Die Äbtissin von Castro

By Stendhal

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Title: Die Abtissin von Castro

Author: Stendhal

Release Date: December 11, 2004 [EBook #14330]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ABTISSIN VON CASTRO ***




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_STENDHAL_






DIE ÄBTISSIN VON CASTRO






_DER NOVELLEN ZWEITER BAND_


GEORG MÜLLER VERLAG * MÜNCHEN
1922


_Alle Rechte vorbehalten_ * _Erstes bis drittes Tausend_




DIE FÜRSTIN VON CAMPOBASSO

ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL


Ich übersetze aus einem italienischen Chronisten den genauen Bericht über
die Liebschaft einer römischen Fürstin mit einem Franzosen. Es war im
Jahre 1726, und alle Mißbräuche des Nepotismus blühten damals in Rom;
niemals war der Hof glänzender gewesen. Benedikt XIII. Orsini regierte,
oder vielmehr: es leitete sein Neffe, der Fürst Campobasso unter seinem
Namen alle Geschäfte. Von allen Seiten strömten Fremde nach Rom;
italienische Fürsten, spanische Granden, noch reich an Gold der Neuen
Welt, kamen in Menge, und wer reich und mächtig war, stand dort über den
Gesetzen. Galanterie und Verschwendung schienen die einzige Beschäftigung
aller dieser Fremden aller Nationen zu sein.

Des Papstes beide Nichten, die Gräfin Orsini und die Fürstin Campobasso
genossen vor allen die Macht ihres Oheims und die Huldigungen des Hofs.
Ihre Schönheit hätte sie aber auch aus den untersten Schichten der
Gesellschaft hervorgehoben. Die Orsini, wie man sie familiär in Rom
nannte, war heiter und, wie man hier sagt, disinvolta, die Campobasso
zärtlich und fromm, aber diese zärtliche Seele war der gewalttätigsten
Leidenschaften fähig. Obgleich sie nicht erklärte Feindinnen waren und
nicht nur jeden Tag sich am päpstlichen Hof trafen, sondern sich auch oft
besuchten, waren diese Damen Rivalinnen in allem: Schönheit, Ansehen und
Glücksgütern.

Gräfin Orsini, weniger hübsch, aber glänzend, ungezwungen, beweglich und
für Intrigen begeistert, hatte Liebhaber, die sie wenig kümmerten und
nicht länger als einen Tag beherrschten. Ihr Glück war, zweihundert
Menschen in ihren Salons zu sehn und unter ihnen als Königin zu glänzen.
Sie lachte über ihre Kusine Campobasso, welche die Ausdauer gehabt hatte,
sich drei Jahre hindurch mit einem spanischen Herzog zu kompromittieren,
um ihm schließlich sagen zu lassen, daß er Rom binnen vierundzwanzig
Stunden zu verlassen habe, wenn ihm sein Leben lieb sei. "Seit diesem
großen Hinauswurf", sagte die Orsini, "hat meine erhabene Kusine nicht
mehr gelächelt. Seit einigen Monaten ist es klar, daß die arme Frau vor
Langweile oder vor Liebe stirbt, aber ihr gewitzter Gatte rühmt dem Papst,
unserm Oheim, diese Langweile als hohe Frömmigkeit. Bald aber wird sie
diese Frömmigkeit dazu bringen, eine Pilgerfahrt nach Spanien zu
unternehmen."

Indes war die Campobasso weit davon, ihren spanischen Herzog zu vermissen,
der sie während seiner Herrschaft tödlich gelangweilt hatte. Hätte sie ihn
vermißt, würde sie ihn zurückgerufen haben, denn sie besaß jenen in Rom
nicht seltenen Charakter, ebenso natürlich und unmittelbar in der
Gleichgültigkeit wie in der Leidenschaft zu sein. In ihrer exaltierten
Frömmigkeit bei ihren kaum dreiundzwanzig Jahren und in der Blüte aller
Schönheit widerfuhr es ihr, daß sie sich eines Tags vor ihrem Oheim auf
die Knie warf und ihn um den päpstlichen Segen bat, der -- was nicht genug
bekannt ist -- ohne jede vorhergehende Beichte von allen Sünden
freispricht, mit Ausnahme zweier oder dreier Todsünden. Der gute Benedikt
XIII. aber weinte vor Zärtlichkeit: "Erhebe dich, meine Nichte, du hast
meinen Segen nicht notwendig, denn du giltst mehr als ich in den Augen des
Herrn."

Aber trotz seiner Unfehlbarkeit täuschte sich Seine Heiligkeit hierin, wie
übrigens ganz Rom. Die Campobasso war kopflos verliebt und ihr Geliebter
teilte ihre Leidenschaft; und dennoch war sie sehr unglücklich. Schon seit
mehreren Monaten traf sie fast jeden Tag den Chevalier von Sénecé, den
Neffen des Herzogs von Saint-Aignan, welcher damals Botschafter Ludwigs
XV. in Rom war.

Sohn einer der Mätressen Philipps von Orléans, war der junge Sénecé stets
Gegenstand der ausgewähltesten Gunstbezeugungen gewesen. Schon lange
Oberst, obgleich er kaum zweiundzwanzig Jahre zählte, hatte er einige
anmaßende Gewohnheiten, doch ohne Unverschämtheit. Natürliche
Fröhlichkeit, das Verlangen, sich immer zu unterhalten und alles
unterhaltsam zu finden, Unbesonnenheit, Mut und Güte zeichneten seinen
Charakter eigentümlich aus, von dem man freilich damals lobend nur hätte
sagen können, daß er in allem ein Musterbeispiel des Charakters seiner
Nation war. Diese nationale Eigenart hatte vom ersten Augenblick an die
Campobasso berückt. "Ich mißtraue Ihnen, Sie sind Franzose", hatte sie ihm
gesagt, "aber ich sage Ihnen etwas im voraus: Den Tag, wo man in Rom
wissen wird, daß ich Sie manchmal im Geheimen empfange, werde ich
überzeugt sein, daß Sie selber das verbreitet haben, und ich werde Sie
nicht mehr lieben."

So mit der Liebe spielend verstrickte sich die Campobasso in eine wütende
Leidenschaft. Auch Sénecé liebte sie; aber es waren schon acht Monate her,
daß dieses Verhältnis dauerte, und die Zeit, welche die Leidenschaft einer
Italienerin verdoppelt, tötet die eines Franzosen. Die Eitelkeit des
Chevalier tröstete ihn ein wenig über seine Langeweile: er hatte schon
zwei oder drei Bildnisse der Campobasso nach Paris geschickt. Er übertrug
die Gleichgültigkeit seines Charakters gegen Güter und Vorteile aller Art,
mit denen er seit seiner Kindheit überschüttet worden war, auch auf die
Interessen der Eitelkeit, die sonst die Herren seiner Nation gewöhnlich
sehr besorgt hüten.

Sénecé verstand nicht im geringsten den Charakter seiner Geliebten;
deshalb belästigten ihn öfters ihre Seltsamkeiten. So hatte er jedesmal an
allen kirchlichen Feiertagen, wie am Festtag der Heiligen Balbina, deren
Namen sie trug, die Verzückungen und die Selbstanklagen einer glühenden
und wahren Frömmigkeit auszuhalten. Sénecé hatte seine Geliebte nicht die
Religion vergessen lassen, wie dies bei den gewöhnlichen Frauen Italiens
vorkommt; er hatte sie nur mit starker Kraft besiegt, und der Kampf
erneuerte sich immer wieder.

Dieses Hindernis, das erste, das dem mit allen Gaben des Glückes
überschütteten jungen Mann in seinem Leben begegnet war, hielt die
Gewohnheit lebendig, zärtlich und zuvorkommend gegen die Fürstin zu sein;
von Zeit zu Zeit erachtete er es für seine Pflicht, sie zu lieben. Sénecé
hatte nur einen Vertrauten in seinem Botschafter, dem Herzog von
Saint-Aignan, dem er durch die Campobasso manchen Dienst leisten konnte.
Außerdem war ihm die Bedeutung, die er durch seine Liebesaffäre in den
Augen des Botschafters gewann, außerordentlich schmeichelhaft. Die
Campobasso, ganz anders als er, war dagegen von der gesellschaftlichen
Stellung ihres Liebhabers gar nicht berührt. Geliebt oder nicht geliebt zu
sein war alles für sie. "Ich opfere ihm meine ewige Seligkeit," sagte sie,
"und er, der ein Häretiker, ein Franzose ist, kann mir nichts, was dem
gleicht, opfern." Aber sobald der Chevalier erschien, füllte seine
gefällige und dabei so ungezwungene Heiterkeit die Seele der Campobasso
mit Entzücken und bezauberte sie. Bei seinem Anblick verschwand alles, was
sie sich ihm zu sagen vorgenommen hatte, und alle trüben Gedanken. Dieser
für diese hochmütige Seele so neue Zustand hielt noch lange an, nachdem
Sénecé gegangen war. Und schließlich fand sie, daß sie fern von Sénecé
weder denken noch leben könne.

Während in Rom durch zwei Jahrhunderte die Spanier in Mode gewesen waren,
begann man sich damals ein wenig den Franzosen zuzuneigen. Man begann,
einen Charakter zu verstehn, der Vergnügen und Heiterkeit überall
hinbrachte, wo er sich zeigte, und diesen Charakter gab es damals nur in
Frankreich; seit der Revolution von 1789 gibt es ihn nirgends mehr. Denn
eine so beständige Frohmütigkeit braucht Unbekümmertsein, Sorglosigkeit,
und es gibt für niemand mehr heute eine sichere Zukunft in Frankreich,
nicht einmal für geniale Menschen, falls es solche gäbe. Es herrscht
erklärter Krieg zwischen Menschen vom Schlage Sénecés und der Masse der
Nation. Auch Rom war damals vom heutigen Rom sehr verschieden. Um 1726
hatte man keine Ahnung von dem, was sich siebenundsechzig Jahre später
ereignen sollte, als das von einigen Geistlichen aufgehetzte Volk den
Jakobiner Basseville umbrachte, der, wie er sagte, die Hauptstadt der
christlichen Welt zivilisieren wollte.

Durch Sénecé hatte die Campobasso zum erstenmal die Vernunft verloren,
hatte sich, aus Gründen, die vom gesunden Menschenverstand nicht gebilligt
werden, bald im Himmel befunden, bald im fürchterlichen Unglück. Nun hatte
Sénecé auch die Religion besiegt; nun mußte sich diese Liebe, welche für
diese strenge und wahre Frau weit größere und ganz andere Bedeutung als
die Vernunft hatte, schnell in die wildeste Leidenschaft steigern.

Die Fürstin hatte einen Monsignore Ferraterra begünstigt und seine
Laufbahn erleichtert. Wie wurde ihr zumute, als dieser Ferraterra ihr
mitteilte, daß Sénecé nicht nur öfter als üblich zur Orsini gehe, sondern
daß die Gräfin seinetwegen den berühmten Kastraten fortgeschickt habe, der
seit mehreren Wochen ihr offizieller Liebhaber gewesen war!

Hier beginnt, was wir zu erzählen haben: An dem Abend des Tages, wo die
Campobasso diese verhängnisvolle Nachricht erhalten hatte.

Sie saß reglos in einem hohen Lehnstuhl aus goldfarbenem Leder. Neben ihr,
auf einem kleinen schwarzen Marmortisch standen auf hohen Füßen zwei
silberne Lampen, Meisterwerke des Cellini, und erleuchteten kaum das
Dunkel eines weitläufigen Saales im Erdgeschoß ihres Palastes. Kaum, daß
Licht auf die Gemälde an den Wänden fiel, die nachgedunkelt waren; denn
die Zeit der großen Maler lag damals schon weit zurück.

Der Fürstin gegenüber und fast zu ihren Füßen zeigte der junge Sénecé auf
einem kleinen Stuhl aus Ebenholz, mit Ornamenten aus massivem Gold
verziert, seine elegante Person. Die Fürstin hatte den Blick auf ihn
gerichtet; sie war ihm nicht entgegengeeilt, als er eintrat, hatte sich
nicht in seine Arme gestürzt und nicht ein Wort an ihn gerichtet.

Im Jahre 1726 war Paris schon Königin des reichen und eleganten Lebens.
Sénecé ließ durch Kuriere regelmäßig alles kommen, was die Reize eines der
hübschesten Männer Frankreichs hervorheben konnte. Trotz der für einen
Mann seines Ranges natürlichen Sicherheit, noch dadurch verstärkt, daß er
seine ersten Waffengänge mit den Schönheiten am Hof des Regenten unter der
Leitung des berühmten Canillac, seines Oheims, eines der Roués dieses
Fürsten gehabt hatte, konnte man eine leichte Verlegenheit in Sénecés
Zügen bemerken. Das schöne blonde Haar der Fürstin war etwas in Unordnung;
die großen schwarzblauen Augen sahen den Mann starr an; ihr Ausdruck war
schwer zu deuten. Dachte sie an tödliche Rache? War es nur der tiefe Ernst
leidenschaftlicher Liebe?

"Also Sie lieben mich nicht mehr?" sagte sie endlich leise. Ein langes
Schweigen folgte dieser Kriegserklärung.

Es wurde der Fürstin schwer, sich der reizenden Anmut Sénecés zu
entziehen, der ihr, machte sie ihm keine Szene, tausend Torheiten sagen
würde; aber sie besaß zu großen Stolz, um die Auseinandersetzung
hinauszuschieben. Eine Kokette ist aus Eigenliebe eifersüchtig, eine
galante Frau aus Gewohnheit; aber eine Frau, die wahr und leidenschaftlich
liebt, hat das ganze Bewußtsein ihres Rechtes. Diese Art, der römischen
Leidenschaft eigen, amüsierte Sénecé sehr; er sah darin Tiefe und
Unbestimmtheit; man glaubte, die unverhüllte Seele zu schauen. Der Orsini
fehlte dieser Reiz der Campobasso.

Aber da diesmal das Schweigen so lange anhielt, sah der junge Franzose,
der nicht die Kunst verstand, in die verborgenen Gefühle eines
italienischen Herzens einzudringen, darin einen Schein von Ruhe und
Vernunft, und das machte ihn arglos. Zudem drückte ihn gerade in diesem
Augenblick ein Kummer. Als er das unterirdische Gewölbe durchschritt, das
von einem benachbarten Haus in diesen Saal des Palastes Campobasso führte,
hatten sich einiges Spinngewebe auf die ganz frische Stickerei seines
entzückenden, gestern aus Paris gekommenen Anzugs gelegt. Das verursachte
ihm Unbehagen und außerdem waren ihm Spinnen schrecklich.

Da er im Auge der Fürstin Ruhe zu lesen glaubte, dachte er, ob es nicht
besser sei, eine Aussprache zu vermeiden und den Vorwurf sanft abzubiegen,
statt ihm zu entgegnen; aber durch die Mißstimmung, die er fühlte, mehr
zum Ernst geneigt, sagte er sich: 'Wäre dies nicht günstigste Gelegenheit,
die Wahrheit durchblicken zu lassen? Sie selber hat die Frage gestellt,
also ist die halbe Peinlichkeit schon erledigt. Ich bin ja sicher nicht
für die Liebe geschaffen. Ich habe zwar nie etwas so Schönes wie diese
Frau mit ihren sonderbaren Augen gesehen, aber sie hat schlechte
Gewohnheiten. Sie läßt mich durch widerliche, unterirdische Gewölbe
kommen. Immerhin ist sie die Nichte des Herrschers, zu dem mich mein König
geschickt hat. Und mehr noch, sie ist blond in einem Land, wo alle Frauen
dunkel sind; das ist eine große Seltenheit. Täglich höre ich ihre
Schönheit von Leuten in den Himmel heben, deren Zeugnis unverdächtig ist
und die nicht im Entferntesten ahnen, mit dem glücklichen Besitzer dieser
Reize zu sprechen. Was die Macht betrifft, die ein Mann über seine
Geliebte haben soll, brauche ich nicht beunruhigt zu sein. Wollte ich mir
die Mühe nehmen, ein Wort zu sagen, so verließe sie ihr Haus, ihre
Goldmöbel, ihren königlichen Oheim, und all das würde sie tun, um sich in
Frankreich in die tiefste Provinz zu vergraben und auf einem meiner Güter
kümmerlich und kläglich zu leben ... Morbleu, die Aussicht auf solches
Opfer begeistert mich nur zu dem festen Beschluß, es niemals von ihr zu
verlangen. Die Orsini ist ja viel weniger hübsch; sie liebt mich, wenn sie
mich überhaupt liebt, grade ein wenig mehr als den Kastraten Butafoco, den
ich sie gestern wegschicken hieß; aber sie hat Lebensart, sie versteht zu
leben, man kann im Wagen bei ihr vorfahren. Und ich bin sicher, daß sie
mir nie eine Szene machen wird; sie liebt mich dazu nicht genug.'

Während des langen Schweigens hatte der starre Blick der Fürstin die
hübsche Stirn des jungen Franzosen nicht verlassen.

'Ich werde ihn nicht mehr sehen', sagte sie sich. Und plötzlich warf sie
sich in seine Arme und bedeckte mit Küssen die Stirn und die Augen, die
sich nicht mehr mit Glück füllten, wenn sie von ihnen erblickt wurde. Der
Chevalier würde es sich nie vergeben haben, hätte er nicht in diesem
Augenblick jeden Plan eines Bruchs fallen gelassen. Aber seine Geliebte
war zu tief aufgewühlt, um ihre Eifersucht zu vergessen. Wenige
Augenblicke nachher betrachtete Sénecé sie mit Verwunderung. Tränen des
Zornes liefen ihr über die Wangen. 'Wie!' sagte sie sich, 'ich erniedrige
mich so tief, daß ich von seiner Veränderung spreche; ich werfe sie ihm
vor, ich, die ich mir geschworen hatte, es niemals zu bemerken! Und das
ist noch nicht genug Niedrigkeit, ich muß auch noch der Leidenschaft
nachgeben, die mir dieses entzückende Gesicht einflößt! Ah, verächtlich,
verächtlich! Es muß ein Ende nehmen.'

Sie trocknete die Tränen und schien wieder beruhigter. "Chevalier, wir
müssen ein Ende machen", begann sie ruhig; "Sie besuchen häufig die
Gräfin ..." Da erbleichte sie. Und nach einer Weile: ... -- "Wenn du sie
liebst, geh alle Tage hin, meinetwegen! Aber komm nicht mehr hierher." Sie
hielt wie gegen ihren Willen an. Sie erwartete ein Wort des Chevaliers;
das Wort wurde nicht gesprochen. Mit einem kleinen krampfhaften Zucken
preßte sie durch die Zähne: "Das soll mein Todesurteil sein, und das
Ihre."

Diese Drohung wirkte entscheidend auf die zage Seele des Chevaliers, der
bis dahin über die unvorhergesehene Krisis nach solcher Hingabe nur
erstaunt war. Er begann zu lachen.

Ein plötzliches Rot bedeckte die Wangen der Fürstin, die wie Scharlach
wurden. 'Der Zorn wird sie ersticken,' dachte der Chevalier, 'sie wird
einen Schlaganfall bekommen.' Er näherte sich, um ihr Kleid aufzuschnüren,
sie stieß ihn mit einer Festigkeit und Kraft zurück, die er nicht gewohnt
war. Sénecé erinnerte sich später, daß er bei diesem Versuch, sie in seine
Arme zu schließen, sie mit sich selbst hatte sprechen hören. Er zog sich
ein wenig zurück, unnötig, denn sie schien ihn nicht mehr zu sehen. Mit
tiefer Stimme sprach sie, als wäre sie hundert Meilen von ihm entfernt:
"Er beleidigt mich, er fordert mich heraus. Bei seiner Jugend und mit der
seinem Volke eigentümlichen Indiskretion wird er sicher der Orsini alle
Unwürdigkeiten, zu denen ich mich erniedrige, erzählen. Ich bin meiner
nicht sicher, ich kann nicht dafür einstehen, daß ich diesem Gesicht
gegenüber unempfindlich bleibe." Hier folgte ein neues Schweigen, das dem
Chevalier sehr langweilig vorkam. Die Fürstin erhob sich endlich und sagte
in einem klagenden Ton: "Man muß ein Ende machen."

Sénecé, der durch die Wiederversöhnung den Glauben an den Ernst der
Aussprache verloren hatte, sagte einige scherzhafte Worte über ein
Abenteuer, von dem in Rom viel gesprochen wurde.

"Verlassen Sie mich, Chevalier," unterbrach ihn die Fürstin, "ich fühle
mich nicht wohl ..."

'Diese Frau langweilt sich,' dachte Sénecé, indem er sich beeilte, ihr zu
gehorchen, 'und nichts ist so ansteckend wie die Langweile.' Die Fürstin
war ihm bis zum Ende des Saals mit den Blicken gefolgt. 'Und ich war im
Begriff, unbesonnen das Geschick meines Lebens zu entscheiden!' sagte sie
mit einem Lächeln. 'Zum Glück haben mich seine Scherze ernüchtert! Wie
dumm ist doch dieser Mensch! Wie kann ich ein Wesen lieben, das mich so
wenig versteht? Er will sich und mich mit einem scherzhaften Wort
amüsieren, wenn es sich um mein Leben und um das seine handelt!' Sie erhob
sich. 'Wie seine Augen schön waren, als er das Wort sagte! Man muß
zugeben, die Absicht des armen Chevaliers war liebenswürdig; er hat meinen
unglücklichen Charakter erkannt; wollte mich den trüben Schmerz, der mich
bewegt, lieber vergessen lassen, statt mich nach seiner Ursache zu fragen.
Ach, der liebenswürdige Franzose! Habe ich denn das Glück gekannt, bevor
ich ihn liebte?'

Und sie gab sich mit Entzücken den Gedanken an die Vorzüge ihres Geliebten
hin. Aber allmählich gingen diese ihre Gedanken auf die Reize der Gräfin
Orsini über, und ihre Seele stürzte ins Dunkel. Qualen der furchtbaren
Eifersucht ergriffen sie. Schon seit zwei Monaten beunruhigte sie eine
unheilvolle Vorahnung. Ihre einzigen erträglichen Augenblicke waren jene,
welche sie mit dem Chevalier verbrachte und doch sprach sie, wenn sie
nicht in seinen Armen lag, fast immer gereizt mit ihm.

Der Abend wurde schrecklich. Ganz erschöpft und fast ein wenig durch den
Schmerz beruhigt, kam ihr der Einfall, mit dem Chevalier zu sprechen. 'Er
hat mich wohl gereizt gesehen, aber er weiß nicht den Grund. Vielleicht
liebt er die Gräfin nicht. Vielleicht geht er nur zu ihr, weil ein Fremder
die Gesellschaft des Landes, in dem er sich befindet, sehen muß und
besonders die Familie des Herrschers. Wenn ich mir Sénecé offiziell
vorstellen lasse, und er frei und offen zu mir kommen kann, vielleicht
wird er ebensogern ganze Stunden bei mir, wie bei der Orsini verbringen.'

Aber wieder kam der wildeste Zorn über sie. 'Nein, ich würde mich
erniedrigen, wenn ich ihn spreche; er wird mich nur verachten, und das
wird mein ganzer Gewinn sein. Das leichtfertige Wesen der Orsini, das ich
Närrin so verachtet habe, ist ja wirklich angenehmer als mein Charakter,
gar in den Augen eines Franzosen! Ich bin bestimmt nur dazu geschaffen,
mich mit einem Spanier zu langweilen. Was gibt es auch Sinnloseres als
immer nur schwer und ernst zu sein! Als ob, was das Leben mit sich bringt,
dies nicht selber schon genügend wäre! Gott, was wird aus mir, wenn ich
nicht mehr den Chevalier habe, der mir das Leben gibt, und das Feuer mir
ins Herz senkt, das mir fehlt!'

Sie hatte Befehl gegeben, niemanden vorzulassen, aber dieser Befehl galt
nicht für den Monsignore Ferraterra, der ihr zu berichten kam, was man bis
ein Uhr morgens bei der Orsini getrieben habe. Dieser Prälat hatte bisher
aus besten Kräften den Abenteuern der Fürstin gedient; aber seit diesem
Abend zweifelte er nicht daran, daß Sénecé der Geliebte der Gräfin Orsini
werden würde, wenn er es nicht schon war.

'Die fromme Fürstin wird mir mehr nützen', dachte er bei dieser
Beobachtung, 'als die galante. Immer wird es sonst einen geben, den sie
mir vorzieht, nämlich ihren Liebhaber; und ist eines Tages dieser
Liebhaber ein Römer, so kann er einen Onkel haben, den man zum Kardinal
machen muß. Wenn ich sie bekehre, muß sie vor allem und mit dem ganzen
Feuer ihres Wesens an den denken, der ihre Seele lenkt, was kann ich nicht
alles durch sie von ihrem Oheim erhoffen!' Und der ehrgeizige Prälat
verlor sich in köstliche Zukunftsträume; er sah die Fürstin, wie sie sich
ihrem Oheim zu Füßen warf, um für ihn den Kardinalshut zu erbitten. Der
Papst würde ihm für das, was er eben zu unternehmen im Begriff war, sehr
dankbar sein müssen. Sobald die Fürstin bekehrt wäre, würde er Benedikt
XIII. die unwiderleglichen Beweise ihrer Liebschaft mit dem jungen Sénecé
vorlegen. Religiös, aufrichtig und die Franzosen verabscheuend, wird der
Papst ewige Dankbarkeit für den tatkräftigen Prälaten haben, der einer
Intrige, die Seiner Heiligkeit so mißliebig, ein Ende bereitet hat. Dieser
Ferraterra gehörte dem Hochadel Ferraras an, war reich und über fünfzig
Jahre alt. Durch die so deutliche Vision des Kardinalshutes angeregt,
wagte er seine Rolle bei der Fürstin jäh zu ändern. Vorher, während der
zwei Monate, da Sénecé sie vernachlässigte, war es dem Prälaten zu
gefährlich erschienen, den Franzosen anzugreifen; denn er hielt Sénecé,
den er schlecht verstand, für ehrgeizig.

Der Leser würde die genaue Wiedergabe der Zwiesprache, welche die junge
Fürstin, toll vor Liebe und Eifersucht, mit dem ehrgeizigen Prälaten
hatte, sehr lang finden. Ferraterra hatte mit einer vollen Eröffnung der
traurigen Wahrheit begonnen; und nach solchem heftigen Anfang wurde es ihm
nicht schwer, alle Gefühle der Religion und der leidenschaftlichen
Frömmigkeit wiederzuerwecken, die im Herzen der jungen Römerin nur
eingeschlummert waren; sie besaß den wahren Glauben. "Jede gottlose
Leidenschaft muß mit Unglück und Schande enden", sagte nun der Prälat.

Es war heller Tag, als er den Palast Campobasso verließ. Er hatte der neu
Bekehrten das Versprechen abgefordert, an diesem Tag Sénecé nicht zu
empfangen. Dieses Versprechen war der Fürstin nicht schwer gefallen: sie
glaubte, daß sie fromm sei und fürchtete zugleich, in den Augen des
Chevaliers durch eine Schwäche verächtlich zu erscheinen. Ihr Entschluß
hielt bis vier Uhr stand: das war die Zeit der Besuche des Chevaliers. Er
ging durch die Gasse hinter dem Garten des Palastes Campobasso und sah das
Signal, das die Unmöglichkeit einer Zusammenkunft bekanntgab; er eilte,
sehr zufrieden damit, zur Gräfin Orsini.

Die Campobasso fühlte den Wahnsinn fast über sich Herr werden. Die
sonderbarsten Gedanken und Entschlüsse hetzten sie. Plötzlich lief sie die
breite Treppe wie im Irrsinn hinunter, stieg in den Wagen und rief dem
Kutscher zu: "Palazzo Orsini".

Das Übermaß ihres Unglücks trieb sie wie gegen ihren Willen zu ihrer
Kusine. Sie fand sie inmitten einer Gesellschaft von etwa fünfzig
Personen. Was Rom an Geist und Ehrgeiz besaß und im Hause Campobasso nicht
Zutritt hatte, kam im Hause Orsini zusammen. Das Erscheinen der Fürstin
Campobasso wurde ein Ereignis; respektvoll zog man sich zurück; aber sie
geruhte, es nicht zu bemerken; sie blickte nur auf ihre Rivalin,
bewunderte sie. Jeder Reiz ihrer Kusine war ein Dolchstoß in ihr Herz.
Nach den ersten Redensarten der Höflichkeiten nahm die Orsini, welche ihre
Kusine schweigsam und zerstreut sah, ihre glänzende und heitere
Unterhaltung wieder auf.

'Wie viel besser ihre Heiterkeit zu dem Chevalier paßt, als meine tolle
und langweilige Leidenschaft!' sagte sich die Campobasso. Und in einer
unerklärlichen, aus Haß und Bewunderung gemischten Verzückung fiel sie der
Gräfin um den Hals. Sie sah nur die Reize ihrer Kusine; in der Nähe wie
aus der Entfernung erschienen sie ihr gleich anbetungswürdig. Sie verglich
ihr Haar mit dem eignen, ihre Augen, ihren Teint. Nach dieser seltsamen
Prüfung faßte sie Ekel und Abscheu vor sich selbst. Alles an ihrer Rivalin
schien ihr anbetungswürdig und ihr überlegen zu sein.

Unbeweglich und düster saß die Campobasso gleich einer Basaltstatue
inmitten dieser gestikulierenden und lärmenden Menge. Man kam, man ging;
all dieser Lärm störte und verletzte sie. Aber wie geschah ihr, als sie
plötzlich Herrn von Sénecé melden hörte! Sie waren zu Anfang ihres
Verhältnisses übereingekommen, daß er in Gesellschaft sehr wenig mit ihr
sprechen solle, so wie es einem ausländischen Diplomaten zukommt, der
nicht öfter als zwei- oder dreimal im Monat die Nichte des Souveräns
trifft, bei dem er beglaubigt ist.

Sénecé begrüßte sie mit gewohntem Respekt und mit Ernst; dann nahm er,
wieder zu der Orsini zurückgekehrt, den heiteren, fast intimen Ton auf,
den man im Gespräch mit einer geistvollen Frau anschlägt, von der man gern
und fast täglich empfangen wird. Die Campobasso war niedergeschmettert:
'Die Gräfin zeigt mir, wie ich hätte sein sollen', sagte sie sich. 'Ich
sehe, wie man sein muß, und trotzdem werde ich es niemals können!' Sie
sank auf die letzte Stufe des Unglücks, in die ein menschliches Geschöpf
geworfen werden kann; sie war fast entschlossen, Gift zu nehmen. Alle
Wonnen aus Sénecés Liebe kamen dem Übermaß des Schmerzes nicht gleich, der
sie während einer langen Nacht verzehrte. Man könnte sagen, die römischen
Frauen haben eine Fähigkeit und Energie zum Leiden, die andern Frauen
unbekannt bleiben.

Andern Tages kam Sénecé wieder vorbei und sah fortweisende Zeichen. Er
ging vergnügt weiter, trotzdem war er leicht verletzt. 'Also hat sie mir
neulich meinen Abschied gegeben? Ich muß sie weinen sehen', sagte sich
seine Eitelkeit. Er empfand eine leichte Spur von Liebe, da er eine so
schöne Frau und Nichte des Papstes für immer verlieren sollte. Er kroch
durch den unsauberen Kellergang, der ihm solchen Widerwillen verursachte,
und drang gewaltsam in den großen Saal des Erdgeschosses, wo die Fürstin
ihn zu empfangen pflegte.

"Sie wagen es hierher zu kommen?" rief die Fürstin erstaunt.

'Das Erstaunen ist nicht aufrichtig', dachte der junge Franzose. 'Sie hält
sich in diesem Raum nur auf, wenn sie mich erwartet.'

Der Chevalier ergriff ihre Hand; sie zitterte. In ihre Augen kamen Tränen;
sie erschien dem Chevalier so schön, daß er einen Augenblick lang an Liebe
dachte. Und sie vergaß alle Eide, die sie während zweier Tage dem Glauben
geschworen hatte, warf sich in seine Arme. 'Und dieses Glück soll künftig
die Orsini genießen!' ... Sénecé, der wie gewöhnlich die römische Seele
falsch verstand, glaubte, sie wolle sich in guter Freundschaft von ihm
trennen und wünsche den Besuch in guter Form. 'Es ziemt sich nicht für
mich als Attaché der königlichen Gesandtschaft, die Nichte des Souveräns,
bei dem ich akkreditiert bin, zur Todfeindin, die sie sein würde, zu
haben.' Sehr stolz über diese glückliche Lösung begann Sénecé, ihr
vernünftig zuzureden. "Sie würden in angenehmster Harmonie leben; warum
sollten sie nicht sehr glücklich sein? Was könnte man ihm denn auch
vorwerfen? Die Liebe würde einer guten und zärtlichen Freundschaft Platz
machen. Er bitte inständig um das Vorrecht, von Zeit zu Zeit an diesen Ort
hier zurückkommen zu dürfen; ihre Beziehungen würden immer zarte
bleiben ..." Zuerst verstand ihn die Fürstin nicht. Als sie ihn endlich
mit Entsetzen begriff, blieb sie unbeweglich stehen, mit starrem Blick. Da
unterbrach sie ihn bei der letzten Wendung von den zarten Beziehungen mit
einer Stimme, die aus der Tiefe der Brust zu kommen schien, sagte langsam
Wort für Wort:

"Das heißt, Sie finden mich hübsch genug, um mich als Dirne in Ihrem
Dienst zu behalten?"

"Aber teure und liebe Freundin, ist Ihre Eigenliebe denn verletzt?"
antwortete Sénecé, jetzt wirklich erstaunt. "Wie kann es Ihnen in den Sinn
kommen, sich zu beklagen? Glücklicherweise ist unsere Beziehung niemals
von irgend jemand geargwöhnt worden. Ich bin ein Ehrenmann; ich gebe Ihnen
von neuem mein Wort, nie soll ein lebendes Wesen das Glück, das ich
genossen habe, erfahren."

"Nicht einmal die Orsini?" fragte sie in einem so kühlen Ton, daß er den
Chevalier wieder irreführte.

"Habe ich Ihnen jemals von den Frauen erzählt," meinte der Chevalier naiv,
"die ich, bevor ich Ihr Sklave wurde, geliebt habe?"

"Trotz meiner Achtung vor Ihrem Ehrenwort will ich doch diese Gefahr nicht
auf mich nehmen", sagte die Fürstin in einer entschiedenen Art, welche nun
den jungen Franzosen doch etwas in Erstaunen setzte. "Adieu,
Chevalier ..." Und als er ein wenig unsicher ging: "Komm, küsse mich!"

Sie war sichtlich gerührt. Dann wiederholte sie in einem bestimmten Ton:
"Adieu Chevalier ..."

Die Fürstin ließ Ferraterra holen. "Ich will mich rächen", sagte sie ihm.
Der Prälat war entzückt. 'Sie wird sich kompromittieren; sie gehört mir
für immer.'

Zwei Tage später ging Sénecé, weil die Hitze drückend war, gegen
Mitternacht auf den Corso, um Luft zu schöpfen. Ganz Rom war auf der
Straße. Als er seinen Wagen wieder besteigen wollte, konnte ihm sein
Bedienter kaum antworten: er war betrunken. Der Kutscher war verschwunden;
der Bediente meldete stammelnd, der Kutscher sei mit einem Feind in Streit
geraten.

"Ah, mein Kutscher hat Feinde!" sagte Sénecé lachend.

Beim Heimweg merkte er, kaum zwei oder drei Straßen über den Corso hinaus,
daß er verfolgt werde. Vier oder fünf Männer hielten an, wenn er stehen
blieb, schritten weiter, wenn er weiterging. 'Ich könnte einen Bogen
machen und durch eine andre Straße wieder auf den Corso kommen', dachte
Sénecé. 'Aber dieses Gesindel lohnt nicht die Mühe, und ich bin gut
bewaffnet.' Er nahm seinen blanken Dolch in die Hand.

In solchen Gedanken durcheilte Sénecé zwei drei abgelegene und immer
einsamere Gassen. Er hörte die Männer ihre Schritte beschleunigen. In
diesem Augenblick sah er auf und erblickte grade vor sich eine kleine
Kirche, die den Ordensbrüdern des Heiligen Franziskus gehörte; ihre
Fenster warfen einen befremdlichen Schein ins Dunkel. Er stürzte zur Türe
und pochte heftig mit seinem Dolchgriff dagegen. Die Männer, die ihn
verfolgten, waren fünfzig Schritt entfernt von ihm. Nun kamen sie auf ihn
zugelaufen. Ein Mönch öffnete; Sénecé stürzte in die Kirche; der Mönch
schloß schnell die Türe zu. Im gleichen Augenblick schlugen die
Meuchelmörder mit den Füßen gegen die Türe. "Die Gottlosen!" sagte der
Mönch. Sénecé gab ihm eine Zechine. "Sicher wollten sie mir ans Leben",
sagte er.

In dieser Kirche brannten mindestens tausend Kerzen.

"Wie? Ein Gottesdienst zu dieser Stunde?" fragte er den Mönch.

"Eccellenza, es ist ein Dispens von Seiner Eminenz dem Kardinal-Vikar."

Die ganze enge Vorhalle dieser kleinen Kirche San Francesco a Ripa war in
ein prächtiges Mausoleum umgewandelt; man sang die Totenmesse.

"Wer ist gestorben? Ein Fürst?" fragte Sénecé.

"Ohne Zweifel," antwortete der Priester, "denn es ist mit nichts gespart
worden; aber dies alles, Wachs und Silber, ist vergeudet, denn der Herr
Dekan hat uns gesagt, daß der Verblichene in Unbußfertigkeit gestorben
ist."

Sénecé trat näher. Er sah ein Wappenschild in französischer Form und seine
Neugier verdoppelte sich; er trat ganz dicht heran und erkannte sein
eigenes Wappen mit dieser lateinischen Inschrift:

     Nobilis homo Johannes Norbertus Senece eques decessit Romae.

     "Der hohe und mächtige Herr Jean Norbert von Sénecé, Chevalier,
     gestorben zu Rom."

'Ich bin wohl der erste Mensch', dachte Sénecé, 'der die Ehre hat, seinem
eigenen Begräbnis beizuwohnen. Ich weiß nur vom Kaiser Karl V., der sich
dies Vergnügen geleistet hat. Aber in dieser Kirche ist für mich nicht gut
bleiben.'

Er gab dem Sakristan noch eine Zechine. "Mein Vater," sagte er ihm,
"lassen Sie mich durch eine Hintertür Ihres Klosters hinaus."

"Sehr gern", sagte der Mönch.

Kaum auf der Straße, begann Sénecé, in jeder Hand eine Pistole, mit
äußerster Schnelligkeit zu laufen. Bald hörte er hinter sich Leute, die
ihn verfolgten. An seinem Haus angelangt, sah er die Tür verschlossen und
einen Mann davor. 'Jetzt heißt es stürmen"[sic! statt: '], dachte der
junge Franzose und wollte den Mann mit einem Pistolenschuß töten, als er
seinen Kammerdiener erkannte.

"Mach die Tür auf!" schrie er ihn an.

Sie war offen. Rasch traten sie ein und schlossen sie wieder.

"Ach, gnädiger Herr, ich habe Sie überall gesucht; es gibt sehr traurige
Neuigkeiten. Der arme Jean, Ihr Kutscher, ist von Messerstichen durchbohrt
worden. Die Leute, die ihn getötet haben, stießen Verwünschungen gegen Sie
aus. Gnädiger Herr, man will Ihnen ans Leben!"

Während noch der Diener sprach, schlugen acht Feuergewehrschüsse durch ein
Gartenfenster. Sénecé brach tot neben seinem Diener zusammen; sie waren
von mehr als zwanzig Kugeln durchbohrt.

Zwei Jahre später wurde die Fürstin Campobasso als das Muster höchster
Frömmigkeit in Rom verehrt, und seit geraumer Zeit war Monsignor
Ferraterra Kardinal.




DIE HERZOGIN VON PALLIANO

ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL


Ich bin kein Naturforscher und Griechisch verstehe ich nur sehr
mittelmäßig; Hauptzweck meiner Reise nach Sizilien war weder die Phänomene
des Ätna zu beobachten, noch wollte ich für mich oder andre irgendwelche
Klarheit darüber gewinnen, was die alten griechischen Autoren über
Sizilien gesagt haben; ich suchte nichts als die Freude meiner Augen, die
in diesem eigenartigen Land wahrhaftig nicht gering ist. Man sagt von
Sizilien, daß es Afrika gleiche; für mich steht jedenfalls fest, daß es
mit Italien nur durch die verzehrenden Leidenschaften Ähnlichkeit hat. Von
den Sizilianern kann man wohl sagen, daß es das Wort 'unmöglich' nicht für
sie gibt, wenn sie von Liebe oder von Haß entbrannt sind; und in diesem
schönen Land kommt der Haß niemals aus einem Geldinteresse.

Ich bemerke, daß man in England und besonders in Frankreich oft von
italienischer Leidenschaft spricht, von der hemmungslosen Leidenschaft,
die man im Italien des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts kannte. In
unsern Tagen ist diese schöne große Leidenschaft gestorben und ganz tot,
wenigstens in jenen Klassen, die sich der Nachahmung französischer Sitten
und Pariser oder Londoner Moden gefallen.

Ich weiß wohl, man kann sagen, daß man seit Karl V. in Neapel, in Florenz
und sogar ein wenig in Rom die spanischen Sitten nachahmte. Aber waren
diese adeligen Sitten und Bräuche nicht auf dem unendlichen Respekt
begründet, den jeder dieses Namens würdige Mensch für die natürlichen
Regungen seiner Seele haben muß? Weit entfernt, die Energie auszuschalten,
übertrieben sie diese vielmehr, während es erste Regel der Gecken um 1760,
die den Herzog von Richelieu nachahmten, war, durch nichts bewegt zu
scheinen. Ist es nicht Grundsatz des englischen Dandys, dem man jetzt in
Neapel den Vorzug vor dem französischen Gecken gibt, von allem gelangweilt
und allem überlegen zu scheinen?

Die italienische Leidenschaft findet man schon seit einem Jahrhundert
nicht mehr in der guten Gesellschaft Italiens.

Um mir einen Begriff von dieser italienischen Leidenschaft zu bilden, von
der unsre Romanciers mit solcher Sicherheit schreiben, war ich genötigt,
die Geschichte zu befragen; aber gewöhnlich sagt die große Geschichte, von
talentvollen Männern geschrieben und meist sehr majestätisch, fast nichts
von den Einzelheiten des Geschehens und der Personen. Sie nimmt von
Torheiten erst Notiz, wenn diese Dummheiten von Königen oder Fürsten
begangen worden sind. Ich habe zu der Lokalgeschichte jeder Stadt Zuflucht
nehmen müssen; aber da wurde ich wieder durch den Überreichtum an Material
erschreckt. Jede kleine italienische Stadt zeigt dir stolz ihre Geschichte
in drei oder vier gedruckten Quartbänden und in sieben oder acht
handschriftlichen Codices, die kaum mehr zu entziffern, mit Abkürzungen
gespickt und mit sonderbar geformten Buchstaben geschrieben sind; zudem
eignen ihnen an den fesselndsten Stellen Redewendungen, die im Ort selbst
gebräuchlich, aber zwanzig Meilen weiter schon unverständlich sind. Denn
im ganzen schönen Italien, wo die Liebe so viele tragische Ereignisse
gesät hat, spricht man nur in drei Städten, in Florenz, in Siena und in
Rom, ungefähr so wie man schreibt; in allen andren Orten ist die
Schriftsprache von der mündlichen Rede unendlich weit entfernt.

Das, was man die italienische Leidenschaft nennt, das heißt die
Leidenschaft, die sich zu befriedigen und nicht nur dem Nachbar eine
prachtvolle Vorstellung von sich selber zu geben sucht, beginnt mit der
Entstehung der Gesellschaft also im zwölften Jahrhundert und erlischt
wenigstens in der guten Gesellschaft, um 1734. Zu dieser Zeit kommen die
Bourbonen in Neapel zur Regierung, und zwar in der Person des Don Carlos,
Sohnes einer Farnese, die in zweiter Ehe mit dem Enkelsohn Ludwigs XIV.,
jenem melancholischen Philipp V. verheiratet war, der mitten im Kugelregen
seinen Gleichmut nicht verlor, sich stets langweilte und die Musik so
leidenschaftlich liebte. Man weiß, daß ihm vierundzwanzig Jahre hindurch
der göttliche Kastrat Farinelli täglich drei Lieblingsweisen vorsang,
jeden Tag die gleichen.

Ein analytischer Geist könnte aus den Einzelheiten einer Leidenschaft
feststellen, ob der Fall in Rom oder in Neapel geschehen ist, und nichts
ist, wie ich sagen muß, abgeschmackter als jene Romane, die ihren Personen
nichts als italienische Namen geben. Sind wir denn nicht darin einer
Meinung, daß die Leidenschaften sich ändern, so oft man hundert Meilen
weiter nach Norden kommt? Höchstens kann man sagen, daß jene Länder, die
seit langem der gleichen Regierungsform unterstehn, in den sozialen
Gewohnheiten eine Art äußerer Ähnlichkeit aufweisen.

Wie die Leidenschaften, wie die Musik, wechseln auch die Landschaften,
sobald man drei oder vier Breitengrade weiter nach Norden kommt. Eine
neapolitanische Landschaft würde in Venedig absurd erscheinen, wäre es
nicht, sogar in Italien ausgemacht, die Naturschönheiten Neapels zu
bewundern. Wir in Paris halten es darin so, daß wir glauben, der Anblick
der Wälder und der bebauten Ebenen sei ganz der gleiche in Neapel wie in
Venedig, und wir möchten am liebsten, daß zum Beispiel Canaletto die
gleichen Farben hätte wie Salvatore Rosa.

Ist es nicht der Gipfel der Lächerlichkeit, wenn eine englische Dame, die
mit allen Vorzügen ihrer Insel ausgestattet, aber selbst auf dieser Insel
dafür bekannt ist, daß sie außerstande sei, die Liebe und den Haß zu
schildern, wenn, sage ich Mrs. Anne Radcliffe den Personen eines ihrer
berühmten Romane italienische Namen und große Leidenschaften gibt?

Ich werde nicht versuchen, der Einfachheit und der manchesmal abstoßenden
Roheit der nur zu wahren Erzählung, die ich der Nachsicht des Lesers
empfehle, Anmut zu verleihen. Ich werde zum Beispiel die Antwort der
Herzogin von Palliano auf die Liebeserklärung ihres Vetters Marcello
Capecce ganz wörtlich übersetzen. Diese Monographie einer Familie befindet
sich, ich weiß nicht warum, am Ende des zweiten Bandes einer
handschriftlichen Geschichte von Palermo, über die ich keine näheren
Angaben machen kann.

Diese Erzählung, die ich zu meinem Bedauern sehr kürze -- ich unterdrücke
eine Fülle von bezeichnenden Umständen -- enthält mehr die letzten
Schicksale der unglücklichen Familie Carafa, als die interessante
Geschichte einer bestimmten Leidenschaft. Die literarische Eitelkeit sagt
mir, daß es mir nicht unmöglich gewesen wäre, das Interesse an manchen
Situationen zu steigern, wenn ich ausführlicher gewesen wäre, wenn ich
erraten und dem Leser mit allen Einzelheiten erzählt hätte, was die
Personen empfanden. Aber bin ich, ein junger Franzose, im Norden, in Paris
geboren, denn wirklich sicher, zu erraten, was diese italienischen
Menschen des Jahres 1559 fühlten? Ich kann ja höchstens das zu erraten
hoffen, was den französischen Lesern von 1838 elegant und spannend
vorkommt.

Die leidenschaftliche Art der Italiener um 1559 wollte Taten und nicht
Worte. Man wird darum in der folgenden Erzählung sehr wenig Konversation
finden. Das ist für diese Geschichte insofern ein Nachteil, als wir uns so
sehr an die langen Gespräche unsrer Romanhelden gewöhnt haben, für die
eine Konversation genau so viel ist wie eine Schlacht. Meine Erzählung
oder vielmehr Übersetzung zeigt eine sonderbare, durch die Spanier in die
italienischen Sitten eingeführte Eigenart. Ich bin nirgends aus der
bestimmten Haltung des Übersetzers hinausgetreten. Die getreue Wiedergabe
der Art des Fühlens im sechzehnten Jahrhundert und auch der
Erzählungsweise des Chronisten, der allem Anschein nach ein Edelmann aus
dem Gefolge der unglücklichen Herzogin von Palliano war, macht meines
Erachtens nach den Hauptvorzug dieser tragischen Geschichte aus -- wenn
überhaupt irgendein Vorzug daran ist.

Die strengste spanische Etikette herrschte am Hofe des Herzogs von
Palliano. Man muß sich erinnern, daß jeder Kardinal und jeder römische
Fürst einen Hof hielt, und man kann sich einen Begriff davon machen,
welches Bild Rom im Jahre 1559 bot. Nicht ist auch zu vergessen, daß es
die Zeit war, wo der König Philipp II., der für seine Intrigen die Stimmen
zweier Kardinäle brauchte, jedem von ihnen eine Rente von 200 000 Livres
in geistlichen Pfründen gab. Obgleich Rom ohne nennenswerte Arme war,
bildete es den Mittelpunkt der Welt. Paris war im Jahre 1559 eine Stadt
freundlicher Barbaren.

       *       *       *       *       *

Wenn auch Gianpietro Carafa aus einer der vornehmsten Familien des
Königreichs Neapel stammte, hatte er rauhe, ungeschliffene und heftige
Umgangsformen, die zu einem Hirten der Campagna gepaßt hätten. Er nahm
schon früh das Priestergewand und kam ganz jung nach Rom, wo ihm durch die
Gunst seines Vetters Oliviero Carafa, des Kardinals und Erzbischofs von
Neapel, geholfen war. Alexander VI., dieser große Mann, der alles wußte
und alles konnte, machte ihn zu seinem Kämmerer, ungefähr das gleiche, was
man bei uns unter einem Ordonanzoffizier versteht. Julius II. ernannte ihn
zum Erzbischof von Chieli; Papst Paul machte ihn zum Kardinal und endlich
am 23. Mai 1555 wurde er, nach schlimmen Kabalen und vielen Disputen
zwischen den zum Konklave eingeschlossenen Kardinälen unter dem Namen Paul
IV. zum Papst gewählt; er war damals achtundsiebzig Jahre alt. Selbst über
die, welche ihn auf den Thron von Sankt Peter berufen hatten, kam bald die
Angst, wenn sie die Härte und die wilde unerbittliche Frömmigkeit des
Herrn bedachten, den sie sich selbst gesetzt hatten.

Die Neuigkeit dieser unerwarteten Wahl hatte umwälzende Wirkung in Neapel
und Palermo. Binnen wenigen Tagen traf eine große Anzahl von Mitgliedern
der illustren Familie Carafa in Rom ein, und alle erhielten Stellen; doch
zeichnete der Papst, wie ja natürlich, besonders seine drei Neffen aus,
Söhne seines Bruders, des Grafen von Montorio.

Don Juan, der Älteste, war schon verheiratet und wurde zum Herzog von
Palliano gemacht. Dieses Herzogtum, dem Marc Antonio Colonna, dem es
gehört hatte, abgenommen, umfaßte eine große Zahl Dörfer und kleiner
Städte. Don Carlos, der zweite Neffe Seiner Heiligkeit, war Malteserritter
und hatte den Krieg mitgemacht; er wurde zum Kardinallegaten von Bologna
und Premierminister ernannt. Als ein entschlossener Mann und treu den
Traditionen seiner Familie, wagte er es, dem mächtigsten König der Welt,
Philipp II., König von Spanien und beider Indien, feind zu sein, und gab
ihm auch Beweise davon. Was den dritten Neffen betraf, den Don Antonio
Carafa, so machte der Papst den bereits Verheirateten zum Marchese von
Montobello. Schließlich gelang es ihm, Franz, dem Dauphin von Frankreich
und Sohn Heinrichs II. eine Tochter aus der zweiten Ehe seines Bruders zur
Frau zu geben; Paul IV. dachte, ihr als Mitgift das Königreich Neapel zu
schenken, das man Philipp II., dem König von Spanien hätte wegnehmen
müssen. Die Familie Carafa verfolgte mit ihrem Hasse diesen mächtigen
König, dem es aber, auch durch die Fehler dieser Familie unterstützt,
endlich doch gelang, sie gänzlich auszutilgen.

Seit Paul IV. den Thron von San Pietro bestiegen hatte, der zu dieser Zeit
selbst den erhabenen Herrscher von Spanien zu einem Vasallen machte, wurde
er, wie man es bei den meisten seiner Nachfolger gesehen hat, Beispiel
aller Tugenden. Er wurde ein großer Papst und ein großer Heiliger; er
bemühte sich, die Mißbräuche in der Kirche abzustellen und dadurch auch
das allgemeine Konzil abzuwenden, das man vom römischen Hofe von allen
Seiten verlangte, in das aber eine kluge Politik nicht einzuwilligen riet.

Nach der von der Gegenwart fast völlig vergessenen Sitte jener Zeit, wo
ein Souverän niemals Vertrauen in Menschen setzte, die noch ein andres
Interesse als das seine haben konnten, wurden die Staaten Seiner
Heiligkeit in despotischer Weise von seinen drei Neffen regiert. Der
Kardinal war erster Minister und verfügtet nach dem Willen seines Oheims.
Der Herzog von Palliano war zum General der Truppen der heiligen Kirche
gemacht worden und der Marchese von Montebello ließ als Hauptmann der
Palastwache nur Personen eintreten, die ihm genehm waren. Bald begingen
diese drei jungen Leute die größten Ausschreitungen; sie begannen damit,
sich die Güter von Familien anzueignen, die ihrer Herrschaft abgeneigt
waren. Das Volk wußte nicht, an wen es sich um Gerechtigkeit wenden
sollte. Nicht nur um seinen Besitz mußte es in Sorge sein, sondern -- im
Vaterland der keuschen Lukrezia! -- auch die Ehre der Frauen und Töchter
war nicht sicher. Der Herzog von Palliano und seine Brüder entführten die
schönsten Frauen; es genügte, das Unglück zu haben, ihnen zu gefallen.
Betroffen sah man, daß sie auf den Adel des Bluts gar keine Rücksicht
nahmen, und mehr noch: sie ließen sich nicht einmal durch die heilige
Abgeschlossenheit der Klöster zurückhalten. Das zur Verzweiflung
getriebene Volk wußte nicht, an wen es seine Klagen richten sollte, so
groß war das Entsetzen, das die drei Brüder allen einflößten, die sich dem
Papst nähern wollten; selbst gegen die fremden Botschafter traten sie
unverschämt auf.

Der Herzog hatte schon vor der Machtstellung seines Oheims Violante von
Cardona geheiratet, aus einer ursprünglich spanischen Familie, die in
Neapel zum ersten Adel gehörte. Violante war durch ihre ungewöhnliche
Schönheit und durch eine Anmut berühmt, welche sie gut zu zeigen verstand,
wenn sie gefallen wollte, mehr aber noch durch ihren maßlosen Stolz. Doch
um gerecht zu sein, muß man auch sagen, daß man nicht leicht eine größere,
stärkere Seele hätte finden können als die ihre, und dies wurde auch der
Welt deutlich, als sie vor ihrem Tode dem Kapuziner, der ihr die Beichte
abnahm, nichts gestand. Sie konnte den bewunderungswürdigen Orlando des
Messer Ariosto auswendig und trug ihn mit unendlicher Lieblichkeit vor,
wie auch die meisten Sonette des göttlichen Petrarca und die Erzählungen
des Pecorone. Aber noch verführerischer war sie, wenn sie sich herabließ,
ihre Gesellschaft mit den sonderbaren Einfällen zu unterhalten, die ihr
der eigne Geist eingab.

Sie hatte einen Sohn, den Herzog von Cavi. Ihren Bruder Don Ferrante,
Grafen d'Aliffe, zog das große Glück seines Schwagers nach Rom.

Der Herzog von Palliano hielt glänzenden Hof. Die jungen Leute der ersten
Familien Neapels buhlten um die Ehre, daran teilzuhaben. Rom verwöhnte zu
der Zeit mit seiner Bewunderung einen seiner Lieblinge, den Marcello
Capecce, einen jungen Kavalier, in Neapel durch seinen Geist und nicht
minder durch die göttliche Schönheit berühmt, die ihm der Himmel geschenkt
hatte.

Die Favoritin der Herzogin war Diana Brancaccio, eine nahe Verwandte ihrer
Schwägerin, der Marchesa von Montebello, die damals dreißig Jahre zählte.
Man erzählte sich in Rom, daß sie dieser Favoritin nicht ihren sonstigen
Stolz zeige, ja ihr alle ihre Geheimnisse anvertraue. Aber diese
Geheimnisse bezogen sich nur auf die Politik; denn die Herzogin erweckte
wohl Leidenschaften, doch sie teilte keine.

Auf den Rat des Kardinals Carafa führte der Papst gegen den König von
Spanien Krieg und der König von Frankreich schickte dem Papst eine Armee
unter dem Befehl des Herzogs von Guise zur Unterstützung.

Aber wir müssen uns an die Ereignisse am Hof des Herzogs von Palliano
halten.

Capecce war seit einer Zeit wie toll; man sah ihn die seltsamsten Dinge
tun. Tatsache ist, daß sich der arme junge Mensch leidenschaftlich in
seine Herrin, die Herzogin, verliebt hatte; doch wagte er kein Geständnis
seiner Liebe. Aber er zweifelte nicht, an sein Ziel zu gelangen, denn er
bemerkte, daß die Herzogin gegen ihren Gemahl, der sie vernachlässigte,
aufs äußerste gereizt war. Der Herzog von Palliano war allmächtig in Rom,
und die Herzogin wußte für sicher, daß ihn fast jeden Tag die wegen ihrer
Schönheit berühmten römischen Damen in ihrem eignen Palast
aufsuchten -- ein Schimpf, an den sie sich nicht gewöhnen mochte.

Unter den Kaplänen des Papstes Paul befand sich ein ehrwürdiger Mönch, mit
dem er das Brevier zu beten pflegte. Dieser wagte es eines Tags, trotz der
Gefahr seines eignen Verderbens, vielleicht auf Veranlassung des
spanischen Gesandten, dem Papst alle Schurkereien seiner Neffen zu
enthüllen. Der fromme Papst wurde vor Kummer krank; er wollte die Wahrheit
des Berichtes bezweifeln; aber von allen Seiten kamen die erdrückendsten
Bestätigungen. Es war am ersten Tag des Jahres 1559, als das Ereignis
eintrat, das dem Papst die Gewißheit gab und vielleicht die Entscheidung
Seiner Heilichkeit bestimmte. Es war gerade am Tag der Beschneidung des
Herrn, ein Umstand, der das Vergehen in den Augen eines so frommen Papstes
noch erschwerte, daß Andrea Lanfranchi, der Sekretär des Herzogs von
Palliano, dem Kardinal Carafa ein prächtiges Abendessen gab. Und damit den
Reizungen der Völlerei die der Unzucht nicht fehlten, zu diesem Fest die
Martuccia kommen ließ, eine der schönsten, berühmtesten und reichsten
Kurtisanen Roms. Das Verhängnis wollte, daß Capecce, der Günstling des
Herzogs -- eben jener, der im geheimen die Herzogin liebte und für den
schönsten Mann der Hauptstadt der Welt galt --, seit einiger Zeit mit
dieser Martuccia eine galante Beziehung pflog. An eben diesem Abend suchte
er sie überall, wo er hoffen konnte, sie zu treffen. Als er sie nirgends
fand und gehört hatte, daß im Hause Lanfranchi ein Fest stattfand, faßte
er Argwohn und erschien bei Lanfranchi um Mitternacht, begleitet von
vielen Bewaffneten. Man ließ ihn ein, forderte ihn auf, sich zu setzen und
am Fest teilzunehmen; aber nach einigen recht gezwungenen Worten gab er
Martuccia ein Zeichen, sich zu erheben und ihm zu folgen. Während sie ganz
verwirrt und in Vorahnung dessen, was geschehen würde, zögerte, erhob sich
Capecce, ging auf das junge Mädchen zu, faßte es bei der Hand und
versuchte, es mit sich zu ziehn. Der Kardinal, zu dessen Ehren Martuccia
gekommen war, widersetzte sich lebhaft ihrem Fortgehn. Capecce aber
bestand darauf und versuchte, sie mit Gewalt aus dem Saal zu ziehen.

Der Kardinal, der an diesem Abend gar nicht in Amtstracht gekleidet war,
zog den Degen und verhinderte mit all der Kraft und Kühnheit, die ganz Rom
an ihm kannte, das Fortgehen des jungen Mädchens. Marcello rief, trunken
vor Zorn, seine Leute herein; aber es waren in der Mehrzahl Neapolitaner,
und als sie zuerst den Sekretär des Herzogs und dann auch noch den
Kardinal erkannten, den seine ungewohnte Kleidung zuerst unkenntlich
gemacht hatte, steckten sie ihre Schwerter ein; sie wollten sich nicht
mehr schlagen und legten sich ins Mittel, den Streit zu schlichten.

Während dieses Streites war Martuccia, obgleich umringt und von Marcello
an der linken Hand gehalten, geschickt genug gewesen, zu entschlüpfen.
Sobald Marcello ihre Abwesenheit merkte, lief er ihr nach und seine ganze
Bande folgte ihm.

Aber aus dem Dunkel der Nacht erwuchsen die seltsamsten Gerüchte, und am
Morgen des zweiten Januar war die Hauptstadt von Berichten über den
gefährlichen Kampf überschwemmt, der, wie man sagte, zwischen dem Kardinal
und Marcello Capecce stattgefunden habe. Der Herzog von Palliano,
kommandierender General der päpstlichen Armee, hielt die Sache für weit
schlimmer als sie wirklich war, und da er mit seinem Bruder, dem
Kardinal-Kanzler, nicht sehr gut stand, ließ er noch in der Nacht
Lanfranchi verhaften; früh am nächsten Morgen wurde auch Marcello gefangen
gesetzt. Dann erst kam man darauf, daß niemand das Leben verloren habe und
daß diese Festnahmen nur den Skandal vergrößerten, der ganz auf den
Kardinal zurückfiel. Man beeilte sich, die Gefangenen wieder in Freiheit
zu setzen und die drei Brüder vereinigten ihre unbegrenzte Macht, um die
Angelegenheit niederzuschlagen. Erst hofften sie, es würde ihnen glücken;
aber am dritten Tag kam die ganze Geschichte dem Papst zu Ohren. Er ließ
seine beiden Neffen zu sich rufen und sprach zu ihnen wie nur ein so
frommer und in seiner Frömmigkeit so tief verletzter Fürst der Kirche
sprechen konnte.

Als am fünften Tage des Januar eine große Anzahl von Kardinälen zur
_Congregatio Sancti Officii_ vereinigt war, sprach der Papst als erster
von dieser abscheulichen Sache; er fragte die anwesenden Kardinäle, wie
sie wagen konnten, ihn nicht davon in Kenntnis zu setzen.

"Ihr schweigt! Und doch rührt der Skandal an der erhabenen Würde, die Ihr
bekleidet. Kardinal Carafa hat es gewagt, sich in der Öffentlichkeit in
einem weltlichen Gewand und den nackten Degen in der Hand zu zeigen. Und
zu welchem Zweck? Um sich an einer ehrlosen Kurtisane zu erfreuen!"

Man kann sich die Totenstille denken, die diesen Worten gegen den
Kardinal-Minister unter allen Anwesenden folgte. Vor ihnen stand ein Greis
von achtzig Jahren, voll Zorn gegen den so geliebten Neffen, dem er bisher
alle Freiheit gelassen hatte. In seiner Entrüstung sprach der Papst weiter
davon, seinem Neffen den Kardinalshut zu nehmen.

Der Zorn des Papstes wurde noch durch den Gesandten des Großherzogs von
Toskana genährt, der sich über eine neue Anmaßung des Kardinalkanzlers
beklagte. Der unlängst noch so mächtige Kardinal meldete sich bei Seiner
Heiligkeit für die gewohnte Arbeit. Der Papst ließ ihn volle vier Stunden
vor aller Augen im Vorzimmer warten; dann schickte er ihn weg, ohne ihn
zur Audienz zuzulassen. Man kann ahnen, wie der unbändige Stolz des
Kardinals darunter litt. Er war gereizt, aber keineswegs niedergedrückt;
er überlegte, daß der vom Alter geschwächte und wenig an die Geschäfte
gewöhnte Greis, der sein ganzes Leben hindurch sich von der Liebe zu
seiner Familie hatte leiten lassen, bald wieder genötigt sein würde, auf
seine Tatkraft zurückzugreifen. Aber die fromme Tugend des heiligen
Papstes trug den Sieg davon; er berief die Kardinäle, und nachdem er sie
lange ohne zu sprechen angesehn hatte, brach er in Tränen aus und zögerte
nicht, etwas zu tun, das wie eine Buße war.

"Die Schwäche des Alters", sagte er, "und die Sorgfalt, die wir für die
Angelegenheiten unserer heiligen Kirche aufwenden, in der wir, wie Ihr
wißt, alle Mißbräuche ausmerzen wollen, haben uns bewogen, unsere
weltliche Autorität unsern drei Neffen anzuvertrauen; sie haben ihr Amt
schwer mißbraucht und wir entlassen sie für immer."

Man verlas darauf ein Breve, durch welches die Neffen aller ihrer Würde
entkleidet und in armselige Dörfer verwiesen wurden. Der Kardinalkanzler
wurde nach Civita Lavinia verbannt; der Herzog von Palliano nach Soriano
und der Marchese nach Montebello. Durch dieses Breve ging der Herzog auch
seiner regelmäßigen Gehälter verlustig, die sich auf 62 000 Piaster
beliefen, was im Jahre 1838 mehr als eine Million bedeutet.

Es konnte nicht die Rede davon sein, diesen strengen Befehlen nicht zu
gehorchen, zumal die Carafa das ganze Volk Roms, das sie verabscheute, zu
Feinden und Aufpassern hatte.

Der Herzog von Palliano schlug nun, in Begleitung seines Schwagers, des
Grafen d'Aliffe und Leonardos del Cardine seinen Wohnsitz in dem kleinen
Dorf Soriano auf, während die Herzogin und ihre Schwiegermutter nach
Gallese zogen, einem ärmlichen Neste, zwei knappe Meilen von Soriano
entfernt.

Diese Gegend ist entzückend, aber es war doch eine Verbannung, und man war
aus Rom vertrieben, wo man noch gestern mit aller Anmaßung geherrscht
hatte.

Marcello Capecce war mit den andern Höflingen seiner Herrin in das
ärmliche Dorf in die Verbannung gefolgt. An Stelle der Huldigungen ganz
Roms sah sich diese noch vor wenigen Tagen so mächtige Frau, die ihren
Rang mit dem ganzen Ungestüm ihres Stolzes genoß, nur noch von einfachen
Bauern umgeben, deren Staunen sie nur an ihren Fall erinnerte. Sie war
ohne jeden Trost; ihr Oheim war so alt, daß ihn voraussichtlich der Tod
überrascht, bevor er seine Neffen zurückgerufen hat; und was am
schlimmsten war: die drei Brüder verabscheuten einander. Man behauptete
sogar, daß der Herzog und der Marchese, welche die ungestümen
Leidenschaften des Kardinals nicht teilten und über seine Ausschweifungen
aufgebracht waren, so weit gegangen wären, sie ihrem Oheim, dem Papst, zu
denunzieren.

Mitten im Schrecken dieser tiefen Ungnade geschah etwas, das zum Unglück
sowohl für die Herzogin wie für Capecce selber sehr wohl zeigte, daß
diesen keine wirkliche Leidenschaft an Martuccia gefesselt hatte.

Eines Tages hatte ihn die Herzogin rufen lassen, um ihm einen Auftrag zu
geben; er war allein mit ihr, was vielleicht kaum zweimal während des
ganzen Jahres vorkam. Als Capecce sah, daß in dem Saal, wo ihn die
Herzogin empfing, niemand anwesend war, blieb er erst unbeweglich und ohne
ein Wort. Dann ging er zur Türe, nachzusehen, ob jemand da wäre, der sie
vom Nebenzimmer hören könnte. Hierauf wagte er es:

"Signora, beunruhigt Euch nicht und nehmt die seltsamen Worte, die ich
Euch zu sagen die Kühnheit haben werde, nicht mit Zorn auf. Seit langem
liebe ich Euch mehr als das Leben. Wenn ich in zu großer Unvorsichtigkeit
gewagt habe, Eure göttliche Schönheit wie ein Verliebter zu betrachten,
dürft Ihr nicht mir die Schuld geben, sondern der übernatürlichen Kraft,
die mich treibt und bewegt. Ich leide Qualen, ich brenne, ich bitte nicht
um Linderung der Flamme, die mich verzehrt, sondern nur, daß Euer Edelmut
Mitleid mit einem Diener habe, der voll Demut und ohne Vertrauen zu sich
selbst ist."

Die Herzogin schien überrascht, aber mehr noch beunruhigt.

"Marcello, was hast du eigentlich in mir gesehn," sagte sie ihm, "das dir
die Verwegenheit gibt, Liebe von mir zu fordern? Hat sich mein Leben, hat
sich meine Unterhaltung so weit vom Geziemenden entfernt, daß du dadurch
eine solche Unverschämtheit rechtfertigen kannst? Wie konntest du die
Vermessenheit haben, von mir zu glauben, daß ich mich dir oder irgendeinem
andern Mann hingeben könnte, außer meinem Herrn und Gemahl? Ich verzeihe
dir, was du gesagt hast, weil ich denke, daß du von Sinnen bist; aber hüte
dich, wieder in den gleichen Fehler zu verfallen, anders schwöre ich dir,
daß ich dich für die erste sowie für die zweite Frechheit zugleich strafen
lassen werde."

Die Herzogin entfernte sich außer sich vor Zorn. Capecce hatte auch
wirklich gegen alle Gebote der Klugheit gefehlt; er hätte erraten lassen
müssen, aber nichts aussprechen. Er blieb betroffen und fürchtete sehr,
daß die Herzogin die Sache ihrem Gemahl erzählen würde.

Aber es kam ganz anders, als er besorgte. In der Einsamkeit und Langweile
dieses Dorfs konnte die stolze Herzogin nicht umhin, ihrer Freundin Diana
Brancaccio anzuvertraun, was man ihr zu sagen gewagt hatte. Diese Frau von
etlichen dreißig Jahren verzehrten die heftigsten Leidenschaften. Sie
hatte rotes Haar -- der Chronist kommt mehrmals auf diesen Umstand zurück,
der ihm alle Torheiten der Diana Brancaccio zu erklären scheint -- und sie
liebte mit wilder Leidenschaft Domitiano[sic! weiter unten: Domiziano]
Fornari, einen Edelmann vom Hofstaat des Marchese von Montebello. Sie
wollte ihn heiraten, aber würden der Marchese und seine Frau, deren
Blutsverwandte zu sein sie die Ehre hatte, jemals zustimmen, daß sie einen
Mann heirate, der gegenwärtig ihr Bediensteter war? Dieses Hindernis war
wenigstens dem Anschein nach unüberwindlich.

Es gab nur eine Möglichkeit des Erfolgs: man mußte alles aufbieten, um die
Fürsprache des Herzogs von Palliano, des älteren Bruders des Marchese zu
erlangen, und Diana war in bezug darauf nicht ohne Hoffnung. Der Herzog
behandelte sie mehr als Verwandte denn als Dienerin, die sie als Hofdame
war. Er war ein guter Mensch von schlichter Gesinnung und gab lange nicht
so viel wie seine Brüder auf die Fragen der Etikette. Obgleich der Herzog
als ein richtiger junger Mann alle Vorteile seiner hohen Stellung genoß
und seiner Frau nichts weniger als treu war, liebte er sie zärtlich und
würde ihr aller Wahrscheinlichkeit nach keine Bitte abschlagen, würde sie
nur mit einer gewissen Eindringlichkeit vorgebracht.

Das Geständnis, das Capecce der Herzogin zu machen gewagt hatte, schien
der brütenden Diana ein unerwarteter Glücksfall. Ihre Herrin war bisher
zum Verzweifeln tugendhaft gewesen; wenn sie nun eine Leidenschaft
empfände, einen Fehltritt beginge, würde sie Dianas alle Augenblicke
bedürfen, und dann konnte sie alles von einer Frau erhoffen, deren
Geheimnisse sie kannte.

Weit davon, die Herzogin darauf aufmerksam zu machen, was sie sich
schulde, und auf die schreckliche Gefahr, der sie sich inmitten eines so
indiskreten Hofs aussetzen würde, sprach Diana, von der Unbändigkeit ihrer
Leidenschaft fortgerissen, zu ihrer Herrin von Marcello Capecce, als ob
sie von Domiziano Fornari spräche. In langen Unterhaltungen einsamer
Stunden fand sie täglich Gelegenheit, die Reize und die Schönheit des
armen Marcello, der so traurig aussah, in Erinnerung zu bringen; er gehöre
doch, wie die Herzogin, den vornehmsten Familien Neapels an, sein
Auftreten sei ebenso edel wie sein Blut, und nichts als jene Güter, die
eine Laune des Glücks jeden Tag verleihen könnten, fehlten ihm, um in
jeder Beziehung der Frau, die er zu lieben wagte, gleichzustellen.

Diana bemerkte erfreut als erste Wirkung dieser Reden, daß sich das
Vertrauen verdoppelte, das die Herzogin ihr schenkte.

Sie beeilte sich, Marcello Capecce von dem, was vorging, zu verständigen.
In der Glut dieses Sommers promenierte die Herzogin oft in den Wäldern der
Umgebung von Gallese. Neigte sich der Tag, so erwartete sie die kühlende
Brise vom Meere her auf den Hügeln dieser Wälder, von deren Gipfel man das
Meer in der kurzen Entfernung von kaum zwei Meilen erblickt.

Ohne die strengen Regeln der höfischen Sitte außer acht zu lassen, konnte
sich Marcello in diesen Wäldern aufhalten; er verbarg sich dort, wie man
sagt, und trug Sorge, sich den Blicken der Herzogin erst zu zeigen, wenn
sie durch die Worte der Diana Brancaccio genügend vorbereitet war. Diese
gab dann Marcello ein Zeichen.

Als Diana ihre Herrin nahe daran sah, der verhängnisvollen Leidenschaft
nachzugeben, die sie in ihrem Herzen erweckt hatte, gab sie selbst sich
der heftigen Liebe zu Domiziano Fornari hin. Nun schien es ihr ja sicher,
ihn heiraten zu können. Aber Domiziano war ein kluger junger Mann, von
kaltem, zurückhaltendem Charakter, und die ungestüme Leidenschaft seiner
feurigen Geliebten wurde ihm bald lästig, statt ihn zu fesseln. Diana
Brancaccio war, wie gesagt, eine nahe Verwandte der Carafa; er hielt es
für sicher, erdolcht zu werden, wenn der gefürchtete Kardinal Carafa, der,
mochte er auch jünger als der Herzog von Palliano sein, doch das
eigentliche Oberhaupt der Familie war, auch nur das Geringste über seine
Liebesbeziehung erführe.

Die Herzogin hatte schon seit einiger Zeit der Leidenschaft Capecces
nachgegeben, als man eines schönen Tages Domiziano Fornari nicht mehr in
dem Dorf fand, wohin man den Hof des Marchese von Montebello verbannt
hatte. Er blieb verschwunden. Später erfuhr man, daß er sich in dem
kleinen Hafen von Nettuno eingeschifft habe; ohne Zweifel hatte er seinen
Namen gewechselt; nie wieder hörte man von ihm.

Wer könnte die Verzweiflung Dianas schildern? Nachdem die Herzogin ihre
Anklagen gegen das Schicksal lange mit Güte angehört hatte, gab sie ihr
eines Tages zu verstehn, daß dieser Gesprächsgegenstand doch erschöpft zu
sein scheine. Diana sah sich von ihrem Liebhaber verschmäht; ihr Herz war
den grausamsten Leidenschaften preisgegeben; sie zog die sonderbarste
Schlußfolgerung aus dem Augenblick der Langeweile, den die Herzogin bei
der Wiederholung ihrer Klagen empfunden hatte. Diana redete sich ein, daß
die Herzogin Domiziano Fornari veranlaßt habe, sie auf immer zu verlassen,
ja daß sie es gewesen sei, die ihm die Mittel zur Reise gab. Dieser tolle
Einfall stützte sich auf nichts als einige Vorhaltungen, welche die
Herzogin ihr früher einmal gemacht hatte. Dem Argwohn folgte bald der
Wunsch, sich zu rächen. Sie suchte um eine Audienz beim Herzog nach und
teilte ihm mit, was zwischen seiner Frau und Marcello vorging. Der Herzog
weigerte sich, dem zu glauben. "Bedenkt," sagte er ihr, "daß ich der
Herzogin seit fünfzehn Jahren nicht den leisesten Vorwurf zu machen habe.
Sie hat den Versuchungen des Hofes und den Verführungen unserer glänzenden
Stellung in Rom widerstanden. Die liebenswertsten Persönlichkeiten, der
General der französischen Armee, Herzog von Guise selbst, haben nichts
erreicht, und Ihr wollt behaupten, daß sie einen gewöhnlichen Edelmann
erhört hat?"

Das Unglück wollte, daß der Herzog sich in Loriano, dem kleinen Dorf
seiner Verbannung, das nur zwei knappe Meilen vom Wohnsitz seiner Frau
entfernt lag, sehr langweilte und daß Diana dadurch eine ganze Reihe von
Audienzen erreichen konnte, ohne daß dies der Herzogin zur Kenntnis kam.
Diana hatte erstaunliche Kräfte; die Leidenschaft machte sie beredt. Sie
gab dem Herzog eine Fülle von Einzelheiten; die Rache war jetzt ihre
einzige Zerstreuung geworden. Sie wiederholte, daß sich Capecce fast jede
Nacht gegen elf Uhr in das Schlafgemach der Herzogin begab und nicht vor
zwei oder drei Uhr des Morgens fortgehe. Diese Reden machten im Anfang so
wenig Eindruck auf den Herzog, daß er sich nicht die Mühe auferlegen
wollte, um Mitternacht die zwei Meilen nach Gallese zurückzulegen und
unerwartet in das Schlafgemach seiner Frau zu treten.

Aber eines Abends befand er sich in Gallese; die Sonne war schon
untergegangen, aber doch war es noch hell, als Diana ganz zerzaust in den
Saal stürzte, wo sich der Herzog aufhielt. Alle entfernten sich, und sie
sagte ihm, daß Marcello Capecce eben in das Schlafzimmer der Herzogin
eingetreten sei. Der Herzog, der ohne Zweifel in diesem Augenblick
schlecht gelaunt war, nahm seinen Dolch und lief zum Schlafzimmer seiner
Frau, in das er durch eine geheime Tür eintrat. Er fand dort Marcello
Capecce. Die beiden Verliebten wechselten wohl die Farbe, als sie ihn
eintreten sahen; aber im übrigen war nichts Sträfliches am Anblick, den
sie boten. Die Herzogin lag im Bett und war damit beschäftigt, eine kleine
Auslage, die sie eben gemacht hatte, zu notieren; eine Kammerfrau war im
Zimmer und Marcello stand drei Schritt vom Bett entfernt.

Der Herzog packte in seinem Zorn Marcello bei der Kehle, schleppte ihn in
ein Nebenzimmer, wo er ihm befahl, Degen und Dolch, mit denen er bewaffnet
war, auf die Erde zu werfen. Hierauf rief der Herzog Leute seiner Wache
herbei, von denen Marcello sofort ins Gefängnis von Soriano abgeführt
wurde.

Die Herzogin ließ man in ihrem Schloß, doch unter strenger Bewachung.

Der Herzog war durchaus nicht grausam; es scheint, daß er die Absicht
hatte, die Schande zu verheimlichen, um nicht gezwungen zu sein, zu den
äußersten Mitteln zu greifen, welche die Ehre von ihm forderte. Er wollte
glauben machen, daß Marcello wegen einer ganz andern Angelegenheit im
Gefängnis gehalten würde; er nahm zum Vorwand, daß Marcello vor zwei oder
drei Monaten einige ungewöhnlich große Kröten zu sehr hohem Preis gekauft
hatte, und ließ das Gerücht verbreiten, dieser junge Mann habe ihn
vergiften wollen. Aber das wirkliche Vergehen war schon zu bekannt, und
sein Bruder, der Kardinal, ließ fragen, wann er gedenke, den Schimpf, den
man gewagt hatte, ihrer Familie anzutun, im Blute der Schuldigen
abzuwaschen.

Der Herzog rief den Grafen d'Aliffe, den Bruder seiner Frau, und einen
Freund des Hauses, Antonio Torando, zu sich. Sie bildeten zu dritt eine
Art Gerichtshof und leiteten die Untersuchung gegen Marcello Capecce ein,
der des Ehebruchs mit der Herzogin angeklagt wurde.

Die Unbeständigkeit der menschlichen Dinge wollte, daß der Papst Pius IV.,
der auf Paul IV. folgte, der spanischen Partei angehörte. Er konnte
Philipp II. nichts abschlagen, und dieser verlangte von ihm den Tod des
Kardinals und des Herzogs von Palliano. Die beiden Brüder wurden vor
Gericht angeklagt, und die Urkunden des Prozesses, den sie zu erdulden
hatten, erzählen uns auch alle Umstände des Todes von Marcello Capecce.

Einer der zahlreichen einvernommenen Zeugen sagt in folgender Weise aus:

"[sic! Das schließende Anführungszeichen fehlt.]Wir waren in Soriano. Mein
Herr, der Herzog hatte eine lange Unterredung mit dem Grafen d'Aliffe.
Sehr spät am Abend stieg man in ein Vorratsgewölbe zu ebener Erde
hinunter, wo der Herzog schon die zur peinlichen Befragung des Schuldigen
notwendigen Seile hatte vorbereiten lassen. Zugegen waren der Herzog, der
Graf d'Aliffe, der Herr Antonio Torando und ich.

Als erster Zeuge wurde der Hauptmann Camillo Grifone, der Freund und
Vertraute Capecces gerufen. Der Herzog sagte folgendes zu ihm:

'Sage die Wahrheit, mein Freund. Was weißt du von dem, was Marcello im
Schlafgemach der Herzogin tat?'

'Ich weiß nichts; ich bin seit mehr als zwanzig Tagen mit Marcello
entzweit.'

Weil er hartnäckig darauf bestand, nichts andres zu sagen, rief der Herr
Herzog einige Mann seiner Wache herein. Grifone wurde durch den Podesta
von Soriano an das Seil gebunden. Die Wachen zogen die Seile an und hoben
auf diese Weise den Schuldigen vier Finger vom Boden empor. Nachdem der
Hauptmann eine gute Viertelstunde so gehangen hatte, sagte er:

'Laßt mich herunter, ich werde sagen, was ich weiß.'

Als man ihn auf den Boden herabgelassen hatte, entfernten sich die Wachen,
und wir blieben mit ihm allein. Er sagte:

'Es ist wahr, daß ich mehrere Male Marcello bis zum Gemach der Herzogin
begleitet habe, aber weiter weiß ich nichts, weil ich in einem
benachbarten Hof bis gegen ein Uhr morgens auf ihn gewartet habe.'

Sofort rief man wieder nach den Wachen, welche ihn auf Befehl des Herzogs
von neuem so emporzogen, daß seine Füße den Boden nicht mehr berührten.
Bald rief der Hauptmann:

'Laßt mich ab, ich will die Wahrheit sagen. Es ist wahr,' fuhr er fort,
'ich habe seit mehreren Monaten bemerkt, daß Marcello ein Liebesverhältnis
mit der Herzogin hatte, und ich wollte Eurer Exzellenz oder Herrn Leonardo
davon Mitteilung machen. Die Herzogin schickte jeden Morgen zu Marcello,
um sich nach seinem Befinden zu erkundigen; sie ließ ihm kleine Geschenke
zukommen, so unter andern Dingen auch sehr teure mit großer Sorgfalt
zubereitete Konfitüren; ich habe auch bei Marcello kleine, wunderbar
gearbeitete Goldketten gesehen, die er offenbar von der Herzogin erhalten
hatte.'

Nach dieser Aussage wurde der Hauptmann ins Gefängnis zurückgeschickt. Man
führte nun den Pförtner der Herzogin vor, der sagte, daß er nichts wisse;
man band ihn an das Seil, und er wurde hochgezogen. Nach einer halben
Stunde sagte er:

'Laßt mich herab, ich werde sagen, was ich weiß.'

Als er am Boden war, behauptete er aber, nichts zu wissen; man zog ihn von
neuem hoch. Nach einer halben Stunde ließ man ihn herunter; er setzte
auseinander, daß er erst seit kurzer Zeit mit dem Dienst bei der Herzogin
betraut sei. Da es möglich war, daß dieser Mann nichts wußte, schickte man
ihn ins Gefängnis zurück. Alle diese Dinge hatten viel Zeit in Anspruch
genommen, weil man jedesmal die Wachen wieder hinausschickte. Die Wachen
sollten glauben, daß es sich um einen Vergiftungsversuch mit dem Gift der
Kröten handle.

Die Nacht war schon weit vorgeschritten, als der Herzog Marcello Capecce
holen ließ. Als die Wachen draußen waren und man die Tür fest verschlossen
hatte, sagte er ihm:

'Was hattet Ihr im Schlafgemach der Herzogin zu suchen, daß Ihr dort bis
ein Uhr, bis zwei Uhr und manchmal bis vier Uhr morgens bliebt?'

Marcello leugnete alles; man rief die Wache, und er wurde aufgehängt; das
Seil verrenkte ihm die Arme; er konnte den Schmerz nicht aushalten und
verlangte, herabgelassen zu werden; man setzte ihn auf einen Schemel, aber
einmal so weit, verwirrte er sich in seiner Rede und wußte eigentlich
nicht mehr, was er sagte. Man rief die Wachen herbei, die ihn von neuem
hochzogen; nach einer langen Zeit verlangte er, heruntergelassen zu
werden. Er sagte:

'Es ist wahr, daß ich zu dieser ungewöhnlichen Stunde in die Gemächer der
Herzogin eingetreten bin, doch hatte ich ein Liebesverhältnis mit der
Signora Diana Brancaccio, einer der Damen Ihrer Exzellenz, welcher ich die
Ehe versprochen habe, und die mir alles gewährt hat, was nicht gegen die
Ehre war.'

Marcello wurde in sein Gefängnis zurückgeführt, wo man ihn dem Hauptmann
und Diana gegenüberstellte, welche alles leugnete.

Darauf führte man Marcello wieder in den unteren Saal; als wir nahe der
Tür waren, sagte er:

'Herr Herzog, Eure Exzellenz wird sich erinnern, daß sie mir das Leben
zusicherten, wenn ich die volle Wahrheit sagen würde. Es ist nicht nötig,
mich von neuem anzubinden; ich werde alles gestehen.'

Dann näherte er sich dem Herzog und sagte ihm mit zitternder und kaum
verständlicher Stimme, daß es wahr sei, daß er die Gunst der Herzogin
genossen habe. Auf diese Worte hin warf sich der Herzog auf Marcello und
biß ihn in die Wange, dann zog er seinen Dolch, und ich sah, daß er den
Schuldigen erstechen wollte. Ich sagte da, daß es gut wäre, wenn Marcello
eigenhändig aufschriebe, was er soeben gestanden hätte und daß dies
Schriftstück Seiner Exzellenz zur Rechtfertigung dienen würde. Man trat in
den unteren Saal ein, wo sich alles befand, was zum Schreiben nötig war;
aber das Seil hatte Marcello so am Arm und an der Hand verletzt, daß er
nichts weiter schreiben konnte, als diese wenigen Worte: 'Ja, ich habe
meinen Herrn verraten; ja, ich habe ihm die Ehre genommen.'

Der Herzog las mit, während Marcello schrieb. In diesem Augenblick stürzte
er sich auf Marcello und versetzte ihm drei Dolchstöße, die ihm das Leben
nahmen. Diana Brancaccio war da, drei Schritte entfernt, mehr tot als
lebendig; sie bereute ohne Zweifel tausend- und abertausendmal, was sie
getan hatte.

'Weib, unwürdig einer edlen Familie anzugehören!' schrie der Herzog, 'du
einzige Ursache meiner Schmach, die du herbeigeführt hast, um deinen
unehrlichen Lüsten zu fröhnen; ich muß dir jetzt den Lohn für all deine
Verrätereien zahlen.'

Indem er diese Worte sprach, packte er sie bei den Haaren und schnitt ihr
den Hals mit einem Messer ab. Diese Unglückliche vergoß Ströme Blutes und
fiel endlich tot nieder.

Der Herzog ließ die beiden Leichen in eine Kloake nah vom Gefängnis
werfen.

Der junge Kardinal Alfonso Carafa, der Sohn des Marchese von Montebello,
der einzige der ganzen Familie, den Paul IV. bei sich behalten hatte,
glaubte ihm dieses Ereignis berichten zu müssen. Der Papst antwortete
nichts als die Worte:

'Und die Herzogin? Was hat man mit ihr gemacht?'

Man glaubte in Rom allgemein, daß diese Worte den Tod dieser unglücklichen
Frau herbeiführen würden. Aber der Herzog konnte sich nicht zu diesem
großen Opfer entschließen, sei es, weil sie schwanger war, sei es wegen
der außerordentlichen Zärtlichkeit, die er früher für sie gefühlt hatte.

Drei Monate nach der sehr edlen Tat, die der heilige Papst Paul IV.
vollbracht hatte, indem er sich von seiner ganzen Familie lossagte, wurde
er krank und nach drei weiteren Monaten der Krankheit verschied er am 18.
August 1559.

Der Kardinal schrieb Briefe über Briefe an den Herzog von Palliano und
wiederholte ihm unaufhörlich, daß ihre Ehre den Tod der Herzogin
erheische. Jetzt, wo ihr Oheim tot war und man nicht die Absichten des
kommenden Papstes wissen konnte, wollte er, daß alles in kürzester Frist
erledigt werde.

Der Herzog, der ein einfacher und guter Mensch war und in Ehrensachen viel
weniger ängstlich als der Kardinal, konnte sich nicht zu dem schrecklichen
äußersten Mittel entschließen, das man von ihm verlangte. Er sagte sich,
daß er selbst unzählige Treulosigkeiten gegen die Herzogin begangen habe
und ohne sich die geringste Mühe zu geben, sie ihr zu verbergen und daß
solche Untreue eine so stolze Frau leicht auf Vergeltungsgedanken hätte
bringen können. Selbst im Augenblick, als das Konklave zusammentrat,
schrieb der Kardinal, nachdem er die Messe gehört und die heilige
Kommunion empfangen hatte, ihm nochmals, er fühle sich durch dieses ewige
Verschieben gepeinigt und wenn der Herzog sich nicht endlich zu dem
entschließe, was die Ehre ihres Hauses fordere, beteuere er, daß er sich
niemals mehr seiner Angelegenheiten annehmen würde, und nie wieder suchen
würde, ihm nützlich zu sein, sei es im Konklave, sei es bei dem künftigen
Papst. Ein Grund, der dem Ehrenpunkt fern lag, vermochte es, den Herzog
zum Entschluß zu bringen. Obwohl die Herzogin streng bewacht wurde, fand
sie, wie man sagt, die Möglichkeit, Marc Antonio Colonna sagen zu
lassen -- welcher der Hauptfeind des Herzogs war, weil er ihm sein
Herzogtum Palliano hatte abtreten müssen -- sie wolle ihn in Besitz der
Festung Palliano setzen, die einem ihr ergebenen Mann unterstellt war,
wenn Marc Antonio Mittel fände, ihr das Leben zu retten und sie zu
befreien.

Am 28. August 1559 schickte der Herzog zwei Kompagnien Soldaten nach
Gallese. Am 30. kamen Don Leonardo del Cardine, ein Verwandter des Herzogs
und Don Ferrante, Graf d'Aliffe, der Bruder der Herzogin in Gallese an und
gingen in die Gemächer der Herzogin, um ihr den Tod zu geben. Sie
verkündeten ihr, daß sie sterben müsse und sie nahm diese Nachricht ohne
die leiseste Erregung hin. Sie wollte vorher beichten und die heilige
Messe hören. Als dann die beiden Herren sich ihr wieder näherten, bemerkte
sie, daß sie untereinander nicht einig waren. Sie fragte, ob sie einen
Befehl ihres Gatten, des Herzogs, hätten, sie zu ermorden.

'Ja, Signora', erwiderte Leonardo. Die Herzogin wollte ihn sehen; Don
Ferrante zeigte ihn ihr.

       *       *       *       *       *

Ich finde in dem Prozeß des Herzogs von Palliano die Aussage der Mönche,
welche diesen schrecklichen Vorgängen beiwohnten. Diese Aussagen sind weit
über die der andern Zeugen zu stellen und das kommt, scheint mir, daher,
daß die Mönche ohne jede Furcht vor Gericht aussagten, während alle andern
Zeugen mehr oder weniger Mitschuldige ihres Herrn gewesen waren.

Der Kapuzinerbruder Antonio von Pavia sagte folgendes aus:

"Nach der Messe hatte sie fromm die heilige Kommunion genommen und während
wir ihr Trost zusprachen, trat der Graf d'Aliffe, der Bruder der Herzogin
ins Zimmer, in der Hand eine Schnur und einen daumdicken Haselnußstab, der
etwa eine halbe Elle lang sein mochte. Er verband der Herzogin mit einem
Taschentuch die Augen und sie zog es mit großer Kaltblütigkeit tiefer über
ihre Augen hinunter, um ihn nicht zu sehen. Der Graf legte ihr die Schnur
um den Hals, aber da sie nicht taugte, nahm sie der Graf wieder ab und
entfernte sich einige Schritte; als die Herzogin ihn gehen hörte, hob sie
das Taschentuch von den Augen und sagte:

'Nun? Was geschieht?'

Der Graf antwortete:

'Die Schnur war nicht gut, ich werde eine andre holen, damit Ihr nicht
leiden müßt.'

Als er diese Worte sprach, ging er hinaus und kam nach einigen Minuten mit
einer andern Schnur ins Zimmer zurück; er legte ihr von neuem das
Taschentuch über die Augen, schlang ihr die Schnur um den Hals, steckte
den Stab durch den Knoten, drehte ihn herum und erdrosselte sie. Die Sache
ging, was die Herzogin betraf, ganz im Ton einer gewöhnlichen Unterhaltung
vor sich."

Ein andrer Kapuziner, Bruder Antonio von Salazar, schließt seine Aussage
mit folgenden Worten:

"[sic! Die Setzung der Anführungszeichen der nächsten vier Absätze
entspricht durchaus der Vorlage.]Ich wollte mich zurückziehen, weil ich
Bedenken hatte wegen meines Gewissens und um sie nicht sterben zu sehn,
aber die Herzogin sagte zu mir:

'Entferne dich nicht von hier, um Gottes Barmherzigkeit willen.'

Nun erzählt der Mönch die Umstände ihres Todes genau so wie wir sie eben
geschildert haben. Er fügt hinzu:

'Sie starb als gute Christin, immer wiederholend: Ich glaube, ich
glaube.'"

Die beiden Mönche, welche offenbar von ihrem Vorgesetzten die nötige
Genehmigung erhalten hatten, blieben bei ihren Aussagen, daß die Herzogin
immer ihre völlige Unschuld beteuerte, sowohl in allen Unterredungen mit
ihnen, wie in jeder Beichte und besonders auch in der Beichte, die der
Messe voranging, wo sie das heilige Abendmahl empfing. Wäre sie schuldig
gewesen, hätte sie sich durch diesen Stolz bloß in die Hölle gestürzt.

In der Gegenüberstellung des Kapuzinerbruders Antonio von Pavia mit Don
Leonardo del Cardine, sagte der Bruder:

"Mein Gefährte sagte dem Grafen, daß es gut wäre, solange zu warten, bis
die Herzogin niederkäme; sie ist seit sechs Monaten schwanger," fügte er
hinzu, "und man sollte die Seele des armen unglücklichen Kleinen retten,
den sie in ihrem Schoß trägt; man muß ihn taufen."

Worauf der Graf d'Aliffe antwortete:

"Ihr wißt, daß ich nach Rom gehen muß, und ich will dort nicht mit dieser
Maske vor dem Gesicht erscheinen." Mit dieser ungesühnten Schmach wollte
er damit sagen.

Kaum war die Herzogin tot, als die beiden Kapuziner darauf bestanden, daß
man die Leiche ohne Verzug öffne, um das Kind zu taufen; aber der Graf und
Don Leonardo hörten nicht auf ihre Bitten.

Am nächsten Tag wurde die Herzogin in der Kirche des Orts mit einigem
Gepränge bestattet. Ich habe den amtlichen Bericht darüber gelesen. Dieses
Ereignis, dessen Kunde sich sofort verbreitete, machte wenig Eindruck; man
hatte es schon seit langem erwartet; man hatte schon mehrere Male die
Nachricht von diesem Tod in Gallese und in Rom verkündet und außerdem war
ein Mord außerhalb der Stadt und zu einer Zeit, wo der h. Stuhl frei war,
gar nichts Besonderes. Das Konklave, welches auf den Tod Paul IV. folgte,
war sehr stürmisch; es dauerte nicht weniger als vier Monate.

Am 26. Dezember 1559 war der Kardinal Carlo Carafa genötigt, bei der Wahl
eines Papstes mitzuwirken, welcher von Spanien vorgeschlagen worden war
und folglich allen strengen Maßnahmen willig zustimmen mußte, die Philipp
II. gegen ihn, Kardinal Carafa, verlangen würde. Der Neuerwählte nahm den
Namen Pius IV. an.

Wenn der Kardinal zur Zeit, als sein Oheim starb, nicht verbannt gewesen
wäre, hätte er auf die Wahl Einfluß gehabt oder zum mindesten hätte er die
Ernennung eines Feindes verhindern können.

Kurz darauf verhaftete man den Kardinal wie den Herzog; der Befehl Philipp
II. ging offenbar dahin, sie zugrunde zu richten. Sie hatten sich gegen
vierzehn Hauptanklagepunkte zu verantworten. Man verhörte auch alle, die
über diese vierzehn Punkte hatten Aufklärung geben können. Dieser
ausgezeichnet geführte Prozeß macht zwei Foliobände aus, die ich mit
großem Interesse gelesen habe, weil man dort auf jeder Seite Schilderungen
von Sitten trifft, welche die Historiker der Erhabenheit der Geschichte
nicht würdig fanden. Ich habe dort sehr merkwürdige Einzelheiten über
einen Mordanschlag verfolgen können, der von der spanischen Partei gegen
den Kardinal Carafa versucht wurde, als er noch allmächtiger Minister war.

Übrigens wurde er und sein Bruder wegen Verbrechen verurteilt, die für
andere keine gewesen wären, zum Beispiel: den Liebhaber einer untreuen
Frau getötet zu haben und diese Frau auch. Einige Jahre später heiratete
der Fürst Orsini die Schwester des Großherzogs von Toscana; er glaubte,
daß sie ihm untreu sei und ließ sie in Toscana selbst unter Zustimmung
ihres Bruders des Großherzogs vergiften und niemals wurde ihm das
Verbrechen angerechnet. Auch mehrere Fürstinnen aus dem Hause Medici sind
so gestorben.

Als der Prozeß der beiden Carafa beendet war, machte man einen langen
Auszug davon, der zu wiederholten Malen von den Kongregationen der
Kardinäle geprüft wurde. Nachdem man einmal übereingekommen war, den Mord,
der den Ehebruch rächte, mit dem Tode zu bestrafen -- eine Art Verbrechen,
mit dem das Gericht vordem sich nie befaßt hatte -- ist es nur zu klar,
daß der Kardinal schuldig war, seinen Bruder zum Verbrechen angestiftet zu
haben, wie der Herzog schuldig, weil er es ausführen ließ.

Am 3. März 1561 hielt Papst Pius IV. ein Konsistorium, das acht Stunden
dauerte und bei dessen Schluß er das Urteil über die Carafa in folgender
Weise sprach: Prout in schedula -- Es möge nach dem Gesetze geschehn.

In der Nacht des folgenden Tages schickte der Fiskal den Borgelloführer
der Sbirren nach der Engelsburg, um das Todesurteil an den beiden Brüdern,
Carlo, Kardinal Carafa und Giovanni, Herzog von Palliano, vollstrecken zu
lassen. So geschah es. Man nahm zuerst den Herzog vor. Er wurde von der
Engelsburg in das Gefängnis von Tordinone überführt, wo alles vorbereitet
war, denn dort wurden dem Herzog, dem Grafen d'Aliffe und Don Leonardo del
Cardine der Kopf abgeschlagen.

Der Herzog ertrug diese schrecklichen Augenblicke nicht nur wie ein Mann
von hohem Adel, sondern er war auch als Christ bereit, alles aus Liebe zu
Gott zu erdulden. Er richtete schöne Worte an seine beiden Gefährten, um
sie auf den Tod vorzubereiten; dann schrieb er an seinen Sohn.

Der Bargello kehrte zur Engelsburg zurück; er kündigte dem Kardinal Carafa
den Tod an und gab ihm nicht mehr als eine Stunde Zeit, um sich
vorzubereiten. Der Kardinal zeigte eine Seelengröße, welche die seines
Bruders noch übertraf, um so mehr als er weniger Worte sagte; Worte sind
immer eine Kraft, die man außer sich selbst sucht. Man hörte ihn, bei der
Ankündigung der schrecklichen Neuigkeit, nur mit leiser Stimme sagen:

"Ich sterben? Oh, Papst Pius! Oh, König Philipp!" Er beichtete; er
rezitierte die sieben Bußpsalmen, dann dann setzte er sich auf einen
Sessel und sagte zu dem Henker: "Tu's!"

Der Henker erwürgte ihn mit einer Seidenschnur, die zerriß; er mußte es
zweimal machen. Der Kardinal blickte den Henker an, ohne ihn eines Wortes
zu würdigen.

       *       *       *       *       *

Wenige Jahre darauf ließ der heilige Papst Pius V. den Prozeß wieder
aufnehmen; er wurde ungültig erklärt; dem Kardinal und seinem Bruder
wurden alle ihre Ehren wieder verliehen und der Generalprokurator, der am
meisten zu ihrem Tode beigetragen hatte, wurde gehenkt. Pius V. verfügte
die Unterdrückung des Prozesses; alle Kopien, die in den Bibliotheken
davon existierten, wurden verbrannt; es wurde bei Strafe der
Exkommunikation verboten, etwas davon aufzubewahren; aber der Papst dachte
nicht daran, daß er in seiner eigenen Bibliothek eine Abschrift des
Prozesses aufhob und nach dieser Abschrift sind alle die gemacht, die man
heute sieht.




DIE CENCI

ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL


Molières Don Juan ist ohne Zweifel galant, doch vor allem ist er ein Mann
der guten Gesellschaft. Bevor er sich der unwiderstehlichen Leidenschaft
überläßt, die ihn zu hübschen Frauen zieht, hält er darauf, einem
bestimmten Ideal zu gleichen; er will der Mann sein, der am Hof eines
galanten und geistvollen jungen Königs unumschränkt bewundert würde.

Mozarts Don Juan ist schon weit natürlicher und viel weniger französisch;
er denkt weniger an die Meinung der andern über ihn, denkt nicht vor allem
daran, zu scheinen, wie der Baron Foeneste d'Aubigné sagte.

Wir besitzen aus Italien nur zwei Porträte des Don Juan, so wie er diesem
schönen Lande im sechzehnten Jahrhundert zu Beginn der wiedergeborenen
Zivilisation erschienen ist.

Von diesen beiden Porträten kann ich das eine durchaus nicht bekanntgeben,
denn das Jahrhundert ist zu prüde; man muß sich an das große Wort
erinnern, das Lord Byron unzählige Male wiederholt hat: This age of cant.
Diese so langweilige Heuchelei, die niemand täuscht, hat den ungeheuren
Vorteil, daß die Dummen etwas zu reden haben; es entrüstet sie, daß man
gewagt hat, über etwas zu sprechen; es entrüstet sie, daß man gewagt hat,
über etwas zu lachen, usw. Der Nachteil ist, daß das Bereich der
Geschichte dadurch unendlich verengt wird.

Hat der Leser den guten Geschmack, es mir zu gestatten, so werde ich ihm
in aller Bescheidenheit eine historische Aufzeichnung über den zweiten Don
Juan vorlegen, von dem es im Jahre 1887 möglich ist, zu sprechen; er hieß
Francesco Cenci.

Don Juan zu ermöglichen, muß es die Heuchelei in der Welt geben. Im
Altertum wäre Don Juan eine Wirkung ohne Ursache gewesen; die eher heitere
Religion ermahnte die Menschen zum Genuß: wie hätte sie also jemand
auszeichnen, ja verdammen können, der in einer Lust seine einzige Aufgabe
sieht? Nur die herrschende Regierung sprach von Enthaltsamkeit; aber wohl
verstanden, sie verbot bloß Dinge, die dem Vaterland schaden konnten, und
nichts, was nur den einzelnen schädigte.

Jeder, der Geschmack an Frauen fand und reich war, konnte in Athen ein Don
Juan sein, ohne daß jemand daran etwas auszusetzen gefunden hätte. Niemand
nannte dies Leben ein Jammertal und daß es verdienstvoll sei, zu leiden.

Ich glaube nicht, daß der athenische Don Juan so leicht hätte zum
Verbrecher werden können wie der Don Juan der modernen Welt; ein großer
Teil des Vergnügens des modernen Don Juan besteht darin, die öffentliche
Meinung herauszufordern, womit er schon in seiner Jugend damit beginnt,
daß er sich einbildet, nur gegen die Heuchelei anzukämpfen.

Gesetze zu übertreten in einer Monarchie Louis XV., auf einen Dachdecker
einen Flintenschuß abzufeuern und ihn von seinem Dach herunterrollen zu
lassen -- ist das nicht ein Beweis, daß man in der Gesellschaft um den
Fürsten lebt, daß man zum besten Ton gehört und daß man sich sonst was aus
dem Richter macht, der ja ein Bürgerlicher ist? Seinem Richter zu
spotten -- ist das nicht der erste Schritt des kleinen werdenden Don Juan?

Bei uns sind die Frauen nicht mehr Mode, und das ist der Grund für die
Seltenheit der Don Juane. Aber wenn es deren gäbe, würden sie immer mit
sehr natürlichen Vergnügungen beginnen und ihren Ruhm darin suchen, den
Ideen zu trotzen, die ihnen in der Vernunft nicht begründet zu sein
scheinen, trotzdem sie den festen Glauben ihrer Zeitgenossen bilden. Erst
viel später, wenn er pervers zu werden beginnt, findet der Don Juan eine
erlesene Wollust darin, Meinungen zu bekämpfen, die ihm selber richtig und
vernünftig scheinen.

Dieser Übergang muß bei den Alten sehr schwierig gewesen sein; erst unter
den römischen Kaisern und nach Tiberius findet man Freigeister, welche die
Verderbnis um ihrer selbst willen lieben, das heißt: wegen des Vergnügens,
den vernünftigen Ansichten ihrer Zeitgenossen Trotz zu bieten.

Daher sehe ich in der christlichen Religion die Voraussetzungen für die
satanische Rolle des Don Juan. Ist es doch diese Religion, welche die Welt
lehrte, daß die Seele eines armen Sklaven, eines Gladiators an Fähigkeit
und an Würde der des Cäsar selber völlig ebenbürtig sei; daher muß man der
christlichen Lehre für das Auftauchen zarter Gefühle dankbar verpflichtet
sein. Ich zweifle übrigens nicht daran, daß früher oder später diese
Gefühle auch ohne die christliche Lehre im Busen der Völker aufgetaucht
wären -- ist doch die Äneide schon um vieles zarter, gefühlsreicher als
die Ilias.

Die Lehre Jesu war die der zeitgenössischen arabischen Philosophen, und
das einzig Neue, das in der Welt infolge der vom heiligen Paul gepredigten
Lehren eingeführt wurde, ist eine Armee von Priestern, die gänzlich von
den übrigen Bürgern getrennt sind und sogar diesen entgegengesetzte
Interessen haben.

Die einzige Aufgabe dieser Priestergilde war, das religiöse Empfinden zu
pflegen und zu stärken; sie erfanden bezaubernde Gaukeleien und Kulte, um
die Gemüter aller Klassen, vom ungebildeten Hirten bis zum blasierten
Höfling im Gefühle zu bewegen; sie verstanden ihre Interessen mit den
entzückenden Eindrücken der ersten Kindheit zu verknüpfen; sie ließen
nicht die kleinste Pest oder das kleinste große Unglück vorübergehn, ohne
daraus Nutzen zu ziehn, die Furcht und das religiöse Empfinden zu
verdoppeln oder wenigstens eine schöne Kirche zu bauen, wie die Maria
della Salute in Venedig.

Diese Kirche bringt das bewundernswerte Ereignis hervor: der heilige Papst
Leo widersteht ohne jede materielle Macht dem wilden Attila und seinen
barbarischen Scharen, die China, Persien und die Gallier in Schrecken
versetzt hatten.

So hat die Kirche, wie die absolute, nur durch Chansons gemäßigte Macht,
welche man die französische Monarchie nennt, sonderbare Dinge
hervorgebracht, welche die Welt vielleicht niemals gesehn hätte, wenn sie
diese beiden Einrichtungen hätte entbehren müssen.

Unter diese guten oder schlechten, immer aber sonderbaren und seltsamen
Dinge, die Aristoteles, Polybius, Augustus und alle andern Köpfe des
Altertums sehr in Erstaunen gesetzt hätten, stelle ich ohne Zögern den
modernen Charakter des Don Juan. Er ist, wie ich meine, ein Produkt der
asketischen Institutionen, welche die Päpste nach Luther geschaffen haben;
denn Leo X. und sein Hof folgten noch ungefähr den Prinzipien der Religion
Athens.

Molières Don Juan wurde zu Beginn der Regierung Ludwig XIV., am 15.
Februar 1665 aufgeführt; dieser Fürst war damals noch nicht im geringsten
fromm und trotzdem ließ die kirchliche Zensur die Szene des Armen im Walde
streichen. Diese Zensur wollte, um sich Nachdruck zu verschaffen, dem so
wunderbar unwissenden König einreden, daß das Wort Jansenist
gleichbedeutend mit Republikaner sei.

Das Original ist von dem Spanier Tirso de Molina; eine italienische Truppe
spielte gegen 1664 eine Nachdichtung davon in Paris und erregte Aufsehn.
Das Stück ist vielleicht die am meisten gespielte Komödie der Welt, denn
sie handelt vom Teufel und von der Liebe, von der Furcht vor der Hölle und
von einer überschwenglichen Leidenschaft für eine Frau, von allem also,
was es Schreckliches und Liebliches in den Augen der Menschen gibt, sofern
sie nur aus dem Zustand der Wilden heraus sind.

Es ist nicht erstaunlich, daß das Bild des Don Juan durch einen spanischen
Dichter in die Literatur eingegeführt worden ist. Die Liebe nimmt eine
große Stelle im Leben dieses Volks ein; sie ist da eine ernste
Leidenschaft, imstande, mit Gewalt alle andern sich zu unterjochen, sogar
die Eitelkeit. Ebenso ist es in Deutschland und in Italien. Wohl überlegt
ist einzig und allein Frankreich vollkommen frei von dieser Leidenschaft,
um derentwillen andere Nationen so viele Torheiten begehn, wie zum
Beispiel ein armes Mädchen zu heiraten, unter dem Vorwand, daß sie hübsch
und daß man in sie verliebt sei. Den Mädchen, welchen nichts als die
Schönheit fehlt, fehlt es nicht an Bewunderern in Frankreich; wir sind
unvorsichtige Leute. Anderswo sind sie darauf angewiesen, Nonne zu werden,
weshalb die Klöster in Spanien unentbehrlich sind. Die Mädchen bekommen in
diesem Lande keine Mitgift und dies Gesetz hat den Triumph der Liebe
gesichert. Hat sich die Liebe in Frankreich nicht ins fünfte Stockwerk
zurückgezogen, das heißt, zu den Mädchen, die sich ohne Vermittlung des
Notars und der Familie verheiraten?

Man soll hier nicht an den Don Juan des Lord Byron denken, der nichts als
ein Faublas ist: ein schöner, unbedeutender junger Mann, auf den sich die
unwahrscheinlichsten Arten und Gattungen des Glücks stürzen.

Es war, wie gesagt, in Italien, und zwar erst im sechzehnten Jahrhundert,
daß dieser sonderbare Charakter zum erstenmal auftauchte. Es war in
Italien, und zwar im siebzehnten Jahrhundert, daß eine Fürstin sagte, als
sie am Abend eines sehr heißen Tages mit Entzücken ein Eis nahm: 'Wie
schade, daß Gefrorenes zu essen nicht eine Sünde ist!'

Diese Gefühlseinstellung bildet nach meiner Ansicht die Charaktergrundlage
des Don Juan und dazu gehört, wie man sieht, die christliche Religion.

Ein neapolitanischer Autor meint dazu: "Ist es nichts, dem Himmel Trotz zu
bieten und dabei zu glauben, daß im gleichen Augenblick Euch der Himmel zu
Staub zermalmen kann?" Davon, sagt man, rühre die unvergleichliche Wollust
her, eine Nonne als Geliebte zu haben, eine von Frömmigkeit erfüllte
Nonne, die weiß, daß sie Böses tut und Gott so leidenschaftlich um
Verzeihung anfleht, wie sie leidenschaftlich sündigt.

Denken wir uns einen sehr perversen Christen, zu der Zeit in Rom geboren,
als der strenge Pius V. sich anschickte, eine Menge kleiner religiöser
Übungen wieder zu Ehren zu bringen oder neu zu erfinden, welche der
einfachen Alltagsmoral völlig fremd sind, die ja nur das Tugend nennt, was
den Menschen nützlich ist. Eine Inquisition, so unerbittlich, daß sie sich
nur kurze Zeit in Italien halten konnte und bald nach Spanien flüchten
mußte, war noch verstärkt worden und jagte aller Welt Schrecken ein. Jahre
hindurch setzte man sehr harte Strafen auf die Unterlassung oder auf die
öffentliche Mißachtung dieser kleinen und kleinlichen religiösen Übungen,
die zum Rang heiligster religiöser Pflichten erhoben wurden. Jener
perverse Römer, von dem wir sprachen, wird die Achseln gezuckt haben, als
er die ganze Masse der Bürger vor den schrecklichen Gesetzen der
Inquisition zittern sah.

'Gut,' wird er sich gesagt haben, 'ich bin der reichste Mann von Rom,
dieser Hauptstadt der Welt, ich werde auch der kühnste sein; ich werde
mich öffentlich über all das lustig machen, was diese Leute respektieren
und was so wenig dem gleicht, was zu respektieren ist.'

Denn ein wirklicher Don Juan muß ein Mann von Herz sein und jenen
lebhaften und klaren Verstand besitzen, der die Motive der Handlungen der
Menschen durchschaut.

Francesco Cenci also wird sich gesagt haben: 'Durch welche auffallenden
Taten könnte ich, ein Römer, in Rom im Jahre 1527 geboren, genau während
der sechs Monate, in denen die lutheranischen Soldaten des Connetable von
Bourbon die gräßlichsten Entweihungen an den heiligen Dingen
begingen -- durch welche Taten könnte ich meinen Mut bemerkbar machen und
mir so eindringlich wie möglich das Vergnügen bereiten, der öffentlichen
Meinung Trotz zu bieten? Womit soll ich meine einfältigen Zeitgenossen in
Erstaunen setzen? Wie kann ich mir das so lebhafte Vergnügen verschaffen,
mich anders als die große Masse zu fühlen?'

Es konnte einem Römer, und dazu einem Römer jener Zeit nicht in den Sinn
kommen, sich auf bloße Worte zu beschränken. Es gibt kein Land, wo
prahlerische Worte mehr verachtet werden als in Italien.

       *       *       *       *       *

Der Mann, der so zu sich sprechen konnte, Francesco Cenci, ist am 15.
September 1598, unter den Augen seiner Tochter und seiner Frau getötet
worden. Nichts Liebenswürdiges bleibt uns von diesem Don Juan zu erinnern.
Sein Charakter wurde durch nichts, vor allem nicht durch die Manie, ein
guter Gesellschafter zu sein, gemildert und verkleinert, wie bei dem Don
Juan Molières. Er kümmerte sich um die andern Menschen nur, wenn er ihnen
seine Überlegenheit beweisen, sich ihrer bedienen oder ihnen seinen Haß
zeigen wollte. Denn der Don Juan findet nie Gefallen an Sympathiegefühlen,
an süßen Träumereien oder an den Einbildungen eines zärtlichen Herzens. Er
braucht vor allem Freuden, welche Triumphe sind, von andern bemerkt und
nicht abstreitbar; er braucht die Liste, die der freche Leporello vor den
Augen der unglücklichen Elvira aufrollt.

Der römische Don Juan hat sich gut vor der kindlichen Ungeschicklichkeit
gehütet, den Schlüssel zu seinem Charakter zu geben und sich einem Lakaien
anzuvertrauen, wie jener Don Juan bei Molière. Er hat ohne einen
Vertrauten gelebt und hat nichts andres gesprochen, als was ihm für die
Förderung seiner Pläne nützlich war. Niemand überraschte ihn in
Augenblicken wirklicher Zärtlichkeit und entzückender Heiterkeit, wegen
deren man dem Don Juan von Mozart viel verzeiht. Kurz: das Porträt, das
ich hier hinsetzen werde, ist abstoßend.

Aus freier Wahl hätte ich nicht diesen Charakter nachgezeichnet. Ich hätte
mich damit begnügt, ihn zu studieren; denn er ist dem Gräßlichen näher als
dem Seltsamen. Aber Reisegefährten, denen ich nichts abschlagen konnte,
baten mich darum. Ich hatte im Jahre 1823 das Glück, Italien zusammen mit
liebenswürdigen unvergeßlichen Menschen zu sehn. Ich war gleich ihnen vom
Bildnis der Beatrice Cenci hingerissen, das im Palazzo Barberini in Rom
hängt.

Die Galerie dieses Palastes ist heute auf sieben oder acht Bilder
zusammengeschmolzen, doch sind vier Meisterwerke darunter: zunächst das
Porträt der berühmten Fornarina, der Geliebten Raffaels, von Raffaels
eigener Hand.

Das zweite wertvolle Bildnis der Galerie ist vom Guido Reni: das Porträt
der Beatrice Cenci, von dem es soviel schlechte Stiche gibt. Der große
Maler hat um den Hals Beatrices ein Stück nichtssagenden Stoffs gelegt,
und er hat sie mit einem Turban ausgestattet: er getraute sich wohl nicht,
die Wahrheit bis zum Fürchterlichen zu treiben, indem er das Kleid, das
sie sich für die Hinrichtung hatte machen lassen, getreu wiedergegeben
hätte, und das Haar in der ganzen Unordnung eines sechzehnjährigen
Mädchens, das sich der Verzweiflung überläßt. Der Kopf ist zart und schön,
der Blick sehr sanft und die Augen sehr groß: sie haben den erstaunten
Ausdruck einer Person, die im Augenblick heftigen Weinens überrascht wird.
Die Haare sind blond und sehr schön. Dieser Kopf hat nichts von dem
römischen Stolz und von dem Bewußtsein der eignen Kraft, wie man beides so
oft in dem zuversichtlichen Blick einer Römerin antrifft, einer figlia del
tevere, wie sie mit Stolz von sich selber sagen. Unglücklicherweise sind
die Halbtöne dieses Bildnisses während des langen Zeitraums, der uns von
der Katastrophe trennt, brandig geworden.

Das dritte Bildnis der Galerie Barberini ist das der Lucrezia Petroni, der
Stiefmutter von Beatrice, die mit ihr hingerichtet worden ist. Sie ist der
Typus der römischen Matrone in ihrer natürlichen Schönheit und ihrem
Stolz, der nicht, wie auf van Dycks Bildnissen, Stolz auf die
gesellschaftliche Stellung ist. Die Züge sind groß und die Hautfarbe ist
blendend weiß, die schwarzen Brauen sind scharf gezeichnet, der Blick ist
gebieterisch und gleichzeitig von Wollust beschwert. Ihr Kopf bildet einen
schönen Kontrast mit dem so sanften, einfachen, fast deutschen Aussehen
ihrer Stieftochter.

Das vierte Bildnis, glänzend durch die Wahrheit und die Pracht seiner
Farben, ist eines der Meisterwerke Tizians: eine griechische Sklavin, die
Geliebte des berühmten Dogen Barberigo.

Fast alle Fremden, die nach Rom kommen, lassen sich alsbald nach der
Galleria Barberini führen; besonders die Frauen sind von den Porträts der
Beatrice Cenci und ihrer Stiefmutter angezogen. Ich habe die allgemeine
Neugier geteilt; dann habe ich, wie jedermann, versucht, Einsicht in den
berühmten Prozeß zu erhalten. Wer diese Möglichkeit hat, wird, wie ich
glaube, erstaunt sein, in diesen Berichten, in denen alles, bis auf die
Antworten der Angeklagten, lateinisch ist, fast gar keine Darstellung der
Tatsachen zu finden. Vermutlich, weil im Rom des Jahres 1599 jeder die
Tatsachen kannte. Ich habe die Erlaubnis erkauft, eine zeitgenössische
Darstellung zu kopieren, und habe geglaubt, eine Übersetzung davon wagen
zu können, ohne den Anstand zu verletzen; zum mindesten konnte diese
Übersetzung im Jahre 1823 den Damen laut vorgelesen werden. Aber es hört,
wie ich bemerken muß, der Übersetzer auf, treu zu sein, wenn es nicht mehr
möglich ist: denn anders würde das Grauen leicht stärker sein als die
Neugier.

Die traurige Rolle des wahren Don Juan, der sich keinem Ideal nachbilden
will und der an die Meinung der Welt nur denkt, um sie herauszufordern,
ist hier in ihrem ganzen Schrecken dargestellt. Das Übermaß seiner
Verbrechen zwingt zwei Unglückliche, ihn vor ihren Augen töten zu lassen;
diese beiden Frauen waren: die eine seine Gattin und die andre seine
Tochter. Der Leser wird nicht zu entscheiden wagen, ob sie schuldig sind.
Ihre Zeitgenossen fanden, daß man sie nicht mit dem Tode hätte strafen
dürfen.

Ich bin überzeugt, daß die Tragödie von Galeoto Manfredi, der von seiner
Frau getötet wurde, ein Stoff, den der große Dichter Monti behandelt hat,
und viele andre häusliche Tragödien des fünfzehnten Jahrhunderts, die
weniger bekannt und kaum in den Sonderurkunden der italienischen Städte
eingetragen sind, mit einer ähnlichen Szene wie der im Schloß von Petrella
endete.

Was folgt, ist die Übersetzung der zeitgenössischen Darstellung, sie ist
in _römischem Italienisch_ verfaßt und wurde am 14. September 1599
niedergeschrieben.

       *       *       *       *       *

Das fluchwürdige Leben, das Francesco Cenci, in Rom geboren und einer
unsrer wohlhabendsten Mitbürger, von jeher geführt hat, brachte ihn
schließlich ins Verderben. Er hat seine Söhne, starke und mutige junge
Leute, vorzeitig in den Tod gebracht, ebenso seine Tochter Beatrice, die,
obwohl sie kaum sechzehn Jahre alt war, als sie zur Todesstrafe geführt
wurde -- es ist heute vier Tage her --, doch schon für eines der schönsten
Wesen in den Staaten des Papstes und in ganz Italien galt. Man hört die
Neuigkeit, daß Signor Guido Reni, einer der Schüler der bewundernswerten
Bologneser Überlieferung, letzten Freitag das Porträt der armen Beatrice
gemacht hat, also gerade am Tage vor ihrer Hinrichtung. Wenn dieser große
Maler sich dieser Aufgabe in der gleichen Weise entledigt hat wie bei den
andern Gemälden, die er in dieser Hauptstadt gemalt hat, wird sich die
Nachwelt einen Begriff davon machen können, wie groß die Schönheit dieses
außerordentlichen Mädchens gewesen ist. Damit aber auch die Erinnerung an
ihr Unglück ohnegleichen und an die erstaunliche Kraft bewahrt bleibe, mit
welcher diese wahrhaft römische Seele es zu bekämpfen wußte, habe ich
beschlossen, das niederzuschreiben, was ich über die Begebenheiten, die
sie in den Tod führten, erfahren konnte, und auch was ich selbst am Tage
ihres stolzen Untergangs gesehen habe.

Die Personen, die mir meine Informationen gegeben haben, waren so
gestellt, daß sie die geheimsten Umstände wußten, die selbst heute noch in
Rom unbekannt sind, obwohl man seit sechs Wochen von nichts anderm als vom
Prozeß der Cenci spricht. Ich werde mit Offenheit sprechen, sicher wie ich
bin, daß aus meinem Bericht, den ich in angesehene Archive zu hinterlegen
vermag, alle schöpfen werden. Mein einziger Kummer ist, daß ich -- aber so
will es die Wahrheit -- gegen die Unschuld dieser armen Beatrice Cenci
sprechen muß, die von allen, die sie kannten, ebenso angebetet und
geachtet wurde, wie ihr schrecklicher Vater verhaßt und verabscheut war.

Dieser Mann, dem vom Himmel unleugbar erstaunlicher Scharfsinn aber auch
Absonderlichkeit verliehen wurde, war der Sohn des Monsignore Cenci,
welcher es unter Pius V. Ghislieri bis zur Stellung eines Schatzmeisters,
Finanzministers, gebracht hatte. Dieser heilige Papst, der, wie man weiß,
ganz mit seinem gerechten Haß gegen die Ketzer und mit der
Wiedereinführung seiner bewunderungswürdigen Inquisition beschäftigt war,
hatte für die weltliche Verwaltung seines Staates nur Verachtung, so daß
sein Schatzmeister in den Jahren vor 1572, Monsignore Cenci, es möglich
machen konnte, jenen schrecklichen Menschen, der sein Sohn und Beatrices
Vater war, ein Einkommen von 160 000 Piastern zu hinterlassen. Außer
diesem großen Vermögen hatte Francesco Cenci einen Ruf von Kühnheit und
Klugheit, worin ihm in seinen jungen Jahren niemand in Rom gleichkam, und
dieser Ruf verschaffte ihm um so mehr Geltung am Hofe des Papstes und beim
ganzen Volke, als die verbrecherischen Handlungen, die man ihm
zuzuschreiben begann, nur solcher Art waren, wie die Welt sie leicht
verzeiht. Viele Römer erinnern sich noch mit bitterem Bedauern der
Freiheit des Denkens und Handelns, die man zur Zeit Leos X. genoß, der uns
1513 genommen wurde, und auch unter dem 1549 verstorbenen Paul III. Schon
unter diesem letzten Papst begann man von dem jungen Francesco Cenci zu
sprechen wegen gewisser sonderbarer Liebschaften, die durch noch
sonderbarere Mittel zum guten Gelingen geführt wurden.

Unter Paul III., also zu einer Zeit, wo man noch eine gewisse Redefreiheit
genoß, sagten viele, daß Francesco Cenci ganz besonders lüstern auf
absonderliche Ereignisse sei, die ihm _peripezie di nuove idee_, neue und
beunruhigende Empfindungen verschaffen könnten. Man stützte sich dabei
darauf, daß man in seinen Rechnungsbüchern Aufzeichnungen dieser Art
gefunden hat:

"Für Abenteuer und peripezie von Toscanella 3500 Piaster (im Jahre 1837
etwa 60 000 frcs.) _e non fu caro_, und es war nicht teuer."

Man weiß vielleicht in den andern Städten Italiens nicht, daß hier in Rom
unser Schicksal und unsre Art des Lebens je nach dem Charakter des
herrschenden Papstes wechseln. So war während dreizehn Jahren, unter dem
guten Papst Gregor XIII. Buoncompagni, alles in Rom erlaubt; wer wollte,
ließ seinen Freund erdolchen und wurde nicht verfolgt, wenn er sich in
bescheidener Art zu benehmen wußte. Auf dieses Übermaß von Nachsicht
folgte während der fünf Jahre, die der große Sixtus V. regierte, ein
Übermaß von Strenge, und von diesem wurde, wie vom Kaiser Augustus gesagt:
er hätte niemals kommen dürfen oder immer bleiben müssen. Damals wurden
Unglückliche für zehn Jahre lang vergessene Mordtaten oder Vergiftungen
hingerichtet, die sie zu ihrem Unglück früher einmal dem Kardinal
Montalto, dem späteren Sixtus V. gebeichtet hatten.

Besonders viel wurde unter Gregor XIII. von Francesco Cenci gesprochen. Er
hatte eine sehr reiche und in jeder Hinsicht zu einem so angesehenen Herrn
passende Frau geheiratet, welche starb, nachdem sie ihm sieben Kinder
geschenkt hatte. Kurz nach ihrem Tode heiratete er in zweiter Ehe Lucrezia
Petroni, eine Frau von seltner Schönheit und vor allem berühmt durch die
blendende Weiße ihrer Hautfarbe, aber sie war ein wenig zu beleibt,
welcher Fehler unter Römerinnen so häufig ist. Von Lucrezia hatte er keine
Kinder.

Das kleinste Laster, das man Francesco Cenci vorwerfen konnte, war sein
Hang zu infamer Liebe, das größte war, daß er nicht an Gott glaubte. Sein
ganzes Leben lang sah man ihn nicht in eine Kirche eintreten.

Dreimal wegen seiner schändlichen Liebschaften ins Gefängnis gebracht,
machte er sich durch Geldspenden an die Günstlinge der zwölf Päpste, unter
denen er der Reihe nach gelebt hat, immer wieder frei. Auf diese Weise
verschenkte er 200 000 Piaster, das sind jetzt etwa 5 000 000 fr.

Ich habe Francesco Cenci erst gesehen, als er schon ergrautes Haar hatte,
unter der Regierung des Papstes Buoncompagni, wo alles erlaubt war, was
man zu tun wagte. Er war ein Mann von etwa fünf Fuß vier Zoll, sehr gut
gebaut, obgleich zu mager; man hielt ihn für außerordentlich stark,
vielleicht hatte er selbst dies Gerücht verbreitet; er hatte große
ausdrucksvolle Augen, doch fiel das obere Augenlid ein wenig zu sehr
herab, eine zu große und zu weit vorspringende Nase, schmale Lippen und
ein Lächeln voll Anmut. Dies Lächeln wurde schrecklich, wenn er den Blick
auf einen seiner Feinde heftete; wenn er nur etwas bewegt oder gereizt
war, zitterte er heftig und in einer Weise, die ihm lästig wurde. Ich habe
ihn in meiner Jugend, unter dem Papst Buoncompagni von Rom nach Neapel
reiten sehen, ohne Zweifel wegen irgendeiner Liebesgeschichte; er ritt
durch die Wälder von San Germano und La Faggiola, ohne sich um die
Briganten zu kümmern und legte, wie man sagt, den Weg in weniger als
zwanzig Stunden zurück. Er reiste stets allein und ohne jemanden vorher zu
benachrichtigen; wenn sein erstes Pferd erschöpft war, kaufte oder raubte
er ein andres. Wenn man ihm Schwierigkeiten machte, fand er jedoch keine
Schwierigkeit darin, einen Dolchstoß auszuteilen. Aber es ist die volle
Wahrheit, daß in meiner Jugend, als er also etwa achtundvierzig oder
fünfzig Jahre alt war, niemand kühn genug war, ihm Widerstand zu leisten.
Sein größtes Vergnügen war, seine Feinde herauszufordern.

Er war auf allen Straßen der Staaten seiner Heiligkeit wohlbekannt; er
zahlte freigebig, aber war auch fähig, wenn ihn jemand beleidigt hatte,
zwei oder drei Jahre danach einen seiner Meuchelmörder zu schicken, um den
Beleidiger zu töten.

Die einzige tugendhafte Handlung, die er während seines langen Lebens
vollbracht hat, bestand darin, im Hofe seines ausgedehnten Palastes am
Tiber, eine dem heiligen Thomas geweihte Kirche zu erbauen, und auch zu
dieser schönen Handlung wurde er nur durch den seltsamen Wunsch getrieben,
die Gräber aller seiner Kinder vor Augen zu haben, welche er ausnehmend
und in ganz unnatürlicher Weise haßte, schon seit ihrer zartesten Kindheit
nämlich, wo sie ihn noch in keiner Weise beleidigt haben konnten.

"Dorthin will ich sie alle bringen", sagte er mit einem bittern Lächeln zu
den Arbeitern, die er beim Bau seiner Kirche beschäftigte. Er schickte die
drei älteren, Giacomo, Cristofo und Rocco zum Studium auf die Universität
Salamanca in Spanien. Als sie erst dort in diesem fernen Land waren,
machte es ihm ein boshaftes Vergnügen, ihnen gar kein Geld zukommen zu
lassen, so daß diese unglücklichen jungen Leute, nach zahlreichen Briefen
an ihren Vater, die alle unbeantwortet blieben, zu der elenden
Notwendigkeit gezwungen waren, kleine Geldbeträge auszuborgen, um in ihre
Heimat zurückzukehren, oder sich längs des Weges durchzubetteln.

In Rom fanden sie ihren Vater strenger, härter und rauher als je: trotz
seines unendlichen Reichtums wollte er sie weder kleiden, noch ihnen das
zum einfachsten Leben nötige Geld geben. Diese Unglücklichen waren
gezwungen, den Papst um Hilfe zu bitten, welcher Francesco Cenci dazu
zwang, ihnen eine kleine Rente auszusetzen. Mit dieser sehr geringen
Unterstützung trennten sie sich von ihm.

Bald nachher wurde Francesco zum dritten und letztenmal wegen seiner
infamen Liebessachen ins Gefängnis gebracht, worauf die drei Brüder eine
Audienz bei unserm zur Zeit herrschenden heiligen Vater dem Papst
erwirkten, und ihn gemeinsam baten, ihren Vater Francesco Cenci sterben zu
lassen, der, wie sie sagten, ihr Haus entehre. Clemens VIII. hatte große
Lust dazu, aber er wollte seiner ersten Eingebung nicht nachgeben, um
diese entarteten Kinder nicht zufriedenzustellen, und jagte sie schmählich
aus seiner Gegenwart.

Der Vater befreite sich aus dem Gefängnis, wie wir schon früher erzählten,
indem er denen, die ihm helfen konnten, große Summen Geldes gab. Man
begreift, daß der sonderbare Schritt seiner drei ältesten Söhne den Haß,
den er gegen seine Kinder hatte, noch verstärkte. Er verfluchte sie jeden
Augenblick, die großen wie die kleinen, und alle Tage überhäufte er seine
beiden jungen Töchter, die mit ihm im Palast wohnten, mit Stockschlägen.

Die Ältere gab sich so lange Mühe, bis es ihr trotz strenger Überwachung
gelang, dem Papst eine Bittschrift zukommen zu lassen; sie beschwor darin
Seine Heiligkeit, sie zu verheiraten oder sie in einem Kloster
unterzubringen. Clemens VIII. hatte Mitleid mit ihrem Unglück, er
verheiratete sie mit Carlo Gabrielli, aus der vornehmsten Familie von
Gubbio; Seine Heiligkeit verpflichtete auch den Vater, ihr eine große
Mitgift zu geben.

Nach diesem unvorhergesehenen Schlag geriet Francesco Cenci in furchtbare
Wut, und um zu verhindern, daß Beatrice, wenn sie größer wurde, auf den
Einfall käme, dem Beispiel ihrer Schwester zu folgen, sperrte er sie im
Innern des Palastes ein; dort war es niemand erlaubt, Beatrice zu sehen,
die damals kaum vierzehn Jahr alt war und schon im vollen Glanz einer
entzückenden Schönheit stand. Sie war so fröhlich, so unschuldig und hatte
ein so heiteres Gemüt, wie ich das noch bei niemand andrem gesehen habe.
Francesco Cenci brachte ihr selbst das Essen. Es ist wahrscheinlich, daß
der Unmensch sich damals in sie verliebte oder wenigstens Verliebtheit
heuchelte, um seine unglückliche Tochter noch mehr zu quälen. Er sprach
oft zu ihr von dem schändlichen Streich, den ihm ihre ältere Schwester
gespielt habe, und brachte sich durch den Klang seiner eigenen Worte so in
Zorn, daß er Beatrice mit Schlägen überschüttete.

Mittlerweile wurde sein Sohn Rocco Cenci von einem Fleischhauer umgebracht
und Cristofo Cenci wurde im Jahre darauf von Paolo Corso de Massa getötet.
Bei dieser Gelegenheit zeigte sich seine schwarze Gottlosigkeit, denn beim
Leichenbegängnis seiner beiden Söhne wollte er nicht einmal einen bajocco
für Wachskerzen ausgeben. Als er das Schicksal seines Sohnes Cristofo
erfuhr, rief er aus: er könne erst ein wenig Freude genießen, wenn alle
seine Kinder begraben seien und er wolle beim Tode des Letzten zum
Wahrzeichen des Glücks seinen Palast anzünden. Rom war über diesen
Ausspruch verwundert, doch hielt man bei einem Mann, der seinen Ehrgeiz
darin suchte, die ganze Welt und selbst den Papst herauszufordern, alles
für möglich.

Hier nun wird es völlig unmöglich, dem römischen Erzähler in dem sehr
dunklen Bericht der sonderbaren Dinge zu folgen, durch welche Francesco
Cenci seine Zeitgenossen zu erstaunen vermochte. Seine Frau und seine arme
Tochter wurden allem Anschein nach die Opfer seiner abscheulichen
Einfälle.

Als alles dies ihm nicht genug schien, versuchte er mit Drohungen und mit
Anwendung von Gewalt seine eigne Tochter Beatrice, die schon groß und
schön war, zu schänden. Er schämte sich nicht, sich nackt in ihr Bett zu
legen. Er ging ganz unbekleidet mit ihr in den Sälen seines Palastes
umher, dann nahm er sie ins Bett seiner Frau; damit die arme Lucrezia beim
Schein der Lampe sehen könne, was er mit Beatrice treibe.

Er redete dem armen Mädchen eine gräßliche Ketzerei ein, die ich kaum
wiederzugeben wage, nämlich: wenn ein Vater seine eigne Tochter umarme,
würden die Kinder, die daraus geboren werden, Heilige; ja, daß alle von
der Kirche verehrten großen Heiligen solcherart zur Welt gebracht worden
seien, sodaß ihr Großvater mütterlicherseits zugleich ihr Vater war.

Wenn Beatrice seinen abscheulichen Wünschen widerstand, überfiel er sie
mit den grausamsten Schlägen, so daß dieses arme Mädchen solch
unglückliches Leben nicht länger aushalten konnte und den Einfall hatte,
dem Beispiel, das ihre Schwester ihr gegeben hatte, zu folgen. Sie
richtete eine sehr eingehende Bittschrift an unsern Heiligen Vater, den
Papst, aber es ist anzunehmen, daß Francesco Cenci Maßnahmen getroffen
hatte, denn es scheint, daß diese Schrift nie in die Hände Seiner
Heiligkeit gelangt ist; wenigstens war es unmöglich, sie im Sekretariat
der Memoriali aufzufinden, als Beatrice im Gefängnis war und ihr
Verteidiger das Schriftstück dringend suchte; es hätte wohl in irgendeiner
Weise die unerhörten Ausschweifungen im Schloß von Petrella bezeugen
können. Wäre es nicht für jedermann augenscheinlich gewesen, daß Beatrice
Cenci sich im Fall der berechtigten Notwehr befunden hatte? Dies Memoriale
sprach auch im Namen Lucrezias, der Stiefmutter Beatrices.

Francesco Cenci kam dieser Versuch zur Kenntnis und man kann sich denken,
mit welcher Wut er die schlechte Behandlung der beiden unglücklichen
Frauen verdoppelte.

Das Leben wurde ihnen gradezu unerträglich, und damals war es -- da sie
wohl sahen, daß sie von der Gerechtigkeit des Papstes nichts erhoffen
konnten, denn die Höflinge waren durch die reichen Geschenke Francescos
gewonnen -- daß ihnen der Gedanke kam, zum äußersten Mittel zu greifen,
das sie ins Verderben gebracht hat, aber das wenigstens den Vorteil hatte,
ihre Leiden in dieser Welt zu beenden.

Man muß wissen, daß der berühmte Monsignore Guerra oft in den Palast der
Cenci ging; er war hoch gewachsen und ein sehr schöner Mann und hatte die
eigene Gabe vom Schicksal erhalten, daß er alles, was er tun wollte, mit
einer ganz besondern Anmut vollbrachte. Man hat vermutet, daß er Beatrice
liebte und die Absicht hatte, die Mantellata zu lassen, um Beatrice zu
heiraten; aber obgleich er mit äußerster Sorgfalt seine Gefühle zu
verbergen suchte, wurde er von Francesco Cenci verabscheut, der ihm
vorwarf, mit seinen Kindern gemeinsames Spiel zu machen. Sobald Monsignore
Guerra erfuhr, daß Signore Cenci von seinem Palast abwesend sei, stieg er
in die Gemächer der Damen, verbrachte mehrere Stunden der Unterhaltung mit
ihnen und hörte ihre Klagen über die unglaubliche Behandlung an, der alle
beide ausgesetzt waren. Es scheint, daß Beatrice als erste wagte, dem
Monsignore Guerra von dem Plan, den sie gefaßt hatten, zu sprechen. Mit
der Zeit gewannen sie ihn dafür und auf Beatrices lebhaftes und
wiederholtes Drängen willigte er ein, diesen Plan Giacomo Cenci
mitzuteilen, ohne dessen Zustimmung man nichts unternehmen konnte, da er
der älteste Bruder und nach Francesco das Haupt der Familie war.

Es gelang außerordentlich leicht, ihn in die Verschwörung zu ziehen: er
wurde von seinem Vater äußerst schlecht behandelt und bekam nicht die
geringste Unterstützung, was ihm um so empfindlicher erschien, als er
verheiratet und Vater von sechs Kindern war. Man wählte für die
Zusammenkünfte, wo man beriet, wie man Francesco Cenci ermorden könnte,
die Wohnung des Monsignore Guerra. Die Sache ging in angemessenen Formen
vor sich, und man holte bei jeder Einzelheit die Meinung der Stiefmutter
und des jungen Mädchens ein. Als endlich eine Entscheidung getroffen war,
wählte man Untergebene Francesco Cencis, die ihn tödlich haßten. Der eine
hieß Marzio, war ein Mann von Herz und den unglücklichen Kindern
Francescos sehr anhänglich; er willigte ein, an dem Vatermord
teilzunehmen, um sich ihnen angenehm zu machen. Olimpio, der zweite, war
vom Fürsten Colonna zum Kastellan der Festung La Petrella im Königreich
Neapel ernannt worden, aber durch seinen allmächtigen Einfluß auf den
Fürsten hatte ihn Francesco Cenci davonjagen lassen.

Man verabredete alles mit den beiden Männern. Da Francesco Cenci
angekündigt hatte, daß er, um der schlechten Luft in Rom zu entgehen, den
folgenden Sommer auf dem Kastell La Petrella verbringen würde, war man auf
den Gedanken gekommen, ein Dutzend neapolitanischer Banditen anzuwerben;
Olimpio erbot sich, sie herbeizuschaffen. Man entschied sich dafür, sie in
den Wäldern um La Petrella zu verbergen, damit man sie unverzüglich
benachrichtigen könne; wenn Francesco Cenci sich auf den Weg mache,
sollten sie ihn dann von der Straße weg entführen und seiner Familie
Botschaft schicken, daß sie ihn gegen ein hohes Lösegeld frei lassen
würden. Dann würden die Kinder genötigt sein, nach Rom zurückzukehren, um
die von den Briganten geforderte Summe zustande zu bringen; sie sollten
aber vorgeben, sie nicht in solcher Schnelligkeit aufbringen zu können und
die Briganten würden, wenn sie kein Geld anlangen sähen, ihrer Drohung
gemäß Francesco Cenci ermorden.

Auf diese Weise sollte niemand die wirklichen Urheber dieses Todes
verdächtigen können.

Aber als Francesco Cenci Anfang des Sommers von Rom nach Petrella reiste,
benachrichtigte der Spion, der die Abreise melden sollte, zu spät die in
den Wäldern verstreuten Banditen, und sie hatten nicht mehr Zeit, zur
Landstraße hinunterzugelangen. Cenci kam ohne Hindernis nach Petrella, und
die Briganten, die keine Lust hatten, noch länger auf eine zweifelhafte
Beute zu warten, gingen nun anderswo auf eigne Rechnung zu rauben aus.

Was den vorsichtigen und argwöhnischen alten Francesco Cenci betraf, so
wagte er sich niemals aus seinem Kastell heraus. Und weil sich seine
schlechte Laune mit den zunehmenden Altersgebrechen, die ihm unerträglich
waren, steigerte, verdoppelte er die grausame Behandlung, die er die armen
Frauen erdulden ließ. Er behauptete, daß sie sich über seine
Gebrechlichkeit freuten.

Beatrice, welche durch die schrecklichen Dinge, die sie erleiden mußte,
zum Äußersten getrieben wurde, ließ Marzio und Olimpio an die Mauer des
Kastells rufen. Nachts, während ihr Vater schlief, sprach sie aus einem
niedrigen Fenster mit ihnen und warf ihnen Briefe zu, die an Monsignore
Guerra gerichtet waren. Mittels dieser Briefe wurde verabredet, daß
Monsignore Guerra tausend Piaster an Marzio und Olimpio versprechen
sollte, wenn sie Francesco Cenci ermorden würden. Ein Drittel der Summe
sollte ihnen in Rom durch Monsignore Guerra im voraus gezahlt werden, und
die beiden andern Drittel von Lucrezia und Beatrice, sobald sie nach
vollbrachter Tat über Cencis Geldschrank verfügen könnten.

Außerdem wurde noch vereinbart, daß die Sache am Tage Mariä Geburt
geschehen solle, und die beiden Männer wurden durch List in die Festung
eingelassen. Aber Lucrezia ließ sich durch den Respekt, den man einem Fest
der Madonna schuldet, zurückhalten und bestimmte Beatrice, den Mord einen
Tag hinauszuschieben, um nicht eine doppelte Sünde zu begehen.

Es war also am 9. September 1598 abends; Mutter und Tochter hatten mit
großem Geschick Francesco Cenci Mohnsaft gegeben und dieser Mann, der so
schwer zu täuschen war, fiel in tiefen Schlaf.

Gegen Mitternacht ließ Beatrice selbst Marzio und Olimpio in die Festung
ein; darauf führten sie Lucrezia und Beatrice in das Zimmer des alten
Mannes, welcher fest schlief. Dort verließ man sie, damit sie das
vollbringen sollten, was ausgemacht war, und die beiden Frauen warteten im
Nebenzimmer. Plötzlich sahen sie die zwei Männer bleich und ganz außer
sich zurückkommen.

"Was gibt es?" riefen die Frauen. "Daß es eine Schande und Schmach ist,
einen armen schlafenden Greis zu töten!" antworteten die Männer. "Das
Mitleid hat uns gehindert zu handeln."

Als sie diese Entschuldigung hörte, wurde Beatrice von Empörung ergriffen
und begann sie zu beschimpfen, indem sie sagte: "Also Ihr Männer, die Ihr
für solche Tat wohl vorbereitet seid, habt nicht den Mut, einen
schlafenden Mann zu töten! Wie viel weniger würdet Ihr wagen, ihm ins
Gesicht zu sehen, wenn er wach ist! Und, um es so zu Ende zu führen, habt
Ihr gewagt, Geld zu nehmen! Nun wohl, da Eure Feigheit es will, werde ich
selbst meinen Vater töten; und was Euch betrifft, sollt Ihr dann nicht
mehr lange leben!"

Durch diese wenigen zündenden Worte wieder angefeuert und auch, weil sie
eine Verminderung des festgesetzten Preises fürchteten, traten die Männer
von neuem ins Zimmer ein und die Frauen folgten ihnen. Der eine nahm einen
großen Nagel, setzte ihn senkrecht aufs Auge des schlafenden Alten, der
andere trieb diesen Nagel mit einem Hammer in den Kopf. In der gleichen
Weise ließ man einen großen Nagel in den Hals eindringen, so daß diese
arme, von so vielen frischen Sünden belastete Seele vom Teufel geholt
wurde; der Körper sträubte sich, allein vergeblich.

Als die Sache abgetan war, gab das junge Mädchen Olimpio eine dicke
goldgefüllte Börse, Marzio gab sie einen Tuchmantel ihres Vaters, der mit
goldener Tresse besetzt war und schickte die beiden fort.

Als die Frauen allein geblieben waren, begannen sie den großen in den Kopf
gedrungenen Nagel, sowie den im Halse zu entfernen; dann schleiften sie
den Körper, nachdem sie ihn in ein Leintuch eingewickelt hatten, durch
eine lange Reihe von Zimmern bis zu einer Galerie, die auf einen verödeten
Garten führte. Von dort warfen sie den Körper auf einen großen
Holunderbaum, der an diesem einsamen Ort wuchs, hinab. Da am Ende dieser
kleinen Galerie die Abtritte lagen, hofften sie, wenn man am nächsten
Morgen den Körper des Alten in den Ästen des Holunders finden würde, auf
die Vermutung, er sei am Wege zum Abtritt ausgeglitten und
hinuntergestürzt.

Es geschah genau so, wie sie es vorausgesehen hatten. Am Morgen, als man
den Leichnam fand, erhob sich großer Lärm in dem Kastell; die Frauen
selber verabsäumten nicht, laut zu schluchzen und über den unglücklichen
Tod des Vaters und Gatten zu klagen. Allein, wenn die junge Beatrice auch
den Mut der beleidigten Tugend besaß, die nötige Klugheit für das Leben
hatte sie noch nicht: schon am frühen Morgen hatte sie der Frau, die in
der Festung die Wäsche besorgte, ein blutbeflecktes Leintuch gegeben,
wobei sie ihr sagte, sie möge sich nicht über eine solche Menge Blut
wundern, denn sie habe während der ganzen Nacht an großem Blutverlust
gelitten, und so ging für den Augenblick alles gut.

Man gab Francesco Cenci ein ehrenvolles Begräbnis, und die Frauen kehrten
nach Rom zurück, um die langersehnte Ruhe zu genießen. Sie glaubten an die
Dauer ihres Glückes, weil sie nicht wußten, was in Neapel vor sich ging.

Die Gerechtigkeit Gottes, der nicht wollte, daß ein so fürchterlicher
Vatermord unbestraft bleibe, veranlaßte, daß der oberste Richter, als man
in dieser Hauptstadt erfuhr, was im Kastell Petrella vor sich gegangen
war, sofort Mißtrauen empfand und einen königlichen Kommissär sandte, um
den Leichnam zu untersuchen und alle verdächtigen Personen festzunehmen.

Der königliche Kommissär ließ alle, die in der Festung wohnten, verhaften.
Alle diese wurden in Ketten nach Neapel geführt, aber nichts erschien in
ihren Aussagen verdächtig, außer, daß die Wäscherin aussagte, sie hätte
von Beatrice ein blutiges Tuch oder deren mehrere erhalten. Man fragte
sie, ob Beatrice eine Erklärung für die großen Blutflecken gegeben habe;
sie antwortete, daß Beatrice von einem natürlichen Unwohlsein gesprochen
habe. Man fragte sie dann, ob so große Flecken von einem solchen
Unwohlsein herrühren konnten; sie meinte, nein, weil die Flecken auf dem
Tuch von einem zu lebhaften Rot waren.

Man schickte diese Aussage sofort an die Justizbehörde in Rom, aber
trotzdem vergingen mehrere Monate, bevor man bei uns daran dachte, die
Kinder des Francesco Cenci verhaften zu lassen. Lucrezia, Beatrice und
Giacomo hätten sich tausendmal in Sicherheit bringen können, sei es, daß
sie unter dem Vorwand einer Pilgerfahrt nach Florenz gingen, sei es, daß
sie sich nach Civita Vecchia einschifften; aber Gott versagte ihnen diese
rettende Eingebung.

Monsignor Guerra hatte von den Vorgängen in Neapel Mitteilung erhalten und
rüstete sofort Leute aus, die er beauftragte, Marzio und Olimpio zu töten;
aber nur Olimpio konnte in Terni ermordet werden. Die neapolitanische
Justiz hatte Marzio verhaften lassen, der nach Neapel geführt wurde, wo er
sofort alles gestand.

Diese schreckliche Aussage wurde gleich der Justiz in Rom geschickt,
welche nun beschloß, Giacomo und Bernardo, die beiden einzigen
überlebenden Söhne Francescos, wie auch seine Witwe Lucrezia verhaften und
in das Gefängnis von Corte Savella bringen zu lassen. Beatrice wurde im
Palast ihres Vaters von einem großen Trupp Sbirren bewacht. Marzio wurde
aus Neapel herbeigeschafft und auch in das Gefängnis Savella gebracht;
dort stellte man ihn den beiden Frauen gegenüber, die mit Standhaftigkeit
leugneten; besonders Beatrice wollte durchaus nicht den Mantel mit den
Tressen wiedererkennen, den sie Marzio gegeben hatte. Dieser Brigant war
plötzlich voller Enthusiasmus für die bewundernswürdige Schönheit und die
erstaunliche Beredsamkeit, mit der das junge Mädchen dem Richter
antwortete, und leugnete alles, was er in Neapel gestanden hatte. Man
folterte ihn, aber er gestand nichts und zog vor, in Qualen zu sterben:
eine gerechte Huldigung der Schönheit Beatrices.

Nach dem Tode dieses Mannes und da die Rolle des Mantels nicht erwiesen
war, fanden die Richter keine hinreichenden Gründe, um die beiden Söhne
Cenci oder die beiden Frauen auf die Folter zu legen. Man führte sie alle
vier auf das Kastell St. Angelo, wo sie mehrere Monate ganz ruhig
verlebten.

Alles schien beendet und niemand in Rom zweifelte daran, daß dieses
schöne, mutige Mädchen, das so lebhafte Teilnahme erregt hatte, bald in
Freiheit gesetzt würde, als unglücklicherweise die Justiz den Briganten
festnehmen konnte, der Olimpio in Terni getötet hatte; nach Rom überführt,
gestand dieser Mann alles.

Monsignor Guerra, der durch das Geständnis des Briganten so seltsam
kompromittiert war, wurde geladen, ohne Verzug vor Gericht zu erscheinen;
das Gefängnis und vielleicht der Tod waren ihm sicher. Aber dieser
bewundernswerte Mann, dem vom Geschick verliehen war, alles gut zu machen,
gelang es, sich in einer Weise zu retten, die ans Wunder grenzt. Er galt
für den schönsten Mann am päpstlichen Hof und war in Rom zu bekannt, als
daß er hoffen konnte, sich zu retten; übrigens hielt man gute Wacht an den
Toren und wahrscheinlich stand auch vom Augenblick der Vorladung an sein
Haus unter Aufsicht. Man muß wissen, daß er sehr groß war, von weißester
Hautfarbe, einen schönen blonden Bart hatte und wundervolles Haar von der
gleichen Farbe.

Mit unerklärlicher Geschwindigkeit wußte er einen Kohlenhändler zu
gewinnen, nahm seine Kleider, ließ sich Haar und Bart rasieren, färbte
sich das Gesicht, kaufte zwei Esel und zog hinkend durch die Straßen Roms,
um seine Kohlen zu verkaufen. Er nahm in bewunderungswürdiger Weise ein
ungeschliffenes und stumpfsinniges Benehmen an und lief überall, den Mund
voll Brot und Zwiebeln, herum, seine Kohlen ausschreiend, während hunderte
von Sbirren ihn nicht nur in Rom, sondern auch auf den Landstraßen
suchten. Endlich, als seine Erscheinung der Mehrzahl der Sbirren wohl
bekannt war, wagte er sich aus Rom hinaus, seine zwei mit Kohlen beladenen
Esel immer vor sich hertreibend. Er begegnete mehreren Abteilungen
Sbirren, welche nicht daran dachten, ihn anzuhalten. Seither hat man nur
noch einen Brief von ihm erhalten; seine Mutter hat ihm Geld nach
Marseille geschickt, und man vermutet, daß er als Soldat in Frankreich den
Krieg mitmacht.

Das Geständnis des Mörders von Terni und diese Flucht des Monsignor
Guerra, die in Rom erstaunliches Aufsehen machte, mehrten den Verdacht und
die Indizien gegen die Cenci in solcher Weise, daß sie aus dem Kastell St.
Angelo fortgeschafft und wieder ins Gefängnis Savella gebracht wurden.

Als die beiden Brüder auf die Folter gespannt wurden, waren sie weit davon
entfernt, der Seelengröße des Briganten nachzueifern; sie waren so
kleinmütig, daß sie alles gestanden. Signora Lucrezia Petroni war so an
die Weichheit und an die Annehmlichkeiten des großen Luxus gewöhnt und
außerdem war sie so dick, daß sie die Tortur des Seils nicht ausgehalten
hätte; sie sagte alles aus, was sie wußte. Aber nicht war es so mit der
jungen, lebhaften und mutigen Beatrice Cenci. Weder gute Worte noch
Drohungen des Richters Moscati erreichten etwas bei ihr. Sie ertrug die
Torturen des Seils ohne ein Zeichen der Aufregung und mit vollendetem Mut.
Niemals konnte sie der Richter zu einer Antwort bringen, die sie auch nur
im mindesten kompromittierte, und weit mehr noch: es gelang ihr durch ihre
geistvolle Lebendigkeit, den berühmten Richter Ulysse Moscati gänzlich in
Verwirrung zu bringen. Er war dermaßen erstaunt über die Art dieses jungen
Mädchens, daß er es für Pflicht hielt, Seiner Heiligkeit dem glücklich
regierenden Papst Clemens VIII. davon Bericht zu erstatten.

Seine Heiligkeit wollte die Akten des Prozesses selbst einsehen. Er
befürchtete, daß der durch seine profunde Wissenschaft wie durch den
überragenden Scharfsinn seines Geistes so berühmte junge Ulysse Moscati
von der Schönheit Beatrices getroffen worden sei und sie bei den
Vernehmungen schone. Daraus folgte, daß Seine Heiligkeit ihn von der
Leitung dieses Prozesses enthob und diesen einem anderen strengeren
Richter gab. Wirklich hatte dieser Barbar den Mut, ohne Mitleid einen so
schönen Körper ad torturam capillorum zu martern, d.h. man folterte
Beatrice Cenci, indem man sie an den Haaren aufhing.

Während sie am Seil hochgezogen war, ließ dieser neue Richter ihre
Stiefmutter und ihre Brüder vor Beatrice erscheinen. Sobald Giacomo und
Signora Lucrezia sie so sahen, riefen sie ihr zu:

"Die Sünde ist begangen, man muß nun die Buße auf sich nehmen und sich
nicht den Körper mit zweckloser Hartnäckigkeit zerreißen lassen."

"Also Ihr wollt unser Haus mit Schande bedecken", antwortete das junge
Mädchen, "und in Schmach sterben? Ihr befindet Euch in einem großen
Irrtum; aber da Ihr es wünscht, sei es."

Und sich zu den Sbirren wendend, fuhr sie fort: "Bindet mich los, und man
lese mir die Aussage meiner Mutter vor; ich werde dem zustimmen, dem
zugestimmt werden muß und das leugnen, was geleugnet werden muß."

So geschah es; sie gestand die ganze Wahrheit. Sofort nahm man allen die
Ketten ab und weil es fünf Monate war, seit sie die Brüder nicht gesehen
hatte, wollte sie mit ihnen speisen; sie verbrachten alle vier einen sehr
heiteren Tag.

Aber am folgenden Tag wurden sie von neuem getrennt; die beiden Brüder
wurden in das Gefängnis von Tordinona geführt und die beiden Frauen
blieben im Gefängnis Savella. Unser Heiliger Vater, der Papst, der den
authentischen Akt mit den Geständnissen aller gesehen hatte, befahl, daß
sie ohne Aufschub an den Schweif ungezähmter Pferde gebunden und so zu
Tode geschleift werden sollten.

Ganz Rom erschauerte, als es diese strenge Entscheidung erfuhr. Viele
Kardinäle und Fürsten warfen sich dem Papst zu Füßen, indem sie ihn
anflehten, den Unglücklichen zu erlauben, ihre Verteidigungsschrift
einzureichen.

"Und sie, haben sie ihrem alten Vater Zeit gegeben, die seine zu
überreichen?" antwortete unwillig der Papst.

Schließlich genehmigte er aus besonderer Gnade einen Aufschub von
fünfundzwanzig Tagen. Sogleich begannen die ersten Advokaten Roms in
dieser Sache, welche die ganze Stadt mit Aufregung und Mitleid erfüllt
hatte, zu schreiben. Am fünfundzwanzigsten Tag erschienen sie alle
zusammen vor Seiner Heiligkeit. Nicolo d'Angelis sprach als erster; aber
er hatte kaum zwei Zeilen seiner Verteidigungsschrift gelesen, als Clemens
VIII. ihn unterbrach:

"Also, es finden sich in Rom Menschen, die ihren Vater ermorden und danach
Advokaten, welche diese Menschen verteidigen!" Alle schwiegen, als
Farinacci wagte, das Wort zu ergreifen.

"Heiligster Vater," sagte er, "wir sind nicht hier, um das Verbrechen zu
verteidigen, sondern um zu beweisen, wenn wir es können, daß einer oder
mehrere dieser Menschen am Verbrechen unschuldig sind."

Der Papst gab ihm das Zeichen, zu sprechen, und er sprach drei lange
Stunden; danach nahm der Papst alle ihre Schriftstücke an sich und
schickte sie fort. Als sie gingen, war Altiere der Letzte; er hatte
Furcht, sich kompromittiert zu haben und warf sich vor dem Papst auf die
Knie, indem er sagte:

"Es blieb mir nichts übrig, als in dieser Sache zu erscheinen, denn ich
bin Anwalt der Armen."

Worauf der Papst antwortete:

"Wir wundern uns nicht über Euch, sondern über die anderen."

Der Papst wollte sich nicht niederlegen, sondern verbrachte die ganze
Nacht damit, die Verteidigungsschriften der Advokaten zu lesen; er ließ
sich bei dieser Arbeit von dem Kardinal von San Marcello helfen. Seine
Heiligkeit schien dermaßen gerührt, daß man etwas Hoffnung für das Leben
dieser Unglücklichen schöpfen konnte. Um die Söhne zu retten, suchten die
Advokaten die ganze Schuld auf Beatrice zu wälzen. Da im Prozeß bewiesen
worden war, daß ihr Vater mehrmals in einer verbrecherischen Absicht
Gewalt angewendet hatte, hofften die Advokaten, daß ihr der Mord vergeben
würde, da sie sich im Zustand der berechtigten Notwehr befand; und wenn es
so geschah, daß dem Haupturheber des Verbrechens das Leben geschenkt
wurde, wie wäre es möglich, ihre Brüder, die durch sie verleitet waren,
mit dem Tode zu bestrafen?

Nach dieser in seinen Pflichten als Richter verbrachten Nacht, befahl
Clemens VIII., daß die Angeklagten ins Gefängnis zurückgeführt und in
geheimer Haft gehalten würden. Es war erwiesen, daß Beatrice den Monsignor
Guerra liebte, aber niemals die Regeln der strengsten Tugend überschritten
hatte: man konnte ihr also bei wahrer Gerechtigkeit nicht die Verbrechen
eines Ungeheuers anrechnen und sie strafen, weil sie von ihrem
Verteidigungsrecht Gebrauch gemacht hatte. Was hätte man getan, wenn sie
eingewilligt hätte? Mußte es sein, daß die menschliche Rechtsprechung das
Mißgeschick eines so liebenswürdigen, so bemitleidenswerten und schon so
unglücklichen Wesens noch vergrößerte? Hatte sie nicht nach einem so
traurigen Leben, daß[sic! statt: das] sie schon, bevor sie 16 Jahr alt
war, mit allen Arten des Unglücks überhäuft hatte, das Recht auf weniger
schreckliche Tage? Jedermann in Rom schien ihre Verteidigung übernommen zu
haben. Wäre ihr nicht verziehen worden, wenn sie Francesco Cenci erdolcht
hätte, als er zum ersten Mal das Verbrechen versuchte?

Papst Clemens VIII. war milde und voll Erbarmen. Wir begannen zu hoffen,
er würde, -- ein wenig beschämt über die Grille, die ihn das
Beweisverfahren der Advokaten hatte unterbrechen lassen, -- jener
verzeihen, die Gewalt mit Gewalt vergolten hatte, und wahrhaftig nicht als
vorschnelle Erwiderung des Verbrechens, sondern erst, als man es von neuem
an ihr versuchen wollte. Ganz Rom war in ängstlicher Spannung; da erhielt
der Papst die Nachricht des gewaltsamen Todes der Marchesa Constanza Santa
Croce. Ihr Sohn Paolo Santa Croce hatte diese sechzig Jahre alte Dame mit
Dolchstichen getötet, weil sie sich nicht verpflichten wollte, ihn zum
Erben aller ihrer Güter einzusetzen. Der Bericht fügte hinzu, daß Santa
Croce die Flucht ergriffen habe und daß man keine Hoffnung hätte, ihn
festzunehmen. Der Papst erinnerte sich an den Brudermord der Massini, der
vor kurzer Zeit begangen worden war. Aufs Tiefste betrübt über diese
Häufung von Morden an Nahverwandten, glaubte Seine Heiligkeit, es sei
nicht gestattet, zu verzeihen. Als der Papst den verhängnisvollen Bericht
über Santa Croce erhielt, befand er sich, es war am 6. September, im
Palast von Monte Cavallo, um am folgenden Tage ganz in der Nähe der Kirche
Santa Maria degli Angeli zu sein, wo er einen deutschen Kardinal zum
Bischof weihen sollte.

Am Freitag, zur zweiundzwanzigsten Stunde, das ist vier Uhr nachmittags,
ließ er Ferrante Taverna, den Gouverneur von Rom, rufen und sagte diesem
wörtlich: "Wir geben die Sache der Cenci an Euch, damit das Recht durch
Eure Fürsorge und ohne jeden Aufschub geschehe."

Der Gouverneur kam, sehr bewegt von dem Auftrag, den er erhalten hatte, in
seinen Palast zurück; er fertigte sogleich das Todesurteil aus und berief
die Kongregation, um über die Art der Vollstreckung zu beraten.

Samstag früh, am 11. September 1599, begaben sich die ersten Signori Roms,
Mitglieder der Brüderschaft der Confortatori, in die beiden Gefängnisse,
nach Corte Savella, wo Beatrice und ihre Stiefmutter waren und nach
Tordinona, wo sich Giacomo und Bernardo Cenci befanden. Während der ganzen
Nacht vom Freitag zum Sonnabend taten die römischen Herren, die erfahren
hatten, was vorging, nichts anderes, als vom Palazzo Monte Cavalli zu
denen der ersten Kardinäle zu eilen, um wenigstens zu erreichen, daß die
Frauen im Innern des Gefängnisses hingerichtet würden und nicht auf
schmählichem Schafott, und daß man den jungen Bernardo Cenci begnadigte,
da er kaum fünfzehn Jahr alt und gewiß nicht ins Verbrechen eingeweiht
gewesen sei. Der edle Kardinal Sforza hat sich vor allen in dieser
verhängnisvollen Nacht durch seinen Eifer ausgezeichnet; aber ein so
mächtiger Fürst er auch war, konnte er doch nichts ausrichten. -- Das
Verbrechen von Santa Croce war ein niedriges Verbrechen, es war wegen des
Geldes begangen; doch das Verbrechen Beatrices war begangen, um die Ehre
zu retten.

Während die mächtigsten Kardinäle so viele unnütze Schritte taten, hatte
unser großer Rechtsgelehrter Farinacci die Kühnheit, zum Papst
vorzudringen und, bei seiner Heiligkeit angelangt, besaß dieser
erstaunliche Mann die Geschicklichkeit, ihn bei seiner Gewissenhaftigkeit
zu packen und schließlich gelang es ihm, Bernardo Cenci das Leben zu
retten.

Als der Papst dies große Wort aussprach, konnte es vier Uhr morgens sein
(vom Sonnabend, dem 11. September). Die ganze Nacht war auf dem Platz bei
der Engelsbrücke an den Vorbereitungen dieser grausamen Tragödie
gearbeitet worden. Indessen waren alle notwendigen Abschriften des
Todesurteils erst um fünf Uhr morgens beendet, so daß man den armen
Unglücklichen, die ruhig schliefen, erst um sechs Uhr früh die
verhängnisvolle Nachricht ankündigen konnte.

Das junge Mädchen vermochte zuerst nicht einmal die Kraft zu finden, sich
anzukleiden. Sie stieß in einem fort durchdringende Schreie aus und
überließ sich ganz haltlos der schrecklichsten Verzweiflung. "Wie ist es
möglich, oh! Gott!" schrie sie, "daß ich so unvorbereitet sterben muß?"

Lucrezia dagegen benahm sich ganz gefaßt; erst kniete sie nieder und
betete, dann forderte sie gelassen ihre Tochter auf, sich mit ihr in die
Kapelle zu begeben, um sich mit ihr auf den großen Übergang vom Leben zum
Tode vorzubereiten.

Dies Wort gab Beatrice ihre ganze Ruhe wieder; soviel Maßlosigkeit und
Aufwallung sie zuerst gezeigt hatte, so gefaßt und verständig war sie nun,
seit ihre Stiefmutter ihre große Seele zu sich selbst zurückgerufen hatte.
Von diesem Augenblick an war sie ein Spiegel der Standhaftigkeit, den ganz
Rom bewundert hat.

Sie verlangte einen Notar, um ihr Testament zu machen, was ihr bewilligt
wurde. Sie bestimmte, daß ihr Leichnam nach San Pietro in Montorio
gebracht werde und hinterließ den Nonnen der Wundmale des Heiligen
Franziskus 300 000 Francs, welche Summe dazu dienen sollte, fünfzig arme
Mädchen auszustatten. Dieses Beispiel bewegte auch die Signora Lucrezia
dazu, daß sie ihr Testament machte und die Anordnung traf, ihren Leichnam
nach San Giorgio zu überführen; sie hinterließ 500 000 Francs Almosen für
diese Kirche und machte noch andere fromme Legate.

Um acht Uhr beichteten sie, hörten darauf die Messe und nahmen das Heilige
Abendmahl. Aber bevor sie zur Messe gingen, erwog Beatrice, daß es nicht
passend sei, auf dem Schafott, vor den Augen des ganzen Volks mit den
reichen Gewändern zu erscheinen, die sie trugen. Sie bestellte zwei
Kleider, das eine für sich, das andere für ihre Mutter. Die Gewänder
wurden wie Nonnenkutten gearbeitet, ohne Aufputz an Brust und Schultern,
nur gefältelt mit weiten Ärmeln. Das Kleid der Stiefmutter war aus
schwarzer Baumwolle, das des jungen Mädchens aus blauem Taft mit einer
dicken Schnur, welche den Gürtel bildete.

Als man die Kleider brachte, erhob sich Signora Beatrice, die auf den
Knien lag und sagte der Signora Lucrezia: "Frau Mutter, die Stunde unsres
Leidens nähert sich, es wird gut sein, daß wir uns bereiten; legen wir
diese neuen Gewänder an und leisten wir uns zum letztenmal gegenseitig den
Dienst, uns anzukleiden.[sic! Fehlt: "]

Man hatte auf dem Platz vor der Engelsbrücke ein Schafott errichtet. Um
die dreizehnte Stunde (acht Uhr morgens) brachte die Brüderschaft der
Barmherzigkeit ihr großes Kruzifix zur Tür des Gefängnisses. Giacomo Cenci
schritt als erster aus dem Kerker; er kniete fromm auf der Schwelle
nieder, betete und küßte die heiligen Wunden des Gekreuzigten. Ihm folgte
sein junger Bruder Bernardo Cenci, der gleich ihm gebundene Hände und ein
kleines Brett vor den Augen hatte. Die Menge war ungeheuer und es entstand
ein Tumult, weil eine Vase aus einem Fenster fast auf den Kopf eines der
Bußbrüder fiel, der eine brennende Fackel zur Seite des Banners trug.

Alles sah auf die beiden Brüder, als unversehens der Fiskal von Rom
hervortrat und sagte: "Signor Bernardo, unser Heiliger Vater schenkt Euch
das Leben, fügt Euch darein, Eure Verwandten zu begleiten und bittet Gott
um Gnade für sie."

Sogleich nahmen ihm seine beiden Begleiter das kleine Brett fort, das er
vor den Augen trug. Der Henker machte Giacomo Cenci für den Karren bereit
und hatte ihm schon sein Gewand ausgezogen, um ihn mit der Zange zwicken
zu können. Als der Henker zu Bernardo kam, beglaubigte er die
Unterzeichnung der Begnadigung, band ihn los, nahm ihm die Handschellen ab
und weil er wegen der Marter mit der Zange ohne Rock war, setzte ihn der
Henker auf den Karren und hüllte ihn in einen prächtigen Tuchmantel mit
goldenen Tressen. Man sagte, daß es der Mantel sei, den Beatrice nach der
Tat in der Festung La Petrella Marcio gegeben hatte. Die ungeheure Menge
in den Straßen an den Fenstern und auf den Dächern kam plötzlich in
Bewegung; man hörte ein dumpfes, tiefes Murmeln, man begann weiterzusagen,
daß dieses Kind begnadigt sei.

Die Psalmgesänge begannen und die Prozession bewegte sich langsam über die
Piazza Navona nach dem Gefängnis Savella. An der Türe des Gefängnisses
angelangt, hält man an. Die beiden Frauen traten heraus, verrichteten ihr
Gebet zu Füßen des Heiligen Kruzifixes, und folgten dann zu Fuß, eine
hinter der andern, Sie waren so gekleidet, wie schon erzählt worden ist,
und hatten das Haupt mit einem großen Schleier bedeckt, der fast bis zum
Gürtel hing.

Signora Lucrezia trug, wie es für eine Witwe üblich war, einen schwarzen
Schleier und Pantoffeln aus schwarzem Samt, ohne Absätze.

Der Schleier des jungen Mädchens war aus blauem Taft wie ihr Kleid, sie
trug ein silbriges Gewebe um die Schultern, ein Unterkleid aus violettem
Tuch und Pantoffeln aus weißem Samt, die mit karmesinroten Schnüren
zierlich verschnürt waren. Sie hatte eine eigenartige Anmut, als sie in
diesem Kostüm dahinschritt, und in aller Augen traten Tränen, als man sie
bemerkte, die langsam in den letzten Reihen der Prozession dahinschritt.

Beide Frauen hatten die Hände frei, aber die Arme am Körper festgebunden,
und zwar so, daß jede von ihnen ein Kruzifix tragen konnte; sie hielten es
dicht an die Augen. Die Ärmel ihrer Kleider waren sehr weit, so daß man
ihre Arme sehen konnte, nach der Sitte des Landes mit einem an den
Handgelenken geschlossenen Hemd bedeckt.

Signora Lucrezia, die weniger starken Herzens war, weinte fast ohne
aufzuhören; dagegen zeigte die junge Beatrice großen Mut; sie richtete den
Blick auf jede der Kirchen, an denen die Prozession vorüberkam, kniete
einen Augenblick nieder und sagte mit fester Stimme: Adoramus te, Christe!

Während dieser Zeit wurde der arme Giacomo Cenci auf seinem Karren mit
Zangen gezwickt und zeigte großen Mut.

Die Prozession konnte kaum den unteren Teil des Platzes an der
Engelsbrücke überschreiten, so zahlreich waren die Wagen und die
Volksmassen. Man führte sogleich die Frauen in die Kapelle, welche man
errichtet hatte, und brachte auch Giacomo dahin.

Der junge Bernardo wurde in seinem reichverzierten Mantel geradenwegs aufs
Schafott geführt; da glaubten alle, daß er sterben solle und daß er nicht
begnadigt worden sei.

Das arme Kind hatte solche Angst, daß es beim zweiten Schritt auf dem
Schafott ohnmächtig hinfiel. Man brachte ihn mit frischem Wasser wieder zu
sich, und setzte ihn gegenüber dem Fallbeil nieder.

Der Henker ging, um Signora Lucrezia zu holen; ihre Hände waren auf dem
Rücken gebunden und sie hatte nicht mehr den Schleier um die Schultern.
Sie erschien mit dem Banner geleitet auf dem Richtplatz, den Kopf in den
Taftschleier gehüllt; dort befahl sie ihre Seele Gott und küßte die
heiligen Wundmale. Man sagte ihr, daß sie ihre Pantoffeln auf dem Pflaster
zurücklassen müsse; da sie sehr stark war, machte es ihr Mühe, aufs
Schaffot zu steigen. Als sie oben war und man ihr den schwarzen
Taftschleier fortnahm, war es ihr sehr schmerzlich, daß man sie mit
entblößter Brust und Schultern sehen sollte; sie blickte an sich herunter,
sah dann das Beil an und hob langsam zum Zeichen der Ergebung die
Schultern; Tränen traten in ihre Augen, sie sagte: "O mein Gott! ... Und
Ihr, meine Brüder, betet für meine Seele."

Da sie nicht wußte, wie sie sich zu verhalten habe, fragte sie Alexander,
den ersten Henker danach. Er sagte, sie solle sich rittlings auf den
Balken des Schafotts setzen. Aber diese Stellung beleidigte ihr
Schamgefühl und sie brauchte viel Zeit dazu. Die Einzelheiten, die jetzt
folgen, sind für ein italienisches Publikum, das alles mit peinlichster
Genauigkeit wissen will, erträglich; aber dem nicht-italienischen Leser
möge genügen, daß die arme Frau durch ihr Schamgefühl eine Verletzung an
der Brust davontrug; der Henker zeigte das Haupt dem Volke und umhüllte es
dann mit dem schwarzen Taftschleier.

Während man das Schafott für das junge Mädchen herrichtete, stürzte ein
Gerüst, das von Neugierigen überfüllt war, ein, und viele Menschen wurden
dabei getötet. So erschienen sie noch früher als Beatrice vor Gott.

Als Beatrice das Banner zur Kapelle zurückkehren sah, um sie zu holen,
fragte sie lebhaft:

"Ist meine Frau Mutter schon tot?"

Man bejahte und sie warf sich vor dem Kruzifix auf die Knie und betete mit
Inbrunst für ihre Seele. Dann sprach sie lange mit lauter Stimme zum
Kruzifix:

"Herr, du bist für mich zurückgekehrt, und ich will Dir aus freiem Willen
folgen, denn ich verzweifle nicht an Deinem Erbarmen für meine
unermeßliche Sünde."

Sie wiederholte dann noch mehrere Psalmen und Gebete zum Lobe Gottes. Als
endlich der Henker mit einem Strick vor ihr erschien, sagte sie:

"Binde diesen Körper, der gestraft werden muß und erlöse diese Seele,
damit sie zur Unsterblichkeit und zur ewigen Herrlichkeit gelange."

Dann erhob sie sich, sprach das Gebet und ließ ihre Pantoffeln am Fuß der
Treppe stehen; auf dem Schafott schwang sie schnell das Bein über den
Balken, legte den Hals unter das Fallbeil und ordnete alles ganz allein,
um sich nicht von dem Henker berühren zu lassen. Durch die Schnelligkeit
ihrer Bewegungen vermied sie, dem Publikum Hals und Schultern zu zeigen,
als ihr der Taftschleier abgenommen wurde. Es brauchte lange, bis der
Streich gefällt wurde, weil ein Hindernis eingetreten war. Während dieser
Zeit rief sie mit lauter Stimme Jesus Christus und die Heilige Jungfrau
an. Ein zeitgenössischer Autor erzählt, daß Clemens VIII. sehr besorgt um
das Seelenheil Beatrices war; da er wußte, daß sie sich unschuldig
verurteilt fühlte, fürchtete er eine Regung des Aufruhrs. Im Augenblick,
als sie ihren Kopf unter das Beil gelegt hatte, gab man von der
Engelsburg, von wo man das Schafott gut sehen konnte, einen Kanonenschuß
ab. Der Papst, der im Gebet auf Monte Cavallo war, gab, sobald er dies
Signal hörte, dem jungen Mädchen die päpstliche Absolution major in
articulo mortis. Daher der Aufenthalt in diesem schrecklichen Augenblick,
von dem der Chronist spricht. Der Körper machte im verhängnisvollen
Augenblick eine heftige Bewegung. Der arme Bernardo Cenci, der immer noch
auf dem Schafott saß, fiel von neuem in Ohnmacht und seine Tröster
brauchten eine gute halbe Stunde, um ihn wiederzubeleben. Dann erschien
Giacomo Cenci auf dem Schafott; aber auch hier muß man über zu
schreckliche Einzelheiten hinweggehen. Giacomo Cenci wurde mit der Keule
zu Tode geschlagen.

Sofort führte man Bernardo in das Gefängnis zurück, er hatte starkes
Fieber und man ließ ihn zur Ader.

Was die armen Frauen betrifft, wurde jede in ihren Sarg gebettet und
einige Schritte vom Schafott entfernt bei der Statue des Heiligen Paulus
aufgestellt, welche die erste auf der rechten Seite der Engelsbrücke ist.
Sie blieben dort bis viereinviertel Uhr nach Mittag. Um jeden Sarg standen
vier brennende Kerzen aus weißem Wachs.

Dann wurden sie mit dem, was von Giacomo Cenci noch geblieben war, zum
Palast des Konsuls von Florenz gebracht. Um neuneinviertel Uhr abends
wurde der Leichnam des jungen Mädchens, wieder mit Kleidern angetan und
verschwenderisch mit Blumen bekränzt, nach San Pietro in Montorio
gebracht. Sie war von hinreißender Schönheit, man konnte glauben, sie
schliefe. Sie wurde vor dem großen Altar mit der Verklärung Christi des
Raffael von Urbino beigesetzt. Sie wurde von fünfzig großen brennenden
Wachskerzen geleitet und von allen Franziskanermönchen Roms.

Lucrezia Petroni wurde um zehn Uhr abends nach der Kirche von San Giorgio
überführt. Während dieser Tragödie war die Volksmenge unzählig; so weit
der Blick schweifen konnte, sah man die Straßen von Wagen und Menschen,
ebenso die Gerüste, die Fenster und die Dächer von Neugierigen bedeckt.
Die Sonne hatte an diesem Tag eine solche Kraft, daß viele Leute die
Besinnung verloren. Unzählige bekamen Fieber; und als alles um die
neunzehnte Stunde (3/4 2 Uhr) beendet war und die Massen sich zerstreuten,
wurden viele Leute erdrückt, andere durch Pferde zermalmt. Die Zahl der
Toten war sehr beträchlich.

Signora Lucrezia Petroni war eher klein als groß und, obschon fünfzig
Jahre alt, sah sie noch sehr gut aus. Sie hatte sehr schöne Züge, eine
kleine Nase, schwarze Augen, eine sehr weiße Gesichtshaut mit schönen
Farben; sie hatte wenig und kastanienbraunes Haar.

Beatrice Cenci, die in Ewigkeit Mitleid erwecken wird, war gerade sechzehn
Jahre alt; sie war klein, hatte eine leibliche Fülle und Grübchen auf den
Wangen, so daß man, als sie tot, von Blumen bekränzt, dalag, hätte glauben
können, daß sie schlafe, ja sogar, daß sie im Schlafe lache, wie es ihr
oft im Leben geschah. Sie hatte einen kleinen Mund und blondes von selbst
gelocktes Haar. Auf dem Weg zum Tode fiel ihr dies blonde lockige Haar
über die Augen, was ihr einen besonderen Reiz verlieh und Mitleid
erweckte.

Giacomo Cenci war klein, dick, mit weißer Haut und schwarzem Bart, er war
fast sechsundzwanzig Jahre alt, als er starb.

Bernardo Cenci ähnelte völlig seiner Schwester, und da er die Haare lang
wie sie trug, hielten ihn viele Leute, als er das Schafott bestieg, für
Beatrice.

Die Sonne war so glühend gewesen, daß mehrere Zuschauer dieser Tragödie
noch in der Nacht starben, unter ihnen Ubaldo Ubaldini, ein selten schöner
Jüngling, der sich bisher immer vollkommener Gesundheit erfreut hatte. Er
war der Bruder des in Rom sehr bekannten Signor Renzi. So stiegen die
Schatten der Cenci wohlgeleitet hinunter.

Gestern, am Dienstag, dem 14. September 1599, machten die Büßer von San
Marcello gelegentlich des Festes des heiligen Kreuzes von ihrem Vorrecht
Gebrauch, um Bernardo Cenci aus seinem Gefängnis zu befreien, der sich
dafür verpflichtete, binnen eines Jahres 400 000 Francs für die
allerheiligste Dreifaltigkeit von Pontus Sixtus zu stiften.

Von anderer Hand ist hier hinzugefügt:

Von ihm stammen Francesco und Bernardo Cenci ab, die heute noch leben.

Der berühmte Farinacci, der durch seine Hartnäckigkeit das Leben des
jungen Cenci rettete, hat sein Plaidoyer veröffentlicht. Er gibt nur einen
Auszug aus dem Plaidoyer Nr. 66, das er Clemens VIII. zu Gunsten der Cenci
vortrug. Dies Plaidoyer, in lateinischer Sprache verfaßt, würde sechs
große Seiten ausfüllen, und leider kann ich es hier nicht unterbringen; es
zeichnet die Art des Denkens von 1599; und es scheint mir sehr vernünftig.
Viele Jahre nach 1599 fügte Farinacci, als er sein Plaidoyer herausgab,
folgende Bemerkung dem hinzu, was er zu Gunsten der Cenci gesagt hatte:
Omnes fuerunt ultimo supplicio effecti, excepto Bernardo qui ad triremes
cum bonorum confiscatione condemnatus fuit, ac etiam ad interessendum
aliorum morti prout interfuit.

Das weitere dieser lateinischen Anmerkung ist rührend, aber ich vermute,
daß der Leser einer so langen Erzählung schon müde ist.




ZU VIEL GUNST SCHADET

ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL


In einer Stadt Toskanas, die ich nicht nennen werde, gab es im Jahre 1589
und gibt es noch heute ein düsteres und weitläufiges Kloster. Seine
schwarzen wohl fünfzig Fuß hohen Mauern verfinstern ein ganzes
Straßenviertel. Drei Straßen werden von diesen Mauern begrenzt; an der
vierten Seite breitet sich der Garten des Klosters aus, der bis zum
Stadtwall reicht. Diesen Garten umgibt eine weniger hohe Mauer. Die Abtei,
der wir den Namen Santa Riparata geben wollen, nimmt nur die Töchter des
höchsten Adels auf. Am 20. Oktober 1587 waren alle Glocken des Klosters in
Bewegung; die Kirche war für die Gläubigen offen und mit prachtvollen
Wandteppichen aus rotem mit reichen Goldfransen verziertem Damast
ausgeschlagen. Die fromme Schwester Virgilia, die Geliebte des neuen
Großherzogs von Toskana, Ferdinand I., war am Abend vorher zur Äbtissin
von Santa Riparata erhoben worden, und der Bischof der Stadt, von seinem
ganzen Klerus gefolgt, war zur feierlichen Einsetzung gekommen. Die ganze
Stadt war in Aufregung und das Gedränge in den Gassen um Santa Riparata so
groß, daß es unmöglich war, dort durchzukommen.

Der Kardinal Fernando Medici, der auf seinen Bruder Francesco gefolgt war,
jedoch ohne deshalb auf den Kardinalshut Verzicht zu leisten, war
sechsunddreißig Jahre alt und seit fünfundzwanzig Jahren Kardinal; er war
im Alter von elf Jahren zu dieser hohen Würde erwählt worden. Die
Regierung Francescos, der heute noch durch seine Liebe zu Bianca Capello
berühmt ist, war durch alle Torheiten, zu welchen die Vergnügungssucht
einen wenig charakterstarken Fürsten hinreißen kann, gekennzeichnet. Auch
Ferdinand hatte sich einige Schwächen dieser Art vorzuwerfen. Seine Liebe
zu der Laien-Schwester Virgilia war in ganz Toskana berühmt; doch
besonders durch die Unschuld dieser ihrer Beziehungen wie man beifügen
muß; ebenso wie man sagen muß, daß der düstere, heftige und
leidenschaftliche Großherzog Francesco das Aufsehen, das seine
Liebschaften erregten, wenig genug beachtete. Im ganzen Land sprach man
nur von der großen Tugend der Schwester Virgilia. Die Ordensregeln, die
sie als Laienschwester zu erfüllen hatte, erlaubten es ihr, etwa drei
Viertel des Jahres bei der Familie zu verbringen; sie sah dann täglich den
Kardinal Medici, wenn er in Florenz war. Zwei Dinge setzten diese der
Wollust hingegebene Stadt an dieser Liebschaft eines reichen jungen
Fürsten in Erstaunen, dem durch das Beispiel seines Bruders alles
gestattet war: die junge schüchterne, nichts weniger als geistvolle
Schwester Virgilia war durchaus nicht hübsch und der junge Kardinal hatte
sie nie anders als in Gegenwart von zwei oder drei alten Damen aus der
edlen Familie Respuccio gesehen, der diese sonderbare Geliebte eines
jungen Prinzen von Geblüt angehörte.

Großherzog Francesco starb am 19. Oktober 1587 gegen Abend. Am 20. Oktober
noch vor dem Mittag begaben sich die Adeligen des Hofs und die reichsten
Kaufleute -- denn man muß sich erinnern, daß die Medici ursprünglich
Kaufleute gewesen waren; ihre Verwandten und die einflußreichsten
Persönlichkeiten des Hofs trieben noch immer Handel, wodurch diese
Höflinge verhindert wurden, ganz so albern zu sein, wie ihresgleichen an
den anderen zeitgenössischen Höfen -- die ersten Hofherren und die
reichsten Kaufleute begaben sich also am Morgen des 20. Oktober in das
bescheidene Haus der Laienschwester Virgilia, die über diesen Andrang sehr
erstaunt war.

Der neue Großherzog wollte weise und verständig dem Glück seiner
Untertanen nützlich sein; er wollte vor allem jede Intrige von seinem Hof
verbannen. Zur Macht gelangt fand er, daß die Leitung des reichsten
Frauen-Klosters seines Staates, das allen vornehmen Töchtern, die von
ihren Eltern dem Glanz der Familie geopfert wurden, als Zuflucht diente,
unbesetzt war; er zögerte nicht, der Frau, die er liebte, die
Äbtissinwürde zu verleihen.

Das Kloster von Santa Riparata gehörte zum Orden des heiligen Benedikt,
dessen Regeln den Nonnen nicht gestatten, die Klausur zu verlassen. Zum
großen Erstaunen des guten Volks von Florenz sah der Fürst-Kardinal die
neue Äbtissin nicht mehr, aber in seiner Herzenszartheit, die von allen
Frauen seines Hofs bemerkt und, wie man wohl sagen kann, allgemein
getadelt wurde, gestattete er sich überhaupt niemals, eine Frau unter vier
Augen zu sehn. Als diese Lebensführung offenbar war, verfolgte die
Dienstbeflissenheit der Höflinge die Schwester Virgilia bis in ihr
Kloster, und sie glaubten zu bemerken, daß sie trotz ihrer ungewöhnlichen
Bescheidenheit gar nicht unempfindlich gegen diese Aufmerksamkeit war, der
einzigen, die seine außerordentliche Tugend dem neuen Herrscher
gestattete.

Das Konvent von Santa Riparata mußte oft Angelegenheiten behandeln, die
sehr zarter Natur waren: diese jungen Mädchen aus den reichsten Familien
von Florenz ließen sich nicht aus der so glänzenden Welt verbannen, aus
dieser so reichen Stadt, die damals der Hauptsitz des europäischen Handels
war, ohne einen Teil ihres Herzens bei dem zurückzulassen, was man sie zu
verlassen zwang; oft erhoben sie laut Einspruch gegen die Ungerechtigkeit
ihrer Eltern; manchmal suchten sie Tröstungen in der Liebe, und der Haß
wie die Rivalität, die im Kloster herrschten, setzten die vornehme
Gesellschaft von Florenz in Aufregung. Dieser Stand der Dinge war der
Grund, daß die Äbtissin von Santa Riparata häufig genug Audienzen beim
regierenden Großherzog erhielt. Um die Vorschriften des Heiligen Benedikt
so wenig wie möglich zu übertreten, schickte der Großherzog der Äbtissin
einen seiner Gala-Wagen, in dem zwei ihrer Hofdamen Platz nahmen, welche
die Äbtissin bis in den Audienzsaal des weitläufigen großherzoglichen
Schlosses in der Via larga, begleiteten. Diese beiden Damen, die Beweise
der Klausur, wie man sie nannte, nahmen auf Lehnsesseln dicht an der Türe
Platz, während die Äbtissin allein vorschritt, um mit dem Fürsten zu
sprechen, der sie am äußersten Ende des Saales erwartete, so daß die
'Beweise der Klausur' nichts von dem, was während dieser Audienz gesagt
wurde, hören konnten.

Wieder andre Male begab sich der Fürst in die Kirche von Santa Riparata,
wo man ihm das Chorgitter öffnete, damit die Äbtissin Seine Hoheit
sprechen könne.

Diese beiden Arten der Audienz paßten dem Großherzog keineswegs; sie
hätten vielleicht einem Gefühl neue Kraft verleihen können, welches er
vermindern wollte. Indessen ließ eine der Klosterangelegenheiten
delikatester Natur nicht lange auf sich warten: Die Liebesverhältnisse der
Schwester Felizia degli Almieri störten den Frieden. Die Familie degli
Almieri war eine der reichsten und mächtigsten in Florenz. Da zwei von den
drei Brüdern, für deren Eitelkeit man die junge Felizia geopfert hatte,
schon gestorben waren und der dritte keine Kinder hatte, bildete sich
diese Familie ein, einer Strafe des Himmels ausgesetzt zu sein. Die Mutter
und der überlebende Bruder gaben Felizia, trotz ihres Gelübdes der Armut,
die Güter, deren man sie beraubt hatte, um der Eitelkeit der Brüder zu
frönen, in Form von Geschenken zurück.

Das Kloster von Santa Riparata zählte damals dreiundvierzig Nonnen und
jede von ihnen hatte ihre Kammerfrau. Das waren junge, dem armen Adel
entnommene Mädchen, die an einer zweiten Tafel speisten und jeden Monat
vom Schatzmeister des Klosters einen Scudo für ihre Auslagen erhielten.
Aber nach einem sonderbaren und für den Frieden des Klosters nicht sehr
günstigen Brauch, konnte man nur bis zum Alter von dreißig Jahren
Kammerfrau bleiben; an diesem Lebensabschnitt angelangt, verheirateten
sich diese Mädchen oder wurden in Klöster niederen Ranges untergebracht.

Die sehr vornehmen Damen von Santa Riparata durften bis zu fünf
Kammerfrauen haben und die Schwester Felizia degli Almieri verlangte deren
acht. Alle jene Damen des Klosters, welche man für galant hielt, und das
waren fünfzehn oder sechzehn, unterstützten die Forderungen Felizias,
während die sechsundzwanzig andren sich höchst entrüstet darüber zeigten
und davon sprachen, einen Appell an den Fürsten zu richten.

Die neue Äbtissin, die gute Schwester Virgilia, hatte lange nicht genug
Geist, um diese ernste Angelegenheit zu entscheiden; es schien, daß beide
Parteien von ihr verlangten, die Sache zur Entscheidung dem Fürsten zu
unterbreiten.

Schon begannen bei Hof alle Freunde der Familie degli Almieri zu sagen,
wie befremdlich es sei, daß man ein Mädchen von so hoher Geburt, noch dazu
es ehemals so barbarisch von seiner Familie geopfert, nun wieder
verhindern wolle, von seinem Reichtum Gebrauch zu machen wie es wünsche,
besonders wo dieser Gebrauch so unschuldig wäre. Von der anderen Seite
verfehlten die Familien der älteren oder weniger begüterten Nonnen nicht,
zu antworten, es sei zum mindesten sonderbar, daß eine Nonne, die das
Gelübde der Armut abgelegt habe, sich nicht mit fünf Kammerfrauen
zufrieden geben könne.

Der Großherzog wollte einen Klatsch, der die ganze Stadt in Aufregung
versetzen konnte, kurz beendigen. Seine Minister drängten ihn, der
Äbtissin von Santa Riparata eine Audienz zu gewähren, und da dieses
Mädchen in seiner himmlischen Tugend und seinem bewundernswürdigem
Charakter seinen ganz in die Dinge des Himmels vertieften Geist
wahrscheinlich nicht zu der Kleinlichkeit eines so elenden Klatsches
herablassen würde, müßte der Großherzog ihr eine Entschließung eröffnen,
die sie nur auszuführen hätte. 'Aber wie könnte ich diese Entschließung
fassen,' sagte sich der verständige Fürst, 'wenn ich doch durchaus nichts
von den Gründen weiß, welche die beiden Parteien geltend machen können?'
Übrigens wollte er sich auch nicht die mächtige Familie degli Almieri ohne
hinreichende Gründe zum Feinde machen.

Der intime Freund des Fürsten war Graf Buondelmonte, der ein Jahr jünger
als er war. Sie kannten sich schon von der Wiege her, da sie die gleiche
Amme gehabt hatten, eine reiche schöne Bäuerin von Casentino. Graf
Buondelmonte, reich, vornehm und einer der schönsten Männer der Stadt, war
durch die außerordentliche Gleichgültigkeit und Kälte seines Charakters
bekannt. Er hatte unverzüglich abgelehnt, Premierminister zu werden, was
ihm Großherzog Ferdinand schon am Tage seiner Ankunft in Florenz
angetragen hatte.

'Ich an Eurer Stelle, Fürst,' hatte ihm der Graf gesagt, 'würde sogleich
abdanken; urteilt also selbst, ob ich der Minister des Fürsten sein und
den Haß der halben Bevölkerung einer Stadt gegen mich entfesseln möchte,
in der ich mein Leben verbringen will!'

Mitten in den Unannehmlichkeiten am Hofe, welche dem Herzog durch die
Mißhelligkeiten im Kloster von Santa Riparata erwachsen waren, fiel ihm
ein, daß er die Freundschaft des Grafen anrufen könnte. Dieser brachte
sein Leben auf seinen Gütern zu, deren Pflege er mit viel Aufmerksamkeit
leitete. Täglich widmete er der Jagd oder dem Fischen zwei Stunden, je
nach der Jahreszeit. Niemals hatte man eine Geliebte bei ihm gesehn. Er
wurde durch den Brief des Fürsten, der ihn nach Florenz rief, sehr
verstimmt; er wurde es noch viel mehr, nachdem der Fürst ihm gesagt hatte,
daß er ihn zum Vorsteher des Damenstifts von Santa Riparata ernennen
wolle.

"Wißt," sagte ihm der Graf, "daß ich beinahe vorzöge, Premierminister
Eurer Hoheit zu sein. Der Frieden des Gemüts ist meine Leidenschaft, und
was glaubt Ihr wohl soll aus mir inmitten all dieser wütenden Schäflein
werden?"

"Was meinen Blick auf Euch gelenkt hat, mein Freund, ist, daß man weiß,
eine Frau hat niemals auch nur die Gänze eines Tags hindurch Eure Seele zu
beherrschen vermocht; ich bin weit entfernt davon, ebenso glücklich zu
sein; es fehlte nicht viel, daß ich die gleichen Torheiten fortgesetzt
hätte, die mein Bruder für Bianca Capello begangen hat."

Jetzt begann der Fürst ihm vertrauliche Mitteilungen zu machen, mit deren
Hilfe er seinen Freund zu verführen gedachte. "Glaubt mir," sagte er ihm,
"wenn ich dieses so sanfte Mädchen wiedersehe, das ich zur Äbtissin von
Santa Riparata gemacht habe, kann ich nicht mehr für mich einstehn."

"Und was wäre dabei?" sagte der Graf, "Wenn es Euch als ein Glück
erscheint, eine Geliebte zu haben, warum solltet Ihr dann keine nehmen?
Wenn ich keine habe, ist es, weil mich jede Frau durch ihre Klatscherei
und durch die Kleinlichkeit ihres Charakters langweilt, schon nach
dreitägiger Bekanntschaft."

"Ich," sagte der Großherzog, "ich bin Kardinal. Es ist wahr, daß der Papst
mir die Erlaubnis erteilt hat, auf den Hut zu verzichten und mich in
Anbetracht der Krone, welche mir unvermutet zukam, zu verheiraten; aber
ich verlange gar nicht danach, in der Hölle zu brennen, und wenn ich mich
verheirate, werde ich eine Frau nehmen, welche ich nicht liebe und von der
ich Nachfolger für meine Krone verlangen werde, und nicht die üblichen
Süßigkeiten der Ehe."

"Darauf habe ich nichts zu sagen," entgegnete der Graf, "ich kann nicht
glauben, daß der Allmächtige Gott seinen Blick auf solche Kleinigkeiten
herabsenkt. Macht aus Euren Untertanen glückliche und ehrliche Leute, wenn
Ihr es könnt und habt im übrigen sechsunddreißig Geliebte."

"Ich will nicht einmal eine haben," entgegnete der Fürst lachend; "doch
ich wäre dem sehr ausgesetzt, wenn ich die Äbtissin von Santa Riparata
wiedersähe. Das ist das vortrefflichste Mädchen der Welt und das
unfähigste, nicht nur ein Kloster voll junger widerwillig der Welt
entrissener Mädchen zu leiten, sondern selbst die verständigste
Vereinigung alter und frommer Frauen."

Der Fürst hatte eine so tiefe Furcht, Schwester Virgilia wiederzusehn, daß
der Graf davon gerührt wurde. 'Wenn er diesen vertrackten Eid bricht, den
er geleistet hat, als der Papst ihm gestattete zu heiraten,"[sic! statt:']
sagte er sich, "[sic! statt: ']ist er auch fähig, für den Rest seines
Lebens ein verstörtes Herz davonzutragen.' Am nächsten Morgen begab er
sich ins Kloster von Santa Riparata, wo er mit der ganzen Neugier und
allen Ehren, die dem Abgesandten des Fürsten gebühren, empfangen wurde.
Ferdinand hatte einen seiner Minister ins Kloster gesandt, um der Äbtissin
und den Nonnen die Erklärung zu überbringen, daß Staatsgeschäfte ihn
verhinderten, sich mit ihrem Kloster zu beschäftigen und daß er seine
Machtvollkommenheit für immer dem Grafen Buondelmonte übertragen habe,
dessen Entschließungen unwiderruflich seien.

Nachdem er mit der guten Äbtissin gesprochen hatte, war der Graf von dem
schlechten Geschmack des Fürsten skandalisiert: sie hatte nicht einmal
gesunden Menschenverstand und war nichts weniger als hübsch. Der Graf fand
die Nonnen, welche Felizia degli Almieri verhindern wollten, zwei neue
Kammerfrauen zu nehmen, sehr garstig. Er hatte Felizia ins Sprechzimmer
rufen lassen. Sie ließ mit Dreistigkeit antworten, daß sie keine Zeit
hätte, zu kommen, was den Grafen amüsierte, den bis dahin seine Mission
recht gelangweilt hatte und der seine Gefälligkeit gegen den Fürsten
bereute.

Er sagte, daß er es ebenso liebe, mit den Kammerfrauen zu sprechen wie mit
Felizia selber und ließ die fünf Kammerfrauen ins Sprechzimmer rufen. Nur
drei stellten sich ein und erklärten im Namen ihrer Herrin, daß sie sich
der Gesellschaft der zwei andren nicht berauben könnte, worauf der Graf
von seinen Rechten als Vertreter des Fürsten Gebrauch machte und zwei
seiner Leute ins Kloster eindringen hieß, die ihm die beiden
widerstrebenden Kammerfrauen herbeibrachten; und er amüsierte sich eine
Stunde hindurch über das Geschwätz dieser fünf hübschen jungen Mädchen.
Die den größten Teil der Zeit über alle auf einmal sprachen. Erst hierbei,
durch das was sie, ihnen selbst unbewußt, ihm verrieten, wurde dem
Stellvertreter des Fürsten ein wenig klar, was im Kloster vorging. Nur
fünf oder sechs Nonnen waren bejahrt, zwanzig etwa waren fromm, obgleich
sie jung waren, aber die andern, jung und hübsch, hatten Liebhaber in der
Stadt. In Wahrheit, sie konnten sie nur sehr selten sehen; aber wie
machten sie es überhaupt möglich? Das wollte der Graf nicht die
Kammerfrauen Felizias fragen, aber er versprach sich, es bald zu wissen,
indem er Beobachter rings um das Kloster aufstellte.

Er erfuhr zu seinem großen Erstaunen, daß es intime Freundschaften unter
den Nonnen gab und vor allem dies die Ursache des Hasses und der inneren
Zwistigkeiten war. So hatte zum Beispiel Felizia als intime Freundin
Rodelinde di P**; Celia, nach Felizia die Schönste des Klosters, hatte die
junge Fabiana zur Freundin. Jede dieser Damen hatte ihre adlige
Kammerfrau, welche mehr oder weniger in Gunst stand. Zum Beispiel hatte
Martona, die adlige Kammerfrau der Äbtissin, deren Gunst dadurch erworben,
daß sie sich noch frömmer als sie zeigte. Sie betete auf den Knien täglich
fünf bis sechs Stunden zu Seiten der Äbtissin, aber diese Zeit wurde ihr
sehr lang, wie die Kammerfrauen sagten.

Der Graf erfuhr außerdem, daß Roderigo und Lancelotto die Namen zweier
Liebhaber dieser Damen waren, anscheinend von Felizia und Rodelinde; aber
er wollte keine direkte Frage stellen.

Die Stunde, die er mit den Frauen verbrachte, erschien ihm nicht im
geringsten lang, aber Felizia erschien sie endlos; sie fühlte sich durch
diesen Stellvertreter des Fürsten in ihrer Würde beleidigt, der sie zu
gleicher Zeit des Dienstes ihrer fünf Kammerfrauen beraubte. Sie konnte
nicht an sich halten, und da sie von weitem den Lärm aus dem Sprechzimmer
hörte, drang sie dort ein, obwohl ihre Würde ihr sagte, daß diese Art, aus
einer ungeduldigen Laune heraus nun doch zu erscheinen, lächerlich
aussehen konnte, nachdem sie die offizielle Einladung des Abgesandten des
Fürsten ausgeschlagen habe. 'Aber ich werde das Gackern dieses kleinen
Herrn wohl parieren', sagte sich die herrische Felizia.

Sie brach also in das Sprechzimmer ein, grüßte den Abgesandten des Fürsten
sehr nachlässig und befahl einer ihrer Frauen ihr zu folgen.

"Signora, wenn dies Mädchen Euch gehorcht, werde ich meine Leute ins
Kloster eintreten lassen und sie werden es sofort wieder zurückführen."

"Ich werde sie bei der Hand nehmen; werden Eure Leute wagen, Gewalt
anzuwenden?"

"Meine Leute werden in dieses Sprechzimmer sie und Euch führen, Signora."

"Und mich?"

"Und Euch selbst; und wenn es mir beliebt, werde ich Euch aus diesem
Kloster fortführen lassen und Ihr werdet in irgendeinem armen kleinen, auf
dem Gipfel irgendeines Berges des Apennin gelegenen Klosters fortfahren an
Eurem Heil zu arbeiten. Ich vermag dies und noch ganz andere Dinge zu
tun."

Der Graf bemerkte, daß die fünf Kammerfrauen erbleichten; auch die Wangen
Felizias färbten sich in einer leichten Blässe, die sie noch schöner
machte.

'Dies ist sicherlich,' sagte sich der Graf, 'die schönste Person, der ich
in meinem Leben begegnet bin, man muß die Szene länger dauern lassen.' Sie
dauerte in der Tat gegen dreiviertel Stunden. Felizia zeigte dabei einen
Geist und vor allem ein so stolzes Wesen, daß der Stellvertreter des
Fürsten sich sehr damit unterhielt. Gegen Ende der Unterredung hatte sich
der Ton sehr gemildert und Felizia erschien dem Grafen minder schön. 'Man
muß ihr ihren Zorn wiedergeben', dachte er. Er erinnerte sie daran, daß
sie das Gelübde des Gehorsams abgelegt habe und daß, wenn sie in Zukunft
auch nur einen Schatten von Widerstand gegen die fürstlichen Befehle
zeige, die er dem Kloster übermittle, er es für ihr Seelenheil nützlich
halten werde, sie auf sechs Monate in das langweiligste Kloster des
Apennin zu schicken.

Daraufhin wurde Felizia prächtig vor Zorn. Sie sagte ihm, daß die heiligen
Märtyrer mehr als dies durch die Barbarei der römischen Imperatoren
gelitten hätten.

"Ich bin nicht Imperator, Signora, und ebensowenig brachten die Märtyrer
die ganze Gesellschaft in Aufruhr, um zwei Kammerfrauen mehr zu bekommen,
wenn sie ohnedies fünf so liebenswürdige wie diese Fräuleins hatten." Er
größte[sic! statt: grüßte] sie sehr kalt und ging fort, ohne ihr Zeit zu
einer Antwort zu lassen, und sie blieb wütend zurück.

Der Graf blieb in Florenz und kehrte gar nicht mehr auf seine Güter
zurück; er war neugierig, zu erfahren, was eigentlich im Kloster von Santa
Riparata vor sich ging. Einige Kundschafter, die ihm die Polizei des
Fürsten beistellte, in der Nähe des Klosters und rings um die unermeßlich
großen Gärten postiert, die es beim Tor, das nach Fiesole führt, besitzt,
hatten ihm bald alles, was er zu wissen wünschte, mitteilen können:
Roderigo L**, einer der reichsten und lüderlichsten Jungen der Stadt, war
Felizias Liebhaber, und ihre vertraute Freundin, die sanfte Rodelinde, war
die Geliebte Lancelotto P***s, eines jungen Mannes, der sich in den
Kriegen, die Florenz gegen Pisa führte, sehr ausgezeichnet hatte. Diese
jungen Leute hatten große Schwierigkeiten zu überwinden, um in das Kloster
einzudringen. Die Strenge war verdoppelt worden, oder vielmehr, die alte
Freiheit war seit der Thronbesteigung des Großherzogs Ferdinand vollkommen
unterdrückt worden. Die Äbtissin Virgilia wollte die Ordensregel in ihrer
ganzen Strenge durchführen lassen, aber ihre Einsicht und ihr Charakter
entsprachen diesen guten Absichten nicht, und die Kundschafter des Grafen
berichteten ihm, daß kaum ein Monat verginge, ohne daß es Roderigo,
Lancelotto und noch zwei oder drei junge Leute, welche Beziehungen im
Kloster hatten, dahin brachten, ihre Geliebten zu sehen. Die
Unermeßlichkeit der Gärten des Klosters hatte den Bischof genötigt, nur
die Existenz von zwei Türen zu dulden, die auf den weiten Raum hinter der
Schutzmauer im Norden der Stadt führten. Die pflichtlosen Nonnen -- und
diese bildeten weitaus die Mehrheit im Kloster -- kannten diese
Einzelheiten nicht mit solcher Gewißheit wie der Graf; aber sie vermuteten
sie und nutzten die Existenz solchen Mißbrauchs, um den Maßnahmen der
Äbtissin nicht zu gehorchen, wenn es ihnen nicht paßte.

Es war dem Grafen klar, daß es nicht leicht sein würde, die Ordnung in
diesem Kloster wiederherzustellen, so lang eine solch schwache Frau wie
die Äbtissin Virgilia es leitete. Er sprach in diesem Sinne zum
Großherzog, der ihn zur äußersten Strenge aufforderte, aber gleichzeitig
nicht im geringsten gewillt zu sein schien, seiner ehemaligen Freundin den
Kummer anzutun, sie wegen Unfähigkeit in ein andres Kloster zu versetzen.

Der Graf kehrte nach Santa Riparata zurück, ganz entschlossen, äußerste
Strenge anzuwenden, um sich so bald wie möglich der Last zu entledigen,
die er unvorsichtiger Weise auf sich genommen hatte. Felizia ihrerseits
war noch gereizt über die Art, wie der Graf zu ihr gesprochen hatte, und
fest entschlossen, die nächste Zusammenkunft auszunützen, den Ton wieder
zu finden, der für den hohen Adel ihrer Familie und für die Stellung
passend war, die sie in der Gesellschaft einnahm. Bei seiner Ankunft im
Kloster ließ der Graf unverzüglich Felizia rufen, um sich des heikelsten
Teils seiner Arbeit gleich zu entledigen. Felizia kam, schon vom
lebhaftesten Zorn bewegt, in das Sprechzimmer, aber der Graf fand sie sehr
schön; er war feiner Kenner in diesen Dingen. 'Bevor wir dieses
prachtvolle Antlitz verstören,' sagte er sich, 'lassen wir uns Zeit, es
gut anzuschauen.' Felizia bewunderte unwillkürlich den verständigen kalten
Ton dieses schönen Mannes, der in seinem vollständig schwarzen Kostüm, das
er für die Funktion im Kloster schicklich fand, wirklich bemerkenswert
aussah. 'Ich glaubte, weil er über fünfunddreißig Jahre ist,' sagte sich
Felizia, 'daß er ein lächerlicher Alter sein würde, wie unsere
Beichtväter, aber ich finde statt dessen einen Mann, der wirklich dieses
Namens würdig ist. Er trägt freilich nicht die auffallenden Kleider, die
einen großen Teil der Verdienste Roderigos und vieler junger Leute, die
ich gekannt habe, ausmachten; in der Menge der Goldstickerei und des
Samtes ist er ihnen sehr untergeordnet; aber wenn er wollte, könnte er in
einem Augenblick über diese Art des Verdienstes verfügen, während die
andern, denke ich, recht viel Mühe hätten, die kluge, verständige und
wirklich interessante Unterhaltung des Grafen Buondelmonte nachzuahmen.'
Felizia legte sich nicht genau Rechenschaft ab, was es war, das diesem
großen, in schwarzem Sammet gekleideten Mann, mit dem sie sich schon seit
einer Stunde von den verschiedensten Dingen unterhielt, einen eigenartigen
Ausdruck gab.

Obgleich er mit Sorgfalt alles vermied, was sie hätte reizen können, war
der Graf weit davon entfernt, ihr in allem nachzugeben, so wie es
nacheinander die Männer getan hatten, welche diesem schönen stolzen
Mädchen näher getreten waren, von dem bekannt war, daß es Liebhaber habe.
Weil der Graf gar keine Absichten hatte, war er einfach und natürlich mit
ihr, nur hatte er bis dahin vermieden, die Dinge, die ihren Zorn erregen
konnten, näher zu besprechen. Trotzdem war es notwendig, zu den
Forderungen der stolzen Nonne zu kommen; man hatte bereits von der
Unordnung im Kloster gesprochen.

"In der Tat, Signora, was hier alles in Aufruhr versetzt, ist die in
gewisser Hinsicht ja vielleicht gerechtfertigte Forderung, zwei
Kammerfrauen mehr als die andern zu haben, welche eine der
bemerkenswertesten Persönlichkeiten des Klosters stellt."

"Was hier alles in Aufruhr versetzt, ist die Charakterschwäche der
Äbtissin, welche uns mit einer gänzlich neuen Strenge behandeln will, von
der man niemals einen Begriff gehabt hat. Es kann ja sein, daß es Klöster
gibt, wo die Mädchen wirklich fromm sind, die Zurückgezogenheit lieben und
davon geträumt haben, wirklich die Gelübde der Armut, des Gehorsams und
dergleichen zu erfüllen, die man ihnen mit siebzehn Jahren abverlangt hat;
was uns betrifft, haben uns unsre Familien hier untergebracht, um den
ganzen Reichtum des Hauses unsren Brüdern zu lassen. Wir haben keine andre
Berufung, als die Unmöglichkeit, zu entfliehn und anderswo als im Kloster
zu leben, da unsre Väter uns nicht mehr in ihren Palästen aufnehmen
wollen. Übrigens, als wir diese in den Augen der Vernunft so nichtigen
Gelübde abgelegt haben, waren wir alle ein oder mehrere Jahre
Pensionärinnen im Kloster gewesen und jede von uns nahm an, den gleichen
Grad von Freiheit genießen zu dürfen, den wir damals an den Nonnen sahen.
Und ich versichere Ihnen, Herr Vikar des Fürsten, die Türe der Mauer war
bis Tagesanbruch offen und alle diese Damen sahen ihre Freunde unbehindert
im Garten. Niemand dachte daran, diese Art des Lebens zu tadeln und wir
alle glaubten, wenn wir erst Nonnen wären, ebensoviel Freiheit und ein
ebenso glückliches Leben zu genießen, wie diejenigen unsrer Schwestern,
denen der Geiz unsrer Eltern erlaubt hatte, zu heiraten. (In der ersten
Unterhaltung hatte sie ihm ihr Verhältnis zu Roderigo und ihre andern
Liebschaften -- es waren drei -- gestanden.) Es ist wahr, alles ist
verändert, seit wir einen Fürsten haben, der fünfundzwanzig Jahre seines
Lebens Kardinal war. Herr Vikar, Ihr könnt in dieses Kloster Soldaten oder
sogar Dienerschaft, wie Ihr es neulich getan habt, eintreten lassen. Sie
werden uns Gewalt antun, wie Eure Diener meinen Frauen Gewalt angetan
haben, und das aus dem würdigen und einzigen Grund, weil sie die Stärkeren
waren. Aber Euer Stolz darf nicht glauben das geringste Recht über uns zu
haben. Wir sind mit Gewalt in dieses Kloster gebracht worden, man hat uns
Eide und Gelübde im Alter von sechzehn Jahren mit Gewalt abgezwungen und
endlich ist auch die langweilige Art des Lebens, der Ihr uns unterwerfen
wollt, nicht im geringsten die, welche wir an den Nonnen dieses Klosters
sahen, zur Zeit als wir die Gelübde ablegten. Selbst wenn man diese
Gelübde als gesetzmäßig anerkennen wollte, haben wir doch höchstens
versprochen, so zu leben wie sie, und Ihr wollt uns leben lassen, wie sie
niemals gelebt haben. Ich muß Euch gestehen, Herr Vikar, daß ich Wert auf
die Achtung meiner Mitbürger lege. In den Zeiten der Republik hätte man
diese unwürdige Unterdrückung nie geduldet, die an jungen Mädchen begangen
wird, die nie andres Unrecht getan haben, als daß sie in wohlhabenden
Familien geboren sind und Brüder haben. Ich habe die Gelegenheit
gewünscht, diese Dinge in der Öffentlichkeit oder wenigstens zu einem
verständigen Menschen zu sagen. Was die Zahl meiner Frauen betrifft, liegt
mir sehr wenig dran. Zwei und nicht fünf oder sieben würden mir reichlich
genügen; ich könnte darauf bestehn, sieben zu verlangen, bis man sich die
Mühe gegeben hat, den unwürdigen Betrug, dessen Opfer wir sind,
abzustellen, wovon ich Ihnen jetzt einiges mitgeteilt habe; doch weil Euer
Anzug aus schwarzem Sammet Euch sehr gut steht, Herr Vikar des Fürsten,
erkläre ich Euch, daß ich für dies Jahr auf das Recht verzichte, so viele
Dienerinnen zu haben, wie ich bezahlen könnte."

Graf Buondelmonte ward sehr ergötzt durch diese Aufständigkeit; er ließ
sie andauern, indem er die lächerlichsten Einwände machte, die ihm nur
einfallen mochten. Felizia antwortete mit entzückendem Feuer und Geist.
Der Graf sah in ihren Augen das ganze Staunen, das dieses junge Mädchen
von zwanzig Jahren empfand, als sie solche Albernheiten aus dem Mund eines
scheinbar verständigen Mannes hörte.

Der Graf verabschiedete sich von Felizia und ließ die Äbtissin rufen, der
er weise Ratschläge gab; er berichtete dem Fürsten, daß die Unruhen im
Kloster von Santa Riparata beigelegt wären, erhielt viel Lobsprüche für
seine tiefe Weisheit und kehrte endlich auf seine Ländereien zurück. Aber
öfters sagte er sich: 'Es gibt also ein junges Mädchen, das wohl für das
schönste Frauenzimmer der Stadt gelten würde, wenn es in der Welt lebte,
und das nicht ganz wie eine Puppe urteilt.'

Doch im Kloster fanden große Ereignisse statt. Nicht alle Nonnen urteilten
klar und scharf wie Felizia; aber fast alle jungen langweilten sich
tödlich. Ihr einziger Trost war es, Karikaturen zu zeichnen und satirische
Sonette auf einen Fürsten zu machen, der fünfundzwanzig Jahre lang
Kardinal war und als er auf den Thron gelangte, nichts besseres zu tun
wußte, als seine Geliebte nicht mehr zu sehen und sie in ihrer Eigenschaft
als Äbtissin zu beauftragen, arme junge Mädchen zu ärgern, die der Geiz
ihrer Eltern ins Kloster verstoßen hatte.

Wie wir schon gesagt haben, war die sanfte Rodelinde die vertraute
Freundin Felizias. Ihre Freundschaft schien sich zu verdoppeln, seit
Felizia ihr gestanden hatte, daß seit ihren Unterhaltungen mit dem Grafen
Buondelmonte, diesem ältern Mann, der schon über sechsunddreißig Jahre
zählte, ihr Geliebter Roderigo, um es kurz zu sagen, ihr sehr langweilig
erschien. Felizia hatte sich in diesen ernsten Grafen verliebt; die
endlosen Gespräche, die sie mit ihrer Freundin Rodelinde über diesen
Gegenstand führte, zogen sich manchmal bis zwei Uhr, drei Uhr des Morgens
hin. Nun sollte nach der Ordensregel des heiligen Benedikt, welche die
Äbtissin in ihrer ganzen Strenge wieder einführen wollte, sich eine Stunde
nach Sonnenuntergang jede Nonne in ihre Gemächer zurückziehn beim Ton
einer bestimmten Glocke, welche die Retraite genannt wurde. Die gute
Äbtissin, im Wunsche, ein gutes Beispiel zu geben, verfehlte nicht, sich
beim Ton der Glocke in ihrem Zimmer einzuschließen und war des frommen
Glaubens, daß alle Nonnen ihrem Beispiel folgten. Zu den hübschesten und
reichsten dieser Damen gehörten die neunzehnjährige Fabiana, die
vielleicht das leichtsinnigste Mädchen des ganzen Klosters war und ihre
vertraute Freundin Celia; die eine wie die andre waren sehr in Zorn auf
Felizia, welche sie, wie sie sagten, verachtete. Tatsache ist, daß
Felizia, seit sie einen so interessanten Unterhaltungsstoff mit Rodelinde
hatte, die Anwesenheit der andren Nonnen mit schlecht verhehlter oder
vielmehr mit unverhüllter Ungeduld vertrug. Sie war die schönste, sie war
die reichste, sie hatte unbestreitbar mehr Geist als die andern. Es hätte
nicht einmal so viel gebraucht, um in einem Kloster, wo alles sich
langweilte, einen großen Haß zu entzünden. In ihrem großen Leichtsinn
erzählte Fabiana der Äbtissin, daß Felizia und Rodelinde manchmal bis zwei
Uhr morgens im Garten blieben. Die Äbtissin hatte beim Grafen erwirkt, daß
ein Soldat des Fürsten vor der Türe des Gartens, die auf die weite Fläche
hinter der Nordmauer führte, Schildwache stand. Sie hatte ungeheure
Schlösser an dieser Türe anbringen lassen und jeden Abend brachte als
Abschluß des Tagewerks der jüngste Gärtner, der ein sechzigjähriger Greis
war, den Schlüssel dieser Türe der Äbtissin. Sogleich schickte die
Äbtissin eine alte, den Nonnen verhaßte Pförtnerin, um das zweite Schloß
der Türe zu schließen. Trotz all dieser Vorsichtsmaßregeln war es ein
großes Verbrechen in ihren Augen, bis zwei Uhr morgens im Garten zu
bleiben. Sie ließ Felizia rufen und behandelte dieses stolze Mädchen, das
jetzt die Erbin der ganzen Familie geworden war, in einer so hochfahrenden
Weise, wie sie es sich vielleicht nicht erlaubt hätte, wäre sie nicht der
Gunst des Fürsten sicher gewesen. Felizia war umso mehr verletzt durch die
Bitterkeit dieser Vorwürfe, als sie ihren Geliebten Roderigo nur ein
einziges Mal hatte kommen lassen, seit sie den Grafen kannte; und auch da
nur, um sich über ihn lustig zu machen. In ihrer Entrüstung wurde sie
beredsam, und wenn die gute Äbtissin sich auch weigerte, ihr die Angeberin
zu nennen, gab sie doch Einzelheiten preis, mit deren Hilfe Felizia leicht
erraten konnte, daß sie Fabiana diese Unannehmlichkeit verdanke.

Sogleich beschloß Felizia sich zu rächen. Dieser Entschluß gab ihrer von
Unglück gestärkten Seele die ganze Kraft zurück.

"Wissen Sie, Mutter", sagte sie zur Äbtissin, "daß ich einigen Mitleids
würdig bin? Ich habe den Frieden der Seele völlig verloren. Nicht ohne
tiefe Weisheit hat unser Gründer, der heilige Benedikt, vorgeschrieben,
daß niemals ein Mann unter sechzig Jahren in unseren Klöstern eingelassen
werden sollte. Der Herr Graf Buondelmonte, der großherzogliche Vertreter
für die Verwaltung dieses Klosters, mußte lange Unterredungen mit mir
haben, um mich von meinem törichten Einfall abzubringen, die Zahl meiner
Kammerfrauen zu vermehren. Er besitzt Weisheit, er vereint einen
bewundernswürdigen Geist mit einer unendlichen Klugheit. Ich bin mehr als
es einer Dienerin Gottes und des heiligen Benedikt geziemt von diesen
großen Eigenschaften des Grafen, unsres Statthalters getroffen worden. Der
Himmel hat meine große Eitelkeit bestrafen wollen: ich bin sterblich
verliebt in den Grafen; auf die Gefahr, meine Freundin Rodelinde zu
entrüsten, habe ich ihr diese Leidenschaft gestanden, die ebenso
verbrecherisch wie unfreiwillig ist; und weil sie mir Ratschläge gibt und
mich tröstet, weil es ihr sogar manchesmal gelingt, mir Kräfte gegen die
Versuchung des Bösen zu verleihen, ist sie zuweilen sehr lange bei mir
geblieben. Aber immer geschah es auf meinen Wunsch: ich fühlte zu gut, daß
ich, sobald Rodelinde mich verlassen haben würde, an den Grafen denken
müßte."

Die Äbtissin verfehlte nicht, eine lange Ermahnung an das verirrte Schaf
zu richten und Felizia trug Sorge, Betrachtungen anzustellen, welche diese
Sittenpredigt noch verlängerten.

Von nun an wurde die Langweile Felizias und Rodelindes durch den Plan
einer Rache verjagt, der ihre ganze Zeit ausfüllte.

"Da Fabiana und Celia sich in hinterlistiger Absicht von der großen Hitze,
die herrscht, im Garten erfrischt haben, ist es notwendig, daß die erste
Zusammenkunft, die sie ihren Liebhabern gewähren, einen entsetzlichen
Skandal verursache, der in dem Geist der ernsten Klosterdamen den
auslöscht, welchen meine späten Spaziergänge im Garten verursacht haben.
Am Abend des ersten Stelldicheins, das Fabiana und Celia Lorenzo und
Pierantonio gewähren, müssen sich Roderigo und Lancelotto zuvor hinter den
behauenen Steinen, die sich auf dem Platz vor der Türe unsres Gartens
befinden, verbergen. Roderigo und Lancelotto sollen nicht die Liebhaber
dieser Damen töten, aber sie sollen ihnen fünf oder sechs kleine Stiche
mit ihren Degen verabreichen, so daß sie ganz mit Blut bedeckt sind. In
diesem Zustand wird ihr Anblick ihre Geliebten beunruhigen, und diese
Damen werden an ganz andere Dinge denken, als mit ihnen
Liebenswürdigkeiten auszutauschen."

Das Beste, was den beiden Freundinnen einfiel, um diesen heimtückischen
Überfall zu veranstalten, war, daß Livia, die Kammerfrau Rodelindes, bei
der Äbtissin um einen Monat Urlaub ansuchen sollte. Dieses sehr geschickte
Mädchen wurde mit Briefen für Roderigo und Lancelotto ausgestattet. Sie
überbrachte ihnen auch eine Summe Geldes, mit deren Hilfe sie Lorenzo und
Pierantonio mit Spionen umgeben sollten.

'Nun', dachte sie, 'werden die Ereignisse, welche unsre -- Rodelindes und
meine -- Rache herbeiführt, den liebenswürdigen Grafen wieder ins Kloster
bringen. So werde ich den Fehler wieder gut machen, der mir unterlief, als
ich zu rasch auf die Mädchen verzichtete, die ich in meinen Dienst nehmen
wollte. Ich wurde, ohne es zu wissen, durch die Versuchung verführt, einem
Manne, der selbst so verständig ist, verständig zu erscheinen. Ich
bedachte nicht, daß ich ihm dadurch jede Gelegenheit, wiederzukehren,
nahm, um sein Amt als Vikar in unsrem Kloster auszuüben. Daher kommt es,
daß ich mich jetzt so sehr langweile. Diese kleine Puppe von einem
Roderigo, die mich manchmal belustigte, erscheint mir jetzt vollkommen
lächerlich, und durch meine Schuld habe ich diesen liebenswürdigen Grafen
nicht wiedergesehen. Es ist nun an uns, an Rodelinde und mir, dahin zu
wirken, daß unsre Rache eine solche Unordnung herbeiführt, daß seine
Anwesenheit im Kloster oft notwendig wird. Unsre arme Äbtissin ist so
wenig fähig, etwas geheimzuhalten, daß sie ihn wahrscheinlich auffordert,
die Zusammenkünfte mit mir, die ich bei ihm erlangen werde, nach
Möglichkeit einzuschränken und in welchem Fall diese ehemalige Geliebte
des Großherzogs sich, wie ich nicht zweifle, die Mühe auflädt, diesem so
sonderbaren und kalten Mann meine Erklärung zu übermitteln. Das wird eine
komische Szene sein, die ihn vielleicht belustigt; denn, wenn ich mich
nicht sehr täusche, läßt er sich nicht von allen Dummheiten zum Narren
halten, die man uns predigt, um uns zu demütigen; nur hat er noch keine
Frau gefunden, die seiner würdig wäre; und ich werde diese Frau sein oder
das Leben dabei lassen.'

Livia kam täglich, um Felizia und Rodelinde über die Vorbereitungen zum
Angriff gegen die Geliebten Celias und Fabianas Bericht zu erstatten. Die
Vorbereitungen dauerten nicht weniger als sechs Wochen. Es handelte sich
darum, die Nacht zu erraten, welche Lorenzo und Pierantonio wählen würden,
um ins Kloster zu kommen, und seit dem neuen Regiment, das sich mit viel
Strenge ankündigte, verdoppelte sich die Vorsicht bei Unternehmungen
dieser Art. Überdies stieß Livia bei Roderigo auf große Schwierigkeiten.
Er hatte die Lauheit Felizias wohl bemerkt, und verweigerte schließlich
rund heraus, sie an Fabiana und Celia zu rächen, wenn sie nicht
einwilligte, ihn mit eigener Stimme zu einer schöneren Zusammenkunft zu
bestellen. Aber Felizia, die ganz mit dem Grafen Buondelmonte beschäftigt
war, wollte niemals darauf eingehen. "Ich begreife wohl," schrieb sie ihm
in ihrer unvorsichtigen Offenheit, "daß man sich in die Verdammnis stürzt,
um ein Glück zu genießen, aber sich zu verdammen, um einen ehemaligen
Liebhaber, dessen Herrschaft beendet ist, wiederzusehen, ist etwas, das
ich nie begreifen werde. Immerhin könnte ich wohl einwilligen, Euch noch
einmal nachts zu empfangen, um Euch Vernunft hören zu lassen, aber es ist
ja kein Verbrechen, was ich von Euch verlange. So könnt Ihr nicht
übertriebene Forderungen stellen und Bezahlung begehren, als ob man von
Euch verlangen würde, einen Unverschämten zu töten. Begeht nicht den
Irrtum, den Liebhabern unsrer Feindinnen so ernste Wunden zuzufügen, daß
sie verhindert wären, in den Garten zu kommen und all den Damen, die wir
Sorge tragen werden, dort zu versammeln, als Schauspiel zu dienen. Ihr
würdet dadurch unsrer Rache jeden Reiz nehmen und ich würde in Euch nur
einen Leichtsinnigen sehen, der unwürdig ist, mir das geringste Vertrauen
einzuflößen. Wißt nur, daß es besonders wegen dieses wesentlichen Fehlers
ist, daß Ihr aufgehört habt, meine Freundschaft zu verdienen."

Diese Nacht der Rache, die mit soviel Sorgfalt vorbereitet war, kam
endlich heran. Roderigo und Lancelotto, von mehreren ihrer Leute
unterstützt, belauerten während des ganzen Tages die Handlungen Lorenzos
und Pierantonios. Durch deren Indiskretion erlangten sie die Gewißheit,
daß die beiden in der folgenden Nacht das Ersteigen der Mauer von Santa
Riparata versuchen würden. Ein reicher Kaufmann, dessen Haus neben der
Wachstube lag, welche die Schildwache vor der Gartentüre der Nonnen
beistellte, verheiratete an diesem Abend seine Tochter. Lorenzo und
Pierantonio, als Domestiken eines reichen Hauses verkleidet, benutzten
diesen Umstand, um gegen zehn Uhr abends der Wache ein Fäßchen Wein im
Namen ihres Herrn darzubringen. Die Soldaten taten dem Geschmack Ehre an.
Die Nacht war sehr dunkel, das Übersteigen der Klostermauer sollte gegen
Mitternacht stattfinden; um elf Uhr abends sahen Roderigo und Lancelotto,
die nahe der Tür versteckt waren, mit Vergnügen, wie die Schildwache der
vorigen Stunde von einem halbbetrunkenen Soldaten abgelöst wurde, der
nicht verfehlte, nach einigen Minuten einzuschlafen.

Im Inneren des Klosters hatten Felizia und Rodelinde gesehen, daß ihre
Feindinnen Fabiana und Celia sich im Garten unter den nahe der
Umfassungsmauer stehenden Bäumen versteckten. Ein wenig vor Mitternacht
wagte Felizia, die Äbtissin zu wecken. Sie hatte nicht wenig Mühe, bis zu
ihr zu gelangen; sie hatte deren noch mehr, um ihr die Möglichkeit des
Vergehens, das sie ihr anzeigte, verständlich zu machen.

Und schließlich, nach einem Zeitverluste von mehr als einer halben Stunde,
während deren letzten Minuten Felizia schon fürchtete, für eine
Verleumderin gelten zu müssen, erklärte die Äbtissin: wenn selbst die
Tatsache wahr sei, dürfte man einem Verbrechen nicht auch noch eine
Verletzung der Regel des heiligen Benedikt hinzufügen. Und die Regel
verbot ja durchaus, nach Sonnenuntergang den Garten zu betreten. Zum Glück
erinnerte sich Felizia, daß man durch das Klosterinnere, ohne einen Fuß in
den Garten zu setzen, auf das flache Dach eines kleinen niedrigen
Gewächshauses gelangen konnte, das ganz in der Nähe der von der
Schildwache bewachten Türe lag. Während Felizia damit beschäftigt war, die
Äbtissin zu überzeugen, versuchte Rodelinde ihre alte Tante zu wecken, die
sehr fromm und Unterpriorin des Klosters war.

Obwohl die Äbtissin sich bis auf die Terrasse der Orangerie mitziehen
ließ, war sie weit entfernt davon, alles zu glauben, was Felizia ihr
erzählte. Man kann sich nicht vorstellen, wie groß ihr Staunen, ihre
Entrüstung, ihre Bestürzung war, als sie, neun oder zehn Fuß tiefer, zwei
Nonnen bemerkte, welche sich zu dieser unerlaubten Stunde außerhalb ihrer
Gemächer befanden; denn die vollkommen dunkle Nacht erlaubte ihr nicht
gleich, Fabiana und Celia zu erkennen.

"Gottlose Mädchen," schrie sie mit einer Stimme, die gebieterisch sein
sollte, "unvorsichtige Unglückliche! Dient Ihr so der göttlichen Majestät?
Bedenkt, daß der große heilige Benedikt, Euer Beschützer, Euch von der
Höhe des Himmels betrachtet und schaudert, da er Euch gegen sein Gesetz
freveln sieht. Kehrt in Euch ein und, da die Nachtglocke seit langem
geläutet hat, eilt in Eure Gemächer zurück und betet, in Erwartung der
Buße, die ich Euch morgen früh auferlegen werde."

Wer könnte die Bestürzung und den Kummer Celias und Fabianas schildern,
als sie über ihren Köpfen, und so aus der Nähe die gebietende Stimme der
gereizten Äbtissin hörten? Sie hörten auf zu sprechen und verhielten sich
unbeweglich, als eine ganz andre Überraschung sowohl sie wie die Äbtissin
traf. Diese Damen hörten kaum acht oder zehn Schritt entfernt auf der
andern Seite der Tür den heftigen Lärm eines Degengefechts. Bald schlugen
Schreie verwundeter Kämpfer herüber; einzelne von Schmerzen entpreßt.
Welches Leid empfanden Celia und Fabiana, als sie die Stimmen Lorenzos und
Pierantonios erkannten! Sie hatten Nachschlüssel zur Gartentür, sie
stürzten sich auf die Schlösser, und obgleich die Türe ungeheuer war,
hatten sie doch die Kraft, sie in ihren Angeln zu drehen. Celia, welche
die stärkere und ältere war, wagte als erste aus dem Garten zu treten. Sie
kehrte einige Augenblicke später zurück, ihren Geliebten, Lorenzo, mit
ihren Armen stützend, der gefährlich verwundet zu sein schien und sich nur
mit Mühe aufrecht halten konnte. Er ächzte bei jedem Schritt wie ein
Sterbender, und wirklich, als er kaum zehn Schritt im Garten getan hatte,
fiel er trotz der Anstrengungen Celias zu Boden und verschied alsbald.
Celia, alle Vorsicht vergessend, rief ihn mit lauter Stimme an und warf
sich schluchzend über seinen Körper, als er nicht mehr antwortete.

All das geschah ungefähr zwanzig Schritt von dem Dach der kleinen
Orangerie entfernt. Felizia begriff sehr wohl, daß Lorenzo tot oder
sterbend war und es würde schwer sein, ihre Verzweiflung zu schildern.
'Ich bin die Ursache von all dem,' sagte sie sich, 'Roderigo hat sich
hinreißen lassen und wird Lorenzo zu Tode getroffen haben. Er ist von
Natur grausam, und seine Eitelkeit verzeiht niemals die Wunden, die man
ihr schlägt: in mehreren Maskenzügen wurden die Pferde Lorenzos und die
Livreen seiner Leute schöner gefunden als seine eigenen.' Felizia stützte
die vor Entsetzen fast ohnmächtige Äbtissin.

Einige Augenblicke später kehrte die unglückliche Fabiana, ihren Liebhaber
Pierantonio stützend, in den Garten zurück; auch er war von tödlichen
Stichen getroffen. Auch er war am Verscheiden, aber inmitten des
allgemeinen Schweigens, das diese Szene des Entsetzens um sich gebreitet
hatte, hörte man, wie er zu Fabiana sagte: "Es ist Don Cesare, der
Malteser. Ich habe ihn wohl erkannt; aber wenngleich er mich verwundet
hat, trägt auch er meine Zeichen."

Don Cesare war der Vorgänger Pierantonios bei Fabiana gewesen. Diese junge
Nonne schien jede Angst um ihren Ruf verloren zu haben: sie rief mit
lauter Stimme die Madonna und ihre Schutzheilige zu Hilfe, sie rief auch
ihre Kammerfrau, es kümmerte sie nicht, das ganze Kloster zu wecken; das
kam daher, daß sie Pierantonio wirklich liebte. Sie wollte ihn pflegen,
sein Blut stillen, seine Wunden verbinden. Diese wahrhafte Leidenschaft
erregte das Mitleid vieler Nonnen. Man näherte sich dem Verwundeten, man
eilte fort, um Binden zu holen. Er saß unter einem Lorbeerbaum und lehnte
sich an ihn. Fabiana lag vor ihm auf den Knien und mühte sich um ihn. Er
sprach noch gut und erzählte von neuem, daß es der Malteserritter Don
Cesare war, der ihn verwundet hatte, -- als er mit einem Male die Arme
streckte und verschied.

Celia unterbrach die Verzweiflungsausbrüche Fabianas. Einmal des Todes
Pierantonios gewiß, schien sie ihn vergessen zu haben und erinnerte sich
nur noch der Gefahr, die sie und ihre teure Fabiana umgab. Diese war
ohnmächtig auf dem Leichnam ihres Geliebten zusammengebrochen. Celia
richtete sie halb auf und schüttelte sie heftig, um sie wieder zu sich zu
bringen.

"Dein Tod und der meine sind gewiß, wenn du dich dieser Schwäche
hingibst," sagte sie ihr mit leiser Stimme, indem sie den Mund an ihr Ohr
preßte, um nicht von der Äbtissin gehört zu werden, die sie wohl
unterschied, wie sie, an das Geländer des Daches gelehnt, kaum zehn oder
zwölf Fuß über dem Garten stand: "Wach auf," sagte sie ihr, "denk an dein
Heil und an deine Sicherheit! Du wirst viele Jahre in einein dunklen,
ekelhaften Loch gefangen sein, wenn du dich jetzt noch länger deinem
Schmerz überläßt."

In diesem Augenblick näherte sich die Äbtissin, welche in den Garten
hinabsteigen wollte, auf den Arm Felizias gestützt, den beiden
unglücklichen Nonnen.

"Was Euch betrifft, Signora," sagte ihr Celia so stolz und fest, daß es
selbst der Äbtissin Eindruck machte, "wenn Ihr den Frieden liebt und die
Ehre des Klosters Euch teuer ist, so werdet Ihr zu schweigen wissen und
nicht aus all dem einen Klatsch beim Großherzog machen. Auch Ihr habt
geliebt, man glaubt allgemein, daß Ihr ehrbar gewesen seid und das
verleiht Euch eine Überlegenheit über uns; aber wenn Ihr ein Wort von
dieser Angelegenheit dem Großherzog sagt, wird sie bald das einzige
Gespräch der Stadt bilden und man wird sagen: die Äbtissin von Santa
Riparata, die in den früheren Jahren ihres Lebens die Liebe kannte, hat
nicht genug Festigkeit, um die Nonnen ihres Klosters zu leiten. Ihr werdet
uns verderben, Signora, aber Ihr werdet Euch selbst noch sicherer als uns
verderben. Gesteht, Signora," sagte sie der Äbtissin, welche Seufzer und
verwirrte Ausrufe und leise Schreie des Staunens ausstieß, "daß Ihr selbst
in diesem Augenblick nicht wißt, was für Euer Heil und für das des
Klosters zu tun ist!"

Und weil die Äbtissin verwirrt und stumm blieb, fügte Celia hinzu: "Vor
allem müßt Ihr schweigen und sodann ist das Wichtigste, diese beiden
Leichen sogleich von hier weit weg zu bringen, welche unser Verderben
bedeuten, unsres und Eures, wenn man sie entdeckt."

Die arme Äbtissin seufzte tief und war so verstört, daß sie nicht einmal
zu antworten vermochte. Sie hatte nicht mehr Felizia neben sich, denn
diese hatte sich klüglich entfernt, nachdem sie die Vorsteherin zu den
beiden unglücklichen Nonnen hingeführt hatte, von denen sie unter keinen
Umständen erkannt werden wollte.

"Meine Töchter, tut alles, was Euch notwendig, alles, was Euch passend
erscheint," sagte endlich die unglückliche Äbtissin mit einer Stimme, die
vor Schauder über die Lage, in der sie sich befand, ganz gebrochen war.
"Ich werde unsre Schande verhehlen, aber wisset, daß die Augen der
göttlichen Gerechtigkeit immer offen sind für unsre Sünden."

Celia schenkte den Worten der Äbtissin gar keine Aufmerksamkeit.

"Wisset Schweigen zu bewahren, Signora, das ist alles, was man von Euch
verlangt," wiederholte sie mehrere Male, indem sie sie unterbrach. Dann
wandte sie sich an Martona, die Vertraute der Äbtissin, welche eben
hinzutrat: "Helft mir, liebe Freundin! Es gilt die Ehre des ganzen
Klosters, es gilt die Ehre und das Leben der Äbtissin, denn wenn sie
spricht, verdirbt sie nicht nur uns; unsre edlen Familien werden uns nicht
ungerächt verkommen lassen." Fabiana schluchzte auf den Knien, an einen
Olivenbaum gelehnt, und war außerstande, Celia und Martona zu helfen.

"Zieh dich in deine Gemächer zurück", sagte ihr Celia. "Denk vor allem
daran, die Blutspuren, die sich vielleicht an deinen Kleidern finden
können, verschwinden zu lassen. In einer Stunde werde ich mit dir weinen."

Felizia war in Verzweiflung. Obgleich dieses Jahrhundert zu nahe den
wahren Gefahren lebte, als daß es sich durch eine übermäßige Zartheit
hätte auszeichnen können, vermochte sie sich doch nicht zu verhehlen, daß
sie es war, die diese ganze Geschichte angezettelt hatte. Auf dem Dache
der Orangerie konnte sie nur schlecht verstehen, was Pierantonio sagte,
überdies sah sie, daß die Türe ganz offen stand: sie litt Todesangst, daß
Roderigos Unvorsichtigkeit und die unbestimmte Hoffnung auf ein
Stelldichein ihn dazu verführen könnten, sich zu zeigen; denn seit er
nicht mehr geliebt wurde, war er, trotz all seiner natürlichen
Leichtfertigkeit, ein leidenschaftlicher Liebhaber geworden.

Die vor Grauen erstarrte Äbtissin war unbeweglich geblieben und
widersetzte sich auch den Bitten Felizias, welche sie beschwor, in den
Garten hinabzusteigen; aber endlich umschlang Felizia, die durch ihre
Gewissensvorwürfe der Tollheit nahe war, mit beiden Armen die Äbtissin,
und zwang sie fast mit Gewalt, die sieben oder acht Stufen hinabzusteigen,
die von der Dachterrasse der Orangerie in den Garten führten. Felizia
beeilte sich, die Äbtissin der Sorge der erstbesten Nonnen, die sie
trafen, zu übergeben. Sie eilte zum Tor, zitternd vor Furcht, dort
Roderigo zu treffen[1]; sie fand nichts, als das blöde Gesicht der endlich
durch so viel Lärm aus tiefer Betrunkenheit erwachten Schildwache, welche,
die Flinte in der Hand, diese schwarzen Figuren betrachtete, die sich im
Garten bewegten. Felizias Absicht war, die Türe zu schließen, aber sie
bemerkte, daß der Soldat sie starr anblickte.

'Wenn ich das Tor schließe,' sagte sie sich, beschwert von ihren Gedanken
und fast verletzt davon, daß sie sonst niemand sah, 'wird er sich an mein
Gesicht erinnern und wird mich kompromittieren können.'

Dieser Gedanke gab ihr Klarheit. Sie glitt in einen dunklen Teil des
Gartens zurück, und suchte von dort aus zu sehen, wo Rodelinde war;
endlich entdeckte sie sie bleich und halbtot an einen Olivenbaum gelehnt,
packte sie an der Hand und alle beide liefen in aller Hast in ihre
Gemächer zurück.

Celia trug mit Hilfe Martonas zuerst den Leichnam ihres Geliebten und dann
den Pierantonios in die Straße der Goldarbeiter, die zehn Minuten Wegs von
dem Tor des Gartens entfernt lag. Celia und ihre Gefährtin waren so
glücklich, von niemand erkannt zu werden. Durch eine ganz besondere
Fügung, ohne die all ihre weise Umsicht vergebens gewesen wäre, hatte sich
der Soldat, der Wachposten vor dem Gartentor war, auf einen etwas
entfernten Stein gesetzt und schien von neuem zu schlafen. Davon hatte
sich Celia zuerst vergewissert, ehe sie es unternahm, die Leichen
hinauszuschaffen. Bei der Rückkehr von dem zweiten Gang erschraken aber
Celia und ihre Begleiterin heftig. Die Nacht war schon etwas weniger
finster geworden, es mochte zwei Uhr des Morgens sein; sie sahen ganz
deutlich drei Soldaten vor der Türe des Gartens stehen, und, was noch weit
schlimmer war: diese Tür schien geschlossen zu sein.

"Das ist die erste Dummheit unsrer Äbtissin", sagte Celia zu Martona. "Sie
wird sich erinnert haben, daß die Regel des heiligen Benedikt will, daß
die Türe des Gartens verschlossen sei. Wir werden zu unsren Eltern
flüchten müssen, und bei der Strenge dieses düstren Fürsten, den wir
haben, ist es wohl möglich, daß ich bei dieser Sache das Leben lasse. Du,
Martona, bist in nichts schuldig; du hast auf meinen Befehl geholfen, die
Leichen fortzubringen, deren Anwesenheit im Garten das Kloster entehren
konnte. Knien wir hinter diesen Steinen nieder."

Zwei Soldaten kamen an ihnen vorbei und gingen von dem Gartentor in ihre
Wachstube zurück. Celia bemerkte zu ihrer Freude, daß sie fast vollständig
betrunken waren. Sie unterhielten sich, aber der, welcher auf Wache
gewesen war, man konnte ihn an seiner hohen Gestalt leicht erkennen,
erzählte seinem Kameraden gar nichts von den Ereignissen dieser Nacht; und
tatsächlich sagte er im Prozeß, welcher später geführt wurde, nur aus, daß
prächtig gekleidete Bewaffnete sich wenige Schritte von ihm entfernt
geschlagen hatten. In der tiefen Dunkelheit hätte er sieben oder acht Mann
unterscheiden können; aber er hätte sich wohl gehütet, sich in ihren
Streit zu mischen; darauf wären sie alle in den Garten des Klosters
eingetreten.

Als die beiden Soldaten vorüber waren, näherten sich Celia und ihre
Gefährtin der Türe des Gartens und fanden sie zu ihrer großen Freude nur
angelehnt. Diese weise Vorsicht war das Werk Felizias. Als sie die
Äbtissin verlassen hatte, um nicht von Celia und Fabiana erkannt zu
werden, war sie zu der Gartentür gelaufen, die ganz offen stand[2]. Sie
hatte tödliche Angst, daß Roderigo, der ihr in diesem Augenblick Abscheu
einflößte, die Gelegenheit ausnützen und in den Garten eintreten könnte,
um sie zu sehen. Da sie seine Unvorsichtigkeit und Verwegenheit kannte und
befürchtete, daß er sie bloßstellen möchte, um sich wegen des Nachlassens
ihrer Gefühle, das ihm nicht unbekannt war, zu rächen, hatte sich Felizia
bei der Tür am Boden hinter den Bäumen verborgen. Sie hatte alles gehört,
was Celia zu der Äbtissin und nachher zu Martona gesagt hatte, und sie war
es, welche die Türe des Gartens zugelehnt hatte, als sie wenige
Augenblicke, nachdem Celia und Martona den zweiten Leichnam fortgebracht
hatten, die Soldaten kommen hörte, die den Wachposten ablösten.

Felizia sah, wie Celia die Türe mit ihrem Nachschlüssel wieder schloß und
sich darauf entfernte. Dann erst verließ sie den Garten. "Also das ist
diese Rache," sagte sie sich, "von der ich mir soviel Vergnügen
versprochen hatte." Sie verbrachte den Rest der Nacht mit Rodelinde und
versuchten die Ereignisse zu enträtseln, die eine so tragische Wendung
herbeigeführt haben mochten.

Zum Glück kehrte ihre Kammerfrau schon ganz früh am nächsten Morgen zurück
und brachte ihr einen langen Brief Roderigos. Er und Lancelotto hatten
sich aus Bravour nicht von bezahlten Mördern helfen lassen wollen, wie es
damals in Florenz allgemein üblich war.

Nur sie beide hatten Lorenzo und Pierantonio angegriffen. Der Zweikampf
hatte sehr lange gedauert, weil Roderigo und Lancelotto, dem erhaltenen
Befehl getreu, sich standhaft zurückgehalten hatten, um ihren Gegnern nur
leichte Wunden zuzufügen, und sie hatten ihnen wirklich nur Degenstöße
gegen die Arme beigebracht und waren vollkommen sicher, daß sie an diesen
Wunden nicht sterben konnten. Aber als sie sich gerade zurückziehen
wollten, hatten sie zu ihrem großen Erstaunen einen wütenden Raufbold sich
auf Pierantonio stürzen gesehen. An den Schreien, die er beim Angriff
ausstieß, hatten sie deutlich den Malteserritter Don Cesare erkannt. Als
sie sich nun zu dritt gegen zwei noch dazu verwundete Männer sahen,
beeilten sie sich, zu fliehen und am nächsten Morgen gab es großes Staunen
in Florenz, als man die Leichen dieser beiden jungen Männer entdeckte,
welche unter der reichen und eleganten Jugend der Stadt den ersten Rang
einnahmen. Dieser Rang bewirkte, daß man von ihrem Ende Notiz nahm, denn
unter der lockeren Herrschaft Francesco, auf welchen der strenge Ferdinand
gefolgt war, hatte Toskana einer Provinz Spaniens geglichen und man zählte
jedes Jahr mehr als hundert Morde in der Stadt. Die Erörterungen, welche
die vornehme Gesellschaft bewegten, der Lorenzo und Pierantonio angehört
hatten, drehten sich um die Frage, ob sie einander im Zweikampf erschlagen
hätten oder als Opfer irgendeiner Rache gefallen seien.

Am Morgen nach diesem großen Ereignis war alles im Kloster ruhig. Die
große Mehrzahl der Nonnen hatte keine Ahnung von dem, was vorgefallen war.
Seit Tagesanbruch und noch bevor die Gärtner kamen, hatte Martona die Erde
an den Stellen, wo sie mit Blut befleckt war, umgegraben, um die Spuren
von dem, was geschehen war, zu zerstören. Dieses Mädchen, das selbst einen
Liebhaber hatte, führte mit viel Intelligenz und besonders ohne irgend
etwas der Äbtissin zu sagen die Befehle Celias aus. Die machte ihr ein
hübsches Diamantkreuz zum Geschenk. Martona, welche ein sehr einfaches
Mädchen war, bedankte sich dafür und sagte:

"Es gibt eine Sache, die ich allen Diamanten der Welt vorziehen würde.
Seit diese neue Äbtissin ins Kloster gekommen ist, habe ich, obgleich ich
mich, um ihre Gunst zu erlangen, zu jedem Dienst erniedrigt habe, niemals
von ihr erreichen können, daß sie mir auch nur die kleinste Erleichterung
gewährt hätte, um Giuliano R**, der mein Freund ist, zu sehen. Diese
Äbtissin wird unser aller Unglück sein. Schließlich sind es schon mehr als
vier Monate, seit ich Giuliano gesehen habe, und es wird damit enden, daß
er mich vergißt. Die vertraute Freundin der gnädigen Signora Fabiana
gehört doch zu den acht Schwestern-Pförtnerinnen; ein Dienst verlangt den
andern. Könnte Signora Fabiana nicht eines Tages, wenn sie Wache an der
Türe haben wird, mir erlauben, fortzugehen, um Giuliano zu sehen oder ihm
erlauben, zu kommen?"

"Ich werde mein möglichstes tun," sagte Celia, "aber die große
Schwierigkeit, die Fabiana mir einwerfen wird, ist, daß die Äbtissin Eure
Abwesenheit bemerken wird. Ihr habt sie zu sehr daran gewöhnt, Euch
unaufhörlich in der Nähe zu haben. Versucht, Euch hie und da zu entfernen.
Ich bin sicher, wenn Ihr Euch an jede andere angeschlossen hättet als an
die Frau Äbtissin, würde es Fabiana gar keine Schwierigkeit machen, Euren
Wunsch zu erfüllen."

Nicht ohne Plan sprach Celia so.

"Du verbringst dein Leben damit, deinen Geliebten zu beweinen", sagte sie
zu Fabiana, "und denkst nicht an die entsetzliche Gefahr, die uns droht.
Unsere Äbtissin ist so unfähig zu schweigen, daß früher oder später das,
was geschehen ist, unsrem strengen Großherzog zur Kenntnis kommen wird. Er
hat die Ideen eines Mannes, der fünfundzwanzig Jahre Kardinal war, auf den
Thron mitgebracht. Unser Verbrechen ist eins der größten, das man in den
Augen der Religion begehen kann; mit einem Wort: das Leben der Äbtissin
ist unser Tod."

"Was willst du sagen?" fragte Fabiana, sich die Tränen trocknend.

"Ich will sagen, daß du von deiner Freundin, Vittoria Ammanati ein wenig
von dem berühmten Gift von Perugia erlangen mußt, daß ihre Mutter, die ja
selbst von ihrem Gatten vergiftet worden ist, ihr sterbend gab. Ihre
Krankheit hatte mehrere Monate gedauert und wenige hatten an Gift
geglaubt; genau so wird es bei unsrer Äbtissin sein."

"Dein Gedanke entsetzt mich," rief die sanfte Fabiana.

"Ich zweifle nicht an deinem Entsetzen, und ich würde es teilen, wenn ich
mir nicht sagte: das Leben der Äbtissin ist der Tod Fabianas und Celias.
Bedenke doch: sie ist vollkommen unfähig, zu schweigen; ein Wort von ihr
genügt, um den Kardinal-Großherzog zu überzeugen, der nichts so
verabscheut wie jene Verbrechen, die durch die alte Freiheit, die in
unsern armen Klöstern herrschte, verursacht wurden. Deine Cousine steht in
nahen Beziehungen zu Martona, die einem Zweig ihrer Familie angehört, der
durch den Zusammenbruch von 1584 ruiniert wurde. Martona ist sterblich
verliebt in einen schönen Seidenweber, namens Giuliano: es ist notwendig,
daß deine Cousine ihr als ein Schlafmittel, geeignet, die unbequeme
Aufmerksamkeit der Äbtissin zu beseitigen, dieses Gift aus Perugia gibt,
das den Tod in sechs Monaten herbeiführt."

Als Graf Buondelmonte wieder Gelegenheit fand, bei Hof zu erscheinen,
beglückwünschte ihn Großherzog Ferdinand zu der mustergültigen Ruhe, die
in dem Kloster von Sante Riparata herrschte. Dieser Ausspruch des Fürsten
veranlaßte den Grafen, sich sein Werk anzusehen. Man kann sich sein
Erstaunen vorstellen, als die Äbtissin ihm von dem Doppelmord erzählte,
dessen Ende sie mit angesehen hatte. Der Graf merkte wohl, daß die
Äbtissin Virgilia ganz unfähig war, ihm die geringste Auskunft über den
Grund dieses Doppelverbrechens zu geben. 'Außer Felizia', sagte er sich,
'mit ihrem klaren Kopf, dessen Logik mich vor sechs Monaten bei meinem
ersten Besuch so in Verlegenheit brachte, gibt es hier niemand, der mir
Aufschluß über die fragliche Angelegenheit geben könnte. Aber wird sie
sprechen wollen, eingenommen wie sie ist gegen die Ungerechtigkeit der
Gesellschaft und der Familien in der Frage der Nonnen?'

Die Ankunft des großherzoglichen Vertreters im Kloster hatte Felizia mit
maßloser Freude erfüllt. Endlich sah sie diesen unvergleichlichen Mann
wieder, der die einzige Ursache all ihrer Handlungen seit sechs Monaten
war! Durch eine entgegengesetzte Wirkung hatte die Ankunft des Grafen
Celia und ihre Freundin, die junge Fabiana, in den tiefsten Schrecken
versetzt.

"Deine Bedenken werden uns zugrunde gerichtet haben," sagte Celia zu
Fabiana. "Die Äbtissin ist zu schwach, als daß sie nicht gesprochen haben
sollte. Und jetzt ist unser Leben in den Händen des Grafen. Zwei Auswege
bleiben uns: die Flucht ergreifen! Aber wovon werden wir leben? Der Geiz
unsrer Väter wird den Verdacht des Verbrechens, der über uns schwebt, als
Ausflucht benutzen, um uns das Brot zu verweigern. Ehemals, als Toskana
nur eine Provinz Spaniens war, konnten sich die unglücklichen verfolgten
Toskaner nach Frankreich flüchten. Aber der Großherzog-Kardinal will das
spanische Joch abwerfen. Unmöglich für uns, eine Zuflucht zu finden; dahin
haben uns deine kindischen Bedenken geführt, meine arme Freundin. Wir
werden deshalb nicht weniger genötigt sein, das Verbrechen zu begehen,
denn Martona und die Äbtissin sind die einzigen gefährlichen Zeugen
dessen, was in jener verhängnisvollen Nacht geschehen ist. Die Tante
Rodelindes wird nichts sagen; sie wird nicht die Ehre ihrer Verwandten,
die ihr so teuer ist, bloßstellen wollen. Martona, die das angebliche
Schlafmittel der Äbtissin verabreicht hat, wird sich wohl hüten, zu
sprechen, sobald wir ihr gesagt haben, daß dieses Schlafmittel ein Gift
war. Außerdem ist sie ein gutes Mädchen und leidenschaftlich in ihren
Giuliano verliebt."

Es währte zu lang, wollte man die geistvolle Unterhaltung wiedergeben, die
Felizia mit dem Grafen führte. Ihr war immer der Fehler gegenwärtig, den
sie begangen hatte, als sie zu schnell in der Angelegenheit der beiden
Kammerfrauen nachgab. Die Folge dieses Übermaßes von Gutherzigkeit war,
daß der Graf sechs Monate hatte verstreichen lassen, ohne im Kloster zu
erscheinen. Felizia gab sich das Versprechen, nicht wieder in den gleichen
Irrtum zu verfallen. Der Graf hatte sie mit allergrößter Artigkeit bitten
lassen, ihm eine Unterredung im Sprechzimmer zu gewähren. Diese Einladung
brachte Felizia außer sich. Es war nötig, daß sie sich erinnerte, was sie
ihrer Würde als Frau schuldig sei, um die Unterredung auf den nächsten Tag
zu verschieben. Aber als sie in dieses Sprechzimmer eintrat, wo der Graf
allein war, fühlte sich Felizia von einer ihr ganz fremden Schüchternheit
ergriffen, obwohl sie durch ein Gitter ungeheurer Eisenstäbe von ihm
getrennt war. Ihr Erstaunen war außerordentlich; sie bereute den Einfall
tief, der ihr einstmals so geschickt und gefällig erschienen war. Wir
sprechen von dem Geständnis ihrer Leidenschaft für den Grafen, das sie
damals der Äbtissin gemacht hatte, damit diese es dem Grafen
wiedererzähle. Damals war sie weit davon entfernt, ihn so zu lieben wie
jetzt. Es war ihr vergnüglich erschienen, das Herz des ernsten Vertreters
anzugreifen, den der Herzog dem Kloster gegeben hatte. Jetzt waren ihre
Gefühle ganz anders. Ihm zu gefallen, war notwendig für ihr Glück; wenn
ihr dies nicht gelänge, würde sie unglücklich sein, und wie würde ein so
ernster Mann die seltsame Eröffnung aufnehmen, die ihm die Äbtissin machen
würde? Es könnte leicht geschehen, daß er sie indezent fände, und dieser
Gedanke war eine Marter für Felizia. Es war nötig zu sprechen. Der Graf
saß ernst vor ihr und sagte ihr Höflichkeiten über ihren starken Geist.
"Hat es ihm die Äbtissin schon erzählt?" Die ganze Aufmerksamkeit der
jungen Nonne vereinigte sich auf diese große Frage. Zu ihrem Glück glaubte
sie zu erkennen, was in der Tat die Wahrheit war: daß die Äbtissin, vom
Anblick der beiden Leichen jener verhängnisvollen Nacht noch ganz
entsetzt, eine so nichtige Einzelheit wie die törichte Liebe der jungen
Nonne ganz vergessen hatte.

Der Graf bemerkte die außerordentliche Verwirrung dieses schönen Mädchens
sehr wohl und wußte nicht, wem er sie zuschreiben sollte. 'Wäre sie
schuldig?' sagte er sich. Diese Idee beunruhigte ihn, den so Vernünftigen.
Dieser Verdacht bewog ihn, den Antworten der jungen Nonne außerordentliche
und ernste Aufmerksamkeit zu schenken. Das war eine Ehre, die er schon
seit langem nicht den Worten einer Frau erwiesen hatte. Er bewunderte
Felizias Geschick. Sie traf die Kunst, in einer für den Grafen
schmeichelhaften Weise auf alles zu antworten, was er über den
verhängnisvollen Kampf an der Türe des Klosters sagte, aber sie hütete
sich wohl, ihm entscheidende Antworten zu geben. Nach einer Unterhaltung,
die anderthalb Stunden gewährt hatte, während deren der Graf sich nicht
einen Augenblick langweilte, beurlaubte er sich von der jungen Nonne und
bat sie mit Wärme, ihm in einigen Tagen noch eine Unterredung zu gewähren.
Dies Wort erfüllte Felizias Herz mit himmlischer Seligkeit.

Der Graf ging sehr nachdenklich aus der Abtei von Santa Riparata. 'Es wäre
ohne Zweifel meine Pflicht,' sagte er sich, 'dem Fürsten von den seltsamen
Dingen, die ich erfahren habe, in Kenntnis zu setzen. Der ganze Staat hat
sich mit dem Tod dieser beiden bedauernswerten, so reichen und glänzenden
jungen Leute beschäftigt. Andrerseits hat uns der Fürst-Kardinal jetzt
einen so schrecklichen Bischof gegeben, daß man die ganzen Greuel der
spanischen Inquisition auf das unglückliche Kloster hetzen würde, wenn man
auch nur ein Wort verlauten ließe von dem, was geschehen ist. Es wäre
nicht nur eines dieser armen jungen Mädchen, das dieser fürchterliche
Bischof umbringen lassen würde, sondern vielleicht fünf oder sechs; und
wer wäre an ihrem Tode schuldig, wenn nicht ich, der nur einen ganz
kleinen Vertrauensmißbrauch zu begehen hat, damit nichts geschieht? Wenn
der Fürst erfährt, was vorgefallen ist und mir Vorwürfe macht, werde ich
ihm sagen: Euer entsetzlicher Bischof hat mir Angst eingeflößt.'

Der Graf wagte nicht, sich alle die Gründe, die ihn zum Schweigen
brachten, genau einzugestehen. Er war unsicher, ob nicht die schöne
Felizia schuldig war, und sein ganzes Wesen wurde von Schreck gepackt bei
der Vorstellung, das Leben eines armen, von ihren Eltern und von der
Gesellschaft so grausam behandelten jungen Mädchens in Gefahr bringen.
'Sie würde die Zierde von Florenz sein,' sagte er sich, 'wenn man sie
verheiratet hätte.'

Der Graf hatte die vornehmsten Herrn und die reichsten Kaufleute von
Florenz zu einer prächtigen Jagdpartie in den zur Hälfte ihm gehörenden
Maremmen von Siena eingeladen. Er entschuldigte sich bei ihnen; die Jagd
fand ohne ihn statt, und Felizia war sehr erstaunt, als sie schon am
übernächsten Morgen nach ihrer ersten Unterhaltung die Pferde des Grafen
im äußeren Klosterhof stampfen hörte. Als der Vertreter des Großherzogs
den Entschluß gefaßt hatte, dem Fürsten nichts von dem mitzuteilen, was
geschehen war, hatte er gleichwohl gefühlt, daß er die Verpflichtung auf
sich nehmen müsse, in Zukunft über die Ruhe des Klosters zu wachen. Nun
war es, um das zu erreichen, vor allem zu wissen nötig, welchen Anteil die
beiden Nonnen, deren Liebhaber ermordet worden waren, an ihrem Tod gehabt
hatten. Nach einer langen Unterredung mit der Äbtissin ließ der Graf acht
oder zehn Nonnen rufen, unter denen sich auch Fabiana und Celia befanden.
Er fand zu seinem großen Erstaunen, was auch die Äbtissin ihm gesagt
hatte, daß acht von diesen Nonnen gar nichts von den Vorgängen jener
verhängnisvollen Nacht wußten. Der Graf stellte an keine direkte Fragen,
außer an Celia und an Fabiana: sie leugneten, Celia mit der ganzen
Festigkeit einer Seele, die über alles Unglück erhaben ist, die junge
Fabiana wie ein armes Mädchen in Verzweiflung darüber, daß man es in
barbarischer Weise an die Quelle aller seiner Schmerzen erinnert. Sie war
entsetzlich abgemagert und hatte das Aussehen einer Schwindsüchtigen; sie
konnte sich über den Tod des jungen Lorenzo B** nicht trösten. 'Ich bin
es, die ihn getötet hat,' sagte sie Celia in den langen Gesprächen, die
sie mit ihr führte; 'ich hätte die Eigenliebe des wilden Don Cesare,
seines Vorgängers, besser schonen müssen, als ich mit ihm brach.'

Kaum in das Sprechzimmer eingetreten, bemerkte Felizia, daß die Äbtissin
die Schwäche gehabt hatte, dem Stellvertreter des Großherzogs von ihrer
Liebe zu ihm zu sprechen; die Haltung des gelassenen Buondelmonte war
dadurch ganz verändert. Das war zuerst ein Anlaß des Errötens und der
Verlegenheit für Felizia. Ohne es zu wollen, war sie entzückend, während
der langen Unterredung, die sie mit dem Grafen hatte; aber sie gestand
nichts. Die Äbtissin wußte nichts genaues über das, was sie gesehen und
allem Anschein nach falsch gesehen hatte. Celia und Fabiana gestanden
nichts. Der Graf war sehr verlegen. 'Wenn ich die Kammerfrauen und die
Dienerinnen verhöre, heißt das, dem Bischof in dieser Sache Zutritt
verschaffen. Sie werden zu ihrem Beichtvater davon sprechen und dann haben
wir die Inquisition im Kloster.'

Der Graf war sehr beunruhigt und kam alle Tage nach Santa Riparata. Er
hatte sich entschlossen, alle Nonnen zu verhören, dann alle
Hofkammerfrauen und endlich das ganze Gesinde. Er deckte die Wahrheit über
einen vor drei Jahren verübten Kindesmord auf, dessen Anzeige ihm der
Offizial des geistlichen Gerichtshofs, dessen Präsident der Bischof war,
übermittelt hatte. Doch zu seinem großen Erstaunen sah er, daß die
Geschichte der beiden jungen Leute, die sterbend den Garten der Abtei
betreten hatten, nur der Äbtissin, Celia, Fabiana, Felizia und ihrer
Freundin Rodelinde bekannt war. Die Tante dieser Letzteren wußte sich so
gut zu verstellen, daß sie dem Argwohn entschlüpfte. Der Schrecken, den
der neue Bischof Monsignore einflößte, war derart groß, daß, mit Ausnahme
der Äbtissin und Felizias, die offensichtlich lügenhaften Aussagen aller
andren Nonnen immer in den gleichen Worten gegeben wurden. Der Graf hatte
zum Schluß jeder seiner Sitzungen im Kloster eine lange Unterhaltung mit
Felizia, welche sie glücklich machte; aber um sie zu verlängern,
befleißigte sie sich, den Grafen jeden Tag nur einen ganz kleinen Teil von
dem mitzuteilen, was sie über den Tod der beiden jungen Edelleute wußte.
Im Gegensatz dazu war sie von äußerstem Freimut in den Dingen, die sie
persönlich betrafen. Sie hatte drei Liebhaber gehabt; sie erzählte dem
Grafen, der fast ihr Freund geworden war, die ganze Geschichte dieser
Liebschaften. Die völlige Offenheit dieses schönen und geistvollen
Mädchens fesselte den Grafen, dem es nicht schwer fiel, sie mit äußerster
Aufrichtigkeit zu beantworten.

"Ich kann Euch nicht mit so interessanten Geschichten, wie Eure es sind,
erwidern," sagte er Felizia, "und ich weiß nicht, ob ich es wagen soll,
Euch zu sagen, daß mir alle Eures Geschlechts, die ich in der Welt
getroffen habe, stets mehr Verachtung für ihren Geist, als Bewunderung für
ihre Schönheit eingeflößt haben."

Die häufigen Besuche des Grafen hatten Celia die Ruhe genommen. Fabiana,
mehr und mehr von ihrem Schmerz benommen, hatte aufgehört, den Ratschlägen
ihrer Freundin ihre Abwehr entgegenzusetzen. Als die Reihe an sie kam, die
Tür des Klosters zu bewachen, öffnete sie, wandte den Kopf, und der junge
Seidenweber Giuliano, Martonas Freund, konnte ins Kloster eintreten. Er
verbrachte dort volle acht Tage, bis Fabiana von neuem Dienst hatte und
die Türe offen lassen konnte. Es scheint, daß Martona gegen Ende des
langen Aufenthalts ihres Geliebten, gerührt von Giulianos Klagen, der sich
allein in ihrem Zimmer eingeschlossen tödlich langweilte, der Äbtissin,
welche sie Tag und Nacht um sich haben wollte, die einschläfernde Essenz
verabreichte.

Als Giulia, eine sehr fromme junge Nonne, eines Abends durch die großen
Schlafräume ging, hörte sie in Martonas Zimmer sprechen. Sie näherte sich
leise, blickte durch das Schlüsselloch und sah einen schönen jungen Mann
unter Scherzen mit Martona zur Nacht speisen. Giulia tat einige Schläge
gegen die Türe; als ihr aber einfiel, daß Martona sehr wohl öffnen, sie
mit diesem jungen Mann einschließen und sie, Giulia, der Äbtissin anzeigen
könnte, wurde sie von großer Bestürzung erfaßt, denn Martona verbrachte
ihr ganzes Leben mit der Äbtissin und man würde ihr gewiß glauben. In
ihrer Einbildung sah sie sich schon in diesem einsamen und dunklen
Korridor, wo noch keine Lampen angezündet waren, von Martona verfolgt, die
sehr viel stärker war als sie selbst. Giulia ergriff ganz bestürzt die
Flucht, aber sie hörte noch Martona die Türe öffnen und bildete sich ein,
von ihr erkannt worden zu sein; so lief sie zur Äbtissin, um ihr alles zu
sagen und diese eilte in furchtbarer Entrüstung auf Martonas Zimmer, wo
sie jedoch Giuliano nicht mehr vorfand, der sich in den Garten geflüchtet
hatte. Aber in der gleichen Nacht, da die Äbtissin aus Vorsicht und im
Interesse von Martonas Ruf, diese zu sich nahm und ihr ankündigte, daß
sie, damit die Bosheit nicht wieder einen Mann dahinter vermuten könne, am
nächsten Morgen in Begleitung des Beichtvaters, an die Türe ihrer Zelle
Siegel anlegen werde, mischte Martona, die in diesem Augenblick damit
beschäftig war, der Äbtissin das aus einer Schokolade bestehende
Nachtmahl, zu bereiten, eine ungeheure Menge des vorgeblichen
Schlafpulvers hinein.

Am nächsten Morgen befand sich die Äbtissin Virgilia in einem so seltsamen
Zustand nervöser Erregung und fand, als sie in den Spiegel sah, ihr
Gesicht so verändert, daß sie dachte, sie würde sterben. Die erste Wirkung
des Giftes von Perugia ist, daß es die Personen, die davon genossen, fast
verrückt macht. Virgilia erinnerte sich, daß eines der Vorrechte der
Äbtissinnen des adligen Klosters von Santa Riparata war, in ihren letzten
Augenblicken den Beistand Seiner bischöflichen Gnaden zu genießen. Sie
schrieb dem Prälaten, der bald im Kloster erschien. Sie erzählte ihm nicht
nur von ihrer Krankheit, sondern auch von der Geschichte der beiden
Leichen. Der Bischof tadelte streng, daß sie ihm von einem so
eigentümlichen und so verbrecherischen Vorfall nicht Kenntnis gegeben
habe. Die Äbtissin antwortete, daß der Stellvertreter des Herzogs, der
Graf Buondelmonte, ihr nachdrücklich geraten hätte, den Skandal zu
vermeiden.

"Und wie kann dieser Weltliche die Kühnheit haben, die genaue Erfüllung
Eurer Pflichten Skandal zu nennen?"

Als sie den Bischof im Kloster erscheinen sah, sagte Celia zu Fabiana:
"Wir sind verloren. Dieser fanatische Prälat, der um jeden Preis die
Reform des Konzils von Trient in den Klostern seiner Diözese einführen
will, wird sich ganz anders zu uns verhalten, als der Graf Buondelmonte."

Fabiana warf sich weinend in Celias Arme: "Der Tod macht mir nichts, aber
ich werde doppelt verzweifelt sterben, weil ich dich ins Verderben
gestürzt habe, ohne damit das Leben dieser unglücklichen Äbtissin zu
retten."

Sogleich begab sich Fabiana in die Zelle der Nonne, welche an diesem Abend
die Torwache hatte. Ohne sich auf die Einzelheiten einzulassen, sagte sie
ihr, daß es Ehre und Leben Martonas zu retten gelte, welche die
Unvorsichtigkeit begangen habe, einen Mann in ihrer Zelle zu empfangen.
Nach vielen Schwierigkeiten willigte die Nonne ein, etwas nach elf Uhr
abends die Tür offen zu lassen und sich einen Augenblick zu entfernen.

Während dieser Zeit hatte Celia Martona sagen lassen, sie möge sich in den
Chor begeben. Das war ein Saal wie eine zweite Kirche, die nur durch ein
Gitter von der dem Volke zugänglichen getrennt war; sie hatte mehr als
vierzig Fuß Höhe. Martona hatte sich in der Mitte des Chors niedergekniet,
so daß niemand hören konnte, wenn sie leise sprach. Celia begab sich an
ihre Seite.

"Hier" -- sagte sie ihr -- "ist eine Börse, die alles Geld enthält, das
Fabiana und ich finden konnten. Heute abend oder morgen abend werde ich es
ermöglichen, daß die Türe des Klosters einen Augenblick offen bleibt. Laß
Giuliano entschlüpfen und du rette dich bald danach. Sei gewiß, daß die
Äbtissin dem schrecklichen Bischof alles gesagt hat und daß sein
Gerichtshof dich ohne Zweifel zu fünfzehn Jahren Kerker oder zum Tode
verurteilen wird."

Martona machte eine Bewegung, um sich Celia zu Füßen zu werfen.

"Was tust du, Unvorsichtige?" rief diese, und es gelang ihr, die Bewegung
aufzuhalten. "Bedenke, daß man Giuliano und dich in jedem Augenblick
verhaften kann. Halte dich von jetzt an, bis zum Augenblick deiner Flucht,
so versteckt wie möglich, und gib vor allem acht auf die Personen, die in
das Sprechzimmer der Frau Äbtissin eintreten."

Als der Graf am nächsten Morgen im Kloster eintraf, fand er vieles
verändert vor. Martona, die Vertraute der Äbtissin war während der Nacht
verschwunden; die Äbtissin war so geschwächt, daß sie genötigt war, sich
in einem Lehnstuhl ins Sprechzimmer tragen zu lassen, um den Vikar des
Fürsten zu empfangen. Sie gestand ihm, daß sie dem Bischof alles gesagt
habe.

"In diesem Fall werden wir Blut oder Gift haben", rief dieser aus.

Die erste Sorge des Vertreters des Fürsten war, das Wohl der jungen
Felizia zu sichern. Graf Buondelmonte, der menschlich fühlte, konnte den
Gedanken nicht ertragen, daß dieses schöne junge, ihm so zärtlich gesinnte
Mädchen verdammt sein sollte, keinen andern Gemahl als einen verpesteten
Kerker zu haben oder sogar Gift zu trinken. 'Wie schade wäre es,' dachte
er sich, 'wenn Felizia wegen der gefährlichen Einfalt unsrer Äbtissin und
wegen des Fanatismus dieses schrecklichen Bischofs ein Leben verlieren
müßte, welches das Glück eines rechtschaffenen Mannes ausmachen könnte!
Man muß um jeden Preis ein so gräßliches Los zu verhindern trachten.' Und
er sann nach, wie er sie unter irgendeiner Verkleidung entfliehen lassen
könnte.

Da erinnerte er sich an eine Einzelheit: die Nonnen des Klosters trugen
unter ihrem Schleier ein Kleid aus grüner Seide, welches eng anliegend am
Körper und gerade nur unter die Knie reichend, wenig von dem glänzenden
Kostüm der Waffenherolde abwich, die bei den großen Zeremonien vor dem
Fürsten einherschritten. 'Es wird genügen,' sagte sich der Graf, 'daß
Felizia ihren Schleier über dem Kopf zusammenrafft und ihn wie ein Barett
faltet; wenn sie dann ihr langes fließendes Gewand wie einen Mantel um die
Schultern wirft, wird sie ganz das Ansehen eines großherzoglichen Herolds
haben. Man hat mir erzählt, daß eine Nonne in solcher Verkleidung ausging,
um ihren Geliebten zu besuchen. Felizia wird ebenfalls keine Schwierigkeit
haben, besonders weil sie von mir begleitet ist und die Wache wird ihr die
Ehrenbezeugung erweisen.'

Er ließ sofort Felizia rufen und teilte ihr seinen Plan mit. Sie
antwortete ihm, daß sie ihr Leben in seine Hände gäbe: "Wisset," sagte
sie, "daß es weniger Glück für mich ist, es zu behalten, als es Euch zu
verdanken und zu wissen, daß Ihr Euch die Mühe genommen habt, für mich zu
sorgen." Ein feuriger Blick, der diese Worte begleitete, verriet die
Gefühle dieses leidenschaftlichen Mädchens. Es war nicht Zeit für langes
Reden. Felizia beeilte sich, den Anweisungen des Grafen zu folgen, und als
sie passend verkleidet war, begab sie sich auf dem gleichen Weg zur
Terrasse der Orangerie, wie in der Nacht, als Lorenzo und Pierantonio
getötet wurden. Sie stieg in den Garten, wohin der Graf ihr vorausgegangen
war und fand ihn nahe der Tür, die auf die weite Ebene hinter den
Stadtmauern führte. Man hatte grade die Wache abgelöst und dieser Umstand
begünstigte noch die Flucht, denn die vorige Wache hätte sich wundern
können, einen Waffenherold, den sie nicht eingelassen hatte, aus dem
Kloster fortgehen zu sehn. Der Graf und Felizia befanden sich in der
Straße der Goldarbeiter, dort führte er sie zu einem Mann, der ihm sehr
ergeben war, weil er ihn einstens vor den Galeeren gerettet hatte. Sie
wechselte ihre Kleider, nahm die der Tochter ihres Wirts und ritt gegen
Mitternacht, von zwei Dienern des Grafen begleitet, zu einem seiner
Pächter, der sie bis an die Grenzen Bolognas begleiten sollte, wo die
Buondelmonte Freunde hatten. Dort befand sie sich endlich in Sicherheit.

Dann bemühte sich Graf Buondelonte[sic! statt: Buondelmonte], auch die
sanfte Rodelinde zu retten, und es fiel ihm nicht zu schwer, weil er sich
Celias Nachschlüssel bedienen konnte, die man ihr weggenommen hatte.

Schon am nächsten Morgen kehrte der Bischof ins Kloster zurück und führte,
wie der Graf vorher geahnt hatte, die ganzen Schrecken der Inquisition mit
sich. Er leitete den Prozeß gegen die Nonnen in den strengsten Formen ein.
Dieses Verfahren dauerte nicht lange und der Prälat lud die schuldigen
Schwestern in dem Saal vor sich, wo gewöhnlich die Wahl der Äbtissin
stattfand. Der Spruch wurde verkündet: Celia und Fabiana wurden
verurteilt, durch Gift zu sterben; andre, der Nonnenkleider verlustig zu
gehen und bis ans Ende ihrer Tage in ein Gefängnis geworfen zu werden, und
die endlich, die am wenigsten schuldig gefunden wurden, sollten eine
Gefangenschaft von zehn Jahren erdulden.

Kaum war diese Vorlesung beendet, als eine der zu lebenslänglichem Kerker
verurteilten Nonnen zum Fenster lief, es öffnete und sich in den Garten
stürzte; eine andre durchstieß sich die Brust mit einem Dolch.
Schreckliche Schreie ertönten und verbreiteten Entsetzen im ganzen
Kloster.

Der Bischof hatte sich zurückgezogen, als die Ruhe wiederhergestellt war,
und der Geistliche, dem er seine Macht übertragen hatte, schritt an den
schmerzlichsten Teil seiner Aufgabe, jenen, der Celia und Fabiana betraf.
Er machte ihnen in rauhester Weise Vorstellungen über den Ernst der
Unruhen, die sie veranlaßt hatten und schloß, indem er ihnen sagte, sie
müßten dieses Leben verlassen, um den Zorn des Himmels zu besänftigen.

"Aber", fügte er hinzu, "Eure Vorgesetzten und Eure Richter, welche den
Adel Eurer Familien und die Würde dieses Orts in Betracht gezogen haben,
wollten Euch von der vollen Strenge der geistlichen Diszipin[sic! statt:
Disziplin] befreien und Euch die Schande eines öffentlichen
Urteilsvollzugs ersparen; sie haben also, nach den Grundsätzen der
Barmherzigkeit Jesu Christi, beschlossen, Euch Eure Tage in der Umfassung
dieses geweihten Orts beenden zu lassen -- und durch den
Schierlingstrank."

Während dieser Rede sah ihn Celia starr mit verächtlicher Ruhe an. Als er
aufgehört hatte, zu sprechen, fragte sie ihn kurz, wo der Giftbecher sei.
"Priester eines Gottes der Barmherzigkeit," antwortete er, "habe ich nur
das Urteil über die Schuldigen zu sprechen: die Ausführung ist den
Laienbrüdern anvertraut, wendet Euch an diese."

Ein Leibwächter des Geistlichen brachte zwei mit diesem Gift gefüllte
Becher, er reichte sie Celia, die einen davon nahm und zu Fabiana sagte:
"Bringen wir diese Todesblume diesem Hanswurst der Seelen" -- und sie
schlang es hinunter bis auf den letzten Tropfen. Die schwächere Fabiana
gab sich Tränen und Klagen hin; Celia machte ihr Vorwürfe über ihre
Anhänglichkeit an ein so unglückliches Leben und über ihre Feigheit, die,
wie sie sagte, der dieser Männer gleichkam, die sich nicht schämten, von
aller Welt verlassene Frauen zu ermorden."[sic! überzähliges
Anführungszeichen] Endlich trocknete Fabiana ihre Tränen, faßte sich wie
im Augenblick einer großen Krise und würgte das Gebräu hinunter; es
Tropfen für Tropfen schlürfend.

Indessen trugen Livia und eine andre Dienerin den leblosen Körper der
Nonne vom Garten herein, die sich aus dem Fenster gestürzt hatte. Als
Celia sie bemerkte, entschlüpften ihr die Worte: "Wie ist sie glücklich,
nicht mehr zu leben!" Dann sprach sie den beiden Dienerinnen ihren Dank
für die Ergebenheit aus, die sie ihr gezeigt hatten; sie gab Livia einen
Diamantring, den sie am Finger trug, zum Geschenk, und forderte sie auf,
den Erlös mit ihrer Gefährtin zu teilen.

Das Gift begann auf seine Opfer zu wirken: Fabiana wälzte sich auf der
Erde in den Ängsten des Todes; Celia bemerkte, daß der Delegat des
Bischofs und seine Leute fühllose Zeugen dieses Schauspiels blieben: "Geht
fort!" rief sie aus, "laßt uns fern von Euren Augen sterben! Gerechter
Gott, verlängert nicht unsre Marter!" Endlich wurde ihre Natur durch den
Schmerz besiegt, und auch sie konnte sich nicht mehr aufrecht halten und
fiel zu Boden. In den Krämpfen ihrer Agonie löste sich ihr reiches
schwarzes Haar und fiel ihr über Schultern und Brust, welche durch ihre
wilden Bewegungen entblößt waren. Alle, sogar der Delegat, waren von
Mitleid ergriffen, vielleicht auch von Bedauern, an der Vernichtung eines
so vollkommenen Wesens Teil gehabt zu haben; sie konnten den Anblick nicht
länger ertragen und gingen in einen Nebenraum. "Nie vielleicht", sagte der
Bevollmächtigte des Bischofs, "gab es eine unbeugsamere Seele in einer
schöneren Hülle. Wie schade!"

Mittlerweile war Felizia in Bologna in aller Sicherheit untergebracht
worden. Graf Buondelmonte säumte nicht, ihre seine Tröstungen zu bringen
und man sagt, daß dieser Herr in der Folge die Reise von Florenz nach
Bologna häufig unternahm.




VITTORIA ACCORAMBONI

ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL


Für mich wie für den Leser bedaure ich, daß dies kein Roman, sondern die
treue Übersetzung eines sehr traurigen Berichtes ist, der im Dezember 1585
in Padua aufgeschrieben worden ist.

Ich befand mich vor einigen Jahren in Mantua, um Skizzen und kleine Bilder
zu suchen, die im Einklang mit meinem beschränkten Vermögen stünden; ich
suchte Maler, die vor dem Jahre 1600 gearbeitet hatten, denn etwa um diese
Zeit ist die italienische Originalität vollends ausgestorben, die schon
durch die Besetzung von Florenz im Jahre 1530 sehr gelitten hatte.

An Stelle von Gemälden bot mir ein alter, sehr reicher und geiziger
Patrizier alte, von der Zeit vergilbte Manuskripte sehr teuer zum Kauf an;
ich bat um die Erlaubnis, sie durchfliegen zu dürfen; er stimmte bei und
fügte hinzu, er rechne darin auf meine Anständigkeit, daß ich mich an die
pikanten Anekdoten, die ich lesen sollte, nicht erinnern würde, wenn ich
die Manuskripte nicht kaufte.

Unter dieser Bedingung, die mir paßte, habe ich sehr zum Schaden meiner
Augen an dreihundert oder vierhundert Bände durchflogen, worin vor zwei
oder drei Jahrhunderten Erzählungen von tragischen Abenteuern angehäuft
worden sind, von Herausforderungsschreiben zu Zweikämpfen,
Friedensverträgen zwischen vornehmen Nachbarn, Aufzeichnungen über Dinge
aller Art usf. Der alte Eigentümer forderte für diese Manuskripte einen
ungeheuren Preis.

Nach langem Unterreden erwarb ich gegen eine sehr große Summe das Recht,
gewisse kleine Geschichten, die mir gefielen und die Lebensgewohnheiten
Italiens um 1500 zeigten, zu kopieren. Ich besitze zweiundzwanzig
Foliobände davon, und was der Leser hier lesen wird, wenn er überhaupt
Geduld dazu hat, ist eine dieser getreu übersetzten Geschichten. Ich kenne
die Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts in Italien, und ich glaube,
daß das Folgende vollkommen wahr ist. Ich habe mir Mühe gegeben, damit die
Übersetzung dieses ernsten, geraden, düsteren, altitalienischen Stils, der
voll Anspielungen auf Dinge und Vorstellungen ist, welche die Welt unter
dem Pontifikat Sixtus V. beschäftigt haben, nicht etwa die moderne schöne
Literatur widerspiegelt und die Ideen unseres vorurteilslosen
Jahrhunderts.

Der unbekannte Autor des Manuskripts ist eine vorsichtige Persönlichkeit;
er beurteilt niemals eine Tatsache, er bereitet nie auf sie vor, sein
einziges Bestreben ist, wahrheitsgemäß zu berichten. Wenn er dabei
bisweilen, ihm unbewußt, malerisch wird, kommt das daher, daß im Jahre
1585 noch nicht alle Handlungen der Menschen von einer Eitelkeitsaureole
verschleiert waren; man glaubte damals, nur dann auf den Nachbar wirken zu
können, wenn man sich mit größter Klarheit ausdrückte. Um 1585 dachte
außer den Hofnarren oder den Poeten niemand daran, liebenswürdige
Redewendungen zu gebrauchen. Man sagte noch nicht im Augenblick, wo man
Postpferde holen ließ, um die Flucht zu ergreifen: ich werde zu Füßen
Eurer Majestät sterben; dies war vielleicht die einzige Art von Verrat,
die nicht üblich war. Man sprach wenig und jeder hörte mit äußerster
Aufmerksamkeit auf das, was ihm gesagt wurde.

Also, gütiger Leser, suche hier nicht eine beziehungsreiche, leichte
Schreibweise, die von frischen Anspielungen auf die Art des modernen
Empfindens glänzt, erwarte nicht etwa die spannenden Erregungen eines
Romans der George Sand; diese große Schriftstellerin hätte ein Meisterwerk
aus dem Leben und dem Unglück der Vittoria Accoramboni gemacht. Die
wahrheitsgetreue Erzählung, die ich darbiete, kann nur die bescheidenen
Vorzüge der Historie haben. Wenn man aber zufällig bei einbrechender Nacht
allein im Postwagen sitzt und sich anschickt, über die große Kunst der
Ergründung des menschlichen Herzens nachzudenken, wird man die
Begebenheiten dieser Erzählung als Grundlage seiner Beurteilung annehmen
können. Der Verfasser sagt alles, erklärt alles, überläßt nichts der
Einbildungskraft des Lesers; er schrieb die Geschichte zwölf Tage nach dem
Tod der Heldin.

       *       *       *       *       *

Vittoria Accoramboni stammte aus altadeligem Geschlecht einer kleinen
Stadt des Herzogtums Urbino, die Agubio heißt. Schon von Kindheit an fiel
sie allen durch ihre seltene, ungewöhnliche Schönheit auf. Aber diese
Schönheit war ihr geringster Reiz. Nichts fehlte ihr, was ein Mädchen von
vornehmer Geburt bewundernswert macht, aber nichts war so bemerkenswert,
ja, man kann sagen: keine unter so vielen außerordentlichen Eigenschaften
grenzte so ans Wunderbare, wie eine ganz eigne reizende Anmut, welche ihr
beim ersten Anblick Herz und Willen eines jeden gewann. Und diese
Natürlichkeit, die dem geringsten ihrer Worte Macht verlieh, war nicht
durch den leisesten Anflug von Künstelei getrübt; von Anfang an faßte man
Zutrauen zu dem vornehmen Mädchen, dem eine so ungewöhnliche Schönheit
verliehen war. Mit äußerster Kraftanstrengung hätte man diesem Zauber
vielleicht widerstehen können, solange man sie nur gesehen hätte; aber
wenn man sie sprechen hörte und besonders, wenn man in eine Unterhaltung
mit ihr geriet, war es ganz unmöglich, sich einen[sic! statt: einem] so
ungewöhnlichen Reiz zu entziehen.

Viele junge Kavaliere aus Rom, wo ihr Vater wohnte und man seinen Palast
noch heute auf der Piazza Rusticucci nahe Sankt Peter sehen kann, warben
um ihre Hand. Es gab viel Eifersucht und Nebenbuhlerschaft; aber
schließlich gaben Vittorias Eltern Felice Peretti den Vorzug, dem Neffen
des Kardinals Montalto, der später der glücklich herrschende Papst Sixtus
V. geworden ist.

Felice war der Sohn Camilla Perettis, einer Schwester des Kardinals und
hieß früher Francesco Mignucci. Er nahm den Namen Felice Peretti erst an,
als er von seinem Oheim in aller Form adoptiert wurde.

Als Vittoria in das Haus Peretti einzog, brachte sie, ohne daran zu
denken, jenes Überstrahlende mit, das man schicksalhaft nennen kann; so
daß man sagen möchte: um sie nicht anbeten zu müssen, dürfte man sie nie
gesehen haben. Die Liebe, die ihr Mann für sie fühlte, ging bis zum
Wahnsinn; ihre Schwiegermutter und der Kardinal Montalto selbst schienen
auf Erden keine andre Beschäftigung zu haben, als die Wünsche Vittorias zu
erraten, um sie sogleich zu erfüllen. Ganz Rom staunte, wie dieser
Kardinal, der ebenso durch die Geringfügigkeit seines Vermögens, wie durch
seinen Abscheu vor jedem Luxus bekannt war, jetzt ständig Freude daran
fand, allen Wünschen Vittorias zuvorzukommen. Jung, im Glanz ihrer
Schönheit und von allen angebetet, unterließ sie es nicht, bisweilen recht
kostspielige Einfälle zu haben. Vittoria empfing von ihren neuen
Verwandten die kostbarsten Schmucksachen, Perlen und überhaupt alles, was
bei den Goldarbeitern Roms, die damals sehr gut versorgt waren, als
Seltenheit galt.

Aus Liebe zu dieser liebenswürdigen Nichte behandelte der wegen seiner
Strenge so bekannte Kardinal Montalto die Brüder Vittorias, als ob sie
seine eignen Neffen wären. Ottavio Accoramboni wurde, kaum dreißig Jahr
alt, durch die Vermittlung des Kardinals Montalto vom Herzog von Urbino
zum Bischof von Fossombrone vorgeschlagen und vom Papst Gregor XIII. dazu
ernannt; Marcello Accoramboni, ein Jüngling von ungestümem Mut, mehrerer
Verbrechen angeklagt und eifrig von der Corte verfolgt, war mit größter
Mühe den Verfolgungen entgangen, die leicht zu seinem Tode hätte führen
können. Durch die Protektion des Kardinals gestützt, konnte er eine
gewisse Ruhe wieder erlangen.

Ein dritter Bruder Vittorias, Giulio Accoramboni, wurde vom Kardinal
Alessandro Sforza zu den ersten Ehrenposten seines Hofs zugelassen, kaum,
daß der Kardinal darum ersucht hatte.

Mit einem Wort, wenn die Menschen ihr Glück nicht an der unendlichen
Unersättlichkeit ihrer Wünsche messen würden, sondern am wirklichen
Genusse aller Vorteile, die sie schon besitzen, so hätte den Accoramboni
die Heirat Vittorias mit dem Neffen des Kardinals Montalto als Gipfel
menschlicher Glückseligkeit erscheinen müssen. Aber dies unsinnige
Verlangen nach unermeßlichen und unvorstellbaren Vorteilen treibt selbst
Menschen, die auf der Höhe des Glücks stehen, in seltsame und gefährliche
Bahnen.

Es ist wohl wahr: wenn irgendeiner der Verwandten Vittorias, in dem
Wunsch, zu größerem Reichtum zu gelangen, dazu beigetragen hätte, sie von
ihrem Gatten zu befreien, -- wie ja in Rom vielfach Verdacht gehegt
wurde --, so hätte er bald nachher erkennen müssen, wieviel weiser es
gewesen wäre, sich mit den mäßigen Vorteilen eines angenehmen Glücks zu
begnügen, welches ja so bald danach zu all dem aufgestiegen wäre, was
menschlicher Ehrgeiz nur wünschen kann.

Während nun Vittoria gleich einer Königin in ihrem Hause lebte, wurde
Felice Peretti eines Abends, gerade als er mit seiner Frau zu Bett
gegangen war, ein Brief durch eine gewisse Caterina zugestellt, die aus
Bologna stammte und Vittorias Kammerfrau war. Dieser Brief war von einem
Bruder Caterinas, Domenico d'Aquaviva, mit dem Spitznamen il Mancino, der
Linkshändige, überbracht worden. Dieser Mann war wegen verschiedener
Verbrechen aus Rom verbannt, aber auf Bitten Caterinas hatte ihm Felice
die mächtige Protektion seines Oheims des Kardinals verschafft, und der
Mancino kam oft in Felices Haus, der großes Vertrauen in ihn setzte.

Der Brief, von dem wir sprechen, war im Namen Marcello Accorambonis
geschrieben, welcher von allen Brüdern Vittorias Felice am liebsten war.
Er lebte gewöhnlich versteckt außerhalb Roms, aber trotzdem wagte er sich
manchmal in die Stadt und fand dann eine Zuflucht in Felices Haus.

In dem zu so ungewöhnlicher Stunde zugestellten Brief rief Marcello seinen
Schwager Felice Peretti um Beistand an, er beschwor ihn, ihm zu Hilfe zu
kommen und fügte hinzu, daß er ihn in einer Angelegenheit von großer
Dringlichkeit beim Palazzo Montecavallo erwarte.

Felice teilte seiner Frau von dem seltsamen Brief mit, den er erhalten
hatte; dann kleidete er sich an und nahm keine andre Waffe als sein
Schwert. Von einem einzigen Diener begleitet, der eine brennende Fackel
trug, war er schon im Fortgehen, als er seine Mutter Camilla und alle
Frauen des Hauses, auch Vittoria unter ihnen, auf seinem Weg fand; alle
baten ihn inständigst, nicht zu dieser vorgerückten Stunde fortzugehen. Da
er ihren Bitten nicht nachgab, fielen sie auf die Knie und beschworen ihn
weinend, auf sie zu hören.

Die Frauen, und besonders Camilla, waren durch die Erzählung seltsamer
Dinge in Schrecken gesetzt, die sich alle Tage ereigneten und in dieser
Zeit des Pontifikats Gregors XIII., die voller Unruhen und unerhörter
Attentate war, ungestraft blieben. Noch ein Gedanke beunruhigte sie: Wenn
Marcello Accoramboni es wagte, nach Rom zu kommen, war es nicht seine
Gewohnheit, Felice rufen zu lassen, und gar zu solcher nächtlicher Stunde
schien ihnen ein derartiger Schritt gegen jeden Anstand zu sein.

In dem vollen Feuer seiner Jugend wollte Felice nicht auf diese
ängstlichen Vernunftgründe hören; als er noch dazu erfuhr, daß der Brief
vom Mancino gebracht worden war, den er sehr gern hatte und dem er Gutes
erwiesen hatte, konnte ihn nichts halten, und er verließ das Haus.

Ihm voraus ging, wie schon gesagt wurde, ein einziger Diener mit einer
brennenden Fackel. Aber der arme junge Felice hatte kaum einige Schritte
des Aufstiegs zum Monte Cavallo gemacht, als er von drei Flintenschüssen
getroffen zusammenbrach. Als die Mörder ihn auf der Erde sahen, warfen sie
sich auf ihn und durchbohrten ihn nach Gefallen mit Dolchstichen, bis er
ihnen völlig tot zu sein schien. Augenblicklich wurde diese
verhängnisvolle Nachricht zu Felices Mutter und Frau gebracht, und durch
diese gelangte sie zu seinem Oheim, dem Kardinal.

Der Kardinal ließ sich, ohne eine Miene zu verändern, ohne die kleinste
Bewegung zu verraten, sofort wieder ankleiden, dann empfahl er sich selbst
und diese arme, so unvorbereitet dahingeraffte Seele seinem Gott. Er begab
sich zu seiner Nichte und durch eine das tiefste Gleichgewicht zeigende
Miene und bewundernswerte Würde wußte er dem Klagen und Weinen der Frauen,
das im ganzen Haus zu widerhallen begann, etwas Einhalt zu tun. Seine
Macht über diese Frauen war von solcher Wirksamkeit, daß man von diesem
Augenblick an, und selbst, als der Leichnam aus dem Hause getragen wurde,
nichts hörte noch sah, was im geringsten von dem abgewichen wäre, was in
den korrektesten Familien bei einem längst vorhergesehenen Todesfall
stattfindet. Was den Kardinal Montalto selbst betrifft, konnte niemand an
ihm die geringsten Zeichen auch nur des einfachsten Schmerzes wahrnehmen;
nichts wurde in der Ordnung und äußeren Erscheinung seines Lebens
verändert. Rom hatte sich bald davon überzeugt; jenes Rom, welches mit
seiner gewohnten Neugier die geringsten Bewegungen eines so tief
verletzten Mannes beobachtete.

Zufällig wurde gerade am Tage nach der Ermordung Felices das Konsistorium
der Kardinäle im Vatikan zusammengerufen. Es gab keinen in der ganzen
Stadt, der nicht glaubte, wenigstens an diesem ersten Tage würde sich
Kardinal Montalto diesem öffentlichen Auftreten entziehen. Wo er gerade
vor den Augen so vieler und so neugieriger Zeugen erscheinen sollte! Man
würde die leisesten Regungen der natürlichen Schwachheit beobachten
können, während es doch für eine Persönlichkeit, die von einem
hervorragenden Posten aus nach einem noch höheren strebt, angemessener
wäre, sie zu verheimlichen. Denn jedermann wird zugeben, daß es nicht
passend ist, wenn der, dessen Ehrgeiz es ist, sich über alle anderen zu
erheben, ebenso menschlich zeigt wie alle andren.

Aber die solche Gedanken hatten, täuschten sich doppelt; denn erstens
erschien der Kardinal seiner Gewohnheit gemäß als einer der ersten im Saal
des Konsistoriums und sodann war es auch den Scharfsichtigsten unmöglich,
irgendein Zeichen menschlicher Empfindlichkeit an ihm zu entdecken. Im
Gegenteil setzte er jedermann durch seine Antworten in Erstaunen, als
einige seiner Kollegen aus Anlaß eines so grausamen Ereignisses
versuchten, ihm einige tröstende Worte zu sagen. Die Standhaftigkeit und
die augenscheinliche Ruhe seiner Seele inmitten eines so fürchterlichen
Unglücks wurden bald zum Gespräch der Stadt.

Es ist wohl wahr, daß einige Männer in diesem Konsistorium, die mehr
Erfahrung in höfischer Art hatten, diese scheinbare Unempfindlichkeit
nicht einem Mangel an Gefühl, sondern einer großen Verstellungsgabe
zuschrieben, und diese Auffassung wurde bald nachher von den meisten
Angehörigen des Hofes geteilt; denn es war nutzbringend, sich von einer
Beleidigung nicht zu tief verletzt zu zeigen, deren Urheber zweifellos
hochgestellt war, und später vielleicht den Weg zur allerhöchsten Würde
verhindern könnte.

Was immer auch die Ursache dieser augenscheinlich vollständigen
Unempfindlichkeit sein mochte, war es doch sicher, daß sie ganz Rom und
den Hof Gregors XIII. mit einer gewissen Bestürzung erfüllte. Aber, um auf
das Konsistorium zurückzukommen: als alle Kardinäle versammelt waren und
der Papst selbst in den Saal trat, wandte er sogleich die Augen zum
Kardinal Montalto, und man sah Seine Heiligkeit Tränen vergießen; was den
Kardinal betrifft, so verloren seine Züge nicht ihre gewohnte
Unbeweglichkeit.

Das Staunen verdoppelte sich, als im gleichen Konsistorium die Reihe an
den Kardinal Montalto kam, sich vor dem Thron Seiner Heiligkeit
niederzuknien, um über die Angelegenheiten, mit denen er betraut war,
Bericht abzulegen, und der Papst, bevor er ihm zu beginnen gestattete,
nicht sein Schluchzen zurückhalten konnte. Als Seine Heiligkeit wieder
fähig war, zu sprechen, suchte sie den Kardinal zu trösten und versprach
ihm dabei, daß dieses ungeheuerliche Attentat streng und schnell gesühnt
werden solle. Aber nachdem der Kardinal Seiner Heiligkeit demütigst
gedankt hatte, bat er ihn inständigst, keine Nachforschungen über das, was
geschehen war, anzubefehlen, da er, was ihn beträfe, aus vollem Herzen dem
Urheber verzeihe, wer es auch sein möge. Und unmittelbar nach dieser in
sehr wenigen Worten vorgetragenen Bitte, ging der Kardinal zu den
einzelnen Angelegenheiten über, mit denen er betraut war; als ob nichts
Außergewöhnliches geschehen wäre.

Die Blicke aller beim Konsistorium anwesenden Kardinäle waren auf den
Papst und auf Montalto geheftet, und obgleich es sicher sehr schwer sein
mag, das geübte Auge eines Hofmanns irrezuführen, wagte doch niemand zu
behaupten, daß die Miene des Kardinals Montalto die leiseste Bewegung
verraten habe, als er die Tränen Seiner Heiligkeit so aus der Nähe sah,
die -- um die Wahrheit zu sagen -- wirklich ganz außer sich geraten war.
Diese erstaunliche Fühllosigkeit des Kardinals Montalto verleugnete sich
auch nicht während der ganzen Zeit, die er mit Seiner Heiligkeit zu
arbeiten hatte. Es ging so weit, daß der Papst selbst dadurch betroffen
wurde und nach Schluß des Konsistoriums nicht umhin konnte, dem Kardinal
von San Sisto, seinem Lieblingsneffen, zu sagen: Veramente costui è un
gran frate! Wahrlich, der ist ein großer Mönch!

Das Benehmen des Kardinals Montalto war auch während aller folgenden Tage
völlig gleichmäßig. Wie es Sitte war, empfing er die Beileidsbesuche der
Kardinäle, der Prälaten und der römischen Fürsten, und keinem gegenüber,
in welchen Beziehungen er auch zu ihm stehen mochte, ließ er sich zu
irgendeiner Äußerung des Schmerzes oder der Klage hinreißen. Nach einer
kurzen Darlegung über die Unbeständigkeit der menschlichen Dinge, die er
mit Sentenzen und Zitaten aus der Heiligen Schrift oder den Kirchenvätern
belegte, wechselte er kurz das Gespräch und kam auf die Neuigkeiten der
Stadt oder auf persönliche Angelegenheiten dessen zu sprechen, mit dem er
sich unterhielt, genau, als ob er seinen Trostspender hätte trösten
wollen.

Rom war besonders neugierig, was während des Besuchs geschehen würde, den
ihm Fürst Paolo Giordano Orsini, Herzog von Bracciano, abstatten mußte,
welchem das Gerücht den Tod von Felice Peretti zuschrieb. Das Volk dachte,
daß Kardinal Montalto nicht so in der Nähe des Fürsten sein könne und
unter vier Augen mit ihm sprechen, ohne irgendwie seine Gefühle zu
verraten.

Als der Fürst den Kardinal besuchte, war eine ungeheure Menschenmenge auf
der Straße und am Eingang; zahlreiche Höflinge erfüllten alle Räume des
Hauses, so groß war die Neugier, das Aussehen der beiden zu beobachten.
Aber weder an dem einen noch an dem andern vermochte jemand etwas
besonderes wahrzunehmen. Der Kardinal Montalto hielt sich genau an das,
was der höfische Anstand vorschrieb; er gab seinem Gesicht einen sehr
bemerkenswerten Ausdruck von Aufgeräumtheit und die Art, wie er das Wort
an den Fürsten richtete, war von Gefälligkeit erfüllt.

Einen Augenblick später, als der Fürst seinen Wagen bestieg und sich mit
den Intimen seines Hofs allein befand, konnte er sich nicht mehr
zurückhalten, lachend zu sagen: "In fatto è vero che costui è un gran
frate! Es ist wirklich wahr, jener ist ein großer Mönch![sic! Fehlt: "]
Als ob er die Wahrheit des Wortes bestätigen wollte, das dem Papst vor
einigen Tagen entschlüpft war.

Die Klugen dachten, daß die bei dieser Gelegenheit vom Kardinal Montalto
gezeigte Haltung ihm den Weg zum Thron ebnen müsse; denn viele Leute
faßten über ihn die Meinung, daß er, sei es von Natur oder durch Tugend,
niemandem schaden könne oder wolle, wenn er auch allen Grund habe, gereizt
zu sein.

Felice Peretti hatte nichts Schriftliches, was sich auf seine Frau bezog,
hinterlassen; sie mußte demzufolge in das Haus ihrer Eltern zurückkehren.
Der Kardinal Montalto ließ ihr vor ihrem Scheiden die Gewänder, die
Schmucksachen und überhaupt alle Geschenke aushändigen, die sie erhalten
hatte, während sie die Frau seines Neffen war.

Am dritten Tage nach dem Tode Felice Perettis ließ sich Vittoria, von
ihrer Mutter begleitet, im Palast des Fürsten Orsini nieder. Manche
sagten, die Frauen wurden zu diesem Schritt durch die Sorge um ihre
persönliche Sicherheit getrieben, denn die Corte[3] schien sie mit der
Anklage zu bedrohen, dem Mord, der begangen worden war, zugestimmt oder
zumindest vor der Ausführung von ihm Kenntnis gehabt zu haben; andre
glaubten -- und das, was später geschah, schien diese Ansicht zu
bestätigen -- daß sie den Schritt getan hatten, um die Heirat zu
betreiben, da der Fürst Vittoria zugesichert haben sollte, sie zu
heiraten, wenn sie keinen Gatten mehr habe.

Immerhin hat man weder damals, noch später den Urheber des Mordes an
Felice feststellen können, obwohl jeder auf jeden Verdacht hatte. Die
meisten schrieben indessen diesen Todesfall dem Fürsten Orsini zu. Man
sagte allgemein, daß er von einer leidenschaftlichen Neigung für Vittoria
ergriffen war; er hatte davon unzweideutige Anzeichen gegeben und die
Heirat, welche folgte, war ein starker Beweis, denn die Frau stand so weit
unter ihm, daß nur die Tyrannei leidenschaftlicher Liebe sie zur
Gleichheit der Ehe erheben konnte. Das Volk wurde von der Auffassung auch
nicht durch einen, an den Gouverneur von Rom gerichteten Brief abgebracht,
den man wenige Tage nach der Tat verbreitete. Dieser Brief war im Namen
Cesare Palantieris geschrieben, eines ungestümen jungen Mannes, der aus
der Stadt verbannt war.

In diesem Brief sagte Palantieri, es sei nicht nötig, daß seine
hochgeborene Gnaden sich die Mühe mache, anderswo den Urheber des Mordes
an Felice Peretti zu suchen, da er selbst es gewesen sei, der ihn habe
töten lassen und zwar infolge gewisser Differenzen, die vor einiger Zeit
zwischen ihnen stattgefunden hätten.

Viele waren der Meinung, daß dieser Mord nicht ohne die Zustimmung des
Hauses Accoramboni geschehen sein konnte; man beschuldigte die Brüder
Vittorias, daß sie der Ehrgeiz, mit einem so reichen und mächtigen Fürsten
in Beziehungen zu treten, verführt habe. Man beschuldigte besonders
Marcello wegen der Verdachtsgründe, die durch den Brief gegeben waren, der
den unglücklichen Felice nachts aus dem Haus rief. Man sprach auch von
Vittoria selbst schlecht, als man sie ihre Zustimmung geben sah, so bald
nach dem Tode ihres Gemahls den Palast der Orsini als zukünftige Gattin zu
bewohnen. Man behauptete, daß es wenig wahrscheinlich sei, sich plötzlich
so nahe, wie bei einem Messerstich, nebeneinander zu finden, wenn man sich
vorher nicht, wenigstens durch einige Zeit, Waffen von größerer Reichweite
bedient habe. Die Nachforschung über diesen Mord wurde von Monsignore
Portici, Statthalter von Rom, nach den Befehlen Gregors XIII. geleitet.
Man ersieht daraus bloß, daß Domenico, Mancino genannt, durch die Corte
verhaftet, Geständnisse macht und ohne erst auf die Folter gespannt werden
zu müssen, im zweiten Verhör, am vierundzwanzigsten Februar 1582, aussagt:

"Daß Vittorias Mutter an allem schuld sei, und daß sie durch die
Kammerfrau aus Bologna unterstützt worden sei, welche gleich nach dem Mord
Zuflucht in der Feste von Bracciano fand, in die als dem Fürsten Orsini
gehörend die Corte nicht einzudringen wagte, und daß die Vollbringer des
Verbrechens Macchione de Gubbio und Paolo Barca di Bracciano waren, lancie
spezzate eines Herrn, dessen Namen man aus triftigen Gründen nicht
nannte."

Mit diesen triftigen Gründen vereinten sich, wie ich glaube, die Bitten
des Kardinals Montalto, der nachdrücklich ersuchte, daß die
Nachforschungen nicht weiter getrieben werden mögen, und wirklich war
nicht mehr die Rede von einem Prozeß. Der Mancino wurde aus dem Gefängnis
mit dem Befehl entlassen, bei Todesstrafe unverzüglich in seinen
Heimatsort zurückzukehren und ihn nie ohne eine besondere Erlaubnis zu
verlassen. Die Freilassung dieses Mannes fand 1583, am Tage des San Luigi
statt, und da dieser Tag auch der Geburtstag des Kardinal Montalto war,
bestärkte mich dieser Umstand mehr und mehr in der Annahme, daß auf seine
Bitte hin diese Angelegenheit so beendet wurde. Unter einer so schwachen
Regierung, wie es die Gregors XIII. war, konnte ein derartiger Prozeß sehr
unangenehme Folgen haben.

Die Bemühungen der Corte wurden hiermit eingestellt; trotzdem wollte Papst
Gregor XIII. nicht einwilligen, daß Fürst Paolo Orsini, Herzog von
Bracciano, die Witwe Accoramboni heirate. Nachdem Seine Heiligkeit der
letzteren eine Art Gefangenschaft auferlegt hatte, erließ er für den
Fürsten und die Witwe die Vorschrift, daß sie ohne seine oder seiner
Nachfolger ausdrückliche Erlaubnis einander nicht heiraten dürften.

Gregor XIII. starb zu Beginn des Jahres 1585 und da die von Fürst Orsini
konsultierten Rechtsgelehrten geantwortet hatten, daß sie die Vorschrift
durch den Tod des Herrschers, der sie verfügt hätte, für annulliert
erachteten, entschloß er sich, Vittoria vor der Ernennung des neuen
Papstes zu heiraten. Aber die Ehe ließ sich nicht so schnell schließen,
wie der Fürst es wünschte; teils weil er die Zustimmung von Vittorias
Brüdern haben wollte und es sich ereignete, daß Ottavio Accoramboni, der
Bischof von Fossombrone, niemals die seine zu geben gedachte; teils auch,
weil man nicht glaubte, daß die Wahl des Nachfolgers Gregors XIII. so
rasch stattfinden würde. Tatsache ist, daß die Ehe erst am gleichen Tag
geschlossen worden ist, als der Kardinal Montalto, den diese Angelegenheit
so interessierte, zum Papst gewählt wurde, nämlich am vierundzwanzigsten
April 1585, sei es, daß dies nur Zufall war, sei es, daß der Fürst zeigen
wollte, er fürchte die Corte nicht ärger unter dem neuen Papst, als er sie
unter Gregor XIII. gefürchtet hatte.

Diese Heirat beleidigte die Seele Sixtus V. tief (dies war der Name, den
Kardinal Montalto gewählt hatte); er hatte schon die Denkweise aufgegeben,
die für einen Mönch passend ist, und seine Seele zu der Höhe des Ranges
erhoben, in den ihn Gott jetzt gestellt hatte.

Der Papst zeigte aber trotzdem kein Zeichen von Zorn. Allein als sich der
Fürst Orsini am gleichen Tage mit der Menge der römischen Edelleute zum
Fußkusse eingefunden hatte, mit der geheimen Absicht, in den Zügen des
heiligen Vaters zu lesen, was er von diesem bisher so wenig deutlichen
Mann zu erwarten oder zu fürchten habe, bemerkte er, daß zum Scherzen
nicht mehr die Zeit sei. Der neue Papst hatte den Fürsten in einer
eigentümlichen Weise angesehn, und hatte kein einziges Wort auf die
Huldigung, die dieser an ihn richtete, geantwortet; daher faßte der Fürst
den Entschluß, sofort zu ergründen, welche Absicht Seine Heiligkeit in
bezug auf seine Person habe.

Durch Vermittlung des Kardinals Ferdinand von Medici, eines Bruders seiner
ersten Frau und des spanischen katholischen Botschafters suchte er um eine
Privataudienz beim Papste an und erhielt sie. Hier richtete er an Seine
Heiligkeit eine wohleinstudierte Rede; ohne der vergangenen Dinge
Erwähnung zu tun, sprach er seine Freude anläßlich der neuen Würde aus und
bot Seiner Heiligkeit als treuster Vasall und Diener sein ganzes Vermögen
und seine ganze Macht an.

Der Papst[4] hörte ihn mit außerordentlichem Ernst an und antwortete
schließlich, niemand wünsche mehr als er, daß in Zukunft das Leben und die
Taten des Paolo Giordano Orsini des Geschlechts der Orsini und eines
wahrhaft christlichen Ritters würdig seien, daß sein eigenes Gewissen ihm
am besten sagen werde, wie er früher zum Heiligen Stuhl und zu dessen
Personifizierung dem Papst gestanden sei; daß er indessen sicher sein
könne -- so gern ihm auch alles vergeben sei, was er gegen Felice Peretti
und gegen Felice Kardinal Montalto habe unternehmen können -- niemals
würde ihm verziehen werden, was er etwa in Zukunft gegen den Papst Sixtus
V. unternehmen möchte; daher fordere er ihn hiermit auf, sofort alle
Verbannten und Missetäter zu vertreiben, denen er bis heute Unterschlupf
geboten habe.

Sixtus V. besaß eine besondere Fähigkeit, sich beim Sprechen jedweden
Tones, den er wollte, bedienen zu können; aber wenn er gereizt und drohend
war, hätte man sagen können, daß seine Augen Blitze schleuderten. Sicher
ist, daß Fürst Paolo Orsini, der immer gewöhnt war, daß die Päpste ihn
fürchteten, durch die Sprechweise des Papstes, wie er eine ähnliche nicht
in einem Zeitraum von dreizehn Jahren gehört hatte, so ernstlich zum
Nachdenken angeregt wurde, daß er vom Palast Seiner Heiligkeit schleunigst
zum Kardinal Medici eilte, um ihm zu erzählen, was vorgefallen war. Dann
beschloß er, auf den Rat des Kardinals, ohne den geringsten Aufschub alle
vom Gericht verfolgten Personen auszuweisen, denen er in seinem Palast und
in seinen Staaten Unterkunft gewährt hatte, und er überlegte auch, wie er
selbst schnell irgendeinen ehrenvollen Vorwand finden könnte, sogleich die
Länder zu verlassen, die unter der Macht eines so entschlossenen Papstes
standen.

Man muß wissen, daß Fürst Paolo Orsini außerordentlich umfangreich
geworden war; seine Beine waren dicker als der Körper eines
durchschnittlichen Menschen und das eine dieser ungeheuren Beine war von
der Krankheit befallen, die man la lupa nennt, weil man ihr eine große
Menge frischen Fleisches zuführen muß, welches man auf die leidende Stelle
legt, sonst würden die bösen Säfte -- wenn sie nicht totes Fleisch zu
verzehren bekämen -- sich auf das umliegende gesunde Fleisch werfen.

Der Fürst nahm dieses Übel als Vorwand, um sich in die berühmten Bäder von
Albano, nahe Padua, im Bereich der Republik Venedig, zu begeben; er reiste
mit seiner jungen Gattin Mitte Juni dorthin. Albano war für ihn ein ganz
sicherer Hafen, denn seit vielen Jahren war das Haus Orsini mit der
Republik Venedig durch gegenseitige Dienste verbunden.

In diesem sicheren Lande angekommen, dachte der Fürst Orsini nur daran,
die Annehmlichkeiten eines wechselnden Aufenthalts zu genießen, und er
mietete zu diesem Zweck drei prachtvolle Paläste: den einen in Venedig,
den Palazzo Dandolo in der via della Zecca; den zweiten in Padua, das war
der Palazzo Foscarini auf der prächtigen Arena genannten Piazza; den
dritten wählte er in Salò, an dem reizenden Ufer des Gardasees: dieser
hatte einst der Familie Sforza-Pallavicini gehört.

Die Herren der Republik Venedig vernahmen mit Freude, daß ein solcher
Fürst in ihren Staat kommen wollte und boten ihm sofort eine sehr noble
Condotta an: das bedeutet eine beträchtliche jährliche Rente, die von dem
Fürsten dazu gebraucht werden müßte, ein Korps von zweitausend bis
dreitausend Mann aufzustellen, dessen Kommando er zu übernehmen hatte. Der
Fürst wies das Anerbieten sehr schnell ab; er ließ den Senatoren
antworten: obwohl er sich durch natürliche und von seiner Familie ererbte
Neigung in seinem Herzen zum Dienst der erhabenen Regierung geneigt fühle,
erschiene es ihm doch, da er gegenwärtig an den katholischen König
gebunden sei, nicht passend, eine andere Verpflichtung zu übernehmen. Eine
so entschlossene Antwort brachte etwas Lauheit in die Stimmung der
Senatoren. Zuerst hatten sie beabsichtigt, ihm bei seiner Ankunft in
Venedig im Namen des ganzen Volks einen sehr ehrenvollen Empfang zu
bereiten; auf seine Antwort hin beschlossen sie, ihn einfach wie einen
Privatmann ankommen zu lassen.

Fürst Orsini, der von allem unterrichtet war, faßte den Entschluß,
überhaupt nicht nach Venedig zu gehen. Er war schon in der Nähe Paduas,
machte aber nun einen Bogen und begab sich mit seinem ganzen Gefolge nach
Salò, in das für ihn vorbereitete Haus am Ufer des Gardasees. Er
verbrachte dort den ganzen Sommer unter prächtigen und abwechslungsreichen
Zerstreuungen.

Der Zeitpunkt eines Aufenthaltswechsels war gekommen und der Fürst
unternahm einige kleine Reisen, nach denen es ihm schien, daß er
Anstrengungen nicht mehr so wie früher vertragen könne; er hatte
Befürchtungen für seine Gesundheit und dachte schließlich daran, einige
Tage in Venedig zu verbringen. Doch wurde er durch seine Gattin Vittoria
davon abgebracht, die ihn veranlaßte, den Aufenthalt in Salò zu
verlängern.

Viele haben gedacht, daß Vittoria Accoramboni die Gefahr bemerkt habe, der
das Leben des Fürsten, ihres Gemahls, ausgesetzt war und daß sie ihn nur
veranlaßte in Salò zu bleiben, in der Absicht, ihn später aus Italien
fortzubringen, etwa in irgendeine freie Stadt der Schweiz. Durch dieses
Mittel hätte sie, im Falle der Fürst starb, sowohl ihre Person, als auch
ihr privates Vermögen in Sicherheit gebracht.

Ob solche Voraussetzung begründet war oder nicht, Tatsache ist, daß nichts
von dem geschah; denn der Fürst wurde am zehnten November in Salò von
einem neuen Unwohlsein befallen und hatte gleich die Vorahnung von dem,
was geschehen sollte.

Er hatte Mitleid mit seiner unglücklichen Frau: er sah sie in der
schönsten Blüte ihrer Jugend, arm an Gütern wie an Ansehen, zurückbleiben,
von den regierenden Fürsten Italiens gehaßt, von den Orsini wenig geliebt
und ohne Hoffnung auf eine neue Ehe nach seinem Tode. Wie ein großer Herr
von Treu und Ehre machte er aus eigenem Antrieb ein Testament, in dem er
das Vermögen der Unglücklichen sicherstellen wollte. Er vermachte ihr an
Geld und Juwelen die bedeutende Summe von 100 000 Piastern, außerdem alle
Pferde, Karossen und Möbel, deren er sich auf dieser Reise bediente. Den
Rest seines Vermögens hinterließ er zur Gänze seinem einzigen Sohn,
Virginio Orsini, den ihm seine erste Frau, die Schwester Franz I.
Großherzogs von Toskana, geboren hatte und die er, mit Einwilligung ihrer
Brüder, wegen Untreue hatte ermorden lassen.

Aber wie unsicher die menschliche Voraussicht ist! Die Verfügungen, welche
Paolo Orsini traf, um diese unglückliche junge Frau vollkommen sicher zu
stellen, brachten sie in Verderben und Untergang.

Nachdem er sein Testament unterzeichnet hatte, fühlte sich der Fürst am
zwölften November ein wenig besser. Am Morgen des dreizehnten ließ man ihm
zu[sic! statt wie sonst: ihn zur] Ader, und die Ärzte, die ihre Hoffnung
in eine strenge Diät setzten, trafen die genauesten Anordnungen, damit er
keine Nahrung zu sich nähme.

Aber sie hatten kaum das Zimmer verlassen, als der Fürst verlangte, daß
man ihm das Essen serviere und er aß und trank wie gewöhnlich. Kaum war
die Mahlzeit beendet, verlor er das Bewußtsein und zwei Stunden vor
Sonnenuntergang war er tot.

Nach diesem plötzlichen Tod begab sich Vittoria, von ihrem Bruder Marcello
und dem ganzen Hofstaat des verblichenen Fürsten begleitet, nach Padua, in
den bei der Arena gelegenen Palazzo Foscarini, den der Fürst damals
gemietet hatte.

Kurz nach ihrer Ankunft wurde sie von ihrem Bruder Flaminio aufgesucht,
der beim Kardinal Farnese in vollster Gunst stand. Sie tat gerade damals
Schritte, um die Auszahlung des Legats, das ihr Gatte ihr vermacht hatte,
zu erwirken. Dieses Legat bestand aus 10 000 Piastern in bar, die ihr im
Laufe von zwei Jahren ausgezahlt werden sollten, und zwar unabhängig von
ihrer Mitgift und der Gegengabe und allen Juwelen und Möbeln, die in ihrem
Besitz waren. Fürst Orsini hatte in seinem Testament verfügt, daß man ihr
in Rom oder in einer anderen Stadt, die sie wählte, einen Palast im Werte
von 10 000 Piastern und ein Landhaus im Werte von 6000 kaufen solle;
außerdem hatte er noch vorgeschrieben, daß für ihren Tisch und für ihren
ganzen Hausstand gesorgt werden müsse, wie es einer Frau ihres Ranges
gebühre. Der Dienst sollte aus vierzig Leuten bestehen und einer Anzahl
Pferden.

Signora Vittoria setzte große Hoffnung in die Gunst der Fürsten von
Ferrara, von Florenz und von Urbino und der Kardinäle Farnese und Medici,
welche von dem verstorbenen Fürsten zu seinen Testamentsvollstreckern
ernannt worden waren. Es ist zu bemerken, daß das Testament nach Padua
gesandt und den Kapazitäten Parrizoli und Menochio vorgelegt worden war,
den ersten Professoren dieser Universität und noch heute berühmten
Rechtsgelehrten.

Fürst Luigi Orsini kam nach Padua, um sich dessen zu entledigen, was er in
bezug auf den verstorbenen Fürsten und seine Witwe zu tun hatte und dann
als Statthalter der Insel sich nach Korfu zu begeben, wozu er von der
erhabenen Republik ausersehen worden war.

Zuerst entstand eine Schwierigkeit zwischen Signora Vittoria und dem
Fürsten Luigi wegen der Pferde des verstorbenen Herzogs, von denen der
Fürst meinte, daß sie, dem gewöhnlichen Sprachgebrauch folgend, nicht
eigentlich Gebrauchsgegenstände seien; aber die Herzogin bewies, daß sie
wie eigentliche Gebrauchsgegenstände anzusehen wären und es wurde
beschlossen, daß sie bis zu späterer Entscheidung in ihrer Benützung
bleiben sollten; sie stellte als Bürgen den Signor Soardi di Bergamo,
Condottiere der Signoria von Venedig, einen sehr reichen und zu den
angesehendsten seines Vaterlands zählenden Edelmann.

Es kam noch eine Schwierigkeit hinzu, die eine gewisse Menge
Silbergeschirr betraf, das der verstorbene Herzog dem Fürsten Luigi als
Zahlung für einen Geldbetrag ausgesetzt hatte, der ihm von diesem geliehen
worden war. Alles wurde durch Rechtsspruch entschieden, denn der
durchlauchtigste Herzog von Ferrara verwandte sich dafür, daß die letzten
Anordnungen des verstorbenen Fürsten Orsini genau durchgeführt würden.

Diese zweite Angelegenheit wurde am dreiundzwanzigsten Dezember, der auf
einen Sonntag fiel, entschieden.

In der folgenden Nacht drangen vierzig Männer in das Haus der Accoramboni.
Sie waren in Leinengewänder von ungewöhnlichem Schnitt gekleidet, die so
angelegt waren, daß man sie nicht erkennen konnte, wenn nicht an der
Stimme; und sobald sie sich untereinander riefen, gebrauchten sie gewisse
verabredete Ausdrücke.

Sie suchten zuerst nach der Herzogin, und als sie diese gefunden hatten,
sagte ihr einer von ihnen: "Jetzt heißt es sterben."

Und ohne ihr einen Augenblick zu gewähren, während sie noch bat, sich
ihrem Gott empfehlen zu dürfen, durchbohrte er sie mit einem dünnen Dolch
gerade unter der linken Brust. Der Grausame bewegte den Dolch in allen
Richtungen und fragte die Unglückliche mehrmals dabei, ob er ihr Herz
schon berühre; endlich gab sie den letzten Seufzer von sich. Währenddessen
suchten die anderen nach den Brüdern der Herzogin, von denen einer,
Marcello, sein Leben rettete, weil man ihn nicht im Hause fand, der andre
aber von hundert Stichen durchbohrt wurde. Die Mörder ließen die Toten auf
der Erde, das ganze Haus in Tränen und Klagen zurück, und als sie sich der
Kassette bemächtigt hatten, welche die Juwelen und das Geld enthielt,
verschwanden sie.

Diese Neuigkeit gelangte schnell zu den Behörden von Padua, sie ließen die
Leichen agnoszieren und erbaten von Venedig Verhaltungsmaßregeln.

Während des ganzen Montags war ein ungeheurer Zustrom zum Palast und zur
Kirche der Eremiten, um die Leichen zu sehen. Die Neugierigen waren von
Mitleid bewegt, besonders als sie die Herzogin so schön sahen: sie weinten
über ihr Unglück et dentibus fremebant, und knirschten mit den Zähnen
gegen die Mörder, wie der Chronist sagt; aber man kannte noch nicht ihre
Namen.

Da die Corte auf schwere Indizien hin Verdacht gefaßt hatte, daß die Tat
auf Anstiftung oder wenigstens mit Zustimmung des Fürsten Luigi verübt
worden sei, ließ sie ihn vorladen und als er ins Gericht zu dem sehr
illustren Hauptmann mit einem Gefolge von vierzig Bewaffneten eintreten
wollte, versperrte man ihm die Tür und sagte ihm, daß er nur mit drei oder
vier Leuten hineingehen dürfe. Aber im Augenblick, als diese eintraten,
drängten die andern nach, schoben die Wachen beiseite und traten alle ein.

Als Fürst Luigi vor dem sehr illustren Kapitän stand, beklagte er sich
über eine solche Beleidigung und betonte, daß noch kein souveräner Fürst
eine solche Behandlung erfahren habe. Der sehr illustre Hauptmann fragte,
ob er irgend etwas vom Tod der Signora Vittoria und von dem, was in der
vorangegangenen Nacht geschehen war, wisse; er erklärte, daß er es wisse
und daß er befohlen habe, den Behörden Anzeige zu machen. Man wollte seine
Antwort schriftlich niederlegen; er erwiderte, daß Männer seines Ranges
nicht an diese Förmlichkeit gebunden seien und daß sie auch nicht verhört
werden dürfen.

Fürst Luigi bat um die Erlaubnis, einen Kurier nach Florenz mit einem
Brief an den Fürsten Virginio senden zu dürfen, dem er von dem Verfahren
Mitteilung machen wolle und von dem Verbrechen, das stattgefunden habe. Er
zeigte einen fingierten Brief, der nicht der richtige war und erreichte,
was er verlangte.

Aber der abgesandte Bote wurde vor der Stadt angehalten und sorgfältig
untersucht; man fand den Brief, den Fürst Luigi gezeigt hatte und einen
zweiten, in den Schuhen des Kuriers versteckten; er hatte folgenden
Wortlaut:

          "Dem Herrn Virginio Orsini

    Sehr illustrer Herr,

Wir haben zur Ausführung gebracht, was zwischen uns vereinbart wurde, und
auf solche Art, daß wir den sehr illustren Tondini (scheinbar der Name des
Vorsitzenden der Corte, der den Fürsten einvernommen hatte) gefoppt haben,
und zwar so gut, daß man mich hier für den untadeligsten Menschen von der
Welt hält. Ich habe die Sache persönlich gemacht, versäumt daher nicht,
sofort die Leute zu schicken, von denen Ihr wißt."

Der Brief machte Eindruck auf die Behörden; sie beeilten sich, ihn nach
Venedig zu schicken; auf ihren Befehl wurden die Tore der Stadt
geschlossen und die Mauern Tag und Nacht mit Soldaten besetzt. Man
veröffentlichte einen Erlaß, der jedem die strengsten Strafen androhte,
welcher die Mörder kenne und das was er wisse, nicht der Behörde anzeige.

Diejenigen der Mörder, welche gegen einen der ihren Zeugnis ablegten,
sollten nicht bestraft werden, man würde ihnen sogar eine Summe Geldes
auszahlen. Aber um die siebente Stunde nach dem Ave Maria des
Weihnachtsabends (am vierundzwanzigsten Dezember gegen Mitternacht) langte
Aloisio Bragadino von Venedig mit weitgehender Vollmacht von Seiten des
Senats an und mit dem Befehl, den Fürsten Luigi und sein Gefolge lebend
oder tot, was es auch kosten möge, zu verhaften.

Der Signor Avogador Bragadino, die Hauptleute und der Bürgermeister
vereinigten sich in der Festung.

Unter Androhung des Galgens wurde befohlen, daß die ganze Mannschaft,
Fußtruppen und Berittene, gut bewaffnet das Haus des Fürsten Luigi
einschließen solle, das anstoßend an die Kirche Sant Agostino nahe der
Festung auf der Arena lag.

Als es Tag geworden war, es war der Weihnachtstag, wurde ein Edikt in der
Stadt veröffentlicht, welches die Söhne San Marcos aufforderte, bewaffnet
zum Hause des Signor Luigi zu eilen; die keine Waffen besaßen, sollten zur
Festung kommen, wo man ihnen so viele geben würde, als sie wollten; dieses
Edikt versprach eine Belohnung von zweitausend Dukaten demjenigen, der den
Signor Luigi lebend oder tot der Corte einlieferte und fünfhundert Dukaten
für jeden seiner Leute. Außerdem wurde ein Befehl erlassen, niemand dürfe
sich waffenlos dem Hause des Fürsten nähern, damit er denen, die sich
schlagen wollten, nicht im Wege sei, falls der Fürst es für günstig
hielte, einen Ausfall zu versuchen.

Zu gleicher Zeit brachte man Wallbüchsen, Mörser und schwere Artillerie
auf die alten Mauern, dem Hause des Fürsten gegenüber; ebenfalls auf die
neuen Mauern, von denen man die Rückseite dieses Hauses erblickte. Auf
dieser Seite hatte man auch die Reiterei so aufgestellt, daß sie
Bewegungsfreiheit hatte, falls man ihrer bedurfte. Längs der Ufer der
Brenta war man damit beschäftigt, Bänke, Schränke, Wagen und andre
Gegenstände, die sich zur Deckung eigneten, aufzuhäufen. Man wollte auf
diese Weise Unternehmungen der Belagerten erschweren, wenn sie etwa in
geschlossener Ordnung gegen das Volk vorgehen würden. Diese Brustwehr
sollte auch dazu dienen, die Artilleristen und die Soldaten gegen die
Flintenschüsse der Belagerten zu schützen.

Endlich setzte man noch Barken auf den Fluß, dem Hause des Fürsten
gegenüber und zu dessen beiden Seiten; welche von Bewaffneten mit Musketen
besetzt waren, die den Feind bei einem Ausbruchsversuch beunruhigen
sollten; gleichzeitig wurden in allen Straßen Barrikaden errichtet.

Während dieser Vorbereitungen traf ein Schreiben ein, das in sehr
gemäßigtem Ton gehalten war. In diesem beklagte sich der Fürst, weil man
ihn für schuldig halte und als Feind, ja sogar als Rebell behandle, bevor
man die Angelegenheit geprüft habe. Dieser Brief war von Liveroto verfaßt
worden.

Am 27. Dezember wurden drei Edelleute, die hervorragendsten der Stadt, von
den Behörden zu Fürst Luigi gesandt, welcher bei sich im Hause vierzig
Männer, lauter alte kampfgewohnte Soldaten hatte. Man fand sie damit
beschäftigt, sich hinter einer Brustwehr aus Balken und mit Wasser
getränkten Matten zur Verteidigung einzurichten, und ihre Flinten
vorzubereiten.

Die drei Edelleute erklärten dem Fürsten, daß die Behörden entschlossen
seien, sich seiner Person zu bemächtigen; sie forderten ihn auf, sich zu
ergeben und fügten hinzu, daß er durch diesen Schritt, bevor es noch zum
Angriff gekommen sei, einige Barmherzigkeit erhoffen könne. Worauf Fürst
Luigi antwortete: daß vor allem die Wachen rings um sein Haus entfernt
werden sollten, dann würde er sich von zwei oder drei der Seinen
begleitet, zu den Behörden begeben, um über die Sache zu verhandeln; aber
nur unter der ausdrücklichen Bedingung, daß es ihm immer freistände, sich
in sein Haus zurückzubegeben.

Die Abgesandten übernahmen diese, von seiner Hand geschriebenen Vorschläge
und kehrten zu den Behörden zurück, welche diese Bedingungen zurückwiesen;
hauptsächlich nach dem Rat des sehr illustren Pio Enea und anderer
anwesender vornehmer Herren. Die Abgesandten kehrten zum Fürsten zurück
und kündigten ihm an: wenn er sich nicht einfach und ohne jeden Vorbehalt
ergebe, werde man sein Haus durch Artillerie wegfegen lassen; worauf er
antwortete, daß er den Tod diesem Akte der Unterwerfung vorzöge.

Die Behörden gaben das Signal zum Angriff und obwohl man das Haus fast mit
einer einzigen Salve hätte zerstören können, zog man es vor, zuerst mit
einer gewissen Vorsicht vorzugehen, um zu sehen, ob die Belagerten sich
nicht doch ergeben wollten.

Dieser Ausweg glückte und man hat dadurch San Marco viel Geld erspart, das
der Wiederaufbau der zerstörten Teile des angegriffenen Palastes gekostet
haben würde; indessen wurde er nicht allgemein gebilligt. Hätten die Leute
des Signor Luigi ohne Zögern ihren Entschluß gefaßt und einen Sturm aus
dem Hause gewagt, so wäre die Entscheidung höchst unsicher gewesen. Es
waren alte Soldaten, es fehlte ihnen weder an Munition, noch an Waffen,
noch an Mut, sie hatten das größte Interesse zu siegen, denn war es nicht,
selbst den schlimmsten Fall angenommen, besser für sie, durch einen
Flintenschuß zu sterben, als durch die Hand des Henkers? Übrigens, mit wem
hatten sie es denn zu tun? Mit armseligen Belagerern, wenig erfahren in
den Waffen; und in diesem Fall hätten die edlen Herren ihre Klugheit und
natürliche Milde bereut.

Man begann also die Kolonnaden an der Vorderseite des Palastes zu
beschießen, dann -- immer ein wenig höher zielend -- zerstörte man die
Mauerfront dahinter. Während dieser Zeit unterhielten die Leute aus dem
Innern ein starkes Gewehrfeuer, doch ohne andre Wirkung, als daß ein Mann
aus dem Volk an der Schulter verwundet wurde.

Signor Luigi schrie mit großem Ungestüm: Kampf! Kampf! Krieg! Krieg! Er
war eifrig beschäftigt, Kugeln aus dem Zinn der Schüsseln und aus dem Blei
der Fensterrahmen gießen zu lassen. Er drohte einen Ausfall zu machen,
doch die Belagerer griffen zu neuen Maßnahmen und man ließ Artillerie
schwersten Kalibers vorrücken.

Beim ersten Schuß stürzte ein großes Stück des Hauses zusammen und ein
gewisser Pandolfo Leopratti aus Camerino geriet unter die Trümmer. Das war
ein Mann von großem Mut und ein Bandit von Ruf. Er war aus den Staaten der
Heiligen Kirche verbannt und der illustre Signor Vitelli hatte auf seinen
Kopf einen Preis von vierhundert Piastern gesetzt, aus Anlaß der Ermordung
von Vincenzo Vitelli, der in seinem Wagen angegriffen und durch
Flintenschüsse und Dolchstiche ermordet worden war, die ihm Fürst Luigi
Orsini durch den Arm des genannten Pandolfo und seiner Genossen
verabreichen ließ. Ganz betäubt von seinem Sturz konnte Pandolfo keine
Bewegung machen; ein Bediensteter der Herren Caidi Lista näherte sich ihm,
eine Pistole in der Hand und schnitt ihm tapfer den Kopf ab, den er
eiligst nach der Festung brachte und den Behörden ablieferte.

Kurz darauf brachte ein anderer Artillerietreffer ein Stück Mauerwerk des
Hauses zu Fall und zugleich damit stürzte Graf Montemelino aus Perugia und
starb unter den Trümmern, ganz von dem Geschoß zerschmettert.

Darauf sah man eine Persönlichkeit, genannt Oberst Lorenzo, von edlem
Geschlecht aus Camerino, aus dem Haus treten, einen sehr reichen Herrn,
der bei verschiedenen Gelegenheiten Proben seines Werts gegeben hatte und
vom Fürsten sehr geschätzt wurde. Er beschloß, nicht gänzlich ungerächt zu
sterben, er wollte sein Gewehr abfeuern, aber während er das Rad drehte,
geschah es, vielleicht mit dem Willen Gottes, daß sein Gewehr nicht Feuer
gab und in diesem Augenblick ging ihm eine Kugel durch den Leib. Der Schuß
war von einem armen Teufel getan, einem Repetitor der Schüler von San
Michele. Und als dieser sich nun näherte, um dem Oberst, wegen der
ausgesetzten Belohnung, den Kopf abzuschneiden, kamen ihm andre zuvor, die
schneller und vor allem stärker waren als er, nahmen die Börse, den
Gürtel, die Flinte, das Geld und die Ringe des Obersten und schnitten das
Haupt ab.

Diejenigen, in welche Fürst Luigi das größte Vertrauen gesetzt hatte,
waren tot; er blieb sehr bestürzt, und man konnte beobachten, daß er keine
Bewegung mehr machte.

Signor Filenfi, sein Haushofmeister und Sekretär, machte vom Balkon aus
Zeichen mit einem weißen Taschentuch, daß er sich ergeben wolle. Er kam
heraus und wurde nach der Festung geführt: "unter dem Arm", wie es
Kriegsgebrauch sein soll; durch Anselmo Suardo, Leutnant der Polizei. Er
wurde sogleich verhört und sagte, daß er keine Schuld an den Geschehnissen
habe, weil er erst am Weihnachtsabend von Venedig gekommen sei, wo er sich
mehrere Tage in Angelegeheiten[sic! statt: Angelegenheiten] des Fürsten
aufgehalten habe.

Man fragte ihn, wieviel Leute der Fürst bei sich habe; er antwortete:
"zwanzig oder dreißig Mann."

Man fragte nach ihren Namen, er sagte, daß acht oder zehn von ihnen, als
Standespersonen gleich ihm an der Tafel des Fürsten speisten und daß er
deren Namen wisse, doch besäße er von den anderen, die ein unstetes Leben
führten und erst seit kurzem beim Fürsten eingetreten wären, keine nähere
Kenntnis.

Er nannte dreizehn Personen, darunter den Bruder von Liveroto.

Kurz darauf begann die Artillerie auf den Stadtmauern zu spielen. Die
Soldaten besetzten die Häuser, die an den Palast des Fürsten grenzten, um
die Flucht seiner Leute zu verhindern. Der Fürst, der in gleicher Gefahr
gewesen war, wie jene, deren Tod wir erzählt haben, sagte denen, die ihn
umgaben, sie möchten ausharren, bis sie ein Schreiben von seiner Hand und
ein bestimmtes Zeichen gesehen hätten; danach ergab er sich dem schon
erwähnten Anselmo Suardo. Und weil man ihn wegen der Menschenmassen und
der in den Straßen errichteten Barrikaden nicht wie es vorgeschrieben war,
im Wagen abführen konnte, wurde beschlossen, daß er zu Fuß ginge.

Er ging, umgeben von den Leuten des Marcello Accoramboni; ihm zu Seiten
waren die Herren Condottieri, der Leutnant Suardo, andre Spitzen und
Edelleute der Stadt, alle wohl mit Waffen versehen. Daran schloß gut eine
Kompagnie Bewaffneter und Stadtsoldaten. Fürst Luigi ging braun gekleidet,
sein Stilett an der Seite und seinen Mantel unter dem Arm, ihn in
elegantester Weise tragend; er sagte mit einem Lächeln voller Verachtung:
"Wenn ich gekämpft hätte!" Er wollte beinahe zu verstehen geben, daß er
den Sieg davongetragen hätte. Vor die Signoria geführt, grüßte er und
sagte, auf Signor Anselmo weisend:

"Meine Herren, ich bin der Gefangene dieses Edelmannes und bin sehr
ungehalten über das, was ohne mein Darzutun geschehen ist."

Als ihm auf Befehl des Kapitäns das Stilett, das er an der Seite trug,
abgenommen wurde, lehnte er sich an die Fensterbrüstung und begann sich
mit einer kleinen Schere, welche dort lag, die Nägel zu schneiden.

Man fragte ihn, welche Personen er in seinem Hause hätte; er nannte unter
den andren den Obersten Liveroto und den Grafen Montemelino, von denen
schon die Rede war, und sagte, daß er für den einen von ihnen zehntausend
Piaster und für den andern sogar sein Blut hingäbe, könnte er sie
freikaufen. Er forderte, an einem Ort in Gewahrsam gehalten zu werden, wie
es einem Manne seiner Stellung zukomme. Als man sich darüber geeinigt
hatte, schrieb er seinen Leuten eigenhändig und befahl ihnen, sich zu
ergeben; seinen Ring legte er als Zeichen bei. Er sagte dann Signor
Anselmo, daß er ihm seinen Degen und seine Flinte schenke und bat ihn,
wenn diese Waffen in seinem Hause gefunden würden, sich ihrer ihm zu Ehren
zu bedienen, da es Waffen eines Edelmanns seien und nicht die eines
gewöhnlichen Soldaten.

Die Soldaten drangen in sein Haus, durchsuchten es mit Sorgfalt, und auf
der Stelle ließ man die Leute des Fürsten antreten, von denen noch
vierunddreißig am Leben waren, dann wurden sie, zwei und zwei, in das
Gefängnis des Palastes geführt. Die Toten wurden den Hunden zur Beute
gelassen und man beeilte sich, von all dem in Venedig Rechenschaft
abzulegen.

Man bemerkte, daß viele Soldaten des Fürsten Luigi, Komplizen der Tat,
nicht zu finden waren; man verbot, ihnen Schutz zu gewähren, und
Zuwiderhandelnden sollten die Häuser zerstört und ihre Güter konfisziert
werden; wer sie denunzieren würde, sollte fünfzig Piaster erhalten. Auf
diese Weise fand man ihrer mehrere.

Man schickte eine Fregatte von Venedig nach Kandia aus, mit dem Befehl für
Signor Latino Orsini, daß er unverzüglich wegen einer Angelegenheit von
höchster Wichtigkeit zurückkehren möge; und man glaubt, daß er seine
Stellung verlieren wird.

Gestern früh, am Tage des heiligen Stephan, erwartete alle Welt den
Fürsten Luigi sterben zu sehen oder zu hören, daß er im Gefängnis erwürgt
worden sei; und man war allgemein überrascht, daß es anders geschah, weil
er doch kein Vogel wäre, den man lang im Käfig halten dürfte. Aber in der
folgenden Nacht fand der Prozeß statt und am Tage von San Giovanni, ein
wenig vor Sonnenaufgang, erfuhr man, daß der Herr erdrosselt worden und in
sehr guter Haltung gestorben sei. Sein Leichnam wurde ohne Verzug in die
Kathedrale gebracht, vom Klerus dieser Kirche und von den Jesuitenvätern
geleitet. Er blieb den ganzen Tag über auf einem Tisch in der Mitte der
Kirche aufgebahrt, um dem Volk als Schauspiel zu dienen und den
Unerfahrenen zur Lehre.

Am nächsten Morgen wurde die Leiche nach Venedig überführt, wie der Fürst
es in seinem Testament angeordnet hatte; und dort wurde er begraben.

Am Samstag hängte man zwei seiner Leute; der erste und vornehmere war
Furio Savorgnano, der andre war ein gemeiner Mann.

Am Montag, dem vorletzten Tag des Jahrs, hängte man noch dreizehn, von
denen mehrere sehr vornehm waren; zwei weitere, der eine war der Kapitän
Splendiano und der andre der Graf Paganello, wurden auf den Richtplatz
geführt und dabei leicht mit Zangen gezwickt; auf der Richtstätte
angelangt, wurden sie niedergeschlagen, man brach ihnen den Schädel und
schnitt sie noch fast lebendig in Stücke. Es waren Edelleute, und bevor
sie auf den schlechten Weg gerieten, sehr reich. Man sagt, daß es Graf
Paganello war, der Vittoria Accoramboni so grausam getötet habe, wie wir
es berichtet haben. Andre hielten dem entgegen, daß Fürst Luigi in seinem
aufgefangenen Brief bezeugt, daß er die Tat mit eigner Hand ausgeführt
habe. Vielleicht war es nur Ruhmsucht wie damals in Rom, als er Vitelli
ermorden ließ, oder geschah wohl auch, um sich die Gunst des Fürsten
Virginio noch mehr zu sichern.

Bevor Graf Paganello den tödlichen Stoß erhielt, wurde er mit einem Messer
wiederholt unter der linken Brust durchbohrt, um sein Herz zu treffen, so
wie er es der armen Frau gemacht hatte. Dabei geschah es, daß das Blut wie
ein Strom aus der Brust floß. Er lebte so noch länger als eine halbe
Stunde, zum großen Staunen aller. Er war ein Mann von fünfundvierzig
Jahren, von sehr kräftiger Natur.

Die Galgen sind noch gerichtet, um die neunzehn Übriggebiebenen[sic!
statt: Übriggebliebenen] am ersten Tag, der kein Festtag sein wird, ins
Jenseits zu befördern. Aber weil der Henker außerordentlich ermüdet ist
und das Volk wie in Betäubung, weil es so viele Tote gesehen hat,
verschiebt man die Hinrichtung während dieser zwei Tage. Man denkt nicht
daran, irgend jemand leben zu lassen. Von den Leuten, die zum Fürsten
gehörten, wird wohl niemand davonkommen, höchstens Signor Filenfi, sein
Haushofmeister, der sich die größte Mühe von der Welt gibt, denn die Sache
ist ja wirklich für ihn wichtig, um zu beweisen, daß er nichts mit der Tat
zu tun hatte.

Selbst von den Ältesten dieser Stadt Padua erinnert sich niemand, daß man
je durch ein gerechteres Urteil so vielen Menschen auf einmal ans Leben
gegangen ist. Und diese Herren von Venedig haben sich damit einen guten
Namen und Ruf bei den zivilisierten Völkern erworben.

       *       *       *       *       *

Von anderer Hand hinzugefügt:

Der Sekretär und Haushofmeister Francesco Filenfi wurde zu fünfzehn Jahren
Gefängnis verurteilt. Der Mundschenk Onorio Adami von Fermo, ebenso wie
zwei andere zu einem Jahr Gefängnis, sieben andre wurden zur Galeere mit
Ketten an den Füßen verurteilt und schließlich freigelassen.




DIE ÄBTISSIN VON CASTRO

ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL

I.


Die italienischen Briganten des sechzehnten Jahrhunderts hat uns das
Melodrama so oft gezeigt, und soviele Leute haben von ihnen gesprochen,
ohne sie zu kennen, daß wir uns heute eine ganz falsche Vorstellung von
ihnen machen. Man kann im allgemeinen sagen, daß diese Briganten den
Widerstand gegen die unmenschlichen Regierungen ausdrückten, welche in
Italien auf die Republiken des Mittelalters gefolgt waren. Der neue
Tyrann, gewöhnlich schon der reichste Bürger der Republik, bevor er sie
stürzte, schmückte, um das Volk zu gewinnen, die Stadt mit prächtigen
Kirchen und mit schönen Gemälden. Von solcher Art waren die Polentini von
Ravenna, die Manfredi von Faenza, die Riario von Imola, die Visconti von
Mailand die Bentivoglio von Bologna und endlich die Medici von Florenz,
die am wenigsten kriegerischen und heuchlerischsten von allen. Unter den
Historikern dieser kleinen Staaten ist keiner, der es gewagt hätte, von
den unzähligen Vergiftungen und Morden zu erzählen, welche von der
quälenden Angst dieser kleinen Tyrannen veranlaßt worden sind; jene
würdigen Historiker waren in ihrem Sold. Man erwäge, daß jeder dieser
Tyrannen jeden dieser Republikaner, von denen er sich persönlich gehaßt
wußte, persönlich kannte, -- Cosimo, Großherzog von Toskana z.B. kannte
Sforza --, und daß mehrere dieser Tyrannen ermordet worden sind: dann wird
man den tiefen Haß, das dauernde Mißtrauen verstehen, woraus den
Italienern des sechzehnten Jahrhunderts soviel Geist und Mut erwuchs und
ihren Künstlern soviel Genie. Man wird sehen, daß diese heftigen
Leidenschaften das Entstehen jenes lächerlichen Vorurteils verhinderten,
das zur Zeit Madame de Sévignés Ehre genannt wurde und vor allem darin
besteht, sein Leben für den Herrn zu opfern, als dessen Untertan man
geboren ist, oder um den Damen zu gefallen. Im sechzehnten Jahrhundert
konnten sich in Frankreich die Tatkraft eines Mannes und sein wahres
Verdienst nur durch Tapferkeit auf dem Schlachtfeld oder im Zweikampf
zeigen; aber da auch Frauen die Tapferkeit und vor allem die Tollkühnheit
lieben, sind sie darin die höchsten Richter geworden. Von da an entstand
der Geist der Galanterie, der die allmähliche Vernichtung aller
Leidenschaften, ja selbst der Liebe vorbereitete; zugunsten der Eitelkeit,
dieses grausamen Tyrannen, dem wir alle gehorchen. Die Könige förderten
die Eitelkeit, und mit Recht: deshalb die Herrschaft der Ordenssterne.

In Italien zeichnete sich ein Mann durch alle Arten von Leistung aus,
ebenso durch starke Degenstöße, wie durch Entdeckungen aus alten
Handschriften: man sehe Petrarca, den Abgott seiner Zeit; und eine Frau
des sechzehnten Jahrhunderts vermochte einen Mann, der im Griechischen
erfahren war, ebenso und heftiger zu lieben, als einen durch kriegerische
Tapferkeit Berühmten. Damals erlebte man die Leidenschaften und nicht
Gewohnheit der Galanterie. Das ist der große Unterschied zwischen Italien
und Frankreich, und das ist es, weshalb Italien die Raffael, Giorgione,
Tizian, Correggio gebar, während Frankreich alle jene tapfren
Truppenführer des sechzehnten Jahrhunderts hervorbrachte, die heute so
unbekannt sind, obgleich doch jeder von ihnen eine so große Anzahl Feinde
getötet hat. Ich bitte für diese groben Wahrheiten um Verzeihung.

Wie dem aber auch sei, die grausamen und notwendigen Racheakte der kleinen
italienischen Tyrannen des Mittelalters versöhnten das Herz des Volks mit
den Briganten. Man haßte die Briganten, wenn sie Pferde, Getreide, Geld,
mit einem Wort alles, was ihnen zum Leben notwendig war, stahlen, aber im
Grund war das Gefühl des Volks für sie, und die Dorfmädchen zogen allen
andren jungen Leuten den vor, der sich einmal in seinem Leben genötigt
gesehen hatte: "d'andar alla macchia", das heißt: in die Wälder zu fliehen
und wegen einer zu unvorsichtigen Tat bei den Räubern Zuflucht zu suchen.

Noch heute fürchtet man sich sicherlich allgemein, den Briganten zu
begegnen, aber wenn sie in Ketten gelegt werden, bedauert sie jedermann.
Das kommt daher, daß dieses so bewegliche, spöttische Volk, das über alles
lacht, was unter der Zensur seiner Herrn veröffentlicht wird, jene kleine
romantischen Geschichten, die mit Wärme das Leben der Briganten schildern,
zu seiner ständigen Lektüre gewählt hat. Was es Heroisches in diesen
Schilderungen gibt, entzückt den künstlerischen Nerv, der immer in den
unteren Klassen lebt, und außerdem ist es so ermüdet von dem offiziellen
Lob, das gewissen Leuten gespendet wird, daß alles, was nicht in dieser
Art ist, ihm unmittelbar zu Herzen geht. Man muß wissen, daß das niedere
Volk in Italien unter gewissen Dingen leidet, die dem Fremden niemals
auffallen, wenn er auch zehn Jahre im Lande lebte. Vor fünfzehn Jahren zum
Beispiel, bevor noch die Weisheit der Regierungen die Briganten
unterdrückt hatte[5], konnte man nicht selten sehen, wie ihre Heldentaten
die Schändlichkeiten der Statthalter in den kleinen Städten bestraften.
Diese Statthalter hatten unumschränkte Regierungsgewalt, aber ihr Gehalt
überstieg nicht die Summe von zwanzig Talern im Monat, und so waren sie
natürlich zu Diensten der angesehensten Familie des Landes, welche durch
dieses einfache Mittel ihre Feinde unterdrückte. Wenn es den Briganten
auch nicht immer glückte, diese kleinen despotischen Statthalter zu
bestrafen, hielten sie sie wenigstens zum Besten und boten ihnen Trotz,
was in den Augen dieses spirituellen Volks nicht gering gilt. Ein
satyrisches Sonett tröstet es in allen Leiden und niemals vergißt es eine
Beleidigung. Dies ist wieder einer der Hauptunterschiede zwischen dem
Italiener und dem Franzosen.

Hatte im sechzehnten Jahrhundert der Gouverneur eines Orts einen armen
Einwohner, der sich den Haß einer einflußreichen Familie zugezogen hatte,
zum Tode verurteilt, so geschah es oft, daß Briganten das Gefängnis
angriffen, um den Bedrängten zu befreien. Anderseits hatte die mächtige
Familie nicht viel Zutrauen zu den acht oder zehn Soldaten der Regierung,
die beauftragt waren, das Gefängnis zu bewachen, und sie warb auf eigene
Kosten einen Trupp Gelegenheitssoldaten an. Diese Soldaten wurden bravi
genannt; sie biwakierten in der Umgebung des Gefängnisses und übernahmen
es, den armen Teufel, dessen Tod man erkauft hatte, bis zum Richtplatz zu
begleiten. Wenn diese mächtige Familie einen jungen Mann zu den ihren
zählte, so stellte er sich an die Spitze dieser militärischen
Improvisation.

Ich muß zugestehen, daß dieser Zustand durchaus gegen die Moral ist; heute
hat man das Duell und die Langeweile, und die Richter verkaufen sich
nicht; aber diese Sitten des sechzehnten Jahrhunderts waren höchst
geeignet, Männer hervorzubringen, die dieses Namens würdig waren.

Viele Geschichtsschreiber, heute noch gedankenlos von der Literatur der
Akademien gelobt, hatten versucht, diesen Stand der Dinge, der um 1550 so
große Charaktere hervorbrachte, zu verheimlichen. Zu ihrer Zeit wurden
ihre vorsichtigen Lügen mit allen den Ehrungen entlohnt, welche die Medici
von Florenz, die Este von Ferrara, die Vizekönige von Neapel und andre zu
vergeben hatten. Ein armer Historiker, namens Gianone, hat einen Zipfel
des Schleiers lüpfen wollen; aber weil er nur einen sehr kleinen Teil der
Wahrheit sich zu sagen getraute und noch dazu in zweifelhafter und dunkler
Form, ist er sehr langweilig geblieben, was ihn nicht davor bewahrt hat,
am 7. März 1758 mit zweiundachtzig Jahren im Gefängnis zu sterben.

Wenn man die Geschichte Italiens kennenlernen will, darf man nicht die
allgemein beliebten Autoren lesen, denn nirgends war der Preis der Lüge
besser bekannt, nirgends wurde sie besser bezahlt.

Die ersten Berichte, die man in Italien nach der barbarischen Zeit des
neunten Jahrhunderts verfaßt hat, erwähnen schon die Briganten und
sprechen von ihnen, als ob sie seit undenklichen Zeiten existiert hätten.
Man lese die Sammlung Muratori. Als zum Unglück für das öffentliche Wohl,
die Gerechtigkeit und eine gute Verwaltung, aber zum Glück für die Künste
die Republiken des Mittelalters unterdrückt wurden, flüchteten die
tatkräftigsten Republikaner, die die Freiheit mehr als die Mehrzahl ihrer
Mitbürger liebten, in die Wälder. Natürlich begann das Volk, das durch die
Baglioni, Malatesta, Bentivoglio, Medici usf. bedrückt wurde, deren Feinde
zu lieben und zu ehren. Die Grausamkeiten der kleinen Tyrannen, welche auf
die ersten Usurpatoren folgten, z.B. die Grausamkeiten des Cosimo, ersten
Großherzogs von Florenz, der sogar die nach Venedig und Paris geflüchteten
Republikaner ermorden ließ, vermehrten die Reihen dieser Briganten immer
neu. Etwa zur Zeit, als unsre Heldin lebte, also um das Jahr 1550,
leiteten Alfonso Piccolomini, Herzog von Monte Mariano, und Marco Sciarra
mit Erfolg bewaffnete Banden, welche in der Umgebung von Albano die damals
sehr tapfren Soldaten des Papstes hart bedrängten. Die Unternehmungen
dieser berühmten Anführer, welche noch heute das Volk bewundert, dehnen
sich vom Po und von den Sümpfen bei Ravenna bis zu den Wäldern aus, die
damals den Vesuv bedeckten. Der Wald von Faggiola, fünf Meilen von Rom,
auf der Straße nach Neapel gelegen, war berühmt als das Hauptquartier des
Sciarra, der unter Gregors XIII. Pontifikat oft einige tausend Soldaten
beisammen hatte. Die Geschichte dieses berühmten Briganten würde in den
Augen der gegenwärtigen Generation unglaubwürdig erscheinen, weil man
niemals die Motive seiner Handlungen verstehen würde. Er wurde erst im
Jahre 1592 besiegt. Als seine Sache verzweifelt stand, unterhandelte er
mit der Republik Venedig und trat mit seinen treuesten oder, wenn man
will, schuldigsten Soldaten in ihren Dienst. Auf die Beschwerden Roms hin
ließ Venedig, obgleich es einen Vertrag mit Sciarra unterzeichnet hatte,
ihn ermorden und schickte seine tapferen Soldaten zur Verteidigung der
Insel Kandia gegen die Türken. Denn die venezianische[sic! sonst
einheitlich: venetianische] Weisheit wußte sehr wohl, daß eine mörderische
Pest in Kandia wütete, und binnen einigen Tagen waren die fünfhundert
Soldaten, die Sciarra in den Dienst der Republik gestellt hatte, auf
siebenundsechzig Mann zusammengeschmolzen.

Dieser Wald von Faggiola, dessen gigantische Bäume einen alten Vulkan
bedeckten, war der letzte Schauplatz der Heldentaten Marco Sciarras. Alle
Reisenden werden bestätigen, daß dies der herrlichste Ort der wunderbaren
römischen Campagna ist, deren düsteres Aussehen wie für eine Tragödie
geschaffen scheint. Er krönt mit seinem dunklen Laub die Gipfel des Monte
Albano.

Einem vulkanischen Ausbruch, Jahrtausende vor der Gründung Roms, verdanken
wir dieses prachtvolle Gebirge. Zu einer Zeit, die weit vor jeder
Geschichte liegt, erhob es sich aus der weiten Ebene, die ehemals zwischen
Apennin und Meer gebreitet war. Der Monte Cave, vom düsteren Laub der
Faggiola umkränzt, ist sein höchster Gipfel; man sieht ihn von überall,
von Terracina und von Ostia wie von Rom und Tivoli, und es ist dieses
Albanergebirge, das jetzt von Palästen übersät den berühmten Horizont Roms
gegen Süden abschließt. Auf dem Gipfel des Monte Cave hat ein Kloster der
schwarzen Brüder den Tempel des Jupiter Feretrinus ersetzt, zu dem die
latinischen Völker kamen, um gemeinsam zu opfern und das Band einer Art
religiösen Vertrages fester zu schließen. Unter dem Schutz prächtiger
Kastanien gelangt der Wanderer in einigen Stunden zu den ungeheuren
Blöcken, welche die Ruinen des Jupitertempels bilden; aber aus diesem
tiefen Schatten, der so köstlich in solchem Klima ist, sieht der Reisende
selbst heute noch mit Unruhe in das Innere das Waldes; er hat Furcht vor
den Briganten. Auf dem Gipfel des Monte Cave angelangt, zündet man in den
Ruinen des Tempels Feuer an, um die Speisen zu bereiten. Von diesem Punkt,
der die ganze römische Campagna beherrscht, sieht man im Westen das Meer,
das nur zwei Schritt weit zu sein scheint, obgleich es drei oder vier
Meilen entfernt ist; man unterscheidet die kleinsten Boote, und mit einem
ganz schwachen Glas kann man die Menschen zählen, die bei Neapel auf das
Dampfschiff steigen. Nach allen Seiten breitet sich der Blick über eine
herrliche Ebene aus, die gegen Osten vom Apenin, im Süden von Palestrina
und nordwärts von San Pietro und den andren großen Bauwerken Roms begrenzt
ist. Da der Monte Cave nicht sehr hoch ist, unterscheidet das Auge die
geringsten Kleinigkeiten dieses erhabenen Landes, das keine geschichtliche
Verherrlichung brauchte, während dennoch jedes Gehölz, jeder
Mauerüberrest, den man in der Ebene oder auf den Abhängen der Berge
erblickt, eine jener durch Vaterlandsliebe und Tapferkeit bewundernswerten
Schlachten ins Gedächtnis ruft, von denen Titus Livius spricht.

Um zu den riesigen Felsblöcken, den Überresten des Jupiter
Feretrinus-Tempels zu gelangen, welche die Mauer des Klosters der
schwarzen Mönche bilden, kann man noch heute die Via triumphalis
verfolgen, auf der einst die ersten Könige Roms eingezogen sind. Sie ist
mit ganz regelmäßig behauenen Steinen gepflastert, und man findet mitten
im Wald von Faggiola lange Fragmente davon.

Am Rande des erloschenen Kraters, der jetzt mit durchsichtig klarem Wasser
gefüllt zu dem hübschen, fünf bis sechs Meilen im Umfang zählenden See von
Albano geworden ist, lag tief eingebettet in den Lavafels 'Alba, die
Mutter Roms', schon zur Zeit der ersten Könige von der römischen Politik
zerstört. Jedoch seine Ruinen sind noch vorhanden. Einige Jahrhunderte
später erhob sich Albano, die heutige Stadt, eine Viertelmeile von Alba am
Hang des Berges, der dem Meere zu liegt; aber Albano ist vom See durch
eine Felswand geschieden, welche den See der Stadt und die Stadt dem See
verbirgt. Von der Ebene aus heben sich ihre weißen Gebäude vom tiefen Grün
des Waldes ab, der so berühmt und den Briganten so teuer ist und der von
allen Seiten das vulkanische Gebirge umkränzt.

Albano, das heute fünftausend bis sechstausend Einwohner zählt, hatte im
Jahre 1540 höchstens dreitausend, als zu den ersten Geschlechtern die
mächtige Familie Campireali gehörte, deren unglückliches Schicksal wir
erzählen werden.

Ich berichte diese Geschichte nach zwei umfangreichen Manuskripten, das
eine römisch und das andre aus Florenz. Zu meiner großen Gefahr habe ich
gewagt, ihren Duktus wiederzugeben, der fast der gleiche ist wie der
unsrer alten Legenden. Aber der feine und gemessene Stil der heutigen Zeit
würde, wie mir scheint, zu wenig im Einklang mit den Geschehnissen stehen
und gar mit den Betrachtungen der Chronisten. Sie schrieben um das Jahr
1598. Ich erbitte die Nachsicht des Lesers für sie wie auch für mich.



II.


"Nach so vielen tragischen Geschichten", sagt der Schreiber der
florentinischen Handschrift, "werde ich mit der schließen, welche mir am
schmerzlichsten zu erzählen ist. Ich werde von Helena von Campireali
sprechen, der allzubekannten Äbtissin des Klosters der Heimsuchung in
Castro, deren Prozeß und Tod solches Aufsehen in der ersten Gesellschaft
Roms, ja ganz Italiens erregt hat. Schon um 1555 beherrschten die
Briganten die Umgebung Roms, und die Regierungsbeamten hatten sich den
mächtigen Familien verkauft." Im Jahre 1572, welches das des Prozesses
war, bestieg Gregor XIII. Buoncompagni den Stuhl von San Pietro. Dieser
heilige Papst vereinte alle apostolischen Tugenden, aber man konnte seiner
weltlichen Leitung ein wenig Schwäche vorwerfen: er verstand weder
ehrenfeste Richter zu wählen, noch die Briganten zu unterdrücken; er
jammerte über die Verbrechen und wußte sie nicht zu bestrafen. Es schien
ihm, daß er sich mit einer entsetzlichen Verantwortung beladen würde, wenn
er die Todesstrafe verhängte. Die Folge dieser Art, die Dinge zu sehen,
war, daß die Straßen, die nach der ewigen Stadt führten, von zahllosen
Briganten bevölkert wurden. Um mit einiger Sicherheit zu reisen, mußte man
Freund der Räuber sein. Der Wald von Faggiola, zu beiden Seiten der von
Neapel über Albano führenden Landstraße, war seit langem das Hauptquartier
einer Seiner Heiligkeit feindlichen Räuberschaft, und Rom war öfters
gezwungen, wie von Macht zu Macht, mit Marco Sciarra, einem der Könige des
Waldes, zu unterhandeln. Die Stärke dieser Briganten lag darin, daß sie
von ihren Nachbarn, den Bauern geliebt und geschützt wurden.

"In dem hübschen Städtchen Albano, so nahe dem Hauptquartier der
Briganten, wurde Helena di Campireali im Jahre 1542 geboren. Ihr Vater
galt für den reichsten Patrizier des Landes und in dieser Eigenschaft
hatte er Vittoria Carafa geheiratet, welche große Liegenschaften im
Königreich Neapel besaß. Ich könnte einige Greise anführen, die noch leben
und Vittoria Carafa und ihre Tochter gut gekannt haben. Vittoria war ein
Muster von Klugheit und Geist, aber trotz all ihrer Begabung vermochte sie
nicht dem Untergang ihrer Familie vorzubeugen. Es ist sonderbar: die
entsetzlichen Schicksalsschläge, welche den traurigen Stoff meiner
Erzählung bilden, können, wie mir scheint, keiner der handelnden Personen,
die ich dem Leser vorstellen werde, im einzelnen zur Last gelegt werden:
ich sehe Unglückliche, jedoch kann ich keine Schuldigen finden. Die
ungewöhnliche Schönheit und die zärtliche Seele der jungen Helena bildeten
eine große Gefahr für sie und eine Entschuldigung für ihren Geliebten
Giulio Branciforte; wie ebenso der vollkommene Mangel an Geist des
Monsignore Cittadini, Bischof von Castro, ihn bis zu einem gewissen Grad
entschuldigen kann. Er verdankte seinen raschen Emporstieg auf der Leiter
der geistlichen Ehren sowohl der Rechtlichkeit seiner Führung, wie
besonders aber seinem edlen Äußern und einem Antlitz, das so regelmäßig
schön war, wie man es selten findet. Ich finde geschrieben, daß man ihn
nicht sehen konnte, ohne ihn zu lieben.

Da ich niemandem schmeicheln will, werde ich nicht verschweigen, daß ein
heiliger Mönch des Klosters Monte Cave, der oft in seiner Zelle, gleich
dem heiligen Paulus, einige Fuß über dem Erdboden schwebend überrascht
worden ist, ohne daß ihn etwas andres als die göttliche Gnade in dieser
ungewöhnlichen Stellung hätte halten können, dem Herrn von Campireali
prophezeit hatte, daß seine Familie mit ihm aussterben und er nur zwei
Kinder haben würde, denen beiden ein gewaltsamer Tod bevorstand. Auf Grund
dieser Weissagung konnte er im Lande selbst keine Frau finden und ging
nach Neapel, um sein Heil zu versuchen, wo er das Glück hatte, großen
Reichtum und eine Frau zu finden, deren Genie fähig gewesen wäre, seine
böse Bestimmung zu ändern, wenn so etwas überhaupt möglich gewesen wäre.
Dieser Signor Campireali galt für einen sehr ehrenhaften Mann und war sehr
wohltätig, aber er besaß gar keinen Geist; deshalb zog er sich nach und
nach ganz aus Rom zurück und brachte schließlich fast das ganze Jahr in
seinem Palast in Albano zu. Er widmete sich der Pflege seiner Ländereien,
die in der reichen Ebene lagen, welche sich zwischen der Stadt und dem
Meer ausbreitet. Durch den Rat seiner Frau bewogen, ließ er seinem Sohn
Fabio, einem auf seine Geburt sehr stolzen Jüngling, und seiner Tochter
Helena, deren wunderbare Schönheit man noch auf einem Bildnis der Galerie
Farnese sehen kann, die vortrefflichste Erziehung geben. Bevor ich
begonnen hatte ihre Geschichte zu schreiben, bin ich in den Palazzo
Farnese gegangen, um die sterbliche Hülle zu betrachten, die der Himmel
dieser Frau verlieh, deren verhängnisvolles Schicksal einst so viel
Aufsehen machte und noch heute im Gedächtnis des Volkes fortlebt.

Die Form ihres Kopfes ist ein längliches Oval, die Stirne ist sehr hoch,
die Haare sind dunkelblond. Der Ausdruck ihres Gesichts ist eher heiter;
sie hatte große, sehr ausdrucksvolle Augen, und ihre kastanienfarbenen
Augenbrauen bildeten einen vollendet geschwungenen Bogen. Die Lippen sind
ganz schmal und es sieht aus, als wären die Konturen ihres Mundes von dem
berühmten Correggio gezogen. Inmitten der Bildnisse, die sie in der
Galerie Farnese umgeben, sieht sie wie eine Königin aus; es ist selten,
daß Majestät mit Heiterkeit vereint ist.

Nachdem sie acht volle Jahre im Kloster der Heimsuchung in der Stadt
Castro zugebracht hatte, wohin man damals die Töchter der meisten
römischen Fürsten schickte, kehrte Helena zu ihren Eltern zurück; aber sie
verließ das Kloster nicht, ohne für den Hochaltar der Kirche einen
prächtigen Kelch gestiftet zu haben. Kaum war sie nach Albano
zurückgekehrt, ließ ihr Vater um erheblichen Gehalt den berühmten, damals
schon sehr alten Dichter Cecchino kommen, der Helenas Gedächtnis mit den
schönsten Versen des göttlichen Virgil erfüllte und seiner großen Schüler
Petrarca, Ariost und Dante."

Hier fühlt sich der Erzähler gezwungen, eine lange Auseinandersetzung über
die verschiedenen Ehrenbezeugungen zu übergehen, welche das sechzehnte
Jahrhundert diesen großen Dichtern darbrachte. Es scheint, daß Helena
Latein verstand. Die Verse, welche man sie lehrte, sprachen von Liebe, und
zwar von einer Liebe, welche uns recht lächerlich vorkäme, wenn wir ihr
heute begegneten; ich meine die leidenschaftliche Liebe, welche der
größten Opfer bedarf, welche nur von Geheimnis umgeben bestehen kann und
der stets das schrecklichste Unheil nah ist.

Dies war die Liebe, welche Giulio Branciforte der kaum siebzehnjährigen
Helena einzuflößen verstand. Er war einer ihrer Nachbarn und sehr arm; er
bewohnte ein armseliges kleines Haus am Berg, eine Viertelmeile von der
Stadt, inmitten der Ruinen von Alba, am Rande des grünbewachsenen,
hundertfünfzig Fuß tiefen Trichters, der den See einschließt. Dieses Haus,
welches im tiefen, prachtvollen Schatten des Waldes von Faggiola lag, ist
zerstört worden, als man das Kloster von Palazzuola baute. Dieser arme
junge Mann hatte nichts für sich als seine lebhaft leichte Art und die
wirkliche Unbekümmertheit, mit der er sein trauriges Los trug. Was man
noch zu seinen Gunsten sagen konnte, ist, daß sein Gesicht ausdrucksvoll
war, ohne schön zu sein. Aber es hieß von ihm, daß er sich unter dem
Befehl des Fürsten Colonna und als einer von dessen bravi in zwei oder
drei höchst gefährlichen Unternehmen tapfer geschlagen hätte.

Trotz seiner Armut und trotzdem ihm die Schönheit fehlte, besaß er doch
nicht wenig in den Augen aller jungen Mädchen von Albano: ein tapfres
Herz, das zu gewinnen ihrer aller größter Ehrgeiz war. Überall gut
aufgenommen, hatte Giulio Branciforte bis zum Augenblick, als Helena aus
dem Kloster von Castro zurückkam, nur flüchtige Liebschaften gehabt.

Als bald darauf der große Dichter Cecchino aus Rom in den Palazzo
Campireali einzog, um dieses junge Mädchen in den schönen Wissenschaften
zu unterrichten, richtete Giulio, der ihn kannte, ein Gedicht in
lateinischen Versen an ihn, über das Glück, daß er in so ehrwürdigem Alter
so schöne Augen an die seinen gefesselt sehen durfte und eine so reine
Seele vollkommen glücklich machte, wenn er ihre Gedanken zu billigen
geruhte. Die Eifersucht und der Ärger der jungen Mädchen, denen Giulio vor
Helenas Rückkehr Aufmerksamkeiten erwiesen hatte, machten bald alle
Vorsicht, mit der er seine wachsende Leidenschaft zu verbergen suchte,
nutzlos; und ich muß gestehen, daß diese Liebschaft eines jungen Mannes
von zweiundzwanzig und eines jungen Mädchens von siebzehn Jahren in einer
Weise geführt wurde, welche die Klugheit nicht billigen kann. Bevor noch
drei Monate verstrichen waren, bemerkte Herr von Campireali, daß Giulio
Branciforte zu oft an den Fenstern seines Schlosses vorbeiging, das man
übrigens noch auf halber Höhe der Straße, die gegen den See führt, sehen
kann.

Die Freimütigkeit und Gradheit, die natürlichen Folgen der Freiheit, wie
sie die Republiken gewähren, und die Gewohnheit, ungebunden und
leidenschaftlich zu handeln, die einer Zeit entsprach, die noch nicht von
den Sitten der Monarchie eingeengt war, zeigten sich unverhohlen im ersten
Schritt des Herrn Campireali. Am gleichen Tag, da er sich durch das
häufige Erscheinen des jungen Branciforte verletzt fühlte, fuhr er ihn
hart mit diesen Worten an: "Wie wagst du es, unaufhörlich an meinem Hause
vorbeizugehen und unverschämt nach den Fenstern meiner Tochter
hinaufzuschauen, du, der nicht einmal Gewänder hat um sich zu bekleiden?
Wenn ich nicht fürchten müßte, daß mein Schritt von den Nachbarn mißdeutet
würde, schickte ich dir drei Goldzechinen, damit du dir in Rom einen
besseren Mantel kaufen könntest. Wenigstens würden meine und meiner
Tochter Augen nicht mehr so oft durch den Anblick deiner Lumpen beleidigt
sein."

Ohne Zweifel übertrieb Helenas Vater, denn die Gewänder des jungen
Branciforte bestanden nicht aus Lumpen; sie waren nur aus sehr einfachem
Stoff; allein, wenn sie auch sehr sauber und gut gebürstet waren, muß man
doch gestehen, daß ihr Aussehen auf langen Gebrauch schließen ließ.
Giulios Seele wurde durch die Vorwürfe des Herrn von Campireali so tief
erschüttert, daß er sich nicht mehr bei Tage vor seinem Hause zeigte.

Wie wir schon sagten, waren die beiden Bögen, Überreste eines alten
Aquädukts, welche dem vom Vater Brancifortes erbauten und seinem Sohn
hinterlassenen Hauses als Hauptmauer dienten, nur fünfhundert oder
sechshundert Schritt von Albano entfernt. Um von diesem hohen Punkt nach
der neuen Stadt hinabzusteigen, mußte Giulio am Palast der Campireali
vorbeigehen. Helena bemerkte bald das Ausbleiben dieses eigentümlichen
jungen Mannes, der, wie ihre Freundinnen sagten, jede andre Beziehung
aufgegeben hatte, um sich ganz dem Glück ihres Anblicks zu widmen.

An einem Sommerabend gegen Mitternacht stand das Fenster Helenas offen;
das junge Mädchen genoß die Brise des Meeres, die man auf dem Hügel von
Albano gut spüren kann, obwohl diese Stadt durch eine Ebene von drei
Meilen Breite vom Meer getrennt ist. Die Nacht war finster und die Stille
tief, man hätte ein Blatt fallen hören. Helena lehnte an ihrem Fenster und
dachte vielleicht an Giulio, als sie ein Etwas, das dem lautlosen Flügel
eines Nachtvogels glich, sanft an ihrem Fenster vorbeistreichen sah. Sie
zog sich erschreckt zurück. Der Gedanke, daß dieses Ding ihr von
irgendeinem Vorübergehenden dargebracht sein könnte, kam ihr nicht. Das
zweite Stockwerk des Palastes, wo sich ihr Zimmer befand, lag mehr als
fünfzig Fuß über der Erde. Aber plötzlich glaubte sie in diesem
sonderbaren Ding einen Blumenstrauß zu erkennen, der inmitten des tiefen
Schweigens vor dem Fenster, an dem sie lehnte, hin und her strich; ihr
Herz schlug heftig. Der Strauß schien ihr auf der Spitze von zwei oder
drei Rohrstöcken befestigt zu sein, einer Art großer Binsen, die dem Rohr
der römischen Campagna sehr ähnlich sind und Stiele von zwanzig bis
dreißig Fuß Höhe treiben. Die Schwäche des Rohrs und die ziemlich starke
Brise machten es Giulio einigermaßen schwer, seinen Strauß genau vor das
Fenster, an dem er Helena vermutete, zu halten. Außerdem war die Nacht so
finster, daß man auf solche Höhe von der Straße aus nichts erkennen
konnte. Unbeweglich an ihrem Fenster war Helena tief erregt. War es nicht
ein Geständnis, den Strauß zu nehmen? Sie hatte übrigens keins von den
Gefühlen, die ein Abenteuer dieser Art heute in einem jungen Mädchen der
besten Gesellschaft erwecken würde, das durch schöngeistige Erziehung auf
das Leben vorbereitet ist. Da ihr Vater und ihr Bruder Fabio zu Hause
waren, war ihr erster Gedanke, daß der geringste Lärm einen Büchsenschuß
auf Giulio zur Folge haben würde, und die Gefahr, der dieser arme junge
Mensch ausgesetzt war, erregte ihr Mitleid. Ihr zweiter Gedanke war, daß
er, obgleich sie ihn noch wenig genug kannte, das Wesen sei, das sie
dennoch nach ihrer Familie am meisten auf der Welt liebte. Schließlich
nahm sie nach einigen Minuten des Zauderns den Strauß, und als sie die
Blumen in dem tiefen Dunkel berührte, spürte sie, daß ein Brief am Stengel
einer Blume befestigt war; sie lief auf die große Stiege, um diesen Brief
beim Licht der Lampe zu lesen, welche vor dem Bild der Madonna brannte.
'Törichte!' schalt sie sich nach den ersten Zeilen, die sie vor Glück
erröten ließen, 'wenn man mich sieht, bin ich verloren und meine Familie
wird ohne Erbarmen diesen armen jungen Menschen verfolgen,' Sie kehrte in
ihr Zimmer zurück und zündete die Lampe an. Dieser Augenblick war köstlich
für Giulio, welcher -- beschämt über seinen Schritt, und als wollte er
sich selbst in der dunklen Nacht noch verbergen -- sich dicht an den
ungeheuren Stamm einer jener Eichen gedrängt hatte, die grün und bizarr
geformt, noch heute dem Palast Campireali gegenüber stehen. In seinem
Brief erzählte Giulio mit vollkommner Einfachheit die beschämende
Zurechtweisung, die er von Helenas Vater erhalten hatte. "Ich bin
allerdings arm," fuhr er fort, "und Ihr könnt Euch schwerlich das ganze
Ausmaß meiner Armut vorstellen. Ich habe nichts als mein Haus, das Ihr
vielleicht unter den Ruinen des Aquädukts von Alba bemerkt haben werdet;
rings um das Haus liegt ein Garten, den ich selbst bebaue und dessen
Früchte mich ernähren. Ich besitze auch noch einen Weinberg, der um
dreißig Scudi im Jahr verpachtet ist. Ich weiß wirklich nicht, warum ich
Euch liebe; sicherlich kann ich Euch nicht bitten, mein Elend zu teilen.
Und doch hat das Leben, wenn Ihr mich nicht liebt, keinen Wert mehr für
mich; es ist überflüssig, zu sagen, daß ich es tausendmal für Euch
hingeben würde. Und doch war dieses Leben vor Eurer Rückkehr aus dem
Kloster gar nicht unglücklich: im Gegenteil, es war von den glänzendsten
Träumen erfüllt. So kann ich sagen, daß der Anblick des Glücks mich
unglücklich gemacht hat. Sicher hätte ehemals kein Mensch auf der Welt
wagen dürfen, mir solche Worte zu sagen, wie die, mit denen Euer Vater
mich entehrte; mein Dolch hätte mir auf der Stelle Genugtuung verschafft.
Damals, mit meinem Mut und meinen Waffen, hielt ich mich aller Welt für
ebenbürtig, nichts ging mir ab. Jetzt hat sich alles geändert: ich kenne
die Furcht. Es ist schon zu viel des Schreibens; vielleicht verachtet Ihr
mich. Wenn Ihr dagegen, trotz der armseligen Gewänder, die mich bedecken,
etwas Mitleid mit mir fühlt, werdet Ihr bemerken, daß ich jeden Abend,
wenn es am Kapuzinerkloster auf dem Gipfel des Hügels Mitternacht läutet,
unter der großen Eiche versteckt bin, dem Fenster gegenüber, welches ich
unausgesetzt betrachte, weil ich vermute, daß dort Euer Zimmer ist. Wenn
Ihr mich nicht so wie Euer Vater verachtet, werft mir eine der Blumen des
Straußes herab; aber gebt acht, daß sie nicht auf ein Gesimse oder auf
einen Balkon Eures Hauses falle."

Dieser Brief wurde mehrmals gelesen; nach und nach füllten sich Helenas
Augen mit Tränen; sie betrachtete gerührt den prächtigen Strauß, dessen
Blumen mit einem sehr feinen Seidenfaden gebunden waren. Sie versuchte
eine der Blumen abzureißen, aber es gelang ihr nicht; dann ergriff sie
Reue. Unter den jungen Mädchen Roms glaubte man, daß durch das Abreißen
einer Blume oder durch irgendwelche Verstümmelung eines aus Liebe
gegebenen Straußes diese Liebe selbst getötet würde. Sie fürchtete, daß
Giulio ungeduldig werden möchte und lief zum Fenster; aber als sie dort
war, fiel ihr plötzlich ein, daß sie zu sichtbar sei, da die Lampe das
Zimmer mit Licht erfüllte. Helena wußte nicht mehr, welches Zeichen sie
sich erlauben sollte; es schien ihr, daß es keins gab, das nicht viel zu
viel sagte.

Beschämt lief sie wieder in ihr Zimmer zurück. Aber die Zeit verstrich und
plötzlich kam ihr ein Gedanke, der sie in unaussprechliche Verwirrung
stürzte: Giulio würde glauben, daß sie, wie ihr Vater, seine Armut
verachtete! Sie erblickte ein kleines kostbares Marmorstück, das auf ihrem
Tisch lag, band es in ihr Taschentuch und warf dies Taschentuch an den Fuß
der Eiche hinunter, die gegenüber ihrem Fenster stand. Dann machte sie ihm
Zeichen, daß er sich entfernen möge und hörte, daß Giulio gehorchte, denn
im Weggehen suchte er nicht mehr den Schall seiner Schritte zu dämpfen.
Als er die Höhe des Felsengürtels erreicht hatte, welcher den See von den
letzten Häusern von Albano trennt, hörte sie ihn Worte der Liebe singen;
sie winkte ihm Abschied, diesmal weniger schüchtern, dann begab sie sich
an seinen Brief, um ihn wiederzulesen.

Am nächsten Tag und auch an den folgenden, gab es Briefe und ähnliche
Zusammenkünfte; aber wie in einem italienischen Dorf alles bemerkt wird,
noch dazu Helena weitaus die reichste Partie des Landes war, wurde Herr
von Campireali aufmerksam gemacht, daß man jeden Abend nach Mitternacht im
Zimmer seiner Tochter Licht sehe, und was noch viel merkwürdiger sei, daß
das Fenster offen wäre und Helena dahinter stünde, als kenne sie gar keine
Furcht vor den Zanzare, jenen unangenehmen Stechmücken, welche die schönen
Abende in der römischen Campagna ganz verderben. Jetzt muß ich wieder um
die Nachsicht des Lesers ersuchen. Wenn man Lust hat, die Gebräuche
fremder Länder zu kennen, muß man sich auf ganz abgeschmackte, von den
unsrigen ganz verschiedene Anschauungen gefaßt machen.

Herr von Campireali brachte seine Flinte und die seines Sohnes in Ordnung.
Abends, als es 3/4 12 Uhr schlug, verständigte er Fabio, und alle beide
schlichen, so leise wie möglich, auf einen großen steinernen Balkon, der
sich im ersten Stock des Palastes gerade unter Helenas Fenster befand. Die
starken Pfeiler der Steinbalustrade deckten sie bis zum Gürtel gegen
Flintenschüsse, die man von außen gegen sie abfeuern könnte. Es schlug
Mitternacht; Vater und Sohn hörten unter den Bäumen, die ihrem Palast
gegenüber am Rand der Straße standen, ein leichtes Geräusch; aber zu ihrem
Erstaunen erschien kein Licht an Helenas Fenster. Dieses Mädchen das
bisher so arglos war und in der Lebhaftigkeit seiner Bewegungen ein Kind
zu sein schien, hatte einen anderen Charakter bekommen, seit es liebte.
Sie wußte, daß die geringste Unvorsichtigkeit das Leben ihres Geliebten
gefährdete; wenn ein Herr vom Ansehen ihres Vaters einen so armen Menschen
wie Giulio Branciforte tötete, würde er jeder Strafe ledig gehen, so er
nur für drei Monate nach Neapel verschwindet. Während dieser Zeit würden
seine Freunde in Rom die Angelegenheit ordnen und alles wäre mit der
Stiftung einer Silberlampe und einiger hundert Taler für den Altar der
Madonna, die gerade in Mode war, erledigt. Morgens beim Frühstück hatte
Helena in den Zügen ihres Vaters erkannt, daß er sehr aufgebracht war, und
aus der Art, wie er sie ansah, wenn er sich unbemerkt glaubte, schloß sie,
daß dieser Zorn zum großen Teil ihr galt. Alsbald machte sie sich daran,
ein wenig Staub auf die Schäfte der fünf prächtigen Flinten, die über dem
Bett ihres Vaters hingen, zu streuen. Sie bedeckte auch seine Degen und
Dolche mit einer leichten Staubschicht. Den ganzen Tag trug sie eine tolle
Ausgelassenheit zur Schau: sie durcheilte unaufhörlich das Haus von oben
bis unten und alle Augenblicke näherte sie sich den Fenstern, fest
entschlossen, Giulio ein abmahnendes Zeichen zu geben, wenn sie das Glück
hätte, ihn zu bemerken. Aber der arme Junge war durch den Verweis des
reichen Campireali so tief gedemütigt worden, daß er sich niemals bei Tage
in Albano zeigte; nur Sonntags führte ihn die Pflicht zur Messe. Helenas
Mutter, die sie anbetete und ihr nichts abzuschlagen wußte, ging dreimal
an diesem Tage mit ihr fort, aber es war vergeblich; Helena sah nichts von
Giulio. Sie war in Verzweiflung. Wie wurde ihr erst, als sie am Abend die
Waffen ihres Vaters wieder musterte und sah, daß zwei Flinten geladen und
fast alle Dolche und Degen in der Hand erprobt worden waren! Sie wurde von
ihrer tödlichen Unruhe nur durch die außerordentliche Anspannung
abgelenkt, die sie beobachten mußte, um nicht verdächtig zu erscheinen.
Als sie sich um zehn Uhr abends endlich zurückziehen konnte, verschloß sie
ihr Zimmer, welches auf das Vorzimmer ihrer Mutter hinausging; dann
kauerte sie sich dicht beim Fenster auf den Boden nieder, um nicht von
draußen bemerkt zu werden. Man stelle sich die Angst vor, mit welcher sie
die Stunden schlagen hörte: es war nicht mehr die Rede von den Vorwürfen,
welche sie sich oft machte, sich Giulio zu schnell gegeben zu haben, was
sie in Giulios Augen vielleicht weniger liebenswürdig erscheinen lassen
könnte. Dieser Tag brachte die Sache des jungen Mannes weiter, als sechs
Monate Treue und Beteuerungen. 'Wozu lügen?' sagte sich Helena, 'liebe ich
ihn nicht mit ganzer Seele?'

Um halb zwölf Uhr sah sie ganz deutlich ihren Vater und ihren Bruder auf
dem großen Steinbalkon unter ihrem Fenster Stellung fassen. Zwei Minuten,
nachdem es am Kapuzinerkloster Mitternacht geschlagen hatte, hörte sie
gleichfalls sehr gut die Schritte ihres Geliebten, der bei der großen
Eiche anhielt; sie bemerkte mit Freude, daß ihr Vater und ihr Bruder
nichts gehört zu haben schienen: es erforderte die Angst der Liebe, um ein
so leichtes Geräusch zu unterscheiden. 'Jetzt', sagte sie sich, 'werden
sie mich töten, aber um keinen Preis dürfen sie den Brief von heute Abend
bekommen; sie würden diesen armen Giulio auf ewig verfolgen,' Sie machte
das Zeichen des Kreuzes und indem sie sich mit einer Hand am Eisenbalkon
ihres Fensters festhielt, beugte sie sich so weit wie möglich zur Straße
hinaus. Nicht eine Viertelminute war verstrichen, als der Strauß, der wie
gewöhnlich an dem langen Rohr befestigt war, ihren Arm berührte. Sie
ergriff den Strauß, allein als sie ihn schnell von der äußersten Spitze
des Rohrs, auf der er befestigt war, abreißen wollte, geschah es, daß
dieses Rohr gegen den Steinbalkon anschlug. Im gleichen Augenblick lösten
sich zwei Flintenschüsse, auf die völlige Stille folgte. Ihr Bruder Fabio,
ungewiß in der Dunkelheit vermutend, es sei, was heftig gegen den Balkon
schlug, ein Seil, mit dessen Hilfe Giulio von seiner Schwester
herabsteige, hatte gegen ihren Balkon Feuer gegeben; am nächsten Morgen
fand sie den Eindruck der Kugel, welche sich auf dem Eisen breitgeschlagen
hatte. Herr von Campireali hatte auf die Straße gezielt; gerade unter den
Steinbalkon, weil Giulio beim Zurückziehen des Rohrs, das beinahe gefallen
wäre, etwas Geräusch gemacht hatte. Als Giulio das Geräusch über seinem
Kopfe hörte, erriet er, was folgen würde und hatte sich unter dem
Vorsprung des Balkons gedeckt.

Fabio lud schnell seine Flinte von neuem und lief, ungeachtet der
Vorstellungen seines Vaters, in den Garten des Hauses; öffnete geräuschlos
eine kleine Tür, die auf eine Seitenstraße führte, und schlich sich heran,
um die Leute, welche unter dem Balkon des Hauses vorbeigingen, ein wenig
zu mustern. In diesem Augenblick befand sich Giulio, der an diesem Abend
nicht allein war, zwanzig Schritt entfernt an einen Baum gelehnt. Helena,
die über ihren Balkon gebeugt um ihren Geliebten zitterte, begann alsbald
sehr laut mit ihrem Bruder, den sie auf der Straße hörte, zu sprechen; sie
fragte ihn, ob er die Diebe getötet habe.

"Glaub nicht, daß ich mich durch deine schändliche List täuschen lasse,"
schrie dieser ihr von der Straße aus zu, welche er in allen Richtungen
durchmaß, "aber halte deine Tränen bereit, denn ich werde den
Unverschämten, töten, der es wagt, sich deinem Fenster zu nähern."

Kaum waren diese Worte gesprochen, als Helena hörte, wie ihre Mutter an
die Tür ihres Zimmers klopfte.

Helena beeilte sich, ihr zu öffnen, indem sie sagte, daß es ihr
unbegreiflich wäre, daß die Türe verschlossen sei.

"Keine Komödie, teures Kind," sagte ihre Mutter, "dein Vater ist wütend
und kann dich vielleicht töten: komm zu mir in mein Bett, und wenn du
einen Brief hast, gib ihn mir, ich werde ihn verstecken.[sic! Fehlt: "]

Helena sagte ihr:

"Hier ist der Strauß, der Brief ist zwischen den Blumen versteckt."

Kaum waren Mutter und Tochter im Bett, als Herr Campireali ins Zimmer
seiner Frau eintrat; er kam aus ihrem Betgemach, das er soeben
durchgestöbert und wo er alles durcheinandergeworfen hatte. Was Helena
auffiel, war, daß ihr Vater, blaß wie ein Gespenst, mit Bedacht zu Wege
ging, wie jemand, der seinen Entschluß wohl erwogen hat. 'Ich bin tot!'
sagte sich Helena.

"Wir sind glücklich, Kinder zu haben," sagte ihr Vater, als er zitternd
vor Wut, aber den Schein vollkommener Kaltblütigkeit wahrend, am Bett
seiner Frau vorbei in das Zimmer seiner Tochter ging; "wir sind glücklich,
Kinder zu haben, statt dessen sollten wir lieber blutige Tränen vergießen,
wenn diese Kinder Mädchen sind. Großer Gott! Ist es wohl möglich! Ihre
Leichtfertigkeit kann einem Mann, der seit sechzig Jahren nicht den
mindesten Vorwurf auf sich geladen hat, die Ehre rauben."

Bei diesen Worten ging er ins Zimmer seiner Tochter.

"Ich bin verloren," sagte Helena zu ihrer Mutter, "die Briefe sind unter
dem Sockel des Kruzifixes neben dem Fenster."

Sogleich sprang ihre Mutter aus dem Bett und rannte zu ihrem Manne. Sie
begann ihm so schlecht wie nur möglich Vernunft zuzusprechen, um seinen
Zorn zum Ausbruch zu bringen, und es gelang ihr vollkommen. Der alte Mann
wurde wütend, er zerschlug alles im Zimmer seiner Tochter; aber die Mutter
konnte unbemerkt die Briefe an sich nehmen. Eine Stunde später, als Herr
Campireali wieder in sein Zimmer zurückgekehrt war, das neben dem seiner
Frau lag und im ganzen Haus Ruhe herrschte, sagte die Mutter zu ihrer
Tochter:

"Hier sind deine Briefe, ich will sie nicht lesen; du siehst, was sie uns
beinah gekostet hätten! An deiner Stelle würde ich sie verbrennen. Leb
wohl und küsse mich."

Helena ging, aufgelöst in Tränen, in ihr Zimmer zurück. Es schien ihr, daß
sie seit den Worten ihrer Mutter Giulio nicht mehr liebte. Dann machte sie
sich daran, seine Briefe zu verbrennen; aber sie mußte sie noch einmal
lesen, bevor sie sie vernichtete. Sie las sie so oft und so gründlich, daß
die Sonne schon hoch am Himmel stand, als sie sich endlich entschloß, den
heilsamen Rat zu befolgen.

Am nächsten Morgen, der ein Sonntag war, ging Helena mit ihrer Mutter zur
Messe; zum Glück folgte ihr Vater ihnen nicht. Der erste Mensch, den sie
in der Kirche bemerkte, war Giulio Branciforte. Mit einem Blick überzeugte
sie sich, daß er nicht verletzt war. Ihr Glück war am Gipfel. Die
Ereignisse der letzten Wochen lagen tausend Meilen zurück. Sie hatte sich
fünf oder sechs mit Bleistift beschriebene Billets vorbereitet, aus alten,
mit feuchter Erde beschmutzten Papierfetzen, wie man sie auf den Fliesen
einer Kirche finden kann; diese Billets enthielten alle die gleiche
Warnung:

'Sie hätten alles entdeckt, bis auf seinen Namen. Er möge nicht mehr in
der Straße erscheinen; man werde oft hierherkommen.'

Helena ließ eins dieser Zettelchen fallen: ein Blick belehrte Giulio, der
es aufhob und verschwand. Als sie eine Stunde später nach Haus
zurückkehrte, fand sie auf der großen Treppe des Palastes einen
Papierfetzen, der dadurch ihren Blick auf sich zog, daß er vollkommen
denen glich, deren sie sich selbst am Morgen bedient hatte.

Sie griff danach, ohne daß selbst ihre Mutter es bemerkte und las:

"In drei Tagen wird er von Rom zurückkehren, wohin zu gehen er gezwungen
ist. Man wird am hellen Tage singen, an den Markttagen, mitten im Lärm der
Bauern."

Diese Abreise nach Rom erschien Helena sonderbar. 'Fürchtet er die
Flintenschüsse meines Bruders?' sagte sie sich traurig. Die Liebe verzeiht
alles, nur nicht die freiwillige Abwesenheit. Dies ist die schlimmste
aller Qualen. Anstatt sich süßen Träumen zu ergeben und ganz damit
beschäftigt zu sein, alle Gründe zu erwägen, die man hat, um seinen
Geliebten zu lieben, ist das Leben von grausamen Zweifeln beunruhigt.
'Aber kann ich denn nach allem, was geschehen ist, glauben, daß er mich
nicht mehr liebt?' sagte sich Helena während der drei langen Tage, die
Brancifortes Abwesenheit dauerte. Plötzlich wich ihr Kummer einer
unsinnigen Freude: am dritten Tage sah sie ihn am hellen Mittag auf der
Straße vor dem Palast ihres Vaters erscheinen. Er trug neue und fast
prächtige Gewänder. Niemals waren die Vornehmheit seiner Haltung und die
heitere und mutige Unbekümmertheit seines Antlitzes vorteilhafter
hervorgetreten; nie allerdings hatte man auch vor diesem Tage so oft in
Albano von der Armut Giulios gesprochen. Es waren die Männer und besonders
die jungen Leute, welche dieses grausame Wort wiederholten; die Frauen und
vor allem die jungen Mädchen konnten sich in Lobeserhebungen über seine
gute Erscheinung nicht genug tun.

Giulio verbrachte den ganzen Tag damit, in der Stadt umherzuschlendern; es
machte den Eindruck, als ob er sich für die Monate der Haft, zu der ihn
seine Armut verdammt hatte, entschädigen wollte. Wie es einem Verliebten
zukommt, war Giulio unter seinem neuen Rock gut bewaffnet. Außer seinem
Degen und seinem Dolch hatte er sein giacco angelegt, eine Art Weste aus
geflochtenem Draht, welche sehr unbequem zu tragen war, jedoch diese
italienischen Herzen von einer traurigen Krankheit heilte, deren peinliche
Anfälle man in jenem Jahrhundert unaufhörlich erleben konnte; ich spreche
von der Furcht, an einer Straßenbiegung durch einen seiner wohlbekannten
Feinde getötet zu werden. An diesem Tage hoffte Giulio Helena zu begegnen;
übrigens hatte er auch einen gewissen Widerwillen, mit sich allein in
seinem einsamen Haus zu sein. Hier der Grund: Ranuccio, ein alter Soldat
seines Vaters, der unter diesem schon zehn Feldzüge in den Truppen
verschiedener Bandenführer und zuletzt des Marco Sciarra mitgemacht hatte,
war seinem Hauptmann gefolgt, als dessen Wunden ihn zwangen, sich
zurückzuziehen. Hauptmann Branciforte hatte seine Gründe, nicht in Rom zu
leben; er hätte dort die Söhne von Männern treffen können, die er getötet
hatte; selbst in Albano sorgte er vor, daß er nicht nur auf die Gnade der
regulären Autorität angewiesen sei. Anstatt ein Haus in der Stadt zu
kaufen oder zu mieten, zog er es vor, eins zu bauen, das so gelegen war,
daß man seine Besucher schon von weitem zu sehen vermochte. Er fand in den
Ruinen von Alba einen wundervollen Platz: man konnte von dort, ohne von
indiskreten Besuchern bemerkt zu werden, sich in den Wald zurückziehen, wo
sein alter Freund und Herr, der Fürst Fabrizio Colonna herrschte.
Hauptmann Branciforte kümmerte die Zukunft seines Sohnes wenig. Als er
sich, erst fünfzig Jahre alt, aber besät mit Wunden, vom Dienst zurückzog,
nahm er an, daß er noch zehn Jahre leben werde, und verbrauchte, nachdem
sein Haus gebaut war, jeden Tag den zehnten Teil dessen, was er aus den
Plünderungen von Städten und Dörfern zusammengerafft, und denen
beizuwohnen er die Ehre gehabt hatte.

Er kaufte den Weinberg, der jetzt seinem Sohn dreißig Taler Rente trug,
als Antwort auf den schlechten Scherz eines Bürgers von Albano, der ihm
eines Tages, da er erregt über die Interessen und die Ehre der Stadt
disputierte, zurief, daß es in der Tat einem so reichen Grundbesitzer, wie
er einer sei, wohl zustehe, den Eingesessenen Albanos Ratschläge zu
erteilen. Der Hauptmann kaufte den Weinberg und kündigte an, daß er noch
viele andre kaufen werde; später, als er den Spötter an einem einsamen Ort
traf, tötete er ihn mit einem Pistolenschuß.

Nach acht Jahren dieser Art des Lebens starb der Hauptmann; sein Adjutant
Ranuccio betete Giulio an; trotzdem nahm er, des Nichtstuns müde, wieder
Dienst in der Truppe des Fürsten Colonna. Oft besuchte er seinen Sohn
Giulio, wie er ihn nannte, und am Vorabend eines gefährlichen Angriffs,
den der Fürst in seiner Feste Petrella aushalten mußte, hatte er Giulio
mit zum Kampf genommen. Da er ihn sehr tapfer fand, sagte er:

"Du mußt wirklich toll und außerdem recht einfältig sein, daß du bei
Albano wie der letzte und ärmste seiner Einwohner lebst, während du mit
deinem Mut und dem Namen deines Vaters ein glänzender Soldat sein und dein
Glück machen könntest."

Giulio wurde durch diese Worte gequält; ein Priester hatte ihn Latein
gelehrt; aber da sein Vater über alles, was der Priester sonst noch sagte,
nur zu spotten pflegte, hatte er außer dem nicht das geringste gelernt.
Dafür hatte sich bei ihm, der wegen seiner Armut verachtet und in seinem
einsamen Haus ganz auf sich selbst angewiesen war, ein gesunder
Menschenverstand entwickelt, welcher durch seine gewagte Kühnheit selbst
Gelehrte in Erstaunen gesetzt hätte. Zum Beispiel schwärmte er, bevor er
Helena liebte, ganz ohne zu wissen, warum, für den Krieg; aber er hatte
einen Widerwillen gegen das Plündern, das doch in den Augen seines Vaters
und Ranuccios der kleinen lustigen Komödie glich, die auf die edle ernste
Tragödie folgt. Seit er Helena liebte, ließ ihn dieser gesunde
Scharfblick, den er sich durch seine einsamen Überlegungen angeeignet
hatte, Qualen erleiden. Diese früher so sorglose Seele wagte niemanden
wegen ihrer Zweifel um Rat zu fragen und war von Leidenschaft und Unglück
erfüllt. Was würde Herr von Campireali nicht alles sagen, wenn er Brigant
würde? Dann erst würde er ihm begründete Vorwürfe machen können. Giulio
hatte sich immer den Soldatenberuf als eine Sicherung für die Zeit
aufgehoben, wo er den Erlös der goldenen Ketten und andren Kostbarkeiten
ausgegeben haben würde, die er in der eisernen Kasse seines Vaters
gefunden hatte. Giulio hatte trotz seiner Armut gar keinen Skrupel, die
Tochter des reichen Herrn Campireali zu entführen, weil zu jener Zeit die
Väter ganz nach ihrem Belieben über ihr Gut verfügten, und sehr leicht war
es möglich, daß Herr von Campireali seiner Tochter nur tausend Taler als
einziges Erbe hinterließ. Aber ein andres beschäftigte die
Einbildungskraft Giulios aufs tiefste: erstens: in welcher Stadt würde er
die junge Helena unterbringen, wenn er sie ihrem Vater entführt und
geheiratet hatte; zweitens: mit welchem Geld würde er sie leben lassen?

Als ihm Herr Campireali den beißenden Tadel versetzte, der ihn so
empfindlich traf, war Giulio zwei Tage hindurch die Beute der Wut und des
heftigsten Schmerzes: er konnte sich weder entschließen, den alten Mann zu
töten, noch ihn leben zu lassen. Er verbrachte ganze Nächte weinend;
endlich entschloß er sich, Ranuccio zu befragen, den einzigen Freund, den
er auf der Welt hatte; aber würde dieser Freund ihn verstehen? Vergeblich
suchte er im ganzen Wald von La Faggiola nach Ranuccio; er mußte auf der
Straße von Neapel noch über Velletri hinaus gehen, wo Ranuccio einen im
Hinterhalt liegenden Trupp befehligte. Er lauerte dort mit einer
zahlreichen Schar auf den spanischen General Ruiz d'Avalis, welcher zu
Land nach Rom reiste, ohne daran zu denken, daß er kürzlich vor vielen
Leuten mit Verachtung von den Briganten des Colonna gesprochen hatte. Sein
Feldprediger erinnerte ihn gerade noch zur rechten Zeit an diese kleine
Begebenheit, und Ruiz d'Avalis zog es vor, ein Schiff rüsten zu lassen und
übers Meer nach Rom zu reisen.

Als der Hauptmann Ranuccio Giulios Erzählung gehört hatte, sagte er ihm:

"Beschreibe mir genau diesen Herrn Campireali, damit seine Unklugheit
nicht irgend einem guten Bürger Albanos das Leben kostet. Sobald die
Sache, die uns hier zurückhält, beendet ist, sei es gut oder schlecht,
wirst du dich nach Rom begeben und darauf bedacht sein, dich zu allen
Tageszeiten in Gastwirtschaften und an andren öffentlichen Orten zu
zeigen, denn man darf nicht, wegen deiner Liebe zur Tochter, gegen dich
Verdacht schöpfen können."

Giulio hatte große Mühe, den Zorn des alten Gefährten seines Vaters zu
beruhigen. Es blieb ihm nichts übrig, als ärgerlich zu werden:

"Glaubst du, daß ich deinen Degen brauche?" sagte er endlich. "Man sollte
meinen, daß ich selbst einen besitze! Ich wünsche einen verständigen Rat
von dir."

Ranuccio schloß die ganze Auseinandersetzung mit den Worten:

"Du bist jung, du hast keine Wunde, die Beleidigung war öffentlich; nun,
ein entehrter Mann ist selbst bei den Frauen verachtet."

Giulio sagte ihm, daß er mit sich noch darüber zu Rate gehen wolle, wonach
ihn gelegentlich verlange, und trotz des Drängens Ranuccios, der durchaus
darauf beharrte, daß er an dem Überfall auf den spanischen General
teilnehmen möge -- wobei man, wie er sagte, Ehren erlangen könne, ganz
abgesehen von den Dublonen -- kehrte er allein in sein Haus zurück. Dort
hatte er am Abend vor dem Tage, wo Herr von Campireali auf ihn schoß,
Ranuccio und seinen Korporal empfangen, die auf dem Rückweg aus der Gegend
von Velletri waren. Ranuccio hatte Mühe, die kleine eiserne Truhe zu
sehen, wo sein Herr, der Hauptmann Branciforte, ehemals die goldenen
Ketten und andre Schmucksachen einschloß, wenn es ihm nicht paßte, gleich
nach der Expedition ihren Erlös auszuheben. Ranuccio fand zwei Scudi
darin.

"Ich rate dir, werde Mönch," sagte er zu Giulio, "du hast alle Tugenden
dazu: die Liebe zur Armut, den Beweis haben wir vor Augen; die Demut: du
läßt dich auf offener Straße von einem Geldsack aus Albano beschimpfen.
Nun fehlen dir bloß noch die Heuchelei und der Bauch."

Ranuccio legte mit Gewalt fünfzig Dublonen in die eiserne Truhe.

"Ich gebe dir mein Wort," sagte er zu Giulio, "wenn binnen eines Monats
dieser Herr Campireali nicht mit allen Ehren, die seiner Vornehmheit und
seinem Reichtum gebühren, eingescharrt ist, wird mein Korporal, so wahr er
hier steht, mit dreißig Mann deine Hütte zerstören und deine armseligen
Möbel verbrennen. Es darf nicht sein, daß der Sohn des Hauptmann
Branciforte unter dem Vorwand der Liebe eine schlechte Figur in der Welt
macht."

Als Herr von Campireali und sein Sohn die beiden Schüsse abfeuerten,
hatten Ranuccio und der Korporal unter dem Steinbalkon Stellung genommen
und Giulio hatte die größte Mühe, sie zu verhindern, Fabio zu töten oder
mindestens zu entführen, als dieser unvorsichtig aus dem Garten trat, wie
wir schon erzählt haben. Die Erwägung, welche Ranuccio beruhigte, war
folgende: man soll nicht einen jungen Mann, der noch etwas werden und sich
nützlich machen kann, töten, während ein alter Sünder dabei ist, mit mehr
Schuld und zu nichts mehr gut als zum Begraben werden.

Am Morgen nach diesem Abenteuer schlug sich Ranuccio in die Wälder und
Giulio reiste nach Rom. Die Freude darüber, daß er sich mit den von
Ranuccio geschenkten Dublonen schöne Gewänder kaufen könnte, war durch
einen in seinem Jahrhundert ganz ungewöhnlichen Gedanken grausam getrübt,
der die hohe Bestimmung ahnen ließ, zu der er später gelangte. Er sagte
sich: 'Helena muß wissen, wer ich bin.' Jeder andre junge Mann seines
Alters und seiner Zeit hätte nur davon geträumt, sich seiner Liebe zu
erfreuen und Helena zu entführen, ohne im geringsten daran zu denken, was
in sechs Monaten aus ihr werden würde, und ebensowenig, welche Meinung sie
von ihm hegen könnte.

Nach Albano zurückgekehrt, erfuhr Giulio durch seinen Freund, den alten
Scotti, am gleichen Nachmittag, da er vor aller Augen in seinen schönen,
aus Rom mitgebrachten Gewändern glänzte, daß Fabio zu Pferde die Stadt
verlassen habe, um nach einem drei Meilen entfernten Gut zu reiten, das
sein Vater in der Ebene an der Küste besaß.

Später sah er, wie Herr Campireali in Begleitung von zwei Priestern den
Weg durch die prächtige grüne Eichenallee einschlug, welche den Rand des
Kraters krönt, auf dessen Grund der See von Albano liegt. Zehn Minuten
danach drang eine alte Frau dreist in den Palazzo Campireali ein, unter
dem Vorwand, schöne Früchte zu verkaufen; die erste Person, die sie traf,
war die kleine Kammerzofe Marietta, die intime Vertraute ihrer Herrin
Helena. Diese errötete bis ins Weiße der Augen, als sie einen schönen
Blumenstrauß empfing. Der in diesem Strauß verborgene Brief war
unermeßlich lang: Giulio erzählte alles, was er seit der Nacht der
Flintenschüsse erlebt hatte; aber aus einer eigentümlichen Scham heraus
wagte er nicht, das, worauf jeder andre junge Mann seiner Zeit stolz
gewesen wäre, zu gestehen: daß er der Sohn eines durch seine Abenteuer
berühmten Kapitäns war und selbst bereits in mehr als einem Kampf durch
seine Tapferkeit erprobt. Er glaubte stets die Betrachtungen zu hören,
welche diese Tatsachen dem alten Campireali eingeben würden. Man muß
wissen, daß im sechzehnten Jahrhundert die Mädchen -- einer gesunden
republikanischen Vernunft näher als heute -- einen Mann viel mehr seiner
Taten wegen schätzten, als wegen der zusammengescharrten Reichtümer oder
der berühmten Taten seiner Väter. Aber es waren hauptsächlich die jungen
Mädchen aus dem Volk, welche diese Anschauung hatten; die den reichen
Klassen oder dem Adel angehörten, hatten Angst vor den Briganten und
hielten, wie es sich schließlich versteht, Adel und Reichtum in hoher
Achtung. Giulio schloß seinen Brief mit folgenden Worten: "Ich weiß nicht,
ob die gefälligen Gewänder, die ich aus Rom gebracht habe, Euch die
grausame Beleidigung vergessen ließen, die mir kürzlich jemand wegen
meines armsäligen[sic! sonst einheitlich: armseligen] Äußern zugefügt hat,
den Ihr verehrt; ich hatte die Möglichkeit, mich schützen zu können, ich
hätte es tun müssen, meine Ehre verlangte es: ich habe es wegen der Tränen
nicht getan, welche meine Rache Augen gekostet hätte, die ich anbete. Dies
kann Euch beweisen, wenn Ihr zu meinem Unglück noch daran zweifeln
solltet, daß man sehr arm sein und doch edle Gefühle haben kann. Außerdem
muß ich Euch ein schreckliches Geheimnis enthüllen; es würde mir sicher
nicht schwer werden, es jeder andren Frau zu sagen; aber ich weiß nicht,
warum: ich zittre, wenn ich daran denke, es Euch zu bekennen. Es könnte in
einem Augenblick die Liebe, die Ihr zu mir fühlt, zerstören; keine
Versicherung von Eurer Seite würde mir genügen. Ich will in Euren Augen
die Wirkung lesen, welche dieses Geständnis hervorruft. An einem der
nächsten Tage werde ich Euch bei Anbruch der Nacht im Garten hinter dem
Palast sehen. Am gleichen Tag werden Fabio und Euer Vater abwesend sein:
sobald ich mir die Gewißheit verschafft haben werde, daß sie, trotz ihrer
Geringschätzung für einen armen schlecht gekleideten jungen Mann, uns
nicht dreiviertel Stunden oder eine Stunde des Beisammenseins zu rauben
vermögen, wird vor den Fenstern Eures Palastes ein Mann erscheinen, der
den Dorfkindern einen zahmen Fuchs vorführen wird. Später, beim Läuten des
Ave Maria, werdet Ihr in der Ferne einen Flintenschuß hören; in diesem
Augenblick nähert Euch der Mauer Eures Gartens und wenn Ihr nicht allein
seid, singt. Herrscht Schweigen, wird Euer Sklave zitternd vor Euren Füßen
erscheinen und Euch Dinge erzählen, die Euch vielleicht entsetzen werden.
In Erwartung dieses für mich entscheidenden und schrecklichen Tages, werde
ich nicht mehr versuchen, Euch um Mitternacht einen Strauß zu überreichen;
aber gegen zwei Uhr nachts werde ich singend vorübergehen und vielleicht
werdet Ihr vom großen Steinbalkon eine Blume fallen lassen, die von Euch
aus Eurem Garten gepflückt wurde. Dies sind vielleicht die letzten Zeichen
der Neigung, die Ihr dem unglücklichen Giulio geben werdet."

Drei Tage später waren Helenas Vater und Bruder auf das Gut geritten, das
sie am Ufer des Meeres besaßen; sie mußten etwas vor Sonnenuntergang
fortreiten, um gegen zwei Uhr nachts wieder zu Hause zu sein. Aber, als
sie den Heimritt antreten wollten, waren nicht nur ihre beiden Pferde,
sondern alle, die noch in der Farm waren, verschwunden. Sehr erstaunt über
diesen kühnen Diebstahl suchten sie nach ihren Pferden, die aber erst am
nächsten Tag im Hochwald, der ans Meer grenzt, gefunden wurden. Die beiden
Campireali, Vater und Sohn, waren genötigt, in einem von Ochsen gezogenen
Landfuhrwerk nach Albano zurückzukehren.

Als an diesem Abend Giulio vor Helena kniete, war es beinahe völlig
dunkel, und das arme Mädchen war sehr glücklich über diese Finsternis: sie
stand zum ersten Male vor dem Mann, den sie zärtlich liebte, der das sehr
wohl wußte, aber den sie noch nie gesprochen hatte.

Eine Beobachtung, die sie machte, gab ihr ein wenig Mut: Giulio war noch
bleicher und zaghafter als sie. Sie sah ihn zu ihren Füßen: "Ich bin
wahrhaftig außerstande, zu sprechen", sagte er ihr. Es folgten einige sehr
glückliche Augenblicke; sie sahen sich an, aber konnten kein Wort
hervorbringen und waren unbeweglich, wie eine sehr ausdrucksvolle
Marmorgruppe. Giulio lag auf den Knien und hielt eine Hand Helenas, sie
hatte das Haupt gesenkt und betrachtete ihn mit Aufmerksamkeit.

Giulio wußte wohl, daß er irgend etwas hätte versuchen müssen, wenn er den
Ratschlägen seiner Freunde, der jungen Lebemänner Roms, hätte folgen
wollen; aber dieser Gedanke entsetzte ihn. Er wurde aus diesem Zustand der
Verzückung, vielleicht dem höchsten Glück, das die Liebe geben kann, durch
das Bewußtsein aufgeschreckt: die Zeit verfliegt schnell, die beiden
Campireali nähern sich ihrem Hause. Er begriff, daß er mit seiner
gewissenhaften Seele kein dauerndes Glück finden könne, so lange er nicht
seiner Geliebten jenes schreckliche Geständnis gemacht habe, das seinen
römischen Freunden als große Dummheit erschienen wäre.

"Ich habe Euch von einem Geständnis gesprochen, welches ich vielleicht
nicht machen sollte", sagte er endlich zu Helena.

Giulio wurde ganz bleich, er sprach mühsam und als ob ihm der Atem fehlte,
weiter:

"Vielleicht sehe ich jetzt die Gefühle schwinden, deren Hoffnung mein
Leben ist. Ihr haltet mich für arm; das ist nicht alles: ich bin Brigant
und Sohn eines Briganten."

Bei diesen Worten fühlte Helena, die als Tochter eines reichen Mannes in
allen Vorurteilen ihrer Kaste aufgewachsen war, daß ihr übel wurde, sie
fürchtete umzusinken; 'welcher Kummer würde dies für den armen Giulio
sein!' dachte sie, 'er wird sich verachtet glauben,' Er lag vor ihr auf
den Knien. Um nicht zu fallen, stützte sie sich auf ihn, und fast im
gleichen Augenblick sank sie wie bewußtlos in seine Arme. Wie man sieht,
liebte man im sechzehnten Jahrhundert Genauigkeit in Liebesdingen. Dies
kam daher, daß nicht der Verstand diese Geschehnisse beurteilte, sondern
die Einbildungskraft sie fühlte und die Leidenschaft des Lesers sich an
der der Helden entzündete. Die beiden Manuskripte, denen wir folgen, und
besonders jenes, das einige dem florentinischen Dialekt eigentümliche
Wendungen aufweist, beschreiben mit den kleinsten Einzelheiten alle
Zusammenkünfte, welche auf diese folgten. Die Gefahr ließ in dem jungen
Mädchen keine Gewissenszweifel aufkommen. Oft war die Gefahr
außerordentlich, doch dadurch wurden diese beiden Herzen, welche alle
Eindrücke, die mit ihrer Liebe zusammenhingen, als Glück empfanden, nur
noch mehr entflammt. Öfters waren Fabio und sein Vater nahe daran, sie zu
überraschen. Sie waren wütend, weil sie sich gefoppt fühlten. Der
öffentliche Klatsch trug ihnen zu, daß Giulio Helenas Liebhaber sei und
sie konnten nichts bemerken. Fabio, heftig und ahnenstolz, schlug seinem
Vater vor, Giulio töten zu lassen.

"So lange er auf der Welt ist," sagte er, "läuft das Leben meiner
Schwester Gefahr. Wer schützt uns davor, daß unsre Ehre uns nicht im
ersten Augenblick zwingen wird, unsre Hände in das Blut dieser
Eigensinnigen zu tauchen? Sie ist zu solchem Unmaß von Verwegenheit
gelangt, daß sie ihre Liebe nicht einmal mehr leugnet; habt Ihr sie auf
Eure Vorwürfe anders antworten gehört, als mit einem verbissenen
Schweigen? Nun wohl, dieses Schweigen ist das Todesurteil für Giulio
Branciforte."

"Denk daran, was sein Vater war", antwortete Herr von Campireali. '[sic!
statt: "]Sicherlich ist es für uns nicht schwer, auf sechs Monate nach Rom
zu gehen und während dieser Zeit diesen Branciforte verschwinden zu
lassen. Aber wer sagt uns, daß sein Vater, der trotz all seiner Verbrechen
tapfer und freigebig war, -- freigebig genug, um viele seiner Soldaten
reich zu machen, während er selbst arm blieb -- wer sagt uns, daß sein
Vater nicht noch Freunde besitzt, sei es in der Schar des Herzogs von
Monte Mariano, sei es in der Truppe Colonna, welche oft die Wälder von La
Faggiola besetzt, die nur eine halbe Meile von uns entfernt sind? In
diesem Fall werden wir alle ohne Erbarmen umgebracht, du, ich und
vielleicht auch deine unglückliche Mutter."

Diese oft erneuten Unterhaltungen zwischen Vater und Sohn waren der Mutter
Helenas, Vittoria Carafa, nur zum Teil verborgen geblieben und brachten
sie zur Verzweiflung. Das Ergebnis der Unterhaltungen zwischen Vater und
Sohn war, daß es sich nicht mit ihrer Ehre vertrüge, den Klatsch, der in
Albano umging, ruhig dauern zu lassen. Da es nicht klug schien, diesen
jungen Branciforte verschwinden zu machen, der täglich unverschämter wurde
und jetzt sogar in seinen prächtigen Kleidern die Dreistigkeit so weit
trieb, an öffentlichen Orten das Wort an Fabio oder dessen Vater zu
richten, erübrigte nichts als einen der beiden folgenden Entschlüsse oder
vielleicht alle beide ausführen: die ganze Familie mußte nach Rom gehen,
Helena aber im Kloster der Heimsuchung in Castro untergebracht und so
lange dort belassen werden, bis eine passende Heirat für sie gefunden war.

Niemals hatte Helena ihrer Mutter ein Geständnis ihrer Liebe gemacht:
Mutter und Tochter liebten sich zärtlich, sie verbrachten ihr Leben
gemeinsam, und doch war nie ein einziges Wort über diesen Gegenstand
gesprochen worden, der sie beide fast in gleichem Maße beschäftigte. Zum
erstenmal verriet sich in Worten, was fast ausschließlich Gegenstand ihrer
Gedanken war, als die Mutter ihrer Tochter zu verstehen gab, man wolle
nach Rom übersiedeln und vielleicht sogar Helena für einige Jahre in das
Kloster von Castro schicken.

Diese Unterredung war von Vittoria Carafa unklug und ließ sich nur durch
die unsinnige Zärtlichkeit entschuldigen, welche sie für ihre Tochter
hegte. Im Übermaß ihrer Liebe wollte Helena ihrem Geliebten beweisen, daß
sie sich seiner Armut nicht schämte und daß ihr Vertrauen in seine
Ehrenhaftigkeit ohne Grenzen war. "Wer würde es glauben," ruft der
florentinische Chronist aus, "daß trotz so vielen gewagten
Zusammenkünften, im Garten und ein- oder zweimal sogar in ihrem eigenen
Zimmer, für die sie sich einem schrecklichen Tod aussetzten, Helena
unberührt war!" Durch ihre Tugend sicher, schlug sie ihrem Geliebten vor,
gegen Mitternacht den Palast durch den Garten zu verlassen, und den Rest
der Nacht in seinem kleinen, auf den Ruinen Albas erbauten Haus zu
verbringen, das mehr als eine halbe Stunde entfernt lag. Sie verkleideten
sich als Franziskanermönche. Helena war hoch gewachsen und glich, so
gekleidet, einem jungen Novizen von achtzehn oder zwanzig Jahren. Es ist
unbegreiflich und zeigt Gottes Finger, daß Giulio und seine Geliebte, als
Mönche verkleidet, auf dem engen, in den Felsen gehauenen Weg, der an der
Mauer des Kapuzinerklosters entlang führt, Herr von Campireali und seinem
Sohn Fabio begegneten, welche, von vier wohlbewaffneten Dienern gefolgt
und einem Pagen mit brennender Fackel voran, aus Castel Gandolfo
zurückkehrten, einem unweit am Ufer des Sees gelegenen Ort. Um die
Liebenden vorbeizulassen, stellten sich die Campireali und ihre Diener zur
Rechten und Linken dieses in den Felsen gehauenen Wegs auf, welcher etwa
acht Fuß breit sein mochte. Wieviel besser wäre es für Helena gewesen,
wenn man sie in diesem Augenblick erkannt hätte! Sie wäre durch einen
Pistolenschuß ihres Vaters oder ihres Bruders getötet worden und ihre
Marter hätte nur einen Augenblick gedauert: aber der Himmel hatte es
anders beschlossen. Superis aliter visum.

Man fügt dieser sonderbaren Begegnung noch einen Umstand hinzu, welchen
die Signora Campireali noch oftmals im höchsten Alter erzählt hat, als
fast Hundertjährige in Rom, vor Leuten, die selbst sehr alt waren; sie
haben es mir wiedererzählt, als meine große Neugierde sie über diesen
Gegenstand und über vieles andre ausforschte.

Fabio von Campireali, der ein junger auf seinen Mut stolzer Mann und
hochfahrend war, rief, als er merkte, daß der ältere Mönch weder seinen
Vater noch ihn grüßte, trotzdem er so nah an ihnen vorbeiging:

"Das ist ja ein Spitzbube von einem stolzen Mönch! Gott weiß, was er
außerhalb des Klosters sucht, er und sein Begleiter, zu so ungehöriger
Stunde! Ich weiß nicht, was mich abhält, ihre Kapuzen zu lüften, wir
würden sehen, wie sie ausschauen!"

Bei diesen Worten faßte Giulio nach seinem Dolch unter der Mönchskutte und
stellte sich zwischen Fabio und Helena. In diesem Augenblick war nicht
mehr als ein Fuß breit Raum zwischen ihm und Fabio; aber der Himmel befahl
es anders und besänftigte durch ein Wunder den Zorn dieser beiden jungen
Leute, die sich bald danach in noch anderer Nähe sehen sollten.

In dem Prozeß, den man in der Folge Helena von Campireali machte, wollte
man diesen nächtlichen Ausflug als einen Beweis ihrer Verderbtheit
darstellen; doch es war das Delirium eines jungen Herzens, das in ganz
unsinniger Liebe entflammt war, denn dies Herz war rein.



III.


Die Orsini, die ewigen Nebenbuhler der Colonna und damals in den Dörfern
zunächst Rom allmächtig, hatten erst vor kurzem einen reichen Landwirt
namens Balthasar Bandini aus La Petrella durch die Gerichte der Regierung
zum Tod verurteilen lassen. Es würde zu weit führen, hier die
verschiedenen Taten aufzuzählen, welche man dem Bandini zur Last legte:
zum größten Teil wären sie heute Verbrechen, aber im Jahre 1559 durften
sie nicht in einer so strengen Weise betrachtet werden. Bandini saß in
einem den Orsini gehörenden Schloß gefangen, das bei Valmontone im Gebirge
lag, sechs Meilen von Albano entfernt. Der Bargello von Rom, von
hundertfünfzig seiner Sbirren gefolgt, verbrachte eine Nacht auf der
Landstraße; er war gekommen, um Bandini zu holen und ihn nach Rom ins
Gefängnis von Tor di Nona zu bringen. Bandini hatte in Rom gegen das
Todesurteil Berufung eingelegt. Aber, wie wir schon sagten, war er aus La
Petrella gebürtig, einer Feste, die den Colonna gehörte; seine Frau war zu
Colonna geeilt, der sich in La Petrella aufhielt, und sagte ihm vor allen
Leuten:

"Werdet Ihr einen Eurer treuen Diener sterben lassen?" Colonna erwiderte:

"Es wäre Gott nicht wohlgefällig, wenn ich die Ehrfurcht verletzte, die
ich den Entscheidungen der Gerichte des Papstes, meines Herrn, schulde!"

Sofort erhielten seine Soldaten Befehle, und er ließ allen seinen
Anhängern Weisung zukommen, sich bereit zu halten. Der Sammelpunkt wurde
bei Valmontone bestimmt, einer kleinen, auf dem Gipfel eines niederen
Felsens gelegenen Stadt, die aber einen stufenlosen und fast lotrechten
Absturz von sechzig bis achtzig Fuß Tiefe zur Schutzwehr hat. In diese
kleine, dem Papst gehörende, Stadt war es den Anhängern der Orsini und den
Sbirren der Regierung geglückt, Bandini zu schaffen. Unter die eifrigsten
Anhänger dieser Partei rechnete man Herrn von Campireali und seinen Sohn
Fabio, die übrigens mit den Orsini weitläufig verwandt waren. Seit jeher
waren dagegen Giulio Branciforte und sein Vater Anhänger der Colonna.

Unter Umständen, wo es den Colonna nicht paßte, öffentlich zu handeln,
nahmen sie zu einer einfachen Vorsicht ihre Zuflucht: die meisten der
reichen römischen Bauern waren damals wie heute Mitglieder irgendwelcher
Büßergemeinschaften. Die Büßer erschienen in der Öffentlichkeit nie anders
als den Kopf mit einem Stück Leinwand bedeckt, das ihr Gesicht verhüllte
und nur zwei Löcher für die Augen frei ließ. Wenn die Colonna sich zu
einer Unternehmung nicht bekennen wollten, luden sie ihre Anhänger ein,
sich ihnen im Büßerkleid anzuschließen.

Nach langen Vorbereitungen wurde die Überführung Bandinis, welche schon
seit vierzehn Tagen das Gespräch der Gegend bildete, auf einen Sonntag
festgesetzt. An diesem Tag um zwei Uhr morgens ließ der Bürgermeister von
Valmontone in allen Dörfern des Waldes von La Faggiola die Sturmglocken
läuten. Man sah aus jedem Ort Bauern in ziemlich großer Anzahl ausrücken.
Die Sitten der mittelalterlichen Republiken, als man sich noch schlug, um
irgendeine Sache, die man wünschte, zu erlangen, hatten in den Herzen der
Landleute sehr viel Tapferkeit erhalten; zu unsrer Zeit würde sich niemand
rühren.

An diesem Tag konnte man etwas Sonderbares bemerken: So oft ein kleiner
Trupp bewaffneter Bauern aus seinem Dorf heraus in den Wald bog,
verringerte er sich um die Hälfte; die Anhänger der Colonna schlugen die
Richtung nach dem von Fabrizio bezeichneten Treffpunkt ein. Ihre Anführer
schienen überzeugt, daß man sich an diesem Tage nicht schlagen würde: sie
hatten morgens Befehl erhalten, dieses Gerücht zu verbreiten. Fabrizio
durcheilte den Wald mit der Auslese seiner Anhänger, die mit halbwüchsigen
jungen Pferden seines Gestüts beritten waren. Er hielt eine Art Heerschau
über die verschiedenen Bauerntrupps ab; aber er sprach nichts zu ihnen;
weil jedes Wort bloßstellen konnte. Fabrizio war ein großer, magerer Mann
von unglaublicher Gewandheit[sic! statt: Gewandtheit] und Kraft; obwohl er
kaum fünfundvierzig Jahre zählte, waren seine Haare und sein Schnurrbart
von blendender Weiße, was ihm sehr unangenehm war. Denn an diesem Merkmal
konnte man ihn auch an Orten erkennen, wo er lieber unerkannt geblieben
wäre. Sobald die Bauern ihn sahen, riefen sie: Evviva Colonna! und zogen
ihre Leinenkapuzen über. Der Fürst selbst hatte seine Kapuze auf der Brust
hängen, um sie überziehen zu können, sobald sich der Feind zeigte.

Dieser ließ nicht auf sich warten. Die Sonne war kaum aufgegangen, als
etwa tausend Mann der Orsini-Partei von der Seite von Valmontone her in
den Wald eindrangen und in einer Entfernung von etwa dreihundert Schritten
an den Anhängern des Colonna vorbeizogen, die sich auf seinen Befehl zur
Erde geworfen hatten. Einige Minuten, nachdem die letzten dieser Vorhut
der Orsini vorbei waren, setzte der Fürst seine Leute in Bewegung; er
hatte beschlossen, das Geleit des Bandini anzugreifen, wenn eine
Viertelstunde vorbei sein würde, nachdem es den Wald betreten hatte. An
dieser Stelle ist der Wald mit kleinen Felsen von fünfzehn oder zwanzig
Fuß Höhe übersät; das sind mehr oder weniger alte Lavaflüsse, auf denen
die Kastanien wunderbar wachsen und fast ganz den Tag verhüllen. Weil
diese Lavablöcke, die mehr oder weniger von der Zeit angegriffen sind, den
Boden sehr uneben machen und um der Landstraße eine Anzahl kleiner
unnützer Auf- und Abstiege zu ersparen, hat man den Weg in die Lava
eingesenkt, und er liegt jetzt oft drei oder vier Fuß tiefer als der Wald.

An der Stelle, wo Fabrizio den Angriff vorgesehen hatte, befand sich eine
mit Gras bedeckte Lichtung, die an einem Ende von der Landstraße überquert
wurde. Dann trat die Straße wieder in den Wald ein, der an dieser Stelle
voll von Brombeerbüschen und zwischen Baumstümpfen wuchernder Stauden ganz
undurchdringlich war. Fabrizio hatte hier seine Fußtruppen etwa hundert
Schritt tief im Walde und zu beiden Seiten der Straße aufgestellt. Auf ein
Zeichen Colonnas setzte jeder der Bauern seine Kapuze auf und nahm mit
seiner Büchse hinter einem Kastanienbaum Stellung; die Soldaten des
Fürsten stellten sich hinter die Bäume zunächst der Straße. Die Bauern
hatten strengen Befehl, erst nach den Soldaten zu schießen und diese
durften erst Feuer geben, wenn der Feind auf zwanzig Schritt nahe sein
würde. Fabrizio ließ in Eile einige zwanzig Bäume fällen, welche mit ihren
Zweigen auf die Straße gestürzt sie vollständig sperrten; die Straße war
an dieser Stelle sehr eng und lag um drei Fuß tiefer. Hauptmann Ranuccio
mit fünfhundert Mann folgte der Vorhut; er hatte Befehl, erst anzugreifen,
wenn er die ersten Flintenschüsse hören würde, die vom Holzverhau
abgegeben werden sollten, der die Straße versperrte. Als Fabrizio Colonna
seine Soldaten und seine Anhänger jeder hinter seinem Baum wohl
aufgestellt und voll Entschlossenheit sah, ritt er im Galopp mit seinen
Berittenen weiter, unter denen sich auch Giulio Branciforte befand. Der
Fürst schlug einen Pfad zur Rechten der Landstraße ein, welcher zum
entgegengesetzten Ende der Lichtung führte.

Colonna war kaum einige Minuten davon, als man auf der Straße von
Valmontone von weitem eine große Schar Berittener nahen sah; das waren die
Sbirren und ihr Bargello, die Bandini geleiteten, und alle Herren, die zu
den Orsini hielten. In ihrer Mitte befand sich Balthasar Bandini, von vier
rotgekleideten Scharfrichtern umringt; sie hatten Befehl, das Urteil der
ersten Instanz zu vollstrecken und Bandini sofort zu töten, wenn die
Anhänger der Colonna daran wären, ihn zu befreien.

Die Reiter Colonnas waren kaum am andern Ende der Lichtung angelangt, als
man die ersten Flintenschüsse aus dem Hinterhalt beim Holzverhau auf der
Straße hörte. Sogleich setzte er seine Reiter in Galopp und richtete
seinen Angriff auf die vier rotgekleideten, Henker, die Bandini umgaben.

Wer[sic! statt: Wir] werden nicht im genauen Verlauf diesem kleinen
Handstreich folgen, der nicht einmal dreiviertel Stunden dauerte;
überrascht flohen die Anhänger der Orsini nach allen Richtungen, aber bei
der Vorhut wurde der tapfere Hauptmann Ranuccio getötet, und dieses
Ereignis hatte einen verhängnisvollen Einfluß auf das Schicksal
Brancifortes. Kaum hatte dieser einige Säbelhiebe ausgeteilt, um sich an
die rotgekleideten Männer heranzuarbeiten, als er sich Fabio Campireali
gegenüber befand.

Auf einem schnaubenden Pferd und mit goldenem Kettenhemd bekleidet, schrie
Fabio:

"Wer sind diese maskierten Schufte? Laßt uns ihre Masken mit einem
Säbelhieb zerschneiden! Seht, wie ich das mache!"

Fast im gleichen Augenblick erhielt Giulio Branciforte von ihm einen
Säbelhieb über die Stirn. Dieser Schlag war mit solcher Geschicklichkeit
geführt, daß das Leinen, welches sein Gesicht verhüllte, fiel, als seine
Augen durch das Blut geblendet wurden, welches aus dieser übrigens
harmlosen Wunde floß. Giulio ritt abseits, um Zeit zum Aufatmen zu
gewinnen und sein Gesicht abzuwischen. Er wollte sich um keinen Preis mit
Helenas Bruder schlagen, und sein Pferd war schon einige Schritte von
Fabio entfernt; da erhielt er einen wütenden Säbelhieb über die Brust, der
dank seinem Kettenhemd nicht durchdrang, aber ihm für einen Augenblick den
Atem nahm. Fast gleichzeitig hörte er in seine Ohren schreien:

"Ti conosco, porco! Kanaille, ich kenne dich! So verdienst du also dein
Geld, um deine Lumpen abzulegen?"

Giulio, in solcher Weise gereizt, vergaß seinen Vorsatz und stürzte sich
wieder auf Fabio:

"Ed in mal ponto tu venisti!" rief er aus.

Nach einigen heftigen Säbelhieben fiel das Gewand, das ihre Panzerhemden
bedeckte, nach allen Seiten. Das Panzerhemd Fabios war vergoldet und
prächtig, das Giulios so gewöhnlich wie nur möglich.

"In welchem Dreck hast du dein Giacco aufgelesen?" schrie Fabio.

Im gleichen Augenblick fand Giulio die Gelegenheit, die er seit einer
halben Minute suchte. Das stolze Panzerhemd Fabios deckte den Hals nicht
genug, und Giulio führte nach dieser kleinen ungedeckten Stelle des Halses
einen Stoß, der saß. Giulios Schwert drang einen halben Fuß weit in die
Gurgel Fabios und ließ einen mächtigen Blutstrahl hervorspringen.

"Unverschämter", schrie Giulio dabei und galoppierte auf die
Rotgekleideten zu, von denen zwei, hundert Schritte von ihm entfernt, noch
zu Pferd waren; als er sich näherte, fiel der dritte Henker, aber im
Augenblick, wo Giulio dem vierten schon ganz nahe war, drückte dieser, da
er sich von mehr als zehn Reitern umzingelt sah, gegen den unglücklichen
Bandini eine Pistole aus nächster Nähe los, so daß er zu Boden fiel.

"Meine werten Herrn, wir haben hier nichts mehr zu tun!" rief Branciforte,
"machen wir diese Schurken von Sbirren nieder, die nach allen Seiten
davonlaufen."

Alles folgte ihm.

Als Giulio eine halbe Stunde später in die Nähe Fabrizio Colonnas
zurückkehrte, richtete dieser große Herr zum erstenmal das Wort an ihn.
Giulio fand ihn trunken vor Zorn, während er geglaubt hatte, ihn vor
Freude entzückt zu finden; denn der Sieg war vollständig gewesen und
gänzlich seinen guten Anordnungen zu verdanken; denn die Orsini hatten
nahezu dreitausend Mann und Fabrizio hatte für diese Sache nicht mehr als
fünfzehnhundert aufgeboten.

"Wir haben unsern tapfren Freund Ranuccio verloren," sagte der Fürst zu
Giulio, "ich komme eben von seiner Leiche, er ist schon kalt. Und der arme
Balthasar Bandini ist tödlich verwundet. Also haben wir im Grunde nicht
gesiegt. Doch der Schatten des tapfren Kapitäns Ranuccio wird wohl
begleitet vor Pluto erscheinen. Ich habe Befehl gegeben, alle diese
gefangenen Schurken an die Bäume zu knüpfen. Versäumt das nicht, meine
Herren!" rief er mit erhobener Stimme.

Und er ritt im Galopp zu der Stelle, wo der Kampf der Vorhut stattgefunden
hatte. Giulio kommandierte als Vertreter Ranuccios dessen Abteilung; er
folgte dem Fürsten, welcher bei dem Leichnam dieses tapfren Soldaten, der
von mehr als fünfzig gefallenen Feinden umgeben war, zum zweitenmal vom
Pferd stieg, um die Hand Ranuccios zu drücken. Giulio tat weinend das
gleiche.

"Du bist noch sehr jung," sagte der Fürst zu Giulio, "aber ich sehe dich
vom Blut bedeckt und dein Vater war ein tapfrer Mann, der mehr als zwanzig
Wunden im Dienst der Colonna erhalten hatte. Übernimm die Führung derer,
die von Ranuccios Abteilung übrig sind und geleite seine Leiche in unsre
Kirche in La Petrella; vergiß aber nicht, daß du unterwegs angegriffen
werden kannst."

Giulio wurde nicht angegriffen, aber er tötete mit einem Degenhieb einen
seiner Soldaten, der ihm sagte, daß er zu jung wäre, um zu befehlen. Diese
Unklugheit hatte Erfolg, weil Giulio noch von Fabios Blut bedeckt war. Die
ganze Straße entlang fand er die Bäume mit Männern beladen, welche man
aufgehängt hatte. Dieses gräßliche Schauspiel, verbunden mit Ranuccios und
besonders mit Fabios Tod, machten ihn fast wahnsinnig. Seine einzige
Hoffnung war, daß man nicht den Namen von Fabios Besieger wußte.

Wir übergehen die militärischen Einzelheiten. Drei Tage nach dem Kampf
konnte Giulio wieder einige Stunden in Albano verbringen; er erzählte
seinen Bekannten, ein heftiges Fieber habe ihn in Rom zurückgehalten und
ihn gezwungen, die ganze Woche über das Bett zu hüten.

Aber man behandelte ihn überall mit einem sichtlich zur Schau getragenen
Respekt; die angesehensten Leute der Stadt grüßten ihn zuerst; einige
Unvorsichtige gingen sogar so weit, ihn mit Herr Hauptmann anzureden. Er
war mehrmals am Palazzo Campireali vorbeigegangen, hatte ihn aber fest
verschlossen gefunden, und da der neue Hauptmann sehr schüchtern war, wenn
es galt, sich nach gewissen Personen zu erkundigen, vermochte er erst
gegen Mittag über sich zu gewinnen, den alten Scotti, der ihn stets mit
Güte behandelt hatte, zu fragen:

"Aber wo sind denn die Campireali? Ich sehe ihren Palast geschlossen."

"Mein Freund," antwortete Scotti mit plötzlicher Traurigkeit, "das ist ein
Name, den du niemals aussprechen solltest. Deine Freunde sind wohl davon
überzeugt, daß er es war, der herausgefordert hat und sagen es überall;
aber schließlich: war er nicht das Haupthindernis deiner Heirat? Und macht
sein Tod nicht seine Schwester unermeßlich reich? Und bist es nicht du,
den sie liebt? Man kann sogar hinzufügen -- und in diesem Fall wird die
Unverschämtheit zur Tugend --, daß sie dich genug liebt, um dich nachts in
deinem kleinen Haus in Alba zu besuchen. Daher kann man in deinem
Interesse sagen, daß Ihr schon vor dem verhängnisvollen Kampf bei Ciampi
Mann und Frau wart."

Der Greis unterbrach sich, weil er bemerkte, daß Giulio die Tränen nicht
beherrschen konnte.

"Gehn wir zum Gasthaus hinauf", sagte Giulio.

Scotti folgte ihm; man gab ihnen ein Zimmer, worin sie sich einschlossen
und Giulio bat den Greis, ihm alles, was sich seit acht Tagen ereignet
hatte, erzählen zu dürfen. Nach Beendigung dieser langen Erzählung sagte
der Alte:

"Ich sehe wohl an deinen Tränen, daß nichts, was geschehen ist, in deiner
Absicht lag, aber Fabios Tod ist deshalb kein weniger böses Ereignis für
dich. Es ist dringend nötig, daß Helena ihrer Mutter erklärt, du seiest
schon seit langem ihr Gatte."

Giulio antwortete nicht und der Greis schrieb dies einer lobenswerten
Diskretion zu. In schweres Sinnen versunken, fragte sich Giulio, ob
Helena, verletzt durch den Tod eines Bruders, seinem Zartgefühl noch
gerecht werden würde; jetzt bereute er, was er damals versäumt hatte.
Darauf bat er den Alten, ihm alles, was sich am Tage des Kampfes in Albano
zugetragen hatte, frei zu erzählen. Fabio war gegen halb sieben Uhr
morgens getötet worden, mehr als sechs Meilen von Albano entfernt
und -- so unglaublich es klingt! -- schon um neun Uhr wurde von diesem Tod
zu sprechen begonnen. Gegen Mittag hatte man gesehen, wie sich der alte
Campireali, tränenüberströmt und auf seine Diener gestützt, in das
Kapuzinerkloster begab. Kurz darauf hatten drei dieser ehrwürdigen Väter,
auf den besten Rossen der Campireali und von vielen Dienstleuten gefolgt,
den Weg nach dem Dorf Ciampi eingeschlagen, in dessen Nähe der Kampf
ausgefochten worden war. Der alte Campireali wollte durchaus mit, aber man
hatte ihn davon abgebracht, indem man ihm vorstellte, daß Fabrizio Colonna
wütend sei (warum, wußte man allerdings nicht recht) und ihm übel
mitspielen könnte, wenn er gefangen genommen würde.

Nachts gegen die zwölfte Stunde schien der Wald von La Faggiola in Flammen
zu stehen: das waren alle Mönche und alle Armen von Albano, die -- jeder
eine große brennende Wachskerze in der Hand -- dem Leichnam des jungen
Fabio entgegengingen.

"Ich will dir nicht verhehlen," fügte der Greis hinzu, die Stimme senkend,
als fürchte er, gehört zu werden, "daß die Straße, welche nach Valmontone
und nach Ciampi führt ..."

"Nun was?" sagte Giulio.

"Nun wohl, diese Straße führt an deinem Haus vorbei und man sagt, daß das
Blut aus der schrecklichen, Halswunde wieder zu fließen begann, als Fabios
Leichnam dort vorbeikam."

"Wie entsetzlich!" rief Giulio und erhob sich.

"Beruhige dich, mein Freund", sagte der Greis. "Du siehst wohl ein, wie es
nötig ist, daß du alles weißt. Und jetzt muß ich dir sagen, daß deine
Anwesenheit hier heute ein wenig verfrüht erscheint. Wenn Ihr mir die Ehre
erweisen wollt, mich um Rat zu fragen, Kapitän, möchte ich hinzufügen, daß
es nicht passend ist, daß Ihr Euch früher als nach einem Monat in Albano
zeigt. Es ist wohl nicht notwendig, Euch aufmerksam zu machen, daß es
unvorsichtig wäre, nach Rom zu gehen. Man weiß noch nicht, wie sich der
Heilige Vater zu den Colonna stellen wird, man denkt zwar, daß er der
Erklärung Fabrizios Glauben schenken wird, der vorgibt, von dem Kampf bei
Ciampi nicht früher als durch das öffentliche Gerede gehört zu haben; aber
der Gouverneur von Rom, der ein treuer Orsini ist, wütet und würde
entzückt sein, einige der tapfren Soldaten Fabrizios hängen zu lassen, und
dieser könnte sich nicht einmal öffentlich beschweren, weil er schwört,
beim Kampf nicht dabei gewesen zu sein. Ich werde noch weiter gehen, und,
obwohl Ihr mich nicht danach fragt, mir die Freiheit nehmen, Euch einen
militärischen Rat zu geben: Ihr seid in Albano beliebt, sonst wäret Ihr
hier nicht in Sicherheit. Aber bedenkt, daß Ihr seit mehreren Stunden in
der Stadt umhergeht, daß einer der Anhänger der Orsini sich
herausgefordert fühlen könnte, oder mindestens an die Leichtigkeit, eine
schöne Belohnung zu gewinnen, denken kann. Der alte Campireali hat
tausendmal wiederholt, daß er seine schönste Besitzung dem schenkt, der
Euch tötet. Ihr hättet einige der Soldaten aus Eurem Haus nach Albano
herunternehmen sollen.[sic! Fehlt: "]

"Ich habe nicht einen Soldaten in meinem Haus."

"In diesem Fall seid Ihr ein Narr, Kapitän. Diese Herberge hat einen
Garten; wir werden uns durch den Garten machen und über die Weinberge
flüchten. Ich werde Euch begleiten; ich bin alt und ohne Waffen; aber wenn
wir Übelgesinnten begegnen, werde ich mit Ihnen sprechen; Ihr werdet
wenigstens Zeit gewinnen."

Giulios Seele war zerrissen. Sollen wir zu erzählen wagen, wie weit seine
Narrheit ging? Sowie er gehört hatte, daß der Palast Campireali
geschlossen war und alle seine Bewohner nach Rom abgereist seien, faßte er
den Plan, den Garten wiederzusehen, wo er so oft mit Helena
zusammengekommen war. Er hoffte sogar, ihr Zimmer wiederzusehen, wo sie
ihn empfangen hatte, wenn ihre Mutter abwesend war. Er hatte das
Bedürfnis, sich durch den Anblick der Orte, wo sie so zärtlich zu ihm
gewesen war, gegen ihren Zorn zu wappnen.

Branciforte und der edelmütige Alte hatten keine unangenehme Begegnung,
während sie den kleinen Pfaden folgten, die durch die Weinberge zum See
ansteigen. Giulio ließ sich von neuem die Einzelheiten des Begräbnisses
des jungen Fabio erzählen. Die Leiche dieses tapfren jungen Mannes war von
vielen Priestern begleitet nach Rom überführt und in der Familiengruft im
Kloster San Onofrio am Gianicolo beigesetzt worden. Man hatte als einen
sehr auffallenden Umstand vermerkt, daß Helena am Vorabend der Zeremonie
von ihrem Vater nach dem Kloster der Heimsuchung in Castro zurückgebracht
worden war; dies hatte das umlaufende Gerücht verstärkt, daß sie heimlich
mit dem Wegelagerer vermählt sei, der das Unglück gehabt hätte, ihren
Bruder zu töten.

Als er bei seinem Haus ankam, fand Giulio den Korporal seiner
Kampagnie[sic! statt: Kompagnie] mit vieren seiner Soldaten; sie sagten
ihm, daß ihr früherer Hauptmann nie den Wald verlassen hätte, ohne einige
seiner Leute bei sich zu haben. Der Fürst hatte öfters geäußert, daß
jeder, bevor er sich aus Unvorsichtigkeit töten lasse, vorher seinen
Abschied nehmen möge, damit er die Rache für einen solchen Tod nicht ihm
aufbürde.

Giulio Branciforte verstand die Berechtigung solcher Gedanken, die ihm
bisher völlig fremd gewesen waren. Er hatte, ähnlich, wie es die
Naturvölker tun, geglaubt, daß der Krieg in nichts bestünde, als sich
tapfer zu schlagen. Er fügte sich auf der Stelle den Wünschen des Fürsten
und nahm sich nur noch die Zeit, den weisen Alten zu umarmen, der so
edelmütig gewesen war, ihn nach Haus zu begleiten.

Aber einige Tage später kehrte Giulio halb verrückt vor Schwermut zurück,
um den Palast Campireali wiederzusehen. Mit Einbruch der Nacht kamen er
und seine Soldaten, als neapolitanische Kaufleute verkleidet, nach Albano.
Er sprach allein bei Scotti vor und hörte, daß Helena noch immer im
Kloster von Castro verbannt sei. Ihr Vater, der sie mit dem vermählt
glaubte, den er den Mörder seines Sohnes nannte, hatte geschworen, sie nie
wiederzusehen. Selbst als er sie ins Kloster brachte, hatte er sie nicht
angesehen. Die Zärtlichkeit ihrer Mutter dagegen schien sich zu verdoppeln
und oft verließ sie Rom, um einen Tag oder zwei bei ihrer Tochter zu
verbringen.



IV.


'Wenn ich mich vor Helena nicht rechtfertige', sagte sich Giulio, als er
nachts den Standort seiner Kompagnie im Walde wiedergewann, 'wird sie mich
am Ende für einen Mörder halten. Gott weiß, was man ihr alles über diesen
unheilvollen Kampf erzählt hat.'

Er ging zum Fürsten in das befestigte Schloß La Petrella, um seine Befehle
entgegenzunehmen und bat um die Erlaubnis, nach Castro zu gehen. Fabrizio
Colonna verzog die Stirn:

"Die Angelegenheit des kleinen Gefechts ist bei Seiner Heiligkeit noch
nicht erledigt. Ihr müßt wissen, daß ich die Wahrheit erklärt habe;
versteht: daß ich ganz unbeteiligt an diesem Zusammenstoß war, von dem ich
sogar erst am folgenden Tage hier auf meinem Schloß La Petrella gehört
habe. Ich habe allen Grund, anzunehmen, daß Seine Heiligkeit schließlich
dieser aufrichtigen Vorstellung Glauben schenken wird. Aber die Orsini
sind mächtig und alle Welt sagt, daß Ihr Euch in diesem Scharmützel
hervorgetan habt. Die Orsini gehen so weit, zu behaupten, daß zahlreiche
Gefangene an den Baumästen aufgehängt worden sind. Ihr wißt, wie falsch
diese Darstellung ist; aber man kann Repressalien voraussehen."

Das tiefe Erstaunen, das in den kindlichen Blicken des jungen Hauptmanns
glänzte, belustigte den Fürsten; jedoch empfand er, daß es angesichts
solcher Unschuld geboten sei, deutlicher zu sprechen.

"Ich sehe in Euch", fuhr er fort, "jene vollendete Tapferkeit, die den
Namen Branciforte in ganz Italien bekannt gemacht hat. Ich hoffe, daß Ihr
für mein Haus die gleiche Treue haben werdet, die mir Euren Vater so teuer
gemacht hat; ich habe sie Euch vergelten wollen. Die Losung meiner
Mannschaft ist: Niemals die Wahrheit über irgend etwas zu sagen, das sich
auf mich oder meine Soldaten bezieht. Wenn Ihr im Augenblick, wo Ihr zu
sprechen genötigt seid, irgendeine Unwahrheit als nützlich erkennt, lügt,
wie's der Zufall zusammenfügt und hütet Euch, wie vor einer Todsünde, auch
nur im kleinsten die Wahrheit zu sagen. Ihr versteht, daß sie im Verein
mit andren Auskünften auf die Spur meiner Pläne bringen könnte. Ich weiß
übrigens, daß Ihr eine Liebelei im Kloster von Castro habt. Ihr könnt
vierzehn Tage in dem Nest totschlagen, wo es den Orsini weder an Freunden,
noch selbst an Agenten fehlt. Geht zu meinem Majordomus, der Euch
zweihundert Zechinen geben wird. Die Freundschaft, die ich für Euren Vater
hegte," fügte der Fürst lachend hinzu, "macht mir Lust, Euch Anleitung
über die Art zu geben, wie Ihr dieses Kriegs- und Liebesabenteuer zu gutem
Ende führt. Ihr und drei Eurer Soldaten werdet Euch als Kaufleute
verkleiden. Ihr dürft dabei nicht verfehlen, immer auf einen Eurer
Gefährten erzürnt zu sein, dessen Beruf es ist, immer betrunken zu
scheinen und sich viele Freunde zu machen, indem er allen Nichtstuern von
Castro den Wein zahlt. "[sic! Anführungszeichen wohl überzählig, da Rede
fortgesetzt wird.]Übrigens", fügte der Fürst in verändertem Ton hinzu,
"solltet Ihr von den Orsini gefangen und zum Tode verurteilt werden, so
gesteht nie Euren wahren Namen ein und noch weniger, daß Ihr zu mir
gehört. Ich habe nicht nötig, Euch anzuempfehlen, daß Ihr alle kleinen
Städte erst umgeht und stets durch das Tor eintretet, das der Richtung,
aus der Ihr kommt, entgegengesetzt liegt."

Giulio war über diese väterlichen Ratschläge gerührt, die von einem sonst
so ernsten Mann kamen. Zuerst lächelte der Fürst über die Tränen, die er
in den Augen des jungen Mannes erblickte, dann wurde aber auch seine
Stimme bewegt. Er zog einen der zahlreichen Ringe ab, die er an den
Fingern trug, und Giulio küßte, als er ihn empfing, die durch so edle
Taten berühmte Hand.

"Niemals hätte mein Vater so vorsorglich mit mir gesprochen", rief der
junge Mann begeistert aus.

Am übernächsten Morgen, ein wenig vor Anbruch des Tages, zog er in die
Mauern des kleinen Städtchens Castro ein, fünf Soldaten folgten ihm, wie
er verkleidet; zwei davon gingen für sich und schienen weder ihn noch die
drei andren zu kennen. Noch bevor sie in die Stadt eintraten, hatte Giulio
das Kloster der Heimsuchung bemerkt, ein großes, von schwarzen Mauern
umgebenes Gebäude, das einer Festung glich. Er lief zur Kirche; sie war
prächtig. Die Nonnen, die alle adlig und meist aus reichen Häusern waren,
wetteiferten untereinander aus Eitelkeit, um diese Kirche reich zu
schmücken, die der einzige Teil des Klosters war, welchen die Blicke der
Öffentlichkeit erreichten. Es war Gebrauch geworden, daß jene der Damen,
die aus einer vom Kardinal-Protektor des Ordens der Heimsuchung dem Papste
vorgelegten Liste von drei Nonnen zur Äbtissin erwählt wurde, eine
ansehnliche Gabe darbrachte, die dazu diente, ihren Namen zu verewigen.
Diejenige, deren Gabe geringer war als das Geschenk der letzten Äbtissin,
verfiel samt ihrer Familie der Verachtung.

Giulio trat zitternd in dieses prächtige Gebäude, das von Marmor und
Vergoldung strahlte. In Wahrheit dachte er kaum an den Marmor und die
Goldverzierungen; es schien ihm, daß er unter Helenas Augen sei. Der
Hochaltar hatte, wie man ihm sagte, mehr als achthunderttausend Francs
gekostet; aber seine Blicke übersahen die Schätze des Hochaltars und
hefteten sich auf ein vergoldetes Gitter, das fast vierzig Fuß hoch und
durch zwei Marmorpfeiler in drei Abteilungen geteilt war. Dieses Gitter,
dem seine mächtige Größe etwas Schreckliches verlieh, erhob sich hinter
dem Hochaltar und trennte den Chor der Nonnen von der allen Gläubigen
zugänglichen Kirche.

Giulio sagte sich, daß Nonnen und Pensionärinnen sich während des
Gottesdienstes hinter diesem goldenen Gitter befanden. In diesen inneren
Teil der Kirche konnte sich eine Nonne oder eine Pensionärin zu jeder
Tageszeit begeben, wenn sie Bedürfnis hatte, zu beten: Auf diesen aller
Welt bekannten Umstand gründeten sich die Hoffnungen des armen Liebhabers.
Allerdings deckte ein mächtiger schwarzer Schleier das Gitter auf der
Innenseite. 'Aber dieser Schleier', überlegte Giulio, 'kann kaum den Blick
der Pensionärinnen hindern, wenn sie in die öffentliche Kirche schauen,
denn ich -- stellte er fest -- der ich mich nur auf einige Entfernung
nähern kann, bemerke doch durch den Schleier die Fenster, die dem Chor
Licht geben, sehr gut; ja, ich kann sogar die geringsten Einzelheiten
ihrer Architektur unterscheiden,' Jeder Stab dieses prächtig vergoldeten
Gitters trug eine scharfe, gegen die sich ihm Nähernden gerichtete Spitze.

Giulio wählte einen sehr sichtbaren Platz an der hellsten Stelle, dem
linken Teil des Gitters gegenüber. Dort verbrachte er seine Tage damit,
die Messen zu hören. Da er sich hier nur von Bauern umgeben sah, konnte er
hoffen, selbst durch den schwarzen Schleier hindurch bemerkt zu werden.
Zum ersten Mal in seinem Leben trachtete der schlichte junge Mann
aufzufallen: sein Auftreten war gesucht; er gab zahlreiche Almosen beim
Eintritt und beim Verlassen der Kirche. Seine Leute und er behandelten die
kleinen Lieferanten und Arbeiter, die Verbindung mit dem Kloster hatten,
mit den größten Aufmerksamkeiten. Doch erst am dritten Tage hatte er
endlich Aussicht, einen Brief an Helena gelangen lassen zu können. Auf
seinen Befehl folgte man beständig den beiden Laienschwestern, die Vorräte
für das Kloster einzukaufen hatten; eine von ihnen hatte Beziehungen zu
einem Krämer. Einer der Soldaten Giulios, der Mönch gewesen war, gewann
die Freundschaft des Kaufmanns und versprach ihm eine Zechine für jeden
Brief, welcher der Pensionärin Helena Campireali zugestellt würde.

"Was!" sagte der Kaufmann bei der ersten Andeutung, die man ihm über diese
Sache machte, "einen Brief an die Frau des Briganten?"

Dieser Name war schon in Castro eingebürgert und doch war Helena erst vor
vierzehn Tagen dort angekommen; so schnell läuft alles, was der
Einbildungskraft Stoff gibt bei diesem Volk, das leidenschaftlich alle
genauen Einzelheiten liebt.

Der kleine Kaufmann fügte hinzu:

"Diese wenigstens ist verheiratet, aber wie viele unsrer Damen haben
solche Entschuldigung nicht und empfangen von draußen ganz andres als
Briefe."

In diesem ersten Brief erzählte Giulio mit unzähligen Einzelheiten alles,
was an jenem unheilvollen Todestag Fabios vor sich gegangen war. "Hassest
Du mich?" fragte er am Ende.

Helena antwortete nur eine Zeile, worin sie sagte, daß sie niemanden hasse
und den Rest ihres Lebens dazu verwenden wolle, den zu vergessen, der
ihren Bruder getötet hatte.

Giulio beeilte sich, zu antworten; nach Anklagen gegen das Schicksal, die
Platon nachahmten und damals in Mode waren, fuhr er fort:

"Du willst also das Wort Gottes, das er in der Heiligen Schrift für uns
niedergelegt hat, vergessen? Gott sagt: die Frau soll ihre Familie und
ihre Eltern verlassen, um ihrem Gatten zu folgen. Wagst du zu behaupten,
daß du nicht meine Frau bist? Erinnere dich an die Nacht von San Pietro.
Als die Morgenröte schon hinter dem Monte Cave aufstieg, warfst du dich
mir zu Füßen; ich wollte dich schonen; du gehörtest mir, wenn ich es
gewollt hätte; du konntest der Liebe, die du damals für mich fühltest,
nicht widerstehen. Ich hatte dir schon oft gesagt, daß ich dir mein Leben
und alles, was mir auf der Welt teuer ist, darbringe; aber plötzlich
schien mir, daß du mir auch antworten könntest -- wenn du es selbst
niemals tätest -- daß alle diese durch keine äußere Tat erhärteten Opfer
vielleicht nur Einbildung sind. Ein gegen mich grausamer, aber im Grunde
richtiger Gedanke erleuchtete mich. Ich dachte, daß nicht ohne Grund der
Zufall mir jetzt die Gelegenheit gebe, in deinem Interesse auf das höchste
Glück zu verzichten, das ich mir je hatte träumen lassen. Du warst in
meinen Armen und schon ohne Widerstand, erinnere dich, selbst dein Mund
wagte nicht zu verweigern. In diesem Augenblick ertönte das morgendliche
Ave Maria im Kloster von Monte Cave und durch einen wundersamen Zufall
drang dieser Ton bis zu uns. Du riefst mir zu: Bring dieses Opfer der
heiligen Madonna, der Mutter aller Reinheit. Ich hatte schon seit einem
Augenblick die Idee dieses Opfers, des einzigen, das ich dir je zu bringen
Gelegenheit haben würde. Ich fand es unerhört, daß auch dir der gleiche
Gedanke gekommen war. Der ferne Klang dieses Ave Maria rührte mich, ich
gestehe es; ich erfüllte deine Bitte. Das Opfer war jedoch nicht ganz
allein für dich gebracht; ich glaubte, unsre zukünftige Vereinigung unter
den Schutz der Mutter Gottes zu stellen. Damals dachte ich nicht daran,
daß von dir, Treulose, wohl aber, daß von deiner reichen und vornehmen
Familie Hindernisse kommen könnten. Wie hätte dieses Angelus von so weit
her, durch den halben Wald über die Gipfel der im Morgenwind bewegten
Bäume ohne übernatürliche Einwirkung bis zu uns dringen können? Da fielst
du vor mir auf die Knie, erinnerst du dich? Ich stand auf, zog aus meiner
Brust das Kreuz, das ich dort trage, und du schwurst auf dieses Kreuz, das
hier vor mir liegt, und bei deiner ewigen Verdammnis, wo du je sein
würdest und was immer auch geschehen möge, würdest du, sobald ich dir den
Befehl zukommen lasse, wieder ganz mein Eigen sein, wie du es in dem
Augenblick warst, als das Ave Maria von Monte Cave von so weit her an dein
Ohr rührte. Dann sagten wir fromm zwei Ave und zwei Paternoster. Nun wohl,
bei der Liebe, die du damals für mich fühltest oder wenn du sie -- wie ich
fürchte -- vergessen hast, bei deiner ewigen Verdammnis befehle ich dir,
mich heute Nacht in deinem Zimmer oder im Garten zu empfangen."

Der italienische Autor bringt seltsamerweise noch viele lange Briefe
Giulio Brancifortes, welche nach diesem geschrieben sind; aber er gibt nur
Auszüge aus den Antworten Helena Campirealis. Jetzt, einige hundert Jahre
später, stehen wir den Gefühlen der Liebe und der Religion, welche diese
Briefe erfüllen, so fremd gegenüber, daß ich fürchte, sie könnten zu lang
sein.

Aus diesen Briefen geht hervor, daß Helena endlich dem Befehl gehorchte,
der in dem von uns gekürzt wiedergegebenen Schreiben enthalten war. Giulio
fand ein Mittel, ins Kloster einzudringen; man vermöchte aus einem Wort
anzunehmen, daß er sich als Frau verkleidete. Helena empfing ihn, aber nur
hinter dem Gitter eines Erdgeschoßfensters, das auf den Garten ging. Zu
seinem unbeschreiblichen Schmerz erkannte Giulio, daß dieses einst so
zärtliche und sogar leidenschaftliche Mädchen zu einer Fremden geworden
war; sie behandelte ihn fast mit ausgesuchter Höflichkeit. Als sie ihn in
den Garten einließ, hatte sie fast ausschließlich der heiligen Pflicht des
Eides gehorcht. Die Begegnung war kurz: schon nach einigen Minuten gewann
der Stolz Giulios, der vielleicht durch die Ereignisse der letzten
vierzehn Tage ein wenig gereizt war, die Oberhand.

'Ich sehe nichts vor mir', sagte er zu sich, 'als den Schatten jener
Helena, die sich mir in Albano für das ganze Leben hingab,' Nun war es die
Hauptsache für Giulio, die Tränen zu verbergen, die bei den höflichen
Wendungen, mit denen Helena das Wort an ihn richtete, sein Gesicht
überströmten. Als sie aufgehört hatte, zu sprechen und die -- wie sie
sagte -- nach dem Tode eines Bruders so natürliche Veränderung zu
rechtfertigen, antwortete ihr Giulio, indem er sehr langsam sprach:

"Ihr erfüllt nicht Euer Gelöbnis; Ihr empfangt mich nicht im Garten; Ihr
liegt nicht vor mir auf den Knien, wie damals, eine halbe Minute, nachdem
wir jenes Ave Maria von Monte Cave hörten. Vergeßt Euren Schwur, wenn Ihr
könnt, ich vergesse nichts, Gott stehe Euch bei!"

Mit diesen Worten verließ er das vergitterte Fenster, an dem er gut noch
eine Stunde hätte bleiben können. Wer hätte ihm einige Augenblicke zuvor
sagen dürfen, daß er diese so herbeigesehnte Zusammenkunft freiwillig
abkürzen werde! Dieses Opfer zerriß seine Seele, aber er glaubte, daß er
Helenas Verachtung verdienen würde, wenn er auf ihre Förmlichkeit anders
als damit antwortete, daß er sie ihrer Reue überließ.

Vor Sonnenaufgang verließ er das Kloster. Er stieg zu Pferde und gab
seinen Soldaten Befehl, ihn eine Woche lang in Castro zu erwarten und dann
in den Wald zurückzukehren; er war außer sich vor Verzweiflung. Zuerst
wandte er sich nach Rom.

'Was?! Ich entferne mich von ihr!' sagte er sich bei jedem Schritt. 'Wie!
Wir sind einander fremd geworden! O Fabio! Wie bist du gerächt!'

Der Anblick der Menschen, die er auf der Straße antraf, steigerte noch
seinen Zorn; er lenkte sein Pferd quer über die Felder und ritt auf den
öden verlassenen Uferstreif zu, der das Meer begleitet. Als er nicht mehr
durch die Begegnungen mit diesen ruhigen Bauern gestört wurde, deren Los
er beneidete, atmete er auf; der Anblick dieser wilden Gegend war in
Einklang mit seiner Verzweiflung und mäßigte seinen Zorn; jetzt konnte er
sich der Betrachtung seines traurigen Schicksals hingeben.

'In meinem Alter', sagte er sich, 'habe ich eine Hilfe: eine andre Frau zu
lieben!'

Bei diesem traurigen Gedanken fühlte er seine Verzweiflung sich
verdoppeln; er sah nur zu gut, daß es für ihn nur eine Frau auf der Welt
gab. Er stellte sich die Qual vor, die er leiden würde, wenn er das Wort
Liebe vor einer andern als Helena ausspräche. Dieser Gedanke zerriß ihn.

Er wurde von einem Anfall bittren Lachens geschüttelt.

'Ich gleiche hier genau diesen Helden Ariosts,' dachte er, 'die einsam
durch öde Länder ziehen, um zu vergessen, daß sie ihre treulose Geliebte
in den Armen eines andren Ritters gefunden haben ... Aber sie ist nicht so
schuldig,' sagte er sich, indem er nach diesem tollen Lachen wieder in
Tränen ausbrach; 'ihre Untreue geht nicht so weit, einen andren zu lieben.
Diese bewegsame und reine Seele hat sich durch die schrecklichen Dinge
irreleiten lassen, die man ihr von mir erzählt hat; ohne Zweifel hat man
es ihr so dargestellt, als hätte ich mich an diesem verhängnisvollen
Überfall nur in der geheimen Absicht beteiligt, ihren Bruder zu töten. Man
wird noch weiter gegangen sein, man wird mir die schmutzige Berechnung
unterschoben haben, daß sie die alleinige Erbin eines ungeheuren Vermögens
werde, wenn ihr Bruder tot sei ... Und ich, ich habe die Dummheit
begangen, sie ganze vierzehn Tage allein der Überredung meiner Feinde als
Beute zu überlassen! Man muß zugeben, daß mir, zu allem meinem Unglück,
der Himmel auch noch den Verstand versagt hat, mein Leben zu lenken! Ich
bin ein verächtliches, bei Gott ein verächtliches Wesen! Mein Leben war
niemand nützlich und mir noch weniger als jedem andren.'

In diesem Augenblick hatte der junge Branciforte eine für jene Zeit sehr
seltsame Eingebung: sein Pferd schritt am äußersten Uferrand und zuweilen
benetzten die Wellen seine Hufe; er hatte den Einfall, es ins Meer zu
treiben und so das schreckliche Schicksal zu beenden, dessen Beute er war.
Was sollte er fernerhin machen, da das einzige Wesen auf der Welt, das ihn
jemals die Möglichkeit eines Glücks hatte fühlen lassen, ihn verließ? Dann
hielt ihn plötzlich ein andrer Gedanke zurück.

'Was sind die Qualen, die ich erdulde', sagte er sich, 'im Vergleich mit
jenen, die ich leiden würde, nachdem dieses elende Leben beendet ist?
Helena wird sich nicht mehr bloß gleichgültig gegen mich verhalten, wie
sie es jetzt tut, sondern ich würde sie in den Armen eines Nebenbuhlers
sehen, und dieser Rivale wird ein junger römischer Edelmann sein, reich
und angesehen; denn die Dämonen werden, wie es ihre Pflicht ist, die
grausamsten Bilder suchen, um meine Seele zu zerreißen. So werde ich
selbst im Tode Helena nicht vergessen können; ja, weit mehr: meine
Leidenschaft für sie wird sich verdoppeln; denn dies ist der sicherste
Weg, welchen die ewigen Mächte gehen können, um mich für meine
schreckliche Sünde zu bestrafen.'

Um die Versuchung gänzlich zu vertreiben, schickte sich Giulio an, das Ave
Maria zu beten. Einst, als er das morgendliche Ave Maria gehört hatte, das
der Mutter Gottes geweihte Gebet, war jene Versuchung über ihn gekommen,
edelmütig zu handeln, die ihm heute als die größte Torheit seines Lebens
erschien. Aber aus Ehrfurcht wagte er es nicht, weiterzugehen und den
Gedanken ganz auszudrücken, der sich seines Geistes bemächtigt hatte.

'Wenn ich durch Eingebung der Madonna in einen verhängnisvollen Irrtum
verfallen bin, muß sie da nicht in ihrer unendlichen Gerechtigkeit
irgendeinen Umstand schaffen, der mir das Glück wiedergibt?'

Dieser Gedanke an die Gerechtigkeit der Madonna verjagte nach und nach
seine Verzweiflung. Er hob den Kopf und sah hinter Albano und dem Wald den
von düsterem Grün bedeckten Monte Cave vor sich und das heilige Kloster,
dessen Morgenläuten ihn zu dem gebracht hatte, was er jetzt eine
schändliche Täuschung nannte, die an ihm verübt worden war. Der
unerwartete Anblick dieses heiligen Orts tröstete ihn.

'Nein,' rief er aus, 'es ist unmöglich, daß die Madonna mich im Stich
läßt. Wäre Helena meine Frau gewesen, wie ihre Liebe es zuließ und meine
Würde als Mann es forderte, so hätte die Erzählung von ihres Bruders Tod
in ihrer Seele die Erinnerung an das Band vorgefunden, das sie mit mir
verknüpft. Sie hätte sich gesagt, daß sie mir lange angehörte, bevor der
unglückliche Zufall mich auf dem Kampfplatz Fabio gegenüberstellte. Er war
zwei Jahre älter als ich, er war erfahrener in den Waffen, in jeder
Hinsicht gewandter und stärker. Tausend Gründe wären meiner Frau
eingefallen, daß nicht ich diesen Kampf gesucht haben könne. Sie würde
sich erinnert haben, daß ich nie den mindesten Haß gegen ihren Bruder
gehegt habe, selbst damals nicht, als er mit der Büchse nach uns schoß.
Ich erinnere mich an unsre erste Zusammenkunft nach meiner Rückkehr aus
Rom; ich sagte ihr: 'Was willst du? die Ehre verlangt es; ich kann einen
Bruder nicht tadeln!''

Durch sein Gebet zur Madonna der Hoffnung wiedergegeben, spornte Giulio
sein Pferd an und gelangte in einigen Stunden zum Standquartier seiner
Kompagnie. Er fand sie im Begriff abzumarschieren: man wollte auf die von
Neapel über Monte Cassino nach Rom führende Straße gelangen. Der junge
Hauptmann wechselte das Pferd und ging mit seinen Leuten. An diesem Tag
schlug man sich nicht. Giulio fragte nicht, warum man fortmarschiert sei;
es lag ihm wenig daran, es zu wissen. Im Augenblick, als er sich an der
Spitze seiner Soldaten sah, erschien ihm sein Schicksal in neuem Licht.

'Ich bin ganz einfach ein Tor,' sagte er sich, 'ich habe Unrecht getan,
Castro zu verlassen; Helena ist wahrscheinlich weniger schuldig, als mein
Zorn es mir einbildete. Nein, diese kindlich reine Seele, deren erste
Liebesregungen ich entstehen sah, kann nicht aufgehört haben, mir zu
gehören! Sie war von Leidenschaft für mich durchdrungen! Hat sie mir nicht
mehr als zehnmal angeboten, mit mir, der ich so arm bin, zu fliehen, und
uns durch einen Mönch von Monte Cave trauen zu lassen? In Castro hätte ich
vor allem eine zweite Zusammenkunft erlangen und ihr Vernunft zusprechen
müssen; wahrhaftig, die Leidenschaft macht mich zerfahren wie ein Kind! O
Gott, daß ich nicht einen Freund habe, einen Rat zu erflehen! Der gleiche
Schritt erscheint mir im Zeitraum von zwei Minuten verwerflich und
vortrefflich.'

Am Abend dieses Tags, als man die Landstraße verließ, um sich wieder in
den Wald zu schlagen, näherte sich Giulio dem Fürsten und fragte ihn, ob
er noch einige Tage dort, wo er wüßte, bleiben könnte.

"Geh zu allen Teufeln!" rief Fabrizio, "glaubst du, daß jetzt der
Augenblick sei, mich mit Kindereien zu unterhalten?"

Eine Stunde später ritt Giulio wieder nach Castro zurück. Er fand dort
seine Leute vor; aber er wußte nicht, wie er Helena schreiben solle,
nachdem er sie so hochfahrend verlassen hatte. Sein erster Brief enthielt
nichts als die Worte: "Wird man mich in der nächsten Nacht empfangen
wollen?"

"Man kann kommen", war auch die ganze Antwort.

Nach Giulios Abreise hatte sich Helena für immer verlassen geglaubt. Nun
erst hatte sie die ganze Tragweite der Überlegungen des armen
unglücklichen jungen Mannes verstanden: sie war seine Frau gewesen, bevor
er das Unglück gehabt hatte, ihren Bruder im Kampf zu treffen.

Diesmal wurde Giulio nicht mit den höflichen Wendungen empfangen, die ihm
bei der ersten Zusammenkunft so grausam erschienen waren. Helena erschien
allerdings wieder nur hinter ihrem vergitterten Fenster, aber sie
zitterte, und da der Ton Giulios sehr kühl war und seine Redewendungen
fast als ob er mit einer Fremden spräche, war es jetzt an Helena, zu
fühlen, wie grausam solch förmlicher Ton, nach der früheren süßen
Vertrautheit wirkte. Giulio, der fürchtete, daß seine Seele wieder durch
ein kaltherziges Wort Helenas zerrissen werden könnte, hatte den Ton eines
Advokaten angenommen, um ihr zu beweisen, daß sie lange vor dem
verhängnisvollen Kampf von Ciampi seine Frau gewesen sei. Helena ließ ihn
reden, weil sie fürchtete, von Tränen überwältigt zu werden, wenn sie ihm
anders als mit kurzen Worten antworte. Am Ende, als sie kaum mehr an sich
halten konnte, bat sie ihren Freund, am nächsten Tag wiederzukommen. Es
war am Vorabend eines hohen Festes, die Morgenandacht wurde sehr früh
gesungen und ihre Zusammenkunft konnte leicht entdeckt werden. Giulio, der
wie ein Verliebter dachte, verließ den Garten in tiefstem Nachsinnen: er
vermochte nicht zu unterscheiden, ob er gut oder schlecht aufgenommen
worden sei, und weil durch den Umgang mit seinen Kameraden ihm soldatische
Sitten vertraut geworden waren, sagte er sich:

"Es wird vielleicht dazu kommen, daß ich Helena entführen muß."

Und er überlegte die verschiedenen Möglichkeiten, mit Gewalt in den Garten
einzudringen. Da das Kloster sehr reich und lohnend zu brandschatzen war,
hatte es eine große Anzahl Bediensteter in seinem Sold, die ehemals meist
Soldaten gewesen waren; man hatte sie in einer Art Kaserne untergebracht,
deren vergitterte Fenster auf einen schmalen Durchlaß sahen, der von dem
äußeren Tor, das in der Mitte einer schwarzen, mehr als achtzig Fuß hohen
Mauer lag, zu dem inneren führte, welches von der Schwester Pförtnerin
bewacht wurde. Zur Linken dieses schmalen Gangs erhob sich die Kaserne,
zur Rechten die mehr als dreißig Fuß hohe Mauer des Gartens. Die Fassade
des Klosters ward von einer dicken, vom Alter geschwärzten Mauer gebildet,
die außer dem äußeren Tor und einem einzigen kleinen Fenster, durch das
die Soldaten hinaussehen konnten, keine Öffnungen aufwies. Man kann sich
den düstern Eindruck dieser hohen schwarzen Mauer vorstellen, die einzig
von einer mit breiten Eisenbändern und ungeheuren Nägeln verstärkten Tür
und einem kleinen Fenster von vier Fuß Höhe und achtzehn Zoll Breite
unterbrochen war.

Wir begleiten den Chronisten nicht weiter in der langen Schilderung aller
folgenden Zusammenkünfte, die Giulio von Helena gewährt wurden. Der Ton
der beiden Liebenden war ganz so vertraut geworden wie damals im Garten zu
Albano, nur hatte Helena niemals einwilligen gewollt, in den Garten
hinabzusteigen. Eines Nachts fand sie Giulio sehr nachdenklich: ihre
Mutter war aus Rom gekommen, um sie zu sehen und wollte einige Tage im
Kloster bleiben. Diese Mutter war so zärtlich und hatte stets so
zartfühlende Rücksicht auf die Neigung, die sie bei ihrer Tochter
vermutete, genommen, daß es dieser schwere Gewissenspein bereitete, sie
täuschen zu müssen. Könnte sie es aber wagen, ihr zu gestehen, daß sie den
Mann empfing, der sie ihres Sohnes beraubt hatte? Helena bekannte
schließlich Giulio offen ein, daß sie nicht die Kraft haben würde, dieser
Mutter, die so gut war, mit Lügen zu antworten, wenn sie nach der Wahrheit
gefragt würde. Giulio fühlte ganz die Gefahr seiner Lage, sein Schicksal
hing vom Zufall ab, welcher der Signora di Campireali nur ein Wort
einzugeben brauchte. In der folgenden Nacht sagte er deshalb mit
entschlossener Miene: "Morgen werde ich früher kommen, ich werde eine der
Stangen dieses Gitters ausbrechen, du wirst in den Garten heraussteigen,
und ich führe dich in eine Kirche der Stadt, wo ein mir ergebener Priester
uns trauen wird. Noch bevor es Tag ist, bist du wieder im Garten. Wenn du
erst meine Frau bist, habe ich keine Furcht mehr und werde allem
zustimmen, was deine Mutter als Sühne für das schreckliche Unglück
verlangen kann, das wir alle beklagen, -- wäre es selbst, einige Monate
vergehen zu lassen, ohne dich zu sehen."

Da Helena von diesem Vorschlage bestürzt zu sein schien, fügte Giulio
hinzu:

"Der Fürst ruft mich zu sich zurück; die Ehre und alle möglichen Gründe
verpflichten mich, zu folgen. Mein Vorschlag ist das einzige, was unsre
Zukunft sichern kann. Wenn Du mir nicht zustimmst, trennen wir uns für
immer, hier, in diesem Augenblick. Ich werde mit Reue wegen meiner Torheit
abreisen. Ich habe an Dein Ehrenwort geglaubt, Du bist dem heiligsten
Schwur untreu, und ich hoffe, daß die gerechte Verachtung, die mir Deine
Leichtfertigkeit einflößen wird, mit der Zeit mich von dieser Liebe heilt,
die schon zu lange das Unglück meines Lebens ist.[sic! Fehlt: "]

Helena brach in Tränen aus.

"Großer Gott!" rief sie weinend, "wie entsetzlich für meine Mutter!"

Schließlich willigte sie in den Vorschlag.

"Aber", fügte sie noch hinzu, "man kann uns beim Fortgehen oder beim
Wiederkommen entdecken; bedenkt den Skandal, denkt an die schreckliche
Lage, in der sich meine Mutter befinden würde; warten wir ihre Abreise ab,
die in einigen Tagen stattfinden wird."

"Es ist Euch gelungen, mich an dem zweifeln zu lassen, was für mich das
Höchste und Heiligste war: mein Vertrauen in Euer Wort. Morgen Abend
werden wir verheiratet sein, oder wir sehen uns in diesem Augenblick, auf
dieser Seite des Grabes zum letztenmal."

Die arme Helena konnte nur mit Tränen antworten, besonders schmerzte sie
der grausam entschiedene Ton, den Giulio anschlug. Hatte sie denn wirklich
seine Verachtung verdient? Das war also der einst so fügsame und zärtliche
Geliebte! Endlich stimmte sie seinen Anordnungen zu. Giulio entfernte
sich. Von diesem Augenblick an erwartete Helena die kommende Nacht in
allen Zuständen der verzweifeltsten Angst. Wenn sie sich auf ihren Tod
hätte vorbereiten müssen, wäre ihr Schmerz weniger qualvoll gewesen, sie
hätte Mut in dem Gedanken an die Liebe Giulios und an die zärtliche
Neigung ihrer Mutter gefunden. Der Rest der Nacht verging in grausamster
Unschlüssigkeit. Es gab Augenblicke, wo sie ihrer Mutter alles gestehen
wollte. Am nächsten Morgen war sie derart bleich, als sie vor ihr
erschien, daß diese, all ihre weisen Vorsätze vergessend, sich in die Arme
ihrer Tochter warf und ausrief:

"Was geht vor? Großer Gott! Sage mir, was du getan hast oder auf dem
Sprung stehst, zu tun? Wenn du einen Dolch nähmest und mir ins Herz
stießest, würdest du mich weniger leiden lassen, als durch das grausame
Schweigen, das du gegen mich beobachtest."

Die grenzenlose Zärtlichkeit ihrer Mutter ward Helena so deutlich, sie sah
so klar, daß diese den Ausdruck ihrer Gefühle zu dämpfen suchte, statt ihn
zu übertreiben, daß endlich die Rührung sie überwältigte; sie fiel ihr zu
Füßen. Als ihre Mutter, um das Geheimnis zu ergründen, ausrief, daß Helena
ihre Nähe fliehe, antwortete sie: daß sie morgen und alle folgenden Tage
ihr Leben bei ihr verbringen würde, aber sie flehentlich bitte, nicht
weiter zu fragen.

Dieser verräterischen Äußerung folgte bald ein volles Geständnis. Signora
von Campireali hatte es mit Abscheu erfüllt, den Mörder ihres Sohnes so
nah zu wissen. Aber diesem Schmerz folgte ein Strom reinster und
lebhaftester Freude. Wer könnte sich ihr Entzücken vorstellen, als sie
erfuhr, daß ihre Tochter sich nie gegen ihre Pflicht vergangen hatte?

Sofort änderten sich die Pläne dieser klugen Mutter ganz und gar; es
schien ihr erlaubt, gegen einen Menschen, der ihr nichts war, zur List zu
greifen. Helenas Herz war von den heftigsten Leidenschaften zerrissen: die
Aufrichtigkeit ihrer Geständnisse war vollständig; diese gemarterte Seele
hatte das Bedürfnis, sich auszuschütten. Signora Campireali, welche jetzt
alles für erlaubt hielt, erfand eine Reihe von Vernunftgründen, die zu
weit führen würden, wollten wir sie hier wiedergeben. Sie bewies ihrer
unglücklichen Tochter ohne Mühe, daß sie statt einer heimlichen Ehe, die
immer ein Makel für eine Frau sei, eine öffentliche Trauung in allen Ehren
erlangen könne, wenn sie den Akt des Gehorsams, den sie einem so
edelmütigen Geliebten schulde, nur um acht Tage hinausschöbe. Sie, die
Signora Campireali, würde nach Rom reisen, sie würde ihrem Mann darlegen,
daß Helena lange vor dem verhängnisvollen Gefecht von Ciampi mit Giulio
verheiratet gewesen sei. Die Trauung sollte in der gleichen Nacht
stattgefunden haben, wo sie, als Mönche verkleidet, ihrem Vater und Bruder
am Ufer des Sees, auf dem in den Felsen gehauenen Weg begegnet waren, der
längs der Mauer des Kapuzinerklosters führt. Die Mutter hütete sich, ihre
Tochter während des Tags allein zu lassen, und schließlich schrieb Helena
abends ihrem Geliebten einen kindlichen und wie uns scheint sehr rührenden
Brief, in welchem sie ihm die Kämpfe, die ihr Herz zerrissen hatten,
schilderte. Zum Schluß bat sie ihn kniefällig um einen Aufschub von acht
Tagen: "Indem ich diesen Brief schreibe," fügte sie hinzu, "auf den ein
Bote meiner Mutter wartet, scheint mir, daß ich das größte Unrecht
begangen habe, ihr alles zu sagen. Ich glaube, dich erzürnt zu sehen;
deine Augen blicken mich mit Haß an; mein Herz ist von den grausamsten
Selbstvorwürfen zerrissen. Du wirst sagen, daß ich einen sehr schwachen,
sehr verzagten, sehr verächtlichen Charakter habe, ich gebe es zu, mein
teurer Engel. Aber stelle dir dies Schauspiel vor: Meine Mutter, in Tränen
aufgelöst, lag fast zu meinen Knien. Da war es mir ganz unmöglich, ihr
nicht zu gestehen, daß ein bestimmter Grund mir verbiete, ihrer Bitte
nachzugeben; und wie ich erst einmal so schwach gewesen war, dieses
unvorsichtige Wort auszusprechen, weiß ich nicht, was in mir vorging, aber
es ist mir unmöglich vorgekommen, ihr nicht alles zu erzählen, was
zwischen uns geschehen ist. Soweit ich mich erinnern kann, scheint mir,
daß meine Seele, aller Kraft entblößt, Rat brauchte. Ich hoffte, ihn in
den Worten meiner Mutter zu finden ... Ich hatte völlig vergessen, mein
Freund, daß das Interesse dieser geliebten Mutter dem deinen
entgegengesetzt ist. Ich habe meine oberste Pflicht vergessen, welche ist,
dir zu gehorchen; und scheinbar bin ich der wahren Liebe nicht fähig,
welche über jede Prüfung erhaben sein soll. Verachte mich, mein Giulio,
aber im Namen Gottes, höre nicht auf, mich zu lieben. Entführe mich, wenn
du willst, aber billige mir zu, daß die schrecklichsten Gefahren, sogar
die Schande, daß nichts auf der Welt mich hätte verhindern können, deinem
Befehl zu gehorchen, wenn meine Mutter nicht im Kloster gewesen wäre. Doch
diese Mutter ist so gut! Sie hat so viel Überredungsgabe! Sie ist so
edelmütig! Erinnere dich, als damals mein Vater das Zimmer durchforschte,
rettete sie die Briefe, welche ich niemals hätte verbergen können. Dann,
als die Gefahr vorüber war, gab sie mir sie zurück, ohne sie gelesen zu
haben und ohne ein Wort des Vorwurfs! Sie ist mein ganzes Leben hindurch
so zu mir gewesen, wie sie es in diesem höchsten Augenblick war. Du
siehst, wie ich sie lieben müßte. Und doch scheint es mir, während ich dir
schreibe (wie furchtbar zu sagen), daß ich sie hasse. Sie hat erklärt, daß
sie diese Nacht der Hitze wegen im Garten unter einem Zelt verbringen
wolle; ich höre die Hammerschläge, man errichtet jetzt das Zelt; es ist
unmöglich, daß wir uns heute Nacht sehen. Ich fürchte sogar, daß der
Schlafsaal der Pensionärinnen verschlossen wurde, ebenso die beiden Türen
der Wendeltreppe, was sonst nie geschah. Diese Vorsichtsmaßregeln würden
es mir unmöglich machen, in den Garten hinunterzugehen, wenn ich selbst
einen solchen Schritt nötig fände, um deinen Zorn zu beschwören. Ach, wie
ich mich dir jetzt ausliefern würde, wenn sich mir ein Mittel böte! Wie
ich zu dieser Kirche eilen würde, wo man uns trauen soll!"

Dieser Brief schloß mit zwei Seiten toller Sätze, in welchen ich
leidenschaftliche Redewendungen fand, die auf die Ideen Platons
zurückzugehen scheinen. Ich habe in dem eben übersetzten Brief mehrere
Sätze dieser Art unterdrückt.

Giulio Branciforte war sehr erstaunt, als er abends etwa eine Stunde vor
dem Ave Maria dieses Schreiben erhielt; er hatte grade die Abmachung mit
dem Priester beendet. Er war außer sich vor Zorn.

'Sie hat nicht notwendig, mir zu raten, daß ich sie entführe. Dieses
schwache, zaghafte Geschöpf!'

Und er brach sogleich nach dem Walde von La Faggiola auf.

Für Signora Campireali stand die Sache folgendermaßen: Ihr Gatte lag auf
dem Sterbebett; die Unmöglichkeit, sich an Branciforte zu rächen, brachte
ihn langsam zum Grabe. Vergebens hatte er mehrmals den römischen Bravi
beträchtliche Summen anbieten lassen; keiner hatte sich an einem der
"Korporale", wie sie sagten, des Fürsten Colonna vergreifen wollen; sie
waren zu gewiß, samt ihren Familien ausgetilgt zu werden. Es war noch kein
Jahr her, daß ein ganzes Dorf zur Strafe für den Tod eines Soldaten des
Colonna niedergebrannt wurde, und alle Einwohner, Männer und Frauen,
welche in die Campagna zu fliehen suchten, wurden an Händen und Füßen
gefesselt in die brennenden Häuser geworfen.

Signora Campireali besaß große Güter im Königreich Neapel; ihr Gatte hatte
ihr aufgetragen, von dort Mörder kommen zu lassen; aber sie hatte nur zum
Schein zugestimmt, denn sie glaubte ihre Tochter unlöslich an Giulio
Branciforte gebunden. In dieser Voraussetzung meinte sie, daß Giulio einen
oder zwei Feldzüge in den spanischen Heeren mitmachen solle, welche damals
Krieg gegen die Aufständischen in Flandern führten. Fiele er nicht, so
sollte dies ein Zeichen sein, daß Gott eine Heirat nicht mißbillige, die
sich nicht vermeiden ließ; in diesem Fall würde sie ihrer Tochter die
Güter geben, welche sie im Königreich Neapel besaß, Giulio Branciforte
würde den Namen einer dieser Besitzungen annehmen und einige Jahre mit
seiner Frau in Spanien verbringen. Nach allen diesen Prüfungen würde sie
vielleicht den Mut finden, ihn zu sehen. Doch alles war seit dem
Geständnis ihrer Tochter anders geworden; die Heirat war keine
Notwendigkeit mehr -- weit entfernt davon -- und während Helena ihrem
Geliebten den Brief schrieb, den wir wiedergegeben haben, schrieb Signora
Campireali nach Pescara und nach Chieti und gab ihren Pächtern den
Auftrag, ihr sichere Männer nach Castro zu senden, die zu einem
Handstreich zu gebrauchen wären. Sie verhehlte ihnen nicht, daß es sich
darum handelte, den Tod Fabios, ihres jungen Herrn, zu rächen. Der Kurier
machte sich mit diesen Briefen noch vor Ende des Tags auf den Weg.



V.


Schon am übernächsten Tage war Giulio wieder in Castro, er führte acht
seiner Soldaten mit sich, welche ihm freiwillig gefolgt waren, wenn sie
sich gleich dem Zorn des Fürsten aussetzten, der einige Male
Unternehmungen dieser Art mit dem Tode bestraft hatte. Giulio hatte schon
fünf Mann in Castro und acht brachte er hinzu; indessen schienen ihm
vierzehn Soldaten, wie tapfer sie auch sein mochten, nicht ausreichend für
sein Unternehmen; denn das Kloster glich einer Festung.

Es handelte sich darum, durch das erste Tor des Klosters mit Gewalt oder
List zu dringen und dann durch einen Gang von mehr als fünfzig Schritten
Länge zu kommen. Linker Hand sollten die vergitterten Fenster einer Art
Kaserne liegen, wo die Nonnen dreißig bis vierzig Diener, ehemalige
Soldaten, untergebracht hatten. Aus diesen vergitterten Fenstern würde,
sobald erst das Kloster alarmiert war, ein ausgiebiges Feuer abgegeben
werden.

Die regierende Äbtissin, eine Frau von starkem Verstande, hatte Angst vor
den Unternehmungen der Orsini, Colonna, Marco Sciarra und so vieler
andrer, welche die umliegende Gegend beherrschten. Wie war es möglich,
achthundert entschlossenen Männern Widerstand zu leisten, wenn sie
unversehens eine kleine Stadt wie Castro einnahmen, weil sie das Kloster
mit Gold gefüllt glaubten?

Gewöhnlich waren im Kloster der Heimsuchung von Castro fünfzehn oder
zwanzig Bravi in der Kaserne zur Linken des Ganges, der zur zweiten
Klosterpforte führte; zur Rechten dieses Durchlasses lag eine hohe,
uneinnehmbare Mauer; an seinem Ende befand sich ein eisernes Tor, das auf
eine Säulenhalle führte; nach dieser kam der große Klosterhof, rechts der
Garten. Diese eiserne Türe war von der Pförtnerin bewacht.

Als Giulio mit seinen acht Mann sich drei Meilen vor Castro befand, machte
er in einem abgelegenen Wirtshaus Halt, um die Stunden der großen Hitze
verstreichen zu lassen. Dort erst legte er sein Vorhaben dar; dabei
zeichnete er den Plan des Klosters, das er angreifen wollte, in den Sand
des Hofs.

"Um neun Uhr", sagte er seinen Leuten, "werden wir außerhalb der Stadt zu
Abend essen; um Mitternacht werden wir eintreten. Eure fünf Kameraden
erwarten uns in der Nähe des Klosters. Einer von ihnen wird zu Pferde sein
und die Rolle eines Kuriers spielen, der aus Rom kommt, um Signora von
Campireali zu ihrem Gemahl zu rufen, der im Sterben liegt. Wir werden
versuchen, geräuschlos durch die erste Türe des Klosters zu kommen," sagte
er, indem er auf den Plan im Sand deutete, "die hier in der Mitte der
Kaserne liegt. Wenn wir den Kampf gleich beim ersten Tor beginnen, haben
es die Bravi der Nonnen zu leicht, uns Flintenschüsse nachzusenden,
während wir auf diesem kleinen Platz da vor dem Kloster sind oder durch
den engen Gang zwischen dem ersten und zweiten Tor laufen. Dieses zweite
Tor ist von Eisen, aber ich besitze den Schlüssel dazu. Allerdings sind
große, mit einem Ende an der Mauer befestigte Eisenbalken oder
Sperrstangen da, welche, wenn sie vorgelegt sind, das Öffnen der Torflügel
verhindern. Aber da die beiden Eisenstangen zu schwer sind, als daß die
Schwester Pförtnerin sie handhaben könnte, habe ich sie nie an ihrem Platz
gesehen und bin doch mehr als zehnmal durch das Eisentor gegangen. Ich
rechne darauf, auch heute Abend ohne Hindernis hindurchzukommen. Ihr merkt
wohl, daß ich Bekanntschaften im Kloster habe. Mein Ziel ist: eine
Pensionärin zu entführen, und nicht eine Nonne; wir dürfen erst im
äußersten Notfall von den Waffen Gebrauch machen. Wenn wir den Kampf
eröffnen, bevor wir an dieser zweiten Tür mit den Eisen angekommen sind,
wird die Pförtnerin nicht verfehlen, zwei alte siebzigjährige Gärtner, die
im Kloster wohnen, herbeizurufen, und diese Alten würden die Stangen
vorlegen. Wenn uns dieser Unglücksfall zustößt, müssen wir erst die Mauer
demolieren, um durch die Tür zu kommen, was uns zehn Minuten kosten würde;
auf jeden Fall werde ich als erster zur Tür eilen. Einer der Gärtner ist
von mir gekauft, aber, wie Ihr Euch denken könnt, habe ich mich gehütet,
ihm etwas von meinem Entführungsplan zu erzählen. Wenn man diese zweite
Tür hinter sich hat, wendet man sich nach rechts in den Garten, und sind
wir erst in diesem Garten, so sprechen die Waffen; man muß alles
niedermachen, was sich in den Weg stellt. Ihr werdet natürlicherweise nur
Eure Schwerter und Dolche brauchen; ein einziger Flintenschuß würde die
ganze Stadt in Aufruhr bringen und man würde uns beim Abzug angreifen.
Glaubt nicht, daß ich mich mit dreizehn Mann, wie Ihr seid, nicht stark
genug fühle, durch dieses Nest zu kommen: sicher würde niemand wagen, auf
die Straße hinabzusteigen; aber mehrere Bürger haben Flinten und sie
würden aus den Fenstern schießen. Nebenbei gesagt muß man sich in diesem
Fall längs der Häuser halten. Einmal im Garten, sagt Ihr mit leiser Stimme
zu jedem, der sich zeigt: Zieh dich zurück! und wenn er nicht
augenblicklich gehorcht, tötet Ihr ihn mit dem Dolch. Ich dringe dann mit
denen von Euch, die gerade um mich sind, durch die kleine Gartentür ins
Kloster ein, und drei Minuten später kehre ich mit einer oder zwei Frauen
zurück, die wir auf unsren Armen tragen und nicht selbst gehen lassen
werden. Sofort verlassen wir eilig das Kloster und die Stadt. Zwei von
Euch werde ich in der Nähe des Tors zurücklassen, sie werden von Minute zu
Minute etwa zwanzig Schüsse abgeben, um die Bürger zu schrecken und in
Entfernung zu halten."

Giulio wiederholte diese Erklärung zweimal.

"Habt Ihr gut verstanden?" sagte er seinen Leuten. "In der Vorhalle wird
es dunkel sein; rechts ist der Garten, links der Hof, man darf sich nicht
irren."

"Zählt auf uns!" riefen die Soldaten. Dann gingen sie trinken; der
Korporal folgte ihnen nicht und bat um die Erlaubnis, mit dem Kapitän
sprechen zu dürfen.

"Nichts ist einfacher", sagte er, "als der Plan Eurer Gnaden. Ich bin
schon zweimal in meinem Leben in Klöster eingebrochen; dies wäre das
dritte; aber wir sind zu wenig. Wenn der Gegner uns nötigt, die Mauer zu
zerstören, welche die Angel der zweiten Tür hält, muß man bedenken, daß
die Bravi während dieser langen Arbeit nicht müßig bleiben; sie werden
Euch sieben oder acht Mann erschießen und dann kann man uns am Rückweg die
Frau wieder abnehmen. Das ist uns in einem Kloster in der Nähe Bolognas
passiert: uns wurden fünf Mann getötet, wir töteten acht, aber der
Hauptmann bekam nicht die Frau. Ich schlage Euer Gnaden zweierlei vor: ich
kenne vier Bauern aus der Umgebung dieser Herberge, die Sciarra tapfer
gedient haben und sich für eine Zechine die ganze Nacht lang wie Löwen
schlagen würden. Vielleicht werden sie etwas Silber aus dem Kloster
rauben; das kümmert Euch wenig, denn die Sünde ist ihre Sache und Ihr
bezahlt sie, um eine Frau zu holen, das ist alles. Mein zweiter Vorschlag
ist folgender: Ugone ist ein gescheiter und sehr geschickter Bursche; er
war Arzt, als er seinen Schwager tötete und ging in die Macchia. Ihr könnt
ihn eine Stunde vor Sonnenuntergang zum Klostertor schicken, er wird um
Dienst bitten und wird es so geschickt einrichten, daß man ihn in die
Wache einreiht; dann wird er die Knechte der Nonnen betrunken machen, und
er ist sogar fähig, die Lunten ihrer Flinten zu durchnässen." Zu seinem
Unglück nahm Giulio den Vorschlag des Korporals an. Als dieser sich
entfernte, fügte er noch hinzu:

"Wir wollen ein Kloster angreifen. Das ist excommunicatio major und noch
mehr: dieses Kloster steht unmittelbar unter dem Schutz der Madonna ..."

"Ich verstehe!" rief Giulio, aufgerüttelt durch dieses Wort. "Bleibt bei
mir."

Der Korporal schloß die Tür und kam zurück, um den Rosenkranz mit Giulio
zu beten. Diese Andacht dauerte eine volle Stunde. Als es Nacht war, brach
man auf.

Wie es Mitternacht schlug, kehrte Giulio, der gegen elf Uhr allein nach
Castro gegangen war, zurück, um seine Leute zu holen, die außerhalb des
Tores gewartet hatten.

Er trat mit seinen acht Mann, denen sich drei gut bewaffnete Bauern
angeschlossen hatten, in die Stadt ein und vereinigte sich mit den fünf
Soldaten, welche er schon in der Stadt hatte; so befand er sich an der
Spitze von sechzehn entschlossenen Männern; zwei trugen als Diener
verkleidet weite Blusen aus schwarzem Leinen, um ihr giacco zu verdecken
und ihre Mützen waren nicht mit Federn geschmückt.

Eine halbe Stunde nach Mitternacht kam Giulio, der die Rolle des Kuriers
für sich übernommen hatte, im Galopp vor dem Klostertor an; er machte
mächtigen Lärm und schrie, daß man unverzüglich einem Kurier öffnen möge,
den der Kardinal schicke. Mit Wohlgefallen bemerkte er, daß die Soldaten,
die ihm durch das kleine Fenster neben dem Tor antworteten, halb betrunken
waren. Der Vorschrift folgend, schrieb er seinen Namen auf ein Stück
Papier, ein Soldat überbrachte den Namen der Pförtnerin, die den Schlüssel
zur zweiten Tür besaß und die Äbtissin in besondren Fällen zu wecken
hatte. Die Antwort ließ endlose dreiviertel Stunden auf sich warten.
Während dieser Zeit hatte Giulio viel Mühe, seinen Trupp ruhig zu halten;
einige Bürger öffneten schon vorsichtig ihre Fenster; endlich traf eine
günstige Antwort von der Äbtissin ein; Giulio wurde, gefolgt von zwei als
Diener verkleideten Soldaten, mit Hilfe einer fünf oder sechs Fuß langen
Leiter, die man ihm aus dem kleinen Fenster reichte, in die Wachstube
eingelassen; die Bravi des Klosters wollten sich nicht die Mühe machen,
das große Tor zu öffnen. Als er vom Fenster ins Wachzimmer sprang,
begegneten seine Augen dem Blick Ugones; die ganze Wache war, dank seiner
Vorsorge, betrunken. Giulio sagte dem Kommandanten, daß drei Diener der
Campireali, die er als Soldaten habe ausrüsten lassen, um ihn am Marsch zu
schützen, sehr guten Branntwein gekauft hätten und um Einlaß bäten, damit
sie sich nicht allein auf dem Platze langweilen müßten. Dem wurde einmütig
zugestimmt. Er selbst stieg mit seinen zwei Leuten die Treppe hinunter,
welche von der Wachstube in den Gang führte.

"Trachte die große Tür zu öffnen", sagte er zu Ugone.

Dann gelangte er unangefochten zur eisernen Tür. Dort fand er die gute
Pförtnerin, welche ihm sagte, daß jetzt, da Mitternacht vorbei sei, wenn
er ins Kloster eingelassen würde, die Äbtissin dem Bischof darüber Bericht
erstatten müßte. Darum lasse sie ihn bitten, seine Nachrichten der jungen
Schwester zu übergeben, welche die Äbtissin zu diesem Zweck schicke.
Worauf Giulio antwortete, wegen der Bestürzung, welche durch die
unerwartete Agonie des Signor von Campireali hervorgerufen worden sei,
hätte man ihm nur ein einfaches vom Arzt ausgefertigtes
Beglaubigungsschreiben mitgegeben; alle Einzelheiten sollte er mündlich
der Frau und Tochter des Kranken berichten, wenn diese Damen noch im
Kloster wären und in jedem Fall auch der Frau Äbtissin. Die Pförtnerin
ging, diese Botschaft zu überbringen. Niemand blieb an der Tür als die
junge Schwester, welche die Äbtissin gesandt hatte. Giulio plauderte und
scherzte mit ihr, dabei steckte er die Hände durch die dicken Eisenstangen
des Tors und versuchte es, immer noch lachend, zu öffnen. Die Schwester
war sehr schüchtern, sie hatte Angst und nahm die Scherze übel auf. Da
hatte Giulio, der sah, daß beträchtliche Zeit verstrich, die
Unvorsichtigkeit, der Schwester eine Handvoll Zechinen anzubieten, mit der
Bitte, ihn einzulassen, da er zu müde sei, zu warten. "Er wußte wohl, daß
er eine Dummheit beging," sagt der Erzähler, "er hätte mit Eisen und nicht
mit Gold arbeiten müssen; aber er hatte nicht das Herz dazu; nichts
leichter, als sich der Schwester zu bemächtigen, sie war nicht weiter als
einen Fuß breit von ihm, auf der andern Seite der Tür.[sic! Hier fehlt
wohl: "] Durch das Angebot der Zechinen wurde das junge Mädchen in
Schrecken versetzt. Sie sagte später, daß sie aus der Art wie Giulio zu
ihr gesprochen habe, wohl verstanden hätte, daß er kein gewöhnlicher
Kurier sei: 'Das ist der Geliebte einer unsrer Nonnen,' dachte sie, 'der
zu einem Stelldichein kommt'; und sie war fromm. Von Entsetzen ergriffen,
begann sie mit aller Kraft die Schnur einer kleinen Glocke zu ziehen, die
im großen Hof hing und alsogleich einen Lärm machte, um Tote zu wecken.
"Der Krieg beginnt," sagte Giulio seinen Leuten, "gebt acht!"

Er nahm seinen Schlüssel, und den Arm zwischen den Eisenstäben
durchzwängend, öffnete er die Tür zur größten Verzweiflung der jungen
Nonne, die sich über den Kirchenfrevel entsetzt schreiend auf die Knie
warf und Ave Maria zu beten begann. Noch in diesem Augenblick hätte Giulio
das junge Mädchen zum Schweigen bringen müssen, aber er hatte nicht das
Herz dazu; einer seiner Leute ergriff sie und schloß ihr den Mund.

Im selben Augenblick hörte Giulio im Gang hinter sich einen Flintenschuß.
Ugone hatte das große Tor geöffnet, die übrigen Soldaten traten ohne Lärm
ein, als einer der weniger betrunkenen Bravi der Wache sich einem der
vergitterten Fenster näherte und in seinem Erstaunen so viele Leute im
Gang zu sehen ihnen fluchend verbot, weiterzugehen. Man hätte nicht
antworten und ruhig weiter gegen die eiserne Tür vorgehen sollen, so
machten es auch die ersten, aber der letzte der Reihe, einer der am
Nachmittag erst angeworbenen Bauern, feuerte einen Pistolenschuß nach dem
Klosterknecht, der durchs Fenster rief, und tötete ihn. Dieser
Pistolenschuß mitten in der Nacht und das Schreien der Betrunkenen, als
sie ihren Kameraden fallen sahen, weckten jene Soldaten, welche diese
Nacht in ihren Betten lagen und nicht von Ugones Wein gekostet hatten.
Acht oder zehn Bravi des Klosters sprangen halb nackt in den Gang und
griffen die Soldaten Brancifortes heftig an.

Wie wir bereits gesagt haben, begann dieser Lärm im Augenblick, als Giulio
das eiserne Tor geöffnet hatte. Von seinen zwei Soldaten gefolgt, stürzte
er in den Garten und lief zu der kleinen Türe, die zur Treppe der
Pensionärinnen führte. Aber er wurde von fünf oder sechs Pistolenschüssen
empfangen. Seine beiden Soldaten fielen; er selbst bekam eine Kugel in den
rechten Arm. Diese Pistolenschüsse waren von den Leuten der Signora von
Campireali abgegeben, welche auf ihren Befehl die Nacht im Garten
zubrachten, wozu sie die Erlaubnis beim Bischof erwirkt hatte. Giulio lief
allein zu der kleinen, ihm so wohlbekannten Tür, welche vom Garten zur
Treppe der Pensionärinnen führte. Er tat, was er nur konnte, um sie
aufzusprengen, aber sie war fest verschlossen. Er suchte nach seinen
Leuten, doch die achteten nicht darauf, ihm zu antworten, denn sie
starben; er stieß in der tiefen Dunkelheit auf drei Dienstleute der
Signora von Campireali, deren er sich mit Dolchstichen erwehrte.

Er lief in die Vorhalle, gegen die Gittertür, um seine Soldaten zu rufen;
er fand diese Türe verschlossen: die beiden schweren Eisenarme waren auf
ihrem Platz und mit Schlössern gesichert, welche die alten Gärtner
vorgelegt hatten, als sie das Läuten der jungen Schwester weckte.

'Ich bin abgeschnitten', sagte sich Giulio. Er rief es seinen Leuten zu;
vergeblich versuchte er eins dieser Vorlegschlösser mit seinem Degen zu
sprengen; wenn ihm das geglückt wäre, hätte er eine der Eisenstangen
entfernen und einen Türflügel öffnen können. Sein Degen zerbrach im Ring
des Vorlegschlosses; im gleichen Augenblick wurde er durch einen aus dem
Garten herbeigeeilten Diener an der Schulter verwundet; er wandte sich um,
und gegen die Eisenpforte gelehnt, sah er sich von mehreren Männern
angegriffen. Er verteidigte sich mit seinem Dolch; zum Glück, da es völlig
dunkel war, trafen fast alle Degenstöße auf sein Panzerhemd. Er wurde
schmerzhaft am Knie verwundet, stürzte sich auf einen der Leute, der sich
zu weit vorgewagt hatte, um ihm diesen Degenstich zu versetzen, tötete ihn
mit einem Dolchstoß ins Gesicht und hatte das Glück, sich seines Degens zu
bemächtigen. Nun glaubte er sich gerettet; er stellte sich zur Linken der
Tür, an die Seite der Mauer. Seine Leute waren jetzt herbeigeeilt, sie
schossen fünf oder sechs Pistolenschüsse durch das Eisengitter hindurch
und trieben die Diener in die Flucht. Man sah hier in der Vorhalle nichts,
außer beim Aufleuchten der Pistolenschüsse.

"Schießt nicht auf meine Seite", rief Giulio seinen Leuten zu.

"Ihr seid hier wie in einer Mausefalle gefangen", sagte ihm der Korporal
mit großer Kaltblütigkeit durch die Eisenstangen hindurch, "und wir haben
drei Tote. Wir werden die Türpfosten auf der Euch entgegengesetzten Seite
einreißen. Rührt Euch nicht, denn man wird auf uns schießen; es scheint,
daß im Garten Feinde sind."

"Die Schufte von Dienern der Campireali", sagte Giulio.

Er sprach noch mit dem Korporal, als von der Seite des Vestibüls, die in
den Garten führte, Pistolenschüsse, auf das Geräusch gezielt, gegen sie
abgefeuert wurden. Giulio verbarg sich in der Loge der Schließerin, zur
Linken des Eingangs; zu seiner Freude fand er dort ein kaum wahrnehmbares
Lämpchen, das vor dem Bildnis der Madonna brannte; er nahm es mit großer
Vorsicht, um es nicht auszulöschen; er bemerkte zu seinem Kummer, daß er
zitterte. Er betrachtete seine Wunde am Knie, die ihn sehr schmerzte; das
Blut floß in Strömen.

Umhersehend, erkannte er zu seinem Erstaunen in einer ohnmächtig auf einem
Holzstuhl lehnenden Frau die kleine Marietta, die vertraute Kämmerin
Helenas; er schüttelte sie lebhaft.

"Aber! Signor Giulio," rief sie weinend, "wollt Ihr Eure Freundin Marietta
töten?"

"Weit davon entfernt! Sag Helena, daß ich sie um Verzeihung bitte, ihre
Ruhe gestört zu haben und daß sie des Ave Maria vom Monte Cave gedenken
möge. Hier ist ein Blumenstrauß, den ich in ihrem Garten in Albano
gepflückt habe; aber er ist ein wenig mit Blut befleckt; wasche es ab,
bevor du ihn ihr gibst."

In diesem Augenblick hörte er eine Flintensalve im Gang; die Bravi der
Nonnen griffen seine Leute an.

"Sag mir, wo der Schlüssel der kleinen Tür ist?" fragte er Marietta.

"Ich sehe ihn nicht, aber hier sind die Schlüssel zu den Vorlegschlössern
der Eisenstangen, welche das große Tor sperren. Ihr könnt hinaus."

Giulio nahm die Schlüssel und stürzte aus der Loge.

"Laßt die Mauer," rief er seinen Soldaten zu, "ich habe endlich den
Schlüssel des Tores."

Einen Augenblick, während er versuchte, ein Schloß mit einem der kleinen
Schlüssel zu öffnen, herrschte völliges Schweigen; er hatte sich im
Schlüssel geirrt und nahm den andern; endlich öffnete er das Schloß: aber
im Augenblick, wo er die Eisenstange hob, erhielt er aus allernächster
Nähe einen Schuß in den rechten Arm. Sogleich spürte er, daß der Arm den
Dienst versagte.

"Hebt den Eisenriegel", schrie er seinen Leuten zu. Er hatte nicht erst
nötig, es ihnen zu sagen. Im Licht des Pistolenschusses hatten sie
bemerkt, daß das äußerste umgebogene Ende der eisernen Stange schon zur
Hälfte aus dem am Tor befestigten Ring herausgehoben war. Sofort lüpften
drei oder vier kräftige Arme die eiserne Stange; als das äußerste Ende
ganz aus dem Ring war, ließ man sie fallen. Nun konnte man einen der
Torflügel ein wenig öffnen; der Korporal trat ein und sagte leise zu
Giulio:

"Es ist nichts mehr zu machen, wir sind nur mehr drei oder vier ohne
Wunden, fünf sind tot."

"Ich habe Blut verloren," entgegnete Giulio, "ich fühle, daß ich
ohnmächtig werde; laßt mich fortbringen."

Während Giulio mit dem tapfren Korporal sprach, gaben die Soldaten der
Wache noch drei oder vier Flintenschüsse ab und der Korporal fiel tot zu
Boden. Zum Glück hatte Ugone den Befehl Giulios gehört; er rief zwei
Soldaten herbei, die den Kapitän forttragen sollten. Da er aber nicht
ohnmächtig wurde, befahl er, ihn durch den Garten zu der kleinen Tür zu
tragen. Dieser Befehl brachte die Soldaten zum Fluchen, aber sie
gehorchten.

"Hundert Zechinen dem, der diese Tür öffnet", rief Giulio aus.

Aber sie widerstand dem Ansturm dreier wütender Männer. Einer der alten
Gärtner schoß unaufhörlich von einem Fenster des zweiten Stockwerks mit
der Pistole nach ihnen und beleuchtete so ihre Versuche.

Nach den unnützen Anstrengungen, die Tür zu öffnen, wurde Giulio gänzlich
bewußtlos; Ugone hieß den Soldaten, den Kapitän eiligst fortzutragen. Er
selbst ging in die Loge der Schwester Pförtnerin und warf die kleine
Marietta hinaus, indem es[sic! statt: er] ihr mit drohender Stimme befahl,
fortzugehen und niemals zu verraten, wer sie wiedererkannt habe. Er zog
das Stroh aus dem Bett, zerbrach einige Stühle und steckte das Zimmer in
Brand. Als das Feuer gut brannte, lief er so schnell er konnte, mitten
durch die Flintenschüsse der Bravi des Klosters davon.

Etwa hundertfünfzig Schritt von der Heimsuchung entfernt, fand er den ganz
bewußtlosen Kapitän, den man eiligst davontrug. Nach einigen Minuten war
man außerhalb der Stadt. Ugone ließ halten: er hatte nur noch vier
Soldaten bei sich; er schickte zwei in die Stadt zurück mit dem Befehl,
von fünf zu fünf Minuten Flintenschüsse abzufeuern.

"Versucht Eure verwundeten Kameraden wiederzufinden," sagte er ihnen,
"verlaßt die Stadt vor Tag, wir folgen dem Fußweg über Croce rossa. Wenn
Ihr irgendwo Feuer anlegen könnt, verabsäumt es nicht."

Als Giulio das Bewußtsein wieder erlangte, befand man sich drei Meilen von
der Stadt entfernt und die Sonne stand schon hoch am Himmel. Ugone
erstattete Bericht.

"Euer Trupp besteht nur mehr aus fünf Mann, wovon drei verwundet sind. Den
beiden überlebenden Bauern habe ich je zwei Zechinen Entschädigung gegeben
und sie sind davongelaufen. Die beiden nicht verwundeten Männer habe ich
in den nächsten Marktflecken geschickt, um einen Wundarzt zu holen."

Der Wundarzt, ein zittriger Alter, kam bald auf einem prächtigen Esel
angeritten; man hatte ihm drohen müssen, sein Haus in Brand zu stecken, um
ihn zum Mitgehen zu bewegen. Es war nötig, ihn erst etwas Branntwein
trinken zu lassen, um ihn zu seiner Arbeit instand zu setzen, so groß war
seine Furcht. Endlich machte er sich ans Werk; er sagte Giulio, daß seine
Wunden ohne Bedeutung seien. "Die am Knie ist nicht gefährlich," fügte er
hinzu, "aber Ihr werdet zeitlebens hinkend bleiben, wenn Ihr Euch nicht
zwei bis drei Wochen vollkommen ruhig verhaltet."

Der Wundarzt verband die verletzten Soldaten. Ugone gab Giulio einen Wink
mit den Augen, man entlohnte den Wundarzt, der sich vor Dank gar nicht
fassen konnte, mit zwei Zechinen; dann gab man ihm unter dem Vorwand der
Erkenntlichkeit eine solche Menge Branntwein zu trinken, daß er fest
einschlief. Das war es, was man wollte. Man trug ihn ins nächste Feld, man
wickelte vier Zechinen in ein Stück Papier, das man ihm in die Tasche
steckte. Das war der Preis für seinen Esel, auf welchen man Giulio und
einen der am Bein verletzten Soldaten setzte. Man verbrachte die Stunden
der größten Hitze in einer antiken Ruine am Ufer eines Weihers; man
marschierte die ganze Nacht hindurch und vermied die Dörfer, die auf
diesem Weg nicht zahlreich waren; endlich am übernächsten Morgen bei
Sonnenaufgang erwachte Giulio, als er tief im Walde von La Faggiola von
seinen Leuten in die Köhlerhütte getragen wurde, die sein Hauptquartier
war.



VI.


Am Morgen nach dem Kampf fanden die Nonnen zu ihrem Entsetzen neun Leichen
in ihrem Garten und in dem Gang, der vom äußeren Tor zu dem mit den
Eisenriegeln führte; acht ihrer Bravi waren verwundet. Niemals hatte es
eine solche Angst im Kloster gegeben; man hatte wohl öfters Flintenschüsse
vom Platze her gehört, aber nie solche Menge von Schüssen, noch dazu im
Garten, inmitten der Gebäude und unter den Fenstern der Nonnen. Das hatte
gut anderthalb Stunden gedauert und während dieser Zeit herrschte die
allergrößte Kopflosigkeit im Innern des Klosters. Wäre Giulio Branciforte
nur ein wenig im Einverständnis mit einer der Nonnen oder der
Pensionärinnen gewesen, wäre es ihm geglückt: es hätte genügt, daß man ihm
eine der zahlreichen, in den Garten führenden Türen geöffnet hätte; aber
ganz außer sich vor Entrüstung und voll Wut über das, was er den Meineid
der jungen Helena nannte, wollte er alles durch eigne Kraft erreichen. Es
ging gegen seinen Stolz, sein Vorhaben irgend jemandem anzuvertrauen.
Indessen hätte ein einziges Wort an die kleine Marietta den Erfolg
verbürgt: sie hätte eine der Türen, die zum Garten führten, geöffnet
und -- unterstützt durch die schreckliche Begleitung der Flintenschüsse
von draußen -- hätte auch ein einziger Mann der in den Schlafsälen
erschien, sich unbedingten Gehorsam verschafft. Vom ersten Schuß an hatte
Helena für das Leben ihres Geliebten gezittert und an nichts andres
gedacht, als mit ihm zu fliehen.

Wie soll man ihre Verzweiflung schildern, als die kleine Marietta ihr die
entsetzliche Verwundung beschrieb, die Giulio am Knie erhalten hatte und
aus der sie das Blut hatte in Strömen fließen sehen? Helena verabscheute
jetzt ihre Feigheit und Zaghaftigkeit: "Ich habe die Schwäche gehabt,
meiner Mutter ein Wort zu sagen und Giulios Blut ist geflossen, er konnte
bei diesem bewundernswerten Angriff, wo sein Mut vor nichts
zurückschreckte, sein Leben lassen."

Die Bravi wurden ins Sprechzimmer zugelassen und berichteten den lüstern
zuhörenden Nonnen, daß sie nie in ihrem Leben Zeugen einer Tapferkeit
gewesen seien, die sich mit der des jungen, als Kurier verkleideten
Mannes, der die Angriffe der Briganten leitete, vergleichen ließe. Wenn
diesen Erzählungen schon von allen mit dem größten Interesse zugehört
wurde, kann man sich vorstellen, mit welch äußerster Leidenschaft Helena
die Bravi nach Einzelheiten über den jungen Anführer der Briganten
ausfragte. Nach den ausführlichen Schilderungen, die sie sich von ihnen
und von den alten Gärtnern geben ließ, die ganz unparteiische Zeugen
waren, schien es ihr, daß sie ihre Mutter nicht im geringsten mehr liebte.
Es gab sogar eine erregte Auseinandersetzung zwischen den beiden Frauen,
die sich am Vorabend des Kampfes so zärtlich geliebt hatten. Signora
Campireali war gereizt durch die Blutflecken auf einem gewissen
Blumenstrauß, von dem Helena sich nicht einen Augenblick mehr trennen
wollte.

"Man soll diese blutbefleckten Blumen fortwerfen."

"Ich war es, die dieses edle Blut vergossen hat und es ist geschehen, weil
ich die Schwäche hatte, Euch ein Wort zu sagen."

"Ihr liebt also noch den Mörder Eures Bruders?"

"Ich liebe meinen Gatten, der zu meinem ewigen Unheil von meinem Bruder
angegriffen worden ist."

Nach dieser Bemerkung wurde während der drei Tage, welche Signora von
Campireali noch im Kloster zubrachte, kein einziges Wort mehr zwischen
Mutter und Tochter gewechselt.

Am Morgen nach ihrer Abreise gelang es Helena, zu entkommen, indem sie die
Verwirrung benützte, die an beiden Klostertoren durch die Anwesenheit
zahlreicher Maurer herrschte, welche im Garten neue Befestigungen
aufführen sollten. Die kleine Marietta und sie hatten sich als Arbeiter
verkleidet. Aber die Bürger hielten an den Toren der Stadt strenge Wacht
und Helene war in großer Verlegenheit, wie sie durchkommen solle. Endlich
war der kleine Krämer, der ihr schon die Briefe Brancifortes übermittelt
hatte, einverstanden, sie als seine Tochter auszugeben und bis Albano zu
begleiten. Helena fand dort ein Versteck bei ihrer alten Amme, der es ihre
Wohltaten ermöglicht hatten, einen kleinen Laden zu halten. Kaum
angelangt, schrieb sie an Branciforte, und die Amme fand, nicht ohne
Schwierigkeit, einen Mann, der es wagen wollte, in den Wald von La
Faggiola einzudringen, ohne das Losungswort der Leute des Colonna zu
wissen.

Nach drei Tagen kam der von Helena abgesandte Bote ganz verstört zurück;
erst war es ihm unmöglich gewesen, Branciforte zu finden und seine
unaufhörlichen Fragen nach dem jungen Hauptmann hatten ihn verdächtig
gemacht, so daß er schließlich gezwungen war, zu flüchten.

'Man kann nicht zweifeln, der arme Giulio ist tot,' sagte sich Helena,
'und ich bin es, die ihn getötet hat! Das mußte die Folge meiner elenden
Schwäche und meiner Zaghaftigkeit werden; er hätte eine starke Frau lieben
sollen, die Tochter irgendeines Hauptmanns des Fürsten Colonna ...'

Die Amme glaubte, daß Helena sterben würde. Sie stieg zum Kapuzinerkloster
hinauf, das bei dem in die Felsen gehauenen Weg, wo einstens mitten in der
Nacht Fabio und sein Vater den beiden Liebenden begegnet waren, lag. Die
Amme sprach lange mit ihrem Beichtvater und unter dem Siegel der Beichte
gestand sie ihm, daß die junge Helena von Campireali sich mit Giulio
Branciforte, ihrem Gatten, vereinen wolle und daß sie geneigt wäre, dem
Kloster eine silberne Lampe im Wert von hundert spanischen Piastern zu
stiften.

"Hundert Piaster!" antwortete der Mönch gereizt. "Und was wird aus unsrem
Kloster, wenn wir den Haß des Signor von Campireali auf uns ziehen? Es
waren nicht hundert Piaster, sondern wohl tausend, ohne die Wachskerzen zu
rechnen, die er uns gegeben hat, um den Leichnam seines Sohnes vom
Schlachtfeld von Ciampi zurückzubringen."

Man muß zur Ehre des Klosters berichten, wie zwei betagte Mönche, welche
genau über die Lage der jungen Helena unterrichtet waren, nach Albano
hinabstiegen, um sie durch Zureden oder mit Gewalt zu veranlassen, in den
Palast ihrer Familie zurückzukehren; sie wußten, daß Signor von Campireali
sie dafür reich belohnen würde. Ganz Albano war von Gerede über die Flucht
Helenas und von der Erzählung der glänzenden Versprechungen erfüllt, die
ihre Mutter denen ausgesetzt hatte, die ihr Nachrichten über den
Aufenthalt der Tochter geben würden. Aber die beiden Mönche wurden von der
Verzweiflung Helenas, die Giulio Branciforte tot glaubte, so gerührt, daß
sie, weit davon entfernt, sie zu verraten und ihrer Mutter ihren
Zufluchtsort anzuzeigen, sich sogar bereit erklärten, sie bis zur Festung
La Petrella zu geleiten. Helena und Marietta begaben sich nachts, wieder
als Arbeiter verkleidet, zu Fuß an eine bestimmte Quelle im Wald von La
Faggiola, eine Stunde von Albano entfernt. Die Mönche hatten dorthin
Maultiere bringen lassen, und als der Tag anbrach, machte man sich auf den
Weg. Die Mönche, welche unter dem Schutz des Fürsten standen, wurden von
den Soldaten, denen sie im Wald begegneten, mit Respekt gegrüßt, aber
nicht so die beiden jungen Bürschchen, welche sie begleiteten: die
Soldaten betrachteten sie zuerst mit strengen Blicken und kamen auf sie
zu, dann brachen sie in Gelächter aus und machten den Mönchen Komplimente
wegen der Reize ihrer Maultiertreiber.

"Schweigt, Gottlose! und wißt, daß alles auf Befehl des Fürsten Colonna
geschieht", antworteten die Mönche im Weiterschreiten.

Aber die arme Helena hatte Unglück; der Fürst war von La Petrella
abwesend, und als er ihr drei Tage später, nach seiner Rückkehr, endlich
eine Audienz gewährte, behandelte er sie sehr hart.

"Warum kommt Ihr hierher, Fräulein? Was bedeutet dieser unvorsichtige
Schritt? Euer Weibergeschwätz hat sieben der tapfersten Männer Italiens
ins Verderben gestürzt, und das wird Euch kein verständiger Mensch je
vergeben. Auf dieser Welt muß man wollen oder nicht wollen. Ohne Zweifel
ist es neuen Klatschereien zu danken, daß Giulio Branciforte der
Kirchenschändung angeklagt und verurteilt werden soll, zwei Stunden mit
glühenden Zangen gezwickt und dann wie ein Jude verbrannt zu werden, er,
einer der besten Christen, die ich kenne! Wie hätte man ohne Euer
schändliches Geschwätz diese schreckliche Lüge erfinden können, woher
wissen sollen, daß Giulio Branciforte am Tage des Klosterüberfalls in
Castro war? Alle meine Leute werden Euch sagen, daß man ihn gerade an
diesem Tage hier in La Petrella gesehen hat und daß ich ihn gegen Abend
nach Velletri schickte."

"Aber er lebt?" rief die junge Helena zum zehnten Mal, indem sie in Tränen
ausbrach. "Für Euch ist er tot," versetzte der Fürst, "Ihr werdet ihn
niemals wiedersehen. Ich rate Euch, in Euer Kloster in Castro
zurückzukehren und hütet Euch, von neuem zu schwatzen; binnen einer Stunde
werdet Ihr La Petrella verlassen haben. Vor allem erzählt niemandem, daß
Ihr mich gesehen habt, oder ich werde Euch zu strafen wissen."

Die arme Helena war tief betrübt über einen solchen Empfang von Seiten
jenes berühmten Fürsten Colonna, den Giulio so verehrte und den sie
liebte, weil er ihn liebte.

Was auch der Fürst Colonna daran auszusetzen fand, war dieser Schritt
Helenas doch nicht unklug gewesen. Wäre sie drei Tage früher nach La
Petrella gekommen, so hätte sie Giulio Branciforte hier gefunden; die
Wunde am Knie setzte ihn außerstand, selbst zu gehen, und der Fürst ließ
ihn nach dem großen Marktflecken Avezzano im Königreich Neapel
transportieren. Bei der ersten Nachricht des schrecklichen durch Signor
von Campireali erkauften Haftbefehls gegen Giulio Branciforte, der ihn als
Kirchenschänder und Klosterräuber erklärte, hatte der Fürst eingesehen,
daß er auf drei Viertel seiner Leute nicht würde zählen können, wenn es
sich darum handeln sollte, Branciforte zu schützen. Das war eine Sünde
gegen die Madonna, unter deren besonderem Schutz sich jeder der Briganten
fühlte. Wenn einer der barigelli aus Rom kühn genug gewesen wäre, Giulio
Branciforte mitten im Walde von La Faggiola zu verhaften, hätte es ihm
gelingen können.

Bei seiner Ankunft in Avezzano nannte sich Giulio Fontana, und die Leute,
die ihn trugen, waren verschwiegen. Nach La Petrella zurückgekehrt,
verkündeten sie traurig, daß Giulio auf der Reise gestorben sei, und von
diesem Augenblick an wußte jeder der Soldaten des Fürsten, daß ein
Dolchstich ins Herz dem sicher sei, der den verhängnisvollen Namen
aussprach.

Es war also vergeblich, daß Helena, nach Albano zurückgekehrt, Brief über
Brief schrieb und, um Branciforte Nachricht zukommen zu lassen, ihre
ganzen Zechinen ausgab. Die beiden alten Mönche, die ihre Freunde geworden
waren -- denn, sagt der florentinische Chronist, die wahre Schönheit
ermangelt nicht, selbst auf durch niedrigsten Egoismus und Heuchelei
verhärtete Herzen eine gewisse Herrschaft auszuüben --, die beiden Mönche,
sagten wir, teilten dem armen jungen Mädchen mit, daß jeder Versuch,
Branciforte auch nur ein Wort zukommen zu lassen, vergeblich sei: Colonna
hatte erklärt, daß er tot wäre und sicher würde Giulio nicht wieder in
dieser Welt erscheinen, ehe der Fürst es wollte. Die Amme Helenas kündigte
ihr weinend an, daß ihr[sic! statt: ihre] Mutter endlich ihren
Zufluchtsort entdeckt habe und daß die strengsten Befehle ergangen seien,
sie, und sei es mit Gewalt, in den Palast Campireali nach Albano zu
bringen. Helena begriff, daß ihre Gefangenschaft, wenn sie einmal in
diesem Palast war, grenzenlos streng durchgeführt werden könne und daß man
ihr jeden Verkehr mit der Außenwelt untersagen würde; dagegen genoß sie im
Kloster von Castro die gleiche Freiheit, Briefe zu empfangen und
abzusenden, wie alle Nonnen. Überdies, und das entschied ihr Schwanken,
war es der Garten dieses Klosters, wo Giulio sein Blut für sie vergossen
hatte; sie konnte den hölzernen Sessel der Pförtnerin wiedersehen, auf den
er sich einen Augenblick gesetzt hatte, um die Wunde an seinem Knie zu
beschauen, es war dort, wo er Marietta die blutbefleckten Blumen gegeben
hatte, die sie nicht mehr verließen. Also kehrte sie traurig in das
Kloster von Castro zurück, und man könnte ihre Geschichte hier beenden: es
wäre gut für sie und vielleicht auch für den Leser. Denn tatsächlich
werden wir dem langsamen Sinken einer edlen und reichen Seele zuschauen.
Kluge Maßnahmen und gesellschaftliche Lügen, die sie von nun an rings
umgaben, verdrängten die aufrichtigen Regungen lebhafter und natürlicher
Leidenschaft. Der römische Chronist schaltet hier eine Betrachtung ein,
die voll Naivetät ist: Weil sich eine Frau die Mühe gibt, eine schöne
Tochter zur Welt zu bringen, glaubt sie das Talent zu besitzen, ihr Leben
zu lenken; und weil sie ihr im Alter von sechs Jahren mit Grund sagte:
"Mein Fräulein, richtet Euren Kragen", glaubt sie, wenn diese Tochter
achtzehn und sie fünfzig Jahre alt ist, -- und diese Tochter ebensoviel
oder mehr Geist besitzt als die Mutter --, hingerissen von der Gewohnheit
des Herrschens noch immer das Recht zu haben, ihr Leben zu lenken, sei es
auch durch Betrug.

Wir werden sehen, daß Vittoria Carafa, die Mutter Helenas durch eine Reihe
geschickter und überaus klug kombinierter Mittel den grausamen Tod ihrer
so zärtlich geliebten Tochter herbeiführte, nachdem sie durch ihre
traurige Herrschsucht zwölf Jahre hindurch ihr Unglück gewesen war.

Bevor er starb, hatte Signor von Campireali noch die Freude, in Rom den
Richtspruch bekannt geben zu sehen, durch den Branciforte verurteilt ward,
zwei Stunden lang an den Kreuzungen der Hauptstraßen Roms mit glühenden
Zangen gezwickt und dann an langsamem Feuer verbrannt zu werden; seine
Asche sollte man danach in den Tiber werfen. Die Fresken, des Klosters
Santa Maria Novella in Florenz zeigen noch heute, wie man diese grausamen
Urteile gegen die Kirchenschänder vollstreckte. Gewöhnlich war dabei ein
großes Wachaufgebot nötig, um das empörte Volk zurückzuhalten, das sich an
Stelle der Henker setzen wollte. Jeder gebärdete sich, als wäre er der
vertraute Freund der Madonna. Signor Campireali hatte sich dieses Urteil
noch wenige Minuten vor seinem Tode vorlesen lassen und schenkte dem
Advokaten, welchem er es verdankte, seinen schönen, zwischen Albano und
dem Meer gelegenen Landsitz dafür. Dieser Advokat war nicht ohne
Verdienst, denn Branciforte war zu diesem gräßlichen Tod verurteilt
worden, obwohl sich kein Zeuge fand, der ihn unter der Verkleidung des
jungen, mit soviel Autorität die Bewegungen der Angreifer leitenden
Kuriers erkannt haben wollte. Die unerhörte Größe dieser Schenkung brachte
alle Intriganten Roms in Aufregung. Damals gab es bei Hof einen bekannten
Fratone, einen undurchsichtigen und zu allem fähigen Menschen, -- selbst
dazu, den Papst zu zwingen, ihm den Hut zu verleihen; er besorgte die
geschäftlichen Angelegenheiten des Fürsten Colonna und dieser gefährliche
Klient verschaffte ihm großes Ansehen. Als Signora Campireali ihre Tochter
nach Castro zurückgekehrt wußte, ließ sie diesen Fratone rufen.

"Euer Ehrwürden sollen glänzend belohnt werden, wenn Ihr einer höchst
einfachen Sache, die ich Euch erklären werde, zum guten Ausgang verhelfet.
In wenigen Tagen wird das Urteil, welches Giulio Branciforte zu einem
schrecklichen Tod verdammt, auch im Königreich Neapel bekannt gemacht und
vollstreckbar werden. Ich ersuche Euer Ehrwürden, diesen Brief des
Vize-Königs zu lesen, der weitläufig mit mir verwandt ist und mir diese
Neuigkeit zu melden geruht. In welchem Land kann Branciforte Zuflucht
suchen? Ich werde dem Fürsten fünfzigtausend Piaster mit der Bitte
übersenden, sie ganz oder zum Teil Giulio Branciforte unter der Bedingung
zu geben, daß er beim König von Spanien, meinem Herrn, Dienst gegen die
Rebellen von Flandern nimmt. Der Vize-König wird Branciforte ein
Hauptmannsdiplom geben, und damit das Urteil wegen Gotteslästerung,
welches wohl bald auch in Spanien vollstreckbar sein wird, ihn in seiner
Laufbahn nicht hindert, wird er sich Baron Lizzara nennen, nach einem
kleinen Gut, das mir in den Abruzzen gehört, dessen Besitz ich ihm durch
einen Scheinkauf verschaffen werde. Ich glaube, daß Euer Ehrwürden noch
nie eine Mutter so den Mörder ihres Sohns behandeln gesehen haben. Mit
fünfhundert Piastern hätten wir uns längst dieses hassenswerten Menschen
entledigen können: aber wir wollten uns nicht mit Colonna überwerfen. Habt
also die Güte, den Fürsten wissen zu lassen, daß meine Achtung vor seinen
Rechten mich sechzig- bis achtzigtausend Piaster kostet. Ich will nie
wieder von diesem Branciforte sprechen hören -- und vor allem versichert
dem Fürsten meine Ehrerbietung."

Der Fratone sagte, daß er in drei Tagen eine Wanderung in die Gegend von
Ostia machen werde, und Signora Campireali übergab ihm einen Ring im Wert
von tausend Piastern.

Einige Tage später erschien der Fratone wieder in Rom und sagte der
Signora Campireali, daß er ihren Vorschlag dem Fürsten nicht zur Kenntnis
gebracht hätte, aber daß der junge Branciforte sich binnen eines Monats
nach Barcelona einschiffen würde, wo sie ihm bei einem der Bankiers dieser
Stadt fünfzigtausend Piaster anweisen solle.

Giulio bereitete dem Fürsten große Schwierigkeit, denn trotz der Gefahr,
die er von nun ab in Italien lief, mochte sich der junge Verliebte nicht
entschließen, dieses Land zu verlassen. Vergebens ließ der Fürst
durchblicken, daß Signora Campireali sterben könne, vergebens versprach er
ihm, daß er in jedem Fall nach drei Jahren sein Vaterland wiedersehen
solle; Giulio vergoß Tränen, aber er stimmte nicht zu. Der Fürst war
genötigt, diese Abreise als persönlichen Dienst von ihm zu verlangen;
Giulio konnte dem Freund seines Vaters nichts abschlagen; aber vor allem
wollte er Helenas Wünsche wissen. Der Fürst geruhte, die Übermittlung
eines langen Briefes auf sich zu nehmen; ja er erlaubte Giulio, ihm einmal
im Monat aus Flandern zu schreiben. Endlich schiffte sich der verzweifelte
Liebhaber nach Barcelona ein. Alle seine Briefe wurden vom Fürsten, der
nicht wollte, daß Giulio jemals nach Italien zurückkehre, verbrannt. Wir
haben vergessen, zu sagen, daß der Fürst, obgleich seinem Wesen nichts
ferner lag als eitle Anmaßung, sich doch, um die Geldgeschichte glücklich
zu ordnen, zu der Äußerung verpflichtet glaubte, daß er es gewesen sei,
der es für angemessen hielt, dem einzigen Sohn eines der treuesten Diener
des Hauses Colonna ein kleines Vermögen von fünfzigtausend Piastern
zuzuwenden.

Die arme Helena wurde im Kloster von Castro als Fürstin behandelt. Der Tod
ihres Vaters hatte sie in den Besitz eines beträchtlichen Vermögens
gesetzt und ein unermeßliches Erbteil kam noch hinzu. Als ihr Vater starb,
ließ sie jedem Einwohner von Castro und Umgebung, der erklärte, um Herrn
von Campireali Trauer tragen zu wollen, fünf Ellen schwarzen Tuchs
schenken. Es war noch in den ersten Tagen, als ihr von gänzlich
unbekannter Hand ein Brief Giulios zugestellt wurde. Es wäre schwierig,
die Entzückungen zu schildern, mit denen dieser Brief geöffnet wurde; und
nicht minder die tiefe Traurigkeit, die über sie kam, nachdem sie ihn
gelesen hatte. Und doch war es ohne Zweifel die Handschrift Giulios; sie
wurde mit der größten Aufmerksamkeit geprüft, der Brief sprach von Liebe;
aber welcher Liebe, großer Gott! Und doch hatte ihn Signora Campireali,
die so viel Geist besaß, verfaßt. Ihr Plan war: die Korrespondenz mit
sieben oder acht Briefen voll leidenschaftlicher Liebe einzuleiten; so
wollte sie auf die späteren vorbereiten, in denen diese Liebe nach und
nach erlöschen sollte.

Wir gehen rasch über zehn Jahre eines unglücklichen Lebens hinweg. Helena
glaubte sich völlig vergessen; trotzdem wies sie mit Hochmut die
Huldigungen der vornehmsten jungen Edelleute Roms zurück. Indessen, als
man ihr von dem jungen Ottavio Colonna sprach, dem ältesten Sohn des
berühmten Fabrizio, der sie einstens in La Petrella so schlecht empfangen
hatte, war sie einen Augenblick unentschieden. Es erschien ihr, wenn sie
nun einmal einen Gatten nehmen mußte, um ihrem Besitz im Kirchenstaat und
im Königreich Neapel einen Beschützer zu geben, als Linderung, den Namen
eines Mannes zu tragen, den Giulio einstmals geliebt hatte. Hätte sie
dieser Heirat zugestimmt, dann hätte Helena sehr bald die Wahrheit über
Giulio Branciforte erfahren. Der alte Fürst Fabrizio sprach oft und mit
Entzücken von der übermenschlichen Tapferkeit des Obersten Lizzara,
welcher sich gleich den Helden des alten Roms schlage, und gleich ihnen
sich durch große Taten von der unglücklichen Liebe abzulenken versuchte,
die ihn für jedes Vergnügen unempfindlich machte. Giulio glaubte, daß
Helena längst verheiratet sei: Signora von Campireali hatte nicht nur ihre
Tochter mit Lügen umgeben.

Helena hatte sich mit dieser so geschickten Mutter wieder halb versöhnt,
deren größter Wunsch war, sie verheiratet zu wissen; die Mutter bat ihren
Freund, den alten Kardinal Santi-Quatro, den Protektor der 'Heimsuchung',
der nach Castro reiste, er möge den ältesten Nonnen des Klosters im
Vertrauen erzählen, daß seine Reise durch einen Gnadenakt verzögert worden
sei: der gute Papst Gregor XIII. habe aus Mitleid für die Seele eines
Briganten, namens Giulio Branciforte, der es einst versuchte, ihr Kloster
zu schänden, bei der Nachricht von dessen Tode das Urteil der
Gotteslästerung aufheben wollen, überzeugt davon, daß er unter der Last
einer solchen Verdammung niemals das Fegefeuer wieder verließe; falls
Branciforte, der in Mexiko von den Wilden überrascht und niedergemacht
worden sei, überhaupt das Glück gehabt habe, nur ins Fegefeuer zu kommen.
Diese Neuigkeit versetzte das ganze Kloster von Castro in Aufregung; sie
gelangte auch zu Helena, die sich damals allen Torheiten der Eitelkeit
hingab, welche der Besitz eines großen Vermögens in einem aufs tiefste
gelangweilten Menschen erwecken kann. Von diesem Augenblick an verließ sie
nicht mehr ihr Zimmer. Man muß wissen, daß sie das halbe Kloster hatte
umbauen lassen, um das kleine Zimmer der Pförtnerin, wo Giulio in jener
Nacht einen Augenblick während des Kampfes ausgeruht hatte, bewohnen zu
können. Nach unendlichen Mühen war es ihr geglückt, die drei noch lebenden
Bravi zu entdecken, von den fünf aus Giulios Gefolge, die damals dem
Gefecht in Castro entronnen waren, und sie hatte sie, trotz des schwer zu
besänftigenden Skandals, in ihre Dienste genommen. Unter ihnen befand sich
Ugone, jetzt alt und von Wunden bedeckt. Der Anblick dieser drei Männer
hatte viel Murren erregt, aber schließlich war die Furcht, welche Helenas
hochfahrender Charakter dem ganzen Kloster einflößte, größer, und man sah
sie täglich in der Livree des Hauses Campireali Helenas Befehle am äußeren
Gitter entgegennehmen, und oft weitläufig auf ihre Fragen antworten, die
immer dem gleichen Gegenstand galten.

Nach den ersten sechs Monaten der Einschließung in sich selbst und der
Abkehr von allen weltlichen Dingen, die der Nachricht von Giulios Tod
gefolgt waren, ist das erste Gefühl, welches diese durch einen unheilbaren
Schmerz und eine namenlose Langweile bereits gebrochene Seele wieder zum
Leben weckte, ein Gefühl der Eitelkeit gewesen.

Vor kurzem war die Äbtissin gestorben. Dem Brauch gemäß, hatte der
Kardinal Santi-Quatro, der trotz des hohen Alters von zweiundneunzig
Jahren noch Protektor des Klosters zur 'Heimsuchung' war, die Liste der
drei vornehmen Nonnen aufgestellt, aus welchen der Papst die Äbtissin
wählen sollte. Es mußten sehr gewichtige Gründe im Spiel sein, wenn Seine
Heiligkeit die beiden letzten Namen der Liste überhaupt las; gewöhnlich
begnügte er sich damit, einen Strich mit der Feder durch diese Namen zu
ziehen, und die Ernennung war geschehen.

Eines Tages stand Helena am Fenster des ehemaligen Pförtnergemachs, das
jetzt den äußersten Flügel des neuen, auf ihren Befehl hergestellten
Anbaus bildete. Dieses Fenster lag höchstens zwei Fuß über dem Gang, der
ehemals mit Giulios Blut getränkt war und jetzt einen Teil des Gartens
bildete. Helena hatte die Augen sinnend auf den Boden geheftet. Die drei
Damen, welche man seit einigen Stunden auf der Liste des Kardinals zur
Nachfolge der verstorbenen Äbtissin wußte, kamen am Fenster Helenas
vorüber. Sie bemerkte sie nicht und konnte sie daher auch nicht grüßen.
Eine der Damen wurde dadurch gereizt und sagte laut genug zu den andren:

"Das ist eine nette Art für eine Pensionärin, ihr Zimmer so den Augen
aller zur Schau zu stellen."

Durch diese Worte aufgestört, sah Helena auf und begegnete drei boshaften
Augenpaaren.

'Nun wohl,' sagte sie sich, das Fenster ohne Gruß schließend, 'lange genug
bin ich jetzt das Lamm in diesem Kloster gewesen, man muß Wolf sein, wäre
es auch nur, um den Neugierigen in der Stadt etwas Abwechslung zu bieten!'

Eine Stunde später brachte einer ihrer Leute folgenden Kurierbrief ihrer
Mutter, welche seit zehn Jahren in Rom lebte und verstanden hatte, sich
dort großen Einfluß zu verschaffen.

          "Hochverehrte Mutter!

Jedes Jahr schenkst Du mir an meinem Namenstage dreihunderttausend Francs,
und ich verwende dieses Geld, um hier Torheiten zu begehen; ehrenvolle
allerdings, aber doch Torheiten. Obwohl du es mir schon seit langem nicht
mehr zu verstehen gibst, weiß ich doch, daß zwei Dinge imstande sind, Dir
meine Dankbarkeit für all Deine guten Absichten zu beweisen. Verheiraten
werde ich mich nicht mehr, aber ich würde mit Vergnügen Äbtissin dieses
Klosters; ich bin auf diesen Einfall gekommen, weil die drei Damen, welche
unser Kardinal Santi-Quatro auf die Liste gesetzt hat, die er dem Heiligen
Vater vorlegt, meine Feindinnen sind; und welche immer gewählt wird, muß
ich Ärger aller Art erwarten. Spende meine Festgabe den Personen, die in
Betracht kommen; schaffen wir erst eine Verzögerung von sechs Monaten für
die Ernennung; das wird die Priorin des Klosters, die meine intime
Freundin ist und gegenwärtig die Zügel der Regierung in Händen hat, vor
Freude außer sich bringen. Schon dies wird eine Quelle des Glückes für
mich sein und es ist so selten, daß ich dies Wort anwenden kann, wenn ich
von Deiner Tochter spreche. Ich finde meinen Einfall toll, aber wenn Du
irgendeine Möglichkeit des Erfolgs siehst, werde ich binnen drei Tagen den
weißen Schleier nehmen; ich habe das Recht auf Erlaß von sechs Monaten, da
ich seit acht Jahren ununterbrochen im Kloster wohne. Der Dispens kostet
vierzig Taler und wird nicht verweigert.

Ich verbleibe respektvoll

                                   meine ehrwürdige Mutter usw."

Dieser Brief bereitete Signora von Campireali die größte Freude. Als sie
ihn empfing, hatte sie schon lebhaft bereut, ihrer Tochter den Tod
Brancifortes angekündigt zu haben; sie wußte nicht, wie diese tiefe
Melancholie, die sie befallen hatte, enden würde; sie sah irgendeinen
Gewaltstreich voraus; sie ging so weit, zu fürchten, ihre Tochter könnte
nach Mexiko gehen, um den Ort zu suchen, wo, wie man behauptet hatte,
Branciforte getötet worden war; in diesem Fall war es leicht möglich, daß
sie in Madrid den wahren Namen des Oberst Lizzara erfuhr. Andrerseits war
das, was ihre Tochter durch den Kurier verlangte, die schwierigste, und
man kann wohl sagen, die absurdeste Sache von der Welt. Ein junges
Mädchen, das nicht einmal Nonne war, und außerdem bloß durch die tolle
Leidenschaft eines Briganten bekannt war, die sie vielleicht erwidert
hatte, sollte an die Spitze eines Klosters gesetzt werden, in dem alle
römischen Fürsten Verwandte hatten! 'Aber', dachte sich Signora von
Campireali, 'man sagt, daß jeder Prozeß geführt und deshalb auch gewonnen
werden kann.' In ihrer Antwort machte Vittoria Carafa ihrer Tochter etwas
Hoffnung, die gewöhnlich keine andren als absonderliche Wünsche hatte, zum
Ausgleich aber sehr leicht den Geschmack daran verlor. Noch im Lauf des
Abends unterrichtete sie sich über alles, was in näherer oder weiterer
Beziehung zum Kloster von Castro stehen könnte und erfuhr, daß ihr Freund,
der Kardinal Santi-Quatro seit mehreren Monaten sehr schlechter Laune sei;
er wollte seine Nichte mit Don Ottavio Colonna, dem ältesten Sohn des
Fürsten Fabrizio, von dem in dieser Geschichte so oft die Rede war,
vermählen. Der Fürst bot ihm seinen zweiten Sohn Don Lorenzo an, denn um
seine Vermögensverhältnisse wieder in Ordnung zu bringen, die durch den
Krieg äußerst zerrüttete waren, den der König von Neapel und der
Papst -- endlich einig -- gegen die Briganten von La Faggiola geführt
hatten, konnte er nicht davon abstehen, daß die Frau seines ältesten
Sohnes eine Mitgift von sechshunderttausend Piastern dem Hause Colonna
mitbringen müsse. Aber der Kardinal Santi-Quatro, wenn er selbst alle
seine andren Verwandten in der anstößigsten Weise enterbte, vermochte
höchstens ein Vermögen von dreihundertachtzigtausend oder
vierhunderttausend Talern anzubieten.

Vittoria Carafa verbrachte den Abend und einen Teil der Nacht damit, sich
diese Tatsachen von allen Freunden des alten Santi-Quatro bestätigen zu
lassen. Am nächsten Morgen ließ sie sich schon um sieben Uhr bei dem alten
Kardinal melden. "Eminenz," sagte sie ihm, "wir sind alle beide recht alt,
es ist unnötig, daß wir uns zu täuschen trachten, indem wir Dingen, die
nicht schön sind, schöne Namen geben; ich werde Euch jetzt eine Tollheit
vorschlagen: alles, was ich zu ihren Gunsten sagen kann, ist, daß sie
nicht niedrig ist; aber ich muß selbst gestehen, daß ich sie über alle
Maßen lächerlich finde. Als man wegen der Heirat meiner Tochter Helena mit
Don Ottavio Colonna verhandelte, habe ich Freundschaft für diesen jungen
Mann gewonnen und am Tage seiner Hochzeit werde ich Euch
zweihunderttausend Piaster in Landbesitz oder in Silber geben, mit der
Bitte, es ihm zuzuwenden. Aber damit eine arme Witwe wie ich ein so
ungeheures Opfer bringen kann, muß meine Tochter Helena, die jetzt
siebenundzwanzig Jahre zählt und seit dem Alter von neunzehn Jahren nicht
einmal außerhalb des Klosters geschlafen hat, Äbtissin von Castro werden;
man muß zu diesem Zweck die Wahl um sechs Monate verzögern; die Sache
entspricht dem geltenden Recht."

"Was sagt Ihr, Signora?" rief der alte Kardinal außer sich, "Seine
Heiligkeit selbst vermöchte das nicht, was Ihr von einem alten
unvermögenden Greise verlangt."

"Ich habe Eurer Eminenz ja auch gesagt, daß die Sache lächerlich sei: die
Toren werden sie toll finden, aber Leute, welche wohl über das
unterrichtet sind, was bei Hof vor sich geht, werden denken, daß unser
ausgezeichneter Fürst, der gute Papst Gregor XIII. die loyalen und langen
Dienste Eurer Eminenz belohnen wollte, indem er eine Ehe erleichtert, von
der ganz Rom weiß, daß Eure Eminenz sie wünscht. Im übrigen ist die Sache
leicht möglich und entspricht vollkommen dem Recht, ich stehe dafür; meine
Tochter wird schon morgen den weißen Schleier nehmen."

"Aber die Simonie, Signora!" rief der alte Mann mit schrecklicher Stimme
aus.

Signora von Campireali schickte sich an zu gehen.

"Was bedeutet das Papier, das Ihr hier laßt?"

"Das ist die Liste der Güter, die ich im Werte von zweihunderttausend
Piastern anbieten würde, wenn man bares Geld nicht wünscht; der Wechsel
des Eigentümers könnte lange Zeit geheimgehalten werden; zum Beispiel: das
Haus Colonna würde mir Prozesse machen, die ich verlieren würde ..."

"Aber die Simonie, Signora, erschreckliche Simonie!"

"Vorerst muß man die Wahl um sechs Monate hinausschieben, ich werde morgen
kommen, um die Anordnungen Eurer Eminenz entgegenzunehmen."

Ich glaube, daß es notwendig ist, Lesern, die nördlich der Alpen geboren
sind, den fast offiziellen Ton mehrerer Stellen dieser Unterredung zu
erklären; ich erinnere daran, daß in streng katholischen Ländern die
meisten Unterredungen über heikle Dinge schließlich zum Beichtstuhl
gelangen, und dann ist es durchaus nicht gleichgültig, ob man ein
respektvolles Wort gebraucht hat oder eine ironische Wendung.

Im Laufe des nächsten Tages erfuhr Vittoria Carafa, daß die Wahl, zufolge
eines großen, sachlichen Irrtums, der in der Liste der drei zur Äbtissin
vorgeschlagenen Damen entdeckt worden war, um sechs Monate verschoben
wurde: die an zweiter Stelle der Liste angeführte Dame hatte einen
Renegaten in der Familie, einer ihrer Großonkel war in Udine zum
Protestantismus übergetreten.

Signora von Campireali glaubte einen besonderen Schritt beim Fürsten
Fabrizio Colonna unternehmen zu sollen, dessen Hause sie einen so
ansehnlichen Vermögenszuwachs angeboten hatte. Nach dreitägigen
Anstrengungen gelang es ihr, eine Unterredung in einem Dorf nahe bei Rom
zu erreichen; aber sie kehrte ganz erschreckt von dieser Audienz zurück;
sie hatte den gewöhnlich so ruhigen Fürsten dermaßen benommen von dem
Kriegsruhm des Obersten Lizzara gefunden, daß sie es für ganz zwecklos
erachtete, ihn um Stillschweigen über diesen Fall zu ersuchen. Der Oberst
war für ihn wie ein Sohn, ja noch mehr: wie ein geliebter Schüler. Der
Fürst las gewisse Briefe, die aus Flandern kamen, wieder und immer wieder.
Was würde aus dem Lieblingsplan, dem Signora von Campireali seit zehn
Jahren schon so viel geopfert hatte, wenn ihre Tochter vom Leben und vom
Ruhm des Oberst Lizarra erführe?

Ich glaube, daß es besser ist, viele Umstände stillschweigend zu
übergehen, welche wohl die Sitten jener Zeit getreu spiegeln, aber
trübselig zu erzählen sind. Der Autor des römischen Manuskripts hat sich
unendliche Mühe gegeben, um den genauen Sachverhalt dieser Einzelheiten
aufzufinden, die ich unterdrücke.

Zwei Jahre nach der Zusammenkunft der Signora von Campireali mit dem
Fürsten Colonna war Helena Äbtissin von Castro, aber der alte Kardinal von
Santi-Quatro war vor Gram über diesen argen Akt von Simonie gestorben. Zu
dieser Zeit hatte Castro den schönsten Mann des päpstlichen Hofs zum
Bischof, Monsignor Francesco Cittadini, aus Mailändischem Geschlecht.
Dieser junge Mann, der durch seinen bescheidenen Anstand und seinen Ton
voll Würde auffiel, hatte viele Dinge mit der Äbtissin der 'Heimsuchung'
zu erledigen, besonders als sie einen neuen Kreuzgang zur Verschönerung
des Klosters erbauen ließ. Dieser junge Bischof Cittadini, der damals
neunundzwanzig Jahre alt war, verliebte sich grenzenlos in die schöne
Äbtissin. In dem Prozeß, der ein Jahr später stattfand, berichteten viele
Nonnen, daß der Bischof so oft wie möglich das Kloster aufsuchte und ihrer
Äbtissin sagte: "An andren Orten befehle ich und wie ich zu meiner Schande
gestehen muß, es bereitet mir ein gewisses Vergnügen. Euch gehorche ich
wie ein Sklave, aber mit einem Genuß, der weit größer ist, als wenn ich
anderswo befehle. Ich befinde mich unter dem Einfluß eines höheren Wesens;
wenn ich es auch versuchen würde, könnte ich doch keinen andren Willen
haben als den seinen und würde lieber in alle Ewigkeit der letzte seiner
Sklaven sein, als fern von seinen Augen ein König."

Die Zeugen berichten, daß die Äbtissin ihm oft inmitten solcher eleganter
Phrasen befahl, zu schweigen und auf harte Weise, in Ausdrücken, die ihre
Verachtung zeigten.

"Um die Wahrheit zu sagen," fährt ein andrer Zeuge fort, "[sic!
Schließendes Anführungszeichen fehlt (wohl einige Absätze weiter).]ihre
Gnaden behandelte ihn oft wie einen Dienstboten; in solchen Fällen schlug
der arme Bischof die Augen nieder und begann zu weinen, aber er ging nicht
fort. Er fand jeden Tag neue Vorwände, um wieder im Kloster zu erscheinen,
was die Beichtväter der Nonnen und die Feinde der Äbtissin sehr
entrüstete. Aber die Frau Äbtissin wurde von der Priorin lebhaft
verteidigt, ihrer intimen Freundin, welche unter ihrem unmittelbaren
Befehl der inneren Leitung vorstand. "Ihr wißt, meine Schwestern," sagte
diese, "daß seit jener vergeblichen Leidenschaft, die unsre Äbtissin in
ihrer ersten Jugend für einen Söldner des Glücks gehegt hat, ihr viel
bizarre Einfälle zurückgeblieben sind; aber Ihr kennt alle diesen
bemerkenswerten Zug ihres Charakters, daß niemals jemand für sie in
Betracht kommt, den sie einmal verachtet hat. Nun hat sie vielleicht in
ihrem ganzen Leben nicht so viele beleidigende Worte geäußert, wie in
unsrer eigenen Gegenwart zu dem armen Monsignor Cittadini: tagtäglich
sehen wir ihn eine Behandlung erdulden, die uns für seine hohe Würde
erröten läßt."

"Ja," antworteten die aufgebrachten Nonnen, "aber er kommt alle Tage
wieder, also wird er wohl im Grunde nicht so schlecht behandelt werden,
und in jedem Falle schadet auch der Anschein dieses Abenteuers dem Ansehen
des Heiligen Ordens der Heimsuchung."

Der strengste Herr richtet an den ungeschicktesten Diener nicht ein
Viertel der Beschimpfungen, mit denen die hochmütige Äbtissin den jungen
Bischof samt seiner salbungsvollen Art überhäufte; aber er war verliebt
und er hatte aus seiner Heimat den unerschütterlichen Grundsatz
mitgebracht, daß man sich bei einer Unternehmung dieser Art, -- wenn sie
einmal begonnen ist --, nur um das Ziel kümmern darf.

"Am Schluß des Handels", sagte der Bischof zu seinem Vertrauten, Cesare
del Bene, "trifft die Verachtung den Liebhaber, der sich vom Angriff
vorzeitig zurückzog, ohne durch Eingriffe höherer Gewalt dazu gezwungen
worden zu sein."

Jetzt muß sich meine traurige Aufgabe darauf beschränken, einen
notgedrungen sehr trockenen Auszug des Prozesses zu geben, in dessen Folge
Helena den Tod fand. Die Beschreibung dieses Gerichtsverfahrens, die ich
in einer Bibliothek gelesen habe, deren Namen ich verschweigen muß, umfaßt
nicht weniger als acht Foliobände. Das Verhör und die Beweisfassung sind
in lateinischer Sprache gehalten, die Antworten italienisch. Ich lese
darin, daß sich im Monat November 1572, gegen elf Uhr abends, der junge
Bischof allein zum Tore der Kirche begab, wo während des Tags die
Gläubigen Einlaß finden; die Äbtissin selbst öffnete ihm dieses Tor und
erlaubte ihm, ihr zu folgen. Sie empfing ihn in einem Zimmer, wo sie sich
oft aufhielt, das durch eine geheime Tür mit den Emporen in Verbindung
stand, welche das Kirchenschiff beherrschen.

Eine Stunde mochte kaum verflossen sein, als der Bischof sehr erstaunt
wieder nach Hause geschickt wurde; die Äbtissin selbst begleitete ihn zur
Kirchentüre zurück und sagte ihm diese verbürgten Worte: "Kehrt in Euren
Palast zurück, verlaßt mich schleunigst. Adieu Monsignore, Ihr erregt mir
Abscheu; es ist mir, als hätte ich mich einem Lakaien hingegeben."

Indessen kam drei Monate später der Karneval. Die Bewohner von Castro
waren durch die Feste, die sie in dieser Zeit einander gaben, berühmt; die
ganze Stadt widerhallte vom Lärm der Maskenscherze. Alles ging an einem
kleinen Fenster vorüber, welches einer wohlbekannten Stallung des Klosters
einen schwachen Lichtschein gab. Man weiß, daß schon drei Monate vor dem
Karneval diese Stallung in einen Salon verwandelt worden war und zur Zeit
der Maskeraden niemals leer wurde. Inmitten aller Narrheiten des Volks
fuhr der Bischof in seiner Karosse vorüber; die Äbtissin gab ihm ein
Zeichen und um ein Uhr der folgenden Nacht verfehlte er nicht, sich an der
Kirchentür einzufinden. Er trat ein; aber nach weniger als dreiviertel
Stunden wurde er im Zorn fortgeschickt. Seit dem ersten Stelldichein im
Monat November kam er so etwa alle acht Tage ins Kloster. Man sah in
seinem Gesicht einen leichten Ausdruck von Triumph und Dummheit, der
niemandem entging und das Unglück hatte, den stolzen Charakter der jungen
Äbtissin außerordentlich zu reizen. Besonders am Ostermontag behandelte
sie ihn wie den letzten der Menschen und sagte ihm Worte, die sich der
ärmste der Taglöhner des Klosters nicht hätte bieten lassen. Indessen gab
sie ihm einige Tage später wieder das Zeichen, dem folgend der schöne
Bischof nicht verfehlte, sich um Mitternacht an der Kirchentür
einzufinden. Sie hatte ihn kommen lassen, um ihm mitzuteilen, daß sie
schwanger sei. Bei dieser Ankündigung, heißt es in den Akten, erbleichte
der schöne junge Mann vor Entsetzen und wurde ganz und gar blöde vor
Angst. Die Äbtissin hatte Fieber, sie ließ den Arzt rufen und machte ihm
gegenüber kein Geheimnis aus ihrem Zustand. Dieser Mann kannte den
großmütigen Charakter der Kranken und sicherte ihr zu, ihr aus der
Verlegenheit zu helfen. Er begann damit, daß er sie mit einer hübschen
jungen Frau aus dem Volk in Verbindung brachte, die nicht den Titel einer
Hebamme besaß, aber deren Kunst ausübte. Ihr Mann war Bäcker. Helena war
unbefriedigt von der Unterredung mit dieser Frau, die ihr erklärte, daß
sie zur Ausführung des Plans, mit dessen Hilfe sie auf Rettung hoffte,
zwei Vertraute im Kloster benötige.

"Eine Frau euresgleichen, meinethalben; aber eine aus meinem Stande? Nein.
Geht mir aus den Augen."

Die Hebamme zog sich zurück. Aber einige Stunden darauf ließ sie Helena,
die es nicht klug fand, sich dem Geschwätz dieser Frau auszusetzen, durch
den Arzt ins Kloster zurückholen, wo sie freigebig beschenkt wurde. Diese
Frau schwur, daß sie niemals, auch wenn sie nicht zurückgerufen worden
wäre, das ihr anvertraute Geheimnis verraten hätte, aber sie erklärte
nochmals, daß sie sich auf nichts einlassen könne, wenn sie nicht im
Kloster zwei dem Interesse der Äbtissin ergebene Mitwisserinnen hätte.
Ohne Zweifel fürchtete sie die Anklage wegen Kindesmord.

Nachdem sie viel darüber nachgedacht hatte, beschloß die Äbtissin, das
schreckliche Geheimnis Schwester Vittoria anzuvertrauen, der Priorin des
Klosters, aus der vornehmen Familie der Herzöge von C**, und Schwester
Bernarda, der Tochter des Marchese P**. Sie ließ sie auf ihr Brevier
schwören, niemals ein Wort von dem, was sie ihnen jetzt anvertrauen würde,
verlauten zu lassen, nicht einmal vor dem hochnotpeinlichen Gericht. Diese
Damen waren vor Schreck verstört. Sie gestanden später beim Verhör, daß
sie sich unter dem Eindruck des hochfahrenden Charakters ihrer Äbtissin
auf das Geständnis einer Mordtat gefaßt gemacht hätten. Die Äbtissin sagte
ihnen einfach und kalt:

"Ich habe mich gegen alle meine Pflichten vergangen, ich bin schwanger."

Schwester Vittoria, die Priorin, war tief bewegt und ganz verwirrt wegen
der langjährigen Freundschaft, die sie mit Helena verband, und nicht bloß
aus Neugierde rief sie mit Tränen in den Augen aus:

"Wer ist der Unvorsichtige, der dieses Verbrechen begangen hat!"

"Ich habe es selbst meinem Beichtvater nicht gesagt; urteilt also, ob ich
es euch sagen werde."

Diese beiden Damen beratschlagten sogleich über die Maßnahmen, um das
verhängnisvolle Geheimnis dem übrigen Kloster zu verbergen. Sie
entschieden vor allem, daß das Schlafzimmer der Äbtissin, das ganz im
Mittelpunkt des Klosters lag, nach der Apotheke verlegt werden müsse, die
man im entlegensten Teil des Klosters, im dritten Stock des großen, durch
Helenas Freigebigkeit entstandenen Neubaus eingerichtet hatte. An diesem
Ort war es, daß die Äbtissin einem Knaben das Leben schenkte. Seit drei
Wochen war die Frau des Bäckers in den Gemächern der Priorin versteckt.
Als diese Frau dann mit dem Kind schnell durch das Kloster eilte, begann
es zu schreien, und die Frau flüchtete sich in ihrem Entsetzen in den
Keller. Eine Stunde später gelang es Schwester Bernarda mit Hilfe des
Arztes, eine kleine Gartentür zu öffnen, und die Frau des Bäckers verließ
hastig das Kloster und bald darauf die Stadt. In die Campagna gelangt und
von panischem Schrecken verfolgt, flüchtete sie sich in eine Grotte, die
der Zufall sie in einem der Felsen entdecken ließ. Die Äbtissin schrieb an
Cesare del Bene, den Vertrauten und ersten Kammerherrn des Bischofs, der
zu der bezeichneten Grotte eilte; er war zu Pferde, er nahm das Kind in
seine Arme und ritt im Galopp nach Montefiascone. Das Kind wurde in der
Kirche Santa Margherita getauft und empfing den Namen Alessandro. Die
Gastwirtin des Orts hatte eine Amme verschafft, der Cesare acht Taler
zurückließ; viele Frauen, die sich während der Tauffeierlichkeit um die
Kirche angesammelt hatten, hörten nicht auf, Signor Cesare nach dem Vater
des Kindes zu fragen.

"Das ist ein großer Herr aus Rom", sagte er ihnen, "der sich erlaubt hat,
eine arme Bäuerin wie Ihr zu verführen."

Und er verschwand.



VII.


Bis dahin ging alles gut, trotz dieses ungeheuren Klosters, das von mehr
als dreihundert neugierigen Frauen bewohnt wurde; niemand hatte etwas
gesehen, niemand etwas gehört. Aber die Äbtissin hatte dem Arzt einige
Hände voll neuer in der Münze Roms geprägter Zechinen übergeben. Der Arzt
gab mehrere dieser Goldstücke der Frau des Bäckers. Diese Frau war hübsch
und ihr Mann eifersüchtig; er durchstöberte ihren Koffer und fand diese
glänzenden Goldstücke darin; und da er sie für den Preis seiner Schande
hielt, setzte er seiner Frau ein Messer an die Kehle und zwang sie zu
sagen, woher die Goldstücke stammten. Nach einigen Ausflüchten gestand die
Frau die Wahrheit und der Friede wurde geschlossen. Die Eheleute begannen
nun über die Verwendung einer so großen Summe zu beratschlagen. Die
Bäckerin wollte einige Schulden bezahlen; aber der Mann fand es schöner,
ein Maultier zu kaufen, was auch geschah. Dieses Maultier erregte Aufsehen
in dem Viertel, wo man die Armut des Ehepaars kannte. Alle Weiber der
Stadt, Freundinnen und Feindinnen fragten eine nach der andern die Frau
des Bäckers, wer der freigebige Liebhaber gewesen sei, der sie in Stand
gesetzt habe, ein Maultier zu kaufen. Diese Frau wurde dadurch so gereizt,
daß sie einige Male die Wahrheit antwortete. Eines Tages, als Cesare del
Bene das Kind besucht hatte und zur Äbtissin zurückkehrte, um Bericht zu
erstatten, schleppte sich diese, obgleich sie sehr unpäßlich war, bis zum
Gitter und machte ihm wegen der Unzuverläßlichkeit der von ihm verwendeten
Mittelspersonen Vorwürfe. Der Bischof seinerseits wurde krank vor Angst;
er schrieb seinen Brüdern in Mailand, um ihnen die ungerechte Anklage,
deren Ziel er war, zu erzählen; auch forderte er sie auf, ihm zu Hilfe zu
kommen. Obwohl er sich schwer leidend fühlte, faßte er den Entschluß,
Castro zu verlassen; aber bevor er es tat, schrieb er der Äbtissin:

"Ihr wißt bereits, daß alles, was vorgefallen ist, bekannt wurde. Wenn
Euch deshalb daran liegt, nicht allein meinen Ruf, sondern vielleicht mein
Leben zu retten, und um den Skandal zu verkleinern, könnt Ihr Giovanni
Battista Doleri beschuldigen, der vor zwei Tagen gestorben ist. Wenn Ihr
auf diese Weise auch nicht Eure Ehre wiederherstellen könnt, so läuft
wenigstens die meine keine Gefahr mehr."

Der Bischof ließ Don Luigi, den Beichtvater des Klosters von Castro,
rufen:

"Gebt dies eigenhändig der Frau Äbtissin", sagte er zu ihm.

Als diese das ehrlose Schreiben gelesen hatte, rief sie laut vor allen,
die sich im Zimmer befanden:

"So verdienen die törichten Jungfrauen behandelt zu werden, welche die
Schönheit des Leibes über die der Seele stellen!"

Das Gerücht von allem, was in Castro vor sich ging, kam rasch zu Ohren des
schrecklichen Kardinals Farnese. Er hatte sich diese Bezeichnung seit
einigen Jahren verdient, weil er hoffte, im nächsten Konklave die
Unterstützung der Eiferer zu finden. Sogleich gab er der Obrigkeit von
Castro den Auftrag, den Bischof Cittadini zu verhaften. Dessen ganze
Dienerschaft ergriff aus Furcht vor der Folter die Flucht. Nur Cesare del
Bene blieb seinem Herrn treu und schwur ihm, daß er eher auf der Folter
sterben, als etwas gestehen würde, was ihm schaden könnte.

Cittadini, der seinen Palast von Wachen umringt sah, schrieb aufs neue
seinen Brüdern, die in großer Eile von Mailand ankamen. Sie fanden ihn
schon im Gefängnis von Ronciglione eingekerkert.

Ich entnehme aus dem ersten Verhör der Äbtissin, daß sie ihre Schuld offen
zugestand, aber leugnete, in Beziehung zu dem Hochwürdigsten Bischof
gestanden zu haben, ihr Mitschuldiger sei Gian-Battista Doleri, Advokat
des Klosters, gewesen.

Am 9. September 1573 befahl Gregor XIII., daß der Prozeß in aller Strenge
und Eile erledigt werde. Ein Kriminalrichter, ein Fiskal und ein Kommissär
begaben sich nach Castro und nach Ronciglione. Cesare del Bene, der erste
Kammerherr des Bischofs, gestand, bloß ein Kind zu einer Amme gebracht zu
haben. Man verhört ihn in Gegenwart der ehrwürdigen Klosterschwestern
Vittoria und Bernarda. Man unterwarf ihn zwei Tage hintereinander der
Tortur; er litt gräßlich, aber seinem Wort getreu, gestand er nur das, was
zu leugnen unmöglich war, und der Fiskal konnte nicht mehr aus ihm
herausbringen.

Als die Reihe an die ehrwürdigen Damen Vittoria und Bernarda kam, die
Zeugen der Folterung Cesares gewesen waren, gestanden sie alles, was sie
getan hatten. Alle Nonnen wurden nach dem Urheber des Verbrechens gefragt,
die meisten antworteten, daß es der Hochwürdigste Herr Bischof gewesen
sei. Eine der Schließerinnen berichtet die beleidigenden Worte, welche die
Äbtissin gebraucht hatte, als sie den Bischof aus der Kirche wies. Sie
fügte hinzu: "Wenn man in diesem Ton zueinander spricht, zeigt es an, daß
man schon lange ein Liebesverhältnis hat. Der Herr Bischof, der sonst
durch übermäßige Selbstgefälligkeit auffiel, hatte ein ganz linkisches
Aussehen, als er die Kirche verließ."

Eine Nonne, im Anblick der Folterwerkzeuge verhört, antwortet, daß die
Katze Urheber des Verbrechens sein müsse, weil die Äbtissin sie nie aus
den Armen läßt und immerzu liebkost. Eine andre Nonne behauptet: der
Urheber des Verbrechens müsse der Wind sein, weil die Äbtissin an Tagen,
wo der Wind weht, glücklich und guter Laune sei; sie setze sich dem Wind
auf einem Belvedere, das sie eigens hatte erbauen lassen, aus, und wenn
man an diesem Ort eine Gnade erbitten kam, sei sie niemals verweigert
worden. Die Frau des Bäckers, die Amme, die Weiber von Montefiascone
bekannten aus Furcht vor den Folterqualen, die sie Cesare hatten erleiden
sehen, die Wahrheit.

Der junge Bischof war krank oder spielte in Ronciglione den Kranken, was
seinen Brüdern Anlaß gab, durch das Ansehen und den Einfluß der Signora
von Campireali unterstützt, sich mehrmals dem Papst zu Füßen zu werfen und
von ihm zu erbitten, daß das Verfahren aufgeschoben werde, bis der Bischof
seine Gesundheit wiedererlangt habe. Auf dies hin vermehrte der
schreckliche Kardinal Farnese die Zahl der Soldaten, die ihn in seinem
Gefängnis bewachten. Da der Bischof nicht verhört werden konnte, begannen
die Kommissäre in jeder ihrer Sitzungen immer wieder, die Äbtissin einem
Verhör zu unterziehen. Eines Tages, als ihre Mutter ihr hatte sagen
lassen, sie solle guten Mutes bleiben und fortfahren, alles zu leugnen,
gestand sie alles.

"Warum habt Ihr zuerst Gian-Battista Doleri bezichtigt?"

"Aus Mitleid mit der Feigheit des Bischofs, und dann, wenn es ihm gelingt,
sein teures Leben zu retten, damit er für meinen Sohn sorgen kann."

Nach diesem Geständnis schloß man die Äbtissin in eine Zelle des Klosters
von Castro ein, deren Wände und Deckenwölbung acht Fuß dick waren; die
Nonnen sprachen nur mit Schaudern von diesem Verlies, das unter dem Namen
Mönchszelle bekannt war. Die Äbtissin wurde hier ständig von drei Frauen
überwacht.

Als sich die Gesundheit des Bischofs ein wenig gebessert hatte, kamen
dreihundert Sbirren oder Soldaten, um ihn aus Ronciglione zu holen, und er
wurde in einer Sänfte nach Rom geschafft. Dort brachte man ihn in einem
Gefängnis unter, das Corte Savella hieß. Wenige Tage später wurden auch
die Nonnen nach Rom eingeliefert; die Äbtissin wurde im Kloster Santa
Marta, untergebracht. Vier Nonnen waren beschuldigt: die ehrwürdigen
Schwestern Vittoria und Bernarda, die Schwester, welche an jenem Tage die
Aufsicht führte, und die Pförtnerin, welche die beleidigenden Worte gehört
hatte, die von der Äbtissin an den Bischof gerichtet wurden.

Der Bischof wurde vom Auditor der päpstlichen Kammer vernommen, einem der
höchsten Vertreter des Richterstandes. Man spannte den armen Cesare del
Bene von neuem auf die Folter; doch er gestand nichts, ja er sagte sogar
Dinge aus, die dem Staatsanwalt peinlich waren, was ihm eine neue
Folterung eintrug. Diese Einleitungsmarter mußten auch die ehrwürdigen
Schwestern Vittoria und Bernarda erleiden. Der Bischof leugnete alles in
dümmster Weise, aber mit einer gefälligen Hartnäckigkeit; er zählte mit
den größten Einzelheiten alles auf, was er an den drei offenkundig bei der
Äbtissin verbrachten Abenden vorgenommen haben wollte.

Schließlich stellte man die Äbtissin dem Bischof gegenüber, und obgleich
sie beständig die Wahrheit gesagt hatte, wurde sie dennoch der Folterung
unterworfen. Weil sie auf dem beharrte, was sie auf ihrem ersten
Geständnis immer ausgesagt hatte, überhäufte sie der Bischof, seiner Rolle
getreu, mit Beleidigungen.

Nach mehreren andren, im Grunde vernünftigen Maßnahmen, die aber von jenem
Geist der Grausamkeit befleckt sind, der seit der Regierung Karls V. und
Philipps II. zu sehr an den Tribunalen Italiens vorwiegt, wurde der
Bischof zu lebenslänglicher Gefangenschaft in der Engelsburg verurteilt.
Die Äbtissin wurde verurteilt, ihr ganzes Leben im Kloster von Santa
Marta, wo sie sich aufhielt, eingekerkert zu werden. Aber schon hatte es
Signora von Campireali unternommen, um ihre Tochter zu retten, einen
unterirdischen Gang ausheben zu lassen. Dieser Gang begann bei einer der
aus der Herrlichkeit des alten Rom zurückgebliebenen Kloaken und sollte
bei dem tiefen Kellergewölbe enden, wo man die sterblichen Reste der
Nonnen von Santa Marta beisetzte. Dieser Gang von zwei Fuß Breite hatte
Bretterwände, um das Erdreich rechts und links zu stützen und als
Deckenwölbung gab man ihm, im Maße man vorwärts kam, zwei wie die Schenkel
eines großen A gestellte Bretter.

Man grub diesen unterirdischen Weg in einer Tiefe von etwa dreißig Fuß.
Das schwierigste war, ihn in der rechten Richtung weiterzuführen; jeden
Augenblick waren die Arbeiter durch antike Brunnen und Grundmauern
gezwungen, eine Wendung zu machen. Eine andre große Schwierigkeit
bereitete die weggeräumte Erde, mit der man nichts Rechtes anzufangen
wußte; es sah aus, als ob man sie nachts in allen Straßen Roms aussäte.
Man wunderte sich über diese Menge Erde, die sozusagen vom Himmel fiel.

Wie groß die Summen auch waren, welche Signora von Campireali ausgab, um
ihre Tochter zu retten, wäre ihr unterirdischer Gang doch sicher entdeckt
worden; aber der Papst Gregor XIII. starb 1585, und die Herrschaft der
Unordnung zog mit der Vakanz des Heiligen Stuhls ein.

Helena ging es in Santa Marta sehr schlecht; man kann sich denken, wie
sehr die einfachen und armen Nonnen wetteiferten, eine so reiche, eines
solchen Verbrechens überführte Äbtissin zu quälen. Helena erwartete mit
Ungeduld das Ergebnis der von ihrer Mutter unternommenen Arbeit. Aber
plötzlich erfuhr ihr Herz seltsame Bewegung. Schon vor sechs Monaten hatte
Fabrizio Colonna, der angesichts des schwankenden Gesundheitszustands
Gregors XIII. große Pläne für die Zeit des Interregnums faßte, einen
seiner Offiziere zu Giulio Branciforte geschickt, der jetzt in der
spanischen Armee unter dem Namen Oberst Lizzara sehr bekannt geworden war.
Er rief ihn nach Italien zurück. Giulio brannte darauf, seine Heimat
wiederzusehen. Er landete unter einem angenommenen Namen in Pescara, einem
kleinen Hafen des Adriatischen Meeres, der unterhalb Chieti in den
Abruzzen lag, und kam über das Gebirge nach La Petrella. Die Freude des
Fürsten setzte alle Welt in Erstaunen. Er teilte Giulio mit, daß er ihn
zurückrufen ließ, um ihn zu seinem Nachfolger zu machen und ihm den Befehl
über seine Soldaten zu übergeben. Worauf Branciforte antwortete, daß,
militärisch gesprochen, das Unternehmen nichts mehr wert sei, was er
leicht beweisen könne; wenn jemals Spanien ernstlich wollte, würde es in
sechs Monaten mit geringen Auslagen sämtliche Briganten Italiens
vernichten.

"Aber trotz allem," fügte der junge Branciforte hinzu, "wenn Ihr es wollt,
bin ich bereit zu marschieren, mein Fürst. Ihr werdet stets in mir den
Nachfolger des tapferen, bei Ciampi gefallenen Ranuccio finden."

Vor Giulios Ankunft hatte der Fürst befohlen, so wie er zu befehlen
verstand, daß sich niemand in Petrella unterfangen solle, von Castro und
von dem Prozeß der Äbtissin zu sprechen; Todesstrafe ohne Nachsicht war
auf das geringste Geschwätz gesetzt. Mitten in den Freundschaftsergüssen,
mit denen er Branciforte empfing, bat er ihn, niemals ohne ihn nach Albano
zu gehen, und seine Art, diese Reise zu machen, bestand darin, daß er die
Stadt durch tausend seiner Leute besetzen ließ, und eine Vorhut von
zwölfhundert Mann auf der Straße nach Rom aufstellte. Man stelle sich vor,
was der arme Giulio empfand, als der Fürst den alten Scotti, welcher noch
lebte, in das Haus, wo er sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, holen
ließ und ihn in das Zimmer rief, wo er sich mit Giulio aufhielt. Als die
beiden Freunde einander umarmt hatten, rief er Giulio zu sich: "Jetzt,
mein armer Oberst, mußt du dich auf das Schlimmste gefaßt machen."

Darauf blies er das Licht aus und verließ das Zimmer, in dem er die beiden
Freunde einschloß.

Am nächsten Morgen schickte Giulio, der sein Zimmer nicht verlassen
wollte, die Bitte zum Fürsten, nach La Petrella gehen und sich dafür
einige Tage beurlauben zu dürfen. Aber man brachte ihm die Meldung, daß
der Fürst verschwunden sei samt seinen Truppen.

In der Nacht hatte er den Tod Gregors XIII. erfahren; er hatte seinen
Freund Giulio vergessen und war über Land. Bei Giulio waren nur etwa
dreißig Mann geblieben, die einst zur Kompanie Ranuccios gehörten. Es ist
bekannt genug, daß in jenen Zeiten während der Vakanz des Heiligen Stuhls
die Gesetze schwiegen; jeder dachte nur daran, seine Leidenschaften zu
befriedigen und es galt nur die Kraft; darum hatte, noch vor dem Ende des
Tags, Fürst Colonna schon mehr als fünfzig seiner Feinde aufhängen lassen.
Giulio aber, obgleich er nicht vierzig Mann bei sich hatte, wagte es, nach
Rom zu marschieren.

Die ganze Dienerschaft der Äbtissin von Castro war ihr treu geblieben; sie
hatten sich in den ärmlichen Häusern um das Kloster Santa Marta herum
eingemietet. Der Todeskampf Gregors XIII. hatte länger als eine Woche
gedauert; Signora von Campireali erwartete ungeduldig die Tage der
Verwirrung, die seinem Tod folgen würden, um die letzten fünfzig Schritt
ihres unterirdischen Ganges in Angriff zu nehmen. Da man die Keller von
mehreren bewohnten Häusern durchqueren mußte, fürchtete sie sehr, das Ziel
ihrer Unternehmung nicht länger verbergen zu können.

Schon am übernächsten Tag nach der Ankunft Brancifortes in La Petrella,
schienen die drei ehemaligen Bravi Giulios, welche Helena in ihre Dienste
genommen hatte, närrisch geworden zu sein. Obgleich jedermann nur zu gut
wußte, daß sie in strenger Geheimhaft gehalten und von Nonnen bewacht
wurde, die sie haßten, kam doch Ugone, einer der Bravi, zum Klostertor und
bat inständigst unter den seltsamsten Vorwänden, daß man ihm erlauben
möge, seine Herrin zu sehen, und zwar auf der Stelle. Er wurde abgewiesen
und zur Tür hinausgeworfen. In seiner Verzweiflung blieb der Mann aber
hier stehn und fing an, jedem der Bediensteten des Hauses, mochte er
ein- oder ausgehn, einen Bajocco zu geben, wobei er stets diese gleichen
Worte sagte: "Freut Euch mit mir, Signor Giulio Branciforte ist
angekommen, er lebt: sagt dies Euren Freunden."

Die beiden Kameraden Ugones verbrachten den Tag damit, ihm Bajocchi
zuzutragen, und sie fuhren Tag und Nacht darin fort, sie mit den immer
gleichen Worten zu verteilen, bis ihnen nichts mehr blieb. Aber die drei
Bravi fuhren, einander ablösend, trotzdem fort, die Wache an der Tür des
Klosters Santa Marta zu beziehen und richteten mit tiefen Verbeugungen an
alle Aus- und Eintretenden immer die gleichen Worte: "Signor Giulio ist
angekommen ..."

Der Einfall dieser braven Leute hatte Erfolg: keine sechsunddreißig
Stunden nach der Verteilung des ersten Bajocco wußte die arme Helena trotz
ihrer Einzelhaft in der Tiefe ihres Kerkers, daß Giulio lebte; dieses Wort
versetzte sie in Raserei:

"O meine Mutter," rief sie aus, "habt Ihr mir genug Leid zugefügt?"

Einige Stunden später wurde ihr diese erstaunliche Neuigkeit durch die
kleine Marietta bestätigt, die all ihren Goldschmuck für die Erlaubnis
geopfert hatte, der Schwester Pförtnerin, die der Gefangenen die
Mahlzeiten brachte, zu folgen. Helena warf sich in ihre Arme und weinte
vor Freude.

"Das ist sehr schön," sagte sie ihr, "aber ich werde kaum mehr bei dir
bleiben."

"Gewiß!" sagte Marietta, "ich denke wohl, daß die Zeit des Konklaves nicht
verstreichen wird, ohne daß sich Euer Gefängnis in eine einfache
Verbannung verwandelt."

"Ach, meine Teure, Giulio wiedersehen! Und ihn wiedersehen, und ich
schuldig!"

In der Mitte der dritten Nacht, die dieser Unterredung folgte, stürzte ein
Teil des Fußbodens der Kirche mit großem Getöse ein; die Nonnen von Santa
Marta glaubten, daß das Kloster versinke. Äußerste Verwirrung herrschte,
alle Welt glaubte an ein Erdbeben. Ungefähr eine Stunde nach dem Einsturz
des Marmorfußbodens der Kirche drang Signora von Campireali, ihr voran die
drei Bravi aus Helenas Diensten, durch den unterirdischen Gang in den
Kerker.

"Sieg, Sieg, Herrin!" riefen die Bravi. Helena befiel Todesangst, sie
glaubte, daß Giulio Branciforte mit ihnen käme. Sie beruhigte sich und
ihre Züge nahmen den gewohnten strengen Ausdruck an, als sie ihr sagten,
daß sie nur Signora von Campireali begleiteten und daß Giulio noch in
Albano sei, welches er mit wenigen tausend Mann besetzt hielte.

Nach einigen Minuten Wartens erschien Signora von Campireali; sie ging mit
großer Mühe und hatte den Arm ihres Haushofmeisters genommen, der in
großem Staat war, mit dem Degen an der Seite; aber sein prächtiges Gewand
war ganz mit Erde beschmutzt.

"O meine teure Helena! Ich komme, um dich zu retten!" rief Signora von
Campireali.

"Und wer sagt Euch, daß ich gerettet sein will?"

Signora von Campireali war verblüfft; sie sah ihre Tochter mit großen
Augen an, sie schien sehr aufgeregt.

"Nun wohl, meine teure Helena," sagte sie endlich, "das Schicksal zwingt
mich, dir eine Handlung einzugestehen, die nach dem Unglück, das ehemals
unsrer Familie zustieß, vielleicht ganz natürlich war, die ich aber bereue
und dich zu verzeihen bitte: Giulio Branciforte ... lebt."

"Und weil er lebt, will ich nicht leben!"

Signora von Campireali verstand erst gar nicht, was ihre Tochter meinte,
dann richtete sie die flehentlichsten, zärtlichsten Bitten an sie; aber
sie erhielt keine Antwort: Helena hatte sich zu ihrem Kruzifix gewendet
und betete, ohne sie zu hören. Es war vergeblich, daß Signora von
Campireali eine Stunde lang die äußersten Anstrengungen machte, um ein
Wort oder einen Blick zu erlangen. Endlich sagte ihre Tochter ungeduldig:

Unter[sic! Vorab fehlt: "] dem Marmor dieses Kruzifixes waren seine Briefe
in meinem kleinen Zimmer in Albano verborgen; es wäre besser gewesen, mich
von meinem Vater töten zu lassen! Geht ... und laßt mir Gold zurück."

Als Signora von Campireali trotz der besorgten Zeichen ihres
Haushofmeisters noch länger mit ihrer Tochter reden wollte, wurde Helena
ärgerlich:

"Laßt mir wenigstens eine Stunde Freiheit. Ihr habt mein Leben vergiftet,
wollt Ihr nun auch meinen Tod vergiften?"

"Wir werden über den unterirdischen Gang noch zwei oder drei Stunden
verfügen können; ich wage zu hoffen, daß du dich noch eines Besseren
besinnen wirst," rief Signora von Campireali, in Tränen ausbrechend. Und
sie nahm den Weg unter die Erde zurück.

"Ugone, bleibe bei mir", sagte Helena zu einem ihrer Bravi, "und sei wohl
bewaffnet, mein Bursche, denn vielleicht gilt es, mich zu verteidigen. Laß
mich deinen Dolch, dein Schwert, dein Messer sehen!"

Der alte Soldat zeigte ihr seine beruhigend guten Waffen.

"Nun wohl, halte dich dort vor meinem Gefängnis auf, ich werde Giulio
einen langen Brief schreiben, den du selbst ihm zustellen wirst; ich will
nicht, daß er durch andre Hände als deine geht, da ich nichts habe, um ihn
zu schließen. Du kannst alles lesen, was dieser Brief enthält. Nimm das
ganze Gold, das meine Mutter hiergelassen hat, in deine Taschen; ich
brauche nur noch fünfzig Zechinen für mich, lege sie auf mein Bett."

Nach diesen Worten begann Helena zu schreiben:

"Ich zweifle nicht an Dir, mein teurer Giulio; ich gehe von hinnen, weil
ich in Deinen Armen vor Schmerz sterben müßte; ich würde sehen, wie groß
mein Glück gewesen wäre, wenn ich nicht einen Fehltritt begangen hätte.
Glaub nicht, daß ich jemals nach Dir ein andres Wesen auf der Welt geliebt
habe; weit entfernt davon, war mein Herz immer von der lebhaftesten
Verachtung für den Mann erfüllt, den ich bei mir einließ. Mein Fehltritt
geschah einzig aus Langweile und -- wenn man will -- aus Leichtfertigkeit.
Bedenke, daß mein Geist, der durch den vergeblichen Versuch zu La Petrella
so geschwächt war, wo der Fürst, den ich verehrte, weil Du ihn liebtest,
mich so grausam empfing -- bedenke, sage ich, daß mein so geschwächter
Geist zwölf Jahre lang von Lügen umlagert war. Alles, was mich umgab, war
falsch und verlogen, und ich wußte es. Ich erhielt anfangs etwa dreißig
Briefe von Dir, urteile selbst, mit welchem Entzücken ich die ersten
öffnete! Aber indem ich sie las, wurde mein Herz zu Eis. Ich prüfte diese
Schrift, ich erkannte die Züge Deiner Hand wieder, aber nicht Dein Herz.
Glaub mir, daß diese erste Lüge mein innerstes Leben so zerstört hat, daß
ich soweit kam, einen Brief mit Deiner Handschrift ohne Freude zu öffnen!
Die verabscheuungswürdige Ankündigung Deines Todes vernichtete vollends
alles in mir, was noch aus den glücklichen Zeiten unsrer Jugend
übriggeblieben war. Meine erste Absicht war, wie Du wohl verstehen wirst,
die Küste Mexikos aufzusuchen und die Stelle mit meinen Händen zu
berühren, wo die Wilden Dich, wie man mir sagte, getötet hatten. Wenn ich
diesen Gedanken ausgeführt hätte ... würden wir jetzt glücklich sein, denn
wie groß auch die Zahl und die Geschicklichkeit der von einer wachsamen
Hand um mich gesäten Spione gewesen wäre, hätte ich doch in Madrid alle
Seelen, in denen noch Mitleid und Güte lebte, mir günstig gestimmt, und
wahrscheinlich hätte ich die Wahrheit erfahren; denn schon, mein Giulio,
hatten Deine Heldentaten die Aufmerksamkeit der Welt auf Dich gelenkt und
vielleicht wußte irgendwer in Madrid, daß Du Branciforte seist. Willst Du,
daß ich Dir sage, was unser Glück verhinderte? Zuerst die Erinnerung an
den grausamen und kränkenden Empfang, den mir der Fürst in La Petrella
bereitet hatte: welche mächtigen Hindernisse gab es von Castro bis Mexiko
zu überwinden! Du siehst, meine Seele hatte schon ihre Kraft verloren.
Dann kam mir eine Eingebung der Eitelkeit. Ich hatte große Bauten im
Kloster durchführen lassen, um die Loge der Pförtnerin, worin Du in der
Kampfnacht Zuflucht fandest, als Zimmer zu nehmen. Eines Tages betrachtete
ich den Boden, den Du ehemals für mich mit Deinem Blut getränkt hattest;
da hörte ich ein verächtliches Wort; ich erhob die Augen und sah gehässige
Gesichter; um mich zu rächen, wollte ich Äbtissin werden. Meine Mutter,
die sehr wohl wußte, daß Du am Leben warst, leistete das Äußerste, um
diese ungeheuerliche Ernennung zu erreichen. Diese Stellung war für mich
nur eine Quelle von Langweile; durch sie wurde meine Seele vollends
erniedrigt. Ich fand Vergnügen daran, meine Macht oft nur im Unglück der
andren zu genießen; ich beging Ungerechtigkeiten. Ich sah mich mit dreißig
Jahren in den Augen der Welt tugendhaft, reich, angesehen und trotzdem
vollkommen unglücklich. Da zeigte sich dieser arme Mensch, der ja die Güte
selbst war, aber die Unbedeutendheit in Person. Seine Unbedeutendheit
machte, daß ich seine ersten Anträge ertrug. Meine Seele war so
unglücklich durch alles, was mich seit Deiner Abreise umgab, daß sie nicht
mehr die Kraft hatte, der kleinsten Versuchung zu widerstehen. Soll ich
Dir etwas sehr Indezentes gestehen? Aber einer Toten ist alles erlaubt.
Wenn Du diese Zeilen lesen wirst, werden die Würmer diese angeblichen
Schönheiten verzehren, die nur Dir gehören durften. Endlich muß ich Dir
das sagen, was mir schwer wird; ich sah nicht ein, warum ich nicht, wie
alle unsre römischen Damen, die Liebe der Sinne versuchen sollte; ich
hatte eine Anwandlung von Leichtfertigkeit; aber ich konnte mich nie jenem
Menschen hingeben, ohne ein Gefühl des Abscheus und des Ekels zu
empfinden, das jedes Vergnügen zerstörte. Ich sah immer Dich an meiner
Seite, in unserm Garten in Albano, als die Madonna Dir den edlen Gedanken
eingab, der aber dann durch meine Mutter zum Unglück unsres Lebens
geworden ist. Du warst nicht drohend, sondern zärtlich und gut, wie Du
immer warst; Du sahst mich an und dann empfand ich Wut gegen diesen andren
Mann und ich ging soweit, ihn aus aller Kraft zu schlagen. Das ist die
ganze Wahrheit, mein teurer Giulio, ich wollte nicht sterben, ohne sie Dir
zu sagen -- und ich dachte auch, daß diese Zwiesprache mit Dir vielleicht
den Gedanken an den Tod von mir nehmen könnte. Ich ersehe aber nur klarer
daraus, wie meine Freude gewesen wäre, wenn ich Deiner wert geblieben
wäre. Ich befehle Dir zu leben und die militärische Karriere fortzusetzen,
die mir solche Freude bereitet hat, als ich von Deinen Erfolgen hörte. Was
wäre gewesen, großer Gott! wenn ich Deine Briefe erhalten hätte, besonders
nach der Schlacht von Achenne! Lebe und rufe Dir oft Ranuccio ins
Gedächtnis zurück, der bei Ciampi fiel, und Helena, die in Santa Marta
starb, weil sie in Deinen Augen keinen Vorwurf lesen wollte."

Nachdem sie den Brief beendet hatte, näherte sich Helena dem alten
Soldaten, den sie schlafend fand; sie nahm seinen Dolch, ohne daß er es
merkte, dann weckte sie ihn.

"Ich bin zu Ende," sagte sie ihm, "ich fürchte, daß sich unsre Feinde des
unterirdischen Zugangs bemächtigen. Nimm schnell meinen Brief, der auf dem
Tisch liegt und bring ihn Giulio, du selbst bringst ihn, verstehst du? Und
gib ihm noch mein Taschentuch, dieses hier; sag ihm, daß ich ihn auch in
diesem Augenblick nicht mehr liebe, als ich ihn immer geliebt habe, immer,
hörst du wohl!"

Ugone blieb stehen und ging nicht fort.

"Geh doch!"

"Signora, habt Ihr es wohl überlegt? Signor Giulio liebt Euch so sehr!"

"Ich auch, ich liebe ihn, nimm den Brief und übergib ihn selbst."

"Nun wohl, möge Gott Eure Güte segnen!"

Ugone ging und kehrte schnell zurück. Er fand Helena tot: sie hatte den
Dolch im Herzen.




SCHWESTER SCOLASTICA

ÜBERTRAGEN VON FRANZ BLEI


In Neapel hörte ich im Jahr 1824 in der Gesellschaft von der Geschichte
der Schwester Scolastica und dem Kanonikus Cibo sprechen. Neugierig, wie
ich bin, kann man sich denken, wie ich herumfragte. Aber kein Mensch
wollte mir klar und deutlich Auskunft geben; man fürchtete, sich zu
kompromittieren. In Neapel spricht man nämlich von politischen Dingen
niemals klar und deutlich; und dies ist der Grund davon: Eine
neapolitanische Familie, die zum Beispiel aus drei Söhnen, einer Tochter,
Vater und Mutter besteht, zerfällt in drei verschiedene
Parteien -- Verschwörungen, wie man das in Neapel nennt. So gehört die
Tochter zur Partei ihres Liebhabers; jeder der Söhne gehört einer
bestimmten Partei, und die Eltern sprechen mit einem Seufzer vom Hofe, der
regierte, als sie zwanzig Jahre alt waren. Aus dieser Isolierung der
Individuen ergibt sich, daß man niemals ernstlich und offen von Politik
spricht. Bei der geringsten etwas präziseren Aufstellung, die um etwas den
Gemeinplatz verläßt, erblassen ein paar Gesichter.

Da mein Ausfragen nach der Geschichte mit dem barocken Namen in der
Gesellschaft keinerlei Ergebnis hatte, glaubte ich, es handle sich in der
Geschichte dieser Schwester Scolastica um eines jener grauenvollen
Ereignisse kürzester Vergangenheit, aus dem Jahre 1820 zum Beispiel.

Eine vierzigjährige Witwe, eine gute, aber nichts weniger als schöne Frau
vermietete mir die Hälfte ihres kleinen Hauses in einer Gasse hundert
Schritte weit vom reizenden Park von Chiaja, am Fuß des Hügels, den hier
die Villa der Prinzessin Florida krönt, der Freundin des alten Königs. Es
ist das vielleicht das einzige ruhige Viertel von Neapel. Meine Witwe
hatte einen alten Galan, dem ich eine Woche durch den Hof machte. Als wir
eines Tages miteinander durch die Stadt schlenderten, zeigte er mir die
Stellen, wo sich die Lazzaroni gegen die Truppen des Generals Championnet
geschlagen und den Hinterhof, wo sie den Herzog von *** lebendig verbrannt
hatten; da fragte ich ihn im Überfall, doch ganz ruhig, weshalb man ein
solches Geheimnis mit der Geschichte der Suor Scolastica mache.

Er gab mir ganz ruhig die Antwort: "Die fürstlichen Namenstitel, die jene
trugen, sind auf deren heute lebende Nachfahren gekommen, und die würde es
vielleicht peinlich berühren, ihre Namen mit einer Geschichte vermengt zu
sehen, die so tragisch und für alle Welt so traurig war."

"Ist die Sache denn nicht im Jahre 1820 passiert?"

"Wer hat Ihnen das gesagt?" sagte mein Neapolitaner und lachte laut auf
über meine Jahreszahl. "Wer hat Ihnen denn was von 1820 gesagt?"
wiederholte er mit dieser wenig höflichen italienischen Lebhaftigkeit, die
dem Pariser so auf die Nerven fällt.

"Wenn Ihnen an Ihrem Menschenverstand liegt, so sagen Sie 1745, also das
Jahr nach der Schlacht von Velletri, die unserem großen Don Carlos den
Besitz von Neapel einbrachte. Hierzulande nannte man ihn Carl VII., und
später dann, in Spanien, wo er so Außerordentliches vollbrachte, hieß man
ihn Carl III. Er hat in unsere königliche Familie die große Nase der
Farnese gebracht.

Man nennt heute den Erzbischof nicht gern bei seinem richtigen Namen, vor
dem ganz Neapel zitterte, als ihm höchst unangenehm der Name Velletri in
die Ohren tönte. Die Deutschen lagerten auf den Hügeln um Velletri und
versuchten unsern großen Carlos im Palazzo Grineti, den er bewohnte,
auszuheben.

Es war ein Mönch, der die Anekdote aufgeschrieben haben soll, von der Sie
redeten. Die junge Nonne, die er mit dem Namen Suora Scolastica
bezeichnet, war aus der Familie des Herzogs von Bissignano. Der gleiche
Chronist gibt in seiner Geschichte Proben eines leidenschaftlichen Hasses
gegen den Erzbischof von damals, der, ein mächtiger Politiker in dieser
ganzen Affäre, den Kanonikus Cibo als den Handelnden vorschob. Vielleicht
war der schreibende Mönch ein Günstling des jungen Don Genarino, Marquis
de las Flores, von dem man annimmt, daß er dem Carlos das Herz der schönen
Rosalinda streitig gemacht hat, dem sehr galanten König sowohl wie auch
dem alten Herzog Vargas del Prado, der für den reichsten Mann seiner Zeit
galt. Es gibt sicher in der Geschichte dieser Katastrophe Sachen, welche
Personen, die 1760 noch mächtig waren, schwer hätten beleidigen können,
denn der Mönch, der um das Jahr schrieb, hütet sich, deutlich zu sein;
seine Wortkunst ist beträchtlich; er redet immer in allgemeinen Maximen,
sicher von perfekter Moral, aber Bestimmtes ist nicht daraus zu entnehmen.
Nur zu oft muß man das Manuskript zuschlagen, um über das nachzudenken,
was der gute Pater etwa hat sagen wollen. So wird er zum Beispiel beim
Tode des Don Genarino fast unverständlich. Ich kann Ihnen vielleicht in
einigen Tagen die Handschrift leihen, die so ennervierend ist, daß ich
Ihnen nicht rate, sie zu kaufen. Vor zwei Jahren verkaufte man sie
übrigens auf dem Bureau des Notars B. für nicht weniger als vier Dukaten."

Acht Tage später war ich im Besitz dieser Handschrift, deren Verfasser
jeden Augenblick seine Geschichte, statt sie zu Ende zu erzählen, in
andern Worten immer wieder von vorne anfängt; erst glaubt der verzweifelte
Leser, daß es sich um ein neues Faktum handelt, und schließlich wird die
Konfusion so groß, daß man gar nicht mehr weiß, wovon die Rede ist.

Man muß nämlich wissen, daß im Jahre 1742 ein Neapolitaner, ein Mailänder,
die vielleicht in ihrem ganzen Leben nicht hundert Worte hintereinander in
toskanischer Sprache gesprochen haben, sich des Toskanischen für den Druck
bedienen, weil sie das für schön halten. Der vortreffliche General
Colleta, der größte italienische Historiker, hatte auch ein bißchen diese
Manie, die seinen Leser oft unsicher über das vom Verfasser Gemeinte
macht. Das kaum verständliche Manuskript, das sich Suora Scolastica
betitelte, zählte nicht weniger als 310 Seiten. Ich erinnere mich, gewisse
Seiten daraus ins reine geschrieben zu haben, um des Sinnes sicher zu
sein, den ich dem Gelesenen gab.

Sowie ich einmal die Geschichte genau kannte, hütete ich mich, direkte
Fragen zu stellen. Sooft mir aus vielem Geschreibsel des Mönches irgendein
sicheres Faktum deutlich war, erbat ich mir mit der unschuldigsten Miene
einige Aufklärungen. Und nach einiger Zeit gab mir eine Person, die zwei
Monate früher mir jede Antwort auf meine Fragen glatt verweigert hatte,
ein kleines handgeschriebenes Heftchen von 60 Seiten, das auf die
Geschichte selber nicht weiter eingeht, aber über gewisse Fakten
pittoreske Details gibt. Zum Beispiel über die rasende Eifersucht.

Aus den Worten ihres Almoseniers, den der Erzbischof dazu gewonnen hatte,
erfuhr eines Tages die Prinzessin Donna Ferdinanda de Bissignano, daß der
junge Don Genarino nicht in sie, sondern in ihre Stieftochter Rosalinde
verliebt sei. Sie rächte sich an ihrer Rivalin, die sie vom König Carlos
geliebt glaubte, indem sie Don Genarino de las Flores in eine heftige
Eifersucht hetzte. Dieses folgende nun ist die Geschichte, welche ganz
Neapel im Jahre 1740 so heftig bewegt hat.

Im Jahre 1740 regierte in Neapel Don Carlos. Er war der Sohn der Fürstin
Elisabet von Parma, einer Farnese, die ihm, trotzdem er der Jüngere war,
gern eine Krone verschafft hätte, weshalb sie ihm zu günstiger Stunde nach
Italien mit einer Armee dirigierte. Er gewann die Schlacht bei Velletri,
trotzdem der Kampftag für ihn damit begonnen hatte, daß ihn eine Kompagnie
Österreicher des Morgens in seinem Zimmer überraschte. Der Herzog Vargas
del Prado, einer der spanischen Granden, welche die Elisabet Farnese ihrem
Sohn als Stab gegeben hatte, rettete ihm das Leben oder doch die Freiheit,
indem er ihm einen Fußtritt versetzte, der ihn ans Fenster seines nicht
niedrig gelegenen Schlafzimmers beförderte, durch das er entkam.

Don Carlos mit der ungeheuern Nase war nicht ohne Geist. Als Karl III. von
Neapel hielt er einen glänzenden Hof. Er brachte sich seine Untertanen mit
festlichem Zirzenses nah und führte gleichzeitig strenges Regiment in
allen Zweigen der Verwaltung. Die spanischen Vizekönige, deren Klugheit
durch Masaniellos Revolte berühmt geblieben ist, hatte man davongejagt;
die harten und geldgierigen österreichischen Generäle hatte man
davongejagt; in der Folge so vieler Wechsel und Konfiskationen sah sich
der neue König Herr fast über alles Hab und Gut. Die meisten Edelleute
hatten die Konfiskation einiger ihrer Güter erlebt oder wurden mit
konfisziertem Grundbesitz jener Unzufriedenen beschenkt, die von erkauften
Subjekten Verräter genannt wurden. Diese Unsicherheit aller Vermögen
verband sich mit der Notwendigkeit großer Ausgaben um der Gunst des Königs
willen, und das verpflichtete die großen Herren, hinsichtlich ihrer
Geschäfte die Augen recht offen zu halten.

Der Adel drängte sich an den Hof, und der Handelsstand gratulierte sich
dazu, die unglaublichen Plackereien der Vizekönige und die Habsucht der
österreichischen Generäle los zu sein; das gemeine Volk aber war
höchlichst erstaunt, eine Regierung zu haben, von der es nicht immerzu
geschunden wurde und gewöhnte sich daran, Steuern zu zahlen, von denen ein
Teil als Premie an Adel und Geistlichkeit verteilt wurde.

Also regierte Don Carlos seit fünf Jahren; Ruhe und Wohlstand kehrten
wieder; glückliche Zufälle halfen dabei. Der Winter von 1740 auf 1741 sah
Festlichkeiten, wie schon lange keiner mehr. Acht oder zehn Damen von
seltener Schönheit teilten sich in alles Lob und Preis, aber der junge
König, der ein feiner Kenner war, erklärte für die schönste Dame seines
Hofes Rosalinda, die Tochter des Principe d'Atella. Dieser Principe
d'Atella, früher österreichischer General, war ein ebenso trübseliger wie
kluger Mann, der gegen seinen Willen Donna Ferdinanda, seinem zweiten
Weibe, darin nachgab, daß sie sich zu Hofe von seiner Tochter, der schönen
Rosalinda, begleiten ließ, die der König für die allerschönste erklärte
und die noch nicht sechzehn Jahre zählte.

Der Principe d'Atella hatte drei Söhne aus erster Ehe, deren standesgemäße
Versorgung ihm Schwierigkeiten machte. Die Titel dieser Söhne, die alle
Herzöge oder Prinzen waren, fand er in keinem Verhältnisse zu dem mäßigen
Vermögen stehend, das er ihnen hinterlassen konnte.

D'Atella liebte seine sehr lustige und sehr unvorsichtige Frau, die, wenn
auch um dreißig Jahre jünger als er, doch nicht mehr jung war, und es
während der köstlichen Feste dieses Winters nur der Anwesenheit ihrer
Tochter Rosalinda verdankte, immer von einem hofmachenden Schwarm der
glänzendsten Jugend Neapels umgeben zu sein. Ihre besondere Aufmerksamkeit
schenkte sie dem jungen Genarino de las Flores, dessen etwas hochfahrenden
spanischen Manieren dem hübschen und lustigen Gesichte mit dem blonden
Bärtchen und den blauen Augen, einer Seltenheit in Neapel, sehr gut
standen; besonders von diesen blauen Augen waren die Damen des Hofes ganz
entzückt. So sehr entzückt, daß Genarino schon zwei Wunden aus Duellen mit
Bräutigamen oder Brüdern trug, in deren Familie er Unordnung gebracht
hatte.

Der junge Marquis war geschickt genug, die Principessa d'Atella zu
überzeugen, daß ihr seine Huldigung gelte, aber tatsächlich war er in die
junge Rosalinda verliebt und, was mehr ist, eifersüchtig auf sie. Eben
jener Herzog, der in der Nacht vor der Bataille von Velletri dem Don
Carlos so von Nutzen gewesen war und sich nun der höchsten Gunst des
jungen Königs erfreute, war aufs tiefste berührt von der naiven Grazie der
jungen Rosalinda und ganz besonders von ihrem einfachen Wesen und ihrer
aus den Augen strahlenden Aufrichtigkeit; er machte ihr auf eine
majestätische Weise den Hof, wie sich dies für einen dreifachen spanischen
Granden gehört. Aber er schnupfte und trug eine Perücke; und gerade
Schnupftabak und Perücke sind für eine junge Neapolitanerin die zwei
Dinge, die sie nicht ausstehen kann. Und trotz der nur bescheidenen
Mitgift von vielleicht zwanzigtausend Francs und keiner andern Aussicht
als das vornehme Kloster San Petito ganz oben in der Toledanerstraße, dem
Modegrab der jungen Mädchen aus dem Hochadel, konnte sich Rosalinda nicht
entschließen, die leidenschaftlichen Augen des Herzogs von Prada zu
verstehen; wohl aber begriff sie sehr gut, was ihr Don Genarino mit seinen
Blicken sagte, wenn ihn die Principessa d'Atella gerade nicht beobachtete.
Der Herzog von Prada war sich nicht ganz sicher, ob die junge Rosalinda
nicht manchmal auch Antwort auf Genarinos fragende Augen gab.

Die Liebe der beiden hatte wirklich, vernünftig betrachtet, gar keinen
Sinn. Gewiß gehörte die Familie der Las Flores zum Hochadel, aber der alte
Herzog dieses Namens, Genarinos Vater, besaß drei Söhne und hatte nach
Brauch des Landes deren Angelegenheiten so arrangiert, daß der älteste
etwa fünfzehnhundert Dukaten Rente bekam, während die beiden jüngeren sich
mit zwanzig Dukaten im Monat zufrieden geben mußten samt Logis im
Stadtpalais und in der Villa, zufrieden geben mußten, aber nicht damit
zufrieden waren.

Don Genarino und Rosalinda verwandten all ihre Geschicklichkeit darauf,
was sie für einander empfanden, vor der Principessa d'Atella zu verbergen,
deren kokettischer Anspruch auf Begehrtwerden dem jungen Marquis niemals
die falschen Gedanken verziehen hätte, die sie sich hinsichtlich seiner
Liebe zu ihr machte. Aber ihr Gatte, der alte General, hatte bessere Augen
als sie. Beim letzten Ball, den in diesem Winter König Carlos selber gab,
war es ihm ganz klar geworden, daß der bereits durch mehr als ein
Abenteuer berühmte Don Genarino es unternommen hatte, entweder seiner Frau
oder seiner Tochter zu gefallen; und das eine paßte ihm so wenig wie das
andere. Nächsten Morgen hieß er nach dem Frühstück seine Tochter, mit ihm
auszufahren, und er brachte sie, ohne weiter auch nur ein Wort zu
sprechen, nach dem Kloster von San Petito; es ist das jenes damals sehr
modische Kloster, dessen köstliche Fassade man ganz oben zur linken in der
Calle di Toledo sieht neben dem magnifiken Palazzo dei Studi.

Die langhin sich streckenden Mauern, die man bei einem Spaziergang auf der
Wiese von Vomero immer im Rücken hat, sollen das profane Auge abhalten, in
die Gärten von San Petito zu blicken.

Der alte Fürst tat erst den Mund auf, als er seiner Schwester seine
Tochter vorstellte. Wie eine Mitteilung, die er ihr aus Höflichkeit mache
und für die sie ihm dankbar sein müsse, sagte er zu Rosalinda, daß sie das
Kloster nur ein einziges Mal noch verlassen würde, nämlich am Vorabend des
Tages ihrer Profeß.

Rosalinda war über alles das nicht weiter erstaunt; sie wußte ganz gut,
daß sie höchstens durch ein Wunder eine Verheiratung erwarten konnte, und
den Herzog Vargas del Prado zu heiraten, davor graute ihr in diesem
Augenblick. Außerdem hatte sie einige Jahre als Pensionärin in dem Kloster
geweilt, in das man sie jetzt zurückbrachte, und alle ihre Erinnerungen an
ihren frühern Klosteraufenthalt waren lustig und amüsant; so war sie am
ersten Tage nicht arg betroffen von ihrem Lose; aber schon am nächsten
Tage war ihr deutlich, daß sie den jungen Don Genarino niemals wiedersehen
würde, und das traf sie, trotz ihres Alters Kindlichkeit, tief. Verspielt
und betäubt die ersten Tage, wurde sie bald die am wenigsten resignierte
und traurigste unter den Mädchen des Klosters. Wohl zwanzig Male dachte
sie im Tage an Genarino, den sie nicht mehr sehen sollte, während doch
früher und zu Hause an diesen liebenswürdigen jungen Mann zu denken ihr
höchstens zweimal im Tage eingefallen war.

Drei Wochen nach ihrem Eintritt im Kloster geschah es ihr, daß sie beim
Abendgebet die marianische Litanei ohne jeden Fehler hersagte und ihr
dafür die Novizenmutter für den andern Tag erlaubte, zum erstenmal, auf
das Belvedere hinaufzusteigen; so nennt man die weitläufige Galerie, von
den Nonnen mannigfaltig mit Bildern und Arabesken geschmückt, die ganz
oben an der Außenmauer des Klosters gegen die Toledanerstraße zu offen
liegt.

Rosalinda war entzückt über die doppelte Wagenreihe, die um diese Zeit des
Korso die Straße füllt; sie erkannte die meisten Wagen und die Damen
darin. Das amüsierte sie und bedrückte sie zugleich.

Aber Verwirrung kam in ihr Herz, als sie unter einem Torweg einen jungen
Mann erkannte, der zärtlich zu ihr hinauf einen Strauß wundervoller Blumen
bewegte; es war Don Genarino, der seit Rosalindas Entführung ins Kloster
jeden Tag hierher kam in der Hoffnung, sie auf dem Belvedere zu sehen; und
da er um ihre Blumenliebe wußte, hatte er jedesmal, um ihre Aufmerksamkeit
auf sich zu lenken, einen Strauß seltenster Blumen mitgebracht. Als
Genarino sich erkannt sah, gab er ein sichtbares Zeichen seiner Freude,
und bald folgtem[sic! statt: folgten] diesem andere Zeichen, die zu
beantworten sich Rosalinda hütete. Sie überlegte, daß nach der vom Kloster
befolgten Regel Benedicti gut ein paar Wochen bis zu neuerlicher Erlaubnis
das Belvedere zu besuchen vergehen könnten. Um sie herum war eine Menge
sehr lustiger Nonnen, von denen fast alle ihren Freunden Zeichen machten,
und diese jungen Damen schienen etwas geniert von der Anwesenheit dieses
jungen Mädchens im weißen Schleier, die doch etwas erstaunt sein könnte
über ihr wenig klösterliches Benehmen und ihr Sprechen mit den Herren da
unten. Man muß wissen, daß in Neapel die Mädchen von Kindheit an die
Fingersprache sprechen, bei der die verschiedenen Stellungen der Finger
zueinander das Alphabet bilden. Man kann die Mädchen im Salon auf diese
Weise leise sprechen sehen, während sich die betreffenden Eltern laut
unterhalten.

Genarino zitterte bei dem Gedanken, Rosalindas Nonnentum könnte echt sein.
Er war noch etwas weiter zurück in den Torweg getreten und sagte ihr von
hier aus in den Kindersprache der Finger:

"Seitdem ich Sie nicht mehr sehe, bin ich unglücklich. Sind Sie im Kloster
glücklich? Haben Sie so viel Freiheit, öfter auf das Belvedere zu kommen?
Lieben Sie immer noch die Blumen?"

Rosalinda sah ihm voll ins Gesicht, aber antwortete nicht. Auf einmal
verschwand sie, entweder von der Novizenmutter gerufen oder von den
wenigen Worten Don Genarinos beleidigt. Der stand eine Weile bestürzt.

Dann stieg er das kleine Gehölz von Aranella hinauf, das über Neapel
liegt; bis da hinauf zieht sich die Umfassungsmauer des weiten
Klostergartens von San Petito. Weiter ging er seinen melancholischen
Spaziergang und kam auf die Wiesenfläche von Vomero, von wo aus man über
Neapel und das Meer blickt; nach ein paar hundert Schritten stand er vor
dem großartigen Schlosse des Herzogs Vargas del Prado ehemals eine
mittelalterliche Festung mit schwarzen kranelierten Mauern und berühmt in
Neapel wegen seiner Düsterkeit und der Manie des Herzogs, sich nur von
spanischen Domestiken bedienen zu lassen, die genau so alt waren wie er.
Der alte Herzog sagte, daß er sich auf seinem Schlosse in Spanien glaube,
und um diesen Eindruck zu vermehren, hatte er auch alle Bäume in der
Umgebung umhauen lassen. Sooft es ihm nur der Dienst beim König erlaubte,
begab sich der Herzog, um Luft zu schnappen, nach seinem Schloß San
Nicola.

Das düstere Schloß vermehrte noch Genarinos Melancholie. Da packte ihn,
als er unter der Mauer der Gärten von San Petito hinschritt, ein Gedanke.
'Natürlich liebt sie noch die Blumen,' sagte er sich; 'die Nonnen dürften
deren kultivieren in ihrem Garten; also muß es wohl Gärtner geben; ich muß
diese Gärtner kennenlernen.'

In dieser sehr verlassenen Gegend gab es eine Osteria, in die Genarino
eintrat; sein Anzug war für diesen Ort viel zu prächtig, und er merkte mit
einigem Unbehagen, daß seine Anwesenheit Überraschung und Mißtrauen
hervorrief; da tat er, als ob er sehr müde wäre und machte sich Liebkind
mit den Wirtsleuten und dem Volk, das da seinen Schoppen Wein trank.
Seiner offenen Art hatte er es zu danken, daß die Leute in der Kneipe ihm
seine für den Ort etwas zu kostbaren Kleider verziehen. Genarino scheute
sich nicht, mit dem Wirt und dessen Freunden ein paar Gläser von dem
Bessern zu leeren, den er kommen ließ. Nach Verlauf einer Stunde Arbeit
machte seine Anwesenheit keinen mehr mißtrauisch. Man riß Witze über die
adeligen Nonnen von San Petito und über die Besucher, die manche von ihnen
über die Gartenmauer weg empfingen.

Genarino bekam die Gewißheit, daß, worüber man in Neapel so viel redete,
wirklich existiere. Die guten Leute von Vomero scherzten darüber, aber
zeigten sich nicht im mindesten entrüstet über die weltlichen Gewohnheiten
der Nonnen von San Petito.




DER CHEVALIER VON SAINT-ISMIER

ÜBERTRAGEN VON FRANZ BLEI


Man schrieb das Jahr 1640. Richelieu war, schlimmer als je, Herr
Frankreichs. Sein eiserner Wille und seine Launen eines großen Mannes
suchten jene turbulenten Geister zu beugen, die Krieg und Liebe mit der
gleichen Leidenschaft trieben. Die Galanterie war noch nicht auf die Welt
gekommen. Die Religionskriege und die um das Gold des düstern Philipp II.
erkauften Fraktionen hatten in den Herzen ein Feuer entzündet, das der
Anblick der auf Befehl Richelieus vom Rumpfe getrennten Köpfe noch nicht
zum Erlöschen gebracht hatte. Reim Bauern, beim Edelmann, beim Bürger traf
man auf eine Energie, die man in dem Frankreich nach den 72 Jahren
Herrschaft Ludwig XIV. nicht mehr kannte. Im Jahr 1640 war der
französische Charakter noch imstande, Energisches zu verlangen, aber die
Tapfersten fürchteten den Kardinal; sie wußten ganz genau, daß man ihm
nicht entginge, besäße man die Unbesonnenheit, im Lande zu bleiben,
nachdem man ihn beleidigt hatte.

Solchem gab der Chevalier von Saint-Ismier seine Gedanken, ein junger
Offizier aus einer der reichsten Adelsfamilien des Languedoc. An einem der
schönsten Juniabende ritt er nachdenklich am rechten Dordogneufer hin,
Moulons gegenüber. Er hatte nur einen Domestiken zur Begleitung. Er wußte,
wagte er nach Bordeaux zu gehen, daß er es hier mit dem Kapitän Rochegude
zu tun habe. Dieser Stadtgewaltige war eine Kreatur des Kardinals, und
Saint-Ismier kannte die schreckliche Eminenz. Trotz seiner fünfundzwanzig
Jahre hatte sich der junge Edelmann im deutschen Kriege rühmlichst
ausgezeichnet. Aber da hatte er zuletzt auf dem Schloß einer Tante, die er
beerben sollte, auf einem Balle Streit mit dem Grafen de Chaix bekommen,
dem Verwandten eines Parlamentspräsidenten der Normandie und treu
ergebenen Dieners des Kardinals, für dessen Rechnung er in seiner
Körperschaft intrigierte. Alle Welt in Rouen wußte das, und so war der
Präsident mächtiger als der Gouverneur selber. Darum beeilte sich
Saint-Ismier auch, nachdem er den Grafen elf Uhr des Nachts unter einer
Straßenlaterne getötet hatte, aus der Stadt hinauszukommen; er nahm nicht
einmal Abschied von seiner Tante.

Auf der Höhe des Berges Sainte-Catherine versteckte er sich in dem Walde,
der die Spitze damals noch krönte. Seinem Diener ließ er durch einen
Bauern, dem er auf der Landstraße begegnet war, Nachricht zugehen. Der
Diener nahm sich nur so viel Zeit, die Tante zu verständigen, daß der
Chevalier sich sofort zu seinem Schutz auf das Schloß einer befreundeten
Familie in die Nähe von Orleans begebe, und traf mit zwei Pferden im Walde
ein. Kaum war er zwei Tage auf jenem Schlosse, als ein Kapuziner, ein
Protegé des berühmten Pater Joseph und Freund des Schloßherrn, diesem
einen Diener zuschickte, der in höchster Eile aus Paris gekommen war, auf
zu Tode gehetzten Postpferden. Der Diener überbrachte einen Brief, der
nichts als diese Worte enthielt:

"Ich kann nicht glauben, was man von Ihnen spricht. Ihre Feinde behaupten,
Sie gäben einem Rebellen gegen Seine Eminenz Unterschlupf."

Der arme Saint-Ismier mußte aus dem Schlosse bei Orléans flüchten, wie er
aus Rouen geflohen war. Der Schloßherr, sein Freund, suchte ihn auf der
Jagd auf am andern Ufer der Loire, um ihm den schlimmen Brief zu
übergeben. Der Chevalier nahm dankbaren Abschied und ging an den Fluß
hinunter in der Hoffnung, da ein Boot zu finden; zu seinem Glück traf er
auch einen Fischer, der in einem winzigen Kahn gerade sein Netz einzog. Er
rief den Mann an.

"Meine Gläubiger sind hinter mir her. Du bekommst einen halben Louis, wenn
du die ganze Nacht ruderst. Du mußt mich nah meinem Haus ans Ufer setzen,
eine halbe Meile vor Blois."

Saint-Ismier fuhr die Loire hinunter bis ***; kamen sie an Städte, stieg
er aus und ging zu Fuß durch; die Flucht währte Tag und Nacht. Seinen
Diener mit den Pferden erreichte er erst bei ***, einem kleinen Dorf in
der Nähe von **. Dann ritt er die Küste entlang südwärts. Auf drängende
Fragen ließ er verstehen, daß er ein protestantischer Edelmann und mit den
Daubigné verwandt sei und darum ein bißchen verfolgt werde. So erreichte
er ohne Abenteuer die Mündung der Dordogne. Wichtige Interessen riefen ihn
nach Bordeaux, aber er fürchtete, wie gesagt, der Kapitän Rochegude habe
bereits einen Verhaftsbefehl gegen ihn erhalten.

'Der Kardinal', sagte er sich, 'holt viel Geld aus der Normandie, die
unter unsern Wirren am wenigsten gelitten hat. Der Präsident Lepoitevin
ist das Hauptwerkzeug in seiner Hand, alle die Steuern einzutreiben, er
wird sich recht wenig aus dem Leben eines Edelmanns wie mir machen, um des
Preises der Staatsräson willen, die ihm zuruft: Vor allem Geld! Mein
Unglück ist gerade darum größer, daß der Kardinal mich kennt; ich habe
nicht die Chance, vergessen zu werden.'

Aber die Gründe, die ihn nach Bordeaux zu gehen zwangen, waren zu mächtig.
Er setzte seinen Weg die Dordogne entlang fort und traf in dunkler Nacht
hinter der Vereinigung mit der Garonne bei *** ein. Ein Fährmann setzte
ihn, seine Pferde und den Diener aufs linke Ufer über. Hier hatte er das
Glück, auf Weinhändler zu stoßen, die sich gerade vom Kapitän Rochegude
einen Permiß zur nächtlichen Einfahrt nach Bordeaux gekauft hatten, da die
Tageshitze ihrem Weine nicht bekomme. Der Chevalier warf seinen Degen auf
einen ihrer Karren und fuhr um Mitternacht in Bordeaux ein, eine Peitsche
in der Hand und im Gespräch mit einem der Fuhrleute. Einen Augenblick
später ließ er einen Taler in die Tasche des Mannes gleiten, nahm ruhig
seinen Degen und verschwand, ohne ein Wort zu sagen um eine Straßenecke.

Der Chevalier kam bis ans Kirchentor von Saint-Michel; hier ließ er sich
auf den Stufen nieder.

'Da bin ich also in Bordeaux', sagte er sich. 'Was gebe ich für eine
Antwort, wenn die Wachrunde mich fragt? Wenn diese Leute nicht gerade
betrunkener sind als gewöhnlich, hat es wenig Aussicht auf Glauben, wenn
ich ihnen sage, ich sei ein Weinhändler; die Antwort wäre neben den
Fuhrwerken und den Fässern möglich gewesen. Ich hätte mir, bevor ich meine
Pferde wegschickte, Bedientenkleider anziehen sollen, aber so angezogen
wie ich bin, kann ich nichts andres sein als ein Edelmann; und als
Edelmann errege ich die Aufmerksamkeit dieses Rochegude, der mich in die
Feste Trompette steckt, und in zwei Monaten fällt mein Kopf auf dem
Marktplatz, hier oder in Rouen. Wird mich mein Kusin, der Marquis von
Miossens, der so vorsichtig ist, aufnehmen? Wenn er von meinem Zweikampf
in Rouen nichts weiß, so wird er meine Ankunft mit Festen begehen wollen;
er wird allen diesen Gaskognern sagen, ich sei ein Günstling des
Kardinals. Weiß er aber, daß ich der Eminenz mißfallen könnte, so wird er
erst seinen Frieden finden, wenn er seinen Sekretär mit der Anzeige zu
Rochegude geschickt hat. Es wäre nötig, zuerst zur guten Marquise zu
gelangen, ohne daß ihr Mann von mir weiß. Aber sie hat Liebhaber, und der
Marquis ist so eifersüchtig, daß er, wie man sagt, Duennen aus Spanien
nach Paris kommen ließ zu ihrer ständigen Überwachung. Wir machten uns
lustig über ihn, daß sein Bordeauleser Haus bewacht sei wie eine Festung.
Und dann, wie zu dem Haus gelangen, das sehr prächtig sein soll? Ich war
nie in Bordeaux gewesen. Wie soll ich einem Passanten sagen: Zeigen Sie
mir das Haus Miossens und wie ich ohne Wissen des Marquis hineinkomme? Das
wäre verrückt. Sicher aber ist, bleibe ich hier bei den armseligen Häusern
um die Kirche herum, besteht keine Aussicht, dem prächtigen Hause meines
Kusins zu begegnen.'

Die Turmuhr der Kirche schlug ein Uhr.

'Keine Zeit mehr zu verlieren', sagte sich der Chevalier. 'Warte ich hier
den Tag ab, um dann in irgendein Haus zu treten, so hat Rochegude davon
sofort Nachricht. In diesen Provinzstädten kennt einer den andern,
besonders unter den Leuten gleichen Standes.'

Der arme Chevalier machte sich also auf die Suche, sehr behindert von
seiner Person und nicht wissend, wohin sich eigentlich wenden. Eine tiefe
Stille lag in allen Gassen, die er durchschritt, und nicht minder tief war
die Dunkelheit.

'Ich zieh mich aus dieser Geschichte nicht heraus. Morgen abend sitze ich
im Fort Trompette; daraus entweicht keiner mehr.'

Da erblickte er in einiger Entfernung ein Haus, in dem Licht war.

'Und wenn's der Teufel selber wäre,' sagte sich der Chevalier, 'ich muß
mit den Leuten da drin sprechen.'

Als er näher kam, vernahm er Lärm. Er lauschte und suchte zu erraten, um
was es sich handle. Da flog eine kleine Pforte auf, und ein breiter
Lichtstrom fiel über die Gasse und noch das gegenüberliegende Haus hinauf.
In dem Licht stand ein prächtig gekleideter, junger, sehr schöner Mensch,
den Degen in der Faust; er sah verärgert aus, aber nicht wütend, oder es
war die hinter Verärgertheit maskierte Wut eines Gecken. Die Leute seiner
Umgebung hatten das Wesen von Untergebenen und schienen ihn beschwichtigen
zu wollen, wobei sie ihn Herr Graf nannten.

Saint-Ismier war noch etwa zwanzig Schritte von der hellen Pforte
entfernt, als der junge schöne Mann, der etwa eine halbe Minute in der
Türschwelle wie zögernd gestanden hatte, plötzlich und immer wie einer,
der, um dafür bewundert zu werden, Wut zeigt, schreiend und fluchend und
immerzu mit dem Degen fuchtelnd in die Gasse hinausging, gefolgt von
einem, prächtig gekleidet wie er. Saint-Ismier sah auf die beiden, als er
von dem ersten bemerkt wurde, den man Herr Graf nannte. Alsbald stürzte
der Graf auf Saint-Ismier los und wollte ihm mit einem Fluche den Degen
durch das Gesicht ziehen. Saint-Ismier, auf solchen Angriff nicht im
mindesten gefaßt, hatte gerade eine Höflichkeit überlegt, die er dem
jungen Manne sagen wollte mit der Frage, wo das Haus Miossens läge.
Heiteren Wesens hatte er seinem Körper schon jenes liebenswürdige
Balancieren eines Chevaliers gegeben, der den Weinen des Landes herzhaft
zugesprochen, denn er fand es so lustiger wie sicherer, den Edelmann
anzusprechen wie ein leicht Trunkener. Er gab seinen Lippen schon das
Lächeln der Liebenswürdigkeit, mit der er beeindrucken wollte, als er den
ihm bestimmten Hieb des Grafen vor seinen Augen sah. Und er fühlte dessen
ganze Schwere auf den rechten Arm niedersausen, mit dem er sein Gesicht
deckte.

Er tat einen Sprung nach rückwärts.

'Ich habe einen Schlag bekommen', sagte er sich und Wut stieg ihm rot ins
Gesicht. Er ging heftig den frechen Burschen an.

"Also du willst mehr davon," rief der Graf, "nur zu, das ist's ja, was ich
wollte. Du sollst deine Schläge haben." Und er warf sich mit toller
Kühnheit auf Saint-Ismier.

'Gott verzeih mir, er will mir ans Leben,' sagte sich der Chevalier, 'ich
muß kaltes Blut bewahren.'

Saint-Ismier bekam mehrere Stiche ab, denn nun hatte auch der Edelmann aus
des Grafen Begleitung den Degen gezogen, sich an seines Freundes Seite
gestellt.

'Sie wollen mich umbringen', sagte sich Saint-Ismier, und machte einen
Ausfall. Dabei zog er aus einer Unvorsichtigkeit des Grafen Vorteil, der
sich ungedeckt auf ihn gestürzt hatte, um ihm den Degen durch den Leib zu
rennen. Der Graf parierte den Stich, indem er ihn nach oben abdrängte; da
aber sprang der Degen dem Grafen sechs Daumen tief ins rechte Auge; der
Chevalier spürte, wie das Eisen auf etwas Hartes stieß; es war der innere
Schädelknochen. Der Graf stürzte tot.

Als der Chevalier, stark erschrocken über dieses Ergebnis, ein bißchen
zögerte, seinen Degen zurückzuziehen, gab ihm der Mensch, der hinter dem
Grafen gestanden hatte, einen starken Hieb in den Arm, und im gleichen
Augenblick fühlte der Chevalier mächtig das Blut fließen. Dazu rief dieser
Gegner aus allen Lungenkräften um Hilfe. Acht oder zehn Leute stürzten aus
der Herberge, denn eine solche und die erste von Bordeaux war das
erleuchtete Haus. Saint-Ismier sah gut, daß die Hälfte der Leute bewaffnet
war. Er nahm seine Beine unter die Arme und lief, was er konnte.

'Ich habe einen Menschen getötet,' sagte er sich, 'ich bin mehr als
gerächt für einen Hieb in den Arm. Übrigens ist Gefängnis oder Tod für
mich das gleiche. Nur wird mir, falle ich Rochegude in die Hände, der Kopf
ganz gewiß auf dem Marktplatz abgeschlagen, und an einer Straßenecke
sterbe ich als ein tapferer Mensch im Kampfe um mein Leben.'

Doch aber lief unser Held, was er konnte, um sein Leben zu retten. Er kam
wieder an der Kirche vorbei, kam dann in eine sehr breite und wie ihm
schien, sehr lange Straße. Die Verfolger hielten an, als sie hier
zwei- oder dreihundert Schritte hinter ihm hergelaufen waren. Es war
höchste Zeit für den ganz atemlosen Chevalier. Auch er hielt inne, etwa
hundert Schritte weiter als die Verfolger; er machte sich, indem er sich
stark bückte, so klein als möglich; dann versteckte er sich hinter dem
Pfosten einer Brustwehr, die sich in der Straße etwa sechs acht Fuß vor
den Häusern befand. Die Verfolger tauchten wieder auf, und der Chevalier
begann wieder so gut er konnte zu laufen, immer die breite lange Straße
hinauf. Da hörte er vor sich Schritte im Takt; er hielt sofort im Laufen
inne.

'Die Scharwache!' dachte er.

Und warf sich laufend in eine sehr enge Seitengasse, lief durch viele
Gäßchen, jede halbe Minute stillstehend, lauschend; zunächst stieß er nur
auf Katzen, denen er Furcht einjagte; aber als er in eine Gasse einbog,
hörte er vier fünf Männer kommen; deutlich vernahm er ihr schweres und
wohlgesetztes Reden.

'Wieder die Wache! Der Teufel hol mich!'

Er stand gerade an einem mächtigen, derb holzgeschnitzten Tor; aber zehn
Schritte davon bemerkte er eine ganz kleine Tür; er stürzte hin. Die Tür
war offen. Er verschwand dahinter und verschnaufte. Er dachte, die Männer,
die er reden gehört hatte, müßten ihn hier eintreten gesehen haben und
hinter ihm hereinkommen; dann würde er sich hinter der Tür verstecken und
sobald die Männer eingetreten und bis in den kleinen Hofgarten, den er
bemerkte, gekommen wären, zu dem diese Tür führte, würde er wieder sehen,
daß er hinaus und weiterkomme. Er stand schweratmend hinter der kleinen
Tür und wartete. Die Männer blieben just davor stehen und schwatzten. Aber
sie traten nicht ein und gingen weiter.

Angst in den Gliedern schlich Saint-Ismier in was ihm ein Garten schien
der hohen Bäume wegen; er kam in einen großen Hof, dann in einen
kleineren, der ihm mit kleinen marmornen Tafeln gepflastert schien. Er
spähte vorsichtig, ob er niemanden sähe, mit dem er sprechen könnte.

'Das ist ein reiches Haus. Besser konnte ich es nicht treffen. Finde ich
da einen Domestiken, so wird er für meinen Taler empfänglich sein und mich
zum Palais Miossens bringen. Vielleicht versteckt er mich für zwei Taler
heute Nacht und morgen in seinem Zimmer. Ja, wer weiß, vielleicht wird er
einmal noch mein eigener Diener? Glücklicher könnte ich es mir nicht
wünschen.'

Solches hoffend fand Saint-Ismier eine Treppe, die er hinaufstieg. Sie
führte in das erste Stockwerk, wo sie aufhörte. Er trat auf einen Altan
und sah sich um. Da war es ihm, als vernehme er ein Geräusch auf der
Treppe. Er schwang sich sofort über das Geländer des Balkons und trat auf
ein Gesims der Hauswand; mit den Händen hielt er sich an der Holzjalousie
des nächsten Fensters fest. Vorsichtig tastete er sich auf dem Gesims
weiter und kam auf einen zweiten Balkon, vom ersten ein paar Fuß entfernt.
Durch ein offenes Fenster stieg er ein. Eine wie ihm schien marmorne und
sehr prächtige Treppe führte in das zweite Stockwerk. Hier stand er nun
vor einem mit goldenen Nägeln verzierten Türvorhang. Durch den Spalt
zwischen Türvorhang und Boden kam ein schwacher Lichtschein. Er zog die
Portiere ganz leise an sich und stand einer Tür gegenüber, deren silberne
oder kupferne Ornamente im Dunkel glänzten. Aber wichtiger für den armen
Chevalier war das bißchen Licht, das durch das Schlüsselloch drang. Er
brachte sein Auge daran; doch sah er nichts; er glaubte einen Vorhang
unterscheiden zu können, der im Raume nah vor der Tür hing.

'Das ist jedenfalls ein vornehmer Wohnraum', sagte er sich. Sein nächster
Gedanke war, keinerlei Geräusch zu machen. 'Aber', dachte er, 'schließlich
muß ich ja doch einmal mit jemandem reden, und so allein, verloren in
einem weitläufigen Hause und mitten in der Nacht, ist's besser, ich
spreche mit einem Herrn statt mit einem Lakaien. Der Herr wird leicht
begreifen, daß ich kein Dieb bin.'

Er faßte mit der linken Hand die Portiere, diese beiseite haltend, und
faßte mit der rechten an den Türknopf; er öffnete ganz leise und sagte mit
seiner liebenswürdigen Stimme:

"Herr Graf, erlauben Sie, daß ich eintrete?"

Keine Antwort. Er blieb eine Weile in seiner Stellung, auf dem Boden
zwischen seinen Füßen den Degen, damit er ihn, wenn nötig, rasch zur Hand
hätte. Er wiederholte das Kompliment, so reizend als möglich von ihm
ausgedacht:

"Herr Graf, wollen Sie mir erlauben, daß ich eintrete?"

Keine Antwort. Der Chevalier sah sich in dem mit der Großartigkeit
neuesten Stiles gezierten Prunkgemach um. Die Wände deckten gebuckelte
vergoldete Ledertapeten. Der Tür gegenüber stand ein mächtiger Schrank aus
Ebenholz mit einer Menge kleiner Säulen, deren Kapitale aus Perlmutter
waren. Zur Rechten breitete sich ein Bett, dessen Vorhänge aus rotem
Damast zugezogen schienen. Er konnte nicht in das Bett sehen. Die eine
Fußsäule, die er bemerken konnte, war vergoldet. Zwei Genien, wohl aus
Goldbronce, stützten mit ihren hochgehaltenen Armen einen kleinen Tisch
mit ockergoldner Platte; zwei vergoldete Leuchter standen darauf, in deren
einem eine Kerze brannte; und was den Chevalier nicht wenig beunruhigte,
war, daß er neben dem brennenden Leuchter ganz deutlich fünf, sechs
edelsteinblitzende Ringe liegen sah.

Er machte einen kleinen Schritt ins Gemach, mit kleinen Verbeugungen und
schüchtern-liebenswürdigen "Verzeihung, Herr Graf".

Über einem Kamin hing ein strahlender Venetianer Spiegel. Da stand ein
großer Toilettentisch, mit schwerer grüner Seide überzogen. Auch auf
diesem Tisch lagen Ringe und eine steinverzierte Uhr; ihr leises Ticken
war das einzige wahrnehmbare Geräusch im Raum.

'Wie wird der Besitzer aller dieser Kostbarkeiten aufschreien, wenn er
jetzt aus dem Bett springt und mich erblickt! Aber ich muß doch zu einem
Ende kommen, so oder so. Eine Viertelstunde hab ich schon in
Zwecklosigkeiten und in der verrückten Hoffnung verloren, nicht für einen
Dieb gehalten zu werden.' Er ließ die Tür los, die sich mit einem kleinen
Geräusch schloß. Sie war von innen nicht zu öffnen, wie sich der Chevalier
gleich überzeugte. 'Ich bin gefangen', sagte er sich und untersuchte
genauer noch die Tür; es war unmöglich, sie zu öffnen. 'Ich bin
eingesperrt.' Von diesem Umstand beunruhigt, ging der Chevalier
entschlossen auf das Bett zu. Dessen Vorhänge waren fest zugezogen. Er
schlug sie auseinander, immer allerlei lächelnde Entschuldigungen für die
im Bett vermutete Person stammelnd.

Das Bett war leer. Aber in hinreichender Unordnung, die sagte, daß es eben
noch besetzt war. Die Vorhänge trugen reiche Spitzen. Der Chevalier griff
nach dem Leuchter, um besser zu sehen; er steckte eine Hand unter die
Decke; es war noch warm da. Nun untersuchte eiligst der Gefangene mit dem
Leuchter das Zimmer nach einem Ausgang; zu seinem großen Verdruß fand er
keinen andern als die Tür, die sich von innen nicht öffnen ließ, und ein
Fenster. Er wußte nichts andres als die Bettvorhänge zu zerreißen und
daraus etwas wie ein Seil zu drehen, mit dessen Hilfe er den Abstieg
durchs Fenster in ein dunkles Ungewisses wagen könnte, in etwa vierzig Fuß
Tiefe, wie er schätzte; ob das da unten ein Dach oder ein Hof sei, dies zu
unterscheiden machte er vergebliche Anstrengungen.

'Und was, wenn ich da unten heil und ganz ankomme? Ich bin da vielleicht
genau so gefangen wie hier.'

Da blitzte ihm ein Gedanke auf:

'Ich sehe keinen Degen hier im Zimmer. Die Kammerdiener der hier hausenden
vornehmen Persönlichkeit haben deren Kleider ohne Zweifel mit
fortgenommen. Aber seinen Degen hätten sie ihm doch dagelassen. Aber
vielleicht drangen Diebe ins Haus und er hat für ihre Verfolgung das Bett
verlassen, den Degen in der Faust? Seltsam ist es doch, daß keine Waffe
hier im Zimmer ist.'

Und mit äußerster Sorgfalt ging nun der Chevalier daran, das Zimmer zu
durchforschen. Da stieß er ganz nah am Bett auf dem Teppich auf zwei
kleine Schuhe aus weißer Seide und auf ein Paar außerordentlich dünne
Seidenstrümpfe.

'Ich bin doch ein großer Schafskopf! Ich bin hier bei einer Frau!'

Gleich darauf fand er ein paar Strumpfbänder aus Silberspitze; auf einem
Fauteuil einen kleinen Unterrock aus rosarotem Satin.

'Es ist eine junge Frau', rief er hingerissen, und seine Neugierde war so
mächtig erregt, daß er ganz seine Angst vor dem Gefängnis oder vielmehr
vor dem Tode vergaß, die sein einziges Gefühl war seit der Minute, als er
den jungen Menschen mitten auf der Straße niedergestochen hatte. In seiner
Neugier vergaß der Chevalier auch gänzlich, für einen Dieb gehalten zu
werden. Er öffnete, das Licht in der Hand, den Degen unterm Arm alle
Schubfächer des Toilettentischs. Er fand eine große Menge kostbaren
Schmucks und von erlesenem Geschmack; einige kleine Kassetten trugen
gravierte Inschriften in italienischer Sprache. 'Die Herrin dieses Raumes
muß bei Hofe gewesen sein', sagte er sich. Er fand außerordentlich kleine
Handschuhe, die getragen waren. 'Entzückende Hände hat sie', sagte er. Da
stieß er zu seiner größten Freude auf einen Brief.

'Dieses Gemach ist also von einer offensichtlich jungen und schönen Frau
bewohnt. Ein Mann macht ihr die Cour und ohne Glück.'

Des Chevaliers Neugierde war zunächst befriedigt, und eine große Müdigkeit
kam über ihn. Um sich eine Zeit zu geben, die wohl gleich eintretende
Person sich anzusehen, setzte er sich in den Alkov zwischen Bett und Wand
nieder. Er rechnete bestimmt darauf, wachend das Ende eines Abenteuers
abzuwarten, das schlecht für ihn ausgehen konnte, aber er schlief sehr
rasch ein.

Er wachte von dem kleinen Geräusch der Tür auf; die Kammerzofe hatte sie
geöffnet.

"Geh zu Bett. Ich brauch dich nicht mehr. Aber weck mich sofort, wenn es
meiner Mutter wieder schlechter geht."

Saint-Ismier hatte, aus dem Schlaf geschreckt, kaum Zeit, diese gehörten
Worte zu verstehen. Der Bettvorhang öffnete sich; ein junges Mädchen stand
da, einen Armleuchter mit zwei brennenden Kerzen in der Hand, die volles
Licht über das Zimmer warfen. Ein ungeheurer Schrecken drückte sich in
ihren Zügen aus, als sie hinter ihrem Bette einen blutbedeckten Menschen
liegen sah. Sie stieß einen kleinen Schrei aus, stützte sich auf das Bett.
Und starrer Schrecken verzerrte das Gesicht, als Saint-Ismier sich
aufrichtete, um sie zu stützen. Nun schrie sie laut auf und sank, wie der
Chevalier aus der Folge erfuhr, in Ohnmacht, erst auf das Bett, dann auf
den Boden. Der Leuchter fiel und erlosch. Saint-Ismier wußte erst nicht,
was tun; er war ratlos. Den letzten Rest von Schlaftrunkenheit
abzuschütteln, setzte er sich mit einem Ruck auf. Er griff nach seinem
Degen und horchte; alles war tiefste Stille. Er tastete nach dem, was ihm
über die Beine gefallen war; fand eine Frau, die er für tot glaubte; er
griff eine Hand, deren Kleinheit und zarte Haut ihn denken ließ, es sei
eine Frau, die irgendein Eifersüchtiger getötet habe.

'Man muß ihr helfen', sagte er sich und hatte von diesem Augenblick wieder
sein kaltes Blut. Der Kopf der Frau lag auf seinem Knie. Er zog es so
vorsichtig als er nur konnte, zurück, hob das Köpfchen und bettete es auf
einen Schemel. Er fand so viel Wärme unter den Achseln dieses Leibes, als
er ihn hob, daß ihm der Gedanke kam, die Person dürfte nur infolge einer
großen Verwundung ohnmächtig sein.

'Ich muß um alles in der Welt von hier heraus', sagte er sich. 'Da ist
keine Hoffnung, mit dem eifersüchtigen Gatten oder dem wütenden Vater, dem
diese Dame getötet wurde, vernünftig zu reden. Unmöglich, daß er nicht
gleich zurückkomme, um zu sehen, ob seine Rache gelungen oder um den
Leichnam wegzuschaffen; und findet er mich hier blutbedeckt und ich kann
nicht sagen, wie hierhergekommen, so kann ihm leicht der Gedanke
einfallen, sich auf meine Kosten unschuldig zu machen und mich als den
Mörder dieser Dame zu bezeichnen; ich könnte nichts darauf antworten, das
Verstand hätte.'

Mit größter Vorsicht erhob sich Saint-Ismier, ganz bedacht nur, der Dame
nicht weh zu tun, die in der engen Bettgasse auf ihm lag. Aber da stieß
sein Fuß an den Armleuchter, der mit großem Geräusch ins Zimmer rollte.
Der Chevalier blieb stehen, unbeweglich und die Hand am Degengriff. Aber
alles blieb still. Schritt um Schritt ging nun Saint-Ismier das Gemach ab,
mit dem Degen die Wände abtastend. Es war vergeblich; er fand nicht
Öffnung noch Tür; die von außen nur zu öffnende war ohne Gewalt nicht
aufzubrechen. Von neuem öffnete er das Fenster. Da war weder ein Balken
noch ein Gesims, die einen Ausbruch erlaubt hätten.

'Ich hab mir wahrhaftig nichts vorzuwerfen, wenn mich dieser Zwischenfall
auf der Flucht vor dem Gefängnis aufs Schafott bringt: ich hab mich selber
gefangen gesetzt.'

Er horchte; es war ihm, als hätte er vom Bett her etwas sich bewegen
gehört. Er tastete sich im Dunkel eilends hin. Es war die junge verwundet
geglaubte Dame, die aus der Ohnmacht durch das Geräusch erwacht war, das
er mit dem Fenster machte. Er nahm sie beim Arm und die Furcht brachte sie
vollends zu sich. Da entriß sie ihm den Arm und gab dem Chevalier einen
Stoß, so stark sie konnte.

"Sie sind ein Scheusal! Was Sie tun, ist grauenvoll! Sie wollen meine Ehre
besudeln und mich dadurch zwingen, Ihre Frau zu werden. Aber ich weiß alle
Ihre Absichten zu nichte zu machen. Gelingt es Ihnen, mich vor den Augen
der Welt zu entehren, so geh ich eher ins Kloster, als daß ich eine
Marquise von Buch werde."

Der Chevalier trat einige Schritte zurück auf die andere Seite des Bettes.

"Verzeihen Sie, Madame, die Angst, die ich Ihnen verursache. Zunächst kann
ich Ihnen eine vortreffliche Neuigkeit berichten: ich bin nicht der
Marquis von Buch, ich bin der Chevalier von Saint-Ismier, Kapitän im
Regiment Royal-Cravatte, von dem Sie, wie ich glaube, nie reden gehört
haben. Ich bin in Bordeaux heut abend um neu Uhr eingetroffen, und auf der
Suche nach dem Hause der Miossens wurde ich von einem gutgekleideten
Menschen mit dem Degen angefallen, auf der Straße. Wir haben uns
geschlagen, und ich habe ihn getötet. Man hat mich verfolgt. Ich fand eine
kleine Tür offen; sie führte in Ihren Garten. Ich stieg eine Treppe
hinauf, und da ich mich noch immer verfolgt glaubte, stieg ich über einen
Balkon in eine Antichambre. Ich sah Licht hier und trat ein, mit vielen
Entschuldigungen für den Edelmann, den ich störte, und erzählte ihm, es
war etwas lächerlich, laut meine ganze Geschichte, wie ich es eben jetzt
tue. Ich starb vor Angst, für einen Dieb gehalten zu werden. Alle meine
lächerlichen Höflichkeiten waren Grund, daß ich erst nach einer
Viertelstunde merkte, daß das Bett leer war. Dann bin ich, scheint es,
eingeschlafen. Ich wachte auf, als der Leib einer getöteten Dame über mich
fiel. Ich griff eine entzückende kleine Hand; ich bin hier im Brautgemach
eines sehr eifersüchtigen Edelmanns, dessen Geschmack und Reichtum zu
bewundern ich alle Gelegenheit hatte. Ich sagte mir, der Eifersüchtige
würde behaupten, ich hätte seine Frau umgebracht. Da legte ich Ihr
Köpfchen, Madame, so zart ich vermochte, auf einen Schemel, und versuchte
mein Letztes, aus diesem Gemach herauszukommen. Ich wiederhole, Madame,
ich halte mich für einen sehr tapfern Menschen, und bin seit heute abend
um neun zum erstenmal in Bordeaux. Ich habe Sie also noch nie gesehen,
Madame, weiß nicht einmal Ihren Namen und bin in Verzweiflung über die
Ungelegenheiten, die ich Ihnen mache. Aber Sie haben von mir wenigstens
nichts zu fürchten.[sic! Fehlt: "]

"Ich tue mein Möglichstes, um mir Sicherheit zu geben", sagte die Dame
nach einer Weile. "Ich glaube alles, was Sie mir sagen, aber doch kann der
grausame Zufall, dessen Umstände Sie mir erzählen, mich meine Ehre kosten.
Ich bin allein mit Ihnen in diesem Gemach, ohne Licht, und es ist drei Uhr
nachts; es gehört sich, daß ich gleich meine Kammerjungfer rufe."

"Verzeihen Sie, Madame, daß ich nochmals von mir spreche. Der Kommandant
Rochegude ist mein Feind, und ich flüchtete nach Bordeaux, eines andern
Duells wegen verfolgt, das ich vor einiger Zeit schlagen zu müssen das
Unglück hatte. Ein Wort von Ihnen, Madame, kann mich auf die Feste
Trompette bringen, und da jener, den ich tötete, sich gewiß aller
Protektion erfreut, verlasse ich dies Fort nur auf dem Wege zum
Richtblock."

"Ich werde vorsichtig sein," sagte die Dame, "aber lassen Sie mich nun
gehen."

Sie schritt zur Tür, die sie durch ein Geheimschloß öffnete. Nun fiel sie
mit dem festen Geräusch wieder zu, und Saint-Ismier war aufs neue allein,
ohne Licht, gefangen.

'Ist die Frau häßlich und aus diesem Grunde böse,' dachte der Chevalier,
'so bin ich verloren. Aber sie hatte eine zarte Stimme. Jedenfalls werden
Domestiken auf mich losgelassen. Da wird's nichts zu markten geben; ich
steche den ersten nieder, der sich zeigt. Das schafft dann einen
Augenblick Verwirrung, die ich nütze, die Stiege hinunter und auf die
Gasse zu kommen.'

Er vernahm draußen Stimmen.

'Gleich wird sich alles entscheiden', sagte er sich.

Er packte mit der Linken einen Schemel, den er seinem Angreifer zwischen
die Augen werfen wollte, und stellte sich hinter den Bettvorhang.

Die Tür ging auf. Er sah ein leidlich hübsches Mädchen eintreten, in der
Hand ein Licht, mit der andern die Portiere haltend. Sie sah den Raum mit
den Blicken ab und fand den Fremden nicht. Da lachte sie.

'Ich dachte mir's doch, daß es nur ein Scherz wäre. Sie wollten mich nur
durch eine seltsame Geschichte am Schlafen hindern, gnädiges Fräulein.'

Da trat eine Dame ein, achtzehn oder zwanzig Jahre alt und von blendender
Schönheit; doch blickte sie ernst und sogar ein wenig unruhig. Sie ließ
die Tür zufallen und ohne ein Wort zu der zuerst eingetretenen Jungfer zu
sprechen, machte sie ihr ein Zeichen gegen den Alkoven hin.

Als der Chevalier bloß die beiden Frauen sah, trat er, den Degen in der
Hand, hinter dem Vorhang hervor. Aber der nackte Stahl und das Blut, das
ihn bedeckte, machten Wirkung auf die Zofe, die sich ganz blaß ans Fenster
zurückzog. Der Chevalier dachte weder an Gefängnis mehr noch an seine
Duelle; er bewunderte die außerordentliche Schönheit der jungen Person,
die aufrecht vor ihm stand und ein wenig bestürzt. Nun fiel heftige Röte
über ihr Gesicht, und ihre Augen wurden groß vor Neugierde.

'Man möchte glauben, sie erkenne mich', dachte Saint-Ismier. Und dann:
'Ich bin nicht goldbestickt wie der junge Mann, den ich erstochen habe; er
war neueste Pariser Mode. Aber vielleicht gefällt ihrem guten Geschmack
meine einfache Eleganz.' Er fühlte sich von Respekt ganz durchdrungen.

"Das Dunkel war nicht günstig, Madame. Es ließ mir aber mein kaltes Blut.
Erlauben Sie mir, daß ich meine Entschuldigungen wiederhole für die
schrecklichen Ungelegenheiten, in die Sie mein Unglück gebracht haben."

"Sie erlauben, Herr Chevalier, daß alles, was Sie betrifft, auch von
meiner Jungfer Alix gewußt wird. Sie hat viel Menschenverstand, alles
Vertrauen meiner Mutter und ihr Rat wird uns nützlich sein -- Sie
erlauben?"

Alix hatte mehrere Kerzen angezündet. Nun nahm sie auf ein Zeichen ihrer
Herrin auf einem Stuhl neben dem Fauteuil Platz, in dem sich diese selbst
niedergelassen hatte.

Die junge Dame schien Mißtrauen und Unruhe verloren zu haben. Sie begann
die Unterhaltung damit, den Chevalier aufzufordern, seine Geschichte
nochmals zu erzählen. Währenddem dachte Saint-Ismier:

'Allem Anschein nach hat diese Demoiselle Alix großen Einfluß auf die
Mutter der jungen Dame, die wünscht, daß die Mama alle Einzelheiten dieser
Nacht aus dem Munde dieser Alix erfahre.'

Aber etwas beunruhigte fortwährend den Chevalier: das schöne Mädchen
machte ihrer Alix heimliche Zeichen.

'Wär's möglich, daß diese Frauen mich verrieten? Daß sie, mich hier durch
Erzählen festhaltend, nur die Wache erwarten, nach der sie meinetwegen
geschickt haben? Komme, was mag -- ich glaube, in meinem Leben habe ich
keine schönere und eindrucksvollere Frau gesehen.'

Der Verdacht des Chevaliers wuchs, als die junge Dame zu ihm mit einem
unerklärlichen Lächeln sagte:

"Wollen Sie mit uns in eine ganz nahe Galerie treten, Chevalier?"

'Weiß Gott,' dachte der Chevalier, 'was für eine Gesellschaft uns in der
Galerie erwartet! Ich hätte Lust, das Fräulein zu erinnern, was mir
bevorsteht, wenn man mich ins Gefängnis abführt.'

So klug zu denken bringt nur ein Mann in großer Todesnot fertig; es
auszusprechen, konnte er sich nicht entschließen; er fürchtete die
Verachtung einer Dame dadurch zu riskieren, die ein so großartiges Wesen
zeigte.

Alix öffnete die Tür. Der Chevalier bot der schönen Dame den Arm, deren
Namen er noch immer nicht wußte. Man schritt über den Vorplatz der kleinen
Marmorstiege. Alix drückte auf einen im Zierwerk der Wand verborgenen
Knopf und man trat durch die sich öffnende Geheimtür in eine weitläufige
Bildergalerie; der Chevalier packte fest seinen Degen.

"Hier wollen Sie sich versteckt halten so lange, bis meine Mutter sich
über die Vorfälle dieser Nacht unterrichten konnte, die Sie zu uns geführt
haben. Es ist angebracht, daß ich Ihnen sage, in welchem Hause Sie sich
befinden. Ich bin Marguerite, Prinzessin de Foix. Die Leute des Herrn
Rochegude werden es nicht wagen, hier einzudringen."

"Es scheint mir ganz unmöglich, gnädiges Fräulein, daß der Chevalier mit
Ihnen unter einem Dache wohne. Wird es bekannt, läßt es sich nicht mehr
leugnen. Man muß eine Erklärung geben, und jede Erklärung ist tödlich für
den Ruf eines jungen Mädchens, besonders wenn dieses Mädchen die reichste
Erbin der Provinz ist."

"Vor drei Jahren, Chevalier, verlor ich in der Bataille von ** meine
beiden Brüder. Seitdem ist meine Mutter plötzlichen und sehr
beunruhigenden Anfällen unterworfen. Wie heute nacht wieder. Ich weilte
bei ihr, währenddem Sie in mein Zimmer dringen konnten auf so sonderbare
Weise. Diese Galerie enthält nur mäßig merkwürdige Bilder. Ich bitte Sie,
sehen Sie sich einige davon an."

Der Chevalier blickte die Prinzessin an.

'Sie ist verrückt,' dachte er, 'wie schade.' Und er ging mit ihr ganz
unter dem Eindruck dieser Meinung einige Schritte vor ein Bild.

"Hier sehen Sie einen jungen Krieger in einer heute nicht mehr üblichen
Rüstung. Immerhin schätzt man das Bild des Malers."

Der Chevalier stand versteinert vor Erstaunen: er erkannte in dem Bilde
sein eigenes Porträt. Er blickte auf die Prinzessin, deren vornehm ernstes
Wesen unverändert blieb, nichts verriet.

"Mir kommt vor," sagte er nach einer Weile, "als sähe ich in dem Bilde
eine zufällige Ähnlichkeit mit mir."

"Ich weiß nicht," sagte die Prinzessin, "aber dies ist das Konterfei des
Raymond von Saint-Ismier, Fahnenjunker im Garderegiment. Vor vier Jahren
wollte mein armer älterer Bruder, der Herzog von Condal, hier die
Bildnisse aller jener Verwandten beisammen haben, deren Familien noch
existierten. Du siehst, Alix, wie es wohl nicht unmöglich ist, daß meine
Mutter einem unsrer Verwandten Asyl gewährt, dem Chevalier von
Saint-Ismier, verfolgt wegen eines unverzeihlichen Verbrechens, eines
Duells."

Bei diesen Worten lächelte Marguerite zum erstenmal und mit entzückendem
Zauber.

"Es soll alles geschehen, wie das gnädige Fräulein wünschen. Es geht
natürlich nicht, die gnädige Frau Prinzessin, Ihre Mutter, nach der
schrecklichen Nacht, die sie gehabt hat, aufzuwecken. Ich bitte das
gnädige Fräulein, mir Befehle zu erteilen, aber nicht Ratschläge von mir
zu verlangen."

"Und ich verdürbe mir das außerdentliche[sic! statt: außerordentliche]
Glück, das ich diesem Bildnis eines meiner Ahnen verdanke, wenn ich
duldete, daß das, was das gnädige Fräulein einem leider sehr entfernten
Verwandten schuldig zu sein glaubte, zu irgendeinem Schritt führte, den
Mademoiselle Alix mißbilligt."

"Ja, wenn Sie fortwollen," sagte Marguerite mit reizender Anmut, "dann bin
ich hinsichtlich des Mittels in großer Verlegenheit. Das Haus hat einen
Torwächter, einen alten Soldaten, der den pompösen Titel Gouverneur führt.
Jeden Abend muß unser Gouverneur die äußeren Tore sperren und die
Schlüssel verwahren. Die kleine Gartentür, durch die Sie gekommen sind,
ist jetzt zu. Heut nacht um zwölf sah ich, wie unser Pförtner alle
Schlüssel meiner Mutter brachte. Sie liegen auf einem kleinen Tisch neben
ihrem Kamin. Alix, willst du von dem Tisch den Schlüssel holen, damit wir
den Chevalier hinauslassen können?"

"Bei Madame der Prinzessin wachen vier, fünf Frauen," sagte Alix, "und den
Schlüssel zu holen, wäre das Unklügste, was wir tun könnten."

"Dann gib doch ein andres Mittel an, wie wir den Chevalier von
Saint-Ismier, unsern Vetter, aus dem Hause bringen."

Man besprach manches, ohne Erfolg. Da machte Alix, von den Einwendungen
ihrer Herrin in die Enge getrieben, zum Schlusse eine Unklugheit.

"Sie wissen, gnädiges Fräulein, daß das Appartement des Herzogs von Condal
unberührt und unbetreten ist. Bei einem Bette liegt, wie ich weiß, eine
seidene Strickleiter, die vierzig Fuß lang sein muß. Sie ist leicht, und
ein Mann kann sie unter dem Arm tragen. Auf dieser Leiter steigt der Herr
in den Garten. Ist er einmal da und entdeckte man ihn auch im Garten, so
ist die Sache schon weit weniger kompromittierend für Sie. Es gibt doch so
viele Frauen im Hause! Am Ende des Gartens, gegen die kleine Kirche vom
fleischgewordenen Worte zu, ist eine Stelle, wo die Mauer nicht höher ist
als acht Fuß; im Garten gibt's allerlei Leitern. Der Herr kann leicht die
Mauer hinaufkommen und auf der andern Seite dient ihm ein Stück der
Strickleiter."

Als die weise Alix mit ihrem Fluchtplan soweit war, lachte die Prinzessin
hellauf.




AUS ITALIENISCHEN CHRONIKEN

ÜBERTRAGEN VON FRANZ BLEI


Ich kann mir denken, daß meine Zeitgenossen aus dem Jahre 1833 von den
naiven und lebhaften Geschichten, die man hier in der Sprechweise einer
Gevatterin wiedergegeben findet, wenig erbaut sein dürften. Mir liefert
die Erzählung all dieser Prozesse und Hinrichtungen wahrhafte Daten über
das menschliche Herz, über die man des Nachts im Postwagen gern nachdenkt.
Es wäre mir viel lieber gewesen, ich hätte Geschichten von Liebeshändeln,
Heiraten, klugen Erbschleichereien gefunden. Aber in solche Geschichten
hätte, auch wenn ich deren gefunden hätte, die Eisenhand der Gerechtigkeit
nicht hineingegriffen, und sie würden mir auch, fände ich welche, wenig
vertrauenswürdig vorkommen. Immerhin sind gefällige Leute in diesem
Augenblick bemüht, für mich derlei auszuforschen.

Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts hat die Eitelkeit, le desir de
parestre, wie der Baron de Foeneste, sagt, in Frankreich einen dichten
Schleier über das Tun der Menschen geworfen und insonders über die Motive
des Tuns. In Italien ist die Eitelkeit von ganz andrer Art, dessen ich den
Leser mit meinem Ehrenwort versichern kann; sie hat hier eine bedeutend
geringere Wirkung. Man denkt im allgemeinen an den Nachbar nur, wenn man
ihn haßt oder ihm nicht traut; Ausnahmen davon gibt es höchstens bei den
drei oder vier großen Festen im Jahr; dann erzwingt sich jeder, der ein
Fest gibt, sozusagen mathematisch des Nachbarn billigende Zustimmung. Es
gibt da keine flüchtigen Nuancen, die man in jeder Viertelstunde des
Lebens mit tödlicher Unruhe im Fluge sich erhascht und merkt. Man sieht
hier keines jener unruhigen und magern Gesichter, durch welche alle Ängste
einer stets leidenden Eitelkeit blicken, keines dieser Gesichter à la
Vixault, Deputierter des Herault im Jahr 1833.

Diese italische Eitelkeit ist so sehr verschieden und so sehr viel
schwächer als unsere französische, und dies hat mich darauf geführt, die
nachfolgenden Klatschgeschichten abschreiben zu lassen. Meine Vorliebe für
diese Geschichten dürfte jeden meiner französischen Zeitgenossen spaßig
und gesucht vorkommen, die gewohnt sind, ihr literarisches Vergnügen und
das Abbild des menschlichen Herzens in Werken wie denen der Herrn Villmain
und Delavigne zu suchen. Dessen bin ich sicher, daß das heutige England,
Deutschland und Frankreich viel zu zerfressen sind von Affektiertheit und
aller Art Eitelkeit, als daß sie imstande wären, ein so scharfes Licht in
die Tiefen des menschlichen Herzens zu werfen, wie es diese alten
italienischen Berichte tun.

Ich muß gestehen, daß ich sehr wenig neugierig bin auf die Denk- und
Lebensgewohnheiten der Bewohner von Ceylon oder von Neu-Holland. Diese
Völker sind allzuverschieden von den Menschen, die meine Freunde und
Nebenbuhler waren. Sie bringen mich zum Gähnen wie die Achille, und
Agamemnone und die Helden Racines: ich kenne diese Herrschaften nicht.
Aber ich schmeichle mir, die Franzosen und die Italiener meiner Zeit zu
kennen; ich liebe das, was das Herz des Menschen darstellt, aber des
Menschen, den ich kenne.

Rom, Palazzo Cavalieri

    24. April 1833.

Man wird in dem Folgenden keine komponierten Landschaften finden, sondern
wahrhafte Naturansichten. Die Wahrheit muß hier für alle sonstigen Vorzüge
stehen; aber wir leben in einer Zeit, der die Wahrheit nicht genügt und
die sie nicht genug pikant findet. Die sich in dieser Verfassung Geistes
befinden, denen rate ich, jede Woche nur eine der folgenden Geschichten zu
lesen, deren Sprache ich liebe; es ist die des Volkes, voller Pleonasmen
und alle schrecklichen Dinge bei ihrem schrecklichen Namen nennend. Aber
gerade dadurch schildert der Erzähler unbewußt sein Jahrhundert und dessen
gemeinübliche Denkweise.

Die mehreren dieser Geschichten sind wenige Tage nach dem Tode der armen
Teufel niedergeschrieben worden, von denen sie Bericht geben. Meine
Korrekturen versuchten, die Sprache etwas weniger dunkel zu machen, damit
ich nicht schon beim dritten Lesen die Geduld verliere. Es ist ja
überhaupt die Dunkelheit ein großer Fehler des Italienischen oder vielmehr
der acht oder zehn italienischen Sprachen, von denen keine ihre Rivalinnen
besiegt hat, so wie die Sprache von Paris die Montaignes getötet hat. So
sagt man in Rom: vi vedrò domani al giorno, was in Florenz kein Mensch
verstünde. Ich persönlich läse lieber eine Geschichte in englischer als in
italienischer Sprache, sie wäre mir deutlicher.

Nur ein Volk, in dem die Stärke des unmittelbaren Eindruckes, wie in
Neapel, und die Stärke der vom Geiste ohne Pause geförderten Leidenschaft,
wie in Rom, so bedeutend war, vermochte es, in solch hohem Maße
Affektiertheit und Eitelkeit zu unterdrücken oder auszuschalten. Ich bin
nicht sicher, ob man außerhalb Italiens -- und Spaniens vor der Unnatur
des 19. Jahrhunderts -- eine Epoche fände, kultivierter und interessanter
als die der Riccaras, von denen Franklin berichtet, und doch wieder so
sehr ohne Eitelkeit, daß das menschliche Herz fast bloß liegt. In diesem
Jahre 1833 kann ich feststellen, daß man in Frankreich und besonders in
England Totschlag vorwiegend des Geldes wegen begeht. Aber von den beiden
armen Teufeln, die vorgestern hier hingerichtet wurden, hat der
dreiundzwanzigjährige Vivaldi seine Frau umgebracht, weil er eine andere
liebte, und der zweite, siebenundzwanzigjährig, hatte aus politischen
Gründen einen Arzt erschossen, der wahrscheinlich ein Vaterlandsverräter
war. Von Geldinteressen keine Spur.

Rom, 15. Mai 1833.



DER KARDINAL ALDOBRANDINI

I.


Paolo Santacroce, ein römischer Edelmann aus Fano, war wiederholt mit
Bitten in seine Mutter gedrungen, sie solle ihn zum gesetzlichen Erben
ihres Vermögens einsetzen. Da sie sich dessen weigerte, beschloß er, sie
ums Leben zu bringen. In solcher Absicht schrieb er an seinen älteren
Bruder Onofrio Marchese von Oriolo, der damals von Rom abwesend war, ihre
Mutter beflecke durch ihre Ausschweifungen die Ehre ihres edlen Hauses und
daß sie derzeit schwanger sei. In Wahrheit war die arme Frau
wassersüchtig, wie sich nach ihrem Tode herausstellte. Onofrio schrieb
seinem Bruder zur Antwort, er solle tun, was ein Edelmann seiner Ehre
schuldig sei. Daraufhin erdolchte Paolo seine Mutter und floh nach Neapel,
wo er bald darauf den Tod fand.

Diesem Verbrechen Pardon zu geben schien der Papst gar nicht geneigt,
zumal kurz vorher der Brudermord des Marc Anton Massimi sich ereignet
hatte und der Prozeß der Cenci wegen Vatermordes im Gange war. Papst
Clemens VII. befahl strenge Untersuchung, zumal der Hauptschuldige fehlte;
man fand die beiden Briefe der Brüder und alsbald wurde Onofrio verhaftet,
gerade als er auf dem Grundstück der Orsini dem Ballspiel oblag.

Als des Papstes Neffe, der Kardinal Aldobrandini, von dieser Verhaftung
hörte, gab er dem Monsignore Taverna, Gouverneur von Rom, den Auftrag,
sich persönlich des Prozesses anzunehmen und versprach ihm durch
Verwendung bei seinem Onkel den Kardinalshut, wenn es ihm gelänge, gegen
Onofrio ein Todesurteil zu erreichen. Es tut aber selber Hut mehr Wirkung
auf die römischen Prälaten als die Farbe des Goldes auf die Augen der
Banditen. Der Monsignore Taverna tat getreu, wie ihm aufgetragen.

Solange das Verhör dauerte, wollte der Kardinal Aldobrandini ihm anwohnen,
und war ihm da kein Tag zu heiß und keine Mittagsstunde; also sah man ihn
oft mitten im Juli sein Haus gegen die siebzehnte Stunde verlassen und
sich nach dem Kerker von Tordi Nona begeben, woselbst er sieben und acht
Stunden hintereinander blieb, um dem Verhör beizuwohnen. Selbes drehte
sich immer um jene Briefstelle, in der Onofrio schrieb, sein Bruder möge
tun, was die Ehre einem Edelmanne gebiete, und immer wieder wollte der
Gouverneur wissen, was er mit diesen Worten gemeint habe. Verwirrt im
Geiste durch das lange Verhör gab endlich Onofrio zu, daß er damit den Tod
der Mutter gemeint und verlangt habe, auf daß der Flecken abgewaschen
würde, mit dem die vermeinte Schwangerschaft des unglücklichen Weibes die
Ehre seines berühmten Hauses befleckt habe.

Dieses Geständnis kostete ihm das Leben; er wurde zum Tode verurteilt und
enthauptet.

Man sah eine große Dummheit darin, daß er dieses Geständnis gemacht hatte;
denn hätte er erklärt, jene Stelle in dem Briefe bedeutete, daß der
Eintritt jener unwürdigen Frau ins Kloster die Schmach abwasche, so hätte
er damit nicht nur sein Leben gerettet, sondern Lob geerntet, zumal es
nach den Gesetzen ritterlicher Ehre nicht zu den Pflichten des Sohnes
gehört, Fehltritte der Mutter zu rächen, sondern nur solche der Gattin
oder der unverheirateten Schwester.

Unter den Kardinälen, welche der Papst im Jahre 1604 ernannte, befand sich
auch Monsignore Taverna. Er hätte seine Barretta im Blute des Onofrio
Santacroce rot gefärbt, sagte man damals in Rom.

Es soll aber das Verlangen des Kardinals Aldobrandini nach der
Verurteilung des Santacroce seinen Grund in der Nebenbuhlerschaft bei
einer Dame gehabt haben, die er leidenschaftlich liebte und welche des
Onofrio Geliebte gewesen sein soll. Von Aldobrandini hatte sie einen
kostbaren Diamantring zum Geschenk erhalten, den die Dame wieder dem
Onofrio schenkte, der mit dieser Gunst seiner Geliebten prahlte. Als er
eines Tags den Kardinal begrüßte, legte er die Hand auf den Schlag der
Sänfte, so daß der Diamant jenem in die Augen funkelte.

Man erzählt auch, daß Onofrio eines Nachts den Kardinal mit Faustschlägen
angriff, als dieser gerade am Hause seiner Geliebten vorbeiging; und am
andern Morgen sei er im Vorzimmer des Kardinals erschienen, um ihm seine
Aufwartung zu machen, und tat so, als ob er ihn nicht erkannt hätte. Daher
die Wut und Rache des Kardinals.


II.


Unter dem Papste Clemens VII. war dessen Neffe, eben der genannte Kardinal
Aldobrandini, mit der geistlichen und weltlichen Gerichtsbarkeit des
Kirchenstaates betraut. Der Papst hielt streng darauf, daß unter seinem
Pontifikat die Gesetze gerecht und genau befolgt würden, weshalb er auch
seinen eignen Neffen mit diesem Vertrauensposten bekleidet hatte. Und es
wurden auch in der Tat viele Schuldige bestraft, aber andere Verbrechen
wieder blieben ungesühnt; so die Ermordung des römischen Ritters Girolamo
Longobardi.

Dieses Longobardi Haupt fand man am Morgen des Karsamstag auf dem
Petersplatz auf eine Lanze gespießt und daran einen Zettel mit dieser
Aufschrift: "Du hast allzu tyrannisch regiert und was du andern antun
wolltest, das hat man dir angetan."

Man kannte nicht die Motive, welche den Kardinal Aldobrandini zum Todfeind
dieses kaum zwanzigjährigen Longobardi machten, der von allen, die ihn
kannten, so geliebt wurde wie gehaßt jener Kardinal, dem der Papst, da er
ihn mit dem Purpur bekleidete, sagte: "Trachte, deine neue Würde nicht zu
entehren, denn es wird dir, tust du Böses, nichts nützen, daß du mein
Neffe bist."

Longobardi hatte zur Geliebten eine junge Sängerin von großem Talente und
von außerordentlicher Schönheit, namens Anna Felice Brocchi. Der
Kardinal-Nepot hatte durch das Gerede bei Hofe und in der Stadt Talent und
Schönheit der Sängerin rühmen hören. Eines Tages, als er an ihrem Hause
vorbeiging, erblickte er sie am Fenster liegen und entbrannte allsogleich
in heftiger Liebe zu ihr. Und suchte nach einem Mittel, ihr dies zu sagen.
Da er sich aber von seinem Onkel überwacht wußte, mußte er hiebei mit
äußerster Vorsicht zu Werk gehen. Er erfuhr, daß diese Brocchi dem
Longobardi gehöre, den er haßte.

Die Sängerin hatte die Leidenschaft des Kardinals wohl bemerkt und fühlte
seine Liebe, da er jeden Mittag an ihrem Hause vorbeiging, gerade zu der
Zeit, wo sie zur Messe in Santa Maria della Pace zu gehen pflegte und
wohin ihr der Kardinal folgte. Hier sah sie der Kardinal unausgesetzt
zärtlich an und versuchte es, ihr durch bestimmte Zeichen seine Liebe
bekannt zu geben.

Dieses Spiel währte eineinhalb Jahr, ohne daß Aldobrandini anders als
durch Zeichen mit Anna Brocchi sprechen konnte.

Solches erzählte sie nun eines Tages alles dem Longobardi. Worauf dieser
sagte, daß es wegen der Feindschaft zwischen ihm und dem Kardinal sehr
übel ausgehen könnte; er empfahl ihr größte Zurückhaltung und den
lügnerischen Versprechungen des Kardinals nicht zu glauben, vor allem
aber, ihn nie bei sich zu empfangen. Auch nicht zu grüßen oder sonst zu
beachten.

Longobardi, erregt von der Mitteilung und den Versprechungen Annas wenig
trauend, ließ seine Geliebte durch Spione beobachten und ihr Haus
bewachen, wovon allem Anna nichts merkte, da es mit großer Heimlichkeit
geschah.

Und bald erfuhr der junge Edelmann durch seine Leute, daß die Liebe
zwischen jenen beiden nicht nur nicht aufhörte, sondern täglich fester
wurde. Um sich selber davon zu überzeugen, begab er sich am Sankt
Matthäustage zur gleichen Zeit wie Anna Brocchi in die Kirche della Pace,
wo er sich in einer Seitenkapelle verbarg, von der aus er alles genau
sehen konnte, was sich zwischen der Sängerin und dem Kardinal begab. Und
es blieben ihm keine Zweifel mehr, als die Brocchi, gefolgt vom Kardinal,
die Kirche verließ und dieser sie lachend grüßte, was ihm die Sängerin mit
einem Blick zurückgab, der deutlich genug war.

Der arme Longobardi lief wütend zu der Sängerin und machte ihr Vorwürfe
wegen ihres von ihm doch verbotenen Kirchenbesuches und daß sie den
Kardinal gegrüßt habe. Die Brocchi gab den Kirchenbesuch zu, leugnete
aber, den Kardinal Aldobrandini da gesehen zu haben. Und fuhr trotz seiner
Bitten fort, dieses zu behaupten, daß sie jenen weder gesehen noch gegrüßt
habe. Da riß der Ritter Longobardi seinen Dolch heraus und bedrohte sie
mit dem Tode, wenn sie nicht die Wahrheit sage. Da gestand die
erschrockene Sängerin, den Kardinal gesehen und gegrüßt zu haben, aber
dies nur in höflicher Antwort auf seinen Gruß und auf ganz übliche Weise.
Sie habe anfangs dies nur geleugnet, weil sie so geringfügiger Ursache
wegen keinen Streit zwischen den beiden Männern entfachen wollte.

Diese Antwort beruhigte etwas den jungen Edelmann, und er bat sie aufs
neue, die Kirche della Pace nicht zu besuchen und den Kardinal nicht zu
grüßen oder gar zu sprechen, denn anders würde es sie das Leben kosten,
dessen könne er sie versichern. Und die Sängerin versprach, wenn auch sehr
gegen ihren Willen, alles zu tun, wie er wünsche.

Aldobrandini vermißte zu wiederholten Malen die Sängerin in der Kirche und
konnte sich den Grund ihrer unbegreiflichen Abwesenheit nicht erklären; er
beschloß aber, auf das Geheimnis zu kommen; doch löste es sich ihm auf
eine nicht erwartete Weise. Er erhielt von Anna Brocchi einen Brief, in
dem sie ihm mitteilte, daß sie sich unter seinen Schutz stelle; er möge
sie von Longobardi befreien, der sie mit grausamer Härte behandle. Der
Kardinal war entrüstet über das, was er die Frechheit des Ritters nannte
und ließ Anna sagen, daß er ihr ergeben sei und sich um nichts andres
kümmere, als ihr zu dienen. Sofort suchte er nach einem Mittel, sich
seines Rivalen zu entledigen. Alsbald fand man an jenem Ostersamstag das
Haupt des Longobardi auf eine Lanze gespießt auf dem Petersplatze.

Der Verdacht richtete sich alsobald auf Aldobrandini, von dessen Besuch
bei der Sängerin am selben Abende des Mordes man erfuhr. Und alle Welt
wunderte sich über die geringe Tätigkeit, welche die Justiz in dieser
Mordsache entfaltete, und über das Schweigen des Papstes in dieser Sache.

Den Kardinal sah man nun zu jederzeit in das Haus der Sängerin gehen,
derart, daß es ein großes Ärgernis gab.

Umgeben von Kreaturen des Kardinals, konnte der Papst nichts wissen. Man
pries ihm die Sittenstrenge seines Neffen, an die zu glauben ihn wohl auch
seine verwandtschaftlichen Gefühle bewogen. Aldobrandini hätte sich auch
fernerhin alles Vertrauen des Papstes, seines Onkels, erfreuen können,
hätte diesen nicht ein Zufall mit dem Leben des allzuverliebten Kardinals
bekannt gemacht.

Im Verlaufe eines Gespräches mit dem spanischen Gesandten beleidigte der
Kardinal diesen auf das schwerste. Der Gesandte, ein Edelmann von feinstem
Geiste, wollte die guten Beziehungen zwischen seinem Hofe und dem
päpstlichen Stuhle von diesem Zwischenfall nicht trüben lassen und tat,
als ob er die Beleidigung nicht merkte, bereitete aber im Geheimen seine
Rache. Nun erfuhr er durch seine Leute von der Beziehung Aldobrandinis zur
Sängerin Brocchi, der schamlosen Straflosigkeit des Kardinals und daß der
Papst von den Schandtaten seines Neffen nichts wisse. Dieser pflegte die
Sängerin unter den größten Vorsichtsmaßregeln gegen vier Uhr des Nachts zu
verlassen; Diener und Wagen erwarteten ihn ein paar Schritte vom Hause
entfernt um eine Straßenecke, wohin er sich immer zu Fuß begab. Der
Gesandte schickte nun einen seiner Lakaien zu Anna Brocchi und ließ sie
bitten, ob er an einem bestimmten Abend zu ihr kommen könne, sie singen zu
hören. Er ließ ihr auch sagen, daß sie zu niemandem von dieser Einladung
sprechen möge, damit daraus kein Gerede entstehe.

Die Sängerin war sehr geschmeichelt, von einer so hohen Persönlichkeit
bemerkt worden zu sein, und gab ihre Zustimmung bereitwilligst.

An dem beschlossenen Abend schickte der Gesandte einige vertraute Diener
voraus, die sich im Treppenhaus versteckt halten sollten. Alle waren mit
großen Fackeln versehen, geschickt in besonders dazu gefertigten Gehäusen
verborgen. Als nun Aldobrandini heimlich und leise seine Schöne verließ,
hielten ihm die Kerle des Gesandten ihre leuchtenden Fackeln ins Gesicht,
als Ehrengeleite, wie sie sagten. Der Kardinal, dem diese starke
Beleuchtung gar nicht paßte, wollte die Leute wegschicken, aber sie
blieben durchaus und geleiteten den Kardinal, der, so gut er konnte, mit
seinem Mantel sein Gesicht verhüllte, bis an seinen Wagen.

Die Geschichte wurde bald bekannt und kam endlich auch zu den Ohren des
Papstes, der alles zu wissen begehrte. In großem Zorne entzog er seinem
Neffen sein Vertrauen, entkleidete ihn seiner Ämter und Titel und verbot
ihm, jemals mehr vor seinen Augen zu erscheinen, falls er nicht auch des
Purpurs verlustig gehen wolle; denn es blieb dem Papste kein Zweifel mehr,
daß Aldobrandini auch an der Ermordung jenes Longobardi schuldig war.



VERBRECHEN UND TOD DES GIROLAMO BIANCINFIORE EINES FLORENTINISCHEN
EDELMANNES


Zur Zeit, als sich der fünfte Karl bemühte, das Haus Medici in Florenz auf
den Thron zu bringen, gab es unter den edlen Familien dieser Stadt auch
eine, die ganz besonders dem Unglücke geweiht zu sein schien, das
Geschlecht der Biancinfiore. So starben im Jahre 1520 Madonna Constanza
Biancinfiore und ihre Kinder plötzlich an Gift, ohne daß man dem Urheber
dieses Verbrechens auf die Spur kam. Nur eines der Kinder kam mit dem
Leben davon; es war dies Signor Girolamo Biancinfiore, der fortan in
Neapel lebte. Man war allgemein des Glaubens, daß er selber seine Familie
umgebracht habe, um deren einziger Vertreter zu sein; darum begab er sich,
um sein Leben bangend, alsofort nach Rom, als er erfuhr, daß sein
Landsmann, der Papst Leo X. aus dem Hause Medici den päpstlichen Thron
bestiegen hatte. Er warf sich dem Papst zu Füßen, der ihn gnädig aufnahm.

Dieser Girolamo war von hoher Intelligenz und einer über alle Probe
erhabenen Tapferkeit. Unglücklicherweise hatte ihm diese Tapferkeit zu
nichts anderem gedient als dazu, ein leidenschaftlicher Zweikämpfer zu
werden; denn mit dem Degen verstand er vortrefflich umzugehen. In Neapel
hatte er im Zweikampf mehr als sechsunddreißig Gegner getötet, und zumeist
aus ganz nichtigen Gründen, was ihn ebenso gefürchtet machte wie den
Verdacht bestärkte, den man hinsichtlich des Todes seiner Familie auf ihn
geworfen hatte.

Girolamo ließ sich in Rom nieder, mietete hier ein Haus und lebte in einem
Aufwand, der bald alle seine Einkünfte verschlungen hatte. Er verkehrte
mit einer Anzahl junger Adeliger, die ihn nicht wegen seiner persönlichen
Tugenden schätzten als wegen der Länge und Lebhaftigkeit seines Schwertes,
weshalb sie sich auch hüteten, mit ihm in Streit zu kommen. Aber Girolamo,
der sich von denen, die er seine Freunde nannte, so geschätzt sah oder
vielmehr glaubte, brannte darauf, eine Probe seines Wertes und seiner
Geschicklichkeit abzugeben, rühmte er sich doch immer, nie noch einen
Gegner verfehlt zu haben. Und da bot sich ihm auch schon so sehr verlangte
Gelegenheit. Am Ostersonntag beleidigte er ohne jeden Grund und Anlaß
mitten in der Kirche von Santa Maria in Trefontana einen neapolitanischen
Edelmann, den Grafen von Alincastro, den er von früher her kannte, und der
in der Kirche seine Andacht verrichten wollte. Der Graf, der ein frommer
Mann war, sagte leise zu Biancinfiore: "Signor Girolamo, es ist dies weder
der Ort noch die Stunde, Händel auszutragen, aber zu anderer Zeit und an
anderm Orte mögt Ihr mich immer finden." Darauf verließ Girolamo wütend
die Kirche und wartete draußen auf den Grafen. Als er ihn aus dem
Kirchentor treten sah, ging er auf ihn zu und forderte ihn mit
Beschimpfungen zum Zweikampf. Und nannte ihn einen Feigling, wenn er die
Herausforderung nicht annehme. Da solches vor vielem Volke sich zutrug,
blieb dem Grafen, der Ehre und Ruf bedroht sah, nichts andres, als den
Zweikampf anzunehmen. Er holte bei einem Freunde, wo er ihn gelassen
hatte, seinen Degen und focht mit Biancinfiore; eine große Menge sah zu.
Der Graf bekam einen Stich in die Brust, und verschied eine halbe Stunde
danach.

Die Familie des Grafen erhob beim Papste Klage gegen Biancinfiore, von
dessen ruchlosen Taten in Neapel der Papst bei dieser Gelegenheit erfuhr.
Er ließ ihn in die Engelsburg werfen. Aber ein paar einflußreiche Freunde
Girolamos verwandten sich für ihn und es gelang ihnen, die Sippe des
Erschlagenen versöhnlich zu stimmen. Darauf begnadigte ihn auch der Papst,
doch unter der Bedingung, daß er in Rom nie mehr Waffen tragen dürfe,
unter Strafe des Todes.

Dieses päpstliche Verbot machte des Girolamo Bekannte weniger ängstlich
vor ihm, denn jeder war der Meinung, er würde jenes Gebot achten. Aber es
waren noch nicht zwei Monate nach seiner Haftentlassung vergangen, als er
sich durch ein zweideutiges Wort eines venetianischen Edelmanns beleidigt
glaubte und diesen, wie er es gewohnt war, mit Beschimpfungen zum
Zweikampf forderte. Darauf begab er sich nach Hause, seinen Degen zu
holen, und fand sich an dem Orte ein, wo ihn der Venetianer erwartete.
Dieser war ein gewandter Fechter, hatte aber das Mißgeschick, über einen
Stein zu stolpern und hinzufallen. Alsogleich stürzte Biancinfiore über
ihn her und versetzte ihm so viele Stiche, daß dem Unglücklichen kaum Zeit
zur Beichte mehr blieb, als er seinen Geist aufgab.

Biancinfiore flüchtete vor dem Zorn des Papstes in eine Kirche, wo er sich
zwei Monate lang verborgen hielt. Während dieser Zeit legten sich
neuerlich einige seiner Freunde beim Papste ins Mittel, und dieser verzieh
ihm zum zweiten Male; Girolamo hatte eine hohe Geldbuße zu zahlen und
nachher den Kirchenstaat zu verlassen. Nun war aber Biancinfiore schon aus
Neapel, Florenz und andern Orten verwiesen und wußte nicht mehr, wohin er
sich begeben sollte; also ließ er dem Papste die Beteuerung seiner Reue
und seines Gehorsams zukommen und daß er ihn nur immer schwer strafen
möge, wenn er inkünftig sein Gebot übertrete. Der Papst begnadigte,
gerührt von diesen inständigen Bitten, Girolamo zum andern Male, und
hinfort lebte dieser sehr zurückgezogen, um jeden neuen Anlaß zu
Vergehungen zu vermeiden.

Nun geschah es aber, daß er viel im Hause der Gräfin Oddi zu verkehren
begann und sich heftig in die Gräfin verliebte, die auch ihrerseits bald
eine solche starke Zuneigung zu ihm empfand, daß sie ihm nicht nur ihren
Wagen überließ, sondern ihm alles gab, wessen er bedurfte, ja ihn in einem
Trakte ihres Hauses wohnen ließ. Daraus entstand, daß sich Girolamo bald
wie ein Eheherr fühlte, denn er verbot, eifersüchtigen Wesens, der Gräfin,
die ein großes Haus führte, jede Geselligkeit, insonders den Empfang von
Herren in ihrem Hause. Aber die Gräfin kümmerte sich um solches nicht und
begann den Biancinfiore lästig zu finden; sie sagte ihm, daß er sie mit
seiner Eifersucht langweile. Solche Worte kränkten den Eifersüchtigen um
so mehr, als er die Gäste, die er täglich mit bösen Blicken sah, nicht
mehr vor seine Klinge fordern konnte. Er konnte es nicht hindern, daß die
Gräfin Herren und Damen zu einem Gastmahl lud, worunter besonders ein paar
junge Edelleute seinen Haß hervorgerufen hatten; da nahm er seine Zuflucht
zu Gift, wohl in der Hoffnung, daß auch dieser Giftmord wie der an seiner
Familie verborgen bleiben oder daß ihm dabei das Glück so günstig sein
würde wie bei seinen beiden Zweikämpfen. Einen ihm sehr ergebenen Diener
der Gräfin machte er zu seinem Vertrauten, indem er ihn mit Geld bestach.
Die Gäste waren bereits versammelt, als er diesen Diener in sein Gemach
rief und ihm sagte: "Streu dieses Pulver hier unvermerkt auf das letzte
Gericht, das du aufträgst, und gib mir dann ein Zeichen. Du bekommst als
Lohn mehr als du dir träumst."

Hierauf setzte er sich zu den fröhlich Tafelnden und aß mehr wie sonst;
als der Diener aber das Zeichen machte, da hörte er zu essen auf. Alle
nun, die von der vergifteten Speise gegessen hatten, wanden sich bald in
großen Schmerzen, und auch Biancinfiore rannte als wie besessen von
Schmerzen durch das Zimmer. Die Mühe der herbeigerufenen Ärzte war
vergeblich. Die Gräfin, ihre kleine Tochter und drei Edelleute verstarben.
Nur bei Biancinfiore, der sich zu Bett begeben hatte, wirkten die Mittel
der Ärzte, die dieses mit Staunen sahen, aber schließlich froh waren,
wenigstens einen von sechsen gerettet zu haben.

Kaum sah sich Biancinfiore allein, so rief er nach seinem Diener. Er
bedrohte ihn mit dem Tode, falls er vor Gericht das Geringste verriete,
und gab ihm Geld. Die päpstliche Justizbehörde ordnete Nachforschungen an
über dieses auffallende plötzliche Sterben, und als die Gerichtsärzte an
den ausgegrabenen Leichen Gift feststellten, wurde die ganze Dienerschaft
der Gräfin verhaftet und verhört. Trotz der Folter, unter die man einen
Diener stellte, der widerspruchsvoll ausgesagt hatte, kam kein Licht in
die Sache, und man mußte alle wieder entlassen, darunter auch jenen
Diener. Aber es faßte diesen plötzlich die Furcht. Er flüchtete in eine
Kirche und erklärte, er wolle ein Geständnis ablegen, wenn man ihm
Straflosigkeit zusichere. Solches geschah, und vor den Gouverneur von Rom
geführt, enthüllte er die Untat, zu der er, wie er sagte, durch die
Drohungen Biancinfiores gezwungen worden wäre. Dieser wurde verhaftet und
in den Kerker von Corte Savella gebracht. Der Papst, der sich selber große
Schuld zumaß, ordnete eine strenge Untersuchung an.

Anfangs leugnete Biancinfiore alles, auch als man ihn mit dem Diener
zusammenbrachte. Aber beim Anblick der Folterwerkzeuge gestand er nicht
nur das letzte Verbrechen, sondern auch den Giftmord an seiner Familie.
Das Gericht verurteilte ihn zum Feuertode und vorherigem Zwicken mit
glühenden Zangen, aber der Papst verwandelte diese Strafe in Ansehung
seines adeligen Hauses in einfache Hinrichtung im Kerker. Noch am selben
Abende empfing Biancinfiore das Todesurteil. Er erhob ein großes
Wehklagen, aber seine Beichtiger beruhigten ihn und tiefe Reue kam über
ihn, Gott so sehr beleidigt zu haben. Er bat um Verzeihung für alle seine
Missetaten und dankte ihm für seinen bußfertigen Tod. Vor seiner
Hinrichtung erbat er sich noch die Gnade des päpstlichen Segens, der ihm
auch von einem Prälaten des päpstlichen Hauses überbracht wurde. Dann
legte er das Haupt auf den Richtblock.

Also endete der letzte aus dem Hause der Biancinfiore.



DER HERZOG VON SAVELLI


Des Herzogs von Savelli einziger Sohn war, wie der Kardinal Gaetani in
einem Briefe schreibt, ein junger Mann von lebhaftem Geiste, großem Mute
und untadeligen Sitten, was alles ihn sehr beliebt am römischen Hofe
machte. Er wollte kaiserliche Dienste nehmen, aber der Vater war damit
nicht einverstanden, dessen Trost im Alter, Stolz und einzige Hoffnung
seines Hauses er war; zudem plante er seine Verheiratung mit der Tochter
eines der ersten neapolitanischen Geschlechter, des des Marchese de
Vastro, deren Mitgift 800 000 Skudi betrug. Die Braut zählte aber erst
zehn Jahre, weshalb die Eheschließung auf den Tag verschoben wurde, der
ihr dreizehnter Geburtstag war.

Inzwischen lebte der junge Herzog auf seinem Landgute Ariccia, wo er sich
in ein junges Mädchen von großer Schönheit und Tochter ehrbarer Eltern
verliebte, die aber bereits einem jungen Manne des Ortes, namens
Christofano, versprochen war. Um die Tochter den Nachstellungen des jungen
Herzogs zu entziehen, drängten die Eltern mit der Eheschließung. Sie
hielten das Mädchen streng im Hause, auf daß sie der Herzog nicht sehe,
der ihr aber insgeheim einige Liebesbriefe hatte zukommen lassen. Es fand
die Hochzeit statt und der Herzog sandte als Hochzeitsgabe ein reich mit
Blumen verziertes Mieder, was die Eifersucht des jungen Gatten in hohem
Maße erregte. Aber er war ein Vasall des Herzogs und konnte mit ihm nicht
rechten, ja mußte um sein Leben fürchten, falls er sich den Wünschen
seines Herrn widersetzte. Aber er wollte lieber sterben, als solches
dulden; so schwor er. Und seine Frau war mit ihm ganz einig. Sie übergab
auch die Briefe, mit denen sie der Herzog bestürmte, ihrem Gatten, und sie
bezogen ein anderes Haus, als der Herzog in ein nah benachbartes Haus zog,
von dessen Fenster aus er die junge Frau zu sprechen suchte. Dem Gatten
schien nur die Wahl zwischen Unehre und Tod zu bleiben, und er begann
seine Heirat zu bereuen. In seiner Verzweiflung beschloß er, den jungen
Herzog zu ermorden, um die Ehre seines Ehebettes zu retten.

Er veranlaßte seine Frau, auf einen der Briefe des Herzogs zu antworten,
und sie schrieb ihm, er möge um Mitternacht verkleidet zu ihr kommen,
damit man ihn nicht erkenne; ihr Mann sei in Geschäften nach Rom gefahren.
Daß er den Herzog ermorden wollte, davon sagte Christofano seiner Frau
kein Wort; er wollte ihm nur einen Streich spielen, sagte er ihr, ohne ihn
zu beleidigen, was die junge Frau in ihrer Unschuld auch glaubte. Der
Herzog eilte verkleidet zu dem Stelldichein, aber statt in die Arme seiner
Geliebten, fiel er in die ihres Gatten, der die Kleider seiner Frau
angelegt hatte und den Liebhaber durch eine Magd in ein entlegenes Gemach
führen ließ. Hier schoß er, kaum daß er eingetreten war, fünf Kugeln aus
seiner Pistole auf ihn ab und durchschnitt ihm mit einem Messer die Kehle,
damit er nicht schrie. Mit Hilfe eines Genossen, den er gedungen hatte,
schleppte er hierauf den Leichnam bis zum Tor des Schlosses, wo er ihn in
seinem Blute liegen ließ.

Nach Haus zurückgekehrt, wollte er nun auch seine Frau ermorden, aber
diese war in das Haus ihrer Eltern geflüchtet. Christofano floh mit seinem
Genossen nach Aleppo in der Türkei, von wo er Nachricht nach Rom sandte.

Auf die Kunde von dem Verbrechen sandte der Papst viele seiner
Gerichtsbeamten nach Ariccia, die alsbald in Christofanos Haus die große
Blutlache fanden. Die Gattin wurde verhaftet und nach Borgo Castello
gebracht, wo sie zwei Monate lang verhört wurde. Sie wurde verschiedenen
Graden der Folter unterworfen und gab das Folgende zu Protokoll:

"Es ist so, daß mich der junge Herzog Savelli, während ich im Elternhause
lebte, mehrfach durch Briefe zu einem Stelldichein zu überreden suchte.
Meine Mutter aber sagte mir, ich dürfe darauf nicht antworten, denn er sei
ein leichtfertiger junger Mann, der seine Leute um nichts ermorden lasse.
So sagten auch mein Vater und alle meine Verwandten. Es war das erste, was
mir mein Mann Christofano sagte, daß ich den jungen Herzog nicht ansehen
solle. Als er eines Tages an das Fenster des Nachbarhauses trat, stürzte
mein Mann mit dem offenen Messer auf mich zu, aber sein Bruder, der
Priester Don Angelo Maria, fiel ihm in den Arm. Wir zogen in ein andres
Haus, das mein Mann gemietet hatte, dasselbe, in dem der junge Herzog
ermordet wurde. Der sandte mir aufs neue Briefe, die ich meinem Manne
zeigte. Dann gab er ihm Antwort in einem Briefe und lud ihn zu Mitternacht
in unser Haus, um ihm, wie er mir sagte, einen Streich zu spielen. Was ich
um so mehr glaubte, da er meine eignen Kleider anlegte, auch Halsband und
Ringe, die ich trug. So trat er um Mitternacht dem Herzog gegenüber, mit
Messer und Pistole. Ich starb vor Schrecken, als ich den ersten Schuß
hörte. Ich habe nichts gesehen, denn ich floh aus dem Haus, aus Angst, es
könnten mich die Diener des Herzogs umbringen. Ich floh zu meinen Eltern.
Meine Mutter sagte mir, ich dürfe von dem allen nichts verraten, und wir
gingen zum Podesta."

Die junge Frau blieb fest bei ihrer Aussage im Gefühle ihrer Unschuld; sie
wurde aber doch zum Tode durch Enthaupten verurteilt, welche Strafe die
Familie des alten Herzogs verlangte.

Als die Herzogin Margarete von Parma von der Schönheit der Verurteilten
hörte, wollte sie sie durchaus sehen, und da sie großen Gefallen an ihr
fand, beschloß sie ihre Rettung. Sie verhandelte mit dem Papste. Der aber
wollte sie nur begnadigen, wenn der alte Herzog Savelli damit
einverstanden wäre. Die Herzogin erreichte es von ihm, daß ihr die
Verurteilte als gerichtet überantwortet würde. Darauf nahm sie sie als
Hoffräulein in ihre Dienste und erreichte ihre völlige Freisprechung.

Umsonst ließ Papst Paul III. den Mörder in allen Teilen des Kirchenstaates
suchen, denn der war in Aleppo. Aber die Eltern der Frau mußten lange im
Kerker schmachten und wurden dann aus Ariccia und dem Kirchenstaate
verwiesen. Das war die einzige Genugtuung für den Herzog, der über den Tod
seines Sohnes dem Wahnsinn verfiel.



DIE RACHE ARIBERTIS


Ariberti, ein Mailänder Edelmann und Besitzer mehrerer Ortschaften, hatte
gegen ein Mitglied der Familie Pecchio einen tödlichen Haß gefaßt; er war
in seinem Besitztum und später auch in seiner Liebe schwer beleidigt
worden. Pecchio führte gegen ihn einen Prozeß, den er gewann. Im Verlaufe
dieses durch Jahre sich hinziehenden Prozesses fiel Pecchio des Ariberti
schöne Frau auf, und es gelang ihm, sie von seiner Liebe wissen zu lassen
und die ihre zu gewinnen. Nach Verlust des Prozesses erging sich Ariberti
in Drohungen gegen seinen Gegner. Pecchio erfuhr, daß Aribertis Gattin auf
einem der Schlösser ihres Gatten in strengem Gewahrsam gehalten wurde. Sie
trug nur nach einem in der Welt Verlangen: aus Aribertis Tyrannei erlöst
zu werden. Insgeheim hatte sie genügend Geld für ihren Unterhalt
zusammengebracht. Das Schloß, in dem sie eingeschlossen war, lag nah bei
Lecco, eine Stunde Wegs von der Adda, die das Venetianische vom
Mailändischen trennt; einmal auf venetianischem Gebiet, konnte sie einen
andern Namen annehmen und war vor allen Verfolgungen so gut wie sicher.
Und ging es nicht anders, so wollte sie in Venedig in ein Kloster gehen,
dessen Regeln zu jenen Zeiten nicht sehr streng waren.

Während der kurzen Beziehungen zu Pecchio hatte er ihr Geständnis
empfangen. Seitdem waren drei Jahre vergangen, und Aribertis Tyrannei war
unerträglich geworden; er hatte drei spanische Duennen in Dienst genommen,
die seine Frau abwechselnd bewachten; nicht einmal des Nachts war die
Unglückliche allein: die wachthabende Duenna schlief bei ihr im Zimmer.

Eine Kammerfrau, vormals die Vertraute von Aribertis Gattin in ihrer
Liebschaft, war zwar nicht davongejagt, aber zur Gänsemagd degradiert
worden, als welche sie an dem Ufer der Adda ihre Herden hütete. Der
seltsame und in der Kunst der Rache raffinierte Mann hatte zu der
Kammerfrau gesagt: "Ich strafe dich so mehr, als wenn ich dich
wegschicke." Und als die Unglückliche den Wunsch aussprach, bei einer
andren Herrschaft in Dienst treten zu dürfen, antwortete ihr Ariberti:
"Versuch es nur, aber in weniger als vier Wochen bist du tot."

Pecchio wußte um alle diese Dinge, die übrigens in Mailand Stadtgespräch
waren zu der Zeit, als er sich für die Drohungen rächen wollte, die
Ariberti überall gegen ihn ausstieß seit dem Verluste seines Prozesses.
Eines Tages ging Pecchio, wie er sagte, auf die Jagd, wozu er sich als
Bauer verkleidete; so kam er an die Adda, wo er die Gänseherde seines
Feindes aufsuchte. Er vergewisserte sich, daß an diesem Tage jener
Kammerfrau allein die Obhut der Gänse anvertraut war und traf sie wie
zufällig.

"Großer Gott, wie seid Ihr verändert!" rief er ihr zu, "kaum seid Ihr
wieder zu erkennen!"

Die Kammerfrau brach in Tränen aus und sprach kein Wort.

"Wie leid mir Euer Unglück tut," sagte Pecchio, "erzählt mir doch, wie das
kam; zuvor aber wollen wir uns hinter jener Hecke verbergen, damit uns
nicht einer der Spione bemerkt, die immer um das Schloß streichen."

Die Kammerfrau erzählte ihr und ihrer Herrin Unglück. Sprach die Herrin
ihre frühere Kammerfrau einmal an oder lächelte sie ihr nur zu, so wurde
die Kammerfrau auf acht Tage bei Wasser und Brot eingesperrt. Die
Behandlung ihrer Herrin schien weniger hart, war aber noch grausamer.
Ariberti sprach mit ihr immer nur in einem spottenden höhnenden Ton.

Pecchio schien von diesen endlosen Berichten sehr bewegt.

"Ach, Herr, wenn Ihr ein Christ seid, so solltet Ihr diese unglückliche
Frau, die Ihr einst so liebtet, retten. Bleibt sie noch ein Jahr in diesem
Zustande, so stirbt sie für sicher. Und sie wäre schon glücklich, könnte
sie nur eine Meile weit von hier fern sein! Sie hat ein Kästchen voll
Goldzechinen und zudem, wie Ihr wißt, viele Diamanten."

"Wohlan, ich werde sie retten", sagte Pecchio.

Die alte Kammerfrau und jetzt Gänsemagd fiel auf die Knie.

"Ich fürchte nur eines," sagte Pecchio, "Euer Geschwätz. Du oder deine
Herrin, ihr werdet reden, werdet euch jemandem anvertrauen und werdet mir
den Tod bringen."

Und als darauf die Kammerfrau sich zu schweigen verschwor, fuhr er fort:
"Genau heut in acht Tagen, am nächsten Dienstag, ist Neumond und zudem
Jahrmarkt in Lecco. Die Nacht über wird die Straße voller singender
Betrunkener sein. In dieser Nacht, wenn's zehn Uhr auf der Kirchenuhr
schlägt, werde ich auf der Adda sein, unten am Schloßgarten, dort, wo die
Maulbeerbäume und die vielen Nesseln stehen und wo ich mich früher immer
einschlich. Ich werde selber vom Comersee mein Boot herrudern; es ist sehr
klein; hoffentlich wird man mich nicht bemerken."

"Aber wir brauchen mindestens zwei Männer, um die Duennen festzuhalten und
ihnen einen Knebel in den Mund zu stecken; denkt daran, daß sie schreien
werden und daß man Euch auf der Adda verfolgen wird. Die Schiffleute
Aribertis sind lauter junge Leute, die den Preis auf der Regatta gewonnen
haben. Und wie soll ich es anstellen, meiner Herrin Nachricht zukommen zu
lassen? Ich kann ihr zwar durch ein zwischen uns verabredetes Zeichen zu
verstehen geben, daß ich ihr Wichtiges zu sagen habe, aber wie soll ich
ihr es sagen? Es geht oft monatelang, ohne daß ich sie sprechen kann."

Die Kammerfrau konnte nicht schreiben; alles schien sich zu vereinigen
gegen Pecchios Pläne. Schließlich wurde vereinbart, daß Pecchio ein
Fläschchen mit Mohnsaft, ein berühmtes Betäubungsmittel, das man damals in
Venedig bereitete, in zwei Tagen bringen solle. Berta hatte Angst, es
möchte Gift sein; aber Pecchio beruhigte sie, und sie kamen überein, daß
Berta den Duennen etwas von dem Safte geben solle. Darauf sollte sie jenen
Dienstboten, welche die Duennen nicht leiden konnten, Geld in die Hand
geben, auf diese Weise zu ihrer Herrin kommen und endlich, wenn sie
Pecchio etwas zu melden hätte, einen einzelwachsenden kleinen Weidenbaum
knicken, der mitten auf einer nahen Wiese stand. Pecchio kehrte nach
Mailand zurück und früher als gewöhnlich trieb Berta ihre Gänse in den
Schloßhof. Sie suchte hier eine Gelegenheit, mit ihrer Herrin zu sprechen,
noch vor der Ankunft jener Betäubungsmittel. Der Herr Pecchio war jung und
stand im Rufe geringer Beständigkeit. Berta, welche seine Rachepläne nicht
kannte, fürchtete, er könnte vergessen, zum Stelldichein an der Adda zu
kommen.

Alles ging nach Wunsch. Berta schläferte mit dem Mohnsaft die Duennen ein,
sprach mit ihrer Herrin, und am Jahrmarktstage in Lecco betranken sich
alle Dienstleute Aribertis, wozu die Zechinen dienten, welche Pecchio der
Kammerfrau zugesteckt hatte. Ariberti selber war in Mailand auf einem
Balle, den die Signora Arezi, eine der vornehmsten Damen des Landes, gab.

Zur ausgemachten Stunde fand Pecchio sich mit seinem Boote an jenem
einsamen Ufer des Schloßgartens ein. Die Duennen konnten die Flucht ihrer
Herrin nicht verhindern. Berta hatte alle Angst, sie zu vergiften,
verloren und ihrem Wein eine sehr große Menge von dem Mohnsaft
beigemischt. Sie folgte ihrer Herrin auf das kleine Boot.

Zu seinem großen Leidwesen sah Pecchio, daß Donna Teresa Ariberti noch
große Leidenschaft für ihn hegte oder daß diese neu entflammt war, während
sein einziger Gedanke war, sich von ihr zu befreien. Sobald das Boot auf
venetianischem Boden war, übergab er die Dame einem Franziskanermönch, den
er bestochen hatte und der ihn auf einer kleinen Insel nah dem
venetianischen Addaufer erwartete. Der Mönch versprach, Donna Teresa auf
Umwegen nach Venedig zu bringen. Aber sie beschwor Pecchio, sie nicht zu
verlassen, und da der Edelmann sich taub stellte, ging sie soweit, ihm
Vorwürfe zu machen, daß er sie unter dem Versprechen, mit ihr
zusammenzuleben, aus ihrem Schlosse entführt habe. Pecchio beeilte sich,
auf das mailändische Ufer zu kommen, wo er bereits vorbereitete Relais
fand, die ihn um zwei Uhr morgens nach Mailand auf den Ball der Signora
Arezi brachten. Einer der ersten, die er hier traf, war Ariberti, der,
obwohl jung und schön, nicht tanzte und düster dreinsah, als ahnte er, was
sich auf seinem Schlosse zugetragen hatte.

Am andren Tage erhielt er die traurige Kundschaft. In großer Eile fuhr er
heim und stellte genaue Nachforschungen an, konnte aber nichts entdecken.
Die Duennen waren noch halbtot und vermochten keine Antwort zu geben, dank
der ungeheuren Menge Mohnsaft, die Berta in ihrem Zorne ihnen beigebracht
hatte. Nach einigen Tagen vergeblichen Forschens entdeckte Ariberti beim
Durchsuchen des Zimmers der einen Duenna ein merkwürdig geformtes
Fläschchen. Die Duenna antwortete auf seine Frage, sie habe das Fläschchen
erst vor zwei Tagen gefunden und es wäre ihr, als habe sie es in den
Händen von Berta gesehen. Ariberti schlug sie fast tot dafür, daß sie ihm
das nicht früher schon gesagt hatte.

Voll Verzweiflung, kein Anzeichen gefunden zu haben, kehrte Ariberti nach
Mailand zurück, das Fläschchen nicht vergessend. Er selber nahm sich die
Mühe, bei allen Apothekern der Stadt damit herumzugehen und sie
auszufragen. Bei einem erfuhr er, das Fläschchen stamme aus einer
berühmten, von einem entlaufenen griechischen Mönch gehaltenen Apotheke.
Ariberti begriff, daß der Apotheker mehr wußte, als er sagte; er bedrohte
ihn erst, dann gab er ihm Geld. Da gestand der Apotheker, daß das
Fläschchen kein Gift enthalten habe, sondern ein starkes Betäubungsmittel,
das man den Kranken in gewissen Fällen gebe, und daß er selber dieses
Fläschchen ein paar Tage zuvor an den Signor Pecchio verkauft habe ...



DIE BRÜDER MASSIMI


Der Marchese Massimi, ein Verwandter der Colonna und andrer altadeliger
römischer Geschlechter, war Witwer geworden und nannte fünf Söhne sein
eigen. Nun geschah es, daß sich der alte Marchese ganz toll in die
Geliebte des Marcantonio Colonna verliebte, einer sehr schönen Dame, die
der Colonna aus Neapel mitgebracht hatte. So stark war die Liebe des
Marchese zu dieser Dame, daß er sie zu ehelichen beschloß, was durchaus
nicht den Absichten seiner vier älteren Söhne entsprach, die diese Heirat
mit allen Mitteln zu hintertreiben dachten. Am Abend nach der vollzogenen
Hochzeit verlangte die junge Frau, ihre Stiefsöhne zu sehen, die sie noch
nicht kannte. Diese ließen aber durch den nach ihnen geschickten Diener
sagen, daß sie an diesem Abend das Glück der Jungvermählten nicht stören
wollten, aber andren Tages nicht verfehlen würden, ihre Aufwartung zu
machen.

Am nächsten Morgen begab sich der Marchese wie gewöhnlich nach dem
Vatikan, denn er war Cameriere di Spada e Cappa beim Papste. Dieses hatten
die Söhne gesehen, drangen alsbald in das Schlafgemach ihrer Stiefmutter,
töteten sie mit Pistolenschüssen und ergriffen die Flucht.

Der alte Marchese war von dem Anblick, der sich ihm bei seiner Rückkehr
bot, zu Tode getroffen. Dann ergriff er ein Kruzifix, verfluchte seine
Söhne und rief Gott dafür zum Zeugen, daß er seine vier Söhne enterbe
zugunsten seines Jüngsten, der an dem Morde nicht teilgenommen hatte.

Bald danach starb der alte Marchese, und die Mörder kehrten dank ihrer
hohen Beziehungen und ihrer vornehmen Verwandtschaft nach Rom zurück, ohne
Strafe oder Verfolg. Aber der väterliche Fluch erfüllte sich bald.

Marcantonio, den zweiten, gelüstete es nach der Würde des erstgebornen
Luca und er brachte den Unglücklichen mit Gift beiseite. Er hatte das Gift
zuerst an seinem Kutscher ausprobiert. Erst leugnete er seine Tat und
wurde freigelassen. Als sich aber neue Verdachtsgründe zeigten, wurde er
in den Kerker von Tordinona gebracht, wo er angesichts der Folter sein
Verbrechen in allen Einzelheiten gestand. Der Papst verurteilte ihn am 16.
Juni 1599 zum Tode, den er, mit Gott versöhnt und mutig, ertrug. Er legte
für die Hinrichtung Festkleider an, als ob es zu einem Mahle ginge. Der
Scharfrichter wollte ihm seine Halskrause abnehmen, aber er sagte
befehlend zu ihm: "Rühr mich nicht an!" Und als er seiner Fesseln wegen
selber den Kragen nicht abnehmen konnte, bat er einen seiner Begleiter,
solches zu tun. Hierauf legte er selber sein Haupt auf den Richtblock und
fragte den Henker, ob es so richtig sei, worauf dieser Ja sagte und ihm
das Haupt abschlug. Seine letzten Worte waren: "In manus tuas, Domine,
commendo spiritum meum."

Auch die beiden andern Brüder erreichte die strafende Hand Gottes. Der
eine, der Malteserritter war, wurde von den Türken getötet. Der andere
wurde in einem Liebeshandel aus einem Hinterhalt erschossen.



GEORGE PIKNON


In den ersten Jahren des Pontifikates des Papstes Clemens VIII. traf ein
Irländer namens George Piknon während der Oktave der Auferstehung den
Erzpriester von San Celso und San Giuliano in Banchi auf seinem Wege in
die Kirche, um den Kranken die Kommunion zu spenden. Beim Anblick des
Prälaten packte den Irländer sinnlose Wut; er ohrfeigte ihn so heftig, daß
der Erzpriester das Ziborium fallen ließ. Piknon hätte den Leib Christi
mit Füßen getreten ohne die Dazwischenkunft der wütenden Menge.

Soldaten entrissen ihn dem Volke und er wurde eingesperrt und verhört.
Aber auf alle Fragen antwortete er nur, daß er nichts als seine Pflicht
getan habe und bedaure, sie nicht voll erfüllt zu haben. Vergeblich
versuchten einige Mönche seiner Nationalität, ihn zu bekehren und zum
katholischen Glauben zu bringen: es war verlorene Mühe.

Indem der Papst hoffte, ihn solcherweise zu besseren Gefühlen zu bringen,
befahl er, daß man Piknon im Gefängnis behalte, aber mit Nachsicht und
Güte behandle. Aber es war unnütz. Piknon wollte sich auf nichts
einlassen.

Schließlich kündigte man ihm an, daß er gehenkt würde; er antwortete mit
Hohnlachen; man gab ihm darauf noch die weitere Strafe, das Zwicken mit
glühenden Zangen auf dem Wege zum Richtplatz.

Als am Abend vor der Hinrichtung der Kerkermeister ihm nach Brauch das
Urteil verlas, lachte Piknon auf und spie, von plötzlicher Wut gepackt,
dem Mann ins Gesicht und versuchte ihm Fußtritte zu geben. Keinem der
Geistlichen, die um ihn waren, gelang es, von ihm andres zu erreichen als
eine abweisende Geste.

Inmitten einer ungeheuren Menge wurde er zu Tode geführt und mit den
Zangen gezwickt, was ihn brüllen machte wie ein Stier, und wovon ein
solcher schlechter Geruch entstand, daß einer der ihn begleitenden
Geistlichen ohnmächtig wurde. Er übergab sich selbst dem Henker. Sein
Leichnam wurde verbrannt und seine Asche in alle Winde verstreut.



DIE FARNESE


Es geben einige Schriftsteller der Familie Farnese einen uralten Adel,
aber, ohne damit die großen Talente ihrer vorzüglichsten Glieder zu
leugnen, muß gesagt werden, daß wahrhafter Ursprung der Größe dieser
Familie kein andrer war als die Anmut und Schönheit ihrer Ahnin, der
Vanozza Farnese.

Ranuccio Farnese, ein römischer Edelmann von mäßigem Vermögen, hatte drei
Kinder: Pier Luigi, Giulia und Vanozza. Pier Luigi und Giulia heirateten;
der erstere hatten einen Sohn, Alexander, der eines Tages die Tiara tragen
sollte.

Was Vanozza betrifft, so verführte sie durch ihre ungewöhnliche Schönheit
den Roderigo Lenzuoli, durch seine Mutter Neffe Calixtus III. aus der
Familie der Borgia, der ihm im Jahre 1456 den Purpur verschaffte und ihm
die Würde des Vizekanzlers mit einigen tausend Talern Einkünften und
sonstigen Benefizien erteilte, wodurch er einer der reichsten Kardinäle
wurde.

Vanozza wurde die Geliebte dieses Roderigo und hatte einige Kinder von
ihm, die, wie der berühmte Cesare Borgia, mit großem Aufwande erzogen
wurden, als ob sie zu den mächtigsten Fürstengeschlechtern gehörten.
Alexander, ein Sohn jenes Pier Luigi, den seine Tante Vanozza sehr
protegierte, trat trotz seiner sehr leichten Sitten in den Dienst des
Kardinals Roderigo und war noch nicht zwanzig Jahre alt. Dieser Alexander
war in Liebeshändeln höchst verwegen, hatte manche Dolchstiche ausgeteilt
und empfangen und fürchtete nichts sonst als die Unerbittlichkeit des sehr
gerechten Papstes Innozenz VIII., der von 1484 bis 1491 regierte, und vor
dem sein Treiben durchaus geheim gehalten werden mußte. Alexander zählte
dreißig Jahre, als er ein Abenteuer bestand, ob dessentwillen ihn die
Frommen noch mehr haßten, aber jene, die ihn verehrten, noch mehr liebten.

Er ritt eines Tages durch die Campagna und machte zwei Miglien vor Rom
halt, um Ausgrabungen zu besichtigen, die er hier von einigen Bauern aus
Aquila ausführen ließ. Da kam an der Stelle eine junge Frau aus edlem
römischen Geschlecht vorbei, die in ihrem Wagen nach Tivoli fuhr und von
drei Bewaffneten begleitet war. Alexander war von der Schönheit der Dame
so betroffen, daß er unverzüglich die Bewaffneten anfiel und dem Kutscher
zuschrie: "Halt! Das sind meine Pferde! Ihr habt sie gestohlen!"

Alexander war gut bewaffnet, aber seine beiden Diener hatten nur ganz
kurze Schwerter und nahmen gleich Reißaus. Alexanders Leben war in Gefahr.
"Herbei, tapfere Aquilaner!" schrie er, und die Leute verließen ihre
Arbeit in dem Augenblick, da er von den Bewaffneten umringt war. Was
Alexander so wütend machte, war nicht seine persönliche Gefahr, sondern
daß der Kutscher nun seine Pferde antrieb und davonfuhr im Galopp. "Dem
Wagen nach!" schrie Alexander zweien von den Aquilanern zu, "und tötet
eins der Pferde!"

Zum Glücke für Alexander wurde dieser Befehl von allen vernommen. Zwei
liefen dem Wagen nach und die andren schlugen mit Harken, ihren einzigen
Waffen, auf die Begleitmannschaft ein, die das Leben des jungen Farnese
bedrohte. Er stach einen der Leute nieder, zwei andre fielen vom Pferde
und liefen davon. Alexander hatte ein paar leichte Wunden erhalten; das
hinderte ihn aber nicht, hinter dem Wagen mit der Dame herzurennen. Sie
war in Ohnmacht gefallen und er ließ den Wagen querfeldein nach einer
kleinen Villa zu fahren, die ihm gehörte, etwa zwei Miglien von Palestrina
entfernt. Hier verlebte er einen glückseligen Monat. Niemand in Rom außer
dem Kardinal Roderigo wußte um seinen Aufenthalt.

Am Tage jenes Verbrechens war Alexander so klug gewesen, jedem der
Aquilaner sechs Zechinen zu geben und ihnen zu befehlen, sofort über
Tivoli und Rio Freddo in das Königreich Neapel zu verschwinden, was auch
getreulich ausgeführt wurde, so daß das Verbrechen ziemlich lange
unentdeckt blieb. Aber schließlich kam es doch dem Papste zu Ohren. Der
Kardinal wollte nicht als der Schuldige an der Entführung gelten, denn er
hatte sich erst kurz vorher einer ähnlichen Untat schuldig gemacht. So
wurde Alexander trotz aller Mühe, die sich Vanozza für ihren Neffen gab,
in die Engelsburg gesperrt. Der Gouverneur von Rom ließ alle Diener
Alexanders einsperren, aber erst auf der Folter redeten sie, und so erfuhr
er auch von den Aquilanern. Er ließ sie von Sbirren betrunken machen und
über die nahe Grenze locken; hier wurden sie gefaßt und verhört. Erst nach
Monaten war die Untersuchung abgeschlossen, und es drohte Alexander
schwere Gefahr. Da gelang es dem Kardinal Roderigo und Pietro Marzano,
einem Verwandten der Farnese, Alexander ein Seil zukommen zu lassen. Und
er war kühn genug, sich von der Höhe der Engelsburg, wo er gefangen war,
bis in die Gräben hinunterzulassen. Das Seil war an 300 Fuß lang und von
großem Gewicht.

Nach dem Tode Innozenz VIII. wurde der Kardinal Roderigo unter dem Namen
Alexander VI. Papst. Damit gelangte Vanozza zu höchster Macht und sie
erreichte es, daß Alexander begnadigt und zum Kardinal gemacht wurde. Er
lebte sein wildes Leben weiter wie zuvor und bis zu dem Tage, da er sich
in ein adeliges Mädchen namens Celia verliebte, die er als seine Frau
behandelte und von der er einige Kinder hatte.

Nach dem Tode Clemens VII. wurde Alexander unter dem Namen Paul III.
Papst.



DIE FÜRSTIN VON SALERNO


Romandina war die schönste von drei Schwestern, Töchtern des Gabriele del
Balzo Orsini, Herzogs von Venosa, und mit Roberto Sanseverino verheiratet,
erstem Fürsten von Salerno und Großadmiral des Königreichs Neapel. Ihm
folgte ihr Sohn Antonello in der Herrschaft. Carlo Caraffa, der jüngste
Sohn des Galeazzo und der Corella Brancaccio war des Fürsten nächster
Freund, jungaussehend wie ein Knabe noch, schön, hochherzig und voll
Begabung. Die beiden waren unzertrennlich; weilte der Fürst in Neapel, so
zeigten sie sich überall zusammen.

Nun begab es sich, daß Carlo im Duell einen Edelmann aus der Familie
Capece erstach und aus Neapel fliehen mußte: er begab sich nach Salerno,
wo ihn die Fürstin Romandina auf das liebevollste aufnahm, eingedenk der
Freundschaft ihres Gatten. Allmählich entbrannten aber die beiden in Liebe
füreinander, und eine Abwesenheit des Fürsten benutzend, verrieten sie
ihn, sie den Gatten und er den Freund. Die Fürstin vertraute ihre Liebe
einem ziemlich hübschen, aber boshaften Kammermädchen namens Giovanna an
und bat, sich ihr hilfreich und wachsam zu zeigen.

Als der Fürst zurückkehrte, begrüßte er den ungetreuen Freund auf das
herzlichste; er hatte die Verhandlungen zwischen ihm und der Familie des
Getöteten geführt und es durch seinen Einfluß zu einem Vergleich gebracht;
so daß Carlo zum großen Schmerze der Fürstin nach Neapel zurückkehrte.

Es ließ ihm aber nach einigen Monaten die Fürstin durch ein Schreiben
wissen, wie sehr sie sich über seine Fremdheit beklage, indem er so lange
Zeit nicht nach Salerno gekommen wäre, sie zu sehen. Carlo antwortete, daß
er mehr denn je von Liebe für sie erfüllt sei, doch hätte er Salerno
gemieden, um sie nicht zu verraten und sie nicht beide um Leben und Ehre
zu bringen. Dieser Brief mißfiel aber der Fürstin und sie schrieb ihm, er
hätte sie immer besuchen sollen. Dieser Brief brachte Carlo in großen
Zwiespalt. Ginge er nicht nach Salerno, so verlöre er die Liebe der
Fürstin nicht nur, sondern sie würde ihn für untreu und falsch nehmen.
Gehorchte er aber ihrem Wunsche, so würde ihre Liebe leicht bekannt werden
durch einen Zufall oder den Ungestüm der Fürstin. Aber nach vielem
Schwanken entschied sich Carlo, seiner Geliebten zu folgen, und er ging
unverzüglich nach Salerno.

Den Fürsten, der sehr erfreut über Carlos Ankunft war, sagte dieser, daß
ihm seine Feinde trotz des geschlossenen Friedens nach dem Leben
trachteten, weshalb er in Salerno für kurze Zeit ein Asyl suche, während
welcher Zeit er sich mit den Wissenschaften, den lange vernachlässigten,
beschäftigen wolle. Solches sagte Carlo besonders der Vasallen des Herzogs
wegen, die ihn mit mißtrauendem Auge ansahen. Der Fürst bot seinem
geliebten Freunde einen einsam liegenden Ort seiner Herrschaft zum
Aufenthalte an, aber Carlo sagte, er würde wohl auch am Hofe in Salerno
selber einen Platz finden, der ihm erlaubte, sich seinen Studien mit aller
Muße hinzugeben; nur daß er zurückgezogen lebe, möge ihm der Fürst
erlauben, was ihm dieser gerne zusagte.

Die Fürstin aber wartete voll Sehnsucht der Nacht, da ihr Gemahl mit
seinem Hofstaat ein Schauspiel besuchen wollte. Giovanna war die
Wächterin, und es gaben sich die beiden Liebenden solchem Glücke hin, daß
sie schier daran zu versterben meinten.

Ein Jahr lang genossen sie dieses Glück, wenn anders solche
verbrecherische Liebe ein Glück genannt werden kann, und nicht der
leiseste Verdacht fiel auf sie.

Da starb Carlos Vater, Galeazzo, und er mußte der damit verursachten
Geschäfte wegen nach Neapel zurückkehren. In dieser Zeit ließ der Fürst
seinen einzigen Sohn Antonello aus Neapel zurückkommen, wo er als Page dem
König Ferrante bis zu seinem vierzehnten Jahr gedient hatte. An diesem
Hofe herrschte die Liebe, und des Knaben Sinn war ganz von ihr erfüllt,
denn er war heißen Blutes. Er verliebte sich in die lebhafte Giovanna, die
wie zwanzig aussah, wenn sie damals auch schon fünfunddreißig zählte. Die
Kammerfrau erriet sehr bald die Absichten des jungen Herrn Antonio und
tat, als wiese sie ihn ab, um ihn noch stärker an sich zu fesseln. Die
Fürstin, die dieses Spiel der beiden merkte, fürchtete, es könnte zur
Entdeckung ihrer eigenen Liebschaft führen und verbot der Giovanna, sich
mit ihrem Sohne einzulassen. Und sie drohte ihr mit Züchtigung, als sie
merkte, daß Giovanna ihrem Verbote nicht folgte. Dieses war sehr unbedacht
von ihr, denn sie hätte sich sagen müssen, daß es ihre eigene Ehre
verlange, die Schwächen andrer zu schonen.

Giovanna fand sich durch solche Behandlung schlecht für ihre treuen
Dienste belohnt; sie nahm Abschied von ihrer Herrin und stellte sich unter
Antonellos Schutz, der nun fünfzehn Jahre alt geworden war. Zu spät
bereute Ramondina, und in ihrer Angst, jene möchte sie verraten, beschloß
sie den Tod der Kammerfrau; einige ihrer Getreuen betraute sie mit dieser
Tat. Als diese Leute nun Giovanna mit Dolchen angingen, erhob sie ein
großes Geschrei, und es gelang ihr, zu entfliehen; sie rettete sich in die
Kammer einer Magd, wo sie laut um Hilfe rief. Eine Menge Menschen lief
zusammen, und als auch der Bargello erschien, flüchteten die Mörder in die
Kirche San Mateo. Antonello, der auf das Geschrei herbeieilte, fand seine
Geliebte in ihrem Blute. Er ließ die Kirche umstellen, um die Mörder zu
fassen. Seine Mutter befahl ihm aber, sie entkommen zu lassen; was er
versprach.

Er erzählte sehr unklug Giovanna von dem Befehl seiner Mutter. Da erfaßte
die Kammerfrau großer Zorn gegen die Fürstin und sie erzählte Antonello
die Geschichte seiner Mutter mit Carlo Caraffa. Antonello berichtete es
sofort seinem Vater. Dieser wollte es von Giovanna selber hören, und sie
erzählte ihm den Liebeshandel mit allen Einzelheiten, so daß er weder mehr
an der Untreue seines Freundes noch an der seines Weibes zweifeln konnte.
Er gebot Giovanna und Antonello tiefstes Schweigen.

Die Fürstin hatte von der Unterredung durch ihre Spione erfahren und
machte sich auf Gift gefaßt, weshalb sie täglich Gegengifte und Elixiere
einnahm. Auch Carlo sandte sie durch den Sohn einer alten Dienerin
Botschaft von dem Vorgefallenen und ihren Befürchtungen. Aber des Herzogs
Spione fingen den Boten ab, und er erfuhr so die Untreue seines Weibes aus
ihrem eigenen Schreiben. Nun zögerte er nicht länger und gab ihr Gift,
durch das sie ein schleichendes Fieber bekam.

Sie starb nach vierzehn Tagen. Dienstleute des Herzogs ermordeten Carlo in
Neapel. Auch Giovanna traf seine Rache: er ließ ihre Wunden vergiften.

Als der Herzog von Salerno erfuhr, daß einer der vornehmsten Herren von
Neapel, der ein schönes aber lasterhaftes Weib hatte, von der Unehre
sprach, welche die Fürstin Romandina über das Haus Sanseverino gebracht
hatte, da ließ der Herzog gegenüber der Kirche Santa Chiara einen
prächtigen Palast bauen und über dem Portal sein Wappen anbringen. Den
Wappenhelm krönten zwei Hörner, welche diese Schrift trugen:

    Porto le Corna che ognun le vede.
    Altro le porta che non se lacrede.

Zu deutsch:

    Ich trage Hörner, die ein jeder siecht.
    Ein andrer trägt sie und er weiß es nicht.



DIE NONNEN VON BOLOGNA


Daß die Klosterfrauen eine andre als die himmlische Liebe in ihrem Herzen
tragen dürfen, dieses habe ich nie geglaubt, denn indem sie sich der
irdischen Liebe ergeben, schänden sie nicht allein ihren Leib, sondern
auch ihre Seele und jagen daraus die Gottheit, die in ihnen hausen soll.
Aber ich habe oft gehört, daß manche Nonnen gegen ihren Willen ins Kloster
getan wurden und daß diese, weit entfernt, Gott ihren Leib zu weihen, sich
dafür entschuldigen wollen, daß man sie von der Welt abschloß.

Was ich nun erzähle, ereignete sich unter dem Pontifikat des Maffeo
Barberini, der als Papst Urban VIII. hieß, und zwar in Bologna, wo des
Papstes Neffe, der Kardinal Antonio Barberini, als Legat residierte.

Im Konvertitinnenkloster von Bologna waren damals zwei Nonnen von großer
Schönheit und lieblicher Anmut, deren eine die Teverona hieß, die andre
wegen der Farbe ihres Haares die Rote. Mit dieser Roten begann der
Hauptmann Donato Antonio einen Liebeshandel, während ein Günstling des
Kardinals, ein gewisser Carlo Possenti, sich mit Erfolg um die Teverona,
bewarb. Beide beschlossen, die Nonnen zu entführen, worein diese gerne
willigten. Sie bekamen weltliche Tracht und wurden nahe bei der Porta
Carrese mit Hilfe des Grafen Ranucci, eines Freundes des Possenti,
untergebracht bei einem gewissen Pallade, wo sie aber nur ein paar Tage
verweilten, um in das Haus des Grafen Alessandro Maria Pepoli und von da
in das Haus eines Dieners dieses Grafen gebracht zu werden.

Inzwischen war man der Missetat auf die Spur gekommen und eine genaue
Untersuchung eingeleitet worden. Des Donato Bruder, der Oberst seines
Regimentes war, schickte den Donato schleunigst nach der Romagna ins
Quartier und versprach ihm, die Rote alsbald nachzuschicken. Possenti, der
inzwischen Vize-Herzog von Segni geworden und nicht mehr in Bologna war,
hoffte, man würde die Sache bald vergessen, worauf er sich seine Teverona
nachkommen lassen wollte. Aber der Prozeß wurde sehr eindringlich geführt,
so daß der Oberst für das Leben seines Bruders fürchtete; er verständigte
sich mit dem Grafen Pepoli und die beiden beschlossen, die zwei Nonnen
umzubringen, was auch geschah. Sie wurden im Keller ihres letzten
Wohnortes bei dem Diener begraben. Solange Urban Papst war, wurde das
Verbrechen totgeschwiegen, denn man vermutete in dem Kardinal Antonio den
Anstifter, der die Nonnen geliebt und nachdem er ihrer überdrüssig
geworden wäre, hätte er sie man weiß nicht wohin geschickt.

Als nun nach Urbans Tode Innozenz X. den Thron bestieg, standen die
zahlreichen Feinde der Barberini auf und klagten den Kardinal vieler
während der Regierung seines Onkels begangener Verbrechen an, und obzwar
der Papst den Barberinis die Tiara verdankte, verfolgte er doch den
Kardinal. Jener Graf Pepoli war inzwischen gestorben und das Haus seines
Dieners wechselte den Besitzer. Der entdeckte die Leichen im Keller und
erstattete Bericht an die Justiz. Pallade, bei dem sie zuerst gewohnt
hatten, machte aus Angst und in Hoffnung auf die päpstliche Gnade ein
offenes Geständnis. Darauf wurden am 30. Juli 1645 im Palaste des
Kardinals Antonio in Rom jener Carlo Possenti und des Kardinals
Haushofmeister verhaftet und nach Bologna gebracht. Auch der Oberst,
Donatos Bruder, wurde eingezogen und mit Pallade und Possenti
konfrontiert. Possenti starb ohne etwas zu verraten in der Folter. Auch
der Oberst ertrug ohne ein Wort die Folter und der Haushofmeister erwies
auf ihr seine Unschuld. Er wurde wie der Graf Ranucci nach Pataro
verbannt.

Der Kardinal floh am hellichten Tage, als ob er einen Spaziergang machen
wolle, nach Frankreich. Später söhnte er sich mit dem Papste aus. Von
jenem Verbrechen an den beiden Nonnen war nie mehr die Rede.



DIE BRÜDER MISSORI


Die beiden Brüder Missori erfreuten sich der Gunst des Marchese del Monte,
Ministers der Königin Christine von Schweden. Sie trieben was sie wollten
in jenem Stadtviertel Roms, das die Königin während ihres Aufenthaltes in
der Stadt bewohnte. Christine setzte alles Vertrauen in die Brüder und war
gegen ihre Taten um so nachsichtiger als sie sich mit der Absicht trug,
aus dem von ihr bewohnten Viertel eine Freistätte zu machen. Solcherart
hatten die Gerichtsbeamten keinen Zutritt in dieses Viertel und die immer
es versuchten, wurden umgebracht und in den Tiber geworfen. Hier in diesem
Viertel fanden zumal alle Frauen, die aus irgendwelchen Gründen ihre
Männer verlassen hatten, Zuflucht.

Dies währte Jahre, und die Königin zog sich die allgemeine Verachtung zu,
da sie sich auf jene Mordbuben stützte, und vergeblich ließ der Papst sie
durch mehrere Kardinäle ersuchen, die Verbrecher zu bestrafen; sie
verharrte nur um so stärker auf ihren verbrieften Rechten eigener
Jurisdiktion, als schlimme Ratgeber ihr einredeten, die Kardinäle wollten
sie um ihre Herrschaft bringen.

Der Papst sagte immer nur: "Der höchste Richter wird hier Abhilfe
schaffen", und er begünstigte mit dieser Schwäche das schändliche Treiben
der beiden Brüder, die selbst davor nicht zurückschreckten, Kindern Gewalt
anzutun. Täglich kamen neue Klagen, und so mußte der Papst doch dem
Gouverneur den Befehl geben, sich der Brüder Missori zu bemächtigen; aber
es war ihm dieses nicht gestattet, da sie den Titel "Garde der Königin"
führten. Man mußte daher danach trachten, sie außerhalb des Bannkreises
von Christinens Macht zu fangen.

Als dieses die Missori erfuhren, verließen sie das Viertel nicht mehr.
Spione wurden von den Bravi der Königin erkannt, zu Tode geprügelt,
erschossen oder in den Tiber geworfen. Der Marchese vermehrte die Wachen
des Viertels um fünfundzwanzig Mann. Die Verbrechen nahmen Tag für Tag zu.

Nun gelang es einem der Königin wie dem Gouverneur befreundeten Kardinal,
die Majestät mit guten Gründen zu veranlassen, daß die Brüder Missori den
Kirchenstaat verließen, was sie auch taten. Nicolo wollte sich nach Neapel
wenden, während Bernardino dem Großherzogtum Toskana den Vorzug gab,
dessen Herr der Königin befreundet war.

Der Papst erhielt sofort Nachricht von dem Aufenthalte der Brüder und
schickte gleich einen Kurier an den Großherzog mit einem Schreiben, worin
er bat, zwei junge Leute auszuliefern, die von Rom nach Toskana gereist
wären. Cosimo III. wußte nicht, daß sich die Brüder der Gunst der Königin
erfreuten und ließ die Brüder in Livorno verhaften, von wo sie unter
Bedeckung nach Rom gebracht und in der Engelsburg eingekerkert wurden.
Erst dann erhielt Cosimo die Briefe der Königin, worauf er ihr schrieb,
daß es ihm leid täte und wie es der Papst angestellt hätte, die Brüder in
seine Hand zu bekommen.

Die Brüder waren getrennt untergebracht und mit schweren Fußeisen
gefesselt. Bei ihrem ersten Verhör leugneten sie, Missori zu heißen und
Brüder zu sein, aber zahlreiche Zeugen erkannten sie. Die Königin bemühte
sich ohne Erfolg um ihre Freilassung; in eigner Person begab sie sich nach
dem Monte Cavallo zum Staatssekretär, wurde aber nicht vorgelassen. Der
Papst war für den Tod der Brüder, sowie sie als die Missori erkannt wären,
auch ohne ihr eigenes Geständnis, causis nobis notis, wie er hinzusetzte.

Bernardino sah sich, zurückgeführt in seine Zelle, schon dem Tode
verfallen; er schrie nach dem Kerkermeister. "Warum", schrie er, "hat man
mir den Bart geschoren, mich in Eisen gelegt? Soll ich sterben? Laßt mich
nicht in Ungewißheit." Aber der Kerkermeister sagte, dies seien nur
rechtmäßige Prozeduren und keine Vorbereitungen zur Hinrichtung. Davon
gewann Bernardino einige Beruhigung, die aber wieder schwand, als man das
Fenster seiner Zelle vermauerte.

Viele hatten schon die Brüder erkannt, als ein Edler von San Stefano, der
sie sehr gut zu kennen behauptete, erklärte, er könne die beiden jungen
Leute, die man ihm hier vorführe, nicht als die Missori erkennen. Aber es
half dieses nichts, denn der Papst hatte das Todesurteil unterzeichnet,
und am 14. Januar 1685 begab sich der Marchese Strozzi nach der
Engelsburg, um sich mit dem Kommandanten Massimi über die Vorbereitungen
zur Hinrichtung zu verständigen. Als man Nicolo das Abendbrot brachte,
fragte er: "Wer ist heute nach der Engelsburg gekommen?" Man sagte ihm,
daß es nichts Neues gebe. Aber er war voll Angst und aß nichts.

Bernardino fragte, ob die Folterinstrumente in der Engelsburg seien. Der
Leutnant Marzio antwortete, er sei zwanzig Jahre in der Festung und wisse
nichts von solchen Werkzeugen. Bernardino bat um Tabak.

Am Tage, da man sie zur Richtstätte führte, den 15. Januar des Jahres, war
der Platz vor der Engelsbrücke dicht besetzt von Sbirren, da man einen
Rettungsversuch der Königin befürchtete. Deshalb waren die Kanonen auch
nach dem Platz gerichtet und mit Kartätschen geladen. Auch war der Befehl
gegeben, bei dem geringsten Zeichen von Unruhe zu feuern.

Die Missori kamen, der ältere voran. Er war mit seinen sechsundzwanzig
Jahren ein Mensch von hohem Wuchs und schönem Ansehn. Seine Haare und
Augen waren schwarz und die Farbe seiner Haut olivengrün. Sein Bruder, der
ihm festen Schrittes folgte, war um drei Jahre jünger, hatte
kastanienfarbnes Haar und einen rötlichen Bart, eine weiße Haut und
lebhafte Augen. Beide trugen hirschfarbene Wamse, hellseidne Strumpfhosen
und weiße Schuhe; ein grauer Mantel mit pfaufarbnem Futter fiel ihnen bis
auf die Füße. Als Bernardino unter der Menge einen Freund erkannte, rief
er: "Lieber Freund, wie siehst du mich wieder! Ich empfehle dir meine
Seele, die bald ihrem Körper entfliehen wird!" Der also Angerufene fiel
bei diesen Worten in Ohnmacht und kam erst wieder zu sich, als die beiden
schon tot waren.

Sie hatten seit dem Morgen des vorigen Tages nichts gegessen. Bei der
Kapelle an der Engelsbrücke bot man ihnen Nahrung. Bernardino wies sie ab,
aber Nicolo nahm aus Gehorsam einen in Wein getauchten Zwieback. Er ging
als erster in den Tod. Bernardino fiel in Ohnmacht, als er seinen
geliebten Bruder verscheiden sah. Man brachte ihn rasch wieder zu sich. Er
legte mit größter Ruhe sein Haupt selber auf den Block. Als der Kopf fiel,
donnerte ein Kanonenschuß, wie zuvor bei der Hinrichtung Nicolos. Diese
Schüsse waren eine besondere Gnade des Papstes, der während der
Hinrichtung in seinem Schlafgemach auf den Knien zu Gott um das Seelenheil
der Hingerichteten betete. Bei jedem Kanonenschuß sandte er dem
Verschiedenen den Segen in articulo mortis nach.



POMPILIA COMPARINI


Der Abbate Paolo Franceschini aus Arezzo war wohl von edler Herkunft, aber
nur sehr wenig mit Glücksgütern gesegnet. Doch besaß er genügend Geist,
sein Glück zu versuchen, und begab sich nach Rom, wo er vom Kardinal
Lauria als Sekretär bestellt wurde. Er gewann bald die Gunst des wegen
seiner Gelehrsamkeit im heiligen Kollegium sehr geschätzten Kardinals, und
ausgerüstet mit dieser Gunst wollte Paolo sein Glück und Ansehn damit
fördern, daß er seinem Bruder eine reiche Frau verschaffe.

Der Bruder Guido war schon ein älterer Mann, von wenig gewinnendem Äußern
und geringer Begabung. Er war Sekretär beim Kardinal Nerli gewesen, hatte
die Stelle aber verloren, was für die Heiratspläne des Abbate nicht
günstig war. Aber er hoffte, die Mängel seines Bruders durch die Vorzüge
seiner eignen Person zu ersetzen. Nach mancher Umschau richtete er seine
Absicht auf Francesca Pompilia, die einzige Tochter des Pietro Comparini
und seiner Gattin Violante, die eine Erbschaft von zwölftausend Skudi zu
erwarten hatte. Um so leichter erschien ihm diese Heirat fertig zu
bekommen, als die Familie Comparini der seinen nicht ebenbürtig war.

Er bediente sich als Vermittlerin einer Haarkräuslerin, die im Hause der
Comparini arbeitete und dort vertraulich war. Er versprach ihr für ihre
Vermittlung eine Belohnung von fünfzig Goldgulden, und die Frau machte
sich gleich ans Werk. Sie redete mit Violante, die ihr versprach, mit
ihrem Manne zu reden. Denn der Nießbrauch jener Erbschaft blieb der
Familie nur für den Fall, daß direkte Nachkommen vorhanden waren. Der alte
Comparini erklärte sich nicht abgeneigt, wenn es mit dem Besitze der
Franceschini so stimme, wie sie ihm gesagt hätten.

Paolo drang auf Eile; er fürchtete, die Sache könnte ihm entgehen. Er ließ
vom Kardinal Lauria den Ehevertrag aufsetzen, was dieser Mann aus
Gefälligkeit gegen den von ihm geschätzten Abbate tat. Inzwischen hatte
sich Comparini aber anderweitig über die Vermögensumstände der
Franceschini erkundigt und die Auskünfte lauteten sehr verschieden von
denen des Abbate und dessen Gewährsmänner. Es kam dadurch zu heftigen
Auftritten zwischen Mann und Frau, die durchaus auf der Heirat bestand und
sagte, daß dies nur Machenschaften von Neidern des Glückes ihrer Tochter
wären. Aber der Gatte blieb um so kühler, je mehr die Frau in Hitze kam
und sagte, er wolle durch die Verheiratung ja nichts gewinnen, aber auch
nichts verlieren. Aber Pietro hatte innerlich längst seinem Weibe, das er
zärtlich liebte, nachgegeben, denn er tat ihr immer jeden Willen. Violante
aber fürchtete, er könne es schließlich doch noch durch gute Ratschläge
von Freunden bereuen, und so beschloß sie, die Hochzeit ohne Wissen ihres
Mannes statthaben zu lassen. Die Tochter, immer folgsam dem was die Mutter
verlangte, war einverstanden. Man verabredete sich mit Guido, und
frühmorgens wurden sie in der Kirche San Lorenzo getraut. Pietro war sehr
aufgebracht, als er davon hörte. Doch war an der Sache nichts mehr zu
ändern, und er richtete die Hochzeit in seinem Hause, gab seiner Tochter
eine Mitgift von fünfundzwanzig päpstlichen Anleihescheinen und machte sie
zu seiner Erbin.

Schon am Hochzeitstage war es zwischen dem Alten und den Brüdern zum
Streit gekommen über die Vorteile, die den beiden Familien aus dieser
Heirat erwüchsen, und man war übereingekommen, daß die Comparinis nach
Arezzo übersiedeln und im Hause der Franceschini den Rest ihres Lebens
verbringen sollten. Comparini überließ seinem Schwiegersohne auch die
Verwaltung seines ganzen Besitztumes.

In Arezzo wurden die alten Comparini von den alten Franceschini und deren
Sippschaft mit großer Liebenswürdigkeit empfangen, wie dies Brauch ist.
Aber bald kam es zu Streitigkeiten und schließlich zu offnem Bruch. Guidos
Mutter war eine anmaßende und geizige Frau, herrisch schaltend in ihrem
Hause. Auf des alten Comparini Vorhaltungen antwortete Guido erst
wegwerfend, dann drohend, was Violante in Wut brachte, die an Hochmut der
alten Franceschini nichts nachgab. Sie begann Pietro zu quälen und fluchte
dem Tag, der sie nach Arezzo gebracht habe und gab ihm alle Schuld, die
sie selber hatte. Pietro, von Weibertränen eingenommen, fiel es nicht ein,
seinem Weibe zu sagen, daß diese Ehe gegen sein Wissen und Wollen
geschlossen worden wäre; er bat sie vielmehr zärtlich, doch die kleinen
Unannehmlichkeiten hinzunehmen und abzuwarten, daß die Franceschini ihr
Unrecht einsehen.

Da starb der Kardinal Lauria, und Paolo wurde römischer Sekretär des
Malteserordens; dadurch stieg sein Hochmut über alle Begriffe. Violante,
selber zu herrschen gewohnt, wollte es nicht länger ertragen und bestürmte
ihren Mann, nach Rom zurückzukehren. Die Franceschinis gaben ihnen für die
Reisekosten noch eine Summe Geldes.

Alsbald in Rom setzte Pietro zu allgemeinem Staunen eine gerichtliche
Denkschrift auf, worin er nachwies, daß Francesca Pompilia gar nicht seine
leibliche Tochter sei, und er daher gar nicht verpflichtet war, die
Mitgift auszuzahlen. Violante habe sich schwanger gestellt und ein von
einer Hebamme für hundertfünfzig Skudi gekauftes Kind untergeschoben zu
dem Zweck, ihrer Familie die Nutznießung der fünfundzwanzig Stück
päpstlicher Anleihe zu erhalten. Sie hätte diese Täuschung sehr geschickt
ins Werk gesetzt.

Diese Denkschrift Pietros wurde bald stadtbekannt und erregte mehr
Unwillen als Erstaunen, denn man sagte sich, daß die Franceschini von
diesem Schriftstück sehr beleidigt werden müßten. Die Franceschini
überlegten, daß man, wenn Pompilia kein eheliches Kind sei, die Ehe
nichtig erklären und so den guten Ruf der Familie wieder herstellen könne.
Die Rechtskundigen, die sie darüber befragten, waren aber verschiedener
Meinung und so trauten sich die Franceschini nicht an einen so
zweifelhaften Prozeß. Was sie erreichten, war die Anerkennung von
Pompilias ehelicher Geburt und damit die rechtsgültige Erbschaft der
Anleihescheine. Dagegen appellierte Pietro beim päpstlichen Gericht und
erreichte, daß die Franceschini wohl nur die Ausgaben jener Übertragung,
nicht aber die Nutznießung des Fideikommisses zugesprochen bekamen.

Aller Haß der Franceschini wandte sich auf die unglückliche Pompilia, die
in Arezzo zurückgeblieben war. Von den eigenen Eltern als Kind verleugnet,
wurde sie von ihrem Gatten täglich mit dem Tode bedroht. Die
sechzehnjährige Pompilia ertrug alle Grausamkeit, wie sie vermochte; als
sie aber keinen Ausweg mehr sah, wandte sie sich an den Statthalter von
Arezzo, aber ohne Erfolg. Nun warf sie sich dem Bischof zu Füßen, und
dieser ließ den Guido rufen und mahnte ihn zu Versöhnlichkeit. Aber diese
öffentliche Beschwerde brachte ihn ganz außer sich, und er drohte seinem
Weibe, es zu töten, wenn sie es nochmals wagen sollte, sich zu beklagen.
Da es aber in nichts besser wurde, wandte sich Pompilia an einen Schwager
ihres Mannes, den Canonicus Conti, der ihren Jammer kannte, und bat ihn,
ihr das Leben zu retten. Der Canonicus sah das Heil nur in der Flucht aus
dem Hause; da er sich aber nicht die Feindschaft seiner Sippe aufladen
wollte, empfahl er Pompilia, sich an den Canonicus Caponzachi zu wenden,
einen Freund und entfernten Verwandten der Franceschini, einen
rechtschaffenen und erprobten Mann. Dieser hatte nun erst Bedenken, eine
Frau ihrem Manne zu entführen, wenn auch nur zu ihren Eltern, aber
schließlich gewann ihn doch das Mitleid und er versprach seine Hilfe. Als
diese nicht rasch genug kam, schrieb Pompilia an ihn, leidenschaftlich und
schmeichelnd, doch nie derartiges, daß man daraus eine Verletzung ihres
ehelichen Treugelöbnisses hätte lesen können, wie die erhaltenen Briefe
zeigen. In einem dieser Briefe lobt sie des Caponzachis Bescheidenheit, in
einem andern beschwert sie sich über einige frivole Gedichte, die er ihr
geschickt habe und bittet ihn, ihr seinen Edelmut rein zu erhalten.

Am verabredeten Tage der Flucht bestiegen der Canonicus und Pompilia den
Reisewagen und erreichten in raschester Fahrt am frühen Morgen des andern
Tags Castelnuovo; da hier der Wirt ihnen nur ein Bett bieten konnte,
verbrachte Pompilia die Rast auf einem Lehnstuhl, während der Canonicus im
Stall zum Kutscher ging.

Kurz nach der Flucht entdeckte Guido das leere Bett und den offenen
Schrank, in dem eine darin verwahrte Geldsumme fehlte. Zu Pferde eilte er
den Flüchtigen auf der Straße nach Rom nach. Er traf eine Stunde nach
ihrer Ankunft in jener Herberge ein, stieß auf Caponzachi, der ihn einen
Schurken und Tyrannen nannte. Guido war sehr überrascht, den Canonicus bei
seiner Frau zu treffen, und er verlor allen Mut so sehr, daß er wieder
nach Hause ritt. Hier angekommen verklagte er seine Frau wegen Flucht und
Ehebruch, womit er seine Mitgift gewonnen zu haben glaubte. Sein Bruder,
der Abbate Paolo, erhob Beschwerde beim Papste Innozenz XII. und beim
Gouverneur von Rom, dieser möge den Canonicus Caponzachi als Entführer und
Ehebrecher erklären und seinem Bruder die Mitgift zusprechen.

Der mit aller Strenge geführte Prozeß ergab aber nichts gegen das Paar,
außer dem Briefwechsel vor der Flucht, diese selber und die Aussage des
Kutschers, der erklärte, er hätte beim Umsehen des öftern die beiden Wange
an Wange liegend im Wagen gesehen. Aber es möchte dessen Ursache die
schlechte Straße gewesen sein. Endlich verfügte das Gericht die Verbannung
des Canonicus für Jahre nach Civitavechia wegen Begünstigung der Flucht,
wenn auch in guter Absicht. Pompilia wurde mit Zustimmung der
Franceschinis in loco carceris nach dem Kloster delle Scalette an der
Lungara gebracht, wo Guido ihren Unterhalt zu bestreiten hatte. Da sie
aber ihrer Schwangerschaft wegen nicht länger an diesem Orte bleiben
konnte, verfügte der Gouverneur ihre Übersiedlung in das elterliche Haus,
womit auch der Unterhalt durch den Gatten sein Ende fand.

Des Geredes über diese Sache war in Rom so viel, daß der Abbate Paolo
seine Stelle beim Malteserorden verlor. Worauf er sich entschloß, Rom zu
verlassen und in ein Land zu gehen, wohin kein Gerücht von der Unehre, die
ihn betroffen, gedrungen sein konnte. Er hinterließ Guido die Pflicht, die
Ehre des Hauses wieder herzustellen.

Pompilia gebar einen Sohn, der den Namen Moschio erhielt und von den
Comparinis zur Pflege außer Haus gegeben wurde. Alle Welt hoffte, Guido
würde nun zur Besinnung kommen und sich mit seinem Weibe versöhnen; aber
Guido hatte ganz andere Gedanken: er wollte seine Ehre mit dem Blute aller
Contarinis reinwaschen.

Einem Feldarbeiter, einem Menschen niedern Wandels, vertraute er seine
Schmach und seinen Racheplan an, und der Mensch erbot sich, mit Hilfe von
vier, fünf sichern Leuten den Racheplan auszuführen. Zu fünft begaben sie
sich verkleidet nach Rom und klopften des Nachts um zwei bei den
Comparinis an. Einer rief, er habe einen Brief Caponzachis zu bestellen,
aber die Frauen hatten Angst und rieten Pietro, nicht zu öffnen. Der aber,
auf den Brief neugierig, öffnete die Tür und Guido stürzte mit zweien
seiner Leute herein, während die andern zwei draußen Wache standen. Er
stieß dem Alten das Messer in den Leib, so daß er ohne einen Laut hinfiel
und starb. Hierauf ermorderte er Violante und die unglückliche Pompilia
mit vielen Messerstichen und Fußtritten. Einem seiner Leute befahl er,
nachzusehen, ob die Frauen tot seien; der zog sie an den Haaren hoch, ließ
sie hinfallen und sagte, sie seien tot. Er zahlte ihnen dann den Lohn aus
und wollte sich von ihnen trennen; dies aber ließen die vier Gesellen
nicht zu, aus Angst, und so gingen sie alle miteinander zu Fuß die Straße
nach Arezzo zu.

Guido und Violante waren tot, aber Pompilia lebte noch, trotzdem sie die
meisten Messerstiche bekommen hatte. Nun rief sie um Hilfe, so daß die
Nachbarn herbeieilten. Mit großer Standhaftigkeit ertrug sie ihre schwere
Verwundung, beklagte auch nicht ihren Gatten, sondern bat den Himmel, daß
er ihm seine Tat vergebe, und starb eines seligen Todes, bis zuletzt ihre
Unschuld beteuernd.

In einer Hütte nahe Rom wurden die Mörder aufgegriffen. Guido gestand erst
beim Anblick der Folter, rechtfertigte seine Tat aber als seiner Ehre
wegen getan. Seine Mitschuldigen wurden an den Galgen geknüpft; er selber
wurde geköpft.



KÖNIGIN CHRISTINE


Die Königin Christine hatte Jahre in Rom gelebt und entschloß sich, einer
Einladung Ludwigs XIV. zu folgen und nach Frankreich zu reisen. Mit einem
großen Gefolge von Kavalieren und Pagen verließ sie Rom. Der König hatte
für seinen erlauchten Gast einen prunkvollen Palast richten lassen und dem
Gefolge ein Kavalierhaus angewiesen. In diesem Gefolge befanden sich zwei
Herren, die sie mit ihrer besonderen Gunst auszeichnete; Tag und Nacht
waren der Marchese Monaldeschi und der Marchese Santinelli um sie, der
erste ein witziger Poet in der modischen Art der Marini, der den
königlichen Hof zum großen Ergötzen seiner Herrin in scharfen Satiren
durchhechelte. Dies führte dazu, daß ihn die Königin zu ihrem geheimen
Vertrauten machte. Darüber fühlte sich Santinelli zurückgesetzt, wenn auch
die Königin alles tat, ihn huldvoll zu behandeln. Monaldeschi merkte die
Eifersucht seines Nebenbuhlers um die Gunst und wollte sich diese allein
erhalten; also ließ er am Hofe Briefe mit verstellter Hand verbreiten, in
denen sehr vertrauliche Mitteilungen der Königin an Santinelli und was sie
miteinander taten, auf das respektloseste erzählt wurden. Diese Briefe
kamen auch in Santinellis Hände, und er erkannte die verstellte
Handschrift. Er beschloß die Vernichtung seines Gegners. Er brachte, mit
der Königin einmal im Garten lustwandelnd, das Gespräch auf jene Briefe,
über die man sich bei Hofe sehr skandalisierte. Die Königin verlangte die
Briefe zu lesen; doch schwieg sie dazu und bat Santinelli nun, nicht
weiter darüber zu sprechen. Ein neuer Brief, in anderer Hand, aber
gleichem Stile, teilte weiteres von den Beziehungen der Königin zu
Santinelli mit. Die Königin wollte nun die verdiente Strafe für den
Briefschreiber nicht länger hinausschieben, aber sie lebte in Frankreich,
wo die Gesetze jede Gewalttat strenge ahnden. Die Gesetze waren erst vor
kurzem vom Kardinal Richelieu erlassen worden, um den zahlreichen
Bluttaten zu steuern. Der König hatte ihre geringste Verletzung mit dem
Tode bestraft, auch wenn es Mitglieder seines Hauses waren, die sich
solches zuschulden kommen ließen. Durch eine Ermordung des Monaldeschi
hatte die Königin den Zorn des Königs zu fürchten; doch war ihre Ehre
allzu sehr beleidigt und solches allgemein bekannt geworden.

Eines Tages legte die Königin dem Monaldeschi einen mit verstellter Hand
geschriebenen Brief vor, er möge ihn lesen.

"Wer ihn wohl geschrieben haben mag," sagte sie, "ich kenne die
Handschrift nicht."

Und als Monaldeschi schwieg, sagte sie: "Welche Strafe verdient wohl der
Schreiber solcher Böswilligkeiten?"

"Sicher den Tod," sagte der Marchese, "den Tod, den ihm Eure Majestät
wählen."

"Den Tod, meint Ihr? Ich werde mich Eures Urteils erinnern. Denkt daran."

Die Furcht, in die Monaldeschi nach dieser Unterredung geriet, ließ ihn zu
Santinelli gehen, von dem er wußte, daß er einige ähnliche Schreiben
verwahre; er wollte von ihm erfahren, ob die Königin auf ihn einen
Verdacht geworfen habe. Doch Santinelli beruhigte ihn derart, daß
Monaldeschi ahnungslos in den Tod ging.

Die Königin ließ eines Tages einen Edelmann ihrer Leibwache kommen und gab
ihm den Auftrag, am nächsten Morgen in einem entlegenen Zimmer den
Marchese Monaldeschi heimlich und ohne Lärm mit einem Degenstoß ins Herz
beiseite zu schaffen. Auch einen Mönch ließ sie sich bereithalten, den
Marchese auf sein Ende vorzubereiten. Der Mönch bat die Königin, ihm
solchen schweren Auftrag zu erlassen, da ihm sonst die Ungnade des Königs
sicher sei. Doch sie gab ihm ihr Wort, daß er nichts zu befürchten habe,
und versprach ihm eine Belohnung.

Andern Morgens ließ sie Monaldeschi in den Garten rufen; sie zeigte ihm
wieder einen Brief und neben diesen hielt sie seine Handschrift: er konnte
nicht mehr leugnen. Er fiel der Königin zu Füßen und bat um Gnade. Die
Königin sagte: "Was Euer Seelenheil anbetrifft, so habe ich Euch der Huld
Gottes empfohlen; was mich betrifft, so verzeih ich Euch. Ihr habt in
Eurer Sache selbst gerichtet. Euer Urteil soll vollstreckt werden." Damit
verließ sie ihn. Zwei Leute hielten den Marchese fest, der ihr
nachspringen wollte, und führten ihn in ein abgelegenes Gartenzimmer, wo
er, wie sie ihm sagten, gefangen bleiben sollte. Da traf er den Mönch, der
ihm auf Befehl der Königin das Urteil verkündete.

Auf Ansuchen des Marchese begab sich der Mönch zur Königin und bat um das
Leben; aber die rachsüchtige Frau bestand auf seinem sofortigen Tode. So
bat der Mönch den Marchese, sich zum Tode vorzubereiten und seine Sünden
zu beichten, zumal die Henker schon warteten. Aber der Marchese
verweigerte die Beichte, in ungeheurer Wut durch das Gemach stampfend. Da
überfielen ihn jene beiden; und der eine stach nach ihm mit dem Degen;
doch glitt er am Wamse ab. Ein zweiter Stich, den er abwehren wollte,
durchbohrte ihm die Hand und verletzte ihn am Kopfe. Jetzt erst, aus zwei
Wunden blutend, verlangte er zu beichten, was die beiden Mörder nur auf
Bitten des Mönchs gewährten, der nicht mehr wußte, in welcher Welt er
lebte. Nach der Absolution wollte Monaldeschi sein Wams ablegen, um einem
Stoß ins Herz freien Weg zu geben; aber als er sein Kleid auszog, drangen
ihm zwei Degen durch den Hals, daß er aufstöhnend verschied. 'Herr Jesus'
war sein letztes Wort. Den Leichnam schnürte man in eine Decke und vergrub
ihn gar kläglich neben einer nahen Kirche, rasch, damit man von dem Tode
nichts erführe. Aber es kam doch dem König zu Ohren, der genaues wissen
wollte. Er war nah daran, die Königin aus dem Reiche zu verweisen. Er ließ
den toten Marchese ausgraben und mit allem Pomp beisetzen, auf daß jeder
von der grausamen Tat der blutdürstigen Frau erfahre. Hatte der König vor
jener Tat die Königin mit seinem Besuche beehrt, so brach er nun jeden
Verkehr mit ihr ab; worin sie eine Beleidigung sah und abreisen wollte.
Sie wollte das, um ihre Mißachtung gegen den König damit auszudrücken,
ohne jede Förmlichkeit tun; aber der König, der den Tag ihrer Abreise
erfahren hatte, besuchte sie und verabschiedete sich kurz von ihr.
Soldaten eskortierten sie ein paar Meilen weit; es sah wie eine Ehrung
aus, aber es geschah zu ihrer Bestrafung, denn die Soldaten begleiteten
sie wie eine Gefangene.




ZWEI ROMAN-ENTWÜRFE

ÜBERTRAGEN VON FRANZ BLEI

I.

AN-IMAGINATION


Der leidenschaftliche Mensch, der junge Jean-Jacques haftet sich an die
Weisungen seiner Einbildungskraft, Robert tut nur, was er unmittelbar
wahrnimmt. Der Verfasser dachte öfters daran, einen jungen Menschen zu
gestalten, der aus der Welt einer bestimmten Epoche, z.B. der Welt von
1811, zu Glück und Ruhm aufsteigt, 1811: Cambacèrés, der Staatsrat, der
Kaiserliche Hof in den Tuilerien etc.

Der Verfasser wollte vor zehn Jahren einen zärtlichen und anständigen
jungen Mann gestalten, und er machte ihn ehrgeizig, aber doch voller
Imaginationen und Illusion: Julien Sorel.

Er möchte nun diesen Robert völlig frei von jeder Imagination gestalten
außer dieser einen, die dazu dient, alle die nötigen Schliche zu erfinden,
um zu Reichtum zu gelangen; aber Robert gibt sich keineswegs dem müßigen
Vergnügen hin, sich den Reichtum und dessen Genüsse vorzustellen.
Erfahrung hat ihm schon beigebracht, daß sich derlei müßige Träumereien
niemals realisieren. Alors comme alors ist sein Wahlspruch.

Küßt er die schönste Frau, so sieht er nur, was auch der ausgedörrteste
Jockey nicht zu leugnen wüßte, nämlich Schönheit und Wert ihrer
Ohrgehänge. Indem Robert seiner Einbildung nicht das geringste Vergnügen
verdankt, schenkt er der Bequemlichkeit seines Fauteuil größte
Aufmerksamkeit, der Qualität seines Diners, dem Komfortablen seiner
Wohnung etc. etc.

Robert ist, was das Herz anlangt, mit vierzehn Jahren ein vollendeter
kleiner Lump. Er stiehlt Bonbons aus den Auslagen der kleinen Händler,
gemeinsam mit seinem sechzehnjährigen Kameraden Carière. Dieser Carière
hat keinerlei freundschaftliche Gefühle für Robert, erhofft sich aber von
dessen Geschicklichkeit Annehmlichkeiten. Der Verfasser erzählt von
Carière, dem Bastard einer diebischen Kammerfrau. Carière ist anständig
nur eigentlich aus Mangel an Geist; man glaubt, er verspreche was für die
Zukunft. Dadurch ist er Robert von Nutzen; Carière zieht sich aus allen
Einzelheiten geschickt heraus, hat in der Hauptsache das gleiche Verdienst
wie Robert: sein Auge ist nie vom Hauch des Imaginären getrübt.

Er erkennt, was in seinem Interesse liegt, aber er steckt voll kleinem
Stolz. Diese Schwäche liefert das Komische der Figur. Auch Robert ist
nicht ohne diese selbstgefällige Eitelkeit, aber er verneint sie. Carière
liefert das Komische.

Bertrand, höchst simplen Wesens, führt Roberts Befehle aus, ohne sie zu
verstehen.

Damit der Robert Effekt mache, muß man ihn handeln sehen.

Daher darf sein Reichtum noch keine Tatsache sein. Man muß ihn sehen, wie
er sich diesen Reichtum schafft.



II.

EINE SOZIALE POSITION


September 1832--Juli 1833.

Ich vermache dieses Manuskript dem Maler Herrn Ab. Constantin, meinem
Nachbarn, mit der Bitte, es nicht vor 1880 zu zeigen. Rome, 4. Oktober
1882. H. Beyle. -- Es muß hierin mehr Wohlklang als in Le Rouge sein,
damit es leichter ins Ohr gehe.

Plan. -- Die Herzogin will de Roizard nur als Tröster.

Sie fürchtet nur dieses eine: daß er sie verliebt anblicke.

Später sagt sich Roizard: sie will ganz einfach geliebt sein, und parbleu,
ich werde sie nicht lieben.

Sein Erstaunen, als er entdeckt, daß sie Liebe gar nicht will.

Bin ich denn zu alt? fragt er sich. Und da verliebt er sich.

Zunächst Beschreibung der Charaktere; die Charaktere gehen aus den
Umständen hervor.

Die Charaktere sehr sauber festhalten: die Ereignisse bloß en masse, die
Details nur in dem Maße zulassen, als sie sich einstellen (12. Dezember
1882).

Grund: man denkt nur im Augenblicke des Schreibens selber wirklich und
ernsthaft an die Details. Ohne mir das vorher zu sagen, habe ich so in Le
Rouge gehandelt. Das Detail strömte mir im Schreiben erst zu.

Statt das Buch mit dem Stumpfsinn der Beschreibung nach der Methode Walter
Scotts zu beginnen, könnte man anfangen mit der Charakteranalyse der
Herzogin, wie ich diese mir aufschrieb im September 1882. Ich fand am 12.
Dezember diese zwei Seiten vortrefflich, und hatte sie während der
Bataillen von Vidau völlig vergessen.

Nach diesen beiden Seiten die Beschreibung der Rue de Palais, und die
Soiree oder den Empfang bei der Herzogin.

Die Herzogin. Madame la Duchesse de Vaussay, über dreißig alt, eine
Leidenschaftliche. Fortgerissen von einem Feuertemperament ergab sie sich
allen Freuden und Genüssen, hatte aber doch immer die höchste Idee von der
Pflicht, nicht eine vernünftige Idee, sondern eine ganz abergläubische,
deren Fond sie niemals untersuchte und deren sie sich aus ihrer
Leichtigkeit, gerührt zu werden, bemächtigt hatte.

Sie hat, wie man sagt, einige Liebhaber gehabt, und ist das ohne weiteres
zu glauben; ihre Seele war Leben und Bewegung; immer war sie von den
geschickten Manövern eines Mannes fortgerissen, der Frauen zu haben
gewohnt war, oder sie erlag mit blinder Leidenschaft einem wirklich von
ihr eingenommenen Manne. Niemals liebte sie als die erste, niemals wollte
sie sich hingeben, sondern voller Gewissensqualen über ihren Fall, dem sie
ruhigen Blutes nicht ins Gesicht schauen konnte, glaubte sie ihn
auslöschen zu können, indem sie dieses Gewissen durch eine völlige
Unterwerfung unter den Mann beschwor, der gerade ihr Herr war. In ihrem
guten Glauben hielt sie sich noch durch eine befehlende Pflicht gebunden,
wenn ihr Verstand ihr schon deutlich sagte, daß der Mann, dem sie ihr Herz
bewahrte, längst eine andere anführte.

Roizard. For me. In einem Wort ist Roizard der idealisierte Dominique.
Ersichtlich höchst wechselvollen veränderlichen Charakters; ein Wort
bringt ihn das eine Mal zu Tränen, das andere Mal macht es ihn ironisch,
hart, aus Angst, davon weich zu werden und sich hinterher dieser Schwäche
wegen zu verachten. Er war von mittlerer Größe und zählte über vierzig
Jahre. Seine Züge waren groß, nicht schön, aber höchst beweglich. Seine
Augen drückten die geringste Nuance seiner Gefühle aus. Und darüber war
sein Stolz verzweifelt. Da er dieses Malheur fürchtete, war er brillant,
witzig, voller amüsanter Geschichten, elektrisierte seine Zuhörer und
machte das Gähnen im Salon unmöglich. In solchen Augenblicken erregte er
Abneigungen wie heftigste Bewunderung seiner Person. Man kann nicht
geistvoller sein, sagten seine Bewunderer. Aber die Mittelmäßigen
erschreckte die Lebhaftigkeit seines Imprevu. Ohne Emotion war er ohne
Geist. Im übrigen war sein Erinnerungsvermögen schwach, oder er
mißachtete, es zu Hilfe zu rufen. Dann war sein Wort so diskret wie
indiskret der Ausdruck seiner Physiognomie. Daß man erriete, was er
fühlte, hätte seinen Stolz zur Verzweiflung gebracht. Das Pompöse -- la
sostenutezza -- im Ausdruck eines Gefühles, Affektation im Ausdruck eines
Schmerzes waren ihm fremd und zuwider, so legitim solcher Ausdruck auch
sein mochte; in solchen Fällen war Roizard Ironie in Blick und Wort.
Seriöses, Pompöses, Trauriges waren nie in seiner Konversation, und nie
sprach er von dem einzigen, das ein Recht auf sein Interesse hatte; ein
echtes Gefühl oder Heroismus, die sich für das Vaterland opferten.

Wie weit darf der familiäre Ton des Verfassers dieses Romans gehen? Die
außerordentliche Familiarität Walter Scotts und Fieldings bereitet sehr
gut die Momente des Enthusiasmus vor. Ist der Ton in Le Rouge nicht zu
römisch? 4. Oktober 1832.




ANMERKUNG DES HERAUSGEBERS


In diesem Bande sind die novellistischen Arbeiten Stendhals gesammelt,
deren Abfassungszeit nach Le Rouge et le Noir fällt, also in die Zeit von
1830 bis zum Tode des Schriftstellers. Zwei Romanentwürfe, der eine aus
dem Jahre 1882, der andere etwa aus dem Jahre 1840, finden in diesem Bande
ihren Platz. In der folgenden Bibliographie sind bloß die ersten Drucke
angegeben; von einer Aufzählung der oft sehr zahlreichen nachfolgenden
Drucke ist abgesehen.

_Les Cenci_ (1599): erster Druck in der Revue des Deux Mondes, 1. juillet
1837, pag. 5-32. Auf eine 1825 in Paris erschienene Broschüre von 87
Seiten: Histoire de la famille Cinci. Ouvrage traduit sur l'original
italien trouve dans la Bibliothèque du Vatican, par M. l'Abbé Angelo Maio,
son conservateur, hat G. Hanotaux aufmerksam gemacht und hinter dem
Verfasser "Angelo Maio" Stendhal vermutet. Auch eine Relation de la mort
de Giacomo et Beatrix Cenci, französisch und italienisch 1828 in den
Mélanges der Société des Bibliophiles français veröffentlicht und in der
kurzen Vorrede mit 'Malartic' unterzeichnet, dürfte Stendhal zum Verfasser
haben. Vgl. G. Vicaire in Manuel de l'Amateur de Livres du XIX. siècle, I,
1894, col. 464-465, und: Gli originali delle Chroniques italiennes, con
postille autografe inedite: Les Cenci, a cura del dott. Giov. Barburo.
Casale, 1912, pag. 27.

Die Fürstin von Campobasso, unter dem Titel: _San Francesco a Ripa_,
zuerst gedruckt in der Revue des Deux Mondes. Juli 1853, pag. 166-179.

_La Duchesse de Palliano_. Zuerst gedruckt in der Revue des Deux Mondes.
August 1838, pag. 535-554.

_Vittoria Accoramboni_. Zuerst gedruckt in der Revue des Deux Mondes. März
1837, pag. 560-584.

_L'Abbesse de Castro_. Geschrieben um 1838 und zuerst gedruckt in der
Revue des Deux Mondes, Februar 1839, pag. 273-328 und März 1839, pag.
628-653. Die erste Buchausgabe: L'Abbesse de Castro par M. de Stendhal,
Auteur de Rouge et Noir, de La Chartreuse de Parme etc. Paris, Dumont,
éditeur, Palais-Royal, 88, au Salon litteraire, 1839, in 8°, SS. 329. Der
Band enthält außerdem Vittoria Accoramboni, Les Cenci. Von der Äbtissin
von Castro, meist vereinigt mit andern Novellen aus dem italienischen
Kreise, sind erschienen: fünfzehn französische, drei deutsche Ausgaben, je
eine spanische, italienische, schwedische, flämische, tschechische,
russische und polnische Ausgabe.

Ein Aufsatz Stendhals über etruskische Gräberfunde Les Tombeaux de
Corneto, den man in den französischen Ausgaben meist den Novellen beifügt,
findet in unserer Ausgabe seinen richtigen Platz in den Essais.

_Suora Scolastica_, deren Vorrede vom 21. März 1842 datiert
ist -- Stendhal erlitt andern Tags einen Schlaganfall und starb am 23.
März des Jahres -- ist 1837 begonnen, wie sich aus einem Briefe vom 16.
März 1837 an die Comtesse de Tracy ergibt, und unvollendet geblieben. Das
Fragment wurde zuerst von C. Stryienski in La Chronique de Paris Nr. IV,
25. Februar 1893, pag. 195-200, veröffentlicht, die Vorrede in der Revue
rétrospective, XVIII, 1. Mai 1898, pag. 289-293. Beides dann in den
Soirées du Stendhal Club, Paris 1904, pag. 127-141.

_Trop de faveur nuit_ wurde um 1838 geschrieben und aus der Handschrift
zum erstenmal veröffentlicht von F. von Oppeln-Bronikowski in La Revue de
Paris, 15. Dezember 1912, pag. 678-696, und 1. Januar 1918, pag. 5-26. Dem
Manuskript Stendhals gehen folgende Zeilen von seiner Hand voraus: "'Zu
viel Gunst schadet' (aufgegeben am 15. April 1889). Personen: der Fürst,
Großherzog und Kardinal; der Graf Buondelmonte; die Äbtissin Virgilia;
Felizia, Geliebte Roderigos; Rodelinde, Geliebte Lancelottos, Freundin
Felizias; Fabiana, 17 Jahre alt, munter, unbesonnen, Geliebte von X**;
Celiana, düstre Geliebte von X**, Freundin Fabianas; Martona, Vertraute
der Äbtissin Virgilia; Roderigo L., Geliebter Rodelindens; Lorenzo R.,
Geliebter Fabianas; sie liebt ihn über alles und hat seinetwegen Don
Cesare, Malteserritter, aufgegeben; Pierantonio D., Geliebter Celianas,
die nur eine sinnliche Liebe zu ihm fühlt; Livia, adelige Kammerzofe
Rodelindens. Trop de faveur nuit, Historie aus dem Jahre 1589. Dies der
Titel, den ein spanischer Dichter dieser Geschichte gab, aus der er eine
Tragödie machte. Ich werde mich wohl hüten, irgendeine der Ausschmückungen
zu gebrauchen, mit deren Hilfe die Phantasie dieses Spaniers versucht hat,
diese traurige Schilderung klösterlichen Lebens zu verschönern. Gewiß
steigern einige dieser Zutaten das Interesse, aber ich bleibe bei meiner
Absicht, die elementaren passionierten Menschen jener Zeit zu zeigen, von
denen unsere Zivilisation stammt; darum gebe ich diese Erzählung ganz
schmucklos." Stendhal hat seine Erzählung aus einer Chronik entnommen,
wonach sich der Vorfall im Kloster von Bajano bei Neapel zutrug. Der
Schluß der Erzählung ist nach Stendhals Aufzeichnungen gegeben.

_Le Chevalier de Saint-Ismier._ Erstmals nach der Handschrift
veröffentlicht von F. von Oppeln-Bronikowski in der Revue Bleue, 7.
Dezember 1912, pag. 709-714, und 14. Dezember 1912, pag. 737-740.

_Zwei Roman-Entwürfe._ Erstmals von C. Stryienski veröffentlicht in den
Soirées du Stendhal Club, Paris 1904, pag. 95-100. Der erste
Plan -- A-Imagination, das A ist alpha privativum -- ist gegen 1840
aufgeschrieben, wie sich aus der Julien Sorel erwähnenden Textstelle
ergibt. Den zweiten Entwurf hat Stendhal selber datiert. Der in dem Legat
angegebene Abraham Constantin war ein Miniaturenmaler auf Porzellan und
Kopist alter Meister, dessen Hauptwerke sich im Museum von Turin befinden.
Die Duchesse de Vaussey dürfte in Menta ihr Urbild haben. Vgl. Vie de
Henri Brulard und einen Brief Mentas in Comment a vécu Stendhal, 1900.
Roizard ist Selbstporträt; R. Colomb benützt es in seiner Notice.

_Aus italienischen Chroniken_. Im Jahre 1833 erstand Stendhal
zwölf -- nach Oppeln-Bronikowski, Einleitung zu Chroniken 1908,
dreizehn -- handgeschriebene Foliobände mit zeitgenössischen Berichten aus
dem Italien des Seicento, vornehmlich des römischen. Was er damit für
Absichten hatte und wie er durch ihre Verwendung der Originator des
Renaissancismus wurde, geht aus Briefen an den Freund R. Colomb und den
Verleger Calman Levy und aus Tagebuchaufzeichnungen hervor: sie sollten
ihm das stoffliche Material zu einer Reihe von Erzählungen liefern, denen
er den gemeinsamen Titel "_Les Bois de Premol_" geben wollte und die sechs
Bände umfassen sollten. "Ich habe alles nichts als Historische beiseite
gelassen und nur das gesucht, was das menschliche Herz schildert" und
unterm 27. April 1882 an Colomb aus Palermo: "was geht uns heute ein
Interdikt gegen Venedig an oder die Geschichte der zahllosen Verträge
zwischen Rom und Neapel? Aber es interessiert uns, wie man sich in jener
Zeit an einem Nebenbuhler rächte oder eine Frau eroberte. Ich las das
Manuskript dieser alten Berichte wie einen Roman."

Und: "Die Eitelkeit und die öffentliche Meinung waren kaum im Entstehen,
und vom Fürsten verliehene Ehren nahm man mitnichten ernst ... Manche
glauben ja gar, jene Kultur wäre der unsern, auf die wir so stolz sind,
gleichwertig. Aber wir haben da ein Plus von zwei hübschen Dingen: die
Wohlanständigkeit und die Heuchelei. Unsere heutige Prüderie hat nicht die
leiseste Vorstellung von jener Kultur ... Aber dafür wären auch alle
unsere mumienhaften Tugenden den Zeitgenossen Ariostos und Raffaels höchst
lächerlich vorgekommen. Denn man schätzte damals am Manne nur, was er als
Person, als er selber war, und es war keine Eigenschaft der Person, so zu
sein wie jedermann: die Dummköpfe und Einfaltspinsel hatten da kein
Terrain." Und: "Das Leben ohne die Dinge, die es glücklich machen, wurde
nicht hoch eingeschätzt. Ehe man den beklagte, der es verlor, rechnete man
die Summe von Glück aus, die er genossen, und in dieser Rechnung nahmen
die Frauen einen weit größeren Raum ein als heutzutage." Und: "Diese
Sitten haben einen Raffael und Michel Angelo hervorgebracht, die man heute
höchst lächerlich durch Kunstakademien hervorbringen will. Man vergißt,
daß es einer kühnen Seele bedarf, um den Pinsel recht zu führen, und
erzielt nichts als arme Teufel, die einem Bureauchef den Hof machen
müssen, damit er bei ihnen ein Bild bestelle."

Einiges aus diesen Handschriften hat Stendhal in die Formen seiner
Novellen gebracht; fast wörtlich folgt er seinen Quellen in der Vittoria
Accoramboni und den Cenci. Anderes wird Episode, ja dient als Fabel, wie
in der Chartreuse de Parme. An der Ausführung seines Planes der weiteren
Bände wurde Stendhal durch den Tod verhindert; der Vertrag über neue
Chroniques italiennes mit der Revue des Deux Mondes war bereits
abgeschlossen und 1500 Franken an Stendhal als Vorzahlung geschickt
worden.

Stendhals Schwester Pauline Périer-Lagrange verkaufte durch Mérimées
Vermittlung die Manuskriptbände der Quellen an die Bibliothèque nationale:
es sind die Codices Italiani 169-179 und 296-297 der
Handschriftenabteilung. Zum ersten Male haben gleichzeitig
Oppeln-Bronikowski a.a.O. und C. Stryienski im zweiten Bande der Soirées
du Stendhal Club, Paris 1908, pag. 214-267, daraus einiges publiziert, der
Deutsche sechzehn, der Franzose zwölf gekürzte Stücke. Oppeln-Bronikowski
hat außerdem eine genaue Beschreibung der Codices gegeben, die ungeführ
fünfzig Geschichten enthalten. Ein kleiner Teil dieser Geschichten ist von
Stendhal durchkorrigiert -- "ich mache Bleistiftkorrekturen, um nicht beim
dritten Lesen die Geduld zu verlieren", wie er in einer Vorrede schreibt.
Unserer Übersetzung dienten als Vorlage: Abschriften nach den Originalen
in Paris, Stryienskis Text und für _Ariberti_ und _Farnese_ Stendhals
Correspondance. Die ausgewählten Beispiele wären leicht zu vermehren
gewesen, doch schien dies überflüssig. Das begrifflich und dokumentarisch
Neue von 1830 ist durch Burckhardt und Nietzsche und ihnen nachfolgend
durch zahlreiche Veröffentlichungen der Dokumente so vertraut geworden,
daß ein ausführlicherer Abdruck Stendhalscher Exzerpte obsolet wäre. Aus
einem der drei oder vier literar-kritischen Werke von Rang, die in den
letzten zwanzig Jahren in Deutschland veröffentlicht wurden, aus F.F.
Braungartens 'Das Werk Conrad Ferdinand Meyers, Renaissance-Empfinden und
Stilkunst', G. Müller, München 1920, seien hier einige Sätze zitiert:
"[sic! Anführungszeichen am Ende des Zitats (wohl am Absatzende nach dem
Losungswort) fehlt.]Bei Stendhal ist die Renaissancebegeisterung
wesentlich revolutionäre Weltanschauung: Stendhals Renaissancehelden sind
die Abenteurer, die Briganti und Condottieri. Cesar Borgia, 'le
représentant de son siècle' heißt es bei Stendhal ... Er stellt die
Renaissance als Ziel des natürlichen und freien Menschen in Gegensatz zu
der Knechtschaft und Verlogenheit des ancien régime. Er verherrlicht die
Leidenschaft und Aufrichtigkeit der Renaissance als lichte Gegenbilder der
Eitelkeit und der Galanterie und des verlogenen Ehrbegriffs des ancien
régime, die den Mann im Herrendienst und Frauendienst zum Sklaven macht.
Auf diesen von Stendhal festgelegten Grundzügen baut sich das
Renaissanceempfinden auf. Auch das erschöpfendste Renaissancebild: die
Darstellung Burckhardts hat hier ihre Aufgabe. Stendhal, der immer nur an
das XVI. Jahrhundert denkt und von dessen civilisation renaissante
spricht, kennt übrigens das Wort Renaissance noch nicht. Stendhal hat die
Renaissance als Folie des ancien régime, d.h. des Barocks, geschaut ...
Das Renaissancebild des Romanciers Stendhal war rein psychologisch. Er
hatte bereits 1817 der Renaissancebewunderung das Losungswort gegeben: "le
seul siècle, qui ait eu à la fois de l'esprit et de l'énergie".

Stendhal hat einigen seiner Auszüge Bemerkungen vorangestellt; sie sind
folgend wiedergegeben:

_Zu Kardinal Aldobrandini_: "Das wirkliche Herz der italienischen
Kurtisane; die Sitten waren zu wild, als daß sie den Kurtisanen eine
leichtherzige Güte erlaubt hätten. Mit dieser Geschichte die Sammlung
anfangen. Hierauf chronologische Folge. In der Biographie Michaud den
Artikel Aldobrandini zu lesen, um über die Lügereien zu lachen. Alles das
ist vor der Kopie von mir in den Originalmanuskripten gelesen worden.
Augenschmerzen wegen des Staubes."

_Girolamo Biancinfiore_: "Art Don Juan oder giftmischender Casanova.
Wildes Geschwätz, sehr abzukürzen, macht den Eindruck, als ob es für
Kinder erzählt wäre. 24. April 1833."

_Die Brüder Massimi_: "Aus Höflichkeit, aus mondäner Klugheit diese
Geschichte nach Neapel verlegen. Anfangen mit der Geschichte der
Stiefmutter, umgebracht von den vier Brüdern."

_George Picknon_: "Unter Ganganelli kam ein Engländer, wie ich glaube,
nach Rom, um den Papst zu bekehren. Ganganelli ließ ihm einiges Geld für
die Heimreise geben. Ich hätte den Mann zu meinem Amüsement kommen lassen,
aber wahrscheinlich hatte der arme Ganganelli, mit den Jesuiten
beschäftigt, keine Zeit, sich zu amüsieren."

_Die Farnese_: "Bericht voll naiver Wahrheit im römischen Patois. Rom
1834. To make of this sketch a Romanzotto, 16. August 38. Courier hat ganz
Recht. Durch eine oder mehrere Huren haben die meisten großen Familien ihr
Glück gemacht. Das ist nun ja in New York nicht möglich, da gähnt man sich
aber auch die Kinnbacken aus. Alessandros idealisierte Porträtbüste von
della Porta in Sankt Peter auf seinem Grabmal. Das wahrhafte Porträt
Alessandros, der Paul III. wurde, zeigen im höchsten Alter zwei Büsten im
Palazzo Farnese, eine davon dem Michel Angelo zugeschrieben. Spaßiger aber
seiner würdiger Schmuck auf dem Ornat des Papstes."

Im ersten Bande von Stendhals Novellen 'Eine Geldheirat' sind folgende
Versehen zu korrigieren. S. 371, letzte Zeile, haben die Neuausgaben von
Contes bruns zu heißen: Phil. Chasles und Ch. Rabou. Auf S. 372: Le Mari
d'argent ist zuerst gedruckt in den Nouvelles Inédites 1855. Die genannte
Ausgabe ist der 1902 erschienene Neudruck von den alten Platten. S. 369,
Zeile fünf von oben muß es heißen Nouvelles Inédites. Arthur Schurig macht
mich auf eine erotische Geschichte aufmerksam, die unediert in Grenoble
liegt, die erste schriftstellerische Arbeit des jungen Beyle. Es ist zur
Zeit davon keine Abschrift zu erhalten gewesen. Die Heldin der Novelle
'Mina von W.' heißt in Stendhals Handschrift richtig Wrangel. Da die
Arbeit unter dem Namen Wangel bekannt wurde, schien es besser, dabei zu
bleiben. Zumal auch ein umfangreicher, noch nicht veröffentlichter Roman
den Titel 'Mme de Wrangel' trägt und dieser dann zur Unterscheidung von
der wesentlich verschiedenen Novelle den richtigen Namen in unserer
Ausgabe behalten wird.

                                   _Franz Blei_




INHALTSVERZEICHNIS


Die Fürstin von Campobasso
Die Herzogin von Palliano
Die Cenci
Zu viel Gunst schadet
Vittoria Accoramboni
Die Äbtissin von Castro
Schwester Scolastica
Der Chevalier von Saint-Ismier
Aus italienischen Chroniken
Zwei Roman-Entwürfe
Anmerkung des Herausgebers




     Gedruckt für Georg Müller in München
     von Poeschel & Trepte in Leipzig. Gebunden von
     H. Pikentscher in Leipzig nach dem Entwurf
     von Paul Renner




Fußnoten


[1] Ein wenig weiter unten kommt Stendhal darauf zurück und läßt Felizia
    in einer andern Weise handeln. Dieser ganze Absatz scheint ein erster
    Entwurf zu sein. D.H.

[2] Siehe weiter oben.

[3] Die Corte wagte nicht in den Palast eines Fürsten einzudringen.

[4] Sixtus V. wurde 1585 mit 68 Jahren Papst und regierte fünf Jahre und
    vier Monate; er hat verblüffende Ähnlichkeiten mit Napoleon.

[5] Gasparone, der letzte der Briganten, unterhandelte 1826 mit der
    Regierung; er sitzt in der Festung von Civita Vecchia mit
    sechsunddreißig seiner Leute gefangen. Der Wassermangel auf den Höhen
    des Apennin, wohin er sich geflüchtet hatte, nötigte ihn zu
    kapitulieren. Er ist ein Mann von Geist, von einnehmendem Äußern.






End of the Project Gutenberg EBook of Die Abtissin von Castro, by Stendhal

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because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
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To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
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The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
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https://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
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permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
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809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
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     Chief Executive and Director
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