Märchen-Almanach auf das Jahr 1827

By Wilhelm Hauff

Project Gutenberg's Maerchen-Almanach auf das Jahr 1827, by Wilhelm Hauff

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Title: Maerchen-Almanach auf das Jahr 1827

Author: Wilhelm Hauff

Posting Date: June 6, 2012 [EBook #6639]
Release Date: October, 2004
First Posted: January 9, 2003

Language: German


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Märchen-Almanach auf das Jahr 1827

Wilhelm Hauff


Inhalt:

Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven (Rahmenerzählung)
Der Zwerg Nase
Abner, der Jude, der nichts gesehen hat
Der arme Stephan
Der gebackene Kopf
Der Affe als Mensch (Der junge Engländer)
Das Fest der Unterirdischen
Schneeweißchen und Rosenrot
Die Geschichte Almansors




Der Scheik von Alessandria und seine Sklaven

Wilhelm Hauff


Der Scheik von Alessandria, Ali Banu, war ein sonderbarer Mann; wenn
er morgens durch die Straßen der Stadt ging, angetan mit einem Turban,
aus den köstlichsten Kaschmirs gewunden, mit dem Festkleide und dem
reichen Gürtel, der fünfzig Kamele wert war, wenn er einherging
langsamen, gravitätischen Schrittes, seine Stirne in finstere Falten
gelegt, seine Augenbrauen zusammengezogen, die Augen niedergeschlagen
und alle fünf Schritte gedankenvoll seinen langen, schwarzen Bart
streichend; wenn er so hinging nach der Moschee, um, wie es seine
Würde forderte, den Gläubigen Vorlesungen über den Koran zu halten:
da blieben die Leute auf der Straße stehen, schauten ihm nach und
sprachen zueinander: "Es ist doch ein schöner, stattlicher Mann, und
reich, ein reicher Herr", setzte wohl ein anderer hinzu, "sehr reich;
hat er nicht ein Schloß am Hafen von Stambul?  Hat er nicht Güter und
Felder und viele tausend Stück Vieh und viele Sklaven?"

"Ja", sprach ein dritter, "und der Tatar, der letzthin von Stambul
her, vom Großherrn selbst, den der Prophet segnen möge, an ihn
geschickt kam, der sagte mir, daß unser Scheik sehr in Ansehen stehe
beim Reis-Effendi, beim Kapidschi-Baschi, bei allen, ja beim Sultan
selbst."

"Ja", rief ein vierter, "seine Schritte sind gesegnet; er ist ein
reicher, vornehmer Herr, aber--aber, ihr wißt, was ich meine!"  "Ja,
ja!" murmelten dann die anderen dazwischen, "es ist wahr, er hat auch
ein Teil zu tragen, möchten nicht mit ihm tauschen; ist ein reicher,
vornehmer Herr; aber, aber!"

Ali Banu hatte ein herrliches Haus auf dem schönsten Platz von
Alessandria; vor dem Hause war eine weite Terrasse, mit Marmor
ummauert, beschattet von Palmbäumen; dort saß er oft abends und
rauchte seine Wasserpfeife.  In ehrerbietiger Entfernung harrten dann
zwölf reichgekleidete Sklaven seines Winkes; der eine trug seinen
Betel, der andere hielt seinen Sonnenschirm, ein dritter hatte Gefäße
von gediegenem Golde, mit köstlichem Sorbet angefüllt, ein vierter
trug einen Wedel von Pfauenfedern, um die Fliegen aus der Nähe des
Herrn zu verscheuchen; andere waren Sänger und trugen Lauten und
Blasinstrumente, um ihn zu ergötzen mit Musik, wenn er es verlangte,
und der gelehrteste von allen trug mehrere Rollen, um ihm vorzulesen.

Aber sie harreten vergeblich auf seinen Wink; er verlangte nicht
Musik noch Gesang, er wollte keine Sprüche oder Gedichte weiser
Dichter der Vorzeit hören, er wollte keinen Sorbet zu sich nehmen,
noch Betel kauen, ja, selbst der mit dem Fächer aus Pfauenfeder hatte
vergebliche Arbeit; denn der Herr bemerkte es nicht, wenn ihn eine
Fliege summend umschwärmte.  Da blieben oft die Vorübergehenden
stehen, staunten über die Pracht des Hauses, über die
reichgekleideten Sklaven und über die Bequemlichkeit, womit alles
versehen war; aber wenn sie dann den Scheik ansahen, wie er so ernst
und düster unter den Palmen saß, seine Augen nirgends hinwandte als
auf die bläulichen Wölkchen seiner Wasserpfeife, da schüttelten sie
die Köpfe und sprachen: "Wahrlich, der reiche Mann ist ein armer Mann.
Er, der viel hat, ist ärmer als der, der nichts hat; denn der
Prophet hat ihm den Verstand nicht gegeben, es zu genießen."

So sprachen die Leute, lachten über ihn und gingen weiter.

Eines Abends, als der Scheik wiederum vor der Türe seines Hauses saß,
umgeben von allem Glanz der Erde, und traurig und einsam seine
Wasserpfeife rauchte, standen nicht ferne davon einige junge Leute,
betrachteten ihn und lachten.

"Wahrlich", sprach der eine, "das ist ein törichter Mann, der Scheik
Ali Banu; hätte ich seine Schätze, ich wollte sie anders anwenden.
Alle Tage wollte ich leben herrlich und in Freuden; meine Freunde
müßten bei mir speisen in den großen Gemächern des Hauses, und Jubel
und Lachen müßten diese traurigen Hallen füllen."

"Ja", erwiderte ein anderer.  "Das wäre nicht so übel; aber viele
Freunde zehren ein Gut auf, und wäre es so groß als das des Sultans,
den der Prophet segne; aber säße ich abends so unter den Palmen auf
dem schönen Platze hier, da müßten mir die Sklaven dort singen und
musizieren, meine Tänzer müßten kommen und tanzen und springen und
allerlei wunderliche Stücke aufführen.  Dazu rauchte ich recht
vornehm die Wasserpfeife, ließe mir den köstlichen Sorbet reichen und
ergötzte mich an all diesem wie ein König von Bagdad."

"Der Scheik", sprach ein dritter dieser jungen Leute, der ein
Schreiber war, "der Scheik soll ein gelehrter und weiser Mann sein,
und wirklich, seine Vorlesungen über den Koran zeugen von Belesenheit
in allen Dichtern und Schriften der Weisheit; aber ist auch sein
Leben so eingerichtet, wie es einem vernünftigen Manne geziemt?  Dort
steht ein Sklave mit einem ganzen Arm voll Rollen; ich gäbe mein
Festkleid dafür, nur eine davon lesen zu dürfen; denn es sind gewiß
seltene Sachen.  Aber er?  Er sitzt und raucht und läßt
Bücher--Bücher sein.  Wäre ich der Scheik Ali Banu, der Kerl müßte
mir vorlesen, bis er keinen Atem mehr hätte oder bis die Nacht
heraufkäme; und auch dann noch müßte er mir lesen, bis ich
entschlummert wäre."  "Ha!  Ihr wißt mir recht, wie man sich ein
köstliches Leben einrichtet", lachte der vierte; "essen und trinken,
singen und tanzen, Sprüche lesen und Gedichte hören von armseligen
Dichtern!  Nein, ich würde es ganz anders machen.  Er hat die
herrlichsten Pferde und Kamele und Geld die Menge.  Da würde ich an
seiner Stelle reisen, reisen bis an der Welt Ende und selbst zu den
Moskowitern, selbst zu den Franken.  Kein Weg wäre mir zu weit, um
die Herrlichkeiten der Welt zu sehen.  So würde ich tun, wäre ich
jener Mann dort."

"Die Jugend ist eine schöne Zeit und das Alter, wo man fröhlich ist",
sprach ein alter Mann von unscheinbarem Aussehen, der neben ihnen
stand und ihre Reden gehört hatte, "aber erlaubet mir, daß ich es
sage, die Jugend ist auch töricht und schwatzt hier und da in den Tag
hinein, ohne zu wissen, was sie tut."

"Was wollt Ihr damit sagen, Alter?" fragten verwundert die jungen
Leute.  "Meinet Ihr uns damit?  Was geht es Euch an, daß wir die
Lebensart des Scheiks tadeln?"

"Wenn einer etwas besser weiß als der andere, so berichtige er seinen
Irrtum, so will es der Prophet", erwiderte der alte Mann, "der Scheik,
es ist wahr, ist gesegnet mit Schätzen und hat alles, wonach das
Herz verlangt, aber er hat Ursache, ernst und traurig zu sein.
Meinet ihr, er sei immer so gewesen?  Nein, ich habe ihn noch vor
fünfzehn Jahren gesehen, da war er munter und rüstig wie die Gazelle
und lebte fröhlich und genoß sein Leben.  Damals hatte er einen Sohn,
die Freude seiner Tage, schön und gebildet, und wer ihn sah und
sprechen hörte, mußte den Scheik beneiden um diesen Schatz, denn er
war erst zehn Jahre alt, und doch war er schon so gelehrt wie ein
anderer kaum im achtzehnten."

"Und der ist ihm gestorben?  Der arme Scheik!" rief der junge
Schreiber.

"Es wäre tröstlich für ihn, zu wissen, daß er heimgegangen in die
Wohnungen des Propheten, wo er besser lebte als hier in Alessandria;
aber das, was er erfahren mußte, ist viel schlimmer.  Es war damals
die Zeit, wo die Franken wie hungrige Wölfe herüberkamen in unser
Land und Krieg mit uns führten.  Sie hatten Alessandria überwältigt
und zogen von da aus weiter und immer weiter und bekriegten die
Mamelucken.  Der Scheik war ein kluger Mann und wußte sich gut mit
ihnen zu vertragen; aber, sei es, weil sie lüstern waren nach seinen
Schätzen, sei es, weil er sich seiner gläubigen Brüder annahm, ich
weiß es nicht genau; kurz, sie kamen eines Tages in sein Haus und
beschuldigten ihn, die Mamelucken heimlich mit Waffen, Pferden und
Lebensmitteln unterstützt zu haben.  Er mochte seine Unschuld
beweisen, wie er wollte, es half nichts, denn die Franken sind ein
rohes, hartherziges Volk, wenn es darauf ankommt, Geld zu erpressen.
Sie nahmen also seinen jungen Sohn, Kairam geheißen, als Geisel in
ihr Lager.  Er bot ihnen viel Geld für ihn; aber sie gaben ihn nicht
los und wollten ihn zu noch höherem Gebot steigern.  Da kam ihnen auf
einmal von ihrem Bassa, oder was er war, der Befehl, sich
einzuschiffen; niemand in Alessandria wußte ein Wort davon,
und--plötzlich waren sie auf der hohen See, und den kleinen Kairam,
Ali Banus Sohn, schleppten sie wohl mit sich, denn man hat nie wieder
etwas von ihm gehört."

"O der arme Mann, wie hat ihn doch Allah geschlagen!" riefen einmütig
die jungen Leute und schauten mitleidig hin nach dem Scheik, der,
umgeben von Herrlichkeit, trauernd und einsam unter den Palmen saß.

"Sein Weib, das er sehr geliebt hat, starb ihm aus Kummer um ihren
Sohn; er selbst aber kaufte sich ein Schiff, rüstete es aus und bewog
den fränkischen Arzt, der dort unten am Brunnen wohnt, mit ihm nach
Frankistan zu reisen, um den verlorenen Sohn aufzusuchen.  Sie
schifften sich ein und waren lange Zeit auf dem Meere und kamen
endlich in das Land jener Giaurs, jener Ungläubigen, die in
Alessandria gewesen waren.  Aber dort soll es gerade schrecklich
zugegangen sein.  Sie hatten ihren Sultan umgebracht, und die Paschas
und die Reichen und Armen schlugen einander die Köpfe ab, und es war
keine Ordnung im Lande.  Vergeblich suchten sie in jeder Stadt nach
dem kleinen Kairam, niemand wollte von ihm wissen, und der fränkische
Doktor riet endlich dem Scheik, sich einzuschiffen, weil sie sonst
wohl selbst um ihre Köpfe kommen könnten.

So kamen sie wieder zurück, und seit seiner Ankunft hat der Scheik
gelebt wie an diesem Tag, denn er trauert um seinen Sohn, und er hat
recht.  Muß er nicht, wenn er ißt und trinkt, denken, jetzt muß
vielleicht mein armer Kairam hungern und dürsten?

Und wenn er sich bekleidet mit reichen Schals und Festkleidern, wie
es sein Amt und seine Würde will, muß er nicht denken, jetzt hat er
wohl nichts, womit er seine Blöße deckt?  Und wenn er umgeben ist von
Sängern und Tänzern und Vorlesern, seinen Sklaven, denkt er da nicht,
jetzt muß wohl mein armer Sohn seinem fränkischen Gebieter Sprünge
vormachen und musizieren, wie er es haben will?  Und was ihm den
größten Kummer macht, er glaubt, der kleine Kairam werde, so weit vom
Lande seiner Väter und mitten unter Ungläubigen, die seiner spotten,
abtrünnig werden vom Glauben seiner Väter und er werde ihn einst
nicht umarmen können in den Gärten des Paradieses!

Darum ist er auch so mild gegen seine Sklaven und gibt große Summen
an die Armen; denn er denkt, Allah werde es vergelten und das Herz
seiner fränkischen Herren rühren, daß sie seinen Sohn mild behandeln.
Auch gibt er jedesmal, wenn der Tag kommt, an welchem ihm sein Sohn
entrissen wurde, zwölf Sklaven frei."

"Davon habe ich auch schon gehört", entgegnete der Schreiber, "aber
man trägt sich mit wundervollen Reden; von seinem Sohne wurde dabei
nichts erwähnt; wohl aber sagte man, er sei ein sonderbarer Mann und
ganz besonders erpicht auf Erzählungen; da soll er jedes Jahr unter
seinen Sklaven einen Wettstreit anstellen, und wer am besten erzählt,
den gibt er frei."  "Verlasset euch nicht auf das Gerede der Leute",
sagte der alte Mann, "es ist so, wie ich es sage, und ich weiß es
genau; möglich ist, daß er sich an diesem schweren Tage aufheitern
will und sich Geschichten erzählen läßt; doch gibt er sie frei um
seines Sohnes willen.  Doch, der Abend wird kühl, und ich muß
weitergehen.  Salem aleikum, Friede sei mit euch, ihr jungen Herren,
und denket in Zukunft besser von dem guten Scheik!"

Die jungen Leute dankten dem Alten für seine Nachrichten, schauten
noch einmal nach dem trauernden Vater und gingen die Straße hinab,
indem sie zueinander sprachen: "Ich möchte doch nicht der Scheik Ali
Banu sein."

Nicht lange Zeit, nachdem diese jungen Leute mit dem alten Mann über
den Scheik Ali Banu gesprochen hatten, traf es sich, daß sie um die
Zeit des Morgengebets wieder diese Straße gingen.  Da fiel ihnen der
alte Mann und seine Erzählung ein, und sie beklagten zusammen den
Scheik und blickten nach seinem Hause.  Aber wie staunten sie, als
sie dort alles aufs herrlichste ausgeschmückt fanden!  Von dem Dache,
wo geputzte Sklavinnen spazierengingen, wehten Wimpeln und Fahnen,
die Halle des Hauses war mit köstlichen Teppichen belegt, Seidenstoff
schloß sich an diese an, der über die breiten Stufen der Treppe
gelegt war, und selbst auf der Straße war noch schönes, feines Tuch
ausgebreitet, wovon sich mancher wünschen mochte zu einem Festkleid
oder zu einer Decke für die Füße.

"Ei, wie hat sich doch der Scheik geändert in den wenigen Tagen!"
sprach der junge Schreiber.  "Will er ein Fest geben?  Will er seine
Sänger und Tänzer anstrengen?  Seht mir diese Teppiche!  Hat sie
einer so schön in ganz Alessandria!  Und dieses Tuch auf dem gemeinen
Boden, wahrlich, es ist schade dafür!"

"Weißt du, was ich denke?" sprach ein anderer.  "Er empfängt
sicherlich einen hohen Gast; denn das sind Zubereitungen, wie man sie
macht, wenn ein Herrscher von großen Ländern oder ein Effendi des
Großherrn ein Haus mit seinem Besuch segnet.  Wer mag wohl heute
hierherkommen?"

"Siehe da, geht dort unten nicht unser Alter von letzthin?  Ei, der
weiß ja alles und muß auch darüber Aufschluß geben können.  Heda!
Alter Herr!  Wollet Ihr nicht ein wenig zu uns treten?"  So riefen sie;
der alte Mann aber bemerkte ihre Winke und kam zu ihnen; denn er
erkannte sie als die jungen Leute, mit welchen er vor einigen Tagen
gesprochen.  Sie machten ihn aufmerksam auf die Zurüstungen im Hause
des Scheiks und fragten ihn, ob er nicht wisse, welch hoher Gast wohl
erwartet werde.

"Ihr glaubt wohl", erwiderte er, "Ali Banu feiere heute ein großes
Freudenfest, oder der Besuch eines großen Mannes beehre sein Haus?
Dem ist nicht also; aber heute ist der zwölfte Tag des Monats Ramadan,
wie ihr wisset, und an diesem Tag wurde sein Sohn ins Lager geführt."

"Aber beim Bart des Propheten!" rief einer der jungen Leute.  "Das
sieht ja alles aus wie Hochzeit und Festlichkeiten, und doch ist es
sein berühmter Trauertag, wie reimt Ihr das zusammen?  Gesteht, der
Scheik ist denn doch etwas zerrüttet im Verstand."

"Urteilt Ihr noch immer so schnell, mein junger Freund?" fragte der
Alte lächelnd.  "Auch diesmal war Euer Pfeil wohl spitzig und scharf,
die Sehne Eures Bogens straff angezogen, und doch habt Ihr weitab vom
Ziele geschossen.  Wisset, daß heute der Scheik seinen Sohn erwartet."

"So ist er gefunden?" riefen die Jünglinge und freuten sich.  "Nein,
und er wird sich wohl lange nicht finden; aber wisset: Vor acht oder
zehn Jahren, als der Scheik auch einmal mit Trauern und Klagen diesen
Tag beging, auch Sklaven freigab und viele Arme speiste und tränkte,
da traf es sich, daß er auch einem Derwisch, der müde und matt im
Schatten jenes Hauses lag, Speise und Trank reichen ließ.  Der
Derwisch aber war ein heiliger Mann und erfahren in Prophezeiungen
und im Sterndeuten.  Der trat, als er gestärkt war durch die milde
Hand des Scheiks, zu ihm und sprach: 'Ich kenne die Ursache deines
Kummers; ist nicht heute der zwölfte Ramadan, und hast du nicht an
diesem Tage deinen Sohn verloren?  Aber sei getrost, dieser Tag der
Trauer wird dir zum Festtag werden, denn wisse, an diesem Tage wird
einst dein Sohn zurückkehren!' So sprach der Derwisch.  Es wäre Sünde
für jeden Muselmann, an der Rede eines solchen Mannes zu zweifeln;
der Gram Alis wurde zwar dadurch nicht gemildert, aber doch harrt er
an diesem Tage immer auf die Rückkehr seines Sohnes und schmückt sein
Haus und seine Halle und die Treppen, als könne jener zu jeder Stunde
anlangen."

"Wunderbar!" erwiderte der Schreiber.  "Aber zusehen möchte ich doch,
wie alles so herrlich bereitet ist, wie er selbst in dieser
Herrlichkeit trauert, und hauptsächlich möchte ich zuhören, wie er
sich von seinen Sklaven erzählen läßt."

"Nichts leichter als dies", antwortete der Alte.  "Der Aufseher der
Sklaven jenes Hauses ist mein Freund seit langen Jahren und gönnt mir
an diesem Tage immer ein Plätzchen in dem Saal, wo man unter der
Menge der Diener und Freunde des Scheiks den einzelnen nicht bemerkt.
Ich will mit ihm reden, daß er euch einläßt; ihr seid ja nur zu
viert, und da kann es schon gehen; kommet um die neunte Stunde auf
diesen Platz, und ich will euch Antwort geben."

So sprach der Alte; die jungen Leute aber dankten ihm und entfernten
sich, voll Begierde zu sehen, wie sich dies alles begeben würde.

Sie kamen zur bestimmten Stunde auf den Platz vor dem Hause des
Scheik und trafen da den Alten, der ihnen sagte, daß der Aufseher der
Sklaven erlaubt habe, sie einzuführen.  Er ging voran, doch nicht
durch die reichgeschmückten Treppen und Tore, sondern durch ein
Seitenpförtchen, das er sorgfältig wieder verschloß.  Dann führte er
sie durch mehrere Gänge, bis sie in den großen Saal kamen.  Hier war
ein großes Gedränge von allen Seiten; da waren reichgekleidete Männer,
angesehene Herren der Stadt und Freunde des Scheik, die gekommen
waren, ihn in seinem Schmerz zu trösten.  Da waren Sklaven aller Art
und aller Nationen.  Aber alle sahen kummervoll aus; denn sie liebten
ihren Herrn und trauerten mit ihm.  Am Ende des Saales, auf einem
reichen Diwan, saßen die vornehmsten Freunde Alis und wurden von den
Sklaven bedient.  Neben ihnen auf dem Boden saß der Scheik; denn die
Trauer um seinen Sohn erlaubte ihm nicht, auf dem Teppich der Freude
zu sitzen.  Er hatte sein Haupt in die Hand gestützt und schien wenig
auf die Tröstungen zu hören, die ihm seine Freunde zuflüsterten.  Ihm
gegenüber saßen einige alte und junge Männer in Sklaventracht.  Der
Alte belehrte seine jungen Freunde, daß dies die Sklaven seien, die
Ah Banu an diesem Tage freigebe.  Es waren unter ihnen auch einige
Franken, und der Alte machte besonders auf einen von ihnen aufmerksam,
der von ausgezeichneter Schönheit und noch sehr jung war.  Der
Scheik hatte ihn erst einige Tage zuvor einem Sklavenhändler von
Tunis um eine große Summe abgekauft und gab ihn dennoch jetzt schon
frei, weil er glaubte, je mehr Franken er in ihr Vaterland
zurückschicke, desto früher werde der Prophet seinen Sohn erlösen.

Nachdem man überall Erfrischungen umhergereicht hatte, gab der Scheik
dem Aufseher der Sklaven ein Zeichen.  Dieser stand auf, und es ward
tiefe Stille im Saal.  Er trat vor die Sklaven, welche freigelassen
werden sollten, und sprach mit vernehmlichen Stimme: "Ihr Männer, die
ihr heute frei sein werdet durch die Gnade meines Herrn Ali Banu, des
Scheik von Alessandria, tuet nur, wie es Sitte ist an diesem Tage in
seinem Hause, und hebet an zu erzählen!"

Sie flüsterten untereinander.  Dann aber nahm ein alter Sklave das
Wort und fing an zu erzählen:




Der Zwerg Nase

Wilhelm Hauff


Herr!  Diejenigen tun sehr unrecht, welche glauben, es habe nur zu
Zeiten Haruns Al-Raschid, des Beherrschers von Bagdad, Feen und
Zauberer gegeben, oder die gar behaupten, jene Berichte von dem
Treiben der Genien und ihrer Fürsten, welche man von den Erzählern
auf den Märkten der Stadt hört, seien unwahr.  Noch heute gibt es
Feen, und es ist nicht so lange her, daß ich selbst Zeuge einer
Begebenheit war, wo offenbar die Genien im Spiele waren, wie ich euch
berichten werde.

In einer bedeutenden Stadt meines lieben Vaterlandes, Deutschlands,
lebte vor vielen Jahren ein Schuster mit seiner Frau schlicht und
recht.  Er saß bei Tag an der Ecke der Straße und flickte Schuhe und
Pantoffeln und machte wohl auch neue, wenn ihm einer welche
anvertrauen mochte; doch mußte er dann das Leder erst einkaufen, denn
er war arm und hatte keine Vorräte.  Seine Frau verkaufte Gemüse und
Früchte, die sie in einem kleinen Gärtchen vor dem Tore pflanzte, und
viele Leute kauften gerne bei ihr, weil sie reinlich und sauber
gekleidet war und ihr Gemüse auf gefällige Art auszubreiten wußte.

Die beiden Leutchen hatten einen schönen Knaben, angenehm von Gesicht,
wohlgestaltet und für das Alter von zwölf Jahren schon ziemlich groß.
Er pflegte gewöhnlich bei der Mutter auf dem Gemüsemarkt zu sitzen,
und den Weibern oder Köchen, die viel bei der Schustersfrau
eingekauft hatten, trug er wohl auch einen Teil der Früchte nach
Hause, und selten kam er von einem solchen Gang zurück ohne eine
schöne Blume oder ein Stückchen Geld oder Kuchen; denn die
Herrschaften dieser Köche sahen es gerne, wenn man den schönen Knaben
mit nach Hause brachte, und beschenkten ihn immer reichlich.

Eines Tages saß die Frau des Schusters wieder wie gewöhnlich auf dem
Markte, sie hatte vor sich einige Körbe mit Kohl und anderm Gemüse,
allerlei Kräuter und Sämereien, auch in einem kleineren Körbchen
frühe Birnen, Äpfel und Aprikosen.  Der kleine Jakob, so hieß der
Knabe, saß neben ihr und rief mit heller Stimme die Waren aus:
"Hierher, ihr Herren, seht, welch schöner Kohl, wie wohlriechend
diese Kräuter; frühe Birnen, ihr Frauen, frühe Äpfel und Aprikosen,
wer kauft?  Meine Mutter gibt es wohlfeil."  So rief der Knabe.  Da
kam ein altes Weib über den Markt her; sie sah etwas zerrissen und
zerlumpt aus, hatte ein kleines, spitziges Gesicht, vom Alter ganz
eingefurcht, rote Augen und eine spitzige, gebogene Nase, die gegen
das Kinn hinabstrebte; sie ging an einem langen Stock, und doch
konnte man nicht sagen, wie sie ging; denn sie hinkte und rutschte
und wankte; es war, als habe sie Räder in den Beinen und könne alle
Augenblicke umstülpen und mit der spitzigen Nase aufs Pflaster fallen.

Die Frau des Schusters betrachtete dieses Weib aufmerksam.  Es waren
jetzt doch schon sechzehn Jahre, daß sie täglich auf dem Markte saß,
und nie hatte sie diese sonderbare Gestalt bemerkt.  Aber sie
erschrak unwillkürlich, als die Alte auf sie zuhinkte und an ihren
Körben stillstand.

"Seid Ihr Hanne, die Gemüsehändlerin?" fragte das alte Weib mit
unangenehmer, krächzender Stimme, indem sie beständig den Kopf hin
und her schüttelte.

"Ja, die bin ich", antwortete die Schustersfrau, "ist Euch etwas
gefällig?"

"Wollen sehen, wollen sehen!  Kräutlein schauen, Kräutlein schauen,
ob du hast, was ich brauche", antwortete die Alte, beugte sich nieder
vor den Körben und fuhr mit ein Paar dunkelbraunen, häßlichen Händen
in den Kräuterkorb hinein, packte die Kräutlein, die so schön und
zierlich ausgebreitet waren, mit ihren langen Spinnenfingern, brachte
sie dann eins um das andere hinauf an die lange Nase und beroch sie
hin und her.  Der Frau des Schusters wollte es fast das Herz
abdrucken, wie sie das alte Weib also mit ihren seltenen Kräutern
hantieren sah; aber sie wagte nichts zu sagen; denn es war das Recht
des Käufers, die Ware zu prüfen, und überdies empfand sie ein
sonderbares Grauen vor dem Weibe.  Als jene den ganzen Korb
durchgemustert hatte, murmelte sie: "Schlechtes Zeug, schlechtes
Kraut, nichts von allem, was ich will, war viel besser vor fünfzig
Jahren; schlechtes Zeug, schlechtes Zeug!"

Solche Reden verdrossen nun den kleinen Jakob.  "Höre, du bist ein
unverschämtes, altes Weib", rief er unmutig, "erst fährst du mit
deinen garstigen, braunen Fingern in die schönen Kräuter hinein und
drückst sie zusammen, dann hältst du sie an deine lange Nase, daß sie
niemand mehr kaufen mag, wer zugesehen, und jetzt schimpfst du noch
unsere Ware schlechtes Zeug, und doch kauft selbst der Koch des
Herzogs alles bei uns!"

Das alte Weib schielte den mutigen Knaben an, lachte widerlich und
sprach mit heiserer Stimme: "Söhnchen, Söhnchen!  Also gefällt dir
meine Nase, meine schöne lange Nase?  Sollst auch eine haben mitten
im Gesicht bis übers Kinn herab."  Während sie so sprach, rutschte sie
an den andern Korb, in welchem Kohl ausgelegt war.  Sie nahm die
herrlichsten weißen Kohlhäupter in die Hand, drückte sie zusammen,
daß sie ächzten, warf sie dann wieder unordentlich in den Korb und
sprach auch hier: "Schlechte Ware, schlechter Kohl!"

"Wackle nur nicht so garstig mit dem Kopf hin und her!" rief der
Kleine ängstlich.  "Dein Hals ist ja so dünne wie ein Kohlstengel,
der könnte leicht abbrechen, und dann fiele dein Kopf hinein in den
Korb; wer wollte dann noch kaufen!"

"Gefallen sie dir nicht, die dünnen Hälse?" murmelte die Alte lachend.
"Sollst gar keinen haben, Kopf muß in den Schultern stecken, daß er
nicht herabfällt vom kleinen Körperlein!"

"Schwatzt doch nicht so unnützes Zeug mit dem Kleinen da", sagte
endlich die Frau des Schusters im Unmut über das lange Prüfen,
Mustern und Beriechen, "wenn Ihr etwas kaufen wollt, so sputet Euch,
Ihr verscheucht mir ja die anderen Kunden."

"Gut, es sei, wie du sagst", rief die Alte mit grimmigem Blick.  "Ich
will dir diese sechs Kohlhäupter abkaufen; aber siehe, ich muß mich
auf den Stab stützen und kann nichts tragen; erlaube deinem Söhnlein,
daß es mir die Ware nach Hause bringt, ich will es dafür belohnen."

Der Kleine wollte nicht mitgehen und weinte; denn ihm graute vor der
häßlichen Frau, aber die Mutter befahl es ihm ernstlich, weil sie es
doch für eine Sünde hielt, der alten, schwächlichen Frau diese Last
allein aufzubürden; halb weinend tat er, wie sie befohlen, raffte die
Kohlhäupter in ein Tuch zusammen und folgte dem alten Weibe über den
Markt hin.

Es ging nicht sehr schnell bei ihr, und sie brauchte beinahe drei
Viertelstunden, bis sie in einen ganz entlegenen Teil der Stadt kam
und endlich vor einem kleinen, baufälligen Hause stillhielt.  Dort
zog sie einen alten, rostigen Haken aus der Tasche, fuhr damit
geschickt in ein kleines Loch in der Türe, und plötzlich sprang diese
krachend auf.  Aber wie war der kleine Jakob überrascht, als er
eintrat!  Das Innere des Hauses war prachtvoll ausgeschmückt, von
Marmor waren die Decke und die Wände, die Gerätschaften vom schönsten
Ebenholz, mit Gold und geschaffenen Steinen eingelegt, der Boden aber
war von Glas und so glatt, daß der Kleine einigemal ausglitt und
umfiel.  Die Alte aber zog ein silbernes Pfeifchen aus der Tasche und
pfiff eine Weise darauf, die gellend durch das Haus tönte.  Da kamen
sogleich einige Meerschweinchen die Treppe herab; dem Jakob wollte es
aber ganz sonderbar dünken, daß sie aufrecht auf zwei Beinen gingen,
Nußschalen statt Schuhen an den Pfoten trugen, menschliche Kleider
angelegt und sogar Hüte nach der neuesten Mode auf die Köpfe gesetzt
hatten.  "Wo habt ihr meine Pantoffeln, schlechtes Gesindel?" rief
die Alte und schlug mit dem Stock nach ihnen, daß sie jammernd in die
Höhe sprangen.  "Wie lange soll ich noch so dastehen?"

Sie sprangen schnell die Treppe hinauf und kamen wieder mit ein Paar
Schalen von Kokosnuß, mit Leder gefüttert, welche sie der Alten
geschickt an die Füße steckten.

Jetzt war alles Hinken und Rutschen vorbei.  Sie warf den Stab von
sich und glitt mit großer Schnelligkeit über den Glasboden hin, indem
sie den kleinen Jakob an der Hand mit fortzog.  Endlich hielt sie in
einem Zimmer stille, das, mit allerlei Gerätschaften ausgeputzt,
beinahe einer Küche glich, obgleich die Tische von Mahagoniholz und
die Sofas, mit reichen Teppichen behängt, mehr zu einem Prunkgemach
paßten.  "Setze dich, Söhnchen", sagte die Alte recht freundlich,
indem sie ihn in die Ecke eines Sofas drückte und einen Tisch also
vor ihn hinstellte, daß er nicht mehr hervorkommen konnte.  "Setze
dich, du hast gar schwer zu tragen gehabt, die Menschenköpfe sind
nicht so leicht, nicht so leicht."

"Aber, Frau, was sprechet Ihr so wunderlich", rief der Kleine.  "Müde
bin ich zwar, aber es waren ja Kohlköpfe, die ich getragen, Ihr habt
sie meiner Mutter abgekauft."

"Ei, das weißt du falsch", lachte das Weib, deckte den Deckel des
Korbes auf und brachte einen Menschenkopf hervor, den sie am Schopf
gefaßt hatte.  Der Kleine war vor Schrecken außer sich; er konnte
nicht fassen, wie dies alles zuging; aber er dachte an seine Mutter;
wenn jemand von diesen Menschenköpfen etwas erfahren würde, dachte er
bei sich, da würde man gewiß meine Mutter dafür anklagen.

"Muß dir nun auch etwas geben zum Lohn, weil du so artig bist",
murmelte die Alte, "gedulde dich nur ein Weilchen, will dir ein
Süppchen einbrocken, an das du dein Leben lang denken wirst."  So
sprach sie und pfiff wieder.  Da kamen zuerst viele Meerschweinchen
in menschlichen Kleidern; sie hatten Küchenschürzen umgebunden und im
Gürtel Rührlöffel und Tranchiermesser; nach diesen kam eine Menge
Eichhörnchen hereingehüpft; sie hatten weite türkische Beinkleider an,
gingen aufrecht, und auf dem Kopf trugen sie grüne Mützchen von Samt.
Diese schienen die Küchenjungen zu sein; denn sie kletterten mit
großer Geschwindigkeit an den Wänden hinauf und brachten Pfannen und
Schüsseln, Eier und Butter, Kräuter und Mehl herab und trugen, es auf
den Herd; dort aber fuhr die alte Frau auf ihren Pantoffeln von
Kokosschalen beständig hin und her, und der Kleine sah, daß sie es
sich recht angelegen sein lasse, ihm etwas Gutes zu kochen.  Jetzt
knisterte das Feuer höher empor, jetzt rauchte und sott es in der
Pfanne, ein angenehmer Geruch verbreitete sich im Zimmer; die Alte
aber rannte auf und ab, die Eichhörnchen und Meerschweinchen ihr nach,
und so oft sie am Herde vorbeikam, guckte sie mit ihrer langen Nase
in den Topf.  Endlich fing es an zu sprudeln und zu zischen, Dampf
stieg aus dem Topf hervor, und der Schaum floß herab ins Feuer.  Da
nahm sie ihn weg, goß davon in eine silberne Schale und setzte sie
dem kleinen Jakob vor.

"So, Söhnchen, so", sprach sie, "iß nur dieses Süppchen, dann hast du
alles, was dir an mir so gefallen!  Sollst auch ein geschickter Koch
werden, daß du noch etwas bist; aber Kräutlein, nein, das Kräutlein
sollst du nimmer finden--Warum hat es deine Mutter nicht in ihrem
Korb gehabt?"  Der Kleine verstand nicht recht, was sie sprach, desto
aufmerksamer behandelte er die Suppe, die ihm ganz trefflich
schmeckte.  Seine Mutter hatte ihm manche schmackhafte Speise
bereitet; aber so gut war ihm noch nichts geworden.  Der Duft von
feinen Kräutern und Gewürzen stieg aus der Suppe auf, dabei war sie
süß und säuerlich zugleich und sehr stark.  Während er noch die
letzten Tropfen der köstlichen Speise austrank, zündeten die
Meerschweinchen arabischen Weihrauch an, der in bläulichen Wolken
durch das Zimmer schwebte; dichter und immer dichter wurden diese
Wolken und sanken herab, der Geruch des Weihrauchs wirkte betäubend
auf den Kleinen, er mochte sich zurufen, so oft er wollte, daß er zu
seiner Mutter zurückkehren müsse; wenn er sich ermannte, sank er
immer wieder von neuem in den Schlummer zurück und schlief endlich
wirklich auf dem Sofa des alten Weibes ein.

Sonderbare Träume kamen über ihn.  Es war ihm, als ziehe ihm die Alte
seine Kleider aus und umhülle ihn dafür mit einem Eichhörnchenbalg.
Jetzt konnte er Sprünge machen und klettern wie ein Eichhörnchen; er
ging mit den übrigen Eichhörnchen und Meerschweinchen, die sehr
artige, gesittete Leute waren, um und hatte mit ihnen den Dienst bei
der alten Frau.  Zuerst wurde er nur zu den Diensten eines
Schuhputzers gebraucht, d. h. er mußte die Kokosnüsse, welche die
Frau statt der Pantoffeln trug, mit Öl salben und durch Reiben
glänzend machen.  Da er nun in seines Vaters Hause zu ähnlichen
Geschäften oft angehalten worden war, so ging es ihm flink von der
Hand; etwa nach einem Jahre, träumte er weiter, wurde er zu einem
feineren Geschäft gebraucht; er mußte nämlich mit noch einigen
Eichhörnchen Sonnenstäubchen fangen und, wenn sie genug hatten,
solche durch das feinste Haarsieb sieben.  Die Frau hielt nämlich die
Sonnenstäubchen für das Allerfeinste, und weil sie nicht gut beißen
konnte, denn sie hatte keinen Zahn mehr, so ließ sie sich ihr Brot
aus Sonnenstäubchen zubereiten.

Wiederum nach einem Jahre wurde er zu den Dienern versetzt, die das
Trinkwasser für die Alte sammelten.  Man denke nicht, daß sie sich
hierzu etwa eine Zisterne hätte graben lassen oder ein Faß in den Hof
stellte, um das Regenwasser darin aufzufangen; da ging es viel feiner
zu; die Eichhörnchen, und Jakob mit ihnen, mußten mit Haselnußschalen
den Tau aus den Rosen schöpfen, und das war das Trinkwasser der Alten.
Da sie nun bedeutend viel trank, so hatten die Wasserträger schwere
Arbeit.  Nach einem Jahr wurde er zum inneren Dienst des Hauses
bestellt; er hatte nämlich das Amt, die Böden rein zu machen; da nun
diese von Glas waren, worin man jeden Hauch sah, war das keine
geringe Arbeit.  Sie mußten sie bürsten und altes ach an die Füße
schnallen und auf diesem künstlich im Zimmer umherfahren.  Im vierten
Jahre ward er endlich zur Küche versetzt.  Es war dies ein Ehrenamt,
zu welchem man nur nach langer Prüfung gelangen konnte.  Jakob diente
dort vom Küchenjungen aufwärts bis zum ersten Pastetenmacher und
erreichte eine so ungemeine Geschicklichkeit und Erfahrung in allem,
was die Küche betrifft, daß er sich oft über sich selbst wundern
mußte; die schwierigsten Sachen, Pasteten von zweihunderterlei
Essenzen, Kräutersuppen, von allen Kräutlein der Erde zusammengesetzt,
alles lernte er, alles verstand er schnell und kräftig zu machen.

So waren etwa sieben Jahre im Dienste des alten Weibes vergangen, da
befahl sie ihm eines Tages, indem sie die Kokosschuhe auszog, Korb
und Krückenstock zur Hand nahm, um auszugehen, er sollte ein Hühnlein
rupfen, mit Kräutern füllen und solches schön bräunlich und gelb
rösten, bis sie wiederkäme.  Er tat dies nach den Regeln der Kunst.
Er drehte dem Hühnlein den Kragen um, brühte es in heißem Wasser, zog
ihm geschickt die Federn aus, schabte ihm nachher die Haut, daß sie
glatt und fein wurde, und nahm ihm die Eingeweide heraus.  Sodann
fing er an, die Kräuter zu sammeln, womit er das Hühnlein füllen
sollte.  In der Kräuterkammer gewahrte er aber diesmal ein
Wandschränkchen, dessen Türe halb geöffnet war und das er sonst nie
bemerkt hatte.  Er ging neugierig näher, um zu sehen, was es enthalte,
und siehe da, es standen viele Körbchen darinnen, von welchen ein
starker, angenehmer Geruch ausging.  Er öffnete eines dieser Körbchen
und fand darin Kräutlein von ganz besonderer Gestalt und Farbe.  Die
Stengel und Blätter waren blaugrün und trugen oben eine kleine Blume
von brennendem Rot, mit Gelb verbrämt; er betrachtete sinnend diese
Blume, beroch sie, und sie strömte denselben starken Geruch aus, von
dem einst jene Suppe, die ihm die Alte gekocht, geduftet hatte.  Aber
so stark war der Geruch, daß er zu niesen anfing, immer heftiger
niesen mußte und--am Ende niesend erwachte.

Da lag er auf dem Sofa des alten Weibes und blickte verwundert umher.
"Nein, wie man aber so lebhaft träumen kann!" sprach er zu sich,
"hätte ich jetzt doch schwören wollen, daß ich ein schnödes
Eichhörnchen, ein Kamerad von Meerschweinen und anderem Ungeziefer,
dabei aber ein großer Koch geworden sei.  Wie wird die Mutter lachen,
wenn ich ihr alles erzähle!  Aber wird sie nicht auch schmälen, daß
ich in einem fremden Hause einschlafe, statt ihr zu helfen auf dem
Markte?"  Mit diesen Gedanken raffte er sich auf, um hinwegzugehen;
noch waren seine Glieder vom Schlafe ganz steif, besonders sein
Nacken, denn er konnte den Kopf nicht recht hin und her bewegen; er
mußte auch selbst über sich lächeln, daß er so schlaftrunken war;
denn alle Augenblicke, ehe er es sich versah, stieß er mit der Nase
an einen Schrank oder an die Wand oder schlug sie, wenn er sich
schnell umwandte, an einen Türpfosten.  Die Eichhörnchen und
Meerschweinchen liefen winselnd um ihn her, als wollten sie ihn
begleiten, er lud sie auch wirklich ein, als er auf der Schwelle war,
denn es waren niedliche Tierchen; aber sie fuhren auf ihren
Nußschalen schnell ins Haus zurück, und er hörte sie nur noch in der
Ferne heulen.

Es war ein ziemlich entlegener Teil der Stadt, wohin ihn die Alte
geführt hatte, und er konnte sich kaum aus den engen Gassen
herausfinden, auch war dort ein großes Gedränge; denn es mußte sich,
wie ihm dünkte, gerade in der Nähe ein Zwerg sehen lassen; überall
hörte er rufen: "Ei, sehet den häßlichen Zwerg!  Wo kommt der Zwerg
her?  Ei, was hat er doch für eine lange Nase, und wie ihm der Kopf
in den Schultern steckt, und die braunen, häßlichen Hände!"  Zu einer
andern Zeit wäre er wohl auch nachgelaufen, denn er sah für sein
Leben gern Riesen oder Zwerge oder seltsame fremde Trachten, aber so
mußte er sich sputen, um zur Mutter zu kommen.

Es war ihm ganz ängstlich zumute, als er auf den Markt kam.  Die
Mutter saß noch da und hatte noch ziemlich viele Früchte im Korb,
lange konnte er also nicht geschlafen haben; aber doch kam es ihm von
weitem schon vor, als sei sie sehr traurig; denn sie rief die
Vorübergehenden nicht an, einzukaufen, sondern hatte den Kopf in die
Hand gestützt, und als er näher kam, glaubte er auch, sie sei
bleicher als sonst.  Er zauderte, was er tun sollte; endlich faßte er
sich ein Herz, schlich sich hinter sie hin, legte traulich seine Hand
auf ihren Arm und sprach: "Mütterchen, was fehlt dir?  Bist du böse
auf mich?"

Die Frau wandte sich um nach ihm, fuhr aber mit einem Schrei des
Entsetzens zurück.

"Was willst du von mir, häßlicher Zwerg?" rief sie.  "Fort, fort!
Ich kann dergleichen Possenspiele nicht leiden."

"Aber, Mutter, was hast du denn?" fragte Jakob ganz erschrocken.
"Dir ist gewiß nicht wohl; warum willst du denn deinen Sohn von dir
jagen?"

"Ich habe dir schon gesagt, gehe deines Weges!" entgegnete Frau Hanne
zürnend.  "Bei mir verdienst du kein Geld durch deine Gaukeleien,
häßliche Mißgeburt!"

"Wahrhaftig, Gott hat ihr das Licht des Verstandes geraubt!" sprach
der Kleine bekümmert zu sich.  "Was fange ich nur an, um sie nach
Haus zu bringen?  Lieb Mütterchen, so sei doch nur vernünftig; sieh
mich doch nur recht an; ich bin ja dein Sohn, dein Jakob."

"Nein, jetzt wird mir der Spaß zu unverschämt", rief Hanne ihrer
Nachbarin zu, "seht nur den häßlichen Zwerg da; da steht er und
vertreibt mir gewiß alle Käufer, und mit meinem Unglück wagt er zu
spotten.  Spricht zu mir: Ich bin ja dein Sohn, dein Jakob!  Der
Unverschämte!"

Da erhoben sich die Nachbarinnen und fingen an zu schimpfen, so arg
sie konnten--und Marktweiber, wisset ihr wohl, verstehen es--, und
schalten ihn, daß er des Unglücks der armen Hanne spotte, der vor
sieben Jahren ihr bildschöner 'Knabe gestohlen worden sei, und
drohten, insgesamt über ihn herzufallen und ihn zu zerkratzen, wenn
er nicht alsobald ginge.

Der arme Jakob wußte nicht, was er von diesem allem denken sollte.
War er doch, wie er glaubte, heute früh wie gewöhnlich mit der Mutter
auf den Markt gegangen, hatte ihr die Früchte aufstellen helfen, war
nachher mit dem alten Weib in ihr Haus gekommen, hatte ein Süppchen
verzehrt, ein kleines Schläfchen gemacht und war jetzt wieder da, und
doch sprachen die Mutter und die Nachbarinnen von sieben Jahren!  Und
sie nannten ihn einen garstigen Zwerg!  Was war denn nun mit ihm
vorgegangen?--Als er sah, daß die Mutter gar nichts mehr von ihm
hören wollte, traten ihm die Tränen in die Augen, und er ging
trauernd die Straße hinab nach der Bude, wo sein Vater den Tag über
Schuhe flickte.  "Ich will doch sehen", dachte er bei sich, "ob er
mich auch nicht kennen will, unter die Türe will ich mich stellen und
mit ihm sprechen."  Als er an der Bude des Schusters angekommen war,
stellte er sich unter die Türe und schaute hinein.  Der Meister war
so emsig mit seiner Arbeit beschäftigt, daß er ihn gar nicht sah; als
er aber zufällig einen Blick nach der Türe warf, ließ er Schuhe,
Draht und Pfriem auf die Erde fallen und rief mit Entsetzen: "Um
Gottes willen, was ist das, was ist das!"

"Guten Abend, Meister!" sprach der Kleine, indem er vollends in den
Laden trat.  "Wie geht es Euch?"

"Schlecht, schlecht, kleiner Herr!" antwortete der Vater zu Jakobs
großer Verwunderung; denn er schien ihn auch nicht zu kennen.  "Das
Geschäft will mir nicht von der Hand.  Bin so allein und werde jetzt
alt; doch ist mir ein Geselle zu teuer."

"Aber habt Ihr denn kein Söhnlein, das Euch nach und nach an die Hand
gehen könnte bei der Arbeit?" forschte der Kleine weiter.

"Ich hatte einen, er hieß Jakob und müßte jetzt ein schlanker,
gewandter Bursche von zwanzig Jahren sein, der mir tüchtig unter die
Arme greifen könnte.  Ha, das müßte ein Leben sein!  Schon als er
zwölf Jahre alt war, zeigte er sich so anstellig und geschickt und
verstand schon manches vom Handwerk, und hübsch und angenehm war er
auch; der hätte mir eine Kundschaft hergelockt, daß ich bald nicht
mehr geflickt, sondern nichts als Neues geliefert hätte!  Aber so
geht's in der Welt!"

"Wo ist denn aber Euer Sohn?" fragte Jakob mit zitternder Stimme
seinen Vater.

"Das weiß Gott", antwortete er, "vor sieben Jahren, ja, so lange
ist's jetzt her, wurde er uns vom Markte weg gestohlen."  'Vor sieben
Jahren!" rief Jakob mit Entsetzen.

"Ja, kleiner Herr, vor sieben Jahren; ich weiß noch wie heute, wie
mein Weib nach Hause kam, heulend und schreiend, das Kind sei den
ganzen Tag nicht zurückgekommen, sie aber überall geforscht und
gesucht und es nicht gefunden.  Ich habe es immer gedacht und gesagt,
daß es so kommen würde; er Jakob war ein schönes Kind, das muß man
sagen; da war meine Frau stolz auf ihn und sah es gerne, wenn ihn die
Leute lobten, und schickte ihn oft mit Gemüse und dergleichen in
vornehme Häuser.  Das war schon recht; er wurde allemal reichlich
beschenkt; aber, sagte ich, gib acht!  Die Stadt ist groß; viele
schlechte Leute wohnen da, gib mir auf den Jakob acht!  Und so war es,
wie ich sagte.  Kommt einmal ein altes, häßliches Weib auf den Markt,
feilscht um Früchte und Gemüse und kauft am Ende so viel, daß sie es
nicht selbst tragen kann.  Mein Weib, die mitleidige Seele, gibt ihr
den Jungen mit und--hat ihn zur Stunde nicht mehr gesehen."

"Und das ist jetzt sieben Jahre, sagt Ihr?"

"Sieben Jahre wird es im Frühling.  Wir ließen ihn ausrufen, wir
gingen von Haus zu Haus und fragten; manche hatten den hübschen
Jungen gekannt und liebgewonnen und suchten jetzt mit uns, alles
vergeblich.  Auch die Frau, welche das Gemüse gekauft hatte, wollte
niemand kennen; aber ein steinaltes Weib, die schon neunzig Jahre
gelebt hatte, sagte, es könne wohl die böse Fee Kräuterweis gewesen
sein, die alle fünfzig Jahre einmal in die Stadt komme, um sich
allerlei einzukaufen."

So sprach Jakobs Vater und klopfte dabei seine Schuhe weidlich und
zog den Draht mit beiden Fäusten weit hinaus.  Dem Kleinen aber wurde
es nach und nach klar, was mit ihm vorgegangen, daß er nämlich nicht
geträumt, sondern daß er sieben Jahre bei der bösen Fee als
Eichhörnchen gedient habe.  Zorn und Gram erfüllten sein Herz so sehr,
daß es beinahe zerspringen wollte.  Sieben Jahre seiner Jugend hatte
ihm die Alte gestohlen, und was hatte er für Ersatz dafür?  Daß er
Pantoffeln von Kokosnüssen blank putzen, daß er ein Zimmer mit
gläsernem Fußboden reinmachen konnte?  Daß er von den Meerschweinchen
alle Geheimnisse der Küche gelernt hatte?  Er stand eine gute Weile
so da und dachte über sein Schicksal nach; da fragte ihn endlich sein
Vater: "Ist Euch vielleicht etwas von meiner Arbeit gefällig, junger
Herr?  Etwa ein Paar neue Pantoffeln oder", setzte er lächelnd hinzu,
"vielleicht ein Futteral für Eure Nase?"

"Was wollt Ihr nur mit meiner Nase?" fragte Jakob, "warum sollte ich
denn ein Futteral dazu brauchen?"

"Nun", entgegnete der Schuster, "jeder nach seinem Geschmack; aber
das muß ich Euch sagen, hätte ich diese schreckliche Nase, ein
Futteral ließ ich mir darüber machen von rosenfarbigem Glanzleder.
Schaut, da habe ich ein schönes Stückchen zur Hand; freilich würde
man eine Elle wenigstens dazu brauchen.  Aber wie gut wäret Ihr
verwahrt, kleiner Herr; so, weiß ich gewiß, stoßt Ihr Euch an jedem
Türpfosten, an jedem Wagen, dem Ihr ausweichen wollet."

Der Kleine stand stumm vor Schrecken; er belastete seine Nase, sie
war dick und wohl zwei Hände lang!  So hatte also die Alte auch seine
Gestalt verwandelt!  Darum kannte ihn also die Mutter nicht?  Darum
schalt man ihn einen häßlichen Zwerg?!  "Meister!" sprach er halb
weinend zu dem Schuster, "habt Ihr keinen Spiegel bei der Hand, worin
ich mich beschauen könnte?"

"Junger Herr", erwiderte der Vater mit Ernst, "Ihr habt nicht gerade
eine Gestalt empfangen, die Euch eitel machen könnte, und Ihr habt
nicht Ursache, alle Stunden in den Spiegel zu gucken.  Gewöhnt es
Euch ab, es ist besonders bei Euch eine lächerliche Gewohnheit."

"Ach, so laßt mich doch in den Spiegel schauen", rief der Kleine,
"gewiß, es ist nicht aus Eitelkeit!"

"Lasset mich in Ruhe, ich hab' keinen im Vermögen; meine Frau hat ein
Spiegelchen, ich weiß aber nicht, wo sie es verborgen.  Müßt Ihr aber
durchaus in den Spiegel gucken, nun, über der Straße hin wohnt Urban,
der Barbier, der hat einen Spiegel, zweimal so groß als Euer Kopf;
gucket dort hinein, und indessen guten Morgen!"

Mit diesen Worten schob ihn der Vater ganz gelinde zur Bude hinaus,
schloß die Tür hinter ihm zu und setzte sich wieder zur Arbeit.  Der
Kleine aber ging sehr niedergeschlagen über die Straße zu Urban, dem
Barbier, den er noch aus früheren Zeiten wohl kannte.  "Guten Morgen,
Urban", sprach er zu ihm, "ich komme, Euch um eine Gefälligkeit zu
bitten; seid so gut und lasset mich ein wenig in Euren Spiegel
schauen!"

"Mit Vergnügen, dort steht er", rief der Barbier lachend, und seine
Kunden, denen er den Bart scheren sollte, lachten weidlich mit.  "Ihr
seid ein hübsches Bürschchen, schlank und fein, ein Hälschen wie ein
Schwan, Händchen wie eine Königin, und ein Stumpfnäschen, man kann es
nicht schöner sehen.  Ein wenig eitel seid Ihr darauf, das ist wahr;
aber beschauet Euch immer!  Man soll nicht von mir sagen, ich habe
Euch aus Neid nicht in meinen Spiegel schauen lassen."

So sprach der Barbier, und wieherndes Gelächter fällte die Baderstube.
Der Kleine aber war indes vor den Spiegel getreten und hatte sich
beschaut.  Tränen traten ihm in die Augen.  "Ja, so konntest du
freilich deinen Jakob nicht wiedererkennen, liebe Mutter", sprach er
zu sich, "so war er nicht anzuschauen in den Tagen der Freude, wo du
gerne mit ihm prangtest vor den Leuten!"  Seine Augen waren klein
geworden wie die der Schweine, seine Nase war ungeheuer und hing über
Mund und Kinn herunter, der Hals schien gänzlich weggenommen worden
zu sein; denn sein Kopf stak tief in den Schultern, und nur mit den
größten Schmerzen konnte er ihn rechts und links bewegen.  Sein
Körper war noch so groß als vor sieben Jahren, da er zwölf Jahre alt
war; aber wenn andere vom zwölften bis ins zwanzigste in die Höhe
wachsen, so wuchs er in die Breite, der Rücken und die Brust waren
weit ausgebogen und waren anzusehen wie ein kleiner, aber sehr dick
gefällter Sack; dieser dicke Oberleib saß auf kleinen, schwachen
Beinchen, die dieser Last nicht gewachsen schienen, aber um so größer
waren die Arme, die ihm am Leib herabhingen, sie hatten die Größe wie
die eines wohlgewachsenen Mannes, seine Hände waren grob und
braungelb, seine Finger lang und spinnenartig, und wenn er sie recht
ausstreckte, konnte er damit auf den Boden reichen, ohne daß er sich
bückte.  So sah er aus, der kleine Jakob, zum mißgestalteten Zwerg
war er geworden.

Jetzt gedachte er auch jenes Morgens, an welchem das alte Weib an die
Körbe seiner Mutter getreten war.  Alles, was er damals an ihr
getadelt hatte, die lange Nase, die häßlichen Finger, alles hatte sie
ihm angetan, und nur den langen, zitternden Hals hatte sie gänzlich
weggelassen.

"Nun, habt Ihr Euch jetzt genug beschaut, mein Prinz?" sagte der
Barbier, indem er zu ihm trat und ihn lachend betrachtete.  "Wahrlich,
wenn man sich dergleichen träumen lassen wollte, so komisch könnte
es einem im Traume nicht vorkommen.  Doch ich will Euch einen
Vorschlag machen, kleiner Mann.  Mein Barbierzimmer ist zwar sehr
besucht, aber doch seit neuerer Zeit nicht so, wie ich wünsche.  Das
kommt daher, weil mein Nachbar, der Barbier Schaum, irgendwo einen
Riesen aufgefunden hat, der ihm die Kunden ins Haus lockt.  Nun, ein
Riese zu werden, ist gerade keine Kunst, aber so ein Männchen wie Ihr,
ja, das ist schon ein ander Ding.  Tretet bei mir in Dienste,
kleiner Mann, Ihr sollt Wohnung, Essen, Trinken, Kleider, alles sollt
Ihr haben; dafür stellt Ihr Euch morgens unter meine Türe und ladet
die Leute ein, hereinzukommen.  Ihr schlaget den Seifenschaum,
reichet den Kunden das Handtuch und seid versichert, wir stehen uns
beide gut dabei; ich bekomme mehr Kunden als jener mit dem Riesen,
und jeder gibt Euch gerne noch ein Trinkgeld."

Der Kleine war in seinem Innern empört über den Vorschlag, als
Lockvogel für einen Barbier zu dienen.  Aber mußte er sich nicht
diesen Schimpf geduldig gefallen lassen?  Er sagte dem Barbier daher
ganz ruhig, daß er nicht Zeit habe zu dergleichen Diensten, und ging
weiter.

Hatte das böse alte Weib seine Gestalt unterdrückt, so hatte sie doch
seinem Geist nichts anhaben können, das fühlte er wohl; denn er
dachte und fühlte nicht mehr, wie er vor sieben Jahren getan; nein,
er glaubte in diesem Zeitraum weiser, verständiger geworden zu sein;
er trauerte nicht um seine verlorene Schönheit, nicht über diese
häßliche Gestalt, sondern nur darüber, daß er wie ein Hund von der
Türe seines Vaters gejagt werde.  Darum beschloß er, noch einen
Versuch bei seiner Mutter zu machen.

Er trat zu ihr auf den Markt und bat sie, ihm ruhig zuzuhören.  Er
erinnerte sie an jenen Tag, an welchem er mit dem alten Weibe
gegangen, er erinnerte sie an alle einzelnen Vorfälle seiner Kindheit,
erzählte ihr dann, wie er sieben Jahre als Eichhörnchen gedient habe
bei der Fee und wie sie ihn verwandelte, weil er sie damals getadelt.
Die Frau des Schusters wußte nicht, was sie denken sollte.  Alles
traf zu, was er ihr von seiner Kindheit erzählte, aber wenn er davon
sprach, daß er sieben Jahre lang ein Eichhörnchen gewesen sei, da
sprach sie: "Es ist unmöglich, und es gibt keine Feen", und wenn sie
ihn ansah, so verabscheute sie den häßlichen Zwerg und glaubte nicht,
daß dies ihr Sohn sein könne.  Endlich hielt sie es fürs beste, mit
ihrem Manne darüber zu sprechen.  Sie raffte also ihre Körbe zusammen
und hieß ihn mitgehen.  So kamen sie zu der Bude des Schusters.

"Sieh einmal", sprach sie zu diesem, "der Mensch da will unser
verlorner Jakob sein.  Er hat mir alles erzählt, wie er uns vor
sieben Jahren gestohlen wurde und wie er von einer Fee verzaubert
worden sei."

"So?" unterbrach sie der Schuster mit Zorn, "hat er dir dies erzählt?
Warte, du Range!  Ich habe ihm alles erzählt noch vor einer Stunde,
und jetzt geht er hin, dich so zu foppen!  Verzaubert bist du worden,
mein Söhnchen?  Warte doch, ich will dich wieder entzaubern."  Dabei
nahm er ein Bündel Riemen, die er eben zugeschnitten hatte, sprang
auf den Kleinen zu und schlug ihn auf den hohen Rücken und auf die
langen Arme, daß der Kleine vor Schmerz aufschrie und weinend
davonlief.

In jener Stadt gibt es, wie überall, wenige mitleidige Seelen, die
einen Unglücklichen, der zugleich etwas Lächerliches an sich trägt,
unterstützen.  Daher kam es, daß der unglückliche Zwerg den ganzen
Tag ohne Speise und Trank blieb und abends die Treppen einer Kirche,
so hart und kalt sie waren, zum Nachtlager wählen mußte.

Als ihn aber am nächsten Morgen die ersten Strahlen der Sonne
erweckten, da dachte er ernstlich darüber nach, wie er sein Leben
fristen könne, da ihn Vater und Mutter verstoßen.  Er fühlte sich zu
stolz, um als Aushängeschild eines Barbiers zu dienen, er wollte
nicht zu einem Possenreißer sich verdingen und sich um Geld sehen
lassen.  Was sollte er anfangen?  Da fiel ihm mit einemmal bei, daß
er als Eichhörnchen große Fortschritte in der Kochkunst gemacht habe;
er glaubte nicht mit Unrecht, hoffen zu dürfen, daß er es mit manchem
Koch aufnehmen könne; er beschloß, seine Kunst zu benützen.

Sobald es daher lebhafter wurde auf den Straßen und der Morgen ganz
heraufgekommen war, trat er zuerst in die Kirche und verrichtete sein
Gebet.  Dann trat er seinen Weg an.  Der Herzog, der Herr des Landes,
o Herr, war ein bekannter Schlemmer und Lecker, der eine gute Tafel
liebte und seine Köche in allen Weltteilen aufsuchte.  Zu seinem
Palast begab sich der Kleine.  Als er an die äußerste Pforte kam,
fragten die Türhüter nach seinem Begehr und hatten ihren Spott mit
ihm; er aber verlangte nach dem Oberküchenmeister.  Sie lachten und
führten ihn durch die Vorhöfe, und wo er hinkam, blieben die Diener
stehen, schauten nach ihm, lachten weidlich und schlossen sich an, so
daß nach und nach ein ungeheurer Zug von Dienern aller Art sich die
Treppe des Palastes hinaufbewegte; die Stallknechte warfen ihre
Striegel weg, die Läufer liefen, was sie konnten, die Teppichbreiter
vergaßen, die Teppiche auszuklopfen, alles drängte und trieb sich, es
war ein Gefühl, als sei der Feind vor den Toren, und das Geschrei:
"Ein Zwerg, ein Zwerg!  Habt ihr den Zwerg gesehen?" fällte die Lüfte.

Da erschien der Aufseher des Hauses mit grimmigem Gesicht, eine
ungeheure Peitsche in der Hand, in der Türe.  "Um des Himmels willen,
ihr Hunde, was macht ihr solchen Lärm!  Wisset ihr nicht, daß der
Herr noch schläft?"  Und dabei schwang er die Geißel und ließ sie
unsanft auf den Rücken einiger Stallknechte und Türhalter
niederfallen.

"Ach, Herr!" riefen sie, "seht Ihr denn nicht?  Da bringen wir einen
Zwerg, einen Zwerg, wie Ihr noch keinen gesehen."

Der Aufseher des Palastes zwang sich mit Mühe, nicht laut aufzulachen,
als er des Kleinen ansichtig wurde; denn er fürchtete, durch Lachen
seiner Würde zu schaden.  Er trieb daher mit der Peitsche die übrigen
hinweg, führte den Kleinen ins Haus und fragte nach seinem Begehr.
Als er hörte, jener wolle zum Küchenmeister, erwiderte er--"Du irrst
dich, mein Söhnchen; zu mir, dem Aufseher des Hauses, willst du; du
willst Leibzwerg werden beim Herzog; ist es nicht also?"

"Nein, Herr!" antwortete der Zwerg.  "Ich bin ein geschickter Koch
und erfahren in allerlei seltenen Speisen; wollet mich zum
Oberküchenmeister bringen; vielleicht kann er meine Kunst brauchen."

"Jeder nach seinem Willen, kleiner Mann; übrigens bist du doch ein
unbesonnener Junge.  In die Küche!  Als Leibzwerg hättest du keine
Arbeit gehabt und Essen und Trinken nach Herzenslust und schöne
Kleider.  Doch, wir wollen sehen, deine Kochkunst wird schwerlich so
weit reichen, als ein Mundkoch des Herren nötig hat, und zum
Küchenjungen bist du zu gut."  Bei diesen Worten nahm ihn der Aufseher
des Palastes bei der Hand und führte ihn in die Gemächer des
Oberküchenmeisters.

"Gnädiger Herr", sprach dort der Zwerg und verbeugte sich so tief,
daß er mit der Nase den Fußteppich berührte, "brauchet Ihr keinen
geschickten Koch?"

Der Oberküchenmeister betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen,
brach dann in lautes Lachen aus und sprach: "Wie?" rief er, "du ein
Koch?  Meinst du, unsere Herde seien so niedrig, daß du nur auf einen
hinaufschauen kannst, wenn du dich auch auf die Zehen stellst und den
Kopf recht aus den Schultern herausarbeitest?  O lieber Kleiner!  Wer
dich zu mir geschickt hat, um dich als Koch zu verdingen, der hat
dich zum Narren gehabt."  So sprach der Oberküchenmeister und lachte
weidlich, und mit ihm lachten der Aufseher des Palastes und alle
Diener, die im Zimmer waren.

Der Zwerg aber ließ sich nicht aus der Fassung bringen.  "Was liegt
an einem Ei oder zweien, an ein wenig Sirup und Wein, an Mehl und
Gewürze in einem Hause, wo man dessen genug hat?" sprach er.  "Gebet
mir irgendeine leckerhafte Speise zu bereiten auf, schaffet mir, was
ich dazu brauche, und sie soll vor Euren Augen schnell bereitet sein,
und Ihr sollet sagen müssen, er ist ein Koch nach Regel und Recht."
Solche und ähnliche Reden führte der Kleine, und es war wunderlich
anzuschauen, wie es dabei aus seinen kleinen Äuglein hervorblitzte,
wie seine lange Nase sich hin und her schlängelte und seine dünnen
Spinnenfinger seine Rede begleiteten.

"Wohlan!" rief der Küchenmeister und nahm den Aufseher des Palastes
unter dem Arme, "wohlan, es sei um des Spaßes willen; lasset uns zur
Küche gehen!"  Sie gingen durch mehrere Säle und Gänge und kamen
endlich in die Küche.  Es war dies ein großes, weitläufiges Gebäude,
herrlich eingerichtet; auf zwanzig Herden brannten beständig Feuer;
ein klares Wasser, das zugleich zum Fischbehälter diente, floß mitten
durch sie, in Schränken von Marmor und köstlichem Holz waren die
Vorräte aufgestellt, die man immer zur Hand haben mußte, und zur
Rechten und Linken waren zehn Säle, in welchen alles aufgespeichert
war, was man in allen Ländern von Frankistan und selbst im
Morgenlande Köstliches und Leckeres für den Gaumen erfunden.
Küchenbedienstete aller Art liefen umher und rasselten und hantierten
mit Kesseln und Pfannen, mit Gabeln und Schaumlöffeln; als aber der
Oberküchenmeister in die Küche eintrat, blieben sie alle regungslos
stehen, und nur das Feuer hörte man noch knistern und das Bächlein
rieseln.  "Was hat der Herr heute zum Frühstück befohlen?" fragte der
Meister den ersten Frühstücksmacher, einen alten Koch.  "Herr, die
dänische Suppe hat er geruht zu befehlen und rote Hamburger Klößchen."

"Gut", sprach der Küchenmeister weiter, "hast du gehört, was der Herr
speisen will?  Getraust du dich, diese schwierigen Speisen zu
bereiten?  Die Klößchen bringst du auf keinen Fall heraus, das ist
ein Geheimnis."

"Nichts leichter als dies", erwiderte zu allgemeinem Erstaunen der
Zwerg; denn er hatte diese Speisen als Eichhörnchen oft gemacht;
"nichts leichter!  Man gebe mir zu der Suppe die und die Kräuter,
dies und jenes Gewürz, Fett von einem wilden Schwein, Wurzeln und
Eier; zu den Klößchen aber", sprach er leiser, daß es nur der
Küchenmeister und der Frühstücksmacher hören konnten, "zu den
Klößchen brauche ich viererlei Fleisch, etwas Wein, Entenschmalz,
Ingwer und ein gewisses Kraut, das man Magentrost heißt."

"Hai Bei St. Benedikt!  Bei welchem Zauberer hast du gelernt?" rief
der Koch mit Staunen.  "Alles bis auf ein Haar hat er gesagt, und das
Kräutlein Magentrost haben wir selbst nicht gewußt; ja, das muß es
noch angenehmer machen.  O du Wunder von einem Koch!"

"Das hätte ich nicht gedacht", sagte der Oberküchenmeister, "doch
lassen wir ihn die Probe machen; gebt ihm die Sachen, die er verlangt,
Geschirr und alles, und lasset ihn das Frühstück bereiten."

Man tat, wie er befohlen, und rüstete alles auf dem Herde zu; aber da
fand es sich, daß der Zwerg kaum mit der Nase bis an den Herd reichen
konnte.  Man setzte daher ein paar Stühle zusammen, legte eine
Marmorplatte darüber und lud den kleinen Wundermann ein, sein
Kunststück zu beginnen.  In einem großen Kreise standen die Köche,
Küchenjungen, Diener und allerlei Volk umher und sahen zu und
staunten, wie ihm alles so flink und fertig von der Hand ging, wie er
alles so reinlich und niedlich bereitete.  Als er mit der Zubereitung
fertig war, befahl er, beide Schüsseln ans Feuer zu setzen und genau
so lange kochen zu lassen, bis er rufen werde; dann fing er an zu
zählen, eins, zwei drei und so fort, und gerade als er fünfhundert
gezählt hatte, rief er: "Halt!"  Die Töpfe wurden weggesetzt, und der
Kleine lud den Küchenmeister ein, zu kosten.

Der Mundkoch ließ sich von einem Küchenjungen einen goldenen Löffel
reichen, spülte ihn im Bach und überreichte ihn dem Oberküchenmeister.
Dieser trat mit feierlicher Miene an den Herd, nahm von den Speisen,
kostete, drückte die Augen zu, schnalzte vor Vergnügen mit der Zunge
und sprach dann: "Köstlich, bei des Herzogs Leben, köstlich!  Wollet
Ihr nicht auch ein Löffelchen zu Euch nehmen, Aufseher des Palastes?"

Dieser verbeugte sich, nahm den Löffel, versuchte und war vor
Vergnügen und Lust außer sich.  "Eure Kunst in Ehren, lieber
Frühstücksmacher, Ihr seid ein erfahrener Koch; aber so herrlich habt
Ihr weder die Suppe noch die Hamburger Klöße machen können!"

Auch der Koch kostete jetzt, schüttelte dann dem Zwerg ehrfurchtsvoll
die Hand und sagte: "Kleiner!  Du bist Meister in der Kunst, ja, das
Kräutlein Magentrost, das gibt allem einen ganz eigenen Reiz."

In diesem Augenblick kam der Kammerdiener des Herzogs in die Küche
und berichtete, daß der Herr das Frühstück verlange.  Die Speisen
wurden nun auf silberne Platten gelegt und dem Herzog zugeschickt;
der Oberküchenmeister aber nahm den Kleinen in sein Zimmer und
unterhielt sich mit ihm.  Kaum waren sie aber halb so lange da, als
man ein Paternoster spricht (es ist dies das Gebet der Franken, o
Herr, und dauert nicht halb so lange als das Gebet der Gläubigen), so
kam schon ein Bote und rief den Oberküchenmeister zum Herrn.  Er
kleidete sich schnell in sein Festkleid und folgte dem Boten.

Der Herzog sah sehr vergnügt aus.  Er hatte alles aufgezehrt, was auf
den silbernen Platten gewesen war, und wischte sich eben den Bart ab,
als der Oberküchenmeister zu ihm eintrat.  "Höre, Küchenmeister",
sprach er, "ich bin mit deinen Köchen bisher immer sehr zufrieden
gewesen; aber sage mir, wer hat heute mein Frühstück bereitet?  So
köstlich war es nie, seit ich auf dem Thron meiner Väter sitze; sage
an, wie er heißt, der Koch, daß wir ihm einige Dukaten zum Geschenk
schicken."

"Herr, das ist eine wunderbare Geschichte", antwortete der
Oberküchenmeister und erzählte, wie man ihm heute früh einen Zwerg
gebracht, der durchaus Koch werden wollte und wie sich dies alles
begeben.  Der Herzog verwunderte sich höchlich, ließ den Zwerg vor
sich rufen und fragte ihn aus, wer er sei und woher er komme.  Da
konnte nun der arme Jakob freilich nicht sagen, daß er verzaubert
worden sei und früher als Eichhörnchen gedient habe; doch blieb er
bei der Wahrheit, indem er erzählte, er sei jetzt ohne Vater und
Mutter und habe bei einer alten Frau kochen gelernt.  Der Herzog
fragte nicht weiter, sondern ergötzte sich an der sonderbaren Gestalt
seines neuen Kochs.

"Willst du bei mir bleiben", sprach er, "so will ich dir jährlich
fünfzig Dukaten, ein Festkleid und noch überdies zwei Paar
Beinkleider reichen lassen.  Dafür mußt du aber täglich mein
Frühstück selbst bereiten, mußt angeben, wie das Mittagessen gemacht
werden soll, und Oberhaupt dich meiner Küche annehmen.  Da jeder in
meinem Palast seinen eigenen Namen von mir empfängt, so sollst du
Nase heißen und die Würde eines Unterküchenmeisters bekleiden."

Der Zwerg Nase fiel nieder vor dem mächtigen Herzog in Frankenland,
küßte ihm die Füße und versprach, ihm treu zu dienen.

So war nun der Kleine fürs erste versorgt, und er machte seinem Amt
Ehre.  Denn man kann sagen, daß der Herzog ein ganz anderer Mann war,
während der Zwerg Nase sich in seinem Hause aufhielt.  Sonst hatte es
ihm oft beliebt, die Schüsseln oder Platten, die man ihm auftrug, den
Köchen an den Kopf zu werfen; ja, dem Oberküchenmeister selbst warf
er im Zorn einmal einen gebackenen Kalbsfaß, der nicht weich genug
geworden war, so heftig an die Stirne, daß er umfiel und drei Tage zu
Bett liegen mußte.  Der Herzog machte zwar, was er im Zorn getan,
durch einige Hände voll Dukaten wieder gut, aber dennoch war nie ein
Koch ohne Zittern und Zagen mit den Speisen zu ihm gekommen.  Seit
der Zwerg im Hause war, schien alles wie durch Zauber umgewandelt.
Der Herr aß jetzt statt dreimal des Tages fünfmal, um sich an der
Kunst seines kleinsten Dieners recht zu laben, und dennoch verzog er
nie eine Miene zum Unmut.  Nein, er fand alles neu, trefflich, war
leutselig und angenehm und wurde von Tag zu Tag fetter.

Oft ließ er mitten unter der Tafel den Küchenmeister und den Zwerg
Nase rufen, setzte den einen rechts, den anderen links zu sich und
schob ihnen mit seinen eigenen Fingern einige Bissen der köstlichsten
Speisen in den Mund, eine Gnade, welche sie beide wohl zu schätzen
wußten.

Der Zwerg war das Wunder der Stadt.  Man erbat sich flehentlich
Erlaubnis vom Oberküchenmeister, den Zwerg kochen zu sehen, und
einige der vornehmsten Männer hatten es so weit gebracht beim Herzog,
daß ihre Diener in der Küche beim Zwerg Unterrichtsstunden genießen
durften, was nicht wenig Geld eintrug; denn jeder zahlte täglich
einen halben Dukaten.  Und um die übrigen Köche bei guter Laune zu
erhalten und sie nicht neidisch auf ihn zu machen, überließ ihnen
Nase dieses Geld, das die Herren für den Unterricht ihrer Köche
zahlen mußten.

So lebte Nase beinahe zwei Jahre in äußerlichem Wohlleben und Ehre,
und nur der Gedanke an seine Eltern betrübte ihn; so lebte er, ohne
etwas Merkwürdiges zu erfahren, bis sich folgender Vorfall ereignete.
Der Zwerg Nase war besonders geschickt und glücklich in seinen
Einkäufen.  Daher ging er, so oft es ihm die Zeit erlaubte, immer
selbst auf den Markt, um Geflügel und Früchte einzukaufen.  Eines
Morgens ging er auch auf den Gänsemarkt und forschte nach schweren,
fetten Gänsen, wie sie der Herr liebte.  Er war musternd schon
einigemal auf und ab gegangen.  Seine Gestalt, weit entfernt, hier
Lachen und Spott zu erregen, gebot Ehrfurcht; denn man erkannte ihn
als den berühmten Mundkoch des Herzogs, und jede Gänsefrau fühlte
sich glücklich, wenn er ihr die Nase zuwandte.

Da sah er ganz am Ende einer Reihe in einer Ecke eine Frau sitzen,
die auch Gänse feil hatte, aber nicht wie die übrigen ihre Ware
anpries; zu dieser trat er und maß und wog ihre Gänse.  Sie waren,
wie er sie wünschte, und er kaufte drei samt dem Käfig, lud sie auf
seine breiten Schultern und trat den Rückweg an.  Da kam es ihm
sonderbar vor, daß nur zwei von diesen Gänsen schnatterten und
schrien, wie rechte Gänse zu tun pflegen, die dritte aber ganz still
und in sich gekehrt dasaß und Seufzer ausstieß und ächzte wie ein
Mensch--"Die ist halbkrank", sprach er vor sich hin, "ich muß eilen,
daß ich sie umbringe und zurichte."  Aber die Gans antwortete ganz
deutlich und laut:

"Stichst du mich, So beiß' ich dich.  Drückst du mir die Kehle ab,
Bring' ich dich ins frühe Grab."

Ganz erschrocken setzte der Zwerg Nase seinen Käfig nieder, und die
Gans sah ihn mit schönen, klugen Augen an und seufzte.

"Ei der Tausend!" rief Nase.  "Sie kann sprechen, Jungfer Gans?  Das
hätte ich nicht gedacht.  Na, sei Sie nur nicht ängstlich!  Man weiß
zu leben und wird einem so seltenen Vogel nicht zu Leibe gehen.  Aber
ich wollte wetten, Sie ist nicht von jeher in diesen Federn gewesen.
War ich ja selbst einmal ein schnödes Eichhörnchen."

"Du hast recht", erwiderte die Gans, "wenn du sagst, ich sei nicht in
dieser schmachvollen Hülle geboren worden.  Ach, an meiner Wiege
wurde es mir nicht gesungen, daß Mimi, des großen Wetterbocks Tochter,
in der Küche eines Herzogs getötet werden soll!"

"Sei Sie doch ruhig, liebe Jungfer Mimi", tröstete der Zwerg.  "So
wahr ich ein ehrlicher Kerl und Unterküchenmeister Seiner Durchlaucht
bin, es soll Ihr keiner an die Kehle.  Ich will Ihr in meinen eigenen
Gemächern einen Stall anweisen, Futter soll Sie genug haben, und
meine freie Zeit werde ich Ihrer Unterhaltung widmen; den übrigen
Küchenmenschen werde ich sagen, daß ich eine Gans mit allerlei
besonderen Kräutern für den Herzog mäste, und sobald sich Gelegenheit
findet, setze ich Sie in Freiheit."

Die Gans dankte ihm mit Tränen; der Zwerg aber tat, wie er
versprochen, schlachtete die zwei anderen Gänse, für Mimi aber baute
er einen eigenen Stall unter dem Vorwande, sie für den Herzog ganz
besonders zuzurichten.  Er gab ihr auch kein gewöhnliches Gänsefutter,
sondern versah sie mit Backwerk und süßen Speisen.

So oft er freie Zeit hatte, ging er hin, sich mit ihr zu unterhalten
und sie zu trösten.  Sie erzählten sich auch gegenseitig ihre
Geschichten, und Nase erfuhr auf diesem Wege, daß die Gans eine
Tochter des Zauberers Wetterbock sei, der auf der Insel Gotland lebe.
Er sei in Streit geraten mit einer alten Fee, die ihn durch Ränke
und List überwunden und sie zur Rache in eine Gans verwandelt und
weit hinweg bis hierher gebracht habe.  Als der Zwerg Nase ihr seine
Geschichte ebenfalls erzählt hatte, sprach sie: "Ich bin nicht
unerfahren in "lesen Sachen.  Mein Vater hat mir und meinen
Schwestern einige Anleitung gegeben, so viel er nämlich davon
mitteilen durfte.  Die Geschichte mit dem Streit am Kräuterkorb,
deine plötzliche Verwandlung, als du an jenem Kräutlein rochst, auch
einige Worte der Alten, die du mir sagtest, beweisen mir, daß du auf
Kräuter verzaubert bist, das heißt, wenn du das Kraut auffindest, das
sich die Fee bei deiner Verzauberung gedacht hat, so kannst du erlöst
werden."  Es war dies ein geringer Trost für den Kleinen; denn wo
sollte er das Kraut auffinden?  Doch dankte er ihr und schöpfte
einige Hoffnung.

Um diese Zeit bekam der Herzog einen Besuch von einem benachbarten
Fürsten, seinem Freunde.  Er ließ daher seinen Zwerg Nase vor sich
kommen und sprach zu ihm: "Jetzt ist die Zeit gekommen, wo du mir
zeigen mußt, ob du mir treu dienst und Meister deiner Kunst bist.
Dieser Fürst, der bei mir zu Besuch ist, speist bekanntlich außer mir
am besten und ist ein großer Kenner einer feinen Küche und ein weiser
Mann.  Sorge nun dafür, daß meine Tafel täglich also besorgt werde,
daß er immer mehr in Erstaunen gerät.  Dabei darfst du, bei meiner
Ungnade, so lange er da ist, keine Speise zweimal bringen.  Dafür
kannst du dir von meinem Schatzmeister alles reichen lassen, was du
nur brauchst.  Und wenn du Gold und Diamanten in Schmalz baden mußt
so tu es!  Ich will lieber ein armer Mann werden, als erröten vor ihm."

So sprach der Herzog!  Der Zwerg aber sagte, indem er sich anständig
verbeugte: "Es sei, wie du sagst, o Herr!  So es Gott der gefällt,
werde ich alles so machen, daß es diesem Fürsten der Gutschmecker
wohlgefällt."

Der kleine Koch suchte nun seine ganze Kunst hervor.  Er schonte die
Schätze seines Herrn nicht, noch weniger aber sich selbst.  Denn man
sah ihn den ganzen Tag in eine Wolke von Rauch und Feuer eingehüllt,
und seine Stimme hallte beständig durch das Gewölbe der Küche; denn
er befahl als Herrscher den Küchenjungen und niederen Köchen.  Herr!
Ich könnte es machen wie die Kameltreiber von Aleppo, wenn sie in
ihren Geschichten, die sie den Reisenden erzählen, die Menschen
herrlich speisen lassen.  Sie führen eine ganze Stunde lang alle die
Gerichte an, die aufgetragen worden sind, und erwecken dadurch große
Sehnsucht und noch größeren Hunger in ihren Zuhörern, so daß diese
unwillkürlich die Vorräte öffnen und eine Mahlzeit halten und den
Kameltreibern reichlich mitteilen; doch ich nicht also.

Der fremde Fürst war schon vierzehn Tage beim Herzog und lebte
herrlich und in Freuden.  Sie speisten des Tages nicht weniger als
fünfmal, und der Herzog war zufrieden mit der Kunst des Zwerges; denn
er sah Zufriedenheit auf der Stirne seines Gastes.  Am fünfzehnten
Tage aber begab es sich, daß der Herzog den Zwerg zur Tafel rufen
ließ, ihn seinem Gast, dem Fürsten, vorstellte und diesen fragte, wie
er mit dem Zwerg zufrieden sei.

"Du bist ein wunderbarer Koch", antwortete der fremde Fürst, "und
weißt, was anständig essen heißt.  Du hast in der ganzen Zeit, da ich
hier bin, nicht eine einzige Speise wiederholt und alles trefflich
bereitet.  Aber sage mir doch, warum bringst du so lange nicht die
Königin der Speisen, die Pastete Souzeraine?"

Der Zwerg war sehr erschrocken; denn er hatte von dieser
Pastetenkönigin nie gehört; doch faßte er sich und antwortete: "O
Herr!  Noch lange, hoffte ich, sollte dein Angesicht leuchten an
diesem Hoflager, darum wartete ich mit dieser Speise; denn womit
sollte dich denn der Koch begrüßen am Tage des Scheidens als mit der
Königin der Pasteten?"

"So?" entgegnete der Herzog lachend.  "Und bei mir wolltest du wohl
warten bis an meinen Tod, um mich dann noch zu begrüßen?  Denn auch
mir hast du die Pastete noch nie vorgesetzt.  Doch denke auf einen
anderen Scheidegruß; denn morgen mußt du die Pastete auf die Tafel
setzen."

"Es sei, wie du sagst, Herr!" antwortete der Zwerg und ging.  Aber er
ging nicht vergnügt; denn der Tag seiner Schande und seines Unglücks
war gekommen.  Er wußte nicht, wie er die Pastete machen sollte.  Er
ging daher in seine Kammer und weinte über sein Schicksal.

Da trat die Gans Mimi, die in seinem Gemach umhergehen durfte, zu ihm
und fragte ihn nach der Ursache seines Jammers.  "Stille deine
Tränen", antwortete sie, als sie von der Pastete Souzeraine gehört,
"dieses Gericht kam oft auf meines Vaters Tisch, und ich weiß
ungefähr, was man dazu braucht; du nimmst dies und jenes, so und so
viel, und wenn es auch nicht durchaus alles ist, was eigentlich dazu
nötig, die Herren werden keinen so feinen Geschmack haben."  So sprach
Mimi.  Der Zwerg aber sprang auf vor Freuden, segnete den Tag, an
welchem er die Gans gekauft hatte, und schickte sich an, die Königin
der Pasteten zuzurichten.  Er machte zuerst einen kleinen Versuch,
und siehe, es schmeckte trefflich, und der Oberküchenmeister, dem er
davon zu kosten gab, pries aufs neue seine ausgebreitete Kunst.

Den anderen Tag setzte er die Pastete in größerer Form auf und
schickte sie warm, wie sie aus dem Ofen kam, nachdem er sie mit
Blumenkränzen geschmeckt hatte, auf die Tafel.  Er selbst aber zog
sein bestes Festkleid an und ging in den Speisesaal.  Als r eintrat,
war der Obervorschneider gerade damit beschäftigt, die Pastete zu
zerschneiden und auf einem silbernen Schäufelein dem Herzog und
seinem Gaste hinzureichen.  Der Herzog tat einen tüchtigen Biß hinein,
schlug die Augen auf zur Decke und srach, nachdem er geschluckt
hatte: "Ah, ah, ah!  Mit Recht nennt man dies die Königin der
Pasteten; aber mein Zwerg ist auch der König aller Köche!  Nicht also,
lieber Freund?"

Der Gast nahm einige kleine Bissen zu sich, kostete und prüfte
aufmerksam und lächelte dabei höhnisch und geheimnisvoll.  "Das Ding
ist recht artig gemacht", antwortete er, indem er den Teller
hinwegrückte, "aber die Souzeraine ist es denn doch nicht ganz; das
habe ich mir wohl gedacht."

Da runzelte der Herzog vor Unmut die Stirne und errötete vor
Beschämung.  "Hund von einem Zwerg!" rief er, "wie wagst du es,
deinem Herrn dies anzutun?  Soll ich dir deinen großen Kopf abhacken
lassen zur Strafe für deine schlechte Kocherei?"

"Ach, Herr!  Um des Himmels willen, ich habe das Gericht doch
zubereitet nach den Regeln der Kunst, es kann gewiß nichts fehlen!"
so sprach der Zwerg und zitterte.

"Es ist eine Lüge, du Bube!" erwiderte der Herzog und stieß ihn mit
dem Fuße von sich.  "Mein Gast würde sonst nicht sagen, es fehlt
etwas.  Dich selbst will ich zerhacken und backen lassen in eine
Pastete!"

"Habt Mitleiden!" rief der Kleine und rutschte auf den Knien zu dem
Gast, dessen Füße er umfaßte.  "Saget, was fehlt in dieser Speise,
daß sie Eurem Gaumen nicht zusagt?  Lasset mich nicht sterben wegen
einer Handvoll Fleisch und Mehl."

"Das wird dir wenig helfen, mein lieber Nase", antwortete der Fremde
mit Lachen, "das habe ich mir schon gestern gedacht, daß du diese
Speise nicht machen kannst wie mein Koch.  Wisse, es fehlt ein
Kräutlein, das man hierzulande gar nicht kennt, das Kraut Niesmitlust;
ohne dieses bleibt die Pastete ohne Würze, und dein Herr wird sie
nie essen wie ich."

Da geriet der Herrscher in Frankistan in Wut.  "Und doch werde ich
sie essen", rief er mit funkelnden Augen, "denn ich schwöre bei
meiner fürstlichen Ehre: Entweder zeige ich Euch morgen die Pastete,
wie Ihr sie verlangst--oder den Kopf dieses Burschen, aufgespießt auf
dem Tor meines Palastes.  Gehe, du Hund, noch einmal gebe ich dir
vierundzwanzig Stunden Zeit."

So rief der Herzog; der Zwerg aber ging wieder weinend in sein
Kämmerlein und klagte der Gans sein Schicksal und daß er sterben
müsse; denn von dem Kraut habe er nie gehört.  "Ist es nur dies",
sprach sie, "da kann ich dir schon helfen; denn mein Vater lehrte
mich alle Kräuter kennen.  Wohl wärest du vielleicht zu einer anderen
Zeit des Todes gewesen; aber glücklicherweise ist es gerade Neumond,
und um diese Zeit blüht das Kräutlein.  Doch, sage an, sind alte
Kastanienbäume in der Nähe des Palastes?"

"O ja!" erwiderte Nase mit leichterem Herzen.  "Am See, zweihundert
Schritte vom Haus, steht eine ganze Gruppe; doch warum diese?"

"Nur am Fuße alter Kastanien blüht das Kräutlein", sagte Mimi, "darum
laß uns keine Zeit versäumen und suchen, was du brauchst; nimm mich
auf deinen Arm und setze mich im Freien nieder; ich will dir suchen."

Er tat, wie sie gesagt, und ging mit ihr zur Pforte des Palastes.
Dort aber streckte der Türhüter das Gewehr vor und sprach: "Mein
guter Nase, mit dir ist's vorbei; aus dem Hause darfst du nicht, ich
habe den strengsten Befehl darüber."

"Aber in den Garten kann ich doch wohl gehen?" erwiderte der Zwerg.
"Sei so gut und schicke einen deiner Gesellen zum Aufseher des
Palastes und frage, ob ich nicht in den Garten gehen und Kräuter
suchen dürfe?"  Der Türhüter tat also, und es wurde erlaubt; denn der
Garten hatte hohe Mauern, und es war an kein Entkommen daraus zu
denken.  Als aber Nase mit der Gans Mimi ins Freie gekommen war,
setzte er sie behutsam nieder, und sie ging schnell vor ihm her dem
See zu, wo die Kastanien standen.  Er folgte ihr nur mit beklommenem
Herzen; denn es war ja seine letzte, einzige Hoffnung; fand sie das
Kräutlein nicht, so stand sein Entschluß fest, er stürzte sich dann
lieber in den See, als daß er sich köpfen ließ.  Die Gans suchte
vergebens, sie wandelte unter allen Kastanien, sie wandte mit dem
Schnabel jedes Gräschen um, es wollte sich nichts zeigen, und sie
fing aus Mitleid und Angst an zu weinen; denn schon wurde der Abend
dunkler und die Gegenstände umher waren schwerer zu erkennen.

Da fielen die Blicke des Zwerges über den See hin, und plötzlich rief
er: "Siehe, siehe, dort über dem See steht noch ein großer, alter
Baum; laß uns dorthin gehen und suchen, vielleicht blüht dort mein
Glück."

Die Gans hüpfte und flog voran, und er lief nach, so schnell seine
kleinen Beine konnten; der Kastanienbaum warf einen großen Schatten,
und es war dunkel umher, fast war nichts mehr zu erkennen; aber da
blieb plötzlich die Gans stille stehen, schlug vor Freuden mit den
Flügeln, fuhr dann schnell mit dem Kopf ins hohe Gras und pflückte
etwas ab, das sie dem erstaunten Nase zierlich mit dem Schnabel
überreichte und sprach: "Das ist das Kräutlein, und hier wächst eine
Menge davon, so daß es dir nie daran fehlen kann."

Der Zwerg betrachtete das Kraut sinnend; ein süßer Duft strömte ihm
daraus entgegen, der ihn unwillkürlich an die Szene seiner
Verwandlung erinnerte; die Stengel, die Blätter waren bläulichgrün,
sie trugen eine brennend rote Blume mit gelbem Rande.

"Gelobt sei Gott!" rief er endlich aus.  "Welches Wunder!  Wisse, ich
glaube, es ist dies dasselbe Kraut, das mich aus einem Eichhörnchen
in diese schändliche Gestalt umwandelte; soll ich den Versuch machen?"

"Noch nicht", bat die Gans.  "Nimm von diesem Kraut eine Handvoll mit
dir, laß uns auf dein Zimmer gehen und dein Geld, und was du sonst
hast, zusammenraffen, und dann wollen wir die Kraft des Krautes
versuchen!"  Sie taten also und gingen auf seine Kammer zurück, und
das Herz des Zwerges pochte hörbar vor Erwartung.  Nachdem er fünfzig
oder sechzig Dukaten, die er erspart hatte, einige Kleider und Schuhe
zusammen in ein Bündel geknüpft hatte, sprach er: "So es Gott
gefällig ist, werde ich diese Bürde loswerden", steckte seine Nase
tief in die Kräuter und sog ihren Duft ein.

Da zog und knackte es in allen seinen Gliedern, er fühlte, wie sich
sein Kopf aus den Schultern hob, er schielte herab auf seine Nase und
sah sie kleiner und kleiner werden, sein Rücken und seine Brust
fingen an, sich zu ebnen, und seine Beine wurden länger.

Die Gans sah mit Erstaunen diesem allem zu.  "Ha!  Was du groß, was
du schön bist!" rief sie.  "Gott sei gedankt, es ist nichts mehr an
dir von allem, was du vorher warst!"

Da freute sich Jakob sehr, und er faltete die Hände und betete.  Aber
seine Freude ließ ihn nicht vergessen, welchen Dank er der Gans
schuldig sei; zwar drängte ihn sein Herz, zu seinen Eltern zu gehen;
doch besiegte er aus Dankbarkeit diesen Wunsch und sprach: "Wem
anders als dir habe ich es zu danken, daß ich mir selbst
wiedergeschenkt bin?  Ohne dich hätte ich dieses Kraut nimmer
gefunden, hätte also ewig in jener Gestalt bleiben oder vielleicht
gar unter dem Beile des Henkers sterben müssen.  Wohlan, ich will es
dir vergelten.  Ich will dich zu deinem Vater bringen; er, der
erfahren ist in jedem Zauber, wird dich leicht entzaubern können."
Die Gans vergoß Freudentränen und nahm sein Anerbieten an.  Jakob kam
glücklich und unerkannt mit der Gans aus dem Palast und machte sich
auf den Weg nach dem Meeresstrand, Mimis Heimat, zu.

Was soll ich noch weiter erzählen, daß sie ihre Reise glücklich
vollendeten, daß Wetterbock seine Tochter entzauberte und den Jakob,
mit Geschenken beladen, entließ, daß er in seine Vaterstadt zurückkam
und daß seine Eltern in dem schönen jungen Mann mit Vergnügen ihren
verlorenen Sohn erkannten, daß er von den Geschenken, die er von
Wetterbock mitbrachte, sich einen Laden kaufte und reich und
glücklich wurde?

Nur so viel will ich noch sagen, daß nach seiner Entfernung aus dem
Palaste des Herzogs große Unruhe entstand; denn als am anderen Tage
der Herzog seinen Schwur erfüllen und dem Zwerg, wenn er die Kräuter
nicht gefunden hätte, den Kopf abschlagen lassen wollte, war er
nirgends zu finden; der Fürst aber behauptete, der Herzog habe ihn
heimlich entkommen lassen, um sich nicht seines besten Kochs zu
berauben, und klagte ihn an, daß er wortbrüchig sei.  Dadurch
entstand denn ein großer Krieg zwischen beiden Fürsten, der in der
Geschichte unter dem Namen "Kräuterkrieg" wohlbekannt ist; es wurde
manche Schlacht geschlagen, aber am Ende doch Friede gemacht, und
diesen Frieden nennt man bei uns den "Pastetenfrieden", weil beim
Versöhnungsfest durch den Koch des Fürsten die Souzeraine, die
Königin der Pasteten, zubereitet wurde, welche sich der Herr Herzog
trefflich schmecken ließ.

So führen oft die kleinsten Ursachen zu großen Folgen; und dies, o
Herr, ist die Geschichte des Zwerges Nase.

So erzählte der Sklave aus Frankistan; nachdem er geendet hatte, ließ
der Scheik Ali Banu ihm und den anderen Sklaven Früchte reichen, sich
zu erfrischen, und unterhielt sich, während sie aßen, mit seinen
Freunden.  Die jungen Männer aber, die der Alte eingeführt hatte,
waren voll Lobes über den Scheik, sein Haus und alle seine
Einrichtungen.  "Wahrlich", sprach der junge Schreiber, "es gibt
keinen angenehmeren Zeitvertreib als Geschichten anzuhören.  Ich
könnte tagelang so hinsetzen, die Beine untergeschlagen, einen Arm
aufs Kissen gestützt, die Stirne in die Hand gelegt, und, wenn es
ginge, des Scheiks große Wasserpfeife in der Hand, und Geschichten
anhören--so ungefähr stelle ich mir das Leben vor in den Gärten
Mahomeds."

"So lange Ihr jung seid und arbeiten könnt", sprach der Alte, "kann
ein solcher träger Wunsch nicht Euer Ernst sein.  Aber das gebe ich
Euch zu, daß ein eigener Reiz darin liegt, etwas erzählen zu hören.
So alt ich bin, und ich gehe nun ins siebenundsiebzigste Jahr, so
viel ich in meinem Leben schon gehört habe, so verschmähe ich es doch
nicht, wenn an der Ecke ein Geschichtenerzähler sitzt und um ihn in
großem Kreis die Zuhörer, mich ebenfalls hinzusetzen und zuzuhören.
Man träumt sich ja in die Begebenheiten hinein, die erzählt werden,
man lebt mit diesen Menschen, mit diesen wundervollen Geistern, mit
Feen und dergleichen Leuten, die uns nicht alle Tage begegnen, und
hat nachher, wenn man einsam ist, Stoff, sich alles zu wiederholen,
wie der Wanderer, der sich gut versehen hat, wenn er durch die Wüste
reist."

"Ich habe nie so darüber nachgedacht", erwiderte ein anderer der
jungen Leute, "worin der Reiz solcher Geschichten eigentlich liegt.
Aber mir geht es wie euch.  Schon als Kind konnte man mich, wenn ich
ungeduldig war, durch eine Geschichte zum Schweigen bringen.  Es war
mir anfangs gleichgültig, von was es handelte, wenn es nur erzählt
war, wenn nur etwas geschah; wie oft habe ich, ohne zu ermüden, jene
Fabeln angehört, die weise Männer erfunden und in welche sie einen
Kern ihrer Weisheit gelegt haben, vom Fuchs und vom törichten Raben,
vom Fuchs und vom Wolf, viele Dutzend Geschichten vom Löwen und den
übrigen Tieren.  Als ich älter wurde und mehr unter die Menschen kam,
genügten mir jene kurzen Geschichten nicht mehr; sie mußten schon
länger sein, mußten von Menschen und ihren wunderbaren Schicksalen
handeln."  "Ja, ich entsinne mich noch wohl dieser Zeit", unterbrach
ihn einer seiner Freunde.  "Du warst es, der uns diesen Drang nach
Erzählungen beibrachte.  Einer Eurer Sklaven wußte so viel zu
erzählen, als ein Kameltreiber von Mekka nach Medina spricht; wenn er
fertig war mit seiner Arbeit, mußte er sich zu uns setzen, und da
baten wir so lange, bis er zu erzählen anfing, und das ging fort und
fort, bis die Nacht heraufkam."

"Und erschloß sich uns", entgegnete der Schreiber, "erschloß sich uns
da nicht ein neues, nie gekanntes Reich, das Land der Genien und Feen,
bebaut mit allen Wundern der Pflanzenwelt, mit reichen Palästen von
Smaragden und Rubinen, mit riesenhaften Sklaven bevölkert, die
erschienen, wenn man einen Ring hin und wider dreht oder die
Wunderlampe reibt oder das Wort Salomos ausspricht, und in goldenen
Schalen herrliche Speisen bringen.  Wir fühlten uns unwillkürlich in
jenes Land versetzt, wir machten mit Sindbad seine wunderbaren
Fahrten, wir gingen mit Harun Al-Raschid, dem weisen Beherrscher der
Gläubigen, abends spazieren, wir kannten Giaffar, seinen Wesir, so
gut als uns selbst, kurz, wir lebten in jenen Geschichten, wie man
nachts in Träumen lebt, und es gab keine schönere Tageszeit für uns
als den Abend, wo der alte Sklave uns erzählte.  Aber sage uns, Alter,
worin liegt es denn eigentlich, daß wir damals so gerne erzählen
hörten, daß es noch jetzt für uns keine angenehmere Unterhaltung
gibt?"

Die Bewegung, die im Zimmer entstand, und die Aufforderung zur
Aufmerksamkeit, die der Sklavenaufseher gab, verhinderte den Alten zu
antworten.  Die jungen Leute wußten nicht, ob sie sich freuen sollten,
daß sie eine neue Geschichte anhören durften, oder ungehalten sein
darüber, daß ihr anziehendes Gespräch mit dem Alten unterbrochen
worden war; aber ein zweiter Sklave erhob sich bereits und begann:




Abner, der Jude, der nichts gesehen hat

Wilhelm Hauff


Herr, ich bin aus Mogador am Strande des großen Meers, und als der
großmächtigste Kaiser Muley Ismael über Fez und Marokko herrschte,
hat sich die Geschichte zugetragen, die du vielleicht nicht ungerne
hören wirst.  Es ist die Geschichte von Abner, dem Juden, der nichts
gesehen hat.

Juden, wie du weißt, gibt es überall, und sie sind überall Juden:
pfiffig, mit Falkenaugen für den kleinsten Vorteil begabt,
verschlagen, desto verschlagener, je mehr sie mißhandelt werden,
ihrer Verschlagenheit sich bewußt und sich etwas darauf einbildend.
Daß aber doch zuweilen ein Jude durch seine Pfiffe zu Schaden kommt,
bewies Abner, als er eines Abends zum Tore von Marokko hinaus
spazierenging.

Er schreitet einher, mit der spitzen Mütze auf dem Kopf, in den
bescheidenen, nicht übermäßig reinlichen Mantel gehüllt, streichelt
sich den Knebelbart, und trotz der umherrollenden Augen, welche ewige
Furcht und Besorgnis und die Begierde, etwas zu erspähen, womit etwas
zu machen wäre, keinen Augenblick ruhen läßt, leuchtet Zufriedenheit
aus seiner Miene; er muß diesen Tag gute Geschäfte gemacht haben; und
so ist es auch.  Er ist Arzt, ist Kaufinann, ist alles, was Geld
einträgt; er hat heute einen Sklaven mit einem heimlichen Fehler
verkauft, wohlfeil eine Kamelladung Gummi gekauft und einem reichen
kranken Mann den letzten Trank, nicht vor seiner Genesung, sondern
vor seinem Hintritt bereitet.

Eben war er auf seinem Spaziergang aus einem kleinen Gehölz von
Palmen und Datteln getreten, da hörte er lautes Geschrei
herbeilaufender Menschen hinter sich; es war ein Haufe kaiserlicher
Stallknechte, den Oberstallmeister an der Spitze, die nach allen
Seiten unruhige Blicke umherwarfen, wie Menschen, die etwas
Verlorenes eifrig suchen.

"Philister", rief ihm keuchend der Oberstallmeister zu, "hast du
nicht ein kaiserlich Pferd mit Sattel und Zeug vorüberrennen sehen?"

Abner antwortete: "Der beste Galoppläufer, den es gibt; zierlich
klein ist sein Huf, seine Hufeisen sind von vierzehnlötigem Silber,
sein Haar leuchtet golden, gleich dem großen Sabbatleuchter in der
Schule, fünfzehn Fäuste ist er hoch, sein Schweif ist drei und einen
halben Fuß lang, und die Stangen seines Gebisses sind von
dreiundzwanzigkarätigem Golde."

"Er ist's!" rief der Oberstallmeister.

"Er ist's!" rief der Chor der Stallknechte.

"Es ist der Emir", rief ein alter Bereiter, "ich habe es dem Prinzen
Abdallah zehnmal gesagt, er solle den Emir in der Trense reiten, ich
kenne den Emir, ich habe es vorausgesagt, daß er ihn abwerfen würde,
und sollte ich seine Rückenschmerzen mit dem Kopf bezahlen müssen,
ich habe es vorausgesagt.  Aber schnell, wohinzu ist er gelaufen?"

"Habe ich doch gar kein Pferd gesehen", erwiderte Abner lächelnd,
"wie kann ich sagen, wohin es gelaufen ist, des Kaisers Pferd?"

Erstaunt über diesen Widerspruch wollten die Herren vom Stalle eben
weiter in Abner dringen; da kam ein anderes Ereignis dazwischen.

Durch einen sonderbaren Zufall, wie es deren so viele gibt, war
gerade zu dieser Zeit auch der Leibschoßhund der Kaiserin entlaufen.
Ein Haufe schwarze Sklaven kam herbeigerannt, und sie schrien schon
von weitem: "Habt Ihr den Schoßhund der Kaiserin nicht gesehen?"

"Es ist kein Hund, den Ihr suchet, meine Herren", sagte Abner, "es
ist eine Hündin."

"Allerdings!" rief der erste Eunuch hocherfreut.  "Aline, wo bist du?"

"Ein kleiner Wachtelhund", fuhr Abner fort, "der vor kurzem Junge
geworfen, langes Behänge, Federschwanz, hinkt auf dem rechten
vorderen Bein."

"Sie ist's, wie sie leibt und lebt!" rief der Chor der Schwarzen.
"Es ist Aline; die Kaiserin ist in Krämpfe verfallen, sobald sie
vermißt wurde; Aline, wo bist du?  Was soll aus uns werden, wenn wir
ohne dich in den Harem zurückkehren?  Sprich geschwind, wohin hast du
sie laufen sehen?"

"Ich habe gar keinen Hund gesehen; weiß ich doch nicht einmal, daß
meine Kaiserin, welche Gott erhalte, einen Wachtelhund besitzt."

Da ergrimmten die Leute vom Stalle und vom Harem über Abners
Unverschämtheit, wie sie es nannten, über kaiserliches Eigentum
seinen Scherz zu treiben, und zweifelten keinen Augenblick, so
unwahrscheinlich dies auch war, daß er Hund und Pferd gestohlen habe.
Während die anderen ihre Nachforschungen fortsetzten, packten der
Stallmeister und der erste Eunuch den Juden und führten den halb
pfiffig, halb ängstlich Lächelnden vor das Angesicht des Kaisers.

Aufgebracht berief Mulen Ismael, als er den Hergang vernommen, den
gewöhnlichen Rat des Palastes und führte in Betracht der Wichtigkeit
des Gegenstandes selbst den Vorsitz.  Zur Eröffnung der Sache wurde
dem Angeschuldigten ein halbes Hundert Streiche auf die Fußsohlen
zuerkannt.  Abner mochte schreien und winseln, seine Unschuld
beteuern oder versprechen, alles zu erzählen, wie es sich zugetragen,
Sprüche aus der Schrift oder dem Talmud anführen, mochte rufen: "Die
Ungnade des Königs ist wie das Brüllen eines jungen Löwen, aber seine
Gnade ist Tau auf dem Grase"; oder: "Laß nicht zuschlagen deine Hand,
wenn dir Augen und Ohren verschlossen sind"--Mulen Ismael winkte und
schwur bei des Propheten Bart und seinem eigenen, der Philister solle
die Schmerzen des Prinzen Abdallah und die Krämpfe der Kaiserin mit
dem Kopfe bezahlen, wenn die Flüchtigen nicht wieder beigebracht
würden.  Noch erschallte der Palast des Kaisers von Marokko von dem
Schmerzgeschrei des Patienten, als die Nachricht einlief, Hund und
Pferd seien wiedergefunden.  Aline überraschte man in der
Gesellschaft einiger Möpse, sehr anständiger Leute, die sich aber für
sie, als Hofdame, durchaus nicht schickte, und Emir hatte, nachdem er
sich müde gelaufen, das duftende Gras auf den grünen Wiesen am Bache
Tara wohlschmeckender gefunden als den kaiserlichen Hafer; gleich dem
ermüdeten fürstlichen Jäger, der, auf der Parforcejagd verirrt, über
dem schwarzen Brot und der Butter in der Hütte des Landmanns alle
Leckereien seiner Tafel vergißt.

Muley Ismael verlangte nun von Abner eine Erklärung seines Betragens,
und dieser sah sich nun, wiewohl etwas spät, imstande, sich zu
verantworten, was er, nachdem er vor seiner Hoheit Thron dreimal die
Erde mit der Stirne berührte, in folgenden Worten tat:

"Großmächtigster Kaiser, König der Könige, Herr des Besten, Stern der
Gerechtigkeit, Spiegel der Wahrheit, Abgrund der Weisheit, der du so
glänzend bist wie Gold, so strahlend wie der Diamant, so hart wie das
Eisen, höre mich, weil es deinem Sklaven vergönnt ist, vor deinem
strahlenden Angesichte seine Stimme zu erheben!  Ich schwöre bei dem
Gott meiner Väter, bei Moses und den Propheten, daß ich dein heiliges
Pferd und meiner gnädigen Kaiserin liebenswürdigen Hund mit meines
Leibes Augen nicht gesehen habe.  Höre aber, wie sich die Sache
begeben:

Ich spazierte, um mich von des Tages Last und Arbeit zu erholen,
nichts denkend, in dem kleinen Gehölze, wo ich die Ehre gehabt habe,
Seiner Herrlichkeit, dem Oberstallmeister, und Seiner Wachsamkeit,
dem schwarzen Aufseher deines gesegneten Harems, zu begegnen; da
gewahrte ich im feinen Sande zwischen den Palmen die Spuren eines
Tieres; ich, dem die Spuren der Tiere überaus gut bekannt sind,
erkenne sie alsbald für die Fußstapfen eines kleinen Hundes; feine
langgezogene Furchen liefen über die kleinen Unebenheiten des
Sandbodens zwischen diesen Spuren hin; es ist eine Hündin, sprach ich
zu mir selbst, und sie hat hängende Zitzen und hat Junge geworfen vor
so und so langer Zeit; andere Spuren neben den Vordertatzen, wo der
Sand leicht weggefegt zu sein schien, sagten mir, daß das Tier mit
schönen, weit herabhängenden Ohren begabt sei; und da ich bemerkt,
wie in längeren Zwischenräumen der Sand bedeutender aufgewühlt war,
dachte ich: Einen schönen langbehaarten Schwanz hat die Kleine, und
er muß anzusehen sein als ein Federbusch, und es hat ihr beliebt,
zuweilen den Sand damit zu peitschen; auch entging mir nicht, daß
eine Pfote sich beständig weniger tief in den Sand eindrückte; leider
konnte mir da nicht verborgen bleiben, daß die Hündin meiner
gnädigsten Frau, wenn es erlaubt ist, es auszusprechen, etwas hinke.

Was das Roß deiner Hoheit betrifft, so wisse, daß ich, als ich in
einem Gange des Gebüsches hinwandelte, auf die Spuren eines Pferdes
aufmerksam wurde.  Kaum hatte ich den edlen, kleinen Huf, den feinen
und doch starken Strahl bemerkt, so sagte ich in meinem Herzen: Da
ist gewesen ein Roß von der Rasse Tschenner, die da ist die
vornehmste von allen.  Ist es ja noch nicht vier Monate, hat mein
gnädigster Kaiser einem Fürsten in Frankenland eine ganze Koppel von
dieser Rasse verkauft, und mein Bruder Ruben ist dabeigewesen, wie
sie sind handelseinig geworden, und mein gnädigster Kaiser hat dabei
gewonnen so und so viel.  Als ich sah, wie die Spuren so weit und so
gleichmäßig voneinander entfernt waren, mußte ich denken: Das
galoppierte schön, vornehm; und ist bloß mein Kaiser wert, solch ein
Tier zu besitzen, und ich gedachte des Streitrosses, von dem
geschrieben steht bei Hiob: ŽEs stampfet auf den Boden und ist
freudig mit Kraft und zeucht aus, den Geharnischten entgegen; es
spottet der Furcht und erschrickt nicht und fleucht vor dem Schwert
nicht, wenngleich wider es erklinget der Köcher, und glänzen beide,
Spieß und Lanzen.Ž Und ich bückte mich, da ich etwas glänzen sah auf
dem Boden, wie ich immer tue, und siehe, es war ein Marmelstein,
darauf hatte das Hufeisen des eilenden Rosses einen Strich gezogen,
und ich erkannte, daß es Hufeisen haben mußte von vierzehnlötigem
Silber; muß ich doch den Strich kennen von jeglichem Metall, sei es
echt oder unecht.  Der Baumgang, in dem ich spazierte, war sieben Fuß
weit, und hie und da sah ich den Staub von den Palmen gestreift; der
Gaul hat mit dem Schweif gefochten, sprach ich, und er ist lang drei
und einen halben Fuß; unter Bäumen, deren Krone etwa fünf Fuß vom
Boden aufging, sah ich frisch abgestreifte Blätter; seiner
Schnelligkeit Rücken mußte sie abgestreift haben; da haben wir ein
Pferd von fünfzehn Fäusten; siehe da, unter denselben Bäumen kleine
Büschel goldglänzender Haare, und siehe da, es ist ein Goldfuchs!
Eben trat ich aus dem Gebüsche, da fiel an einer Felswand ein
Goldstrich in mein Auge; diesen Strich solltest du kennen, sprach ich,
und was war's?  Ein Probierstein war eingesprengt in dem Gestein und
ein haarfeiner Goldstrich darauf, wie ihn das Männchen mit dem
Pfeilbündel auf den Füchsen der sieben vereinigten Provinzen von
Holland nicht feiner, nicht reiner ziehen kann.  Der Strich mußte von
den Gebißstangen des flüchtigen Rosses rühren, die es im
Vorbeispringen gegen dieses Gestein gerieben.  Kennt man ja doch
deine erhabene Prachtliebe, König der Könige, weiß man ja doch, daß
sich das geringste deiner Rosse schämen würde, auf einen anderen als
einen goldenen Zaum zu beißen.  Also hat es sich begeben, und wenn--"

"Nun, bei Mekka und Medina!" rief Muley Ismael, "das heiße ich Augen;
solche Augen könnten dir nicht schaden, Oberjägermeister, sie würden
dir eine Koppel Schweißhunde ersparen; du, Polizeiminister, könntest
damit weiter sehen als alle deine Schergen und Aufpasser.  Nun,
Philister, wir wollen dich in Betracht deines ungemeinen Scharfsinns,
der uns wohlgefallen hat, gnädig behandeln; die fünfzig Prügel, die
du richtig erhalten, sind fünfzig Zechinen wert.  Sie ersparen dir
fünfzig; denn du zahlst jetzt bloß noch fünfzig bar; zieh deinen
Beutel und enthalte dich für die Zukunft, unseres kaiserlichen
Eigentums zu spotten!  Wir bleiben dir übrigens in Gnaden gewogen."

Der ganze Hof bewunderte Abners Scharfsinn, denn seine Majestät hatte
geschworen, er sei ein geschickter Bursche; aber dies bezahlte ihm
seine Schmerzen nicht, tröstete ihn nicht für seine teuren Zechinen.
Während er stöhnend und seufzend eine nach der anderen aus dem Beutel
führte, jede noch zum Abschiede auf der Fingerspitze wog, höhnte ihn
noch Schnuri, der kaiserliche Spaßmacher, fragte ihn, ob seine
Zechinen alle auf dem Steine sich bewährten, auf dem der Goldfuchs
des Prinzen Abdallah sein Gebiß probiert habe.  "Deine Weisheit hat
heute Ruhm geerntet", sprach er; "ich wollte aber noch fünfzig
Zechinen wetten, es wäre dir lieber, du hättest geschwiegen.  Aber
wie spricht der Prophet? ŽEin entschlüpftes Wort holt kein Wagen ein,
und wenn er mit vier flüchtigen Rossen bespannt wäre.Ž Auch kein
Windspiel holt es ein, Herr Abner, auch wenn es nicht hinkt."

Nicht lange nach diesem für Abner schmerzlichen Ereignis ging er
wieder einmal in einem der grünen Täler zwischen den Vorbergen des
Atlas spazieren.  Da wurde er, gerade wie damals, von einem
einherstürmenden Haufen Gewaffneter eingeholt, und der Anführer
schrie ihn an:

"He, guter Freund, hast du nicht Goro, den schwarzen Leibschützen des
Kaisers, vorbeilaufen sehen?  Er ist entflohen, er muß diesen Weg
genommen haben ins Gebirg."

"Kann nicht dienen, Herr General", antwortete Abner.

"Ach, bist du nicht der pfiffige Jude, der den Fuchsen und den Hund
nicht gesehen hat?  Mach nur keine Umstände; hier muß der Sklave
vorbeigekommen sein; riechst du vielleicht noch den Duft seines
Schweißes in der Luft?  Siehst du noch die Spuren seines flüchtigen
Fußes im hohen Grase?  Sprich, der Sklave muß herbei; er ist einzig
im Sperlingsschießen mit dem Blaserohr, und dies ist Seiner Majestät
Lieblingszeitvertreib.  Sprich!  Oder ich lasse dich sogleich krumm
fesseln!"

"Kann ich doch nicht sagen, ich habe gesehen, was ich doch nicht hab'
gesehen."

"Jude, zum letzten Male: Wohin ist der Sklave gelaufen?  Denk an
deine Fußsohlen, denk an deine Zechinen!"

"O weh geschrien!  Nun, wenn Ihr absolut haben wollt, daß ich soll
gesehen haben den Sperlingsschützen, so lauft dorthin; ist er dort
nicht, so ist er anderswo."

"Du hast ihn also gesehen?" brüllte ihn der Soldat an.  "Ja denn,
Herr Offizier, weil Ihr es so haben wollt."

Die Soldaten verfolgten eilig die angewiesene Richtung.  Abner aber
ging, innerlich über seine List zufrieden, nach Hause.  Kaum aber war
er vierundzwanzig Stunden älter geworden, so drang ein Haufe von der
Wache des Palastes in sein Haus und verunreinigte es, denn es war
Sabbat, und schleppte ihn vor das Angesicht des Kaisers von Marokko.

"Hund von einem Juden", schnaubte ihn der Kaiser an, "du wagst es,
kaiserliche Bedienstete, die einen flüchtigen Sklaven verfolgen, auf
falsche Spur ins Gebirge zu schicken, während der Flüchtling der
Meeresküste zueilt und beinahe auf einem spanischen Schiffe entkommen
wäre?  Greift ihn, Soldaten!  Hundert auf die Sohlen!  Hundert
Zechinen aus dem Beutel!  Um wieviel die Sohlen schwellen unter den
Hieben, um soviel soll der Beutel einschnurren."

Du weißt es, o Herr, im Reiche Fez und Marokko liebt man schnelle
Gerechtigkeit, und so wurde der arme Abner geprügelt und besteuert,
ohne daß man ihn zuvor um seine Einwilligung befragt hätte.  Er aber
verfluchte sein Geschick, das ihn dazu verdammte, daß seine Sohlen
und sein Beutel es hart empfinden sollten, so oft Seine Majestät
geruhten, etwas zu verlieren.  Als er aber brummend und seufzend
unter dem Gelächter des rohen Hofvolks aus dem Saale hinkte, sprach
zu ihm Schnuri, der Spaßmacher: "Gib dich zufrieden, Abner,
undankbarer Abner!  Ist es nicht Ehre genug für dich, daß jeder
Verlust, den unser gnädiger Kaiser, den Gott erhalte, erleidet, auch
dir empfindlichen Kummer verursachen muß?  Versprichst du mir aber
ein gut Trinkgeld, so komme ich jedesmal, eine Stunde bevor der Herr
des Westens etwas verliert, an deine Bude in der Judengasse und
spreche: ŽGehe nicht aus deiner Hütte, Abner, du weißt schon warum;
schließe dich ein in dein Kämmerlein bis zu Sonnenuntergang, beides
unter Schloß und Riegel.Ž"

Dies, o Herr, ist die Geschichte von Abner, der nichts gesehen hat.

Als der Sklave geendet hatte und es wieder stille im Saale geworden
war, erinnerte der junge Schreiber den Alten, daß sie den Faden ihrer
Unterhaltung abgebrochen hatten, und bat, ihnen zu erklären, worin
denn eigentlich der mächtige Reiz des Märchens liege.

"Das will ich Euch jetzt sagen", erwiderte der Alte.  "Der
menschliche Geist ist noch leichter und beweglicher als das Wasser,
das doch in alle Formen sich schmiegt und nach und nach auch die
dichtesten Gegenstände durchdringt.  Er ist leicht und frei wie die
Luft und wird wie diese, je höher er sich von der Erde hebt, desto
leichter und reiner.  Daher ist ein Drang in jedem Menschen, sich
hinauf über das Gewöhnliche zu erheben und sich in höheren Räumen
leichter und freier zu bewegen, sei es auch nur in Träumen.  Ihr
selbst, mein junger Freund, sagtet: ŽWir lebten in jenen Geschichten,
wir dachten und fühlten mit jenen MenschenŽ, und daher kommt der Reiz,
den sie für Euch hatten.  Indem Ihr den Erzählungen des Sklaven
zuhöret, die nur Dichtungen waren, die einst ein anderer erfand, habt
Ihr selbst auch mitgedichtet.  Ihr bliebet nicht stehen bei den
Gegenständen um Euch her, bei Euren gewöhnlichen Gedanken, nein, Ihr
erlebtet alles mit, Ihr waret es selbst, dem dies und jenes
Wunderbare begegnete, so sehr nahmet Ihr teil an dem Manne, von dem
man Euch erzählte.  So erhob sich Euer Geist am Faden einer solchen
Geschichte über die Gegenwart, die Euch nicht so schön, nicht so
anziehend dünkte; so bewegte sich dieser Geist in fremden, höheren
Räumen freier und ungebundener, das Märchen wurde Euch zur
Wirklichkeit, oder, wenn Ihr lieber wollet, die Wirklichkeit wurde
zum Märchen, weil Euer Dichten und Sein im Märchen lebte."

"Ganz verstehe ich Euch nicht", erwiderte der junge Kaufmann, "aber
Ihr habt recht mit dem, was Ihr sagtet, wir lebten im Märchen oder
das Märchen in uns.  Sie ist mir noch wohl erinnerlich, jene schöne
Zeit; wenn wir Muße dazu hatten, träumten wir wachend; wir stellten
uns vor, an wüste, unwirtbare Inseln verschlagen zu sein, wir
berieten uns, was wir beginnen sollten, um unser Leben zu fristen,
und oft haben wir im dichten Weidengebüsch uns Hütten gebaut, haben
von elenden Früchten ein kärgliches Mahl gehalten, obgleich wir
hundert Schritte weit zu Haus das Beste hätten haben können, ja, es
gab Zeiten, wo wir auf die Erscheinung einer gütigen Fee oder eines
wunderbaren Zwerges warteten, die zu uns treten und sagen würden:
ŽDie Erde wird sich alsobald auftun, wollet dann nur gefälligst
herabsteigen in meinen Palast von Bergkristall und euch belieben
lassen, was meine Diener, die Meerkatzen, euch auftischen.Ž"

Die jungen Leute lachten, gaben aber ihrem Freunde zu, daß er wahr
gesprochen habe.  "Noch jetzt", fuhr ein anderer fort, "noch jetzt
beschleicht mich hier und da dieser Zauber; ich würde mich zum
Beispiel nicht wenig ärgern über die dumme Fabel, wenn mein Bruder
zur Türe hereingestürzt käme und sagte: ŽWeißt du schon das Unglück
von unserem Nachbarn, dem dicken Bäcker?  Er hat Händel gehabt mit
einem Zauberer, und dieser hat ihn aus Rache in einen Bären
verwandelt, und jetzt liegt er in seiner Kammer und heult
entsetzlichŽ; ich würde mich ärgern und ihn einen Lügner schelten.
Aber wie anders, wenn mir erzählt würde, der dicke Nachbar hab' eine
weite Reise in ein fernes, unbekanntes Land unternommen, sei dort
einem Zauberer in die Hände gefallen, der ihn in einen Bären
verwandelte.  Ich würde mich nach und nach in die Geschichte versetzt
fühlen, würde mit dem dicken Nachbar reisen, Wunderbares erleben, und
es würde mich nicht sehr überraschen, wenn er in ein Fell gesteckt
würde und auf allen vieren gehen müßte."

So sprachen die jungen Leute; da gab der Scheik wiederum das Zeichen,
und alle setzten sich nieder.  Der Aufseher der Sklaven aber trat zu
den Freigelassenen und forderte sie auf, weiter forzufahren.  Einer
unter ihnen zeigte sich bereit, stand auf und hub an, folgendermaßen
zu erzählen:

(im Märchenalmanach auf das Jahr 1827 stand hier "Der arme Stephan"
von Gustav Adolf Schöll.)

Der Sklave hatte geendet, und seine Erzählung erhielt den Beifall des
Scheik und seiner Freunde.  Aber auch durch diese Erzählung wollte
sich die Stirne des Scheik nicht entwölken lassen, er war und blieb
ernst und tiefsinnig wie zuvor, und die jungen Leute bemitleideten
ihn.

"Und doch", sprach der junge Kaufmann, "und doch kann ich nicht
begreifen, wie der Scheik sich an einem solchen Tage Märchen erzählen
lassen mag, und zwar von seinen Sklaven.  Ich für meinen Teil, hätte
ich einen solchen Kummer, so würde ich lieber hinausreiten in den
Wald und mich setzen, wo es recht dunkel und einsam ist, aber auf
keinen Fall dieses Geräusch von Bekannten und Unbekannten um mich
versammeln."

"Der Weise", antwortete der alte Mann, "der Weise läßt sich von
seinem Kummer nie so überwältigen, daß er ihm völlig unterliegt.  Er
wird ernst, er wird tiefsinnig sein, er wird aber nicht laut klagen
oder verzweifeln.  Warum also, wenn es in deinem Innern dunkel und
traurig aussieht, warum noch überdies die Schatten dunkler Zedern
suchen?  Ihr Schatten fällt durch das Auge in dein Herz und macht es
noch dunkler.  An die Sonne mußt du gehen, in den warmen, lichten Tag,
für was du trauerst, und mit der Klarheit des Tages, mit der Wärme
des Lichtes wird dir die Gewißheit aufgehen, daß Allahs Liebe über
dir ist, erwärmend und ewig wie seine Sonne."

"Ihr habt wahr gesprochen", setzte der Schreiber hinzu, "und geziemt
es nicht einem weisen Mann, dem seine Umgebungen zu Gebot stehen, daß
er an einem solchen Tage die Schatten des Grams so weit als möglich
entferne?  Soll er zum Getränke seine Zuflucht nehmen oder Opium
speisen, um den Schmerz zu vergessen?  Ich bleibe dabei, es ist die
anständigste Unterhaltung in Leid und Freude, sich erzählen zu lassen,
und der Scheik hat ganz recht."

"Gut", erwiderte der junge Kaufmann, "aber hat er nicht Vorleser,
nicht Freunde genug; warum müssen es gerade Sklaven sein, die
erzählen?"

"Diese Sklaven, lieber Herr", sagte der Alte, "sind vermutlich durch
allerlei Unglück in Sklaverei geraten und sind nicht gerade so
ungebildete Leute, wie Ihr wohl gesehen habt, von welchen man sich
nicht könnte erzählen lassen.  Überdies stammen sie von allerlei
Ländern und Völkern, und es ist zu erwarten, daß sie bei sich zu
Hause irgend etwas Merkwürdiges gehört oder gesehen, das sie nun zu
erzählen wissen.  Einen noch schöneren Grund, den mir einst ein
Freund des Scheik sagte, will ich Euch wiedergeben: Diese Leute waren
bis jetzt in seinem Hause als Sklaven, hatten sie auch keine schwere
Arbeit zu verrichten, so war es doch immer Arbeit, zu der sie
gezwungen waren, und mächtig der Unterschied zwischen ihnen und
freien Leuten.  Sie durften sich, wie es Sitte ist, dem Scheik nicht
anders als mit den Zeichen der Unterwürfigkeit nähern.  Sie durften
nicht zu ihm reden, außer er fragte sie, und ihre Rede mußte kurz
sein.  Heute sind sie frei; und ihr erstes Geschäft als freie Leute
ist, in großer Gesellschaft und vor ihrem bisherigen Herrn lange und
offen sprechen zu dürfen.  Sie fühlen sich nicht wenig geehrt dadurch,
und ihre unverhoffte Freilassung wird ihnen dadurch nur um so werter."

"Siehe", unterbrach ihn der Schreiber, "dort steht der vierte Sklave
auf; der Aufseher hat ihm wohl schon das Zeichen gegeben, lasset uns
niedersetzen und hören!"

(Im Märchenalmanach auf das Jahr 1827 stand hier "Der gebackene Kopf"
von James Justinian Morier)

Der Scheik äußerte seinen Beifall über diese Erzählung.  Er hatte,
was in Jahren nicht geschehen war, einigemal gelächelt, und seine
Freunde nahmen dies als eine gute Vorbedeutung.  Dieser Eindruck war
den jungen Männern und dem Alten nicht entgangen.  Auch sie freuten
sich darüber, daß der Scheik, auf eine halbe Stunde wenigstens,
zerstreut wurde; denn sie ehrten seinen Kummer und die Trauer um sein
Unglück, sie fühlten ihre Brust beengt, wenn sie ihn so ernst und
stille seinem Grame nachhängen sahen, und gehobener, freudiger waren
sie, als die Wolke seiner Stirne auf Augenblicke vorüberzog.

"Ich kann mir wohl denken", sagte der Schreiber, "daß diese Erzählung
günstigen Eindruck auf ihn machen mußte; es liegt so viel Sonderbares,
Komisches darin, daß selbst der heilige Derwisch auf dem Berge
Libanon, der in seinem Leben noch nie gelacht hat, laut auflachen
müßte."

"Und doch", sprach der Alte lächelnd, "und doch ist weder Fee noch
Zauberer darin erschienen; kein Schloß von Kristall, keine Genien,
die wunderbare Speisen bringen, kein Vogel Rock, noch ein
Zauberpferd--"

"Ihr beschämt uns", rief der junge Kaufmann, "weil wir mit so vielem
Eifer von jenen Märchen unserer Kindheit sprachen, die uns noch jetzt
so wunderbar anziehen, weil wir jene Momente aufzählten, wo uns das
Märchen so mit sich hinwegriß, daß wir darin zu leben wähnten, weil
wir dies so hoch anschlugen, wollet Ihr uns beschämen und auf feine
Art zurechtweisen; nicht so?"

"Mitnichten!  Es sei ferne von mir, eure Liebe zum Märchen zu tadeln;
es zeugt von einem unverdorbenen Gemüt, daß ihr euch noch so recht
gemütlich in den Gang des Märchens versetzen konntet, daß ihr nicht
wie andere vornehm darauf, als auf ein Kinderspiel, herabsehet, daß
ihr euch nicht langweilt und lieber ein Roß zureiten oder auf dem
Sofa behaglich einschlummern oder halb träumend die Wasserpfeife
rauchen wolltet, statt dergleichen euer Ohr zu schenken.  Es sei
ferne von mir, euch darum zu tadeln; aber das freut mich, daß auch
eine andere Art von Erzählung euch fesselt und ergötzt, eine andere
Art als die, welche man gewöhnlich Märchen nennt."

"Wie versteht Ihr dies?  Erklärt uns deutlicher, was Ihr meinet.
Eine andere Art als das Märchen?" sprachen die Jünglinge unter sich.

"Ich denke, man muß einen gewissen Unterschied machen zwischen
Märchen und Erzählungen, die man im gemeinen Leben Geschichten nennt.
Wenn ich euch sage, ich will euch ein Märchen erzählen, so werdet
ihr zum voraus darauf rechnen, daß es eine Begebenheit ist, die von
dem gewöhnlichen Gang des Lebens abschweift und sich in einem Gebiet
bewegt, das nicht mehr durchaus irdischer Natur ist.  Oder, um
deutlicher zu sein, ihr werdet bei dem Märchen auf die Erscheinung
anderer Wesen als allein sterblicher Menschen rechnen können; es
greifen in das Schicksal der Person, von welcher das Märchen handelt,
fremde Mächte, wie Feen und Zauberer, Genien und Geisterfürsten, ein;
die ganze Erzählung nimmt eine außergewöhnliche, wunderbare Gestalt
an und ist ungefähr anzuschauen wie die Gewebe unserer Teppiche oder
viele Gemälde unserer besten Meister, welche die Franken Arabesken
nennen.  Es ist dem echten Muselmann verboten, den Menschen, das
Geschöpf Allahs, sündigerweise wiederzuschöpfen in Farben und
Gemälden, daher sieht man auf jenen Geweben wunderbar verschlungene
Bäume und Zweige mit Menschenköpfen, Menschen, die in einen Fisch
oder Strauch ausgehen, kurz, Figuren, die an das gewöhnliche Leben
erinnern und dennoch ungewöhnlich sind; ihr versteht mich doch?"  "Ich
glaube, Eure Meinung zu erraten", sagte der Schreiber, "doch fahret
weiter fort!"

"Von dieser Art ist nun das Märchen; fabelhaft, ungewöhnlich,
überraschend; weil es dem gewöhnlichen Leben fremd ist, wird es oft
in fremde Länder oder in ferne, längst vergangene Zeiten verschoben.
Jedes Land, jedes Volk hat solche Märchen, die Türken so gut als die
Perser, die Chinesen wie die Mongolen; selbst in Frankenland soll es
viele geben, wenigstens erzählte mir einst ein gelehrter Giaur davon;
doch sind sie nicht so schön als die unsrigen; denn statt schöner
Feen, die in prachtvollen Palästen wohnen, haben sie zauberhafte
Weiber, die sie Hexen nennen, heimtückisches, häßliches Volk, das in
elenden Hütten wohnt, und statt in einem Muschelwagen, von Greisen
gezogen, durch die blauen Lüfte zu fahren, reiten sie auf einem Besen
durch den Nebel.  Sie haben auch Gnomen und Erdgeister, das sind
kleine verwachsene Kerlchen, die allerlei Spuk machen.  Das sind nun
die Märchen; ganz anders ist es aber mit den Erzählungen, die man
gemeinhin Geschichten nennt.  Diese bleiben ganz ordentlich auf der
Erde, tragen sich im gewöhnlichen Leben zu, und wunderbar ist an
ihnen meistens nur die Verkettung der Schicksale eines Menschen, der
nicht durch Zauber, Verwünschung oder Feenspuk, wie im Märchen,
sondern durch sie selbst oder die sonderbare Fügung der Umstände
reich oder arm, glücklich oder unglücklich wird."

"Richtig!" erwiderte einer der jungen Leute.  "Solche reinen
Geschichten finden sich auch in den herrlichen Erzählungen der
Scheherazade, die man ŽTausendundeine NachtŽ nennt.  Die meisten
Begebenheiten des Königs Harun Al-Raschid und seines Wesirs sind
dieser Art.  Sie gehen verkleidet aus und sehen diesen oder jenen
höchst sonderbaren Vorfall, der sich nachher ganz natürlich auflöst."

"Und dennoch werdet ihr gestehen müssen", fuhr der Alte fort, "daß
jene Geschichten nicht der schlechteste Teil der ŽTausendundeine
NachtŽ sind.  Und doch, wie verschieden sind sie in ihren Ursachen,
in ihrem Gang, in ihrem ganzen Wesen von den Märchen eines Prinzen
Biribinker oder der drei Derwische mit einem Auge oder des Fischers,
der den Kasten, verschlossen mit dem Siegel Salomos, aus dem Meere
zieht!  Aber am Ende ist es dennoch eine Grundursache, die beiden
ihren eigentümlichen Reiz gibt, nämlich das, daß wir etwas
Auffallendes, Außergewöhnliches miterleben.  Bei dem Märchen liegt
dieses Außergewöhnliche in jener Einmischung eines fabelhaften
Zaubers in das gewöhnliche Menschenleben, bei den Geschichten
geschieht etwas zwar nach natürlichen Gesetzen, aber auf
überraschende, ungewöhnliche Weise."

"Sonderbar!" rief der Schreiber, "sonderbar, daß uns dann dieser
natürliche Gang der Dinge ebenso anzieht wie der übernatürliche im
Märchen; worin mag dies doch liegen?"

"Das liegt in der Schilderung des einzelnen Menschen", antwortete der
Alte; "im Märchen häuft sich das Wunderbare so sehr, der Mensch
handelt so wenig mehr aus eigenem Trieb, daß die einzelnen Figuren
und ihr Charakter nur flüchtig gezeichnet werden können.  Anders bei
der gewöhnlichen Erzählung, wo die Art, wie jeder seinem Charakter
gemäß spricht und handelt, die Hauptsache und das Anziehende ist.  So
die Geschichte von dem gebackenen Kopf, die wir soeben gehört haben.
Der Gang der Erzählung wäre im ganzen nicht auffallend, nicht
überraschend, wäre er nicht verwickelt durch den Charakter der
Handelnden.  Wie köstlich zum Beispiel ist die Figur des Schneiders.
Man glaubt den alten, gekrümmten Mantelflicker vor sich zu sehen.  Er
soll zum erstenmal in seinem Leben einen tüchtigen Schnitt machen,
ihm und seinem Weibe lacht schon zum voraus das Herz, und sie
traktieren sich mit recht schwarzem Kaffee.  Welches Gegenstück zu
dieser behaglichen Ruhe ist dann jene Szene, wo sie den Pack begierig
öffnen und den greulichen Kopf erblicken.  Und nachher glaubt man ihn
nicht zu sehen und zu hören, wie er auf dem Minarett umherschleicht,
die Gläubigen mit meckernder Stimme zum Gebet ruft und bei Erblickung
des Sklaven plötzlich, wie vom Donner gerührt, verstummt?  Dann der
Barbier!  Sehet ihr ihn nicht vor euch, den alten Sünder, der,
während er die Seife anrührt, viel schwatzt und gerne verbotenen Wein
trinkt?  Sehet ihr ihn nicht, wie er dem sonderbaren Kunden das
Barbierschüsselchen unterhält und--den kalten Schädel berührt?  Nicht
minder gut, wenn auch nur angedeutet, ist der Sohn des Bäckers, der
verschmitzte Junge, und der Bratenmacher Yanakil.  Ist nicht das
Ganze eine ununterbrochene Reihe komischer Szenen, scheint nicht der
Gang der Geschichte, so ungewöhnlich er ist, sich ganz natürlich zu
fügen?  Und warum?  Weil die einzelnen Figuren richtig gezeichnet
sind und aus ihrem ganzen Wesen alles so kommen muß, wie es wirklich
geschieht."

"Wahrlich, Ihr habt recht!" erwiderte der junge Kaufmann, "ich habe
mir nie Zeit genommen, so recht darüber nachzudenken, habe alles nur
so gesehen und an mir vorübergehen lassen, habe mich an dem einen
ergötzt, das andere langweilig gefunden, ohne gerade zu wissen, warum.
Aber Ihr gebt uns da einen Schlüssel, der uns das Geheimnis öffnet,
einen Probierstein, worauf wir die Probe machen und richtig urteilen
können."

"Tuet das immer", antwortete der Alte, "und euer Genuß wird sich
vergrößern, wenn ihr nachdenken lernet über das, was ihr gehört.
Doch siehe, dort erhebt sich wieder ein neuer, um zu erzählen."

So war es, und der fünfte Sklave begann:




Der arme Stephan

Gustav Adolf Schöll


Im "Märchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Der arme Stephan"
von Gustav Adolf Schöll.






Der gebackene Kopf

James Justinian Morier


Im "Märchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Der gebackene
Kopf" von James Justinian Morier.






Der Affe als Mensch

Wilhelm Hauff


"Herr! ich bin ein Deutscher von Geburt und habe mich in Euren Landen
zu kurz aufgehalten, als daß ich ein persisches Märchen oder eine
ergötzliche Geschichte von Sultanen und Wesiren erzählen könnte.  Ihr
müßt mir daher schon erlauben, daß ich etwas aus meinem Vaterland
erzähle, was Euch vielleicht auch einigen Spaß macht.  Leider sind
unsere Geschichten nicht immer so vornehm wie die Euren, das heißt,
sie handeln nicht von Sultanen oder unseren Königen, nicht von
Wesiren und Paschas, was man bei uns Justiz- und Finanzminister, auch
Geheimräte und dergleichen nennt, sondern sie leben, wenn sie nicht
von Soldaten handeln, gewöhnlich ganz bescheiden und unter den
Bürgern.

Im südlichen Teil von Deutschland liegt das Städtchen Grünwiesel, wo
ich geboren und erzogen bin.  Es ist ein Städtchen, wie sie alle sind.
In der Mitte ein kleiner Marktplatz mit einem Brunnen, an der Seite
ein kleines, altes Rathaus, umher auf dem Markt die Häuser des
Friedensrichters und der angesehensten Kaufleute, und in ein paar
engen Straßen wohnen die übrigen Menschen.  Alles kennt sich,
jedermann weiß, wie es da und dort zugeht, und wenn der Oberpfarrer
oder der Bürgermeister oder der Arzt ein Gericht mehr auf der Tafel
hat, so weiß es schon am Mittagessen die ganze Stadt.  Nachmittags
kommen dann die Frauen zueinander in die Visite, wie man es nennt,
besprechen sich bei starkem Kaffee und süßem Kuchen über diese große
Begebenheit, und der Schluß ist, daß der Oberpfarrer wahrscheinlich
in die Lotterie gesetzt und unchristlich viel gewonnen habe, daß der
Bürgermeister sich 'schmieren' lasse oder daß der Doktor vom
Apotheker einige Goldstücke bekommen habe, um recht teure Rezepte zu
verschreiben.  Ihr könnet Euch denken, Herr, wie unangenehm es für
eine so wohleingerichtete Stadt wie Grünwiesel sein mußte, als ein
Mann dorthin zog, von dem niemand wußte, woher er kam, was er wollte,
von was er lebte.  Der Bürgermeister hatte zwar seinen Paß gesehen,
ein Papier, das bei uns jedermann haben muß"

"Ist es denn so unsicher auf den Straßen", unterbrach den Sklaven der
Scheik, "daß Ihr einen Ferman Eures Sultans haben müsset, um die
Räuber in Respekt zu setzen?"

"Nein, Herr", entgegnete jener, "diese Papiere halten keinen Dieb von
uns ab, sondern es ist nur der Ordnung wegen, daß man überall weiß,
wen man vor sich hat."

Nun, der Bürgermeister hatte den Paß untersucht und in einer
Kaffeegesellschaft bei Doktors geäußert, der Paß sei zwar ganz
richtig visiert von Berlin bis Grünwiesel, aber es stecke doch was
dahinter; denn der Mann sehe etwas verdächtig aus.  Der Bürgermeister
hatte das größte Ansehen in der Stadt, kein Wunder, daß von da an der
Fremde als eine verdächtige Person angesehen wurde.  Und sein
Lebenswandel konnte meine Landsleute nicht von dieser Meinung
abbringen.  Der fremde Mann mietete sich für einige Goldstücke ein
ganzes Haus, das bisher öde gestanden, ließ einen ganzen Wagen voll
sonderbarer Gerätschaften, als Öfen, Kunstherde, große Tiegel und
dergleichen hineinschaffen und lebte von da an ganz für sich allein.
Ja, er kochte sich sogar selbst, und es kam keine menschliche Seele
in sein Haus als ein alter Mann aus Grünwiesel, der ihm seine
Einkäufe in Brot, Fleisch und Gemüse besorgen mußte.  Doch auch
dieser durfte nur in den Flur des Hauses kommen, und dort nahm der
fremde Mann das Gekaufte in Empfang.

Ich war ein Knabe von zehn Jahren, als der Mann in meiner Vaterstadt
einzog, und ich kann mir noch heute, als wäre es gestern geschehen,
die Unruhe denken, die dieser Mann im Städtchen verursachte.  Er kam
nachmittags nicht, wie andere Männer, auf die Kegelbahn, er kam
abends nicht ins Wirtshaus, um, wie die übrigen, bei einer Pfeife
Tabak über die Zeitung zu sprechen.  Umsonst luden ihn nach der Reihe
der Bürgermeister, der Friedensrichter, der Doktor und der
Oberpfarrer zum Essen oder Kaffee ein, er ließ sich immer
entschuldigen.  Daher hielten ihn einige für verrückt, andere für
einen Juden, eine dritte Partie behauptete steif und fest, er sei ein
Zauberer oder Hexenmeister.  Ich wurde achtzehn, zwanzig Jahre alt,
und noch immer hieß der Mann in der Stadt der fremde Herr.

Es begab sich aber eines Tages, daß Leute mit fremden Tieren in die
Stadt kamen.  Es ist dies hergelaufenes Gesindel, das ein Kamel hat,
welches sich verbeugen kann, einen Bären, der tanzt, einige Hunde und
Affen, die in menschlichen Kleidern komisch genug aussehen und
allerlei Künste machen.  Diese Leute durchziehen gewöhnlich die Stadt,
halten an den Kreuzstraßen und Plätzen, machen mit einer kleinen
Trommel und einer Pfeife eine übeltönende Musik, lassen ihre Truppe
tanzen und springen und sammeln dann in den Häusern Geld ein.  Die
Truppe aber, die diesmal sich in Grünwiesel sehen ließ, zeichnete
sich durch einen ungeheuren Orang-Utan aus, der beinahe Menschengröße
hatte, auf zwei Beinen ging und allerlei artige Künste zu machen
verstand.  Diese Hunds- und Affenkomödie kam auch vor das Haus des
fremden Herrn; er erschien, als die Trommel und Pfeife ertönten, von
Anfang ganz unwillig hinter den dunklen, vom Alter angelaufenen
Fenstern; bald aber wurde er freundlicher, schaute zu jedermanns
Verwundern zum Fenster heraus und lachte herzlich über die Künste des
Orang-Utans; ja, er gab für den Spaß ein so großes Silberstück, daß
die ganze Stadt davon sprach.

Am anderen Morgen zog die Tierbande weiter; das Kamel mußte viele
Körbe tragen, in welchen die Hunde und Affen ganz bequem saßen, die
Tiertreiber aber und der große Affe gingen hinter dem Kamel.  Kaum
aber waren sie einige Stunden zum Tore hinaus, so schickte der fremde
Herr auf die Post, verlangte zu großer Verwunderung des Postmeisters
einen Wagen und Extrapost und fuhr zu demselben Tor hinaus den Weg
hin, den die Tiere genommen hatten.  Das ganze Städtchen ärgerte sich,
daß man nicht erfahren konnte, wohin er gereist sei.  Es war schon
Nacht, als der fremde Herr wieder im Wagen vor dem Tor ankam; es saß
aber noch eine Person im Wagen, die den Hut tief ins Gesicht gedrückt
und um Mund und Ohren ein seidenes Tuch gebunden hatte.  Der
Torschreiber hielt es für seine Pflicht, den anderen Fremden
anzureden und um seinen Paß zu bitten; er antwortete aber sehr grob,
indem er in einer ganz unverständlichen Sprache brummte.

"Es ist mein Neffe", sagte der fremde Mann freundlich zum
Torschreiber, indem er ihm einige Silbermünzen in die Hand drückte,
"es ist mein Neffe und versteht bis dato noch wenig Deutsch; er hat
soeben in seiner Mundart ein wenig geflucht, daß wir hier aufgehalten
werden."

"Ei, wenn es Dero Neffe ist", antwortete der Torschreiber, "so kann
er wohl ohne Paß hereinkommen; er wird wohl ohne Zweifel bei Ihnen
wohnen?"

"Allerdings", sagte der Fremde, "und hält sich wahrscheinlich längere
Zeit hier auf."

Der Torschreiber hatte keine weitere Einwendung mehr, und der fremde
Herr und sein Neffe fuhren ins Städtchen.  Der Bürgermeister und die
ganze Stadt waren übrigens nicht sehr zufrieden mit dem Torschreiber.
Er hätte doch wenigstens einige Worte von der Sprache des Neffen
sich merken sollen; daraus hätte man dann leicht erfahren, was für
ein Landeskind er und der Onkel wären.  Der Torschreiber versicherte
aber, daß es weder Französisch oder Italienisch sei, wohl aber habe
es so breit geklungen wie Englisch, und wenn er nicht irre, so habe
der junge Herr gesagt: "Goddam!"  So half der Torschreiber sich selbst
aus der Not und dem jungen Manne zu einem Namen; denn man sprach
jetzt nur von dem jungen Engländer im Städtchen.

Aber auch der junge Engländer wurde nicht sichtbar, weder auf der
Kegelbahn noch im Bierkeller; wohl aber gab er den Leuten auf andere
Weise viel zu schaffen.--Es begab sich nämlich oft, daß von dem sonst
so stillen Hause des Fremden ein schreckliches Geschrei und ein Lärm
ausging, daß die Leute haufenweise vor dem Hause stehenblieben und
hinaufsahen.  Man sah dann den jungen Engländer, angetan mit einem
roten Frack und grünen Beinkleidern, mit struppichtem Haar und
schrecklicher Miene unglaublich schnell an den Fenstern hin und her
durch alle Zimmer laufen; der alte Fremde lief ihm in einem roten
Schlafrock, eine Hetzpeitsche in der Hand, nach, verfehlte ihn oft,
aber einigemal kam es doch der Menge auf der Straße vor, als müsse er
den Jungen erreicht haben; denn man hörte klägliche Angsttöne und
klatschende Peitschenhiebe die Menge.  An dieser grausamen Behandlung
des fremden jungen Mannes nahmen die Frauen des Städtchens so
lebhaften Anteil, daß sie endlich den Bürgermeister bewogen, einen
Schritt in der Sache zu tun.  Er schrieb dem fremden Herrn ein
Billett, worin er ihm die unglimpfliche Behandlung seines Neffen in
ziemlich derben Ausdrücken vorwarf und ihm drohte, wenn noch ferner
solche Szenen vorfielen, den jungen Mann unter seinen besonderen
Schutz zu nehmen.

Wer war aber mehr erstaunt als der Bürgermeister, wie er den Fremden
selbst, zum erstenmal seit zehn Jahren, bei sich eintreten sah.  Der
alte Herr entschuldigte sein Verfahren mit dem besonderen Auftrag der
Eltern des Jünglings, die ihm solchen zu erziehen gegeben; er sei
sonst ein kluger, anstelliger Junge, äußerte er, aber die Sprachen
erlerne er sehr schwer; er wünsche so sehnlich, seinem Neffen das
Deutsche recht geläufig beizubringen, um sich nachher die Freiheit zu
nehmen, ihn in die Gesellschaft von Grünwiesel einzuführen, und
dennoch gehe demselben diese Sprache so schwer ein, daß man oft
nichts Besseres tun könne, als ihn gehörig durchzupeitschen.  Der
Bürgermeister fand sich durch diese Mitteilung völlig befriedigt,
riet dem Alten zur Mäßigung und erzählte abends im Bierkeller, daß er
selten einen so unterrichteten, artigen Mann gefunden als den Fremden;
"es ist nur schade", setzte er hinzu, "daß er so wenig in
Gesellschaft kommt; doch ich denke, wenn der Neffe nur erst ein wenig
Deutsch spricht, besucht er meine Cercles öfter."

Durch diesen einzigen Vorfall war die Meinung des Städtchens völlig
umgeändert.  Man hielt den Fremden für einen artigen Mann, sehnte
sich nach seiner näheren Bekanntschaft und fand es ganz in der
Ordnung, wenn hier und da in dem öden Hause ein gräßliches Geschrei
aufging.  "Er gibt dem Neffen Unterricht in der deutschen
Sprachlehre", sagten die Grünwiesler und blieben nicht mehr stehen.
Nach einem Vierteljahr ungefähr schien der Unterricht im Deutschen
beendigt; denn der Alte ging jetzt um eine Stufe weiter vor.  Es
lebte ein alter gebrechlicher Franzose in der Stadt, der den jungen
Leuten Unterricht im Tanzen gab.  Diesen ließ der Fremde zu sich
rufen und sagte ihm, daß er seinen Neffen im Tanzen unterrichten
lassen wolle.  Er gab ihm zu verstehen, daß derselbe zwar sehr
gelehrig, aber, was das Tanzen betreffe, etwas eigensinnig sei; er
habe nämlich früher bei einem anderen Meister tanzen gelernt, und
zwar nach so sonderbaren Touren, daß er sich nicht füglich in der
Gesellschaft produzieren könne; der Neffe halte sich aber eben
deswegen für einen großen Tänzer, obgleich sein Tanz nicht die
entfernteste Ähnlichkeit mit Walzer oder Galopp (Tänze, die man in
meinem Vaterlande tanzt, o Herr!), nicht einmal Ähnlichkeit mit
Ekossaise oder Française habe.  Er versprach übrigens einen Taler für
die Stunde, und der Tanzmeister war mit Vergnügen bereit, den
Unterricht des eigensinnigen Zöglings zu übernehmen.

Es gab, wie der Franzose unterderhand versicherte, auf der Welt
nichts Sonderbareres als diese Tanzstunden.  Der Neffe, ein ziemlich
großer, schlanker junger Mann, der nur etwas sehr kurze Beine hatte,
erschien in einem roten Frack, schön frisiert, in grünen, weiten
Beinkleidern und glasierten Handschuhen.  Er sprach wenig und mit
fremdem Akzent, war von Anfang ziemlich artig und anstellig; dann
verfiel er aber oft plötzlich in fratzenhafte Sprünge, tanzte die
kühnsten Touren, wobei er Entrechats machte, daß dem Tanzmeister
Hören und Sehen verging; wollte er ihn zurechtweisen, so zog er die
zierlichen Tanzschuhe von den Füßen, warf sie dem Franzosen an den
Kopf und setzte nun auf allen Vieren im Zimmer umher.  Bei diesem
Lärm fuhr dann der alte Herr plötzlich in einem weiten, roten
Schlafrock, eine Mütze von Goldpapier auf dem Kopf, aus seinem Zimmer
heraus und ließ die Hetzpeitsche ziemlich unsanft auf den Rücken des
Neffen niederfallen.  Der Neffe fing dann an, schrecklich zu heulen,
sprang auf Tische und hohe Kommoden, ja selbst an den Kreuzstöcken
der Fenster hinauf und sprach eine fremde, seltsame Sprache.  Der
Alte im roten Schlafrock aber ließ sich nicht irremachen, faßte ihn
am Bein, riß ihn herab, bleute ihn durch und zog ihm mittels einer
Schnalle die Halsbinde fester an, worauf er immer wieder artig und
manierlich wurde und die Tanzstunde ohne Störung weiterging.

Als aber der Tanzmeister seinen Zögling so weit gebracht hatte, daß
man Musik zu der Stunde nehmen konnte, da war der Neffe wie
umgewandelt.  Ein Stadtmusikant wurde gemietet, der im Saal des öden
Hauses auf einen Tisch sich setzen mußte.  Der Tanzmeister stellte
dann die Dame vor, indem ihm der alte Herr einen Frauenrock von Seide
und einen ostindischen Schal anziehen ließ; der Neffe forderte ihn
auf und fing nun an, mit ihm zu tanzen und zu walzen; er aber war ein
unermüdlicher, rasender Tänzer, er ließ den Meister nicht aus seinen
langen Armen; ob er ächzte und schrie, er mußte tanzen, bis er
ermattet umsank oder bis dem Stadtmusikus der Arm lahm wurde an der
Geige.  Den Tanzmeister brachten diese Unterrichtsstunden beinahe
unter den Boden, aber der Taler, den er jedesmal richtig ausbezahlt
bekam, der gute Wein, den der Alte aufwartete, machten, daß er immer
wiederkam, wenn er auch den Tag zuvor sich fest vorgenommen hatte,
nicht mehr in das öde Haus zu gehen.

Die Leute in Grünwiesel sahen aber die Sache ganz anders an als der
Franzose.  Sie fanden, daß der junge Mann viele Anlagen zum
Gesellschaftlichen habe, und die Frauenzimmer im Städtchen freuten
sich, bei dem großen Mangel an Herren einen so flinken Tänzer für den
nächsten Winter zu bekommen.

Eines Morgens berichteten die Mägde, die vom Markte heimkehrten,
ihren Herrschaften ein wunderbares Ereignis.  Vor dem öden Hause sei
ein prächtiger Glaswagen gestanden, mit schönen Pferden bespannt, und
ein Bediensteter in reicher Livree habe den Schlag gehalten.  Da sei
die Türe des öden Hauses aufgegangen und zwei schön gekleidete Herren
herausgetreten, wovon der eine der alte Fremde und der andere
wahrscheinlich der junge Herr gewesen, der so schwer Deutsch gelernt
und so rasend tanze.  Die beiden seien in den Wagen gestiegen, der
Bedienstete hinten aufs Brett gesprungen, und der Wagen, man stelle
sich vor, sei geradezu auf Bürgermeisters Haus zugefahren.

Als die Frauen solches von ihren Mägden erzählen hörten, rissen sie
eilends die Küchenschürzen und die etwas unsauberen Hauben ab und
versetzten sich in Staat; "es ist nichts gewisser", sagten sie zu
ihrer Familie, indem alles umherrannte, um das Besuchszimmer, das
zugleich zu sonstigem Gebrauch diente, aufzuräumen, "es ist nichts
gewisser, als daß der Fremde jetzt seinen Neffen in die Welt einführt.
Der alte Narr war seit zehn Jahren nicht so artig, einen Fuß in
unser Haus zu setzen, aber es sei ihm wegen des Neffen verziehen, der
ein charmanter Mensch sein soll."  So sprachen sie und ermahnten ihre
Söhne und Töchter, recht manierlich auszusehen, wenn die Fremden
kämen, sich gerade zu halten und sich auch einer besseren Aussprache
zu bedienen als gewöhnlich.  Und die klugen Frauen im Städtchen
hatten nicht unrecht geraten; denn nach der Reihe fuhr der alte Herr
mit seinem Neffen umher; sich und ihn in die Gewogenheit der Familien
zu empfehlen.

Man war überall ganz erfüllt von den beiden Fremden und bedauerte,
nicht schon früher diese angenehme Bekanntschaft gemacht zu haben.
Der alte Herr zeigte sich als ein würdiger, sehr vernünftiger Mann,
der zwar bei allem, was er sagte, ein wenig lächelte, so daß man
nicht gewiß war, ob es ihm Ernst sei oder nicht, aber er sprach über
das Wetter, über die Gegend, über das Sommervergnügen auf dem Keller
am Berge so klug und durchdacht, daß jedermann davon bezaubert war.
Aber der Neffe!  Er bezauberte alles, er gewann alle Herzen für sich.

Man konnte zwar, was sein Äußeres betraf, sein Gesicht nicht schön
nennen; der untere Teil, besonders die Kinnlade, stand allzusehr
hervor, und der Teint war sehr bräunlich; auch machte er zuweilen
allerlei sonderbare Grimassen, drückte die Augen zu und fletschte mit
den Zähnen; aber dennoch fand man den Schnitt seiner Züge ungemein
interessant.  Es konnte nichts Beweglicheres, Gewandteres geben als
seine Gestalt.  Die Kleider hingen ihm zwar etwas sonderbar am Leib,
aber es stand ihm alles trefflich; er fuhr mit großer Lebendigkeit im
Zimmer umher, warf sich hier aufs Sofa, dort in einen Lehnstuhl und
streckte die Beine von sich; aber was man bei einem anderen jungen
Mann höchst gemein und unschicklich gefunden hätte, galt bei dem
Neffen für Genialität.

"Er ist ein Engländer", sagte man, "so sind sie alle; ein Engländer
kann sich aufs Kanapee legen und einschlafen, während zehn Damen
keinen Platz haben und umherstehen müssen, einem Engländer kann man
so etwas nicht übelnehmen."  Gegen den alten Herrn, seinen Oheim, war
er sehr fügsam; denn wenn er anfing, im Zimmer umherzuhüpfen oder,
wie er gerne tat, die Füße auf den Sessel hinaufzuziehen, so reichte
ein ernsthafter Blick hin, ihn zur Ordnung zu bringen.  Und wie
konnte man ihm so etwas übelnehmen, als vollends der Onkel in jedem
Haus zu der Dame sagte: "Mein Neffe ist noch ein wenig roh und
ungebildet; aber ich verspreche mir viel von der Gesellschaft, die
wird ihn gehörig formen und bilden, und ich empfehle ihn namentlich
Ihnen aufs angelegenste."

So war der Neffe also in die Welt eingeführt, und ganz Grünwiesel
sprach an diesem und den folgenden Tagen von nichts anderem als von
diesem Ereignis.  Der alte Herr blieb aber hierbei nicht stehen; er
schien seine Denk- und Lebensart gänzlich geändert zu haben.
Nachmittags ging er mit dem Neffen hinaus in den Felsenkeller am Berg,
wo die vornehmeren Herren von Grünwiesel Bier tranken und sich am
Kegelschieben ergötzten.  Der Neffe zeigte sich dort als ein flinker
Meister im Spiel; denn er warf nie unter fünf oder sechs; hier und da
schien zwar ein sonderbarer Geist über ihn zu kommen; es konnte ihm
einfallen, daß er pfeilschnell mit der Kugel hinaus- und unter die
Kegel hineinfuhr und dort allerhand tollen Rumor anrichtete, oder
wenn er den Kranz oder den König geworfen, stand er plötzlich auf
seinem schön frisierten Haar und streckte die Beine in die Höhe, oder
wenn ein Wagen vorbeifuhr, saß er, ehe man sich's dessen versah, oben
auf dem Kutschenhimmel und machte Grimassen herab, fuhr so ein
Stückchen weit mit und kam dann wieder zur Gesellschaft gesprungen.

Der alte Herr pflegte dann bei solchen Szenen den Bürgermeister und
die anderen Männer sehr um Entschuldigung zu bitten wegen der
Ungezogenheit seines Neffen; sie aber lachten, schrieben es seiner
Jugend zu, behaupteten, in diesem Alter selbst so leichtfüßig gewesen
zu sein, und liebten den jungen Springinsfeld, wie sie ihn nannten,
ungemein.

Es gab aber auch Zeiten, wo sie sich nicht wenig über ihn ärgerten
und dennoch nichts zu sagen wagten, weil der junge Engländer
allgemein als ein Muster von Bildung und Verstand galt.  Der alte
Herr pflegte nämlich mit seinem Neffen auch abends in den Goldenen
Hirsch, das Wirtshaus des Städtchens, zu kommen.  Obgleich der Neffe
noch ein ganz junger Mensch war, tat er doch schon ganz wie ein Alter,
setzte sich hinter sein Glas, tat eine ungeheure Brille auf, zog
eine gewaltige Pfeife heraus, zündete sie an und dampfte unter allen
am ärgsten.  Wurde nun über die Zeitungen, über Krieg und Frieden
gesprochen, gab der Doktor die Meinung, der Bürgermeister jene, waren
die anderen Herren ganz erstaunt über so tiefe politische Kenntnisse,
so konnte es dem Neffen plötzlich einfallen, ganz anderer Meinung zu
sein; er schlug dann mit der Hand, von welcher er nie die Handschuhe
ablegte, auf den Tisch und gab dem Bürgermeister und dem Doktor nicht
undeutlich zu verstehen, daß sie von diesem allem nichts genau wüßten,
daß er diese Sachen ganz anders gehört habe und tiefere Einsicht
besitze.  Er gab dann in einem sonderbar gebrochenen Deutsch seine
Meinung preis, die alle, zum großen Ärgernis des Bürgermeisters, ganz
trefflich fanden; denn er mußte als Engländer natürlich alles besser
wissen.

Setzten sich dann der Bürgermeister und der Doktor in ihrem Zorn, den
sie nicht laut werden lassen durften, zu einer Partie Schach, so
rückte der Neffe hinzu, schaute dem Bürgermeister mit seiner großen
Brille über die Schulter herein und tadelte diesen oder jenen Zug,
sagte dem Doktor, so und so müsse er ziehen, so daß beide Männer
heimlich ganz grimmig wurden.  Bot ihm dann der Bürgermeister
ärgerlich eine Partie an, um ihn gehörig matt zu machen, denn er
hielt sich für einen zweiten Philidor, so schnallte der alte Herr dem
Neffen die Halsbinde fester zu, worauf dieser ganz artig und
manierlich wurde und den Bürgermeister matt machte.

Man hatte bisher in Grünwiesel beinahe jeden Abend Karten gespielt,
die Partie um einen halben Kreuzer; das fand nun der Neffe erbärmlich,
setzte Kronentaler und Dukaten, behauptete, kein einziger spiele so
fein wie er, söhnte aber die beleidigten Herren gewöhnlich dadurch
wieder aus, daß er ungeheure Summen an sie verlor.  Sie machten sich
auch gar kein Gewissen daraus, ihm recht viel Geld abzunehmen; denn
"er ist ja ein Engländer, also von Hause aus reich", sagten sie und
schoben die Dukaten in die Tasche.

So kam der Neffe des fremden Herrn in kurzer Zeit bei Stadt und
Umgegend in ungemeines Ansehen.  Man konnte sich seit
Menschengedenken nicht erinnern, einen jungen Mann dieser Art in
Grünwiesel gesehen zu haben, und es war die sonderbarste Erscheinung,
die man je bemerkt.  Man konnte nicht sagen, daß der Neffe irgend
etwas gelernt hätte als etwa tanzen.  Latein und Griechisch waren ihm,
wie man zu sagen pflegt, böhmische Dörfer.  Bei einem
Gesellschaftsspiel in Bürgermeisters Hause sollte er etwas schreiben,
und es fand sich, daß er nicht einmal seinen Namen schreiben konnte;
in der Geographie machte er die auffallendsten Schnitzer; denn es kam
ihm nicht darauf an, eine deutsche Stadt nach Frankreich oder eine
dänische nach Polen zu versetzen, er hatte nichts gesehen, nichts
studiert, und der Oberpfarrer schüttelte oft bedenklich den Kopf über
die rohe Unwissenheit des jungen Mannes; aber dennoch fand man alles
trefflich, was er tat oder sagte; denn er war so unverschämt, immer
recht haben zu wollen, und das Ende jeder seiner Reden war: "Ich
verstehe das besser!"

So kam der Winter heran, und jetzt erst trat der Neffe mit noch
größerer Glorie auf.  Man fand jede Gesellschaft langweilig, wo nicht
er zugegen war, man gähnte, wenn ein vernünftiger Mann etwas sagte;
wenn aber der Neffe selbst das törichteste Zeug in schlechtem Deutsch
vorbrachte, war alles Ohr.  Es fand sich jetzt, daß der treffliche
junge Mann auch ein Dichter war; denn nicht leicht verging ein Abend,
an welchem er nicht einiges Papier aus der Tasche zog und der
Gesellschaft einige Sonette vorlas.  Es gab zwar einige Leute, die
von dem einen Teil dieser Dichtungen behaupteten, sie seien schlecht
und ohne Sinn, einen anderen Teil wollten sie schon irgendwo gedruckt
gelesen haben; aber der Neffe ließ sich nicht irremachen, er las und
las, machte dann auf die Schönheiten seiner Verse aufmerksam, und
jedesmal erfolgte rauschender Beifall.

Sein Triumph waren aber die Grünwieseler Bälle.  Es konnte niemand
anhaltender, schneller tanzen als er; keiner machte so kühne und
ungemein zierliche Spränge wie er.  Dabei kleidete ihn sein Onkel
immer aufs prächtigste nach dem neuesten Geschmack, und obgleich ihm
die Kleider nicht recht am Leibe sitzen wollten, fand man dennoch,
daß ihn alles allerliebst kleide.  Die Männer fanden sich zwar bei
diesen Tänzen etwas beleidigt durch die neue Art, womit er auftrat.
Sonst hatte immer der Bürgermeister in eigener Person den Ball
eröffnet, die vornehmsten jungen Leute hatten das Recht, die übrigen
Tänze anzuordnen aber seit der fremde junge Herr erschien, war dies
alles ganz anders.  Ohne viel zu fragen, nahm er die nächste beste
Dame bei der Hand, stellte sich mit ihr oben an, machte alles, wie es
ihm gefiel, und war Herr und Meister und Ballkönig.  Weil aber die
Frauen diese Manieren ganz trefflich und angenehm fanden, so durften
die Männer nichts dagegen einwenden, und der Neffe blieb bei seiner
selbstgewählten Würde.

Das größte Vergnügen schien ein solcher Ball dem alten Herrn zu
gewähren; er verwandte kein Auge von seinem Neffen, lächelte immer in
sich hinein, und wenn alle Welt herbeiströmte, um ihm über den
anständigen, wohlgezogenen Jüngling Lobsprüche zu erteilen, so konnte
er sich vor Freude gar nicht fassen; er brach dann in ein lustiges
Gelächter aus und bezeugte sich wie närrisch; die Grünwieseler
schrieben diese sonderbaren Ausbrüche der Freude seiner großen Liebe
zu dem Neffen zu und fanden es ganz in der Ordnung.  Doch hier und da
mußte er auch sein väterliches Ansehen gegen den Neffen anwenden.
Denn mitten in den zierlichsten Tänzen konnte es dem jungen Mann
einfallen, mit einem kühnen Sprung auf die Tribüne, wo die
Stadtmusikanten saßen, zu setzen, dem Organisten den Kontrabaß aus
der Hand zu reißen und schrecklich darauf umherzukratzen; oder er
wechselte auf einmal und tanzte auf den Händen, indem er die Beine in
die Höhe streckte.  Dann pflegte ihn der Onkel auf die Seite zu
nehmen, machte ihm dort ernstliche Vowürfe und zog ihm die Halsbinde
fester an, daß er wieder ganz gesittet wurde.

So betrug sich nun der Neffe in Gesellschaft und auf Bällen.  Wie es
aber mit den Sitten zu geschehen pflegt, die schlechten verbreiten
sich immer leichter als die guten, und eine neue, auffallende Mode,
wenn sie auch höchst lächerlich sein solle, hat etwas Ansteckendes an
sich für junge Leute, die noch nicht über sich selbst und die Welt
nachgedacht haben.  So war es auch in Grünwiesel mit dem Neffen und
seinen sonderbaren Sitten.  Als nämlich die junge Welt sah, wie
derselbe mit seinem linkischen Wesen, mit seinem rohen Lachen und
Schwatzen, mit seinen groben Antworten gegen Ältere eher geschätzt
als getadelt werde, daß man dies alles sogar sehr geistreich finde,
so dachten sie bei sich: "Es ist mir ein leichtes, auch solch ein
geistreicher Schlingel zu werden."  Sie waren sonst fleißige,
geschickte junge Leute gewesen; jetzt dachten sie: "Zu was hilft
Gelehrsamkeit, wenn man mit Unwissenheit besser fortkömmt?"  Sie
ließen die Bücher liegen und trieben sich überall umher auf Plätzen
und Straßen.  Sonst waren sie artig gewesen und höflich gegen
jedermann, hatten gewartet, bis man sie fragte, und anständig und
bescheiden geantwortet; jetzt standen sie in die Reihe der Männer,
schwatzten mit, gaben ihre Meinung preis und lachten selbst dem
Bürgermeister unter die Nase, wenn er etwas sagte, und behaupteten,
alles viel besser zu wissen.

Sonst hatten die jungen Grünwieser Abscheu gehegt gegen rohes und
gemeines Wesen.  Jetzt sangen sie allerlei schlechte Lieder, rauchten
aus ungeheuren Pfeifen Tabak und trieben sich in gemeinen Kneipen
umher; auch kauften sie sich, obgleich sie ganz gut sahen, große
Brillen, setzten solche auf die Nase und glaubten nun, gemachte Leute
zu sein; denn sie sahen ja aus wie der berühmte Neffe.  Zu Hause oder
wenn sie auf Besuch waren, lagen sie mit Stiefeln und Sporen auf dem
Kanapee, schaukelten sich auf dem Stuhl in guter Gesellschaft oder
stützten die Wangen in beide Fäuste, die Ellbogen aber auf den Tisch,
was nun überaus reizend anzusehen war.  Umsonst sagten ihnen ihre
Mütter und Freunde, wie töricht, wie unschicklich dies alles sei, sie
beriefen sich auf das glänzende Beispiel des Neffen.  Umsonst stellte
man ihnen vor, daß man dem Neffen, als einem jungen Engländer, eine
gewisse Nationalroheit verzeihen müsse, die jungen Grünwieseler
behaupteten, ebensogut als der beste Engländer das Recht zu haben,
auf geistreiche Weise ungezogen zu sein; kurz, es war ein Jammer, wie
durch das böse Beispiel des Neffen die Sitten und guten Gewohnheiten
in Grünwiesel völlig untergingen.

Aber die Freude der jungen Leute an ihrem rohen, ungebundenen Leben
dauerte nicht lange; denn folgender Vorfall veränderte auf einmal die
ganze Szene: Die Wintervergnügungen sollte ein großes Konzert
beschließen, das teils von den Stadtmusikanten, teils von geschickten
Musikfreunden in Grünwiesel aufgeführt werden sollte.  Der
Bürgermeister spielte das Violoncell, der Doktor das Fagott ganz
vortrefflich, der Apotheker, obgleich er keinen rechten Ansatz hatte,
blies die Flöte, einige Jungfrauen aus Grünwiesel hatten Arien
einstudiert, und alles war trefflich vorbereitet.  Da äußerte der
alte Fremde, daß zwar das Konzert auf diese Art trefflich werden
würde, es fehle aber offenbar an einem Duett, und ein Duett müsse in
jedem ordentlichen Konzert notwendigerweise vorkommen.  Man war etwas
betreten über diese Äußerung; die Tochter des Bürgermeisters sang
zwar wie eine Nachtigall; aber wo einen Herrn herbekommen, der mit
ihr ein Duett singen könnte?  Man wollte endlich auf den alten
Organisten verfallen, der einst einen trefflichen Baß gesungen hatte;
der Fremde aber behauptete, dies alles sei nicht nötig, indem sein
Neffe ganz ausgezeichnet singe.  Man war nicht wenig erstaunt über
diese neue treffliche Eigenschaft des jungen Mannes; er mußte zur
Probe etwas singen, und einige sonderbare Manieren abgerechnet, die
man für englisch hielt, sang er wie ein Engel.  Man studierte also in
der Eile das Duett ein, und der Abend erschien endlich, an welchem
die Ohren der Grünwieseler durch das Konzert erquickt werden sollten.

Der alte Fremde konnte leider dem Triumph seines Neffen nicht
beiwohnen, weil er krank war; er gab aber dem Bürgermeister, der ihn
eine Stunde zuvor noch besuchte, einige Maßregeln über seinen Neffen
auf.  "Er ist eine gute Seele, mein Neffe", sagte er, "aber hier und
da verfällt er in allerlei sonderbare Gedanken und fängt dann tolles
Zeug an; es ist mir eben deswegen leid, daß ich dem Konzert nicht
beiwohnen kann; denn vor mir nimmt er sich gewaltig in acht, er weiß
wohl, warum!  Ich muß übrigens zu seiner Ehre sagen, daß dies nicht
geistiger Mutwillen ist, sondern es ist körperlich, es liegt in
seiner Natur.  Wollten Sie nun, Herr Bürgermeister, wenn er etwa in
solche Gedanken verfiele, daß er sich auf ein Notenpult setzte oder
daß er durchaus den Kontrabaß streichen wollte oder dergleichen,
wollten Sie ihm dann nur seine hohe Halsbinde etwas lockerer machen
oder, wenn es auch dann nicht besser wird, ihm solche ganz ausziehen,
Sie werden sehen, wie artig und manierlich er dann wird."

Der Bürgermeister dankte dem Kranken für sein Zutrauen und versprach,
im Fall der Not also zu tun, wie er ihm geraten.

Der Konzertsaal war gedrängt voll; denn ganz Grünwiesel und die
Umgegend hatten sich eingefunden.  Alle Jäger, Pfarrer, Amtleute,
Landwirte und dergleichen aus dem Umkreis von drei Stunden waren mit
zahlreicher Familie herbeigeströmt, um den seltenen Genuß mit den
Grünwieselern zu teilen.  Die Stadtmusikanten hielten sich
vortrefflich; nach ihnen trat der Bürgermeister auf, der das
Violoncell spielte, begleitet vom Apotheker, der die Flöte blies;
nach diesen sang der Organist eine Baßarie mit allgemeinem Beifall,
und auch der Doktor wurde nicht wenig beklatscht, als er auf dem
Fagott sich hören ließ.

Die erste Abteilung des Konzertes war vorbei, und jedermann war nun
auf die zweite gespannt, in welcher der junge Fremde mit des
Bürgermeisters Tochter ein Duett vortragen sollte.  Der Neffe war in
einem glänzenden Anzug erschienen und hatte schon längst die
Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen.  Er hatte sich
nämlich, ohne viel zu fragen, in den prächtigen Lehnstuhl gelegt, der
für eine Gräfin aus der Nachbarschaft hergesetzt worden war; er
streckte die Beine weit von sich, schaute jedermann durch ein
ungeheueres Perspektiv an, das er noch außer seiner großen Brille
gebrauchte, und spielte mit einem großen Fleischerhund, den er trotz
des Verbotes, Hunde mitzunehmen, in die Gesellschaft eingeführt hatte.
Die Gräfin, für welche der Lehnstuhl bereitet war, erschien; aber
wer keine Miene machte, aufzustehen und ihr den Platz einzuräumen,
war der Neffe; er setzte sich im Gegenteil noch bequemer hinein, und
niemand wagte es, dem jungen Mann etwas darüber zu sagen; die
vornehme Dame aber mußte auf einem ganz gemeinen Strohsessel mitten
unter den übrigen Frauen des Städtchens sitzen und soll sich nicht
wenig geärgert haben.

Während des herrlichen Spieles des Bürgermeisters, während des
Organisten trefflicher Baßarie, ja sogar während der Doktor auf dem
Fagott phantasierte und alles den Atem anhielt und lauschte, ließ der
Neffe den Hund das Schnupftuch apportieren oder schwatzte ganz laut
mit seinen Nachbarn, so daß jedermann, der ihn nicht kannte, über die
absonderlichen Sitten des jungen Herrn sich wunderte.

Kein Wunder daher, daß alles sehr begierig war, wie er sein Duett
vortragen würde.  Die zweite Abteilung begann; die Stadtmusikanten
hatten etwas weniges aufgespielt, und nun trat der Bürgermeister mit
seiner Tochter zu dem jungen Mann, überreichte ihm ein Notenblatt und
sprach: "Mosjöh, wäre es Ihnen jetzt gefällig, das Duetto zu singen?"
Der junge Mann lachte, fletschte mit den Zähnen, sprang auf, und die
beiden anderen folgten ihm an das Notenpult, und die ganze
Gesellschaft war voll Erwartung.  Der Organist schlug den Takt und
winkte dem Neffen, anzufangen.  Dieser schaute durch seine großen
Brillengläser in die Noten und stieß greuliche, jämmerliche Töne aus.
Der Organist aber schrie ihm zu: "Zwei Töne tiefer, Wertester, C
müssen Sie singen, C!"

Statt aber C zu singen, zog der Neffe einen seiner Schuhe ab und warf
ihn dem Organisten an den Kopf, daß der Puder weit umherflog.  Als
dies der Bürgermeister sah, dachte er.  "Ha, jetzt hat er wieder
seine körperlichen Zufälle!", sprang hinzu, packte ihn am Hals und
band ihm das Tuch etwas leichter; aber dadurch wurde es nur noch
schlimmer mit dem jungen Mann.  Er sprach nicht mehr Deutsch, sondern
eine ganz sonderbare Sprache, die niemand verstand, und machte große
Sprünge.  Der Bürgermeister war in Verzweiflung über diese
unangenehme Störung; er faßte daher den Entschluß, dem jungen Mann,
dem etwas ganz Besonderes zugestoßen sein mußte, das Halstuch
vollends abzulösen.  Aber kaum hatte er dies getan, so blieb er vor
Schrecken wie erstarrt stehen; denn statt menschlicher Haut und Farbe
umgab den Hals des jungen Menschen ein dunkelbraunes Fell, und
alsobald setzte derselbe auch seine Sprünge noch höher und
sonderbarer fort, fuhr sich mit den glasierten Handschuhen in die
Haare, zog diese ab, und o Wunder, diese schönen Haare waren eine
Perücke, die er dem Bürgermeister ins Gesicht warf, und sein Kopf
erschien jetzt mit demselben braunen Fell bewachsen.

Er setzte über Tische und Bänke, warf die Notenpulte um, zertrat
Geigen und Klarinette und erschien wie ein Rasender.  "Fangt ihn,
fangt ihn!" rief der Bürgermeister ganz außer sich, "er ist von
Sinnen, fangt ihn!"  Das war aber eine schwierige Sache; denn er hatte
die Handschuhe abgezogen und zeigte Nägel an den Händen, mit welchen
er den Leuten ins Gesicht fuhr und sie jämmerlich kratzte.  Endlich
gelang es einem mutigen Jäger, seiner habhaft zu werden.  Er preßte
ihm die langen Arme zusammen, daß er nur noch mit den Füßen zappelte
und mit heiserer Stimme lachte und schrie.  Die Leute sammelten sich
umher und betrachteten den sonderbaren jungen Herrn, der jetzt gar
nicht mehr aussah wie ein Mensch.  Aber ein gelehrter Herr aus der
Nachbarschaft, der ein großes Naturalienkabinett und allerlei
ausgestopfte Tiere besaß, trat näher, betrachtete ihn genau und rief
dann voll Verwunderung: "Mein Gott, verehrte Herren und Damen, wie
bringen Sie nur dies Tier in honette Gesellschaft, das ist ja ein
Affe, der Homo Troglodytes Linnaei, ich gebe sogleich sechs Taler für
ihn, wenn Sie mir ihn ablassen, und balge ihn aus für mein Kabinett."

Wer beschreibt das Erstaunen der Grünwieseler, als sie dies hörten!
"Was, ein Affe, ein Orang-Utan in unserer Gesellschaft?  Der junge
Fremde ein ganz gewöhnlicher Affe?" riefen sie und sahen einander
ganz dumm vor Verwunderung an.  Man wollte nicht glauben, man traute
seinen Ohren nicht, die Männer untersuchten das Tier genauer, aber es
war und blieb ein ganz natürlicher Affe.

"Aber, wie ist dies möglich!" rief die Frau Bürgermeister.  "Hat er
mir nicht oft seine Gedichte vorgelesen?  Hat er nicht wie ein
anderer Mensch bei mir zu Mittag gespeist?"

"Was?" eiferte die Frau Doktorin.  "Wie?  Hat er nicht oft und viel
den Kaffee bei mir getrunken und mit meinem Manne gelehrt gesprochen
und geraucht?"

"Wie!  Ist es möglich!" riefen die Männer.  "Hat er nicht mit uns am
Felsenkeller Kugeln geschoben und über Politik gestritten wie
unsereiner?"

"Und wie?" klagten sie alle.  "Hat er nicht sogar vorgetanzt auf
unseren Bällen?  Ein Affe!  Ein Affe?  Es ist ein Wunder, es ist
Zauberei!" sagten die Bürger.  "Ja, es ist Zauberei und teuflischer
Spuk", sagte der Bürgermeister, indem er das Halstuch des Neffen oder
Affen herbeibrachte.  "Seht!  In diesem Tuch steckte der ganze Zauber,
der ihn in unseren Augen liebenswürdig machte.  Da ist ein breiter
Streifen elastischen Pergaments, mit allerlei wunderlichen Zeichen
beschrieben.  Ich glaube gar, es ist Lateinisch; kann es niemand
lesen?"

Der Oberpfarrer, ein gelehrter Mann, der oft an den Affen eine Partie
Schach verloren hatte, trat hinzu, betrachtete das Pergament und
sprach: "Mitnichten!  Es sind nur lateinische Buchstaben, es heißt:

DER--AFFE--SEHR--POSSIERLICH--IST--ZUMAL--WANN--ER--VOM--APFEL--FRISST
-Ja, ja, es ist höllischer Betrug, eine Art von Zauberei", fuhr er
fort, "und es muß exemplarisch bestraft werden."

Der Bürgermeister war derselben Meinung und machte sich sogleich auf
den Weg zu dem Fremden, der ein Zauberer sein mußte, und sechs
Stadtsoldaten trugen den Affen; denn der Fremde sollte sogleich ins
Verhör genommen werden.

Sie kamen, umgeben von einer ungeheuren Anzahl Menschen, an das öde
Haus; denn jedermann wollte sehen, wie sich die Sache weiter begeben
würde.  Man pochte an das Haus, man zog die Glocke, aber vergeblich,
es zeigte sich niemand.  Da ließ der Bürgermeister in seiner Wut die
Türe einschlagen und begab sich hierauf in die Zimmer des Fremden.
Aber dort war nichts zu sehen als allerlei alter Hausrat.  Der fremde
Mann war nicht zu finden.  Auf seinem Arbeitstisch aber lag ein
großer, versiegelter Brief, an den Bürgermeister überschrieben, den
dieser auch sogleich öffnete.  Er las:

"Meine lieben Grünwieseler!

Wenn Ihr dies leset, bin ich nicht mehr in Eurem Städtchen, und Ihr
werdet dann längst erfahren haben, wes Standes und Vaterlandes mein
lieber Neffe ist.  Nehmet den Scherz, den ich mit Euch erlaubte, als
eine gute Lehre auf, einen Fremden, der für sich leben will, nicht in
Eure Gesellschaft zu nötigen.  Ich selbst fühlte mich zu gut, um Euer
ewiges Klatschen, um Eure schlechten Sitten und Euer lächerliches
Wesen zu teilen.  Darum erzog ich einen jungen Orang-Utan, den Ihr
als meinen Stellvertreter so liebgewonnen habt.  Lebet wohl und
benützet diese Lehre nach Kräften!"

Die Grünwieseler schämten sich nicht wenig vor dem ganzen Land.  Ihr
Trost war, daß dies alles mit unnatürlichen Dingen zugegangen sei.
Am meisten schämten sich aber die jungen Leute in Grünwiesel, weil
sie die schlechten Gewohnheiten und Sitten des Affen nachgeahmt
hatten.  Sie stemmten von jetzt an keinen Ellbogen mehr auf, sie
schaukelten nicht mit dem Sessel, sie schwiegen, bis sie gefragt
wurden, sie legten die Brillen ab und waren artig und gesittet wie
zuvor, und wenn je einer wieder in solche schlechten, lächerlichen
Sitten verfiel, so sagten die Grünwieseler: "Es ist ein Affe."  Der
Affe aber, welcher so lange die Rolle eines jungen Herrn gespielt
hatte, wurde dem gelehrten Mann, der ein Naturalienkabinett besaß,
überantwortet.  Dieser läßt ihn in seinem Hof umhergehen, füttert ihn
und zeigt ihn als Seltenheit jedem Fremden, wo er noch bis auf den
heutigen Tag zu sehen ist.

Es entstand ein Gelächter im Saal, als der Sklave geendet hatte, und
auch die jungen Männer lachten mit.  "Es muß doch sonderbare Leute
geben unter diesen Franken, und wahrhaftig, da bin ich lieber beim
Scheik und Mufti in Alessandria als in Gesellschaft des Oberpfarrers,
des Bürgermeisters und ihrer törichten Frauen in Grünwiesel!"

"Da hast du gewiß recht gesprochen", erwiderte der junge Kaufmann.
"In Frankistan möchte ich nicht tot sein.  Die Franken sind ein rohes,
wildes, barbarisches Volk, und für einen gebildeten Türken oder
Perser müßte es schrecklich sein, dort zu leben."

"Das werdet ihr bald hören", versprach der Alte, "so viel mir der
Sklavenaufseher sagte, wird der schöne junge Mann dort vieles von
Frankistan erzählen; denn er war lange dort und ist doch seiner
Geburt nach ein Muselmann."

"Wie, jener, der zuletzt sitzt in der Reihe?  Wahrlich, es ist eine
Sünde, daß der Herr Scheik diesen losgibt!  Es ist der schönste
Sklave im ganzen Land; schaut nur dieses mutige Gesicht, dieses kühne
Auge, diese schöne Gestalt!  Er kann ihm ja leichte Geschäfte geben;
er kann ihn zum Fliegenwedeler machen oder zum Pfeifenträger; es ist
ein Spaß, ein solches Amt zu versehen, und wahrlich, ein solcher
SkIave ist die Zierde von einem ganzen Haus.  Und erst drei Tage hat
er ihn und gibt ihn weg?  Es ist Torheit, es ist Sünde!"

"Tadelt ihn doch nicht, ihn, der weiser ist als ganz Ägypten!" sprach
der Alte mit Nachdruck.  "Sagte ich euch nicht schon, daß er ihn
losläßt, weil er glaubt, den Segen Allahs dadurch zu verdienen?  Ihr
sagt, er ist schön und wohlgebildet, und ihr sprecht die Wahrheit.
Aber der Sohn des Scheik, den der Prophet in sein Vaterhaus
zurückbringen möge, der Sohn des Scheik war ein schöner Knabe und muß
jetzt auch groß sein und wohlgebildet.  Soll er also das Gold sparen
und einen wohlfeilen, verwachsenen Sklaven hingeben in der Hoffnung,
seinen Sohn dafür zu bekommen?  Wer etwas tun will in der Welt, der
tut es lieber gar nicht oder--recht!"

"Und sehet, des Scheik Augen sind immer auf diesen Sklaven geheftet;
ich bemerkte es schon den ganzen Abend.  Während der Erzählungen
streifte oft sein Blick dorthin und verweilte auf den edlen Zügen des
Freigelassenen.  Es muß ihn doch ein wenig schmerzen, ihn freizugeben."

"Denke nicht also von dem Mann!  Meinst du, tausend Tomans schmerzen
ihn, der jeden Tag das Dreifache einnimmt?" sagte der alte Mann.
"Aber wenn sein Blick mit Kummer auf dem Jüngling weilt, so denkt er
wohl an seinen Sohn, der in der Fremde schmachtet; er denkt wohl, ob
dort vielleicht ein barmerziger Mann wohne, der ihn loskaufe und
zurückschicke zum Vater. "

"Ihr mögt recht haben", erwiderte der junge Kaufmann, "und ich schäme
mich, daß ich von den Leuten nur immer das Gemeinere und Unedle denke,
während Ihr lieber eine schöne Gesinnung unterlegt.  Und doch sind
die Menschen in der Regel schlecht, habt Ihr dies nicht auch gefunden,
Alter?"

"Gerade, weil ich dies nicht gefunden habe, denke ich gerne gut von
den Menschen", antwortete dieser, "es ging mir gerade wie euch; ich
lebte so in den Tag hinein, hörte viel Schlimmes von den Menschen,
mußte selbst an mir viel Schlechtes erfahren und fing an, die
Menschen alle für schlechte Geschöpfe zu halten.  Doch da fiel mir
bei, daß Allah, der so gerecht ist als weise, nicht dulden könnte,
daß ein so verworfenes Geschlecht auf dieser schönen Erde hause.  Ich
dachte nach über das, was ich gesehen, was ich erlebt hatte, und
siehe--ich hatte nur das Böse gezählt und das Gute vergessen.  Ich
hatte nicht achtgegeben, wenn einer eine Handlung der Barmherzigkeit
übte, ich hatte es natürlich gefunden, wenn ganze Familien tugendhaft
lebten und gerecht waren; so oft ich aber Böses, Schlechtes hörte,
hatte ich es wohl angemerkt in meinem Gedächtnis.  Da fing ich an,
mit ganz anderen Augen um mich zu schauen; es freute mich, wenn ich
das Gute nicht so sparsam keimen sah, wie ich anfangs dachte; ich
bemerkte das Böse weniger, oder es fiel mir nicht so sehr auf, und so
lernte ich die Menschen lieben, lernte Gutes von ihnen denken und
habe mich in langen Jahren seltener geirrt, wenn ich von einem Gutes
sprach, als wenn ich ihn für geizig oder gemein oder gottlos hielt."

Der Alte wurde bei diesen Worten von dem Aufseher der Sklaven
unterbrochen, der zu ihm trat und sprach: "Mein Herr, der Scheik von
Alessandria, Ali Banu, hat Euch mit Wohlgefallen in seinem Saale
bemerkt und ladet Euch ein, zu ihm zu treten und Euch neben ihn zu
setzen."

Die jungen Leute waren nicht wenig erstaunt über die Ehre, die dem
Alten widerfahren sollte, den sie für einen Bettler gehalten, und als
dieser hingegangen war, sich zu dem Scheik zu setzen, hielten sie den
Sklavenaufseher zurück, und der Schreiber fragte ihn: "Beim Bart des
Propheten beschwöre ich dich, sage uns, wer ist dieser alte Mann, mit
dem wir sprachen und den der Scheik also ehrt?"

"Wie!" rief der Aufseher der Sklaven und schlug vor Verwunderung die
Hände zusammen.  "Diesen Mann kennet ihr nicht?"

"Nein, wir wissen nicht, wer er ist."

"Aber ich sah euch doch schon einigemal mit ihm auf der Straße
sprechen, und mein Herr, der Scheik, hat dies auch bemerkt und erst
letzthin gesagt: 'Das müssen wackere junge Leute sein, die dieser
Mann eines Gespräches würdigt.'"

"Aber, so sage doch, wer er ist!" rief der junge Kaufmann in höchster
Ungeduld.

"Gehet, Ihr wollet mich nur zum Narren haben", antwortete der
Sklavenaufseher.  "In diesen Saal kommt sonst niemand, wer nicht
ausdrücklich eingeladen ist, und heute ließ der Alte dem Scheik sagen,
er werde einige junge Männer in seinen Saal mitbringen, wenn es ihm
nicht ungelegen sei, und Ali Banu ließ ihm sagen, er habe über sein
Haus zu gebieten."

"Lasse uns nicht länger in Ungewißheit; so wahr ich lebe, ich weiß
nicht, wer dieser Mann ist.  Wir lernten ihn zufällig kennen und
sprachen mit ihm."

"Nun, dann dürfet ihr euch glücklich preisen; denn ihr habt mit einem
gelehrten, berühmten Mann gesprochen, und alle Anwesenden ehren und
bewundern euch deshalb; es ist niemand anders als Mustapha, der
gelehrte Derwisch."

"Mustapha, der weise Mustapha, der den Sohn des Scheik erzogen hat?
Der viele gelehrte Bücher schrieb, der große Reisen machte in alle
Weltteile!  Mit Mustapha haben wir gesprochen?  Und gesprochen, als
wär' er unsereiner, so ganz ohne alle Ehrerbietung?"  So sprachen die
jungen Männer untereinander und waren sehr beschämt; denn der
Derwisch Mustapha galt damals für den weisesten und gelehrtesten Mann
im ganzen Morgenland.

"Tröst' euch darüber", antwortete der Sklavenaufseher, seid froh, daß
ihr ihn nicht kanntet; er kann es nicht leiden, wenn man ihn lobt,
und hättet ihr ihn ein einziges Mal die Sonne der Gelehrsamkeit oder
das Gestirn der Weisheit genannt, wie es gebräuchlich ist bei Männern
dieser Axt, er hätte euch von Stund' an verlassen.  Doch ich muß
jetzt zurück zu den Leuten, die heute erzählen.  Der, der jetzt kommt,
ist tief hinten in Frankistan gebürtig, wollen sehen, was er weiß."

So sprach der Sklavenaufseher; der aber, an welchen jetzt die Reihe
zu erzählen kam, stand auf und sprach: "Herr! ich bin aus einem Lande,
das weit gegen Mitternacht liegt, Norwegen genannt, wo die Sonne
nicht, wie in deinem gesegneten Vaterlande, Feigen und Zitronen kocht,
wo sie nur wenige Monde über die grüne Erde scheint und ihr im Flug
sparsame Blüten und Früchte entlockt.  Du sollst, wenn es dir
angenehm ist, ein paar Märchen hören, wie man sie bei uns in den
warmen Stuben erzählt, wenn das Nordlicht über die Schneefelder
flimmert."  (Im Märchenalmanach auf das Jahr 1827 standen hier "Das
Fest der Unterirdischen" (norwegisches Märchen nach mündlicher
Überlieferung) und "Schneeweißchen und Rosenrot" von Wilhelm Grimm)

Noch waren die jungen Männer im Gespräch über diese Märchen und über
den Alten, den Derwisch Mustapha; sie fühlten sich nicht wenig geehrt,
daß ein so alter und berühmter Mann sie seiner Aufmerksamkeit
gewürdigt und sogar öfters mit ihnen gesprochen und gestritten hatte.
Da kam plötzlich der Aufseher der Sklaven zu ihnen und lud sie ein,
ihm zum Scheik zu folgen, der sie sprechen wolle.

Den Jünglingen pochte das Herz.  Noch nie hatten sie mit einem so
vornehmen Mann gesprochen, nicht einmal allein, viel weniger in so
großer Gesellschaft.  Doch sie faßten sich, um nicht als Toren zu
erscheinen, und folgten dem Aufseher der Sklaven zum Scheik.  Ali
Banu saß auf einem reichen Polster und nahm Sorbet zu sich.  Zu
seiner Rechten saß der Alte, sein dürftiges Kleid ruhte auf
herrlichen Polstern, seine ärmlichen Sandalen hatte er auf einen
reichen Teppich von persischer Arbeit gestellt; aber sein schöner
Kopf, sein Auge voll Würde und Weisheit zeigten an, daß er würdig sei,
neben einem Mann wie dem Scheik zu sitzen.

Der Scheik war sehr ernst, und der Alte schien ihm Trost und Mut
zuzusprechen.  Die Jünglinge glaubten auch in ihrem Ruf vor das
Angesicht des Scheik eine List des Alten zu entdecken, der
wahrscheinlich den trauernden Vater durch ein Gespräch mit ihnen
zerstreuen wollte.

"Willkommen, ihr jungen Männer", sprach der Scheik, "willkommen in
dem Hause Ali Banus!  Mein alter Freund hier hat sich meinen Dank
verdient, daß er euch hier einführte; doch zürnte ich ihm ein wenig,
daß er mich nicht früher mit euch bekannt machte.  Wer von euch ist
denn der junge Schreiber?"

"Ich, o Herr und zu Euren Diensten!" sprach der junge Schreiber,
indem er die Arme über der Brust kreuzte und sich tief verbeugte.

"Ihr hört also gerne Geschichten und leset gerne Bücher mit schönen
Versen und Denksprüchen?"

Der junge Mensch erschrak und errötete; denn ihm fiel bei, wie er
damals den Scheik bei dem Alten getadelt und gesagt hatte, an seine
Stelle würde er sich erzählen oder aus Büchern vorlesen lassen.  Er
war dem schwatzhaften Alten, der dem Scheik gewiß alles verraten
hatte, in diesem Augenblicke recht gram, warf ihm einen bösen Blick
zu und sprach dann: "O Herr!  Allerdings kenne ich für meinen Teil
keine angenehmere Beschäftigung, als mit dergleichen den Tag
zuzubringen.  Es bildet den Geist und vertreibt die Zeit.  Aber jeder
nach seiner Weise!  Ich tadle darum gewiß keinen, der nicht--"

"Schon gut, schon gut", unterbrach ihn der Scheik lachend und winkte
den zweiten herbei.

"Wer bist denn du?" fragte er ihn.

"Herr, ich bin meines Amtes der Gehilfe eines Arztes und habe selbst
schon einige Kranke geheilt."

"Richtig", erwiderte der Scheik, "und Ihr seid es auch, der das
Wohlleben liebet; Ihr möchtet gerne mit guten Freunden hier und da
tafeln und guter Dinge sein?  Nicht wahr, ich habe es erraten?"

Der junge Mann war beschämt; er fühlte, daß er verraten war und daß
der Alte auch von ihm gebeichtet haben mußte.  Er faßte sich aber ein
Herz und antwortete: "O ja, Herr, ich rechne es unter des Lebens
Glückseligkeiten, hier und da mit guten Freunden fröhlich sein zu
können.  Mein Beutel reicht nun zwar nicht weiter hin, als meine
Freunde mit Wassermelonen oder dergleichen wohlfeilen Sachen zu
bewirten; doch sind wir auch dabei fröhlich, und es läßt sich denken,
daß wir es noch um ein gutes Teil mehr wären, wenn ich mehr Geld
hätte."

Dem Scheik gefiel diese beherzte Antwort, und er konnte sich nicht
enthalten, darüber zu lachen.  "Welcher ist denn der junge Kaufmann?"
fragte er weiter.

Der junge Kaufmann verbeugte sich mit freiem Anstand vor dem Scheik;
denn er war ein Mensch von guter Erziehung; der Scheik aber sprach:
"Und Ihr?  Ihr habt Freude an Musik und Tanz?  Ihr höret es gerne,
wenn gute Künstler etwas spielen und singen und sehet gerne Tänzer
künstliche Tänze ausführen?"  Der junge Kaufmann antwortete: "Ich sehe
wohl, o Herr, daß jener alte Mann, um Euch zu belustigen, unsere
Torheiten insgesamt verraten hat.  Wenn es ihm gelang, Euch dadurch
aufzuheitern, so habe ich gerne zu Eurem Scherz gedient.  Was aber
Musik und Tanz betrifft, so gestehe ich, es gibt nicht leicht etwas,
was mein Herz also vergnügt.  Doch glaubet nicht, daß ich deswegen
Euch tadle, o Herr, wenn Ihr nicht ebenfalls--"

"Genug, nicht weiter!" rief der Scheik, lächelnd mit der Hand
abwehrend.  "Jeder nach seiner Weise, wollet Ihr sagen; aber dort
steht ja noch einer; das ist wohl der, welcher so gerne reisen
möchte?  Wer seid denn Ihr, junger Herr?"

"Ich bin ein Maler, o Herr", antwortete der junge Mann, "ich male
Landschaften teils an die Wände der Säle, teils auf Leinwand.  Fremde
Länder zu sehen, ist allerdings mein Wunsch; denn man sieht dort
allerlei schöne Gegenden, die man wieder anbringen kann; und was man
sieht und abzeichnet, ist doch in der Regel immer schöner, als was
man nur so selbst erfindet."

Der Scheik betrachtete jetzt die schönen jungen Leute, und sein Blick
wurde ernst und düster.  "Ich hatte einst auch einen lieben Sohn",
sagte er, "und er müßte nun auch so herangewachsen sein wie ihr.  Da
solltet ihr seine Genossen und Begleiter sein, und jeder eurer
Wünsche würde von selbst befriedigt werden.  Mit jenem würde er lesen,
mit diesem Musik hören, mit dem anderen würde er gute Freunde
einladen und fröhlich und guter Dinge sein, und mit dem Maler ließe
ich ihn ausziehen in schöne Gegenden und wäre dann gewiß, daß er
immer wieder zu mir zurückkehrte.  So hat es aber Allah nicht gewollt,
und ich füge mich in seinen Willen ohne Murren.  Doch es steht in
meiner Macht, eure Wünsche dennoch zu erfüllen, und ihr sollt
freudigen Herzens von Ali Banu gehen.  Ihr, mein gelehrter Freund",
fuhr er fort, indem er sich zu dem Schreiber wandte, "wohnt von jetzt
an in meinem Hause und seid über meine Bücher gesetzt.  Ihr könnet
noch dazu anschaffen, was Ihr wollet und für gut haltet, und Euer
einziges Geschäft sei, mir, wenn Ihr etwas recht Schönes gelesen habt,
zu erzählen.  Ihr, der Ihr eine gute Tafel unter Freunden liebet,
Ihr sollet der Aufseher über meine Vergnügungen sein.  Ich selbst
zwar lebe einsam und ohne Freude, aber es ist meine Pflicht, und mein
Amt bringt es mit sich, hier und da viele Gäste einzuladen.  Dort
sollet Ihr an meiner Stelle alles besorgen und könnet von Euren
Freunden dazu einladen, wen Ihr nur wollet; versteht sich, auf etwas
Besseres als Wassermelonen.  Den jungen Kaufmann da darf ich freilich
seinem Geschäft nicht entziehen, das ihm Geld und Ehre bringt; aber
alle Abende stehen Euch, mein junger Freund, Tänzer, Sänger und
Musikanten zu Dienste, so viel Ihr wollet.  Lasset Euch aufspielen
und tanzen nach Herzenslust.  Und Ihr", sprach er zu dem Maler, "Ihr
sollet fremde Länder sehen und das Auge durch Erfahrung schärfen.
Mein Schatzmeister wird Euch zu der ersten Reise, die Ihr morgen
antreten könnet, tausend Goldstücke reichen nebst zwei Pferden und
einem Sklaven.  Reiset, wohin Euch das Herz treibt, und wenn Ihr
etwas Schönes sehet, so malet es für mich!"

Die jungen Leute waren außer sich vor Erstaunen, sprachlos vor Freude
und Dank.  Sie wollten den Boden vor den Füßen des gültigen Mannes
küssen; aber er ließ es nicht zu.  "Wenn ihr einem zu danken habt",
sprach er, "so ist es diesem weisen Mann hier, der mir von euch
erzählte.  Auch mir hat er dadurch Vergnügen gemacht, vier so muntere
junge Leute eurer Art kennenzulernen."

Der Derwisch Mustapha aber wehrte den Dank der Jünglinge ab.  "Sehet",
sprach er, "wie man nie voreilig urteilen muß; habe ich euch zuviel
von diesem edlen Manne gesagt?"

"Lasset uns nun noch den letzten meiner Sklaven, die heute frei sind,
erzählen hören", unterbrach ihn Ali Banu.

Jener junge Sklave, der die Aufmerksamkeit aller durch seinen Wuchs,
durch seine Schönheit und seinen mutigen Blick auf sich gezogen hatte,
stand jetzt auf, verbeugte sich vor dem Scheik und fing wohltönend
also zu sprechen an:




Das Fest der Unterirdischen

Wilhelm Grimm


Im "Märchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Das Fest der
Unterirdischen" von Wilhelm Grimm.






Schneeweißchen und Rosenrot

Wilhelm Grimm


Im "Märchenalmanach auf das Jahr 1827" stand hier "Schneeweißchen und
Rosenrot" von Wilhelm Grimm.






Die Geschichte Almansors

Wilhelm Hauff


O Herr!  Die Männer, die vor mir gesprochen haben, erzählten
mancherlei wunderbare Geschichten, die sie gehört hatten in fremden
Ländern; ich muß mit Beschämung gestehen, daß ich keine einzige
Erzählung weiß, die Eurer Aufmerksamkeit würdig wäre.  Doch wenn es
Euch nicht langweilt, will ich Euch die wunderbaren Schicksale eines
meiner Freunde vortragen.

Auf jenem algerischen Kaperschiff, von welchem mich Eure milde Hand
befreit hat, war ein junger Mann in meinem Alter, der mir nicht für
das Sklavenkleid geboren schien, das er trug.  Die übrigen
Unglücklichen auf dem Schiffe waren entweder rohe Menschen, mit denen
ich nicht leben mochte, oder Leute, deren Sprache ich nicht verstand;
darum fand ich mich zu der Zeit, wo wir ein Stündchen frei hatten,
gerne zu dem jungen Mann.  Er nannte sich Almansor und war seiner
Aussprache nach ein Ägypter.  Wir unterhielten uns recht angenehm
miteinander und kamen eines Tages auch darauf, uns unsere Geschichte
zu erzählen, da dann die meines Freundes allerdings bei weitem
merkwürdiger war als die meinige.

Almansors Vater war ein vornehmer Mann in einer ägyptischen Stadt,
deren Namen er mir nicht nannte.  Er lebte die Tage seiner Kindheit
vergnügt und froh und umgeben von allem Glanz und aller
Bequemlichkeit der Erde.  Aber er wurde dabei doch nicht weichlich
erzogen, und sein Geist wurde frühzeitig ausgebildet; denn sein Vater
war ein weiser Mann, der ihm Lehren der Tugend gab, und überdies
hatte er zum Lehrer einen berühmten Gelehrten, der ihn in allem
unterrichtete, was ein junger Mensch wissen muß--Almansor war etwa
zehn Jahre alt, als die Franken über das Meer her in das Land kamen
und Krieg mit seinem Volke führten.

Der Vater des Knaben mußte aber den Franken nicht sehr günstig
gewesen sein; denn eines Tages, als er eben zum Morgengebet gehen
wollte, kamen sie und verlangten zuerst seine Frau als Geisel seiner
treuen Gesinnungen gegen das Frankenvolk, und als er sie nicht geben
wollte, schleppten sie seinen Sohn mit Gewalt ins Lager.

Als der junge Sklave also erzählte, verhüllte der Scheik sein
Angesicht, und es entstand ein Murren des Unwillens im Saal.  "Wie",
riefen die Freunde des Scheik, "wie kann der junge Mann dort so
töricht handeln und durch solche Geschichten die Wunden Ali Banus
aufreißen, statt sie zu mildern?  Wie kann er ihm seinen Schmerz
erneuern, statt ihn zu zerstreuen?"  Der Sklavenaufseher selbst war
voll Zorn über den unverschämten Jüngling und gebot ihm zu schweigen.

Der junge Sklave aber war sehr erstaunt über dies alles und fragte
den Scheik, ob denn in seiner Erzählung etwas liege, das sein
Mißfallen erregt habe.  Der Scheik richtete sich auf und sprach:
"Seid doch ruhig, Freunde; wie kann denn dieser Jüngling etwas von
meinem betrübten Schicksal wissen, da er nur kaum drei Tage unter
diesem Dache ist!  Kann es denn bei den Greueln, die diese Franken
verübten, nicht ein ähnliches Geschick wie das meine geben?  Kann
nicht vielleicht selbst jener Almansor--doch erzähle immer weiter,
mein junger Freund!"  Der junge Sklave verbeugte sich und fuhr fort:

Der junge Almansor wurde also in das fränkische Lager geführt.  Es
erging ihm dort im ganzen gut; denn einer der Feldherrn ließ ihn in
sein Zelt kommen und hatte seine Freude an den Antworten des Knaben,
die ihm ein Dragoman übersetzen mußte; er sorgte für ihn, daß ihm an
Speise und Kleidung nichts abginge; aber die Sehnsucht nach Vater und
Mutter machte dennoch den Knaben höchst unglücklich.  Er weinte viele
Tage lang, aber seine Tränen rührten diese Männer nicht.  Das Lager
wurde aufgebrochen, und Almansor glaubte jetzt wieder zurückkehren zu
dürfen; aber es war nicht so; das Heer zog hin und her, führte Krieg
mit den Mamelucken, und den jungen Almansor schleppten sie immer mit
sich.  Wenn er dann die Hauptleute und Feldherren anflehte, ihn doch
wieder heimkehren zu lassen, so verweigerten sie es und sagten, er
müsse ein Unterpfand von seines Vaters Treue sein.  So war er viele
Tage lang auf dem Marsch.

Auf einmal aber entstand eine Bewegung im Heere, die dem Knaben nicht
entging; man sprach von Einpacken, von Zurückziehen, vom Einschiffen,
und Almansor war außer sich vor Freude; denn jetzt, wenn die Franken
in ihr Land zurückkehrten, jetzt mußte er ja frei werden.  Man zog
mit Roß und Wagen rückwärts gegen die Küste, und endlich war man so
weit, daß man die Schiffe vor Anker liegen sah.  Die Soldaten
schifften sich ein; aber es wurde Nacht, bis nur ein kleiner Teil
eingeschifft war.  So gerne Almansor gewacht hätte, weil er jede
Stunde glaubte, freigelassen zu werden, so verfiel er doch endlich in
einen tiefen Schlaf, und er glaubte, die Franken haben ihm etwas
unter das Wasser gemischt, um ihn einzuschläfern.  Denn als er
aufwachte, schien der helle Tag in eine kleine Kammer, worin er nicht
gewesen war, als er einschlief.  Er sprang auf von seinem Lager, aber
als er auf den Boden kam, fiel er um; denn der Boden schwankte hin
und wieder, und es schien sich alles zu bewegen und im Kreis um ihn
her zu tanzen.  Er raffte sich auf, hielt sich an den Wänden fest, um
aus dem Gemach zu kommen, worin er sich befand.

Ein sonderbares Brausen und Zischen war um ihn her; er wußte nicht,
ob er träume oder wache; denn er hatte nie Ähnliches gesehen oder
gehört.  Endlich erreichte er eine kleine Treppe, mit Mühe klimmte er
hinauf, und welcher Schrecken befiel ihn!  Ringsumher war nichts als
Himmel und Meer, er befand sich auf einem Schiffe.  Da fing er
kläglich an zu weinen.  Er wollte zurückgebracht werden, er wollte
ins Meer sich stürzen und hinüberschwimmen nach seiner Heimat; aber
die Franken hielten ihn fest, und einer der Befehlshaber ließ ihn zu
sich kommen, versprach ihm, wenn er gehorsam sei, solle er bald
wieder in seine Heimat zurück, und stellte ihm vor, daß es nicht mehr
möglich gewesen wäre, ihn vom Land aus nach Hause zu bringen, dort
aber hätte er, wenn man ihn zurückgelassen, elendiglich umkommen
müssen.

Wer aber nicht Wort hielt, waren die Franken; denn das Schiff segelte
viele Tage lang weiter, und als es endlich landete, war man nicht an
Ägyptens Küste, sondern in Frankistan!  Almansor hatte während der
langen Fahrt und schon im Lager einiges von der Sprache der Franken
verstehen und sprechen gelernt, was ihm in diesem Lande, wo niemand
seine Sprache kannte, sehr gut zustatten kam.  Er wurde viele Tage
lang durch das Land in das Innere geführt, und überall strömte das
Volk zusammen, um ihn zu sehen; denn seine Begleiter sagten aus, er
wäre der Sohn des Königs von Ägypten, der ihn zu seiner Ausbildung
nach Frankistan schicke.

So sagten aber die Soldaten nur, um das Volk glauben zu machen, sie
haben Ägypten besiegt und stehen in tiefem Frieden mit diesem Land.
Nachdem die Reise zu Land mehrere Tage gedauert hatte, kamen sie in
eine große Stadt, dem Ziel ihrer Reise.  Dort wurde er einem Arzt
übergeben, der ihn in sein Haus nahm und in allen Sitten und
Gebräuchen von Frankistan unterwies.

Er mußte vor allem fränkische Kleider anlegen, die sehr enge und
knapp waren und bei weitem nicht so schön wie seine ägyptischen.
Dann durfte er nicht mehr seine Verbeugung mit gekreuzten Armen
machen, sondern wollte er jemand seine Ehrerbietung bezeugen, so
mußte er mit der einen Hand die ungeheure Mütze von schwarzem Filz,
die alle Männer trugen und die man auch ihm aufgesetzt hatte, vom
Kopfe reißen, mit der anderen Hand mußte er auf die Seite fahren und
mit dem rechten Fuß auskratzen.  Er durfte auch nicht mehr mit
überschlagenen Beinen sitzen, wie es angenehme Sitte ist im
Morgenlande, sondern auf hochbeinige Stühle mußte er sich setzen und
die Füße herabhängen lassen auf den Boden.  Das Essen machte ihm auch
nicht geringe Schwierigkeit; denn alles, was er zum Munde bringen
wollte, mußte er zuvor auf eine Gabel von Eisen stecken.

Der Doktor aber war ein strenger, böser Mann, der den Knaben plagte:
Denn wenn er sich jemals vergaß und zu einem Besuch sagte: "Salem
aleikum", so schlug er ihn mit dem Stock; denn er sollte sagen:
"Votre serviteur!"  Er durfte auch nicht mehr in seiner Sprache denken
und sprechen oder schreiben, höchstens durfte er darin träumen, und
er hätte vielleicht seine Sprache gänzlich verlernt, wenn nicht ein
Mann in jener Stadt gelebt hätte, der ihm von großem Nutzen war.

Es war dies ein alter, aber sehr gelehrter Mann, der viele
morgenländische Sprachen verstand.  Arabisch, Persisch, Koptisch,
sogar Chinesisch, von jedem etwas; er galt in jenem Land für ein
Wunder von Gelehrsamkeit, und man gab ihm viel Geld, daß er diese
Sprachen andere Leute lehrte.  Dieser Mann ließ nun den jungen
Almansor alle Wochen einigemal zu sich kommen, bewirtete ihn mit
seltenen Früchten und dergleichen, und dem Jüngling war es dann, als
wäre er zu Haus.  Denn der alte Herr war gar ein sonderbarer Mann.
Er hatte Almansor Kleider machen lassen, wie sie vornehme Leute in
Ägypten tragen.  Diese Kleider bewahrte er in seinem Hause in einem
besonderen Zimmer auf.  Kam nun Almansor, so schickte er ihn mit
einem Bediensteten in jenes Zimmer und ließ ihn ganz nach seiner
Landessitte ankleiden.  Von da ging es dann nach "Kleinarabien"; so
nannte man einen Saal im Hause des Gelehrten.

Dieser Saal war mit allerlei künstlich aufgezogenen Bäumen, als
Palmen, Bambus, jungen Zedern und dergleichen, und mit Blumen
ausgeschmückt, die nur im Morgenland wachsen.  Persische Teppiche
lagen auf dem Fußboden, und an den Wänden waren Polster, nirgends
aber ein fränkischer Stuhl oder Tisch.  Auf einem dieser Polster saß
der alte Professor; er sah aber ganz anders aus als gewöhnlich; um
den Kopf hatte er einen feinen türkischen Schal als Turban gewunden,
er hatte einen grauen Bart umgeknüpft, der ihm bis zum Gürtel reichte
und aussah wie ein natürlicher, ehrwürdiger Bart eines gewichtigen
Mannes.  Dazu trug er einen Talar, den er aus einem brokatnen
Schlafrock hatte machen lassen, weite türkische Beinkleider, gelbe
Pantoffeln, und so friedlich er sonst war, an diesen Tagen hatte er
einen türkischen Säbel umgeschnallt, und im Gürtel stak ein Dolch,
mit falschen Steinen besetzt.  Dazu rauchte er aus einer zwei Ellen
langen Pfeife und ließ sich von seinen Leuten bedienen, die ebenfalls
persisch gekleidet waren und wovon die Hälfte Gesicht und Hände
schwarz gefärbt hatte.

Von Anfang wollte dies alles dem jungen Almansor gar wunderlich
bedünken; aber bald sah er ein, daß solche Stunden, wenn er in die
Gedanken des Alten sich fügte, sehr nützlich für ihn seien.  Durfte
er beim Doktor kein ägyptisches Wort sprechen, so war hier die
fränkische Sprache sehr verboten.  Almansor mußte beim Eintreten den
Friedensgruß sprechen, den der alte Perser sehr feierlich erwiderte;
dann winkte er dem Jüngling, sich neben ihn zu setzen, und begann
Persisch, Arabisch, Koptisch und alle Sprachen untereinander zu
sprechen und nannte dies eine gelehrte morgenländische Unterhaltung.
Neben ihm stand ein Bediensteter oder, was sie an diesem Tage
vorstellten, ein Sklave, der ein großes Buch hielt; das Buch war aber
ein Wörterbuch, und wenn dem Alten die Worte ausgingen, winkte er dem
Sklaven, schlug flugs auf, was er sagen wollte, und fuhr dann zu
sprechen fort.

Die Sklaven aber brachten in türkischem Geschirr Sorbet und
dergleichen, und wollte Almansor dem Alten ein großes Vergnügen
machen, so mußte er sagen, es sei alles bei ihm angeordnet wie im
Morgenland.  Almansor las sehr schön Persisch, und das war der
Hauptvorteil für den Alten.  Er hatte viele persische Manuskripte;
aus diesen ließ er sich von dem Jüngling vorlesen, las aufmerksam
nach und merkte sich auf diese Art die richtige Aussprache.

Das waren die Freudentage des armen Almansor; denn nie entließ ihn
der alte Professor unbeschenkt, und oft trug er sogar kostbare Gaben
an Geld und Leinenzeug oder anderen notwendigen Dingen davon, die ihm
der Doktor nicht geben wollte.  So lebte Almansor einige Jahre in der
Hauptstadt des Frankenlandes, und nie wurde seine Sehnsucht nach der
Heimat geringer.  Als er aber etwa fünfzehn Jahre alt war, begab sich
ein Vorfall, der auf sein Schicksal großen Einfluß hatte.

Die Franken nämlich wählten ihren ersten Feldherrn, denselben, mit
welchem Almansor so oft in Ägypten gesprochen hatte, zu ihrem König
und Beherrscher; Almansor wußte zwar und erkannte es an den großen
Festlichkeiten, daß etwas dergleichen in dieser großen Stadt geschehe;
doch konnte er sich nicht denken, daß der König derselbe sei, den er
in Ägypten gesehen; denn jener Feldherr war noch ein sehr junger Mann.
Eines Tages aber ging Almansor über eine jener Brücken, die über
den breiten Fluß fahren, der die Stadt durchströmt; da gewahrte er in
dem einfachen Kleid eines Soldaten einen Mann, der am Brückengeländer
lehnte und in die Wellen sah.  Die Züge des Mannes fielen ihm auf,
und er erinnerte sich, ihn schon gesehen zu haben.  Er ging also
schnell die Kammern seiner Erinnerung durch, und als er an die Pforte
der Kammer von Ägypten kam, da eröffnete sich ihm plötzlich das
Verständnis, daß dieser Mann jener Feldherr der Franken sei, mit
welchem er oft im Lager gesprochen und der immer gütig für ihn
gesorgt hatte.  Er wußte seinen rechten Namen nicht genau; er faßte
sich daher ein Herz, trat zu ihm, nannte ihn, wie ihn die Soldaten
unter sich nannten, und sprach, indem er nach seiner Landessitte die
Arme über der Brust kreuzte: "Salem aleikum, Petit-Caporal!"

Der Mann sah sich erstaunt um, blickte den jungen Menschen mit
scharfen Augen an, dachte über ihn nach und sagte dann: "Himmel, ist
es möglich!  Du hier, Almansor?  Was macht dein Vater?  Wie geht es
in Ägypten?  Was führt dich zu uns hierher?"

Da konnte sich Almansor nicht länger halten; er fing an, bitterlich
zu weinen, und sagte zu dem Mann: "So weißt du also nicht, was die
Hunde, deine Landsleute, mit mir gemacht haben, Petit-Caporal?  Du
weißt nicht, daß ich das Land meiner Väter nicht mehr gesehen habe
seit vielen Jahren?"

"Ich will nicht hoffen", sagte der Mann, und seine Stirne wurde
finster, "ich will nicht hoffen, daß man dich mit hinwegschleppte."

"Ach, freilich", antwortete Almansor, "an jenem Tage, wo Eure
Soldaten sich einschifften, sah ich mein Vaterland zum letztenmal;
sie nahmen mich mit sich hinweg, und ein Hauptmann, den mein Elend
rührte, zahlt ein Kostgeld für mich bei einem verwünschten Doktor,
der mich schlägt und halb Hungers sterben läßt.  Aber höre,
Petit-Caporal", fuhr er ganz treuherzig fort, "es ist gut, daß ich
dich hier traf, du mußt mir helfen."

Der Mann, zu welchem er dies sprach, lächelte und fragte, auf welche
Weise er denn helfen sollte.

"Siehe", sagte Almansor, "es wäre unbillig, wollte ich von dir etwas
verlangen; du warst von jeher so gütig gegen mich, aber ich weiß, du
bist auch ein armer Mensch, und wenn du auch Feldherr warst, gingst
du nie so schön gekleidet wie die anderen; auch jetzt mußt du, nach
deinem Rock und Hut zu urteilen, nicht in den besten Umständen sein.
Aber da haben ja die Franken letzthin einen Sultan gewählt, und ohne
Zweifel kennst du Leute, die sich ihm nahen dürfen, etwa seinen
Janitscharen-Aga oder den Reis-Effendi oder seinen Rapudan-Pascha;
nicht?"

"Nun ja", antwortete der Mann, "aber wie weiter?"

"Bei diesen könntest du ein gutes Wort für mich einlegen,
Petit-Caporal, daß sie den Sultan der Franken bitten, er möchte mich
freilassen; dann brauche ich auch etwas Geld zur Reise übers Meer;
vor allem aber mußt du mir versprechen, weder dem Doktor noch dem
arabischen Professor etwas davon zu sagen."

"Wer ist denn der arabische Professor?" fragte jener.  "Ach, das ist
ein sonderbarer Mann; doch von diesem erzähle ich dir ein andermal.
Wenn es die beiden hörten, dürfte ich nicht mehr aus Frankistan weg.
Aber willst du für mich sprechen bei den Agas?  Sage es mir
aufrichtig!"

"Komm mit mir", sagte der Mann, "vielleicht kann ich dir jetzt gleich
nützlich sein."

"Jetzt?" rief der Jüngling mit Schrecken.  "Jetzt um keinen Preis, da
würde mich der Doktor prügeln; ich muß eilen, daß ich nach Hause
komme."

"Was trägst du denn in diesem Korb?" fragte jener, indem er ihn
zurückhielt.

Almansor errötete und wollte es anfangs nicht zeigen; endlich aber
sagte er: "Siehe, Petit- Caporal, ich muß hier Dienste tun wie der
geringste Sklave meines Vaters.  Der Doktor ist ein geiziger Mann und
schickt mich alle Tage von unserem Hause eine Stunde weit auf den
Gemüse- und Fischmarkt; da muß ich dann unter den schmutzigen
Marktweibern einkaufen, weil es dort um einige Kupfermünzen
wohlfeiler ist als in unserem Stadtteil.  Siehe, wegen dieses
schlechten Herings, wegen dieser Handvoll Salat, wegen dieses
Stückchens Butter muß ich alle Tage zwei Stunden gehen.  Ach, wenn es
mein Vater wüßte!"

Der Mann, zu welchem Almansor dies sprach, war gerührt über die Not
des Knaben und antwortete: "Komm nur mit mir und sei getrost; der
Doktor soll dir nichts anhaben dürfen, wenn er auch heute weder
Hering noch Salat verspeist!  Sei getrosten Mutes und komm!"  Er nahm
bei diesen Worten Almansor bei der Hand und führte ihn mit sich, und
obgleich diesem das Herz pochte, wenn er an den Doktor dachte, so lag
doch so viel Zuversicht in den Worten und Mienen des Mannes, daß er
sich entschloß, ihm zu folgen.  Er ging also, sein Körbchen am Arm,
neben dem Soldaten viele Straßen durch, und wunderbar wollte es ihm
bedünken, daß alle Leute die Hüte vor ihnen abnahmen und
stehenblieben und ihnen nachschauten.  Er äußerte dies auch gegen
seinen Begleiter, dieser aber lachte und sagte nichts darüber.

Sie gelangten endlich an ein prachtvolles Schloß, auf welches der
Mann zuging.  "Wohnst du hier, Petit-Caporal?" fragte Almansor.

"Hier ist meine Wohnung", entgegnete jener, "und ich will dich zu
meiner Frau führen."

"Ei, da wohnst du schön!" fahr Almansor fort.  "Gewiß hat dir der
Sultan hier freie Wohnung gegeben?"

"Diese Wohnung habe ich vom Kaiser, du hast recht", antwortete sein
Begleiter und führte ihn in das Schloß.  Dort stiegen sie eine breite
Treppe hinan, und in einem schönen Saal hieß er ihn seinen Korb
absetzen und trat dann mit ihm in ein prachtvolles Gemach, wo eine
Frau auf einem Diwan saß.  Der Mann sprach mit ihr in einer fremden
Sprache, worauf sie beide nicht wenig lachten, und die Frau fragte
dann Almansor in fränkischer Sprache vieles über Ägypten.  Endlich
sagte Petit-Caporal zu dem Jüngling: "Weißt du, was das beste ist?
Ich will dich gleich selbst zum Kaiser führen und bei ihm für dich
sprechen."

Almansor erschrak sehr; aber er gedachte an sein Elend und seine
Heimat.  "Dem Unglücklichen", sprach er zu den beiden, "dem
Unglücklichen verleiht Allah einen hohen Mut in der Stunde der Not;
er wird auch mich armen Knaben nicht verlassen.  Ich will es tun, ich
will zu ihm gehen.  Aber sage, Caporal, muß ich vor ihm niederfallen?
Muß ich die Stirne mit dem Boden berühren?  Was muß ich tun?"

Die beiden lachten von neuem und versicherten, dies alles sei nicht
nötig.

"Sieht er schrecklich und majestätisch aus?" fragte er weiter, "hat
er einen langen Bart?  Macht er feurige Augen?  Sage, wie sieht er
aus?"

Sein Begleiter lachte von neuem und sprach dann: "Ich will dir ihn
lieber gar nicht beschreiben, Almansor, du selbst sollst erraten,
welcher es ist.  Nur das will ich dir als Kennzeichen angeben: Alle
im Saale des Kaisers werden, wenn er da ist, die Hüte ehrerbietig
abnehmen; der, welcher den Hut auf dem Kopf behält, der ist der
Kaiser."  Bei diesen Worten nahm er ihn bei der Hand und ging mit ihm
nach dem Saal des Kaisers.  Je näher er kam, desto lauter pochte ihm
das Herz, und die Knie fingen ihm an zu zittern, als sie sich der
Türe näherten.  Ein Bediensteter öffnete die Türe, und da standen in
einem Halbkreis wenigstens dreißig Männer, alle prächtig gekleidet
und mit Gold und Sternen überdeckt, wie es Sitte ist im Lande der
Franken bei den vornehmsten Agas und Bassas der Könige; und Almansor
dachte, sein Begleiter, der so unscheinbar gekleidet war, müsse der
Geringsten einer sein unter diesen.  Sie hatten alle das Haupt
entblößt, und Almansor fing nun an, nach dem zu suchen, der den Hut
auf dem Kopfe hätte; denn dieser mußte der Kaiser sein.  Aber
vergebens war sein Suchen.  Alle hatten den Hut in der Hand, und der
Kaiser mußte also nicht unter ihnen sein; da fiel kein Blick zufällig
auf seinen Begleiter, und siehe--dieser hatte den Hut auf dem Kopfe
sitzen!

Der Jüngling war erstaunt, betroffen.  Er sah seinen Begleiter lange
an und sagte dann, indem er selbst seinen Hut abnahm: "Salem aleikum,
Petit-Caporal!  Soviel ich weiß, bin ich selbst nicht der Sultan der
Franken, also kommt es mir nicht zu, mein Haupt zu bedecken; doch du
bist der, der den Hut trägt--Petit-Caporal, bist denn du der Kaiser?".

"Du hast's erraten", antwortete jener, "und überdies bin ich dein
Freund.  Schreibe dein Unglück nicht mir, sondern einer unglücklichen
Verwirrung der Umstände zu, und sei versichert, daß du mit dem ersten
Schiff in dein Vaterland zurücksegelst.  Gehe jetzt wieder hinein zu
meiner Frau, erzähle ihr vom arabischen Professor und was du weißt.
Die Heringe und den Salat will ich dem Doktor schicken; du aber
bleibst für deinen Aufenthalt in meinem Palast."

So sprach der Mann, der Kaiser war; Almansor aber fiel vor ihm nieder,
küßte seine Hand und bat ihn um Verzeihung, daß er ihn nicht erkannt
habe; er habe es ihm gewiß nicht angesehen, daß er Kaiser sei.

"Du hast recht", erwiderte jener lachend, "wenn man nur wenige Tage
Kaiser ist, kann man es nicht an der Stirne geschrieben haben."  So
sprach er und winkte ihm, sich zu entfernen.

Seit diesem Tage lebte Almansor glücklich und in Freuden.

Den arabischen Professor, von welchem er dem Kaiser erzählte, durfte
er noch einigemal besuchen den Doktor aber sah er nicht mehr.  Nach
einigen Wochen ließ ihn der Kaiser zu sich rufen und kündigte ihm an,
daß ein Schiff vor Anker liege, mit dem er ihn nach Ägypten senden
wolle.  Almansor war außer sich vor Freude; wenige Tage reichten hin,
um ihn auszurüsten, und mit einem Herzen voll Dankes und mit Schätzen
und Geschenken reich beladen, reiste er vom Kaiser ab ans Meer und
schiffte sich ein.

Aber Allah wollte ihn noch länger prüfen, wollte seinen Mut im
Unglück noch länger stählen und ließ ihn die Küste seiner Heimat noch
nicht sehen.  Ein anderes fränkisches Volk, die Engländer, führten
damals Krieg mit dem Kaiser auf der See.  Sie nahmen ihm alle Schiffe
weg, die sie besiegen konnten, und so kam es, daß am sechsten Tage
der Reise das Schiff, auf welchem sich Almansor befand, von
englischen Schiffen umgeben und beschossen wurde; es mußte sich
ergeben, und die ganze Mannschaft wurde auf ein kleineres Schiff
gebracht, das mit den anderen weitersegelte.  Doch auf der See ist es
nicht weniger unsicher als in der Wüste, wo unversehens die Räuber
auf die Karawanen fallen und totschlagen und plündern.  Ein Kaper von
Tunis überfiel das kleine Schiff, das der Sturm von den größeren
Schiffen getrennt hatte, und--es wurde genommen und alle Mannschaft
nach Algier geführt und verkauft.

Almansor kam zwar nicht in so harte Sklaverei als die Christen, weil
er ein rechtgläubiger Muselmann war, aber dennoch war jetzt alle
Hoffnung verschwunden, die Heimat und den Vater wiederzusehen.  Dort
lebte er bei einem reichen Manne fünf Jahre und mußte die Blumen
begießen und den Garten bauen.  Da starb der reiche Mann ohne nahe
Erben, seine Besitzungen wurden zerrissen, seine Sklaven geteilt, und
Almansor fiel in die Hände eines Sklavenmaklers.  Dieser rüstete um
diese Zeit ein Schiff aus, um seine Sklaven anderwärts teurer zu
verkaufen.  Der Zufall wollte, daß ich selbst ein Sklave dieses
Händlers war und auf dasselbe Schiff kam, wo auch Almansor sich
befand.  Dort lernten wir uns kennen, und dort erzählte er mir seine
wunderbaren Schicksale.  Doch--als wir landeten, war ich Zeuge der
wunderbarsten Fügung Allahs; es war die Küste seines Vaterlandes, an
welche wir aus dem Boot stiegen, es war der Markt seiner Vaterstadt,
wo wir öffentlich ausgeboten wurden, und, o Herr, daß ich es kurz
sage, es war sein eigener, sein teurer Vater, der ihn kaufte!

Der Scheik Ali Banu war in tiefes Nachdenken versunken über diese
Erzählung; sie hatte ihn unwillkürlich mit sich fortgerissen, seine
Brust hob sich, sein Auge glühte, und er war oft nahe daran, seinen
jungen Sklaven zu unterbrechen; aber das Ende der Erzählung schien
ihn nicht zu befriedigen.

"Er könnte jetzt einundzwanzig Jahre haben, sagst du?" so fing er an
zu fragen.

"Herr, er ist in meinem Alter, ein- bis zweiundzwanzig Jahre."

"Und welche Stadt nannte er seine Geburtsstadt?  Das hast du uns noch
nicht gesagt."

"Wenn ich nicht irre", antwortete jener, "so war es Alessandria!"

"Alessandria!" rief der Scheik.  "Es ist mein Sohn; wo ist er
geblieben?  Sagtest du nicht, daß er Kairam hieß?  Hat er dunkle
Augen und braunes Haar?"

"Er hat es, und in traulichen Stunden nannte er sich Kairam und nicht
Almansor."

"Aber, Allah!  Allah!  Sage mir doch, sein Vater hätte ihn vor deinen
Augen gekauft, sagst du?  Sagte er, es sei sein Vater?  Also ist er
doch nicht mein Sohn!"

Der Sklave antwortete: "Er sprach zu mir: "Allah sei gepriesen nach
so langem Unglück: Das ist der Marktplatz meiner Vaterstadt."  Nach
einer Weile aber kam ein vornehmer Mann um die Ecke; da rief er: "Oh,
was für ein teures Geschenk des Himmels sind die Augen!  Ich sehe
noch einmal meinen ehrwürdigen Vater!"  Der Mann aber trat zu uns,
betrachtet diesen und jenen und kauft endlich den, dem dies alles
begegnet ist.  Da rief er Allah an, sprach ein heißes Dankgebet und
flüsterte mir zu: "Jetzt gehe ich wieder ein in die Hallen meines
Glückes, es ist mein eigener Vater, der mich gekauft hat.""

"Es ist also doch nicht mein Sohn, mein Kairam!" sagte der Scheik,
von Schmerz bewegt.

Da konnte sich der Jüngling nicht mehr zurückhalten; Tränen der
Freude entstürzten seinen Augen, er warf sich nieder vor dem Scheik
und rief: "Und dennoch ist es Euer Sohn, Kairam: Almansor; denn Ihr
seid es, der ihn gekauft hat."  "Allah, Allah!  Ein Wunder, ein großes
Wunder!" riefen die Anwesenden und drängten sich herbei; der Scheik
aber stand sprachlos und staunte den Jüngling an, der sein schönes
Antlitz zu ihm aufhob.  "Mein Freund Mustapha!" sprach er zu dem
alten Derwisch, "vor meinen Augen hängt ein Schleier von Tränen, daß
ich nicht sehen kann, ob die Züge seiner Mutter, die mein Kairam trug,
auf seinem Gesicht eingegraben sind.  Trete du her und schaue ihn an!"

Der Alte trat herzu, sah ihn lange an, legte seine Hand auf die
Stirne des jungen Mannes und sprach: "Kairam!  Wie hieß der Spruch,
den ich dir am Tage, des Unglücks mitgab ins Lager der Franken?"

"Mein teurer Lehrer!" antwortete der Jüngling, indem er die Hand des
Alten an seine Lippen zog, "er hieß: So einer Allah liebt und ein
gutes Gewissen hat, ist er auch in der Wüste des Elends nicht allein;
denn er hat zwei Gefährten, die ihm tröstend zur Seite gehen."

Da hob der Alte seine Augen dankend auf zum Himmel, zog den Jüngling
herauf an seine Brust und gab ihn dem Scheik und sprach: "Nimm ihn
hin!  So gewiß du zehn Jahre um ihn trauertest, so gewiß ist es dein
Sohn Kairam."

Der Scheik war außer sich vor Freude und Entzücken; er betrachtete
immer von neuem wieder die Züge des Wiedergefundenen, und unleugbar
fand er das Bild seines Sohnes wieder, wie er ihn verloren hatte.
Und alle Anwesenden teilten seine Freude; denn sie liebten den Scheik,
und jedem unter ihnen war es, als wäre ihm heute ein Sohn geschenkt
worden.

Jetzt füllte wieder Gesang und Jubel diese Halle wie in den Tagen des
Glückes und der Freude.  Noch einmal mußte der Jüngling, und noch
ausführlicher, seine Geschichte erzählen, und alle priesen den
arabischen Professor und den Kaiser und jeden, der sich Kairams
angenommen hatte.  Man war beisammen bis in die Nacht, und als man
aufbrach, beschenkte der Scheik jeden seiner Freunde reichlich, auf
daß er immer dieses Freudentages gedenke.

Die vier jungen Männer aber stellte er seinem Sohne vor und lud sie
ein, ihn immer zu besuchen, und es war ausgemachte Sache, daß er mit
dem Schreiber lesen, mit dem Maler kleine Reisen machen sollte, daß
der Kaufmann Gesang und Tanz mit ihm teile und der andere alle
Vergnügungen für sie bereiten solle.  Auch sie wurden reich beschenkt
und traten freudig aus dem Hause des Scheik.

"Wem haben wir dies alles zu verdanken", sprachen sie untereinander,
"wem anders als dem Alten?  Wer hätte dies damals gedacht, als wir
vor diesem Hause standen und über den Scheik loszogen?"

"Und wie leicht hätte es uns einfallen können, die Lehren des alten
Mannes zu überhören", sagte ein anderer, "oder ihn gar zu verspotten?
Denn er sah doch recht zerrissen und ärmlich aus, und wer könne
denken, daß dies der weise Mustapha sei?"  "Und wunderbar!  War es
nicht hier, wo wir unsere Wünsche laut werden ließen?" sprach der
Schreiber.  "Da wollte der eine reisen, der andere singen und tanzen,
der dritte gute Gesellschaft haben und ich--Geschichten lesen und
hören, und sind nicht alle unsere Wünsche in Erfüllung gegangen?
Darf ich nicht alle Bücher des Scheik lesen und kaufen, was ich
will?"  "Und darf ich nicht seine Tafel zurichten und seine schönsten
Vergnügen anordnen und selbst dabeisein?" sagte der andere.

"Und ich, so oft mich mein Herz gelüstet, Gesang und Saitenspiel zu
hören oder einen Tanz zu sehen, darf ich nicht hingehen und mir seine
Sklaven ausbitten?"

"Und ich", rief der Maler, "vor diesem Tage war ich arm und konnte
keinen Fuß aus dieser Stadt setzen, und jetzt kann ich reisen, wohin
ich will."

"Ja", sprachen sie alle, "es war doch gut, daß wir dem Alten folgten,
wer weiß, was aus uns geworden wäre!"

So sprachen sie und gingen freudig und glücklich nach Hause.


Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Märchen-Almanach auf das Jahr
1827", von Wilhelm Hauff.









End of the Project Gutenberg EBook of Maerchen-Almanach auf das Jahr 1827, by 
Wilhelm Hauff

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MAERCHEN-ALMANACH 1827 ***

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     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
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     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

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electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
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1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

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defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
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providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.