Mitteilungen aus den Memoiren des Satan — Band 2

By Wilhelm Hauff

The Project Gutenberg EBook of Mitteilungen aus den Memoiren des Satan V2, by 
Wilhelm Hauff

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Title: Mitteilungen aus den Memoiren des Satan V2

Author: Wilhelm Hauff

Posting Date: September 25, 2014 [EBook #6891]
Release Date: November, 2004
First Posted: February 7, 2003

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MEMOIREN DES SATAN V2 ***




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WILHELM HAUFF

MITTEILUNGEN AUS DEN MEMOIREN DES SATAN




ZWEITER TEIL.


VORSPIEL.


Worin von Prozessen, Justizräten die Rede; nebst einer
stillschweigenden Abhandlung: „Was von Träumen zu halten sei?"

Dieser zweite Teil der Mitteilungen aus den Memoiren des Satan
erscheint um ein völliges Halbjahr zu spät. Angenehm ist es dem
Herausgeber, wenn die Leser des ersten sich darüber gewundert, am
angenehmsten, wenn sie sich darüber geärgert haben; es zeigt dies eine
gewisse Vorliebe für die schriftstellerischen Versuche des Satan, die
nicht nur ihm, sondern auch seinem Herausgeber und Übersetzer
erwünscht sein muß.

Die Schuld dieser Verspätung liegt aber weder in der zu heißen
Temperatur des letzten Spätsommers, noch in der strengen Kälte des
Winters, weder im Mangel an Zeit oder Stoff, noch in politischen
Hindernissen; die einzige Ursache ist ein sonderbarer Prozeß, in
welchen der Herausgeber verwickelt wurde und vor dessen Beendigung er
diesen zweiten Teil nicht folgen lassen wollte.

Kaum war nämlich der erste Teil dieser Memoiren in die Welt versandt
und mit einigen Posaunenstößen in den verschiedenen Zeitungen
begleitet worden, als plötzlich in allen diesen Blättern zu lesen war
eine

W a r n u n g  v o r  B e t r u g

„Die bei Fr. Franckh in Stuttgart herausgekommenen Memoiren des Satan
sind nicht von dem im Alten und Neuen Testament bekannten und durch
seine Schriften: Elixiere des Teufels, Bekenntnisse des Teufels, als
Schriftsteller berühmten Teufel, sondern gänzlich, falsch und unecht,
was hiemit dem Publikum zur Kenntnis gebracht wird."

Ich gestehe, ich ärgerte mich nicht wenig über diese Zeilen, die von
niemand unterschrieben waren. Ich war meiner Sache so gewiß, hatte das
Manuskript von niemand anders als dem Satan selbst erhalten, und nun,
nach vielen Mühen und Sorgen, nachdem ich mich an den infernalischen
Chiffern beinahe blind gelesen, soll ein solcher anonymer Totschläger
über mich herfallen, meine literarische Ehre aus der Ferne totschlagen
und besagte Memoiren für unecht erklären?

Während ich noch mit mir zu Rate ging, was wohl auf eine solche
Beschuldigung des B e t r u g e s zu antworten sei, werde ich vor die
Gerichte zitiert und in Kenntnis gesetzt, daß ich einer
Namensfälschung, eines literarischen Diebstahls angeklagt sei, und
zwar--vom Teufel selbst, der gegenwärtig als Geheimer Hofrat in
persischen Diensten lebe. Er behauptete nämlich, ich habe seinen Namen
Satan mißbraucht, um ihm eine miserable Scharteke, die er nie
geschrieben, unterzuschieben; ich habe seinen literarischen Ruhm
benützt, um diesem schlechten Büchlein einen schnellen und
einträglichen Abgang zu verschaffen; kurz, er verlange nicht nur, daß
ich zur Strafe gezogen, sondern auch, daß ich angehalten werde, ihm
Schadenersatz zu geben, „dieweil ihm ein Vorteil durch diesen Kniff
entzogen worden".

Ich verstehe so wenig von juridischen Streitigkeiten, daß mir früher
schon den Name Klage oder Prozeß Herzklopfen verursachte; man kann
sich also wohl denken, wie mir bei diesen schrecklichen Worten zu Mute
ward. Ich ging niedergedonnert heim und schloß mich in mein
Kämmerlein, um über diesen Vorfall nachzudenken. Es war mir kein
Zweifel, daß es hier drei Fälle geben könne. Entweder hatte mir der
Teufel selbst das Manuskript gegeben, um mich nachher als Kläger recht
zu ängstigen und auf meine Kosten zu lachen; oder irgendein böser
Mensch hatte mir die Komödie in Mainz vorgespielt, um das Manuskript
in meine Hände zu bringen, und der Teufel selbst trat jetzt als
erbitterter Kläger auf; oder drittens, das Manuskript kam wirklich vom
Teufel, und ein müßiger Kopf wollte jetzt den Satan spielen und mich
in seinem Namen verklagen.

Ich ging zu einem berühmten Rechtsgelehrten und trug ihm den Fall vor.
Er meinte, es sei allerdings ein fataler Handel, besonders weil ich
keine Beweise beibringen könne, daß das Manuskript von dem echten
Teufel abstamme, doch er wolle das Seinige tun und aus der bedeutenden
Anzahl von Büchern, die seit Justinians _Corpus juris_ bis auf
das neue birmanische Strafgesetzbuch über solche Fälle geschrieben
worden seien, einiges nachlesen.

Das juridische Stiergefecht nahm jetzt förmlich seinen Anfang. Es
wurde, wie es bei solchen Fällen herkömmlich ist, so viel darüber
geschrieben, daß auf jeden Bogen der Memoiren des Satan ein Ries Akten
kam, und nachdem die Sache ein Vierteljahr anhängig war, wurde sogar
auf Unrechtskosten eine neue Aktenkammer für diesen Prozeß eingeräumt;
über der Türe stand mit großen Buchstaben: „Acta in Sachen des
persischen G. H. R. T e u f e l s gegen _Dr._ H----f, betreffend
die Memoiren des Satan."

Ein sehr günstiger Umstand für mich war der, daß ich auf dem Titel
nicht „Memoiren des Teufels", sondern „des Satan" gesagt hatte. Die
Juristen waren mit sich ganz einig, daß der Name T e u f e l in
Deutschland sein F a m i l i e n n a m e sei, ich habe also wenigstens
diesen nicht zur Fälschung gebraucht; Satan hingegen sei nur ein
angenommener, willkürlicher; denn niemand im Staate sei berechtigt,
zwei Namen zu führen. Ich fing an, aus diesem Umstand günstigere
Hoffnungen zu schöpfen; aber nur zu bald sollte ich die bittere
Erfahrung machen, was es heiße, den Gerichten anheimzufallen. Das
Referat in Sachen des _et cetera_ war nämlich dem berühmten
Justizrat Wackerbart in die Hände gefallen, einem Manne, der schon bei
Dämpfung einiger großen Revolutionen ungemeine Talente bewiesen hatte
und neuerdings sogar dazu verwendet wurde, bedeutende Unruhen in einem
Gymnasium zu schlichten. Stand nicht zu erwarten, daß ein solcher
berühmter Jurist meine Sache nur als eine _cause célèbre_ ansehen
und sie also handhaben werde, daß sie, gleichviel wem von beiden
Recht, ihm am meisten Ruhm einbrächte? Hierzu kam noch der Titel und
Rang meines Gegners; Wackerbart hatte seit einiger Zeit angefangen,
sich an höhere Zirkel anzuschließen; mußte ihm da ein so wichtiger
Mann, wie ein persischer Geheimer Hofrat, nicht mehr gelten als ich
Armer?

Es ging, wie ich vorausgesehen hatte. Ich verlor meine Sache gegen den
Teufel. Strafe, Schadenersatz, aller mögliche Unsinn wurde auf mich
gewälzt; ich wunderte mich, daß man mich nicht einige Wochen ins
Gefängnis sperrte oder gar hängte. Man hatte hauptsächlich folgendes
gegen mich in Anwendung gebracht:

E n t s c h e i d u n g s = G r ü n d e

zu dem vor dem Kriminalgericht Klein=Justheim, unter dem 4. Dezember
1825 gefällten Erkenntnis in der Untersuchungssache gegen den
_Dr_. .....f w e g e n  B e t r u g e s.

1. Es ist durch das Zugeständnis des Angeklagten erhoben, daß er keine
Beweise beizubringen weiß, daß die von ihm herausgegebenen Memoiren
des Satan wirklich von dem bekannten echten Teufel, so gegenwärtig als
Geheimer Hofrat in persischen Diensten lebt, herrühren. Ferner hat der
Angeschuldigte .....f zugegeben, daß die in öffentlichen Blättern
darüber enthaltene Ankündigung mit seinem Wissen gegeben sei.

2. Die letztgedachte Ankündigung ist also abgefaßt, daß hieraus die
Absicht des Verfassers, die Lesewelt glauben zu machen, daß „die
Memoiren des Satan" von dem wahren, im Alten und Neuen Testament
bekannten und neuerdings als Schriftsteller beliebten Teufel
geschrieben seien, nur allzu deutlich hervorleuchten tut.

3. Durch diese Verfahrungsart hat sich der Angeklagte .....f eines
Betruges, alldieweilen solcher im allgemeinen in jedweder aus
impermissen Kommodum für sich oder Schaden anderer gerichteten
unrechtlichen Täuschung anderer, entweder, indem man falsche Tatsachen
mitteilt oder wahre dito nicht angibt--besteht; oder, um uns näher
auszudrücken, da hier die Sprache v o n  e i n e r  W a r e  u n d
g e d r u c k t e m  B u c h ist--einer F ä l s c h u n g schuldig
gemacht; denn durch den Titel „Memoiren des Satan" und die Anpreisung
des Buches wurde der Lesewelt falsch vorgespiegelt, daß das Buch
ausdrücklich von dem unter dem Namen Satan bekannten, k. persischen
Geheimen Hofrat Teufel verfaßt sei, was beim Verkauf des Werkes
verursachte, daß es schneller und in größerer Quantität abging, als
wenn das Büchlein unter dem Namen des Herrn .....f, so dem Publiko noch
gar nicht bekannt ist, erschienen wäre, und wodurch die, so es
kauften, in ihrer schönen Erwartung, ein echtes Werk des Teufels in
Händen zu haben, schnöde betrogen wurden.

4. Wenn der Herr _Dr_. .....f, um sich zu entschuldigen, dagegen
einwendet, daß der Name Satan in Deutschland nur ein angenommener sei,
worauf der Teufel, wie man ihn gewöhnlich nennt, keinen Anspruch zu
machen habe, so bemerken wir Kriminalleute von Klein=Justheim sehr
richtig, daß sich .....f auf den Gebrauch jenes angenommenen, übrigens
bekanntermaßen den Teufel sehr wohl bezeichnenden Namens nicht
beschränkt, sondern in dem Werke selbst überall durchblicken läßt,
namentlich in der Einleitung, daß der Verfasser derjenige Teufel oder
Satan sei, welcher dem Publiko, besonders dem Frauenzimmer, wie auch
denen Gelehrten durch frühere Opera, z. B. die Elixiere des Teufels
_et cetera_ rühmlichst bekannt ist, wodurch wohl ebenfalls
niemand anderes gemeint ist als der Geheime Hofrat Teufel.

5. Man muß lachen über die Behauptung des Inkulpaten, daß das in Frage
stehende Opuskulum, wie auch nicht destoweniger seine Anzeige,
eigentlich eine Satire auf den Teufel und jegliche Teufelei jetziger
Zeit sei! Denn diese Entschuldigung wird durch den Inhalt der Schrift
selbst widerlegt; ja, jeder Leser von Vernunft muß das auch wohl eher
für eine etwas geringe Nachäffung der Teufeleien als für--eine Satire
auf dieselben erkennen. Wäre aber auch, was wir Juristen nicht
einzusehen vermögen, das Werk dennoch eine Satire, so ist durchaus
kein günstiger Umstand für .....f zu ziehen, weil derjenige Käufer, der
etwas E c h t e s, vom Teufel Verfaßtes kaufen wollte, erst nach dem
Kauf entdecken konnte, daß er betrogen sei.

6. Außer der völlig rechtswidrigen Täuschung der Lesewelt,
Leihbibliotheken _et cetera_, ist in der vorliegenden Defraudation
auch ein Verbrechen gegen den begangen, dessen Name oder
Firma mißbraucht worden, nämlich und spezialiter gegen den Geheimen
Hofrat Teufel, welcher sowohl als Gelehrter und Schriftsteller, als
von wegen des Honorars seiner übrigen Schriften sehr dabei
interessiert ist, daß nicht das Geschreibsel anderer als von ihm
niedergeschrieben, wie auch erdacht, angezeigt und verkauft werde.

7. Wenn endlich der Angeklagte behauptet, daß er das Buch arglos
herausgegeben, ohne das Klein=Justheimer Recht hierüber zu kennen, daß
ihn auch bei der Fälschung durchaus keine gewinnsüchtigen Absichten
geleitet hätten, so ist uns dies gleichgültig und haben nicht darauf
Rücksicht zu nehmen; denn Fälschung ist Fälschung, sei es, ob man
englische Teppiche nachahmt und als echt verkauft, aber Bücher
schreibt unter falschem Namen; ist alles nur verkäufliche Ware und
kann den Begriff des Vergehens nicht ändern, weil immer noch die
Täuschung und Anschmierung der Käufer restiert und zwar ebenfalls
nichts destominder auch alsdann, wenn die Memoiren des Satan gleichen
Wert mit den übrigen Büchern des Teufels hätten (was wir
Klein=Justheimer übrigens bezweifeln, da jener Geheimer Hofrat ist),
weil dem Ebengedachten schon das Unterschieben eines fremden
Machwerkes unter seinem Namen ein Schaden in juridischem Sinne sein
tut.

Es ist daher, wie man getan hat, erkannt worden usw. usw.

(Gez.) Präsident und Räte des Kriminalgerichts zu Klein=Justheim.

Hast du, geneigter Leser, nie die berühmten Nürnberger Gliedermänner
gesehen, so, kunstreich aus Holz geschnitzelt, ihre Gliedlein nach
jedem Druck bewegen? Hast du wohl selbst in deiner Jugend mit solchem
Männlein gespielt und allerlei Kurzweil mit ihm getrieben und
probiert, ob es nicht schöner wäre, wenn er z. B. das Gesicht im
Nacken trüge und den Rücken hinunterschaue, oder ob es nicht
vernünftiger wäre, wenn ihm die Beine ein wenig umgedreht würden, daß
er vor= und rückwärts spaziere, wie man es haben wolle? Das hast du
wohl versucht in den Tagen deiner Kindheit, und es war ein
unschuldiges Spiel; denn dem Gliedermann war es gleichgültig, ob ihm
die Beine über die Schulter herüberkamen oder nicht, ob er den Rücken
herabschaute oder vorwärts; er lächelte so dumm wie zuvor; denn er
hatte ja kein Gefühl, und es tat ihm nicht weh im Herzen; denn auch
dieses war ja aus Holz geschnitzelt und wahrscheinlich aus Lindenholz.

Aber selbst ein solcher Gliedermann sein zu müssen in den täppischen
Händen der Klein=Justheimer Kriminalen! Sie renkten und drehten mir
die Glieder, setzten mir den Kopf so oder so, wie es ihnen gefällig,
oder auch nach Vorschrift des Justinian, drehten und wendeten mein
Recht, bis der Kadaver vor ihnen lag auf dem grünen Sessionstisch, wie
sie ihn haben wollten, mit verrenkten Gliedern, und sie nun anatomisch
aufnotieren konnten, was für Fehler und Kuriosa an ihm zu bewerfen,
nämlich, daß er das Gesicht im Nacken, die Füße einwärts, die Arme
verschränkt _et cetera_ trage, ganz gegen alle Ordnung und Recht.

Ware, Ware! nannten sie deine Memoiren, o Satan, Ware! Als würde
dergleichen nach der Elle aus dem Gehirn hervorgehaspelt, wie es jener
Schwarzkünstler und Eskamoteur getan, der Bänder verschluckte und sie
herauszog, Elle um Elle aus dem Rachen. Warenfälschung, Einschwärzen,
Defraudation, o welch herrliche Begriffe, um zu definieren, was man
will! Und rechtswidrige Täuschung des Publikums? Wer hat denn darüber
geklagt? Wer ist aufgestanden unter den Tausenden und hat Zeter
geschrien, weil er gefunden, daß das Büchlein nicht von dem Schwarzen
selbst herrühre, daß er den Missetäter bestraft wissen wolle für diese
rechtswidrige Täuschung? O Klein=Justheim, wie weit bist du noch
zurück hinter England und Frankreich, daß du nicht einmal einsehen
kannst, Werke des Geistes seien kein nachgemachter Rum oder Arrak und
gehören durchaus nicht vor deine Schranken.

Traurig musterte ich das Manuskript des zweiten Teiles, der nun für
mich und das Publikum verloren war; ich dachte nach über das
Hohngelächter der Welt, wenn der erste nur ein Torso, ein schlechtes
abgerissenes Stück, verachtet auf den Schranken der Leihbibliotheken
sitze, trübselig auf die hohe Versammlung der Romane und Novellen
allerart herabschaue und ihnen ihre abgenützten Gewänder beneide, die
den großen Furor, welchen sie in der Welt machen, beurkunden, wie er
seine andere Hälfte, seinen Nebenmann, den zweiten, herbeiwünsche, um
verbunden mit ihm schöne Damen und Herren zu besuchen, was ihm jetzt,
als einem Invaliden, beinahe unmöglich war. Da wurde mir eines Morgens
ein Brief überbracht, dessen Aufschrift mir bekannte Züge verriet. Ich
riß ihn auf und las:

„Wohlgeborener, sehr verehrter Herr!

Durch den Oberjustizrat Hammel, der vor einigen Tagen das Zeitliche
gesegnet und an mein Hoflager kam, erfuhr ich zu meinem großen Ärger
die miserablen Machinationen, die gegen Euch gemacht wurden. Bildet
Euch nicht ein, daß sie von mir herrühren. Mit großem Vergnügen denke
ich noch immer an unser Zusammentreffen in den drei Reichskronen zu
Mainz, und in meiner jetzigen Zurückgezogenheit und bei meinen vielen
Geschäften im Norden komme ich selten dazu, eine deutsche
Literaturzeitung zu lesen; aber einige Rezensenten, welche ich sprach,
versichern mich, mit welchem Eifer Ihr meine Memoiren herausgegeben
habt und daß das Publikum meine Bemühungen zu schätzen wisse. Der
Prozeß, den man Euch an den Hals warf, kam mir daher um so
unerwarteter. Glaubet mir, es ist nichts als ein schlechter
Kunstgriff, um mich nicht als Schriftsteller aufkommen zu lassen, weil
ich ein wenig über ihre Universitäten schimpfte und die ästhetischen
Tees, und Euch wollen sie nebenbei auch drücken. Lasset Euch dies
nicht kümmern, Wertester; gebet immer den zweiten Teil heraus, im
Notfall könnet Ihr gegenwärtige Schreiben jedermann lesen lassen,
namentlich den Wackerbart; saget ihm, wenn er meine Handschrift nicht
kenne, so kenne ich um so besser die seinige.

Ich kenne diese Leutchen, sie sind Raubritter und Korsaren, die jeden
berühmten Prozeß, der ihnen in die Hände fällt, für g u t e  P r i s e
erklären, und wenn sie ihn festhaben in den Krallen, so lange deuteln
und drehen, bis sie ihn dahin entscheiden können, wo er ihnen am
meisten Ruhm nebst etzlichem Golde einträgt. Was war bei Euch von
beidem zu erheben? Ihr, ein armseliger Doktor der Philosophie und
Magister der brotlosen Künste, was seid Ihr gegen einen persischen
Geheimen Hofrat? Denket also, die Sache sei ganz natürlich zugegangen,
und grämet Euch nicht darüber. Was den persischen Geheimen Hofrat
betrifft, der meine Rolle übernommen hat, so will ich bei Gelegenheit
ein Wort mit ihm sprechen.

Hier lege ich Euch noch ein kleines Manuskriptchen bei, ich habe es in
den letzten Pfingstfeiertagen in Frankfurt aufgeschrieben, es ist im
ganzen ein Scherz und hat nicht viel zu bedeuten; doch schaltet Ihr es
im zweiten Teile ein; es gibt vielleicht doch Leute, die sich dabei
freundschaftlich meiner erinnern.

Gehabt Euch wohl; in der Hoffnung, Eure persönliche Bekanntschaft bald
zu erneuern, bin ich

Euer wohlaffektionierter Freund, d e r  S a t a n."

Man kann sich leicht denken, wie sehr mich dieser Brief freute. Ich
lief sogleich damit zu dem wackern Mann, der meine Sache geführt
hatte; ich zeigte ihm den Brief, ich erklärte ihm, appellieren zu
wollen an ein höheres Gericht und den Originalbrief beizulegen.

Er zuckte die Achseln und sprach: „Lieber, sie wohnen zusammen in e i
n e r Hausmiete, die Kriminalen; ob Ihr um eine Treppe höher steigen
wollet, aus dem Entresol in die Beletage zu den Vornehmeren, das ist
einerlei; Ihr fallet nur um so tiefer, wenn sie Euch durchfallen
lassen. Doch an mir soll es nicht fehlen."

So sprach er und focht für mich mit erneuerten Kräften; doch--was half
es? Sie stimmten ab, erklärten den persischen für den echten,
alleinigen Teufel, der allein das Recht habe, Teufeleien zu schreiben,
und der Prozeß ging auch in der Beletage verloren.

Da faßte mich ein glühender Grimm; ich beschloß, und wenn es mich den
Kopf kosten sollte, doch den zweiten Teil herauszugeben, ich nahm das
Manuskript unter den Arm, raffte mich auf und----erwachte.

Freundlich strahlte die Frühlingssonne in mein enges Stübchen, die
Lerchen sangen vor dem Fenster, und die Blütenzweige winkten herein,
mich aufzumachen und den Morgen zu begrüßen.

Verschwunden war der böse Traum von Prozessen, Justizräten,
Klein=Justheim und alles, was mir Gram und Ärger bereitete,
verschwunden, spurlos verschwunden.

Ich sprang auf von meinem Lager, ich erinnerte mich, den Abend zuvor
bei einigen Gläsern guten Weins über einen ähnlichen Prozeß mit
Freunden gesprochen zu haben; da war mir nun im Traume alles so
erschienen, als hätte ich selbst den Prozeß gehabt, als wäre ich
selbst verurteilt worden von Kriminalrichtern und Klein=Justheimer
Schöppen.

Ich lächelte über mich selbst. Wie pries ich mich glücklich, in einem
Lande zu wohnen, wo dergleichen juridische Exzesse gar nicht
vorkommen, wo die Justiz sich nicht in Dinge mischt, die ihr fremd
sind, wo es keine Wackerbarte gibt, die einen solchen Fund für gute
Prise erklären, das Recht zum Gliedermann machen und drauflos
hantieren und drehen, ob es biege oder breche, wo man Erzeugnisse des
Geistes nicht als Ware handhabt und Satire versteht und zu würdigen
weiß, wo man weder auf den Titel eines persischen Geheimen Hofrats,
noch auf irgend dergleichen Rücksicht nimmt.

So dachte ich, pries mich glücklich und verlachte meinen komischen
Prozeßtraum.

Doch wie staunte ich, als ich hintrat zu meinem Arbeitstisch! Nein, es
war keine Täuschung, da lag er ja, der Brief des Satans, wie ich ihn
im Traume gelesen, da lag das Manuskript, das er mir im Brief
verheißen. Ich traute meinen Sinnen kaum, ich las, ich las wieder, und
immer wurde mir der Zusammenhang unbegreiflicher.

Doch ich konnte ja nicht anders, ich mußte seinen Wink befolgen und
seinen „Besuch in Frankfurt" dem zweiten Teile einverleiben.

Ich gestehe, ich tat es ungern. Ich hatte schon zu diesem Teile alles
geordnet; es fand sich darin eine Skizze, die nicht ohne Interesse zu
lesen war, ich meine die Szene, wie er mit Napoleon eine Nacht in
einer Hütte von Malojaroßlawez zubrachte und wie von jenen
Augenblicken an so vieles auf geheimnisvolle Weise sich gestaltet im
Leben jenes Mannes, dem selbst der Teufel Achtung zollen mußte.
vielleicht--weil er ihm nicht beikommen konnte, doch--vielleicht ist
es möglich, dieses merkwürdige Aktenstück dem Publikum an einem andern
Orte mitzuteilen.

Noch war ich mit Durchsicht und Ordnen der Papiere beschäftigt, da
wurde die Türe aufgerissen, und mein Freund Moritz stürzte ins Zimmer.

„Weißt du schon?" rief er. „Er hat ihn verloren."

„Wer? Was hat man verloren?"

„Nun, von was wir gestern sprachen, den Prozeß gegen Clauren meine
ich, wegen des M a n n e s  i m  M o n d e!"

„Wie? Ist es möglich!" entgegnete ich, an meinen Traum denkend. „Unser
Freund, der Kandidatus Bemperlein? Den Prozeß?"

„Du kannst dich drauf verlassen; soeben komme ich vom Museum, der
Verleger sagte es mir, soeben wurde ihm das Urteil publiziert."

„Aber wie konnte dies doch geschehen, Moritz? War er etwa auch in
Klein=Justheim anhängig?"

„Klein=Justheim? Du fabelst, Freund!" erwiderte der Freund, indem er
besorgt meine Hand ergriff. „Was willst du nur mit Klein=Justheim, wo
gibt es denn einen solchen Ort?"

„Ach," sagte ich beschämt, „du hast recht; ich dachte an--meinen
Traum."

       *       *       *       *       *




MEIN BESUCH IN FRANKFURT.

1. WEN DER SATAN AN DER _TABLE D'HÔTE_ IM WEISSEN SCHWAN SAH.


Kommt man um die Zeit des Pfingstfestes nach Frankfurt, so sollte man
meinen, es gebe keine heiligere Stadt in der Christenheit; denn sie
feiern daselbst nicht, wie z. B. in Bayern eineinhalb oder, wie im
Kalender vorgeschrieben, zwei Festtage, sondern sie rechnen vier
Feiertage; die Juden haben deren sogar fünf; denn sie fangen in
Bornheim ihre heiligen Übungen schon am Samstag an, und der Bundestag
hat sogar acht bis zehn.

Diese Festtage gelten aber in dieser Stadt weniger den wunderbaren
Sprachkünsten der Apostel als mir. Was die berühmtesten Mystiker am
Pfingstfeste morgens den guten Leutchen ans Herz gelegt, was die
immensesten Rationalisten mit moralischer Salbung verkündet hatten,
das war so gut als in den Wind gesprochen. Die Fragen: „Ob man am
Montag oder am Dienstag, am zweiten oder dritten Feiertag ins W ä l d
c h e n gehen, ob es nicht anständiger wäre, ins Wilhelmsbad zu
fahren, ob man am vierten Feiertag nach Bornheim oder ins Vauxhall
gehen sollte, oder beides," diese Fragen scheinen bei weitem wichtiger
als jene, die doch für andächtige Feiertagsleute viel näher lag: „Ob
die Apostel damals auch Englisch und Plattdeutsch verstanden haben?"

Muß ein so aufgeweckter Sinn den Teufel nicht erfreun, der an solchen
Tagen mehr Seelen für sich gewinnt als das ganze Judenquartier in
einer guten Börsenstunde Gulden? Auch diesmal wieder kam ich zu
Pfingsten nach Frankfurt. Leuten, die, von einem berühmten
Belletristen verwöhnt, alles bis auf kleinste Detail wissen wollen,
diene zur Nachricht, daß ich im Weißen Schwanen auf Nr. 45 recht gut
wohnte, an der großen _Table d'hôte_ in angenehmer Gesellschaft
trefflich speiste; den Küchenzettel mögen sie sich übrigens von dem
Oberkellner ausbitten.

Schon in der ersten Stunde bemerkte ich ein Seufzen und Stöhnen, das
aus dem Zimmer nebenan zu dringen schien. Ich trat näher, ich hörte
deutlich, wie man auf gut deutsch fluchte und tobte, dann Rechnungen
und Bilanzen, die sich in viele Tausende beliefen, nachzählte, und
dann wieder wimmerte und weinte wie ein Kind, das seiner Aufgabe für
die Schule nicht mächtig ist.

Teilnehmend, wie ich bin, schellte ich nach dem Kellner und fragte
ihn, wer der Herr sei, der nebenan so überaus kläglich sich gebärde?

„Nun," antwortete er, „das ist der stille Herr." „Der stille Herr?
Lieber Freund, das gibt mir noch wenig Aufschluß. Wer ist er denn?"

„Wir nennen ihn hier im Schwan den stillen Herrn oder auch den
Seufzer; er ist ein Kaufmann aus Dessau, nennt sich sonst Zwerner und
wohnt schon seit vierzehn Tagen hier."

„Was tut er denn hier? Ist ihm ein Unglück zugestoßen, daß er gar so
kläglich winselt?"

„Ja, das weiß ich nicht," erwiderte er, „aber seit dem zweiten Tag,
daß er hier ist, ist sein einziges Geschäft, daß er zwischen zwölf und
ein Uhr in der neuen Judenstraße auf= und abgeht, und dann kommt er zu
Tisch, spricht nichts, ißt nichts, und den ganzen Tag über jammert er
ganz stille und trinkt Kapwein."

„Nun, das ist keine schlimme Eigenschaft," sagte ich, „setzen Sie mich
doch heute mittag in seine Nähe." Der Kellner versprach es, und ich
lauschte wieder auf meinen Nachbar. „Den zwölften Mai," hörte ich ihn
stöhnen, „Metalliques 83 3/4, österreichische Staatsobligationen 87
3/8, Rothschildische Lotterielose, der Teufel hat sie erfunden und
gemacht! 132, preußische Staatsschuldscheine 81! O Rebekka! Rebekka!
Wo will das hinaus! 81! Die Preußen! Ist denn gar keine Barmherzigkeit
im Himmel?"

So ging es eine Zeitlang fort; bald hörte ich ihn ein Glas Kapwein zu
sich nehmen und ganz behaglich mit der Zunge dazu schnalzen; bald
jammerte er wieder in den kläglichsten Tönen und mischte die Konsols,
die Rothschildschen Unverzinslichen und seine Rebekka auf
herzbrechende Weise untereinander. Endlich wurde er ruhiger. Ich hörte
ihn sein Zimmer verlassen und den Gang hinabgehen; es war wohl die
Stunde, in welcher er durch die neue Judenstraße promenierte.

Der Kellner hatte Wort gehalten. Er wies, als ich in den Speisesaal
trat, auf einen Stuhl: „Setzen sich der Herr Doktor nur dorthin,"
flüsterte er, „zu Ihrer Rechten sitzt der Seufzer." Ich setzte mich,
ich betrachtete ihn von der Seite. Wie man sich täuschen kann! Ich
hatte einen jungen Mann von melancholischem, gespenstischem Aussehen
erwartet, wie man sie heutzutage in großen Städten und Romanen trifft,
etwas bleichschmachtend und fein wie Eduard, von der Verfasserin der
Ourika, oder von schwächlichem, beinahe liederlichem Anblick wie
einige Schopenhauersche oder Pichlersche Helden. Aber gerade das
Gegenteil; ich fand einen untersetzten, runden jungen Mann mit
frischen, wohlgenährten Wangen und roten Lippen, der aber die trüben
Augen beinahe immer niederschlug und um den hübschen Mund einen
weinerlichen Zug hatte, welcher zu diesem frischen Gesicht nicht recht
paßte.

Ich versuchte, während ich ihm allerlei treffliche Speisen anbot,
einigemal mit ihm ins Gespräch zu kommen, aber immer vergeblich; er
antwortete nur durch eine Verbeugung, begleitet von einem
halbunterdrückten Seufzer. In solchen Augenblicken schlug er dann wohl
die Augen auf, doch nicht, um auf mich zu blicken; er warf nur einen
scheuen, finstern Blick geradeaus und sah dann wieder seufzend auf
seinen Teller.

Ich folgte einem dieser Blicke und glaubte zu bemerken, daß sie einem
Herrn gelten mußten, der uns gegenüber saß und schon zuvor meine
Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.

Er war gerade das Gegenteil von meinem Nachbar rechts. Seine schon
etwas kahle, gefurchte Stirne, sein bräunliches, eingeschnurrtes
Gesicht, seine schmalen Wangen, seine spitze, weit hervortretende Nase
deuteten darauf hin, daß er die fünfundvierzig Jährchen, der er haben
mochte, etwas s c h n e l l verlebt habe. Den auffallendsten Kontrast
mit diesen verwitterten, von Leidenschaften durchwühlten Zügen bildete
ein ruhiges, süßliches Lächeln, das immer um seinen Mund schwebte, die
zierliche Bewegung seiner Arme und seines Körperchens, wie auch seine
sehr jugendliche und modische Kleidung.

Es saßen etwa fünf oder sechs junge Damen an der Tafel, und nach den
zärtlichen Blicken, die er jeder zusandte, dem süßen Lächeln, womit er
seine Blicke begleitete, zu urteilen, mußte er mit allen in genauen
Verhältnissen stehen. Dieser Herr hatte, wenn er mit der
abgestorbenen, knöchernen Hand einen Spargel zum Munde führte und
süßlich dazu lächelte, die größte Ähnlichkeit mit einem rasierten
Kaninchen, während mein Nachbar rechts wie ein melancholischer Frosch
anzusehen war.

Warum übrigens der Seufzer das Kaninchen mit so finstern Augen maß,
konnte ich nicht erraten. Endlich, als die Blicke meines Nachbars
düsterer und länger als gewöhnlich auf jenem ruhten, fing das
Kaninchen an, die Schultern und Arme graziös hin und her zu drehen,
den Rücken auf künstliche Art auszudehnen und das spitzige Köpfchen
nach uns herüber zu drehen; mit süßem Lächeln fragte er: „Noch immer
so düster, mein lieber Monsieur Zwerner? Etwa gar eifersüchtig auf
meine Wenigkeit?"

An dem zarten Lispeln, an der künstlichen Art, das r wie gr
auszusprechen, glaubte ich in ihm einen jener adeligen Salonmenschen
zu erkennen, die von einer feinen, leisen Sprache Profession machen.
Und so war es; denn mein Nachbar antwortete: „Eifersüchtig, Herr
Graf?--Auf S i e in keinem Fall."

Graf Rebs--so hörte ich ihn später nennen--faltete sein Mäulchen zu
einem feinen Lächeln, drückte die Augen halb zu, bog die Spitznase auf
komische Weise seitwärts, strich mit der Hand über sein langes,
knöchernes Kinn und kicherte:

„Das ist schön von Ihnen, lieber Monsieur Zwerner; also gar nicht
eifersüchtig? Und doch habe ich die schöne Rebekka erst gestern abend
noch in ihrer Loge gesprochen. Ha, ha! Sie standen im Parterre und
schauten mit melancholischen Blicken herauf. Darf ich Sie um jenes
Ragout bitten, mein Herr?"

„Ich war allerdings im Theater, habe aber nur vorwärts aufs Theater
und nicht rückwärts gesehen, am wenigsten mit melancholischen
Blicken."

„Herr Oberkellner," lispelte der Graf, „Sie haben die Trüffeln
gespart. Aber nein! Monsieur Zwerner, wie man sich täuschen kann! Ich
hätte auf Ehre geglaubt, Sie schauten herauf in die Loge mit
melancholischen Blicken. Auch Rebekka mochte es bemerken und Fräulein
von Rothschild; denn als ich auf Sie hinabwies--Kellner, ich trinke
heute lieber roten Ingelheimer, ein Fläschchen--ja, wollte ich sagen--
das ist mir nun während des Ingelheimers gänzlich entfallen; so geht
es, wenn man so viel zu denken hat."

Meinem Nachbar mochte das unverzeihlich schlechte Gedächtnis des
Grafen nicht behagen; obgleich er vorhin das Kaninchen ziemlich barsch
abgewiesen hatte, so schien ihm doch dieser Punkt zu interessant, als
daß er nicht weiter geforscht hätte. „Nun, auch Fräulein von
Rothschild hat bemerkt, daß ich melancholisch hinaussah?" fragte er,
indem er seine bitteren Züge durch eine Zutat von Lächeln zu versüßen
suchte; „freilich, diese hat ein scharfes Gesicht durch die Lorgnette--".

„Richtig, das war es," erwiderte Rebs, „das war es; ja, als ich auf
Sie hinabwies und Rebeckchen Ihre Leiden anschaulich machte, schlug
sie mich mit ihrem Jocofächer auf die Hand und nannte mich einen
Schalk."

Mein Nachbar wurde wieder finster, seine roten Wangen röteten sich
noch mehr, und die ansehnliche Breite seines Gesichtes erweiterte sich
noch durch wilden Trotz, der in ihm wütete. Er zog den Kopf tief in
die Schultern und blitzte das Kaninchen hin und wieder mit einem
grimmigen Blicke an. Er hatte nie so große Ähnlichkeit mit einem
angenehmen Froschjüngling, der an einem warmen Juniabend trauernd auf
dem Teichel sitzt, als in diesem Augenblicke.

Graf Rebs bemerkte dies. Mit angenehmer Herablassung, wobei er das r
noch mehr schnurren ließ als zuvor, sprach er: „Werter Monsieur
Zwerner, Sie dürfen aus dem Schlag mit dem Jocofächer keine argen
Folgerungen ziehen. Es ist nur eine _façon de parler_ unter
Leuten von gutem Ton. Wegen meiner dürfen Sie ruhig sein. Zwar solange
man jung ist," fuhr er fort, indem er den Halskragen höher heraufzog
und schalkhaft daraus hervorsah, wie das Kaninchen aus dem Busch,
„zwar so lange man jung ist, macht man sich hie und da ein Späßchen.
Aber ein ganz anderer Gegenstand fesselt mich jetzt, Liebster! Haben
Sie schon die Nichte des englischen Botschafters gesehen, die seit
drei Tagen hier in Frankfurt ist?"

„Nein," antwortete mein Nachbar, leichter atmend.

„O, ein deliziöses Kind! Augenbrauen wie, wie--wie mein Rock hier,
einen Mund zum Küssen und in dem schönen Gesicht so etwas Pikantes,
ich möchte sagen so viel englische Rasse. Nun, wir sind hier unter
uns; ich kann Sie versichern, es ist auffallend, aber wahr, ich sollte
es nicht sagen, es beschämt mich, aber auf Ehre, Sie können sich
darauf verlassen, obgleich es ein ganz komischer Fall ist, übrigens
hoffe ich, mich auf Ihre Diskretion verlassen zu können, nein, es ist
wirklich auffallend, in drei Tagen ..."

„Nun, so bitte ich Sie doch um Gottes willen, Herr Graf, was wollen
Sie denn sagen?"

Es war ein eigener Genuß, das Kaninchen in diesem Augenblicke
anzusehen. Ein Gedanke schien ihn zu kitzeln; denn er kniff die
Äuglein zu, sein Kinn verlängerte sich, seine Nase bog sich abwärts
nach den Lippen, und sein Mund war nur noch eine dünne, zarte Linie;
dazu arbeitete er mit dem zierlich gekrümmten Rücken und den
Schulterblättern, als wolle er anfangen zu fliegen, und mit den
abgelebten Knöcheln seiner Finger fuhr er auf dem Tisch umher. Noch
einmal mußte der Seufzer ihn ermuntern, sein Geheimnis preiszugeben,
bis er endlich hervorbrachte: „Sie ist in mich verliebt! Sie staunen;
ich kann es Ihnen nicht übelnehmen; auch mir wollte es anfangs
sonderbar bedünken, in so kurzer Zeit; aber ich habe meine sicheren
Kennzeichen, und auch andere haben es bemerkt."

„Sie Glücklicher!" rief der Seufzer nicht ohne Ironie. „Wo Sie nur
hintippen, schlagen Ihnen Herzen entgegen; übrigens rate ich, diese
Engländerin ernstlicher zu verfolgen; bedenken Sie, eine so solide
Partie--"

„Merke schon, merke schon," entgegnete Rebs mit schlauem Lächeln, „es
ist Ihnen um Rebekka, Sie wollen, ich solle dort gänzlich aus dem
Felde ziehen. Solide Partie! Sie werden doch nicht meinen, daß ich
schon heiraten will? Gott bewahre mich! Aber wegen Rebeckchen dürfen
Sie ruhig sein; ich ziehe mich gänzlich zurück. Und sollte vielleicht
eine vorübergehende Neigung in dem Mädchen--Sie verstehen mich schon--
das wird sich bald geben; ich glaube nicht, daß sie mich ernstlich
geliebt hat."

„Ich glaube auch nicht," entgegnete der Seufzer mit einem Ton, in
welchem sich bittere Ironie mit Grimm mischte. Die Gesellschaft stand
auf, wir folgten. Graf Rebs tänzelte lächelnd zu den Damen, welchen er
während der Tafel so zärtliche Blicke zugeworfen; ich aber folgte dem
unglücklichen Seufzer.

       *       *       *       *       *




2. TROST FÜR LIEBENDE.


„Was war doch dies für ein sonderbarer Herr?" fragte ich meinen
Nachbar, indem ich mich dicht an ihn anschloß. „Findet er wirklich bei
den Damen so sehr Beifall, oder ist er ein wenig verrückt?"

„Ein Geck ist er, ein Narr!" rief der Seufzende, indem er mit dem Kopf
aus den Schultern herausfuhr und die Arme umherwarf. „Ein alter
Junggeselle von fünfundvierzig, und spielt noch den ersten Liebhaber.
Eitel, töricht, glaubt, jede Dame, die er aus seinen kleinen Äuglein
anblinzelt, sei in ihn verliebt, drängt sich überall an und ein--"

„Nun, da spielt dieser Graf Rebs eine lächerliche Rolle in der
Gesellschaft, da wird er wohl überall verhöhnt und abgewiesen?" „Ja,
wenn die Damen dächten, wie Sie, wertgeschätzter Herr! Aber so
lächerlich dieser Gnome ist, so töricht er sich überall gebärdet, so--
oh--Rebekka! der Teufel hat die Weiberherzen gemacht."

„Ei, ei," sagte ich, indem ich schnell Nr. 45 aufschloß und den
Verzweifelnden hineinschob, „ei! lieber Herr Zwerner, wer wird so arge
Beschuldigungen ausstoßen? Und auf Fräulein Rebekka--setzen Sie sich
doch gefälligst aufs Sofa--auf das Fräulein sollte er auch Eindruck
gemacht haben, dieser Gliedermann?"

„Ach, nicht er, nicht er. Sie sieht, daß er lächerlich ist und
geckenhaft, und doch kokettiert sie mit ihm. Nicht mit ihm, sondern
mit seinem Titel. Es schmeichelt ihr, einen Grafen in ihrer Loge zu
sehen oder auf der Promenade von ihm begrüßt zu werden; vielleicht,
wenn sie eine Christin wäre, hätte sie einen solidern Geschmack."

„Wie, das Fräulein ist eine Jüdin?"

„Ja, es ist ein Judenfräulein. Ihr Vater ist der reiche Simon in der
neuen Judenstraße. Das große gelbe Haus neben dem Herrn von
Rothschild, und eine Million hat er, das ist ausgemacht."

„Sie haben einen soliden Geschmack. Und wie ich aus dem Gespräch des
Grafen bemerkt habe, können Sie sich einige Hoffnung machen?"

„Ja," erwiderte er ärgerlich, „wenn nicht der Satan das Papierwesen
erfunden hätte. So stehe ich immer zwischen Türe und Angel. Glaube ich
heute einen festen Preis, ein sicheres Vermögen zu haben, um vor Herrn
Simon zu treten und sagen zu können: ‚Herr, wir wollen ein kleines
Geschäft machen miteinander; ich bin das Haus Zwerner u. Komp. aus
Dessau, stehe so und so, wollen Sie mir Ihre Tochter geben?' Glaube
ich nun so sprechen zu können, so läßt auf einmal der Teufel die
Metalliques um zwei, drei Prozent steigen, ich verliere, und meinem
Schwiegerpapa, der daran gewinnt, steigt der Kamm um so viele Prozente
höher, und an eine Verbindung ist dann nicht mehr zu denken."

„Aber kann denn nicht der Fall eintreten, daß S i e gewinnen?"

„Ja, und dann bin ich so schlecht beraten wie zuvor. Herr Simon ist
von der Gegenpartei. Gewinne ich nun durch das Sinken dieser oder
jener Papiere, so verliert er ebensoviel, und dann ist nichts mit ihm
anzufangen; denn er ist ein ausgemachter Narr und reif für das
Tollhaus, wenn er verliert. Ach, und aus Rebeckchen, so gut sie sonst
ist, guckt auf allen Seiten der jüdische Geldteufel heraus."

„Wie, sollte es möglich sein, eine junge Dame sollte so sehr nach Geld
sehen?"

„Da kennen Sie die Mädchen, wie sie heutzutage sind, schlecht,"
erwiderte er seufzend. „Titel oder Geld, Geld oder Titel, das ist es,
was sie wollen. Können sie sich durch einen Leutnant zur gnädigen Frau
machen lassen, so ist er ihnen eben recht, hat ein Mann wie ich Geld,
so wiegt dies den Adel zur Not auf, weil derselbe gewöhnlich keines
hat."

„Nun, ich denke aber, das Haus Zwerner u. Komp. in Dessau hat Geld;
woher also Ihr Zweifel an der Liebe des Fräuleins?"

„Ja, ja!" sagte er etwas freundlicher, „wir haben Geld, und so viel,
um immer mit Anstand um eine Tochter des Herrn Simon zu freien; aber
Sie kennen die Frankfurter Mädchen nicht; werter Herr! Ist von einem
angenehmen, liebenswürdigen jungen Manne die Rede, so fragen sie: Wie
steht er? Steht er nun nicht nach allen Börsenregeln solid, so ist er
in ihren Augen ein Subjekt, an das man nicht denken muß."

„Und Rebekka denkt auch so?"

„Wie soll sie andere Empfindungen kennen lernen in der neuen
Judenstraße? Ach, ihre Neigung zu mir wechselt nach dem Cours der
Börsenhalle! Man weiß hier, daß ich mich verführen ließ, viele
Metalliques und preußische Staatsschuldscheine zu kaufen. Mein
Interesse geht mit dem der hohen Mächte und mit dem Wohl Griechenlands
Hand in Hand. Verliert die Pforte, so gewinne ich und werde ein
reicher Mann. Gewinnt der Großtürke und sein Reis=Effendi, so bin ich
um zwanzigtausend Kaisergulden ärmer und nicht wehr würdig, um sie zu
freien. Das weiß nun das liebenswürdige Geschöpf gar wohl, und ihr
Herz ist geteilt zwischen mir und dem Vater. Bald möchte sie gerne,
daß die Pforte das Ultimatum annehme, um mein Glück zu fördern; bald
denkt sie wieder, wieviel ihr Vater durch diese Spekulation des Herrn
von Metternich verlieren könnte, und wünscht dem Effendi soviel
Verstand als möglich. Ich Unglücklicher!"

„Aber, lieben Sie denn wirklich dieses edle Geschöpf?" fragte ich.

Tränen traten ihm in die Augen, ein tiefer Seufzer stahl sich aus
seiner Brust. „Wie sollte ich sie nicht lieben?" antwortete er.
„Bedenken Sie, fünfzigtausend Taler Mitgift, und nach des Vaters Tod
eine halbe Million, und wenn Gott den Israelchen zu sich nimmt, eine
ganze. Und dabei ist sie vernünftig und liebenswürdig, hat so was
Feines, Zartes, Orientalisches; ein schwarzes Auge voll Glut, eine
kühn geschwungene Nase, frische Lippen; der Teint, wie ich ihn liebe,
etwas dunkel und dennoch rötlich. Ha! und eine Figur! Herr! Wie sollte
man solches Geschöpf nicht lieben?"

„Und haben Sie keinen Rival als den Gnomen, den Grafen Rebs?"

„O, einige Judenjünglinge, bedeutende Häuser, buhlen um sie, aber ihr
Sinn steht nach einem soliden Christen. Sie weiß, daß bei uns alles
nobler und freier geht als bei ihrem Volk, und schämt sich, in guter
Gesellschaft für eine Jüdin zu gelten. Daher hat sie sich auch den
Frankfurter Dialekt ganz abgewöhnt und spricht Preußisch. Sie sollten
hören, wie schön es klingt, wenn sie sagt: ‚Ißßt es möglich?' oder:
‚Es jinge wohl, aber es jeht nich.'"

Der Seufzer gefiel mir. Es ist ein eigenes, sonderbares Volk, diese
jungen Herren vom Handelsstand. Sie bilden sich hinter ihrem
Ladentisch eine eigene Welt von Ideen, die sie aus den trefflichsten
Romanen der Leihbibliotheken sammeln. Sie sehen die Menschen, die
Gesellschaft nie, es sei denn, wenn sie abends durch die Promenade
gehen, oder Sonntags, gekleidet wie Herren _comme il faut_, auf
Kirchweihen oder sonstigen Plätzen sich amüsieren. Reisen sie hernach,
so dreht sich ihr Ideengang um ihre Musterkarte und die schöne Wirtin
der nächsten Station, welche ihnen von einem Kameraden und Vorgänger
empfohlen ist, oder um die Kellnerin des letzten Nachtlagers, die, wie
sie glauben, noch lange um den schönen, wohlgewachsenen jungen Mann
weinen wird. Sie haben irgendwo gelesen oder gehört, daß der
Handelsstand gegenwärtig viel zu bedeuten habe; drum sprechen sie mit
Ehrfurcht von sich und ihrem Wesen, und nie habe ich gefunden, daß
einer von sich sagte: „Kaufmann oder Bänderkrämer", sondern: „Ich
reise in Geschäften des Hauses Bäuerlein oder Zwierlein", und fragt
man, in welchen Artikeln, so kann man unter zehn auf neun rechnen, sie
ganz bescheiden antworten zu hören: „Knöpfe, Haften und Haken, Tabak,
Schnupf= und Rauch=, und dergleichen bedeutende Artikel." Haben sie
nun gar im Städtchen ihrer Heimat ein Schätzchen zurückgelassen, so
darf man darauf rechnen, sie werden, wenn von Liebe die Rede ist, ihre
sehr interessante Geschichte erzählen, wie sie Fräulein Jettchen beim
Mondschein kennen gelernt haben, sie werden die Brieftasche öffnen und
unter hundert Empfehlungsbriefen, Annoncen von Gasthöfen usw. ein
Seidenpapier hervorziehen, das ein Pröbchen Haar von der Stirne der
Geliebten enthält.

Glückliche Nomaden! Ihr allein seid noch heutzutage die fahrenden
Ritter der Christenheit. Und wenn es euch auch nicht zukömmt, mit
eingelegter Lanze _à la_ Don Quichotte eurer Jungfrauen Schönheit
zu verteidigen, so richtet ihr doch in jeder Kneipe nicht weniger
Verwüstung an, wie jener mannhafte Ritter, und seid überdies meist
euer eigener Sancho Pansa an der Tafel.

Eine solche liebenswürdige Erziehung, aus Kontorspekulationen,
Romanen, Mondscheinliebe und Handelsreisen zusammengesetzt, schien
nun auch mein Nachbar Seufzer genossen zu haben. Nur etwas fehlte
ihm, er war zu ehrlich. Wie leicht wäre es für einen Mann von
Zweimalhunderttausend gewesen, Kuriere nicht von H ö c h s t oder von
L a n g e n, sondern von W i e n, sogar mit a u t h e n t i s c h e n
Nachrichten kommen zu

lassen, um seinem Glücke aufzuhelfen. Ist denn auf der Erde nicht
alles um Geld feil? Und wenn Rothschild mit Geld etwas machen kann,
warum sollte es ein anderer nicht auch können, wenn sein Geld
ebensogut ist als das des großen Makkabäers?

Zwar e i n solcher Sperling wagt keinen Sommer. E i n e solche
Handelsseele mehr oder weniger mein, kann mir nicht nützen. Doch die
Nuancen ergötzen mich, jenes bunte Farbenspiel, bis ein solcher Hecht
ins Netz geht, und darum beschloß ich, ihm zu nützen, ihn zu fangen.

„Ich bin," sagte ich zu ihm, „ich bin selbst einigermaßen
Papierspekulant; daher werden Sie mir vergeben, wenn ich Ihre
bisherigen Verfahrungsarten etwas sonderbar finde."

„Wie meinen Sie das?" fragte er verwundert. „Als ich in Dessau war,
ließ ich mir nicht jeden Posttag den Kurszettel schicken? Und hier,
gehe ich nicht jeden Tag in die Börsenhalle? Gehe ich nicht jeden Tag
in die neue Judenstraße, um das Neueste zu erfragen?"

„Das ist es nicht, was ich meine. Ein Genie wie Sie, Herr Zwerner (er
verbeugte sich lächelnd), das heißt, ein Mann mit diesen Mitteln, der
etwas wagen will, muß s e l b s t eingreifen in den Lauf der Zeiten."

„Aber mein Gott," rief er verwunderungsvoll, „das kann ja jetzt
niemand als der Rothschild, der Reis=Effendi und der Herr von
Metternich. Wie meinen Sie denn?"

„Über Ihr Glück, Sie geben es selbst zu, kann ein einziger Tag, eine
einzige Stunde entscheiden. Zum Beispiel, wenn die Pforte das
Ultimatum verwirft, die Nachricht schnell hierher kommt, kann eine
Krisis sich bilden, die Sie stürzt. Ebenso im Gegenteil können Sie
durch eine solche Nachricht sehr gewinnen, weil dann Ihre Papiere
steigen?"

„Gewiß, gewiß," seufzte er. „Aber ich sehe nur noch nicht recht ein--"

„Nur Geduld. Wer gibt nun diese Nachricht, wer bekommt sie? Das
Ministerium in Wien oder ein guter Freund, der sehr nahe hingehorcht
und dem g r o ß e n  P o r t i e r ein Stück Geld in die Hand gedrückt
hat, läßt noch in der Nacht einen Kurier aufsitzen. Der reitet und
fährt und fliegt nach Frankfort und bringt die Depesche--wem?"

„Ach, dem Glücklichsten, dem Vornehmsten!"

„Nein, dem, der am besten zahlt. Einen solchen Kurier kann ich Ihnen
um Geld auch verschaffen, ich habe Konnexionen in Wien. Man kann dort
mancherlei erfahren, ohne gerade der österreichische Beobachter zu
sein. Kurz, wir lassen einen Brief mit der Nachricht einer wichtigen
Krisis, eines bedeutenden Vorfalles kommen--"

„Etwa, der Sultan habe einen Schlag bekommen, oder der Kaiser von
Rußland sei plötzlich--"

„Nichts davon, das ist zu wahrscheinlich, als daß es die Leute
glauben! Unwahrscheinliches, Überraschendes muß auf der Börse
wirken!"--

„Also etwa, der Fürst von M. sei ein Türke geworden, habe dem Islam
geschworen?"

„Ich sage Ihnen ja, nichts Wahrscheinliches. Nein, geradezu, die
Pforte habe das Ultimatum angenommen. Bekommen Sie nun diese Nachricht
mit allem möglichen geheimnisvollen Wesen, lassen Sie den Kurier
sogleich ein paar Stationen weiter reisen, lassen Sie den Brief einige
Geheimniskrämer lesen, gehen kurze Zeit darauf in die Börsenhalle, so
kann es nicht fehlen, Sie sind ein wichtiger Mann und setzen Ihre
Papiere mit Gewinn ab."

„Aber, lieber Herr," erwiderte der Kaufmann von Dessau kläglich, „das
wäre ja denn doch erlogen, wie man zu sagen pflegt, eine Sünde für
einen rechtlichen Mann; bedenken Sie, ein Kaufmann muß im Geruch von
Ehrlichkeit stehen, will er Kredit haben."

„Ehrlichkeit, Possen! Geld, Geld, das ist es, wonach er riechen muß,
und nicht nach Ehrlichkeit. Und was nennen Sie am Ende Ehrlichkeit? Ob
Sie Ihre Kunden bei einem Pfund Kaffee betrügen, ob Sie einem alten
Weibe ihr Lot Schnupftabak zu leicht wiegen, oder ob Sie dasselbe
Experiment im großen vornehmen, das ist am Ende dasselbe."

„Ei, verzeihen Sie, da muß ich denn doch bitten; an der Prise, die das
Weib zu wenig bekommt, stirbt sie nicht, wie man zu sagen pflegt; aber
wenn ich einen solchen Kurier kommen lasse, so kann er durch seine
falsche Nachricht ein Nachrichter der ganzen Börse werden; viele
Häuser können fallieren, andere wanken und den Kredit verlieren, und
das wäre dann meine Schuld!"

„So, mein Herr?" sagte ich mit mitleidigem Lächeln zu der schwachen
Seele. „So, Sie schämen sich nicht, die Moral, das Herrlichste, was
man auf Erden hat, so zu verhunzen? Also wegen der Folgen wollen Sie
nicht? Nicht vor dem Beginnen an sich, als einem unmoralischen, beben
Sie zurück? Wer den Anfang einer Tat nicht scheut, darf auch ihr Ende
nicht scheuen, ohne für eine kleine Seele zu gelten. Oder glauben Sie,
eine Rebekka könne man dadurch verdienen, daß man im Weißen Schwanen
wohnt und seufzt, daß man zur Tafel geht und mit dem Kaninchen, dem
Grafen Rebs, grollt?"

„Aber, mein Herr," rief der Seufzer etwas pikiert, „ich weiß gar
nicht, was Sie mir, als einem ganz Fremden, für eine Teilnahme
erzeigen; ich weiß gar nicht, wie ich das nehmen soll?"

„Mein Herr, das haben Sie sich selbst zuzuschreiben; Sie haben mir
Ihre Lage entdeckt und mich gleichsam um Rat gefragt; daher meine
Antwort. Übrigens bin ich ein Mann, der reist, um überall das
Treffliche und Erhabene kennen zu lernen. In Ihnen glaubte ich gleich
auf den ersten Anblick solches gefunden zu haben;--"

„Bitte recht sehr, eine so ganz gewöhnliche Physiognomie wie die
meine--"

„Das können Sie nicht so beurteilen wie ein anderer; auf Ihrer Stirne
thront etwas Freies, Mutiges, um Ihren Mund weht ein anziehender
Geist--"

„Finden Sie das wirklich?" rief er, indem er lächelnd meine Hand faßte
und verstohlen nach dem Spiegel blickte. „Es ist wahr, man hat mir
schon dergleichen gesagt, und in Stuttgart hat man mich sogar
versichert, ich sei dem berühmten Dannecker auf der Straße
aufgefallen, und er sei eigens deswegen einigemal in den König von
England gekommen, um von mir etwas für seinen Johannes abzusehen."

„Nun sehen Sie, wie muß es nun einen Mann, wie ich bin, überraschen,
so wenig Mut, so wenig Entschluß hinter dieser freien Stirne, diesem
mutigen Auge zu finden!"

„Ach, Sie nehmen es auch zu strenge; ich habe ja Ihren Vorschlag
durchaus nicht verworfen, nur einiges Bedenken, einige kleine Zweifel
stiegen in mir auf, und--nun Sie haben wahrlich nicht unrecht, ich
fühle einen gewissen Mut, eine gewisse Freiheit in mir, es ist ein
gewisses Etwas, ja--so gut es ein anderer tun kann, will ich es auch
versuchen. Es sei, wie Sie sagten, ich will es daranrücken und einen
Kurier kommen lassen; wir wollen die Metalliques steigern!"

       *       *       *       *       *




3. EIN SCHABBES IN BORNHEIM.


Der einzige Zweifel, der den seufzenden Dessauer noch quälte, war die
Furcht, den Vater seiner Geliebten in bedeutenden Verlust zu stürzen,
wenn er seine Operation nach meinem Plane einrichte. Doch auch dafür
wußte ich ein gutes, sehr einfaches Mittel. Er mußte den Herrn Simon
in der neuen Judenstraße auf seine Seite bringen, mußte ihm bedeutende
Winke von der nahenden Krisis geben; entweder nahm dann der Jude an
dem ganzen Unternehmen unbewußt teil und gewann zugleich mit dem
Dessauer, oder er war wenigstens gewarnt und mußte einige Achtung vor
dem Manne bekommen, der so genau die politischen Wendungen zu
berechnen wußte, der seine Kombinationen so geschickt zu machen
verstand.

Dem Kaufmann leuchtete dies ein. Er kam von selbst auf den Gedanken,
noch an diesem Tage mit dem alten Simon zu sprechen und lud mich ein,
mit ihm nach B o r n h e i m zu fahren, wo der Schabbes heute die
noble Welt des alten Judenquartiers, der neuen Judenstraße, überhaupt
alle Stämme Israels versammelt habe.

Wir fuhren hinaus, der Seufzer schien ein ganz anderer Mensch geworden
zu sein. Sein trübseliges Gesicht leuchtete freundlich vom Glanze der
Hoffnung, sein Auge hob sich freier, um seine Stirn, seinen Mund war
jede Melancholie verschwunden, sein großer, runder Kopf steckte nicht
mehr zwischen den Schultern, er trug ihn freier, erhabener, als wollte
er sagen: „Seht, ihr Frankfurter und Bornheimer, ich bin es, das Haus
Zwerner und Komp. aus Dessau, nächstens eine bedeutende Person an der
Börse, und, wenn es gut geht, Bräutigam der schönen Rebekka Simon in
der neuen Judenstraße!"

Aus dem Garten des Goldenen Löwen in Bornheim tönten uns die
zitternden Klänge von Harfen und Gitarren und das Geigen verstimmter
Violinen entgegen; das Volk Gottes ließ sich vormusizieren im Freien,
wie einst ihr König Saul, wenn er übler Laune war. Wir traten ein; da
saßen sie, die Söhne und Töchter Abrahams, Isaaks und Jakobs, mit
funkelnden Augen, kühn gebogenen Nasen, fein geschnittenen Gesichtern,
wie aus einer Form geprägt, da saßen sie vergnügt und fröhlich
plaudernd und tranken Champagner, aus saurem Wein, Zucker und
Mineralwasser zubereitet, da saßen sie in malerischen Gruppen unter
den Bäumen, und der Garten war anzuschauen, als wäre er das gelobte
Land Kanaan, das der Prophet vom Berge gesehen und seinem Volke
verheißen hatte. Wie sich doch die Zeiten ändern durch die Aufklärung
und das Geld!

Es waren dies dieselben Menschen, die noch vor dreißig Jahren keinen
Fuß auf den breiten Weg der Promenade setzen durften, sondern
bescheiden den Nebenweg gingen; dieselben, die den Hut abziehen
mußten, wenn man ihnen zurief: „Jude, sei artig, mach' dein
Kompliment!" Dieselben, die von dem Bürgermeister und dem hohen Rat
der freien Stadt Frankfurt jede Nacht eingepfercht wurden in ihr
schmutziges Quartier. Und wie so ganz anders waren sie jetzt
anzuschauen! Überladen mit Putz und köstlichen Steinen saßen die
Frauen und Judenfräulein; die Männer, konnten sie auch nicht die
spitzigen Ellbogen und die vorgebogenen Knie ihres Volkes verleugnen,
suchten sie auch umsonst den ruhigen, soliden Anstand eines Kaufherrn
von der Zeile oder der Million zu kopieren, die Männer hatten sich
sonntäglich und schön angetan, ließen schwere, goldene Ketten über die
Brust und den Magen herabhängen, streckten alle zehn Finger, mit
blitzenden Solitärs besteckt, von sich, als wollten sie zu verstehen
geben: Ist das nicht was ganz Solides? Sind wir nicht das auserwählte
Volk? Wer hat denn alles Geld, gemünzt und in Barren, als wir? Wem ist
Gott und Welt, Kaiser und König schuldig, wem anders als uns?

„Dort sitzt sie, die Taube von Juda, dort sitzt sie, die Gazelle des
Morgens," rief der Seufzer in poetischer Ekstase und zerrte mich am
Arm; „schauen Sie dort, unter dem Zelt von hölzernem Gitterwerk. Der
mit dem runden Leib, der langen Nase und den grauen Löckchen am Ohr
ist der Vater, Herr Simon aus der neuen Judenstraße, die dicke Frau
rechts mit den schwarzseidenen Locken und dem rotbraunen Gesicht ist
die Tante; eine fatale Verwandtschaft, aber man weiß sich in Zukunft
zu separieren nach und nach."

„Aber wo ist denn die Gazelle, die Taube? Ich sehe sie noch nicht--"

„Geduld! Noch bedeckt die neidische Wolke, die Tante, das Gestirn des
Aufgangs; fassen wir ein Herz, treten wir näher. Doch eben fällt mir
bei, ich muß Sie vorstellen; wie nenne ich Sie, mein lieber Freund und
Ratgeber?"

„Ich bin der k. k. Legationsrat Schmälzchen aus Wien," gab ich ihm zur
Antwort, „reise in Geschäften meines Hofes nach Mainz."

„Ah," rief er, nachdem er schon bei dem kaiserlich königlich an den
Hut gegriffen hatte, „Le--Legationsrat, wirklicher, und nicht bloß
Titular ums liebe Geld? Das freut mich, dero werte Bekanntschaft zu
machen. Hätte es mir gleich vorstellen können, Sie haben einen gar
tiefen Blick in die Staatsaffären. Wahrhaftig, hätte es Ihnen gleich
ansehen können; haben so etwas Diplomatisches, Kabinettsmäßiges in
dero Visage."

„Bitte, bitte, keine Komplimente. Gehn wir zum Juden, ich hoffe Ihnen
nützlich sein zu können."

Wir traten zu dem Zelt aus hölzernem Gitterwerk. Mein Begleiter
errötete tiefer, je näher er trat; seine Wangen liefen vom Hellroten
ins Dunkelrote, von da ins bläulich Schattierte an, und als wir vor
dem Herrn Simon standen, war er anzusehen wie eine schöne dunkelrote
Herzkirsche. Die Tante, „das neidische Gewölk", erhob sich, und nun
ward auch das Gestirn des Morgens sichtbar. Das Schickselchen, die
Kalle, ich meine Rebekka, des Juden Tochter, war nicht übel.--Sie
hatte, um mich wie Graf Rebs auszudrücken, viel Rasse, und ihre Augen
konnten den Seufzer wohl bis auf Herz durchbrennen, obgleich er zur
Vorsicht und aus Eleganz drei Westen angetan hatte.

Nachdem mich mein Freund, der als solides Haus aus Dessau bei der
Familie wohl gelitten schien, vorgestellt hatte, machte er sich an die
Taube von Juda und überließ es mir, den alten Simon zu unterhalten.
Mein Titel schien ihm einigen Respekt eingeflößt zu haben. „Haben da
ein schönes Fach erwählt, Herr von Schmälzlein," bemerkte er
wohlgefällig lächelnd; „habe immer eine Inklination für die Diplomatik
gehabt, aber die Verhältnisse wollten es nicht, daß ich ein Gesandter
oder dergleichen wurde. Man weiß da gleich alles aus der ersten Hand!
Man kann viel komplizieren und dergleichen; was ließen sich da für
Geschäfte machen!"

„Sie haben recht, mein Herr! Man lernt da die verwickeltsten
Verhältnisse kennen. Allein aber schauen's, das Ding hat auch seinen
Haken. Man weiß oft eigentlich zu viel, es geht einem wie ein Rad im
Kopf umher."

Der Jude rückte näher. Mit einem Wiener Diplomaten, mochte er denken,
nehme ich es auch noch auf. „Zeviel?" sagte er. „Ich für meinen Teil
kann nie zeviel wissen. Was die Papiere betrifft, da kann ein
Fingerzeig, ein halber, ein Viertelsgedanke oft mehr tun, als eine
lange Rede im Frankfurter Museum. Nu, S i e stehen solide in Wien, Ihr
Staat ist ein gemachtes Haus trotz einem; was Herr von M. auf dem
Flageolett vorpfeift, das singen die Staren nach."

„Die Staren vielleicht, aber nicht die Zaren!"

„Gut, _très bien, bon_! Gut gegeben, hi! hi! hi! _à propos_,
wissen Sie Neues aus daher?" Er rückte mir noch näher und wurde
verfänglicher.

„Herr Simon," sagte ich mit Artigkeit ausweichend, „Sie wissen, es
gibt Fälle--"

„Wie?" rief er erschrocken. „Gotts Wunder! Neue Fallissements, waas!
Ist nicht die Krisis vom letzten Winter schon ein Strafgericht des
Herrn gewesen? Waas?"

„Um Jottes willen, Papa!" schrie Rebekka, indem sie den Arm des
zärtlichen Seufzers zurückstieß und aufsprang. „Doch kein Unglück?
Mein Jott! Doch nich hier in Frankfort?"

„Beruhigen Sie sich doch, gnädiges Fräulein, ich sprach mit Ihrem
Herrn Papa über Politik und rechnete einige Fälle auf, und er hat mich
holter nicht recht verstanden."

Sie preßte mit einem zärtlichen, hinsterbenden Blick auf den
erschrockenen Dessauer ihre Hand auf das Herz und atmete tief.

„Nee! was ich erschrocken bin jeworden, da machen Sie sich keenen
Bejriff von!" lispelte sie. „Mein Herz pocht schrecklich! Na, erzählen
Sie man weiter; was sachte der Graf? Sie hätten ins Parterre jestanden
und wären melancholisch jewesen?"

Das Geflüster der Liebenden wurde leiser und leiser; die Blicke des
Seufzers wurden feuriger, er zog, als „das Gewölke" ein wenig im
Garten auf und ab ging, die niedliche Hand der Jüdin an die Lippen und
gestand ihr, wenn ich anders recht gehört habe, daß nächstens die
Metalliques und die .... um drei Prozente steigen würden.

„Herr von Schmälzlein," sagte der Alte, nachdem er einigen koscheren
Wein zu sich genommen hatte, „Sie haben mir da einen Schreck in den
Leib gejagt, den ich nie vergesse. Fallen, Fälle, wie kann man auch
nur dies Wort in Gesellschaft aussprechen? Nun, Sie wollten sagen--?"

„Es gibt Affären," fuhr ich fort, „wo der Diplomat schweigen muß. Über
das Nähere meiner Sendung z. B. werden Sie selbst mich nicht befragen
wollen; nur so viel kann ich Ihnen, aber, mein Herr Simon, im engsten
Vertrauen--"

„Der Gott meiner Väter tue mir dies und das," rief er feierlich, „so
ich nur meinem Nachbar oder seinem Weib oder seinem Sohn oder seiner
Tochter das Geringste--"

„Schon gut! Ich traue auf Ihre Diskretion; kurz, so viel kann ich
Ihnen sagen, daß nächstens eine bedeutende Krisis eintreten wird; g a
n z zu allernächst. F ü r oder g e g e n wen darf ich nicht sagen,
doch Herr von Zwerner--"

„V o n Zwerner?"

„Nun, ich nenne ihn so, man weiß ja nicht, was geschieht; an ihn war
ich besonders empfohlen vom Fürsten, und ich glaube, wenn ich anders
richtig schließe, er muß in den nächsten Tagen Kuriere aus Wien
bekommen."

„Der Zwerner? Ei, ei! Wer hätte das gedacht! Zwar ich sagte immer,
hinter dem steckt etwas; geht so tiefsinnig, kalkulierend umher, hat
wahrscheinlich nicht umsonst so unsinnig viele Metalliques gekauft.
Ei, sehe doch einer! Hält sich Kuriere mit Wien! Und wenn man fragen
darf, es handelt sich wohl um das Ultimatum mit der Pforte?"

„Ja."

„Ei darf man fragen? Wie ist es ausgefallen? Hat er eingewilligt, der
Effendi? Hat er?"

„Mein Herr Simon, ich bitte--"

„O, ich verstehe, ich verstehe, Sie wollen es nicht sagen, aus
Politik, aus Politik, aber er hat, er hat?"

„Trauen Sie auf nichts, ich w a r n e Sie, auf keine Nachricht trauen
Sie, als auf authentische. Der Herr dort weiß vielleicht mancherlei
und hat nicht das drückende Stillschweigen eines Diplomaten zu
beobachten."

„Ei, hätte ich das in meinem Leben gedacht, Kuriere von Wien, und der
Zwerner aus Dessau; zwar er ist ein solides Haus, das ist keine Frage,
aber denn doch nicht so außerordentlich. Ob sich wohl was mit ihm
machen ließe?" setzte er tiefer nachsinnend hinzu, indem er seine Nase
herunter gegen den Mund bog und das lange Kinn aufwärts drückte, daß
sich diese beiden reichen Glieder begegneten und küßten. Das war der
Moment, wo er anbeißen mußte, denn er nagte schon am Köder. Ich gab
dem Seufzer aus Dessau einen Wink, sich dem Papa zu nähern, und nahm
seinen Platz bei der Gazelle des Morgenlandes ein.

      *       *       *       *       *




4. DAS GEBILDETE JUDENFRÄULEIN.


Wie war sie graziös, das heißt geziert, wie war sie artig, nämlich
honett, wie war sie naiv, andere hätten es lüstern genannt.

„Ich liebe die Tiplomattiker," sagte sie unter anderem mit feinem
Lächeln und vielsagendem Blick. „Es is so etwas Feines, Jewandtes in
ihren Manieren. Man sieht ihnen den Mann von jutem Jeschmack schon von
die Ferne an, und wie angenehm riechen sie nach _Eau de
Portugal_!"

„O gewiß, auch nach _Fleur d'Orange_ und dergleichen. Wie nehmen
sich denn die hiesigen Diplomaten? Kommen sie viel unter die Leute?"

„Nun, sehen Sie, wie das nun jeht, die älteren Herren haben sechs bis
sieben Monate Ferien und reisen umher. Die jüngeren aber, die indessen
hier bleiben und die Geschäfte treiben, sie müssen Pässe visieren, sie
müssen Zeitungen lesen, ob nichts Verfängliches drein is, sie müssen
das Papier ordentlich zusammenlegen für die Sitzungen. Nun, was nun
solche junge Herren Tiblomen sind, das sein janz scharmante Leute,
wohnen in die _Chambres garnies_, essen an die _Tables d'hôte_, jehen
auf die Promenade schön ausstaffiert _comme il faut_, haben zwar
gewöhnlich kein Jeld nicht, aber desto mehr Ansehen."

„Da haben Sie einen herrlichen Schal umgelegt, mein Fräulein, ist er
wohl echt?"

„Ah, jehen Sie doch! Meinen Sie, ich werde etwas anderes anziehen, als
was nicht janz echt ist? Der Schal hat mir jekostet achthundert
Gulden, die ich in die Rothschildischen Los gewunnen. Und sehen Sie,
dieses Kollier hier kostet sechzehnhundert Gulden und dieser Ring
zweitausend. Ja, man jeht sehr echt in Frankfort, das heißt, Leute von
den jutem Ton, wie unsereine."

„Ach, was haben Sie doch für eine schöne, gebildete Sprache, mein
Fräulein! Wurden Sie etwa in Berlin erzogen?"

„Finden Sie das och?" erwiderte sie anmutig lächelnd. „Ja, man hat mir
schon oft das Kompliment vorjemacht. Nee, in Berlin drein war ich nie,
ich bin hier erzogen worden; aber es macht, ich lese viel und bilde
auf diese Art meinen Jeist und mein Orkan aus."

„Was lesen Sie, wenn man fragen darf?"

„Nu, Bellettres, Bücher von die schöne Jeister. Ich bin abonniert bei
Herrn Döring in der Sandjasse, nächst der Weißen Schlange, und der
verproviantiert mich mit Almanachs und Romancher."

„Lesen Sie Goethe, Schiller, Tieck und dergleichen?"

„Nee, das tu ich nich. Diese Herren machen schlechte Jeschäfte in
Frankfort. Es will sie keen Mensch, sie sind zu studiert, nich
natürlich jenug. Nee, den Jöthe lese ich nie wieder! Das is was
Langweiliges. Und seine Wahlverwandtschaften! Ich werde rot, wenn ich
nur daran denke. Wissen Sie, die Szene in der Nacht, wo der Baron zu
die Baronin,--ach, man kann's jar nicht sagen, und jedes stellt sich
vor--"

„Ich erinnere mich, ich erinnere mich. Aber es liegt gerade in diesem
Gedanken eine erstaunliche Tiefe--ein Chaos von Möglichkeiten--"

„Nu, kurz, den mag ich nicht; aber wer mein Liebling ist, das is der
Clauren. Nee, dieses Leben, diese Farben, dieses Studium des Herzens
und namentlich des weiblichen Jemüts, ach, es is etwas Herrliches. Und
dabei so natürlich! Wenn mir die andern alle vorkommen wie schwere
vierhändige Sonaten mit tiefen Baßpartien, mit zierlichen Solos, mit
Trillern, die kein Mensch nich verstehen und spielen kann, so wie der
Mozart, der Haydn, so kommt mir der Clauren akkerat so vor wie ein
anjenehmer Walzer, wie ein Hopswalzer oder Galopp. Ach, das Tanzen
kommt einem in die Beene, wenn man ihn liest. Es ist etwas
Herrliches!"

„Fahren Sie fort, wie gerne höre ich Ihnen zu. Auch ich liebe diesen
Schriftsteller über alles. Diese andern, besonders ein Schiller, wie
wenig hat er für das Vergnügen der Menschheit getan. Man sollte
meinen, er wolle moralische Vorlesungen halten. Er ist, um mich eines
andern Gleichnisses zu bedienen, schwerer, dicker Burgunder, der mehr
melancholisch als heiter macht. Aber dieser Clauren! Er kommt mir vor
wie Champagner und zwar wie unechter, den man aus Birnen zubereitet.
Der echte verdunstet gleich; aber dieser unechte, setzt er auch im
Grunde viele Hefen an, so 'brüsselt' er doch mit allerliebsten
tanzenden Bläschen auf und ab eine Stunde lang, er berauscht, er macht
die Sinne rege, er ist der wahre Lebenswein."

„O sehen Sie, da kann ich Ihnen ja gleich unsern Clauren vormachen mit
Bornheimer Champagner. Man nimmt fremden Wein, so etwa die Hälfte,
jießt Mineralwasser dazu, und nun jeben Sie acht. Ich werfe Zucker in
das Janse, und unser Clauren ist fertig. Sehen Sie, wie es siedet, wie
es sprudelt und brüsselt, wie anjenehm schmeckt es nich und ist ein
wohlfeiles Jetränke. Nee, ich muß sagen, er ist mein Liebling. Und das
Anjenehmste is das, man kann ihn so lesen, ohne viel dabei zu denken,
man erlebt es eigentlich, es is, meine ich, mehr der Körper, der ins
Buch schaut, als der Jeist. Und wie angenehm läßt es sich dabei
einschlafen!"

„Ich glaube gar, ihr seid in einem gelehrten Gespräch begriffen," rief
lachend der alte Jude, indem er, den Dessauer an der Hand, zu uns
trat. „Nicht wahr, Herr Legationsrat, ich habe da ein gelehrtes Ding
zur Tochter? Sie spricht auch wie ein Buch und liest den ganzen Tag."

„Nun, und Sie, Papa, und Herr Zwerner haben wohl tiefe
Handelsjeheimnisse abjemacht? Darf man auch davon hören. Wie werden
sie in der nächsten Woche stehen, die Metalliques? Recht hoch? Hab'
ich es erraten?"

„Stille, Kind, stille! Kein Wort davon! Muß alles geheim gehalten
werden! Muß einen großen Schlag geben. Ist ein Goldmännchen, der Herr
von Zwerner. Setzen Sie sich zu ihr hin und klären ihr alles auf. Sie
ist auf diesem Punkt ein verständiges Kind und weiß zu rechnen, die
Rebeckchen."

Was schlich denn jetzt durch das Gras? Was hüpfte auf zierlichen
Beinchen heran? Was lächelte schon von weitem so freundlich nach der
Kalle des Herrn Simon? War es nicht das Gräfchen Rebs, das alte,
freundliche Kaninchen, das in alle Damen verliebt ist und alle
bezaubert? Er war es, er kam hereingeschwänzelt.

Er schnaufte und ächzte, als er heran war, und doch konnte er auch in
dem Zustand höchster Erschöpfung, in welchem er zu sein schien, sein
liebliches süßes Lächeln nicht unterdrücken. Er warf sich ermattet
neben Rebekka in einen Sessel, streckte die dünnen Beinchen, so mit
zierlichen Spörnchen zum Spazierengehen beschlagen, heftete den
matten, sterbenden Blick auf die schöne Jüdin und sprach: „Habe die
Ehre, vergnügten Abend zu wünschen. Ich sterbe, mit mir geht's aus!"

„Mein Jott! Herr Israels! Graf Rebs, was haben Sie doch? Ihre Wangen
sind ja janz einjeschnurrt, Ihre Augen bleiben stehen. Er antwortet
nich! Herr Tiplomat, _Eau de Cologne_! Haben Sie keines bei sich
in die Tasche?"

So rief das schöne Judenkind und beschäftigte sich um den Ohnmächtigen
mit zarter Sorgfalt. Da ich keine _Eau de Cologne_ bei mir trug,
so begann sie etwas weniges verzweifeln zu wollen und verlangte von
dem Dessauer, er solle ihm Tabaksrauch in die Nase blasen. Doch der
Vater wußte bessern Rat: „Da geht einer," rief er freudig, „da geht
ein charmanter junger Herr, ist in Kondition nicht weit von uns, der
trägt beständig etzliches Kölner Wasser in seiner Rocktasche!"

Wie ein Pfeil schoß er auf den jungen Mann zu und war, als er ihm mit
schrecklichen Gebärden das _Eau de Cologne_= Fläschchen
abforderte, anzusehen wie Sir John Falstaff, als er die Krämer
beraubt. Maria Farinas Lebenstropfen brachten das arme Kaninchen
wieder zu sich. Er schlug die Augen auf, seufzte tief und lächelte.
„Mich gehorsamst zu bedanken," lispelte er mit zitternder Stimme, „für
die gütigst geleistete Hilfe. War mir aber recht elend zu Mut; fast
als hätte ich mehr Bier getrunken als dienlich."

„Sind Sie oft solchen Zufällen unterworfen?" fragte Rebekka, ihn etwas
mißfällig betrachtend.

„Mitnichten und im Gegenteil," erwiderte er, indem er den Rücken
zierlich wendete und drehte, mit den Schultern über die Brust
herausfuhr und mannhaft mit den Spörnchen klirrte. „Mitnichten, habe
sonst eine überaus starke Konstitution. Aber der dicke Pfarrer, der
dicke Pfarrer...."

Die Juden schwiegen, und Rebekka schlug die Augen nieder, wie immer,
wenn von christlichen Pfarrern oder Zeremonien oder auch von
Schweinefleisch in ihrer Nähe gesprochen wurde. Der Seufzer aber, dem
die Erscheinung des Grafen etwas lästig schien, fragte ihn ziemlich
boshaft, ob er etwa im Goldenen Brunnen gewesen, sich allda etwas
betrunken und nachher mit dem ehrsamen Pastor Münster Streit und
kirchlichen Skandal angefangen nach seiner Gewohnheit.

„Nach meiner Gewohnheit?" rief das Kaninchen erschrocken. „Ich ein
Unruhstifter oder Säufer, ich in dem Goldenen Brunnen, ich, der ich
nur die allernobelsten Hotels, den Pariser und den Englischen Hof, den
Weidenbusch, in welchem ich logiere, und den Weißen Schwan mit meinem
Besuch beehre? Nein, er ist mir begegnet, der Pfarrer, und als er an
mir vorbeiging, sah er mich mit schrecklichen Augen an und sagte: „Das
ist auch so ein S t e i n  d e s  A n s t o ß e s, auch so ein
Mystiker." „Herr Pfarrer," sagte ich, „guten Abend, aber ein Mystiker
bin ich nicht und will auch für keinen gelten, am wenigsten
öffentlich, auf der Chaussee nach Bornheim." „Sie wollen keiner sein?"
antwortete er, indem er näher auf mich zutrat, so daß sein Bauch und
das Cachet seiner Uhr mir gerade auf die Brust zu sitzen kamen und
mich heftig drückte. „Wollen keiner sein? Warum kommen Sie denn nicht
mehr ins Museum? Warum haben Sie an öffentlichen Wirtstafeln, im
Pariser, Weiden= und anderen Höfen geschimpft über mich, daß ich ein
gewisses Gedicht von Langbein in besagter Gesellschaft vorgelesen?" Es
ist wahr, ich hatte mich ziemlich stark darüber ausgesprochen, aber
nicht aus Mystizismus, sondern weil ich glaubte, es könne zarte
Damenohren und weiche Gemüter unangenehm berühren, jenes Gedicht. Aber
er nahm keine Entschuldigung an. Ich schlüpfte ihm unter dem Bauch weg
und wollte schnell weiter gehen; aber er setzte mir mit weiten
Schritten nach, ging neben mir her und beschuldigte mich, seinem
Gegenpart, dem mystischen Pfarrer, zu einer reichen Frau verholfen zu
haben; er behauptete auch, daß ich mich jeden Morgen statt des
Frühstücks magnetisieren lasse, und dergleichen. Und erst hier an der
Gartentüre ließ er mit einer mürrischen Reverenz von mir ab."

„Aber was hat denn dies alles zu bedeuten?" fragte ich. „Halten denn
die Pfarrer hier auf der Landstraße Kirche, wie es Sitte war zur Zeit
der Apostel?"

„In Frankfurt," belehrte mich der Kaufmann aus Dessau, „in Frankfurt
ist gegenwärtig ein großer Krieg zwischen den Pfarrern, und ihre
Parteien befehden sich ebenfalls. Mystiker und Rationalisten schelten
sie sich hin und her, der eine wirft dem andern vor, er predige nur
Moral, der andere entgegnet, sein Gegner rede tiefen Unsinn. Nicht nur
in den Kirchen, auf den Kanzeln, sondern auch in den Weinhäusern und
Trinkstuben, auf Chausseen und in Kasinos wird gekämpft; und so konnte
es leicht geschehen, daß der Herr Graf einem Eiferer der Vernunft in
die Hände fiel.--Doch wie? Herr Graf, wenn ich nicht irre, so fährt
dort der Lord und seine Nichte. Nicht so? Und sie halten vor dem
Garten, sie steigen aus?" „Ah, sie hat mich bemerkt," rief das
Kaninchen sehr freundlich, „sie schaut schon herüber und wedelt, wenn
ich nicht irre, mit dem Taschentuch mir zu. Verzeihen allerseits, daß
ich mich entferne. Miß Mary hat ein Auge auf mich geworfen, und Sie
wissen selbst, bei solchen Affären--"

Er schlüpfte unter diesen Worten aus dem Zelt und eilte mit zierlichen
Sprünglein zu der Gartenpforte, wo er in dem Drang seines Herzens die
junge Dame auf den glacierten Handschuh küßte. Es mochte ihr übrigens
dieses Zeichen seiner Verehrung überaus komisch vorkommen; denn ihr
Lachen drang bis zu uns herüber, und mit tiefem Baß begleitete sie der
Lord, indem er dem Kaninchen das Pfötchen schüttelte.

Das Gewölk, die Tante Simon, kam jetzt zurück und beklagte sich, daß
es schon etwas kühl werde. Der Jude ließ daher seinen schönen Wagen
vorfahren und verließ mit den Seinigen den Garten. Der Seufzer hatte
das Glück, Rebeckchen in den Wagen heben zu dürfen, und kam mit ganz
verklärtem Gesicht zurück. Sie hatte ihm unter der Türe noch die Hand
gedrückt und gestanden, daß sie sich diesen Nachmittag janz
fürtrefflich amüsiert habe, und der Alte hatte ihn eingeladen, morgen
und alle Tage den Abend in seinem Hause zuzubringen.

       *       *       *       *       *




5. DER KURIER AUS WIEN KOMMT AN.


Ich könnte dir, geneigter Leser meiner Memoiren, vieles Ergötzliche
und Interessante erzählen, was ich in der freien Stadt Frankfurt
erlebte. Nicht von früheren Zeiten her, wo ich oft hinter den Stühlen
der Kurfürsten stand und den Kaiser wählen half, wo ich so oft unter
guten Freunden im Römer und beim Römer saß, wenn das neue Haupt des
vielgliedrigen Leibes, Deutsches Reich genannt, mit der Krone
geschmückt worden war. Nein, von den heutigen Tagen könnte ich dir
viel erzählen, von dem tiefen, geheimnisvollen Wesen der Diplomatie,
von dem herrlichen Junitag, in welchem es niemals Abend oder Nacht
wird, ich meine den deutschen Bundestag; von dem herrlichen Treiben
und Blühen des Mystizismus und wie ich das Feuer anschürte zwischen
seinen Anhängern und den Rationalisten, und wie es im Wirtshaus zum
Goldenen Brunnen einigemal zu bedeutenden Raufereien kam zwischen
beiden Parteien, das heißt--nur mit schneidenden Zungen und stechenden
Blicken. Ich könnte dir erzählen, wie ich in einem Institut, woselbst
man junge Fräulein für die Welt zustutzt, nützlichen Unterricht gab im
Gitarrespielen und andern Kleinigkeiten, so eine junge Dame kennen
muß, wenn sie in die Welt tritt. Ich könnte dir erzählen von jener
Straße, Million genannt, wo meine speziellsten Freunde wohnen, deren
der geringste über Millionen gebietet.

Doch ich schweige von diesem allem, weil ich mir vorgenommen, dir
einen kleinen Abriß zu geben von der Art, wie ich den ehrlichen,
seufzenden Sohn Merkurs aus Dessau zu einem Teufelskind machte. Der
erste Schritt vom ehrlichen Mann zum schlechten oder Betrüger ist an
sich klein und dennoch bedeutend, weil man leicht, sozusagen, in Schuß
kommt und unaufhaltsam bergab, bergab geht, anfangs im Trott, nachher
im Galopp. Mein guter Seufzer hatte sein bedeutendes Vermögen mit
einem ehrlichen Gemüt geerbt. Er ging in seinen Geschäften den
geraden, ehrlichen Weg, nicht, weil er ihm angenehmer war, sondern
weil er es unbequem finden mochte, Winkelzüge und Umwege zu machen.

Es ist dies die Ehrbarkeit, die Tugend, die nie auf der Probe war und
daher ein negativer Begriff, ein Nichts, auf jeden Fall keine Tugend
ist.

Nicht der Geldgewinn, er ist ziemlich zufrieden mit seinem Los,
sondern die Liebe zu der schönen Kalle des alten Simon macht ihn
straucheln, oder vielmehr, wie Gelegenheit Diebe macht, die süße Art,
wie ich es ihm eingab. Jetzt ist er, um das Kind beim rechten Namen zu
nennen, aus dem ehrlichen Mann ein Betrüger geworden. Er wird, weil es
ihm diesmal leicht wird, zu betrügen, das nächste Mal ähnliches
versuchen. Das Gewissen, die Ehrlichkeit, die Ruhe, die
Selbstzufriedenheit ist ja doch schon zum Teufel; warum soll er sich
also genieren? Der große Gewinn für mich liegt aber darin, daß die
ersten Versuche des ehrlichen Mannes, ein Betrüger zu werden,
gewöhnlich gut ausfallen und zur Wiederholung locken. Denn wer mit mir
Geschäfte macht, kann, solange es tunlich ist, darauf rechnen, sie mit
Glück zu machen, und unglückliche Spekulanten, von denen die Sage
geht, daß sie sich erhängt oder ersäuft haben, hatten durch Reue und
Selbstanklage den Kopf verloren, hatten mir zu wenig vertraut, und
nicht ich war es, der sie verließ; sie hatten sich selbst verlassen.

Doch, wo gerate ich hin? Habe ich mich von dem dicken Pfarrer
anstecken lassen, zu moralisieren? Ist es denn mein Zweck, mit
psychologischen Abhandlungen meine Leser zu ermüden oder sogar
abzuschrecken? Oder wie, ließ ich mich etwa von den Winken einiger
gelehrten Leute verführen, die behaupten, es liege zu wenig
psychologische Teufelei oder teuflische Psychologie in meinen
Memoiren, ich sei für einen deutschen Schriftsteller, als welchen ich
mich im Leipziger Meßkatalogus einregistrieren lassen, nicht gründlich
genug?

Der Teufel soll es holen! möchte ich mir selbst zurufen. Sobald man
vom Wege abgeht, gerät man immer mehr auf Abwege, so auch im
Niederschreiben von Memoiren. Ich werde kurz sein.

Ich hatte durch meine dienenden Kleinen erfahren, welche Gedanken der
Reis=Effendi in einer Privatunterredung mit Herrn von Minciaky über
das russische Ultimatum geäußert. Ja, um redlich zu sein, ich hatte
selbst großen Anteil an jener Wendung der Dinge, weil mir dadurch das
sogenannte Gleichgewicht etwas aus die Spitze gerückt zu werden schien
und mehr Leben in das schlummernde Europa kommen konnte, das von
Revolutionen und andern lustigen Artikeln nur t r ä u m t und im S c h
l a f e  s p r i c h t. Ich hatte diese Nachricht früher vernommen,
als sie selbst nur nach Petersburg kommen konnte, und in meiner Hand
lag es, die Papiere steigen oder fallen zu machen. Der Vater der
schönen Rebekka hatte in den letzten Tagen auf meinen Rat und seine
eigene Einsicht hin seine Papiere so umgesetzt, daß er beim geringsten
Steigen der----auf großen Gewinn zählen konnte. Große Spannung
herrschte in dem Hause des Herrn Simon in der neuen Judenstraße. Der
Alte versicherte, seine Gebeine erzittern, so oft er ansetze, einen
wichtigen Brief zu schreiben. Die Tante, „das neidische Gewölk",
mochte ahnen, was vorging, und schlich trübe und ächzend im Hause
umher. Die Kalle war die mutigste von allen. Zwar war auch sie in
einiger Bewegung; denn sie las nicht mehr, weder in Clauren, noch in
verschiedenen Almanachs, sogar das Modejournal wollte sie nicht
ansehen; sie spielte auch nicht mehr auf der Harfe, aber doch trug sie
das Köpfchen noch so hoch wie zuvor und ermutigte durch manche Rede
die zagenden Bundestruppen.

Der Seufzer war gänzlich von Verstand gekommen. Bald war er tiefsinnig
und zweifelte an seinem Glück, besonders in der Nähe der schönen
Jüdin, wenn er sich die Höhe seiner Seligkeit, den Besitz der
lieblichen Kalle dachte. Dann war er wieder ausgelassen fröhlich und
sprach allerlei verwirrtes Zeug, wie er ein Millionär zu werden
gedenke, wie und wo er sich ein Haus bauen wolle, und was dergleichen
überschwengliche Gedanken mehr waren; der Kalle aber flüsterte er ins
Ohr, daß er sich wolle adeln lassen und sie zur gnädigen Frau
Baronesse von Zwerner zu Zwernersheim machen, welcher Ort noch auf der
Landkarte auszumitteln wäre.

Endlich, es war am dritten Frankfurter Pfingstfeiertag, und die
Mädchen und Frauen spazierten schon scharenweise hinaus an den Main,
um sich übersetzen zu lassen nach dem Wäldchen, und die Männer riefen
ihnen nach, nur einstweilen alles zuzurüsten daselbst, weil sie nur
noch auf die Börse gingen und bald nachkämen, indem heute nichts
Bedeutendes vorkomme, und auch die alte Baubo, die schnöde Hexe, zog
hinaus, doch diesmal nicht auf dem Mutterschwein, sondern in einem
eleganten Wagen. Sie hatte ihre schönen Stieftöchter bei sich und
nickte mir freundlich zu, als wollte sie sagen: „Dich kenne ich wohl,
Satan, obgleich du jetzt in schwarzem Frack und seidenen Strümpfen
einherzuwandeln beliebst und meiner Elise, dem allerliebsten Kind,
praktische Gitarrestunden gibst, dich kenne ich wohl; komm aber nur
hinaus ins Wäldchen, da sprechen wir wohl wieder ein Wort zusammen."
Da fuhr sie hin, die gute Alte, eine der ersten Palastdamen meiner
Großmutter und sehr angesehen in Frankfurt und auf dem Brocken in der
Walpurgisnacht, da fuhr sie hin und viele tausend und wieder tausend
fromme Frankfurter Seelen ihr nach, die alle das Gebot in feinem
Herzen trugen: „Du sollst den Feiertag heiligen und an Pfingsten auch
den dritten und vierten."

Jetzt war es Zeit, zu operieren. Den Tag zuvor hatte man sich
allgemein mit dem Gerücht getragen, daß die Pforte das Ultimatum nicht
annehmen werde, und man erwartete von heute nichts Besonderes. Da
jagte um elf Uhr ein Kurier durch das Tor, ganz mit Schweiß und Staub
bedeckt; er sprengte, greulich auf dem Posthorn blasend, durch die
Straße, Million genannt, und in einem Umweg durchs neue Judenquartier;
die Leute rissen die Fenster auf und fuhren mit den Köpfen heraus, um
zu schauen nach dem schrecklichen Trompeten= und Straßenlärm. „Wo
kümmt Er här? Wo will Er hin?" riefen sie. „In Weißen Schwan," schrie
er, „ich habe den Weg verfehlt, wo geht's in Weißen Schwan?" „Der Herr
is wohl ä Korrier?" „Freilich, nur schnell," rief er und zog einen
Brief mit großem Siegel aus der Tasche, „das kömmt von Wien und ist an
den Herrn Zwerner aus Dessau im Weißen Schwan." „Da an der Ecke gehts
rechts, dann die Straße links, dann kömmt Er auf die Zeile, da reitet
Er bis an die Hauptwache, und von dort ists nimmer weit." So riefen
sie, schauten ihm nach, wie er mit der Peitsche knallend davonjagte
und besprachen sich dann über die Straße hinüber, was wohl die
Depesche aus Wien enthalten möchte. Der Kurier war aber niemand anders
als einer meiner dienstbaren Geister, in die Uniform eines hessischen
Postillons gekleidet.

       *       *       *       *       *




6. DER REIS=EFFENDI UND DER TEUFEL IN DER BÖRSENHALLE.


Im Briefe stand mit dürren Worten, daß der Reis=Effendi dem Herrn v.
Minciaky die vertrauliche, jedoch halb offizielle Mitteilung gemacht
habe, daß die Pforte das Ultimatum, soweit es Rußland betreffe,
annehmen werde.

Der Seufzer bekam nun die nötige Instruktion, was er zu tun hatte. Er
fuhr mit dem Briefe sogleich zu Papa Simon und mit diesem zu Herrn v.
R-------, dem Papst der Börse, dem sichtbaren Oberhaupt der
unsichtbaren papierenen Kirche. Dieser prüfte die Depesche genau. Er
selbst hatte schon zu oft ähnliche Mittel angewendet, Pariser Kuriere
aus Mainz, und Wiener aus Aschaffenburg kommen lassen, als daß er so
leicht konnte hintergangen werden. Er ließ daher ein Licht bringen und
prüfte zuerst Geruch und Flüssigkeit des Siegellacks. „Gott's Wunder!"
sprach er, bedächtlich riechend, „Gott's Wunder! das ist echtes
Kaisersiegellack, wie es nur in Wien selbst zubereitet wird und was
Eingeweihte zu solchen Depeschen zu verwenden pflegen." Dann
betrachtete er genau das Kuvert des Briefes und fand darauf die
gedruckten Zeichen jeder Poststation von Wien bis Frankfurt, und keins
fehlte. Er verglich sodann diese Zeichen mit der Liste der
Postzeichen, die er zur Hand hatte, und--sie waren richtig.

Hatte er zuvor den Herrn Zwerner, Handelsmann aus Dessau, als ein
kleines Paarmalhunderttausendguldenmännchen so obenhin behandelt, wie
der Löwe das Hündchen, so wuchs Letzt seine Achtung mit unglaublicher
Schnelle. Er hätte zwar am liebsten selbst den Kurier bekommen, samt
der inhaltsschweren Depesche, doch, da dies nicht mehr zu ändern war,
machte er gute Miene zum bösen Spiel, dankte, daß man ihn sogleich von
der wichtigen Nachricht avertiert habe und berechnete dabei, welche
Summe dem Dessauer diese Nachricht gekostet haben könnte, indem er
annahm, dieser Kaufmann müsse die Preise, die er in Wien für solche
Winke bezahle, überboten haben. Es war Börsenzeit, er selbst fuhr mit
auf die Börsenhalle.

B ö r s e n h a l l e! Unter diesem Namen stellt sich wohl der Fremde,
der diese Einrichtung noch nie gesehen, ein weitläufiges Gebäude vor,
wie es der Stadt Frankfurt würdig wäre, mit weiten Sälen,
Seitengängen, schönen Portalen und dergleichen. Wie wundert er sich
aber und lächelt, wenn er in diese Börsenhalle tritt! Man stelle sich
einen ziemlich kleinen, gepflasterten Hof, von unansehnlichen Gebäuden
eingeschlossen, vor, wo man mit Bequemlichkeit Pferde striegeln, Wagen
reinigen, waschen, Hühner und Gänse füttern und dergleichen solide
häusliche Hantierungen verrichten könnte. Statt des ehrwürdigen
Truthahns, statt der geschwätzigen Hühner und Gänse, statt des
Stallknechts mit dem Besen in der Faust, statt der Küchendame, die
hier ihren Salat wäscht--sieht man hier zwischen zwölf und ein Uhr
mittags ein buntes Gedränge. Männer mit dunkelgefärbten, markierten
Gesichtern, mit schwarzen Bärten und lauernden Augen, mit
kühngebogenen Nasen und breiten Mäulern, mit schmutzigen Hemden und
unsauberer Kleidung schleichen mit gebogenen, schlotternden Knien und
spitzigen Ellbogen, den Hut tief in, den Nacken zurückgedrückt, umher
und fragen einander: „Nu, wie stehen se heute?" Du wandelst staunend
durch dieses Gewühl und fühlst einen kleinen unbehaglichen Schauer,
wenn dich eine der unsauberen Gestalten im Vorübergehen anstreift. Du
begreifst zwar, daß du dich unter den Kindern Israels befindest; aber
zu welchem Zweck treiben sie sich hier unter freiem Himmel in einem
Hühnerhof umher? Endlich wirst du eine Tafel, etwa wie ein
Wirtshausschild anzusehen, gewahr. Dort steht mit goldenen Buchstaben
deutlich zu lesen: „Börsenhalle." Also in der Börsenhalle der freien
Stadt Frankfurt befindest du dich. Du hörst heute ein sonderbares
Gemunkel und Geflüster. Die Leute gehen staunend umher, mehr mit
Blicken als mit Worten fragend: „Ae Korrier aus Wien?" „Gott's
Wunder!" „Wer hat'n gekriecht?" „Ae Fremder, der Zwerner von Dessau."
„Wie? Kaner von unsere Lait? Nicht der Rothschild, der grauße Baron,
nicht der Bethmann? Auch nicht der Metzler? Waas?"

„Was hat'r gebracht, der Korrier! Abraham, wie stehen se?"

„Wie werden se stehen! Wer kann's wissen, solange der Zwerner aus
Dessau nicht ist auf der Börsenhalle!"

„Levi! hat er's Oltemat'm angenommen, der Reis=Effendi? Hat er, oder
hat er nicht? Wie werden se stehen?"

„Ich hab's genug, 's is a viertel auf Eins, und noch will keiner
verkaufen, aus Schrecke vor die Korrier. Wär' nur der Zwerner aus
Dessau da! Auch der Rothschild bleibt so lang aus und der Simon von
die neue Straße. Wirst sehen, 's wird geben ä grauße Operation! Der
Herr wird verstockt haben das Herz des Effendi, daß er hat nicht
angenomme das Oltematum von dem Moskeviter?"

„Bethmannische Obligationen will man nicht kaufen, sind gefallen um
Vertelpurzent!"

„Wie steht's mit die Metalliques? Wie verkauft sie der Metzler? Wie
stehen se, Abraham? Tu mer de Gefallen und sag', die Metalliques, wie
stehen se?"

„Aß ich der sag, ich weiß nicht, wo mer steht der Kopf, weiß heut
keiner, wer is Koch oder Keller? Aß ich nicht kann riechen, wie se
stehen, die Mettaliques!"

Plötzlich entsteht ein Geräusch, ein Gedränge nach der Türe zu. Ein
Wagen ist vorgefahren, die Leute stehen auf den Zehen, machen lange
Hälse, um die Mienen der Kommenden zu sehen. Drei Männer arbeiten sich
durch die Menge und stellen sich ernst und gravitätisch an ihren Platz
zur Seite, wie es wohllöblicherweise auf anderen Börsen der Brauch
ist, wo nur die Mäkler umherlaufen und sich drängen. Es war der große
Baron, der an der Seite stand, zu seiner Rechten das Gestirn des
Tages, der Kaufmann Zwerner aus Dessau, jetzt nicht mehr Seufzer zu
nennen; denn sein Herz schien zu jubilieren und allerlei verliebte
Streiche ausführen zu wollen, während er doch die Sinne bedächtlich
und gesetzt beisammen behalten mußte, um sich nicht zu verrechnen. Zur
Linken stand der Jude Simon, angetan mit seinem Sabbather Rock und
einer schneeweißen Halsbinde, mit feierlicher, hochzeitlicher Miene,
so daß sein Volk gleich sah, es müsse was ganz Außerordentliches sich
zugetragen haben.

Jetzt nahten die Käufer und Verkäufer und fragten nach den Preisen.
Sie wurden bleich, sie sanken in die Knie und schlichen zitternd
umher. Sie lamentierten schrecklich mit den Armen, sie steckten die
Finger in den Mund, sie fluchten ebräisch und syrisch auf den
Christen, der sich einen Kurier kommen lassen, auf den Vater, welcher
den Kurier gezeugt, auf das Pferd, welches das Pferd des Kuriers zur
Welt gebracht, auf seinen Kopf, auf seine vier Füße, kurz auf alles,
selbst auf Sonne, Mond und Sterne und auf Frankfurt und die
Börsenhalle. Jetzt merkte man, warum der schlaue Simon seine Papiere
in den letzten Tagen umgesetzt habe; jetzt konnte man sich den
Tiefsinn des Kaufmanns aus Dessau erklären! „Das Ultimatum ist
angenommen," scholl es durch den Hof, „der Reis=Effendi hat zugesagt,"
hallte es durch die Ecken; und obgleich die drei wichtigen Männer nur
entfernt auf ihren Brief anspielten, nur einige nähere Umstände
angaben, nichts Bestimmtes aussprachen, so stiegen doch die
österreichischen, die rothschildischen und wenige andere Papiere, von
welchen durch Zwerners und des alten Simons Sorge gerade nicht sehr
viele auf dem Platz waren, in Zeit von einer halben Stunde um vier und
ein halbes Prozent. Mehrere Häuser, die sich nicht vorgesehen hatten,
fingen an zu wanken, eines lag schon halb und halb und hatte es nur
seiner nahen Seitenverwandtschaft mit dem regierenden (Börsen=) Hause
zu verdanken, daß ihm noch einige Stützen untergeschoben wurden.

Als man um ein Uhr auseinanderging, lautete der Kurszettel der
Frankfurter Börsenhalle:

     Metalliques  87 5/8.
     Bethmännische 75 1/2.
     Rothschildische Lose 132.
     Preußische Staatsschuldscheine 84.

An den übrigen war nichts geändert worden.

       *       *       *       *       *




7. DIE VERLOBUNG.


Dieses kleine Börsengemetzel entschied über das Schicksal des Seufzers
aus Dessau. In den zwei nächsten Tagen wirkte er durch die große Menge
Metalliques, die er in Händen hatte, mächtig auf den Gang bei
Geschäfte, und als einige Tage nachher Herr von Rothschild
Privatmitteilungen aus Wien erhielt, wodurch seine Nachrichten
vollkommen bestätigt werden, da drängte sich alles um den
hoffnungsvollen, spekulativen Jüngling, um den genialen Kopf, der auf
unglaubliche Weise die Umstände habe berechnen können.

Seine Zurückgezogenheit zuvor galt nun für tiefes Studium der Politik,
seine Schüchternheit, sein geckenhaftes Stöhnen und Seufzen für
Tiefsinn, und jedes Haus hätte ihm freudig eine Tochter gegeben, um
mit diesem sublimen Kopf sich näher zu verbinden. Da aber die
Polygamie in Frankfurt derzeit noch nicht förmlich sanktioniert ist
und das Herz des Dessauers an Rebekka hing, so schlug er mit großer
Tapferkeit alle Stürme ab, die aus den Verschanzungen in der Zeile,
aus den Trancheen der Million, selbst aus den Salons bei neuen Mainzer
Straße mit glühenden Liebesblicken und Stückseufzern auf ihn gemacht
wurden.

Der alte Herr Simon, konnte sich auch der Dessauer in Hinsicht auf Geld
und Glücksgüter ihm nicht gleichstellen, rechnete es sich dennoch zur
besonderen Ehre, einen so erleuchteten Schwiegersohn zu bekommen. Ja,
er sah es als eine glückliche Spekulation an, ihn durch Rebekka gefangen
zu haben. Er sah ihn als eine prophetische Spekulationsmaschine an,
die ihn in kurzer Zeit zum reichsten Manne Europas machen mußte;
denn, wenn er immer mit seinem Schwiegersohn zugleich kaufte oder
verkaufte, glaubte er nie fehlen zu können.

Fräulein Rebekka ging ohne vieles Sträuben in die Bedingungen ein, die
ihr der Zärtliche auferlegte; da er eine gewisse Abneigung verspürte,
ein Jude zu werden, so hielt er es für notwendig, daß sie sich taufen
lasse. Sie nahm schon folgenden Tages insgeheim Unterricht bei dem
Herrn Pastor Stein und gab dafür auf einige Zeit ihre Klavierstunden
auf, wobei, wie sie behauptete, noch etwas Erkleckliches profitiert
würde, da sie dem Klaviermeister einen Taler für die Stunde hatte
bezahlen müssen. Sie selbst legte dafür dem Dessauer die Bedingung
auf, daß er sich für einige hundert Gulden in den Adelsstand erheben
lassen und in dem „jöttlichen Frankfort" leben müsse.

Er ging darauf freudig ein und überließ mir dieses diplomatische
Geschäft. Um nun auch von mir zu reden, so traf pünktlich ein, was ich
vorausgesehen hatte. Der Seufzer beschwichtigte fürs erste sein
Gewissen, das ihm allerlei vorwerfen mochte, z. B. daß das ganze
Geschäft unehrlich und nicht ohne Hilfe des Teufels habe zustande
kommen können. Sobald er mit dieser Beschwichtigung fertig war, war
auch seine Dankbarkeit verschwunden. Weil ihn alles als den sublimsten
Kopf, den scharfsinnigsten Denker pries, glaubte er ohne Zaudern
selbst daran, wurde aufgeblasen, sah mich über die Achsel an und
erinnerte sich meiner sehr gütig als eines Menschen, mit welchem er im
Weißen Schwan einigemal zu Mittag gespeist habe.

Was mich übrigens am meisten freute, war, daß er die Strafe seines
Undankes in sich und seinen Verhältnissen trug. Es war vorauszusehen,
daß seine prophetische Kraft, sein spekulativer Geist sich nicht lange
halten konnten. Mißglückten nur erst einige Spekulationen, die er, auf
sein blindes Glück und seinen noch blinderen Verstand trauend,
unternahm, verlor er erst einmal fünfzig= oder hunderttausend und zog
seinen Schwiegerpapa in gleiche Verluste, so fing die Hölle für ihn
schon auf Erden an.

Rebeckchen, das liebe Kind, sah auch nicht aus, als wollte sie mit dem
neuen Glauben auch einen neuen Menschen anziehen. War sie erst
„Gnädige Frau von Zwerner", so war zu erwarten, daß die Liebesintrigen
sich häufen würden; junge wohlriechende Diplomaten, alte Sünder, wie
Graf Rebs, fremde Majors mit glänzenden Uniformen waren dann
willkommen in ihrer Loge und zu Hause, und der Dessauer hatte das
Vergnügen, zuzuschauen. Und wie wird dieser sanfte Engel Rebekka sich
gestalten zur Furie, wenn die spekulative Kraft ihres Eheherrn
nachläßt und damit zugleich sein Vermögen, wenn man das glänzende
Hotel in der Zeile, die Loge im ersten Rang, die Equipage und die
hungernden Liebhaber samt der köstlichen Tafel aufgeben, wenn man nach
Dessau ziehen muß in den alten Laden des Hauses Zwerner und Komp.,
wenn die gnädige Frau herabsinkt aus ihrem geadelten Himmel und zur
ehrlichen Kaufmannsfrau wird, wenn man den Gemahl statt mit Papieren,
wie es nobel ist und groß, mit Ellenwaren und Bändern, ganz klein und
unnobel handeln sieht! Welche Perspektive!!

Doch am vierten Pfingstfeiertag 1826 dachte man noch nicht an
dergleichen im Hause des Herrn Simon in der neuen Judenstraße. Da war
ein Hin= und Herrennen, ein Laufen, ein Kochen und Backen; es wurde
ungemein viel Gänseschmalz verbraucht, um koscheres Backwerk zu
verfertigen; ein Hammel wurde „geschächt", um köstliche Ragouts zu
bereiten.

Der geneigte Leser errät wohl, was vorging in dem gesegneten Hause?
Nämlich nichts Geringeres als die Verlobung des trefflichen Paares.
Die halbe Stadt war geladen und kam. Hatte denn der alte Simon nicht
treffliche alte Weine? Speiste man bei ihm, das Gänsefett abgerechnet,
nicht trefflich? Hatte er nicht die schönsten jüdischen und
christlichen Fräulein zusammengebeten, um die Gesellschaft zu
unterhalten durch geistreiche Spiele und herrlichen Gesang?

Auch Graf Rebs, das treffliche Kaninchen, war geladen, und nur das
brachte ihn einigermaßen in Verlegenheit, daß nicht weniger als
zwanzig Frauen und Fräulein zugegen waren, mit denen er schon in
zärtlichen Verhältnissen gestanden hatte. Er half sich durch
ausdrucksvolle Liebesblicke, die er allenthalben umherwarf, wie auch
durch die eigene Behendigkeit seiner Beinchen, auf welchen er überall
umherhüpfte und jeder Dame zuflüsterte, sie allein sei es eigentlich,
die sein zartes Herz gefesselt. Die übergroße Anstrengung, zwanzig auf
einmal zu lieben, da er es sonst nur auf fünf gebracht hatte, richtete
ihn aber dergestalt zugrunde, daß er endlich elendiglich zusammensank
und in seinem Wagen nach Hause gebracht werden mußte.

Die Gesellschaft unterhielt sich ganz angenehm und bewies sich nach
Herrn Simons Begriffen sehr gesittet und anständig; denn als er am
Abend, nachdem alle sich entfernt hatten, mit seiner Tochter Rebekka
das Silber ordnete und zählte, riefen sie einmütig und vergnügt:
„Gott's Wunder! Gott's Wunder! Was war das für noble Gesellschaft, für
gesittete Leute! Es fehlt auch nicht e i n Kaffeelöffelchen; kein
Dessertmesserchen oder Zuckerklämmerchen ist uns abhanden gekommen!
Gott's Wunder!"

       *       *       *       *       *




DER FESTTAG IM FEGEFEUER. (Fortsetzung.)

  Am Horizont in diesem Jahr
  Ist es geblieben, wie es war.
                 M. Claudius.


1. DER JUNGE GARNMACHER FÄHRT FORT, SEINE GESCHICHTE ZU ERZÄHLEN.


Das Manuskript, aus welchem wir die infernalischen Memoiren
dechiffrieren und ausziehen, fährt bei jener Stelle, die wir im ersten
Teile notgedrungen abbrachen, fort, die Geschichte des jungen
deutschen Schneider=Barons zu geben. Er ist aus seiner Vaterstadt
Dresden entflohen, er will in die weite Welt, fürs erste aber nach
Berlin gehen und erzählt, was ihm unterwegs begegnete.

„Meine Herren," fuhr der edle junge Mann fort, „als ich mich umsah,
stand ein Mann hinter mir, gekleidet wie ein ehrlicher, rechtlicher
Bürger; er fragte mich, wohin meine Reise gehe, und behauptete, sein
Weg sei beinahe ganz der meinige, ich solle mit ihm reisen. Ich
verstand so viel von der Welt, daß ich einsah, es sei weniger
auffallend, wenn man einen halberwachsenen Jungen mit einem älteren
Manne gehen sieht, als allein. Der Mann entlockte mir bald die Ursache
meiner Reise, meine Schicksale, meine Hoffnungen. Er schien sich sehr
zu verwundern, als ich ihm von meinem Onkel, dem Herrn von Garnmacher
in der Dorotheenstraße in Berlin, erzählte. ‚Euer Onkel ist ja schon
seit zwei Monaten tot!' erwiderte er. ‚O du armer Junge, seit zwei
Monaten tot; es war ein braver Mann, und ich wohnte nicht weit von ihm
und kannte ihn gut. Jetzt nagen ihn die Würmer!'

Sie können sich leicht meinen Schrecken über diese Trauerpost denken,
ich weinte lange und hielt mich für unglücklicher als alle Helden;
nach und nach aber wußte mich mein Begleiter zu trösten: ‚Erinnerst du
dich gar nicht, mich gesehen zu haben?' fragte er. Ich sah ihn an,
besann mich, verneinte. ‚Ei, man hat mich doch in Dresden so viel,
gesehen,' fuhr er fort; ‚alle Alten und besonders die Jugend strömte
zu mir und meinem jungen Griechen.'

Jetzt fiel mir mit einemmal bei, daß ich ihn schon gesehen hatte. Vor
wenigen Wochen war nach Dresden ein Mann mit einem jungen
unglücklichen Griechen gekommen; er wohnte in einem Gasthof und ließ
den jungen Athener für Geld sehen, das Geld war zur Erhaltung des
Griechen und der Überschuß für einen Griechenverein bestimmt. Alles
strömte hin, auch mir gab der Vater ein paar Groschen, um den
unglücklichen Knaben sehen zu können. Ich bezeugte dem Manne meine
Verwunderung, daß er nicht mehr mit dem Griechen reise.

‚Er ist mir entlaufen, der Schlingel, und hat mir die Hälfte meiner
Kasse und meinen besten Rock gestohlen; er wußte wohl, daß ich ihm
nicht nachsetzen konnte; aber wie wäre es, mein Söhnchen, wenn du mein
Grieche würdest?' Ich staunte, ich hielt es nicht für möglich; aber er
gestand mir, daß der andere ein ehrlicher Münchner gewesen sei, den er
abgerichtet und kostümiert habe, weil nun einmal die Leute die
griechische Sucht hätten."

„Wie?" unterbrach ihn der Engländer. „Selbst in Deutschland nimmt man
Anteil an den Schicksalen dieses Volkes? Und doch ist es eigentlich
ein deutscher Minister, der es mit der Pforte hält und die Griechen
untergehen läßt."

„Wie es nun so geht in meinem lieben Vaterland," antwortete Baron von
Garnmacher, des Schneiders Sohn; „was einmal in einem anderen Lande
Mode geworden, muß auch zu uns kommen. Das weiß man gar nicht anders.
Wie nun vor kurzem die Pargioten ausgetrieben wurden und bald nachher
die griechische Nation ihr Joch abschüttelte, da fanden wir dies
erstaunlich hübsch, schrieben auf der Stelle viele dicke Bücher
darüber und stifteten Hilfsvereine mit sparsamen Kassen. Sogar
Philhellenen gab es bei uns, und man sah diese Leute mit großen
Bärten, einen Säbel an der Seite, Pistolen im Gürtel, rauchend durch
Deutschland ziehen. Wenn man sie fragte: ‚Wohin?' so antworteten sie:
‚In den heiligen Krieg nach Hellas gegen die Osmanen!' Bat sich nun
etwa eine Frau oder ein Mann, der in der alten Geographie nicht sehr
erfahren, eine nähere Erklärung aus, so erfuhr man, daß es nach
Griechenland gegen die Türken gehe. Da kreuzigten sich die Leute,
wünschten dem Philhellenen einen guten Morgen und flüsterten, wenn er
mit dröhnenden Schritten einen Fußpfad nach Hellas einschlug: ‚Der muß
wenig taugen, daß er im Reich keine Anstellung bekommt und bis nach
Griechenland laufen muß.'"

„Ist's möglich?" rief der Marquis. „So teilnahmlos sprachen die
Deutschen von diesen Männern?"

„Gewiß; es ging mancher hin mit dem schönen Gefühl, einer
unterdrückten Sache beizustehen, mancher, um sich Kriegsruhm zu
erkämpfen, der nun einmal auf den Billards und in den Garnisonen nicht
zu erlangen ist; aber alle barbierte man über einen Löffel, wie mein
Vater zu sagen pflegte, und schalt sie Landläufer."

„Mylord," sagte der Franzose, „es sind doch dumme Leute, diese
Deutschen!"

„O ja," entgegnete jener mit großer Ruhe, indem er sein Rumglas gegen
das Licht hielt, „zuweilen; aber dennoch sind die Franzosen
unerträglicher, weil sie allen Witz allein haben wollen."

Der Marquis lachte und schwieg. Der Baron aber fuhr fort: „Auf diese
Sitte der Deutschen hatte jener Mann seinen Plan gebaut, und noch oft
muß ich mich wundern, wie richtig sein Kalkül war. Die Deutschen,
dachte er, kommen nicht dazu, etwas für einen weit aussehenden Plan,
für ein fernes Land und dergleichen zu tun; entweder sagen sie: Es war
ja vorher auch so, lasset der Sache ihren Lauf, wer wird da etwas
Neues machen wollen?' oder sie sagen: ‚Gut, wir wollen erst einmal
sehen, wie die Sache geht, vielleicht läßt sich hernach etwas tun.'
Fällt aber etwas in ihrer Nähe vor, können sie selbst etwas Seltenes
mit eigenen Augen sehen, so lassen sie es sich etwas kosten.'

Man war dem Griechen früher oft in mancher kleinen Stadt sehr dankbar,
daß er doch wieder eine Materie zum Sprechen herbeigeführt habe, eine
Seltenheit, welche die Weiber beim Kaffee, die Männer beim Bier
traktieren konnten.

Was für Aussichten blieben mir übrig? Mein Onkel war tot, ich hatte
nichts gelernt; so schlug ich ein, Grieche zu werden. Jetzt fing ein
Unterricht an, bei welchem wir bald so vertraut miteinander werden,
daß mir mein Führer sogar Schläge beibrachte. Er lehrte mich alle
Gegenstände auf neugriechisch nennen, bläute mir einige Floskeln in
dieser Sprache ein, und nachdem ich hinlänglich instruiert war,
schwärzte er mir Haar und Augenbrauen mit einer Salbe, färbte mein
Gesicht gelblich, und--ich war ein Grieche. Mein Kostüm, besonders das
für vornehme Präsentationen, war sehr glänzend, manches sogar von
Seide. So zogen wir im Land umher und gewannen viel Geld."

„Aber, mein Gott," unterbrach ihn der Franzose, „sagen Sie doch, in
Deutschland soll es viele gelehrten Männer geben, die sogar Griechisch
schreiben. Diese müssen es doch auch sprechen können; wie haben Sie
sich vor diesen durchbringen können?"

„Nichts leichter als dies, und gerade bei diesen hatte ich meinen
größten Spaß; diese Leute schreiben und lesen das Griechische so gut,
daß sie vor zweitausend Jahren mit Thucydides hätten korrespondieren
können, aber mit dem Sprechen will es nicht recht gehen; sie mußten zu
Haus immer die Phrasen im Lexikon aufschlagen, wenn sie sprechen
wollten; da hatte ich nun, um aus aller Verlegenheit zu kommen, eine
herrliche Floskel bereit:------‚Mein Herr, das ist nicht griechisch.'
Mein Führer unterließ nicht, sogleich, was ich gesagt, dem Publikum
ins Deutsche zu übersetzen, und jene Kathedermänner kamen gewöhnlich
über das Lächeln der Menschen dergestalt außer Fassung, daß sie es nie
wieder wagten, Griechisch zu sprechen.

So zogen wir längere Zeit umher, bis endlich in Karlsbad die ganze
Komödie auf einmal aufhörte. Wir kamen dorthin zur Zeit der Saison und
hatten viele Besuche. Unter andern fiel mir besonders ein Herr mit
einem Band im Knopfloch auf, der mir große Ähnlichkeit mit meinem
Vater zu haben schien. Er besuchte uns einigemal, und endlich, denken
Sie sich mein Erstaunen, höre ich, wie man ihn Herr von Garnmacher
tituliert. Ich stürzte zu ihm hin, fragte ihn mit zärtlichen Worten,
ob er mein verehrter Herr Onkel sei, und entdeckte ihm auf der Stelle,
wie ich eigentlich nicht auf klassischem Boden in Athen, sondern als
königlich sächsisches Landeskind in Dresden geboren sei. Es war eine
rührende Erkennungsszene. Das Staunen des Publikums, als der Grieche
auf einmal gutes Deutsch sprach, die Verlegenheit meines Oheims, der
mit vornehmer Gesellschaft zugegen war und nicht gerne an meinen
Vater, den _Marchand tailleur_, erinnert sein wollte, die Wut
meines Führers, alles dies kam mir trotz meiner tiefen Rührung höchst
komisch vor.

Der Führer wurde verhaftet, mein Onkel nahm sich meiner an, ließ mir
Kleider machen und führte mich nach Berlin. Und dort begann für mich
eine neue Katastrophe."

       *       *       *       *       *




2. DER BARON WIRD EIN REZENSENT.


„Mein Onkel war ein nicht sehr berühmter Schriftsteller, aber ein
berüchtigter, anonymer Kritiker. Er arbeitete an zehn Journalen, und
ich wurde anfänglich dazu verwendet, seine Hahnenfüße ins Reine zu
schreiben. Schon hier lernte ich nach und nach in meines Onkels Geist
denken, faßte die gewöhnlichen Wendungen und Ausdrücke auf und bildete
mich so zum Rezensenten. Bald kam ich weiter; der herrliche Mann
brachte mir die verschiedenen Klassen und Formen der Kritik bei, über
welche ich übrigens hinweggehen kann, da sie einen Fremden nicht
interessieren."

„Nein, nein!" rief der Lord. „Ich habe schon öfters von dieser
kritischen Wut Ihrer Landsleute gehört. Zwar haben auch wir, z. B. in
Edinburgh und London, einige Anstalten dieser Art; aber sie werden,
höre ich, in einem ganz anderen Geiste besorgt als die Ihrigen."

„Allerdings sind diese Blätter in meinem Vaterlande eine sonderbare,
aber eigentümliche Erscheinung. Wie in unserer ganzen Literatur immer
noch etwas Engbrüstiges, Eingezwängtes zu verspüren ist, wie nicht
das, was leicht und gefällig, sondern was mit einem recht
schwerfälligen, gelehrten Anstrich geschrieben ist, für einzig gut und
schön gilt, so haben wir auch eigene Ansichten über Beurteilung der
Literatur. Es traut sich nämlich nicht leicht ein Mann oder eine Dame
in der Gesellschaft ein Urteil über ein neues Buch zu, das sich nicht
an ein öffentlich ausgesprochenes anlehnen könnte--man glaubte darin
zu viel zu wagen. Daher gibt es viele öffentliche Stimmen, die um Geld
und gute Worte ein kritisches Solo vortragen, in welches dann das
Tutti oder der Chorus des Publikums einfällt."

„Aber wie mögen Sie über diese Institute spotten, mein Herr Baron?"
unterbrach ihn der Lord. „Ich finde das recht hübsch. Man braucht
selbst kein Buch als diese öffentlichen Blätter zu lesen und kann dann
dennoch in der Gesellschaft mitstimmen."

„Sie hätten recht, wenn der Geist dieser Institute anders wäre. So
aber ergreift der, welcher sich nach diesen Blättern richtet, unbewußt
irgend eine Partei und kann, ohne daß er sich dessen versieht, in der
Gesellschaft für einen Goethianer, Müllnerianer, Vossiden oder
Creuzerianer, Schellingianer oder Hegelianer, kurz für einen Yaner
gelten. Denn das eine Blatt gehört dieser Partei an und haut und
sticht mehr oder minder auf jede andere, ein anderes gehört diesem
oder jenem großen Buchhändler. Da müssen nun fürs erste alle seine
Verlagsartikel gehörig gelobt, dann die seiner Feinde grimmig
angefallen werden; oft muß man auch ganz diplomatisch zu Werke gehen,
es mit keinem ganz verderben, auf beiden Achseln (Dichter=) Wasser
tragen und, indem man einem freundlich ein Kompliment macht,
hinterrücks heimlich ihm ein Bein unterschlagen."

„Aber schämen sich denn Ihre Gelehrten nicht, auf diese Art die Kritik
und Literatur zu handhaben?" fragte der Marquis. „Ich muß gestehen, in
Frankreich würde man ein solches Wesen verachten."

„Ihre politischen Blätter, mein Herr, machen es nicht besser. Übrigens
sind es nicht gerade die Gelehrten, die dieses Handwerk treiben. Die
eigentlichen Gelehrten werden nur zu Kernschüssen und langsamen,
gründlichen Operationen verwandt und mit vier Groschen bezahlt.
Leichter, behender sind die Halbgelehrten, die eigentlichen Voltigeurs
der Literatur. Sie plänkeln mit dem Feind, ohne ihn gründlich und mit
Nachdruck anzugreifen; sie richten Schaden in seiner Linie an, sie
umschwärmen ihn, sie suchen ihn aus seiner Position zu locken. Auch
dürfen sie sich gerade nicht schämen; denn sie rezensieren anonym, und
nur e i n e r unterschreibt seine kritischen Bluturteile mit so kaltem
Blute, als wollte er seinen Bruder freundlich zu Gevatter bitten."

„Das muß ja ein eigentlicher Matador sein!" rief der Lord lächelnd.

„Ein Matador in jedem Sinne des Worts. Auf Spanisch--ein Totschläger,
denn er hat schon manchen niedergedonnert; und wahrhaftig, er ist der
höchste Trumpf, dieser Matador, und zählt für zehn, wenn er _Pacat
ultimo_ macht. Und bei den literarischen Stiergefechten ist er
Matador! Denn er, der Hauptkämpfer ist es, der dem armen gehetzten und
gejagten Stier den Todesstoß gibt."

„Gestehen Sie, Sie übertreiben;--Sie haben gewiß einmal den
unglücklichen Gedanken gehabt, etwas zu schreiben, das recht tüchtig
vorgenommen wurde, und jetzt zürnen Sie der Kritik?"

Der junge Deutsche errötete. „Es ist wahr, ich habe etwas geschrieben,
doch war es nur eine Novelle und leider nicht so bedeutend, daß es
wäre rezensiert worden; aber nein, ich selbst habe einige Zeit unter
meines Onkels Protektion den kritischen kleinen Krieg mitgemacht und
kenne diese Affären genau. Nun, mein Onkel brachte mir also die
verschiedenen Formen und Klassen bei. Die e r s t e war die s a n f t
l o b e n d e Rezension. Sie gab nur einige Auszüge aus dem Werk,
lobte es als brav und gelungen und ermahnte, auf der betretenen Bahn
fortzuschreiten. In diese Klasse fielen junge Schriftsteller, die dem
Interesse des Blattes entfernter standen, die man aber für sich
gewinnen wollte. Hauptsächlich aber war diese Klasse für junge,
schriftstellerische Damen."

„Wie?" erwiderte der Lord. „Haben Sie deren so viele, daß man eine
eigene Klasse für sie macht?"

„Man zählte, als ich noch auf der Oberwelt war, sechsundvierzig
jüngere und ältere! Sie sehen, daß man für sie schon eine eigene
Klasse machen kann, und zwar eine gelinde, weil diese Damen mehr
Anbeter und Freunde haben als ein junger Schriftsteller. Die zweite
Klasse ist die l o b p o s a u n e n d e. Hier werden entweder die
Verlagsartikel des Buchhändlers, der das Blatt bezahlt, oder die
Parteimänner gelobt. Man preist ihre Namen, man ist gerührt, man ist
glücklich, daß die Nation einen solchen Mann aufweisen kann. Die
d r i t t e Klasse ist dann die n e u t r a l e. Hier werden die
Feinde, mit denen man nicht in Streit geraten mag, etwas kühl und
diplomatisch behandelt. Man spricht mehr über das Genus ihrer Schrift
und über ihre Tendenz als über sie selbst, und gibt sich Mühe, in
recht vielen Worten n i c h t s zu sagen, ungefähr wie in den Salons,
wenn man über politische Verhältnisse spricht und sich doch mit keinem
Wort verraten will.

Die v i e r t e Klasse ist die l o b h u d e l n d e. Man sucht
entweder einen, indem man ihn scheinbar und mit einem Anstrich von
Gerechtigkeit ein wenig tadelt, zu loben, oder umgekehrt, man lobt ihn
mit vielem Anstand und bringt ihm einige Stiche bei, die ihn entweder
tief verwunden, oder doch lächerlich machen. Die f ü n f t e Klasse
ist die g r o b e, e r n s t e; man nimmt eine vornehme Miene an,
setzt sich hoch zu Roß und schaut hernieder auf die kleinen Bemühungen
und geringen Fortschritte des Gegners. Man warnt sogar vor ihm und
sucht etwas Verstecktes in seinen Schriften zu finden, was zu
gefährlich ist, als daß man öffentlich davon sprechen möchte. Diese
Klasse macht stillen, aber tiefen Eindruck aufs Publikum. Es ist etwas
Mystisches in dieser Art der Kritik, was die Menschen mit Scheu und
Beben erfüllt. Die s e c h s t e Klasse ist die T o t s c h l ä g e r
k l a s s e. Sie ist eine Art von Schlachtbank; denn hier werden die
Opfer des Zornes, der Rache niedergemetzelt ohne Gnade und
Barmherzigkeit, sie ist eine Säge= und Stampfmühle; denn der Müller
schüttet die Unglücklichen, die ihm überantwortet werden, hinein und
zerfetzt, zersägt, zermalmt sie."

„Aber wer trägt denn die Schuld von diesem unsinnigen
Vertilgungssystem?" fragte Lasulot.

„Nun, das Publikum selbst! Wie man früher an Turnieren und Tierhetzen
die Freude hatte, so amüsiert man sich jetzt am kritischen Kriege; es
freut die Leute, wenn man die Schriftsteller mit eingelegten Lanzen
aufeinander anrennen sieht, und--wenn die Rippen krachen, wenn einer
sinkt, klatscht man dem Sieger Beifall zu. Ländlich, sittlich! ‚Ein
Stier, ein Stier, ruft's, dort und hier!' In Spanien treibt man das in
der Wirklichkeit, in Deutschland metaphorisch, und wenn ein paar
tüchtige Fleischerhunde einen alten Stier anfallen und sich zu Helden
an ihm beißen, wenn der M a t a d o r von der Galerie hinab in den
Zirkus springt,

  Und zieht den Degen,
  Und fällt verwegen
  Zur Seite den wütenden Ochsen an--

da freut sich das liebe Publikum, und von ‚Bravo!' schallt die Gegend
wider!"

„Das ist köstlich!" rief der Engländer; doch war man ungewiß, ob sein
Beifall der deutschen Kritik oder dem Rum gelte, den er zu sich nahm.
„Und ein solcher Klassenkritikus wurden Sie, Master Garnmacher?"

„Mein Onkel war, wie ich Ihnen sagte, für mehrere Journale verpachtet;
wunderbar war es übrigens, welches heterogene Interesse er dabei
befolgen mußte. Er hatte es so weit gebracht, daß er an einem
Vormittag ein Buch las und sechs Rezensionen darüber schrieb, und oft
traf es sich, daß er alle sechs Klassen über einen Gegenstand
erschöpfte. Er zündete dann zuerst dem Schlachtopfer ein kleines,
gelindes Lobfeuer aus Zimmetholz an; dann warf er kritischen Weihrauch
dazu, daß es große Wolken gab, die dem Publikum die Sinne umnebelten
und die Augen beizten. Dann dämpfte er diese niedlichen Opferflammen
zu einer düsteren Glut, blies sie dann mit dem kalten Hauch der
vierten Klasse frischer an, warf in der fünften einen so großen
Holzstoß zu, als die _sancta simplicitas_ in Konstanz dem Huß,
und fing dann zum sechsten an, den Unglücklichen an dieser mächtigen
Lohe des Zornes zu braten und zu rösten, bis er ganz schwarz war."

„Wie konnte er aber mit gutem Gewissen sechserlei so verschiedene
Meinungen über e i n e n Gegenstand haben? Das ist ja schändlich!"

„Wie man will. Ich erinnere Sie übrigens an die liberalen und an die
ministeriellen Blätter Ihres Landes; wenn heute einer Ihrer
Publizisten eine Ode an die Freiheit auf der Posaune geblasen hat und
ihm morgen der Herr von .... einige Sous mehr bietet, so hält er eine
Schimpfrede gegen die linke Seite, als hätte er von je in einem
ministeriellen Vorzimmer gelebt."

„Aber dann geht er förmlich über," bemerkte der Marquis; „aber Ihr
Onkel, der Schuft, hatte zu gleicher Zeit sechs Zungen und zwölf
Augen, die Hälfte mehr als der Höllenhund."

„Die Deutschen haben es von jeher in allen mechanischen Künsten und
Handarbeiten weit gebracht," erwiderte mit großer Ruhe der junge Mann,
„so auch in der Kritik. Als mich nun mein Onkel so weit gebracht
hatte, daß ich nicht nur ein Buch von dreißig Bogen in zwei Stunden
durchlesen, sondern auch den Inhalt einer u n a u f g e s c h n i t t
e n e n Schrift auf ein Haar erraten konnte, wenn ich wußte, von
welcher Partei sie war, so gebrauchte er mich zur Kritik. ‚Ich will
dir,' sagte er, ‚die erste, zweite, fünfte und sechste Klasse geben.
Die Jugend, wie sie nun einmal heutzutag ist, kann nichts mit Maß tun.
Sie lobt entweder über alle Grenzen, oder sie schimpft und tadelt
unverschämt. Solche Leute, besonders wenn sie ein recht scharfes Gebiß
haben, sind übrigens oft nicht mit Gold zu bezahlen. Man legt sie an
die Kette, bis man sie braucht, und hetzt sie dann mit unglaublichem
Erfolg; denn sie sind auf den Mann dressiert trotz der besten Dogge.
Zu den Mittelklassen, zu dem Neutralitätssystem, zu dem verdeckten
Tadel, zu dem ruhigen, aber sicheren Hinterhalt gehört schon mehr als
kaltes Blut.'

So sprach mein Onkel und übergab mir die Kränze der Gnade und das
Schwert der Rache. Alle Tage mußte ich von früh acht bis ein Uhr
rezensieren. Der Onkel schickte mir ein neues Buch, ich mußte es
schnell durchlesen und die Hauptstellen bezeichnen. Dann wurden
Kritiken von Nr. 1 und 2 entworfen und dem Alten zugeschickt. Nun
schrieb er selbst 3 und 4, und war dann noch ein Hauptgericht zu
exequieren, so ließ er mir sagen: ‚Mein lieber Neffe, nur immer Nr. 5
und 6 draufgesetzt; es kann nicht schaden, nimm ihn in Teufels Namen
tüchtig durch;' und den ich noch vor einer Stunde mit wahrer Rührung
bis zum Himmel erhoben, denselben verdammte ich jetzt bis in die
Hölle. Vor Tisch wurden dann die kritischen Arbeiten verglichen, der
Onkel tat, wie er zu sagen pflegte, Salz hinzu, um das Gebräu pikanter
zu machen; dann packte ich alles ein und verschickte die heil= und
unheilschweren Blätter an die verschiedenen Journale."

„_Goddam_! Habe ich in meinem Leben dergleichen gehört?" rief der
Lord mit wahrem Grauen. „Aber wenn Sie alle Tage nur e i n Buch
rezensierten, das macht ja im Jahre 365! Gibt es denn in Ihrem
Vaterlande jährlich selbst nur ein Dritteil dieser Summe?"

„Ha! da kennen Sie unsere gesegnete Literatur schlecht, wenn Sie dies
fragen. So viele gibt es in e i n e r Messe, und wir haben jährlich
zwei. Alle Jahre kann man achtzig Romane, zwanzig gute und vierzig
schlechte Lust= und Trauerspiele, hundert schöne und miserable
Erzählungen, Novellen, Historien, Phantasien usw., dreißig Almanache,
fünfzig Bände lyrischer Gedichte, einige erhabene Heldengedichte in
Stanzen oder Hexametern, vierhundert Übersetzungen, achtzig
Kriegsbücher rechnen, und die Schul=, Lehr=, Katheder=, Professions=,
Konfessionsbücher, die Anweisungen zum frommen Leben, zur Bereitung
guten Champagners aus Obst, zur Verlängerung der Gesundheit, die
Betrachtungen über die Ewigkeit, und wie man auch ohne Arzt sterben
könne usw. sind nicht zu zählen; kurz, man kann in meinem Vaterlande
annehmen, daß unter fünfzig Menschen immer einer Bücher schreibt; hat
einer einmal im Meßkatalog gestanden, so gibt er das Handwerk vor dem
sechzigsten Jahre nicht auf. Sie können also leicht berechnen, meine
Herren, wie viel bei uns gedruckt wird. Welcher Reichtum der
Literatur, welches weite Feld für die Kritik!"

Der junge Deutsche hatte diese letzten Worte mit einer Ehrfurcht, mit
einer Andacht gesprochen, die sogar mir höchst komisch vorkam; der
Lord und der Marquis aber brachen in lautes Lachen aus, und je
verwunderter der junge Herr sie ansah, desto mehr schien ihr Lachreiz
gesteigert zu werden.

„Monsieur de Garnmacker! Nehmen Sie es nicht übel, daß ich mich von
Ihrer Erzählung bis zum Lachen hinreißen ließ," sagte der Marquis;
„aber Ihre Nation, Ihre Literatur, Ihre kritische Manufaktur kam mir
unwillkürlich so komisch vor, daß ich mich nicht enthalten konnte zu
lachen. Ihr seid sublime Leute, das muß man euch lassen."

„Und der Herr hier hat recht," bemerkte Mylord mit feinem Lächeln.
„Alles schreibt in diesem göttlichen Lande, und was das schönste ist,
nicht jeder über sein Fach, sondern lieber über ein anderes. So fuhr
ich einmal auf meiner Grandtour in einem deutschen Ländchen. Der Weg
war schlecht, die Pferde womöglich noch schlechter. Ich ließ endlich
durch meinen Reisebegleiter, der Deutsch reden konnte, den Postillon
fragen, was denn sein Herr, der Postmeister, denke, daß er uns so
miserable Pferde vorspanne. Der Postillon antwortete: ‚Was das Post=
und das Stallwesen anbelangt, so denkt mein Herr nichts." Wir waren
verwundert über diese Antwort, und mein Begleiter, dem das Gespräch
Spaß machte, fragte, was sein Herr denn anderes zu denken habe. ‚Er
schreibt!' war die kurze Antwort des Kerls. ‚Wie? Briefverzeichnisse,
Postkarten?' ‚Ei, behüte!' sagte er, ‚Bücher, gelehrte Bücher.' ‚Über
das Postwesen?' fragten wir weiter. ‚Nein,' meinte er; ‚Verse macht
mein Herr, Verse, oft so breit als meine fünf Finger und so lang als
mein Arm!' und klatsch! klatsch! hieb er auf die magern Brüder des
Pegasus und trabte mit uns auf dem stoßenden Steinweg, daß es uns in
der Seele weh tat. ‚_Goddam_!' sagte mein Begleiter.

‚Wenn der Herr Postmeister so schlecht auf dem Hippogryphen sitzt wie
sein Schwager auf diesen Kleppern, so wird er holperige Verse zutage
fördern!' Und auf Ehre, meine Herren, ich habe mich auf der nächsten
Station erkundigt, dieser Postmeister ist ein Dichter und wie Sie, Mr.
Garnmacher, ein großer Kritiker."

„Ich weiß, wen Sie meinen," erwiderte der Deutsche mit etwas unmutiger
Miene, „und Ihre Erzählung soll wohl ein Stich auf mich sein, weil ich
eigentlich auch nicht für dieses Gebiet der Literatur erzogen worden.
Übrigens muß ich Ihnen sagen, Mylord, in Ihrem kalten, systematischen,
nach Gesetzen ängstlich zugeschnittenen Lande möchte etwas dergleichen
auffallen, aber bei uns zu Lande ist das was anderes. Da kann jeder in
die Literatur hineinpfuschen, wann und wie er will, und es gibt kein
Gesetz, das einem verböte, etwas Miserables drucken zu lassen, wenn er
nur einen Verleger findet. Bei den Kritikern und Poeten meines
Vaterlandes ist nicht nur in Hinsicht auf die Phantasie die schöne
romantische Zeit des Mittelalters; nein, wir sind, und ich rechne mich
ohne Scheu dazu, samt und sonders edle Raubritter, die einander die
Blumen der Poesie abjagen und in unsere Verließe schleppen; wir üben
das Faustrecht auf heldenmütige Weise und halten literarische
Wegelagerungen gegen den reich beladenen Krämer und Juden. Die Poesie
ist bei uns eine Gemeindewiese, auf welcher jedes Vieh umherspazieren
und Blumen und Gras fressen kann nach Belieben."

„Herr von Garnmacker," unterbrach ihn der Marquis de Lasulot, „ich
würde Ihre Geschichte erstaunlich hübsch und anziehend finden, wenn
sie nur nicht so langweilig wäre. Wenn Sie so fortmachen, so erzählen
Sie uns achtundvierzig Stunden in einem fort. Ich schlage daher vor,
wir verschieben den Rest und unsere eigenen Lebensläufe auf ein
andermal und gehen jetzt auf die Höllenpromenade, um die schöne Welt
zu sehen!"

„Sie haben recht," sagte der Lord, indem er aufstand und mir ein
Sixpencestück zuwarf, „der Herr von Garnmacher weiß auf unterhaltende
Weise einzuschläfern. Brechen wir auf; ich bin neugierig, ob wohl
viele Bekannten aus der Stadt hier sind."

„ Wie?" rief der junge Deutsche nicht ohne Überraschung. „Sie wollen
also nicht hören, wie ich mich in Berlin bei den Herren vom Mühlendamm
zu einem Elegant perfektionierte? Sie wollen nicht hören, wie ich
einen Liebeshandel mit einer Prinzessin hatte, und auf welche
elendigliche Weise ich endlich verstorben bin? O, meine Herren, meine
Geschichte fängt jetzt erst an, interessant zu werden."

„Sie können recht haben," erwiderte ihm der Lord mit vornehmem
Lächeln; „aber wir finden, daß uns die Abwechslung mehr Freude macht.
Begleiten Sie uns; vielleicht sehen wir einige Figuren aus Ihrem
Vaterlande, die Sie uns zeigen können."

„Nein, wirklich! Ich bin gespannt auf Ihre Geschichte," sagte der
Marquis lachend; „aber nur jetzt nicht. Es ist jetzt die Zeit, wo die
Welt promeniert, und um keinen Preis, selbst nicht um Ihre
interessante Erzählung, möchte ich diese Stunde versäumen. Gehen wir."

„Gut," erwiderte der deutsche Stutzer resigniert und ohne beleidigt zu
scheinen. „Ich begleite Sie; auch so ist mir Ihre werte Gesellschaft
sehr angenehm; denn es ist für einen Deutschen immer eine große Ehre,
sich an einen Franzosen oder gar an einen Engländer anschließen zu
können."

Lachend gingen die beiden voran, der Baron folgte, und ich veränderte
schnell mein Kostüm, um diese merkwürdigen Subjekte auf ihren
Wanderungen zu verfolgen; denn ich hatte gerade nichts Besseres zu
tun.

Die Menschen bleiben sich unter jeder Zone gleich--es ist möglich, daß
Klima und Sitten eines anderen Landes eine kleine Veränderung in
manchem hervorbringen; aber laßt nur eine Stunde lang Landsleute
zusammen sprechen, der Nationalcharakter wird sich nicht verleugnen,
wird mehr und mehr sich wieder hervorheben und deutlicher werden. So
kommt es, daß dieser Geburtstag meiner lieben Großmutter mir Stoff zu
tausend Reflexionen gibt; denn selbst im Fegefeuer, wenn diesen
Leutchen nur e i n Tag vergönnt ist, findet sich Gleiches zu Gleichem,
und es spricht und lacht und geht und liebt wie im Prater, wie auf der
Chaussee d'Antin oder im Palais Royal, wie Unter den Linden, oder wie
in....

Welchen Anblick gewährte diese höllische Promenade! Die Stutzer aller
Jahrhunderte, die Kurtisanen und Merveilleuses aller Zeiten, Theologen
aller Konfessionen, Juristen aller Staaten, Finanziers von Paris bis
Konstantinopel, von Wien bis London, und sie alle in Streit über ihre
Angelegenheiten, und sie alle mit dem ewigen Refrain: „Zu unserer
Zeit, ja! Zu unserer Zeit war es doch anders!" Aber ach, meine Stutzer
kamen zu spät auf die Promenade, kaum daß noch Baron von Garnmacher
einen jungen Dresdener Dichter umarmen und einer Berliner Sängerin
sein Vergnügen ausdrücken konnte, ihre Bekanntschaft hier zu erneuern!
Der edle junge Herr hatte durch seine Erzählung die Promenadezeit
verkümmert, und die große Welt strömte schon zum Theater.

       *       *       *       *       *




3. DAS THEATER IM FEGEFEUER.


Man wundert sich vielleicht über ein Theater im Fegefeuer? Freilich
ist es weder _Opera buffa_ noch _seria_, weder Trauer= noch
Lustspiel; ich habe zwar Schauspieldichter, Sänger, Akteurs und
Aktricen, Tänzer und Tänzerinnen genug; aber wie könnte man ein so
gemischtes Publikum mit einem dieser Stücke unterhalten? Ließe ich von
Zacharias Werner eine schauerlich=tragikomisch=historisch=romantisch=
heroische Komödie aufführen,--wie würden sich Franzosen und Italiener
langweilen, um von den Russen, die mehr das Trauerspiel und
Mordszenen lieben, gar nicht zu reden. Wollte ich mir von Kotzebue ein
Lustspiel schreiben lassen, etwa die „Kleinstädter in der Hölle", wie
würde man über verdorbenen Geschmack schimpfen! Daher habe ich
eine andere Einrichtung getroffen.

Mein Theater spielte große pantomimische Stücke, welche
wunderbarerweise nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft zum
Gegenstand haben; aber mit Recht. Die Vergangenheit, ihr ganzes Leben
liegt abgeschlossen hinter diesen armen Seelen. Selten bekommt eine
einen Erlaubnisschein, als Revenant die Erde um Mitternacht besuchen
zu dürfen. Denn was nützt es mir? Was frommt es dem irren Geist einer
eifersüchtigen Frau, zum Lager ihres Mannes zurückzukehren? Was nützt
es dem Mann, der sich um eine zweite umgetan, wenn durch die Gardine
dringt--

  „Eine kalte weiße Hand.
  Wen erblickt er? Seine Wilhelmine,
  Die im Sterbekleide vor ihm stand."

Was kann es dem Teufel, was einer ausgeleerten herzoglichen Kasse
helfen, wenn der Finanzminister, der sich aus Verzweiflung mit dem
Federmesser die Kehle abschnitt, allnächtlich ins Departement
schleicht, angetan mit demselben Schlafrock, in welchem er zu arbeiten
pflegte, schlürfend auf alten Pantoffeln und die Feder hinter dem Ohr?
Zu was dient es, wenn er seufzend vor den Akten sitzt und mit
glühendem Auge seinen Rest immer noch einmal berechnet? Was kann es
dem fürstlichen Keller helfen, wenn der Schloßküfer, den ich in einer
bösen Stunde abgeholt, durch einen Kellerhals herniederfährt und mit
krampfhaft gekrümmtem Finger an den Fässern anpocht, die er bestohlen?
Zu welchem Zweck soll ich den General entlassen, wenn oben der
Zapfenstreich ertönt und die Hörner zur Ruhe blasen? Wozu den Stutzer,
um zu sehen, ob sein bezahltes Liebchen auf frische Rechnung liebt?
Zwar sie alle, ich gestehe es, sie alle würden sich unglücklicher
fühlen, könnten sie sehen, wie schnell man sie vergessen hat; es wäre
eine Schärfung der Strafe, wie etwa ein König, als ihm ein Urteil zu
l e b e n s l ä n g l i c h e r Zuchthausstrafe vorgelegt wurde,
„n o c h  s e c h s J a h r e  l ä n g e r" unterschrieb, weil er den
Mann haßte. Aber sie würden mir auf der andern Seite so viel
verwirrtes Zeug mit herabbringen, würden mir manchen fromm zu machen
suchen, wie der reiche Mann im Evangelium, der zu Lebzeiten soviel
getrunken, daß er in der Hölle Wasser trinken wollte,--ich habe darin
so viele Erfahrungen gemacht und kann es in neuern Zeiten, wo ohnedies
die Missionarien und andere Mystiker genug tun, nicht mehr erlauben.
Daher kommt es, daß es in diesen Tagen wenig mehr in den H ä u s e r
n, desto mehr aber in den K ö p f e n, spukt.

Um nun den Seelen im Fegefeuer dennoch Nachrichten über die Zukunft zu
geben, lasse ich an Festtagen einige erhebliche Stücke von meiner
höllischen Bande aufführen. Auf dem heutigen Zettel war angezeigt:

  M i t  A l l e r h ö c h s t e r  B e w i l l i g u n g.

  Heute, als am Geburtstage der Großmutter, diabolischen Hoheit:

  E i n i g e  S z e n e n  a u s  d e m  J a h r e  1 8 2 6.

  Pantomimische Vorstellung mit Begleitung des Orchesters.

  Die Musik ist aus Mozarts, Haydns, Glucks und anderen Meisterwerken
  zusammengesucht von Rossini.

  (Bemerkungen an das Publikum.) Da gegenwärtig sehr
  viele allerhöchste Personen und hoher Adel hier sind, so wird
  gebeten, die ersten Ranglogen den Hoheiten, Durchlauchten und
  Ministern bis zum Grafen abwärts inklusive, die zweite Galerie
  der Ritterschaft samt Frauen bis zum Leutnant abwärts zu
  überlassen.

  Die Direktion des infernal. Hof= und Nationaltheaters.

Das Publikum drängte sich mit Ungestüm nach dem Hause. Ich bot mich
den drei jungen Herren als Cicerone an und führte sie glücklich durchs
Gedränge ins Parkett. Obgleich der Lord ohne Anstand auf die erste,
der Marquis und der deutsche Baron auf die zweite Loge hätten
eintreten dürfen, fanden es diese drei Subjekte aber amüsanter, von
ihrem niederen Standpunkt aus Logen und Parterre zu lorgnettieren. Wie
mancher Ausruf des freudigen Staunens entschlüpfte ihnen, wenn sie
wieder auf ein bekanntes Gesicht trafen! Besonders Garnmacher schien
vor Erstaunen nicht zu sich selbst kommen zu können. „Nein, ist es
möglich?" rief er wiederholt aus. „Ist es möglich? Sehen Sie, Marquis,
jener Herr dort oben in der zweiten Galerie rechts, mit den roten
Augen, er spricht mit einer bleichen jungen Dame; dieser starb in
Berlin im Geruch der Heiligkeit und soll auch hier sein an diesem
unheiligen Ort? Und jene Dame, mit welcher er spricht, wie oft habe
ich sie gesehen und gesprochen! Sie war eine liebenswürdige, fromme
Schwärmerin, ging lieber in die Dreifaltigkeitskirche als auf den
Ball--sie starb, und wir alle glaubten, sie werde sogleich in den
dritten Himmel schweben, und jetzt sitzt sie hier im Fegefeuer! Zwar
wollte man behaupten, sie sei in Töplitz an einem heimlichen
Wochenbette verschieden; aber wer ihren frommen Lebenslauf gesehen,
wer konnte das glauben?"

„Ha! die Nase von Frankreich!" rief auf einmal der Marquis mit
Ekstase. „Heiliger Ludwig, auch Ihr, auch Ihr unter Euern verlorenen
Kindern? Ha? und ihr, ihr verdammten Kutten, die ihr mein schönes
Vaterland in die Kapuze stecken wollet. Sehen Sie, Mylord, jene
häßlichen, kriechenden Menschen? Sehen Sie, dort--das sind berühmte
Missionäre, die uns glauben machen wollten, sie seien frömmer als wir.
Dem Teufel sei es gedankt, daß er diese Schweine auch zu sich
versammelt hat."

„O mein Herr," sagte ich, „da hätten Sie nicht nötig gehabt, bis ins
Theater sich zu bemühen, um diese Leutchen zu sehen. Sie zeigen sich
zwar nicht gerne auf den Promenaden, weil selbst in der Hölle nichts
Erbärmlicheres zu sein pflegt als ein entlarvter Heuchler. Aber im
_Café de la Congrégation_ wimmelt es von diesen Herren, vom
Kardinal bis zum schlichten Pater. Sie können manche heilige
Bekanntschaft dort machen."

„Mein Herr, Sie scheinen bekannt hier," erwiderte Mylord, „sagen Sie
doch, wer sind diese ernsten Männer in Uniform nebenan? Sie
unterhalten sich lebhaft, und doch sehe ich sie nicht lächeln. Sind es
Engländer?"

„Verzeihen Sie," antwortete ich, „es sind Soldaten und Offiziere von
der alten Garde, die sich mit einigen Preußen über den letzten Feldzug
besprechen."

Alle drei schienen erstaunt über dieses Zusammentreffen und wollten
mehr fragen; aber der Kapellmeister hob den Stab, und die Trompeten
und Pauken der Rossinischen Ouvertüre schmetterten in das volle Haus.
Es war die herrliche Ouvertüre aus _il maestro ladro_, die
Rossini auf sich selbst gedichtet hat, und das Publikum war entzückt
über die schönen Anklänge aus der Musik aller Länder und Zeiten, und
jeder fand seinen Lieblingsmeister, seine Lieblingsarie in dem
herrlich komponierten Stück. Ich halte auch außer der _Gazza
ladra_ den _Maestro ladro_ für sein Bestes, weil er darin
seine Tendenz und seine künstlerische Gewandtheit im Komponieren ganz
ausgesprochen hat. Die Ouvertüre endete mit dem ergreifenden Schluß
von Mozarts Don Juan, dem man zur Vermehrung der Rührung einen
Nachsatz von Pauken, Trommeln und Trompeten angehängt hatte, und--der
Vorhang flog auf.

Man sah einen Saal der Börsenhalle von London. Ängstlich drängten sich
Juden und Christen durcheinander. In malerischen Gruppen standen
Geldmäkler, große und kleine Kaufleute und steigerten die Papiere.
Nachdem diese Introduktion einige Zeitlang gedauert hatte, kamen in
sonderbaren Sprüngen und Kapriolen zwei Kuriere hereingetanzt.
Allgemeine Spannung. Die Depeschen werden in einem _pas de deux_
entsiegelt, die Nachrichten mitgeteilt. In diesem Augenblicke
erscheint mein erster Solotänzer, das Haus Goldsmith vorstellend, in
der Szene. Seine Mienen, seine Haltung brüllen Verzweiflung aus. Man
sieht, seine Fonds sind erschöpft, seine Beutel leer, er muß seine
Zahlungen einstellen. Ein Chor von Juden und Christen dringen auf ihn
ein, um sich bezahlt zu machen. Er fleht, er bittet, seine
Gebärdensprache ist bezaubernd--es hilft nichts. Da rafft er sich
verzweiflungsvoll auf. Er tanzt ein Solo voll Ernst und Majestät. Wie
ein gefallener König ist er noch im Unglück groß, seine Sprünge
reichen zu einer immensen Höhe, und mit einem prachtvollen Fußtriller
fällt das Haus Goldsmith in London. Komisch war es nun anzusehen, wie
das Chor der englischen, deutschen und französischen Häuser,
vorgestellt von den Herren vom _corps de ballet_, diesen Fall
weiter fortsetzten. Sie wankten künstlich und fielen noch künstlicher,
besonders exzellierten hierbei einige Berliner Börsenkünstler, die
durch ihre ungemeine Kunst einen wahrhaft tragischen Effekt
hervorbrachten und allgemeine Sensation im Parterre erregten.

Plötzlich ging die lamentable Börsenmusik in einen Triumphmarsch über.
Die herrliche Passage aus der „Italienerin in Algier": H e i l  d e m
g r o ß e n  K a i m a k a n! ertönte. Ein glänzender Zug von
Christensklaven, Goldbarren und Schüsseln mit gemünztem Gold tragend,
tanzten aufs Theater. Es war, wie wenn in der Hungersnot ein Wagen mit
Brot in eine ausgehungerte Stadt kömmt. Man denkt nicht daran, daß der
spekulative Kopf, der das Brot herbeischaffte, nichts als ein gemeiner
Wucherer ist, der den Hunger benützt und sein Brot zu ungeheuren
Preisen losschlägt; man denkt nicht daran, man verehrt ihn als den
Retter, als den schützenden Schild in der Not. So auch hier. Die
gefallenen Häuser richteten sich mit Grazie empor, sie schienen
Hoffnung zu schöpfen, sie schienen den Messias der Börse zu erwarten.
Er kam. Acht Finanzminister berühmter Könige und Kaiser trugen auf
ihren Schultern eine Art von Triumphwagen, der die transparente
Inschrift: „S e i d  u m s c h l u n g e n, M i l l i o n e n!" trug.
Ein Herr mit einer bekannten morgenländischen Physiognomie,
wohlbeleibt und von etwas schwammigem Ansehen, saß in dem Wagen und
stellte den Triumphator vor.

Mit ungemeinem Applaus wurde er begrüßt, als er von den Schultern der
Minister herab auf den Boden stieg. „Das ist Nothschild! Es lebe
Nothschild!" schrie man in den ersten Ranglogen und klatschte und rief
bravo, daß das Haus zitterte. Es war mein erster Grotesktänzer, der
diese schwierige Rolle meisterhaft durchführte, besonders, als er mit
dem englischen, österreichischen, preußischen und französischen
Ministerium einen Cosaque tanzte, übertraf er sich selbst. Nothschild
gab in einer komischen Solopartie seinem Reich, der Börse, den
Frieden, und der erste Akt der großen Pantomime endigte mit einem
brillanten Schlußchor, in welchem er förmlich gekrönt und zu einem
allerhöchsten _cher cousin_ gemacht wurde.

Als der Vorhang gefallen war, ließ sich Mylord ziemlich ungnädig über
diese Szene aus. „Es war zu erwarten," sagte er, „daß diese Menschen
bedeutenden Einfluß auf die Kurse bekommen werden; aber daß auf der
Börse von London ein solcher Skandal vorfallen werde, im Jahre 1826,
das ist unglaublich."

„Mein Herr," erwiderte der Marquis lachend, „unglaublich finde ich es
nicht. Bei den Menschen ist alles möglich, und warum sollte nicht
einer, wenn er auch im Judenquartier zu Frankfurt das Licht der Welt
erblickte, durch Kombination so weit kommen, daß er Kaiser und Könige
in seinen Sack stecken kann?"

„Aber England, Alt=England! Ich bitte Sie," rief der Lord schmerzlich.
„Ihr Frankreich, Ihr Deutschland haben beide von jeher nach jeder
Pfeife tanzen müssen! Aber, _Goddam_! das englische Ministerium
mit diesem Hep=Hep einen Cosaque tanzen zu sehen! O! es ist
schmerzlich!"

„Ja, ja!" sprach Baron von Garnmacher, des Schneiders Sohn, sehr
ruhig. „Es wird und muß so kommen. Freilich, ein bedeutender
Unterschied zwischen 1826 und der Zeit des Königs David."

„Das finde ich nicht," antwortete der Marquis; „im Gegenteil, Sie
sehen ja, welch großen Einfluß die Juden auf die Zeit gewinnen!"

„Und dennoch finde ich einen bedeutenden Unterschied," erwiderte der
Deutsche. „Damals, mein Herr, hatten alle Juden nur e i n e n König,
jetzt aber haben alle Könige nur e i n e n Juden."

„Wenn Sie so wollen, ja. Aber neugierig bin ich doch, was für eine
Szene der Teufel uns jetzt geben wird. Ich wollte wetten, Frankreich
oder Italien kommt ans Brett."

„Ich denke, Deutschland," erwiderte Garnmacher. „Ich wenigstens möchte
wohl wissen, wie es im Jahre 1826 oder 1830 in Deutschland sein wird.
Als ich die Erde verließ, war die Konstellation sonderbar: Es roch in
meinem Vaterlande wie in einer Pulverkammer, bevor sie in die Luft
fliegt. Die Lunte glühte, und man roch sie allerorten. Die feinsten
diplomatischen Nasen machten sich weit und lang, um diesen
geheimnisvollen Duft einzuziehen und zu erraten, woher der Wind komme.
Meinen Sie nicht auch, es müsse bedeutende Änderungen geben?"

„Es wird heißen: ‚Auch in diesem Jahr ist es geblieben wie es war',"
antwortete ich dem guten Deutschen. „Um eine Lunte auszulöschen,
bedarf es keiner großen Künste. Man wird bleiben, wie man war, man
wird höchstens um einige Prozente weiser vom Rathaus kommen. Sie
wollen Ihr Vaterland in die Szene gesetzt sehen, um zu erfahren, wie
es anno 1826 dort aussieht? Armer Herr! Da müßte ich ja zuvor noch
fragen, was für ein Landsmann Sie sind."

„Wie verstehen Sie das?" fragte der Baron unmutig.

„Nun? Was könnte man Ihnen denn Allgemeines und Nationales vorspielen,
da Sie keine Nation sind? Sind Sie ein Bayer, so müßte man Ihnen
zeigen, wie man dort noch immer das alte ehrliche Bier, nur nach neuen
Rezepten, braut. Sind Sie Württemberger, so könnten Sie erfahren, wie
man die Landstände wählte. Sind Sie ein Rheinpreuße und drückt Sie der
Schuh, so lassen Sie den eigenen Fuß operieren; denn an dem
Normalschuh darf nichts geändert werden. Sind Sie ein Hesse, so
trinken Sie ganz ruhig Ihren Doppelkümmel zum Butterbrot; aber denken
Sie nichts, nicht einmal, ob es in der letzten Woche schön war und in
der nächsten regnen wird. Sind Sie ein Brandenburger, so machen Sie,
daß Ihnen die Haare zu Berge stehen und hungern Sie, bis Sie eine
schöne Taille bekommen---"

„Herr, Sie sind des Teufels!" fuhr der Baron auf. „Wollen Sie uns
alles Nationalgefühl absprechen? Wollen Sie--"

„Stille! Sie sehen, der Vorhang geht wieder in die Höhe!" rief der
Marquis. „Wie, was sehe ich? Das ist ja das Portal von Notre=Dame! Das
finde ich sonderbar. Wenn man von Frankreich etwas in Szene setzen
will, warum gibt man uns kein Vaudeville, warum nicht den Kampf der
Kammer?"

Die Glocken von Notre=Dame ertönten in feierlichen Klängen. Chorgesang
und das Murmeln kirchlicher Gebete näherte sich, und eine lange
Prozession, angeführt von den Missionären, betrat die Bühne. Da sah
man königliche Hoheiten und Fürsten mit den Mienen zerknirschter
Sünder, den Rosenkranz in der Hand, einherschleichen. Da sah man Damen
des ersten Ranges, die schönen Augen gen Himmel gerichtet, die _à
la_ Madonna gekämmten Haare mit wohlriechender Asche bestreut, die
niedlichen Füßchen bloß und bar in dem Staube wandelnd. Das Publikum
staunte. Man schien seinen Augen nicht zu trauen, wenn man die
Herzogin D--s, die Comtesse de M--u, die Fürstin T--d im Kostüm einer
Büßenden zur Kirche wandeln sah. Doch, als Offiziere der alten Armee,
nicht mit Adlern, sondern mit heiligen Fahnen in der Hand
hereinwankten, als sogar ein Mann in der reichen Uniform der
Marschälle, den Degen an der Seite, die Kerze in der Hand und
Gebetbücher unter dem Arm, über die Szene ging, da wandte sich der
Marquis ab; die Soldaten der alten Garde an unserer Seite ballten die
Fäuste und riefen Verwünschungen aus, und wer weiß, was meinen Akteurs
geschehen wäre, hätte man faule Äpfel oder Steine in der Nähe gehabt!
Das hohe Portal von Notre=Dame hatte endlich die Prozession
aufgenommen, und nur der Schluß ging noch über die Szene. Es war ein
Affe, der eine Kerze in der Hand und unter dem Arm eine Vulgata trug.
Man hatte ihm einen ungeheuern Rosenkranz als Zaum um den Hals gelegt,
an welchem ihn zwei Missionäre wie ein Kalb führten. So oft er aus dem
ruhigen Prozessionsschritt in wunderliche Seitensprünge fallen wollte,
wurde er mit einer Kapuzinergeißel gezüchtigt und schrie dann, um
seine Zuchtmeister zu versöhnen: „_Vive le bon Dieu! vive la
croix!_" So brachten sie ihn endlich mit großer Mühe zur Kirche.
Orgel und Chorgesang erscholl, und der Vorhang fiel.

„Haben Sie nun Genugtuung?" sagte der Marquis zu dem Lord. „Was ist
Ihr Skandal auf der Börse gegen diesen kirchlichen Unfug? O mein
Frankreich, mein armes Frankreich!"

„Es ist wahr," antwortete Mylord sehr ernst, indem er dem Franzosen
die Hand drückte, „Sie sind zu beklagen; aber ich glaube nicht an
diese tollen Possen. Frankreich kann nicht so tief sinken, um sich so
unter den Pantoffel zu begeben. Frankreich, das Land des guten
Geschmacks, der fröhlichen Sitten, der feinen Lebensart, Frankreich
sollte schon im Jahre 1826 vergessen haben, daß es einst der gesunden
Vernunft Tempel erbaute und den Jesuiten die Kutte ausklopfte? Nicht
möglich, es ist ein Blendwerk der Hölle!"

„Das möchte doch nicht so sicher sein," sagte ich. „Das Vaterland des
Herrn Marquis gefiel sich von jeher in Kontrasten. Wenn einmal der
Jesuitismus dort zur Mode wird, möchte ich für nichts stehen."

„Aber was wollten sie nur mit dem Affen in Notre=Dame?" fragte der
Baron. „Was hat denn dieses Tier zu bedeuten?"

„Das ist, wie ich von der Theaterdirektion vernahm, der Affe Joco, der
sonst diese Leute im Theater belustigte. Jetzt ist er wohl auch von
den Missionären bekehrt worden, und wenn er, wie man aus seinen
Seitensprüngen schließen könnte, ein Protestant ist, so werden sie ihn
wohl in der Kirche taufen."

„_Goddam_! Was Sie sagen! Doch Sie scheinen mit der
Theaterdirektion bekannt. Sagen Sie uns, was noch aufgeführt wird.
Wenn es nichts Interessantes ist, so denke ich, gehen wir weiter; denn
ich finde diese Pantomimen etwas langweilig."

„Es kommt nur noch ein Akt, der mehr allgemeines Interesse hat,"
antwortete ich. „Es wird nämlich ein diplomatisches Diner aufgeführt,
das der Reis=Effendi den Gesandten hoher Mächte gibt, das Siegesfest
der Festung Missolunghi vorstellend. Es werden dabei Ragouts aus
Griechenohren, Pastetchen von Philhellenennasen aufgetischt. Das
Hauptstück der Tafel macht ein Roastbeef von dem griechischen
Patriarchen, den sie lebendig geröstet haben, und zum Beschluß wird
ein kleiner Ball gegeben, den ein besternter Staatsmann, so alt er
sein mag, mit der schönsten Griechensklavin aus dem Harem seiner
mohammedanischen Majestät eröffnet."

„Ei!" rief der Marquis. „Was, wollen wir diese Schande der Menschheit
sehen? Ihre Londoner Börse war lächerlich, die Prozession gemein und
dumm; aber diese ekelhafte Erbärmlichkeit, ich kann sie nicht ansehen!
Kommt, meine Freunde! Wir wollen lieber noch die Geschichte des Herrn
von Garnmacker hören, so langweilig sie ist, als dieses diplomatische
Diner betrachten."

Der Lord und der deutsche Baron willigten ein. Sie standen auf und
verließen mein Theater, und der Lord sah, als er heraustrat, mit einem
derben Fluche zurück und rief: „Wahrlich, es steht schlimm mit der
Zukunft von 1826!"

       *       *       *       *       *




DER FLUCH.

(E i n e  N o v e l l e.)

(Fortsetzung.)


Man kann sich denken, daß ich in Rom immer viele Geschäfte habe. Die h
e i l i g e  S t a d t hatte immer einen Überfluß von Leuten, die in
der ersten, zweiten oder dritten Abstufung mein waren.

Man wird sich wundern, daß ich eine Klassifikation der g u t e n  L e
u t e (von andern Sünder genannt) mache; aber, wer je mit der Erde zu
tun hatte, hat den Menschen bald abgelernt, daß nur das Systematische
mit Nutzen bei ihnen betrieben werden könne. Es ist dies besonders in
Städten wie Rom unumgänglich notwendig; wo so vielerlei Nuancen g u t
e r  L e u t e vom roten Hut bis auf die Kapuze, vom Fürsten, der die
Macht hat, Orden zu verleihen, bis auf den Armen, dem solche um
dreißig Taler angeboten werden, sich vorfinden, da muß man Klassen
haben. Ich werde in der Bibel und von den heutigen Philosophen als das
negierende Prinzip vorgestellt, daher teilte ich meine guten Leute ein
in: Erste Klasse, mit dem Prädikat r e c h t  g u t, solche, die
geradehin verneinen, als da sind: Freigeister, Gottesleugner &c.
Zweite Klasse, g u t; sie sagen mit einigem Umschweif nein, gelten
unter sich für Heiden, bei Vernünftigen für liberale Männer, bei der
Menge für fromme Menschen. In dieser Klasse befinden sich viele Türken
und Pfaffen. Die dritte Klasse mit dem Prädikat m i t t e l m ä ß i g
sind jene, die ihr Nein nur durch ein Kopfschütteln andeuten. Es sind
jene, die sich selbst für eine Art von Gott halten, mögen sie nun
Ablaß verkaufen oder als evangelisch=mystisch=pietistische Seelen
einen Separatfrieden mit dem Himmel abschließen; der letzteren gibt es
übrigens in Rom wenige.

Es läßt sich annehmen, daß das Innere dieses Systems, die
verschiedenen Übergänge der Klassen beinahe mit jedem Jahr sich
ändern. Geld, Sitten, der Zeitgeist üben hier einen großen Einfluß aus
und machen beinahe alle zwei Jahre eine Reise an Ort und Stelle
notwendig.

Als ich vor einiger Zeit auf einer solchen Visitationsreise in Rom
verweilte, war ich Zeuge folgender Szenen, die ich aufzuzeichnen nicht
unterlassen will, weil sie vielleicht für manchen Leser meiner
Memoiren von Interesse sein möchten.

Ich ging eines Morgens unter den Säulengängen der Peterskirche
spazieren, dachte nach über mein System und die Veränderungen, die ihm
durch die Missionäre in Frankreich und das Überhandnehmen der Jesuiten
drohte; da stieß mir ein Gesicht auf, das schon in irgend einer
interessanten Beziehung zu mir gestanden haben mußte. Ich stand
stille, ich betrachtete ihn von der Seite. Es war ein schlanker,
schöner junger Mann; seine Züge trugen die Spuren von stillem Gram;
dem Auge, der Form des Gesichtes nach war er kein Italiener,--ein
Deutscher, und jetzt fiel mir mit einem Male, daß ich ihn vor wenigen
Monaten in Berlin im Salon jener Dame gesehen hatte, die mir und dem
ewigen Juden einen ästhetischen Tee zu trinken gegeben hatte. Es war
jener junge Mann, dessen anziehende Unterhaltung, dessen angenehme
Persönlichkeit mir damals ein so große Interesse eingeflößt hatten. Er
war es, der uns damals ein Abenteuer aus seinem Leben erzählt hatte,
das ich für würdig fand, bei der Beschreibung jenes Abends mit
aufzuzeichnen.

Ob ihn wohl die Liebe zu jener jungen Dame noch einmal in die heilige
Stadt gezogen hatte? Ob ihm, wie mir, der düstere Himmel seines Landes
und die süße Langeweile der ästhetischen Tees im Hause seiner Tante so
drückend wurde, daß er sich unter eine südlichere Zone flüchtete? Ich
beschloß, seine Bekanntschaft zu erneuern, um über jene interessante
Begegnis, dessen Erzählung der Jude unterbrochen, um über ihn selbst,
über seine Schicksale etwas Näheres zu vernehmen. Er stand an einer
Säule des Portals, den Blick fest auf die Türe gerichtet; fromme
Seelen, schöne Frauen, junge Mädchen strömten aus und ein. Ich sah, er
blieb gleichgültig; wenigstens schien ihn keine dieser Gestalten zu
interessieren. Endlich erscheint ein kleiner Florentiner Strohhut in
der Türe; war es die Form dieses Hutes, waren es die weißen, wallenden
Federn, war es die einfache Rose, aus welcher dieser Busch herwallte,
was dem jungen Manne so reizend, so bekannt dünkte? Noch konnte man
weder Gestalt noch Gesicht der Dame sehen; aber seine Augen glänzten,
ein Lächeln der erfüllten Hoffnung flog um seinen Mund, seine Wangen
röteten sich, er richtete sich höher auf und schaute unverwandt den
Säulengang hin. Noch verdeckten zwei Pfaffen mit ihren Kapuzen die
Nahende; jetzt bogen sie rechts ein, und ich sah ein holdes, süßes
Wesen heranschweben.

Wer, wie ich, erhaben über jede Leidenschaft, die den Sterblichen auf
der Erde quält, die Dinge betrachtet, wie sie sind, nicht wie sie euch
Liebe oder Haß oder eure tausend Vorurteile schildern, dem ist eine
solche seltene Erscheinung ein Fest; denn es ist etwas Neues,
Originelles. Ich gedachte unwillkürlich jener Worte des jungen Mannes,
wie er uns den Eindruck beschrieb, den der Anblick jener Dame zum
ersten Male auf ihn machte, mit welchem Entzücken er uns ihr Auge
beschrieb;--ich war keinen Augenblick im Zweifel, daß diese liebliche
Erscheinung, die auf uns zukam, und jene rätselhafte Dame eine und
dieselbe sei.

Ein glühendes Rot hatte die Züge des Jünglings übergossen. Er hatte
den Hut gezogen; es war, als schwebte ihm ein Morgengruß oder eine
freundliche Rede auf den Lippen, und überrascht von der stillen Größe
des Mädchens sei er verstummt. Auch sie errötete, sie schlug die Augen
auf, als er sich verbeugte, sie warf einen fragenden Blick auf ihn,
hielt einen kurzen Moment ihre Schritte an, als erwarte sie, von ihm
angeredet zu werden; er schwieg, sie eilte bewegt weiter.

Der junge Mann sah ihr mit trüben Blicken nach, dann folgte er
langsamen Schrittes; oft blieb er, wie in Gedanken verloren, stehen.
Ich ging ihm einige Straßen nach; er trat endlich in ein Kaffeehaus,
wo sich die deutschen Künstler zu versammeln pflegen. Hatte schon
früher dieser Mensch und seine Erzählung meine Teilnahme erregt, so
war ich jetzt, da ich Zeuge eines flüchtigen, aber bedeutungsvollen
Zusammentreffens gewesen war, um so neugieriger, zu erfahren, in
welchem Verhältnis der Berliner zu dieser Dame stehe; daß es kein
glückliches Verhältnis, kein gewöhnliches Liebesverständnis war,
glaubte ich in ihren Mienen, in ihrem sonderbaren Benehmen gelesen zu
haben.

Man wird sich erinnern, daß ich als hoffnungsvoller Zögling des ewigen
Juden, als Herr von Stobelberg, die Bekanntschaft dieses Mannes
machte. Daher trat ich in dieser Rolle in das Kaffeehaus. Der junge
Herr saß in einem Fenster und las in einem Brief. Ich wartete eine
Weile, ob er wohl bald ausgelesen haben werde, um ihn dann anzureden;
aber er las immer. Ich trat von der Seite hinter ihn, um nach dem
Schluß dieses riesengroßen Briefes zu blicken,--es waren wenige Zeilen
von einer Frauenhand, die er, wie es schien, gedankenlos anstarrte.

„Habe ich die Ehre, Herrn von S. vor mir zu sehen?" fragte ich in
deutscher Sprache, indem ich vor ihn trat.

„Der bin ich," antwortete er, indem er den düsteren Blick von dem
Brief auf mich schlug und mein Kompliment durch ein leichtes Neigen
des Hauptes erwiderte.

„Sie scheinen mich nicht mehr zu kennen, und doch war ich so
glücklich, einmal einen Abend im Hause Ihrer Tante in Berlin zu
genießen, den vorzüglich Ihre Unterhaltung, Ihre interessanten
Mitteilungen mir unvergeßlich machen."

„Im Hause meiner Tante?" fragte er, aufmerksamer werdend.

„Wie, war es nicht ein höchst ennuyanter Tee? Waren nicht einige
männliche Weiber und einige zartweibliche Herren zugegen? Ich erinnere
mich, ich mußte etwas erzählen. Doch Ihr Name, mein Lieber, ist mir
leider entfallen."

„Baron von Stobelberg; ich reiste damals mit--"

„Ah--mit einem ganz sonderbaren Kauz von Hofmeister; jetzt erinnere
ich mich ganz; er war so unglücklich, allen Damen, ohne es zu wollen,
Sottisen zu sagen und überschnappte endlich, nämlich mit dem Stuhl?"

„So ist's; wollten Sie erlauben, meinen Kaffee hier zu trinken? Ich
bin noch so fremd hier, ich kenne keine Seele. Sie sind wohl schon
lange hier bekannt?"

Ein melancholisches Lächeln zog um seinen Mund. „O ja, bin schon lange
hier bekannt," antwortete er düster. „Ich war früher in Geschäften
hier, jetzt zu--meiner Erholung."

„Sie erinnern mich da auf einmal wieder an den Abend bei Ihrer Tante;
mein Hofmeister brachte mich damals um einen köstlichen Genuß. Sie
erzählten uns ein kleines Abenteuer, das Sie mit einer Deutschen in
Rom gehabt. Ihre Erzählung war auf dem Punkte, eine Wendung zu nehmen,
die uns über vieles, namentlich über Ihre sonderbare Verwechslung mit
einem Ebenbilde aufgeklärt hätte, da zerstörte mein Mentor durch
seinen Fall meine schöne Hoffnung; ich war genötigt, mit ihm den Salon
zu verlassen und plage mich seitdem mit allerlei Möglichkeiten,
Wahrscheinlichkeiten, wie es Ihnen möchte ergangen sein; ob Sie sich
mit Ihrem Ebenbilde geschlagen haben; ob Sie auch ferner der schönen
Luise sich nahen konnten; ob nicht endlich ein Liebesverhältnis
zwischen Ihnen entstanden. Kurz, ich kann Sie versichern, es peinigte
mich tagelang, die tollsten Konjekturen erfand ich, aber nie wollten
sie passen."

Der junge Mann war während meiner Reden nachdenklich geworden; es
schien etwas darin zu liegen, das ihm nicht ganz recht war; vielleicht
ahnte er meine unbezwingliche Neugierde nach seiner Aventüre; er
blickte mich scharf an, aber er wich in seiner Antwort aus.

„Ich erinnere mich," sagte er, „daß wir damals alle bedauerten, Ihre
Gesellschaft entbehren zu müssen. Sie waren uns allen wert geworden,
und die Tanten behaupteten, Sie hätten etwas Eigenes, Anziehendes, das
man nicht recht bezeichnen könne, Sie hätten einen höchst pikanten
Charakter. Nun, Sie werden in der Zeit diese Damen entschädigt haben;
wann waren Sie das letzte Mal bei meiner Tante?"

Ich sah ihn staunend an. „Ich hatte nie die Ehre, bei Ihrer Tante
gesehen zu werden als an jenem Abend."

Er entgegnete hierauf nichts, sprach vom Papst und dergleichen, kam
aber immer wieder darauf zurück, mich durch eine Zwischenfrage nach
Berlin ins Haus seiner Tante zu verlocken. „Was wollen Sie nur immer
wieder mit Berlin?" fragte ich endlich. „Ich war seit jenem Abend
nicht mehr dort und reiste in dieser Zeit in Frankreich und England.
Sehen Sie einmal in meinen Paß, welch ungeheure Tour ich in dieser
Zeit gemacht habe!"

Er warf einen flüchtigen Blick hinein und errötete. „Verzeihen Sie,
Baron!" rief er, indem er meine Hand ungestüm drückte. „Vergeben Sie,
ich hielt Sie für einen Spion meiner Tante."--

„Ihrer Tante? Für einen Spion, den man Ihnen bis Rom nachschickt?"

„Ach, die Menschen sind zu keiner Torheit zu gut. Ich halte mich etwa
seit zwei Monaten wieder hier auf. Meine Verwandten toben, weil ich
meinen Posten im Bureau des Ministers plötzlich und ohne Urlaub
verlassen habe; sie bestürmten mich mit Briefen, ich kam nicht; sie
wandten sich an die preußische Gesandtschaft hier; sie fand aber
nichts Verdächtiges an mir und ließ mich ungestört meinen Weg gehen.
Vor einigen Tagen schrieb mir ein Freund, ich solle auf meiner Hut
sein, man werde einen Spion in meine Nähe senden, um alle meine
Schritte--"

„Ist's möglich? Und warum denn dies alles?"

„Ach, es ist eine dumme Geschichte; eine Anordnung meines verstorbenen
Vaters legt mir Pflichten auf, die--ein andermal davon--, die ich
nicht erfüllen kann. Und Sie, lieber Stobelberg, hielt ich für den
Spion. Vergeben Sie mir doch?"

„Unter zwei Bedingungen," erwiderte ich ihm, „einmal, daß Sie mir
erlauben, Sie recht oft zu begleiten und der Spion Ihres Spions zu
sein. Halten Sie mich nicht für indiskret, es ist wahre Teilnahme für
Sie und der Wunsch, Ihnen nützlich zu werden. Sodann--teilen Sie mir,
wenn es Ihnen anders möglich ist, den Schluß Ihres Abenteuers mit."

„Den Schluß?" rief er und lachte bitter. „Den Schluß? Ich wünschte, es
schlösse sich, könnte es auch nur mit meinem Leben schließen. Doch
kommen Sie, wir wollen unter jene Arkaden gehen. Die Künstler kommen
um diese Zeit hierher, wir könnten nicht ungestört reden; wer weiß, ob
man, nicht einen von ihnen zu meinem Wächter ersehen hat."


       *       *       *       *       *


Ich folgte Otto v. S.--so hieß der junge Mann--unter die Arkaden. Er
legte seinen Arm in den meinigen; wir gingen eine Weile schweigend auf
und ab; er, schien mehr nachdenklich als zerstreut.

„Es ist etwas, was mir Vertrauen zu Ihnen einflößt," hub er lächelnd
an. „Ich habe über den Ausspruch jener Damen in Berlin nach gedacht
und finde ihn, so komisch er mir damals vorkam, dennoch bestätigt. Es
ist mir in den paar Viertelstunden, die wir beisammen sind, als seien
Sie ein Wesen, das ich längst kannte, als seien Sie schon jahrelang
mein Freund. Und doch haben Sie nicht jenes Gutmütige, Ehrliche, was
an den Deutschen sogleich auffällt, was bewirkt, daß man ihnen gerne
vertraut; Sie haben für Ihre Jahre viel Beobachtungsgeist in Ihrem
Auge und um Ihren Mund in gewissen Augenblicken einen Zug, der nicht
immer das bestätigt, was Sie sagen wollten. Und dennoch fühle ich, daß
mir der Zufall viel geschenkt hat, der Sie in jenes Haus führte, ich
fühle auch, daß man Ihnen trauen kann, mein Lieber."

„Ich halte nichts auf Gesichter und habe durch Erfahrung gelernt, daß
sie nicht immer der Spiegel der Seele sind. Es freut mich übrigens,
wenn etwas an mir ist, was Ihnen Vertrauen einflößt. Es ist vielleicht
der rege Wunsch, Ihnen dienen zu können, was Ihnen einiges Vertrauen
gibt?"

„Möglich; doch ich bin Ihnen einige Aufschlüsse über mich und mein
Abenteuer hier in Rom schuldig. Ich erzählte Ihnen, wie ich mit Luise
von Palden bekannt wurde--"

„Erlauben Sie, nein! Diesen Namen höre ich zum ersten Male. Sie
erzählten uns, daß Sie eine junge Dame in den Lamentationen der
Sixtinischen Kapelle kennen lernten, die Ihre ganze Aufmerksamkeit
erregte. Sie wurden von ihr mit einem andern verwechselt, Sie gefielen
sich in diesem Quiproquo und versetzten sich unwillkürlich so in die
Stelle des Liebhabers, daß Sie das Mädchen sogar liebten--"

„Und wie liebe ich sie!" rief er bewegt.

„Sie suchten die Dame lange vergeblich in Rom, der Zufall führte
endlich das schöne Kind im Karneval als Maske an Ihre Seite. Es ist
schon dunkel, sie glaubt in Ihnen den Freund zu finden; Sie, lieber
Freund, benützen die Gelegenheit noch einmal, diesen Scherz, der Ihnen
so angenehm ist, fortzuführen. Sie bringen die Dame auf eine Loge, um
das Pferderennen anzusehen. Da erscheint auf einmal der rechte
Liebhaber und Sie--erblicken sich. Bis hierher hörte ich damals. Sie
können sich denken, wie begierig ich bin, zu hören, wie es Ihnen
erging."

„Ich gestehe," fuhr Herr v. S. fort, „mir selbst fiel die Ähnlichkeit
dieses Mannes mit meinen Zügen, meiner Gestalt, selbst meiner Kleidung
überraschend auf. Das letztere hatte wohl die Mode verschuldet, die
damals alle junge Welt zwang, sich schwarz zu kleiden. Doch auch für
die große Ähnlichkeit unserer Züge, so auffallend sie ist, hat man
Beispiele. Sie erinnern sich vielleicht des Falles, der in Frankreich
vorkam. Zwei Franzosen trafen in Amerika zusammen. Ihre Ähnlichkeit
war so groß, daß man sie gewöhnlich miteinander verwechselte; der eine
starb, der andere, ein armer Teufel, wußte sich seine Papiere zu
verschaffen, reiste nach Frankreich zurück und lebte mit der Frau des
Verstorbenen noch lange Jahre, bis der Betrug an den Tag kam.
[Fußnote: Die Möglichkeit einer solchen Verwechslung beweist ein Fall,
der sich vor einigen Monaten in Ravensburg im Württembergischen
zutrug. Zwei Zwillingsbrüder sahen sich täuschend ähnlich. Der eine
tötete einen Mann und floh. Er wußte, daß sein Bruder, der in Bregenz
in einem österreichischen Regiment diente, desertiert war. Der Mörder
wandte sich dorthin, zeigte sich in der Gegend, ließ sich als
Deserteur gefangen nehmen und viermal Spießruten jagen. Er diente
einige Zeit in der Stelle seines Bruders, bis der Betrug durch einen
Zufall entdeckt wurde.]

Der Herr und die Dame schienen nicht weniger überrascht als ich; die
letztere errötete, sie gedachte vielleicht jenes Kusses, und es wurde
ihr wohl mit einem Male klar, daß es schon an jenem Abend nicht ihr
Otto gewesen sei, gegen den sie sich so zärtlich bewiesen. Der Herr
mit meinen Gesichtszügen fragte mich in etwas barschem Ton in
schlechtem Französisch, wie ich dazu komme, diese Komödie zu spielen.
Ich nahm, nicht aus Furcht vor seinem rollenden Auge, sondern im
Gefühl, ein Unrecht, vielleicht eine Unschicklichkeit wieder gutmachen
zu müssen, alle Artigkeit, die ich in der Welt gelernt hatte, zusammen
und bat die Dame, mir einen Scherz zu vergeben, zu dem sie mich selbst
verleitet habe. ‚Sie selbst?' rief bei diesen Worten jener Mann, und
seine Züge verzogen sich immer mehr zum Zorn. ‚Sie selbst? Es ist ein
abgekartetes Spiel, ich sehe schon, ich bin der betrogene Teil. Doch
ich will nicht stören.'--Er sagte dies, vor Wut zitternd, indem er
sich von seinem Platz entfernen wollte. Luise--o, ich habe sie nie so
süß, so wundervoll gesehen wie in jenem Augenblicke, sie schien mit
aller Hingebung der Zärtlichkeit an diesem Manne zu hängen; sie
ergriff bebend feine Hand, sie rief ihn mit den liebevollsten Tönen;
sie beteuerte, sich unschuldig zu wissen, sie rief mich zürnend zum
Zeugen auf. Ich war hingerissen von diesem Zauber der Liebe, der sich
mir hier zum ersten Male in seiner ganzen Schönheit darstellte. Es ist
etwas Schönes um ein Mädchen, das in sanfter, stiller Liebe ist, es
ist etwas Heiliges, möchte ich sagen. Aber der Schmerz inniger Liebe,
das Zittern zärtlicher Angst und diese Tränen in den blauen Augen,
dieses Flüstern der süßesten Namen von den feinen Lippen und diese
Röte der Angst und der Beschämung auf den zarten Wangen, es ist ein
Bild, irdischer zwar als jenes, aber von einer hinreißenden Gewalt."

„Ich kenne das," unterbrach ich diese rednerischen Schilderungen des
verliebten Berliners, dem die Dame seines Herzens in jeder neuen Form
wieder lieblicher schien, „ich kenne das; so was Heiliges, so was
Weinendes, Madonnenartiges, Grazienhaftes, Süßes, Bitterschmerzliches,
kurz, so was Klagendes, Anziehendes, ich kenne das; aber wie war es
denn mit dem zornigen Patron, der Euer Wohlgeboren so ähnlich?"

„Er glaubte ihren Versicherungen nicht; war es Eifersucht, war es sein
leidenschaftlicher Zorn, den er nicht bemeistern konnte, er stieß sie
zurück, er drohte, sie nie mehr zu sehen. Das Mädchen setzte sich
weinend auf ihren Stuhl. Die tobende Freude der Römer an dem
Pferderennen, ihr Jauchzen, ihr Rufen standen in schneidendem Kontrast
mit dem stillen Schmerz dieses Engels. Ich fühlte inniges Mitleid mit
ihr, ich fühlte mich tief verletzt, daß ein Mann eine Dame, ein
Liebender die Geliebte so schnöde beleidigen könne. ‚Mein Herr,' sagte
ich, ‚das Wort eines Mannes von Ehre kann Sie vielleicht überzeugen,
daß die Schuld dieser Szene allein auf mir ruht.' ‚Eines Mannes von
Ehre?' rief er, höhnisch lachend; ‚so kann sich jeder Tropf nennen.'
Jetzt glaubte ich die Formen der gesellschaftlichen Höflichkeit nicht
weiter beobachten zu müssen. Ich gab ihm ein wohlbekanntes Zeichen,
flüsterte ihm meinen Namen, die Nummer meines Hauses und die Straße
zu, in welcher ich wohnte, und verließ ihn.

Es waren widerstreitende Gefühle, die in meiner Brust erwachten, als
ich zu Haus über diesen Vorfall nachdachte. Ich mußte mir gestehen,
daß ich unbesonnen, töricht gehandelt hatte, die Rolle eines andern
bei diesem Mädchen zu übernehmen. Es ist wahr, der Zufall war so
überraschend, die Gelegenheit so lockend, ihre Erscheinung so reizend,
so anziehend, daß wohl keiner der Versuchung widerstanden hätte. Aber
mußte mich nicht schon der Gedanke zurückschrecken, daß es ihr bei dem
Geliebten schaden könnte, traf er uns beide zusammen. In welch
ungünstigem Lichte mußte ich, mußte auch sie ihm erscheinen!

Und doch--wo ist der Mensch, der nicht in einem solchen Falle sich vor
sich selbst zu entschuldigen wüßte? Ich fühlte, daß ich dieses
unbekannte, reizende Wesen liebe, und wie leicht entschuldigt Liebe!
Und weil ich sie liebte, haßte ich den begünstigten Mann. Er war ein
Barbar in meinen Augen. Wie konnte er die Geliebte so grausam
behandeln? Wie durfte er, wenn er sie wahrhaft liebte, an ihrer Tugend
zweifeln, und wer, der jemals in dieses treue, seelenvolle Auge
gesehen, wer konnte an der Reinheit dieses Engels zweifeln?

Am Morgen nach dieser Begebenheit bekam ich einen italienischen,
schlecht geschriebenen Brief; er enthielt die Bitte einer Signora
Maria Campoco, dem Überbringer des Briefes in ihr Haus zu folgen, wo
sie mir etwas Wichtiges zu sagen habe. Ich kannte keine Dame dieses
Namens, ich fragte den Diener nach der Straße, er nannte mir eine, von
welcher ich nie gehört hatte. Eine Ahnung sagte mir übrigens, dieser
Brief könnte mit meinem Abenteuer von gestern zusammenhängen; ich
entschloß mich, zu folgen. Der Diener führte mich durch viele Straßen
in eine Gegend der Stadt, die mir völlig unbekannt war. Er bog endlich
in eine kleine Seitenstraße; ein Brunnen, eine Madonna von Stein fiel
mir ins Auge, es war kein Zweifel, ich befand mich an dem Haus, wohin
ich Luise aus den Lamentationen begleitet hatte.

Es war ein kleines, unscheinbares Haus, dessen Türe der Diener
aufschloß; über einen finstern Gang, eine noch dunklere Treppe brachte
er mich in ein Zimmer, dessen Eleganz nicht mit dem übrigen Ansehen
des Hauses übereinstimmte. Nachdem ich eine Weile gewartet hatte,
erscholl das Kläffen vieler Hunde, die Türe öffnete sich--aber nicht
meine Schöne, sondern eine kleine, wohlbeleibte, ältliche Frau trat,
umgeben von einer Schar kleiner Hunde, ins Zimmer.

Es dauerte ziemlich lange; bis Tasso, Ariosto, Dante, Alfieri; und wie
die Kläffer alle hießen, über den Anblick eines fremden Mannes
beruhigt waren und die kleine Dame endlich zum Wort kommen konnte. Sie
sagte mir sehr höflich, sie habe mich rufen lassen, um wegen einer
Angelegenheit ihrer Nichte, Luise von Palden, mit mir zu sprechen. Das
Verlangen, das schöne Kind wiederzusehen, mich bei ihr selbst zu
entschuldigen, gab mir eine Notlüge ein; ich fragte sie in so
miserablem Italienisch als mir nur möglich war, ob sie Französisch
oder Deutsch verstehe. Sie verneinte es, ich zuckte die Achseln und
gab ihr mehr durch Zeichen als Worte zu verstehen, daß ich der
italienischen Sprache durchaus nicht mächtig sei. Sie besann sich eine
Weile, sagte dann, ich könnte in  i h r e r  G e g e n w a r t mit
ihrer Nichte sprechen, und entfernte sich.

Wie schlug mein Herz, von Erwartung, von Liebe bewegt! Wie beschämt
fühlte ich mich, in ihren Augen als ein Nichtswürdiger zu scheinen,
der ihren Irrtum auf so indiskrete Art benützte! Die hündische
Leibwache der Signora verkündete, daß sie nahe. Ich fühlte seit langer
Zeit zum ersten Male eine Verlegenheit, ein Beben; ich fühlte, wie ich
errötete, jene Sicherheit des Benehmens, die mich jahrelang begleitet
hatte, wollte mich in diesem Augenblicke verlassen.

Sie kam; sie dünkte mir in dem einfachen, reizenden Negligé lieblicher
als je, und ihre Verwirrung, als sie mich sah, der Unmut, den ich in
ihren Augen zu lesen glaubte, vermochte ihre Anmut nicht zu schwächen.
‚Mein Herr! Es ist eine sonderbare Begebenheit, die Sie in dieses Haus
führt,' sprach sie mit jenen klangvollen Tönen, die ich so gerne
hörte; ‚Sie müssen selbst gestehen,' setzte sie hinzu, aber sei es,
daß die Erinnerung an jenen Abend sie zu unangenehm berührte, sei es,
daß sie einem meiner Blicke begegnete, die vielleicht mehr als
Ehrfurcht ausdrückten, sie schlug die Augen nieder, errötete aufs neue
und schwieg.

Ich faßte mich, ich suchte mich zu entschuldigen, so gut es ging; ich
erzählte ihr, wie ich sie hilflos und in Ohnmacht in der Kirche
gefunden, wie ich ihren Irrtum nicht habe berichtigen können, aus
Furcht, sie möchte meine Begleitung ablehnen, die ihr in ihrem
damaligen Zustande so notwendig war. Meine zweite Unbesonnenheit schob
ich auf die Maskenfreiheit des Karnevals; ich suchte einen Scherz
daraus zu machen, ich behauptete, es sei an diesem Abend erlaubt, jede
Maske vorzunehmen, und so habe ich die ihres Freundes vorgenommen. Ich
glaubte, sagte ich, in diesen Scherz um so eher eingehen zu dürfen, da
wir Landsleute sind und die Deutschen in Rom als Kinder  e i n e r
Heimat nur  e i n e  große Familie sein sollten."

„Eine gefährliche Verwandtschaft," unterbrach ich den jungen Berliner,
indem ich mich im stillen über seine jesuitische Logik freute. „Wie?
brachte die Dame nicht das _Corpus juris_ und den------gegen Sie in
Anwendung? In Schwaben möchte zur Not ein solches
Verwandtschaftssystem gelten oder bei den Juden, welche Herren
und Knechte, Norden und Süden, ‚unsere Leute' nennen; aber
Deutschland? Bedenken Sie, daß es in zweiunddreißig Staaten geteilt
ist; wo ist da ein Verwandtschaftsband möglich? Wenn sie sich im
Himmel oder in der Hölle treffen, so heißen sie nur Österreicher,
Preußen, Hechinger und fürstlich reußische Landeskinder!"

„Luise mochte auch so denken," fuhr er fort. „Doch nötigte ihr meine
Deduktion ein Lächeln ab; es schien ihr angenehm, über diese Punkte so
leicht weggehen zu können. Sie klagte sich selbst an, diesen Irrtum
veranlaßt zu haben, sie vergab, sie erlaubte mir, ihre schöne Hand zu
küssen. Doch ihre Blicke werden wieder düster. Sie sagte, wie sie nur
zu deutlich bemerkt habe, daß ich tief beleidigt weggegangen sei, daß
dieser Streit noch eine gefährlichere Folge haben könne. Ihr Auge
füllte sich mit Tränen, als sie dies sagte. Sie beschwor mich, ihrem
Freund zu vergeben, sie suchte ihn zu entschuldigen, ihn, der sie
selbst so tief beleidigt hatte; sie sprach mit so zärtlicher Wärme für
den Mann, der so ganz vergessen hatte, daß die wahre Liebe glauben und
vertrauen müsse, der so niedrig war, dieser reinen Seele gegenüber
gemeine Eifersucht zu zeigen. Ich wäre glücklich, selig gewesen, hätte
dieses Mädchen s o von mir gesprochen!

Ich fragte sie, ob sie in seinem Auftrag mir dieses sage. Sie war
betreten, sie antwortete, daß sie gewiß wisse, daß es ihm leid sei,
mir jene Worte gesagt zu haben; ich versprach, wenn er mir dieses
selbst sagen werde, nicht mehr an die Sache zu denken. Wie heiter war
sie jetzt! Sie scherzte über ihren Irrtum, sie verglich meine Züge mit
denen ihres Freundes, sie glaubte, große Ähnlichkeit zu finden, und
doch schien es ihr unbegreiflich, wie sie nicht an meinen Augen,
meiner Stimme, an meinem ganzen Wesen ihren Mißgriff erkannt habe. Sie
rief ihrer Tante zu, daß sie ihren Zweck vollkommen erreicht habe.

Signora Campoco, die während der ganzen Szene am Fenster gesessen und
bald die Leute auf der Straße, bald ihre Hündchen, bald uns betrachtet
hatte, kam freundlich zu mir, dankte für meine Gefälligkeit, ihr Haus
besucht zu haben, und bemerkte, sie hätte nie geglaubt, daß unsere
barbarische Sprache so wohltönend gesprochen werden könne. Sie sehen,
ich hatte jetzt nichts mehr in diesem Hause zu tun; so gerne ich noch
ein Stündchen mit Fräulein von Palden geplaudert hätte, so neugierig
ich war, ihre Verhältnisse in Deutschland und ihre Lage in Rom zu
erfahren,--der Anstand forderte, daß ich Abschied nahm, mit dem
unglücklichen Gefühle Abschied nahm, diese Schwelle nie mehr betreten
zu können. Signora, sie hätte sich vielleicht gekreuzt, hätte sie
gewußt, daß ein Ketzer vor ihr stehe, Signora empfahl mich der Gnade
der heiligen Jungfrau, und Luise reichte mir traulich die Hand zum
Scheiden. Ich fragte sie noch, wie der Herr heiße, mit welchem ich das
Glück gehabt habe, verwechselt zu werden. Sie errötete und sagte: ‚Er
will zwar hier nicht gekannt sein und so zurückgezogen als möglich
leben; doch warum sollte ich Ihnen seinen Namen verhehlen? Ich möchte
so gerne, daß Sie Freunde würden. Er heißt------und wohnt------'."

So „etwas breit nach Art der lieben Jugend" hatte mir der junge Mann
den weiteren Verlauf seines Abenteuers erzählt; ich hörte ihm gerne
zu, obgleich nichts peinlicher für mich ist, als eine lamentable
Liebesgeschichte recht lang und gehörig breit erzählen zu hören; aber
interessant war mir dabei die Art, wie er mir erzählte. Sein
ausdrucksvolles Auge schien die Glut seiner Gefühle widerzustrahlen,
seine Züge nahmen den Charakter düsterer Wehmut an, wenn er sich
unglücklich fühlte, und ein angenehmes Lächeln erheiterte sie, wenn er
mir die Reize der jungen Dame zu beschreiben suchte. Plötzlich, als er
mir eben erzählte, wie er das Haus der Signora verlassen habe, drückte
er meinen Arm fester und brach, in einen kleinen Fluch aus. „So muß
der Teufel diesen Pfaffen doch überall haben!" rief er und wandte sich
unmutig um. Ich war erstaunt, welchen Pfaffen sollte ich denn überall
haben? Ich fragte ihn, was ihn so aufbringen könne.

„Sehen Sie nicht hin, sonst müssen wir grüßen," gab er mir zur
Antwort, „ich kann ihn nicht ansehen, den Jesuiten."

Ich stellte mich, als befolge ich treulich seinen Befehl, doch konnte
ich nicht umhin, einen Seitenblick in die Straße zu werfen, und sah
wirklich ein höchst ergötzliches Schauspiel. Die Straße herauf kam ein
hoher Prälat der Kirche, der Kardinal Rocco, ein Mann, der schon
längst als einer der zweiten Klasse mit dem Prädikat „g u t" auf
meinen Tafeln verzeichnet ist. Eine große, majestätische Gestalt mit
stolzer Würde; sein weißes Haar, von einem einfachen, roten Käppchen
bedeckt, stach sonderbar ab gegen ein Gesicht, das man eigentlich
reich nennen konnte. Gewölbte Brauen, große Augen, eine Adlernase, die
Unterlippe etwas übermütig gezogen, das Kinn und die Wangen voll und
kräftig. Über das rollende Untergewand trug er einen Talar, dessen
eines Ende er in malerischen Falten über den Arm gelegt hatte; das
andere Ende hielt, in einiger Entfernung hinter ihm herschleichend,
sein Diener, ebenfalls ein Mönch, ein dürres, bleiches Geschöpf,
dessen tückische Augen nach allen Seiten spähten, ob Seine Eminenz von
den Gläubigen ehrfurchtsvoll, wie es sich gebührt, begrüßt würden.

Der Gang des Kardinals war der Gang eines Siegers, und eine solche
Erscheinung in diesen Straßen erinnerte nur zu leicht an die Senatoren
der „ewigen Stadt".

„Sehen Sie, wie er hingeht, dieser Pharisäer," flüsterte der junge
Mann, mit den Zähnen knirschend. „Sehen Sie, wie der Pöbel sich zum
Handkuß drängt, mit welcher Würde, mit welcher Grazie er seinen Segen
erteilt. Theaterpossen! wenn diese Leute wüßten, was ich von ihm weiß,
sie würden diesem Pharisäer, diesem Verfälscher des Gesetzes die
Insignien seiner Würde vom Leibe reißen, oder sie wären wert, von
einem Türken beherrscht zu werden."

„Was bringt Sie so auf, verehrter Freund? Wer ist dieser Ehrenmann?
Was hat er Ihnen zuleid getan? Hängt er mit Ihren Abenteuern
zusammen?" Ich mußte lange fragen, bis er mich hörte; denn er schaute
mit durchbohrenden Blicken der Eminenz nach und murmelte
Verwünschungen wie ein Zauberer.

„Ob ich ihn kenne? Ob er mir etwas zuleid getan? O! dieser Mensch hat
ein Leben vergiftet, ein Herz zu Boden getreten, das--doch Sie werden
mehr von ihm hören; es ist der Kardinal Rocco, der Satan ist nicht
schwärzer als er; mit seinem roten Hut deckt er alle Sünden zu; aber
trotzdem, daß er geweiht ist, wird ihn dennoch der Teufel holen!"

Da hat es gute Wege, dachte ich; Nro. 2, gute Sorte! Doch was konnte
dieser Berliner gegen Rocco haben? Unmöglich konnte ich glauben, daß
sein Protestantismus so tief gehe, daß er jeden, der violette Strümpfe
trug, in die Hölle wünschen mußte. Er hatte sich wieder gesammelt.
„Vergeben Sie diese Hitze; Sie werden mir einst recht geben, so zu
urteilen, wenn ich Sie erst mit dem Treiben dieses Menschen bekannt
mache. Doch jetzt noch einiges zum Verständnis meines Abenteuers. Die
Geschichte mit--war bald abgetan. Er schickte einen Franzosen zu mir,
der mir erklärte, daß jener sich in mir geirrt habe und um Verzeihung
bitte. Durch ihn erfuhr ich auch, daß Luisens Geliebter früher
Offizier, und zwar in ...schen Diensten gewesen sei.

Um diese Zeit kam die Schwester des sächsischen Gesandten nach Rom,
sich einige Zeit mit ihrer Familie bei ihrem Bruder aufzuhalten. Ich
war am ersten Abend ihres Aufenthaltes zufällig zugegen, und--stellen
Sie sich einmal mein Erstaunen vor, als ich hörte, wie sie eine andere
Dame fragte, ob nicht ein Fräulein von Palden hier lebe. Ich wandte
mich unwillkürlich ab, um nicht dem ganzen Kreise mein Erröten, mein
Entzücken zu zeigen; es war mir etwas so Neues, so Schönes, Luisens
Namen aus einem fremden Munde zu hören. Jedoch keine der anwesenden
Damen wollte von ihr wissen, und ich fühlte mich nicht berufen,
unaufgefordert mein Geheimnis mitzuteilen.

Deutsche, besonders Frauen, pflegen immer großen Anteil an Landsleuten
zu nehmen; es konnte daher nicht anders sein, als daß man seine
Verwunderung laut darüber aussprach, daß ein deutsches Fräulein in Rom
lebe, die auch nicht einem von allen bekannt sein sollte. Wer ist sie?
Ist sie schön? Wie kommt sie nach Rom? fragte, man einstimmig, und wie
lauschte ich, wie pochte mein Herz, endlich über das interessante
Wesen etwas zu hören.

Sie erzählte, wie sie in .....th Luise kennen gelernt, die damals durch
ihr schönes Äußere, durch ihre Liebenswürdigkeit, ihren Verstand die
ganze Stadt beschäftigt, ihre näheren Bekannten bezaubert habe. Umso
auffallender sei auf einmal ein Liebeshandel gewesen, der sich
zwischen einem Offizier, einem bürgerlichen Subjekt, und der Tochter
des Geheimen Rats von Palden entspann. Dieser Mensch habe außer seiner
schönen Figur und einem blühenden Gesicht keine Vorzüge, nicht einmal
gute Sitten gehabt. Dem Vater sei diese Geschichte zu ernstlich
geworden, er habe den Offizier zu einem Regimente zu versetzen gewußt,
das mit einem Teil der französischen Armee nach Spanien bestimmt war.
Man habe sich in ....th allgemein gefreut über die Art, wie sich
Fräulein von Palden in diese Wendung fügte; doch bald erfuhr man, daß
die Verbindung mit dem Offizier nichts weniger als abgebrochen sei,
sondern durch Armeekuriere und dergleichen Briefe gewechselt würden.
Es vergingen so beinahe zwei Jahre. Die Armee kehrte zurück, doch
nicht mit ihr jener Offizier. Man sagte in Gesellschaften und in
Luisens Nähe, er sei wegen einer Ehrensache aus dem Dienst getreten.
Seine Kameraden schwiegen hartnäckig hierüber, und doch gab es einige
Stimmen im Publikum, die von einer vorteilhaften Heirat, andere, die
von einer Entführung oder von beidem sprachen, kurz, man bemerkte, daß
Herr ..., so hieß der Offizier, seiner Dame ungetreu geworden sei. Um
diese Zeit starb der alte Herr von Palden. Seine erste Frau war eine
Römerin; das Fräulein entschloß sich auf einmal zu großer Verwunderung
der Stadt ....th, zu ihren Verwandten nach Rom zu ziehen.

So viel wußte die Schwester des Gesandten von Luise. Es war mir genug,
um ihr Verhältnis zu .... ganz in der Ordnung zu finden; nur war es
mir unbegreiflich, was ihn bewogen haben könnte, nach Rom zu gehen;
oder kam er erst nach ihr hierher? Und warum heiraten sie sich nicht,
da doch ihre Hand jetzt frei und von niemand abhängig ist?

Ich quälte mich mit diesen Gedanken. Ich hätte so gerne mehr und immer
mehr von dem holden Kind erfahren; ich fühlte lebhaft den Wunsch, sie
wiederzusehen, zu sprechen; ich wollte ja nicht geliebt werden, nur
sehen, nur lieben wollte ich sie. Da fiel mir bei, wie ich dies so
leicht möglich machen könnte. Ich durfte ja nur der Schwester des
Gesandten sagen, wo sich Luise aufhalte, und dann konnte ich gewiß
sein, sie schon in den nächsten Tagen im Hotel des Gesandten zu sehen.
Ich tat dies, und mein Wunsch wurde erfüllt."

Ein Bekannter des Herrn v. S. gesellte sich hier zu uns und unterbrach
zu meinem großen Ärger die Erzählung. Ich machte noch einige Gänge mit
ihnen unter den Arkaden; als ich aber sah, daß der Bekannte sich nicht
entfernen wolle, fragte ich den Berliner nach seiner Wohnung und ging
mit dem Vorsatz, ihn am nächsten Morgen zu besuchen. Ich muß gestehen,
ich fing an, die Geschichte des jungen Mannes weniger anziehend zu
finden, weil sie mir in eine gewöhnliche Liebesgeschichte auszuarten
schien. Doch zwei Umstände waren es, die mir von neuem wieder
Interesse einflößten und mich bestimmten, seine Abenteuer zu hören.
Ich erinnerte mich nämlich, wie überraschend sein Anblick, sein ganzes
Wesen in Berlin auf mich gewirkt hatten. Es war nicht der gewöhnliche
Kummer der Liebe, wie er sich bei jedem Amoroso vom Mühlendamm
ausspricht; es war ein Gram, ein tieferes Leiden, das mir um so
anziehender dünkte, als es nur ganz unmerklich und leise durch jene
Hülle schimmerte, womit die gesellschaftlichen Formen die weinende
Seele umgeben. Er schien ein Unglück zu kennen, zu teilen, das ihn
unausgesetzt beschäftigte, zu welchem ihn die Erinnerung sogar mitten
in einem ästhetischen Tee zurückführte.

Das zweite, das mich zu dem jungen Mann und seinem Abenteuer zog, war
die Szene, die ich morgens vor der Peterskirche beobachtet hatte. Ich
hatte dort bemerkt, daß er sie mit Sehnsucht erwarte; sie war
gekommen, aber es schien kein fröhliches Zusammentreffen. Sie schien
ihn etwas mit ihren Blicken zu fragen, das er nie beantworten, sie
schien etwas zu verlangen, das er nicht erfüllen konnte; wie schwer
mußte es ihm werden, in der Ferne zu stehen und dem holden Mädchen
durch keine Silbe zu antworten! Er ließ sie gehen, wie sie gekommen,
aber dann sandte er ihr Blicke voll zärtlicher Liebe nach. Warum sagte
er ihr nicht auf der Stelle, wie er sie liebe? Welche Gewalt mußte sie
über ihn ausüben, um ihn in diese engen Schranken einer beinahe blöden
Bescheidenheit zurückzuweisen? Wieviel es s i e koste, sah ich an
ihrem Auge, in welchem eine Träne perlte, als sie weiter ging.

Diese Fragen drängten sich mir auf, als ich über den jungen Mann und
die rätselhafte Dame nachdachte. Wo nicht ein blindes Fatum waltet und
ein Uhrwerk die Gedanken der Sterblichen treibt, da lernt keiner aus,
sei er Gott oder Teufel. Wohl sagt der Mensch, der kleinlich nur auf
die Resultate seiner Geschichte sieht: „Es wiederholt sich alles im
Leben;" aber wie es sich wiederholt, wie der endliche Geist in seiner
kurzen Spanne Zeit wächst und ringt und strebt und gegen die alte
Notwendigkeit ankämpft, das ist ein Schauspiel, das sich täglich mit
ewig neuem Reize wiederholt; und das Auge, das von Weltintrigen
gesättigt, vom Anschauen der Kämpfe großer Massen ermüdet ist, senkt
sich gerne abwärts zum kleineren Treiben des einzelnen. Drum möge es
keinem jener verehrlichen Leute, für die ich meine Memoiren
niederschreibe, kleinlich dünken, daß ich in Rom, wo so unendlich viel
Stoff zur Intrige, ein so großer Raum zu einem diabolischen
Festtagsspiel ist, mit einer Liebeshistorie mich befasse.--

Am Abend dieses Tages fuhr ich mit einigen griechischen Kaufleuten auf
der Tiber. Wir hatten eine der größeren Barken bestiegen und die
freien Sitze des Vorderteils eingenommen, weil das Zelt in der Mitte,
wie uns die Schiffer sagten, schon besetzt war. Der Abend war schwül
und wirkte selbst mitten im Fluß so drückend und ermattend auf die
Menschen, daß unser Gespräch nach und nach verstummte. Ich vernahm
jetzt ein halblautes Reden und Streiten im Innern des Zeltes; ich
setzte mich ganz nahe hin und lauschte. Es waren zwei Männer und eine
Frau, soviel ich aus ihren Stimmen schließen konnte. Sie sprachen aber
etwas verwirrt und gebrochen; der eine hatte gutes, wohltönendes
Italienisch, er sprach langsam und mit vieler Salbung; die Dame
mischte unter sechs italienische Worte immer zwei spanische und ein
französisches, der andere Mann, der wenig, aber schnell und mit
Leidenschaft sprach, hatte jene murmelnde, undeutliche Aussprache, an
welcher man in Italien sogleich den Deutschen oder Engländer erkennt.

Ein kleiner Riß in der Gardine des Zeltes ließ mich die kleine
Gesellschaft überschauen; und, o Wunder! Jene salbungsvolle Rede
entströmte dem Kardinal Rocco! Ihm gegenüber saß eine Dame, schon über
die erste Blüte hinaus, aber noch immer schön zu nennen. Ihre
beweglichen schwarzen Augen, ihre vollen Lippen, ihr etwas
nachlässiges Kostüm, dessen Schuld der schwüle Abend tragen mußte,
zeigten, daß sie mit den ersten Dreißig die Lust zum Leben noch nicht
verloren habe. An ihrer Seite glaubte ich auf den ersten, flüchtigen
Anblick Otto v. S. zu erkennen. Doch die Züge des Mannes im Zelte
waren düsterer, sein Auge blickte nicht so offen und frei wie das des
Berliners,--ich war keinen Augenblick im Zweifel, es mußte sein
Doppelgänger, ...., sein. Aber wie! Die Dame war nicht Luise von
Palden; durfte dieser Mann so traulich neben einer andern sitzen, ohne
dieselbe Schuld wirklich zu tragen, die er der Geliebten aufbürden
wollte!

„Gilt dir denn meine Liebe, meine Zärtlichkeit gar nichts?" hörte ich
die Dame sagen. „Nichts meine Aufopferung, nichts meine Leiden, nichts
meine Schande, der ich mich um deinetwillen aussetzte? Ein Wort, ein
einziges Wort kann uns glücklich machen. Du sagst immer morgen,
morgen! Es ist jetzt Abend, warum willst du morgen doch wieder nicht?"

„Mein Sohn," sprach der Kardinal, „ich will nichts davon sagen, daß
Euer langes Zögern, Eure fortwährende Weigerung für unsere heilige
Kirche Beleidigung ist. Ich weiß zwar wohl, nicht Ihr seid es, der
diese Zögerungen verschuldet; der Teufel, der leibhaftige Satan
spricht aus Euch; es ist das letzte Zucken Eurer ketzerischen
Irrtümer, was Euch die Wahrheit nicht sehen läßt; aber beim heiligen
Kreuz, den Nägeln und der heiligen Erde beschwöre ich Euch, folget
mir, lasset Euch aufnehmen in den heiligen Schoß der Kirche zur,
Verherrlichung Gottes."

Ha! dachte ich, den haben sie gerade recht in den Krallen. Ein schönes
Weib, ein Kardinal Rocco und ein paar Gewissensbisse, wie der Herr im
Zelte zu haben schien,--da kann es nicht fehlen!--Er seufzte, er
blickte bald die Dame, bald den Priester mit unmutigen Blicken an.
„Ich will ja alles tun, ins Teufels Namen, alles tun," sagt er, „mein
Leben ist ohnedies schon verschuldet und vergiftet; aber wozu diese
sonderbare Prozedur? Warum soll ich vor der Welt zum Narren werden, um
die Ehre von Donna Ines wieder herzustellen?"

„Mein Sohn, mein Sohn! Wie frevelt Ihr! Zum Narren werden, sagt Ihr?
O, Ihr verstockter Ketzer! Ihr alle seid von eurer Taufe an, wo der
Satan zu Gevatter steht, Renegaten, Abtrünnige! Es ist also nur eine
Rückkehr, kein Übertritt, keine Ableugnung eines früheren Glaubens.
Ihr hattet ja vorher keinen Glauben. Ihr werdet doch nicht die
Ketzerei so nennen wollen, die der Erzketzer in Wittenberg aus den
Fetzen, die er dem Heiligtum gestohlen, zusammenstückelte?"

„Lasset mich, Eminenz! Es ist einmal gegen meine Überzeugung. Ich
müßte mich ja vor ganz Deutschland schämen."

„O verstockter Ketzer! Schämen, sagt Ihr? Hat sich der liebe Mann, der
Herr von Haller, auch geschämt? Schämen! Wie ein Heiliger würdet Ihr
dastehen. Braucht sich ein Heiliger zu schämen? Hat sich der
treffliche Hohenlohe geschämt, umgeben von Ketzern, seine Wunder zu
verrichten? Es sei gegen Eure Überzeugung, saget Ihr? Da sieht man
wieder den Deutschen, nicht wahr, Donna Ines, den ehrlichen Deutschen!
Zu was denn immer Überzeugung? Das ist ja gerade das Wunderbare am
Glauben, daß er von selbst wirkt ohne Überzeugung. Gesetzt, Ihr wäret
krank, mein lieber Freund; man schickt Euch den ersten Arzt der
Christenheit. Ihr seid nicht überzeugt, daß er der alleinige wahre
Arzt ist; aber Ihr laßt Euch gefallen, seine Arzneien einzunehmen, und
siehe, sie wirken auf Euren Körper ohne Überzeugung, gerade wie uns er
Glaube auf die Seele."

„Otto," sprach Dame Ines mit schmelzenden Tönen, „teurer Otto! Siehe,
wenn mich der heilige Mann hier nicht absolviert und beruhigt hätte,
ich müßte ja schon längst verzweifelt sein, einen Ketzer so innig zu
lieben! Wie leicht wird es dir gemacht, einer der Unsrigen zu sein und
dann ein Weib auf ewig glücklich zu machen, das dir alles opferte! Und
bedenke die schöne Villa an der Tiber und das köstliche Haus neben dem
Palast Seiner Eminenz. Dies alles will uns der heilige Vater zur
Ausstattung schenken. Bist du nicht gerührt von so vieler Liebe?"

„Nicht verhehlen kann ich es Euch, mein Sohn," fuhr der beredte Mann
mit dem roten Hute fort, „nicht verhehlen kann ich es Euch, daß man im
Lateran noch heute von Euch sprach, daß es sogar Seiner Heiligkeit
selbst auffällt, daß Ihr so lange zögert. Bis über acht Tage naht ein
großes Fest heran; welch herrliche Gelegenheit, etwas zu Gottes Ehre
zu tun, bietet sich Euch dar!"

„Wozu doch diese Öffentlichkeit?" fragte Otto. „Ich hasse dieses
Rühmen und Ausschreien in alle Welt. Lasset mich still in einer
Kapelle die Zeremonie verrichten. Was nützt es Euch, ob ich laut und
offen das Opfer bringe! O Luise; Luise! es tötet sie, wenn sie es
hört!"

„Elender!" rief die Dame, indem sie in Tränen ausbrach. „Sind das
deine Schwüre? Du falsches Herz! Ich habe dir alles, alles geopfert,
und so kannst du vergelten? O Barbar! Gehe hin zu ihr, lege dich
nieder in ihre Fesseln; aber wisse, daß ich mich in die Tiber stürze!
Über meine armen Würmer, meine unglücklichen Kinder, mag sich Gott
erbarmen!"

„Kinder, Kinder! Meine fromme Tochter, mein lieber, aber verblendeter
Sohn! Wozu dieser Skandal, diese Szene auf dem Schiffe? Stillet Eure
Tränen, schöne Frau, es wird noch alles gut werden; kommet, ich will
einen väterlichen Kuß auf Eure Augen drücken, so. Und Ihr, wisset Ihr
nicht, daß Ihr Euch versündiget gegen Donna Ines! Was wollet Ihr nur
immer wieder mit der Ketzerin, die einst Eure Sinne zu bestricken
wußte? Haben wir Euch nicht Beweise genug gegeben, daß sie in einem
strafwürdigen Verhältnis zu dem Teufel ist, der Eure Gestalt und
Sprache angenommen hat?"

„Welch einfältiges Märchen!" rief der junge Mann. „Was wollet Ihr auch
den Teufel ins Spiel ziehen? Ein ehrlicher Berliner ist er, ein Tropf,
dem ich das Mädchen nicht gönnen mag, wenn sie mich auch zehnmal
betrog!"

„Mein Sohn, die heilige Jungfrau schütze uns, aber der Satan selbst
ist es. Hat es nicht letzthin meinem dienenden Frater Piccolo
geträumt, der Teufel gehe hier in der heiligen Stadt spazieren? Alle
seine Träume sind noch eingetroffen. Der deutsche Baron ist der
höllische Geist selbst. Wer es aber auch sei, sie hat Euch betrogen.
Hat nicht die fromme Frau Maria Campoco Euch, selbst dieses Geständnis
über ihre Nichte gemacht? Was wollet Ihr nur auf die treulose Ketzerin
Rücksicht nehmen!--Und schaut, was ich Euch hier mitgebracht habe,"
fuhr Seine Eminenz fort, indem sie ein großes Papier entfaltete.
„Sehet, wie ich Wort halte: Ich habe Euch versprochen, die Liste aller
derer mitzubringen, welche in Eurem Deutschland öffentliche Ketzer,
insgeheim aber gute Christen der wahren Kirche sind. Da, leset!"

Der junge Mann las und staunte. Er sah den Kardinal fragend an, ob er
denn wirklich dieser Schrift trauen dürfe. Donna Ines, welche
bemerkte, welch günstigen Eindruck diese Liste mache, zog die Hand des
heiligen Mannes an den Mund und bedeckte sie mit feurigen Küssen der
Andacht.

„Nicht wahr," fuhr Rocco fort, „da stehen wohlklingende Namen?
Professoren, Grafen, Fürsten sogar. Freilich, diese Leute können nicht
so öffentlich sich erklären, Freundchen. Die Politik, die Rücksicht
auf ihre ketzerischen Untertanen erlaubt das nicht. Aber im Herzen, im
H e r z e n sind sie unser. Da, dieser Nr. 8, ich kann eure
barbarischen Namen nicht aussprechen, der wird sich sogar öffentlich
erklären und seine Irrtümer abschwören. Der da oben wird auch einen
tüchtigen Schritt vorwärts tun. O! und bedenket, was erst in
Frankreich, selbst in England für uns getan wird, bald, vielleicht
erlebe ich es noch, bald werdet ihr alle samt und sonders zu uns
zurückgekehrt sein. Wie herrlich muß dann ein Name, wie der Eurige,
leuchten, der nicht mit der Menge, sondern lange zuvor auf unsere
heiligen Tafeln verzeichnet wurde!"

„Aber, o Himmel, Kardinal! Ich bin ja schlechter als die ganze Liste
dieser Heimlichen. Ihr selbst wisset, daß, wenn ich zu Eurer Kirche
abfalle, es nur geschieht, um den ewigen Klagen der Donna Ines zu
entgehen. Diese Heimlichen haben keinen Vorteil bei ihrer
Heimlichkeit. Sie gelten von außen für echte Lutheraner, und was haben
sie davon, daß sie von innen römisch sind?"

„O Einfalt! Es ist gut, daß Ihr nicht die ketzerische Theologie studiert
habt. Ihr wäret durch das Examen gefallen! Was ist denn das Schöne
an unserer Kirche? He? Nicht nur, daß sie die alleinseligmachende; daß
sie gleichsam eine Brandversicherungsanstalt gegen die Hölle, eine
Seelenassekuranz gegen den Tod ist; denn schon aus physischen
Gründen kann man annehmen, daß keine Seele von den Unserigen
lange im Fegefeuer oder gar in der Hölle verweilt, wenn sie auch ohne
Beichte abfährt. Antonio Montani hat berechnet, daß im Durchschnitt
hundertundzwanzig Millionen Menschen in der Hölle und ebensoviele
im Fegefeuer sind. Nun kann man annehmen, daß seit eurer verfluchten
Reformation neunzig Millionen Ketzer, zwanzig Millionen Türken und zehn
Millionen Juden hinabgefahren sind. Das macht zusammen hundertzwanzig.

„O, wie gut haben wir es, hochwürdiger Herr!" sagte Ines mit
zauberischem Lächeln. „Ach, Otto! Dich soll ich an jenem Ort wissen,
in der Gesellschaft des Teufels und seiner Großmutter? O Gott! es ist
nicht möglich!"

„Sodann weiter," fuhr der Salbungsvolle fort, „euer Erzketzer in
Berlin, der Schleiermacher, nimmt selbst an, daß alle Menschen
prädestiniert sind, und zwar so beiläufig die Hälfte zum Bösen. Diese
müssen nun eine Art von Seelenwanderung in verschiedenen Stationen des
Elends machen, bis sie selig werden, und fangen mit der Hölle an. Der
Mann hat vernünftige Gedanken und wäre wert, einst nur ins Fegefeuer
zu kommen. Aber das weiß er doch nicht recht. Wenn einer auch zehnmal
prädestiniert, zur Hölle plombiert, zum Teufel rekommandiert ist, wir
können ihn doch absolvieren und _recta_ in den Himmel schicken.
Nun, und wenn man annimmt, daß das Fegefeuer hundertundzwanzig
Millionen faßt und darunter hundert Millionen Türken und zwanzig
Millionen Ketzer, so ist, weiß Gott, auch dort wenig Raum für eine
etwas liederliche Seele."

„Ihr wisset, Eminenz, was ich von solchen Berechnungen halte; machet
mir doch Eure Sache nicht noch lächerlicher. Eure Seelenassekuranz
kann mich nicht locken. Doch ist sie gut fürs Volk, und ich begreife
nicht, warum Ihr nicht schon lange ganze Regimenter, Divisionen, ja
Armeen, Kavallerie, Infanterie, Artillerie samt dem Generalstab
öffentlich verassekuriert habt. Das wäre eine Anstalt _à la_
Mahomed; die Kerls würden sich schlagen wie der Teufel; denn sie
wüßten, wenn sie heute erschossen werden, wachen sie morgen im
Paradiese auf. Lasset mich lieber noch einen Blick in die Liste
werfen, sie ist mir tröstlicher; denn es stehen ganz vernünftige
Männer dort."

„O daß Ihr nur ein Jahr auf einer deutschen Universität zugebracht
hättet! Unsere Agenten geben uns herrliche Berichte; die ketzerische
Jugend soll gegenwärtig ganz absonderlich fromm, heilig und mystisch
sein. Das Mittelalter, das gute, liebe Mittelalter versetzt sie in
diesen liebenswürdigen Schwindel. Sie neigen sich schon ganz zu uns,
und lasset nur erst die Jesuiten recht in Deutschland überhandnehmen,
dann sollt Ihr erst Wunder sehen! Auch einige brave Männer,
Professoren, nehmen sich unserer Sache an. Seht, dieser da, Nr. 172,
Signor Crusado, der umhüllt sie mit einem so tiefen symbolischen
Dunkel, daß sie bald uns er sind. Wahrlich, der Hofmechanikus Seiner
Heiligkeit, der berühmte Signor Carlo Fiorini, hat vollkommen recht.
Er hat berechnet, wenn Deutschland einige Grade südlicher läge, wenn
ihr eine schönere Natur, ein wenig mehr Sinnlichkeit und Phantasie
hättet--die Ketzerei hätte nie aufkommen können, oder ihr wäret
wenigstens schon lange wieder zurückgekehrt."

Die Barke stieß bei diesen Worten ans Land. Wie gerne hätte ich diesem
trefflichen Pfaffen noch länger zugehört, wie er diese deutsche Seele
bearbeitete; es war ein schweres Stück Arbeit, ich gestehe es. Ein
Mensch ohne Phantasie, der in den Zeremonien nur Zeremonien sieht, der
die Tendenz dieser Römer durchschaut, der durch keinen weltlichen
Vorteil zu blenden ist; wahrlich, ein solcher ist schwer zu gewinnen.
Doch für diesen war mir nicht bange. Ein Kardinal Rocco und ein
schönes Weib haben schon andere geangelt als diesen.

Der heilige Mann stieg aus; mit Ehrfurcht empfingen die Schiffer
seinen Segen, den er mit einer Würde, einem Anstand, würdig eines
Fürsten der Kirche, erteilte. Donna Ines folgte. Ich bewunderte,
während sie über das Brett ging, ihren feinen, zierlichen Wuchs, die
Harmonie in ihren Bewegungen und die Glut, die aus ihren Augen
strahlte und den Abend schwül zu machen schien. Sie reichte dem
geliebten Ketzer ihre schöne Hand mit so besorgter Zärtlichkeit, mit
einem so bedeutungsvollen Lächeln, daß ich im Zweifel war, ob ich mehr
seine transmontanische Kälte belächeln oder den Mut bewundern sollte,
mit welchem er den geistlichen Lockungen dieser in Liebe aufgelösten
Circe widerstand.--Am Ufer hielt ein schöner Wagen. Der dienende
Bruder Piccolo, welchem ich im Traum, in Rom spazieren gehend,
erschienen war, stand am Schlag und erwartete Seine Eminenz. Es
kostete einige Zeit, bis dieser sein Gewand zu gehöriger Wirkung
drapiert hatte, dann erst folgte der Frater Piccolo. Der Ketzer und
seine Dame schlugen einen Fußpfad ein und gingen der Stadt zu.

„Wer sind diese?" fragte ich den Schiffer.

„Kennt Ihr den heiligen Mann, den Kardinal Rocco, nicht? O, es ist
einer der besten Füße des Heiligen Stuhls! Alle Abende fährt er in
meiner Barke auf dem Fluß."

„Und die Dame?"

„Ha, das ist eine gute Christin," antwortete er mit Feuer. „Sie fährt
beinahe immer mit dem Kardinal, zuweilen allein mit ihm, zuweilen mit
dem Manne, den Ihr gesehen. Dem traue ich nicht ganz; es ist entweder
ein Deutscher oder ein Engländer, und die sind doch Kinder des
Teufels."

„So? Da sagt Ihr mir etwas Neues; und dieser Mann, ist er ihr Gemahl?"

„Bewahre uns die heilige Jungfrau? Ihr Gemahl? Wo denkt Ihr hin? Da
würde er nicht so zärtlich mit ihr spazieren fahren. Ich denke, es ist
ihr Geliebter."

„So ist es," sagte einer der griechischen Kaufleute, „die Dame wohnt
nicht weit von mir. Sie lebt allein mit ihren Kindern. Sie sieht
niemand bei sich als einige fromme Geistliche und diesen jungen Mann!
Er ist ihr Geliebter. Aber sie führen ein Hundeleben zusammen. Man
hört sie oft beide weinen und zanken und schreien. Der junge Mann
flucht und donnert und jammert mit schrecklicher Stimme, und die Donna
weint und klagt, und die Kinder erheben ein Zetergeschrei, daß die
Nachbarn zusammenlaufen. Dann stürzt oft der junge Mann verzweifelnd
aus dem Haus und will fliehen, aber die Donna setzt ihm mit fliegenden
Haaren nach, und die Kinder laufen heulend hinterdrein. Sie faßt ihn
unter der Türe am Gewand, sie achtet nicht auf die Menschen, die
umherstehen. Sie zieht ihn zurück ins Haus und besänftigt ihn; und
dann ist es oft auf viele Tage stille, bis das Wetter von neuem
losbricht."

„Heilige Jungfrau," rief der Schiffer, „und hat er sie noch nie
totgestochen im Zorn?"

„Wie Ihr seht, nein!" erwiderte der Grieche. „Aber krank ist sie schon
oft geworden, wenn er so greulich raste. Dann lief er schnell zu drei,
vier Doktoren, um sie wieder ins Leben zurückzurufen. Es sind doch
gute Seelen, diese Deutschen!"

So sprachen diese Männer, und ich ging von ihnen in tiefen Gedanken
über das, was ich gehört und gesehen hatte. Jenes Wort des jungen
Berliners fiel mir wieder bei, der den Kardinal Rocco beschuldigte,
ein schönes, gutes Herz gebrochen zu haben. Welches andere Herz konnte
dies sein als Luisens? Ich glaubte deutlich zu sehen, daß der Priester
den Kapitän der Geliebten entzogen, indem er sie verleumdet, daß er
ihn in die Fesseln dieser Donna Ines geschmiedet habe, um ihn für die
Kirche zu gewinnen. Aber wie war alles dies geschehen? Wie hatte er
diesen Mann aus den Armen seines Mädchens ziehen, von einem Herzen
hinwegreißen können, das ihn mit so heißer Glut umfing? Sollten jene
Beschuldigungen von Untreue wahr sein, die der Kardinal dem Kapitän
einflüsterte? Hatte sie wirklich den jungen Mann, der ihm so ähnlich
sah, vorgezogen? Doch ich wußte ja, wo ich mir Gewißheit verschaffen
konnte. Ich beschloß, bei guter Zeit am nächsten Morgen den Berliner
wieder aufzusuchen.

Herr v. S..... schien mich liebgewonnen zu haben; denn er empfing mich
mit Herzlichkeit und einem Wohlwollen, das selbst den Teufel erfreut,
wenn er auch schon an dergleichen gewöhnt ist. Ich hatte mir
vorgenommen, von meiner gestrigen Fahrt und den Wunderdingen, die ich
gehört hatte, noch nichts zu erwähnen, um den Verlauf seiner
Geschichte zuvor desto ungestörter zu vernehmen.

„Von allem Unglück, das die Erde trägt," fuhr er zu erzählen fort,
„scheint mir keines größer, schmerzlicher und rührender als jener
stille, tiefe Gram eines Mädchens, das unglücklich liebt oder dessen
zartes, glühendes Herz von einem Elenden zur Liebe hingerissen und
dann betrogen wird. Der Mann hat Kraft, seinen Gram zu unterdrücken,
den Verrat seiner Liebe zu rächen, die gepreßte Brust dem Freunde zu
öffnen; das Leben bietet ihm tausend Wege, in Mühe und Arbeit, in
weiter Ferne Vergessenheit zu erringen. Aber das Weib?--Der häusliche
Kreis ist so enge, so leer. Jene täglich wiederkehrende Ordnung, jene
stille Beschäftigung mit tausend kleinen Dingen, der sie sich in der
Zeit glücklicher Liebe fröhlich, beinahe unbewußt hingab, wie drückend
wird sie, wenn sich an jeden Gegenstand die Erinnerung an ein
verlorenes Glück heftet! Wie träge schleicht der Kreislauf der
Stunden, wenn nicht mehr die süßen Träume der Zukunft, nicht der
Zauber der Hoffnung, nicht die Seligkeit der Erwartung den Minuten
Flügel gibt, wenn nicht mehr das von glücklicher Liebe pochende Herz
den Schlag der Glocke übertönt!

Doch, wozu Sie auf ein Unglück vorbereiten, das Sie nur zu bald
erfahren werden? Hören Sie weiter: Mein Wunsch, Luise von Palden im
Hause des Gesandten zu sehen, gelang. Schon nach einigen Tagen wurde
sie durch seine Schwester dort eingeführt. Sie errötete, als sie mich
zum ersten Male dort sah, doch sie schien mich wie einen alten
Bekannten dort zu nehmen; es schien sie zu freuen, unter so vielen
fremden Männern einen zu wissen, der ihr näher stand. Denn so war es;
sei es, daß die Erinnerung an unser sonderbares Abenteuer mich aus
einem Fremden zum Bekannten machte, sei es, daß sie gerne zu mir
sprach, weil ich die Züge ihres Freundes trug, sie unterschied mich
auffallend von allen übrigen Männern, die dieser seltenen Erscheinung
huldigten. Sie lächeln, Freund? Ich errate Ihre Gedanken--"

„Ich finde, Sie sind zu bescheiden; könnte es nicht auch Ihre eigene
Persönlichkeit gewesen sein, was das Fräulein anzog?"

„Nein, denken Sie nicht so von diesem himmlischen Geschöpf; ich
gestehe, ich war ein Tor, ich machte mir Hoffnung, sie für mich
gewinnen zu können; ja, Freund, ich sagte ihr sogar, was ich fürchte--"

„Und Sie wurden nicht erhört? Das treue, ehrliche Kind! Und ihr
Kapitän lag vielleicht gerade in den Armen einer andern!"

Der Berliner stutzte. „Wie? Was wissen Sie?" fragte er betroffen. „Wer
hat Ihnen gesagt, daß West noch eine andere liebe?"

„Nun, Sie selbst haben mich genug darauf vorbereitet," erwiderte ich;
„sagten Sie nicht, daß jener das Mädchen betrog?"

„Sie haben recht;--nun, ich wurde lächelnd abgewiesen, abgewiesen auf
eine Art, die mich dennoch glücklich, unaussprechlich glücklich
machte. Sie war keinen Augenblick ungehalten, sie gestand mir, daß ich
ihr als Freund willkommen sei, daß ihr Herz keinem andern mehr gehören
könne. Sie sagte mir auch manches von ihren Verhältnissen, was ganz
mit dem übereinstimmte, was uns die Schwester des Gesandten erzählte;
sie gestand, daß sie nur darum nach Rom gezogen sei, weil den Kapitän
seine Verhältnisse hierherriefen; sie gestand, daß er einen
Rechtsstreit wegen einer Erbschaft hier habe, daß er, sobald die Sache
entschieden sei, vielleicht schon in wenigen Wochen, sie zum Altar
führen werde.

Etwa eine Woche nach diesem aufrichtigen Geständnis rief mich eines
Abends der Gesandte aus dem Salon, in welchem die Gesellschaft
versammelt war, zu sich. Es war nichts Seltenes, daß er sich mir in
Geschäftssachen mitteilte, weil ich sein Vertrauen auf eine ehrenvolle
Art besaß; doch die Zeit war mir auffallend, und es mußte etwas von
Wichtigkeit sein, weswegen er mich aus dem Kreis der Damen aufstörte.

‚Kennen Sie einen gewissen Kapitän West?' fragte er, indem er mich mit
forschenden Blicken ansah.

‚Ich habe einen Kapitän West flüchtig kennen gelernt,' gab ich ihm zur
Antwort.

‚Nun, so flüchtig muß es doch nicht sein,' entgegnete er mir, ‚da Sie
ein Duell mit ihm gehabt.'

Ich sagte ihm, daß ich Streit mit ihm gehabt wegen einer ziemlich
gleichgültigen Sache; es sei aber alles gütlich beigelegt worden.
Dennoch war es mir auffällig, woher der Gesandte diesen Streit
erfahren hatte, den ich so geheim als möglich hielt, und von welchem
Luise in seinem Hause gewiß nichts erwähnt hatte.

‚Wegen einer Dame haben Sie Streit gehabt,' sagte er; ‚doch möchte ich
Ihnen raten, solche Händel wegen einer so zweideutigen Person zu
vermeiden. Sie wissen selbst, wenn man einmal einen öffentlichen,
besonders einen diplomatischen Charakter hat, ist dergleichen in einem
fremden Lande wegen der Folgen für beide Teile fatal.'

Der Ton, worin dies gesagt wurde, fiel mir auf. Er war sehr ernst,
sehr warnend; noch schmerzlicher berührte mich, was er über jene Dame
sagte, ‚zweideutige Person'! Und doch saß gerade diese Person als
Krone der Gesellschaft in seinem Salon, er selbst, ich hatte es
deutlich gesehen, er selbst hatte noch vor einer halben Stunde mit ihr
auf eine Art gesprochen, die mich, in dem alten Herrn einen
aufrichtigen Bewunderer ihrer Reize und ihres glänzenden Verstandes
sehen ließ. Ich konnte eine Bemerkung hierüber nicht unterdrücken; ich
bat ihn höflich, aber so fest als möglich, in meiner Gegenwart nicht
mehr s o von einer Dame zu sprechen, die ich achte und die einen so
entschiedenen Rang in der Gesellschaft einnehme. Ich wolle davon gar
nicht reden, daß er selbst sein Haus beschimpfe, wenn er in solchen
Ausdrücken von seinen Gästen spreche.

Er sah mich verwundert an; er sagte mir, er könne meine Reden nicht
begreifen; denn weder behaupte die Dame einen Rang, in der
Gesellschaft, die e r sehe, noch habe sie je einen Fuß über seine
Schwelle gesetzt. Die Reihe zu erstaunen war jetzt an mir; ich sah,
daß hier ein Irrtum vorwalte, und belehrte ihn, daß Fräulein von
Palden die Dame sei, um die wir uns schlagen wollten. ‚Verzeihen Sie,'
rief er, ‚man sagt mir, Sie haben sich wegen der Geliebten dieses
Kapitäns West geschlagen; daher glaubte ich, Ihnen dies sagen zu
müssen.'

‚Und wenn dies nun dennoch wäre?' fragte ich. ‚Kennen Sie denn die
Geliebte des Kapitäns?'

‚Gott soll mich bewahren;' entgegnete er. ‚Nein, ich glaube, er hat
schon selbst genug an seiner Spanierin.'

Ich staunte von neuem. ‚Von einer Spanierin sprechen Sie? Wie kommen
Sie nur darauf? Ich weiß bestimmt, daß der Kapitän eine deutsche Dame
liebt!'

‚Um so schlimmer für das arme Kind in Deutschland,' war seine Antwort;
‚wie die Sachen stehen, scheint man im Lateran ernstlich daran zu
denken, den goldenen Quadrupeln der schönen Donna Gehör zu geben und
ihre frühere Ehe, weil sie nicht ganz gültig vollzogen war, für
nichtig zu erklären. Der Kapitän macht eine gute Partie, aber--jeder
Mann von Ehre wird diesen Schritt mißbilligen.'

Ich stand wie vom Donner gerührt vor dem alten Mann; entweder lag hier
eine Verwechslung der Namen und Personen zugrunde, oder es war ein
schreckliches Geheimnis und der Kapitän ein Betrüger, der Luisens
Glück vielleicht auf ewig zerstört hatte.

Ich sagte dem Gesandten geradezu, daß er mit mir über Dinge spreche,
die mir völlig unbekannt seien. Er staunte, doch glaubte er, da er
schon so viel gesagt hatte, mir die weitere Erklärung dieser Rätsel
schuldig zu sein. ‚Dieser Kapitän West ist ein Sachse,' erzählte er;
‚er diente früher im Generalstab und wurde dann zu einer
diplomatischen Sendung nach Spanien verwandt; er soll ein Mann von
vielen Talenten, aber etwas zweideutigem Charakter sein. Warum die
Wahl gerade auf ihn fiel, da noch ältere Leute und aus guten Häusern
im Departement waren, ist mir unbekannt; nur so viel erfuhr ich
zufällig, daß man ihn damals von Dresden habe entfernen wollen. Man
erzählt sich, er habe in Madrid in einem Verhältnis zu einer schönen
jungen Frau gelebt; sie war eine Spanierin, aber an einen alten
Engländer verheiratet, der sie vielleicht nicht so strenge unter
Schloß und Riegel hielt, wie man sonst in Spanien zu tun pflegt.

Als aber endlich dieses Verhältnis zu den Ohren des Engländers kam,
bewirkte dieser, daß der Kapitän von seinem Posten abgerufen und sogar
aus dem Dienst entlassen werde. Doch sagen andere, er selbst habe aus
Ärger über seine schnelle Abberufung quittiert. Doch das Beste kommt
noch; einige Wochen nach seiner Abreise war die Frau des Engländers
mit ihren beiden Kindern plötzlich verschwunden, man kann sagen,
spurlos verschwunden; denn so viele Mühe sich ihr Gatte gab, ihrer
habhaft zu werden, alles war vergeblich. Vielleicht scheiterten auch
seine Bemühungen an den Unruhen, die gerade in jener Zeit ausbrachen
und die Kommunikation mit Frankreich sehr erschwerten.

Der Verdacht dieses Engländers fiel, wie natürlich, vor allem auf den
Kapitän West. Er wußte es zu machen, daß dieser in Paris angehalten
und verhört werde. Man sagt, er solle sehr betreten gewesen sein, als
er die Nachricht von der Flucht dieser Dame hörte; er wies sich aber
aus, daß er die Reise bis nach Paris allein gemacht habe, und
bekräftigte mit einem Eide, daß er von diesem Schritt der Donna nichts
wisse.

Etwa ein Vierteljahr nachher kam er nach Rom und lebt seitdem hier
sehr still und eingezogen, besucht keine Gesellschaft, hat keinen
Freund, keinen Bekannten; vorzüglich vermeidet er es, mit Deutschen
zusammenzutreffen.

Um diese Zeit, fuhr der Gesandte fort, sei von seinem Hofe die Anfrage
an ihn ergangen, ob dieser West sich in Rom befinde, wie er lebe, und
ob er nicht in Verhältnis mit einer Spanierin sei, die sich ebenfalls
hier aufhalten müsse. Man habe ihm dabei die Geschichte dieses
Kapitäns West mitgeteilt und bemerkt, daß der Engländer von neuem
Spuren von seiner Frau entdeckt habe, die beinahe mit Gewißheit
annehmen lassen, daß sie in Rom sich aufhalte. Man habe deswegen von
Spanien aus sich an die päpstliche Kurie gewandt; es scheine aber, man
wolle sich hier der Dame annehmen; denn die Antwort sei sehr
zweifelhaft und unbefriedigend ausgefallen. Der Gesandte tat die
nötigen Schritte und erfuhr wenigstens so viel, daß jener Verdacht
bestätigt sähen. Er wandte sich nun auch an Consalvi, um zu erfahren,
ob der römische Hof in der Tat die Dame in seinen Schutz nehme, und
erhielt die in eine sehr bestimmte Bitte gefaßte Antwort, man möchte
diese Sachen beruhen lassen, da die Ehe der Donna Ines mit dem
Engländer wahrscheinlich für ungültig erklärt werde.'

Dies erzählte mir der Gesandte; er fügte noch hinzu, daß er aus
besonderem Interesse an diesem Fall dem Kapitän immer nachgespürt
habe, und so sei ihm auch der Streit zu Ohren gekommen, den ich im
Karneval mit jenem ‚wegen einer Dame' gehabt habe.

Sie können sich denken, Freund, welche Qualen ich schon während seiner
Erzählung empfand, und als ich das ganze Unglück erfahren hatte, stand
ich wie vernichtet. Der Gesandte verließ mich, um zu der Gesellschaft
zurückzukehren; ich hatte kaum noch so viel Fassung, ihn zu bitten, er
möchte niemand etwas von diesen Verhältnissen wissen lassen; das Warum
versprach ich ihm ein andermal.

Ich konnte von dem Zimmer, wohin der Gesandte mich gerufen, den Salon
übersehen, ich konnte Luise sehen, und wie schmerzlich war mir ihr
Anblick! Sie schien so ruhig, so glücklich. Der Friede ihrer schönen
Seele lag wie der junge Tag freundlich auf ihrer Stirne; ihr sanftes
blaues Auge glänzte, vielleicht von der Erwartung einer schönen
Abendstunde, und das Lächeln, das ihren Mund umschwebte, schien der
Nachklang einer freudigen Erinnerung hervorgelockt zu haben. Nein, es
war mir nicht möglich, diesen Anblick länger zu ertragen, ich eilte
ins Freie, um dieses Bild durch neue Bilder zu verdrängen; aber wie
war es möglich? Der Gedanke an sie kehrte schmerzlicher als je zurück;
denn der Friede der Natur, der zauberische Schmelz der Landschaft, die
süße Ruhe, die diese Fluren atmeten, erinnerten sie mich nicht immer
wieder an jenes holde Wesen? Und die Wolken, die sich am fernen
Horizont schwärzlich auftürmten und ein nächtliches Gewitter
verkündeten, hingen sie nicht über der friedlichen Landschaft wie das
Unglück, das Luisen drohte?

Ich ging nach Hause; ich dachte nach, ob nicht Rettung möglich sei, ob
ich sie nicht losmachen könne von dieser schrecklichen Verbindung.
Doch, war nicht zu befürchten, daß sie mir mißtrauen werde? Sie wußte,
ich liebe sie; kannte sie mich hinlänglich, um nicht an der Reinheit
meiner Absichten zu zweifeln? Ich konnte es nicht über mich gewinnen,
ihr selbst ihr Unglück zu verkünden. Nur einen Ausweg glaubte ich
offen zu sehen; ich wollte ihn selbst zur Rede stellen, den Elenden,
ich wollte ihn bewegen, einen entscheidenden Schritt auf die eine oder
die andere Seite zu tun. Ja, darin glaubte ich einen glücklichen Weg
gefunden zu haben; er selbst mußte ihr sagen, daß er nicht mehr
verdiene, von ihr geliebt zu werden; und dann, dachte ich, dann wird
sie zwar unglücklich sein, aber ich will versuchen, sie glücklich zu
machen; durch ein langes Leben voll Treue und Liebe will ich ihr
Unglück zu mildern suchen."

„Aber wie konnten Sie glauben," rief ich, über diese romantischen
Ideen unwillkürlich lächelnd, „wie konnten Sie glauben, Freund, daß
ein Kapitän West zu diesem sonderbaren Geständnisse sich hergeben
werde? In Romanen mag dies der Fall sein, aber, Herr! in der
Wirklichkeit? Haben Sie je einen Narren der Art gekannt?'

„Ach, ich dachte zu gut von den Menschen," antwortete er. „Ich dachte,
wie ich, muß jeder fühlen.--Ich ging in die Wohnung des Kapitäns West.
Er wohnte schlecht, beinahe ärmlich. Ich traf ihn, wie er einen
schönen Knaben von acht Jahren auf den Knien hatte, welchen er lesen
lehrte. Errötend setzte er den Knaben nieder und stand auf, mich zu
begrüßen. ‚Ei, Papa,' rief der Kleine, ‚wie sieht dir dieser Herr so
ähnlich!'

Der Kapitän geriet in Verlegenheit und führte den Knaben aus dem
Zimmer. ‚Wie,' sagte ich zu ihm, Sie haben schon einen Knaben von
diesem Alter? Waren Sie früher verheiratet?'

Er suchte zu lachen und die Sache in einen Scherz zu drehen; er
behauptete, der Knabe gehöre in die Nachbarschaft, besuche ihn
zuweilen und nenne ihn Papa, weil er sich seiner annehme.

‚Er gehört wohl der Donna Ines?' fragte ich, indem ich ihn scharf
ansah. Noch nie zuvor hatte ich gesehen, wie schrecklich das böse
Gewissen sich kundtut; er erblaßte, seine Augen glänzten wie die einer
Schlange, ich glaubte, er wolle mich durchbohren. Noch ehe er sich
hinlänglich gesammelt hatte, um mir zu antworten, sagte ich ihm gerade
ins Gesicht, was ich von ihm wisse und was ich von ihm verlange, um
das Fräulein nicht völlig unglücklich, zu machen.

Er lief in Wut im Zimmer umher, er schimpfte auf Zwischenträger und
Zudringliche; er behauptete, ich habe die ganze Geschichte aufgedeckt,
um Luise von ihm zu entfernen. Ich ließ ihn ausreden; dann sagte ich
ihm mit kurzen Worten, wie ich sein Verhältnis zu der Spanierin
erfahren habe, und bat ihn noch einmal mit den herzlichsten Tönen
unserer Sprache, das Fräulein so schonend als möglich von sich zu
entfernen.

Es gelang mir, ihn zu rühren; aber nun hatte ich eine andere
unangenehme Szene durchzukämpfen; er klagte sich an, er weinte, er
verfluchte sich, das holde Geschöpf so schändlich betrogen zu haben.
Er schwor, sich von der Spanierin zu trennen; er flehte mich an, ihn
zu retten; er gestand mir, daß er sich von einem Netz umstrickt sehe,
das er nicht gewaltsam durchbrechen könne, weil einige hohe Geistliche
der Kirche kompromittiert würden. Er ging so weit, mich zu zwingen,
seine Geschichte anzuhören, um vielleicht milder über ihn urteilen zu
können. Es war die Geschichte eines--Leichtsinnigen. Dieses Wort möge
entschuldigen, was vielleicht s c h l e c h t genannt werden könnte.
Es lag in dem Wesen dieses Mannes ein Etwas, das ihn bei den Frauen
sehr glücklich machen mußte. Es war der äußere Anschein von Kraft und
Entschlossenheit, die ihm übrigens sein ganzes Leben hindurch
gemangelt zu haben schienen. Er mußte eine für seinen Stand
ausgezeichnete Bildung gehabt haben; denn er sprach sehr gut, seine
Ausdrücke waren gewählt, seine Bilder oft wahrhaft poetisch, er konnte
hinreißen, so daß ich oft glaubte, er spreche mit Eifer von einem
Dritten, während er mir seinen eigenen beklagenswerten Zustand
schilderte. Ich habe dies oft an Menschen bemerkt, die sonst ihrem
Triebe folgen, in den Tag hineinleben, ohne sich selbst zu prüfen, und
erst in dem Moment der Erzählung über sich selbst flüchtig nachdenken.
Sie werden dann durch die Sprache selbst zu einem eigentümlichen Feuer
gesteigert, sie sprechen mit Umsicht von sich selbst; doch eben weil
diese ihnen sonst abging, ist man versucht, zu glauben, sie sprächen
von einem Dritten.

Es war Luise, die ihn zuerst liebte; er erkannte ihre Neigung;
Eitelkeit, die herrlich aufblühende Schönheit, die Tochter eines der
ersten Häuser der Stadt, für sich gewonnen zu haben, riß ihn zu einem
Gefühl hin, das er für Liebe hielt. Der Vater sah dies Verhältnis
ungerne. Ich konnte mir denken, daß es vielleicht weniger Stolz auf
seine Ahnen, als die Furcht vor dem schwankenden Charakter des
Kapitäns war, was ihn zu einer Härte stimmte, welche die Liebe eines
Mädchens wie Luise immer mehr anfachen mußte. Er soll ihr, was ich
jetzt erst erfuhr, auf seinem Sterbebette den Fluch gegeben haben,
wenn sie je mit dem Kapitän sich verbinde.

West suchte die Geschichte mit der Frau des Engländers auf Verführung
zu schieben. Ich habe eine solche bei einem Manne, der das Bild der
Geliebten fest im Herzen trägt, nie für möglich gehalten. Doch die
Strafe ereilte ihn bald. Er gestand mir, daß er froh gewesen sei, als
er, vielleicht durch Vermittlung des Engländers, von seinem Posten
zurückberufen wurde. Donna Ines habe ihm allerlei sonderbare
Vorschläge zur Flucht gemacht, in die er nicht habe eingehen können;
er sei, ohne Abschied von ihr zu nehmen, abgereist. Was ihn eigentlich
bestimmte, nach Rom zu gehen, sah ich nicht recht ein, und er suchte
auch über diesen Punkt so schnell als möglich hinwegzukommen. Er
erzählte ferner, wie er durch Luisens Ankunft erfreut worden sei, wie
er sich vorgenommen, nur ihr, ihr allein zu leben. Doch da sei
plötzlich Donna Ines in Rom erschienen, sie habe sich mit zwei Kindern
geflüchtet, sei ihm nachgereist und habe jetzt verlangt, er solle sie
heiraten.

Es entging mir nicht, daß der Kapitän mich hier belog. Ich hatte von
dem Gesandten bestimmt erfahren, daß jener schon in Paris angehalten
und über die Flucht der Donna zur Rede gestellt worden sei; er konnte
sich also denken, daß sie ihm nachreisen werde, und dennoch knüpfte er
die Liebe zu Luisen von neuem an. Ferner, wie hätte es Ines wagen
können, ihm zu folgen, wenn er ihr nicht versprochen hätte, sie zu
heiraten, wenn er sie nicht durch tausend Vorspiegelungen aus ihrem
ruhigen Leben herausgelockt und zur Abenteurerin gemacht hätte?

Er schilderte mir nur ein Gewebe von unglücklichen Verhältnissen, in
welche ihn diese Frau, die mit allen Kardinälen, namentlich mit Pater
Rocco, schnell bekannt geworden, geführt habe. Es werde ernstlich an
der Auflösung ihrer früheren Ehe gearbeitet, und es war als bekannt
angenommen worden, daß er die Geschiedene heiraten werde.

‚Sie sagten mir hier nichts Neues,' antwortete ich ihm; ‚dies alles
beinahe wußte ich vorher. Aber ich hoffe, daß Sie als Mann von Ehre
einsehen werden, daß das Verhältnis zu Fräulein von Palden nicht
fortdauern kann, oder Sie müssen sich von der Spanierin lossagen.'

Das letztere könne er nicht, sagte er, er habe von ihr und dem
Kardinal Rocco Vorschüsse empfangen, die sein Vermögen überstiegen; er
könne also wenigstens im Augenblicke keinen entscheidenden Schritt
tun.

‚Im Augenblicke heißt hier nie,' erwiderte ich ihm. ‚Sie werden sich
aus diesen Banden, wenn sie s o beschaffen sind, nie mit Anstand
losmachen können. Ich halte es also für Ihre heiligste Pflicht, Luise
nicht noch unglücklicher zu machen; denn was kann endlich das Ziel
Ihrer Bestrebungen sein?'

Er errötete und meinte, ich halte ihn für schlechter, als er sei. Doch
er fühle selbst, daß man einen Schritt tun müsse. Er glaube aber, es
sei dies meine Sache. Er trete mir Luise ab, ich solle mir auf jede
Art ihre Gunst zu erwerben suchen und sie glücklich machen. Er hatte
Tränen in den Augen, als er dies sagte, und ich sah mit beinahe zu
mitleidigen Augen, wie weit ein Mensch durch Leichtsinn kommen könne.

Ich ging, um nichts weiser geworden, ohne daß ein wirklicher Entschluß
gefaßt worden war, von dem Kapitän; mein Gefühl war eine Mischung von
Verachtung und Bedauern. Auf der Treppe begegnete mir wieder der
schöne Knabe und fragte, ob er wohl jetzt zu Papa kommen dürfte."

„Ha! Und jetzt setzten Sie wohl alle Segel auf, Freundchen," fragte
ich; „jetzt machten Sie wohl Jagd auf die schöne Galeere Luise?"

„Ja und nein," antwortete er trübe; „sie schien meine Liebe zu
übersehen, nicht zu achten; aber bald bemerkte ich, daß sie
ängstlicher werde in meiner Nähe; es schmerzte sie, daß mir ihre
Freundschaft nicht genügen wolle. Und jener Elende, sei es aus Bosheit
oder Leichtsinn, zog sich nicht von ihr zurück, ich vermute es sogar, er
hat sie vor mir gewarnt. So standen die Sachen, als die Zeit, die ich in
Rom zubringen sollte, bald zu Ende ging. Im Kabinett des Gesandten
arbeitete man schon an Memoiren, die man mir nach Berlin mitgeben
wollte, man wunderte sich, daß ich noch keine Abschiedsbesuche
mache,--und ich, ich lebte in dumpfem Hinbrüten; ich sah nicht ein,
wie ich dieser Reise entfliehen konnte, und dennoch hielt ich es nicht
für möglich, Luise zu verlassen, jetzt, da ihr vielleicht bald der
schrecklichste Schlag bevorstand. Oft war ich auf dem Punkt, ihr
alles, alles zu entdecken; aber wie war es mir möglich, ihre himmlische
Ruhe zu zerstören, das Herz zu brechen, das ich so gerne glücklich
gewußt hätte?

Da stürzte eines Morgens der Kapitän West in mein Zimmer; er war
bleich, verstört; es dauerte eine lange Zeit, bis er sich fassen und
sprechen konnte. ‚Jetzt ist alles aus,' rief er; ‚sie stirbt, sie muß
sterben, dieser Kummer wird sie zerschmettern!' Er gestand, daß Donna
Ines oder der Kardinal Rocco seine Liebe zu Luisen entdeckt hätten;
ihr schrieben sie sein Zögern, sein Schwanken zu, und der Kardinal
hatte geschworen, er wolle an diesem Tage zu dem deutschen Fräulein
gehen und sie zur Rede stellen, wie sie es wagen könne, einen Mann,
der schon so gut als verehelicht sei, von seinen Pflichten
zurückzuhalten.

Ich kannte diesen Priester und seine tückische Arglist, ich erkannte,
daß die Geliebte verloren sei. Ich weiß Ihnen von dieser Stunde, von
diesem Tage wenig mehr zu erzählen. Ich weiß nur, daß ich den Kapitän
in kalter Wut zur Türe hinaus schob, mich schnell in die Kleider warf
und wie ein gejagtes Wild durch die Straßen dem Hause der Signora
Campoco zulief. Als ich unten an dieser Straße anlangte, sah ich einen
Kardinal sich demselben Hause nähern. Er schritt stolz einher, Frater
Piccolo trug ihm den Mantel; es war kein Zweifel, es war Rocco. Ich
setzte meine letzten Kräfte daran, ich rannte wie ein Wahnsinniger auf
ihn zu; doch--ich kam eben an, als mir Piccolo mit teuflischem Lächeln
die Türe vor der Nase zuwarf.

Eine Art von Instinkt trieb mich, all diesem Jammer zu entfliehen. Ich
ging, wie ich war, zu dem Gesandten und sagte ihm, daß ich noch in
dieser Stunde abreisen werde. Er war es zufrieden, gab mir seine
Aufträge, und bald hatte ich die heilige--unglückselige Stadt im
Rücken. Erst als ich nach langer Fahrt zu mir selbst kam, als meine
Vorstellungen sich wieder ordneten und deutlicher wurden, erst dann
tadelte ich meine Feigheit, die mich zu dieser übereilten Flucht
verführte. Ich tadelte meine ganze Handlungsweise, ich klagte mich an,
die Unglückliche auf diesen Schlag nicht vorbereitet zu haben;--doch
es war zu spät, und wenn ich mir meine Gefühle, meine ganze Lage
zurückrief, ach, da schien es so verzeihlich, die Geliebte verschont
zu haben! So kam ich nach Berlin, in dieser Stimmung trafen Sie mich
dort, und ein Teil dieser Geschichte war es, den ich damals im Hause
meiner Tante erzählt habe."

Der junge Mann hatte geendet; seine Züge hatten nach und nach jene
Trauer, jene Wehmut angenommen, die ich in seinem Wesen, als ich ihn
in Berlin sah, zu bemerken glaubte; er war ganz derselbe, der er an
jenem Abend war, und die Worte seiner Tante, er sehe seit seiner
Zurückkunft so geheimnisvoll aus, kamen mir wieder in den Sinn und
ließen mich den richtigen Blick dieser Dame bewundern. An seiner
ganzen Historie schienen mir übrigens nur zwei Dinge auffallend.
Unglückliche Mädchen wie das Fräulein, abenteuernde Damen wie Ines,
intrigante Priester wie Kardinal Rocco hatte ich auf der Welt schon
viele gesehen. Aber die beiden Männer waren mir als Menschenkenner
etwas rätselhaft. Der Kapitän hatte allerdings schon einen bedeutenden
Grad in meinem Reglement erlangt; aber unbegreiflich war es mir, wie
sich dieser Mann so lange auf einer Stufe halten konnte, da doch nach
moralischen wie nach physischen Gesetzen ein Körper, welcher abwärts
gleitet, immer schneller fällt. Er war falsch, denn er spielte zwei
Rollen; er war leichtsinnig, denn er vergaß sich alle Augenblicke; er
war eifersüchtig, obgleich er es selbst mit zwei Frauen hielt; er war
schnell zum Zorn reizbar; als deutscher Kapitän liebte er
wahrscheinlich auch das _Est, Est, Est_, Eigenschaften, die nicht
lange auf einer Stufe lassen. Ein anderer an seiner Stelle wäre
vielleicht aus Eifersucht und Zorn schon längst ein Totschläger
geworden; ein zweiter wäre, leichtsinnig wie er, all diesem Jammer
entflohen, hätte die Donna Ines hier und Fräulein Luise dort sitzen
lassen und vielleicht an einem andern Orte eine andere gefreit; ein
dritter hätte vielleicht der Donna Gift beigebracht, um die schöne
Sächsin zu besitzen oder aus Verzweiflung die letztere erdolcht.

Aber wie langweilig dünkte es mir, daß das Fräulein noch in demselben
Zustande war, daß die beiden Anbeter noch nicht in Streit geraten
waren, daß das Ende von diesen Geschichten ein Übertritt zur römischen
Kirche, eine Hochzeit der Donna Ines und vielleicht eine zweite,
Luisens mit dem Berliner, werden sollte?

Denn eben dieser ehrliche Berliner! Er stand zwar in etwas entfernten
Verhältnissen zu mir, doch wußte ich, wenn ich ihm das Ziel seines
heimlichen Strebens, das Fräulein, recht lockend, recht reizend
vorstellte, wenn ich ihren Besitz ihm von ferne möglich zeigte, so
machte er Riesenschritte abwärts, denn seine Anlagen waren gut. Ich
beschloß daher, mir ein kleines Vergnügen zu machen und die Leutchen
zu hetzen.

Während diese Gedanken flüchtig in mir aufstiegen, wurde dem Herrn von
S. ein Brief gebracht. Er sah die Aufschrift an und errötete, er riß
das Siegel auf, er las, und sein Auge wurde immer glänzender, seine
Stimme heiterer. „Der Engel!" rief er aus. „Sie will mich dennoch
sehen! Wie glücklich macht sie mich! Lesen Sie, Freund," sagte er,
indem er mir den Brief reichte; „müssen solche Zeilen nicht
beglücken?"

Ich las: „Mein treuer Freund! Mein Herz verlangt darnach, Sie zu
sprechen. Ich wollte Sie nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen, bis
Sie mir gute Nachrichten zu bringen hätten; Sie selbst sind es
eigentlich, der diesen Bann aussprach. Doch heben Sie ihn auf, Sie
wissen, wie tröstlich es mir ist, mit Ihnen sprechen zu können. Der
Fromme ist wieder hier; er verspricht sich das Beste von West. Ach!
daß er ihn zurückbrächte von seinem Abwege, nicht zu mir, meine Augen
dürfen ihn nicht mehr sehen, nur zurück von dieser Schmach, die ich
nicht ertragen kann. L. v. P.

N. S. Wissen Sie in Rom keinen Deutschen, der in Mecklenburg bekannt
wäre? West hat dort Verwandte, die vielleicht in der Sache etwas tun
könnten."

„Ich kann mir denken, daß dieses schöne Vertrauen Sie erfreuen muß,"
sagte ich; „doch einiges ist mir nicht recht klar in diesem Brief, das
Sie mir übrigens aufklären werden. Wegen der Verwandten in Mecklenburg
kann sich übrigens das Fräulein an niemand besser wenden als an mich;
denn ich war mehrere Jahre dort und bin beinahe in allen Familien
genau bekannt."

Der junge Mann war entzückt, dem Fräulein so schnell dienen zu können.
„Das ist trefflich!" rief er. „Und Sie begleiten mich wohl jetzt eben
zu ihr? Ich erzähle Ihnen unterwegs noch einiges, was Ihnen die
Verhältnisse klarer machen wird."

Ich sagte mit Freuden zu, wir gingen.

„In Berlin," erzählte er, „hielt ich es nur zwei Monate aus; ich hatte
niemand hier in Rom, der mir über das unglückliche Geschöpf hätte
Nachricht geben können, und so lebte ich in einem Zustande, der
beinahe an Verzweiflung grenzte; nur einmal schrieb mir der sächsische
Gesandte: Der Papst habe sich jetzt öffentlich für den Kapitän West
erklärt, man spreche davon, daß der Preis dieser Gnade der Übertritt
des Kapitäns zur römischen Kirche sein solle. In demselben Briefe
erwähnte er mit Bedauern, daß die junge Dame, die uns alle so sehr
angezogen habe, die mich immer besonders auszuzeichnen geschienen,
sehr gefährlich krank sei, die Ärzte zweifeln an ihrer Rettung.

Wer konnte dies anders sein als die arme Luise. Diese letzte Nachricht
entschied über mich. Zwar hätte ich mir denken können, daß alles, was
ihr der Kardinal mitteilte, Krankheit, vielleicht den Tod zur Folge
haben werde; aber jetzt erst, als ich diese Nachricht gewiß wußte,
jetzt erst kam sie mir schrecklich vor; ich reiste nach Rom zurück,
und meine Bekannten hier haben sich nicht weniger darüber gewundert,
mich so unverhofft zu sehen, als meine Verwandten in Berlin, mich so
plötzlich wieder entlassen zu müssen. Besonders die Tante konnte es
mir nicht verzeihen; denn sie hatte schon den Plan gemacht, mich mit
einem der Fräulein, die Sie beim Tee versammelt fanden, zu
verheiraten.

Erlassen Sie es mir, zu beschreiben, wie ich das Fräulein wieder fand!
Nur eins schien diese schöne Seele zu betrüben, der Gedanke, daß West
zu seiner großen Schuld noch einen Abfall von der Kirche fügen wolle.
Ich lebe seitdem ein Leben voll Kummer. Ich sehe ihre Kräfte, ihre
Jugend dahin schwinden; ich sehe, wie sie ein Herz voll Jammer unter
einer lächelnden Miene verbirgt. Um mich noch zu tätigerem Eifer, ihr
zu dienen, zu zwingen, gelobte ich, sie nicht mehr zu sprechen, bis
ich von dem Kapitän erlangt hätte, daß er nicht zum Apostaten werde,--
oder bis sie mich selbst rufen lasse. Das letztere ist heute
geschehen. Es scheint, sie hat Hoffnung; ich habe keine; denn er ist
zu allem fähig, und Rocco hat ihn so im Netze, daß an kein Entrinnen
zu denken ist."

„Aber der Fromme," fragte ich; „soll wohl der seine Bekehrung
übernehmen?"

„Auf diesen Menschen scheint sie ihre Hoffnung zu gründen. Es ist ein
deutscher Kaufmann, ein sogenannter Pietist; er zieht umher, um zu
bekehren; doch leider muß er jedem Vernünftigen zu lächerlich
erscheinen, als daß ich glauben könnte, er sei zur Bekehrung des
Kapitäns berufen. Eher setzte ich einige Hoffnungen auf Sie, mein
Freund, wenn Sie durch die Verwandten etwas bewirken könnten; doch,
auch dies kömmt zu spät! Wie sie sich nur um diesen Elenden noch
kümmern mag!"

Viel versprach ich mir von diesem Besuch bei dem Fräulein von Palden.
Was ich von ihr gesehen, von ihr gehört, hatte mir ein Interesse
eingeflößt, das diese Stunde befriedigen mußte. Ich hatte mir schon
lange zuvor, ehe ich sie sah, ein Bild von ihr entworfen; ich fand es,
als sie mir damals im Portikus erschien, beinahe verwirklicht; nur
eines schien noch zu fehlen, und auch das hatte sich jetzt bestätigt;
ich dachte mir sie nämlich etwas fromm, etwas schwärmerisch, und sie
mußte dies sein; wie konnte sie sonst einem deutschen Pietisten die
Heilung des Kapitäns West zutrauen?

Wir wurden von der Signora Campoco und ihren Hunden freundlich
empfangen; den Berliner führte sie zu ihrer Nichte, mich bat sie, in
ein Zimmer zu treten, wo ich einen Landsmann finden werde. Ich trat
ein. Am Fenster stand ein langer, hagerer Mann von kaltem, finsteren
Aussehen. Er heftete seine Augen immer zu Boden, und wenn er sie
einmal aufschlug, so glühten sie von einem trüben, unsicheren Feuer.
Ich machte ihm mein Kompliment, er erwiderte es mit einem leichten
Neigen des Hauptes und antwortete: „Gegrüßet seist du mit dem Gruße
des Friedens!"

Ha, dachte ich, das ist niemand anders als der Pietist! Solche Leute
sind eine wahre Augenweide für den Teufel, er weiß, wie es in ihrem
Innern aussieht, und diese herrliche Charaktermaske, lächerlicher als
Policinello, komischer als Passaglio, pathetischer als Truffaldin, und
wahrer als sie alle, trifft man besonders in Deutschland und seit
neuerer Zeit in Amerika, wohin sie die Deutschen verpflanzt haben.
Diese Protestanten glauben im echten Sinne des Wortes zu handeln, wenn
sie gegen alles protestieren. Der Glaube der katholischen Kirche ist
ihnen ein Greuel; der Papst ist der Antichrist, gegen ihn und die
Türken beten sie alle Tage ein absonderliches Gebet. Nicht zufrieden
mit diesem, protestieren sie gegen ihren eigenen Staat, gegen ihre
eigene Kirche. Alles ist ihnen nicht orthodox, nicht fromm genug. Man
glaubt vielleicht, sie selbst sind um so frommer? O ja, wie man will.
Sie gehen gesenkten Hauptes, wagen den Blick nicht zu erheben, wagen
kein Weltkind anzuschauen. Ihre Rede ist, „Ja, ja, nein, nein". Auf
weitere Schwüre und dergleichen lassen sie sich nicht ein. Sie sind
die Stillen im Lande; denn sie leben einfach, und ohne Lärm für sich;
doch diese selige Ruhe in dem Herrn verhindert sie nicht, ihre
Mitmenschen zu verleumden, zu bestehlen, zu betrügen. Daher kömmt es,
daß sie einander selbst nicht trauen. Sie vermeiden es, sich
öffentlich zu vergnügen, und wer am Sonntag tanzt, ist in ihren Augen
ein Ruchloser. Unter sich selbst aber feiern sie Orgien, von denen
jeder andere sein Auge beschämt wegwenden würde.

Drum lacht mir das Herz, wenn ich einen Mystiker dieser Art sehe. Sie
gehen still durchs Leben und wollen die Welt glauben machen, sie seien
von Anbeginn der Welt als extrafeine Sorte erschaffen und plombiert
worden, und der heilige Petrus, mein lieber Cousin, werde ihnen einen
näheren Weg, ein Seitenpförtchen in den Himmel aufschließen. Aber alle
kommen zu mir; Separatisten, Pietisten, Mystiker, wie sie sich heißen
mögen, seien sie Kathedermänner oder Schuhmacher, alle sind in Nr. 1
und 2, sie v e r n e i n e n, wenn auch nicht im Äußern; denn sie sind
Heuchler in ihrem Herzen von Anbeginn.

Ein solcher war nun der fromme Mann am Fenster. „Ihr seid ein
Landsmann von mir," fragte ich nach seinem Gruß, „Ihr seid ein
Deutscher?"

„Alle Menschen sind Brüder und gleich vor Gott," antwortete er; „aber
die Frommen sind ihm ein angenehmer Geruch."

„Da habt Ihr recht," erwiderte ich, „besonders wenn sie in einer engen
Stube Betstunde halten. Seid Ihr schon lange hier in dieser
gotteslästerlichen Stadt?"

Er warf einen scheuen Blick auf mich und seufzte: „O welche Freude hat
mir der Herr gegeben, daß er einen Erweckten zu mir sandte! Du bist
der erste, der mir hier sagt, daß dies die Stadt der babylonischen H---,
der Sitz des Antichrists ist. Da sprechen sie in ihrem weltlichen Sinne
von dem Altertume der Heiden, laufen umher in diesen großen
Götzentempeln und nennen alles ‚heiliges Land', selbst wenn sie
Protestanten sind; aber diese sind oft die Ärgsten."

„Wie freut es mich, Bruder, dich gefunden zu haben! Sind noch mehrere
Brüder und Schwestern hier? Doch hier kann es nicht fehlen; in einer
Gemeinde, die der Apostel Paulus selbst gestiftet hat, müssen fromme
Seelen sein."

„Bruder, geh mir weg mit dem Apostel Paulus, dem traue ich nur halb;
man weiß allerlei von seinem früheren Leben, und nachher, da hat er so
etwas Gelehrtes wie unsere Professoren und Pfarrer; ich glaube, durch
ihn ist dieses Übel in die Welt gekommen. Zu was denn diese
Gelehrtheit, diese Untersuchungen? Sie führen zum Unglauben. Die
Erleuchtung macht's, und wenn einer nicht zum D u r c h b r u c h
gekommen ist, bleibt er ein Sünder. Ein altes Weib, wenn sie
erleuchtet ist, kann so gut predigen und lehren in Israel als der
gelehrteste Doktor."

„Du hast recht, Bruder," erwiderte ich ihm; „und ich war in meinem
Leben in der Seele nicht vergnügter, nie so heiter gestimmt, als wenn
ich einen Bruder Schuster oder eine Schwester Spitälerin das Wort
verkündigen hörte. War es auch lauterer Unsinn, was sie sprach, so
hatte ihr es doch der Geist eingegeben, und wir alle waren
zerknirscht. Doch sage mir, wie kömmst du ins Haus dieser Gottlosen?"

„Bruder, in der Stadt Dresden im Sachsenland, wo es mehr Erleuchtete
gibt als irgendwo, da wohnte ich neben ihrem Haus. Damals war sie ein
Weltkind und lachte, wenn die Frommen am Sonntagsabend in mein Haus
wandelten, um eine Stunde bei mir zu halten. Als ich nun hierher kam
in dieses Sodom und Gomorra, da gab mir der Geist ein, meine Nachbarin
aufzusuchen. Ich fand sie von einem Unglück niedergedrückt. Es ist ihr
ganz recht geschehen; denn so straft der Herr den Wandel der Sünder.
Aber mich erbarmte doch ihre junge Seele, daß sie so sicherlich
abfahren soll dorthin, wo Heulen und Zähneklappern. Ich sprach ihr zu,
sie ging ein in meine Lehren, und ich hoffe, es wird bei ihr bald zum
Durchbruch kommen. Und da erzählte sie mir von einem Manne, den der
Satan und der Antichrist in ihren Schlingen gefangen haben, und bat
mich, ob ich nicht lösen könne diese Bande kraft des Geistes, der in
mir wohnet. Und darum bin ich hier."

Während der fromme Mann die letzten Worte sprach, kam der Berliner mit
dem Fräulein. Jener stellte mich vor, und sie fragte errötend, ob ich
mit der Familie des Kapitäns West in Mecklenburg bekannt sei. Ich
bejahte es; ich hatte mit mehreren dieser Leute zu tun gehabt und gab
ihr einige Details an, die sie zu befriedigen schienen.

„Der Kapitän ist auf dem Sprung, einen sehr törichten Schritt zu tun,
der ihn gewiß nicht glücklich machen kann; S. hat Ihnen wohl schon
davon gesagt, und es kömmt jetzt darauf an, ihm das Mißliche eines
solchen Schrittes auch von seiten seiner Familie darzutun."

„Mit Vergnügen; dieser fromme Mann wird uns begleiten; er ist in
geistlichen Kämpfen erfahrener als ich; ich hoffe, er wird sehr
nützlich sein können."

„Es ist mein Beruf," antwortete der Pietist, die Augen greulich
verdrehend, „es ist mein Beruf, zu kämpfen, solange es Tag ist. Ich
will setzen meinen Fuß auf den Kopf der Schlange und will ihr den Kopf
zertreten wie einer Kröte; soeben ist der Geist in mich gefahren. Ich
fühle mich wacker wie ein gewappneter Streiter. Liebe Brüder, lasset
uns nicht lange zaudern, denn die Stunde ist gekommen; Sela!"

„Gehen wir!" sagte der Berliner. „Seien Sie versichert, Luise, daß
Freund Stobelberg und ich alles tun werden, was zu Ihrer Beruhigung
dienen kann. Fassen Sie sich, sehen Sie mutig, heiter in die Zukunft;
die Zeit bringt Rosen."

Das schöne bleiche Mädchen antwortete durch ein Lächeln, das sie einem
wunden Herzen mühsam abgezwungen hatte. Wir gingen, und als ich mich
in der Türe umwandte, sah ich sie heftig weinen.

Wir drei gingen ziemlich einsilbig über die Straße; der Pietist, vom
Geiste befallen, murmelte unverständliche Worte vor sich hin und
verzog sein Gesicht, rollte seine Augen wie ein Hierophant. Der
Berliner schien an dem guten Erfolg unseres Beginnens zu zweifeln und
ging sinnend neben mir her; ich selbst war von dem Anblick der stillen
Trauer jenes Mädchens, ich möchte sagen, beinahe gerührt; ich dachte
nach, wie man es möglich machen könnte, sie der Schwärmerei zu
entreißen, sie dem Leben, der Freude wiederzugeben; denn so gerne ich
ihr den Himmel und alles Gute wünschte, so schien sie mir doch zu jung
und schön, als daß sie jetzt schon auf eine etwas langweilige
Seligkeit spekulieren sollte. Durch den Berliner schien ich dies am
besten erreichen zu können, besser vielleicht noch durch den Kapitän
West, der mir ohnedies verfallen war; doch zweifelte ich, ob man ihn
noch von der Spanierin werde losmachen können.

Auf dem Hausflur des Kapitäns ließ uns der Pietist vorangehen, weil er
hier beten und unsern Ein= und Ausgang segnen wolle. Doch, o Wunder!
Als wir uns umsahen, nahm er nach jedem Stoßseufzer einen Schluck aus
einem Fläschchen, das seiner Farbe nach einen guten italienischen
Likör enthalten mußte. Ha! jetzt muß der Geist erst recht über ihn
kommen, dachte ich, jetzt kann es nicht fehlen, er muß mit großer
Begeisterung sprechen.

Der Kapitän empfing uns mit einer etwas finsteren Stirne. Der Berliner
stellte uns ihm vor, und sogleich begann der Pietist, vom Geiste
getrieben, seinen Sermon.

Er stellte sich vor den Kapitän hin, schlug die Augen zum Himmel und
sprach: „Bruder! Was haben meine Ohren von dir vernommen? So ganz hat
dich der Teufel in seinen Klauen, daß du dich dem Antichrist ergeben
willst, daß du absagen willst der heiligen christlichen Kirche, der
Gemeinschaft der Heiligen? Sela. Aber da sieht man es deutlich. Wie
heißt es Sirach am 9. im dritten Vers? He? ‚Fliehe die Buhlerin, daß
du nicht in ihre Stricke fallest.'"

„Zu was soll diese Komödie dienen, Herr von S.?" sprach der Kapitän
gereizt. „Ich hoffe, Sie sind nicht gekommen, mir in meinem Zimmer
Sottisen zu sagen."

„Ich wollte Sie mit Herrn von Stobelberg, der Ihre Familie kennt,
besuchen. Da ließ sich dieser fromme Mann, der gehört hat, daß Sie
übertreten wollen, nicht abhalten, uns zu begleiten."

„Große Ehre für mich, geben Sie sich aber weiter keine Mühe; denn--"

„Höret, höret, wie er den Herrn lästert, in dessen Namen ich komme,"
schrie der Pietist. „Der Antichrist krümmet sich in ihm wie ein Wurm,
und der Teufel sitzt ihm auf der Zunge. O, warum habt Ihr Euch blenden
lassen von Weltehre? Was sagt derselbe Sirach? Laß dich nicht bewegen
von dem Gottlosen in seinen großen Ehren; denn du weißt nicht, wie es
ein Ende nehmen wird.--Wisse, daß du unter den Stricken wandelst und
gehest auf eitel hohen Spitzen!"'

„Sie kennen meine Familie, Herr von Stobelberg? Sind Sie vielleicht
selbst ein Landsmann aus Mecklenburg?"

„Nein! Aber ich kam viel in Berührung mit Ihrer Familie und bin mit
einigen Gliedern derselben sehr nahe liiert. So zum Beispiel mit Ihrem
Onkel F., mit Ihrer Tante W., mit Ihrem Schwager Z."

„Wie? Der Satan hat ihm die Ohren zugeleimt?" rief der fromme
Protestant, als sein abtrünniger Bruder ihn völlig ignorierte. „Auf,
ihr Brüder, ihr Streiter des Herrn, lasset uns ein geistliches Lied
singen, vielleicht hilft es." Er drückte die Augen zu und fing an, mit
näselnder, zitternder Stimme zu singen:

  „Herr, schütz' uns vor dem Antichrist,
    Und laß uns doch nicht fallen;
  Es streckt der Papst mit Hinterlist
    Nach uns die langen Krallen;
      Und laß dich erbitten,
      Vor den Jesuiten
      Und den argen Missionaren
  Wollest gnädig uns bewahren.

  Sie sind des Teufels Knechte all,
    Nur wir sind fromme Seelen;
  Wir kommen in des Himmels Stall,
    Uns kann es gar nicht fehlen;
      Denn nach kurzem Schlafe
      Ziehn wir frommen Schafe
      In den Pferch für uns bereitet,
      Wo der Hirt die Schäflein weidet;
  Dort scheidet er die Böcke aus--"

Man kann eben nicht sagen, daß der Fromme wie eine Nachtigall sang;
aber komisch genug war es anzusehen, wie er, vom Geiste getrieben,
dazu agierte. Auf den Wangen des Kapitäns wechselte Scham und Zorn,
und man war ungewiß, ob er mehr über die Unverschämtheit dieses
Proselytenmachers staunte oder mehr über den Inhalt der frommen Hymne
erbost sei. Als der Pietist nach einem tiefen Seufzer den dritten Vers
anhub, ging die Türe auf, und die hohe, majestätische, Gestalt des
Kardinals Rocco trat ein. Er war angetan mit einem weißen,
faltenreichen Gewand, und der Purpur, der über seine Schultern
herabfloß, gab ihm etwas Erhabenes, Fürstliches. Er übersah uns mit
gebietendem Blick, und die Rechte, die er ausstreckte, mochte
vielleicht den ehrerbietigen Kuß eines Gläubigen erwarten.

Der Kapitän war in sichtbarer Verlegenheit. Er fühlte, daß der
Kardinal uns den Protestantismus sogleich anriechen, daß es ihn
erzürnen werde, seinen Katechumenen in so schlechter Gesellschaft zu
sehen. Er nannte der Eminenz unsere Namen, doch als er Herrn v. S.
erblickte, trat er erschrocken einen Schritt zurück und flüsterte dem
Frater Piccolo in der violetten Kutte zu: „Das ist wohl der Teufel,
den du im Traume gesehen?"

Piccolo antwortete mit drei Kreuzen, die er ängstlich auf seinen Leib
zeichnete, und der Kardinal fing an, leise einige Stellen aus dem
Exorzismus zu beten. Während dieser Szene hatte sich der fromme
Kaufmann, dem das Wort auf der Lippe stehen geblieben war, wieder
erholt. Er betrachtete die imponierende Gestalt dieses Kirchenfürsten;
doch schien sie ihm nicht mehr zu imponieren, nachdem er bei sich zu
dem Resultate gelangt war, daß nur ein frommer protestantisch=
mystischer Christ zur Seligkeit gelangen könne. Er hub im heulenden
Predigerton auf italienisch an: „Siehe da, ein Sohn der babylonischen
H---, ein Nepote des Antichrists. Er hat sich angetan mit Leide und
Purpur, um eure armen Seelen zu verlocken. Hebe dich weg, Satanas!"

„Ist der Mensch ein Narr?" fragte der Kardinal, indem er näher trat
und den Prediger ruhig und groß anschaute. „Piccolo, merke dir diesen
Menschen, wir wollen ihn im Spital versorgen."

Der Pietist geriet in Wut. „Baalspfaffe, Götzendiener, Antichrist!"
schrie er. „Du willst mich ins Spital tun? Ha, jetzt kömmt der Geist
erst recht über mich. Ich will barmherzig sein mit dir, Sodomiter! Ich
will dich lehren die Hauptstücke der Religion, daß du deine
ketzerischen Irrtümer einsehest. Aber zuvor ziehe sogleich den Purpur
ab! Zu was soll dieser Flitter dienen? Meinst du, du gefallest dem
Herrn besser, wenn du violette Strümpfe anhast? O du Tor! Das sind die
eitlen Lehren des Antichrists, des Drachen, der auf dem Stuhle sitzt;
in Sack und Asche mußt du Buße tun."

Jetzt glühte Roccos Auge vor Wut, seine Stirne zog sich zusammen,
seine Wangen glühten. „Jetzt sehe ich, Kapitän," rief er, „was Euch
solange zögern macht. Ihr haltet Zusammenkünfte mit diesen
wahnsinnigen Ketzern, die Euch in Eurem Aberglauben bestärken. Ha! bei
der heiligen Erde, Ihr habt uns tief gekränkt."

„Herr Kardinal!" fiel ihm Herr v. S. in die Rede. „Ich bitte, uns
nicht alle in eine Klasse zu werfen. Wenn jener Mann dort den Trieb in
sich fühlt, alle Welt zu bekehren, so können wir ihn nicht daran
verhindern. Doch meine ich, man habe sich nicht darüber zu beklagen;
denn Ew. Eminenz wissen, daß es gleichsam nur Repressalien für die
Missionen und die Jesuiterei sind, mit welcher man gegenwärtig alle
Welt über schwemmt."

Jetzt war der rechte Zeitpunkt, die Leutchen zu hetzen. Jetzt galt es,
sie zu verwickeln, um sie nachher desto länger trauern zu lassen.
„Herr v. S.," sagte ich, „der Herr Kapitän will, denke ich, durch sein
Schweigen beweisen, daß er Seiner Eminenz recht gibt. Zwar schließt
mich mein Bewußtsein von den ‚wahnsinnigen Ketzern' aus: ich mache
keine Proselyten, ich unterrichte niemand in der Religion; aber Ihrer
werten Familie in Mecklenburg werde ich bei meiner Rückkehr sagen
können--"

„Stille!" rief der Pietist mit feierlicher Stimme. „Bruder, Mann
Gottes, willst du dich so versündigen, mit dem Baalspfaffen zu
rechten? Er geht einher wie ein Pharisäer; aber es wäre ihm besser,
ein Mühlstein hänge an seinem Hals, und er würde ertränket, wo es am
tiefsten ist."

„Hüte dich, einen Pfaffen zu beleidigen," ist ein altes Sprichwort,
und der Kapitän mochte auch so denken. Ich sah, daß die Beschämung,
vor uns von Rocco wie ein Schulknabe behandelt zu werden, und die
Furcht, ihn zu beleidigen, in seinem Gesichte kämpften.

„Ich muß Ihren Irrtum berichtigen, Eminenz," entgegnete er. „Diesen
Mann hier kenne ich nicht, und er kann sich auch entfernen, wann er
will, denn seine schwärmerischen Reden sind mir zum Ekel; aber über
diese Herren hier haben Sie eine ganz falsche Ansicht. Herr von
Stobelberg bringt mir Nachrichten von meiner Familie, Herr v. S.
besucht mich. Ich weiß nicht, welche bösliche Absicht Sie darein legen
wollen."

Weit entfernt, den Kardinal durch diese Worte zu besänftigen, brachte
er ihn nur noch mehr auf; doch bezähmte er laute Ausbrüche desselben,
und seine stille Wut werde nur in kaltem Spott sichtbar. „Ja, ich habe
mich freilich höchlich geirrt," sagte er lächelnd, „und bitte um
Verzeihung, meine Herren. Ich dachte, Ihr Besuch betreffe religiöse
Gegenstände; doch nun merke ich, daß es friedlichere Absichten sind,
was Sie herführt. Herr v. S. wird wahrscheinlich den Herrn Kapitän
wieder in die süßen Fesseln des deutschen Fräuleins legen wollen?
Trefflich! Ob auch eine andere Dame darüber sterben wird, ist ihm
gleichgültig. Ich bewundere nebenbei auch Ihre Gutmütigkeit, Capitano,
daß Sie sich von demselben Manne zurückführen lassen, der Sie so
geschickt aus dem Sattel hob!"

Zu welch sonderbaren Sprüngen steigert doch den Sterblichen die
Beschämung. Gefühl des Unrechts, wirkliche Beleidigung, Zorn, alle
Leidenschaften seiner Seele hätten den Kapitän wohl nicht so außer
sich gebracht als das Gefühl der Scham, vor deutschen Männern von
einem römischen Priester so verhöhnt zu werden. „Die Achtung, Signore
Rocco," sagte er, „die Achtung, die ich vor Ihrem Gewand habe, schützt
mich, Ihnen zu erwidern, was Sie mir in meinem Zimmer über mich gesagt
haben. Ich kenne jetzt Ihre Ansichten über mich hinlänglich und
wundere mich, wie Sie sich um meine arme Seele so viele Mühe geben
wollten. Diesem Herrn, der, wie Sie sagten, mich aus dem Sattel hob,
werde ich folgen. Doch wissen Sie, daß, was er getan hat, mit meiner
Zustimmung geschah. Ich werde ihm folgen, obgleich es zuvor gar nicht
in meiner Absicht lag; nur um Ihnen zu zeigen, daß weder Ihr Spott
noch Ihre Drohungen auf mich Eindruck machen; und wenn Sie ein
andermal wieder einen Mann meiner Art unter der Arbeit haben, so rate
ich Ihnen, Ihren Spott oder Ihren Zorn zurückzuhalten, bis er im
Schoße der Kirche ist."

Das reiche, rosige Antlitz Roccos war so weiß geworden als sein
seidenes Gewand. „Geben Sie sich keine Mühe," entgegnete er, „mir zu
beweisen, wie wenig man an einem seichten Kopf Ihrer Art verliert.
Glauben Sie mir, die Kirche hat höhere Zwecke, als einen Kapitän West
zu bekehren--"

„Wir kennen diese schönen Zwecke," rief der Berliner mit sehr
überflüssigem Protestantismus; „Ihre Pläne sind freilich nicht auf
einen einzelnen gerichtet, sie gehen auf uns arme Seelen alle. Sie
möchten gar zu gerne unser ganzes Vaterland und England und alles, was
noch zum Evangelium hält, unter den heiligen Pantoffel bringen. Aber
Sie kommen hundert Jahre zu spät oder zu früh; noch gibt es, Gott sei
Dank, Männer genug in meinem Vaterlande, die lieber des Teufels sein
wollen, als den heiligen Stuhl anbeten."

„Bringe mir meinen Hut, Piccolo," sagte der Priester sehr gelassen.
„Ihnen, mein Herr v. S., danke ich für diese Belehrung; doch lag uns
an den dummen Deutschen wenig. Es liegt ein sicheres Mittel in der
Erbärmlichkeit Ihrer Nation und in ihrer Nachahmungssucht. Ich kann
Sie versichern, wenn man in Frankreich recht fromm wird, wenn England
über kurz über lang zur alleinseligmachenden Kirche zurückkehrt, dann
werden auch die ehrlichen Deutschen nicht mehr lange protestieren.
Drum leben Sie wohl, mein Herr, auf Wiedersehen!" Die Züge des
Kardinals hatten etwas Hohes, Gebietendes, das mir beinahe nie so
sichtbar wurde als in diesem Moment. Ich mußte gestehen, er hatte sich
gut aus der Sache gezogen und verließ als Sieger die Walstatt. Frater
Piccolo setzte ihm den roten Hut auf, ergriff die Schleppe seines
Talars und, mit Anstand und Würde grüßend, schritt der Kardinal aus
dem Zimmer.

Der Berliner fühlte sich beschämt und sprach kein Wort; der Pietist
murmelte Stoßgebetlein und war augenscheinlich düpiert; denn der
Streit ging über seinen Horizont, an welchem nur die Ideen von dem
Antichrist, dem Drachen auf dem Stuhl des Lammes, dem Baalspfaffen,
der babylonischen Dame, dem ewigen Höllenpfuhl und dem
Paradiesgärtlein, in lieblichem Unsinn verschlungen, schwebten.

Dem Kapitän schien übrigens nicht gar zu wohl bei der Sache zu sein.
Ich erinnerte mich, gehört zu haben, daß er von Donna Ines und diesem
Priester bedeutende Vorschüsse empfangen habe, die er nicht zahlen
sonnte; es war zu erwarten, daß sie ihn von dieser Seite bald quälen
würden, und ich freute mich schon vorher, zu sehen, was er dann in der
Verzweiflung beginnen werde. Auch zu diesem Auftritt hatte ihn sein
Leichtsinn verleitet; denn hätte er bedacht, was für Folgen für ihn
daraus entstehen könnten,--er hätte sich von falscher Scham nicht so
blindlings hinreißen lassen. Der Berliner fuhr übrigens bei dieser
Partie ebenso schlimm. Ich wußte wohl, daß er die Hoffnung auf Luisens
Besitz nicht ausgegeben hatte, daß er sie mächtiger als je nährte, da
sie ihn heute hatte rufen lassen; ich wußte auch, daß sie den Kapitän
nicht gerade zu sich zurückwünschte, sondern ihn nur nicht katholisch
wissen wollte; ich wußte, daß sie dem Berliner vielleicht bald geneigt
worden wäre, weil sie sah, mit welchem Eifer er sich um sie bemühte;
und jetzt hatte der Kapitän vor uns allen ausgesprochen, daß er das
Fräulein wiedersehen wolle; und so war es.

„Es ist mein voller Ernst, Herr v. S.," sagte er, „ich sehe ein, daß
ich mich diesen unwürdigen Verbindungen entreißen muß. Können Sie mir
Gelegenheit geben, das Fräulein wiederzusehen und ihre Verzeihung zu
erbitten?"

„Ich weiß nicht, wie Fräulein von Palden darüber denkt," antwortete
der junge Mann etwas verstimmt und finster; „ich glaube nicht, daß
nach diesen Vorgängen--"

„O! Ich habe die beste Hoffnung," rief jener, „ich kenne Luisens gutes
Herz und kann nicht glauben, daß sie aufgehört habe, mich zu lieben.
Hören Sie einen Vorschlag. Signora Campoco hat einen Garten an der
Tiber; bitten Sie das Fräulein, mit ihrer Tante heute abend dorthin zu
kommen. Ich will sie ja nicht allein sehen, Sie alle können zugegen
sein; ich will ja nichts, als Vergebung lesen in ihren Augen; ein Wort
von ihr soll mir genug sein, um mich mit mir selbst und mit dem Himmel
zu versöhnen. Ach, wie schmerzlich fühle ich meine Verirrungen!"

„Gut, ich will es sagen," erwiderte der Berliner, indem er mit Mühe
nach Fassung rang. „Soll ich Ihnen Antwort bringen?"

„Ist nicht nötig; wenn Sie keine Antwort bringen, bin ich um sechs Uhr
als reuiger Sünder in dem Garten an der Tiber."


       *       *       *       *       *


Ich gestehe, der Berliner hatte ein sonderbares Geschick. Das
Verhängnis zog ihn in diese Verhältnisse; seine Gestalt, sein Gesicht,
zufällig dem Kapitän West sehr ähnlich, bringt ihm Glück und Unglück;
es zieht ihn in die Nähe des Mädchens; er lernt ihr Schicksal kennen,
er sieht sie leiden, er leidet mit ihr; die Zeit, die alle Wunden
heilt, bewirkt endlich, daß sie den Kapitän vielleicht nicht mehr so
sehnlich zurückwünscht; sie will nur, daß er jenen Schritt nicht tue,
den sie für einen törichten hält; sich selbst unbewußt, gibt sie dem
armen S. Hoffnungen; er glaubt, sie errungen zu haben durch die vielen
Bemühungen um ihre Wahl, und jetzt muß er den gefährlichen
Nebenbuhler, einen Mann, den er verachtet, zu ihr zurückführen!

Ich war begierig auf diesen Abend; der Berliner hatte mir gesagt, daß
sie einwillige, ihn, von Signora Campoco begleitet, zu sehen. Sie
hatte ihn eingeladen, zugegen zu sein, und er bat mich, ihn zu
begleiten, weil er diese Szene allein nicht mit ansehen könne.

Als ich seiner Wohnung zuging, trat mir auf einmal Frater Piccolo in
den Weg mit der Frage, wo er wohl den Kapitän finden könnte? Ich
forschte ihn aus, zu welchem Zwecke er wohl den Kapitän suche, und er
sagte mir ohne Umschweife, daß er ihm von dem Kardinal einen
Schuldschein auf fünftausend Scudi zu überreichen habe, die jener
zwölf Stunden nach Sicht bezahlen müsse. „Wertester Frater Piccolo,"
erwiderte ich ihm, „das sicherste ist, Ihr bemühet Euch nach sechs Uhr
in den Garten der Signora Campoco, welcher an der Tiber gelegen; dort
werdet Ihr ihn finden, dafür stehe ich Euch." Er dankte und ging
weiter; daß er diese Nachricht dem Kardinal und vielleicht auch Donna
Ines mitteilen werde, glaubte ich voraussehen zu dürfen. „Fünftausend
Scudi, zwölf Stunden nach Sicht!" sagte ich zu mir. „Ich will doch
sehen, wie er sich heraushilft!"

Den armen Berliner traf ich sehr niedergeschlagen. Er schien zu
fühlen, daß seine Hoffnungen auf ewig zerstört seien; doch nicht nur
dies Gefühl war es, was ihn unglücklich machte, er fürchtete, Luise
werde nicht auf die Dauer glücklich werden. „Dieser West!" rief er.
„Ist es nicht immer wieder Leichtsinn, was ihn zu uns, zu ihr
zurückführt! Wie leicht ist es möglich, wenn einmal die Reue über ihn
kommt, die Spanierin so unglücklich gemacht zu haben--wie leicht ist
es möglich, daß er auch Luise wieder verläßt!"

Ja, dachte ich, und wenn erst das Wechselchen anlangt und er nicht
zahlen kann, und wenn ihn Donna Ines mit den funkelnden Augen sucht
und bei der Fremden findet, und wenn erst der Kardinal seine Künste
anwendet! Die Schule der Verzweiflung hat er noch nicht ganz durch
gemacht. Aber auch das Fräulein, hoffe ich, wird jetzt auftauen und
ihre Hilfe zu kleinen Teufeleien und Höllenkünsten nehmen, und der
gute Berliner soll wohl auch bekannter mit mir werden müssen!

Wir gingen hinaus an die Tiber zum verhängnisvollen Garten der Signora
Campoco. Unterwegs sagte mir der junge Mann, das Fräulein sei ihm
unbegreiflich. Als er ihr die Nachricht gebracht, wie sich im Hause
des Kapitäns auf einmal alles so sonderbar, wie durch eine höhere
Leitung, gefügt habe, wie West nicht nur zur protestantischen Kirche
zurücktreten, sondern auch als reuiger Sünder zu ihr zurückkehren
wolle, da sei, so sehr sie ihn zuvor angeklagt, ein seliges Lächeln
auf ihren schönen Zügen aufgegangen. Sie habe geweint vor Freude, sie
habe mit tausend Tränen ihre Tante dazu vermocht, uns in ihrem Garten
zu empfangen. Und dennoch sei sie jetzt nicht mehr recht heiter; eine
sonderbare Befangenheit, ein Zittern banger Erwartung habe sie
befallen, sie habe ihm gestanden, daß sie der Gedanke an den Fluch
ihres Vaters, wenn sie je die Gattin des Kapitäns werde, immer
verfolge. Es sei, als liege eine schwarze Ahnung vor ihrer sonst so
kindlich frohen Seele, als fürchte sie, trotz der Rückkehr des
Geliebten dennoch nicht glücklich zu werden.

Unter den Klagen des Berliners, unter seinen Beschuldigungen gegen das
weibliche Geschlecht hatten wir uns endlich dem Garten genähert. Er
lag, von Bäumen umgeben, wie ein Versteck der Liebe. Signora Campoco
empfing uns mit ihren Hündlein aufs freundlichste; sie erzählte, daß
sie das deutsche Geplauder der Versöhnten nicht mehr länger hören
könne und zeigte uns eine Laube, wo wir sie finden würden. Errötend,
mit glänzenden Augen, Verwirrung und Freude auf dem schönen Gesicht,
trat uns das Fräulein entgegen. Der Kapitän aber schien mir ernster,
ja, es war mir, als müßte ich in seinen scheuen Blicken eine neue
Schuld lesen, die er zu der alten gefügt.

Dem Berliner war wohl das schmerzlichste der feurige Dank, den ihm das
schöne Mädchen für seine eifrigen Bemühungen ausdrückte. Sie umfing
ihn, sie nannte ihn ihren treuesten Freund, sie bot ihm ihre Lippen,
und er hat wohl nie so tief als in jenem Augenblicke gefühlt, wie die
höchste Lust mit Schmerz sich paaren könne. Mir, ich gestehe es, war
diese Szene etwas langweilig; ich werde daher die nähere Beschreibung
davon nicht in diese Memoiren eintragen, sondern als Surrogat eine
Stelle aus Jean Pauls Flegeljahren einschieben, die den Leser weniger
langweilen dürfte: „Selige Stunden, welche auf die Versöhnung der
Menschen folgen! Die Liebe ist wieder blöde und jungfräulich, der
Geliebte neu und verklärt, das Herz feiert seinen Mai, und die
Auferstandenen vom Schlachtfelde begreifen den vorigen, vergessenen
Krieg nicht." So sagt dieser große Mensch, und er kann recht haben,
aus Erfahrung; ich habe, seit sich der Himmel hinter mir geschlossen,
nicht mehr geliebt, und mit der Versöhnung will es nicht recht gehen.

Bei jener ganzen Szene ergötzte ich, mich mehr an der Erwartung als an
der Gegenwart. Wenn jetzt mit einem Male, dachte ich mir, Frater
Piccolo durch die Bäume herbei käme, um seinen Wechsel honorieren zu
lassen,--welche Angst, welcher Kummer bei dem Kapitän, welch es
Staunen, welcher Mißmut bei dem Fräulein! Ich dachte mir allerlei
dergleichen Möglichkeiten, während die andern in süßem Geplauder mit
vielen Worten nichts sagten--da hörte ich auf einmal das Plätschern
von Rudern in der Tiber. Es war nach sechs Uhr es war die Stunde, um
welche ich Frater Piccolo hierher bestellt hatte; wenn er es wäre!--
Die Ruderschläge wurden vernehmlicher, kamen näher. Weder die
Liebenden, noch der Berliner schienen es zu hören. Jetzt hörte man nur
noch das Rauschen des Flusses, die Barke mußte sich in der Nähe ans
Land gelegt haben. Die Hunde der Signora schlugen an, man hörte
Stimmen in der Ferne, es rauschte in den Bäumen, Schritte knisterten
auf dem Sandweg des Gartens, ich sah mich um--Donna Ines und der
Kardinal Rocco standen vor uns.

Luise starrte einen Augenblick diese Menschen an, als sehe sie ein
Gebild der Phantasie. Aber sie mochte sich des Kardinals aus einem
schrecklichen Augenblick erinnern, sie schien den Zusammenhang zu
begreifen, schien zu ahnen, wer Ines sei und sank lautlos zurück,
indem sie die schönen Augen und das erbleichende Gesicht in den Händen
verbarg. Der Kapitän hatte den Kommenden den Rücken zugekehrt und sah
also nicht sogleich die Ursache von Luisens Schrecken. Er drehte sich
um, er begegnete zornsprühenden Blicken der Donna, die diese Gruppe
musterte, er suchte vergeblich nach Worten; das Gefühl seiner Schande,
die Angst, die Verwirrung schnürten ihm die Kehle zu.

„Schändlich!" hob Ines an. „So muß ich dich treffen? Bei deiner
deutschen Buhlerin verweilst du und vergißt, was du deinem Weibe
schuldig bist? Ehrvergessener! Statt meine Ehre, die du mir gestohlen,
durch Treue zu ersetzen, statt mich zu entschädigen für so großen
Jammer, dem ich mich um deinetwillen ausgesetzt habe, schwelgst du in
den Armen einer andern?"

„Folget uns, Kapitän West!" sagte der Kardinal sehr strenge. „Es ist
Euch nicht erlaubt, noch einen Augenblick hier zu verweilen. Die Barke
wartet. Gebt der Donna Euren Arm und verlasset diese ketzerische
Gesellschaft."

„Du bleibst!" rief Luise, indem sie ihre schönen Finger um seinen Arm
schlang und sich gefaßt und stolz aufrichtete. „Schicke diese Leute
fort. Du hast ja noch soeben diese Abenteurerin verschworen. Du
zauderst? Monsignore, ich weiß nicht, wer Ihnen das Recht gibt, in
diesen Garten zu dringen; haben Sie die Güte, sich, mit dieser Dame zu
entfernen."

„Wer mir das Recht gibt, junge Ketzerin?" entgegnete Rocco. „Diese
ehrwürdige Frau Campoco; ich denke, ihr gehört der Garten, und es wird
sie nicht belästigen, wenn wir hier verweilen."

„Ich bitte um Euren Segen, Eminenz," sagte, sich tief verneigend,
Signora Campoco; „wie möget Ihr doch sprechen? Meinem geringen Garten
ist heute Heil widerfahren! Denn heilige Gebeine wandeln darin umher!"

„Nicht gezaudert, Kapitän!" rief der Kardinal. „Werfet den Satan
zurück, der Euch wieder in den Klauen hat; folget uns, wohin die
Pflicht Euch ruft!--Ha! Ihr zaudert noch immer, Verräter? Soll ich,"
fuhr er mit höhnischem Lächeln fort, „soll ich Euch etwa dies Papier
vorzeigen? Kennet Ihr diese Unterschrift? Wie steht es mit den
fünftausend Scudi, verehrter Herr? Soll ich Euch durch die Wache
abholen lassen?"

„Fünftausend Scudi?" unterbrach ihn der Berliner. „Ich leiste
Bürgschaft, Herr Kardinal, sichere Bürgschaft"--

„Mitnichten!" antwortete er mit großer Ruhe. „Ihr seid ein Ketzer;
_haeretico non servanda fides_. Ihr könntet leicht ebenso denken
und mit der Bürgschaft in die Weite gehen. Nein,--Piccolo! Sende einen
der Schiffer in die Stadt; man solle die Wache holen."

„Um Gottes willen, Otto! Was ist das?" rief Luise, indem ihr Tränen
entstürzten. „Du wirst dich doch nicht diesen Menschen so ganz
übergeben haben? O Herr? Nur eine Stunde gestattet Aufschub, mein
ganzes Vermögen soll Euer sein; mehr, viel mehr will ich Euch geben,
als Ihr fordert"--

„Meinst du, schlechtes Geschöpf," fiel ihr die Spanierin in die Rede,
„meinst du, es handle sich um Geld? Mir, mir hat er seine Seele
verpfändet; er hat mich gelockt aus den Tälern meiner Heimat, er hat
mir ein langes seliges Leben in seinen Armen vorgespiegelt, er hat
mich betrogen um diese Seligkeit; du--du hast mich betrogen, deutsche
Dirne; aber siehe zu, wie du es einst vor den Heiligen verantworten
kannst, daß du dem Weib den Gatten raubst, den Kindern, den armen
Würmern, den Vater!"

„Ja, das ist dein Fluch, alter Vater!" sagte Luise, von tiefer Wehmut
bewegt. „Das ist dein Fluch, wenn ich je die Seine würde; er nahte
schnell! Ich hätte dir ihn entrissen, unglückliches Weib? Nein, so
tief möchte ich nicht einmal dich verachten. Er kannte mich längst,
ehe er dich nur sah, und die Treue, die er dir schwur, hat er mir
gebrochen!"

„Von dieser Sünde werden wir ihn absolvieren," sprach der Kardinal;
„sie ist um so weniger drückend für ihn, als Ihr selbst, Signora, mit
einem andern, der hier neben sitzt, in Verhältnissen waret. Zaudere
nicht mehr, folge uns! Bei den Gebeinen aller Heiligen, wenn du jetzt
nicht folgst, wirst du sehen, was es heißt, den heiligen Vater zu
verhöhnen!"

Der Kapitän war ein miserabler Sünder. So wenig Kraft, so wenig
Entschluß! Ich hätte ihn in den Fluß werfen mögen; doch mußte es zu
einem Resultate kommen, drum schob ich schnell ein paar Worte ein:
„Wie? Was ist das für ein Geschrei von Kindern?" rief ich erstaunt.
„Es wird doch kein Unglück geben?"

„Ha, meine Kinder!" weinte die Spanierin. „O, weinet nur, ihr armen
Kleinen! Der, der euch Vater sein sollte, hat Erz in seiner Brust. Ich
gehe, ich werfe sie in die Tiber und mich mit ihnen; so ende ich ein
Leben, das du, Verfluchter, vergiftetest!"

Sie rief es und wollte nach der Tiber eilen; doch das Fräulein faßte
ihr Gewand; bleich zum Tod, mit halbgeschlossenen Augen führte sie
Donna Ines zu dem Kapitän und stürzte dann aus der Laube. Ich selbst
war einige Augenblicke im Zweifel, ob sie nicht denselben Entschluß
ausführen wolle, den die Donna für sich gefaßt; doch der Weg, den sie
einschlug, führte tiefer in den Garten, und sie wollte nur diesem
Jammer entgehen. Der Berliner aber lief ihr ängstlich nach, und als
sich auch der Kapitän losriß, ihr zu folgen, stürzte die ganze
Gesellschaft, der Kardinal, ich und Signora Campoco, in den Garten.

Wir kamen zu ihnen, als eben Luise erschöpft und ohnmächtig
zusammensank. S. fing sie in seinen Armen auf und trug die teure Last
nach einer Bank. Dort wollte ihn der Kapitän verdrängen; er wollte
vielleicht seinen Entschluß zeigen, nur ihr anzugehören; er glaubte
heiligere Rechte an sie zu haben und entfernte den Arm des jungen
Mannes, um den seinigen unterzuschieben.

Doch dieser, ergriffen von Liebe und Schmerz, aufgeregt von der Szene,
die wir gesehen, stieß den Kapitän zurück. „Fort mit dir!" rief er.
„Gehe zu Pfaffen und Ehebrechern, zu Schurken deines Gelichters! Du
hast deine Rolle künstlich gespielt; um diese Blume zu pflücken,
mußtest du dich den Armen jenes hergelaufenen Weibe noch einmal
entreißen, Hinweg mit dir, du Ehrloser!"

„Was sprechen Sie da?" schrie der Kapitän schäumend, es mochte in der
Rede des jungen Mannes etwas liegen, was als Wahrheit um so beißender
war. „Welche Absichten legen Sie mir unter? Was hätte ich getan?
Erklären Sie sich deutlicher!"

„Jetzt hast du Worte, Schurke; aber als dieser Engel zu dir flehte, da
hatte deinen Mund die Schande verschlossen. Rühre sie nicht an, oder
ich schlage dich nieder!"

„Das kann dir geschehen," entgegnete jener, und einem Blitze gleich
fuhr er mit etwas Glänzendem aus der Tasche nach der Brust des jungen
Mannes.--In Spanien lernt man gut stoßen. Der Berliner hatte einen
Messerstich in der Brust und sank, ohne das Haupt der Geliebten zu
lassen, in die Knie.

„Jetzt wird der tapfere Hauptmann gewiß katholisch," war mein Gedanke,
als das Herzblut des jungen Mannes hervorströmte; „jetzt wird er sich
bergen im Schoße der Kirche!" Und es schien so zu kommen. Denn
willenlos ließ, sich der Kapitän von Ines und dem Kardinal wegführen,
und die Barke stieß vom Lande.


       *       *       *       *       *


Wenige Tage nach diesem Vorfall erschien jener glorreiche Tag, an
welchem der Papst vor dem versammelten Volke mir, dem Teufel, alle
Seelen der Ketzer übermacht; ich habe zwar durch diese Anweisung noch
nie eine erhalten und weiß nicht, ob Seine Heiligkeit falliert haben
und nun auf der Himmelsbörse keine Geschäfte mehr machen, also wenig
Einfluß auf das Steigen und Fallen der Seelen haben, oder ob
vielleicht diese Verwünschung nur zur Vermehrung der Rührung dient, um
den Wirten und Gewerbsleuten in Rom auf versteckte Weise zu verstehen
zu geben, daß sie sich kein Gewissen daraus machen sollen, die Beutel
der Engländer, Schweden und Deutschen zu schröpf en, da ihre Seelen
doch einmal verloren seien.

An einem solchen Tage pflegt ganz Rom zusammenzuströmen, besonders die
Weiber kommen gerne, um die Ketzer im Geiste abfahren zu sehen. Man
drängt und schlägt sich auf dem großen Platz, man hascht nach dem
Anblick des heiligen Vaters, und wenn er den heiligen Bannstrahl
herabschleudert, durchzückt ein mächtiges Gefühl jedes Herz, und alle
schlagen an die Brust und sprechen. „Wohl mir, daß ich nicht bin wie
dieser einer." An diesem Tage aber hatte das Fest noch eine ganz
besondere Bedeutung; man sprach nämlich in allen Zirkeln, in allen
Kaffeehäusern, auf allen Straßen davon, daß ein berühmter, tapferer
ketzerischer Offizier an diesem Tage sich taufen lassen wolle. Dieser
Offizier machte seine Grade erstaunlich schnell durch. Am Montag hieß
es, er sei Kapitän, am Dienstag, er sei Major, am Mittwoch war er
Obrist, und wenn man am Donnerstag frühe ein schönes Kind auf der
Straße anhielt, um zu fragen, wohin es so schnell laufe, konnte man
auf die Antwort rechnen: „Ei, wisset Ihr nicht, daß zur Ehre Gottes
ein General der Ketzer sich taufen läßt und ein guter Christ wird wie
ich und Ihr?"

Wer der berühmte Täufling war, werden die Leser meiner Memoiren leicht
erraten. Endlich, endlich war er abgefallen! Sie hatten ihn wohl nach
der Szene in Signoras Garten so lange und heftig mit Vorwürfen,
Bitten, Drohungen, Versprechungen und Tränen bestürmt, daß er
einwilligte, besonders da er durch den Übertritt nicht nur Absolution
für seine Seele, was ihm übrigens wenig helfen wird, sondern auch
Schutz vor der Justiz bekam, die ihm schon nachzuspüren anfing, da der
Berliner einige Tage zwischen Leben und Tod schwebte, und sein
Gesandter auf strenge Ahndung des Mordes angetragen hatte.

Ich stellte mich auf dem Platze so, daß der Zug mit dem Täufling an
mir vorüber kommen mußte. Und sie nahten. Ein langer Zug von Mönchen,
Priestern, Nonnen, andächtigen Männern und Frauen kam heran. Ihre
halblaut gesprochenen Gebete rollten wie Orgelton durch die Lüfte. Sie
zogen im Kreis um den ungeheuern Platz, und jetzt wurden die Römer um
mich her aufmerksamer. „_Ecco, ecco lo_!" flüsterte es von allen
Seiten; ich sah hin--in einem grauen Gewand, das Haupt mit Asche
bestreut, ein Kruzifix in den gefalteten Händen, nahte mit unsicheren
Schritten der Kapitän. Zwei Bischöfe in ihren violetten Talaren gingen
vor ihm, und Chorknaben aller Art und Größe folgten seinen Sch ritten.

„Ein schöner Ketzer, bei St. Peter! Ein schmucker Mann!" hörte ich die
Weiber um mich her sagen. „Welch ein frommer Soldat!"

„Wie freut man sich, wenn man sieht, wie dem Teufel eine Seele
entrissen wird!"--

„Werden sie ihn vorher taufen oder nachher?"

„Vorher," antwortete ein schöne schwarzlockiges Mädchen, „vorher; denn
nachher verflucht der heilige Vater alle Ketzer, und da würde er ihn
ja ewig verdammen und nachher segnen und taufen."--

„Ach, das verstehst du nicht," sagte ihr Vater, „der Papst kann alles,
was er will, so oder so."

„Nein, er kann nicht alles," erwiderte sie schelmisch lächelnd; „nicht
alles!"

„Was kann er denn nicht?" fragten die Umstehenden. „Er kann alles; was
sollte er denn nicht können?"

„Er kann nicht heiraten!" lachte sie; doch nicht so schnell folgt der
Donner dem Blitz, als die schwere Hand des Vaters auf ihre Wange fiel.

„Was? Du versündigst dich, Mädchen?" schrie er. „Welche unheiligen
Gedanken gibt dir der Teufel ein? Was geht es dich an, ob der Papst
heiratet oder nicht? Dich nimmt er auf keinen Fall."

Das Volk begann indes in die Peterskirche zu strömen, und auch ich
folgte dorthin. Es ist eine lächerlich materielle Idee, wenn die
Menschen sich vorstellen, ich könne in keine christliche Kirche
kommen. So schreiben viele Leute C. M. B. (Caspar, Melchior,
Balthasar) über ihre Türen und glauben, die drei Könige aus Morgenland
werden sich bemühen, ihre schlechte Hütte gegen die Hexen zu schützen.

Ich drängte mich so weit als möglich vor, um die Zeremonien dieser
Taufe recht zu sehen. Der tapfere Kapitän hatte jetzt sein graues
Gewand mit einem glänzend weißen vertauscht und kniete unweit des
Hochaltars. Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe standen umher, der
ungewisse Schein des Tages, vermischt mit dem Flackern der Lichter,
der Kerzen, welche die Chorknaben hielten, umgab sie mit einem
ehrwürdigen Heiligenschein, der jedoch bei manchem wie Scheinheiligkeit
aussah. Auf der andern Seite kniete unter vielen schönen Frauen
Donna Ines mit ihren Kindern. Sie war lockender und reizender als je,
und wer Luise und ihr sanftes blaues Auge nicht gesehen hatte, konnte
dem Täufling verzeihen, daß er sich durch dieses schöne Weib und
einen listigen Priester unter den Pantoffel St. Petri bringen ließ.

Neben mir stand eine schwarzverschleierte Dame. Sie stützte sich mit
einer Hand an eine Säule, und ich glaubte, sie wäre ohne diese Hilfe
auf den Marmorboden gesunken, denn sie zitterte beinahe krampfhaft.
Der Schleier war zu dicht, als daß ich ihre Züge erkennen konnte. Doch
sagte mir eine Ahnung, wer es sein könnte. Jetzt erhoben die Priester
den Gesang, er zog mit den blauen Wölkchen des arabischen Weihrauchs
hinauf durch die Gewölbe und berauschte die Sinne der Sterblichen,
übertäubte ihre Seelen und riß sie hin zu einer Andacht, die sie zwar
über das Irdische, aber auch über die ewigen Gesetze ihrer Vernunft
hinwegführt.

Die Priester sangen. Jetzt fing der Täufling an, sein
Glaubensbekenntnis zu sprechen.

„Er hat mich nie geliebt," seufzte die Dame an meiner Seite; „er hat
auch dich nie geliebt, o Gott, verzeihe ihm diese Sünde!"

Er sprach weiter, er verfluchte den Glauben, in welchem er bisher
gelebt.

„Gib Frieden seiner Seele," flüsterte sie; „wir alle irren, so lange
wir sterblich sind, vielleicht hat er den wahren Trost gefunden! Laß
ihn Frieden finden, o Herr!"

Da fingen die Priester wieder an zu singen. Ihre tiefen Töne drangen
schneidend in das Herz der Dame. Jetzt wurde das Sakrament an ihm
vollzogen; der Kardinal Rocco, im vollen Ornat seiner Würde, segnete
ihn ein, und Donna Ines warf dem Getauften frohlockende Grüße zu.

„Vater, laß ihm mein Bild nie erscheinen," betete die Dame an meiner
Seite, „daß nie der Stachel der Reue ihn quäle! Laß ihn glücklich
werden!"

Und mit dem Pomp des heiligen Triumphs schloß die Taufe, und der
Kapitän stand auf, zwar als ein so großer Sünder wie zuvor, doch als
ein rechtgläubiger katholischer Christ. Das Volk drängte sich herzu
und drückte seine Hände, und Donna Ines führte ihm mit holdem Lächeln
ihre Kinder zu. Aber noch war die Szene nicht zu Ende. Kardinal Luighi
führte den Getauften an die Stuf en des Altars, stieg die heiligen
Stufen hinan und las die Messe.

Die Dame im schwarzen Schleier zitterte heftiger, als sie dies alles
sah; ihre Knie fingen an zu wanken. „Wer Ihr auch seid, mein Herr,"
flüsterte sie mir plötzlich zu, „seid so barmherzig und führt mich aus
der Kirche; ich fühle mich sehr unwohl." Ich gab ihr meinen Arm, und
die frommste Seele in St. Peters weiten Hallen ging hinweg, begleitet
vom Teufel.

Auf dem Platze vor der Peterskirche deutete sie schweigend auf eine
Equipage, die unfern hielt. Ich führte sie dorthin, ich öffnete ihr
den Schlag und bot ihr die Hand zum Einsteigen. Sie schlug den dunklen
Schleier zurück; es war, wie ich mir gesagt hatte, es waren die
bleichen, schönen Züge Luisens. „Ich danke, Herr!" sagte sie. „Ihr
habt mir einen großen Dienst erwiesen." Noch zitterte ihre Hand in der
meinigen, ihre schönen Augen wandten sich noch einmal nach St. Peter
und füllten sich dann mit einer Träne. Aber schnell schlug sie den
Schleier nieder und schlüpfte in den Wagen; die Pferde zogen an, ich
habe sie--nie wieder gesehen.


       *       *       *       *       *


Eine wichtige Angelegenheit, die wankende Sache der hohen Pforte,
welcher ich immer besondere Aufmerksamkeit geschenkt habe, rief mich
an diesem Tage nach ...., wo ich mit einem berühmten Staatsmann eine
Konferenz halten mußte. Man kennt die Zuneigung dieses erlauchten
Wesirs eines christlichen Potentaten zum Halbmond; und ich hatte nicht
erst nötig, ihn zu überzeugen, daß die Türken seine natürlichen
Alliierten seien. Von .... eilte ich zurück nach Rom. Ich gestehe, ich
war begierig, wie sich die Verhältnisse lösen würden, in welche ich
verflochten war und die mir durch einige Situationen so interessant
geworden waren.

Der erste, den ich unter der Porta del Popolo traf, war der deutsche
Kaufmann. Er saß in einem schönen Wagen und hatte, wie es schien,
Streit mit einigen päpstlichen Polizeisoldaten. Ich trat als
Stobelberg zu ihm. „Lieber Bruder," sagte ich, „es scheint, du willst
Sodom verlassen gleich dem frommen Lot?"

„Ja, fliehen will ich aus dieser Stätte des Satan," war seine Antwort;
„und hier läßt mich der Drache auf dem Stuhl des Lammes noch einmal
anhalten, aus Zorn, weil ich einen seiner Baalspfaffen im Christentume
unterweisen wollte."

Ich sah hin und merkte jetzt erst die Ursache des Streites. Die
Polizei hatte, ich weiß nicht aus welchem Grunde, den Wagen noch
einmal untersucht. Da war man auf ein Kistchen gestoßen und hatte den
Pietisten gefragt, was es enthalte. „Geistliche Bücher," antwortete
er. Man glaubte aber nicht, schloß auf, und siehe da, es war ein gutes
Flaschenfutter, und die Polizeimänner wollten wegen seines Betruges
einige Scudi von ihm nehmen.

„Aber, Bruder!" sagte ich zu ihm. „Eine fromme Seele sollte nach
nichts dürsten als nach dem Tau des Himmels, nach nichts hungern als
nach dem Manna des Wortes, und doch führst du ein Dutzend Flaschen mit
dir, und hier liegt ein ganzer Pack Salamiwürste? Pfui, Bruder, heißt
es nicht: ‚Was werden wir essen, was werden wir trinken, nach dem
allem fragen die Heiden?'"

„Bruder," erwiderte jener und drehte die Augen gen Himmel, „Bruder,
bei dir muß es noch nicht völlig zum Durchbruch gekommen sein, daß du
einem Mann von so felsenfestem Glauben, daß du mir solche Fragen
vorlegst. Gerade, daß ich nicht zu seufzen brauche: ‚Was werden wir
essen, was werden wir trinken, womit uns kleiden?' Gerade deswegen
habe ich mir den neuen Rock hier gekauft, habe meinen Flaschenkeller
gefüllt und diese aus Eselsfleisch bereiteten Würste gekauft; es
geschah also aus reinem Glaubensdrang, und der Geist hat es mir
eingegeben. Da, ihr lumpigen Söhne von Astaroth, ihr Brut des
Basilisken, so auf dem Stuhl des Lammes sitzt und an seinen Klauen
Pantoffeln führt, da nehmet diesen holländischen Dukaten und lasset
mir meine geistlichen Bücher in Ruhe!--So, nun lebe wohl, Bruder, der
Geist komme über dich und stärke deinen Glauben!"

Da fuhr er hin, und wieder werde ich in dem Glauben bestärkt, daß
diese christlichen Pharisäer schlimmer sind als die Kinder der Welt.
Ich ging weiter, den Korso hinab. Am unteren Ende der Straße begegnete
mir der Kardinal Rocco und Piccolo, sein Diener. Der Kardinal schien
sehr krank zu sein; denn ganz gegen die Etikette trug ihm Piccolo
nicht die Schleppe nach, sondern führte ihn unter dem Arm, und dennoch
wankte Rocco zuweilen hin und her. Sein Gesicht war rot und glühend,
seine Augen halb geschlossen, und der rote Hut saß ihm etwas schief
auf dem Ohr.

„Siehe da, ein bekanntes Gesicht!" rief er, als er mich sah, und blieb
stehen. „Komm hierher, mein Sohn, und empfange den Segen. Haben wir
uns nicht schon irgendwo gesehen?"

„O ja, und ich, hoffe noch öfters das Vergnügen zu haben; ich hatte
die Ehre, Ew. Eminenz im Garten der Frau Campoco zu sehen."

„Ja, ja! Ich erinnere mich, Ihr seid ein junger Ketzer; wisset Ihr,
woher ich komme? Geradenwegs von dem Hochzeitsschmause des lieben
Paares."

Jetzt konnte ich mir die Krankheit des alten Herrn erklären; die
spanischen Weine der Donna Ines waren ihm wohl zu stark gewesen, und
Piccolo mußte ihn jetzt führen. „Ihr waret wohl recht vergnügt?"
fragte ich ihn. „Es ist doch Euer Werk, daß die Donna den Kapitän
endlich doch noch überwunden hat?"

„Das ist es, lieber Ketzer," sagte er, stolz lächelnd. „Mein Werk ist
es; kommt, gehen wir noch ein paar hundert Schritte zusammen!--Was
wollte ich sagen? Ja--mein Werk ist es; denn ohne mich hätte die Donna
gar keine Kunde von ihm bekommen. Ich schrieb ihr, daß er sich in Rom
befinde. Ohne mich wäre ihre frühere Ehe nicht für ungültig erklärt
worden; ohne mich wäre der Kapitän nicht rechtgläubig geworden, was
zur Glorie unserer Kirche notwendig war; ohne mich wäre er nicht von
seiner Ketzerin losgekommen,--kurz, ohne mich--ja, ohne mich stände
alles noch wie zuvor."

„Es ist erstaunlich!"

„Höret, Ihr gefallt mir, lieber Ketzer. Hört einmal, werdet auch
rechtgläubig. Brauchet Ihr Geld? Könnet haben soviel Ihr wollt, gegen
ein Reverschen, zahlbar gleich nach Sicht. O, damit kann man einen
köstlich in Verlegenheit bringen. Brauchet Ihr eine schöne, frische,
reiche Frau? Ich habe eine Nichte, Ihr sollt sie haben. Brauchet Ihr
Ehren und Würden? Ich will Euch _pro primo_ den goldenen
Sporenorden verschaffen. Es kann ihn zwar jeder Narr um einige Scudi
kaufen--aber Ihr sollet ihn umsonst haben. Wollet Ihr in Eurer
barbarischen Heimat große Ehrenstellen? Dürfet nur befehlen. Wir haben
dort großen Einfluß, geheim und öffentlich. Na! was sagt Ihr dazu?"

„Der Vorschlag ist nicht übel," erwiderte ich. „Ihr seid nobel in
Euern Versprechungen. Ich glaube, Ihr könntet den Teufel selbst
katholisch machen?"

„_Anathema sit! anathema sit!_ Es wäre uns übrigens nicht
schwer," antwortete der Kardinal. „Wir können ihn von seinen
zweitausendjährigen Sünden absolvieren und dann taufen. Überdies ist
er ein dummer Kerl, der Teufel, und hat sich von der Kirche noch immer
überlisten lassen!"

„Wisset Ihr das so gewiß?"

„Das will ich meinen. Zum Beispiel, kennet Ihr die Geschichte, die er
mit einem Franziskaner gehabt?"

„Nein, ich bitte Euch, erzählet!"

„Ein Franziskaner zankte sich einmal mit ihm wegen einer armen Seele.
Der Teufel wollte sie durchaus haben und hatte allerdings nach dem Maß
ihrer Sünden das Recht dazu. Der Mönch aber wollte sie _in majorem
dei gloriam_ für den Himmel zustutzen. Da schlug endlich der Satan
vor, sie wollten würfeln; wer die meisten Augen mit drei Würfeln
werfe, solle die Seele haben. Der Teufel warf zuerst, und, wie er ein
falscher Spieler ist, warf er achtzehn; er lachte den Franziskaner
aus. Doch dieser ließ sich, nicht irre machen. Er nahm die Würfel und
warf--neunzehn. Und die Seele war sein."

„Herr, das ist erlogen," rief ich, „wie kann er mit drei Würfeln
neunzehn werfen?"

„Ei, wer fragt nach der Möglichkeit? Genug, er hat's getan, es war ein
Wunder. Nun, kommet morgen in mein Haus, lieber Sohn, wir wollen dann
den Unterricht beginnen."

Er gab mir den Segen und wankte weiter. „Nein, Freund Rocco!" dachte
ich. „Eher bekomme ich dich als du mich. Von dir läßt sich der Satan
nicht überlisten." Es trieb mich jetzt, nach dem Hause des Berliners
zu gehen, den ich schwer verwundet verlassen hatte. Zu meiner großen
Verwunderung sagte man mir, er sei ausgegangen, und werde wohl vor
Nacht nicht zurückkehren. So mußte ich den Gedanken aufgeben, heute
noch zu erfahren, wie es ihm ergangen sei, wie das Fräulein sich
befinde, ob er wohl Hoffnung habe, jetzt, da der Kapitän auf immer für
sie verloren sei, sie für sich zu gewinnen. Es blieb mir keine Zeit,
ihn heute noch zu sehen; denn den Abend über wußte ich ihn nicht zu
finden, und auf die kommende Nacht hatte ich eine Zusammenkunft mit
jenen kleineren Geistern verabredet, die als meine Diener die Welt
durchstreifen.

Ich trat zu diesem Zwecke, als die Nacht einbrach, ins Kolosseum; denn
dies war der Ort, wohin ich sie beschieden hatte. Noch war die Stunde
nicht da; aber ich liebe es, in der Stille der Nacht auf den Trümmern
einer großen Vorzeit meinen Gedanken über das Geschlecht der
Sterblichen nachzuhängen. Wie erhaben sind diese majestätischen
Trümmer in einer schönen Mondnacht! Ich stieg hinab in den mittleren
Raum. Aus dem blauen, unbewölkten Himmel blickte der Mond durch die
gebrochenen Wölbungen der Bogen herein, und die hohen überwachsenen
Mauern der Ruine warfen lange Schatten über die Arena. Dunkle
Gestalten schienen durch die verfallenen Gänge zu schweben, wenn ein
leiser Wind die Gesträuche bewegte und ihren Schatten hin und wieder
zog. Wo sie schwebten, diese Schatten, da sah man einst ein fröhliches
Volk, schöne Frauen, tapfere Männer und die ernste, feierliche Pracht
der kriegerischen Kaiser. Geschlecht um Geschlecht ist hinunter, diese
Mauern allein überdauerten ihre Zeit, um durch ihre erhabenen Formen
diese Sterblichen zu erinnern, wie unendlich größer der Sinn jenes
Volkes war, das einst ein Jahrtausend vor ihnen um diese Stätte lebte.
Die ernste Würde der Konsuln und des Senates, der kriegerische Prunk
der Cäsaren und--d i e s e r römische Hof und d i e s e Römer!

Der Mond war, während ich zu mir sprach, heraufgekommen und stand
jetzt gerade über dem Zirkus. Ich sah mich um; da gewahrte ich, daß
ich nicht allein in den Ruinen sei. Eine dunkle Gestalt saß seitwärts
auf dem gebrochenen Schaft einer Säule. Ich trat näher hin,--es war
Otto von S..... Ich war freudig erstaunt, ihn zu sehen. Ich warf mich
schnell in den Herrn von Stobelberg, um mit ihm zu sprechen. Ich
redete ihn an und wünschte ihm Glück, ihn so gesund zu sehen. Er
richtete sich auf; der Mond beschien ein sehr bleiches Gesicht,
weinende Augen blickten mich wehmütig an, schweigend sank er an meine
Brust.

„Sie scheinen noch nicht ganz geheilt, Lieber!" sagte ich. „Sie sind
noch sehr bleich; die Nachtluft wird Ihnen schaden!"

Er verneinte es mit dem Haupt, ohne zu sprechen. Was war doch dem
armen Jungen geschehen, hatte er wohl von neuem einen Korb bekommen?
„Nun, ein Mittel gibt es wohl, Sie gänzlich zu heilen," fuhr ich fort.
„Jetzt steht Ihnen ja nichts mehr im Wege, jetzt wird sie hoffentlich
so spröde nicht mehr sein. Ich will den Brautwerber machen. Sie müssen
Mut fassen, Luise wird Sie erhören, und dann ziehen Sie mit ihr aus
dieser unglücklichen Stadt, führen sie nach Berlin zu der Tante. Wie
werden sich die ästhetischen Damen wundern, wenn Sie Ihre Novelle auf
diese Art schließen und die holde Erscheinung aus den Lamentationen
persönlich einführen!"

Er schwieg, er weinte stille.

„Oder wie! Haben Sie etwa den Versuch schon gemacht? Sollten Sie
abgewiesen worden sein? Will sie die Rolle der Spröden fortspielen?"

„Sie ist tot!" antwortete der junge Mann.

„Ist's möglich! Höre ich recht? So plötzlich ist sie gestorben?"

„Der Gram hat ihr Herz gebrochen. Heute hat man sie begraben."

Er sagte es, drückte mir die Hand, und einsam weinend ging er durch
die Ruinen des Kolosseums.


       *       *       *       *       *









End of the Project Gutenberg EBook of Mitteilungen aus den Memoiren des
Satan V2, by Wilhelm Hauff

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MEMOIREN DES SATAN V2 ***

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Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
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against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
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outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
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Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
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