedeckt und vor
Schmerz heulend, wie im Wahnsinn durcheinander liefen. Bald stürzten
noch drei von ihnen zu Boden, obgleich sie nicht tot waren.

»Jetzt, Freitag, mir nach!« sagte ich, nachdem ich die letzte, Freitag
aber die dritte Muskete aufgenommen hatte. Mit lautem Geschrei stürzten
wir aus dem Gebüsche, gerade auf die Wilden los. Der eine von den
beiden, welche den Gefangenen losbinden wollten, lag tot, während der
andre, verwundet, in einen Kahn gesprungen war, wohin ihm noch vier
seiner Gefährten folgten.

Sogleich gebot ich Freitag, auf die Flüchtlinge zu feuern; er verstand
mich sehr gut, lief ungefähr 40 Schritte weit, um die Flüchtigen aufs
Korn zu nehmen, und schoß los. Er hatte seine Sache gut gemacht; denn
sofort stürzten alle fünf nieder, so daß ich schon glaubte, er hätte
sie sämtlich getötet; indessen sprangen zwei von ihnen wieder auf,
die andern blieben regungslos liegen, entweder schwer verwundet oder
getötet.

Während dies geschah, war ich zu dem Gefangenen geeilt und schnitt
mit einem Messer die Bande entzwei, welche ihn an Händen und Füßen
gefesselt hielten; dann half ich ihm aufstehen und fragte auf
portugiesisch, wer er sei. Er antwortete mir in lateinischer Sprache:
»_Christianus_«, war aber so entkräftet, daß er weder stehen, noch ein
weiteres Wort sprechen konnte. Ich reichte ihm mein Rumfläschchen, aus
dem er einen kräftigen Schluck nahm, der ihn sichtbar stärkte. Außerdem
gab ich ihm auch ein Stück Brot, und er aß es mit der größten Hast.
Währenddem fragte ich noch, aus welchem Lande er stamme, und erhielt
zur Antwort: »*Spanien*«. Nachdem er sich ein wenig erholt hatte, gab
er mir durch allerlei Zeichen zu verstehen, wie dankbar er mir sei
für die Rettung aus der Hand der Kannibalen. Ich aber sprach zu ihm
auf Spanisch, so gut es eben gehen wollte: »Sennor, später wollen
wir uns weiter aussprechen, jetzt müssen wir kämpfen. Wenn Ihr noch
irgend Kraft habt, so nehmt diese Pistole und diesen Degen und nun Gott
befohlen!«

Kaum fühlte der Spanier die Waffen in seiner Hand, als er neu beseelt
von Mut und Kraft erschien. Wie ein Wahnsinniger hieb er auf seine
Peiniger ein und streckte im Nu zwei oder drei derselben zu Boden. Die
Wilden waren durch die Wirkung unsrer Feuerwaffen und den ungestümen
Überfall so überrascht, daß die meisten von ihnen wie gelähmt
niederstürzten und ebensowenig zu fliehen als unserm Angriffe zu
widerstehen vermochten.

Ich hielt mein Gewehr schußfertig, ohne jedoch abzuschießen, um nicht
ganz verteidigungslos zu sein, da ich dem Spanier Degen und Pistole
gegeben hatte. Dann rief ich Freitag herbei und gebot ihm, die
abgeschossenen Gewehre, die wir zurückgelassen hatten, herbeizuholen,
was mit unglaublicher Schnelligkeit geschah. Wir luden sogleich unsre
Gewehre; ich übergab Freitag eine Muskete und sagte ihm, er solle
weitere Waffen herbeischaffen, wenn man deren bedürfe. Unterdessen fand
ein fürchterlicher Kampf zwischen dem Spanier und einem Wilden statt,
der mit einem eisenharten hölzernen Schwerte auf ihn einhieb. Allein
jener, ebenso kühn und tapfer, widerstand trotz seiner Schwäche lange
Zeit den Angriffen des Indianers, ja er hatte ihm sogar zwei Wunden am
Kopfe beigebracht. Der Wilde jedoch, ein Mensch von hohem Wuchse, hatte
jetzt seinen Gegner gepackt, zu Boden geworfen und suchte ihm nun den
Degen zu entwinden. Der Spanier ließ die Waffe fahren, riß die Pistole
aus dem Gürtel und jagte seinem Feinde eine Kugel durch die Brust, die
ihn sofort tötete.

Freitag blieb seinerseits auch nicht unthätig: er verfolgte die
Flüchtlinge, ohne eine andre Waffe als sein Beil, und machte denen,
die er im Laufe einholte oder die verwundet auf der Erde umherlagen,
den Garaus. Der Spanier bat mich jetzt um ein Gewehr, und ich überließ
ihm gern eine meiner beiden Jagdflinten. Er verfolgte damit zwei Wilde
und verwundete sie beide; da er sie aber nicht einzuholen vermochte,
so entkamen sie nach dem Walde. Hier aber trafen sie auf Freitag,
der sogleich den einen von ihnen niederstreckte; der andre, wiewohl
verwundet, lief nach dem Strande, warf sich ins Meer und schwamm dem
Kanoe nach, in welchem sich ein Toter und ein Verwundeter befanden,
während drei noch Lebende das Weite zu gewinnen suchten. Es waren 17
Wilde teils getötet, teils so schwer verwundet worden, daß sie an ihren
Wunden sterben mußten; nur vier waren in ihrem Kahne entkommen, einer
derselben aber dem Anscheine nach auch schwer blessiert.

Die in dem Kanoe Flüchtenden ruderten mit aller Anstrengung, um aus dem
Bereiche unsrer Kugeln zu kommen, und obgleich Freitag noch zwei- oder
dreimal nach ihnen feuerte, so schien doch keiner getroffen zu sein.
Freitag zeigte sich so kampfbegierig, daß er eins ihrer Boote nehmen
wollte, um die Wilden zu verfolgen, und in der That schien mir dieser
Gedanke beachtenswert. Denn gelang es auch nur einem zu entrinnen, der
die Nachricht von der Niederlage zu seinem Stamm brachte, so konnte ich
mich sicherlich auf einen baldigen Besuch von Hunderten gefaßt machen,
die uns durch ihre Überzahl erdrückt hätten. Ich eilte also mit Freitag
nach dem Strande hinab und sprang in eine Barke. Aber wie erstaunte
ich, als ich hier noch einen an Händen und Füßen gefesselten Wilden
erblickte, der vor Angst halb tot war!

Sogleich zerschnitt ich seine Fesseln und suchte den armen Menschen
emporzurichten; allein er konnte weder stehen noch sprechen, sondern
stöhnte nur auf eine ganz erbärmliche Weise, weil er wahrscheinlich
glaubte, er solle nun getötet werden. Ich gab Freitag mein
Rumfläschchen, um den Armen durch einen Schluck zu stärken, und trug
ihm zugleich auf, dem Wilden seine Befreiung zu verkündigen. Der
Trunk und noch mehr die frohe Botschaft belebten den Armen so, daß er
sich in der Barke aufrecht zu setzen vermochte. Als ihm aber Freitag
aufmerksamer ins Gesicht sah, wurde dieser wie umgewandelt. Er umarmte
den Geretteten, küßte ihn und drückte ihn stürmisch an die Brust; dann
lachte er, jauchzte vor Freuden, sprang, tanzte, sang, gebärdete sich
wie ein Unsinniger, weinte und rang die Hände. Lange währte es, ehe
auch nur ein einziges vernünftiges Wort aus ihm herauszubringen war:
endlich, als er wieder ein wenig zu sich selbst kam, sagte er zu mir,
der Gerettete sei sein *Vater*.

Es läßt sich nicht mit Worten das Entzücken des guten Freitag beim
Anblick seines Vaters und dessen unerwarteter Errettung schildern;
zwanzigmal sprang er aus dem Kahne und wieder hinein; dann setzte er
sich an die Seite seines Vaters und öffnete sein Kleid, um den Kopf
desselben an seine Brust zu drücken und ihn zu erwärmen; dann nahm er
wieder seine Arme, seine Beine, welche durch das harte Zuschnüren der
Bande steif und geschwollen waren, und rieb sie mit seinen Händen. Ich
gab ihm nun etwas Rum, um die abgestorbenen Glieder des alten Mannes zu
waschen, was demselben augenscheinlich sehr wohl that.

Freitag war so sehr mit seinem Vater beschäftigt, daß ich es nicht
über mich gewinnen konnte, ihn von demselben abzurufen. Erst als ich
glaubte, er habe seiner kindlichen Freude vollkommen Genüge gethan,
rief ich ihn, und er sprang mit freudestrahlendem Gesicht auf mich los.

»Hast du deinem Vater schon Brot zu essen gegeben, Freitag? Er wird
wohl tüchtigen Hunger haben.«

»Nein, ach nein, Herr!« erwiderte fast weinend der arme Bursche; »o,
ich schlechter Hund habe selbst alles gegessen, alles!«

»Nun, Freitag, beruhige dich! Da ist ein Stück Kuchen, das ich gerade
noch in meiner Tasche finde; hier hast du auch noch Rosinen und einen
Schluck Rum, damit stärke deinen Vater!«

Freitag gehorchte mit einem Blicke des Dankes und reichte das
Dargebotene dem Alten. Dann sprang er mit einem Satze aus dem Kahne
und lief wie ein gehetztes Wild davon, so daß er im Nu aus unsern
Augen verschwunden war. Ich schrie, ich lief ihm nach -- er hörte
nicht; nachdem etwa eine Viertelstunde verflossen war, sah ich ihn
wiederkommen, aber nicht so eilig, als er davongelaufen war, weil
er etwas in den Händen trug. Er hatte nämlich in dieser kurzen Zeit
den Weg nach der Burg zurückgelegt, um noch mehr Brot und einen Krug
frischen Wassers hierher zu bringen. Sein Vater, der bald vor Durst
verschmachtete, wurde durch den kühlen Trunk mehr erquickt, als all
mein Rum vermocht hätte.

Nachdem der Alte getrunken hatte, fragte ich Freitag, ob noch etwas
Wasser übrig sei, und auf seine Bejahung trug ich ihm auf, dieses
sowie ein Brot dem Spanier zu bringen, der dessen ebensosehr bedurfte
und auf einem Rasenhügel im Schatten eines Baumes ausruhte.

Als Freitag zurückgekommen, schlug er die Augen zu mir empor und
blickte mich mit dem Ausdrucke größter Dankbarkeit an. Gern hätte
sich der Spanier erhoben und wäre zu uns gekommen, allein er war so
erschöpft und seine Glieder durch die harten Bande so angeschwollen,
daß er sich nicht auf den Beinen zu halten vermochte. Ich befahl daher
Freitag, ihm Hände und Füße mit Rum einzureiben. Dabei drehte letzterer
alle Augenblicke den Kopf herum, um nach seinem Vater zu sehen. Als er
ihn einmal nicht in seiner vorigen Stellung sah, ließ er ohne weiteres
vom Einreiben ab, sprang auf und schoß wie ein Pfeil nach dem Boote, in
welchem sich sein Vater niedergelegt hatte, um seinen müden Gliedern
Ruhe zu gönnen. Erst als er völlig zufrieden gestellt sein durfte,
kehrte Freitag eiligst zurück und vollendete die ihm aufgetragene
Hilfeleistung.

Alles dies hatte uns von der Verfolgung der Wilden abgezogen, und ihre
Barke selbst war uns bereits aus dem Gesicht, als wir wieder an sie
dachten. Die Verhinderung unsrer anfänglichen Absicht war jedoch ein
großes Glück für uns. Denn zwei Stunden später erhob sich ein heftiger
Wind, der den übrigen Teil des Tages und die ganze Nacht hindurch
anhielt. Wie übel hätte es uns in unsrer leichten Barke ergehen können!

Dem Spanier machte ich den Vorschlag, sich auf Freitag zu stützen und
bis zu einem der Kähne sich weiter zu helfen, um ihn dann nach unsrer
Wohnung zu schaffen, wo ich besser für seine Pflege und Bequemlichkeit
sorgen könnte. Allein er fühlte sich so schwach, daß er nicht mehr
stehen konnte. Ohne weitere Umstände nahm daher Freitag mit kräftiger
Hand den Fremden auf seinen Rücken, trug ihn nach dem Kahne, setzte ihn
an der Seite seines Vaters nieder, stieß das Boot vom Ufer und ruderte
dasselbe, ungeachtet des sich erhebenden Windes, die Küste entlang,
schneller als ich gehen konnte. Darauf eilte er zurück. Als er an mir
vorbei lief, fragte ich ihn: »Wo rennst du so hurtig hin?« -- »Andern
Kahn holen!« lautete lakonisch seine Antwort, und schnell wie der Wind
war er davon. Als ich bei der Bucht anlangte, war auch Freitag fast
gleichzeitig mit dem nachgeholten Boote daselbst eingetroffen.

Soweit war alles gut gegangen. Da aber weder Freitags Vater noch der
Spanier zu gehen im stande war, so befanden wir uns in nicht geringer
Verlegenheit, wie wir dieselben bis zur Burg und besonders über die
Wallmauer bringen sollten. Wir hatten indes keine Zeit, noch lange
zu überlegen. Das geeignetste Transportmittel schien mir unter den
vorliegenden Umständen eine Tragbahre zu sein. Sofort machte ich mich
denn auch, indem ich die beiden unsrer Obhut anvertrauten Männer am
Ufer ruhig niedersitzen ließ, mit Freitag ans Werk, und nach einem
Stündchen hatten wir mit zwei Stangen und Flechtwerk eine Tragbahre
hergerichtet, wie sie unsern Zwecken notdürftig entsprechen konnte.

So trugen wir denn den Spanier und Freitags Vater und gelangten
bis an die äußere Umfassungsmauer unsrer Burg. Hier aber entstand
wiederum die Frage: Wie werden wir die beiden Entkräfteten über den
Wall hinwegbringen? Es blieb denn nichts andres übrig, als zwischen
der ersten Umhegung und dem von mir angepflanzten Gebüsch ein Zelt zu
errichten. Freitag ging mit seiner gewohnten Geschicklichkeit ans Werk,
und nach zwei Stunden hatten wir eine leidlich hübsche Hütte zustande
gebracht, bedeckt mit alten Segeln und Baumzweigen. Im inneren Raume
derselben stellten wir einen Tisch hin nebst einer Bank und ein paar
roh gezimmerten Stühlen, sodann zwei Lagerstätten von gutem Reisstroh
nebst je zwei wollenen Decken: eine, um darauf zu liegen, die andre, um
sich damit zuzudecken.

Sobald alles unter Dach und Fach gebracht war, erschien es wohl
natürlich, daß ich nun auch an mich und Freitag dachte. Ich befahl
letzterem, eine junge Ziege zu schlachten und sie in Stücke zu
zerschneiden. Mit einigen derselben, die ich Freitag kochen
ließ, bereitete ich eine kräftige Suppe und ein vortreffliches
Fleischgericht. Dann wartete ich in dem neu aufgeschlagenen Zelte auf
und hieß meine Gäste guten Mutes sein und tapfer zulangen.

Nach aufgehobener Mahlzeit trug ich Freitag auf, eine Barke
herbeizuschaffen und unsre Waffen zu holen, die wir im Drange der
verwichenen Stunden auf dem Schlachtfelde gelassen hatten. Nächstdem
gab ich ihm den Auftrag, seinen Vater über die Wilden auszufragen, und
ob er glaube, daß sie einen Rachezug gegen uns unternehmen würden.
Freitags Vater meinte, die Flüchtlinge hätten in ihrem leichten
Fahrzeuge dem Sturme, der sich bald nach ihrer Abfahrt erhob, um so
weniger widerstehen können, als er sie bereits auf dem ersten Viertel
ihres Seewegs überrascht hätte. Wenn aber das Fahrzeug auch nicht
umgeschlagen wäre und seine Insassen in den Wellen begraben hätte, so
würden diese doch nach Süden zu unvermeidlich an Küsten geschleudert
worden sein, wo sie als Kriegsgefangene dem Tode preisgegeben wären.
Sollten sie dennoch in ihre Heimat kommen, so würden sie ihren
Landsleuten eher ab- als zureden, diese Insel jemals wieder zu
betreten. Er habe nämlich vernommen, wie sie sich gleich nach unsern
ersten Gewehrsalven ängstlich und zitternd einander zuriefen: die
beiden Wesen (nämlich *ich* und *Freitag*) seien keine Menschen,
sondern böse Geister, die vom Himmel auf die Erde herabgestiegen wären,
um sie zu vernichten; denn Menschen, wie sie immer auch seien, könnten
nicht Blitze und Donner machen, auch nicht Feuer und Tod in die Ferne
schicken. Gewiß käme ihnen dieses Eiland wie ein verzaubertes Land vor,
dessen geisterhafte Bewohner alles vernichteten, was sich in ihre Nähe
wagte.

Der alte Mann mochte wohl nicht unrecht haben. Dennoch blieb ich auf
der Hut; da wir aber jetzt unser vier waren, so konnten wir es getrost
mit einer Rotte von 50, ja 100 Mann aufnehmen.

Nachdem wir uns noch über mancherlei unterhalten hatten, überließ ich
Freitags Vater und den Spanier der benötigten Ruhe, denn sie waren
immer noch matt und schwach. Auch wir beiden andern zogen uns nach
dem Wohnhause zurück und suchten gleichfalls unser Lager auf. Trotz
meiner Müdigkeit wollte mich der Schlaf nicht überkommen; die jüngsten
Ereignisse tauchten wieder so lebhaft in meiner Seele auf, daß ich den
ganzen Kampf gleichsam von neuem durchlebte.

Die Einwohnerzahl meiner Insel war nun um das Vierfache gestiegen, und
ich war naturgemäß der unumschränkte Monarch über diese Insulaner.
So klein aber die Zahl auch war, eine große Verschiedenheit zeigte
die Bevölkerung hinsichtlich der Abstammung und der Religion.
Freitags Vater war Karibe, Heide und Menschenfresser, der Sohn
Spaniens war Katholik, und ich nebst Freitag huldigten der Lehre des
Protestantismus. Aber diese Verschiedenheit sollte kein Stein des
Anstoßes werden, kein Gewissenszwang beirrte in meinem Staate die
Gemüter.

Als wir uns am andern Morgen erhoben hatten, gebot ich Freitag, die
getöteten Wilden, deren verwesende Leichname die Luft zu verpesten
drohten, in die Erde zu verscharren. Zugleich sollte Freitag auch die
eklen Überreste der Kannibalenmahlzeit entfernen, damit sie nicht
unser Auge ferner beleidigten. Er entledigte sich meines Befehls mit
gewohnter Bereitwilligkeit.

Dann machten wir gemeinsam die Runde um die Burg und ihre Umgebungen
und gingen nach der Höhle und den Ziegenparks. Ich wollte nämlich
sowohl mich selbst von dem Stande der Dinge unterrichten, als auch
meine neuen Gefährten mit meinen wirtschaftlichen Erfolgen bekannt
machen. Freitag hatte als Dolmetsch hierbei vollauf zu thun; denn
sein Vater war über die vielen neuen Dinge, die er bei uns sah, ganz
erstaunt, und ich ließ ihm ihren Zweck und Gebrauch so deutlich wie
möglich auseinandersetzen. Aber auch der Spanier war nicht wenig
überrascht von den zweckmäßigen Einrichtungen, die ich im Laufe so
vieler Jahre getroffen und allmählich mehr und mehr verbessert hatte.

Nachdem meine neuen Hausgenossen sich endlich von ihren Schmerzen an
Händen und Füßen befreit fühlten, boten sie mir bereitwillig ihre
Kräfte zur Verrichtung der ländlichen und vielen andern Arbeiten
an. Freitag ließ ich meist in Gesellschaft seines Vaters arbeiten,
während sich der Spanier in meiner nächsten Nähe zu halten pflegte.
Da fehlte es denn nicht an hunderterlei Fragen und Mitteilungen, an
Plänen und Aussichten für die Zukunft, an Erörterungen hinsichtlich der
Mittel, nach dem Festland hinüberzukommen, wo ich, wie Freitags Vater
versichert hatte, um seinetwillen gastfreundliche Aufnahme finden würde.

Der Spanier unterrichtete mich zuvörderst von seinem und seiner
Genossen Schicksal. »Ich heiße«, erzählte er, »*Don Juan Caballos*
und stamme aus Valladolid in Spanien. Wir waren auf einem Fahrzeuge
abgesegelt, das vom Rio de la Plata nach der Havanna gehen und dort
Pelzwaren und Silber gegen europäische Waren umtauschen sollte. Es
erhob sich ein heftiger Sturm, und in der Nacht darauf wurden wir
so heftig gegen ein Felsenriff geschmettert, daß wir, im ganzen elf
Spanier und fünf Portugiesen, uns beeilen mußten, in die Schaluppe zu
kommen. Sturm und Wellen preisgegeben, halbtot vor Hunger und Durst,
Angst und Gefahr, wurden wir nach der karibischen Küste verschlagen und
schwebten in der peinlichsten Furcht, von den Wilden geschlachtet zu
werden. Allein die Kannibalen waren menschlicher, als wir glaubten: sie
nahmen uns ohne Feindseligkeit auf und ließen uns in Frieden unter sich
leben. Da wir uns indes an ihre schlechten Lebensmittel und namentlich
an ihr Nationalfestessen, aus Menschenfleisch bestehend, nicht gewöhnen
konnten, so nagten wir fast beständig am Hungertuche. Zwar besaßen wir
einige Feuergewehre und Säbel; aber wir hatten bereits in den ersten
Tagen nach unsrer Landung den Vorrat an Pulver und Blei verbraucht
und waren deshalb fast lediglich auf den Unterhalt durch die Wilden
angewiesen. Was Wunder, wenn der Gedanke einer Flucht aus diesem Lande
sich in uns allen bis zum glühendsten Wunsche steigerte? Dies, Freund
Robinson, ist die Lage meiner Genossen unter den Kannibalen.«

»Das ist in der That traurig, Don Juan«, erwiderte ich dem Spanier.
»Aber mir geht ein Gedanke durch den Kopf: würden wohl Eure Gefährten
einen Vorschlag zu ihrer Rettung von mir annehmen?«

»O sicherlich mit dem innigsten Dankgefühl, Sennor; denn in ihrer
jetzigen verzweifelten Lage haben sie keine Hoffnung, sich selbst
jemals befreien zu können!«

»Mein Vorschlag wäre demnach folgender: sie sämtlich nach unsrer
Insel herüberzuholen und durch gemeinschaftliche Arbeit ein Fahrzeug
zu bauen, das groß genug sein würde, um uns alle samt den nötigen
Lebensmitteln aufzunehmen und nach Brasilien oder nach einer spanischen
Kolonie zu bringen. Freilich würde ich es aber bitter zu bereuen haben,
das Werkzeug ihrer Rettung geworden zu sein, wenn sie gegen mich, als
einen *Engländer*, die obschwebenden Feindseligkeiten der spanischen
und britischen Nation geltend machen würden.«

»O Sennor«, entgegnete der Spanier, »meine Genossen haben den Kelch der
bittersten Leiden zu lange gekostet, als daß sie nicht schon den bloßen
Gedanken verabscheuen sollten, demjenigen ein Unrecht zuzufügen, dem
sie für die Rettung aus Not und Verbannung verpflichtet wären.«

»Und doch, Don Caballos, ist gerade die Dankbarkeit keine gewöhnliche
Tugend unter den Menschen. Denn nur zu oft richten dieselben ihre
Handlungen nicht nach den Pflichten ein, welche ihnen durch empfangene
Wohlthaten auferlegt werden, sondern nach ihrem eignen persönlichen
Vorteil, dem sie alle übrigen Rücksichten nachsetzen.«

»Wohl, Sennor, *aufzwingen* läßt sich Vertrauen nicht. Aber wenn Ihr
gestattet, so laßt mich mit Freitags Vater wieder zurückfahren, meine
Landsleute von Eurem Plane in Kenntnis setzen, mit ihnen einen Vertrag
abschließen, den sie mit einem heiligen Eide beschwören sollen. Diesen
Vertrag werde ich unterzeichnet hierher zurückbringen. Ich selbst aber
will mich, ehe ich abreise, durch einen Eid verbindlich machen, Euch
treu und gehorsam zu bleiben, solange ich lebe, und meine Genossen
eben dazu anzuhalten; Euch selbst will ich für den Fall, daß letztere
sich widerspenstig oder untreu bezeigen sollten, auf das kräftigste
beistehen und Eure Person bis auf den letzten Blutstropfen verteidigen.«

Auf solche Versicherungen hin glaubte ich die Rettung der Spanier und
Portugiesen wagen zu dürfen und ordnete an, daß Caballos mit dem alten
Wilden abgesandt werden solle. Als aber bereits alles zur Abreise
vorbereitet war, erhob der Spanier selbst eine Schwierigkeit, in
welcher sich seine Klugheit und Aufrichtigkeit bekundeten, so daß ich
gern seinen Rat annahm und die Befreiung seiner Gefährten noch um sechs
Monate hinaus verschob.

[Illustration: Zurüstung des Bootes zur Abfahrt.]

Er musterte nämlich meine Vorräte an Reis und Gerste und begriff
sofort, daß dieselben allerdings für mich und Freitag mehr als
hinreichend waren, daß jedoch jetzt, wo wir unser vier von diesem
Haushalt zehren mußten, die weiseste Sparsamkeit von nöten sein würde.
Wie aber sollte es vollends dann werden, wenn auch noch die 16 Europäer
auf unser Kornmagazin angewiesen waren? Dabei riet mir der Spanier, ich
möchte ihn sowie die beiden Indianer so viel Land beackern und besäen
lassen, als dies ohne zu erhebliche Verringerung der Vorräte geschehen
könne, und dann die nächste Ernte abwarten. Würde diese ungünstig
ausfallen, so könnte leicht die Hungersnot Unzufriedenheit und
Zwistigkeiten herbeiführen; seine Gefährten könnten dann wohl meinen,
nur aus einem Unglück in das andre gefallen zu sein.

»Wißt Ihr doch selbst, Sennor«, fügte er hinzu, »wie auch die Kinder
Israel anfänglich über ihre Errettung aus Ägyptenland frohlockten,
dann aber, als es ihnen in der Wüste an Brot gebrach, sich gegen ihren
Führer auflehnten.«

Der Rat des Spaniers schien mir so wohl überdacht und beachtenswert,
daß ich ihm ohne Zögern folgte. Wir machten uns daher alle vier, so
gut es mit unsern hölzernen Werkzeugen gehen wollte, an die Arbeit,
gruben ein ziemlich großes Stück Land um, und bereits nach Verlauf
eines Monats, wo die Saatzeit eintrat, hatten wir so viel Ackerland
zubereitet, daß wir 22 Scheffel Gerste und 16 Krüge Reis säen konnten;
es blieb aber für uns bis zur nächsten Erntezeit noch genug Gerste
zu unsrer täglichen Nahrung übrig. Da wir jetzt zahlreich genug
waren, um die Wilden nicht mehr fürchten zu müssen, so gingen wir
frei und unbesorgt auf der ganzen Insel umher, um alles Notwendige
zu unsrer Befreiung, die unsre Gemüter ausschließlich beschäftigte,
instandzusetzen. Als die Jahreszeit gekommen war, Trauben zu pflücken
und zu trocknen, ließ ich eine solche Menge derselben aufhängen, daß
wir 60 bis 80 Fässer hätten füllen können, wenn wir in Alicante gewesen
wären, wo die besten Rosinen gemacht werden. Diese Früchte und das Brot
bildeten den Kern unsrer Mahlzeiten. Außerdem aber flochten wir fleißig
Körbe, die uns zur Aufbewahrung unsrer Vorräte unentbehrlich waren.

Zugleich nahm ich auch darauf Bedacht, unsre Herde zahmer Ziegen zu
vermehren. Zu diesem Zwecke ging ich abwechselnd mit dem Spanier auf
die Jagd, wohin uns Freitag begleitete. Indem wir die alten Ziegen
schossen, die Jungen aber einfingen, brachten wir an 20 junge Ziegen
zusammen, die ich dann mit den übrigen aufzog.

Auch bezeichnete ich mehrere Bäume, die ich zur Erbauung eines größeren
Fahrzeuges geeignet hielt, und ließ sie durch Freitag und seinen Vater
fällen, während ich dem Spanier die Überwachung und Leitung dieser
Arbeiten anvertraute. Ich zeigte ihnen, mit welcher Geduld und Ausdauer
ich große Bäume zu Booten verarbeitet hatte, und wies sie gleichfalls
dazu an. Sie schnitten ein Dutzend guter Bretter von 60 _cm_ Breite,
5-11 _m_ Länge und 5-10 _cm_ Dicke -- eine Arbeit, die manchen schweren
Schweißtropfen kostete.

Inzwischen war die Zeit der Ernte gekommen, und wir arbeiteten mit
Lust am Einsammeln. War sie auch nicht allzu ergiebig, denn ich hatte
früher schon reichere Ernten gehabt, so entsprach sie doch unsern
Erwartungen. Wir erhielten über 220 Scheffel Gerste und in demselben
Verhältnisse Reis. Das bildete einen Vorrat, der uns alle, mit
Einschluß der Gefährten des Spaniers, bis zur nächsten Ernte nicht nur
hinlänglich ernährt, sondern auch noch bequem zur Verproviantierung
eines Fahrzeuges gereicht hätte, um zu dem von Europäern bewohnten
Festlande von Amerika zu gelangen. Nachdem wir unsre Vorräte
untergebracht hatten, fand ich es für angemessen, das Feld noch einmal
zu bearbeiten und zu besäen, weil wir wegen des Schiffbaues, aus Mangel
an Werkzeugen, uns noch eine geraume Zeit hier aufhalten mußten.

Nachdem alles bestens geordnet war, setzten wir unser Boot in
Bereitschaft, in welchem Caballos mit dem alten Indianer absegeln
sollte, um mit den Spaniern und Portugiesen zu unterhandeln. Um mich
aber für jeden Fall sicher zu stellen, setzte ich dem Spanier am
Tage vor ihrer Abfahrt einen in portugiesischer Sprache abgefaßten
schriftlichen Befehl auf, der folgendermaßen lautete:

»Es wird keiner mitgebracht, der nicht in Gegenwart von Freitags
Vater und des Don Juan Caballos auf das Evangelium schwört, mich,
*Robinson Crusoe*, als seinen obersten Befehlshaber anzuerkennen, mir
treu und gehorsam zur Seite zu stehen, mir wissentlich nie Schaden
oder Böses zuzufügen, mich gegen jeden Angriff, woher er auch komme,
zu verteidigen und sich meinen Befehlen und meiner Leitung, wohin
ich ihn auch führen würde, niemals zu widersetzen. Jeder hat heilig
zu versprechen, mein Wohl nach seinen Kräften zu fördern. -- Alles
dies soll von sämtlichen Leuten beschworen und durch eigenhändige
Unterschrift anerkannt werden.«




[Illustration: Sehnsuchtsvolle Umschau.]

Dreizehntes Kapitel.

Durch Kampf zum Sieg.


  Abreise von Caballos und Freitags Vater. -- Ankunft weißer Männer. --
  Ein englisches Schiff. -- Vergebliche Furcht vor Seeräubern. -- Die
  Gefangenen. -- Die Befreiung derselben. -- Bestrafung der Meuterer.
  -- Die Meuterer werden in die Irre geführt, überfallen und gefangen.
  -- Wiedergewinnung des Schiffes. -- Der englische Gouverneur.

Es mochte wohl nach meiner ungefähren Schätzung, denn ich hatte die
genaue Fortführung meines Pfahlkalenders vernachlässigt, im Monat
Oktober des Jahres 1686 sein, als Don Caballos mit Freitags Vater nach
dem Festlande von Amerika absegelte. Freitag war bei dem Abschiede
von seinem Vater so betrübt, daß er Thränen vergoß. Auch ich selbst
sah mit Rührung der kleinen Barke nach; und doch empfand ich eine
innerliche hohe Freude, wenn ich bedachte, daß dies nach 27 *Jahren*
die erste Veranstaltung war, die ich zu meiner Errettung aus meinem
einsamen Insellande ins Werk gesetzt hatte und welche vielleicht einen
günstigen Erfolg haben konnte. Alle meine Gedanken beschäftigten sich
jetzt mit der nahen Abreise in die Heimat, tausend frohe Hoffnungen,
aber auch manche Zweifel stiegen in mir auf. Welch ein Zeitraum,
überreich an Erfahrungen, lag zwischen meinen Jünglingsjahren und der
Gegenwart! Welche Veränderungen mochten unterdes in England vor sich
gegangen sein! Wie mochten sich vor allem meine guten Eltern befinden,
die mich gewiß längst als einen Toten beweinten?

Ich hatte jedem der beiden Reisenden eine Muskete nebst sieben oder
acht Ladungen Pulver und Blei mitgegeben und ihnen zugleich geraten,
recht sparsam und haushälterisch damit umzugehen. Außerdem waren sie
mit so viel Brot und Rosinen ausgerüstet worden, daß sie nicht nur
für sich, sondern auch für die zu Befreienden wohl auf acht Tage
ausreichten. Um den Vertrag, dessen ich Erwähnung gethan, unterzeichnen
zu lassen, gab ich dem Spanier ein Fläschchen mit Tinte und einigen
Federn mit und verabredete das Signal, durch welches sie ihre Rückkehr
schon von fern kundgeben sollten.

Acht Tage waren seit der Abreise des Spaniers und des alten Wilden
verflossen, aber vergeblich harrten wir von Tag zu Tag der Rückkehr
meiner Gesandten entgegen. Da weckte mich eines Morgens Freitag mit dem
lauten, freudenvollen Rufe: »*Herr, sie sind wiedergekommen*, sie sind
da!«

Sogleich sprang ich auf, warf meine Kleider über, und ohne ein Gewehr
mitzunehmen, eilte ich dem Strande zu. Aber wie groß war meine
Bestürzung, als ich aus dem Buschwäldchen trat, das meine Burg umgab,
und, nach der See hinauslugend, eine Schaluppe erblickte, welche mit
einem lateinischen Segel versehen war und mit frischem Winde gegen die
Küste zusteuerte! Das war nicht unser Boot, kam auch nicht von Norden
her, sondern von Südost; ich rief Freitag, der mir schon vorausgeeilt
war, schnell zurück und befahl ihm, sich dicht neben mir im Wäldchen im
Versteck zu halten, denn ich wußte nicht, ob die Leute, die da kamen,
Freunde oder Feinde seien. Dann zogen wir uns vorsichtig in unsre Burg
zurück, und ich bestieg dort sogleich mit einem Fernrohr meine Warte,
um die Ankömmlinge zu beobachten.

Kaum hatte ich den Hügel erklommen, als ich in einer Entfernung von
dritthalb Stunden gegen Südsüdost ein Schiff vor Anker liegen sah und
ganz deutlich erkannte, daß Schiff und Schaluppe *englische* waren.

Unmöglich kann ich die Gefühle schildern, die sich meiner bemächtigten.
Einmal war es unaussprechliche Freude, in den Fremden Landsleute,
Engländer, Freunde zu begrüßen, dann aber verdrängten Zweifel und
Besorgnisse den Jubel in meiner Brust. Was konnte wohl ein *englisches*
Fahrzeug in diesem Winkel der Erde, in diesen Gewässern suchen, in
denen nie ein englischer Kauffahrer seine Wimpel blähte? Was führte
die zweifelhaften Gäste hierher, da doch die Witterung anhaltend schön
war und sie keine »Mütze voll Wind«, wie einst mich, an dieses Eiland
getrieben haben konnte? Hier war höchste Vorsicht geboten, um nicht in
die Gewalt von Räubern oder *Freibeutern* zu fallen. Nicht lange stand
ich auf meinem Warteposten, als die Schaluppe sich dem Ufer näherte und
dann auf den flachen Strand trieb. Die Mannschaft stieg aus, und ich
erkannte in den Personen Engländer, acht mit Säbeln bewaffnet, drei
aber ohne Waffen und gebunden. Letztere schienen in verzweifelter Lage
zu sein, denn sie streckten die Hände flehend empor. Dieses Schauspiel
setzte mich in große Verwirrung, und Freitag, der mir nachkam, raunte
mir zu: »Sieh, Herr, diese englischen Männer essen Gefangene, ebenso
wie meine Landsleute.«

»Wie, Freitag«, entgegnete ich, »glaubst du wirklich, daß sie so
unmenschlich wären, ihre Gefangenen zu essen?«

»Ja, ja, Herr; o ich weiß, auch die Engländer essen ihre weißen Brüder.«

»Nicht doch, Freitag«, suchte ich ihn zu belehren; »wohl möglich, daß
sie ihre Feinde dort töten werden, aber essen! -- niemals! niemals!«

»Ist aber doch kein großer Unterschied, Herr!«

Ich überlegte, wie ich wohl am besten die Gefangenen zu befreien
vermöchte, zumal ich in den Händen ihrer Peiniger Feuerwaffen nicht
bemerkte. Die Engländer selbst gingen am Ufer auf und ab, ohne sich
weiter um ihre Gefangenen zu kümmern. Obgleich nun diese hätten frei
umherlaufen können, so waren sie doch zu sehr eingeschüchtert und
setzten sich auf den Boden nieder. Ihre Lage erinnerte mich lebhaft
an jenen Augenblick, wo ich selbst durch die Gewalt des Sturmes an
diesen Strand geschleudert wurde, unter Aufbietung der letzten Kräfte
die Felsen erkletterte und jeden Augenblick den Tod erwartete. Wie ich
damals auf die Stunde der Befreiung kaum hoffen konnte, so saßen auch
jetzt diese drei armen Unglücklichen an ödem Strande und ahnten nicht,
wie nahe ihnen die Errettung bevorstünde.

Als die fremden Gäste an der Insel angelangt waren, hatte die Flut
gerade ihre äußerste Höhe erreicht. Während sich nun die Seeleute
auf der Insel sahen, war die Ebbe bereits eingetreten, und die
Schaluppe lag gänzlich auf dem Trockenen. Ich gelangte alsbald zu der
Überzeugung, daß wenigstens zehn Stunden vergehen müßten, ehe die
Schaluppe wieder flott werden könne. Deshalb stieg ich von meinem
Beobachtungsposten herunter und ging in meine trefflich verschanzte
Burg. Da ich jedoch wußte, daß ich es jetzt mit einem viel gewandteren
Feinde zu thun haben würde, als die Wilden waren, so lud ich mit
Freitag sowohl die Kanonen als auch unsre übrigen Feuerwaffen.

Es mochte gegen 2 Uhr nachmittags geworden sein, die Hitze hatte
eine erdrückende Höhe erreicht. Ich sah jetzt keinen der Seeleute
mehr; sie hatten sich wahrscheinlich in den Wald zurückgezogen, um
sich im Schatten der Bäume dem Schlafe zu überlassen. Nur die drei
Gefangenen saßen noch in dem Schatten eines Baumes, ohne jedoch der
Ruhe zu pflegen. Nur eine kleine Strecke von meinem Schlößchen lagernd,
befanden sie sich gewissermaßen unter meinen Augen, dagegen gänzlich
aus dem Gesichtskreise ihrer sorglosen Verfolger.

Dieser Augenblick schien mir geeignet, die Rettung der Gefangenen zu
wagen und sie in Sicherheit zu bringen. Ich nahm zwei Flinten, ein
Pistol und ein Seitengewehr und bewaffnete Freitag mit drei Musketen,
einem Seitengewehr und einem Pistol.

Mein Aussehen flößte Furcht ein; man denke nur an meinen Anzug aus
Ziegenfellen, die hohe Mütze und den langen Bart! Auch Freitag sah
phantastisch und fürchterlich genug aus. In solchem Aufzuge nun und
wohl bewehrt gingen wir ganz nahe bis zu den Fremden heran. Ohne von
denselben bemerkt zu werden, rief ich ihnen auf spanisch zu: »Wer sind
Sie, meine Herren?«

Sie fuhren erschrocken auf, schienen jedoch bei dem Anblick unsrer
abenteuerlichen Erscheinung noch mehr überrascht zu sein; ja sie
zeigten Lust, sich davonzumachen, bis ich ihnen zurief: »Fürchten Sie
nichts von mir, Ihr Retter ist näher, als Sie glauben.«

Da zog einer von den Gefangenen den Hut ab und erwiderte sehr ernst:
»So muß er uns geradeswegs vom Himmel gesandt sein, denn von Menschen
erwarten wir keine Hilfe mehr.«

»Ich sah Ihre Not«, sagte ich. »Sie schienen Ihre rohen Begleiter
anzuflehen, und ich bemerkte, wie einer derselben drohend seinen Säbel
schwang. Sagen Sie mir, wie ich Sie erlösen kann!«

Der unglückliche Mann war außer sich vor Überraschung. »Sind Sie ein
Mensch oder ein Bote des Himmels?« rief er.

»Ich bin ein Engländer, der bereit ist, Ihnen beizustehen. Wir sind
zwar, wie Sie sehen, nur unser zwei, aber wir haben Waffen und
Munition. Sagen Sie mir daher ohne Rückhalt, was für ein Ungemach Sie
betroffen und was wir für Sie thun können.«

»Ich war Kapitän von jenem Schiffe, dessen Besatzung sich gegen
mich empörte und meinen Tod beschloß. Man kam überein, mich nebst
zwei Männern, meinem Leutnant und einem Passagier an dieses Land
auszusetzen, um uns einem ungewissen Schicksale preiszugeben.«

»Wo sind Ihre Feinde? Wissen Sie, wohin sie gegangen sind?«

»Dort in jenen Wald«, antwortete der Kapitän.

»Sind Ihre Feinde mit Schießgewehren versehen?«

»Sie haben zwei Flinten, eine dritte liegt noch in der Schaluppe.«

»Gut, Kapitän, so folgen Sie mir vorsichtig nach dem Wäldchen.«

Sogleich setzten wir uns in Bewegung und sahen bald die Männer, die
sich sämtlich dem Schlafe überlassen hatten.

»Jetzt wäre es leicht, sie zu töten«, begann ich wieder, »ohne daß ein
einziger entkommt; oder wollen Sie die Meuterer lieber zu Gefangenen
machen?«

»Zwei von ihnen sind ausgemachte Schurken, welche auf keinen Fall Gnade
verdienen. Könnte man sich dieser beiden Menschen bemächtigen, so
würden hoffentlich die andern zu ihrer Pflicht zurückkehren.«

»Hören Sie mich jetzt an, Sir! Wenn ich alles wage, um Sie zu retten,
würden Sie dann wohl in einige Bedingungen willigen?«

»Ich und mein Schiff, wenn wir desselben wieder habhaft werden können,
sollen ganz zu Ihrer Verfügung stehen.«

»Nun gut!« fuhr ich fort, »ich stelle Ihnen nur zwei Bedingungen.
*Erstens*: Solange Sie auf dieser Insel bleiben, verpflichten Sie sich
zum Gehorsam gegen mich. Die Waffen, welche ich Ihnen anvertraue, haben
Sie mir stets auf mein Verlangen zurückzugeben und zu geloben, weder
mir noch den Meinigen zu schaden, vielmehr nur mein Bestes zu fördern.
*Zweitens*: Kommen Sie wieder in Besitz ihres Schiffes, so bringen
Sie mich und meinen Diener samt den Habseligkeiten, die ich besitze,
unentgeltlich nach England.«

»Sir«, erwiderte darauf sofort der Kapitän, »diese Bedingungen sind so
natürlich, daß ich freudig auf dieselben eingehe.«

»Und wir«, fielen des Kapitäns beide Gefährten ein, »wir geloben, Ihnen
zu folgen, wohin es auch sein mag!«

»Brav gesprochen, ihr Männer!« erwiderte ich und drückte ihnen die
Hände. »Wohlan, ans Werk! Hier sind drei Musketen nebst Pulver und
Blei. Das beste wäre, auf die Meuterer zu feuern, während sie noch
schlafen. Bleiben einige von der Weckungssalve verschont und bitten um
Pardon, so können wir sie begnadigen.«

Währenddessen sahen wir zwei der Männer aus dem nahen Gebüsch treten.

»Sind das die Rädelsführer?« fragte ich den Kapitän.

»Nein, Sir!«

»Gut, so lassen wir sie laufen, da sie die Vorsehung rettet. Nun aber
vorwärts!«

Angefeuert durch meine Worte, nahm der Kapitän sein Gewehr auf, seine
Gefährten thaten desgleichen, und vorwärts ging der Marsch. Durch
das entstandene Geräusch wachte ein dritter von den Seeleuten auf. Er
stieß, als er die Anrückenden sah, ein Geschrei aus, um die Schläfer
zu wecken. Letztere sprangen erschrocken auf, aber in demselben
Augenblicke feuerten der Leutnant und der Passagier so glücklich, daß
einer der Rädelsführer auf der Stelle tot blieb, der andre verwundet
wurde. Der Kapitän, der sich des Schießens weislich enthalten hatte,
stürzte auf ihn los und streckte ihn durch einen kräftigen Kolbenschlag
vollends zu Boden. Ein andrer war leicht verwundet, die übrigen drei
baten, als sie mich und Freitag heranrücken sahen, flehentlich um
Gnade. Während sie noch auf ihren Knieen lagen, kamen auch jene beiden,
die zuerst erwacht waren, angelockt durch die gefallenen Schüsse,
herbeigeeilt. Als sie jedoch merkten, wie sehr sich die Verhältnisse
verwandelt hatten und wie ihre bisherigen Gefangenen, mit Flinten
bewaffnet, Herren des Feldes waren, so versuchten sie keinen unnützen
Widerstand, sondern unterwarfen sich gleich ihren Gefährten. Somit
hatten wir einen vollständigen Sieg errungen.

Der Kapitän wandte sich nun mit folgenden ernsten Worten an die
Besiegten: »Ihr wißt, daß ihr als Empörer und Meuterer den Tod verdient
habt. Ich will jedoch Gnade für Recht ergehen lassen und euch das Leben
schenken, aber nur unter der Bedingung, daß ihr euern Verrat bereut und
schwört, mir beizustehen, um mein Schiff zurückzuerobern!«

Hiergegen hatte ich zwar nichts einzuwenden, verpflichtete ihn aber
dazu, die Gefangenen, solange sie auf der Insel sein würden, an Händen
und Füßen gebunden in Sicherheit zu halten. Ich ließ ihnen daher
sogleich an den Händen Fesseln anlegen und gab dem Leutnant und Freitag
den Auftrag, die Gefangenen nach der Grotte zu bringen und ihnen die
Füße zu binden.

Es befanden sich noch 26 Seeleute an Bord des Schiffes. Alle hatten
wegen ihrer Auflehnung gegen ihr Oberhaupt das Leben verwirkt. Der
Kapitän sprach sich dahin aus, daß es sehr schwierig sein würde, ihnen
wirksam beizukommen, denn sie würden sich wohl aufs äußerste zur Wehre
setzen. Wir mußten daher auf eine List sinnen, um sie an einer Landung
zu verhindern. Zu rechter Zeit fiel mir noch ein, daß die auf dem
Schiffe zurückgebliebenen Leute, wenn ihre Kameraden mit der Schaluppe
nicht zurückkämen, diese unfehlbar mit dem zweiten Boote suchen würden
und uns dann viel zu schaffen machen könnten.

Zuerst mußte die eine Schaluppe, die sich bereits in unsern Händen
befand, unbrauchbar gemacht werden, damit sie nicht fortgeführt werden
könne. Unverweilt begaben wir uns an diese Arbeit, nahmen Ruder, Mast,
Segel, Steuerruder, ferner die Flinte, ein Pulverhorn, eine Flasche
Branntwein, eine zweite mit Rum, Zwieback und ein großes Stück Zucker
heraus. Nachdem wir alles an den Strand gebracht, bohrten wir ein
großes Loch in den Boden der Barke, um ihre Wegführung unmöglich zu
machen. Nun kamen auch der Leutnant und Freitag zurück, und unsern
vereinten Anstrengungen gelang es bald, die Schaluppe so hoch auf den
Strand zu ziehen, daß selbst die höchste Flut sie nicht erreichen oder
wegspülen konnte.

Für jetzt ließ sich nichts weiter thun. Wir brachen deshalb nach
meiner Burg auf. Nur wenige Schritte waren wir fortgegangen, als ein
Kanonenschuß vom Schiffe her über die Wellenfläche erscholl, jedenfalls
in der Absicht, die Schaluppe zurückzurufen. Aber diese lag in guter
Ruhe und rührte sich nicht. Da der erste Signalschuß wirkungslos blieb,
so feuerte die Mannschaft des Schiffes von Zeit zu Zeit mehrere Schüsse
hintereinander ab, natürlich ohne jeden Erfolg.

Wir beschleunigten unsre Schritte, um möglichst rasch die Burg zu
erreichen. Der Kapitän sowie seine beiden Gefährten bewunderten meine
Befestigungswerke und die Kunst, wie ich sie so geschickt vor jedem
Späherauge verborgen hatte. Freilich war aber auch das Wäldchen
vor mehr als 20 Jahren gepflanzt und schnell zu solchem Dickicht
verwachsen, daß man schlechterdings nicht durchkommen konnte, außer auf
dem engen, sich durchschlängelnden Pfade, der nur von mir und Freitag
begangen wurde.

»Nun, Kapitän«, fragte ich, »wie gefällt Ihnen mein Schloß? Gewährt
diese Mauer nicht ein ganz prächtiges Versteck?«

»Vortrefflich, Sir! Hinter dieser lebendigen Mauer sind wir besser
geschützt, als wenn wir unser zwanzig wären.«

»Das ist aber noch nicht alles, Kapitän«, fuhr ich rasch fort; »ich
besitze auch noch eine Sommerresidenz, in welcher ich einen Teil der
schönen Jahreszeit zubringe. Die sollten Sie sehen, Herr; dort liegt
das Paradies der Insel! Auch diese werde ich Ihnen ehestens zeigen
können. Jetzt aber ist es notwendig, daß Sie mir samt Ihren Genossen
auf meine Warte folgen, um von dort aus das Schiff zu beobachten. Du,
Freitag, bringe die Ferngläser und einige Erquickungen hinauf!«

Oben angelangt, bemerkten wir, wie die Schiffsmannschaft des heftig
vom Winde geschüttelten Fahrzeugs, nachdem alle ihre Schüsse ohne
die erwartete Wirkung geblieben waren, eine bunte Flagge aufgehißt
und, weil auch dieses Mittel nicht verfing, das andre Boot ausgesetzt
hatte, welches sofort der Küste zusteuerte. Das Meer befand sich in
starkem Wogengang, und die Leute in der Schaluppe hatten kräftig
zuzugreifen, um vorwärts zu kommen. Das Boot mochte etwa mit zehn
Männern, einschließlich des Schiffsjungen, bemannt und diese sämtlich
mit Schießgewehren versehen sein.

»Leider«, sagte der Kapitän, »befinden sich unter diesen Leuten nur
drei ehrliche Burschen, welche durch Furcht zur Empörung gezwungen
worden sind. Die andern aber, hauptsächlich der Hochbootsmann, welcher
die Schaluppe kommandiert, sind so abgefeimte Schurken, daß wir uns des
Ärgsten von ihnen versehen dürfen.«

»Oho, Leute wie wir, Kapitän«, entgegnete ich, »brauchen sich nicht
zu fürchten. Ich habe auf dieser Insel schon schlimmere Zeiten
überstanden; darum fassen Sie Mut und Vertrauen, mein Herr!«

»Ich will es!«

»Nun gut! Zunächst scheint es doch zweckmäßig gewesen zu sein, die
übrigen in der Höhle fern zu halten. Nur eins beunruhigt mich etwas,
daß nämlich drei brave Burschen unter den Ankommenden sind, die wir
schonen und uns zu eigen machen möchten.«

Jetzt näherte sich die Schaluppe dem Ufer und steuerte demselben
entlang bis zu jener Stelle, wo das zuerst angekommene Boot angelegt
hatte. Hier stieg die Rotte ans Land und zog ihre Schaluppe hoch auf
den Strand hinauf. Zuerst sahen sie nach ihrem Boote. Wer aber malt
ihre Bestürzung, als sie dasselbe fest, wie die Arche Noahs, auf dem
Trockenen sitzen, stark durchbohrt und von der ganzen Ausrüstung
entblößt sahen! Dann erhoben sie einen dreimaligen lauten Ruf; aber
keine Antwort tönte ihnen zurück. Da dieses Signal, wie die früheren,
vergeblich blieb, stellten sie sich in einen Kreis und schossen ihre
Gewehre auf einmal los, so daß es durch die Felsenthäler wie dröhnender
Donner rollte. Atemlos lauschten sie auf eine Antwort. Doch kein
menschliches Wesen ließ seinen Ruf ertönen; nur das Echo der Berge gab
den Klang der Feuerwaffen wieder.

Da schien es den Fremden nicht mehr geheuer zu sein: schnell setzten
sie ihr Boot ins Wasser und stießen vom Strande ab. Bald aber wendeten
sie sich wieder rechtsum und steuerten geraden Laufes von neuem auf die
Insel los, um ihre vermißten Kameraden aufzusuchen. Wirklich stiegen
sieben aus, und es blieben drei Mann zur Bewachung des Bootes zurück.
Das lag freilich nicht in unsrer Berechnung; denn was half es uns, jene
sieben Männer zu überwältigen, wenn unterdes die Zurückgebliebenen dem
Schiffe wieder zusteuern und mit demselben sich auf und davon machen
konnten?

Die sieben Gelandeten schritten, sich dicht beisammen haltend, am Saume
des dichten Buschwäldchens vor meiner Festung hin und stiegen auf
einen jener westlichen Hügel, von denen sich eine weite Fernsicht über
die Ebenen nach Nordost darbot. Oben auf dem Gipfel begannen sie laut
zu rufen. Augenscheinlich mochten sie sich nicht weiter landeinwärts
wagen, denn sie setzten sich im Schatten eines Baumes nieder, um Rat zu
halten. Plötzlich brachen sie wieder auf und schlugen den Rückweg nach
der Schaluppe ein. Dieser Augenblick forderte zu schneller Entscheidung
auf; hier konnte nur eine List helfen.

Ich trug dem Leutnant und Freitag auf, linker Hand nach derselben
Hügelreihe, von welcher die Mannschaft hergekommen, vorsichtig
vorzugehen, dann auf einen Hügel zu steigen und aus allen Leibeskräften
so lange zu schreien, bis die Matrosen ihnen antworten würden. Wenn
dies geschehe, so sollten sie dieselben unter wiederholtem Rufen
langsam von Hügel zu Hügel in das Gehölz des Innern locken, ohne sich
jedoch von ihnen einholen zu lassen.

Die Meuterer wollten eben wieder in See stechen, als der Leutnant den
ersten Ruf erschallen ließ. Sofort machten jene Halt und schritten der
Richtung zu, aus welcher der Ton erscholl. Unsre Leute wiederholten
ihr Geschrei, und unter fortgesetzten Lockrufen ging es immer tiefer
landeinwärts.

Jetzt schien der günstige Augenblick gekommen zu sein, um die Schaluppe
zu überfallen. Nur ein Mann befand sich in derselben; von den beiden
andern Wächtern war der eine ausgestiegen und dem Haufen nachgerannt,
während der andre ein nahegelegenes Gebüsch aufsuchen wollte, um
sich daselbst niederzulegen. Der Kapitän schmetterte ihn durch einen
Kolbenschlag tot zu Boden; dann rief er den in der Schaluppe an, sich
zu ergeben. Dieser, einer von den verführten Meuterern, bat seinen
Vorgesetzten flehentlich um Gnade, indem er schwur, künftig Gut und
Leben für den Kapitän einsetzen zu wollen.

In der Höhle waren sechs Gefangene, von denen einer verwundet war.
Zwei andern konnte man zur Not trauen; die letzten drei aber hielt der
Kapitän so weit für zuverlässig, um sie unserm Trupp als Verstärkung
einverleiben zu können. Auch aus der zweiten Schaluppe der Meuterer
entfernten wir Mast, Segel, Ruder und legten sie ebenfalls am hohen
Strand ins Trockene. Diese Arbeit verursachte natürlich viel Mühe, da
wir nur unser vier waren. Dann zogen wir uns in die Burg zurück.

Als wir daselbst anlangten, brach bereits die Nacht an. Wir erquickten
uns nach überstandener Mühe und Gefahr durch Reis, Rosinen,
Ziegenfleisch und Rum. Noch saßen wir um die Flamme des Talglichtes
versammelt, als auch Freitag und der Leutnant zurückkamen. Beide hatten
sich ihres Auftrags zu unsrer völligen Zufriedenheit entledigt, hatten
durch Rufen und Schreien die Bootsleute von Hügel zu Hügel gelockt und
endlich dieselben plötzlich sich selbst überlassen. Dann waren sie
nach der Festung geeilt, so daß schwerlich vor zwei oder drei Stunden
ein Zusammentreffen bevorstand.

Nach dem Mahle schickte ich den Kapitän, den Passagier, Freitag und
jenen begnadigten Meuterer von der Schaluppe, Namens *Robertson*, nach
der Grotte ab, um jene drei Gefangenen, auf deren Treue zu zählen war,
hierher zu bringen, so daß wir dann zusammen die Zahl von neun Mann
ausmachten. In kurzer Zeit kamen sie sämtlich zurück, und nachdem ich
eine Musterung gehalten, besonders aber die Meuterer in strengste
Pflicht genommen hatte, verteilte ich Waffen und Munition, im ganzen
zwölf Feuergewehre, ferner fünf Degen, wovon natürlich zwei auf meine
Person kamen.

So vorbereitet, warteten wir auf unserm Posten. Es mochte ungefähr eine
Stunde vergangen sein, als wir bemerkten, wie unsre Feinde herannahten.
Nach großer Anstrengung gelangten sie endlich an ihren Landungsplatz.
Doch wie versteinert blieben sie stehen, als sie ihr Boot nicht im
Wasser, sondern auf dem Trockenen und noch dazu der ganzen Ausrüstung
beraubt sahen! Ihr Aberglaube schien ihnen Gespenster und Höllenspuk
vorzumalen, die dieses Werk vollbracht hätten. Kaum konnte ich jetzt
meine Leute in Schranken halten, die vor Begier brannten, auf sie
loszustürzen. Indes bedachte ich, daß in dieser Dunkelheit gar leicht
auch einer der Unsrigen verwundet werden könnte, und so wartete ich auf
einen günstigen Augenblick zum Angriff.

Der Hochbootsmann, der Verwegenste der rebellischen Schar, bot ein
verächtliches Bild, jammerte wie ein Kind, rang verzweiflungsvoll
die Hände und rannte hin und her. Er rief die verlorenen Kameraden
wiederholt laut beim Namen, aber keine Stimme der Genossen antwortete
ihm durch die finstere Nacht.

Um sicher zu gehen, rückte ich meinen Hinterhalt näher und gebot
Freitag und dem Kapitän, möglichst geräuschlos an den Feind
heranzukriechen. Es währte auch nicht lange, so kam der Hochbootsmann
mit zwei seiner Spießgesellen in die Nähe der verborgen Lauernden.
Jetzt stand der Kapitän mit Freitag auf; beide drückten zu gleicher
Zeit ab, und der Schändliche lag tot in seinem Blute. Der eine seiner
Genossen ward so getroffen, daß er nach einer Stunde seinen Geist
aufgab; der dritte aber, nur leicht verwundet, entfloh.

Der Knall der Flinten und das Geschrei der Verwundeten galten
für uns als Zeichen des gemeinschaftlichen Vorrückens. Wie schon
bemerkt, bestand unsre ganze Armee aus neun Mann. Der Wald war so
dicht und die Nacht so dunkel, daß es den Gegnern nicht möglich war,
unsre Streitkräfte abzuschätzen. Um ihre sofortige Unterwerfung
herbeizuführen, forderte ich Robertson auf, jeden der Feinde mit seinem
Namen anzurufen.

Er rief also zuerst: »Tom Smith!«

Sogleich antwortete dieser zurück: »Bist du es, Robertson?«

»Ja, ja, ich bin's. Streckt die Waffen, oder ihr seid alle des Todes!«

»Wem sollen wir uns ergeben?« fragte Smith.

»Unser Kapitän ist hier mit 50 Mann«, antwortete Robertson. »Der
Hochbootsmann ist tot, Will Fry ist verwundet, ich selbst bin gefangen;
wenn ihr euch nicht unterwerft, so seid ihr alle verloren.«

»Wird man uns aber auch Gnade bezeigen?« fragte Tom Smith weiter. »Wenn
man uns das Leben läßt, so wollen wir uns ergeben.«

»Ich werde sogleich den Kapitän fragen«, gab Robertson zur Antwort.

Der Kapitän ergriff aber selbst das Wort und rief: »Smith! Was ich
versprochen, halte ich. Streckt ihr sofort die Waffen, so ist euch das
Leben geschenkt, außer Will Atkins!«

»Um Gotteswillen!« rief dieser flehend, »gebt auch mir Pardon, Kapitän.
Habe ich etwa Schlimmeres verübt als die übrigen?«

»Du lügst, Atkins«, fuhr ihn der Kapitän an; »bist du es nicht gewesen,
der zuerst Hand an mich legte, der mir die Hände gebunden und mich
wehrlos gemacht hat?«

»Gnade, Gnade, Kapitän!« wimmerte Atkins.

»Das wird sich finden. Jetzt noch einmal, ihr alle streckt entweder
sofort das Gewehr, oder -- --!«

Ohne Widerstand ergaben sich die Meuterer, die nun als Gefangene durch
das Wäldchen auf den freien Platz neben dem äußeren Walle geführt
wurden. Hier redete der Kapitän ihnen ins Gewissen und stellte ihnen
die traurigen Folgen, die sie sich selbst zuzuschreiben hätten, vor.

»Ihr habt geglaubt«, schloß er seine Ansprache, »mich auf eine öde
Insel auszusetzen, aber es hat Gott gefallen, mich zu retten; denn
hier herrscht ein englischer *Gouverneur*, der mich menschenfreundlich
aufnahm. Ihr habt mich vorhin um Gnade angefleht; meine Gewalt über
euch ist hier zu Ende. Ihr gehört von nun an vor den Richterstuhl des
Gouverneurs.«

Diese Worte wirkten erschütternd auf die Gefangenen; sie baten ihren
Kapitän, sich für sie bei dem Gouverneur der Insel zu verwenden.

Der inhaltschwere Titel »Gouverneur« galt meiner eignen Person. Aber
ich hielt mich nebst Freitag zurück und ließ mich nicht sehen, denn
mein Anzug war jener Würde nichts weniger wie angemessen. Doch die
Kriegslist gefiel mir, und ich erklärte mich einverstanden, die Rolle
fortzuspielen. Ich beorderte also den Leutnant an den Kapitän.

»Herr«, berichtete jener, »Seine Exzellenz der Gouverneur wünscht Sie
zu sprechen.«

»Melden Sie Seiner Exzellenz«, erwiderte der Kapitän, »daß ich
unverweilt zu seinen Befehlen sein werde.«

Die Gefangenen mußten diesen Worten nach glauben, daß wirklich ein
Gouverneur mit Truppen in der Nähe stehe. Als der Kapitän aber zu
mir kam, schlug ich ihm vor, der Vorsicht halber unsre Gefangenen zu
teilen; ich forderte ihn auf, Atkins und die beiden widerspenstigen
Gesellen an Händen und Füßen gebunden nach der Höhle zu schicken, die
übrigen ließ ich in dem Raume zwischen den beiden Wällen unterbringen
und glaubte somit, die Mannschaft unschädlich gemacht zu haben. Nunmehr
hielt ich mit dem Kapitän, dem Leutnant und dem Passagier Rat, wie wir
uns des Schiffes bemächtigen könnten; ich sprach die Zuversicht aus,
daß uns die Seeleute bei der Wiedereroberung unterstützen würden. Es
kam darauf an, die Stimmung derselben genau zu erforschen, weshalb ich
den Kapitän und Leutnant nach der Grotte schickte, wohin ihnen Freitag
mit einer brennenden Kerze den Weg zeigte. -- Der Kapitän sprach in
mildem Tone zu seinen Matrosen: »Ich werde versuchen, euch bei dem
Gouverneur der Insel Verzeihung zu erwirken; aber ich rechne bei euch
noch auf etwas andres: Ihr sollt mir das Schiff wiedererobern helfen,
denn davon hängt alles ab. Seid ihr dazu bereit?«

Einmütig versicherten die Seeleute, ihm in allen Stücken bis zum
letzten Blutstropfen beizustehen. Er solle sie führen, wohin er wolle,
und wenn es gegen die Hölle und den Teufel wäre.

»Ich rechne auf euch«, beendete der Kapitän das Gespräch.

Er kam zu mir zurück und teilte mir die Gesinnungen der Seeleute mit.
Da ich aber glaubte, daß unsre eigne Sicherheit keine allzugroße
Nachgiebigkeit gestattete, so sandte ich den Kapitän mit der Antwort
zurück: Die sechs gesunden Gefangenen sollten zur Expedition nach
dem Schiffe zugelassen werden; hingegen sollte Atkins mit den beiden
Verwundeten als Geiseln zurückbleiben und ohne weiteres aufgeknüpft
werden, wenn die andern der Untreue sich schuldig machen würden. Die
Begünstigten mußten feierlich geloben, dem Gouverneur unverbrüchlichen
Gehorsam zu leisten.

Die Streitkräfte, welche uns für die Eroberung des Schiffes zur
Verfügung standen, waren nun folgende. Erstens: der *Kapitän*, der
*Leutnant* und der *Passagier*. Zweitens: *fünf Freigelassene* von
der ersten Schaluppe. Drittens: *Robertson*, *Tom Smith* und *drei
Freigelassene* von der zweiten Schaluppe. Im ganzen also *dreizehn*
Mann. Ich und Freitag durften der Expedition nicht beiwohnen, da wir
unsre Burg und unser sonstiges Eigentum sowie die Gefangenen im Auge
behalten mußten.

Jetzt galt es, schnell das Loch, welches wir in eine der Schaluppen
gebohrt hatten, zu verstopfen und sie zur Kriegsfahrt auszurüsten.
Als alles instand gesetzt war, bestiegen der Kapitän, der Passagier
und fünf Mann das eine Boot, während der Leutnant mit ebenfalls
fünf Mann sich in dem andern einschiffte. Gegen Mitternacht segelte
die Mannschaft ab; ich aber harrte am Strande und lauschte über das
weite Meer, um zu vernehmen, welche Entscheidung der nächtliche Kampf
herbeiführen würde.

Es mochte gegen 2 Uhr sein, als ich vom Schiffe aus sieben
Kanonenschüsse vernahm, das verabredete Zeichen der gelungenen
Ausführung. Man kann sich keine Vorstellung von meiner Freude machen,
da ich den nahenden Augenblick meiner Rettung im Geiste vor mir sah;
ich sank auf die Kniee nieder und dankte Gott inbrünstig für seine
Barmherzigkeit. Dann begab ich mich mit Freitag nach Hause, und bald
senkte sich ein tiefer Schlaf auf unsre müden Augen. Gegen Morgen
wurden wir durch einen Kanonenschuß geweckt, und wenige Augenblicke
darauf hörte ich mich laut rufen: »Gouverneur, Gouverneur!« Rasch
bestieg ich, ein Fernglas in der Hand, meine Warte, wo ich den Kapitän
bereits anwesend fand. Er schloß mich stürmisch in die Arme und sprach:
»Mein Freund, mein Erretter! Dort liegt Ihr, unser stattliches Schiff;
es gehört Ihnen, nebst allem, was wir besitzen!«

Ich wandte jetzt meine Blicke auf die See und sah das Schiff, kaum eine
halbe Stunde vom Ufer entfernt, in der Bai vor Anker liegen.

Jetzt stand meiner Befreiung nichts mehr im Wege. Ein tüchtiges Schiff
war zu meiner Bereitschaft, um mich zu bringen, wohin mein Herz
begehrte. Ich umarmte den braven Kapitän und begrüßte ihn als meinen
vom Himmel gesandten Befreier, der mich aus jahrelanger Verbannung
erlösen sollte.

Als ich mich wieder erholt hatte, stiegen wir hinab. Im Innern der Burg
erzählte mir der Kapitän den Hergang.

»Sobald sich unsre Schaluppe dem Schiffe näherte«, begann derselbe
seinen Bericht, »befahl ich Robertson, die wachende Schiffsmannschaft
anzurufen und zu sagen, er brächte ihre Kameraden zurück, die sie erst
nach langem Suchen aufgefunden hätten.

»Mit solchen Reden wußte er sie so lange zu beschäftigen, bis die
Schaluppe unter dem Schiffe beilegen konnte. Ich und unser tapferer
Mitreisender gerieten zuerst mit den Meuterern ins Handgemenge.
Sobald aber der noch schlaftrunkene stellvertretende Hochbootsmann
niedergestreckt und auch der Zimmermann unschädlich gemacht worden,
gelang es uns sehr bald, mit den übrigen drei uns zu Meistern des
Halbdecks des Schiffes zu machen. Nachdem die gesamte Mannschaft des
zweiten Bootes nachgeklettert war, säuberten wir das Vorderdeck,
drangen von da in die Springluke, die nach der Küche führte, und nahmen
hier den Koch und noch zwei andre Meuterer gefangen.

[Illustration: Kampf mit den Meuterern.]

»Hierauf ließ ich die Luken schließen, damit die Mannschaft zwischen
den Decken den übrigen nicht zu Hilfe kommen könnte. Alsdann befahl
ich dem Leutnant, mit drei Mann die Kajütte zu sprengen, in welcher
sich der von den Empörern zum Kapitän Gewählte befand. Durch den Lärm
aufgeschreckt, war dieser aus dem Bette gesprungen und hatte sich nebst
zwei Matrosen bewaffnet. Sobald die Thür geöffnet wurde, schossen
die Männer von drinnen heraus, so daß einer von uns getötet, zwei
verwundet, dem Leutnant aber der linke Arm verletzt wurde, was ihn
jedoch nicht abhielt, auf den Rebellenkapitän loszustürzen und ihm eine
Kugel durch den Kopf zu jagen. Als diesen die beiden Matrosen fallen
sahen, schwand ihnen der Mut und sie ergaben sich. Noch waren acht
Mann übrig, deren wir Herr werden mußten. Wir riefen ihnen zu, sich zu
ergeben, sonst wären sie alle des Todes. Sie sahen auch das Vergebliche
eines Widerstandes ein; wir öffneten nun eine Luke und ließen sie aufs
Deck heraufsteigen. So war ich wieder rechtmäßiger Kommandeur des
Schiffes geworden.«

Nach beendeter Erzählung befahl der Kapitän, die für den Gouverneur
bestimmten Gegenstände herbeizuschaffen. Zuerst war da ein
Flaschenfutter mit mehreren Flaschen feiner Weine und Liköre, sodann
vortrefflicher Tabak nebst etlichen Pfeifen, zwei große Stücke
Rindfleisch sowie sechs Stücke Schweinefleisch, ein Sack voll Erbsen
und etwa 50 _kg_ Zwieback; ferner eine Kiste Zucker sowie eine
mit Mehl, ein Sack voll Zitronen und eine Menge andrer nützlicher
Verbrauchsgegenstände; weiterhin sechs Hemden, sechs Halsbinden, zwei
Paar Handschuhe, ein Paar Schuhe, sechs Paar Strümpfe, ein Hut und ein
vollständiger Anzug, der erst einen Tag getragen sein konnte. Mit allen
diesen Gegenständen beschenkte mich der Kapitän und setzte den Wunsch
hinzu, ich möchte mich sofort umkleiden, damit ich vor die Leute als
Gouverneur treten und die nötigen Befehle selbst erteilen könnte, was
sicherlich eine nachhaltige Wirkung nicht verfehlen würde. Gewiß wird
man mir aber glauben, wenn ich bemerke, daß ich mich in meinem neuen,
ungewohnten Staatskleide anfänglich nicht zurecht finden konnte und
mich auch recht unbehaglich fühlte.




[Illustration]

Vierzehntes Kapitel.

Robinsons Abreise von seiner Insel.


  Robinson als Gouverneur und Richter. -- Abschied von der Insel
  und deren Bevölkerung. -- Ankunft in England. -- Alles fremd in
  der Heimat. -- Reise nach Lissabon. -- Stand der brasilischen
  Besitzungen. -- Der brave Portugiese. -- Günstige Vermögenslage. --
  Landreise durch Spanien und Frankreich. -- Wölfe in den Pyrenäen. --
  Freitag und der Bär. -- Stillleben in London.

Während des Frühstücks beratschlagten wir darüber, was mit den
Gefangenen vorzunehmen wäre. Atkins und seine zwei Spießgesellen waren
unverbesserliche Bösewichte, vor denen man auf der Hut sein mußte.
Hätte man sie mitnehmen wollen, so durfte es nur in Fesseln geschehen,
um sie auf der ersten englischen Kolonie dem Arme der strafenden
Gerechtigkeit zu überliefern. Der menschenfreundliche Kapitän wollte
indes Milde üben, womit auch ich mich einverstanden erklärte; wir kamen
deshalb überein, die drei Personen auf der Insel zurückzulassen. Aber
sie sollten selbst diese Maßregel als eine Gnade ansehen und darum
bitten.

Nachdem ich mich angekleidet hatte, erteilte ich Freitag den Befehl,
die Gefangenen von der Grotte nach dem Burgwäldchen zu bringen; ich
selbst begab mich nach einiger Zeit dahin, ließ die Kerle, gefesselt
wie sie waren, mir vorführen und hielt nun folgende kurze Ansprache:

»Die ganze Nichtswürdigkeit eures Gebarens ist mir durchaus bekannt.
Ihr habt euch gegen euren braven Kapitän empört, um euren schändlichen
Lüsten nach Seeräuberei zu frönen. Aber es ist gekommen, wie es kommen
mußte; wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Das Schiff
ist nach meinen Anordnungen seinem rechtmäßigen Befehlshaber wieder
übergeben worden, und ich habe Befehl erteilt, daß euer Rebellenkapitän
an die große Raa aufgeknüpft wird. Könnt ihr übrigen etwas zu eurer
Entschuldigung oder Rechtfertigung vorbringen, so thut es beizeiten,
sonst lasse ich euch samt und sonders neben Atkins aufhängen!«

Einer von ihnen antwortete im Namen der übrigen, sie hätten nichts
weiter zu sagen, als daß der Kapitän ihnen, als sie gefangen genommen
worden wären, versprochen hätte, sie beim Leben zu lassen, und sie
bäten daher Se. Exzellenz den Gouverneur demütig um Gnade.

»Da ich«, entgegnete ich hierauf, »die Erlaubnis habe, mit dem ersten
Schiffe nach England zurückzufahren und meine Abreise eben bevorsteht,
so wüßte ich keine andre Gnade walten zu lassen als die, euch hier auf
dieser Insel zurückzulassen; denn führet ihr mit uns nach England, so
erwartete euch dort von Rechts wegen der Strang.«

Die Leute willigten dankbar ein, und um sie bis zu meiner Abreise
immer in Furcht zu erhalten, ließ ich den erschossenen Meutererkapitän
an der großen Raa aufknüpfen. Der eigentliche Kapitän jedoch, der
inzwischen zu uns getreten war und die Verkündigung meines gnädigen
Entscheids vernommen hatte, that, als ob er in diese milden Maßregeln
durchaus nicht einwilligen könne, worauf ich, mich scheinbar in meiner
Gouverneurswürde gekränkt fühlend, ihn mit den Worten zurückwies: »Herr
Kapitän, Sie wissen recht wohl, daß die Gefangenen nicht die *Ihrigen*,
sondern die *meinigen* sind.«

Nachdem alle noch einmal mich ihrer Dankbarkeit versichert hatten,
unterrichtete ich sie von allen Dingen, deren Kenntnis ihnen jetzt
von Nutzen sein konnte: von Säen, Pflanzen und Ernten, von der
Beschaffenheit des Bodens, von der Töpfer- und Korbflechterarbeit,
vom Brotbacken, von meinem Lusthause, von der Grotte, von meinen
Ziegenparks und von meiner Milch- und Käsewirtschaft. Auch durfte ich
nicht unerwähnt lassen, daß 17 Spanier und Portugiesen in den nächsten
Tagen landen würden, für welche ich einen Brief in Bereitschaft halten
wolle, der dem Don Caballos zu übergeben sei. Endlich überließ ich
ihnen noch Gewehre, Pulver und Schrot sowie die meisten Vorräte, so daß
sie gegen jeden Mangel hinreichend geschützt waren. Nachdem ich sie
in solcher Weise genügend ausgerüstet hatte, ließ ich die Gefangenen
wieder abtreten.

Nun hielt ich mit dem Kapitän über die nahe *Abreise* Rat, obschon es
mir in den letzten Stunden doch recht schwer aufs Herz fiel, meine
Insel zu verlassen, an die sich so manche Erinnerungen des Schmerzes
und der Freude knüpften. Noch einmal gedachte ich lebhaft der
vergangenen Zeiten und derjenigen Ereignisse, die meinen Sinn geläutert
und mich zu einem gottesfürchtigen, tüchtigen Menschen umgewandelt
hatten!

Es war nach dem Schiffskalender am 19. *Dezember* 1686, als ich des
Abends gegen 8 Uhr an Bord stieg, nachdem ich 27 Jahre, 2 Monate und 19
Tage auf der Insel verlebt hatte; an demselben Jahrestage war ich mit
Xury aus Saleh der Gefangenschaft der Mauren entflohen.

Gegen Morgen, etwa um 5 Uhr, ereignete sich noch ein eigentümlicher
Vorfall. Zwei der Verbannten kamen an das Schiff geschwommen und baten,
sie an Bord aufzunehmen, selbst auf die Gefahr hin, daß sie in England
auf der Stelle gehangen werden sollten. Als man sie fragte, was sie
bewogen habe, die Insel zu verlassen, gaben sie zur Antwort: sie
könnten nicht mit jenen Bösewichten zusammenleben, ohne in beständiger
Furcht zu sein, von ihnen aufs grausamste mißhandelt oder gar getötet
zu werden. Der Kapitän bedeutete sie, daß er ohne meine Einwilligung
nichts versprechen könne; aber auf ihre wiederholte Beteuerung,
redliche und brave Menschen werden zu wollen, nahm ich sie wieder auf,
konnte ihnen indes eine tüchtige Tracht Prügel nicht ersparen, weil sie
in eigenmächtiger Weise gehandelt hatten.

Diese Vorfälle sowie die Absendung einer Schaluppe, welche allerhand
Kisten und Koffer für die Gefangenen enthielt, hatten unsre Abfahrt so
weit verzögert, daß die Sonne bereits hoch über dem Horizont stand, als
wir die Anker lichteten. Beim Scheiden von meiner Insel hatte ich zum
Andenken meine große Mütze von Ziegenfell, meinen Sonnenschirm, meinen
Lieblingspapagei sowie meinen Hund mit mir genommen; aber auch das
Geld, welches ich auf unserm und dem spanischen Schiffe gefunden, nicht
vergessen. Es war, da es lange Jahre unberührt in einem Winkel des
Kellers gelegen hatte, so schwarz und unkenntlich geworden, daß es erst
wieder blank gerieben werden mußte, um als gangbare Münze in Umlauf
gesetzt zu werden. Freitag, der seinen Vater nicht wiedergesehen hatte,
schaute unverwandt vom Verdeck aus nach der Insel zurück, und Thränen
standen in seinen Augen. Auch ich wurde von tiefer Wehmut ergriffen,
als die letzten Bergesgipfel in die blauen Wogen der See hinabtauchten.

Unsre Reise ging so schnell und glücklich von statten, daß wir am
11. Juni 1687 an Englands Küste landeten. Nicht durch Worte lassen
sich die Gefühle schildern, mit denen ich nach 35jähriger Abwesenheit
zum erstenmal wieder die heimatlichen Fluren begrüßte. Wie fremd kam
ich mir in dieser Welt, unter diesen Menschen vor; war es mir doch,
als hätte ich niemals dieses Inselland gekannt! Noch seltsamer und
staunenswerter aber fand Freitag die Wunder meiner Heimat: in den
Häfen den mastenreichen Wald der Schiffe, die langen Straßen mit den
hohen steinernen Häusern, das unübersehbare Gewühl und das geschäftige
Treiben der Bewohner.

Ohne Verzug eilten wir der Weltstadt London zu. Dort erkundigte ich
mich zuerst nach der Witwe, der ich mein kleines Vermögen anvertraut
hatte. Sie war noch am Leben, aber zum zweitenmal Witwe geworden,
hatte manches Ungemach erlebt und befand sich in den drückendsten
Vermögensumständen. Das Geständnis, die anvertraute Summe mir nicht
zurückerstatten zu können, war für sie so niederschlagend, daß mich die
arme brave Frau in tiefster Seele dauerte. Ich suchte sie über diesen
Punkt zu beruhigen und sagte ihr, daß wir quitt seien, da ich ihr die
einst bewiesene Güte bis jetzt nicht habe vergelten können.

Ein paar Tage darauf begab ich mich nach York. Mein Vater und meine
Mutter waren längst gestorben, und von meiner ganzen Familie fand ich
niemand mehr am Leben, als zwei Schwestern und zwei erwachsene Söhne
meines zweiten Bruders, der erst vor wenig Jahren heimgegangen war und
einiges Vermögen hinterlassen hatte. Da man natürlich annahm, ich sei
längst gestorben, so war ich von dem Erbteil ausgeschlossen worden,
und meine Geschwister befanden sich nicht in der Lage, den auf mich
entfallenden Anteil mir auszuzahlen. So mußte ich mich denn lediglich
auf das beschränken, was ich von meiner Insel mitgebracht hatte. In
York war nun nichts weiter für mich zu finden: ich kehrte deshalb nach
London zurück, wo ich mit dem Kapitän zusammentraf. Der brave Mann
hatte seinen Reedern einen so vorteilhaften Bericht über mich und meine
Mitwirkung für die Wiedereroberung seines Schiffes erstattet, daß sie
nicht nur ihren lebhaftesten Dank gegen mich aussprachen, sondern
mich auch baten, ein Geschenk von 200 Pfd. Sterling anzunehmen. Diese
Summe setzte mich in den Stand, selbst nach *Lissabon* abzureisen, um
dort Erkundigungen über meine Pflanzung und meinen Geschäftsgenossen
in Brasilien einzuziehen, der mich ohne Zweifel schon seit drei
Jahrzehnten für tot halten mußte.

In dieser Absicht schiffte ich mich nach Lissabon ein, woselbst ich in
Begleitung meines unzertrennlichen Gefährten Freitag gegen Ende des
September ankam. Zuerst fragte ich nach dem portugiesischen Kapitän,
der mich so liebevoll aufgenommen und mir mit seinem wohlmeinenden
Rate so treu zur Seite gestanden hatte. Er war jetzt hochbetagt und
ging nicht mehr zur See; er hatte an seinen Sohn die Führung des
Schiffes sowie seiner Handelsgeschäfte nach Brasilien abgetreten.
Wir erkannten einander kaum wieder, aber schon nach einer kurzen
Auseinandersetzung begrüßten wir uns herzlich als alte Freunde. Ich
mußte ihm meine wunderbaren Schicksale erzählen, und als ich damit
zu Ende war, erkundigte ich mich nach dem Stande meiner brasilischen
Pflanzung und nach meinem Mitpflanzer. Der Greis berichtete mir,
er habe seit neun Jahren Brasilien nicht besucht; damals sei mein
Handelsgesellschafter noch am Leben gewesen, die beiden von mir
ernannten Faktoren wären aber gestorben. Indessen glaubte er, daß man
über das Gedeihen meiner Pflanzung günstige Berichte erhalten werde,
denn nach der allgemeinen Annahme, daß ich in einem Schiffbruche
untergegangen sei, hätten meine beiden Faktoren meine Rechte auf die
Pflanzung dem Staatsprokurator übergeben; es sei bestimmt worden, daß,
im Fall ich nicht wiederkehre, um mein Eigentum in Anspruch zu nehmen,
ein Drittel dem königlichen Schatze und zwei Drittel dem Kloster des
heiligen Augustin zufallen sollten, um zur Unterstützung der Armen
und zur Bekehrung der Indianer zur katholischen Religion verwendet
zu werden. Käme ich aber selbst oder ein von mir Bevollmächtigter,
um die Rückgabe meines Vermögens zu verlangen, so würde es mir nicht
vorenthalten werden, mit Ausnahme dessen, was zu mildthätigen Zwecken
verwendet worden wäre.

Weiterhin wurde mir versichert, daß der Intendant der königlichen
Einkünfte und der Schatzmeister des Klosters jährlich eine Rechnung von
dem Ertrage empfangen und davon die mir rechtlich zukommende Hälfte
regelmäßig bezogen hätten.

Als ich den Greis fragte, ob mir die Geltendmachung meiner Ansprüche
auf die Pflanzung etwas nützen würde, erwiderte er:

»Ja, sicherlich wird es sich der Mühe lohnen. Ihr Gesellschafter ist
ein reicher Mann geworden, und wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht,
so beläuft sich das auf den König gefallene Drittel jährlich über 200
Moedore (= 4800 Mark). Auch wird es keine Schwierigkeiten verursachen,
den Besitz Ihrer Pflanzung wieder anzutreten, da Ihr Gesellschafter
noch am Leben, also Zeuge Ihres Eigentumsrechtes ist, und Ihr Name
überdies noch immer in den Verzeichnissen der Pflanzer eingetragen
steht. Auch die Erben Ihrer Faktoren sind brave und redliche Leute,
und ich zweifle nicht, daß sie Ihnen bei Ihrem Vorhaben förderlich zur
Seite stehen werden. Außerdem aber müssen sie, wenn ich nicht ganz
irre, auch eine bedeutende Geldsumme für Sie in Händen haben, die aus
den Einkünften der Pflanzung herrührt, welche ihre Eltern zu jener Zeit
bezogen, ehe sie vor ungefähr zwölf Jahren dem König und dem Kloster
dieselben überlassen mußten.«

Ich vermochte nicht, meinen Unwillen darüber zu unterdrücken, daß
meine Faktoren so eigenmächtig über mein Vermögen verfügt hatten,
da ihnen doch wohl bewußt war, daß ich *ihn* -- den Kapitän -- zum
Universalerben in meinem Testament eingesetzt hatte.

Der alte Mann erwiderte, daß er meinen letzten Willen nicht habe
vollziehen können, weil er keine Beweise für meinen Tod oder eine ewige
Verschollenheit gehabt hätte. »Aber«, fügte er hinzu, »ich habe Ihnen
noch etwas zu sagen, was Ihnen vielleicht minder unangenehm sein wird.
Auf die allgemein geglaubte Nachricht von Ihrem Tode erboten sich Ihr
Gesellschafter und Ihre Faktoren, mich durch die Einkünfte der ersten
sechs Jahre abzufinden, worauf ich auch eingegangen bin. Dieselben
waren aber nicht bedeutend, weil damals auf die Pflanzung selbst noch
große Summen verwendet wurden. Indessen werde ich Ihnen hierüber noch
genaue Rechnung vorlegen.«

Nach einigen Tagen empfing ich von dem alten Kapitän wirklich die
Rechnung, und es stellte sich heraus, daß er mir 470 Moedore schuldete,
die er in Tabak, Zucker, Rum und andern Produkten empfangen hatte,
außer 15 Doppelrollen Tabak und 60 Kisten Zucker, die in einem
Schiffbruch verloren gegangen waren. Hierauf holte er eine lederne
Börse, nahm daraus 160 Moedore und händigte mir dieselben mit der
Bemerkung ein, daß ihn viele Unglücksfälle betroffen hätten, wodurch
er sich jetzt außer stande sähe, mir die ganze Rechnung auszuzahlen.
Für den Rest bot er mir einen Vertrag an wegen der Hälfte des Anteils,
den er und sein Sohn an der Fracht eines Schiffes hätten, welches von
diesem geführt und in kurzem ankommen würde.

Die Rechtschaffenheit des braven Greises rührte mich bis zu Thränen,
besonders als ich an die vielen Wohlthaten dachte, die er mir einst
erwiesen hatte. »Jetzt aber, teurer Kapitän«, drang ich in ihn, »sagen
Sie mir unumwunden, ob Sie die Entbehrung dieser Summe irgendwie in
Verlegenheit setzt?«

»Ich leugne nicht, mein lieber Freund«, entgegnete der Greis, »daß
es mir einigermaßen unbequem fällt, aber es ist *Ihr* Geld, und Sie
bedürfen desselben vielleicht noch nötiger als ich.«

Der Mann flößte mir immer mehr Achtung und Teilnahme ein. Ich nahm 100
Moedore und stellte ihm darüber eine Quittung aus, dann gab ich ihm
60 Moedore und seine Papiere mit der Bemerkung zurück, daß ich von
einem solchen Ehrenmanne, wie er sei, keine weitere Sicherheit nötig
hätte. Der alte Kapitän freute sich über meine Erkenntlichkeit und gab
mir dann in betreff meiner brasilischen Reise manche beherzigenswerte
Winke, die meiner allezeit raschen Wanderlust Zügel und Zaum anlegten.

In nächster Zeit gingen zwei Schiffe nach Brasilien ab, und mit diesen
wurden meine beglaubigten Papiere und Dokumente an den Ort ihrer
Bestimmung befördert. Noch waren nicht sieben ganze Monate verflossen,
als von den Erben meiner Faktoren ein Päckchen einlief mit den
folgenden Papieren:

  1. Eine Rechnung vom Ertrage meiner Pflanzung während der ersten
     sechs Jahre, nach abgeschlossener Rechnung mit dem Kapitän, laut
     welcher mir zu gute kamen,
                                                            Moedore 1174

  2. Eine Rechnung vom Ertrage derjenigen Jahre, welche der
     obrigkeitlichen Verwaltung meiner Einkünfte vorhergingen
                                                            Moedore 3241

  3. Eine Rechnung vom Prior des Klosters, welches über vierzehn Jahre
     zwei Drittel meiner Einkünfte bezogen hatte, noch vorhanden
                                                            Moedore  872
                                                            ------------
                                                            Moedore 5287

Was der Prior für mildthätige Zwecke verausgabt hatte, konnte ich nicht
zurückverlangen, und über das Drittel, welches der Prokurator für des
Königs Säckel bezogen hatte, erhielt ich weder Rechnung noch Geld.

In jenem Päckchen lagen außerdem noch Briefe von meinem ehemaligen
Gesellschafter und seiner Familie, welche sämtlich die aufrichtigsten
Glückwünsche enthielten, ferner ein umständlicher Bericht über den
gegenwärtigen blühenden Zustand der Plantage und eine Einladung, selbst
den Besitz meiner Ländereien anzutreten. Außerdem war dem Briefe noch
beigefügt ein Geschenk von sechs Kistchen eingemachter Früchte, von
100 Stückchen ungemünzten Goldes, etwas kleiner als die Moedore, und
sechs prächtigen Leopardenfellen, die mich auf den Schluß brachten, daß
meine Nachfolger Schiffe nach Afrika ausgerüstet hatten und mehr vom
Schicksale begünstigt waren als ich bei meiner Fahrt nach Guinea.

Aber das war noch nicht alles, denn fast gleichzeitig erhielt ich von
den Erben meiner Faktoren eine zweite Sendung, die mir als Zahlung der
schuldigen 4415 Moedore, 1200 Zuckerkisten, 800 Tabaksrollen und den
Rest in Gold zuführte.

Das war zu viel auf einmal! Fast erlag ich dem Drucke, welchen das
Übermaß der Freude auf mich kurz vorher noch so armseligen Sterblichen
ausübte. Jetzt war ich mit einem Schlage ein reicher Mann, der über
Besitzungen in zwei Weltteilen zu verfügen hatte. Da durfte ich denn
meinen alten wackeren Kapitän nicht vergessen. Sofort zahlte ich
ihm seine 100 Moedore zurück, quittierte über den Empfang der noch
rückständigen 370 und setzte ihm eine jährliche Rente von 100 und nach
seinem Ableben seinem Sohne eine solche von 50 Moedoren aus. Außerdem
betraute ich ihn mit der Vollmacht, meine Einkünfte in Brasilien zu
beziehen und mir zu übermitteln.

Mit dem nächsten nach Brasilien gehenden Schiffe sandte ich ein
Antwortschreiben zurück, in welchem ich meinen Dank aussprach für die
wohlgemeinten Glückwünsche und zugleich die Absicht mitteilte, bald
nach Brasilien überzusiedeln und dort vielleicht meine Tage in Ruhe
zu beschließen. Als Gegengeschenk fügte ich feine englische Tücher,
seidene Stoffe aus Italien, Spitzen aus Brabant und andres dergleichen
bei. Dem Prior aber gab ich meine Entschließung kund, 500 Moedore
seinem Kloster und die übrigen 372 den Armen zu vermachen.

So waren meine südamerikanischen Angelegenheiten in Ordnung gebracht.
Wenn ich dasselbe nur auch schon von den europäischen hätte sagen
können; denn hier stieß ich auf gar mannigfache Verlegenheiten.
Zuvörderst mußte ich darauf bedacht sein, meine Kapitalien sicheren
Händen zu übergeben, und es blieb mir nichts andres übrig, als selbst
nach England zurückzukehren.

Mein alter Freund, der Seemann, riet mir, über Madrid und Paris nach
Calais zu reisen und von da nach Dover überzusetzen. Damit ich aber
auch Reisegesellschaft hätte, so machte er mich mit dem Sohne eines
englischen, in Lissabon ansässigen Kaufmanns bekannt, der mich zu
begleiten wünschte. Außerdem schlossen sich noch zwei andre Kaufleute
aus England sowie zwei Portugiesen an, so daß wir im ganzen sechs
Herren nebst fünf Dienern waren, aber wohlberitten und bewaffnet. Meine
Reisegefährten beliebten, mir den Titel »Kapitän« zu geben, einmal,
weil ich der Älteste von ihnen war, dann auch, weil ich *zwei* Diener
hatte.

Wir verweilten einige Zeit in *Madrid*, um den Hof und die übrigen
Merkwürdigkeiten der spanischen Residenz zu besehen, und gegen
Mitte Oktober rückten wir weiter, um bei der schon vorgeschrittenen
Jahreszeit die Pyrenäen möglichst bald im Rücken zu haben. In Pamplona
berichteten uns die Leute, daß auf dem Nordabhange des Gebirges bereits
Massen von Schnee lägen, die ein Durchkommen schlechterdings unmöglich
machten. Die Kälte war in der That empfindlich, zumal wenn man, wie
ich, viele Jahre lang unter der tropischen Sonne gelebt und erst seit
zehn Tagen den blauen Himmel des heißen Kastilien verlassen hatte. Dem
armen Freitag spielte die Kälte noch weit mehr mit -- der Sohn Amerikas
sah hier zum erstenmal die Natur in ihrem rauhen Winterkleide!

Ich machte meinen Reisegefährten den Vorschlag, nach Fuentarabia
aufzubrechen, uns daselbst einzuschiffen und nach Bordeaux zu fahren.
Während wir uns noch darüber berieten, trafen vier Franzosen in unserm
Gasthof ein, deren Reise sowohl auf französischer wie auf spanischer
Seite Aufschub erfahren und welche die Reise über das Gebirge unter
Leitung eines kundigen Führers gemacht hatten. Wir ließen den Mann auf
der Stelle holen, und er versprach, uns auf den nämlichen Wegen nach
Frankreich hinüber zu geleiten. Vom Schnee sei nichts zu befürchten,
sagte er, aber vor den Wölfen, die wegen der großen Kälte zu ganzen
Trupps ausgehungert umherschwärmten, könne man nicht genug auf der Hut
sein. Wir entgegneten ihm, daß wir hinlänglich mit Waffen versehen
seien, um solch einen Trupp nach Gebühr zu empfangen. Wegen des
Führergeldes wurden wir mit dem Manne schnell handelseinig, und so
brachen wir, nachdem sich uns noch zwölf Reisende mit ihrer Bedienung
angeschlossen, am 15. November 1687 von Pamplona auf.

Wir waren nicht wenig verwundert, als uns der Führer wohl an zehn
Stunden weit auf der Straße nach Madrid rückwärts führte, wo wir uns
in einem angenehm warmen Klima und in schöner, schneeloser Landschaft
befanden. Dann aber wandte er sich links gegen den Gebirgszug und
führte uns, an tausend schauerlich gähnenden Abgründen vorbei, bis auf
die Höhe des Gebirges, von wo uns die grünen, lachenden Gefilde von
Languedoc und der Gascogne entgegenblinkten. Bis dorthin war freilich
noch mehr als *ein* mühevoller Schritt zu machen, wenngleich man das
Schlimmste überstanden zu haben glaubte.

Eines Nachmittags wurde aber der Führer, als er uns vorausritt, von
zwei Wölfen und einem Bären angegriffen. Der bestürzte Mann verlor so
sehr alle Besinnung, daß er, statt sein Pistol abzufeuern, nur aus
Leibeskräften schrie. Schnell gebot ich Freitag, hinzureiten, und er
zerschmetterte durch einen sicheren Pistolenschuß den Kopf des einen
Wolfes. Der andre, welcher sich heißhungrig auf das Pferd gestürzt
hatte, entfloh, von dem Knalle erschreckt, ins Gehölz; Freund Petz aber
ließ sich dadurch nicht irre machen, sondern blieb ruhig stehen. Der
arme Führer hatte zwei empfindliche Wunden, eine in den rechten Arm,
die andre in den Schenkel erhalten; aber das Pferd war unverletzt
geblieben, da die Zähne des Wolfes nur die Riemen des Zaums gepackt
hatten.

Man kann sich wohl denken, daß wir auf den Knall der Pistole, der wie
dumpf grollender Donner sich durch die Gebirgsthäler fortpflanzte,
unsern Pferden die Sporen in die Weichen drückten, um mit möglichster
Schnelligkeit auf den Platz des Abenteuers zu gelangen. Während wir den
Führer durch einen Schluck Branntwein zu stärken suchten und an seine
Wunden Verbände anlegten, gewahrten einige zu ihrem nicht geringen
Entsetzen, wie der Bär, ein Bursche von respektabler Größe, Miene
machte, sich zu nähern, statt sich zu entfernen.

Schon wollten etliche Herren auf ihn anlegen, da bat mich Freitag:

»O Herr, erlaube mir, daß ich dem Tiere die Hand reiche, es wird euch
allen viel zu lachen geben!«

»Sei kein Thor, Freitag«, sagte ich zu ihm; »der Bursche dort läßt
nicht mit sich spaßen. Er wird dich mit Haut und Haar verschlingen.«

»Was? Er mich essen?« triumphierte Freitag. »Dafür werde ich mich
sehr bedanken -- ich werde *ihn* essen; gebt acht, es wird viel Spaß
absetzen.«

Die Reisegesellschaft gab seiner Laune nach und wartete der Dinge, die
da kommen sollten. Freitag zog im Nu seine Stiefel und Strümpfe aus,
zog statt deren ein Paar Schuhe an, übergab sein Pferd einem Bedienten,
nahm ein Gewehr und eilte gerade auf den Bären los.

»Höre, höre, guter Freund«, wandte sich Freitag an Meister Petz,
»ich möchte mit dir ein bißchen plaudern.« Aber der Bär schien keine
besondere Neigung zu haben, sich in ein Gespräch einzulassen. Da die
freundliche Ansprache unerwidert blieb, versuchte Freitag auf andre
Art, dem Vierbeinigen Aufmerksamkeit einzuflößen. Er hob einen großen
Stein auf und warf ihn dem Tiere an den Kopf. Doch ob er den Bären
oder eine alte Mauer getroffen hätte, war ganz gleich: sein Gegenüber
verharrte in bewundernswürdigem Gleichmut. Dieser kecke Übermut
Freitags machte einige der Reisenden besorgt, und schon schickten sie
sich an, auf das Fell des Bären eine nachdrückliche Ladung zu geben.
Aber Freitag, der die Eigenart des Tieres studiert zu haben schien,
winkte abwehrend gegen die Schußfertigen. Dann wandte er sich seitwärts
und schwang sich auf den Stamm einer Eiche, an deren Fuße er sein
Gewehr anlehnte. Der Bär, immer wütender geworden, folgte knurrend
hinterdrein.

Ich konnte bis jetzt in der ganzen Posse noch nichts »zum Lachen«
finden, im Gegenteil, mir war ganz unheimlich zu Mute, als ich meinen
Getreuen sich bis an das äußerste Ende des Astes zurückziehen und den
Bären ihm auf dem Fuße folgen sah.

»Jetzt, meine Herren«, rief Freitag in heiterer Stimmung, »jetzt werden
Sie sehen: der Tanz beginnt!«

Bei diesen Worten sprang er und schüttelte den Ast so kräftig, daß
diese schaukelnde Bewegung dem Bären unbehaglich wurde und er sich
bedachtsam zurückzog. Freitag aber ließ ihn nicht so leichten Kaufes
frei, sondern rief ihm zu: »Was kommst du nicht näher, Freund? Immer
komm her!« Und wirklich that das Tier einige Schritte vorwärts. Jetzt
neues kräftiges Schütteln und Schaukeln -- neuer Rückzug; kurz, das
Spiel dauerte eine Zeitlang in dieser Weise fort, und wir mußten über
die drolligen Gebärden des Bären herzlich lachen.

Doch Abend und Dunkelheit brachen herein, und ich rief Freitag zu, dem
Possenspiel ein Ende zu machen; denn wir alle wußten nicht, wie der
Scherz ausgehen würde.

Freitag zog sich sogleich an das äußerste Ende des Astes zurück, hielt
sich mit größter Geschicklichkeit mit beiden Händen daran fest und
sprang dann leichten Fußes auf den Boden.

Hierauf ergriff er sein Gewehr und blieb bewegungslos stehen. Als der
Bär seinen Feind unten sah, ward es ihm auf dem Baume zu einsam, und er
wollte gleichfalls herabsteigen. Doch that er es mit einer merkwürdigen
Vorsicht, sah sich bei jedem Schritte um und kletterte endlich langsam
und bedächtig am Stamme herunter. Kaum aber berührte er mit seinen
Tatzen den Boden, so legte ihm Freitag seine Flinte ans Ohr und
streckte ihn tot nieder. Dann drehte sich der Schelm lachend uns zu, um
in unsern Mienen den wohlverdienten Beifall zu lesen, und sagte nicht
ohne einen Zug selbstgefälligen Stolzes:

»So töten wir daheim, in Amerika, die Bären!«

»Aber wie ist denn das möglich, Freitag«, warf ich ihm ein, »ihr habt
ja keine Flinten?«

»Nein, meine Brüder haben keine Flinten, aber ihre langen Pfeile
treffen ebenso sicher.«

Gern hätte Freitag dem erlegten Gegner das Fell abgezogen, aber
wir durften uns bei der zunehmenden Dunkelheit nicht unnützerweise
länger verweilen, zumal in unsre Ohren ein entsetzliches Geheul der
herumlungernden Wölfe drang. Schon im ersten Gehölze lief etwa ein
halbes Dutzend dieser Tiere über den Weg, welche aber gar keine Notiz
von uns zu nehmen schienen. Als wir gegen die Ebene zuschritten,
erblickten wir ein ganzes Rudel, welche an den Knochen eines Pferdes
nagten; bald schon vernahmen wir aus dem nahen Gehölze fürchterliches
Geheul und sahen gleich darauf eine große Schar einem seines Reiters
ledig gewordenen Pferde nachrennen.

Dies erforderte rasches Handeln. Wir trennten uns in zwei geschlossene
Trupps und feuerten abwechselnd; gleich bei den ersten Schüssen
stürzten vier der Bestien, mehrere andre wurden verwundet und
röteten den Boden mit ihrem Blute. Wir selbst stimmten nun ein
ohrenzerreißendes Geheul an, und zwar so wirkungsvoll, daß es sogar den
Wölfen zu arg wurde und diese sich zurückzogen. Mittlerweile luden wir
rasch unsre Gewehre und setzten unsern Weg weiter fort.

[Illustration: Robinson von Wölfen überfallen.]

Unser Führer befand sich am folgenden Morgen so schwach, daß er uns
nicht weiter begleiten konnte; wir bezahlten ihn anständig, mieteten
einen Ersatzmann und zogen nach *Toulouse*, wo wir weder Schnee noch
Wölfe, sondern eine liebliche warme Sonne und fruchtbare blühende
Gefilde trafen. Als die Leute dort unser bestandenes Reiseabenteuer
vernahmen, fanden sie es unbegreiflich, wie unser Führer so kühn sein
konnte, uns in dieser Jahreszeit über das Gebirge zu führen, noch
dazu mit so vielen Pferden, welche die Gier der Wölfe aufs höchste
stacheln. Alle stimmten darin überein, daß wir nur wie durch ein Wunder
dem Tode entgangen seien. Denn bereits sei ein Reisender vor uns den
Heißhungrigen zum Opfer gefallen -- wohl der Besitzer jenes leeren, von
den Wölfen verfolgten Pferdes.

Von Toulouse ging die Reise ohne Aufschub weiter nach *Paris*, von
da nach *Calais*, wo wir nach *Dover* übersetzten. Nach kurzer Rast
ließ ich mich noch an demselben Tage mit Freitag für den Postwagen
einschreiben und langte den Tag darauf in London an.

Mein erster Besuch galt der guten alten Witwe, welche die Erzählung von
dem glücklichen Wechsel meines Schicksals unter Freudenthränen anhörte.
Ich setzte ihr eine lebenslängliche Rente von jährlich 100 Pfund
Sterling aus und quittierte über die Summe, die sie mir noch schuldete.
Dann bat ich sie, meinem Hauswesen vorzustehen, worein sie gern
willigte, und nach wenigen Tagen bezogen wir eine geräumige, behagliche
Wohnung. Mein Vermögen war bar in meinen Händen, denn die Wechsel,
die ich mitbrachte, wurden ohne Schwierigkeit eingelöst. Auch meine
Schwestern vergaß ich nicht: ich sandte einer jeden 100 Pfund Sterling
und fügte das Versprechen hinzu, ihnen diese Summe lebenslänglich als
eine jährliche Pension zu sichern. Meine beiden Neffen nahm ich zu mir,
und da der älteste etwas eignes Vermögen besaß, so erzog ich ihn wie
einen Mann von Stande und sorgte, daß er diesen Rang behaupten konnte.
Der zweite hatte Neigung zur Seefahrt; ich billigte natürlich diese
Neigung und übergab ihn deshalb der Obhut eines angesehenen, tüchtigen
Schiffskapitäns, der ihn auf weiten Reisen, besonders nach Westindien,
zu einem wohlunterrichteten, taktfesten Seemann ausbildete.

Während der ersten Zeit meines Aufenthalts in London dachte ich oft
an meine brasilische Pflanzung und an das Versprechen, dieselbe zu
besuchen. Allein die Gesellschaft, die ich dort vorgefunden haben
würde, und die ganze Lebensart überhaupt behagten mir so wenig mehr,
daß ich mich lieber entschloß, die Pflanzung zu verkaufen. Ich schrieb
deshalb an meinen alten Freund in Lissabon und bat ihn um seinen
Beistand in dieser Angelegenheit. Seine Antwort lautete dahin, er
halte es für das vorteilhafteste, den Erben meiner ehemaligen Faktoren
den Kaufantrag zu machen. Die Unterhandlungen folgten rasch, und
nach dreiviertel Jahren gingen in Lissabon die Anweisungen auf 33000
Moedore (825000 Mark) ein. Dem Kapitän gab ich den Auftrag, das Kapital
der ihm zugesicherten Rente für sich selber zu behalten und mir den
Rest des Geldes zu übersenden, was auch in sehr kurzer Zeit in guten
Wechseln geschah. Nachdem ich auch diese beträchtliche Summe sicher
angelegt hatte, konnte ich sorgenfrei in London leben. Um nicht allein
in der Welt dazustehen, verheiratete ich mich mit einer Dame, deren
Liebenswürdigkeit und wirtschaftlicher Sinn mir das häusliche Leben so
angenehm machten, daß ich mich in meinen vier Pfählen recht behaglich
fühlte.

Im Hafen einer sicheren und Ruhe verheißenden Existenz war ich nun
nach mancherlei Stürmen mit dem 56. Jahre meines Lebens eingelaufen.
Es schließt hiermit der erste Hauptabschnitt einer abenteuerlichen
Laufbahn, welche die gütige Vorsehung mit einer seltenen
Mannigfaltigkeit menschlicher Schicksale ausgestattet hatte, eine
Laufbahn, die zwar thöricht begonnen, doch bei weitem befriedigender
verlaufen sollte, als ich irgend hoffen durfte. Daß ich nach einigen
Jahren nochmals aus der gewonnenen Ruhe und aus dem friedlichen Behagen
heraustreten und einen weiteren Teil der Welt durchwandern sollte,
hätte ich damals selbst nicht geglaubt.




[Illustration: Mitten im Eise.]

Fünfzehntes Kapitel.

Aufenthalt in England und neue Reise.


  Neue Reiselust. -- Abfahrt. -- Das Totenschiff. -- Im Antillenmeer.
  -- Der Büffeljäger. -- Ankunft in der Kolonie.

Mein Glück schien nach einem 35jährigen Kampfe gegen die Wechselfälle
des Lebens fest begründet, und ich würde sorglos in beschaulicher
Zurückgezogenheit haben leben können, wenn ich nicht immer und immer
wieder an meine Insel und die zurückgelassene Kolonie hätte denken
müssen. Verglich ich mein früheres rastloses Wirken mit meiner jetzigen
Unthätigkeit, dann ergriff mich Unmut, und die Welt, in der ich thatlos
dahinlebte, wurde mir zu enge. Mich zog wieder eine heftige Sehnsucht
hinaus über den weiten Ozean, nach fernen Ländern.

Um diesen Anwandlungen neuer Reiselust zu widerstehen, kaufte ich
mir in Bedfordshire ein Landgut, dessen schöner Meierhof so weit von
der See ablag, daß mich der Blick auf dieselbe oder der Umgang mit
Seeleuten nicht aufregen konnte. Ich richtete mich behaglich ein,
kaufte Geräte und Vieh zur Ackerwirtschaft, pflanzte, jätete, riß ein
und baute wieder auf, um meinen Gedanken eine andre Richtung zu geben.
Aber wie mein eigner Schatten verfolgte mich die Sehnsucht nach der
Ferne. Einige Jahre hielt ich es aus, als mir aber meine Frau durch den
Tod entrissen wurde, fand ich keinen Gefallen mehr an dem bisherigen
Stillleben. Zwei Kinder, die mir geschenkt waren, hatte ich guten
Händen anvertraut. Die landwirtschaftlichen Beschäftigungen langweilten
mich mehr und mehr, und ich beschloß, mein Gut zu verkaufen und nach
London zu ziehen. Anfangs behagte mir die Veränderung, die Zerstreuung
in der Hauptstadt, aber bald fand ich den Lärm derselben und noch mehr
das Nichtsthun unerträglich und ich sann auf Veränderung.

Als ich einstmals in tiefes Nachsinnen über Zukunftspläne versunken auf
dem Lehnstuhle saß, besuchte mich mein Neffe, der als Schiffskapitän
Südamerika kennen gelernt hatte und nun dorthin über Neufundland
zurückkehren wollte. Er lud mich ein, ihn zu begleiten, ich sagte zu
und -- machte mich dann reisefertig.

Nachdem ich zuvor mein Vermögen sicher angelegt, die Wahrnehmung
meiner Angelegenheiten und die Aufsicht über die Erziehung meiner
Kinder meiner Haushälterin, der treu bewährten alten Witwe, anvertraut
hatte, begab ich mich am 8. Januar des Jahres 1694 mit meinem Freitag
an Bord der kleinen Fregatte, die in den Dünen vor Anker lag. Noch an
demselben Abend gingen wir unter Segel. Die Ladung, die ich mit mir
führte, war wertvoller und mannigfacher als je eine der früheren. Sie
enthielt ein zerlegtes Fahrzeug, allerlei Tuchsorten, leinene und andre
Stoffe; ferner Hüte, Schuhe, Strümpfe, Bettzeug, Töpfe, Kessel, Nägel,
Werkzeuge; endlich zahlreiche Flinten, Pistolen und zwei metallene
Kanonen; hierzu Pulver, Kugeln und Schrot in allen Sorten, weiterhin
andre Waffen, wie Säbel, Degen und Lanzen. Hierdurch glaubte ich für
den Verteidigungszustand der Inselfestung hinreichend gesorgt zu haben.

Ein frischer Wind führte uns aus dem Hafen, und bald befanden wir
uns auf offener See; ringsum nur Himmel und Wasser. Nach etwa acht
Tagen erhob sich ein mächtiger Südsturm und trieb uns tief in das
nebelbedeckte Meer von Neufundland. Anfangs gefiel mir dieser Wechsel,
aber bald wurde die Sache doch unangenehm. Ein eisiger Wind blies über
das Schiff und drang tief in die Glieder. Die Wellen, welche Schaum
spritzend an die Schiffswände schlugen und uns durchnäßten, gefroren,
und so wurden unsre Kleider mit einer Eisrinde bedeckt, die Segel steif
und unlenksam, das Takelwerk starr wie Stangen. Dabei herrschte wegen
des dicken Nebels stete Dämmerung um uns, so daß der Steuermann den
Schiffsschnabel kaum noch sehen konnte und wir in Gefahr gerieten, an
einen schwimmenden Eisberg oder eine Eisscholle anzurennen. In der
That huschten von Zeit zu Zeit graue Schatten wie Gespenster an uns
vorbei, auf welche die Matrosen mit sorglichen Blicken schauten, da
sie in ihnen Eisberge erkannten. Endlich verwandelte sich die feuchte
Luft in Eiskristalle, es begann ein Schneewehen, welches bald zu wildem
Schneegestöber wurde. Doch dauerte es nicht an, der Horizont hellte
sich etwas auf, so daß wir etwa einen halben Kanonenschuß weit sehen
konnten.

Da rief der wachthabende Matrose: »Schiff in Sicht!« Wir eilten aufs
Verdeck und sahen wirklich ein Schiff gerade auf uns zukommen, denn
es war windstiller geworden und das kalte Polarwasser strömte uns
entgegen. Wir riefen dem Fahrzeuge zu, rechts auszuweichen. Aber
niemand ließ sich auf dem fremden Schiffe sehen und hören, dessen
ganzes Aussehen einer Ruine glich. Der Hauptmast war in der Mitte
abgebrochen, an den Raaen hingen hier und da Segelfetzen, wie etwa an
der Stange einer alten Regimentsfahne, die oft ins Kartätschenfeuer
gekommen ist. Die andern Masten fehlten, die Schiffsplanken schienen
gewaltsam in die Höhe gedrückt, am Steuer hing ein großer Eisklumpen,
auf dem Verdeck lag tiefer Schnee, und doch glaubten wir am Mast
eine menschliche Gestalt zu entdecken, die nach uns herüber sah. Wir
riefen, schossen eine Kanone ab; alles umsonst. Nichts regte sich auf
dem Geisterschiffe, das auf uns zukam, als wollte es uns in den Grund
bohren. Den Matrosen ward unheimlich zu Mute; aber meinen Neffen und
mich reizte die Neugier, zu erfahren, was es mit diesem Selbstsegler
für eine Bewandtnis habe. Das Boot wurde langsam niedergelassen und
dann nach dem rätselhaften Schiffe gerudert.

Wir langten bald an, stiegen die Treppe hinauf und betraten das Deck
nicht ohne einiges Herzklopfen. Dichter Schnee starrte auf dem Deck,
doch nirgends stieß man auf menschliche Spuren. Unordentlich lagen
Taue, Ketten und andre Gerätschaften durcheinander, aber allesamt mit
Schnee und Eiskrusten überzogen. Zögernd schritten wir nach der Treppe,
um in die Kajütte hinabzusteigen. Als wir am Mast vorübergingen,
prallte mein Neffe entsetzt zurück. Wir fanden angelehnt an den Mast
einen Matrosen, mit abgezehrtem Gesicht und verzerrten Zügen zur Hälfte
aus der Schneedecke hervorragend. Beim Hinabsteigen ins Zwischendeck
wurde uns in dem lautlosen Schiffe noch unheimlicher, denn es trug die
Spuren wilder Zerstörung; es fehlten Balken, Planken, Thüren und was
sonst zu einem gut ausgerüsteten Schiffe gehört. Dagegen entdeckten wir
Leichen in verschiedenen Stellungen, alle gehüllt in zerfetzte Kleider,
abgemagert und mumienartig eingetrocknet.

Wir wagten kein Wort zu sprechen in diesem schwimmenden Leichenhause.
Jetzt befanden wir uns vor der Kajütte. Mein Neffe öffnete die Thür,
blieb jedoch wie festgebannt stehen. Ich sah ihm über die Schulter
und entsetzte mich auch. Denn am Tische saß ein Mensch in Kleidern
aus Renntierhaut und ein Bärenfell unter den Füßen. Eine Pelzmütze
bedeckte seinen Kopf, in der Hand hielt er eine Feder und hatte eine
Stellung, als wenn er im Schreiben begriffen sei und darüber nachdenke,
wie er fortfahren solle. Schüchtern traten wir näher und stellten uns
dem Schreiber gegenüber. So etwas Grauenerregendes wie dieses Antlitz
hatte ich noch nie gesehen. Das Gesicht war abgezehrt, gelb und die
Haut straff über die Knochen gespannt. Graue Augen starrten in mattem
Glanze nach einem Bilde an der Wand, welches eine Frauensperson mit
einem Kinde auf dem Arme darstellte. Vor dem Toten lag das Schiffsbuch.
Wir warfen einen Blick hinein und lasen die Worte: »Seit gestern ganz
allein; aber es geht auch mit mir zu Ende. Wäre es doch überstanden!
Ich fühle, daß die letzte Stunde -- -- o Karoline, o lieber Eduard, leb
-- --.«

[Illustration: Das brennende Totenschiff.]

Wir durchsuchten das Schiff, fanden es aber ausgestorben und wie
ausgeplündert, daher nahmen wir nur das Schiffsbuch mit, um uns über
das Schicksal des Schiffes und seiner Bemannung zu unterrichten. »Weißt
du was«, sagte ich zu meinem Neffen, »die Toten wollen begraben sein!
Aber nicht im Meere, sondern auf einem Scheiterhaufen, wozu wir ihr
Schiff benutzen.« Mein Neffe dachte nach, nickte beistimmend, und
in wenig Minuten knisterte die helle Flamme im Schiffe. Rasch und
innerlich froh, das unheimliche Fahrzeug wieder verlassen zu können,
eilten wir zu unsrer Brigg zurück und sahen von dort aus das brennende
Totenschiff, wie es die Matrosen nannten, davonsegeln, sich weiter und
weiter entfernen, bis es am Horizonte endlich wie ein Punkt verschwand.
Das Ganze würde uns wie ein Traum vorgekommen sein, hätte uns nicht
das Schiffsbuch davon überzeugt, daß wir den Abschluß einer wahren
Begebenheit erlebt hätten. Neugierig blätterten wir das Schiffsbuch
durch und erfuhren, daß das Totenschiff eigentlich ein Walfischfahrer
war, mit Namen »Hemskerk«, welchen Delfter Reeder in das Grönländische
Meer auf die Jagd ausgesandt hatten. Die Unternehmung hatte, den
Aufzeichnungen zufolge, anfänglich den gewünschten Erfolg gehabt, dann
aber zeigten sich die Wale nur noch selten, und man beschloß daher,
weiter nach Norden vorzudringen, um neue Jagdgründe zu entdecken.
Man kreuzte hin und her; darüber verstrichen zehn bis zwölf Tage, es
trat ein zeitiger Winter ein; die Walfischfahrer mußten umkehren und
befanden sich bald mitten zwischen Eisschollen und Eisbergen. Tag und
Nacht dröhnte, krachte und knallte es von zusammenstoßenden, berstenden
Schollen, und schwankend taumelte das Schiff. Endlich tauchte eine
große, mächtige Scholle unter, verschwand unter dem Schiffe, hob sich
aber mitsamt demselben, welches nun auf die Seite sank und in dieser
Stellung verblieb.

Die Seefahrer waren zwischen Eis- und Gletschermassen eingesperrt und
mußten sich zu einer Überwinterung einrichten. Bald trat Mangel ein;
es ging bereits mit dem Öl und Brennmaterial sehr knapp her. Da es an
frischem Fleische fehlte, brachen Krankheiten aus, die Leute wurden
zaghaft, lungerten traurig und verdrossen umher und erfroren lieber,
als daß sie sich dem langsameren Hungertode aussetzten.

Mit jeder Woche wurde die Zahl der Gestorbenen größer, und die
Überlebenden waren so matt, daß sie sich kaum von der Stelle bewegen
konnten. Was nur genießbar erschien, wurde zu essen versucht: die
Haut der Pelze, das Leder der Stiefelschäfte, sogar Sägespäne. Nur
drei Mann überlebten den Winter und das Frühjahr. Der Sommer schien
endlich Erlösung zu bringen, denn das Eis teilte sich und das Schiff
gewann wieder das freie Meer; aber in welchem Zustande! Die Masten
waren vom Sturm und beim halben Umstürzen zerbrochen, das Steuerruder
unbrauchbar, die Überlebenden ohne alle Kräfte. Was half da die
erlangte Freiheit! Jeder trug den Tod bereits in sich und sah ihn
voraus.

»So sitze ich denn«, schloß der Bericht, »ganz allein in dem
ausgestorbenen und ausgeleerten Schiffe, nehme meine letzte Kraft
zusammen, um der Welt und den Meinigen in Gedanken für immer lebewohl
zu sagen und dann zu sterben. Mir flirrt es schon vor den Augen, der
Kopf ist mir wie ausgeblasen und leer; so lebt denn wohl, lebt wohl,
herzinnig geliebtes Weib und Kind!« -- --

Lange saßen wir schweigend uns gegenüber, nachdem wir den Bericht
gelesen; es überlief uns eiskalt, wenn wir uns in die Lage des
Schreibers versetzt dachten. Lebhaft malte sich unsre Einbildung die
Szenen aus, welche der Kapitän und seine Untergebenen durchlebt haben
mußten, als sie in dem Totenschiff einsam dahinzogen durch das dunkle
Meer und die schneeerfüllte Luft!

»So etwas kann nur ein Seemann erleben!« sagte mein Neffe, warf einen
sinnenden Blick durch das Kajüttenfenster aufs rauschende Meer, wandte
sich dann schnell, um die Schiffsmannschaft bei ihrer Arbeit zu
beaufsichtigen und sich durch diese Thätigkeit von trüben Gedanken zu
befreien. Mich selbst beunruhigte das Totenschiff noch einige Tage,
endlich aber brachten die Pflichten des Tages wieder ruhige Stimmung.
Wir landeten glücklich in Neufundland, brachten schnell unsre
Geschäfte zum Abschluß und ließen uns dann von der Strömung an der
Küste Amerikas entlang treiben bis in die Gegend des Antillenmeeres.

Als wir eines Tages langsam in geringer Entfernung von der flachen
Küste dahinstrichen, bemerkten wir in der Ferne eine Art Indianerboot
und darin aufrecht stehend einen Mann, der uns zuwinkte. Wir mäßigten
den Lauf unsres Schiffes und setzten ein Fahrzeug aus, welches bald
mit einem seltsam aussehenden Manne zurückkehrte. Derselbe zeigte
europäische Gesichtsbildung, trug am Leibe auch Reste europäischer
Kleidung, dagegen ein indianisches Lederwams; seine Füße waren voll
Wunden, zerfetzt und entstellt, und an den Fuß- und Handgelenken
hatte er Lederringe, die zum Teil tief in das Fleisch schnitten. Der
Fremdling sah elend und herabgekommen aus und behauptete, er sei den
Rothäuten entflohen, die ihn als Sklaven benutzt hätten und schon am
nächsten Festtage ihrem Kriegsgotte opfern wollten. In der letzten
Stunde bot sich ihm Gelegenheit zur Flucht; von seinen Peinigern
verfolgt, gelangte er an einen breiten Fluß, welcher sein Fortkommen
hemmte. Hinter sich Indianer, vor sich den Strom mit steilem Ufer --
da galt kein Besinnen, so oder so finde ich den Tod! dachte Wilm, der
Fremdling, und sprang ins Wasser. Zwar sank er unter, tauchte jedoch
wieder auf und hielt sich schwimmend auf der Oberfläche; wiewohl
fortwährend von Pfeilen und Lanzen bedroht, blieb er unversehrt, gewann
das jenseitige Ufer, fand dort eine Kanoe, schwang sich hinein und
ruderte aus Leibeskräften, um seinen Verfolgern zu entgehen, die am
Ufer dahinrannten, schreiend und lärmend, und ihm Steine und Geschosse
nachsandten.

Er ruderte so lange, bis ihm die Kräfte ausgingen, dann legte er sich
platt in das Kanoe nieder, ließ sich von den Wellen forttreiben und
schlief vor Müdigkeit ein. Wie lange dieser totenähnliche Schlummer
gewährt, wußte er nicht. Beim Erwachen bemerkte er, daß er auf einem
großen, breiten Strome dahintreibe; er wollte sich nun dem Ufer
nähern, um sich nach Nahrung umzusehen, aber kaum war er eine kurze
Strecke weit gerudert, so entglitt plötzlich das Ruder seiner Hand,
und er befand sich jetzt hilflos auf einem Fahrzeuge, welches er
nicht mehr zu lenken vermochte. Was thun? Nach dem Ufer schwimmen?
Das lag weit entfernt. Also mußte sich Wilm dem Schicksale und
den Wellen überlassen, die ihn ziemlich schnell davontrugen. Zwar
peinigten ihn Hunger und Durst immer heftiger, aber nirgends zeigte
sich ein Rettungsweg. Endlich sah der zum Tode Erschöpfte das offene
Meer vor sich, in welches ihn der Strom führte. Unser Abenteurer gab
sich bereits verloren, denn nun fehlte ihm zum Durstlöschen auch
das Süßwasser, welches ihn erhalten hatte, so matt und fad es auch
schmeckte. Noch am zweiten Tage trieb er an der Meeresküste dahin, bis
ihn die Strömung unserm Schiffe nahe brachte.

Der Erzähler sah erbarmenswert genug aus, sehr abgemagert, Wunden
an Händen, Füßen und Schultern. Man reichte ihm zunächst die nötige
Nahrung, damit er sich wieder erhole; später, am Abend, forderte
man den Fremdling auf, die Gesellschaft mit seiner Herkunft bekannt
zu machen. Aus seiner Erzählung erfuhren wir, daß er von Geburt
ein Schotte und schon in früher Jugend dem Triebe nach Reisen und
Abenteuern folgte. Er kam als Matrose auf einem Schiffe nach Amerika,
wo er als Jäger nach den indianischen Waldgründen zog und mancherlei
Gefahren, die er uns sehr spannend erzählte, zu bestehen hatte.
Zuletzt geriet er in die Gefangenschaft der Indianer und merkte an
den Äußerungen der Wilden, daß sie ihn am nächsten Frühlingsfeste dem
großen Geiste opfern wollten. Da galt es denn ernstlich, an baldiges
Entrinnen zu denken. Not macht erfinderisch, und so fand sich auch
ein Mittel zur Flucht. Wilm scheuerte an scharfer Baumrinde die ihn
fesselnden Riemen dünn, blies sich auf, wenn er angebunden wurde,
so daß er sich, wenn er Leib und Brust einzog, etwas drehen und
wenden konnte. Jede Nacht fanden Übungen in solchen Bewegungen statt,
und als die Riemen sich dünn genug erwiesen, entwand er sich der
Schlinge, die ihn an den Baum fesselte, und zerbiß die Riemen mit den
Zähnen. Indianer aber haben ein leises Gehör, man hatte seine Tritte
vernommen, im Nu war das Lager hinter ihm her. Zwar hatte er einen
Vorsprung, aber die wunden Füße hinderten ihn am Laufen. Sicher wäre
er in die Hände seiner Feinde gefallen, wenn er nicht das Ufer eines
Flusses erreicht und sich durch einen Sprung in denselben gerettet
hätte.

Die Zuhörer Wilms waren seiner Erzählung aufmerksam gefolgt, und alle
betrachteten ihn als einen achtungswerten Schicksalsgenossen, ja es
deuchte allen am besten, wenn der Schotte sie nach der Kolonie begleite.

Seit der Auffindung Freitags war mir ein gleich leidsamer Geselle nicht
in den Weg gekommen. Ich machte daher Wilm den Antrag, sich mir auf
meinen weiteren Fahrten beizugesellen. Er besann sich auch nicht lange
und sagte zu.

So verging in verschiedenartigem Wechsel ein Tag nach dem andern. Kein
widriger Wind hinderte uns, und wir erreichten deshalb eher noch, als
wir es gedacht, die Insel Trinidad, in deren Nähe meine Kolonie lag.
Doch konnte ich meine Insel anfangs nicht wiedererkennen, weil sich
unser Schiff an der Nordseite befand und ich sie von dieser Seite aus
noch nie gesehen hatte.




[Illustration: Kampf und Streit zwischen den Kolonisten.]

Sechzehntes Kapitel.

Die Schicksale der Kolonie.


  Ankunft auf der Insel. -- Freitag und sein Vater. -- Bericht über
  die Wirren während der Abwesenheit des Gründers. -- Neue Ordnung. --
  Weitere Reisepläne.

Endlich erkannte ich die Insel, und wir steuerten flott auf sie zu.
Die Bewohner hatten uns gleichfalls bemerkt und eilten voll Erwartung
ans Ufer. Kaum waren wir unter starkem Zulaufe gelandet, so erkannte
Freitag auch schon auf den ersten Blick unter den Versammelten seinen
Vater und schoß wie ein Pfeil durch die verdutzten Inselbewohner auf
ihn zu. Er fiel dem alten Manne mit ausgebreiteten Armen um den Hals,
streichelte ihm die Wangen, setzte ihn auf einen Baumstamm, kniete
vor ihm nieder und blickte ihm fest ins Gesicht, während die hellen
Freudenthränen über seine Wangen flossen. Dann ergriff er die Hände
des Greises und küßte sie; wieder erhob er sich, setzte sich von
neuem nieder und schaute in das Antlitz seines Vaters mit der ganzen
Zärtlichkeit eines kindlich liebenden Sohnes. Aber auch ich wurde
mit lauter Freude begrüßt und von meinem Stellvertreter Caballos in
meine ehemalige Behausung geführt, welche man mittlerweile mit einer
wohlangelegten Befestigung versehen hatte.

Don Caballos erzählte mir, als wir behaglich bei einer Flasche Wein
saßen, die vielfachen Störungen und Streitigkeiten, welche während
meiner Abwesenheit vorgekommen waren.

[Illustration: Die Kolonisten bei der Bodenbestellung.]

»Anfänglich herrschte zwischen uns und den Engländern«, so berichtete
er, »das beste Einvernehmen, und es hatte den Anschein, als ob die
Niederlassung in erfreulicher Weise gedeihen solle. Die Engländer
aber mochten sich zu keiner Arbeit bequemen; lieber streiften sie
auf der Insel umher, schossen zu ihrem Vergnügen Papageien, wendeten
Schildkröten um, und wenn sie des Abends nach Hause zurückkamen, ließen
sie sich das von uns bereitete Nachtessen vortrefflich munden. Nur
um des lieben Friedens willen hatten wir sie gewähren lassen. Aber
nicht damit zufrieden, keine Arbeit zu thun, hielten uns die Engländer
von unsern eignen Geschäften ab. Die ersten Zwistigkeiten waren
geringfügiger Art, bald jedoch führten sie einen offenen Krieg herbei.
Die zwei Engländer, welche kurz vor Ihrer Abreise in das Innere der
Insel entwichen waren, kamen später in die Burg, um die Vorräte mit
verzehren zu helfen. Allein sehr bald wurden sie von den drei rohen
Insassen vertrieben. Nach unsrer Ankunft beklagten sie sich beide über
die erlittene Behandlung, worauf wir versuchten, sie zu versöhnen,
was aber nicht gelang, da jene rohen Burschen ihnen den Aufenthalt in
der Burg beharrlich verweigerten. Den armen Zurückgestoßenen blieb
nichts übrig, als sich von uns zu trennen und die nördliche Gegend der
Insel zu ihrem Wohnplatze zu wählen. Hier erbauten sie zwei Hütten,
die eine zur Wohnung, die andre zum Vorratshause. Wir gaben ihnen
Getreide und Reis zum Säen, Gefäße, Werkzeuge und etliche Ziegen. Zwar
konnten sie nur ein kleines Stück Land bebauen, doch fiel die Ernte
günstig für sie aus, und bald befanden sie sich auf dem besten Wege
bescheidenen Fortschritts. Jene drei böswilligen Burschen indessen
ließen ihre Landsleute nicht in Ruhe, sondern suchten sie in ihrem
neuen Besitztum auf und forderten unter dem Vorgeben, daß ihnen der
Besitz der Insel von dem Gouverneur übertragen sei und niemand sich
ohne ihre Einwilligung niederlassen dürfe, Pacht für ihr Land. Da sie
sich nun dieser Aufforderung nicht fügten und darüber spotteten,
vergaß sich der eine ihrer Gegner so sehr, daß er die Hütte in Brand
steckte. Zwar gelang es, das Feuer alsbald zu löschen, doch kam es zu
einem heftigen Streit, wobei der Brandstifter schwer verwundet wurde.
Da diese Burschen sahen, daß sie es mit entschlossenen Leuten zu thun
hatten, so begannen sie Unterhandlungen und baten, ihren verwundeten
Kameraden mitnehmen zu dürfen. Am Abend trafen zwei unsrer Landsleute
jene rührigen Engländer im Walde, welche sich bitter über die ihnen
zugefügten Unbilden beklagten. Als meine Spanier darauf heimkehrten,
thaten sie den Engländern Vorhalt ob ihres Benehmens, worauf der eine,
Atkins, barsch antwortete: »Jawohl, wir wollen euch beweisen, daß ihr
Spanier auch unsre Sklaven werden müßt!«

»Die Feindseligkeiten zwischen den Engländern unter sich dauerten noch
fort, und so kam es, daß eines Morgens die beiden Kolonisten im Norden
aufgebrochen waren und vor unsrer Burg erschienen. Die drei Strolche
hatten unterdessen auf Rache gesonnen, waren auch aufgebrochen, jedoch
in der Absicht, die zwei Kolonisten im Schlafe zu überraschen, ihre
Hütten einzuäschern und dieselben zu ermorden. Zum Glück erreichten
jene ihren Zweck nicht ganz und begnügten sich damit, die Hütten
niederzureißen und den gesamten Viehstand zu töten. Frohlockend über
den gelungenen Streich kehrten sie dann nach der Burg zurück.

»Die beiden Kolonisten eilten mit trüben Ahnungen ihren Hütten zu und
sahen das Werk ihrer fleißigen Hände als einen wüsten Trümmerhaufen vor
sich. Sie werden begreifen, welch wehmütiges Gefühl sie da beschlich
und wie die Thränen des Unwillens in ihre Augen traten. Hierauf
schritten sie der Festung zu, um uns zu erzählen, was vorgefallen.

»Unterdessen waren aber die drei Frevler in der Burg eingetroffen und
prahlten gegen die Spanier mit dem verübten Bubenstück. Ja ihr Übermut
ging so weit, daß einer der schlimmen Gesellen einem Spanier den Hut
vom Kopfe warf und ihm sagte: »Und Ihr, Herr Hans von Spanien, seid
künftig höflicher, und wenn ihr Herrchen nicht Respekt vor uns habt,
so wird es euch gerade so ergehen wie den beiden Kolonisten!« Empört
schlug der Spanier den Frechen mit einem Faustschlag nieder. Der andre
Engländer wollte seinen Freund rächen und feuerte sein Pistol auf den
Spanier, wobei er ihn leicht am Ohr verwundete. Letzterer ergriff
sein Gewehr und würde unfehlbar den Engländer niedergestreckt haben,
wären die übrigen Spanier nicht dazwischengetreten und hätten die drei
entwaffnet.

»Da diese sahen, daß sie nichts ausrichten konnten, baten sie, man
möchte ihnen doch ihre Waffen wiedergeben. Selbstverständlich konnten
die Spanier hierauf nicht eingehen, sondern sicherten ihnen ihren
Beistand zu, wenn sie in Nöten wären, was aber jene nicht annehmen
wollten. Als aber die beiden Engländer hinzugekommen waren und
strenge Bestrafung forderten, gaben sie nach und baten um Milde.
Infolgedessen wurden die Ruhestörer aufgefordert, das Zertrümmerte
wiederherzustellen, worein sie willigten. Dies führten sie auch aus,
gingen aber alsdann wieder ihrem Nichtsthun nach. So verstrichen drei
Monate ohne Unterbrechung, und da wir glaubten, die drei seien endlich
zur Einsicht gekommen, so gaben wir ihnen die Waffen zurück, damit
sie durch Erlegung von Wild uns nützlich sein könnten. War nun dieser
Streit endlich beigelegt, so hatte uns eine andre Gefahr gedroht, und
zwar von den Kariben --«

»Von den Kariben?« unterbrach ich den Bericht meines Stellvertreters.
»O, so erzählen Sie doch, welche Bewandtnis es mit diesen gehabt.«

»Eines Abends«, so fuhr Caballos fort, »war eine ganze Flottille, 28
Barken stark, an der Nordküste, zwei Stunden von unsern äußersten
Pflanzungen entfernt, in die östliche Bucht eingelaufen. Die Bemannung
der fremden Pirogen mochte sich wohl auf 250 Köpfe belaufen und war
mit Bogen, Pfeilen, großen Wurfspießen und hölzernen Schwertern
ausgerüstet. Solch eine feindliche Macht versetzte natürlich die
Kolonisten in Furcht und Schrecken. In aller Eile wurden die
neuerbauten Hütten abgebrochen und alles Vieh wie die Werkzeuge
und Gerätschaften nach der Höhle geschafft. Die Streitmacht der
Kolonisten war gegenüber der großen Zahl der Wilden nur sehr gering;
denn sie bestand im ganzen aus nur dreißig Mann. Die Europäer
behielten die Feuergewehre für sich, und jeder nahm auch noch eine
Axt an sich. Ich kommandierte die kleine Armee und ernannte Atkins
zu meinem Unterbefehlshaber. Dieser befand sich hier vollkommen an
seinem Platze, denn an Tapferkeit, Mut und Entschlossenheit that es
ihm niemand zuvor. Er hatte sich mit sechs Mann vorwärts in einem
Gebüsch aufgestellt, auch den übrigen ihren Stand am Saume des Waldes
unter dem Schutze des Gesträuches angewiesen. Die Wilden rückten in
einem übel geordneten, etwa 50 Mann starken Haufen gegen die kleine
Streitmacht heran, während größere Scharen in dichten Massen folgten.
Atkins ließ den Trupp vorüberziehen, dann befahl er dreien seiner
Leute, die jedes ihrer Gewehre mit mehreren Kugeln geladen hatten, auf
den zusammengedrängten Haufen zu feuern. Die Zahl der Getöteten und
Verwundeten mußte erheblich gewesen sein, denn Schreck und Verwirrung
überkamen die Indianer. Diesen Umstand benutzte Atkins und ließ eine
zweite Salve folgen, die eine ähnliche Wirkung hervorrief. Nachdem sich
indes der Überrest der Kannibalen etwas erholt, stürmten sie ihrerseits
auf die Spanier los. Letztere zogen sich unter fortwährenden Salven
vorsichtig zurück, aber die Pfeile der Indianer schwirrten oft genug
unheildrohend durch das Laubwerk des Gebüsches, und wie Löwen stürzten
bald nachher die Wilden auf ihre Feinde ein. Drei Männer des Trupps:
ein Spanier, ein Brite und ein Sklave, wurden getötet, Atkins selbst
leicht verwundet. Zum Glücke rückte das Hauptkorps der Europäer in drei
Zügen zu je sechs und acht Mann näher, zunächst ein mörderisches Feuer
eröffnend, so daß viele der Wilden verwundet niederstürzten, die Masse
derselben aber ratlos durcheinander wogte.

»Nachdem die Feuerwaffen hinreichend vorgearbeitet hatten, drang auch
der Rest unsrer Streitmacht aus dem Waldesdunkel hervor, und die
sämtlichen Europäer fielen nun über die Feinde mit den Handwaffen
her. Im ersten Augenblicke wie gelähmt, ließen sie sich leicht
niederwerfen. Dann aber rafften sie sich wieder auf und setzten sich
mannhaft von neuem zur Wehr. Wütend schlugen sie mit ihren Keulen und
Schwertern drein, schossen einen Hagel von Pfeilen auf uns ab und
verwundeten mehrere unsrer Mannschaft, darunter Freitags Vater. Doch
die Kolonisten hieben erbarmungslos mit ihren Äxten, Piken, Schwertern
und Gewehrkolben auf die Feinde los, so daß binnen kurzer Zeit 180
Indianer, teils getötet, teils schwer oder leichter verwundet, die
Walstatt bedeckten. Die Feinde sahen nach solchem Verluste, daß hier
jeder weitere Widerstand vergeblich sei, und suchten in wilder Flucht
das Ufer zu gewinnen, um sich in ihre Barken zu retten. Die Europäer
waren zu sehr ermüdet, als daß sie die Flüchtigen hätten verfolgen
können. Doch das Maß des Unglücks war für die Besiegten noch nicht
voll; ein fürchterlicher Sturm, der vor Anbruch der Nacht zu toben
begonnen, hatte ihre Kanoes hoch auf den Strand geschleudert, so
daß sie trotz aller Anstrengungen nicht wieder flott gemacht werden
konnten. Den größten Teil fanden sie bereits an den Felsen zerschellt
vor. In dumpfem Hinbrüten lagerten sich die Wilden, die sich noch
etwa auf 70 Mann belaufen mochten, in einem Kreise, das Kinn auf die
Kniee gestützt, starr aufs Meer hinausschauend -- ein Bild unsäglichen
Jammers!

»Nach der Flucht der Feinde konnte man sich von den Strapazen etwas
ausruhen und sich durch Speise und Trank stärken. Doch nur kurze
Zeit gestattete man sich diese Erholungspause. Alle waren ohnehin
begierig, zu erfahren, was aus den Feinden geworden. Daher brachen
alle noch Streitbaren gegen die Küste auf, wobei der Weg über den
Kampfplatz führte. Dort lagen in grauenvollem Gemisch Verwundete
und Tote durcheinander, und auf allen Seiten ächzte und stöhnte es
in schauerlichen Tönen. In betreff der am Leben gebliebenen Feinde,
welche sich in die Wälder geflüchtet hatten, war guter Rat teuer.
Nach mannigfachem Hin- und Herreden einigte man sich zuletzt in der
Maßregel, womöglich die feindlichen Kanoes zu verbrennen, um den
Indianern die Rückfahrt und die Anstiftung eines neuen Rachezuges gegen
die Kolonie abzuschneiden. Es gelang, die Wilden wurden dann unter
täglichen Kämpfen in die Felsengebirge der südwestlichen Gegenden
unsres Eilandes gedrängt. Hierauf zogen die Krieger es vor, Frieden
mit den abgeschnittenen Feinden zu schließen, und schickten deshalb
Freitags Vater als Abgesandten an dieselben ab. Dieser brachte wirklich
eine Verständigung zustande, zumal die armen Leute, von Hunger und
Elend gebeugt, bereits auf 30 Köpfe zusammengeschmolzen waren. Sie
erhielten Nahrungsmittel (Brot, Reiskuchen und Ziegenfleisch) und
wurden dann unter der Bedingung unverbrüchlichen Gehorsams als Freunde
aufgenommen. Auf dem südöstlichen Teile der Insel, in einem von hohen
Felsen umgürteten Thale, wies man ihnen Wohnsitze an und half ihnen
Hütten erbauen. Dann unterrichtete man sie auch in der Kunst, allerlei
Werkzeuge zu verfertigen, das Feld zu bearbeiten, Brot zu bereiten,
Körbe zu flechten, Töpfe zu formen, Ziegen zu melken, und beschenkte
sie mit Äxten, Beilen, Messern und sonstigen Gerätschaften sowie mit
einigen Ziegen und Böcken.

»Nach und nach wußte das Völkchen sich immer bequemer einzurichten und
lebte ruhig und harmlos in seinem Winkel, glücklicher vielleicht als in
der alten Heimat!

»Seit der Errichtung dieser neuen Ansiedelung erfreut sich die Kolonie«
-- mit diesen Worten schloß Don Caballos seinen Bericht -- »nun schon
zwei Jahre hindurch eines ungestörten Friedens bis zu Ihrer Ankunft,
Herr Gouverneur. Zwar landeten noch von Zeit zu Zeit Indianertrupps an
unserm Eilande, um ihre entsetzlichen Triumphmahlzeiten zu halten, aber
sie schienen kein Verlangen weiter zu verspüren, das Innere der Insel
kennen zu lernen und uns mit ihrem schlimmen Besuche zu beehren.«

Aus der Erzählung von Don Caballos ersieht man, welch schwere Zeiten
und bedrohliche Wirren während meiner Abwesenheit über mein liebes
Eiland hingegangen waren. Die Kolonie befand sich jedoch gegenwärtig in
erwünschtem Gedeihen und Fortschreiten, und der Einfluß europäischer
Gesittung hatte sich bei den Indianern in wohlthätiger Weise geltend
gemacht.

Sie hatten bereits geflochtene Tische, Stühle, Ruhebetten und noch
manches andre Hausgerät sauber herzustellen gelernt. Auch die Weiber
des wilden Volksstammes wußten sich zu fügen und zeigten sich
arbeitsam. Sie zeigten sich auch gutmütig gegen die Kinder und nahmen
willig die Unterweisungen in den Lehren des Christentums auf, wobei die
Frauen der Kolonisten einen besonderen Eifer kundgaben.

[Illustration: Unterweisung der Indianerinnen durch die Frauen der
Kolonisten.]

Nicht selten hatte ich während meines kurzen Besuches Gelegenheit,
zu bemerken, wie von Zeit zu Zeit eine Kolonistin recht erbauliche
Mitteilungen an die eine oder andre der Indianerfrauen richtete und in
den letzteren ganz andächtige Zuhörerinnen fand.

Nachdem ich jetzt einen Überblick über den Stand der Kolonie gegeben
habe, wie ich sie bei meiner Ankunft vorfand, will ich nun auch
berichten, was ich für die Ansiedler that und in welchen Verhältnissen
ich sie verließ. Es lag nicht in meiner Absicht, daß jemand der Insel
den Rücken zuwende, vielmehr wünschte ich die Bevölkerung anwachsen
zu sehen, und aus diesem Grunde hatte ich ja eine Menge brauchbarer
Werkzeuge und Geräte mitgebracht, an denen es bisher gemangelt
hatte. Der jetzige friedliche Verkehr der Kolonisten untereinander
befriedigte mich in hohem Maße, und ich ermahnte sie, auch für die
Folgezeit in Eintracht nebeneinander zu leben. Zur Bestärkung in
diesen guten Vorsätzen veranstaltete ich ein glänzendes Friedens- und
Freundschaftsfest, bei welchem unser Schiffskoch viel Ehre einlegte.

Dann schritt ich zur Verteilung der mitgebrachten Geschenke; jeder der
Kolonisten erhielt einen Spaten, eine Hacke, eine Harke, eine Schaufel,
eine große Axt und eine Säge. Nägel, Klammern, Hämmer, Bolzen, Messer
und ähnliche Dinge wurden in Menge verteilt. Meine Vorräte an Waffen
und Munition waren so reichlich, daß jeder doppelt und dreifach
bewaffnet werden konnte und daß man jetzt selbst einen Angriff von 1000
Wilden nicht mehr zu fürchten brauchte. In den folgenden Tagen stattete
ich verschiedene Besuche den einzelnen Niederlassungen der Insel ab und
machte mich dann noch an die schwierige Aufgabe einer gleichmäßigen
Verteilung des Grundbesitzes. Ich teilte zu diesem Endzweck das Land in
verschiedene Bezirke ein und wies jedem ein gleichgroßes Stück an. Mir
selbst behielt ich die Oberherrschaft über die Insel vor und bestätigte
Don Caballos als meinen Stellvertreter; zu den Wilden im Südosten wurde
Freitags Vater entsendet. Er sollte ihnen eröffnen, daß von nun an auch
für sie eine neue Ordnung der Dinge eintreten würde, und daß sie sich
entscheiden sollten, ob sie ihr eignes Land bauen oder den Kolonisten
um einen bestimmten Lohn dienen wollten. Nur sehr wenige wählten die
Unabhängigkeit; die Mehrzahl zog es wohlweislich vor, Dienste zu nehmen.

So glaubte ich alles aufs beste geordnet zu haben und schickte mich
wieder zur Abreise nach dem Osten an; ich wollte Afrika umsegeln
und Madagaskar und die Länder des Indischen Meeres besuchen, sodann
womöglich durch China und Sibirien den Heimweg nehmen. Auch Wilm
stimmte ohne weitere Bedenken bei, die Weltreise nach diesem Plane
auszuführen -- ihn trieb es gleichfalls hinaus ins Weite. Also hieß es:
die Segel gesetzt -- auf! hinaus wieder ins weite Meer!




[Illustration: Freitags Tod.]

Siebzehntes Kapitel.

Fortgang und Schluß von Robinsons Weltfahrt.


  Abschied von der Kolonie. -- Kämpfe zur See. -- Freitags Tod. --
  Brasilien. -- Sturm am Kaplande. -- Verschlagen ins Eismeer. -- Das
  »Venedig des Eismeeres«. -- Gefangen im Eise. -- Durchbruch. --
  Der verlassene Matrose. -- Ein »Robinson« auf einer schwimmenden
  Eisscholle. -- Irrfahrten. -- Das Gespensterschiff. -- Zusammenstoß
  mit den Kochinchinesen. -- In China und Sibirien. -- Rückkehr nach
  England. -- Endliche Ruhe.

Die letzten Verhaltungsmaßregeln waren angeordnet, und als ich Abschied
nahm, begleiteten mich die Kolonisten, die mich wie ihren Vater und
Wohlthäter verehrten, bis hin zur Bucht. Sobald das Schiff das offene
Meer gewonnen hatte, sagten wir der Insel mit fünf Kanonenschüssen
lebewohl und richteten unsern Lauf nach der Allerheiligenbai, die
wir nach drei Wochen erreichten. Unterwegs hatten wir aber noch
ein verhängnisvolles Abenteuer zu bestehen, das mir einen großen,
unersetzlichen Verlust brachte. Am dritten Abend nach unsrer Abfahrt
bemerkten wir bei voller Windstille, wie sich an einer fernen Küste
dunkle Punkte lebhaft hin und her bewegten. Der Hochbootsmann stieg
mit dem Fernrohr auf den Fockmast und berichtete, es sei eine ganze
Flotte Wilder, und er schätzte die Zahl ihrer Kanoes auf mehr als
hundert. Wir mußten uns also jedenfalls auf einen blutigen Kampf gefaßt
machen, zu welchem ich die Schiffsmannschaft nach Kräften ermutigte.
Ich ließ die beiden Schaluppen flott machen und mit hinreichender
Mannschaft besetzen. Die inzwischen näher kommende Flottille der Wilden
bestand aus etwa 130 Kähnen, jeder durchschnittlich mit einem Dutzend
Bewaffneter bemannt. Fünf oder sechs dieser Kanoes kamen uns fast bis
auf Wurfweite nahe, und unsre Leute, die eine Umzingelung besorgten,
gaben deshalb mit der Hand ein Zeichen, daß sich die Wilden entfernen
möchten. Diese verstanden es recht wohl, schossen aber zahlreiche
Pfeile auf uns ab und verwundeten einen unsrer Matrosen. Trotzdem hielt
ich immer noch meine Leute vom Feuern zurück und ließ einige Planken
in die Schaluppe hinabgleiten; aus diesen bildete der Zimmermann eine
Art Wall, hinter welchem unsre Mannschaft vor den Pfeilen der Wilden
geschützt war. Jetzt ruderte aber der ganze Schwarm heran und fiel
uns in den Rücken. Da erkannte ich in den Angreifern alte Bekannte,
mit denen ich schon auf der Insel zu thun gehabt hatte. Ich befahl,
die Kanonen bereit zu halten, und schickte Freitag aufs Deck, um die
Fremdlinge zu fragen, was sie begehrten. Sie antworteten mit einem
Hagel von Pfeilen und ach! -- Freitag, völlig ungeschützt dastehend --
-- stürzte von zwei Pfeilen durchbohrt nieder. -- -- Noch ein Blick aus
seinen liebevoll ergebenen Augen, als ich vor ihn trat, und -- -- *er
verschied*.

Der herbe Schmerz über den Verlust meines alten, treuen Gefährten
verdrängte jedes Erbarmen aus meiner Brust. In heftigem Zorn ließ ich
fünf Kanonen mit Kartätschen und vier mit Kugeln laden und in den
dichten Schwarm der Boote hineinfeuern. Das war eine Salve, wie die
Wilden in ihrem Leben keine ähnliche empfangen hatten: eine Menge
Barken wurden teils zertrümmert, teils in den Grund gebohrt; alles, was
noch ein Ruder in den Händen fühlte, arbeitete aus Leibeskräften, um
diesem mörderischen Empfang zu entrinnen. Bald war die wilde Sippschaft
unsern Blicken entflohen, aber auf dem Wasser schwammen in großer Zahl
unter Trümmern und Balken tote, verwundete und verletzte Indianer
umher. Der Sieg indessen war allzu teuer erkauft. Der Verlust meines
treuen Freitag ließ sich nicht überwinden; tiefe Schwermut bemächtigte
sich seitdem meines Gemüts; kaum daß Wilm mich etwas aufzuheitern
vermochte.

Am Abend jenes verhängnisvollen Trauertages setzte der Wind um, eine
frische Brise kräuselte den Spiegel des Meeres, über welchem vorher die
Windstille mit ihren bleiernen Flügeln gehangen hatte -- und weiter
ging die Fahrt nach Brasilien ohne Hindernisse und Gefahren.

Am 18. Tage nach dem geschilderten Gefechte mit den Wilden ankerten
wir, nachdem wir drei Tage vorher das Kap St. Augustin umschifft
hatten, in der Allerheiligenbucht. Es gelang mir, meinen ehemaligen
Gesellschafter aufzufinden, mit welchem ich verschiedene Geschenke
austauschte. Derselbe gewährte mir auch seine Hilfe bei Ausrüstung
einer Schaluppe, durch welche ich meiner Kolonie eine Zufuhr an Leuten
und Gebrauchsgegenständen zukommen lassen wollte. Den nützlichen
Dingen, welche ich meinen Kolonisten zuwandte, ließ ich drei
Milchkühe und fünf Kälber hinzufügen sowie einige zwanzig Schweine
und drei Pferde. Auch bewog ich, gemäß eines den Spaniern gegebenen
Versprechens, noch drei Portugiesinnen, sich nach der Insel zu begeben.
Das Boot, hinlänglich bemannt, ging nun unter Segel und kam auch
glücklich auf meinem Eilande an, von der Einwohnerschaft mit Jubel
begrüßt. Durch die neuen Ankömmlinge wuchs die Kolonie bis auf die
stattliche Anzahl von ziemlich 70 Köpfen an, die Kinder nicht mit
eingerechnet.

Erst nach Jahren empfing ich durch meinen Geschäftsgenossen, der
den Verkehr mit meiner Kolonie unterhielt, ausführlichere Berichte
über den Zustand derselben. Solange Don Caballos noch lebte und die
Regentschaft über die Insel führte, befand sich die Verwaltung in
guten Händen. Nachdem dieser aber in einem Gefechte gegen die Wilden
geblieben und auch Will Atkins, der sich in den letzten Jahren der
Leitung der Kolonie mit allen Kräften unterzogen hatte, gestorben war,
brachen unter der Bevölkerung heftige, ja sogar blutige Zwistigkeiten
aus, und die Herrschaft ging von einer Hand in die andre über. Müde
der unaufhörlichen Streitigkeiten, zog es eine Anzahl der Kolonisten
vor, nach Brasilien auszuwandern, und dieses Beispiel verlockte
bald auch andre, die Insel zu verlassen. Nun brach eine traurige
Zeit für die Zurückgebliebenen an; denn, wieder zu einem kleinen
Häuflein zusammengeschmolzen und den beständigen Angriffen der Wilden
ausgesetzt, welche genaue Kenntnis von der Abnahme der Bevölkerung der
Insel erlangt hatten, setzten sie ihre einzige Hoffnung nur noch auf
meinen Beistand. Sie hatten in der That mir nach London geschrieben und
mich um Hilfe in ihrer traurigen Lage gebeten. Allein es sollten Jahre
vergehen, ehe ich diese Briefe erhielt; auch mochte ich nicht dahin
zurückkehren, weil es doch zu spät gewesen wäre, ihnen erfolgreich
beizustehen. Die fortgesetzte Feindschaft der Wilden und ein
entsetzliches Erdbeben, durch welches die Insel und die Niederlassungen
schwer heimgesucht wurden, hatten schließlich die völlige Verödung
der Insel zur Folge. Nur wenige Bewohner entrannen dem fürchterlichen
Verhängnisse. --

Nachdem ich in Brasilien meine Geschäfte beendet hatte, nahmen wir
durch das Atlantische Meer unsre Richtung gegen das Vorgebirge der
guten Hoffnung, wo wir frisches Wasser und Proviant einzunehmen
gedachten, um dann unsre Fahrt nach Osten weiter fortzusetzen. Schon
sahen wir in der Ferne den dunkelblauen Streifen des Löwenberges aus
dem Meere aufragen und hofften nun in der Tafelbai zu ankern. Da
stiegen plötzlich schwarze Wolken auf, verhüllten die hohen Gebirge und
überdeckten schnell den ganzen Himmel. Bald hörten wir das schrille
Toben und Sausen des Sturmes, in welches das dumpfe Brausen der
hochgehenden Wogen einstimmte.

Der Sturm war mit ganzer Macht ausgebrochen. Dichte Finsternis lagerte
über dem Meere, der Orkan heulte und tobte in allen Tonarten, die
Wellen türmten sich empor, die Masten krachten, schnarrend zerrissen
einige Segel, da wir nicht im stande waren, sie zu reffen, und unser
Schiff schoß wie ein Pfeil durch das tobende Meer in der Richtung
nach Südosten. Wir vermochten nichts gegen die Übermacht des Sturmes
auszurichten, mußten uns derselben vielmehr willenlos überlassen. Nach
einigen Tagen fanden wir uns, als der Sturm nachgelassen hatte, in eine
neue Welt versetzt. Rechts und links zogen Eisschollen an uns vorüber,
die oft Kisten von viereckiger Gestalt glichen; dazwischen taumelten
phantastisch gestaltete Eisberge wie Betrunkene, die den Heimweg nicht
finden können. Immer zahlreicher drängten die Schollen, immer dichter
zogen die Eisberge gruppenweise vorüber, weshalb die Matrosen sie
Eiskarawanen nannten. Die Eisblöcke oben auf den Eisbergen glichen oft
Häusern, Dörfern, verfallenen Kirchen oder Schloßruinen, und einmal
glaubten wir gar in eine Feenwelt versetzt zu sein. Eine Menge von
Eiskolossen hatte sich so geordnet, daß sie wie Häuser nebeneinander
standen und förmliche Straßen bildeten. Wir nannten diese Stelle
das »Venedig des Eismeeres«. Man sah breite Wasserstraßen mit engen
Nebengassen; Seehunde, Pinguine und andre Seevögel schwammen lustig
an diesen Eispalästen entlang, aus deren zerbröckelten Wänden man
sich mit Hilfe der Phantasie Erker, Schwibbogen, Hallen und Nischen
zusammenstellen konnte. Dabei flimmerte und blitzte es hier und da
silbergleich, wo Sonnenstrahlen auffielen; dann wiederum stand das
Wasser der Straßenkanäle still, als ob es schliefe, und es war dabei so
schauerlich öde in der Eisstadt, daß es uns unheimlich wurde, wie unter
Ruinen.

Die Schiffsmannschaft drängte zur Umkehr, obschon der Wind wieder
heftig vom Kap herwehte. Ich ließ also wenden. Aber wer beschreibt
unsern Schrecken, als wir uns von einem breiten Eisgürtel
eingeschlossen fanden! Der Wind hatte Schollen und Eisberge
zusammengetrieben, diese waren aneinander gefroren und bildeten nun ein
Eisband von etwa einer Viertelstunde Breite, denn jenseits sahen wir
offenes Meer, hinter uns aber in der Ferne eine unabsehbare Eiswand.
Was war zu thun? Wir saßen in einem kleinen Wasserbecken gefangen,
rings umschlossen von Eis -- und wie lange wird unser Becken eisfrei
bleiben?

Ich beratschlagte mit Wilm, was zu thun sei. Da erinnerte ich mich,
in einem alten Schiffsbuche gelesen zu haben, wie man sich in
solchen Fällen zu helfen pflege. Weil das alte Eis mürbe, das junge
zusammengekittete aber noch schwach ist, so kann man sich einen
Durchgang brechen, indem man mit dem Vorderbug des Schiffes gegen das
Eis anläuft, oder indem man mit Säge und Beil einen Kanal durch das Eis
schlägt.

Wir beschlossen letzteres Mittel anzuwenden und sandten daher einen
Teil der Leute aufs Eis, um das junge Eis zu zertrümmern und die
Eisschollen verschiebbar zu machen. Die andern mußten das Schiff etwas
zurückleiten, dann es gegen das Eis anrennen lassen, um den Verband des
Eises zu lockern und die entstandenen Sprünge zu erweitern. Die Arbeit
war sehr mühselig, aber erfolgreich; gegen Mittag hatten wir unser
Fahrzeug fast um eine ganze Schiffslänge in den Eisgürtel eingezwängt,
der nach allen Seiten hin Risse und Sprünge zeigte, wodurch die Arbeit
immer leichter vor sich ging. Wir bekamen allesamt frischen Mut und
arbeiteten um so eifriger. Da sprang der Wind plötzlich um und wehte
sehr heftig von Süden her, daß die Wellen an den Eisgürtel brandend
anschlugen, dieser zugleich zu krachen und zu bersten anfing, Spalten
hin und her aufklafften und Eisinseln entstanden. Daher wurden die
Arbeiter noch rechtzeitig aufs Schiff zurückgerufen, welches gerade
eine Rückwärtsbewegung machte, um zu einem neuen Anlauf auszuholen.
Mit Mühe gelang es, die Matrosen mittels zugeworfener Taue aufs Schiff
zurückzuschaffen; denn bereits erweiterten sich die Spalten und es
rannten die Eisschollen so heftig aneinander, daß sich das Boot mit den
Leuten nicht dazwischen wagen durfte.

Wir zählten unsre Leute, und siehe, es fehlte Andreas noch. Wir riefen
nach ihm und feuerten eine Kanone ab, endlich kam auch er hinter einer
Scholle hervor, wo er gearbeitet hatte. Mittlerweile aber war zu unserm
Schrecken unser Schiff immer weiter ins offene Becken zurückgewichen,
und so hatte es sich mehr und mehr von unserm armen Gefährten entfernt.
Da stand denn dieser händeringend auf schwankender Eisscholle, mir
noch nahe genug, um sein Wehgeschrei zu hören! Doch war ich nicht im
stande, ihn zu retten! Jammernd reckte er die Arme empor, rannte vor-
und rückwärts, stürzte nieder und sprang wieder auf, aber immer weiter
trieben uns die Wasserkanäle auseinander -- ach, wir konnten ihm nicht
helfen, denn längst schon konnte ihn das geworfene Tau nicht mehr
erreichen. Das Herz wollte mir zerspringen, als ich den Untergang eines
braven Kameraden vor mir sah, ohne zu seiner Rettung etwas Weiteres
unternehmen zu können; aber mir stand die Gefährdung des Lebens *aller*
vor Augen -- dies entschied. Wir segelten in die breiten Kanäle des
zerborstenen Eisgürtels hinein, winkten dem Unglücklichen lebewohl
und ließen ihn auf einer treibenden Scholle im Sturm und bei hohem
Wellengange zurück.

Diese aufregende Szene gehört mit zu dem Entsetzlichsten, was ich
jemals erlebt habe. Indes darf sich der Leser mit mir darüber freuen,
daß der brave Andreas doch noch auf wunderbare Weise gerettet
wurde. Ich fand ihn wohlbehalten in Kanton wieder, wo er mit einem
holländischen Schiffe angekommen war; hier erzählte er mir alsdann
seine unerwartete Rettung.

Als er uns davonfahren sah, ergriff ihn Verzweiflung. Er warf sich
nieder auf das Eis und schrie aus tiefstem Herzensgrunde. Endlich
raffte er sich auf, um sich ins Meer zu stürzen, da er der Meinung war,
ein schneller Tod sei dem langsameren Untergange vorzuziehen. Sowie er
aber an den Eisrand trat, erwachte die Hoffnung von neuem. Zum Sterben
ist noch immer Zeit, sagte er sich und sann auf Mittel zur Rettung.

Da Wind und Strömung die Eismassen nach Norden trieben, so suchte
er auf diese Seite zu gelangen und wählte sich eine große Scholle
dauerhaften Eises zum Fahrzeuge. In der Mitte und hinter Eishügeln grub
er sich eine Vertiefung, die sein Lager bilden sollte. Alles Weitere
überließ er dem Schicksale. Er trieb ein, zwei, drei Tage, ohne etwas
andres als Schollen zu sehen. Hunger und Durst peinigten ihn, und er
suchte Eis zu verschlucken, um den Durst zu löschen; schließlich
aber kam er auf den praktischen Gedanken, geschmolzenes Schnee- und
Eiswasser in kleinen Gruben zu sammeln und diese als Zisternen zu
benutzen. Die Nachtkälte fiel ihm zwar sehr lästig, aber er suchte sie
durch Auf- und Abgehen zu überwinden. Da erhielt er auch Gesellschaft.
Eine Robbenfamilie, bestehend aus drei Mitgliedern, legte sich zum
Schlaf nieder und blieb, da sie wohl noch nie einen Menschen gesehen
hatte, arglos in seiner Nähe. Er konnte sie mit dem Beile erschlagen.
Die Häute kamen ihm sehr zu statten. Das Fleisch mußte er freilich roh
essen, doch klopfte er es zuvor mit dem Beilstiele mürbe und war am
Ende froh, überhaupt Nahrung zu erhalten. Sogar der Thran mundete ihm.
Die Scholle wurde inzwischen bedenklich kleiner, je weiter sie nach
Norden vorrückte, blieb aber doch noch groß genug, ihn zu tragen. Nach
mehreren Tagen näherte sie sich einer Inselklippe, wo sie strandete
und ihren Bewohner ans Land warf, den etliche Tage darauf ein Schoner
gewahrte und mit nach Kanton nahm.

Nun komme ich wieder auf meine eigene Fahrt zurück. Wir arbeiteten uns
im Zickzack glücklich durch die Kanäle des Eisgürtels hindurch und
erreichten das offene Meer. Der starke Wind trieb uns nach Norden bis
an die Küste von Madagaskar.

Obschon wir zuerst uns ganz freundlich von den Madegassen begrüßt
sahen, so gerieten doch unsre Leute beim Austausch von Messern und
andern Kleinigkeiten gegen frisches Fleisch bald in Händel mit ihnen,
wobei einer der Matrosen das Leben einbüßte. Um diesen zu rächen,
drangen unsre Leute in einige umliegende Dörfer, verbrannten sie und
erschlugen mehrere Eingeborene. -- Da eilte ich den Unbesonnenen nach,
um zu retten, was noch gerettet werden konnte; ich beschützte Männer
und Frauen, welchen fortan niemand mehr ein Leid anthun durfte.

Aus jenen Tagen blieb mir namentlich eine Szene unvergeßlich. Die
Matrosen hatten in der Morgenfrühe ein Dorf angezündet, über dessen
Rohrdächer das Feuer prasselnd dahinzüngelte, so daß die Einwohner
gezwungen waren, ihre Verstecke zu verlassen. Hierbei liefen viele
den Angreifern geradezu in die Hände, und es begann ein entsetzliches
Niedermetzeln.

Als ich in der Dämmerung die roten Feuersäulen am tiefdunklen Himmel
aufsteigen sah, ergriff mich eine beängstigende Vorahnung dessen, was
vorgefallen sein möchte. Von einigen bewaffneten Matrosen begleitet,
eilte ich in einem Boote ans Ufer und dem Dorfe zu, woher der Lärm
erscholl. Je näher wir kamen, um so deutlicher hörten wir das
Jammern und Heulen der Unglücklichen. Kaum hat jemals ein Gefecht so
erschütternden Eindruck auf mich gemacht als diese Blutthat. Gierig
wüteten die Flammen, aber noch grimmiger hausten, wie Würgengel, die
mörderischen Matrosen. Dieser Anblick verwirrte meine Sinne: ich
stand da, regungslos, starr vor Entsetzen. Da flohen drei Weiber
unter lautem Wehgeschrei eilends an uns vorüber, hinterdrein 12 bis
15 Madegassen, verfolgt von unsern Leuten, die dareinfeuerten, so
daß einer der Flüchtlinge tot niederstürzte und mehrere verwundet
hinsanken. Die Fliehenden glaubten in uns neue Verfolger zu finden und
stießen ein herzzerreißendes Geschrei der Verzweiflung aus. Es kostete
mir viel Mühe, ihnen durch Zeichen anzudeuten, daß wir ihnen kein Leid
zufügen, sondern sie schützen wollten. Zögernd näherten sie sich uns,
warfen sich vor mir nieder, hingen sich an meine Arme und baten mit
Blicken um Rettung. Ich nahm mich ihrer an, wies mit ernsten Worten
ihre Verfolger zurück, welche nicht begreifen konnten, wie ich dazu
käme, sie an dem Rachewerke zu hindern, zumal sie meinten, Heiden zu
töten sei kein Verbrechen. Murrend umstanden mich die Matrosen, aber
zuletzt gehorchten sie doch. Die Flüchtlinge waren gerettet; die Blicke
des Dankes, mit denen sie mich ansahen, werden mir ewig unvergeßlich
bleiben.

[Illustration: Robinson beschützt die verfolgten Frauen der Madegassen.]

Ich befahl meinen Leuten, auf das Schiff zurückzukehren, und segelte
dann eilends davon; aber kaum besser als in Madagaskar erging es uns
an der Küste im Persischen Meerbusen, wohin wir uns wandten. Arabische
Seeräuber griffen uns an, und nur mit Mühe gelang es uns zu entrinnen.
Ich konnte mich nicht enthalten, *diesen* Überfall als eine Strafe
zu bezeichnen, welche Gott für das grausame Blutbad von Madagaskar
über uns verhängt habe; allein ich fand nur geringes Gehör bei der
Schiffsmannschaft, und die schon gereizte Stimmung wurde nicht besser.
Da nahm ich mir vor, sobald sich zu einer passenden Landung Möglichkeit
böte, die Mannschaft zu entlassen und neue Leute anzuwerben, vielleicht
auch ein neues Schiff für mein altes einzutauschen. In diesem
Entschlusse wurde ich noch mehr bestärkt, als mir der Superkargo im
Vertrauen mitteilte, daß der Ausbruch einer Meuterei zu befürchten sei,
wenn ich es nicht vorzöge, bis zur Landung lieber gute Miene zum bösen
Spiel zu machen. Dies geschah denn auch, und wir kamen ohne weiteren
Zwischenfall nach Surate. Hier glückte es mir, Korallen gegen Perlen
und Edelsteine einzutauschen. Dann segelten wir nach Borneo, mußten
uns aber unterwegs wiederholt mit Seeräubern herumschlagen, denen
wir weitere nicht unansehnliche Vorräte an Perlen und Gold abnahmen.
Etliche Zeit darauf landeten wir in einer kleinen Bucht Siams.

Das Schiff zeigte sich in der That stark mitgenommen. Da ich nun in
China und vielleicht selbst in Japan Waren einzuhandeln gedachte, so
suchte ich das Fahrzeug zu verkaufen und ein andres dafür zu erwerben.
Doch ging dies nicht so rasch. Endlich meldete sich ein Portugiese,
erzählte mir ein langes und breites von seinem Schnellsegler und bot
mir einen Austausch unsrer Schiffe an. Ich besah das seinige, fand
es geräumig und die Summe gering, die ich noch herauszahlen sollte;
ich schloß daher den Handel ab. Zwar fielen mir der billige Preis und
die Eile, welche der Portugiese zeigte, etwas auf. Da jedoch seine
Papiere in Ordnung waren, so brachte ich den Handel zum Abschluß. Bald
waren die Schiffe umgeladen, und noch an demselben Abend segelte der
Portugiese ab, der auch einen Teil meiner Mannschaft erworben hatte,
weil er direkt nach Portugal und England zu reisen versprach. Ich
mußte also Matrosen werben, doch konnte das in einem belebten Hafen
leicht ausgeführt werden. Hierbei sollte ich nun erfahren, warum der
schlaue Portugiese beim Tauschen der Schiffe so große Eile hatte. Sein
Schiff hieß nämlich das »Gespensterschiff« und war in ganz Südasien in
Verruf, weil Geister in demselben umgehen sollten, weshalb kein Matrose
so leicht auf demselben Dienste nahm. Infolge der unzureichenden
Bemannung hatten auch schon Seeräuber, welche das Fahrzeug überfielen,
leichtes Spiel gehabt. Sie plünderten es aus, nachdem sie die Matrosen
niedergemetzelt hatten, und überließen dann das Schiff den Wellen.
Öde und verlassen fand es ein englisches Kriegsschiff, welches sich
seiner bemächtigte, es in einen Hafen brachte und dort verkaufte.
Indessen wurde bald ruchbar, daß die Geister der Ermordeten in der
Mitternachtsstunde ächzend auf dem Schiffe umgehen sollten, was die
Matrosen mit Grauen erfüllte, weshalb jeder das Schiff mied. So
erzählten sich die Matrosen.

Zwar glaubte ich nicht an diesen Gespensterspuk, aber die Sache deuchte
mich doch recht widrig, denn es schien ganz so, als sollte mein Schiff
unbemannt bleiben. Endlich meldete sich ein großer, kräftiger Mann als
Steuermann und versicherte, daß er den unheimlichen Ruf des Schiffes
kenne, sich aber vor Gespenstern nicht fürchte, und daß es ihm auch
gelingen würde, noch mehrere unverzagte Kameraden anzuwerben. Mir fiel
ein Stein vom Herzen, und ich gab ihm Vollmacht und Geld, damit er
sein Versprechen schnell ausführen könnte. Nach etwa acht Tagen war
alles in Ordnung gebracht, und wir stachen in See, um nach Nanking zu
segeln. Alle waren neugierig, wie es mit dem Gespensterbesuche kommen
werde. Nicht ohne Bangen erwarteten die Matrosen die erste Mitternacht,
denn bei den meisten war der Mund tapferer als das Herz, und so recht
geheuer kam ihnen die Sache doch nicht vor, je mehr Spukgeschichten
sie sich erzählten. Die erste Nacht verging ruhig, auch die zweite und
dritte. Kein Gespenst ließ sich sehen, und man fing bereits an, sich
über die Sache lustig zu machen. Anders erging es am vierten Tage; denn
am Morgen erzählte die Deckwache, sie habe das Gespenst gesehen, wie es
die Falltreppe heraufgestiegen, unhörbar über das Deck geschwebt und an
der andern Treppe wieder lautlos verschwunden sei.

Dieser Vorfall beunruhigte alle, denn der Erzähler galt für einen
beherzten Matrosen. Nun erschien das Gespenst bald diesem, bald jenem;
heute stöhnte es, morgen klirrte es mit scharfen Messern, bald erschien
es in weißer, bald in schwarzer Tracht. Keiner wagte es anzureden oder
gar anzuhalten, denn an einem Geiste wollte sich niemand vergreifen,
da man von dem Wahn befangen war, daß schon der Blick eines Gespenstes
tödlich wirkte. Zuletzt gestand auch der Steuermann, daß ihm das
Gespenst erschienen sei, so daß an dessen Dasein nicht zu zweifeln
war. Die Sache wurde mit jedem Tage bedenklicher; denn wo die Matrosen
standen und saßen, erzählten sie sich Geistergeschichten, von denen
eine phantastischer war als die andre.

Vergeblich suchte ich die Matrosen zu überzeugen, daß es keine
Gespenster gäbe; man entgegnete mir stets, daß sich niemand das
abstreiten lasse, was er mit eignen Augen gesehen habe. Schließlich
erschien auch mir selbst das Gespenst.

Eines Nachts öffnete sich leise die Thür, ein grauer Schatten schwebte
herein und durch das Zimmer, um auf der andern Seite schnell wieder
zu verschwinden. Nun hatte ich also das Gespenst selbst gesehen und
konnte dessen Dasein nicht mehr bestreiten. Ich wollte und mußte
der Sache auf die Spur kommen, versah mich also für den nächsten
Abend mit einer Pistole und einem Dolchmesser, um zu versuchen, ob
das Gespenst auch unverwundbar sei. Mit Unruhe erwartete ich die
Mitternacht; das aufgehende Mondviertel warf einen blassen Schein
durch das Kajüttenfenster auf einige Stellen der Kajütte, deren Thür
ich geöffnet hatte. Siehe, da hob sich draußen die Falltreppe, ein
grauer Schatten stieg empor, trat in die Kajütte und schritt gerade
auf mein Bett zu. Da wurde mir doch etwas bange zu Mute, es flimmerte
mir vor den Augen, ich vergaß Pistole und Dolch, fühlte den Hauch des
Gespenstes, welches sich über mich beugte, und die Sinne begannen mir
zu schwinden. In diesem Augenblicke ergriff mich ein verzweifelter
Mut: ich faßte nach der Kehle des Gespenstes, und siehe da, ich hatte
etwas Festes in der Hand, und zwar einen Geist, der Fleisch und Knochen
hatte. Das Gespenst wollte sich losreißen. Ich aber sprang aus dem
Bett, ergriff die Pistole und befahl dem erschreckten Gespenst, sich
nicht von der Stelle zu rühren. Dann rief ich die Wache herbei, welche
nicht wenig erstaunt war, als sie den Geist vor mir knieen sah und um
sein Leben bitten hörte. Sogleich wurde ein Verhör angestellt, und es
ergab sich, daß das Gespenst ein verurteilter Verbrecher war, welcher
sich bei Nacht in das Schiff geflüchtet hatte, um der Verfolgung und
Strafe zu entgehen. Am Tage hielt er sich zwischen Kisten und Balken
des untersten Schiffsraumes verborgen, des Nachts aber suchte er die
notwendigen Nahrungsmittel zusammenzubringen. Um auf seinen Rundgängen
nicht angehalten zu werden, spielte er die Rolle des Gespenstes.
Solchergestalt hoffte er den nächsten Hafen zu erreichen und dann
zu entschlüpfen. Wir mußten allesamt herzlich lachen, als sich die
furchtbaren Gespenstergeschichten in Diebstähle von Brotrinden und
Fleischresten verwandelten. Obschon der Kerl den Tod verdient hatte, so
versprach ich doch, seiner zu schonen, schon weil das Gespenst aus Not
nun selbst die Matrosen von dem Wahne des Gespensterglaubens geheilt
hatte.

Mittlerweile hatten wir uns der Küste von Kochinchina genähert und
warfen dort gegenüber der Mündung des Flusses die Anker aus, zumal
unser Schiff, das etwas leck geworden war, einer Ausbesserung bedurfte.
Wir fanden das Land von rohen Menschen bewohnt, die Raub und Diebstahl
ganz handwerksmäßig betrieben und es ganz ungescheut versuchten, unser
Schiff zu bestehlen. Doch wir hielten stand, und nach einem sehr
heftigen Handgemenge zogen die Kochinchinesen ab, wonach wir durch
weitere Besuche von ihnen nicht mehr belästigt wurden.

Nachdem das Schiff wieder segelfertig gemacht war, nahmen wir unsern
Kurs gegen Nordost, dann direkt nach Nord, vorüber an einer schönen
Insel (Formosa?), in der Absicht, über Kanton nach Nanking zu segeln.
Hier kamen wir nach zwei Wochen glücklich an und besahen uns diesen
wichtigen Hafenplatz nach allen Richtungen. Dann unternahmen wir,
allerdings mehr aus Neugierde, als um Geschäfte zu machen, kleinere wie
größere Reisen ins Innere des Landes.

Von Nanking aus, wo wir uns mit den nötigen Reisebedürfnissen
versahen, schlugen wir die Richtung nach der nördlichen Hauptstadt
des himmlischen Reiches ein. Diese Reise, welche wir teils zu Lande,
teils zu Wasser zurücklegten, dauerte 25 Tage. Wir fanden überall
das Land stark bevölkert und wohl angebaut, die Straßen und Wege in
gutem Zustande. Endlich kamen wir in Peking an, ohne daß uns etwas
Absonderliches widerfahren wäre. Leider konnten wir uns in der Stadt
nicht lange umsehen, denn wir erfuhren, daß die russische Karawane, an
welche ich mich mit dem Präriejäger anschließen wollte, schon binnen
zwei Tagen aufbrechen werde. Bald hatten wir die fast endlose Stadt mit
ihrer dreifachen turmreichen Umfassungsmauer und ihren unabsehbaren
Straßen im Rücken.

Nachdem wir China durchwandert, dann auch in Sibirien einen
Winteraufenthalt genommen hatten, regte sich in mir das Verlangen,
England baldigst wiederzusehen; ich benutzte also die erste
Gelegenheit, mich nach London einzuschiffen, wo ich am 10. Januar 1705
nach mehrjähriger Abwesenheit wohlbehalten eintraf.

Doch sollte es vorher nicht ohne ein kleines Abenteuer abgehen. Es
war in Hamburg. Damals befand sich ganz Europa in Krieg wegen der
spanischen Thronfolge. Die Russen, Dänen und Sachsen kämpften mit den
Schweden, und England, Holland, Österreich und Italien mit Frankreich.
Man brauchte viel Soldaten, warb daher junge Mannschaft oder raubte
sie, wenn sie nicht freiwillig kommen wollten, mit Gewalt. Wir waren
bereits auf dem Schiffe, konnten aber widriger Winde halber den Hafen
nicht verlassen. Da sahen wir einen jungen Mann in ein Boot steigen,
nach unserm Schiff rudern und auf dasselbe steigen. Vor dem Kapitän
angekommen, bat er dringend um dessen Schutz. Er sagte, er sei ein
Student aus Sachsen, habe eine Ferienreise machen wollen, sei aber von
Werbern überfallen und fortgeschleppt worden, um in ein schwedisches
Regiment gesteckt zu werden. Er habe durchaus keine Lust zum
Kriegsdienste, sei entflohen und werde von der hamburgischen Polizei
verfolgt. Nur in England glaube er auf Schutz rechnen zu dürfen und
bitte daher, ihn mitzunehmen. Einige Fragen überzeugten den Kapitän
von der Wahrheit der Aussage. Es schmeichelte unserm Stolze, daß ein
englisches Schiff Zufluchtsstätte für unschuldig Verfolgte werden
könne. Wir wehrten seinen Verfolgern daher den Zutritt zum Schiffe,
und während des langen Unterhandelns drehte sich der Wind; alsbald
fuhren wir ab und nahmen unsern Schützling mit nach England, von wo er
später wohlbehalten über Holland heimgekehrt sein soll.

Meine Geschäftsfreunde, welche ich aufsuchte, gaben mir befriedigende
Auskunft über mein zurückgelassenes Vermögen. Während mein letzter
Geschäftsgenosse, Herr Wilson, noch in rüstigem Mannesalter nach
Bengalen zurückkehrte, um dort durch Handelsgeschäfte sein Vermögen
zu mehren, legte ich endlich, jetzt ein 72jähriger Greis, meinen
Wanderstab nieder, um bei meinen beiden Kindern, die mir Gott gesund
erhalten hatte, den Rest meiner Tage in Ruhe und Frieden zu beschließen
und mich auf jene letzte Reise vorzubereiten, deren Ziel der Himmel ist.


Ende.




                  Der junge Handwerker und Künstler.


                            [Illustration]

                               Anleitung

                                  zur

                  Herstellung nützlicher Gegenstände

            aus Papier, Pappe, Holz, Gips, Metall u. s. w.

                      sowie zum Photographieren.

                                  Von

                             Carl Freyer.

                Mit 580 Text-Abbildungen und 5 Tafeln.

                            *Geheftet* 4 M.
                            *Gebunden* 5 M.

»Der junge Handwerker und Künstler« ist bestimmt, in umfassendster
Weise das heutzutage allerorten zu Tage tretende Bestreben zu
unterstützen, die in der Jugend schlummernde Neigung zur *Ausübung
von Handfertigkeiten* zu heben und die Bethätigung solcher
Geschicklichkeiten auf die Herstellung nützlicher Dinge überzuleiten.
Der Inhalt ist ein außerordentlich reichhaltiger, insbesondere ist auch
der heute in weitesten Kreisen verbreiteten und beliebten Kunst des
*Photographierens* ein besonderer Abschnitt gewidmet.


              Beschäftigungsbuch für die reifere Jugend.

                    Anleitung zum Experimentieren,

    Anlegen von Sammlungen, sowie zur Pflege der Haustiere und des
                             Hausgartens.

        Zugleich 5. Auflage von »*Der gelehrte Spielkamerad*«.

                                  Von

         Gebunden 5 M.      Wagner-Freyer.      Gebunden 5 M.

              Mit 300 in den Text gedruckten Abbildungen.

Das »Beschäftigungsbuch« ist der *geistigen Thätigkeit* der Jugend
gewidmet und soll unter Anwendung ungefährlicher Hilfsmittel zum
*Experimentieren*, zur Anlage von Sammlungen u. dergl. anregen. -- Die
spielende Beschäftigung ist die praktische Verwertung des Unterrichts,
sie verhilft demselben, indem sie die erforderliche Abwechselung
bietet, zu dem erstrebten dauernden Nutzen.

Die zahlreich beigegebenen Abbildungen sind so gewählt, daß sie das
Verständnis des Textes trefflich fördern.

[Illustration: Der Blitzschlag ins Schiff.]


                 Verlag von *Otto Spamer* in Leipzig.





End of the Project Gutenberg EBook of Robinson Crusoe's Reisen, wunderbare
Abenteuer und Erlebnisse, by Daniel Defoe

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ROBINSON CRUSOE'S REISEN ***

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