Sommerleutnants : Die Geschichte einer achtwöchigen Übung

By Walter Bloem

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Title: Sommerleutnants
        Die Geschichte einer achtwöchigen Übung

Author: Walter Bloem

Release date: February 16, 2025 [eBook #75388]

Language: German

Original publication: Leipzig: Grethlein & Co. G. m. b. H, 1910

Credits: Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SOMMERLEUTNANTS ***



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                     Anmerkungen zur Transkription.

Das Original ist in Fraktur gesetzt; Schreibweise und Interpunktion des
Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler
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und =fettgedruckte= so.

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                            Sommerleutnants


                Die Geschichte einer achtwöchigen Übung


                                  von


                             Walter Bloem




                            [Illustration]




                 Grethlein & Co. G. m. b. H. Leipzig.


            Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung,
                 von der Verlagshandlung vorbehalten.
              +Copyright 1910 by Grethlein & Co. Leipzig+




                              Erstes Buch




                            Erstes Kapitel.


Unter der weiten Halle des Zentralbahnhofs der rheinischen Garten-
und Künstlerstadt schritt in früher Spätsommermorgenstunde ein junges
Paar den Bahnsteig auf und ab. Reisefreude leuchtete in den Augen
des Mannes -- doch er dämpfte sie um der Abschiedswehmut willen, die
durch des Mädchens Worte zitterte und immer wieder von Zeit zu Zeit in
raschen Perlen aus den hellen Augen auf das Spitzengewoge des lichten
Sommergewandes niedertropfte.

Zwei schlanke Gestalten, so recht für einander gewachsen! Sie im Glanz
ihres Sommerschmucks, in der zierlichen Grazie ihrer zwanzig Jahre das
gehütete, gepflegte Kind einer von den Schranken der Satzung umhegten
Welt. Er -- nun ja, er ...

Die Uniform stammte aus dem ersten Schneideratelier, die Lackschuhe
blitzten. Die Mütze, keck auf das rechte Ohr gesetzt, war neuesten
Modells, die Haltung soldatisch straff.

Und dennoch: selbst ein nicht gerade militärisch geschultes Auge
erkannte von weitem schon, daß der Träger dieser blinkenden
Herrlichkeiten doch -- kein so ganz richtiger Leutnant war. Es war
nicht das helle Kolorit der Gesichtsfarbe allein -- denn zu Anfang
August weisen die berufsmäßigen Träger der Leutnantsuniform allesamt
schon ein tiefes Braun auf -- es war nicht allein eine gewisse
Gezwungenheit der Haltung, die verriet, daß diese elegante Gestalt
des Uniformtragens seit längerm entwöhnt sein mußte. Es waren nicht
allein die lebhaften Bewegungen der vielfach mitredenden, energisch
gestikulierenden Hände, es war auch in dem feurigen Gesicht mit dem
militärisch verschnittenen Schnurrbart und dem vorschriftsmäßig
durchgescheitelten Blondhaar ein Ausdruck von Selbständigkeit
und kühnem Lebensdrang -- all das miteinander verriet dem feiner
beobachtenden Auge, daß dieser Leutnant eben ein Leutnant der Reserve
war.

Das blieb auch den Soldaten nicht verborgen, die in dieser Morgenfrühe
auf dem Bahnhof der Garnisonstadt zu schaffen hatten. Da waren
Burschen, Ordonnanzen, Vizefeldwebel, die zu den Schießständen
hinauswollten. Alle diese Uniformträger erwiesen dem Offizier
pflichtschuldigst die Ehrenbezeugung, und zwar stramm; denn der in der
Leutnantsuniform sah nicht aus, als ob er mit sich spaßen ließe. Aber
wenn sie an dem Vorgesetzten vorüber waren und in ihren Schlendertrott
zurückfielen, dann spielte doch um eines jeden Lippen ein gewisses
Schmunzeln, das die Erkenntnis andeutete, man nähme diesen Offizier
eigentlich nicht so ganz ernst.

Und auch das junge Weib an der Seite des Mannes schien die
Uniformherrlichkeit ihres Erkorenen nicht allzu tragisch zu nehmen;
denn jedesmal, wenn ein Unteroffizier oder Soldat in die maskenhaft
erstarrte Haltung der Ehrenbezeugung vor ihrem Gefährten zusammenfuhr,
konnte sie nur mit Mühe ein Lächeln verbergen, das plötzlich ihr
tränenzuckendes Gesichtchen überzog; und diesem Gefühl gab sie
Ausdruck: »Weißt du, Martin, ich will ja nicht behaupten, daß dir die
Uniform nicht stände, aber -- sei mir nicht böse -- in Zivil gefällst
du mir zehnmal besser!«

»Das glaub' ich«, lachte ihr Verlobter. »Ich hab' den Rock Seiner
Majestät fünf Jahre lang nur mal gelegentlich zu Offizier- und
Kontrollversammlungen getragen! -- aber laß mich nur erst mal ein paar
Wochen wieder drin stecken! Gib acht, wenn ich nächstens auf Urlaub zu
dir komme, dann sollst du dich deines Reservemannes nicht zu schämen
brauchen.«

»Ach ja,« sagte das Mädchen, »komm recht bald, sonst halt' ich's nicht
aus ... du gehst ja fort, Liebster, du gehst fort ... ach, ich darf gar
nicht dran denken, sonst --«

»Aber Mädel,« sagte Martin, »aber Mädel --«

Wieder blitzten Tränen aus den leuchtenden Augen der Braut.

»Weißt du denn nicht,« fuhr er fort, »was morgen in acht Wochen ist?!«

Da schlug Agathe die Augen nieder unter dem hoffenden, verlangenden
Blick, der sie getroffen, und konnte nicht wehren, daß ein feines Rot
immer tiefer ihre flaumigen Bäckchen überzog. »Ach, Martin, ich glaub's
ja nicht eher, als bis wir endlich so weit sind ... eher glaub' ich's
nicht ...«

»Na freilich, lang genug hat's gedauert, bis die Herren Eltern
eingesehen haben, daß ein Maler nicht notwendig der Antichrist in
Person ist --!«

Eine Wolke finstern Unmuts lag auf einmal unter dem blitzenden
Lackschirm der Offiziermütze. Sie sprach von kaum verwundenen
Bitterkeiten ... von harten Kämpfen um ein endlich doch ertrotztes
Glück ... Die lachenden Lippen hatten sich jählings fest geschlossen,
und unwillkürlich stieß die Linke die Säbelscheide klirrend auf die
Fliesen des Bahnsteigs.

»Laß, Liebster,« mahnte die Braut erschrocken, »jetzt nicht daran
denken ... ist ja nun alles überstanden!«

»Ach, Mädel,« sagte der Maler, »das alles vergess' ich erst, wenn ich
dich hab' ... wenn ich dich ganz hab' ...«

»In acht Wochen,« hauchte die Braut, »morgen in acht Wochen!«

Sie richtete rasch das glühende Köpfchen auf, sah dem Geliebten tief
ins Auge und sagte voll eindringlichen Ernstes: »Martin, ich weiß, was
für ein toller Bursch du bist! -- Versprich mir eines: Verspar dich für
mich ... nicht zu wilde Sachen machen, verstehst du mich? ... keine zu
unruhigen Pferde reiten ... nicht wieder durch jeden See schwimmen,
der am Ruhetage gerade zu erreichen ist, und« -- mit halb mütterlich
besorgtem, halb schwesterlich schwärmerischem Lächeln -- »nicht zu
viel trinken, verstehst du? ... Jedesmal, wenn du eine Flasche Sekt
bestellen willst, denk: ich werd' sie mir sparen, um sie hernach mit
meiner kleinen Frau auf der Hochzeitsreise zu trinken! Willst du mir
das versprechen, Schlingel du ...?«

Martin hätte in diesem Augenblick weit mehr versprochen, wenn es hätte
sein müssen ...

Ach, wie rasch war dies Aufflackern schelmischer Mädchenlust von dem
zierlichen Gesichtchen verflogen, als nun eine Bewegung unter der
harrenden Menge der Fahrgäste, als ein hurtiges Rollen von Gepäckkarren
und ein fernes Brausen die Ankunft des Zuges verkündete, der ihr den
Ersehnten auf acht Wochen entführen sollte!

Fest schmiegte sich das liebe Kind an den blauen Überrock ihres
Reserveleutnants. Wieder standen Tränen in ihren Augen, als sie mit dem
Ausdruck rücksichtsloser Sehnsucht ihr Antlitz zu ihm emporhob: »Behalt
mich lieb, du ... hörst du ... behalt mich lieb ...!«

Da faßte er ihre beiden Hände und gab ihr den Abschiedskuß. »Morgen in
acht Wochen, du, morgen in acht Wochen!«

                   *       *       *       *       *

Als eine Wendung des Zuges den Bahnhof und den weißen, winkenden Fleck
inmitten wimmelnder Menschenmenge dem Blick entrückt hatte, ließ der
Reisende sich mit einem tiefen Aufatmen in die grausammetnen Polster
fallen. Er war zum Glück allein -- dehnte sich und streckte alle
Glieder in einem Gefühl unbeschreiblichen Behagens. Herrgott, war er
glücklich ...!

Endlich überstanden, dieser zweijährige Kampf um dies Mädchen, das
er, er, der Verwöhnte, der vielgefeierte junge Künstler, aus den
hundert Gestalten, die ihn werbend umdrängten, sich ersehen hatte zur
Gesellin seines ruhelosen Daseins. Nach einer harten Jugend voller
Kampf, die ihn aus der behaglichen Enge des evangelischen Pfarrhauses
einer kleinen bergischen Stadt hinausgeführt hatte in das wogende
Dasein eines werdenden, machtvoll sich aufwärts ringenden Künstlers,
war er seit kurzem an einem ersten Ziel ... Im Hauptsaal der Sezession
in Berlin hingen seit dem Frühjahr allbestaunt nebeneinander zwei
große Damenporträts von seiner Hand, die er mit weisem Bedacht als
verblüffende Pendants für die Ausstellung in gleichem Format und Stil
geschaffen hatte, obwohl sie bestimmt waren, an ganz verschiedene
Plätze zu gelangen. Zur Linken die blonde Brünhildengestalt der Gräfin
Amalie von der Schulenburg, einer Vollblutgermanin, eines Sterns
der niederrheinischen Aristokratie, und neben ihr: die tiefbrünette
und ebenso tief dekolletierte Rasseschönheit der Frau Kommerzienrat
Mannheimer, der elegantesten und interessantesten Frau der Börsenkreise
in Frankfurt am Main ...

Die Kritik hatte beide Bilder schlechthin als meisterlich gefeiert. Das
Publikum wurde nicht satt, die Werke zu bestaunen, die ihren Schöpfer
zum berufensten Verkünder des modernen weiblichen Schönheitstypus
stempelten und in die vorderste Reihe der zeitgenössischen
Porträtmalerei geführt hatten.

Den ganzen Sommer über war Martin Flamberg von einem Hochsitz des
Kapitals zum andern gezogen und hatte die erlesensten Exemplare
glänzender Weiblichkeit mit einer Kunst festgehalten, die, weit
entfernt von weichlicher Schmeichelei und Schönfärberei, doch ihre
Gegenstände über die Sphäre gemeiner Wirklichkeit in eine Region
idealer Kultur hineinzuheben verstand.

Und erst dieser junge Ruhm und seine notwendige Folge, das elementare
Anschwellen seines Bankkontos, hatten den langjährigen Widerstand des
Oberlandesgerichtspräsidenten, Geheimen Oberjustizrats Doktor van den
Bergh und seiner freiherrlichen Gattin gebrochen und so dem trotzigen
Zueinanderwollen zweier Menschen den Sieg gebracht, deren Verbindung
ein Schlag ins Gesicht des Schicksals zu sein schien.

Der alte Präsident war der Typus eines starren ostelbischen
Bureaukraten, und ihm wie seiner Frau war der Gedanke, ihre Einzige an
der Seite eines Künstlers zu sehen, fast gleichbedeutend geworden mit
dem völligen Verzicht auf die Liebe ihres Kindes.

Sie hatten es mit ansehen müssen, wie ihr Mädchen sich angesichts ihrer
Weigerung schrittweise völlig von ihnen loslöste und in eine andere
Welt hinüberwuchs, für deren Lebensgesetze ihnen auch der Schatten des
Verständnisses abging. Sie hatten sich bis zur Verzweiflung gegen diese
Schickung gewehrt und sich erst besiegt gegeben, als der Erwählte ihrer
Tochter ihnen ziffermäßig beweisen konnte, daß seine Kunst wenigstens
nicht eine brotlose sei, und daß sie für die materielle Zukunft ihres
Kindes nichts zu befürchten haben würden, wenn sie schon seiner Seelen
Seligkeit und das beglückende Bewußtsein innerer Zusammengehörigkeit in
den Kauf hatten geben müssen.

Wie oft hatte sich Martin Flamberg in diesen Jahren der Kämpfe gefragt,
ob es nicht richtiger sei, von dem raschen Bündnis, das eine Ballnacht
besiegelte, zurückzutreten und sich den entsetzlich kraftvergeudenden
Kämpfen nicht länger auszusetzen, die ihm jahrelang die Ruhe seines
Lebens geraubt hatten -- diese Ruhe, die er doch für seine Kunst so
nötig brauchte.

Aber schließlich war es der gleiche zähe Künstlertrotz, der ihn in
raschem Aufstieg zu der heute erklommenen Höhe geführt hatte --
dieser selbe unbeugsame Trotz war es gewesen, der ihn an der einmal
getroffenen Wahl hatte festhalten lassen, so oft auch in lockendster
Gestalt von rechts und links die Versuchung an ihn herangetreten war,
das Ziel seines Lebens auf mühelosere Weise zu erreichen.

Ach -- das alles lag ja nun hinter ihm -- das alles war verwunden --
mußte und durfte vergessen werden. Der Termin seiner Hochzeit war
festgesetzt. Auch hier hatte er den Sieg erzwungen, im Leben, wie in
der Kunst.

Nun wollte er noch einer lange aufgeschobenen Pflicht genügen und seine
vierte Reserveoffizierübung machen, um dann am Arme der Liebe die
zweite Hälfte seines Lebens zu beginnen. Ja, diese achtwöchige Übung
--! Er war ein begeisterter Soldat gewesen. Es hatte ihm Vergnügen
gemacht, sich durch Luft und Sonne im Waffendienst herumzutummeln -- es
war ihm eine Wonne gewesen, von Zeit zu Zeit in die bunte Schlangenhaut
des Kriegers zu schlüpfen und auch hier seinen Mann zu stellen.

Aber als nun langsam der Erfolg -- als endlich jählings der Ruhm
gekommen war -- als er sich ganz durchdrungen hatte mit Künstlertum,
da hatte er geglaubt, die militärische Phase seiner Jugend endgültig
überwunden zu haben, und es war ihm schier ein unerträglicher Gedanke
gewesen, sich nochmals für acht Wochen in den Zwang einer so ganz und
gar anders gerichteten Lebensführung fügen zu sollen.

Oftmals hatte er vor dem Schritte gestanden, sich aus der Reserve
des Regiments, dem er angehörte, gleich in die Landwehr zweiten
Aufgebots überschreiben zu lassen und damit ein für allemal sich seinen
militärischen Verpflichtungen zu entziehen ... und dann hatte er's
doch nicht übers Herz gebracht; denn das Monogramm seines Regiments
bedeutete für ihn zugleich die Erinnerung an fast zwei Jahre seines
Lebens, denen er, das wußte er gar wohl, als Künstler sehr viel
verdankte.

Verdankte vor allen Dingen seine genaue Bekanntschaft mit dem Wesen des
Volkes, das sich ihm im erzwungenen Verkehr mit den Mannschaften und
Unteroffizieren seines Regiments spielend erschlossen hatte.

Aber noch mehr verdankte er seinem Soldatentum:

Die sich dem Kulturmenschen sonst nur auf Reisen zu »kalt staunendem
Besuch« erschließt ... die Natur ... zu ihr hatte er just als Soldat
ein persönliches Verhältnis gewonnen, das seiner Kunst die reichsten
Früchte getragen hatte. Er war ja nicht Landschafts-, sondern
Porträtmaler, und die Richtung seines Strebens bannte ihn an den
Salon, bannte ihn an eine Menschensphäre hoher Kultur, äußerster
Verfeinerung und Naturentfremdung des gesamten Daseinsbetriebes -- und
so war es ihm geradezu ein Glück geworden, daß sein Dienstjahr und die
Pflichtübungen in der Reserve ihn durch Jahre hindurch immer wieder
in Zusammenhang mit dem Leben des Volkes und mit dem geheimnisvollen
Wirken der Natur gebracht hatten. Er hatte fünf Manöver mitgemacht, und
diese kriegerischen Übungen hatten ihm zahllose Bilder in die Seele
geprägt, Bilder von taufrischen Sonnenaufgängen auf grüner Heide, in
den Gebirgen der Eifel und des Hunsrücks -- brütende Sonnenschwüle über
flimmernden Ackerbreiten -- traumstille Mondnächte -- nebelverhangene,
regentriefende Waldeinsamkeiten.

Und nun -- da er wieder den bunten Rock angezogen -- fühlte er
wieder jene seltsame Wirkung, der er schon früher immer so gern sich
hingegeben hatte -- er fühlte sich plötzlich verwandelt werden --
fühlte, wie er auf einmal ein anderer Mensch wurde -- fühlte, wie das
Gewand, das die Zugehörigkeit zu einer andern Kaste bedeutete, in ihm
plötzlich Möglichkeiten seiner Seele freimachte, die unentwickelt
geblieben wären in dem Leben seines eigentlichen und wahren Berufs.

Ach, wie schön, dachte Flamberg, nun einmal für acht Wochen nicht mehr
der berühmte und umstrittene Künstler zu sein, sondern ganz wer anders!

Ein kleiner Leutnant -- eine Nummer -- ein Rad im großen Betrieb eines
ungeheuren, wuchtig und sicher arbeitenden Mechanismus.

Untersinken in einer Menge -- nicht mehr wollen dürfen, sondern einfach
müssen -- sich korrigieren und anschnauzen lassen müssen -- hinter sich
ein Fähnlein grobknochiger Söhne des Volkes -- um sich herum die Bilder
eines bunten und fremden Lebens.

Wieder im Gefecht sprungweise über den Stoppelacker und durch
Waldesdickicht vorgehen müssen -- umbrüllt vom rollenden Hurra und
knatternden Schnellfeuer, umschrillt vom vorwärtsdrängenden Kreischen
der Signalhörner, vom dumpfen Sturmmarsch der Tambours, um dann am
Ziel, Auge in Auge mit dem friedlichen Feind, sich lachend und keuchend
an die Erde zu werfen und in rasch gefundenem Schlummer zwischen
braunen Schollen und gelbblühenden Ginsterstauden auszuruhen -- und
dann gestärkt und genesen heimzukehren -- ein erneuter, verjüngter
Mensch, wie Antäus aus der Umarmung seiner Mutter, um wieder zum Pinsel
zu greifen und aufs neue Schönheitswelten aus dem Nichts zu schaffen.

Ach, und dann galt es ja bei dieser Heimkehr den Einzug in das Land
des Menschenglücks -- galt es die Vereinigung mit ihr, die er sich
zur Gesellin seines Daseins erlesen -- mit ihr, die er trotzig
herausgerissen aus einer fremden, starren Welt, um sie mit sich
hineinzuführen in die glückselige, heitere Region, in der sein eigenes
Dasein sich sonnig entfaltete.

Mit ihr, von der seine Gefühle ihm beim ersten Anblick gesagt hatten,
daß sie die Kameradin sei, die er brauche, sie der Mensch, der seinem
wilden Herzen den Frieden schenken würde, die große Ruhe, in der allein
das große Werk zur Reife gedeihen kann.

Wie schön das alles -- wie reich und schön! Wie reich und schön dies
selbstgeschaffene Leben mit all seinen wechselnden Gestaltungen!

Wie hell um ihn die Hoffnungsfülle -- wie golden vor ihm die Zukunft in
Nähe und Weite!

Welches Glück, ein Künstler zu sein!

Welches Glück aber auch, Soldat zu sein -- von Zeit zu Zeit einmal
untertauchen zu können von der flimmernden Oberfläche der Menschheit
her in die ruhig treibende Tiefe hinab, dorthin, wo im Waffendienst
ein Volk geschult wurde zur Wehrhaftigkeit in Krieg und Frieden,
zu geschlossen starkem Ineinanderwirken, zu elementarischer
Zusammenballung eines ungeheuern Kräftevorrats!

Und endlich, zu lieben und geliebt zu werden -- welch ein Glück --
welch eine Schönheit -- welch überschwengliche Hoffnung und Gnade!

Ihm war's, als sitze sein Mädchen ihm gegenüber, als seien die
tränenschweren, güteschweren braunen Augen auf ihn gerichtet mit der
innigen Mahnung: Komm wieder -- komm bald wieder -- du weißt ja, ich
harre dein!

Der reisende Mann legte den Kopf tief in die Kissen zurück, schloß die
Augen und sprach leise vor sich hin: »Agathe -- Agathe!« -- --

                   *       *       *       *       *

Ratternd und fauchend hielt der Zug auf einer Kreuzungsstation. Martin
fuhr auf, steckte den Kopf zum Fenster hinaus in der Absicht, die
Einsamkeit seiner Fahrt gegen jeden Eindringling mit einem wahren
Menschenfressergesicht zu verteidigen.

Da sah er in der Menge der andrängenden Fahrgäste eine abenteuerliche
Gestalt. Seine erste Empfindung war: Aha, ein Kamerad -- aber was für
einer!

Ein lang und dürr aufgeschossener Herr mit goldgefaßter, funkelnder
Brille und einem langen, struppigen roten Bart, die hagern Glieder
umschlossen von einem Offizierüberrock, der, bei völlig unmodernem
Schnitt, noch immer die schwarze Farbe zeigte, während Blau seit
einigen Jahren Vorschrift war, auf dem Kopfe eine Mütze, wie er selber
sie in seiner einjährig-freiwilligen Dienstzeit vor zehn Jahren
getragen. Die Linke fuhrwerkte unbeholfen mit dem Säbel umher, der ihm
jeden Augenblick zwischen die stelzengleichen, unruhig trippelnden
Beine zu geraten drohte.

Neben dem Uniformierten stand mit kaum verhohlenem Grinsen ein
rotbemützter Dienstmann, der einen ungeheuern, stark verschlissenen
Handkoffer und eine Helmschachtel trug.

Nun hatten die hilflos hinter den Brillengläsern flackernden
grauen Augen des Uniformierten den Maler erspäht. Die Rechte im
Uniformhandschuh legte sich grüßend an den Schirm der vorsintflutlichen
Mütze, und wie schutzsuchend steuerte die lange Gestalt auf den Wagen
zu, an dessen Fenster Martin stand.

Der Dienstmann riß die Wagentür auf, stieg zuerst hinein und verstaute
das Gepäck in den Netzen. Mühsam kletterte der Offizier hinterher,
jeden Augenblick in Gefahr, über seinen Säbel zu stolpern. Nun
suchte die ungelenke Linke des Herrn nach dem Portemonnaie, fand
aber die Tasche nicht gleich, weil die langen Schöße des Rocks und
der Riemen des Säbelkoppels den Zugang hemmten; aber endlich war die
Börse doch erwischt, der Dienstmann bekam seine Vergütung, die nicht
allzu reichlich ausgefallen zu sein schien; denn ohne Gruß mit einem
knurrenden Laut verließ der Träger das Abteil.

Und nun wollte sich der Ankömmling dem Kameraden vorstellen; in
demselben Augenblick aber zog der Zug an -- und mit einem Ruck flog der
schwarze Überrock gegen den hellblauen, so daß beide Herren auf die
Polster plumpten.

In hilfloser Verlegenheit stotterte der Ankömmling eine Entschuldigung,
und nachdem beide Herren ihre Säbel und Beine wieder aufgesammelt
hatten, stellte er sich nun endlich vor, selbstverständlich ohne daß
Martin den Namen des Kameraden verstand.

Tiefaufatmend lehnte sich der fremde Herr auf seinen Sitz zurück,
nahm die Mütze ab, unter der ein nur noch von einem dürftigen braunen
Haarkranz umsäumter kahler Schädel zum Vorschein kam, und tupfte mit
einem gelbseidenen Taschentuch die quellenden Schweißtröpfchen von
Stirn und Platte.

»Schauerliche Hitze --!« meinte er und fächelte sich mit dem
Taschentuch.

Rasch kam das Gespräch in Gang. Es stellte sich heraus, daß der
Ankömmling Privatdozent der Literaturgeschichte an der Universität Bonn
sei, und als Flamberg ihm seinen Namen deutlicher wiederholte, wußte
der andere sofort Bescheid. Respektvoll fragte er: »Flamberg? etwa gar
der Schöpfer der beiden Porträts in der Berliner Sezession?«

»Ich kann's nicht länger verheimlichen,« lächelte Martin.

»Alle Wetter,« sagte der andere, »das nenn' ich ein glückliches Omen
... da ich doch nun wieder einmal sehr gegen meinen Geschmack aus
meiner stillen Studierklause unter das Kriegsvolk verschlagen werde.
Ich bin entzückt, gleich beim ersten Eintritt in diese langentfremdete
Welt einem Vertreter sanfterer Regionen der Menschlichkeit zu begegnen
... Übrigens werden Sie meinen Namen auch nicht verstanden haben. Ich
heiße Frobenius.«

Martin dachte einen Augenblick nach und sagte: »Frobenius, Wilhelm
Frobenius ... ich habe vor kurzer Zeit eine Sammlung von Studien über
Goethes Faust von einem Wilhelm Frobenius gelesen -- wären das gar
Sie?«

»Ich kann's nicht länger verheimlichen,« schmunzelte Frobenius.

Martin streckte ihm die Hand hin: »Ich freue mich,« sagte er, »Ihre
Analyse der Gretchengestalt hat auf mich so stark gewirkt, daß ich kurz
vor meiner Abreise ein Gretchen gemalt habe.«

»Schau -- schau,« sagte Frobenius, »wo haben Sie das Modell
aufgetrieben?«

»Da hab' ich nicht lang zu suchen brauchen,« lachte Martin, »meine
Braut!«

»Ei der Tausend, dann freilich! -- gratuliere, Herr Kamerad!«

»Sagen Sie, Herr Frobenius,« fragte der Maler, »Sie scheinen von der
Aussicht, wieder mal acht Wochen im bunten Rock zubringen zu müssen,
nicht so erbaut zu sein wie ich?«

»Ja,« sagte Frobenius, »das ist eine sehr berechtigte Frage. Ich kann
mir wohl vorstellen, daß Sie mir es an der Nase ansehen, daß meine
Liebe zum Kommiß eine einigermaßen unglückliche ist. -- Sehen Sie, ich
bin von Natur so etwas wie ein Pechvogel, fühle mich eigentlich nur
hinter meinen Büchern so recht behaglich --«

»Dann verstehe ich nicht recht -- Sie müssen doch schon in höhern
Semestern sein und haben doch keinesfalls mehr die Pflicht zu üben --
warum tun Sie's also?«

»Sie haben ganz recht zu fragen,« erwiderte der Privatdozent, »ich
könnte längst außer Dienst sein. -- Ich habe mich überhaupt erst in der
Landwehr zum Offizier wählen lassen und mit Zittern und Zähneklappern
vor sechs Jahren meine einzige achtwöchige Pflichtübung gemacht. Damals
aber habe ich gefunden, daß mir diese Übung vorzüglich bekam, nicht nur
körperlich, auch -- ich möchte sagen -- was meinen Charakter anbetrifft
-- -- Wissen Sie, ein so fürchterlich ungewandter Mensch, wie ich nun
leider Gottes einmal einer bin, für den sind solche acht Wochen beim
Kommiß eine wahre Dressur. Wenn ich auch im bunten Rock eine ganz
miserable Figur mache -- ich weiß das leider nur zu gut -- so hab'
ich entdeckt: als ich damals nach Hause kam, da war für einige Zeit,
etwa für zwei bis drei Jahre, jene lächerliche Scheu vor öffentlichem
Auftreten und gesellschaftlichem Umgang von mir gewichen, die mich
sonst zu einem wahren Einsiedlerdasein zwingt.«

»Aha, und darum sind Sie also in der Landwehr I geblieben -- und wollen
jetzt mal wieder acht Wochen 'ran, um sich sozusagen wieder mal ein
bissel zurechtstutzen zu lassen!«

»Ja, allerdings, das war die Absicht«, meinte der Privatdozent.
»Eigentlich ist die Übung für mich ein Martyrium, dem ich nur mit
Grauen und Entsetzen entgegensehe -- und ich weiß schon, daß ich
während der ganzen Zeit aus einer Katastrophe in die andere taumeln
werde -- aber was hilft's -- es muß nun einmal sein.«

»Ja,« lachte der Maler, »dann sind Sie allerdings zu bedauern -- ich
für meine Person freue mich, offen gestanden, ganz kolossal auf die
Übung.«

»Das glaube ich,« sagte Frobenius, »Sie sehen auch so aus, als ob Sie
Grund dazu hätten. Wenn mich der Schein nicht trügt, so sind Sie ein
gerade so netter Kerl, wie Sie ein großer Künstler sind, und ich werde
Ihnen etwas sagen: Sie werden mir einen Gefallen tun. Sie werden sich
gelegentlich meiner ein bißchen erbarmen, wenn es mir gar zu jämmerlich
geht, nicht wahr, Herr Kamerad?!«

Er streckte dem Maler die haarige Rechte hin, von der er den weißen
Uniformhandschuh abgezogen hatte, und schallend schlug Martin ein.

»Das soll ein Wort sein, Herr Frobenius -- ich denke, es soll recht
nett werden, die acht Wochen hindurch -- ich sehe gar nicht ein, was
uns hindern könnte, uns die zwei Monate, die vor uns liegen, zu einem
rechten Fest zu machen.«




                           Zweites Kapitel.


In dem hellen, luftigen Speisesaal des Offizierkasinos des
Füsilier-Regiments Prinz Heinrich der Niederlande (14. Rheinischen)
Nr. 186 war der Kasinovorstand, Oberleutnant Menshausen, damit
beschäftigt, die Anordnungen für die Mittagstafel einer letzten Prüfung
zu unterziehen. Er legte an der Hand eines Zettels, auf dem er die
Tischordnung entworfen hatte, persönlich die Tischkarten, instruierte
die Ordonnanzen und warf ab und zu einen Blick auf den Kasernenhof
hinaus, wo im Schatten der Kasernengebäude die Bataillonsadjutanten
die Befehlsempfänger der Kompagnieen um sich versammelt hatten, um die
Tagesbefehle auszugeben. Drüben aber, im prallen Sonnenschein, trat
die Wache an, und der Offizier vom Ortsdienst nahm die Meldungen der
Wachhabenden entgegen.

Säbelklirrend kam Leutnant Blowitz herein, der neue Adjutant des ersten
Bataillons, erst seit kurzem aus dem fernen Osten in das rheinische
Regiment versetzt: »Morgen, Menshausen -- nanu, gibt's denn heute
mittag ein größeres Zauberfest?«

»Allerdings,« erwiderte Menshausen kurz, »Regimentsmusik!«

»Was ist denn los?«

»Die Herren Kameraden der Reserve und Landwehr werden in unserer Mitte
begrüßt.«

»Ah -- richtig, richtig -- aber warum machen Sie denn dazu so'n saures
Gesicht, Menshausen?«

»Ich weiß nicht,« brummte der Kasinovorstand, »kann die Herren nun mal
nicht verknusen -- verderben den ganzen Eindruck des Offizierkorps --
untergraben die Disziplin.«

»Na, hören Sie mal,« lächelte Blowitz, »ich habe mich bei meinem
frühern Regiment mit den Herren ganz vorzüglich gestanden. Ist 'ne ganz
nette Abwechslung -- man bekommt doch mal was anderes zu hören, als
ewig Kommiß- und Avancementsgeschichten. Übrigens sind die Herren nun
einmal doch ein notwendiges Übel.«

»Ob sie notwendig sind, weiß ich nicht -- übel sind sie jedenfalls.«

Leutnant Blowitz stand gerade an der Wand unter einem mächtigen Rahmen,
der eine große Anzahl einzelner Photographien von Offizieren umschloß.
Es waren die Toten des Offizierkorps des Regiments aus dem Feldzuge
1870/71.

»Ja, sehen Sie mal, lieber Menshausen,« meinte er, »schau'n Sie sich
doch mal hier die Regimentstafel der Gefallenen von Siebzig an -- da
ist ein Hauptmann der Reserve und drei Leutnants der Reserve drunter.«

»Na ja,« lenkte der Ältere ein, »im Kriege mögen die Herren ja an
ihrem Platze sein, und daß sie brav gefochten haben und als ehrenhafte
Soldaten gestorben sind, will ich ja nicht bezweifeln -- aber im
Frieden tun sie nichts weiter, als den Betrieb stören. Wir sind doch
hier wahrhaftig nicht zusammen, um ein bißchen Räuber und Gendarm
miteinander zu spielen -- wir haben hart zu arbeiten -- wir haben
die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, binnen zwei Jahren die
Hanakenbande, die uns jeden Oktober hierher geschickt wird, zu halbwegs
brauchbaren Soldaten zu erziehen -- und dabei sind die Herren von der
Reserve und Landwehr höchstens hinderlich!«

Blowitz lachte still in sich hinein. Er hatte den Charakter des neuen
Regimentskameraden schon einigermaßen durchschaut und wußte, daß es
nicht leicht war, ihm irgend etwas recht zu machen.

»Wie viel Herren kommen denn?« fragte Blowitz.

»Ganze sechs!«

»Na, was für Geisteskinder sind es denn?«

»Geben Sie mal acht,« sagte der Oberleutnant und zog den Jüngern ans
Fenster, »da hinten unterm Torbogen da versammeln sie sich gerade.
Wissen Sie, ich teile die Herren Sommerleutnants in zwei Kategorien
ein: die einen sind die, die wenigstens von weitem wie Offiziere
aussehen -- die andern sind glattweg wandelnde Karikaturen. Nun sehen
Sie sich mal die Gesellschaft da hinten an. Ich werde Ihnen zunächst
die Karikaturen vorstellen. Also betrachten Sie mal diese Tonne da
hinten: das ist der Oberleutnant der Reserve, Herr Brassert, im
Zivilverhältnis Gymnasialoberlehrer. Wenn Sie dem einen Stich ins Herz
versetzen wollen, dann müssen Sie ihn ›Herr Professor‹ anreden.«

»Warum soll ich ihm denn einen Stich ins Herz versetzen?« erwiderte
Blowitz, »er hat mir ja gar nichts getan -- aber weiter! Wer ist denn
dieser merkwürdig dünne Herr mit dem zapfenartig herunterhängenden
Schnurrbart?«

»Ja,« sagte Menshausen, »das ist die Obervogelscheuche unter den Herren
-- das ist der Forstassessor Troisdorf, ein Rauhbein im Quadrat; ich
behaupte, er kann überhaupt kein Wort Hochdeutsch sprechen.«

»Nanu,« meinte Blowitz, »wie ist denn das möglich? Ein Forstassessor
...«

»Na, Sie werden ja hören,« entgegnete Menshausen, »mag sein, daß er
im Verkehr mit seinen Waldwärtern und Treibern völlig verbauert ist,
jedenfalls spricht er das fürchterlichste Kölnisch, das ich jemals
gehört habe.«

»Übrigens wimmelt da ja noch eine dritte Karikatur 'rum.«

»Den Herrn kenn' ich nicht -- das ist also jedenfalls der
Landwehronkel, der uns angekündigt worden ist -- irgend so'n gelehrtes
Haus von der Universität -- Gehirnfatzke, wie der Simplizissimus sagt!«

»Na, und nun also die halbwegs vernünftig Aussehenden!«

»Ja sehn Sie -- da ist zunächst der einzige, der für mich mitzählt, der
blonde Herr im Dienstanzug -- er macht seine erste Offizierübung -- er
ist aus dem Regiment hervorgegangen -- ein Referendar namens Dormagen
-- ein einigermaßen tadelloser Herr!«

»So, also das ist Ihr Genre,« sagte Blowitz, »für meinen Geschmack hat
er eine ziemliche Ohrfeigenvisage -- und der andere daneben, mit dem
riesigen, hochaufgedrehten Schnurrbart?«

»Hm -- das ist wieder 'ne andere Nummer -- das ist der Leutnant Klocke
-- seines Zeichens das, was ein aktiver Offizier in der Regel erst
später zu werden pflegt -- nämlich Versicherungsagent! -- Na -- er
macht wenigstens 'ne leidlich militärische Figur -- über seine sonstige
Persönlichkeit müssen Sie sich selbst ein Urteil bilden!«

»Wer aber«, fragte Blowitz, »ist der blonde Herr, der da eben so
strahlend heranfegt?«

Menshausen zögerte einen Augenblick mit der Antwort. »Tja -- -- das ist
sozusagen unser Renommierreserveleutnant -- ein sogenanntes berühmtes
Tier -- das ist der Maler Flamberg --«

»Flamberg?« sagte Blowitz nachsinnend, »woher kenn' ich denn den Namen?
-- Richtig, jetzt fällt mir's ja ein: auf der Durchreise war ich doch
in Berlin und hab' da in einer Ausstellung ein paar gemalte Weiber
gesehen -- aber -- deliziös, sag' ich Ihnen -- eine stramme Germanin --
und daneben eine fabelhaft pikante Jüdin mit Schultern -- Schultern --
sag' ich Ihnen! Teufel, die Bilder machen ja ein kolossales Aufsehen!
-- und das ist also dieser Flamberg?«

»Weiß ich nicht,« sagte Menshausen, »ich verstehe nichts von Kunst
-- und ob er eine Germanin und eine Jüdin in Berlin aufgehängt hat,
ist mir höchst wurscht. Für meine Person kann ich nur behaupten, daß
dieser Herr Flamberg mir unter all den Herren von der Reserve der
fatalste ist. -- Was der Bruder sich schon einbildet auf sein bißchen
Pinselei! und dann, wissen Sie: Ansichten! Ich begreife nicht, was so'n
sogenannter Künstler überhaupt im preußischen Offizierkorps zu suchen
hat. -- Der sollte doch ruhig mit seinen Übermenschen und Überweibern
zusammenhocken und uns hier in Frieden lassen -- na, Sie werden ihn ja
kennen lernen.«

»Ich weiß nicht -- ich finde, er sieht ausgezeichnet aus!«

In diesem Augenblick standen die Ordonnanzen stramm; denn ein neuer
blauer Überrock erschien in der Tür zum Rauchzimmer.

»Morgen, meine Herren!«

»Guten Morgen, Herr Hauptmann!« Die beiden Offiziere verneigten sich.

»Ah, Herr Hauptmann schenken uns die Ehre heute,« sagte der
Kasinovorstand, »ist ja wohl das erstemal, seitdem Herr Hauptmann der
Tischgesellschaft auf so überaus angenehme Weise entfremdet worden
sind!?«

»Tja,« meinte Hauptmann von Brandeis, »alles den Herren Kameraden von
der Reserve zu Ehren! -- Da ist nämlich der Maler Flamberg dabei, den
hab ich seinerzeit als Rekruten ausgebildet. -- Ich habe bei Herrn von
Schoenawa durchgesetzt, daß er in meine Kompagnie kommt.«

»So,« meinte Menshausen, »also der ist Herrn Hauptmanns Fall?«

»Warum nicht?« entgegnete Hauptmann von Brandeis, »und übrigens --
wissen Sie, wir gehen doch nächstens ins Manöver, und da weiß ich aus
Erfahrung -- Flamberg hat nämlich schon einmal bei meiner Kompagnie
während des Manövers geübt -- der ist unschätzbar als Menagenchef. Wenn
ich die Manöververpflegung dem Windhund, meinem kleinen Carstanjen,
überlasse, dann bekomm ich während der drei Manöverwochen nichts
Vernünftiges zu essen und zu trinken -- da halt' ich mich schon lieber
an Flamberg -- das ist ein Genießer vor dem Herrn! -- Außerdem hab' ich
auch noch andere Absichten mit ihm: er soll meine Frau malen!«

»So,« meinte der Oberleutnant gedehnt, »wissen Sie denn auch, Herr
Hauptmann, daß Flamberg in dem Ruf steht, von den Damen sehr -- hm, hm!
-- verwöhnt zu werden?«

»Na, wennschon,« sagte Brandeis phlegmatisch, »er ist verlobt! --
Übrigens war das eine ziemlich geschmacklose Bemerkung von Ihnen,
lieber Menshausen.«

Der Hauptmann machte kurz kehrt und ging ohne Gruß in das Rauchzimmer
zurück.

»Kennen Sie Frau von Brandeis, lieber Blowitz?« fragte Menshausen
leise.

»Wenigstens +par renommée+,« erwiderte der andere, »soll 'ne
Schönheit sein, wie?«

»Schönheit --? viel zu wenig! Die Frau, wissen Sie, das ist -- einfach
'ne Sache, verstehen Sie. -- -- Wie die an dieses schlafmützige
Dusseltier, den Brandeis geraten ist, das wissen die Götter! --
Stammt aus 'ner schwerreichen Düsseldorfer Fabrikantenfamilie --
fabelhaft musikalisch -- und ein Temperament --! Wenn ich Brandeis
wäre, die ließ ich nicht fünf Minuten aus den Fingern! Na, schließlich
so'n Reserveonkel -- davor wird sie hoffentlich ihr guter Geschmack
bewahren. -- Wenn schon -- dann soll's wenigstens in der Familie
bleiben --!«

In diesem Augenblick trat der Stabshoboist, der Königliche
Obermusikmeister Herr Biesicke ein, schritt stramm auf den
Kasinovorstand zu und meldete: »Regimentsmusik zur Stelle!«

»Danke, lieber Biesicke! Na, nun können die Herren Kameraden der
Reserve und Landwehr meinetwegen anrücken!« -- --

                   *       *       *       *       *

Draußen auf dem Kasernenhof lag die Augustsonne in breiten goldenen
Flächen ausgegossen -- immerfort tauchten in diese gelbe Fläche
glitzernde, flimmernde Punkte hinein.

Jetzt kam bei lustigem Pfeifen- und Trommelklang eine Kompagnie mit
Staub und Schweiß bedeckt von der Felddienstübung zurück. Der Hauptmann
an der Spitze setzte seinen Gaul in Galopp, sprengte bis auf die Mitte
des Kasernenhofes vor und kommandierte, daß es schallend an den langen
Fronten der Kasernengebäude widerhallte: »Augen -- rechts!«

Hei! Da richteten sich all die marschmüden Gestalten noch einmal
stramm auf -- mit einem Ruck flogen die Köpfe rechts herum, und in
flottem Parademarsch zog die gleißende, waffenrasselnde Schar an ihrem
Häuptling vorüber.

»Kompagnie -- halt! -- Mit Gruppen links schwenkt -- marsch! Halt!
Gewehr -- ab! -- Rührt euch!«

Schon erschien, aus seiner behaglichen, kühlen Kompagniestube
hervorgekrochen, der behäbige Feldwebel, erschienen Mannschaften vom
Arbeitsdienst in Drillichzeug, Feldmützen und blauen Schürzen, um
die vom Gefecht übrig gebliebenen Platzpatronen und Patronenhülsen
abzunehmen -- einige Befehle wurden noch ausgegeben -- dann hieß es:
»Stillgestanden! -- Weggetreten!«

Und nach strammer Kehrtwendung ergoß sich die Schar der jungen Krieger
wie eine heiße Flutwelle schweißdunstiger, wangenbrauner Jugend in der
Richtung auf die Kaserneneingänge und verlor sich schwatzend, lachend,
stiefelpolternd in die hallenden Korridore.

Der Hauptmann warf seinem Burschen die Zügel seines Kleppers zu,
voltigierte so elastisch, als ihm seine zweiundvierzig Jahre dies
gestatteten, vom Pferde herunter und wandte sich zu seinen Offizieren.
Die standen, Hand am Helm, Säbel angefaßt, seiner Befehle gewärtig:
»Ich danke Ihnen, meine Herren -- wie wär's mit einem Schoppen im
Kasino?«

»Selbstverständlich, Herr Hauptmann!«

Da standen in der geräumigen Eingangshalle des Kasernengebäudes die
sechs eingezogenen Offiziere des Beurlaubtenstandes: »Ah, sieh da --
die Herren von der Reserve und Landwehr!«

Der Hauptmann und die beiden jungen, schmucken aktiven Leutnants traten
auf die eingezogenen Herren zu und begrüßten die alten Bekannten. Von
den sechs Angekommenen gehörten fünf zur Reserve des Regiments und
waren den aktiven Herren von frühern Übungen her bereits bekannt. So
war die Begrüßung sehr herzlich und kameradschaftlich.

Etwas hilflos stand der Leutnant der Landwehr Frobenius im
Hintergrunde, aber Flamberg, eingedenk seines Versprechens, sich des
Kameraden anzunehmen, winkte ihn heran: »Gestatten Herr Hauptmann, Herr
Leutnant der Landwehr Frobenius -- Herr Hauptmann Haller, Chef der
dritten Kompagnie -- die Herren Leutnants von Finette und Krummacher.«

Herr Frobenius faßte den Säbel in die Linke und legte die
weißbehandschuhte Rechte wie eine große Flosse an den Helm mit einer
so altväterlich unbeholfenen Handbewegung, daß der lustige, hellblonde
Leutnant von Finette es sich nicht versagen konnte, gleich loszuulken:
»Sagen Sie, Herr Frobenius, Sie haben wohl schon unter Albrecht dem
Bären gedient, wie?«

»Warum meinen Sie, Herr Kamerad?« fragte Frobenius errötend.

»Das schließe ich aus dem Schnitt Ihres Kollers und aus dem Modell
Ihres Turnierhelms.«

»So -- sind die Sachen so auffallend unmodern?« stammelte Frobenius.

»Ja,« entgegnete Finette, »wenn Ihre Kenntnis des Exerzierreglements
im selben Maße mit der Neuzeit fortgeschritten ist, dann werden ja die
Herren Füsiliere viel Vergnügen an Ihnen erleben!«

Flamberg kam ihm wiederum zu Hilfe: »Lieber Finette, wenn Sie mal ein
so altes Patent haben werden wie der Herr Kamerad Frobenius, dann haben
Sie längst wegen unheilbarer Revolverschnauze den Abschied -- -- und
kommen also gar nicht in die Verlegenheit, sich von einem jungen Dachs
wegen Auftragens älterer Garnituren anulken lassen zu müssen,« sagte er
mit liebenswürdigem Lächeln, doch scharf genug, daß Finette verstand.

Der aber war nicht aus der Fassung zu bringen. Im echtesten Tonfall
seiner Heimatstadt Köln erwiderte er: »Is ja halb so schlimm gemeint,
nit wahr, Herr Frobenius? lohß mer uns widder verdrage, nit?«

Er streckte dem Privatdozenten die schlanke Hand hin, die dieser
krampfhaft schüttelte.

Immer mehr Kompagnien kamen jetzt von der Morgenarbeit zurück. Die
Offiziere, von ihren Hauptleuten verabschiedet, traten einer nach dem
andern heran und begrüßten die eingezogenen Herren.

Frobenius beobachtete mit Genugtuung, daß das kameradschaftliche
Verhältnis zwischen den aktiven Herren und denen der Reserve ein sehr
gutes zu sein schien -- nur er, der allein nicht die Regimentschiffre
trug, das Monogramm des Chefs, des Prinzen Heinrich der Niederlande,
nur er allein wurde mit einer gewissen Zurückhaltung behandelt, zu
der allerdings, wie er sich selbst nicht verhehlte, sein verbotenes
Exterieur einigermaßen beitragen mochte.

Auch die Stabsoffiziere fanden sich ein: der martialisch
kurzangebundene Oberstleutnant Rautz -- dann der Kommandeur des ersten
Bataillons, Major von Sassenbach, ein alter Troupier mit ausgewettertem
Gesicht und langflatternden grauen Schnurrbartzipfeln -- Major
Blasberg, der das zweite Bataillon führte, ein hagerer reservierter
Diplomat -- und endlich kam gar mit klingendem Spiel der Regimentsmusik
das ganze dritte Bataillon von der Felddienstübung zurück, voran
der Kommandeur: der kleine rauhbeinige Major von Czigorski, der mit
hellkrähender Stimme den Parademarsch befahl, auf seinem riesigen
Schimmel, den seine dicken Beinchen kaum umspannen konnten, und mit
behaglichem Stolz den Vorübermarsch sämtlicher Kompagnieen ansah, bis
hinunter zur zwölften, der Kompagnie der ganz kleinen Kerle, die aber
als die strammste im ganzen Regiment galt.

So rollte sich vor den Augen der eingerückten Herren das ganze,
vertraute, farbenfrohe Schauspiel des militärischen Lebens ab, und mit
Freude sogen Martin Flambergs Malersinne den glitzernden Schmelz, die
schmetternden Geräusche, den herben Duft des kriegerischen Bildes ein.

Vom Kasino her kam der Hauptmann von Brandeis, des Malers alter Freund
und Gönner, und schritt geradenwegs auf ihn zu. Flamberg hatte bereits
auf dem Regimentsbureau in Erfahrung gebracht, daß er wieder bei der
Ersten üben würde, und freute sich dessen; denn er hatte sich während
jener ersten acht Wochen unter Brandeis vorzüglich mit ihm vertragen.
In dienstlicher Haltung trat er dem Kapitän entgegen: »Melde mich ganz
gehorsamst zur achtwöchigen Übung eingezogen und der ersten Kompagnie
zugeteilt.«

»Danke Ihnen, lieber Flamberg,« lächelte Brandeis und streckte ihm
freundschaftlich die Hand entgegen, »seien Sie mir wieder einmal
willkommen bei der Königlichen Ersten! Na, wir werden ja hoffentlich
ein schönes Manöver haben -- der Hunsrück ist nicht das Schlimmste --
erinnern Sie sich, was wir vor vier Jahren haben in der Eifel ausstehen
müssen?«

»Jawohl, Herr Hauptmann -- Köttelbach -- Katzwinkel -- Beinhausen --
und Gefell -- schöne Gegend!«

»Stimmt! -- wenn Ihre Kochkunst und Ihre wohlassortierte Wein- und
Menagekiste nicht gewesen wäre, wär's uns dreckig gegangen -- habe
später oft Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Flambergs gehabt.«

»Herr Hauptmann wissen, daß ich ein Feldsoldat bin und auch mal das
Koppel enger schnallen kann, ohne gleich die Nase in den Dreck hängen
zu lassen, wenn's sein muß -- aber wenn's nicht sein muß, dann bin ich
allerdings mehr für Luxus und Wohlleben, offen gestanden.«

»Ganz Ihrer Meinung, lieber Flamberg, und um gleich einen guten Anfang
zu machen, bitte ich Sie, heut mittag bei der Begrüßungstafel mein Gast
zu sein.«

»Ich danke gehorsamst, Herr Hauptmann!«

»Und im übrigen: nochmals willkommen und auf gute Freundschaft! -- Aber
da kommt unser neuer Herr Regimentskommandeur -- die Herren werden sich
melden müssen. Auf Wiedersehn also hernach im Kasino!«

Mit rascher Prüfung, nicht ohne einige Spannung, schauten die sechs
Augenpaare der eingezogenen Offiziere des Beurlaubtenstandes der
Ankunft des neuen Regimentskommandeurs entgegen. Von den aktiven Herren
hatten sie bereits genug über ihn gehört, um zu wissen, daß er keinen
Spaß verstehe.

Der Oberst Freiherr von Weizsäcker war aus der hessischen Armee
hervorgegangen und trug zwischen seinen Rippen noch zwei preußische
Kugeln, die er am 13. Juli 1866 als hessischer Leutnant im Gefecht bei
Frohnhofen und Lauffach erhalten hatte. Dazu schmückte ihn das Eiserne
Kreuz erster Klasse, das er als Führer einer preußischen Kompagnie bei
Gravelotte erworben. So verkörperte er in seiner Person ein ganzes
Stück der Geschichte deutscher Einigungskämpfe.

Als Flamberg ihm ins Auge sah, war sein erster Gedanke der Wunsch: »Den
möchtest du malen!«

Auf der noch jugendlich elastischen, gertenschlanken Reiterfigur
ein bronzener Kopf mit scharfgezogener Nase, darunter zwei graue
Schnurrbartflämmchen; der Kopf, die ganze Gestalt beherrscht von
tiefliegenden, doch hell und groß gezeichneten grauen Augen; die
hatten die Gewohnheit, mit zwei raschen Blicken die Gestalt dessen,
der vor ihnen erschien, gleichsam abzustreifen; dann bohrten sie sich
mit bannender Gewalt in die Augen des Gegenübers ein, drangen mit
unwiderstehlichem Leuchten bis in die Tiefe.

Die Reserveoffiziere hatten sich in einer Reihe aufgestellt.
Oberleutnant der Reserve Brassert, der behäbige Gymnasialprofessor,
war dem Dienstgrad nach der älteste, und so war es denn an ihm, dem
Obersten entgegenzutreten und ihm die sechs eingezogenen Herren zu
melden.

Der Oberst überflog mit den zwei raschen Blicken die Gestalt des
Vertreters der Herren des Beurlaubtenstandes; dabei zuckten die beiden
Schnurrbartflämmchen und der herrische Mund darunter einen Augenblick,
aber eisern blieb das Gesicht, nur die Augen lachten, als er mit
leichtem Dank der weißbehandschuhten Hand erwiderte: »Ihren Namen, Herr
Oberleutnant, wenn ich bitten darf!«

Als Brassert sich genannt, ließ er sich dessen Stand angeben, und
seine Antwort: »Ah so!« schien darzutun, daß er nun den Duft der
Studierstube, welcher der Erscheinung des Angeredeten anzuhaften
schien, begreife.

Der Oberst ging die Reihe entlang und wiederholte die Frage nach Namen
und Stand. Dann trat er mit ein paar raschen Schritten vor die Mitte
der Herren, streifte noch einmal kreuz und quer mit den Augen ihre
Front ab und sprach:

»Meine Herren, ich begrüße Sie. Ich habe mir erzählen lassen, daß
das Regiment, das zu führen ich seit kurzem die Ehre habe, einen
überaus tüchtigen Ersatz an Reserveoffizieren sein eigen zu nennen
das Glück hat. Ich kann also mit vollem Vertrauen Ihrer Mitwirkung an
unserer gemeinschaftlichen Arbeit entgegensehen. Wer, wie ich, zwei
Feldzüge mitgemacht hat, weiß, was die Armee an den Offizieren des
Beurlaubtenstandes besitzt. -- Sie kommen zu uns, um bei uns zu lernen
-- ich bin aber überzeugt, daß Sie uns auch etwas mitbringen: Sie
bringen uns einen Gruß des Volkes, zu dessen Schutz wir bestimmt sind.
-- Sie bringen uns einen Gruß der Geistesarbeit, die unterm Schirm
unserer Waffen gedeihen soll. -- In diesem Sinne begrüße ich Sie alle
-- als das lebendige Band zwischen dem aktiven Offizierkorps und dem
Volk, um dessentwillen wir alle da sind. -- Ich wünsche Ihnen, daß Sie
sich wohl fühlen in unserer Mitte, und daß Sie nach Ablauf Ihrer acht
Wochen nicht nur gebräunt und gekräftigt, sondern auch an militärischen
Kenntnissen bereichert und durch freudige Erinnerungen gefördert an die
Stätte Ihrer Lebensarbeit zurückkehren mögen. Ich danke Ihnen, meine
Herren!«

Er grüßte, und wiederum flogen die Hände der eingezogenen Herren an die
Helmschienen.

Nun wandte er sich zu den Stabsoffizieren, welche bisher, von den
Hauptleuten und aktiven Leutnants umringt, den Worten des Obersten
zugehört hatten, und schritt im Geplauder dem Korridor zu, der auf das
Regimentsbureau führte.

Kaum war er verschwunden, da löste sich die feierliche Erstarrung, und
die Gruppen der aktiven und Reserveoffiziere vermischten sich zu lautem
Gelächter, schnarrendem Geplauder -- und säbelrasselnd, sporenklirrend
schritten die Herren über den hallenden Kasernenhof zum Kasino hinüber.

An allen Fenstern der endlosen Fronten wurden neugierige Köpfe sichtbar
-- an allen Waschtrögen standen Gruppen von Soldaten in Feldmützen
und Drillichzeug, die nun ihre Arbeit unterbrachen und, Bürsten und
Monturstücke in der Hand, zur vorgeschriebenen Haltung erstarrten, bis
die Gruppe der Offiziere an ihnen vorüber war.

Und als nun die ersten der Herren die Stiegen der Treppe zum
Kasino betraten, da scholl von drinnen der schmetternde Klang der
Regimentsmusik, die den Einzugsmarsch der Gäste aus Tannhäuser den
einrückenden Kameraden entgegensandte.

Nach wenigen Minuten, die man harrend und plaudernd im Rauchzimmer
zugebracht, erschien der Kasinovorstand Oberleutnant Menshausen und bat
die Herren zu Tisch.

In breiten Güssen fiel die langsam sinkende Nachmittagssonne durch die
hohen Fenster des Speisesaales über die hufeisenförmig aufgestellten
Tische, auf denen heute zur Feier des Tages der reiche Silberschmuck
des Regiments blinkte, umgeben von einer wahren Überlast bunter
Herbstblumensträuße, die dem Garten des Kasinos entstammten -- und
um die Tafel gruppiert etwa vierzig blühende Jugendgestalten -- von
dem Kommandeur des ersten Bataillons, Major von Sassenbach, der
als einziger Stabsoffizier an der Tafel teilnahm, bis herunter zum
blutjungen Fahnenjunker, der kaum der Presse entschlüpft war und sich
im Rock des Füsiliers und angesichts so vieler Vorgesetzter kaum zu
rühren -- kaum den Mund aufzutun getraute.

Allen diesen Erscheinungen gemeinsam war der vorschriftsmäßige
Schnitt des Haars, soweit sich dies nicht schon verflüchtigt hatte
und spiegelnde Stirnen oder Glatzen freiließ -- war gemeinsam der
modische Bürstenschnitt des Schnurrbarts, gemeinsam die straffe
Haltung, die lebhaften und doch gemessenen Bewegungen, der scharfe
Klang der Stimmen, die gewohnt waren, im Gelände weite Entfernungen
zu beherrschen oder sich durch das Rollen des Schnellfeuers hindurch
Geltung zu verschaffen.

Auf den ersten Blick aber waren die Herren des Beurlaubtenstandes an
der bleichern Hautfarbe, der etwas nachlässigern oder steifern Haltung,
dem mehr ins Geistige gewandten Ausdruck der Gesichter und Augen zu
unterscheiden. Doch das alles würde sich nun bald verwischen -- waren
doch diese sechs Männer nur hierhergekommen, um wieder Soldaten zu
werden, um sich wieder einzufügen in den gewaltigen Organismus, in dem
auch sie nichts als dienende Räder sein sollten und sein wollten.

Diese Einfügung und diese Anpassung, so sagte Flamberg sich
stillsinnend, diese Verschmelzung würde ihnen der Geist der
Kameradschaft erleichtern. Der Geist der Kameradschaft, der alle,
denen Seine Majestät Epaulettes und Schärpe verliehen hatte, zu einer
großen Schar von Verbrüderten zusammenschloß, in der ungeachtet aller
Abstufungen der Begabung und militärischen Befähigung, ungeachtet aller
Klüfte der Herkunft und der Anschauungen, jeder gleichberechtigt war,
in der es keine andern Unterschiede gab, als die der Dienststellung
-- und auch diese Unterschiede galten nur im Dienst -- außerhalb des
Dienstes gab es nicht Vorgesetzte, nicht Untergebene -- gab es nur
ältere und jüngere Kameraden -- gab es nicht aktive Offiziere und
nicht Offiziere des Beurlaubtenstandes -- gab es nur Offiziere, das
heißt: Träger des einen preußischen Soldatengeistes, der inmitten
aller Wandlungen der Weltanschauung und der sittlichen Begriffe das
alte Ideal der Ritterlichkeit verkörperte, das die Heere des Großen
Kurfürsten, des Alten Fritzen, das Heer der Befreiungskämpfer, wie die
Scharen Wilhelms des Siegreichen durch Nacht zum Licht, durch Kampf zum
Siege geführt hatte.

Und dieser Geist der Kameradschaft, so ernst er sich betätigte im
Dienst und in dem, was dem Dienste gleich galt: in der Auffassung jeder
großen Lebenspflicht -- in der Sphäre der Geselligkeit erwies er sich
als ein heiterer Geist, ein Geist freudiger Lebenslust.

Munter schwirrten die Gespräche hinüber und herüber -- noch war kaum
der erste Gang serviert, da traten an die Stelle der hellgrünen
Moselflaschen die goldbekapselten der Sektspezialmarke des Kasinos.
Munter knallten die Pfropfen -- und in den Spitzgläsern perlte der
weiße Schaum: »Luxus und Wohlleben griffen um sich.«

Major von Sassenbach schlug ans Glas. Er war kein großer Redner vor
dem Herrn -- es fiel ihm schwer, selbst nur ein paar formelhafte
Begrüßungsworte zusammenzustottern, und sein Adjutant, der Leutnant
Blowitz, den er mit diesem ausdrücklichen Auftrage sich gegenüber
gesetzt hatte, mußte ihm soufflieren.

Aber aus den ungefügen Worten des alten Soldaten leuchtete herzliches
Wohlwollen, und obwohl manches Lächeln der Hörer seine gewaltigen
Kraftanstrengungen begleitete, klang doch das dreifache Hurra auf die
eingezogenen Herren, in das er seine Rede ausmünden ließ, kräftig und
munter durch den Saal. -- Die Begrüßten beeilten sich, mit dem Major
anzustoßen, und nun die letzte offizielle Handlung des Begrüßungstages
überstanden war, atmete alles auf, und es löste sich der letzte Rest
von Förmlichkeit und Zurückhaltung.

Kreuz und quer durch den Saal schollen die Rufe der Tafelnden, die
einander zutranken. Mit vorschriftsmäßigem Ruck schnellten die
Angerufenen in die Höhe, wenn der Major oder einer der anwesenden
Hauptleute einem der Leutnants oder gar der zur Tafel zugezogenen
Vizefeldwebel der Reserve, Fähnriche oder Fahnenjunker zutrank; aber
regelmäßig winkte der Anrufende, Platz zu behalten -- nur die Pflicht
blieb bestehen, als Dank für den Zutrunk des Vorgesetzten sein Glas bis
auf die Nagelprobe zu leeren.

Flamberg saß zwischen seinem Kapitän, dem semmelblonden Herrn
von Brandeis, und dem flaumbärtigen Kompagniekameraden, Leutnant
Carstanjen, dem Sohn einer reichen niederrheinischen
Fabrikantenfamilie.

Zunächst mußte natürlich Flamberg erzählen.

»Na, Flamberg, Sie sind ja inzwischen sowas wie'n berühmtes Tier
geworden -- alle Augenblicke hat man im Lesezimmer in den illustrierten
Zeitschriften irgend so'ne Pinselei von Ihnen abgebildet gesehen --
natürlich immer die schönsten Weiber des europäischen Kontinents -- Sie
Schlemmer, Sie ...«

»Haben Herr Hauptmann etwas anderes von mir erwartet?«

»Ne, ne -- ich weiß wohl, Sie hatten ja damals schon 'nen starken
Hang fürs ewig Weibliche! Erinnern Sie sich noch, wie wir damals in
Mechernich in der Eifel mit der ganzen Kompagnie in der schauderhaften
Kneipe einquartiert wurden und für Sie und für -- na, wer war's doch
damals? Quincke wohl ...?«

»Jawohl, ganz recht, Quincke, Herr Hauptmann!«

»Na also -- für Sie beide nur dadurch Quartier zu schaffen war, daß
die beiden Töchter des Wirts aus ihrem Jungfernstübchen 'rausgewiesen
wurden und oben auf dem Heuboden kampieren mußten. Damals haben Sie
die beiden Mädels gezeichnet. Erinnern Sie sich noch? Na, nachher
waren sie nicht von Ihnen wegzuschlagen -- alle beide -- was? Ja, an
sowas läßt man sich natürlich nicht gern erinnern, wenn man inzwischen
Bräutigam geworden ist!«

»Oh, was das anbetrifft, Herr Hauptmann: das Wort ›bereuen‹ kommt in
meinem Lexikon nicht vor.«

Der kleine Carstanjen spitzte die Ohren und rief dazwischen:
»Donnerwetter, Herr Hauptmann, das scheint ja 'ne verflucht
interessante Geschichte gewesen zu sein! Wollen Herr Hauptmann die
nicht etwas ausführlicher erzählen?«

»Knöpfen Sie sich die Ohren zu, Sie Kiekindiewelt,« antwortete
Brandeis, »sind noch viel zu klein für -- für solche Geschichten!«

»Herr Hauptmann unterschätzen mich!« lachte Carstanjen.

Brandeis fragte seinen Gast: »Wissen Sie auch schon, daß wir nächstens
im Kasino ein feenhaftes Zauberfest in Aussicht haben?«

Flamberg erbat genauere Auskunft, und der Hauptmann berichtete:
»Also am 18. August feiert doch das Regiment die siebenunddreißigste
Wiederkehr des Tages von Gravelotte ... Na, das wissen Sie doch aus der
Regimentsgeschichte?!«

»Ei gewiß: Sturm auf Point du jour, 118 Tote, 326 Verwundete! 2 Eiserne
Kreuze erster und 18 zweiter Klasse ins Regiment!«

»Alle Achtung!« meinte Carstanjen, »so hab ich's ja nicht mal am
Schnürchen!«

»Eh ... wie oft hab ich das schon meinen Kerlen in der
Instruktionsstunde eingebläut ... da werd ich's doch selber nicht
vergessen haben! -- So ... und das wird also diesmal in großem Stile
gefeiert?«

»Ja,« erklärte Brandeis, »Sie wissen: der neue Kommandeur ist erst vor
vierzehn Tagen angekommen, und so soll das alljährliche Regimentsfest
diesmal zugleich als Begrüßung für die neue Kommandeuse im Kreise der
Damen gefeiert werden ... es gibt 'ne große Gartenfête im Kasino --
Diner -- Theatervorstellung -- zuletzt natürlich Tanz!«

»Theatervorstellung?« fragte Flamberg interessiert. »Nanu ... das kann
ja interessant werden ... was gibt's denn?«

»Bei der zweiten Kompagnie steht ein einjährig-freiwilliger
Unteroffizier, ein Referendar seines Zeichens, zugleich in seinen
zahlreichen Mußestunden Reiter auf dem Musenklepper ... den hat
Frau von Sassenbach -- die ist nämlich Patroneß der Veranstaltung
-- 'rangebändigt und zum Dichten kommandiert. Er hat sowas wie 'n
allegorisches Festspiel verübt ... ihre beiden Töchter spielen
natürlich mit; das war wohl auch der Hauptzweck der Übung, die zwei
Mädels mal wieder gehörig in Szene zu setzen -- übrigens meine Frau
wirkt auch mit --«

»Herr Hauptmann sind verheiratet? ... das erste, was ich höre ... seit
wann denn, wenn ich fragen darf?«

»Seit eineinhalb Jahren!« sagte der Hauptmann, »übrigens eine
Landsmännin von Ihnen, ein Fräulein Cäcilie Imhof ... na -- der Name
wird Ihnen ja nicht unbekannt sein!« --

Cäcilie Imhof ... Bei diesem Namen stieg in Martin Flamberg
eine Erinnerung auf, die Erinnerung an ein braunes, kapriziöses
Mädchenköpfchen, das durch seine Jugend hingehuscht war wie so viele
andere, ohne just eine dauernde Spur in seiner Seele zu hinterlassen
... Immerhin war seine Erinnerung lebhaft genug, daß ihn die
Vorstellung, dieses Gesichtchen neben dem platt-behaglichen Puppenkopf
des Hauptmanns von Brandeis auftauchen zu sehen, mit seltsamen
Empfindungen erfüllte ...

In Gesellschaft hatte der junge Maler, damals noch ein völlig
Namenloser, zuweilen das junge Mädchen getroffen und war von ihr ganz
und gar nicht beachtet worden ... das war kein Wunder; denn sie war
ein gefeiertes und damals schon, in ihrer zartesten Backfischjugend,
vielumworbenes Geschöpfchen ... die Tochter einer alten Familie reicher
Bankiers und Industrieller ... und er, Martin Flamberg, mußte sich
damals noch zu jeder Gesellschaft für zwei Mark fünfzig einen Frack
ausleihen ...

In den Tagen seines jungen Ruhms war er ihr nicht mehr begegnet.

Ihr Vater hatte sich von den Geschäften zurückgezogen und war nach
Wiesbaden übergesiedelt, um den heilkräftigen Quellen nahe zu
sein, deren beständige Einwirkung seine Gicht verlangte ... und
nun war das verwöhnte Kind die Gattin eines braven, unbedeutenden
Infanteriekapitäns ... merkwürdig ...

»Na? entsinnen Sie sich meiner Frau noch?« fragte Herr von Brandeis.

»Herr Hauptmann sehen, ich versuche mich zu besinnen, aber ich finde
nur eine sehr blasse Reminiszenz.«

»Na, is ja auch egal,« meinte der Hauptmann, »Sie werden ja nächstens
Ihre Erinnerungen auffrischen können; denn selbstverständlich hoffe ich
doch, Sie recht bald in meinem Hause zu sehen ... meine Frau wird sich
jedenfalls sehr freuen ...«

Flamberg verneigte sich.

»Na, und nun erzählen Sie mal von sich ... Sie haben sich ja inzwischen
auch verankert ... hoffentlich recht vorsichtig gewesen in der Wahl
Ihres Herrn Schwiegerpapas?«

»Mein Schwiegervater ist Beamter!« sagte Flamberg, »übrigens, ich bin,
Gott sei Dank, seit einiger Zeit auf besondere Vorsicht in dieser
Beziehung nicht mehr angewiesen.«

»Aha ... na natürlich ... verdienen jetzt aasige Däuser .. das versteht
sich ... Porträtmaler -- Portemonnaiemaler -- alte Geschichte! -- Ja,
sehen Sie, so gut geht's unsereinem nun nicht ... das ist noch das
einzig Schöne an unserm Beruf, daß es uns kein Mensch übelnehmen kann,
wenn wir unserer Zukünftigen nicht nur in die Augen, sondern auch ein
bißchen ins Portemonnaie sehen ... Na, und in der Beziehung kann ich ja
nicht klagen, wie Sie sich denken können ... übrigens auch in anderer
Hinsicht hab ich direkt märchenhaften Dusel gehabt ... meine Frau heißt
nicht umsonst Cäcilie ... die sollen Sie mal Klavier spielen hören --
und singen ... Na, ich sag Ihnen ja: Den Seinen gibt's der Herr im
Schlaf!«

Er füllte sich und dem Gaste die Sektkelche und hob ihm das Glas
entgegen. »Na also in diesem Sinne, lieber Flamberg: unsere Damen! --
So ... Sie wollen auch mittrinken, kleiner Carstanjen ... ach Unsinn
... verstehen Sie ja noch gar nichts von ... aber mit anstoßen dürfen
Sie doch ... Kommen Sie mal her mit Ihrem Pokal!«

»Ich kann nur noch einmal wiederholen: Herr Hauptmann unterschätzen
mich!« schmunzelte Carstanjen mit spitzbübischem Lächeln auf seinem
verwöhnten Geckengesichtchen.

»Sie, Flamberg,« sagte der Hauptmann, »ich hoffe, Sie werden mich bei
der Erziehung dieses kleinen Windhundes da ein wenig unterstützen --
das ist auch einer von denen, mit denen 's der Herrgott gar zu gut
gemeint hat -- und das ist ihm zu Kopf gestiegen -- wenn er also üppig
wird, dann hauchen Sie ihn nur gehörig an -- meinen Segen haben Sie --
und einen Gotteslohn verdienen Sie sich überdies!«

»Na, wir zwei werden uns schon vertragen! -- Was meinen Sie, Herr
Carstanjen?«

Das herzliche, offene Lachen, mit dem der Reserveoffizier dem jungen,
aktiven Kameraden das Glas entgegenhielt, verscheuchte den Ausdruck
von anmaßender Gekränktheit, der das hübsche, eitle Gesicht überhuscht
hatte. Und so leerte die Königliche Erste eine Flasche Spezialmarke
nach der andern in ungestörter Harmonie.

Weniger heiter sah es in der Gruppe der Königlichen Zweiten aus:

Herr Leutnant der Landwehr Frobenius saß stumm und einsilbig zwischen
dem stummen und einsilbigen Kompagniechef, dem Hauptmann Goll, und dem
Oberleutnant Menshausen, dem Kasinovorstand, während ihnen gegenüber
als dritter Offizier der Kompagnie der Leutnant Quincke saß, ein
junger, blasierter Bursch mit glattrasiertem Gesicht -- verlebten Zügen
-- die Scherbe ins rechte Auge geklemmt. Menshausen und Quincke nahmen
von dem Kameraden der Landwehr kaum Notiz -- unterhielten sich über den
Tisch hinüber geflissentlich über Personen und Fragen, an denen der
eingezogene Herr nicht das geringste Interesse nehmen konnte.

Und der Hauptmann, ein finsterer Junggesell mit starrem, schwarzem
Haar und struppigem Schnurr- und Vollbart, sprach überhaupt nichts,
füllte nur zuweilen die Gläser seiner Untergebenen und trank dem Gaste
schweigend zu.

Als Frobenius erst gemerkt hatte, daß man ihn schlecht behandeln
wolle, tat er instinktiv das einzige, was in dieser Situation für ihn
möglich war -- er schwieg nämlich ebenfalls vollständig und machte
nicht den leisesten Versuch, die Zurückhaltung der aktiven Herren durch
entgegenkommende Liebenswürdigkeit zu überwinden.

Schließlich bemerkte der Oberleutnant, daß die rücksichtslose
Nichtachtung, mit der die aktiven Herren den Gast behandelten, dessen
Hilflosigkeit immerhin ein gewisses Mitleid erregte, allgemein auffiel,
und ließ sich nunmehr herab, ein Gespräch mit ihm zu beginnen.

»Sagen Sie mal, Herr Leutnant Frobenius,« hub er an, »was sind denn Sie
eigentlich im Zivilverhältnis?«

»Ich bin Privatdozent an der Universität Bonn.«

»Hm -- was dozieren Sie denn also privat?«

»Ich lese deutsche Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts bis
zur Gegenwart.«

»Aha,« sagte Menshausen, »ich kann mir zwar dabei nichts Rechtes
denken -- aber es ist ja jedenfalls was sehr Gelehrtes! Nun sagen Sie
mal, was wollen Sie denn nun eigentlich bei uns? Macht Ihnen das denn
wirklich Vergnügen, hier so acht Wochen lang in Uniformen von vor
fünfzehn Jahren herumzulaufen und sich mit Ihrer Unkenntnis des neuen
Exerzierreglements vor hundertzwanzig Bauernlümmels und Fabrikarbeitern
lächerlich zu machen?«

Frobenius richtete sich ein wenig auf: »Herr Oberleutnant Menshausen
-- ich bin mir wohl bewußt, daß ich hierherkomme, um zu lernen -- ich
habe aber auf der andern Seite während meiner früheren Übungen die
Beobachtung gemacht, daß Bauernjungens und Fabrikarbeiter ein ziemlich
feines Gefühl dafür haben, wer vor ihnen steht, -- und hinter der
vielleicht etwas veralteten Uniform und der mangelhaften Dienstkenntnis
des Landwehroffiziers die überlegene Intelligenz respektieren, die
ihnen in der Person eines Mannes der Wissenschaft gegenübertritt.
Diese einfachen Leute wissen sehr wohl zu unterscheiden zwischen der
formgewandten Nullität und dem Geist, der sich im Notfall -- daß heißt
im Falle der wirklichen Not, meine ich -- von selbst die Form schafft,
die der Augenblick verlangt.«

»Ja, verzeihen Sie, Herr Leutnant Frobenius,« sagte der Oberleutnant,
»Sie drücken sich so gewählt aus, daß ich nicht zu folgen vermag -- was
wollen Sie eigentlich mit Ihrem Erguß sagen?«

»Ich will versuchen, mich Ihnen deutlich zu machen«, erklärte
Frobenius. »Wir Landwehroffiziere sind, das erkenne ich ja an,
im Frieden scheinbar ein wenig deplaciert inmitten der jungen,
dienstkundigen aktiven Herren -- aber wir sind auch gar nicht hier,
um in Ihrer Mitte gute Figur zu machen -- wir wollen lernen --
lernen einzig und allein für den Krieg -- und glauben Sie mir, Herr
Oberleutnant, im Kriege kommt es weder auf gutsitzende Uniform noch
auf die Kenntnis jeder neuesten Phase der Taktik der Saison an -- da
entscheiden ganz andere Faktoren. Da möchte vielleicht plötzlich mit
dem Mobilmachungstage eine Umwertung der Werte stattfinden, und diesem
Tage entgegen bewegt sich alle Hoffnung, die ich mit meinem Aufenthalt
im Kreise des Regiments Prinz Heinrich der Niederlande verbinde.«

»Ah so,« sagte Menshausen, »ich verstehe -- Sie haben militärischen
Ehrgeiz -- wollen womöglich noch gar Hauptmann der Landwehr werden?«

»Allerdings will ich das,« erwiderte Frobenius ruhig, »zurzeit übe ich
auf Beförderung zum Oberleutnant.«

»Allen Respekt!« meinte Menshausen, »das hätt ich Ihnen nun nicht
angesehen -- können Sie denn auch reiten?«

»Gewiß kann ich reiten,« erklärte der Privatdozent. »Ich meine,
das versteht sich wohl von selber, da ich Ihnen sagte, daß ich die
Beförderungsübung zum Oberleutnant mache.«

Aber er konnte nicht wehren, daß ihm bei der Erwähnung des Reitens
selber ein wenig bänglich zumute wurde. Er hatte erst im Frühjahr
mit Zittern und Zagen zum ersten Male einen Gaul bestiegen, war beim
ersten Antraben vom Woilach heruntergekugelt wie eine Klammer von der
Wäscheleine und hatte sich das Schultergelenk dermaßen ausgerenkt,
daß er den linken Arm drei Wochen lang hatte in der Binde tragen
müssen. Nach Ablauf dieser drei Wochen hatte er mit noch hörbarerm
Zähneklappern den Reitunterricht wieder aufgenommen, und seine
Scheu vor dem wilden, gefährlichen Tier, das dem Menschen nach dem
Leben trachtet, endlich soweit überwunden, daß er mit der Zeit in
der Reitbahn sich wenigstens auf den allerfrömmsten Kleppern hatte
halten können. Ja, in den letzten Wochen vor der Übung hatte er
sogar in Gesellschaft des Reitlehrers und einiger Damen der Bonner
Gesellschaft einige Ausritte ins Gelände unternommen und war stets mit
heiler Haut davongekommen, mit Ausnahme einer unangenehmen Begegnung,
die er mit einem vorüberbrausenden Eisenbahnzuge gehabt hatte, und
nach deren Verlauf er sich mit zerschundenem Gesicht, zerbeultem Hut
und zerschlagenen Knochen in einem Chausseegraben wiedergefunden
hatte, während seine Rosinante ohne seine Leitung ihre Futterstelle
wiedergefunden hatte.

Der Gedanke also, demnächst hoch zu Roß vor der Front auftauchen zu
müssen, erfüllte ihn mit einem Unbehagen, das zu überwinden er seines
ganzen Mannesmuts bedurfte. Wenn aber etwas noch gefehlt hätte, um ihn
in dieser Hinsicht zu äußerster Energie aufzustacheln, dann waren es
die spöttischen Blicke und Redensarten des Kasinovorstandes.

Er beschloß in diesem Augenblick, allen Gefahren kühnlich zu trotzen
und zu Pferde zu steigen mit der ruhigen Selbstverständlichkeit, mit
der er sonst alle Morgen auf seinen Katheder kletterte, um seinen
Hörern die Geheimnisse des zweiten Teils von Goethes Faust zu erklären.

Oberleutnant Menshausen bemerkte mit Vergnügen, daß der Landwehronkel
bei der Erwähnung des Reitens, trotz seiner heroischen Worte, still
und um einige Schattierungen blässer geworden war. Über den Kameraden
hinweg fragte er den Hauptmann Goll: »Gestatten Herr Hauptmann
eine Frage: Ist nicht morgen früh Ausbildung der Mannschaften im
Entfernungsschätzen?«

»Allerdings!« grunzte Hauptmann Goll, »was gibt's denn dabei?«

»Ich wollte Herrn Hauptmann nur fragen, ob uns nicht gestattet wäre,
die Übung zu Pferde mitzumachen -- wie ich soeben von Herrn Leutnant
Frobenius höre, legt er ebenfalls Wert darauf, morgen früh zu reiten,
und da ich für meine Person im Manöver als Ordonnanzoffizier zum
Regiment komme und meinen neuen Gaul gern ein wenig an die Truppe
gewöhnen möchte, so würde ich Herrn Hauptmann dankbar sein, wenn Herr
Hauptmann uns gestatten wollten zu reiten!? -- Meines Wissens reiten
Sie ja auch momentan dem Obersten sein Handpferd zu, Quincke, nicht
wahr?«

Leutnant Quincke hatte der Unterhaltung zugehört und bejahte mit
perfidem Grinsen: »Gewiß -- wenn Herr Hauptmann gestatten, komm auch
ich hoch zu Roß!«

»Na schön,« sagte Goll, »ich hab nichts dagegen!«

Frobenius fühlte bei dieser Unterhaltung, wie die wenigen Haare, die
seinen Schädel umsäumten, sich einzeln zu Berge sträubten. -- Herr Gott
im Himmel -- schon morgen früh! -- Was war da zu machen -- Schicksal,
nimm deinen Lauf!

»Wo wollen Sie denn Ihren Gaul herbekommen, Herr Frobenius?« fragte
Menshausen unbarmherzig weiter, »haben Sie sich einen mitgebracht oder
wollen Sie sich einen leihen?«

»Ich habe mich nach den Verhältnissen noch nicht erkundigt,« erklärte
Frobenius, »ich denke, man bekommt in der Reitbahn passende Gäule
geliehen, wie?«

»Selbstverständlich,« sagte der Oberleutnant, »wenn's Ihnen recht ist,
stelle ich Ihnen meinen Burschen zur Verfügung -- der kann ja morgen
früh vor dem Dienst zur Reitbahn gehen und Ihnen ein Pferd besorgen.«

Frobenius ahnte Böses; doch er hatte sich nun einmal vorgenommen, jeder
Gefahr die Stirn zu bieten, und so nahm er mit verbindlichem Lächeln
das Anerbieten des Oberleutnants an.

Als im nächsten Augenblick Hauptmann Goll wieder einmal wortlos dem
Landwehroffizier zutrank, beugte sich Menshausen zu Quincke hinüber und
flüsterte ihm zu: »Sie, Quincke, ich werde meinen Burschen instruieren,
daß er »Kuno den Schrecklichen« besorgt! -- Kennen Sie den Schinder?«

»Na ob!« grinste Quincke, »das ist ja das verrittenste Pferd in der
ganzen Garnison. -- Na, wenn der Landwehronkel auf Kuno überhaupt aus
dem Kasernenhof 'rauskommt, dann garantier ich jedenfalls: 'rein kommt
er nicht wieder!«

In diesem Augenblick hob Major von Sassenbach die Tafel auf, und
alsbald empfahlen sich die Vizefeldwebel der Reserve und die
Avantageure, indem sie in die Mitte des Hufeisens traten und erst
vor dem Tischältesten Front machten, dann nach rechts und links
desgleichen; dabei schlugen die Hacken zusammen, daß es nur so krachte.

Und nun schwirrten die Ordonnanzen von allen Seiten mit den brennenden
Lichtern herein, und das gelbe Flimmern der flackernden Flämmchen
vermählte sich mit dem dunklern Gelbgold der Abendsonne, die gebrochen
durch die leise sich wiegenden Kronen der Bäume des Kasinogartens
in die hohen Bogenfenster strahlte. Bald kräuselten sich bläuliche
Tabakwölkchen hinein -- und noch ungezwungener rauschte nun das
Geplauder, noch lebhafter wogte das Hinüber und Herüber der Scherze
-- des Zutrunks -- und bald war den Offizieren der Reserve wieder
zumute, als seien die Monate und Jahre »im schlichten Gewande der
Bürgerlichkeit«, die seit dem letzten Abschiedstrunk im Kasino
verflossen waren, nur ein Traum gewesen, und als sei dies Leben
im bunten Rock ihre eigentliche Existenz -- als sei die Schar der
Kameraden, in deren Mitte sie nun wieder eingetreten waren, das Milieu
ihres Lebens.

Sie waren riesig vergnügt, die Herren des Beurlaubtenstandes. Der
geschniegelte und pomadisierte Leutnant der Reserve Klocke schwamm
in Seligkeit. Herr Kamerad hier, Herr Kamerad dort, so schmetterte
das nach allen Richtungen hinüber und herüber -- als trüge er eine
Sprungfeder im Leibe, so schnellte er jedesmal empor, wenn ein
Vorgesetzter ihm zutrank, und leerte mit Begeisterung seinen Kelch, nur
daß im Laufe der Zeit seine Augen immer stierer, sein Gesicht immer
röter, seine Bewegungen immer unsicherer und die Scherze, die er zum
besten gab, immer gewagter wurden und je länger je mehr nach dem Coupé
dritter Klasse schmeckten.

Ihm schräg gegenüber saß im Kreise seiner zukünftigen
Kompagniekameraden der Referendar Dormagen. Als Sohn eines rasch
reichgewordenen Industriellen hatte er heute das Gefühl, daß es
eigentlich ein Skandal sei, daß er nicht Kavallerist geworden. Aber
vor sechs Jahren, als er einjährig diente, hatte sein Vater noch nicht
den großen Schlag mit dem neuerfundenen Trockenelement gemacht, und
erst in den letzten Jahren -- leider -- waren die Verhältnisse seiner
Familie so plötzlich emporgeschnellt. Nun blieb nichts übrig, als in
der Mitte der Fußinfanteristen wenigstens nach Kräften mit seinem Gelde
zu imponieren. So ließ er denn eine Flasche Pommery nach der andern
anfahren, und allmählich sammelte sich um ihn eine Gruppe von jüngern
Offizieren, die, mit nicht allzu reichlichem Zuschuß gesegnet, einen
Freitrunk sich nicht gern entgehen lassen mochten. In ihrer Mitte
markierte Dormagen nun den großmütigen Gastgeber, wogegen seine Gäste
sich verpflichtet fühlten, andachtsvoll seinen Schwadronierereien zu
lauschen und ihm eifrig zuzutrinken. Sein Kompagniechef hatte sich
bereits unmittelbar nach Aufhebung der Tafel, peinlich berührt durch
des jungen Herrn siegesgewisses Auftreten, an den mittlern Tisch des
Hufeisens zurückgezogen, wo sich nun allmählich die ältern Herren bei
Kaffee und Münchner Bier konzentrierten.

Inmitten dieser ältern Herren saß auch der Oberleutnant der Reserve
Brassert, ein behäbiger Süddeutscher, und freute sich königlich, daß er
der Pflicht entronnen war, den rüpelhaften Primanern die Geheimnisse
des Äschylos zu erschließen. Er übte seit einem Dezennium nahezu Jahr
um Jahr, teils weil es für ihn, den Beamten, dessen Gehalt während der
Übung weiterlief, eine überaus billige Sommerfrische war, teils weil
sein immer mehr anschwellendes Bäuchlein die scharfe Entfettungskur
dieser acht Wochen sehr notwendig brauchte. Die Hauptleute waren seine
Altersgenossen und überdies auch von gleichem Dienstalter wie er, und
so fühlte er sich in ihrer Mitte behaglicher als zwischen den jungen
Dächsen von Leutnants, deren Charge er teilte, die ihn aber zu peinlich
an seine kaum verlassenen Primaner erinnerten.

Behaglich schmunzelnd und kräftig qualmend saß er inmitten der ältern
Offiziere. Den Kragen seines Überrocks, der übrigens mit Rücksicht
auf sein gewaltiges Doppelkinn ohnehin nicht mehr denn Fingersbreite
hatte, trug er aufgeknöpft, ebenso wie die obersten vier Knöpfe seines
Überrocks, und bedauerte nur im stillen, daß er den Rock nicht ganz
ausziehen konnte, wie auf der heimatlichen Kegelbahn im Kreise seiner
Kollegen.

An einzelnen Tischen waren indessen allmählich große Lücken entstanden
-- manche der Herren hatten sich erhoben, um sich ins Spielzimmer zum
Skat zu setzen -- manche hatten auch die unangenehme Pflicht, noch eine
späte Instruktionsstunde abzuhalten.

Eine kompakte Gruppe hockte indessen noch um das Ende des linken
Hufeisentisches zusammen, wo der Leutnant der Reserve und Forstassessor
Troisdorf mit Leutnant von Finette zusammensaß. Die beiden
Niederrheinländer sprachen seit zwei Stunden nur noch kölnisch-platt
und erzählten einander die haarsträubendsten Anekdoten von Kölner
Marktweibern und »Rheinkadetten«, den lungernden Lastträgern des
kölnischen Rheinhafens. Von hier scholl immerzu schmetterndes
Gelächter in den Saal hinein, so daß ab und zu einer oder der andere
der Hauptleute herantrat und ein Weilchen zuhörte. Auf die Dauer
war indessen eine solche Flut von mehr oder weniger unappetitlichen
Scherzen nur für Leutnantsmägen erträglich.

Immer schneller, fast unbemerkt, entflohen den Zechenden und
Plaudernden die Stunden.

Der Major von Sassenbach hatte seit längerer Zeit beobachtet, daß der
hilflose Landwehroffizier, der mit seiner riesigen, goldenen Brille
und seinem langen, braunroten Bart so gar nicht in die militärische
Umgebung zu passen schien, das wehrlose Opfer der Scherze des
Oberleutnants Menshausen und des Leutnants Quincke war. Sassenbach
liebte die beiden Herren nicht -- ihm, dem schlichten Haudegen, waren
die kalten Spötter und Monokelträger zuwider -- er rief zu der Gruppe
hinüber: »Herr Leutnant Frobenius, wollen Sie mir das Vergnügen machen,
noch eine Flasche mit mir zu trinken?«

Frobenius war seelenvergnügt -- er fuhr diensteifrig in die Höhe,
wobei er den hochlehnigen, gotischen Stuhl umwarf, und schob mit etwas
unsicherm Gange zu seinem Bataillonskommandeur hinüber. -- Bald waren
beide in ein herzliches Geplauder vertieft.

»Aha,« schnarrte Menshausen zu Quincke hinüber, »sehn Sie woll -- ein
neuer Schwiegersohn ist auf der Bildfläche erschienen, der muß gleich
festgenagelt werden -- ja ja, man muß sich dazu halten. Nelly ist
sechsundzwanzig und Molly neunzehn -- und der Landwehrfritze macht 'nen
kolossal heiratsfähigen Eindruck.«

Hauptmann von Brandeis hatte sich schon seit geraumer Zeit empfohlen.
Die üblichen Scherze hatten den Aufbruch des jungen Ehemannes
begleitet, und schmunzelnd hatte er quittiert.

Flamberg schlenderte von einer Gruppe zur andern -- ließ sich bald
hier, bald dort zu einem kurzen Geplauder nieder und sog die Stimmung
der Stunde in sich hinein. -- Mit Wonne verfolgte sein geschulter Blick
das langentwöhnte Schauspiel, wie sich nun das rötlichgelbe Licht der
Kerzen, das tiefe Goldbraun des Sonnenuntergangs, das hellere Gelb der
elektrischen Kronleuchter von droben her, der bläuliche Tabaksdunst,
der in breiten Schwaden über den Gruppen lagerte, mit dem Blau und
Rot der Uniformen, den goldenen Reflexen auf den Monturknöpfen und
der satten Sonnenfarbe der gebräunten Gesichter verwob. -- In seinen
Adern glühte der Sekt, schäumte die freudige Hoffnung auf acht Wochen
eines neuen, verwandelten Lebens voll farbiger Eindrücke, voll harmlos
heiterer Erlebnisse.

Aber als nun mit dem Fortschreiten des Gelages die Kehlen immer
rauher wurden, die Luft immer dicker -- da meinte er den Augenblick
gekommen, sich dem Feste zu entziehen und ungetrübt das erschaute Bild
heimzutragen.

Nach einer kurzen Wanderung durch die stillen Straßen des
Kasernenviertels stand er in der engen Mietbude, deren schäbige,
zerschlissene Trivialität so seltsam kontrastierte gegen den
künstlerischen Reiz seiner verlassenen Junggesellenhäuslichkeit,
kontrastierte auch gegen den süßen Hoffnungstraum von einem künftigen
Daheim, den er seit Wochen mit seinem Schatz gesponnen.

Schwül war die Luft im Stübchen -- er stieß die Fenster auf -- und vom
tiefschwarzen Himmel nieder flammten tausend freundliche Sterne. -- Da
mußte er von seinem Mädchen träumen -- sie hatte ihm das Versprechen
abgenommen, allabendlich zum Himmel aufzuschauen und heimwärts zu ihr
zu denken -- und er dachte heimwärts.

Eine große, tiefe Ruhe war in seiner Seele -- ein Heimatbewußtsein --
das traute Wissen, verankert zu sein im tiefsten Grunde des Erdenseins,
in einem Herzen, das nichts als Liebe war für ihn.




                           Drittes Kapitel.


Um die fünfte Morgenstunde dämmerte Wilhelm Frobenius mit wüstem Kopf
aus schwerem Traum empor. Es hatte erst sanft, dann recht energisch an
die Tür geklopft -- er fuhr auf, starrte in dem engen Gelaß umher, daß
ihn umschloß, und konnte sich nicht enträtseln, wie er eigentlich in
diese nüchterne, unbehagliche Umgebung geraten war.

Plötzlich fiel's ihm ein: ach, du lieber Himmel -- du bist ja in der
Garnison -- und -- o Schauder -- gleich geht's zu Pferd!

»Herr Leu'nant -- et is höchste Zeit für uffz'stehn!« mahnte von
draußen eine ihm völlig fremde Stimme.

Das mußte der Bursche sein. Herrgott, wie der Schädel brummte.

Er fuhr mit den dünnen, haarigen Beinen aus der Decke hervor, fühlte
sich geniert durch den ungewohnten Gedanken, nun im Nachthemde vor den
fremden jungen Menschen hintreten zu sollen, zog erst Unterhosen und
Strümpfe an und schlurrte dann zur Tür. Kaum hatte er sie geöffnet, da
schoß mit energischem Ruck ein junger, rotblonder, sommersprossiger
Gesell herein, die Feldmütze auf dem Kopf, die Drillichhose schon in
den langschäftigen Stiefeln steckend. Er schlug krachend die Absätze
zusammen und meldete: »Füselier Schmitz als Bursch bei de Herr Leu'nant
kommediert!«

»Schön, schön,« sagte Frobenius verlegen, »also Sie sind Schmitz,
schön, schön. Was gibt's denn heute morgen?«

»Sechs Uhr fufzehn Abmarsch in't Jelände zur Ausbildung im
Entfernungschätzen!«

»Ach ja -- ganz richtig -- also sehen Sie, da ist mein Koffer -- den
packen Sie mal zuerst aus.«

Und während der Bursche sich anstellig und geräuschlos anschickte, die
Habseligkeiten seines neuen Herrn aus dem vorsintflutlichen Reisekoffer
zu entwickeln, kühlte Wilhelm Frobenius sein schmerzendes Haupt --
immer neue Schwämme drückte er über den Nacken aus, daß das Stübchen
schwamm, aber der dumpfe Druck im Schädel wollte nicht weichen -- und
noch weniger der dumpfe Druck in der Herzgegend -- vor seiner Phantasie
aber stand das Bild des Augenblicks, wo er das wilde, gefährliche Tier
besteigen würde, das dem Menschen nach dem Leben trachtet.

Herrgott, wie die funkelnagelneuen Reitstiefel drückten -- wie
der steife Lederbesatz der Reithose die Schenkel scheuerte -- wie
entsetzlich das war, durch die Stube zu schreiten mit den klirrenden
Sporen, die sich immerfort ineinander verfingen!

Füsilier Schmitz waltete indessen geräuschlos seines Amtes. Er betreute
seinen Herrn wie eine erfahrene Kinderwärterin ihren Säugling.

Als er seinen Herrn in den Waffenrock gesteckt hatte, verschwand er auf
Zehenspitzen und kam nach wenigen Minuten mit dem Frühstückstablett
zurück.

Himmel, aber dieser Kaffee! -- Mit Wehmut gedachte Wilhelm Frobenius
seiner sorgsamen Haushälterin daheim, die ihm denn doch einen ganz
andern Morgentrunk kredenzte -- und verzehrte knurrend die mit einem
Übermaß von Margarine bestrichene Frühstückssemmel, während Füsilier
Schmitz Helm, Feldglas, Säbel und Schützenpfeife zusammensuchte.

Zehn Minuten später schritt Frobenius an dem präsentierenden Posten
vor dem Kasernenportal vorbei in den Hof hinein und sah schon von
weitem die dunkle Masse der in Zugkolonne aufgestellten Königlichen
Zweiten. Noch war kein anderer der Offiziere auf dem Platze, und als
der Leutnant sich der Kompagnie näherte, kommandierte der Feldwebel mit
dröhnender Stimme:

»Stillgestanden! -- Richt' euch! -- Augen gerade -- aus! -- Die Augen
links! -- -- Kompagnie beim Antreten!« meldete er dann dem Offizier.

»Danke, danke!« sagte Frobenius und überlegte, was er nun zu tun
hätte. Das dauerte ungefähr eine Minute, während deren der Feldwebel
regungslos neben ihm stand und ebenso regungslos die Kompagnie mit
Augen links.

Frobenius verfiel in tiefes Sinnen. Herr Gott, was machte man denn nun
jetzt nur?

Der Feldwebel kam ihm zu Hilfe: »Gestatten Herr Leutnant, daß ich
rühren lasse?«

»Bitte, bitte, selbstverständlich -- lassen Sie nur rühren!«

»Augen gerade aus -- rührt euch!«

In diesem Augenblick schollen vom Kasernentor her hallende Pferdehufe,
und Hauptmann Goll kam auf seinem riesigen Rappen herangesprengt,
gerade auf Frobenius zu.

Frobenius riß den Schleppsäbel in die Höhe und salutierte seinen
Kompagniechef. Der hielt dicht vor ihm, sah ihn von oben bis unten an,
staunend, fassungslos.

»Na, Herr Leutnant, wollen Sie mir denn nicht freundlichst die
Kompagnie melden?«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann!« Er fuhr herum und schrie mit einer
Stimme, als sei er von Mördern überfallen und wolle die Welt um Hilfe
zusammenrufen: »Stillgestanden -- Augen links!«

Hauptmann Goll sah seinen Untergebenen abermals von Kopf bis zu Füßen
an: »Herr Leutnant, Sie scheinen sich mit dem neuen Exerzier-Reglement
noch nicht sonderlich beschäftigt zu haben, aber auch Ihre alte
Weisheit haben Sie scheinbar einigermaßen verschwitzt, sonst würden Sie
wohl die Kompagnie zunächst ausgerichtet haben -- und dann heißt das
Kommando nach dem neuen Reglement: die Augen links! -- Also, bitte,
stecken Sie gefälligst die Nase ins Reglement, damit Sie sich nicht vor
den Kerlen blamieren -- danke Ihnen! -- 'Morgen, zweite Kompagnie!«

»'Morgen, Herr Hauptmann!« scholl es aus hundertundzwanzig Kehlen
zurück, daß die Kasernenwände bebten.

»Augen gerade -- aus -- rührt euch!«

Frobenius schielte zur Kompagnie hinüber -- ein fröhliches Grinsen lag
auf allen Gesichtern.

Ja, da war nichts zu machen -- der Respekt war von vornherein zum
Teufel.

Schon nahte ein neues Schrecknis: ein Füsilier, den Frobenius natürlich
nicht kannte, führte einen großen, starkknochigen Goldfuchs mit weißer
Stirnblässe und unruhig schielenden Augen heran, der immerfort heftig
den Kopf in den Nacken warf und von Zeit zu Zeit mit der Hinterhand
nervös zusammenfuhr.

»Pferd für Herrn Leutnant zur Stelle!« meldete er.

Aha, dachte Frobenius, das ist der Bursche vom Oberleutnant Menshausen,
dem muß ich jedenfalls ein Trinkgeld geben. Er suchte in seinem
Portemonnaie, fand nur ein Zweimarkstück und drückte das dem Burschen
in die Hand, obgleich er sich darüber klar war, daß das viel zu viel
sei.

»Wollen Herr Leutnant gleich aufsitzen?«

»Jawohl!«

Der Bursche hielt den rechten Bügel, Frobenius trat an die linke
Seite und hob das Bein, aber es gelang ihm nicht, den Steigbügel zu
erreichen. Himmel, war das ein Elefant! Der Bursche mußte den Bügel
länger schnallen, und nach einigen krampfhaften Anstrengungen saß
Frobenius im Sattel. Im selben Augenblick stieg der Gaul hinten und
vorne, und der Reiter schwankte hin und her -- wie ein Wrack im Sturm.

Zwei Füsiliere sprangen auf Hauptmann Golls Befehl herzu und beruhigten
die Bestie. Nun saß Frobenius steif aufgerichtet und wagte nicht, sich
zu rühren, aus Furcht, der Gaul möchte wieder unruhig werden.

Leutnant Quincke kam und meldete sich beim Kapitän. Sein verkatertes
Gesicht war fahl -- mit einem unverschämten Grinsen begrüßte er den
Reiter und stieß mit der Säbelscheide wie in harmlosem Scherz nach
Kunos Flanken. Kuno machte einen mächtigen Satz zur Seite, und auf ein
Haar hätte Frobenius das Gleichgewicht verloren.

»Donnerwetter -- lassen Sie doch diese Scherze, Herr Quincke!«

»O, entschuldigen Sie, Herr Frobenius, wer konnte auch ahnen, daß der
Schinder so nervös ist -- liegt das an ihm oder an Ihnen?«

Zwei andere Gäule wurden vorgeführt. Der eine gehörte dem Oberleutnant,
der erst im letzten Augenblick heranschoß, sich hastig beim
Kompagniechef meldete und wie der Blitz im Sattel saß; den andern,
einen zierlichen Apfelschimmel, bestieg Quincke, leicht und elegant,
und ließ ihn ein paar kurze Gänge machen. Das begeisterte Herrn
Kuno, sich anzuschließen, und so wurde Frobenius unfreiwillig über
den Kasernenhof spazieren getragen, bis Hauptmann Goll die Kompagnie
formiert hatte.

»Bitte, Herr Leutnant Frobenius, reiten Sie bei mir! Die Herren
Menshausen und Quincke nehmen die Queue.«

Mit Mühe gelang es Frobenius, sich an die Seite seines Kapitäns zu
dirigieren. Die Spielleute traten an die Tête, und der Hauptmann
kommandierte:

»Stillgestanden -- das Gewehr -- über! -- Gruppenkolonne rechts --
erster, zweiter, dritter Zug -- Kompagnie -- marsch!«

Die Spielleute schlugen an. -- Beim ersten Klang der Instrumente machte
Kuno einen fürchterlichen Satz nach links, raste wie toll in weitem
Bogen um den Kasernenhof, beruhigte sich aber dann und setzte sich
wieder neben das Pferd des Hauptmanns.

Die Füsiliere platzten vor Vergnügen.

»Kompagnie -- halt!« schrie der Kapitän. »Wenn ihr unverschämten
Lümmels euch noch einmal untersteht, beim Exerzieren die Fresse zu
verziehen, so reit' ich euch gliederweise in den Dreck -- verstanden!?
-- Kompagnie -- marsch!«

Und dann mit vernichtendem Blick zu dem unglücklichen Reiter an seiner
Seite: »Herr Leutnant, wenn Sie nicht reiten können, dann sagen Sie's
gefälligst gleich! und ruinieren Sie mir hier nicht die Disziplin!«

»Verzeihen Herr Hauptmann, ich weiß selbst nicht, was das ist -- ich
glaube, man hat mir da eine ganz gefährliche Bestie geschickt -- aber
ich werde mich schon gewöhnen!«

Und so kam es auch. Kuno klebte ganz zufrieden an dem ruhig und sicher
schreitenden Rappen des Kapitäns und schien sich in sein Schicksal und
seinen Reiter ergeben zu haben.

Zum muntern Spiel der Trommeln und Pfeifen ging's nun durch die stillen
Straßen hinaus. -- Ab und an schoben sich droben an den Fenstern
die Vorhänge auseinander, und verschlafene Gesichter schauten auf
die ausrückende Schar -- hier ein verdrießliches Matronenantlitz,
von wirren, grauen Haarsträhnen überhangen, dort ein freundliches
Mädchenköpfchen mit süß verträumten Wangen. -- Im Morgensonnenschein
blinkten die frisch geputzten Knopfreihen und Helmbeschläge, blinkten
wie gleißende Schlangenschuppen die taktmäßig leise pendelnden
Gewehrläufe. -- Die Pferde wieherten lustig in die Dunstschwaden der
Frühe hinaus, und Frobenius fing an, sich überaus behaglich zu fühlen
-- wäre Hauptmann Goll etwas gesprächiger gewesen, es hätte sehr lustig
sein können -- aber des Kapitäns Miene dräute Unheil -- er würdigte
seinen Gefährten keines Wortes.

Indessen schließlich -- wer war Hauptmann Goll? -- Irgendein
gleichgültiger Fleck in der spätsommerlichen Morgennatur -- ein
flüchtiger Schatten auf dem Glück der Stunde -- wie konnte so was
Bedeutungsloses ihn, Wilhelm Frobenius, um die frische Wonne dieses
lustigen Frühritts bringen?

Ach, es war doch himmlisch, so auf einem feurigen Roß in die
nebeldampfende Landschaft hinaus sich tragen zu lassen!

Allerhand literarische Erinnerungen fielen ihm ein -- die
Hohenstaufenkaiser auf der Fahrt über die Alpen -- Goethes Besuche bei
Friederike in Sesenheim:


  »Es schlug mein Herz: geschwind zu Pferde!
  Es war getan fast, eh's gedacht.«


Herrgott, daß man das bloß nicht früher gelernt hatte. -- Ja, ja, da
war die harte Jugend gewesen voll einsamen Schaffens, Grübelns und
Sinnens im tabakdurchwölkten Studierkämmerchen -- fern von den muntern
Kommilitonen, die bei Becher und Schläger ihr Leben auskosteten.

Reiten! -- Du lieber Himmel -- dem Sohn des armen Volksschullehrers aus
dem Westerwalddörfchen war das immer als ein Privileg der hoch droben
hausenden Glückserkorenen erschienen.

Und nun war er, nicht fern den Vierzigen, doch noch auf den Klepper
gekommen -- das hatte sein Faustwerk, das hatten die zwanzig Auflagen
seines Schiller-Volksbuches zum Jubiläum von 1905 zustande gebracht.

Ach ja -- nun gehörte er selbst zu den Glückserkorenen. -- Wie sagte
doch das arabische Sprichwort:


  »Alles Glück der Erde
  liegt auf dem Rücken der Pferde,
  in der Gesundheit des Leibes
  und am Herzen des Weibes.«


Ha -- zwei von diesen Dingen nannte er nun sein eigen -- gesund an Leib
und Seele -- beim Himmel! das war er -- und auf dem Rücken des Pferdes
saß er nun ja Gott sei Dank auch.

Nun fehlte nur noch das Ruhen am Herzen des Weibes -- ja, dazu würde
jetzt allerdings allmählich Rat geschafft werden müssen, sonst dürfte
Wilhelm Frobenius am Ende doch den Anschluß verfehlen.

Indessen -- wenn er so viel erreicht hatte, wenn er zwei Drittel alles
Erdenglücks bereits besaß -- warum sollte sich nicht auch noch das
letzte Drittel erringen lassen?

Wilhelm Frobenius meinte, noch niemals eine solche Stunde
leichtsinniger Hoffnungswonne -- eine solche Stunde Versinkens im
Augenblick durchgekostet zu haben.

Immer höher reckte sich seine eingefallene Brust -- immer kecker
warf er die Nase empor, ließ er die Blicke zu den Fenstern der nun
schon spärlicher den Weg einsäumenden Häuser emporschweifen -- und
als schließlich aus dem ersten Stockwerk eines einsamen Forsthauses
am Waldrande gar ein Mädchen hervorlugte, das er mit seinen, durch
die großen, goldgefaßten Brillengläser geschärften Augen für über die
Maßen hübsch hielt, da warf er der Schönen im Überschwang der Stimmung
eine heimliche Kußhand zu, schielte aber gleich darauf erschrocken zu
Hauptmann Goll hinüber.

Doch der hatte zum Glück nichts gemerkt -- verschlafen blinzelten seine
stechenden Augen zwischen den Pferdeohren hindurch in den Staub der
Landstraße -- verständnislos für all die Herrlichkeiten der Morgenfrühe
-- verständnislos für das süße Lebensglück, das wie ein feuriger junger
Wein durch die Adern seines Gefährten rieselte.




                           Viertes Kapitel.


»Na, Alter -- wie wär's mit 'nem Galöppchen?«

Nelly von Sassenbach ritt zur Rechten ihres Vaters. Sie war heute
morgen gar nicht mit ihrem Alten zufrieden -- sonst waren er und sie
immer für scharfes Tempo, und Molly, die um sieben Jahre jüngere
Schwester, die sich auf dem Gaul weit weniger zu Hause fühlte, war
immer wie zerschlagen, wenn sie vom gemeinsamen Ritt mit Vater und
Schwester heimkam.

Aber heute war der Major nicht aus dem Schritt zu bringen -- und auch
jetzt brummte er auf die Zumutung seiner Ältesten zum Angaloppieren
irgend etwas Unverständliches in die melancholisch niederhängenden
Schnurrbartzipfel hinein, nahm gleichzeitig die Mütze ab und tupfte den
Schweiß von der Stirn, obgleich die Spätsommersonne kaum die Frühnebel
zu besiegen begann.

»Aha,« sagte Nelly, »du hast Kater, Alter, ich merk's schon -- was war
denn gestern los im Kasino?«

»Na, was wird los gewesen sein -- die Herren von der Reserve und
Landwehr wurden angefeiert -- das war alles!«

»So,« sagte Nelly, »und deshalb war der Oberst zu Tisch gekommen?«

»Der Oberst -- wieso -- wie kommst du denn auf ~die~ Idee, Mädel?«

»Aber Alter!« lachte Nelly verschmitzt, »ich hab doch gestern selbst
gehört, wie du Mama erklärt hast, du kämest nicht zum Mittagessen, weil
der Oberst im Kasino speise und dich zu Tisch eingeladen habe.«

»Ei verflucht --« knurrte der Major, »na also, daß ihr's wißt, Kinder
-- das war geschwindelt, weil ich sonst -- hm, hm -- schwerlich Urlaub
bekommen hätte. Daß ihr mir aber reinen Mund haltet! -- besonders du,
Nesthäkchen!«

Die blonde Molly antwortete nicht, verzog den Mund in einer Manier,
die der Vater gar zu gut kannte; denn sie war restlos von der Mutter
auf die Tochter vererbt worden -- nur daß es doch ein Unterschied war,
ob die bewußte Falte rechts und links von einer Neunzehnjährigen oder
einer Achtundvierzigjährigen Munde stand.

»Also wirklich -- mit dem Galopp wird's heute nichts! -- Na, dann
erzähl uns wenigstens was von gestern.«

»Ja, was ist da viel zu erzählen -- ist eben mal wieder 'ne Anzahl
fragwürdiger Gestalten, als Leutnants und Oberleutnants verkleidet,
auf der Bildfläche erschienen -- haben sich mit uns betrunken und uns
allerhand höchst gleichgültige Geschichten von den merkwürdigsten
Zivilberufen erzählt.«

»Was sind's denn für Leute?« fragte Nelly unverdrossen weiter,
»bekommen wir sie auch mal zu sehen?«

»Na, doch natürlich -- sind ja noch im Regiment, wenn nächstens die
große Fête vom Stapel läuft!«

»Erlaube mir, bei dieser Gelegenheit zu bemerken, lieber Papa,« warf
Molly ein, »daß wir heute spätestens um halb elf zu Hause sein müssen;
denn wir sind auf Punkt elf Uhr zu Frau von Brandeis gebeten, wo die
erste Probe für das Festspiel stattfinden soll.«

»Wat is det?« grunzte der Vater, »Festspiel? -- Hab ich ja noch gar
nichts von gehört!«

»Wir haben angenommen, das interessierte dich nicht, lieber Papa,«
meinte Molly spitz. Dann aber ließ sie sich doch herab, etwas genauere
Angaben zu machen. Es würden also lebende Bilder gestellt werden, und
zwar drei -- dazu verbindender Text, dialogisch gesprochen von Frau von
Brandeis, Schwester Nelly, ihr selbst und Herrn Leutnant Blowitz -- den
Text habe ein Einjähriger des Regiments verbrochen.

Das letztere war schließlich das einzige, was den Major ernstlich
interessierte. Ein Einjähriger des Regiments -- von welcher Kompagnie
der denn sei und wie er heiße?

Das wußten die Mädchen nicht -- sie hatten ihn noch nicht kennen
gelernt.

»Gnade Gott, wenn er von meinem Bataillon ist -- dem werd ich die
Hammelbeine langziehen -- jedenfalls werd ich ihn mir mal vorbinden
und ermitteln, ob er auch im Exerzierreglement und in Dienstkenntnis
auf der Höhe der Situation ist -- wenn nicht, dann treib ich ihm das
Dichten aus -- aber gründlich!«

»Also die Reserveoffiziere kommen auch zum Regimentsfest?« fragte Nelly
weiter, »das ist ja 'n wahrer Segen -- dann bekommt man doch endlich
mal 'n paar andere Gespräche zu hören, als ewig Avancement -- Kommandos
-- Vorderleute -- und den übrigen Kommißtratsch. Wenn man das, wie ich,
bereits sieben Saisons hindurch genossen hat, dann lechzt man geradezu
nach Abwechslung.«

»Tja, Mädel,« knurrte der Major, »warum hast du nicht längst
geheiratet?«

»Warum ich nicht geheiratet habe? -- Na, Vater, ich meine, das müßtest
~du~ doch wissen!«

»Is ja wahrhaftig 'ne Schande,« brummte der Major, »Mädel wie 'ne Tanne
-- firm auf dem Gaul und in der Küche -- Kommißvermögen dreidoppelt
vorhanden, dank meiner seinerzeitigen Vorsicht in der Auswahl des
Schwiegerpapas -- mit einem Worte: alles da! -- Und ihr Mädels bleibt
liegen wie die trocknen Semmeln!«

»Na, an mir hat's doch wahrhaftig nicht gelegen,« schmollte Nelly.

»Ne, ich weiß schon -- du kannst nichts dazu!« Der Major griff sich mit
drei Fingern in den Rockkragen, als sei der zu eng geworden. »Du kannst
nichts dazu!«

Molly rückte ungeduldig auf ihrem Sattel hin und her: »Möchtest du mir
nicht den Gefallen tun, Papa, und in meiner Gegenwart von Mama nicht so
respektlos sprechen -- du weißt, das schmerzt mich.«

»Nanu -- hab ja kein Wort gesagt!«

»O -- ich hab dich sehr gut verstanden. Wenn Mama zuweilen etwas
abwehrend gegenüber gewissen Herren gewesen ist, die sich um uns bemüht
haben, so hat sie es jedenfalls sehr gut gemeint -- und soweit ich's
beurteilen kann, ist es immer zu unserm Glück gewesen, daß aus den
Partien nichts geworden ist, die Mama abgelehnt hat.«

Nelly warf dem Vater einen verständnisvollen, der Schwester einen
bitterbösen Blick zu.

Der Vater und seine Älteste wußten sich einig in dem Gedanken: der
Freier, der Mama von Sassenbachs Beifall fände, der sollte noch
geboren werden. Unter den jungen Leuten von heute hatte Mama von jeher
fürchterliche Musterung gehalten -- und keinen gerecht befunden.

Nelly hatte auch längst die Hoffnung aufgegeben, daß einer der
Herren des Regiments Gnade vor Mamas Augen finden könnte. Sie hatte
in ihren sechsundzwanzig Jahren und sieben durchtanzten Saisons gar
manchen Flirt gehabt, und der eine oder andere war verflucht ernst
geworden, aber im richtigen Augenblick war es Mama stets gelungen, den
betreffenden Bewerber derart kopfscheu zu machen, daß er abschnappte.

Jedesmal, wenn ein Herr in entsprechenden Jahren, Hauptmann oder
Oberleutnant, der noch zu haben war, von auswärts ins Regiment versetzt
worden war, hatten der Vater und seine Älteste sich in geheimen
Hoffnungen gewiegt, aber nie war's etwas geworden -- und so exklusiv
war der Verkehr des Regiments, daß Bewerber aus nicht militärischen
Kreisen für eine ernsthafte Annäherung kaum in Frage kamen.

Molly, Mamas Ebenbild und getreue Schildhalterin, war bisher mit ihrem
Schicksal vollkommen zufrieden geblieben -- Nelly aber hatte sich
allmählich in einen Zustand ständiger, latenter Empörung wider ihr Los
hineingelebt.

Den unverbrauchten Energieüberschuß ihrer stählernen Leiblichkeit tobte
sie in halsbrecherischen Ritten, stundenlangen Radpartien, endlosen
Tennistournieren aus -- ihre lebenshungrige Seele aber lag völlig
brach.

Dies Gefühl der Inhaltslehre ihres Daseins preßte ihr oft in der
Einsamkeit draußen -- in schlummerlosen Nächten daheim -- heiße,
ächzende Tränengüsse ab.

Sie war verstummt. Den Kopf in den Nacken zurückgeworfen, spornte sie
ihren Gaul, hielt ihn aber fest an der Kandare, daß er schäumend und
kopfschleudernd nach rechts und links aussprang, ohne vom Fleck zu
können.

Trüben Blicks verfolgte der Major das Tun seines Lieblings. -- Ja, ja
-- so lagen sie alle drei an der Kandare -- der Gaul, das Mädel und er
selber auch.

Das war nun achtundzwanzig Jahre her, seit der junge, leichtsinnige
Leutnant sich durch die Heirat mit der Tochter eines reichgewordenen,
baronisierten niederrheinischen Großindustriellen aus dem chronischen
Dalles herausgeholfen hatte, dem auch er verfallen war, wie seine
ganze altfeudale Familie ... aber für diese Rettung hatten seine
achtundzwanzig Ehejahre ihm die Quittung präsentiert ... Ein reiches
Mädel heiraten! -- Soll's der Deubel holen -- den Drachen bekommt man
gratis!

Der Major zog die Uhr. Es fiel ihm ein, daß er sich auf Punkt neun
Uhr am Wegekreuz mit seinem Adjutanten, dem Leutnant Blowitz,
verabredet hatte, um sich dort von seinen Töchtern zu trennen und zur
Inspektion der Morgenarbeit seines Bataillons nach dem Exerzierplatz
hinüberzureiten.

»Ja, Kinder, nun wird uns doch nichts übrig bleiben, als ein kleines
Träbchen zu riskieren, sonst geraten die Erste und die Zweite
aneinander, ehe der Kommandeur zur Stelle ist!«

Und in der Tat -- vom Exerzierplatz herüber klangen vereinzelte
Schüsse, die bald lebhafter wurden: die beiden Kompagnieen, welche
heute Gefechtsübung miteinander vereinbart hatten, mußten also bereits
Fühlung gewonnen haben.

Schweigend trabte der Major inmitten seiner Töchter die Chaussee
entlang.

Die Sonne hatte sich inzwischen durchgekämpft ... das Bild der
Landschaft entrollte sich in leuchtender Lieblichkeit ... zur Rechten
die dunkeln Waldberge ... zur Linken die abgeernteten fahlgelben
Ackerbreiten, die sich zum Tal herniedersenkten, wo längs des
blinkenden Flußstreifs die Türme und qualmenden Schornsteine der
Garnisonstadt aus fahlem Dunste stiegen, der noch drunten lagerte ...
Geradeaus vor den Reitern zog sich die Chaussee in schnurgerader Linie
einen Hügel hinan, hinter dem das Wegekreuz lag und weiterhin der
Exerzierplatz sich dehnte ...

Jetzt schollen aus der Ferne rasche Hufschläge.

»Aha -- hört ihr?« sagte der Major, »das muß Blowitz sein! Gewiß kommt
er mir entgegen, um mich zur Eile anzuspornen, weil's dahinten schon
losgeht!«

In diesem Augenblick tauchte ganz, ganz hinten, wo die Chausseebäume
sich zu einem dunkeln Strich längs des gelben Wegstreifens
zusammenschlossen, ein Reiter auf ... nein ... ein Reiter schien's
nicht zu sein ... ein herrenloses Pferd, das in rasender Karriere den
sanft sich senkenden Hang heruntertobte.

Aber nein ... der Sattel war ja nicht leer ... es sah aus, als baumele
ein dunkler Sack auf dem Pferderücken hin und her ...

Nun auf einmal enthüllte sich das ganze Schrecknis ... der Gaul mußte
durchgegangen sein und der Reiter die Herrschaft völlig verloren haben
...

Wahrhaftig! ... Ein Offizier! ...

Der Säbel schlenkerte hoch in der Luft ... nun flog in weitem Bogen
der Helm vom Kopfe des Reiters in den Chausseegraben, und verzweifelt
umklammerte der Reiter den Hals des Pferdes ... immer näher heran raste
die tolle Jagd ...

Ein Schrei war aus den Kehlen beider Mädchen erklungen, ein dumpfer
Fluch kam aus den Zähnen des Majors, als den dreien der Vorgang
klar geworden war. Während aber der Vater und die jüngste Tochter
wie gelähmt auf das unbegreifliche Schauspiel starrten, warf Nelly
plötzlich ihren Gaul herum und raste in der entgegengesetzten Richtung
von dannen.

Der Major gaffte einen Augenblick verständnislos hinter seiner Ältesten
drein ... Dann hatte er begriffen ... Nelly, die leidenschaftliche
Reiterin, hatte den einzig richtigen Weg eingeschlagen ... Schon warf
auch er den Gaul herum und galoppierte hinterdrein ...

In diesem Augenblick fegte schon der durchgegangene Gaul an ihm vorbei,
und der Major erkannte in dem Reiter den Landwehronkel, mit dem er sich
gestern abend so fabelhaft gebildet unterhalten ...

Mit wütendem Sporenhieb stachelte der Major sein Pferd, aber der
Vorsprung, den der Durchgänger erlangt, schien nicht mehr
einzuholen ...

Nun hatte der Flüchtling Nellys Pferd erreicht, und beide Tiere rasten
in gleichem Tempo die Chaussee entlang ... immer mehr näherte sich das
Mädchen dem Durchbrenner ... nun neigte sie sich im Reiten nach rechts
hinüber und suchte die flatternden Zügel des rasenden Tieres zu fassen.

»Nelly -- Nelly!« schrie der Major.

Das konnte ja nun und nimmer gut gehen! ...

Doch jetzt hatte das Mädchen die Zügel gepackt ...

Im vollen Dahinstürmen riß sie drei-, viermal mit ganzer Kraft den Kopf
des Gaules zu sich herüber ...

Das Tempo verlangsamte sich ... abermals riß das Mädchen den Kopf des
Durchbrenners herum ... noch schossen beide Gäule dicht Seite an Seite
vorwärts ... aber der Ansturm erlahmte ...

Nun stieg der Fuchs ein paarmal in die Höhe, machte noch einen
vergeblichen Versuch, auszubrechen, stieg abermals ... und stand
plötzlich wie angemauert, flankenzitternd, schnaubend, über und über
mit flockigem Schaum und Schweiß bedeckt ...

Der Reiter hatte bei diesem letzten plötzlichen Halt den Zusammenhang
mit seinem Gaul vollends verloren und war in den Graben gekugelt.

Als der Major herankam, hatte sein Mädchen den Flüchtling bereits
vollständig in ihrer Gewalt und beruhigte ihn mit Klopfen und Zuspruch
...

»So ein Satan von Mädel!« keuchte Sassenbach, »hast du denn nichts
mitbekommen?«

Er mochte wohl fragen! --

Als der Major die Zügel des Ausreißers ergriffen hatte, ließ Nelly
den rechten Arm schlaff heruntersinken -- ihr war's, als seien alle
seine Sehnen wacklig geworden und baumelten schlapp herunter, wie die
ausgezerrten Kugelgelenke einer Gliederpuppe ... mit leisem Stöhnen zog
sie die Luft durch die Zähne ...

»Tut's weh?« fragte der Vater nochmals besorgt.

»Haarsträubend!« gestand Nelly, »aber du siehst: aus dem Leim ist er
noch nicht ... sehen wir also zunächst mal nach dem da im Graben! ...«

Frobenius war weich gefallen ... zu seinem Glücke war just neben dem
Platz der Katastrophe ein Froschwässerlein im Chausseegraben, das hatte
wie ein elastisches Kissen seinen Sturz aufgefangen ... die Frösche
hatten dabei mehr Schaden genommen als ihr unfreiwilliger Gast ...
Nun saß Frobenius mit der Rückseite seines Körpers in dem Tümpel,
während die Beine noch auf dem Rande der Chaussee lagen. Er hatte
sich aufgerichtet, und seine Arme standen hinter seinem Rücken in dem
Wässerchen ... so sah er drein mit dem Unschuldsblick eines Kindes, das
eben vom Himmel gefallen wäre ... seine Augen suchten, wie aus tiefem
Traum erwachend, nach dem Urheber seines Unglücks ...

Auf einmal sah er neben dem keuchenden und schnaubenden Kuno den
Oberkörper einer Dame ...

Eine Dame? ... wie kam denn die hierher? ... Das war doch nicht etwa
gar ... nein ... das durfte nicht sein ... das wäre zu ungeheuerlich
gewesen ...

Er, ein Mann ... und von einem jungen Mädel gerettet ... das wäre gar
nicht wieder gut zu machen ...

Und -- -- Teufel ... kam da nicht eben gar sein Bataillonskommandeur
herangesprengt, mit dem er sich gestern abend bei der letzten Flasche
Sekt so glänzend unterhalten --?

Und der war sorglich um das junge Mädchen bemüht ... fragte nach ihrem
Befinden -- --

Ja ... gab's denn so was überhaupt? ... war eine solche Blamage denn
überhaupt faßbar? ...

Der Major nannte das junge Mädchen du ... sie sagte Vater zu ihm ...

Gerettet von der Tochter seines Bataillonskommandeurs! ...

Das war so ungeheuerlich ... so unwahrscheinlich -- -- daß es schon
fast nicht mehr ernst zu nehmen war ...!

Und wie nun Wilhelm Frobenius an sich selber herunterschaute und sich
rücklings in dem Froschtümpel sitzen sah, da verschwand jede Spur
persönlicher Beschämung vor der reinen Freude an der haarsträubenden
Komik der Situation ...

Als der Major sich überzeugt hatte, daß seine Tochter heil sei, und
beide sich dem Opfer der Katastrophe zuwandten ... da saß dies Opfer in
seinem Überzug von Schlamm und Algen ... und lachte ... lachte selig
wie ein Kind, das einen fabelhaft gelungenen Streich ausgeführt hat und
nun auf allgemeine Dankbarkeit Anspruch macht ...

Einen Augenblick waren die Retterin und ihr Vater völlig verblüfft
... dann aber stimmten auch sie erlöst und überwältigt ein in die
erdentrückte Heiterkeit des langen Menschen im Froschpfuhl ...

»Donnerwetter! -- Sie scheinen sich in Ihrem Tümpel da ja ganz
behaglich zu fühlen! -- Wie lange wollen Sie denn da eigentlich noch
sitzen bleiben?«

Und die junge Dame fragte: »Soll ich vom Pferde runterkommen und Ihnen
die Hand geben?«

Da kam Wilhelm Frobenius denn doch zu Besinnung.

Er versuchte aufzuspringen ... aber das war nicht so leicht ...
Es blieb ihm nichts übrig, als die Beine, die bisher so schön
auf dem Trocknen gelegen hatten, von ihrem hochgelegenen Platze
herunterzudirigieren.

Und so, am ganzen Leibe triefend und mit grünem Schlamm überzogen,
richtete Wilhelm Frobenius seine lange Gestalt auf, stieg auf die
Chaussee und machte eine tragikomische Verbeugung.

»Darf ich Herrn Major ganz gehorsamst bitten, mich vorzustellen?!«

Abermals platzte Nelly heraus.

»Ja,« sagte der Major, »als was soll ich Sie denn nun vorstellen -- als
Leutnant der Landwehr? -- Das geht doch nicht gut; denn augenblicklich
haben Sie mit allem Möglichen Ähnlichkeit ... aber mit einem Leutnant
... Also, sagen wir schlechtweg: Herr Frobenius -- meine Tochter
Nelly!«

»Na, nun bedanken Sie sich mal schön bei mir!« sagte Nelly und rieb den
schmerzenden Arm, »wer weiß, wo Sie jetzt schon wären, wenn ich mich
nicht über Sie erbarmt hätte!«

»Eigentlich müßte ich Ihnen böse sein, mein gnädiges Fräulein ...
stellen Sie sich vor, welch ein Schicksal meiner wartet! -- Meinen Sie
nicht auch, daß mir besser wäre, dieser infame Schinder hätte mich da
hinten irgendwo gegen einen Baum gerannt? ... Dann wäre jetzt alles
vorbei und ich läge friedlich und entseelt irgendwo an der Landstraße
... aber jetzt: -- so ein Lachen, wie über mich anheben wird, ist doch
überhaupt noch gar nicht dagewesen. Das habe ich Ihnen zu verdanken,
mein gnädiges Fräulein!«

Dabei strahlten hinter den funkelnden Brillengläsern die braunen Augen
des Mannes zu dem Mädchen empor, mit einem Ausdruck, der just das
Gegenteil seiner Worte sagte:

Ahnst du, Mädchen, wie lieb ich das Leben hab? ... ahnst du, wieviel
ich noch wirken und schaffen möcht' auf dieser Erde? ... ahnst du, was
für ein krauses, sehnsüchtiges, umgetriebenes Herz das ist, das nun
weiter schlagen darf dank deiner schnellen Tat?

Einen Augenblick lang hatte dies geheimnisvolle Leuchten der braunen
Augen die stahlblauen der Retterin festgehalten ... dann aber ließ sie
ihre Blicke an der hageren Gestalt herabgleiten ...

Nein, so eine Karikatur! ...

Von den grün überkleisterten Rockschößen ... von den Ärmelaufschlägen
hernieder triefte es in den Staub der Chaussee ... Die dürren Beine in
den schlammüberkrusteten Reitstiefeln schlotterten vor Nässe und Frost
...

Der Instinkt der Soldatentochter lehnte sich auf gegen dieses Zerrbild
... Der Herr trug doch nun mal des Königs Rock ... nun galt's vor
allem, die unmögliche Situation zu retten ...

Mit Überraschung sah Frobenius, daß das Zucken des Lächelns und der
Teilnahme plötzlich, wie weggeweht, vom Gesicht des jungen Mädchens
verschwand.

»Herr Leutnant,« sagte sie mit unüberhörbarer Ironie, »mein Vater war
gerade im Begriff, zum Bataillon zu reiten -- Gehn Sie bitte dort
irgendwo in den Wald und legen Sie sich in die Sonne zum Trocknen ...
meine Schwester und ich werden Ihr Pferd mit zum Tattersall nehmen und
Ihnen einen Wagen herausschicken ... So können Sie ja unmöglich in die
Stadt zurück!«

»Ah, das ist ja 'ne ausgezeichnete Idee!« stimmte der Major zu.

Zerschmettert sah Wilhelm Frobenius an seiner jammervollen Erscheinung
herunter ... »Allerdings -- Sie haben wohl recht, gnädiges Fräulein!
Ich danke Ihnen! -- Den Dank für meine ... Rettung ... hoffe ich Ihnen
... in etwas schicklicherer Verfassung ...«

»Schon gut, schon gut!« sagte Nelly, »nur schnell von der Chaussee
herunter, Herr Leutnant ... Da hinten kommt schon eine Kompagnie vom
Exerzierplatz zurück ...!«

»Ah, gut, gut!« sagte der Major, »also schnell, Herr Leutnant,
verschwinden Sie! -- Und ihr, Mädels,« -- das galt Nelly und der soeben
herankommenden Molly -- »macht, daß ihr nach Hause kommt ... Ich halte
den Schinder so lange und werde ihn der Kompagnie dort übergeben; die
kann ihn zur Stadt zurückschaffen ...!«

Mit kurzem, herbem Kopfnicken verabschiedete sich die junge Dame von
ihrem Schützling, der barhaupt im prallen Sonnenschein vor ihr stand
und mit schlotternden Gliedern eine hilflos befangene Verbeugung machte
... In schlankem Galopp stoben die beiden Reiterinnen nach rechts der
Stadt zu.

Der Major ergriff die Zügel Kunos des Schrecklichen, der wie ein
Lämmchen folgte, grüßte kurz mit der Linken und sprengte der
anmarschierenden Kompagnie entgegen.

Wilhelm Frobenius aber stapfte an seinem Tümpel vorüber ... durch
den Chausseegraben ... in den Wald ... und suchte sich ein sonniges
Plätzchen aus ...




                           Fünftes Kapitel.


Die Kompagnie, die auf der Chaussee vom Exerzierplatz sich näherte, war
die dritte.

Hauptmann Haller, der vorschriftsmäßig an der Queue ritt, sah seinen
Bataillonskommandeur herankommen und galoppierte an, überholte seine
Kompagnie und meldete dem Major: »Dritte Kompagnie auf dem Rückmarsch
vom Exerzierplatz!«

»Danke, lieber Haller! -- Hier bring ich Ihnen etwas Schönes mit!«

»Ich hab mich schon gewundert, Herr Major.«

»Haarsträubende Geschichte! -- Hat den Leutnant der Landwehr Frobenius
abgeworfen -- der Satan!«

Die Kompagnie war inzwischen herangekommen. Staubbedeckt, lustig seine
Zigarette rauchend, marschierte an ihrer Spitze der schlanke, blonde
Leutnant von Finette. Er hatte die letzten Worte gehört, und nachdem
er vor seinem Bataillonskommandeur salutiert, erlaubte er sich zu
bemerken: »Darf ich Herrn Major darauf aufmerksam machen, daß das Kuno
der Schreckliche ist?!«

»Kuno der Schreckliche -- wer ist denn das?«

»Ein total aus dem Leim gerittener Schinder aus dem Tattersall! Wer hat
denn bloß dem unglücklichen Herrn von der Landwehr diese Kreatur unter
den Leib gesteckt? ... Die ist doch eigentlich nur noch zu Beefsteak
zu gebrauchen!«

»So,« sagte der Major, »das begreife ich allerdings auch nicht ... Ich
werde doch mal an den Direktor telephonieren ... So was darf nicht
wieder vorkommen ... das ist ja 'ne Infamie geradezu!«

Hauptmann Haller hatte inzwischen seinen Burschen herangewinkt, der dem
Major die Zügel des unglücklichen Gaules aus der Hand genommen hatte.

»Haben Sie die Erste und Zweite gesehen?« erkundigte sich der Major.

»Zu Befehl, Herr Major! Die Zweite hat das Kastanienwäldchen besetzt --
die Erste greift von der Hohen Tanne her an!«

»Danke vielmals! -- Guten Morgen, meine Herren!«

                   *       *       *       *       *

Am Kreuzweg traf Sassenbach, wie verabredet, mit seinem Adjutanten
zusammen.

»Was macht der Brummschädel?«

»Danke gehorsamst, Herr Major -- durchaus vorschriftsmäßig!«

»Langt's zu 'nem Galopp?«

»Selbstverständlich, Herr Major! -- Hohe Zeit! Die Erste und Zweite
müssen schon aneinander sein!«

                   *       *       *       *       *

Hauptmann von Brandeis hatte frühmorgens am Rande des Exerzierplatzes
seine Kompagnie in Züge auseinandergezogen und Übungen im
Entfernungsschätzen durch die Zugführer vornehmen lassen. Nach einer
Stunde hatte er die Kompagnie zusammengezogen und sie fünf Kilometer
weit nordwärts geführt, um auf Grund einer mit Hauptmann Goll
vereinbarten einfachen Gefechtsannahme eine kleine Felddienstübung
anzuschließen ...

Einer von den üblichen »Türken«, die mit tödlicher Sicherheit sich
immer wiederholten und denselben typischen Verlauf nahmen.

Rot, so lautete die Annahme, war gestern nördlich der Garnison
geschlagen worden ... Die Dunkelheit hatte das Gefecht unterbrochen,
und infolge Erschöpfung von Blau hatte die Verfolgung nicht mit voller
Energie aufgenommen werden können, so daß die Fühlung mit dem Feinde
verloren gegangen war ... Früh morgens hatte die Kavallerie gemeldet,
daß der Feind in der Nacht durch die Stadt hindurch gen Süden abgezogen
sei und nur noch schwache Abteilungen Versprengter sich in den Wäldern
südlich des Exerzierplatzes sammelten ...

Die erste Kompagnie, als linke Seitendeckung des auf der großen
Chaussee marschierenden Gros von Blau, bekam den Befehl, die Nachzügler
zu vertreiben ...

Die beiden Hauptleute hatten miteinander verabredet, daß ihre ältesten
Zugführer die Kompagnieen führen sollten.

Hauptmann von Brandeis hatte den weißen Helmbezug und die weiße
Armbinde der Schiedsrichter angelegt, und zu ihm war von der Zweiten
Leutnant Quincke als Schiedsrichtergehilfe getreten ... Oberleutnant
Menshausen führte die Zweite ... Leutnant der Reserve Flamberg die
Erste ... Hauptmann Goll, als der Ältere, markierte den Leitenden
und hatte den Leutnant der Landwehr Frobenius als Zuschauer zu sich
befohlen.

Bei der Zweiten wurden infolgedessen sämtliche Züge von
Unteroffizieren: einem aktiven und einem Reserve-Vizefeldwebel und
dem ältesten Sergeanten geführt ... Bei der Ersten standen Leutnant
Carstanjen und zwei Vizefeldwebel als Zugführer.

Der Oberleutnant Menshausen besetzte mit allen drei Zügen den Rand des
Kastanienwäldchens und ließ die Mannschaften sich eingraben ...

Dann hielt er Musterung unter den Unteroffizieren ...: »Der
einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen!«

»Hier!«

»Kommen Sie mal her ... Für Sie hab' ich heute eine Spezialaufgabe:
Sehn Sie sich mal rechts da das Gebüsch an! -- Sehn Sie?«

»Zu Befehl, Herr Oberleutnant!«

»Nehmen Sie sich die beiden rechten Flügelgruppen vom ersten Zuge und
suchen Sie, in das Gehölz hineinzukommen ... aber gedeckt ... verstehn
Sie!? -- auch wenn Sie einen größern Umweg machen müssen! -- Und daß
Sie mir nicht eher zum Vorschein kommen, als bis die Erste über den
Exerzierplatz zum Angriff ansetzt ... sie muß ja selbstverständlich von
der Hohen Tanne herkommen ... Wenn dann die vorhergehenden Züge auf der
Höhe Ihres Gehölzes angekommen sind, dann erscheinen Sie plötzlich mit
Ihren zwei Gruppen am Waldrand und schießen der Ersten in die linke
Flanke hinein ... Haben Sie begriffen?«

»Zu Befehl, Herr Oberleutnant!«

»Na, nun nehmen Sie sich mal zusammen und beweisen Sie, daß Sie würdig
sind, nächstens die Offizierqualifikation zu bekommen -- Sie Vertreter
der Intelligenz! Los, treten Sie an!«

Der einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen begab sich an die
rechte Flanke der ausgeschwärmten Kompagnie und befahl: »Erste und
zweite Gruppe vom rechten Flügel des ersten Zuges -- sammeln!«

Im selben Augenblick galoppierte auch schon der Kompagnieführer heran:
»Donnerwetter, Friesen, wozu wollen Sie denn Ihre zwei Gruppen sammeln?
Lassen Sie die doch ausgeschwärmt ... Wir sind im Gefecht! Einfach
kehrt marsch und dann in Schützenlinie 'runter in den Grund ... so
schnell wie möglich ...«

Der Einjährige stand stramm, zog dann mit dem Befehl »Schwärmen!« seine
beiden Gruppen wieder auseinander und führte sie in den waldbestandenen
Grund, der sich zur Rechten des Kastanienwäldchens hinzog ...

Alle Wetter, heute galt's aufpassen!

Oberleutnant Menshausen leitete die Ausbildung der Einjährigen und ihre
Vorbereitung zum Offizierexamen, und von seinem Wohlwollen hing es sehr
wesentlich ab, ob man bei der Entlassung zur Reserve die Qualifikation
zum Offizier des Beurlaubtenstandes bekommen würde ... Übrigens war er
ein harter Instruktor gewesen, der eine tiefe, grundsätzliche Abneigung
gegen die »Intelligenz im Heere« besaß und sich gar keine Mühe gab, das
zu verbergen ...

Also wirklich, es ging »um die Wurst!«

Ach ... und dabei war Hans Friesen heute so ganz und gar nicht dazu
aufgelegt, seine Gedanken auf den Königlichen Dienst zu konzentrieren
... Auf halb zwölf war er zu Frau Hauptmann von Brandeis befohlen, um
dort den Damen des Regiments, die bei der Festaufführung im Kasino
mitwirken sollten, und dem Herrn Bataillonsadjutanten das Festspiel
vorzulesen, das -- er selbst -- Hans Friesen, verfaßt hatte ...

Er, Hans Friesen, seiner bürgerlichen Hantierung nach Königlich
preußischer Gerichtsreferendar und Doktor beider Rechte -- zurzeit
Seiner Majestät jüngster Unteroffizier ...

Wahrlich ... es war keine Kleinigkeit gewesen, unmittelbar nach
bestandenem Referendarexamen ... unmittelbar nach dem Übergang aus
dem heitern Studentenleben in Amt und Würde hinein ... plötzlich ein
gemeiner Füsilier zu werden und unter der Fuchtel roher Unteroffiziere
inmitten derber Söhne des Volkes die Geheimnisse des langsamen Schritts
und des Infanteriegewehrs zu erlernen! ...

Und das nun gar, wenn man nicht nur ein alter Korpsstudent und
königlicher Justizbeamter, sondern außerdem -- ein werdender Dichter
war.

Ach, noch zwei Monate ... dann würde die Schinderei zu Ende sein, und
Hans Friesen würde wieder zu seinen geliebten Manuskripten und seinen
weniger geliebten, aber um so ehrwürdigern Akten zurückkehren
dürfen ...

Vorher aber galt's noch mancherlei Fährnis zu bestehen ...

Das Manöver war in Aussicht, und Hans Friesen war Korporalschaftsführer
... hatte das Vergnügen, jedes Kommißbrot und jede Unterhose für seine
Korporalschaft in Empfang zu nehmen ... Samstags die Ausgehgarnitur
auf Kammer zu empfangen ... und Montags sie wieder in tadellosem
Zustande abzuliefern ... und dazu kamen all die tausend jämmerlichen
und doch so notwendigen Pflichten der Fürsorge für zwanzig stramme
Burschen ...

Das alles zog durch des jungen Soldaten Hirn, als er die ihm
anvertrauten zwei Gruppen in langer Schützenlinie durch den blumigen
Talgrund führte ...

Ach, dieser Talgrund schien so gar nicht geschaffen zum Tummelplatz
für nägelbeschlagene Kommißstiefel ... Hier mußte man mit einem süßen,
braunäugigen Kind engumschlungen wandeln ... und von holden und
freudigen Dingen reden ... holde und freudige Dinge tun ...

Gott, heute mittag würde er ja endlich einmal wieder Mensch sein,
Kavalier sein, würde mit richtigen Damen reden! -- Ob er das nicht
überhaupt schon verlernt hatte im seelenmordenden Gamaschendienst? --
Nun, an ihm sollte es jedenfalls nicht fehlen!

Zwar auf sein Festspiel bildete er sich verdammt wenig ein ... Da
hatte er dem Dichtertum in seinem Busen ganz gründlich Zaum anlegen
müssen ... Er wußte wohl: es war eine schrecklich langweilige, frostige
Allegorie geworden ... Aber Frau Major von Sassenbach hatte ihm durch
Leutnant Blowitz mitteilen lassen, daß sie entzückt sei ... Und das war
ja schließlich doch der Zweck der Übung ...

Und heute mittag würde er von der schönen Frau von Brandeis empfangen
werden ... würde plaudern und studieren dürfen mit ihr und den
schlanken Töchtern des Majors ...

Es war fast wie ein Traum ... so ausgehungert wie man war nach
Schönheit und Glanz in dieser verfluchten Kasernenatmosphäre, in dieser
ekelhaften Tretmühle des Dienstes, in dem verblödenden Milieu der
Unteroffiziere und Füsiliere ...

Merkwürdig nur, daß dies Tälchen sich so endlos lang hinzog. Schon
eine halbe Stunde mußte verflogen sein, seit er sich von der Kompagnie
losgelöst und nun als eine Art kleiner Cäsar, als selbständiger
Detachementsführer, in der Welt herumgondelte.

Allmählich fing's an, unheimlich zu werden.

Er drehte sich um. Schweigsam trotteten seine Füsiliere hinter ihm her,
das Gewehr im Arm, die Nase zum grünen Waldboden gesenkt.

»Sagt mal, Kerls, weiß einer von euch, wo das Gehölz liegt?«

Die Füsiliere sahen einander an. »Wat für en Jehölz?« sagte einer der
alten Leute, »mir wisse nix von eme Jehölz.«

»Na, das Gehölz, wo wir uns aufbauen sollen, zum Donnerwetter!«

»Da hann mir doch nix von gehört -- dat hat dä Herr Oberleu'nant doch
em Herr Unner'ffzier selbst jesagt!« grinste der Füsilier.

»Nä, da wisse mer nix von,« wiederholten grinsend die übrigen Kerle.

Verflucht! -- das war ja 'ne schöne Bescherung.

»Halt!« kommandierte Friesen und überlegte.

Ringsum Bäume, nichts als Bäume, Buchen und Eichen gemischt --
Waldfriede -- Waldfriede -- wunschlose Sommerseligkeit.

Was tun? -- Offenbar war er zu lange geradeaus gegangen, statt nach
links abzubiegen, um den Saum des Wäldchens nach dem Exerzierplatz hin
zu erreichen.

»Ja, zum Donnerwetter, Kerls, weiß denn hier keiner von euch Bescheid?«

»Nä, hier wisse mir kei' Bescheid -- wo will der Herr Unner'ffzier denn
hin?«

»Na, doch natürlich zum Exerzierplatz hinüber, an den Waldrand!«

Die Füsiliere freuten sich königlich. »Dä Exerzierplatz? -- dä litt so
janz do hinne!«

»Himmelkreuzmillionen! -- Also links schwenkt -- marsch!«

Na, vielleicht würde die Erste nicht gar zu früh angreifen, und man kam
noch zur rechten Zeit.

Bäume -- Bäume -- nichts als Bäume. -- Doch ... noch etwas anderes als
Bäume -- unter den Bäumen dichtes Dorngestrüpp ... immer dichter ...
immer dichter ...

Bei jedem Schritt schlugen den Vorwärtsdringenden Brombeerranken und
Tannenzweige ins Gesicht.

Die Füsiliere wurden ungemütlich: »Dat is ja en Schweinerei -- hä kütt
jo ke' Mensch nit dörch -- --«

Das mußte Hans Friesen schließlich selber einsehen. -- Also
zurück -- --

Bautz! -- da fiel in der Ferne der erste Schuß -- plautz! ein zweiter
-- bautz -- bautz -- ein dritter und vierter ... Das Gefecht mußte
begonnen haben -- --

Himmel -- und nun verließ sich der Oberleutnant Menshausen darauf,
daß im entscheidenden Augenblick aus dem Hinterhalt das wohlgezielte
Feuer der zwei detachierten Gruppen dem Feind in die Flanke fallen und
seinen Ansprung über das Blachfeld des Exerzierplatzes lahmlegen würde
...

Ade, Leutnantsqualifikation ... ade, Epaulettes und Schärpe.

Ade, holdselige Hoffnung auf ein paar Stunden eines höhern Daseins ...

Nach dieser Blamage, in dieser Elendstimmung vor die schöne Frau von
Brandeis, vor die schlanken Majorstöchter treten, die ihm gewiß seine
schauderhafte militärische Unzulänglichkeit am Gesicht ansehen und ihn
im tiefsten Grund ihrer Seele verachten würden ... das war eine Hölle
statt des erträumten Paradieses!

                   *       *       *       *       *

Martin Flamberg ärgerte sich ein wenig, als beim Beginn der
Felddienstübung Hauptmann von Brandeis ihm die Führung der Kompagnie
übergab ... Das hätte der Hauptmann ihm doch auch vorher sagen können
... dann hätte er sich einen Gaul zwischen die Beine geklemmt ...

Na, es mußte nun auch so gehn!

Mit ruhiger Sicherheit wiederholte er die Spezialidee und den Befehl,
den ihm der Hauptmann mitgeteilt, traf noch unter den Augen seines
Kompagniechefs sachgemäß die erforderlichen Anordnungen für die
Unteroffiziere, die er im Kreise um sich versammelt hatte ...

»Sehr gut, sehr gut!« lobte Hauptmann von Brandeis, »vollkommen
einverstanden! ... Na, und nun viel Vergnügen!« Und damit galoppierte
er von dannen.

Die Kompagnie hatte die Gewehre auf der Chaussee zusammengesetzt ...
die Mannschaft rastete im Graben ...

»An die Gewehre!«

Hui, da kam ein Leben in den Ameisenhaufen ...

»Stillgestanden!«

Und mit drei kurzen Sätzen teilte Flamberg den Mannschaften mit, was
sie zum Verständnis der Kriegslage wissen mußten ...

»Herr Leutnant Carstanjen, treten Sie an!«

Der Kleine salutierte: »Erster Zug -- Gewehr in die Hand ... die
vorderste Gruppe als Spitze -- schwärmen -- der Rest des Zuges folgt
unter dem Sergeanten Clausen!«

Und der Vormarsch der ersten Kompagnie gegen den Feind begann ...

Flamberg schritt in munterm Geplauder mit dem jüngern Kameraden fünf
Schritt vor der Spitze ...

Hei ... welche Lust, Soldat zu sein ...!

Welche Lust ... zu friedlichem und doch so ernstem und wichtigem
Waffenspiel in die blauen Morgennebel hineinzupilgern ...

Nach einer halben Stunde war der Saum des Exerzierplatzes erreicht.

Selbstverständlich brauchte kein Geist vom Himmel herabzusteigen, um
dem Kompagnieführer zu sagen, daß der Feind am Kastanienwäldchen liege
... das war ja doch natürlich seit Jahrzehnten immer so gewesen ...

Und glatt und reglementsmäßig entwickelte sich der Angriff der Ersten
unter den Augen der Schiedsrichter von der Hohen Tanne her auf das
Kastanienwäldchen zu ... das Gelände wurde trefflich ausgenutzt ...
bald zugweise, bald gruppenweise ging die Kompagnie im Sprung über
die kahle Tenne des Platzes gegen den heftig feuernden Gegner vor ...
Und Flamberg begriff nur das eine nicht: daß die ganze Sache so glatt
vonstatten ging.

Er war darauf gefaßt gewesen, einen Flankenangriff von links zu
erleben, und hatte infolgedessen in das Gehölz zu seiner Linken eine
starke Gefechtspatrouille geschickt ... Jeden Augenblick erwartete
er deren Warnungsschüsse zur Linken zu vernehmen ... aber nichts
erfolgte. Und hundert Meter vorm Kastanienwäldchen setzte Flamberg
zum Sturmangriff an ... Mit gezogenem Säbel sprang er zwanzig Schritt
seiner Kompagnie voran beim Sturmmarsch der Tambours und dem dröhnenden
Hurra seiner Füsiliere.

Gerade auf die Mitte des Wäldchens rannte er los, wo die berittenen
Offiziere hielten, denen sich inzwischen, das sah er schon von weitem,
der Bataillonskommandeur mit seinem Adjutanten beigesellt hatte ...

Im Augenblick, als er auf zehn Schritte an die Gruppe herangekommen
war, winkte der Major seinem Hornisten, und: »Das Ganze -- halt!« klang
schmetternd das erwünschte Signal zur Beendigung der Übung über den
weiten Plan.

Unmittelbar darauf erfolgte das Signal: »Zur Kritik!«

»Bitte, Herr Hauptmann Goll!«

Zwischen den zusammengezogenen Brauen des Hauptmanns brütete das Unheil
und entlud sich alsbald als fürchterliches Donnerwetter über den
Oberleutnant Menshausen: »Herr Oberleutnant, wenn Sie nichts Besseres
zu tun wußten, als sich mit Ihrer ganzen Sippschaft hier am Waldrand
einzubuddeln und den Angriff der Ersten abzuwarten ... dann hätte ich
schließlich gerade so gut die Kompagnie von einem Unteroffizier führen
lassen können ... Was haben Sie sich bei dieser stumpfsinnigen Maßregel
denn eigentlich gedacht ...?«

Oberleutnant Menshausen bebte vor Wut und Scham. Die Hand am Helm,
sagte er, als der Hauptmann seine Frage gestellt hatte: »Ich habe den
einjährig-freiwilligen Unteroffizier Friesen mit einem Halbzuge in das
Gehölz dort zur Rechten geschickt, und zwar mit genauer Instruktion ...
Er sollte im Augenblick, wenn die erste Kompagnie nach ihrem Vorgehen
auf der Höhe des Gehölzes angekommen wäre, Flankenfeuer geben!«

»Bedaure -- habe nichts von Flankenfeuer gemerkt! Wo steckt denn Ihr
Unteroffizier?«

»Das weiß ich nicht, Herr Hauptmann ... er muß sich verlaufen haben!«

Leutnant Blowitz, hoch zu Roß, flüsterte dem Major eine Bemerkung zu.

»Aha -- der Dichter -- na, das fehlte mir gerade! Erst brennt bei
den ersten Schüssen ein Gaul durch, auf dem zufällig ein Herr von
der Landwehr angebracht ist ... dann schmeißt dieser unglückliche
Einjährige die ganze Übung um ... Na, warte mein Jungchen ... dir werd
ich das Dichten austreiben! Aber bitte weiter, Herr Hauptmann, Sie
haben noch nicht den Angriff der Ersten besprochen!«

Flamberg erhielt ein gerüttelt und geschüttelt Maß voll Lob,
sowohl von Hauptmann Goll, als auch nachher beim Schlußwort des
Bataillonskommandeurs: »Ihre Leistungen, Herr Leutnant Flamberg,« sagte
der Major, »söhnen mich einigermaßen mit der Situation aus! -- Ich
danke Ihnen, meine Herren -- --«

Rum, plum, plumbidibum. -- Heimwärts ging's mit Trommelschlag und
munterm Gekreisch der Pfeifen ...

Martin Flamberg war kolossal vergnügt ... Er marschierte dicht hinter
der Gruppe der Berittenen und sann eine muntere Epistel zusammen, mit
der er seiner Braut das »Waffenglück« des ersten Übungsmorgens zu
verkünden gedachte ...

Ha, welche Lust, Soldat zu sein ...!




                           Sechstes Kapitel.


Höher war die Spätsommersonne gestiegen ... in allen Straßen und Gassen
der Garnisonstadt lag ihr flimmerndes Gold ... glänzte auch auf dem
schon staubigen Grün der städtischen Anlagen hart unter den Fenstern
der schmucken Villa Brandeis.

Hinter den halbgeschlossenen Jalousieen in gedämpftem, goldiggrünem
Licht lag Cäcilie von Brandeis auf der Chaiselongue und las.

Geringschätzig kräuselten sich ihre Lippen. Geschmacklos, diese
altmodischen Allegorien ...

Drei lebende Bilder sollten gestellt werden ... die ersten beiden nach
Bildern im Offizierkasino ...

Das erste stellte das Regiment vor beim Sturm auf St. Hubert.

Das zweite die berühmte Szene, wie Kronprinz Friedrich Wilhelm nach
der Schlacht die Verwundeten des Regiments im Feldlazarett besucht und
dem schwerblessierten Regimentskommandeur persönlich das Eiserne Kreuz
erster Klasse überreicht.

Nun, das mochte noch hingehen! --

Aber das dritte Bild:

Huldigung des Regiments vor der Büste Wilhelms des Zweiten! --

War denn dem guten Einjährigen, den man zum Dichten kommandiert hatte,
nicht etwas weniger Verschlissenes eingefallen?!

Und um diese drei Bilder herum ein Dialog zwischen dem »Krieg« --
Leutnant Blowitz -- dem »Frieden« -- Molly von Sassenbach -- und dem
»Genius des Regiments« -- Frau Cäcilie von Brandeis! --

Zunächst tritt der Krieg auf, spricht dem Genius des Regiments seinen
Glückwunsch zur Wiederkehr des Ruhmestages von Gravelotte aus, mahnt an
alte Schlachtenherrlichkeit und beklagt die endlose, flaue Friedenszeit
... Schon erscheint der Friede, legt ebenfalls seine Glückwünsche dem
Genius zu Füßen und behauptet, das Regiment leiste auch im Frieden
nützliche Arbeit für die menschliche Gesellschaft ...

Alsdann führt der Krieg die Bilder der großen Vergangenheit herauf:
Bild eins und zwei.

Der Friede ist natürlich erschlagen, preist aber mit einem längeren
Erguß das treue Schaffen des Regiments an der Wehrhaftmachung des
Volkes und kommt mit einem Übergang von haarsträubender Kühnheit auf
die Huldigung an die neue Kommandeuse ... im Frieden blühe nämlich die
holde Geselligkeit ... der Friede sei der Bereich der Frau ... und so
weiter ...

Der Krieg ist galant genug, das zuzugeben; aber das Soldatenhandwerk,
erklärt er, sei nun doch einmal Männerhandwerk, und schließlich ruft er
die Germania zur Entscheidung auf ...

Die erscheint in der Person von Nelly von Sassenbach, erklärt
selbstverständlich, das Regiment sei ihr in Krieg und Frieden gleich
wert, und endigt mit einer Huldigung an den erhabenen Schirmherrn des
Friedens, dessen Gipsbüste alsdann erscheint, umgeben von Soldaten des
Regiments in den historischen Uniformen von 1870 und den heutigen,
sowie von Offizieren und Ehrenjungfrauen -- bengalische Beleuchtung --
Kaiserhymne -- Tusch -- aus --!

Diese erhabene Generalidee mußte sich der unglückliche Einjährige im
Schweiße seines Angesichts abgerungen haben.

Cäcilie von Brandeis meinte ihn ordentlich zu sehen -- den ihr noch
unbekannten jungen Herrn -- wie er, als Wachhabender auf Pulverhaus-
oder Schießstandswache, keuchend diese Banalitäten zusammenleimte --

Und doch -- wenn sie von dem Gedankengang des Ganzen absah, der ja
schließlich für seinen Zweck wohl kaum anders hätte konstruiert werden
können, und sich an die Ausführung hielt --

Was sie da las: das waren doch immerhin Verse ... Verse, in denen hin
und wieder ein besonderes Wort, ein eigentümliches rhetorisches Glänzen
verrieten, daß ein feiner Kopf hinter dem handwerksmäßigen Gestammel
stand, das er vielleicht selbst verlachte, während er es aufs Papier
geschludert -- --

Und an einigen Stellen brach's hervor: ein harnischblinkendes
Geschlecht klirrender Worte und Rhythmen, der Heerbann einer Seele, die
ihre Kräfte zu künftigen Schlachten zusammenzog --

Frau Cäcilie freute sich dessen, was sie da ahnte ... freute sich, daß
es ihr gegeben war, solches zu ahnen ... ihr, der Tochter der heitern
rheinischen Künstlerstadt ... dem Sprößling einer altpatrizischen
Fabrikantenfamilie, die es immer für einen Ehrentitel ihres Namens
gehalten hatte, sich mit Kunst zu umgeben, Kunst zu fördern, mit der
Kunst zu leben ...

Und ein wenig spöttisch ... ein wenig bitter mußte sie lächeln,
wenn sie sich erinnerte, wie ihr guter Fritz ihr das Manuskript des
Einjährigen gebracht mit den Worten:

Na, das lies mal, Kindchen! Da wirst du staunen ... einfach begeisternd
so was ... einfach niederschmetternd schön! -- Jawoll, das ist der
Geist des Regiments Prinz Heinrich der Niederlande ...

So dichten bei uns die Einjährigen ... stell' dir vor, wie erst die
Leutnants dichten ...!

Ihr guter Fritz -- wie er sie vergötterte ... Kunststück! -- Er
verdankte ihr ja auch ein überaus behagliches Dasein --

Aber nein ... das war ein häßlicher Gedanke ... Er war ihr wirklich von
Herzen ergeben ... na, das konnte sie schließlich ja doch auch wohl
verlangen ...!

Sie trat vor den großen, bis zum Fußboden herabgehenden Spiegel ...
reckte ihre Arme ... und freute sich des flimmernden Widerscheins, den
ein verirrter Sonnenstrahl in ihrem rötlich braunen Haar weckte ...

O ja -- Cäcilie Imhof wäre auch ohne ihre halbe Million des heißen
Umwerbens würdig gewesen, das Fritz von Brandeis ihr zu Füßen gelegt
hatte ...

Das Fräulein meldete die Schwestern Sassenbach.

Die schlanken Mädels, beide fast um einen ganzen Kopf größer als
Cäcilie, stürmten herein, voran mit Dragonerschritten die smarte Nelly,
um die es immer witterte wie ein leiser Hauch von Stallparfüm.

Tränenlachend versetzten die Schwestern der Hausherrin die Geschichte
von dem Landwehrleutnant im Froschpfuhl ... da lachte auch Cäcilie laut
und herzlich mit.

Dann aber, als die Mädchen den Namen des Unglücksraben nannten,
wurde sie stutzig ... »Haben Sie eine Ahnung, was der Herr seines
bürgerlichen Zeichens ist --?«

»Irgend sowas bei der Universität, hat Papa gesagt!«

»So, vielleicht in -- Bonn?«

»Ganz richtig, ja, ich glaube wohl,« meinte Nelly.

Schweigend ging Frau Cäcilie aus dem Salon in ihr anstoßendes
Damenzimmerchen und holte einen stattlichen Folioband aus ihrer
Bibliothek; den schlug sie auf und hielt den Titel den Besucherinnen
hin:


  Schiller.

  Ein Gedenkbuch für das deutsche Volk
  zu des Dichters hundertjährigem Todestage
  von
  Wilhelm Frobenius.

  Fünfzehntes bis zwanzigstes Tausend.


»Donnerwetter!« sagte Nelly erstaunt, »ist das von dem Herrn aus dem
Froschtümpel?«

»Na, jedenfalls werden wir uns danach erkundigen müssen!« erklärte Frau
Cäcilie.

Mit einer seltsamen, unverstandenen Empfindung entsann sich Nelly in
diesem Augenblick des heißen Leuchtens, das plötzlich aufgeglüht war
hinter den großen Brillengläsern, als der fremde Mann sie angeschaut,
den sie heute zum ersten Male gesehen ...

Ihr war's in der Erinnerung, als habe sie da hineingeschaut in eine
Welt, die ihr ganz unbekannt geblieben war bis auf diesen Tag ... ihr,
dem Soldatenkinde, das von nichts wußte als von hartem Dienst ... von
eiserner Pflichterfüllung ... von engumzirkelter Gesellschaftsfron ...

In diesem Augenblick erschollen lustige Klänge auf der Promenade, die
rasch näher und näher kamen ...

Die Pfeifen schrillten ... rasselnd knarrten die taktmäßigen Wirbel der
Tambours ...

Wie der Blitz waren die Majorstöchter am Fenster, zogen die Rolläden
auf und schossen auf den Balkon hinaus -- langsamer folgte die schöne
Frau --

Aha, der Papa -- und hinter ihm der Herr dieses Hauses ... den
Säbelknauf auf der Hüfte ... die gleißende Stahlklinge dicht neben dem
scharfgeschnittenen Profil ... und dahinter glitzernd und blinkend der
Heerwurm ...

Aus seiner Mitte aufragend, hoch zu Roß wie die Herren an der Tête, die
unfrohe, nüchterne Gestalt des Hauptmanns Goll ... ganz hinten noch
zwei andere berittene Offiziere, jetzt noch nicht erkennbar ...

Die erste Kompagnie, vom stumpfen Graugrün der schilffarbenen
Helmbezüge überlagert ... dahinter die zweite, überflirrt von den
leuchtenden Reflexen der Helmspitzen ...


  Tütt tüttelü tütt tüttütü ...
  Rum, plum, plumbidibum ...


so gellte, so schmetterte das die lindenumsäumte Promenade hinab ...

Nun hatte der Major die drei Damen auf dem Balkon erblickt und Leutnant
Blowitz auch, sein getreuer Adjutant, der zu seiner Linken ritt ...
die rostbraunen Handschuhe flogen an die Mützenschirme -- lächelnd
nickten die Damen ...

Hauptmann von Brandeis hatte natürlich schon längst die Herrin seines
Hauses erspäht ... die gleißende Klinge fuhr in die Luft und senkte
sich dann grüßend an der Flanke des Braunen nieder ... mit strahlendem
Lächeln winkten die wasserblauen Augen unter der blinkenden Helmschiene
herauf ...

Und hinter dem Hauptmann fuhr noch eine andere Klinge in die Luft und
senkte sich ... rechts neben dem baumlangen Flügelmann der Königlichen
Ersten marschierte ein stattlicher Offizier, den Frau Cäcilie nicht
kannte ...

»Wer ist denn das?«

Nelly wußte Bescheid: »Das ist der Leutnant der Reserve Flamberg -- ein
Maler aus Düsseldorf!«

Ein Maler aus Düsseldorf ... welch ein Heimatklang ... welch ein Klang
aus der blühenden, sprühenden Welt ihrer Jugend in die nüchterne,
kaltglänzende ihrer Gegenwart hinein.

Vorüber ... vorüber zog mit raschem, taktmäßigem Schritt die gewaffnete
Schar ... es grüßte der puppenzierliche, kleine Carstanjen ... es
grüßte mürrischen Gesichts der struppig umbartete Hauptmann Goll ...
es grüßten am Schluß des Zuges von ihren Pferden der Oberleutnant
Menshausen und der Leutnant Quincke. Vorüber, vorüber, und fernhin
verhallte der Trommelschall, der taktmäßige Schritt der Kompagnien.

Das ist deine Welt -- das heißt eine Welt -- -- so klang's in der
Seele der jungen Frau ... und dazwischen: Ein Maler ... ein Maler aus
Düsseldorf ...

Wieder saßen die drei Damen im gründämmerigen Salon und schwatzten.
Das ganze Festprogramm wurde durchgesprochen, ein Rollenverzeichnis
für die lebenden Bilder aufgestellt ... So verrann eine halbe Stunde;
da erschien Leutnant Blowitz: »Melde mich ganz gehorsamst zur Stelle,
gnädige Frau, und bitte tausendmal um Entschuldigung! -- Gnädige Frau
haben ja selbst gesehen -- --!«

»Allerdings, Herr Blowitz -- sehr erfreut, Sie nun auch persönlich
kennen zu lernen -- nun, wann kommt denn der Dichter?«

»Gnädige Frau meinen den Einjährigen -- ja, das wissen die Götter --
der ist abhanden gekommen!«

Sensation!

Und Blowitz berichtete.

»Na, er wird sich beim Kehren schon wiederfinden!«

»Vielleicht ist er auch in den Froschtümpel geraten,« meinte Nelly.

Die Hausfrau servierte Portwein und Gebäck, und munter plätscherte das
Gespräch ... die neue Kommandeuse ... das Fest ... die Verlobungen, die
etwa darauf zustande kommen könnten ...

In Frau Cäciliens Herzen aber klang's immer wieder wie eine frohe,
verheißungsvolle Heimatweise: Ein Maler ... ein Maler aus Düsseldorf
... und er steht bei Fritzens Kompagnie ... er wird seine Aufwartung
machen ...

Daß Fritz ihr davon noch gar nichts erzählt hatte! Aber freilich, als
er früh um fünf aufgestanden, hatten die Gatten ja nur wenige Worte
gewechselt ...

Auch Nelly war nicht ganz bei der Sache; von Zeit zu Zeit schlug sie,
wie spielend, den Deckel des Buches auf, das vor ihr auf dem Tischchen
liegen geblieben war ... Sie dachte an den Mann im Froschtümpel,
und wie seltsam seine Augen geleuchtet hatten hinter den goldenen
Brillengläsern. Daß vielleicht er dies Buch geschrieben hatte, das in
zwanzigtausend Exemplaren hinausgeflattert war in die Welt, um dem
deutschen Volke zu erzählen von der Herrlichkeit eines Dichters, dessen
sie selber sich nur noch dunkel entsann aus ihrer Schulzeit her ...

Ein Klassiker! Sie selber war seit zehn Jahren nur noch in Operetten
und Schwänke gegangen ...

Schiller! -- Was war ihr Schiller?!

Und über den hatte man ein Buch schreiben können, nach dem
zwanzigtausend Hände gelangt hatten!?

                   *       *       *       *       *

Eine halbe Stunde nach dem Einrücken der Ersten und Zweiten führte
der Unteroffizier Friesen sein trauriges Fähnlein Verirrter in den
Kasernenhof hinein.

Er hatte sich vorgenommen, seine zwei Gruppen nun wenigstens
vorschriftsmäßig in strammem Tritt auf den Kompagnieappellplatz
rücken zu lassen, und hatte sich die Kommandos genau überlegt, die er
abzugeben hätte, um mit seiner Schar in tadelloser Verfassung auf der
Bildfläche zu erscheinen.

Aber kaum hatte er: »Tritt gefaßt!« kommandiert, da erschien am Fenster
der Kompagniestube das zornwütige Gesicht des Feldwebels Düfke, der
den Unteroffizier anbrüllte, daß es über den ganzen Hof schallte:
»Herrgott, Sie Unglückswurm! Da sind Sie ja endlich! -- Nun machen Sie
bloß, daß Sie vom Kasernenhof 'runterkommen! -- Verschwinden Sie,
verschwinden Sie in Dreideubelsnamen!«

»In's Kasernentor, marsch marsch!« schrie Friesen voller Wut und Scham.

Und feixend stürmten die Füsiliere von dannen.

Nun kam das Donnerwetter Nummer eins vom Feldwebel. Kaum war das
überstanden und der Einjährige entlassen, da lief er draußen seinem
Kompagniechef, dem Hauptmann Goll, in den Weg, und das Donnerwetter
Nummer zwei prasselte auf seinen sündigen Scheitel nieder.

Ganz begossen schlich er sich auf die Stube, auf der sein Putzer lag,
um die feldmarschmäßige Ausrüstung abzulegen.

Da trat ihm, treuherzig schmunzelnd, der wackere Füsilier Zilles
entgegen, sein liebster Kamerad unter den Mannschaften: »Herr
Unner'ffzier, warum hann Se mich denn nit mitgenomme uff Pattrollje!
Dann wär dat Mallör nit passiert!«

»Ja, Zilles, wie sollt ich das anfangen!? Sie stehn doch beim zweiten
Zuge, und ich bekam die beiden Flügelgruppen vom ersten! -- Na, nun
machen Sie mal schnell, daß ich instand komme: erste Garnitur, Helm und
Extrastiefel!«

Einer der ersten Regimentsbefehle des neuen Kommandeurs war der
gewesen, daß Unteroffizieren, Einjährigfreiwilligen und Mannschaften
das Tragen unvorschriftsmäßiger Extrauniformen außer Dienst verboten
sei.

So mußte denn Hans Friesen seinen Besuch bei Frau von Brandeis in
seiner bessern Kommißgarnitur bewerkstelligen, dem Waffenrock aus
grobem Mannschaftstuch mit dem schmalen, goldbetreßten Kragen,
daraus die schwarze Halsbinde fast einen Finger breit hervorschaute.
Der Besuchsanzug war dadurch betont, daß die Beine, statt in den
sackartigen, weiten, schwarzen Tuchhosen, in den sogenannten
»Porzellanbuchsen« steckten, den weißen Paradehosen, die auch nicht
viel anders aussahen denn zwei riesige weiße Säcke. Auf dem Kopf
den Diensthelm mit dem häßlichen, schwarzen Ledersturmriemen, das
ungeschlachte Seitengewehr am gewichsten Dienstkoppel um die Hüften
geschnallt ...

So zog Hans Friesen, der Königlich preußische Gerichtsreferendar,
Doktor beider Rechte, Poet und Unteroffizier, zur Leseprobe seines
ersten Dramas. --

Unterwegs überlegte er, wie er sich nun bei der Hauptmannsfrau zu
benehmen hätte. Wahrscheinlich würden Offiziere da sein -- mußte er nun
zuerst vor den Offizieren strammstehen oder vorher, ganz Kavalier, die
Frau des Hauses begrüßen --?

Das waren Etikettefragen, die in keiner Instruktionsstunde beantwortet
wurden ...

Aber wenn Hans Friesen sich erinnerte, daß er heute morgen schon
zwei Ungewitter über sich hatte ergehen lassen müssen und heute
nachmittag in der Einjährigeninstruktion bei Oberleutnant Menshausen
das allertollste noch bekommen würde ... daß die Qualifikation
wahrscheinlich doch bereits verratzt sei ...

Da kam eine ungeheure Wurstigkeit über den jungen Soldaten.

Ach, jetzt war schon alles ganz egal ... jetzt wollte er den Offizieren
zeigen, was für ein Kerl im Tressenrock steckte ... er wollte sie auf
dem Standpunkt völliger gesellschaftlicher Gleichberechtigung behandeln
... mochten sie schimpfen ...! Was konnte ihm noch passieren!

Aber etwas benommen war ihm doch zumute, als er sich im Korridor der
koketten Villa unterm elektrischen Licht, das eine zierliche Zofe
angeknipst hatte, noch einmal im Spiegel betrachtete ...

Verdammt ruppig sah man doch aus ...!

Wären nicht die schwarz-weißen Schnüre um die Achselklappen gewesen
... und die Schmisse auf Stirn und Wange wer hätte ihn von einem
Kapitulanten unterscheiden sollen ...?!

Die Tür flog auf ... da standen drei plaudernde Damen ... ach -- Damen!
Wesen aus einer höhern Welt --!

Und mit ihnen im Gespräch drei Offiziere, Hauptmann von Brandeis,
Oberleutnant von Schoenawa, der finstere, unnahbare Regimentsadjutant,
und Leutnant Blowitz, der einflußreiche Bataillonsadjutant ... Die
Herrgötter des Kommißhimmels!

Und nun schlug Hans Friesen doch die Absätze zusammen, daß es knallte,
und stand zuerst vor den Offizieren stramm ...

Erst als diese unter Lachen und Entschuldigungen bei der Hausfrau
abwinkten, ging er auf die Damen zu und beugte sich auf die duftende
Hand nieder, die sich ihm entgegenstreckte ...

»Schau, schau ... so sieht also ein Dichter aus ... den hatte ich mir
eigentlich anders vorgestellt! Aber freilich, Herr Friesen, zu der
Königlich preußischen Dienstpoesie, die Sie sich da geleistet haben,
paßt Ihr Kostüm ganz ausgezeichnet!«

Hans Friesens braunes Gesicht konnte wohl nicht tiefer sich färben ...
aber in die weiße Stirn stieg das heiße Erröten ...

Und nun lachte Hauptmann von Brandeis: »Na, Herr Friesen, wo haben Sie
denn eigentlich während des Gefechts gesteckt?«

Die Leutnants lachten ... die Damen lachten ...

Nur eine nicht ... Ein rosiges Mädchengesicht, zwei dunkelblaue Augen
lächelten ihn mitleidsvoll aufmunternd an ... die jüngere der beiden
Majorstöchter. -- Herrgott, wie gut das tat!

Die Vorstellung war erfolgt, man hatte Platz genommen um den runden
Tisch im Salon, und die Hausfrau forderte den Poeten auf, sein
Festspiel vorzulesen.

Und mit dem Klang der eigenen Verse überkam Hans Friesen wieder die
fröhliche Wurstigkeit, die er sich vorgenommen ...

Teufel ja! Wenn's auch verschlissene Gedanken und konventionelle
Vorstellungen waren, die er da zusammengebraut ... die Verse ...
wahrhaftig, die konnten sich sehen lassen ...! Das klang und klirrte
wie der Schritt marschierender Bataillone ... das grollte und brauste
wie rollende Salven und dröhnendes Hurra beim Sturm ... Und war's
auch keine himmelstürmende Poesie ... Poesie war's eben doch ...
Soldatenpoesie ...

Und er fühlte, wie sie wirkte.

Als er geendigt, konnte er wohl bemerken, daß die Offiziere in ganz
verändertem Ton mit ihm sprachen ... Und die Damen lachten auch
nicht mehr über ihn ... obwohl er doch heute morgen den richtigen
Gefechtsmoment verpaßt hatte ...

Gern ließen sich alle gefallen, daß er als Regisseur nun frei und
ungezwungen mit ihnen schaltete.

Ja, der Bataillonsadjutant fand es vollkommen in der Ordnung, daß
der Unteroffizier ihn sehr von oben herab zurechtwies, wenn eine
verständnislose Betonung unterlief, oder wenn es galt, die an näselndes
Schnarren gewohnte Kommandostimme für das Pathos des Kriegsgottes
umzufärben ...

Und nun erst die Damen ... wie glühten sie vor Eifer, es dem Dichter
recht zu machen ...

Am holdseligsten aber erglühte eine von ihnen ... und ihre
veilchenblauen Augen funkelten nicht nur dem Poeten, funkelten dem
straffen, feurigen Jüngling ...

Molly hieß sie ...

Hans Friesen ahnte, daß er an diese Molly viele, viele Verse dichten
würde ... bessere Verse als die im Festspiel ... echtere ...

Hatte nicht schon einmal ein Poet eine Molly besungen -- --?!




                          Siebentes Kapitel.


Über dem Leben des Füsilierregiments Prinz Heinrich der Niederlande
lagerte die Stille vor dem Sturm ... die satte, friedliche
Sommerstille.

Die großen Besichtigungen waren überstanden. Auch die fatalen vier
Wochen auf dem Truppenübungsplatz lagen bereits hinter dem Regiment,
als die letzte Gruppe der Reserveoffiziere eingerückt war. Und alles
rastete nun ein wenig bis zum Beginn der Herbstübungen, in denen
die Arbeit des ganzen Jahres, der Ausbildungsgang mit seiner weise
berechneten, allmählichen Steigerung der Ansprüche und Leistungen
alljährlich gipfelte.

Die stille Zeit vor dem Manöver wurde hauptsächlich durch fleißiges
Schießen und durch kleinere und größere Felddienstübungen ausgefüllt.
So hatten die Reserveoffiziere über allzu starke dienstliche
Inanspruchnahme nicht zu klagen. Von den aktiven Herren waren viele
beurlaubt; die übrigen atmeten nach der Schinderei des Frühjahrs und
Hochsommers ein wenig auf.

Mit Feuereifer stürzten sich die Beteiligten auf die Vorbereitungen
zum Regimentsfest. Alle zwei bis drei Tage fanden nachmittags unter
Leitung des Festspielpoeten Proben für die Aufführung statt, entweder
bei Frau von Brandeis oder bei der Protektorin des Abends, Frau Major
von Sassenbach.

Für Hans Friesen bedeuteten diese Proben eine schattige,
blumendurchduftete Oase in der dürren Wüste seines Kommißdaseins ... Er
lebte nur noch für diese Stunden ...

Was galt's ihm, daß sein Instruktionsoffizier ihn vor versammeltem
Kreise seiner Kameraden für den unfähigsten Tappelhans erklärt hatte,
der jemals das Regiment verschimpfiert habe?

Was war ihm daran gelegen, daß sein Feldwebel Düfke ihm die
Sonderstellung, die sein Talent ihm den Offizieren gegenüber verschafft
hatte, täglich durch um so kommissigere Behandlung vergalt, ihm
mit dienstlichen Plackereien, wo es nur irgend möglich war, ins
Gedächtnis rief, daß er nicht mehr und nicht weniger sei als eben ein
Unteroffizier ...

Mochte er ihn den ganzen Tag und die halbe Nacht schikanieren und
kommandieren, soviel er wollte ... die Nachmittagsstunden der Proben
mußte er ihm freilassen -- laut Bataillonsbefehl!

Übrigens hatte Hans auch sonst dienstlich schlechte Tage. So gut er
von den Offizieren im allgemeinen zurzeit behandelt wurde, die Herren
seiner eigenen Kompagnie machten eine Ausnahme.

Da war Hauptmann Goll, ein alter Junggesell und notorischer
Weiberfeind, übrigens ein Verächter alles dessen, was nicht königlicher
Dienst war ... und der Künste und Wissenschaften noch ganz besonders.

Da war der Oberleutnant Menshausen ... da war endlich auch der Leutnant
Quincke, der, im dunkeln Gefühl der überaus mangelhaften Entwicklung
seiner eigenen Geistesgaben, jeden mit seiner grundsätzlichen Abneigung
beehrte, der irgend etwas leistete.

Da war schließlich auch der gestrenge Bataillonskommandeur. Wenn der
auf der Bildfläche erschien, dann konnte der einjährigfreiwillige
Unteroffizier Friesen sicher sein, irgendwie »aufzufallen«.

»Auffallen« war nämlich gleichbedeutend mit »unangenehm auffallen« ...
dienstlich irgend etwas versehen haben -- die ~gute~ dienstliche
Leistung verstand sich von selbst und fiel also nicht auf.

Es war, als ob der Major den unglücklichen Einjährigen im Dienst dafür
bestrafe, daß er sich außer Dienst der Gunst der Frau von Sassenbach
erfreute.

Ach, wenn Hans gewußt hätte, daß er die unverhohlene Auszeichnung,
mit der Frau von Sassenbach ihn behandelte, vor allem dem Umstande
verdankte, daß er nach ihrer Auffassung auch nicht im entferntesten als
Bewerber um eine ihrer Töchter in Frage kam -- --

Ein bürgerlicher Gerichtsreferendar, der noch nicht einmal die
Qualifikation zum Reserveoffizier besaß -- in dem sah auch Mama von
Sassenbachs Argwohn nur den harmlosen, völlig ungefährlichen jungen
Menschen, der sich mit Wonne nützlich machte beim Arrangement des
Regimentsfestes und überaus korrekte Verse von einer vollendeten
Loyalität der Gesinnung zu drechseln verstand --

Wenn Hans Friesen das geahnt hätte --!?

Er faßte die liebenswürdige, fast mütterliche Behandlung, welche die
Frau Majorin ihm angedeihen ließ, in einem viel schmeichelhafteren
Sinne auf --

Und hatte er dazu nicht eine gewisse Berechtigung --?

Denn daß die Nächstbeteiligte -- daß Molly von Sassenbach ihn
mit gnädigen Augen ansah ... das durfte er sich in Augenblicken
schwellenden Hoffnungsglücks denn doch gestehen ...

Geschehen war ja selbstverständlich eigentlich gar nichts zwischen
ihnen beiden ... sah man sich doch nur im Kreise der »Schmiere«, wie
die kleine Schar der Komödianten des Festspiels sich bereits benannte,
und unter den wachsamen Augen der gestrengen Frau Mama ... zudem
unter den noch gestrengeren Blicken der Offiziere, für die man zwar
außer Dienst »Herr Friesen«, im Dienst aber sofort wieder nur der
Unteroffizier Friesen war ...

Und dennoch ... wenn Hans Friesen nach der Probe zur Kaserne
zurückeilte, wo seine Anwesenheit dringend notwendig war im Interesse
seiner Korporalschaft ... dann war er doch immer in einer wahren
Weltumarmungsstimmung ...

Zwei-, dreimal war es ihm doch gelungen, einen Blick aus den
veilchenblauen Augen zu erhaschen ... einen Blick! ... all ihr Götter!
nach solch einem Blick war's dem guten Jungen jedesmal zumute, als
müsse er den engen Tressenkragen aufreißen ... aufspringen, ans Fenster
stürmen, mit tiefen Atemzügen die laue Sommerluft in die glühende Brust
eintrinken ...

Statt dessen mußte man ruhig und gemessen sitzen bleiben, von scharfen,
wachsamen Augen unermüdlich beobachtet und kontrolliert ...

So waren diese Stunden seines außerdienstlichen Daseins auch wieder ein
Qual! --! ach -- ein süße Qual --!

Sonst nichts als Dienst -- Dienst -- Dienst! Morgens um vier in die
Kaserne ... abends um neun aus der Kaserne ... dazwischen nur eine
Mittagspause von einer Stunde, verbracht in Gesellschaft der übrigen
Einjährigen in einem benachbarten Speisehause ...

Die Kellnerinnen, die hier bedienten, waren seit einem Jahre der
einzige weibliche Umgang gewesen, den Hans Friesen gehabt hatte ... Nun
hatten Rosel und Suse plötzlich für ihn jedes Interesse verloren ...

Sie schmollten und rächten sich, indem sie's beim Servieren immer so
einrichteten, daß Hans Friesen zuletzt an die Reihe kam und nehmen
mußte, was die Kameraden übrig gelassen hatten ...

Hans Friesen merkte es nicht.

                   *       *       *       *       *

Wenige Tage nach Beginn der Übung hatten sich die Reserveoffiziere
wieder vollständig im Regiment eingelebt, und jeder von ihnen suchte
und fand seinen nähern Verkehr da, wohin sein Wesen ihn wies.

Hielt Professor Brassert sich an die ältern und friedlichern Elemente,
so war der Referendar Dormagen der Mittelpunkt einer Gruppe, die nach
dem Mittagessen stets endlos beim Skat zusammenhockte, abends auf
der Kasinoterrasse einen Syphon Münchener nach dem andern vertilgte,
Sonntag nachmittags beim Sekt kleben blieb und nachts gar häufig im
Rauchzimmer beim Tempeln. Oder man zog auch Zivil an und suchte die
Variétés oder noch verschwiegenere Orte nächtlicher Ergötzung auf.
Dieser Gruppe schloß sich auch meist Herr Klocke an, den es nur grämte,
daß er nicht so flott mit dem Gelde um sich werfen konnte wie der
wohlhabende Jurist. Die Beliebtheit, die jener durch Ansetzen zahlloser
»kalter Enten« sich zu verschaffen suchte, strebte er dadurch zu
gewinnen, daß er freigebig von seinem unerschöpflichen Vorrat an
zweideutigen Anekdoten spendierte oder seine schier unglaubliche
Geschicklichkeit in Kartenkunststücken produzierte, was vor dem
Verfahren seines Kameraden entschieden den Vorzug der Billigkeit hatte.

Wieder ein ganz anderer Kreis war es, dem sich der Forstassessor
Troisdorf angeschlossen hatte. Man hätte ihn die Gruppe der
Mißvergnügten nennen können. Ihm gehörten alle jene jungen Herren
an, die es aus irgendeinem Grunde nicht verstanden hatten, sich die
Gunst der höheren Vorgesetzten zu erringen. Es waren nicht nur die
Schlechtesten im Regiment. Hier wurde unablässig geschimpft, auf
die Vorgesetzten, auf die erfolgreichern Kameraden, die als Streber
gebrandmarkt wurden, als Leute, die »über Leichen gingen«. Auch in
diesem Kreise wurde scharf gezecht, aber mehr aus Wut und Enttäuschung
denn aus Liebe zur Sache.

Frobenius war ziemlich allein geblieben. Unter den aktiven Offizieren
hatte er keinerlei Anschluß gefunden. Man behandelte ihn mit korrekter
Liebenswürdigkeit und beständiger höflicher Zurückhaltung. In der
Öffentlichkeit vermied es jeder, sich mit ihm zu zeigen. Und freilich,
ein Vergnügen war es auch nicht, an seiner Seite durch die Straßen der
Garnison zu spazieren. Wo er ging, da geleitete ihn ein beständiges
Schmunzeln auf allen Gesichtern der Passanten, die Straßenjugend rief
ihm freche Bemerkungen nach, ja, es war, als ob selbst die Pferde und
Hunde scheuten und stutzten, wenn sie die lange Gestalt im schwarzen
Überrock aus der Zeit Albrechts des Bären einherwandeln sahen ...

Frobenius merkte das natürlich sehr wohl. Er wußte sehr gut, daß der
größte Teil des ungünstigen Eindrucks, den er hervorrief, auf die
Verfassung seiner Equipierung zurückzuführen sei, und ging lange mit
sich zu Rate, ob er nicht doch seinem Herzen einen Stoß geben und sich
von Kopf bis zu Füßen bei dem ersten Uniformschneider der Garnison neu
einkleiden lassen solle. -- Aber das hätte ihn wenigstens vierhundert
Mark gekostet, und er hatte sich nun einmal, seinen bescheidenen
Verhältnissen entsprechend, fest vorgenommen, bei den Neuanschaffungen
für die Übung nicht über die hundertzwanzig Mark Equipierungsgelder
hinauszugehen, die ihm zustanden. Die aber waren bereits für die
inzwischen eingeführten Uniformänderungen sowie für Reithosen und
Reitstiefel draufgegangen ...

So trotzte er denn weiter dem Schmunzeln des Straßenpublikums wie der
Zurückhaltung seiner Kameraden.

Sein einziger außerdienstlicher Umgang war Flamberg. Und das
entschädigte ihn vollkommen -- in ihm verehrte er, der Kunstgelehrte,
den schaffenden Künstler, wie dieser seinerseits in dem Kritiker den
idealen Adressaten seiner Lebensarbeit. Gar manche Stunde verbrachten
die beiden Gleichgesinnten im Café, in einer Weinstube drunten in der
Stadt oder auf der Stube des einen oder des andern bei kaltem Abendbrot
und Flaschenbier in ernstem Geplauder über die zeitbewegenden Fragen
der Malerei ... der Dichtkunst ... der Kunst überhaupt.

Dennoch füllte dieser Umgang die Mußestunden des Privatdozenten nicht
völlig aus; denn Flamberg legte Wert darauf, auch außerdienstlich viel
mit den aktiven Kameraden zusammen zu sein. Es war sein Grundsatz,
während der acht Wochen Übungszeit ganz und gar sich in einen Soldaten
zu verwandeln, und so wußte er auch mit der ganzen proteischen
Wandlungsfähigkeit seiner Künstlerseele sich der Sprache, den
Umgangsformen, der Weltanschauung des Kreises anzupassen, welchem er
für diese kurze Zeit durch den Rock angehörte, den er trug.

Wilhelm Frobenius wußte sich zu trösten. Die dienstfreien Nachmittage,
die kurzen Abendstunden benutzte er, um den Grundriß seiner Vorlesung
für das künftige Wintersemester zu skizzieren, die das Drama des
Naturalismus zum Gegenstande haben sollte.

Von Tag zu Tag hatte er die peinliche Pflicht aufgeschoben, sich bei
seiner Retterin, der Tochter seines Bataillonskommandeurs, für den
siegreichen Kampf mit Kuno dem Schrecklichen zu bedanken.

Für einen Menschen, der, wie er, so sicher im Kreise seines Wirkens und
Schaffens zu stehen gewohnt war, mußte es ein peinlicher Gedanke sein,
eine gesellschaftliche Komödie zu spielen, die für sein inneres Leben
keine Bedeutung hatte und ihm doch eine Reihe von Empfindungen bringen
mußte, welche die Ruhe seines Herzens gefährdeten -- diese schöne Ruhe,
die ihm um so wertvoller war, seitdem er eine neue Arbeit begonnen ...

Ja -- die Ruhe seines Herzens gefährdeten! --

Denn, so albern ihm das auch vorkam -- bei der Erinnerung an jene
Szene auf der Chaussee regte sich in ihm noch etwas anderes, als bloß
das Gedenken an eine peinliche und lächerliche Blamage. Es war ein
dumpfer, uneingestandener Schmerz in ihm, daß seine Retterin aus der so
lächerlichen wie gefährlichen Situation nicht nur eine Dame, daß es
... just diese Dame gewesen!

Sein arbeitsames, entsagungsvolles Jugendleben hatte ihn nicht allzu
häufig in gesellschaftliche Berührung mit Damen jener Kreise gebracht,
denen er seiner Lebensstellung nach heute angehörte.

Die Unzulänglichkeit seiner Verkehrsformen machte ihm das offizielle
Gesellschaftstreiben zur sinnlosen Qual und ließ ihn ganz erkennen, wie
inhaltleer eigentlich doch all jene Formen des Beisammenseins seien,
die überhaupt Männer und Frauen seiner Kreise zusammenführten.

So war sein Verkehr fast gänzlich auf die gleichfalls unverheirateten
Gelehrten jener Hochschulen beschränkt gewesen, an denen er bisher
gelernt oder gelehrt hatte.

Aber nicht ungestraft beschäftigt man sich ein Leben lang mit den
Schöpfungen der Kunst, der Poesie ...

Denn was ist ihrer aller Mittelpunkt? -- --

Das Weib! die unabsehbare Fülle der Empfindungen und Erlebnisse, welche
die Berührung der Geschlechter dem Mannesleben erschließt ...

Und so lebte unerschlossen ... unerlöst in den Tiefen dieser
Gelehrtenseele die Sehnsucht aus der Theorie, aus dem Studium, aus der
Nachempfindung heraus, in die Wirklichkeit ... in das Schauen ... in
das Erleben ...

Das aber, was sich vor ein paar Tagen auf der Landstraße neben dem
Froschtümpel abgespielt, war das nicht ein Erlebnis gewesen ... kein
sehr rühmliches ... kein sehr reiches ... aber doch immerhin eine
Wirklichkeit, nicht bloß der Reflex einer solchen, nicht bloß ihr
Spiegelbild in einer Dichterseele ... einem Buch ... einem Werk?

Sein erstes, sein einziges Erlebnis, und -- ~eine~ Fortsetzung
würde es ja doch finden müssen -- den schuldigen, den längst fälligen
Dankesbesuch. --

Und eines Morgens um zwölf ließ sich Wilhelm Frobenius von dem getreuen
Schmitz den Überrock, frischgewaschene weiße Glacéhandschuhe und den
altmodischen Helm mit dem silbernen Landwehrkreuz zurechtlegen ...

Eine halbe Stunde später stand er in einem dunkeln Salon mit
Mahagonimöbeln und grünen Plüschfauteuils ... an den Wänden in
schweren, goldenen Leisten tief nachgedunkelte Bilder preußischer
Offiziere in den Uniformen vergangener Jahrzehnte und blasser Damen
in schwarzen Krinolingewändern ... daneben in auffallendem Kontrast
protzige Rahmen, welche die Bildnisse eines grobknochigen Mannes
vom Typus des industriellen Emporkömmlings und einer schlichten,
spießbürgerlichen Frau in violetter Seidenrobe umschlossen ...

Eine zarte Dame mit nervösem, spitzem Gesicht, unruhig flackernden
Augen, scharfer, leichtgeröteter Nase und schlichtem grauen Scheitel
trat aus dem Nebenzimmer herein: »Bitte Platz zu nehmen, Herr
Leutnant!«

Frobenius versank fast in dem niedern Sammetsessel und hatte einige
Mühe, seine langen Beine, den Säbel und Helm schicklich unterzubringen.
»Gnädige Frau werden bereits gehört haben ... ich hatte neulich das
Unglück ... man hatte mir ein unbrauchbares Pferd geschickt ... und Ihr
Fräulein Tochter ...«

»Ach, ~der~ Herr sind Sie! --« Rücksichtslos kritisierend
musterten die grauen Augen die Erscheinung des Besuchers.

»Ich möchte also Ihrem Fräulein Tochter noch einmal meinen Dank für
ihren gütigen Eingriff aussprechen --«

»Ach, das war wohl nicht mehr als Christenpflicht von Nelly, Herr
Leutnant!«

»Werde ich die Ehre haben, das gnädige Fräulein selbst zu sehen --?«

»Meine Töchter sind wieder ausgeritten, aber sie müssen jeden
Augenblick wiederkommen!«

Einen Augenblick Stille. Wilhelm Frobenius fühlte sich namenlos
geniert.

Frau von Sassenbach hatte inzwischen ihre Prüfung beendet -- -- Nein --
~der~ Herr war ungefährlich!

Und in viel liebenswürdigerm Ton stellte sie nun die üblichen Fragen:
Wie der Herr Leutnant sich im Regiment gefalle ... wie er mit seinem
Kompagniechef zufrieden sei ... ob er sich auf das Manöver freue. -- --
Er sei ja wohl Gelehrter im Zivilverhältnis -- und aus Bonn -- sieh da
-- aus dem schönen Bonn am Rhein.

Ob er auch die dortigen Verwandten ihres Mannes, Seine Exzellenz den
Generalleutnant a. D. von Sassenbach und seine Damen kenne --

Das mußte Frobenius natürlich verneinen --

Hinter seinem Rücken öffnete sich mit raschem Ruck die Tür. -- Er
fühlte: da ist sie -- --

»Ah, sieh da -- der Herr Leutnant Frobenius -- na, endlich!« Schelmisch
drohte das Mädchen mit dem Finger.

Sie hatte sich nicht Zeit genommen, sich umzukleiden ... schlank
und straff stand sie da ... knapp umschloß das graue Reitkleid die
elastische Gestalt ...

Auf ihren Lippen lag ein Lächeln ... ein Lächeln von so ganz anderer
Art als neulich am Froschtümpel ...

Und mit ausgestreckter Linken hielt sie dem Besucher einen stattlichen
Folioband entgegen, auf dem -- -- sein Name stand ... »Man hat sich
inzwischen mit Ihnen beschäftigt, wie Sie sehen, Herr -- -- Leutnant
...«

Mit einem Male überkam den Gelehrten das Gefühl einer wunderbaren
Sicherheit. Schau, schau -- nun wußte sie, nun mußte sie wissen, wen
sie vor sich hatte ... mußte wissen, daß er nicht ~immer~ das
hilflose Opfer unmöglicher Situationen war.

»Werden Sie glauben, Herr Leutnant, ich hab nicht nur Ihr Buch gelesen
... ich hab auch zum ersten Male seit meiner Pensionszeit den Schiller
wieder vorgenommen --!«

»Ah -- -- das ist schön! -- Aber nun lassen Sie mich Ihnen nochmals
meinen aufrichtigen Dank --«

»Aber so schweigen Sie doch bloß von der albernen Geschichte ... das
war ja nicht der Rede wert ... Ich hab ~Ihnen~ zu danken ... ich!«

Und mit peinlicher Überraschung ward nun Frau von Sassenbach die stumme
Beobachterin eines Gesprächs über Gegenstände, die in ihrem Salon noch
niemals verhandelt worden waren ...

Was war das ... Nelly glühte ja bei der Unterhaltung mit diesem
langstelzigen Herrn, wie sie kaum je im Ballgespräch mit einem ihrer
Verehrer geglüht hatte ...

»Erinnere dich, Nelly, daß wir heute mittag bei Frau von Czigorski zu
Tisch gebeten sind! es wird Zeit, dich umzukleiden!«

Der Besucher verstand. »Ich darf die Damen nicht länger aufhalten!«

»Ich hoffe, Sie werden mir noch mehr von Schiller erzählen, Herr
Frobenius,« sagte das Mädchen, indem es sich erhob.

»Ich fürchte,« meinte Frobenius, »dazu wird kaum Gelegenheit sein!«

»Aber gewiß! -- erstens sehen wir uns doch nächstens auf dem
Regimentsfest -- und zweitens werden wir doch hoffentlich bald einmal
das Vergnügen haben -- nicht wahr, Mama? -- Herrn Frobenius bei uns zu
sehen!?«

»Ich hoffe das gleiche,« sagte Frau von Sassenbach in einem Ton, der
wenig mit dem Inhalt ihrer Worte stimmte ..

»Leben Sie wohl, Herr Frobenius, und seien Sie nochmals bedankt ... ja
... seien Sie bedankt ...! Auf Wiedersehn, Herr Frobenius!«

Beim Aufstehen kamen Beine und Säbel abermals in Konflikt.

Was tat's! -- -- Auf Wiedersehn! hatte sie gesagt -- auf Wiedersehn --
--

                   *       *       *       *       *

In dem Kreise der Gleichgültigen und Zurückhaltenden, in dem Frobenius
sich bewegte, hatte er, ohne es zu wissen und zu ahnen, einen
geschworenen verbissenen Feind.

Major von Sassenbach hatte sich beim Hauptmann Goll genau nach den
Umständen erkundigt, unter denen der Reitunfall des Landwehroffiziers
zustande gekommen war.

Goll hatte ihm erzählt, wie besorgniserregend sich der Gaul bereits
auf dem Kasernenhof benommen -- wie er sich dann beim Ausreiten zum
Exerzierplatz zur Ruhe gegeben habe, beim Klang der ersten Schüsse aber
plötzlich wie wahnsinnig geworden und nach kurzem Widerstande seines
Reiters in besinnungsloser Karriere mit ihm davongerast sei.

Der Major hatte sich erinnert, daß Leutnant von Finette ihm erzählt,
es handle sich um ein notorisch verdorbenes Pferd, und er hielt sich
für verpflichtet, festzustellen, wie es zusammenhängen mochte, daß die
Verwaltung des Tattersalls einen solchen Schinder einem Offizier zu
dienstlicher Verwendung an die Hand zu geben gewagt habe.

Zufällig kam er in den nächsten Tagen an der Reitbahn vorbei, suchte
den Direktor auf und beschwerte sich sehr energisch.

Der schien untröstlich, ließ sofort den Stallaufseher kommen. Dieser
war sehr erstaunt, daß ihm eine Rüge zugedacht war; just dieses Pferd
sei ausdrücklich verlangt worden.

Von wem denn?

Ja, das wisse er nicht mehr. Er müsse in der Liste nachsehen.

Er kam zurück, meldete: der Bursche des Oberleutnants Menshausen habe
das Pferd bestellt -- anzuschreiben für Herrn Leutnant der Landwehr
Frobenius.

Nun wußte der Major genug.

Er sprach dem Direktor der Reitbahn sein Bedauern über das
Mißverständnis aus, empfahl sich und überlegte ...

Was tun? -- Offenbar hatte der kaltherzige Geselle, den der Major
ohnedies nicht leiden konnte, dem harmlosen Landwehrfritzen einen
infamen Streich gespielt -- Was war nun anzufangen --? Frobenius
Mitteilung machen --? Aber dann mußte es ja Mord und Totschlag geben --
-- Nein -- er wollte sich den intriganten Herrn privatim vorbinden.

Bei nächster Gelegenheit stellte er Menshausen: »Herr Oberleutnant, Ihr
Bursche hat am vergangenen Donnerstag vormittag im Tattersall ein Pferd
abgeholt -- war das für Sie oder für jemand anders?«

Das fahlbraune Gesicht des Oberleutnants wurde noch um einen Ton fahler
... die aufgedrehten Schnurrbartspitzen zuckten leise ... »Das war --
für jemand anders, Herr Major!«

»Für wen denn?«

»Für den Leutnant der Landwehr Frobenius!«

»Wie kamen Sie dazu?«

»Der Bursche des Herrn Frobenius wußte noch nicht Bescheid im
Tattersall!«

»So -- und da haben Sie ihm also freundlicherweise den Ihrigen zur
Verfügung gestellt?«

»Zu Befehl, Herr Major!«

»Und -- wie war es denn möglich, daß der Bursche mit dem notorisch
unbrauchbaren und gemeingefährlichen Viech angezogen gekommen ist?«

»-- -- Woher soll ich das wissen, Herr Major!? -- ich bedaure das
selbst aufs lebhafteste -- ist eben 'ne kolossale Schweinerei von den
Stallburschen im Tattersall.«

»Hm -- also ~Sie~ hatten dem Burschen keine Anweisung gegeben,
welches Pferd er bringen solle?«

»Ich, Herr Major? -- --«

In diesem Augenblick stieg eine dunkle Welle in das schnauzbärtige
Antlitz des Stabsoffiziers ... die starken Kinnmuskeln begannen
mächtig zu arbeiten ... zwischen den zusammengepreßten Lippen drang
keuchend der Atem hervor und blies die lang herabhängenden grauen
Schnurrbartborsten in die Höhe ...

Herrgott, der Major wußte Bescheid! -- Wie? -- das mochte der Teufel
wissen --!

»Ich bitte ganz gehorsamst um Verzeihung, Herr Major -- ich habe die
Unwahrheit gesagt --«

»Das heißt: Sie haben mich unverschämt belogen, Herr! -- Frech und
schamlos belogen haben Sie mich!!«

»Herr Major, ich muß ganz gehorsamst bitten --«

»Gar nichts bitten müssen Sie ... Soll ich Sie dem Ehrenrat melden --?!
Wissen Sie, was dann mit Ihnen passiert?!«

Totenblaß, mit bebenden Lippen stand Menshausen vor dem Vorgesetzten
... die weißbehandschuhte Rechte am Mützenschirm flatterte hin und her
...

»Haben Sie gewußt, daß der Herr von der Landwehr keinen Schimmer vom
Reiten hatte?«

»Nein, Herr Major -- ich habe ihn erst am Tage vorher beim Mittagessen
kennen gelernt.«

»Na, und da haben Sie ihm nicht auf den ersten Blick angesehen, daß er
nicht der Mann ist, einen solchen Racker zur Räson zu bringen?!«

Menshausen schwieg.

»Geben Sie also zu, daß Sie sich einer Infamie schuldig gemacht haben?«

»Herr Major --!«

»Geben Sie's zu --?! Oder wollen Sie's vom Ehrengericht bescheinigt
haben?! -- Nicht nur, daß Sie sich skandalös unkameradschaftlich
benommen haben ... Sie haben ein Menschenleben in Gefahr gebracht ...
Na, und Sie wissen ja auch, wem Sie's zu verdanken haben, daß Sie nicht
als fahrlässiger Mörder dastehen --! Genügt Ihnen das nicht, um einfach
in den Boden zu sinken, Sie -- --? Also noch einmal: geben Sie zu, daß
Sie sich ganz unqualifizierbar benommen haben -- geben Sie's zu --?«

»Es -- es -- -- soll nicht wieder vorkommen, Herr Major!«

»Ich denke in diesem Augenblick daran, daß Ihr verstorbener Herr Vater
ein Kriegsschulkamerad von mir gewesen ist ... dazu können Sie sich
gratulieren ... sonst -- -- Aber ich werde Sie im Auge behalten, Herr
Oberleutnant -- verlassen Sie sich darauf! Danke --!!«

-- -- Für diese Stunde hatte Menshausen Rache geschworen.

Ohne daß Frobenius eine Ahnung davon hatte, umlauerte Menshausen seinen
ganzen Lebenswandel, dienstlichen und außerdienstlichen ... Irgendwo
würde man schon etwas finden, wo man hinterhaken könnte ...

Es war ja doch auch reinweg zum Verrecken ... immer kam aller Ärger von
den verdammten Gehirnfatzken, die dem ehrlichen Soldaten hier in seine
Arbeit hineinkorksten ...

Vor wenig Tagen hatte er draußen bei der Felddienstübung wegen des
versedrechselnden Einjährigen einen Riesenanriß besehen ... und nun
diese gottverfluchte Schweinerei, die ihn das Wohlwollen seines
Bataillonskommandeurs gekostet hatte! --

Das sollte nicht vergessen werden --!

                   *       *       *       *       *

Während die Reserveoffiziere sich bei den höhern Vorgesetzten lediglich
dienstlich zu melden hatten, war es üblich im Regiment, daß sie ihrem
Kompagniechef noch einen gesellschaftlichen Besuch in dessen Wohnung
abstatteten; bei den verheirateten Herren pflegten sie aber zwei Karten
nur dann abzugeben, wenn sie dazu besonders aufgefordert wurden.

Das lag ja bei Martin Flamberg vor ...

Eines Morgens nach dem Dienst warf er sich in Besuchsanzug, um Frau von
Brandeis seine Aufwartung zu machen.

Er hatte, wie täglich bei der Rückkehr von der Kaserne, ein zärtliches
Briefchen seiner Braut vorgefunden, und während er sein zweites
Frühstück verzehrte, überlas er, ein stilles Lächeln um die Lippen, die
beglückenden Zeilen ...

Agathe richtete zurzeit daheim das eheliche Nest ein und meldete
freudestrahlend, daß die Saloneinrichtung aufgestellt sei ...

»Auch noch für ein anderes Zimmer sind die Möbel angekommen. Denk dir
selbst, du Schlimmer, für welches!«

Ach, du süßes, süßes Mädel! ... Herrgott, nur sieben Wochen noch! --

Er schob den Brief in den Ärmel seines Überrocks und machte sich auf
den Weg.

Eine Weile noch spann seine Phantasie die holdseligen Träume weiter.
Dann aber begannen sich seine Gedanken mit dem Ziel seines Besuches zu
beschäftigen.

Er hatte genug im Regiment von Frau von Brandeis gehört, um zu wissen,
daß er einem nicht ganz gewöhnlichen Erlebnis entgegengehe.

Niemand wollte so recht begreifen, wie Herr von Brandeis an diese Frau
gekommen war.

Ein liebenswürdiger Herr von tadellosen Manieren, einigem
Unterhaltungstalent und auch von durchschnittlichen militärischen
Fähigkeiten.

Daß er allerdings einmal im Schießen mit seiner Kompagnie den
Kaiserpreis davongetragen, das schrieb man weniger seinen eigenen
Bemühungen zu, als der Tüchtigkeit seines Kompagnieoffiziers, des
nunmehrigen Regimentsadjutanten, Oberleutnant von Schoenawa. Und so
mißgönnte man ihm ein klein wenig den Roten Adlerorden vierter Klasse,
den er diesem glänzenden Schießresultat seiner Kohorte verdankte.

Was man aber als ganz und gar wohlverdient ansah, das waren die
zahlreichen Frühstücksorden, die ihm zuteil geworden waren, wenn er das
Regiment bei Fürstenbesuchen und Hoffestlichkeiten zu vertreten hatte;
denn seine Repräsentationstalente waren beträchtlich, und Englisch und
Französisch sprach er wie seine Muttersprache.

Aber das alles waren doch keine Qualitäten, die Anspruch auf die Gunst
einer Dame, wie seine Frau war, gewährten!

Frau Cäcilie war vor anderthalb Jahren dem Regiment wie ein Stern
aufgegangen ...

Jeder kannte die Höhe ihrer Mitgift und wußte, daß sie auf ein noch
ganz anderes Vermögen Anwartschaft hatte, wenn sie einmal ihre noch
recht rüstigen Eltern in Wiesbaden beerben würde.

Inmitten eines Offizierkorps, dessen Angehörige weder von Hause aus
noch im großen und ganzen infolge ihrer ehelichen Verbindungen durch
namhafte Vermögen ausgezeichnet waren, gab soviel Geld immerhin die
Folie des Außergewöhnlichen.

Aber mehr noch als diese äußeren Güter war es der Ruf ihrer
eigenartigen Schönheit, ihres Geistes und ihrer Talente, was sie hoch
über das Durchschnittsniveau der im Regiment vertretenen Weiblichkeit
heraushob und die erstaunte Frage berechtigte, wie eine solche Dame
sich mit einer glatten Mittelmäßigkeit wie Fritz von Brandeis habe
begnügen können! --

Es herrschte in den gesellschaftlichen Beziehungen der Herren des
Regiments zu seinen Damen im allgemeinen ein ausgezeichneter Ton. Die
Frauen und Töchter der Kameraden galten auch den ausgesprochensten Don
Juans als Tabu.

Um die schöne Frau von Brandeis aber, die Tochter der Künstlerstadt,
wehte es wie ein geheimnisvoller Hauch von Seltsamem ... geheimnisvoll
Lockendem ... der sie aus der Schar der bieder korrekten Frauen und
Mädchen heraushob, die man sonst an der Seite der Kameraden zu sehen
gewohnt war ...

Und die keckern unter den jüngern Herren hatten denn auch in aller
Vorsicht einmal Fühler ausgestreckt -- aber sie waren rasch und
gründlich enttäuscht worden --

Frau von Brandeis war eine ebenso tadellose wie zärtliche Gattin --

Oberleutnant Menshausen, der Abgott aller Nähmädchen und Ladenmamsells
der Garnison, hatte im Vertrauen auf eine nicht unbeträchtliche Reihe
von Erfolgen auf gefährlichen Gebieten einmal einen etwas schärfern
Ansturm riskiert ... aber die schöne Frau hatte ihm in einer Weise
heimgeleuchtet, die ihm ein für allemal den Mut zu weitern Versuchen
benommen hatte.

Von alledem hatte Martin Flamberg in den letzten Tagen im Kasino
genug gehört, um mit einiger Spannung seinem heutigen Erlebnis
entgegenzusehen ...

Nun, er war ja abgehärtet ... mochte Frau von Brandeis immerhin ein
kleines Wunder sein ...

Wenn er die Reihe strahlender Schönheiten an sich vorüberziehen ließ,
die im vergangenen Sommer seinem Pinsel gesessen hatte, so brauchte er
nicht zu befürchten, in Versuchung zu kommen ... Agathe konnte ganz
ruhig sein! --

Sein erster Eindruck war eine gewisse Enttäuschung ... Unwillkürlich
hatte er sich ein Bild der vielberedeten Erscheinung gemacht ...
groß -- königlich -- brünett ... Nun war sie einen Kopf kleiner als
er selbst, von rötlich-braunem, flimmerndem Haar, zarten Farben,
lebhaftem, etwas unruhigem Auge ... Gewiß ein sehr anmutiges Geschöpf
... aber für ihn, den Verwöhnten, doch nichts Außergewöhnliches ...

Mit großer Lebhaftigkeit leitete Frau Cäcilie das Gespräch ein: »Ich
entsinne mich sehr wohl, Herr Flamberg, Ihnen einmal in Gesellschaft
begegnet zu sein!«

»Ah, bei Kommerzienrat Trinkaus, nicht wahr, meine Gnädigste?«

»Gewiß, bei Trinkaus. Ich weiß noch, Sie haben einen auffallend
schlecht sitzenden Frack getragen ... Daran hab ich gleich gemerkt:
der muß was Besonderes sein ... Wenn einer bei Trinkaus so schlecht
angezogen herumlaufen darf, das ist sicher ein Genie ...«

»Stimmt, stimmt!« lachte Flamberg, »gepumpt für zwei Mark fünfzig!«

»Heute scheinen Sie etwas mehr auf Schneider zu halten!?«

»Geschäftssache, gnädige Frau! -- Ein gewisses Publikum glaubt nur an
Künstler, die in erstklassigen Ateliers arbeiten lassen können!«

»So -- und das können Sie also!?«

»Man schlägt sich so durch, gnädige Frau!«

»Ich glaub's ... Sie müssen nämlich wissen, Herr Flamberg, ich war
diesen Juni mit meinem Mann auf Urlaub in Berlin ... Da hab ich Ihre
zwei Bilder in der Sezession gesehen ... Wissen Sie, was mein Mann
damals zu mir sagte? Du, so ein Bild möcht ich von dir haben!«

Aha -- dachte Martin Flamberg, darauf will's also hinaus ...

»Ich beneide Sie!« fuhr die schöne Frau fort, »ich beneide euch
Künstler überhaupt!«

»Beneiden? -- um was?«

»Wie soll ich sagen -- Sie sitzen hier friedlich und plaudern oder
strampeln draußen auf der Heide herum und führen Ihren Zug ... und
derweile reisen Ihre Bilder in der Welt herum ... reden zu Tausenden,
was für ein Kerl Sie sind ... Ist das nicht beneidenswert? -- Ich
möchte es -- die Fernwirkung Ihrer Persönlichkeit nennen!«

»Ach, gnädige Frau, mich dünkt ... viel beneidenswerter als solche
Fernwirkung, von der man schließlich doch nichts hat ... viel
beneidenswerter muß die Nahwirkung sein, die eine schöne Frau ausübt.«

»Ach je, die Nahwirkung ... auf wen denn? ... Wen hab' ich denn, um
›nahzuwirken‹? Die Stabsoffiziere ... grämlich ... früh verbraucht
-- die Hauptleute ... dienstgehetzt -- dazu die streberhaften
Oberleutnants und die ungaren Leutnants ...«

»Sie urteilen sehr hart, gnädige Frau ... Diese Herren sind doch die
Kameraden, die Berufsgenossen Ihres Gatten.«

»Ums Himmels willen, hab ich mir mal wieder den Mund verbrannt!? -- Na,
das bleibt doch unter uns, nicht wahr, Herr Flamberg?«

»Selbstverständlich! -- Nun ja ... ich kann's mir schließlich
vorstellen ... Sie kommen aus so ganz andern Kreisen ... Aber ich
meine, auch Ihnen müßte das doch imponieren, diese unermüdliche,
opferfreudige Kleinarbeit, die hier geleistet wird!«

»Kleinarbeit ... ja wahrhaftig, Kleinarbeit!«

»Aber eine sehr wichtige und nützliche Arbeit! -- Flößt Ihnen das denn
keinen Respekt ein?«

»Respekt -- o ja!«

»Und schließlich -- was geht Sie am Ende das Milieu an, in dem Sie
leben? -- In einer Häuslichkeit wie dieser ... an der Seite eines
liebenswürdigen, ritterlichen Gatten, wie der Ihre ist ...«

»O ja!«

Schon wieder dies »O ja!« -- Dies »O ja!«, das er so gut kannte! --

Das kam ja immer zuerst, wenn eine verheiratete Frau zu kokettieren
begann ... dies korrekt sich stellende, zugleich aber leises Bedauern,
heimliche Enttäuschung andeutende »O ja« über den Gatten -- --

Äh ... sie waren doch alle gleich ... alle, alle versuchten sie dies
ewig gleiche, langweilige Spiel ... dies Spiel, das eben doch nichts
weiter war und bleiben sollte, als ein Spiel ... ein Flirt ... eine
inhaltlose Sensation!

Ein ernsthaftes Abenteuer -- ach, dazu waren sie ja doch fast alle zu
feige ... zu satt und zufrieden am Ende in ihrem warmen Nest ... aber
sich einen Flirt versagen zu können ... dazu waren sie doch wieder alle
zu unausgefüllt ... zu unvornehm ... zu charakterlos ...

Gräßlich, dies frivole, ziellose Spiel mit den heiligsten Dingen ...
mit Treue und Leidenschaft ... Wie rasch man das durchschaute ... wie
rasch der pikante Reiz der ersten derartigen Erlebnisse verweht war ...
und dann widerte es einen nur noch an ... Also von der Sorte war auch
diese da ...!

Fast brüsk brach er auf und empfahl sich.

»Wir hoffen, Sie nächstens bei uns zu sehen, Herr Flamberg!«

Klischee, Klischee -- -- Und so etwas galt im Offizierkorps als eine
Art höheres Wesen --

Schade -- ein hübsches Bildchen hätte sie schon abgegeben: die
schwermütigen braunen Augen unter der weißen Stirn, mit dem
rostfarbenen, straffen Haarkranz darüber und ... Eine feine
Schulterlinie hatte sie gewiß auch ... Der Unterarm, die feine, nervöse
Hand ... Das war vielversprechend gewesen --!

Ausführlich und sehr lustig berichtete er an Agathe.

                   *       *       *       *       *

Schon einige Tage später konnte Martin Flamberg sich überzeugen, daß
sein Künstlerauge recht vermutet hatte.

Drei Tage nach seinem Besuch lud ihn ein silbergraues Kärtchen zu einer
Abendgesellschaft in kleinem Kreise ... ein Kärtchen, bekritzelt mit
einer seltsamen Handschrift: feste Auf- und Abstriche, doch umschwirrt
von einem kapriziösen Gewirr hin- und herfahrender Schnörkel ... links
oben in der Ecke ein Doppelwappen, vermutlich das Adelswappen derer von
Brandeis und das bürgerliche der alten Düsseldorfer Patrizierfamilie,
aus der die junge Frau hervorgegangen ... Freilich! sie konnte es sich
leisten, das Wappen ihrer Sippe neben dem adeligen aufzupflanzen ...

Er führte die Frau des Hauses zu Tisch -- -- Außer ihm: Major von
Sassenbach mit Frau und Töchtern, Oberleutnant von Schoenawa und
Leutnant Blowitz.

Heute sah er sie ganz anders.

Die drei andern Damen, die Offiziere, nicht zuletzt der Gatte, gaben
dieser Frau eine Folie, die sie seltsam hob ... In dieser Umgebung,
wahrhaftig, erschien sie wie ein hinverwehtes Wunder.

Aller Augen hingen an ihr; sie beherrschte die Unterhaltung.

Spießbürgerliche Mißbilligung lag auf dem spitzen Gesicht der Frau von
Sassenbach ... rötete ihre Nase ... ließ ihre grauen Augen in frostigem
Pharisäertum funkeln ...

Die stattlichen Majorsmädel verschlangen die elegante junge Frau in
naiver Bewunderung ...

Leutnant Blowitz, ein braver Junge, huldigte ihr mit knappenhafter
Ergebenheit ...

Schoenawa, ein kalt beherrschter Energiemensch, verfolgte jede ihrer
Bewegungen mit verschlossenem, finsterm Ernst ... Nur zuweilen
flimmerte in seinen frostigen schwarzen Augen ein heißer Strahl; der
verriet Martin Flambergs geschultem Malerauge: auch dieses Mannes
Seele, soviel er davon besitzen mochte, stand im Banne der Hausherrin
...

Ihr Gatte glänzte übers ganze Gesicht vor demütig anbetender
Bewunderung, vor Glück und Stolz, der legitime Besitzer so vieler
Herrlichkeit zu sein ...

All diese Verehrung, diese teils freiwillige, teils widerwillige
Bewunderung steckte den Maler an.

Und wirklich ... sie sah strahlend aus ... sie trug eine fraisefarbene
Seidenrobe, überrieselt von einem bronzefarbenen Spitzengewirk ...
Der Ausschnitt ließ eine Schulterlinie von adeliger Zeichnung frei,
den Hals mit leisem Rosa angetönt ... ihn umzog ein dünnes goldenes
Kettchen mit einem smaragdgrünen Darmstädter Glasschmuck ... Für
Maleraugen ein Fest ...!

Das sprach er nach Tisch bei der Zigarre dem Hauptmann aus.

Der griff die Andeutung rasch und gewährungsfreudig auf.

Martin merkte, er war einem geheimen Wunsch seines Kompagniechefs
entgegengekommen ...

Und zwei Tage später stand der Maler im Wintergarten der Villa Brandeis
mit Pinsel und Palette der Hausherrin gegenüber. Flamberg hatte sich
ein förmliches Atelier zwischen den Palmen und Skabiosen improvisieren
dürfen. Als Hintergrund hatte er eine spanische Wand aufgestellt und
eine blaßrosa Sammetdecke darüber aufgehängt, die er in einem der
Salons entdeckt hatte.

Er selber trug über der grauen Litewka eine grobe blaue Küchenschürze,
die Frau Cäcilie persönlich unter Lachen und Scherzen ihm
umgebunden ...

Und nun durfte er sie ungeniert und gründlich betrachten, wie sie vor
ihm im Sessel lehnte in dem Kostüm von neulich, das er sich ausgebeten
hatte ... in der fraisefarbenen Seidenrobe mit dem rieselnden Gewirk
bronzener Spitzen ... mit dem geraden Ausschnitt, der die herrliche
Schulterlinie enthüllte ...

Seltsam war ihr zumute unter dem durchdringenden, enthüllenden Blick
der braunen, durstigen Künstleraugen ... Weich ... hingebend ...
opferfroh ...

Einmal trat der Maler auf sie zu, um ein paar Falten ihres Gewandes
anders zu ordnen ... da durchschauerte es sie ... unwillkürlich schloß
sie leise die Augen ... neigte das flimmernde, duftende Haupt
zurück ...

Martin Flamberg mußte sich zusammennehmen ... mußte mit Gewalt an seine
ferne Agathe denken ...

Und das war nun jeden zweiten Tag ein paar Stunden ... jeden zweiten
Tag ...

Manchmal kam Hauptmann von Brandeis vom Nachmittagsbesuch im
Kompagnierevier zurück, steckte, freundlich lächelnd, den Kopf ins
»Atelier«, warf einen prüfenden Blick auf die Fortschritte des Abbildes
... einen strahlenden auf das Original ...

Das Lächeln, das diesen Blick erwiderte, ward täglich matter und matter
... Brandeis merkte es nicht.

»Wie finden Sie meinen Mann?« fragte Frau Cäcilie einmal den Künstler.

»Ich bin ihm sehr gut, er ist so eine wahre Natur, durch und durch
echt -- so etwas empfinden wir stets als besonders wohltuend -- wir
verlogenes, verdorbenes Künstlergesindel, wir --«

»Verlogen und verdorben -- seid ihr alle so --?«

»Alle ... das liegt in unserm Handwerk ... das ganze Leben ist uns ja
doch nur ein Vorwand ... alle Menschen sind uns nur Mittel zum Zweck
...«

»Aber zu was für einem Zweck --!«

»Zu keinem schlechten -- das weiß Gott! -- Aber die Menschen, die mit
uns umgehen, sind dennoch immer betrogen ... wir nützen sie aus, und
sie dürfen's nicht merken ... beileibe nicht ... daß sie uns nichts
sind als Modelle!«

»Das sagen Sie -- ein Bräutigam?«

»Das ... steht auf einem andern Blatt, gnädige Frau ...«

»Also doch nicht so ganz Übermensch ... doch irgendwo ein Fleckchen in
Ihrem Herzen, wo man sich anbauen kann?! --«

Martin Flamberg malte und schwieg.

»Heut abend bleiben Sie zum Tee bei uns! -- Mein Mann kommt erst
um acht Uhr aus der Kaserne zurück -- Sie werden mir inzwischen
Gesellschaft leisten, und ich werde Ihnen etwas vorsingen!«

Martin Flamberg atmete tief auf ... »Wer könnte da ›nein‹ sagen --?«

»Ich habe schon lange auf die Gelegenheit gelauert, Ihnen zu zeigen
... ein bißchen Wer bin ich auch ... ein bißchen mehr als all die
Kommißgänschen hier herum ... ein ganz klein bißchen pass' ich auch in
die Welt, in der Sie heimisch sind --«

-- -- Und Frau Cäcilie saß am Flügel ...

Sie schien zu wachsen, als nun die ersten Akkorde aufschauerten unter
den schlanken, nervösen Fingern ...

Nur die Kerzen am Instrument brannten im Zimmer ... warfen gelbe
Lichter auf die erdbeerfarbene Seide ... flimmernde Reflexe in die
straffe Haarkrone -- darunter schimmerte die weiße Stirn mit mattem
Opalglanz ...

Nun öffnete sich sanft der schmale Mund ... und weiche Töne quollen
durchs Zimmer:


  »Nicht im Traume hab' ich das gesehn,
  hell im Wachen stand es schön vor mir,
  eine Wiese voller Margeriten ...«


Martin saß im Halbdunkel. Ah, Straußens »Freundliche Vision« --
die dunkelschwüle Weise, wie sie zu der Stunde paßte ... Martins
Seele löste sich ganz ... ein heißes Fluten hub an, wogte und webte
durcheinander ...


  »Und ich geh mit einer, die mich lieb hat,
  ruhigen Gemütes in die Kühle
  dieses stillen Gartens, in den Frieden,
  der voll Schönheit wartet, daß wir kommen.«


Mit einer, die mich lieb hat ... Agathe ... Agathe ...

Gewaltsam hatte Martin die Erregung zurückzudrängen versucht, die aus
der Tiefe seiner Seele in seine Augen quoll ... Nun übermannte es ihn
plötzlich ...

»Herr Flamberg, was haben Sie --?«

»Ich habe heim gedacht ... heim gedacht an ein fernes Mädchen -- das
hat keine Ahnung, daß ich in diesem Augenblick --«

»Nun -- was?«

»-- daß ich einer Stimme lausche ... einer Stimme, die nicht die ihre
ist ...«

»Nun -- und was ist dabei?«

»Viel ist dabei -- -- --«

»Ach Sie -- Sie Künstler Sie -- ich weiß ja, alles nur Vorwand, alles
nur Modell ... Sie haben's ja selbst gesagt.«

»Gnädige Frau --!«

»Haha ... nun wollen Sie's wohl gar nicht Wort haben ... aber Sie haben
sich verraten ... Nun dürfen Sie sich nicht wundern, wenn man Sie nicht
so tragisch nimmt!«

Die junge Frau ging mit raschen Schritten zum Flügel zurück ... schlug
einen schrillen Akkord an ... ging in eine tolle Walzermelodie über ...
dann brach sie plötzlich ab, sang zu übermütiger Weise abermals einen
Bierbaumschen Text:


  »Maikater singt die ganze Nacht:
  Der Frühling ist erwacht, erwacht!
  Der Frühling ist erwacht!«


»Ah, ihr musiziert? -- Das ist recht ... und so lustig! -- Das freut
mich! Entschuldige, liebes Kind, daß ich so spät komme ... und auch
Sie, lieber Flamberg ... danke Ihnen, daß Sie meiner Frau Gesellschaft
geleistet haben ...!«

-- -- An diesem Abend vergaß Martin Flamberg zum ersten Male, vorm
Schlafengehen am Sternenhimmel Agathens Augen zu suchen.

                   *       *       *       *       *

Am 17. August, am Vorabend des Tages von Gravelotte, wurde das Regiment
aus der Stimmung der Festvorbereitung durch eine plötzliche Trauerkunde
gerissen: Seine Durchlaucht der Erbprinz von Nassau-Dillingen, der
Kommandeur des rheinischen Armeekorps, war nach kurzer Krankheit in
Koblenz gestorben.

Wenige Stunden nach Ankunft der Trauernachricht kam auch bereits die
Allerhöchste Kabinettsorder, nach welcher die Offiziere des Armeekorps
auf vierzehn Tage Trauer anzulegen hatten.

In dieser Zeit eine große Feierlichkeit mit Musik und Tanz zu
begehen, das wäre nicht schicklich erschienen. Und so mußte das lange
vorbereitete Regimentsfest bis zu einem andern großen nationalen
Gedenktage, dem Tage von Sedan, aufgeschoben werden. Dieser Tag hatte
sonst für das Regiment nur die allgemeine patriotische Bedeutung, nicht
die spezielle eines Ruhmestages: denn das rheinische Armeekorps hatte
ja bei Sedan nicht mitgefochten.

In anderer Beziehung aber klappte es mit der Verlegung recht hübsch.
Der 2. September fiel nämlich auf einen Sonntag. Und da am Dienstag,
den 4. September, die Abfahrt ins Manövergelände im Hunsrück angesetzt
war, so blieb Montag, der 3., zum Packen, und das Regimentsfest wurde
so, außer einem Begrüßungsfest für die Kommandeuse, zugleich ein
Abschiedsfest.

Für die aktiven Herren bedeutete das Ausrücken ins Manövergelände einen
dreiwöchigen Abschied aus der Garnison.

Die Offiziere des Beurlaubtenstandes würden überhaupt nicht mehr in
die Garnison zurückkehren; sie würden sich am letzten Manövertage nach
Schluß der Übung bei der Kritik abmelden können und galten damit als
entlassen, um von der nächsten Bahnstation aus auf dem kürzesten Wege
in ihre Heimat zurückkehren zu können.

-- Die letzten Wochen vor dem Feste waren verhältnismäßig ruhig
verlaufen.

Martin Flamberg hatte das Bild der Frau von Brandeis vollendet, und
damit war für ihn die Veranlassung zu seinen regelmäßigen Besuchen
in der Villa Brandeis weggefallen, nachdem im Kreise der Intimen des
Hauses bei einer Sektbowle »Firnistag« gefeiert worden war ...

Am folgenden Morgen hatte Hauptmann von Brandeis auf dem Rückmarsch von
der Felddienstübung den hinter ihm marschierenden Flamberg an die Seite
seines Pferdes gewinkt und hatte mit ihm in schnellerem Tempo einige
Schritte Vorsprung vor der marschierenden Kompagnie gewonnen:

»Nun sagen Sie mal, lieber Flamberg, wir wollen uns ganz offen darüber
aussprechen -- und ich denke, Sie nehmen mir das wohl nicht übel --
Sie haben mir da das ersehnte Bild meiner Frau gemalt. Und Sie wissen
ja, ich bin in ganz erfreulichen Verhältnissen. Bitte, machen Sie mir
jetzt Ihren Preis, und genieren Sie sich durchaus nicht, die Sätze zu
berechnen, die Sie auch sonst von Ihren Auftraggebern beanspruchen.«

Martin Flamberg sann einen Augenblick nach. Er fand es sehr richtig und
vornehm von Herrn Brandeis, daß er es seiner, des Malers Entscheidung
überließ, wie er die Angelegenheit auffassen wolle:

»Ich bitte ganz gehorsamst, Herr Hauptmann, mir gestatten zu wollen,
meine Arbeit Ihrer Frau Gemahlin als bescheidenen Ausdruck meines
Dankes für liebenswürdige Gastfreundschaft zu Füßen zu legen, und
Ihnen, Herr Hauptmann, als gleich bescheidenen Dank für die gütige
Aufnahme, die ich schon zum zweiten Male bei der Königlichen Ersten
gefunden habe!«

Brandeis markierte liebenswürdige Verlegenheit: »Aber lieber Flamberg,
wie soll ich das nur wieder gut machen?«

»Das haben Herr Hauptmann bereits vorher getan! Nur eine Bitte möchte
ich mir gestatten auszusprechen, vorausgesetzt selbstverständlich die
Zustimmung Ihrer verehrten Frau Gemahlin: ich möchte bitten, mir zu
erlauben, das Bild im nächsten Frühjahr in Berlin auszustellen!«

»Na, lieber Flamberg -- -- selbstverständlich werde ich ja den Fall mit
meiner Frau besprechen müssen ... aber ich zweifle nicht im geringsten
daran ... daß sie stolz sein wird, in solch einer meisterhaften
Verkörperung ... vor der staunenden Mitwelt paradieren zu dürfen ...«

-- -- »Ja, was machen wir da, Cäcilie?« fragte Brandeis daheim, nachdem
er berichtet hatte. »Eigentlich ist mir die Sache ein bißchen fatal ...
das Bild ist ja ein fürstliches, ein unbezahlbares Geschenk ... das
kann ich ja eigentlich gar nicht annehmen von dem fremden Herrn.«

»Da wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben!« meinte Frau Cäcilie,
»jedenfalls müssen wir uns in irgendeiner Form revanchieren.«

»Da fällt mir was ein: Flamberg ist doch verlobt und heiratet
unmittelbar nach dem Manöver. Da werden wir ihm also ein schönes
Hochzeitsgeschenk machen!«

»Aber bitte, nicht etwa einen Wertgegenstand, der auch nur einigermaßen
wie eine Bezahlung aussieht!«

»Ne, selbstverständlich das nicht!« lachte der Hauptmann, »das möchte
uns auch wohl doch ein bißchen schwer fallen! -- Weißt du, daß er für
jedes der Bilder in der Sezession fünfzigtausend Mark bekommen hat?«

»Mir fällt noch etwas anderes ein ... selbstverständlich, das mit dem
Hochzeitsgeschenk, das wird gemacht ... aber ich werde der Braut einen
prachtvollen Korb Rosen schicken mit unserer Visitenkarte!«

Der Hauptmann war einverstanden. Und Frau Cäcilie ließ ein riesiges
Arrangement prachtvoller La-France-Rosen zusammenstellen. Dazu sann sie
sich noch etwas anderes aus: sie ließ Flambergs Werk photographieren
und fügte eines der Bilder ihrer Sendung an die Braut des Malers bei.
Zu dieser Sendung schrieb sie selbst ein paar Begleitzeilen:


   »Mein sehr verehrtes gnädiges Fräulein, empfangen Sie hierbei das
   Abbild des jüngsten Meisterwerkes Ihres Herrn Bräutigams, und
   erlauben Sie dem Original und dem künftigen Mitbesitzer des
   herrlichen Werkes, Ihnen die herzlichsten Wünsche zu Ihrer
   demnächstigen Vereinigung auszusprechen.

   Ein Mann, dem wir andern alle nichts sind als der gleichgültige
   äußere Anstoß für sein Schaffen, nichts als ein Motiv, ein Modell,
   das man festhält mit raschem, unfehlbarem Pinsel, und das dann,
   ach so schnell, einem neuen Platz machen muß, nichts als ein paar
   bunte Farbflecke in der Außenwelt -- -- einem solchen Mann dürfen
   Sie Lebensgesellin sein -- Sie Glückliche. --

   Empfangen Sie unsre aufrichtigsten Empfehlungen.

    Fritz und Cäcilie von Brandeis.«


Als Agathe van den Bergh diese Zeilen las, gab es ihr einen Ruck am
Herzen ... Lange, lange studierte sie die Züge der Photographie,
die klare Schrift mit den festen Grundzügen und dem kapriziösen
Schnörkelgerank ...

So war es nun schon die zwei Jahre hindurch gewesen: jedesmal, wenn
sie ein neues Werk des Geliebten sah, hatte sie dies dumpf nagende
Wehgefühl ... Es war nicht Eifersucht ... es war der unbegriffene
Schmerz der reinen Mädchenseele, die empfand, daß sie dem geliebten
Manne nicht alles -- nicht alles war -- niemals alles werden würde --
ach nein, niemals mehr denn ein kleiner, kleiner Ausschnitt aus seiner
Welt --

Es war nicht Mißtrauen ... nur das geheime Grauen war's des ahnenden
Mädchenherzens vor den Abgründen im Leben, in der Sehnsucht, in der
Vergangenheit und Gegenwart des Mannes ... des Künstlers.

                   *       *       *       *       *

Am vorletzten Samstag vor dem Ausrücken -- es war der 25. August --
ging Martin Flamberg auf einen viertägigen Urlaub nach Düsseldorf ...

Wie im Fluge verstrichen ihm die wenigen Stunden der Heimfahrt ...

Welch ein Sturm in ihm ... welch ein Sturm der Gefühle -- der
Leidenschaften -- der Gedanken -- der Grübeleien und Träume ... Agathe
hatte ihm den großen Frieden seines Lebens bringen sollen -- ihn
ausfüllen bis in die Tiefen seiner Seele ... Er hatte gewähnt, in ihr
jene große Liebe gefunden zu haben ... jene große Liebe, von der alle
Menschen träumten ... und die Künstler heißer und sehnsüchtiger denn
alle andern ... und nun -- --

Seine Besuche bei Frau Cäcilie hatten nun aufgehört, und seitdem erst
war es ihm ganz bewußt geworden, was diese Besuche ihm bedeutet hatten
... Nein wahrlich, was seitdem in seiner Seele fieberte und stürmte,
das hatte wenig Ähnlichkeit mit dem großen Frieden, den er erhofft ...

Agathe empfing ihn am Bahnhof. Der Präsident van den Bergh begleitete
seine Tochter.

Martin fühlte, wie seine Braut ihn prüfend ... angstvoll beobachtete
... Er fühlte es, ohne daß er den Zusammenhang begriff; denn Agathe
hatte es nicht übers Herz bringen können, auch nur ein Wort über die
Sendung der fremden Dame und das seltsame Briefchen, das sie begleitet
hatte, an ihren Verlobten zu berichten ...

War es so etwas wie böses Gewissen, was Martin Flamberg hellsichtig
machte für die verhohlene Befangenheit seiner Erkorenen ...? Er gab
sich lebhaft ... heiter ... ungezwungen ... mit fast lärmhafter
Lustigkeit ... Und dabei fühlte er doch, daß sie seine Absicht
durchschaute ...

»Nun, Martin,« sagte der Präsident bei der Heimfahrt, »Sie haben
inzwischen auch wieder eine neue Arbeit vollendet?« Der Präsident
hatte sich noch heute nicht entschließen können, seinem Schwiegersohn
das väterliche Du entgegenzubringen.

»So, hat Agathe Ihnen erzählt -- ja gewiß, Papa, ich habe meine Zeit
gründlich ausgenutzt.«

»Eine schöne Frau! -- Ich erinnere mich ihrer noch sehr gut ... als
Backfisch machte sie Furore in unsern Salons ... aber sie muß sich
inzwischen noch mächtig herausgemacht haben, nach Ihrem Bilde zu
schließen.«

»Aber -- woher wissen Sie, Papa --?«

Dunkelglühend, mit niedergeschlagenen Augen sagte Agathe: »Die Dame hat
mir einen prachtvollen Rosenstrauß geschickt ... und eine Photographie
ihres Bildes ...«

»Und davon hast du mir nichts geschrieben!?«

»Ich dachte, sie hätte es dir selber gesagt.«

»Nein, das hat sie nicht -- ich habe sie auch nicht mehr gesehen, seit
das Bild fertig ist ...«

-- -- Zu Hause, im ersten Augenblick des Alleinseins warf sich Agathe
mit einem leisen Stöhnen an seine Brust, sah ihm tief in die Augen:
»Ach, Martin, kommst du mir so wieder, wie du gegangen bist -- --?«

»Aber Kind -- was hast du nur?!«

Stumm zeigte ihm Agathe Cäciliens Bild und Brief ...

Tief atmend überflog Martin die seltsamen Zeilen ... Gott, sie sagten
ihm ja nichts Neues ... er wußte ja doch schon ... Aber Agathe mußte
beruhigt werden ...

Wie sie so vor ihm stand, da glich sie so ganz wieder jener Gestalt,
die das Faustbuch von Wilhelm Frobenius in seiner Phantasie lebendig
gemacht ... ganz wie Gretchen sah sie aus, die bebenden Herzens den
Geliebten fragt, ob er glaube, glaube an eine ewige Macht, die den
Wandel unseres Schicksals lenkt ...

Und in einem Wirbel des Gefühls riß er die geliebte Gestalt in seine
Arme und küßte die schweren Tränen aus seines Mädchens Augen ...

Aber während er die bebende Braut an seinem Herzen hielt, fühlte er mit
Grausen, daß er einer andern denken mußte ... immerzu ... immerzu einer
andern ... so, wie sie ihm gegenüber gestanden hatte in der letzten
Stunde zweieinsamen Beisammenseins ...

Das Bewußtsein, daß diese Stunde niemals wiederkommen werde, hatte
beiden mit jähem Griff plötzlich die Kehle ... das Herz umschnürt ...

Herrgott, warum gab es Schranken in der Welt? -- Was half dem
Künstler die Phantasie -- die allmächtige, allerfassende, die ihn die
grenzenlosen Reiche der Schönheit nur darum in all ihrer Herrlichkeit
überschauen lehrte, damit das Leben selbst ihn dann immer wieder
ausschlösse von dem Besitz alles dessen, was er viel tiefer doch als
andere empfand ... viel tiefer verstand ... viel tiefer hätte genießen
können ...

Martin hatte die Zähne zusammengebissen ... hatte das letzte Aufgebot
all seiner Seelenkräfte in sich aufgerufen zu keuchendem Kampfe gegen
die Versuchung, dies Weib in seine Arme zu schließen ... das Weib des
vertrauenden Mannes, des Vorgesetzten, des Kameraden ... Und er wußte
es wohl: die Glut all dieser verschwiegenen Kämpfe hatte er seinem
Werke eingehaucht ... Er wußte: es war sein bestes geworden.

Und hatte Agathe das nicht herausgefühlt -- nicht ahnend empfunden --
selbst aus dem schattenhaften Abbild seines Werkes, das sie allein erst
kannte?!

Und warum mußte er dieser letzten Sekunde des heißen Kampfes, des
schmerzvoll bittern Sieges gedenken ... in diesem Augenblick ...
im Arme des Mädchens, das er sich zur Kameradin seines Lebens, zur
Friedenbringerin seines Herzens erkoren?

Sie hatte ihn nicht gebracht ... den ersehnten Frieden ... Ob er wohl
kommen würde, wenn er sie einmal ganz sein eigen nennen durfte?

An diese Hoffnung wollte er sich anklammern.




                            Achtes Kapitel.


Und nun saß Martin Flamberg inmitten des glänzenden Kreises des
Regiments Prinz Heinrich der Niederlande und seiner Damen im
kerzenhellen Kasino vor dem Vorhang, hinter dem das Festspiel sich
entrollen sollte.

Wirklich eine stattliche Versammlung.

Zu den Offizieren des Regiments hatte sich ein größerer Zuzug fremder
Uniformen gesellt, deren Träger dem Regiment nahe standen.

Voran natürlich der Brigadekommandeur mit seinem Stabe, ferner
der Bezirkskommandeur mit seinem Adjutanten, dann eine Anzahl
glatzköpfiger, weißbärtiger Herren, pensionierter Generale und
Stabsoffiziere mit redseligen Gattinnen und leise verblühenden
Töchtern; denn die Villenvorstadt der Garnison war eine vielbegehrte
Pensionopolis. Auch sämtliche in erreichbarer Nähe wohnenden inaktiven
und Reserveoffiziere des Regiments hatten sich eingefunden.

Zu den Waffenröcken, die bei den ältern Herrn von einem bunten
Ordensgeflimmer erhellt waren, gesellte sich ein lichtfarbiger,
gleißender Damenflor.

Allerdings, die Gattin des Brigadekommandeurs hatte sich entschuldigen
lassen in taktvoller Rücksicht auf Frau Baronin von Weizsäcker;
galt doch der Kommandeuse das ganze heutige Fest, soweit es als
ein gesellschaftliches Ereignis ausgestaltet war. Und so hatte
die Frau Generalin sich zurückgehalten, damit die Gattin des
Regimentskommandeurs die Ehren des Abends unverkürzt als erste genieße.

Von den Stabsoffizieren war der trunk- und wetterfeste Oberstleutnant
Rautz Junggesell, der hagere, unnahbare Major Blasberg seit fast zwei
Jahren Witwer.

So bildeten die spinöse Frau von Sassenbach, die ihre bürgerliche
Geburt durch sehr starke Betonung aristokratischen Wesens zu
verdecken suchte, und die aus uraltem Adel stammende, rundliche Frau
von Czigorski, die mit ihrem Manne in lautem und bourgeoisem Wesen
wetteiferte, die nächste Umgebung der Frau Oberst.

Die Gruppe dieser drei Damen war der Mittelpunkt der Weiblichkeit. An
sie gliederte sich auf der einen Seite die Schar der meist schon etwas
greisenhaften Gattinnen der Pensionierten, auf der andern Seite die
der jungen Frauen der Hauptleute und Oberleutnants und endlich eine
ganze Schar junger Mädchen, teils Offizierstöchter, teils geladene
Freundinnen der letztern aus der Stadt.

Im großen Saale waren die Stuhlreihen gestellt. Die Bühne war in der
Veranda aufgeschlagen, die große Glastür ausgehoben, ihr Rahmen bildete
das Proszenium.

Hinterm Vorhang harrte der einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen,
aufgeregt wie nur je ein dramatischer Dichter am Abend seiner Premiere
an einer Weltstadtbühne, selbstverständlich wieder in Dienstanzug und
»Porzellanbuchsen«, Regisseur und Inspizient in einer Person.

Neben ihm saß als Souffleur der jüngste Leutnant Carstanjen, sehr
ungnädig über dies Kommando, das ihn für eine Stunde dem Flirt im Saal
entzog.

Im Augenblick, als Hans Friesen das erste Glockenzeichen geben
wollte, fiel sein Blick seitwärts, wo plötzlich, wie aus der Erde
gewachsen, der Gefreite Manes seiner Kompagnie stand, schlotternd vor
Befangenheit, im Drillichanzug, mit der schwarzen Gefreitenschnur um
den Jackenkragen, die zerknüllte Feldmütze in der Hand, ganz geblendet
von den paar Strahlen Festglanz, die seine weit aufgerissen starrenden
Augen erhascht hatten. Er machte dem Unteroffizier hilflose
Winkzeichen.

»Haben Sie was für mich, Manes?«

»Jawohl, Herr Unner'ffzier ... ene Zettel vom Herr Feldwebel!«

Voll düsterer Ahnung nahm Hans den Wisch, entrollte ihn und las:
»Morgen früh fünf Uhr zur Aufsicht beim Umbau von Schießstand 5. Düfke,
Feldwebel.«

Aha, der Neid der Götter! -- Hol's der Teufel!

In der Eile betete Hans Friesen das Register sämtlicher Flüche her, die
er während seines Dienstjahres aus dem Munde der Kapitulanten seiner
Kompagnie vernommen hatte.

»Na, Manes, stehen Sie noch immer da? -- Sagen Sie dem Herrn Feldwebel
einen schönen Gruß von mir, und er könnte --«

Es war doch geratener, den Rest zu verschlucken ... das Dusseltier war
imstande, die Bestellung auszurichten ...

O welche Lust, Soldat zu sein --!

Auf einmal klang eine weiche Stimme neben ihm: »Guten Abend, Herr
Friesen!«

Herrgott, Molly von Sassenbach als »Friede«.

Mein Himmel, wie schön ... wie unsagbar schön das Mädchen aussah! Zwar
das rote Griechengewand, das sie trug, paßte eigentlich verflucht wenig
zu ihrer Mission; aber an dem goldenen Palmenzweig, den sie im Arme
hielt, konnte man ja bei einigem guten Willen immerhin erkennen, was
sie vorstellen sollte.

»Fühlen Sie, wie ich zittere!« Sie hielt ihm die kleine, duftige Hand
hin.

»Das nennt man Lampenfieber!« scherzte er gezwungen.

»Wie schade, nun sind die Proben zu Ende!«

»Jawohl ... und übermorgen geht's fort ... und ich seh Sie nicht mehr
wieder ...«

»Kommen Sie denn nicht noch einmal zurück in die Garnison?«

»Das wohl ... vierzehn Tage, um das Offiziersexamen zu machen! -- Aber
dann -- dann sind Sie wieder das Majorstöchterlein ... und ich der
simple Kommißknote ...«

»Aber Sie kommen doch zum Frühjahr zur Übung ins Regiment?!«

»Ach -- im nächsten Frühjahr! ... Das ist eine Ewigkeit --!«

»Herr Friesen, ich will Ihnen etwas anvertrauen: vielleicht sehen wir
uns doch schon früher wieder -- -- nämlich ... das Manöver ist doch im
Hunsrück ... und -- --«

In diesem Augenblick stürzte der Leutnant Carstanjen, der inzwischen
auf der Bühne mit Frau von Brandeis und Nelly geschwatzt hatte, heran
und rief: »Donnerwetter, Friesen -- machen Sie doch los --!«

Zähneknirschend gab Hans Friesen das Klingelzeichen ... und der Vorhang
flog in die Höhe ...

Alles klappte vortrefflich.

Zwar Martin Flambergs Malerauge stand Qualen aus, als er die
Farbenzusammenstellungen an Kostümen und Dekorationen sah ...

Leutnant Blowitz, der »für die Regie verantwortlich zeichnete«, hatte
sich törichterweise nicht entschließen können, die Unterstützung
des doch im Regiment vorhandenen Malers heranzuziehen. Wozu von der
Anerkennung der Vorgesetzten und ihrer Damen noch etwas auf einen
Herrn fallen lassen, der in drei Wochen wieder nach Hause ging ...?
Das konnte doch in der Familie bleiben ... das konnte man ja selber
verdienen ...

Die Folgen waren schrecklich.

Frau Cäcilie natürlich sah so blendend schön aus, wie ihr Kostüm
und ihre Frisur geschmackvoll und sachgemäß waren, aber die
Majorsmädels in ihren roten und lila allegorischen Kostümen aus dem
Maskenverleihgeschäft, und vollends Leutnant Blowitz als »Krieg« in
einer Rüstung, die ein Mittelding zwischen einem mittelalterlichen
Ritterharnisch und einem griechischen Heroenpanzer darstellte und
aussah, als sei sie aus Trümmern von Konservenbüchsen zusammengenietet
... geradezu schaudervoll!

Die Dekorationen zu den lebenden Bildern hatte ein kundiger Thebaner
von Anstreichergehilfen, den Blowitz unter den Füsilieren der dritten
Kompagnie ausfindig gemacht, nach dem Muster der berühmten Gemälde im
Offizierkasino zusammengepinselt.

Vor diesen fragwürdigen Hintergrund hatte Blowitz die lebenden Bilder
gestellt, so gut er's verstand.

Er war nicht ungeschickt in solchen Veranstaltungen. In seinem frühern
Regiment war er vereidigter Festarrangeur gewesen ... und das hatte
ihm den Rücken gesteift gegen die Versuchung, den Sachverständigen
heranzuziehen, der zur Hand gewesen wäre.

Na, es ging auch so. Und jedenfalls -- das Publikum war von der
Leistung, die auf dem eigenen Holze des Regiments gewachsen war,
vollkommen zufriedengestellt.

Und als schließlich im letzten Bilde die Gipsbüste Seiner Majestät
erschien, von den flackernden und knisternden Flammen zweier
bengalischer Feuerwerkskörper beiderseits angestrahlt, umgeben von
einer Huldigungsgruppe von Soldaten und allegorischen Jungfrauen -- da
erhoben der General und der Oberst sich mit einem klirrenden Ruck von
ihren Stühlen, die ganze Zuschauerschaft folgte, die Regimentsmusik
schmetterte die Kaiserhymne, und in heller Begeisterung vermischten
sich die hellen Stimmen der Damen mit den dröhnenden der Offiziere.

Dann tönte lauter Applaus ... der Vorhang über dem lebenden Bilde
öffnete sich zum zweiten Male ... und nun rief der General mit
schallender Stimme in den Saal: »Seine Majestät, unser allergnädigster
Herr -- Hurra -- Hurra -- Hurra!«

Die Fensterscheiben klirrten ... die Damen winkten mit der Hand und
schwenkten ihre weißen Schals ... die Musik gab im Tusch das Letzte
ihrer Lungenkraft her ... es war ein Getöse, als solle der jüngste Tag
anbrechen ...

Und abermals dröhnender Applaus ... die Darsteller verneigten sich ...

Aus den Reihen der jüngern Offiziere tönten laute Rufe: »Blowitz --
Blowitz --!«

Die Gruppe schob den »Krieg« in den Vordergrund ... er verneigte sich,
hold errötend unter seiner Schminke ... immer und immer wieder ...

In der Ecke hinter dem Vorhang aber stand im Ordonnanzanzuge der
Festspielpoet ... Um ihn kümmerte sich kein Mensch, selbst Molly von
Sassenbach hatte ihn ganz vergessen ...

Oder ob auch sie das Gefühl hatte, daß es ein wenig stilwidrig wirken
würde, wenn in diesem Augenblick ein Unteroffiziersrock und ein Paar
»Porzellanbuchsen« im Vordergrunde des Bildes erschienen ...?

Erst als nun der Vorhang zum letzten Male gefallen war und die
Mitwirkenden in glückseliger Erregung, froh des stolzen Gelingens, laut
plaudernd und schwatzend in die als Garderobenräume eingerichteten
Korridore abströmten, gewahrte Molly plötzlich den unglücklichen
Einjährigen in seiner Ecke: »Herrgott -- Sie haben wir ja ganz
vergessen -- --! Na -- das ist 'ne schöne Bescherung --!«

»Poetenlos -- gnädiges Fräulein!«

»Na warten Sie -- nachher wird der Oberst sicher mit Ihnen sprechen
-- und dann -- dann tanzen wir zusammen, wir zwei -- nicht wahr, Herr
Friesen?!«

Aber Mollys Prophezeiung erfüllte sich nicht, wenigstens nicht in ihrem
ersten Teil.

Zwar hatte Hans Friesen eine offizielle Einladung zum Fest bekommen.
Er hatte heimlich gehofft, als Festspielpoet bei den Mitwirkenden des
Abends seinen Platz zu finden.

Aber als er in den nun wieder hell erleuchteten Speisesaal trat, da
kümmerte sich kein Mensch um ihn, und er drückte sich eine Zeitlang,
völlig unbeachtet, in der gräßlichsten Stimmung an den Wänden herum.

Als dann alles Platz nahm, wandte er sich in peinlicher Verlegenheit an
den Vizefeldwebel, der den Dienst der Kasinoordonnanzen beaufsichtigte,
und fragte, wo ihm sein Platz angewiesen sei. Der antwortete ganz kurz:
»Da unten, bei die Avantageur!«

Und richtig! -- Man hatte ihn chargenmäßig ganz unten am linken
Hufeisenende zwischen die blutjungen Fähnriche und Fahnenjunker gesetzt
...

Diese jungen Herren fühlten sich als zukünftige aktive Offiziere dem
Einjährigen um mindestens ein Dutzend gesellschaftliche Nasenlängen
voraus und suchten ihn, den um fünf bis sechs Jahre ältern, von oben
herab zu behandeln.

Allmählich gewann Hans Friesen den Humor der Situation. --

Nun, wenigstens bei den Bürschchen rechts und links wollte er sich
sobald als möglich in Respekt setzen und wartete nur auf die erste
passende Gelegenheit, um ein Exempel zu statuieren ...

Inzwischen schaute er nach Molly um ... Sie saß am selben Tisch, aber
weit höher hinauf, zwischen den Leutnants Carstanjen und Quincke, die
ihr natürlich auf Mord und Tod den Hof machten ...

Ekelhaft, dies verlebte, gelbe Gesicht des fatalen Quincke neben ihrem
rosigen, preziösen Köpfchen ... ihren apfelblütenfarbigen Schultern,
die sich nun so lockend und schimmernd aus dem rosa Ballfähnchen hoben
...

Und jetzt -- da ... sie hatte ihn erspäht, sie lächelte, sie hob
unmerklich das Glas ... Er auch ... Blick tauchte in Blick, eine
Sekunde lang --

Der grünschnäblige Fähnrich von Berneck, kaum dem Kadettenkorps
entschlüpft, siebzehn Jahre alt, hatte Friesens Blick bemerkt ... Er
trug bereits das Portepee ...

»Nanu, mit wem flirten Sie denn so vernehmlich?«

»Ja ... das möchten Sie wohl wissen! -- Hehe! Neid der besitzlosen
Klasse, was ...?! Na, halten Sie sich am Sekt schadlos! Prost, Herr von
Berneck --!«

»Ich bin für Sie der Herr Fähnrich von Berneck, Unteroffizier Friesen!«

»Ach so, Sie wollen den ältern Kameraden 'rausbeißen,« sagte Friesen
mit gewinnendem Lächeln, »na, dann lassen Sie sich sagen: ein jeder
blamiert sich, so gut er's versteht! -- Nochmals: Prost, Herr von
Berneck --!«

Das Bürschchen wollte auffahren ... Aber die roten Abfuhren auf Stirn
und Wange des Einjährigen leuchteten so martialisch, und in den
harmlos lächelnden Augen blitzte ein Licht, scharf und hell wie eine
niedersausende Säbelklinge. -- Achselzuckend wandte der Herr Fähnrich
sich ab.

Und Hans Friesen suchte und fand abermals Mollys Auge -- Mollys Lächeln
...

-- -- Die Tischordnung hatte den Kasinovorstand zwei schlaflose Nächte
gekostet. Wahrhaftig keine Kleinigkeit, all die Muschirs und Paschas
fein säuberlich nach der Zahl der Roßschweife zu verstauen ... Und noch
peinlicher war die Plazierung ihrer holden Ehehälften und Töchter --
dann dabei diese Unzahl von Wünschen der Kameraden -- und schließlich
galt es doch auch noch, gewisse Regungen des eigenen Herzens zu
berücksichtigen.

Dieser Reserveonkel ... dieser Malfritze ... der hatte drei Wochen lang
fast jeden zweiten Nachmittag ein paar Stunden mit der schönsten Frau
im Regiment allein sein dürfen ... Skandal! -- Na, der hatte sich's
natürlich nicht entgehen lassen, solch eine Gelegenheit nach allen
Kräften auszunutzen ... Was mochte er erreicht haben?! -- Heut abend
würde man zweifellos allerlei beobachten können ...!

So hatte er der Frau von Brandeis den Witwer Major Blasberg als
Tischherrn gegeben und sich selbst an ihre rechte Seite gesetzt -- --
Flamberg gegenüber an die andere Hufeisenseite.

Von den Reserveoffizieren hatte nur der harmlose, dicke Oberleutnant
Brassert eine Tischdame bekommen, ein ältliches Stiftsfräulein, eine
arme Verwandte des Majors Blasberg, die dem um zehn Jahre jüngern
Vetter seit dem Tode seiner Frau die Haushaltung führte ... Mit dieser
anmutigen Nachbarin saß Brassert, wie üblich, am Stabstisch.

Frau Cäcilie unterhielt ein krampfhaftes Gespräch mit ihrem
schweigsamen Tischherrn und mied es geflissentlich, ihrem Nachbarn zur
Rechten auch nur ein Wort zu schenken.

Gräßlich ... fühlen zu müssen, daß er keinen Blick von den Bewegungen
ihrer entblößten Arme ... von dem Spitzensaum ihres Halsausschnitts
verwandte ...

Er knirschte über diese Vernachlässigung. Na, warte nur -- ein bißchen
mehr als Luft bin ich doch -- -- Das sollst du merken, schöne Frau! --

Als wiederum in der stockenden Unterhaltung seiner Nachbarin eine Pause
eingetreten war, neigte er sich zu ihr, die sich beharrlich von ihm
abgewandt hielt: »Gnädige Frau scheinen mich schlecht behandeln zu
wollen?!«

»Ich ... Sie? -- ich behandle Sie überhaupt nicht!«

»Na ja, ich bin in Ungnade bei Ihnen -- das weiß ich ja!«

»So -- das haben Sie also gemerkt!? -- Dann wundert's mich, daß Sie als
Arrangeur der Tafel keine unterhaltsamere Nachbarschaft für sich gewußt
haben als mich!«

»Aber, gnädige Frau -- verstehen Sie das denn nicht? -- Ich hoffte
Gelegenheit zu haben, mich Ihnen gegenüber in ein besseres Licht zu
setzen!«

»Ja, sehen Sie -- dann haben Sie sich also getäuscht!«

»Das merk ich allerdings! -- Schade! Mir fehlen leider Gottes die
Qualitäten, mit denen man sich bei Ihnen beliebt machen kann.
Schlichter Soldat wie ich, verstehe nichts von Musik, malen kann ich
auch nicht ... kurz, nicht für fünf Pfenn'ge Chance ...!«

»Nun also ... Warum haben Sie sich denn mit aller Gewalt den schönen
Abend durch meine Nachbarschaft verderben wollen?!«

»Gnädige Frau -- was tut man nicht für das Glück, einen Abend neben der
schönsten Frau im Regiment sitzen zu dürfen. -- So was kommt sobald
nicht wieder, daß es von einem selbst abhängt. -- -- Der Vorzug, in
Ihrem Hause zu Gaste geladen zu sein -- der hat mir bis jetzt ja nicht
geblüht, wenn ich auch ebensogut wie alle andern Herren Ihnen meine
Aufwartung gemacht habe -- --«

»Herr Oberleutnant, Sie wissen so gut wie ich, daß Sie sich das Recht
auf Gastfreundschaft in meinem Hause verscherzt haben!«

»Ah -- das ist also noch immer nicht vergessen?! -- Tja -- ich versteh
es eben nicht so gut wie mancher andere, meine Empfindungen im Zaume zu
halten --!«

»Pah -- Empfindungen -- -- Sie und Empfindungen?! Sie wissen überhaupt
nicht, was Empfindungen sind -- --!«

»Ich weiß nicht, was --?! Haha ... man möchte wahrhaftig anfangen, mit
Gegenbeweisen zu renommieren ...!«

»Unnötige Mühe! Ihr Renommee ist stadtkundig!« --

»Tja ... was bleibt unsereinem übrig ... die Frauen, die man möchte,
sind bereits anderweitig vergeben ... und überdies so unangenehm
tugendhaft ... wenigstens unsereinem gegenüber! ... Tja -- wenn man
ein Ritter der Feder wäre, wie dieser Tapergreis, der Frobenius ...
Sehn Sie nur, gnädige Frau: Nelly von Sassenbach plaudert mit ihm über
die ganze Tafel hinüber, und Herr von Schoenawa, ihr Tischherr, ist
kaltgestellt ... Ja ja, die Herren von der Reserve ... die Herren von
der Intelligenz ... das ist mal was anderes für die Damen ... da können
wir einfachen Soldaten nicht konkurrieren ... Und wenn man nun gar ein
berühmter Maler ist, wie ein gewisser anderer Herr -- --«

»Bitte, sprechen Sie sich nur ruhig aus, Herr Oberleutnant --!«

»O ich -- -- Sie werden begreifen, daß es mir nicht ganz gleichgültig
sein kann, wenn man selbst von einer Dame so deutliche Zeichen ihrer
Abneigung bekommen hat ... und irgend so ein Herr, der mal auf acht
Wochen hier hineinschnüffelt ... der darf dann mit dieser selben Dame
allein sein ... Wochen hindurch ... stundenlang ... Ich begreife Herrn
von Brandeis nicht -- wahrhaftig!«

»Herr Menshausen, Sie sind denn doch von einer Geschmacklosigkeit! --
-- Wenn ich das nun meinem Mann erzählte?!«

»Das ... würde sich wohl kaum empfehlen, gnädige Frau ... Ich bin der
beste Schütze im Regiment!«

»-- -- Sie sind verrückt! --«

Mit bebenden Lippen wandte die schöne Frau dem Frechen den Rücken.

Himmel ... wenn nur Major Blasberg nichts gehört hatte! -- Aber nein
... der war tief, tief in sich versunken ... stumm sah er die Perlen
in seinem Sektglase aufsteigen ... Frau Cäcilie wußte: der eiskalte,
unzugängliche Mann dachte an nichts als an seine Frau, die seit zwei
Jahren in kalter Friedhofserde lag ... an die Mutter seiner drei Buben
...

Gott, wie verschieden doch die Herzen ... die Charaktere aller dieser
Männer, die einen Rock trugen ... eine Sprache sprachen ... das
gleiche, mathematisch abgemessene und umzirkelte Leben führten ...

Wenn sie selber nun heute stürbe?! -- Fritz, das wußte sie, würde dann
auch so sitzen ... viele, viele Jahre lang ... und kein Weib mehr
anschauen nach ihr ...

Und jener andere -- nach dem jede Fiber ihres Leibes ... jeder
Herzschlag ... jeder Gedanke sich sehnte?

Er würde sich gratulieren, daß er sie noch gerade vor ihrem
Verschwinden aus der großen Modellsammlung des Lebens eingefangen ...
für seine Leinwand, die im nächsten Sommer als Reklame seines Pinsels
von Ausstellung zu Ausstellung wandern sollte ... würde in die Arme der
harrenden Braut eilen ... und weiter malen ... eine Schönheit nach der
andern in sich hineinsaugen mit den braunen, durstigen Künstleraugen
... und den vergänglichen Schmelz ihrer Jugendherrlichkeit, die
verschwiegenen Tiefen ihrer Seelen zu ewiger Dauer auf seine Tafeln
bannen ...

Ach, wie ruhevoll und befriedend doch der Gedanke, daß ein treues Herz,
ein ritterliches, makelloses Gemüt nur für uns lebt --

Sie suchte den Blick ihres Mannes. Fritz saß ihr schräg gegenüber
an der andern Hufeisenseite neben der bildschönen Frau des
Bezirkskommandeurs. Er hatte kein Auge für die aufdringlich zur Schau
getragenen Reize der überjungen Frau, die der alternde, zur Disposition
gestellte Stabsoffizier in allzu großem Selbstvertrauen an sich
gefesselt ...

Nun fühlte Fritz den langersehnten Blick seines Weibes ... beglückt hob
er das Glas ... trank ihr zu, strahlend wie ein Bräutigam ...

Ach, und doch, und doch -- -- --

                   *       *       *       *       *

Die Baronin von Weizsäcker hob die Tafel auf.

Paar hinter Paar ... seideraschelnd ... sporenklirrend schob sich die
Gesellschaft aus dem Speisesaal in die Empfangsräume. Hier hielt die
Frau Oberst Cercle. Alles drängte sich heran ... die Offiziere, die
jungen Mädchen wetteiferten der Gestrengen die brillantberingte Hand zu
küssen.

Sie war die typische Kommandeuse: geistig unbedeutend von Antlitz neben
dem leuchtenden Gatten, doch äußerst pompös, beständig das Lorgnon an
der Nase, voll zuckersüßer Herablassung gegenüber Gutangeschriebenen,
hundeschnäuzig ablehnend einem jeden gegenüber, dessen Conduite
zu wünschen übrig ließ, und in all diesen feinen Nuancen bereits
erstaunlich Bescheid wissend. Ihr Benehmen konnte jedem einzelnen
geradezu als Barometer seiner eigenen Stellung im Regimente dienen.

Die Reserveoffiziere waren für sie ohne jegliches Interesse ...
existierten einfach nicht. Und dies ihr Benehmen gab für alle Damen,
die auf Korrektheit Wert legten, das Signal, die eingezogenen Herren
mit kältester Zurückhaltung zu behandeln.

Martin Flamberg stand abseits und beobachtete, das leise, ironische
Lächeln des Menschenkenners auf den Lippen, mit scharfem Auge, dem
nichts entging ... das durch all die korrekten Formen und Formeln in
die Tiefe drang und das Ganze des Menschen packte, der sich hinter
ihnen barg ...

Und während sein Verstand sich mit skeptischer Ergötzung am Bilde
der menschlichen Komödie weidete, erbaute sich das Malerauge an dem
farbenbunten Bilde des äußern Geschehens ...

Wie das wogte ringsum ... wie das flimmerte von Kraft und Anmut ... von
Farbenglut und flirrendem Lichterspiel ...

Ab und zu warf Martin auch einen Blick durch die halboffene Tür
in den Speisesaal. Hier waltete eine Schar von Heinzelmännchen in
Ordonnanzlivree und Füsilierrock ihres Amtes. Mit jener Präzision,
welche den braunwangigen Burschen auf dem Exerzierplatz eingedrillt
worden war, verwandelten sie den Speisesaal in einen Tempel der
Tanzmuse. Mit Zauberschnelle verschwanden die geschmückten, silber- und
blumenbeladenen Tafeln, mächtige Besen wurden geschwungen, Staubwolken
flogen, Stuhlreihen umkränzten die Saalwände.

In den Empfangsräumen trennte sich inzwischen die Gesellschaft nach
Geschlechtern, die Damen ins Billardzimmer, wo die Ordonnanzen Tee und
Süßigkeiten darreichten, die Herren ins Rauchzimmer zu Schnaps und
Nikotin.

Aber einige der keckern Damen überschritten doch bald wieder den
Trennstrich der Geschlechter, unter dem Vorwand, sich eine Zigarette zu
holen, und blieben im Rauchzimmer kleben.

Frau Cäcilie suchte ihren Gatten auf, hängte sich an seinen Arm in
dem starken Bedürfnis, sich an ihn anzuschmiegen, jenes Gefühl der
Zusammengehörigkeit, das sie bei Tafel so jählings zu ihm hingezogen,
auch äußerlich zu betätigen ...

Diesen Augenblick hielt Martin Flamberg für geeignet, sich für die
Rosendedikation an seine Braut zu bedanken ...

Mit umschleierten Augen sah Frau Cäcilie ihm entgegen ... Sie hatte ihn
seit dem »Firnistag« nicht mehr gesehen ... zehn Tage lang nicht mehr
gesehen ...

»Also glücklich vom Urlaub zurück, Herr Flamberg? -- Wie geht's -- was
macht ›Gretchen‹?«

»Sie hat mich beauftragt, ihren Dank noch einmal mündlich zu
wiederholen!«

»Nun, war's schön daheim? -- Was treibt Fräulein Agathe?«

»Sie baut an unserm Ehenest!«

»Ah -- wird's hübsch?«

»Wird noch nicht vorgezeigt, gnädige Frau -- ich hab' nicht
hingedurft!«

Der Hauptmann lachte übers ganze Gesicht ... er war wie trunken von der
Huld seines Weibes: »Na, lieber Flamberg, ich wünsche, daß es gerade so
hübsch wird bei Ihnen wie bei uns ... und daß ihr zwei mal gerade so
glücklich werdet wie die da und ich ... was, Alte --?!«

Frau Cäcilie lächelte ... ein Lächeln, das Martin durchschauerte.

»Tja, und übermorgen geht's nun fort,« schwatzte Brandeis weiter,
»na, für Sie ist das ja nur 'ne Etappe näher auf dem Anmarsch zum
Traualtar ... aber für uns zwei --? drei Wochen bittrer Trennung! --
Na, Cilly -- wo bleibt die Abschiedsträne? -- Warten Sie nur, lieber
Flamberg, das werden Sie auch noch kennen lernen. -- Gut, daß Sie und
ich wenigstens zusammen unterm selben Zeltdach schlafen werden ...
was, Flamberg? -- dann werden wir uns vor dem Einduseln im Stroh von
unsern Herzallerliebsten vorschwärmen ... was --?! Ich bin fein heraus
... meine Schwärmerei findet wenigstens volles Verständnis, da Herr
Flamberg dich ja kennt ... und sogar einigermaßen gründlich! -- wann
aber werde ich mal den Vorzug haben --?«

»Nun -- wer weiß ... unverhofft kommt oft ...! Darf ich um Ihre
Tanzkarte bitten, gnädige Frau?«

»Bitte --!«

»Den zweiten Walzer -- darf ich --?«

Sie nickte, und er kritzelte seinen Namen auf das glänzende Blättchen.

Andere Bewerber drängten sich herzu. Cäciliens Gesicht versteinerte
sich, als auch Menshausen sich heranwagte: »Ich bedaure, Herr
Oberleutnant!«

»Wie -- zu spät gekommen -- schon alles besetzt --?!«

Er hatte, als sei das selbstverständlich, die Tanzkarte von einem
Kameraden übernommen, warf einen Blick darauf: »Sieh da ... ein
Rheinländer noch frei ... darf ich darum bitten?«

»Den Rheinländer lasse ich aus!«

»Ich bin untröstlich --!«

Blick traf in Blick eine Sekunde lang ... eine Flamme heißen Hasses
blitzte der jungen Frau entgegen: Sei auf deiner Hut -- du --!

Pah ... was frag ich nach dir ... nach deinem Haß ... nach deinem
Rachegelüst ...! antwortete Cäciliens Blick.

Eine Minute später gab sie den Rheinländer an Herrn Frobenius ... war
er nicht Martins Freund ...? würde sie nicht von Martin plaudern können
mit ihm ...? --

                   *       *       *       *       *

Der zweite Walzer ging zu Ende ... Cäcilie und Martin hatten kaum
sprechen können während des Tanzes ... tief aufatmend machten sie
Rast. Cäcilie schob die Fingerspitzen in Martins Arm ... Keines wagte,
das andere anzuschauen; beide fühlten, der letzte Augenblick des
Beisammenseins war nahe.

»Morgen früh werd' ich die Ehre haben, Ihnen meinen Abschiedsbesuch zu
machen, gnädige Frau!«

»Den erlaß ich Ihnen, Herr Flamberg -- Sie würden mich nicht treffen
... ich reise schon morgen früh! -- Soll ich Ihnen sagen, wohin --?«

»Ich bitte darum!«

»So, Sie wissen also noch nichts? -- Mein Mann hat Ihnen noch nichts
erzählt?!«

»Ich habe keine Ahnung!«

»Wir haben vor drei Tagen ein Gut gekauft ... in der Nähe von Simmern
...«

»Was -- auf dem Hunsrück? -- und unser Manöver --«

»-- entwickelt sich zwischen Simmern und Birkenfeld -- ich weiß wohl!
-- Ich nehme da oben meinen Sommerfrischensitz ... die Sassenbachschen
Mädels nehme ich mir zur Gesellschaft mit ... Das Korpsmanöver ist in
unserer Nähe ... ich habe die Dislokation bereits studiert ... wir
werden einmal zu Ihnen ins Biwak hinauskommen ... und vielleicht reiten
Sie an einem Ruhetage mal zu uns hinüber ...«

Martin konnte nicht sprechen. In jähem Entzücken und ahnungsvollem
Schreck zugleich taumelten seine Gefühle --

Auf der Heimfahrt vom Urlaub hatte er abgeschlossen ... es sollte ...
es würde ja zu Ende sein am zweiten September ... Er würde sich alsbald
nach der Übung zur Landwehr versetzen lassen, würde Frau Cäcilie von
Brandeis niemals wiedersehen ... Den einen Abend noch unter den Augen
des ganzen Regiments ... da würde man schon Fassung bewahren können
... dann Montag nach dem Dienst mit dem Hauptmann nach Hause ... ein
korrektes, liebenswürdig heiteres Abschiedsgeplauder unter den Augen
des Gatten ... und dann ... ade! ... ade für ewig!

Agathe wartete ... ihr gehörte all sein Sehnen ... jede Sekunde im
Banne der schönen Frau war Verrat an dem geliebten Mädchen ... Also
Schluß! ... endgültig Schluß!

Und nun -- --?! ... Schicksal, nimm deinen Lauf --!

»Kommen Sie, Herr Flamberg ... noch ein paar Takte ... gleich ist's zu
Ende ...!«

Hauptmann von Brandeis stand in der Tür des Rauchzimmers, die Zigarette
zwischen den Fingern, und sah schmunzelnd in das Gewühl des Tanzes
hinein ... ein frisches, glückliches Lächeln lag auf seinen Lippen ...

Die Königin des Festes ... ja, das war sie ... seine Cäcilie ... Die
andern Damen ... welche von denen war denn auch nur von weitem mit ihr
zu vergleichen!

Und wie sie tanzte ... Selbst die ältesten Stabsoffiziere machten gute
Figur mit ihr ... Die alten Herren waren wie elektrisiert, wenn sie die
federleichte Gestalt im Arm hielten ... angesteckt von der rhythmischen
Energie, die ihre Glieder durchpulste ... Und wenn sie förmlich einen
Meistertänzer wie diesen Flamberg gefunden hatte ... den beiden
zuzuschauen, das war ja wirklich ein ästhetischer Genuß ...

Überhaupt dieser Flamberg! ... Doch direkt ein begnadeter Mensch! --
Stammte er nicht aus ganz dürftigen Verhältnissen? -- Freilich ...
aus einem Pfarrhause! -- Gewiß waren seine Eltern feingebildete Leute
gewesen ... die gute Kinderstube! So was ist nicht nachzuholen und
nicht nachzuahmen ... aber zur Gesellschaft im eigentlichen Sinne hatte
er nun doch mal nicht gehört -- und wer merkte ihm das heute noch an
... ein genialer Künstler, eine repräsentative Persönlichkeit, und
dabei so'n famoser Kerl -- selbstbewußt -- natürlich! Na, das gehörte
sich auch so! Aber dabei so einfach ... so ohne Prätension ... und
Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle ...

Solche Reserveoffiziere sollte man mehr haben im Regiment! Andere
Nummer als diese Windhunde, die Herren Dormagen und Klocke, diese
Säbelraßler und Uniformfatzken!

Höchst erfreuliche Aussicht, in so angenehmer Gesellschaft die drei
Manöverwochen zu verbringen ... und wie reizend, daß nun auch Cäcilie
in der Nähe war und auch noch ein wenig von der Gesellschaft des Malers
profitieren würde, der ihr ja offenbar sehr sympathisch war. Schade,
daß er und seine Zukünftige nicht in der Garnison wohnten; das wäre so
recht ein hübscher Verkehr gewesen, die zwei. Cäcilie hatte unter den
Damen des Regiments noch immer nicht den rechten Anschluß gefunden ...
die junge Braut, das müßte nach Flambergs Beschreibungen ein Umgang
für sein anspruchsvolles Weib gewesen sein ... Na, man würde eben bald
mal nach Düsseldorf hinüberfahren und die jungen Leute im eigenen Heim
aufsuchen ...

Ach ... das Leben war doch schön, wenn man ein bißchen Dusel hatte! --
der freilich gehörte dazu ... na, und über Mangel an Dusel hatte Fritz
Brandeis wahrhaftig nicht zu klagen ...

»Glänzende Tänzerin, Ihre Frau Gemahlin!« klang's da plötzlich neben
ihm. Oberleutnant Menshausen, das geleerte Likörglas in der Hand.

Komisch ... wenn der Mensch auftauchte, immer hatte man so ein fatales
Gefühl ... Was war's doch gewesen? -- Ach so, seine läppische Bemerkung
damals ... wann doch? -- -- ah, als die Reserveoffiziere einrückten
... haha! -- Damals hatte er selber, Brandeis, davon gesprochen, daß er
wünsche, Flamberg solle Cäcilie malen ... Und nun war das Bild bereits
fertig ...

»Ja, ja, sie tanzt ausgezeichnet!« sagte er mechanisch.

»Und wie sie bei der Sache ist! -- wenigstens wenn sie mit Herrn
Flamberg tanzt -- --!«

»-- -- Wieso --?«

»Ach, ich -- ich meinte nur so --!«

»So?! -- Sie meinten nur so! -- Ich hatte das Gefühl, als ob Sie sich
über irgend etwas ... wunderten!«

»Ich mich wundern? -- Nein, das nicht ... sondern ...«

»Was?! -- was, wenn ich bitten darf?«

»O -- ich -- es ist mir allerdings aufgefallen, daß die gnädige Frau
dem Herrn von der Reserve gegenüber -- so überaus -- liebenswürdig ist!
Das ist allgemein bemerkt worden.«

»Die Herren von der Reserve haben ihr Patent von Majestät genau so gut
wie wir!«

»Selbstverständlich, selbstverständlich!«

»Nun also?!«

»Immerhin -- sie gehören doch nicht zum engern Kreise des Regiments.«

»Herr Flamberg ist ein Freund meines Hauses.«

»Ach so -- ein Hausfr-- -- ein Freund Ihres Hauses. Verzeihen Herr
Hauptmann meine Neugierde. Nun weiß ich ja Bescheid. Haben Herr
Hauptmann schon einen Schnaps genehmigt? Nein? Ordonnanz! einen
Benediktiner für Herrn Hauptmann!«

»Ich danke! Ich habe kein Bedürfnis.«

»Nicht? Dann bitte ich um Entschuldigung -- meine Pflichten als
Kasinovorstand ...«

»Bitte, lassen Sie sich nicht stören!«

-- -- Was war das gewesen? Was für ein Mißton -- was für ein häßlicher
Hauch war da herangeweht? Die gnädige Frau so überaus liebenswürdig
gegen den Herrn von der Reserve -- das ist allgemein aufgefallen!
Herrgott, war der Kommißtratsch denn schon wieder am Werk? Und an
Cäcilie wagte sich das heran, an seine Cäcilie? Himmelbombenelement!

Wo war sie nur? Schau -- da schwebte die weiße Gestalt hin -- wie eine
Krone umschloß das braungoldene Haar die weiße Stirn -- fest schmiegte
sie sich an ihres Tänzers breite Brust -- an Herrn Flambergs Brust --

Wahrhaftig -- vielleicht doch ein bißchen zu fest für die scharfen
Augen, die spitzen Zungen der Sittenwächterinnen da hinten auf dem
Drachenfels ...

Und wie sie glühte ... er auch ... Mein Gott, warum sollten sie nicht?!
-- waren sie nicht beide Temperamentsmenschen? fröhliche Genießer, die
sich ganz hingaben an den schönen, festlichen Augenblick ...?

Immerhin ... ein wenig Rücksicht nehmen mußte man schon ... wir kennen
doch dies Klatschweibergesindel ... ob das Unterröcke trägt oder Hosen
mit Stegen ... Vielleicht ... wäre doch ein Wink der Warnung an Cäcilie
angezeigt ...

Ach, Unsinn! -- Wozu ihr die unbefangene Freude trüben --? Seine
Cäcilie ... er kannte sie doch! Und Flamberg! ... Hand ins Feuer für
den!

Der Walzer klang aus. Quer durch den ganzen Saal, mit strahlendem
Lächeln, schritt Fritz von Brandeis auf das Paar zu, das eben glühend,
schweratmend, den Tanz beendet hatte. Und in heiterm Geplauder nahm
er Cäciliens Arm und spazierte noch ein Weilchen mit ihr und Flamberg
durch den Saal.

Mochten die Klatschweiber sich die Mäuler zerreißen!

       *       *       *       *       *

Der Drachenfels hatte seine Wahrnehmung bereits festgelegt. Und die
war: Einige der Damen des Regiments hatten sich einer entschieden
zu starken Bevorzugung des nicht aktiven Elements unter den Herren
schuldig gemacht.

Auf der Bühne, wo vorher der Eintracht lieblicher Genius mit
herzbewegenden Worten die stille Friedenstätigkeit des Regiments Prinz
Heinrich der Niederlande gepriesen, war nun der Areopag der alten Damen
versammelt. Da thronte inmitten die Kommandeuse und handhabte eifrig
das Lorgnon; zu ihrer Rechten Frau von Sassenbach, zur Linken Frau von
Czigorski. Und um die drei Säulen des Regiments herum gruppierten sich
die übrigen Damen, die Gattinnen der Podagristen aus Pensionopolis
... Nur ein einziges jugendliches Gesicht in ihrer Mitte, die Frau
Hauptmann Haller, eine sehr lebenslustige Frau von dreißig Jahren, die
diesmal schweren Herzens auf die Freuden des Tanzes verzichten mußte,
da sie ihren drei Buben noch ein Geschwisterchen bestellt hatte.

Die rechte Flanke, wo Frau von Sassenbach saß, sprach nur von Frau
von Brandeis; was die Herzen der Gruppe außerdem bewegte, durfte mit
Rücksicht auf die Majorin nicht zu Worte gelangen. Um so eifriger
betuschelte dafür die linke Seite die allgemeine Beobachtung, daß Frau
von Brandeis heut abend nicht die einzige Dame war, die sich mit
Vorliebe an gewisse Herren des Beurlaubtenstandes hielt.

Schon bei Tische hatte man bemerkt, daß das ältere Fräulein von
Sassenbach sich weit weniger um ihren Tischherrn bekümmerte, den
ernsten und zielbewußten Regimentsadjutanten, als vielmehr um
ihr Gegenüber, diesen unmöglichen Herrn von der Landwehr, dessen
schwarzblauer Waffenrock mit den altmodischen großen Knöpfen, dessen
riesige Epaulettes und dessen trikotartig knapp die hagern Beine
umschließenden Hosen allgemeines Entsetzen erregt hatten.

Ja, und kaum war die Tafel aufgehoben, da hatte sich Fräulein Nelly
alsbald im Rauchzimmer eingefunden und bei einer Zigarette mit dem
merkwürdigen Bekannten weiter geplaudert.

Dann allerdings war der Tanz in seine Rechte getreten. Der schien nicht
die starke Seite des eingezogenen Herrn zu sein; denn er stand meist in
der Tür des Rauchzimmers und schaute durch seine riesigen Brillengläser
mit behaglicher Betrachtung in das Gewühl des Tanzes hinein. Wer ihn
aber genauer beobachtete, konnte wohl bemerken, daß sein Blick ein
bestimmtes Ziel verfolgte ...

Nelly Sassenbach wanderte von einem Arm in den andern. Stets, wenn sie
an Herrn Leutnant Frobenius vorbeistrich, flog ein rascher, stiller
Blick des Einverständnisses zu ihm hinüber ...

-- -- Ja, Wilhelm Frobenius sah nichts als seine Retterin ... War
sie nicht just das Gegenteil alles dessen, was er an Weiblichkeit
bisher gekannt ... und war sie nicht zugleich die Verkörperung seines
erträumten Frauenideals ...?!

Er hatte in der Literatur vor allem immer für die heroischen
Mädchengestalten geschwärmt, wenn auch seine vielbewunderte
stilistische Meisterleistung die Analyse der Gretchengestalt war. --
Sein Herz zog ihn vielmehr zu den ausgesprochenen Mannweibern der
Dichtung ... freilich im Leben war ihm dergleichen niemals begegnet ...
ach, ihm waren überhaupt wenig Frauengestalten begegnet im Leben ...

Von den Damen des Regiments interessierte ihn, außer Nelly, nur noch
eine, jene, von der sein Kamerad und Freund Flamberg ihm doch in einem
Ton erzählt hatte, aus dem selbst ein noch naiveres Gemüt als er hätte
herausfühlen müssen, daß sie ihm mehr gewesen denn nur ein Modell ...

Frobenius verglich die beiden Frauen beim Tanzen. Cäcilie legte sich
weich und anschmiegend in des Tänzers Arm. Es schien ihr angenehm zu
sein, wenn man sie recht fest und nahe hielt. Scheinbar willenlos
überließ sie sich der Führung ihres Partners, tanzte ruhig, schwebend;
ihre Füße schienen sich kaum zu bewegen.

Nelly aber tanzte mit weitem Abstand, sehr selbständig, mit weit
ausholenden Schleifern, wie um sich auszutoben und auszutollen im
Tanz. Wenn man sie so sah ... ihre Tanzwonne steckte an ... man bekam
Sehnsucht, sich von ihr hineinziehen zu lassen in diese Strudel, diese
Wirbel, in denen sie sich tummelte wie ein losgelassenes Füllen ...

Ach, es war Jahre her, seit Wilhelm Frobenius zum letzten Male auf
dem Professorenball das Tanzbein pflichtmäßig, aber ohne Liebe zur
Sache geschwungen. Damals hatte sich die alternde Tochter des Rektors
und Dekans der philosophischen Fakultät lebhaft für den jungen,
aufstrebenden Privatdozenten interessiert, und manche mehr oder
weniger zarte Andeutung hatte ihm nahegelegt, er solle zugreifen und
seine Karriere sichern ... aber die hochfahrende Nüchternheit des
gelehrten Fräuleins hatte ihm ein Grauen eingeflößt. Er hatte sich
sehr merkbar zurückgezogen und war seitdem gesellschaftlich ziemlich
kaltgestellt. Daß er auch heute noch nicht einmal Extraordinarius
war, stand zweifellos auch in einem gewissen innern Zusammenhang mit
jener Fahnenflucht. -- Nun, er hatte gesellschaftliche und berufliche
Zurücksetzung zu verschmerzen gewußt ...

Auch heute abend hatte er nicht engagieren wollen, aber als er nach
Tisch Fräulein Nelly von Sassenbach eine gesegnete Mahlzeit wünschte,
hatte die ihm von selbst ihre Tanzkarte hingehalten.

»Ich bin ein miserabler Tänzer, gnädiges Fräulein!«

»Schadet nichts -- wir werden plaudern!«

Nun der Bann gebrochen war, hatte er auch noch Frau von Brandeis
engagiert. Die Schar der übrigen Damen war ihm gleichgültig -- auch
durfte man die aktiven Herren nicht berauben.

Aber der Gedanke an den bevorstehenden Tanz hatte ihn doch mit einem
gelinden Grauen erfüllt ...

Nun war er da, der gefürchtete und doch ersehnte Augenblick ...!

»Also mit dem Tanzen ist es wirklich nichts, Herr Frobenius?«

»Sie würden wenig Freude an mir erleben!«

»Aber so versuchen wir doch einmal!«

Und mit einem Gefühl ehrfürchtiger Andacht legte er seine Hand um die
schlanke, feste Gestalt des Mädchens ...

»Also los -- es ist ja nur 'ne Polka -- die werden Sie doch noch
schaffen können!«

Alles drehte sich im Wirbel ... aber er nahm all seine Kraft zusammen
...

»Sehn Sie wohl -- geht ja blendend!«

Wahrhaftig, es ging wunderschön -- zwar Hören und Sehen schwanden ...
nichts blieb als ein dumpfes Gefühl des Rhythmus ...

Eins, zwei, drei, vier -- eins, zwei, drei, vier --

Das ... und ein Strom von Glück und Rausch, der von dem straffen,
lebenswarmen Mädchenkörper aus in alle Glieder des Gelehrten
überströmte ... in die Seele eines fast vierzigjährigen Knaben ...

Wenn nur nicht das Parkett so infam glatt gewesen wäre! -- Und daß
man alle Augenblicke mit einem andern Paar karambolierte, war auch
nicht gerade angenehm ... aber er war ja so kurzsichtig ... und alles
wirbelte im Kreise ringsum ...

»Na warten Sie nur, wenn Sie mich beim nächsten Walzer nicht zu einer
Extratour auffordern, dann werd' ich böse!«

Auf einmal fühlte er, daß er den Halt verlor ... sein linker Fuß war
ausgeglitten ... die Wirbelsäule bekam von unten einen Stoß ... knickte
vornüber ... der lange Körper verlor das Gleichgewicht ... riß im
Sturz die Tänzerin mit um ... Im selben Augenblick stieß zum Überfluß
ein heranwirbelndes Paar wider die taumelnden Leiber, und mit voller
Wucht sausten beide lang in den Saal ... Nelly hatte einen leisen
Schreckens- und Schmerzensschrei ausgestoßen, sie war im Sturz unten zu
liegen gekommen ... die Röcke flogen zur Seite ... fast bis zum Knie
streckten die weißen Strümpfe sich vor ...

Wie der Blitz war sie empor trotz eines heftigen Schmerzes im linken
Bein ...

»Herrgott -- stehn Sie doch bloß auf!«

Ihr Tänzer saß in genau derselben Stellung, wie vor fünf Wochen im
Froschtümpel, auf dem blanken Parkett inmitten des Gedränges der Paare,
die jäh anhielten und die Gestrauchelten umdrängten ...

Verworren, blöden Ausdrucks starrte er vor sich hin ... die Brille war
abgeflogen ... er war so gut wie blind ...

»Stehn Sie doch auf ... Donnerwetter nochmal!!«

Und Nelly reichte ihm beide Hände hin ... er griff zu wie ein tappiges
Baby ... ließ sich emporziehen ...

»Herrgott nein -- mit Ihnen ist aber auch wahrhaftig gar nichts
anzufangen!«

Mama Sassenbach raste wie eine Furie durch den Saal ... Wo war ihr
Mann? ...

Natürlich -- der bekümmerte sich kein bißchen um seine Töchter ...
hatte sich irgendwo im Rauchzimmer festgekneipt!

Wahrhaftig, da saß er mit dem Oberstleutnant, dem Bezirkskommandeur,
ein paar pensionierten Exzellenzen und Stabsoffizieren um einen Siphon
Münchener.

»Verzeihung, meine Herren! -- Moritz, komm, wir müssen nach Hause!«

»Aber, Kind -- 's ist ja noch nicht mal Mitternacht!«

»Einerlei -- wir müssen! Nelly hat einen kleinen Unfall gehabt ... Fuß
verstaucht ... einen Riß im Kleid ... und außerdem --«

»Verflucht! -- Selbstverständlich ganz zu deiner Verfügung, liebste
Amelie! -- Sie verzeihen, meine Herren!«

Die alten Herren schmunzelten.

Es kam selten vor, daß Frau Amelie von Sassenbach nicht aus irgendeinem
Grunde vorzeitig zum Aufbruch blies und den Gatten vom Münchener
wegschleifte ...

-- Wutbebend berichtete Frau von Sassenbach ihrem Gatten.

Der fluchte: »Das kommt davon, daß sich das Mädel mit dem
Landwehrfritzen eingelassen hat ... den hätte sie doch wahrhaftig
kennen sollen! -- Wo steckt sie denn?«

»Ist schon in der Garderobe -- sie konnte sich ja im Saal überhaupt
nicht mehr sehen lassen in dem ruinierten Kleid!«

»Und wo ist Molly?«

»Herrgott ja, Molly -- -- geh sie suchen, Moritz!«

Und Moritz ging auf die Suche.

Ja, wo war Molly? -- Im Gewühl der Tanzenden spähte der Vater
vergeblich nach dem lichtblonden Zopfgetürm über dem rosa Tüllfähnchen
...

Leutnant Blowitz, der als Ballarrangeur und Vortänzer fungierte, sah
seinen Chef mit suchenden Augen in der Tür stehen. Er führte Frau von
Brandeis, mit der er just eine Extratour tanzte, schleunigst zu ihrem
rechtmäßigen Tänzer, Herrn von Schoenawa, zurück und schoß auf den
Major zu: »Kann ich Herrn Major mit irgend etwas dienen?«

»Ich suche meine Tochter Molly -- wir brechen auf!«

»Meines Erinnerns habe ich das gnädige Fräulein vor ... vor zirka einer
halben Stunde gesehen ... sie tanzte mit dem Einjährig-Freiwilligen
Friesen!«

»So, mit dem Einjährigen -- und seitdem -- --?«

»Seitdem ist sie mir aus den Augen gekommen!«

»Na ... machen Sie kein Aufsehen ... hier im Saal ist sie nicht! ... Wo
könnte sie sonst wohl sein --?«

»Im Rauchzimmer und im Billardzimmer haben Herr Major schon
nachgesehen?!«

»Im Rauchzimmer war ich selbst! -- im Billardzimmer -- das wäre
möglich!«

Lebhaft plaudernde Gruppen in allen Ecken, um die Spieltische gedrängt
erhitzte Leutnantsgesichter, junge Mädchen und Frauen, die sich eifrig
fächelten ... hastende Ordonnanzen mit Servierbrettern voller Selters-
und Biergläser ... von Molly keine Spur! --

Also nochmals zurück in den Saal! --

Auch hier keine Molly! --

»Vielleicht weiß der Einjährige Bescheid?« meinte Leutnant Blowitz,
»den muß man ja leicht herausfinden an seinen schauerlichen weißen
Hosen!«

Jawoll --! die weißen Hosen waren ebensowenig zu finden wie das
Majorsmädel ...

»Da bleibt nur noch eine Möglichkeit, Herr Major -- -- das gnädige
Fräulein muß im Garten sein!«

»Is ja ausgeschlossen!«

Aber der bekümmerte Vater stürzte doch sogleich zur Veranda ... spähte
in den Garten hinaus, dessen Laubengänge, vom Mondlicht angesilbert,
dunkel träumten, nur von den mattleuchtenden Kugeln einiger Lampions
belebt ...

»Molly!« rief der Vater gedämpft, »Molly -- bist du hier?!«

-- -- Ein paar Minuten bangen Schweigens ...

Dann tauchte ein weißer Schatten aus der Dämmerung, und ... ein
harmloses Lächeln auf dem glatten Engelsgesichtchen hüpfte Molly die
Veranda hinauf: »Hast du mich gerufen, Papachen?«

»Allerdings -- Mama bricht auf!«

»Oh, wie schade ... ich hatte mich so auf den Kotillon gefreut!«

»Tut mir leid! -- Wie kommst du denn in den Garten?«

»Es war so heiß -- -- ich wollte mich ein wenig abkühlen!«

»So -- abkühlen! -- Na, komm!«

Lächelnd und schlank wie eine Fee schwebte Molly vorauf.

Der Major folgte. Unablässig zwirbelten seine Finger die lang
herabhängenden grauen Schnurrbartspitzen ...

Er hatte sehr wohl bemerkt, daß hinter dem weißen Schatten, der sich
aus dem Dunkel entwickelte, noch ein anderer weißer Schatten im Garten
gespukt hatte ... aber der war nicht ans Licht gekommen ...

Er hatte eine heillose Ähnlichkeit gehabt mit einem Paar weißen
Mannschafts-Paradehosen, auch »Porzellanbuchsen« geheißen -- --

Ja, das hatte der Vater gesehen, aber ... er wollte nichts gesehen
haben ...

Nur künftighin besser auf das Mädel passen --!

»Na, gut' Nacht, lieber Blowitz! Ich danke Ihnen! Noch viel Vergnügen!«

»Danke gehorsamst, Herr Major! -- Empfehle mich, mein gnädiges
Fräulein!«

Wenn der nur nichts gemerkt hatte -- --!

Blowitz verzog keine Miene beim Abschied.

Aber er hatte doch gesehen.

Na, wenn die Kleine sich partout einen Flirt mit dem Einjährigen in ihr
blondes Köpfchen gesetzt hatte ... Hermann Blowitz fühlte weder zum
Denunzianten noch zum Klatschweibe Beruf in sich ... Er wollte seine
Entdeckung für sich behalten ... bei ihm war das Geheimnis der Kleinen
gut aufgehoben --

Und Hans Friesen, der erst wie ein Verbrecher gezittert hatte, lachte
nun selig in sich hinein in seinem dunkeln Versteck ... er tappte sich
zu der Bank zurück, auf der er eben mit Molly gesessen -- auf der er
kühnen Muts einen scheuen, seligen Kuß erbeutet hatte ...

Der machte das Poetenherz schwer und warm ...

Er fühlte das Schicksal seines jungen Lebens über seinem Haupte ...

Es hieß Molly ... Molly Sassenbach -- --

                   *       *       *       *       *

Um vier Uhr morgens waren die letzten Damen gegangen. Nun rotteten sich
die Leutnants im Billardzimmer um die Siphons zusammen.

Teufel auch ... die Nacht war doch mal angebrochen ... die vorletzte
Nacht in der Garnison ...

Morgen nur Instruktionsstunden und Appell ... Appell ...

Stiefelappell ... Gewehrappell ... Appell mit eisernen Portionen
und Appell mit Fußbekleidung ... Appell mit Sachen, die auf Kammer
abgegeben werden mußten ... Stubenrevision ... und zuletzt Appell im
Manöveranzug.

Das schaffte man auch mit unausgeruhten Knochen ... mit einem noch so
wüsten Brummschädel.

Erhitzt vom Tanz goß man einen Schoppen nach dem andern in die glühende
Kehle. Bald waren die Leutnants Klocke und von Finette wie die
Staubsäulen betrunken. Energischer Zuspruch älterer Kameraden mußte sie
zum Heimschwanken bewegen. --

Die Tanzlust war noch nicht gestillt. Da die Regimentsmusik
verschwunden war, setzte sich der kleine Carstanjen ans Klavier und
hieb eine wilde Walzermelodie in die Tasten hinein ...

All die unruhvollen jungen Männerherzen, in denen die Erregungen des
Festes nachzitterten, lechzten unbewußt nach einem letzten äußersten
Austoben ... Einer umfaßte den andern ... und bis zum Umfallen wurde
gewalzt.

Verschlafen lungerten die Ordonnanzen in den Ecken herum und starrten
mit blöden, verwunderten Augen auf das wilde Treiben ihrer jungen
Herren ...

Schließlich wurden sie hinausgeschickt.

Und auf den hohen gotischen Stühlen, die sonst feierlich die
Regimentstafel umstanden, wurde nun ein toller Ritt ausgeführt ...
dann nach dem krähenden Kommando des kleinen Carstanjen ein großes
Schwadronsexerzieren ...

Ein jeder hatte sich dazu bewaffnet ... Eine große Trophäe von alten
Ritterschwertern, Hellebarden und Morgensternen, welche die Wand des
Rauchzimmers zierte, war zu diesem Zweck geplündert worden ...

Ein abenteuerliches Bild, die jungen Herren mit aufgeknöpften
Waffenröcken ... rittlings auf den hochlehnigen Stühlen ... ausgerüstet
mit phantastischem Gewaffen aus alter Ritterzeit ...

»Eskadron -- Galopp --!«

Keiner aber glühte höher ... keiner johlte lauter ... keiner schwang
die Waffe wilder als Martin Flamberg.




                             Zweites Buch




                            Erstes Kapitel.


»Dat is en janz schöne Jegend hier ... oben Regen ... unten Dreck ...
nix im Magen -- der Düwel soll't holen!«

In unaufhaltsamem Marsch schob sich das erste Bataillon des Regiments
Prinz Heinrich der Niederlande dem »Feind« entgegen.

Unaufhaltsam strömte der Regen ... seit Tagen ... seit Wochen ...

Unaufhaltsam fluchten und wetterten die Unteroffiziere der Königlichen
Zweiten:

»Ich glaub, hier regnet et überhaupt et janze Jahr!«

»Weiß der Kuckuck, die vierzehn Dag, dat mer als hier obe rumkrabbeln,
hann mer noch kei' trockne Minute jehatt!«

»Ich sinn als janz aus em Leim ... die Buxen reißen wie Schafleder ...
an de Stieweln platzen die Sohlen ab ...!«

»Und trocken kriegt man die Brocken überhaupt nit mehr!«

»Na, Friesen, Sie sagen ja gar nix!«

Der Einjährige schwieg.

Die Tragriemen des feldmarschmäßig gepackten Tornisters schnitten tief
in die Achseln. Alle fünf Minuten wanderte das Gewehr von der rechten
Schulter auf die linke und von der linken auf die rechte ... in den
Stiefeln schwappte eine lehmige Flüssigkeit ... und hinter den Ohren
entlang rieselte ein beständiges Rinnsal eiskalten Regenwassers in die
Halsbinde hinein ...

Von dem allen merkte Hans Friesen in diesem Augenblick auch nicht das
Mindeste ...

Hans Friesen merkte nicht einmal, daß ihm der kurze Pfeifenstummel
zwischen den Lippen längst kalt geworden war ...

Hans Friesen dichtete.

Ach ... herrlich konnte man dichten auf solch einem endlosen Marsch ...

Den Kameraden, den aktiven Unteroffizieren, ging immer nach der ersten
Stunde der Stoff für ihre Kommißgespräche aus.

Die Berichte über das letzte Quartier, die Klagen über den miserabeln
Fraß, die Renommistereien über Abenteuer mit den Bauernmädeln, das
reichte nie weiter als eine knappe Meile. Dann bemächtigte sich der
Kilometerstumpfsinn der marschierenden Kolonne, zumal dann das Gewicht
des gepackten Affen allmählich immer fühlbarer wurde ...

Dann aber begann Hans Friesens gute Zeit.

Wie mutwillige Schwalben schossen dann seine Gedanken der Marschkolonne
voraus ... strichen durch die regennassen Wälder zur Rechten und zur
Linken, wo in der triefenden Feuchte zwischen vermodernden Baumstümpfen
und Farndickichten ganze Kolonien grauer, gelber, violetter Pilze
aus dem Boden gewachsen waren und mit ihren breiten Schirmdächern in
lustigen Gruppen beisammen hockten ...

Aber weiter flatterten des Poeten Träume ... zurück zur Garnison ...
um das blonde Haupt eines gewissen jungen Mädchens, das chargenmäßig
in unerreichbarer Höhe über dem Unteroffizier stand, das er räumlich
in weiter Ferne wähnte ... und das in Wirklichkeit, ohne daß Hans
Friesen etwas davon ahnte, nur einen Tagemarsch weit in süßträumender
Ferienruhe unter den rauschenden Hunsrückwäldern weilte ...

Und Hans Friesen dichtete.

Eine Strophe nach der andern fügte er zusammen ... feilte Zeile
auf Zeile in Gedanken durch und sprach sie sich so oft vor, bis
sie sich unvergeßlich seinem Hirn eingeprägt hatten, damit er sie
am Abend blank und sauber in sein Dienstnotizbuch eintragen könne
... zwischen Vermerken über Brotempfang ... Kompagniebefehle ...
Vorposteninstruktionen ...

Nun wiederholte er noch einmal die ersten Strophen des Gedichts, das
ihm aus den triefenden Nebeln zugeweht war:


  »Bist du die Oreade,
  die lauschend hinterm Felsen schwieg?
  bist du des Quells Najade,
  die aus der Plätscherwelle stieg?

  Aus welcher Märchenferne
  hast du dich in mein Sein verirrt?
  Von welchem fernen Sterne
  bist du an meine Brust geschwirrt?«


Ja, die zwei Strophen saßen! Das ließ sich nicht bestreiten! Nun mußte
die Antwort kommen ... also munter weitergereimt ...!


  »Was soll das zage Fragen?
  Ich halte dich ans Herz gepreßt ...«


Ja, wahrhaftig, das hatte er getan, wenn es auch noch so märchenhaft
klang ... er hatte sie gehalten, die schlanke, blonde Majorstochter,
gehalten an seinem Herzen, das unterm Tressenrock des Unteroffiziers so
verdammt unvorschriftsmäßig gepocht hatte ...

Ach, und als er seinen Arm zum ersten Male um den weichen Körper gelegt
... Richtig -- so mußte es ja weitergehen:


  »fühl' deines Herzens Schlagen ...«


Ach ... und dann ... dann war ja das Unvergeßliche ... das schier
Unglaubliche gekommen ...


  »und Lippe weilt auf Lippe fest ...«


Schau, da war ja wieder eine Strophe beisammen -- und auch die stand
fest auf ihren vierzehn Versfüßen ...

Vor dem Dichter trottete in mürrischem Schweigen sein
Kompagnieoffizier, der Leutnant Quincke.

Scheußliche Sache, so ein Manöver! -- Eigentlich Dienst von morgens
früh um drei bis abends um zehn und von abends um zehn bis früh um drei
... Die Körperpflege wurde nur noch markiert ... aussehen tat man schon
mehr wie ein Latrinenreiniger und nicht wie ein Angehöriger des ersten
Standes der Nation ... Dabei seit vierzehn Tagen kein weibliches Wesen
mehr zu Gesicht bekommen ... die dreckigen Bauerntrinen zählten nicht
mit -- die waren höchstens was für die Herren Burschen!

Und was das Lächerlichste war ... seit acht Tagen führte dieser krumme
Landwehronkel, dieser Leutnant Frobenius, die Kompagnie an Stelle des
Hauptmanns Goll, der seinerseits als ältester Kapitän des Regiments für
den Major Blasberg die Führung des zweiten Bataillons übernommen hatte.

Blasberg hatte am Tage nach dem Regimentsfest, unmittelbar vor dem
Ausrücken ins Manöver, in eine Nervenheilanstalt gebracht werden
müssen. Die Schwermut, die ihn seit dem Tode seiner Frau zu Boden
gedrückt hatte, war plötzlich als ausgesprochen krankhafte Melancholie
zum Ausbruch gekommen.

Und so war nun der unmögliche Landwehroffizier der unmittelbare
Vorgesetzte seines patenten Kameraden für die Dauer der Herbstübungen
geworden ...

Und nun das Allerunglaublichste ... die Sache klappte --!

Auf seinem braunen, steifbeinigen »Roland«, der frömmsten Kuh aus
dem Tattersall der Garnison, machte dieser Frobenius eine ganz
leidliche Figur und hatte sich mit seinem vierbeinigen Freund auf ganz
erträglichen Fuß zu stellen gewußt.

Der innere Dienst funktionierte tadellos ... na, Kunststück! -- So ein
Musterexemplar von Feldwebel -- und der brillante Unteroffizierersatz!

Ja, darauf verstand sich der griesgrämige Hauptmann Goll ...
Unteroffiziere erziehen, das war seine Spezialität! --

Übrigens war ja auch dieser Frobenius selber von einer kommissigen
Gewissenhaftigkeit, daß es schon nicht mehr schön war!

In der Ortsunterkunft stelzte er wahrhaftig höchst eigenhändig von
Quartier zu Quartier, steckte seine Nase in jede Eßschüssel und in
jedes Bauernbett, um sich zu überzeugen, ob die Herren Füsiliere auch
ordentlich zu essen kriegten und weich genug lägen.

Er selber, Quincke, hatte sich zum Glück eine etwas vornehmere
Auffassung des Königlichen Dienstes zugelegt. Wofür waren denn die
Korporalschaftsführer da?

Ja, Frobenius hatte sich in seine Pflichten als Kompagnieführer ganz
famos eingearbeitet und war infolgedessen mit seiner militärischen
Situation zufrieden wie nie zuvor.

Er sah sehr verändert aus, hatte sich am Tage vor dem Ausrücken die
wenigen Haarsträhnen seines Schädels ganz kahl abscheren, seinen
langen, struppigen Vollbart kurz verschneiden lassen.

Auch seine Uniform sah nicht mehr ganz so vorsintflutlich aus, seitdem
ihr Träger eine etwas vorschriftsmäßigere Haltung gewonnen, und mit
seinem braven, alten Roland vollends fühlte er sich verwachsen wie ein
Zentaur.

Was tat's, ob es regnete von morgens früh bis abends spät und die ganze
Nacht hindurch ...


  »Alles Glück der Erde
  liegt auf dem Rücken der Pferde,
  in der Gesundheit des Leibes ...«


Freilich, damit war's nun auch Schluß ... Glück am Herzen des Weibes --
damit würde es wohl niemals was werden ...!

Seit seinem Sturz im Tanzsaal hatte er jede Hoffnung aufgegeben.
»Herrgott nein, mit Ihnen ist aber auch wahrhaftig gar nichts
anzufangen«, das klang ihm noch immer im Ohr, und immer meinte er das
hochmütige, zurückgeworfene Köpfchen, das empört aufstampfende Füßchen
im Goldkäferschuh zu sehen ... ihr hastiges Vondanneneilen ... den
Ausdruck der Wut über die gräßliche Blamage und den verdorbenen Abend
im Klang ihrer Stimme ... in jeder Bewegung ...

Abschiedslos war sie ihm enteilt, und auch als Dienstag morgens um vier
Uhr in der Dämmerung das Regiment von der Kaserne aus an der Wohnung
des Majors vorbeimarschiert war zum Bahnhof hin, da hatte sie mit ihrer
Mutter und Schwester auf dem Balkon gestanden und allen Herren einen
freundlichen Abschiedsgruß gewinkt ... als aber er, Wilhelm Frobenius,
auf seinem Roland den Säbel vor ihr gesenkt, da hatte sie kühl über ihn
hinweggeschaut und dann Herrn Quincke, den Führer des vordersten Zuges
der Zweiten, mit um so deutlicherer Freundlichkeit gegrüßt ...

Ade Hoffnung ... ade Träume ... ade süße, stolze Verkörperung des alten
Amazonenideals ...!

Nein, es war vorbei ... keine Hoffnung mehr ...! Und selbst auf das
Wiedersehen konnte er sich nicht mehr freuen ... auf das Wiedersehen,
das wenigstens im Bereich der Möglichkeit lag. Denn er wußte ja von
seinem Freunde Flamberg, daß die Amazone mit ihrer Schwester ebenfalls
auf den Hunsrück hinaufgepilgert war ... Nein, hoffen und sich freuen
-- das gab's nicht mehr.

Und dennoch ...!

Wilhelm Frobenius zog die Manöverkarte aus seiner Packtasche. Der Regen
prasselte auf das Zelluloidfutteral, und durch die Tropfen hindurch
suchte der Reiter den Namen, um den sich trotz allem immer und immer
seine Träume rankten ...

Am Allenbach entlang, einem Nebenwässerlein der Nahe, dessen Lauf auf
der Karte durch zahllose kleine Sternchen begleitet war, welche Mühlen,
Schleifmühlen darstellten, an der Einmündung des Beierbachs, war das
Dörfchen Hettstein eingetragen und dicht daneben ein kleiner Kreis mit
einem Fähnchen ... Das war das Schlößchen Hettstein, die neue Erwerbung
der schönen Frau Cäcilie.

Hier hauste nun die stramme Reiterin ... die fesche Tänzerin ... die
lächerlich Verehrte ...

Verrücktheit! -- So ein Mädchen und seine Bücherexistenz ... die
Lange-Pfeifen-Atmosphäre seiner winzigen Junggesellenbude ... sein
demütiges, halbbäuerliches Mütterchen daheim im Westerwalddörfchen --
und dieses Luxusgeschöpf ... dieses Freiluftwesen ...

Lächerlich! -- Und doch ... und doch ...! Oh, Schloß Hettstein --!

Da horch --: Bum -- und wieder: Bum --

Aus den triefenden Nebeln, welche bis tief über die langgestreckten
Kuppenzüge des Idarwaldes niederhingen, war der erste Kanonenschuß
gefallen ... Von dort war der »Feind« zu erwarten: Aufgabe des
Regiments, ihn am Heraustreten aus dem dicken Forste zu verhindern ...

Und Leutnant Blowitz sprengte von der Tête her am Bataillon entlang:
»Die Herren Kompagnieführer zum Herrn Major!«

Da faßte Frobenius Rolands Zügel kürzer, nahm den linken Schenkel
zurück ... Ein ganz klein bißchen sträubte sich die faule Kreatur,
dann hoppelte sie gemächlichen Äppelgalopp mit ihrem Reiter an der
Zweiten und Ersten entlang auf den Bataillonskommandeur zu, der seinen
Kompagnieführern die Gefechtslage erklären und seine Befehle ausgeben
wollte.

Der Herr Major von Sassenbach ...

Der schaute dem Anreitenden entgegen mit Augen, die Frobenius kannte
... mit schelmisch blitzenden Reiteraugen ...

»Na, lieber Frobenius, wie war's Quartier?«

»Danke gehorsamst, Herr Major! -- Waschen müssen hab ich mich auf dem
Korridor: meine Schlafstube reichte nur fürs Bett!«

»Und ich hab' 'ne Art Tanzsaal gehabt ... mußte heut morgen 'ne halbe
Stunde nach mir selber suchen, bis ich mich fand! -- Sie sehen übrigens
ganz vergnügt aus bei diesem Sauwetter!«

»Warum auch nicht, Herr Major!? -- Man kann ja dabei an die schönsten
Sachen denken!«

Der Major schmunzelte.

Eigentlich ein ganz prachtvoller Herr, dieser Don Quijote! -- Schade,
das Malheur im Tanzsaal! -- Schließlich -- Frau Professor wäre
doch eigentlich durchaus standesgemäß gewesen ... und daß er ein
Bürgerlicher war ... du lieber Gott, wenn ein Mädel mal sechsundzwanzig
Jahre alt geworden ist ...

                   *       *       *       *       *

Dem Miniaturkrieg, welchen beide Brigaden, durch Kavallerie,
Artillerie und Spezialwaffen verstärkt, im zweiten Manöverabschnitt
gegeneinander zu führen hatten, lag eine überaus komplizierte Annahme
für die allgemeine Kriegslage zugrunde. Aber diese Annahme existierte
eigentlich nur für die beiden Detachementsführer. In das geliebte
Deutsch der Unterführer und vollends der Mannschaften übersetzt
verwandelte sich jede Gefechtsannahme, verwandelte sich überhaupt das
ganze Manöver in das äußerst einfache Rezept:

Marschieren, bis man an den Feind heran ist -- dann ausschwärmen,
schießen, sprungweise vorgehen -- marsch, marsch, hurra!

Na -- und das hatte man ja gebimst bis die Schwarte knackte!

Für das sogenannte »gemeine Truppenschwein« -- und unter diesen Begriff
rechnete man mindestens alles, was »tippeln« mußte, auch die Herren
Leutnants der Infanterie -- war so das ganze Manöver nichts weiter
als ein abwechslungsreicher, strapaziöser und wenig komfortabler
Spaziergang mit mancherlei scherzhaften Unterbrechungen.

»Also, meine Herren,« schloß Major von Sassenbach eine längere
Auseinandersetzung über jenes verwickelte und höchst theoretische
Problem, das sich aus der allgemeinen Kriegslage ergab, »der Witz
vons Janze ist folgender: Durch die Aufklärung ist festgestellt,
daß der Feind durch den Idarwald im Anmarsch ist, und zwar auf der
Chaussee, die von Bischofsthron über das ›Graue Kreuz‹ nach Bruchweiler
führt. Wir stehen augenblicklich am Südeingang von Kempfeld, das
Nest halblinks vorn ist Bruchweiler; das müssen wir vor dem Feind
erreichen und von seinem Nordwestrande aus den Feind am Heraustreten
aus dem Idarwalde verhindern. Das erste Bataillon ist vorn, das zweite
und dritte folgt; das Schwesterregiment marschiert auf der Linie
Schafbrücke-Schauren. Wir haben also Gefechtsanschluß rechts und sollen
im Angriffsfalle links überflügeln, sonach bleiben wir im Vormarsch
auf Bruchweiler, alles übrige entwickelt sich historisch -- ich danke
Ihnen, meine Herren --!«

Na, das strategische Geheimnis des Morgens hatte sich also gelüftet,
und die Herren Kompagnieführer galoppierten zu ihren Kolonnen zurück.

Weiter ging's in strömendem Regen durch das stumme, ärmliche Dörfchen
Kempfeld -- laut kakelnd stoben die Hühner von der Landstraße herunter
auf die bergenden Misthaufen; flachsköpfige Buben und Mädel sprangen
aus den Türen, schrien den Kriegern die ewige Kinderfrage zu: »Saldat
-- kummen 'er noch mieh?«

Langsam ansteigend gen Bruchweiler zu schlängelte sich der lehmige Weg
durch abgeerntete, teilweise bereits umgepflügte Felder, deren nasse
Schollen, von der Pflugschar abgestochen, speckig glänzten ... eine
lange, dunkle Wand, von grauer, zerfranster Wolkendecke überlagert,
reckte sich der Idarwald. Von dort her klangen immerfort die dumpfen
Schläge der Geschütze. Zur Rechten irgendwo, auf einer umnebelten Höhe
vergraben, antwortete die Artillerie des Süddetachements ...

Willkommene Musik für das Soldatenohr! Sie bedeutete: Bald hat sich's
ausgekilometert -- und wir kriegen ihn am Kragen, den bösen Feind --
dann geht's ins Quartier.

Ei verflucht, nein ... nicht ins Quartier ... Heute stand am Ende des
Marschtages ein Biwak auf kotigem Stoppelfeld ...

Noch drei Kilometer bis Bruchweiler.

Inmitten eines Hages von leise herbstlich gebräunten Obstbäumen träumte
das verschlafene Dörfchen unterm Schirm des Waldgebirgs ...

Plötzlich -- rack ... tack, tacktack -- Vom Dorfrand her knatterten die
ersten Gewehrschüsse durch die brauenden Dünste.

Nach einigen Minuten stob in vollem Galopp ein Zug der diesseitigen
Kavallerie, der Deutzer Kürassiere, den Anger entlang, in eiliger
Flucht hinter der anrückenden Infanterie Deckung zu suchen.

Wie schmutzige Mehlsäcke sahen die weißen Koller aus im trüben
Morgenlicht ...

Ihr Führer meldete im Vorbeirasen dem Major: »Bruchweiler wird soeben
von abgesessener feindlicher Kavallerie besetzt!«

Hochauf richtete sich der Major in den Bügeln: »Herr Leutnant Blowitz!«

»Herr Major?!«

»Das Bataillon entwickelt sich links gestaffelt, links der Chaussee
-- vierte Kompagnie hinter der linken Flanke aufmarschiert, aber
geschlossen, zu meiner Verfügung!«

»Zu Befehl, Herr Major!«

Der Adjutant preschte zurück.

Wie der Blitz war Hauptmann von Brandeis vom Gaul herunter, warf die
Zügel seinem Burschen zu, der dienstkundig sogleich zur Hand war: »Die
ganze Kompagnie nach links -- schwärmen! Marschrichtung: der große Baum
in der Mitte des Dorfes!«

Und in den Bügeln richtete sich auch Leutnant Frobenius auf ... Roland
fuhr aus seinem Halbdusel mit Entsetzen empor und machte einen kleinen
Seitensprung: »Exerzierordnung! mit Gruppen links schwenkt -- marsch,
marsch!«

Schon stob der Major heran. »Zum Donnerwetter, Herr Leutnant
Frobenius, Sie wollen wohl hier im Bereich des feindlichen Feuers
Kompagnieexerzieren abhalten --?!«

»Herr Major, ich wollte --«

»Ach was, zum Kuckuck -- lassen Sie schwärmen und gar nichts weiter! --
Auseinander mit den Kerls! Geben Sie einen Marschrichtungspunkt an --
dann läuft die Karre von selber!«

Jesses -- dieser Landwehrfritze --! zu nichts zu gebrauchen --
höchstens zum Schwiegersohn, und auch dazu nur unvollkommen -- --

»Stellung!« kommandierte Hauptmann von Brandeis.

Da purzelte die lange Schützenlinie der ersten Kompagnie wie hingemäht
auf den Bauch in den triefenden Sturzackerlehm --

»Geradeaus am Dorfrand, Schützen! Visier 800 und 900! Schützenfeuer!«

Und -- rack, tacktacktack rollte das Schützenfeuer die Front entlang --
--

Der lustige Waffentanz begann. --

                   *       *       *       *       *

In hellen Massen waren die Schützen des feindlichen Detachements aus
den dunkeln Hängen des Idarwaldes herausgetreten, verstärkt durch
zwei Flaggenbataillone, das heißt: Bataillone, die in Wirklichkeit
nicht existierten, sondern nur durch je eine blaue Flagge statt
einer Kompagnie markiert wurden, und hatten mit dieser künstlich
hergestellten Übermacht die »Niederländer« und ihr Schwesterregiment
bis weit hinter Kempfeld zurückgeworfen.

Hier fand das Süddetachement an den bewaldeten Hängen des »Sandkopfes«
und der »Marscheider Burr« einen Stützpunkt.

Darüber war es vier Uhr nachmittags geworden.

Allmählich war das lärmhafte Duett der Geschütze von hüben und drüben
verstummt und die Verfolgung ermattet. Gegen fünf Uhr hatten die
»Niederländer« jenseits des Höhenrückens Biwak bezogen.

Das zweite Bataillon hatte das zweifelhafte Vergnügen, die Vorposten
zu stellen, die sich nun auf den felsigen Kuppen des Höhenrückens
aufbauten. Dahinter biwakierte geschlossen das erste und dritte
Bataillon in einer schmalen Lichtung der Waldes auf dem langsam sich
senkenden Abhang gen Herborn zu.

Mit Zauberschnelle bauten sich hinter den Gewehrpyramiden die niedern
braunen Zugzelte auf ... Kochlöcher wurden geschaufelt ... lange Züge
zum Wasserholen, die klappernden Kochgeschirre der ganzen Kompagnie
in der Hand, stiegen zum entfernten Dorf herunter; bald rollten auf
der Chaussee die bereits während der Gefechtspause vorsorglich an den
vorbestimmten Biwakplatz dirigierten Wagenkolonnen heran. Ganze Berge
von Stroh und Holz wurden abgeladen. Der Küchenunteroffizier empfing
schmunzelnd seine Portion Blechbüchsen mit Pökelfleisch, seinen Stapel
Pappkartons mit Preßgemüsekonserven, seinen Anteil Salz und Kartoffeln
...

Rasch wurde alles in eine Leinwandplane gewickelt: denn der Regen
drohte die ganze Herrlichkeit schon vor der Zeit zu einem Brei
zusammenzurühren ...

Und bald knisterten und qualmten überall die Flammen, umschwelten
das durchnäßte Stroh, das triefende Reisig, das die Füsiliere
zusammengeschleppt.

Martin Flamberg hockte auf den Knien dicht neben dem just einen Meter
hohen braunen Zelte, das die Burschen für die Herren der ersten
Kompagnie aufgeschlagen hatten, und pustete mit aufgeblasenen Backen
das immer wieder erlöschende Feuer an ... aus dem Kessel stieg der Duft
zerkrümelter Erbswurst, die mit würfelförmig geschnittenem Cornedbeef
vermengt und mit einem dicken Büschel kleingeschnittener Küchenkräuter
vermischt war -- die hatte Martins gerissener Bursche, der Füsilier
Klomprich, beim Vorbeimarsch durch die Stakete der Bauerngärten
hindurch erwischt ... das duftete verdammt appetitlich ...

Wenn nur das Feuer endlich mal ordentlich durchbrennen wollte ... Die
sämtlichen Burschen hatten schon ihren letzten Atemzug verpustet ...
nun pustete der Herr Leutnant selber ...

Er fühlte sich persönlich verantwortlich für das leibliche Wohlergehen
seines Kompagniechefs, seines Kameraden Carstanjen und der beiden
Gäste des Offiziertisches, des Kompagniefeldwebels und des jungen
Fahnenjunkers von Erichsen.

Er pustete, pustete, pustete. -- Dunkelrot schwoll ihm das Gesicht ...
Aschenflocken stoben ihm um die Nase ...

Gott sei Dank! Endlich schwelte ein schwaches Flämmchen auf, qualmig
fauchte es in das nasse Stroh hinein ... »Sauerei verfluchte --!« ...
Er richtete sich auf.

In diesem Augenblick scholl hinter seinem Rücken ... scholl -- -- was
--?! Das mußte ein Traum sein -- scholl ein silbern schmetterndes,
dreistimmiges Frauenlachen -- --

Er fuhr herum.

Bei Gott ... da standen drei schlanke Gestalten ... drei glühende,
regenfeuchte Gesichter strahlten aus den aufgeklappten Kragen der
Gummimäntel unter unförmlichen Wachstuchmützen ... in nasse Strähnen
zusammengepappt hingen die rötlichblonden Haare der einen, die
weißblonden der beiden andern über die erhitzten Wangen ... Nelly und
Molly von Sassenbach und ... sie.

»-- Hahaha, Herr Leutnant Flamberg ... nein -- wie Sie bloß aussehen
... einfach zum Wälzen, Herr Flamberg!«

Wahrhaftig -- er sah ein bißchen anders aus als beim Ball unter den
flimmernden Kerzen des Kasinosaales.

Die hohen Stiefel, die Kniee, die Schöße des Waffenrocks
lehmüberkrustet, in steifen, groben Falten hing der graue Umhang um
seine Schultern; der hochgeklappte Kragen zeigte sein schmutzig rotes
Futter, die weiche Feldmütze saß beiderseits auf dem Ohr, der große,
zerschrammte Schirm tief in der Stirn ...

Aber darunter ... darunter leuchteten die braunen Augen aus dem nun
tiefgebräunten Gesicht so verwettert, so kriegerisch in sieghafter
Männlichkeit ...

Frau Cäcilie war jählings verstummt, als diese braunen Augen mit
ungewollter heißer Huldigung sich in die ihren gesenkt hatten ... als
die heißen Lippen sich tief auf ihre regenfeuchte Hand niederbeugten
...

»Gnädige Frau -- meine Damen -- -- wahrhaftig, die Sonne geht auf!!«

»Sie sehn, wir haben's nicht lange ausgehalten da unten in unserer
Dreieinsamkeit auf Schloß Hettstein,« sagte langsam, stockend die
schöne Frau.

»Nee wahrhaftig -- wir hatten direkt krampfhafte Sehnsucht nach roten
Kragen und blanken Knöpfen!« bestätigte Nelly Sassenbach.

»Na, und da konnte Ihnen geholfen werden -- nicht wahr, meine Damen?
Aber nun sagen Sie bloß, wie in aller Welt haben Sie sich denn hier
heraufgefunden in diese gottverlassene Wald- und Bergesöde?«

Frau Cäcilie wies nach der Chaussee hinüber. Da blinkte durch die
Nebelschwaden ein funkelnagelneues, schneeweißes Automobil: »Ein sehr
nobles Geschenk meines Vaters zu unserm Einzug auf Schloß Hettstein!«

»Reizend von dem alten Herrn -- was sagen Sie, Herr Flamberg? Ja, ja,
solchen Vater muß man haben!« lachte Nelly.

Aber ihre Augen schweiften dabei ruhelos suchend über das buntwimmelnde
Bild des muntern Biwaktreibens hin ..

»Wo ist mein Mann?« fragte Frau Cäcilie.

»Der sorgt für seine hundertzwanzig räudigen Schäflein!« meldete der
kleine Carstanjen, der inzwischen herangekommen war und die Damen
begeistert begrüßte. »Aber sieh -- da kommt er ja schon!«

Ja, da kam er.

Die Hand im braunen Feldhandschuh am breiten Schirm der Manövermütze
-- sein gutes, ehrenfestes Gesicht strahlend in Glückseligkeit: »Welch
seltner Glanz in unserer Hundehütte, meine Damen! -- Na, komm her,
Alte!«

Ehe Cäcilie sich's versah, hatte er sie an beiden Schultern
gefaßt, unbekümmert um die ringsum gaffenden Füsiliere, Burschen,
Unteroffiziere --

»Aber Fritz --!«

»Teufel auch -- armer, verdursteter Landsknecht! -- Ja, da lachen Sie,
kleiner Carstanjen! Ist aber nur der Neid der besitzlosen Klasse!«

Flamberg lachte nicht ... er hatte sich abgewandt ... starrte einen
Moment in die Nebelschwaden hinein, die um die Bergkuppen geisterten
...

»Na, sag bloß, wie kommt ihr denn an den weißen Quietschkasten da
hinten?«

Frau Cäcilie gab Aufklärung.

»Donnerwetter -- geht doch nichts über 'nen nobeln Schwiegeralten! --
Na warte, werden wir ihm gleich eine Meldekarte schreiben mit unserm
gehorsamsten Dank! -- Na, Flamberg, und da werden Sie wohl noch ein
paar Erbswürste und ein paar Büchsen Cornedbeef mehr spendieren
müssen!«

»Ach was -- Erbswürste, Cornedbeef! -- Wir haben euch viel was Besseres
mitgebracht!«

Umringt von den staunenden Füsilieren schleppte der Chauffeur einen
wuchtigen Korb heran ... goldbekapselte Flaschenhälse ragten daraus
hervor ... aus appetitlichen Papierhüllen entwickelte sich kaltes
Geflügel ... alle möglichen Blechbüchsen mit Pasteten und Ragouts ...

»Pfui Teufel -- total unkriegsmäßig! -- Luxus und Wohlleben greifen um
sich!«

»Halt, halt -- nicht alles wegnehmen! -- Der hohe Bataillonsstab muß
auch was mithaben!«

Das Automobil hatte natürlich das ganze Biwak auf die Beine gebracht.
Von allen Seiten strömten die Herren der beiden Bataillone heran,
die Damen zu begrüßen, und in respektvoller Entfernung starrten die
Unteroffiziere, glotzten die Füsiliere herüber zu den liebreizenden
Gästen ihrer Herren, die nun, von Geplauder und Lachen umschwirrt, ihre
Schritte dem Bataillonsstabszelt zulenkten.

Als die Gruppe am Biwak der zweiten Kompagnie vorüberkam, hemmte Nelly
ihren Schritt ... schon von weitem sah sie, den ihr Blick suchte ...

Frobenius hatte seine Kompagnie beim Gepäck antreten lassen und hielt
Gewehrappell ab ... gewissenhaft ging er von Mann zu Mann ... jeder
mußte mit ausgestreckter Rechten die Waffe, aus der die Verschlußteile
entfernt waren, in die Höhe halten, und der Kompagnieführer schielte
durch den Lauf hindurch, ob er auch gründlich gesäubert sei ...

Tausend, wie er sich verändert hatte in den paar Manövertagen! --
Ordentlich militärisch sah er aus ... ordentlich kriegerisch, der
gelehrte Herr, trotz seiner großen Brille ... mit den kotbespritzten
Reitstiefeln, dem kurzverschnittenen Bart, der zerknitterten Feldmütze
überm tiefgebräunten Gesicht ...

Nelly wußte: jetzt durfte sie nicht stören! Und schnell folgte sie
ihren Reisegefährtinnen, die, von einer ganzen Schar Offiziere
umschwärmt, ihren Vater zu begrüßen gingen. --

Wo aber die Unteroffiziere der Zweiten um ihr Feuerchen hockten und
sich ihre Erbswurstsuppe zurechtbrutzelten, da war ein junger Bursch
halbleibs emporgeschossen ...

Himmel! -- die Oreade, die lauschend hinterm Felsen schwieg! die Heldin
all der zahllosen Lieder, welche ihm zugeflogen waren auf den Märschen
der letzten Tage ...

Auf! -- auf! ihr entgegen! -- aber, Teufel nein, wer war man denn?
-- Ein armer Kommißknabe ... nichts als ein ganz gewöhnlicher
Kaldaunenschlucker ...

Er in seiner schirmlosen Feldmütze, in seinem geflickten Tressenrock,
mit seinen ungewaschenen Händen ... und sie ... sie wandelte fern, fern
und unerreichbar ... wie ein leibhaft gewordener Dichtertraum ...

Aber suchten nicht ihre Augen? -- suchten sie nicht --

Nun hatten sie gefunden ... ihn gefunden ...!

Die flaumigen Bäckchen flammten ... sie nickte ihm kurz und gemessen
...

Da sprang er auf ... stand stramm ... legte die Hand an die Feldmütze
... und warf sich dann wieder lang hin neben das qualmende Feuer ...
überhörte die plumpen Späße seiner Kameraden, des Sergeanten Metzges,
des Oberlazarettgehilfen Nattermüller, des Unteroffiziers Franzkowiak
...

Stumm und ausgehungert löffelte er aus dem blechernen
Kochgeschirrdeckel seine Erbswurstsuppe in sich hinein -- seine Seele
aber formte den letzten Vers zu seinem Morgenliede:


  »In Demut will ich pflücken,
  was mir das Glück geoffenbart --
  ganz ohne Sinn beglücken,
  ist Glückes Art -- ist -- Glückes -- Art.«


                   *       *       *       *       *

Vor dem Bataillonsstabszelt, der einzigen Behausung im ganzen Biwak,
die mit den Wohnungen zivilisierter Menschen eine entfernte Ähnlichkeit
hatte, unter dem Vordach, das wenigstens einen dürftigen Schutz gegen
den immerzu munter niederströmenden Regen bot, hatte sich eine lustige
Tafelrunde zusammengeschart ... ein paar hochkant gestellte Kisten
bildeten Tische und Sitzgelegenheit ... das Service bestand aus groben
Steinguttellern, aber die erlesensten Delikatessen der Saison gab's
diesmal zu schmausen statt der üblichen Feldkost, der Preßgemüsesuppe,
des halbverbrutzelten Konservengulasch ... Das heißt, auch diese
kriegsmäßigen Speisen fanden ihre Abnehmer ... die drei Damen kosteten
sie mit Begeisterung ... die mitgebrachten Herrlichkeiten überließen
sie den Herren ...

Den Sekt trank man aus ramponierten Kaffeetassen ...

»An meiner is kein Henkel dran ...!«

»Schad' nischt -- is Henkell drin!« schmunzelte der flaumbärtige
Carstanjen.

Sassenbach hielt eine kleine Rede auf den holden Besuch: »Mit hold
meine ich natürlich nur die gnädige Frau, nicht euch, ihr Mädels ...
das bildet euch bloß nicht ein!«

Mit galantem, stürmischem »Oho!« protestierten die Leutnants.

Frau Cäcilie war still ... sie nahm sich zusammen; denn einmal hatte
sie einen Blick ihres Gatten aufgefangen, der mit stummer, banger
Beobachtung an ihr hing, als sie hingerissen ... selbstvergessen mit
Martin Flamberg geplaudert ...

Doch immer verglich lechzend, qualvoll ihr armes Herz.

Hier ein friedlich knisterndes Herdfeuer -- dort eine jetzt verhalten
glostende, oft aber heiß und goldigrot auflodernde Glut.

Warum bin ich heraufgekommen? -- Nutzlose Quälerei!

Und doch zählte sie angstvoll Viertelstunde um Viertelstunde, die
verrann unter neckendem Geplauder, hin und wieder flatternden
Scherzworten.

Der Sekt schäumte in blauen Emaillebechern, in zerbrochenen Tassen aus
dem Fünfzigpfennigbasar. Gleichmäßig tropfte draußen der Regen aus
den ziehenden Nebelschwaden hernieder. Die Dämmerung sank. Gesättigt,
sangen draußen die Soldaten immer und immer wieder das Heimkehrlied:


  »Es winket uns in weiter Ferne
  Das liebe, teure Vaterhaus!
  Wir war'n Soldaten, waren's gerne,
  Doch jetzt ist unsre Dienstzeit aus!
  Ihr Brüder, stoßt die Gläser an --
  Es lebe der Reservemann!
  Wer treu gedient hat seine Zeit,
  Dem sei ein volles Glas geweiht!«


Und eine tief lastende Melancholie umwob das Haupt der schönen Frau ...
Warum war sie nur heraufgekommen? Es hatte ja doch keinen Zweck.

Mit einem Male meldete von draußen her die Stimme des Postens vor der
Fahne: »Der Herr Oberst kommt!«

Hei -- das platzte wie eine Granate mitten hinein in die harmlos
schmausende Gesellschaft!

Der Major sprang auf: »Herrschaften, laßt mich durch!«

Er stelzte mit seinen vom langen Reiten und langen Sitzen
steifgewordenen Beinen aus dem Schutze des Zeltdachs heraus, dem
Regimentskommandeur entgegen, der heute das Detachement führte.

Durch den Nebel kam's von der Chaussee herangetrabt ... der
Regimentsstab, die Herren in Mützen ...

Oberst von Weizsäcker, neben ihm, unnahbar wie immer, Herr von
Schoenawa, sein Adjutant, und Oberleutnant Menshausen, der als
Ordonnanzoffizier zum Regimentsstabe kommandiert war -- ein paar
Trompeter und Meldereiter von den Deutzer Kürassieren in ihren
mattblinkenden Stahlhelmen.

Der Oberst, stattlich und rosig, mit den braunweißen, beständig
zuckenden Schnurrbartflämmchen, nahm die Meldung des Biwakskommandanten
entgegen, tat ein paar Fragen über Nachrichten vom Feind,
Sicherheitsmaßregeln, Verfassung und Gesundheitszustand der
Mannschaften ...

Da hatte er unterm schützenden Dach des Stabszeltes die hellen
Regenmäntel, die wehenden Schleier der Damen erspäht.

Neugierig, in ritterlicher Haltung trabte er heran und begrüßte die
errötenden Gäste des Biwaks.

»Meine Damen -- allerhand Respekt! Bei dieser Sintflut im rauhen
Kriegsgetümmel?«

Einen hämischen Zug um die Mundwinkel, hielt Oberleutnant Menshausen
zur Linken des Obersten.

Schau, schau, die schöne Frau Cäcilie im Biwak -- und die beiden
Fräulein von Sassenbach ... und selbstverständlich in der Nähe der
schönen Frau der Herr Sommerleutnant und Maler aus Düsseldorf ... und
neben dem schlanken Majorstöchterlein die Karikatur, der Gehirnfatzke
aus Bonn ...

Ein Skandal, daß man durch das an sich ja sehr ehrenvolle Kommando
verhindert war, die Entwicklung dieser interessanten Ereignisse aus der
Nähe zu verfolgen.

Aber warte -- nächstens im Korpsmanöver ... was sagte die
Manöverquartierverteilungsliste? Samstag, den neunzehnten September bis
Sonntag, den zwanzigsten September: Regimentsstab -- Schloß Hettstein
-- Erstes Bataillon -- Bataillonsstab, erste und zweite Kompagnie: Dorf
Hettstein --

Dann werden wir also die ganze Gesellschaft dicht beisammen haben ...
dann werden ja die Dinge mehr oder weniger zum Klappen kommen ... dann
könnte man vielleicht gar ein bißchen nachhelfen ...!

Wie ... das würde sich finden! -- Jedenfalls irgend etwas würde sich
dann ereignen ... ein kleiner Spaß ... eine kleine Abwechslung in
diesem verflucht eintönigen Kommißdasein ...

Dann würde man sich entschädigen können für so manchen Ärger, den man
hatte schlucken müssen ...

Inzwischen mußte man freilich die Karre laufen lassen, wie sie laufen
wollte ...

Wenn man nur einen Vertrauensmann wüßte --?

Ah -- Quincke -- auch in dieser Wildnis das unvermeidliche Monokel ins
fahle Gesicht geklemmt ...

Menshausen winkte den jüngern Kameraden an die Seite seines Gaules,
streckte ihm die braunbehandschuhte Rechte hin: »Sie, lieber Quincke
-- im Interesse unseres Offizierkorps -- beobachten Sie doch mal die
beiden Herren des Beurlaubtenstandes, den Flamberg und den Frobenius,
ein bißchen genauer, wenn die Damen in der Nähe sind ... Brandeis hat
ja ein Schlößchen hier in der Nähe gekauft -- also werdet ihr wohl
öfter das Vergnügen haben -- Mir kommt's vor, als ob die beiden fremden
Herren -- --«

»Selbstverständlich, lieber Menshausen, hab's längst gemerkt ... Denken
Sie, ich schlafe mit offenen Augen?!«

Leise tuschelten die beiden Herren ...

-- Und Quincke paßte auf, als nun der hohe Stab von dannen getrabt war
...

Immer tiefer sank die Dunkelheit ... die Damen, von den Herren
geführt, unternahmen noch einen Rundgang durchs Biwak, während die
Azetylenlampen des Mercedes, vom Chauffeur entzündet, bereits weiße,
gleißende Lichtkegel in die Abenddünste zeichneten ...

Aha ... Frau von Brandeis wieder zwischen ihrem Mann und Herrn Flamberg
... ja, ja, immer +à trois+ ... unbegreiflich diese eselhafte
Vertrauensduselei des Kapitäns ...

Und Fräulein Nelly von Sassenbach natürlich Seite an Seite mit dem
hagern Landwehrleutnant ...!

Quincke schlich hinter den beiden her und lauschte ...

»-- Ja, mein altes Mütterchen, gnädiges Fräulein -- eine ganz, ganz
einfache, einsame alte Frau! Sie hat sich nicht entschließen können,
nach meines Vaters Tode das Dörfchen droben auf dem Westerwald zu
verlassen, wo ihr Mann dreißig Jahre lang die Buben und Mädel in die
Geheimnisse des ABC eingeweiht hatte ... ach ja, eine einfache Frau!
Aber was für Augen, gnädiges Fräulein ... Augen wie so ein altes
wundertätiges Waldweiblein aus dem Märchen ...«

»Ach ja ... die möcht ich wohl kennen lernen --!«

Feine Zusammenstellung, grinste Quincke: junge Dame von Stand,
passionierte Reiterin und Tänzerin ... Tochter eines preußischen
Stabsoffiziers -- -- und eine Bauernschulmeisterswitwe in einem
Waldnest! -- Na ja ... wenn die Menschen verrückt werden, fängt's im
Kopf an --!

Aber es kam noch toller.

Im Halbdunkel gewahrte Quincke, daß das jüngere Fräulein von Sassenbach
unauffällig zurückzubleiben suchte ...

Und wahrhaftig! -- Da tauchte aus der Mitte der Mannschaften, die um
ihre Lagerfeuer rasteten, die Gestalt eines Unteroffiziers auf ...

Aha, der Einjährige, der den langweiligen Quatsch zum Regimentsfest
verbrochen hatte! --

Weiß der Himmel -- er begrüßt sie wie ein Kavalier ... sie plaudert mit
ihm ... und nun zieht der Einjährige ein Notizbuch aus der Tasche ...
nimmt eine beschriebene Meldekarte heraus ... reicht sie der Dame ...
Die errötet tief ... legt sie sorgsam zusammen und steckt sie in die
innere Tasche ihres Regenpaletots ...

Warte, Bürschchen ... dich wollen wir mal auf deinen Standpunkt
zurückbringen ...!

»Nun, gnädiges Fräulein ... wollen Sie sich nicht Ihrem Fräulein
Schwester anschließen? Die Damen begeben sich bereits zum Auto zurück
... Bitte übrigens einen Moment um Verzeihung! -- Sie, Einjähriger,
hier haben Sie zwanzig Pfennige ... gehen Sie doch mal zum Marketender
an den Kantinenwagen und holen Sie mir ein Schinkenbutterbrot ... Sie
können's mir ans Offizierzelt bringen ...!«

Hans Friesen war einen Augenblick starr ... dann faßte er sich, wandte
sich kurz herum, spähte in die Gruppe der Füsiliere hinein, die ums
Lagerfeuer saß: »Makowiak!«

Der Angeredete, ein hübscher, polnischer Rekrut, stand sofort in
strammer Haltung neben dem Unteroffizier: »Zur Stelle!«

»Herr Leutnant Quincke wünscht ein Schinkenbutterbrot vom Marketender
ans Offizierzelt. Hier ist das Geld!«

»Einjähriger, ich habe Sie selber beauftragt, wie Sie gehört haben! --
Ist das vielleicht unter Ihrer Würde, was?!«

»Jawohl, Herr Leutnant --!«

Quincke biß sich auf die schmalen Lippen: »Na -- dann erteile ich Ihnen
also hiermit den dienstlichen Befehl, mir das Butterbrot zu holen!«

Hans Friesen stand stramm ... regungslos ...

»Wollen Sie sich vielleicht der Gehorsamsverweigerung vor versammelter
Mannschaft schuldig machen --?!«

Hans Friesens Lippen bebten ...

Er erinnerte sich der Strenge der militärischen Gesetze: der
Vorgesetzte hat in dem Augenblick, in dem er befiehlt, immer recht --
-- Er nahm dem Füsilier das Geld wieder ab, machte stramm kehrt und
stapfte ins Dunkel, dorthin, wo die Laternen des Marketenderwagens
gelblich aufleuchteten -- -- --

Dafür sollte der Frechling ihm Rede stehen -- in vierzehn Tagen, wenn
der bunte Rock abgestreift war ... Warte, du Affe! -- Wollen sehen, wer
am besten schießt von uns zweien! --

-- Tränen der Wut und Empörung in den Augen, sprachlos hatte Molly dem
Auftritt zugeschaut: »Das ist abscheulich, Herr Quincke!«

»Wieso?« näselte der Leutnant, »is doch höchstens 'ne Ehre für den
Unteroffizier, wenn er seinem Zugführer einen Gefallen tun kann!«

»Ich sag' es meinem Vater -- verlassen Sie sich drauf!«

                   *       *       *       *       *

Das Auto war von dannen gerattert ... und jählings sank die Nacht ...
sank die Stille über das nebelumsponnene Feldlager ...

Schweigend, fest in ihre Mäntel gehüllt, saßen Brandeis und Flamberg
auf den umgestürzten Wein- und Menagekisten vor dem niedern Zelt -- --

Der kleine Carstanjen und der Fahnenjunker schnarchten bereits drinnen
im Stroh -- --

Beider Männer Blicke hingen an dem phantastischen Schauspiel der
mählich verglimmenden Lagerfeuer, deren rötliches Glosten allein noch
die Schwärze der Nebelnacht durchdrang -- --

Und beide Männer träumten von Frau Cäcilie -- --

»Sagen Sie, lieber Flamberg ... mögen Sie mich ein bißchen leiden?«
fragte der Hauptmann auf einmal mit verschleierter Stimme.

»Wie meinen Herr Hauptmann --?!«

»Ob Sie mir ein bißchen gut sind, möcht' ich gern wissen?!«

»Herr Hauptmann, ich ... ich möchte unter Ihnen in den Krieg ziehen
... mit Ihnen zusammen fechten und bluten ... dann wollt ich's Ihnen
beweisen ...«

»Das freut mich zu hören,« sagte der Hauptmann, »das freut mich zu
hören ...«

Einen Augenblick Stille -- tiefe Stille --

Martin hatte verstanden ...

Nein ... er durfte ganz ruhig sein, der brave, ehrenfeste Mensch da
neben ihm ... er, Martin, würde sich künftig noch mehr zusammennehmen
... beim nächsten Wiedersehen ... seine Augen, seine Stimme noch mehr
im Zaum halten ... noch mehr als heute ...

»Na ... nun kommen Sie --«

Freundschaftlich und vertrauensvoll klopfte der Kapitän dem Kameraden
auf die Schulter -- --

»Es ist Zeit ... morgen früh um vier wird abgebaut ... wollen ins Stroh
kriechen ...!«




                           Zweites Kapitel.


Frau Cäcilie hatte einen bangen Traum.

Ein Geläut klang ihr ins Ohr ... ein tiefes, volltöniges Geläut ...
unregelmäßig, oft wie vom Winde verweht, doch stark und mächtig ...

Und auf einmal wußte sie es ... das waren ja die Hochzeitsglocken ...
heute machte sie Hochzeit mit Martin Flamberg ...

Das Glück war gekommen ... das große Glück ... die Lebensliebe, von
der sie einst als Mädchen geträumt ... die Erfüllung, herrlicher, als
kühnste Dichterphantasie sie schilderte.

Bim, bam, läuteten feierlich die Glocken ... die Glocken des Kölner
Doms ... und sie beide, sie schritten mitten über den weiten Domplatz
... auf das weitgeöffnete Portal des ragenden Gotteshauses zu ...

Neben ihr ging der Maler ... in Paradeuniform, den schwarzen wehenden
Roßhaarbusch auf dem Helm ...

War sie nicht schon einmal neben einem Manne hingeschritten, der diese
Gewandung trug ...?!

Ach ... das war lange her ... das war gar nicht mehr wahr ...

Rechts und links staute sich das Volk, und sie hörte das Flüstern der
Menge: Das ist Martin Flamberg, der große Maler, und seine glückliche
Braut, die schöne Frau Cäcilie ...

Einen Blick warf sie dem Verlobten zu, und er erwiderte ihren Blick
mit einem jähen verlangenden Aufleuchten seiner braunen durstigen
Künstleraugen ...

Und immerfort ... tief und gewaltig ... summten dazu die Glocken aus
der Höhe ...

Nun schritten sie Hand in Hand die hohe, breite Domtreppe hinan ...
weit offen stand die metallene Pforte ... dem Blick erschloß sich
das geheimnisdunkle, weihrauchdurchduftete Innere des Heiligtums ...
von rechts her, magisch bunt gefärbt, fiel durch die Glasgemälde der
Spitzbogenfenster ein breiter Strahl gedämpften Sonnengoldes hinein ...

Da -- als das Paar die Pforte durchschreiten wollte ... plötzlich stand
da eine gräßlich entstellte, bleiche Gestalt in der Wölbung -- -- Fritz
--!

Er stand im kotbespritzten Manöveranzug ... die Feldmütze tief ins
blasse Gesicht gezogen ... die braunbehandschuhte Linke hatte er
fest aufs Herz gedrückt ... und unhemmbar floß ein Strom zähen,
dunkeln Blutes zwischen seinen Fingern hindurch ... sickerte auf die
Steinfliesen ...

Da schrie sie auf ... und brach in den Armen des Geliebten zusammen ...

Und erwachte -- --

Erwachte in dem hellen, freundlichen Schlafgemach des Schlößchens
Hettstein ... in dem messingfunkelnden englischen Bett unterm duftig
lichten Gardinenhimmel ...

Und neben ihr harrte eine andere, unberührte Lagerstatt, von
schimmernder Spitzenspreite bedeckt ...

Aber die Glocken ... die Glocken läuteten immer noch ...

Doch nein -- das waren ja die Kanonen ... die Kanonen des Korpsmanövers
ringsum auf den Hunsrückhöhen ...

Und heute, heute würden sie kommen ... ihre Gäste ... der Regimentsstab
der Niederländer Füsiliere!

Und kommen würden auch die beiden Männer, deren einer in ihrem Traum
an ihrer Seite gegangen war, bis der andere ihnen entgegentrat mit
der blutdurchsickerten Linken auf der Brust und dem fahlen, starren
Totenantlitz ...

Gott sei gedankt, er lebte ... Fritz lebte ...!

Frau Cäcilie richtete sich auf ... ihre Schläfen brannten ... die Augen
flimmerten, als habe sie die ganze Nacht schlummerlos durchwacht ...
und ihre Wangen waren kalt von nassen, bangen Tränen ...

Sie würden kommen ... würden sie anschauen ... beide ... und in beider
Augen würde sie mit wirrem Streite der Gefühle das Bekenntnis lesen
müssen: Ich gehöre dir ... meines Lebens Schicksal ruht in deiner Hand
...!

Das war ein grauenvolles Bewußtsein, also zweier Männer Seele zu
beherrschen -- und doch von einer geheimen, wilden Süßigkeit ... dieses
Machtgefühl ... dieses Herrschergefühl ...

Sie sprang aus dem Bette ... ging zum Spiegel ... schaute lange in ihre
Züge ...

Was ist denn eigentlich so Besonderes dran an dir, du weiße Larve mit
den brennenden Augen drin, daß du immerfort durch einen Wall, durch
einen Schwall von Huldigungen hinschweben mußt --?!

Bum, bum -- läuteten droben auf den Bergen ringsum im Kreise die
Kanonen, deren Sang ihren Traum wie Hochzeitsglocken durchwandelt ...

Dort oben stand das ganze rheinische Armeekorps, in zwei Parteien
geteilt, in lustiger Friedensschlacht ... mehr denn zwanzigtausend
rüstige Männer ... die Jugendblüte der schönsten und reichsten Provinz
des Vaterlandes ...

Und in ihrer Schar gab es zwei, von denen sie wußte, daß sie mitten im
Drang ihrer Pflicht ... im sengenden Sonnenbrande ... beim Marsch auf
staubüberwölkter Landstraße ... und beim Ansprung wider den Feind über
den Sturzacker -- die Stunden zählten, die sie noch vom Wiedersehen
trennten -- vom Wiedersehen mit ihr ...

Dies Wissen war beseligend und fürchterlich.

Was würde werden? Ihre Seele war schwer und glühend von der Ahnung
eines Schicksals, einer nahen Entscheidung, einer Entscheidung, der
sie wehrlos gegenüberstand, einer Entscheidung, die sie über sich
ergehen lassen würde wie ein unabwendbares Elementarereignis, wie einen
Wirbelsturm, wie ein erlösendes und zerschmetterndes Gewitter.

Ja, machtlos -- willenlos fühlte sie sich gegenüber dem Geschick.

Die beiden andern waren ja die Männer ... die mochten handeln, die
mußten entscheiden, was werden sollte.

Sie war das Weib ...! Ihrer harrte nur die äußere Pflicht, die Pflicht
der Hausfrau und Gastgeberin -- die würde sie erfüllen, korrekt und
anmutig ... von ihrer Erziehung, ihrem Instinkt unfehlbar geleitet ...
ohne daß an Willen und Entschluß irgendwelche Anforderungen gestellt
wurden.

Das andere ... das würde kommen von draußen her, unhemmbar, unabwendbar
...

                   *       *       *       *       *

Und droben im Turmkämmerchen träumten zwei andere Herzen einem
Wiedersehen ... träumten ihrem Schicksal entgegen ... ein
Kinderherzchen, so willenlos wie die reife Frau im Banne dumpfer,
triebhafter Gefühle -- und ein fester straffer Mädchenwille, der
während schlummerloser Nacht in Frische und Resignation über sein Leben
beschlossen hatte.

Ja, Nelly Sassenbach wußte, was sie wollte ...!

Heut abend freilich würden die Herren erst spät ins Quartier kommen
-- es war beschlossen, sie in Ruhe zu lassen. Nur der Regimentsstab,
der ohnehin dem Schlosse bestimmt war, würde zur Tafel erscheinen, und
natürlich der neue Schloßherr, obwohl er offiziell mit seiner Kompagnie
drunten im Dörfchen lag.

Die Herren der ersten und zweiten Kompagnie würden sich ausschlafen
beim Ortsvorsteher und bei den andern wohlhabenden Bauern, deren Höfen
sie zugewiesen waren, würden mit aller Bequemlichkeit gegen Abend in
der Schankwirtschaft ihre Mahlzeit einnehmen und um neun zu Bette
gehen.

Morgen aber ist Rasttag -- da werden die Herren gründlich ausgeruht als
Gäste der Schloßherrin auf Hettstein erscheinen -- man wird festlich
und fröhlich zusammen dinieren -- wird im Park spazieren gehen.

Und dann -- dann wird es geschehen -- dann soll es geschehen!

Dann wird sie die Braut des hagern Gelehrten werden, des
Schulmeistersohnes vom Westerwald, des miserabeln Reiters und Tänzers,
des Mannes aus dem Froschtümpel, des Entgleisten vom Kasinoparkett.

Es war beschlossen -- es würde sich vollziehen -- sie wollte es. Und
daß er die gleiche Sehnsucht hatte, das wußte sie, seit er ihr von
seiner Mutter erzählt, im Regenbiwak unter der »Marscheider Burr«.

Ja, viel -- gar viel Resignation steckte in diesem Entschluß.

Ganz, ganz anders sah ihr Erwählter aus als die Gestalten, die einst
durch ihre Mädchenträume geschwebt waren.

Aber wenn sie seiner gedachte, dann kam ein so tiefes Ruhegefühl ...
ein so freudiges Geborgensein über sie ...

Ja ... er war doch der Rechte ... der, für den das Schicksal sie
aufgespart hatte, das in ihrer Mutter Gestalt so manchen glänzenden,
stattlichen Bewerber aus ihrer eigenen Welt von ihrer Seite gescheucht
hatte ...

Ich danke dir, Mutter -- es ist gut gewesen, daß ich den schwarzen
Baron Höningen nicht bekommen hab, der jetzt in Amerika Pferde hütet
... und nicht den riesigen Bettingen, der nun drunten in Südwestafrika
im Wüstensande liegt ...

Es ist gut so, Mutter ...!

Was morgen kommt, das ist fürs ganze Leben ... kein stürmisches
Backfischglück wie das, von dem gewiß das blonde Schwesterchen jetzt
träumt, das so eigenwillig sein Köpfchen der rosaroten Tapete zukehrt
... aber eine frohe Ruhe ... eine festlich stille Gewißheit ... eine
Heimstatt für freudiges Wirken und Hineinwachsen in eine helle, lichte
Welt, in ein höheres, geistigeres Dasein, als meine Jugend es je geahnt
...

Wilhelm Frobenius, du Prachtkerl! -- Du sollst es gut haben bei deiner
Nelly -- hol mich der Teufel!

                   *       *       *       *       *

Bum, bum, drohten die Geschütze ringsum auf den Bergen ohn' Unterlaß
...

»Nun, gnädige Frau, wen bekomm' ich ...?«

Die drei Freundinnen standen im feierlich halbdunkeln, getäfelten
Speisesaal des einstmals kurtrierschen Schlößchens, das ein Kölner
Bankier vor acht Jahren aus einer ziemlich wohlerhaltenen Ruine in
einen behaglichen weltfernen Herrensitz zurückverwandelt hatte ... und
Frau Cäcilie legte die Tischkarten ...

»Abwarten, Kleine! -- Also: Ans Kopfende komme selbstverständlich ich
-- leider, leider zwischen die beiden Herren Kommandeure ... den Oberst
zu meiner Linken, Ihren lieben Brummbär Papa zu meiner Rechten!«

»Donnerwetter, fabelhafter Dusel für Papa! -- Na, der wird schmunzeln
... gut, daß Mama nichts davon ahnt ... das gäb' ein paar schlaflose
Nächte!«

»Schäm dich, Nelly!« zürnte das jugendliche Ebenbild der Entfernten.

»Na, und nun gehen wir mal zunächst hier links hinunter, damit die
kleine Neugier auch lange genug auf die Folter gespannt wird! Also
neben den Herrn Regimentskommandeur natürlich Sie, Nelly!«

»Um Gottes Willen! -- läßt sich das nicht vermeiden?«

»Unmöglich, Kind! -- Die Tischordnung versteht sich sozusagen von
selbst ... es geht gar nicht anders, als ich's aufgesetzt habe! Aber
nun kommt die Entschädigung: zu Ihrer Linken sitzt -- Herr Oberleutnant
von Schoenawa!«

Ernsthaft hatte die Wirtin das gesagt ... aber ihre Augen blitzten
schelmisch prüfend zu der schlanken Freundin hinüber.

Die bewahrte Haltung. Was lag an dem Diner? ... Sie wußte ja doch, was
sie wollte ...

»Zu Befehl, gnädige Frau!«

»Also wirklich -- vollkommen einverstanden?!«

»Vollkommen!«

»Aber ich nicht! -- Der gestrenge Herr Regimentsadjutant ist mir zu
feierlich und offiziell für Sie ... Außerdem ist ein Herr da, der zwar
eine Charge unter ihm steht, aber an Jahren der nächste nach den beiden
Herren Kandillenträgern ist!«

Und nach der Melodie des Lockens zum Parademarsch trällerte die schöne
Frau:


  »Großmutter, die Landwehr kommt,
  Die Landwehr kommt, die Landwehr kommt,
  Großmutter, die Landwehr kommt ...«


Da errötete Nelly denn doch ein wenig und verstummte.

»Na, ich seh schon, ich hab's getroffen ... da, Kindchen, legen Sie
selber den Zettel hin! -- Also, neben Herrn Frobenius setzen wir
Herrn Oberleutnant Menshausen und neben den: Herrn Flamberg ... Herr
Menshausen kann die Herren vom Beurlaubtenstande nicht leiden -- ich
kann Herrn Menshausen nicht leiden -- Rache ist süß, krächzte der
Habicht!«

Außerdem kann es nicht schaden, dachte sie, daß ich Flamberg recht weit
von mir entfernt auf einen schlechten Platz setze ... Fritz machte
neulich im Biwak einmal so merkwürdige Augen ...

»Ans Fußende kommt natürlich das grüne Gemüse -- unten meines Mannes
Fahnenjunker, der kaum geborene Erichsen -- zwischen ihn und den Herrn
von der Reserve setze ich Herrn Quincke!«

Den Herrn von der Reserve! dachte Nelly -- diese Heuchlerin!

»-- dem gegenüber Herrn Carstanjen ... dann kommt mein Mann ... neben
den kommen Sie, kleine Molly!«

»Sehr einverstanden! -- Himmlisch!«

Der Backfisch hatte ein wenig für Fritz von Brandeis geschwärmt, ehe
dieser anderweitig vergeben worden war.

»-- an Ihre andere Seite der Adjutant des ersten Bataillons!«

Molly rümpfte das Näschen: »Der ist so entsetzlich brav!«

»Ja, ich hab niemand andern mehr ... nur noch Herr von Schoenawa ist
übrig!«

»Ne, danke ... dann immer noch lieber Herrn Blowitz!«

»Gut -- dann also Herrn von Schoenawa zwischen Blowitz und Ihren Vater!
Na, ist das nicht tadellos, Kinder?«

»Ausgezeichnet -- ganz vorzüglich, gnädige Frau!«

»Ach was -- ihr immer mit eurer langweiligen gnädigen Frau --! Machen
wir's uns doch endlich mal gemütlich: sagen wir du zueinander!«

Tief erglühend vor Seligkeit boten die Mädchen der vergötterten Wirtin
ihre Lippen.

Und über alle drei kam's wie ein Festrausch. So herrlich strahlte
draußen die Spätsommersonne ... die eben leise sich bräunenden
Bergwälder schlossen sich so traulich um das Schlößchen wie ernste,
fromme Hüter eines geheiligten Asyls ...

Und immer näher ... immer drängender scholl draußen das mächtige
Geläute der Kanonen auf den Höhen ringsum ...

»Ach, Kinder, das Leben ist doch schön!«

»Das weiß der Himmel!« sagte Nelly aus tiefer, dankbar hoffender Brust.

»Ja wahrhaftig, das weiß der Himmel!« echote auch die Neunzehnjährige
... und sie träumte von einem, der morgen abend zwar nicht hier mit
an der Tafel sitzen würde ... den sie aber doch sehen wollte ...
heimlich, verstohlen sehen -- und küssen ... draußen irgendwo in den
verschwiegenen Bosketten, die sich über den Trümmern der alten, nicht
wieder hergestellten Bastionen buschten ...

Sie mußte ihn ja trösten ... mußte ihn entschädigen für die Unbill, die
der widerwärtige Quincke ihm zugefügt ... offenbar mit Absicht in ihrer
Gegenwart ... um ihn zu blamieren vor ihr ...!

Zu blamieren vor ihr ... haha ... als ob das möglich gewesen wäre ...!

Aber er durfte sich's um Gottes willen nicht zu sehr zu Herzen nehmen
... ihr süßer Junge ... ihr Dichter ... dessen himmlische Verse, rasch
mit Bleistift auf einer Meldekarte niedergekritzelt, unter der Bluse an
ihrem Herzchen knisterten ...

Und darum mußte sie ihn trösten -- unbedingt ... damit er keine
Dummheiten machte! -- Na, das würde ihr schon gelingen. -- --

Bum, bum, bum, läuteten draußen die Kanonen ...

                   *       *       *       *       *

»Sie kommen! sie kommen!«

Die aufgeregt harrenden Mägde drunten am Schloßtor schrien's zuerst ...

Der Gärtner, der Chauffeur gaben's weiter ...

Das Hausfräulein stürzte zu den Damen hinein, die eben im Herrenzimmer
die kleinere Tafel für den heutigen Abend mit Blumen schmückten.

»Wer kommt?« fragte die Hausfrau.

»Soldaten! Soldaten wie Sand am Meer!«

Von den tiefen Nischen der Fenster des Schloßturms aus konnte man
den Weg überschauen, der durch die buschigen Abhänge nördlich des
Beierbachs empor sich schlängelte nach Hettenrodt zu ...

Von dort stieg jetzt, ein Pferd hinter dem andern, vorsichtig ein
endlose Linie von Reitern in hellblauen Waffenröcken hernieder --
Saarbrücker Siebente Dragoner. --

»Die sind nicht von den Unsern!« erklärte Nelly sachverständig, »seht,
sie tragen Helmbezüge ... das ist der böse Feind; der ist jedenfalls
geschlagen und muß sich zurückziehen ...«

»Geschieht ihm recht!« rief Molly mit blitzenden Augen.

Nun sprengte auf der Chaussee, die an der andern Seite des Schlößchens
von Mackenrodt her in langen Zickzackwendungen ins Tal hinunterkroch,
ein Trupp Artillerieoffiziere, gleichfalls in Helmbezügen, hart am
Schloß vorüber, bergab ins Tal ... verschwand drunten zwischen den
Häusern des Dörfchens und tauchte an der andern Berglehne wieder
auf, galoppierte jenseits in das Seitentälchen hinein, das sich gen
Vollmersbach hinaufzog. Sie schwenkten rechts ab, erschienen, klein wie
Bleisoldaten, droben auf der kahlen Höhe ...

Und durch die Gläser konnten die Damen deutlich erkennen, daß sie
droben Halt machten und mit ihren Feldstechern übers Schlößchen hinweg
Ausschau hielten.

»Sie suchen eine Stellung für die zurückgehende feindliche Artillerie
aus; die soll den Rückzug des gegnerischen Detachements decken!« wußte
Nelly wiederum zu erläutern.

»Da werden wir ja das Kanonenkonzert aus allernächster Nähe zu genießen
bekommen!«

Und richtig! -- Nach wenigen Minuten rasselte eine schier endlose
Artilleriekolonne die Chaussee hinunter, so schnell als der abschüssige
Weg mit seinen zahllosen, scharfen Krümmungen es nur irgend gestattete.

Die Kanoniere saßen mit rauchgeschwärzten, staubbekrusteten Gesichtern
auf den Protzkästen und hielten sich krampfhaft fest, um nicht beim
Rumpeln der federlosen Gestelle abgeschleudert zu werden ...

Das Sitzfleisch tat einem weh vom bloßen Ansehen ...!

Drüben den steilen Talweg ging's hinan ... da mußten die Kanoniere
absitzen und die Geschütze bergan schieben helfen ... Die armen Kerle!

Ganz deutlich war's zu verfolgen, wie nun drüben die Mündungen der
Geschütze über dem hohen Kamm auftauchten ...

Bum -- da krachte auch schon der erste Schuß, bum -- der zweite ...

Dicke weiße Wolken stiegen auf, doch verflogen sie in der blauen
Nachmittagsluft wie der Rauch einer Zigarre ...

Die Damen hielten sich die Ohren zu, so heftig knallten die Schüsse ...
widerhallend kam das Echo zurück von all den dunkelbelaubten Berghängen
ringsum ...

Eine Viertelstunde später begann der Abstieg der geschlagenen
feindlichen Infanterie ... eine dunkelblaue Schlange mit grau und
silbern schillernden Schuppen, so wälzte sich der Zug des Fußvolks
nieder ins Tal ... Kompagnie hinter Kompagnie ... Bataillon hinter
Bataillon ...

Ganz dicht unter den Schloßfenstern wogte der endlose Schwall vorüber
...

Gott, sahen die wackern Jungen aus! --

Spätsommermittagsglut und der Staub vielstundenlanger Märsche hatten
ihr Werk getan ... schmutzige Rinnen hatte der Schweiß in die
tiefgebräunten, graubepuderten Gesichter gezeichnet ... die Rockkragen
waren geöffnet ... die Gewehre pendelten schwer auf den müden Schultern
...

Aber die gesenkten Nacken richteten sich straffer auf, als plötzlich
bei der Wegwende vor ihrem Blick das schmucke Schlößchen mit seinen
altersgrauen Mauern und der blinkenden Zier seiner Erneuerungsbauten,
den roten Ziegeldächern, den blitzend weißen Fensterkreuzen auftauchte,
von dunkelgrünen Efeupolstern und leuchtendrotem Rankengeriesel wilden
Weins umwuchert ...

Und über den Rand der Gartenanlage beugten sich frische Mädchenköpfe
... das Hausfräulein und die beiden Mägde ...

Hei -- wie das elektrisierte, wie Jugend da plötzlich die Jugend
erschaute ... da reckten sich die matten Gestalten der Marschierenden
empor, da flog ein endloser Schwall von Neckereien und derben Späßen
zur Mauer hinan in allen Mundarten der rheinischen Gaue ...

Aber Glied um Glied wurde rasch von dannen gerissen im rastlosen
Rückmarsch.

Mochten auch die Vorbeimarschierenden die Köpfe noch so sehnsüchtig
umwenden -- die Blicke der strammen Holden droben waren schon wieder
weitergewandert, neuen Kömmlingsscharen entgegen.

Die Herren Offiziere aber hoben ihre Blicke noch etwas höher als bis
zur Mauer der Gartenbastion ... sie strebten zum Balkon empor, wo in
lichten Gewändern drei Frauengestalten aus ihrer eigenen Kaste sich
zeigten ...

Hei -- wie flogen da feurig kecke Blicke empor ... dorthin, wo die
Damen standen ... die Damen ...

Aber auch sie mußten von hinnen, die stattlichen Stabsoffiziere
und Hauptleute hoch zu Roß, die schlanken, in Staub und Schweiß
noch eleganten und aufrechten Leutnants mit den häßlichen
Wachstuchtornisterchen auf dem Rücken -- dem »Schandfleck der
Ritterlichkeit« -- --

Und von dem vorüberrollenden Strom kriegerischen Lebens stieg ein
Dunst zu der schönen, schlanken Herrin, den winkenden Mädchen
und Mägden empor ... ein heißer, schwüler Dunst hochblühender,
waffendienstgestählter, jugendprangender Männlichkeit, der ihnen den
Sinn verwirrte ... einen Schwall weckte von unbewußten, unbegriffenen
Sehnsuchtgefühlen ...

Doch endlich war der Strom vorübergerauscht.

Schräger flimmerte die Spätnachmittagssonne auf der Chaussee, die sich
wie ein fahlgelbes Band durch das Braungrün der Waldhänge zog.

Die Damen waren verstummt.

Nun müssen bald die Unsern kommen, dachte eine jede ... die Unsern ...

Und dann ... dann kommt auch er, der eine ... der meine, dachten die
jungen Mädchen ...

Frau Cäcilien aber bebte das Herz ...

Der meine ... wer war das, der meine? -- --

Ach, sie wußte es selber nicht zu sagen ... nur bang ... grenzenlos
bang und ahnungstrüb zitterte nun auf einmal ihre einsame Seele, die
sich niemandem -- niemandem anvertrauen konnte in der Qual ihrer
Zerrissenheit.




                           Drittes Kapitel.


»Ja, lieber Sassenbach -- Sie können sagen, was Sie wollen, es war ein
direkter Blödsinn vom General von Ketteler -- ein direkter Blödsinn!
Statt sich einfach auf der Höhe zwischen Mackenrodt und Hettenrodt mit
seiner ganzen Division aufzubauen und unsern Angriff abzuwarten, geht
er über das Aubachtal hinüber bis Nockental uns entgegen --«

»Aber -- Verzeihung, Herr Oberst! -- die Stellung bei Nockental war
wesentlich besser als die bei Mackenrodt -- namentlich seine Artillerie
hatte er hinter den flachen Höhen hier beim R von Rötzweiler ganz
glänzend placiert --«

»Zugegeben!« sagte der Oberst und neigte sich tiefer über die Karte,
die mitten zwischen den zartgeschliffenen Weingläsern, den über die
ganze Tafel verstreuten, nun schon halbverwelkten Astern auf der
Damastdecke lag, dicht neben dem Teller der Hausherrin, die müde
und gelangweilt sich fruchtlos Mühe gab, an dem endlosen Streit
ihrer beiden Tischnachbarn über den Verlauf der gestrigen Übung
pflichtschuldigen Anteil zu heucheln. -- »Zugegeben! -- aber bei der
Wahl einer Verteidigungsstellung kommt's doch vor allem darauf an, daß
man sich anständig aus dem Staube machen kann! Na ... und nun sehen
Sie sich mal diese Rückzugslinie hier an ... zwischen seiner Stellung
und dem Punkt, den er zu decken hatte, der Stadt Idar nämlich, liegen
zwei -- sage zwei! -- Talsenkungen ... zweimal hat er mit seinem
ganzen Schwamm im vollen Bereich unseres Feuers dreihundert Meter über
kahle Höhenzüge hinauf und wieder herunter gemußt! -- und wie sich
die Infanterie massierte auf dem Rückmarsch -- so etwas von einem
Wurschtkessel ist ja überhaupt noch gar nicht dagewesen! Erinnern Sie
sich ... unter dem Berg -- wie hieß er doch --?«

»Der Galgenberg!« lachte der Major.

»Ja, ja ... und wissen Sie auch, wer an dem Galgen baumelt --?«

»Na -- nach ~der~ Kritik versteht sich das wohl am Rande!«

»Allerdings,« erklärte der Oberst, »der Zylinder für Herrn von Ketteler
dürfte fällig sein --!«

»-- und die Brigade frei werden!« lächelte geschmeidig und
beziehungsvoll der Major, der, wenn er wollte, in seiner rauhen Form
ein richtiger Höfling sein konnte.

»Aber nun Schluß mit der Kommißsimpelei, lieber Sassenbach -- unsre
verehrte Frau Gastgeberin wird sonst bereuen, daß sie sich zu uns alten
Knaben gesetzt hat, statt zur Jugend, wohin sie von Gottes und Rechts
wegen gehört --!«

»Oh, bitte recht sehr, Herr Oberst, es hat mich natürlich ganz
außerordentlich interessiert,« log Frau Cäcilie, »nun kann ich mir bei
alle dem, was ich gestern gehört und gesehen hab, auch etwas denken --
dieser heitre Vorbeimarsch gestern abend, das war in Wirklichkeit die
zügellose Flucht eines geschlagenen, fast vernichteten Heeres -- wie
mir übrigens Ihre Nelly, Herr Major, ganz richtig erklärt hat!«

»Ja, die Nelly -- die hat Ahnung!« schmunzelte der Vater.

»Ganz gewiß, meine gnädigste Frau«, sagte der Oberst. »Und gerade
über Ihr niedliches Schlößchen hinweg tobte der Endkampf der beiden
Artillerien ... im Ernstfalle würde von diesem entzückenden Nestchen
wohl nicht mehr viel übrig geblieben sein!«

»Gott ja ... das sieht alles so lustig ... so frisch und freudig
aus, und man vergißt gar zu leicht, was für ein schauerlicher Ernst
dahintersteckt --«

»Ja, ja -- gut wär's, wenn sich unsre jungen Dächse da unten das auch
manchmal ein bißchen mehr zu Gemüte führen wollten -- wir Alten, wir
wissen's ja freilich und werden's nie vergessen! -- was meinen Sie,
Sassenbach?!«

Zärtlich schielten die beiden alten Kämpfer nach dem Bande des
Eisernen Kreuzes im Knopfloch ihrer Überröcke ... zu gleicher Zeit
hoben beide die Gläser und tranken auf das Gedächtnis der großen Zeit
vor neununddreißig Jahren, die sie beide als blutjunge Leutnants mit
durchlebt und mit durchfochten ...

Cäcilie aber hatte nur mit dem Aufgebot ihrer ganzen Haltung dem
Gespräch der beiden alten Herren folgen können ... in ihr schrie die
unverbrauchte Glückssehnsucht ... schrie all das Verlangen, das Fritz
von Brandeis nicht hatte stillen können ...

Gott, wie wunderlich ... wie verrückt ... wie unheimlich rätselschwer
das Leben ... Wie wirbelte es die Schicksale, die Herzen der Menschen
durcheinander ...

Da unten bei lautem Gelächter und Geplauder saßen sie nun einander
gegenüber, die beiden Männer ... saßen inmitten der Kameraden,
schwatzten, tranken, tauschten hundert harmlose, lustige und
tragikomische Manövererlebnisse aus ...

Und wenn dann einmal einer von ihnen beiden in einer unbewachten
Sekunde sich vergaß ... dann sank urplötzlich die glatte Maske ... und
der eine jetzt, der andere nun, starrte tief versonnen in sein Sektglas
... und auf eines jeden Gesicht lag dann plötzlich Spannung, Kampf und
Qual ...

Und das alles ging um sie.

Martin Flamberg hatte einmal in einem solchen Moment der Versunkenheit
rasch und heimlich ein Briefchen aus der Tasche des Überrocks gezogen
und es unterm Tisch mit hastigen Blicken überflogen ...

Cäcilie wußte: ein Brief seiner Braut ... ein Brief des fernen, bang
und selig harrenden Mädchens, dem in wenigen Tagen in Wirklichkeit die
Hochzeitsglocken läuten sollten ...

Gewiß ... das Briefchen sprach von heißer Sehnsucht ... von kaum
stillbarer Erwartung ... von einer süßen Ungeduld, welche die Tage und
Stunden zählte, die sie noch von der Erfüllung trennten ...

Heute war Sonntag, morgen und übermorgen die beiden letzten Manövertage
... und schon Mittwoch sollte Martin Flambergs, des Heimgekehrten,
Hochzeitstag sein ...

Über-übermorgen ... dann war er ihr verloren ... verloren für alle Zeit
--

Aber ... während er das Briefchen überflog, hatte da auf seinem Gesicht
auch nur ein leises, flüchtiges Leuchten des Glücks, der Hoffnung
geflammt --? nein -- quälendes Bangen ... herbe Gewissensnot ...
finsterer Zwiespalt der Gefühle ...

Sie hatte es gesehen und hatte nicht hindern können, daß ihr Herz
aufjubelte vor schamvoller Lust ... vor sündig grausendem Triumph ...

Ja, er sehnte sich nicht nach ... über-übermorgen ... er sehnte sich
-- -- nach einem Tage, der niemals kommen würde -- niemals -- -- oder
nur, wenn wilde, schreckliche Dinge geschehen wären ... lange Monde des
Kampfes überstanden ... Monde der Finsternis ... der Einsamkeit ... des
Elends ...

Und ringsherum in dem kleinen Kreise der lachenden schmausenden
Menschen, der festlich weiß geputzten beiden Mädchen, der
sonnengebräunten wettergestählten Männer konnte ihr heimlich und
ruhelos beobachtender Blick überall den Widerschein innern Erlebens
verfolgen -- --

Finster lauernd wanderten die eiskalten Augen des Regimentsadjutanten,
hämisch funkelnd die des fatalen Oberleutnants Menshausen die Reihe der
Tafelnden entlang ...

Mit zärtlichem Bangen hingen des Backfischleins Blicke an der
stattlichen Gestalt der Schwester, die mit ihrem Tischnachbarn, dem
rotbärtigen, bebrillten Gelehrten im verjährten Landwehrrock, so
versunken und weltvergessen über große und ferne Dinge sprach, als
säßen die beiden zwei einsam auf einer weitentlegenen seligen Insel
und nicht inmitten eines Kreises, in dem jeder jeden kontrollierte, in
dem jede Bewegung, jeder Blick überwacht wurde, ob er auch der strengen
Satzung der Kaste entspreche ...

Ja, selbst unten, wo die ganz jungen Herren saßen, schossen aus dem
fahlen Gesichte des monokeltragenden Herrn Quincke gehässig lauernde
Blicke hinüber ... herüber ...

Nur der blutjunge Avantageur und der kindlich harmlose Carstanjen
freuten sich ohne Hinterhalt der Gunst der Stunde ... futterten mit
Knabenappetit von all den guten, langentbehrten Sachen ... kosteten
mit glänzenden Augen die edeln Weine ... stopften, genäschig wie
Pensionsmädel, Konfekt und Obst ...

Und mit der unerschütterlichen Gemütsruhe einer wohlgeordneten
Daseinsführung, die keine Leidenschaft, keine Herzensstürme kannte,
nichts als brave Pflichterfüllung und maßvoll harmlosen Lebensgenuß
-- selbstgenügsam und selbstzufrieden saß der Leutnant Blowitz
inmitten der Tafelrunde, auch er wachsam, beobachtend, doch innerlich
unbeteiligt ... nichts als Soldat ... nichts als eine Uniform mit einem
Etwas darin, dessen ganzer Ehrgeiz nur war, Ehre zu machen dem Rock, in
dem es steckte ...

Ach, wie beneidenswert ein solches Temperament ... ein solch
unsträflicher, Gott und Menschen wohlgefälliger Wandel ...

War nicht ihr Fritz auch so einer gewesen? -- war das nicht eigentlich
seine Natur ... und die bittern Zweifel ... die jähe Wirrnis, in die
das Schicksal ihn gestürzt -- waren sie nicht über seine Kraft?

Frau Cäcilie sah gar wohl, wie tief er litt ... welch unfaßbare
Anstrengung es ihn kostete, die lächelnde Miene des vornehmen
Gastgebers, des allerwärts liebenswürdigen Wirtes zu bewahren, während
er sein Glück, sein Leben wanken -- wanken fühlte -- --

Wie er ihr so leid tat, ihr guter prächtiger Fritz ... sie litt mit ihm
... in seine Seele hinein ... so mußte eine sorgende Schwester mit
einem herzlich geliebten Bruder leiden ... und konnte sie ihm helfen
... konnte sie --?

Ein Blick in Martin Flambergs Gesicht -- und sie wußte -- der da war
der Herr ihres Lebens ... was er erwählen würde, war ihre Wahl ... was
er von ihr fordern würde, das würde sie tun.

                   *       *       *       *       *

Die Hausfrau hatte die Tafel aufgehoben, und der kleine Kreis der Gäste
schwärmte nun in den Schloßgarten, um den Kaffee zu nehmen.

In tiefem Frieden verglomm der Spätsommertag ... sein letzter Abglanz
lag auf den jenseitigen Höhen ... Dunkelheit umschleierte schon das
Dickicht des Schloßparks, der von den gartenartig angelegten Terrassen
der alten Bastionen her sich an den Abhängen des Beiertales, rechts und
links des Baches, hinzog ...

Vorn, wo zwischen den üppig wuchernden Bosketten heimliche Lauben
winkten, deren weißlackierte Stakete fast völlig unterm dicken Gerank
des Jelängerjelieber, des Pfeifenkrauts, des wilden Weins verschwanden,
erhellten bunte Lampions mit mattem Glimmen die Dämmerung ...

Weiter rückwärts, am Berghang lagerten schon tiefe, schwarze Schatten
über den Wegen, die sich ins Dunkel der Parkgehege verloren.

»Kommen Sie, Herr Frobenius,« sagte Nelly, »ich muß Ihnen jetzt den
Aussichtspunkt zeigen, von dem ich Ihnen bei Tisch erzählte ...
er liegt ganz oben am Parkrand ... wir müssen das letzte bißchen
Tageslicht benutzen, sonst wird es ganz finster, und wir kommen
überhaupt nicht mehr hin ... Ihren Kaffee kriegen Sie später, wenn wir
zurückkommen!«

Ihre Stimme hatte leise gezittert bei den hastigen Worten -- und
Wilhelm Frobenius fühlte sein Herz hoch klopfen, genau unter dem Fleck,
wo auf seinem dunkelblauen Waffenrock die Landwehrdienstauszeichnung
zweiter Klasse sich breit machte, diese geschmackvolle Dekoration,
deren Form die Offiziere des Beurlaubtenstandes mit den altgedienten
Unteroffizieren gemein hatten ...

In einer längst nicht mehr gekannten Erregung folgte er der schlanken
Führerin in die Dunkelheit ...

Ja -- nun kam es, das Unabwendbare ... nun würde er die Frage wagen,
die ihm längst das Herz abpreßte! -- Und natürlich würde sie ihn
auslachen ... schneidend und grimmig auslachen, wenn er überhaupt
so weit kam -- wenn nicht schon vorher irgendeine neue unerhörte
Lächerlichkeit ihm das Wort abschnitt -- --

Herrgott, wenn's nur nicht so finster gewesen wäre! -- Kaum wie einen
matten Nebelfleck konnte er noch das weiße Kleid seiner Führerin
erkennen ...

»Nehmen Sie sich in acht!« klang Nellys Stimme aus der Finsternis, »die
Wege sind sehr schmal ... folgen Sie mir nur, ich weiß genau Bescheid!«

Da -- ein dumpfer Krach! -- Feuer und Funken sprühten dem Gelehrten
durch den Schädel --

»Meine Brille -- um Gottes willen, gnädiges Fräulein, meine Brille!«

»Himmel ... was ist denn passiert?!«

»Ich muß gegen einen Baum gelaufen sein ... meine Brille, meine Brille
ist mir abgefallen ... ich wette, sie ist zerbrochen!«

»Nein -- das ist doch aber auch zu arg -- -- so ein Unglücksmensch, wie
Sie sind ... warten Sie, ich werde suchen!«

Tiefe Finsternis zwischen den Gehegen ...

Nelly tastete sich zurück: »Wo stecken Sie denn eigentlich?!«

»Hier!« klang es kläglich dicht neben ihr.

»So geben Sie mir doch mal Ihre Hand, damit ich überhaupt weiß, wo Sie
sind!«

Frobenius tappte mit der Rechten in die Finsternis und bekam etwas
wunderbar Weiches und Festes zu fassen ... einen elastischen,
lebenswarmen Mädchenarm ... der glitt ihm rasch durch die Finger, und
er fühlte nun die kräftige, leise bebende Hand. -- --

»So, nun warten Sie -- ich werde mich bücken und die Brille suchen!«
sagte Nelly zu Frobenius.

Himmel, wie seine Stirn brannte -- sicherlich hatte es eine tüchtige
Beule gegeben über der Nase ...

»Da, wahrhaftig! Ich hab sie -- aber, o weh: ein Glas fehlt -- und das
andere scheint zerbrochen zu sein!«

»Geben Sie nur her -- ein zerbrochenes Glas ist besser als gar keins!«

»So -- und nun ... nun kommen Sie weiter!«

Sie zog ihn vorwärts an ihrer Hand ... an ihrer lieben, festen Hand ...
o Gott, wie gut das tat, so sicher geführt werden ...

Auf einmal blinkte vor ihnen ein Lichtschein --

»Sieh da -- im Aussichtstempelchen oben hängt ein Lampion, das ist ja
famos!« sagte die Führerin.

Der Achtunddreißigjährige fieberte wie ein Schulknabe.

»So, nun schauen Sie hinaus!«

Da lag das Schlößchen hart unter den zweien, schützend umfangen vom
tiefen Schwarz der ragenden Bergketten hüben und drüben ... wie
eine Märchenfeste schimmernd mit den hellerleuchteten Fenstern, den
flimmernden Lichtschnüren der Lampions zwischen den Gartengehegen ...
Lachen und Gläserklingen scholl herauf ...

Und hier droben die beiden Menschen ... entrückt, entronnen den
lauernden Blicken der Gesellschaft, den hämischen Glossen, dem
liebevoll forschenden Vaterblick ...

So, dachte Nelly, nun sprich du ... nun sprich!

Aber Wilhelm Frobenius sprach nicht.

Der Mund, der so beredt vom Katheder hernieder die Herrlichkeiten
der Dichtung lauschenden Hörerscharen zu erschließen wußte, der noch
vor wenigen Minuten drunten bei Tafel nicht müde geworden war des
feinsinnigen Geplauders über allerhand schöne und gute Dinge, ernste
Fragen des Lebens, der Wissenschaft, der Kunst ... der Mund war
verstummt.

Die haarige Rechte rieb mechanisch, unbeholfen die dick aufquellende
Beule an Stirn und Nasenrücken --

»Haben Sie sich weh getan?«

»Ich sehe nicht das mindeste ... ich bin reinweg wie blind!«

So jämmerlich hatte das geklungen -- Nelly mußte laut auflachen --

Du großer tapriger, hilfloser Junge du ... nun, wenn du nicht sehen
kannst, sollst du wenigstens fühlen! -- Jedenfalls unverlobt geh ich
nicht wieder hinunter ...!

Und mit einer raschen, wie besitzergreifenden Bewegung schob sie ihre
Hand in des Mannes Arm, lehnte sich fest an seine Schulter.

Da warf es den langen Gesellen auf einmal um ... Wie ein schmachtender,
stammelnder Knabe neigte er sich tief, tief hernieder, drückte seine
Lippen auf den festen Arm. »Gott ... Fräulein Nelly ... Nelly ...!«

Da nahm das Mädchen des Mannes stoppelbärtige Wangen in beide Hände,
beugte sich nieder und küßte ihn, wohin ihre Lippen zuerst trafen ...
auf seine kahle Platte.

                   *       *       *       *       *

Molly hatte gewußt, daß er auf sie wartete.

Sie hatte sich sofort nach Aufhebung der Tafel für einen Augenblick
bei der Hausherrin entschuldigt und war in ihr Turmkämmerchen
hinaufgeschlüpft.

Von dort aus konnte man die Chaussee überblicken ... die erhellten
Schloßfenster zeichneten scharfumrissene Lichtplakate auf den staubigen
Straßendamm, und von drüben tauchten die regungslosen Fächeräste der
Buchen in den Glast hinein ...

Schau -- blinkte da nicht in den Büschen des Straßensaumes, halb
versteckt, eine senkrechte Reihe flimmernder gelber Punkte aus dem
Dunkel --? Und konnte dies Phänomen von etwas anderm herrühren denn von
einer blankgeputzten Knopfreihe ...?

Wenn das nicht Hans Friesen war --!

Wie nur aus dem Schloß kommen, ohne gesehen zu werden? Zwar ... die
Dinergesellschaft würde nichts merken, wenn Molly durchs Schloßportal
huschte ... denn die war an der andern Seite im Garten versammelt
-- aber die Dienstboten --? Was würden sie denken, wenn das gnädige
Fräulein aus der Schloßpforte spazierte, um sich auf der Chaussee ein
Rendezvous mit einem Unteroffizier zu geben?

Aber es mußte gewagt werden ... es mußte einfach! -- Der gute Junge
mußte getröstet werden, sonst grämte er sich gar zu sehr über die
Flegelei von diesem Leutnant Quincke ... redete sich am Ende gar
ein, sie wolle nichts mehr von ihm wissen, seit er die erbärmliche
Vergewaltigung seines Vorgesetzten in ihrer Gegenwart hatte
hinunterwürgen müssen ... jedenfalls wollte sie ihm gleich ein Zeichen
geben ...

Sie zündete eine Kerze an, bog sich weit aus dem Turmfensterchen, indem
sie den vollen Schein des Lichtes auf ihr Gesichtchen fallen ließ,
und winkte zugleich mit ihrem Taschentuch -- das flatterte lustig im
Abendhauch, der kühl vom Berge niederschwebte.

Schau -- da löste sich die Knopfreihe drunten aus der Dunkelheit ...
ein grauer Unteroffizierdrillichrock schob sich für einen Augenblick
aus dem Gebüsch in den Bereich der Lichtgevierte ... eine Feldmütze
wurde mit raschem Winken geschwenkt ...

Ach ... du Goldiger!

Nun schnell hinunter! -- Auf dem ersten Treppenabsatz machte sie einen
Augenblick halt, spähte durch ein schmales, schießschartenähnliches
Fensterchen auf die Landstraße hinaus und lauschte, ob drunten die Luft
rein sei.

Schwatzend schäkerten die Mägde in der Küche mit den Burschen, welche
zu ihrer Unterstützung kommandiert waren.

Himmel -- an denen mußte sie vorüber! Na ... vielleicht machten sie
einmal die Küchentür zu ...

Auf einmal hörte sie von der Chaussee her scharfe Worte: »Halt, was da
im Busch steckt! Kommen Sie gefälligst mal sofort 'raus!«

Leutnant Quinckes Stimme! Gott im Himmel -- der mußte spioniert haben!

»Ich befehle Ihnen 'rauszukommen! -- Zum Donnerwetter, komm 'raus,
Kerl, sonst ruf ich die ganzen Burschen zusammen und lasse eine Razzia
nach dir veranstalten!«

In atemlosen Entsetzen spähte Molly auf die Chaussee.

Wahrhaftig -- da stand der Leutnant hart am jenseitigen Chausseerand
und versuchte, ins dichte Gestrüpp des Berghanges einzudringen ... er
griff mit den langen Armen ins Dickicht hinein ...

»Aha, Bursche -- jetzt hab ich dich!«

»Ich bitte Herrn Leutnant, mich loszulassen -- ich komme gutwillig!«

O Gott -- mit einem raschen Schritt trat Hans Friesen aus dem Dickicht
... stand stramm im hellen Fensterlicht ... in Drillichanzug,
Feldmütze, gelben Schnürschuhen ... ohne Seitengewehr ...

»Sieh da, der Herr Einjährige! -- Haben Sie Urlaub, die Ortsunterkunft
zu verlassen?!«

»Nein, Herr Leutnant!«

»So --?! Na, dann scheren Sie sich gefälligst mal augenblicklich ins
Dorf und kriechen Sie in Ihr Quartier! -- Verstanden? -- Ich werde
Sie dem Herrn Kompagnieführer melden -- das weitere findet sich! Ihre
Offizierqualifikation können Sie sich aber einsalzen ... das kann ich
Ihnen schon jetzt sagen! -- Also: kehrt marsch! na wird's bald?!!«

Hans Friesen machte eine stramme Wendung und ging zu Tal ... seine
Schritte verhallten in der Dunkelheit.

Mit zufriedenem Grinsen sah der Leutnant einen Augenblick ihm nach,
dann trat er ins Tor zurück.

Wie der Blitz war Molly die Treppe hinunter ... trat dem Offizier im
Korridor entgegen: »Herr Leutnant -- Sie werden den Unteroffizier
Friesen nicht melden!«

»Ah -- gnädiges Fräulein haben gehört ... das ist ja ein merkwürdiges
Zusammentreffen!«

»Nein, das ist gar nicht merkwürdig ... Herr Friesen hat nämlich ~auf
mich~ da unten gewartet, daß Sie's wissen ... und darum werden Sie
ihn nicht melden ... verstehen Sie mich ...?!«

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, mein gnädiges Fräulein
-- aber Dienst ist Dienst ... der Einjährige hat sich einer
Urlaubsüberschreitung schuldig gemacht ... und somit ist es einfach
meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit --«

»Dann erlauben Sie mir vielleicht die Frage, Herr Leutnant, wie Sie auf
die Chaussee gekommen sind -- auch in Ausübung Ihrer verdammten Pflicht
und Schuldigkeit?!«

»Darüber bin ich Ihnen wohl schwerlich Rechenschaft schuldig, mein
verehrtes gnädiges Fräulein! -- Bei allem Respekt glaube ich das denn
doch aussprechen zu müssen --«

»Nun, dann will ich's Ihnen sagen: Sie haben gelauert ... geschnüffelt
haben Sie -- wie ein ganz elender Spion --! Sie haben sich gedacht, daß
ich mich irgendwo mit dem Einjährigen treffen wollte, und haben uns
aufgepaßt! -- Na, stimmt's?!«

»Ich -- ich bewundere Ihre Kombinationsgabe, meine Gnädigste -- --«

»So -- nun wissen Sie also, daß ich Sie durchschaut habe, Herr
Leutnant! -- und nun will ich Ihnen mal was sagen: Wenn Sie Herrn
Friesen melden, dann mache ich Ihnen einen Krach, wie Sie noch nie
einen erlebt haben -- so wahr ich Molly Sassenbach heiße --!!«

Wie eine Königin raschelte sie von dannen.

Quincke aber machte das dümmste Gesicht seines Lebens -- und ~das~
wollte was heißen.




                           Viertes Kapitel.


Fritz von Brandeis stand an der Treppe, die von der Veranda in den
Garten hinunterführte. Hinter ihm harrten die fünf Burschen, sein
eigener und die vier seiner Gäste, kriegsgemäß in Drillichzeug und
Schnürschuhen, nur durch die Serviette über ihrem linken Arm als
herrschaftliche Leibdiener gekennzeichnet, der Befehle des Hausherrn
gewärtig.

Scharfen Blicks überflog der Hauptmann das lustige Bild des Gartens,
der festlich schimmerte im mattbunten Glanz der Lampions, im gelben
Flimmer der Kerzen auf den Bowlentischen.

Na, alles gut versorgt? -- Jawohl, alles klappte!

Ein alter dicker, runder Mauerturm sprang an der nördlichen Ecke des
Gartens weit ins Gebüsch hinein, das aus dem ehemaligen Burggraben
aufgewuchert. Wilder Wein überrankte hier das weiße Staketengezäun
einer Laube: darinnen saßen die wichtigsten der Gäste bei der
Pfirsichbowle, der Oberst und der Major.

Schau, schau -- auch nach Tisch hatten die alten Herren sich
anscheinend nicht von ihrer Tischnachbarin trennen können!

Und sie, seine Cäcilie -- sie schien ja auch vollkommen zufrieden in
der Gesellschaft der Herren Stabsoffiziere -- hatte heut abend noch
kaum ein Wort mit dem Maler gesprochen.

Na also -- hätten wir uns ja wohl unnötige Unruhe gemacht!

Schoenawa, des Obersten Adjutant, und Menshausen, sein
Manöver-Ordonnanzoffizier, hockten pflichtschuldigst bei ihrem
Kommandeur -- aber wo steckte denn Leutnant Blowitz? -- ah -- er war
des trockenen Tons wohl satt, des beständigen »Schusterns« bei den
hohen Stäben, hatte sich zur Jugend geflüchtet --

Aus der Nachbarlaube, in der auf rundem Tisch gleichfalls eine mächtige
Pfirsichbowle aufgebaut war, klang schmetterndes Gelächter. Dort saß
der Adjutant des ersten Bataillons mit den Offizieren der ersten
Kompagnie, mit Flamberg und Carstanjen. Selbstverständlich war hier
auch der Fahnenjunker von Erichsen zu finden, der immer wieder die
Gläser füllen mußte. Nur die jungen Damen fehlten in der Runde der
Jugend ... wo mochten die bloß stecken ...? und es fehlte auch die
Landwehr ...

Aha -- ach so --!!

Ja, Nellychen, über'n Geschmack ist nicht zu streiten ... aber Sie sind
Manns genug, um selber zu wissen, was Ihrem Besten dient ...

Und das Schwesterchen? -- Auch verschwunden? -- Sieh da!

Und der Leutnant Quincke fehlte ebenfalls -- hm, hm -- -- ~den~
Geschmack hätte man der Kleinen nun gerade nicht zugetraut --

Aber in Gottes Namen!

Heute mochten die zwei losgelassenen Füllen herumspringen, mit wem sie
wollten ... Daß nichts Ernstes aus ihren Flirts wurde, dafür würde im
geeigneten Augenblick die Frau Mama daheim schon sorgen, wie bisher
noch immer ... auf Schloß Hettstein sollten sie jedenfalls machen
dürfen, was sie mochten.

Also alles in schönster Ordnung!

Vergnügt schmunzelnd wandte sich der Hausherr zu der regungslos
harrenden Phalanx der Burschen zurück:

»Na, Jungens, nun könnt ihr euch gegenseitig ablösen! Zwei von euch
haben immer hier auf der Veranda zu warten, die andern drei in die
Küche zum Bierempfang! -- zunächst bleiben Kempges und Schnettelker
hier! -- Die andern drei -- abschwirren!«

Er fühlte sich in Laune kommen.

Zu dumm, sich überhaupt Gedanken gemacht zu haben Cäciliens wegen! Pah
-- ~seine~ Cäcilie --!

Seine Lippen pfiffen leise das Avanciersignal, während er die Treppe
hinuntersprang und quer durch den Garten auf die Jugendlaube zuschritt:
»Tut mir leid, meine Herren, Ihre Hebe muß ich Ihnen für ein halbes
Stündchen ausspannen! -- Sie, kleiner Erichsen, und Sie, etwas größerer
Carstanjen, kommen Sie mal einen Moment her!«

Die Angeredeten schossen in die Höhe.

»Also kommt 'mal raus, Kinder,« sagte der Kompagniechef, »ihr müßt mir
eine Überraschung deichseln helfen. Die Burschen würden mir die Sache
jedenfalls verderben: Ich habe also drüben auf der Wiese jenseits der
Chaussee ein kleines Feuerwerk aufbauen lassen, das müssen Sie beide
mir abbrennen. Kommen Sie mit, ich werde Sie instruieren!«

Blowitz und Flamberg blieben allein bei der riesigen Bowle zurück. Der
Maler trank hastig und sprach wenig. Der Adjutant war auch kein Mann
von vielen Worten. Es wurde still am Jugendtisch.

Und immer wieder zog es Martins Blicke dorthin, wo im matten Lichte
der Lampions ein weißes Frauenantlitz zwischen den gebräunten,
verwitterten, weinerregten Gesichtern der Stabsoffiziere, den
frostigen, lauernden der beiden Oberleutnants stand.

Auf einmal erhob sich dorten die ganze Gruppe und kam die niedrige
Stiege hinunter in den Garten, schritt der hellerleuchteten Veranda zu,
die dem Speisesaal vorgelagert war.

Major von Sassenbach warf einen Blick zur Jugendlaube hinüber: »Ah, da
sitzt ja auch unser Malermeister -- unser Pinselheld! -- Sie, Flamberg,
die gnädige Frau will uns das Bild zeigen, das Sie von ihr gemalt haben
-- kommen Sie doch mal mit! Oder haben Sie's schon auf seinem neuen
Platz gesehen?«

Flamberg sprang auf: »Nein, Herr Major!«

»Also los -- gehen Sie mit uns!«

»Wenn die gnädige Frau gestattet --?«

»Ich bitte darum, Herr Flamberg!«

Blowitz schloß sich ungeladen an.

Zwischen dem Oberst und dem Major schritt Frau Cäcilie voran --
schweigsam, mit verschlossenen Gesichtern folgten die beiden
Oberleutnants -- die beiden Leutnants machten den Beschluß.

Frau von Brandeis führte die Herren durch den Speisesaal, in welchem
die Mägde mit den drei beurlaubten Burschen die Tafel abräumten, und
in die behagliche, ganz als Wohnraum eingerichtete Diele hinüber. Dort
lief die bequeme, breite Treppe zum Obergeschoß hinan, das einen
gleich großen Dielenraum enthielt. Hirschgeweihe, tief nachgedunkelte
Ölgemälde schmückten da die Wände.

Im Emporsteigen drehte die Hausfrau die elektrische Beleuchtung auf,
und man gewahrte, daß von der obern Diele aus mehrere Türen nach den
innern Gemächern führten. Durch eine dieser Türen betraten die Gäste
das Herrenzimmer, das nun ebenfalls auf einen Druck von Frau Cäciliens
Fingern in Lichtfülle erglänzte.

Und sieh! -- Da hing über einem wuchtigen Diplomatenschreibtisch die
Schöpfung Martin Flambergs.

»Ah!« riefen der Major und sein Adjutant.

Die Herren des Regimentsstabes hatten das Bild bereits gestern zu sehen
bekommen, sie waren nicht mehr zur Bewunderung verpflichtet.

Frau Cäcilie tat ein paar rasche Schritte zur Seite. Da stand die Tür
zu einem Nachbarzimmer halb offen. Die gelben Messingstangen zweier
englischen Bettstellen, das lichte Weiß eines Spitzenhimmels leuchtete
aus der Dunkelheit. Ruhig schloß die Hausfrau die Tür.

Stumm hingen aller Blicke an dem Gemälde.

»Aha,« sagte Sassenbach, »das ist also das berühmte Bild!«

»Das berühmte -- wieso?« fragte Frau Cäcilie.

»Nun -- Sie können sich wohl denken, verehrte gnädige Frau, daß das
ganze Regiment von dem Bilde spricht -- ich meine -- ich will sagen
-- wenn eine Dame des Regiments von einem so vielgefeierten Maler wie
unserm Herrn Leutnant der Reserve gemalt wird -- das ist doch natürlich
ein Ereignis!«

Alles schwieg und starrte regungslos zu dem Frauenbildnis hinan.

Das schaute leuchtend herab auf die Herren im Waffenkleid --
leuchtend in einer Hoheit, um die es seltsam wob wie ein Hauch von
Unvergänglichkeit -- von zeitloser Verklärung.

»Fabelhaft,« sagte der Oberst, »ich gratuliere Ihnen, lieber Flamberg!
Ich verstehe nicht allzu viel von Kunst -- aber das da, das imponiert
mir -- ohne Scherz, das imponiert mir --«

»Ja,« sagte Menshausen halblaut, »man möchte sagen: mit Liebe gemalt!«

Der Major warf dem Oberleutnant einen wütenden Blick zu, und jeder
fühlte: taktlos -- unverschämt.

»Nun, Herr Flamberg,« fragte die Hausfrau, ohne den Maler anzusehen,
»sind Sie einverstanden? -- mit dem Platze, meine ich!«

»Dazu müßte ich das Bild erst mal bei Tageslicht sehn! -- So, bei
dieser künstlichen Beleuchtung, allerdings einwandfrei!«

»Sie würden auch am Tage mit dem Platze zufrieden sein -- schade, daß
Sie es so bald nicht in natürlicher Beleuchtung zu sehen bekommen
werden!«

»Schwerlich!« sagte Flamberg.

»Na, lieber Sassenbach, Sie sagen ja gar nichts,« bemerkte der Oberst.

»Tja, wie der Herr Oberst bereits gesagt haben: ich verstehe ebenfalls
nichts von der Kunst!«

»Dann sagen Sie uns doch wenigstens, wie es Ihnen gefällt!«

»Gefallen? -- Tja, Flamberg, Sie dürfen mir's aber nicht übel
nehmen --«

»Aber ich bitte ganz gehorsamst, Herr Major!«

»Ich ... ich finde es eigentlich nicht so recht ähnlich!« sagte der
Major. »Ich finde ... es ist was drin ... etwas, was ich wenigstens
nicht kenne an unserer hochverehrten Frau Wirtin --!«

»Und das wäre?« fragte Frau Cäcilie.

»Ja, wie soll ich das ausdrücken -- so was Fremdartiges ... so was
Unheimliches, möchte ich sagen!«

Cäcilie warf dem Maler einen verstohlenen Blick zu. »Ja, sehn Sie, Herr
Major,« sagte sie, »vielleicht hat Herr Flamberg etwas hinzugetan,
etwas von seinem Eigenen, etwas, das wirklich mehr ist als ich, als
mein Leben -- aber das tun große, starke Künstler wohl immer, meine
ich!«

»Das ist mir zu hoch,« sagte Sassenbach. »Ich kann mir nicht helfen --
ich finde es nicht ähnlich! Es ist was dran, was mir bisher an Ihnen
wenigstens niemals aufgefallen ist!«

»Was Ihnen vielleicht nicht aufgefallen ist, Herr von Sassenbach,«
sagte langsam mit sinnendem Lächeln Frau Cäcilie, »darum ist aber noch
nicht gesagt, daß es etwas Falsches ist ... vielleicht ist's auch doch
nicht was Hinzugetanes ... vielleicht ist's doch etwas, was nur Sie
nicht bemerkt haben, weil Sie mich nicht kennen ...«

»So, und Herr Flamberg, der ... der kennt Sie also besser, meine
verehrte gnädige Frau?!«

Wiederum eine eisige Stille. Regungslos stand der ganze Kreis.
Jeder fühlte: der gute Major hatte da in aller Harmlosigkeit etwas
ausgesprochen, etwas, das -- --

Der Oberst fühlte sich verpflichtet, einzurenken.

»Na, das ist doch selbstverständlich, lieber Sassenbach, daß ein Maler
an ... an den Menschen, die er malt ... daß er da allerlei entdeckt ...
was ... was wir gewöhnlichen Sterblichen nicht zu sehen bekommen ...«

Abermals befangenes Schweigen. Der Oberst bekam einen roten Kopf.

Cäciliens Lippen bebten. Sie litt bis ins Herz.

Gott, all diese plumpen Hände ... die höchste und zarteste Dinge
berührten wie tappige Knabenpfoten holden Schmetterlingsschmelz ...

Wenn nur er selber nicht dabei gewesen wäre ... sie war ihn ja gewohnt,
diesen ungeschlachten Ton ... Diese geraden, einfachen Männer ... was
sie zu verschleiern suchten, trat ungewollt zutage.

Medisance, Bosheit, verständnislose Verketzerung hatten bereits
ein dichtes, trübes Gespinst gewirkt um dies Werk ... um seine
Entstehungsgeschichte ... sein Modell ... seinen Schöpfer ...

Da scholl in das peinliche Schweigen hinein von draußen ein lustiges
Krachen, Knattern, Prasseln.

Frau Cäcilie atmete auf.

Wie der Blitz waren die Adjutanten am Fenster.

Eine Garbe roter Leuchtkugeln schwebte soeben ruhigen Falles aus der
Höhe nieder und goß einen Märchenglast über das schmale, schweigende
Tal, die heitern Linien des friedumschirmten Schlößchens ...

»Hurra, Feuerwerk!« rief Blowitz.

»Feuerwerk -- bravo, bravo, bravissimo!« applaudierte der Oberst
geräuschvoll. »Nein, meine gnädige Frau, so etwas von einer Bewirtung
ist ja überhaupt noch gar nicht dagewesen! -- Zauberfest mit allen
Schikanen!«

»Wollen wir nicht in den Garten?« meinte der Major, »für den ist doch
jedenfalls der ganze Apparat berechnet -- hier geht uns ja die Hälfte
von der Herrlichkeit verloren!«

»Selbstverständlich, meine Herren,« sagte die Hausfrau, »nur schnell
hinunter -- sonst ist alles vorbei, ehe wir am Platze sind!«

Niemand nahm auch nur mit einem Blick Abschied von dem Bilde, das da
droben hing wie ein Gast aus heiligen Fernen ...

Mit kindlicher Eile stürmten die Herren hinunter, um nur ja nicht eine
Rakete, nicht ein Feuerrad zu verlieren -- oder war's die Hast, von dem
Werk hinwegzukommen, das sie alle unheimlich, übergewaltig hatte ahnen
lassen, daß ein Fremdling aus einer unbekannten, hoheitleuchtenden Welt
in ihrer Mitte weilte, aus einer Welt, deren Lebensgesetze wirkten
jenseits ihres Begreifens --? Und auch Frau Cäcilie war gegangen,
hastig, ohne Abschied ...

Langsam, als letzter, schritt der Maler die Treppenstufen hinunter ...

Nun machte er plötzlich kehrt ... stieg langsam wieder empor ...

Er wollte einsamen Abschied nehmen ... Abschied von seinem Werk ...
Abschied von der Sphäre, der es nun angehören sollte wie sein Urbild
... Abschied von der unerhofften süßschaurigen Schickung dieser acht
Wochen ...

Er trat in das Herrenzimmer zurück, warf einen langen Blick in dem Raum
umher.

Der Schwiegervater des Hauptmanns hatte das Schlößchen mit der ganzen
Einrichtung gekauft. Das Zimmer trug noch nicht den Wesensstempel
seines jetzigen Besitzers.

Inmitten des behaglichen, doch konventionellen Prunks war Cäciliens
Bild das einzige besondere Stück, verlieh dem ganzen Raum sein Gepräge,
beherrschte ihn.

Links von der Tür war eine Erkernische, dort ließ sich Martin in einen
unergründlichen Ledersessel fallen. Sein ringsum forschendes Auge blieb
an der Tür haften, die vorhin beim Eintreten offen gestanden ... die
Frau Cäcilie ruhig geschlossen hatte ...

Ja, ja -- da war das Allerheiligste der Gottheit, in deren Vorhof er
hatte weilen dürfen --

Künstlerlos --

Weg, weg, ihr Träume ... nieder, nieder, ihr heißen Dränge ... du
wildanklagender Schrei unstillbaren Begehrens -- nieder, nieder ...

Es galt ja, Abschied zu nehmen ... Abschied für ewig ... Abschied auf
Nimmerwiedersehn ...

Und Martin hob den Blick.

Ja -- das da oben ... das würde fernen Geschlechtern erzählen von einer
Schönheit, die wie ein unbegreifliches, undeutbares Märchen durch eine
nüchterne, seelenlose Welt geschritten war ...

Das würde bleiben von der Schickung dieser acht Wochen ... bleiben
von den hundert bangen Stunden, der Wirrnis schlummerloser Nächte,
dem lautlos grimmigen Ringen zweier Menschen um Fassung und
Entsagungsstärke ...

Das war »der Zweck der Übung« -- hahaha!

                   *       *       *       *       *

-- -- Einer aber hatte aufgepaßt.

Aha, der Herr Malermeister bleibt also zurück, da im Zimmer des
Hausherrn!

Na ja, nun würde wohl alsbald auch die schöne Frau plötzlich
verschwinden, wie sich die beiden andern Damen bereits verflüchtigt
hatten -- niedlich -- sehr niedlich!

So, schöne Frau, heute werden wir quitt, wir zwei! Ich paß dir auf ...
du kommst mir nicht unbemerkt vom Fleck ... das Rendezvous da oben, das
werd' ich dir versalzen ...!

Mit der Hast einer Schar großer Kinder, unter Lachen und Witzen waren
die Herren die Treppe hinuntergestürzt, die Stabsoffiziere voran,
hatten mit Halloh wie ein Schwarm losgelassener wilder Buben den
Speisesaal, die Veranda, den Garten durchtollt und standen nun an der
Brüstungsmauer der Gartenbastion ...

Ah! ah! aaah! --

Auf dem dunkeln Wiesengrunde, jenseits der Chaussee, irrten ein paar
suchende, zitternde Irrlichtflämmchen hin und her in der schwarzen
Finsternis. Von Zeit zu Zeit machten sie Halt, tasteten noch ein
Weilchen auf dem Fleck umher und -- surr! schoß plötzlich eine schlanke
Feuergarbe in die Höhe, zog einen langen, gelbrötlichen Funkenschweif
hinter sich her, zerplatzte hoch droben zwischen dem Sternengewimmel
des schmalen Himmelstreifs, der die schwarzen Mauern des Waldtals
überwölbte, und ein Regen farbig strahlender Lichtballen sank herab ...
die heitern Konturen des Schlößchens, die ruhig träumenden Buchenhänge,
die rankenübersponnenen Laubenstakete, die erhitzten Wangen und
blitzenden Augen der Gäste tauchten jählings in magisch buntem Glanz
aus der Finsternis ...

Jede Rakete, die aufzischte, wurde mit stürmischem Jubel begrüßt, die
schnurrenden Feuerräder, die zischenden und funkensprühenden Kaskaden
mit tosendem Applaus ...

Und inmitten der überschäumend lustigen, von Ruhetagsbehagen mehr noch,
denn von Sekt und Bowle erregten Kriegsleute stand Cäcilie ... fremd
... verwaist ... in einem grenzenlosen Gefühl hilfloser Einsamkeit ...

Sie suchte den Blick des einen, dem sie sich wesenseins fühlte ... und
fand ihn nicht ...

Martin Flamberg war nicht unter der Schar der großen Kinder, die das
sinnlose Zickzackspiel der Funkenlinien und Feuergarben da droben
begeistert bejauchzten ...

Wo war er ...?

Unablässig beschäftigte dieser Gedanke die schöne Frau ... nicht ein
einziges vertrauliches Wort hatte sie heut abend mit ihm sprechen
können, nicht ein einziges! -- Sie hatte sich vor ihres Mannes bang und
schmerzlich beobachtenden Blicken gefürchtet ...

Und auch Flamberg hatte ja nicht den leisesten Versuch gemacht, sich
ihr zu nähern über die Schranken pflichtmäßiger Liebenswürdigkeit des
geladenen Gastes hinaus ...

Das Feuerwerk bedeutete den Schluß des Abends -- das war ja klar.

Noch eine halbe Stunde würden die Gäste beim Bier verweilen ... dann
war's zu Ende ... dann würden die Herren aus dem Dorf sich in ihre
Quartiere zurückbegeben; denn morgen stand ein heißer Tag in Aussicht:
das ganze Armeekorps gegen den markierten Feind, morgen abend Biwak des
ganzen Korps ...

Morgen abend im Biwak würden die Herren sehr ermüdet und
schonungsbedürftig sein ... Fritz hatte sich den Besuch der Damen
ausdrücklich verbeten ...

Und übermorgen Manöverschluß, Entlassung der Reserveoffiziere auf dem
Übungsfeld, Rückfahrt in die Heimat auf dem kürzesten Wege ...

Also -- es war wirklich zu Ende in einer halben Stunde ...
unwiderruflich zu Ende ...

Ihr grauste -- -- --

Und ihre Freundinnen ... wo steckten die? -- Seit einer halben Stunde
verschwunden! -- natürlich beim Flirt --!

Glückliche Kinder, die noch wählen durften ... die noch eine Zukunft
hatten ... noch hoffen konnten auf ein Leben zu zweien, in dem man
zusammenwachsen würde zu immer tieferem Durchdringen ... immer
innigerem Verstehen ...

Cäcilie fror --

Sie schauerte plötzlich zusammen, so heftig, daß der Oberst der neben
ihr stand, sich überrascht zu ihr neigte.

»Gnädige Frau, Sie sollten sich in acht nehmen -- es ist nicht mehr
Sommer! Sie sind zu leicht gekleidet! Es kommt verdammt kühl von den
Bergen herunter!«

Die Leutnants drängten sich heran, bereit, der Hausfrau eine wärmende
Umhüllung zu holen.

»Danke Ihnen tausendmal, meine Herren, Sie würden doch nicht finden,
was ich brauche! -- Übrigens muß ich mich ohnehin mal um die Damen
bekümmern -- ich weiß gar nicht, wo die eigentlich stecken! Verzeihen
Sie einen Moment, meine Herren!«

Gott sei Dank, daß sich ein Anlaß fand, einen Augenblick zu
verschwinden! -- Nur ein paar Minuten allein sein ... nur rasch einmal
die schmerzende Stirn, die brennenden Lider mit einem feuchten Tuch
kühlen ... nur ein paar Minuten still im Dunkeln sitzen und die Augen
schließen ... allein sein ... ganz allein ...

Cäcilie schritt durch den Speisesaal, wo die drei dienstfreien Burschen
leise mit den beiden Mädchen schwatzten, befahl, daß Bier herumgereicht
werden solle, und stieg langsam, schleppenden Schritts, zum Oberstock
empor.

Es trieb sie, sich langhin aufs Bett zu werfen und den Kopf tief, tief
in die Kissen hineinzuwühlen.

Mit müdem Griff öffnete sie die Klinke zu ihres Mannes Zimmer und
fuhr nervös zusammen, als statt der erwarteten Dunkelheit der volle
Glanz des elektrischen Lüsters ihr entgegenströmte, der sie für einen
Augenblick blendete.

Natürlich hab' ich vergessen, das Licht auszudrehen vorhin, dachte sie
und griff mechanisch nach dem Schalter rechts von der Tür --

Auf einmal fuhr zur Linken aus der Tiefe des Klubsessels in der Nische
die Gestalt eines Mannes empor ...

Martin und Cäcilie standen einander gegenüber ...

Starr standen sie beide ... beider Augen schlossen sich einen
Augenblick lang ...

»Noch hier -- Herr Flamberg?« sagte Cäcilie matt und heiser.

»Wie Sie sehn, gnädige Frau ...!«

»Sie ... legen keinen Wert auf das Feuerwerk --?«

Nur ein zuckendes Lächeln, eine entschuldigende Handbewegung brachte
Martin zustande.

»Und Sie, gnädige Frau --?«

»Ich ... ich wollte mich einen Augenblick ausruhn --!«

»Ich gehe!«

»Nein ... nicht ... ich hab' Sie heut ja noch gar nicht recht begrüßt
... Sie sind mir ja ... förmlich ausgewichen ...«

»Sie mir nicht, gnädige Frau --?«

Cäcilie senkte die Augen und schwieg.

Durch die halbe Zimmerbreite getrennt, standen die beiden Menschen
regungslos ...

Das Knattern des Feuerwerks draußen schwieg ... magisch leuchtete das
ruhige Licht bengalischer Flammen auf in den Gartenbosketts und zeigte
das Ende des bunten Schauspiels an.

In unverwelklicher Glorie thronte droben Martin Flambergs Bild ...
unergründlich tief und ruhevoll schauten die Augen des gemalten Weibes
da droben hernieder auf die zitternde Hand, die schweratmende Brust
seines lebenden Urbilds drunten, auf die zusammengepreßten Lippen, die
straff angespannte Gestalt seines Schöpfers ...

»Leben Sie wohl, Martin Flamberg --« flüsterte Cäcilie.

Tief gesenkten Hauptes wandte sie sich zur Tür des Ehegemachs.

»Cäcilie --!« schrie Martin auf.

Da zuckte sie jäh zusammen ... stand mit hängenden Armen abgewandt
einen Augenblick ...

Dann kam der Sturm, warf ihre Leiber zusammen, stieß ihre Lippen
zusammen ...

Und wie sie sich küßten, da hatte jedes von ihnen die Vision eines
bleichen, todesstarren Menschenangesichts.

Cäcilie sah Fritz, wie sie ihn gesehen hatte im Traum der vorletzten
Nacht, im Manöveranzug, die Linke auf die Brust gepreßt, ein zähes Naß
rieselnd zwischen den braunbehandschuhten Fingern hindurch ...

Und Martin war's, als hielte er Agathe im Arm wie beim letzten
Wiedersehn daheim, als sie sich leise stöhnend an seine Brust geworfen
hatte ... jetzt aber erstarrte, erkaltete sie an seinem Herzen ...
schwand hin ... sank in sich zusammen ... eine jählings welkende
bleiche Rose ...

Mit einem wilden Schluchzen befreite sich Cäcilie aus Martins Arm.

»Leb wohl, Martin ... leb wohl --«

Sie hastete zur Tür, ihre Röcke raschelten ... aus dem Dunkel des
Nebenzimmers blinkten die gelben Messingstangen und der weiße
Spitzenhimmel ...

Die Tür fiel ins Schloß.

Und Martin strich mit dem Handrücken über die Stirn ... kalte Tropfen
standen darauf ...

Dann wandte er sich bewußtlos der Korridortür zu ... seine Schritte
wurden Flucht ... er riß die Tür auf und prallte im Rahmen mit Fritz
von Brandeis zusammen.

                   *       *       *       *       *

Aha -- grinste Oberleutnant Menshausen in sich hinein, als die
Gastgeberin sich plötzlich aus der Schar der Zuschauer des Feuerwerks
zurückzog -- aha, also wirklich!

Er gönnte ihr einen kleinen Vorsprung, zog sich dann gleichfalls
langsam aus der Gruppe heraus, die am Rande der Gartenbastion stand,
und schob sich am Saum der Bosketts entlang hinter Frau Cäcilie her ...

Er stockte, als in diesem Augenblick von der Treppe her, die aus dem
Schloßgarten zu den dunkeln Gehegen des Parks hinanführte, ein Paar
herniederstieg ...

Schau, schau ... der Landwehrfritze -- und das ältere Majorsmädel --
und -- -- zog sich nicht in diesem Augenblick langsam ihr Arm aus dem
seinen ...? Sah sie nicht empor zu ihm mit einem Blick, ordentlich
butterweich?

Und sieh -- aus der Tür, die zum Seitenflügel führte, schlich sich da
zu gleicher Zeit das jüngere Fräulein heraus und gesellte sich ganz
harmlos zu den Zuschauern des Feuerwerks -- woher kam denn die --?! Na,
selbstverständlich auch von einem Rendezvous! --

War denn das ganze Schloß des Teufels --?!

Keine Zeit, weiter zu beobachten ... er durfte die Fährte nicht
verlieren ... er trat in die Veranda, ging zu dem Tisch, auf dem
Zigarren und Zigaretten aufgestapelt waren, zündete auch wirklich ein
Papyros an ... beobachtete, wie Frau Cäcilie drinnen Befehle erteilte
...

Im Augenblick, als sie auf die Diele hinaustrat, schlenderte er
harmlos, nachlässigen Ganges durch den Speisesaal, gab seinem Burschen,
der eben mit einem Brett voll Biergläser aus der Küche kam, einen
Auftrag wegen des Sattelns für andern Morgen ... und folgte der
Hausfrau ...

Er hörte ihre müden, unsichern Schritte sich die Treppe hinaufschleppen
... horchte, wie sie eine Tür öffnete und schloß ... und wollte eben
hinterhersteigen, als plötzlich mit hastigen Schritten der Leutnant
Quincke aus dem Küchenflur schoß. Er erblickte den Kameraden und
stürzte auf ihn zu:

»Menshausen, Sie müssen mir einen Rat geben --!«

»Gern -- nachher! Erst müssen Sie mich einen Augenblick entschuldigen
... ich muß schleunigst auf mein Zimmer ... der Oberst, wissen Sie ...
ich soll ... ich soll die Brigadebefehle für morgen früh holen ... bin
im Moment wieder da!«

»Aber so hören Sie doch nur eine Sekunde -- ich hab' eben einen
schauderhaften Auftritt mit der kleinen Molly Sassenbach gehabt! --
Bitte, sagen Sie mir doch bloß, wie ich mich verhalten soll ... Sie
haben mich doch in diese Schweinerei hineingebracht, haben mir doch den
Auftrag gegeben, die Damen ein wenig zu beobachten ...!«

Teufel -- dachte Menshausen ... sollte der dämliche Geselle eine
Taperei gemacht haben und nun die Verantwortung auf mich selber
abwälzen wollen --?!

»Na -- so erzählen Sie schon schnell!«

Quincke berichtete.

Menshausen platzte hell heraus: »Sie sind eine Kraft, Quincke --
allerhand Hochachtung! Sie verdienen, Obereunuch beim Padischah zu
werden! -- Ich hatte Sie gebeten, ein wenig zu beobachten -- und Sie
platzen dazwischen, ehe überhaupt was passiert ist! Na, weiter kein
Unglück --!«

»Aber die Kleine hat mich tödlich beleidigt! Ich werde mich bei ihrem
Vater beschweren!«

»Sie sind komplett wahnsinnig, Herr! -- Danken Sie Ihrem Schöpfer, wenn
die Kleine nicht anfängt! -- Sich beschweren -- hahaha! Das Gesicht von
Sassenbach!! Ne, mein Lieber, die kleine Gardinenpredigt, die stecken
Sie man ruhig ein! Die haben Sie rechts und links 'rum verdient! --
Und nun lassen Sie mich nach oben! -- -- Donnerwetter, da ist der
Hauptmann!«

Munter summend kam Herr von Brandeis aus dem Küchenkorridor: »Na meine
Herren, wie hat Ihnen das Feuerwerk gefallen? -- pompöse Sache, was?«

»Glänzend, Herr Hauptmann -- ganz pyramidal!«

»So -- und Sie stehn hier auf der Diele 'rum und machen offizielle
Gesichter? -- Marsch in den Garten -- jetzt gibt's Münchener! --
Übrigens -- weiß einer von Ihnen, wo meine Frau steckt?«

So, schöne Frau --! Jetzt kommt die Rache des Negers!

»Die gnädige Frau ist soeben die Treppe hinaufgegangen -- ich glaube,
sie äußerte, sie wolle sich etwas wärmer anziehn!«

»Oho -- wärmer anziehn? -- werde mal nach ihr schauen!«

Der Hauptmann schritt die Treppe hinauf. Mit angehaltenem Atem lauschte
Menshausen.

Jetzt also platzte droben die Bombe ...!

»Was horchen Sie denn so gespannt?« flüsterte Quincke.

»Halten Sie den Mund!«

In dem Augenblick, als der Hauptmann die Tür öffnete, war's, als würde
diese von drinnen aufgerissen ...

Ein Ton klang ... ein dumpfer Naturlaut, wie ein Knurren der
Überraschung und des Schreckens ...

Dann hörten die Lauscher, wie der Hauptmann eintrat. Die Tür fiel ins
Schloß. Nichts weiter vernehmbar.

Menshausen fühlte, wie seine Hände flogen vor Erregung ... in dieser
Sekunde überfiel ihn auf einmal eine jähe Scham ... ein angstvolles
Grausen ...

Herrgott -- was geschah jetzt da droben --? Morgen früh würde Blut
fließen!

Und er -- er hatte die Sache zum Klappen gebracht.

Pah -- was ging's ihn schließlich an? Einmal wäre der Krach ja doch
gekommen!

Aber ekelhaft war's doch, zu wissen, daß man selber -- --

Äh ... nichts mehr zu machen!

Vielleicht war ja überhaupt gar nichts passiert? Und die drei saßen da
oben ganz friedlich und vergnügt zusammen --!

Horch -- da ging die Tür wieder auf ... Schritte kamen die Treppe
herunter ... hastige Schritte -- Flamberg -- --

Gesenkten Hauptes, unsichern Ganges tappte der Maler die Stiege hinab,
ohne die beiden Herren zu bemerken, die sich unwillkürlich jeder
in einen Stuhl fallen lassen und Stellungen harmloser Zwiesprache
angenommen hatten.

Er schritt geradeswegs in den Garderobenraum, der vorn neben der
Eingangspforte lag ... kam gleich darauf wieder heraus ... den Helm
schief auf den Kopf gestülpt ... im Begriff, den Säbel umzugürten ...
Kaum konnten die fliegenden Finger die Zunge des Koppelriemens in die
Schnalle bringen ...

Aufschauend bemerkte er die beiden Herren.

Er zwang sein tief erblaßtes, finster verzerrtes Gesicht zu einem
verbindlichen Lächeln: »Nun, Quincke, gehn Sie noch nicht mit ins Dorf
hinunter? -- Wir müssen uns morgen um drei wecken lassen, außerdem
fünfundvierzig Kilometer in Aussicht!«

»Haben Sie sich denn schon von den Stäben verabschiedet?«

»Ne ... ich bin müde, drücke mich französisch! ... Na, woll'n Sie mit
...? Der Weg ist verdammt dunkel!«

»Ich habe Blowitz versprechen müssen, auf ihn zu warten --!«

»So --? Na, dann muß ich also in Gottes Namen allein --! Guten Abend,
meine Herren! -- Wohl bekomm's!«

Säbelrasselnd, beherrschten Ganges schritt er von dannen.

»Donnerwetter! -- sah der aus!« sagte Quincke, »was ist dem denn
passiert?!«

»Was soll ihm passiert sein?« grinste Menshausen. »Kommen Sie --
ich hab' einen scheußlichen Brand in der Kehle von dem verdammten
süßen Zeug, der Pfirsichbowle! Ein Schoppen Münchener wäre nicht zu
verachten!«

Als die Herren durch den Speisesaal schlenderten, kam mit raschen,
festen Schritten der Hausherr hinter ihnen her: »Na, jungen Leute, wie
schaut's draußen aus? -- Hat alles zu trinken?!«

Ein rauher, rostiger, geborstener Klang in seiner Stimme ...

Menshausen wagte nicht, ihn anzuschauen ...

Eine fressende Scham, ein Ekel vor sich selber würgte ihm in der
Kehle ... Zweifellos -- morgen ... morgen ... morgen floß Blut ...
irgendwo ... im Wald ... ein paar hundert Schritt vom Biwak des ganzen
rheinischen Armeekorps. Blut ... Menschenblut ... Kameradenblut ...

Und er ... pfui Deubel ... pfui Deubel ... Er hätte ausspucken mögen
vor sich selber.

In zechenden, plaudernden Gruppen standen die Gäste draußen im Garten
beisammen ...

Als der Hausherr auftauchte, empfing ihn ein rasender Beifallssturm.

Der Oberst rief: »Meine Herrschaften -- unser ritterlicher, glänzender
Gastgeber -- hurra, hurra, hurra -- --!«

Schmetternd widerhallte der Ruf an den Felswänden ... rollte weithin
das dunkel träumende Waldtal entlang ...

»Aber -- wo ist die Königin unseres Festes, unsere schöne verehrte
Hausfrau?!«

»Meine Frau ist leider nicht ganz wohl,« sagte Brandeis im Ton ruhigen
Bedauerns, »sie hat sich gelegt und bittet die Herrschaften, sie
entschuldigen zu wollen! -- Übrigens hat es nicht das Geringste zu
sagen ...«

Allgemeines höfliches Beileid.

Die Mädchen drängten sich an den Hauptmann heran: »Dürfen wir nicht mal
zu ihr hinauf?!«

»Sehr liebenswürdig, meine Damen! Haben Sie schönsten Dank! -- Aber
es ist wohl besser, man läßt sie ganz in Ruhe! Es hat wirklich gar
nichts zu sagen ... nur ein bißchen Übermüdung! -- Bitte, bitte, meine
Herrschaften, lassen Sie sich ja nicht stören!«

»Aber nein, lieber Brandeis, die Herren von drunten waren ohnehin im
Begriff, aufzubrechen! -- Übrigens wird's auch allmählich höchste Zeit
... elf Uhr vorbei -- heiliges Kanonenrohr!«

»Gewiß,« bestätigte der Major, »wir haben mehr Pfirsichbowle
+intus+, als wir vor Gott und Seiner Exzellenz dem Herrn
Korpskommandeur verantworten können! -- Wenn das noch eine halbe Stunde
so weiter geht, brechen wir uns auf dem Heimweg Hals und Beine!«

»Ich gebe den Herren selbstverständlich einen Burschen mit einer
Laterne mit! -- Aber bitte wirklich dringend, meine Herren -- setzen
wir uns wieder zu Biere! -- Meine Frau würde untröstlich sein, wenn
sie wüßte, die Herren ließen sich nicht halten ...«

Gott sei Dank ... sie gingen ... die von drunten ...!

»Aber wenigstens die Schloßbesatzung wird doch noch ein wenig beisammen
bleiben --! Das verlange ich einfach, Herr Oberst!«

»Lieber Brandeis, Ihr Wunsch ist mir heute Befehl -- aber jetzt wird's
wirklich Zeit für uns alle! -- Also -- gute Nacht, mein Verehrtester
...! es war einfach feenhaft ... direkt chimborassomäßig war's ...
verstehn Sie mich ...? Aber nun Schluß! -- Und meine Herren Adjutanten
werden sich auch schlafen legen, sonst werden morgen meine sämtlichen
Befehle falsch ausgerichtet!«

Gott sei Dank ... nun wurde Ruhe ... nun konnte man denken ...
Entschlüsse fassen ... die unvermeidlichen Entschlüsse ...

Leise ... ganz leise klinkte Fritz von Brandeis die Tür zum
Schlafzimmer auf ... lauschte angespannt in das dunkle Gemach hinein
... lauschte auf Cäciliens Atemzüge ...

Vielleicht schlief sie wirklich ... vielleicht hatte es sie übermannt
... es wäre das Beste gewesen ... er fühlte sich so todesmatt ... so
widerstandsunfähig ...

Jetzt nicht mehr fragen ... jetzt nicht mehr Antwort hören ... und
wägen müssen ...!

Gott, wenn sie doch schliefe! -- Dann würde er sich in seinem Zimmer
auf das kühle Bismarcksofa werfen ... sich in eine Decke wickeln ...
und schlafen ... schlafen ... schlafen ...

Wozu noch lange fragen?! -- Was er wissen mußte, wußte er ja doch ...
Er wußte, daß Raub verübt worden war an seinem Allerheiligsten ...
wußte, daß er morgen Rechenschaft fordern würde für diesen Raub ...
morgen, wenn es Tag war ... blutige Rechenschaft ... Rechenschaft
fordern mit Einsetzung seines eigenen Lebens ... Und vielleicht war's
am besten für ihn, wenn's ihn dann traf ... Sein Leben war ja doch
besudelt ... verspielt ... verloren ...

Kein Laut war vernehmbar ... nicht der leiseste Laut ...

Herrgott -- plötzlich -- ein Gedanke -- -- Nein ... das nicht ... das
um Himmels willen nicht ...!!

Mit raschen, leisen Schritten trat Brandeis zu seinem Nachttischchen,
drehte die Birne des rotumschirmten Stehlämpchens auf ...

Da richtete sich vom Nachbarbette die Gestalt seines Weibes halbleibs
empor. Noch völlig bekleidet, hatte sich Cäcilie auf die Überdecke
gelegt. Glasig stierten ihre Augen .. wirr hingen die rostfarbenen
Strähnen um ihr blasses Gesicht ... das stand im roten Licht irr und
verzerrt ...

Fritz stand regungslos ... ein trockenes, kurzes Schluchzen
durchrüttelte seine aufrechte Gestalt ...

»Willst du dich nicht auskleiden ... und dich ordentlich hinlegen,
Cäcilie ...? Ich lege mich nebenan aufs Sofa ...« Wie eine gütige,
sorgsame Bitte hatte das geklungen.

»Fritz ... was ... was willst du tun --?!«

»Darüber ... hat der Ehrenrat ... zu entscheiden ...«

»Du hast -- dem Major schon Meldung gemacht --?«

»Ich tu's morgen früh!«

Cäcilie schlug die Hände vors Gesicht. Der einzige Kuß ... der
Abschiedskuß ... nein, das war ja doch nicht möglich ... das durfte ja
doch nicht sein ...

»Mach dir keine Sorge, Cäcilie ... ich ... schieß ihn dir nicht tot ...
ich ... schieß ihn ... dir ... nicht tot ...«

Da fielen Cäciliens Hände mit einem Ruck in ihren Schoß ... die starren
Augen ruhten auf dem Antlitz des Gatten mit einem langen, seltsam
prüfenden, suchenden Blick ... Ein Staunen glomm in diesem Blick auf
... ein großes Sichwundern ...

Plötzlich ein zages Pochen an der Tür. Fritz fuhr zusammen: »Was gibt's
--?«

»Verzeihen Herr Hauptmann, wenn ich störe!«

»Was haben Sie denn, Fräulein?«

»Der Bursche vom Herrn Major ist draußen mit einem dringlichen Befehl
-- von der Brigade, sagt er!«

»Ich komme --!«

Das Fräulein stand draußen mit einem Meldekartenbriefumschlag: »An
Hauptmann von Brandeis.«

Mit Bleistift von der Hand des Majors gekritzelt, drei Kreuze dabei.
Sehr dringlich also. Der Hauptmann riß den Umschlag auf:


      »Bataillonsbefehl!

   Auf Befehl der Brigade: Hauptmann von Brandeis meldet sich morgen
   früh 4,30 beim Herrn Brigadekommandeur als Adjutant für den Rest
   der Herbstübungen an Stelle des durch Sturz mit dem Pferde heute
   morgen zu Tode gekommenen Hauptmanns Goettig. Die erste Kompagnie
   führt Leutnant der Reserve Flamberg.

      v. Sassenbach.«


Ruhig zog Brandeis die Uhr, notierte die Zeit des Eingangs, elf Uhr
fünfundvierzig, auf den Umschlag der Meldekarte und gab die Hülle
zurück: »Das bekommt der Bursche! -- Wilhelm soll mich bereits um halb
drei wecken! Frühstück um drei! -- Gute Nacht, Fräulein!«

»Gute Nacht, Herr Hauptmann!«

Einen Augenblick stand Fritz von Brandeis in tiefem Sinnen.

Hauptmann Goettig durch Sturz mit dem Pferde zu Tode gekommen ...
schauerlich ... Eine glänzende Laufbahn jählings mitten durchgerissen
... eine Frau und vier Kinder des Ernährers, des Beschützers
beraubt ...

Und er also der präsumtive Nachfolger ... mutmaßlich für die Dauer ...
Also Brigadeadjutant +in spe+ ... das bedeutete --

Pah -- ein bitteres Lächeln spielte um des Hauptmanns Lippen. Morgen
... spätestens übermorgen stand er mit der Waffe in der Hand dem Manne
gegenüber, der seines Weibes Mund geküßt ... ihm seines Weibes Herz
entrissen ...

Auf den Trümmern eines solchen Glücks baut man keine -- -- Karriere auf
...

Der andere ... der war der Sieger ... war der Stärkere ... wenn einer
von ihnen bleiben sollte ... dann mußte natürlich er selber es sein ...
er, der meritenlose Soldat ... der unbedeutende Mann seiner reichen
Frau, die nun auch ihr Herz von ihm gewandt hatte ... ihr Schicksal von
dem seinen trennte ...

Für einen solchen Adjutanten würde der General sich bedanken -- wenn er
überhaupt noch in die Lage kam ...!

Schwerfällig ging der Hauptmann zum Schlafzimmer zurück, steckte den
Kopf zur Tür hinein: »Gute Nacht, Cäcilie!«

»Was war's ... was hat's gegeben?« stammelte die Stimme seines Weibes
aus der rötlichen Dämmerung.

»Nichts von Bedeutung ... bin für morgen abkommandiert, muß eine halbe
Stunde früher fort ... Gute Nacht!«

Er schloß die Tür, wandte sich ab, hakte mechanisch den Kragen seines
Waffenrocks auf.

Auf einmal klang's hinter ihm: »Fritz ...«

Brandeis fuhr herum ...

Cäcilie stand an der Tür. »Fritz ... warum kommst du denn nicht zu mir
hinein ... Fritz --?«

»Ich ... schlaf auf dem Sofa ... hier draußen ... oder ist es dir
lieber, wenn ich schon heut abend ... fortgeh --? hier ... das alles
... gehört ja dir ...«

»Fritz! nein -- nein ... alles ist dein -- dein ganz allein ... ich
auch, Fritz -- ich auch --!!«




                           Fünftes Kapitel.


Das rheinische Armeekorps biwakierte gegen den markierten Feind.

Der Spätsommerabend überdeckte mit sammetnen Fittichen das gewaltige
Bergplateau des Hunsrücks zwischen Idarwald und Hochwald.

Und in die Nacht hinein in endloser Reihe loderten die Lagerfeuer
weithin über die endlose Ebene. Überall feierten die Mannschaften das
lustige Fest des Löffelbegrabens:

Die Leute des zweiten Jahrgangs, die unmittelbar nach Manöverschluß
in die Heimat entlassen werden würden, schmückten, Kompagnie für
Kompagnie, einen mächtigen Baum mit Strohschleifen, und ein jeder
hängte vom Inhalt seines Tornisters hinein, was nun ausgedient
hatte, seinen Eßlöffel, seine abgewetzte Stiefelbürste, Putzlappen,
Knopfgabeln ...

Die wunderliche Trophäe wurde unter derben Soldatenspäßen und
unablässigem Absingen des Reserveliedes durch das Lager getragen und
schließlich mit Hallo und Kinderjubel in die Glut des Biwakfeuers
versenkt.

Heimatstimmung ... Heimkehrseligkeit überall ...

Heimkehrseligkeit --?!

Leutnant Flamberg saß mit Carstanjen und dem Fahnenjunker vorm
Offizierszelt der ersten Kompagnie.

Ihren Kapitän hatte die Königliche Erste heut nur von weitem zu Gesicht
bekommen, wenn die kleine Kavalkade vorübersprengte, über welcher die
diagonal geteilte schwarz-weiß-rote Standarte der Brigade flatterte.

Und Martin Flamberg hatte den ganzen Tag darauf geharrt, daß Major von
Sassenbach, der Vorsitzende des Ehrenrats, ihn zitieren würde ...

Dabei trug er einen Brief in der Brusttasche seines Dienstrocks, einen
Brief vom Samstag, der nur das eine Wort erhielt:

»~Über-über-übermorgen~ --!!!!!«

Gott im Himmel! ... dort in der Ferne harrte seiner die sehnende Braut
... und er ... er wartete auf den Befehl, sich zu verantworten, weil er
das Weib eines andern berührt ...

Wohl war es ein Abschiedskuß gewesen ... aber er würde mit seinem Leben
dafür einzustehen haben ...

Das hatte an seinen Nerven gerissen den ganzen Tag ... hatte wie
mit Keulen immerfort auf seinen Schädel eingedroschen, bis er ganz
stumpfsinnig und apathisch geworden war ...

Nur der Soldat in ihm, der hatte funktioniert ... mechanisch ...
unfehlbar sicher ...

Obwohl er zu Fuß war, hatte er seine Kompagnie ganz anständig durch die
Wechselfälle des heißen Marsch-, Gefechts- und Biwaktages geführt. Und
Major von Sassenbach hatte ihm mehrfach aufmunternd zugenickt: »Ich
werde Ihnen eine ganz passable Konduite schreiben können, Flamberg --!«

Was hatte der Major nur heute? -- Er war den ganzen Tag so merkwürdig
vergnügt --?

Durch Martins Herz aber zog immerfort das Erinnern jener wenigen
furchtbaren Sekunden, in denen er dem Manne gegenübergestanden, dem er
das tiefste Leid seines Lebens zugefügt:

»Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Herr Hauptmann ...!«

»Sie werden morgen von mir hören!«

Keine laute Szene -- kein wildes Wort der Wut -- des Grimms.

Ein paar eisig korrekte, formelhafte Wendungen -- und doch in jeder
Silbe der unsühnbare Haß -- die Feindschaft bis aufs Messer -- der
Racheschrei -- die Todesdrohung!

Und heute -- rätselhaftes Schweigen. -- --

Gott -- der Grund war leicht einzusehen: der Hauptmann war zur Brigade
kommandiert -- der Dienst ging allem andern vor -- es hatte an jeder
Gelegenheit gefehlt, die Meldung an den Ehrenrat zu erstatten.

Aber diese Situation war gräßlich -- sie erstickte die Kraft des
Widerstandes -- machte stumpfsinnig und wehrlos.

Der Gedanke an Cäcilie war wie das Erinnern eines fernen, schaurig
holdseligen Traumes.

Der Gedanke an Agathe folterte das Herz noch tiefer mit schmählicher
Scham.

Und aus dem innersten Herzensschacht kroch die Reue herauf -- die Reue
um unwiderbringlich Verlorenes -- um ein ganzes, großes, herrliches
Leben des Schaffens, des Genießens -- um ein Leben voll Liebe und
Schönheit -- voll freudigen Gebens und dankbaren Nehmens.

Alles war hingeworfen -- vergeudet um eines Augenblicks haltloser
Leidenschaft willen.

Reue -- Reue --

Und eines nur hatte Bestand im gestaltlos wogenden Getriebe der
anklagenden, schamvoll zerrissenen Empfindung.

Dies eine Wissen: daß man einstehen werde für das eigene Tun --
regungslos -- eisernen Herzens -- ohne Wimperzucken -- bis ans Ende --
bis ans Ende.

Mannesehre ... Soldatenehre ... Offiziersehre -- wahrhaftig, doch kein
leerer Wahn das alles -- --!

Wenn es eine Sühne gab auf Erden, dann war es die: klaglos die
Stirne, die Brust hinhalten der rächenden Kugel ... stumm und stolz
zusammensinken ... hinabtauchen in den läuternden Tod ...

So sann Martin Flamberg. Und neben ihm in behaglichem
Verdauungsschweigen hockten mit übergeschlagenen Beinen auf ihren
Kisten die beiden blutjungen Knaben, der Leutnant, der Fahnenjunker ...
unkund der Schrecknisse des Lebens, der Leidenschaft ...

Und ringsum jubelte die Heimatsehnsucht von zehntausend jungen
Gesellen, die nach zwei Jahren in Königs Rock übermorgen in trunkener
Wiederkehrwonne nach Hause flattern würden.

Nach zwei Jahren, die ihnen mehr, weit mehr gewesen waren, als sie heut
ahnen konnten, als ihnen vielleicht jemals zum Bewußtsein kommen würde
...

Zwei Jahre, in denen sie Soldaten gewesen waren ... in denen ihr Leben
seiner Vereinzelung, seiner Kleinlichkeit und Alltäglichkeit entrissen
worden war und eingegliedert in die großen Verhältnisse, das mächtige
Leben der Gesamtheit ... der Nation ... des Volkes ...

Zwei Jahre, in denen sie aus Gelsenkirchenern und Rheydtern, aus
Erkelenzern und Neuwiedern zu Preußen ... aus Maurertagelöhnern
und Bandwirkern, aus Feilenhauern und Ackerknechten zu wehrhaften,
waffengeübten Soldaten geworden waren ...

Ach ja, wohl war's manchmal scharf hergegangen in den zwei Jahren --
aber das alles war ja nun überstanden ...

Was bleiben würde ... was sie mit nach Hause nahmen ... war's zu
verlangen, daß sie das heute schon begriffen -- vielleicht überhaupt je
begreifen lernten?!

Doch würde mancher vielleicht nach Jahren aus dem täglichen öden
Einerlei der Berufsarbeit, aus der Enge beschränkter, kinderreicher
Häuslichkeit mit Dankbarkeit und Sehnsucht zurückdenken an die zwei
Jahre in Luft und Sonne, in Waffenglanz und munterm Kampfspiel »auf
grüner Heid -- im freien Feld«!

Heut freilich -- heut hatten sie alle nur den einen Gedanken:
übermorgen geht's zu Muttern!

Und unablässig, immer von neuem klangen übers weite Feld die Weisen der
Reservelieder:


  Nun scheiden wir aus eurem Kreise
  und ziehen aus den bunten Rock!
  Wir treten an die Heimatreise
  mit einem Reservistenstock.

  Geschlossen geht es aus dem Tore
  zum letzten Mal vergnügt hinaus.
  Die Mütze sitzt auf einem Ohre,
  und keine Waffe schmückt uns aus!


»Herrgott von Bentheim!« fluchte Leutnant Carstanjen, »dieses verdammte
Reservistengegröhle wächst einem, weiß der Himmel, zum Halse heraus!«

Flamberg lächelte: »Das wird Sie wohl Ihr ganzes militärisches
Leben hindurch begleiten, lieber Freund! Und wenn Sie sich einmal
die Mühe geben wollen, sich in die Gefühle der Burschen, die da
singen, hineinzuversetzen, dann wird's Ihnen seltsam wohl und weh
dabei werden -- dann werden Sie anfangen, die Würde des hohen und
herrlichen Berufs, den Sie haben, ein wenig tiefer zu begreifen! --
Was da singt und jubelt, das ist das Heimatverlangen der deutschen
Jugend, die euch anvertraut ist zur Erziehung in Waffenkunde und
Mannhaftigkeit. -- Die Gefühle, mit denen diese Leute das Reservelied
singen, sind die Gradmesser für eure Berufstüchtigkeit -- wenn sich
in diese Heimkehrseligkeit nicht auch ein unverstandenes Gefühl von
Abschiedswehmut mischt, wenn diese Leute nicht in spätern Jahren mit
leuchtenden Augen und geheimem Erinnerungsschmerz am Stammtisch, im
Familienkreise, in der Schar ihrer Kinder von der Zeit erzählen, da sie
den bunten Rock trugen -- von Ihnen erzählen, kleiner Carstanjen --
ihrem muntern, liebenswürdigen kleinen Zugführer, dem es zwar zuweilen
auf eine Handvoll Schweinehunde und Kamelsnasen nicht ankam ... der
aber doch im Grunde seines Herzens ein todguter, lebensfreudiger und
grundehrenwerter Junge war, der in seinen Rekruten und alten Kerlen
etwas mehr sah als bloß die Objekte einer lästigen, stumpfsinnigen
Berufstätigkeit -- wenn das nicht so wäre -- dann sähe es schlimm aus
um unser deutsches Heer ... um unser deutsches Volk ...«

»Jesses, Jesses, er predigt -- die Reserve predigt!« rief Carstanjen
mit komischem Entsetzen und doch innerlich gepackt -- ein wenig
geschmeichelt -- ein wenig ergriffen aber auch -- »Junker, schnell 'ne
neue Pulle! --«

Da trat ein Füsilier, es war der Pferdebursche des Majors von
Sassenbach, zu den Herren heran, stand stramm: »Der Herr Major läßt die
Herren Offiziere bitten, ins Bataillonsstabszelt zu kommen zu einer
kleinen Bowle!«

»Wir werden kommen!« sagte Flamberg. »Ja, einer von uns muß natürlich
bei der Kompagnie bleiben -- also zunächst mal Sie! Ich löse Sie
nachher ab -- also auf Wiedersehen!«

Ein siedender Schreck hatte Martin plötzlich durchzuckt, als die
Ordonnanz des Majors herangekommen war ... Auf die hatte er ja den
ganzen Tag gewartet ...

Und nun erging der Ruf zu einem fröhlichen Zechen --!? Also die Stunde
der Abrechnung war noch immer nicht da ... der Major wußte noch von
nichts ...?!

Natürlich, jetzt saß Brandeis drüben im Dorfe, wo der Brigadestab lag,
mit seinem General zusammen, studierte die Korps- und Divisionsbefehle
für morgen -- redigierte den Brigadebefehl -- --

Da blieb ihm keine Zeit, an seine eigenen Angelegenheiten zu denken --
mochten sie auch noch so dringlich ... noch so unaufschieblich
sein ...!

Im Hinschreiten ließ Flamberg seine Blicke über das weite Lager
schweifen ... Die Dämmerung sank hernieder .... die frühe Dämmerung des
Spätsommerabends ... hinter dem fernen braunen Strich des Idarwaldes
verglomm der letzte Tagesglast ...

Endlos hin über Berg und Tal zog sich das Biwak des Korps ... und
überall dieselbe Szene ... die lodernden Feuer mit den rastenden,
schmausenden, singenden jungen Männern drum herum ... überall niedere
Leinwandzelte ... Gewehrpyramiden ... Posten vor der Fahne ... Ein
ergreifendes Bild ruhender, gesammelter Volkskraft: »Lieb Vaterland,
magst ruhig sein ...«

Ach -- und immer wieder fühlte er dann den jähen Ruck am Herzen ...

Was hast du getan -- und was wird werden -- --?!

Wie anders müßte mir nun zumute sein ... wie leicht ... wie dankbar ...
wie voll Hoffnung ... voll überströmender Glückshoffnung -- Und wie ist
mir nun ...

Unmännlich hab ich mich hingegeben an diese Leidenschaft, die ich hätte
bekämpfen müssen von Anbeginn ... ausroden wie ein holdselig blühendes,
berauschend duftendes Giftgewächs ...

Ich hab sie wachsen lassen ... und eine einzige Sekunde hat mein Leben
... meine Zukunft ... mein Glück vernichtet ... ~Mein~ Glück ...

~Meines~ nur ...?

Und ~sie~ ... Agathe ... das vertrauensvolle Mädchen, das sein
Geschick in meine Hand gelegt hat ...?! Ach, Himmel, wenn sie ahnte ...

Und das, was kommen kann ... was kommen muß ...

Nein, nein -- nicht dran denken ... hinwegscheuchen die grausigen
Bilder alles dessen, was kommen wird --

Gespielt mit dem Heiligsten ... gedankenlos ... haltlos ... gewissenlos
...!

Im Künstlerübermut ... im Rausch des Machtgefühls hineingegriffen in
die festgefügte Ordnung, welche diese Lebenssphäre beherrscht, in die
der Dienst des Königs, des Vaterlandes mich, den Mann aus Kreisen
leichterer, freierer Daseinsführung, hineingeführt ...

Nein, das ging nicht ... das paßte nicht zusammen ... Entweder -- oder!
Nur zu einem Spiel ... nur zu einem Anlaß künstlerischer Sensationen
war das Gewand zu gut, das er trug, der Stand, dessen Zeichen es
war ...

Eine Offizierübung ist kein malerischer Motivenschatz ... die Ehe eines
Fritz von Brandeis ist kein Modellbureau ... Entweder -- oder! Entweder
man ist Offizier -- oder man ist es nicht! --

Nun ... er würde sühnen ... seine Schuld bezahlen ...

In tiefem Sinnen war Flamberg stehen geblieben am Rande des Gehölzes,
welches das Biwak deckte.

Nun hörte er plötzlich seinen Namen rufen: »Flamberg! Sie, Flamberg!«

Das klang vom Bataillonszelt her ... Die Kameraden hatten ihn entdeckt.

Er trat hastig näher.

»Na Meister ... bißchen Stimmung geschunden ... bißchen photographiert
für den Winter?! So, nun kommen Sie mal 'ran ... die Bowle ist prima,
prima ...« so klang's durcheinander.

Der Major thronte inmitten der Tafelrunde, die sich auf Feldstühlen,
Kisten und Koffern um den grauen Klapptisch gruppiert hatte, der ein
Vorrecht des Bataillonsstabes war. Sein Gesicht war gerötet, die
zerknitterte Manövermütze saß ihm im Genick, den Kragen des Waffenrocks
hatte er aufgehakt ...

Und an seiner rechten Seite saß der Leutnant der Landwehr Frobenius
... seine Brillengläser funkelten ... seine klugen Augen leuchteten
so seltsam ... die rotumbarteten Lippen zuckten wie in freudiger,
festlicher Erregung ...

»So, lieber Dormagen,« sagte der Major mit einer gewissen Feierlichkeit
zu dem jüngsten der Herren des Bataillons, dem eleganten Referendar aus
Koblenz, »nun füllen Sie gefälligst mal alle Gemäße --!«

Schäumend floß der Kasinosekt über die Ränder der Emaillebecher, der
Bierseidel, der henkellosen Kaffeetassen ...

Und Sassenbach erhob sich: »Meine Herren -- ich weiß, daß ich Ihnen
allen eine Freude machen werde mit dem, was ich Ihnen jetzt mitzuteilen
habe: Erstens -- unser verehrter Kamerad, Herr Frobenius, bislang
Privatdozent der Literaturgeschichte an der Universität Bonn -- ein
Herr, der in den acht Wochen, während deren er inmitten unseres
Regiments geweilt hat, trotz gewisser -- hm hm -- -- anfänglicher
Schwierigkeiten ... trotz einer gewissen Vorliebe für den Aufenthalt
in Froschtümpeln und auf Parkettböden ... die uns ein wenig befremdet
hat ... auf die Dauer unsere größte kameradschaftliche Hochachtung und
Sympathie erworben hat -- dieser Ihnen wohlbekannte Herr hat soeben
einen telegraphischen Ruf als ordentlicher Professor an die Universität
Tübingen erhalten -- --«

Das gab einen Sturm --!

Ja, wahrhaftig, sie mochten ihn alle leiden, den bescheidenen,
gutmütigen, pflichtgetreuen Mann ...

»Famos ... tadellos ... bravo, bravo Frobenius ... gratuliere
tausendmal ...!!«

»Halt, meine Herren!« überschrie der Major den Tumult, »ich bitte
dringend um Ihre Aufmerksamkeit! -- ich bin nämlich noch nicht zu Ende
--: Ich habe die angenehme Pflicht, Ihnen die Verlobung meiner Tochter
Nelly mit --!«

Weiter kam er nicht -- keiner verlangte, den Namen des Erkorenen zu
wissen.

Es gab einen Jubel, daß an allen Lagerfeuern des ganzen Bataillons
alle Köpfe dorthin sich wandten, wo bei der Fahne auf einer leichten
Bodenerhebung die Herren vorm Bataillonszelt tafelten ...

»Das Brautpaar: hurra, hurra, hurra -- --!«

Und vor versammeltem Kriegsvolk nahm der Major seinen Schwiegersohn
beim Kragen und preßte seine langwallenden Schnurrbartzipfel auf den
roten Bart des Herrn Professors.

                   *       *       *       *       *

Wenige Minuten vor neun Uhr ließen die Kompagnieführer ihre Leute bei
den Gewehren antreten. Es war kühl geworden, die Mäntel hatten schon
längst angezogen werden müssen ...

In langen dunkeln Reihen standen die Kompagnien ... es kam der
Augenblick des Abendgebets.

Die Kompagnieführer standen vor der Front, die Zugführer am rechten
Flügel ihrer Züge.

Und nun erklang von rechts her in ruhig heiterm Schreiten das
Schmettern der Regimentsmusik ... sie spielte die alte stolze Weise des
»Großen Zapfenstreichs« ...

Langsam marschierte das Musikkorps, die Spielleute aller drei
Bataillone voran, an der Front des ganzen Regiments vorbei, dessen drei
Bataillone ihre Biwaks nebeneinander aufgebaut hatten ...

Gelblich leuchteten die Instrumente auf im Widerschein der Lagerfeuer
...

Und aus der Ferne von rechts und links kam's wie ein Widerhall ...
dort, wo die andern Regimenter des Korps biwakierten, vollzog sich die
gleiche Feierlichkeit ...

Nun war die Musik am linken Flügel des dritten Bataillons angekommen,
sie machte kehrt, zog abermals vor den dunkeln Massen der lauschenden
Truppen entlang bis in die Mitte des zweiten Bataillons, in die Mitte
der ganzen Regimentsfront. Da machte sie halt.

Hier stand der Oberst mit seinem Stabe. Er gab mit weithin schallender
Stimme das Kommando: »Mützen ab zum Gebet!«

Die Bataillonskommandeure, die Kompagniechefs wiederholten den Befehl.

Alle Mützen flogen von den Köpfen ... ein tiefes, andächtiges Schweigen
lagerte über dem nächtigen Plan ...

Nun scholl ein dumpfer, langhinrollender Trommelwirbel ... die
achtundvierzig Tambours des Regiments ließen leise rasselnd ihre
Schlägel auf die entspannten Kalbfelle niederfallen ... darüber
schwebte ein leiser, flehender Triller der Flöten ... und nun setzte
der volle Ton der Trompeten, Tuben, Posaunen ein mit herzerschütternder
Choralmelodie ...


  »Ich bete an die Macht der Liebe,
  die uns vom Himmel offenbart ...
  ich geb' mich hin dem freien Triebe,
  mit dem ich je geliebet ward.
  Ich will, anstatt an mich zu denken,
  ins Meer der Liebe mich versenken ...«


-- Das griff in jede Brust ... übergewaltig ... versöhnend ... Frieden
spendend ... Himmelsfrieden ..

Stumm ... regungslos lauschten die zwölfhundert jungen Männer im
Waffenrock der Niederländer Füsiliere ... und alles weithin übers
endlose Waffengefild lauschte ... sie alle, die jugendschwellenden,
hochaufschauernden Kriegerherzen ...

Und keiner ... keiner war so arm ... so heimat- und friedlos, daß er
nicht an ein Liebes hätte denken können, dessen Herz in weiter Ferne
für ihn schlug ...

Martin Flambergs Herz aber schrie auf in wildem Gram ... in fressender
Reue ...

Agathe ... Agathe ...!!

»Mützen auf -- weggetreten --!«

-- Als Flamberg sich umwandte, dem Kompagniezelt zu -- stand plötzlich
der Hauptmann von Brandeis hinter ihm: »Guten Abend, Flamberg -- haben
Sie einen Moment Zeit für mich?!«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann!«

»Kommen Sie ... wir gehen ein paar Schritte in den Busch hinein ...«

Stumm folgte Martin Flamberg -- in seinem Kopf und Herzen war ein
brandender Schwall -- er konnte nichts denken -- nichts fühlen ...

Unter der vordersten Buche des Gehölzes machte der Hauptmann halt.
Dicht standen die Männer einander gegenüber ... ihre Gesichter
schimmerten nur schwach im Widerschein der Biwaksfeuer ...

»Wir wollen nicht viele Worte machen, Flamberg ... Sie haben mir sehr
... sehr weh getan ... wissen Sie das ...?«

»Ich weiß es, Herr Hauptmann!«

»Was Sie sich dabei gedacht haben -- Gott mag's wissen! -- Ich will zu
Ihren Gunsten annehmen, nicht allzuviel! -- Ich will Ihnen auch nicht
Moral predigen -- ich wette, das haben Sie selber genügend besorgt
in den Stunden seit ... seit gestern abend ... also zur Sache: es
ist der Wunsch meiner Frau ... daß Sie und ich uns ... friedlich ...
auseinandersetzen. Ich respektiere diesen Wunsch ... und ... ohne daß
Sie erst darum zu bitten brauchen ... soll Ihnen verziehen sein.«

»Herr Hauptmann!« stammelte Martin.

»Ich versteh das alles ja sehr gut ... Sie sind -- wie sagt man doch --
eine glänzende Erscheinung ... ein außergewöhnlicher Mensch ... eine
Berühmtheit ... Ich bin ein einfacher Soldat ... Aber ich hab diese
Frau sehr lieb ... ganz gewiß lieber, als irgendein anderer Mensch sie
haben kann ... und schließlich bin ich doch am Ende ihr Mann, nicht
wahr?! Also kurz: Meine Frau hat mir erzählt: was zwischen euch beiden
geschehen ist, gestern abend ... das ist ein Abschied gewesen ... Nun
-- so will ich's denn als ... Abschied ... gelten lassen. Nur eins
versprechen Sie mir, Flamberg, nur das eine: halten Sie das Angedenken
dieser Frau in Ehren ... in hohen Ehren, Flamberg! wollen Sie mir das
versprechen ...?«

»Das -- -- versprech ich ... Herr Hauptmann!«

»Nun noch eins -- Sie heiraten ja übermorgen ... Sie müssen Ihrer
jungen Frau einmal ... erzählen ... was Sie getan haben ... nicht jetzt
... nicht im Flitterwochenrausch ... später einmal, wenn ihr euch
beide kennt ... dann sollen Sie's ihr erzählen ... das wird euch zwei
zusammenketten, das ... und Sie vor mancherlei bewahren, was vielleicht
... noch kommen könnte ...! Werden Sie das tun --?«

»Ich werd's tun, Herr Hauptmann!«

»Ich danke Ihnen -- und nun ... ich hab morgen Dienst beim Herrn
General, und wir werden uns vor Ihrer Entlassung wohl kaum mehr sehen
... also ... leben Sie wohl ...!«

Er streckte dem Kameraden die Rechte hin. Flamberg schlug ein -- er
konnte nicht reden.

»Soll ich ... Cäcilie ... einen Gruß ... von Ihnen bestellen ...?«

»Ich ... bitte darum, Herr Hauptmann ...!«

»Ich werd's ausrichten! -- Addio, lieber Flamberg!«

Noch einmal drückte der Hauptmann kräftig Martins Rechte ... legte die
Hand an die Mütze ... schritt rasch von dannen ...

Und Flamberg ging langsam zu seiner Kompagnie.

Begnadigt! -- Dem Leben ... der Heimat ... der Braut wiedergeschenkt
...

Begnadigt --!

In Martins Herzen hallte der Schluß der Gebetsweise wider ...


  »Ich will, anstatt an mich zu denken,
  ins Meer der Liebe mich versenken ...«


                   *       *       *       *       *

Die letzten Lagerfeuer erloschen.

Die letzten der Offiziere, die sich noch durch ein paar Glas Feuerbowle
für den Schlummer im Stroh, die scharfe Kühle der Frühherbstnacht auf
hohem Gebirgsplateau gestärkt hatten, krochen ins Stroh ...

Die Unteroffiziere, die Mannschaften schnarchten längst in den langen
Zugzelten ...

Am verglimmenden Lagerfeuer der zweiten Kompagnie lag bäuchlings
hingestreckt noch ein einsamer Unteroffizier ...

Beim letzten Glosten der zuckenden Flämmchen, die den mächtigen
Aschenhaufen umschwelten, las er ein Briefchen:


  »-- -- Du sollst nicht heut und nicht morgen kommen, lieber Hans. Du
  sollst noch ein paar Jährchen warten, bis Du Deinen Assessor gemacht
  hast. Wenn Du mich dann nicht leid geworden bist, dann komm und hol
  mich -- wenn ich dann noch da bin. Wir sind ja beide noch Kinder, und
  ich weiß nicht, ob nicht einem von uns beiden doch mal einer begegnen
  wird, der ihm lieber ist als die Erinnerung an einen heißen Kuß im
  Garten des Offizierkasinos -- weißt Du noch, mein Hans?! Wenn das
  kommen sollte, dann soll keiner von uns sich an den andern gebunden
  halten. Ich glaub's ja nicht, daß es mir passieren wird, ich sag's
  auch mehr Deinetwegen als meinetwegen. --

  Aber -- man kann nicht wissen --!

  Also -- leb wohl, mein Süßer, und denk manchmal an mich!

  Vielleicht einmal, vielleicht -- --!


      Molly v. S.«


Hans Friesen fuhr sich über die Stirn.

Sie hatte ihm die Freiheit wiedergeben wollen ... wie schön das war ...
und wie klug ...

Und auch in ihm tönte die Choralweise nach ...

Jetzt in das dumpfe Zelt kriechen, wo die Kommißunteroffiziere
schnarchten --? Nein ...!

Lieber hier am behaglich wärmenden, langsam verglostenden Feuerrest die
paar Nachtstunden verträumen -- unterm gleißenden Sternenhimmel ... in
tiefem Sinnen ... in einem glücklichen Traum von Zukunft -- Schönheit
-- Ruhm -- Glück -- in einem wundersamen Sicheinsfühlen mit dem weiten
All ringsum, dem Chor der Schläfer auf der weiten Bergeshalde ... dem
Gewimmel der Gestirne droben am Firmament ... mit allem Geschaffenen
und seinem Schöpfer --


  »Ich bete an die Macht der Liebe ...«


Langhin streckte sich der Soldat auf den harten Stoppelboden, schob
Mollys Briefchen in die Brusttasche seines Waffenrocks ... und schaute
nun regungslos mit glänzenden Augen zum weißleuchtenden Nebelbogen der
Milchstraße empor.

                   *       *       *       *       *

Einsam, ein rüstiger Wanderer, schritt Martin Flamberg in der
Morgenfrühe des 22. September talabwärts auf der Chaussee, welche von
Leisel über Hettenrodt, Hettstein und Idar nach Oberstein an der Nahe
führte ...

Hier würde er den Zug erreichen, der ihn heimwärts führen sollte.

Frühmorgens im Lagerstroh hatte der Feldwebel ihn geweckt: »Verzeihen
Herr Leutnant, eine Ordonnanz vom Herrn Major ist da!«

»Soll ans Zelt kommen!«

»Herr Leutnant möchten so bald als möglich zum Herrn Major kommen!«

Sassenbach war just bei der Morgentoilette, als Flamberg ins Stabszelt
trat: »Na, Flamberg ... Brummschädel ...?«

»Danke gehorsamst -- nein, Herr Major!«

»Entschuldigen Sie -- muß mich eben fertig rasieren!«

Beim Schein einer Stallaterne, die der Bursche mitsamt einem winzigen
Spiegelchen seinem Herrn vorhielt, saß der Bataillonskommandeur auf
einem Faß, mit aufgeklapptem Waffenrock, und schabte die angegrauten
Stoppeln von seinen bronzebraunen Wangen.

»Also, lieber Freund, Sie haben morgen Hochzeit ... Da scheint's mir
doch besser, das Armeekorps behilft sich am letzten Übungstage ohne
Sie -- Sie sind also hiermit entlassen und haben möglichst schnell und
geräuschlos aus dem Bereich des Kriegsgetümmels zu verschwinden!«

»Aber ich bitte ganz gehorsamst, Herr Major ...«

»Keine Fisematenten! Ich befehl's -- und damit basta!«

»Und wer, befehlen Herr Major -- wer soll die erste Kompagnie heute
führen?«

»Ach was, die paar Stunden! Kann ja der Windhund, der Carstanjen
machen! -- Na, einverstanden?«

»Ich danke von ganzem Herzen, Herr Major!«

Sassenbach stand auf, und während der Bursche ihm im Stehen die kotigen
Stiefel an den Beinen mit der Wichsbürste bearbeitete, streckte er dem
Untergebenen die Hand hin: »Also stecken Sie sich einen grünen Zweig an
als Neutralitätsabzeichen und verschwinden Sie auf dem nächsten Wege,
solange es noch dunkel ist ... kommen Sie gut nach Hause, empfehlen Sie
mich unbekannterweise Ihrem verehrten Fräulein Braut -- und machen Sie
Ihre Sache gut -- na, Sie verstehn mich schon -- hahaha! Haben Sie auch
schönsten Dank für freundliche Unterstützung und leben Sie wohl!«

»Darf ich Herrn Major meinen gehorsamsten, tiefgefühlten Dank für die
gütige Aufnahme und alles Gute --«

»Schon gut, schon gut, lieber Flamberg -- es war uns eine Ehre und ein
Vergnügen!«

-- -- Und nun marschierte Martin Flamberg einsam talabwärts.

Von seinem Helm nickte ein grüner Busch. In seinem Wachstuchtornister
klapperte eine halbe Flasche Kognak, die Carstanjen ihm noch als
Abschiedsgabe eingepackt --

»Junger Ehemann +in spe+ -- -- können eine kleine Herzstärkung
gebrauchen! --«

Die Säbelscheide in der Linken, die Rechte taktmäßig pendelnd, stapfte
er bergab in munterm Soldatenschritt.

Und wie ringsum die Bergsäume sich rosig erhellten, erhellte sich auch
des Wanderers Herz -- --

Ja, es ging heimwärts ... heimwärts ... es ging in die Arme der Liebe
... der Liebe, der nun sein ganzes Leben gehören sollte ... sein ganzes
Leben ...!

Immer leuchtender stieg des fern harrenden Mädchens teures Bild vor
seinem Blick empor ... nun erst, da er schon fast abgerechnet mit
allem, was er besessen und erhofft hatte, lag's vor ihm in seinem
ganzen süßen, holden Glanz ...

Er zog Agathens letztes Briefchen hervor, dies Briefchen, das
nur das eine einzige, sehnsuchtsschwere Jubelwort enthielt:
»Über-über-übermorgen --!!!«

Nun war's schon morgen -- morgen würde es heute sein! --

Horch ...

Bum -- bum -- dröhnten von droben die ersten Kanonenschläge ...

Der letzte Manövertag ... der Heimkehrtag für zehntausend junge
Gesellen ... der Heimkehrtag auch für ihn ...

Den läuteten sie ein, die dumpfen, metallenen Schläge da oben.

Bum, bum, bum -- -- klang's da von allen Höhen in der Runde ... Diese
Töne, die Mord und Grauen bedeuten sollten ... ihm waren sie selige
Friedensklänge ...

Und immer tiefer senkte sich die Chaussee ... das war das Dörfchen
Hettenrodt, das er nun durchschritt ... Noch lag es schlummernd ...
kaum, daß ein schläfriger Ackerknecht schwerfällig die Haustür aufstieß
und über den Hof zum Stall humpelte, wo das erwachte Vieh nach seiner
Morgenration brüllte ...

Nun senkte sich der Weg gen Hettstein.

In einer Viertelstunde würde er am Schlößchen vorbeikommen.

Dort hing das Bild der schönen Frau, dort harrte sie selber der
Heimkehr des herrlichen Mannes entgegen, der sie sein eigen nennen
durfte -- um an seiner Seite ein neues, ein tieferes Leben zu beginnen.

War es nicht doch gut so ... wie alles gekommen war, gut -- -- auch für
die beiden?

Wenn der Sturm durch die Menschenherzen fährt, dann reißt er vielleicht
einmal ein Glück in Trümmer -- aber gibt es nicht auch Stürme, die
segnen? die Luft klären, das Morsche hinwegfegen, auf daß das Gesunde
um so kräftiger blühe?

Bum, bum, bum -- läuteten die Glocken ringsum -- die Hochzeitsglocken!

Nun wand die Chaussee sich um eine Waldecke herum ...

Schau! vom ersten Morgenstrahl beglänzt, schimmerten die blitzenden
Fenster, die schmucken Türme, die grünumrankten Zinnen des Schlößchens
Hettstein.

Dort schlummerte sie, die schöne, schöne, schöne Frau ...

Einen Gruß dir, einen Herzensgruß, du wunderliebliches, du
märchenhaftes Geschöpf -- und -- Segen, Segen, Segen auf dein Leben!

Himmel -- war's möglich? -- Auf dem Balkon im ersten Stock stand einsam
eine weiße Gestalt -- lauschte dem volltönigen Geläute der Kanonen
ringsum auf den Hunsrückbergen ...

Jählings strömte das Blut zu Martins Herzen -- ein Weh, das ihn schier
übermannen wollte, durchrüttelte ihn so heftig, daß sein Fuß einen
Augenblick stockte ...

Nein! weiter ... rüstig weiter ... rüstig weiter ...

Und nun ... nun wandte die Lauscherin langsam ihr Haupt bergaufwärts
... und nun gewahrte sie den einsam wandernden Kriegersmann ... und nun
... erkannte sie ihn ...

Einen Augenblick stand sie starr, schien fliehen zu wollen ...

Doch nein -- sie blieb --

Ein weißes Tüchlein ließ sie flattern durch die goldene Morgenluft ...
ein weißes Tüchlein ... ein Abschiedszeichen ... ein Friedenszeichen
...

Und Martin riß den Helm vom Kopf ... den Helm mit dem grünen Zweige ...
dem Ölzweige daran ... er schwenkte ihn nach droben zum hohen Balkon
... zu der weißen Gestalt mit dem flatternden Tüchlein ...

Aber wehren konnte er nicht, daß ein paar helle Tropfen über seine
verbrannten Wangen niederrannen und zerblitzten auf dem staubigen
Waffenrock ...

Ade, ade, ade ... vorüber, vorüber, vorüber ...

Vor dem Rückschauenden zerfloß das Bild des Schlößchens ... zerfloß in
blinkende Nebel das Bild der weißen Frauengestalt mit dem flatternden
Tüchlein ...

Ade, ade, ade ...

-- -- Und nun geradeaus den Blick ... der Heimat, der harrenden Liebe
... der Zukunft entgegen ...

Agathe ... Agathe ...

Umbrandet vom tosenden Schwall der Kanonen schritt Martin zu Tal.

Heimkehrgeläut ... Hochzeitsgeläut ...

Er schritt zu Tal ... schritt nieder in jenes Land, wo das Leben selbst
Poesie wird ... heiligste Poesie.





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK SOMMERLEUTNANTS ***


    

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Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
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exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
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While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
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approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
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Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
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ways including checks, online payments and credit card donations. To
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Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
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