Meine Lebens-Erinnerungen - Band 1

By Adam Oehlenschläger

The Project Gutenberg EBook of Meine Lebens-Erinnerungen - Band 1 (of 4), by 
Adam Oehlenschläger

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Title: Meine Lebens-Erinnerungen - Band 1 (of 4)

Author: Adam Oehlenschläger

Release Date: March 22, 2015 [EBook #48557]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE LEBENS_ERINNERUNGEN - BAND 1 ***




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[Illustration: A Oehlenschläger]




                       Meine Lebens-Erinnerungen.

                               Ein Nachlaß
                                   von
                          Adam Oehlenschläger.

                        Deutsche Originalausgabe.

                              Erster Band.


                                 Leipzig
                        Verlag von Carl B. Lorck.
                                  1850.

                    *       *       *       *       *




                                Vorwort.


Als ich das erste Mal mein Leben niederschrieb, geschah es in Folge
einer Aufforderung des Buchhändlers Max in Breslau, des Verlegers
meiner deutschen Schriften. Ich mußte mich beeilen; und obgleich dies
natürlich eine genaue Aufzeichnung vieler characteristischen Züge
unmöglich machte; wie es mich auch zwingen mußte Vieles zu übergehen,
das theils vergessen wurde, theils nicht ausgeführt werden konnte, --
so dachte ich doch: Etwas ist besser als Nichts. Ich erinnerte mich so
vieler Verfasser, die Nichts über ihre Erlebnisse hinterlassen hatten,
weil sie es während ihres Lebens von einem Tage zum andern aufschoben.
Damit dies nun nicht mit mir geschehen solle (theils wußte ich, daß
Viele meine Biographie wünschten, theils fühlte ich mich dazu durch den
dem Menschen eingegebenen Selbsterhaltungstrieb gedrängt), so schrieb
ich sie rasch nieder und übersetzte sie später in das Dänische. Sie ist
mit vieler Aufmerksamkeit und Theilnahme gelesen worden. Aber wenn ich
diese Biographie jetzt lese, so finde ich sie so fragmentarisch und
unvollständig, daß sie mich selbst auf keine Weise zufrieden stellen
kann. Oft ist Das, was dort steht, nur die Ueberschrift zu Kapiteln, die
nicht geschrieben sind. Da nun das philosophische Gesetz: »Kenne Dich
selbst!« nicht anders befolgt werden kann, als indem man sich selbst
recht genau betrachtet, und sich in der Reihe aller seiner Handlungen,
Meinungen, Gefühle und Verhältnisse verfolgt; -- so ist ja eine solche
Aufzeichnung eine Pflicht für Den, welcher sie zu geben vermag, und sie
zu einem Nutzen und Vergnügen für Andere machen kann. Ich bin selbst
ein großer Liebhaber von Biographien, wenn sie gut geschrieben sind;
das heißt: wenn der Verfasser Das, was er erlebte, mit Geist und Herz
aufgefaßt hat, und Phantasie genug besitzt, um all' die kleinen Züge
darzustellen, die an und für sich unbedeutend erscheinen, aber zusammen
genommen die Linien und das Colorit hervorbringen, welche eine bestimmte
Physiognomie darstellen und den beachtenswerthen Menschen von der
einförmigen Menge unterscheiden.

Aber während wir nun also mit Lust und Offenherzigkeit ans Werk gehen,
begegnen wir auf dieser Rückreise des Lebens, ebenso wie auf der
Hinreise, manche Klippen, die umschifft werden müssen, und Berge, die
nicht überstiegen werden können, sondern die man umgehen muß.

Das Zartgefühl, die Bescheidenheit, die Schonung gebieten uns oft,
Verhältnisse mit Anderen nicht zu berühren, über deren Offenherzigkeit
wir kein Verfügungsrecht haben. In solchen Augenblicken fühlt man den
Nutzen des Romans, in welchem der Dichter viel Wahres, Geschehenes und
Erlebtes darstellen kann, das er sonst nicht mitzutheilen vermöchte,
weil persönliche Verhältnisse oder Schonung ihn dazu zwingen, die
Begebenheiten in den Schleier der Erfindung einzuhüllen. Wir sprechen
hier nicht von dem höhern Gewinne: die einzelnen Züge zu etwas Besserem,
zu etwas Zusammenhängendem und Vollkommenem zu idealisiren. Im Romane
muß die Göthe'sche Form: »Wahrheit und Dichtung«, befolgt werden. Hier
kann der Dichter die arme Wirklichkeit mit allen Reichthümern der
Einbildungskraft, des Gefühls und Gedankens verschönern oder ausmalen.
Aber in der Biographie selbst, scheint mir, darf dies nicht Statt
finden. Das höchste Verdienst und größte Interesse der Biographie
besteht gerade darin, daß sie eine wirkliche Lebensbeschreibung ist.
Das Geschehene gewinnt, je mehr der Verfasser im Stande ist, es mit dem
Gedanken, dem Gefühle und der Phantasie aufzufassen; aber hierin besteht
das Ideale; nicht darin, Erfindungen mit Ereignissen zu vermischen,
wodurch es weder das Eine noch das Andere wird, obgleich diese Mischung
wohl, wenn der Verfasser Genie besitzt, auch sehr interessant werden
kann. Und spricht man es, wie Göthe, offen auf dem Titelblatte aus, so
hat man ja Keinen hinters Licht geführt. Göthe meint, es sei unmöglich,
Etwas zu erzählen, ohne zu idealisiren. Sobald das Idealisiren in der
Darstellung und nicht in der Composition liegt, huldige ich ihm; dann
wird es zur »Wahrheit und Dichtung«, und so hat der große Dichter gewiß
auch -- bis auf einzelne Episoden -- sein Leben erzählt.

Für mich hat die arme ehrliche Wahrheit, und die Gabe, das Leben in
seiner Beschränktheit mit klarer Wahrheitsliebe auffassen zu können,
auch einen eigenen Reiz; sie gehört der Biographie, sowie der Geschichte
selbst an, und ich habe mich stets befleißigt, an ihr festzuhalten:
sollte dies in einzelnen Kleinigkeiten nicht geschehen sein, so ist mir
mein Gedächtniß untreu geworden.

Viele Bedenklichkeiten fallen hinweg, wenn die Menschen, mit denen man
gelebt hat, gestorben sind, deßhalb sind die Lebensbeschreibungen am
vertraulichsten und am wenigsten zurückhaltend in den Jugendjahren des
Erzählers und werden verschwiegener und vorsichtiger, je mehr sich die
Zeit seiner letzterlebten Periode nähert. Was nun das betrifft, so sind
Viele heimgegangen, seitdem meine erste Lebensbeschreibung erschienen;
ich habe freiere Hand bekommen, ich habe auch Manches seitdem erlebt,
das sich erzählen läßt, und so bin ich also im Stande, meinen Lesern
jetzt eine weit vollständigere Selbstbiographie, als das erste Mal
mitzutheilen.

Aus einem Stammbuche, das von meinem Großvater und Vater deutsch
geschrieben ist, ziehe ich folgende Aufzeichnungen als Einleitung aus.
Erst die meines Großvaters August Henrich Oehlenschläger.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Aufzeichnungen meines Großvaters.]

Anno 1672 -- sagt er -- wurde mein seliger Vater Christoffer
Oehlenschläger geboren, und nach seines Vaters, Henrich Oehlenschläger's
Tode, bekam er nach ihm, von Seiner hochfürstlichen Durchlaucht, dem
Bischof von Eutin, den Organistenposten in Rensfeld. Anno 1696 starb
mein Großvater. 1705 ging mein seliger Vater ein christliches Ehebündniß
mit meiner Mutter Elisabeth Gerdes, in Schlutop geboren, ein. Anno 1715
den 2. Februar Abends zwischen 10 und 11 kam ich ans Licht und empfing
durch Gottes Gnade den 6. dito die heilige Taufe. 1718 wurde mein
jüngerer Bruder, Peter Christoffer, geboren. Anno 1729 den 11. December
Morgens 10 Uhr schlief mein lieber Vater sanft und selig ein, und am 21.
dito wurde er zu seiner Ruhestätte gebracht. Sein Leichentext war der
11. Vers des 84. Psalms: »Denn ein Tag in Deinen Vorhöfen ist besser,
denn sonst tausend. Ich will lieber der Thür hüten in meines Gottes
Hause, denn lange wohnen in der Gottlosen Hütten.«

Der Großvater meiner Mutter väterlicherseits hieß Marcus Gerdes, wohnte
in Schlutop und war ein Fischer. Ihr Großvater mütterlicherseits, Peter
Hofemann, war auch Fischer. -- Anno 1737 ging mein Bruder Christoffer
von Lübeck fort, und ich bekam einen Brief von ihm aus Bremen, in dem
er schrieb, daß er beabsichtige, nach Holland zu reisen. Von Amsterdam
meldete er mir, daß er Willens sei, entweder nach Ost- oder Westindien
zu gehen, daß er nach Middelburg in Zeeland reisen und bei Einem wohnen
wolle, der Ludwig Korn op de Kay hieß. In Amsterdam hat er einen
Kaufmann gekannt, der Conrad Spiek hieß. Ein späterer Brief meldete,
daß er in Ostindien employirt werden solle, wohin er mit dem Schiffe
»Wickenburg« gegangen war, und daß er keinen unserer Briefe erhalten
hätte, weil sie alle von Jochum Havemann aufgeschnappt wären. Aus
Batavia erhielten wir 1739 den 30. Januar einen Brief von ihm, worin
er meldete, daß er »op de Guarnisoncammer« angestellt sei, daß er die
Kinder des ersten Buchhalters informire, und daß er Hoffnung habe,
Buchhalter zu werden. Unsere Briefe an ihn mußten die Aufschrift haben:
»Batavia in het Casteel op de Guarnisoncammer to behandigen: Pieter
Christoffel Keulensläger«. Mehre Jahre darauf in meiner Kindheit suchte
mein Vater Nachrichten über diesen Oheim mit dem veränderten Namen zu
erhalten, von dem das Gerücht ging, daß er ein reicher Mann in Batavia
geworden sei; aber wir hörten nie Etwas von ihm.

Mein Großvater verheirathete sich zum ersten Mal 1743 mit Anna
Margaretha Faasch. Mit ihr hatte er einen Sohn Joachim Joseas; die
Mutter starb 1746 und das Kind ein Jahr nachher. Darauf erzählt mein
Großvater: »Anno 1747 den 12. Mai ließ ich mich mit meiner herzliebsten
Gattin Tolstrup kopuliren. Gott, der das Herz des Menschen beherrscht,
führe uns stets auf den rechten Weg, und vermehre unsere innige Liebe
von Tag zu Tage, und füge es auch so mit uns, daß wir ihm allezeit
danken, und seinen heiligen Namen loben und preisen müssen, Amen! Dazu
helfe uns der Herr Jesus! Amen!«

In diesem frommen Ton sind alle Aufzeichnungen abgefaßt. Anno 1748
den 31. Juli wurde mein Vater =Joachim Conrad= geboren. Der geheime
Conferenzrath =Joachim Brockdorf= auf Nöer war sein Pathe, und nach ihm
ist mein Vater vermuthlich genannt worden.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Aufzeichnungen meines Vaters.]

Nun kommen die Aufzeichnungen meines Vaters. Aus diesen ersehe ich, daß
mein Großvater 1753 als Organist in Krusendorf starb, nachdem er sein
Amt zehn Jahre lang »lobenswerth und als ein guter Christ« verrichtet
hatte. Das Jahr darauf verheirathete meine Großmutter sich wieder mit
=Marquard Bolt=, der das Amt meines seligen Großvaters bekam. 1765 kam
mein Vater nach Rendsburg zum Organisten =Rosenbaum=, blieb bei ihm
zwei Jahre, und machte dort Fortschritte in der Musik. Und nun wurde
der siebenzehnjährige Schleswiger von seinem Stiefvater nach Kopenhagen
zu dem damals in Dänemark allmächtigen Grafen Adam Gottlob Moltke
geschickt, der wahrscheinlich bei irgend einer Gelegenheit versprochen
hatte, sich des Jungen anzunehmen, und ihn seiner Zeit zu befördern.

[Sidenote: Meine Mutter.]

Daß mein Vater ein tauglicher Clavierspieler gewesen sein muß, kann ich
daraus wissen, daß er, wie er selbst erzählt hat, bei seiner Ankunft in
Kopenhagen gleich den jungen Comtessen Unterricht auf dem Clavier gab.
Auch habe ich noch ein Attest von dem Pastor Lorch an der deutschen
Friedrichskirche auf Christianshafen, worin dieser meinen Vater nach
abgelegter Probe wegen der Kenntnisse und der Fertigkeit lobt, deren
es bedarf, um ein guter Schullehrer auf dem Lande in den deutschen
Provinzen zu werden. Aber sowie Jacob dem Laban mehrere Jahre dienen,
und erst die häßliche Lea nehmen mußte, ehe er die schöne Rahel bekam,
so mußten in jenen Tagen auch die Bürgerlichen oft im buchstäblichen
Sinne den Großen dienen, wenn sie von diesen befördert werden wollten.
Dies war ein Schicksal, dem sich zuweilen selbst theologische Candidaten
unterwarfen. Mein Vater, ein halber Bauerjunge aus den Hütten in
Krusendorf, hat wahrscheinlich durchaus nichts dagegen gehabt, den
Winkel im Dorfe mit dem Palais auf Amalienburg zu vertauschen, und
Theilnehmer an allen großen Festen, Lustbarkeiten und Genüssen zu sein;
gleichviel ob dies sitzend oder stehend, früher oder später geschah.
-- Hier lernte er meine Mutter Martha Maria Hansen kennen. Ihr Vater,
ein Deutscher, war königlicher Bevollmächtigter. Meine Großmutter
mütterlicherseits, Anna Maria, war die Tochter eines Bäckers Severin
in Kopenhagen. Mein Großvater mütterlicherseits hinterließ bei seinem
frühen Tode eine Wittwe mit drei Kindern. Die Eltern meiner Mutter waren
also Deutsche, und sie, ebenso wie mein Vater, wurde deutsch erzogen.
Mir ist, als ob mein Vater mir erzählt hätte, daß meine Großmutter nach
dem Tode ihres Mannes mit ihren Kindern eine Reise nach Deutschland
machte; aber in der äußersten Noth zurückkehrte. Meine Mutter war in
ihrer frühesten Jugend auf dem Lande bei einem Verwandten: dem Verwalter
=Bruun= aus Herlufsholm, im südlichen Seeland. Ich habe sie im Scherz
erzählen hören, daß, wenn nicht Altersverschiedenheit zwischen ihnen
Statt gefunden hätte, aus ihr und dem Sohne, der in die herlufsholmer
Schule ging, und später der bekannte Dichter =Thomas Christopher
Bruun= wurde, ein Paar hätte werden können. Von Bruun's kam sie als
Wirthschafterin zum Prokanzler Cramer in Kopenhagen, der sie mit
außerordentlicher Güte und Achtung behandelte, und ihr Bücher, unter
andern seine eigenen Predigten verehrte, die ich noch besitze. Cramer's
Haus war ein Sammelplatz für ausgezeichnete Deutsche, und dies hat gewiß
viel zu der mehr als gewöhnlichen Bildung meiner Mutter beigetragen.
Auch =Klopstock= kam dort ins Haus. Ich entsinne mich, daß meine Mutter
mir erzählt hat, wie sie ihm einmal ihre silbernen Schuhschnallen lieh,
als er zur Maskerade wollte. Sie liebte ihn übrigens nicht sehr, er
war ihr zu überspannt; =Gellert= sagte ihrem Herzen viel mehr zu. Von
Cramer's aus wurde sie Kammerjungfer bei der Gräfin =Moltke=; und das
war in der damaligen Zeit für ein armes Bürgermädchen eben so viel, als
ob sie zur Königin käme und ihr Glück machte. Meine Mutter soll in ihrer
Jugend sehr schön gewesen sein. Mein Vater hat erzählt, daß mehre junge
vornehme Damen sie beneideten, weil sie weißere Hände, als sie hatte,
obgleich diese die ihrigen doch täglich mit Mandelkleie wuschen, und sie
nur mit grüner Seife. --

[Sidenote: Abstammung.]

Man sieht also, daß ich von väterlicher Seite durch mehrere Glieder von
angelsächsischen Musikanten und Fischern abstamme. Der Vater meiner
Großmutter, von väterlicher Seite, =Tolstrup= war ein Jütländer, mein
Großvater mütterlicherseits, =Hansen= ein Hochdeutscher, und der Vater
meiner Großmutter mütterlicherseits, =Severin=, ein Kopenhagener. Weiter
weiß ich nichts Zuverlässiges von meinem Geschlechte zu sagen. Daß der
berühmte =Adam Olearius= oder Oehlenschläger, der die morgenländische
Reise mit =Paul Flemming= machte und ein seiner Zeit klassisches Werk
darüber herausgab, zu unserer Familie gehörte, ist wahrscheinlich. Sein
Vater war Schneider und indem ich mit ihm in Verwandtschaft komme,
könnte ich, sowie Göthe, Schneiderahnen haben. Er war nicht nur Lehrer,
sondern auch Schöngeist, konnte gut persisch und übersetzte Saadi's
Rosengarten und Lockman's Fabeln ins Deutsche. Da er Bibliothekar und
Hofmathematiker des Herzogs von Holstein-Gottorp war, und nach seiner
Reise wieder nach Holstein zurückkam, ist es um so wahrscheinlicher,
daß er zu unserer Familie gehört. Zu den Patriciern Olenschlager in
Frankfurt wage ich mich nicht zu rechnen, obgleich ich mich erinnere,
daß mein Vater zuweilen von Frankfurt als einem Orte sprach, wo
Verwandte leben sollten.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Stellung meines Vaters.]

Von 1767 bis 1778 war mein Vater beim Grafen Moltke; darauf heirathete
er meine Mutter und wurde Organist in dem eine Viertelmeile von
Kopenhagen gelegenen Friedrichsberg. Meine Eltern wohnten zuerst in
der nach Friedrichsberg führenden Vorstadt »Westerbrücke« im Hause Nr.
53, gleich rechter Hand, wenn man aus der Friedrichsberger Allee kommt.
Dieses kleine, mit Fachwerk gebaute Haus, steht zufällig noch jetzt
so wie vor 70 Jahren. Das Jahr darauf 1779 wurde ich am 14. November
geboren.

Ein älterer Bruder desselben Namens, wie ich, der ein Jahr früher
geboren war, wurde nur 24 Stunden alt. Ein Jahr nach meiner Geburt
erhielt mein Vater die Stelle als Bevollmächtigter auf dem Schloß
Friedrichsberg bei dem Generalinspector Schmidt, einem sehr
tüchtigen Manne und gutem Kopfe. Mein Vater hatte Hoffnung, nach ihm
Schloßverwalter zu werden, wenn Schmidt seinen Abschied nahm und nach
Jütland zog, denn er war ein vermögender Mann. Aber als ein Verwandter
von Schmidt, ein junger Mann, Voigt, der die neue Gärtnerkunst in
England gelernt hatte, nach Hause kam, erhielt er das Amt. Erst viele
Jahre später wurde mein bei weitem älterer Vater, nach dem Tode des
Jüngern, Schloßverwalter. Voigt gestaltete den in der Zeit Friedrich's
V. angelegten Park »Söndermarken« (das Südfeld) nach neuestem Geschmack
um. Er war Gärtner mit Leib und Seele, zog bei den Gutsbesitzern in
Seeland umher, half ihnen Gärten anlegen, und überließ meinem Vater das
Schloß. Er erwies ihm all' die Achtung, die der Jüngere dem Aelteren
erweisen kann, obgleich er über ihm stand. Er hatte ein freundliches
Gesicht; wenn er mir in meinen Kinderjahren begegnete, so nannte er
mich stets »Master Adam!« Ich konnte nicht begreifen, wie ich schon
Meister geworden sei; erst viele Jahre später begriff ich, daß dies eine
Redensart war, die er von England mitgebracht hatte.

                    *       *       *       *       *

Schmidt wurde sehr alt, ich glaube gegen 90 Jahre. Ich besitze einen
Brief von ihm, den er in hohem Alter an meinen Vater mit kräftiger Hand
geschrieben hat, -- in welchem er ihm zu seinen Kindern Glück wünscht,
und aus dem ich sehe, daß dieser Greis Sinn für Poesie hatte.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Meine Geburt.]

Bei meiner Geburt war ein berühmter Arzt Culpin, ein Deutscher, meiner
Mutter behülflich. Kaum war ich zur Welt gebracht, als Culpin, ein
flinker lustiger Mann, um meine Mutter, die ein Jahr vorher ein Kind
verloren hatte, zu trösten und zu erfreuen, mich bei den Beinen nahm,
ihr entgegenhielt und ausrief: »Meiner Seel' ein großer Junge!« --

                    *       *       *       *       *

Man hatte damals die üble Gewohnheit, welche vielen Menschen an Gliedern
und Gesundheit geschadet hat, die Kinder mit den Armen einzuwickeln.
Ein kleiner Junge, der uns gegenüber am Eingange zur Allee wohnte, kam
einmal herüber, um mich in der Wiege zu sehen, lief aber gleich wieder
erschreckt nach Hause, und rief seiner Mutter zu, die ihn fragte, warum
er so schnell zurückkomme: »Mutter! das Kind hat keine Arme.« Dies war
der jetzige Herr Justizrath =Hvalsöe=. Ich hatte viel vornehme Pathen
in der Friedrichsberger Kirche; die Gräfin Moltke hielt mich über die
Taufe. Als sie meine Mutter fragte: »Wie soll das Kind heißen,« und
meine Mutter geantwortet hatte: »Adam Gottlob,« sagte sie: »Das will ich
hoffen.«

Der Sohn, den meine Eltern ein Jahr vorher gehabt hatten, hieß auch
Adam Gottlob. Er wurde, wie gesagt, nur 24 Stunden alt. Mein Vater, ein
munterer, launiger Mann, pflegte oft, wenn er von seinen Kindern sprach,
zu sagen: »Ja, mein ältester Sohn, der war ein ganz anderer Kerl, als
dieser Poet.«

                    *       *       *       *       *

Ich entsinne mich noch deutlich des Morgens, wo das Mädchen hereinkam,
und meinem Vater und mir sagte, die wir in einem Bett mit grünen,
wollenen Gardinen im Comptoir, dicht neben dem sogenannten Ostthore im
Schlosse, schliefen, daß meine Schwester Sophie geboren sei. Ich war
damals dritthalb Jahr alt. Ich lag im Bett und sah einen großen Nagel
in der Wand an, der mit Papier umwickelt war, und der Wind heulte im
Schornstein und Ofen, wo man kurz vorher eine große Eule gefunden hatte,
die herabgefallen war. Ich sehe meinen Vater noch den Kamin und das
Fenster öffnen und die Eule über die Bäume auf dem Schloßberg wegfliegen.

[Sidenote: Erste Jugendthat.]

Die erste That, deren ich mich entsinne, in der Welt ausgeführt zu
haben, war ein Mord in aller Unschuld an einem kleinen Hunde, den ich
sehr lieb hatte. In dem gewölbten unterirdischen Gange, der vom Schloß
zur Küche führt, sind zwei Luft- und Lichtlöcher, beide jetzt bedeckt,
und das eine im Garten der Königin verborgen; aber damals waren beide
zugänglich, unbedeckt und nur von einem Geländer umgeben. -- Zu dieser
Zeit war im Schloßgarten ein Handlanger, der Schulz hieß, mit einem
großen schwarzen Bart, welcher mir Angst vor ihm einflößte. Vielleicht
um mich vor den Löchern in dem geheimen Gange einzuschüchtern, hatte man
mir gesagt, daß dieses unterirdische Gewölbe »Schulze's Kirche« sei.
Einmal, als ich im besten Spiele mit dem kleinen Hunde begriffen war,
bekam ich den tollen Einfall, -- nicht um dem Hunde zu schaden, oder
weil ich böse auf ihn war; ich streichelte und küßte ihn im Gegentheil;
-- ihn in Schulze's Kirche hinabzuwerfen. Obgleich mir selbst davor
bange war, dort hinunter zu gehen, so glaubte ich doch, daß der Hund
daselbst gut aufgehoben sei. Vielleicht hoffte ich auch, daß er bald
zurückkommen und mir Etwas von der wunderbaren Kirche erzählen könne.
Ich eilte also aus allen Kräften, obgleich mein Vater mir auf den Fersen
war, und warf ihn hinab. »Was hast Du gethan, Junge? wo ist der Hund?«
»Ich habe ihn in Schulze's Kirche hinuntergeworfen.« -- »Folge mir!« --
ich mußte mit in die schreckliche Kirche hinabgehen, und als ich dort
meinen Liebling jämmerlich zerschmettert und todt fand, erfüllte ich
das Gewölbe mit meinem Geschrei, und mein Vater hatte alle Mühe, um
mich von der Höhle, von dem kleinen todten Hunde fortzubringen, den ich
wieder lebendig küssen wollte.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Die Leibgarde.]

Als kleiner Junge nahmen meine Eltern mich einmal nach Kopenhagen zu
einigen Bekannten mit, wo ich beinahe das Leben verloren hätte, indem
ich fiel und mir das Kinn zerschlug. Ich trage noch jetzt eine tiefe
Narbe davon. Auf meinen Reisen im Auslande setzte mich dies in Respect,
denn sie sah wie eine Narbe von einem Säbelhiebe aus, den ich in einem
Duell bekommen hätte.

Was ich in dieser frühen Kindheit auf dem Schlosse am meisten liebte,
war die Leibgarde. Ich hatte mir ein kleines Holzgewehr mit Kienruß
überstrichen verschafft; damit stand ich immer in einer gewissen
Entfernung von den Soldaten auf dem Schloßhofe und präsentirte nach dem
Commando der Offiziere. Der Kronprinz, später Friedrich VI., sah mich
daselbst oft von seinem Fenster aus, und soll einmal, als ich nicht
da war, gefragt haben: »Aber wo bleibt denn Adam heute?« -- Wenn ich
mich zuweilen dem Offiziere nähern durfte, und er mir erlaubte, seinen
Säbel herauszuziehen und die Klinge zu betrachten, so fühlte ich mich
von dem feierlichsten Gefühle durchdrungen. Die schöne blanke und blau
angelaufene Stahlwaffe schien mir wie ein Talisman; wer sie in seiner
Hand schwang, glaubte ich, müsse stets siegen und erobern. Wenn die
königliche Familie im Herbst nach der Stadt zurückkehrte, so spielte
die Leibgarde an dem Tage, wo sie fortging, immer einen andern Marsch,
als den gewöhnlichen. Ich ging hinterher, als ob ich einer Leiche
folgte, und am Hügel, wo wir uns trennten, weinte ich meine bitteren
Thränen. Mein einziger Trost bestand darin, mit meiner Schwester Sophie
in die leeren Zimmer hinaufzugehen, und Medicinflaschen zu suchen,
deren dort immer viele standen. Wir wuschen sie aus und spielten mit
ihnen, bis sie entzwei gingen. Zwei Mal wurde ich auf das Angenehmste
durch einen Fund überrascht, den ich nie erwartet hatte: der eine war
ein Kupferschilling, der auf einem Marmorconsoltisch bei einer Hofdame
von Puder bedeckt lag; der andere ein Kuchen auf einem Brett in der
Conditorei.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Wintervergnügen.]

Im Winter fuhr ich mit einem kleinen Schlitten, der dem Kronprinzen
gehörte, und den mein Vater unter anderm Gerumpel auf dem Boden gefunden
hatte. Oft bat ich die Bauern vor dem Schloßthore, daß ich meinen
Schlitten an ihren Wagen binden dürfe; und wenn sie es mir erlaubten, so
fuhr ich mit ihnen den Berg hinunter. -- Ein Mal wollte ein schlechter
Kerl mir meinen Schlitten wegnehmen und griff nach dem Stricke, aber ich
schlug seinen Arm so derb mit dem Besenstiel, den ich mit hatte, daß er
los ließ. Mit zwei Besenstielen pflegte ich mich sonst auf dem Schlitten
selbst den Berg hinunter zu schieben, wenn keine Wagen da waren.

Meine Schwester war zuweilen mit dabei. Sie spielte gern mit mir. Der
Kronprinz, der uns im Sommer oft auf dem Schloßhof zusammensah, fragte
mich einmal freundlich, als er an uns vorüberging: »Adam, wie heißt
Deine Schwester?« »Sie heißt Sophie,« antwortete ich. »Sie sollte Eva
heißen,« meinte der Kronprinz.

                    *       *       *       *       *

Ich entsinne mich eines Winterscherzes, der nicht so munter ablief,
wie die Schlittenfahrt. Es war ein schneeiger Tag, es begann zu thauen
und ich machte einen meiner gewöhnlichen Schneemänner auf dem Hofe;
die Augen von Kohlen und die Lippen von rothem Ziegelstein. Nun kam
mir aber die Lust, in diesem Fache weiter zu arbeiten, und ich bekam
einen -- meiner Ansicht nach -- köstlichen Einfall. Das eiserne Gitter
des Schlosses stand an diesem Tage gerade nicht offen. Es fuhren viele
Bauern von Kopenhagen nach Hause. Die Wachstube der Leibgarde war neben
dem eisernen Thore, das Fenster lag nach der Landstraße hinaus und im
Zimmer stand ein großer Tisch. Was hatte ich zu thun? Ich bedecke den
Tisch mit Schneebällen, sowie ein Bäcker seine Fächer mit Pfannenkuchen,
mache das Fenster auf und bombardire nun von meiner sichern Festung
aus die Bauern, während sie vorüber fuhren, mit Schnee in den Nacken.
Von ihnen hatte ich Nichts zu fürchten, denn erstens konnten sie nicht
herein kommen und zweitens konnten und wollten sie nicht Pferde und
Wagen verlassen. Aber ich hatte nicht an einen mächtigen Bundesgenossen
gedacht, der sich der unschuldig Angegriffenen annahm, und mir
unerwartet in den Rücken fiel. Dies war mein eigener, leiblicher Herr
Vater, der die Thür der Festung öffnete, und meinen Rücken mit einem
Endchen Tau verarbeitete, das er zu diesem Gebrauche mitgenommen hatte,
ohne sich im Geringsten durch das Inventiöse der Ausführung und das
Lustige der Situation bestechen zu lassen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Die Schule.]

Sie brachten mich zu einer verdrießlichen alten Frau in die Schule, wo
ich der Gelehrsamkeit zu Liebe sehr Viel ausstehen mußte. Wir mußten
stets auf den Bänken still sitzen, und unser einziges Vergnügen bestand
darin, die Wolle aus unsern Jacken zu zupfen und kleine Kugeln daraus zu
machen. Wenn sie es bemerkte, so schlug sie uns mit dem Fingerhut auf
den Kopf. Zuweilen bekam man einen Schlag mit einem Stücke Brennholz,
wenn gerade nichts Anderes bei der Hand war. Ich weiß noch, wie ich die
Hühner und Enten auf dem Hofe beneidete, die da draußen in freier Luft
umherlaufen und gakeln und schnattern konnten ohne bestraft zu werden.
Unsere Lehrerin hieß =Madame Bergau=, ihr Mann war Maler gewesen; in dem
Zimmer hing ein Portrait von ihm, wo er mit Palette und Pinsel saß;
dies betrachtete ich häufig aufmerksam. Er sah so fromm und freundlich
aus, während seine Wittwe uns schlug, wenn wir nicht unsere Lectionen
konnten. Eines komischen Ereignisses entsinne ich mich aus jener Zeit.
Eines Tages, als ich in die Schule gehen sollte, und etwas später
kam, wollte ich quer über den offenen Platz, welcher sich damals vor
dem Schulhause befand, gehen. Quer über diesen Platz lief ein Graben,
den ich ganz vergessen hatte. Die Sonne schien mir in die Augen; das
konnte ich nicht vertragen, ich machte die Augen fast ganz zu, lief
vorwärts, und ehe ich mich's versah, stand ich bis an die Hüften im
Graben im Schlamm. So kam ich in die Schule, wo ich ausgekleidet wurde
und den Unterrock der Hausmamsell anbekam, während meine Beinkleider
gewaschen, getrocknet und geplättet wurden, und mußte so den ganzen
Vormittag sitzen zum Spott und Hohn für Knaben und Mädchen, die es nicht
unterlassen konnten, mich auszulachen. Bald lachte ich mit ihnen, bald
weinte ich, und so verging die Zeit, bis die Hosen trocken waren.

                    *       *       *       *       *

Mein Trost war Hübner's biblische Geschichte. Wenn wir unsere Lectionen
gelernt hatten, bekamen wir Erlaubniß, ein Stück daraus zu lesen. Jeder
hatte sein Lesezeichen von mehr oder weniger vortrefflichem Stoffe,
von Kattun an bis zum Gold- und Silberbrocat. Meine Mutter hatte mir
Zeichen letzter Art gegeben, die wohl auch Zeichen der verschwundenen
Herrlichkeit der Zeit sein mochten, wo sie bei der Gräfin Moltke war. --
Mit all' diesen Zeichen zwischen den Blättern konnte Hübner's Geschichte
gar nicht zugemacht werden, sondern lag immer gähnend auf dem Rücken,
und streckte die unzähligen Zungen bei Moses, Joseph, David, Salomon
u. s. w., u. s. w. heraus.

                    *       *       *       *       *

Madame Bergau hatte einen Schwiegersohn, Herrn Kinderlein, der ein
Kinderfreund war. Wenn er sie besuchte, war es ein Fest; denn erstens
bekamen wir frei, und zweitens schnitt er unsere Federn, was Madame
Bergau selbst nicht konnte.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Tragische Geschichte.]

Zu dieser Zeit ungefähr muß folgende tragische Begebenheit eingetroffen
sein, die einen großen Eindruck auf meine kindliche Phantasie machte.
Ich hatte einen Vetter, einen jungen Menschen, der meine Eltern
besuchte. Er spielte einmal mit mir, ich ritt eben auf seinem Kniee,
und war seelenvergnügt, als es mir einfiel ihn zu fragen: »Was ist Dein
Vater?« -- »»Landrichter!«« -- »Landrichter!« rief ich, »pfui!« und
sprang von seinem Kniee. Der Vetter machte große Augen und konnte nicht
begreifen, woher diese Furcht und dieser Ekel vor dem Landrichter komme.
Die Sache war die: Kurz vorher hatte sich ein Höker an einem Weidenbaume
in der Friedrichsberger Allee gehängt. Mein Vater nahm mich mit, damit
ich ihn sähe. Der Höker hing ganz niedrig, so daß die Füße fast den
Erdboden berührten. Sein spanisches Rohr hatte er neben dem Graben
eingesteckt, darauf hing sein dreieckiger Hut und die Zopfperrücke.
Gerade gegenüber an einem Lindenbaume in der Allee war ein kleines Buch
mit feinen Nägeln angeschlagen, in welchem berichtet stand, daß er sich
aufgehängt habe, weil seine Frau ihn zum Hahnrei gemacht habe. Zwei
Ruthen hatte er gebunden und unter den Baum gelegt, die eine war eine
Birkenruthe, damit sollte die Frau gestraft werden, die andere war ein
Dornenreis, und für ihren Buhlen bestimmt. -- Von all' Dem verstand ich
nicht das Geringste, sondern starrte nur mit Entsetzen auf den Gehängten
hin. Er sollte abgeschnitten werden, aber Keiner wollte ihn anrühren,
bevor der Landrichter angekommen sei und Hand an ihn gelegt hätte, um
die Arbeit ehrlich zu machen. Ich sah ihn mit seinen Leuten kommen; er
berührte die Schulter des Gehenkten, der nun abgeschnitten wurde. --
Daher kam mein Entsetzen und mein Widerwillen gegen den Vater meines
Vetters. Ich hatte keinen andern Begriff von einem Landrichter, als daß
er ein Mann sei, der Leute abschneiden müsse, die sich selbst aufgehängt
hätten.

                    *       *       *       *       *

Ich hatte Einen bei jedem zweiten Worte schwören hören und fand, daß
es ihm gut stehe. Nun bekam ich auch Lust, und sagte eines Tages jeden
Augenblick zu meiner Mutter: »Nein, das thut Adam weiß es Gott nicht.«
Statt mich zu strafen, sagte sie jedesmal ganz ruhig: »Nein, das thut
Adam gewiß nicht.« Auf diese Weise brachte sie mich bald dahin, das
Schwören zu unterlassen.

                    *       *       *       *       *

Mein Vater pflegte zuweilen, wenn er mit mir spielte, mich in's Ohr zu
kneipen und zu sagen: »Bist Du nicht meine Canaille?« -- Eines Tages,
als Fremde bei uns waren, stellte ich mich mitten in's Zimmer, stützte
beide Hände in die Seiten, sah meinen Vater starr an, und rief laut:
»Bist Du nicht meine Canaille?« Zuerst bekreuzte man sich über den
kleinen, schon so früh verlorenen Sohn; aber als man hörte, daß es eine
Liebesbezeigung sei, die mein Vater mich selbst gelehrt habe, lachte man
um so mehr.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Die Schule des Küsters.]

Aus der Schule der Madame Bergau avancirte ich in die des Küsters, wo
=Bernt Winckler=, Sohn eines wohlhabenden Grundeigenthümers und Gärtners
in der Stadt und ich Kameraden mit den Straßenjungen wurden. Wenn wir
dazu kommen konnten, so spielten wir gern mit ihnen nach der Schulzeit
Anschlagens, am häufigsten bei den Steinpfeilern des Thores, welches den
Eingang zum Schloßgarten bildete. Hier saß ein alter Mann, der Brot, Aal
und Branntwein verkaufte. Wenn ich ein paar Schillinge hatte, kaufte
ich wohl ein Brot und ein Stück gebratenen Aal mit Salz und vielen Staub
darauf. Das schmeckte mit besser als das leckerste Gericht zu Hause.
Einmal wollte einer meiner Schulkameraden mich dazu verführen, auch
einen Schnaps zu trinken. Ich hatte bereits das Branntweinglas in der
Hand, als mein guter Engel in der Gestalt meines Vaters zum Gartenthor
hereinkam. Vor Schreck verschüttete ich den Branntwein: glücklicher
Weise sah er mich nicht und ging in der Ferne vorüber; aber die Furcht
hatte mich davon curirt, dieses gefährliche Experiment zu wiederholen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Naturgenüsse.]

In dem von Voigt angelegten Südfelde hatte ich täglich ein Bild von
englischer Natürlichkeit vor Augen, sowie in dem alten Garten von
französischer Regelmäßigkeit und zwischen Beiden das italienische Schloß
voll schöner Zimmer und Gemäldegalerien. Meine Umgebung war im Sommer
und Winter so verschieden, wie die Natur. Im Sommer wimmelte es draußen
von Menschen, von schönen geputzten Damen; der ganze Hof war dort,
schöne Tafel- und Janitscharenmusik konnten wir Kinder jeden Sonntag
hören. Von einer Galerie aus konnten wir die königlichen Herrschaften
bei Tische sitzen sehen. -- Das Südfeld dagegen war meist unbesucht, da
es nur für den Hof bestimmt war. Aber mein Vater hatte den Schlüssel,
und ich und meine Schwester machten viele Bekannte glücklich, wenn
wir dort mit ihnen spazieren gingen. Da war es still und einsam, wie
zehn Meilen von der Stadt. Wir besuchten das sogenannte Norwegische
Haus, wo die große Natur im Kleinen täuschend nachgeahmt war; den
Eremit in seiner Hütte, die Grotte mit den Crystallen und Erzstufen,
einer Zauberhöhle gleich; das chinesische Lusthaus mit seinen großen
Conchilienspiegeln, seinen bunten Bildern von Mandarinen und Damen mit
Klumpfüßen; und den Glöckchen auf dem Dache, die sich im Winde bewegten
und erklangen.

Einmal im Sommer machten wir gewöhnlich eine Wallfahrt nach dem
Thiergarten, den schönen Strandweg entlang, oder über Ordrup, wo dann
die uralten Buchen uns einluden, in ihrem Schatten die Erfrischungen
zu genießen, die wir selbst mitgenommen hatten. Wir sahen dort den
Seiltänzer und Kasperle, aßen im Grase und schnitten unsere Namen in
eine dicke Buche, die sie noch trägt.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Leben im Winter.]

Kam nun der späte Herbst, und zog die königliche Familie zur Stadt, so
wurde auch der Schauplatz ein ganz anderer. Keine Musik mehr, keine
Spaziergänger; aber Alles voll von Handwerkern und Arbeitsleuten auf
dem Schloß und im Garten. Nun ging ich zwischen Maurern, Zimmerleuten,
Tapezirern und Malern einher, zuweilen wagte ich mich sogar mit
den Bleideckern aufs Dach hinauf. Und wie ich im Sommer die feine
Lebensweise der großen schönen Welt bewunderte, so lauschte ich jetzt
den Handwerksleuten ihr Wesen und ihre Eigenthümlichkeiten ab, und sah
zu, wenn die Gärtner säeten, pflanzten oder Bäume pfropften. -- Mit
Eintritt des eigentlichen Winters waren wir auf dem großen Schlosse
mit zwei Wächtern und zwei großen gelben Hunden ganz allein. Das ganze
Schloß gehörte dann uns, und ich ging in die königlichen Zimmer,
betrachtete die Gemälde und baute Luftschlösser. Wenn gutes Wetter
war, so erlaubte mein Vater mir zuweilen in die Stadt zu gehen, um
Bücher aus der Leihbibliothek zu holen. Mit sechs Büchern in ein blaues
Taschentuch gebunden, auf meinen kleinen Stock gesteckt und so auf dem
Rücken getragen, kam ich dann in der Dämmerung wieder nach Hause. Wenn
wir Thee getrunken hatten, und das Licht auf den Tisch gesetzt war, so
kümmerten wir uns nicht um Sturm, Regen oder Schnee. Mein Vater saß dann
im Lehnstuhl mit dem kleinen Hund im Schlafrocke und las laut vor; oder
ich selbst las leise und folgte Albert Julius und Robinson Crusoë nach
ihren Inseln, schwärmte im Feenlande mit Aladdin umher, oder amüsirte
mich mit Tom Jones und lachte über Siegfried von Lindenberg. Die meisten
von Holberg's Comödien wußte ich halb auswendig.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Eine Hundegeschichte.]

Ich habe eine Hundegeschichte erwähnt und muß noch zwei erzählen. Wir
hatten ein Dienstmädchen die nicht viel taugte, die aber doch den
kleinen Present sehr liebte. Als sie nun fortzog und in Kopenhagen
in Dienst trat, verschwand der Hund eines Tages, alles Suchen war
vergebens, er war nicht zu finden; das rief große Trauer in der Familie
hervor. Ich und meine Schwester beweinten den kleinen verschwundenen
Freund, und glaubten, er sei todt. Die schmerzliche Wunde fing bereits
an zu verharrschen, als ich vierzehn Tage darauf mit meinem Vater nach
Kopenhagen ging. Zufälligerweise begegneten wir dem Mädchen mit dem
Hunde unter dem Arm. Kaum sieht sie mein Vater, so geht er ihr gerade
auf den Leib, und mit den Worten: »Ei du Canaille! hast Du meinen Hund
da?« faßt er den kleinen Present ganz ruhig in den Nacken und reicht
mir die Beute. Mehr Worte wurden nicht gewechselt. Aber mit welchem
Entzücken ich den Hund nach Hause trug, und mit welcher Freude wir
empfangen wurden, läßt sich nicht beschreiben.

                    *       *       *       *       *

Ernster, aber doch nicht so schlimm, wie sie hätte werden können, ist
die zweite Geschichte: Ich kam eines Tages den beiden großen Doggen,
die im Hofe angekettet waren, zu nahe. Der eine biß mir ein Stück aus
dem Aermel und die Spur seiner Zähne saß in meinem Arm. Kaum sah meine
Mutter dies, als sie die Wunde sorgfältig auswusch; darauf ging sie zum
Wächter und sagte: »Er schießt mir gleich den Hund todt!« -- »»Gott
bewahre, Madame, das ist ein königlicher Hund, von großer Seltenheit,
ein Geschenk von einem vornehmen Herrn für das Schloß, das wage ich
nicht.«« »Er schießt mir gleich den Hund todt,« fuhr meine Mutter
fort, »jetzt fehlt ihm Nichts, aber er könnte vielleicht toll werden;
er hat meinen Sohn gebissen und ich muß für die Rettung meines Kindes
sorgen. Das Kind einer Mutter ist mehr werth, als ein Hund. Ich nehme
Alles auf mich!« -- Der Hund wurde erschossen, und die Eigenmächtigkeit
nicht gemißbilligt, obgleich die mütterliche Sorge ohne Zweifel eine
übertriebene Vorsicht veranlaßt hatte.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Ein Meteor.]

Wenn mein Vater die guten Freunde im Städtchen Friedrichsberg besuchte,
so spielten sie Quadrille, bis wir Kinder in Schlaf fielen, und wir
wurden erst dann wieder geweckt, wenn wir nach Hause gehen sollten. Ich
mußte gewöhnlich die Laterne tragen, und entsinne mich noch eines sehr
kalten dunkeln Winterabends, wo wir durch den Garten zum Schloß gingen.
Plötzlich wurde es ganz hell, ein schöner Mond schwebte langsam über den
Himmel dahin und verschwand. Meine Kniee zitterten, ich glaubte der Mond
sei herabgefallen und ich wunderte mich darüber, daß mein kleines Licht
in der Laterne noch brenne. Nun erzählte mein Vater mir allerlei von
Sternschnuppen und Nordlichtern, was er in »Gottsched's Weltweisheit«
gelesen hatte. Ich habe später nie ein so großes und schönes Meteor
gesehen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Kunsteindrücke.]

Im Winter 1789 wurde unsere einförmige Lebensart eines Nachmittags
unterbrochen, indem mein Vater und ich mit dem besten Freunde meines
Vaters Winckler im Schlitten nach Kopenhagen fuhren, um die Illumination
zu sehen, welche auf Veranlassung der Rückkehr des Kronprinzen aus
Norwegen veranstaltet war. Ich wunderte mich über all' die Lichter in
der großen Stadt und glaubte mich in die Feenmährchen Tausend und einer
Nacht hin versetzt. Ich bildete mir sogar ein, daß der Schnee auf den
Straßen, dem die vielen Lichter einen gelben Schimmer gaben, Sand sei,
der auf das Pflaster gestreut war, um das Fest zu schmücken. Noch mehr
wunderte ich mich im nächsten Jahre beim Einzuge über all' die schönen
Sinnbilder und Ehrenpforten.

                    *       *       *       *       *

Ich ging übrigens nicht auf Rosen in meiner Kindheit, denn meine
Eltern waren arm und litten an Nahrungssorgen. Dazu kam, daß meine
jüngste Schwester Christine Marie mit einem Wasserkopf geboren wurde,
und fünf Jahre in der Wiege lag, ehe sie starb, mit einem Körper
wie ein Säugling, und einem Kopfe, größer als der eines erwachsenen
Menschen. Ueber dieses große Unglück verfiel meine Mutter in eine
tiefe Melancholie und war endlich für uns Alle und für sich selbst
verloren. Aber der kindlich leichte Sinn tröstete mich, ich eilte
rasch von dem Drückenden hinweg zu dem Schönen, wo ich mich meinen
Träumereien hingab, die als Dichterknospen in der Phantasie des Knaben
keimten. Das herrliche Schloß mit seiner gesunden frischen Luft, mit
seiner schönen Aussicht vom Berge, seinem lustigen Menschengewühl im
freundlichen Garten, seiner romantischen Einsamkeit in dem stillen,
dunkeln, hüglichen Südfeld, Architectur und Malerei entzückten mich. Ich
studirte die Bilder aus dem Schlosse täglich. In der kleinen Galerie
machten die schönen Italienerinnen einen tiefen Eindruck auf mein Herz.
Die Römerin in Bauerntracht, welche sitzt und näht; die Schöne, welche
von der Maskerade mit der Maske unter dem niedlichen dreieckigen Hute
kommt; die Blondine mit dem purpurfarbenen Mieder; die Schöne mit dem
Tuche über dem Haar, und der schlanken Gestalt in dem grünen geschnürten
Seidenkleide u. s. w. Als Gegensatz hing dort der starke Gustav Adolph
mit seinem ehrlichen derben Rittergesicht. Auf den Plafonds sah ich die
griechischen Götter; hier saßen sie alle bei der Tafel, dort fuhr
Juno mit ihren Tauben, hier kamen Venus, Thetis, Neptun, Merkur zum
Jupiter. Dort floh der finstere Haß mit den Fackeln in den Händen vor
dem Frieden. Die herrliche Copie von =Lorenzen= nach einem von Rubens
Meisterstücken, wo sie das Weib zu Jesus bringen, welcher sagt: »Wer
sich ohne Schuld unter Euch fühlt, der werfe den ersten Stein auf sie,«
machte besonders einen außerordentlichen Eindruck auf mich, und macht
ihn noch jetzt. Nie habe ich seitdem ein Gesicht von Jesus gesehen,
das mir ihm so sehr gleichen zu müssen schien, wie dieses. Dies Gefühl
kommt wohl daher, daß ich ihn so zum ersten Male gemalt sah; aber der
Kopf Jesu in diesem Rubens'schen Gemälde ist auch voll großer Schönheit,
Adel, Klarheit, Milde, Verstand und Gefühl. Das kastanienbraune Haar
ist vielleicht etwas zu röthlich, das Gesicht etwas zu sanguinisch
blühend; es fehlt das tief Mystische, das eigentlich Göttliche! aber
=wer= könnte das auch wiedergeben? könnte es wohl selbst =Raphael=?
könnte es =Thorwaldsen=? -- Ich stelle diesen Jesuskopf von =Rubens=
über den strafenden Jesus des =Giovanni Bellini= in der Dresdner
Galerie, von =Carlo Dolci's= süß sentimentalem Christus nicht zu reden.
Der Pharisäer und Saducäer Rubens, sind im höchsten Grade meisterhaft;
welche vortreffliche Composition ist das Ganze! Der Pharisäer in der
goldbrokatenen Kopfbedeckung mit dem prächtigen Bart, ein höchst
merkwürdiges Gesicht! Man sieht, daß es ein Mann ist, der es vermag, die
Ansichten seiner Zeit mit Energie zu beherrschen, und ihre Vorurtheile
zu befördern. Man liest Bosheit, Strenge, Grausamkeit, Frechheit in dem
verzogenen Lächeln, in den starrenden, tückischen Augen! Und nun der
Saducäer -- der nicht an die Unsterblichkeit glaubt, und deshalb seinen
Körper recht gemästet hat, bevor die Würmer ihn verzehren; mit gemeiner
phlegmatischer Ruhe blickt er auf Jesus; aber heimtückischer Zorn über
das Ideale, das Göttliche, das sich geltend zu machen wagt, schwebt auch
auf seinem feisten Antlitz. Auch die Sünderin ist gut; die Lust, welche
Rubens hatte, blühende Weiber zu malen, war hier an ihrem Platze. Sie
schämt sich; ihr Gesicht ist halb verborgen; schöne Züge, welche die
Fülle bereits zu verwischen beginnt, zeugen von einem Weibe, das mehr
Körper als Seele ist. Es ist nicht Reue, sondern nur Verschämtheit, die
sich bei ihr äußert. Der Vater, der ihr gleicht und neben ihr steht,
hat ihr bereits vergeben. Der Erlöser zeigt ihr auch keine besondere
Aufmerksamkeit, sondern nimmt nur von ihren Verhältnissen Veranlassung,
eine allgemeine Lehre für den Menschen zu entwickeln, indem er sie von
einem entsetzlichen Tode rettet. -- Was Wunder, daß ein solches Bild
einen großen Eindruck auf meine kindliche Phantasie machen mußte? Ich
machte durch dieses zuerst Bekanntschaft mit der religiös-historischen
Malerei, und nach Allem, was ich später Herrliches und Großes in fremden
Galerien gesehen habe, kehrt die Erinnerung doch oft dankbar zu Dem
zurück, welches mir den ersten Eindruck gab.

                    *       *       *       *       *

Die herrlichen Landschaften von =Poulsen=, welche in demselben Saale
hängen, wirkten auch stark auf mich ein. Ich lernte aus ihnen zuerst
=Norwegen= kennen. Besonders stand ich immer staunend und betrachtete
den schäumenden Sarp. Der Weg an den jähen engen Felsenklüften entlang,
wo ein Pferd die Cariole hinunterzieht, indem es mit den bis zur Erde
eingebogenen Hinterbeinen hinabgleitet, gefiel mir ganz besonders. --
Fügte ich nun die Vorstellungen, welche mir diese Gemälde erweckten
mit dem norwegischen Hause im Südfelde zusammen, das ich täglich
besuchte, so bekam ich keinen ganz schlechten Begriff von Norwegen,
wovon ich mich viele Jahre später überzeugte, indem ich das Original mit
meiner kindlichen Vorstellung verglich. -- Ein Bild in dem sogenannten
Rosen- oder Maskeradensaal beschäftigte mich auch sehr. Dort sitzt ein
berauschter junger Herr, mit weißseidenen Pantalons, einem Ritterhute,
und einem Lächeln im Gesichte, das der Rausch fast zur Maske verwandelt,
obgleich er die Maske abgenommen hat. Er hat ein großes Glas Rheinwein
in der Hand, das er im Begriff ist zu verschütten. Ihm zur Seite stehen
nüchterne Musikanten, die für's Brod arbeiten, während er trinkt. Der
Türke (wahrscheinlich Friedrich IV.) lüftet die Maske der schönen Türkin
etwas, mit der er neben mehreren anderen Schönen spricht. Wenn ich in
meiner stillen Winterruhe ein Mal ein recht munteres Freudenfest mit
glänzendem Gewimmel aller Stände haben wollte; -- so ging ich blos in
den Maskeradensaal hinauf, und stand und starrte dort empor, bis mir der
Nacken steif wurde; -- dann hatte ich mir ohne die geringsten Kosten das
prächtigste Fest angerichtet.

                    *       *       *       *       *

Malerei und Musik trugen früher, als die Poesie dazu bei, meinen
Dichtergeist zu wecken. Das Altarbild in der Schloßkirche und die
Gemälde in der Friedrichsberger Kirche versetzten mich in die heilige
Geschichte. Ich sah Christus als schönes, reines Kind vor den heiligen
drei Königen und sah den entseelten Körper des Erlösers, vom Kreuz
herabnehmen und einwickeln von den treuen Hinterbliebenen. Oben in den
vergoldeten Wolken lag phantastisch das Lamm mit der Fahne auf dem Buche
mit den sieben Siegeln. Durch ein kleines Schiff, welches in der Kirche
zum Andenken an einen dort begrabenen Seemann hing, bekam ich den ersten
Begriff von der Einrichtung eines Schiffes.

                    *       *       *       *       *

Die Musik wirkt mächtig auf das kindliche Gefühl ein, und ich hatte
Musik von jeder Art; von Pfeifen und Trommeln der Leibgarde an, bis
zu den frommen heiligen Tönen der zwei Orgeln. Die Tafelmusik konnte
ich jedesmal hören. Die Blaseinstrumente waren höchst unterhaltend,
aber wenn zuweilen Concert war, und das Saitenspiel dazu kam, so
wurde es erst ein rechter Genuß. So hörte ich zeitig schon viele gute
Compositionen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Unser Prediger.]

Und die Töne vermischten sich dann auch mit der Poesie. Unsere Mädchen
sangen altnordische Heldenlieder; in der Kirche sang ich selbst Psalmen.
Manches lustige Gesellschaftslied hörte ich, wenn Fremde bei meinen
Eltern waren. Bei solchen Gelegenheiten kam zuweilen ein Canalinspector
zu uns, der =Schiött= hieß, ein lustiger, aufgeweckter Mann, der
im Stande war, einen ganzen Kreis zu beleben. Ein Mann, der meine
Aufmerksamkeit auch sehr auf sich zog, war unser Prediger, Dr. später
Prof. =Schmidt=. Sein Buch über die »Bestimmung der Thiere« las ich mit
großer Freude, als ich es später einmal als Prämie in der Schule bekam.
Wir hatten vorher einen sehr ernsten und stillen Prediger, Herrn =Bruun=
gehabt; gegen ihn stach Schmidt sehr durch sein geniales Wesen ab. Er
predigte vortrefflich und begeisterte die Gemeinde; aber er scheute
sich auch nicht, in gesellschaftlichen Stunden der Freude, ja sogar der
unschuldigen Ausgelassenheit zu huldigen. So mußte mein Vater, wenn er
Schmidt recht amüsiren wollte, ihm folgende deutsche Weise vorsingen:

                   Ich wollt' um tausend Thaler nicht,
                   Daß mir der Kopf ab wär';
                   So lief ich mit dem Rumpf herum,
                   Säh' Niemand, wer ich wär'.
                   Wenn ich kein Geld zum Saufen hab',
                   So geh ich und schneid' Besen ab;
                   Und lauf' die Straße auf und ab,
                   Und rufe, kauft mir Besen ab!
                   Damit ich Geld zum Saufen hab'.

                    *       *       *       *       *

Von den lustigen Einfällen des Canalinspectors Schiött entsinne ich mich
nur eines; aber er konnte fast nicht den Mund aufmachen, ohne etwas
Possirliches zu sagen. -- Er suchte ein Mal um eine Zulage zu seiner
Gage beim Kronprinzen nach. Dieser sagte im Scherz zu ihm: »Ei was,
Schiött, Sie haben keine Noth, Sie gehen ja mit seidenen Strümpfen in
den Halbstiefeln.« »»Nehmen Sie sich in Acht, Ew. königl. Hoheit,«« --
rief Schiött -- »»es sind, hol' mich der Teufel, keine Socken an den
Schäften.««

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Sommergenüsse.]

Im Sommer war es immer ein Festtag für mich, wenn mein Vater mich mit
auf den sogenannten =Entenhügel= im Friedrichsberger Garten nahm,
um Stachelbeeren zu pflücken. Wir hatten nur zwei Stachelbeerbüsche
in unserm kleinen Garten, und trotz der jährlich wiederkehrenden
Sehnsucht nach Stachelbeeren, fiel es meinem Vater doch nie ein,
welche zu pflanzen. Aber auf dem Entenhügel wuchsen sie in Menge, da
Keiner hinüberkommen konnte, der nicht den Schlüssel zur fliegenden
Brücke hatte. Hier bekam ich die schönsten Stachelbeeren in Masse.
Schlimm dagegen ging es mir ein ander Mal. Ich hatte von meiner Mutter
nie Erlaubniß, auf eigene Hand weiter, als bis an die Grenze des
Schloßberges zu gehen. Eines Tages, als ich auf einer Bank saß, kam der
Hofgärtner =Petersen= vorbei und sagte: »Adam, willst Du Stachelbeeren
haben?« -- »»Ja, gern.«« -- »Dann komme mit!« Ich folgte ihm den Berg
hinunter in den Fruchtgarten hinein, wo er mir das herrlichste Bouquet
Stachelbeerzweige, voll der schönsten Früchte, abschnitt. Mit diesem
Strauß stürzte ich froh den Berg hinauf und nach Hause, um ihn meiner
Mutter zu zeigen. Aber ach! das Stachelbeerbouquet hätte mich durch
seine Ruthenform warnen sollen! Meine Mutter war in tödtlicher Angst
wegen meiner Entfernung gewesen. Ich bekam die Ruthe! Nach überstandener
Strafe und getrockneten Thränen setzte ich mich ganz getrost auf die
Thürschwelle beim Bogengang hin, und pflückte meine Stachelbeeren von
den Zweigen, so lange noch eine daran war.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Vogelschießen.]

Eines lustigen Festes entsinne ich mich aus meiner frühen Kindheit,
wo es mit mir leicht ein trauriges Ende hätte nehmen können. Es war
bei einem Vogelschießen im Südfelde. Diese Schützengesellschaft hatte
ihren Anfang unter den Küchenjungen gefunden, die Erlaubniß bekommen
hatten, auf dem Küchenhofe mit Armbrüsten nach einem an die Planke
befestigten Vogel zu schießen. Nun darf man unter den Jungen in der
königlichen Küche nicht eben kleine Jungen verstehen, sondern dies
waren Männer, die sich mehre Male in der Woche rasiren ließen. Einige
unter ihnen waren verheirathet und hatten selbst Kinder. Die Benennung
stammte aus alten Zeiten her. Diese jüngeren königlichen Köche hatten
also jene Gesellschaft gegründet; die älteren nahmen daran Theil; unter
ihnen waren einige, welche Aide-Köche hießen, Mundköche (die doch
nicht die einzigen waren, welche für den Mund kochten), und auch der
Küchenmeister, der Vornehmste, von dem ich in meiner kindlichen Einfalt
nicht begriff, wie er nicht eben so vornehm, wie der Stallmeister sei,
da er doch für Menschen und dieser nur für Pferde sorgte. Als diese
Honeratioren hinzu kamen, nahmen auch die anderen Hofofficianten daran
Theil: der Conditor, der Kammer- und Hoffourier, der Hofschreiber, der
Silbermeister, der Kammerdiener und der Kammerlakai. Der Schloßverwalter
und mein Vater kamen auch dazu. Nun erhielt die Gesellschaft Erlaubniß,
im Südfelde zu schießen. Aber es währte nicht lange, ehe das in seiner
Entstehung Geringe zu größerer Pracht überging, was leicht begreiflich
ist, wenn man weiß, daß der Hoftapezirer, der auch in der Gesellschaft
war, die Erlaubniß erhielt, auf königliche Rechnung Zelte aufzuschlagen.
Die Köche und der Conditor lieferten kalte Küche und Confect. Beinahe
hätte ich vergessen -- der Mundschenk, der über den Wein verfügte, war
auch dabei. Jeder suchte nach besten Kräften zu den Bedürfnissen der
Gesellschaft beizusteuern. Jeder dachte, so wie der Wachtmeister im
Wallenstein:

                 Ging es nicht aus seinen Kassen,
                 Sein Spruch war leben und leben lassen.

In der glänzenden Periode dieser Gesellschaft waren die Stifter
bescheiden ausgetreten, während die Hofcavaliere sie mit ihrem Besuch
beehrten und einzelne Schüsse thaten, so wie die Mitglieder der
königlichen Familie in der dänischen Brüderschaft im Schützenhause. Zwei
vortreffliche, starke Armbrüste, die mit einer Maschine gespannt werden
mußten, vertraten den Büchsendienst, denn mit Pulver und Blei durfte im
Südfelde nicht geschossen werden. Mit klingendem Spiele zog nun der Zug
aus -- und wenn man hört, daß gerade mein Vater Schützenkönig war, und
mit einem grünen Band über dem Fracke voran ging, so kann man begreifen,
welchen Eindruck dies auf uns Kinder machen mußte; wir waren auch
geputzt und kurz bevor der Zug eröffnet wurde, nahm ich meine Schwester
in einen Winkel und sagte: »Hör' mal, Sophie, weißt Du was, wenn unser
Vater König ist, so müssen wir ja Prinz und Prinzessin sein.« »»Ja««,
sagte sie, »»das ist wohl nicht anders möglich.«« Indessen nahmen wir
uns vor, durchaus nicht hoffährtig zu werden, sondern alle mögliche
Herablassung gegen die anderen Kameraden zu zeigen, die das Schicksal
nicht so hoch, wie uns gestellt hatte. Ob mich nun diese Prinzengedanken
zerstreut machten, oder dies ein paar Blumen im Grase waren, welche ich
pflücken wollte, genug, ich vergaß Alles, kroch unter der Schnur weg und
wollte gerade auf die entgegengesetzte Seite hinüberspazieren, als ein
eisenbeschlagener Bolzen, wie ein Vogel an meinem Kopfe vorübersauste.
»Herr Jesus, mein Kind!« schrie meine Mutter, welche auf einer Bank
in der Nähe bei einem Zelte saß. -- Mich hatte es nicht erschreckt,
ich kam laufend mit Blumen in der Hand, und glaubte nur, ich solle
ausgezankt werden, weil ich unter der Schnur hinweggekrochen war. Ein
theilnehmender Freund brachte mir eine Tasse Eis aus dem Zelt, um
mich meinen Schreck vergessen zu machen, den ich gar nicht empfunden
hatte. Und während meine Mutter ihre Augen trocknete, und sie dankbar
zum Himmel erhob, aß ich ganz gleichgültig mein Eis, und konnte nicht
begreifen, worüber sie so gerührt war.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Ein Volksfest.]

Aber von einem wirklich großen Volksfeste war ich Zeuge, ohne doch noch
seine Bedeutung zu verstehen, als der Kronprinz Friedrich den Grundstein
zur Freiheitssäule vor dem Westthore legte. Es war ein ungeheures
Menschengewimmel, und ich konnte nicht begreifen, warum der Prinz an dem
Tage, wie ein Handwerksgeselle mit Kalk und Steinen mauern solle. --
Es erfreute meine kindliche Phantasie, die Säule sich erheben und mit
den schönen Statuen geschmückt werden zu sehen. Ich hatte bereits eine
dunkle Idee von der Kunst.

Ein herrlicher Mann, ein Freund meiner Eltern, besuchte uns häufig und
sprach oft, besonders mit meiner Mutter, von Aehnlichem. Das war der
Baumeister Professor =Harsdorf=. Ich sehe ihn noch, den freundlichen
Greis in seinem grauen Rocke und mit dem dreieckigen Hute, mit dem
spanischen Rohre in der Hand, kleine Locken an den Ohren und einem
kleinen Zopf im Nacken. Ich entsinne mich daß er oft, aber milde und
geduldig, über Schmerzen in der Seite klagte. Er schenkte meinen
Eltern einige Kupferstiche für ihr Zimmer, die vier Jahreszeiten, mit
französischen Versen darunter, und _la bonne femme de Normandie_ von
Ville. Ich habe sie geerbt und besitze sie noch. --

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Eine Räubergeschichte.]

Nachts schlief ich in dem Bette meines Vaters, wo er mich, ehe wir
einschliefen, oft schalt, weil ich so unruhig lag. Diese Unruhe wuchs,
je älter ich wurde, mein ganzes Leben hindurch. Ich manövrire die ganze
Nacht mit den Decken, wie ein Seemann mit seinen Segeln; bald sind es zu
viele, bald zu wenige. Doch stört dieses häufige Bewegen und Aufwachen
durchaus nicht meine gesunde Ruhe; ich schlummere gleich wieder ein.
In einer Nacht, als ich meinen Vater durch dieses Hin- und Herwerfen
geweckt, meine Schelte bekommen hatte, und nun darauf lauerte, wie ich
mich bald wieder unbemerkt umdrehen könnte -- hörten wir, daß fern im
Schlosse eine Fensterscheibe eingeschlagen wurde. Es war eine kalte
Herbstnacht. Die beiden alten Wächter lagen ziemlich fern von uns und
sie waren, nebst zwei Hunden, die ganze Besatzung der Festung. Mein
Vater fühlte nicht die Verpflichtung im bloßen Hemde hinauszulaufen,
um sich mit Räubern herumzuschlagen, wenn dergleichen da wären. Dies
war auch ohne Beispiel, und er glaubte, sein Ohr habe ihn getäuscht. In
diesem Glauben bestärkte ich ihn, obgleich ich selbst es auch gehört
hatte, und -- wir legten uns in Gottes Namen wieder ganz ruhig hin,
um einzuschlafen. -- Am nächsten Morgen entdeckten wir, daß, ganz
richtig, ein Einbruch in die Schloßkirche Statt gefunden habe. Ein Dieb
hatte eine der Fensterstangen ausgebrochen, seine Leiter an die Kirche
gestellt und einen großen, massiv silbernen Altarleuchter gestohlen.
Mein Vater eilte gleich zur Stadt und gab dies vor dem Oberhofmarschall
und dem Polizeidirector an. Allen Goldschmieden in der Stadt wurde es
bei Zeiten mitgetheilt. Es währte nicht lange, so kam ein Soldat und
wollte ein großes Stück Silber an einen Goldschmied verkaufen. Er wurde
festgehalten und gestand gleich, daß er den Leuchter in der Sandgrube im
Südfelde beim Norwegischen Hause verborgen habe. Nur das eine Stück war
abgeschlagen. Der Leuchter wurde wieder in Stand gesetzt, und mit dem
andern in Verwahrung gebracht.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Kindlicher Stolz.]

Ungeachtet meine Eltern sehr mäßig lebten, so kamen im Sommer doch viele
Leckerbissen aus der Küche und Conditorei des Königs zu uns. Wir bekamen
oft Eis in kleinen schönen Porzellanschalen. Es vergingen viele Jahre,
ehe ich wußte, daß solches Eis eigentlich kalt sein müsse, da ich es
früher immer zerlaufen wie Brei bekommen hatte. Es ging mir mit diesem
Eis fast wie viele Jahre später mit Schlegel's Shakespeare; die Jamben
wollten mir im Anfange nicht recht munden, weil ich vorher daran gewöhnt
war, den Shakespeare in der Wieland'schen und Eschenburg'schen Prosa zu
lesen.

                    *       *       *       *       *

Die hübsch gekleideten Pagen, welche ihre Schule mir gegenüber in dem
andern Bogengang hatten, und in ihrer prächtig rothen Tracht, mit
gelben Unterkleidern, weißseidenen Strümpfen und Goldtressen jeden Tag
zur Tafel hinaufgingen, interessirten mich sehr; aber sie imponirten
mir nicht. Die stolze Adelsmiene, die sich in meiner Kindheit noch oft
zeigte, entdeckte ich auch in dem Gesicht einiger dieser Knaben, und
sie erbitterte mich. So lange ich denken kann, war es mir unmöglich,
Geringschätzung zu ertragen; sie konnte mich fast rasend machen, bis ich
ihr im reiferen Alter erst mit Spott und dann mit christlicher Geduld zu
begegnen lernte.

Meine Mutter sagte einst, ich könne mit den Pagen wohl auch einmal
spielen, wenn sie es wollten. »Kann ich denn auch =Du= zu ihnen sagen?«
fragte ich. »Nein, das geht nicht.« -- »Dann will ich auch nicht mit
ihnen spielen.« --

Einmal hatte einer dieser Pagen Lust bekommen, meines Vaters Garten zu
besehen und fragte mich, ob er mit hineingehen dürfe. Ich antwortete
gleich Ja; mit vieler Freundlichkeit führte ich ihn umher und erzählte
ihm ein Weites und Breites von dem kleinen Garten. Er maß mich mit einem
vornehmen Blick, und fing an, von den Herrlichkeiten seines Vaters zu
sprechen; ein Wort gab das andere, er wollte seinen Rang geltend machen,
und ich gab ihm einen Hieb über den Rücken, mit dem er seiner Wege ging
und mich bei den Anderen verklagte. Ich ging nach Hause. Es währte nicht
lange, so kam der älteste Page in seinem vollen Staate, bevor er zur
Tafel ging, in unser Zimmer, klagte mich an und bat meinen Vater, den
ungezogenen Jungen im Zaum zu halten, der jungen Adeligen nicht den
schuldigen Respekt erweise. Ich stand im Winkel, schwieg ganz still, und
dachte, was soll daraus werden? Aber wie sehr erleichterte es mein Herz,
als mein Vater sagte: »Ja, mein junger Herr! darauf kann ich mich nicht
einlassen; geben Sie sich mit meinem Sohne ab, so müssen Sie auch mit
in den Kauf nehmen, was daraus folgt. Ich weiß nicht, wer Recht und wer
Unrecht gehabt hat.« Damit ging der Page, und als mein Vater hörte, daß
der Hieb als Strafe für Mangel an schuldiger Achtung vor seiner eigenen
Person gegeben war, so hatte er Nichts weiter dagegen einzuwenden.

                    *       *       *       *       *

Zu den Lehrern der Pagen gehörte auch der Dichter =Samsöe=; aber ich
kann mich durchaus nicht erinnern, ihn jemals gesehen zu haben. Ich
ahnte nicht, daß mir gegenüber der Dichter wohnte, der mich einige Jahre
darauf durch seine Tragödie Dyveke hinreißen würde. Und Samsöe ahnte
eben so wenig, daß der kleine Junge, der da drüben spielte, nach ihm
Tragödien schreiben würde.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Bernd Winckler.]

Der Spielkamerad, mit dem ich am meisten umging, war =Bernt Winckler=,
aber es war nicht Sympathie, die uns vereinigte; unsere Charactere und
gewöhnlich auch unsere Ansichten waren äußerst verschieden, was auch
die Ursache war, daß wir im Jünglings- und Mannesalter fast ganz aus
einander kamen, obwohl wir gegenseitig stets unsere guten Eigenschaften
achteten, und die Erinnerungen der Kindheit nicht selten unsere Gefühle
verschmolzen. Sein außerordentlicher Witz, sein vorzügliches Gedächtniß
und der bestimmte eigenthümliche Charakter übten ihre Macht auf mich
aus; ich war unendlich gern in seiner Gesellschaft und wir vergnügten
uns immer prächtig, so lange unsere Geister ruhig und friedlich auf
einander einwirken konnten. Aber wenn er mich neckte, und wenn ich
hitzig wurde -- so war die Freundschaft für den Tag unterbrochen. Ich
äußerte meine Gefühle stark, und wurde ungeduldig, wenn ich keine
Sympathie fand; er kritisirte mich immer, und wenn ich Bitterkeit in der
Kritik zu finden glaubte, -- so wurde ich auffahrend und wägte nicht
länger meine Worte ab. Aber ich schrieb ihm gleich Versöhnungsbriefe.
Das Erste, wenn wir uns wieder sahen, war meine Frage: »G. oder F.?«
(Gutfreund oder Feind?) Und wenn er zuweilen kalt antwortete: »F.«, so
ließ ich mich doch nicht abschrecken, sondern ruhte nicht eher, als bis
ich ihn durch Freundlichkeit wieder gewonnen hatte. -- Wir haben gewiß
einen viel größeren Einfluß auf einander gehabt, als wir selbst wissen;
denn indem wir beständig disputirten und mehrere Jahre hindurch uns
unablässig Briefe schrieben, übten wir Mund und Feder.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Meines Vaters Umgang.]

Der Umgang meines Vaters in Friedrichsberg bestand aus Winckler's Vater,
dem alten Oberlandsinspector Berner, Hunäus, Dr. genannt, eigentlich
nur Chirurg, und zuweilen dem Bäcker Kamphövener. Der alte Winckler
war ein rüstiger, flinker, großer, hagerer Schwede, ernst in seinem
Benehmen, munter und zufrieden in seinem Gemüth. Er war Gärtner gewesen,
stand sich sehr gut, hatte Feld bei seinem Hause, einen prächtigen, gut
gepflegten Garten, und wirthschaftete immer fleißig als Gärtner und
Landmann. Er war ein großer Oekonom, und so sparsam und ordentlich,
daß er, um ein einziges Beispiel anzuführen, eine Stecknadel in seinem
Hemdkragen trug, die er viele Jahre eben so sorgfältig aufbewahrt
hatte, wie ein Anderer seine Diamantbusennadel. Er bewohnte ein kleines
unansehnliches Haus; aber es erfreute mich sehr, das Friedrichsberger
Schloß mit Winckler's kleinem Zimmer zu vertauschen, wo Norcros und
Drackenberger im Kupferstich über dem Büreau, besonders der Erste mit
seinem langen Bart, im Gefängniß mit seinen Mäusen spielend, stets meine
Aufmerksamkeit auf sich zogen. Der alte Winckler erzählte gern von
Drackenberger, der ein sehr hohes Alter erreicht hatte, und er ahmte
ihm in sofern nach, als er selbst 92 Jahre alt wurde, und das Jahr vor
seinem Tode eben so schnell von Friedrichsberg nach Kopenhagen ging,
wie 50 Jahre vorher. Er las gern komische Romane, besonders Tom Jones
und Siegfried von Lindenberg waren seine Lieblingslectüre. Mein Vater
war vielseitiger und gebildeter; er war witzig und lärmend lustig, wenn
Winckler ganz ernst dasaß; aber mein Vater liebte auch das Rührende und
Schilderungen aus dem höhern Leben. Diese zwei Männer hatten einander
sehr lieb, und die Freundschaft hielt sich so lange, wie sie zusammen
lebten. Ich entsinne mich eines hübschen Zuges in dieser Beziehung vom
alten Winckler. Mein Vater spielte oft als Organist bei Begräbnissen;
Winckler, der einige Jahre älter, als er war, sagte einmal zu ihm: »Wenn
ich sterbe, sollen Sie nicht für mich spielen; Sie sollen mich dann
zum Grabe geleiten.« Aber es geschah nicht; der Aeltere geleitete den
Jüngeren zum Grabe.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Ideosynkratie.]

Wenn unsere Eltern zusammen kamen und Quadrille spielten, waren der alte
Berner und Hunäus der dritte und vierte Mann, wenn nicht Madame Winckler
und meine Mutter eine Partie mitmachten; Berner wohnte neben Winckler.
Der alte Oberlandsinspector war ein reicher Mann, ebenso wie letzterer;
er besaß ein großes Haus, einen großen Garten, und wurde, da er auch
der Aelteste war, stets mit einer gewissen Ehrerbietung von den Anderen
behandelt. Er war ein kleiner, stiller, feiner Mann. Ich entsinne mich
nicht, daß er jemals ein Wort mit mir gesprochen hätte. Hunäus war mit
einem Verwandten seiner Frau verheirathet. Dieser war ein lustiger,
humoristischer Mann. In jüngeren Jahren war er Schiffsarzt gewesen und
nach Westindien gefahren. Jetzt hatte er ein Haus auf Friedrichsberg
mit Feld und einem großen schönen Garten, und lebte theils von seinem
Grundstück, theils von seiner Praxis, denn er war Arzt des Städtchens.
Wenn er Einladungen für den alten Berner zu einer Quadrillepartie
schrieb, so nannte er ihn stets Admiral, die Andern Capitains, und
diese wurden dann von ihren Fregatten aus das Admiralschiff geladen. Er
kam selten nach Kopenhagen, aber wenn er's that, so besuchte er gern
einige alte westindische Freunde, wo dann alter Madeira zum Frühstück
aufgetragen wurde; wenn er von da zurückkam, war er noch ein Mal so
lustig, als gewöhnlich, und dann hieß es: der Doctor ist in der Stadt
gewesen.

                    *       *       *       *       *

Ich hatte ihn sehr lieb, obgleich er mir zuweilen Kinderpulver gab. Eine
eigene Geschichte muß ich in Bezug auf dieses Kinderpulver erzählen,
da sie von psychologischem Interesse ist. Mein Vater hatte vom Gärtner
Petersen »Malling's große und gute Handlungen einiger Dänen, Norweger
und Holsteiner« geliehen, theils um das Buch selbst kennen zu lernen,
theils um mich nach all' den Mährchen, Romanen und Schauspielen, die ich
verschlang, etwas Nützliches lesen zu lassen. Aber ein unglückseliger
Umstand machte, daß viele Jahre vergingen, ehe ich an diesem, in
mancher Beziehung vortrefflichen Werke Geschmack finden konnte. Ich
entsinne mich noch, wie gestern, daß es in einem grünen Bande Morgens
auf dem Tisch lag, wo Thee nach der neuen Mode getrunken wurde, nämlich
mit Butterbrot dazu, was Petersen bei uns eingeführt hatte und uns
eine herrliche Erfindung schien. Aber an diesem Morgen bekam ich kein
Butterbrot; denn ich hatte Kinderpulver eingenommen. Das Pulver lag
neben den großen und guten Handlungen; es war Etwas davon aufs Buch
geschüttet worden; als ich dies in die Hand nahm, roch es in seinem
grünen Einbande so stark nach Medicin, wie ein Patient in seinem grünen
Schlafrock im Friedrichshospital; und ich warf es von mir. Es vergingen
mehre Jahre, ehe ich mich dazu zwingen konnte, es zu lesen, und ehe
der innere Geruch des Kinderpulvers aus »Malling's großen und guten
Handlungen« verging.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Ewald und Wessel.]

Der Gärtner Petersen lieh uns auch Ewald's und Wessel's Schriften.
Besonders die Kupfer in diesen Werken waren es, die meine
Aufmerksamkeit zuerst anzogen. Mit Bewunderung betrachtete ich Ewald's
Bild. Er sah krank und arm aus und ich erstaunte darüber, daß all' die
schönen Dinge aus der Krankenkammer eines so unglücklichen Schwächlings
gekommen sein sollten. Er sah gefühlvoll, gedankentief und freundlich
aus. Die Haare waren, wie bei einem Bauer, von der schönen Stirn nach
hinten gestrichen. Nun öffnete ich das Buch und fand mich plötzlich
in das Paradies versetzt, das ich aus Madame Bergau's und des Küsters
Schule sehr gut kannte. Es war mir sehr lieb, die nähere Bekanntschaft
der Engel zu machen, denn ich hatte noch keinen rechten Begriff von
ihnen gehabt. Nun sah ich sie, freundlich oder zürnend, mit Blitzen und
Wolken in den Abildgaard'schen Zeichnungen. Ein kleines Versehen fand
Statt, da wo Adam eilends herbeiläuft, um Eva an dem Essen des Apfels
zu hindern; ich glaubte nämlich, weil er so wild und rasend aussah, mit
hoch erhobenen Händen fechtend, daß es der Satan sei, bis ich besser
unterrichtet wurde. Der liebe Harlequin, den ich so gern mochte, und
im Thiergarten neben Kasperle sah, waren auch hier. Die Bataille auf
dem Fußboden mit dem Schreiber war gerade nach meinem Geschmacke. --
Der Herausgeber macht eine Entschuldigung, daß =Chodowiecki= das Stück
mißverstanden, und Harlequin in seiner Harlequinstracht dargestellt
habe; dies konnte ich natürlich nicht verstehen, und habe es auch
später nicht verstanden. Ein Stück wie Ewald's Harlequin der Patriot,
welches keine objective Wahrheit enthält, sondern dessen Werth in der
satyrischen Fiction liegt, wo die Hauptperson eine lyrisch-komische
Mythe, kein natürlicher Charakter ist, -- ein solches Stück gewinnt
gerade dadurch, daß Harlequin seine Maske eben so wie in den alten
italienischen Komödien behält.

In Ewalds Rolf Krage öffnete die nordische Sage zum ersten Mal ihre
Grabhügel vor mir, zeigte mir ihre Aschenkrüge und beschwor ihre
Geister herauf. Auch hier waren es zuerst die Bilder, welche meine
Aufmerksamkeit fesselten. Das eigenthümlich Geheimnißvolle in dem Walde
mit den Lusthäusern und den Lampen; die Schildjungfrauen mit dem Helm
und den langen Haaren; der wunderliche barbarische Trotz verbunden mit
dem Gefühlvollen in den Gesichtern.

Wessel's Portrait war nun wieder ganz verschieden von Ewald's; es sah
höchst launig aus, und der satyrische Spott in den starken Augenbrauen,
die sich wie Bogen wölbten um die Pfeile des Witzes abzuschießen, wurde
durch einen gewissen freundlich melancholischen Ausdruck in dem ganzen
Gesicht gemildert.

                    *       *       *       *       *

Winckler zog Wessel, ich den Ewald vor, und wir stritten oft darüber,
wer von diesen Dichtern der größte sei. Ueber Holberg fiel es uns
niemals ein, zu streiten. Uebrigens hatte Winckler stets mehr Sinn für
das Lustige; das Gefühlvolle wollte ihm nicht recht munden, bis er
Lafontaine's Romane las, wo dann das Erotische sich in ihm zu entwickeln
begann. Es war ihm leicht, Etwas lächerlich zu finden, wo man es am
Allerwenigsten hätte erwartet haben sollen. Wenn ich ihn zuweilen mit
hinauf in die königlichen Zimmer nahm, wo wir von einem dunklen Saale
aus unbemerkt die Abendtafelmusik hören konnten, und ich entzückt
über die schönen Töne dastand, amüsirte ihn nichts Anderes, als die
allertiefsten Töne des Fagotts und des Waldhorns, welche ihn durch die
sonderbarste Ideenassociation von der Welt dahin brachten, die Zunge
halb entzwei zu beißen, um nur nicht vor Lachen zu bersten. Endlich
steckte er mich auch damit an, und wir mußten fortlaufen, um nicht
gehört zu werden.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Des Küsters Schule.]

Des Küsters Schule war eine Schule für Straßenjungen, deren es in
meiner Kindheit viele auf Friedrichsberg gab; denn es wohnten daselbst
eine Masse armer Leute, welche in der Fabrik des Meister Collin (der
Vater des noch jetzt lebenden Conferenzrathes) den Spinnrocken traten.
In Flicken und Lumpen mit hölzernen Schuhen kamen diese Jungen in die
Schule, die wie ein Schweinestall aussah, mit ausgetretenem Steinboden
und Tischen und Bänken, wie in dem schlechtesten Krug. Winckler's
älterer Bruder, Henrik, der auch dort hinging, und unser Primus war,
weil er alle Anderen an Jahren und Kräften überragte, schnitt tiefe
Rinnen in die Tische, mit Ausläufen an den Seiten; zuweilen nahm er
dann Bier mit, goß es in die Hauptrinne und nun saßen die armen Jungen
mit dem Munde an den Ausläufen, um etwas von dem Bier zu bekommen,
das er ihnen in dem Troge schenkte. Ich saß oft im Winter auf einer
alten Lade, die in der Nähe des großen Kachelofens stand, und amüsirte
mich damit, den Schnee auf der Platte schmelzen zu lassen, den ich
in der Tasche von der Straße mit hereingebracht hatte. In der Schule
ging unser Präceptor, =Lassen=, oder wenn er abwesend war, der Küster,
Herr =Wiebe= selbst, Beide dick, in Schlafröcken, mit Nachtmützen auf
dem Kopf und langen thönernen Pfeifen im Munde einher. Jeden Sonntag
schrie Herr Wiebe, wie ein Kiebitz, die Psalmen in der Kirche, so daß
mein Vater oft alle Register, bis zum lärmendsten hinauf, welches zur
Ueberschrift Mixtur hatte, ausziehen mußte, um ihn durch die Orgel
zu übertönen. Seiner Gemeinde machte der Küster Besuche in einem
hellgelben Fracke, mit schwarzen Knöpfen. -- Die Evangelien, Psalmen,
Pontoppidan's Erklärung, Schreiben und Cramer's Rechnenbuch waren die
Wissenschaften, die gepflegt wurden; doch lernten Winckler und ich auch
etwas lateinische Grammatik, aber blutwenig. Herr Wiebe schrieb ein Mal
in mein Schreibebuch: _ora et labora_, was beweist, daß sowohl er wie
ich Latein verstand. Wenn der Bischof =Balle= oder der Probst =Bast= zur
Visitation kamen, so wurde die Schule so gut, als möglich geschmückt.
Hier bekam ich zuerst eine Idee davon, was ein Souffleur sei, wenn
unsere Mentors, die außerhalb des Kreises saßen, dessen Centrum durch
den Bischof oder den Probst gebildet wurde, hier und da durch ein
leises In's-Ohr-Flüstern dem schwachen Gedächtniß oder der starken
Unwissenheit zu Hülfe kamen. So entsinne ich mich deutlich, daß, als
der Probst mich einmal lächelnd fragte, was =trockenes Wasser= sei und
ich ihm die Antwort schuldig blieb (Oersted bliebe sie ihm vielleicht
noch heute schuldig) der Küster flüsterte: »die Wolken.« Ich wiederholte
dies ins Blaue hinein, und der Probst bewunderte meinen kindlichen
Scharfsinn. Ich kann nie den Schulmeister in Holberg's »Weihnachtsstube«
fragen hören: »Gevatter, wollen Sie Sprüchwörter oder Sentenzen?« ohne
mich an jene Scene zu erinnern. Solche Verstandesübungen waren damals
sehr üblich. Auch die Art, dieselbe Sache dreimal mit denselben Worten
zu wiederholen, um sie recht deutlich zu machen, die man in allen alten
Documenten findet, und über die Holberg sich in Else David Schulmeisters
Rede lustig macht, war noch in meiner Kindheit in Gebrauch, und ich
entsinne mich einer oratorischen Wendung in einer Leichenpredigt sehr
gut, die folgendermaßen lautete: »Drei Tugenden zeichneten diese hohe
Prinzessin aus: hohe Geburt, fürstliche Abstammung und königliche
Schwägerschaft.«

Bischof Balle war ein liebenswürdiger Mann, den wir bald wie eine
Gottheit anbeteten, die uns vom Himmel herniederkam. Seine große Gestalt
imponirte, sein Gesicht war voller Würde, Milde und Begeisterung. Die
Perücke, die Krause und der lange Priesterrock unterstützten diese
Eigenschaften. Es hätte mir einige Jahre früher leicht eben so gehen
können, wie dem Jungen, der als er zum ersten Male in der Kirche war,
in dem Glauben, daß der Priester der Herrgott sei, die Mutter beim
Hinausgehen fragte: »Mutter, warum schlug denn der liebe Gott so stark
auf die Kanzel?«

Als ich noch in Madame Bergau's Schule ging, und der Bischof ein Mal in
der Kirche visitirte, lernte ich zum ersten Mal, was Kabale sei, denn
ich, der auch dabei sein wollte, um mir ein Buch als Belohnung meines
Fleißes zu erwerben, erfuhr es erst zu spät, und mußte mich daher mit
einem Stück Zuckerkant begnügen, welches er, in einem Stuhle vor dem
Altar sitzend, mir in den Mund steckte. Die Bauernkinder von Walby kamen
auch zur Visitation. Ich entsinne mich, daß er ein Bauermädchen fragte:
»Christus sagte: =Weib=, was habe ich mit Dir zu schaffen? -- War das
ein Schimpfwort? Sagte Christus im Zorn =Weib= zu ihr? Nein keineswegs!
=Weib= war ein Ehrenname und ist es auch noch heute.«

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Erste poetische Versuche.]

Bereits in meinem neunten Jahre hatte ich einen Morgenpsalm geschrieben,
welchen Herr Lassen erwischte. Gegen den Inhalt hatte er Nichts
einzuwenden, aber er tadelte, daß die Verse nicht die genügende Anzahl
Füße hätten, um gehen zu können. Ich wagte, das Gegentheil zu behaupten;
ein Psalmenbuch wurde als Schiedsrichter vorgenommen, und nun hatte ich
den Triumph, daß der Küster zugestehen mußte, gegen die Füße sei Nichts
einzuwenden.

                    *       *       *       *       *

Mit Wincklers war ich oft draußen im Felde bei der Ernte; ihre Felder
lagen jenseits des Friedrichsberger Gartens. Ich erstaunte darüber,
verschiedene Pfosten an den Gitterthüren von Wallfischzähnen verfertigt
zu sehen, und bekam hierdurch zuerst eine Vorstellung von der Größe
dieser Thiere. Hie und da stehen diese Zähne noch.

Einer ganz sonderbaren Jagd entsinne ich mich aus jener Zeit. --
Wincklers hatten einen großen Schober auf dem Hof, in dem viele
Feldmäuse steckten. Bernt machte mir den Vorschlag, ob wir nicht Katze
spielen und die Mäuse fangen sollten. Hierzu war ich gleich bereit.
Wir nahmen Jeder einen Eimer auf den Schober hinauf, und indem wir
nun die Garben den Leuten zuwarfen, die sie in die Scheune schaffen
sollten, ergriffen wir die Mäuse, schlugen sie auf den Hacken unserer
eisenbeschlagenen Stiefeln todt, und warfen sie in die Eimer, die bald
gefüllt waren. Das Merkwürdigste war, daß ich, sonst mitleidig und
ängstlich vor Mäusen, bei dieser Jagd, sowie die Großen bei den Kessel-
und Parforcejagden, jedes andere Gefühl verloren hatte, so daß ich nur
daran dachte, die Mäuse zu ergreifen und sie zu vernichten.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Wintervergnügen.]

Eine meiner größten Freuden bestand darin, im Winter Schlittschuh
zu laufen. Als ich die armen Jungen auf Holzschuhen auf dem Eise
hinrutschen sah, dachte ich, es müsse auch ganz hübsch sein. Ich bewog
meinen Vater, mir ein Paar Holzschuhe zu kaufen; aber sie waren mir zu
klein und drückten mich an den Zehen. Ich wollte es nicht sagen, um sie
nicht wieder hergeben zu müssen; ich hatte oft gehört, daß man Schuhzeug
austreten könne und hoffte, daß sie sich schon nach dem Fuße dehnen
würden, wenn ich im Schnee mit ihnen umherginge. Aber als ich mich eine
Stunde lang auf dem Eise umhergetrieben hatte, mußte ich nach Haus
hinken und ein Vergnügen aufgeben, das mit so vielen Schmerzen erkauft
war.

                    *       *       *       *       *

Es amüsirte Winckler und mich, mit Beginn des Frühjahrs, wenn es
zu thauen anfing, auf großen Stücken Eis auf dem Gemeindeteiche
umherzufahren. Ein Mal, als wir bei Berner's waren, fiel ich ins Wasser
und wäre beinahe in den Schlamm gesunken, aber ich kam doch glücklich
heraus und in die Gesindestube, wo ich mit einigen anderen Kleidern
versehen wurde, so daß die Aeltern, die darinnen saßen und Quadrille
spielten, Nichts davon erfuhren.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Freuden in der Stadt.]

Wie der Mensch sich nach Veränderung sehnt, und oft das Schlechtere
dem Bessern vorzieht, wenn es nur neu und ungewöhnlich ist, habe ich
mit mir selbst in meiner frühern Kindheit erfahren. Da war eine alte
Nähmamsell, die meiner Mutter half und zuweilen auf einige Tage zu uns
kam; sie hieß Mamsell =Kjöbel=. Sie hatte eine Freundin, die mit einem
Herrn Hegelund verheirathet war, der auf Ulfeldt's Platz in Kopenhagen
wohnte. Dieser Mann besuchte auch zuweilen meine Eltern. Er hatte in
seiner Jugend studirt; ob er von dem alten dänischen Dichter Hegelund
abstammte, weiß ich nicht; aber er sprach einmal mit meinem Vater über
Holberg, was das für ein großer Dichter sei, und führte zum Beweis dafür
die Zeilen aus Peder Paars an: Aurora öffnete ihr purpurfarb'nes Thor,
zum Frühstück holt sie Brot, in Fett =getaucht= hervor. Besonders dieses
»=getaucht=« bewunderte er so sehr. Ein schlechterer Dichter, meinte er,
würde gesagt haben: »mit Fett =belegt=, oder mit Fett =beschmiert=.«
Aber der geniale Holberg hatte es unvergleichlich schön ausgedrückt: »in
Fett =getaucht=.« Ich hörte auf diese ersten ästhetischen Vorlesungen
mit großer Andacht, und habe später oft ähnlichen beigewohnt, wenngleich
in ganz anderer Einkleidung und nach höchstverschiedenen Theorieen.
Diesen Herrn Hegelund besuchten meine Schwester und ich mit der
Nähmamsell ein Mal im Jahre, mitten im heißesten Sommer. Und was waren
alle Rosen, Levkojen, Goldlack und Ambra Friedrichsbergs gegen den
Geruch von Theer, Klipp- und Stock-Fischen, der mir aus dem Laden des
Seilers entgegenströmte, während das Auge auf den glänzenden Messern,
Scheeren und dem bunten Spielzeug des Kurzwaarenhändlers ruhte? Selbst
der Rinnstein schien mir etwas aromatisch Anziehendes zu haben, an das
ich in der freien Luft auf Friedrichsberg nicht gewöhnt war. Nun kamen
wir nach Ulfeldt's Platz! Darauf erstiegen wir eine steile Treppe bis in
die vierte Etage eines kleinen engen Hauses. O Gott! welche Aussicht!
das war etwas ganz Anderes, als das ewige tägliche Bild von der Ostsee,
Amager, Schweden und der Hauptstadt mit ihren Thürmen, den Schiffen,
dem Südfeld, von den Mühlen und dem Vieh auf dem Felde. In einem engen
Kreise von Fleischbänken, wo das Fleisch in prächtigen Stücken mit der
reichen Blume und mit künstlichen Würfelschnitten hing, erhob sich
höchst romantisch die wunderliche Säule mit der Inschrift: »Zu ewiger
Schmach, Spott und Schande für den Landesverräther Corfitz Ulfeldt.«
Es setzte mich auf eine eigenthümliche Weise in das Mittelalter
zurück, ja sogar nach Mexiko, wovon ich vor Kurzem gelesen hatte, und
meine kindliche Phantasie spiegelte sich vor, daß rund um die Säule
Menschenfleisch hing, welches dem Vizlipuzli geopfert sei. Warf ich nun
einen Blick zurück in das Zimmer, so weilte er bei einer Commode, voll
der schönsten Gypsfiguren, an denen sich die Bildhauer- und Malerkunst
in ihrer liebenswürdigen Kindheit vor der Zeit Cimabue's zeigte. Zwerge
konnten die Augen verdrehen und die Zungen herausstrecken. Zu einem
grünen Papagey hatte ich besonders Lust, und wer schildert meine Freude,
als die Madame ihn mir verehrte, und ich ihn auf Friedrichsberg als den
einzigen Ueberrest einer lieben verschwundenen Welt bringen konnte, die
sich mir erst in den Hundstagen nächsten Jahres wieder öffnen sollte,
»wenn wir so lange lebten,« wie die alte Nähmamsell sehr vorsichtig
hinzufügte, wenn sie uns diese Hoffnung machte.

                    *       *       *       *       *

Wir wollten also gern nach Kopenhagen, und es war ein Fest, wenn unsere
Eltern zuweilen mit uns zu ihren Freunden, zu den Weinhändlern Colstrup
und Böhling und zu Herrn Leppert, dem vornehmsten Schneider der Stadt
gingen. Ein Kamerad von Colstrup und Böhling, der Weinhändler Bolten,
hatte sich vor Kurzem zum Baron hinaufgeschwungen, und man sprach davon,
daß es vielleicht auch ihnen glücken könne. Der Handel war in jenen
französischen Revolutionsjahren außerordentlich vortheilhaft. Mein Vater
hatte dem Böhling ein paar Hundert zusammengesparte Reichsthaler mit in
sein Geschäft gegeben, von denen er großen Gewinn hoffte; aber es ging
unglücklich, die kleine Summe wurde verloren; doch wir Kinder gewannen
dabei, denn lange wurden uns als Zinsen einige Flaschen Kirschwein
geschickt, der vortrefflich schmeckte. In diesen Gesellschaften
herrschte viel Munterkeit, Böhling war ein lustiger Mann, aber der
früher erwähnte Canalinspector Schiött machte besonders viel Scherze und
leuchtete als erster Stern. Wenn ich nicht irre, so kam auch zuweilen
ein Bildhauer oder Bildschnitzer Köpke dorthin, welcher den Eremiten im
Südfeld gemacht hatte, der sich von seinem Lager in der Hütte erhob,
wenn man auf ein Brett an der Thüre trat. Er sowie der verstorbene
Schauspieler Knudsen trugen viel zur geselligen Heiterkeit in dieser
Zeit bei.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Reinecke Fuchs.]

Madame Leppert war eine muntere Frau, die, wenn wir Kinder die ihrigen
besuchten, ihren zweiten Sohn bat, uns aus dem Eulenspiegel vorzulesen.
Wir selbst besaßen die dänische Thura'sche Ausgabe vom Reinecke Fuchs.
Einmal tauschten wir: wir bekamen Eulenspiegel und die Anderen Reinecke
Fuchs. Aber dies reuete mich doch später, der Holzschnitte wegen, wo der
Löwenkönig und die Königin mit Kronen auf dem Haupte sitzen, und die
Zunge weit zum Halse herausstrecken, wo der Kater Hinze mit dem Bären
Braun spricht, und wo Reinecke als Kapuziner kommt, auf der Leiter steht
und sich vom Galgen losschwatzt; die herrlichen Kaulbach'schen Bilder
machten in den Greisesjahren kaum den Eindruck auf meine Phantasie, wie
jene schlechten Holzschnitte in meiner Kindheit.

                    *       *       *       *       *

Der älteste Sohn Leppert's war Student, ein freundlicher, stiller
Mensch, der an der Brust litt. Er gewann mich lieb, es that ihm leid,
daß ich so lange umherlief, ohne etwas zu lernen, deßhalb nahm er mich
zu sich nach Hause; ich schlief oft in der Nacht auf seinem Zimmer, er
fing an, mich etwas Geographie zu lehren, und schenkte mir einen Atlas,
den ich noch viele Jahre nach seinem Tode benutzte.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Die Schule in der Stadt.]

Ich war zwölf Jahre alt geworden, und noch hatte man nicht daran
gedacht, mich etwas Ordentliches lernen zu lassen. Bernt Winckler,
dessen Vater reich war, kam in die Schule für »Bürgertugend« in
Kopenhagen und hatte freie Wohnung. Mein Vater war arm, es war ihm
unmöglich, das Schulgeld und zugleich eine Wohnung für mich in
Kopenhagen zu bezahlen. An meine Zukunft wurde durchaus nicht weiter
gedacht; es hieß, daß ich Kaufmann werden solle. Meine Mutter hatte eine
Schwester, die mit einem wohlhabenden Kaufmanne Gjerlew verheirathet
war, und sie machte uns zuweilen Vormittagsbesuche und wir ihr; aber
ihren Mann sahen wir niemals. Als sie einmal hörte, daß ich Kaufmann
werden sollte, sagte sie spöttisch: »Ein Kaufmann ohne Geld, ist eine
Violine ohne Saiten.« Dies war der einzige Trost, den ich von ihr bekam.
-- Glücklicherweise traf mich der Dichter =Eduard Storm= einmal im
Friedrichsberger Garten. Er unterhielt sich mit mir, ich gefiel ihm, und
er verschaffte mir einen Freiplatz in der Efterslägtsskole (»Schule für
die Nachwelt«). Gleich während seines ersten Besuchs bei meinen Eltern
gewann er mein ganzes Herz. Er war ein kleiner Mann mit einem hellblauen
Frack und einem breitkrämpigen runden Hut. Das Haar hielt er mit einem
runden Kamme, so wie Ewald aus dem Portrait, nach hinten. Die großen
blauen Augen strahlten voll Kraft und Laune, er war ein Norweger aus dem
Guldbrands-Thale und ein ächter sokratischer Charakter. Nur über dummen
Hochmuth vermochte er zu spotten, sonst war er die Freundlichkeit und
Humanität selbst. Als er meine Mutter am Spinnrade fand, lobte er ihren
Fleiß und erzählte auf seine launige Weise gleich von einem vornehmen
Fräulein, das er einmal auf dem Lande getroffen, wo sie ein Spinnrad
gesehen und ihn gefragt hatte, was das für ein Ding sei, worauf er
geantwortet hätte: »Ein Bratenwender, meine Gnädigste!« So kam ich also
in die Schule, und ein Packhausverwalter Gosch nahm mich gegen sehr
billige Bedingungen in Kost.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Krankheit meiner Mutter.]

Aber außer Storm hatte ich gewiß noch einem andern Manne mein Glück zu
verdanken; denn wenn er nicht Storm zuerst auf mich aufmerksam gemacht
und mich als Eleve der Schule vorgeschlagen hätte, so wäre es kaum
geschehen. Dieser Mann war der Maurermeister =Lange=, Major und Chef der
Bürgerartillerie. Er war ein großer, starker, wohlgewachsener Mann, mit
einem schönen Gesicht, einem vortrefflichen Organ und all' der Bildung,
welche vorzügliche Naturanlagen ohne wissenschaftliche Erziehung, durch
den Umgang mit Menschen sich selbst zu geben vermögen. Er hatte meine
Eltern lieb, denn er war ein vertrauter Freund vom Bruder meiner Mutter
gewesen. Ich habe bereits von der Familie meines Vaters gesprochen,
ich muß noch hinzufügen, daß seine Mutter, nach ihres zweiten Mannes,
Bolt, Tode von Schleswig herüber und in das Haus zu uns kam. Es war
eine stille bejahrte Bauerfrau; die neue Welt, in die sie kam, kannte
sie nicht, und lernte sie auch nie kennen. Es währte lange, ehe wir
Kinder sie verstanden, und sie verstand uns gar nicht, denn sie sprach
nur plattdeutsch. Ich entsinne mich nichts Anderes von ihr, als daß
sie großen Respect vor der Noblesse hatte, und meinen Vater einmal mit
gedämpfter Stimme und tiefer Ehrerbietung von Einem fragte: »Hat er die
Slötel?« Sie meinte den Kammerherrnschlüssel. Sie war ungefähr fünf Jahr
bei uns im Hause, ehe sie starb; eine stille, weiche Seele, dankbar
gegen ihren Sohn und sein Weib, weil sie ihr ein sorgenfreies Alter
schenkten. In demselben Jahre lag die kleine Christine in der Wiege,
wie ich bereits erwähnte, mit einem Wasserkopf, wie ein Kind, welches
erst zu begreifen anfängt, und mußte also in der ganzen Zelt gepflegt
werden. Dies und manches Andere versetzte meine arme Mutter in einen
kummervollen, schwermüthigen Zustand, -- es schwächte ihre Kräfte, die
sie vergebens durch augenblickliche Reizmittel zu stärken suchte, --
und diese herrliche Natur ging allmälig für uns verloren. In lichten
Augenblicken gab sie noch stets Beweise von dem Geiste, dem Herzen und
der Tüchtigkeit, mit der die Natur sie so reich bedacht hatte. Man sah
noch die Ueberreste der frühern Schönheit. Mein Vater sagte oft in
Augenblicken der übertriebenen Bescheidenheit, welche stets den heftigen
Aeußerungen der Ungeduld folgten: »Sie hat mehr Verstand in ihrem
kleinen Finger, als ich im ganzen Körper.«

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Meiner Mutter Verwandtschaft.]

Es hatten übrigens manche Verhältnisse zu ihrer Betrübniß und zur
Schwächung ihrer Gesundheit beigetragen. Sie hatte einen Bruder gehabt,
einen sehr hübschen jungen Mann, voll von Geist und Herz. Er erlernte
die Maurerprofession, wurde Geselle, und war, wie ich kürzlich berührte,
des Majors Lange Jugendfreund. Lange versicherte oft, daß, wenn das
folgende Unglück nicht eingetroffen wäre, Hansen es eben so weit
gebracht haben würde, wie er. Aber der junge Mann fiel einmal in einem
Wirthshause in die Hände von Werbern, wurde Soldat und später war es
keine Möglichkeit, ihn frei zu machen, da mein Vater nicht das Lösegeld
für ihn zu zahlen vermochte. Ich hatte ihn vor Augen, als ich die Scenen
mit Rudolf in »=Dina=« dichtete. Die älteste Schwester, meine Tante,
die wohlhabende Kaufmannsfrau, muß wohl nicht im Stande gewesen sein,
etwas für ihre Familie zu thun, da ihr Bruder Soldat blieb und ihre
Mutter in einer öffentlichen Versorgungsanstalt starb. Aus Verzweiflung
verheirathete der junge Mann sich mit einem Dienstmädchen, bekam zwei
Kinder -- und hatte, dem Himmel sei Dank! bereits ausgekämpft und war
gestorben, als ich zu denken begann. Mein Vater besuchte die Witwe
einmal mit mir in ihrer Dachwohnung; und es ist mir, als ob ich nie,
weder früher noch später, eine solch' unendliche Noth gesehen hätte. Es
war ein harter Winter, und sie lag mit den Kindern im Bett, um nicht zu
erfrieren. Mein Vater half, so gut er konnte. Von meiner Schwester weiß
ich einen schönen und edeln Zug, der viele Jahre später eintraf, und den
ich bei dieser Gelegenheit erzählen will, um ihn nicht zu vergessen.
Eine der Töchter, Friederike, ein liebes und sehr gutes Mädchen, sollte
einen Dienst suchen, als sie erwachsen war; meine Schwester hatte
sich kurz vorher mit Oersted verheirathet, der Assessor im Hof- und
Staatsgericht war, jedoch nichts übrig hatte, weshalb er in den ersten
Jahren den Studirenden täglich noch viele Stunden Repetitorien gab. Um
Friederiken so viel als möglich Gutes zu thun, nahm meine Schwester sie
in Dienst, denn anders konnte sie ihr nicht helfen; aber man kann sich
nicht vorstellen, welch ein schönes Verhältniß zwischen der Frau und der
Dienerin, und doch zwischen zwei Cousinen, die Du zu einander sagten,
herrschte. Nie überschritt Friederike die Ehrerbietung gegen ihre
Herrschaft, nie war sie undankbar oder neidisch; und Sophie behandelte
sie mit der edelmüthigsten Liebenswürdigkeit, und trug durch Gespräche
und Bücher zu ihrer Bildung bei, ohne ihr darum ihren Stand zuwider zu
machen. Später verheirathete sie sich auch gut, ist aber jetzt todt.

Da nun das unglückliche Schicksal meines Onkels den guten Major Lange
schmerzte, und er durch Maurerarbeit auf dem Friedrichsberger Schloß
die Bekanntschaft meiner Eltern gemacht und oft herzlich mit meiner
Mutter von ihrem unglücklichen Bruder gesprochen hatte -- so gewann
er wohl auch mich armen Jungen lieb, und um doch wenigstens mich zu
retten, sprach er mit Storm und verschaffte mir die Freistelle in der
obengenannten Schule.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Ich werde Pensionair.]

Nun ging eine große Veränderung in meinem Leben vor; als ich nach
Kopenhagen zum Packhausverwalter =Gosch= kam. Dieser Mann war in
seiner Jugend mit einem reichen Herrn als Kammerdiener mehrere Jahre in
Europa umhergereist, er besaß mehr als gewöhnliche Bildung und einen
vortrefflichen Charakter. Alles in seinem Hause war sehr ordentlich; er
hielt Blätter und Journale, die, wenn sie gelesen waren, sauber in die
Presse unter hübsche Marmorsteine gelegt wurden. An seiner Wand hing
eine kleine Naturaliensammlung, von der ich mich noch des Schwertes
eines Schwertfisches entsinne, das ich mit großer Aufmerksamkeit
betrachtete. Kurz nach meiner Ankunft bekam er einige Kokosnüsse von
Westindien. Ich hatte diese Frucht aus Robinson Crusoë kennen gelernt,
und war sehr begierig auf ihre süße Milch; aber sie entsprachen nicht
der Erwartung. -- Da ich nicht gleich in die Schule eintreten konnte,
sondern warten mußte, bis das Examen vorüber war, that Herr Gosch Alles,
was er konnte, um mich vorzubereiten. Mit einigen anderen Knaben,
Verwandten von Gosch, mußte ich mich im Schreiben üben. Einmal, wie wir
so da saßen, kam Bruder Drees, wie wir ihn nannten, ein Student Werliin,
der uns sehr lieb hatte und ein Vetter der anderen Jungen war, mit einem
seiner Freunde durch das Zimmer. »Können Sie meinen Namen schreiben?«
fragte Letzterer mich freundlich. Ich schrieb Mango. »Das ist ganz
richtig«, sagte er, »wenn Sie nur ein R hinzusetzen.« Es war dies der
verstorbene Major Mangor. Herr Gosch nahm mich eines Nachmittags mit,
um Professor Vahl's Vorlesungen im Prinzenpalais hinter dem Schloß zu
hören. Sie amüsirten mich sehr. Ich betrachtete die Klapperschlange und
die Brillenschlange in dem mit Spiritus gefüllten Glase mit Neugier und
Schauder. Aber wie groß damals schon die Lust bei mit war, das Theater
zu besuchen, entsinne ich mich, indem ich eines Abends gedenke, als
ich mit Herrn Gosch und einem Schiffscapitain aus Vahl's Vorlesungen
über den Königsneumarkt ging. Als wir uns dem Theatergebäude näherten,
sagte der Schiffscapitain ganz phlegmatisch: »Ich glaube, ich gehe heute
in die Komödie, Adieu!« Er ging. Mit schmachtenden, sehnsuchtsvollen
Blicken schaute ich ihm nach, so lange meine Augen ihm folgen konnten;
er öffnete die Thür, durch welche ich das Licht aus dem Vorsaale
schimmern sah. »Gott, der Glückliche! und eine solch' himmlische Freude
mußt du entbehren.« -- Ganz betrübt und muthlos folgte ich Herrn Gosch
an der Reiterstatue auf Königsneumarkt vorüber in dem dunkeln Abend nach
Hause.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Eintritt in die Schule.]

Auch Storm bat mich, ihn im Schulgebäude in seinem hübschen Zimmer, vor
welchem sich die Schlafkammer befand, zu besuchen. Hier sah ich die
Jungen im Garten spielen, und freute mich sehr darauf, in eine Schule
zu kommen, wo auch Spielen und Laufen gewissermaßen mit zum Unterricht
gehörten. Was dies anbetraf, so war ich ziemlich vorbereitet darauf
und hoffte, daß keiner meiner Kameraden mich überflügeln würde. Storm
gab mir Unterricht in der Geographie. Als wir Dänemark durchgegangen
waren, und er die Karte von Norwegen vornahm, sagte er mit seiner
eigenthümlichen, herzergreifenden Stimme: »Nun kommen wir zu =meinem=
Vaterland, mein Kind!« Es währte nun nicht lange, so kam ich in die
Schule, als Storm fand, daß ich genug wisse, um gleich in die dritte
Klasse zu kommen. Vielleicht fand er mich auch zu groß und zu alt, um
mich unter die kleinen Jungen zu setzen. Schon in der dritten Klasse
ragte ich wie ein Riese hervor. Da ich in einem groben dunkelgrünen Rock
ging, mit den schwarzen Haaren im Nacken, nannte man mich den Kutscher.
Ich habe meinen guten Freund, jetzt verstorbenen Oberstlieutenant
und Postmeister Schwarz, in Verdacht gehabt, diesen und mehrere
Ehrennamen verbreitet zu haben, denn es amüsirte ihn mit seiner lustigen
Eulenspiegelnatur, mir Spottnamen zu geben, um mich böse und auffahrend
zu machen. Doch entsinne ich mich nicht, ihn jemals geprügelt zu haben,
was doch wohl der Fall mit mehreren anderen Größern war; denn Schwarz
war nur klein von Natur und schwach; ich besuchte ihn sogar und lernte
dadurch seinen Vater kennen, vor dem ich eine an Adoration grenzende
Ehrfurcht hatte, weil er ein sehr ausgezeichneter Schauspieler war.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Naschlust.]

Ich brachte ein nicht unbedeutendes Vermögen von Friedrichsberg mit,
welches ich, da ich nie mehr als zwei, oder höchstens vier Schilling
besessen hatte, auszugeben eilte. Wir hatten nämlich zu Hause die
Einrichtung getroffen, daß wenn wir Kinder eine kleine Büchse voll von
dem Zucker sparten, den wir des Morgens zu unserm Thee erhielten, wir
zwei Schilling bekamen. Ich gewöhnte mich nun daran, den Thee fast ohne
Zucker zu trinken (obgleich ich ein großes Leckermaul war), und dadurch
brachte ich es so weit, daß ich die kleine Zuckerbüchse voll schöner
blanker neuer Zweischillingstücke bei meiner Ankunft in Kopenhagen
hatte. Nun sollte man doch glauben, daß ich mit großer Sorgfalt bewahren
würde, was ich so mühsam und mit so großer Selbstverleugnung gespart
hatte, denn ich war keiner jener Milchbärte, die im Schlaf zu ihrem
Vermögen kommen und sich deßhalb auch mit aller Macht befleißigen, es
zu vergeuden, sobald sie mündig werden; ich hatte mir, wenn auch nicht
mit saurem Schweiß, so doch mit süßem Mangel mein Eigenthum, wie der
Geizige seinen lieben Schatz erworben. Und doch half es Nichts! In den
ersten acht Tagen hatte ich, indem ich beim Spielwaarenhändler Violinen
für meine neuen Kameraden, dagegen Macronen und Feigen beim Italiener
für mich selbst kaufte, meine Schachtel gänzlich geleert. -- Ich war
besonders ein außerordentlicher Liebhaber von Feigen; wenn ich mir eine
große Tüte davon gekauft hatte, pflegte ich gewöhnlich, indem ich die
erste in den Mund steckte, im vollen Carriere die Straße entlang zu
laufen, und ziemlich laut zu rufen: »O, glücklich' Land, das solche
Feigen hat!«

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Geheilte Verwegenheit.]

Herr Gosch warf mir meine Verschwendung vor, als er sie erfuhr; doch --
damit hatte es bald ein Ende, denn als ich nichts mehr besaß, gab ich
nichts mehr aus. Aber ein anderes Spiel übte ich, das mir leicht theuer
hätte zu stehen kommen können. Einmal, wie sie soeben in der vierten
Etage oben im Zimmer saßen, sahen sie einen wunderlichen Gegenstand an
dem Strick hängen, der vom Giebel bis auf die Erde herunterging; ich
war es, der mit dem einen Fuß in dem eisernen Haken stand, und mit dem
andern gegen die Wand parirte, wenn ich hin- und herschwankte, um nicht
die Fensterscheiben entzwei zu schlagen. Es sah nur etwas gefährlich
aus. »Ja, das will noch gar nichts heißen«, -- sagte einer der Jungen
zur Tante, wie wir die Frau im Hause nannten; -- »aber er geht nie die
Treppen hinunter, sondern rutscht immer reitend im vollen Carriere das
Geländer hinab.«

Den Abend, nachdem das geschehen war, saßen wir Jungen mit Bruder Drees
am Tische. Wir baten ihn, uns etwas vorzuzeichnen, denn er zeichnete
hübsch. Er nahm ein Stück Papier, zeichnete eine Treppe mit einem
Geländer und einen Knaben der hinabgefallen war und todt da lag. Die
Eltern standen um die Leiche und rangen ihre Hände vor Verzweiflung. Er
reichte mir das Bild, ohne ein Wort zu sagen. Ich betrachtete es, brach
in Thränen aus, fiel ihm um den Hals und ritt seitdem nie wieder auf dem
Geländer.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Sonderbare Garderobe.]

Mein Vater mußte auf alle mögliche Weise sparen, und sehen, wie er
mir billig Kleider verschaffen konnte. Nun hatte der königliche
Garderobemeister ihm mehrere alte Kleidungsstücke verkauft, und so
ging ich lange in dem hochrothen gewendeten Rock des Kronprinzen, den
steifen Stiefeln des Königs, und aus einem cassirten Billardtuch hatte
man mir grüne Hosen gemacht. Dies sonderbare Costüm reizte nun meine
Schulkameraden, mich zu necken. Wegen der Schimpfworte, die ich hören
mußte, setzte es oft Püffe; man klagte mich bei Storm an, aber er,
im Vertrauen auf das fromme Gemüth, das er bei mir entdeckt zu haben
glaubte, antwortete ihnen barsch: »Das ist gelogen!« Ich erröthete,
denn ich wußte, daß es nur allzu wahr sei, ließ ihn aber doch in seinem
Glauben, weil ich es zu weitläufig und schwierig fand, ihm die Motive
zu dieser scheinbar bösen Handlung zu erklären. Aber endlich überzeugte
er sich eines Tages, da er mich und einen großen Jungen aus einer
höhern Klasse im Garten sah, wie wir einander in den Haaren lagen.
Gerade mitten in der Schlacht fiel die Richtung meiner Augen unter
meinem linken Arm nach Storm's Fenster hinauf, und als ich daselbst
ihn, als ruhigen Zuschauer mit den großen Augen entdeckte, ging es mit
wie Aeneas, und ich konnte gleich dem betrunkenen Gärtner im Figaro,
weder Hand noch Fuß von dem Finger rühren, der in Koch's Haaren steckte.
Ich bekam ein »_clamamus_«, wie wir es nannten, in mein Censurbuch und
war so unglücklich, es zu verlieren; zugleich aber doch so glücklich,
daß mein Vater es erst sah und seinen Namen dazu setzte. Hätte ich es
früher verloren, so würde Storm vielleicht geglaubt haben, daß ich das
Buch fortgeworfen hätte, um der Strafe zu entgehen, und dann würde ich
seine Freundschaft verloren haben, so aber kam ich mit einer Bemerkung
in meinem neuen Buche davon, »ich solle es besser in Acht nehmen«. --
Ich entsinne mich noch, in welcher Angst ich war, daß Storm mich in dem
Verdacht der Unredlichkeit haben könne.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Der Lehrer Dickmann.]

In der dritten Klasse war nur ein Lehrer, =Spleth=, ein ausgezeichneter
Mann; er unterrichtete uns in der Geschichte, aber er war krankhaft
still, ein Kantianer und nicht mit dem lebendigen Vortrage begabt, der
den Kindern Lust zum Lernen giebt. Diesen besaß dagegen =Dickmann=
in hohem Grade; aber zu ihm kamen wir erst in der zweiten Klasse.
Die erste und zweite Klasse waren durch ein Vorzimmer getrennt, und
geistig genommen, waren sie auch so verschieden von der unsrigen,
daß man mit Recht sagen konnte, sie seien eine neue Schule, denn sie
hatten lauter andere Lehrer. Dickmann hat einen großen Einfluß auf
meine geistige Entwickelung gehabt; in den Jünglings- und Mannesjahren
habe ich ihm zwei Gedichte gewidmet, und mit liebevollem Gefühle kehrt
die Erinnerung wieder zu ihm zurück. Er war nicht groß von Wuchs,
aber wohl gebaut, mit einem interessanten, schönen Gesicht, voller
Feuer, Gefühl und Beweglichkeit. Er sah stolz, gutmüthig und ernst
aus. -- Mit Ehrerbietung trat ich in die Klasse ein, als ich dorthin
avancirt war und Storm die Neuangekommenen dem ersten Lehrer der
Schule vorstellte. Storm und Dickmann hatten gegenseitig große Achtung
vor ihrer Tüchtigkeit und ihren Talenten; aber -- obgleich sie Beide
Norweger, tüchtige Köpfe und gute Menschen waren, so waren sie doch
Beide grundverschieden. Dickmann stach schon gleich auf eine wunderliche
Weise mit seinem Toupé und seinem kecken Zopf im Nacken gegen Storm
ab, der mit seinen zurückgestrichenen Haaren, wie ein Sokrates oder
Franklin dastand. Dickmann erinnerte mich immer, obgleich er kein Held
war, an Heinrich IV. von Frankreich, weil dieser Dickmann's Held war.
Das Chevalereske; das in manchen Beziehungen schwache und dann wieder
kräftige Herz; das Ritterstolze und Leichtbewegliche; das beredte, tiefe
Menschengefühl; die Begeisterung für die Liebe und den Wein; -- all'
dieses theilte Dickmann mit Heinrich IV. In Bezug auf sittliche Kraft
stand Storm weit über Dickmann, der in Ewald's und Wessel's Schule
gegangen war, sich an gewisse Freiheiten und Genüsse und daran gewöhnt
hatte, sie wie eine _licentia poetica_ zu betrachten, die sich nicht
allein auf Poeten, sondern auf alle Schöngeister erstreckte. -- Aber
sie sympathisirten auch nicht in Schulangelegenheiten. Storm wollte,
daß die Lehrer durchaus nicht schlagen sollten, sondern daß Alles durch
Zeugnisse abgemacht und dann den Eltern überlassen werden müsse. Dies
war Dickmann mit seinem raschen Charakter zuweilen zu weitläufig. Als
wir zum ersten Mal eintraten, hielt er uns folgende Rede, die gerade
nicht von der Art war, daß sie uns die Zukunft rosenfarben malte: »Es
ist eine Bestimmung hier in der Schule, daß die Zöglinge keine Schläge,
sondern nur schlechte Zeugnisse bekommen sollen, wenn sie ihr Pensum
nicht können. Hiernach werde auch ich mich streng richten, und für
Faulheit und Nachlässigkeit werde ich Euch niemals prügeln. Es ist
Euer eigener Schaden und davon müssen Eure Eltern Euch curiren. Aber
ich habe gehört, daß einige ungezogene Jungen unter Euch sein sollen,
die zuweilen naseweis gegen die Lehrer sind. Seid Ihr es gegen mich,
so bekommt Ihr Prügel! Dann ist es nämlich nicht der Lehrer, der den
Schüler schlägt, sondern der erwachsene Mann, der sich von einem Jungen
nicht beleidigen läßt.« -- »Habt Ihr's gehört«, sagte Dickmann -- und
wir hörten Alle sehr gut.

Was mich betraf, so war mir in diesem Punkte nicht bange, denn so lange
ich gelebt habe, war es mir unmöglich, Dem Geringschätzung zu zeigen,
dem ich Ehrerbietung schuldete. Ich und die Meisten waren auch nicht
damit gemeint. -- Dickmann machte auch, so viel ich mich entsinne, nur
ein einziges Mal Gebrauch von seinem Vorbehalte. -- Er kam einmal in
übler Laune in die Schule: »Setzt Euch auf Eure Plätze«, sagte er zu
den Jungen, welche in der Klasse spielten. Ein Einziger kroch unter
einen Tisch, statt sich auf die Bank zu setzen und bekam ein paar
wohlverdiente Ohrfeigen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Knabenstreiche.]

Uebrigens war in der ersten Klasse ein so guter Spectakelmacher, wie
man ihn sich nur wünschen kann: der geschichtlich bekannte =Jürgensen=,
der später das Königthum Island zu gründen versuchte. Er war ein ächter
Eulenspiegel -- und in diesem Eulenspiegelcharakter waren seine Streiche
zuweilen recht witzig. So kam in der Zeichnenstunde, wenn Dinesen
selbst nicht kam, ein gewisser Herr M. statt seiner. Dieser Mann, ohne
besondere Bildung, erzählte uns oft alles Mögliche von den langen
Reisen, die er gemacht haben wollte. Jürgensen wollte gern wissen, wo
er in der Welt umher gewesen sei. »Ja«, sagte er, »hole mir eine Karte,
dann werde ich es Dir zeigen.« Nun eilte Jürgensen fort, holte eine
Karte von Seeland und sagte: »»Ach, Herr M., nun seien Sie doch so gut,
und zeigen Sie uns, wie weit Sie gereist sind.««

                    *       *       *       *       *

Wir hatten einen Lehrer in der Physik und in der deutschen Sprache,
der =Svendsen= hieß. Er war ein vortrefflicher, guter Mensch, voller
Feuer und Herzlichkeit, der uns wie ein Vater seine verzogenen Kinder
liebte; aber deshalb konnten wir in seinen Stunden auch machen, was
wir wollten. Deutsch lernten wir recht gut, aber von der Physik fast
Nichts. Er hielt sich immer bei den ersten Definitionen auf. Ein Mal
sollte er bei der halbjährigen Prüfung examiniren, kam zu spät -- war
ganz verlegen deshalb und um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, rief
er gleich, indem er sich setzte, dem ersten Schüler zu: »Was ist das?«
Hiermit stieß er so stark an ein Dintenfaß, daß er es umwarf. »O, ich
bitte um Verzeihung!« rief er zu den anwesenden Mitgliedern und Censoren
und wischte die Tinte in demselben Augenblick mit dem Aermel seines
hellgelben Sonntagsfracks ab. Er hatte nämlich den Schüler nach dem
Unterschiede in der Physik zwischen =Druck= und =Stoß= fragen wollen.
In den Stunden dieses Lehrers ging der Uebermuth so weit, daß ein Mal,
während zwei Schüler sich aufopferten, sich an ihn zu drängen, ihm in
die Augen zu sehen und auf Alles »Ja« zu sagen, was er ihnen erzählte,
die anderen sich wie die Furien in den Ballets mit alten Schreibebüchern
schlugen, die zu Fackeln gedreht und mit Talg eingeschmiert waren.
Mitten in diesem Teufelstanz trat Storm ein. Und was meint man, daß er
that? Mit seinen großen funkelnden Augen starrte er, ohne ein Wort zu
sagen, mit der größten Verwunderung, ob dieser Unverschämtheit auf
uns Alle und ging darauf wieder langsam fort. Alle setzten sich voller
Angst auf ihre Plätze; Alle liebten, achteten, fürchteten Storm, und
waren bange, sich seine anhaltende Unzufriedenheit zugezogen zu haben.
Aber als er uns wiedersah, that er, als ob Nichts vorgefallen sei. Er
griff nicht in die Pflicht des Lehrers ein, dessen Aufgabe es war, sich
selbst geachtet zu machen. Aber die Furcht vor einem solchen erneuerten
Besuch machte, daß es von der Zeit an ordentlicher in Herrn Svendsen's
Stunden wurde. Von diesem Svendsen erzählte man, daß er ein Mal vor
meiner Zeit den Schülern hatte zeigen wollen, wie ein Floh auf dem
Wasser ein kleines Schiff ziehen könne. Zu dem Ende hatte er eine große
Wanne in das Schulzimmer bringen lassen; aber während die Andern auf das
Schiff und den Floh hinstierten, der nicht recht ziehen wollte, weil
Svendsen ihn nicht ordentlich vorgespannt hatte, amüsirte sich Jürgensen
auf eigene Hand, indem er sich bückte und so lange am Spunde der Wanne
wackelte und zerrte, bis er herausging und das Zimmer unter Wasser
gesetzt wurde.

                    *       *       *       *       *

Daß diese Tollheiten, über die man fast immer lachen mußte, Storm nicht
sonderlich zusagten, der ein intimer Freund von Jürgensen's Vater,
einem vortrefflichen Uhrmacher, und einem der Stifter der Schule war,
ist leicht zu begreifen. Wegen dieser Freundschaft wich Storm auch
in Bezug auf den jungen Tollkopf von der Regel ab, und regalirte ihn
zuweilen mit eigenhändigen Schlägen, um dem Vater die Mühe zu sparen. --
Mehrere Mitglieder der Gesellschaft hielten in den zwei ersten Klassen
Vorlesungen, unter Anderen der verstorbene Conferenzrath, damaliger
Lector Saxtorph über Anatomie. Der Kammersecretair Rosenstand-Goiske
las über Oeconomie und Bergwissenschaft, Storm selbst über nordische
Mythologie und dänische Grammatik. Ich schrieb alle diese Vorlesungen,
ebenso wie Dickmann's nach, und machte mehrere Jahre hindurch meine
Excerpte, die ich später verloren habe. Ein Mal vor Rosenstand's Stunde
hatte der Sohn des Materialhändlers Thomsen eine seiner gewöhnlichen
Ladungen Citronats, eingemachten Ingwers u. s. w. mitgebracht, die er
mit seltener Freigebigkeit besonders unter Die von uns vertheilte,
welche ihm dann wieder bei gewissen Gelegenheiten Souffleurdienste
leisten sollten. Diese Collation ward vom Katheder aus vertheilt. Als
nun Rosenstand kam und den Tisch etwas von dem eingemachten Ingwer
klebrig fand, sagte er mit Ekel: »Ach da ist Saxtorph wieder mit seinen
Leichen gewesen.« (Saxtorph hatte nämlich eine Woche vorher eine kleine
Kinderleiche vor uns anatomirt). Wir ließen Rosenstand natürlich in
seinem Glauben, da wir ihm nicht die Wahrheit sagen durften, und nun
mußte der Diener hereinkommen und den Tisch abwischen.

                    *       *       *       *       *

Als Saxtorph uns zum ersten Male examinirte, war Storm zugegen. Die
Reihe kam an Jürgensen. Saxtorph fragte: »Wo sondert sich der Speichel
ab?« »»In den Nieren,«« antwortete Jürgensen. Storm, welcher wußte, daß
Jürgensen dies aus Muthwillen gesagt hatte, ging ganz ruhig hin und gab
ihm eine tüchtige Ohrfeige. Um nicht mehr zu bekommen, fiel er unter
den Tisch. Storm setzte sich wieder hin. Jürgensen kroch wieder auf die
Bank mit einem ganz rothen Backen und Saxtorph setzte das Examen mit
Jürgensen's Nebenmann in ungestörter Gravität fort, ohne durch irgend
eine Mienenveränderung ein Erstaunen über das Geschehene an den Tag zu
legen.

                    *       *       *       *       *

Als Jürgensen ein Mal aus der Schule ging, nahm er einem kleinen
Mädchen, die auf der Straße saß und Obst verkaufte, einen Apfel weg. Als
sie zu weinen und zu schimpfen begann, kehrte er sich, den Apfel essend
nach ihr um, und sagte ganz ernst: »Pfui, Du unartiges Mädchen, wirst
Du wohl ruhig sein, ich sage es gleich Deiner Mutter.« Dadurch imponirte
er der kleinen Fruchthändlerin so, daß sie still schwieg, und er ging
mit seinem Apfel von dannen.

                    *       *       *       *       *

Endlich machte er es doch zu arg und der Vater nahm ihn aus der Schule.
Wenn er nun in der Thür von seines Vaters Hause stand, so winkte er den
kleinen Knaben, die aus der Schule kamen, als ob er ihnen Etwas zu sagen
hätte. Wenn sie dann in den Flur kamen, schlug er sie mit einem Endchen
Tau, das er hinter dem Rücken verborgen hatte, und lief in's Zimmer.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Der König von Island.]

Diese Eulenspiegeleien setzte er in seinem spätern Leben fort und sein
Königthum auf Island war eine Fortsetzung seiner Schulstreiche, nur nach
einem größeren Maßstabe, der ihm indessen leicht den Kopf hätte kosten
können.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Poetische Versuche.]

Obwohl ich nie daran dachte, Dichter zu werden, so machte ich doch
schon als Knabe Verse zu meinem eigenen Vergnügen. In Storm's dänischer
Sprachstunde wurde ich bald der Beste, und ich gab Wochenschriften
heraus, die »Mittwochspost« in der dritten, und »Balder« in der zweiten
Klasse, welche meine Schulkameraden mit Schieferstiften bezahlten.

Ich fing auch an Komödien zu schreiben, und sie mit meiner Schwester
und Winckler im Frühjahr und Herbst, wenn es noch nicht zu kalt
war, im königlichen Speisesaale auf Friedrichsberg aufzuführen.
Gewöhnlich hatten wir keine Zuschauer. Winckler, der in die Schule »für
Bürgertugend« ging, brachte zuweilen einen Kameraden von dort mit, der
nicht viel Sinn für solche dramatische Uebungen zu haben schien und
gewöhnlich einschlief. Winckler hatte eine außerordentliche Fertigkeit
im Werfen und Treffen. Einmal als unser Zuschauer am entgegengesetzten
äußersten Ende des Saales sitzend, auf seinem Stuhle eingeschlafen war,
-- wir spielten ein Stück von mir: Die belohnte Gastfreundschaft (worin
ein fremder Herr incognito als Nothleidender ein paar arme Leute besucht
um ihre Mildthätigkeit zu prüfen und sie dann belohnt) sagte Winckler,
um die Illusion nicht zu stören: »Ach entschuldigen Sie, ich habe noch
einen kleinen Hund mit, der auch Etwas bekommen muß.« Damit nahm er
einen halbfaulen Apfel vom Teller und traf den eingeschlafenen Zuschauer
mitten auf die Stirn, so daß er erwachte und das Stück mit größter
Aufmerksamkeit bis zu Ende anhörte.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Theaterspiel.]

So wußte Winckler, obgleich eigentlich das negative, widerstrebende
Princip meiner ersten Bestrebungen, indem er mit dem Spiele nur spielte,
mir oft durch einen glücklichen Handgriff in der Noth beizustehen.

Eines Tags führten wir zum Beispiel ein großes Stück von mir auf, an
dem mehrere Kameraden von mir Theil nahmen. Der Junge, welcher den
Vater spielte, hatte eine der alten Perücken meines Vaters auf, und
sah ganz verzweifelt aus, da er auch seine Rolle nicht konnte. Meine
Schwester spielte die Tochter, die in Ohnmacht fiel, da sie nicht
gleich ihren heimlichen Geliebten heirathen durfte. Der verzweifelte
Vater, der seine Rolle nicht wußte, konnte dagegen alle Parenthesen und
Anmerkungen an den Fingern hersagen. Indem nun die Tochter hinfällt,
sagt er ganz ruhig: »Indessen sind sie ihr behülflich und bringen sie
wieder zu sich.« Und damit wollte er gehen, weil er nicht mehr wußte.
Aber glücklicher Weise stand Winckler in der Thüre und warf ihn mit
einem äußerst gewandten Stoße in den Rücken wieder mitten auf die
Bühne, so daß das Stück von Neuem in Gang kam; denn der Stoß hatte eine
magnetische Wirkung auf den Schauspieler, und die vergessenen Repliken
erwachten alle wieder in seinem Gedächtniß.

Auch Storm sah uns ein Mal eine solche Komödie spielen und sagte
scherzend zu mir: »Ei mein liebes Kind, Du bist ja ein größerer Dichter
als Molière! Man hielt es für etwas Außerordentliches, daß er in acht
Tagen ein Stück schrieb und aufführte, aber Du machst das Alles zusammen
in einem.« -- Weder Storm noch ich glaubte damals, daß ich wirklich
Dichter werden würde. Doch hatte ich eine gewisse geheime Ahnung davon.
Auch Dickmann glaubte es nicht; er hatte überhaupt keine hohe Meinung
von mir, mochte mich aber doch gern, und ich liebte ihn. »Bilden Sie
Sich nicht ein, lieber Oehlenschläger,« sagte er ein Mal in übler Laune,
»daß Sie Genie haben, weil Sie diese Verse machen! Sie können ein
tüchtiger Gelehrter, ein gewandter Geschäftsmann werden,« (hier nannte
er mir einen vornehmen Mann, der jährlich 3000 Thaler Einkünfte hatte
und sehr elegant wohnte.) »Solch Einer,« sagte er, »können Sie werden,
aber Sie werden niemals ein Eduard Storm.« -- »»Es ist möglich,«« sagte
ich mit verbissenem Zorn und die Hand in der Rocktasche geballt. Ich sah
dies für eine ungeheure Beleidigung an, und doch hatte Storm nur 200
Thaler jährlich und bewohnte zwei kleine Zimmer eines Hinterhauses.

                    *       *       *       *       *

Da mein Geist mich doch stets zu dem Wissenschaftlichen hintrieb, so
hatte ich in der letzten Zeit mit einigen Schulkameraden angefangen,
Privatunterricht im Lateinischen bei Dickmann zu nehmen.

Meiner Schwester auf Friedrichsberg gab ich wieder in Verschiedenem
Unterricht, wenn ich sie dort besuchte. Sie bedurfte nur wenig
Anleitung, um Alles, was sie wollte, mit größter Leichtigkeit zu
erlernen.

                    *       *       *       *       *

Ich hatte von Kindesbeinen an Lust, Anderen das zu lehren, was ich
selbst lernte, und mochte gern Vorlesungen halten. Auch in der Kirche,
wenn ich mich allein glaubte, bestieg ich die Kanzel und predigte laut.
Der Prediger, Herr Bruun, war einmal in der Sakristei, ohne daß ich es
wußte, mein Zuhörer gewesen, und rieth meinem Vater, mich Theologie
studiren zu lassen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Anatomische Studien.]

Im Sommer ging ich jeden Abend nach Friedrichsberg; nur im Winter
blieb ich in der Stadt. Einmal hatte ich einem meiner Kameraden
(dem verzweifelten Vater) versprochen, ihm Anatomie zu lehren; ein
Kinderskelett hatte ich mit hinausgenommen. Es stand auf dem Tisch, und
ich schlief diese Nacht bei meinem Freunde, um den nächsten Morgen früh
in das Südfeld zu gehen und Nüsse zu pflücken, was eigentlich nicht
erlaubt war. Kaum waren wir ins Bett gegangen und hatten das Licht
ausgelöscht, als wir Jemand an die Thür klopfen hörten. Wir schwiegen
erschreckt und ich dachte an das Skelett, welches uns vermuthlich wegen
des projectirten Nußdiebstahls strafen wollte. Wie leicht wurde mir aber
wieder ums Herz, als unser Dienstmädchen mit einem Licht und meiner
Nachtjacke hereintrat, die ich vergessen hatte.

                    *       *       *       *       *

In diesen Jahren gab mein Vater sich nicht viel mit mir ab und überließ
mich meinen Lehrern. Ich entsinne mich, wie ich ihm zwei Mal, aus der
Stadt kommend, erschreckt im Garten begegnete. Das erste Mal hatte ich
mich bewegen lassen, die Schule zu schwänzen und einen guten Freund auf
ein großes Linienschiff, den Elephanten, zu begleiten, das auf der Rhede
lag. Damals fühlte ich mich zum ersten Male von den Geistern unserer
unsterblichen Seehelden, Christian's IV., Tordenskjold's, Juel's,
Adeler's und Hvidtfeldt's umweht. Das Tauwerk, die Segel, die schöne
Kajüte, die Kanonen, die lustigen Matrosen, die hübsch gekleideten
Offiziere, die gute Mahlzeit: Alles verwandelte den Elephanten für mich
in ein Zauberschloß. -- Aber als ich nun nach Hause mußte, fing mir das
Herz zu klopfen an; ich war den ganzen Tag ohne Erlaubniß weggewesen.
So begegnete mir mein Vater im Garten, wie Adam dem lieben Herrgott
nach dem Sündenfalle. Aber nachdem er Alles gehört hatte, schalt er
mich nicht. Es sei nicht Zeit gewesen, erst darum zu fragen, und ohne
es darauf ankommen zu lassen, hätte ich einen seltenen Genuß und eine
nützliche Erfahrung entbehren müssen. Ein anderes Mal begegnete ich ihm
auch, als ich aus dem Wasser kam, aber triefend naß, denn ich war mit
den Kleidern hineingefallen, und mußte so nach Hause gehen. Da aber all'
meine Kleider durchnäßt waren, und mithin alle gleichmäßig eine dunklere
Farbe bekommen hatten, bemerkte mein Vater, der mit einem Fremden ging,
die Veränderung nicht. Ich zog meinen Hut sehr ehrerbietig ab, und
glücklicher Weise hielt er mich nicht auf; ich lief zu meiner Mutter
und sie half mir aus dieser, wie aus vielen anderen Verlegenheiten mit
mütterlicher Liebe, und dankte Gott, daß ich nicht ertrunken war.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Besuch der Kunstakademie.]

Eine andere Schule, in die ich auch gekommen war, mußte ich bald wieder
verlassen, weil man mich nicht in Frieden ließ und der Feind mir zu
stark war. Ich liebte das Zeichnen sehr; der Zeichnenlehrer in der
»Schule für die Nachwelt«, Herr Dinesen, fand, daß ich Talent hatte,
und da er zugleich Lehrer auf der Kunstakademie war, so schlug er mir
vor, dorthin zu gehen. Ich kam in die erste Freihandzeichnenschule. Mit
welcher Ehrfurcht betrachtete ich nicht die Gypsabgüsse der griechischen
Meisterwerke, im Gefühl und der Ahnung einer Schönheit, die ich noch
nicht verstand. Von Thorwaldsen wußten wir damals nichts weiter, als daß
er ein ausgezeichneter Schüler gewesen und nun in Rom war. Ich sollte
gerade in die nächste Klasse kommen, als ich die Zeichnenkunst aufgab.
Wie sollte ich auch dazu die Zeit bekommen, wenn ich den Tag über in
die Schule gehen, Abends bei Dickmann sein und dann noch meine Arbeiten
machen sollte? Aber es war noch ein Grund vorhanden. Zu einer gewissen
Jahreszeit besuchten die Malerburschen die Akademie. Diese großen Jungen
schlugen sich immer, wenn sie kamen, und gingen auf Königs-Neumarkt
und ließen uns Andere nicht in Frieden. Diesen Angriffen wollten meine
Eltern mich nicht aussetzen; außerdem verstand ich nicht mit dem
Rothstift umzugehen und war in der ganzen Zeit, wo ich die Akademie
besuchte, von einem strahlenden Heiligenschein umgeben. Ich gab deßhalb
das Zeichnen auf.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Privatstunden.]

Aber auch bei Dickmann waren mir die Privatstunden zu drückend, wenn der
Sommer kam und ich ganz den schönen Abendfreuden entsagen sollte, die
ich bis dahin in der freien Natur genossen hatte. Hierzu kam noch, daß
der gute Dickmann, der an Nahrungssorgen und häuslichem Kummer litt,
täglich verdrießlicher wurde. Einmal, als er uns eine schwierige Stelle
in einem lateinischen Autor übersetzt hatte, fragte er: »Verstehen Sie
es nun Alle?« -- »Ja!« lautete die Antwort. »Sie auch, Oehlenschläger?«
»Nicht ganz«, entgegnete ich, »wollen Sie vielleicht so gut sein, es mir
noch einmal zu übersetzen?« -- »Ach«, sagte er mit einem verächtlichen
Achselzucken, »ich sehe schon, wo es fehlt.«

[Sidenote: Dickmann's Unterricht.]

Er übersetzte es noch einmal, aber ich hörte kein Wort; ich war blaß,
wie eine Leiche, und zitterte am ganzen Körper. -- Kein Genie, das
ließ ich gelten; aber nun nicht einmal Kopf genug zum Studiren, ein
schlechterer Kopf, als all' die Anderen, das ging zu weit! -- Ich lief
zu meinem Vater und sagte ihm, daß ich keinen Beruf in mir fühlte,
ein gelehrter Mann zu werden; ich hätte mehr Lust zum Kaufmannsstande
und wünschte meine Abendstunden bei Dickmann aufzugeben. -- Mein
Vater ließ mir meinen Willen. Als ich Dickmann das letzte Monatsgeld
gab, war er sehr gutmüthig und bat mich noch auszuharren. »Lieber
Oehlenschläger«, sagte er, »kümmern Sie sich doch nicht um ein Wort,
mit dem ich Nichts meinte. Fragen Sie alle meine Schüler, ob ich ihnen
nicht oft viel schlimmere Dinge gesagt habe.« Er brauchte nicht so viel
zu sprechen, um mich ganz zu versöhnen und meine alte Liebe zu ihm
wieder zu erwecken. Ich suchte nun aus allen Kräften, mich in seinen
historischen Stunden auszuzeichnen. Wenn er uns unser Pensum aus Kall's
Weltgeschichte überhört hatte (ein Buch, das ich auswendig lernte, eben
so wie Pontoppidan's Erklärung in des Küsters-Schule), so hielt er uns
Vorträge über die specielle Geschichte der verschiedenen Länder. Er
hatte zu diesem Zwecke eine große Menge Excerpte aufgeschrieben und
trug vortrefflich vor. In der ersten Klasse schrieben Einige während
des Vortrags das Wichtigste dessen nach, was er sagte. Ich war in der
zweiten Klasse und dort schrieb Keiner, außer mir. Eines Tages sagte
er: »Ich möchte doch hören, was Sie da schreiben; lesen Sie es einmal
vor!« -- Ich las mein Geschriebenes, gut stylisirt, vor, denn ich hatte
die Feder schon früh führen gelernt. -- »Wahrhaftig, das ist mehr als
ich selbst machen könnte«, sagte er, und gab mir: »Ausgezeichnet gut!«
eine große Seltenheit bei ihm, da es sonst Keiner in der zweiten Klasse
bekam. Ich war entzückt vor Freude, stürzte in der Zwischenstunde in
die erste Klasse, mit dem Censurprotokoll in der Hand, rief: ich habe
»ausgezeichnet gut!« bekommen, und zeigte ihnen die Stelle, wo es
stand. Einige schlugen ein lautes Gelächter auf; aber Dickmann setzte
sie ernstlich zurecht, und erwies mir von dem Augenblicke an stets
Achtung. Ich fuhr fort, die Vorträge nachzuschreiben und hatte mein
kleines Schreibepult voller Excerpte über Mythologie, Geschichte,
Oekonomie, Bergwissenschaft und Anatomie. Aber Dickmann wurde immer
melancholischer, von Nahrungssorgen niedergedrückt, und seine Gesundheit
schwächer. Die ganze Richtung, welche mein Geist einschlug, war nicht
nach seinem Sinne. Wie alle Schöngeister der damaligen Zeit, hatte er
einen überwiegend einseitigen Hang zum Sentimentalen. Ich fing nach
der Natur des Knaben lustig und naiv an. Aber es war auch nicht durch
seinen poetischen Geschmack, daß er Einfluß auf mich ausübte. Der war
nicht sehr gut; er war, wie Viele jener Zeit, ein großer Bewunderer von
Kotzebue und setzte ihn beinahe über Shakespeare. Doch Holberg, Ewald,
Wessel bewunderte er, und später besonders Schiller. -- Aber Dickmann's
Vortrag in der Geschichte, die lebendige, begeisterte Art, in der er uns
die Charakteristik der großen Helden und ihrer Thaten gab -- riß mich
hin.

[Sidenote: Geschichts-Unterricht.]

Ueberall, wo die Humanität den Sieg gewann, oder wo das Heroische
sich auf eine edle, ungewöhnliche Weise äußerte -- da war Dickmann
begeistert, da flossen seine Thränen, da zitterte seine Stimme -- da riß
er uns Alle mehr oder weniger hin, besonders mich, der ganz entzückt
war. Die Geschichte war mir stets theuer und mein Lieblingsstudium,
als die Pflanzschule der Poesie, da mein liebstes und höchstes Streben
stets dahin gegangen ist, große Thaten und Charaktere zu idealisiren.
Aber so lieb wie mir die Geschichte war und ist, -- so daß meine Lektüre
fast immer historisch gewesen, -- so fern war dagegen mein Geist der
prosaischen herzlosen Art des Geschichtsstudiums, und diese widerte
mich an, je mehr sie zu einem bloßen Namen- und Jahreszahlenregister,
zu einer diplomatischen Abhandlung ward. Und doch wurde sie von Vielen
nur auf diese Weise geachtet, von Vielen, deren größte Schultüchtigkeit
ein gutes Gedächtniß war. Ich entsinne mich z. B. sehr gut, daß
Professor =Abraham Kall=, dessen mächtiges Gedächtniß ihn, aber
auf Kosten des Gefühls und der Phantasie, sehr gelehrt machte --
Dickmann's Art, die Kinder in der Geschichte zu unterrichten, als
bloßes Anekdotenwesen verwarf. Meiner Ansicht nach ist die lebendige
Darstellung der charakteristischen Züge, welche die Personen bezeichnen
und die Zeit, in der diese leben, gerade die rechte Weise, Kindern
Geschichte vorzutragen; denn diese soll nicht nur ein Vademecum für
den Zeitvertreib werden. Aber die Anekdote ist ja eigentlich nichts
Anderes, als die kurze Erzählung einer einzelnen Handlung und deren
Beweggründe. Das Leben aller Menschen besteht aus solchen. Es kommt nur
darauf an, die wichtigsten, bedeutungsvollsten zu erzählen und sie so
nach einander zu ordnen, daß diese Perlen, auf die Schnur der Zeitfolge
gezogen, das Halsband der historischen Muse bilden. Aber in dem Gewimmel
unbedeutender Namen, einförmiger elender Handlungen sinkt so zu sagen
das Wirkliche, die wichtige Geschichte der Menschheit, unter. Diese
Erinnerungsübungen mögen einem eiteln Gedächtniß schmeicheln und von der
Einfalt bewundert werden -- aber sie haben Nichts für das Herz und die
Vernunft zu bedeuten. Der eigentliche Historiker muß zwar dies Alles
kennen, so wie der Perlenfischer all' die Austern öffnen muß, die er
trifft, um seinen Schatz zu finden; aber er soll uns mit den leeren
Austerschalen verschonen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Mnemotechnische Uebungen.]

Dickmann hatte eine eigene Art, die er von seinem Rector in Bergen
gelernt hatte, uns die Jahreszahlen besser im Gedächtniß behalten
zu lassen, nämlich durch Worte, statt der Zahlen. Wenn dieses Wort
nun in seinem Klange Etwas hatte, welches das Charakteristische bei
einem Helden oder einer Begebenheit andeuten konnte, so war dies
vorzuziehen, meistens aber war es nicht möglich. In wie weit diese Art
der gewöhnlichen vorzuziehen sei, ist eine Frage. Gall hat ja einen
Unterschied in den Organen für Namen- und Zahlengedächtniß gefunden.
Daß man im Allgemeinen keine Erleichterung dadurch gehabt habe, muß
ich voraussetzen, da diese Art, welche doch von Vielen gekannt war,
wieder ganz aufgehört hat. Mir half es unendlich viel, da ich sonst die
Zahlen gleich wieder vergaß. Zum Examen konnte ich dagegen dem Professor
Kjerulf alle Jahreszahlen nennen, nach denen er mich fragte, und wenn
die Anderen sie nicht wußten, so wandte er sich lächelnd an mich,
und ich sagte sie ihm gleich, wenn ich nur erst das Wort mit meinem
Finger aufs Kniee schreiben durfte, und mir Zeit gelassen wurde, es
auszurechnen.

                    *       *       *       *       *

Dickmann hatte, ungeachtet seiner Melancholie, etwas Gutmüthig-Launiges
in seinem Wesen, das uns sehr amüsirte. Er scherzte, ohne sich etwas
an seiner Würde zu vergeben. Einer seiner Scherze war, daß er that,
als ob er sich nicht unserer Namen entsinnen könne, und uns nur
abwechselnd »Christoffersen« oder »Blokkus« nannte. Die Entstehung
dieser Benennungen weiß ich nicht. Aber deßhalb ging es doch gleich
ernsthaft mit den Fragen, und wenn Christoffersen oder Blokkus ihre
Lectionen nicht wußten, so bekamen sie Ng., M. oder S., d. h. Nicht
gut, mittelmäßig oder schlecht. Ich habe in der Schule nie »schlecht«
bekommen, nur zwei Mal »mittelmäßig« und selten »Nicht gut«. --
Dickmann liebte es, das Spießbürgerliche zu persifliren und erzählte
uns, wie ein Innungs-Aeltester der Branntweinbrennerzunft einmal sehr
gravitätisch seine Rede mit den Worten begonnen habe: »Meine Herren und
Branntweinmänner.«

[Sidenote: Der Mensch ein Lichtgießerschild.]

Oft wenn er in Gedanken und seufzend da saß, sagte er scherzend, wenn
er sah, daß wir's bemerkten: »Ach ja! was sind wir Menschen doch
weiter als Lichtgießerschilde und Käse!« Das erste Gleichniß hatte er
von einem Friseur gelernt, der einmal, als er ihn bediente und ihn
seufzen hörte: »Ach ja! was sind wir Menschen«, sagte: »»Ja, was sind
wir wohl anders als Lichtgießerschilde!«« »Lichtgießerschilde?« fragte
Dickmann verwundert. »»Ja, Herr Dickmann, wenn wir's recht überlegen,
so sind wir im Grunde genommen nichts Anderes; wir müssen uns ja nichts
einbilden.«« »Ich bilde mir gar Nichts ein«, sagte Dickmann, »und will
sehr gern gestehen, daß wir ungeheuer wenig sind; aber warum gerade
Lichtgießerschilde?« -- »»'s hilft Nichts, Herr Dickmann, daß man sich
Honig um den Mund schmiert, wir sind, weiß Gott, nichts Anderes!«« Es
dauerte lange, ehe Dickmann den Grund zu diesem wunderlichen Gleichnisse
erfahren konnte. Endlich sagte der Friseur: »»Was sind wir anders?
Lassen wir uns vom Winde nicht hin- und herbewegen, gerade wie ein
Lichtgießerschild?«« Nun verstand Dickmann ihn, und um das Gleichniß
vollständig zu machen, fügte er »Käse« hinzu, weil wir nach unserem
Tode ganz so, wie der Käse, von Würmern verzehrt werden.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Aufenthalt bei Gosch.]

Storm behandelte uns zuweilen mit einer gewissen launigen Ironie, die
stets sehr gute Wirkung that. Er war weit davon entfernt, den spätern
deutsch-philantropischen, moralischen, frommen Ton zu gebrauchen, der
so leicht zu süßer Sentimentalität und dann zur Heuchelei übergeht.
Wenn einmal Einer in seiner Stunde die Arme, wie ein Bauer, auf den
Tisch gelegt, und den Kopf darauf gestützt hatte, so sagte er trocken zu
seinem Pflegesohn Paul Rasmussen: »Ach Paul, gehe hinein und hole für
N. N. ein Kopfkissen!« Gleich zog N. N. seine Arme zurück. Storm hatte
einmal Einem, der immer naseweis und altklug war, Etwas befohlen, das er
nicht gethan hatte. »Warum hast Du Das nicht gethan?« fragte er nun in
Aller Gegenwart. -- »»Ich meinte«« -- »Du sollst nicht meinen!« -- »»Ich
dachte«« -- »Du sollst nicht denken!« -- »»Ich glaubte!«« -- »Du sollst
nicht glauben, sondern thun, was ich Dir sage.«

Zu Hause bei Gosch war eine Veränderung vorgegangen; wir zogen in ein
anderes Logis, wohnten aber lange nicht so gut, wie früher. Hier bekam
ich das Scharlachfieber in ziemlich hohem Grade. Als ich mich zu erholen
anfing, aber noch sehr matt war, von meinen Eltern, meiner Schwester,
meinem Friedrichsberg und der gesunden Luft getrennt, und außerdem
fühlte, daß ich den Fremden zur Last sei, weil ich mehr Pflege, als
gewöhnlich erforderte, -- lag ich eines Tages im Bette, weinte und
verbarg meine Thränen; da kam ein Junge zu mir, der Peter hieß und nicht
gerade wegen seines brillanten Kopfes bekannt war; er spielte mit dem
Papagey, dessen Bauer nicht fern von meinem Bette stand. Es amüsirte
ihn, das Thier so wüthend zu machen, daß die Federn auf dem Kopfe sich
sträubten. Während dies nun stets mit seinem scharfen Schnabel nach
Peter's Finger hackte, der sich immer zeitig genug von den Stahldrähten
zurückzog, starb dieser beinahe vor Lachen und stammelte (denn er
stammelte immer etwas): »Ach! ha -- ha -- hat Po -- Po -- Polly eine
kleine Perücke! Soll ich Polly die Pe -- Per -- Perücke abreißen!«
Dazwischen schrie der Papagey in seinem wüthenden Rasen; und diese Scene
trug nicht wenig dazu bei, mich aufzuheitern, so daß ich mich bald
erholte. Einige Tage darauf nahm meine Mutter mich nach Friedrichsberg
hinaus.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Eine neue Heimath.]

Gosch bekam eine Anstellung als Zollverwalter auf Fehmarn, und ich kam
nun in das Haus eines Controleurs bei der westindischen Compagnie, der
Laasbye hieß. Sein gutes sanftes Weib war eine vortreffliche Hausmutter;
er war auch freundlich und erwies mir alles Gute, war aber ganz
unwissend und ohne Bildung. In den ersten Tagen, um mir das Bittere der
Trennung von meinen andern Lieben zu mildern, nahm er mich ein Mal auf
die Zollbude mit hinaus, wo große Zuckerfässer aufgeschlagen wurden.
Bei dieser Gelegenheit schenkte Einer der Leute mir einen ungeheuer
großen Klumpen Zucker. Ich war bisher immer gierig auf Zucker gewesen,
und hatte, da er mir nur in kleinen Quantitäten zugetheilt wurde, nie
meiner Lust genügen können. Ich fing nun an, den Zuckerklumpen aus allen
Kräften zu bearbeiten, aber am Ende schmeckte ich gar nichts mehr, und
ich wurde seiner zuletzt so überdrüssig, daß ich ihn ins Meer warf, was
mir später sehr Leid that, und mit schmachtenden Blicken stand ich oft
am Ufer und starrte an dem Orte in die Wellen, wo der schöne Zucker ohne
Nutzen geschmolzen war.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Mein Pflegevater.]

Es war ein großer Abstand von Gosch's, wo ich Spielkameraden hatte, zu
Laasbye's, wo ich mit den beiden stillen Leuten ganz allein war. Sie
hatten nicht mehr als zwei Zimmer, einen sogenannten Saal von vier
kleinen Fenstern und eine kleine einfenstrige Schlafkammer. In dieser
Kammer wurde mein Feldbett aufgeschlagen, und da schliefen wir alle
Drei. Glücklicher Weise war der Mann ein großes Kind; und so wie es oft
zwischen unwissenden Erwachsenen und halb erwachsenen Knaben ergeht,
welche die Schule besuchen -- der Unterschied in der Bildung hebt die
Verschiedenheit des Alters auf, und sie werden einander gleich -- so
ging es auch hier. Wir spielten zusammen. Ich hatte eine sogenannte
_flûte douce_ mitgebracht, auf der ich alle Melodieen spielen konnte,
die ich hörte. Ich lehrte auch Laasbye darauf blasen, und bearbeitete
sie nun jeden Abend im Dunkeln im Saale, während die Betten gemacht
wurden. Des Abends las ich ihm laut aus Unterhaltungsbüchern vor, und
es schickte sich durchaus nicht (die Dankbarkeit verbot es mir ganz
und gar) leise für mich in meinen Schulbüchern zu lesen; doch fand
ich noch immer des Morgens ein Bischen Zeit -- und im Ganzen galt ich
für einen tüchtigen Zögling in der Schule. Nur mit dem Französischen
wollte es nicht recht gehen. Wir hatten einen Lehrer, Herrn Haslund,
der sehr eifrig war und uns oft schlug; aber das half nicht viel; doch
danke ich es seinen Püffen, daß ich das schwierige Verbum _s'en aller_,
den Schlüssel zu vielem Andern, gründlich lernte. Herr Haslund war ein
Jütländer, kahlköpfig, mit gepuderter Lockenperrücke und mit einem
kleinen Zopf im Nacken. Er verstand nicht die Kunst, sich beliebt zu
machen, und deshalb lernten Viele von uns Nichts. Wen ich nicht liebte,
von dem konnte ich auch Nichts lernen. Es ging mir mit _Marmontel's
Contes moreaux_ und mit _Fénélon's Telemaque_, wie in frühern Jahren mit
»Malling's großen und guten Handlungen.« -- es verging lange Zeit, ehe
ich den bittern Geschmack aus dem Munde bekommen konnte, wenn ich diese
Bücher lesen wollte.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Fortschritte in der Schule.]

Indessen war ich in die erste Klasse gekommen und war ein ganzes Jahr
Primus, weil ich in der Schule blieb und keine andere Bestimmung
hatte. Die Anstalt war in vielen Beziehungen vortrefflich und in ihrem
ersten blühenden Zustande eine Art Gymnasium und die erste im Lande,
wo Ordnung und Geschmack in der Einrichtung herrschten, wo für die
Bildung der Sitten und des Herzens gesorgt wurde. Die meisten der
alten Schulen waren noch Pferde- oder Schweineställe, wo Einem zwar
griechisch und lateinisch eingeprügelt wurde, die man aber oft noch
roher verließ, als man hineingekommen war, ja die Knabenstreiche arteten
nicht selten in Niederträchtigkeit und Schurkerei aus. Der einzige
Fehler, welchen unsere Schule hatte, war, daß sie für eine Vorschule
eine zu schöne Einrichtung besaß, und etwas Anderes war sie im Grunde
doch für die Meisten nicht. Wer Militair werden sollte, kam von hier
auf die Akademieen, wer studiren sollte, verließ die Schule, wenn er
sie zur Hälfte durchgemacht hatte, oder nahm Privatstunden, was für
einen muntern Jungen, dessen Phantasie auch der Freiheit und Natur
bedurfte, zu anstrengend war. Ich wenigstens konnte mich noch nicht
darein finden, zwei Stunden zu sitzen, wenn ich schon sechs gesessen
hatte und dann noch zu Hause an meinen Aufgaben zu arbeiten. Die Schule
»für Bürgertugend« war ungefähr zu derselben Zeit, wie die Schule »für
die Nachwelt« gestiftet, es war eine gelehrte Schule, in der der alte
Möller gute Studenten bildete; aber als Erziehungsinstitut hatte unsere
Schule doch gewiß bei Weitem den Vorzug. Indessen fühlte ich doch
selbst bald, daß sich auf diese Weise kein Weg für mich eröffnen würde;
durch Winckler, der in die Schule »für Bürgertugend« ging und starke
Fortschritte machte, bekam ich auch Lust, dorthin zu kommen; ich bat
meinen Vater darum, aber er schlug es mir rund ab. Storm hatte meinen
Plan erfahren; als er ihn hörte, lächelte er und schwieg. Es blieb beim
Alten; noch wußte ich selbst nicht recht, weshalb, endlich erfuhr ich,
was man mir bisher aus einer falschen Schaam verschwiegen, daß ich
einen Freiplatz hätte, und daß mein Vater nicht die Mittel besäße, für
mich zu bezahlen, wenn er mich zugleich in der Stadt in Kost und Logis
geben sollte. Sobald ich dies erfuhr, so fand ich mich geduldig in mein
Schicksal und suchte in den letzten Jahren so viel als möglich von der
Schule zu profitiren.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Die französische Revolution.]

Es war die Zeit des Directoriums in Frankreich. Die entsetzliche
Revolution war vor sich gegangen, ohne daß wir Kinder viel dabei
empfanden und wir hörten auch von unseren Lehrern nicht viele
Aeußerungen des Mitleids über Ludwig XVI. und die Königin Marie
Antoinette. Das edle Feuer, welches die ersten, herrlichen kräftigen
Männer der Revolution dazu gebracht hatte, die Sklavenbande der
Despotie abzuschütteln, hatte sich der Herzen bemächtigt. In weiter
Entfernung weckt Unglück das Mitleid nicht genügend, man merkte nicht
recht, daß die erste herrliche Zeit der Revolution von dem Kanibalismus
der Jakobiner durchaus verschieden war; man sah in dem König und der
Königin von Frankreich Personen, welche die Constitution gebrochen und
heimlich unter einer Decke mit Frankreichs Feinden gespielt hatten; dies
schwächte das Mitgefühl für das tragische Schicksal des unglücklichen
Königpaars. Darum konnte selbst der edle Storm ruhig an dem Tage
hereinkommen, als die Zeitungen mit der Nachricht von König Ludwigs
Hinrichtung eingetroffen waren, und sagen (doch natürlich ganz ohne
Spott, nur in einem gewissen stillen Humor) -- »Sie nannten ihn Ludwig
Capet, nun ist er Ludwig Caput!«

                    *       *       *       *       *

Kinder machen, wie die Affen, Alles nach. Wir hatten auch ein
Directorium gemacht, wo ich der erste Consul war, sowie Bonaparte,
und ich hatte zwei Mitconsuln, die auch Nichts zu befehlen hatten,
ebensowenig wie Sièyes und Cambacèrés. Das Spaßhafteste war, daß ich
Gesetze für meine Republik entwarf, deren erster Artikel also lautete:
»Da kein Staat ohne einen obersten Anführer bestehen kann, so wollen
wir einen solchen wählen.« Diesem Obersten mußte nun die Republik
unbedingten Gehorsam schwören, und so ahmte ich, ohne es selbst zu
wissen, Bonaparte vollständig nach, und stiftete eine Republik, wie
später Dr. Francia in Paraguay. An der Spitze meiner Republik zog ich
auch ein Mal gegen ein Heer der Schule »für Bürgertugend« aus, und wir
beabsichtigten eine Schlacht zu liefern, aber es wurde Nichts daraus,
sondern blieb nur bei Märschen und Manövern.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Storm's Tod.]

Das Merkwürdigste, das ein Jahr, bevor ich die Schule verließ, eintraf,
war Storm's Tod. Er hatte einen schlimmen Husten, der überhand nahm,
und ihn ins Grab legte; kurz vor seinem Tode war er zum Theaterdirector
ernannt; und, ich hätte beinahe gesagt, es war gut, daß er starb; --
denn es wäre nie gut gegangen. Ich kannte keinen Menschen, weniger zu
diesem Posten geeignet, als den edeln, vortrefflichen Storm, wenn ich
einige Andere aus späterer Zeit ausnehme. Er hatte ein mittelmäßiges
Stück geschrieben, welches »Erast« hieß und allgemein mißfallen
hatte; -- ob er auf Grund dieses Stückes zu dem Posten vorgeschlagen
war, weiß ich nicht. Zur Administration des Theaters war er durchaus
nicht geeignet; Er, der launische, sonderbare Junggeselle ohne
Weltkenntniß, dessen ganzes Streben bisher nur dahin gegangen war, die
Unschuld der Kinder zu bewahren, und mit frommer, stiller Weisheit die
unverdorbenen weichen Herzen zu bilden. -- Dieses Amt würde ihm gewiß
viele Unannehmlichkeiten bereitet haben, vielleicht hätte er dadurch
selbst Etwas von seinem herrlichen Gleichgewicht verloren. Er starb,
da seine Gesundheit doch untergraben war, zu rechter Zeit. Daß er auch
gleich in ein eigenthümliches Verhältniß zu dem ersten Theaterdirector
gekommen wäre, welches sich nicht so leicht zur Befriedigung beider
Parteien hätte ausgleichen lassen, wenn er sich wieder erholt hätte,
erfuhr ich erst einige zwanzig Jahre später, eines Mittags beim
Grafen Schimmelmann, als ich neben dem Oberkammerherrn Hauch saß und
das Gespräch auf Storm kam. Ich lobte ihn, und Hauch sagte in der
gutmüthigen Laune, die ihm eigen war und ihm so gut stand: »Ja, es war
gewiß ein prächtiger Mann; aber mir hat er, trotzdem wir Amtsbrüder
waren, nur ein einziges Wort gesagt, und das war: »Scheußlich!« --
»Wie, Ew. Excellenz?« fragte ich verwundert. -- »Ja!« fuhr Hauch fort,
»ich hatte ihn nie gesehen, noch gesprochen, als er Director wurde. In
denselben Tagen erkrankte er. Ich schickte meinen Läufer hin und ließ
fragen, wie er sich befinde. Er begegnete dem Läufer in der Thüre,
antwortete »Scheußlich!« und warf ihm die Thüre vor der Nase zu. Er
hatte ganz Recht, denn wenige Tage darauf starb er.«

                    *       *       *       *       *

Es herrschte eine außerordentliche Betrübniß in der Schule, als wir
eines Morgens hinkamen und hörten, Storm sei todt! Während er kränkelte,
brachte ich ihm regelmäßig Melonen, Pfirsichen und Weintrauben von
Friedrichsberg, die mein Vater sich für mich vom Hofinspector erbat, da
ich wußte, daß Storm ein großer Liebhaber von feinen Früchten sei, und
dies das Einzige war, was ihn in den letzten Tagen erquickte. Es war
mir ein seliges Gefühl, wenn er meine kleinen Gaben freundlich annahm,
er, der mir so viel geschenkt hatte, und sagte: »Hab' Dank, mein liebes
Kind!« -- Nun aber hatte er mehrere Tage auf dem Friedrichshospital
gelegen, und heute war er gestorben. Fast Alle weinten. Die
Liebevollsten unter uns sehnten sich darnach, ihren entseelten Lehrer
mit dem guten freundlichen Gesicht zu sehen, und ihm das letzte Lebewohl
zu sagen.

In der ersten Stunde kam Lindrup, ein braver, tüchtiger Lehrer der
Mathematik, aber so kalt, wie die Wissenschaft, in der er Unterricht
gab. Er begegnete unserer Betrübniß mit einem unzufriedenen Gesicht,
tadelte unser Gefühl als schwach, und als wir äußerten, daß es uns
unmöglich sei, aufzupassen und um Erlaubniß baten, fortzugehen, um
Storm's Leiche zu sehen, merkte ich deutlich, daß er es für Heuchelei
und einen Deckmantel unserer Faulheit ansah. Er befahl uns, uns zu
setzen, aufzupassen und versicherte, daß wir Storm keine größere Liebe
erweisen könnten, als wenn wir fleißig wären und unsere Arbeiten gut
machten. Wir setzten uns hin; aber ich erglühte und bebte vor Zorn.
Das natürliche Dankbarkeitsgefühl für einen edeln Wohlthäter in einem
jungen Herzen sollte unterdrückt werden, um Etwas ohne Aufmerksamkeit
zu treiben, was wir eben so gut und noch besser morgen lernen konnten.
Mit jedem Triangel und Zirkel, den er an die Tafel schrieb, wuchs mein
Zorn. Ich veranlaßte meinen Nachbar Falch, den Lindrup gern mochte,
um Erlaubniß zu bitten, daß er einen Augenblick hinausgehen könne.
Er erhielt sie. Gleich lief er nach meiner Anweisung zum Etatsrath
Professor Nörregaard hinüber, der im Vordergebäude wohnte und einer der
Schuldirectoren war. Falch schilderte ihm unsere Trauer und bat, uns
heute frei zu lassen, da wir nicht aufmerksam sein könnten. Er gab uns
die Erlaubniß. Falch hatte sich wohl gehütet, von Lindrup's Ansicht zu
sprechen. Er eilte wieder in die Klasse zurück und rief uns Anderen
zu: »Nörregaard hat uns frei gegeben!« -- »Adieu, Herr Lindrup!« rief
ich, riß meinen Hut vom Nagel und stürzte mit den Uebrigen hinaus. --
Obgleich Trotz in Dem lag, was wir thaten, hat Lindrup doch wohl durch
näheres Ueberlegen gefunden, daß es ein verzeihlicher Trotz war, denn er
faßte keinen Groll gegen mich und sprach nicht mehr von der Sache.

Ich ging mit mehrern Anderen nach dem Friedrichshospital. Als wir
eintraten trugen zwei Männer eine Bahre mit einer zugedeckten Leiche
über den Hof. »Können Sie uns nicht sagen, wo Storm's Leiche ist?« --
»Hier!« -- Wir folgten den Leichenträgern und waren somit das erste
Grabgeleite des todten Freundes. Als die Bahre in der Kammer hingesetzt
wurde, enthüllte man sein Gesicht; wir sahen es zum letzten Male,
überließen uns unseren Gefühlen und gingen.

                    *       *       *       *       *

Einige Tage darauf wurde er auf dem Assistenzkirchhofe begraben. Die
Zöglinge der Schule waren alle zugegen. Ueber seinem Grabe wurde später
ein Monument mit einem Basrelief in Marmor, sein Kopf, nach einer sehr
ähnlichen Zeichnung, welche sein Pflegesohn Paul Rasmussen aus dem
Gedächtniß entworfen hatte, errichtet. Besser als in Marmor findet man
dieses Bild in Kupfer gestochen, vor Storm's gesammelten Gedichten.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Storm als Dichter.]

Storm war kein großer Dichter, er hatte keine schöpferische Phantasie,
sein Gefühl konnte sich nicht vielseitig bewegen und verschiedene
Eindrücke aufnehmen, er erglühte nicht von dem starken Feuer, dessen es
zur höchsten Begeisterung bedarf, sein Witz und seine Laune waren nicht
glänzend; er hatte sich nicht in sehr verschiedenen Lebensverhältnissen
bewegt, und kannte die Welt mehr aus Büchern, als aus der Erfahrung.
Sein »Erast« ist eine schlechte Komödie, sein »Bräger« ein schlechtes
komisches Heldengedicht, und in den meisten seiner Verse finden sich
nicht viele poetische Funken. Aber er war ein echter Christ, ein echter
Norweger, ein echter Menschen- und Kinderfreund. Er hatte die Sprache
zum Theil in seiner Macht, war von unseren alten Heldenliedern und den
Schönheiten seines Vaterlandes begeistert, darum werden auch =Zinklar's
Weise=, =Jönndalen= und einige seiner religiösen Lieder ihren Werth in
der dänischen Dichtkunst bewahren.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Abermaliger Umzug.]

Laasbye zog wieder in eine neue Wohnung, die noch weniger hübsch
war, als die frühere. Erst viele Jahre später erfuhr ich, daß das
berühmte Schauspielerpaar Preisler dort gewohnt hatte, wo ich viele
Tage der Kindheit zugebracht und im Dunkeln mit Laasbye auf der
_flûte douce_ spielte. Nun wohnten wir bei einem Branntweinbrenner in
einem beständigen Treberdampfe und dem schrecklichsten Gesinge der
Straßenausrufer. Aber ich fühlte nichts von all' dem Drückenden um uns
her, wenn ich Robinson auf seiner Insel folgte, oder in den Feenpalästen
von »Tausend und einer Nacht« umherschwärmte. Madame Laasbye's Bruder
hieß Wulf, und war Koch in der königlichen Küche. Zuweilen besuchten wir
Wulfs. Da war eine Dame, die als Mittelpunkt für die Bewunderung der
Gesellschaft strahlte, Madame Obel, eine berühmte Fruchthändlerin. Sie
war sehr dick und fett und mit schweren goldenen Ketten geschmückt, die
sich mehrere Male um Hals und Arme schlangen, so daß sie mir zuweilen
wie ein mexikanisches Götzenbild erschien. Von Wulf entsinne ich mich,
daß er viele Jahre später, als er älter und Pensionair geworden war,
mir oft im Friedrichsberger Garten begegnete, und mich jedesmal fragte,
»ob ich nicht den Kukuk hätte rufen hören? ob ich nicht wüßte, wo der
Kukuk sei?« Ich konnte niemals begreifen, was er damit sagen wolle,
bis ich entdeckte, daß der alte Mann vom Kukuk wissen wollte, wie viel
Jahre er noch zu leben hatte. -- Ich zweifle nicht, daß der Kukuk ihn
genarrt hat. Er war mit seinen Prophezeihungen zufrieden, wollte aber
der Sicherheit wegen sie doch immer wieder hören; bis er aus gewissen
Gründen nicht mehr wiederkehren konnte. Er war nämlich todt, aber der
Kukuk rief lustig fort.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Erste und letzte Jagdpartie.]

Es herrschte stets ein munterer Ton zwischen Laasbye's und mir. Ich
mochte gern scherzen und die Frau nannte mich Eulenspiegel. Ein kleiner
Zug unsers gemüthlichen Verhältnisses mag statt mehrerer anderen hier
stehen. Ein Freund des Mannes kam einmal, und schlug uns vor, auf die
Spatzenjagd zu gehen. Es war im Winter. Ich war nie früher auf der
Jagd gewesen, und so viel ich weiß, war dies auch das letzte Mal. Wir
bekamen Jeder eine geladene Büchse und gingen nun die Landstraße nach
Friedrichsberg hin, wo Spatzen genug zu sein pflegten. -- Heute aber war
unglücklicher Weise keiner da, oder mochte es vielleicht daher kommen,
daß wir keinen treffen konnten? Genug, ein einziger Spatz war unsere
ganze Beute. Den bat ich mir aus und ersuchte die Anderen, mich machen
zu lassen, wenn wir zur Frau nach Hause kämen, die eine vortreffliche
Haushälterin war, und uns versichert hatte, sie würde die Spatzen,
die wir schössen, braten, daß sie wie Lerchen schmecken sollten. Aber
zuerst ließ ich mir die Taschentücher der Anderen geben; damit stopfte
ich mir die Taschen aus und ließ unseren einzigen Spatz halb aus der
Tasche heraushängen. Mit vergnügtem Gesicht trat ich ins Zimmer und die
Anderen folgten mir. »Na«, rief die Frau, »wie ist's gegangen, habt Ihr
eine glückliche Jagd gehabt?« Ich sagte kein Wort, sondern zeigte auf
meine Tasche. »Jesus, mein Herzensjunge!« rief sie, »Du hast ja so viel,
daß sie herausfallen.« Sie griff begierig zu, fand sich aber bitter
getäuscht, und ich wurde wieder Eulenspiegel genannt.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Erster Theaterbesuch.]

Meine größte Freude war's, wenn ich zuweilen ein Parterrebillet bekommen
konnte. Dann spielte ich schon im Voraus damit, schloß die Augen, warf
es in einen Winkel, ohne zu wissen, wohin, da ich mich erst auf der
Hacke umdrehte; darauf suchte ich es, und wenn ich es fand, stürzte ich
wie über einen wirklichen Fund und wunderte mich sehr und jubelte über
das große Glück, gleich dem Bergmanne, der plötzlich im Kupferwerk eine
neue Silberader entdeckt. -- Dieses Spiel, die Augen zu schließen, Etwas
fort zu werfen, um es dann wieder zu finden, wandte ich auch bei anderen
Dingen an; aber es kam mir einmal bei einem neuen Federmesser theuer zu
stehen, mit dem ich so im Friedrichsberger Garten spielte, und es nie
wieder fand, da es sich im Sande verborgen hatte.

Das erste Stück, welches ich in meinem Leben sah -- ich war sieben bis
acht Jahre alt, -- hieß »die verliebten Handwerker«. Mein Vater nahm
mich von Friedrichsberg mit. Es war ein kalter Winterabend, Schnee lag
auf dem Wege, aber es war sternenhell. Mit tiefem Gefühle sehe ich
noch immer, wenn man dieses Stück spielt, dieselbe Decoration, welche
damals meinen kindlichen Augen begegnete. Die kleine Tischlerwerkstatt
im Hintergrunde mit ihrem Gitter und ihrer Hobelbank, die Häuser des
Schuhmachers, des Schmiedes und der Jungfer Engelke, wie bezauberte
mich Das! Und es bezaubert mich noch immer durch seine schöne Musik,
durch seine lustigen und komischen Charaktere und Situationen. Das
Satyrische darin konnte ich als Kind noch nicht verstehen; aber das
eigentliche Poetische, das lustige Leben der Handwerker, wo Musik und
Liebe sich mit der täglichen Beschäftigung vermischen; der Gegensatz des
französischen Friseurs zur Plumpheit des Schmiedes und des Schuhmachers,
wie wenn ein Schmetterling um einen Mistkäfer umherflattert, -- all'
Das bewegte sich in dem bezaubernden unsichtbaren Elemente der Musik,
welches das Plumpste zu etwas Höherem idealisirte. Ich befand mich, wie
im Paradiese. Ich fragte meinen Vater, ob ich auch klatschen dürfe, und
als er mir sagte, daß Jedem, der bezahlt habe, das Recht zustehe, seine
Meinung zu erkennen zu geben, zog ich meine wollenen Handschuhe aus und
schlug in die Hände, bis sie ganz warm wurden. Etwas aber, was ich gar
nicht begreifen konnte, war, wie sie all' die Häuser, Gärten und Straßen
gemalt hätten; denn ich glaubte, das würde immer gleich gemacht. Ich
fragte meinen Vater, aber er hatte, so viel ich mich entsinne, auch
keine deutliche Vorstellung davon.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Der Schloßbrand.]

In die zwei letzten Jahre meines Schulbesuchs fielen die großen
Feuersbrünste von Christiansburg und Kopenhagen. Die erste 1795 mitten
im Winter, brach eines Nachmittags aus, als ich auf dem Friedrichsberger
Schlosse saß und mit meiner Schwester zeichnete. Wir hatten einen
Farbenkasten bekommen und es amüsirte uns, Papier zusammenzukleben und
uns selbst ein Spiel Karten zu machen. Mein Vater sah in der Dämmerung
zum Fenster hinaus: »Was ist das«, rief er, »steigt der Mond über
Christiansburg hin auf? Wir haben ja nicht Mondschein?« -- Bald erfuhren
wir, was es war, und ich ging mit meinem Vater nach der Stadt, wo wir
von der Marmorbrücke aus Zeugen des fürchterlich schönen Schauspiels
waren. Ich habe nie in meinem Leben ein solches Feuermeer gesehen, weder
früher, noch später. Die Flammen waren erst in den Sälen eingeschlossen,
die kostbaren Gardinen brannten in den Fenstern, wie ein Stückchen
angezündetes Papier. Endlich durchbrach das Flammenmeer das Kupferdach,
schmelzte es, und mit den schönsten Farben stiegen die rothen, blauen
und grünen Flammen in die Luft. Noch stand der Thurm, wie ein dunkler
Riese, mitten im Feuer, lange spottete der ungeheure Riesenkörper den
lüsternen Flammenküssen, mit denen die Salamander an seinem Harnisch
emporleckten. Endlich wankte der Riese, und mit einem entsetzlichen
Krachen stürzte er durch alle Stockwerke hinab. Von diesem Augenblicke
an war Alles Flamme, als ob die Hölle ihren Schlund geöffnet hätte, als
ob Vesuv oder Aetna auf den Schloßplatz hin versetzt wären; und ich bin
überzeugt, daß kaum jene Berge so viel Feuer auf ein Mal ausspeien, wie
die Mauern hier in der rabenschwarzen Nacht. -- Als ich mit meinem Vater
wieder nach Hause kam, war es bis zu Friedrichsberg und gewiß noch eine
Meile weiter ganz hell. Bei uns zu Hause konnte man bei dem Scheine des
Schloßbrandes deutlich lesen. Eine lange lichtgelbe Rauchsäule zog mit
dem Winde über das Südfeld dahin, und einiges verbrannte Papier, das
durch die Luft geführt wurde, fiel dort erst nieder. Man hatte gar
nicht geglaubt, daß das Schloß brennen könnte, und die Mauern brannten
auch nicht; aber die unzähligen Ofenröhre, welche durch das Gebäude
kreuz und quer, oft in der Nähe leicht brennbarer Wände liefen, sollen
die Veranlassung dazu gegeben haben. Man erzählte, daß die Leute im
Schlosse gar nicht hätten räumen wollen, und als die Matrosen kamen, um
zu retten, sagten Einige: »Wir dürfen nicht eher räumen, als bis wir
Ordre haben.« »»Da ist, hol' mich der Teufel, die Ordre««! riefen die
Matrosen und zeigten auf das Feuer, das zu den Fenstern herausschlug.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Große Feuersbrunst.]

Im nächsten Jahre, 1796, wüthete in Kopenhagen eine Feuersbrunst, die
ebenso prosaisch, wie jene poetisch war. Das Gefühl des Verlustes der
königlichen Burg war nicht mit schmerzlichem Mitgefühl über grenzenloses
Unglück verbunden. Es ging damals gerade über den Mann im Lande her,
welcher die besten Mittel hatte, sich ein neues Haus zu bauen. Das
historisch Merkwürdige bei dem alten Schlosse verschwand nicht ganz,
die riesenstarken Mauern blieben stehen; man hoffte, daß die Burg sich
schöner aus der Asche erheben würde, und dies ist auch geschehen,
wenngleich ich aristokratische Seelen darüber habe klagen hören, daß
der Steinkoloß dadurch an seiner Großartigkeit verloren habe, daß er
auf einer Seite nach den Colonnaden zu der frischen Luft geöffnet
worden, und daß der Thurm fort sei. -- Die Feuersbrunst der Stadt brach
mitten im Sommer im blendenden Sonnenlichte aus, das kaum die Flammen
sehen ließ, die sich nach und nach, wie ein verzehrender Krebs immer
weiter über den großen Körper ausbreiteten. Ich wagte mich in eine
solche Straße hinein und bemerkte kaum den flammenden Balken, welcher
nicht weit von mir herabfiel. -- Aber obgleich diese Feuersbrunst weder
poetisch noch malerisch war, so war es doch ein Trost, daß sie im Sommer
in der mildesten Jahreszeit ausbrach, wo die Natur so viele Obdachlose
in ihren freundlichen Schoos aufnahm; wäre das Feuer im strengen Winter
ausgebrochen, so wären Unzählige grenzenlos unglücklich geworden.

Ein einziger, ungeheurer Fensterraum in den Schloßmauern war genügend,
um, ein wenig zugemauert, Zimmer für eine ganze arme Familie zu werden.
Es war, als ob Reichthum und Pracht verschwunden wären, um der Armuth
und der Genügsamkeit zu weichen. Daß die Verschönerung der Stadt eine
natürliche Folge dieses Brandes werden mußte, konnte freilich Diejenigen
nicht trösten, die durch den Brand gelitten hatten. Es ist dies erst
eine Frucht, welche das kommende Geschlecht erntet.

Als diese beiden Feuersbrünste überstanden waren, und die Trauer
sich etwas gelegt hatte, kamen mir Reiser's »fürchterliche
Feuersbrunstgeschichte« in die Hände, die ich mit großem Erstaunen und
Vergnügen las. Reiser spielt in diesen tragischen Verhältnissen die
Rolle des Narren, wie in den alten Marionettspielen. Er war das vom
Schicksal auserwählte Werkzeug, -- wie =Peer Syv= sagt: »zum lustigen
Zeitvertreib in diesem unlustigen Leben«, -- und das Sonderbarste ist,
daß man -- aus Mangel an anderen Aufzeichnungen genöthigt ist, seine
Narrheiten zu lesen, um individuelle Züge aus einer der traurigsten
Begebenheiten zu finden.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Der Thiergarten.]

Ehe ich meine Kindheit verlasse, muß ich noch Etwas erwähnen, das theils
jährlich, theils nur ein Mal eine Unterbrechung meines gewöhnlichen
Lebens herbeiführte. --

Das jährliche war die Fahrt nach dem Thiergarten, die in jedem Sommer
auf einem großen Stuhlwagen von der ganzen Familie und ein paar Freunden
an einem schönen Nachmittage unternommen wurde. Der Speisekorb wurde
voll gepackt, das Flaschenfutter gut versehen; mein Vater zog einen
Nanking-Ueberrock, des Staubes wegen über, und wir fuhren fort. --
Diese Tour riß mich hin, obwohl ich daran gewöhnt war, in der Natur
und den schönen Gärten zu leben -- doch aber zwei Dinge vermißte,
die sich mir nun in ihrer ganzen Herrlichkeit zeigten: das Meer und
der Buchenwald! -- Mit welcher Begeisterung betrachtete ich die
schäumenden Wogen, die, wenn sie gleich in der Ostsee nur Zwerge gegen
die Wellen des Kattegats und der Nordsee sind, doch groß genug für den
armen Knaben waren, der nur daran gewöhnt war, den Wind den Kanal im
Friedrichsberger Garten kräuseln zu sehen. Wohl ging ich zuweilen nach
der Zollbude; aber hier draußen, in den Fischerdörfern war es doch viel
fremdartiger und schöner. Die armen Fischerhütten sah ich durch Ewald's
Zauberglas, und die Armuth erschien mir, mit Muth, Genügsamkeit und
Abenteuern gepaart, viel edler als die faule Ruhe; was auch unstreitig
der Fall ist. Der Fischer am Ufer des Meeres repräsentirt eigentlich
den Dänen. Der Seeheld entspringt aus ihm. Im Walde, umgeben von den
mächtigen breiten Buchen, fühlte ich mich in Frigga's Heiligthum
versetzt, und ahnte ihre tiefsten Geheimnisse. Die heilige Quelle, die
ihr schönes Wasser so freigebig aussprudelt, zauberte mir alle Elfen
aus den Kämpeweisen herbei. Daß sich Scherz, Volksgewimmel und fremde
Gaukler in die große Natur mischten, daß der Tand des Augenblickes dem
Ewigen, Unvergänglichen einen kurzen Besuch machte, und das Ernste,
Erhabene dadurch steigerte, daß es einen Gegensatz zu dem Lustigen,
Uebermüthigen, ja sogar Niedrigen bildete -- wirkte stark auf die
Phantasie des Dichterknaben. -- Aber wenn ich über Casperle und
Harlequin gelacht hatte, ging ich in den tiefen Wald und verirrte mich
ein wenig auf eigene Hand. Einmal auf einer solchen Wanderung war ich
erstaunt, eine Schlange zu finden, die sich durch das Gras schlängelte.
Eine solche hatte ich noch nie gesehen; denn -- sonderbar genug -- auf
Friedrichsberg gab es gar keine Schlangen, wenigstens habe ich sie nie
dort gesehen.

Wenn wir nun, nach all' diesen Bildern, zu dem großen Baume an der
Quelle zurückkehrten, wo unser Wagen hielt und unser Proviant auf einem
Tische uns erwartete -- dann währte der Jubel bis zur späten Nacht, und
in Staub und Gewimmel fuhren wir mit den Anderen wieder nach Hause. --
Sie sind verschwunden, die schönen Jahre der Kindheit! Vater, Mutter,
Schwester, Freunde sind gestorben, -- aber der große Baum steht noch da,
in den Bernt Winckler und ich, vom Jahre 1792 ab viele Jahre hindurch
unsere Zeichen hineinschnitten. In einer späteren Periode bin ich oft
mit meinen eigenen Kindern dort hinausgewallfahrtet, und habe die
Zeichen im Baume fortgesetzt, und meinen Namen hineingeschnitten, der
doch nicht ganz fertig wurde.

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[Sidenote: Beerdigung der Königin.]

Ein andres Ereigniß, das meine gewöhnliche Lebensweise unterbrach, war
die Beerdigung der Königin-Witwe =Juliane Marie= in der Roeskilder
Domkirche. Mein Vater erlaubte mir, mit einigen Leuten aus der
Silberkammer hinzufahren, es war meine erste Reise in strenger Kälte,
und ich schlief in der Nacht auf einer Dachkammer im Palais, wo ich
durch eine Oeffnung die Sterne am Himmel sah; aber ich sah auch den
prächtigen Aufzug mit dem Leichenwagen der Königin; ich sah zum ersten
Male die herrliche Kirche und ihre Grabgewölbe, die ich in späteren
Jahren mehrfach besungen habe.

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[Sidenote: Meine Konfirmation.]

Ich war nun sechszehn Jahre alt, und sollte confirmirt werden. In der
letzten Schulzeit war mir Alles leicht von der Hand gegangen; ich
erhielt eine Belohnung meines Fleißes und öffentliches Lob, und dennoch
hatte ich noch Zeit genug, um die erwähnten Wochenblätter für meine
Schulkameraden zu schreiben, und Komödie zu spielen. Einmal spielen wir
ein Stück: »Der Sklave in Tunis« bei dem vortrefflichen Schauspieler
und Instructeur Schwartz. Ich spielte die Hauptrolle, den Sklaven, der
in seinen Fesseln seufzt und sich nach seiner Familie sehnt. Es war
eine ganze Gesellschaft erwachsener Leute als Zuschauer zugegen. Ich
spielte den armen Sklaven recht rührend, die Damen weinten, und Herr
Schwartz lobte mich. Das verdroß meine Spielkameraden; in einem großen
Monolog wollten sie mich aus der Fassung bringen, indem sie mir von den
Coulissen aus Fratzen schnitten und mir Spitznamen zuflüsterten. Aber
es half nichts! Ich empfand mein Unglück dadurch nur noch tiefer, und
dies paßte gerade hier sehr gut in meine Rolle. Herr Schwartz lobte mich
auf's Neue, als das Stück zu Ende war, und dieses Lob hat viel zu meinem
einige Jahre später gereiften Entschlusse beigetragen.

                    *       *       *       *       *

Ich wurde mit Winckler in der Friedrichsberger Kirche confirmirt. Uns
gegenüber in der Kirche standen zwei junge Damen, welche wir nicht
kannten, da sie die Stunden bei dem Prediger im Hause gehabt hatten.
Die Eine, mir gegenüber, war sehr hübsch, geschmackvoll und prächtig
gekleidet, und sehr gerührt. Es war damals Gebrauch, daß die Knaben nach
der Confirmation den Mädchen den Arm boten, und sie so Paarweise aus
der Kirche gingen. Aber gerade weil ich so große Lust dazu hatte, wagte
ich es nicht, sondern nahm die Flucht, lief fort, und blieb nicht eher
stehen, als weit draußen auf dem Kirchhofe, auf einem Leichenstein, wo
ich mich über meine Verlegenheit ärgerte. Die Schöne wohnte in der Nähe
und saß oft in einem Lusthause, das nach dem öffentlichen Spaziergang
hinauslag. Da grüßte ich sie denn sehr ehrerbietig, wenn ich vorüber
ging. Erst viele Jahre später sprach ich mit ihr, und machte ihre
Bekanntschaft als die Frau des Hofintendanten Schönberg.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Ich soll Kaufmann werden.]

Bei der Confirmation war, außer meinen Eltern, noch eine für uns
merkwürdige Person zugegen, welche viel Aufsehn in der Kirche machte,
und zum Theil die Feierlichkeit störte; aber man mußte inniges Mitleid
mit ihr haben. Es war die Tochter meiner alten Schulmadame. Die alte
Jungfer, die keinen Mann bekommen konnte, hatte endlich den Verstand
verloren, sich in eine hohe Person verliebt, und ging nun seltsam und
lächerlich geschmückt umher, wie eine travestirte Ophelia. Bei Wincklers
und meiner Confirmation war sie mit einem wunderlichen Kopfputze
zugegen, der sehr viel Aehnlichkeit mit einer Mandeltorte hatte.

                    *       *       *       *       *

Als ich confirmirt war, verließ ich die Schule. Was sollte ich nun
vernehmen. Ich kannte Geschichte, Geographie und meine Muttersprache
recht gut; ich schrieb eine hübsche Hand, zeichnete recht nett, und
hatte auch Geometrie und Trigonometrie gelernt. Deutsch verstand
ich gut, konnte aber noch keine Zeile richtig schreiben; mit dem
Französischen ging es mittelmäßig. Mit einigen Wissenschaften, Physik,
Chemie, Anatomie, Oekonomie hatte ich eine oberflächliche Bekanntschaft
gemacht; ich rechnete schlecht. Etwas lateinische Grammatik wußte ich,
und verstand einen leichten Autor.

So ausgerüstet sollte ich =Kaufmann= werden, ohne Geld, ohne ein Wort
Englisch zu wissen, ohne rechnen zu können, und ohne die geringste
Anlage für den Stand zu haben. Aber da ich nicht wußte, was ich sonst
werden sollte, ließ ich meinen Vater bestimmen. Er hatte mit einem
Kaufmann Herrn =Rabe Holm= gesprochen, der mich auf sein Comptoir
nehmen wollte, da der junge Mensch krank geworden war, den er sonst
beschäftigte. Ich ging mit meinem Vater nach Christianshafen, wie zum
Tode; mein einziger Trost war, daß der Kaufmann mich nicht annehmen
würde, wenn er bemerkte, daß ich keine besseren kaufmännischen
Kenntnisse habe; doch empörte sich auch mein Stolz gegen diese
Demüthigung. Glücklicher Weise hatte der junge Mann sich wieder erholt,
und Herr Rabe Holm ließ uns mit einer höflichen Entschuldigung wieder
gehen.

[Sidenote: Wiederaufnahme der Studien.]

Auf dem Heimwege erwachte meine alte Lust zum Studiren wieder. Ich
glaubte, in zwei Jahren mich zum examen artium vorbereiten zu können,
das mein Freund Winckler bereits rühmlich bestanden hatte. Mein Vater
gab seine Einwilligung. Auf Friedrichsberg hatten des Hofgärtners
Petersen's Kinder einen Lehrer, Herrn =Höisgaard=; dieser versprach, mir
täglich eine Stunde von 8 bis 9, der einzigen Zeit, die er übrig hatte,
Unterricht zu geben; und so hoffte ich in zwei Jahren fertig zu werden.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Herr Höisgaard.]

Nun wohnte ich also wieder bei meinen Eltern auf Friedrichsberg, in
ununterbrochenem Genusse meiner lieben Jugendstätte vom Morgen bis zum
Abend. Ich hatte nur eine einzige Unterrichtsstunde, aber mir bangte
vor all' diesen Freistunden, denn ich fühlte im Voraus, daß ich nicht
Gewalt genug über mich selbst haben würde, um mich freiwillig in einen
gezwungenen Zustand zu versetzen, wenn durchaus Nichts da war, was
mich nöthigte. Was sollte ich außerdem thun, wenn ich das gearbeitet
hatte, was mir aufgegeben und mich für den nächsten Tag vorbereitet
hatte? Ich sollte ja Griechisch und Lateinisch lernen, und das konnte
ich mir nicht selbst lehren. Die lateinische Grammatik lernte ich
so ziemlich; aber während ich in Munthes griechischer Grammatik das
Verbum [Greek: tuptô], ich schlage, auswendig lernte, wünschte ich mir
beinahe einige der Schläge, die ich in früheren Jahren in des Küsters
Schule erhalten hatte, weil es mir schien, als ob zu solchen Exercitien
durchaus Fingerklapse gehörten. Es ist keine Frage, daß, wenn Knaben
mit lebhafter Phantasie und Gefühl die sogenannten =guten Fundamente=
bekommen, das heißt: perfect Latein und Griechisch lernen sollen, daß
sie im Allgemeinen jedenfalls Prügel bekommen müssen, so wie die Thiere,
wenn sie Kunststücke lernen sollen. Doch kann auch die Vortrefflichkeit
des Lehrers helfen. Der gute Herr Höisgaard war ein braver und
freundlicher Mann und ohne Zweifel selbst ein guter Student, aber er
war vom Lande, von einer der gelehrten Schulen in der Provinz, wo man
zu jener Zeit vermuthlich Alles auf die obenangeführte Weise lernte.
Das konnte er nun nicht auf den erwachsenen, confirmirten, zum Theil
gebildeten Menschen anwenden. -- Es war hart genug für mich, der ich ein
ganzes Jahr Primus in der Schule und von Eduard Storm geliebt gewesen
war, -- nun zu Höisgaard zu kommen. Er empfing mich in Pantoffeln
und tiefem Negligée, so wie er aus dem Bett aufgestanden war, trank
seinen Thee aus großer henkelloser Tasse, aß sein Butterbrod in meiner
Gegenwart, und nannte mich »Er.« -- Aber dieses Pronomens bediente er
sich doch nur ein Paar Mal; denn trotz all' meines Bestrebens nach
Demuth bemerkte er doch wohl genügend an meinem Blick und meinem ganzen
Wesen, daß ich nicht gern in der dritten Person angeredet wurde. Es
währte übrigens auch nicht lange, bis ich mir seine Achtung dadurch
gewann, daß ich Kenntnisse in mehreren Gegenständen, und einen Sinn für
Poesie zeigte, -- wenn wir die lateinischen Dichter übersetzten, -- den
er selbst nicht besaß. Bald herrschte ein Ton zwischen uns, wie zwischen
Kameraden, und nie wechselten wir ein böses Wort. --

Erst mußte ich den ganzen langen =Justinus= mit ihm lernen, dann aber
ging es an _=Cicero de officiis=_, und wir lasen das 1., 2. und 6. Buch
im =Virgil=.

Auf diese Weise wäre es nun recht gut mit dem Lateinischen gegangen,
wenn er mich auch hätte lateinisch schreiben lassen; -- aber --
sonderbar genug -- daran dachte er nicht. Dagegen fingen wir das
Griechische an, und ich hatte wenig mehr als [Greek: tuptô] gelernt, als
ich gleich Paulus' Briefe an die Römer und Corinther -- in's Lateinische
übersetzen mußte, das heißt: ich mußte täglich die lateinische Version
auswendig lernen. Das war eine Höllenarbeit, -- sie war mir so
überdrüßig und langweilig, daß ich wirklich die Römer und Corinther
lernte, wie der Teufel die Bibel liest, und der Weg zum _examen artium_
schien mir so schwer und holperig, daß ich immer mehr und mehr die
Lust verlor, ihn zu wandeln. Hierzu kam, daß Höisgaard, indem er mir
täglich Anecdoten von Eigenthümlichkeiten der Professoren und von den
Absonderlichheiten Einzelner erzählte, wie man sich benehmen müsse, um
gut durchzukommen ec., die kindliche Ehrerbietung abstumpfte, die ich
vor dem akademischen Institute mitgebracht hatte; so daß das Examen mir
zuletzt wie eine Farce vorkam, die gespielt werden sollte, und in der
ich eine große und langweilige Rolle hatte.

                    *       *       *       *       *

So ging es nun in dieser Morgenstunde von 8 bis 9 Uhr: aber wie ging
es den ganzen übrigen Tag? Den brachte ich im Garten und im Südfelde,
im Gespräche mit meiner Mutter und Schwester und mit sogenannter
Unterhaltungslektüre zu -- d. h. ich machte mich mit der schönen
Literatur vertraut, was gerade meinem Talent und meiner natürlichen
Bestimmung entsprach. Aber ich betrachtete dies doch immer als eine Art
blutiger Sünde, als einen Müßiggang, und weinte oft, weil ich nicht
Kraft genug besaß, Höisgaard's lateinische Versionen von Paulus' Brief
an die Korinther, Ewald's Fischern, Holberg's Komödien und Wessel's
Liebe ohne Strümpfe vorzuziehen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Erste Regung der Liebe.]

Nun aber trat eine wichtige Uebergangsperiode ein, welche einen großen
Einfluß auf meinen Zustand, meine Denkungsart und meinen Entschluß
hatte: der Uebergang vom Knaben- zum Jünglingsalter. Sinn und Gefühl
für das schöne =Weibliche= fingen an sich zu entwickeln, und hatte, wie
Alles in der Welt, seine gute und seine schlimme Seite. Es ist keine
Frage, daß, als das Christenthum hier im Norden eingeführt wurde, viel
Gutes von dem Alten mit dem Heidenthume verloren ging, aber es war
dies nöthig, damit allmälig wieder etwas viel Besseres gewonnen werden
konnte. So entwickelte nun mein Herz ein weiches Gefühl, das für eine
Zeitlang den kindlichen Sinn, die ungestörte, kräftige Phantasie für
die Natur und zum Theil den gesunden Menschenverstand verdrängte. Es
ging mir nun eben so, wie Don Quixote, der durchaus eine Dulcinea haben
mußte, wenigstens ein Phantasiebild, für das er seufzen konnte.

Zuerst wandte ich mich an meine schönen Italienerinnen in der
Galerie auf dem Friedrichsberger Schlosse; aber obwohl sie mir alle
entgegenlächelten und sehr schön waren, fand ich es doch zu lächerlich,
sich in das Bild einer Dame zu verlieben, die vor wenigstens einem
halben Jahrhundert und vielleicht an Alterschwäche gestorben war!
Glücklicherweise blühte damals eine junge Schönheit, für welche die
Hälfte der Stadtjugend entbrannte. Ich hörte einmal, daß im Scherz
gesagt wurde: in eine Schauspielerin dürfen sich alle Leute verlieben;
das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen, sondern verliebte mich sterblich
in die schöne Marie Smidt, später verehelichte Heger, welche die Rolle
der Dyveke und Kathinka im »Mädchen von Marienburg« spielte.

Man wird es also begreifen, daß all' mein Sehnen und Trachten dahin
ging, so oft als möglich ins Theater zu kommen; und wenn ich mir ein
paar Mark von meiner Mutter erbettelt hatte, lief ich gleich, mit meinem
Operngucker in der Tasche davon; denn das brauchte ich schon damals und
jetzt nicht nothwendiger, als früher.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Kotzebue.]

So vereinigten sich also Liebe und Poesie mit den Römern und
Korinthern; aber das Eine gab oft dem Andern eine schiefe Richtung. --
Zuvörderst hielt ich das »Mädchen von Marienburg« von =Kratter= für ein
Meisterstück, da Marie Smidt so vortrefflich darin spielte; und ich
ärgerte mich später, als ich in einem Flugblatt den witzigen Scherz, ein
satyrisches Verzeichniß über einige fingirte Gemälde las, die verkauft
werden sollten: »Czaar Peter der Große giebt dem Tragödienschreiber
Kratter eine Tracht Prügel.« -- Nun gewann ich auch alle Kotzebue'schen
Stücke lieb, in denen gewöhnlich Verliebte abwechselnd mit lustigen
Karrikaturen auftreten. Das oft Unwahre in den Schilderungen, das
Affectirte im Gefühl und das oft Schiefe in der Gedankenfolge übersah
der sechzehnjährige Jüngling, hingerissen von dem lebhaften Colorit,
der lustigen Laune, dem Witz und dem wirklich Rührenden, das sich
nicht selten in den Situationen findet. »Ein Buch kann hundert Fehler
haben«, sagt Goldsmith in seinem Landprediger von Wakefield -- »und
doch gefallen; ein anderes kann ohne Fehler und doch langweilig sein.«
Es ist keine Frage, daß Kotzebue, obwohl er oft gegen den gesunden Sinn
fehlte, mehr Laune, Witz, Phantasie und Gefühl hatte, als Scribe jetzt,
der correct und kalt, mit vieler Kunst größtentheils dasselbe Thema
variirt und, wie die Kunstreiter, mit bewundernswürdiger Dreistigkeit
in einem engen Kreise, mit so vieler Gewandtheit manövrirt, daß er uns
dahin bringt, den beschränkten Raum zu vergessen, in welchem sein Geist
sich bewegt; erst die Wiederholung seiner Stücke zeigt uns das Leere und
Langweilige in denselben.

Was Kotzebue bei seinen Stücken besonders schadet, sind die Motive, die
oft schlecht genannt werden müssen. Nicht selten könnte ein Stück von
Kotzebue gerettet werden, wenn man die Motive veränderte. Ich will hier
nur von dem Stücke reden, welches das meiste Aufsehen erregte und ihm
zuerst einen Namen verschafft hat: =Menschenhaß und Reue=.

Es wurde in Deutschland, im Norden, selbst in Frankreich und Italien
mit großem Beifall aufgeführt. War es lauter Verblendung und
Geschmacklosigkeit in Europa, die zu diesem Beifall Veranlassung gaben?
Es war in einer Zeit, als Goethe und Schiller in Deutschland blühten,
und doch gefiel es; es war in einer Zeit, wo das Vorurtheil gegen die
deutsche Sprache am stärksten in Frankreich war, und doch gefiel es.
Warum? Weil dieses Stück trotz aller seiner Fehler in den Motiven, von
großer Wirkung in der Composition ist und viel gute Scenen hat. Das
Schlechte besteht darin, daß ein Frauenzimmer, die vor nicht langer
Zeit wie ein leichtfertiges Geschöpf gehandelt hat, hier als ein edler,
unglücklicher Charakter dargestellt wird. Das Lächerliche darin, daß
Meinau, mit all' seinem Menschenhaß ihr gleich, von einer schlaffen
Sentimentalität bewegt, vergiebt. Aber war es dem Dichter nicht leicht,
diese Ehepaare auf eine weniger empörende, eine verzeihlichere Art zu
trennen, und wenn wir dies nun annehmen, wie viele schöne Scenen sind
dann nicht in diesem Schauspiele. Eulalia's Verhältniß in dem stillen,
bescheidenen Incognito, nachdem sie Meinau verloren hat; seine Liebe
und sein weiches Herz, das sich unter dem eingebildeten Menschenhaß
verbirgt; und nun der joviale Graf und die vortrefflichen Karrikaturen
Bittermann und Peter.

[Sidenote: Iffland.]

Ich führe dieses einzelne Beispiel an, das auf viele andere, selbst auf
Iffland's Stücke, angewendet werden könnte.

Dieser Dichter galt in meiner Jugend dafür, solider, natürlicher und
wahrheitsliebender, als Kotzebue zu sein; und in einigen der Dramen,
die ihm besonders bei echten Kunstrichtern einen Namen verschafft
haben, ist er es auch. Die »=Jäger=« sind und bleiben zu allen Zeiten
ein vortreffliches dramatisches Idyll; eben so die zwei letzten Acte
der »=Hagestolzen=«, die eines Goethe würdig sind. In dem Charakter des
alten Studenten Waller im »Herbsttag« und an vielen anderen Stellen
zeigt Iffland sich als sehr guter Genremaler. Aber er war zu wenig Poet,
um viel Werke zu schreiben. Es waren dies nicht frische Wellen, die
aus einer reichen Castalia zu geistiger Erquickung strömten; es waren
matte Wiederholungen Eines und Desselben. Dazu kam, daß Iffland bald
ein Philister wurde: der Geist in den meisten seiner Stücke war eine
kleinliche Ehrerbietung vor dem Geschäftsfleiß und ein ewiges Losziehen
auf all' das Blühende und Kühne, das sich über den gewöhnlichen
Schlendrian hinauswagt. Einige seiner Stücke sehen aus, als ob ein
Comptoirchef oder ein Steuereinnehmer, der gegen die Poesie polemisirt,
sie geschrieben hätte. Auch die Liebe greift er gewöhnlich an, und kann
sie nie zahm und vernünftig genug bekommen. -- Er konnte mir also in
jener Periode bei Weitem nicht so, wie Kotzebue, gefallen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Lafontaine.]

Aber ein Mann, der Liebe von Anfang bis zu Ende war, der in Liebe
schwamm und sie gerade so darstellte, wie ich sie damals fühlte, nämlich
die kindliche, sanfte, wenn ich so sagen darf, milchbärtige Liebe --
dieser Mann, =Lafontaine=, war mein Abgott. Von ihm lernte ich auch
zuerst ordentlich deutsch lesen. Er war der erste Verfasser außerhalb
Dänemark, den ich auf eigene Hand rasch in der Ursprache las. Es ging so
leicht, daß es eine Lust war! -- und auch dies schmeichelte und erfreute.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Schreckens-Geschichte.]

Zu dieser Zeit schrieb =Spieß= seine Gespenstergeschichten, seine Reisen
durch die Höhlen des Unglücks und Gemächer des Jammers. Ich verschlang
seine Schriften mit unersättlicher Gier, und Nichts entzückte mich in
jener Periode mehr, als ein belle horreur, bei dem die Haare sich auf
dem Haupte sträubten. Auch mochte ich zuweilen eine Kanne Wein mit =Veit
Weber= leeren; aber Spieß war doch der rechte Mann, zu dem ich stets
wieder zurückkehrte.

                    *       *       *       *       *

Auch in dem wirklichen Leben suchte ich dieses Gefühl zu entwickeln
und auszubilden. Es bot sich bald eine Gelegenheit, wie gerufen, dar.
Zwischen Kopenhagen und Friedrichsberg stand damals auf dem Westfelde,
gerade gegenüber dem Wirthshause zum Goldenen Löwen, die Richtstätte.
Pfahl, Rad und einen gemauerten Galgen sah man, an welchem letzteren,
wie man sagte, nur kopenhagener Bürger gehängt werden durften; die
Anderen müßten sich mit einem hölzernen Galgen begnügen.

In meiner Spieß'schen Entsetzensperiode wurde gerade ein Verbrecher
hingerichtet. An einem October-Nachmittag gehe ich mit meiner Schwester
und unserm Dienstmädchen in das Südfeld, um die Wallnüsse von den
höchsten Zweigen herabzuschlagen, die der Gärtner sich beim Einsammeln
nicht die Mühe machen wollte, herunterzuholen. Das Mädchen war still,
verdrießlich und melancholisch. Es war schon spät, die Sonne ging
unter und die Dämmerung brach an. Plötzlich sagte sie nach einem
langen Schweigen: »Wollen wir auf's Feld gehen und den Sünder sehen,
der hingerichtet ist?« -- »»Ja!«« rief ich, und die Wallnuß, die ich
aufgehoben hatte, fiel mir vor Entsetzen aus der Hand. Es wurde kein
Wort weiter gesprochen, und wir gingen.

Als wir auf der Landstraße dem Hochgerichte gerade gegenüber standen,
wagten das Mädchen und meine Schwester sich nicht weiter. Aber eine
unsichtbare Macht trieb mich von dannen, so wie den Vogel in den
geöffneten Rachen der Klapperschlange. Ich war noch nie dort gewesen,
und nun sprang ich über Gräben und Hecken, um mir den Weg zu kürzen.
Auf dem einsamen Felde näherte ich mich dem Hochgericht. Die Sonne war
untergegangen, ein herbstlicher Abendschleier lag über der Natur. Ich
wagte nicht aufzusehen, sondern starrte auf die grüne Erde, und es war
mir, als ob die Erdklumpen unter meinen Füßen gleich Wellen wogten.
Endlich entdeckte ich die schwarzen Pfähle dicht vor mir. Ich schlage
die Augen auf! ein bleiches, blutiges Haupt grinst von der Stange;
darunter war eine abgehauene Hand festgenagelt. Auf dem Rade lag ein
kopfloser Körper mit herabhängenden Armen und wollenen Strümpfen an den
Füßen. Ein panischer Schrecken faßte mich; ich ergriff die Flucht. Es
war mir, als ob der Hingerichtete mir auf den Fersen folge, als ob er
mir in den Nacken greife. Erst als ich weit hinaus auf die Landstraße,
zu meiner Schwester und dem Mädchen, gelangt war, kam ich wieder zu mir
selbst.

[Sidenote: Eine Spuck-Geschichte.]

Mein Vater dagegen hatte keine große Gespensterfurcht, was Folgendes
bezeugen kann: An einem späten und dunkeln Abend, als er von seiner
Quadrillegesellschaft nach Hause gehen wollte, sah er, indem er an
der Kirche vorüberging, ein offenes Fenster im Glockenthurme, das vom
Winde hin und her geschlagen wurde. Als Kirchenältester that es ihm der
Scheiben wegen leid, die jeden Augenblick zerschlagen werden konnten; er
entschloß sich also kurz, hinaufzugehen und das Fenster zu schließen.
Zufälliger Weise kam gerade ein Gärtnergehülfe vorüber, den er in
seinem gewöhnlichen scherzhaften Tone fragte, ob er mitgehen wolle?
-- Der Gehülfe schämte sich wahrscheinlich Nein zu sagen, und folgte
ihm mit beklommenem Herzen. Erst öffnete mein Vater die Kirchhofsthüre
mit dem Hauptschlüssel, dann gingen sie über den Kirchhof und kamen zu
einer kleinen Hinterthüre, der einzigen, welche er mit diesem Schlüssel
öffnen konnte. Es ging doch etwas schwer, und er sagte: »Wir müssen
die Thür offen stehen lassen, denn von Innen kann ich das Schloß nicht
öffnen.« Der Gärtnergehülfe sperrte die Thüre so weit, wie möglich
auf, und sie gingen hinein. Mein Vater stieg muthig die kleine Treppe
hinauf; nun standen sie im Thurme, und er schloß das Fenster. Aber wie
sie nun wieder zurückgehen wollten, hörten sie einen entsetzlichen Lärm
unten in der Kirche. »Herr Jesus!« rief der Gärtnergehülfe, »nun geht's
los!« -- »»Nein!«« antwortete mein Vater verdrießlich, -- »»nun steht's
leider erst recht fest. Der Wind hat die Thür ins Schloß geworfen, und
von Innen kann ich sie nicht aufschließen!«« -- »Ach Du mein Heiland
und Schöpfer!« rief der erschreckte Gehülfe und rang seine Hände, »was
haben wir gethan, wozu haben Sie mich verführt? Sollen wir nun die
ganze Nacht in der Kirche bleiben?« -- »»Das ist freilich unangenehm««,
sagte mein Vater, »»aber fassen Sie nur Muth. Ich höre den Wächter
unten in der Weidenallee; ich werde ihn rufen; die Kirchhofsthüre
steht offen, dann werde ich ihm den Schlüssel hinunterwerfen, und er
kann uns die kleine Thüre von Außen öffnen.«« -- »Ach!« entgegnete der
Gehülfe, »das thut er gewiß nicht. Glauben Sie, daß der Wächter ein
so gutherziger Narr ist, wie ich? Er wird sich besser in Acht nehmen.«
Indessen waren sie Beide wieder in den Thurm hinaufgestiegen, und mein
Vater rief dem Wächter vom Fenster aus zu. Aber kaum hatte dieser um
Mitternacht ein Gesicht in dem kleinen Fenster des Kirchthurms gesehen,
als er in größter Eile Fersengeld zahlte. »Verdammt!« sagte mein
Vater, »nun müssen wir doch versuchen, ob es nicht von Innen aufgeht.«
Sie gingen hinunter; mein Vater steckte den Schlüssel ins Loch und
drehte und drehte lange vergebens, während der kalte Angstschweiß dem
Gärtnergehülfen auf der Stirne stand. Endlich glückte es, und die Thür
ging auf. Aber solch' einen Sprung -- versicherte mein Vater oft später
-- habe er nie gesehen, wie den, welchen der Gehülfe über drei, vier
Gräber von der Schwelle aus machte, als endlich die Thür geöffnet war.

                    *       *       *       *       *

Aber ich kehre zu meinen Theaterbesuchen und meiner ästhetischen Lectüre
zurück. Mit den =Schröder='schen und =Jünger='schen Stücken hatte ich
vertraute Bekanntschaft gemacht. Obgleich Schröder solider als Kotzebue
war, schmeckte er mir doch, wegen seiner Kälte, nicht so gut. Der große
Mann war viel mehr Schauspieler als Poet. =Jünger= fiel mir schon damals
recht leicht. Beaumarchais' Figaros galten für Meisterstücke und ich
ließ sie dafür gelten, obwohl meine Phantasie und mein Gefühl stets
hungrig von dem Tische gingen, wo, wenn auch reichlich, nur kalte Witze
und Intriguen servirt wurden, die bei Weitem nicht so fein waren, wie
sie dafür galten.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Ewald und Wessel.]

Von =Ewald= spielte man in meiner Jugend ebenso wenig Etwas, wie
jetzt. »Balder's Tod« von Hartmann in Musik gesetzt war jedoch zur
Aufführung gekommen. Die Diction in diesem Stücke kann neben die
in Göthe's Tasso und Iphigenia gestellt werden. Nicht als ob man in
Ewald's Balder die feinen Bemerkungen, die tiefe Menschenkenntniß und
die reife Künstlerbildung, wie in Göthe's Werken fände; ich meine nur
mit Rücksicht auf das schöne begeisternde Gefühl, das sich gedankenvoll
in originalen Bildern ohne rhetorische Weitläufigkeit und Pracht in
einer veredelten Volkssprache bewegt. Von einer hohen Seele, einem
kräftigen Fluge hat der große Lyriker starke Proben abgelegt. Gegen den
dramatischen =Stoff= ließe sich Viel einwenden, wenn hier der Ort zu
einer Kritik über Ewald's Werke wäre.

                    *       *       *       *       *

Wessel's »Liebe ohne Strümpfe« spielte man in jenen Tagen oft. Der
Dialog fließt darin eben so leicht und natürlich, wie unnatürlich und
schwerfällig in: »Harlekin, der Patriot.« Das Stück wurde immer mit
Beifall gegeben, wenn auch die Leute im Allgemeinen die Parodie nicht
begriffen, und -- was merkwürdig ist -- obgleich der italienische
Componist Scalabrini, der eine schöne Musik dazu geschrieben hatte,
kein Wort dänisch verstand. Man hatte ihm nur flüchtig die einzelnen
Musiknummern übersetzt und ihm den Inhalt des Stückes erzählt. Die
schönen italienischen Melodieen, die unter naiver Einfalt schelmische
Ironie verbergen, vereinigen sich recht gut mit der nordischen Satyre;
sowie Oel und Essig, ohne zusammen zu rinnen, einem erfrischenden Salat
doch einen guten Geschmack geben. Das Beste war noch, daß Wessel, in
den Lehren der französischen Schule auferzogen, große Achtung vor den
Meistern hegte, welche er, ohne es selbst zu merken, lächerlich gemacht
hatte, indem er nur glaubte schlechte Nachahmungen zu parodiren. Eine so
durchgreifende Ironie mußte natürlich eine große Wirkung hervorbringen.
Jeder fand dort, was er suchte, und was eigentlich doch nicht darin
war. Aber die Hauptsache war vorhanden: Spott über vornehme Gemeinheit,
welche die Schneidernatur mit Purpurlappen behängt und sich mit
hochtrabendem Unsinn brüstet.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Thaarup.]

Zum Einzuge hatte =Thaarup= »das Erntefest« geschrieben. In einem
schönen Idyll schildert er das dänische Bauern- und Seemannsleben, die
Freude über die Aufhebung der Leibeigenschaft, und die Begeisterung des
Volkes bei der Vermählung des Kronprinzen. Das Stück hat dramatisches
Leben, obgleich die Handlung unbedeutend ist; eine herrliche Musik von
=Schulz= setzt Alles in ein klares und reizendes Licht. Er componirte
kurz darauf auch Thaarup's »Peter's Hochzeit,« eine würdige Fortsetzung
des Erntefestes. Schulz tritt in Monsigny's und Gretry's Fußstapfen; mit
reizenden originellen Melodieen rührt er das Herz, weckt Begeisterung
und ergreift das nationale Gefühl. In seiner Kirchenmusik zeigt er einen
hohen Geist, voll von Andacht und Gefühl; und obgleich er es noch nicht
verstand, die Blaseinstrumente so zu gebrauchen, wie man es später von
Haydn und Mozart gelernt hat, so hört man an seinen Compositionen doch
den gründlichen Contrapunctisten aus der Bach'schen Schule.

Diese lieblichen, in einer schönen Sprache gedichteten Thaarup'schen
Idyllen, voll herrlicher Melodieen, machten auf mich, den Jüngling,
einen starken Eindruck; noch mehr aber die Schulz'schen Melodieen,
welche viel zu meiner Bildung beitrugen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Bühnen-Repertoire.]

In dem Komischen und Launigen hatten sich in meiner ersten Jugendzeit
mehrere vaterländische Dichter ausgezeichnet und erquickten meinen
Geist: =Der Virtuos=, =der Einzug=, einige Scenen aus den =Chinafahrern=
und aus =die Herren Von's und die Herren Van's=, von P. A. Heiberg,
das =Findelkind=, von Falsen, die =Golddose=, von Olufsen gehörten zu
den Lieblingsstücken, in denen Knudsen das Herrlichste und Wahrste,
das ein komischer Schauspieler je dargestellt hat, leistete. Welcher
Humor, welche Charakterzeichnungen, welche warme Gutmüthigkeit und
Naivetät! -- Selbst seine Uebertreibungen waren geistvoll, wenngleich
die Kritik sie nicht billigen konnte. Ganz anderer Art war Gjelstrup, er
war kalt, schelmisch und ironisch, -- die echte witzige Satyre, aber er
verstand es doch nicht immer so gut, Natur und Ironie zu verbinden, wie
=Frydendahl= in dem herrlichen Künstlerleben seiner späteren Epoche.

                    *       *       *       *       *

Von englischen Stücken gefielen mir besonders =die Lästerschule=, und
=Goldsmith's Irrthum auf allen Ecken=. An den vornehmen französischen
Conversationsstücken fand ich wenig Geschmack, desto mehr aber an
=Molière's: Kranke in der Einbildung= und seinem =Geizigen=. Ganz
besonders gefielen mir die reizenden Singstücke =Zemire und Azor=,
=der Grobschmied=, =der Faßbinder=, =der König und der Pächter=, =die
beiden Geizigen= (wo Gjelstrup und Knudsen zusammen glänzten), =die
beiden Savoyarden= und vor Allem =der Deserteur=, ein herrlicher Stoff,
von Monsigny eben so schön componirt, wie viele Jahre darauf =der
Wasserträger= von =Cherubini=, wo Knudsen in Michel's Rolle sein ganzes
warmes Herz zeigte.

Ich darf auch nicht die hübschen italienischen Farcen: das
=Bauernmädchen= und die =verliebten Handwerker= vergessen, in denen
südliche Munterkeit in ihrer vollen Glorie strahlt.

[Sidenote: Lessing.]

Von =Lessing= spielte man =Minna von Barnhelm= und =Emilia Galotti=.
In dem ersten Stücke war =Rosing= ein vortrefflicher =Tellheim=, in
Emilia ein eben so guter =Marinelli=. Es war merkwürdig, wie der Mann,
der die reinen und edeln Gefühle eines Dichters wiedergeben konnte,
mit derselben Wahrheit die Geschmeidigkeit und Hinterlist eines
Hofmannes darstellte. Aber ein großer Schauspieler muß, wie ein echter
Dichter ebensowohl die Schattenseite der menschlichen Natur, wie ihre
Lichtseite auffassen, sonst kennt er den Menschen nur halb und kann
ihn nicht gründlich darstellen. Mit der schönen Unwissenheit eines
unschuldigen Mädchens kann der Künstler sich nicht begnügen, wenn er es
in seiner Kunst weit bringen will. Ohne das Lächerliche zu begreifen,
begreife ich nicht das Hohe; ohne die Bosheit zu verstehen, fasse ich
das Edle nicht; ohne mich über Dummheiten zu ärgern, kann ich mich an
Witzen nicht erfreuen. Deshalb werden Schurken schlecht von Schurken,
Dummköpfe schlecht von Dummköpfen dargestellt. In dem Erhabenen muß ein
humoristischer Zug oft dem Dunkeln ein wärmeres Kolorit geben; und wenn
der Komiker gar keinen Sinn für das Edle hat, merken wir ihm diesen
Mangel bald an; und können trotz unserer Bewunderung ein Lächeln über
Molière's und Holberg's prosaisches Phlegma nicht zurückhalten; während
wir erstaunt Aristophanes von seinen Scherzen und Karrikaturen in =die
Wolken= und Shakespeare aus dem Stall in den Rittersaal folgen.

Auch =Lessing= liebte die Vielseitigkeit, und war nicht nur ernst,
sondern auch lustig. Dies, verbunden mit seinem klaren Verstande und
seiner Wahrheitsliebe, giebt seinen Werken einen eigenen Wohlgeschmack,
etwas Tüchtiges und Nährendes; man schmeckt ihnen den Kern, die Quelle
an. Lessing ist liberal; er liebt es, das Hohe und Edle offen und gerade
darzustellen; er haßt Koquetterie und Pracht eben so wie Eitelkeit; und
darin thut er Recht. Aber die Grazie fehlt ihm als Dichter; für das
Erotische hat er keinen Sinn. Dies giebt seinen Schilderungen etwas
Frostiges und Steifes, nur nicht in Nathan dem Weisen, wo das Erotische
keine Hauptrolle spielt, und wo er Grazie als Philosoph zeigen konnte;
denn diese besaß der witzige Denker in hohem Grade.

Seinem Mangel an Sinn für das Erotische konnte man es wohl zuschreiben,
daß er der Katastrophe in der sonst so herrlichen Emilia Galotti kein
besseres Motiv unterlegte; dies schadet dem Stück und sticht bedeutend
gegen die übrige Wahrheit in der Zeichnung ab.

In meiner Jugend fühlte ich die Schwäche dieses Motivs nicht. Ich
weinte, wenn Emilia von ihrem Vater durchbohrt wurde (ohne daß er vorher
einen einzigen Versuch zu ihrer Rettung machte), damit sie im Hause des
Kanzlers nicht zur Wollust verführt werden solle.

Und Alle weinten darüber, und der Norwegische Dichter =Zetliz= hatte
auch geweint, und hierdurch entstand einige Jahre vorher eine komische
Scene bei der Aufführung zwischen ihm und einem holsteinischen
Schiffscapitain, welcher =nicht= geweint hatte. Dieser Biedermann war
ins Theater gegangen, um sich nach des Tages Arbeit zu amüsiren, hatte
sich also vorgenommen, Alles lustig zu finden, was er auch sehen möge.
Daß es ein Trauerspiel war, daß stets von ernsten Dingen geredet wurde,
brachte ihn weder von seinem Vorsatze ab, noch aus seiner guten Laune
heraus. Er lachte über des Prinzen Achtung vor der Kunst, über Angelo's
Mordanschlag, über Appiani's Schwermuth und Marinelli's Schlechtigkeit.
-- Zetliz, welchen ein böses Geschick in die Nähe des Holsteiners
gebracht hatte, konnte dieses Lachen zuletzt nicht länger ertragen,
sondern wandte sich aufgebracht um und sagte: »Was zum Teufel lacht
Er denn immer? Merkt Er denn nicht, daß es ein Trauerspiel ist? Eine
ernste, wichtige, traurige Begebenheit, die uns rührt und betrübt? Wie
kann Er denn da allein mitten im Unglück lachen und sich freuen? Schäme
Er sich! und störe Er nicht das Gefühl anderer Leute, wenn Er selbst
keins hat.« -- Der große phlegmatische Holsteiner ließ sich von dem
kleinen hitzigen Norweger imponiren, schwieg ganz still und das Stück
wurde ohne Störung zu Ende gespielt. -- Aber gerade in der Scene, wo
Odoardo seine Tochter tödtet und Zetliz in Thränen zerfließt, fällt ihm
der unglückselige Gedanke ein: »Aber warum, zum Teufel, lacht denn der
Holsteiner jetzt nicht?« Er wendet sich um, um die Gemüthsbewegung
seines Nachbars zu beobachten; und als er nun den Seemann, blau im
Gesicht, mit einem Taschentuche im Munde fast erstickt vor unterdrücktem
Lachen dastehen sieht, so bricht er selbst in ein schallendes Gelächter
aus, in das der Andere einstimmt, da er sich nun nicht mehr zu geniren
brauchte. Und so endigte das Stück zur größten Verwunderung aller
Anwesenden, die nicht begreifen konnten, warum der Holsteiner und der
Norweger so vergnügt waren.

[Sidenote: Das Trauerspiel.]

Von Trauerspielen wurde nur noch eine französische Bearbeitung eines
englischen Stückes =Beverley= in meiner Jugend gegeben, und Rosing
stellte den verzweifelten Spieler, der zuletzt den Giftbecher leert, mit
erschütternder Wahrheit dar.

                    *       *       *       *       *

Aus dem Vorhergehenden sieht man, daß Melpomene die dänische Bühne
damals nur selten besuchte, und daß kaum ein Mal im Jahre der »Geist im
Harnisch über die Bretter ging.« Der kräftige Norweger =Nordal Bruun=,
Verfasser eines unserer schönsten Volkslieder, hatte zwar in seiner
Jugend zwei Tragödien =Zarine= und =Einar Tambeskjälver= in gereimten
Alexandrinern nach französischem Zuschnitt geschrieben, ohne aber doch
die Grazie und das Feuer der französischen Werke zu erreichen. So hatte
er nur die Fehler nachgeahmt und den Mangel an dramatischen Handlungen
und Charakterzeichnungen konnten einzelne hübsche Stellen nicht ersetzen.

Nun wurde im Jahre 1796 =Samsöe's Dyveke= zuerst aufgeführt; das Stück
machte außerordentliches Glück und verdiente es zum Theil. =Sigbrit=
ist vortrefflich gezeichnet. In dem raschen, ehrlichen, warmen =Knud
Gyldenstjerne= hatte der Dichter seinen eigenen treuen Charakter
gezeichnet. =Christian= II. ist gut skizzirt, ohne der Wahrheit zu nahe
zu treten; =der Mönch=, =Frau Mönstrup= sind interessant, =Dyveke=
liebenswürdig und rührend. Aber sie ist zu gefühlvoll; in großen
Monologen weint sie stets wegen des Christian's, der nichts weniger,
als ein treuer Liebhaber ist. Man hat Mitleid mit ihr, aber dies wird
durch die Wiederholung ein und derselben Situation abgekühlt. Ihre Scene
mit Elisabeth ist schön. Das Stück hat in der Hauptsituation einige
Aehnlichkeit mit =Göthe's Egmont=. Aber wie verschieden ist das kräftige
Klärchen mit dem Colorit ihrer Zeit und ihres Landes von Dyveke, welche
an Lafontaine's Romane erinnert.

[Sidenote: Samsöe.]

Ein Stück, das bei alle dem so viele Verdienste hatte, mußte natürlich
dem dänischen Publikum, wie eine gut zubereitete geistige Nahrung nach
langem Fasten munden.

Die Neuheit übt auch ihre zauberische Macht aus: Die gothischen
Rittersäle, die Federhüte, die Mäntel, die Halskrausen und Brustpanzer!
Alle Rollen wurden gut gespielt. Madame Rosing war eine meisterhafte
Sigbrit, Rosing, Samsöe's Freund, ein ächter Knud Gyldenstjerne; --
und Dyveke wurde von =Marie Smidt= gespielt. Und nun -- das letzte
Mittel, welches allen Poeten nach einer wohlgeglückten Arbeit empfohlen
werden sollte, wenngleich es eine harte Kur ist, -- einige Tage vor der
Aufführung -- =starb der Dichter=!

Das Stück machte Furore. -- Ich hatte es gelesen, aber noch nicht
gesehen, obgleich es bereits mehrere Male gegeben war. Aber ich mußte
Geduld haben, es war mir nicht möglich, ein Parterrebillet zu erlangen.
Ich hatte nur drittehalb Mark, aber wenn ich die einem Billetschacherer
anbot, so lachte er mir ins Gesicht und verlangte vier, fünf
Reichsthaler. Ich war der Verzweiflung nahe. Drei Mal wagte ich mich in
das Gedränge an der Thür, wo die Billetwucherer am kalten Wintertage,
wie warme Kartoffeln im Topf dampften; drei Mal schwebte ich in Gefahr,
daß mir die Brust eingedrückt oder Arme und Beine gebrochen wurden. Mit
Noth und Mühe kam ich mit heiler Haut davon.

Mein Freund Winckler wollte auch gern das Stück sehen, war aber zu klug,
um sich in diesen ungleichen Kampf einzulassen. Als ich zum dritten
Male aus dem Gedränge mit niedergetretenen Stiefeln und eingedrücktem
Hut kam, schlug er mir vor, ob wir nicht lieber an einen Ort hingehen
wollten, wo man, wie er gehört habe, eine große Portion vortrefflicher
Chokolade für sechs Schillinge bekomme. Da ich nun ganz marode geworden
war und die Hoffnung aufgegeben hatte, ein Billet zu bekommen, folgte
ich ihm resignirt, und tröstete mich damit, daß es doch wenigstens etwas
Gutes in der Welt gebe, das man billig kaufen könne.

Gegen die Chokolade war auch Nichts einzuwenden, sie wurde uns in großen
Tassen mit zinnernen Löffeln gebracht. Freilich war das Lokal nicht
comfortable und noch weniger fashionable. -- Als wir eintraten, rief der
Wirth, dem wir durch unsere gute Kleidung imponirten, zu dem Mädchen:
»Vorläufig zwei Lichter hereingebracht, geschwind!« Aber die zwei
Lichter erleuchteten ein kleines, schmutziges Zimmer. Gerade, wie wir
tranken, kam ein Straßenkärrner herein, während dessen Equipage draußen
auf der Straße hielt, und setzte sich neben uns. -- Ohne unsere Tassen
zu leeren, standen wir auf, bezahlten, gingen fort und fanden, daß die
Chokolade doch ein zu schlechtes Surrogat für Dyveke gewesen sei.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Sander.]

Ein Jahr darauf wurde =Sander's= Tragödie, =Niels Ebbesen= aufgeführt.
Hier traten alle Schauspieler im Harnische, den Helm auf dem Haupte,
mit Schild und Speer auf, und alles ging auf Krieg und Kampf gegen
tyrannische Unterdrückung aus. Das Stück hat Werth. Der erste und
fünfte Act bedeuten nicht viel; im dritten Act wird man etwas zu sehr
durch Stig Andersen's und Niels Ebbesen's Reden an Antonius und Brutus
in Shakespeare's Julius Cäsar erinnert; Niels Ebbesen hat einige
Aehnlichkeit mit Götz von Berlichingen; aber der zweite Act, der Schluß
des dritten und der ganze vierte sind vortrefflich. Der Dichter hat
eine alte Kämpeweise benutzt; in welcher die Scene zwischen den Grafen
Gerhard und Ritter Ebbesen fast noch besser ist, als in der Tragödie.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Abt Vogler.]

Ungefähr zu gleicher Zeit besuchte ein Mann Kopenhagen, der einen großen
Eindruck auf mich machte: Abt =Vogler=, der vortreffliche Orgelspieler.
An der Orgel war ich, so zu sagen, halb auferzogen, und obgleich mein
Vater mir nur wenig Unterricht in der Musik gegeben hatte, so liebte
ich sie doch außerordentlich, und ich componirte zu meinem eigenen
Vergnügen kleine Melodieen. Diese Liebe für Musik hat in späteren Jahren
eher zu, als abgenommen, und etwas gute Musik täglich ist mir fast eben
so unentbehrlich geworden, wie Essen und Trinken. -- Es erfreute mich
unendlich, den herrlichen Vogler zu hören, der so fertig und genial auf
der ernsten Orgel spielte, wo ich nur gewöhnt war, Psalmen und fromme
Präludien zu hören, daß seine Musik sogar zu muntern Flötenconcerten
wurde.

Auch das =Malerische=, das Vogler auf der Orgel darzustellen suchte,
machte mir Vergnügen. Wenn er mit beiden Armen mitten in der
herzergreifenden Musik die Tangenten herabdrückte, um den Klang von
Jericho's einstürzenden Mauern nachzuahmen, so schien es mir ein kecker
Einfall, der seine Wirkung nicht verfehlte. Ich machte auch gern eine
Rheinfahrt mit ihm, lauschte dem Plätschern der Wogen und dem Schlagen
der Ruder. Freilich hörte ich ihn von Vielen einen Charlatan schelten;
aber ich war schon daran gewöhnt zu hören wie vorzügliche Meister von
Alltagsmenschen, die nicht werth sind, ihre Schuhriemen zu lösen,
gescholten und gehofmeistert wurden. Daß die Phantasie den guten Vogler
zuweilen recht weit trieb, war doch das allgemeine Urtheil, selbst bei
den Sachverständigen und Billigen. -- Einmal war er zur königlichen
Mittagstafel aus Friedrichsberg gewesen, hatte auch gut getrunken und
war recht munter. Mein Vater geleitete ihn zum Wagen; es war ein
mondklarer Abend. »Ja, Herr Abt,« sagte mein Vater, indem er ihm in den
Wagen half, »noch scheint der liebe Mond so helle, wie er durch Adam's
Bäume schien!« »Nein, mein Herr,« antwortete Vogler ziemlich langsam,
indem er einstieg: »darin hat Hölty Unrecht; der Mond hat sich seit
Adam's Zeit bedeutend verändert, denn sehen Sie -- --« Damit fuhr der
Wagen davon und mein Vater sah ihn nie wieder.

=Herrmann von Unna= wurde kurz darauf gegeben, und wie sehr entzückte
mich die Musik zu dem heimlichen Gericht, das ich hier zum ersten Male
kennen lernte!

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Der Schauspieler Bech.]

Mein Vater saß oft auf dem Schloßhügel, von wo aus man die
schöne Aussicht über Kopenhagen hat, und dort machte er zuweilen
Bekanntschaften. Unter Andern traf er da ein Mal einen großen Mann in
grauem Fracke. Der Mann hatte Locken hinter den Ohren, einen kleinen
dünnen Zopf im Nacken, einen Stock in der Hand, dicken Leib, dünne
Stimme, lebendige kleine Augen und eine witzige Munterkeit. Mein Vater
brachte ihn zum Frühstück mit herein; es war der Schauspieler =Bech=.
Bech kam nun öfter zu uns und brachte seine Töchter mit, deren Eine,
=Eline=, eine niedliche Blondine, voll liebenswürdiger Schalkhaftigkeit
und Grazie war. Diese Töchter wurden bald die Freundinnen meiner
Schwester, und ich -- der aufgehört hatte, für Marie Smidt zu seufzen,
als sie sich mit Stephen Heger (den ich noch gar nicht kannte)
verheirathete -- ich, der ich durch wiederholtes Verliebtsein zu der
Erfahrung gekommen war, daß eine ernste Liebe sich noch gar nicht zu
meinen Knabenjahren passe -- ich begnügte mich nun mit einem, wenn ich
es so nennen darf, muntern Vergaffen in die reizende Eline Bech. Wenn
es gestattet ist, das in manchen Beziehungen durchaus Verschiedene mit
einander zu vergleichen, so hätte ich große Lust, Philine im Wilhelm
Meister zu nennen, in der ich -- einige Jahre darauf, als ich diesen
Roman las -- in dem Aeußern, dem Characteristischen, Poetischen eine
frappante Aehnlichkeit mit Eline Bech fand. Denkt man sich nun eine
unschuldige und sittsame Philine, so muß sie gewiß eine außerordentlich
einnehmende Erscheinung werden, und das war Eline Bech.

[Sidenote: Der tolle Busch.]

Nun besuchten wir auch Bech's in Kopenhagen und lernten die Mutter, eine
Frau mit Verstand und satyrischem Witz kennen. Sie war die Schwester
des vor Kurzem gestorbenen sogenannten =tollen Busch=; eines Malers mit
Talent und mit einem eingewurzelten Haß gegen den vornehmen Hochmuth,
der sich in jenen Tagen nicht wenig breit machte. Wo er konnte, suchte
er ihn zu demüthigen, oder zu verletzen; und ich zweifle nicht, daß
Eifer und seine eigne Eitelkeit ihn oft mitten in seinen Bestrebungen
zu weit geführt haben. Ich hörte verschiedene lustige Einfälle von
ihm. Ein Mal begegnete er einem jungen Offizier auf der Straße; Busch
hatte, nach den bekannten Gewohnheitsgesetzen der Trottoirbenutzung
in Kopenhagen, das Vorrecht; aber der Andere glaubte doch, daß er ihm
Platz machen würde. Dies geschah nicht, Busch blieb stehen. »Nun,« rief
der Offizier heftig, »wie lange will Er da stehen bleiben?« -- Busch
nahm ganz phlegmatisch seine Uhr heraus und sagte: »Ich habe bis drei
Uhr Zeit.« Ein Mal stand Busch im Reithause am Schlosse Christiansburg,
wo Pferdeauction war. Ein Junker war zugegen, den Busch nicht leiden
konnte. Er maß ihn häufig mit seinen beredten Augen. Der Andere wurde
zuletzt böse und fragte auffahrend: »Warum glotzt Er mich immer an,
will Er mich kaufen?« -- »Warte Er nur,« antwortete Busch ruhig, »seine
Nummer ist ja noch nicht aufgerufen.«

Man erzählte von diesem Eulenspiegel, seine Schelmerei wäre so weit
gegangen, daß er ein Mal einen Kopf von einem Schafe mit ins Parterre
genommen und ihn aus der Scheidewand zwischen Parterre und Parquet mit
dem Maule nach einem Kavalier zu aufgestellt hatte, den bereits Ewald
in seinen »brutalen Klatschern« gegeißelt, weil dieser Herr, nach
Busch's Ansicht, die Nase zu hoch gegen das Parterre trug.

Aber es ging nicht allein über den Adel, sondern auch über die
Geistlichkeit her, wenn Busch die schuldige Höflichkeit bei Seite
gesetzt glaubte. Auf dem Lande bei einem Gutsbesitzer malte er ein Mal
ein Thürstück, das eine Bauernstube vorstellte. Als er eben auf der
Leiter stand, kam der Gutsbesitzer mit dem Pastor des Orts herein, der
die Arbeit des Künstlers beurtheilen sollte. »Guten Tag, mein guter
Musjö Maler,« sagte der Pastor. -- Darein schickte sich Busch noch und
sagte trocken wieder: »Guten Tag!« -- Nun betrachtete der Pastor die
Arbeit mit einem Kennerblick und sagte: »Ja, es ist ganz gut; aber weiß
Er was, mein lieber Musjö Maler! Die Lade, die da steht, sollte roth
sein, versteht Er mich, Musjö Maler, roth sollte sie sein!« -- Nun
wandte Busch sich ganz phlegmatisch auf der Leiter um und antwortete:
»Und weiß Er was, mein lieber Musjö Pastor, die Lade, die da steht,
soll, hol' mich der Teufel, grün bleiben, versteht Er mich, Musjö
Pastor, grün soll sie bleiben!« --

[Sidenote: Bech's theatralische Versuche.]

Zwischen Bech und Busch war kein gutes Vernehmen. Bech war ein
mittelmäßiger Schauspieler; seine beste Rolle war Kilian in =Ulysses von
Ithacien=. Es war lange eine Spannung zwischen den zukünftigen Schwagern
gewesen; aber als Bech nun seine Schwester geheirathet hatte, wollte
Busch doch einen Tag nach der Hochzeit hinaufgehen und ihm gratuliren.
Bech empfing ihn gravitätisch im Schlafrock, worüber Busch gleich
ungeheuer lachen mußte, »Kilian im Schlafrocke« zu sehen! -- Und damit
war gleich Visite und Liebe zu Ende. --

Eigentlich besuchte ich nur die Damen dort im Hause. Der Mann war nicht
nach meinem Geschmacke. Er war ein nicht viel größerer Dramendichter,
als Schauspieler. Unter Anderem hatte er eine Komödie, »die Quarterne,«
geschrieben. Darüber schrieb ein junger norwegischer Poet Weyer, der
in seinem zwanzigsten Jahre starb und auf den Rahbek große Hoffnungen
gebaut hatte, folgendes Epigramm:

         Daß nied're Stücke stets auf nied'ren Schuhen gehn
         Das glaub' ich gerne.
         Drum halt' ich wenig, nach dem Maas, ich muß's gestehn,
         Von der Quarterne.
         Doch, lieber frommer Bech, Du mußt's erlauben
         Mit guten Mienen,
         Daß wir, trotz allen Schustern, dennoch glauben,
         Du trägst Pantinen.
         Und geh' in Gottes Namen immer so, doch laß'
         Dich nicht verlocken,
         Daß unter'm Schutz der Direction Du kommst fürbaß
         In bloßen Socken.

Auch bei Rosenstand-Goiske, der damals das »dramatische Journal«
herausgab, hatte Bech nicht viel Trost gefunden. -- »Wissen Sie, was
man von Hansen (einem anderen Schauspieler) sagt?« fragte Bech einmal
Rosenstand. -- »»Nun?«« -- »Man sagt, wenn man ihn einmal kämmen würde,
so fiele seine ganze Action fort.« -- »»Und wissen Sie, was man von
Bech sagt?«« -- »Nun?« -- »»Man sagt, daß wenn man ihm ein reines
Hemde anzöge, so fiele seine ganze Action fort.«« Hansen hatte nämlich
die Gewohnheit, sich hinterm Ohre zu kratzen, aber Bech schuppte sich
unablässig, wenn er spielte.

Bech zeigte mir seine Manuscripte und ich bewunderte das Voluminöse
der Hefte. Ich schrieb damals auch Komödien aller Art, Iffland'sche,
Kotzebue'sche, Ewald'sche, Wessel'sche, ließ mir aber nicht die Zeit,
so viele Bogen auf ein Mal voll zu schreiben. Ein Stück im Wessel'schen
Geschmacke, Gertrude, war für mein Alter gar nicht so schlecht, und ich
habe es viele Jahre darauf als eine Curiosität in meiner Monatsschrift,
Prometheus, abdrucken lassen.

Rahbek hatte Bech auch auf dem Halse. Dieser pflegte das Motto von
Voltaire vor seinen Arbeiten anzuwenden:


                  »_Pour former une oeuvre parfaite
                  Il faut droit se donner au diable._«

Rahbek rieth ihm einmal, Voltaire's Vers durch folgende Zeile zu
ergänzen:


                   »_Et c'est ce que je n'ai pas fait._«

Das that er denn auch später immer zum Trotz und rächte sich an Rahbek,
indem er dessen erste schwache Jugendarbeit, »der junge Darby,«
recensirte.

In dem Bech'schen Hause brachten meine Schwester und ich viel frohe
Stunden zu. Mutter und Töchter waren lebensfrohe Menschen, und wir
machten mit ihnen bisweilen Waldpartien. Es wunderte mich oft, daß
Madame Bech so munter sei; ihre Betriebsamkeit, die Familie in Wohlstand
zu versetzen, erstreckte sich nicht allein darauf, Putzsachen für
Lebende zu machen, sondern sie schmückte auch die Todten! -- doch das
machte nicht mehr Eindruck auf sie, als wenn ein Chirurg sich mit der
Anatomie beschäftigt.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Privattheater.]

Wenn wir jungen Leute im Speisesaal auf dem Friedrichsberger Schloß
zusammenkamen, so spielten wir gern Komödie und Winckler war auch dabei.
Wir mochten ihn seiner witzigen Munterkeit wegen gern und er war auch
gern dabei um zu scherzen und sich mit uns zu amüsiren; aber es war bei
ihm doch keine ernste Lust, so wie bei mir und Eline Bech, ordentlich
Komödie zu spielen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Leistungen in der Decorationsmalerei.]

Ich habe zu erzählen vergessen, daß ich, als ich noch in die Schule
ging, bei einem von Winckler's Schulkameraden, Böttcher, dessen Vater
Verwalter des Laurvig'schen Eisenmagazins war, ein Privattheater
eingerichtet hatte. In der Abwesenheit des Vaters erlaubte die Mutter
uns gern, in dem großen geräumigen Zimmer zu spielen. Ich bildete eine
kleine Truppe aus Böttcher, seiner Schwester, Winckler und einigen
Anderen, und nun spielten wir vor einigen unserer Schulkameraden. Hier
zeigte sich nun recht mein Eifer für das Dramatische. Zuerst mußte ich
an Decorationen denken. Ich kaufte mir ein Buch Packpapier und einige
Düten voll gelber, rother und schwarzer Farbe, sowie einige Pinsel.
Neun Bogen Packpapier nähte ich zum Hintergrunde zusammen, der eine
Stubenwand mit einem Fenster in der Mitte vorstellte, unter das ein
Tisch gesetzt wurde. Je drei Bogen bildeten eine Coulisse, an jeder
Seite mit Thüren. Nun band ich Besenstiele und Stangen an Stuhllehnen
an und daran befestigte ich die Coulissen. So war mein Zimmer fertig.
In diesem Zimmer mußten wir nun Alles spielen. Das Erste war der
politische Kannengießer, worin ich Hermann von Bremen, das Nächste Jeppe
vom Berge, oder der verwandelte Bauer, wo ich Jeppe spielte. Wenn die
Maschinerie nicht Stich hielt, so mußte die Phantasie zu Hülfe kommen.
Da ich zum Beispiel keinen Galgen hatte, an dem ich als Jeppe aufgehängt
werden konnte, hing ich mich mit den Armen an die Thür nach dem Zimmer
der Zuschauer; da diese geöffnet wurde und ich des Hängens müde war,
sprang ich herunter, ohne in der Scene oder im Spiele zu stocken, als
wenn gar nichts Wunderliches passirt wäre; und hierdurch rettete ich
auch die Illusion für die Zuschauer. Winckler gab den Henrik und Jacob
Schuhmacher; aber ich konnte ihn nie dazu bewegen, ordentlich zu sein;
er spielte stets mit dem Spiele.

Das that er nun auch, wenn wir auf Friedrichsberg mit Eline Bech
spielten, und es war reizend zu sehen, wenn das junge, schöne Mädchen
ihn ausschalt, weil er »unartig« sei -- das heißt: weil er sich nicht,
wie wir, in die Rolle versetzte und ernsthaft mitspielte.

Endlich wurde der Ernst bei Eline Bech so groß, daß sie wirklich
Schauspielerin wurde. Sie debütirte in Hermann von Unna als Ida, erwarb
sich außerordentlichen Beifall, und dies trug nicht wenig zu meinem
darauf folgenden Entschlusse bei.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Studien bei Herrn Höisgaard.]

So bereitete ich mich also ein Jahr lang bei Herrn Höisgaard zum
_examen artium_ vor, und ich sah voraus, daß, wenn ich auf =diese
Weise= fortfahren würde (was sicher der Fall war, =wenn= ich fortfuhr)
ich in einem Jahre nicht weiter kommen würde, als ich in diesem Jahre
gekommen war. -- Winckler hatte das Examen vor einem Jahre brillant
bestanden und war öffentlich ausgezeichnet worden. Wenn ich die Schule
für Bürgertugend hätte besuchen können, so hätte ich das Examen zu
gleicher Zeit mit ihm gemacht. Aber mein Vater hatte, wie gesagt, nicht
die Mittel dazu, weil ich nicht -- wie Winckler -- ein Haus in der Stadt
fand, wo ich frei wohnen konnte. So hängt das Schicksal eines Menschen
oft von Kleinigkeiten ab. Ich war im Grunde sehr betrübt darüber, daß
das Ganze diese Wendung mit mir genommen hatte; aber ich ließ es mir
nicht merken, nicht ein Mal vor Winckler. Ich schrieb vielmehr ein
scherzendes Heldengedicht: »Otto,« auf Veranlassung seines Examens,
und das Einzige, woran ein Menschenkenner vielleicht die Verstimmtheit
(doch fern von aller Mißgunst) hätte merken können, war die gezwungene
Heiterkeit, die sich darin aussprach. -- Das Gedicht war in verrückten
Hexametern geschrieben, die alle auf fünf Füßen einherhinkten, und fing
so an:

      »Ich bin ein Wurm, und darf doch den Wallfisch besingen.
      Keck und gefaßt verlacht zu werden, verhöhnet.
      Lachet mein' immer, verhöhnt mich, ich werd's nicht beachten,
      Wandre voll Zutrauen auf dieser so schlüpfrigen Laufbahn.
      Muse! begeistre mich, Kraft gieb mir, feurigen Willen,
      Daß mein Gesang empor zu den Wolken kann steigen.
      Nicht bin ich Ewald, und nicht bin ich Klopstock, nicht Pope,
      Dennoch will ich es wagen, ihn zu besingen.
      Nennt es Verwegenheit, Frechheit, was Ihr auch wollet,
      Nichts doch bekümmert mich, freudig beginn' ich zu singen.«

Und nun wird erzählt, wie der Held Otto in der Morgenröthe auf seinem
Lager ruhte und zwei Wesen an seinem Kopfkissen standen und sich seiner
zu bemeistern suchten: das eine der =Fleiß=, das andere die =Furcht=.
Endlich siegte der Fleiß, die Furcht zog sich zurück, der Held sprang
auf und ging, und der Sänger folgte ihm:

           »Lange er wandelt' auf graden, auf winkligen Wegen.
           Endlich stand er, ich sah' eine Pforte ihn öffnen,
           Sah' ihn hineingehn und folgte gewandt seiner Ferse
           In einen finsteren Saal durch Stangen geschützet.«

Dies war das Consistorium, in dem das Examen abgehalten wurde, und nun
kam eine scherzhafte Beschreibung der Pedelle und Professoren, die den
Helden Otto examinirten bis es vorbei war, und der »Dickwanst« (einer
der Pedelle) einen Folianten öffnete und schrie: »_laudabilis prae
ceteris._«

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Veränderter Lebensplan.]

Dieses _laudabilis prae ceteris_ stand mir selbst in meiner damaligen
Stellung so fern, daß es mir unerreichbar schien; mehrere Mal beschloß
ich, das Studiren aufzugeben, hatte aber doch nicht den Muth dazu.
Endlich eines Tages, -- ich entsinne mich dessen noch sehr gut, --
gerade wie ich die lateinische Version zum Brief Pauli an die Römer, 2.
Kap. 26., 27. und 28. Vers repetirte, -- legte ich das Buch entschlossen
hin, -- ging zu meinem Vater, erklärte ihm, daß ich zum Theater gehen
wollte, wenn er es erlaube, -- daß ich hoffe, dort mein Glück machen,
und ihm bald alle Kosten ersparen zu können. Er erlaubte es gleich,
sprach mit dem Oberhofmarschall, späteren Oberkammerherrn Hauch, und
dieser bestimmte mir einen Tag, an dem ich zu ihm kommen sollte. Nun
putzte ich mich, so gut ich konnte; meine Mutter lieh mir einen goldenen
Ring, um ihn, nach der damaligen Mode, auf das Halstuch zu schieben. Die
langen, schwarzen Haare wurden geflochten und mit einem kleinen Kamm
in den Nacken gesteckt. Aus falscher Schaam sagte ich meiner Schwester
nicht, was ich vorhabe, bis sie es von Anderen erfuhr; das schmerzte
sie; denn bisher war sie die Vertraute meiner Seele gewesen und ich
hatte ihr Nichts verschwiegen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Eintritt in das Schauspielerleben.]

Der Oberhofmarschall hatte mich oft als einen halberwachsenen Jungen
auf Friedrichsberg umherlaufen sehen, und wunderte sich wahrscheinlich
darüber, daß dieser Junge bereits in seinem siebzehnten Jahre Cavaliere,
Helden und romantische Liebhaber spielen wollte. Er stellte mir all' die
Schwierigkeiten und Mühseligkeiten vor, die mit dem Schauspielerstande
verbunden waren; aber es half Nichts. Er sagte mir, daß ich im Anfange
nur sehr kleine Gage bekommen würde. Darum kümmerte ich mich nicht.
Da ich in meinem Gespräche mit ihm doch wohl etwas Geistiges und
Ungewöhnliches zeigte, so schien er endlich Lust zu haben, es mit mir
zu versuchen. Aber er sagte: ich müsse erst vor allen Dingen tanzen und
fechten lernen und mit Handschuhen gehen, weil ich zu rothe Hände hätte:
Rosing wolle er mir zum Instructeur geben.

Das war es gerade, was ich wünschte. Ich eilte gleich zu Rosing hin,
klingelte und er kam selbst und öffnete. Ich sagte ihm, was ich
wolle; er ließ sich in ein Gespräch mit mir ein, betrachtete mich mit
Kennermiene, und ich freute mich, weil ich in dieser Zufriedenheit zu
entdecken glaubte. Als Richter und Kunstverständigen hatte ich ihn noch
nie reden gehört; bisher hatte ich aus seinem Munde nur die Gedanken
Anderer vernommen, jetzt merkte ich, daß er selbst beredt und ein Denker
war, ein Mann von Charakter, fein, ohne Falsch, mit Selbstgefühl und
doch bescheiden. Daß er beim Tageslichte älter, bleicher aussah, einige
Runzeln hatte, und statt des gewöhnlichen Schmuckes auf der Bühne hier
in einem einfachen grauen Fracke ging, machte ihn mir noch merkwürdiger.
Seine Augen waren eben so schön, wie auf dem Theater, ja noch schöner;
denn man konnte in der Entfernung bei Licht nicht ihre seltene, blaue
Vergißmeinnichtfarbe sehen.

[Sidenote: Körperliche Ausbildung.]

Wie es nun geschieht, daß Menschen, die mit einander sympathisiren,
alsbald vertraut werden, so geschah es hier; und kaum hatte ich ihn ein
paar Mal besucht, so bildete sich das schöne Verhältniß zwischen uns,
wie zwischen Lehrer und Schüler, ja fast wie zwischen Vater und Sohn.

Rosing fand eben so wie der Marschall, daß ich der ritterlichen
Uebungen bedürfe; ich bekam einen Fechtmeister, einen Tanz- und einen
Gesanglehrer.

Der alte Fechtmeister =Ems= war ein langer, gutmüthiger Schlagetodt,
ein Preuße aus Friedrich's II. Zeit, der sein Handwerk verstand. Es
amüsierte mich, den Gebrauch der Waffen von ihm zu erlernen; doch
mochte ich lieber mit dem Säbel, als mit dem Stoßdegen fechten. Es
schien mir viel heroischer, ehrlicher, weniger grausam. Das Fechten
mit dem Stoßdegen kam mir hinterlistig und meuchelmörderisch vor. Ich
sollte meinen Feind betrügen, um ihm unerwartet den Todesstoß zu geben;
Gewandtheit und kaltes Blut gaben den Ausschlag. Beim Fechten konnte man
kräftiger, heftiger zu Werke gehen; und ich meinte, daß, wenn man sich
duellirte, man heftig sein müsse; denn ruhige Leute müßten vernünftig
sein, und vernünftige Leute müßten Frieden halten. Ich glaube auch
noch jetzt, daß weder Achilles, Siegfried, Stärkodder, noch Palnatoke
gestoßen haben, außer mit großen Spießen, sie haben mit dem Schwerte,
wie Thor mit dem Hammer Mjölnir geschlagen. Der Stoßdegen ist eine
Erfindung der neuern französischen Schule; und ich hoffe, daß selbst
weder Guesclin noch Bayard sich seiner bedient haben.

Mein Tanzlehrer war Herr =Dahlén=, und später Herr =Berg=. So wie ich
bei Ems das Hauen dem Stechen vorzog, so liebte ich hier die Menuet mehr
als die Ecossaise. Die Menuet lehrte mich edle Stellungen und den Körper
mit Grazie bewegen; es schien mir eine stumme Liebesscene zu sein, in
welcher der Jüngling und das Mädchen sich voller Sehnsucht einander
nähern, dann sich wieder ängstlich und bescheiden trennen, sich wieder
entgegenkommen, einander die Hand reichen, sich flüchtig umarmen,
dann wieder einander fliehen, sich freundlich und höflich grüßen und
auf derselben Stelle stehen bleiben, wo sie angefangen, wie dies bei
den meisten flüchtig Verliebten der Fall ist. Die Ecossaise lernte
ich nicht: das Walzen konnte ich nicht vertragen; und so habe ich,
merkwürdig genug, nie in meinem Leben mit einer Dame auf einem Balle
getanzt.

[Sidenote: Musikalischer Unterricht.]

Der Gesanglehrer war Herr =Zinck=, ein ehrlicher, launiger Deutscher,
guter Clavierspieler und gründlicher Theoretiker aus der Bach'schen
Schule; auch als Componist hat er Talent und Gefühl gezeigt. Aber als
Lehrer für junge Sänger und Sängerinnen war er zu theoretisch; es
wurde zu viel gesprochen, zu wenig gesungen. Sein Streben, Alles durch
Definitionen populair zu machen, kostete viele Zeit. Und wenn er es den
jungen Sängerinnen begreiflich machte, daß jeder Mensch die natürlichen
Notenlinien bei der Hand habe (nämlich die Finger), und daß man nur den
Zeigefinger der rechten Hand über, zwischen oder unter einen Finger der
linken Hand zu setzen brauche, um sich jede Note klar zu machen; so
konnten wir Anderen uns nicht des Lachens enthalten. Später bekam ich
einen italienischen Gesanglehrer, Feretti, der eine gute Methode hatte,
und bei dem ich einige Fortschritte machte. Er hatte mich gern, aber er
mochte es nicht leiden, daß ich zuweilen seine Stunde versäumte, wenn
ich in der Sonnenhitze nach der Vorstadt auf Oesterbroe, wo er wohnte,
hingehen sollte. Darum sagte er auch in seinem halbdeutschen Patois:
»Ah, _Olanslagero magno ingenio_, aber Faullenzer!« Zuweilen wollte er
mich durch die Aussicht auf größere Gage ermuntern, und sagte: »Singe
Sie! Solle Sie Geld kriege.« Einmal sprachen wir von der nordischen
Mythologie: »Ah«, sagte er, »da habe Sie ja nur Othinus und seine Frau,
und weiter Nix.« Nun kramte ich all' meine nordisch-mythologische
Weisheit aus, und glaubte, seine Unwissenheit damit recht zu demüthigen;
aber mit einem zärtlichen Vaterlächeln legte er nur die Hand auf meine
Schulter, und sagte mit einem Ausdruck des Beifalls, als ob ich zum
Examen bei ihm gewesen wäre: »_Bravo, Olenslagero!_« Er war ein sehr
gutmüthiger riesengroßer Mann, mit einem langen schwarzen Zopf über dem
grauen Frack. Seine Tochter Doris, schon etwas bei Jahren, und seine
alte Frau mit dem kleinen Hunde auf dem Schoos, saßen im Nebenzimmer im
Dunkeln und applaudirten, wenn man sang.

[Sidenote: Der neapolitanische Singemeister.]

Es that ihm leid, als ich ihn verließ. Später erwischte er Foersom,
und wollte ihn zum Sänger ausbilden; aber da dieser auch keine Lust
hatte, und es vorzog, Schauspieler zu werden, so wurde der heftige
Neapolitaner ärgerlich, und rief zuletzt erbittert: »Nun so gehe Sie,
gehe Sie, und werde Sie nur miserabile Comediante!« Vor dieser Zeit war
Foersom ihm bei verschiedenen Gelegenheiten behülflich gewesen. Sie
gingen einmal zusammen aus, um Wohnungen anzusehen. Auf der anderen
Seite der Straße stand ein armselig gekleidetes Frauenzimmer, aber keine
Bettlerin. Feretti schritt gravitätisch zu ihr hinüber und drückte ihr
einen Kupferschilling in die Hand. Sie wurde verletzt und wollte ihn
nicht haben; er aber glaubte, es sei Bescheidenheit, winkte großmüthig
mit der Hand und ging weiter. Nun kamen sie in ein Haus hinein und
sahen Wohnungen bei Leuten an, die noch dort wohnten. Feretti trat mit
bedecktem Haupte mitten ins Zimmer und betrachtete mit stolzem Lächeln
die kleine Wohnung. Drauf sagte er: »Für ein Bauer ist es zu viel, für
ein Bürger ist es genug, für _il profossore del Feretti_ ist es zu
wenig«, und damit ging er wieder. -- Er war übrigens, wie gesagt, ein
sehr freundlicher Mann, fleißig und brauchbar in seinem Berufe, aber die
Neapolitanernatur konnte er nicht verleugnen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Musikalische Zustände.]

Fürs Erste hatte ich weiter nichts zu thun, als in die Singstunde zu
gehen und in den Chören mitzusingen; das war eine sehr interessante
Beschäftigung. So lernte ich das Theater auch von der Kehrseite kennen
und im Anfange ging es mir damit, wie in meiner Kindheit mit dem
Besuche in der Stadt, wo ich den Ulfeldtsplatz Friedrichsberg vorzog.
Die Musik habe ich nächst der Poesie immer am höchsten von allen Künsten
geliebt und hier schwamm ich in Musik von Monsigny, Gretry, Schulz und
Kuntzen, Païsiello und Cimerosa. Das Ohr des Publikums war damals noch
nicht verwöhnt oder erschlafft, und es bedurfte nicht eines großen
Lärmens, in dem so oft Melodie und Character vor übertriebener Pracht
in der Harmonie weichen müssen, und wo nur leidenschaftliches Geschrei
Effect macht. Damals übte noch die weiche Stimme des Herzens ihre
Wirkung aus, man fand den herrlichen Schulz noch nicht langweilig, und
-- obgleich der zweite April des Jahres 1801 noch nicht das Volk für
das Heroische begeistert hatte, fühlte man doch mit Vaterlandsliebe
das Idyllische und Ideale im »Erntefest« und »Peters Hochzeit.« Aber
Rosing spielte auch den Halvor in diesen Stücken und er zwang die
Zuschauer zu empfinden. Er würde es noch jetzt thun, wenn man ihn sehen
und hören könnte. Doch ich will die Zeit nicht besser machen, als sie
war; jede Zeit hat ihre Fehler und ihre Vollkommenheiten, darum muß die
vergangene Zeit die kommende theils lehren, theils warnen. -- Mozart
kannte man noch gar nicht; obgleich er schon vor zwölf Jahren gestorben
war. Daran waren die Italiener schuld, welche ihn beneideten. All' das
dumme Geschwätz, daß der melodiereichste aller Componisten unmelodiös
sei, daß er seine Musik für Orchester und nicht für Sänger geschrieben
habe, wurde auch hier hergebracht und -- geglaubt! Ja es half nichts,
daß man sein _Cosi fan tutte_ aufführte. Die Musik wurde mit anderer
italienischer Musik in eine Brühe geworfen. Daß der Text unter aller
Kritik war, konnte Jeder beurtheilen; daß die Musik göttlich schön war,
konnten nur Wenige empfinden, und dieses himmlische Meisterstück --
wurde ausgepfiffen. --

[Sidenote: Mozart's _Cosi fan tutte_.]

Ungefähr dreißig Jahre später suchte ich das Meiste dieser schönen Musik
durch das kühne Unternehmen zu retten, daß ich ihr einen andern Text
unterlegte. Einzelne Zuschauer, die wohl theils historische Kenntnisse
von _Cosi fan tutte_ früherem Schicksal besitzen mochten, theils einen
Haß auf mich hatten, wollten da anfangen, wo die Vorfahren aufgehört
hatten; aber der Beifall siegte, das Stück wurde mehrere Male bei vollem
Hause gegeben; -- und obgleich eine solche Arbeit, deren einziges
Streben dahin gerichtet war, ein anderes Kunstwerk vor der Vergessenheit
zu retten, keinen bedeutenden eigenen Werth haben konnte, so würden sich
doch gewiß noch jetzt manche Musikliebhaber darüber freuen, Mozart's
schöne Musik mit Worten zu hören, die das Gefühl nicht stören, sondern
es begleiten und es in Worte kleiden.

Wenn ich nicht irre, so trug auch eine andere Begebenheit dazu bei, das
Publikum zu verstimmen, als das Stück zum ersten Male aufgeführt wurde.
Die Liebhaber im Stück sollten sich umkleiden, um ihre Geliebten glauben
zu machen, daß sie nun andere Menschen seien. Diese Liebhaber wurden
von Frydendahl und Ovist gespielt. Frydendahl machte ein Versehen und
kleidete sich zu früh um, und Ovist ahmte nach, was er Frydendahl thun
sah. Als sie nun auf die Bühne hinaus wollten, machte der Regisseur
sie auf ihr Versehen aufmerksam. Frydendahl wurde ganz verblüfft, zog
an der Commandoschnur des Maschinenmeisters und rief: »Laßt herunter!«
er meinte nämlich den Vorhang, aber die Maschinisten oben glaubten,
die Scene sollte geändert werden und das Zimmer, in dem Knudsen gerade
spielte, verwandelte sich in einen Wald, worauf Knudsen, der, sonderbar
genug, noch die Illusion bewahren zu können glaubte, ausrief: »Welche
Gaukelei!« das Parterre schlug ein lautes Gelächter auf, und man mußte
wieder von vorn anfangen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Die Theaterdirection.]

Ich sah nicht nur die Kehrseite des Theaters und der Schauspieler,
sondern auch die der Dichter. Thaarup und Baggesen waren
Theaterdirectoren geworden, wozu sie sich durchaus nicht eigneten, um so
weniger, als sie nicht nur Censoren, sondern zugleich, mit Waltersdorf
als Chef, administrirende Directoren sein sollten. Hauch hatte sich in
diesen Jahren zurückgezogen. Baggesen war übrigens in seiner Stellung
angenehmer, als Thaarup. Er hatte keinen Ehrgeiz, was die Administration
betraf. Er besuchte uns auf der Bühne in seinem gelben Ueberwurf, auf
dessen Rückseite die eingebrannte Spur eines Plätteisens deutlich
zeigte, daß man ihn in der Eile ein Mal zum Plätttuch gebraucht habe.
Er schnupfte immer sehr viel Taback. Ich entsinne mich noch sehr gut
des ersten Tages, wo er uns besuchte, und wo Saabye gar nicht aufhörte,
das Bild auf seiner Schnupftabacksdose zu rühmen, welches seine erste,
selige Sophie vorstellte, die er selbst gemalt hatte. Wenn Baggesen
nicht zum Neid und zur Eifersucht gereizt wurde, war er gutmüthig und
unterhaltend. Hier beneidete er Niemand, ließ Rosing und Schwarz walten
und amüsirte sich selbst damit, über das Hohle in einigen Versen zu
scherzen, die er in den letzten Jahren hatte drucken lassen. Thaarup
that sehr vornehm, ernst und hofmeisternd. Er glaubte, daß er Alles
vortrefflich verstünde. Wenn er im Foyer einem der Jüngeren etwas zu
sagen hatte, so wandte er ihm gewöhnlich den Rücken, ballte die Fäuste,
steckte die Zeigefinger in die Höhe, pustete erst ein paar Mal -- darauf
heftete er seine Augen auf Herrn oder Madame Rosing, wenn sie zugegen
waren, -- wo nicht auf einen Andern der Aelteren um ihren Beifall oder
ihre etwaige Bewunderung seiner Rede zu beobachten -- und dann hielt er
die Rede an den, der hinter ihm stand und der gewöhnlich fortging, bevor
er fertig war.

[Sidenote: Baggesen's »Erik der Gute«.]

Er hatte besonders sehr viel damit zu thun, die Costüme zu dem
Singspiele Eveline zu besorgen, in welchem alle Choristen in feine weiße
Casimirbeinkleider gekleidet wurden. In Baggesen's Abwesenheit sorgte
er auch für die Costüme zu dessen =Erik dem Guten=; die dänischen und
julinischen Helden wurden in Harnische von unechtem Silberbrocat mit
Goldtressen gezwängt. Von =Erik Eiegod= wurden viel Proben veranstaltet.
Es machte mir Freude, Kuntzen zu sehen, der wirklich ein ausgezeichneter
Componist war, wie er da zwischen all den Menschen saß, die sich nun
vereinigten, um sein Werk aufzuführen. -- So jung ich war, so fühlte ich
doch, daß das Stück nur wenig von nordischer Kraft und Färbung hatte;
das konnte schon ein fleißiger Leser und Bewunderer Ewald's erkennen.
Wenn die Julinerinnen sangen:

                     »Keine Ketten uns umschlingen.
                     Kühl' den Haß im Blute!
                     Selbst im Tode noch wir singen
                     Erik hoch! der Gute!«

so konnte ich den im Blut gekühlten Haß nicht mit der Güte vereinen;
und daß sie es im Spott sagen sollten, um Erik zu ärgern in demselben
Augenblick, wo sie ihn um Vergebung baten, konnte ich auch nicht
begreifen. -- Wenn der alte Uller -- der mir am meisten gefiel -- zum
Schluße sang:


               »Von hundert der Jahre gebleicht
               Dank' warm ich Dir, warm Dir vor Allen, --«

so schien mir dies ein des edlen Greises unwürdiges Selbstlob; -- aber
wenn er sang:

                 »Vielleicht eh' die Sonne entweicht
                 Begrüß' ich Dich jung in Walhalla! --«

so drängte sich eine Thräne in mein Auge, und ich fand den Gedanken
schön. Daß Uller, als Wende, sich weder zur nordischen Lehre bekennt,
noch an Valhalla glaubt, entging mir, so wie es dem Dichter entgangen
war, der überall, sowohl hier, wie früher in seinem Holger Danske und in
Allem deutlich zeigte, daß er niemals altnordische Sitten oder nordische
Geschichte studirt hatte.

[Sidenote: Singspiel-Repertoire.]

Kuntzen's herrliche »=Weinlese=« und sein kleines munteres Stück
»=Das Geheimniß=« wurden auch aufgeführt. In beiden war Knudsen
unübertrefflich als Küster und Landrichter. Ich sah noch Gjelstrup in
seiner besten Zeit Jeppe vom Berge spielen, den Sattler in »Nicht mehr
als sechs Schüsseln« und mit Knudsen einen der zwei Geizigen in Gretry's
Singspiel u. s. w. In Païsiello's =Müllerin= zeigte Frydendahl schon,
daß er mit Glück die burlesken Italiener auf dem Hoftheater studirt
hatte. Seine Frau hatte von Natur eine der schönsten Stimmen, die ich
gehört habe; aber sie war nicht genügend durch die Kunst ausgebildet.
Sie hatte auch (was nicht immer bei guten Sängerinnen der Fall ist)
ein schönes Organ, außerdem ein schönes Gesicht und eine muntere
Gutmüthigkeit, war aber sonst kein bedeutendes Talent und von kleiner,
untersetzter Gestalt.

Schwarz war ein vortrefflicher »würdiger Vater.« Er hatte ein schönes,
beredtes Gesicht und ein gutes Organ. In früheren Jahren hatte er gewiß
eben so viel Humor in lustigen Rollen gezeigt, wie jetzt Gefühl und
Würde in den ernsten. Aber Helden konnte er nicht darstellen, jedoch
spielte er Niels Ebbesen, der sich nur wenig von dem bürgerlichen
ruhigen Vater unterscheidet.

Madame Preisler hatte ihre Rolle auf der Bühne und im Leben ausgespielt,
ehe ich kam; ich entsinne mich noch sehr gut eines warmen Sommertages,
wo ich mich mit einer großen Menge Menschen in eine Wohnung
hinaufgedrängt hatte, wo ihre Leiche ausgestellt war.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Michael Rosing.]

Wer sich meine größte Bewunderung beim Theater zuzog, wen ich mit der
ganzen Wärme des Jünglings liebte, wer mich besonders zur Bühne hinzog
und über dessen Umgang und Vertrauen ich mich noch mehr freute als
über die Kunst selbst -- war =Michael Rosing=. -- Rosing war ein echt
poetischer Schauspieler, er besaß Begeisterung, Phantasie, Gefühl,
Verstand, Geschmack in einem selten hohen Grade. Er war ein Norweger
und bewahrte bei all seiner Weltkenntniß und Vielseitigkeit die
größte Liebe für sein Vaterland und für alles Altnordische. -- Ich
habe in Talma Aehnlichkeit mit ihm gefunden; Talma's Talent war in dem
Tragischen, das Rosing selten zu üben Gelegenheit hatte, ausgebildeter,
aber dieser stand ihm gewiß nicht im tragischen Genie, so wenig wie in
rascher männlicher Würde und Gluth nach.

Er war in Röraas, bei jenem melancholischen Kupferbergwerk zwischen
Schneebergen in einem abgelegenen öden Winkel geboren. Hier war sein
Vater ein armer Prediger. Als Knabe kam Rosing in die Schule nach
Drontheim. Er hatte eine schöne Discantstimme, und sang mit hoher
Begeisterung in der St. Olafs-Kirche, im großen Chore, der noch jetzt
der Nachwelt erhalten ist; Rosing lebte mit seinen Phantasieen in der
alten Zeit der Sagen. -- Der später so bekannte Staatsrath =Treschow=,
der erst jüngst nach einem bis zu seinem Todestage gesunden und
kräftigen Leben gestorben ist, war vor 60 Jahren Rosing's Rector in
Drontheim, aber Treschow kam sehr jung zu diesem Amt und war nur sechs
Jahre älter, als sein Schüler. -- In den Wissenschaften zeichnete
Rosing sich nicht aus; er ging nach Kopenhagen, wurde Student, besuchte
das Theater, verliebte sich in Fräulein =Olsen=, seine spätere Frau,
fühlte sein Talent erwachen und wurde seiner Stimme wegen beim Theater
angenommen. Aber nun mußte er sich darein finden, ein ganzes Jahr ohne
Umgang mit seinen Landsleuten zu leben, um sich den norwegischen Accent
abzugewöhnen, den er als Drontheimer in hohem Grade hatte, und auch
nie ganz ablegte; aber er kleidete ihn gut, da er gemildert und mit
der Sprache seiner Umgebung verschmolzen war. Er debütirte als Orosman
in Voltaire's Zaire, von Tode in schlechten schleppenden Alexandrinern
übersetzt. Indessen machte er gleich Glück. Von keinem Schauspieler
habe ich die Liebe zum Weibe so tief, so wahr, so schön und rührend
darstellen sehen, als von Rosing. Daher kam es, daß man in jedem Stücke,
in dem eine Liebesscene vorkam, aus welcher nur irgendwie Etwas zu
machen war, eines schönen Genusses sicher sein konnte, wenn Rosing die
Rolle spielte. Vieles, das man sonst langweilig fand, wurde durch die
Art und Weise poetisch, wie Rosing es auffaßte. Nie gab er sich einer
hohlen, schreienden Declamation, einer egoistischen Eitelkeit hin; er
lebte und athmete in dem angebeteten Gegenstande, vergaß sich selbst,
sein schwimmendes, blaues Auge auf sie gerichtet, ganz ihr gegenüber;
aber die Zuschauer vergaßen ihn nie.

Und nun sein vortrefflicher Almaviva im Figaro, wobei er sein Genie
gerade dadurch zeigte, daß er den Gegensatz seines natürlichen Gefühls
darstellte; die kalte herzlose Buhlerei eines Junkers, der bereits im
Verblühen ist; aber mit aller Politur des Hofmanns. Diese Feinheit
zeigte er noch größer, zu einem hinterlistigen, heimlichen Gift
sublimirt, in dem entsetzlichen Marinelli, aus dessen Eisbrust nur
zuweilen die Höllenflammen aufschlagen, so wie die Gluth des Hekla in
einer dunkeln Winternacht. Endlich sein ausgezeichneter Graf Gerhard
in Niel's Ebbesen, wo sein ganzes Wesen und Benehmen uns das Genie und
das geistige Uebergewicht ahnen ließ, das Gerhard erst hochmüthig und
zum Menschenverächter machte und ihn darauf in den Abgrund stürzte.
Wenn Rosing sagte: »Da liegen sie nun unbekümmert, daß sie morgen zur
Schlachtbank geführt werden! Und Dich Mensch, Dich sollte ich achten?
Deinetwegen ein Werk aufgeben, das die Bücher der Weltgeschichte
bewundern müssen? Sclaven, nur geschaffen, um einem blinden Triebe zu
gehorchen, -- um geschlachtet zu werden mögt ihr gut genug sein;« --
so ließ er uns ein tiefes Mitleid mit dem verblendeten Gerhard fühlen,
dessen große Gaben zu Grunde gingen, weil ihm die Liebe mangelte. -- Und
wie konnte er da rühren?

»Wer die Liebe nicht liebt, den kann die Liebe nicht lieben,« sagt
Lavater. Der kalte Haß, die herzlose Verachtung kann niemals rühren,
sie kann nur empören. Aber Rosing, ebenso wie Talma, fühlte, daß in
der inneren Tiefe aller großen Menschen eine schlummernde, vielleicht
sich selbst unbewußte Liebe ruhe. Freilich gestaltet sie sich zur
Eigenliebe; aber jemehr Genie ein Mann hat, desto mehr nimmt er von
Anderen in sich auf und liebt zuletzt, ohne es eigentlich zu wissen --
nicht nur sich selbst in der ganzen Welt, sondern die ganze Welt in
sich. Er glaubt, das Organ der Zeit zu sein -- und er ist es ja auch,
wenn er groß ist; denn Männergröße und Geistesgröße hängen leider nicht
immer mit moralischer Vollkommenheit und Klarheit der Seele zusammen.
Dieses schlummernde Gefühl rührt, wenn wir es in wichtigen Augenblicken
erwachen sehen. So liegt in Gerhard's Entrüstung über die Schwäche der
Menschen eine tiefe Unzufriedenheit darüber, daß der Mensch nicht mehr
ist, was er sein sollte; und dieß rührt, weil es ihn selbst trifft. Es
hat etwas Tiefergreifendes, eine große verirrte Kraft zu Grunde gehen zu
sehen. Was giebt es Rührenderes, als wenn Napoleon, indem er dem Thron
entsagt, umgeben von den alten Helden, den Adler an die Brust drückt und
ihn zum Abschied küßt? Dieses Gefühl wußte Rosing auf wunderbare Art zu
wecken und hierin besonders glich er Talma. Auch =Ryge= haben wir solche
Gefühle in =Hakon Jarl= und anderen Stücken lebhaft erregen sehen.

[Sidenote: Rosing und Rahbek.]

Als Knud Gyldenstjerne in Dyveke gab Rosing Torben Oxe's treuen Bruder,
Siegbrit's edlen, schonenden Feind unübertrefflich schön. Hier fällt mir
eine Anekdote ein, die ich erzählen will, da sie sowohl zu Rosing's als
zu Rahbek's Charakteristik beiträgt.

Rahbek mußte stets eine Dame haben, in die er unglücklich verliebt
sein konnte. Dies versetzte ihn in seinen freien Stunden in einen
elegischen Zustand, der ihm lieb war, mit dem er aber niemals seine
Freunde belästigte; denn unter ihnen war er beim Glase Wein stets witzig
und erzählte gern scherzend, was er gehört und erlebt hatte. Rahbek
verliebte sich also gleich in seiner Jugend in Fräulein Olsen, die
bald Rosing's Gattin wurde. Rosing war sein Universitätsfreund, Rahbek
kam oft in dessen Haus, und hatte also hier, wie im Schauspielhause,
Gelegenheit genug, seine Gefühle zu nähren. Diese waren nun, wie Alle,
die Rahbek gekannt haben, wissen, so platonisch und super-petrarchisch,
daß sie nie Jemand auch nur im Entferntesten beunruhigen konnten. Rosing
war ein sehr schöner Mann und wurde von seiner Frau innig geliebt;
dadurch gestaltete sich aber die den gewöhnlichen Verhältnissen ganz
entgegengesetzte Situation so, daß Rahbek auf Rosing eifersüchtig
wurde und als Folge hiervon mehr als sonst geneigt war, ihn zuweilen
zu tadeln. Hierzu kam, daß sie aus verschiedenen Schulen waren.
Rosing hatte sich selbst gebildet; Rahbek bewunderte den verstorbenen
Schauspieler =Rose=; und hatte durch =Schröder=, =Jünger= und =Iffland=
Geschmack an dem bürgerlichen Idyll mit seinen stillen, feinen
Schattirungen gefunden; zu Rahbek's größter Verwunderung spielte auch
Madame Rosing vortrefflich in dieser Gattung von Stücken. Für das mehr
Heroische, welches reichere Phantasie und stärkeres Gefühl forderte,
hatte Rosing viel mehr Sinn; aber dies lag nicht so sehr in Rahbek's
Sphäre.

Als man nun Dyveke aufführen sollte und ein guter Freund Rahbek fragte:
»Wie glaubst Du, daß Rosing den Knud Gyldenstjerne spielen wird,«
-- antwortete er in übler Laune: »»Wie ein rasender Jakobiner, den
Christian der Zweite gleich hätte köpfen lassen, wenn er so vor ihm
hingetreten wäre!«« Diese Antwort hinterbrachte der gute Freund dem
Rosing, der gar nicht verletzt wurde, gute Miene machte, und Rahbek,
als sie sich wiedersahen, fragte, ob er Lust habe, der Probe zu Dyveke
beizuwohnen, und ob er ihm dann seine Meinung sagen wolle, wenn er Eins
oder das Andere geändert wünsche. -- Rahbek folgte mit Freuden dieser
Aufforderung. Die Probe ging vortrefflich und Rahbek war durchaus
zufrieden. Als sie von der Probe zusammen nach Hause gingen, sagte
Rosing lächelnd: »Gefiel Dir nun auch mein Knud Gyldenstjerne?« --
»»Vorzüglich!«« -- »Ich habe also doch nicht wie ein rasender Jakobiner
gespielt?« -- »»Wenn Du««, entgegnete Rahbek ohne verlegen zu werden,
»»nur einen Fingerzeig bekommst, so hast Du Alles, was Du brauchst!««

[Sidenote: Billardübungen.]

Ehe ich noch recht bekannt mit Rosings wurde, und als täglicher
Umgangsfreund in ihr Haus kam, ging ich viel mit einigen jungen
Leuten vom Theater um. Der rohe Ton, der unter ihnen herrschte,
mißfiel mir sehr. Indessen konnte ein Jüngling leicht nach und nach
verdorben werden, wenn mein guter Engel nicht über mich gewacht hätte.
Was mich im Laufe des Jahres, das ich auf diese Weise verbrachte,
besonders beschäftigte, war Billardspiel. Winckler und ich hatten uns
selbst dieses Spiel auf eine eigenthümliche Weise gelehrt. Auf dem
Friedrichsberger Schloß stand in unserer Kindheit ein Billard in der
schönen Gemäldegalerie, neben dem Speisesaal. Hier spielten wir, so
gut es eben ging, ohne daß uns Jemand die geringste Anweisung gab. Wir
wußten nun -- und das ist ja auch die Quintessenz des Spieles -- daß man
den einen Ball durch den andern in ein Loch stoßen müsse. -- Nun nahmen
wir Jeder unser Queue, und stießen dann auf die Bälle, -- natürlich
mit dem dicken Ende -- so gut wir konnten. Auf diese Weise gewöhnten
wir uns, zur Verwunderung unserer Mitspieler, als wir zur Stadt kamen,
daran, alle Bälle _par tournée_ zu machen. Winckler, mit seinem scharfen
Blick und seiner sichern Hand, wurde bald ein ebenso ausgezeichneter
Billardspieler, wie er in seiner Jugend ausgezeichnet im Steinwerfen
nach Wallnüssen, Vögeln -- und zuweilen nach mir war. Er wurde der beste
Billardspieler in der Stadt; später kam ihm seine Gewandtheit sehr
als Anatom und Chirurg zu gute. Ich selbst brachte es nicht weit im
Billardspiele mit meinem kurzen Gesicht und meiner noch kürzeren Geduld.

Als eine Merkwürdigkeit muß ich anführen, daß Winckler's Rival im
Billardspiel damals in Kopenhagen -- der aber nie um Geld spielte -- der
später so berühmte Norweger =Christie= war, welcher das Grundgesetz für
Norwegens freie Verfassung entwarf.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Umgang mit Schauspielern.]

Ich war zurückhaltend und blöde; daher machten die Schauspieler sich,
ehe sie mich kannten, einen falschen Begriff von meinem Charakter, und
glaubten, ich sei eine stille, furchtsame Natur. Es gelang mir bald,
ihnen diesen Irrthum zu benehmen, ja sogar mir durch humoristische
Scherze Freunde unter ihnen zu gewinnen. Eines Abends z. B. hatten
Mehrere vom Theaterpersonal sich bei einem Wirthe versammelt, wo man
für einen bestimmten Preis gut essen sollte. Unter Anderen war uns ein
köstlicher Hasenbraten versprochen. Es dauerte lange, ehe der Tisch
gedeckt war, die Gerichte wurden noch langsamer aufgetragen; -- nach
Mitternacht wurde ein trockener Rinderbraten statt des Hasenbratens
hereingebracht; und man entschuldigte sich damit, daß der Bäcker den
ihm gesandten Hasen nicht gebraten hätte. Alle, die eben noch lustig
gewesen waren, schwiegen nun verstimmt, und glaubten nicht an die
Entschuldigung. Ich, der früher geschwiegen und die Aelteren hatte
reden lassen, brach nun plötzlich aus: Ei, so soll doch der Teufel den
nachlässigen Bäcker holen. »Wo wohnt denn der Pfuscher?« -- »»Ach!«« --
entgegnete der Wirth -- »»er wohnt sehr weit von hier! Außerdem ist es
auch spät, kalt und ganz finster; jetzt kann er den Hasen doch nicht
braten.«« -- »Er hat uns zum Besten gehabt«, sagte ich. »Ich wecke ihn
aus seinem Schlafe! Er soll mir den Hasen geben.« -- Ohne weiter zu
hören, lief ich in die Stadt zum Bäcker und holte ihn aus dem Bette.
Er wußte von nichts, und hatte keinen Hasen bekommen. -- Mit dieser
Nachricht kam ich vergnügt zurück. Alle schlugen ein lautes Gelächter
auf; der Wirth mußte beichten und um Verzeihung bitten; aber ich hatte
bei dieser Gelegenheit einen Stein im Brett bei den Schauspielern
gewonnen, und der Rinderbraten schmeckte ihnen nun, da sie lustig waren,
eben so gut, als ob es ein Hasenbraten gewesen wäre.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Meine Debüts.]

Ich müßte lügen, wenn ich sagen wollte, daß Rosing mich ermunterte,
auf der Bahn fortzugehen, die ich einmal eingeschlagen hatte, obgleich
keineswegs weil er mich für untauglich dazu hielt; im Gegentheil, er
glaubte, daß ich mich auszeichnen könnte, wenn ich älter geworden und
bessere Manieren angenommen haben würde. Aber er fühlte, wie alle
ausgezeichneten Künstler seines Faches, das Drückende und Peinliche
seines Standes, und wollte mich wohl vor etwas Aehnlichem schützen.
Er litt es gern, daß ich mit ihm scherzte. Einmal, als er mich
unterrichtete, drückte er sich etwas undeutlich aus, als er mich auf die
Harmonie der körperlichen Grazie aufmerksam machen wollte, und sagte:
»Der kleine Finger und die große Zehe müssen zusammenhängen!« -- »Ja!«
-- entgegnete ich, und hob den Fuß zur Hand auf, um Zehe und Finger in
Berührung zu bringen. -- »Du bist ein Eulenspiegel!« rief er. -- Wir
hatten King's Rolle in Tode's »Seeoffizieren« zu einem meiner Debüts
gewählt. King ist ein braver Kerl, der gut für sich spricht, und das,
meinte Rosing, würde ich schon können; aber King ist etwas langweilig
und predigt zu viel; und das Männliche, welches er haben mußte, konnte
mein knabenhaftes Wesen nicht durch eine Kunst ersetzen, in deren
Besitz ich damals eben so wenig war. Indessen hörte man bei diesem
Auftreten, daß ich ein gutes Organ und eine gute Diction hatte. Das
Ritterliche im Torben Oxe, den ich auch spielte, konnte ich natürlich
auch nicht darstellen, und die Schüchternheit und Furcht erlaubten mir
nicht, Gefühl zu äußern, was übrigens auch in den kurzen Scenen dieses
unglücklichen Liebhabers mit der Dyveke, die ihn nicht liebt, schwierig
ist. Erst im Cederström in Kotzebue's »Armuth und Edelsinn« ließ ich
mich in den zärtlichen Scenen mit der liebenden Luise gehen -- und
erntete lauten Beifall.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Ewald's Fischer.]

Aber ich fühlte bald, daß ich keinen Beruf zur Schauspielkunst habe.
Das Vorurtheil, welche dieselbe noch zu bekämpfen hatte, genirte
mich durchaus nicht; sie reizte im Gegentheil meinen Stolz zu Trotz
und Verachtung; aber zwei Dinge waren mir zuwider: die Subordination
und das Auswendiglernen. Es war mir unerträglich, langweilige Rollen,
in schlechter Sprache geschrieben, auswendig zu lernen; ich wollte
im Grunde am liebsten ganz frei sein, die Anderen spielen sehen, und
mich damit amüsiren, als Zuschauer ins Theater und in die Singschule
unter den Haufen junger Leute und hübscher Mädchen gehen, -- kurz: Es
drängte den werdenden Dichter, das Theater, wie ein Baumeister seine
Maurer und Zimmerleute, kennen zu lernen. Aber dessen war ich mir damals
noch nicht bewußt. Ich ließ mich gern von Rosing unterrichten, um nur
in seiner Gesellschaft sein zu können. Er erzählte mir, daß er Ewald
gekannt habe. Rosing hatte zuerst =Balder's Tod= und =die Fischer= auf
die Bühne gebracht; er spielte selbst die Rolle des Hother im Balder und
des Knud in den Fischern. Zur Aufführung des letzteren Stückes hatte er
die wirklichen Fischer von Hornbeck, welche mit größter Lebensgefahr
die edle That ausgeführt hatten, welche Veranlassung zu diesem Stücke
gewesen, eingeladen. Die historischen Helden des Stückes saßen während
der Aufführung in einer Loge und sahen die scenische Darstellung ihrer
That. Als es zu Ende war, kamen sie auf die Bühne. »Nun« -- fragte
Rosing den Knud, dessen Rolle er gespielt hatte -- »war es ungefähr so,
wie Ihr es damals gemacht habt?« »»Ja««, -- antwortete Knud ernsthaft,
-- »»grad' so war es; nur sangen wir nicht!««

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Peter Heger.]

Rosing war auch ein Freund von Thaarup. Thaarup war von Natur
entsetzlich faul, aber Rosing hatte ihn dahin gebracht, das Erntefest
zu beendigen, indem er ihn scherzend auf einem Zimmer in seinem Hause
mit Schreibmaterialien bei einem guten starken Kaffee einschloß. Im
Sommer wohnten Rosings auf Friedensburg. Ich war oft ihr Gast, und
machte hier mit meinem zukünftigen Schwager Peter, oder wie wir ihn
nannten, Peer Heger, Bekanntschaft, einem raschen, hübschen Seemann, der
als Steuermann mehrere Reisen nach Ost- und Westindien gemacht hatte,
und mit Rosings zweiter Tochter verlobt war. Die älteste Tochter, ein
schönes Mädchen, war mit einem Sohne des älteren Drewsen, dem Besitzer
der großen Papierfabrik: »die Strandmühle«, versprochen. In dieses Haus,
wo Wohlstand und Geschmack herrschten, kam ich oft zum Besuch und lernte
hier Frau Drewsen kennen, deren Schönheit, Grazie, Verstand und Bildung
allgemeine Bewunderung erregten. Sie war eine vertraute Freundin der
ein paar Jahr jüngeren Christiane Heger, meiner zukünftigen Frau. Peer
Heger hatte mich lieb, aber da er ein ausgezeichneter Gymnastiker war,
der oft, wenn er ganz ruhig im Zimmer saß, plötzlich im Sopha auf dem
Kopfe stand -- hatte er immer sehr viel an meinem Wesen auszusetzen, das
ihm zu unbeholfen war, und dies ging soweit, daß wir zuletzt uneinig
wurden. Einmal wollte er zur Strandmühle reiten, und lud mich ein, ihn
zu begleiten. Obgleich ich noch nie zu Pferde gesessen hatte, außer
einige Augenblicke, wenn ein Reiter meinen Vater besuchte, und ich
Erlaubniß erhielt, einige Schritte hin und her zu reiten, -- so nahm
ich doch die Einladung an. Ich miethete mir nun ein Pferd, und folgte
ihm mit lustiger, ruhiger Miene wie ein alter, geübter Reiter. Es ging
nach der Strandmühle hinaus. Heger fing zu traben an; aber ich, der
den Trab zu beschwerlich und stoßend fand, galloppirte ihm nach. Nun
begann auch er zu galloppiren; sein Pferd warf mir Sand in die Augen,
weil das meine immer dicht hinter ihm war. Um nun nicht die Augen voll
zu bekommen, machte ich sie zu, galloppirte darauf los, und befahl mich
in Gottes Hand, der sie auch über mich hielt. Ja, ich hatte sogar, die
Satisfaction, daß Peer, der mich den ganzen Weg über ausgelacht hatte,
auf dem Hofe, als er vor den Damen Kapriolen machen wollte, vom Pferde
fiel; ich dagegen blieb fest im Sattel sitzen.

                    *       *       *       *       *

Ich las Peer Heger oft meine Geistesproducte vor, und er hatte eine
große Meinung von ihnen, aber ich konnte die Art und Weise, in der er
mich beherrschen wollte, nicht ertragen. Er war mir zu stolz, und im
Gefühle seiner größeren Körperkraft zu gebieterisch. Diese Mißstimmung
kam einmal eines Abends auf der Strandmühle zum Ausbruche, gerade als
wir zusammen zu Bette gehen wollten. Wir kamen in einen Streit über
Geschmackssachen, ein Wort gab das andere, Peer appellirte an seine
Fäuste, und obgleich dies wohl nur eine Drohung war, wollte ich mich
doch nicht noch öfter einer Citation vor ein solches Gericht aussetzen.
So spät es war, beschloß ich, nach Kopenhagen zu gehen, um nicht mit
ihm zusammen zu schlafen. Ich ging, und war bereits eine Viertelstunde
von der Strandmühle entfernt, als die Kälte der Nacht und der Gedanke,
was Frau Drewsen am nächsten Morgen sagen würde, daß ich so in der
Nacht fortgegangen sei, mich bewog, wieder umzukehren, und mich,
ohne ein Wort zu reden, neben Peer hinzulegen. Er verspottete mich;
der Sohn Drewsen's, der in demselben Zimmer lag, lachte, ohne sich
übrigens in die Sache zu mischen. Ich schwieg -- nahm am nächsten Morgen
Abschied und sah die Strandmühle erst -- dreißig Jahre später wieder,
als ich Christian Drewsen besuchte, der mich zuvorkommend einlud und
freundschaftlich der verschwundenen Jugendzeiten gedachte.

                    *       *       *       *       *

Die Versöhnung dürfte wohl zu Stande gekommen sein, wenn Peer nicht kurz
darauf nach Westindien gereist wäre. Die älteren Drewsen's zogen nach
Kopenhagen, wo ich sie besuchte, als ich mit Christiane Heger verlobt
war. Peer Heger starb kurz darauf in Westindien, ehe er erfahren konnte,
daß ich mit seiner Schwester versprochen sei. Ich bin überzeugt, daß
diese Nachricht den braven Seemann sehr erfreut haben würde, und daß wir
wieder die besten Freunde geworden wären.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Strenge Disciplin.]

Indessen war statt des Oberhofmarschalls der Generalmajor Waltersdorff
erster Director geworden. Dieser wackere Mann hatte sich früher wenig
oder gar nicht mit solch undiplomatischen Geschäften abgegeben. Er
ließ Thaarup und Baggesen, und diese ließen wieder Schwarz und Rosing
walten. Indessen hatte das Ganze doch einen Anstrich von militairischer
Subordination, die die Schauspieler nicht vertragen konnten. Ich
entsinne mich noch, wie der joviale Saabye, als der Generalmajor auf
der Probe an ihm vorüberging, sich wie ein Landsoldat richtete, und
zu seinem Nachbar in seeländischem Dialecte sprach: »Hör' mal Du! der
Dienst ist heuer streng!«

                    *       *       *       *       *

Saabye war in seiner Jugend ein schöner Mann gewesen, und er war noch
hübsch, mit seinen braunen Augen und dem blonden Haar. Er hatte auch
eine schöne biegsame Rede- und Singstimme, aber nicht viel Verstand.
In gefühlvollen Rollen wurde er leicht affectirt und übertrieben; in
naiven, munteren Rollen war er vortrefflich, z. B. als Plumper in »Er
mengt sich in Alles«, und als Liebhaber in den kleinen französischen
Singstücken; dagegen war er entsetzlich als Wenzeslaus in »Herrmann von
Uma«. Seine letzte Rolle war Hakon Herdebred in »Axel und Valborg«, die
er gar nicht verstand.

                    *       *       *       *       *

Mit meinem späteren zweiten Schwager =Stephen Heger= wurde ich bald
bei dem Theater befreundet. Er war seiner Stellung durchaus müde, und
beklagte es in hohem Grade, Schauspieler geworden zu sein. Dies trug
auch zu meiner Verstimmung bei.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Das Inquisitionsgericht.]

Noch ein anderes Ereigniß traf ein, das mich ärgerte. Knudsen war ein
vortrefflicher Schauspieler, nicht allein in dem Burlesken, sondern
auch in dem Rührenden, und besonders wo beide Elemente sich begegneten,
wie z. B. in Falsen's »Findelkind«, wo er den armen Schuhmacher
unvergleichlich gab. Einmal spielte er den Juden im »Einzuge«, und
da bildete er sich ein, daß ich -- der ihn stets bewunderte, -- ihm
als Bauerjunge im Chor einen unverschämten Stoß gegeben hätte. Er
klagte mich bei der Direction an. -- Ohne das Geringste zu ahnen,
wurde ich eines Morgens vor das Inquisitionsgericht gerufen. In einem
großen Saal, in dem Hause des Generalmajors Waltersdorff, saß er
selbst nebst Thaarup und Kjerulf, als Mitdirectoren, an einem grünen
Tische. Von Kjerulf, Professor bei der Universität, habe ich erzählt,
daß er mich, als ich die Schule verließ, eine ganze Stunde zu seiner
vollkommenen Zufriedenheit in der Geschichte examinirte. Hier beim
Theater sprach er niemals mit mir, und ich auch nicht mit ihm. Thaarup
war ein wahrheitsliebender Mann, aber ziemlich stolz, größtentheils
ohne Kenntniß von dem, was beim Theater vorging, und liebte sehr zu
hofmeistern. Bei meinem Eintritt hielt er mir gleich eine lange Rede
über meine vermeintliche Unart, und verlangte, daß ich Knudsen um
Verzeihung bitten solle. -- Als er fertig war, antwortete ich kurz:
»Das ist nicht wahr!« -- Nun begann er wieder, mir eine moralische
Vorlesung zu halten, und ich entgegnete wieder eben so kurz: »Das ist
nicht wahr!« Die Directoren sahen einander bedenklich an, und Thaarup
äußerte: Noch nie habe ein Schauspieler in einem solchen Tone zur
Direction zu sprechen gewagt. -- Nun fing die Sache an bedenklich zu
werden; die Thränen traten mir in die Augen, ich wandte mich zum Chef
und sagte: »Was soll ich antworten, wenn ich mich ganz unschuldig fühle?
Ein Anderer muß es gethan und mich bei Knudsen verleumdet haben. Er
selbst hat ja mit dem Rücken nicht sehen können, wer ihn gestoßen habe.
Ich achte sein Genie, unsere Kunst und die Würde der Bühne zu hoch, als
daß ich mich zu einer solchen Grobheit herablassen solle. Aber ich bitte
ihn auch nicht um Verzeihung! Meinetwegen mögen Sie mich in Arrest
werfen, oder mir den Abschied geben!« -- Statt ihn zu erzürnen, gewann
ich den Generalmajor durch diese Antwort, und er sagte: »Sein Sie ganz
ruhig! Ich bin vollständig von Ihrer Unschuld überzeugt. Knudsen muß
sich getäuscht haben.« -- Von diesem Augenblicke an konnte Waltersdorff
mich gut leiden. Knudsen und ich sprachen gar nicht über die Sache, und
später wurden wir, wie gesagt, gute Freunde.«

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Der Schauspieler Foersom.]

Zu der Zeit war Foersom, ein tüchtiger Student und Predigerssohn von
Jütland, auch Schauspieler geworden. Wir gingen täglich mit einander
um; er wohnte in einem, dem Einsturze nahen Hause auf Christianshafen,
wo ich ihn oft besuchte; aber ich glaube, daß er daselbst frei wohnte;
denn der Wirth, ein junger Handwerksmeister, hatte große Vorliebe für
die dramatische Kunst im Allgemeinen und für Foersom im Besonderen.
Man sagte im Scherz, daß dieser mit dem Regenschirm Nachts im Bette
läge, wenn es regnete, so viel ist gewiß, daß das Haus kaum noch
zusammenhalten konnte, und ich kletterte selten die Treppe hinauf,
ohne die erste Zeile eines alten Psalmes zu summen: »David's morsche
Hütte wankt auf ihren letzten Pfeilern.« Uebrigens dachte ich nicht
weiter daran, als nur um darüber zu scherzen. In jenen Jahren ist
das Herz nicht empfänglich für Sorgen. Ich lag sogar oft halbe Tage
dort knieend auf dem Fußboden und malte Coulissen, die wir zu unserm
Privattheater gebrauchen wollten. Mein Maler-Atelier befand sich in
einem eigenthümlichen Hinterzimmer, wo die Decke gestützt war, und
herabgefallene Steine in allen Winkeln lagen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Laurits Kruse.]

Durch Foersom machte ich mit Laurits =Kruse= Bekanntschaft. Er
gab damals ein Wochenblatt heraus, welches er »Almeenläsning«
(Unterhaltungsblatt für Jedermann) nannte, und dessen Inhalt
größtentheils aus Uebersetzungen bestand, doch enthielt es auch
originale Arbeiten und Gedichte. Ich hatte eine solche Schreiblust, daß
ich fast das ganze Blatt für ihn schrieb, ohne meinen Namen zu nennen
und ohne Etwas dafür zu verlangen, nur um meinen Trieb zu befriedigen.
Ich schrieb damals auch mehrere Dramen in der Iffland'schen und
Kotzebue'schen Manier, ohne aber doch Etwas drucken zu lassen; Alles
nur zur eigenen Unterhaltung. Freilich mußten meine Freunde herhalten;
und wenn ich -- wie Tode sagt -- meine Muse gepeinigt hatte, so plagte
ich meinen Freund, indem ich ihm schlechte Nachahmungen mittelmäßiger
Originale vorlas. Kruse hatte ein Stück geschrieben: »=Die Emigranten=«,
das zur Aufführung angenommen war. Das gab ihm ein gewisses Uebergewicht
mir gegenüber, und ich glaubte nicht, daß mir jemals ein solches Glück
zu Theil werden könne. Er neckte mich, weil ich so viel und so rasch
schrieb, nannte meine Fabrik die Wassermühle, und wenn wir uns sahen,
fragte er stets: ob die Wassermühle wieder gemahlen hätte? Im Ganzen
genommen hatte mein Wesen damals noch einen starken Anstrich vom
Kindlichen, ja beinahe vom Kindischen. Es amüsirte mich gar nicht, den
Liebhaber auf dem Theater zu spielen; damals kannte ich die Liebe noch
nicht recht, und als ich sie kannte, schien es mir unmöglich, das zu
spielen, was so vollkommen Ernst und von so schüchterner verschämter
Natur war, daß ich meinte, die Liebe könne eben so wenig ihr Incognito
verlassen, ohne vernichtet zu werden, wie die Flügel des Schmetterlings
ihre schönen Farben bewahren können, wenn eine rauhe Hand sie berührt
hat.

                    *       *       *       *       *

Auch für Trinkgelage hatte ich nicht besonders Sinn; ein kleiner
traulicher Kreis war mir viel lieber. Einmal war ich mit Foersom und
Kruse an einem Ort, wo tüchtig getrunken werden sollte. Die Punschbowle
wurde dampfend auf den Tisch gesetzt, duftete sehr einladend,
und Foersom begann -- meiner Ansicht nach zu begeistert -- die
Vortrefflichkeit des Punsches zu loben. Ohne ein Wort zu sagen warf ich
mein Taschentuch in die Punschbowle. Foersom sagte: Das ist knabenhaft!
-- Ich nahm das ganz reine Tuch, welches leicht obenauf schwamm, wieder
aus der Bowle, zeigte es den Anderen und sagte: ich hätte es nur gethan,
um Foersom zu erschrecken, der Punsch habe keinen Schaden gelitten.
Darauf verbeugte ich mich und ging meines Wegs.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Bernstorff und Suhm.]

Zwei große Männer starben damals kurz nach einander: Bernstorff und
Suhm. Eine große Volksmenge geleitete sie zum Grabe, und ich sang bei
der Trauerfeierlichkeit. Von Bernstorff's Verdiensten verstand ich noch
nichts, denn die Politik interessirte mich nur wenig; die französische
Schreckensperiode fiel in meine Kindheit, so daß ich nicht von einer
Schwärmerei erhitzt wurde, welche viele tüchtige Köpfe aus ihrem
natürlichen Gleichgewicht brachte. Zwar hörte ich oft meinen Vater und
seine Freunde von den blutigen Begebenheiten in Paris sprechen und die
Zeitungen lesen, das klang aber für mich so fremd, als ob es dem Sultan
und den Janitscharen in Constantinopel gelte.

Suhm kannte ich dagegen gut, obgleich ich ihn nie gesehen hatte. Die
ersten Theile seiner Geschichte Dänemarks, sein Buch von Odin hatte ich
wiederholt gelesen. Seine Todtenfeier wurde in Dreyer's Club abgehalten.
Als das Concert vorüber war, wurden Erfrischungen umhergereicht.
Kaum hatte ich ein Glas Punsch in die Hand genommen, als mir ein
freundlicher Mann entgegen kam. Ich erkannte gleich Rahbek, denn ich
hatte ihn einige Jahre vorher eine Rede in der Schule halten hören; sein
witziger geistreicher Zuschauer war meine wöchentliche, seine Minerva
meine monatliche Lectüre; seine Lieder und Erzählungen hatten mich oft
erfreut; ich wußte, daß er einen großen Einfluß auf den Geschmack und
die öffentliche Meinung besaß. -- Rahbek also kam lächelnd auf mich
zu und fragte: »Ist das nicht Oehlenschläger?« Und als ich diese Frage
bejaht hatte, sagte er: »Nun, dann wollen wir Brüderschaft trinken!«
-- Ich der achtzehnjährige Jüngling mit den »verborgenen Talenten« --
erstaunte sehr über diese Ehre, und ließ beinahe das Glas fallen, als er
mitten in dem großen Kreise Ernst damit machte. --

Später hörte ich, daß es seine Gewohnheit war, gleich mit den
Leuten Brüderschaft zu trinken, die er gut leiden konnte, um einen
vertraulichen Ton hervorzurufen, den er gern mochte, da er kein Freund
von Komplimenten war. Sein Name, seine Jahre, sein Geist und seine
Kenntnisse hielten die jungen Männer doch in einer ungezwungenen
Ehrerbietung.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Sommertheater.]

Zu jener Zeit hatten Foersom, Laurits Kruse, ich und einige Andere
den Plan gefaßt, ein Privattheater für die Sommermonate zu miethen,
und daselbst zu spielen; denn obgleich ich sehr bald des öffentlichen
Spielens müde wurde, so mochte ich es im Privatkreise doch noch immer
sehr gern. Ich hatte schon einen dramatischen Prolog geschrieben, mit
dem diese Uebungen beginnen sollten. Ich besitze ihn noch. =Heros= und
=Davus= sind auf der Probe und repetiren ihre Rollen. Heros soll über
die Kälte seiner Geliebten erbittert sein, er beschließt auch, kalt zu
erscheinen.

                                =Heros.=

     Nein! lachen soll sie nun nicht länger meiner Schmerzen,
     Vergessen will ich sie und ihren bittern Hohn.
     Ja! Ihr Gedächtniß soll verschwinden aus dem Herzen,
     Das sei für ihren Trug der wohlverdiente Lohn.
     Die Brust, die einst geglüht, soll gleich dem Schnee erstarren.
     Vergebens wünscht sie dann, sie würde wieder heiß;
     Vergebens weinst Du dann, vergebens ist Dein Harren;
     Dann bin ich eisig ganz! --
          (Wirft sich auf einen Stuhl und trocknet die Stirn.)
                   Mein Gott, mich quält der Schweiß.

                                =Davus.=

        Das ist natürlich auch. Im Sommer spielen wollen,
        Ist ganz unmöglich ja. Das liegt doch auf der Hand.
        Der blöde Einfall kommt gewiß von einem Tollen! --
        Im Winter hab' ich nicht unmäßig viel Verstand;
        Doch wenn der Sommer naht, hat er mich ganz verlassen
        Und alle Sinne dann verschwinden in der Gluth,
        Ja kaum Gedanken kann mein armes Hirn dann fassen,
        So plagt die Hitze mich, und dringt mir in das Blut.
        Und ohne den Verstand kann man doch nicht agiren,
        Nein, zum Komödienspiel braucht man womöglich zwei.
        Vor Qualm und Tollheit noch gewiß wir hier crepiren.
        Gott gebe, =die= Saison wär' glücklich erst vorbei.
        =Ich=, der ich lachen soll, ich muß vor Hitze weinen;
        Du, der so eisig ist, vor lauter Gluth Du thaust,
        Genug, nach alle Dem will mir's doch wahrlich scheinen,
        Verdruß und Noth Du triffst, wohin Du immer schaust. &c.

Dieser Verdruß und diese Noth, die ich im Prolog voraussah, haben
uns bei näherem Nachdenken wahrscheinlich von weiteren Schritten
abgeschreckt, denn es wurde nichts aus dem Ganzen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Häusliche Verhältnisse.]

Aber es ist Zeit, daß ich Etwas von meinen häuslichen Verhältnissen
erzähle, die einen so großen Einfluß auf mein Leben und auf das der
Meinigen ausübten.

Als ich die Studien verließ, um mich der Kunst hinzugeben, versprach
mein Vater, mich jährlich mit hundert Reichsthaler zu unterstützen, bis
ich seiner Hülfe nicht mehr bedürfen würde. In meinem damaligen Alter
und meinen Verhältnissen mir dies Geld selbst geben, wäre dasselbe
gewesen, als es in den Brunnen werfen und mich im höchsten Grade
unglücklich machen; als guter Vater bemühte er sich also, mich für diese
Summe in Kost und Logis zu geben, ebensowie damals, wo ich die Schule in
Kopenhagen besuchte; denn er betrachtete mich noch als ein Kind, was ich
in meinem achtzehnten Jahre auch wirklich vollständig war.

[Sidenote: Die Pension.]

Das Glück war mir stets günstig, wenn ich mich auf diese Weise
einquartieren sollte; ich hatte es sehr gut bei Gosch, bei Laasbye,
ich war nicht minder wohl aufgehoben bei Madame Möller; und zehn Jahr
später in Paris war Madame Gauthier eine Mutter gegen mich. Bei Frau
Stael-Holstein aber in Coppet lebte ich wie Adam im Paradies.

Mein Vater hatte sich an einen alten Bekannten gewandt, um eine passende
Stelle für mich zu finden; dieser brave Mann, den ich selbst nur den
Namen nach, und weil wir uns grüßten, kannte, war Herr =Hvalsöe=,
der als Junge von meiner Wiege weggelaufen war, vor Schreck, daß ich
keine Arme hatte. Er sprach mit der Färberwitwe, Madame Möller, und
diese nahm mich gegen die sehr billigen Bedingungen bei sich auf. Ich
hatte ein hübsches Zimmer, das mein Vater möblirte, und bekam Alles so
gut, wie die Familie. Daß sie bei diesem Contract nicht Seide spann,
versteht sich von selbst; aber es lag ihr auch nichts an Seide; sie und
ihre Schwester Benedicte gingen in selbstgewebten Zeugen gekleidet,
aber sie war eine reiche Frau. Die Bauern kamen haufenweise und ließen
ihre wollenen Stoffe blau, grün, hochroth und violett färben, und die
Schürzen der Bäuerinnen druckte sie auf dunklem Grunde voll mit weißen
Blumen. Sie war von munterm, naivem Charakter und mochte sehr gern
junge Leute um sich haben, um sich ihrer mütterlich anzunehmen. Daran
fehlte es denn auch nicht. Das Parterrelocal ihres Hauses bestand aus
einem Zimmer nach der Straße, in das die Bauern häufig kamen, aus
einem tiefen Zimmer nach dem Hofe zu, in dem wir jungen Leute mit ihr,
ihrer Schwester und den Gesellen aßen. Im Anfange stutzte ich freilich
etwas darüber, daß diese mit dunkelblauen Händen bei Tische saßen,
aber ich gewöhnte mich sehr bald daran, wie an die grünen Gräten eines
gekochten Hornfisches. Der Werkführer war ein ächter Troels in Holberg's
Wochenstube oder Henrik im Kannegießer, nur mit dem Unterschiede, das
er nicht witzig war; aber er war lustig, naiv, durchtrieben und mochte
gern mit der Madame scherzen, sie auf alte Weise »Mutter« und »Ihr«
nennen, was sie nicht leiden wollte, wenn Fremde zugegen waren, weil sie
fürchtete, daß es mißverstanden werden könne. --

Da sie selbst aus Slagelse war, so hatte sie eine Vorliebe für die
Slagelsener, und hatte eine Art Stipendium in dem vordersten Zimmer für
zwei Studenten aus Slagelse errichtet; die dort immer freien Tisch,
obgleich nicht immer freie Arme hatten, wenn nämlich allzu große Haufen
farbelustiger Bauern mit ihrem Zeug hereinstürmten. Unter diesen stillen
ehrbaren jungen Leuten, welche eilig aßen und dann wieder gingen, ohne
ein Wort zu sagen, war auch ein gewisser Herr Rosenkilde. Ich hatte
nichts weniger geglaubt, als daß er als Schauspieler mir dreißig,
vierzig Jahre später das Zwergfell so sehr erschüttern würde. -- Das
war die Marschallstafel, wir Anderen, die wir zum echten Blute der
Familie gehörten oder zu ihr gezählt wurden, aßen an der eigentlichen
Familientafel in den inneren Gemächern. Madame Möller stand der
Färberei vor, ihre Schwester hatte das Küchendepartement übernommen,
und die Köchin bereitete die Speisen unter ihrer -- Aufsicht -- kann
man gerade nicht sagen; denn diese übrigens herzensgute alte Jungfer
hatte unglücklicher Weise die Schlafsucht; was dazu beitrug, daß die
Speisen, übrigens reichlich eingekauft, zuweilen mißglückten. Ich habe
sie in Tante Ursula, in den »Inseln im Südmeere« geschildert. Sie stand
wirklich am Heerde mit hellblauem Filzhut, den sie schräg über eine
große Tour gesetzt hatte, und in so vielen steifen Unterröcken, daß
ich glaube, sie konnte ohne Füße, ebenso wie die bekannten Nürnberger
Puppen, aufrecht stehen; dies ist ihr übrigens oft zu Nutzen gekommen
und hat sie von dem Lebendigverbranntwerden, wie die indischen Frauen
gerettet, welcher Tod um so trauriger gewesen sein würde, da sie niemals
verheirathet war.

Ein Krämer, der nicht weit von Madame Möller wohnte, besuchte uns oft.
Er trug eine gepuderte Zopfperrücke, hatte einen dicken Leib und etwas,
wie soll ich es nennen, nobel Elephantisches in seinen Bewegungen. Er
sprach nur kurz, aber oft, dann stets im Lapidarstyl, und lagen auch
nicht viel gute Gedanken darin, so hatte er doch selbst um so bessere
Gedanken davon. Ich mußte oft an Ludwig XIV. oder wenigstens an Ludwig
XV. denken, wenn ich ihn mit der Würde ankommen sah, die über seinem
ganzen Wesen ausgebreitet lag. Er hatte das eigenthümlichste Talent,
jeden Augenblick etwas Einfältiges auf eine pikante und imponirende
Weise zu sagen.

Einen kleinen, dummen, spitznasigen Schulmeister hatte das Schicksal
neben ihn als scharfen Gegensatz zu seiner behaglichen Rundung gestellt.
Alles, worin sie sich glichen, waren ihre Geistesgaben und die Perücken.
Aber der Krämer war ein Herr »vom Leder,« wie man es in den deutschen
Bergwerken nennt, der Andere »von der Feder.« Jener konnte mit gutem
Profit Waaren verkaufen, Dieser lebte durch sein Latein und sprach von
grammatikalischen Fehlern, wie von Handlungen, durch die man sich für
ewig prostituiren könne.

Ein fremder Färber, der Madame Möller besuchte, vereinigte Gelehrsamkeit
mit dem Handwerk; er hörte Kratzenstein's Vorlesungen über die
Experimentalphysik. Am ersten Abend, wo ich mit ihm zusammen war, wollte
er mir seine Fertigkeit im Latein zeigen, und da die Rede davon war, das
Licht mitten auf den Speisetisch zu setzen, sagte er: »Wir wollen es in
_centrum gravitatis_ setzen,« hob es dann auf und ließ etwas Docht auf
die Decke fallen.

[Sidenote: Eine erfreuliche Bekanntschaft.]

Einer unserer eigenen Färbergesellen sah sehr weich und wehmüthig
aus; er betete immer sehr lange, wenn man zu und von Tische ging, mit
gefalteten dunkelblauen Händen. Er war ein Verwandter des sel. Etatsrath
Prof. Börge Risbrigh, der ihn zu Madame Möller in die Lehre gebracht,
»weil er« -- sagte er -- »keinen Kopf zum Studiren hat.« Hierüber wurde
Madame Möller, die ihr Geschäft nicht allein als Handwerk, sondern auch
als Kunst hochachtete, etwas verletzt, und bemerkte, daß auch Kopf
dazu gehöre, Färber zu werden, welches Risbrigh als guter Philosoph
nach genauer Ueberlegung durchaus nicht bestreiten konnte, so daß er
Mühe hatte, sich gut heraus zu ziehen. Später lud er den Verwandten ein
Mal auf folgende Weise zu sich: »Du kannst den ersten Osterfeiertag zu
mir kommen und bei mir essen; wenn Du gegessen hast, eine Tasse Kaffee
trinken, und dann kannst Du Deiner Wege gehen.«

[Sidenote: Die Gebrüder Oersted.]

Dies waren also die wichtigsten Planeten in unserm Sonnensysteme. Oft
kam noch eine kleine Ceres, Pallas oder Juno, die dem Ganzen entsprach;
denn es wimmelte von Tanten und Cousinen. Ich wende mich nun zu den
Kometen, die zwar dem Mittelpunkte sehr nahe kamen, aber nur um dann in
kühnen Ellipsen in weite Fernen zu eilen. Unter diesen -- zu denen ich
selbst mich zu rechnen wage -- war einer, der vor Kurzem seinen langen
hellen Schweif, -- ich meine seinen langen, blonden Zopf -- verloren
hatte, der ihm den Rücken entlang hing; es war dies der Brudersohn der
Madame Möller, ein junger Langeländer, der vor nicht langer Zeit Student
geworden war. Sein um ein Jahr älterer Bruder hatte dunkles Haar, ebenso
wie ich, doch nicht ganz so schwarz; -- ob er eben so schönes Haar
hatte, wie der Blonde, davon meldet die Geschichte Nichts.

Diese beiden Brüder kamen mir gleich am ersten Tage freundlich entgegen,
wir schütteten unsere Herzen vor einander aus und theilten uns unsere
Gedanken und Ansichten mit. Ich war ganz entzückt darüber, so viel
Weisheit in einem Färberladen bei so jungen Leuten zu finden. Wie sie
hießen hörte ich auch, vergaß es aber gleich wieder, da es mir immer
schwer wurde, fremde Namen zu behalten. Ich schrieb daher in mein
Tagebuch am nächsten Morgen: »Ich habe gestern Abend die Bekanntschaft
der jungen Herren (hier war ein offener Raum, um die Namen auszufüllen,
wenn ich sie wieder hörte) gemacht. Es sind ein paar vortreffliche
Menschen; ich bin überzeugt, daß wir die besten Freunde werden.« -- Am
nächsten Tage bei Tisch sah ich sie wieder und es war mir auffallend,
daß der Blonde fast einen ganzen Eßlöffel Salz in seine Suppe warf.
Ich fragte nun meinen Nachbar flüsternd, wie denn der junge Student
eigentlich heiße, und die Antwort war: =Anders Sandöe Oersted=. Der
Bruder, der mit dunklem Haare, hieß =Hans Christian Oersted=. -- Nun
vergaß ich sie nicht wieder. Ich wußte, daß es zu Holberg's Zeiten einen
Schauspieler gleichen Namens gegeben, der ihr Großonkel gewesen war;
und daher kam es vielleicht, daß Madame Möller kein Vorurtheil gegen
die Schauspielkunst hatte; ich danke es vielleicht den Manen des sel.
Oersted, daß ich in das Haus seiner Nichte gekommen und so früh ein
Freund seiner Nachkommen geworden bin.

Es währte nicht lange, bis wir vertraute Freunde wurden und ich richtete
folgendes Gedicht an sie:

              Freundschaft, schönste du der Himmelsgaben,
              Ach, den Glücklichsten erscheinst du kaum.
              Oftmals träumt' ich, einen Freund zu haben,
              Doch er schwand, zugleich mit meinem Traum.

              Eigennutz, ein flüchtiges Empfinden,
              Laune -- wurden Freundschaft oft genannt,
              Und da sie die Herzen nie verbinden,
              Löste bald sich das geknüpfte Band.

              Zweifel schon erfüllt' mich, daß hienieden
              Uns bescheert sei diese Seligkeit,
              Hier, wo uns so wenig Lust beschieden,
              Wo uns trifft so vieles herbe Leid.

              Doch da fand ich Euch. Kein Zweifel kränkte
              Nun mein Herz. An Eurer warmen Brust
              Fühlt' den Trost ich, den der Himmel schenkte
              Uns, den armen Sterblichen, zur Lust.

              O Ihr Edlen! Laßt mich immer fühlen
              Diesen Trost, der meinen Geist durchdringt.
              Lasset bösen Neid das Band nie kühlen,
              Das uns warm, und fest und treu umschlingt.

              Reine Freuden wollen wir genießen
              In des Lebens heitrer Frühlingszeit;
              Thränen wollen wir vereint vergießen,
              Thürmt in Wolken sich das trübe Leid.

              Und als Männer laßt uns einig streben,
              Laßt uns wirken mit verschiedner That.
              Einigkeit wird Kraft und Stärke geben,
              Freundschaft leiten uns mit weisem Rath.

              Froh dann, an des Grabes dunkeln Stufen
              Steigen wir hinab, sobald es Zeit,
              Wenn des Todes Engel uns gerufen,
              Lächelnd, zu der ew'gen Seligkeit.

Man sieht aus dem Tone, der in diesem Gedichte herrscht, daß ich nicht
zufrieden war. Aber Viel Schuld trägt auch der damalige herrschende
Geschmack in der Poesie, der elegisch war und ein gewisses sentimentales
Wimmern über seinen Zustand forderte. Hierin war besonders Rahbek uns
mit einem übeln Beispiele vorangegangen. In einer Elegie, die er in
seinem siebzehnten Jahre geschrieben haben soll, beweint er die gute,
alte, entschwundene Zeit und die nie mehr wiederkehrenden Freuden.

                    *       *       *       *       *

Die Gebrüder Oersted lebten übrigens sehr einsam. Den ersten Winter,
wo ich sie kennen lernte, gingen sie in langen Mänteln, die ihnen wie
Schlafröcke, fast bis an die Knöchel reichten. Arm in Arm klammerten
sie sich fest und hielten sich an einander, so daß sie beinahe
einem zusammengewachsenen Zwillingspaare glichen. Aber vor allen
Mitstudirenden strahlten sie wie Dioscuren, selbst ältere Gelehrte
merkten bald, was in ihnen lebte. Die Früchte ihres Geistes und ihres
Fleißes zeigten sich in Preisabhandlungen und gewonnenen Goldmedaillen.

Nun besuchte ich sie oft in Ehler's Collegium -- und wie verschieden
war diese Umgebung von meiner früheren. Das war nicht mehr das lustige
Friedrichsberg, die lustige Schule, das lustige Theater, die lustige
Mittags- und Abendgesellschaft bei Madame Möller. Wie in einer dunkeln
Mönchszelle saßen Oersteds hier stumm und studirten! -- Hier wurde es
mir erst klar was es eigentlich hieße: mit Anstrengung, ernstlich,
aus Liebe zur Wissenschaft zu arbeiten. Da ergriff mich ein tiefes,
wehmüthiges Gefühl! Ich hatte die innere starke Empfindung, daß auch ich
zu einem echten Musensohn geschaffen sei, und nun trieb ich mich umher
und wurde Nichts! Rosing war zwar überzeugt, daß ich es als Schauspieler
weit bringen könne, aber die meisten Anderen nicht; ich fand keine
Aufmunterung, es kam mir keiner meiner Vorgesetzten freundlich entgegen.
Und außerdem -- wenn auch Alles glückt -- war ich bereits dieses
Lebens, dieser Kunst müde, die von so vielem Fremdartigen abhängig ist.
Meiner Natur war es Bedürfniß, sich in höherem Schwunge auszudrücken,
in selbstbewußter Ahnung der Fähigkeiten, die noch nicht entwickelt
waren, weßhalb meine Bekannten mich auch zum Spott den »Mann mit den
verborgenen Talenten« nannten.

[Sidenote: Wiedererwachende Lust zum Studiren.]

Aber was sollte ich anfangen? Mit dem Studiren glaubte ich, sei es zu
spät. Ich verbarg meine Verzweiflung im eignen Busen, nicht einmal
meinen Freunden Oersted vertraute ich den Kummer an. Hans Christian war
Bibliothekar im Collegium, das eine schöne, große Büchersammlung in dem
großen Saale gerade gegenüber dem Auditorium hatte, -- wo ich zehn Jahre
später als Professor meine Vorlesungen begann und sie sechsundzwanzig
Jahre fortsetzte. In dieser Bibliothek stand ich einmal einsam da und
stellte traurige Betrachtungen an. Ich starrte auf die vielen Bände,
besonders auf die alten Folianten, wie auf Schätze, die mir ewig
verschlossen waren. Die Thränen strömten über meine Wangen herab. In
diesem Zustande fand mich der ältere Hans Christian, tröstete mich
und versicherte mir, daß es durchaus noch nicht zu spät zum Studiren
sei, wenn ich es wolle. Er brachte mich zu seinem Bruder, der gleicher
Ansicht war. Wir wurden darüber einig, daß ich etwas mehr Latein lernen
und das lateinische juridische Vorbereitungsexamen ablegen solle; dann
wollte Anders Repetitorien mit mir halten, und wenn ich dann das Examen
gemacht hätte, sollte ich eine Probe als Advokat ablegen und vor die
Schranken des höchsten Gerichts treten. Das war nun herrlich! Indessen
beschloß ich doch mit dem Abschiede vom Theater zu zögern, bis die
Saison vorüber war. Aber als ich einmal neben anderm Verdruß in Strafe
genommen wurde, weil ich mich in einer kleinen Rolle mit einem Worte
versprochen hatte -- wurde ich ärgerlich und dachte, es ist am Besten,
das Ding gleich abzumachen, worauf ich am nächsten Tage der Direction
schrieb:

          »Gründe haben mich bewogen, das Theater zu verlassen. Die erste
     und letzte Freundlichkeit, die mir die Direction beweist, wird darin
     bestehen, mir je eher je lieber meinen Abschied zu geben.«

[Sidenote: Abschied vom Theater.]

Es währte noch eine Zeitlang, ehe ich loskam. Vermuthlich hielt man
meinen Brief für eine Uebereilung, die mir bei kälterem Blute leidthun
würde. Baggesen kam eines Tages auf dem Theater ganz freundlich zu
mir und sagte, daß mein Brief ihm aus zwei Gründen auffallend gewesen
sei: erstens habe er seit langer Zeit nicht eine so schöne Handschrift
gesehen, zweitens sei ihm noch kein Brief an die Direction, in diesem
Ton geschrieben, vorgekommen. Ich antwortete ihm: daß Alles einmal zum
ersten Male geschehen müsse, und daß die Direction mich selbst zu diesem
Tone gestimmt habe.

Da der erste Brief Nichts half, schrieb ich einen zweiten, in welchem
der Ton noch schroffer war, und nun bekam ich meinen Abschied. -- Als
ich zum letzten Male mit Steffen Heger auf dem Theater stand, sagte er:
»Nun sollst Du Deinen Fuß nicht eher, denn als Director hieher setzen!«
-- Das wurde ich nun freilich nicht; indessen setzte ich meinen Fuß erst
zehn Jahre darauf, bei der Probe von Axel und Valborg dorthin, nachdem
man zwei Jahre zuvor Hakon Jarl und Palnatoke gespielt hatte.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Das Examen.]

Nun begann ich in meinem neunzehnten Jahre wieder fleißig zu studiren,
d. h. Latein zu lesen und zu schreiben; denn von dem Uebrigen, das
ich zum Vorbereitungsexamen, eine Verschmelzung des _examen artium_
und _philosophicum_, gebrauchte, konnte ich bis auf das Griechische
fast Alles. -- Doch mußte ich noch Risbrigh's Logik und Gamborg's
Thelemathologie lernen. Jene langweilte mich und ich konnte nicht
begreifen, warum man, um gesund und ordentlich zu denken, die Gedanken
in ein so steifes Schnürleib spannen müsse. Indessen war der alte
Risbrigh ein gelehrter, geistreicher Mann, und ich zweifle nicht, daß
der Fehler in meiner Jugend und in meinem Temperamente lag. Das Einzige,
dessen ich mich aus seiner Logik noch entsinnen kann, und das ich nie
vergesse, ist der folgende, sehr richtige Gedanke, den jeder Richter und
namentlich jeder Kunstrichter stets vor Augen haben sollte:

»Um nicht ein falsches Urtheil zu fällen, muß man zuweilen sein
_judicium_ suspendiren.«

                                »=Rath=«:

»Um nicht immer sein _Judicium_ zu suspendiren, muß man sich _primo_
einen Vorrath von Kenntnissen, _secundo_ Klarheit in selbigen erwerben.«

Ich hörte keine Vorlesungen bei den Professoren, bezahlte ihnen auch
Nichts, und doch ging es recht gut mit meinem Examen; nur erhielt ich
keine öffentliche Auszeichnung, was ich doch gehofft hatte, da ich mehr
anzugeben vermochte, als nothwendig war.

[Sidenote: Professor Sander.]

Kurz darauf erneuerte ich die Bekanntschaft des Verfassers von Niels
Ebbesen, des Secretairs, späteren Professors Sander. In der Schule
»für die Nachwelt« hatte er mich ein halbes Jahr lang Deutsch gelehrt,
und immer von der Tugend gesprochen, so daß ich ihn für den größten
Tugendhelden hielt. Ich las ihm ungefähr die Hälfte des ersten Buches
der Aeneide in einer mittelmäßigen Hexameterübersetzung vor, und
er lobte meinen Fleiß. Sander war ein kleiner, kränklicher Mann,
tüchtiger Kopf, durch die Lectüre der besten deutschen Werke gebildet.
Er war Lehrer in einem Erziehungsinstitute mit Basedow gewesen und
hatte mehrere deutsche Romane geschrieben, die wenig bekannt waren.
Nach Dänemark war er als Hauslehrer der Kinder des Grafen Reventlow
gekommen und nun bei der Straßenbaucommission angestellt. Er hatte gute
Fortschritte in der dänischen Sprache gemacht und schrieb plötzlich den
Niels Ebbesen. Dieses Trauerspiel machte großes Glück und Sander wurde
gleich von Vielen als einer der größten Dichter Dänemarks angesehen. Was
Wunder, wenn das den kränklichen Mann ganz wirr im Kopf machte: und muß
man es ihm nicht verzeihen, wenn er später einen Schüler mit bitterm Haß
verfolgte, weil er glaubte, daß dieser ihn mit Unrecht verdunkele? --

So lange ich Sander meine dramatischen Versuche vorlegte und ihn
geduldig das Eine nach dem Andern cassiren ließ, hörte er mich mit
freundlicher Aufmerksamkeit an, und hatte die beste Hoffnung für mich.
Aber als ich selbständig werden wollte, war's mit der Freundschaft
aus. --

Zu seinem Lobe muß ich übrigens sagen, daß er im Anfange ganz richtige
Bemerkungen machte, als ich ihm meine ersten unreifen Jugendproducte
vorlas. Ich verdanke ihm auch meine erste Bekanntschaft mit Göthe.
In meinem neunzehnten Jahre hatte ich -- unbegreiflich genug -- noch
Nichts von diesem großen Dichter gelesen. Man hatte ihn mir immer
als einen überspannten Schwärmer genannt, der Leute dazu verführte,
sich eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Die Uebersetzung von
Werther's Leiden war früher hier zu Land verboten gewesen und das
Verbot nicht zurückgenommen worden. Ich glaubte lange Zeit, daß Göthe
ein unmoralischer Schriftsteller sei, dessen Werke junge Leute nicht
lesen dürften. Auch Sander sprach von ihm mit einer Art Grauen, wie
von einem Manne mit wilden stolzen Leidenschaften, der sein schönes
Genie gemißbraucht habe. Doch könne man ihm Genie nicht absprechen;
im Gegentheile müsse man gestehen, daß er eine ungewöhnliche Portion
davon besitze. Sander lieh mir einige von Göthe's Werken mit väterlicher
Ermahnung und Vorsicht, als ob es Pulver und Blei, oder giftige
Medicamente seien, die eben so leicht schaden, wie nützen könnten; und
mit großer Neugier nahm ich Werther's Leiden und Götz von Berlichingen
mit nach Hause. --

[Sidenote: Eindrücke von Schiller.]

Schiller's erste Werke hatte ich bereits gelesen. Ich entsinne mich
deutlich, daß die Räuber einen tiefen Eindruck auf mich machten,
besonders Karl Moor's liebenswürdige Schwärmerei und edler Tiefsinn
mitten im Kreise der herrlich geschilderten Verbrecher; wo die schönen
Reste der verführten Ehrlichkeit des derben Schweizers einen so
interessanten Gegensatz zur Schurkerei des niederträchtigen Spiegelberg
bilden. In dem letztern glaubte ich einige Aehnlichkeit mit einem alten
Jugendbekannten, dem französischen Cartouche, zu finden. Roller's
Abenteuer, wie er vom Galgen mit dem Stricke um den Hals herbeirannte,
spannte mich ganz besonders; Karl's unglückliche Liebe rührte mich; und
in der letzten Scene, wo er hingeht und sich selbst der Gerechtigkeit
überliefert, war ich mit ihm versöhnt und fühlte ein inniges Mitleiden
mit dem Unglücklichen.

Von dem Eindrucke, den Fiesco und Kabale und Liebe damals auf mich
machten, kann ich mir keine klare Rechenschaft geben. In Fiesco habe
ich gewiß ein lebendiges Bild von Italiens Ueppigkeit und Leidenschaft
gesehen; in Kabale und Liebe glaubte ich meinen alten Bekannten,
Iffland, mit dem Cothurne statt der gewöhnlichen Socken zu erblicken.
Don Carlos las ich mit großer Ehrerbietung. Ich liebte den Marquis
Posa, weil er liebenswürdig war; das Unhistorische in seinem Wesen
bemerkte ich damals noch nicht. Das herrliche Portrait Philipps II.
machte mich schaudern; ich erstarrte zu Eis, indem ich seine kleinliche
Größe betrachtete. Wie lieb mir Schiller's Geisterseher war, entsinne
ich mich noch ganz deutlich. Ich fühlte tief das Wunderbare darin, das
nicht in dem Uebernatürlichen besteht (denn dies, ahnt man gleich, ist
Betrug), sondern in der Schilderung des geistigen Zustandes, in welchem,
wie Lessing sagt: »das Samenkorn zu dem Glauben an das Uebernatürliche
liegt.« Das interessante Buch bereitete mir Tantalusqualen, weil es
nur ein Fragment war. Ich sah noch nicht ein, daß es nie etwas Anderes
sein konnte, und daß die Dissonanz nie aufgelöst werden durfte, wenn
das Geheimniß hier -- wie in der großen Natur -- ein Geheimniß bleiben
sollte!

[Sidenote: Götz von Berlichingen.]

Nun las ich Götz von Berlichingen mit demselben Genusse, mit dem ich
in der Kindheit meine Lieblingsbücher gelesen hatte. Das heißt, ich
merkte gar nicht, daß ich las, daß es Poesie war. Es war die Begebenheit
selbst, die ich erlebte. Ich war nach Deutschland in die Zeiten des
Faustrechts hingezaubert, und genoß den herrlichen Anblick eines
Ritters, der das treueste, edelste Herz, den liebevollsten Character
zeigt, ohne sich doch ganz von den Vorurtheilen und übeln Gewohnheiten
seiner Zeit loszureißen, deren Opfer er wird. Aber gerade dies macht
ihn in hohem Grade poetisch. Ich folgte Göthe's Geist, wie der treue
Knabe Georg seinem Herrn in der Schlacht. Ich kroch in den großen
Dichterharnisch; und obgleich ich ihn noch nicht ausfüllen konnte,
tröstete ich mich mit Götzens Worten: »Die künftigen Zeiten brauchen
auch Männer.« -- Ich erquickte mit Götz den armen Mönch, besuchte den
Bischof von Bamberg und trank noch besser, als seine Gesellschaft;
denn sie bekam nur guten Rheinwein, aber ich trank den herrlichsten
Dichterwein. Ich hörte Liebetraut mit der Leier tändeln, während Göthe
die Harfe mit tiefem Ernst schlug. Ich verliebte mich in die schöne,
stolze, sinnliche Adelheid, ebenso wie Franz; beklagte aber, daß er
nicht, wie ich, Götzens Georg zum Freunde hatte, denn dieser würde ihm
gewiß von jenem Schurkenstreiche abgerathen haben. Ich bewunderte den
vornehmen, feinen, wankenden Ultra-Weißlingen; ich haßte ihn; aber als
der Tod seine kalte Stirn küßte, war ich mit ihm versöhnt und es freute
mich, daß Maria ihn noch einmal in seiner Todesstunde besucht hatte.
Bei Götz auf der Burg war ich zu Hause, wie bei meinen Aeltern auf dem
Friedrichsberger Schloß. Es freute mich, daß es dort nicht vornehmer
herging, daß der Ritter so patriarchalisch und idyllisch, wie Abraham,
zwischen seinen Dienern saß. Die letzte Flasche, der letzte Tropfen und
»es lebe die Freiheit!« füllten meine Augen mit Thränen und meine junge
Brust mit großen Ahnungen. Ich habe bereits erzählt, daß ich zuweilen
den Bleideckern auf das Dach folgte, und so war es mir ein Leichtes,
Georg bei dem Herunterholen der Dachrinnen zu helfen. Freilich hielt
ichs mit den Bürgern. Aber Bürgerdummheit war mir ebenso zuwider, wie
Adelsdummheit; und es entzückte mich, als Götz mit der Eisenhand die
drohenden Philister von Zahnschmerzen, Kopfschmerzen und allen anderen
Uebeln curiren wollte. Wie gern streifte ich im Walde mit den Zigeunern
umher! ihr wildes Wesen hatte bei alle Dem doch etwas Tröstliches. Bei
ihnen ging es doch ordentlicher zu, als in dem heiligen römischen Reiche
zu Götzens Zeiten. Mitten in dem Taumel und unter den vielfältigen
Verbrechen, erscholl die Stimme des heimlichen Gerichtes, wie der
Posaunenton des jüngsten Tages; da hörte ich wieder Vogler's Orgel.
Und in dem kleinen Klostergarten sah ich die unsterbliche Seele des
sterbenden Helden sich gleich einem schönen Vogel durch die Bäume in die
Wolken schwingen.

Und dieses Meisterstück -- dieses Product des herrlichen Dichtergeistes,
hörte ich später herabwürdigen, weil es keinen Zusammenhang habe! O
ihr Thoren! ihr zusammenhängenden Menschen! Ihr werdet niemals klug,
lernt es niemals, den Kern der Schale vorzuziehen. Wie kalten Chinesen
imponirt euch nur die äußere Form. Ein zusammenhängendes Schaffot, auf
dem ein tragischer Verbrecher hingerichtet wird, kann jeder poetische
Tischler euch zusammenleimen; -- aber solch einen Straßburger Münster
bauen -- --!

[Sidenote: Werther's Leiden.]

Werther's Leiden erfreuten mich ebenso sehr, wie Götz von Berlichingen,
und so verschieden auch diese Werke sind, fand ich in beiden doch eine
gewisse Gleichheit. Dort eine schöne Darstellung politischer Verwirrung,
wo ein edler Geist mitten in den wildesten Thaten wirkt und endlich den
Verhältnissen unterliegt; hier eine ebenso schöne Darstellung von der
Verwirrung der Seele, wo ein edles Gefühl sich mitten in den wilden
Leidenschaften äußert und zuletzt gleichfalls an den Verhältnissen zu
Grunde geht. Das Buch bewegte mich sehr, betrübte mich aber nicht; denn
es schilderte ja nur, wie alle guten tragischen Werke, das =Schöne im
Unglück=. Für diese herrlichen Gefühle, Naturanschauungen, großen Ideen,
Begeisterungen, für diese meisterlich geschilderten Geistesverwirrungen
war Werther's Unglück eben so nothwendig, wie das Wasser es ist, um ein
Mühlrad zu drehen; wie die sonnenverhüllenden Wolken, um das schöne
Farbenspiel der Morgen- und der Abendröthe hervorzubringen.

Ich fühle wohl, daß, indem ich diese und ähnliche Gedanken ausspreche,
sich die Gefühle des Jünglings mit dem reifern Urtheile des Mannes
verbinden. Wie wäre es auch anders möglich? Und deßhalb hat Göthe wohl
auch seine Lebenserinnerungen »Wahrheit und Dichtung« genannt. Er will
nämlich nicht gerade sagen, daß man etwas Wahres und etwas Erfundenes in
seiner Lebensbeschreibung findet, sondern: daß jede Lebenserinnerung,
die durch die Kunst zusammengedrängt, von dem Störenden befreit, und mit
späteren, reiferen Ansichten vermischt ist, zu einer Dichtung wird und
gerade dadurch erst an echter Wahrheit gewinnt.

Ich bin mir bewußt, daß ich nie als Mann einen Gedanken gehabt habe, der
nicht bereits als Kind bei mir ein schlummernder Traum war, undeutlich,
wie das Blatt in der Knospe, ehe sie sich entfaltet. Und noch jetzt
kann ich, wie als Kind, als Jüngling, genießen; mich an allen schönen
Einzelnheiten erfreuen und mich so in eine Vorstellung hineinträumen,
daß ich für eine Zeitlang Kunst und Reflexion ganz vergesse. Wer das
nicht kann, hat durch seine Bildung seine philosophische Erkenntniß
nur verloren und Nichts gewonnen. Denn wir sollen von dem Baume der
Erkenntniß genießen, ohne aus dem Paradiese gejagt zu werden; wir
sollen, wenn wir wollen, wieder zum Baume des Lebens zurückkehren
können, sonst hat unser Hochmuth gesündigt und wir erkennen zuletzt
nicht einmal mehr unsere eigene Nacktheit.

Die aus unzähligen Blumen herausgepreßte ästhetische Rosenessenz
ist stark und riecht gut, oft -- fast zu gut -- nach Rosen! Aber
die kräftigste Essenz ist doch nicht mehr die Rose; und wer (den
Destillateur ausgenommen) zöge nicht die einfache, poetische, lebendige
Rose, wenn sie wieder blüht, die zwar nicht so stark, aber süßer und
himmlischer duftet, vor.

O wie gern, Werther, kehre ich zu Deinen ländlichen Schwärmereien
zurück! Wenn Du mit den kleinen Kindern sprichst, im hohen Grase
liegst, und Pfänderspiele mit der holden Lotte spielst, während Dein
Schicksal draußen donnert und droht. Tag für Tag lebe ich mehr mit Dir
und ergehe mich mit Dir in Betrachtungen über Natur und Liebe und sehe
den schönen Frühling schwinden, den warmen harmonischen Sommer sich in
einen bleichen Herbst verwandeln, in dem der Ossian stürmt und sich als
blasser Mond in Trauerwolken zeigt; bis der weiße Schnee Deinen kleinen
Grabhügel bedeckt. Ach, Dein Unglück war nicht groß! Du schlummertest
im süßen Rausch der Liebe hin, in welchem der Mensch den Egoismus so
ganz vergißt, daß selbst die sonst so fürchterlichen Schrecken des Todes
verschwinden. Aber Lotte beklage ich mehr, die den langen freudenlosen
Weg mit dem kalten Albert gehen mußte, den sie nicht liebte, und wo nur
die Pflichten gleich blätterlosen Bäumen ohne Schatten am Wege stehen.

Kalte Menschen klagen darüber, daß Werther's Leiden einige
schwärmerische Jünglinge zum Selbstmorde verführt haben. Und darum
sollte Göthe sein Buch nicht geschrieben haben? Dann dürfte man auch
keinen Brunnen graben, weil unvorsichtige Kinder zuweilen hineinfallen
und ertrinken. In Werther's Leiden ist, wie in jedem echten Dichterwerk,
eine wahre Lebensquelle, und wie viele geistig Durstige haben sich nicht
an dieser schönen Quelle gelabt? Wollte doch die Geschmacklosigkeit
bedenken, wie viele langsame Selbstmorde der gemeine Egoismus, der
kleinliche Eigennutz, die vorsichtig feige List verursachten! Sie
verhalten sich zu den Selbstmorden einer überspannten Begeisterung,
wie tausend zu eins! -- Denn daß auch mit gefühlvoller Begeisterung
coquettirt werden kann, daß kindische Affectation und Narrheit zuweilen
einen oder den andern Gelbschnabel dahin brachten, Werther im Tode
nachzuahmen, ohne doch nur das Geringste seines Geistes und seiner
Kraft im Leben besessen zu haben, ist gewiß. Ich nehme auch nicht den
Selbstmord unter irgend einer Form in Schutz; er bleibt immer eine
Schwäche, eine Sünde. Meine Ansicht ist nur, daß Werther liebenswürdig,
edel und rührend selbst als Sünder ist; und daß viele Sünder, ohne seine
Liebenswürdigkeit, seinen Seelenadel und Verstand, mit viel gröberen
Sünden, ihn in ihrer eingebildeten Weisheit thöricht tadeln.

                    *       *       *       *       *

Daß übrigens junge Leute mit poetischem Sinn allerdings in Gefahr
gerathen können, indem sie mit solchen Gefühlen zu leicht =spielen=, ist
ebenso gewiß. Ich habe selbst ein Beispiel davon erlebt. Zugleich mit
mir las einer meiner Bekannten den Werther. Wir fanden es Beide sehr
schön, daß Werther sich todt schoß, wir waren darüber einig, daß wir an
seiner Stelle ebenso gehandelt haben würden. Einige Zeit darauf kam er
finster und bewegt zu mir hinauf, nahm eine Pistole, Pulver und Kugel
aus der Tasche und erzählte mir, daß er nun auf den Assistenzkirchhof
ginge und sich eine Kugel durch den Kopf schieße, da er sich verliebt
habe und seine Geliebte ihn nicht wieder liebe; dies würde er nun zwar
ertragen haben, aber daß sie ihn verachte, das könne er nicht überleben.
Mir blieb der Verstand stehen. »Bist Du toll?« rief ich, »das wird
nie geschehen.« -- »»Willst =Du= mich daran verhindern?«« fragte er
erstaunt. »»Das hätte ich nie geglaubt. Ich glaubte gerade bei Dir
Unterstützung zu finden, und deßhalb bist Du der einzige Mensch, dem
ich's anvertraue, und von dem ich Abschied nehme, da ich doch ein Herz
haben muß, vor dem ich mich ausschütten kann.«« Ich machte ihm alle
möglichen Vorstellungen, um ihn von dem Verrückten in seinem Unternehmen
zu überzeugen. »Werther«, sagte ich, »schoß sich gerade todt, weil Lotte
ihn liebte und ihn nicht bekommen konnte. Wie kann man sich tödten, weil
man von einem Mädchen verachtet wird? Wie die Liebe Gegenliebe weckt,
muß ja unverdiente Verachtung wieder Verachtung in einer hohen Seele
wecken.« -- Es half Alles nichts; er wollte sich erschießen, weil sie
ihn verachtete. Nun nahm ich die Pistole, steckte sie in die Tasche und
sagte: »Wenn Du ein ehrlicher Kerl bist, so gehst Du nicht, bis ich
wiederkomme, darauf wirst Du mir Dein Ehrenwort geben.« Das gab er.
-- »Es muß ein Mißverständniß sein«, sagte ich. »Nun werde ich gleich
zu dem Mädchen hinlaufen und Dir ihre Achtung holen.« Damit ging ich.
Ich kannte sie gar nicht, ließ mich melden, und bat, einen Augenblick
allein mit ihr sprechen zu dürfen. Sie stutzte, bat mich aber, ihr in
ein anderes Zimmer zu folgen. Hier nahm ich die Pistole aus der Tasche,
hielt sie ihr hin und sagte, indem ich mich tief verbeugte: »Mit dieser
Pistole wollte mein Freund sich eben erschießen, weil er glaubt, daß
Sie ihn verachten.« Sie sank auf einen Stuhl, war einer Ohnmacht nahe,
und wenn in diesem Augenblick Jemand ins Zimmer gekommen wäre, und
hätte die Dame halb todt hingesunken und einen fremden Menschen mit
einer Pistole in der Hand gesehen, so hätten sie mich vermuthlich als
einen Mörder gefaßt. Glücklicherweise kam Niemand, sie kam wieder zur
Besinnung, dankte mir auf das Verbindlichste und versicherte, daß sie
die größte Achtung vor meinem Freunde habe, obgleich sie gestand, daß
sie ihn nicht lieben könne. »Ja, das ist schon gut«, sagte ich, »mehr
verlangt er nicht.« Ich verbeugte mich, eilte nach Hause, und brachte
dem Unglücklichen die Achtung seiner Schönen; er athmete wieder leicht,
beschloß zu leben und lebte noch viele Jahre. -- Es waren Narrheiten!
wird man sagen. Ganz richtig! Die Jugend begeht, wie das Alter, viele
Narrheiten. Aber wo findet man die Grenzlinie zwischen Ernst und Tand in
dem menschlichen Herzen, und wie oft hat nicht eine flüchtige Thorheit
den Menschen das Leben gekostet. Es ist doch sehr möglich, daß ich das
Leben des guten Freundes rettete. Er versicherte mir später oft selbst,
daß es sein Ernst gewesen sei; und er war ein junger Mann von Character.

[Sidenote: Tod meiner Mutter.]

Wie ich kurz darauf selbst verliebt wurde, aber glücklicher, als
mein Freund, werde ich bald erzählen. Zuerst aber traf eine traurige
Begebenheit ein, nämlich meiner geliebten Mutter Tod.

                    *       *       *       *       *

Meine Mutter hatte einen seltenen Verstand, ein starkes Gefühl,
das sich in ihrem Krankheitszustande doch etwas der Schwärmerei
näherte. In ihren letzten Jahren suchte sie meistentheils Trost in
der Religion, las viel in Schmolke's Andachtsbuch, in Gellert's und
den alten deutschen Psalmen. Besonders war »Jesus, meine Zuversicht«
ihr Lieblingspsalm. Auch las sie fleißig Predigten, wenn sie nicht
in die Kirche gehen konnte. Sie hatte sich stets bemüht, die Herzen
ihrer Kinder frühzeitig für fromme Gefühle zu stimmen. Wir setzten in
unserer Kindheit am Weihnachtsabend große Zinnteller auf den Tisch im
Staatszimmer und gingen in die andere Stube, wo wir das Evangelium lasen
und Weihnachtspsalmen sangen. Indessen hörten wir den Engel drinnen im
verschlossenen Zimmer die Teller mit Nüssen, Aepfeln und Confect füllen.
Mehrere Jahre glaubten wir wirklich, daß ein schön geflügelter Engel
vom Himmel herabkam und uns die Gaben brachte. Eines Weihnachtsabends
spielte ich vorher mit meiner Schwester auf dem Hofe; der Himmel war mit
Wolken bedeckt, nur ein kleiner klarer Fleck war von der blauen Luft
zu sehen. »Siehst Du«, sagte ich, »da ist das Loch! da kommt er gewiß
durch.«

Während nun vierschrötige, lustige Holsteiner, die mit Grützwaaren
und Käse nach Kopenhagen segelten, meinen Vater besuchten und mit ihm
von ihrer Jugend schwatzten: suchten in der letzten Zeit, als meine
Mutter schwächer geworden war, einige fromme Handwerksmeister von den
sogenannten Heiligen, sie für ihre Secte zu gewinnen. Sie brachten
Gebetbücher mit, und ich hörte sie viel von »des Lammes Blut« sprechen.
In den Gebetbüchern waren auch Kupferstiche, mit Lämmern darauf, welche
Siegesfahnen hielten. Nach einigen vergebens angestellten Versuchen
zogen die Frommen sich doch zurück und sollen gesagt haben: Bei der Frau
wäre vielleicht noch einige Hoffnung gewesen, aber mit dem Manne sei
kein Auskommen. Sie kränkelte nun mehr und mehr und näherte sich dem
Grabe. Sie hatte stets innigen Antheil an meinem Schicksale genommen,
hatte mir nicht nur das Leben geschenkt, sondern es mir auch durch
mütterliche Pflege in einigen Kinderkrankheiten gerettet. Meine Mutter
liebte mich innig und ich glich ihr sehr. Das Gefühl der Wehmuth und
einen tiefen Ernst bekam ich von ihr, von meinem Vater Gesundheit und
Munterkeit. Einbildungskraft und Feuer hatten sie Beide, er mehr für
das Lustige; das Tragische erbte ich von meiner Mutter. Und doch sollte
sie keine Früchte meiner Muse sehen und sich darüber freuen! Kein
Lorbeerblatt sollte ich ihr bringen und es mit ihr theilen; nur auf ihr
Grab konnte ich es legen. Und wie groß wäre ihre Freude gewesen, wenn
sie nur eine Ahnung davon gehabt hätte, daß ihr Sohn etwas mehr, als das
ganz Gewöhnliche werden würde. -- Aber die hatte sie doch! Ich theilte
ihr meine ersten kleinen Jugendversuche mit, und diese erfreuten sie.

An dem Abend, wo ich zum ersten Male auf der Bühne auftrat, war mein
Vater im Theater gewesen, meine Mutter und Schwester waren aber zu
Hause geblieben. In dem kalten, dunkeln Winterabend, gerade in dem
Augenblicke, wo das Stück anfangen sollte, wurde meine Mutter so
unruhig, daß sie es nicht länger im Zimmer aushalten konnte; sie ging
in den Bogengang hinaus, weinte und betete für mich zu Gott. Hier traf
sie die Frau des Wächters, die ihre Gefühle mißverstand. »Ach, Madame«,
sagte sie, »weinen Sie doch nicht, er kann sich ja noch bekehren.«

Von dieser Bekehrung, welche die gute Wächtersfrau prophezeihte, war
meine Mutter doch noch Zeuge gewesen; und obgleich sie Nichts gegen mein
erstes Vornehmen gehabt hatte, so freute mein veränderter Lebensplan
sie doch nichts destoweniger, weil sie fühlte, daß mein schüchternes,
empfindliches Wesen der Freiheit und Ruhe bedürfe, wenn es sich recht
entwickeln solle.

Ich sah sie also hinsinken, nachdem sie einen zärtlichen Abschied von
uns Allen genommen hatte. Ich sah ihre Augen, die den meinigen so sehr
glichen, erlöschen und brechen. Die Hände, die mich so oft gehegt und
gepflegt hatten, griffen unstet nach dem Bettzeug, und die kalten
Fingerspitzen berührten einander in dem gewöhnlichen Todesspiele. Und so
schlummerte sie ein; mein Vater drückte ihr die Augen zu, und Gellert's
Psalmen, die sie im Leben so begeistert gesungen hatte, legte er auf
ihre Brust. Nun ruht sie auf dem Friedrichsberger Kirchhof, wohin mein
Vater und meine Schwester ihr folgten, wo Camma Rahbek ruht, und wo auch
ich einmal zu ruhen wünsche.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Christiane Heger.]

Gleich nach dem Tode meiner Mutter machte ich auf dem Hügelhause
die Bekanntschaft der Schwester der Frau Rahbek, einer Tochter des
Justizraths, späteren Etats- und Conferenzraths Heger; =Christiane
Georgine Elisabeth Heger=: ein sehr hübsches Mädchen von siebzehn
Jahren, gesund und kräftig, mit großen, blauen Augen, schneeweißer Haut,
Rosenwangen und mit einer Haarfülle, wie ich ihres Gleichen nie gesehen
habe; denn wenn sie die langen blonden Haare herabfallen ließ, so konnte
sie sich ganz darin einhüllen. Als ich sie zum ersten Male sah, band
sie einen Kranz von Kornblumen, ich habe den Kranz aufbewahrt, und
einige der abgefallenen Blätter blieben lange Zeit blau. Jetzt sind auch
sie gebleicht. Sie ist nicht mehr! --

Wie gern ich also zu Rahbek's »Hügelhause« ging, begreift man leicht.
Nach einem schönen Spaziergange traf ich dort einen launigen Dichter,
eine lustige, witzige Freundin, eine seltne Gastfreundschaft und ein
schönes Mädchen, die sehr ruhig bei ihrer Handarbeit saß, in deren
Augen ich aber doch, wenn sie von der Arbeit aufblickte, eine gewisse
Aufmerksamkeit für mich zu lesen glaubte.

Nun ging es ganz vortrefflich mit lustigen Erzählungen und Gesprächen
den ganzen Abend. Frau Rahbek hatte eine eigne Art, sich Freunde und
Anhänger zu erwerben: sie neckte sie unaufhörlich, lauschte ihnen ihre
Eigenheiten und kleinen Schwächen ab, hatte sie auf die liebenswürdigste
Art von der Welt zum Besten, machte mit unendlichem Witz ihre
Persönlichkeiten nach (denn sie hatte, wie alle Hegers, das Talent,
die Stimme und Bewegung anderer Menschen höchst treffend nachzuahmen),
und gab ihnen Spitznamen, und Keiner, der zu ihr kam, wurde von ihr
bei seinem rechten christlichen Namen genannt. Mich nannte sie den
=Adagiospieler=, weil ich einem Adagiospieler gleichen sollte, den sie
gekannt hatte; ihre Schwester nannte sie =Atair=, weil Christiane einmal
diesen Stern genannt hatte, und weil Camma (eine Zusammenziehung von
Karen-Margaretha) fand, das sei zu viel Astronomie für ein so junges
Mädchen. Rahbek, der etwas diogenisch in seinen Manieren war, mußte sich
als liebes Kind darein finden, viele Namen zu haben. Meine Schwester
nannte sie =Oder so was=, weil Sophie, wenn sie sprach, diese Worte oft
wiederholte. Mein Vater hieß =Pole=, weil er mit seiner weichen, raschen
Zunge größtentheils Polekum, statt Publikum sagte.

Auch Freunde wurden von dieser Anabaptistin umgetauft; und dann konnte
es zuweilen wohl nach Verdienst treffen, daß die Satyre etwas geißelte.
Uebrigens wußte sie stets mit Grazie und Feinheit, Achtung und Schonung
mit ihrem Uebermuthe zu vereinigen; so daß sich Jeder sogar einen
solchen Beinamen von ihr wünschte.

Da nun alle diese Benennungen eine historische oder allegorische
Bedeutung hatten, so bildete sich nach und nach unter uns auf dem
Hügelhause eine Art Mythologie, in die man eingeweiht sein mußte, um die
Kunstwerke solcher Laune und Munterkeit zu genießen, zu der wir Anderen
auch unser Schärflein beitrugen. Ein Fremder hätte nicht ein Wort von
unseren täglichen Scherzen verstanden.

[Sidenote: Meine Verlobung.]

Begleitete ich nun nach einem solchen muntern Abende Christianen im
schönen Mondscheine oder in einer sternenklaren Nacht nach Hause, so
verstummte plötzlich die Munterkeit; ich wurde stumm, verlegen und
ernst, und sie gleichfalls. Größtentheils gingen wir Arm in Arm in
unseren eigenen Gedanken. Endlich gab die Liebe mir Muth, nachdem sie
ihn mir so lange geraubt hatte; ich stammelte eine Liebeserklärung
hervor; sie verstand meine Aphorismen ganz gut, und obgleich sie mir
nicht sofort entgegenkam, ließ sie mich doch ohne Verzweiflung nach
Hause gehen.

[Sidenote: Mein Schwiegervater.]

Bald erlaubte sie mir, mit ihrem Vater darüber zu sprechen. Das war
ein merkwürdiger Mann. Er war Witwer und bewohnte die unterste Etage
seines eigenen Hauses. Vor dem Bombardement war er sehr wohlhabend. Er
hatte eine Brauerei von seinem Vater geerbt; und obgleich er Assessor im
Hof- und Stadtgericht war, konnte er doch mit Leichtigkeit die Brauerei
verwalten, da er ein entschiedenes Talent für alle mechanischen Arbeiten
und Künste besaß. Er stand sich gut und übte deßhalb viele Dinge nur zu
seinem Vergnügen, und obgleich er es nicht in Allem zur Meisterschaft
brachte, so kam er doch in vielen Dingen außerordentlich weit.

Er hatte sein schönes, großes Haus nach eignem Plane gebaut und außerdem
die Zeichnung zu einem andern sehr hübschen Grundstücke gemacht. Er
war ein guter Schmied, ein guter Tischler und Drechsler. Auch auf die
Gärtnerei hatte er sich gelegt, und wetteiferte mit seinem Freunde
Käsemacher, dem Gärtner des botanischen Gartens, wer die frühesten und
besten Erdbeeren bekam. Er zeichnete hübsch und beschäftigte einige
junge Maler in seinem Hause mit Decorationsmalereien. Auch Thorwaldsen
brachte einige Jahre hindurch die Abende bei ihm zu, und zeichnete
Bilder mit Bleistift für Karen Margaretha und Christiane, die noch klein
war. Der Kapellmeister Schultz war Heger's Freund gewesen; von ihm hatte
er Etwas von der Composition gelernt; er las fleißig in Kirnberger,
componirte hübsche Melodieen und spielte sie auf dem Fortepiano, das er
selbst verbessert hatte. Es konnte ihn amüsiren, ganze Stunden lang zu
phantasiren, und wir Anderen hörten ihm gern zu. Er hatte sich fleißig
auf die Optik gelegt; schliff Gläser zu großen Fernröhren, machte die
Papparbeit dazu selbst, und schrieb ein kleines Buch in französischer
Sprache über die Optik zu seinem eigenen Gebrauch. In Papparbeiten war
er ein Meister, der in der ganzen Stadt nicht seines Gleichen fand; er
machte die schönsten Kasten, außerordentlich dauerhaft mit hübschen,
selbstgemalten Landschaften verziert und mit einem unvergänglichen
Lackfirniß überzogen. Er war sehr freigebig mit diesen Arbeiten,
schenkte deren an alle seine Freunde, und seine Tochter Karen Margaretha
lernte von ihm die Kunst und die Freigebigkeit. Er war auch einmal ein
eifriger Feuerwerker gewesen und machte Raketen, welche die gewöhnlichen
um Vieles übertrafen. Aber als er eines Abends das Unglück hatte, daß
eine Rakete, die er von einem Boote aus in die Luft ließ, in eine
Scheune fiel, ohne doch weiter Schaden zu verursachen, verlor er die
Lust zur Feuerwerkerei. Er liebte die italienische Sprache und erzählte
gern von der Zeit, wo =Sarti= Kapellmeister gewesen war, und wo =Alsani=
und andere Virtuosen italienische Opern auf dem Hoftheater aufgeführt
hatten.

Zu diesem seltnen Manne kam ich nun schüchtern und bange; ich sagte
ihm Alles rein heraus, daß ich seine Tochter liebe, daß ich hoffe,
wieder geliebt zu sein, daß ich Advokat werden wolle, und daß Oersted
mir versprochen habe, mich in zwei Jahren so weit zu bringen. Höflich
und ruhig hörte er meinen Wunsch, klingelte, ließ seine Tochter rufen,
sagte ihr mit wenigen Worten, wovon die Rede sei, legte unsere Hände in
einander, und fing darauf gleich an, von anderen Dingen zu reden, womit
er mir einen großen Dienst erwies; und mit einem solchen Manne konnte
man gewiß über Vieles sprechen.

[Sidenote: Mein Schwager.]

Christiane's Bruder Karl war stiller, milder, aber auch witzig und
satyrisch. Er ließ es bei den dramatischen Privatübungen bewenden,
und studirte Theologie; aber so gewissenhaft, daß er niemals fertig
werden konnte, obgleich er mehreren Candidaten half, die die beste
Censur bekamen. Die theologischen Professoren baten ihn, doch endlich
zur Prüfung zu gehen, da sie ihn nichts mehr lehren könnten, und
versicherten ihm, er könne überzeugt sein, daß er gut bestehen würde;
denn sie kannten ihn von den Examinatorien her. Es half Nichts! Der
selige Bischof Münter, damals Professor, besuchte Rahbek, bei dem Karl
Heger wohnte, einmal deßhalb, um diesen zu überreden; aber er verbarg
sich vor dem Professor im Garten hinter den Bäumen, gleich Adam nach
dem Sündenfalle vor unserm Herrgott; obgleich er nicht gesündigt hatte,
sondern im Gegentheile für seine Tugenden gelobt werden sollte.

Dieser »kunstliebende Klosterbruder«, mein treuer, vieljähriger Freund,
fand später als Bibliothekar bei Sr. Königl. Hoheit dem Prinzen
Christian Frederik einen Platz, der sich am Besten für seine stille
literarische Neigung und für seine bescheidne, contemplative Natur
eignete.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Preisfrage.]

Ich studirte nun ziemlich fleißig Jura, doch konnte ich es nicht
unterlassen, kleine Streifereien in das Gebiet der schönen Literatur
zu machen. Im Jahre 1800 wurde an der Universität die Preisfrage in
der Aesthetik aufgestellt: »Wäre es nützlich für die schöne Literatur
des Nordens, wenn die alte nordische Mythologie eingeführt und statt
der griechischen allgemein angenommen würde?« Das war Wasser auf meine
Mühle; ich hatte mich viel mit der alten nordischen Literatur und mit
der nordischen Götterlehre beschäftigt. Oersteds fanden auch, daß es
hübsch sein würde, wenn ich eine akademische Preismedaille gewönne; und
nun sattelte ich wieder mein Steckenpferd und schrieb eine Abhandlung,
in der ich den Charakter der nordischen Götterlehre und ihre noch
unbenutzten Schönheiten im besten Lichte darzustellen suchte.

Es wurden außer der meinigen noch zwei Abhandlungen eingeliefert, die
eine von =Stoud Platou=, späterm Professor in Christiania, die andere
von =Jens Möller=, der als Professor der Theologie in Kopenhagen starb.
Stoud Platou führte die Sache der griechischen Mythologie. Das Urtheil
des Professors Jakob Baden, das in dem Universitätsjournale abgedruckt
wurde, lautete also:

»Ueber die ausgesetzte Preisfrage sind drei Abhandlungen eingegangen,
welche alle sich durch Fleiß in der Untersuchung, durch Eifer und
Wärme für die schöne Literatur im Allgemeinen, wie für die nordische
ins Besondere, durch gründliche Einsicht in die Bedürfnisse dieser
Literatur und Kenntniß der besten Schriften im mythologischen Fach,
endlich durch einen klaren Vortrag und einen leichten und angenehmen
Styl empfehlen. So viel Freude diese Gleichheit in den Verdiensten
mir als Leser verursachte, so muß ich doch bekennen, daß sie mir die
Lust als Richter benommen hat, irgend ein entscheidendes Urtheil über
eins der eingereichten Stücke zu fällen, um so mehr, als ich nicht
allein ein Urtheil fällen soll. Ich lasse es daher dabei bewenden,
meine private Meinung zu sagen, die ich auf keine Weise für maßgebend
und inapellabel betrachtet wissen will, da sie nur die Ansicht eines
privaten Mannes ist.« Darauf erkannte er Stoud Platou's Abhandlung,
als der ausführlichsten und -- nach seiner Ansicht -- wahrsten, den
Preis zu. Doch erklärte er selbst den Theil der Abhandlung, der
ungeachtet der Vorliebe des Verfassers für die griechische Mythologie,
die geschmackvolle Anwendung der nordischen Mythologie bespricht und
billigt, für das Beste und Wichtigste; und den ersten Theil, in dem
der Verfasser von uns abweicht, tadelt er als zu weitläufig und die
aufgegebene Frage zum großen Theile unberührend. Ueber meine Abhandlung
mit dem Motto:

             _Nil intentatum nostri liquere poetae,
              Nec minimum meruere decus, vestigia graeca
              Ausi deserere, et celebrare domestica facta._

sagt Baden: sie ist weniger weitläufig, scheint aber mehr die Frage
Berührendes zu enthalten; ein Theil der Preisschrift ist mit Neuheit
und Interesse ausgeführt, und würde den Verfasser, meiner Ansicht nach,
würdig machen, den Preis mit dem Ersten zu theilen, wenn derselbe sich
theilen ließe. Aber da der Preis nicht wohl der erstern Abhandlung
vorenthalten werden kann, so verdient diese doch das erste Accessit. --
Das zweite Accessit kann meiner Ansicht nach der dritten Preisabhandlung
nicht verweigert werden. Auch dieser Verfasser zeichnet sich durch eine
wohldurchdachte Vertheidigung der nordischen Mythologie aus.

Später bekam Professor Kjerulf den Auftrag, in Verbindung mit Baden zu
urtheilen und er unterschrieb dessen Ausspruch.

All' das war nun recht gut; aber ich kam doch um die schöne
Goldmedaille, die ich so gern meinem Vater nach Hause gebracht hätte,
der sich noch mehr darüber gefreut haben würde als ich. -- Ich ahnte
damals nicht, daß diese Abhandlung mir mit der Zeit bessere Früchte, als
eine Medaille tragen würde. Ihr hatte ich es ohne Zweifel zu danken, daß
ich nach meiner Reise ins Ausland als Professor der Aesthetik bei der
Universität angestellt wurde, da ich durch die Abhandlung, die einer
Prämie würdig erklärt worden war, als akademischer Bürger das Recht
erhalten hatte, ein Amt zu suchen, von dem mich sonst vielleicht die
Form ausgeschlossen haben würde.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Baggesen's Abreise.]

Baggesen wollte abreisen, um, wie man glaubte, für immer fortzubleiben.
Ich hatte oft mit großer Freude seine »komischen Erzählungen,« seine
»Jugendarbeiten,« sein »Labyrinth« gelesen. Die wunderbare Mischung von
Witz und Gefühl, von Begeisterung und Spott, von Vielseitigkeit und
stark hervortretender Persönlichkeit bei ihm hatte etwas Aehnlichkeit
mit Jean Paul, obgleich ich in Baggesen's graciösen Witzen bald das Herz
und die Geistestiefe jenes unsterblichen Dichters vermißte. Aber dann
konnte Baggesen wieder diese allerliebsten, leicht fließenden Verse
schreiben! Daß er als ein armer Junge so Viel in der lateinischen Schule
in Slagelse hatte ausstehen müssen, rührte mich auch. Trotz Armuth und
Krankheit war er stets lustig geblieben; nur die Sehnsucht der Liebe
konnte ihn wehmüthig und niedergeschlagen machen.

Eine ritterliche Achtung, ja Anbetung für das schöne Geschlecht,
eine starke Begeisterung für das Hohe in der Natur zeichnete ihn vor
anderen humoristischen Dichtern aus. Daß er nicht den gesunden Verstand
eines Holberg's und eines Wessel's hatte; daß er wohl brillanter in
seiner Satyre, aber weniger wahrheitsliebend und billig war, daß seine
Begeisterung sich oft in einem Schwulst verlor, konnte ich noch nicht
recht bemerken. Ich liebte diesen Proteus:

     Erstlich ward er ein Leu mit fürchterlich wallender Mähne,
     Drauf ein Pardel, ein bläulicher Drach' und ein zürnender Eber,
     Floß dann als Wasser dahin und rauscht' als Baum in den Wolken.

ich wollte ihn gern fassen und ihn einmal in der Nähe betrachten, ehe er
sich ins Wasser verlor, und vielleicht für ewig unser Eiland verließ.
Auf dem Theater hatte ich ihn freilich oft als administrirenden Director
in seinem großen gelben Ueberwurf umhergehen sehen. Aber da lief er
umher, wie auf dem Deck in Meeresnoth ein Schiffer, der selbst das
Steuern nicht versteht und den Nächstkommandirenden schalten und walten
läßt. Dort war er mir auch zu vornehm; der Abstand zwischen uns war zu
groß, und ich mochte mich ihm nicht nähern, aus Furcht, daß er zu stolz
sein würde.

Alles, dessen ich mich von seiner Administrationszeit erinnere, ist, daß
mein Auge oft auf dem Fleck in seinem Ueberwurf ruhte, der mit einem
Pletteisen eingebrannt war. Auch entsinne ich mich deutlich, wie eine
Schauspielerin ohne viel Talent, aber stets häuslich mit Nähnadel und
Zwirn in der Tasche versehen, ihn eines Abends im Foyer aufhielt, um
ihm einen Riß zuzunähen, der eine allzuweite Fortsetzung des Schlitzes
an seinem Mantel bildete; unter dieser Operation verhielt er sich sehr
höflich, aber auch etwas passiv. --

Nun wollte er fort und uns vielleicht auf ewig verlassen! Er hatte
gesagt, daß er in der Zukunft nicht mehr dänisch schreiben wolle. Dies
Alles betrübte uns, seine jungen Bewunderer. Wir hatten den allzufrühen,
nationalen Tod eines schönen Geistes zu beklagen.

In diesem Gefühle faßten Hans Christian Oersted und ich den Entschluß,
ein Fest in Dreyer's Klub, dessen Mitglied ich geworden war, zu
veranstalten. Wir ließen eine Einladung umhergehen, und, obgleich
Baggesen schon damals viele ausgezeichnete Männer gegen sich hatte,
welche gerade heraus sagten, daß er es nicht verdiene, so setzten wir
es doch durch. Er wurde zu einer Abendgesellschaft eingeladen, bei
welcher Gelegenheit ich folgendes Gedicht an ihn verfaßt hatte, das die
Gesellschaft für ihn begeisterte:

               Der mit Geistes Waffen schweigen machte
               Dummheit, der die Lüge kühn bezwang,
               Der ins Auge frohes Lächeln brachte,
               Aus dem eben noch die Thräne drang;
               Der Gefühl und Wärme hat gegossen
               In die Brust uns, wo sein Bild jetzt weilt,
               Sei von unserm Bruderarm umschlossen,
               Eh' von Dänemark er nun enteilt.

               Darum hörst Du, seltner Dichter, klingen
               Unsre Stimme, die im Chor sich hebt,
               Darum, edler Dichter, wir Dir bringen
               Was für Dich in unserm Herzen lebt.
               Schwach ist unsre Stimme! Gleich der Deinen
               Steigt sie nicht zum Pindus hoch empor,
               Voller Wehmuth nun wir uns vereinen,
               Rufen Lebewohl Dir zu im Chor.

               Habe Dank für jedes Deiner Lieder,
               Das bei frohem Mahle hier erklang!
               Oft wohl singen wir sie freudig wieder,
               Denken stets des Dichters beim Gesang.
               Wenn die Stimmen dann sich laut erheben,
               Wenn sie tönen an dem dän'schen Strand,
               Möge ahnend dann Dein Herz erbeben,
               Wenn Du denkst ans theure Vaterland.

               Willst Du jetzt auch in die Ferne ziehen,
               Kehrst Du doch, wir hoffen's, einst zurück.
               Sahst ja hier die ersten Tage fliehen,
               Hier verlebtest Du der Jugend Glück.
               Nirgends blühen ja die Rosen reicher,
               Nirgends sind die Dornen ja so klein,
               Nirgends, nirgends ist das Lager weicher,
               Als, wo unsre Wiege stand, allein.

               Aber mußt Du =Sein= Gebot erfüllen,
               Giebt das Schicksal Dir ein fernes Grab,
               Soll die fremde Erde Dich umhüllen --
               Blick' von =dort= auf Dän'mark dann herab!
               Jedes Auge wird die Thräne feuchten,
               Jede Lippe flüstert weh und bang:
               Möge Freud' für jede Freud' Dir leuchten,
               Die den Dänen schenkte Dein Gesang.

Ein Exemplar dieses Gedichts, das er während des Absingens in der Hand
gehalten hatte, gab er mir von Thränen durchnäßt zurück, indem er mich
umarmte, mich küßte und mir seine »dänische Lyra« vermachte, die er nun
nicht mehr zu schlagen gedachte. -- Einige Tage darauf reiste er fort
und ich übernahm die Korrektur des ersten Theils seiner Werke, die er
bei Brummer herausgab.

So machte ich die Bekanntschaft des Mannes, der einige Zeit darauf
eifrig meine Freundschaft suchte und später, ohne Grund, mein bitterster
Feind wurde.

                    *       *       *       *       *

War es nun Apollo mit seinen neun Musen oder Bragi bei der Harfe und
Idun mit ihren Aepfeln der Verjüngung, die mich immer, wenn ich recht
fleißig Jura studiren wollte, störten? -- Ich weiß es nicht. Aber
gestört wurde ich; und war es nicht geradezu von ihnen, so riefen sie
bald Venus oder Freia, bald Mars oder Thor zu Hülfe; ja wir werden
sehen, wie sogar Mimer oder Minerva sich hinterlistig gegen meine
Jurisprudenz verbinden.

[Sidenote: Der zweite April 1801.]

Der zweite April 1801 erschien, an welchem Tage eine große englische
Flotte von unserm Dutzend Blockschiffen hart mitgenommen wurde, die
nach der Schlacht Wracks waren, wie vorher. Nelson, der Schreck der
europäischen Seemächte, wurde in diesem Kampfe durch einen kleinen
Haufen dänischer Seeoffiziere überstrahlt. Es ist Wahrheit, es ist ein
Factum! Darum achtete Napoleon die dänischen Seeleute hoch und hat von
dieser Schlacht stets mit ehrender Bewunderung gesprochen.

Das Gefühl der alten Heldenehre zur See hatte sich ganz der Nation,
und besonders der Hauptstadt bemeistert. Alle kleinlichen Laster der
Zeit: Mißgunst, Geiz, Hochmuth, Eitelkeit, Verleumdung, hatten sich
gleich feigen Verbrechern im Dunkeln verborgen. Dagegen traten überall
Brudersinn, Wohlwollen, gegenseitige Hülfe und Beistand hervor.
Fremde Menschen, die sich nie früher gesehn hatten, drückten einander
begeistert die Hand, wenn sie sich auf der Straße begegneten. Eine
unbeschreibliche Munterkeit verbreitete sich über die ganze Stadt. Der
alte Matrosenwitz schien sich allen Einwohnern mitgetheilt zu haben, und
es regneten Einfälle und Spöttereien über die Engländer.

Bei dieser Gelegenheit wurden, ehe der Feind sich dem Sunde näherte,
mehrere Freicorps errichtet; auch die Studenten vereinigten sich, und
bildeten unter dem Commando des berühmten Physikers, Oberhofmarschalls
Hauch, zwei Bataillone.

Man wußte nicht, ob die Engländer die Stadt bombardiren würden. Die
Studenten erhielten die ehrenvolle aber gefährliche Aufgabe das Zündrohr
aus den hereingeworfenen Bomben zu ziehen, ehe sie sprangen. Wir
lachten, verstanden die Gefahr nicht, und ließen das Schicksal walten.
Bald bemerkten wir, daß die englischen Bomben uns nicht erreichen
konnten, weil die Blockschiffe einen breiten Wall rund um Kopenhagen
bildeten.

Ich stand mit mehreren Bekannten auf dem Altan der Seecadetten-Akademie,
und blickte auf die Schlacht, welche nicht weit entfernt, gerade vor
unseren Augen gekämpft wurde. Wenn zehn Mal von den englischen Schiffen
geschossen wurde, so hörten wir es nur ein Mal von den Blockschiffen
donnern. Oft flog eine glühende Kugel von der Quintusbatterie empor.
Wir sahen jeden Augenblick englische Kugeln in den Wellen zischen, oder
sich matt in den Sand der Küste bohren. Ueber unsere Häupter flogen die
Bomben, gleich Raketen dahin, und sprangen in der Luft; nur sehr wenige
erreichten das Land. Wir waren Alle in der gespanntesten Erwartung.

Um 4 Uhr war die Schlacht vorüber, und Nelson sandte einen Parlamentair
ans Land, der einen Waffenstillstand vorschlagen sollte. Wir waren
Alle froh, und gingen nach Hause, um unsern Gründonnerstags-Kohl zu
essen. Unten auf dem Platze standen eine Menge bewaffneter Bürger.
Ein kleiner jovialer Mann, mit der Kokarde am runden Hut, dem Säbel
an der Seite, der Patrontasche auf dem Rücken und dem Gewehr auf der
Schulter, stand unter den Anderen, und fragte mich, als ich vom Altan
hinunterkam und vorüber ging: »Nun, wie ist es abgelaufen?« »»Ach,
mein lieber Landsmann!«« rief ich, und drückte ihm die Hände, »»Gott
beschützt uns, unsere Brüder haben wie Löwen gekämpft!«« Ich würde mehr
mit diesem wackern Landsmanne gesprochen haben, aber ein Student meiner
Bekanntschaft zog mich an dem Aermel, und flüsterte mir in's Ohr: »Bist
Du von Sinnen, daß Du auf offner Straße mit dem Kerl sprichst? das ist
ja der berüchtigte Wirth, Prinz Kehraus!« -- »»Ich kenne ihn nicht,««
antwortete ich lachend, »»aber mag er sein, wer er wolle, in diesem
Augenblick sind wir Alle Dänen und Alle Soldaten.««

Was weiter kommen würde, wußten wir nicht; aber fürs Erste konnte
man nichts Besseres thun, als die Waffenübungen fortzusetzen, da in
diesem Lärm doch weder Zeit noch Ruhe zu friedlicher Beschäftigung war.
Das Studentencorps wurde unter dem Namen »Leibcorps des Kronprinzen«
organisirt, wir bekamen hübsche Uniformen, dunkelblaue Jacken mit weißen
Litzen, grauen Hosen, Halbstiefeln mit Quasten, runden Hüten mit weißen
Kokarden und schwarzen Federn. Die Unteroffiziere trugen silberne
Epaulettes.

Es wurden verschiedene Feste nach der Schlacht zu Ehren der Seehelden
veranstaltet. Die Gefallenen wurden zusammen in einem großen Grabe
beerdigt, und Ein Hügel wurde über sie, wie über die Helden des
Alterthums, aufgeworfen. Bei dieser Gelegenheit schrieb ich einige
Gedichte. Es wurden viel gute Lieder gedichtet, aber auch unendlich viel
schlechte und trivielle, was bei der eiteln Wiederholung des Abgenutzten
nur die Begeisterung travestirte.

Nun wurden auch Unteroffiziere und Sergeanten für die Studenten gewählt.
Offiziere konnten damals nur wirkliche Militairs werden; nur ein Paar
Veteranen, =Rahbek= und =Thomas Christoffer Bruun=, die aus alter
Studentenliebe in das Corps eingetreten waren, wurden als Lieutenants
_à la suite_ angestellt. Bei dieser Gelegenheit zeichnete Rahbek sich
sowohl durch seinen außerordentlichen Eifer für den Dienst, wie durch
seine Unbeholfenheit aus, die sich besonders beim Marschiren zeigte,
wenn er bei feierlichen Gelegenheiten als Lieutenant mit dem Säbel in
der Hand marschirte.

                    *       *       *       *       *

Ich wurde gleich Unteroffizier, und kurze Zeit darauf Sergeant und
Fahnenjunker beim ersten Bataillon. Meine ästhetische Preisabhandlung
und einige im »Zuschauer« und in der »Charis« abgedruckte Gedichte
verschafften mir vielleicht die Stimmen zu dieser Wahl; denn ich hatte
nur wenige persönliche Bekanntschaften unter den Studenten gemacht.

[Sidenote: Das Lied vom braven Manne.]

Ein seltsames Ereigniß muß ich erzählen, das zu dieser Zeit eintraf.
Ich hatte Bürgers »Lied vom braven Manne« gelesen, es begeisterte mich,
und ich übersetzte es in's Dänische. Gerade als ich es beendigt hatte,
trat L. Kruse in mein Zimmer. Ich frage: »Was giebt's Neues?« -- »»Hast
Du nichts von dem heftigen Sturme heute Nacht gemerkt?«« -- »Nein, ich
habe ruhig geschlafen.« -- »»Es ist gewiß viel Unglück auf dem Meere
geschehen,«« fuhr Kruse fort -- »»aber ein Unglück wenigstens ist durch
den Heldenmuth eines Seemanns verhindert worden. Die Leute auf einem
gestrandeten Schiffe, weit draußen auf der Rhede, konnten sich nicht
retten; tausend Menschen standen auf der Zollbude, keiner wagte sich
hinaus. Da kam der Grossirer =Staal Hagen=, und versprach Demjenigen
eine bedeutende Summe, welcher sie retten würde. Der Fischer =Lars
Bagge= springt in ein Boot, rettet die Schiffbrüchigen mit Lebensgefahr,
und bittet den Kaufmann, diesen das Geld zu geben; selbst wolle er
nichts haben.«« -- »Nein!« -- rief ich aus -- »das ist zu seltsam!«
-- »»Was meinst Du?«« -- »Da liegt die ganze Geschichte poetisch
beschrieben auf dem Tische! Ich brauche nur die Namen und einige
Nebenumstände zu verändern.« Ich erzählte nun Kruse den Zusammenhang,
und er war eben so erstaunt wie ich. Das Gedicht wurde gedruckt und
gefiel; aber den wunderbaren Zufall verschwieg ich, aus Furcht, daß
man ihn für erdichtet halten würde. Viele Jahre später habe ich das
Ereigniß in meinen gesammelten Gedichten, in dem kleinen Gedichte »die
Vorahnung,« welches der Romanze =Lars Bagge= folgt, erzählt.

                    *       *       *       *       *

Der ehrwürdige alte Tode war Rector in dem Jahre, wo ich Student wurde;
er hatte meine kleinen Gedichte gelesen, und besonders hatte Lars Bagge
ihm gefallen. In einem kleinen Gedichte, das er mir für mein Siofna gab,
hat er mir zuviel Lob gespendet; unter Anderm stand da:

                       »Das Volk wird Dich preisen
           Als Schöpfer so herrlicher Weisen!
           Lars Bagge besangst Du, die That die ihn ehrt,
           Dein Lied ist des Retters, des trefflichen, werth.«

Ich fand das Lob übertrieben, ließ diese Verse weg, und bat den
Verfasser, mir das Streichen derselben zu verzeihen. Aber dies war
erst im Jahre 1802, und bereits im Jahre 1800 zeigte er mir väterliche
Aufmerksamkeit. -- Doch -- ich habe ein Lied zu seiner Ehre in Dreier's
Klub geschrieben. Als ich ihm nun die zehn Reichsthaler für meinen
akademischen Bürgerbrief zahlen wollte, gab er mir dieselben mit den
Worten zurück: »_Clericus clericum non decimat._« Dies rührte mich
ungemein und gab mir Muth; es war die größte Ehre, die ich bis dahin
genossen hatte.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Brief von Baggesen.]

Baggesen sandte mir kurz nach der Schlacht vom 2. April einen Brief,
angeblich mit Liedern, die jedoch nicht beigefügt waren, welche er mich
dem Volke vorzusingen bat. Der Brief lautet folgendermaßen:

                                                 Paris, den 13. April.

               Mein Freund!

     Dir, dem ich meine dänische Lyra hinterließ, sende ich, dem
     Rachen des Todes entflohen, meinen ersten Seufzer an das Leben in
     beifolgenden drei Kriegsgesängen für die Vertheidiger Dänemarks.

     Mein Herz glüht vor Sehnsucht darnach, mit meinen Brüdern zu stehen
     und zu fallen; aber ich bin gefesselt und krank mit meiner kranken
     Geliebten.

     Laß die Kraft und das Feuer Deiner Jugend in die Seele der Dich
     umgebenden Brüder flammen! Singe ihnen zugleich mit den Deinigen
     meine Lieder! Laß sie fühlen, daß Baggesen's Geist mitten unter den
     Flammen bei ihnen ist!

     Zehn Männer mit Dichtermuth sind in den Augenblicken des Schreckens
     mehr werth, als hundert Fehde-Prosaisten; hundert todestrotzende
     Helden dem Feinde gefährlicher, als zehntausend Söldlinge!

     Laß eine Menge Exemplare, so wie die »Matrosenlieder gedruckt in
     diesem Jahre«, drucken.

     Theile Exemplare der »Hymne für die Alumnen« unter meinen lieben
     akademischen Mitbürgern aus.

     Lösche meinen Durst nach Nachrichten durch die erste, zweite und
     dritte Post.

                                  Dein

                                                      =Baggesen=.

     Sende mir doch ein Exemplar des ersten Theils. Hiermit bezahle ich
     zugleich meine Liederschuld an den lieben Dreyer'schen Klub.

     Grüße Rahbek und Rosing.

Später erhielt ich noch folgenden Brief:

                                             Paris, den 11. Juli 1801.

               Liebster Oehlenschläger!

     Ich lebe, meine Frau und meine Kinder leben; ich liebe Sie, und
     werde Sie immer lieben.

     Ich habe Ihren freundlichen lieben Brief mit den beigelegten
     Liedern erhalten; aber ich habe Ihnen seitdem zwei Mal geschrieben.
     Dies ist das dritte Mal.

     Ich habe noch kein Exemplar vom ersten Theile, oder meinen Oden
     erhalten; ich wünschte ein solches doch sehr. Ich kann Brummer
     nicht begreifen. Er scheint mit dem Absatze zufrieden, wünscht mehr
     Manuscript, und macht mir doch die Fortsetzung unmöglich, indem er
     mir den Anfang nicht sendet. Wie soll ich die Noten ausarbeiten,
     wenn ich keinen Text habe?

     Ich habe unaufhörlich, seitdem ich Kopenhagen verließ, bis vor
     wenigen Tagen unbeschreiblich schlecht gelebt. Mein geliebtes Weib
     war beständig bettlägerig, meine Kinder ab und zu kränkelnd und
     ich selbst gefährlich krank. In Bezug auf meine Existenz habe ich
     unersetzliche Verluste erlitten. Erst jetzt bin ich im Stande zu
     arbeiten.

     Ich mußte vom _quai Voltaire_ wegen Mangel an frischer Luft nach
     dem _hôtel de l'Elisée Bourbon, Rue du Faubourg Nr. 66._ ziehen,
     wo ich nun schön, bequem und so gut, wie auf dem Lande, auf den
     elyseischen Feldern, wohne.

     Meiner Frau geht es etwas besser, und ich bin also -- viel
     munterer. Aber --

     _Dania! quid merui? quo te, mea patria, laesi?_ Noch immer seufze
     ich vergebens nach eigentlichen Nachrichten. Außer einigen kleinen
     Briefen habe ich keine Antwort auf meine letzten zwölf Schreiben
     erhalten.

     Auch Sie, Oehlenschläger! ertheilen mir sparsam Ihre Grüße.

     Ich habe mit dieser Post an Brummer geschrieben. Veranlassen Sie
     ihn doch, mir endlich das mir zukommende Exemplar des ersten
     Theiles meiner Schriften zu senden. Früher schicke ich wahrhaftig
     keine Fortsetzung.

     Wenn es Ihnen möglich ist, so sammeln und senden Sie mir die
     Blätter, in denen meine Unbedeutenheit, seitdem ich Dänemark
     verlassen habe, erwähnt ist. Es versetzt mich doch immer ein
     wenig in meine alte Stellung zurück, und giebt mir eine Illusion
     literarischer Anwesenheit, deren ich hier, wo kein dänisches Laub
     oder Blatt sich bewegt, sehr bedarf.

     Haben Sie meine Ihnen zugesandten Kriegsgesänge die ohne meine
     Schuld, -- denn sie waren vor der Katastrophe in der Mitte Mai
     gedichtet und hier gedruckt -- so ärgerlich zu spät kamen, erhalten?

     Ich fürchte, daß sie in Kopenhagen, nach Gott weiß welchen
     Varianten gedruckt, von Fehlern gewimmelt haben.

     Verzeihen Sie meine Kürze! Ich =schreibe= kurz, aber =antworte=
     desto länger. Schreiben, schreiben, schreiben Sie an

                                  Ihren

                                                      =Baggesen=.

     Meine Frau grüßt Sie tausend Mal, und ich grüße unbekannter Weise
     tausend Mal Ihre Freundin.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Exercierübungen.]

Es schien nicht, daß wir ferner einen feindlichen Ueberfall zu fürchten
hätten; aber unruhig waren die Zeiten noch, und Waffenübungen machten
arge Eingriffe in meine nächtliche Ruhe, deren ich in diesen Jahren, wo
ich noch wuchs, zu bedürfen glaubte. Jeden Morgen um 6 Uhr mußten wir
in dem kalten Märzmonat auf der Reitbahn am Christiansburger Schlosse
sein, um Exercitien zu lernen. Als Sergeant mußte ich meiner Compagnie
mit gutem Beispiele vorangehen, zuerst auf dem Platze sein, wenn die
Uebungen beginnen sollten, und alle Namen aufrufen. Aber dann war auch
die Arbeit vorüber, denn wir Unteroffiziere exercirten nicht mehr, und
deßhalb fror uns auch am meisten. Verschiedene Scherze, die vorfielen,
und für den Augenblick das Zwergfell erschütterten, konnten uns doch
nicht lange warm halten; einige davon waren drollig genug.

So war z. B. in unsere Compagnie, die, wie die anderen, größtentheils
aus lauter schlanken Jünglingen bestand, ein großer fetter Gastwirth
gekommen, der sein Recht als alter Baccalaureus geltend machte, weil
er lieber im Studentencorps, als im Brandcorps oder einem andern
bürgerlichen Corps dienen wollte, wo er größeren Strapazen ausgesetzt
zu sein fürchtete. Er war ein witziger, lustiger Kopf, aber er konnte
es nicht leiden, wenn man auf seine Dicke stichelte, und er stand wie
eine Art Falstaff unter uns. Der Major, der uns einexercirte, war ein
muntrer Kriegsmann, der gern mitunter einen Scherz machte. Wenn er nun
commandirt hatte: »Richt't Euch!« so hieß es oft hinterdrein zu dem
corpulenten Flügelmann: »Den Bauch 'nein, lieber Freund!« Nun zog der
Flügelmann den Bauch ein. Darauf untersuchte der Major die Rückseite
der Linie, und dann hieß es wieder: »den Hintern 'nein, lieber Freund!«
-- Nun wurde der dicke Flügelmann ungeduldig und rief: »Aber um
Gotteswillen, wie soll ich mich denn drehen und wenden? Ich kann doch
nicht in mich selbst hineinkriechen, und zum Theil verschwinden. Mein
Körper muß doch seinen nothwendigen Kubikinhalt haben.« Nun lachte die
ganze Compagnie, und das war es gerade, was der Major und der Flügelmann
wollten.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Der Generalmarsch.]

Wenn der Wirth hier den Falstaff spielte, so fand ich selbst mich
bald darauf in einer nächtlichen Scene als Don Quixote. Ich war
eines Abends sehr früh zu Bett gegangen, weil ich durch die vielen
Morgendienste ermüdet worden war. Wie ich gerade im süßesten Schlummer
liege, werde ich plötzlich durch eine Trommel geweckt. Nun war uns in
den ersten Tagen bei der Parole gesagt, daß wir uns augenblicklich,
so wie Generalmarsch geschlagen würde, bewaffnen und auf der Reitbahn
versammeln sollten, denn dann war entweder der Feind im Lande, oder die
Stadt wurde bombardirt. Kaum hörte ich also die Trommel, als ich rief:
»Nun ist die Stunde gekommen! Es gilt den König und das Vaterland! In
Gottes Namen, unverzagt!« Ich hatte bereits die Strümpfe, Beinkleider
und Stiefeln an, und wollte mich eben mit dem Schwerte umgürten, -- als
es wieder trommelte, und ich hörte, daß es der Zapfenstreich sei, der
jeden Abend durch die Straße ging. -- Ach, mit welch seligem Gefühle
schlüpfte ich wieder in's Bett, und überließ mich einem ungestörten
Schlummer.

[Sidenote: Erleichterungen im Dienste.]

Früher hatten wir fast Alle nüchtern den Dienst thun müssen, denn die
Meisten von uns konnten keine Erquickung zu so früher Stunde erhalten;
aber nun wurde ein Marketender in den Colonnaden an der Reitbahn
angestellt, bei dem man sich etwas zu Gute thun, und einen Zwieback und
eine Tasse Thee bekommen konnte, wenn man zwei Schillinge hatte. (Ich
hatte sie nicht immer). Freilich war der Thee so schwach, daß man ihn
fast nicht schmecken konnte, und auch vom Zucker merkte man nicht gerade
viel; aber für die Hauptsache war gesorgt, denn das Milchwasser war
kochend heiß, und so konnte man sich doch wenigstens innerlich erwärmen.

Ein Glück kommt selten allein. Als ich eines Morgens umherging und in
die königlichen Ställe blickte, während die Compagnieen excercirten,
entdeckte ich einen leeren Stand mit einem Haufen frischen Strohs, wo
ich fand, daß wir Sergeanten vortrefflich schlafen könnten, wenn wir die
Namen verlesen hätten. Kaum hatte ich meinen Kameraden diese Entdeckung
mitgetheilt, als wir einen Augenblick später auf dem Strohe lagen, wie
beim Homer des Proteus flossenfüßige Seehunde auf dem Sande. Von diesem
Tage an schliefen wir jeden Morgen in dem warmen Stroh, nachdem wir erst
unsern heißen Thee getrunken hatten.

                    *       *       *       *       *

Bei der Fahnenweihe waren die Studenten auf dem Platz vor Amalienburg
versammelt. Die Offiziere und Unteroffiziere kamen in die Zimmer zur
königlichen Familie hinauf. Die Fahnen lagen auf dem Tische, und der
Fahnenschmied stand dabei. Zuerst reichte er dem Kronprinzen einen
Nagel; Se. Königl. Hoheit schlug ihn ein; darauf die Kronprinzessin,
die ganze Königl. Familie, und endlich, nachdem der Chef und die
Offiziere ihre Nägel eingeschlagen hatten, kam auch die Reihe an uns
Sergeanten. Als die Fahnen fertig waren, trugen wir Fahnenjunker sie zu
den Bataillonen hinab, wo der Eid geleistet und ein kecker Thaarup'scher
Gesang nach einer schönen Melodie des alten Zinck abgesungen wurde.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Feldmanoeuvres.]

Die Nachmittags-Manoeuvres auf dem Felde waren amüsant, wenn das Wetter
schön war. Dann zogen wir mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen
durch die Straßen, während die jungen Mädchen in den Fenstern standen,
um ihre Geliebten oder Brüder vorübergehen zu sehen. Wir gaben uns dann
alle Mühe, um in geraden Gliedern zu marschiren. Und der Marschall ritt
voran, mit seinem Stern auf der Brust, und bei feierlichen Gelegenheiten
mit dem Ordensbande über der blauen Uniformjacke.

Doch Horaz und Baggesen sagen:

                 »_Naturam furca pellas ex_,
                 Sie kommt doch wieder, die arge Hex'.«

Es war nicht so leicht, die lebhaften Jünglinge Alle in Ordnung zu
halten. So hatten wir einmal den Verdruß, daß einige Kameraden, in den
letzten Gliedern, mitten auf der Straße stehen blieben, um Aepfel von
einer Fruchthändlerin zu kaufen. Noch größeren Aerger hatte man mit
halbgebildeten Soldaten, welche verlangten, daß der Offizier ihnen den
Grund zu alle Dem sagen solle, was commandirt wurde, und die noch nicht
begreifen konnten, daß zur Kriegszucht der augenblickliche Gehorsam
gehört.

Eines Nachmittags übten wir uns auf dem Felde im Schießen. Ein junges
Blut hatte sein Gewehr geladen, aber es vergessen, den Ladestock wieder
aus dem Lauf zu ziehen, und stand nun, mit der freundlichsten Miene von
der Welt, und zielt auf den Marschall. Glücklicherweise bemerkte dieser
es bei Zeiten, schlug das Gewehr bei Seite und rief: »Mein Herr! Wenn
Sie Ihr Gewehr geladen haben, sollen Sie den Ladestock herausziehen.
=Ich will Ihnen den Grund sagen=: Weil Sie sonst den Anführer durch den
Leib schießen!«

Diese geniale Gedankenlosigkeit, die sich, wie man behauptet, besonders
der Künstler und Gelehrten bemächtigt, und zu deren Ehre Baggesen eine
Ode geschrieben hat, hatte sich auch einige Mal meiner bemächtigt.
Wir sollten Carré formiren; der Anführer ruft dann: »Bataillon«; der
Fahnenjunker läuft acht Schritte vor, und nach ihm bildet sich die
Colonne. Der Marschall rief also: »Bataillon«! Aber ich stand in
Betrachtungen vertieft, und rührte mich nicht von der Stelle. Plötzlich
hörte ich ihn rufen: »Oehlenschläger!« Erschreckt erwache ich, laufe
zwölf, vierzehn Schritte vor, um das Versäumte wieder gut zu machen, und
das ganze Bataillon hinter mir her.

Ein andres Mal hatte ich den Fahnengurt umzuhängen vergessen; ich
mußte die Fahne die ganze Zeit hindurch nur mit den Händen tragen;
gerade deßhalb, glaube ich, blies ein heimtückischer Sturm den ganzen
Nachmittag, und der noch schwächliche Fahnenjunker wäre fast umgeworfen
worden.

Zu unseren Märschen und Uebungen hörten wir immer schöne Musik. Die
Mitglieder der königlichen Kapelle hatten sich selbst angeboten, unsere
Hautboisten für das erste Bataillon zu sein. Das zweite Bataillon
bekam die Hautboisten der Leibgarde. Komisch war es im Anfange, wie
die Virtuosen der Kapelle es diesen nicht gleich machen konnten, weil
sie nicht darin geübt waren, unter freiem Himmel im Gehen zu blasen;
vielleicht auch, weil Einige, die gewöhnt waren, Violine und Baß zu
spielen, sich auf Blaseinstrumenten versuchten. Aber es währte nicht
lange, so hatten sie den Handgriff weg.

An einem schönen Sommertage, als das Vaterland wieder Frieden hatte,
wurden wir Sr. Königlichen Hoheit dem Kronprinzen vorgestellt. Er war
mit unseren Fortschritten zufrieden, und lobte uns. Wir wurden auf dem
Felde mit Wein und Backwerk tractirt. Junge Damen aus der Stadt kamen
heraus und tanzten auf dem Felde mit den Studenten. Die Alten standen in
großen Kreisen als frohe Zuschauer umher. Alles war nun Lust und Freude!

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Friedliche Beschäftigungen.]

Nun kehrten wir zu unseren friedlichen Beschäftigungen zurück. Ich kam
jeden Tag zu meinem Freunde und Leiter A. S. Oersted; das dänische Recht
hatte ich repetirt, das Naturrecht ebenso, aber das römische Recht war
noch durchzumachen. Collegien besuchte ich nicht mehr viel, doch hörte
ich einige Mal Schlegel. Mit Oersted's aß ich Mittags bei ihrer Tante,
Madame Möller; dort saßen die jungen Gelehrten und Schöngeister von
einem Haufen Bürgersleuten umringt, die uns oft lebhaft an die Personen
in Holberg's Comödien erinnerten. Oft las -- oder richtiger gesagt --
spielte ich fast ein ganzes Stück von Holberg mit veränderter Stimme zur
Unterhaltung vor dieser gemischten Gesellschaft. Besonders amüsirte mich
in diesem Kreise der alte pedantische Schullehrer, der Erste, der mich
davon überzeugte, daß eingewurzelte Lächerlichkeit nicht durch Comödien
geheilt werden könne. Wir führten nämlich einmal wirklich den Erasmus
Montanus auf; ich gab den Küster Peer und copirte den Schulmeister
so gut, daß die ganze Gesellschaft ihn wieder erkannte. Er war auch
gegenwärtig, erkannte aber meine Copie nicht, da er sein eignes Original
nicht kannte. Er war sehr zufrieden mit meinem Spiel, als das Stück
beendet war, und lobte Holberg, der so gut unwissende, bornirte Pedanten
geschildert habe.

[Sidenote: Privat-Theater.]

Ein norwegischer Student Bull, später Justitiarius in Norwegen, sollte
im Hause mit mir zusammen wohnen; wir vereinigten uns, und Madame
Möller überließ uns noch den Saal neben meiner Kammer. Sie fand sich
gern darein, daß wir zuweilen Comödie spielten, und gab mir selbst die
Bettlaken, die ich dann mit kleinen Nägeln an den Fenstern festmachte,
um gegen das Frühjahr hin ein künstliches Dunkel aus dem Theater
hervorzubringen. Nur ein Mal, als wir »Liebe ohne Strümpfe« spielten
und das Stück etwas stockte, weil Jesper seine Rolle nicht konnte, und
ich, als Mads, in der Verzweiflung, um die Pause auszufüllen, das neue
Psalmenbuch hervornahm und in meinem jugendlichen Uebermuthe zu singen
anfing: »Wenn uns die höchste Trübsal naht!« tadelte sie uns auf eine
gutmüthige, mütterliche Weise, indem sie zu den Anderen sagte: »Sie
lachen selbst darüber!«

Während einer der Proben zu diesen Vorstellungen wurde ein Glasarm von
einem Kronleuchter abgeschlagen. Eine alte Frau, die im Hause wohnte,
bezahlte einen Thaler, um einen neuen anzuschaffen, wollte aber, daß ich
als Director ihr dieses Geld wiedergeben solle. Da ich nun nicht das
Unglück angerichtet und niemals einen Schilling übrig hatte, ließ ich
sie mich vergebens mahnen; und es amüsirte uns Alle, wenn sie täglich
über Tisch auf mich wegen des Thalers stichelte, den sie gut zu haben
glaubte. Die arme Frau hatte viele Jahre darauf ein trauriges Schicksal;
denn sie fiel eines Tages vom Stuhl, als sie ihr Mittagsschläfchen
halten wollte, und dies wurde ihr Tod.

Oersted's assistirten auch, wenn wir Comödie spielten, aber das ist
nicht ihr Fach; besonders hatte A. S. Oersted kein Geschick dazu,
selbst zu kleinen Rollen konnte ich ihn nicht gebrauchen; und als ich
ihm einmal den Mathias in den Jägern einstudirt und gesagt hatte: »Nun
kommst Du, die Hände nachlässig auf dem Rücken, herein«, hatte er sie so
in einander verschlungen, daß er sie beinahe nicht wieder auseinander
gebracht hätte.

In Madame Möller's Hause wohnte eine alte taube Frau, die ihre ganze
Liebe auf einen Schooshund geworfen hatte. An einem warmen Sommertage
sperrte ich den Hund in den kühlen Ofen ein. Sie konnte ihn nicht bellen
hören, ging umher und suchte vergebens. Endlich befreite ich den Hund in
ihrer Gegenwart aus seinem Gefängnisse. Die alte Frau wurde sehr böse,
obgleich wir sonst die besten Freunde waren, und sagte: »Das rathe ich
Ihnen, daß Sie mir nicht wieder den Hund zum Narren halten!«

Man sieht, daß die Lust, Comödie zu spielen, bei mir von Neuem erwachte,
als ich mein eigner Herr geworden war und ich es zu meinem Vergnügen
thun konnte; ich trat auch in Borup's Gesellschaft ein, spielte aber
nicht oft dort, sondern größtentheils nur in häuslichen Kreisen, wo ich
selbst der Geist des Ganzen sein konnte.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Die Gebrüder Mynster.]

In Dreyer's Klub war eine große Punschbowle, die bei gewissen
feierlichen Gelegenheiten geleert wurde. Zu diesen Trinkgelagen waren
die meisten guten Trinklieder, namentlich Rahbek's, verfaßt. Ich war
eine Zeitlang oft Vorsänger und trank mit den Anderen, obgleich das
Trinken niemals meine Sache war; aber die begeisternde Geselligkeit und
der Gesang erfreuten mich. Auf diese Weise kam ich auch in eine nähere
Bekanntschaft mit mehreren älteren, ausgezeichneten Männern, welche ich
sonst nicht sobald oder nicht so genau kennen gelernt haben würde. Unter
diesen waren die =Gebrüder Mynster= und =Bentzon=. Der Doctor, später
Professor, Ole Hieronymus Mynster, war ein Jahr vorher mein Lehrer
in der Naturgeschichte in der Schule für die Nachwelt gewesen. Ein
vortrefflicher Kopf, voll von Humor, Verstand und Witz, ebenso wie sein
Bruder, der jetzige Bischof Jakob Peter Mynster; doch war dieser stiller
und gelehrter. Meine erste Bekanntschaft mit Jakob war gleich heilend,
wenn auch für den Augenblick schmerzlich. Wir trafen, wie gesagt, in
Dreyer's Klub zusammen, wo die Rede auf meinen Held Lafontaine kam,
den Mynster so stark und scharf tadelte, daß mir die Thränen in die
Augen kamen. Er hat mir später erzählt, daß es ihm herzlich leid that,
als er sah, wie tief es den armen jungen Menschen schmerzte, dessen
Gesicht er gleich gern mochte. -- Indessen riß er mir das Band von den
Augen, und überzeugte mich, daß in den Lafontaine'schen Romanen nicht
Das lag, was ich bisher darin zu finden geglaubt hatte. Bentzon, der
kurz darauf Regierungsrath und später Generalgouverneur in Westindien
wurde, war ein junger, kräftiger Mann, obgleich er hinkte. Er hatte ein
schönes Gesicht, seltene Kenntnisse, viel Scharfsinn, aber kein feines
Gefühl. Er war übrigens im Umgange lebenslustig, freundlich gegen seine
Freunde, bewunderte jedes Talent, achtete jede Tüchtigkeit. Gegen die
Mittelmäßigkeit war er unbarmherzig, grob gegen die Eingebildetheit,
im Ganzen genommen etwas arrogant, und in späterer Zeit etwas geizig.
Was Wunder, daß er Feinde zu Dutzenden bekam, besonders als er durch
Schimmelmann in jungen Jahren sein Glück machte. Aber er kümmerte sich
nicht sehr darum.

Er war jedoch nicht ohne Eitelkeit, besonders verdroß es ihn, daß
er hinkte; und obgleich er lächelte, wenn O. H. Mynster auf seine
scherzende Weise sagte: »Da kommt der lahme Bentzon!« ärgerte es ihn
doch. -- Da er aber gewöhnlich so hochfahrend war, freute es uns, ihn
auf diese Weise etwas zu demüthigen. Eines Tages ging ich mit ihm vor
dem Thore spazieren. »Oehlenschläger!« sagte er, »sage mir aufrichtig,
hinke ich sehr? ist es sehr zu bemerken?« -- »»Nein!«« entgegnete ich,
»»wenn Du still stehst, merkt man fast gar Nichts.«« Diesen Zug habe ich
später in meinem Fragment =Knud Lavard= benutzt.

[Sidenote: Bentzon.]

Bentzon hatte ein paar Jahr vor unserer Bekanntschaft eine ästhetische
Preismedaille gewonnen. Er hatte sehr viel Sinn für das Derbe und
Tüchtige in der Poesie; das Flache und Trivielle verachtete er. Er
verstand gut Griechisch, und liebte die Genialität in den griechischen
Werken. Goethe, dessen Geist in seinen späteren Jahren eine antike
Richtung genommen hatte, bewunderte Bentzon besonders in solchen Werken,
in denen sich dies aussprach. Sehr viel Gewicht legte er auf folgende
Goethe'sche Verse:

   Also das wäre Verbrechen, daß einst Properz mich begeistert,
   Daß Martial sich zu mir auch der Verwegne gesellt;
   Daß ich die Alten nicht hinter mir ließ, die Schule zu hüten;
   Daß sie nach Latium gern mir in das Leben gefolgt;
   Daß ich Natur und Kunst zu schauen mich treulich bestrebe;
   Daß kein Name mich täuscht, daß mich kein Dogma beschränkt;
   Daß nicht des Lebens bedingender Drang mich den Menschen verändert,
   Daß ich der Heuchelei dürftige Maske verschmäht?
   Solcher Fehler, die Du, o Muse! so emsig gepfleget
   Zeihet der Pöbel mich; Pöbel nur sieht er in mir.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Wilhelm Meister.]

J. Mynster hatte mich also von der falschen Sentimentalität geheilt,
und Bentzon mich auf das tüchtige Objective aufmerksam gemacht. Das
war Alles ganz gut, aber nicht genug; ich bedurfte wieder Etwas für
das Herz. -- Der herrliche Wilhelm Meister hatte mich sehr erquickt;
besonders, da ich mich -- wenn nicht von der Seite des Characters,
so doch von der Seite der Ereignisse -- in so naher Verwandtschaft
mit Wilhelm Meister fühlte, daß ich oft in den ersten Büchern meine
eigne Lebensbeschreibung zu lesen glaubte. Das Marionettspiel, die
Characterschilderung von Mariane, Philine, die Abenteuer mit den
Schauspielern und Seiltänzern erfreuten mich unendlich. Den Besuch
bei dem Grafen und der Gräfin, den närrischen, protegirenden Baron
mochte ich auch sehr gern. -- Aber Jarno und Lothario waren mir zu
kalt vornehm. Es gefiel mir nicht, daß Wilhelm sich von den steifen
und stolzen Formen der Convenienz imponiren ließ; besonders da ich die
Absicht bei dem Dichter zu bemerken glaubte, der vornehmen Welt das Wort
zu reden. »Die Bekenntnisse einer schönen Seele« machten mich oft an
meine Mutter denken; -- deßhalb waren sie mir lieb, obgleich ich mich in
dieser Welt nicht recht zu Hause fand. Unendlich dagegen entzückte mich
der Harfenspieler und Mignon; in ihren herzergreifenden Liedern erkannte
ich ganz den =ersten= Göthe, in ihrer Schilderung den vollendeten
Meister wieder.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Jean Paul.]

Aber meine nach Liebe dürstende Seele konnte sich mit diesen classischen
Dichtungen nicht begnügen; ich bedurfte eines unendlichen Dichtermeeres,
in dem mein Geist sich wiegen und in Ahnung, Sehnsucht und Wehmuth,
in Laune und Uebermuth taumeln konnte; und dies fand ich, als O. H.
Mynster mich mit Jean Paul bekannt machte -- und ich seinen Hesperus,
Siebenkäs und das Campanerthal gelesen hatte. Freilich mußte ich mich
hineinarbeiten; viele Gleichnisse und Anspielungen verstand ich nicht;
ich mußte über Haiden gehen, durch Moräste waten, und Dornengebüsche
durchbrechen, um zu den schönen Oasen zu gelangen, welche mitten in
der Wüste der Weitläufigkeit lagen. Aber wenn ich nun dort stand, wie
labte mich die Quelle, wie belohnt fühlte ich mich. Jean Paul hat
ausgesprochen, was kein anderer Dichter auszusprechen wagt. Oft beginnt
er da, wo Andere schweigen, und setzt seine Rede fort, bis sie gleich
himmlischer Musik in den Wolken verschwindet. Welche Kenntniß von
Allem, welch tiefer Blick in das menschliche Herz, welch schöne Liebe
für alles Schöne! Er hat sich an eine ermüdende Manier gewöhnt, die ihm
zur andern Natur geworden und wohl auch ursprünglich aus seiner eignen
hervorgegangen ist; aber er sollte sie gebildet und eingeschränkt haben,
denn auch des Humoristen extravagante Natur läßt sich bilden, ohne das
Characteristische zu verlieren. -- Wie freuten mich seine komischen
Figuren, seine Personen, die ungeachtet aller subjectiven Eigenheiten
der Darstellung doch objective Wahrheiten behalten. Der Caplan, Victor,
Flamin, Mathieu, die holde Clotilde, Leibgeber, Agathe, Stiefel. --
Seine Characterzeichnungen erinnerten mich oft an das Bild eines Königs,
das ich in meiner Kindheit gesehen hatte; es bestand aus lauter kleinen
Sechsen, wenn man es genauer betrachtete, und war doch ähnlich. --
Freilich flattert Jean Paul allzusehr in der Morgen- und Abendröthe
umher, verliert sich allzu oft in der Milchstraße und den Nebelsternen;
doch lohnt es sich wohl der Mühe, mit diesem Luftschiffer in dem
poetischen Ballon in die Höhe zu steigen, wenn man auch zuweilen Nichts
vor lauter Wolken sieht und von den Nebeln durchnäßt wird. Wie viele
schöne Morgen- und Abendstunden habe ich nicht mit ihm in dem kleinen
Garten meines Vaters unter dem Kirschbaume zugebracht, der seinen weißen
Blüthenschnee auf die Blätter des Buches streute. Wie oft habe ich nicht
seinen Namen auf dem Titelblatte bei der Lectüre seiner herrlichen
Schilderungen geküßt; eine Gewohnheit, die ich stets habe, wenn ein
Verfasser mich hinreißt.

                    *       *       *       *       *

O. H. Mynster selbst hatte Jean Paul's Bekanntschaft in Wien gemacht und
ging in den ersten acht Tagen fast nicht aus dem Hause, um vom Morgen
bis zum Abend in seinen Werken lesen zu können, obgleich ihm diese große
österreichische Hauptstadt noch ganz fremd war.

                    *       *       *       *       *

Göthe sagt in einem seiner Briefe an Schiller: »Wenn man nicht sowohl
von Werken, wie von Handlungen, mit liebevoller Theilnahme, mit einem
gewissen poetischen Enthusiasmus spricht, so werden sie so vollständig
zu Nichts, daß es nicht der Rede werth ist. Lust, Freude, Theilnahme
an den Dingen ist das einzige Reale, das wieder Realität hervorbringt,
alles Uebrige ist nur leer und eitel.«

Deßhalb, lieber Leser, suche ich jedes Mal, wenn ich von einem neuen
Verfasser spreche, Dir meine Gefühle und die Freude auszudrücken,
welche die Lectüre seines Buches mir bereitete; denn das ist ein
wichtiges Stück meines geistigen Lebens. Du wirst leider nur allzu oft
vortreffliche Werke auf den Tischen der kritischen Anatomen finden;
sie schneiden einen großen Mann auf, um den Zuschauern die Breimasse
zu zeigen, mit der er gedacht, den kalten Fleischklumpen, mit dem
er gefühlt hat. Aber ich glaube, daß auch ein Kritiker Zeichen von
Phantasie und Herz geben muß, und wer das nicht kann und doch kritisirt,
kritisirt eben ohne Verstand. Man muß mit Geist von Geist, mit Witz
von Witz, mit Phantasie von Phantasie, mit Verstand von Verstand,
mit Kenntnissen von Kenntnissen sprechen. Sonst ist es Nichts! Ein
Kritiker soll auch Künstler, Schöngeist, ein edler Mensch sein. Seine
Untersuchung von dem Schönen muß selbst schön, von dem Edlen selbst edel
sein, sonst bringt er ein Dunkel hervor, während er Andere aufklären
will; er zerbricht das Kunstwerk mit plumpen Händen, wundert sich dann
darüber, daß es keinen Zusammenhang hat, und trägt mehr, als irgend
Einer zur Schiefheit der Gedanken und Gefühle und zur Verwirrung in der
geistigen Welt bei.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Erwachendes Selbstgefühl.]

Während ich nun mehrere solch' herrliche Bücher las, ging es mir, wie
Correggio, der das Raphael'sche Bild sah und ausrief: »_Anch'io son'
pittore_!« oder wie der gute Hans Sachs in Göthe's Holzschnitt:

                 »Er fühlt, daß er eine kleine Welt
                 In seinem Gehirne brütend hält;
                 Daß die fängt an zu wirken und leben,
                 Daß er sie gern möchte von sich geben.«

Dieses Gefühl äußerte sich auf eine wunderbare, fast komische Weise
eines Abends bei Oersteds, als der Physiker, das Doctor-Examen gemacht
hatte, und einige junge und ältere Männer der Wissenschaft bei ihnen
waren. Sie sprachen zuerst über verschiedene gelehrte Dinge. Ich saß
still in einem Winkel, leerte zuweilen mein Glas, füllte die Gläser der
Anderen und ließ sie reden; wie ich überhaupt selten laut in großen
Gesellschaften bin. -- Nun kam endlich auch die Dichtkunst an die Reihe,
und in Bezug hierauf äußerte eine barmherzige Seele ihr Mitleid mit der
dänischen Dichtkunst, daß sie seit Ewald's Zeiten so außerordentlich
gesunken wäre. Bei diesen Worten erfüllt mich Geist und Feuer, ich stehe
rasch auf, trete mitten in den großen Kreis, sehe ihnen Allen kühn und
stolz in die Augen und rufe, indem ich mit geballter Faust auf den
Tisch schlage: »Ja, es ist wahr, sie ist gesunken, aber sie soll sich,
hol' mich der Teufel, wieder erheben.«

Ich hatte damals noch nichts Andres drucken lassen, als einige Lieder
und ein kleines Stück: »der zweite April«, eine dramatische Situation,
wie ich es nannte. Ich durfte mich nicht beleidigt fühlen, wenn mich
die ganze Gesellschaft ausgelacht hätte; aber mochten sie mich nun aus
Gutmüthigkeit nicht demüthigen, oder glaubten sie vielleicht, in dem
Kerl muß doch Etwas stecken; -- genug, sie schwiegen, blickten mich
verwundert an, und nicht einmal ein spöttisches Lächeln strafte mich.
Aber dieser Hochmuth war gerade allein geeignet, mich zu demüthigen; ich
schlich mich wieder in meinen Winkel zurück und fühlte, daß ich eine
Dummheit begangen hatte. -- Aber Oersteds, meine Freunde, betrachteten
es als eine Prophezeihung. Wir glaubten schon damals gegenseitig von
einander, daß Jeder von uns in seinem Fache es weiter als bis zu dem
Gewöhnlichen bringen würde.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Lustige Streiche.]

Wenn ich nun im Klub war, und die große Bowle geleert wurde, so füllten
die Anderen zuweilen tüchtig mein Glas, weil sie bemerkt hatten, daß
meine Schüchternheit und mein Schweigen verschwanden, und daß ich
lustig und gesprächig wurde, wenn ich einige Gläser getrunken hatte.
Eines Abends auf der Straße, als wir aus dem Klub gingen, beschuldigte
mich Einer im Scherz, daß ich einen Rausch hätte. Ich bat gleich die
forteilende Schaar, einen Augenblick zu warten und rief: »Meine Herren,
hier muß eine Ehrensache entschieden werden, ehe wir weiter gehen. Mein
Freund dort beschuldigt mich, betrunken zu sein; um ihm und Euch Allen
nun meine Nüchternheit zu beweisen, werde ich an jener Leiter, die dort
hängt, auf den Laternenpfahl hinaufklettern und Euch eine Rede halten!«

Es war dem Klubhause schräg gegenüber, auf einem Platze mit Planken
eingefaßt, wo die abgebrannte Synagoge gestanden hatte. Ich weiß nicht,
ob es Mangel an Geld oder an Gottesfurcht gewesen war, der die Gemeinde
gehindert hatte, die Synagoge wieder aufzubauen. Aber so viel ist gewiß,
daß daselbst nur ein Plankenwerk mit einem Laternenpfahl stand, an
dem sich nicht einmal eine Laterne, wenigstens nicht an diesem Abend,
befand. An der senkrecht hängenden Leiter kletterte ich also hinauf und
stand oben auf dem kleinen Quadrat des Laternenpfahls, um zu beweisen,
daß ich keinen Rausch hatte; ein handgreiflicher Beweis dafür, daß ich
gerade einen hatte, denn nüchtern wäre ich bestimmt herabgefallen, wie
ein Nachtwandler vom Dache, wenn man seinen Namen ruft. Wie ich nun da
oben stand und zur Erbauung der rund umher Versammelten redete, kam
der Wächter und fragte: »was ich da zu thun hätte?« -- Ich antwortete
ruhig: »»Ich studire Astronomie!«« Nun wollte er Lärm machen; aber meine
Zuhörer, unter denen mehrere Offiziere waren, riethen ihm, einen jungen
Menschen nicht in seinen Studien zu stören. Er ging seiner Wege, und ich
stieg glücklich wieder herunter, ohne mir Hals und Beine zu brechen.

[Sidenote: Der Dichter Pram.]

In Dreyer's Klub machte ich die Bekanntschaft des Dichters =Pram=,
eines feurigen Norwegers, voller Geist und Herz, mit großen Talenten,
der sich aber mit zu vielen Dingen abgab, als daß er es in irgend einem
zur Vollkommenheit hätte bringen können. Er schrieb nicht nur lyrische
und epische Gedichte, heroische Dramen und Komödien, Singspiele und
prosaische Erzählungen, sondern auch große, statistische Abhandlungen;
er war Oekonom im Commerzcollegium, politischer Schriftsteller in der
Minerva und opferte viel Zeit finanziellen Berechnungen. In Allem, was
er unternahm, sah man den Mann von Kopf; aber da er so rasch arbeitete,
hatte er, wie Madame Sevigné (und ich glaube Plinius vor ihr) sagt,
nicht Zeit kurz zu sein, sondern drückte sich gewöhnlich weitläufig
in schwerfälligen Perioden und Parenthesen aus. Ueberhaupt schien er
nicht von der Natur das Talent bekommen zu haben, sich mit Leichtigkeit
auszudrücken. In seinem epischen Gedichte Stärkodder stehen besonders
die holprigen Verse und die Weitläufigkeiten vielen einzelnen
Schönheiten im Lichte. Man reist, wie früher, auf dem Steindamme von
Hamburg nach Lübeck. In einigen seiner Theaterstücke und Novellen sind
gute Scenen und Stellen, in denen sich die dänische Nationalität mit
Humor äußert. Sein Gedicht =Emiliens Quelle= ist mir stets als das
hübscheste erschienen.

Dieser vortreffliche Mann kam mir gleich freundlich und vertraulich
entgegen. Wir mußten auch Brüderschaft mit einander trinken. Ich habe
keinen Menschen gekannt, der einen so hohen Grad von Gutmüthigkeit
und Wohlwollen mit einer so aufbrausenden Heftigkeit vereinigt hat.
Aber er meinte nichts Böses damit, und wer ihn kannte, betrachtete
sein Lärmen, wie das Klappern einer Mühle, während das nährende Korn
dabei gemahlen wird. Freilich konnte Der, der den sausenden Flügeln zu
nahe stand, zuweilen auf eine tüchtige geistige Ohrfeige rechnen. Er
hatte keinen Freund, dem er nicht die Thür gewiesen und mit Prügeln
gedroht hätte; und er hatte doch viele Freunde, und war von Jedem,
der ihn kannte, herzlich geliebt. Alles Inländische von einigem Werth
schätzte er hoch; aber er war, wie die meisten Dichter damals, aus der
französischen Schule und tadelte eifrig Göthe und Schiller; Lafontaine
und Kotzebue ließ er dagegen gelten, weil sie keine Opposition gegen den
französischen Geschmack bildeten. Hat man nicht auch in Paris lange Zeit
Kotzebue Göthen vorgezogen? Und Menschenhaß und Reue und die zwei Brüder
wurden im _Théâtre français_ gespielt, beweint und beklatscht; eine
Ehre, die kaum Göthe zu Theil werden wird.

Ich hatte eine kleine nordische Erzählung, die sich jetzt, durchaus
umgearbeitet, in Hroar's Sage befindet: =Erik und Roller=, geschrieben
und wollte gern Pram's Urtheil darüber hören. Er bestimmte mir einen Tag
zum Vorlesen. Ich kam zur festgesetzten Zeit, fand ihn aber nicht zu
Hause. Einige Tage darauf besuchte ich ihn wieder, ohne das Manuscript
mitzubringen. Ich begrüßte ihn freundlich und sagte ihm bescheiden und
ohne Vorwurf, daß ich vorgestern nach seiner Erlaubniß bei ihm gewesen
sei, ihn aber nicht getroffen habe. -- »Was?« rief er aufgebracht, --
»willst Du auf mich sticheln weil ich nicht zu Hause war? Dann geh'
wieder und fahr' zur Hölle!« -- Ich bedachte mich einen Moment, was
ich antworten sollte. In demselben Augenblick kam das Mädchen herein
und stellte eine Tasse Kaffee für ihn auf den Tisch. »»Nein,«« --
antwortete ich nun ruhig, -- »»ich gehe nicht, sondern ich bleibe hier
und trinke Kaffee mit Dir!«« -- »Das kannst Du auch!« -- antwortete er
gleich wieder freundlich gestimmt, indem er mir die Hand zur Versöhnung
reichte; und zum Mädchen sagte er: »Bring' dem Herrn da auch eine
Tasse!« So hatte ich auf eine freundliche Weise den guten Pram darauf
aufmerksam gemacht, daß er mein Wirth sei, und sich davor hüten müsse,
die schöne Pflicht der Gastfreundschaft zu übertreten. Nun waren wir
wieder Freunde, aber von der Novelle sprach ich nicht mehr, habe ihm
auch nie wieder Etwas von meinen poetischen Producten vorgelesen;
dagegen erwies er mir späterhin oft die Ehre, meinen ästhetischen
Vorlesungen beizuwohnen.

[Sidenote: Deutsche Schriftsteller in Dänemark.]

Die Tragödien des unsterblichen Schiller setzten alle Kenner in
Erstaunen. Bekanntlich waren der Herzog von Augustenburg und Graf
Schimmelmann seine Wohlthäter; er sandte ihnen daher stets seine Stücke
im Manuscript, ehe sie gedruckt wurden. Man las sie in einem gebildeten
Kreise vor und beurtheilte sie, und auf diese Weise hatte Schiller hier
in Kopenhagen einige seiner ersten Bewunderer. Aber dies waren Deutsche!
Die Dänen fingen erst später an, ihn zu verstehen und zu genießen. Alles
muß seine Zeit haben; selbst das Licht bedarf langer Zeit, um seine
Strahlen von den Fixsternen zu den Planeten zu senden; und erst jetzt
beginnt man ja in Frankreich und England Deutschlands großen Geistern
Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen.

Die älteren dänischen Schriftsteller, besonders Thaarup und Pram,
konnten Göthe und Schiller nicht leiden. Rahbek mochte damals nur den
=ersten= Göthe, wie er ihn nannte, den Verfasser Werther's, Götz' von
Berlichingens, Stella's und Clavigo's. Von Schiller liebte er damals nur
die Räuber, Fiesco und Cabale und Liebe. Später hat er selbst Wilhelm
Meister und mehrere Stücke übersetzt. Baggesen (den wir fürs Erste nicht
mehr zu den Dänen rechnen durften) bewunderte Schiller; aber gegen Göthe
hatte er einen eingewurzelten Haß, der wohl für den Augenblick gedämpft
wurde, aber bald wieder aufs Neue ausbrach; welches sein Faust beweisen
kann, wenn er ohne spätere Veränderungen gedruckt wird.

Ein junges Blut wie ich, hatte also genug zu thun, um seine, noch nicht
durch philosophische Klarheit befestigten Ansichten im Umgange mit
Aelteren zu äußern und zu vertheidigen, deren Gespräche stets seine
liebsten Gefühle verletzten. Mit Pram disputirte ich zuweilen, bis er
rasend und ich hitzig wurde. -- »Höre,« sagte er einmal, als wir von
Schiller sprachen, »wenn ich einem deutschen Unteroffizier sage: Du
sollst mir so ein Stück schreiben, wie Wallenstein, und der Schlingel
es nicht in vierundzwanzig Stunden thut, so hat er siebenundzwanzig
Stockprügel verdient!« Nun brach ich in ein Lachen aus, legte die Hand
auf seine Schulter und sagte: »»Lieber Pram, und wenn man Dich todt
schlüge, Du könntest nicht eine einzige solche Scene schreiben.«« --
»Das ist, meiner Treu, sehr möglich,« sagte er nun ganz freundlich; »ich
habe auch nicht von mir gesprochen.« Er brach auch eigentlich nicht in
Zorn gegen Schiller aus, sondern nur gegen mich, den Jüngern, der ihn,
den Aeltern, hofmeistern wollte.

Niemals schrieben Pram und Thaarup eine Zeile gegen die großen deutschen
Dichter; sie machten nur zuweilen unüberlegt ihrer bösen Laune in Worten
Luft. Bedenkt man dagegen, wie unverschämt und einfältig der Holländer
Bilderdyck von den großen deutschen Meistern gesprochen hat, so stehen
die Dänen im Vergleich zu ihm mit der Palme in der Hand da.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: O. H. Mynster.]

Mein einziger Trost bei all' diesen ästhetischen Anfechtungen waren
Mynsters. Diese, von einem ganz anderen Glauben, liebten Göthe und
Schiller sehr und waren bereits in das Heiligthum eingetreten, um ihre
zartesten Schönheiten zu fühlen.

Hieronymus Mynster hörte mit Geduld meine Verse an, und als Ersatz
ließ ich sie ihn corrigiren, es amüsirte ihn und seine Bemerkungen
waren größtentheils richtig. -- Wenn ich ihn des Morgens auf dem
Friedrichshospital besuchte und er frisirt wurde, wie es damals Gebrauch
war, fand ich ihn zuweilen in komischer Unterhaltung mit seinem Friseur,
einem ehrlichen Kerl, den er gern mochte, aber doch immer neckte. Oft
sagte Mynster =Ihr= zu ihm, bloß weil er wußte, daß der Andere aus
honnetter Ambition auch Ihr sagen würde; denn trotz seiner Ehrerbietung
vor Mynster glaubte er doch, daß er seiner Ehre solche Repressalien
schuldig sei. Zuweilen wollte derselbe Mann wissenschaftliche Kenntnisse
verrathen, wo er deren nicht besaß, und das amüsirte Mynster am Meisten.
Sie sprachen eines Tages davon, wie viel Grad es in der vorigen Nacht
gefroren habe. »Herr Doctor,« fiel nun der Friseur Mynster in's Wort,
-- »Grad -- sind das nicht fünfzehn Meilen?« »»Ja, sehr richtig,««
antwortete Mynster ganz ernst.

Er und sein Bruder Jakob, oder wie er ihn nannte, Job, schrieben Beide
sehr hübsche Verse, sowohl dänische wie deutsche, in denen immer etwas
Originelles und Geschmackvolles war; aber sie ließen Nichts drucken.
-- »Oehlenschläger!« sagte Hieronymus eines Tages zu mir, als ich ihn
besuchte, »ich habe eine Gespenstergeschichte geschrieben, willst Du sie
hören?« -- »»Ja, mit dem größten Vergnügen!«« -- »Nun dann setze Dich!
ich will sie Dir vorlesen, sie ist nicht lang, aber erschütternd!« --
»»Lies, bester Freund! ich bin ganz Ohr!«« -- Er las:

»Es war Mitternacht! Der Mond warf sein schwaches Licht auf die
Marmorbrücke; die eingehüllte Gestalt mit dem Korbe unter dem Arm konnte
nicht weiter gehen. Sie setzte den Korb auf den Rand der Brücke und
schaute mit ängstlichem Blick umher, ob Jemand in der Nähe sei. Nur der
Mond blickte mitleidig auf das schöne todte Kind« -- --

»Ja, weiter bin ich nicht gekommen,« sagte Mynster ganz phlegmatisch,
indem er sich erhob, legte das Blatt fort und ließ mich voller Erwartung
mit offenen Augen und Ohren dasitzen. Das machte ihm nun Spaß.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Der Componist Weyse.]

Wer damals nie meine Erwartung täuschte, wenn ich ihn zu Hause fand, war
der Componist =Weyse=. Wir besuchten uns gern und es that uns nur leid,
wenn wir uns verfehlten. Eines Tages, als ich ausgegangen war, fand ich
mit großen Kreidebuchstaben an die Thür geschrieben:

                  Oehlenschläger ist nicht zu Hause,
                  Sitzt vielleicht bei einem Schmause.
                  Weh' mir, rief ich, zehnfach Weh'!
                  Erde zittre, Welt vergeh'!

Weyse sprach damals noch meistens deutsch, und es amüsirte ihn, lustige
deutsche Knüttelverse zu machen. Sein Humor war sehr angenehm. Er hatte
eine alte, taube Haushälterin, der er auf eine komische Weise ins Ohr
schrie, wenn er ihr Etwas aufzutragen hatte. Sie schrie wieder ärger
als ein Papagey; und dieses entsetzliche Lärmen war oft der Vorläufer
zum schönsten Adagio, wenn er sich ans Fortepiano setzte. Seine schöne
Melodie zu Thecla's Lied im Wallenstein: »Der Eichwald brauset,« riß
mich hin, und ich benutzte sie später im Sct. Hansspiel. Er hatte
begonnen, Bretzner's Schlaftrunk zu componiren, spielte mir viele
herrlichen Nummern daraus vor, und ich versprach ihm, dasselbe für die
dänische Bühne umzuarbeiten.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Schriftstellerische Versuche.]

In den Stunden, in denen ich nicht Jura studirte oder Latein las,
beschäftigte mich besonders die altnordische Mythologie und Geschichte.
Ich las Snorro Sturlesön und Saxo Grammaticus, um Stoff zu einer
Tragödie oder einem heroischen Drama zu finden. Harald Schönhaar's
Geschichte, wo er die Kleinkönige bezwang, um die schöne Gyda zu
gewinnen, schien mir vortrefflich dazu geeignet, obgleich es nur Stoff
zu einer Reihe von Episoden hätte geben können. Einige solcher Episoden
schrieb ich, deren eine, von Herlaug (der sich lebendig begraben läßt,
um nicht von Harald besiegt zu werden) selbst fast ein Ganzes ausmachte.
Ich zeigte sie Sander. Er lobte, wie gewöhnlich, rieth mir aber auch
zugleich, wie gewöhnlich, Nichts drucken zu lassen.

Ganz konnte ich dem Verfassergelüst doch nicht widerstehen. Ich hatte
einen Musenalmanach =Siofna= herausgegeben, in dem eine Uebersetzung
von Wieland's komischer Erzählung »der Fischer« den größten Theil
ausmachte. Ich schrieb sie während eines Nervenfiebers, das auch bald
wieder vorüber ging. Von meiner nordischen Erzählung: Erik und Roller
hatte ich mehrere Bogen drucken lassen; Anton Wall's: Adelaide und Aimar
hatte ich übersetzt; dies gab mir später die Idee zu dem Singspiel: »die
Räuberburg.« Göthe's Götz von Berlichingen übersetzte ich auch.

Ich studirte noch etwas Isländisch mit Hülfe von Björner's und
Peringskiold's schwedischen Uebersetzungen, wodurch ich auch Schwedisch
lernte. Ich las Alf's, Frithjof's, Rolf Krake's und Welent's Saga. Die
letztere übersetzte ich.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Der Alterthumsforscher Arndt.]

Es ist mir öfter begegnet, daß, wenn ich eines literarischen
Mitarbeiters bedurfte, er gerade in mein Zimmer trat. So kam diesmal
=Arndt=, eine der merkwürdigen Karrikaturen unsrer Zeit, mit schmutzigen
Wasserstiefeln, einem groben blauen Ueberrock, und den langen gelben
Haaren, die, zwischen den Rock und Ueberrock gesteckt, ihm bis zu den
Hüften hinabhingen. Dieser wunderliche Mensch, in Altona geboren, war,
so zu sagen, ein Gespenst des Alterthums, und lebte eigentlich gar
nicht in der Gegenwart. Doch war er von der Natur ausgegangen und hatte
sich zuerst auf die Botanik gelegt; aber bald verdrängten Grabsteine
und Runen die Pflanzen und Blumen. Er war ein Antiquar erster Klasse.
Alles, was da lebte, blühte, sproßte und kräftig in der Gesellschaft
wirkte, verachtete er; nur die vermoderten Ueberreste, nur die dunkeln
Sagen der halb oder ganz verschwundenen Sprachen liebte er. Ganz Europa
betrachtete er wie eine große Studirstube, in der er zuweilen etwas weit
umhergehen mußte, um Citate zu sammeln. So war er einmal hoch oben in
Finnmarken, um Runensteine abzuzeichnen, als es ihm plötzlich einfiel,
daß es doch wohl am Besten wäre, wenn er nach Venedig hinunterginge,
um einige griechische Zeilen von einer Statue abzuschreiben, in denen
er etwas Dänisches aus der Zeit der =Wäringer= zu finden glaubte.
-- Den Culturzustand und die politischen Institutionen ignorirte er
ganz; und wenn er davon sprach, so geschah es nur, um mit Flüchen und
Schimpfworten seinem Herzen Luft zu machen. Auf seinen Wanderungen
quartirte er sich bei Gutsbesitzern und Predigern ein; er ließ sich von
ihnen bewirthen, schlief in ihren Betten, vergalt aber gewöhnlich ihre
Gastfreundschaft mit Grobheit und Unverschämtheit. Er glaubte, es sei
ihre Pflicht, einem Manne wie ihm, der aus Eifer für das Alte, allen
Bequemlichkeiten des Lebens entsagte, zu helfen. Ein Dienstmädchen, das
einmal gewagt hatte, seine Stiefeln zu putzen, schalt er heftig aus.
»Lasse sie,« sagte er, »ein anderes Mal meine Stiefeln in Frieden, ich
brauche das dumme Putzen nicht; wenn meine Stiefeln schmutzig sind, so
spüle ich sie in einem Bach rein und damit ist's gut.« -- Oft bekam er
Schläge und wurde zur Thüre hinausgeworfen; aber das kümmerte ihn gar
nicht. Er hatte keinen Freund, keine Heimath. Alle seine Manuscripte
trug er in den Taschen, bis sie ihm zu schwer wurden; dann verbarg er
sie, -- nicht in einer Stadt oder bei einem Bekannten; denn für ihn gab
es keine Städte und keine Bekannten; sondern in einem Steinhaufen aus
dem Felde oder in einer alten Ruine, wo er sie wieder finden konnte.

Dieser seltsame Mann kam gerade zu mir, wie ich über meinen isländischen
Sagen studirte; er half mir bei Einem und dem Andern und verschaffte
mir einen Begriff von der isländischen Grammatik. Um neuere Poesie
kümmerte er sich durchaus nicht; dagegen war ihm jeder Reimbuchstabe,
jedes verdrehte Bild bei den alten Skalden heilig; und da er mit den
Sitten und dem Wesen der nordischen Heldenzeit vertraut war, lernte ich
eine Masse von ihm, und es amüsirte mich, mich mit dem Antiquar in das
Dunkel des heidnischen Alterthums, gleich Aladdin mit Noureddin in die
unterirdische Höhle nach der wunderbaren Lampe, zu wagen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: A. S. Oersted wird mein Schwager.]

Ungefähr zur selben Zeit wurde ich durch eine höchst angenehme
Nachricht überrascht. Anders Sandöe Oersted, der so oft mit mir nach
Friedrichsberg gegangen war, hatte meiner Schwester Bekanntschaft
gemacht; und ohne mir ein Wort davon zu sagen, hatten sie sich auf eigne
Hand verlobt. Die Hochzeit folgte bald darauf. Er wurde Assessor im Hof-
und Stadtgericht, und dies gab unsern gesellschaftlichen Verhältnissen
neues Leben. Hätte der gute Oersted damals nur nicht zu sehr, als Folge
zu eifriger Studien, gekränkelt. Auch meine Schwester litt oft an den
Folgen eines Scharlachfiebers; wenn sie rasch ging, fühlte sie ein
eigenthümliches Klopfen in der Brust, vermuthlich eine Venenverstopfung.
Doch vermochte dies nicht ihre lebhafte Munterkeit zu schwächen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Die Dichterin Frau Koren.]

Damals besuchte uns die Dichterin Frau Koren aus Norwegen mit ihrer
Tochter Sara, einem schönen Mädchen von zwölf Jahren, voll nordischen
Gefühls, Ernstes und Characters. Der Tod raubte dieses holde Kind
wenige Jahre darauf in seiner blühendsten Jugend. Ihre Mutter hatte das
schöne Talent, Wohlwollen zu verbreiten, und die Herzen, wo sie hinkam,
einer muntern Geselligkeit zu eröffnen. Sie dachte von allen Menschen
gut, sie idealisirte sich in ihrer idyllischen Unschuld; und so zwang
sie Viele wenigstens auf kurze Zeit besser zu sein, als sie wirklich
waren; denn die Menschen sind oft so, wie man sie nimmt. Das wirklich
Gute entging niemals ihrer Aufmerksamkeit! Eine solche Frau ist ein
Schatz in der Gesellschaft! Die schöne Eintracht, das freundschaftliche
Verhältniß, das sie zwischen Männern stiftet, hat wohlthuende Folgen,
selbst lange nachdem sie wieder heimgegangen ist. Du folgtest Deiner
Sara! Deine kleinen Gedichte werden nicht viel gelesen, aber Du hast
ein Band um viele Edle geschlungen, und so lange sie leben, werden sie
Deiner liebevoll gedenken!

                    *       *       *       *       *

Es ergriff mich auch, als ich erfuhr, daß mein lieber Lehrer Dickmann
sie in frühern Jahren geliebt habe; aber sie war bereits verlobt und
folgte treu und ergeben ihrem Koren nach Norwegen. In meinem Zimmer und
in meiner Gegenwart sahen sie sich nach vielen Jahren der Trennung zum
ersten Male wieder und es war dies auch das letzte Mal.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Nächtliches Abenteuer.]

Ehe mein Freund =Bull= mit mir zusammen wohnte, hatte ich eine Zeitlang
einen andern guten Freund bei mir, den ich nicht vergessen darf. Mit
ihm übte ich mich viel im Lateinischen. Wir hatten einander sehr lieb,
disputirten aber zuweilen; dann lief er fort und kam wieder, wenn die
Hitze vorbei war. Eines Sommerabends bei schönem Mondenschein zankten
wir uns, ehe wir zu Bett gingen. Er lief wie gewöhnlich fort. Ich
dachte: »Wo will er hin? es ist jetzt zu spät, um wo anders unter Dach
zu kommen; er kommt gewiß wieder.« Ich legte mich zu Bett, verschloß
die Thür nicht und schlief ruhig ein. Am nächsten Morgen, als ich
erwachte, und ihn an meiner Seite zu finden hoffte, war Niemand da.
Ich stand auf, setzte mich betrübt an den Theetisch und gerade, wie
ich einschenken wollte, trat er vergnügt und munter ins Zimmer. »Guten
Morgen, Oehlenschläger!« -- »»Guten Morgen, lieber Freund! wo warst Du
denn heute Nacht?«« -- »Ich war auf Friedrichsberg und habe in einem
Gartenhause im Südfelde geschlafen. Es war dort ganz charmant. Aber ich
hatte einen curiosen Schlafcameraden; ein Stachelschwein schlief in
einem Winkel desselben Gartenhauses.« Ich glaubte erst, es sei Satyre,
weil ich zuweilen auf ihn stichelte; aber es war vollkommener Ernst. Ich
hatte sonst nie von Stachelschweinen im Südfelde sprechen gehört. --
Dieser Freund war ein vortrefflicher Mensch, zuweilen aber hatte er ganz
sonderbare Einfälle. Wenn er sich erkältet hatte, pflegte er Kampher
in Bier zu thun, dies zu wärmen bis der Kampher zerlaufen war und es
so zu trinken. Aber da er fürchtete, daß der Kampher beim Schmelzen
verdunste und er dann nur das warme Bier trinken würde, wollte er es ein
Mal besser machen und bröckelte den Kampher wie Brot ins Bier und trank
dies dann mit den Stücken. Die Folge hiervon war, daß er in der Nacht
ganz verstört im Kopfe erwachte. -- Damals schlief er nicht mehr bei
mir. -- Sein Zimmergenosse glaubte, er habe den Verstand verloren. Man
fuhr ihn in diesem Zustande zum seligen Professor Bang nach dem Hospital
hinaus. Auf Königs-Neumarkt glaubte der Freund drei nackte Nymphen in
der Neujahrsnacht im Schnee tanzen zu sehen, obgleich es im hohen Sommer
war. Als er zum Professor kam, der aus dem Bett geholt wurde, sagte
er: »Ach Herr Professor! es begegnet Ihnen heute Nacht ein Zufall mit
einem Menschen, dessen Gleichen Sie in ihrem Leben nie gekannt haben.«
-- »Ach, lieber gar,« antwortete der alte Bang verdrießlich, weil er in
seiner Nachtruhe gestört war; »'s ist ja eine reine Bagatelle, fahren
Sie nur nach Hause und schlafen Sie den Rausch aus; morgen ist's
vorbei. Und trinken Sie künftig nicht Bier mit Kampher.« Der Doctor
hatte Recht; am nächsten Mittag aß der Patient mit uns und hatte einen
so guten Appetit, als wenn gar Nichts passirt wäre.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Erste Bekanntschaft mit Steffens.]

Ein früherer Kaufmann Richter hatte ungefähr zu derselben Zeit eine
Restauration auf Königs-Neumarkt etablirt, wo man sehr gutes Beefsteak
aß und sehr guten Rothwein trank. Dort saß ich eines Mittags, als mir
Jemand leise auf die Schulter klopfte. Ich wandte mich um und sah O.
H. Mynster hinter meinem Stuhle mit einem jungen schlanken Manne, der
ein schönes Gesicht voller Leben und Geist hatte. »Darf ich Dich,«
sagte Mynster zu dem Fremden, »mit einem jungen Manne bekannt machen,
der schon mehrere Gedichte herausgegeben hat?« »»Ich habe bereits
einige davon gelesen,«« sagte der Fremde höflich. »Du sprichst mit Dr.
Steffens,« sagte Mynster. Ich sagte dem Herrn Doctor wieder einige
höfliche Worte und er ging mit Mynster fort.

Später erzählte Sander mir, daß Steffens ein eifriger Anhänger, ein
wichtiges Mitglied der sogenannten neuen Schule sei und man sich sehr
vor ihm in Acht nehmen müsse. Dies nahm ich mir _ad notam_.

Mehrere Abende darauf traf ich ihn in Dreyer's Klub. Er sprach viel,
äußerte mit Beredtsamkeit und Kühnheit viel neue Ansichten, wodurch
uns die Haare zu Berge stiegen; und wir staunten ebenso sehr, wie der
Küster und der Voigt in Erasmus Montanus, wenn dieser beweisen will, daß
die Erde rund und der Küster ein Hahn sei. Ich spielte gewissermaßen
des Küsters und des Voigts Rollen und »fand in meinem Gewissen,« daß
Steffens Unrecht habe; aber ich war ihm in der Disputation nicht
gewachsen und meine philosophischen Kenntnisse waren zu schwach, als
daß ich mich mit diesem muthigen Kämpen auf das Glatteis hätte wagen
sollen. Doch that ich, was ich konnte und war der Einzige von allen
Anwesenden, der ihm zu widersprechen wagte. Er behauptete unter Anderm,
daß Lessing kein wirklicher Dichter sei, und ich, der Lessing liebte,
suchte das Gegentheil auf alle nur mögliche Art zu beweisen. -- Als
Steffens gegangen war, lobten meine Glaubensverwandten mich und sagten,
daß ich die gute Sache gut vertheidigt habe. -- Ich sagte: »Hört Kinder,
Ihr irrt Euch, wenn Ihr glaubt, daß ich immer mit diesem Manne streiten
will. Ich fühle es, Steffens und ich wir werden die besten Freunde
werden. Mag er auch in Einigem Unrecht haben, aber welche Beredtsamkeit,
welche Begeisterung, welches Feuer! welchen Verstand und Witz hat er!«
-- Damit waren die Anderen nur wenig zufrieden, ich aber suchte ihn bald
auf.

Da er sich wie ein neuer Ansgarius vorgenommen hatte, unsere
Schöngeister und Philosophen im Norden vom Irrglauben abzuwenden, so war
es ihm wohl auch recht lieb, einen jungen kecken Heiden zu treffen, der
ihm für seinen Plan helfen konnte, wenn er selbst erst getauft war. Ich
besuchte Steffens. Er wohnte in einem wunderlich alten Saal mit seltsam
gemaltem Getäfel; Jakob Böhme's Aurora lag aufgeschlagen auf dem Tische.
Er fing mit mir um elf Uhr Vormittags an zu sprechen, und so fuhren wir
bis drei Uhr in der Nacht fort, also volle sechszehn Stunden. Indessen
aßen wir Beefsteak, tranken Wein bei Richter, gingen nach Friedrichsberg
und im Südfelde umher, von dort nach Kopenhagen, wo ich bei Steffens
schlief aber im Traum aus dem Bette sprang und lärmte, nachdem ich etwas
geschlummert hatte. Den Morgen darauf nach dem Frühstücke ging ich nach
Hause, setzte mich gleich hin und schrieb das lyrische Gedicht »=die
Goldhörner=,« um Steffens zu beweisen, daß ich ein Dichter sei, worin
er nach den »einigen Gedichten, die er bereits gelesen,« noch Zweifel
zu setzen schien. Er gestand, daß er nach dem Gedichte was er gesehen,
zu schließen, mich sich als einen alten ausgelebten Mann mit Zopf und
Perücke gedacht habe. Dies war nämlich das satyrische Gedicht an Apoll,
nach alter Form zugeschnitzt, aber doch nicht ohne Salz; ich habe es
deßhalb trotzdem später in meine Sammlungen aufgenommen.

Aus der Kunstkammer waren kurz vorher die zwei uralten Trinkhörner
gestohlen und von dem Diebe eingeschmolzen worden, so daß sie auf ewig
für die Nachwelt verloren gingen. Dieses Ereigniß faßte ich allegorisch
auf und erzählte daß die Hörner zum Lohn für treues Alterthumsforschen
gefunden, aber wieder von den Göttern fortgenommen seien, weil man
keinen Sinn für ihren wahren Werth gehabt und sie nur neugierig wie
andere Curiositäten begafft hätte.

»Ei mein Bester,« sagte Steffens, als ich ihm das Gedicht vorgelesen
hatte, »Sie sind ja wirklich ein Dichter.« Ich antwortete ihm, daß ich
es fast selbst vermuthete. Nun nahm er sich meiner sehr eifrig an, und
wir waren von dem Tage an unzertrennlich.

Ich habe Niemand mehr geliebt als Steffens, und er verdiente es, denn
er war in hohem Grade liebenswürdig, phantasiereich, verständig und
gefühlvoll. Er äußerte keine Ansicht, in der ich nicht in reiferen
Jahren etwas Wahres und Schönes gefunden hätte; und waren seine
Aeußerungen auch zuweilen übertrieben, so muß man dies theils der Natur
der Opposition zuschreiben, welche leicht verleitet wird zu weit zu
gehen, theils seiner feurigen Jugend.

Das Erste, wodurch er mein Herz gewann, war seine Ehrerbietung und Liebe
für die Poesie; dies äußerte er nicht nur begeistert, sondern deutete
und bewies auch mit philosophischer Klarheit den Werth der Poesie.

Ich hatte dies stets gefühlt, aber es war mir noch nie geglückt, die
geahnten Wahrheiten in deutliche Begriffe zu fassen. Stets hatte ich
mich tief in meinem Herzen gekränkt gefühlt, wenn ich die Poesie von
Leuten von Bildung zu einer hübschen Nebensache herabwürdigen hörte,
mit der ein Talent sich in seinen Freistunden beschäftigen könne, wenn
es erst die besten Kräfte dem Nützlichen geopfert habe. Die Poesie war
unnütz, das Nützliche war das Beste; also kam der Kunst ihrer Natur
nach ein untergeordneter Rang zu. Die Phantasie, ja selbst das Genie
rechnete man zu den niedrigeren Seelenkräften! Zuweilen ließ ich mich
von diesen Sophismen blenden, und dann konnte ich in der Einsamkeit
darüber weinen, daß die Natur mich zu etwas durchaus Untergeordnetem
bestimmt habe. Oft dachte ich: »Es ist doch seltsam! Um die Kunst
auszuüben, die doch nur ein Spielwerk im Leben ist, bedarf es seltener
Naturgaben; um ein nützlicher Bürger im Staate zu werden, bedarf es nur
des Fleißes und des gesunden Menschenverstandes. Und doch ist dieser
edler und ehrwürdiger. Wunderbar! Ganz gegen den gewöhnlichen Gang der
Dinge. Doch es muß wohl auch so in der Natur sein; der Apfel ist gewiß
edler als die Rose, weil man den Apfel essen und die Rose nur riechen
kann; und Kartoffeln und Erbsen sind gewiß wieder edler als die Früchte,
weil man sich an jenen, nicht aber an diesen satt essen kann.«

Steffens lehrte mich bald das Schiefe dieses Schlusses einsehen, das
daher kommt, daß man das Nützliche als das höchste Ziel des Menschen
betrachtet und das Nothwendige mit dem Höchsten vermischt. Bald sah
ich ein, daß das Nützliche nur eine Bedingung für unsere irdische
Natur sei, damit wir als Menschenthiere gesund und bequem leben und
gedeihen könnten; aber unser überirdisches Ziel als Menschengeister ist
Kenntniß, Genuß und Ausübung des Wahren und Schönen, zu welcher Kenntniß
und Ausübung in der höhern Bedeutung wir nur durch Wissenschaft und
Kunst gelangen können. Auch hier sah ich bald ein, daß die Ausübung
des Schönen nicht der subjectiven Anschauung untergeordnet ist; da
gerade das Wahre und Gute darin besteht, daß man das Schöne in allen
Verhältnissen der Natur erkennt und ausübt.

Aus diesem Irrglauben des Nützlichen konnte man nun leicht alle
Mißgriffe und schiefen Ansichten der Zeit herleiten, z. B. die
übertriebene Achtung vor der sogenannten Aufklärung, welche nicht in
einer wahren Aufklärung, sondern in einer egoistischen Vergötterung
der Zeitansichten bestand; wozu gehörte, Alles zu verachten, was Bezug
auf Phantasie und höhere Idee hatte und dem Triviellen und Alltäglichen
einen phantastischen Werth beizulegen.

[Sidenote: Die neue Schule.]

Diese Irrthümer hat die neuere Schule gut bekämpft, doch wenn es
zur Selbstthätigkeit kam, so verfiel sie oft in entgegengesetzte
Uebertreibungen.

Sie hatte vollkommen Recht darin, daß man früher das Poetische und
Schöne des Mittelalters weder richtig gekannt noch geschätzt hat. Sehr
viel Lob verdienen die Sprachforscher und Dichter der neuern Schule,
welche alte Bücher und Bilder aus dem Klosterstaube hervorholten und
von ihnen genährt und begeistert, selbst Werke schufen, in denen das
Schöne des Mittelalters neugeboren und idealisirt erschien; aber man
hatte Unrecht, wenn man Alles im Mittelalter schön fand, blind für alle
die Tollheiten und Grausamkeiten der dunkeln Jahrhunderte war und uns
einbilden wollte: daß die Zeit seitdem zurückgegangen sei und daß wir
nichts Besseres thun könnten als künstlich wieder romantische Barbaren
zu werden.

Es war rühmenswerth, daß die Minnelieder und Heldengedichte der
Ritterzeit herausgegeben wurden, daß man auf den nationalen Character,
das heroische Gepräge, den Wohlklang in der Sprache und die vielen
einzelnen schönen Stellen in diesen Gedichten, die nicht besser sein
konnten, aufmerksam machte; aber Unrecht war es, unendlich lange
Reimchroniken, in denen Monotonie und Wiederholungen herrschten, als
vollendete Meisterwerke zu rühmen; während man unbarmherzig und streng
gegen alles Neuere war und Vieles in unsrer Zeit, in dem doch viel
Schönes war, verkannte und verurtheilte.

Recht und billig war es von den Protestanten, den alten Groll fahren
zu lassen und das Schöne selbst in dem katholischen Gottesdienste zu
bewundern; denn der Protestantismus war zu weit gegangen, und im Geist
der Bilderstürmer protestirte man zuletzt gegen alles Poetische, das
sich doch so herrlich mit der Religion verbindet und sie stärkt.
Es war nicht mehr die Rede von schönen Kirchen, von Gemälden darin,
von einer herzergreifenden, erhebenden Musik, von poetisch rührenden
Gesängen des christlichen Alterthums. Ein häßlich melancholischer
Geist hatte sich vieler Protestanten bemächtigt. Sie betrachteten das
Leben, gleich fanatischen Märtyrern, wie ein Jammerthal, ohne Kraft
und Freuden; nur noch mit halb wahnwitzigen Augen starrten sie auf
Tod, Grab, Blut, Verwesung, Vernichtung. Die neuere Schule zeigte das
Poetische, das =Heiter-Schöne= in dem katholischen Gottesdienste, und
daran that sie Recht. Aber sie hatte Unrecht, wenn sie Luther's großen
Schritt zur Verbesserung verkannte, wenn sie blind für die Lehren
neuerer philosophischer Christen war, und ihre vernünftigen Ansichten
thörichte Aufklärungen nannten; wenn sie das Kindisch-Spielende, oft
Geschmacklose in den katholischen Ceremonien der einfältig ernsten
Größe des geläuterten Christenthums vorzogen; wenn sie einen plumpen
Köhlerglauben über Willenskraft und Tugend setzten, die Herzensgüte und
milden Gefühle als dumme Sentimentalität ausschalten, und Toleranz oder
billige Schonung zu einem Scheltnamen machten, der laue oder schlechte
Gleichgültigkeit bezeichnen sollte.

So waren damals die Ansichten der Schule, so glaube ich wenigstens, sie
verstanden zu haben. Uebrigens hatte Jeder seine eigenen Ansichten,
Steffens auch die seinigen, und sein liebevoller Sinn, sein leicht
bewegliches Herz konnten keinen Hang zu Härte und Kälte haben, so wenig,
wie sein wissenschaftlicher Blick für die Natur ihn einseitig schwärmen
ließ.

Gerade sein poetischer, für jeden Gegenstand offner Sinn, der muntre
Witz, mit dem er die Pedanterie und den Eigensinn verspottete,
gewannen mein Herz. Er hielt naturphilosophische Vorlesungen, auch
Vorlesungen über Goethe's Werke, wodurch ich Vieles in den Gedichten
dieses großen Meisters besser verstehen lernte. In mehrere Dinge
legte Steffens eine philosophische Bedeutung, in denen ich vorher
nur die schöne Darstellung des Wirklichen oder Gedachten bewundert
hatte. Ich bin später zu dieser ersten Anschauung zurückgekehrt, und
glaube nicht, daß ein wahrer Dichter gewinnt, wenn man seine Poesie in
Philosophie übersetzt. Eine Idee, ein Hauptgedanke muß wohl das Ganze
zusammenhalten, aber die ideale, geniale Darstellung, Erfindung und
Gefühl des schönen individuellen Menschlichen sind und bleiben die
Hauptsache der Dichtkunst.

Göthe's Faust, sein philosophischestes Werk, war auch Steffens'
Lieblingsgedicht, und er äußerte Vortreffliches darüber. Steffens eigner
poetischer Geist zeigte sich bereits hier in einem philosophischen
Gewande; und ohne selbst Dichter zu sein, würde er mich wohl auch nicht
so ganz gewonnen haben; denn obgleich ich mir Kant's, Fichte's und
Schelling's Hauptansichten und Hauptgedanken von meinen philosophischen
Freunden in die Volkssprache, d. h. in die Muttersprache übersetzen
ließ, und sie auf diese Weise recht gut kannte und begriff, war es
mir doch eine Unmöglichkeit, mich selbst durch die terminologischen
Systeme der =reinen Vernunft=, der =ästhetischen Urtheilskraft=, der
=Wissenschaftslehre= und des =Idealismus= hindurchzuarbeiten. Ich
verstand leicht, was ich las; aber ich hatte nicht Geduld genug, um
lange in diesen Büchern zu lesen; es ging mir zu langsam, die Form sagte
mir nicht zu, und oft schien es mir auch, daß die Verfasser von dem
geraden Wege, dem rechten Ziele abwichen, um auf einem langen Umwege zu
einem anderen Ziele zu kommen.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Novalis und Tieck.]

Steffens Lieblingsdichter, =Novalis= und =Tieck=, las ich gern und oft.
Wie freute mich Novalis mit seiner schönen, religiösen Sentimentalität,
und die Stellen in Heinrich von Ofterdingen, in denen Eltern, Söhne,
Natur und Bergmannswesen so lebendig geschildert werden. Auch die »blaue
Blume« winkte mir, als ich mich ein paar Jahre lang zu einer gewissen
mystischen Schwärmerei hingezogen fühlte. =Tieck= war nun ganz anders!
Von Wackenroder und Novalis hat er freilich eine milde Herzlichkeit
geerbt, welche sich in dem kunstliebenden Klosterbruder und Sternbald's
erstem Theile ausspricht. Aber nach dem Tode jener Freunde pochten
Phantasie und Humor auf ihr mitgebornes Recht.

Besonders erquickten mich dieses romantischen Aristophanes »gestiefelter
Kater«, seine »verkehrte Welt« und »Zerbino«. Seine Märchen amüsirten
mich auch unendlich. Hier gebrauchte er nun freilich oft statt eines:
_Deus ex machina_ einen: _Diabolus ex machina_, den er, um die poetische
Gerechtigkeit (die er als alte Mode verwarf) zu ärgern, meistens überall
triumphiren läßt. Durch diese neu erfundne =poetische Ungerechtigkeit=
wirkten seine Märchen noch stärker, als die schönen phantastischen
Scherze des Musäus. Und freilich giebt es nur zwei Arten, mit dem Teufel
umzugehen: entweder man lacht ihn aus oder man bebt vor ihm. =Hoffmann=
hatte später versucht, dieses Lachen und Beben in einem grinsenden
Zähneknirschen zu vereinen, das (wenn es nicht zu grimassirt ist) seine
Wirkung nicht verfehlt.

Was ich bei Tieck auch sehr liebte, war seine Vorliebe und Kenntniß
des Mittelalters, die seinen Schilderungen ein warmes eigenthümliches
Colorit giebt. So wie Talma ein echt griechisches Costüm auf der
französischen Bühne einführte, so kann man sagen, daß Tieck ein der
Ritterzeit würdiges Costüm in die deutsche Poesie brachte, wo man
sich bisher mit Veit Weber'schen Plümagen auf den Helmen aus den
verschiedensten Zeiten begnügt hatte. Goethe stellte in seinem Götz
und seinem Faust die Umrisse von Luther's Zeit dar; Tieck ging bis
zur Blüthezeit der Minnesänger und noch weiter zurück. Wie herrliche
alte Bilder hat er uns nicht in seinem »getreuen Eckart«, den
»Haimonskindern«, der frommen katholischen »Genovefa« gegeben. In seinem
»Octavian« sind Clemens und Florens echt komische Charaktere.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Neue Dichtungen.]

Ich habe bereits erzählt, daß ich vor Steffens' Ankunft in Kopenhagen
mehrere Bogen von meinem Erik und Roller hatte drucken lassen. Diese
cassirte ich alle, weil ich nun einen andern Geschmack bekommen hatte.
Statt also Geld zu verdienen, mußte ich 150 Thaler an Drucklohn und für
empfangnes Honorar zurückbezahlen.

Dies war keine Kleinigkeit für einen jungen Mann, der Nichts besaß.
Aber mit einem andern Buchhändler, Herrn Brummer, hatte ich ein
Uebereinkommen getroffen, daß er einen Band Gedichte von mir herausgeben
sollte. Glücklicherweise war hiervon noch Nichts gedruckt. Steffens
verwarf, mit Ausnahme einiger Kleinigkeiten, auch diese ganze Sammlung;
aber mein Buchhändler kannte den Inhalt der Sammlung nicht. Ich setzte
mich also hin, schrieb ihm in größter Eile statt der verworfnen eine
neue Sammlung, die ich ihm zur rechten Zeit lieferte, ohne ihm ein Wort
davon zu sagen.

Hier hatte ich viele unserer alten Kämpeweisen zu größeren Romanzen
bearbeitet. Ich führte den Ottaverim, so wie später die Terzine, die
griechisch-dramatischen Versarten, die nordischen Reimbuchstaben und
die Verse aus dem Heldenbuche und dem Niebelungenliede, in die dänische
Poesie ein. Die Hauptarbeit in der 1803 herausgekommnen Sammlung war
das Sct. Hansspiel, das zwar etwas an Göthe's Fastnachtsspiel und die
Tieck'schen Satyren erinnert, aber doch originell ist, theils durch
seine eigne Form, theils weil es den Sommerscherz unsres Thiergartens
darstellt. Zum Schluß hebt die Dichtung sich zu einer erotisch ernsten
Nachtscene, die sich auf eigenthümliche Weise mit dem Ganzen verbindet.
Diese Gedichte machten Glück und schafften mir einen Namen unter den
dänischen Dichtern.

Aber sie verschafften mir auch manche Feinde, weil Einige, die viele
Freunde hatten, sich von den satyrischen Einfällen in dem Sct.
Hansspiele getroffen fühlten. Die alte poetische Schule hob sich
natürlich gegen die Ansichten der neueren. Man fand den Spott über das
Nützliche und die Aufklärung ungerecht, und die Huldigung der alten
Phantasieen gefährlich und unvernünftig.

Doch fand ich auch Freunde. Unter Anderen den späteren Probst Holm,
der mich immer gern gehabt hatte. Kurz nachdem ich das Sct. Hansspiel
geschrieben, eines Tages sehr bescheiden und verlegen in Dreyer's Klub
eintrat und mich mit dem Rücken gegen die Wand in einen Winkel stellte,
-- sagte Holm lächelnd: »Der steht da, bei Gott, als ob er nicht bis
fünf zählen könnte.«

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Baggesen's deutsche Gedichte.]

In dieser Zeit (1803) kamen Baggesen's deutsche Gedichte heraus, unter
denen das an Göthe mich in hohem Grade empörte. Meine große Begeisterung
für Baggesen, die einer frühern Periode angehörte, war sehr verdunstet.
Hieran war nun allerdings zum Theil die neuere romantische Schule
schuld, welche mich dahin brachte, mit jugendlicher Einseitigkeit einen
großen Theil Dessen zu verwerfen, was mich früher entzückt hatte, und
das später wieder, wenn auch nicht gerade mich entzückte, so doch
mir sehr gefiel. Aber reifere Jahre, ein klarerer Blick und besserer
Geschmack hatten meine Augen auch für Vieles geöffnet, dem gegenüber ich
früher blind gewesen war, und so fiel mir zuerst Baggesen's Affectation
in die Augen. Diese hatte ich bereits früher einstimmig von allen seinen
älteren Freunden und Bekannten tadeln gehört, und hieher paßte eine
Anecdote, die Rahbek gern erzählte. Als er als Student bei seinem Vater
in der großen Königsstraße in einem Parterrezimmer neben dem Thorwege
wohnte, pflegte oft der eine oder der andere gute Freund die Nacht bei
ihm zuzubringen, wenn der Freund seinen eignen Hausschlüssel vergessen
hatte. Dann wartete er entweder auf Rahbek, der auch spät nach Hause
zu kommen pflegte, oder klopfte so lange ans Fenster, bis ihm geöffnet
wurde. Zuweilen hatte Rahbek auch seinen Schlüssel vergessen, aber
dann pflegte er eine Scheibe einzuschlagen, das Fenster zu öffnen,
hineinzusteigen, und, ohne sich weiter um den Zugwind zu kümmern, zu
Bett zu gehen. Eines Abends, als Rahbek aus einer lustigen Gesellschaft
kam, fand er Baggesen pathetisch melancholisch im Mondschein vor der
Hausthür auf- und abschreiten. Rahbek begrüßte ihn, und fragte ihn, ob
er bei ihm schlafen wolle. Aber Baggesen antwortete finster: »Ich gehe
ins Wasser.« Rahbek schwieg und ging hinein, Baggesen folgte ihm. Rahbek
kleidete sich aus, Baggesen ging im Zimmer auf und ab.

»Weißt Du was,« sagte Rahbek, als er unter dem Deckbett lag, und
Baggesen noch keine Miene machte, seinem Beispiele zu folgen; »magst Du
nun zu Bett oder in's Wasser gehen, jedenfalls sei so gut und lösche das
Licht aus, wenn Du gehst!« Er wandte sich um und schlief ruhig ein. Am
nächsten Morgen lag Baggesen im süßen Schlummer ihm zur Seite.

[Sidenote: Polemik gegen Baggesen.]

Ich sagte, daß Baggesen's Gedicht an Göthe mich im hohen Grade empörte;
dies gab mir Veranlassung zu einigen Satyren gegen ihn, die ich jedoch
nur meinen Freunden vorlas. Mehrere Jahre darauf war wieder sein Faust,
ein großes Spottgedicht gegen Göthe, die erste Ursache zu seiner
Feindschaft gegen mich, weil ich ihm meine Indignation darüber bezeugte,
auf diese Weise einen großen Mann zu verhöhnen. Um Göthe's Willen also
hatte ich diese vieljährigen Verfolgungen zu ertragen. Nie aber habe
ich es diesen wissen lassen; ich mußte es auch viele Jahre hindurch
ertragen, daß Göthe mich ignorirte und mich endlich in einigen Briefen
an Zelter (die ein Mann, der sich früher mein Freund genannt, und dem
ich keinen Strohhalm in den Weg gelegt hatte, Dr. Riemer, kleinlich
genug war, herauszugeben) _à la_ Baggesen behandelte. -- In Baggesen's
gröbster Periode gegen mich, rächte ich mich nicht dadurch, daß ich
diese Gedichte drucken ließ. Ich fürchtete, daß man glauben würde, ich
hätte sie geschrieben, um mich zu rächen, da sie doch nur aus Liebe zu
einem großen Dichter und aus Mißbilligung gegen Baggesen's Wesen, mir
persönlich aber durchaus fremd entstanden waren.

Nun, da er todt ist, da ich meine Lebensbeschreibung vervollständige,
in der mein Verhältniß zu Baggesen ein wichtiges Capitel ausmacht, das
die Leser der Nachwelt interessiren kann, und da man einen großen Theil
seiner schlimmsten Angriffe gegen mich in seinen Werken hat drucken
lassen, ist es nöthig, daß die Wirkung dieses Giftes durch ein Gegengift
neutralisirt werde.

Man wird übrigens sehen, daß diese Arbeiten, in den Jünglingsjahren
geschrieben, weit mehr übermüthig, als giftig sind. Nicht Baggesen's
Humor und Witz, seine augenblickliche Grazie, seine sinnreichen Einfälle
und seine brillante Phantasie sind darin angegriffen; sondern er wird
als =Geschmacksrichter= und als =sublimer= Dichter behandelt.

                             =An Baggesen.=
                 (Als er Göthe heruntergerissen hatte.)

                   In Corsöer auferzogen,
                   Kamst Du zur Stadt geflogen,
                   Du warst ein muntres Kind.
                   Wie Holberg Wessel färbte,
                   So dieser Dir vererbte
                   Die Farbe ganz geschwind.
                   Mit Kallundborg, Corsöer Du
                   Hast leer die Mus' gemacht;
                   Doch hast zu großer Ehr' Du
                   Es durch dies Werk gebracht.

                   Dann satt den fränk'schen Wust --
                   Schriebst »Holger« Du mit Lust, --
                   Nicht allzu dänisch just;
                   Ich hörte gar vermuthen
                   Daß »Erik« auch »dem Guten«
                   Ganz fehlt die dän'sche Brust.
                   Den Ersten parodirt man, --
                   Das war ein bitt'rer Trank,
                   Den Zweiten pardonnirt man,
                   Weil gut war der Gesang.

                   Zu Zeiten Thränen rinnen,
                   Wir Stellen lieb gewinnen,
                   Wo's viel des Wassers giebt. --
                   Ja, ich gesteh's mit Schmerze,
                   Dich, guter Mann, mein Herze
                   Hat einstens sehr geliebt.
                   Mußt' Deine Triller schlagen,
                   Ich summte Deinen Sang,
                   Doch vom Verstand zu sagen --
                   Der war kaum Ellen lang. --

                   Oft möchte man entweichen
                   Nach Sirius' fernen Reichen
                   Und zu den Sonnen weit;
                   Man liebt die Eminenzen,
                   Das sind Reminiscenzen
                   Noch aus der Kinderzeit.
                   Sah ich Dich aufwärts fliegen,
                   Da dacht' ich: Gott der Welt,
                   Wie hoch ist der gestiegen,
                   Ohn' daß er niederfällt?

                   Du schenkt'st mir Deine Leyer,
                   Als Zucker, Rum und Eier
                   Die Herzen uns erweicht.
                   Ich klimperte so schüchtern --
                   Doch bald ward mir's zu nüchtern,
                   Bald ward es mir zu seicht.
                   Der Herr zu meinem Glücke
                   Schenkt' mir Barmherzigkeit,
                   Er öffnet' mir die Blicke, --
                   Ich warf die Lyra weit.

                   Das konnt'st Du nicht vertragen,
                   Die Gab', hört' ich Dich sagen,
                   Hätt' schlecht ich angewandt.
                   Wie Götz von Berlichingen
                   Hätt' ich mit ihrem Klingen
                   Dir fast sie heimgesandt,
                   Gleich ihm gesagt: »Im Leben
                   Hast Du mich nicht gekannt;
                   Drum will zurück ich geben,
                   Die Du mir gabst, die Hand.«

                   Doch dacht' ich, alle Teufel,
                   Der Mann hat ohne Zweifel
                   Doch sicherlich Talent.
                   Er geht als Scheerenschleifer
                   Umher mit vielem Eifer
                   Und singt dann excellent.
                   Doch wie den Schmerz ich tödte,
                   Als ich die Wund' vergaß --
                   Sah ich Dein Lied an Göthe
                   Und staunte, da ich's las.

                   Was? =Er= singt »für den Pöbel«?
                   Solch wurmzerfress'nes Möbel
                   Wagt an den Helden sich?
                   Du, =Jens= für Weib und Dirne,
                   Tief in den Staub die Stirne
                   Vor Göthe, paßt für Dich,
                   Der gleich dem Fisch sich windet
                   Im salz'gen Thränenmeer!
                   Jens Baggesen verschwindet!
                   Jens lebt jetzt gar nicht mehr!

                   Da sah in einem Zimmer
                   So fern vom Tagesschimmer
                   Ich eine Frau allein.
                   Sie konnte nicht vertragen
                   Des Morgens schönes Tagen,
                   Und nicht den Sonnenschein.
                   Mit ihrem Blick, dem matten,
                   Und ohne Lebensspur
                   Saß sie im dunkeln Schatten
                   Und liebt das Dämmern nur.

                   Da schwand mein ganzes Grollen.
                   Gott möge helfen wollen!
                   So sehr beklagt ich dies.
                   Laßt ihn in Frankreich bleiben
                   Und deutsche Lieder schreiben
                   Auf Holstein'sch in Paris.
                   Denn schon als kleiner Schlingel
                   Hast Du vor Freud' gelacht,
                   Aß'st Du »Pariser Kringel«,
                   Die hier zu Haus gemacht!

                    *       *       *       *       *

                          =An Baggesen= (1804).

               Als lust'ger Slaglosianischer Student
               Warst Du excellent,
               Und wirklich ein kom'scher Scribent.
               Da fielst Du -- Gott helf' in der Noth --
               In Vierländ'schen Koth.
               Strecktest aus dem Mist empor die Glieder,
               Wolltest Etwas und vergaß'st es wieder;
               Nanntest Voß, Virgil, Racine --
               -- Gott schütz' ihn! --
               Um Dich nun aus dem Schlamm herauszuwälzen,
               Klopstockst Du umher auf Stelzen;
               Dünkst Dich 'nen Homer von Profession,
               Statt, lieber Mann,
               Was Du bist, was man Dir lassen kann,
               Einen lust'gen Patron!
               Schreib vom Jeppe doch immer!
               Homer wirst Du nimmer.
               Soll wieder blühen des Alterthums Kranz
               In seinem vollen Glanz
               Da bedarf's mehr, als der Plaisanterie,
               Des Decorums und Kant'scher Philosophie.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Satyre gegen Pavels.]

Ein älterer, etwas einseitiger Literatus, übrigens ein guter,
einsichtsvoller Mann, und früher und später mein Freund, =Pavels= (als
Bischof von Bergen gestorben) schrieb eine harte, und nach der Ansicht
der meisten Sachverständigen, schiefe Kritik über meine Gedichte.
Ich rächte mich wider meine Gewohnheit durch eine Satyre, die ich
hier mittheile, insofern sie das Verhältniß schildert, wie ich als
kämpfender, aufbrausender Jüngling zu den anders denkenden Dichtern und
Literatoren jener Zeit stand.

              Daß in den Liedern Du die Spur
              Nicht fand'st von Mythen der Natur,
              Das kann ich allenfalls begreifen.
              Auch will ich die Erklärung sparen,
              Denn möcht' ich Dir's auch offenbaren,
              Es würd' für Dich an's Myst'sche streifen.

              Daß Shakespeare, voll Verstand, doch »keinen
              Geschmack gezeigt«, -- das will ich meinen;
              Nie schrieb er solche Recension!
              Nicht =der= Geschmack würd' ihm behagen,
              Schmeckt er ihn jetzt in unsern Tagen,
              Der ungehobelte Patron.

              Du Göthe prüf'st mit krit'schem Stahl,
              Und nennst ihn tadelnd sent'mental.
              Er braucht den Rath! Ich bill'ge das!
              Das fällt, mir scheint's, mit dem zusammen,
              Als spräch' das Wasser zu den Flammen:
              »Mein Herr! Sie sind doch gar zu naß!«

              Du sagst, daß ich Homer verachte,
              Wenn Das, was ich in Verse brachte,
              Ihn nicht copirte affectirt.
              Du willst nicht, daß ein Band sich bilde
              Um Nordens Kraft und Südens Milde, --
              Das hat mich wenig nur gerührt.

              Dem wahren Dichter ward's gegeben
              Zu sehn Natur, zu schaun das Leben
              In Glanz und aller Herrlichkeit;
              Gott, dessen Blick das All durchdringet,
              Sein Wort im Ton der Harfe klinget
              Mit mächt'gem Strom durch alle Zeit.

              Ein Leben, wie's dem Geist entstammet
              Sollst Du erschaffen, daß es flammet
              In einem ew'gen, reinen Glanz.
              Das ist das Ziel, das ich erkenne,
              Das ist es, was ich Dichten nenne,
              Durch das erwirbt man Daphne's Kranz.

              Zur Waffe für die schwache Lyra
              Ruht Persiflage und Satira
              Tief in des kecken Dichters Brust.
              Stets Hindernisse ihn umringen,
              Er muß die scharfe Geißel schwingen;
              Glaubst Du, er schwinge sie mit Lust?

              Du siehst im Sturm die Rose stehen,
              Und feuchte Nebel sie umwehen,
              Drum lenkt man ab des Wassers Gang;
              Wenn wuchernd Unkraut sich verbreitet,
              Und zarten Blüthen Tod bereitet,
              Dann tönt der scharfen Sichel Klang.

Ein zufälliger Umstand machte vielleicht das Verhältniß zwischen Pavels
und mir unangenehmer für ihn, als ich es wünschte. Aber ich konnte
Nichts dafür. Wir wohnten nämlich während dieses Sommers in demselben
Hause in der Friedrichsberger Allee. Ich begegnete ihm oft, grüßte ihn
stets, er grüßte wieder; aber solch' formelle Höflichkeiten schaden
mehr, als sie nützen, wo das Wesentliche fehlt.

Die Hiebe, die ich Pavels in diesem Gedichte gegeben hatte, fanden in
meiner Jugend keine hinreichende Entschuldigung bei Denen, welche sie
trafen. Es machte das Uebel nur größer, und bald fühlte ich, daß ich
nicht länger in gesellschaftlicher Beziehung zu den Anhängern der alten
Schule stehen könne. In der dramatischen Gesellschaft bekam ich gar
keine Rollen mehr und meldete mich nach einigen Unannehmlichkeiten als
ausgetreten.

Rahbek, der gern bei solchen Gelegenheiten _juste milieu_ halten wollte,
und deßhalb zuweilen -- (nach einer Redensart des Marqueurs in Dreyer's
Klub) »weder parteiisch noch unparteiisch« war, sagte recht treffend,
als man ihn nach seiner Meinung über das Gedicht fragte: »Es kommt mir
vor, als ob Oehlenschläger versucht hätte, witzig und malitiös zu sein,
und Keins von Beiden ist ihm geglückt.«

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Unangenehmer Vorfall.]

In Dreyer's Klub saßen eines Tages bei einem Festmahle Hans Christian
Oersted und ich zusammen. Es wurden mehrere neue Lieder gesungen:
unter anderen eins von einem guten Prediger aber keinem Dichter. Als
das Lied gesungen war, sah mir mein _vis à vis_ starr in die Augen
und sagte: »Das war eine schöne Melodie!« -- »»Ja,«« entgegnete ich,
»»sehr hübsch.«« -- »Es war auch ein sehr schönes Lied!« -- »»O ja!««
antwortete ich höflich. »Ja« rief er heftig, »es ist freilich keins
von diesen neumodischen Gedichten, die jetzt gemacht werden und mir
vollständiger Mist zu sein scheinen; aber was verstehe ich davon?« --
Kalt antwortete ich: »»Es kann kein Mensch verlangen, daß Sie etwas von
Poesie verstehen sollen: Alles, was man fordern kann, ist, daß ein alter
Mann sich nicht wie ein Knabe beträgt!«« -- Der heftige Mann sprang
nun vom Tische auf und rief laut: »Hiermit lasse ich die Gesellschaft
wissen, daß Herr Oehlenschläger mich einen Knaben gescholten hat!«

Es entstand nun ein großer Lärm und Viele glaubten gleich ungehört, daß
ich Unrecht hätte. Um nicht das Vergnügen der Gesellschaft zu stören,
und da ich nicht einsah, wie dieser Streit auf eine würdige Weise
ausgeglichen werden könne, da ich außerdem auch fürchten mußte, daß
ähnliche Scenen wieder Statt finden könnten, erzählte ich kurz und gut
den Umherstehenden den Zusammenhang, verbeugte mich und sagte: »Ich
melde mich als aus der Gesellschaft ausgetreten!« -- »Und ich auch!«
rief mein treuer Hans Christian Oersted, der Alles mit angehört hatte
und sehr entrüstet darüber war. Wir gingen nun Beide fort. Hierdurch
gewann meine Sache in der öffentlichen Meinung und mein Austritt glich
mehr einem Siege als einer Flucht.

Ich habe diese Scene nach dem Verlaufe von 46 Jahren, durchaus nicht
aus Groll gegen einen Mann erzählt, der mir weder früher noch später
jemals feindlich entgegengetreten ist, eben so wenig, wie ich ihm; ich
weiß, wie leicht ein unüberlegtes Wort dem Munde entschlüpfen kann! Ich
erzähle es nur, weil die Ursache zu einer solchen, öffentlich bekannt
gewordenen Begebenheit mit zu meinem Leben gehört, und weil dieser Zug
zur Characteristik der damaligen Zeit beiträgt.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Zusammenleben mit Rahbek.]

Von dieser Zeit an lebte ich eingezogener in meinem häuslichen Kreise,
besonders bei Rahbeks und Oersteds. Frau Rahbek war stets liebenswürdig
und interessant und doch durchaus verschieden von meiner Schwester
Sophie. Steffens kam oft und gern in beide Häuser. Unser Verhältniß zu
Rahbek war eigenthümlich. Er war unser Beider erster Geschmacksbildner
gewesen, und noch jetzt stand er als Haupt- und Wortführer an der Spitze
der Schule, die wir bekämpften. Und doch blieben wir recht gute Freunde;
denn Rahbek ließ auch uns etwas gelten und sprach in seinem Blatte oft
vermittelnd gegen allzu große Einseitigkeit; freilich lobte er viel,
was uns nicht gefiel, und wir äußerten Manches, das ganz gegen seinen
Glauben stritt; aber er war im Ganzen eben so tolerant, wie eigensinnig.
Disputiren mochte er nicht; er wußte sich stets mit Beispielen und
witzigen Einfällen aus der Sache zu ziehen. Wenn wir unsere Ansichten
aussprachen, schwieg er, und blickte durch das Fenster, wo er eine
schöne Aussicht über den See nach Amager hin hatte; wurden wir allzu
begeistert, so ging er in sein Studirzimmer, wo seine Kanarienvögel
frei über den Büchern umherflatterten. Er hatte eine große Vorliebe für
alle seine Hausthiere. Ein Taubenschlag war vollgepfropft mit Tauben,
weil er es nicht duldete, daß eine von ihnen geschlachtet wurde. Eine
alte Gans ging in späteren Zeiten auf dem Hofe umher, die fast dumm
vor Alter geworden war, und Leute in die Beine beißen wollte. Ja, diese
Liebe, das Alte unverändert zu bewahren, erstreckte sich sogar bis auf
den Garten und die Pflanzen. Einige Stachelbeerbüsche wollte er durchaus
nicht beschneiden lassen; die Folge davon war, daß sie ihm über den Kopf
wuchsen, endlich keine Früchte, ja sogar keine Blätter mehr trugen und
zuletzt nur Dornen übrig behielten, mit denen sie ihn rissen, wenn er in
ihren Labyrinthen umherschwärmte. In das Südfeld, einige Schritte von
seinem Hause, setzte er nie seinen Fuß. Wenn er nun in seinem Zimmer
bis zur Eßzeit gearbeitet und seinen Schnaps »Brenndarium,« wie er es
nannte -- getrunken, und etwas in die falsche Kehle bekommen und er
darauf gehustet hatte, -- so wurde er aufgeräumt, und das Gespräch nahm
dann gewöhnlich statt einer philosophischen und lyrischen eine epische
Wendung. Er erzählte uns dann gern Anecdoten und Characterzüge aus einer
ältern Zeit; und bei dieser Gelegenheit bewunderten wir ebenso sehr sein
Gedächtniß für Tauf- und Zunamen, für Straßen, Gassen, Jahreszahlen und
Monate, wie den Witz und Humor mit dem er erzählte. Besonders amüsirte
es mich, Etwas von ihm über Ewald und Wessel zu hören. Wie Jener, wenn
er Abends mit einem Rausch nach Hause ging, mit seinem gezogenen Degen
auf das Pflaster schlug, so daß die Funken ihm um die Ohren sprühten
und rief: »Nun grassirt der Poet Eward,« denn den Buchstaben L konnte
er nicht im nüchternen Zustande, geschweige denn, wenn er betrunken
war, aussprechen. -- Wie Rahbek einmal als junger Mann ihm bescheidne
Complimente gemacht, und wie Ewald ihn aufgemuntert und gesagt hatte:
»Lobe mich nur Gevatter, ich mag das gern hören;« wie Ewald endlich, als
er krank und bettlägerig war, und der Doctor ihm Punsch verboten und
Thee verordnet hatte, Punsch aus einer Theekanne in die Tasse goß, um
den Doctor und sich selbst zu betrügen.

[Sidenote: Anecdoten von Wessel.]

Von Wessel hörten wir: wie er an einem warmen Sommernachmittag
verstimmt und niedergeschlagen an einem Seiler vorbei ging, der
fürchterlich von der Hitze litt, weil er zwei Hemden anhatte. Der Seiler
behauptete eifrig, daß Nichts in der Welt den Menschen so in Hitze
bringen könnte, wie zwei Hemden. »Was meint er denn von dreien?« fragte
Wessel. -- Ein Freund besuchte ihn und fand zwei Bücher auf der Commode
seiner Frau. »Potztausend, Wessel,« fragte der Freund lustig, »sind das
alles Deine Bücher?« »»Nein,«« antwortete Wessel, »»nein, die meisten
davon sind geliehen.«« Ein vermögender Mann lud ihn ein, Punsch bei
ihm zu trinken; er habe einen vortrefflichen Rum bekommen. -- »Lieber
Freund,« sagte Wessel, »schicke mir lieber ein paar Flaschen Rum nach
Hause, ich trinke ihn am liebsten =trocken=.« -- Er wohnte eines Sommers
auf der Westerbrücke in der sogenannten Galgenmühle. »Besuche mich
einmal, Du!« sagte er zum Schauspieler Saabye, »ich wohne dort in der
schönen Natur.« Saabye kam, fand ihn aber nicht zu Hause; er war auf das
Feld hinausgegangen. Dort stand das Hochgericht, das seit langer Zeit
nicht benutzt war; und unter dem früher erwähnten, gemauerten Galgen,
dem einzigen schattigen Ort auf dem Felde, lag Wessel und las in einem
Buche, mitten in der schönen Natur!

»Nein Wessel!« sagte 'mal ein Freund zu ihm, »Du mußt doch versuchen,
Dein Glück zu machen; Du mußt Minister Guldberg besuchen. Er ist selbst
ein gelehrter Mann, ein tüchtiger Kopf und wird gewiß Etwas für Dich
thun.«

»»Das geht unmöglich,«« antwortete Wessel. -- »Weßhalb?« -- »»Ich habe
keine Perücke.«« -- »Die will ich Dir geben!« -- »»Ich habe auch keine
Hosen.«« -- »Ich will Dir ein Paar hübsche schwarzseidene Beinkleider
leihen!« Er ging zu Guldberg. Der Minister fragte: »Wer sind Sie?« --
»»Ich heiße Wessel.«« Guldberg weiß noch nicht recht Bescheid. Wessel
glaubt, die Perücke mache ihn unkenntlich, er nimmt sie ab, und steckt
sie in die Tasche. Nun erkennt Guldberg ihn und fragt, womit er ihm
dienen könne? -- »»Ew. Excellenz, es müßte ein Amt sein, wo Viel zu
verdienen und Wenig zu thun ist; denn dazu fühle ich mich besonders
disponirt.«« -- Guldberg weiß noch nicht recht, wie er dies verstehen
solle, dreht verlegen seine Dose in der Hand und wiederholt die Frage,
womit er ihm dienen könne? »»Nun,«« sagt Wessel, »»dann geben Sie mir eine
Prise Taback, Gevatter!«« Die bekam er, verbeugte sich und ging seiner
Wege.

Vermuthlich wollte Wessel kein Amt haben. Er meinte, daß er, als
ein ausgezeichneter Dichter, der dem Vaterlande Freude und Ehre
bereite, eine kleine Pension verdiene. Aber so weit war man damals
noch nicht gekommen, daß man glaubte, ein guter Dichter verdiene den
Lebensunterhalt als Dichter. Kann man es ihnen dann verdenken, wenn sie
ihre Zuflucht zu Bacchus nahmen, um in seinen Nebelwolken eine Welt zu
vergessen, die sie verschmähte?

Doch muß man auch der Wahrheit gemäß gestehen, daß Ewald und Wessel zu
wenig für sich selbst arbeiteten, und sich in einem gewissen Müßiggange,
und einem unordentlichen Leben gefielen, das sie zuletzt zum Abgrunde
führte. Ein eigenthümlicher Gegensatz zu diesen zwei Genies, sowohl
in des Wortes guter, wie schlechter Bedeutung, war Holberg; dieser
hatte sehr fleißig, sehr ordentlich, sehr mäßig und fast geizig als
Junggeselle gelebt; so daß er sich endlich für das durch seine Schriften
erworbene Vermögen eine Baronie kaufen konnte, die er dann wieder dem
Vaterlande schenkte. Auch Tullin war ein Gegensatz zu ihnen.

Aehnliche Anecdoten konnte Rahbek bis in die Unendlichkeit hinein
erzählen. Auch hörten wir ihn gern uns von seiner Reise nach Deutschland
berichten; wie er nur von Theater zu Theater zog, nur mit Schauspielern
und Theaterdichtern umging und sich in der Diligence in einen dunkeln
Winkel setzte, um auf den Landstraßen durch Naturschönheiten und
Aussichten nicht in seinen Kunsterinnerungen gestört zu werden. Musik,
Malerei und Bildhauerkunst hatten für ihn nur wenig Anziehungskraft,
aber desto mehr gab er sich mit der scenischen Darstellung der
Charaktere ab. In der alten und neuen Literatur war er sehr gut
bewandert; in literarischer Bildung stand er mit Ausnahme von Baggesen,
über allen Dichtern seiner Zeit; und trotz seiner Eigenheiten war er
doch der billigstdenkende von ihnen Allen.

[Sidenote: Camma Rahbek.]

Seine Frau, wenngleich viel jünger als er, liebte ihn innig; und trotz
aller ihrer Talente hatte sie sich doch daran gewöhnt, blind an seinen
Geschmack zu glauben. Dies fanden wir nun recht hübsch, doch suchten
wir sie zuweilen in ihrem Glauben wankend zu machen. Glücklicher Weise
hatte sie einen Character, der sich recht für ihre Stellung eignete.
Sie sprach selten von Poesie. Sie hatte ein edles Herz, eine rasche
Auffassungsgabe, ein gutes Gedächtniß, einen außerordentlichen Witz,
die größte Leichtigkeit mechanische Schwierigkeiten zu überwinden; aber
Phantasie und Tiefe, um lange bei =einer= Vorstellung zu verweilen,
fehlten ihr. Witz und Humor herrschten stets mit erstaunlicher
Lebendigkeit in ihrem Geiste vor. Wenn sie ernst war, war sie gewöhnlich
niedergeschlagen. Bücher las sie meist der Sprachen wegen. Sie verstand
gut deutsch, französisch, englisch, italienisch, spanisch, und in
späteren Jahren sogar Latein und etwas Griechisch; aber man hörte sie
selten eine fremde Sprache reden. Geschmack für das Schöne zeigte sie
hauptsächlich in der Malerei (sie zeichnete selbst hübsch) und in der
Gartenkunst. Sie war eine vortreffliche Gärtnerin, und saß -- obgleich
kränklich -- auf Bakkehuset wie eine Flora oder Pomona; herrliche
Blumenbeete lächelten bunt in dem feinsten, frischesten Gras; schwere
herabhängende Trauben rankten sich um ihre Fenster, und im Zimmer
blühten Witz und Humor noch schöner von ihren Lippen. -- Sie hörte also
auf Steffens und mich mit schelmischer Aufmerksamkeit; Manchem gab sie
ihre Beistimmung, Manches ließ sie dahingestellt, und nie griff sie
unsere Truppen mit der Infanterie der Gründe oder der Gegenbeweise an.
Aber wenn wir uns zuweilen selbst widersprachen, oder wenn sich eine
Lücke, ein Wirrwarr im Gedankengang zeigte, dann konnte kein Mürat
mit seiner Cavalerie rascher und tapferer einhauen als sie mit ihren
beflügelten Witzen uns in die Flanken fiel, und ein entsetzliches
Blutbad unter allen unseren Behauptungen anrichtete, wobei wir ihr
selbst mit lautem Lachen halfen, wenn einmal das Terrain geräumt
war. Zuweilen amüsirte es sie doch, Steffens und mich ein wenig zur
Vergeltung zu necken, wenn wir Etwas gesagt hatten, das Rahbek nicht
mochte. Einmal disputirte sie mit mir über Göthe's kleines hübsches
Gedicht: »Ein Veilchen auf der Wiese stand.« Sie behauptete, daß es
überspannt phantastisch sei. In demselben Augenblick kam Rahbek: »Nicht
wahr, Rahbek, Du bist derselben Meinung?« Rahbek rieb sich die Hände,
schwieg und blickte zum Fenster hinaus nach Amager hinüber. -- Später,
als ich ein Mal in seinen Gedichten blätterte, fand ich, daß er dies
selbst übersetzt hatte.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Meine Schwester Sophie.]

Meine Schwester Sophie war nun ganz anders, doch glich sie Camma in
vielen Dingen; sie war eben so witzig, geistvoll und lebendig; aber sie
hatte nicht die Lust zu den Sprachen und die mechanische Fertigkeit,
wie Camma. Diese hatte außerordentlich viel gelernt, Sophie sehr wenig;
aber mit ungewöhnlicher Schnelligkeit verstand sie doch bald, sich das
Nothwendigste zu erwerben. Sie fing an, Götz von Berlichingen deutsch zu
lesen, als sie kaum noch das zweite Wort verstand; als sie aber damit
fertig war, verstand sie das Meiste ganz gut. Sie war sehr poetisch;
sie war vertraut mit der stillen Freude der Wehmuth und ihre leicht
geweckten Gefühle exaltirten sie zuweilen zu sehr. Nie lernte sie eine
andere fremde Sprache, als deutsch, und auch diese konnte sie nicht
grammatikalisch. Aber da sie täglich mit Deutschen umging, so sprach
sie vortrefflich, das heißt, im Geist der Sprache mit allen Idiotismen
und Wendungen; obgleich wir sämmtlichen Dänen nicht vermeiden konnten,
zuweilen kleine Fehler zu machen. Sie kleidete sich mit Geschmack,
nähte selbst Alles, was sie brauchte, putzte sich gern (sie war von
hübscher Figur) und ging gern spazieren. Frau Rahbek saß entweder zu
Hause oder machte in späteren Jahren Reisen auf dem Dampfschiffe nach
Hamburg. Fremde Gesellschaft liebte weder sie noch Sophie; dagegen
kamen täglich einige gute Freunde zu ihnen. Meine Schwester war sehr
häuslich, hielt nur ein Mädchen und fegte selbst ihre Stuben aus,
was man, ihren weißen Händen nach zu urtheilen, nicht geglaubt haben
würde. Sie hatte in ihrer Kindheit viel an Blattern gelitten, doch
waren die Narben ziemlich verwachsen; sie hatte rothe Wangen und große,
freundliche, lebendige Augen. Camma Rahbek war mager; ihre schönen,
großen, blauen Augen sahen, wenn sie ernst war, etwas melancholisch aus;
aber kaum bekam sie einen lustigen Einfall, so funkelten sie mit seltner
Lebhaftigkeit.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Literarische Wirksamkeit.]

Bei meiner Schwester, die eine Zeitlang auf der Weststraße, so wie
ich, aber in einem andern Hause wohnte, hatte ich mein förmliches
Standquartier und dort las ich ihr und Oersteds fast jeden Abend vor.
-- Die Werke, die wir damals zusammen genossen, und über die wir dann
sprachen und urtheilten, waren: Voß, Homer, Tieck's Don Quixote,
Schlegel's Shakespeare und Calderon's, Göthe's, Schiller's, Tieck's und
Novalis' Werke.

Steffens reiste im ersten Jahre unserer Bekanntschaft als Geognost nach
Norwegen. Ich dichtete in diesen paar Jahren Viel. Erst arbeitete ich
den Schlaftrunk für Weyse um. Der phantastische Humor in Shakespeare's
Werken hatte mich begeistert, und ich fühlte mich mit einer solchen
dramatischen Munterkeit geistig verwandt. Ich fühlte, was später Jean
Paul so herrlich in seiner Aesthetik ausgesprochen hat: daß auch
Shakespeare's humoristische Charactere allgemein, symbolisch und nur
unter dem Wulst und den Ausstopfungen des Humors verborgen sind. »Der
Scherz fehlt uns blos aus Mangel an Ernste,« -- sagt Jean Paul; -- »an
dessen Stelle trat der Gleichmacher aller Dinge, der Witz, welcher
Tugend und Laster auslacht und aufhebt. Der freie Scherz wird da nur
gefesselte Anspielung. Aber der Humor ist das =umgekehrte Erhabene=. Der
gemeine Satiriker mag auf seinen Reisen oder in seinen Recensionen ein
Paar wahre Geschmacklosigkeiten und sonstige Verstöße aufgreifen und
an seinen Pranger befestigen, um sie mit einigen gesalzenen Einfällen
zu bewerfen statt mit faulen Eiern; aber der Humorist nimmt fast
lieber die einzelne Thorheit in Schutz, den Schergen des Prangers aber
sammt allen Zuschauern in Haft, weil nicht die bürgerliche Thorheit,
sondern die menschliche, d. h. das Allgemeine sein Inneres bewegt. Der
Humorist erwärmt, der Persiflirende erkältet die Seele. Aber zu solchem
Lebenshumor ist jetzt weniger unser Geschmack zu fein als unser Gemüth
zu schlecht.«

Mit diesem Gefühle arbeitete ich Bretzner's »=Schlaftrunk=« um. Der
Humor und fast alle Einfälle im Dialoge, durch welche die Gestalten
dieses Singspiels poetische Persönlichkeit gewinnen, gehören mir,
ob sich gleich gut auf Bretzner's munterm Grunde bauen ließ. Dieses
Stück ließ Weyse neun Jahre lang liegen, nachdem er etwas über die
Hälfte componirt hatte; nach Verlauf von zehn Jahren vollendete er
seine Arbeit. Wie schön und reizend die Musik ist, wissen die meisten
Kopenhagener; wer es aber nicht weiß, dem wird es schwer fallen, die
Zusammensetzung zu bemerken. Der Zwischenraum der neun Jahre fällt
zwischen Charlottens Arie: »Ihr der Liebe goldnen Tage,« und dem
Quartett: »Ob nicht alle unsre Thränen« im zweiten Akt. Wie Frydendahl
in einer Reihe von zwanzig Jahren das Publikum als Brausse und erst
Knudsen, später Ryge als Saft amüsirt haben, darüber ist nur Eine Stimme.

Da ich mich bei der Umarbeitung des Schlaftrunkes etwas in dieser
Dichtungsart geübt hatte und der Concertmeister Schall mich bat,
ein Singstück zu schreiben, das er componiren könne, dichtete ich
»=Freia's Altar=,« welches muntere harmlose Lustspiel stets ein
tragisches Schicksal gehabt hat, wenn es aufgeführt werden sollte. Der
Oberhofmarschall, dem ich es vorlas, lachte unaufhörlich dabei und
fürchtete, daß es allzukomisch sei. Die Theatercensoren verwarfen das
Stück. Freia's Altar wurde gedruckt und machte außerordentliches Glück
bei Jungen und Alten. Das Stück wurde oft in Gesellschaften vorgelesen
und zum größten Vergnügen auf vielen Privattheatern zum Benefiz der
Armen gespielt. Aber als ich es einige Jahre darauf wieder auf die
Bühne bringen wollte, entstand ein großer literarischer Lärm, der zu
unangenehm und langweilig war, als daß ich ihn erneuern sollte. Noch zum
dritten Male ließ ich mich verleiten, das alte Singspiel mit Melodieen
von verschiedenen Componisten, von Herrn Fröhlich arrangirt, auf das
Theater zu bringen. Aber es war die größte Hitze in den letzten Tagen
der Saison, einige Rollen waren nicht gut vertheilt; der Herausgeber der
fliegenden Post, Verfasser von »König Salomon« und »Jörgen Hutmacher«
Heiberg, riß Freia's Altar herunter, als ob es das elendeste dumme Zeug
wäre, -- und so ließ ich diese humoristischen Bilder wieder in den
Hintergrund treten. Im Rauch und Dampf hätte man sie doch nicht gesehen;
um das Muntere und Freundliche mit Geschmack und Gefühl darzustellen und
zu genießen, muß man selbst munter, freundlich und ruhig gestimmt sein.

Kurz nach Freia's Altar dichtete ich (1804) »=Thor's Reise nach
Jothunheim=«, die später in »=die Götter des Nordens=« aufgenommen ist.
Ich hatte kurz vorher das deutsche Heldenbuch gelesen, und meinte, daß
dessen kurze und kräftige Reime und die derben Holzschnitte dieser Art
gut für Thor's Abenteuer passen dürften.

[Sidenote: Die Langelandreise.]

Nach einer Fabel in der Edda schrieb ich »=Vaulundurs Saga=.« Eine
kleine Reise nach Langeland hatte die »=Langelandreise=« hervorgebracht.
Obgleich ich in diesem Gedicht umständlich meine Reise beschrieben habe,
wird es viele der Leser vielleicht doch amüsiren, wenn ich Fragmente
eines Briefes an meine Christiane mittheile, die geschrieben waren, ehe
die Langelandreise gedichtet war.

                                        Rudkjöbing, den 10. Juli 1804.

     Rudkjöbing, hörst Du liebe Christiane, Rudkjöbing, fünfundzwanzig
     Meilen weit von meinem Herzen[1]. Das will etwas sagen. Schwindelt
     Dir nicht, indem Du an eine solche Entfernung denkst? eine so
     gähnende Tiefe? Ach Ihr armen Stubenhocker, die Ihr höchstens nur
     vier bis fünf Meilen von Eurem Herzen entfernt gewesen seid, wie
     beklage ich Euch. Du wünschst es vermuthlich in Deinem kleinen
     kopenhagener Winkel, weit von dem Geräusche der Welt, Etwas von
     meiner Reise zu hören. Also: Donnerstag kamen wir glücklich nach
     Roeskildekrug und bekamen ein Stück Schinken zum Frühstück, zähe,
     wie ein Brett, so daß es sehr gut als Schild über dem Wirthshause
     hätte dienen können. In Roeskilde fand ich die Kirche in ihrer
     alten Ordnung; die alten Könige ruhten noch auf ihrem alten Fleck;
     Harald Blauzahn stand in der Mauer gerade wie vor sieben Jahren
     und wo er seit achthundert Jahren gestanden hat, ohne müde zu
     werden. Was ich übrigens innerlich und äußerlich gesehen, will
     ich nicht allein Dir, sondern dem ganzen Publikum und zwar in
     Versen erzählen, damit ich nicht durch die Prosa das Heilige
     entweihe. -- Im Svinlillekrug machten wir mit einem Dorfküster
     Bekanntschaft, der sich entschuldigte, weil er auf dem Landwege
     vor uns her gefahren war, und uns bat, wir möchten ihm das nicht
     als =Maliciösheit= auslegen. Wir luden ihn zu einer Pfeife Taback
     ein, aber als er hörte, daß wir mit Thee tractirten, setzte er die
     Pfeife fort, und trank nun, wie der Abgrund das Blut des Riesen
     Ymer trank. Im Krebshause schrieb ich meinen Namen mit einem
     Feuerstein in Ermangelung eines Diamanten (da ich weder Millionär,
     noch Glasermeister bin) ins Fensterglas. Darauf fuhren wir in
     Sturm und Regen fort. Auf dem Wege sah ich links ein Kirchdorf
     liegen. Ich war an anderen vorübergefahren, ohne darnach zu fragen;
     aber den Namen dieses Dorfes meinte ich, müsse ich erfahren.
     »Sigersted,« sagte der Kutscher. Und da wurde mir nun wieder
     wunderlich zu Muthe; denn Saxo erzählt eine schöne Geschichte von
     Sigar's Tochter, Signe, und ihrem Geliebten Habor, über die eine
     der schönsten Kämpeweisen gedichtet ist. Oft hatte bei der Lectüre
     mein geistiges Auge in die alte umnebelte Zeit geblickt, sowie
     jetzt mein körperliches Auge in dem natürlichen Nebel an dieser
     Kirche vorüberstreifte, deren Name noch als ein vereinzelter Laut
     aus der verschwundenen Zeit zu uns tönt.

     In *** erzählte die Wirthin uns, daß sie mit Oersteds verwandt sei
     und sprach mit vielem Interesse von der Familie. Ich dachte, es
     ist doch gut, nach verwandten Wirthshäusern zu kommen; aber als
     wir abreisen und bezahlen wollten, gab mir dies Veranlassung zu
     folgendem Epigramm:

  »Blut ist nimmer so dünn, ist dicker doch immer, als Wasser!«
  Dacht' ich, als von der Verwandtschaft die Wirthin so rührend uns sprach.
  »Blut ist nimmer so dick, ist dünner doch immer, als Wasser!«
  Dacht' ich wieder aufs Neu, als sie die Rechnung uns gab. -- --

  [1] Der später als Romanverfasser bekannte und beliebte Laurits Kruse
      hatte damals kurz vor meiner Reise ein Gedicht von Hamburg aus nach
      Kopenhagen geschickt, das so anfing:

                »Sechzig Meilen weit von meiner Heimath,
                Sechzig Meilen weit von meinem Herzen.«

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Aladdin.]

Als ich von Langeland nach Hause gekommen war, schrieb ich: »=Jesus in
der Natur=;« und wagte die Jahreszeit mit ihren verschiedenen Wirkungen
als eine Allegorie auf das Leben und die Lehre Jesu darzustellen. Das
Hauptgedicht dieser Periode war jedoch »=Aladdin=«. -- Ich ergriff mit
jugendlichem Feuer und mit Begeisterung eine der schönsten Scenen aus
»Tausend und Eine Nacht«; und die natürliche Aehnlichkeit, die dieses
Mährchen mit meinen Lebensverhältnissen hatte, gab dem Ganzen vielleicht
etwas Naives und Eigenthümliches, das die Wirkung verstärkte; hatte
ich nicht selbst in der bei mir entdeckten Dichtergabe die wunderbare
Lampe gefunden, die mich in den Besitz der Schätze der Welt setzte? Und
die Phantasie war mir ein Geisterring, der mich überall hinversetzte,
wohin ich wollte. Meine Bildung hatte sich spät aber ziemlich rasch
entwickelt, gleich Aladdin's, und gleich ihm hatte ich vor Kurzem die
Liebe kennen gelernt. Meine Mutter war todt und als ich Aladdin's
Wiegenlied auf seiner Mutter Grab schrieb, rannen meine Thränen auf das
meiner eignen Mutter. So berührte dieses Mährchen in vielen Punkten
meine eigenen Lebensverhältnisse; ich ironisirte auch damit, und war mir
dessen während der Dichtung klar bewußt.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Caspar Bartholin.]

Einer meiner liebsten Freunde war =Caspar Bartholin=; er war Officier
gewesen, aber ein Sturz vom Pferde, bei dem er, sich die Brust
verletzte, zwang ihn, einen stilleren, weniger anstrengenden Lebensweg
zu suchen; und -- mehr als dieses Unglück zog ihn wohl sein eigner,
ausgezeichneter Geist zur Wissenschaft und Kunst. Er machte das
juridische Examen; sein Umgang mit Steffens und mit mir wirkte auf ihn
ein; er unternahm eine Reise ins Ausland, aber die Verletzung, die er
beim Sturze vom Pferde bekommen hatte, kürzte seine schönen Tage, und
er starb in Rom -- mitten in der Bewunderung des Großen und Schönen an
einem Blutsturz. Einen Brief, den er mir von Paris aus sandte, theile
ich hier mit.

                                             Paris, den 26. Dec. 1804.

     Verzeih, bester Oehlenschläger, daß ich Dir nicht nach Deinem
     Wunsche und meinem Versprechen eher geschrieben habe. In dem
     Taumel von Zerstreuungen, in dem ich lebe, läßt sich so etwas
     leicht aufschieben, und die Folgen des Aufschiebens kennst Du
     ja! Gott weiß es, daß ich nie mit mehr Sehnsucht an Dich gedacht
     habe, als gerade hier, ob ich nun mit stiller Bewunderung an
     den schönsten Denkmälern der Kunst vorüberwandelte, oder ob ich
     mich über die Flachheit in all' den Unternehmungen und Reden der
     großen Nation ärgerte, oder auch wenn ich in der Stille an mein
     Vaterland und an Deine reine Dichterflamme dachte. -- Endlich
     traf ich gestern Friedrich Schlegel. Ich sprach mit Willers, der
     mir sagte, daß Schlegel hier sei. Ohne Zaudern eilte ich nach
     Hause, holte Oersted's Brief und im Augenblick hatte ich die
     halbe Meile zurückgelegt, die ihn von mir trennte. Ich traf ihn
     allein und, wie ich vermuthete, mit Zend Avesta vor sich. -- Er
     erzählte mir, daß das einzige Nordische, was er gelesen habe, die
     isländischen Sagen seien, und hieraus nahm ich Veranlassung, von
     Dir zu erzählen, daß Du daran dächtest, sie zu bearbeiten und
     bereits begonnen habest. Er versicherte, daß er sehr viel Lust
     habe, dänisch zu lernen, aber nicht wisse, wo er ein gutes Lexicon
     hernehmen solle. Ich empfahl ihm eines, das er sich notirte.
     Zugleich bat er mich, ihm Steffens' Einleitung zu verschaffen.
     Willst Du mir zu dem Ende nicht behülflich sein, und sie mir durch
     Oersteds herbesorgen, entweder an das dänische Ministerium oder
     lieber an Guilleaumeau adressirt, denn ich werde wohl nicht mehr
     hier sein, wenn es ankommt. Die Kosten werde ich Dich bitten, mir
     bis zu meiner Rückkehr zu creditiren. Von der »Europa« ist das
     vierte Heft herausgekommen. Es war mir eine Freude, die Liebe und
     Freundschaft zu hören, mit der Alle, die Oersted kennen, von ihm
     sprechen. -- Auch Lehmann ist gekannt und geachtet. -- Baggesen
     spreche ich oft. Er liest mir zuweilen seine Gedichte vor, weint
     über sie und versichert, daß ihm sein Dichtergenius entflohen
     sei. Auch von Dir hat er zuweilen gesprochen und wußte nicht
     einmal, daß der erste Band Deiner Gedichte herausgekommen war.
     Er schlug die Hände zusammen und entsetzte sich, ja wollte mir
     fast nicht glauben, als ich ihm sagte, was Du producirt habest
     und noch zu produciren beabsichtigtest. Wenn ich lange genug hier
     bliebe, wollte ich Dich bitten, mir fünf bis sechs Exemplare
     Deiner letzten Gedichte zu senden, damit die gute Sache gefördert
     werden könne, und es geschehe, wie da geschrieben stehet. Ich
     würde mir dann ein Vergnügen daraus machen, sie Fr. Schlegel zu
     verdollmetschen und vielleicht durch ihre Hülfe Baggesen von dem
     Throne herabstoßen, den er sowohl bei den Dänen, wie auch bei den
     Deutschen hier usurpirt hat. -- Ich möchte Dir gern etwas von
     Raphael's göttlicher Transfiguration erzählen, seiner heiligen
     Cäcilia und Jungfrau Maria's Apotheose; aber dies sind ewige
     Mysterien, die sich nur schauen, nicht von einem Profanen deuten
     lassen. Wäre ich gleich Dir von der Natur in die heilige Sprache
     eingeweiht, die eine solche Beschreibung voraussetzt, so würdest
     Du die Gewalt begreifen, die ich mir anthun mußte, um nicht
     niederzufallen und sie anzubeten. -- Ein Stück von Dominichini (die
     Leiden der heiligen Agnes) hat nächstdem den größten Eindruck auf
     mich gemacht. Stelle Dir die schöne Leidende von ihren entmenschten
     Henkern umgeben vor, die mit der teuflischsten Grausamkeit auf
     alle mögliche Weise ihre Qualen zu vermehren suchen, während sie
     mit einer himmlischen Ruhe jeden Schmerz, den sie ihr bereiten,
     erträgt, und fast über der irdischen Sphäre erhaben zu sein
     scheint. Nun hebt sie die Augen unwillkürlich zum Himmel, von dort
     muß ihr Muth kommen, denn er ist mehr, als menschlich. Und siehe,
     sie werden nicht betrogen, die dort Trost suchen, der Erlöser
     in seiner Herrlichkeit reicht einem Engel die Märtyrerpalme,
     der bereits in vollem Fluge scheint, um sie damit zu krönen. Es
     ist eine wunderbare Wirkung, den der Gegensatz von himmlischer
     Seligkeit und irdischem Schmerz hervorbringt. Hätte man ein solches
     Bild stets vor Augen, dann unterwürfe man sich diesem gewiß mit
     Freude. -- In einem sparsam erleuchteten Winkel entdeckte ich
     vor Kurzem ein Bild, welches von Allen unbemerkt schien, mich
     aber doch durch seine Wahrheit und seinen Ausdruck, sowie durch
     einen unendlich schönen Magdalenenkopf frappirte. Es war Christi
     Abnahme vom Kreuz, und, wie ich richtig vermuthete, von Lucas von
     Leiden. Tieck hat uns mit bewunderungswürdiger Genauigkeit von
     diesem Maler unterrichtet, und man braucht nur seine Beschreibung
     im Gedächtniß zu haben, um Lucas von Leiden's Bilder von denen
     eines jeden Andern unterscheiden zu können. Von Albrecht Dürer
     sind hier nur sehr wenige, und seine Bilder sind auch nicht sehr
     geachtet. Kurz vor meiner Ankunft wurde eins seiner größten Gemälde
     für 400 Frcs. verkauft. -- Apoll von Belvedere hat mich von allen
     Statuen am Meisten angezogen. Es ist die idealste Form, die Du Dir
     vorstellen kannst und es ist unmöglich, ihn für etwas Anderes als
     den Gott der Poesie und alles Großen und Herrlichen in der Natur zu
     halten. Ihm gegenüber prangt seine Halbschwester Venus. Aber man
     vergißt sie ganz, wenn man ihn sieht, es ist als ob der Ausdruck
     der Liebe auch in seiner Form läge. Dicht neben ihr wird man von
     einem entsetzlichen Schauer überfallen -- bei dem Anblick des
     Laokoon. Es ist der grausamste Schmerz nach dem Ideal der höchsten
     Schönheit ausgedrückt, eine ewige Tragödie: der vergebliche Kampf
     des Menschen gegen das Geschick. -- Doch wohin man sieht, fällt
     das Auge auf etwas unbegreiflich Schönes. Hier bewundere ich den
     Ausdruck in dem herkulischen Torso, ihm gegenüber in dem sterbenden
     Fechter; dort frappirt mich die entschiedenste Nachlässigkeit
     in dem ruhenden Faun, hier die ruhige Freude des majestätischen
     Herkules bei dem Anblicke seines Sohnes Telephus; -- und so sieben
     Säle hindurch. -- Aber ach! -- neben all' Dem vermisse ich die
     classische Erde, verletzt mich die Gleichgültigkeit, und zürne ich
     über die Anmerkungen, die man von Zeit zu Zeit über sie hören muß.
     -- In vierzehn Tagen reise ich von hier nach Straßburg, Mainz,
     Frankfurt, Göttingen und hoffe in sechs Wochen die Freude zu haben,
     unsern Steffens in Halle zu begrüßen. In drei Monaten hoffe ich
     Dich wieder umarmen zu können und versichere Dich der Freundschaft
     und Achtung, mit der ich verbleibe Dein treuer

                                                  C. =Bartholin=.

[Sidenote: Zusammenleben mit Steffens.]

Zwei Sommer hatte ich mit Steffens auf der Friedrichsberger Allee
gewohnt. Hier schrieb ich den Schlaftrunk, Freia's Altar und Thor's
Reise. Der Procurator Bjerring, den ich von Dreyer's Klub her kannte
-- er war Einer von der alten Schule und also selten mit mir einig --
schlug mir einmal im Scherz vor, als ich ihm in der Allee begegnete,
daß Steffens und ich uns malen und die Bilder vor dem Hause, wie bei
den Thierbuden heraushängen lassen sollten. Herrliche Tage verlebte
ich da mit meinem Freunde, doch darf ich bei dieser Gelegenheit nicht
vergessen, eines tragikomischen Auftrittes zu erwähnen.

Wir wohnten Parterre und die Fensterläden wurden an jedem Abend
geschlossen, woraus folgte, daß es dann stockfinster war, bis sie
wieder geöffnet wurden. Nun hatte ich in jenen Jahren und noch viele
Jahre hindurch einen wunderbaren Traum, eine Art Alpdrücken, das oft
wiederkehrte. Ich träumte nämlich, daß ich in meinem Bette lag, was
wirklich der Fall war, ich erkannte meine Schlafkammer deutlich wieder,
obgleich es dunkel war, -- und nun entdeckte ich einen Räuber mit
einem Dolch, der herbeischlich um mich zu durchbohren. Ich erhob mich
leise in Todesangst, um aus dem Bette zu springen, mich hinter ihn zu
schleichen und ihm den Dolch aus der Hand zu reißen. -- Kaum setzte ich
den Fuß auf den Boden, so erwachte ich und fand mich mit nackten Füßen,
zitternd mitten im Zimmer. Ich legte mich dann gleich wieder zu Bett
und schlief ruhig den übrigen Theil der Nacht. -- Erst in späteren
Jahren, als ich nicht mehr meinen gewöhnlichen Abendschnaps trank und im
Sommer Wasser in den Wein goß, blieb der Räuber fort. Meine Gespräche
mit Steffens, durch die zuweilen die Phantasie aufgeregt wurde und das
Blut in stärkere Bewegung kam, trugen wohl auch Etwas dazu bei, den
Räuber herbeizulocken. Ich habe bereits erzählt, daß ich einmal früher
bei Steffens aus dem Bette sprang; damals lief es doch friedlich ab
und er merkte nichts. -- Aber hier in der Allee weckte ich ihn eines
Nachts mit einem entsetzlichen Geschrei, als ob mir ein Messer in den
Hals gestoßen worden wäre. »Mein Gott!« -- rief er -- »was giebts?« --
»»Räuber!«« -- röchelte ich. -- »»Sie ermorden mich.«« -- »Allmächtiger
Gott!« rief Steffens und stürzte aus dem Bett, in dem stockfinstern
Zimmer über mich hin, wo er durchaus Nichts unterscheiden konnte,
und mir also auf mein Wort glauben mußte. Nun hatte ich mich gefaßt.
»»Ach!«« -- seufzte ich langsam und ruhig -- »»es war nur ein Traum!««
Aber nun war die Reihe des Phantasirens an ihn gekommen. »Das ist, hol'
mich der Teufel, gleichgültig!« -- rief er -- »ich muß Gewißheit haben;
ich schlage Feuer. Ich hole meinen Säbel!« So hörte ich ihn in das
andere Zimmer tappen; er zündete Licht an und es dauerte nicht lange,
so kam er mit drohender Miene und gezogenem Schwerte. Nun glaubte ich,
daß er verrückt geworden sei, und rief: »»Steffens, um Gottes Willen,
sei doch vernünftig! Der Traum hat aufgehört.«« Aber da verwandelte sich
seine Wuth gegen die Räuber in Aerger gegen mich. »Ja, mein Bester!«
sagte er, »das ist ganz gut, aber es ist doch zu toll, solche Träume zu
haben, besonders wenn die Fensterläden geschlossen sind. Ich mußte Dir
ja aufs Wort glauben.« »»Ich danke Dir, bester Freund!«« -- entgegnete
ich, -- »»für Deine Tapferkeit und Deine Hülfe, in der Noth soll man
seine wahren Freunde erkennen. Aber sei nun nicht böse darüber, daß kein
wirklicher Mörder hier ist. Ich werde mich in der Zukunft vernünftigerer
und wahrerer Träume befleißigen.««

[Sidenote: Eine Sonnenfinsterniß.]

Als Steffens fortgereist war, spielten mir die geschlossenen
Fensterläden einen andern Streich. Ich hatte einen alten verunglückten
schwedischen Schuhflicker zum Aufwärter, der zugleich mein Frühstück
besorgte. Zuweilen schmierte er meine Stiefeln mit Butter ein, wenn er
keine Stiefelwichse hatte. Er hatte Frau und Kinder in der Stadt, kam
aber jeden Morgen um 7 Uhr zu mir heraus, öffnete die Fensterläden und
weckte mich wenn ich schlief. Eines Abends hatte ich gehört, daß am
nächsten Morgen um 5 Uhr eine große Sonnenfinsterniß eintreffen würde.
Ich dachte: »die mußt Du auch sehen!« schwärzte ein Stück Fensterglas
über dem Lichte, um dadurch in die Sonne hinaufzuschauen, und sagte
zum Schuhflicker, er müsse etwas vor 5 Uhr auf dem Platze sein, die
Fensterläden öffnen und mich wecken. Am nächsten Morgen erwachte ich
von selbst, es war still und finster rund um mich her, ich drückte den
Kopf wieder in die Kissen und schlief weiter. Endlich erwachte ich zum
zweiten Male. Noch immer war Alles still und finster. Ich dachte: »Nun
muß die Uhr doch bald fünf sein.« Ich konnte nicht länger schlafen,
stand auf, öffnete die Fensterläden ein wenig, um beim Ankleiden sehen
zu können und eilte dann durch die Thüre in den Garten, denn ich
schlief in einer Gartenstube. Ein blendender Sonnenschein strahlte
mir entgegen, aber das störte mich nicht in meinem Vorsatze. Ich nahm
mein geschwärztes Glas hervor und starrte aufmerksam in die Sonne.
Zwei junge Damen saßen auf einer Bank im Schatten. Nachdem sie mir
lange zugesehen hatten, fragte die Eine lachend: »Wonach schauen Sie?«
»»Ich sehe nach der Sonnenfinsterniß, mein Fräulein!«« entgegnete ich,
»»aber sie hat wohl noch nicht begonnen. Die Uhr kann wohl nicht weit
von Fünf sein?«« »Mein Gott!« rief sie erstaunt, »es ist ja schon
Elf! Die Sonnenfinsterniß ist ja vor sechs Stunden vorüber.« »»Na,««
rief ich erbittert, »»daran ist wieder kein Andrer, als der verdammte
Schuhflicker Schuld! Aber ich will's ihn lehren!«« Sie sahen mich
verwundert an, aber als sie hörten, daß er des Morgens nicht da gewesen
sei um die Fensterläden zu öffnen, verstanden sie meine Rede.

[Sidenote: Seltsame Träume.]

Da ich hier von Schlaf und Träumen rede, finde ich den Ort passend, um
zwei andere Träume zu erzählen, die ich gehabt habe. Der erste, glaube
ich, fällt in jene Zeit, der andere um mehrere Jahre später. Ich habe
sie nie vergessen können, und ich erzähle sie ohne Ausschmückung; es
wäre leicht, einen amüsanten Traum zu erfinden, dagegen ist es nicht so
leicht amüsant zu träumen.

Erster Traum. -- Mir träumte, ich läge als Leiche in der Roeskilder
Domkirche, in der nördlichen Kapelle, wo die königlichen schwarzen
sammtbeschlagenen Särge stehen. Plötzlich hörte ich die Schlüssel an
der Gitterthür rasseln, sie ging auf, mein Vater kam mit einem Schwarm
Fremder und zeigte ihnen die Kirche, so wie ich ihn oft in meiner
Kindheit fremden Leuten das Friedrichsberger Schloß hatte zeigen sehen.
Sie näherten sich meinem offnen Sarge und mein Vater sagte: »Dieser
arme Mensch, der hier liegt, ist wirklich zu beklagen! Er bildet sich
ein daß er noch lebt, während er doch schon lange eine todte Mumie
ist. Sehen Sie einmal!« Hier faßte er mich an der großen Zehe und
rieb Etwas davon zwischen den Fingern zu Staub. Er wollte nun mit der
Gesellschaft weiter gehen und das Gitter wieder schließen. Ich fühlte
mich von einer entsetzlichen Angst ergriffen, daß ich da nun mehrere
Tage allein zwischen wirklichen Leichen liegen solle, bis ich selbst
stürbe. Ich strengte alle meine Kräfte an, es gelang mir, mich zu
erheben, und zu den Fremden hinzuwanken, aber mehr vermochte ich nicht;
ich sank wieder zwischen ihnen auf einer Treppe in einen Todesschlummer.
»Sehen Sie wohl?« sagte mein Vater; »lauter Einbildungen! er glaubt
immer, daß er noch lebt. Aber wir könnten ihn doch in ein warmes Bett
bringen, obgleich ich im Voraus weiß, daß es nichts hilft.« Kurz darauf
befand ich mich in einem hohen schmalen Zimmer, mit dunkelgrünem Damast
bekleidet, der von vergoldeten Leisten eingefaßt war. Ich lag in
einem Bett, unter einem Thronhimmel mit dicken drappirten Gardinen,
gleichfalls von dunkelgrünem Damast; in meinem Schlafgemach herrschte
Halbdunkel. Aber dicht daran stieß ein großer Saal voller Menschen,
die an einem Tische saßen. Ich hörte Musik, die Teller rasselten, es
wurde oft laut gelacht, der Glanz der Kronleuchter strahlte durch das
Schlüsselloch zu mir herein, der ich in der dunkeln Einsamkeit da lag,
um zu sterben. Eine unbeschreibliche Lust zu leben, die muntern Freuden
des Lebens zu genießen, erfüllte meine Brust, und gab mir wieder Kraft,
mich zu erheben. Ich sprang aus dem Bett, öffnete die Flügelthüren zum
Saale, eilte hin und setzte mich auf einen leeren Stuhl zwischen zwei
schöne Mädchen, füllte mein Glas und sang:

               »Und soll ich nicht mehr leben frisch
               Und in die Erde sinken,
               Will ich doch noch an diesem Tisch
               Erst lieben -- und singen -- und trinken!«

Darauf stieß ich mit den Schönen an, küßte sie und leerte mein Glas.
Ich fühlte den Rothwein, zu warmem Blute verwandelt, wieder meine Adern
füllen und durchströmen; ich war gesund und frisch und -- erwachte. Des
Verses entsann ich mich noch, und wiederholte ihn so oft, bis ich ihn
nicht mehr vergessen konnte.

Der andere sonderbare zusammenhängende Traum, den ich mich entsinne,
gehabt zu haben, war folgender: Ich befand mich wieder in einer
Kirche, aber sie war klein und hatte einige Aehnlichkeit mit der auf
Friedrichsberg. Ich hatte die Musik zu einer Cantate componirt, die
nicht von mir gedichtet war. Sie wurde von einer zahlreichen Gemeinde
aufgeführt, während der Prediger als Erzbischof, im Purpurgewande, und
mit dem Hirtenstab in der Hand vor dem Altare stand. Die Musik war
rührend und begeisternd. Alle fühlten sich dadurch bewegt. Aber es war
ein Engelchor in der Cantate, den ich nicht zu componiren vermocht
hatte, weil der Inhalt zu himmlisch war. In meiner Verlegenheit hatte
ich dies verschwiegen; das Concert ging vortrefflich ohne Probe, mit
Gesang und Instrumenten vom Blatte, bis man zu dem fehlenden Chor kam,
wo Alles schwieg. Es herrschte Todesstille in der Kirche. Endlich fragte
mich der Prediger laut vom Altare aus: warum ich nicht auch diesen Chor
componirt hätte? Ich antwortete ängstlich: »Ich war es nicht im Stande,
ehrwürdiger Herr! Solche Gefühle kann nur ein seliger Geist ausdrücken,
der ganz vom Erdenstaube befreit ist.« -- Da öffnete sich eine kleine
Thür in der Wand, die Niemand vorher gesehen hatte, nicht weit vom
Altar, etwas über dem Haupte des Predigers. Und Ewald stand dort, bleich
und freundlich mit Schlafrock und Nachtmütze, eine Rolle Noten in der
Hand, die er dem Prediger mit den Worten darreichte: »Ich habe es
componirt!« Im Augenblick war die Oeffnung wieder verschwunden, und die
Stelle, wo sie gewesen war, nicht zu erkennen. Die Musik wurde gleich
ausgeführt; ihre himmlische Milde läßt sich nicht beschreiben; sie löste
meine ganze Seele auf, und ich erwachte, in Thränen gebadet.

Man sieht hieraus, daß mich doch nicht immer Räuber- oder Mörderträume
ängstigten, sondern daß ich auch schön träumen konnte; obgleich der
erste Traum, trotz seiner poetischen Einkleidung, etwas mit der alten
Geschichte gemein hatte, und gleich dem Räubertraume, auf Lebensgefahr
und Rettung hinausläuft.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Festgedicht an Steffens.]

In dem zweiten Sommer unserer Bekanntschaft reiste Steffens nach Halle,
und holte seine schöne Braut, =Hanna Reichardt=. Hierdurch wurde unser
gesellschaftlicher Kreis vergrößert und belebt. Zu ihrer Ankunft
veranstaltete ich ein Fest, an dem auch Camma Rahbek und meine Schwester
Theil nahmen. Bei dieser Gelegenheit schrieb ich mein erstes deutsches
Gedicht, damit die junge deutsche Frau es verstehen solle. Es lautete,
mit wenigen Veränderungen, ungefähr so:

               Es war einmal ein Junggesell
               Voll Eigensinn;
               Der wollte, wie ein flücht'ger Quell,
               Ins Weite hin;
               Es ward ihm gar zu eng und weh
               Im alten Haus,
               Drum sagt der wilde Bursch Ade,
               Und zog hinaus,
               Und fuhr auf die Fluthen nach Norweg.

               Der Herr Gott ließ die Winde los,
               Beim Strafgericht:[2]
               Der Jüngling fiel in Meeresschoos;
               Doch starb er nicht.
               Ganz trocken bald -- ich weiß nicht wie --
               Und wieder flott
               Stand er -- und war ein Kraftgenie!
               Du lieber Gott!
               Zur Sünde nur war er gerettet!

               Drauf streift er weit, im röm'schen Reich,
               Und sucht Natur;
               Vertiefte sich in Wald und Teich,
               Und Blumenflur;
               In Schachten nach dem Urgestein
               Er suchend kroch;
               Sah nach den süßen Mägdelein,
               Durchs Fensterloch,
               Und Alles der Wissenschaften wegen.

               Da fügt's sein Schicksal, immer gut,
               Solchergestalt;
               Er macht, mit liebevollem Muth
               In Halle Halt.
               Was einzeln erst im Bergrevier
               Und Flur er sah,
               Vereinigt in dem Mädchen hier
               Stand Alles da.
               Da ward's ihm gar freudig zu Muthe!

               Nun braucht' er gar nicht suchen gehn
               Lazurgestein;
               Ins Auge braucht er nur zu sehn
               Dem Mägdelein;
               Und wenn die Rosenlippen süß
               Er lächeln sah,
               War gar nichts auf der Blumenwies'
               Von Rosen da;
               Sie welkten, vor Neid, und erbleichten.

               Des Dichters goldner Leierklang
               Er auch vermied,
               Wenn sie mit süßer Stimme sang
               Des Vaters Lied.
               Der Vogel saß so andachtsvoll
               Am grünen Ort,
               Wenn über ihre Lippen quoll
               Das holde Wort;
               Es rieselte leiser die Quelle.

               Nun lieber Heinrich bist Du hier
               Mit ihr im Bund';
               Drum singen und drum jauchzen wir
               Aus Herzensgrund;
               Drum zechen wir, mit großer Lust,
               Den guten Wein,
               Und drücken Dich an unsre Brust,
               Und singen drein:
               Willkommen uns, =Heinrich= und =Hanna=!

  [2] Steffens litt auf dieser Reise Schiffbruch.

Die Freude, diese lieben Freunde in unsere Nähe zu haben, währte nicht
lange, im folgenden Jahre verließen sie uns leider wieder, da Steffens
als Professor nach Halle berufen wurde.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Ein Symposion.]

Ein Freund meines Jugendfreundes Winckler (mit dem ich in der letzten
Zeit nur wenig umgegangen war) reiste kurz darauf nach Westindien. Sie
veranstalteten Beide bei dieser Gelegenheit ein Fest, wobei es besonders
auf ein Trinken losgehen sollte, weßhalb sie auf ihren Einladungskarten
das Fest auch ein =Symposion= nannten. Zur Ehre unserer Landsleute kann
man wohl sagen, daß es bereits in meiner Jugend selten war, betrunkene
Leute zu sehen. Selbst unter den Bauern wurde ein »Jeppe vom Berge« mehr
und mehr zu einer Ausnahme. Nur unter den Matrosen war es häufiger, weil
es scheint, als ob das Trinken mit zu ihrem Elemente gehöre. Aber im
Ganzen genommen paßte Hamlet's Replik nicht mehr auf uns:

             »_This heavy-headed revel, ease and west,
             Makes us traduc'd, and tax'd of others nations;
             They clepe us drunkards._«

Dagegen hatte man eine Menge Erzählungen von lustigen Trinkgelagen in
alten Tagen, die mit Witz und Humor abgehalten worden waren. Ein solches
veredeltes Bacchusfest war das, welches unsere Freunde hier wieder
bereiten wollten. Zum Ort für das Fest wählte man das Ermelundhaus im
Thiergarten, welches, die Brunnenzeit ausgenommen, einsam daliegt.
Unsere Wirthe mietheten das ganze Haus für den Abend, und kein Fremder
wurde eingelassen. Man hatte dafür gesorgt, daß sich nichts Plumpes
und Widerliches in den muntern Uebermuth mischen solle; die große
Gesellschaft bestand meistens aus Gelehrten und Künstlern. -- Nun ging
es auf ein Trinken los, und die Kunst bestand darin, so übermüthig als
möglich zu sein, ohne brutal und geschmacklos zu werden. Die Convenienz
und die Formen konnte man hingegen, so viel man wollte, übertreten;
das wünschte man gerade, und Keiner durfte dem Andern eine Tollheit
übelnehmen. Das Haus wurde den Gästen von den Wirthen Preis gegeben, und
die Freude der Betrunkenen, Spiegel und Fenster in Stücke zu schlagen
(welches in der Natur des Rausches liegt, weil der Mensch in diesem
Zustande gern seine flüchtige Phantasie mit der einen oder der andern
plötzlichen oder abenteuerlichen Verwandlung unterhält) stand Jedem
frei, und wurde auch zuweilen ausgeübt; obgleich mit Bescheidenheit und
ohne Schadenfreude, nur um dem Uebermuthe zu huldigen. Mitten in einem
ernsten Gespräche sah man wissenschaftlich gebildete geistreiche Männer
bald einen kleinen Spiegel von geringem Werthe, bald eine Fensterscheibe
in Stücke schlagen, ohne daß dies die geringste Stockung im Gespräche
hervorrief. Einer der Gäste goß etwas Rothwein aus seinem Glase in Hans
Christian Oersted's Halskrause, als dieser gerade im Begriff war, etwas
Schwieriges in der Physik zu erklären. Er bat Oersted, es um Gottes
Willen nicht übel zu nehmen, worauf dieser ruhig antwortete: »Da müßte
ich doch ein großes Kameel sein, wenn ich darüber böse werden wollte.«
-- Ein vorzüglich guter Schauspieler, der von uns Allen geliebt war,
hatte gerade einen rührenden Vater in einem von Kotzebue's Stücken
gespielt, und kam etwas spät, als wir Andere bereits die Gläser tüchtig
geleert hatten. Da er noch nüchtern war, wollte er satyrisch sein,
aber ich sagte: »Lieber Freund, wir sind bereits lange über die Satyre
hinaus! Mache rasch und werde lustig und guter Dinge gerade wie wir.«
Kaum hörte er dies, so setzte er eine Flasche an den Mund; und mit
unglaublicher Geschwindigkeit hatte er bald uns Alle eingeholt und
wurde der gemüthlichste Mensch von der Welt. Aber zuletzt wurde es ihm
zu heiß, denn es war in der warmen Jahreszeit; er warf Stiefel und
Oberkleider ab, und stolzirte endlich munter in durchaus anständigen
Unterhosen umher. So wurde er in einen Wagen gesetzt und Einige der
Anwesenden wollten ihn entführen, aber seine Abwesenheit wurde bald
bemerkt; Eilboten zu Pferde wurden ihm nachgesandt, holten ihn eine
Viertelstunde vom Wirthshause ein und brachten ihn im Triumphe zurück.
Wir standen Alle in der Thür, als er ankam; und während er in bloßen
Strümpfen aus dem Wagen stieg, grüßte er voller Huld und sagte: »Es
war ein Mißverständniß, meine Herren! es war ein Mißverständniß!« Man
hatte ihm nämlich gesagt, daß das Fest in einem anderen Wirthshause
fortgesetzt werden solle. Solcher lustigen Scenen fanden viele statt.

Die Wirthin war auch froh darüber, daß sie Alles auf die Rechnung setzen
konnte; sie characterisirte den Zustand der Gäste nach den zerschlagenen
Sachen, und sagte zu ihrem Mädchen: »Nun sind sie bei den Fenstern! Nun
sind sie bei den Spiegeln!« u. s. w.

Endlich begann doch die Natur ihr Recht zu verlangen; Viele wurden
schläfrig und gingen in die Kammern hinauf, wo für ihre Bequemlichkeit
gesorgt war. Einige hatten sich etwas mit dem Glase geschnitten, Andere
waren seekrank. Da nun Kopenhagens beste, junge Aerzte da waren, so
theilte man die Patienten, wie in dem Hospitale, in die chirurgische und
die medicinische Seite ein, besuchte sie fleißig und heilte sie bald.
Winckler selbst, als er merkte, daß er die Augen nicht länger aufhalten
könne, lehnte sich an die Brust eines Freundes, trug ihm auf, für die
Punschbowlen zu sorgen, sagte ihm, wie viel Rum, wie viel Citronen und
wie viel Zucker zu jeder gehöre; und als er derart gewissenhaft sein
Testament gemacht hatte, schlief er sanft ein.

Gegen Morgen hin fuhren wir wieder zur Stadt; aber am Nachmittag
waren wir zu einem großen Thee auf der Schießbahn eingeladen, wo wir
zusammenkommen und mit einander von den Begebenheiten des vergangenen
Tages reden wollten, gleich den Asen in Gimle, nach Ragnarokur von den
Thaten des vorigen Lebens. Hier wurde nun ein köstliches Abenteuer
erzählt, das Einigen in der Gesellschaft begegnet war. Sie hatten
nämlich die Absicht, auf dem Heimwege abzusteigen und in einem Gasthause
zu frühstücken; aber da die Uhr noch nicht einmal drei war und man ihnen
die Thür nicht öffnen wollte, kletterten sie über die Mauer. Da saßen
sie nun rittlings, wie die Klammern an der Wäsche, als der Wirth im
bloßen Hemde mit seiner geladenen Büchse herauskam und sie, wie Spatzen,
herunterschießen wollte, weil er glaubte, es seien Räuber. Erst nach
vielen Eiden und Versicherungen überzeugten sie ihn, daß sie ehrliche
Leute seien, die nur in der edlen Absicht gekommen wären, ihm Etwas zu
verdienen zu geben.

In diesem muntern, ungewöhnlichen Symposion nahm auch ich, ohne es noch
zu wissen, Abschied von meinem Vaterlande und dem lieben seeländischen
Walde. Mein Plan war gefaßt, ich gab die Jurisprudenz auf, ich fühlte,
daß die Natur mich zum Dichter geschaffen habe, daß es thöricht und
vergeblich sei, gegen meinen Beruf anzukämpfen. Freilich sah ich ein,
daß ich, indem ich den allgemeinen Weg verließ, auch die Beamtenbahn
aufgab; aber es ahnete mir, daß ein schmaler Steg, der freilich über
tiefe Moore ging, in denen man leicht stecken bleiben konnte, mich
rascher zum Ziele führen würde.

[Sidenote: Der Maler Abildgaard.]

Ich hatte zuerst beschlossen, mich auf das Isländische zu legen, und
einige alte Sagen zu übersetzen; ein Subscriptionsplan war bereits
entworfen; ich hatte auch die Akademie der Künste gebeten, mir einen
Saal zu leihen, in dem ich Vorlesungen über nordische Mythologie halten
wollte, da das fehlende Doctordiplom es mir nicht gestattete, sie in
der Universität zu halten. Ich sprach deßhalb mit Thorwaldsen's Lehrer,
dem Director der Akademie, Maler =Abildgaard=. Dieser lange hagere Mann
hatte bedeutende Gaben, sehr viel Talent, große Kunstfertigkeit; aber
ein gewisser Eigensinn, eine ihm zur andern Natur gewordene Manier
schadeten ihm. Farbensinn hatte er in einem seltenen Grade, zeichnen
konnte er vorzüglich, und so ist Thorwaldsen ihm Dank schuldig, so wie
ein großer Philolog seinem verständigen Rector, der dem Schüler zeitig
durch fleißigen Unterricht die unentbehrliche Grammatik einprägte. Als
ich Abildgaard erzählte, daß ich für die nordische Mythologie begeistert
sei, machte er mir erst die gewöhnlichen Einwendungen; aber als ich ihm
einige meiner Ideen mitgetheilt hatte, betrachtete er mich mit großer
Aufmerksamkeit; sein spöttisches Lächeln verwandelte sich allmälig
in eine ernste Verwunderung, und als ich fertig war, sagte er: »Ja,
ich bin wahrhaftig nicht der Mann, der sich dem Guten und Sinnreichen
widersetzt, weil es neu ist!« -- Wir sprachen über mehrere Gegenstände,
auch über Poesie; und da bemerkte ich nun, daß er sich von dieser
einen falschen Begriff machte. Er sagte: »Mit Poesie und Kunst verhält
es sich ganz entgegengesetzt. Ein Dichter liegt in der Nacht schlaflos
da, es entsteht eine glückliche Idee in seinem Kopfe, er spricht sie
aus, und hat sich unsterblich gemacht. Der Künstler muß viel arbeiten,
und gelangt erst allmälig zum Ziele!« Ich entgegnete ihm: »daß der
Dichter sich auch, aber wissenschaftlich, ausbilden müsse, daß eine
glücklich ausgesprochene Idee freilich Hoffnungen wecke, aber noch nicht
den wahren Dichter zeige; daß auch viel Arbeit, Kunst, Studium und
Nachdenken dazu gehöre, um ein bedeutendes Dichterwerk hervorzubringen
und zu vollenden.« -- Abildgaard nahm freundlich von mir Abschied; kurz
darauf änderte ich meinen Beschluß und sah ihn nicht wieder.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Die Gräfin Schimmelmann.]

Man sagte mir, daß die Gräfin =Schimmelmann= meine poetischen Schriften
gelesen habe, und daß sie den Verfasser des Aladdin gern sehen wollte.
Zugleich wünschte man mir Glück zu dieser Bekanntschaft; »denn«,
sagte man, »Graf Schimmelmann achte und liebe Talente und helfe ihnen
vorwärts, wo er könne. So habe er meinen Freunden Bentzon und Steffens
früher geholfen, und es sei daher möglich, daß er auch Etwas für mich
als Dichter thun würde, besonders wenn die Gräfin auf meiner Seite
stehe.«

Ich ging also an einem schönen Sommertage mit pochendem Herzen nach
seinem Landgute Seelust hinaus. Als Kind und Knabe war ich oft an
der schönen Emilienquelle vorübergegangen und gefahren. Eine Gräfin
Emilie Rantzau war Schimmelmann's erste Frau gewesen, die er bis zur
Schwärmerei geliebt, deshalb hatte er ein Auge in den Stein aushauen
lassen, welches stets weinte, wenn das Wasser herausfloß. Diese Idee war
nun zwar weniger glücklich, aber muß durch den sentimentalen Geschmack
jener Zeit entschuldigt werden. Was Schimmelmann's eigene Augen betraf,
so weinten sie nicht mehr über einen Verlust, den ihm seine zweite Frau,
Charlotte Schubart, wiederum ersetzte.

Heute ging ich nicht zur Quelle, sondern wendete mich in den Hof
hinein, wo ich nie gewesen war; zum ersten Mal in meinem Leben sollte
ich eine so vornehme Dame besuchen, die ich noch nie gesehen hatte. Ich
stand im Vorzimmer, wartete, drehte den Hut in der Hand, faßte Muth
und beschloß, mich nicht verblüffen zu lassen -- als eine bleiche,
magere Frau, einfach gekleidet, hereintrat und freundlich grüßend
sagte: »Mein Mann wird gleich kommen.« Das war also die Frau Gräfin.
Sie nahm mich mit in ihren großen Gartensalon, wir wurden bald bekannt,
und ich bekam Muth, als ich merkte, daß ich in ein Haus gekommen sei,
wo man Poesie verstand, und sie mit zu den höheren Nothwendigkeiten
des Lebens rechnete. Schimmelmann's Eintritt und Gespräch setzte
mich in nicht geringe Verwunderung. Ein solches Wesen hatte ich mir
früher nie gedacht, nie in einem Dichterwerk dargestellt gesehen.
Die eigenthümlichen Contraste waren bei ihm auf eine so naive Weise
verbunden, daß sie sich zur Harmonie vereinigten.

[Sidenote: Der Graf Schimmelmann.]

Er war klein, mager und häßlich, er schielte mit einem der kleinen
dreieckigen Augen, war pockennarbig und schnupfte stark Taback, und das
mit einer Nachlässigkeit, die unangenehme Spuren an Kleidern und Fingern
zurückließ. So trat er wankend ein, mit blauem moirirtem Ritterbande
und zwei großen Sternen auf der Brust, die dünnen Haare frisirt und
gepudert und mit einem kleinen Zopf in dem Nacken. Ich stutzte fast
über diese Häßlichkeit; aber kaum hatte er einige Worte gesprochen,
als sich das schönste, freundlichste Wesen über dem pockennarbigen
Gesicht ausbreitete, als das eine Auge, das nicht schielte, mit einer
so ausnehmenden, ehrlichen, tiefen Menschenliebe in mein Herz lächelte,
-- daß ich glaubte Sokrates zu schauen; doch lag keine Ironie in diesem
Lächeln, es war bescheiden, mädchenhaft, schüchtern, gefühlvoll. Das
Ritterband verschwand vor dem Bande der Natur, mit dem ich mich gleich
an diese edle Seele geknüpft fühlte, und die Sterne auf der Brust
wurden Flitterstaat gegen das himmlische Sternenfeuer, das in seinem
geistvollen Auge funkelte.

Ich kehre später zu diesem edlen Manne zurück, und will diesmal
nur noch bemerken: die Gräfin hatte Sinn und Geschmack für Poesie;
Schimmelmann hatte Seele und selbst Genie. Aber hier herrschte nun
wieder der eigenthümliche Contrast! Trotz der treuesten Hingebung für
die Gegenstände war er im höchsten Grade zerstreut, und dieser Zustand
erlaubte ihm nicht, lange Zeit bei einer Vorstellung zu verweilen. --
Erst viele Jahre darauf fand ich den Schlüssel zu diesem seltsamen
Wesen. Schimmelmann war ein Siebenmonatskind. Was wäre nicht aus ihm
geworden, wenn ihm die zwei Monate noch vergönnt gewesen wären. Er rieth
mir, Se. Königl. Hoheit den Kronprinzen (später Friedrich VI.) um ein
Reisestipendium aus dem Fond ad usus publicos nachzusuchen. Froh setzte
ich mich nun mit meinen Wohlthätern an eine prächtige Tafel, jener
gleich, die ich auf Friedrichsberg so oft gesehen, aber an der ich nie
Theil genommen hatte.

                    *       *       *       *       *

[Sidenote: Friderike Brun.]

Ich machte in der Zeit auch die Bekanntschaft der Dichterin Frau
Etatsräthin =Brun= auf Frederiksdal. Mein guter Freund =Rothe= (später
Prediger bei der Trinitatiskirche) war der Hauslehrer des Sohnes. Auch
hier traf ich die sonderbarsten Contraste, doch nicht in einer Person
vereinigt. Wenn ein Komödiendichter den Gegensatz von übertrieben
poetischer und übertrieben prosaischer Tendenz schildern wollte, so
konnte man hierzu nie besser Veranlassung finden, als im Etatsrath
(späterem Geheimrath) Brun und seiner Frau. Der erste, Kaufmann mit
Leib und -- _sit venia verbo_ -- Seele; praktisch, thätig, auf Geld
versessen, wie ein Habicht auf die Beute; aber ohne jede höhere Idee;
der Poesie, als Kinderstreichen, und seiner eigenen Ehehälfte, als der
Repräsentantin der Poesie auf Sophienholm, spottend. Frau Brun war in
der Klopstock'-, Salis'-, Mathisson'-Bonstetten'schen Schule gebildet.
Die sentimentale Richtung, die ihr Wesen hierdurch genommen hatte,
sagte ihrem Manne nicht zu, der den Mond nur als Zeitmesser und als
eine gute große Laterne betrachtete, deren Licht kein Geld kostete.
Man erzählte aber doch als eine Merkwürdigkeit, daß Brun einmal als
Liebhaber, um ihr zu gefallen, ihr eine ganze Ode von Klopstock recitirt
habe, die er auswendig gelernt hatte. Wenn dies der Fall ist, zeugt
es von seinem guten Kopfe, der zu allen Geschäften geschickt war, aus
denen er Vortheil ziehen zu können glaubte, selbst zum Auswendiglernen
der Poesie. Aber in sich hinein hatte er sie nie gelernt. Die gute Frau
Brun -- (ich werde sie und ihren Mann später näher besprechen) hatte
viel Geist, ein leicht bewegliches Gefühl, und war dadurch gebildet,
daß sie auf ihren Reisen mit den tüchtigsten Köpfen des Zeitalters
umgegangen war. Unglücklicherweise war sie schwerhörig geworden und
dies in Verbindung mit der Bequemlichkeit und Unabhängigkeit, die der
Reichthum verschafft, hatte sie mehr zu einer theilnehmenden Zuschauerin
des Lebens, als zu einer eingreifend handelnden Person gemacht. Darin
stimmten aber doch Mann und Frau überein, daß sie Beide einen eleganten
Kreis an einem Orte um sich liebten, der durch Wohlstand und Geschmack
verschönert wurde. Denn Brun war nicht ohne Geschmack für das Behagliche
des Lebens; er hatte auch einen gewissen naiven plattdeutschen Humor,
der für ihn einnahm; und das stete Hacken und Schelten auf seine Frau,
wenn sie nicht zugegen war -- (und wenn sie zugegen war, konnte sie
es doch nicht hören) hatte etwas Amüsantes, gerade weil die komische
Uebertreibung zeigte, daß es nur halb gemeint war.

Auf diesem schönen Sophienholm brachte ich nun auch einige angenehme
Tage vor meiner Abreise zu.

[Sidenote: Abreise.]

Ich zeigte Schimmelmann mein Gesuch an den König um das Reisestipendium.
»Ein solches Gesuch =kann= ja nicht abgeschlagen werden!« sagte er
lächelnd. Ich betrachtete nun die Sache als abgemacht; aber um nicht
Zeit zu verlieren, und um -- gleich den kühnen Soldaten -- die Brücke
hinter mit abzubrechen, so wie ich über den Fluß gekommen war, reiste
ich gleich nach Halle, da Steffens mich dorthin eingeladen hatte, und
-- um Christianen und mir selbst den Schmerz des Abschiedes zu ersparen,
sagte ich ihr vorläufig, daß es nur eine kleine Lustreise auf einen
Monat sei.

Mein Vater gab mir hundert Reichsthaler in einem dicken Packet kleiner
Scheine, um die Kosten bestreiten zu können, bis das Stipendium
einträfe. Im Anfang furchtsam, da ich nie vorher eine so große Summe
besessen hatte, griff ich oft ängstlich in die Tasche, um zu sehen, ob
das Geld noch da sei. So bestieg ich im Anfang des Monats August 1805
das Packetboot, um nach Kiel zu reisen. Sobald ich nach Hamburg gekommen
war, schrieb ich meiner Christiane. Mit diesem Briefe beginnen wir den
zweiten Theil meiner Erinnerungen.

                    *       *       *       *       *

                        =Ende des ersten Bandes.=

                  Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.

                    *       *       *       *       *




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additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
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