Meister Autor; oder, die Geschichten vom versunkenen Garten

By Wilhelm Raabe

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Title: Meister Autor
       oder Die Geschichten vom versunkenen Garten

Author: Wilhelm Raabe

Release Date: March 18, 2011 [EBook #35603]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MEISTER AUTOR ***




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  Wilhelm Raabe
  Bücherei
  Erste Reihe
  Band 14


  Wilhelm Raabe
  Bücherei
  Erste Reihe:
  Kleinere Erzählungen

  Vierzehnter Band

  Berlin-Grunewald
  Verlagsanstalt für Litteratur und
  Kunst/Hermann Klemm


  Wilhelm Raabe
  Meister Autor
  oder
  Die Geschichten vom versunkenen Garten

  Dritte Auflage
  11.-16. Tausend

  Berlin-Grunewald
  Verlagsanstalt für Litteratur und
  Kunst/Hermann Klemm


  Gedruckt bei G. Kreysing in Leipzig
  Einbandzeichnung entworfen von Bernhard Lorenz
  Den Einband fertigte H. Fikentscher in Leipzig




  Meister Autor
  oder
  Die Geschichten vom versunkenen Garten




Erstes Kapitel.


Wann und unter welchen Umständen der Meister Kunemund den Ausspruch tat,
weiß ich nicht mehr; aber daß er ihn tat, weiß ich.

Er sagte nämlich:

»Ich verstehe die Welt wohl noch, aber sie versteht mich nicht mehr, und so
werden wir wohl nie mehr so zusammenkommen, wie damals, als wir beide noch
jünger waren. Na, mir ist's zuletzt einerlei; ja, Herr, es kitzelt einen
sogar dann und wann, wenn man bei sich überlegt, daß man im Grunde der
Jüngere von zweien geblieben ist. Laß sie alt werden, die Welt; was
kümmert's mich!«

Nun sehe ich ihn doch wieder ganz genau vor mir, wie er dasaß und das Wort
sagte. Es ist ganz richtig, er saß auf seiner Schnitzbank und fuchtelte mir
mit seinem Schnitzmesser bedenklich vor der Nase herum, bedenklich,
obgleich dieses Messer ein ganz guter, alter Bekannter von mir war. Es war
ein berühmtes Messer und war aus fernster Volksurzeit von Hand zu Hand bis
in die Hand des Meisters herabgelangt, und er wußte gerade so gut damit
umzugehen, wie alle, die es vor ihm geführt und sich damit gewehrt hatten.

Mündliche Tradition, Schreiberkunst und Druckerkunst geben uns recht:

»Da ging der Junge vor den König und sprach: Wenn's erlaubt wäre, so wollte
ich wohl drei Nächte in dem verwünschten Schloß wachen. Der König sah ihn
an, und weil er ihm gefiel, sprach er: Du darfst dir noch dreierlei
ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein, und darfst das mit ins Schloß
nehmen. Da antwortete er: So bitt' ich um ein Feuer, eine Drehbank und eine
Schnitzbank mit dem Messer.«

Nun wissen wir alle, was für Ungetüm und Gespenstertum der Junge in den
drei Nächten sich vom Leibe zu halten hatte, wie er mit den Katzen Karten
spielte und wie ihm halbe Menschen durch den Schornstein herunterfielen, --
halbe Menschen, zu denen er sich erst die andere Hälfte ausbitten mußte,
ehe er imstande war, mit ihnen Kegel zu schieben. Wir haben manchmal, --
manch liebes Mal unser Vergnügen an der Unbefangenheit des Jungen gehabt
und vielleicht ihn auch dann und wann um sie beneidet: von diesem Jungen
aber stammte der Meister Kunemund in gradester Linie ab und war insofern
mit den berühmtesten Leuten im deutschen Volke verwandt, und nicht allein
im deutschen Volke. --

Doch da hat mich das Anfangen sofort weit in die Mitte meines Berichtes
hineingerissen, und das zeigt einmal von neuem, daß es immer ein gewagtes
Unterfangen ist, große Herren und Damen, bedeutende Menschen, eigentümliche
und selbständige Charaktere mit der Federspitze anzutupfen.
Glücklicherweise aber gelingt es mir dieses Mal noch zur rechten Zeit, mich
zu besinnen: ich hebe von neuem an, zu erzählen.

Wir kamen über ihn von Kneitlingen aus; jung und alt, Männlein und
Weiblein, eine Auswahl und Auslese feiner, liebenswürdiger und gebildeter
Gesellschaft deutscher Abstammung und Zunge -- was die Abstammung anbetraf
natürlich unter dem dazu gehörigen Vorbehalt. Wir kamen über ihn, Leute von
guten Mitteln: junge Herren, die ihre drei Examina vollgültig bestanden
hatten, zierliche Fräulein aus den höchsten Töchterschulen, gediegene und
wohlgediehene Väter und Mütter, Onkel und Tanten. Wir kamen recht lebhaft
und sehr heiter angeregt über ihn; denn wir machten von Schöppenstedt aus
eine Vergnügungsfahrt in den Elmwald, hatten Schöppenstedt vermittelst der
Eisenbahn erreicht und das berühmte Dorf Kneitlingen und den Wald
vermittelst zweier Bauerwagen, auf denen mit Hülfe von Brettern und
Strohbündeln eine genügende Anzahl zweckdienlicher Sitze für uns
hergerichtet worden war.

Nun liegt hier vor mir ein anderes Dokument, und zwar in Folio: -- Merians
Topographia und Beschreibung der vornehmsten Städte, Schlösser, auch
anderer Örter im Herzogtum Braunschweig und Lüneburg. Auf der Kupfertafel,
welche den nicht unberühmten Platz und Ort Schöppenstedt darstellt, zieht
sich im Hintergrunde gleichfalls natürlich der Elm hin, und über einigen
Hausdächern, die am Rande des Waldes aus dem Gebüsch hervorragen, lesen wir
die Legende:

Kneitlingen, allwo das fromme Kind Eulenspiegel geboren wurde.

Wir erreichten den Elm über Kneitlingen hinaus. --

Über Kneitlingen hinaus, linksab, unbestimmt tief in den Wald hineinwärts,
da wohnte der Meister Kunemund, den die Welt nicht mehr so recht verstand,
weil er ihr zu jung geblieben war. Da wohnte er ziemlich verborgen, daß
heißt er hatte sich einem Förster in die Kost und unter Dach getan; und da
machte ich seine Bekanntschaft und er die meinige, was unter Umständen
nicht sich von selber versteht, oder besser gesagt, nicht dasselbe ist.

Wir führten in mehreren Körben einen genügenden Vorrat von Lebensmitteln
sowie auch eine erkleckliche Anzahl Flaschen mit allerlei Getränk mit uns
und konnten also recht vergnügt sein. Unter der Leitung eines jungen
Forstmannes im grünen Rock und mit einem papiernen Hemdkragen frühstückten
wir mitten im im Quincunx gepflanzten Musterforst, wie die bessern Stände
auf ihren Ausflügen in die freie unverfälschte Natur zu frühstücken
pflegen. Nachher spielte man, wiederum unter der Leitung des eben erwähnten
jungen Forstmanns, Blindekuh und sonstige unschuldige Spiele, was sehr
hübsch war, aber auch den Höhepunkt des Vergnügens bildete; denn im Grunde
mißlang jeder spätere Versuch, sich noch höher und tiefer in das volle
Naturbehagen hinauf- und hineinzuschrauben, vollständig. Daß ein jeglicher
in der Gesellschaft die Schuld an der von Viertelstunde zu Viertelstunde
mehr einreißenden Langeweile und Verdrießlichkeit nicht sich selber zumaß,
war unter diesen Verhältnissen natürlich: das Gefühl, mit dem linken Fuße
zuerst und noch dazu viel zu früh aus dem Bette gestiegen zu sein, wurde
allgemein.

Der junge Grünling mit dem Papierkragen war der letzte, dessen
Lebensgeister sanken; aber auch ihm sanken sie. Er fing an, uns eine frisch
von der Forstakademie mitgebrachte wissenschaftliche Abhandlung über
moderne Waldwirtschaft zu halten und setzte dadurch dem Vergnügen freilich
die Krone auf.

Mit der Mißachtung selbst der jungen Damen beladen, verlor er sich für ein
geraume Zeit in einer jungen Schonung und kam erst dann wieder zum
Vorschein, als die Gesellschaft den Versuch, im Walde Mittagsruhe zu
halten, durch Ameisen, Kopfweh, Waldspinnen und Gliederschmerzen gehindert,
aufgegeben hatte. Der holde, wolkenlose Tag übte immer sonderbarere Wirkung
auf die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an dem Vergnügen. Begrabene, mehr
oder weniger tief zugedeckte Feindschaften und Feindseligkeiten wühlten
sich mit überraschender Schnelligkeit von neuem ans Licht. Wer etwas gegen
seinen Nachbarn oder seine Nachbarin im Grase auf dem Herzen hatte, der
fühlte einen unwiderstehlichen Kitzel, es von demselbigen los zu werden,
und zwar auf die anzüglichste, unangenehmste Weise. Und da wieder wurden
vorzüglich die Damen scharf, sowohl die jungen wie die ältern, sie
pflückten füreinander kuriose Sträuße unter den Büschen, und es wurde die
höchste Zeit, daß irgend jemand sich begütigend dreinlegte.

Dieser jemand war ich, und ich warf den Vorschlag in die allgemeine
Verbitterung, alle Streitigkeiten für jetzt beiseite zu schieben und sie
für die Heimfahrt, für das trauliche Beieinandersitzen auf den zwei
Leiterwagen und im Eisenbahnwagen aufzusparen.

Da man mich nur von der Seite ansah, so erweiterte ich meinen Vorschlag
dahin, daß man, um den Tag ganz auszunutzen, einem Försterhause, das ich
eine halbe Stunde weiter in den Wald hineingelegen wußte, einen Besuch
abstatten solle. Sauere Milch wirke kühlend und erfrischend, und der Tag
sei noch sehr lang.

Nun sah man sich an, und der Vorschlag fand genügende Unterstützung.

»Tofote heißt der Förster dort,« sagte der junge Herr von Müller. »Es ist
eine eigentümliche Wirtschaft dort. Bei der Forstbehörde ist der Kerl grade
nicht zum besten angeschrieben, aber das braucht uns freilich nicht
abzuhalten, ihm eine Visite zu machen. Die Idee ist gut, überfallen wir den
Burschen! Wenn die Herrschaften erlauben, werde ich den Weg andeuten.«

Nun waren alle Lebensgeister auf einmal wieder wach, und wir im nächsten
Augenblick auf dem Marsche durch den Elm zum Förster Arend Tofote. Die
jungen Leute stimmten ein Waldlied von Eichendorff an, welches sehr hübsch
und romantisch unter den hohen Buchenwölbungen klang; und wer uns nun
wieder sah und hörte, der war verpflichtet, ohne Widerstand und Widerrede
verpflichtet, uns für das zu nehmen, was wir schienen, nämlich
waldfröhliche, hübsche, vergnügte Kinder der Natur, junge sowohl wie alte.




Zweites Kapitel.


Ich heiße Schmidt. Mein Name ist drolligerweise sogar _von Schmidt_. Es
ist beängstigend aber wahr, ich gehöre dem Adel der deutschen Nation an,
und ich habe sogar meinen Vater noch in Verdacht, sich etwas darauf zugute
getan zu haben. Bei welchem Märchenkönig der Ahnherr meines Geschlechtes
Kanzler oder lustiger Rat war, habe ich nie herausbekommen können; aber daß
wir ein altes Geschlecht sind, das weiß ich; und daß wir selten unseres
Glückes Schmiede waren, das weiß ich leider auch. Seit ich den Meister
Autor Kunemund kennen gelernt habe, bilde ich mir ein, daß unsere Bezüge
mehr als tausend Jahre alt sind, und es würde mich gerade nicht wundern,
wenn der Ahnherr derer von Schmidt im geheimen Rate jenes braven Jungen
gesessen hätte, der König wurde, weil's ihm nicht gruselte, und dem das
Gruseln erst längere Zeit nach seinem Regierungsantritt durch seine Frau
gelehrt wurde.

Dieses beiläufig, jedoch nicht ohne Grund. -- Wir zogen also durch den
Wald, den Förster Arend Tofote zu besuchen, und wir stießen zuerst auf den
Meister Autor.

Wir kamen über ihn an einem Bache, dem die Begünstigung, durch den
Musterforst rieseln zu dürfen, noch nicht von der Oberforstbehörde genommen
worden war, und wir faßten ihn eigentlich in einer für das Gefühl der Damen
etwas fraglichen Situation ab. Seine Schuhe standen neben ihm, seine Füße
standen im Wasser, braun und knochig; Füße, auf denen er länger als ein
halbes Jahrhundert herumgelaufen war. Der Tag war heiß, und der Meister
Kunemund nahm ein Fußbad.

»Hol' mich der Teufel!« sagte er, als wir plötzlich durch das Gebüsch
rauschten und auf sein Behagen hereinbrachen. Er ist immer ein höflicher
Mann gewesen, denn wer hätte es ihm verdenken können, wenn er gerufen
hätte: »Hole euch alle insgesamt, -- hole euch ohne jegliche Ausnahme der
Teufel! --?«

Er war nicht allein, als wir ihn überraschten. Er hatte auch seine
Gesellschaft bei sich: einen schiefbeinigen, sagenhaft aussehenden
Dachshund und ein kleines zehnjähriges Mädchen. Der Dachshund saß neben
ihm, dicht an seiner Seite. Das kleine Mädchen saß ihm gegenüber am andern
Rande des Bachs, von Sonne und Blätterschatten umspielt. Es saß, den Rücken
an einen Baum gelehnt, die Arme kindlich über der Brust ineinander gelegt,
das Mäulchen gespitzt, wie zu einem Pfiff oder Kuß. Wenn man ihr den
letztern gegeben haben würde, und sie hätte das Näschen gerümpft, so würde
man vollkommen in seinem Recht gewesen sein, wenn man gerufen hätte:

»Jetzt nimmt sie es gar noch übel!« --

Als wir da waren, das heißt als der Alte uns herankommen hörte, sah er sich
um; und das Kind stand auf. Der Dachs stand auch auf, wenn man bei solchen
Beinen das so nennen wollte, und bellte wie ein Hund aus den Gebrüdern
Grimm. Unsererseits sprach der junge Forsteleve von Müller:

»Guten Tag, Herr Kunemund. Da sind wir, wie ich es dem Herrn Förster
versprochen habe. Guten Tag, Fräulein Gertrud, ist der Vater zu Hause und
sonst alles wohl?«

»Guten Tag!« sagte das kleine Waldfräulein, ohne sich auf weiteres
einzulassen. Aber der Meister Autor erhob sich jetzt ächzend von seinem
Sitz und nahm eine Handvoll feuchtsaftigen Mooses und einiges Blätterwerk,
das er dem Boden im Sich-Aufrichten entrissen hatte, mit sich in die Höhe
und behielt es während der folgenden Unterhaltung, wie eine Art Trost- und
Stärkungsmittel im Verdruß, in der geballten Rechten. Widerwillig reichte
er die Linke unsrem freundlichen Fröhlichkeitsordner und brummte:

»Richtig, da sind die Herrschaften. Na, der Alte wird sich denn ja wohl
auch freuen, und wenn ihr die Alte dazu in guter Laune trefft, so soll es
mir angenehm sein. Lustig, Trudchen, sieh doch die Damen nicht so dumm an!
Lauf vorauf und bereite sie auf die Ehre und das Vergnügen vor, auf daß
ihnen der freudige Schrecken an der Gesundheit keinen Schaden tut.«

Daß dieser Empfang sehr höflich gewesen sei, konnte die Gesellschaft nicht
finden. Aber unser Führer hatte uns bereits darauf vorbereitet, und so
nahmen wir mit ziemlich gutem Humor den Gruß des Alten hin.

»Seien Sie nicht zu grob, Kunemund,« sagte der Herr von Müller lachend.
»Daß _Sie_ sich über unseren Besuch freuen, weiß ich ja doch zu genau.
Fräulein Julie, Fräulein Minna, laufen sie dreist mit dem Kinde voran! Wir
kommen im feierlichen Zuge augenblicklich nach und haben doch noch unsern
Spaß heute.«

Gertrud Tofote sah sich noch einmal einen langen Augenblick hindurch die
Gesellschaft an; dann drehte sie sich auf den Hacken, tat einen Sprung über
den Bach und schoß wie die Lieblichste der Elfen durch den Wald davon; und
selbst die jüngsten Damen unserer Gesellschaft, die hinter ihr drein
liefen, gaben es bald auf, gleichen Schritt mit ihr zu halten, oder sie nur
im Gesicht zu behalten. Wir älteres Volk setzten uns schwerfällig von neuem
in Bewegung, den Meister Autor Kunemund in unserer Mitte.

Wir können es nicht genug wiederholen, daß der Elm ein Musterforst ist.
Auf den Wanderversammlungen der grünröckigen Herren pflegt viel von ihm die
Rede zu sein. Seine Kultur ist durch die fachwissenschaftlichen Blätter
weit über die Grenzen Deutschlands berühmt geworden, und seine Bäume
bekommen ihre Blätter trotz alledem in jedem neuen Frühjahre wieder. Sie
bleiben auch gewöhnlich bis in den Herbst hinein grün, »was eigentlich ein
Wunder ist«, wie der Meister Autor sagte, nachdem er und ich bessere
Bekannte geworden waren und gegeneinander nur selten noch ein Blatt vor den
Mund nahmen; -- großer Gott, wie geistreich man doch auf solch einer
Vergnügungsfahrt ins Grüne und Blaue hinein wird! Selbst wenn man Jahre
lang nachher darüber schreibt, ist das Salz davon noch nicht dumm geworden,
welches ohne allen Zweifel ein Wunder ist. -- Wir zogen also durch diesen
im Quincunx gepflanzten Musterforst der Amtswohnung des Försters Arend
Tofote zu, und der Dachshund watschelte uns voran, von Zeit zu Zeit stehen
bleibend und seine Verwunderung über uns durch ein bedenkliches
Hauptschütteln und einen fragenden Blick auf seinen Herrn kundgebend. Der
Herr selber aber ging mit uns, wie gesagt, und hatte sich, wahrscheinlich
um seinen Jubel zu verbeißen, sein Moosbüschel in den Mund gestopft. Seine
Schuhe trug er jetzo an den Füßen, aber den linken Strumpf anzuziehen,
hatte er in der Hast und Aufregung vergessen und trug ihn zusammengeballt
in der Faust. Wir gingen fröhlich ihm nach und um ihn her; sämtliche
gelehrte Stände gegen wärtig und vorhanden. So kamen wir beim Försterhause
an, und der Leiter unserer Vergnügungspartie stellte uns dem Förster vor,
und der Förster Arend Tofote erschien hierbei als der Verlegenste seines
ganzen Haushaltes. Nichtsdestoweniger war er aber gern bereit, zu unserer
Lust beizutragen, was ihm nur irgend möglich war. Mit Speisen und Getränken
wartete er nach besten Kräften auf und jagte die Alte, d. h. seine alte
Haushälterin, und sein junges Kind nicht wenig. Unsere Damen waren
natürlich entzückt über das Kind und die Verpflegung, und bei den Herren
wachten Hunger und Durst merkwürdig lebendig von neuem auf. Es wurde sehr
behaglich, sehr gemütlich; und unsere Gemütlichkeit erlitt auch dann kaum
einen Abbruch, als das liebe, einfache Waldkind, die Gertrude, ihrerseits
gleichfalls ihr möglichstes zu derselben beitragen wollte, und plötzlich
und unvermutet ihre Spielgenossen auf uns los ließ. Wie wir über das stille
Haus im Walde gekommen waren, so kamen die guten Kameraden über uns. Zwei
reizende, schneeweiße Ferkelchen, zwei muntere, doch etwas mutwillige
Ziegen, deren eine den jungen Herrn von Müller und Fräulein Amalie durch
zwei unvermutete Kopfstöße von hinten beinahe zum Fall auf die Nasen
gebracht hätte -- erheiterten die Gesellschaft sehr. Weniger vermochte das
ein etwas stachlichter Igel, den Amalias Mama auf ihrem Stuhle fand, als
sie sich aus Schreck über die Gefahr der Tochter ein wenig hastig auf ihm
niederließ. Sie kreischte laut auf, und mehrere Damen versetzten sich ganz
in ihre Situation und schrieen hell auf. Der Zwischenfall wäre sicherlich
noch länger und lebhafter besprochen worden, wenn er nicht sofort durch
einen zweiten abgelöst worden wäre. Diesmal war die Reihe an der
Geistlichkeit. Mit einem Schreckensruf fuhr der Herr Pastor zusammen und
empor. Unter seinem Stuhle hatte es sich plötzlich geregt, und weich und
verstohlen hatte es sich zwischen seinen Schenkeln emporgeschoben: es war
aber nur Meister Reinecke der Fuchs, und zwar der zivilisierte, der
gezähmte Fuchs, der einen günstigen Augenblick benutzte, um die Kirche zu
kränken und dem geistlichen Herrn zierlich, aber ungeladen, ein delikates
Stück Schinken vom Teller zu nehmen. Das Verbrechen war begangen, das
Sakrilegium vollendet wie geplant, und frivolerweise lachte die
Gesellschaft ebenso herzlich über das Gesicht des Herrn Pastors wie über
den schlauen Dieb und seinen eiligen Rückzug mit der guten Beute.

Noch einiges andere Getier erlaubte sich seinen Spaß mit uns; aber im
ganzen fanden wir uns doch harmlos genug darein und waren recht vergnügt.
Wir fingen sogar an, von neuem zu singen, und zwar wiederum allerhand
Volkslieder, wie sie jetzt gedruckt in den Büchern stehen und meistens
reizend von den geschicktesten und naivsten Künstlern mit den hübschesten
Holzschnittillustrationen verziert werden. Wir konnten wirklich noch ohne
Noten singen, und es klang wiederum recht gut -- sogar sehr gut -- im
Walde. Herrn Kunemund bekam ich an diesem Tage nicht mehr zu Gesichte; doch
die Gesellschaft vermißte ihn durchaus nicht, und so sehe ich keinen Grund
dafür, weshalb gerade ich mich an dieser Stelle über sein Verschwinden
wundern sollte.




Drittes Kapitel.


Am Spätnachmittag zogen wir wieder ab, wie wir gekommen waren. Daß ein
jeder Teilnehmer an der fröhlichen Fahrt ins Grüne ihrer mit Vergnügen
gedachte, steht zu hoffen; was mich persönlich anbetrifft, so war ich am
Spätabend herzlich froh, alles vollendet zu haben und wieder zu Hause zu
sein. Die Lust des Tages war mir doch ein wenig auf die Nerven gefallen,
und es bedurfte längerer Zeit, ehe ich mich so weit erholt hatte, um an den
Meister Kunemund, den Förster Arend Tofote, sein Försterhaus und sein
Töchterlein ohne Widerwillen denken zu können. --

Wie gesagt, ich heiße von Schmidt, habe außerdem den Bergbau studiert,
wurde für längere Jugendjahre durch ein schlagendes Wetter an meiner
Gesundheit geschädigt, erholte mich, verließ den Staatsdienst und bin jetzt
meines Zeichens ein beschäftigungsloser Liebhaber wohlfeiler ästhetischer
Genüsse. Recht niedliche Novellen aus meiner Feder sind in verschiedenen
Blättern abgedruckt worden. Einige wurden mir auch als unbrauchbar
zurückgesendet; ich halte dieselben für die bessern Erzeugnisse meines
Geistes und benutze diese Gelegenheit, um sie den verehrlichen Redaktionen
nochmals zur Verfügung zu stellen. Mein Vater war ein wohlhabender
Domänenpächter, der das Glück hatte, fast ein Menschenalter hindurch lauter
»gute Jahre« zu haben. Er starb als ein, nach deutschen Verhältnissen,
wohlhabender Mann, und ich bin sein einziger Erbe, und er starb früh genug,
um mir auf meinem Lebensgange und bei meinen Liebhabereien nicht hindernd
in den Weg treten zu können. Natürlich verwendete ich auch das Försterhaus
in Elm novellistisch; jedoch ohne viel Freude an der Leistung zu erleben.
Sie schien sich auf keine Weise von meinem Schreibepult trennen zu können;
mit überraschender Schnelligkeit langte sie von jedem Ausflug in die Welt
wieder zu Hause an. Kaum daß ich sie glücklich wie aus der Seele so vom
Halse losgeworden zu sein glaubte, war sie in ihrer ganzen tauigen,
waldduftigen Frische wieder da. Ja, die waldfrischesten, tauduftigsten
Redaktoren und Redaktionen schickten sie mir umgehend wieder zu. Eine ganze
Literatur von Begleitschreiben sammelte sich um das unglückselige Kunstwerk
an, bis ich zuletzt wütend den Deckel des Pultes über ihm zuschlug, den
Kasten verschloß und den Schlüssel verlor. Nachher hatte ich Ruhe. --

Ich hatte Ruhe durch den Winter, und im nächsten Frühjahre stattete ich dem
Förster Tofote, dem Herrn Kunemund und der Gertrud einen zweiten Besuch ab;
jedoch diesmal allein. Das war an einem einundzwanzigsten Mai, und seit
diesem Tage verging selten ein Jahr, in welchem ich nicht mehreremale den
Besuch wiederholte. Was aber diese vorliegende Schrift anbetrifft, so wurde
dieselbe wenigstens im Anfange einzig und allein nur deshalb unternommen
und abgefaßt, um von dem Besuche zu handeln, den _mir_ der Meister Kunemund
abstattete. Daß ich aber am Schlusse heirate, beweist wieder einmal, daß
man niemals weiß, wie's endet, wenn man in irgendeiner Weise anfing. --

Ich saß, beide Ellenbogen auf die solide aus Eichenholz herausgearbeitete
Klappe gestützt, unter welcher ich alle meine besten lyrischen, epischen
und dramatischen Gefühle und Empfindungen unter Schloß und Riegel zu halten
pflege. Gähnend, aller Langweiligkeit des Daseins voll, saß ich, als es an
meiner Tür pochte und blöde sich hereinschob ins Zimmer, nachdem ich
mürrisch, ohne mich umzuwenden, die Störung aufgefordert hatte,
heranzukommen. Offen gestanden traute ich meinen Augen dann gar nicht, und
rückte den Stuhl mit solchem Nachdruck herum und dem Besucher entgegen, daß
das Möbel darüber durchaus aus dem Leime ging.

»Ja, ich bin es; nehmen Sie es nur nicht zu sehr übel!« sagte der Meister
Autor, als ich ihn an beiden Seiten gepackt hielt und die Trümmer des
Sitzgerätes mit einem Fußtritt hinterwärts aus dem Wege stieß.

»_Das_ war es, was anklopfte?... Gütiger Himmel, willkommen, Herr Kunemund!
O Meister, Meister, welches Vergnügen!... Gottlob, daß Sie selber keine
Ahnung davon haben, welches Behagen Sie unsereinem geben und welche Ehre
Sie uns durch einen solchen Besuch antun!«

»Lieber Herr --«

»Liebster, bester Freund, seien Sie herzlichst gegrüßt! Was Sie auch
herführen mag, mir bringen Sie alles mit, was ich eben ganz notwendig
brauchte.«

»Lieber Herr --«

»Was macht der Alte? was macht die Alte? was treibt das Kind -- das
Fräulein, das Waldfräulein? Wahrhaftig, ich könnte noch nach hundert guten
Bekannten fragen und fragte den Kreis nimmer aus. Bis auf die Fliegen an
der Wand ist mir das Haus im Elm ins Herz gewachsen.«

Wie das fromme Kind aus Kneitlingen in seinen fröhlichsten Momenten, tanzte
ich um den alten Mann herum und merkte erst lange nachdem ich ihn durch den
überwältigenden Wortschwall und Ausbruch meiner Gefühle betäubt hatte, daß
ich ihn betäubt habe. Da mäßigte ich mich denn, nahm ihm den Hut aus den
Händen, drückte ihn auf den bequemsten Stuhl nieder, strich sämtliche
Papiere vom Tische vor ihm und riß den Klingelzug ab, im hellen Eifer, ihm
ein Frühstück zu schaffen. Er aber lächelte verlegen ob all der Aufregung
und all des Umstandes -- er verlegen!... er, der Meister Autor Kunemund!

Ach, er hatte keine Ahnung davon, wie sehr ich mich schämte, _ihn_ in
Verlegenheit setzen zu können, und wie ich grade deshalb in fieberhafter
Hast mich bestrebte, ihn auf den richtigen Fuß und Schick zu bringen. Aber
ich sollte sogleich noch mehr Grund finden, mich in meinem Sein und
Für-mich-sein beunruhigt und ungemütlich zu finden -- kurz mich zu schämen;
denn es stellte sich bald heraus, daß der Herr Autor Kunemund mir trotz der
jetzt ziemlich langen Bekanntschaft noch lange nicht recht trauete. Er
brachte mir nämlich einen Brief mit, und zwar einen Empfehlungsbrief vom
Pastor zu Ampleben (Amt Lehen sagt das Volksbuch), dessen geistlicher und
leiblicher Vorfahr vor mehr als fünfhundertneunzig Jahren die
welthistorische Ehre gehabt hatte, oben beregtes frommes Kind Till
Eulenspiegel, Sohn von Klaus desselbigen Namens und dessen ehelich
getrauetem Weibe, Anna, geborener Weibikin mit dem Sakrament der heiligen
Taufe zu versehen. Da kam es heraus, daß der Meister Kunemund, trotzdem er
um Rat zu mir kam, nicht das geringste Vertrauen zu mir hatte; sondern daß
er mich leider ganz ruhig für einen Menschen hielt, wie ein Stück von den
vielen Dutzenden, deren Bekanntschaft er in seinem Leben gemacht hatte.

Ich nahm den Brief des Pastors, wie er mir gegeben wurde, und ich las ihn
auch. Ich las ihn, doch ich behielt während des Lesens meinen Besucher im
Auge; ich sah verstohlen über den Rand des Schreibens nach ihm hinüber. Der
Pastor wußte im Grunde nichts Übles und Nachteiliges über den Herrn
Kunemund mitzuteilen, und so frühstückten wir denn vor allen Dingen
wirklich miteinander, und während des Frühstücks suchte _ich_ ihn
auszuholen, und unterließ und vollführte in Wort und Tat nichts, was mir
meinerseits ihm gegenüber zur Empfehlung dienlich sein konnte.

Ich hatte hart zu kämpfen. Wie alle seinesgleichen wurde er durch eine für
den die Welt bedeutenden Teil der Menschheit sehr lächerliche Schämigkeit
behindert, sein Inneres einem doch verhältnismäßig fremden Menschen
aufzuschließen und sich in seinen Gedanken, Überlegungen, Wünschen und
Hoffnungen so nackt und bloß hinzulegen. Er hatte noch nie etwas drucken
lassen; er war sehr blöde und die beste Beute für jeden, der in dem
gewöhnlichen Sinne ein Interesse an ihm nahm und ihn gebrauchen konnte. Als
ich endlich heraus hatte, was ihn in die Stadt führte, und was er überhaupt
bei mir wollte, und wie er das, was er wünschte und zu tun hatte, ansah,
und zwar von den verschiedensten Seiten, und wie seine Hausgenossen das
Ding betrachteten, und zwar ebenfalls von mehreren Seiten: da hatte ich
eine Schwergeburtshülfe an ihm vollendet, deren ich mich wohl rühmen
durfte.




Viertes Kapitel.


Ich habe drucken lassen; bin auch sonst gar nicht blöde, halte es aber doch
nicht für paßlich, das Publikum noch einmal an den Mühen der Entbindung von
Wort zu Wort, Seufzer zu Seufzer, Ächzen zu Ächzen, teilnehmen zu lassen.
Ich werde den Meister Autor seine Geschichte und vor allen Dingen seine
Vorgeschichte, wenn auch nicht ohne Farbe und Rundung, so doch bündig und
ohne meine hundert notwendigen Zwischenfragen, Ermutigungen, Anfeuerungen
und Nötigungen vortragen lassen. Wie mehrere andere Leute lasse ich sonst
nicht gern jemand das Wort. Ich behalte es lieber selber und bitte, mir die
heutige Selbstentäußerung für eine künftige Gelegenheit gut zu rechnen. Es
folgt also an dieser Stelle

    Das,
    was der Meister Autor Kunemund
    mir zu sagen hatte.

»Sehen Sie, Herr, da Sie es nicht übelgenommen haben, daß ich Ihnen hier
heute so auf den Hals gefallen bin, so will ich denn auch weit genug
ausholen, um den Keil in den Stamm zu treiben, nämlich ganz von vorn, oder
von hinten, wie Sie es nehmen wollen. Nämlich das ist nicht so, daß man
einfach denkt, es verstehe sich von selber, daß man sich in der Welt finde,
mit seinen Augen sehe, mit seinen Ohren höre und seine Kinnbacken und Zähne
gebrauche, wenn man etwas dazwischen zu nehmen habe. Herum mit dem Karren
-- ganz im Gegenteil! es versteht sich dieses gar nicht von selber, und man
braucht nur anzufangen, darüber nachzudenken, um bis an seinen Tod kein
Ende an der Kuriosität zu finden; grade wie unsere Alte daheim, wenn sie
angefangen hat, eine Geschichte zu erzählen. Was den Arend anbetrifft, so
sitzt der noch in der ersten Art und kümmert sich um nichts, und sein
Mädchen, meine Gertrud, sitzt drin bei ihm. Ja die erst recht denkt, daß
alles, was ihr passiert, sich von selber verstehe -- selbst das, was ihr
jetzt passiert ist. Und hören Sie, lieber Herr von Schmidt, was mich
anbetrifft, so hab' ich sie beide bei ihrem Glauben belassen; denn
behaglicher ist's, und wer's kann, der soll's ja festhalten. Das Grübeln
verdirbt einem nur die guten Stunden und die schlimmen macht's wahrhaftig
nicht leichter. Ja um noch ein Wort von den bösen Stunden zu reden, so
macht sich leider Gottes da das Sinnieren schon ganz, ohne daß man dazu
hilft, und wer dann seine Gedanken außer sich richten kann, und wär's nur
auf seine vier Wände, seine Nachbarn oder sein Hausvieh, der ist wohl
daran. Herr, ist's nicht grade, als ob ich hier sitze und die Alte reden
höre?! aber drin und dran bin ich, und eine Hülfe für Sie, liebster Herr,
ist nicht mehr; also nur lustig zu! Der Arend Tofote und ich, wir kommen
alle beide schon weit her aus der Zeit. Als wir junge Menschen waren, da
wußten Ihre lieben Eltern von Ihnen noch lange nicht und
wahrscheinlicherweise auch von sich selber gegenseitig blutwenig. Manchmal
denk ich mir so, die Alten haben euch -- dich und deinen Bruder und den
Tofote beim Pflügen in der Scholle aufgeworfen wie die Engerlinge; doch das
ist einerlei; es ist nur ein Gefühl. Kurz, wir wuchsen auf im Dorfe -- ich
und der Arend und als der dritte mein kleiner Bruder, nämlich der, um
dessentwillen ich heute hier in der Stadt bin. In den Pulverqualm der
Befreiungskriege rochen wir grade noch hinein; zu Waterloo kamen wir noch
grade recht, und dafür durften wir dann auch an dem übrigen Vergnügen nach
Herzenslust teilnehmen: nach Paris sind wir gekommen, das heißt bis in den
Schloßhof von Saint Cloud kamen wir, den Engländern am Schwanze hängend. An
den Schloßhof von Saint Cloud will ich mein Lebtage gedenken -- o tausend
Donnerwetter, die ganze Lust an dem Spaß von damals läuft mir in diesem
lächerlichen Schloßhofe von Saint Cloud aus! Da war das rotfrackigte,
reitende Käkebein, der Herzog von Wellington -- und was tat die
Kanaille?... Sie hielt auf Anstand -- ich sage Ihnen, sie hielt auf
Anstand, Herr! An die ganze, schwitzend und blutrünstig aus der großen
Schlacht kommende Armee ließ die fischblütige Bestie Filzsocken verteilen
-- auf denen hatten wir durch das Frankreich zu marschieren, und die
unsterblichen britannischen Helden haben, wenn sie zu fest auftraten, über
mehr Stockprügel ihrer eigenen Profossen auf diesem Siegesmarsche, als über
französische Säbelhiebe und Kolbenstöße in der Battel, wie sie es nannten,
zu quittieren gehabt. Die Preußen hatten es wie immer seit drei Jahren
besser. Sie gingen für sich allein und ohne das Schuhwerk zu wechseln, und
der alte Blücher hatte es ihnen sogar noch mit neuen Nägeln versohlen
lassen. Wir aber, wir Braunschweiger, hingen den rotröckigen
Stumpfschwänzen an den Schößen, und was taten die edeln, hochherzigen
Siegesbrüder -- die Sackermenter? Sie ließen uns in den Bratenduft von
Paris hineinriechen, ließen uns abschwenken, schoben uns in den Schloßhof
von Saint Cloud und verriegelten sämtliche Tore hinter uns! Was sagen Sie
dazu? Sie lachen, aber ich sage Ihnen, uns war wahrhaftig damals nicht
lächerlich zumute. Alle Fensterscheiben, die wir abreichen konnten, haben
wir eingeworfen; aber wie bald solch ein Vergnügen zu Ende ist, können Sie
sich wohl vorstellen; und dann denken Sie sich auch einmal recht lebhaft in
unsere Stimmung während des übrigen Aufenthalts hinein und -- dann, dann
feiern Sie einmal als nachdenklicher Mensch so ein fünfzig Jahr lang jedes
Jahr den achtzehnten Juni mit Böllerabbrennen und Heldenliedern und Heil
dir im Siegerkranz! Ich möchte Sie wohl einmal dabei sehen, lieber Herr; --
aber das kann ich Ihnen im Vertrauen sagen: eine trübseligere muffigere
Heldenschar als wir, hat man noch niemals aus einem feindlichen, eroberten
Lande nach Hause geführt. Da ich wenigstens bei der großen Schlacht
gegenwärtig war, so habe ich mich auch zu den Veteranen rechnen können;
aber wie ich mich kenne, so würde ich auch in dieser Eigenschaft für die
alljährliche feierliche Begehung des Tages gedankt haben; wenn das
Vaterland seine Ehre hat, so will ich die meinige auch haben. So ist es,
weil das eine nicht ohne das andere ist. Beizugesagt ist es eigentlich aber
der Arend, den Sie aus mir reden hören, denn wenn einer ist, der sich nie
über den Schloßhof von Saint Cloud zufrieden geben kann, so ist's der Alte,
und wir wohnen unter _einem_ Dache, lieber Herr. -- Wir kamen nach Hause,
und Tofote kam in den Wald als Unterförster. Ich, der ich so eigentlich auf
den Gelehrten und das Abcbuch -- wie man es damals verstand und gelten ließ
-- studiert habe, wollte ich mich eben mit meiner Anstellung in der Tasche
davor, nämlich vor den Wald, setzen; als mir der Teufel in die Augen blies.
Es soll mir kein Mensch wehren, daß ich auch das auf den langweiligen Kerl,
den Wellington und seinen verdammten Schloßhof von Saint Cloud schiebe, daß
mich eine Entzündung befiel, die mich fünf Jahre lang in argen Schmerzen
fast blind machte, und sich beiher auch gar noch auf das Gehör setzte und
mich so dumm im Kopf machte, daß das Konsistorium seinen Brief zurücknahm
und mich benachrichtigte, es wäre ihm angenehm, wenn ich mich nach einer
andern Kondition umsehen wolle. Da saß ich denn und fraß Jammer und Elend
in mich hinein, und wäre Arend Tofote nicht gewesen, so würde ich auch bald
genug an der ungesunden Kost erstickt sein. Als ein Glück war es damals
anzusehen, daß mein kleiner Bruder um die Zeit grade ohne Abschied
durchging, nachdem er dem Vorsteher einen brennenden Schwefelfaden in seine
beste Roggendimme geschoben hatte. Der Schlingel hatte mir zu allem andern
schwer auf der Seele gelegen, das kann ich Ihnen sagen, Herr, und er hat
auch heute noch nicht gutgemacht, was er in seiner Kindheit und Jugend an
meiner Behaglichkeit gesündigt hat. Grade vor neun Jahren, ein Jahr vorher,
ehe Sie uns Ihren ersten Besuch mit dem Haufen Herrschaften abstatteten,
ist auch mein Bruder nach Hause gekommen -- ein klein, verrunzelt, gelb,
giftig und sozusagen scheusälig Männchen, was sich Mynheer van Kunemund
nannte, aber sich ebensogut Herr von Rumpelstilz hätte nennen können. Vor
einem Vierteljahr nun ist er hier in einem Garten vor der Stadt gestorben,
und einen schönen Streich hat er uns, ganz nach seiner Art, noch zu guter
Letzt gespielt. Er hat unser Trudchen Tofote zu seiner Erbin eingesetzt,
und es handelt sich da um gar nichts Geringes, und ich bin deshalb heute
hier vorhanden, aber daß er sich dabei etwas gedacht hat, das ist sicher.
Wo aber der Possen liegt, den er uns zum Schluß noch hat spielen müssen,
das haben wir noch nicht heraus; ich verhoffe es mit Gottes und Ihrer
Hülfe, Herr von Schmidt, aber noch herauszufinden; und dann -- gnade ihm
Gott, wenn wir uns noch einmal wieder treffen. Denn was er für ein Gift auf
mich und den alten Arend haben mochte: unsere Gertrud hat ihm wahrlich
nicht das Kleinste zuleide getan. Erzählen muß ich Ihnen übrigens, wie er
sich wieder bei uns in den Wald einschob. Schnurrig genug war's, und wir
haben lange an dem Spaße zu verdauen gehabt, bis wir endlich übergenug
davon hatten und die Verwunderung hinter den Spiegel steckten. -- Das Kind,
meine Gertrude, war, müssen Sie wissen, damals so acht oder neun Jahre alt,
und ihre Mutter war ungefähr drei Jahre tot. Wir hatten es so ziemlich
allein erzogen, denn die Dorfschule wollte wenig sagen, und wir glaubten,
ein Meisterstück gemacht zu haben, Tofote, ich und die Alte, und was es,
das Kleine, anbetraf, so ging es ruhig seinen Weg allein, und wir ließen es
natürlich auch frei in den Wald. Wenn wir ihm einen oder zwei von unsern
verständigsten Hunden mitgaben, so glaubten wir genug für seine Sicherheit
getan zu haben und fühlten uns ebenso sicher, als jede Herrschaft, die
ihren Bälgern eine französische Gouverneurin und einen bunten Bedienten mit
auf den Spazierweg gibt. -- Na, nun war es so ein Nachmittag im Spätherbst;
wissen Sie, so um die Zeit, wo das Laub von den Bäumen geht, ohne daß der
Wind dran stößt, und wo man an dem leisen Geknick und Geriesel im Walde
merkt, was für eine Stunde es im Jahr ist. Der Tag war nebelig oben und die
Luft unten warm. Das Kind mit den Hunden war im Holz, und der Förster
außerm Holz zu Amte von wegen der Forstwrogen des letzten Sommers. Ich
sitze vor der Tür und mache mich nützlich nach meiner Art, und da gehen
denn grade an solchen warmen grauen stillen Tagen die Gedanken des Menschen
am liebsten so weit als möglich in die weite Welt hinaus, vorzüglich, wenn
man sicher ist, daß man das Haus, nötigenfalls den warmen Ofen und vor
allen Dingen die Abendsuppe dicht hinter sich hat und alle drei mit drei
Schritten abreichen kann. Beiläufig, Herr, es ist doch ein wenig mehr als
kurios, daß der Mensch jedesmal, wenn er sich so recht behaglich und wohl
in seiner Haut fühlt, sich am ehesten hingezogen fühlt, sich an der Welt
rund um ihn her zu versündigen?! Man schüttelt sich eben immer am
behaglichsten, in der Vorstellung, daß andere Leute es nicht so gut haben,
als wir. Also auch ich in der Gemütlichkeit auf meiner Schnitzbank denke
denn auch so an das Treiben vor dem Walde, so zum Exempel in Hamburg,
London, Paris, -- den Schloßhof von Saint Cloud nicht zu vergessen. Und
richtig, vom Lande gerat ich aufs Wasser, auf Sturm, Schiffbruch und
Schiffsbrand, und von dem Schiff und Brand ganz selbstverständlich auf
meinen kleinen Bruder, und wie alles wohl sein könnte, wenn alles nicht
wäre, wie es nun grade ist. Darüber geht mir natürlich die Pfeife aus, und
ich gehe in die Küche, um mir eine glühe Kohle zu holen. In der Küche
spuckt und knistert das Feuer auf dem Herde, und am Herde spuckt, knistert,
knastert, rührt und quirlt unsere Alte. Als ich die Feuerzange fasse und
unter den Topf fahre, nimmt sie das, wie es sich von ihr gehört, krumm, ich
aber denke: Immer höflich und spaßig mit den Damen! und sage: Marie, ein
guter Durst ist was recht Schönes, aber wer die Suppe versalzt, der soll es
eigentlich nur aus Verliebtheit tun dürfen, und nicht aus Gift und Bosheit,
wie ein gewisses Frauenzimmer gestern abend! und eben fängt die Alte an,
dieses noch viel krümmer zu nehmen, als es mir plötzlich auch ohne sie mit
einem jähen Schrecken durch den Leib schneidet:

Was ist nicht richtig? Es ist was nicht richtig! wo ist das Kind? Man
sollte das Kind doch nicht mehr so allein und auf Gottes Trost hin in die
Wildnis laufen lassen!

Ich sage auch sowas oder dergleichen in meiner plötzlichen Beklemmung, und
die Alte ist blitzschnell so freundlich, daraufhin zu krächzen:

So?... Ei?... I, Kunemund! Kommt Er mir endlich so herum? O ja, daß der
Förster einmal ganz etwas Besonderes erfährt, wenn er nach Hause kommt und
nach dem Trudchen fragt, das ist schon lange das, worauf ich warte, Autor.
Und Herr Kunemund, Seiner Naseweisheit zuliebe will ich Ihm noch eine
andere Ansicht in den Handel geben, und die ist, daß Er von morgen an die
Suppe selber kocht, und mich das Kind hüten läßt. Will Er, -- will Er,
Meister Kunemund?

Himmel -- Donner -- brummte ich laut; aber ganz leise sage ich: So schlimm
wird es doch nicht gleich werden! -- aber eilfertig genug stapfe ich sofort
mit kalter Pfeife wieder vors Haus und stehe und brülle nach allen vier
Weltgegenden nach dem Kinde, und halte die Hände hinter den Ohren, ob ich
die Hunde wenigstens nicht zu vernehmen kriege. Die höre ich denn gottlob
auch, aber in sehr weiter Entfernung und, wie es scheint, gleichfalls sehr
böse. Da haben wir einmal wieder einem dummen Viehzeug zu weit über den Weg
getraut, denke ich; -- den Schnürbein wenigstens hätte ich mit mehr
gesundem Menschenverstand begabt geglaubt -- da sieht man's wieder! Und
damit laufe ich dem Gebelfer nach und habe mich lang und arg genug in das
Gestrüpp hinein zu winden, ehe ich dem Trudchen, den Biestern und aller
übrigen Absonderlichkeit auf den Hals komme. Ich komme ihnen aber auf den
Hals, und zwar zu meiner eigenen sträflichen Verwunderung. Am Hange eines
Hügelchens, mitten im Hochwald steht, mit dem Rücken an eine Buche gelehnt,
unsere Trude und schreit aus voller Kehle Zeter. Zehn Schritte aber weiter
ab unter einer andern Buche steht ein Geschöpf, was sicherlich da nicht aus
dem Boden herausgewachsen war, und schreit ebenfalls, aber aus gröberer
Kehle. Alles Hundevolk, mein Schnürbein voran, hat nämlich einen Kreis um
dieses Wunder geschlossen und ist außer sich mit Bellen, Anspringen,
Fest-auf-die-vier-Füße-stellen und Zähnfletschen. Was war's? Ein
kohlenpechschwarzer Mohr! Ja, ein kohlenpechrabenschwarzer Mohr, der auch
die Zähne fletscht und auf jedes Aufspringen Schnürbeins und der übrigen so
hoch als möglich in die Luft hoppst. Sonderbar schön steht es der Kreatur,
daß sie zu allen ihren sonstigen Annehmlichkeiten eine mehr dottergelbe als
lederfarbene Uniform oder Livree trägt, aber das allersonderbarste ist, daß
sie mich in ihrer Not und Angst ganz regelrecht auf deutsch anschreit, und
zwar rein bremerisch:

Rufen Sie doch die Höllenhunde ab! Tausend Donnerwetter, haben Sie die
Güte!

Ich tue das, indem ich zugleich Trudchen begütige; und knurrend gehorcht
endlich das Viehzeug.

Habe ich vielleicht jetzt schon das Vergnügen, Mynheer Kunemund vor mir zu
sehen? fragt der Schwarze höflich mit dem Hute in der Hand.

Der bin ich freilich, sage ich, aus einem Erstaunen ins andere fallend, und
hebe vor allen Dingen meine Trude, die mir angstvoll die Arme um den Hals
schlägt, auf den Arm. Aber Sie -- Sie -- Herr -- lieber Mann -- wie kommen
Sie -- ja was haben Sie -- Sie schwarzer Mensch -- aber ist denn das die
Möglichkeit?

Es ist die Möglichkeit, Mynheer Kunemund, sagt das Ding womöglich noch
höflicher. Und wenn Mynheer Kunemund morgen zu Hause zu finden wäre, so
würde Mynheer Kunemund sehr gern eine Tasse Tee bei Mynheer trinken.

Halten Sie mal! sag' ich, und setze das Kind von neuem auf den Boden, um
mir besser mit beiden Händen an den Kopf greifen zu können.«




Fünftes Kapitel.


Der Meister Autor machte an dieser Stelle keine Pause; aber wir sind leider
gezwungen, unsererseits eine eintreten zu lassen, um eine persönliche
Bemerkung, unsern Lesern gegenüber, zu machen.

Man ist nämlich der Meinung, daß alles, was schon sehr häufig dagewesen
ist, endlich sehr langweilig wird. Das ist eine landläufige Ansicht und
Überlegung; aber trotz alledem nicht immer wahr! Hier hatten wir den
reichen Onkel aus Surinam einmal wieder, und zwar so frisch und
unverbraucht, als ob er zum erstenmale aus den Tropenländern zurückkomme,
um die arme Vetterschaft in Europa glücklich zu machen.

»Alter Freund,« sprach ich zu dem Meister Autor Kunemund, »daß Sie an
dieser Stelle Ihres Berichtes _neu_ wären, kann ich zwar nicht behaupten;
aber etwas was mir hier interessanter und willkommener sein könnte, kenne
ich wahrhaftig nicht. Also gratuliere ich bestens!«

»Ob ich mir an dem Tage gerade Glück wünschte, weiß ich heute nicht mehr,
Herr von Schmidt,« fuhr der Meister fort. »Aber das weiß ich noch, daß mir
mancherlei durch Kopf und Seele ging, als der Schwarze jetzt aus seiner
Reisetasche einen Brief vorholte, und ich schon in der Aufschrift richtig
meinen kleinen Bruder herausfand. Er meldete sich in Fleisch und Blut auf
den morgenden Tag bei uns zu Gaste im Walde an, und hatte seinen Mohren nur
vorausgeschickt, um aller seiner gewohnten Bequemlichkeit bei uns sicher zu
sein -- der Hansnarr!

Ich las den Brief, und dann sah ich mir den Mohren von neuem an, und da das
Tier mich nicht fraß, so wurde es nun auch allmählich dem Trudchen und den
Hunden klar, daß es sie nicht fressen wolle. Die Hunde fingen zuerst an,
das ausländische Gewächs zu beschnüffeln, und dann fing die Trude an zu
lachen und in die Hände zu klatschen.

In dem Briefe stand nichts, und so sage ich denn:

Na, so wird es denn wohl das beste sein, daß wir vorerst allesamt nach
Hause marschieren, um die Alte und nachher den Alten auf das Mirakel und
die Ehre vorzubereiten. Auf die Alte freue ich mich, das kann ich wohl
sagen.

Ich freute mich wirklich auf die Alte, und die Folge erwies, daß ich Grund
dazu hatte. Einen guten Spaß muß der Mensch nicht beiseite schieben,
vorzüglich wenn er so in der Eremiterei wohnt, wie wir alle in unserm
Försterhause. Auf dem Wege nach Hause aber fragte ich vor allen Dingen
meinen Mohr:

Aber nun sagen Sie mir doch auch: wie heißen Sie? wo kommen Sie her? und
dann die Hauptfrage: Redet man bei Ihnen zu Hause denn auch so ein
verständliches Deutsch?

Nun, natürlich! Weshalb sollte man in Bremen, im Schüsselkorb nicht ein
gutes Deutsch sprechen? Da bemühen Sie sich doch nur in Thielebeules
Keller, um zu hören, Herr Kunemund. Ich bin aus dem Schüsselkorb; aber auf
ein bißchen Spanisch, Englisch oder Malaiisch -- das Holländische ganz
ungerechnet, soll's mir auch nicht ankommen. Ich hab' auf mehr als einem
Schiff, und unter mehr als einer Flagge als Koch oder Steward die Welt
befahren. Mein eigenster Beruf ist aber der wilde Meß- und
Jahrmarktsindianer.

Was Sie nicht sagen?! Und Sie heißen --

Meyer! Ceretto Meyer! Wichselmeyer -- wie Sie wollen. Auf der großen
Weserbrücke nennt man mich gewöhnlich Wichselmeyer, aber lieber hab'
ich's, wenn man mich Signor Ceretto ruft. Ich bin's von den höflicheren
Nationen gewohnt, die auf See mit =Si!= antworten, wenn man sie anspricht.

Schön! also Signor Ceretto! Nun denn, so seien Sie mir herzlichst
willkommen, liebster Herr Signor Ceretto! sage ich, und damit erreichen wir
so nach und nach das Försterhaus, und sonderbarerweise trug auf dem letzten
Drittel des Weges bereits diese schwarze Bremer Meß-Merkwürdigkeit unser
Trudchen auf dem Arme, während Schnürbein schwanzwedelnd sich ihr dicht auf
den Hacken hielt.

An der Alten hatte ich meine Freude, und an dem Alten, der währenddem nach
Hause gekommen war, gleichfalls; doch an der Alten um vieles mehr. So was
Schwarzes in Menschengestalt hatte sie in ihrem Leben noch nicht gesehen,
und daß sie viel in den Büchern darüber studiert hatte, glaube ich auch
nicht. Den Eindruck, den also mein Freund Wichselmeyer oder Meyer, oder
Signor Ceretto auf sie machte, war denn auch darnach! Wie sie aufschrie,
wie sie ins Haus lief und die Schürze über den Kopf schlug -- wie sie auf
halbstündiges Zureden endlich um die Tür guckte, und wie sie wieder nach
einer Viertelstunde mit einknickenden Beinen hervorkam und einen Knix nach
dem andern vor das Ungeheuer hinsetzte, das war ein Vergnügen anzusehen,
aber zu beschreiben ist es nicht. Und, mein lieber Herr von Schmidt, --
wenn dieses eine Kuriosität war, so war es noch viel kurioser, daß -- auf
mein Wort und meiner Seelen Seligkeit -- es wahrhaftig nicht ihre Schuld
war, wenn wir nach allerkürzester Bekanntschaft nicht einen oder zwei oder
einige Mulatten mehr in der Welt herumlaufen haben; denn -- -- so sind die
Weiber! Ich habe es bis dahin nicht geglaubt, aber ich versichere Sie: sie
sind so! Nachdem sich auf vieles Zureden das närrische Stück Frauenzimmer
dahin hatte bringen lassen, durch eigenes Anrühren sich zu überzeugen, daß
das Ding nicht abfärbe, war alles -- in bester Ordnung und im schönsten
Gange, und der Arend, ich und der Schwarze hatten nur abzuwehren, daß die
Zuneigung nicht zu weit gehe.

Seit ich weiß, daß dieser fremde Herr und Unmensch nicht mit Tinte oder
Pech oder Kienruß aufgefärbt wurde, bin ich ganz ruhig, flüsterte mir die
Alte noch lange vor dem Gute-Nacht-sagen zu; kurz, wir hatten unsern
Heidenspaß, den ganzen Abend durch. Ja, ja, Herr; über den Ceretto
vergaßen wir und vor allem ich dann und wann meinen kleinen Bruder mehr,
als es sich eigentlich schickte; und erst als alles zu Bett war, der Gast
und ich auch, und ich vergeblich in den Schlaf hineinzukommen suchte, da
kam es im großen und ganzen heiß und kalt über mich, was für ein Tag mir
morgen bevorstehe, und wie ich mich zu demselbigen zu verhalten haben
werde. Da warf ich mich hin und her und saß aufrecht und hätte mich auch
ebensogut auf dem Strohsacke auf den Kopf stellen können; zu einem
vernünftigen Gedanken verhalf mir das nicht. Erst als ich endlich doch vor
Mattheit eingeschlafen und am Morgen wieder aufgewacht war, kam mir die
Eingebung. War es nicht das einzig Richtige, alles dem Kleinen zu
überlassen? Wer hatte sich denn eigentlich mit dem andern abzufinden? Er
mit uns; oder wir mit ihm? Er mit uns natürlich, denn war der Junge von uns
weggelaufen, ohne uns anders als durch seinen letzten Lumpenstreich es
anzusagen, so lag es doch nun, obgleich über die alte Geschichte wohl mehr
als einmal Gras gewachsen war -- allein bei ihm, bescheiden anzupochen und
sich zu entschuldigen und um gut Wetter zu bitten. Damit fuhr ich getröstet
in die Stiefel; aber was das Wetter selber anbetraf, so war das heute noch
um ein gut Teil grauer als gestern, doch regnen tat es auch an diesem Tage
nicht. Wir hatten nur einen Korb voll Nebel mehr im Walde. Daß wir allesamt
früh auf den Füßen waren, können Sie sich vorstellen; nur das Mohrenkind,
der Wichselmeyer, oder Don Ceretto, schnarchte wie ein Weißer bis gegen
Mittag an, was, nämlich das Schnarchen, auch wieder der Alten einigen Grund
zum Handzusammenschlagen gab. Wir fanden sie richtig horchend an der Tür,
und sie schlug die Augen wie in vollständiger Verzweiflung an unsrem
Herrgott in die Höhe und ächzte: Auch das kann er wie ein richtiger Mensch!
-- Nun, Trudchen war kaum zu bändigen, und mein lieber Tofote ging herum
wie ein Verrückter; ich aber setzte mich auf meine Schnitzbank, als ob ich
drauf Wurzeln zu schlagen gedächte und spielte den Bullenkopf gegen mich
und die Welt, bis der Kleine gegen ein Uhr avisiert wurde und wirklich da
war.

Herr, _ein_ Mensch genügt eigentlich nicht, um _das_ Wiedersehen zu
erzählen! Alle, die ihren Anteil daran hatten, müßten von Rechts wegen an
dieser Stelle ihren Schnabel auftun; und Herr, daß Sie damals nicht dabei
zugegen waren, das ist ein Jammer; denn trotzdem, daß Sie gewiß mehr
studiert haben, sowohl im Bergfach wie in den übrigen Fächern, als ich für
möglich halte, hätten Sie sich doch manches Komödienbillett -- Affen- und
Menschenkomödie! -- erspart, wenn Sie an dem Tage uns schon die Ehre
gegeben hätten, uns mit Ihnen bekannt zu machen; denn sehen Sie --«




Sechstes Kapitel.


»Erlauben Sie, lieber Kunemund,« sagte ich, dem Meister Autor die Hand auf
das Knie legend und ihn bescheiden zum zweitenmale unterbrechend. »Ein
Wort, bester Freund! Ich bin doch manch liebes Mal, nach unserm ersten
Massenbesuch, als einzelner Heuschreck bei euch gewesen; aber wer von euch
hat mir je von dieser Geschichte und allen ihren wahrscheinlichen Folgen
geredet?«

»Wir nicht; -- das ist richtig!« sprach der Meister. »Wer von uns konnte
denn aber auch daran denken? _Sie_ ging das doch gar nichts an!«

Ich schlug mich vor die Stirn und kam mir unendlich albern und abgeschmackt
vor. Ich sah tief, lächerlich tief in die Widersinnigkeit des Lebens, das
man, sozusagen, lebt, hinein und konnte nichts weiter sagen, als:

»Wahrlich!«

»Sehen Sie, seine werten Freunde muß man so wenig als möglich mit seinen
eigenen Molesten molestieren,« sagte der Meister und fuhr, von nun an
nicht wieder von mir unterbrochen, in seiner Erzählung fort, die wir
wieder nur mit einem Gänsefuß am Anfange und einem am Ende geben:

»Die Feierlichkeit war groß. Wir standen im Ernst ein jeglicher in seiner
Seele auf den Zehen; das heißt inwendig, denn was das Äußerliche anbetraf,
so konnten wir blutwenig tun, und hatten auch sonst grade keine Lust, mehr
zu leisten. Nur in der Küche war ein mächtiges Hallo; ganz wie im
Evangelium, als der verlorene Sohn heimkam. Vom ersten Tagesgrauen an stand
die Alte, ihr Horchen an des Mohren Kammertür abgezogen, in Dampf und
Flammen, im Sieden und Protzeln. Aber der Mohr Signor Ceretto saß mit
meinem Trudchen an der Tür auf der Bank und rauchte eine ganz gewöhnliche
Meerschaumpfeife. Er war lange nicht so ungeduldig auf den Onkel als das
Kind.

Wie gesagt, es hatte auf der alten Uhr hinter der Tür so ungefähr eins
geschlagen, als er kam, und zwar tüchtig zusammengeschüttelt in einer alten
Schöppenstedter Karrete, auf dem Holzwege, den Sie ja auch kennen, Herr
Bergsekretär; und wenn sein Bremer Neger uns nur im ersten Moment in
Verwunderung gesetzt hatte, so nahmen wir den Kleinen nach dem Anrumpeln
der Kalesche nun merkwürdig kühl. Er setzte uns gar nicht in Verwunderung,
nämlich was mich und den Tofote anbetrifft. Er war in einen dicken Mantel
eingewickelt und hüstelte, und als ich ihm die Hand in das Gefährt reichte,
sagte er: Guten Tag, Alter, ich habe es für meine Pflicht gehalten, -- oder
dergleichen und ich sagte: Sieh, Kleiner, bist du wieder da? -- und damit
hatten wir ihn auf dem festen Boden, und es wäre fast nötig gewesen, daß
ich ihn wieder einmal auf den Arm genommen und ins Haus getragen hätte, wie
ich das wohl tausendmal getan hatte, als ich noch seine Kindsfrau spielen
mußte in unserer Jungenzeit. Herr, wenn von jeher an mir die Augen wenig
taugten, so stehe ich dafür auf ziemlich festen Füßen, und meine
Schulterbreite ist auch nicht ohne! Bei unsrem Kleinen war das alles
umgekehrt. Augen hatte er vom Mutterleibe an wie ein Wildkater; aber von
dem übrigen wollen wir heute, da das alles doch schon vom Grabscheit in der
gewöhnlichen Weise versorgt worden ist, lieber nicht sprechen. Die Fremde
hatte ihm in der Hinsicht wenig gut getan, und er brachte fast noch weniger
mit, als er von Hause mitgenommen hatte. Aber das ist einerlei! Wie über
seine Jugendzeit und -sünden Gras gewachsen ist, so samt sich das jetzo
über dem übrigen an, und ich erzähle nur von wegen uns, die wir noch da
sind. Wir hatten ihn vor der Tür -- im Hause -- im weichsten Lehnstuhl am
Tische, und der Austausch und Handel mit den gegenseitigen Erlebnissen und
Gedanken mochte vor sich gehen. Natürlich kam es denn auch, wie ich es mir
am vergangenen Tag vorgestellt hatte: wir fanden uns heute so wenig wie vor
den langen Jahren zusammen und ineinander. Und als es Dämmerung wurde,
hatte er uns herzlich satt, und wenn ich offen sein soll, _wir_ ihn auch.
Herr von Schmidt, er ist mein leiblicher Bruder, und ich tat mein
menschenmöglichstes, ihn den Nachmittag über mit Rührung und
Weichherzigkeit als solchen anzusehen; aber noch vor dem vollen Einbruch
der Dämmerung hielt ich ihn kurzweg von neuem für einen Lumpen, und daß er
uns wie gewöhnlich für erbärmliche Tröpfe und die nichtsnutzigsten Narren
von der Welt hielt, das konnte ich ebensogut sagen als er. Also wir
vertrugen uns, der guten Bewirtung, die die Alte hergerichtet hatte, zum
Trotz, gar nicht; und sie, die Alte, legte mit ihren Unkosten gar so wenig
Ehre bei ihm ein, als wir mit unserer Einfältigkeit. So fuhr er ab, um noch
bei Licht auf die Landstraße zu kommen, und wir sahen ihn abfahren. Seinen
Mohren nahm er auf dem Kutschbock mit sich; und ein solch Gesicht, wie
_der_ Kerl uns zum Abschied zuschnitt, hatte ich in meinem Leben noch nicht
gesehen und habe es auch bis jetzt noch nicht wieder zu Augen gekriegt, und
kurioserweise tat _sein_ Abschied mehr als einem von uns leid. Das Kind,
unsre Gertrud, hatte dem Untier einen Geschmack abgewonnen, wie es kaum
geglaubt werden kann, und die Alte war richtig fast eifersüchtig auf das
Kind! -- -- -- Daß der Kleine nicht wieder aus unserm Leben verschwand,
nachdem wir ihn einmal wieder drin hatten, versteht sich wohl von selber;
aber zu Gesichte kriegten wir ihn nicht wieder. Aus den Blättern, in
welchen er ein Haus suchte, und auch sonst auf andere Weise erfuhren wir,
daß er sich in hiesiger Stadt niedergesetzt habe, aber uns hier im Wald
ließ er selbst von diesem Abschluß und Ende seines Vagabundenlebens nichts
weiter zu Gehör kommen. Seinen Mohren Signor Ceretto Wichselmeyer schickte
er auch nicht wieder heraus, was den andern im Hause am leidesten tat,
worüber ich als sein Bruder -- nämlich des Kleinen Bruder, mir aber jedoch
mein Gefühl und Gemüte vorbehalte. So sind denn die Jahre hingegangen,
eines nach dem andern, und wir haben an nichts gedacht, das kann ich Sie
versichern. Und nun war ich neulich schon vor Ihrer Tür, lieber Herr
Bergschreiber, als uns das Stadtgericht herzitiert hatte; aber Sie waren
damals verreist, und so mußte ich mit meiner großen Neuigkeit und in meiner
Bedrängnis wieder abziehen. Der Kleine war tot, und er hatte uns seinen
letzten Streich gespielt; -- was meinen Sie, was er getan hatte, um einen
letzten Tritt in unsern ruhigen Ameisenhaufen zu vollführen? -- er hatte
unser Trudchen, die Gertrude Tofote, zu seiner Generalerbin eingesetzt! --
Er hatte es getan! er hatte das Trudchen zu seiner Erbin gemacht, und da er
nie etwas getan hat, ohne dabei etwas im Schilde zu führen, so sind wir nun
schon monatelang in aller Unruhe und Todesangst und zerbrechen uns Herz und
Kopf und Sinn um die Frage, weshalb er es getan habe? Am Tage nach seinem
Begräbnis war der Mohr bei uns. Denken Sie sich, -- er, der Kleine, hatte
gewollt, daß niemand von uns anders als durch der Zeiten Lauf von seinem
Abscheiden benachrichtigt werden sollte; und bei seinem Grabe und
Leichenkondukt hat er auch niemand von uns sehen wollen, und -- jetzt --
lieber Herr, Sie, der Sie mit allen Schreibereien Bescheid wissen, kommen
Sie mit mir! Das Trudchen sitzt, seit ich bei Ihnen bin, mutterseelenallein
im Gasthof bei den Fuhrleuten, und wartet wahrscheinlich mit Schmerzen auf
mich, und jetzt -- wenn Sie nichts Besseres vorhaben, so kommen Sie, uns
zum Troste in der Ratlosigkeit, mit und helfen uns, ihre Erbschaft
anzutreten! Ich bitte Sie herzlich, so gütig zu sein.«




Siebentes Kapitel.


Länger als eine gute Stunde hatte Herr Autor Kunemund seinem Herzen Luft
gemacht, und ich hatte ihn erzählen lassen, und ihn, wie oben bemerkt,
sogar nicht wenig ermuntert, so ausführlich wie möglich zu sein; aber jetzt
fuhr mir ein um desto größerer Schrecken durch die Glieder.

»Mein Himmel, die Gertrud in der Stadt Lübeck! den ganzen Morgen da allein?
Kunemund, ich bitte Sie, weshalb konnten Sie mir das nicht gleich sagen?
Wie könnt Ihr das Kind -- das Fräulein, so allein in dem Fuhrmannsausspann
sitzen lassen?«

»Weshalb denn nicht, lieber Herr? Wir haben gute Bekannte und Freunde
dorten; gerade unter den Fuhrleuten haben wir die besten Freunde; und dann
ist der Jüd Salomon Prasem auch mit uns gekommen, -- das Trudchen war da
ganz gut aufgehoben, bis wir es abholen.«

Das mochte nun sein; aber nichtsdestoweniger vervollständigte ich in
hastigster Weise meine Toilette, und nach zehn Minuten schon befanden wir
uns in den Gassen der Stadt: ich in aller Ungeduld, aber der Meister Autor,
ohne es im geringsten eilig zu haben. Im Gegenteil, er hatte Zeit und Muße
für jede Merkwürdigkeit, die ihm unterwegs aufstieß, und des Merkwürdigen
stieß und fiel ihm alle zehn Schritte weit die Hülle und Fülle auf. Endlich
erreichten wir die Stadt Lübeck aber doch.

Das ist in der Tat einer der besuchtesten und nahrhaftesten
Ausspanngasthöfe der alten Stadt, und der Verkehr dort an allen Tagen der
Woche sehr lebhaft; am Sonnabend jedoch am lebhaftesten. Und es war ein
Sonnabend, und das Getöse vor, sowie die Bewegung in dem Hause ließen für
den Inhaber des altberühmten Schildes nichts zu wünschen übrig. Ein halb
Dutzend und mehr Lastwagen und Bauerwagen hielt vor dem hohen und weiten
Torwege, und versperrte weithin die ziemlich breite Straße. Zertretenes
Stroh, Fässer, Kisten, Kasten und Körbe, Hunde, Federvieh, Kinder, Gäste
aller Art und jedes Geschlechtes füllten den Hof, die mächtige Hausflur,
die Gaststuben und die Treppen. Aus der schwarzen, gewaltigen Küche
leuchtete es gleich einer keineswegs geringen Feuersbrunst, mit der
freilich der begleitende Geruch gottlob gar nicht stimmte. Kellner und
Kellnerinnen, Köchinnen, Hausknechte, Stallknechte und vor allem Wirt und
Wirtin schlugen nicht bloß in der Seele Rad, sondern machten auf jedermann,
der mit offenem Munde und aufgesperrten Augen sich in dem Gewühl hin und
her schieben und stoßen ließ, den Eindruck, als ob sie auch in einem
fortwährenden, nimmer wieder endenden körperlichen Radschlagen begriffen
seien.

In diesen Lärm und Wirrwarr traten auch wir jetzo ein, der Meister Autor
und ich, und der Meister bahnte den Weg. Drei oder vier braune ausgetretene
Stufen hinauf drängten wir uns aus dem Getümmel des Hausflurs in den Tumult
der Gaststube hinein, und richtig fanden wir da die Gertrud Tofote und zwar
ganz an demselben Platze, auf welchen sie der Meister Kunemund hingesetzt
hatte mit der Ermahnung, sie möge sich die Zeit nicht lang werden lassen,
er komme im Augenblick zurück und bringe den Trost im Elend (=NB=. in
meiner Person) hoffentlich gleich mit her.

Auf _den_ Trost hin hatte das junge Mädchen dann dagesessen, und -- wie
sich sofort auswies -- keinen Augenblick Langeweile gehabt oder sich gar
nach uns gesehnt. Als es uns erblickte, sprang es hinter seinem Tische
mitten unter den verschiedenartigsten Sonnabendmorgengästen der Stadt
Lübeck auf und rief, ohne anfangs die mindeste Notiz von mir zu nehmen:

»O Onkel, es ist gut, daß du kommst! wir haben schon lange auf dich
gewartet! Kennst du den hier noch?«

Und sie wies unbefangen auf einen hübschen jungen Menschen, der neben ihr
gleichfalls von der rotbraunen Bank aufgestanden war, und viel verlegener
als die Gertrud, errötend uns anlächelte und in seiner schmucken
Matrosentracht wirklich hübsch -- sehr hübsch -- und um so hübscher je
blöder aussah.

»Na,« sagte Herr Kunemund, »es ist wohl nicht an dem? Ja, wahrhaftig, es
ist doch an dem -- er ist es! Je, Karl, wie kommst denn du hieher? woher
bist du gefallen, Junge? Na, das ist wahrlich ein vergnügt Zusammentreffen,
Karl, und dich können wir gleichfalls gerade brauchen. Siehst du, Trude,
hab' ich's dir nicht gleich gesagt, daß du hübsche Leute zu deiner
Unterhaltung hier finden würdest?«

Sie reichten einander die Hände, über den Köpfen und Schultern des Volkes
am Tische weg, und ein teilnehmendes, vergnügtes Grinsen ging über jedes
Gesicht an den vier Seiten. Bauern und Fuhrleute, Weiber und Kinder nahmen
teil an dem fröhlichen Wiedersehen; aber den größten Teil nahm natürlich
der Jüd Salomon Prasem, der da denn auch sagte:

»Mein, bei mir hat sich die Gertrude zu bedanken; -- denn wer war's, der
ihr den Karl Schaake herbeilotsete? Ich war es, Herr Kunemund.«

»Sollst deine Ehre behalten, alter Sackträger,« rief der Meister Autor, und
das Trudchen -- ja freilich, reden wir doch einmal von der Gertrud Tofote,
ehe wir weiter schreiben. --

Es wird viel Wasser die deutsche Literatur hinunterlaufen, bevor ein
zweites Nixen- oder Waldelfen-Gesicht wie das wieder aus ihr emportaucht!
Das Trudchen hatte sich verändert in den Jahren, die hingegangen waren,
seit wir es als Kind zuerst am Bache im Elm trafen. Es war ein großes
Mädchen geworden -- eine Jungfrau, wie man in den Büchern, -- ein Fräulein,
wie man im Leben des Tages sagt. Und was für eine Jungfrau?! was für ein
Fräulein!

Daß ich das Kind von Zeit zu Zeit wachsen gesehen hatte, erhöhte meine
jetzige Überraschung nur; denn wer sieht sich je satt an den uralten
Taschenspielerkunststücken der alten geschickten Prestidigitatrice, Madame
Physis, sonst auch Dame Natur genannt?! -- Trudchen Tofote war eine
reizende, völlig ausgewachsene Blondine von achtzehn Jahren geworden, und
seltsamerweise schien der junge Leichtmatrose Karl Schaake das gleichfalls
herausgefunden zu haben.

»Erlauben Sie gefälligst,« sagte der Meister Autor fein und höflich,
»erlauben Sie, daß ich Ihnen diesen jungen Mann hier vorstelle und mit
Namen nenne. Es ist nämlich Karl Schaake aus unserm Dorfe vor dem Walde,
wissen Sie; sein Vater war Leinweber, sein Großvater war Leinweber, sein
Urgroßvater war Leinweber, und von Rechts wegen müßte er, dieser Junge
hier, auch Leinweber sein; aber können Sie es ihm verdenken, wenn er der
ewigen sitzenden Lebensart halben sich mal in das Gegenteil geschlagen hat?
Der Bengel fährt -- tanzt auf dem Seil -- geht querüber auf dem Wasser,
kurz, um es kurz zu sagen, ist zu Schiff gegangen und hat alle seine
ehrwürdigen Vorfahren mit offenem Maule sitzen lassen. Was sagen Sie dazu?«

Ehe ich etwas dazu sagen konnte, hatte sich der Meister bereits wieder an
den Seemann selber gewandt:

»Und nun, du Schlingel, noch einmal: wo kommst du her? wo hast du dich
wieder herumgetrieben?«

»O Herr Onkel, das wäre weitläufig zu beschreiben!« meinte der junge Mensch
lachend. »Sie haben es ja schon längst verschworen, mir ein Wort zu
glauben, und haben, was schlimm genug ist, auch das Trudchen auf den
Glauben hin abgerichtet. Was meinen Sie nun, wenn ich hab' helfen,
muhammedanische Pilger von Malakka nach Dscheddah expedieren und zwar
während der ganzen drei letzten Jahre?«

»Das wird wieder ein schönes Geschäft gewesen sein!«

»Das war es freilich dann und wann. Hamburger Bark Kehrwieder, -- Kapitän
Klütgen. Fragen Sie nur nach, die ganze Küste entlang, Onkel; o sie wissen
mich zu schätzen, die Kerle, die das Gesicht auf dem Bauche tragen, von
Sumatra bis Suez -- besser als Sie, Onkel Kunemund.«

»Na, na, so genau wie ich, werden sie dich doch nicht kennen, Karl,« sagte
der Onkel mit dem Zeigefinger in der Luft.

»Aber die Gertrud kennt mich _noch_ besser!« rief Herr Karl Schaake. »Nicht
wahr, du?« Und schwerlich konnte jemand eine größere Dringlichkeit in ein
solches: Nicht wahr, du? legen. --

Trudchen Tofote lachte vergnügt und verschämt und gab dem Leichtmatrosen
einen Schlag auf die Schulter, der seinen ersten Schuß auch nur im Elmwalde
getan haben konnte. Auf eine wörtliche Äußerung ließ sie sich jedoch nicht
ein, und also nahm der Onkel Kunemund wieder das Wort.

»Also hast du die Stadt Lübeck gerade so angelaufen, wie du der Alten
daheim über den Küchenschrank fielest. Und die Stelle, allwo die beste
Piepwurst hing, die nahmest du uns auch niemalen mit; aber die Wurst
vermißten wir dann und wann. Und also hast du dich gleich auch in gewohnter
Weise bei der Trude vor Anker gelegt? Na, das ist schön! Es behagt einem
immer, wenn endlich einmal jemand nach Hause kommt, der wirklich etwas zu
erzählen hat.«

»Aber gern sich auch allerlei erzählen läßt, was während seiner Abwesenheit
auf dem festen Lande vorgefallen ist. Nicht wahr, Trudchen?«

Das Trudchen lächelte wiederum nur vergnügt und verschämt, und es fiel
wiederum dem Meister Autor zu, sich zu besinnen, ob während der Abwesenheit
seines jungen Freundes wirklich etwas der Erwähnung Wertes passiert sei in
dem Walde und vor dem Walde. Ich hielt es für meine Pflicht, ihm dabei zu
Hülfe zu kommen.

»Ist das eine Familie, die in die Stadt gekommen ist, sich eine große
Erbschaft zu besehen und zu holen?« fragte ich. »O ihr Leute, wenn dieses
kein Zeichen ist, daß es euch auch ohne dieselbe wohl geht, so sucht und
nennt mir ein besseres!«

Hierauf sah mich der Herr Kunemund groß und sehr erschrocken an, schlug
sich vor die Stirn und rief:

»Herr Jesus, ja, das hatte ich ja ganz über dem frohen Wiedersehen
vergessen! Alle Wetter und die Formalitäten?! Und die Gerichtsherren? und
der Signor Ceretto! Um des Himmels willen, Trudchen, Karl, Herr von
Schmidt, -- wir haben keinen Augenblick zu verlieren. Sie haben uns ja auf
zwölf Uhr bestellt -- und da -- schlägt es dreiviertel. Donner und Wetter,
Trudchen, es war doch eigentlich deine Sache, mich daran zu erinnern!«




Achtes Kapitel.


Wenn meine Leser nun etwa glauben sollten, daß wir auf dieses
Zusammenfahren und diese Mahnung hin jetzt wie Besessene von dannen
stürmten, der Hinterlassenschaft Mynheers van Kunemund zu, so würden sie
sehr irren. Wir nahmen uns doch noch Zeit und hatten derselben auch zur
Genüge.

»Davon hat mir Trudchen schon gesagt, Herr Kunemund,« sprach der Matrose
und zwar, wie es schien, mit einem etwas befangenen und gedehnten Tone.
»Eine Erbschaft haben Sie -- hat sie gemacht! Wirklich?«

»Und was für eine!« rief der Meister. »Ich, Gott sei es gedankt, nicht;
aber das Mädchen da! Frage nur den Prasem, was für eine gute Partie es
geworden ist, und was für süße Augen er ihr machen würde, wenn Moses und
die Propheten und vor allen Dingen seine Perl nichts dagegen einzuwenden
hätten.«

»Gerechter -- mein lieber Herr Kunemund!« rief der alte Jude.

»Leugnen Sie es nicht, Salomo,« rief der Meister, »und dir, Karl,
wiederhole ich es mit Nachdruck, der Kleine reibt sich sicherlich heute
morgen da oben, oder -- da unten die Hände. Eine Goldprinzessin ist das
Trudchen und zwar ganz ohne ihr Zutun. Da der Herr Bergassessor von Schmidt
meint, es gehöre auch ins Märchen, und kurios ist's auch, obgleich ich bis
dato noch nicht herausgebracht habe, was der Herr eigentlich mit der Rede
im Sinne hat.«

»Das ist auch gar nicht nötig, alter Hexenmeister!« rief ich lachend; doch
über das offene ehrliche Gesicht des jungen Seefahrers war ein sonderbarer
Schatten gefallen. Er blickte das schöne Kind, die Gertrud Tofote
bedenklich von der Seite an und zerrte unruhig an seinem bunten Halstuche;
ich aber las in seiner Seele, und zwar folgendes:

»Also so steht die Geschichte? Und deshalb aus dem Alltagsverdruß und der
Leineweberei durchgebrannt und auf See gegangen, um ihr mit dem Sack voll
spanischer Dublonen und sämtliche Taschen voll Demanten und Perlen eines
Tages vor die Nase in allerhöchster Glückseligkeit treten und sie fragen zu
können: Na nu Gertrud? --! Uh! Himmel und Hölle, wenn ich ihr jetzt käme
mit dem, was mir die Hadschis eingebracht haben! O verflucht, da wäre es
doch am besten, ich hätte das alte Land gar nicht wieder angelaufen.«

Ich beobachtete einen tiefen Griff beider Hände des jugendlichen
Abenteurers tief in beide Hosentaschen hinunter, und sagte wie er in der
Tiefe meiner Seele:

Ja, ja -- ja! --

Aber jetzt war es wirklich die höchste Zeit zum Aufbruch geworden, und der
Meister sprach nur noch:

»Herr Bergsekretär, den Karl Schaake nehmen wir mit; denn so halb und halb
gehört er doch, von seinen ersten dummen Streichen an, zur Familie;« --
dann gingen wir, und hatten nun sogar zu laufen, um die verlorene Zeit
einzuholen.

Wir liefen, und die ganze Gaststube in der Stadt Lübeck stellte sich auf
die Zehen, um uns respektvoll und mit den notwendigen Glossen nachzusehen.
Wir liefen, und statt sich mit Händen und Füßen gegen die Begleitung des
Trudchens in das unmenschliche Glück hinein zu wehren, lief Karl
selbstverständlich mit der Erbin vorauf.

Es schlug gerade feierlich zwölf Uhr auf Sankt Katharinen, als wir uns an
der alten Kirche vorüber dem Tor zuwendeten.

»Umstände werden sie uns freilich wohl nicht mehr machen. Wir können uns
dreist in den Honigtopf hineinsetzen,« sagte der Meister Autor, und es
verhielt sich selbstverständlich so, wie er sagte.

Wir schritten langsamer den jungen Leuten nach durch das Tor, vorüber an
einem der Kirchhöfe der Stadt, und dann durch eine enge im Zickzack
laufende Gasse, zwischen Planken und lebendigen Gartenzäunen etwa zehn
Minuten fort. Dann standen wir, Gartenhecken, Gärten, Gitter, Gartenhäuser
rechts und links, und suchten uns zu orientieren. Dann fanden wir uns
zurecht und schritten in eine Nebengasse hinein, in welcher wir dann
natürlich wieder so ratlos als vorher standen.

»Sie wissen es ja, wie er sich verholländert hat,« sagte der Meister Autor,
»nehmen Sie es also nur nicht übel, wenn ich nach meinem eigenleiblichen
Bruder so verrückt frage. -- Sagen Sie, junge Frau, wo hat sich denn
eigentlich der Dachs verklüftet -- ich meine mein kleiner Bruder -- ich
meine, wo wohnt denn der Herr van Kunemund?!«

Diese Frage war an eine durchaus nicht mehr junge Weibsperson, die, einen
Henkeltopf tragend, uns entgegenkam, gerichtet, und sofort erfolgte die
Antwort der dem Gespräch nach leicht erreglichen Dame:

»Hören Sie, wenn Sie den meinen, den kleinen, gelben Kerl, mit dem vielen
Geld -- der lebt gar nicht mehr. Sie alter Narr, wenn aber Sie die Leute
vexieren wollen, so gehen Sie da auf den Kirchhof und dann können Sie --«

Was der Meister Kunemund konnte, wollen wir dahin gestellt sein lassen; wir
gingen eiligst weiter und trafen ein kleines Mädchen, welches ebenfalls
einen Henkeltopf trug, und welches auf unsere Frage, mit dem Finger
deutend, sagte:

»Herr je, da guckt's ja über die Hecke!« und dann sofort Reißaus nahm.

Unsere Augen waren sämtlich der andeutenden Richtung des Kinderfingers
gefolgt.

»Richtig!« sagte der Meister. »Nun, Gott sei Dank, jetzt haben wir es doch
herausgebracht, wo er sich verklüftet hat.«

Was aber da über die Hecke guckte, das war in der Tat nicht gewöhnlich, und
konnte wohl einem, der unvermutet auf den Anblick stieß, einen gelinden
Schrecken einjagen. Solch eine kohlschwarze Teufelsfratze mit solchem
krausen schloßenweißen Wollenhaar sollte noch zum zweitenmal über eine
norddeutsche Hainbuchen- und Nußbaumhecke gucken.

»'s ist sein Mohr, erschrick nicht, Karl Schaake!« rief der Meister; und
schon war das Trudchen an der Hecke und reichte dem grinsenden Greuel die
Hand in die Höhe. Aber je näher wir andern herankamen, desto mehr versank
der Schwarze hinter den grünen Blättern -- doch glücklicherweise nur aus
Höflichkeit, denn er empfing uns mit einer tiefen Verbeugung an den
Rokoko-Sandsteinpfeilern des Gartentores, reichte dem Herrn Kunemund
gleichfalls die Hand und sagte:

»Ist es der Herrschaft endlich gefällig gewesen? Wahrhaftig, ich kenne
Leute in Bremen, sowie an manchem andern Platze in und um Europa, die
eiliger angerannt gekommen wären.«

»Siehst du, Onkel, das habe ich dir auch gesagt!« rief Gertrude Tofote, und
damit traten wir über die Schwelle des Gartens und ein in das Erbe, welches
Mynheer van Kunemund der Tochter Arend Tofotes gegeben hatte, und wir sahen
alle noch einmal zurück über die Schulter, nur die Gertrud nicht; --
Gertrud sagte:

»Oh!« und sah sich nur um.

»Es ist _doch_ wunderlich!« sprach der Meister Autor, kopfschüttelnd nach
den dichten dunkeln Baumgipfeln blickend, die in der Ferne die Lage des
Kirchhofes andeuteten, auf welchem man seinen kleinen Bruder eingescharrt
hatte, ohne daß der Meister dabei zugegen gewesen war.

Was mich persönlich anbetraf, so hatte ich mich seit meinen Kindheitsjahren
nicht in einer gleichen märchenhaften, neugierig-bänglichen Stimmung wie
die jetzige befunden. Und da sich meine Rolle hier doch nur auf die eines
horchenden, zurechtlegenden Beschauers beschränkte, so entging mir wenig
dessen, was die Stunde bot; und alles, was ich sah, hörte -- paßte in das
Märchen -- vor allem andern auch der junge, verdrossene Seefahrer, Herr
Karl Schaake, der Leichtmatrose.

Da standen wir im Grün und in der Sonne und mitten im verwilderten Rokoko.
Aus ausgewuchertem dichten Taxus sahen graue Sandsteinfiguren --
pausbackige Kinder, hochbusige Nymphen hervor. Der gelbe feine Sand
knirschte unter unsern Füßen, und an einer uralten Sonnenuhr in der Mitte
des Rundplatzes machte uns der Mohr Mynheers van Kunemund eine zweite und
womöglich noch tiefere Verbeugung:

»Dort ist das Haus,« sagte er, auf ein altersschwarzes moosbedecktes
Ziegeldach deutend, welches in einer Entfernung von etwa hundert Schritten
über das Gebüsch emporragte.

»Und wo sind die Gerichtsherrn?« fragte Herr Autor Kunemund.

Auf diese Frage hin zog Signor Ceretto grinsend die Schulter in die Höhe:

»Die Sennorita darf sich darauf verlassen, daß sie in ihrem Eigentum ist.
Der Herr Kunemund weiß das auch recht wohl; er hat es ja selber auf dem
Stadtgericht gehört, daß alles in Ordnung sei. Der selige Herr verstand es
bis zum Letzten, Ordnung in allen seinen Angelegenheiten zu machen. Das
gnädige Fräulein darf dreist weiter spazieren.«

»Was ist denn aber das?« fragte der Meister Autor vor einer rotweißen
Stange stehen bleibend, die mitten im Wege zwischen dem Grün, den Blumen,
unter den summenden Bienen, den flatternden Schmetterlingen und den grauen
Steinbildern im Boden stand.

»Das Gewächs hat das Stadtbauamt neulich eingepflanzt, Herr Kunemund,«
sagte der Mohr. »Es findet alles sein Ende in der Welt. Jede Zeit hat ihr
eigenes Pläsier und kümmert sich wenig um das der vorhergegangenen. Uns
macht nun das Baumfällen Vergnügen. Den Stadterweiterungsplan haben Sie
wohl noch nie zu Gesicht gekriegt, Herr Kunemund?«

»Donner und Hagel, sie werden uns doch wohl hier keine Häuser hinsetzen
wollen?!« schrie der Meister Autor, und es wird auch wieder viel Wasser die
deutsche Literatur herabrinnen, ehe sie wieder ein Grinsen sieht, wie das,
mit welchem Signor Ceretto Wichselmeyer aus dem Schüsselkorb zu Bremen den
Aufschrei des Meisters beantwortete.

»Sie wollen mir in meinen Garten Häuser bauen?« rief auch Fräulein Gertrud
Tofote, und zum drittenmal verneigte sich der Zaubermohr vor ihr und sagte:

»Nach dem Stadterweiterungsplan geht die Prioritätenstraße grade über das
Grundstück. Ich bitte gehorsamst -- sehen Sie dort, an dem Bassin steht der
zweite Pfahl. Ei, der selige Herr wußte gar wohl, was er tat, als er den
Garten kaufte. Es war ein solides Geschäft, -- nur schade, daß er die
Kommission mit den Meßketten nicht selber mehr an der Tür begrüßen durfte.«

Ich hatte die Hand auf einen die Flöte blasenden Satyr gelegt; der Meister
Autor sah mit zusammengezogenen Augenbrauen an den alten hohen Linden
empor, der Seefahrer war an den Rand des Wasserbeckens getreten und sah
finster hinein, und Trudchen -- Trudchen trat zu dem alten unheimlichen
Gartenhüter und fragte:

»Aber dürfen sie denn das, wenn ich nicht mag?«

»Sie werden viel Geld bezahlen, gnädiges Fräulein,« antwortete Ceretto.
»Für viel Geld bekommt man alles, was man will. Für Geld und für gar nicht
viel hat man alle meine Großväter bekommen, und meinen Urgroßvater sogar
für eine abgelegte neapolitanische Schiffsleutnantshose. Die Überlieferung
davon ist in der Familie geblieben von Abu Telfan im Tumurkielande her bis
in den Schüsselkorb zu Bremen. Was mich persönlich angeht, so hatte mich
der selige Herr, -- ich meine immer Mynheer van Kunemund, für vierzig Taler
jährlich und einen neuen Bedientenrock alle Weihnachten.«

»Damals sagten Sie mir, Ihre Angehörigen stammten aus dem Lande Kongo,«
sagte der Meister Autor, um doch wieder etwas zu bemerken.

»Aus Banza Sonjo! Nicht wahr? Ja, das ist auch wenigstens zur Hälfte
richtig. Aus dem Nest war meine Urgroßmutter; die wurde aber auf einen
andern Handel zugegeben und kam mit meinem Herrn Urgroßvater erst in Puerto
Principe auf Cuba in Bekanntschaft. Sie konnten beide nichts dafür, es
sprachen damals auch Geschäftsrücksichten mit, aber, wahrhaftig, bloß die
des kreolischen Pflanzers. Nun, ich will dem gelben Schurken heut ein gut
Jahrhundert später keinen bösen Leumund darum machen, zumal -- heut heute,
schönes, junges, gnädiges Fräulein; denn _mir_ gefällt die Welt heute recht
sehr, recht sehr! Ich meines Teils habe bis dato noch immer mein Vergnügen
drin gefunden.«




Neuntes Kapitel.


Wir standen noch einen Augenblick um die Stange des Stadterweiterungsplanes
her, und dann wendeten wir uns alle ab und dem Hause zu. Um zu demselben zu
gelangen, mußten wir das gleichfalls mit einem bemoosten Rande von
Sandstein eingefaßte Wasserbecken umschreiten.

»Das Ding hat eine merkwürdige Tiefe,« sagte Signor Ceretto. »Mynheer und
ich haben es ausgemessen. Der Grund ist weit hinabwärts versumpft und
verschlammt; ob man allerlei Andenken aus der alten Zeit finden wird, wenn
das Bauamt den Fleck trocken legt, kann ich nicht sagen. Es hat aber vieles
und wunderliches Menschenvolk hier im Hause gewohnt.«

Hier im Hause! Wir standen jetzt vor dem Hause, in welchem zuletzt Mynheer
van Kunemund gewohnt hatte, und welches jetzt dem Trudchen Tofote als
Eigentum zugefallen war.

»Zu seiner Zeit war es, trotzdem daß es nicht sehr groß ist, ein
Wunderwerk,« meinte der schwarze Gartenhüter. Und wahrlich, ein Wunderwerk
war es auch heute noch, und vielleicht grade heute mehr denn je.

»Oh!« rief Gertrude Tofote, nach der Hand des Meisters Autor greifend, aber
sie sofort fallen lassend, um die breiten Steintritte, die sich an der
ganzen Vorderseite des Gebäudes herzogen, hinaufzueilen. Und wäre jetzt aus
der Glastür in der Mitte der Erbauer im Brokatrock mit der Allongeperücke
und dem zierlichen Degen, den dreieckigen Hut unter dem Arme,
hervorgetreten, um sich mit der ganzen feierlichen Zierlichkeit des Jahres
Siebenzehnhundert über ihre Hand zu neigen und das schöne Kind in _sein_
Besitztum einzuführen, -- niemand von uns andern, die wir noch auf dem
heißen gelben Sande vor den breiten Treppenstufen standen, würde einen
außergewöhnlichen Schauder darob verspürt haben.

»In der Umgegend von Batavia trifft man auch solche kuriose alte
Gartenhäuser,« sagte der Matrose. »Aber sie versinken allmählich im
Sumpfe.«

»Ruppig, aber wunderschön!« rief der Meister Autor. »Und _das_ wollen sie
auch wegbrechen, ihrer dummen Straße wegen?«

»Das erst recht, Herr Kunemund. Ich meine doch, es hat lange genug
gestanden,« sagte Ceretto, »aber die Herrschaften sehen, die junge Herrin
wird ungeduldig -- gehen wir hinein; inwendig ist's noch viel
absonderlicher, und wir haben gleichfalls das Unsrige geleistet, um die
Wirtschaft für das gnädige schöne Fräulein so bunt als möglich
herzurichten. O, darauf verstanden wir uns: ich und der selige Herr. Wir
haben beide, jeder in seiner Art, die Welt danach abgegraset.«

Wir erstiegen nun auch die breiten Steinstufen zwischen den beiden
verwitterten Sphinxen und standen vor der schon erwähnten Glastür und den
fast bis auf den Boden herabreichenden Fenstern des Hauses.

An der Türe erwies sich der wunderliche Führer aber nochmals als ein für
seine Aufgabe vollkommen passender Mann.

Mit einem lächelnden Blick auf Gertrude deutete er nochmal zurück auf den
Garten, -- die Blumen, den ausgewucherten Taxus, das sonstige Gebüsch und
die mannigfachen Bildwerke, die aus dem Grünen hervorsahen: Blumenkörbe
tragende Nymphen, Pansflötenbläser und pausbackige Kinderfiguren.

»Sie haben alle gewartet!« sagte er. »Sie haben auf das Fräulein gewartet.
Sie haben sich gelangweilt über hundert Jahre.«

»Das glaube ich!« brummte der Leichtmatrose Karl Schaake. »Es war zwar sehr
freundlich von ihnen, aber nötig war's nicht. Was haben sie mit dem
Trudchen zu schaffen, die lächerlichen alten Galionbilder?... Nichts!«

»So?!« sagte der Meister Autor Kunemund. »Hast du deshalb dem Kerl da einen
solchen grimmigen Nasenstüber versetzt, Karl?«

Und er zeigte auf einen mit einem kaum noch erkennbaren Bogen bewaffneten
knieenden Amor unter einem Rosengebüsch, gerade der Eingangstür des Hauses
und dem im Sonnenlicht glitzernden Wasserbecken gegenüber. Sicherlich wußte
Herr Autor durchaus nicht, wie fein er sich durch sein Wort und seine
Handbewegung erwies. --




Zehntes Kapitel.


Die Jahre sind hingegangen seit dem Tage. Nicht viele Jahre -- fünf zum
höchsten, kurz eine lange, lange Zeit. Ich habe das Meinige erlebt
währenddem -- die Welt roch einige Male recht brandig -- Saturn entwickelte
mehrmals einen gott- oder göttergesegneten Appetit: die Knochen seiner
Kinder knackten und knirschten unter seinen Zähnen; es floß ihm rot an den
Kinnladen herab; hier und da lief das Blut in den Straßengräben und
Ackerfurchen: im Bunten eine buntfarbige Erinnerung mehr, das ist das
einzige, was mir von jenen Stunden blieb, jenem Tage, an welchem Herr
Kunemund mich abholte, seine kleine Freundin in ihre Erbschaft zu geleiten.

Es war ein Gebäude, wie es im achtzehnten Jahrhundert die Herren aus der
Umgebung Serenissimi in großen und kleinen Residenzen in ihren Gärten
versteckten, und wie es in so manchem Schau- und Trauerspiel, in so manchem
Roman nicht nur des achtzehnten, sondern auch des neunzehnten Jahrhunderts
sich aufbaut als Schauplatz von Liebe und von Kabale. Ein Häuschen, in
welchem aber auch von Thümmel seine Wilhelmine hätte schreiben können, und
in welchem der Verfasser der Reise in die mittägigen Provinzen von
Frankreich sich auch unter dem, was Mynheer van Kunemund hinzugetan, gewiß
nicht unbehaglich gefühlt haben würde. Die Stukkaturplafonds und die
Schnörkelschnitzeleien an Tür und Pfosten hatten dem Geschmack des alten
abenteuernden Heimtückers zugesagt, und er hatte das Seinige getan und
alles verblichene Gold neu auffrischen lassen. Auch die Decken- und
Wandmalereien hatte er zum größten Teil konserviert, und die bekannten
Abgöttereien, Schäfereien, Jägereien und Fischereien ergötzten das Auge
fast von jeder Richtung her. Aber Mynheer hatte auch ein Gusto für buntes
Fensterglas mit in seinen lichten Schlupfwinkel gebracht und seine Gemächer
in das bunteste Licht gekleidet. Und was er von seinen Weltfahrten an
Wunderdingen mitgeschleppt hatte, das hatte er auf den Tischen und
Schränken und die Wände entlang aufgehäuft und angehängt. Selbst die
Fußböden hatte er durch ausländische farbenprächtige Teppiche und die Felle
fremder Tiere nach Möglichkeit wunderlich ausgestattet; das Ganze
überwältigte, selbst nur als Raritätensammlung betrachtet, beim ersten
Durchschreiten der Räume vollständig.

Aber die Lebendigen waren doch das Merkwürdigste, -- sie stehen mit jedem
Worte, mit jedem Gestus fest in meiner Erinnerung -- der Meister Autor, das
schöne Waldfräulein und der Leichtmatrose und Pilgerführer Karl Schaake von
der Hamburger Barke Kehrwieder.

Ich sehe den Bremer Mohren, Ceretto Wichselmeyer, eine Tür nach der andern
vor der neuen Herrschaft öffnen; ich sehe das süße Kind immer größere und
glänzendere Augen öffnen, aber ich sehe es auch von Schritt zu Schritt
immer mutiger und mutwilliger werden. Ich sehe, wie sich Fräulein Gertrud
Tofote lachend auf weiche Polster wirft, um sofort wieder aufzuspringen und
über die orientalischen Decken, die Tigerfelle mit leichter Hand zu
streichen; ich sehe sie mit bunten Schmuckkästchen in der Hand, mit einem
javanischen Federfächel in der Hand, -- ich sehe sie mit einem
Korallenschmuck im Haar vor einem der vergoldeten Spiegel. Ja, ich sehe das
Lächeln, mit welchem sie sich in den Spiegeln des Hofmarschalls von Kalb
oder des Oberschenks von Bock, und zwar auf den Teppichen Mynheer van
Kunemunds stehend, beäugelt; und ich sehe auch den Meister Autor Kunemund,
der hinter ihr hertritt, sich über ihr Entzücken freut und doch dann wieder
auch stehen bleibt und kopfschüttelnd und traurig sie, unbemerkt von ihr,
lange und fest ins Auge faßt.

Ich sehe dann den Meister Autor, wie er den Stock seines »kleinen Bruders«
in einer Ecke findet und am Nagel den Hut des Seligen. Ich sehe, wie er vor
diesen Stücken der Erbschaft lange mit dem schwarzen Zauberhüter der
tausend Herrlichkeiten flüstert, um von neuem den Kopf zu schütteln. Ich
belausche einen tiefen Seufzer des Alten, während aus dem Nebengemache,
hinter dem schweren sammetbefranzten Türvorhang her, ein neuer, heller,
lachender Jubelruf des jungen Mädchens erklingt; den jungen Seefahrer
erblicke ich in diesem Momente nicht, aber ich finde ihn noch wieder -- im
Märchenhause Mynheers van Kunemund und in meiner Erinnerung. --

Wir haben allgemach das ganze Haus durchstöbert und kehren nun zurück durch
den Wirrwarr der bunten Räume, um das lustig verzauberte Gartenschlößchen
auch von außen zu umschreiten und den Garten einer neuen und eingehenderen
Durchforschung zu unterwerfen. Und auf diesem Rückmarsche finde ich meinen
jungen Salzwassermann in einem Winkel eines der vordern Gemächer, und zwar
in mürrischer Betrachtung der Schlange unter den Blumen.

Er saß auf einem Eckpolstersitz und hatte von einem Hängebrett zur Seite
den Gegenstand herabgeholt, der ihn so sehr bedenklich machte, daß er alles
andere darüber vergaß.

Als ich an ihn herantrat und ihm die Hand auf die Schulter legte, fuhr er
sogar zusammen und wurde sofort sehr rot, was ihm, beiläufig gesagt, gar
nicht übel stand.

»Was haben Sie denn da aufgegabelt, das Ihre Aufmerksamkeit so sehr in
Anspruch nimmt, lieber Freund?« fragte ich, und der Leichtmatrose erwiderte
verlegen und womöglich noch röter werdend:

»O nichts!«

»Dem scheint doch nicht so zu sein. Bitte, lassen Sie doch einmal sehen,
was Sie Gefährliches da hinter Ihrem Rücken verbergen.«

Und jetzt sprudelte und stotterte der junge Mensch heraus, was ruhig und
lachend zu sagen er sich zu schämen schien:

»Ich weiß nicht, wie das hierher kommt, und ob der, welcher es hierher
gebracht hat, gewußt hat, was es bei sich zu Hause bedeutet. Aber auf den
Inseln der Banda- und der Harafura-See schafft ein Feind es dem andern
verstohlen ins Haus oder aufs Schiff und geht nachher hin und reibt sich
die Hände und wartet ruhig den Erfolg ab. Sie sagen und glauben fest daran,
daß es Unglück bringe -- daß Haus und Schiff zugrunde gehen müsse, wenn es
nicht noch frühzeitig wieder hinausgeworfen werde. Es ist natürlich eine
Narrheit; aber kein malayischer Seemann duldet es auf seinem Schiff, und
ertappen sie einen, der es böswillig in der Hosentasche trägt, fliegt
beides über Bord, der braungelbe Kerl wie das graugrüne Zauberding.«

»Das ist ja recht interessant! Aber was ist es denn? Zeigen Sie doch
einmal, lieber Karl!«

Zögernd legte der Leichtmatrose einen dem äußern Anschein nach höchst
unverfänglichen Gegenstand in meine Hand, nämlich einen
schwärzlichgrünlichen Stein von eirunder Form und der Größe einer
Weiberfaust. Bei näherer Betrachtung erwies sich jedoch, daß das Ding
bezeichnet war und nicht ohne Kunst und Mühe zugerichtet, daß es also auch
wohl für den Verfertiger seine Bedeutung haben mußte. Die eine Hälfte war
mit einem Durcheinander wahrscheinlich sehr magischer und niederträchtiger
Schriftzüge bedeckt; auf der andern Hälfte wies sich ein Gesicht
eingegraben, und seltsamerweise hatte sich der Künstler augenscheinlich
bemüht, so gut es ihm eben möglich war, jedwede Fratzenhaftigkeit davon
fernzuhalten, und das war ihm auch so ziemlich gelungen. Es gab sicherlich
häßlichere molukkische Frauen und Göttinnen, als diejenige gewesen sein
mußte, die zu diesem Skulpturwerk Modell gesessen hatte.

Nachdem ich das magische Ei mit gebührender Aufmerksamkeit hin und her
gewendet, es unter jeglichem Gesichtspunkt betrachtet und zuletzt sogar
berochen hatte, gab ich es zurück und zuckte die Achseln.

»Sie nennen es den Stein der Abnahme und dulden es nicht,« sagte Karl
Schaake.

»Der Stein der Abnahme?! Freilich ein sonderbares, bedeutungsvolles
Wort!... der Stein der Abnahme!«

Ich nahm das Ding zum zweitenmal und betrachtete es noch einmal von allen
Seiten, indem ich wiederholte:

»Der Stein der Abnahme!«

Den Schriftzügen vermochte ich nichts abzugewinnen, wohl aber allmählich
dem Weibergesicht. Die Phantasie tut in allen diesen Stücken das Ihrige
und tat das auch jetzt. Das kindische, unsichere Bild gewann ein
tierisch-stupides Leben, und über alles einen Zug von unerbittlicher
Grausamkeit und kahlem, nichtssagendem Hohn, der es mich auf der Stelle zum
andernmal zurückgeben ließ:

»Sie dulden es nicht?«

»Unter keinen Umständen! Sie reißen selbst das Haus nieder, in welchem es
gefunden wird.«

»Und Sie, lieber Freund, verspüren all Ihrem Europäertum zu Trotz ebenfalls
nicht die mindeste Lust, dieses Es, diesen -- Stein der Abnahme, hier --
grade hier, in diesem Hause zu dulden? Es juckt Sie längst in allen
Fingern, das Entsetzliche verstohlen in die Tasche zu schieben und es
nachher in den Fluß zu werfen, da wo er Ihnen am tiefsten vorkommt? Nicht
wahr?«

Der junge Mann nickte mit allem Nachdruck, den Blick nicht von mir
abwendend.

»Nun, was hindert Sie denn, lieber Karl? Ich meine, wir können es vor dem
Meister Autor, dem Bruder Mynheers van Kunemund, wie vor der niedlichen
Erbin Mynheers -- und vor letzterer am ersten verantworten. Sehen Sie, das
Fenster steht weit genug geöffnet. Werfen Sie, und reinigen Sie das Haus
von dem Unheil!«

So vieler Worte hatte es kaum bedurft. Beim ersten bereits war der
Seefahrer aufgesprungen, und jetzt flog im weiten Bogen der Stein der
Abnahme aus dem Fenster und klatschend mitten in das Bassin vor dem Hause.

»So -- gottlob!« rief tief aufatmend Karl.

»So!« sagte ich lachend und habe späterhin Gelegenheit gefunden, mich
dieses Lachens mehrfach zu erinnern. Fürs erste fanden wir uns noch einmal
im Garten unter den Bienen, Blumen und Schmetterlingen zusammen und
beredeten noch dieses und jenes, woran Gertrud Tofote, versunken in ein
unruhiges Träumen, wenig Anteil nahm.

Dann fragte Herr Kunemund:

»Du wirst doch heute mit uns essen, Karl?« und Karl dankte zögernd und
sagte:

»Ich habe der Muhme im Cyriacihofe versprochen, heute bei ihr zu bleiben,
und sie wird schon längst eine recht schöne Rede über mein Ausbleiben für
mich in Bereitschaft haben.«

So nahmen wir Abschied. Wir, der Seefahrer und ich, ließen die Erbin im
Besitz der Erbschaft Mynheers van Kunemund, und ein jeder ging seines
eigenen Weges: ich den meinigen, wie gesagt, durch verschiedene Jahre. In
diesen Jahren hatte ich das Meinige in Wohl und Wehe abzutun und konnte
mich nicht immer mit dem, was andere Leute eigentlich allein anging,
beschäftigen. Aber dessenungeachtet behielt ich diesen Tag mit allen seinen
Figuren und Vorgängen in merkwürdiger Frische in der Erinnerung. Den
Meister Autor hatte ich ja sogar, wie man das so nennt, liebgewonnen. Und
wenn man sich gewöhnlich wenig mehr bei dem Wort denkt, als daß ein
wohltuend warmes Behagen von der oder der Persönlichkeit für uns ausgeht,
so trat hier doch noch etwas anderes hinzu: ich hatte nämlich den Meister
auch da zu respektieren, wo sich mein ganzes, oft flüchtig genug im Tage
lebendes Wesen gegen seine Natur und sein Treiben als gegen etwas ganz
Gewöhnliches und Einfältiges, wenngleich ungemein Feststehendes sträubte.

Das Behagen behielt freilich stets die Oberhand. In mancher verdrießlichen
Stunde schweifte meine Seele mit Wohlgefühl in des Alten Einsamkeit und
sein sagenhaftes Leben hinüber; und in mancher unsichern Stunde habe ich
ihn, den Meister Autor Kunemund, in der Einbildung um Rat gefragt,
denselben jedesmal erhalten und wirklich dann und wann befolgt und zwar
niemals zu meinem Schaden, wenngleich sehr häufig zur unmäßigen
Verwunderung anderer Leute.

»_Dem_ Mann geht es immer gut! Dem Mann kann es nie schlecht gehen!« dachte
ich, und saß mit ihm in der Phantasie an der Schnitzbank und spielte mit
dem tapfern, blanken Messer seines königlichen Ahnherrn. Und mit ihm sah
ich seinen Wald im Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Wintergewande, in
Sonnenlicht und Nebel, und sah die Alte und den Förster Tofote und das
Kind, das schöne Kind. Und während ich an meinem eigenen Leben schnitzelte
und zwar im Holz, das mir überwiesen worden war, philosophierte ich dann
und wann, wie es sich gehörte, über das Material, welches andern in die
Hände fiel, so zum Exempel über die Erbschaft Mynheers van Kunemund.
Hundert Meilen entfernt vom Elmwalde kümmerte ich mich um jenen wunderlich
schönen Garten, die liebliche Erbin darin und dachte an die rotweiße
Meßstange, welche jener Stadterweiterungsplan der armen Gertrud Tofote
zwischen ihrem Flieder, Jasmin und ihren Rosen eingepflanzt und
aufgerichtet hatte. --




Elftes Kapitel.


Der Schnellzug hielt im freien Felde, ungefähr eine halbe Stunde von der
Station, und während fünf Minuten unterhielten sich die Reisenden in
sämtlichen Wagen, in der Erwartung, daß es sogleich weiter gehen werde,
ruhig über die möglichen Gründe des plötzlichen Anhaltens. Nach einer
weiteren Minute bogen sich die ungeduldigeren Passagiere aus den Fenstern,
um sich nach diesen Gründen umzusehen, und einen kürzesten Moment später
bot die lange Wagenreihe mit den daraus hervorguckenden Köpfen den Anblick
einer Straßenseite, wenn drunten in der Gasse etwas ganz Außergewöhnliches
vorgegangen ist oder vorgeht. Wenn nun aber auch kein Kanarienvogel der
zärtlichen Pflege seiner altjüngferlichen Herrin entschlüpft war, so war
nichtsdestoweniger etwas, wenn auch nicht Außergewöhnliches, so doch gewiß
ziemlich Aufregendes passiert, zumal für diejenigen, welche dergleichen
noch nicht auf ihren Reisen erlebt hatten.

»Personen- und Güterzug entgleist ... Bahn unfahrbar!... Heizer und
Lokomotivführer tot, viele Passagiere verwundet!« ging es plötzlich von
Mund zu Munde durch alle Klassen des Zuges, und die bereits am Rande der
Böschung in Gruppen stehenden Schaffner ließen sich nunmehr allgemach
herbei, die Nachricht zu bestätigen und fingen auf Befehl des Zugführers
an, die Wagentüren zu öffnen.

Allgemeines Herausklettern -- Durcheinander von Frage und Antwort -- hie
und da Mitleid und Entsetzen in den Mienen; aber meistens doch nur, je nach
dem Charakter oder der Eile der persönlichen Reisenot heftiges
Gestikulieren, leises Murren und lautes Schimpfen! Wer es schon mitgemacht
hat, weiß es, wie die Welt in solcher Lage sich gibt; wer noch nicht im
freien Felde vor die Alternative gestellt wurde, in dem Coupé zu
übernachten, oder nach eigenem Können und Vermögen seinen Weg über das
Hindernis da vorn auf dem Geleise zu suchen, der mag sich selber den Puls
fühlen. --

Was mich anbetraf, so hatte ich wenig zu versäumen, und nachdem mir die
Gewißheit geworden war, daß für eine längere Zeit an ein Freiwerden der
Bahn und ein Weiterfahren des Zuges nicht zu denken sei, ergab ich mich
gleichmütig in die Situation, sah mich um und suchte mich in der Gegend
zurecht zu finden.

Wir hielten in der Ebene, wie gesagt, eine halbe Lokomotivviertelstunde von
der nächsten Station entfernt, hatten also einen ziemlich beträchtlichen
Weg, und zwar auf sehr schlechtem und gar noch dazu durch ein heftiges
Gewitter am frühen Morgen aufgeweichtem und grundlos gemachtem Pfade zu dem
Orte hin. Aber es war ein herrlicher, klarer, sonniger und doch durch eben
jenes Morgengewitter erfrischter Sommernachmittag, und es gab schlimmere
Klemmen als die meinige im menschlichen Leben: ich wenigstens hatte
schlimmere und zwar ziemlich heiter überwunden, wenn auch dann und wann nur
aus dem einfachen Grunde, weil ich mußte.

Ich hatte mich bald in der Gegend zurechtgefunden. In der Ferne, gegen
Nordost zog sich wieder einmal der Elmwald hin; in der hügeligen Ebene
zwischen dem Walde und der Eisenbahn, ungefähr eine Viertelwegstunde von
der letztern lag ein Dorf in Gebüsch, Wiesen und Kornfeldern, und der Weg,
den wir sämtlich zu treten hatten, wenn wir das Hindernis vor uns umgehen
wollten, führte durch dieses Dorf. Zu Haufen und einzeln, teilweise schwer
genug mit ihrem Gepäck belastet, schritten die Insassen des Bahnzuges den
roten Dächern zu; ich aber, mit ein wenig besserm Humor für das Ertragen
der Verdrießlichkeit ausgerüstet, ließ den Schwarm voranziehen. Eine
Zigarre anzündend, klomm ich ihm den Hohlweg hinauf langsam bis auf die
Höhe nach, erstieg dann die Böschung und saß am Rande eines unübersehbaren
Weizenfeldes unter einem schattigen Fliederbusche nieder, und zwar in
ziemlich eigentümlicher Stimmung.

Da war eben noch der wirreste Lärm, das Rasseln der Räder, das Geschwätz
der Mitreisenden, das Ächzen der Maschine, kurz der Dampf, Qualm und die
Musik der ganzen kostbaren Erfindung um mich gewesen und jetzt -- die
tiefste Stille -- bis auf die Lerchen über mir im Blau und die Grille neben
mir im Thymianbusch. Und, weithin zu überblicken, lag die Ebene im
Sonnenduft, und im Süden das Gebirge im weißlichen Glanze. In
Schlangenlinien zog sich der Bahnkörper durch die Fläche und um die Hügel,
hier verschwindend, dort von neuem auftauchend, bis sich die Windungen im
Dunste der Ferne verloren. Die Sonne glitzerte auf den Schienen; und dort,
zwei- bis dreihundert Schritte von meinem grünen Busche entfernt, zwanzig
Fuß tiefer als er, lag wie ein verendendes Ungeheuer der schwarze lange
Wagenzug mit dem nur noch leise auskeuchenden Kopfe des Drachens, der
Lokomotive. Nur die Beamten -- der Lokomotivführer, Heizer und Schaffner
waren noch um die Wagen beschäftigt, und in den ersten Klassen hatten
einige verdrießliche Herrschaften von beiden Geschlechtern
verzweiflungsmatt ihre Plätze festgehalten.

»Wie schön doch die Welt geblieben ist!« sagte ich erstaunt. »Gütiger
Himmel, und das liegt noch immer dicht neben uns, und lächelt uns mitleidig
nach, während wir da vorüberrasen, befangen im Wahn in dem wüsten Gelärm
durch eigenes Mitlärmen, Mitkeuchen und Mitgreifen das zu gewinnen, woran
wir längst vorbeigewirbelt wurden. Welch eine Fratze schneidet uns unser
eigenes Leben, wenn wir es einmal in der rechten Beleuchtung anschauen!
Meine Herrschaften, da wäre die Gelegenheit, für die, die da lachten, zum
Weinen, und für die, die da weinten, zu einem Lachen zu kommen! O
verflucht, lieber von Schmidt!«

Ich hätte in dieser märchenhaften Stimmung fast die Zigarre als eine
=frivolitas frivolitatum= in den Hohlweg hinunter und der Eisenbahn
zugeworfen, tat es aber natürlich doch lieber nicht, sondern blinzelte
behaglich mit einem befreienden Atemzug in das Bessere, ohne das Gute zu
verwerfen, bis das Märchen noch freundlicher seine Hand mir in die helle
sonnenvolle Stunde hinein und entgegen streckte, und mir die Gelegenheit
bot, die beste Bekanntschaft, die ich in der Gegend hatte, zu erneuern.

Der goldene Weizen dicht hinter mir sang leise im leichten Winde. Die
letzten Passagiere hatten sich längst aus meinem Gesichts- und Gehörkreise
verloren, als das Gebell eines Hundes und der Schall von Fußtritten im Korn
mich bewog, mich langsam und widerwillig nach der Störung hin umzudrehen.
Ein enger Pfad durchschnitt querüber die gelben Wellen der Halme und Ähren
und mündete, ungefähr sechs Schritte von meinem Ruheplatze, in den Hohl-
und Dorfweg hernieder leitend. Auf diesem kaum fußbreiten Pfade durch das
hohe Korn bewegte sich ein breitkrämpiger grüner Filzhut mir entgegen --
kam ein Mann, ein alter weißköpfiger Mann, mit bereiftem Kinn, lang,
schlotterig und gebückt, die kurze Pfeife im Munde, und dicht vor den Füßen
begleitet oder besser geleitet von einem, dem Anschein nach, nicht mehr
jungen Dachshunde, und trat, als ich grade die Hand über die Augen legte,
um die malerische Erscheinung genauer zu betrachten, an den Rand des
Hohlweges mit der Absicht, in ihn hinunterzusteigen.

So viele Leute ich während der letzten Jahre aus dem Gedächtnis verloren
hatte, den Meister Autor Kunemund hatte ich nicht daraus verloren und --
hier war der Meister Autor!

Unverkennbar war er es! ein wenig greisenhafter und körperlich gebrochener,
auch wohl noch ein wenig blinder, aber doch der ganze Meister Kunemund!

Mit einem Rufe der freudigsten Überraschung sprang ich in die Höhe und rief
den guten Namen, und jetzt legte auch der Alte die Hand über die Augen, und
so standen wir und sahen uns an. --

Er erkannte mich natürlicherweise nicht sofort und wollte eben nach einem
kurzen höflichen Gruße weiter gehen, der Eisenbahn zu, als ich ihm den Weg
vertrat und ihm die Hand bot.

»Wir waren einmal gute Freunde, Herr Kunemund,« sagte ich. »Und ich hoffe,
daß wir uns als solche heute wiederfinden.«

Nun nannte ich ihm meinen Namen, und er rückte mir rasch unter die Nase zu
genauester Betrachtung, und dann ging ein breites Lächeln des Erkennens ihm
über die verwitterten Züge; er schüttelte mir kräftiglich die Hand und
rief:

»Herr, sieh, sieh, das freut mich, das freut mich aber wirklich! Sehen Sie,
lieber Herr Bergrat, grade an Sie habe ich eben noch gedacht, und wie oft
ich die letzten Zeiten hindurch an Sie gedacht habe und Sie gern einmal
gesprochen hätte, das kann nur ich alleine wissen. Also aber vor allem
andern, Ihnen geht es doch nach Wunsch in der Welt?«

Wem geht es eigentlich nach Wunsch in der Welt? Wem ging es irgend einmal
zu irgendeiner Zeit danach? Ich zuckte die Achseln, doch da ich
augenblicklich wenigstens mich über einen außergewöhnlich scharf
zubeißenden Lebensverdruß nicht zu beklagen hatte, so rief ich: »Man soll
um Gottes willen die Götter nicht eitel machen; ich werde mich sehr hüten,
sie zu loben; aber sonst, jawohl, geht es mir ganz gut!« und damit gab ich
ihm seine Frage zurück. Da zog auch der Alte die Schulter in die Höhe, und
ich brauchte die Bestätigung durch sein Wort nicht abzuwarten; ich sah es
schon selber, daß es ihm nicht gut ging, und daß der Staub und Dampf der
Erde ihn doch noch ein wenig mehr als mich zugedeckt habe und überwölkt
halte. Ich sah schon auf den zweiten Blick, daß der Meister Autor der Mann
nicht mehr war, den wir einstens, an einem Sommertage im Walde getroffen
hatten, das Kind hütend, und mit dem Kinde geheimnisvolle Wunder in der
Einsamkeit erlebend -- er war heute vielleicht noch etwas mehr!

»Nun, ich bin auch noch ganz zufrieden, lieber Herr,« sagte der Greis;
allein das Wort kam zögernd heraus, und er brach ab und fragte: »Was ist
denn dorten passiert auf der Bahn? Ich hörte im Felde von einem, daß ein
Unglück geschehen sei, und kam, um nachzusehen. Sind Sie auch mit
betroffen, Herr?«

Ich beruhigte ihn und gab ihm Nachricht und Auskunft über den Vorfall,
soviel ich davon zu vergeben hatte.

»Ihre Hülfe ist da unten nicht vonnöten, Herr Kunemund. Ihr wißt freilich
manchen Zauberspruch, Meister; aber ein Eisenbahngeleise macht Ihr doch
noch nicht frei durch Euren guten Willen. Also wenn Sie es sonst nicht
eilig haben, verehrter Freund, so gönnen Sie mir ein Viertelstündchen Ihre
Gesellschaft. Sehen Sie, da habe ich unter dem Busch gesessen in nicht
unfröhlichen Gedanken, und jetzt kommen Sie durch das Weizenfeld, der
Mann, der mir vor allen Menschen notwendig war, die gute Stunde zu
vollenden! Es geschehen doch noch Wunder, und das Wurzelwerk und Kraut hier
unterm Busch ist auch nicht ohne Grund zu einem Sitz für uns beide
zurechtgemacht. Setzen wir uns, und dann, Meister, Meister, wie geht es im
Walde? Was macht das Haus mit den Hirschgeweihen auf den Giebeln? was kocht
die Alte? und was macht der Förster und Euer wunderschönes Pflegekind, die
Gertrud Tofote, die ein so reiches Mädchen geworden war, als wir uns
zuletzt sahen -- wißt Ihr noch? Wahrhaftig, ich verwirre mich fast; nach so
vielen guten Bekannten und Freunden habe ich mich bei Euch zu erkundigen!«

»Da wird es freilich besser sein, daß Sie mir einen Platz an Ihrer Seite
geben, lieber Herr. Man fragt eben nicht nach vielen Leuten in der Welt,
wenn es Freunde sind, ohne daß man eine ausführliche Antwort erwartet. Ich
habe wohl Zeit zu allem; aber wissen Sie ganz gewiß, daß Sie dergleichen
haben? Ich habe es oft gefunden, daß die Leute sich hierin irren, als
worauf sie dann selber sich ärgern und man selber den Verdruß davon hat.«




Zwölftes Kapitel.


Wir saßen beieinander am Rain, im Schatten und doch in der Sonne. Der
Thymian roch noch immer sehr gut, die Grille sang, die Lerche sang und das
Ährenfeld sang auch, und zu allem andern ließ sich jetzt auch noch eine
Wachtel aus dem Weizen vernehmen; aber der alte Zauberer sagte trüblich:

»Also erstens, ich wohne nicht mehr im Walde!«

»Was, Sie wohnen nicht mehr im Walde?«

Er schüttelte den Kopf:

»Nein. Und der Arend auch nicht mehr, und die Alte desgleichen. Ein neuer
Förster sitzt an unserer Stelle, und die Forstbehörde hat ihm das Haus
restauriert; das heißt, als man auf sein Geschrei anhub, es ihm zu
erneuern, ging es natürlich ganz aus den Fugen, und so hat man ihm ein ganz
neues hinsetzen müssen. O das ist wunderschön, sie nennen es gotisch und
haben lange drauf studiert, bis sie die Form herausgebracht haben, sagt
man, aber jetzo haben sie sie heraus, und nun geht sie ihnen leicht genug
ab, an jeglicher Stelle, wo man ihnen den Platz dazu anweist. Ja Herr, was
Sie damals von und an uns kannten, das ist alles nicht mehr vorhanden.
Alles zerstreut -- verkauft -- ins Blaue gejagt! Ich auch; aber ich bin
gottlob auch der einzige, der es noch nicht verwunden hat. Danke, Herr, den
andern geht es recht wohl.«

»Meister, Meister?!... Meister, was ist das? Seine Freunde soll man nicht
durch unnütze Reden quälen. Laßt mich alles hören und so schnell als
möglich! Wie geht es dem Förster? Was ist aus Fräulein Gertrud geworden?«

»O, _der_ geht es sehr, sehr gut. Danke schön!« sagte der Alte, den Kopf
womöglich noch tiefer auf die Brust herabsinken lassend.

»Gottlob! Und ihr Vater wird bei ihr wohnen, und die Alte gleichfalls --
was jagt Ihr einem für einen unnötigen Schrecken ein! -- Sie alter Sünder
werden nur hier Ihren eigenen schnurrigen Willen für sich allein weiter
haben wollen, und in melancholischen Augenblicken wie zum Exempel jetzt
haben Sie dann freilich alle Zeit, sich über sich selber zu ärgern.«

Der Greis schüttelte wiederum den Kopf, aber diesmal lachte er dazu;
wahrlich er lachte, und zwar ganz behaglich, als er mir entgegnete:

»Ganz so, wie Sie es sich vorstellen, ist die Geschichte doch nicht, lieber
Herr. Der Arend Tofote hat freilich bei unserem Kinde sein Quartier
genommen, aber ausgehalten hat er das nicht lange. Zuletzt wollte er seinen
schnurrigen Willen auch allein haben, und so hat er sich denn begraben
lassen, und zwar als er auf Besuch bei mir da im Dorfe war. Dort drüben
jenseits des Weges auf dem Kirchhof im Felde liegt er; und die Alte ist zu
ihrer Vetterschaft hinter dem Walde gezogen; ich hingegen, lieber Herr,
wissen Sie, spiele hier den Maulwurf auf der Schaufel; aber Vergnügen macht
es mir gerade nicht. Nur wer jemals selber den Maulwurf auf der Schaufel
hat spielen müssen, kann darüber nachsagen oder nur ein Wort mitreden.«

»Wahrlich!« rief ich mit heftigstem Nachdruck aus der Mitte meines
Schreckens heraus; aber ich sagte weiter nichts, denn ich hatte nun
allmählich wohl merken müssen, daß hier mit einiger Vorsicht aufzutreten
sei. Ich unterbrach also das Schweigen, in welches der Meister Autor
versunken war, nicht; sondern ich ließ ihn seinen eigenen Weg durch seine
Erlebnisse gehen, in der festen Gewißheit, daß er mich baldigst auffordern
werde, ihm auf demselben zu folgen. Und so geschah es auch. --

Der Himmel war blau über uns, freudig-lockend das ferne Gebirge, grün der
nähere Elmwald. Die Schmetterlinge umflatterten uns, die roten und blauen
Blumen am Rande des Kornfeldes nickten uns lieblich zu, im Dornbusch und im
Fliederbusch war's lebendig und kroch und summte es, und die Lerchen und
die Wachtel wollten auch nicht still werden. Die Welt war sehr schön,
selbst an dieser eigentlich ziemlich unschönen und ganz und gar nicht
romantischen Stelle; aber ein schauerlich Grauen ob der Gewißheit, daß mir
von neuem einmal gezeigt werde, daß sie ebenso häßlich als schön sei,
durchfröstelte und überkroch mich. Notwendig erschien mir das neue
=argumentum ad hominem= grade nicht, und ich würde mit Vergnügen Verzicht
darauf geleistet haben.

Nachdem der Alte lange genug geschwiegen hatte, sah er auf und sagte mit
einem letzten Blick auf den bewegungslosen Bahnzug:

»Ich hatte mir vorgestellt, daß man da vielleicht eine Handreichung
brauchen könne, wenn dem aber nicht so ist, so meine ich, wir gehen weiter,
lieber Herr; und, Herr Bergrat, da ich Sie doch einmal wieder zu meinem
großen Vergnügen so unvermutet getroffen habe, so habe ich jetzo auch eine
Bitte an Sie. Kommen Sie auf ein Viertelstündchen in meine Stube! Sehen Sie
es sich einmal an, wo ich untergeschlupft bin! Sie tun ein gutes Werk an
einem nichtsnutzigen, überflüssigen Gesellen, der noch nie in der Welt sich
zurechtfinden konnte, und der jetzt ganz an den Nagel gehängt ist, wie ein
Junggesellen-Bratenrock, in den, statt des jungen Nachwuchses, die Motten
kamen. Ja ihr, die ihr euch da umtreibt (er wies auf die glitzernden
Eisenschienen, die sich durch die Landschaft zogen), ihr, die ihr alles,
was euch passiert, von einem Tage zum andern zu nehmen wißt, ihr könnt euch
freilich nicht in unser Gemüte hineinversetzen.«

»Herr Kunemund,« sagte ich, »wann fehlen der Leiter, die in einen Brunnen
hinunterreichen soll, _nicht_ einige Sprossen!«

Ich hätte mich eines philosophischen Ausdrucks bedienen können, ich hätte
mich höchst schulgerecht ausdrücken können; aber da mich der Meister
verstand, so war's nicht vonnöten; und zu allem Übrigen war die Redensart
auch ganz und gar sein Eigentum und nicht das meinige. Er klopfte mich
freundlich auf die Schulter, und wir standen auf aus dem Gras, Moos und
Thymian.

Das schwere, mühselige Sichemporheben des Alters bekümmerte mich bei dem
greisen Freunde jetzt ebenfalls noch; ich half ihm höflich, und wir gingen
dem Dorfe zu, ohne auf dem Wege noch ein Weiteres miteinander zu reden. --

Im Dorfe herrschte noch immer eine gewisse, ganz kuriose großstädtische
Bewegung. Wie ein Schwarm Stare in ein Röhricht fällt, so hatte sich das
sozusagen allgemein europäische Publikum von dem aufgehaltenen Schnellzuge
auf das erstaunte winzige Gemeinwesen niedergeschlagen, und allerlei Volk,
das durchaus nicht dahin gehörte, erfüllte die Gasse. Die Dorfleute sahen
mit den allergrößesten Augen in das so plötzlich über sie hereingebrochene
Wesen und Treiben hinein, und die höflicheren Bauern und Bäuerinnen hatten
auch wohl schon einige Stühle und Bänke für die unvermuteten Gäste in den
Schatten ihrer Gras- und Baumgärten hinausgeschafft und den Besuch zum
Hinsetzen eingeladen. Über die Schenke, den Dorfkrug, hatte sich ein bunter
Haufen ohne Unterschied des Standes und der Wagenklasse hingestürzt, um
das vorhandene Getränk zu vertilgen und über es und die armselige Kneipe
herzhaft und unglimpflich loszuziehen. Es war eine närrische Bewegung, und
als wir hineintraten, machte auch der Meister Kunemund große Augen; aber
nicht lange.

Der Meister führte mich, nachdem er sich vergewissert hatte, wie die Sachen
standen, ohne weiter nach rechts und links zu sehen, die Dorfgasse entlang.
Und so kamen wir denn, ohne aufgehalten zu werden, zu seiner Wohnung am
entgegengesetzten Ende der Gemeinde, einer ärmlichen Hütte, zu der man über
einen Steg, der über ein mit saftigem Grün bewachsenes, fußbreit
hinrieselndes Wässerchen führte, gelangte. Eine armselige Hütte, doch von
Bäumen und Hecken umgeben, also zu dieser Jahreszeit gar nicht übel in die
Welt hineingebaut, ja ganz behaglich und idyllisch in dieselbe hingelegt.
--

»Da lebe ich denn wieder und bin zurückgekommen dahin, woher ich kam,«
sagte Herr Kunemund. »Da hinter dem Fenster stand meines Vaters Webstuhl;
die Bank hier vor dem Fenster hat er noch meiner Mutter aus Feldsteinen
aufgeschichtet. Da sind wir beide geboren, ich und mein kleiner Bruder; daß
der Tofote, der Arend, drin sterben mußte, ist viel merkwürdiger, als daß
ich darin meine letzte Stunde in Geduld abzuwarten habe. Was sagen Sie,
Herr? Vorhin hatten Sie große Lust, mich einen armen Tropf und Teufel zu
nennen. Haben Sie noch Lust dazu? Nicht wahr, ich habe mein Maß doch noch
um vieles besser als viele Leute auf der Erde zugemessen erhalten? Es
stirbt nicht jeder in seinem Vaterhause.«

»Was das anbetrifft, so haben Sie es freilich gar nicht so übel getroffen!«
erwiderte ich, mit vollstem, innigstem Ernste auf den Ton des Greises
eingehend. Er aber nickte wieder, und diesmal nickte er ganz behaglich
dazu. Nachher lud er mich durch eine, fast zierlich zu nennende
Handbewegung ein, den ausgetretenen Steg mit dem vermorschten Astloch in
der Mitten, und die Schwelle seines Hauses zu überschreiten. Er ging mir
voran, ihm folgte der alte Dachs, und dem Dachs folgte ich, und jetzt, in
diesem Moment, senkten sich mir die Gegensätze des am heutigen Tage
Erlebten von neuem scharf in die Seele.

Auf die lange heiße schnelle Fahrt durch das neunzehnte Jahrhundert der
unvermutete Stillestand und der jähe Schrecken! Mitten im wirbelndsten
Leben die aufdringliche Kunde von den Trümmern und dem Tode da vorn auf
der anscheinend so glatten Bahn! Dann die stillen, erstaunten Minuten in
der Einsamkeit des Feldes, am duftig-begrünten Hang des Hohlweges -- die
weite Aussicht in die lachende, beweglich-unbewegte Ferne! Und nun?

Nun das -- _das_, was immer bei allem Getümmel und Getöse der armen Welt
doch zur Seite -- da hinter dem Hügelzug -- hinter dem Walde, hinter der
Mauer des kleinen Gartens -- hinter den Fenstern des Hauses, an welchem wir
vorüber fliegen -- -- hinter dem Gewühl in der eigenen Brust sich weiter,
weiter spinnt, immerfort sich weiter spinnt: das große, offenkundige
Geheimnis! Ja das, was Hunderttausende von Meilen ferne von uns liegt, und
in welches uns doch ein Schritt hineinführt! das Aller-Welt-Weisheit-Volle
-- das, was hinter allen Dingen liegt, die uns im Augenblick größer als es
dünken, meine Herrschaften: die Stille des Vegetierens, die Stille des
Urgrundes -- der ungekräuselte, dunkele, schrecklich-schöne Spiegel, durch
den aller Aufruhr in uns, meine Herren und Damen, und außer uns, meine
Herren und Damen, doch nur wie Bild an Bild nichtsbedeutender Zufälligkeit
fließt! -- --

Ich nahm den Hut ab auf dieser Schwelle; denn der Meister Autor hatte mich
gewarnt: »Stoßen Sie sich nicht an den Kopf!«, und nur selten war die rege,
durcheinanderwimmelnde Welt, soweit sie mich anging, so ganz und vollkommen
zu Nichts geworden, hinter mir versunken, wie jetzt bei diesem Eintritt in
das Haus des Meisters Autor Kunemund.




Dreizehntes Kapitel.


Wir standen beide gebückt unter der niedern Stubendecke.

»Nehmen Sie es nur nicht übel,« sagt mein Führer, »mein Vater und meine
Mutter waren alle zwei kleines Volk, und auch mein kleiner Bruder ist da
nicht aus der Art geschlagen: ich wollte nur, Sie hätten ihn persönlich
kennen gelernt. Was mich anbetrifft, so habe ich freilich in dem alten Nest
so eine Art von Kuckuck ausgemacht.«

Selten hatte ein Vergleich äußerlich so wohl und innerlich so schlecht
gepaßt. Ich äußerte derartiges, und Herr Kunemund fragte lächelnd:

»Meinen Sie?« und fügte hinzu: »aber sie nannten mich in meiner Kinderzeit
im Dorfe stets den Kuckuck, und als ich neulich heimkam, hat's mich fast
verwundert, daß sie mich nicht durchgängig noch so riefen. Da sieht man
aber, wie man aus der Menschheit herauswächst und alt wird, -- das erstemal
als mich ein zahnlos Weibchen ansprach, wie es sich gehörte, ist's mir
ordentlich warm über die Leber gelaufen; aber kein halb Dutzend reicht noch
zu mir hin und hinunter und spricht mich an: Na, Kuckuck, wie geht es
denn?!«

»Wie Sie sagten, hat auch der Herr Förster Tofote hier bei Ihnen gewohnt?!«

»Richtig, und das war im Grunde ebenso wunderbar denn der Arend, sehen Sie,
maß auch gut seine sechs Fuß drei Zoll, wenn nicht mehr, und hat sich also
gleicherweise hier zwischen den Wänden, unter den Balken und auf der Bank
arg zusammenklappen müssen. Er hat mit mehr als einer Brausche an der
Glatze und an der Stirn in die Grube fahren müssen, wenn das auch wenig
sagen wollte, da er sein Lebtag durch dran gewöhnt war, mit der Stirn
anzurennen. Sehen Sie, da das Stück weichen Tannenholzes von der
Türverschalung hat er mir auch abgestoßen mit seinem Dickkopf, und ist mir
das gleichfalls als ein Andenken an ihn zurückgeblieben. Zuletzt wurd's ihm
zu viel, und er hielt sich am liebsten draußen auf der Bank auf, und jetzt
liegt er draußen, und mit dem Anrennen, den Beulen und Hautschrunden hat's
für ihn keine Not mehr.«

Es gab mancherlei Andenken in der schlechten Hütte, und nicht bloß solche,
welche den braven Förster Arend Tofote seinen guten Bekannten in das
Gedächtnis zurückriefen.

»In solch einem Dorfe hält manches, was sich in der Stadt schnell im
Durcheinander und Gebrauch verliert, bis in alle Ewigkeit,« sagte der
Meister Autor. »Daß ich aber noch in einem Winkel auf meiner Mutter
Spinnrad gestoßen bin, das war mir freilich schier und klar außer dem
Gaudium ein Mirakel. Ich traute meinen Augen nicht, als ich es beim
Vorsteher in der Mägdestube fand, und ich schätze es als eine Noblesse von
dem Vorsteher, daß er es mir abließ, und mir nicht über seinen gewöhnlichen
Wert seine Forderung machte. Ich hätte ihm die Haut vom halben Leibe dafür
abgelassen, dem Vorsteher: denn -- wisset Ihr, Herr, ich kann auch spinnen
und spinne jetzt die Abende durch und den ganzen Winter. Wenn man solche
dumme Augen hat, wie ich, so geben sich die Künste, die man treibt, eben
von selber. Im Strumpfstricken und Flicken nehme ich es mit jedermann und
den besten Hausfrauen auf. Seit unser Trudchen uns abhanden kam, wüßte ich
auch keinen, der mir aus Liebe, Güte oder Gefälligkeit dieses Geschäfte
abnehmen sollte.«

Es konnte nicht meine Sache sein, den Greis jetzt schon bei »unserm«
Trudchen festzuhalten. Ich hielt es für besser, ihn ganz von selber dahin
kommen zu lassen, wo ich ihn so gern gehabt hätte. Fürs erste schlug er
noch einen Hasenwinkel.

»Des Vogels erinnern Sie sich wohl nicht mehr? haben ihn wohl gar nicht
einmal beachtet, wenn Sie uns die Ehre schenkten? Stieglitze gibt's genug
in der Welt; aber ein klügerer ist seinerzeit noch nicht den Alten aus dem
Neste gefallen. Damals hüpfte und sang er; jetzo sitzt er still in seinem
alten Bauer -- nämlich ausgestopft. Und, lieber Herr, der Kerl ärgert mich
dann und wann am stillen Abend, wenn ich mit ihm, mir und dem Dachs so
allein sitze. -- Es wäre besser gewesen, wir hätten ihm nach seinem
Abscheiden ein Kinderbegräbnis gemacht und ihn ruhig in ein Loch im Garten
gesteckt, der Arend und ich! Ich persönlich bin auch nicht auf die dumme
Ausstopferei gekommen; ich traf den Tofote schon eifrig und grimmig
darüber, als ich eines Abends nach Hause kam. Gertrude war schon in der
Stadt, und wir konnten sie also nicht um ihre Meinung fragen. Sie hatte ihn
uns zurückgelassen; denn sie machte sich nichts mehr daraus.«

Jetzt noch weniger hätte ich den Alten bei dem zierlichen Namen
festgehalten!

»Ei seht aber, Meister Autor,« sagte ich, um den seltsamen Blick desselben
von dem ausgestopften Tierchen abzuwenden, »Sie haben da ja ein ganzes
Museum -- ein vollständiges ethnologisches Museum!... und welche
prachtvollen Muscheln, welche ausgezeichneten Korallen! Je genauer man
zusieht, desto größere Schätze entdeckt man bei Euch. Sind Sie heimlich
etwa auch während meiner Abwesenheit zur See gewesen? haben Sie auch wie
Ihr Bruder die Tropenländer mit dem Kuriositätensack auf dem Rücken
durchwandert?«

»Dieses gerade nicht, -- o nein, im Gegenteil,« sagte der Alte ehrlich auf
meinen Scherz. »Ich weiß eigentlich auch nicht, was Karl sich dabei denkt.
Ich habe zwar mein großes Vergnügen daran, und das wird es wohl sein, was
ihn antreibt! Er kommt nie von Reisen heim, ohne mir dergleichen
Schnurrpfeiferei mitzubringen. Der Junge sitzt noch immer gern bei mir.«

»Karl? Welcher Karl?«

»Nun, erinnern Sie sich denn nicht? der Karl Schaake! der Leichtfittich und
Leichtmatrose, der damals aus der Stadt Lübeck mit uns ging, als ich Sie
abgeholt hatte, um uns zu helfen, die große Erbschaft meines ausländischen
Bruders in Besitz zu nehmen! Nicht wahr, jetzt fällt es Ihnen ein? Und
wissen Sie, der Junge fährt noch immer auf der See; aber jetzo als
Steuermann. Keine Völkerschaft ist ihm zu schwarz! und bis dato ist er auch
immer noch ganz gut und ungebraten davongekommen und mit seinem Geschäft
zufrieden. Wie gesagt, was für ein Gefallen er gerade an mir findet, außer
daß wir aus einem Dorfe sind, und die Base aus dem Cyriacihofe mit uns,
kann ich nicht sagen; ich zerbreche mir aber auch gar nicht den Kopf
darüber, denn die meisten Leute, auf die ich im Leben stieß, sind so
gewesen. In der Hinsicht habe ich mich nicht zu beklagen.«

»Das heißt: auch Euch, Meister, ist nie eine Völkerschaft zu schwarz
gewesen!« sagte ich lächelnd; aber des frühern Leichtmatrosen und jetzigen
Steuermanns Karl Schaake entsann ich mich nunmehr ganz deutlich und zwar
mit dem Gefühl der Beschämung und des Ärgers, welches man immer hat, wenn
man wieder einmal findet, daß man seinem Gedächtnis zuviel trauete.
Unbeschadet eines gegen das Ende des zehnten Abschnittes
niedergeschriebenen Wortes war mir der Seefahrer -- in dieser Stunde
wenigstens -- ganz und gar aus der Erinnerung abhanden gekommen.

»Der Stein der Abnahme!« rief ich. »Karl Schaake! Richtig, -- der
Hadschi-Schiffsmann, der den heidnischen Unglücksstein aus dem Fenster
Mynheers van Kunemund warf. Also der lebt auch noch und hat seinen Beruf
wacker festgehalten.«

»Ja freilich,« sagte der Alte melancholisch. »Was das mit dem Unglücksstein
ist, weiß ich zwar nicht, denn das habt ihr beiden damals unter euch allein
ausgemacht; aber die Fische und die Wilden haben ihn bis jetzt gottlob noch
nicht gefressen. Daß es dem armen Jungen aber besser hätte ergehen können
und ohne meinen kleinen Bruder auch ergangen wäre, das steht gleicherweise
fest. Der Teufel hole die ganze Geschichte!«

Ein Geheimnis lag hier gerade nicht vor. Wer sich offenen Auges durch diese
Welt drängt, der lernt es bald, sich in den Verhältnissen zurechtzufinden;
das Leben liegt vor ihm wie ein Rätsel in einem -- Kinderbilderbuche, unter
dem die Auflösung in umgekehrter Schrift gedruckt steht. Stellt nur euch
nicht auf den Kopf, sondern das alte abgegriffene Rätselbuch, und ihr
werdet bald heraus haben, was es mit den Geheimnissen auf sich hat.

Es war in diesem Falle eben wohl möglich, daß der tückische Zauberstein,
der in dem Gartenteiche versank, schon zu lange für die Erben unter den
Raritäten Mynheers van Kunemund gelegen hatte. In diesen Dingen verstehen
Mutter Natur und Muhme Schicksal keinen Spaß, und also trat ich so dicht an
den Meister Autor heran und sagte leise:

»Jetzt, Herr Kunemund, sagen Sie es mir, was aus Ihrem schönen, süßen
Pflegekind, aus der kleinen hübschen Gertrud geworden ist! Ich bin mit
Ihnen gegangen und habe mir von Ihnen alles vorweisen lassen, bunte
Muscheln, Korallen, den Kolibri, das Seepferd, kurz was Sie wollten; aber
jetzt lassen Sie mich auch hier klar sehen. Daß das Dasein schwer und
mühevoll auf Ihnen liegt, habe ich vom ersten Augenblick unserer Begegnung
gemerkt; daß ich nicht aus kühler, kalter Neugierde frage, meine ich, wißt
Ihr, alter Freund! Also bitte, Mann, teilt mir mit, weshalb Ihr Euch hier
in der Einsamkeit auf den Maulwurf- und Grillen-Fang, auf das
Strumpfstricken und Hanfspinnen gelegt habt! Meister Autor, Sie sind es
unserer alten Vertraulichkeit schuldig, daß Sie mir sagen, weshalb der
Förster nicht in seinem Försterhause, nicht bei seiner Tochter, sondern
unter diesem Dache gestorben, weshalb die Alte zu ihrer Vetterschaft
gezogen ist, und -- und, -- und wie es der Gertrud Tofote geht!«

»Das sind viele Fragen auf einmal, lieber Herr Bergmeister!«

»Und doch nur eine.«

»Jawohl! Im Grunde haben Sie da recht, und so will ich sie Ihnen denn auch
beantworten. Es ist alles mit rechten Dingen zugegangen. Niemandem ist
etwas Absonderliches passiert. Mir nicht! dem Arend nicht! der Alten nicht,
und unserem armen Trudchen nicht! Wir sind auseinander gekommen, ohne daß
wir es gemerkt haben; das heißt, wir waren einmal eines Tages auseinander
und merkten es dann erst. Haben Sie je Leute gekannt, denen es in der Welt
anders ergangen ist? Ich meine, die auf eine andere Art auseinander
kamen?!«

»Unter guten und klugen Freunden ist das freilich die gewöhnliche Weise,«
erwiderte ich nach einigem Nachdenken.




Vierzehntes Kapitel.


Das Hindernis war aus dem Wege geräumt, die Bahn wieder frei. Ich lehnte
mit dem letzten schwerwichtigen Worte meines alten Freundes wieder in
meiner Wagenecke, und hatte Zeit, darüber nachzusinnen.

Das letzte Wort war es eigentlich nicht gewesen, denn wir hatten nach ihm
noch manch ein anderes durch eine gute Stunde geplaudert. Das allerletzte
Wort an diesem Tage, zwischen mir und dem Meister Autor Kunemund, war
gewesen:

»Besuchen Sie doch ja das Trudchen in der Stadt; sie wird sich sehr freuen,
und Sie werden ganz gewiß auch Ihr Gefallen an ihr finden. Nehmen Sie es
mir nicht übel, lieber Herr; aber da ich Sie als einen ganz studierten,
klugen und geschickten Menschen kennen gelernt habe, so weiß ich auch ganz
sicher, daß Sie das, was eben der Welt Lauf in diesen jetzigen jungen Tagen
ist, besser verstehen als ich. Dummes, ungewaschenes Zeug möchte ich Ihnen
nicht aufreden; also -- leben Sie recht wohl: wir treffen einander
gewißlich noch einmal wieder; -- und, lieber Herr, vergessen Sie es ja
nicht, grüßen Sie mein Trudchen recht schön und eindringlich von mir!«

Und die Bahn war frei. Wir schnoben an der Unglücksstelle vorüber und sahen
auf der Station den Schuppen, in welchem die zwei blutigen Leichen auf dem
blutigen Stroh lagen. Wir rasselten weiter durch den holden Abend, und
jetzt schon war für alle, die sich auf dem Zuge befanden, das traurige
Ereignis zu einer überwundenen Verdrießlichkeit geworden, zu einem Thema,
über das sich schon jetzt angenehm reden und behaglich lügen ließ. Ich ließ
_das_ also schwatzen und renommieren und saß, in _meinem_ Verdruß immer
noch festgehalten, melancholisch in meiner Ecke, sah die grüne Landschaft
hingleiten und bewegte mein eigenes Privaterlebnis, nachdenklich es hin und
herwendend, im Geist. Daß ich etwas Klügeres hätte tun können, war gewiß;
möglich war's mir aber eben doch nicht.

»Was auch mit dieser hübschen Gertrud Tofote vorgegangen sein mag,« sagte
ich mir, »und wie auch der Alte vor uns unberufenen Alltagsmenschen sich
anstellen mag, seinen Beruf hält er fest! Er tut nur so, der getreue
Knecht Eckart, als ob die Welt nicht mehr auf ihn zu rechnen habe. Sieh,
nach seiner Schnitzbank habe ich ihn gar nicht einmal gefragt; -- zum
Teufel auch, wer weiß, in welchen dunkeln Winkel er sie für den Augenblick
geschoben hat? Und das alte Erbmesser gibt er nicht her, da kenne ich ihn;
aber auf das Fräulein und ihren Zaubergarten bin ich doch neugierig. Eine
Visitenkarte werde ich jedenfalls dort abgeben.«

So kam ich denn im Verlaufe des Sommerabends und nach dem Verlauf der Jahre
der Abwesenheit wieder an in der Heimat, fand meinen Weg ins Hotel und ins
Bett und las am andern Morgen beim Frühstück in der Zeitung ausführlich,
und mit allen Einzelheiten beschrieben, was ich selber mit erlebt hatte,
ohne doch dabei zugegen gewesen zu sein. Und es ward mir, als ob plötzlich
jemand sich mir über die Schulter beuge und mit unsichtbarem Finger auf das
interessanteste Wort in dem langen Berichte deute.

»Es ist nicht möglich!« rief ich.

»Doch wohl!« sagte das Ding hinter mir. »Wir machen das häufig so.«

Der entgleiste Zug hatte mehr Opfer gefordert, als wir, die wir ihm
nachfuhren, zuerst erfahren hatten. Eine lange Reihe entsetzlicher
Verwundungen war vorgefallen; Verstümmelungen waren geschehen, in Hinsicht
auf welche die beiden ruhigen Toten leicht davon gekommen waren. Und in der
traurigen Liste der Beschädigten wurde ein Mann aufgeführt, der im Verlauf
meines Gesprächs mit dem Meister Autor Kunemund mehrfach genannt worden
war:

Steuermann Karl Schaake -- beide Füße doppelt gebrochen!

Ich legte das Blatt leise auf den Tisch, und ging eine Viertelstunde lang
im Zimmer auf und ab. Grade so lange Zeit dauerte es, ehe ich mit mir im
reinen darüber war, ob ich mich wirklich noch weiter (meine eigenen
Angelegenheiten im Auge behalten) auf diese unbehaglichen, ungemütlichen
Angelegenheiten fremder Leute einzulassen habe, und was zu tun und zu
lassen sei, im Falle die Antwort bejahend ausfalle.

Nach einer Viertelstunde war ich im reinen, das heißt, ich hatte Hut und
Stock ergriffen und befand mich auf dem Wege zur Eisenbahndirektion.

»Der Alte liest sicherlich keine Zeitung,« sagte ich mir. »Der Seefahrer
wird ihm ebenso sicher keine Nachricht über sein Befinden schriftlich
geben, sondern sie ihm lieber persönlich, auf seine zwei Krücken gestützt,
bringen. Es ist meine Pflicht, mich genauer nach den Umständen zu
erkundigen; -- dummes Zeug -- Pflicht! es ist etwas anderes, und der Herr
Forstsekretär von Müller, der uns damals den Vergnügungsstreifzug in den
Elm so vergnüglich vorzuspiegeln wußte und uns richtig in seinen
Musterforst hineinlockte, ist schuld daran, -- meines Vaters Sohn, wie der
Meister Autor sagen würde, wahrhaftig nicht!« --

Die »betreffende Behörde« war ungemein höflich und zu jeglicher Auskunft
gern bereit. Die Bahnverwaltung traf nicht die mindeste Schuld an dem
beklagenswerten Ereignis. Übrigens befand sich bereits alles wieder in der
trefflichsten, wünschenswertesten Ordnung und für sämtliche Beteiligte und
leider auch Benachteiligte war in komfortabelster Weise Sorge getragen. Die
Toten waren natürlich an Ort und Stelle geblieben, ebenso die meisten der
schwerer Verwundeten. Nur zwei oder drei der letztern hatten es vorgezogen,
mit den leichter Beschädigten nach der Stadt transportiert zu werden, und
sie waren natürlich nach ihrem Willen mit einem Extrazuge hin befördert
worden. Zu beklagen hatte die maßgebende Stelle sich eigentlich nur über
ein Individuum; aber über dieses auch sehr! Ein unglücklicherweise auch
körperlich verletzter Seemann war sehr ungebärdig gewesen und hatte sich
sogar, wie man nicht anders sagen konnte, unverschämt betragen, obgleich
man ihm wie allen übrigen mit der höchsten Menschenliebe, Opferfreudigkeit
usw. entgegengekommen war. Er war der einzige gewesen, sagte man mir, der
sich trotz seinem beklagenswerten Zustande der gröblichsten Schimpferei
nicht habe enthalten können. Auch er befand sich am hiesigen Orte. Man habe
-- teilte man mir mit -- ihn so vorsichtig als möglich, unter chirurgischer
Begleitung an die von ihm angegebene Adresse abgeliefert, und da liege er,
erwarte seine Heilung und werde wahrscheinlicherweise von dort aus auch
seine Entschädigungsklage gegen die Bahnverwaltung einleiten.

Ich nahm alle diese Erklärungen des höflichen Beamten ebenso freundlich
hin, wie sie mir gegeben wurden, und bat nur auch noch um nähere Angabe
jener Adresse des eben, das heißt zuletzt erwähnten unangenehmen Gesellen
und unhöflichen Matrosen. Ich erhielt dieselbige in etwas kühlerer und
formellerer Weise als die früheren Referenzen und ging mit ihr, nachdem
ein Unterbeamter sie selber erst wieder mit einiger Mühe in Erfahrung
gebracht hatte. Am Nachmittag machte ich mich von neuem auf den Weg und
fand richtig meinen guten Bekannten aus der Erbschaft Mynheers van Kunemund
wieder; nur leider in den betrübtesten Zuständen.

Die alte Stadt besitzt innerhalb der Umflutungsgräben ihrer jetzt zu recht
anmutigen Spaziergängen eingerichteten Wälle und Bastionen mancherlei
kuriose Winkel, dunkle Sackgassen, finstere Höfe und Torbogen; und das
Mittelalter schielt einen hier grimmig, dort drollig, doch immer überquer
aus mancher Ecke, von manchem Gesims, Balkenkopf, Giebel und Erker an.
Holzstecher- und Steinmetzarbeit der Vorväter hat den neuern Jahrhunderten,
d. h. den geschmackvollen Leuten drin, gar nicht gefallen, aber sich um so
tapferer gegen Axt, Spitzhaue, Hammer, Maurerkelle und Tüncherpinsel
gewehrt. Wer da als Liebhaber oder Kenner auf die Suche geht, kann noch
allerlei finden. Was besonders jene, eben erwähnten, in die Häusermassen
eingekeilten Höfe anbetrifft, so ist das in Wahrheit ein schier noch
unaufgeschlossenes Reich der Wunder für den Kenner und Liebhaber.

In überraschender Weise sollte ich das an dem heutigen Tage von neuem
erfahren. Ich glaubte, die Splanchnologie der Stadt bis in die feinsten
Verästelungen studiert zu haben, und ich fand, wie so häufig, daß ich mich
wieder einmal gründlich geirrt hatte. Innerhalb einer der hundert
eingeweideartig ineinandergeschlungenen und gewundenen Gassen der Stadt
fand ich mich vor einem schwarzen, verwitterten und weiter verwitternden
Torbogen, der bis dahin für mich durchaus noch nicht dagewesen war, und den
ich also um so verwunderter betrachtete. Das war noch Renaissance, aber die
Wölbung durchschreitend, fand ich mich nicht im neunzehnten, nicht im
sechzehnten, sondern im vollsten, unverfälschten fünfzehnten Säkulo und
stand von neuem still in begreiflichem Erstaunen.

Alterschwarzer Holz- und Ziegelbau im unregelmäßigen Viereck um mich her!
Und welch ein Holzbau!

Da liefen sie, die Wände entlang, übereinander, nebeneinander hin, die
Wunderwerke mittelalterlicher Zimmermannsarbeit in Ernst und Humor und
warteten geduldig auf den Photographierapparat, und der grüne Baum neben
dem sehr modernen durch die allermodernste Dampfkraftwasserkunst gespeisten
Brunnen wartete mit ihnen. Ob das mannigfache Volk, welches diesen Hof
bewohnte, eine Ahnung davon hatte, wie überraschend malerisch und
kulturhistorisch interessant es behauset war, kann ich nicht sagen: die
Kinder, die um den Brunnen und den Baum herum krochen und hüpften und den
Schutt der Jahrhunderte zu ihrem ewigen Spiel verwendeten, wußten es
jedenfalls nicht. Aber es war ein kluges, gewitzigtes Geschlecht, welches
auf alle nötigen Fragen, die man an es zu stellen hatte, die nötige
Auskunft geben konnte, wenn es wollte. Leider wollte es aber diesmal nicht.
Es zeigte grinsend die Zähne, lachte und ließ mich ohne Antwort stehen; ich
hatte mich nach einem erwachsenen Menschen der Generation umzusehen und
fand ihn glücklicherweise auch.

In einem Winkel des Hofes stand ein Herr mit einem Notizbuch in der Hand,
an einer Visierstange hinäugelnd. An ihn wendete ich mich nunmehr mit einer
Frage nach dem Steuermann Schaake, und er nickte mir zu:

»Im Augenblick, mein Herr!«

Es würde sehr unrecht gewesen sein, ihn in seinen sicherlich für das
allgemeine Wohl und Beste unternommenen Berechnungen aufzuhalten und zu
hindern. Ich wartete geduldig, und er setzte sein Geschäft fort, seine
Aufmerksamkeit zwischen seinen Instrumenten, seiner Brieftasche und seinen
fernab mit der Meßkette beschäftigten Untergebenen teilend; und hoch war es
anzuerkennen, daß er trotz alledem doch noch einige Worte der Erläuterung
für mich übrig hatte.

»Es hat uns noch keine Nivellierung so viele Mühe verursacht als diese
hier,« sagte er, »aber dafür wird auch keine der neuprojektierten
Straßenanlagen die Stadtbevölkerung in ihrer Vollendung so sehr überraschen
und erfreuen wie diese. Den Kanal hinter den wackligen Mauern füllen wir
natürlich aus, da haben wir dann noch die Rudera einer alten Stiftung, die
müssen selbstverständlich weg. Die alten Damen verlegen wir vor das Tor in
eine gesunde, wahrhaft idyllische Gegend, und so kommen wir hier aus dem
Mittelpunkte der Stadt in gradester Linie zum Bahnhofe, -- ohne daß zu
dieser Stunde ein Mensch in diesem hier umliegenden Gerümpel irgendeine
Ahnung davon hat. Es ist wundervoll!«

»Das ist es!« rief ich mit höchstem Enthusiasmus. »O ihr gütigen Götter!«

»Und es ist nicht allein ein Wunder der kaufmännischen Spekulation, sondern
es wird auch ein Wunder der modernen Architekturwissenschaften,« rief mein
freundlicher Auskunftgeber, den meine Begeisterung nun noch über die eigene
emporriß. »Sie glauben es gar nicht, was alles wir uns hier vorgenommen
haben!«

»O doch!« stöhnte ich aus tiefster Brust. »Ich kann es mir in größter
Deutlichkeit vorstellen. Also wirklich, von dem, was wir jetzt hier um uns
sehen, bleibt nichts aufrecht?«

»Nichts!« sprach mit entflammtem Nachdruck mein entzückter, begeisterter
Baukünstler. »Haben sie doch jetzt angefangen, Nürnberg abzutragen, also
sehe ich nicht im mindesten ein, weshalb wir grade diesen wohlkonservierten
Ruinen gegenüber mit größerer Schonung vorgehen sollten.«

Hierauf ließ sich freilich nichts erwidern, und so wartete ich denn
schweigend, bis die letzten auf die Zukunftsstraße bezüglichen Zahlen und
sonstigen Erinnerungszeichen in das Notizbuch eingetragen worden waren.
Auch das kam zu einem Ende, wie alles auf Erden, und ich durfte meine
ersten Bitten um Auskunft über den Steuermann Schaake von neuem
aussprechen.




Fünfzehntes Kapitel.


Der Herr hatte natürlich auch die Zeitung mit dem Bericht des
Eisenbahnunglücksfalls gelesen, irgend jemand hatte ihm auch mitgeteilt,
daß einer der Beschädigten hier auf den Hof geschafft worden sei; allein zu
wem und wohin, das wußte er nicht. So grüßten wir einander, und ich folgte
dem einzigen Rate, den er mir zu geben hatte: ich trat in die nächste Tür
(ein halbes Dutzend dergleichen führen von dem Hofe in die Gebäude) und
ließ es auf das gute Glück ankommen, ob ich die richtige getroffen habe.

Eine enge, steinerne, im Laufe der Jahrhunderte von Hunderttausenden von
Füßen ausgetretene Treppe führte mich, sich im Halbkreise drehend, in den
Unterstock, im rechten Flügel der Hofgebäude, und zuerst in einen ziemlich
breiten gewölbten Gang, der durch ein großes Bogenfenster im Westen erhellt
wurde. Erhellt? eine Flut von Licht, von abendlichem Sonnenschein, strömte
in dieses große Fenster und vergoldete das dunkelgraue Gemäuer in
eigentümlich schöner Weise.

Eine dunkle Tür zur Linken lud zum Anpochen ein, und eine Männerstimme
forderte einen Augenblick später zum Eintritt auf. Ich stand zweifelnd
still auf der Schwelle in der Überraschung vor dem Bilde, das sich jetzt
dem Auge bot.

Ich erzähle heute, nachdem alles, was mich damals innerlich mächtig
erregte, durch die Jahre gesänftigt hinter mir liegt, und ich darf jetzt
demnach wohl auch dem Äußerlichen sein Recht geben und Gefühl und
Empfindung auf die Beschreibung folgen lassen.

Wieder vor allem andern ein tief in die Wand eingelassenes hohes
Bogenfenster, und dieselbe Flut von Licht, jedoch hier noch wundervoller
und magischer sich über das mittelalterliche Eichengetäfel des Gemaches
ausbreitend! Grüne Zweige draußen vor dem Fenster -- das Hausgerät eines
alten Jüngferleins ringsum, doch ein Bett und darauf ein bärtiger Mann im
Winkel! In der Fensterwölbung am Spinnrad eine alte Frau! ... in dem
Sonnenstrahl die merkwürdigste alte Frau mit dem merkwürdigsten weißen
Haar, das ich je an einer Frau gesehen hatte!

Das war gleicherweise eine Fülle von Licht, -- eine Fülle, die sich nicht
bändigen ließ und an Schönheit wahrlich den blondesten, braunsten,
schwärzesten Locken der Jugend nichts nachgab. Blaue klare Augen, wie sie
nur zu diesem Silber paßten, leuchteten unter den noch immer dunkeln
Brauen; -- und dazu war das alte Zauberweible taub; es saß und spann und
hielt die hellen, blauen Augen nur fest auf das Schmerzenslager gerichtet,
auf welchem der starke, breitschultrige Mann, der Seefahrer und Abenteurer
hülflos wie ein Kind lag. Von meinem Eintreten vernahm die Base des
Steuermanns Karl Schaake nichts, sie folgte aber den Augen ihres Neffen und
stand rasch auf von ihrem Spinnstuhle.

Auch der Verwundete richtete sich, soweit er durfte, empor, und er war es
auch, der fragte: mit wem man die Ehre habe.

Glücklicherweise war das bald gesagt und erklärt, und aus dem
verwundert-fragenden Blicke des armen Burschen wurde augenblicklich ein
sehr erfreuter, und die fiebernde Hand, die er mir entgegenstreckte, griff
fest die meinige und ließ sie fürs erste nicht los.

»O das ist schön! das ist brav!« rief der Steuermann Schaake. »Das ist das
Beste, was mir in diesen nächsten Tagen zufallen konnte. Nehmen Sie es
nicht, als ob ich Ihnen mit einem dummen Schiffsagenten-Komplimente
aufzuwarten gedächte; aber Sie, Herr von Schmidt, hatte ich vor allen
andern Menschen nötig.«

Ich sagte dem Armen einige triviale Trostesworte, auf die er natürlich
wenig Achtung gab. Dagegen aber winkte er das alte Weiblein, das bis jetzt
auf das, was wir gegenseitig vorgebracht hatten, mit der Hand hinter dem
Ohre gehorcht hatte, eifrig-hastig heran und ließ es näher zu seinem Bett
hintreten. Und als sie sich über ihn hingebeugt hatte, um ganz genau zu
vernehmen, brüllte er ihr zu:

»Du, das ist der Herr, von dem ich dir gesagt habe. Das ist der Mann, den
wir jetzt so sehr gut gebrauchen können. Siehst du, alte Mutter, ich hab's
dir doch gleich durchs Sprachrohr deutlich gemacht, daß du dir deine
ungemütliche Jammerei zu drei Vierteln hättest sparen können. He, hab' ich
nicht immer Glück gehabt zu Wasser und zu Lande?«

»Das weiß der liebe Gott!« seufzte das weiße Weibchen, beide Hände flach
erhebend und wieder senkend.

»Dem ist es auch niemals eingefallen, von einem Salzfisch, einem Seehahn
oder einer Seeschwalbe zu verlangen, daß sie ein Nest unter einen Dachrand
hängen und ihren Laich an eine Hauswand absetzen. War es etwa seine Schuld,
als der Esel aufs Eis und der Steuermann Karl Schaake auf die Eisenbahn
ging? Glück muß man haben, Tante Schaake, und daß ich Glück habe, das
kannst du hier wieder sehen. Tausend andere hätten hier liegen können, bis
sie reif gewesen wären für des Kapitäns Gesangbuch, das Brett und die Kugel
am Fuß; ich aber habe mich kaum gemütlich in der Blockade eingerichtet, so
signalisiert auch das Fort San Salvador schon: Schiff in Sicht -- =man of
war= -- sechsundneunzig Kanonen; die Tür geht auf, und Sennora Fortuna
steckt den Kopf herein und fragt vergnügt: Befehlen Sie sonst noch was,
Maat?!«

Obgleich ich in diesem Moment durchaus nicht wußte, wie gerade ich dem
Seemann so außerordentlich erwünscht kommen und nützlich werden könne, so
freute mich doch die Freude des armen Teufels über meinen Besuch sehr, und
ich sagte ihm das auch so eindringlich als möglich.

Dann gab ich der Alten die Hand, und wir verstanden uns bald recht gut;
sie war sehr freundlich und gut, und je länger man sie offen oder
verstohlen ansah, desto weißer wurden ihre Haare und desto blauer und
klarer ihre alten Augen.

»Er ist recht schlimm mitgenommen,« sagte sie betrübt. »Die Doktoren und
Wundärzte haben die Köpfe geschüttelt, und, Herr, glauben Sie ihm nur
nicht, wenn er Sie anlacht: er beißt sich doch die Lippen blutig vor
Schmerzen. O daß der liebe Gott uns das auch noch hat schicken müssen!«

Daß die Greisin recht hatte, sah ich wohl. Der Verstümmelte litt die
furchtbarsten Qualen; er lag auch im heftigsten Fieber, und es war ein
Fieberlachen, mit welchem er rief:

»Schicken müssen? =Damn!= Wenn der betrunkene Kapitän die Rahen nicht in
die Piek setzt, sondern absolut mit vollen Segeln in den Hafen laufen muß,
-- wer, zum Teufel, will ihn abhalten, seinen Willen zu haben? O, die Base
ist ein guter Hafenmeister und weiß in dem entstehenden Lärm ihr Wort zu
sprechen.«

»Lieber Herr,« sagte die Base Schaake, mich leicht mit dem Ellbogen
berührend. »Sie müssen ihm seine Reden zugute halten; er hat mich von jeher
seinen alten Hafenmeister genannt und ist eben sein ganzes Leben durch zu
weit weg gewesen. Und dann sind wir auch von Natur ein Paar unbeholfene
Leute; und es freut mich so sehr, wenn das Kind meint, an dem Herrn den
Richtigen gefunden zu haben.«

Das bärtige breitschultrige Kind auf dem Marterbette verzog wieder mitten
in seinen Schmerzen den Mund zu einem behaglichen Lachen:

»Den Richtigen? Höre, Alte, so gut solltest du mich doch kennen, um mir
unbesehen zu glauben, daß ich mein Notfeuer nicht anzünden werde, wenn da
eine verdammte malayische Seeräuber-Proa um die Insel kreuzt! Natürlich ist
das der Richtige!... und Ihr, Herr, stoßt Euch nur ja nicht an ihre dumme
Art; denn daß je eine Henne es mit ihrem Küken besser im Sinne gehabt habe,
als sie mit mir, das glaube ich erstens nicht, und zweitens weiß ich das
Gegenteil ganz genau.«

Was mich anbetraf, so hatte ich mich selten so schnell in einem Haushalt
orientiert, wie in diesem hier. --




Sechzehntes Kapitel.


So saß ich denn am Bette des Verwundeten und sprach ihm zu, wie man mit
einem im starken Fieber Liegenden zu sprechen wagt. Ich erzählte ihm, wie
ich vorgestern mit seinem alten Freunde, dem Herrn Kunemund,
zusammengetroffen sei, und wie alles so wunderlich in der Welt, auch im
Schlimmen, sich ineinander schicke. Diesen Gemeinplatz machte ich auch dem
»alten Hafenmeister« deutlich, und das weißlockige Zauberweibchen erhub die
blauen Augen und schüttelte das Haupt und sagte:

»Der Autor, der Autor, der wird sich auch arg kümmern! Herr, wollen Sie es
ihm schreiben in unserem Namen? Bitte, tun Sie es, meinem Kinde zum
Gefallen; Sie werden es zu machen wissen, daß er nicht mehr erschrickt, als
nötig ist.«

Ich versprach gern, das zu übernehmen, und der Steuermann drückte mir von
neuem die Hand und rief:

»Das ist das eine, wozu wir Sie so gut gebrauchen können; aber es ist noch
mehr da --«

Er brach ab, und ich erfuhr heute noch nicht, wozu ich ihm noch weiter
nützlich sein könne, drang auch nicht in ihn, es mir mitzuteilen, denn die
Sonne sank tiefer, und mit dem Abend kam das Fieber heftiger, und der Arzt
und der Wundarzt zum neuen Verband. Ich ging als die Doktoren anlangten,
und versprach wiederzukommen. Die Greisin begleitete mich vor die Tür und
brach da in ein heftiges Weinen aus:

»O Herr, ich bin siebenzig Jahre alt, und ich soll ihm ein Gesicht machen
wie ein jung Mädchen, welches am Pfingstsonntage zu Tanze gehen will!« ...

Mit dem Worte in Herz und Hirn nachklingend stand ich wieder in dem Hofe,
fand meinen Weg durch die alte Stadt in den schönen Sommerabend hinein und
aus dem Tore der Stadt. Da suchte ich den Garten, den Gertrud Tofote geerbt
hatte, und fand ihn nicht mehr. -- Der Garten war verschwunden, wie in
einem Jahre -- vielleicht weniger als einem Jahre, jener prächtige, alte,
düstere Cyriacushof mit seinen jahrhundertelangen Erinnerungszeichen, den
ich eben verlassen hatte, verschwunden sein konnte -- verschwunden war. Die
damals durch den rotweißen Pfahl angedeutete Straße zog sich, vollständig
ausgebaut, mit Kanalisation und Gasleitung über den romantischen Platz
hin. Der Teich, in welchen der Stein der Abnahme hineingefallen war, war
ausgefüllt, und die Räder des Tages rollten leicht darüber weg. Die hohen,
dunkeln Bäume um das Wunderhaus des achtzehnten Säkulums waren
niedergehauen, die Blumen und Büsche ausgerissen; und mit den Bäumen,
Blumen, Büschen, springenden Wassern, singenden Vögeln und den
Schmetterlingen war auch das Wunderhaus verschwunden; -- wunderliche
Gebäude freilich waren zu beiden Seiten des macadamisierten Weges dafür in
die Höhe gewachsen, und es galt da wirklich, wie es jedermann überall vor
Augen hat, mit einer kleinen Abänderung das Wort aus dem Vorspiel zum
Faust:

        in unsern deutschen _Gassen_
    Probiert ein jeder, was er mag.

Welches denn vielleicht der passende Ort zu einer abermaligen mich selbst
betreffenden Abschweifung und Anmerkung wäre, oder zur Wiederholung einer
schon früher angedeuteten Frage, nämlich: Was gingen grade _mich_ alle
diese Leute an? --!

Ich hatte in meinem Leben mancherlei gesehen, erfahren, erlebt, -- hatte
das, was man geistige Kämpfe zu nennen pflegt, bestanden, und körperliche
gleichfalls. Ich hatte auch vielerlei probiert, hatte nicht einen
Felsblock, sondern manch ein rund Dutzend den Berg hinaufgewälzt und dem
sofortigen Wiederherunterrollen mit offenem Munde nachgestarrt. Gütiger
Himmel, ich schäme mich nicht, es zu sagen, ich hatte manche Träne
verschluckt und, ohne mich zu schämen, manchen Schweißtropfen vergossen und
manchen Seufzer hervorgestoßen: was gingen mich _diese_ Leute und diese
Verhältnisse an?

Ich hatte das Leben und den Tod in meinem Leben einander ablösen gesehen
und meine Schlüsse daraus gezogen wie irgendein theoretischer oder
praktischer Philosoph: wie kam es, daß ich an diesen Zuständen und
Menschen, die mir in den Weg geraten waren, wie Tausende mehr, ein so
tiefes, inniges und zugleich so schmerzhaftes Interesse nehmen mußte? Wie
geschah es, daß mich das Verschwinden des Gartens Mynheers van Kunemund
nicht nur ärgerte, sondern auch so ungemein melancholisch stimmte?

Die Antwort auf alle diese Fragen war leicht zu finden. Die Schicksale
dieser guten Menschen und Sachen schlugen sämtlich Töne in meiner Brust an,
die lange auf diesen Fingerdruck von außen gewartet hatten. _Mein_ Gefühl
und Bangen, _mein_ Unbehagen in der Zeit kam hier zum Anklang, und so ward
mir im Tiefsten tragisch das, was jedem andern im Werkeltage, wenn auch
vielleicht ein wenig betrüblich, so doch im ganzen recht gleichgültig und
nichtsbedeutend erscheinen mußte.

Mit Recht! denn welch ein Glück für die Menschheit ist's, daß sie es gar
nicht merkt, wie ihr die Zeit, die Jugend, das Glück, das Märchen, der
Zauber, die Schönheit, die Zucht und die Tugend (man gestatte mir die zwei
letzten verbrauchten Worte) unter den Händen weggleiten! Keines von alle
diesem würde eben noch vorhanden sein, wenn man sein Abblassen,
Einschrumpfen, Schwinden und Vergehen augenblicklich merkte und den
schlimmen Prozeß diagnostisch, die Hand am Pulse, begleiten könnte. Die
Menschheit würde es dann schon längst, längst aufgegeben haben, dem Tage
und dem Glücke zu trauen. Sie würde den eben erwähnten Entwickelungs-Fort-
und -Abgang merklich beschleunigt haben, -- sie würde einfach ein
beschleunigtes Verfahren der langsamen Hinquälerei vorgezogen haben. Die
Philosophen nennen das, was das große Tamtam schlägt, das _Ding an sich_
und haben sich unendlich gefreut, als sie das Wort gefunden hatten. Dieses
Ding an sich, insofern es durch jedes neugeborene Kind, oder vielmehr durch
jegliches Neugeborene sich darstellt, hat noch nie über den Tod
nachgedacht. Mit dem ersten Kinde, mit welchem das Wissen des Todes geboren
werden wird, ist die Stunde des Weltgerichts vorhanden, und die erste
Mücke, die sich mit Vergnügen von der Grasmücke fressen läßt, spricht das
Urteil, also -- horchen wir Alten doch noch ein wenig dem sonderbaren,
klangvollen Dröhnen in unsern Ohren! --

Ich hatte die neue Straße, über die traumhafte Erinnerung wegschreitend,
durchwandert, hatte die verschiedenen Stilarten der frischaufgeschossenen
Menschenunterschlupfe ästhetisch-kritisch begutachtet; und, das helle Leben
um mich, das Handbuch der Kunstgeschichte im Kopfe, überraschte es mich,
als ich mit einem Male vor dem Gitter des Kirchhofes stand, auf welchem man
den kleinen, muntern Bruder Autor Kunemunds begraben hatte. Den hatte man
noch nicht ausreuten können, den Kirchhof nämlich! Dreißig Jahre und länger
verlangt das respektiert zu werden! Es ist recht unangenehm; aber bis dato
hat man noch vergeblich sich den Kopf über die Frage zerbrochen, wie der
Verdruß abgestellt werden könne; -- die Lebenden haben es so eilig, und die
Toten wollen sich Zeit gönnen -- wahrhaftig, es wäre lächerlich, wenn es
nicht so sehr, sehr ärgerlich wäre! --

Ich stand vor dem schwarzen, eisernen Gitter, vor welchem auch die neue
Prachtstraße hatte Halt machen müssen, und ich blickte hinein und hin auf
die Büsche, Bäume und Blumen über den Gewölben und um die Grabhügel. Sie
lachten in der Abendsonne, und nicht ohne Grund. Im schönsten Grün lachte
der Garten der Toten über die verschwundenen Gärten der Lebendigen; er
allein hatte seine Blumen und Vögel und Schmetterlinge behalten, der Ort
der Verwesung! und -- ich wendete mich, schritt die neue Straße abermals
hinauf, und kaufte im nächsten Buchladen ein Adreßbuch der Stadt, werde es
aber den Lesern nicht deutlich zu machen suchen, wie ich gerade jetzt
_darauf_ kam.

In diesem Buche des Lebens blätternd und nach allerlei Namen suchend,
erreichte ich mein Wirtshaus wieder, bezog am folgenden Morgen eine
Privatwohnung und fand mich am Nachmittag zum zweitenmal am Bette des
verwundeten Steuermanns Schaake sitzend.

Er befand sich, den Umständen nach, ganz leidlich. Seine Schmerzen wußte er
zu verbeißen, und das Fieber trat nicht heftiger auf, als man erwarten
konnte. Meinem Besuche hatte er, wie sein alter Hafenkapitän, die schöne,
weiße Frau Muhme sagte, mit Sehnsucht und Ungeduld entgegengesehen; und nun
waren wir allein, und die Hand auf die Bettdecke des Kranken legend, sagte
ich:

»Ich habe mich gestern da und dort ein wenig umgeschaut. Das ist so eine
Gärtnerschnurre, die dann und wann gelingt, daß man einen Baum ausreißt,
ihn mit dem Gezweig in den Boden gräbt und seinen Spaß und seinen Ruhm
davon hat, wenn die Wurzeln wirklich anfangen, Blätter zu treiben. Man
nennt das den Gipfel der Kultur, lieber Freund, und ist sehr stolz darauf:
was für Früchte unsere Nachkommen aus dem Experiment zwischen die Zähne
bekommen werden, können wir freilich heute noch nicht bestimmen, bekümmert
uns übrigens auch durchaus nicht. Den Garten, den die kleine Gertrud
ererbte, habe ich vergeblich gesucht, aber wo das Fräulein jetzt wohnt,
hab' ich in Erfahrung gebracht; und nun, Freund, was ist es mit der
Gertrud? was ist aus der Gertrud Tofote, seit jenem Tage, an welchem Sie
den Stein der Abnahme aus dem Fenster warfen, geworden?«

Auf diese Frage richtete sich der Steuermann mit einem Ruck auf, der mich
bedauern ließ, sie an ihn gestellt zu haben, denn er biß die Zähne vor
Schmerz dabei aufeinander und hätte fast den Verband seiner Füße in
Unordnung gebracht.

»Unsere Gertrud?... O, ich habe gemeint, der Alte -- ich meine den Meister,
-- den Herrn Kunemund, habe Ihnen das schon gesagt!«

Ich schüttelte den Kopf.

»Nicht?... O, unserm Trudchen soll es sehr gut gehen.«

»Sie sagen das mit einem eigentümlichen Tone, lieber Freund. Weshalb wissen
Sie nicht mehr oder wollen, wie der Meister, nicht mehr von ihr sagen, als
was sich in ein kahles, mattes >Soll< legen läßt?«

Da faßte der Verwundete hastig meine Hand, zog mich näher zu sich heran und
flüsterte mir zu:

»Sie haben eben davon gesprochen! Ich hatte damals recht; aber es war
schon zu spät! Was half es mir, daß ich den Unglücksstein in der
Hinterlassenschaft des alten Sünders fand? Herrgott, was ist aller
Nebenwind auf See gegen den, welchen der Flutwechsel auf dem Lande bringt!
Das hat auch Gertrud erfahren! Aber es mußte so sein, denn wenn wir ihn
meilenweit weggetragen und ihn dann in hunderttausend Stücke zerschlagen
hätten, so würde es nichts geholfen haben. Das Unglück ist auf dem Platze
geblieben, hat das Wasser in dem Weiher vertrieben und die Bäume vergiftet!
Es war eben der Stein der Abnahme, und er allein ist schuld daran, daß die
arme Gertrud uns, mich und das alte, liebe Leben aufgegeben hat. Ach, Herr
von Schmidt, Sie, der Sie viel unter die Leute kommen, werden ihr gewiß
begegnen, und wenn Sie ihr begegnet sind, dann wollen wir -- ich und der
Meister Autor Sie fragen, wie es unserer Gertrud Tofote geht!«

Ich fragte heute nicht weiter nach der jungen Dame. Fürs erste wußte ich
genug und ging wieder ziemlich melancholisch und verstimmt nach Hause, bald
nachdem die weiße blauäugige Muhme hereingekommen war, um meinen Platz am
Schmerzenslager des Neffen einzunehmen. Doch, -- auf _eine_ Frage geriet
ich noch und erhielt auch Antwort darauf.

Der Unglücksstein mußte freilich gewirkt haben, und es war nur ein Glück,
daß jetzt die neue Straße auch über ihn hinwegführte, und er also auf
Nimmerwiedersehen begraben worden war und keinen weitern Schaden mehr
anrichten konnte. Ich bemerkte dergleichen, und der Kranke richtete sich
von neuem empor und rief kläglich in seinem Fieber:

»Wissen Sie das gewiß? Ich nicht!... Wer kann sagen, wer ihn aus dem Teiche
auffischte? wer weiß, wer ihn voller Vergnügen mit sich nach Hause nahm,
als das Wasser des Tümpels abgelassen worden war, und der Schlamm offen zum
Durchwühlen dalag? Man soll absonderliche Kuriositäten in dem Schlamme
gefunden haben; ach, Herr von Schmidt, und fragen Sie nur den Meister
Kunemund danach, der wird's Ihnen schon sagen, daß das Unglück sich nicht
so leicht verbraucht in der Welt. Was Schaden bringt und Unheil stiftet,
hat meist immer eine gute Gesundheit. O, es wird sicherlich jemand das Ding
wiedergefunden haben und dafür büßen müssen!«

»Wir wollen es nicht hoffen,« sagte ich, und dann tat ich meine letzte
Frage, als die Muhme Schaake bereits auf meinem Stuhle saß.

»Noch einer! Da war noch ein Erbstück des Mynheer; -- der Mohr, der -- wie
hieß er doch? der Signor Ceretto! Lebt er noch, und was ist aus ihm
geworden?«

»O der Nigger!« rief der Steuermann, und trotz allem Elend und Jammer ging
ein Lächeln über sein Gesicht. »Ei freilich lebt der noch und gottlob dazu
gesagt! Sie, unsre Gertrud schleppt ihn mit sich herum; er gehört zu ihrem
Haushalt, wenn er das vielleicht auch nur seiner Farbe zu danken hat.
Wissen Sie, lieber Herr, wenn Sie dem Fräulein begegnen, dann werden Sie
auch wohl den Nigger zu Gesichte kriegen, und, bitte, dann grüßen Sie ihn
recht schön von mir!«




Siebenzehntes Kapitel.


Es fehlen an der Leiter, die in den Brunnen hinunterreichen soll, immer
einige Sprossen, hatte mir einmal bei einer andern Gelegenheit der Meister
Autor gesagt; ich hatte es, das Wort, richtig befunden, es, wie man weiß,
dann und wann weiter gegeben, und es bewährte sich auch diesesmal. Ich
hatte den Alten kurz und bündig, wie es sich ihm gegenüber gehörte, von dem
Unglücksfall, der seinen Freund Karl Schaake betroffen hatte, in Kenntnis
gesetzt; wir erwarteten im Cyriacihofe seine eilige Ankunft mit jeglichem
Eisenbahnzug, er aber blieb aus. Wie sich's später auswies, war mein
Schreiben richtig angelangt, hatte den Alten jedoch nicht zu Hause
getroffen. Ein anderer Brief war vor dem meinigen gekommen, ein
absonderliches Dokument, das _die_ Alte in _ihrem_ Dorfe einem Schulkinde
in die Feder diktiert hatte. Darin stand denn zu lesen, daß es ihr, der
Alten, gottsjämmerlich jammervoll ergehe, daß sie, die es zu allen Zeiten
so gut mit dieser schlechten Welt im Sinne gehabt habe, jetzo von der
ganzen Bauerschaft als ein Scheuel und Greuel vor die Feldmark gesetzt
werden solle, und zwar mit Zurücklassung all ihrer Habseligkeit von wegen
aufgewendeter Gemeindekosten.

»Alle seind mir aufsässig,« schrieb das Schulkind. »Sie verschimpfieren
mir, wie man es keinem Hund und keiner Katze bietet. Sie hohnnecken mir bei
Tag und Nächten, daß ich mich von Tage tun möchte, jedwedes Mal, daß mir
die Sonne aufgeht. Sie zerren mich herum, jung und alt, wie eine tote Katze
in der Gosse; sie betitulieren mich, wo ich mir sehen lasse, daß es eine
Schande ist, und die, die es am wenigsten leiden sollten, sind die Ärgsten.
Der Vorsteher sagt, das sei, weil ich es mit allen verdorben habe, aber,
Kunemund, er lügt in seinen Balg hinein, und das will ich ihm dermaleinst
vor Gottes Thron in das Gesicht sagen, und Er, Meister Kunemund, soll es
mir bezeugen, denn Er kennt mich! Lieber Gott, wenn du mich nur hinnehmen
wolltest, das ist mein einzigstes Gebet, wenn sie mir wieder vor die Tür
hofiert und in den Kaffeekessel -- haben. Es ist nicht zum Aushalten,
Meister Autor, und dazu einen so alt -- so alt werden zu lassen, das ist
Unrecht, und das will ich auch dermaleinst vertreten, der liebe Herrgott
mag's mir verzeihen. Du lieber Himmel, wenn ich an den Arend jetzt denke
und an Sie, Herr Kunemund, und an die Gertrud und die Hunde und das übrige
Vieh und das ganze gute alte Leben, so könnte ich mir mein Hemde in meinen
Tränen waschen; denn so ist es, und so gut wird es mir niemals wieder. Aus
tiefer Not schrei ich zu dir, steht im Gesangbuch, und welche Nummer der
Pastor alle Sonntage auch singen lassen mag, was mich anbetrifft, so höre
und singe ich nur das eine, wie sich auch der Kantor vor der Orgel die
Seele herausdrücken und Hände und Füße abdrücken mag mit Wie viele Freuden
dank ich dir, oder Dir Gott, dir will ich fröhlich singen, oder Mein Herz,
ermuntre dich zum Preise, oder Wie groß ist des Allmächtigen Güte, ist der
ein Mensch, den sie nicht rührt? Nein, liebster Herr Kunemund, ich bin kein
Mensch mehr, o, und wenn ich es ihnen nur geben könnte, wie sie es mir
gegeben haben und tagtäglich geben, so sollte sich die Landesbrandkasse
wirklich darüber verwundern, und damit, Kunemund, wende ich mich in meinen
höchsten Nöten an Ihn« -- usw....

Auf diesen Brief hin hatte sich der Meister Autor natürlich sofort auf die
Socken gemacht und die Wanderschaft zu der »Alten« angetreten; mein
Schreiben aber lag beim Vorsteher, und da es zufällig unter seine sonstigen
Papiere und Schreibereien geriet, so wurde es auch, als der Meister Autor
mit der Alten zurückgekommen war, keineswegs sofort an ihn ausgeliefert; --
den Brief der Alten an den Meister bewahre ich als ein kostbares Kleinod
unter meinen Papieren. »Mit meinen fröhlichen Redensarten, die sich an den
Spaß knüpfen, will ich Ihnen lieber nicht aufwarten,« sagte Herr Kunemund,
als ich ihm das Dokument glücklich abgeschmeichelt hatte; und nun will ich
weiter erzählen. --

»Ich habe schon einmal die Ehre gehabt, Ihnen zu begegnen, mein gnädiges
Fräulein,« sprach ich mit einer tiefen Verbeugung zu der glanzvollen
Erscheinung, der mich mein Freund, der Hofrat (wie in einer alten, alten
Komödie) zuführte und vorstellte.

Die großen Augen erhoben sich verwundert fragend, und das Kind aus dem
Musterforst, die so sehr stattlich gewordene Elfe lächelte:

»Wirklich? O aber es wäre mir sehr interessant, zu erfahren Wo und Wie. Ich
bitte --«

Und sie machte mir Platz neben sich auf dem Divan und lud mich mit der
zierlichsten Fächerbewegung ein, mich zu setzen, was ich mit Vergnügen tat,
während der Herr Hofrat sich im Kreise der Gesellschaft verlor, und uns,
wie es schien auch nicht ungern, uns selber überließ.

»Wir taten einst einen wunderlich verhängnisvollen Gang zusammen, mein
Fräulein,« sagte ich. »Ein guter Bekannter von uns beiden hatte mich dazu
eingeladen und abgeholt, und so ging ich mit als Chorus tief in das Märchen
hinein und sah das zuckerige Haus mitten im Zaubergarten. Ich hatte
eigentlich nicht recht daran glauben wollen, aber ich überzeugte mich, daß
alles so vorhanden war, wie die Geschichte und die Geschichten es uns
berichten. Nichts fehlte! weder die Wände aus Honigkuchen, noch das Dach
aus Eierkuchen, noch die Fensterscheiben aus Bonbontafeln. Und nun bin ich
wieder über den Platz geschritten und habe leider gefunden, daß der Wind --
der Wind, das himmlische Kind, sein Spiel während der letzten Jahre ein
wenig arg getrieben hat; die Heerstraße führt mitten durch den Märchenwald,
mein Fräulein, die Dekorationen haben sich merkwürdig verschoben, und wir
alle haben mit daran rücken müssen.«

Das schöne Mädchen sah mich betroffen an und drückte den zusammengelegten
Fächer an den Mund; dann aber faßte sie sich schnell genug und rief:

»Mein Gott ja, das ist ja aber auch wahr! Sie waren in der Tat dabei
zugegen, als mir des Onkels Erbschaft übergeben wurde! Das waren freilich
sonderbare Zustände, an die Sie mich da erinnern! Der Onkel Kunemund hatte
mich in jenem schrecklichen Gasthause abgesetzt, um Sie zu seinem eigenen
Troste herbeizuschaffen; und dann gingen Sie mit uns zu dem verwilderten
Garten und dem unheimlichen alten Hause. Ei ja, ja, nicht wahr, das alles
hat sich seltsam verändert? Dekorationen und Akteure sind andere geworden,
und unter den letztern hab' auch ich mein Kostüm gewechselt; -- finden Sie
nicht?«

»Gewiß!« sagte ich, verbindlich mich neigend und überzeugte mich
verstohlen von neuem, daß der Meister Autor vollkommen genau gesehen hatte,
wenn oder als er das Nämliche gefunden hatte. Dann fuhr ich fort: »Ich war
längere Jahre abwesend von dieser Stadt und habe meinerseits gleichfalls
die Bilder im Guckkasten in bunter Folge wechseln gesehen. Überall
verschiebt die Welt sich, mein teures Fräulein, und sonderbarerweise
meistens ohne daß wir es bemerken; das Buch Hiob hat heute in dieser
Beziehung in demselben Grade recht wie zur Zeit seiner Abfassung. Wie in
den Tagen des Mannes von Uz geht der Herr vorbei, ohne daß wir es gewahr
werden; aber manchem alten guten Bekannten bin ich seit meiner Rückkehr
doch wieder nahe gekommen. Haben Sie in der letzten Zeit Nachrichten von
unserm Freunde, dem Herrn Kunemund erhalten?«

»Nei--n, mein Herr,« sagte das Fräulein, und ich beobachtete dabei leider
auch ein etwas mißmutiges Emporziehen der feinen runden Schultern, ließ
mich jedoch selbstverständlich nicht dadurch irr machen, sondern fuhr
heiter fort:

»Dann habe ich einigen Anspruch auf ihre Dankbarkeit, indem ich Ihnen die
neuesten mitteilen kann. Es geht dem braven Alten recht wohl; er führt sein
Schnitzmesser so rüstig und kunstfertig wie vor Jahren und hat auch seine
übrigen Künste in Wald, Garten und Feld durchaus noch nicht verlernt. Ich
hatte die Ehre, ihn neulich auf dem Wege zu treffen, und er lud mich
freundlich ein, ihn in seiner jetzigen Häuslichkeit zu besuchen. Zwei sehr
angenehme Stunden habe ich in seiner Gesellschaft hingebracht; leider war
es nur ein sehr unglücklicher Zufall, der mich mit ihm von neuem
zusammenführte, nämlich jenes Eisenbahnunglück, das mich nur einen kurzen
Augenblick auf der Reise aufhielt, das aber einem andern, jüngern guten
Bekannten, ich meine den armen Steuermann, Herrn Karl Schaake, so teuer zu
stehen kam --«

Jetzt fuhr die junge Dame im Ernst zusammen, wurde erst sehr bleich, dann
sehr rot und rief:

»Mein Herr?«

»Ja, mein liebes Fräulein, auch ihn habe ich bereits einige Male besucht.
Er leidet große Schmerzen, trägt sie mit leidlichem Humor und macht seine
Umgebung um so trostloser, je vergnügter er sich stellt. Die Ärzte und
Chirurgen sind noch immer nicht sicher, ob sie ihm seine unglückseligen
Füße lassen dürfen oder nicht.«

Gertrude Tofote lehnte sich sehr bleich zurück; dann faßte sie heftig, auf
einen kürzesten Augenblick, meine Hand:

»Was sagen Sie?... was ist?... o ich weiß gar nichts!... ich habe nichts
von dem erfahren!... ich bitte Sie --«

»Ich habe auch die Bekanntschaft seiner Muhme oder Base gemacht. Ein
kurioses Weibchen! ein wenig sehr taub; aber ein alt Jüngferchen wie aus
dem Märchenbuch, -- und noch dazu aus _unserem_ Märchenbuch, mein teures
Fräulein.«

»Jawohl, jawohl, ich bin -- früher auch dann und wann mit ihr
zusammengetroffen; -- er hat den Fuß gebrochen? Karl hat den Fuß
gebrochen?«

»Beide Füße! Sie wurden ihm arg verletzt infolge jener bedauernswerten
Entgleisung, von welcher Ihnen die Zeitung gesagt haben wird; aber er trägt
wirklich sein Elend wie ein braver Mann. Mit seinem Seefahren und sonstigen
abenteuerlichen Liebhabereien wird es freilich unter allen Umständen zu
Ende sein.«

»Und den Onkel Kunemund haben Sie auch gesehen?« rief die Elfe. »Ich habe
ihn lange nicht gesehen. O sagen Sie mir --«

Es war mir augenblicklich unmöglich, weiter etwas zu sagen, denn wir wurden
in unserer Unterhaltung unterbrochen und zwar auf die liebenswürdigste
Weise von der Welt.

Eine schöne, durchaus nicht alte, eine stattliche, fröhlich lächelnde,
dunkeläugige Dame in Dunkelblau und weißen Spitzen glitt durch die Wellen
der Gesellschaft zu uns heran, in ihrem Fahrwasser einen jungen Herrn der
Tochter des Försters Tofote zuführend. Der Herr war ein Jüngling von zwei-,
fünf-, sechs- oder siebenundzwanzig Jahren mit einem etwas knabenhaft
rundlichen, sommersprossenübersäeten, gänzlich bartlosen und ganz
gutmütigen Gesicht, runden mädchenhaften Schultern und einem Lächeln um den
Mund, das, wenn es klar für die Güte des Herzens sprach, von den geistigen
Fähigkeiten des jungen Mannes ein wenig undeutlicher redete. Nach einer
letzthin bekannter gewordenen Theorie war er also unbedingt mehr der Sohn
seines Vaters als seiner Mutter.

»Da bringe ich dir endlich meinen Vetter, Gertrude!« rief die schöne Dame.
»Das ist Vollrad, und -- sieh, Vollrad, das ist meine süße Hausgenossin.
Ihr werdet Euch sicherlich zusammen vertragen? Nicht wahr, ihr versprecht
mir das auf der Stelle? Denke dir, liebes Herz, er ist über mich gekommen,
wie der Dieb in der Nacht, oder wie die Ameise -- nein wie der gepanzerte
Mann im Evangel -- auch nicht, sondern in den fünf Büchern Moses. Vor einer
Stunde ist er von Berlin angelangt; -- ich lag, wie du weißt, mit meiner
Migräne und meiner Journalmappe auf meinem Zimmer und hatte dich armes Lamm
heut abend allein und schutzlos in die böse, schlimme Welt hineinfahren
lassen, als er plötzlich vor mir stand. Du kennst mich, Gertrude, du weißt
also auch, wie rasch mein Unwohlsein verflogen war, und hier sind wir, und
das ist nun die Gertrud, Vollrad! und das ist mein Vetter Vollrad, liebe
Gertrud; und wie gesagt, vertragen werdet ihr euch ja wohl -- wenigstens so
lange, als es dem jungen Herrn hier in der Stadt zu gefallen belieben wird
-- nicht wahr?«

Ich hatte den Wortstrom dicht neben mir vorüberrauschen lassen; jetzt wurde
mir auch noch das Vergnügen zu teil, der näheren Vorstellung zwischen den
beiden jungen Leuten anwohnen zu dürfen. Darauf aber empfahl ich mich, und
Gertrude Tofote sagte:

»Ach, wir haben uns eigentlich noch so vieles zu sagen!... und ich hätte so
vieles zu fragen! Nun, wir sehen uns sicher noch häufiger in der
Gesellschaft!«

»Ich hoffe das,« sprach ich und zog mich zurück mit einer höflichen
Verbeugung. Auch die gnädige Frau grüßte und der Vetter gleichfalls. Im
Zurückweichen sah ich noch, wie die schöne Dame sich gegen das junge
Mädchen neigte, und nahm die Frage von ihren Lippen mit:

»Wer ist es denn, Gertrud? Der Herr kommt mir bekannt vor; aber ich kenne
sehr viele Leute.«

Was mich anbetraf, so kannte ich auch sehr viele Leute: die schöne
stattliche Dame war die Frau Christine von Wittum, die junge rasche Witwe
eines in sehr reifen Jahren entschlafenen hohen Staatsbeamten, und Gertrud
Tofote wohnte mit ihr unter ein und demselben Dache. Daß die gnädige Frau
sich auch meiner aus früherer schönerer Zeit erinnern mußte, stand mir in
unumstößlicher Gewißheit fest. Doch davon später. --




Achtzehntes Kapitel.


Von meinem ersten Besuche bei dem Steuermann an waren acht Tage vergangen.
In diesen acht Tagen hatte ich mich von neuem häuslich in der Stadt
eingerichtet, hatte unter meiner sonstigen Korrespondenz den Brief an den
Meister Autor abgeschickt, hatte die hübsche Gertrud im Schoße der besten
Gesellschaft des Ortes gefunden, war mit der schönen Witwe Christine von
Wittum und ihrem Berliner Vetter Vollrad in Berührung -- angenehme
Berührung -- gekommen, und saß am neunten Tage auf meiner Stube und an
meinem Schreibtische in der festen Gewißheit, daß nicht alles gut war --
weder was mich selber, noch was die andern anbetraf.

Sehr unbegründet ärgerte mich heftig der Meister Autor Kunemund, der aus
den mitgeteilten stichhaltigen Gründen nichts von sich hören ließ. Dem
Steuermann ging es schlecht; dem Töchterlein des Försters Arend Tofote ging
es zu gut, und ausgezeichnet gut ging es der Frau Christine, welche die
einzige unter uns war, die das Leben vom rechten Standpunkt aus ansah und
also auch sich in es zu schicken wußte, und -- -- andere Leute auf ihre
Seite hinüberzuziehen wußte.

Es ist eine im Grunde lächerliche und dem denkenden Menschen auffällige
Tatsache, daß je mehr das unbefangene Interesse am Dasein und den
Bedingungen desselben wächst, in demselben Grade das Vergnügen und Behagen
dran abnimmt. Denn wenn auch in früheren Epochen die Menschen es sich
gleichfalls recht sauer haben werden lassen in der Arbeit, sich es
behaglich auf dieser Erde zu machen, so fehlte ihnen doch das intensive
Bewußtsein dieser großen Mühe, und das haben wir jetzt im vollsten Maße,
und das ist das Elend! Darüber habe ich lange und tief nachgedacht, auch
kluge Nachbarn zur Rechten und Linken um ihre Ansicht und Meinung darob
befragt, und nachdem auch sie länger und genauer darüber nachgedacht
hatten, haben sie die Achseln gezuckt, mich seufzend von der Seite
angesehen und sind -- wieder an ihre Geschäfte gegangen. Wer Ohren hat zu
hören, der höre, und nehme Rat an und setze sich hart! -- ein Schemel von
weichem Holz, vor dem Lehrstuhle der Erfahrung ist das einzige, was der
Menschheit noch helfen kann. »Bitte Platz zu nehmen,« sagt der Mann aus
Sinope; und: »Bitte Platz zu behalten!« sagte schon lange vor ihm der
Prediger Salomo; -- »Wer aber stehend besser hören kann, den soll man
gleichfalls nicht hindern!« sprach lange nach den beiden der heilige Simon
Stylites, der syrische Mönch mit einem sonderbaren Blicke auf die Stadt
Antiochia; -- ich persönlich setze mich selbstverständlich am Schlusse
dieser Historia so weich als möglich. --

Man spinnt dergleichen philosophische Gedankengespinste dann und wann nicht
ungern und, seltsamerweise, dann am liebsten, wenn der Lehnstuhl recht
bequem ist, und man auch sonst durch keine geistige und körperliche
Abhaltung gehindert ist, sich seinem asketischen Behagen mit vollkommener
Freiheit hinzugeben. Mit diesen und ähnlichen Gedanken, wie man das nennt,
beschäftigt, drehte ich in meinem Lehnstuhle vor meinem Schreibtisch die
Daumen umeinander, als es an meiner Tür pochte.

Es klopft häufig an meiner Tür, wie der Leser bereits erfahren hat, und
ich pflege mich nie durch ein »Nicht zu Hause« zu verleugnen; den Kreis
meiner Bekannten habe ich niemals zu verengern gesucht, und dazu gehörte
der Mensch, der jetzt kam, sogar zu meinen Freunden, und nach dem Meister
Autor konnte mir niemand gelegener kommen.

Der Teufel, dem das weißeste Weiberfleisch nicht zu weiß und zu zart und
nicht zuwider ist, wenn er in der Maske das Seinige bequemer zu verrichten
hofft, kann schwarz, recht schwarz auf der Bühne erscheinen; aber schwärzer
kann er sich unmöglich aus der Kulisse schieben, wie mein jetziger Besuch.

»Ceretto! Signor Ceretto!« rief ich. »Von Allen aller Hautschattierungen
mir Gesegneter! Mein schwarzer Diamant! mein Sonnenstrahl vom Mondgebirge!
mein unsträflicher Äthiopier aus dem Schüsselkorbe zu Bremen, -- seid Ihr
es denn wirklich? Alter Freund, ist es wirklich kein Gerücht, wandelt Ihr
wirklich noch unter den Lebendigen, um mit dem Meister Kunemund dieser
schlechten Welt die Stange zu halten?«

»An jedem Ende einer,« lachte der Schwarze, den schlossenweißen wackelnden
Haarwulst mir entgegenschüttelnd. »Und sie springt, Herr! sie springt gut
und überschlägt sich mit Grazie. Ich hab' es meiner Zeit im Zirkus kaum
besser gemacht; aber ich verstehe mich eben drauf, und habe also auch heute
noch mein Vergnügen dran, was auch der Herr Kunemund seinerseits dagegen
vorbringen mag.«

»Und wie er sich konserviert hat!« rief ich, entzückt und zärtlich das
schwarze Greuel in die Arme fassend. »Seine siebenzig Jahre hat er bald gut
auf dem Nacken; aber wie steht er noch auf den Füßen! wie sieht er noch aus
den Augen!«

»Und erst der Magen, Herr,« grinste der Alte, den zahnlosen Mund vor
Behagen so weit als möglich öffnend. »Ich brachte ihn schwach mit auf die
Welt, den Magen, aber die Mäßigkeit und solide Diät hat ihm und mir
durchgeholfen. Die Leute sollten nur recht wissen, wie gut einem das
Feuerschlucken, Säbelklingenverschlingen und Lebendige-Kaninchen-fressen
tut; -- wahrhaftig, sie ließen sich bald viel mehr auf den Jahrmärkten als
in den Bädern sehen. Da muß man in seiner Jugend den wilden Indianer selber
gespielt haben, um darüber mitreden zu dürfen; übrigens glaube ich, gibt es
keinen zweiten Menschen, der sich so fest vorgenommen hat, noch einen Blick
in das zwanzigste Jahrhundert zu tun, wie ein gegenwärtiger Wichselmeyer,
Signor Ceretto Meyer aus Bremen.«

»Und nach einem zweiten gleich gebildeten Mohren, Neger oder Nigger wird
man gleichfalls lange suchen dürfen!« rief ich lachend. »Daß Sie Ihre
Diätetik aus sich selber haben, weiß ich; aber woher Sie den Blick in das
zwanzigste Jahrhundert nehmen, das mag der Teufel raten.«

»Danke, Mynheer. Vielleicht kommen Sie noch dahinter; verlieren Sie nur den
Mut nicht. Ei freilich, wir haben unsere Gelegenheiten, uns zu bilden, und
nehmen sie auch wahr; sonst aber, verehrter Herr von Schmidt, lassen Sie
sich jetzt vor allen Dingen sagen, daß ich diesmal nicht aus eigenem
Antrieb die Ehre habe, sondern mit einem Kompliment und einer Bestellung
geschickt werde. Wenn Sie es gütigst erlauben, will ich ein andermal --«

»Aus eigenem Antrieb kommen und vorlieb nehmen; -- natürlich. Wer aber
schickt Sie heute denn, alter Freund?«

Da verwandelte sich das breite Grinsen auf der uns Japhetiden trotz allem
stets so verwunderlichen Physiognomie des Spötters Ham in sein
vollständiges Gegenteil.

»Sie!« sagte der Mann aus dem bremischen Schüsselkorbe kurz.

»Sie? ja freilich sie! Das läßt sich wohl erraten, ohne daß man lange
darüber nachzudenken braucht. Was wünscht das Fräulein?«

Ich hatte dem Greise meinen weichsten und bequemsten Sessel zugeschoben,
und da saß er, eine wahre, wirkliche echte Meßrarität, den Kopf zwischen
den Schultern und nur das Weiße in den Augen zeigend -- eine Rarität, auch
für die Büchermesse.

»Was wünscht das Fräulein, Ceretto?«

Das ganze Elend Hams, nachdem der Vater Noah das Seinige gesagt hatte, sah
mich aus den Augen dieses Mohren an, als er endlich erwiderte:

»Vielerlei. Das heißt, wahrscheinlich sehr vieles; -- vor allem andern aber
wünscht sie, daß Sie die Freundlichkeit haben möchten, morgen abend eine
Tasse Tee bei ihr zu trinken.«

»Mit Vergnügen!« sagte ich, zustimmend das Haupt neigend. »Der Wunsch mag
dem Kinde in Erfüllung gehen; aber, Freund, da ich Euch habe und halte,
lasse ich Euch nicht eher wieder, bis ich -- ein wenig genauer weiß, wie
Euer Leben verlaufen ist, -- seit -- seit jenem Tage, an welchem Ihr uns
über Mynheer van Kunemunds Gartenhecke aus unserm Suchen nach der Erbschaft
Mynheers in dieselbe hineinwinktet.«

»Ich habe eben mit zu der Erbschaft Mynheers van Kunemund gehört, mein
Herr.«

»Wahrhaftig! und Sie und unser schönes naives Waldkind wohnen mit der Frau
von Wittum unter _einem_ Dache. Der Förster ist tot, der Meister Autor
haust einsam und geheimnisvoll in seines Vaters Hütte, und Herr Vollrad von
Wittum kommt von Berlin, um sich der Gertrud vorzustellen zu lassen:
weshalb, weshalb und hundertmal weshalb dieses alles?! Wir leben in Tagen,
denen es auf eine genaue Einsicht in die Dinge überall im hohen Grade
impertinent ankommt, und Sie, Ceretto, sind der Mann, der diesmal hier die
nötige Aufklärung geben kann. Nehmen Sie eine Zigarre!«

Der Alte griff dankend in das angebotene Kistchen und sagte lächelnd:

»Wenn ich nur das erzähle, was ich weiß, so nehmen Sie mir dieses wohl
nicht übel?«

»Die Frage tut man auch nur an einen, den man bereits genauer kennt. Ich
werde es nicht übel nehmen; aber Ihr habt Glück, Wichselmeyer; Tausende
würden es sehr übel nehmen und allem Eurem Widerstreben zu Trotz alles
Mögliche in Euch hineinfragen.«

»So ist es,« sagte der Schwarze, »kommen wir also wie alles Gute und
Verständige schnell zu Ende. Es war ein zierlich, einfach, niedlich Ding,
Herr, was Sie in unsern Garten einführten, und es kam in glücklicher
Begleitung, aber es ging unsichtbar hinter ihm etwas, was nicht zur
Gesellschaft gehörte, was sich aber, wie Sie wissen, merkwürdig fein und
frech aufzudrängen versteht, bis es alles, was es nicht auf dem Wege vor
sich brauchen kann, richtig und ruhig im Graben hat. Wir aus der
Bedientenstube sehen es häufiger, als die Herrschaften meinen, die Treppe
hinaufschleichen; und wenn wir es zu melden haben, oder ihm nachher in der
Garderobe den Überrock hinhalten oder den Schal umhängen, so zahlt es
meistens durchaus nicht die schlechtesten Trinkgelder.«

»Signor Ceretto, Ihr seid ein großer Mann!« unterbrach ich in vollster
Bewunderung.

»Das heißt, wir haben die Jahrmärkte und Messen bezogen, sind alt geworden
und jung geblieben -- Herr, man kann das letztere auch, ohne auf dem Markte
ausgestanden zu haben -- der Herr Autor Kunemund kann sich in der Hinsicht
auf das Aushängeschild malen lassen -- na wie ist's, was das anbetrifft,
darf man Sie doch mit der Trompete vor die Bude schicken?«

»Sie sind ein großer Mann, Ceretto; und da Sie das auch wissen -- was
wollen Sie mehr?«

»Die beiden alten Herren, der Förster Tofote, der Meister Kunemund und --
ich, wir waren also machtlos gegen Das, was sich mit einschlich in den
Garten Mynheers, und der junge Mensch, der Leichtmatrose, ebenfalls,
obgleich der vielleicht noch am ehesten etwas dagegen hätte tun können,
wenn er nicht im natürlichen Lauf der Dinge den veränderten Umständen
gegenüber sofort so sehr verdrossen und unerträglich geworden wäre. Er ging
schneller wieder zu Schiff und auf die See, als er verantworten kann. Der
Teufel hole ihn dafür.«

»Das hat er bereits so halb und halb besorgt; -- erzählen Sie weiter,
Ceretto.«

»Hat er ihn geholt? Herr, entschuldigen Sie, aber es werden viele
Ansichten in Spiritus gesetzt, die ihn nicht wert sind! Uns -- uns hat er
am Kragen und hält uns ziemlich fest; aber Sie haben recht, und ich erkläre
weiter, wie ich in meiner angenehmen Jugend auf dem Hamburger Berg schon
berühmt dafür war. Also wir drei Alten mit dem Fräulein waren nun allein
unter uns -- eine fidele Menagerie, Herr, und das Publikum fand das auch,
ohne daß wir das Fräulein, sozusagen, den Honoratioren mit den Zetteln in
die Häuser zu schicken brauchten. Das Publikum kam ganz von selber, und das
Schlimme dabei war nur, daß das Fräulein binnen kurzem sich ein
Separatkabinett einrichtete, das Hauptgeschäft schädigte und uns den Stuhl
vor die Bude schob, natürlich ohne es selber ganz genau zu wissen. O Herr,
Herr, welche und wie viele Leute kamen, um uns zu gratulieren und um an
unserm Glück innigen Anteil zu nehmen, das heißt ihren Anteil! Ich hätte
Sie wohl dabei haben mögen, um den Spaß anzusehen. Für einen, der nichts
damit zu tun hatte, wie zum Exempel mich selber, war es wirklich eine Lust,
denn die drei -- der Arend, der Autor und die Gertrud waren wie die
unmündigen Kinder in der Hand der Kriegsknechte Herodis oder noch ein wenig
schlimmer. Zu Bethlehem war dem Jammer wenigstens schnell ein Ende gemacht,
aber hier zog sich das Vergnügen länger hin, und was das gnädige Fräulein
angeht, so --«

Hier griff sich der Greis so komisch-kläglich in die weiße Wolle und
seufzte so gewaltig, daß ich schnellstens in der Phantasie nach dem
Sonnenschein, Lerchensang, Wachtelruf und Thymiangeruch in den Dornstrauch
an jenem Hohlweg zu greifen hatte, um in meiner Teilnahme an den alten
Tagen des Meisters Autor nicht ins Bodenlose zu versinken.

»Die Obervormundschaft mochte manchmal ihr blaues Wunder haben,« fuhr mein
so sehr europäisch gewitzigter Afrikaner in seinem Berichte fort. »Erst
nach und nach, so ganz nach und nach konnte es zutage kommen, was für eine
Erbschaft eigentlich Mynheer van Kunemund uns hinterlassen hatte. Es fanden
sich ausgeliehene Kapitale an Orten, wo es sehr, sehr übel roch, --
Kapitalien, die nicht gewinnbringender angelegt werden konnten. Wir hatten
zwar unsere Advokaten dafür; aber dem Kunemund und dem Tofote konnte doch
niemand davon helfen, mit Volk verkehren zu müssen, das wie die Regenwürmer
bei Laternenschein aus der Erbschaft heraufwimmelte. Großer Barnum, jetzt
erst kam es so nach und nach heraus, was für ein Geschäft der Erblasser
selber besorgt hatte, ehe er es uns auf die Schultern ablud. O und an
Bekanntschaften fehlte es dem lieben Kinde bald gar nicht, -- wir fanden
sie von allen Sorten -- ganz herrliche und nobele Leute, die sich unserer
aufs freundlichste annahmen; aber auch das Gleiche von uns verlangten. Und
kurioserweise zeigte es sich bald, daß das, wobei den zwei alten Herren
übel genug wurde, diesen Eindruck auf den Magen der jungen Dame gar nicht
machte. Im Gegenteil fand sie sich mit vielem Geschmack in das neue gute
Leben hinein, nahm zu an Weisheit und Tugend, und wenn ich nicht schon
vorher gewußt hätte, was für ein Schlaukopf mein seliger Herr, der kleine
Bruder des langen Meisters, gewesen war, so wäre es mir jetzo wie durch ein
Gaslichtmikroskop deutlich gemacht worden. Eine hunderttausendfach
vergrößerte Käsemilbe ist mir heute gar nichts mehr gegen Mynheer van
Kunemund; ich bin selber einmal eine Zeitlang mit einem Doktor, der aus
einem solchen Vergrößerungsglase sein Dasein zog, gereist und muß das
wissen. Der selige Herr, mein Mynheer, hatte es sich genau überlegt -- er
überlegte sich alles genau -- und sein Vermögen war in den besten Händen.
Er hatte sich vorgenommen, seinen Herrn Bruder auch nach seinem Tode zu
ärgern, und er ärgerte ihn gründlich.«

»Sie sind ein großer Mann, Ceretto!« sagte ich leise, und viel mehr zu mir
selber, als um das meinem Besucher von neuem auszusprechen. Er aber nickte
und fuhr im kläglichen Tone in seinem Berichte fort, um ihn schnell durch
eine Frage zu unterbrechen:

»So lebten wir denn vergnügt hin ... Entschuldigen Sie, haben Sie sich
nicht wie die andern auf der Stelle in die gnädige Frau verliebt?«

»Die gnädige Frau? Frau Christine von Wittum? ... bei allen Fetischen Ihrer
Heimat, lieber Meyer, Sie bringen mich darauf -- es ist eine schöne Frau --
ein schönes Weib! Das aber habe ich freilich schon ziemlich lange gewußt.«

»Sie ist die Hexe in der Geschichte -- aber es ist eine junge und hübsche
Hexe, das muß ihr der Böse lassen; -- die beiden alten Herren aus dem
künstlichen Urwalde fanden das auch bald heraus, und der Herr Autor
Kunemund zuerst.«

»Wieso?«

»Er verließ uns zuerst; das heißt, sie jagte ihn zuerst zur Tür hinaus. Der
Herr Förster Tofote ging erst, als von der Gesellschaft der erste Baum im
Garten niedergehauen wurde, und die neue Straße über die alte Hecke, über
die ich Sie bewillkommnete, sich hinlegte. Der Herr Autor brannte bei
dunkler Nacht durch, aber der Herr Förster ging am hellen Tage, und die
gnädige Frau und das gnädige Fräulein brachten ihn zärtlich zur Eisenbahn,
und ich besorgte ihm sein Gepäck. Es war am besten so, denn den Tag darauf
kamen die Maurer, um das alte Haus im Garten niederzureißen, und im Hause
der gnädigen Frau würde der Herr Förster sich doch wohl ein wenig
unbehaglich gefühlt haben. In dem hundertjährigen Garten aber sind auch
nicht immer unschuldige Kinder- und Schäferspiele aufgeführt, also fort mit
ihm! das war meine Ansicht von der Sache, und da meine Hautfarbe der
gnädigen Frau konvenierte, so blieb ich und ging mit, denn ein Esel war ich
nicht, und in des Meisters Kunemund Dorfe würde ich ein recht liebliches
Dasein gelebt haben, wenn ich da den Tee hätte präsentieren wollen. Also
--«

»Also?« ...

»Bin ich hier und lade freundlichst ein, morgen abend eine Tasse Tee bei
dem gnädigen Fräulein zu trinken und -- wie man hier und da in der Provinz
sagt, mit _uns_ vorlieb zu nehmen.«

»Würden Sie mir raten, die Einladung anzunehmen, Ceretto?« fragte ich
nachdenklich.

»O gewiß! Ich an Ihrer Stelle würde sicherlich hingehen, -- schon des
Herrn Meisters und des seligen Herrn Vaters wegen würde ich mir den Spaß
ansehen. Es ist eine Hauptkomödie! -- in meinem ganzen Leben bin ich noch
nicht so an meinem Platze gewesen, wie jetzo in dieser gegenwärtigen
Kondition. Kommen Sie unter allen Umständen; Sie finden auch sonst bei uns
die schönsten Leute der Stadt, und daß Sie unserer gnädigen Frau nicht
übermorgen einen Heiratsantrag machen werden, davor sind Sie noch gar nicht
sicher; denn wenn die Gnädige ihren Kopf darauf setzt, so darf ich heute
schon gratulieren. Mir ist es mit ihr grade ebenso ergangen.«

»Ceretto?!« stammelte ich, im Gemüte schwankend zwischen Schrecken und
Heiterkeit; aber die letztere siegte ob, und ich rief lachend:

»Ich komme! ich komme! verlassen Sie sich drauf, Sie dunkelfarbiges
Meßungeheuer!«

»Es wird uns eine große Ehre sein,« sprach der Mohr aus dem Bremer
Schüsselkorbe mit der ernsthaftesten Miene; dann aber grinste er in einer
Weise, die die Wand ihm gegenüber hätte anreizen können, dasselbe zu tun
und einen Spalt zu erzeugen, querüber von der Decke bis zum Fußboden. --




Neunzehntes Kapitel.


Ich ließ mich erkundigen, wie es dem Steuermann Schaake gehe, und erhielt
die Antwort: Schlecht! -- Er liege im argen Fieber, berichtete mein Bote,
-- er spreche das tollste Zeug und halte sich meistens auf dem Wasser auf.

Mein Bote selber hatte ihn, von der Tür aus, reden hören.

»Es wird einem ganz schwindlig dabei zumute,« sagte er. Der alte
Hafenkapitän aber hatte geweint und ließ sagen: wenn es mir möglich wäre,
so würde es ein Trost im Hofe sein, wenn ich noch einmal im Laufe des Tages
vorsprechen wolle.

Ich ging am Nachmittage und ging ebenfalls aus der »langweiligen
Dasselbigkeit des Daseins«, aus der Trivialität der Werkeltagswelt und des
Alltagslebens hinaus auf die hohe -- hohe See.

Und sie kamen in langgezogenen weich-gewaltig sich rundenden und
majestätisch vornüberbrechenden Wogen heran, die großen Wasser. Sie wälzten
sich eine nach der andern her gegen das Ufer jener Dasselbigkeit, von der
Marina spricht; aber es war eine Täuschung, daß die Wellen den, der sich in
sie eintauchte, freudiger und lustiger an diesen langweiligen Strand
zurückbringen würden. Die bittern Wasser zogen dem Lebendigen die Füße vom
Boden weg, hoben und trugen ihn -- aber sie spielten mit ihm; nicht er mit
ihnen! -- nur die Leichen und Trümmer kamen zurück an den Strand.

Es war heiß in den Gassen der Stadt, aber kühl in dem dunkeln
mittelalterlichen Hofe, in welchem der Steuermann von der See träumte. Ich
saß am Bette des fiebernden Kranken zu Häupten, die Muhme zu Füßen, und
sie, die dem braven Schiffsmann so oft, seinen guten, sichern, behaglichen
Ankerplatz hinter dem Hafendamm angewiesen hatte, sie hatte die Schürze
über den Kopf gezogen und den Mut verloren.

Es hatte sich in der Tat mit dem armen Karl verschlimmert. Die Ärzte
sagten das, was sie zu sagen hatten, mit dem bekannten gedämpften Tone. Sie
hatten wenig Aussicht, ihren Patienten am Leben zu erhalten, und
gestatteten sich bereits vor der Tür die Bemerkung, daß dieser Mann von
Rechts wegen eigentlich nicht auf dem Lande und zwar so tief im Binnenlande
hätte begraben werden sollen. Es war eine naheliegende Bemerkung. --

Der Verwundete erkannte mich noch; er hatte mir die heiße Hand
entgegengestreckt und gerufen:

»Das ist schön! Nun was sagen Sie aber? das Schiff ist klariert bei Zoll-
und Hafenbehörde; -- alles fertig -- mit der Ebbe seewärts, und -- hoffe,
Maat, daß Sie nicht ausspucken werden, wie ein Chinese, wenn er eine
Sternschnuppe sieht.«

Ich sagte natürlich etwas Angemessenes; aber der Kranke, von einer neuen
Welle weiter von mir weggezogen, schüttelte heftig den Kopf:

»Da! ich sagte es doch, -- steif aus Norden. Leichte Segel fest! da haben
wir's -- große Royalrah zum Teufel. Wie gut, daß _sie_ es so gut am Lande,
im Walde hat, -- wenn ich nur des Alten Hunde noch einmal in der Ferne
hinter den Büschen anschlagen hören könnte!.. Was?.. und das schon die
Berge von Ceylon?... eben klarste Kimmung und bezogene Luft im Augenblicke
drauf! Der Teufel werde klug aus dem Wetter, daß man den Wald vor Bäumen
nicht sieht, wie der Meister Autor sagt.«

Nun erkannte er mich wieder und rief, das letzte Wort aus seinen Phantasien
mithernehmend:

»Es ist doch schön im Walde, in dem alten Hause bei dem Tofote -- man muß
die See befahren haben, um das auszufinden. =Ay, Sir=, aber Gertrud --
unser Trudchen, unser Trudchen, kennen Sie unser Trudchen Tofote? Sie haben
mir gesagt, der Herr Förster sei gestorben; aber das ist bloß der Nebel auf
dem Meer -- die bezogene Luft -- sehen Sie, Kapitän, wie ich es gesagt habe
-- gegen Abend schönes Wetter, abnehmender Seegang, leichte ebene Brise und
-- da stehen wir dicht unter der Küste von Travancore, es wird sich schon
machen, Supercargo, daß wir auch Arabien noch einmal im Mondschein liegen
sehen.«

»Nun hören Sie ihn nur! Haben Sie ihn gehört?« flüsterte die Muhme Schaake
in einer Pause, während welcher der Kranke unruhig hinschlummerte. Ich aber
nahm jetzt die Hand der Greisin und hielt sie stumm fest; der Kranke fing
bald wieder an, von neuem zu reden.

»In Arabien erzählt man Geschichten; die Bücher von den tausend Nächten
sind daher, sagt man. =Damn=, die Korallenbänke und blinden Klippen! die
ganze Küste von Aden soll zur Hölle fahren! Nicht wahr, Herr, die Gertrud
kommt so her wie aus dem arabischen Märchen und -- Mynheer -- van Kunemund
auch; -- wir gingen alle in den schönen Garten -- Schiff glatt vor dem
Winde unter beiden Marssegeln, und wäre der Stein der Abnahme nicht
gewesen, so hätt' mir kein größerer Spaß widerfahren können. Hab' ich's
nicht gesagt, Kapitän? von Aden an Sturm, -- da haben wir's, und das
Kajütendeck fängt sofort an zu lecken -- warmes Regenwasser in den Grog --
und da -- Bab el Mandeb -- das Tor des Todes!... ich wollte, wir säßen
sicher auf dem Lande und wär's auch bei Dscheddah in der Wüste auf Mutter
Evas Grabe!«

»Das muß man nun anhören!« klagte die Muhme Schaake. »Von Mutter Evas
Grabe hat er die letzten Tage durch alle Augenblicke angefangen zu
sprechen. Er muß wohl einmal dagewesen sein; -- o lieber Herr, manchmal hat
er während der letzten Tage fürchterlich auf die Weiber geschimpft, der
arme Junge. Ich habe es ihm für meine Part nicht übelgenommen, von mir
mochte er sagen, was er wollte; aber er muß uns auch wohl von allen Farben
gesehen haben -- schwarz und gelb und braun -- von den melierten und den
weißen gar nicht zu reden.«

Der Kranke lachte jetzt in seinem Fieber; es mußte doch wohl etwas von den
Worten der Greisin sich in seinem Bewußtsein festgehäkelt haben; er sprach
aber weiter nichts, sondern fiel in einen etwas festern Schlummer.

»Es wäre arg gewesen, Frau Schaake, wenn er von Ihnen etwas Böses hätte
sagen wollen,« bemerkte ich, jedoch ein wenig zerstreut, denn -- bei Mutter
Evas Grabe, ich sah plötzlich die Hexe vor mir -- ja die Hexe im Märchen --
hübsch, jung, wohlhabend und lebensfroh, und ich dachte daran, daß sie mich
auf morgen abend zum Tee eingeladen, und daß ich dem Zaubermohr Signor
Ceretto Wichselmeyer aus Bremen versprochen habe, zu kommen.

Eine ziemliche Zeit saßen wir einander nun stumm gegenüber, die alte Frau
und ich, und horchten den keuchenden Atemzügen des Verwundeten. Dann
flüsterte die Greisin:

»Und den Kunemund versteh' ich doch nicht. Jetzt müßte er doch Ihren Brief
längst erhalten haben.«

Ich konnte nur die Achseln zucken:

»Man weiß eben nie, was anderen Leuten passierte, während das Schicksal
einem selber in das Nackenhaar griff. Wenn der Meister morgen nicht kommt,
werde ich zu ihm gehen.«

»Oh, Herr, wenn Sie das tun wollten!« rief die Alte. »Sie verdienten sich
einen Gotteslohn an uns. Wenn einer dem armen Karl noch ein gutes Wort
sagen könnte, so ist das der Autor Kunemund. Nach uns Weibern hat der Junge
von keinem Menschen soviel in seiner Abwesenheit gesprochen, als von dem
Kunemund. Sehen Sie, es ist so gut von Ihnen, daß Sie doch ganz von selber
darauf gekommen sind, -- von meiner Seite wäre es zu unverschämt gewesen,
Sie darum anzugehen.«

Ich wies diese gute Meinung natürlich mit Wort und Gestus weit von mir.

»Dick mit Regen! wenn es gegen Abend nicht abklart, kriegen wir eine harte
Sturmböe dicht vor dem Ankerplatz; -- werden uns dem Hafenmeister mit allen
Segeln in Fetzen präsentieren!« rief der Steuermann, und die Alte mit dem
Schürzenzipfel wieder vor den strömenden blauen Wunderaugen flüsterte:

»Da spricht er wieder von mir! O Gott, zu solchem Elend so alt werden zu
müssen!«

Ich ging bald, und saß den Abend noch eine Stunde im Theater und sah den
geharnischten Geist des alten Dänemark über die Bretter schreiten, hörte
das: Sein oder Nichtsein -- sah die Komödie in der Komödie, aber sie
spielten und sprachen alle mit falschem Pathos und verrenkten Gliedmaßen,
und die ganze Geschichte kam mir entsetzlich einfältig vor. Wer hebt die
Gärten, die uns versinken, wieder herauf aus der Tiefe? --




Zwanzigstes Kapitel.


Also die Hexe -- die Hexe im Märchen, die junge schöne Witwe eines wahrlich
nicht sehr jung gestorbenen Ogers oder kleinstaatlich juristischen
Menschenfressers freute sich auf mein Kommen!? Sie, die den Vetter Vollrad
herbeschieden hatte, um ihren letzten Fang, das dumme Gänschen Trudchen
Tofote und die Erbschaft Mynheers van Kunemund zu heiraten.

Der Mohr hatte es gesagt, und mir träumten in der Nacht, die diesem
Teeabende voraufging, fast ebenso sonderbare Dinge wie dem Steuermann
Schaake in seinem Wundfieber; ich werde mich aber wohl hüten, das, was ich
sah, hörte und sagte, hier der Welt kundzumachen. Als die Hexe noch eine
Jungfrau war, kaum aus dem Backfischalter herausgewachsen, war sie mir
schon einmal quer über den Weg gelaufen; und gute Gesellen, treue
Kameraden, die sie damals bereits besser kannten, als ich heute, hatten
mich natürlich weniger vor ihr gewarnt, als ihren Spaß an der Verzückung
gehabt, in welche sie mich versetzte.

Und neulich hatte sie ebenso selbstverständlich nicht das mindeste von mir
gewußt, hatte sich meinen Namen nennen lassen, und nur durch eine dem
ganzen übrigen Universo unverständliche Fächerbewegung merken lassen, daß
-- sie mich sehr wohl kenne, daß ich ein guter alter Bekannter von ihr sei.

Die schöne Sonne des neuen Sommertags war wiederum untergegangen, und ich
verfügte mich nach der Höhle der Hexe, die natürlich nicht in der Mitte des
Zauberwaldes der alten Stadt gelegen war, sondern in ihrem modernsten
Quartiere.

Ich hatte aber die alte Stadt zu durchschreiten, und da mich mein Weg an
dem Cyriacushofe vorüberführte, so trat ich auch jetzt ein, um wenigstens
an der Tür Erkundigung über den Kranken einzuholen. Ich traf den Wundarzt
an der Tür, und er strich auf meine Frage glatt vor sich hin durch die
Luft, was soviel heißen sollte, als: O, er ist auf gutem Wege, unter den
irdischen Behörden kennen wir vom Fach keine, die ihn aufhalten könnte; der
Stadtphysikus ist ganz meiner Meinung.

Dabei fühlte der Mann nach seinem Handwerkszeug in der Brusttasche und
ging: ich aber hörte von der Tür -- wie gesagt -- aus, wie der Steuermann
mit klarer Stimme rief:

»Da haben wir die rote Tonne!« und dann den Lotsengruß:

»Willkommen in See!«

Ich wich zurück, ohne die Base Schaake begrüßt zu haben; ich traute mir
nicht recht, ihr in meinem Gesellschaftsanzuge die Hand zu geben. Ich kann
nicht sagen, ob ich mich richtig und verständlich ausdrücke; aber die
Sorgfalt, die ich auf meine Toilette verwendet hatte, hinderte mich: ich
kam mir zu gleicher Zeit abgeschmackt und allzu begräbnismäßig frisiert
vor. In ziemlich unbehaglicher Stimmung rief ich eine Droschke an und fuhr
weiter, von nun an mich ein wenig mehr mit der Tochter des Försters Arend
Tofote als mit der Frau Christine von Wittum beschäftigend -- wenigstens
bis zum Anhalten des Wagens und während des ersten Teiles des Abends.

Es sahen mir sehr hell erleuchtete Fenster in der Abenddämmerung entgegen,
und das erhob auch meine Lebensgeister wieder etwas; da jede veränderte
Dekoration und vor allem eine ins Freundliche und Helle veränderte
Bühnenbekleidung in Verbindung mit Zeit- und Ortswechsel auf das
vergrillteste Gemüt Wunder zu wirken vermag, -- was ich übrigens hier
durchaus als keine ganz neue Erfahrung vorführe.

Auf dem Balkon stand eine hellgekleidete Dame, die jedoch zurückwich, als
ich aus dem Wagen stieg. Auf der Treppe wurde ich von meinem alten
schwarzen Freunde begrüßt.

»Da sind Sie also! Na, dann gehen Sie nur hinein; Sie kommen früh, und das
ist recht hübsch von Ihnen. Das Kind finden Sie in einer merkwürdig weichen
Stimmung; aber die andere in ihrer richtigen Laune.«

Er war mir voran gewatschelt, hatte mir die Tür geöffnet, und nach einem
Augenblick stand ich abermals vor der Tochter des Försters Tofote in einem
ziemlich geräumigen, glänzenden, von einer Gaskrone tageshelle erleuchteten
Gemache. Ganz reizend sah das junge Mädchen in ihrer bunten, blendenden,
aber durch das verschiedenartige Grün vieler kunstvoll zusammengestellter
künstlicher Gärtnergewächse gesänftigten Umgebung aus, und einen Moment
lang verstand ich einmal wieder den Meister Autor, der sie doch auch wohl
in einer solchen Umgebung gesehen hatte, nicht mehr.

»Dieser Herr Vollrad von Wittum wär ein Urnarr, wenn er nicht bleiben
würde,« sagte ich in der Tiefe meiner Seele, als das Fräulein mir
entgegentrat, mir die Hand bot und sagte:

»Es ist sehr freundlich, daß Sie meine -- unsere Einladung nicht
ablehnten.«

»Haben Sie das glauben können, gnädiges Fräulein?«

Es war eine etwas heiße Hand, die sich in die meinige legte, und das Kind
sah ein wenig angegriffen aus; auch ein etwas unbehagliches Zucken spielte
durch das Lächeln, in welchem Gertrude meinte:

»Man hat jetzt so wenig Zeit. Jedermann ist so sehr beschäftigt -- so sehr
in Anspruch genommen. Nur wir -- haben immer Zeit.«

»Wer wir, mein Fräulein?«

»Ich!« sagte das Waldfräulein. »Ich habe Zeit -- o, ich habe viele Zeit!«

»In diesem bunten Dasein?«

»Ja, in diesem bunten Dasein. Wollen wir uns nicht setzen? wir sind noch
allein, -- die übrigen Herrschaften, welche die Freundin lud --«

Die Elfe vollendete ihren Satz nicht, und wir setzten uns, und zwar in
einen weich ausgepolsterten Winkel eines zierlichen Nebengemaches, das nur
durch eine einzige aus einem Lilienkelche züngelnde Flamme erhellt wurde.
Da fand ich denn bald im Laufe des Gespräches, daß sie beide lebten wie sie
mußten -- der Meister Autor Kunemund sowohl wie Gertrud Tofote, und daß der
Garten versunken war, wie die Gärten eben versinken; der Garten Mynheers
van Kunemund ganz beiseite gelassen. --

Wir unterhielten uns über dieses und jenes, und da das Trudchen schon seit
längerer Zeit daran gewöhnt war, von den Herren unterhalten zu werden, so
tat auch ich das Meinige, leider jedoch ohne sie zu dem gewöhnlichen
Gesellschaftslächeln bringen zu können. Ich erzählte von meinem Briefe an
den Oheim Autor, und wie es uns so sonderbar erscheinen müsse, daß wir bis
jetzt noch keine Antwort darauf erhielten. Ich berichtete, daß ich nunmehr
morgen selber zu dem Meister fahren werde, um mich persönlich nach den
Gründen seines sonderbaren Betragens zu erkundigen, und die Elfe sagte:

»Er hat vielleicht wieder etwas übelgenommen!«

»Den angenehmen Zug kenne ich noch gar nicht an ihm,« erwiderte ich
hierauf. »Nimmt der gute Mann wirklich so leicht irgend etwas übel,
Fräulein?«

»O -- nein,« stotterte die Waldelfe, »andern Leuten nicht; aber -- aber
mir. Er weiß sich so schwer in die selbstverständlichsten Dinge zu finden,
und wenn das auch nicht ganz seine Schuld ist, so kann ich doch auch nicht
einzig und allein dafür. O Gott, ich wollte gleichfalls, es wäre manches
anders in der Welt!«

»Wer wünschte das nicht, mein Fräulein?« rief ich höflich, und dann wurden
wir sehr philosophisch und trugen uns einander die tiefsten Wahrheiten, die
urälteste Kinderweisheit der Welt in den urältesten Fassungen,
Redewendungen und Sprichwörtern vor, bis uns auf einmal aller fester Boden
unter den Füßen weg und abhanden gekommen war, und wir die See -- den
Himmel und das Wasser um uns hatten, wie der Steuermann Karl Schaake in
seinen Fieberphantasien.

»Ja, es war ein guter Junge, und ich hatte ihn sehr gern!« flüsterte
Trudchen Tofote. »Er war zu Hause mein bester Spielkamerad, und er tut mir
so leid, so sehr leid! Wäre ich auch ein Junge gewesen, so hätte ich mit
ihm aufs Schiff gehen können; aber wir machen uns ja nicht selber, und
jetzt bin ich in einem eben solchen Wirbel, wie er, wenn er von einem
seiner schlimmsten Wirbelwinde und Stürme erzählte, wenn er nachher vom
Schiffe einmal wieder zu uns nach Hause in den Wald kam.«

Es kam mir vor, als spüre ich einen Hauch aus dem Walde im Gesicht und auf
der Brust. Die Frau Christine würde die Ausdrucksweise ihrer jungen
Schutzbefohlenen wahrscheinlich nicht ganz haben gelten lassen; aber ich
entnahm daraus einige Erfrischung, indem ich mir jetzt mit einem schwülen
Seufzer sagte:

»Ja, was kann denn das Kind eigentlich dafür? Wer will denn grade von
diesem kleinen Mädchen verlangen, daß es das Universum über den Haufen
werfe, indem es ein Glied in der Kette seiner Entwicklung überspringe?«

Wir sprachen nun davon, wie liebenswürdig und gutmütig die Frau Christine
von Wittum sei, und was alles das Trudchen ihr zu verdanken habe; von dem
Vetter Vollrad sprachen wir freilich nicht. So tief waren wir in unserm
Schlupfwinkelchen nach und nach in unser Gespräch hineingeraten, daß wir
gar nicht gemerkt hatten, wie sich die Gemächer jenseits des purpurnen
Türvorhanges allmählich mit den übrigen Gästen gefüllt hatten, und daß
unter denselben der Vetter wahrscheinlich auch bereits wieder gegenwärtig
war.

Wir sollten aber jetzt darauf aufmerksam gemacht werden; denn eben hatte
ich gesagt: »Aber mein Fräulein -- mein liebes Kind, weinen Sie doch nicht!
ich bitte Sie dringend, weinen Sie doch nicht so sehr!« als der rote
Vorhang plötzlich zurückgeschoben wurde, die schöne, schlimme, lustige Hexe
-- die gnädige Frau in einer Flut von blendendem Licht, begleitet von dem
lustigsten Stimmengewirr, auf der Schwelle erschien und fröhlich rief:

»Ich habe es wahrhaftig lange genug ertragen, aber jetzt ist meine Geduld
zu Ende, und ich ertrage es nicht länger. Ich habe euch Zeit gelassen, euch
gegeneinander auszusprechen, doch jetzt beanspruche auch ich mein Recht.
Ja, mein Herr, wir wollen auch unser Recht haben, -- wir!«

Ich war mit einer Verneigung aufgesprungen, und sie, die Hexe, lachte und
sah wundervoll aus in ihrer üppigen, reifen Schönheit. Das bleiche,
nachdenkliche Liebchen, das bis jetzt neben mir gesessen hatte, hatte aber
das Taschentuch auf das Gesicht gedrückt und war hastig durch eine
Seitenpforte entschlüpft. Was blieb mir übrig, als der Frau Christine den
Arm zu bieten und mit ihr in den mit fast sämtlichen geladenen Gästen
angefüllten Salon zu treten? Es war ein in seiner Raschheit etwas
peinlicher Übergang aus der Dämmerung in die glänzendste Helle; aber es war
doch ein Vergnügen -- ein gar nicht zu verachtender Genuß.

»Es ist zu drollig,« lachte die Hexe, »da sitzen sie wie ein Liebenspaar,
diese zwei Menschen, zwischen denen ein Ozean von Langeweile fließt! Was
haben Sie denn eigentlich miteinander gemein, Sie und mein Töchterchen?
Etwa die nämliche Anlage zum kläglichen oder verlegenen Anstarren des
Lebens? Ja, ja, wir andern harmlosen Wesen treiben uns um, wie wir können,
und nehmen jedes Ding und jegliche Bedeutung der Dinge, wie sich das
augenblicklich geben will; aber diese beiden behandeln jeden Stuhl,
Blumentopf, Glockenzug und Bedienten symbolisch und knüpfen eine Parabel
daran, selbst auf die Gefahr hin, sich nachher selber aufzuhängen; -- o,
ich kenne das. Nicht wahr, mein melancholischer tiefsinniger Ritter, es war
die höchste Zeit, daß wenigstens für diesen Abend eine verständige Frau dem
Trübsal ein Ende machte?«

Wenn ich das rechte Wort zur Hand gehabt hätte, würde ich es nur zu gern
hingegeben haben, -- aber sie hatte recht, die Hexe -- in diesem Moment
gaffte ich in der Tat die Welt in einiger Verlegenheit an, und so verbeugte
ich mich wiederum mit einem freundlich zustimmenden Lächeln, bot der Dame
den Arm, und wir traten in das Gesellschaftszimmer.

Darin war es recht lebendig, und wenn man eben noch nichts zu sagen gewußt
hatte, so konnte man wirklich sich um so mehr darüber verwundern, wieviel
doch Tag für Tag auf Erden vorging, worüber sich reden ließ. Selbst
diejenigen, welche sich gleichfalls stumm verhielten, hielten den Mund nur
in der festen Überzeugung, daß sie sich nur deshalb still langweilten, weil
sie eben noch Mehreres und Wichtigeres als die übrigen Herrschaften erlebt
und tiefer darüber nachzudenken hätten.

Ach, die Frau Christine von Wittum war eine ausgezeichnete Wirtin, sie
wußte es so ziemlich allen ihren Gästen behaglich zu machen, und mir machte
sie es sogar gemütlich. Gertrud Tofote blieb verschwunden; aber Herr
Vollrad von Wittum war vorhanden, und erwies sich als gar kein übler
Mensch, -- wenigstens was die Hauptsachen, das Gemüt und das Herz anbetraf.
Seinen Geist nahm die Hexe klugerweise selber durchaus nicht in Schutz.

»Was wollen Sie?« sagte sie. »Kann er denn etwas dafür, daß er noch nicht
Geheimer Rat ist und es wahrscheinlich auch nie wird?«

Dagegen ließ sich wiederum nicht das geringste einwenden, doch diesmal
mußte ich bereits laut und herzlich lachen; und die Hexe, die schöne,
ebenfalls lachende Hexe meinte:

»Sehen Sie, ich habe es gewußt, daß es Ihnen endlich bei mir gefallen
würde! =Duc ad me! Duc ad me! Duc ad me!= Sie wissen doch, daß das eine
griechische Beschwörung ist, um Narren in einen Kreis zu bannen? Seinerzeit
gebrauchte sie der melancholische Jacques gegen die Herren des vertriebenen
Herzogs im Ardennenwalde mit Erfolg, heute benutze ich sie. Wissen Sie,
Herr von Schmidt, der Zauber ist eben unter uns Frauen leise von Mund zu
Munde gegeben worden, und so bis auf den heutigen Tag und diese Minute
gekommen: =Duc ad me!=«

Wenn ich das nicht gewußt hatte, so mußte es mir jetzt ganz und gar klar
werden. Und sie spann ihre Gespinste schnell, schnellstens weiter -- die
golddurchwebten Purpurfäden, die sich um die Seele legen, leise,
unmerklich, einer nach dem andern, bis die arme =animula=, die =vagula=,
=blandula= kein Glied mehr regen kann, die prächtige Blutsaugerin nach Muße
und Appetit das Ding aussaugen mag, um nach Belieben die leere Hülse im
Busch und Gewebe hängen zu lassen, daß eine neue Schmetterlingsgeneration
in einem neuen Frühlinge sich über sie verwundere und lache.

Von Zeit zu Zeit ging der Schwarze, der vor so manchem Meßraritätenzelt in
die Trompete gestoßen oder durch das Sprachrohr gebrüllt hatte, durch den
Saal, oder schielte um eine Ecke oder hinter einem Vorhang hervor. Er
grinste jedesmal, wenn mein Auge das seine traf, und ich vermied das
zuletzt soviel als möglich. Da wendete er denn ein ander Mittel an, und als
die gnädige Frau sich wieder einmal in einer andern Ecke des Gemaches sehr
liebenswürdig zeigte, brachte er einen Präsentierteller mit irgendeinem
angenehmen Getränke und flüsterte mir dabei zu:

»Nun? haben Sie es ihr gesagt?«

»Ich glaube wohl,« murmelte ich, eines der Gläser nehmend, um es ihm
»symbolisch« an den schwarzweißen Wollkopf zu werfen.

»Haben Sie es beiden gesagt?«

»Nun, eine von ihnen hat es mehr mir gesagt!« murmelte ich weiter, »und --«

»Sehen Sie wohl! Was habe _ich_ Ihnen gesagt?« flüsterte Signor Ceretto
entzückt über seine geistige Begabung und scharfsinnige Lebensauffassung,
während ich lächelnd mich immer heftiger über die Impertinenz des schwarzen
Gesellen ärgerte, der doch nur ein einfacher, zum Bedienten avancierter
Meßfratz war und sich doch herausnahm, mich, seine Herrin, seine beiden
schönen weißen Herrinnen -- uns alle zu übersehen.

Da sich Gertrud noch immer nicht wieder blicken ließ, so mischte ich mich
nunmehr auch mehr in das Kreisen der Gesellschaft, begrüßte und unterhielt
mich aufs freundlichste mit Herrn Vollrad von Wittum, und erlebte noch
etwas höchst Sonderbares.

Man unterhielt sich natürlich über mancherlei; außer den Tagesneuigkeiten
wurden Politik, Wissenschaft und Kunst herangezogen und manchesmal sogar an
den Haaren. Vorzüglich hielt ein ältlicher, behäbiger Herr stets einen
Kreis von Zuhörern und Interlokutoren in gespannter Aufmerksamkeit um sich
fest, und auch ich trat zu diesem Kreise, nachdem mir eben die Frau
Christine zugerufen hatte:

»Ich muß mich doch wohl einmal nach meinem Kinde umschauen. Sie scheinen
ihr böse Dinge gesagt und ihr die Stimmung recht gründlich verdorben zu
haben, mein Herr.«

Ich hatte die Achseln gezuckt, und sie war entrauscht; aus der Mitte des
Ringes aber, der sich um jenen Herrn gebildet hatte, rief Herr Vollrad von
Wittum:

»Das ist in der Tat außerordentlich interessant!« --

Was war interessant? Mir alles, was dem Herrn Vollrad außerordentlich und
außergewöhnlich erschien, und so sah ich denn ebenfalls, einer
wohlbeleibten Dame über die Schulter blickend, meinerseits das an, was eben
unter den Damen von Hand zu Hand ging, und unterdrückte mit Mühe einen
hellen Ausruf des heftigsten Erstaunens:

»Der Stein der Abnahme!«

Bei allen Göttern und Göttinnen, Geistern und Geistinnen der Unterwelt und
des Zwischenreiches, da war es wieder, dieses geheimnisvolle Amulet, das
einst der Leichtmatrose Karl Schaake im Hause Mynheers van Kunemund in der
Hand gehalten, mir gedeutet und auf meinen Rat und meine Verantwortung aus
dem Fenster ins Wasser geworfen hatte! Da war es wieder, und mir war's, als
gehe ein unheimlich fahler Schein von ihm aus; und sein jetziger Besitzer
nannte es, wie Herr Vollrad von Wittum: ungemein interessant und seinen
Fundort fast noch interessanter, und das war er auch, das letztere freilich
mehr für den augenblicklichen Inhaber.

»Dieser Gegenstand, meine Herrschaften, ist kürzlich, das heißt vor einigen
Jahren beim Bau einer neuen Straße unserer Stadt in einem trockengelegten
Wassertümpel gefunden worden,« erzählte der glückliche Besitzer und
Sachverständige, »und mir in mehr als einer Beziehung ungemein wichtig.
Erstens wie kommt dieses seltene Artefakt gerade dorthin -- an diesen
seinen jetzigen Fundort?«

Die Damen wußten es nicht, die Herren auch nicht, gaben sich jedoch die
Mühe, nachdenklich auszusehen; was mich anbetraf, so hielt ich mich
selbstverständlich ruhig und ließ die Gesellschaft raten.

»Es bezeugt unbedingt, wie so manches andere, den weitesten Weltverkehr
unseres Gemeinwesens im Mittelalter,« sprach triumphierend bescheiden der
archäologische Sachverständige. »Aus den Händen hanseatischer Schiffer ist
es jedenfalls einmal in den Besitz und die Sammlung irgendeines
kunstsinnigen Patriziers der Stadt übergegangen, und --«

»Dem einmal gestohlen, oder aus dem Fenster in den Teich gefallen,« meinte
Herr Vollrad von Wittum.

»Wahrscheinlich,« erwiderte der Besitzer etwas trocken, »lassen wir das
doch dahingestellt sein; denn zweitens ist der Gegenstand auch schon an und
für sich sehr merkwürdig. Die Hand, welche diesen Stein modellierte,
stellte das Produkt unbedingt nicht als ein Objekt des Handels oder
Tausches her, sondern --«

»Sondern?« rief ich im höchsten Grade auf die Erklärung gespannt.

»Sondern wir haben es hier mit einem sozusagen streng
hieratisch-domestikalen Amulet -- arabisch =hamala= -- zu tun.«

»Was Sie sagen?!« rief ich unwillkürlich über die Schulter der noch immer
vor mir stehenden und sich gleichfalls wundernden Dame.

»Gewiß, mein Bester! Es ist ein streng domestikal-hieratischer Zauber --
ein glückbringender Zauber, den die Braut dem Bräutigam am Polterabend --
auch dort und damals kannte und kennt man den Polterabend, meine Damen --
in die Tasche schiebt, und den der Ehemann nachher bei Tage und bei Nacht
unter seinem Kopfkissen verwahrt, oder in gefahrdrohenden Zeiten im
verstecktesten Winkel seines Hauses -- seiner Bambushütte. Sie nennen das
den Apfel des Glückes, und ich jedenfalls bin glücklich, ihn in meinen
Besitz gebracht zu haben, meine Herrschaften.«

»Und bitte, Herr Professor,« fragte die vor mir stehende Dame lächelnd, »da
Sie ja auch verheiratet sind, so werden Sie diesen eigentümlichen Zauber
jetzt wahrscheinlich auch in Ihrem eigenen Hauswesen benutzen, -- nicht
wahr? Wie geht es denn unserer guten Charlotte? ich habe mich den ganzen
Abend vergeblich nach ihr umgesehen.«

»Abhaltung, meine Gnädige -- eine sehr große Wäsche, und sonstiger
mannigfaltiger häuslicher Verdruß,« stotterte der Gelehrte, und jetzt
lächelte der ganze Kreis, und trotz allem konnte ich nicht umhin, mit zu
lächeln.

»Mein verehrter Herr,« wendete sich Herr Vollrad an den Besitzer des
Apfels des Glückes. »Sie legen einen großen Wert auf dieses geheimnisvolle
Amulet und das mit vollem Rechte, aber wenn Sie ahnen könnten, welchen Wert
ich unter Umständen darauf legen könnte, so würden Sie gewiß nicht
anstehen, mir es abzulassen oder auszutauschen. Sie wissen, daß ich als
Erbe eines verrückten, gleichfalls archäologischen Onkels in den Besitz
einer Kollektion von Intaglien gekom --«

»Ich weiß das freilich, aber ich muß in diesem Falle doch herzlich und
freundlich danken,« erwiderte der würdige Inhaber des Apfels des Glücks ein
wenig sehr verdrießlich und sich dabei hastig nach der Hand umsehend, in
welcher sich sein Schatz augenblicklich befand. Die gutmütige, behagliche
Dame, die sich soeben so teilnehmend nach dem Befinden und Verbleiben der
Frau Professorin erkundigte, hatte das Ding, ohne es viel zu betrachten,
mir gereicht, und ich hielt es und besah es von neuem sehr genau. In
demselben Augenblick schritt die Hexe wiederum durch den Saal, trat in
einiger Aufregung an mich heran und flüsterte mit hastig-energischer
Betonung:

»Es ist eigentümlich, und ich verstehe das nicht recht, so viele Mühe ich
mir geben mag. Sie ist nirgends zu finden, und der Bediente sagt, man habe
ihr ein Billett gebracht, worüber sie heftig erschrocken sei, und dann habe
sie in großer Bewegung mit dem Neger, dem Ceretto, hin und her verhandelt,
und in seiner Begleitung das Haus verlassen! Wie weit fühlen Sie sich für
diese Vorgänge mir verantwortlich, mein Herr?«




Einundzwanzigstes Kapitel.


Ich gab rasch den Apfel des Glückes zurück in die Hand des Professors, der
ihn schnell, zärtlich und vorsichtig wieder in seine Hülle von Seidenpapier
einwickelte und in der Brusttasche seines Frackes barg. Der würdige
gelehrte Herr hatte uns seinen Vortrag gehalten, wußte ganz genau, was das
Ding bedeute, und mochte also die Folgen seines Besitzes tragen.

»Sie haben die Hand in alledem! leugnen Sie es nicht!« flüsterte mir die
schöne Hexe scharf zwischen den Zähnen durch ins Ohr, und ich hatte mich zu
sammeln, ehe ich imstande war, es unter nachdrücklichstem Kopfschütteln in
der Tat zu leugnen.

»Dann begreife ich nichts davon!« rief die Frau Christine. »Aber wenn ich
nicht dieses dumme Volk, das ich mir jetzt zu meinem Verdruß auf den Hals
geladen habe, anzulächeln und zu unterhalten hätte, so wüßte ich wohl, was
ich tun würde.«

»Und was würden Sie tun, Gnädigste?«

»Ich würde einen Mondscheinspaziergang wie die alberne Dirne, das Trudchen,
die Gertrud machen, und -- Sie zur Begleitung mit mir nehmen.«

»Ach! würden Sie?... Ja, aber beste Frau, dann bitte ich doch meinerseits
um Aufschluß über das Verschwinden unserer kleinen Freundin. Gnädigste, Sie
wissen es, wohin das Kind gegangen ist, seinerseits meinen Freund, Ihren
Mohren Ceretto, als Begleiter mit sich führend.«

»Wohin Sie es doch geschickt haben!« zischelte die Hexe böse, wendete sich,
trat zum Professor und bat lieblichst lächelnd:

»Teurer Freund, was habe ich versäumen müssen? Ist es gar nicht möglich,
daß ich es noch nachhole? O bitte, bitte, jetzt lassen Sie mich doch auch
betrachten, was Sie vorhin den Herrschaften zeigten. Wahrhaftig,
Doktorchen, ein Kreis, der Sie nicht in sich schließt, entbehrt seiner
besten Zierde, wie ein Kranz, in dem die Rose fehlt.«

Es war ein Glück, daß »unsere gute Charlotte«, durch ihre große Wäsche im
Hause festgehalten, das wonnige Lächeln nicht sah, mit welchem der Gelehrte
sich vor seiner schönen Wirtin neigte, das selige Behagen, mit welchem er
seinen hieratischen Glücksapfel von neuem aus der Fracktasche und dem
Seidenpapier hervorholte. Ich aber verlor mich aus dem zierlichen Getümmel,
nachdem ich mich möglichst in demselben verloren hatte. Ich machte den
Mondscheingang, den die wundervolle Hexe leider oder auch vielleicht
glücklicherweise anzutreten nicht imstande war -- weil -- sie ihre Gäste
anzulächeln hatte. --

Er war den Gaskronen und den aus Glaslilienkelchen leuchtenden Flammen zum
Trotz aufgegangen, der Mond, der deutsche Mond, und schien voll und rund
auf die Dächer und in die Gassen der alten Stadt, sowie auf ihre neuen,
modernen Teile. Daß das Haus der Hexe in der allermodernsten Vorstadt lag,
verstand sich von selber, und jetzo lag es auch hell im hellsten
Mondenschein, oder wenn man will, romantisierten Sonnenschein: es mußte ein
ausgezeichnet verständiger, klarer Tag auf dem Monde herrschen und das
Wetter dort himmlisch vernünftig sein. Die andere Seite der
»Promenadenstraße« lag natürlich tief im Schatten, und ich trat schnell in
diesen Schatten hinein, sah auf die roten Fenstervorhänge in der Höhe,
schüttelte den Kopf und seufzte:

»Und es ist doch eines der herrlichsten Weiber, welches je einen Ballsaal
verzaubert, einen alten Ehemann begraben und einen vernünftigen Menschen in
den besten Jahren gründlich um seine Kaltblütigkeit und alle ruhige
Überlegung gebracht hat!« Ich hätte beinahe hinzugesetzt »unglücklich
gemacht hat«, erfaßte jedoch glücklicherweise im letzten Augenblick noch
einen Binsenhalm und versank wenigstens nicht in diesen Abgrund der
Lächerlichkeit, entfernte mich jedoch mit den weitesten Schritten eilig von
seinem Rande.

Ich lief durch das Gebüsch und um die Blumenbeete der städtischen Anlagen
bis dahin, wo sich die begleitenden Häuserreihen dem Bahnhofe zu
erstrecken.

Es war noch ein später Zug angelangt. Gasthofswagen und Droschken rollten
an mir vorbei; Reisende in Gruppen oder einzeln wanderten mit ihrem Gepäck,
ohne solches, oder in Begleitung von Packträgern in die Stadt hinein. Die
Nacht schien von Minute zu Minute lieblicher werden zu wollen, und um das
letzte Rasenrund und Blumenbeet am Eingange der eigentlichen Straßen
biegend, traf ich auf den letzten Reisenden, der in der soeben
geschilderten Weise mit der Eisenbahn gekommen war und dem Weichbilde
zuwanderte, nämlich auf den Meister Autor Kunemund.

Er sah mich natürlich nicht. Er wollte hastig an mir vorüber. Er schien es
jetzt sehr eilig zu haben, er, der uns so lange auf eine Antwort hatte
warten lassen, und selbstverständlich packte ich ihn sofort fest am Oberarm
und hielt ihn auf.

»Alle Hagel! was soll -- was ist -- ja, Herr, sind Sie denn das?« rief er
anfangs erschreckt und zornig und dann um so freudiger. »Sind Sie es
wirklich? O, ich kann Ihnen gar nicht ausdrücken, was für ein Segen das für
mich ist, daß ich Ihnen hier so gleich zum Anfang in die Arme renne. Das
nenne ich wahrhaftig eine Schickung.«

Vor allen Dingen hatte er hastig meine Hände gefaßt und schüttelte sie
kräftig.

»Wer schickt Sie denn, Meister? Meiner Meinung nach haben wir Sie doch
kläglich genug gerufen! Kommen Sie nicht auf den Hülfeschrei in meinem
Briefe?«

»Ein Brief? Von Ihnen? Einen Brief von Ihnen habe ich nicht gekriegt --
wenn Sie mir wirklich geschrieben haben, wird er wohl noch beim Vorsteher
liegen -- das macht sich öfters so bei uns. Ich bin erst heute mittag mit
der Alten zu Hause angekommen! Herr, ich habe die Alte mir holen müssen,
und das ist wieder eine Geschichte für sich! Sie sollen sie beiläufig auch
ins einzelne hören -- ich sage Ihnen, ich habe Tage erlebt und Komödien an
meinem eigenen Leibe durchgemacht, wie das in keinem Buche steht. Sie saß
richtig schon vor dem Dorfe auf dem Anger, ihr Gerümpel um sie her; und
eine Woche von meinem Dasein hat's mich gekostet, um ihr zu ihren Rechten
und aber auch von drei Dutzend Injurienprozessen zu helfen. Jetzt habe ich
sie denn endlich glücklich bei mir unter Dach, und wenn Sie mir wieder
einmal die Ehre schenken wollen, mich zu besuchen, so -- doch, Herr, von
alledem später, mir wirrt der Kopf und gellen die Ohren, daß es gar nicht
zu sagen ist. -- Was passiert hier? was ist es, das mich hierher gerufen
hat, daß ich hätte kommen müssen, und wenn ich der alte Fritz an der Spitze
seiner ganzen Armee gewesen wäre und nicht gewollt hätte?! Herr, wer rief
hier um Hülfe? wer ist tot, oder wer will sterben?«

Mich überlief es weder heiß noch kalt, doch ich sah in dem bleichen Lichte
über die Schulter und dann empor und fühlte den leisen, schönen Nachtwind
mehr auf der Stirn und im Haar.

»Sind _die_ geheimnisvollen Hände immer noch an ihrem Werke? Nun, dann
mögen wir guten Leute mit unserm Erdentage anfangen, was wir wollen: es
bleibt doch beim alten und die Welt ein großes Wunder!... Mein alter,
teurer Freund, seit jenem Tage, an welchem wir vor Ihrem Dorfe am Hohlwege
zusammentrafen, kämpft jemand, von dem wir damals auch sprachen, einen
schweren Kampf, und es geht ihm sehr -- sehr schlecht.«

»Wer? wer?«

»Der gute Steuermann Karl, dem alle blinden Klippen und wilden Stürme
nichts anzuhaben vermochten. Bei jenem Eisenbahnunglück sind ihm die Füße
zerschmettert worden, und er liegt hier in der Stadt bei der Base Schaake,
und um seinetwillen habe ich Ihnen geschrieben.«

»Also das war es!« sagte der Meister Autor leise. »Ihren Brief habe ich,
wie gesagt, nicht erhalten, aber man hat mich heute nach dem Mittagsessen
gerufen. Ja, dann ist's der Karl, der stirbt und der rief; -- o ich habe
eine unbeschreibliche Angst gehabt, daß unserm Trudchen etwas Schlimmes
passiert sei.«

Wir gingen jetzt rasch vorwärts durch die Straßen der Stadt.

»Wer -- was hat Sie nach dem Essen gerufen?« fragte ich, den Alten im Gehen
stützend.

»Sie werden ja wohl nicht lachen, aber auch das würde mich nicht
verhindern, Ihnen das Ding zu erzählen,« sagte Herr Kunemund. »Lächerlich
genug ist's auch im Grunde, wenn sich gleich der Ernst schlimm genug dran
hängt! Sehen Sie, die Alte spielte natürlich ihre Rolle dabei; denn die
werde ich jetzt mal wieder aus nichts mehr los. Wir waren eingerückt, und
sie hatte Besitz von meinem Topfe und meiner Pfanne genommen, und ich
merkte gleich, daß nun wieder alles beim alten sein werde; denn da schon
ging es an, und nichts war ihr recht, und so brachte sie denn ihre erste
Suppe wieder auf den Tisch, und da sie zum ersten Anfang ihre Sache recht
gut hatte machen wollen, so war die Geschichte nicht allein versalzen,
sondern auch recht sehr angebrannt, und ich gestattete mir die erste
Bemerkung wieder darüber. Da ging die Unruhe an!«

»Aber das trieb Sie doch nicht dreiviertel Stunden Weges über das Feld zur
Eisenbahnstation und mit dem Nachtzuge hierher?«

»Nein; aber im Anfang schob ich es doch darauf; denn, Herr, ich war in
großen Sorgen, und mein Leben kam mir wieder einmal recht verdreht vor. In
der Stube hielt ich es nicht aus, -- suchte also meinen Mittagsschlaf im
Grasgarten unterm Baum abzutun; aber da wurde es nur schlimmer als arg. Ich
war grimmig über mich, über die Alte, über meine Bauern in meinem Dorfe und
über ihre in ihrem; ich hielt es nämlich zuerst für Ingrimm, bis ich
herauskriegte, daß es Angst war -- ich sage Ihnen -- Angst, Herr
Bergschreiber! Ja was denn? fragte ich mich. Ein Gewitter steckt nicht in
der Luft, das Unwetter, was du jetzo wieder im Hause hast, hast du doch
länger als zwanzig Jahre mit deinem Tofote ohne Schaden an Leib und Seele
ertragen! Sehen Sie da -- da -- da war es, am hellen Tage, in der hellen
Sonne, daß ich gerufen wurde! von hier gerufen wurde -- und natürlich sagte
ich mir mit dem kalten Schweiß auf der Stirn: Es ist das Kind, es ist unser
Trudchen! auf das Kind ist ein Unglück gefallen. Herr, lieber Herr, und
einen Gang wie meinen heutigen nach der Station, ein Warten wie das
stundenlange Warten da und eine Fahrt wie meine jetzige, die hoffe ich
nicht wieder durchmachen zu müssen.«

»Fassen Sie Mut, Meister. Wer weiß, was Ihr Kommen wenden soll? Wer weiß,
wozu Sie -- gerufen wurden? Nicht jedermann bekommt einen solchen Ruf, das
schon allein kann Ihnen eine Bürgschaft sein, daß alles im richtigen
Geleise sich befindet.«

»Da haben Sie vielleicht recht,« sagte der Meister Autor. »Seit ich den Fuß
aus dem Wagen gesetzt habe, ist es mir auch wirklich besser und ganz wie
gewöhnlich geworden. Seitdem die Alte über meinen ganz unschuldigen Spaß
sofort wieder die Schürze an die Augen brachte und losheulte, als ob der
Bock sie gestoßen habe, ist es mir durch den vollen Tag gewesen, als halte
mich eine Hand hinten am Rockkragen gepackt, dränge mich gegen die Wand und
wolle mich mit dem Kopfe zuerst durchstoßen. Dieser Karl, der arme gute
Junge tut mir mit seinen blutigen Füßen, weiß es Gott, herzinnig leid, aber
die Hand spüre ich nicht mehr im Genick; -- wissen Sie, mit der See und dem
Erdumfahren wird's aus und zu Ende sein; aber, was meinen Sie, er zieht zu
mir -- wir passen zueinander -- haben aneinander einen Trost und eine
Stütze gegen die Alte, und führen doch noch ein Leben, das sich tragen
läßt!«

»Möge es so sein,« sprach ich in der Seele, doch nicht laut. Wir hatten
jetzt die Altstadt wiederum erreicht und suchten unsern Weg durch die
dunkelsten Gassen derselben, über ein Pflaster, welches noch nie der Mond
mit seinen Strahlen hatte beleuchten können. Beizu erzählte ich dem
Meister, daß ich mit seinem Kinde, der Gertrud Tofote am heutigen Abend
auch bereits zusammengetroffen sei, und er erkundigte sich dringend und
hastig nach dem Wie, Wo und unter welchen Umständen. Ich gab ihm alle nur
mögliche und rätliche Auskunft, und dann rief er:

»Sie werden es unter den jetzigen traurigen Umständen für ein Unrecht
halten, daß mir immer stiller zumute wird, lieber Herr; aber ich kann
wahrhaftig nichts dafür. Zuletzt ist es doch immer nur einzig und allein
das Kind, welches mir im Sinne liegt. Wenn ich das Kind in Sicherheit und
Behaglichkeit weiß, ist mir alles übrige nur wie ein Unwetter, das man
unter einem Busch am Wege abwartet.«

Nun hätte ich dem alten Herrn um keinen Preis jetzt andeuten mögen, daß
das »Kind« sich recht unbehaglich gefühlt habe, als ich vor einigen Stunden
mit ihm zusammengekommen war. Ich sagte ihm auch nicht, wie man dann nach
ihr gesucht habe: vielleicht hatte er selber noch in dieser Nacht
Gelegenheit, sie zu sehen, und mußte sie selber ihm mitteilen, wie es ihr
ums Herz war. Hier war wahrlich Magie! ich sah das Erdenleben, wie ein
Taucher das Sonnenlicht in der Tiefe des Meeres schwebend sieht, und wie
paßte der greise Zaubermeister aus dem Elmwalde in die Beleuchtung und in
die sonderbare Nacht überhaupt! Nachdem er seine innerste Herzensmeinung
kundgemacht hatte, hatte er auch für den kranken Steuermann das höchste
Interesse übrig; -- er jammerte heftig um ihn und fragte bis auf die
kleinsten Einzelheiten nach allen ihn betreffenden Vorgängen der letzten
Tage. Auch die Base erhielt ihr Teil Teilnahme aus seinem guten Gemüte:

»Hätt' ich ihr das dadurch ersparen können, daß ich's auf mich genommen
hätte, so würde ich mich nicht besonnen haben. Aber so ist es, sie wird
expreß dazu hingesetzt sein, um dies Elend abzuwarten und den Jungen auf
ihrem Bette zu pflegen. Unsereiner meint immer, daß er um seinetwillen da
sei, doch das ist nicht so -- es ist wahrhaftig nicht an dem, man muß aber
alt werden, um es auszukundschaften. Zum Exempel, was sollte jetzt aus der
Alten (und da meine ich natürlich nicht den Hafenmeister) werden, wenn ich
nicht länger als siebenzig Jahre meinen Charakter darauf hingezogen hätte,
mir die Suppe versalzen und die gute Laune -- nicht verderben zu lassen?«

Da ich auf diesen Humor augenblicklich doch nicht recht eingehen konnte und
nur durch ein etwas dämpfig-trübsinniges: Ja, ja! darauf zustimmte, meinte
er kläglich:

»Der Arend hat das auch immer gesagt.«

»Was denn, Meister?«

»Sehen Sie, daß ich mich überall, wie man das nennt, unmöglich mache. --
>Herrgott, ich sage ja nie etwas!< antworte ich dem Arend, aber er weiß mir
Bescheid zu geben und sagt: Aber du lachst und grinsest und zwar niemals an
der richtigen Stelle, und das sollen dann die Leute nicht verquer
aufnehmen! -- Und wenn der Tofote das von sich gegeben hatte, ging er
jedesmal hinter die Stalltür oder die nächsten Bäume, zog den Kopf zwischen
die Schultern und grinste toller als ich. Ja es war ein gutes Leben mit ihm
und unserm Trudchen; selbst die Alte gehörte dazu.«

Er hatte keine Ahnung davon, wie tief ich in diesem Augenblicke in dieses
»gute Leben« hineinsah. In der Welt, in der ich hausete, pflegte der gute
beratende Freund nach erteiltem Rate zwar die Achseln auch zu zucken und
sich hinter den Busch zu schlagen; aber er tat's gewöhnlich wie jemand, der
seines eigenen Besten wegen seinen besten Freund aufgeben muß -- aufgeben
will -- aufgibt, und zwar auf der Stelle. Von dem, was vor langen, langen
Jahren, so ungefähr in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts
Eugenius zu Yorick sagte, wußte der Meister Autor Kunemund nichts. Er
erfuhr in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts nur an seinem
eigenen Leibe wieder, was damals einige Leute auch schon an sich in
Erfahrung gebracht hatten. --

»Daß Sie, lieber Herr, sich hier am Orte so ohne weiteres und noch dazu in
der Mitte der Nacht, wenn auch bei Mondschein zurechtzufinden wissen, ist
mir auch eine Merkwürdigkeit. So oft ich auch am hellen lichten Tage
hierher kam, alle zehn Schritte lang hab' ich vor einer Mauer gestanden und
mich zurecht- und meistens auch zurückfragen müssen; aber hier -- hier sind
wir ja wohl? Herr, Herr, jetzt geht es mir erst recht auf, wie über alles
wunderlich es ist, daß ich wieder einmal hier bin und mit Ihnen und in
dieser Stunde!«

Wir waren beide mit gesenkten Köpfen gegangen, und jetzt erhoben wir
dieselben zu gleicher Zeit vor dem schon einmal beschriebenen Torbogen, der
in den Cyriacushof führte; und ein dritter, der mit untergeschlagenen Armen
dort lehnte und den Rauch einer Zigarre in das blaue Mondlicht hineinblies,
erhob ebenfalls das Gesicht.

»Ich wußte es ziemlich sicher, daß ich Euch hier treffen würde, Ceretto,«
sagte ich. »Ihr habt das Fräulein hierher begleitet; und seht -- der Herr
Autor ist ganz von selber gekommen, ich bin nur durch einen Zufall
unterwegs mit ihm zusammengetroffen. Wißt Ihr, wie es da oben geht?«

Der Mohr aus dem Schüsselkorbe beantwortete vorerst diese Frage nicht. Er
hatte vor dem Meister Kunemund den Hut gezogen, und nun warf er auch die
Zigarre fort und rief:

»So gerät man auseinander und wieder aneinander und zueinander; aber
solange ich denken kann, soll es stets der Zufall sein, der's zuwege
bringt; und wenn wir mit den Nasen zusammenrennen, geschieht's natürlich
ganz von selber. Wenn ich _die_ Weisheit in Spiritus, für jede Abart ein
besonderes Glas, der Menschheit in einer Bude zeigen könnte, so hinge ich
in dieser Nacht noch die gnädige Frau hinter die Tür und ginge wieder
einmal ohne Abschied durch.«

»Schwatze Er keinen Unsinn, Wichselmeyer,« sprach der Meister Autor, dem
Schwarzen die Hand reichend. »Und wenn Er sich wirklich bei Seinem Senf
etwas denkt, so gebe Er uns auch das Fleisch dazu oder behalte ihn nur
ruhig bei sich; -- was mein Junge macht, will ich jetzt wissen, und weiter
nichts!«

»Mir gefiel es eben nicht da in der Stube,« sagte der Mohr mürrisch. »Das
gnädige Fräulein winselt, die Alte sagt gar nichts; ich hab' mich leise
wieder heraus gemacht; denn da wir doch alle einmal dran müssen, so muß es
wenigstens von Zeit zu Zeit einen vernünftigen Kerl geben, der es sich bei
solcher Vorstellung lieber draußen in der frischen Luft und bei einer
Zigarre überlegt, wie er sich auf dem Seil ausnehmen wird, wann die Reihe
an ihn kommt. O meine Herren, dieser Herr Wichselmeyer hier ist klug und
alt genug geworden, um zu wissen, was das Beste für den Menschen ist.«

»Der Teufel soll dich braten, wie er dich schwarz geräuchert hat, du
Kaffer, du Hottentott, du hinterafrikanischer deutschgekochter
Jahrmarktslump!« schrie der Meister Autor wütend. »Was geht es hier mich
an, was für den Menschen das Beste ist? Ich bin doch auch ein alter Kerl
geworden und habe das Meinige in der Welt gesehen; aber solch ein
sackermentsches, in jeder Brühe umgewendetes Stück Vieh, wie dich, noch
nicht! Das Kind sitzt da oben in Tränen bei meinem armen Jungen, und dieser
Flegel stellt mir hier mit seiner Jahrmarktsweisheit ein Bein! Aus dem
Wege, sage ich!«

Der Meister stürzte in das Tor, ich wollte ihm rasch folgen; als Signor
Ceretto mir über die Schulter hastig zuflüsterte:

»Halten Sie ihn doch auf! Der Herr Steuermann befanden sich vor zehn
Minuten eben im Sterben. Lassen Sie den Alten doch nicht grade in den
letzten Jammer hineinbrechen. Zum Trost für die Damen kommt er am
richtigsten, wenn der junge Herr Abschied genommen hat.«

Das mochte wohlgemeint sein, und wurde jedenfalls gesagt, wie es gedacht
wurde, aber ich machte dessenungeachtet meinen Arm ziemlich grimmig von dem
Griff des dunkelfarbigen Weltweisen frei und hätte beinahe etwas sehr laut
gerufen, was ich keineswegs hier niederzuschreiben gewagt haben würde. Ich
eilte dem Meister Autor nach und irrte mich wahrscheinlich nicht, wenn ich
später beim Wiederüberdenken dieser Erlebnisse für gewiß angenommen hatte,
daß der schwarze Philosoph vor allen Dingen die bei unserer Annäherung
weggeworfene Zigarre vom Boden aufgelesen und von neuem in Brand gesetzt
habe.




Zweiundzwanzigstes Kapitel.


Was die Sonne aus den gegebenen Verhältnissen im Cyriacihofe machen konnte,
das tat sie, wenn sie schien; aber der Mond gewann ihr hier doch den Kranz
ab. Bei Mondenlicht hatte jener bauverständige Herr den Hof, in welchem ich
ihn neulich traf, sicherlich nie gesehen, er würde sich sonst eher an einer
der wundervollen Dachtraufen aufgehängt, als so fröhlich beide Hände zu der
projektierten Zerstörung dargeboten haben. Selbst die erquickliche
Vorstellung, daß man ja bereits beginne, Nürnberg abzutragen, würde ihn
nicht zu seinem Werke ermutigt haben, wenn er nur ein einzig Mal sein
Zerstörungsobjekt so betrachtet hätte. --

Ich achtete darauf, denn ich hatte dergleichen schon früher zu schildern
gesucht, der Meister Autor aber nicht. Er war mir vorangestürmt und war
verschwunden in der dunkeln engen Spitzbogentür, von welcher aus die Treppe
zu der Wohnung der Base Schaake aufwärts führte. Ich erwischte ihn auch in
dem gewölbten Gange nicht mehr; er hatte bereits die Tür der Base hinter
sich zugezogen; ich würde ohne ihn jedenfalls vor dem Eintreten einen
Augenblick lang das Ohr an diese Tür gelegt haben, doch nun blieb mir
nichts übrig als ihm, so leise als möglich, auf den Fußspitzen zu folgen.

Die Sonne, die rote Sonne war's, deren Licht neulich durch das hohe breite
Bogenfenster auf das weiße Haar der Base Schaake strömte; jetzt flutete
auch hier das Mondenlicht herein, und die betaueten Blätter der Ulme
draußen vor dem Fenster glänzten silbern in dem Schein. Das Fenster stand
offen, der Gartenduft drang mit der schönen Helle herein. Das silberne
Licht lag auch auf dem Fußende des Bettes des guten Seefahrers Karl
Schaake, und die alte Frau mit dem Wunderhaar hatte die blauen Wunderaugen
auf die weiße Decke gedrückt, und ihre alten Arme umklammerten fest den
stillen Mann unter der weißen Decke; zu Häupten im Schatten saß Gertrude
Tofote. Der Bote, der aus dem Cyriacihofe nach dem Hause der schönen Hexe
gekommen war, war ein Kind des Hofes, und die Base hatte es geschickt mit
einem Zettel, auf welchem ungefüge und unorthographisch die Worten standen:

»Er will dich nochmal sehen. Tu's mir zuliebe -- der liebe Gott wird's dir
vergelten, Gertrud!«

Trudchen Tofote hielt den Zettel zerknittert noch immer in der Hand; später
hat sie ihn mir gezeigt. --

Ich stand in meiner Rolle als Zuschauer still an der Tür. Die hübsche
Waldelfe regte sich nicht von ihrem Stuhle; aber die Greisin erhob nun das
Gesicht aus den Kissen und sagte rührend ergeben:

»Ihr kommt zu spät, Vetter.«

Hätte ich dieses Buch, wie man es nennt -- gemacht, so würde ich mich
wahrhaftig hüten, hinzuschreiben, was jetzt zu allem übrigen kam. Aber es
ist damals so gewesen! -- bei der heißen Geisterhand, die mir heute noch in
der Erinnerung wieder an die Kehle greift, es machte sich ganz von selber
so! Es war eine Methodisten- oder Baptistengemeinde, die in dem alten
Barfüßlerkloster ihren Betsaal gemietet hatte und in diesem Augenblick
wegen einer außergewöhnlich heftigen Bedrängnis in der Kirche eine
nächtliche Betstunde abhielt und sang. -- Sie sangen in der einstigen
Choraley der Mönche, die im Laufe der Jahrhunderte alles gewesen war,
Viehstall im Dreißigjährigen Kriege, Speicher im Siebenjährigen, Lazarett
in der Franzosenzeit, und jetzo ihrem ersten Zwecke wenigstens annähernd
wieder zurückgegeben war. Die Töne klangen in der stillen Nacht, gedämpft,
um die Nachbarn nicht zu sehr in der Ruhe zu stören, geisterhaft zu uns her
aus der Ferne und dem Grundstock des Gebäudes, und wir horchten alle, und
_uns_ störten sie wahrhaftig nicht.

Aber auf die Anrede der Base hin ergriff der Meister Autor meine Hand und
drückte sie fest zusammen:

»Herr, _das_ war es, was ich heute mittag schon vernommen habe! Das Singen
hab' ich am Mittag in der hellen Sonne gehört! Ach Base, Base, ist er
gestorben? bin ich zu spät gekommen? Guten Abend, Trudchen! o Base Schaake,
was klingt alles um einen herum in der Welt! Karl, Karl, mein lieber Junge,
das dachtest du dir auch nicht, als du uns aus dem Walde durchgingest!
Jetzt laßt mich ihn aber doch sehen!«

Der Meister hatte sich über den Toten geneigt; ich, der ich immer eine
große Vorliebe für das Leben, das heißt für die Lebendigen gehabt habe,
faßte mein kleines, närrisches, hübsches Fräulein zu Häupten des Bettes ins
Auge.

Sie hatte sich von ihrem Sitze erhoben und war aus dem Schatten der Wand
in das bleiche Licht getreten, das durch das Fenster auf den untern Teil
des Lagers fiel. Da stand sie ratlos, zitternd, tränenüberströmt; der Tod
schien einen überwältigenden Eindruck auf sie gemacht zu haben, und als sie
mir das schmerzbewegte Gesichtchen entgegenhob, erschien sie mir reizender
denn je. Vom malerischen Standpunkte aus betrachtet, fehlte nur die schöne
Witwe, Frau Christine von Wittum an ihrer Seite, um die Gruppe in wahrhaft
künstlerischer Weise nach allen Seiten hin abzurunden.

»Trudchen hat ihn gottlob noch am Leben getroffen,« sagte die Base. »Er
hat sie so sehr gern gehabt, und so war's sehr gut und freundlich von ihr,
daß sie sich gar nicht besann und aufhielt, als ich zu ihr schickte,
sondern in ihrem schönen Ballkleide hierherkam. Er war in einer
schrecklichen Aufregung vorher und stritt sich heftig mit einem, den er
seinen Lotsen nannte; als aber unsere Gertrud so schön und glänzend
hereinkam, wurde er mit einem Male still und sah sie an -- sah sie immer
an. Dann sagte er wieder was, was sich auch auf sein Seehandwerk bezog, was
ich aber nicht verstand, und dann hielt er ihre Hand und sagte: Kein Mensch
hier weiß, wie viel größer das Wasser als das Land ist; jetzt sollst du's
sehen draußen vor der roten Tonne, jetzt hab' ich dich auf dem Schiff, und
in Indien sollst du auf einem Elephanten reiten, Trudchen!«

»Ich habe mich schrecklich gefürchtet,« schluchzte Gertrude Tofote. »O ich
wollte, mein Vater lebte noch, und wir lebten alle noch im Walde; aber er
-- er ist ja der Erste gewesen, der daraus fortging und auf die wilde See!«

»Dir sind die paar Minuten schon schrecklich gewesen, Trudchen,« sagte die
Greisin, »aber mich hat er Tage und Nächte lang fort und fort, immerzu und
immerzu rund um die Erde in seiner Hantierung mit sich gezogen und
gerissen. Jetzt hat er Ruhe, Vetter Kunemund, und die wilde See tut ihm
nichts mehr.«

»Hat er denn das Kind wirklich noch erkannt, oder waren es nur seine
gebrochenen Füße und das Fieber, die ihn so reden ließen?« fragte der
Meister Autor.

»Ei freilich hat er das Kind noch wieder gekannt; es hat ihm doch
wenigstens noch über das Letzte leichter weggeholfen. Nicht wahr, Gertrud,
es war gut, daß du kamst?«

Gertrud nickte und wendete sich hastig ab.

»Er sagte: Leb wohl, liebes Trudchen, und dann war es zu Ende, -- ja, zu
Ende, zu Ende,« schloß die Base Schaake.

Über ein Sterbebett läßt sich im Grunde immer wenig sagen; wenngleich
manches darüber denken. Der dunkle Pilot hatte eben Abschied genommen; --
Willkommen in See! war das letzte Wort gewesen, das ich meinesteils von dem
guten Steuermann Karl Schaake vernommen hatte. Die rote Tonne lag in
Wahrheit hinter dem seefahrenden Manne, und klare Kimmung war vor ihm. Was
half es am Ufer zu stehen und mit den Sacktüchern nachzuwinken? Ich führte
das Fräulein nach Hause; -- vom Uferdamm nach Hause.

Der Meister hatte den trüben Bericht der Greisin angehört und das weiße
Tuch wieder über das Gesicht des toten Seemanns fallen lassen; dann hatte
er sein »Kind« in die Arme genommen und es herzlich geküßt und manch ein
Schmeichelwort zu ihm gesprochen. Die schöne Elfe hatte herzzerbrechend
dabei geschluchzt und einmal übers andere dazu gerufen:

»Das ist so fürchterlich, so traurig-schrecklich! o morgen wirst du doch zu
mir kommen? nicht wahr, morgen früh kommst du gewiß zu mir?«

Und der Meister hatte eben so oft gesagt:

»Ja freilich! freilich!« und dann hatte er sich zu mir gewendet: »Wollen
Sie so gütig sein, das arme Ding nach Hause zu bringen. Es ist eine
schlimme, schwere Luft hier, und mit dem Halunken, dem Ceretto, allein
möchte ich das Kind doch nicht wegschicken. Es gehört Geschick dazu, mit
Menschen in Verwirrung gut umzugehen! Bitte, bringen Sie das Trudchen jetzt
nach Hause!«

Ich war natürlich bereit dazu, wenn ich gleich ohne alle Besorgnis die
junge Dame dem schwarzen Philosophen anvertraut haben würde. Wir gingen,
fast ohne Abschied zu nehmen; unser Trudchen befand sich dazu in der Tat
allzusehr in Verwirrung, und vor dem toten Mann fürchtete sie sich heftig.
--

Die Straßen waren jetzt ganz leer, und wir hatten auf unserm Wege die alte
Stadt so ziemlich für uns allein. Die wenigen Nachtschwärmer, die uns dann
und wann begegneten und die Ruhe und den Frieden der Nacht durch ihre
Heiterkeit um so bemerklicher machten, hielten sich mit dieser Heiterkeit
an den Freund Ceretto, der in bescheidener Entfernung gelassen hinter uns
drein wandelte und in der richtigen Weise auf jegliche Ansprache einzugehen
wußte. Indem ich nach besten Kräften das Fräulein unterhielt, horchte ich
doch stets halben Ohrs auf diesen schwarzen Mohren. --

»O was ist das für eine Nacht! ich werde mich mein ganzes Leben lang nicht
wieder zufrieden geben können!« schluchzte die Elfe.

»Es ist freilich ein trauriger Fall; aber wir müssen uns doch zu beruhigen
suchen, mein Fräulein,« tröstete ich. »Der arme junge Mann hat recht
gelitten -- für seinen Beruf war er untauglich geworden; vielleicht war es
doch das Beste --«

»Natürlich war es das!« brummte hinter uns der schwarze Signor. »Es konnte
ihm gar nichts Angenehmeres passieren! man kennt die Redensarten; -- nicht
wahr?!«

Die letzte Frage war, von einem außergewöhnlich gräßlichen
Zahnfleischfletschen begleitet, an zwei junge Männer gerichtet, die uns an
einer außergewöhnlich hell vom Monde beschienenen Stelle gestreift hatten,
und von denen der eine, stehen bleibend, den andern auf das Trudchen
aufmerksam gemacht hatte mit den Worten:

»Ein reizendes Geschöpfchen!«

In einigem Schrecken vor dem Schwarzen zurückprallend, hatten die Herren
ihren Weg fortgesetzt und wir den unsrigen gleichfalls.

»Der Onkel Kunemund war sehr betrübt. Er hatte unseren Karl recht lieb
gehabt, und ich hatte ihn auch sehr gern,« seufzte Fräulein Tofote. »Wir
sind so häufig zusammengetroffen und wieder voneinander gegangen; aber nie
unter solchen schrecklichen Umständen.«

»Jawohl,« brummte Ceretto hinter uns, »wenn das keine kuriose Geschichte
ist, laß ich mich hängen. O Donnerwetter, sie haben alle ihre Ahnungen und
geheimen und geheimnisvollen Beziehlichkeiten, weshalb sollte ich da nicht
auch die meinigen haben. Herr, es geht wer hinter uns!«

Dieser Ausruf war an mich gerichtet, wir standen still, die Gasse lag klar
und leer da -- nichts war zu sehen und zu hören, und das Trudchen klammerte
sich fester an meinen Arm.

»Sie haben den Herrn Autor bereits wütend gemacht; ärgern Sie mich nun
nicht auch noch, alter Freund,« rief ich; doch der Mohr sagte:

»Ich muß doch meines seligen Herrn Schritt kennen! So ging er auf seinen
Geschäftswegen; -- horch, -- hören Sie?«

Wir hörten natürlich nichts, aber Trudchen zitterte heftig; und ich rief
ärgerlich:

»Sie sind, -- nun ich werde es Ihnen an einem der nächsten Tage sagen, was
Sie sind; jetzt wollen wir uns beeilen, nach Hause zu kommen. Die gnädige
Frau wird sicherlich in einiger Unruhe auf das Fräulein warten.«

Wir beeilten uns in der Tat; ich aber sprach dem Kinde an meiner Seite noch
einmal guten Mut zu.

»Es war doch gut von Ihnen, Gertrud, daß Sie dem Rufe der alten Frau im
Cyriacihofe sofort nachkamen. Den Onkel Kunemund hat es auch recht gefreut,
und er wird Ihnen gewiß noch häufig seinen Dank dafür sagen. Ich, der ich
die Lage der Dinge so ziemlich genau kannte, ahnete wohl, wohin Sie uns
verschwunden waren; aber unsere Freundin, die Frau Christine war sehr
besorgt und in rechter Unruhe Ihretwegen.«

»Oh!« flüsterte die Elfe, und so erreichten wir die Tür der Hexe, und
nahmen auch wieder einmal Abschied voneinander.

»Da sind wir zu Hause,« sagte ich, »und nun bitte ich Sie herzlich, liebes
Fräulein, nehmen Sie sich das Elend der Welt nicht mehr zu Herzen, als
nötig ist. Es ist noch nie etwas Außergewöhnliches auf Erden vorgefallen.
Sie sind es sich und uns -- allen Ihren Freunden schuldig, daß Sie auf Ihre
Gesundheit Rücksicht nehmen. Jedenfalls müssen Sie fest überzeugt sein, daß
wir alles tun werden, um Ihnen fernere persönliche Aufregungen zu
ersparen.«

»Gute Nacht, mein Herr, ich danke Ihnen,« sagte Gertrud Tofote, und ich
wendete mich gegen unsern Begleiter, der sich jetzt dicht an uns hielt:

»Gute Nacht, Ceretto. Wir beide haben noch ein Wort demnächst miteinander
zu reden.«

»Ich wünsche Ihnen, recht wohl zu ruhen,« sprach der Alte. Mit welcher
Miene er das sagte, konnte ich leider nicht erkennen; denn der Mond hatte
seinerseits seinen Weg fortgesetzt, und das Haus der Frau Christine von
Wittum lag nunmehr im tiefen Schatten. Die Gesellschaft hatte sich längst
getrennt, die Fenster des Salons waren ganz dunkel, und nur hinter den
Vorhängen des Winkelchens hervor, aus welchem die Frau Christine mich und
die Base Schaake das Trudchen abgerufen hatte, leuchtete noch ein schwacher
Schein, das zierliche Flämmchen in dem weißen Lilienkelche.




Dreiundzwanzigstes Kapitel.


Statt jetzt zu Bett zu gehen, ging ich von dem Hause der Witwe aus weiter.
Anfangs an zierlichen Gartengittern vorüber, dann durch taufrische, von
lebendigen Hecken eingefaßte Pfade und zuletzt im stillen, freien Felde. Es
verlockt nichts in gleicher Weise so weiter und weiter als solch ein
Feldweg durch das reife Korn und die Garben, dem Sonnenaufgang entgegen.
Nur ein erbärmlich kahlgezaustes Bauerngehölz warf einmal einigen Schatten
auf mich, doch das war bald durchschritten und das dicht dran gedrückte
noch im Schlafe liegende Dorf gleichfalls. Das nächste Dorf fand ich
bereits wach, und vor dem Kruge eine Bank und einen Tisch, an welchem
letztern ich mit dem zufrieden war, was die Wirtschaft zu bieten hatte. Da
sah ich die Sicheln und Erntewagen an mir vorüberziehen und hielt die Hand
in den ersten Sonnenstrahl des neuen Tages. Wer im Grunde nur für sich
selber zu sorgen hat, kann im Auskosten des Leidens und der Freude der Welt
um ihn her, sich Genüsse verschaffen, in welchen der sublimierteste
Egoismus, dessen der Mensch fähig ist, sich gipfelt. Das höchste, innigste,
innerste, schärfste Leben lebt man in diesen Momenten; -- wer es leugnet,
möge es mit einem Gesichte tun, wie ein Frauenzimmer, das nach einem in der
Familie eingetretenen Todesfall den Traueranzug vor dem Spiegel anprobiert.
--

Durch einen sehr heißen, wolkenlosen Morgen schlich ich müde und abgespannt
zur Stadt zurück, schlief totenähnlich bis zum Mittag auf dem Sofa und
fragte am Nachmittage bei den Leuten im Cyriacihofe an, ob ich mich ihnen
in irgendeiner Art nützlich erzeigen könne. Herr Autor sowohl wie die Frau
Schaake erkannten die Höflichkeit über Verdienst an, aber sie verwunderten
sich selber darüber, wie glatt in solchen Fällen das alles abgehe.
Geistliche wie weltliche Behörden machten den Trauernden die Tage so leicht
als möglich. Es waren Namen, Daten und Zahlen in gedruckte Schemata
einzutragen gewesen, und der Sarg im Hause ohne jegliche Weitläufigkeit.

Der gute Steuermann, der sich so lange ungestraft auf allen Meeren
herumgetrieben hatte, lag bereits tief, tief im Binnenlande in diesem
Sarge, und --

»Morgen um zehn Uhr wollen wir ihn hinausbringen,« sagte der Meister Autor.

Den Hafenmeister sah ich nicht. Er hatte alle Hände voll zu tun, berichtete
mir der Meister; denn so ziemlich der ganze Hof gehe mit, und jedermann
verlange sein Stück Kuchen.

Gertrud Tofote hatte bis jetzt nur viele schöne Blumen und Kränze mit
weißen Atlasschleifen geschickt und hatte dabei sagen lassen: sie sei sehr
betrübt und sehr unwohl und bitte den Onkel Kunemund nur auf ein einziges
Viertelstündchen zu ihr zu kommen.

»Vielleicht so gegen Abend werde ich es möglich machen,« sagte mir der
Meister: »jetzo sitze ich hier Wache und -- Herr, ich sage Ihnen, ich habe
trotz alledem in meinem Leben Stunden gehabt, wo ich das ganze deutsche
Volk zum Tanze hätte aufziehen mögen!«

Er saß mit seiner Pfeife in der kühlen steinernen Halle vor der Tür der
Base Schaake; die Tür stand halb offen, und ich sah darin grade auf den
sonderbaren Schimmer der Stearinkerzen im hellsten Tageslichte. Der Meister
Autor hatte eben wieder seine Pfeife anzuzünden und sagte:

»Ja, ja, sehen Sie diese Zündholzdose. Ich habe sie vom Arend geerbt. Er
hat sie auf manchem Anstande gebraucht. So um das Jahr Vierzig, wenn's mir
recht ist, fiel die Menschheit auf derartiges Feuerzeug. Vorher hatte man
sich arg mit Stahl und Stein zu quälen, doch das beizu; -- Herr, die
Lichter da, auf welche Sie eben sahen, hab' ich angezündet und, Herr, ich
habe dabei an den letzten Weihnachtsbaum denken müssen -- den letzten im
Walde, den die Alte, der Arend und ich unserm armen Trudchen aufputzten. O
lieber Herr, wie viele Gärten versinken dem armen Menschen in der Welt.«
...

Das war das Wort! -- Es fallen Schlösser -- Luftschlösser ein; aber das hat
nichts zu bedeuten: die Gärten allein, die den Menschen, den armen Menschen
versinken, die waren ein jeglicher eine Wirklichkeit von dem verlorenen
Paradiese an! Wenn ihr das leugnen wollt, so leugnet es aus der Mitte
eines, in dessen Besitze ihr euch noch befindet, aber nimmer vor der Pforte
eines solchen, der euch verloren ging; -- im erstern Falle ist wenigstens
die Aussicht vorhanden, daß es euch gelingen werde, euch selber zu belügen.
--

Der folgende Tag war einer der heißesten im ganzen Jahre. Die Sonne schien
die Erde wie mit einer glühenden Zange zu halten, die Hitze und der Staub
waren unerträglich; ein Schein, sozusagen animalischer Verdrossenheit legte
sich über alle Vegetation; und unsere Aufgabe ließ sich unter keinen
Umständen auf eine kühlere Stunde verschieben.

Wir führten den Steuermann Schaake hinaus vor die Stadt und begruben ihn.
So ziemlich der ganze Hof fand sich ein zu dem oben bemeldeten Kuchen und
einem Glase nicht teuern Moselweins.

Ein gut Teil der Freunde und Bekannten ging auch mit hinaus auf den
Kirchhof und, nachdem das feierliche: Von Erde bist du genommen usw. --
gesprochen worden war, soviel als möglich im Schatten sich haltend, wieder
nach Hause. Der Meister Autor und ich blieben noch ein Weilchen, der --
Erde und der Sonne zum Trotz.

»Es ist doch kurios,« sagte Herr Kunemund, nachdem wir einige Minuten stumm
neben der halbzugeschütteten Grube gestanden hatten, »sonderbar ist's
eigentlich, daß man grade bei solchen Gelegenheiten am deutlichsten spürt,
daß man vorhanden -- daß man da ist.«

»Freilich,« sagte ich, »aber Meister, dazu gehört eben doch auch, daß man
wenigstens ein einziges Mal schon vorher wirklich und im Vollen gefühlt
hat, daß man da ist, und das ist keineswegs so häufig der Fall.«

»Darüber hab' ich noch nicht nachgedacht,« sprach der Meister Autor; und
dann tauschten wir einige andere Gedanken und Bemerkungen aus, die zwar
weder groß noch tiefsinnig waren, dessenungeachtet aber doch gedacht und
gemacht werden mußten.

»Am meisten kümmert mich der Hafenmeister,« seufzte der Alte. »Was dieser
hier mich angeht, so bin ich zufrieden, weiß mich zu schicken und zu
fassen; ich setze mich da nur ein wenig fester auf meiner Schnitzbank. Aber
was denken Sie über die Base Schaake?.. Der Junge war ihr Liebling und ihr
ganzes Leben; und wenn er auch oft lange Jahre von ihr weg war, und sie es
also schon gewohnt sein sollte, so wird sie sich in diese Ruhe doch niemals
finden. Sie kann's nicht, sie wird's nie können. Ob sie ihr eigenes Leben
einmal, wie Sie sagen, ein einziges Mal im Vollen gefühlt hat, weiß ich
nicht, aber daß sie in dem Jungen ihr Dasein spürte, das will ich wohl
beschwören. Ich kenne sie danach! Wenn er abwesend war, so war es ihr
einziger Trost, daß sie saß und las. Ich sage Ihnen, sie las -- und was las
sie? Den Robinson und die Geschichte von dem fliegenden Holländer und vor
allem andern die Geschichten von dem türkischen Kaufmann, der zu den Leuten
kam, die das Gesicht mitten auf dem Bauche trugen, und der einen Walfisch
für eine Insel hielt und mit seinen Kameraden ein Feuer drauf machte, um
seine Suppe zu kochen. Was sie sonst von Reisen und Abenteuern auftreiben
konnte, las sie und glaubte alles. Ihren Augen sahen Sie es nicht an, wie
bunt es oft in ihrem Kopf herging. Sie reiste mit, die alte Frau, und
erlebte auf ihrem Spinnstuhle die menschenmöglichsten Dinge. Ich habe
oftmals mein Erstaunen und meine Verwunderung darüber gehabt, was für ein
beschlagener Reisender sie war. O sie wußte dem Jungen, jedesmal wenn er
heimkam, von ihrem Stuhle her mehr Merkwürdigkeiten zu berichten, als er
ihr von seinem Schiffe aus. Er hat es mir selber oft genug halber weinend
und halber lachend erzählt. Und das ist nun vorbei, Herr; das ist vorbei,
und das ist das Schlimme und Angstvolle, lieber Herr! Was soll die alte
Frau anfangen; jetzo, da sie ihrem Jungen nicht mehr nachreisen kann?
Versunkener Garten, Herr! Sie, Herr Bergmeister, haben eben auch mit uns
andern drei Schaufeln voll Erde drauf geworfen!«

»Zum Teufel, ja!« schrie ich im Innern meiner Seele und zwar mit dem
nämlichen objektiven Grimm, mit welchem der Meister Autor vorgestern abend
den Signor Ceretto, den bremischen Mohren, anschnauzte. Laut sage ich,
indem ich dem Greise zu gleicher Zeit leise und gerührt die Hand auf die
Schulter legte:

»Ob wohl die Base ihrem braven wilden Seefahrer nicht doch schon wieder
nachreist?! Es wird ihr auch da an Reiseführern nicht ermangeln.«

Der abendländische Lebensbaum, =Thuja occidentalis=, die Stinkzypresse
wucherte in großer Menge auf dem Friedhofe und war das einzige Gewächs, das
sich in dieser Hitze wohlzufühlen schien. Der Meister hielt einen
abgebrochenen Zweig davon in der Hand, lächelte und sagte:

»An das Einfachste denkt man immer zuletzt.«

Nun wäre eigentlich nichts weiter zu sagen gewesen, aber ein guter Rat,
oder das, was man gewöhnlich für einen solchen nimmt, geriet mir auf die
Zunge, und ich enthielt ihn dem alten Freunde nicht.

»Herr Kunemund, alle Umstände ineinander rechnend, könnten Sie jetzt wohl
noch einmal den Versuch machen, es hier bei uns in der Stadt auszuhalten.
Die erwünschte Stille würdet Ihr auf dem Cyriacushof im vollen Maße finden
-- Ihr und der Hafenmeister gehört im Grunde ganz und gar zueinander, und
es würde gewiß kein Tag vorübergehen, an welchem Ihr das nicht von neuem
ausspürtet. Überlegt es Euch!«

»Das habe ich wohl schon dann und wann überlegt,« erwiderte der Meister.
»Auf den ersten Blick sieht es sich freilich ganz hübsch an, aber bei
genauerer Besichtigung tut es sich denn doch nicht. Wie lange steht denn
der Hof noch aufrecht, Herr? Sie wissen es ebenso gut als ich, daß die
Maurer mit den Brecheisen und die Zimmerleute mit den Äxten im Anmarsch auf
ihn sind. Das alte Gemäuer mag freilich lange genug gestanden haben, aber
der Base Schaake wegen hätte es doch noch gut ein paar Jährchen länger
stehen bleiben können. Herr, je älter man wird, desto brüchiger scheint
auch die Welt um einen her zu werden. Wie sich dieses demnächst machen
wird, kann ich heute noch nicht sagen: die eine Alte hab' ich ja schon
daheim im Hause; wer weiß, ob ich mir nicht auch die andere dazu holen
werde. Lieber Herr, Sie sind jedenfalls jetzt schon eingeladen, sich unsern
Haushalt dann mal anzusehen.«

An den demnächstigen Abbruch des Cyriacihofes hatte ich nicht gedacht und
wußte auf die Erinnerung daran nichts zu entgegnen. Der Meister Autor
seufzte noch einmal recht tief; dann warf er den Thujazweig, den er bis
jetzt mechanisch zwischen den Fingern gedreht hatte, in das Grab des
Seefahrers, nahm meinen Arm, und wir verließen den Kirchhof. --

An der Pforte fanden wir keinen uns erwartenden Wagen mit einem ob unseres
Zögerns verdrossenen Kutscher. An heißen, mit Teer getünchten Planken,
Holzhöfen, Gartenmauern und vereinzelten unschönen Häusern vorüber führte
uns unser Weg durch den heißen, vom Abfall der Fabrik- und Kohlenwerke
geschwärzten fußhohen Staub nach der Stadt zurück. Auf diesem Weg sprachen
wir nichts mehr miteinander, bis uns an einer Wendung, die er machte, ein
anderer Leichenzug entgegenkam, und wir beiseite traten, um ihn vorbei zu
lassen.

Da sagte der Meister, den Kopf schüttelnd:

»Das ist doch wunderlich!«

»Was ist wunderlich, alter Freund?«

»Daß andere Leute immer bei dem nämlichen Geschäfte, in derselben Lage, in
ganz demselben Pläsier und Jammer sind. Auf dem Dorfe wird es einem nur
nicht so deutlich! I, sehen Sie doch nur -- eben sind wir fertig --«

»Und fangen die andern an. Richtig. Ausgefahrene Geleise, Meister Autor!
Das einzige Neue liegt nur grade bei den Leuten, die aus ihrem Dorfe
kommen, um sich darüber zu verwundern, und nicht bloß hierüber!«

»Hm, hm, da kein Ende dran ist, wird es freilich auch wohl keinen Anfang
haben,« brummte Herr Autor Kunemund. »Hat das auch schon einer
herausgefunden und schriftlich attestiert?«

Nun mußte ich trotz der unpassenden Zeit und Gelegenheit doch lachen.

»Ach Meister, Meister,« sagte ich meinerseits den Kopf schüttelnd, »dieses
hat wohl schon manch einer ausfindig gemacht; aber über das, was es
bedeutet, darüber ist man noch nicht einig und im klaren.«

»Dann hilft mir auch das übrige nichts, und meinesteils lasse ich es
einfach geschehen,« sprach Autor Kunemund, und so schritten wir weiter zum
Hofe des heiligen Cyriacus, der vielleicht gleichfalls aus keinem andern
Grunde ein Heiliger geworden war, als weil er hatte geschehen lassen, was
er nicht ändern konnte.

Wie unser uns vorangelaufenes Sarggefolge hielten wir uns auf der
Schattenseite; man kann eben von der größten Tragödie nach Hause gehen und
doch den behaglicheren Modus der Heimkehr dem unbequemeren vorziehen.

Der uralte Schatten des Torweges fiel jetzt fast kalt auf uns, und auf der
engen Steintreppe und im steingewölbten Vorsaale durchschauerte es mich
fröstelnd. Ich ging aber doch noch einmal hinein mit dem Meister, die
Greisin zu begrüßen, und habe mich späterhin selber darob beglückwünscht,
wenn ich daran dachte, daß ich eigentlich den alten Freund nur bis an das
Tor hatte geleiten wollen.

Trudchen Tofote saß bei der Base Schaake!

Das sah ich angenehm überrascht von der Stubentür aus, drückte auf ihrer
Schwelle dem Meister die Hand und begab mich nunmehr, wie durch einen
kühlen Trunk erfrischt, durch die entsetzliche zwölfte Stunde des Tages
nach meiner eigenen Wohnung zurück und um zwei Uhr nach dem =Hotel de
l'Allemagne= zur Wirtstafel.




Vierundzwanzigstes Kapitel.


Der wäre freilich aller Praktiken Meister, den der Augenblick nicht
überrumpeln, den der Schein nicht rühren oder ärgern könnte! Wie wenig
Schlaf würde er bedürfen, wie wach und lebendig würde er jederzeit um sich
her schauen: was mich anbetraf, so tat ich nimmer einen so tierisch-tiefen
Nachmittagsschlaf als an diesem Nachmittage. Mir war es wahrlich nach den
Erlebnissen des Tages, die Temperatur eingerechnet, nicht möglich wach zu
bleiben, und ich schlief -- schlief totenähnlich, totengleich; es kümmerte
mich gar nicht, ob die andern das laute, lärmende Spiel weiter trieben, ob
es sich fortdrängte an den Straßenecken und auf den Heerstraßen. Einen
älteren Herrn als mich würde wahrscheinlich der Schlag gerührt haben; im
Falle er mich gerührt hätte, würde ich nicht das geringste davon gemerkt
haben. Signor Ceretto Wichselmeyer würde mich steif und still auf dem Diwan
gefunden und das Weitere veranlaßt haben; es war nämlich natürlich der Mohr
aus dem Schüsselkorbe zu Bremen, der mich durch wiederholtes Gepoch an
meiner Tür nach fünf Uhr erweckte.

Meine Seele stieg auf aus der Tiefe des Vergessens, wie der Körper eines
Ertrunkenen aus der Tiefe des Wassers -- langsam und geschwollen.

»Ich bitte nach Menschenmöglichkeit um Entschuldigung,« sagte der Schwarze,
»aber es ging um mein Leben, wenn ich nach Hause kam, ohne Sie gesehen und
gesprochen zu haben.«

»Um Ihr Leben, Ceretto?«

»Oder um meine Augen, was mir doch auch verdrießlich gewesen sein würde.«

»Und wer --«

»Pst!« sagte der Neger, mit dem Finger auf den Lippen, und blickte grinsend
über die Schulter nach der Tür zurück, als ob er erwarte, daß sofort jemand
hervorstürzen würde, um die fernere Ausführung seiner Sendung zu
übernehmen. Dann trat er auf den Zehen so nahe als möglich an mich heran
und stöhnte kläglich:

»Oh!«

»Etwas deutlicher und etwas weniger geheimnisvoll, wenn ich bitten darf,
Ceretto!« rief ich kläglich und geärgert. »Ihr wißt, daß ich zu allen
Zeiten mit Vergnügen höre, was Ihr mir zu sagen habt -- selbst wenn es der
Auftrag eines andern ist -- aber augenblicklich -- bin ich -- ein wenig
sehr beschäftigt -- in Anspruch genommen -- kurz -- ich bitte Sie, Ceretto,
fassen Sie sich so kurz als möglich.«

»Mit dieser Absicht kam ich, Herr. Also ganz kurz -- unsere Freundschaft
ist zu Ende.«

»Unsere Freundschaft?«

»Ist aus und zu Ende! Sie haben sich bei den Ohren gehabt und einander die
Gesichter zerkratzt wie zwei Konkurrentinnen, die einander grad gegenüber
jede einen wilden Mann sehen lassen. Ich habe das als einer der wilden
Indianer einmal selber erlebt, doch damals behielt mich meine Prinzipalin
und ich meinen Dienst. Diesmal und unter andern Umständen ist mir auf
Michaelis gekündigt worden, und wenn Sie, verehrter Herr, mich dann
gebrauchen können, stelle ich mich schon heute zur Verfügung. Sonst ist
alles in der schönsten Ordnung, und selbst der Herr Autor Kunemund wäre
nicht imstande, eine größere Ordnung hineinzubringen.«

»Aber meine fünf gesunden Sinne nebst allem übrigen bringt Ihr in die
größte Unordnung, Ihr schwarzes Untier!« rief ich. »Wer hat sich in den
Haaren gelegen und gegenseitig die Gesichter zerkratzt?«

»Mein hübsche Herrin, das junge Kind, das seit heute morgen bei der Alten
im Cyriacushofe sitzt, und meine schöne Herrin, die seit gestern nacht
durch alle Zimmer rennt, ihrer Kammerjungfer mit dem Polizeikommissar
gedroht hat und fortwährend Tische und Stühle über den Haufen stößt. Wer
denn anders?«

Meine Phantasie war plötzlich in einem merkwürdig hohen Grade tätig. Ich
sah und hörte die Frau Christine -- sie mußte entzückend in ihrer Aufregung
sein. Vorgebeugt, mit verhaltenem Atem und wahrscheinlich ziemlich albern
fixiertem Blicke stierte ich auf den Mohren, als müsse ich eine neue Welt
aus seiner schwarzen Seele hervorstieren; und der Schlingel grinste --
grinste und blieb stumm, bis ich ihn an der Schulter packte und wenigstens
das Übrige, was er mir zu sagen hatte, aus ihm herausschüttelte.

»Es ging sofort los, nachdem wir vorgestern nacht nach Hause gekommen
waren. Mein Liebchen hin, meine Liebe her! Meine Gute her, meine Beste hin!
Liebe Christine -- liebe Gertrude! Fräulein Tofote -- gnädige Frau!...
Damit waren wir dann in den richtigen Ton gefallen, und die
Auseinandersetzung konnte einen ruhigen Verlauf nehmen und nahm ihn auch. O
Herr, Sie -- und gerade nach dem traurigen Ereignis da im Hofe -- hätten
hinter dem Vorhange stehen und sie auf dem Diwan nebeneinander sitzen sehen
sollen! Ich habe vor manchem Vorhange die Pauke geschlagen; aber hier hielt
ich mich so still als möglich hinter ihm und horchte wie ein Mäuschen, bis
die gnädige Frau das gnädige Fräulein auch wieder >mein Mäuschen< nannte,
und man sich für diesmal gute Nacht sagte, gerade an derselbigen Stelle, wo
sich Katze und Hund gleichfalls gute Nacht zu sagen pflegen. Können Sie es
sich wohl vorstellen, daß sie sich wirklich beiderseits dabei auf die
Stirnen küßten? Mir hinter der Tür traten die Tränen in die Augen.«

Ich setzte mich, unfähig etwas zu bemerken, auf meinen Diwan; doch der
Freigelassene des alten Satans Mynheer van Kunemund hatte noch länger sein
Vergnügen an meiner Furcht vor ihm.

»Ja, ja,« sagte er mit melancholisch-philosophischem Akzent, »es ist
lieblich, wie sich das alles vor den Augen der Welt zurechtlegt; -- es ist
so schön, die Greisin im Cyriacushofe zu trösten, und es ist so sehr
erquickend, seinen Willen zu bekommen und doch noch von jedermann darum
gelobt zu werden; von dem jungen Herrn von Wittum vor allen andern.« --

Waren das wirklich die Gründe, denen der Meister Autor und ich es zu danken
hatten, daß wir die Gertrud Tofote die alte verlassene Frau im Cyriacushofe
tröstend und durch ihre Gegenwart im Schmerze aufrichtend fanden? Matt und
unfähig darüber nachzudenken, fragte ich:

»Und was nun? was nun weiter, lieber Mann?«

»Natürlich wünscht man Sie zu sehen und das Weitere mit Ihnen zu
überlegen.«

»Wer wünscht das, Herr Wichselmeyer?«

Der Mohr sah mich unbeschreiblich verachtungsvoll an und ließ eine
verhältnismäßig lange, aber glücklicherweise wenig kostbare Zeit
vorüberstreichen, ehe er mich einer Antwort würdigte.

»Das Kind doch nicht?!« rief er endlich. »Sie würden der letzte sein, an
den das gnädige Fräulein sich um Rat und Trost wenden würde; aber die
gnädige Frau bittet um einen Besuch, wünscht sich Ihnen an das Herz zu
legen und Ihre Wut an Ihnen auszulassen.«

»An mir?! Gütiger Himmel, weshalb denn gerade an mir?«

»An den Tod kann man sich nicht halten; der Herr Autor Kunemund lassen auch
nicht mit sich scherzen, und einen muß man doch haben, dem man sagen darf,
was man über die ganze Geschichte denkt! Sie sind der Mann, lieber Herr;
Sie allein; denn Sie sind zugleich ein Mann von Welt, und wer in dieser
lästerlichen, hinterlistigen, heimtückischen Welt keine Sehnsucht empfindet
nach der einzigen Kreatur, von der man gewiß weiß, daß sie uns versteht und
uns nachfühlt, der ist eben in eine andere Schule gegangen und hat darin
das Seinige gelernt, ungefähr wie ein gewisser Nigger, der sich aus
Bescheidenheit weiter nicht nennen will, dessen Dienstbuch aber jederzeit
auf der Polizei eingesehen werden kann.«

Ich hielt mir die Stirn mit beiden Händen. Dieses an diesem glühenden
Tage?!...

»Meine Empfehlung an Ihre Herrin, Ceretto, ich werde ihr meine Aufwartung
machen.«

»Das werde ich bestellen, obgleich es, sozusagen, überflüssig ist; -- man
kannte die Antwort schon ohne das.«

Nun hätte ich den Schwarzen doch noch aus der Tür werfen müssen; er schien
es aber auch einzusehen und entfernte sich schleunigst ohne das, nachdem er
sein letztes Wort gesprochen hatte.




Fünfundzwanzigstes Kapitel.


Ein Gewitter mußte kommen, und gegen sechs Uhr zeigten sich die Vorboten
desselben an allen Ecken und Enden, das heißt über alle Dächer her, die mir
rings um meine Fenster den unermeßlichen Äther verengerten. Während die
giftig-weißen Wolkenballen emporstiegen und, sich umwälzend, ihre Farbe ins
Dunkelgraue, ins Schwarze verwandelten, machte ich die möglich-sorgsamste
Toilette, meine äußere Erscheinung gleichfalls aus dem Grauen ins Schwarz
verändernd. Zu gleicher Zeit machte ich unter dem Einfluß der elektrischen
Schwüle einen Seelenprozeß durch, dessen häufigere Wiederholung mir für den
Körper nicht wünschenswert sein konnte.

Ich überdachte mein Leben und zählte die Jahre desselben. Die Summe der
letzteren streifte nahe an die Zahl Vierzig heran; das erstere erschien mir
in der augenblicklichen Gewitterbeleuchtung wie ein gutstehendes,
wohlgehäufeltes, unübersehbares, aber auf Regen wartendes Kartoffelfeld. Ob
das, was der Meister Autor »versunkene Gärten« nannte, unter der nahrhaften
Vegetation begraben lag, will ich unaufgerührt lassen; sicher aber war, daß
mir das noch niemals so glaublich erschienen war, als in diesen
Augenblicken. So weich, so menschenscheu und zugleich so sehr
menschenbedürftig wie jetzt hatten mich Leben und Tod noch nie gestimmt.

»Diese Hexe!« stöhnte ich leise, die Hemdärmel zuknöpfend. O, sie wußte es
ganz genau, was sie zustande brachte, als sie neulich fragte: wer ist denn
der Herr da? -- Hätte sie statt dessen, beide Hände mir entgegenstreckend,
die Bekanntschaft erneuert, so wäre alles verlaufen wie es sich eigentlich
gehört -- erfreulich, höflich, in den besten gesellschaftlichen Formen;
aber bei

        der Macht Proserpinas
    Und bei Dianas unverrückter Allgewalt,
    Auch bei den Büchern, kräftiger Bannsprüche voll,
    Die hoch vom Himmel feste Stern' herunterziehn --

dies Weib wußte, was für ein Zauberwort es gebrauchte!

Wer ist denn der Herr eigentlich? -- --

Ich nähere mich dem Schlusse meines Berichtes und werde im Gegensatze zu
meinen, derartige psychologische Raritäten novellistisch aus der Tiefe
ihres Talentes herauffischenden Kollegen von Wort zu Wort, von Satz zu Satz
ehrlicher und wahrer. Diese an das alberne Gänschen, das Trudchen Tofote
gerichtete Frage: Wer ist der Herr? ich sollte ihn eigentlich kennen! --
fibrierte zu allen Stunden scharf und schrillend mir durch die innigsten,
wehmütigsten Gemütsbewegungen der letzten Tage und Nächte. Wir mögen noch
so sehr in das Schicksal anderer Leute verflochten werden, unser eigenes
Schicksal behalten wir darum doch für uns allein, und es ist uns stets --
manchmal unsern tiefsten Empfindungen und Anmahnungen zum Trotz, das
wichtigere.

Das Wort der Hexe ärgerte mich durch die Stunden am Bette des sterbenden
Steuermanns, setzte mir seine scharfen Nägel mitten im Verkehr mit dem
Meister Autor und der Base in das weiche Herzfleisch, war mir in der heißen
Sonne unter den hohnlachenden Lebensbäumen am Grabe des Seefahrers Karl
Schaake wie ein eisiger Hauch im Nacken und zwang mich mehrmals, mich
umzusehen, _wer_ »eigentlich« da hinter mir stehe und mich anblase.

Was waren mir alle versunkenen und versinkenden Gärten gegen dieses
höhnische, lebendige, blühende Lächeln der Hexe, der Frau Christine von
Wittum?!...

Wir kannten uns recht gut; wenn wir uns auch durch manches Jahr aus dem
Gesichte verloren hatten. Als wir uns kennen lernten, waren wir noch --

»Oooooh!« stöhnte ich, und mit dem Griffe, mit welchem andere Leute dann
und wann nach der Pistole, dem Strick oder dem Rasiermesser griffen, faßte
ich meinen Hut und ging -- ging zur Frau Christine, die mich durch den
Zaubermohr und Diener weiland Mynheers van Kunemund hatte ersuchen lassen,
noch einmal bei ihr vorzusprechen.

Es lag mir schwer in den Gliedern, und ich wunderte mich gar nicht über
die müden, verdrossenen Gesichter der Leute in den Straßen. Langsam, ein
Bein dem andern nachschleifend, erreichte ich die Haustür der gnädigen
Frau, und auch hier wieder fand ich natürlich den Signor Ceretto
Wichselmeyer am Pfosten lehnend, -- wie in jener Mondnacht unter dem
Torbogen des Cyriacihofes. Außer der Hautfarbe hatte er von seinen
afrikanischen Ahnen noch dieses an sich behalten, daß ihm nicht leicht bei
irgendeiner europäischen Temperatur (physischen wie moralischen) zu schwül
zumute wurde. Er nickte mir freundlich und aufmunternd zu, geleitete mich
die Treppe hinauf, öffnete mir die Tür des Salons und meldete mich:

»Herr Baron von Schmidt!«

Da vernahm ich denn aus der Tiefe des bereits bei der Schilderung jenes
Gesellschaftsabends erwähnten tropischen Zimmergartens ein sonores,
wohlklingendes:

»Endlich!«

und entgegen meinem Herzklopfen rauschte die Frau Christine von Wittum,
reichte mir die Hand und rief:

»Ich habe zu Ihnen geschickt, um doch _einen_ Menschen zu haben, an dem ich
mein Mütchen kühlen konnte. Welche ärgerlichen, verdrießlichen,
langweiligen Tage! Aber Sie haben mich zu lange warten lassen, mein Herr;
und während des Wartens hab' ich mich eines andern besonnen: Lieber Baron,
ich würde noch einmal zu Ihnen geschickt haben, um Sie bitten zu lassen,
ruhig zu Hause zu bleiben, wenn mich diese fürchterliche Luft nicht
vollständig unfähig gemacht hätte, nochmals die Hand nach dem Klingelzug
auszustrecken. O ihr Götter, was alles muß man in dieser trostlosen Welt
ausstehen!«

»Allerlei Art von Dasein, liebe Gnädige,« sagte ich.

»Und ist das nicht gerade die Dummheit? Weshalb allerlei Dasein? Was geht
uns das anderer Leute an? Ich bitte Sie, was zum Beispiel hatten Sie sich
in die Verhältnisse dieser guten Menschen, die seltsamerweise
augenblicklich uns beide zu gleicher Zeit quälen und beunruhigen, zu
mischen?«

»Ich habe mich nicht hineingemischt, meine Gnädige. Mit Behagen, Spannung,
Rührung, Trauer und --«

»Und? und?«

»Und Mißbehagen habe ich als Zuschauer dagestanden und wahrlich mehr guten
Rat empfangen als gegeben.«

»Sie behaupten also, mein Herr, mir das törichte Ding, dieses hübsche aber
gänzlich unbedeutende Waldblümchen, diese Gertrud Tofote, aus welcher ich
in einer Laune mein Püppchen, mein Spielzeug gemacht hatte, nicht genommen
zu haben?«

»Mein Wort darauf!«

Es trat eine Pause in der Unterhaltung ein. Draußen in der Gasse trieb sich
jetzt ein heißer Wind um, und die Staubwirbel bis zu unserm Balkon in die
Höhe.

»Schließen Sie doch die Balkontür, bitte,« sagte die Frau Christine.
»Heute bin _ich_ meinerseits in der Stimmung, alles um mich symbolisch zu
nehmen und mich darüber zu ärgern.«

Ich lächelte, und --

»Lachen Sie nicht!« rief die gnädige Frau, in der Tat ziemlich aufgeregt;
aber zurücksinkend kam sie auf meinen letzten Ausruf zurück.

»Ich muß Ihnen also wohl auf Ihr Wort hin glauben! O, wüßten Sie nur, wie
sehr es mich innerlich angriff, als mir dieses alberne Trudchen den Stuhl
vor die Tür setzte. Gütiger Himmel, etwas muß ich doch haben, um dieser
tödlichen Langweile zu entgehen, und es machte mir doch wenigstens für
einige Monate Spaß, diese kleine Intrige geschickt zu führen. Weshalb will
sie denn meinen guten Vetter nicht? Der brave Seemann war ihr nie etwas; es
wird ihr überhaupt niemals jemand viel sein können! Dem guten Vollrad kommt
es darauf nicht an, und er ist wirklich außerdem gar nicht so übel.
Wahrhaftig, lieber Freund, auch ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich
nicht -- einzig und allein -- aus erbärmlichen Philisterinteressen hier
kuppelte. Baron, ich mußte einmal wieder etwas um die Hand haben, und,
vertraulich gesagt, ich gebe den Faden auch noch nicht aus der Hand. Ich
bin fest überzeugt, daß ich doch noch meinen Willen bekommen werde und zwar
zum Besten aller dabei Beteiligten.«

»Das ist auch meine feste Überzeugung!« rief ich und sprach nie ein
wahreres Wort. --

Das Gewittergewölk war unterdessen immer höher emporgerückt und zwar von
allen vier Weltgegenden her. Die schweren Dunstmassen legten sich immer
dunkler eine über die andere, und jedermann sah nach seinen Fenstern und
Fensterläden, oder warf bedenkliche Blicke am Blitzableiter empor, wenn ein
solcher in der Nähe seiner Wohnung vorhanden war. Sorgliche Familienväter
benutzten die günstige Gelegenheit, ihre Kinder auf die Vorsichtsmaßregeln,
die von den denkenden Menschen bei einem Gewitter anzuwenden sind, und die
so selten jemand in Anwendung bringt, von neuem aufmerksam zu machen. Alte
und junge nervenschwache Weiber von beiden Geschlechtern atmeten nur noch
in der Vorstellung, daß sich ja ein Keller unter dem Hause befinde, und --
ich und die schöne junge Witwe dachten an gar nichts, sondern unterhielten
uns von jener Zeit, wo die gnädige Frau noch einfach Christinchen Erdmann,
das hübsche, kluge, lebhafte Töchterchen des Bergmeisters Erdmann zu
Clausthal, und ich der eben von der Bergakademie Freiberg heimgekehrte
Bergeleve Emil von Schmidt war.

Wir sprachen nicht über Neptunismus und Plutonismus, aber wir sprachen auch
nicht über Platonismus; denn was den letztern anbetraf, so unterhielten wir
uns eine geraume Zeit darüber: wer von unseren damaligen Bekannten und
Bekanntinnen, Freunden und Freundinnen geheiratet habe, und wer nicht. Wir
berührten auch ganz leise die delikate Erfahrung, daß die Zeit mit
überraschender Schnelligkeit hingehe, und von diesem Absatze der
Unterhaltung aufblickend, fanden wir es von neuem entsetzlich schwül.

Es verwirrte sich der Tag allgemach in meinem Gehirne mehr und mehr. Der
heiße, schwermütige Gang und die helle unbarmherzige Sonne, das offene Grab
und das halbzugeschüttete, der Meister Autor mit dem Thujazweige an dem
Grabe, und dann der kühle, der kalte Cyriacushof, die dämmerige Stube der
Base Schaake, in der die unheimlichen Kerzen nicht mehr brannten, wo aber
Trudchen Tofote auf dem Spinnstuhle der Greisin neben dem trostlosen
Hafenmeister saß! Und jetzt? Da rieselte, plätscherte inmitten des
tropischen Gartens der kleine künstliche Springbrunnen, und die Goldfische
im buntausgelegten Becken stiegen auf und ab in ihrem Elemente,
schwänzelten hin und her, -- fort und fort. Auf dem Rande des Beckens kroch
oder klebte vielmehr eine handgroße Schildkröte, welche fortwährend leise
den Kopf aus der Schale vorschob, um ihn ebenso leise und langsam wieder
unter dieselbe zurückzuziehen, und ich sah auf das Tier, und mit einem Male
überkam mich die stupid-stupende Vorstellung, wie angenehm es sein müsse,
in solch ein Geschöpf einmal überzugehen und gleichfalls regungslos zu
sitzen und von dem Rande der Flut in ähnlicher Weise dem Spiel, dem
langweilig beweglichen Spiel der Gold- und Silberfische zuzusehen.

Unwillkürlich, mich gänzlich in dieser beneidenswerten Art der
Metempsychose verlierend, schob auch ich den Kopf und Hals aus der Krawatte
hervor und zog beides wie die geharnischte Kröte zurück; richtig, es ging
bereits!... und mitten in der Schwüle, der schlimmen Schwüle des Abends
perlten mir plötzlich die kältesten Angstschweißtropfen auf der Stirn: was
ging es mich an, ob der Meister Autor Kunemund sein eigenes Leben habe?
Hatte ich nicht auch das meinige?! Hatte nicht die gnädige Frau recht?

Was ging mich überhaupt der Meister Autor samt seiner Sippschaft an? Seit
ich ihn kennen lernte, hatte er nicht ein einziges Mal etwas
Außerordentliches gesagt -- und getan noch weniger -- --

Ich war nahe daran, ziemlich geringschätzig über den Meister Autor zu
denken, als ein langhallender, aber sehr ferner Donner durch den grauen,
heißen Abend rollte. Dabei blieb es jedoch auch: das Gewitter kam durchaus
in der Weise, wie es sich angekündigt hatte, nicht. Es krepierte.

Und die Frau Christine sprach währenddem immerfort freundlich weiter und
unterhielt mich auf das liebenswürdigste. Der Meister Autor hatte mehrmals
von dem Versinken der Gärten in dieser Welt gesprochen; das behielt
freilich sein Recht, doch wer hinderte uns denn, in dem Grün zu lustwandeln
und die Vögel singen zu hören, die Wasser springen zu sehen, solange es
noch anging? Wer hinderte uns, die beste Obstbaum- und Gemüsezucht zu
treiben, solange der fruchtbare Humus noch zutage lag? Spargel und grüne
Erbsen, Melonen, Äpfel, Birnen, Pflaumen sind etwas recht Gutes und lohnen
die Mühe und Arbeit, die man auf ihre Kultur verwendet. Wir sprachen gerade
darüber ziemlich eingehend, das heißt, wir legten einander unsere
Stellungen in der Gesellschaft klar und mit größtmöglichster Unbefangenheit
dar und fanden von neuem aus, daß wir alle beide gar nicht verächtliche
Gartenkünstler seien, sowohl was die Blumen- als was die Gemüsezucht
anbetreffe. Signor Ceretto Wichselmeyer behielt einfach das letzte Wort;
wie es geschah, weiß ich selber nicht genau anzugeben, aber das Faktum
steht mir heute unumstößlich fest: ich sprach der Frau Christine von Wittum
den Wunsch aus, frühere liebliche Tage in behaglicherer und gediegenerer
Weise von neuem leben zu dürfen, worauf sie lachte und meinte, sie habe
nichts dagegen einzuwenden.

Darauf wurden wir sehr ernst, unterhielten uns ungemein ruhig über das
Glück der Ehe und setzten unseren Hochzeitstag fest. Wir hatten beide
niemand um seinen Rat oder gar seine Zustimmung anzugehen; wir waren beide
mündig -- ich sogar sehr -- und was noch wichtiger war, wir glaubten fest,
es zu sein; und so -- wurden wir zu Winters Anfang ein Paar, umzäunten ein
neues Stück Erdenland und fingen von neuem an zu graben und zu pflanzen,
wie Adam und Eva -- sowohl dem Apfel des Glücks, wie dem Stein der Abnahme
zum Trotz. --




Sechsundzwanzigstes Kapitel.


Als ich dem Herrn Kunemund am folgenden Tage, das heißt am Tage nach dem
Begräbnis des Steuermanns Schaake, im Cyriacihofe meine Verlobung
mitteilte, schien er sich im Anfange ein wenig zu wundern. Ich muß es ihm
aber lassen, daß er sich rasch zu fassen und seinen Glückwunsch in
gebührender Form abzustatten wußte.

»Sie werden doch unser Trudchen im Hause behalten, Sie und Ihre liebe Frau
Gemahlin?« fügte er dann an. »Hier im Hofe findet sie sich eben in keiner
Weise, das ist mir jetzt schon von neuem klar aufgegangen. Und was sollte
sie bei mir und der Alten in unserm Dorfe? Das Kind ginge da einfach
zugrunde.«

Ich beruhigte ihn in der Beziehung, und es blieb nicht nur Signor Ceretto
in unsern Diensten, sondern auch Fräulein Gertrud Tofote behielt auch
fernerhin ihren Unterschlupf im Hause der Frau Christine; bis sie nach
unserer Verheiratung in mein Haus herüberkam. Es tat uns unendlich leid,
als sie im nächsten Sommer schon aus demselben wieder fortging.

Wir verheirateten sie richtig mit unserm Vetter Vollrad von Wittum!

Wir verheirateten sie?... Der richtige Ausdruck ist das eigentlich nicht.
Herr Autor Kunemund hatte nicht das geringste mit dem glücklichen Ereignis
zu schaffen, ich wenig, meine Frau nicht wenig und das meiste die liebliche
Braut selber. Wie viel oder wie wenig der Vetter Vollrad dabei beteiligt
war, das zu berechnen werde ich einfach dem Guten selber überlassen.

Der Meister Autor kam nicht zur Hochzeit; aber wir schickten das junge Paar
zu ihm. Wir ließen die jungen Leute beim Antritt ihrer Hochzeitsreise den
kleinen Umweg machen, und Trudchen schrieb uns später von Schaffhausen aus
sehr gerührt über den Empfang, den ihr und ihrem Gatten der arme gute Onkel
bereitet habe. Der Vetter hängte an den Brief seiner kleinen Frau ein
Postskriptum, in welchem er den Meister Autor für einen prächtigen Burschen
erklärte, der ihn lebhaft an seinen verrückten seligen Onkel mit den
Intaglien erinnert habe.

»Siehst du, Emil,« sagte meine kluge Frau, »man glaubt alle Augenblicke
vor einer Wand zu stehen, um jedesmal zu finden, daß ein Weg um dieselbe
herumführe.«

»Das ist ein Wort aus dem Lebensbuch des alten Kunemund, meine Beste,«
erwiderte ich, und Frau Christine von Schmidt sprach:

»So?... Das habe ich nicht gewußt.« --

Es führt freilich stets ein Weg um die Mauer. Der gute treue Hafenmeister
des armen Karl Schaake, die blauäugige Base im Cyriacihofe ging noch vorher
aus demselbigen fort, ehe die Maurer und Zimmerleute kamen, um sie
auszutreiben. Wir hatten uns ihretwegen so sehr vor dem ersten Schlag der
Spitzhaue auf das alte Gemäuer gefürchtet, und -- wie es sich nunmehr
zeigte -- ganz ohne Grund. Spitzhaue und Schaufel kamen zwar auch ins
Spiel, aber die Base Schaake ließ sie ruhig gewähren, ließ sie still ihre
wühlende Arbeit beginnen und endigen. Bei dieser Gelegenheit kam der
Meister Autor noch einmal von seinem Dorfe in die Stadt, besuchte mich in
meiner neuen Häuslichkeit, und da auch ich selbstverständlich der Base die
letzte Ehre gab, so gingen wir wieder einmal auf einem und demselben Wege
Schulter an Schulter.

»Denken Sie sich, die Alte wollte diesmal durchaus mit in die Stadt und die
Gelegenheit benutzen, um unserm Trudchen eine Visite zu machen,« sagte er.
»Diese unglückliche Kreatur, die sich kaum noch auf den Beinen hält und an
der die Stimme und das Gemüte das einzige Unveränderte geblieben ist! Ich
bin ihr wieder mal durch die Hintertür entwischt.«

Er sprach noch manches andere in der Art auf dem nachdenklichen Gange, daß
ich mehr als einmal leise seine Hand aufgriff und sie ihm herzlich drückte,
denn er zeigte mir durch diese seine Weise klar, daß ihm so wenig wie dem
wirklichen Meister Autor, Wolfgang von Goethe, »ein Sarg noch imponieren
könne.«

Von dem Grabe der Base weg machten wir der jungen Frau Gertrude von Wittum
und ihrem Gemahl einen Besuch. Wir trafen das reizende Weibchen vor ihrem
Pianoforte, an welchem sie eine in der Tat allerliebste Miene zu einem
außergewöhnlich bösen Spiel machte. Den Vetter Vollrad störten wir aus
einem etwas unerquicklichen Vormittagsschlafe vom Diwane auf. -- Das junge
Paar empfing uns in der herzlichsten, und, nachdem es sich ein wenig
gesammelt hatte, auch heitersten, ja fröhlichsten Weise. Wir wurden
gebeten, zu Mittage zu bleiben, aber Herr Autor Kunemund hatte bereits
meiner Frau die Ehre zugesagt und hielt Wort. --

Signor Ceretto stand während der Mahlzeit hinter dem Stuhle des Meisters
und sorgte in einer so diabolischen Art und Weise für die Bedürfnisse des
Greises, daß ich es endlich nicht mehr aushielt und den schwarzen Schlingel
wieder einmal zur Tür hinausjagte. Überhaupt gab mein Hauswesen mir bei
dieser Gelegenheit mehrfache Gründe, mich zu ärgern; obgleich, alles in
allem genommen, Christine sich besser in den Alten und alle seine
Eigentümlichkeiten hineinfand, als ich zu Anfang vermuten konnte. Bei der
Suppe saß sie ihm noch recht steif und frostig gegenüber; aber beim Braten
schon kam sie behaglich auf die gute Zeit zu sprechen, während welcher der
Förster Arend Tofote bei seinem schönen Kinde wohnte. Beim Nachtisch
überlief es mich wieder heiß und kalt; denn nunmehr fing sie ganz leise und
zärtlich an, unsern Gast auszuholen, weshalb er damals zuerst das harmlose
Beisammensein gestört habe und bei Nacht und Nebel den »Freunden«
durchgegangen sei? Was sie wahrscheinlich nicht erwartet hatte, trat ein:
der Meister sagte ihr ganz unbekümmert seine Gründe und wurde somit in
harmlosester, naivster Weise ganz fürchterlich grob und ärgerlich.

Aber Christine faßte sich nach der Überwindung der ersten Verblüffung mit
bestem Humor.

»Es ist doch schade,« sagte sie, »wir hätten uns früher kennen lernen
sollen und dann genauer!« -- --

Nun sind wieder zwei Jahre hingegangen. Heute wohnen Vollrad und Gertrud
»der Billigkeit,« »der Schönheit der Gegend und der angenehmen Lebensweise«
wegen in Freiburg im Breisgau. Ich habe den höchsten Wunsch meiner Frau
erfüllt und bin mit ihr nach Berlin übergesiedelt. Ceretto haben wir als
eine Art von gutem Genius mit uns dahin genommen. Was dieser schwarze
Sündenbock uns in unserer Ehe wert ist, läßt sich weder wiegen noch messen;
wir werfen ihn wie einen Federball zwischen uns hin und her, und er läßt es
sich mit der besten Laune gefallen. Mir imponiert dieser kuriose Philosoph
viel zu sehr, als daß ich es je einmal dahin gebracht hätte, ihn als meinen
Bedienten ansehen zu können. -- --

Vor vier Wochen sprach ich noch einmal bei Herrn Autor Kunemund vor. Er
sah nie sehr gut und weit in seinem Leben, aber jetzt sah er fast gar nicht
mehr. Die Alte lebte noch; aber sein alter Dachshund hatte ihm Valet
gesagt, und --

»wie ich den Arend kenne, so wäre der imstande gewesen, mir auch diesen
guten Freund auszustopfen und in einem Glaskasten hinzustellen. Damit ist
es nun freilich nichts,« sagte der Meister auf seiner Schnitzbank
nachdenklich den Kopf schüttelnd.

Er saß noch immer gern auf seiner Schnitzbank; doch das gute, künstliche
Messer leistete kaum noch etwas in seiner Hand. Das Dorf aber handelte brav
an seinem greisen, ins Nest zurückgekehrten Kuckuck; Langeweile konnte der
Meister nicht haben, denn der Besuch von jung und alt riß nicht ab, auch
nicht während meines Aufenthaltes bei ihm.

Um Mittag brachte er mich auf den Feldweg zur nächsten Station, und unter
einer Eichengruppe nahmen wir Abschied voneinander, wahrscheinlich für
immer. Er war alt, und der Weg zu ihm mit einigen Unbequemlichkeiten
verknüpft. Wie oft auch noch während seiner übrigen Lebenszeit ich von dem
Bahnzuge aus sein Dorf in der Ferne daliegen sehen mochte: es stand dahin,
ob ich noch einmal einen Lebenstag auf einen Besuch bei ihm verwenden
würde.

Zum Schlusse machte der Alte selber eine dahin bezügliche Bemerkung.

»Alles ist in der Welt vorhanden,« sagte er, »aber nichts an der richtigen
Stelle. Da ist es denn keinem zu verargen, daß er sich eben drein findet
und zugreift, wie es sich schickt. Was mich angeht, so verdenke ich es
niemandem, wenn er seinen Garten bestellt, wie es ihm am nützlichsten
scheint. Außerdem aber, Herr Baron, meine ich, daß, da über eines jeglichen
Felder, Ansichten, Taten und Werke die Fußsohlen, Pferdehufe und Wagenräder
der Nachkommenschaft doch endlich einmal weggehen, es gar keine Kunst ist,
das Leben leicht und vergnügt und die Erde, wie sie ist, zu nehmen.«

»Sie haben gut reden, Meister!« erwiderte ich etwas gedrückt und fuhr nach
Berlin zurück, oder vielmehr, einer Verabredung mit meiner Gattin zufolge,
zuerst bis Potsdam. Meine Frau erwartete mich am Bahnhofe und zwar in
Begleitung einer lieben, aber etwas leicht verletzbaren Tante -- einer
Erbtante, der wir am folgenden Morgen den Garten des alten klugen Königs
Fritz zu Sanssouci zu zeigen hatten. --




Anmerkungen zur Transkription:

Passagen, die im Originaltext gesperrt gedruckt waren, sind hier _so_
markiert. Passagen, die im Originaltext nicht in Fraktur gesetzt waren,
sind hier =so= markiert.

Die Rechtschreibung des Originaltextes wurde beibehalten.

Seite 128: »aufzuhaten« wurde geändert in »aufzuhalten«.





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LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
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1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
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If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
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provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
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providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
https://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at https://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit https://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including including checks, online payments and credit card
donations.  To donate, please visit: https://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


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