Kontrovers-Predigt über H. Clauren und den Mann im Mond

By Wilhelm Hauff

The Project Gutenberg eBook, Kontrovers-Predigt ueber H. Clauren und den
Mann im Mond gehalten vor dem deutschen Publikum in der Herbstmesse 1827,
by Wilhelm Hauff


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Title: Kontrovers-Predigt ueber H. Clauren und den Mann im Mond gehalten
vor dem deutschen Publikum in der Herbstmesse 1827

Author: Wilhelm Hauff

Release Date: September 13, 2004  [eBook #13452]

Language: German


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK KONTROVERS-PREDIGT UEBER H.
CLAUREN UND DEN MANN IM MOND GEHALTEN VOR DEM DEUTSCHEN PUBLIKUM IN DER
HERBSTMESSE 1827***


E-text prepared by Delphine Lettau, Jan Coburn, Charles Franks, and the
Project Gutenberg Online Distributed Proofreading Team



KONTROVERS-PREDIGT

über

H. CLAUREN UND DEN MANN IM MOND

gehalten vor dem deutschen Publikum in der Herbstmesse 1827

von

WILHELM HAUFF




Text: Ev. Matth. VIII, 31-32



Allen Verehrern

der

CLAURENSCHEN MUSE

widmet diese Blätter

in bekannter Hochachtung

           DER VERFASSER




EHRWÜRDIGE VERSAMMLUNG, ANDÄCHTIGE ZUHÖRER!

Die Apostel, besonders der heilige Paulus, als er zu Rom predigte,
verschmäheten es nicht, auch häusliche, bürgerliche Angelegenheiten der
Gemeinde zu Gegenständen ihrer Betrachtungen zu machen. Es läßt sich zwar
mit vieler Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sie belletristische Gegenstände
nicht berührt haben, daß sie literarische Streitigkeiten nicht, wie man zu
sagen pflegt, auf die Kanzel brachten; denn sie hatten Wichtigeres zu tun;
nichtsdestoweniger aber geschah dies einige Jahrhunderte später, und man
trifft in den Kirchenvätern nicht undeutliche Spuren, daß sie über
allerhand literarische Subtilitäten, sogar über die Tendenz und den Stil
ihrer Gegner auf dem kirchlichen Rednerstuhl gesprochen haben.

Berühmte Kanzelredner neuerer Zeit haben oft und viel zum Beispiel über das
Theater gepredigt oder über das Tanzen am Sonntag oder über das Singen
unzüchtiger Lieder, andere wieder über das Spielen, namentlich das
Kartenspielen, und einen habe ich gehört, der in einer Vesperpredigt das
Schachspiel in Schutz nahm und nur bedauerte, daß es ein Heide erfunden.

Und wenn es die Pflicht des Redners ist, meine Freunde, der Gemeinde
darzutun, welchen Irrtümern sie sich hingebe, welche bösen Gewohnheiten
unter ihr herrschen, wenn es die Natur der Sache erfordert, bei einer
solchen Aufdeckung von Irrtümern und böslichen Gewohnheiten bis ins
einzelne und kleinste zu gehen, weil oft gerade dort, recht ins Auge
fallend, der Teufel nachgewiesen werden kann, der darin sein Spiel treibt,
so kann es niemand befremden, wenn wir nach Anleitung der Textesworte mit
einander eine Betrachtung anstellen über:

DEN MANN IM MOND

von

H. Clauren;

und zwar betrachten wir:

I.
Wer und was ist dieser Mann im Mond? Oder--was ist sein Zweck auf dieser
Welt?

II.
Wie hat er diesen Zweck verfolgt? und wie erging es ihm auf dieser Welt?




I.

_Andächtige Zuhörer_! Kontroverspredigern, namentlich solchen, die vor
einer so großen Versammlung reden, kommt es zu, den Gegenstand ihrer
Betrachtung so klar und deutlich als möglich vor das Auge zu stellen, damit
jeder, wenn ihn auch der Herr nicht mit besonderer Einsicht gesegnet hat,
die Sache, wie sie ist, sogleich begreife und einsehe. Es hat in unserer
Literatur nie an sogenannten _Volksmännern_ gefehlt, das heißt an solchen,
die für ein großes Publikum schrieben, das, je allgemeiner es war, desto
weniger auf wahre Bildung Anspruch machen konnte und wollte. Solche
Volksmänner waren jene, die sich in den Grad der Bildung ihres Publikums
schmiegten, die eingingen in den Ideenkreis ihrer Zuhörer und Leser und
sich, wie der Prediger Abraham a Sancta Clara, wohl hüteten, jemals sich
höher zu versteigen, weil sie sonst ihr Publikum verloren hätten. Diese
Leute handelten bei den größten Geistern der Nation, welche dem Volke zu
hoch waren, Gedanken und Wendungen ein, machten sie nach ihrem Geschmack
zurecht und gaben sie wiederum ihren Leuten preis, die solche mit Jubel und
Herzenslust verschlangen. Diese Volksmänner sind die Zwischenhändler
geworden und sind anzusehen wie die Unternehmer von Gassenwirtshäusern und
Winkelschenken. Sie nehmen ihren Wein von den großen Handlungen, wo er
ihnen echt und lauter gegeben wird; sie mischen ihn, weil er dem Volke
anders nicht munden will, mit einigem gebrannten Wasser und Zucker, färben
ihn mit roten Beeren, daß er lieblich anzuschauen ist, und verzapfen ihn
ihren Kunden unter irgend einem bedeutungsvollen Namen.

Diese Gassenwirte oder Volksmänner treiben aber eine schändliche und
schädliche Wirtschaft. Sie fühlen selbst, daß ihr Gebräu sich nicht halten
würde, daß es den Ruf von Wein auf die Dauer nicht behalten könnte, wenn er
nicht auch _berausche_. Daher nehmen sie Tollkirschen und allerlei
dergleichen, was den Leuten die Sinne schwindelnd macht; oder, um die Sache
anders auszudrücken, sie bauen ihre Dichtungen auf eine gewisse
Sinnlichkeit, die sie, wie es unter einem gewissen Teil von Frauenspersonen
Sitte ist, künstlich verhüllen, um durch den Schleier, den sie darüber
gezogen haben, das lüsterne Auge desto mehr zu reizen. Sie kleiden ihr
Gewerbe in einen angenehmen Stil, der die Einbildungskraft leicht anregt,
ohne den Kopf mit überflüssigen Gedanken zu beschweren; sie geben sich das
Ansehen von heiterem, sorglosem Wesen, von einer gewissen gutmütigen
Natürlichkeit, die lebt und leben läßt; sie sind arglose Leute, die ja
nichts wollen, als ihrem Nebenmenschen seine "oft trüben Stunden erheitern"
und ihn auf eine natürliche, unschuldige Weise ergötzen. Aber gerade dies
sind die Wölfe in Schafskleidern, das ist der Teufel in der Kutte, und die
Krallen kommen frühe genug ans Tageslicht.

Wem unter euch, meine Andächtigen, sollte bei dieser Schilderung nicht vor
allem _jener_ beifallen, der alljährlich im Gewande eines unschuldigen
Blumenmädchens auf die Messe zieht und "Vergißmeinnicht" feilbietet. Ich
weiß wohl, daß dort drüben auf der Emporkirche, daß da unten in den
Kirchstühlen manche Seele sitzt, die ihm zugetan ist, ich weiß wohl, daß er
bei euch der Morgen- und Abendsegen geworden ist, ihr Nähermädchen, ihr
Putzjungfern, selbst auch ihr sonst so züchtigen Bürgerstöchterlein, ich
weiß, daß ihr ihn heimlich im Herzen traget, ihr, die ihr auf etwas Höheres
von Bildung und Geschmack Anspruch machen wollet, ihr Fräulein mit und ohne
Von, ihr gnädigen Frauen und andere Mesdames! Ich weiß, daß er das A und
das O eurer Literatur geworden ist, ihr Schreiber und Ladendiener, daß ihr
ihn beständig bei euch führt, und wenn der Prinzipal ein wenig beiseite
geht, ihn schnell aus der Tasche holt, um eure magere Phantasie durch
einige Ballgeschichten, Champagnertreffen und Austernschmäuse anzufeuchten;
ich weiß, daß er bei euch allen der Mann des Tages geworden ist; aber
nichtsdestoweniger, ja, gerade darum und eben deswegen will ich seinen
Namen aussprechen, er nennt sich CLAUREN. _Anathema sit!_

Vor zwölf Jahren laset ihr, was eurem Geschmack gerade keine Ehre machte,
Spieß und Cramer, mitunter die köstlichen Schriften über Erziehung von
Lafontaine; wenn ihr von Meißner etwas anderes gelesen als einige
Kriminalgeschichten &c., so habt ihr euch wohl gehütet, es in guter
Gesellschaft wiederzusagen; einige aber von euch waren auf gutem Wege; denn
Schiller fing an, ein großes Publikum zu bekommen. Gewinn für ihn und für
sein Jahrhundert, wenn er, wie ihr zu sagen pflegt, in die Mode gekommen
wäre; dazu war er aber auch zu groß, zu stark. Ihr wolltet euch die Mühe
nicht geben, seinen erhabenen Gedanken ganz zu folgen. Er wollte euch
losreißen aus eurer Spießbürgerlichkeit, er wollte euch aufrütteln aus
eurem Hinbrüten mit jener ehernen Stimme, die er mit den Silberklängen
seiner Saiten mischte; er sprach von Freiheit, von Menschenwürde, von jener
erhabenen Empfindung, die in der menschlichen Brust geweckt werden kann,
--gemeine Seelen! Euch langweilten seine herrlichsten Tragödien, er war
euch nicht allgemein genug. Was soll ich von Goethe reden? Kaum, daß ihr es
über euch vermögen konntet, seine Wahlverwandtschaften zu lesen, weil man
euch sagte, es finden sich dort einige sogenannte pikante Stellen,--ihr
konntet ihm keinen Geschmack abgewinnen, er war euch zu vornehm.

Da war eines Tages in den Buchladen ausgehängt: "Mimili, eine
Schweizergeschichte." Man las, man staunte. Siehe da, eine neue Manier zu
erzählen, _so angenehm, so natürlich, so rührend_ und _so reizend_! Und in
diesen vier Worten habt ihr in der Tat die Vorzüge und den Gehalt jenes
Buches ausgesprochen. Man würde lügen, wollte man nicht auf den ersten
Anblick diese Manier _angenehm_ finden. Es ist ein ländliches Gemälde, dem
die Anmut nicht fehlt; es ist eine wohltönende, leichte Sprache, die
Sprache der Gesellschaft, die sich zum Gesetz macht, keine Saite zu stark
anzuschlagen, nie zu tief einzugehen, den Gedankenflug nie höher zu nehmen
als bis an den Plafond des Teezimmers. Es ist wirklich angenehm zu lesen,
wie eine Musik angenehm zu hören ist, die dem Ohr durch sanfte Töne
schmeichelt, welche in einzelne wohllautende Akkorde gesammelt sind. Sie
darf keinen Charakter haben, diese Musik, sie darf keinen eigentlichen
Gedanken, keine tiefere Empfindung ausdrücken; sonst würde die arme Seele
unverständlich werden oder die Gedanken zu sehr affizeren. Eine angenehme
Musik, so zwischen Schlafen und Wachen, die uns einwiegt und in süße Träume
hinüberlullt. Siehe, so die Sprache, so die Form jener neuen Manier, die
euch entzückte!

Das _Zweite_, was euch gefiel, hängt mit diesem ersteren sehr genau
zusammen: diese Manier war so _natürlich_. Es ist etwas Schönes, Erhabenes
um die Natur, besonders um die Natur in den Alpen. Schiller ist auch einmal
dort eingekehrt, ich meine, mit Wilhelm Tell. Sein Drama ist so erhaben als
die Natur der Schweizerlande; es bietet Aussichten, so köstlich und groß
wie die von der Tellskapelle über den See hin; aber nicht wahr, ihr lieben
Seelen, der ist euch doch nicht natürlich genug? Zu was auch die Seele
anfüllen mit unnützen Erinnerungen an die Taten einer großen Vorzeit? Zu
was Weiber schildern wie eine Gertrude Stauffacher oder eine Bertha, oder
Männer wie einen Tell oder einen Melchthal? Da weiß es Clauren viel besser,
viel natürlicher zu machen! Statt großartige Charaktere zu malen, für
welche er freilich in seinem Kasten keine Farben finden mag, malt er euch
einen Hintergrund von Schneebergen, grünen Waldwiesen mit allerlei Vieh;
das ist _pro primo_ die Schweiz. Dann einen Krieger neuerer Zeit mit
schlanker Taille von acht Zollen, etwas bleich (er hat den Freiheitskrieg
mitgemacht), das eiserne Kreuz im Knopfloch &c. Das ist der Held des
Stückes. Eine interessante Figur! Nämlich _Figur_ als wirklicher Körper
genommen, mit Armen, Taille, Beinen &c., und _interessant_, nicht wegen des
Charakters, sondern weil er etwas bleich ist, ein eisernes Kreuz trägt und
so ein Ding von einem preußischen Husaren war. Neben diesen Helden kommt
ein frisches, rundes "Dingelchen" zu stehen mit kurzem Röckchen, schönen
Zwickelstrümpfen usw. Kurz, das Inventarium ihres Körpers und ihres Anzuges
könnt ihr selbst nachlesen oder habt es leider im Kopfe. Das Schweizerkind,
die Mimili, ist nun so natürlich als möglich; d. h. sie geniert sich nicht,
in Gegenwart des Kriegers das Busentuch zu lüften und ihn den Schnee und
dergleichen sehen zu lassen, daß ihm "angst und bange" wird. Einiger
Schweizerdialekt ist auch eingemischt, der nun freilich im Munde Claurens
etwas unnatürlich klingt. Kurz, es ist nichts vergessen, die Natur ist
nicht nur nachgeahmt, sondern förmlich kopiert und getreulich
abgeschrieben. Aber leider ist es nur die Natur, so wie man sie mittelst
einer _Camera obscura_ abzeichnen kann. Der warme Odem Gottes, der Geist,
der in der Natur lebt, ist weggeblieben, weil man nur das Kostüm der Natur
kopierte. Zeichnet die nächste beste Schweizer Milchmagd ab, so habt ihr
eine Mimili, und freilich alles so natürlich als möglich.

Das _Dritte_, was euch so gut mundete an dieser Geschichte war--das
_Rührende_. Wann und wo war der Kummer der Liebe nicht rührend? Es ist ein
Motiv, das jedem Roman als Würze beigegeben wird wie bittere Mandeln einem
süßen Kuchen, um das Süße durch die Vorkost des Bitteren desto angenehmer
und erfreulicher zu machen. Ihr selbst, meine jungen Zuhörerinnen, und ich
habe dies zu öfteren Malen an euch gerügt, versetzt euch gar zu gerne in
ein solches Liebesverhältnis, wenn nicht dem Körper, doch dem Geiste nach.
Wenn ihr so dasitzet und nähet oder stricket und über eure Nachbarn gehörig
geklatscht habt, kommt gar leicht in eurer Phantasie das Kapitel der Liebe
an die Reihe, und ihr träumet und träumet und vergesset die Welt und die
Maschen an eurem Strickstrumpf. Wenn man nachts durch den Wald geht, so
denkt man gerne an arge Schauergeschichten von Mord und Totschlag. Gerade
so machet ihr es. Je greulicher der Schmerz eines Liebespaares ist, von
welchem ihr leset, desto angenehmer fühlet ihr euch angeregt. Da wollet ihr
keine Natürlichkeit, da soll es recht arg und türkisch zugehen, und wie
den spanischen Inquisitoren, so ist euch ein solches Autodafé ein
Freudenfest. Je länger die Liebenden am langsamen Feuer des Kummers braten,
je mehr man ihnen mit der Zange des Schicksals die Glieder verrenkt, desto,
rührender kömmt es euch vor, und doch habt ihr dabei immer noch den Trost
_in petto_, daß der Autor, der diesen Jammer arrangiert, zugleich Chirurg
ist und die verrenkten Glieder wieder einrichtet, zugleich Notar, um den
Heiratskontrakt schnell zu fertigen, zugleich auch Pfarrer, um die guten
Leutchen zusammenzugeben. Ihr habt recht, ihr guten Seelen! Ihr wollet
nicht gerührt sein durch tiefere Empfindungen, man darf bei euch nicht jene
Mollakkorde anschlagen, die durch die Seele zittern. Wer wollte auch mit
einer Äolsharfe auf einer Kirchweihe aufspielen! Da ist der schnarrende
Konterbaß Meister, und je gräßlicher es zugeht, desto rührender ist es.

Ich komme aber auf den _vierten_ Punkt der Mimilis-Manier, nämlich auf--das
_Reizende_. Die drei andern Punkte waren das Schafskleid; das ist aber die
Kralle, an der ihr den Wolf erkennet, der im Kleide steckt; jenes war die
Kutte, unter welcher er unschuldig wie der heilige Franziskus sich bei euch
einführt; aber siehe da, das ist der Pferdefuß, und an seinen Spuren wirst
du ihn erkennen. Und was ist dieses Reizende? Das ist die Sinnlichkeit, die
er aufregt, das sind jene reizenden, verführerischen, lockenden Bilder, die
eurem Auge angenehm erscheinen. Es freut mich zu sehen, daß ihr da unten
die Augen nicht aufschlagen könnet. Es freut mich zu sehen, daß hin und
wieder auf mancher Wange die Röte der Beschämung aufsteigt. Es freut mich,
daß Sie nicht zu lachen wagen, meine Herren; wenn ich diesen Punkt berühre.
Ich sehe, ihr alle verstehet nur allzu wohl, was ich meine.

Ein Lessing, ein Klopstock, ein Schiller und Jean Paul, ein Novalis, ein
Herder waren doch wahrhaftig große Dichter, und habt ihr je gesehen, daß
sie in diese schmutzigen Winkel der Sinnlichkeit herabsteigen mußten, um
sich ein Publikum zu machen? Oder wie? Sollte es wirklich wahr sein, daß
jene edleren Geister nur für wenige Menschen ihre hehren Worte aussprachen,
daß die große Menge nur immer dem Marktschreier folgt, weil er köstliche
Zoten spricht und sein Bajazzo possierliche Sprünge macht? Armseliges
Männervolk, daß du keinen höheren geistigen Genuß kennst, als die
körperlichen Reize eines Weibes gedruckt zu lesen, zu lesen von einem
Marmorbusen, von hüpfenden Schneehügeln, von schönen Hüften; von weißen
Knien, von wohlgeformten Waden und von dergleichen Schönheiten einer Venus
Vulgivaga. Armseliges Geschlecht der Weiber, die ihr aus Clauren Bildung
schöpfen wollet! Errötet ihr nicht vor Unmut, wenn ihr leset, daß man nur
eurem Körper huldigt, daß man die Reize bewundert, die ihr in der raschen
Bewegung eines Walzers entfaltet, daß der Wind, der mit euren Gewändern
spielt, das lüsterne Auge eures Geliebten mehr entzückt als die heilige
Flamme reiner Liebe, die in eurem Auge glüht, als die Götterfunken des
Witzes, der Laune, welche die Liebe eurem Geiste entlockt? Verlorene Wesen,
wenn es euch nicht kränkt, euer Geschlecht so tief, so unendlich tief
erniedrigt zu sehen, geputzte Puppen, die ihr euren jungfräulichen Sinn
schon mit den Kinderschuhen zertreten habt, leset immer von andern
geputzten Puppen, bepflanzet immer eure Phantasie mit jenen
Vergißmeinnichtblümchen, die am Sumpfe wachsen, ihr verdienet keine andere
als sinnliche Liebe, die mit den Flitterwochen dahin ist!

Siehe da die Anmut, die Natürlichkeit, das Rührende und den hohen Reiz der
Mimilis-Manier! Lasset uns weiter die Fortschritte betrachten, die ihr
Erfinder machte! Wie das Unkraut üppig sich ausbreitet, so ging es auch mit
dieser Giftpflanze in der deutschen Literatur. Die Mimili-Manier wurde zur
Mimili-Manie, wurde zur Mode. Was war natürlicher, als daß Clauren eine
Fabrik dieses köstlichen Zeuges anlegte und zwar nach den vier
Grundgesetzen, nach jenen vier Kardinaltugenden, die wir in seiner Mimili
fanden? Bei jener Klasse von Menschen, für welche er schreibt, liegt
gewöhnlich an der _Feinheit des Stoffes_ wenig. Wenn nur die Farben recht
grell und schreiend sind! Mochte er nun selbst diese Bemerkung gemacht
haben, oder konnte er vielleicht selbst keine feineren Fäden spinnen, keine
zarteren Nüancen der Farben geben, sein Stoff ist gewöhnlich so
unkünstlerisch und grob als möglich angelegt; ein fadengerades
Heiratsgeschichtchen, so breit und lang als möglich ausgedehnt; von
tieferer Charakterzeichnung ist natürlich keine Rede; Kommerzienräte,
Husarenmajors, alte Tanten, Ladenjünglinge _comme il faut, etc_. Die Dame
des Stückes ist und bleibt immer dasselbe Holz- und Gliederpüppchen, die
nach Verhältnissen kostümiert wird, heiße sie nun Mimili oder Vally,
Magdalis oder Doralice, spreche sie Schweizerisch oder Hochdeutsch, habe
sie Geld oder keines, es bleibt dieselbe. Ist nun die Historie nach diesem
geringen Maßstabe angelegt, so kommen die _Ingredienzien_.

Bei den _Ingredienzien_ wird, wie billig, zuerst Rücksicht genommen auf das
Frauenvolk, das die Geschichte lesen wird. Erstens einige artige Kupfer mit
schönen "_Engelsköpfchen_", angetan nach der "_allernagelfunkelneuesten_"
Mode. Diese werden natürlich in der Fabrik immer zuvor entworfen, gemalt
und gestochen und nachher der resp. Namen unten hingeschrieben.
Sündigerweise benützt der gute Mann auch die Porträts schöner fürstlicher
Damen, die er als Quasi-Aushängeschild vor den Titel pappt. So hat es uns
in der Seele wehe getan, daß die Großfürstin Helena von Rußland, eine durch
hohe Geistesgaben, natürliche Anmut und Körperschönheit ausgezeichnete
Dame, bei dem Tornister-Lieschen (im Vergißmeinnicht 1826) gleichsam zu
Gevatter stehen mußte.

Zweitens, ein noch bei weitem lockenderes Ingredienz ist die Toilette, die
er trotz den ersten Modehändlerinnen zu machen versteht. Wer wollte es
Virgil übel nehmen, wenn er den Schild seines Helden beschreibt? Wer
lauscht nicht gerne auf die kriegerischen Worte eines Tasso, wenn er die
glänzenden Waffen seines Rinaldo oder Tankred besingt? Es sind Männer, die
von Männern, es sind edle Sänger, die von Helden singen. Überwiegt aber
nicht der Ekel noch das Lächerliche, wenn man einen preußischen Geheimen
Hofrat hört, wie er den Putz einer Dame vom Kopf bis zu den Zehenspitzen
beschreibt? Es kommt freilich sehr viel darauf an, ob auf dem hohlen
Schädel seiner Mimilis ein italienischer Strohhut oder eine Toque von Seide
sitzt, ob die Federn, die solche schmücken, Marabout- oder Straußfedern
oder gar Paradiesvögel sind; und dann die niedlichen "Sächelchen" von
Ohrgeschmeide, Halsbändern, Bracelets _et cetera_, daß "einem das Herz
puppert," und dann die Brüsseler Kanten um die wogende Schwanenbrust und
das gestickte Ballkleid und die durchbrochenen Strümpfe und die seidenen
Pariser Ballschuhe oder ein Negligé, wie aus dem leichtesten Schnee
gewoben, und dieses Überröckchen und jenes Mäntelchen und dieses
Spitzenhäubchen, aus dem sich die goldenen Ringellöckchen hervorstehlen. _O
sancta simplicitas_! Und ihr kneipt, um mich seiner Sprache zu bedienen,
ihr kneipt die Knie nicht zusammen, meine Damen, und wollet euch nicht halb
zu Tode lachen über den köstlichen Spaß, daß ein preußischer Geheimer
Hofrat eurer Zofe ins Handwerk greift und euch vorrechnet, was man im
Putzladen der Madame Prellini haben kann? Leider, ihr lachet nicht! ihr
leset den allerliebsten Modebericht mit großer Andacht, ihr sprechet: das
ist doch einmal eine Lektüre von Geschmack; nichts Überirdisches,
Romantisches, _tout comme chez nous_, bis aufs Hemde hat er uns
beschrieben, der deliziöse Mann, der Clauren!

Ein drittes Ingredienz für Mädchen sind die magnifiken Bälle, die er
alljährlich gibt. Hu! wie da getanzt wird, daß das Herzchen "im
Vierundsechzigstel-Takt pulsiert!" Wie schön! Vornehme Damen, die bei
Präsidents A., bei Geheimrats B., bei dem Bankier C. oder gar bei Hofe
Zutritt haben, finden alles "haarklein" beschrieben von der Polonäse bis
zum Kotillon. Arme Landfräulein, die nur in das nächste Städtchen auf den
Kasinoball kommen können, lesen ihren Clauren nach; ihre Phantasie trägt
sie auf den herrlichen Ball bei Hof, und "der Himmel hängt ihnen voll
Geigen." Putzjungfern, welche Ballkleider verfertigen, ohne sich selbst
darin zeigen zu können, Kammermädchen, die ihre Dame zu dem Ball
"aufgedonnert" haben, nehmen beim Scheine der Lampe ihren Clauren zur Hand,
treten unter dem Tische mit den tanzlustigen Füßen den Takt eines
Schnellwalzers und träumen sich in die glänzenden Reihen eines
Fastnachtballes! Treffliches Surrogat für tanzlustige Seelen, köstliche
Stallfütterung für Schafe, die nicht auf der Weide hüpfen können!

Als ein viertes treffliches Hauptingredienz für liebevolle weibliche Seelen
ist das vollendete Bild eines Mannes, wie er sein soll, zu rechnen, das
Clauren zu geben versteht. In der Regel zeichnen sich diese Leute nicht
sehr durch hohe Verstandesgaben aus; doch wir wollen diesen Fehler an
Clauren nicht rügen; wo nichts ist, sagt ein altes Sprichwort, da hat der
Kaiser das Recht verloren. Statt des Verstandes haben die
Vergißmeinnichtmänner herrliche Rabenlocken, einen etwas schwindsüchtigen
Teint, der sie aber schmachtend und interessant macht, unter fünf Fuß sechs
Zoll darf keiner messen; kräftige, männliche Formen, sprechende Augen, die
Hände und Füße aber wie andere Menschen. Sie sind gerade so eingerichtet,
daß man sich ohne weiteres auf den ersten Augenblick in sie verlieben muß.
Dabei sind sie meistens arm, aber edel, stolz, großmütig und heiraten
gewöhnlich im fünften Akt. Auf welche edle weibliche Seele sollte ein
solcher Held neuerer Zeit nicht den wohltuendsten Eindruck machen, wenn sie
von ihm liest? Sie schnitzelt das Bild des Obergesellen oder Jagdschreibers
oder Apothekergehilfen, das sie im Herzen trägt, so lange zurecht, bis er
ungefähr gerade so aussieht wie der Allerschönste im allerneuesten
Jahrgange des allerliebsten Vergißmeinnicht.

Fünftens: von schimmernden Lüsters, von deckenhohen Trumeaus, von
herrlichen Sofas, von feengleicher Einrichtung, von Sepiamalerei und
dergleichen wäre hier noch viel zu reden, wenn es die Mühe lohnte.

Gehen wir, andächtige Versammlung, über zu den Ingredienzien und Zutaten
für _Männer_, so können wir hier leicht zwei Klassen machen: 1) Zutaten,
die das Auge reizen, 2) Zutaten, die den Gaumen kitzeln.

Unter Nro. 1 ist vor allem zu rechnen die Art, wie Clauren seine Mädchen
beschreibt. Um zuerst von ihrem geistigen Wert zu sprechen, so gilt hier
dasselbe, was von den Männern gesagt wurde; eine tiefe, edle, jungfräuliche
Seele weiß kein Clauren zu schildern, und wenn er es wüßte, so hat er ganz
recht, daß er nie eine Thekla, eine Klotilde. oder ein Wesen, das etwa ein
Titan oder Horion lieben könnte, unter seiner Affenfamilie mittanzen läßt.
Was das Äußere betrifft, so macht er es wie jener griechische Künstler, der
aus sieben schönen Mädchen sich eine Venus bilden wollte. Aber er vergißt
den hohen Sinn, der in der Sage von dem Künstler liegt. Sechs zogen vorüber
und zeigten dem entzückten Auge stolz die entfesselten Reize ihrer Jugend.
Die siebente, als die Gewänder fallen sollten, errötete und verhüllte sich,
und der Künstler ließ jene sechs vorübergehen und bildete nach diesem
Vorbild jungfräulicher Hoheit seine Göttin. Nicht also Clauren; die sechs
hat er wohl aufgenommen, der siebenten, als sie verschämt, verhüllt,
errötend nahte, hat er die Türe verschlossen.

Und jetzt, meine Herren, setzet euch her, macht es euch bequem! Der große
Meister gibt ja das Panorama aller weiblichen Reize. Siehe die entfesselten
Locken, die auf den Alabaster der Schultern niederfallen, siehe--doch wie?
Soll ich alle jene erhabenen, ausgesuchten Epitheta wiedergeben, die sich
mit Schnee, mit Elfenbein, mit Rosen gatten? Ich bin ein Mann und erröte,
erröte darüber, daß ein Mann aus der sogenannten guten Gesellschaft die
sittenlose Frechheit hat, alljährlich ein ausführliches Verzeichnis von den
Reizen drucken zu lassen, die er bei seinem Weibe fand!

Als Tasso jene Strophen dichtete, worin die Gesandten Gottfrieds am Palast
der neuen Circe die Nymphen im See sich baden sehen, glaubet ihr, seine
reiche, glühende Phantasie hätte ihm nicht noch lockendere Bilder,
reizendere Wendungen einhauchen können als einem Clauren? Doch er dachte an
sich, er dachte an die hohe, reine Jungfrau, für die er seine Gesänge
dichtete, er dachte an seinen unbefleckten Ruhm bei Mit- und Nachwelt, und
siehe, die reichen Locken fallen herab und strömen um die Nymphen und
rollen in das Wasser, und der See verhüllt ihre Glieder. Aber, _si parva
licet componere magnis_, was soll man zu jener skandalösen Geschichte
sagen, die H. Clauren in einem früheren Jahrgang des Freimütigen, eines
Blattes, das in so manchem häuslichen Zirkel einheimisch ist, erzählt?

Rechne man es nicht _uns_ zur Schuld, wenn wir Schändlichkeiten aufdecken,
die jahrelang _gedruckt_ zu lesen sind. Eine junge Dame kömmt eines Tages
auf Claurens Zimmer. Sie klagt ihm nach einigen Vorreden, daß sie zwar seit
vierzehn _Tagen_ verheiratet, und glücklich _verheiratet_, aber durch einen
kleinen Ehebruch von einer Krankheit angesteckt worden sei, die ihr Mann
nicht ahnen dürfe. H. Clauren erzählt uns, daß er der engelschönen Dame
gesagt, sie sei nicht zu heilen, wenn sie ihm nicht den Grad der Krankheit
_et cetera_ zeige. Die Dame entschließt sich zu der Prozedur. Ich dächte,
das Bisherige ist so ziemlich der höchste Grad der Schändlichkeit, zum
mindesten ein hoher Grad von Frechheit, dergleichen in einem
belletristischen Blatt zur Sprache zu bringen. Eine Dame, _glücklich_
verheiratet, seit vierzehn Tagen ein glückliches Weib und Ehebrecherin!
Aber nein! Der Faun hat hieran nicht genug; er ladet uns zu der Prozedur
selbst ein; er rückt den Sessel ans Fenster, er setzt die Dame in Positur,
er beschreibt uns von der Zehenspitze aufwärts seine Beobachtungen!!!

Ich wiederhole es, man kann von einem solchen Frevel nur zu sprechen wagen,
wenn er offenkundig geworden ist, wenn man die Absicht hat, ihn zu rügen.
Warum in einem öffentlichen Blatte etwas _erzählen_, was man in guter
Gesellschaft nicht _erwähnen_ darf? Aber das ist H. Clauren, der geliebte,
verehrte, geachtete Schriftsteller, der Mann des Volkes. Schande genug für
ein Publikum, das sich Schändlichkeiten dieser Art ungestraft erzählen
läßt!

In die eben erwähnte Kategorie von _berechnetem_ Augenreiz für Männer
gehören auch die Situationen, in welchen wir oft die Heldinnen finden. Bald
wird uns ausführlich beschrieben, wie Magdalis aussah, als sie zu Bette
gebracht wurde, bald weidet man sich mit Herrn Stern an Doralicens Angst,
zu _zwei_ schlafen zu müssen, bald hört man Vally im Bade plätschern und
möchte ihrer naiven Einladung dahin folgen, bald sieht man ein
Kammermädchen im Hemde, das kichernd um Pardon bittet; der glühenden, durch
alle Nerven zitternden Küsse, der Blicke beim Tanze abwärts auf die
Wellenlinien der Tänzerinnen u. dgl. nicht zu gedenken; Honigworte für
Leute, die nichts Höheres kennen als Sinnlichkeit, köstlich kandierte Zoten
für einen verwöhnten Gaumen, treffliches Hausmittel für junge Wüstlinge und
alte Gecken, die mit ihrer moralischen und physischen Kraft zu Rande sind,
um dem Restchen Leben durch diese Reizmittel aufzuhelfen!

Ein _zweites_ Reizmittel für Männer sind jene Zutaten, die den Gaumen
kitzeln. "Heda, Kellner, hieher sechs Flaschen des brüsselnden Schaumweins!
Ha, wie der Kork knallend an die Decke fährt! Eingeschenkt, laßt ihn nicht
verrauchen! Jetzt für jeden zwei, drei Dutzend Austern draufgesetzt!" Ist
diese Sprache nicht herrlich? Wird man nicht an Homer erinnert, der immer
so redlich angibt, was seine Helden verspeisten; freilich gab er ihnen nur
gewöhnliches "Schweinefleisch", und die Weinsorten rühmt er auch nicht
besonders; aber ein Clauren ist denn doch auch etwas anderes als Homer; wer
wollte es übel nehmen, wenn er die Korke fliegen läßt und Austern schmaust,
fünfhundert Stück zum ersten Anfang?

Ich kannte einen jener bedauernswürdigen Menschen, die man in glänzendem
Gewand, mit zufriedener Miene auf den Promenaden umherschlendern sieht. Ihr
haltet sie für das glücklichste Geschlecht der Menschen, diese
Pflastertreter; sie haben nichts zu tun und vollauf zu leben. Ihr täuschet
euch; oft hat ein solcher Herr nicht so viel kleine Münze, um eine einfache
Mittagskost zu bezahlen, und was er an großem Gelde bei sich trägt, kann
man nicht wohl wechseln. Einen solchen nun fragte ich eines Tages: "Freund,
wo speiset Ihr zu Mittag? Ich sehe Euch immer nach der Tafelzeit mit
zufriedener Miene die Straße herabkommen, mit der Zunge schnalzend oder in
den Zähnen stochernd; bei welchem berühmten Restaurant speiset Ihr?"

"Bei Clauren," gab er mir zur Antwort.

"Bei Clauren?" rief ich verwundert. "Erinnere ich mich doch nicht, einen
Straßenwirt oder Garkoch dieses Namens in hiesiger Stadt gesehen zu haben."

"Da habt Ihr recht," entgegnete er; "es ist aber auch kein hiesiger,
sondern der Berliner, H. Clauren--"

"Wie, und dieser schickt Euch kalte Küche bis hieher?"

"Kalte und warme Küche nebst etzlichem Getränke. Doch ich will Euch das
Rätsel lösen," fuhr er fort; "ich bin arm, und was ich habe, nimmt jährlich
gerade das Schneiderkonto und die Rechnung für Zuckerwasser im Kaffeehause
weg; nun bin ich aber gewöhnt, gute Tafel zu halten; was fange ich in
diesen Zeiten an, wo niemand borgt und vorstreckt? Ich kaufe mir alle Jahre
von ersparten Groschen das herrliche Vergißmeinnicht von H. Clauren, und
ich versichere Euch, das ist mir Speisekammer, Keller, Fischmarkt,
Konditorei, Weinhandlung, alles in allem. Ihr müßt wissen, daß in solchem
Büchlein auf zwanzig Seiten immer eine oder zwei, wie ich sie nenne,
Tafelseiten kommen. Ich sehe mich mittags mit einem Stück Brot, zu welchem
an Festtagen Butter kömmt, nebst einem Glase Wasser oder dünnem Biere an
den Tisch, speise vornehm und langsam, und während ich kaue, lese ich im
'Vergißmeinnicht' oder in 'Scherz und Ernst.' Seine Tafelseiten werden mir
nun zu delikaten Suppentafeln; denn mein Teller ist nicht mehr mit
schlechtem Brot besetzt, meine Zähne malmen nicht mehr dieses magere
Gebäck, nein, ich esse mit Clauren, und der Mann versteht, was gute Küche
ist. Was da an Fasanen, Gänseleberpasteten, Trüffeln, an seltenen Fischen,
an--"

"Genug!" fiel ich ihm ein; "und Eure Phantasie läßt Euch satt werden? Aber
könntet Ihr hiezu nicht das nächste beste Kochbuch nehmen? Ihr hättet zum
mindesten mehr Abwechslung."

"Ei, da ist noch ein großer Unterschied! Sehet, das versteht Ihr nicht
recht; in den Kochbüchern wird nur beschrieben, wie etwas gekocht wird;
aber ganz anders im Vergißmeinnicht; da kann man lesen, wie es schmeckt.
Clauren ist nicht nur Mundkoch und Vorschneider, sondern er kaut auch jede
Schüssel vor und erzählt: so schmeckte es; und wie natürlich ist es, wenn
er oft beschreibt, wie diesem die Sauce über den Bart herabgeträufelt sei,
oder wie jener vor Vergnügen über die Trüffelpastete die Augen geschlossen!
Überdies hat man dabei den herrlichsten Flaschenkeller gleich bei der Hand,
und wenn ich das Glas mit Dünnbier zum Munde führe, schiebt er mir immer im
Geiste Trimadera, Bordeaux oder Champagner unter."

So sprach der junge Mann und ging weiter, um auf sein großes Claurensches
Traktement der Verdauung wegen zu promenieren.

Was ist Rumford gegen einen solchen Mann? sprach ich zu mir. Jener bereitet
aus alten Knochen kräftige Suppen für Arme und Kranke; ist aber hier nicht
mehr als Rumford und andere? Speist und tränkt er nicht durch eine einzige
Auflage des "Vergißmeinnicht" fünftausend Mann? Wenn nur die Phantasie des
gemeinen Mannes etwas höher ginge, wie wohlfeil könnte man Spitäler, ja
sogar Armeen verproviantieren! Der Spitalvater oder der respektive Leutnant
nähme das "Vergißmeinnicht" zur Hand, ließe seine Kompanie Hungernder
antreten, ließe sie trockenes Kommisbrot speisen und würde ihnen einige
Tafelseiten aus Clauren vorlesen.

Doch von solchen Torheiten sollte man nicht im Scherz sprechen; sie
verdienen es nicht; denn wahrer, bitterer Ernst ist es, daß solche
Niederträchtigkeit, solche Wirtshauspoesie, solche Dichtungen _à la carte_,
wenn sie ungerügt jede Messe wiederkehren dürfen, wenn man den gebildeten
Pöbel in seinem Wahn läßt, als wäre dies das Manna, so in der Wüste vom
Himmel fällt, die Würde unserer Literatur vor uns selbst und dem Auslande,
vor Mit- und Nachwelt schänden!

Doch ich komme, meine verehrten Zuhörer, noch auf einen andern Punkt, den
man weniger Ingredienz oder Zutat, sondern _Sauce piquante_ nennen könnte;
das ist die _Sprache_. Man wirft nicht mit Unrecht den Schwaben und
Schweizern vor, daß sie nicht sprechen, wie sie schreiben; aber wahrhaftig,
es gereicht H. Clauren zu noch größerem Vorwurf, daß er so gemein schreibt,
wie er gemein und unedel zu sprechen und zu denken scheint. Man hat in
neuerer Zeit manches verschrobene und verschränkte Deutsch lesen müssen;
waren es Wendungen aus dem fünfzehnten Jahrhundert, waren es Sätze aus
einer spanischen Novelle, es wollte sich in unserer reichen, herrlichen
Sprache nicht recht schicken. Ohrzerreißend waren auch die Kompositionen,
die Voß nach Analogie Homer's vornahm; aber man kann Männer dieser Art
höchstens wegen ihres schlechten Geschmacks bedauern, anklagen niemals;
denn es lag dennoch ein schöner Zweck ihrem wunderlichen Handhaben der
Sprache zugrunde. Was soll man aber von der geflissentlichen Gemeinheit
sagen, womit der Erfinder der Mimilismanier seine Produkte einkleidet!
König Salomo, wenn er noch lebte, würde diesen Menschen mit einem
Freudenmädchen vergleichen. Sie geht einher im Halbdunkel, angetan mit
köstlichen Kleidern, mit allerlei Flimmer und Federputz auf dem Haupte. Du
redest sie an mit Ehrfurcht; denn du verehrst in ihr eine wohlerzogene Frau
aus gutem Hause; aber sie antwortet dir mit wieherndem Gelächter, sie
gesteht, sie müsse lachen, daß "_sie der Bock stößt_"; sie spricht in
Worten, wie man sie nur in Schenken und auf blauen Montagstänzen hören
konnte; sie enthüllt sich, ohne zu erröten, vor deinen Augen und spricht
Zoten und Zötchen dazu. Wehe deinem Geschmack, wehe dir selbst und deinem
sittlichen Wert, wenn dir nicht klar wird, daß die, welche du für eine
anständige Frau gehalten, eine feile Dirne ist, bestimmt zum niedrigsten
Vergnügen einer verworfenen Klasse!

Wozu ein langes Verzeichnis dieser Sprachsünden hieher setzen, da ja das
Buch, über welches wir sprechen, der "Mann im Monde", ein lebendiges
Verzeichnis, ein vollständiger Katalog seiner Worte, Wendungen, Farben und
Bilder ist? Es ist die Sauce, womit er seine widerlichen Frikasseen
anfeuchtet, und je mehr er ihr jenen echten Wildbretgeschmack zu geben
weiß, der schon auf einer Art von Fäulnis und Moder beruht, desto mehr sagt
sie dem verwöhnten Gaumen seines Publikums zu.

Noch ist endlich ein Zutätchen und Ingredienzchen anzuführen, das er aber
selten anwendet, vielleicht weil er weiß, wie lächerlich er sich dabei
ausnimmt; ich meine jene rührenden, erbaulichen Redensarten, die als auf
ein frommes Gemüt, auf christlichen Trost und Hoffnung gebaut erscheinen
sollen. Als uns der Fastnachtsball und das erbauliche Ende der Dame
Magdalis unter die Augen kam, da gedachten wir jenes Sprichworts: "Junge
H...n, alte Betschwestern"; wir glaubten, der gute Mann habe sich in der
braunen Stube selbst bekehrt, sehe seine Sünden mit Zerknirschung ein und
werde mit Pater Willibald selig entschlafen. Das Tornister-Lieschen,
Vielliebchen und dergleichen überzeugten uns freilich eines andern, und wir
sahen, daß er nur _per anachronismum_ den Aschermittwoch _vor_ der
Fastnacht gefeiert hatte. Wie aber im Munde des Unheiligen selbst das Gebet
zur Sünde wird, so geht es auch hier; er schändet die Religion nicht
weniger, als er sonst die Sittlichkeit schändet, und diese heiligen,
rührenden Szenen sind nichts anderes als ein wohlüberlegter Kunstgriff,
durch Rührung zu wirken; etwa wie jene Bettelweiber in den Straßen von
London, die alle Vierteljahre kleine Kinder kaufen oder stehlen und mit den
unglücklichen Zwillingen seit zehn Jahren weinend an der Ecke sitzen.

Zum Schlusse dieses Abschnittes will ich euch noch eine kleine Geschichte
erzählen. Es kam einst ein fremder Mensch in eine Stadt, der sich Zutritt
in die gute Gesellschaft zu verschaffen wußte. Dieser Mensch betrug sich
von Anfang etwas linkisch, doch so, daß man manche seiner Manieren
übersehen und zurechtlegen konnte. Er hielt sich gewöhnlich zu den Frauen
und Mädchen, weil ihm das Gespräch der Männer zu ernst war, und jene
lauschten gerne auf seine Rede, weil er ihnen Angenehmes sagte. Nach und
nach aber fand es sich, daß dieser Mensch seiner gemeineren Natur in dieser
Gesellschaft wohl nur Zwang angetan hatte; er sprach freier, er schwatzte
den Ohren unschuldiger Mädchen Dinge vor, worüber selbst die älteren hätten
erröten müssen. Wie es aber zu gehen pflegt: das Lüsterne reizt bei weitem
mehr als das Ernste, Sittliche; zwar mit niedergeschlagenen Augen, aber
offnem Ohr lauschten sie auf seine Rede, und selbst manche Zote, die für
eine Bierschenke derb genug gewesen wäre, bewahrten sie in feinem Herzen.
Der fremde Mann würde der Liebling dieses Zirkels. Es fiel aber den Männern
nach und nach auf, daß ihre Frauen über manche Verhältnisse freier dachten
als zuvor, daß selbst ihre Mädchen über Dinge sprachen, die sonst einem
unbescholtenen Kinde von fünfzehn bis sechzehn Jahren fremd sein müssen.
Sie staunten, sie forschten nach dem Ursprung dieser schlechten Sitten, und
siehe, die Frauen gestanden ihnen unumwunden: "Es ist der liebenswürdige,
angenehme Herr, der uns dieses gesagt hat." Viele der Männer versuchten es
mit Ernst und Warnung, ihn zum Schweigen zu bringen; umsonst, er schüttelte
die Pfeile ab und plauderte fort. Die Männer wußten nicht, was sie tun
sollten; denn es ist ja gegen die Sitte der guten Gesellschaft, selbst
einen verworfenen Menschen die Treppe hinabzuwerfen. Da versuchte einer
einen andern Weg. Er setzte sich unter die Frauen und lauschte mit ihnen
auf die Rede des Mannes und merkte sich alle seine Worte, Wendungen, selbst
seine Stimme. Und eines Abends kam er, angetan wie jener Verderber, setzte
sich an seine Seite, ließ ihn nicht zum Worte kommen, sondern erzählte den
Frauen nach derselben Manier, mit nachgeahmter Stimme, wie es jener Mann zu
tun pflegte. Da fanden die Vernünftigeren wenigstens, wie lächerlich und
unsittlich dies alles sei. Sie schämten sich, und als jener Mensch dennoch
in seinem alten Ton fortfahren wollte, wandten sie sich von ihm ab; er aber
stand beinahe allein und zog beschämt von dannen.

"Wo Ernst nicht hilft, da nimm den Spott zur Hilfe," dachte jener, und wohl
ihm, wenn es ihm gelang, den Wolf im Schafskleide zu verjagen!

Meine Freunde! Dasselbe, was in dieser Geschichte erzählt ist, dasselbe
wollte auch der "Mann im Mond", und das war ja unsere erste Frage: er
wollte den Erfinder der Mimili-Manier zu Nutz und Frommen der Literatur und
des Publikums, zur Ehre der Vernunft und Sitte lächerlich machen.

Wie er diesen Zweck verfolgte, ob es ihm gelingen _konnte_, ist der
Gegenstand der folgenden Fragen.




II.

Haben wir bisher nachgewiesen und darüber gesprochen, welchen Zweck der
"Mann im Monde" zu verfolgen hatte, indem wir den Gegenstand, gegen welchen
er gerichtet war, nach allen Teilen auseinandersetzten, so kommt es uns zu,
andächtig miteinander zu betrachten, wie er diesen Zweck verfolgte.

Es gibt verschiedene Wege, wie schon in der Parabel vom angenehmen Mann
angedeutet ist, verschiedene Wege, um ein Laster, eine böse Gewohnheit oder
unsittliche Ansichten aus der sittlichen Gesellschaft zu verbannen. Das
erste und natürlichste bleibt immer, einen solchen Gegenstand mit Ernst,
mit Gründen anzugreifen, seine Anhänger von ihrem Irrtum zu überführen,
seine Blöße offen vor das Auge zu bringen. Diesen Weg hat man auch mit dem
Claurenschen Unfug zu wiederholten Malen eingeschlagen. Ihr alle, meine
Zuhörer, kennet hinlänglich jene öffentlichen Gerichte der Literatur, wo
die Richter zwar, wie bei der heiligen Feme, verhüllt und ohne Namen zu
Gericht sitzen, aber unverhüllt und unumwunden Recht sprechen; ich meine
die Journale, die sich mit der Literatur beschäftigen. Wie es in aller Welt
bestechliche Richter gibt, so auch hier. Es gab einige freilich an
Obskurantismus laborierende Blätter, welche jedes Jahr eine Fanfare bliesen
zu Gunsten und Ehren Claurens und seines Neugeborenen. Dem Vater wie dem
Kindlein wurde gebührendes Lob gespendet und das Publikum eingeladen,
einige Taler als Patengeschenk zu spendieren. Doch zur Ehre der deutschen
Literatur sei es gesagt, es waren und sind dies nur einige Winkelblätter,
die nur mit Modeartikeln zu tun haben.

Bessere Blätter, bessere Männer als jene, die um Geld lobten, scheuten sich
nicht, so oft Claurens Muse in die Wochen kam, das Produkt nach allen
Seiten zu untersuchen und der Welt zu sagen, was davon zu halten sei. Sie
steigerten ihre Stimme, sie erhöhten ihren Tadel, je mehr die Lust an jenen
Produkten unter euch überhand nahm; sie bewiesen mit triftigen Gründen, wie
schändlich eine solche Lektüre, wie entwürdigend ein solcher Geschmack sei,
wie entnervend er schon zu wirken anfange. Manch herrliches Wort wurde da
über die Würde der Literatur, über wahren Adel der Poesie und über euch
gesprochen, die ihr nicht errötet, ihm zu huldigen, die ihr so verstockt
seid, das Häßliche _schön_, das Unsaubere _rein_, das Kleinliche _erhaben_,
das Lächerliche _rührend_ zu finden. Woran lag es aber, daß jene Worte wie
in den Wind gesprochen scheinen, daß, so oft sich auch Männer von wahrem
Wert _dagegen_ erklärten, die Menge immer mehr Partei _dafür_ nahm? Man
müßte glauben, der Herr habe ihre Herzen verstockt, wenn sich nicht noch
ein anderer Grund fände.

Jene Institute für Literatur, die kein Volk der Erde so allgemein, so
gründlich aufzuweisen hat wie wir, jene Journale, wo auch das Kleinste zur
Sprache kommt und nach Gesetzen beurteilt wird, die sich auf Vernunft und
wahren Wert der Kunst und Wissenschaft gründen,--sie sind leider nur für
wenige geschrieben! Wer liest sie? Der Gelehrte, der Bürger von wahrer
Bildung, hin und wieder eine Frau, die sich über das Gebiet der
Leihbibliothek erhoben hat. Ob aber Clauren für _diese_ schreibt? Ob seine
Manier _diesen_ schädlich wird? Ob sie ihn nur lesen? Und wenn sie ihn
lesen, wird ihnen die Stufe von Bildung, auf welcher sie stehen, nicht von
selbst den Takt verleihen, um das Verwerfliche einzusehen? Und wenn unter
hundert Menschen, welche lesen, sogar zehn wären, die sich aus jenen
Instituten unterrichten, verhallt nicht eine solche Stimme bei neunzig
andern?

So kam es, daß Clauren zu wiederholten Malen angegriffen, getadelt,
gescholten, verhöhnt, bis in den Staub erniedrigt wurde; er--schüttelte den
Staub ab, antwortete nicht, ging singend und wohlgemut seine Straße. Wußte
er doch, daß ihm ein großes, ansehnliches Publikum geblieben, zu dessen
Ohren jene Stimmen nie drangen; wußte er doch, daß, wenn ihn der ernste
Vater mit Verachtung vor die Türe geworfen wie einen räudigen Hund, der
seine Schwelle nicht verunreinigen soll, das Töchterlein oder die Hausfrau
eine Hintertüre willig öffnen werde, um auf die Honigworte des angenehmen
Mannes zu lauschen, der Ernst und Scherz so lieblich zu verbinden weiß, und
ihm von den ersparten Milchpfennigen ein Sträußchen Vergißmeinnicht
abzukaufen.

Man könnte sich dies gefallen lassen, wenn es sich um eine gewöhnliche
Erscheinung der Literatur handelte, die in Blättern öffentlich getadelt
wird, weil sie von den gewöhnlichen Formen abweicht oder unreif ist oder
nach Form und Inhalt den ästhetischen Gesetzen nicht entspricht. Hier kann
höchstens die Zeit, die man der Lektüre einer Gespenstergeschichte oder
eines ehrlichen Ritterromans widmete, übel angewendet scheinen, oder der
Geschmack kann darunter leiden. Solange für die jugendliche Phantasie, für
Sittlichkeit keine Gefahr sich zeigt, mögen immer die Richter der Literatur
den Verfasser zurechtweisen, wie er es verdient; das allgemeine Publikum
wird freilich wenig Notiz davon nehmen. Wenn aber nachgewiesen werden kann,
daß eine Art von Lektüre die größtmögliche Verbreitung gewinnt, wenn sie
diese gewinnt durch Unsittlichkeit, durch Lüsternheit, die das Auge reizt
und dem Ohr schmeichelt durch Gemeinheit und unreines Wesen, so ist sie ein
Gift, das um so gefährlicher wirkt, als es nicht schnell und offen zu
wirken pflegt, sondern allmählich die Phantasie erhitzt, die Kraft der
Seele entnervt, den Glauben an das wahrhaft Schöne und Edle, Reine und
Erhabene schwächt und ein Verderben bereitet, das bedauerungswürdiger ist
als eine körperliche Seuche, welche die Blüte der Länder wegrafft.

Ich habe euch vorhin ein Bild entworfen von dem Wesen und der Tendenz
dieses Clauren, nach allen Teilen habe ich ihn enthüllt, und wer unter euch
kann leugnen, daß er ein solches Gift verbreite? Wer es kann, der trete auf
und beschuldige mich einer Lüge! Männer meines Volkes, die ihr den wahren
Wert einer schönen, kräftigen Nation nicht verkennt, Männer, die ihr die
Phantasie eurer Jünglinge mit erhabenen Bildern schmücken wollt, Männer,
die ihr den keuschen Sinn einer Jungfrau für ein hohes Gut erachtet, ihr,
ich weiß es, fühlet mit mir. Aber ihr müßt auch gefühlt, gesehen haben, daß
jene öffentlichen Stimmen, die den Marktschreier rügten, der den
Verblendeten Gift verkauft, nicht selten in eure Häuser gedrungen sind. Ich
habe gefühlt wie ihr, und der Ausspruch jenes alten Arztes fiel mir bei:
_"Gegen Gift hilft nur wieder Gift."_ Ich dachte nach über Ursache und
Wirkung jener Mimili-Manier, ich betrachtete genau die Symptome, die sie
hervorbrachte, und ich erfand ein Mittel, worauf ich Hoffnung setzte. Aus
denselben Stoffen, sprach ich zu mir, mußt du einen Teig kneten, mußt ihn
würzen mit derselben Würze, nur reichlicher überall, nur noch pikanter; an
diesem Backwerk sollen sie mir kauen, und wenn es ihnen auch dann nicht
widersteht, wenn es ihnen auch dann nicht wehe macht, wenn sie an _dieser_
"Trüffelpaste", an _diesem_ "Austernschmaus" keinen Ekel fassen, so sind
sie nicht mehr zu kurieren, oder--es war nichts an ihnen verloren.

Zu diesem Zweck scheute ich nicht die Mühe, die reiche Bibliothek von
"Scherz und Ernst", die üppig wuchernde Sumpfpflanze "Vergißmeinnicht" nach
allen ihren Teilen zu studieren. Je weiter ich las, desto mehr wuchs mein
Grimm über diese nichtige Erbärmlichkeit. Es war eine schreckliche Arbeit;
alle seine Kunstworte (_termini technici_), alle seine Wendungen, alle
seine Schnörkel und Arabesken, jene Kostüms, worein er seine Püppchen
hüllt, alle Nüancen der Sinnlichkeit und Lüsternheit, jenen feinen,
durchsichtigen Schleier, womit er dem Auge mehr _zeigt_ als _verhüllt_,
alle Schattierungen seines Stils, jenes kokettierende Abbrechen, jenes
Hindeuten auf Gegenstände, die man verschweigen will, dies alles und so
vieles andere mußte ich suchen, mir zu eigen zu machen. Ich mußte einkehren
auf seinen Bällen, bei seinen Schmäusen, ich mußte einkehren in seiner
Garküche und die rauchenden Pasteten, den dampfenden Braten, den
schmorenden Fisch beriechen, alle Sorten seiner Weine mußt' ich kosten,
mußte den Kork zur Decke springen lassen, mußte die "_brüsselnden Bläschen
im Lilienkelchglas auf- und niedertanzen_" sehen--und dann erst konnte ich
sagen, ich habe den Clauren studiert.

Dann erfand ich eine Art von Novelle in der Manier, wie Clauren sie
gewöhnlich gibt, etwas mager, nicht sehr gehaltvoll und dennoch zu zwei
Teilen lang genug. Notwendiges Requisit war nach den oben angedeuteten
Gesetzen 1. ein junger, schmächtiger, etwas bleicher, rabengelockter Mann,
unglücklich, aber steinreich; 2. die Heldin des Stücks, ein tanzendes,
plauderndes, naives, schönes, lüsternes, mitleidiges "Dingelchen", dem das
Herzchen alsbald vor Liebe "puppert", dem die Liebe alles Blut aus dem
Herzen in die Wangen "pumpt". (Welch gemeines Bild, von einem Weinfaß
entlehnt, eines Küfers würdig!) 3. ein _Spiritus familiaris_, wie wir ihn
beinahe in allen Claurenschen Geschichten treffen, ein altes, freundliches
"Kerlchen", das den Liebenden mit Rat und Tat beisteht; 4. ein neutraler
Vater, der zum wenigsten Präsident sein muß; 5. ein paar Furien von
Weibern, die das böse, eingreifende Schicksal vorstellen; 6. einige
Husarenleutnants und Dragoneroffiziere, nach seinen Modellen abkonterfeit;
7. ein alter Onkel, der mit Geld alles ausgleicht; 8. Bediente, Wirte _et
cetera_. So waren die Personen arrangiert, das Stück zu Faden geschlagen,
und jetzt mußte gewoben werden. Hier mußte nun hauptsächlich Rücksicht
darauf genommen werden, daß man sein Dessein immer im Auge behielt, daß man
immer daran dachte, wie würde er, der große Meister, dies weben? Das Gewebe
mußte locker und leicht sein, keiner der Charaktere zu sehr herausgehoben
und schattiert. Es wäre z. B. ein leichtes gewesen, aus Ida eine ganz
honette, würdige Figur zu machen; der Charakter des Hofrat Berner hätte mit
wenigen Strichen mehr hervorgehoben werden können; man hätte aus der ganzen
Novelle ein mehr gerundetes, würdiges Ganze machen können! Aber dann--war
der Zweck verfehlt. So flach als möglich mußten die verschiedenen
Charaktere auf der Leinwand stehen, steif in ihren Bewegungen, übertrieben
in ihrem Herzeleid, grell in ihren Leidenschaften, sinnlich, _sinnlich_ in
der Liebe. Jene Novelle an sich hat keinen Wert, und dennoch hat es mich
oft in der Seele geschmerzt, wenn ich eines oder das andere der gesammelten
"Zutätchen" einstreuen, wenn ich von keuschem Marmorbusen, stolzer
Schwanenbrust, jungfräulichen Schneehügeln, Alabasterformen _et cetera_
sprechen mußte, wenn ich nach seinem Vorgange von schönen von süßen "Kü--"
(was nicht _Küche_ bedeutet), von wollüstigen Träumen schreiben sollte,
wenn die Liebesglut zur Sprache kam, die dem "jungfräulichen Kind" wie
glühendes Eisen durch alle Adern rinnt, daß sie alle andern Tücher wegwirft
und die leichte Bettdecke herabschieben muß! Ich habe gelacht, wenn ich
nach Anleitung seines _Gradus ad Parnassum_ als Beiwort zu den Haaren
"kohlrabenschwarz" oder "Flachsperücke" setzen mußte, wenn man statt der
Augen "Feuerräder" oder "Liebessterne" hat, "Korallenlippen",
"Perlenschnüre" statt der Zähne, Schwanenhälse samt _dito_ Brust, Knie, die
man zusammen "kneipt", weil man vor Lachen "bersten" möchte; Wäd--und
Füßchen zum Kü--und dergleichen lächerlich gemeine Worte. Nachdem gehörig
_getollt, gejodelt, getanzt, geweint, abgehärmt_ war, nachdem, wie
natürlich, das Laster besiegt und die Tugend in einem herrlichen
Schleppkleide, mit Brüsseler Kanten, Blumen im Haare, auf die Bühne geführt
war, wurden als Morgengabe mehrere Millionen Taler, einige Schlösser,
Parks, Gründe _et cetera_ aufnotiert und Hochzeit gehalten. Da gab es nun
ein "erschreckliches Hallo, daß man nicht wußte, wo einem der Kopf stand";
es wurde trefflich gespeist und getrunken und das selige Liebespaar beinahe
bis in die Brautkammer befördert.

Das ist der Ur- und Grundstoff, wie zu jedem Claurenschen Roman, so auch
zum "_Mann im Mond_"; auf diese Art suchte er seinen Zweck zu erreichen,
durch Übersättigung Ekel an dieser Manier hervorzubringen; die Satire
sollte ihm Gang und Stimme nachahmen, um ihn vor seinen andächtigen
Zuhörern lächerlich zu machen. Mit Vergnügen haben wir da und dort bemerkt,
daß der "Mann im Mond" diesen Zweck erreichte. Jeder vernünftige,
unparteiische Leser erkannte seine Absicht, und, Gott sei es gedankt, es
gab noch Männer, es gab noch edle Frauen, die diese öffentliche Rüge der
Mimili-Manier gerecht und in der Ordnung fanden.

Öffentliche Blätter, deren ernster, würdiger Charakter seit einer Reihe von
Jahren sich gleich blieb, haben sich darüber ausgesprochen, haben gefunden,
daß es an der Zeit sei, dieses geschmacklose, unsittliche, verderbliche
Wesen an den Pranger zu stellen. Tadle mich keiner, ehrwürdige Versammlung,
daß ich, ein junger Mann ohne Verdienste, ohne Ansprüche auf Sitz und
Stimme in der Literatur, es wagte, den Hochberühmten anzugreifen. Steht
doch jedem Leser das Recht zu, seine Meinung über das Gelesene, auf welche
Art es sei, öffentlich zu machen; steht doch jedem Mann in der bürgerlichen
Gesellschaft das Recht zu, über Erscheinungen, die auf die Bildung seiner
Zeitgenossen von einigem Einfluß sind, zu sprechen.

Ich bin weit entfernt, mich mit dem großen jüdischen König und Harfenisten
_David_ vergleichen zu wollen; aber hat nicht der Sohn Isais, obgleich er
jung und ohne Namen im Lager war, dem Riesen Goliath ein steinernes
_Vergißmeinnicht_ an die freche Stirne geworfen, ihm in _Scherz_ und
_Ernst_ den Kopf abgehauen und solchen als _Lustspiel_ vor sich hertragen
lassen? Mir freilich haben die Jungfrauen nicht gesungen: "Er hat
Zehntausend geschlagen" (worunter man die Zahl seiner Anhänger verstehen
könnte); denn die Jungfrauen sind heutzutage auf der Seite des Philisters;
natürlich, er hat ja, wie Asmus sagt,

  "--Federn auf dem Hut
   und einen Klunker dran."

Selbst die jüdischen Rezensenten haben sich undankbarerweise gegen mich
erklärt. Leider hat ihre Stimme wenig zu bedeuten in Israel.

Gehen wir aber, in Betrachtung, wie es dem Mondmann auf der Erde erging,
weiter, so stoßen wir auf einen ganz sonderbaren Vorfall. Als dieses Buch,
dem neben der Weise und Sprache des Erfinders der Mimili-Manier auch sein
angenommener Name nicht fehlen durfte, in alle vier Himmelsgegenden des
Landes ausgegeben wurde, erwarteten wir nicht anders, als Clauren werde
"geharnischt bis an die Zähne" auf dem Kampfplatz der Kritik erscheinen,
uns mit Schwert und Lanze anfallen, seine Knappen und dienenden Reisigen
zur Seite. Wir freuten uns auf diesen Kampf; wir hatten ja für eine gute
Sache den Handschuh ausgeworfen. Vergebens warte ten wir. Zwar erklärte er,
was schon auf den ersten Anblick jeder wußte, dieser "Mann im Mond" sei
nicht sein Kind; aber statt, wie es einem berühmten Literator, einem
namhaften Belletristen geziemt hätte, wie es sogar seine Ehre gegenüber von
seinen Anbetern und Freunden verlangte, öffentlich vor dem Richterstuhl
literarischer Kritik, nach ästhetischen Gesetzen sich zu verteidigen,
begnügte er sich, als Gegengewicht das "Tornister-Lieschen" auf die
Wagschale zu legen, und ging hin, vor den _bürgerlichen Gerichten zu
klagen, man habe seinen Namen gemißbraucht. Hatte man denn die paar
Buchstaben _H. Clauren_ angegriffen? War es nicht vielmehr seine heillose
Manier, seine sittenlosen Geschichten, sein ganzes unreines Wesen, was man
anfocht? Konnten Schöppen und Beisitzer eines bürgerlichen Gerichts ihn
rein machen von den literarischen Sünden, die er begangen? Konnten sie mit
der Flut von Tinte, die bei diesem Vorfall verschwendet wurde, ihn
reinwaschen von jedem Fleck, der an ihm klebte? Konnten sie ihm, indem sie
ihm ihr bürgerliches Recht zusprachen, eine Achtung vor der Nation
verschaffen, die er längst in den Augen der Gutgesinnten verloren? Konnten
sie, indem sie genugsam Sand auf das Geschriebene streuten, das, was er
geschrieben, weniger schlüpfrig machen?

Wenn aber, andächtige Versammlung, der Gerichtshof H. Clauren als wirklich
vorhanden angenommen hat, so hat er damit nur erklärt, daß man Claurens
Namen nicht führen dürfe, daß es unrechtmäßigerweise geschehen sei,
daß man die acht Buchstaben, die das _non ens_ bezeichneten,
H. C. l. a. u. r. e. n., in derselben Reihenfolge auch auf ein anderes
Werk gesetzt habe. In einer andern Reihenfolge wäre es also durchaus nicht
unrecht gewesen, und wie viele Anagramme sind nicht aus jenen mystischen
acht Buchstaben zu bilden! z. B. _Hurenlac_ oder _Harnceul_. Der Geheime
Hofrat Carl Heun bezeugt eine außerordentliche Freude über diesen Spruch
und glaubt, somit sei die ganze Sache abgetan und _er habe_ recht. Wie
täuscht sich dieser gute Mann! War denn jene Satire, "der Mann im Mond",
gegen seinen angenommenen Namen gerichtet?--Namen, Herr, tun nichts zur
Sache; der Geist ist's, auf den es abgesehen war. Und die Richter vom
Eßlinger Gerichtshof konnten und wollten _diese_ entscheiden, ob die
Tendenz, die Sprache, das ganze Wesen von Seiner Wohlgeboren Schriften
sittlich oder unsittlich sei, ob sie Probe halten vor dem Auge, das
nach kritischen Gesetzen urteilt und nach den Vorschriften der Ästhetik,
in welches Gebiet doch die Schriften eines Clauren gehören? Der _Name_,
nicht die _Sache_ konnte nach bürgerlichen Gesetzen unrecht sein; aber
versuche er einmal, nachdem er mit Glück seinen _Namen_ verfochten,
auch seine _Sache_, den Geist und die Sprache seiner Schriften zu
verteidigen!--Bedenke:

  "Auch das Schöne muß sterben, das Menschen und Götter entzückte;
   Doch das Gemeine steigt lautlos zum Orkus hinab."

Wohl dem Namen Clauren, wenn er dann trotz so manchem Vergißmeinnicht
_vergessen_ sein wird; denn nach wenigen Jahrzehnten verschwindet der
_Scherz_, und _ernst_ richtet die Nachwelt. Da wird man fragen, von welchem
Einfluß war dieser Name aus seine Mitwelt? Was hat er für die Würde seiner
Nation, für den Geist seines Volkes getan? Und--man wird nach Werken, nicht
nach Worten richten.

Bei den alten Ägyptern war es Sitte, wenn man die Könige der Erde
wiedergab, Gericht zu halten über ihre Taten. Man hat in unseren Tagen
diese schöne Sitte erneuert, so oft einer unter den Dichtern, den Königen
der Phantasie, hinübergegangen war. Über Jean Paul vernahmen wir das schöne
merkwürdige Wort. "Gute Bücher sind gute Taten!" Wird man von Clauren
dasselbe sagen?

Doch genug davon! Noch hat weder Clauren, noch ein Gerichtshof der Erde den
"Mann im Mond" nach seinem innern Wesen widerlegt; wir sind begierig, ob
und wie es geschehen werde.

Und nun zum Schlusse noch ein Wort an euch, verehrte Zuhörer! Habt ihr bis
hierher mir aufmerksam zugehört, so danke ich euch herzlich; denn ihr
wisset jetzt, was ich gewollt habe. Schmerzen würde es mich übrigens, wenn
ihr mich dennoch nicht verständet, nicht recht verständet. Es möchte
vielleicht mancher mit unzufriedener Miene von mir gehen und denken: der
Tor predigt in der Wüste; sollen wir denn jeglichem heiteren Geistesgenuß
entsagen, sollen wir so ganz asketisch, leben, daß unsere Taschenlektüre
Klopstocks Messias werden soll?

Mitnichten! und es wäre Torheit, es zu verlangen; als der Schöpfer dem
Sterblichen Witz und Laune, Humor und Empfänglichkeit für Freude in die
Seele goß, da wollte er nicht, daß seine Menschen trauernd und stumm über
seine schöne Erde wandelten. Es hat zu allen Zeiten große Geister gegeben,
die es nicht für zu gering hielten, durch die Gaben, die ihnen die Natur
verlieh, die Welt um sich her aufzuheitern. Nein, gerade weil sie den
tiefen Ernst des Lebens und seine hohe Bedeutung kannten, gerade deswegen
suchten sie von diesem Ernste--trüben Sinn und jene Traurigkeit zu
verbannen, die alles, auch das Unschuldigste, mit Bitterkeit mustert.
Wirkliche Tiefe mit Humor, Wahrheit mit Scherz, das Edle und Große mit dem
heiteren Gewand der Laune zu verbinden, möchte auf den ersten Anblick
schwer erscheinen. Aber England und Deutschland haben uns seit
Jahrhunderten so glänzende Resultate gegeben, daß wir glauben dürfen, wenn
nur der Geschmack der Menge besser wäre, der Geister, die sie würdig und
angenehm zu unterhalten wüßten, würden immer mehrere auftauchen. Welchen
Mann, der nicht allen Sinn für Scherz und muntere Laune hinter sich
geworfen hat, welchen Mann ergötzt nicht die Schilderung eines sonderbaren,
verschrobenen Charakters? Wer erfreut sich nicht an heiteren Szenen, wo
nicht der _Verfasser_ lacht, sondern die Figuren, die er uns gezeichnet?
Wem, wenn er auch jahrelang nicht gelächelt hätte, müßten nicht Jean Pauls
Prügelszenen ein Lächeln abgewinnen? Auf der Stufenleiter seines Humors
steigt er herab bis in das unterste, gemeinste Leben; aber sehet ihr ihn
jemals gemein werden, wie Clauren auf jeder Seite ist? Walter Scott, der
Mann des Tages, der aus manchem Herzen selbst die Wurzel des
"Vergißmeinnicht" gerissen hat, Walter Scott treibt sich in den gemeinsten
Schenken des Landes, in den schmutzigsten Höhlen von Alsatia umher; aber
sehet ihr ihn jemals gemein werden? Weiß er nicht, wie jene
niederländischen Künstler, sogar das Unsauberste zu malen, ohne dennoch
selbst unreinlich und schlüpfrig zu sein? Könnet ihr nicht seine
Schilderungen, selbst an das Gefährliche streifende Situationen, jedem
Mädchen von Zucht und Sitte vorlesen, ohne sie dennoch erröten zu machen?

Solche Männer kommen mir vor wie anständige Leute, die durch eine
schmutzige Straße in gute Gesellschaft gehen sollen. Sie treten leise auf,
sie wissen mit sicherem Fuße die breiten Steine herauszufinden und treten
reinlich in den Hausflur, während Menschen wie Clauren, wilden Jungen oder
Schweinen gleich, durch dick und dünn laufen und, nicht zufrieden, sich
selbst beschmutzt zu haben, die Vorübergehenden besudeln und mit Kot
bespritzen.

Noch gibt es, Gott sei es gedankt, solcher reinlichen Leute genug in
unserer Literatur, gibt es der Männer viele, die mit Wahrheit und Würde
jene Anmut, jene Laune verbinden, die euch in trüben Stunden freundlich zu
Hilfe kommt. Oder solltet ihr vergessen haben, daß uns ein Goethe, ein Jean
Paul, ein Tieck, ein Hoffmann Erzählungen gaben, die sich mit jeder
Dichtung des Auslandes messen können? Hat euch der Vergißmeinnicht-Mann so
gänzlich gefesselt, daß ihr die schönen Blüten zahlreicher anderer Erzähler
nicht einmal vom Hörensagen kennt? Freilich, diese Männer verschmähten es,
ihre Blumen am Sumpf zu brechen oder ihre Farben mit dem Wasser einer
Pfütze zu mischen; sie fühlten, daß der Entwurf ihrer Gemälde anziehend und
interessant, daß die Stellung der Gruppen nach natürlichen Gesetzen zu
ordnen sei, daß selbst das Neue, Überraschende angenehm für das Auge sein
müsse. Zeichnung der Landschaft, nicht der Spiegel und Sofas, Schilderung
der Charaktere, nicht der Hüte und Gewänder, der Geist einer Jungfrau,
nicht der üppige Bau ihrer Glieder war ihnen die Hauptsache. Und darum
können wir auch ihre Bilder, wie jedes gute Buch, alle Jahre mit erneuertem
Vergnügen lesen, während uns der _Berühmte_ schon nach der ersten
Viertelstunde anekelt.

Man hat in neuerer Zeit in Frankreich und England angefangen, unsere
Literatur hochzuschätzen. Die Engländer fanden einen Ernst, eine Tiefe, die
ihnen bewunderungswürdig schien. Die Franzosen fanden eine Anmut, eine
Natürlichkeit in gewissen Schilderungen und Gemälden, die sie selbst bei
ihren ersten Geistern selten fanden. Faust, Götz und so manche herrliche
Dichtung Goethes sind ins Englische übertragen worden, seine Memoiren
entzücken die Pariser, Tiecks und Hofsmanns Novellen fanden hohe Achtung
über dem Kanal, und Talma rüstet sich, Schillers tragische Helden seiner
Nation vor das Auge zu führen. Wir Deutschen handelten bisher von jenen
Ländern ein, ohne unsere Produkte dagegen ausführen zu können. Mit Stolz
dürfen wir sagen, daß die Zeit dieses einseitigen Handels vorüber ist.

Aber müssen wir nicht erröten, wenn es endlich einem ihrer Übersetzer,
aufmerksam gemacht durch den Ruhm des Mannes, einfällt, ein
"Vergißmeinnichtchen" über ein Bändchen von "Scherz und Ernst" zu
übertragen? Mit Recht könnt' er in einer pompösen Anzeige sagen: "Das ist
jetzt der Mann des Tages in Deutschland, er macht Furor, _den_ müßt ihr
lesen!" Meinet ihr etwa, man sei dort auch so nachsichtig gegen
Lächerlichkeit und Gemeinheit, um diese Geschichtchen nur erträglich zu
finden? Welchen Begriff werden gebildete Nationen von unserem soliden
Geschmack bekommen, wenn sie den ganzen Apparat einer Tafel oder ein
Mädchen mit eigentümlichen Kunstausdrücken anatomisch beschrieben fanden?
Oder, wenn der Übersetzer in unserem Namen errötet, wenn er alle jene
obszönen Beiworte, alle jene kleinlichen Schnörkel streicht und nur die
interessante Novelle gibt, wie Herr N. die Demoiselle N. N. heiratet, was
wird dann übrig sein?

Schneidet einmal dieser Puppe ihre kohlrabenschwarzen Ringellöckchen ab,
preßt ihr die funkelnden Liebessterne aus dem Kopfe, reißt ihr die
Perlenzähne aus, schnallet den Schwanenhals nebst Marmorbusen ab, leget
Schals, Hüte, Federn, Unter- und Oberröckchen, Korsettchen _et cetera_ in
den Kasten, so habt ihr dem lieben, herrlichen Kinde die _Seele_ genommen,
und es bleibt euch nichts als ein hölzerner Kadaver, das Knochengerippe von
Freund Heun!

Und wenn ihr euch nicht vor fremden Nationen schämet, wenn ihr über das
deutsche Publikum nicht erröten könnet, so errötet vor euch selbst! Schämet
euch, ihr Männer, wenn ihr eure Langweile nicht anders töten könnet als mit
Hilfe dieses Clauren! Schämet euch, ihr Frauen, wenn ihr Gefallen finden
könnet an dieser niedrigsten Darstellung eures Geschlechtes! Schämet euch,
ihr Jünglinge, wenn ihr wahre Liebe in diesem Handbuche der Sinnlichkeit
wiederfinden wollet! Errötet, wenn ihr es in seiner Schule nicht verlernt
habt, errötet vor euch selbst, ihr Jungfrauen, eure Phantasie mit diesen
lüsternen Bildern zu schmücken! Es gibt eine moralische Keuschheit, eine
holde, erhabene Jungfräulichkeit der Seele. Man darf darauf rechnen, daß
ein Mädchen sie verloren hat, wenn sie Claurens Erzählungen gelesen.

Überlasset seine Schilderungen Dirnen, an welchen nichts mehr zu verlieren
ist. Man wird es ihnen so wenig übelnehmen, wenn sie ihn lesen, als den
Handwerksburschen, wenn sie auf der Straße unzüchtige Lieder singen.

Meine Zuhörer! Ich habe also vor euch gesprochen, weil ich nicht anders
konnte. Ich habe nicht auf Dank, nicht auf Lob gerechnet. Die Menge ist
vielleicht so tief gesunken, daß sie nicht mehr an solche Worte glaubt;
meine Stimme verhallt vielleicht in dem tausendstimmigen Hurra, womit man
in diesem Augenblick einen frischen Strauß "Vergißmeinnicht" empfängt.

Doch, wenn meine Worte auch nur auf einem Antlitz jene Röte der Scham
aufjagten, die wie die Morgenröte der Bote eines schöneren Lichtes ist,
wenn auch nur zwei, drei Herzen entrüstet sich von ihm abwenden, so habe
ich für mein Bewußtsein genug getan! Weiß ich doch, daß es in diesen Landen
noch Männer gibt, die mir im Geiste danken, die mir die Hand drücken und
sagen: "Du hast gedacht wie wir!" Amen.



***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK KONTROVERS-PREDIGT UEBER H. CLAUREN
UND DEN MANN IM MOND GEHALTEN VOR DEM DEUTSCHEN PUBLIKUM IN DER
HERBSTMESSE 1827***


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