Wir Menschen: Gedichte

By Walther Georg Hartmann

The Project Gutenberg EBook of Wir Menschen, by Walther Georg Hartmann

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Title: Wir Menschen
       Gedichte

Author: Walther Georg Hartmann

Release Date: June 15, 2016 [EBook #52335]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WIR MENSCHEN ***




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                        Walther Georg Hartmann




                             Wir Menschen


                               Gedichte




                      Kurt Wolff Verlag München




                  Bücherei »Der Jüngste Tag« Band 79

               Gedruckt bei Dietsch & Brückner, Weimar




             Copyright 1920 by Kurt Wolff Verlag, München




                                  I
                             Wir Menschen




                               Menschen


   Über die Berge rauschen schwankende Wälder,
   An die Küsten schlagen die Ozeane,
   Wolken ziehen weiß von Stadt zu Stadt,
   Und in die Ebenen fallen Winde ein. --
   Ausgeschüttet in die unendlichen Nächte,
   Die aufgewölbt strömendes Mondlicht tragen, --
               Wir Menschen,
   Veratmen wir uns aneinander.

   An Sonnen und Sternen drehen wir uns vorbei,
   Kleine Erde rollt unfühlbar durch kreisenden Raum,
   Glühende Endlichkeiten springen an uns vorüber,
   Und schwebendes Gleichgewicht trägt uns durch schimmernde Welten. --
   Aufgesogen von blauen, zitternden Tagen, --
               Wir Menschen,
   Werfen wir uns gegen Schöpfung und Ewigkeit.




   Wann wird der Mensch sich endlich ausgestalten,
   Daß alle Kraft in seinem Inneren kreist?
   O fremde Sehnsucht, stürmische Gewalten,
   Wir sammeln Schöpfung, die euch schweigen heißt!
   Bist du, mein Blut, denn meinen Adern fremd
   Und immer wieder treu uralten Säften?
   Bist, Seele, du noch immer eingehemmt
   Und immer nur noch Kraft in dunklen Kräften?
   Fühlst du, mein Atem, dich noch eingeengt
   Und suchst dich in des Himmels Wind zu drängen?
   Bist du, mein Traum, noch immer formbezwängt
   Und mußt das irdische Gesetz zersprengen?

   Wann wird der Mensch sich endlich ausgestalten,
   Daß alle Kraft in seinem Inneren kreist,
   Daß seine Adern alle Ströme halten?
   Wann endlich überflügelt sein Entfalten
   Die Sehnsucht, die ins Leere uns zerreißt,
   Daß wir uns Erde werden, Kraft und Geist?!




   Wir sind begraben
   Unter der Welt
   Wie unter dem riesigen Himmel der Sterne.
   Schicksale haben
   Uns ins Leben gestellt
   Wie in zerwehte, nachtdunkle Ferne.

   Nun fühlen wir,
   Daß etwas mit uns geschieht,
   Dem wir nicht gebieten;
   Daß dunkle Gier
   Uns in die Wirrnis von Taten zieht,
   Die wir nicht schmieden.
   Zuweilen denken wir lächelnd der toten Zier
   Von Wollen und Träumen, die nicht gerieten.

   Wir singen doch niemals unser eigenes Lied!
   Wir sagen doch niemals, was unsere Seele hält
   Als eigenstes Wort! -- Befehlende Tage haben
   Erstickt unsere Stimmen ...
                             Wir sind begraben
   Unter dem Übermaß der Welt.




                                Abend


   Jetzt geht Licht auf in allen Stuben,
   Und das tägliche Wunder macht alle zarter.
   Gesichter wenden sich zueinander,
   Die sich eben einsam im Dunkel vergruben.
   Tisch und Stuhl und Buch werden neu begonnen.
   Straße sinkt tiefenblau hinter spiegelnde Fenster.
   Gutes Allein-Sein in Stille perlt durch die Sinne,
   Als sei ein warmer, emsiger Hafen gewonnen.

   Ich sehe euch alle, Gesichter, erleuchtete Wangen, --
   Von einer Lampe mildem Licht bin ich mit euch umfangen.




                In den Tag wächst Liebe aus dem Traum


   In Nächten ausgeströmter Träume reisen
   Wir in das Ahnen, das der Tag uns bot.
   In Sternen schmilzt die Angst, die ihn umdroht,
   Die Dinge treten aus des Schicksals Not,
   Und Welt und Menschen lassen sich ergreifen.

   Leis drängt sich ein, was ohne Antwort blieb,
   Und viele Worte fließen zu Gesang.
   Was leer gefragt, wird als Geheimnis lieb.

   Die Seelen tauchen auf, an deren Saum
   Wir streiften, spenden tiefverwandten Klang.

   Und in den Tag wächst Liebe aus dem Traum.




                             Frühe Stunde


   Im Morgenhimmel schwammen die Sterne heilig und blau,
   Wind kam von Höhen und Bäumen feucht von Nacht.
   Träume liefen auf Straßen, geschreckt vom Tau,
   Und kindliches Wachsein ward in den Herden entfacht.

   Gelöst aus Schlaf und stillem Stubenlicht
   Ging jeder schwer noch mit sich selbst allein,
   Gewöhnte sich dem alten Angesicht
   Und schwand so wie die Sterne in den Tag hinein.




                              Begegnung


   Kann denn das sein: daß ich hingehe zu dir
   Unter dem Sternenhimmel,
   Durch wirbelnden Straßenklang
   Und Netze von Laternen,
   Hinreise wie zu der kleinsten Insel,
   Auf der wir uns treffen werden?

   Kann denn das sein: daß in tausendfacher Bewegung,
   Inmitten Millionen Menschen
   Und im Schwunge der Welten
   Wir uns begegnen
   In der schmalen Wärme des Händedrucks
   Und fühlen, wie wir uns anders nahe sind
   Als irgendeinem ...?




   Geliebte, auch du mußt das große Jahr
   In ungelöschten Adern fühlen.
   Ewige Stimmen wehen,
   Verblassende Bilder wühlen
   Aus tiefem Bleiben und tieferm Vergehen
   Empor.

   Wie wir uns vergruben,
   Ängstlich vor unserm Feuer,
   In Kissen und Haar
   Und dunkles, schwermütiges Nichts.
   Atem der Stuben
   War hütend um unsern Traum gestellt,
   Und leise aus scheuer
   Vergessener Welt
   Ans Fenster, verirrt und blind,
   Stieß Landstraßen-Wind.

   Und jeden Morgen fuhren wir aus
   Weit von den Häfen des Traumes
   In die blauen Buchten des Tages,
   Pflückten die Stunden zum bunten Strauß,
   Wandelten ohne Gewicht des Raumes
   In Straßen und Treppen und Haus.

   Und wie wir uns verweinten
   In Schmerz und Wut
   Tiefer nur ineinander.
   Nächte, schwer von unserm Blut,
   Da wir uns fern und tot vermeinten,
   Wild unsre Leben einten.

   In Tagen und Nächten
   Ein Strom, unaufhaltsam,
   Jagte gewaltsam
   Aus dunkelsten Schächten
   Unser Geschick.

   Geliebte! Der menschliche Bogen spannt
   Einig und klar sich von Hand zu Hand,
   Jeder ist Schöpfer, und jeder ist Kind,
   Solange wir sind.




                                Treue


   Leben, köstlich und stark immer wieder aufs neue,
   Leben durchrinnt mich kühl
   Wie lösender erster Gewitterwind.
   Durch Schmerz und Lust wechsle ich wie ein Kind,
   Doch daß ich innig im fernsten und nächsten Gefühl
   Mich verliere -- das ist meine Treue.




                                Mütter


   Mutter, ich weiß ja noch,
   Wie ich, ein Knabe,
   Aus deinem Schoße stieg
   In das Märchen der Blumen
   Und aus den Kissen entwehte
   Im Kindertraum
   Von Mohn und Vergißmeinnicht.

   Du aber wachtest durch blasse Nächte,
   Und über deinen Worten schwebte
   Die Träne des Todes schon.

   War es deshalb so süß,
   Ihrer Sanftheit zu lauschen
   Und einzuschlafen
   Unter deiner verwehenden Hand?

   Und wie kommt ihr nun wieder,
   Wehmut-heilig,
   Aus dem Vergangenen --
   Mutter und Märchen!




   In jeder Stunde kannst du Schicksal lösen,
   In jede Stunde Wunder niederstürzen,
   Dich in die Güte finden mit den Bösen,
   Das Leid der Welt zu einem Lächeln kürzen.

   Leg nur die sanfte Hand auf einen Scheitel
   Und sag das Wort, das dir im Herzen brennt,
   Geh hin und sprich:
                       Ach, aller Schmerz ist eitel.
   Ich bin dir gut. --
                       Es blüht das Firmament.




                                  II
                               Die Zeit




                          Mein Bruder Feind!


   Sie haben ein Tuch zwischen uns gehängt,
   Mein Bruder,
   Durch das unsre Degen nach unsern Herzen bohren.
   Wir wollen uns vergeben,
   Die wir lieben,
   Daß die Waffe so streng unsern Willen zerschnitt.

   Sie haben die Macht, die Sprecher der Staaten,
   Daß wir töten einer den andern,
   Aber nicht,
   Daß wir uns hassen, mein Bruder!

   Ich liebe dich
   Um deines Lebens willen, warm wie das meine,
   Um aller Sehnsucht willen, deiner Mütter und Schwestern,
   Um deiner Arbeit willen, still und schwer wie die unsre,
   Um deiner Schmerzen willen liebe ich dich,
   Mein Bruder.

                                                                (1914)




   Am blassen Morgen fühlt ich mich entstehen
   Aus Nacht und Schlaf,
   War mir die Welt ein jugendliches Wehen,
   Das hold mich traf,
   Erlernt ich wieder: Berg und Haus und Baum
   Wie Tief-Vergessenes
   Und faßte Wirklichkeit nach blindem Traum
   Wie Nie-Besessenes.

   Da grüßte ich die Schöpfung brüderlich,
   Die mir erschienen,
   Ding schmiegte lächelnd sich an Ding, -- und ich:
   Ding zwischen ihnen.

                                                                (Laon)




                              Regennacht


   Über uns Millionen Soldaten sinkt Regen.
   Wolken und Tote hauchen dumpfen Geruch,
   Blutrieseln singt.
   Sternloser Himmel plätschert in Trichtern und Gruben,
   Trostloser Wind weht Nebel und Stöhnen in Schlaf.
   Aber neben uns wacht der Posten: Verzweiflung.
   Weit hinter den Gräben rattern Kolonnen auf Straßen,
   Die wie schmale Brücken im endlosen Elend stehn.
   Granaten fegen durchs Spiel der schwebenden Feuer.
   Ein Gewehr schreit vor Haß.

   Seit wieviel hundert Jahren stehn wir im Tode,
   In diesem trägen Sumpfe von Hirn und Blut?
   Regen rieselt über uns Millionen Soldaten.
   Nacht fröstelt in uns und ermüdeter Schmerz.
   Das Land dunkelt fremd und kennt uns nicht.

                                                         (Verdun 1916)




                     Geschlechter, ihr nach uns!


                                  1

   Von schmerzlicher Welt durchbohrt,
   Unfaßbar von Leid überströmt,
   Ruf ich dich, Gott.
   Geist, zu dem als Kinder wir beteten,
   Geist, in dessen Brand als Jünglinge wir dich verneinten,
   Geist, der erneut uns zuwuchs aus hartem Gestein
   In der Jahre Erkenntnis und Tat.

   Verhetzt von Qual, Mensch gegen Mensch
   Ist aufgebäumt,
   Gegeneinander gerissen in Wut,
   Die das eigene Herz zerreißt.
   Erniedrigt in Neid, zermartert in Haß
   Hör' ich ausgestoßen
   Worte der Feindschaft
   Aus verzweifeltem Munde.

   Ich rufe dich, Gott.
   Unter Wolkenzug steh ich,
   Horizont kreist berg-blau um meine Augen.
   Ich rufe die Hand, die herunter greift
   Und Segen austeilt durch ein einziges Wort,
   Durch ein Wort, das sieghaft wär
   Aus dem Reiche der Ewigkeit:

   Menschen!


                                  2

   Nicht über die grausam tätigen Hände allein
   Ergieße dich, helfender Geist!
   Nicht über die donnernde Feindschaft der Stirnen allein,
   Die unterm Tage hassend zusammenschmettern.

   Doch in die Herzen stürze,
   In die verborgensten Falten,
   Wo bittre Worte aufgären wie Fäulnis,
   Wo böse Tat aufkeimt in verstecktester Feindschaft,
   Wo liebeleer Wille aus bleichen Wurzeln sich nährt.

   Überschütte doch,
   Hülle doch
   Alle heimlichste Bitterkeit
   In jedem Herzen, in jedem Sinn,
   Auch in dem meinen,
   Mit deinem Lichte!


                                  3

   So wie ich hier steh, -- ein Mensch, der wenig geliebt wird,
   Und bin nicht Mutter, die Kinder in dieses gierige Leben geboren,
   Und bin nicht Vater, der Träume in tätige Söhne geschaffen,
   Und nicht Geliebter, dem Herz und Wille in sanfteste Hand gegeben,
      --
   Ich bin ein Mensch nur, der fremd und wenig umschlossen
   Mit anderen Gästen der Erde den Tag verbringt:

   Ich kann den Haß dieser Welt doch nicht mehr tragen,
   Ich kann die Qual geheimster Verfeindung nicht mehr ersticken,
   Ich werfe mich wild von Leid und Liebe zwischen die meuternden
      Menschen
   Und weine.


                                  4

   Die Zeit steht ehern wie ein Koloß,
   Läutet und dröhnt den unerbittlichen Donner,
   Übertürmt die wütend flehenden Hände.
   Die an ihr reißen.

   Wenn Sonne emporschießt wie eine Fanfare,
   Wenn die Sterne ihr schweigendes Gloria klingen,
   Wenn der Wind über Länder sich biegt, --
   Zeit steht, Zeit geschieht, Zeit braust
   Und bleibt errichtet,
   Drückt uns die Zentnerlast auf versagende Nacken.

   Wir werden verzweifeln müssen.


                                  5

   Stürze zusammen unsichtbarer Bau,
   Gewölbt aus Menschsein und einigstem Gefühl!
   Stürze zusammen, heilige Spannung
   Über Herz und allverständlichem Wort!

   Stürze zusammen, Bogen des Lebens,
   Aufsteigend und ruhend über uraltem Grund!

   Stürze zusammen, lichtes Gewölbe,
   Gefügt aus Erkenntnis rollender Zeiten!

   Kein Boden trägt mehr,
   Kein Land ruht mehr
   In Flut und Getöse.
   Weggerissen in Brandung von Schrei und Angst
   Zerbirst das Gefüge der Welt.

   Nicht Haß hat gesiegt, -- aber Verzweiflung!

   Verzweiflung zerrüttet den Bau der Welt.


                                  6

   Es gehen Engel in den Städten um.
   Und sei's nur _einer_ in den tausend Straßen,
   Nur _einer_, dessen Auge Wahrheit leuchtet,
   Und dessen Herz im Gang der Welten schlägt, --
   Es bieten reine Hände sich ins Leben,
   Und reine Stimmen sagen ew'ge Namen.

   Doch die Gnade des Glaubens ist uns versagt,
   Zu fremd die Liebe, der die Hand sich böte.
   Eingefressen in die tiefsten Adern
   Treibt die Not den toten Gang
   Und vergiftet jeden Wunders zartesten Keim.

   Es gehen Engel in den Städten um.
   Vergebens!


                                  7

   Preßt den Ring des Verzichts um das stürmende Herz!
   Nehmt die Hand aus den Händen, die man euch reichte!
   Schreitet hinunter in die brodelnde Zeit!
   Vergebens Geduld und Schrei und Gebet,
   Erfülle dich, tobender Abgrund!

   Nicht _wir_ mehr halten und retten,
   Nicht _uns_ mehr spannt sich der himmlische Bogen,
   _Wir_ sind verdammt.

   Aber, Geschlechter ihr, nach uns,
   Hebt euch auf aus unserem armen Blut,
   Aus dem Schutt unsres Schmerzes
   Mit euren Stirnen in das Schneelicht der Gerechtigkeit.


                                  8

   Aber Geschlechter ihr, nach uns, hebt euch auf aus unserem dumpfen
      Streit!
   Unsern Wunden ist der Lohn versagt,
   Über unsern Schlachten stand kein Stern,
   Über unsern Scharen keine Liebe.
   Unsre Sünde trat den Glauben nieder.

   Aber Geschlechter ihr, nach uns, euch vertrauen wir.
   Wir strömen alle Hoffnung euch ins Blut,
   In euere Geburten alle Liebe,
   In euren Aufgang alle reinste Tat.

   Des Menschen ew'ges Sternbild steig euch auf!




                                 III
                             Lobpreisung




                      Preis der Vergänglichkeit


                                  1

   Ich bin vergänglich, und ich _will_ vergehn,
   Auslöschen wie eine Lampe
   In den roten Morgen,
   Wenn meine Nacht um ist;
   Abklingen wie ein Ton,
   Wenn der Bogen absetzt.

   Ich bin vergänglich, und der Gedanke
   Des Gesetzes berauscht mich.
   Abgleiten will ich wie eine Fahne,
   Die vom Maste sinkt
   In den Lüften des Hafens;
   Wie Rauch der sich hebt
   Von gestillter Flamme.

   Ich bin vergänglich, und selig bin ich,
   Hinwegzugehen gleich allem Lebendigen,
   Wie eine Wolke mich auszuregnen ins Land,
   Wenn mein Wind still ist.


                                  2

   Wir haben kein Recht zum Schmerz!

   Welten schwingen sich durch die Nacht.
   Abende kommen und Sonnen.
   Fahnen wehen im Winde. Und Fenster trinken
   Den Himmel. Und Lampen lächeln geduldig
   Vergessenen Stuben --
   Unvergänglich.
   Was vorbestimmt lag im Geboren-Sein,
   Hüllt sich leis in Geschick und Erfüllung.
   Seelen wandern vorbei an den Jahren,
   Und Geist wächst in die Formen der Erde
   Unvergänglich.
   Und Liebe ist -- nicht deine Liebe --,
   Und Augen erwachen -- nicht nur die deinen --,
   Und Schmerz ist, -- nicht dein Schmerz --,
   Schmerz ist und Seligkeit
   Unvergänglich.




                                Wunder


   Glocken klangen an und riefen,
   Türme sangen leis im Wind.
   Stimmen wundersam verliefen
   Sich im Traum der Straßentiefen,
   Tasteten beseelt und blind.

   Menschen aneinander rührten,
   Ließen Wunsch und Lust entgleiten;
   Bang noch, daß die scheu verspürten
   Sie in Wunder fremd entführten, --
   Schon im Wunder sank ihr Schreiten.

   Helle Fenster warfen Blüten,
   Klänge bauten Spiegel auf.
   Sterne überm Dach versprühten,
   Augen ineinander glühten,
   Sprengten letzte Siegel auf.




                                Musik


   Zu hundert Gipfeln bin ich aufgestiegen,
   In hundert Täler weich hinabgerauscht.
   Landschaften sah ich in den Wind gebauscht
   Und Felder friedvoll in der Sonne liegen.

   Verschränkte Stimmen, wundersam vertauscht,
   Entflogen vogelgleich aus Wälderwiegen.
   Posaunen schrien aus sturmdurchwühlten Siegen,
   Und Worte sangen, Nächten abgelauscht.

   Wie Silberflüsse liefen Melodien
   Ausbuchtend durch das ungewisse Land,
   Geleiteten wie fromme Führerhand.

   Doch fern wie Wolken zogen Harmonien,
   In keine dinggewohnte Form gespannt:
   Nur Gruß und Farbe von dem andern Strand.




                             Fünf Sonette


                                  I

   Der Wind hat feierlich die Welt entfaltet,
   Und alle Farben prunken unterm Licht.
   Von Bäumen, Rasengrün und Dächern bricht
   Der Glanz, noch eh er sich zur Form gestaltet.

   Und wenn ihr durch die Straßen geht, behaltet
   Ihr keines Dinges Namen noch Gewicht:
   Nur Fensterspiegeln, Wolken, ein Gesicht,
   Und die Bewegung stark und unveraltet.

   Von steilen Dächern rinnt die Sonne, prallt
   Wie ein Trompetenstoß auf Mensch und Wagen
   Und springt zurück vom hastigen Asphalt.

   Markisen, rot- und weiß-gestreifte, schlagen
   In mächtgen Wogen, und der Himmel wallt
   Wie eine Fahne, -- üppig und getragen.


                                  II

   Wenn sich die Türme alt, barock und schlank
   Ganz selig in die Abendwellen heben,
   Dann zu den wunderzarten Wesen streben
   Entzückte Blicke auf und sagen Dank.

   Von Brückenbögen, Dampfer, Park und Bank
   Wehn Grüße auf in festlichem Erleben,
   Und von den kupfergrünen Dächern schweben
   Jahrhunderte und Freuden, sanft und schwank.

   Durch die Theaterstunde, die, noch hell,
   Die Lichter aufgesteckt vor den Portalen,
   Rollen die Wagen, -- aber voll und schnell

   Erraffen noch die Augen dieses Grüne,
   Dies Gold, das Türme vor den Himmel malen;
   Und fühlen's noch in Licht, Musik und Bühne.

                                                             (Dresden)


                                 III

   Und um die Städte breitet sich das Land
   Mit Wäldern, Äckern, wolkenüberzogen,
   Mit Bergen, die in fernem, zartem Bogen
   Vor einem großen Himmel ausgespannt.

   Da sind wir plötzlich für die Welt entbrannt,
   Und leicht wie Vögel landwärts ausgeflogen
   Entwehen wir durch Wind und Sonnenwogen,
   Und Leben fließt wie Gold durch unsre Hand.

   Nie bist die Straßen du so leicht geschritten,
   Alleen, ganz von Weiten eingesäumt!
   Nun bist du dir und jedem Sein entglitten,

   Verstehst der Schwalben Tage und der Bienen,
   Bist tief in Blütenbäume eingeträumt
   Und bist der Duft, das Licht, das Lied in ihnen.


                                  IV

   Da liegen vor mir die verschollenen Jahre,
   Da man von Wald und Strom und Hörnern sang,
   Da Dichter ihrer Heimat Dorf am Hang
   Erträumten, drin sie Kind und selig waren.

   Da seh ich Wege, hell von stillen Paaren,
   Die schwärmen Arm in Arm den Wald entlang,
   Da höre ich der Glocken Morgenklang
   Den Geist der Andacht heimlich offenbaren.

   Und alles ist wie Vers aus alten Schriften,
   Wie liebe Zeilen, die man lächelnd sieht,
   Wie Reime nur von Berg und Strom und Triften,

   Und sind doch alles Unvergänglichkeiten!
   Wie nah ist mir dein Herzschlag und dein Lied,
   Mein Bruder du aus jenen sanftern Zeiten!


                                  V

   Ein einz'ges kleines Wölkchen sah ich stehen
   Hoch über meiner kühlen Rast im Gras;
   Das schwebte selig, wie gesponnen Glas,
   Und ließ den Wind durch seine Flocken wehen.

   Ich sah es weiß im ew'gen Blau sich drehen,
   Das leise seinen feinen Rand zerlas,
   Umschmeichelte mit seinem Übermaß,
   Daß es zerfloß in sonnigem Zergehen.

   Und wie als Kind erblickt' ich Bild um Bild:
   Nun war es Roß, nun Krone, Zelt und Greif,
   Um immer leichter, lichter, ungestillt

   Ganz zu zerfließen wie in lauter Raum:
   Es hob sich auf, ein blau-durchstrahlter Streif, --
   Und nun war alles Bläue ohne Saum.




                           Die selige Erde


                                  1

   Der Schwung der Erde
   Ist jung und gut.
   Die blonden Tage,
   Die duftenden Nächte
   Wiegen uns zärtlich
   Durch stiebenden Raum.
   Wimpel entwehen
   Den glücklichen Augen,
   Brüste verschmiegen
   Sich weich in den Wind.
   Kaum noch an Sohlen,
   Kühlen und schwingenden,
   Haftet uns Boden,
   Hält uns der Ball.
   Blau um die Stirnen
   Schlingen die Himmel
   Uns flatternde Bänder,
   Und die Gestirne
   Zischen wie Funken
   In unserm Blut.


                                  2

   Die Hand gib mir,
   Daß wir uns halten
   Und im Entwirbeln
   Nicht verlieren,
   Mein Bruder, du,
   Du Irgendwer,
   Geliebte du,
   Du Irgendeine.
   Die Hand gib mir,
   Wir fahren schnell
   Wir Menschen durch die blassen Räume,
   Und unser Atem bleibt uns nicht.
   Die Hand gib mir,
   Daß Himmelfahrt
   Durch unser beider Pulse ströme,
   Der Himmel weht durch deine Locken,
   Ich greife ihn.

   Die Hand gib mir,
   So schweben wir
   Im blauen Flug,
   Der unser Leben ist.


                                  3

   Schiffe aus bunter Musik
   Zittern in schwellenden Segeln,
   Heben die Brust aus den Wellen
   Und rauschen dahin.

   Golden umstäubt von den Straßen,
   Traben die glänzenden Wagen,
   Klirren die Räder der Reise
   Durch offene Welt.

   Gärten erklingen von Liebe,
   Küssen sich Kinder und spielen,
   Nahen sich Menschen und Tiere
   Mit wissendem Blick.

   Und die wandernden Schwalben
   Biegen die Himmel zusammen,
   Fremdester Zonen Geheimnis
   Zu unserem Land.


                                  4

   Hell-türmige Städte
   Halten sich nicht,
   Auch sie fliegen auf
   In den göttlichen Raum.
   Die silbrigen Wälder,
   Die alten und guten,
   Sie schicken sich rauschend
   In sphärische Fahrt.
   Die Ströme treiben
   Die Meere zum Himmel,
   Die glückliche Erde
   Wirft Wolken empor.
   Die dunkelen Menschen,
   O siehe, die schwersten,
   Nimmt heiter und gütig
   Und ungemerkt
   Der zärtliche Hauch
   In den Träumen mit.


                                  5

   Ich fühle leise
   Das Zittern der Erde
   Wie eines Dampfers
   Auf emsiger Fahrt:
   In der Weite des Meeres
   Wellend in Schnelligkeit.
   Die köstlichste Stunde,
   Hinter uns bleibt sie,
   Reißt uns vom Munde
   Der Wind des Flugs.

   Biegt euch kühn
   Über schäumenden Bug!
   Zukunft zerteilt sich
   An unsrer rauschenden Brust.




               Von Walther Georg Hartmann
               erschien im Verlag von
               Rudolf Kaemmerer, Dresden:

                          DER
                    BEGEISTERTE WEG

               mit sechs Holzschnitten von
               C. von Mitschke-Collande








End of the Project Gutenberg EBook of Wir Menschen, by Walther Georg Hartmann

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