Das Naturforscherschiff

By S. Wörishöffer

The Project Gutenberg EBook of Das Naturforscherschiff, by Sophie Wörishöffer

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Title: Das Naturforscherschiff

Author: Sophie Wörishöffer

Release Date: June 7, 2015 [EBook #49158]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS NATURFORSCHERSCHIFF ***




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[Illustration: Naturwissenschaftliche Übungen in der Kajütte.]




                       Das Naturforscherschiff


                                 oder
          Fahrt der jungen Hamburger mit der »Hammonia« nach
                 den Besitzungen ihres Vaters in der
                               Südsee.

                                 Von
                           S. Wörishöffer,
     Verf. von »Robert der Schiffsjunge,« »Auf dem Kriegspfade,«
            »Kreuz und Quer durch Indien,« »Onnen Visser.«

                           Vierte Auflage.

                    Mit fünfundzwanzig Tonbildern.

                        Bielefeld und Leipzig
                    Verlag von Velhagen & Klasing.
                                1888.

                       Alle Rechte vorbehalten.




                               Inhalt.


                           Erstes Kapitel.

Die Hammonia und das Haus Gottfried. Palma. Ins Innere. Der Lamantin.
Das Negerdorf und der Zauberer. Der Fledermausbau. Der Heerwurm.
Zibetkatzen und Pythonschlange. Die Gallinas. Elefantenjagd. Waldbrand.
Franz unter den Gallinas. Die Rettung. Die Bestrafung des Zauberers.
Wieder an Bord. Erste Präparierübung.

                           Zweites Kapitel.

Fischfang mit dem Licht. Flußpferdjagd mit der »Hansa«. Der Uralte der
Gewässer. Dr. Bolten in Lebensgefahr. Heuschreckengenüsse und
Hippopotamusbraten. Der Nashornvogel. Naturwissenschaftliche
Beschäftigungen an Bord.

                           Drittes Kapitel.

Vor der Nigermündung. Im Lande der Bonnyleute. Der Affenberg. Der Löwe.
Getrennt von den Genossen. Die Nacht im Baume. Der Mandril. Die
Rhinozerosse. Besiegt von den Moskitos. Die Büffeljagd. Wieder
vereinigt. Heim zur Hammonia.

                           Viertes Kapitel.

Nach Fernando Po. Die Quelle. Im Cyklon. Der Hai. Nach der Kapstadt.
Mazembas Kraal. Nach dem Kaffernlande. Die Zwergmakis. Die Buschmänner.
Überfall der Kaffern. Die Belagerung. Der Tod des Retters. Zur Kapstadt
zurück.

                           Fünftes Kapitel.

Nach Madagaskar. Der weiße Hahn. Der Krokodilteich. Das Gottesurteil.
Der verhängnisvolle Schuß. Gefangen. Das Todesurteil. Gerettet von den
Genossen. Rua-Roa. Jagderlebnisse. »Zwei tote Affen und zwei lebendige
Stachelschweine.«

                          Sechstes Kapitel.

Nach Mauritius. Naturwissenschaftliche Übungen an Bord. Rua-Roas
Gipsabguß. Die Vogelinsel. Fregattvogel und Tölpel. Zur Fouquéinsel. Die
Nacht auf dem Riff. Korallenfischerei. Der Hai. Der Blutschwur. Auf dem
Bambu Pik.

                          Siebentes Kapitel.

Nach Ceylon. Im Urwalde. Die Elefantentränke. Der Überfall des Tigers.
Die Tempelruinen. Das Dorf der Singhalesen. Die jungen Tiger und die
Ziegenamme. Ratten und Schlangen. Singhalesischer Pfannkuchen. Das
Diamantfeld.

                           Achtes Kapitel.

Zu den Ureinwohnern Ceylons. Das Veddadorf. Die Schakale. Verrat der
Veddas. Die Höhle. Rettung. Zurück zur Hammonia im Hafen von Galle.

                           Neuntes Kapitel.

Nach Java. Das Totenthal. Die Flammen des Moro Api. Der Gewittersturm.
Die Höhle des Verrats. Das Tigerpaar. Wieder unter Menschen. Der Feuer
und Schlammberg. Zurück zur Hammonia. Die Strafe der Gelben.

                           Zehntes Kapitel.

Nach Borneo. Fänge mit dem Schleppnetz. Die Seewiese. Begegnung mit dem
Julius Cäsar. Nachrichten von zu Haus. Weitere Arbeiten mit dem
Schleppnetz. Ankunft in Borneo. Banjar-massing. Der photographische
Apparat. Im Kohlenbergwerk. Die malaiischen Führer. Ins Innere.

                           Elftes Kapitel.

Die Nacht bei den Dajaks. Die Schädeltrophäen. Totenfeier. Blutrache.
Das Ende der Führer.

                          Zwölftes Kapitel.

Nach Lombock. Die einmal blühende Palme. Nach Celebes.
Naturwissenschaftliche Beschäftigungen an Bord. Das Pfahldorf der
Orang-Badju. Die Zauberlaterne im Märchenreich. Überfall der
Orang-Badju. Rettung. Ins Innere am Nordende von Celebes. Der Hirscheber
und die Alfuren. Der Fang des Meerwurms. Der ermordete Kamerad. Nach den
australischen Inseln.

                         Dreizehntes Kapitel.

Die »Schatzkammer der Naturforscher.« Die Nightinsel. Das Beuteltier.
Die Papuas und ihr Lager. Jagdbeute. Der Rüsselpapagei und der
Leierschwanz. Der Doktor in der Felsspalte. Der Atlasvogel. Der Taucher
und die Sepie. Nach Sidney. Ins Innere. Die Australneger und die
Schafherden. Die Känguruhjagd. Känguruhbraten. Rua-Roa und die
Buschotter. Der lachende Hans. Der Wombat. Der Verrat der Australneger.
Gerettet und fast verschmachtet. Das Manna. Wohl aufgehoben bei
deutschen Landsleuten.

                         Vierzehntes Kapitel.

Durch das Korallenmeer. Auf Tonga. Das Seebeben. Das Wrack der
»Eintracht«. Die Gefangenen der Menschenfresser. Ihre Befreiung.

                         Fünfzehntes Kapitel.

Nach den Samoainseln. »Tabu.« Auf des Vaters Besitzungen. Die Nachricht
vom Attentat. Dankgottesdienst. Haifischjagd. Tänze der Eingebornen.
Ausflug ins Innere. Barbarische Justiz und Rettung. Rua-Roas Taufe.
Abschied von Samoa.

                         Sechzehntes Kapitel.

Heimreise. Am Sinai vorüber. Der Suezkanal. Letztes Abenteuer. Taucher
und Schwertfische. Ankunft und Wiedersehn! --




                           Erstes Kapitel.


Vor der Barre der afrikanischen Handelsstadt Lagos am Meerbusen von
Guinea lag auf den blauen Fluten des Atlantischen Meeres ein stattlicher
Schraubendampfer, von dessen Topp die rotweiße Hamburgische Flagge
lustig im Morgenwind flatterte. Am Heck stand mit großen goldenen
Buchstaben der Name »_Hammonia_«, das ganze Schiff war neu, vor nicht
viel mehr als etwa vier Monaten daheim in der freien Reichsstadt erst
vom Stapel gelaufen und für diese seine Reise um die halbe Erdkugel auf
der Werft des Hauses Gottfried am Reiherstieg eigens erbaut worden.

An Bord befanden sich die beiden Söhne des Reeders mit ihrem Erzieher,
dem würdigen Doktor Bolten und dem jungen Doktor Holm, einem Vetter der
Knaben, zugleich dem naturwissenschaftlichen Lehrer und Führer der
kleinen Expedition, die nicht allein das geheimnisvolle Innere Afrikas,
sondern auch die Sundainseln, Australien und die Perlen des Großen
Ozeans besuchen sollte, und deren Zweck mehr in wissenschaftlichen als
kaufmännischen Erfolgen bestand.

Das Haus Gottfried ist eine der größten und unternehmendsten
Handelsfirmen Hamburgs. Wenn eins unserer jetzigen großen
Kaufmannshäuser an die Handelsfürsten der ehemaligen Reichsstädte des
Mittelalters erinnert, an die Fugger und Welser von Augsburg, die Krafft
von Ulm, so thut es dieses. Nicht allein daß seine auf eigenen Werften
erbauten Schiffe alle Meere durchpflügen, daß seine Wechsel auf allen
Kontoren in den Hafenstädten der fünf Erdteile so gut gelten wie bares
Geld, es gleicht besonders darin dem mächtigen Hause der weiland Welser,
welche damals das heutige Venezuela mit eigenen Feldhauptleuten und
Truppen besetzen und kolonisieren ließen, daß es auch seinerseits und
zwar auf einer Inselgruppe des Stillen Ozeans sich eine Herrschaft
geschaffen hat, die einem Königreiche gleichkommt.

Aus diesem Gottfriedschen Handelsreiche holen die Schiffe des Hauses die
Landesprodukte, hierhin bringen sie wieder zum Austausch europäische
Waren. Aber nicht bloß dem Gewinn dienen die großartigen Unternehmungen
und Verbindungen des Hauses Gottfried, auch der Wissenschaft kommen sie
zu gute, für welche der Handelsherr offenen Blick und offene Hand hat.
Das »Museum Gottfried« ist Zeuge davon. In ihm findet sich vereinigt,
was Forscher und Gelehrte im Auftrage des Prinzipals auf der Inselwelt
der Südsee gefunden haben. Seine Schiffe führen junge Gelehrte mit,
welche die Tierwelt der Tiefsee und des Landes, die Flora des Meeres und
des Innern, die Rassen und Gebräuche der Einwohner erforschen, und
kostbare Werke mit prachtvollen Abbildungen berichten von den Schätzen
des Museums Gottfried.

Dem jüngeren Sohne des weltbekannten hamburgischen Reeders war von den
Ärzten eine Luftveränderung, namentlich ein Aufenthalt in tropischen
Klimaten verordnet; Herr Gottfried bestimmte daher sein neuerbautes
Schiff, die Hammonia, zur Reise nach den Südseeinseln und gestattete,
daß dem langgehegten Wunsche des ältesten Knaben, einen
wissenschaftlichen Ausflug ins Innere von Afrika zu machen, bei dieser
Gelegenheit unerwartete Erfüllung zu teil wurde. Franz bezeigte bis
jetzt für das Stillleben hinter dem Kontorpulte nur außerordentlich
geringe Neigung, er schien mit seinem Wandertrieb und seiner regen
Teilnahme für alle naturwissenschaftlichen Entdeckungen zum Kaufmann
nicht so recht geschaffen; der Vater beschloß daher, ihn die Welt
jenseits des Ozeans und jenseits europäischer Kultur durch eigene
Anschauung kennen lernen zu lassen und dann erst über seine fernere
Zukunft zu entscheiden; für diese Reise waren zwei bis drittehalb Jahre
bestimmt und den beiden Knaben nicht allein zuverlässige Begleiter,
sondern auch an die geachtetsten Handelshäuser aller Häfen schon
vorausgesandte Empfehlungen mitgegeben, so daß nach menschlichen Kräften
überall bestens gesorgt schien und das Unternehmen die schönsten Früchte
versprach.

Auf Madeira war die Hammonia nach zwölftägiger Fahrt angelangt; hier
wurden die jungen Leute einstweilen abgesetzt, und während der Dampfer
aus Rio eine Ladung Reis holte, vollendete Hans, der zweite Sohn des
Reeders, eine vom vortrefflichsten Erfolg begleitete Kur, die ihn so
glücklich genesen ließ, daß schon jetzt im Beginn der Weiterreise fast
alle Spuren des schleichenden wie eine Art von beginnendem Brustleiden
aufgetretenen Fiebers beseitigt waren.

Die Hammonia war inzwischen von Rio zurückgekehrt, hatte die
Gesellschaft an Bord genommen, und nach einem dankbaren Abschiede von
dem schönen Madeira trat das wackere Schiff die Fahrt nach Lagos an, wo
wir unsere Freunde soeben wohl und munter angekommen fanden.

An Bord herrschte Lust und Leben, alles freute sich des wundervollen,
wolkenlosen Himmels und der balsamischen Luft, deren Durchsichtigkeit
die Stadtbewohner früher auch nicht einmal geahnt, viel weniger für
möglich gehalten hätten. Während der Dampfer mittels kleiner
Schleppschiffe, die allein über das Riff vor dem Hafen den Weg finden,
seine Ladung löschte, wurde das große Boot herabgelassen und für die
Fahrt nach dem einige Seemeilen entfernten kleinen Örtchen Palma mit
Proviant und Munition hinreichend versehen. Das Wetter gestattete diese
Fahrt längs der Küste, und so hatten sich denn sämtliche Teilnehmer der
Reise, ganz afrikanisch gekleidet, aufgemacht, um voll Erwartung
kommender Abenteuer den sechs Matrosen nachzuklettern.

Der alte Doktor ging voran. Er war ein sehr rüstiger, wohlerhaltener
Fünfziger mit ebenso milden als intelligenten Zügen, von Kopf bis zu den
Füßen gleich den übrigen bewaffnet und vielleicht zum erstenmale seit
seinen Knabenjahren in weißes Leinen gehüllt. Jeden Augenblick ermahnte
er die jungen Leute zur Vorsicht, ohne indessen viel Gehör zu finden;
die lustige Schar sprang und kletterte ihm nach, ehe seine Worte von
allen verstanden worden waren.

Auf den Köpfen die breitrandigen Strohhüte mit herabflatterndem leinenen
Schirm zum Schutz des Nackens, im Gürtel die breiten dolchartigen Messer
und am Riemen über der Schulter die Botanisierkapseln nebst Fangnetz, so
präsentierten sich der sechsundzwanzigjährige Karl Holm, und die beiden
Brüder Gottfried, Franz von sechzehn, Hans von vierzehn Jahren, hübsche
schlanke Knaben, auf deren jugendlichen Gesichtern die wärmere Sonne des
Südens schon anfing, ihren Einfluß zur Geltung zu bringen. Außer diesen
vier Hauptpersonen und den Matrosen befand sich im Boote noch ein Kommis
der in Lagos ansässigen Zweigniederlassung des hamburgischen
Handelshauses Geiser und Kopp, von seinen Prinzipalen den Söhnen des
befreundeten Reeders als Dolmetscher beigegeben, ein junger Hamburger,
den die Knaben persönlich kannten und der mit Land und Leuten durch
längeren Aufenthalt vollkommen vertraut geworden war.

Vom Bord grüßen der Kapitän und Papa Witt, der Obersteuermann, ein alter
Freund der Brüder, die er schon als ganz kleine Kinder gekannt und denen
er jahraus jahrein von seinen Reisen die schönsten ausländischen
Seltenheiten mitgebracht hatte. Wenn er zu Hause war, dann gab es gewiß
für die Jungen an Sonntagnachmittagen ein Jagdvergnügen auf den kleinen
umbuschten Elbinseln, eine Erzählung von fremden, geheimnisvollen
Gegenden, der sie mit atemlosem Interesse horchten, oder einen Besuch in
seiner Kajütte, wo dann aus Kisten und Kasten die verlockendsten
Spielereien hervorkamen, genug, der Alte, selbst unverheiratet und im
Dienste des Gottfriedschen Hauses ergraut, hatte seine ganze Zuneigung
den beiden Knaben geschenkt, daher sah er ihnen auch jetzt so
wohlgefällig nach und schwenkte den Strohhut, als die Matrosen ihre
Ruder einlegten.

»Hübsch langsam!« ermahnte er zum zehntenmale und mit dem ganzen Abscheu
des Seemanns vor Fußwanderungen. »Nichts übereilt, ihr habt Zeit genug.«

Der Kapitän nickte lächelnd. »Hofft nur von dem Anblick der Küste nicht
zu viel Schönes,« warnte er. »Das meiste ist Busch!«

Ein Grüßen herüber und hinüber, ein Hurra der Matrosen auf dem Dampfer,
und die wissenschaftliche Expedition hatte in aller Form begonnen.
Bisher war man nur in den Häfen zivilisierter Völker gewesen oder
schwamm in bequemer, ja eleganter Kajütte über das Meer, hier aber,
hinter der Ansiedelung Palma, in dem kleinen Dorfe ^L'epée^, entfaltete
sich das geheimnisvolle, unbekannte Naturleben der Neger, hier wohnten
die Schwarzen, unbeeinflußt von Kultur und Sitte, ganz wie seit Anbeginn
der Schöpfung, eben darum aber das Sehenswerteste, Interessanteste, was
es für die jungen abenteuerlustigen Reisenden überhaupt geben konnte.

Die Knaben sahen immer wieder nach ihren Gewehren. Sollte sich denn
nicht bald am Strande irgend ein »wildes Tier« erspähen lassen, und wäre
es auch nur ein ganz bescheidener Vogel oder eine Fledermaus?

Aber nichts dergleichen zeigte sich. Bis nach Palma hin erglänzte die
baumlose sandige Küste in unangenehm blendendem Weiß, nur verkrüppeltes
Buschwerk reckte seine niederen Äste, und ohne Weg oder Steg erhob sich
steil abfallend das wüste Gestade.

Doktor Bolten sah durch die Brille. »Wahrhaftig,« sagte er, »auf den
ersten Anblick hin erscheint Afrika äußerst häßlich.«

»Das ist die Küste beinahe überall,« antwortete der junge Kaufmann.
»Erst etwa eine halbe Stunde von der See entfernt beginnt die
eigentliche tropische Vegetation. Hier herum lebt auch außer den
Strandvögeln kein Tier.«

Auf eine Jagdbeute vom Boot aus war also nicht zu hoffen, und erst als
das kleine Palma erreicht wurde, sahen unsere Freunde in ziemlicher
Entfernung bewaldete Höhenzüge. Hier standen zwei oder drei steinerne
wie Speicher erscheinende Gebäude, zwischen denen sich Negerhütten
vereinzelt erhoben und wo auch mehrere schwarze Gesichter den Reisenden
begegneten, obwohl doch kein eigentliches Dorf vorhanden war. Das
Negerreich ^L'epée^ lag hinter einem breiten, mit geringem Pflanzenwuchs
bestandenen Landstrich, dahin ging es in Begleitung von mehreren als
Gepäckträger gemieteten Krunegern ohne Aufenthalt vorwärts.

Mit jeder Viertelstunde wurde die Gegend hübscher und die Vegetation
üppiger. Hier flog ein bunter, farbenprangender Schmetterling, dort
blühten nie gesehene Blumen oder reiften Früchte an saftigen Stielen, so
daß die Knaben voll Entzücken bald hierhin, bald dorthin sprangen.

»Langsam! langsam!« ermahnte Doktor Bolten, »jede Anstrengung kann für
den Weißen in diesem Klima tödlich werden. Der Weg ist ohnehin
beschwerlich genug!«

Und das war er wirklich. Die Luftwurzeln der Bäume erstreckten sich in
mächtigem Umfang Hunderte von Schritten weit in die Umgebung hinaus,
Rankengewächse flochten grüne, hängende Mauern, und Sumpfstellen
nötigten oft zu weiten, zeitraubenden Bogen.

Man wollte eine breite Lagune erreichen, sich dort übersetzen lassen und
dann jenseits des Wassers das Negerdorf besuchen. Als nach vieler Mühe
der Rand des Gewässers sichtbar wurde, fand sich auf den Fluten
desselben ein äußerst reges Treiben. Einige zwanzig bis dreißig
Rindenkähne mit Balancierstangen, aber ohne Mast oder Segel, voll von
schwarzen Gestalten, strebten sämtlich dem Mittelpunkt der Lagune zu,
und vom anderen Ufer her kamen immer noch mehr nach. Kaum gelang es dem
Dolmetscher, durch wiederholte Zurufe endlich einen der Schiffer zur
Umkehr zu bewegen und ihn an das Land zu locken. Erst nachdem der
Schwarze Geld gesehen, ruderte er schnellstens herbei, trieb aber mit
rückwärts gewandten Blick fortwährend zur Eile und ermahnte seine
Genossen, durch verdoppelte Arbeit die verlorene Zeit wieder einzuholen.

Die vier Kruneger warfen das Gepäck ins Boot, nahmen ohne weiteres ihr
einziges Kleidungsstück, einen Streifen Baumwollenzeug, von den Hüften,
banden ihn um die Köpfe und schwammen wie Fische dem leichten Fahrzeug
voran. Es war, als sei die ganze Bevölkerung plötzlich toll geworden.

Nur ein einziges Wort rief jeder dem anderen zu: »Manati!« --

»Sie haben wahrhaftig Glück, meine Herren!« sagte der jugendliche
Dolmetscher. »Es wird sich Ihnen eine äußerst interessante, sehr seltene
Jagd zeigen.«

Die beiden Knaben griffen wie elektrisiert zu ihren Gewehren. »Ein
Haifisch?« rief der eine, »Ein Krokodil?« der andere.

»Keines von beiden, auch darf niemand an dem Fang des Tieres teilnehmen.
Thun Sie das nicht, meine Herren, es könnte uns alle in Gefahr bringen.
Jetzt aber sehen Sie selbst!«

Ganz in der Nähe erschien jetzt ein Boot, in welchem drei Männer Platz
genommen hatten, zwei gewöhnliche Neger und ein dritter von eben so
komischem als abscheulichem Aussehen. Die nackten Glieder waren wie das
Gesicht mit feuerroter, dick aufgepinselter Farbe so bemalt, daß Flammen
und Zacken, Tierköpfe und geringelte Schlangen überall die schwarze Haut
zu bedecken schienen; das Haar hatte dieser Mann durch hineingeflochtene
Massen von Pflanzenfasern zu einem nach allen Seiten weit abstehenden,
den Kopf ellenbreit umgebenden Wulst gestaltet und die Zähne spitz
gefeilt. Um Hals und Handgelenke, aus dem Haar, an den Füßen und vom
Gürtel starrten die Posen des Stachelschweines, Federn von allen Farben
flatterten im Winde und ganze Gehänge von Muscheln klapperten und
rasselten bei jeder Bewegung. In der Hand trug der Neger eine Büchse aus
Bambus. Seine beiden Begleiter hatten außer den Rudern noch starke
eiserne Harpunen.

»Das ist der Zauberer des Stammes,« erläuterte der Dolmetscher. »Er
spielt den Oberpriester im Schlangentempel, den Arzt und nicht selten
auch den unmittelbaren Botschafter der Götter, letzteres besonders, wenn
auf Befehl derselben dieser oder jener Neger gemaßregelt werden soll.
Mit einem Wort, er ist der König des Königs.«

»Aber wo bleibt das Wild?« rief Franz. »Ich sehe nur Wasser und
Menschen.«

»Gleich, gleich,« beruhigte lächelnd der junge Kaufmann. »Wenn ich es
Ihnen erzähle, so ist ja der Spaß verdorben.«

Die Negerboote hatten jetzt einen Kreis gebildet, und in der Mitte
befand sich das Fahrzeug des Zauberers. Unsere Freunde sahen aus
nächster Nähe, was vorging. Der rotbemalte Neger nahm vom Boden des
Kahnes eine große Muschel und begann nach der ohrenzerreißenden, von ihm
selbst vollführten Musik dieses wunderlichen Instrumentes einen Tanz,
wobei er sich wie rasend auf einem Beine drehte. Die Zieraten rasselten,
die Federn flogen und die Spitzen der Posen glänzten im Sonnenlicht wie
feurige Reifen, die von allen Seiten den Körper umgaben. Unter den
Negern herrschte lautlose Stille.

»Es muß doch ein Krokodil sein,« raunte Franz, den die Ungeduld fast
verzehrte.

»Das hier ist ja alles süßes Wasser, also -- --«

»Ach, was thut der Spitzbube jetzt?«

Alle Hälse reckten sich. Der Zauberer hatte Musik und Tanz beendet und
nahm nunmehr aus seiner Bambusdose ein Pulver, das er unter
fortwährendem Murmeln neben dem Boot ins Wasser streute. Die beiden ihn
begleitenden Neger hatten ihre Harpunen handgerecht erfaßt.

»Jetzt geben Sie acht!« flüsterte der Dolmetscher.

Das stille Wasser begann sich zu kräuseln, leichte Schaumwellen schlugen
gegen den Kahn, und vom Grunde herauf leckte eine breite, rote Zunge
begierig das Pulver. In diesem Augenblick schüttete der Zauberer den
ganzen Inhalt der Büchse aus, und sofort kam ein plumper, schwarzer Kopf
mit kleinen Schlitzaugen zum Vorschein. Das Tier stürzte sich, alle
Vorsicht vergessend, auf den ihm gespendeten Leckerbissen und schluckte
aus allen Kräften; eben so schnell aber hatten auch die Neger ihre
Harpunen gehandhabt. Die langen Holzschäfte zitterten und verschwanden
ruckartig unter der Oberfläche; das Wasser, dunkelrot gefärbt, schlug
hohe Wellen, und von den im Boot befestigten Rollen liefen rauschend die
starken Bastseile in die Tiefe hinab.

Ein rasender Beifallssturm ertönte jetzt von allen Booten. Die Neger
klatschten in die Hände, trampelten mit den Füßen, jauchzten und
schrieen um die Wette. Von allen Seiten stürzten sich schwarze Gestalten
in das Wasser und tauchten wie Enten, um die Todeszuckungen des erlegten
Tieres zu beobachten; ein lauter Zuruf begrüßte die Spitzen der
wiedererscheinenden Harpunen. Nun war das Wild tot und konnte ans Land
geschafft und verzehrt werden.

Zehn Hände befestigten unter der Oberfläche des Wassers Schlingen von
Bast; der Zauberer saß wieder in seiner früheren unbeweglichen Ruhe, und
unter allgemeiner Fröhlichkeit ruderte man dem Dorfe zu.

Das gefangene Tier glitt schwimmend durch die Fluten. Als es an das Ufer
gezogen wurde, zeigte sich ein sonderbarer, nur wenigen Gattungen
eigener Körperbau. Bei einer Länge von vier Metern und einem Durchmesser
von mehr als einem halben Meter war es beinahe zwei Meter breit und
spindelförmig gestaltet. Der ungeheure Körper fand sich mit einzelnen
straffen Borsten besetzt und war bläulich grau, auf dem Rücken fast
schwarz.

»Ein Lamantin!« rief Holm, »nun erkläre ich mir diese allgemeine
Jagdfreude. Die Tierart ist fast ausgestorben; wir können uns Glück
wünschen, noch ein Exemplar gesehen zu haben.«

Die vier treulos gewordenen Kruneger fanden sich jetzt auch wieder vor,
das Gepäck wurde an's Land geschafft, und nun konnte man nach
Herzenslust ein echtes, wirkliches Negerdorf in Augenschein nehmen.
Vorher aber beobachteten die Reisenden, wie das getötete Tier in aller
Eile seiner Haut entkleidet und ausgenommen ward. Nachdem das geschehen,
drängten sich die Neger schnatternd und schreiend, nicht selten sogar
unter Anwendung von Faustschlägen scharenweise herzu, und nach ganz
kurzer Zeit lag an der Schlachtstelle nur noch das blutige Gerippe;
alles Fleisch dagegen kochte in eisernen, auf drei oder vier
zusammengelegten Steinen stehenden Töpfen, und um die fortgeworfenen
Eingeweide balgten sich zahlreiche Hunde.

Unsere Freunde wurden in aller Form bewillkommnet. Der alte König, dem
schon mehr als ein weißer Reisender vorgestellt sein mochte, empfing sie
sitzend mit der ganzen Würde seiner nackten, nur von einem schmalen
Lendenschurz verhüllten Persönlichkeit. Er stellte in schwerfälliger
Rede das Dorf mit allem, was darin war, den Gästen zur Verfügung und bat
sie, jede Hütte als ihr Eigentum zu betrachten. Beim Abschied fragte er
aber etwas verstimmt, ob man ihm denn nichts mitgebracht habe. -- Und
nun kamen die Geschenke zum Vorschein; die Fremden hatten sie nur des
Spaßes halber versteckt, um zu sehen, wie weit die königliche
Selbstverleugnung gehen würde. Spiegel und Scheren, Metallknöpfe und
brennend roter Kattun wanderten in die unersättlichen Hände der
schwarzen Majestät, Kopf an Kopf standen im Kreise die Dorfbewohner und
schnalzten mit den Zungen oder schlugen sich vor Entzücken auf die
Brust, wenn wieder ein neuer glänzender Tand ausgepackt wurde, aber ihr
Herr und Gebieter teilte mit keinem, sondern knurrte wie ein
angeketteter Vierfüßler, sobald sich nur seine Frauen oder Kinder
begehrlich näherten. Als er endlich den letzten Gegenstand hinter sich
verborgen, streckte er die Hand aus und bat auch noch um Doktor Boltens
Uhrkette. Nachdem ihm aber der Besitzer derselben die daran befindliche
Uhr gezeigt und diese an das königliche Ohr gehalten hatte, da
veränderte sich die Sache plötzlich. Seine Majestät mochte
höchstwahrscheinlich einen solchen lebenden Fetisch früher schon
gelegentlich einmal gesehen haben, aber weit davon war doch gut vorm
Schuß. Er murmelte noch einige verworrene Laute, dann aber verschwand er
hinter einer Matte, vorsichtig mit der schwarzen Hand einen seiner
erbeuteten Schätze nach dem andern in das Versteck ziehend.

Unsere Freunde verteilten, nach Herzenslust lachend, draußen noch den
Inhalt eines zweiten Packens an das Volk und zwar zumeist an Frauen und
Kinder, die sich dafür mit den Gesichtern in den Sand warfen und
durchaus den Gästen die Füße küssen wollten.

Nachdem sich der König von seinem jähen Schrecken einigermaßen erholt
hatte, schickte er Abgesandte, welche die üblichen Gegengeschenke
brachten, Straußfedern, Elfenbein und zum großen Ergötzen der Knaben
auch zwei mit Bastseilen gefesselte, hübsche kleine Äffchen, die
neugierig und beweglich umhersahen und, als ihnen versuchsweise eine
Vorderhand gelöst wurde, sogleich die kräftigsten Ohrfeigen verteilten.
Der Dolmetscher wollte sie nach Palma mitnehmen, zumal Holm versicherte,
daß sich diese Art sehr leicht zähmen lasse. Möglicherweise konnten ja
die drolligen Tiere während der ganzen Reise als unterhaltende
Gesellschafter dienen; die Knaben tauften sie wenigstens zu diesem Zweck
schon jetzt.

Schwarznase wurde dem älteren der beiden Brüder, Wickelschwanz dem
jüngeren zugesprochen. Dieser war der drolligste. An allen vier Händen
gefesselt, glaubten ihn die Knaben zur Flucht unfähig, aber ehe sie sich
dessen versahen, hatte er den langen Schweif um einen herabhängenden
Baumast geschlungen und blickte von dort zähnefletschend auf seine
Bändiger hinab. Nach dieser schnellen That erhielt er seinen Namen, und
da nun doch auch der andere benannt werden mußte, so hieß man ihn
Schwarznase.

Der Dolmetscher hatte einen Neger, welcher geläufig Englisch sprach, an
seiner Stelle als weiteren Führer gemietet, und nun nahm er selbst,
beladen mit den fürstlichen Geschenken, Abschied, ohne erst den
Lamantinbraten kosten zu wollen. »Essen Sie nur nicht zu viel von den
schwarzen Kugeln aus Maniokmehl, die hier als Brot gelten,« warnte er,
»dergleichen kann nur ein Negermagen überwinden. Und schlafen Sie unter
keinen Umständen auf dem Erdboden, trinken Sie auch kein Wasser, ohne
etwas Chinin hinterher zu nehmen.«

Nachdem man versprochen, alle diese Anordnungen pünktlich zu befolgen,
ruderten ein paar Neger den jungen Hamburger wieder über die Lagune
zurück. Das Boot der »Hammonia« sollte in Palma liegen bleiben und die
aus Lagos mitgebrachten Kruneger den kleinen Zug als Gepäckträger
begleiten. Es war den Reisenden ein etwas seltsames Gefühl, als sie nun
unter der schwarzen Horde im afrikanischen Urwalde allein blieben, aber
dem ließ sich doch bei dem ganzen Unternehmen nicht aus dem Wege gehen
und mußte daher überwunden werden. Überdies war auch das Verhalten der
Neger ein durchaus vertrauenerweckendes, freundliches. Sie kamen von
allen Seiten mit dampfenden Fleischstücken herbei, brachten das
kugelförmige Maniokbrot und noch verschiedene landesübliche Gerichte
außerdem, die zum Teil gar nicht schlecht schmeckten, so z. B. halbreife
Maiskörner, unzerquetscht mit Fett, Pfeffer und Salz geschmort, Bataten,
Melonen und ein Getränk wie Kaffee aus den Früchten der Kolanuß.

Die vier Weißen saßen auf ihren mitgebrachten Schlafdecken unter den
wogenden Kronen der großen, vielgestaltigen Waldbäume, deren Arten nicht
zu zählen waren, und in deren Blättergewirre die verschiedensten Vögel
ihre Nester bauten. Papageien, besonders der schöne aschgraue mit
purpurnen Schwanzfedern, die prachtvollen Whaidafinken, deren Schweif
sechsmal so lang ist wie der Vogel selbst, Mandelkrähen mit blauem
Gefieder, Bienenfresser und Halmvögel, alles rauschte und schwirrte
durcheinander; dazwischen stolzierten zahme Perlhühner, und ringsum
blühte es in nie gesehener Schöne.

Unsere Freunde führten natürlich Blechteller, Löffel, Messer, und Gabel
mit sich, sonst hätten sie wie die Wilden das Fleisch mittels der Zähne
zerreißen und es aus dem Kochtopf weg ohne Teller verzehren müssen. Der
Manati schmeckte leidlich, fast wie ein feiner Schweinebraten, desto
weniger aber wollten die Maniokkugeln munden. Bleischwer, noch feucht,
ohne Fett oder Hefe gebacken, glichen sie rohem, festen Teig und wurden
daher dankend abgelehnt. Die in Blechbüchsen von Hamburg mitgebrachten
Cakes schmeckten denn doch besser.

»Warum wohl die Neger über den Lamantin so begierig herfielen?« fragte
Hans. »Ein besonderer Leckerbissen ist er keineswegs?«

»Für uns,« versetzte Holm, »aber für die Neger ist alles Fleisch ein
Leckerbissen. Sie betreiben keine Landwirtschaft, also gibt es auch kein
Schlachtvieh. Das, was an genießbarem Wild frei herumläuft, verzehren
größtenteils die Raubtiere; es bleiben den Menschen daher nur die Affen,
deren zähes Fleisch einen außerordentlich schlechten Braten gibt.
Bisweilen steigt die Not so sehr, daß eine schreckliche Krankheit, der
Guambo oder Fleischhunger, sich der Unglücklichen bemächtigt; sie werden
tiefsinnig und fallen über Tiere her, um sie roh zu verzehren. Viele
Gelehrte behaupten, daß daraus die ersten Anfänge des Menschenfressens
entstanden sind.«

»Findet man denn auch den Lamantin nur selten?« fragte Franz.

»Sehr selten. Die Gattung der Fischsäugetiere besitzt in der Familie der
Seekühe oder Sirenen einen aussterbenden Zweig. Lamantin und Dugong
werden noch zuweilen, das Borkentier gar nicht mehr angetroffen. Dieser
Seeriese wurde acht Meter lang und lieferte, an den Grenzen des
Eismeeres lebend, den Walfischfahrern einen so vortrefflichen, frischen
Braten, daß er ausgerottet worden ist. -- Dabei fällt mir übrigens ein,
daß ich den Zauberer doch um ein wenig von seinem Pulver bitten will.
Was bieten wir ihm nur als Tauschmittel?«

»Ein Rasiermesser!« riet Hans. »Niemand trägt hier einen Bart, daher
sind alle diese Messer übrig geblieben.«

»Eine Pistole,« meinte Franz. »Dann thut er es sicher.«

»Aber er schießt vielleicht später auf uns selbst,« zögerte Holm, »alle
diese schwarzen Kerle sind falsch oder wenigstens doch unzuverlässig.«

»Ich habe es!« rief Doktor Bolten. »Ein Hundehalsband aus Messingdraht
mit kleinen Glocken, das kann er zur Erhöhung seines Ansehens persönlich
tragen.«

Alle lachten, und nun wurde das Dorf besichtigt, um die Höhle des
Zauberers zu finden. Sämtliche Bambushütten ruhten etwa einen halben
Meter hoch über dem Erdboden auf Pfählen, waren spitz wie Bienenkörbe,
mit Pflanzenfasern nach Art deutscher Bauernhäuser gedeckt, fensterlos
und mit einer niedrigen, zum Kriechen eingerichteten Thür versehen. Eng
gedrängt in ununterbrochener Reihe lagen diese elenden Wohnstätten
nebeneinander und bildeten zusammen ein geschlossenes Viereck, dem kein
Feind vom Rücken her sich nähern konnte.

Vor jeder Thür lagen Feldsteine zum Gebrauch als Feuerherd, und an den
untersten Baumzweigen hing eine Art von aufgeklappter, einem Feigenkorb
ähnlicher Matte, -- die Wiege der schwarzen Säuglinge, deren lautes
Geschrei erst den Reisenden das Geheimnis verriet. In den Hütten selbst
waren nirgends Mobilien zu finden, nur ein Lager aus trocknen
Bambusblättern und ein ausgehöhlter Kürbis, als Wassereimer dienend.

Der schwarze Dolmetscher schüttelte zweifelnd den Kopf. Er glaubte
nicht, daß es gelingen werde, den Zauberer zur Herausgabe seines Mittels
zu bewegen, aber er fragte nach der Hütte desselben und führte dann die
Gäste dorthin. Am äußersten Ende der ganzen Reihe stand ein etwas
größeres Gebäude, das nach allen Seiten offen, nur von Pfeilern getragen
wurde, und dessen Dach nicht so steil herabging. Ein seitwärts belegener
Anbau erwies sich als die Behausung des Zauberers, das offene Rondell
aber war der Tempel. An den Wänden standen Fetische aus Holz, Elfenbein
und Thon, sämtlich Tier- oder Menschenbilder in zwerghafter Form und mit
der bekannten, keinem heidnischen Götzen fehlenden, scheußlichen Fratze;
es waren aber auch lebende, als göttlich verehrte Wesen vorhanden und
zwar Schlangen sonder Zahl. An den Wänden, um die Pfeiler geringelt,
unter dem Dach, auf dem Fußboden und den nächsten Baumzweigen, überall
kroch und schlüpfte es, hatte sich sogar um die Fetische geringelt oder
lag zusammengerollt wie eine schleimige Masse im Winkel.

Aus der niederen Thür sah das verschmitzte Gesicht des Zauberers. Er
streckte den Ankömmlingen gebieterisch die Rechte entgegen und rief ein
befehlendes Wort, natürlich das Verbot, den Tempel zu betreten; das
verstanden alle.

»War wahrhaftig nicht nötig!« sagte lebhaft Doktor Bolten. »Man hätte
Lust, das Schlangengezücht mit dem Absatz zu zertreten.«

»Giftige sind nicht darunter,« versicherte der Dolmetscher. »Sie werden
gleich sehen, daß sich die Tiere um des Zauberers ganzen Körper
ringeln.«

[Illustration: Beim schwarzen Zauberer.

»An den Wänden, um die Pfeiler geringelt, unter dem Dach, auf dem
Fußboden und den nächsten Baumzweigen, überall kroch und schlüpfte es
...«]

Er rief nun den listigen Patron aus seiner Hütte hervor und sobald
dieser kam, krochen ihm die Schlangen überall an den nackten Gliedern
empor, legten sich um Hals und Arme, hingen in den Stacheln des Gürtels
und bedeckten förmlich die schwarzen Beine, ohne dadurch den Neger aus
seiner künstlich angenommenen Würde irgendwie herausschrecken zu können.
Er fragte, was die Weißen von ihm verlangten, und nachdem er es
erfahren, schüttelte er den Kopf. »Nein, durchaus nicht. Das
Zauberpulver wollte er behalten.«

Dann aber kam das Lockmittel zum Vorschein. Franz nahm den Strohhut ab
und setzte sich das Hundehalsband auf den Kopf. Die kleinen Glöckchen
klangen lustig.

Der Schwarze reckte den Hals. Erst bot er Pfeffer, Palmöl und Elfenbein,
als aber alles verschmäht und zugleich das begehrte Band wieder in die
Tasche spediert wurde, da kroch er trotz Schlangen und rasselndem
Muschelputz eilends in das Innere der Höhle und kam gleich darauf mit
der Bambusdose zurück. Der Dolmetscher mußte den Tausch vermitteln, und
nun wurde die niedere Thür der Wohnung auffallend schnell geschlossen.
Es schien als fürchte er, daß die Weißen den Handel bereuen könnten.

Holm steckte sehr erfreut die Büchse zu sich. »Jetzt müssen wir beraten,
wo unser Nachtlager aufgeschlagen werden soll,« sagte er, »hier im Dorfe
oder im freien Walde. Was meint ihr dazu? Ich bin dafür, daß wir einen
Ausflug machen und dann zurückkehren, um unsere Matten an diese Bäume zu
hängen.«

Alle stimmten bei, und so ließ man denn einen der Neger mit dem Gepäck
im Dorfe zurück, nahm nur etwas Lebensmittel und machte sich auf den
Weg, tiefer und tiefer in den Urwald hinein.

»Jetzt denkt daran, eure Kapseln und Behälter zu füllen,« ermahnte Holm.
»Einer sammelt Pflanzen und der andere Insekten. Die Gewehre
schußfertig.«

»Aber wenn uns ein Löwe begegnet!« rief Hans, dem doch in so weiter
Entfernung von der Küste etwas zaghaft zu Sinn wurde. »Dann sind wir
alle verloren.«

»Löwen gibt es im äquatorialen Afrika nicht, Hänschen. Nur rechts und
links von diesem mittleren Erdgürtel werden sie angetroffen, -- in
Sierra Leone sehen wir vielleicht späterhin den König der Tiere.«

Man schritt vorwärts, bis plötzlich ein Ausruf des Erstaunens die
Schritte hemmte. Vor den Reisenden erhob sich ein Baum von sonderbarem
Aussehen. Kein grünes Blatt war zu bemerken, keine Frucht und in den
Zweigen nicht das mindeste Leben. Wie mit schwarzgrauen, starren Klumpen
bedeckt, stand der Riese inmitten seiner grünenden, farbenprangenden
Umgebung da.

Der Dolmetscher nahm das Gewehr und feuerte mitten in die anscheinend
kahlen Äste hinein. Was nun folgte, läßt sich kaum beschreiben. Tausende
und abertausende von Fledermäusen schwirrten empor, etliche fielen tot
oder verwundet auf den Boden, die Luft schien im Augenblick beinahe
verfinstert von all diesen Flügelschlägen, und als sich die unheimliche
Sippschaft entfernte, da stand der Baum völlig abgestorben da. Die
Knaben sammelten einige der verendeten Fledermäuse, aber Holm wollte
kein Exemplar ausstopfen. »Es ist die gewöhnliche Art,« sagte er, »nur
hier etwas größer wie bei uns im Norden. Wir werden für das Museum zu
Hause in Hamburg schon noch einen echten Vampyr auftreiben.«

Man ging weiter und blieb bald hier stehen, bald dort. Von einem Zweige,
der unvorsichtig berührt wurde, fielen prachtvolle, purpurrote Blüten,
fein wie Haare, auf den Hals und das Gesicht des jüngeren Knaben herab.
Hans schrie, als werde er gespießt. »Ich verbrenne! ich verbrenne!«

Das waren Dolichesranken, ein wundervoller Baumschmuck, so farbenreich
wie wenige andere, aber auch eben so heimtückisch als schön. Die
getroffenen Hautstellen schwollen an wie von der Berührung unserer
Brennessel und empfanden dabei ein quälendes, schmerzendes Jucken, dem
indessen die Neger einigermaßen abzuhelfen wußten. Sie zerquetschten
eine breitblätterige, hellgrüne Pflanze und legten die Masse auf Hände
und Nacken des Knaben, der denn auch mannhaft den Schmerz verbiß und
sogar mit dem Taschentuch eine Ranke des verräterischen Gewächses
behutsam pflückte und in die Trommel legte, nachdem er sie für sich in
festes, dünnes Papier eingewickelt hatte, damit ihre Brennhaare sich
nicht unter die noch zu sammelnden Pflanzen mischten.

Franz hatte während dieser Zeit einige große, prachtvolle Schmetterlinge
eingefangen, die er in viereckige Schachteln that, jetzt hielt er
zwischen den Fingern einen rotbraunen Käfer von etwa anderthalb
Zentimeter Länge. Das kleine Geschöpf hatte hinten am Körper ein paar
respektable Kneipzangen und strampelte außerordentlich, um seine
Freiheit wieder zu gewinnen. »Karl,« rief er, »wie heißt der Bursche?«

Einer der Neger hatte das Tier gesehen. Sein durchdringender
Schreckensruf lockte die anderen herbei und veranlaßte sie zu gleichen
Äußerungen des Entsetzens. Die kindische, unselbständige, ratlose Natur
der schwarzen Menschenrasse trat blitzschnell zu Tage, indem einer der
Neger hierhin sprang, der andere dorthin, aber alle sinnlos, zitternd,
wie aufgeschreckte Schafe, wenn der Wolf in die Hürde eingebrochen ist.
»Baschikuays!« schrien sie jämmerlich lamentierend und heulend,
»Baschikuays!«

Franz hatte im ersten Schrecken den für giftig gehaltenen Käfer fallen
lassen, Holm aber suchte ihn wieder auf und schien nun selbst etwas
bedenklich auszusehen. »Ein Heerwurm!« rief er, »aber möglicherweise war
das Tier versprengt.«

Der Dolmetscher schüttelte den Kopf. »Das kommt bei den Baschikuays nie
vor, Sir! Der Heerwurm ist in der Nähe, und wenn er zufällig auf seiner
Wanderung einen Kreis beschreibt, so sind wir verloren.«

»Aber man klettert in diesem Fall auf die Bäume!«

»Das können Sie nicht, Sir. Der Zug hat eine Länge von zwölf bis zwanzig
Stunden und ist zu breit, um ihn zu überspringen.«

»So wollen wir die Sache untersuchen, aber doch nicht gleich den Mut
verlieren!« rief Holm. »Gehen die Baschikuays über das Wasser?«

»Nie!« versicherten einstimmig die Neger.

»Gut, so halten wir uns am Rande dieses Flüßchens. Kommt uns dann der
Heerwurm auf einer Seite entgegen, so waten wir hinüber auf die andere.«

Er sprang bei diesen Worten voran auf einen schmalen Fußweg, den Bäume
und Gesträuch fast verdeckten. »Mir nach,« rief er, »die Sache muß sich
ja doch in ganz kurzer Zeit ausweisen.«

Er hatte kaum die Worte gesprochen, als schon einer der Neger jubelnd
auf das andere Ufer hinüber deutete und vor Vergnügen hüpfte und tanzte.
Unsere Freunde sahen nun ganz aus der Nähe das gefürchtete Ungeheuer
aufmarschieren. In einer Breite von wenigstens fünf Fuß wälzte der
Heerwurm seine braunen Massen heran. Solche Käfer, wie einer durch
irgend einen Zufall, wahrscheinlich indem ihn ein Vogel herübergetragen,
in Franzens Hände gelangt war, wanderten zu vielen Millionen in gerader
Linie vorwärts. Dabei waren die Reihen so dicht bevölkert, daß man vom
Erdboden nichts sah, und die einzelnen Glieder hielten sich in streng
geschlossener Form. Zu beiden Seiten des Zuges gingen in bestimmten
Entfernungen je zwei der größten Exemplare dieser Tiere, gewissermaßen
wie Offiziere und Häuptlinge, und ganz inmitten der Reihen sah man
Geschöpfe von hellerer Farbe, vermutlich also der junge Nachwuchs.

»Und davor ergreift ihr das Hasenpanier?« rief Franz. »Was ist es denn
mit diesen harmlos aussehenden Tieren?«

»Geben Sie acht!« rief der Dolmetscher, indem er aus seiner Basttasche
eine der getöteten Fledermäuse hervorzog und mit schneller Bewegung über
den Fluß warf. »In einer Minute wird nur noch das Skelett übrig sein.«

Alle sahen gespannten Blickes auf die Stelle, wo sich eben der Knäuel
für kurze Zeit sammelte, die braunen Gesellen schossen neben und über
einander her, es entstand eine Art von Getümmel oder Kampf, und dann
wurde eine weiße Masse aus den Reihen hinausgedrängt, -- der Zug ordnete
sich und marschierte weiter.

Einer der Neger sprang ins Wasser, watete hinüber und ergriff vorsichtig
die abgenagte Fledermaus. Nur das Knochengerüst war zurückgeblieben,
nicht eine einzige Fleischfaser hing mehr daran.

»So ergeht es allen lebenden oder toten Geschöpfen, welche diesem
Heerwurm in den Weg kommen und ihm nicht ausweichen können,« erläuterte
Holm. »Selbst Elefanten werden von den blutgierigen Käfern angefallen
und durch Hineinkriechen in den Rüssel vor Schmerz rasend gemacht. Wirft
sich dann das riesige Tier, um seinen Qualen zu entgehen, ins Gras, so
nehmen Legionen der winzigen Gegner von dem gestürzten Koloß Besitz, und
in längerer oder kürzerer Zeit wird auch er skelettiert. Menschen, die
z. B. im Schlafe von dem Heerwurm überfallen werden, sind verloren, wenn
es ihnen nicht gelingt, ihre Kleider rechtzeitig abzuwerfen und, wie sie
Gott geschaffen hat, zu flüchten. Dreht sich die furchtbare Kette, durch
Hindernisse gezwungen, zufällig im Kreise, so gibt es daraus kein
Entrinnen. Sechs bis acht dieser Geschöpfe auf der bloßen Haut genügen,
um ein lebendes Wesen zur Verzweiflung zu bringen.«

»Und die greulichen Gesellen fressen nur Fleisch?« fragte Franz.

»Alle Lebensmittel überhaupt. Eine verwandte Art dagegen zieht das
trockene Holz und namentlich das Papier vor. Ganze Bambusgebäude,
Bücherkisten und Möbeln verschwinden über Nacht. Diese letztere Sorte
bildet die euch dem Namen nach bekannten Termiten, sie marschiert auch
in Zügen, aber nur während der Dunkelheit und unter der Erde, indem sie
maulwurfsartige Gänge aufwirft. Ferner lebt in den Blättern niederer
Bäume eine rote Art, die sich in ganzen Wolken herabfallen läßt, und im
Sande eine graue, die von unten her ihr Opfer angreift. Zu dieser
entsetzlichen Familie gehört auch die bei uns in Europa leider
neuerdings wieder aufgetauchte Wanderheuschrecke. -- Termitenbauten
möchte ich übrigens doch gern in Augenschein nehmen,« setzte er hinzu.
»Achilles, gibt es hier herum dergleichen?«

Der Dolmetscher nickte. »Es ist ein ganzes unbewohntes Termitendorf in
der Nähe, Sir,« versetzte er. »Wir können es in einer Stunde erreichen.«

»In Papas Museum sind übrigens auch solche Bauten!« warf Franz ein.
»Hast du sie nicht gesehen, Karl?«

»O ja, mein Lieber, aber ebensogut könntest du einen Riesen und einen
Zwerg ohne weiteres vergleichen, indem du beide einfach Menschen nennst.
Die Exemplare von Termitenbauten, welche Papas Kapitäne ihm für sein
Museum aus Afrika mitgebracht haben, sind vielleicht so groß wie ein
Wassereimer, die völlig fertigen, bewohnt gewesenen Höhlen dagegen sind
höher, geräumiger und besser erbaut als Negerhütten.«

»Man könnte also ordentlich hineingehen?« riefen voll Neugier die
Knaben.

»Das natürlich nicht, ihr Voreiligen! Die Termiten haben sämtliche Gänge
für den eigenen Bedarf, aber weniger für die Höhe junger,
wissensdurstiger Naturforscher eingerichtet.«

»Freund Achilles,« setzte er gegen den Dolmetscher hinzu, »könnten Sie
mir einen jener Generale, die dort an den Seiten des Zuges marschieren,
herüberlangen? Ein recht großes Exemplar möchte ich gern haben und ein
unausgewachsenes Junges außerdem.«

Man blieb an geeigneter Stelle stehen, und der Neger brachte zuerst
einen der stattlichsten Braunröcke, ein Tier von 1½ Zentimeter Länge;
dann aber mußte er, um ein Junges zu erreichen, in die Mitte des Zuges
hineingreifen, und das konnte er nur, indem er auf den äußersten Rand
der lebenden Masse trat. Binnen Sekunden war das unbekleidete Bein bis
zum Knie mit den blutsaugenden Geschöpfen bedeckt, eben so schnell aber
tauchte der Neger das gefährdete Glied ins Wasser und entledigte sich
dadurch der sofort verendenden Quälgeister. Ohne die mindeste
Unterbrechung, geräuschlos, unabsehbar wanderte mit Milliarden von Füßen
der scheußliche Heerwurm. Die eingefangenen Exemplare wanderten in ein
weithalsiges, halb mit starkem Spiritus gefülltes Glas, in welchem sie
nach wenigen Zuckungen verendeten.

Unsere kleine Reisegesellschaft brach auf. Wenn das nahe Termitendorf
besehen war, so mußte man den Heimweg antreten, um noch vor Nacht wieder
bei den Negerhütten zu sein. Erst morgen sollte ein größerer Ausflug in
aller Frühe unternommen werden.

Eine weite Lichtung dehnte sich vor den Blicken, ordentlich wohlthuend
nach soviel undurchdringlichem Gewirre von Stämmen und Ranken, Blumen
und Gebüsch, aber ungleich heißer freilich als unter dem Blätterdach. »O
was doch der Schatten thut!« rief Hans.

»Freilich, mein lieber Junge,« lächelte Holm. »Die Pflanzen wehren den
Sonnenstrahlen, so daß nur ein Bruchteil bis auf den Boden gelangt. Das
ist das Geheimnis der Waldkühle und zugleich das der regenlosen
Gegenden, wie z. B. der Wüste Gobi, der Kergueleninsel und anderer
Landstrecken. Die bewaldeten Höhenzüge stehlen dem Wind alle und jede
Feuchtigkeit, so daß er auf der entgegengesetzten Seite völlig trocken
ankommt. Ich will euch -- --«

Ein gellender Schrei, ein Rauschen und Krachen in den nächsten Zweigen
unterbrach plötzlich die angefangene Rede. Papageien flogen kreischend
in die höchsten Spitzen der Bäume, Früchte, dürre Äste und Schalen
prasselten, offenbar als Geschosse verwendet, auf den Boden herab, und
eine Schar ganz kleiner Affen floh behende über die Wipfel dahin. Einen
Augenblick schien es, als husche an einem der Stämme ein dunkles,
seltsam gestreiftes und geflecktes größeres Tier hinauf, dann war im
Augenblick alles still.

»Schleichkatzen!« sagten die Neger, »Virenen!« und darauf umringten sie
von mehreren Seiten den Baum, indem zugleich die Weißen mit geladenen
Gewehren Posto faßten und alles, was ihre Führer thaten, scharf
beobachteten.

»Ein Jagd in aller Form!« flüsterte Doktor Bolten. »Wer hätte gedacht,
daß man in seinen alten Tagen noch am Äquator Zibetkatzen schießen
würde!«

»Pst! Klang das nicht ganz wie Kindergeschrei?«

»Die jungen Kätzchen sind also in unmittelbarer Nähe!« raunte Holm.
»Auf, ihr beiden, sucht das Nest!«

Mit Mühe einen lauten Jubelschrei unterdrückend, verschwanden die Knaben
am Rande des Unterholzes, und nun wurde minutenlang alles so totenstill,
daß man sein eigenes Herz schlagen hörte und das leichte Flüstern der
Blätter im Winde.

Achilles schlich an den Doktor heran, zwei Finger auf die Lippen gelegt
und so leise, als sei er selbst ein Kater, der das Wild überrumpeln
wolle. Die anderen Neger folgten ihm. »Pythonschlange!« hauchte er.
»Dort!«

Aller Blicke folgten dem ausgestreckten Finger. Durch das meterhohe,
üppig wachsende Gras der Lichtung wand sich's braunschillernd,
gelbgefleckt mit schuppigen Ringeln dahin, wenigstens zehn Meter lang
und vom Durchmesser eines tüchtigen Baumstammes. Lautlos glitt die
Schlange bis an den Stamm, darauf die Zibetkatze saß, und begann
denselben zu umschlingen, indem sie sich dabei auf die Stummelfüße des
Schwanzes stützte. Ein Schnaufen und Prusten der überlisteten Katze
bewies, wie sehr sich das Tier fürchtete. -- Die nächsten, stärkeren
Zweige konnte es springend nicht erreichen, an den Erdboden gelangen
auch nicht; was blieb ihm also übrig, als widerstandslos auszuharren,
bis sein Körper durch die kalten, glatten Schlangenglieder umstrickt und
ihm alle Knochen im Leibe zerbrochen sein würden?

»Wollen wir die Schlange erobern oder die Katze?« fragte Doktor Bolten.
»Eins ist nur denkbar!«

»Die Bälge beider Tiere,« gab Holm zurück. »Die Schlangen können ihre
Beute nicht kauen, sondern verschlucken sie ganz. Wenn die Katze
zermalmt, mit Geifer überzogen und verschlungen ist, läßt sich die
Schlange träge herabsinken und leicht durch einen Schuß in den Kopf
töten.«

Wieder wurde alles still, nur ein Angstschrei aus den Zweigen gellte
zuweilen herab, und einige Papageiennester mit Eiern oder erwürgten,
halbflüggen Jungen fielen ins Gras. Dann aber folgte ein Knirschen und
Krachen, der ganze Baum zitterte unter den heftigen Bewegungen da oben,
und endlich sank die Schlange unförmlich angeschwollen wie ein Klumpen
auf den Boden herab.

Ehe einer der Männer Zeit bekam, das Gewehr an die Wange zu legen,
krachte von der Seite her ein Schuß, und Franz sprang mit lautem Hurra
der erlegten Riesin näher, um durch einen Kolbenschlag sein Werk zu
vollenden, -- Holm konnte ihm kaum zur rechten Zeit in den Arm fallen.
»Um des Himmels willen nicht, du tapferer Nimrod!« rief er. »Ich will ja
die Bestie für das Museum ausstopfen, also muß mir der Kopf heil
bleiben.«

»Ihr Teil hat sie!« nickte der Doktor. »Die wütenden Schwanzschläge
verraten es.«

»Aber wo ist Hans?« rief in diesem Augenblick der junge Naturforscher.
»Mein Himmel, er wird doch nicht« --

»Hier!« antwortete die Stimme des jüngeren Knaben. »Hier!«

Und Hans trat aus dem Gebüsch hervor, in jedem Arm ein spielendes,
braunfleckiges Kätzchen, das er fest an die Brust drückte. »Du darfst
sie nicht töten, Vetter Karl,« rief er, »ich habe sie gefunden und kann
es nicht sehen, daß ihnen ein Leides geschieht!«

Der junge Gelehrte lachte. »Bewahre,« rief er, »Hans, wohin denkst du?
Die sollen mit hoffentlich noch manchem anderen Tropenbewohner als
Erinnerung an die wissenschaftliche Reise des Naturforscherschiffes den
Hamburger Zoologischen Garten verherrlichen helfen. Wir nehmen alles
hier Erbeutete, lebende oder tote Schätze, mit nach Lagos und schicken
es von da durch den nächsten Postdampfer nach Hause. Papa wird sich
freuen, wenn für die großen Kosten dieses Unternehmens schon so bald
Erfolge einlaufen.«

Die beiden niedlichen Kätzchen gingen von Hand zu Hand. Sie waren noch
sehr jung, konnten nicht essen und nicht so recht laufen, daher
verursachte es wenig Schwierigkeit, sie fortzubringen. In dem Lendentuch
des einen Negers, der es hier im Urwalde mit der üblichen Sitte der
Bekleidung nicht so genau nahm, wurden sie weich gebettet, und während
nun die Schwarzen sich daran machten, die unterdes verendete Schlange
abzuhäuten und auch die alte Zibetkatze wieder ans Tageslicht zu
befördern, gingen die vier Weißen mit dem Dolmetscher über die Lichtung,
dem nahe belegenen Termitendorfe zu. Als man den zerstreut liegenden
Pyramiden bis auf wenige Schritte gegenüberstand, erhoben sich aus dem
Gebüsch mehrere kleine, zwerghafte Gestalten von gelbgrauer Farbe, nur
einen bis anderthalb Meter hoch, kränklich aussehend und vollkommen
unbekleidet, von erschreckender Häßlichkeit. Sie streckten mit einer Art
von Bettlergebärde und kläglich wimmerndem Tone den Schwarzen sowohl wie
den Weißen ihre Hände entgegen.

»Zwerge!« rief voll Erstaunen der Doktor. »Es ist also doch wahr, daß im
Innern Afrikas ganze Zwergvölker leben.«

Achilles mußte nun die kleinen, schmutzigen Menschen ausfragen, und was
er erfuhr, war folgendes. Die Zwerge nannten sich Obongos, sprachen von
ihren Verwandten, den Akkas und Dokos, aber sie hatten, so lange sie
lebten, nie ein Dorf bewohnt, einen König gehabt oder zu ihrem
Lebensunterhalt durch Arbeit das Geringste beigetragen, ja sie waren
daran gewöhnt, auf Bäumen zu schlafen und ohne alle Kleidung
einherzugehen. Ihre Nahrung bestand aus Wurzeln, Beeren und
Heuschrecken, die roh in zerquetschtem Zustande verzehrt wurden.

»Ob es viele von ihnen gebe?« fragte begierig der Doktor durch den Mund
des Dolmetschers.

Sie schüttelten die Köpfe, und ihre trübseligen Mienen wurden immer
trübseliger. Die Sonne versank unzählige Male, bevor sie in den Wäldern
einen einzigen ihrer Brüder antrafen.

Man schenkte ihnen von den mitgebrachten Cakes und Fleisch und sah dann
die kleinen Gestalten wie in den Boden hinein verschwinden. Diese ganze
Art stand offenbar auf der niedrigsten Stufe menschlicher Entwickelung.

Jetzt waren auch die Termitenbauten erreicht. Schwarze, spitze Hütten,
an den Außenseiten vielfach höckerig und wie mit Stufen, zahllosen
Einschnitten und Erhöhungen versehen, so zeigten sie sich den
Beschauern, die vergeblich versuchten, mittels ihrer Messer Stücke
dieser Wände loszubrechen. Das Gemäuer war von fester Thonerde, und erst
als Franz einen schweren Stein aufhob und ihn gegen die höchste Spitze
warf, fiel ein schwarzer Klumpen zu Boden. Inwendig zeigten sich solche
Gänge oder Rinnen, wie man sie als die Zerstörungswege der Maden im Käse
kennt, natürlich nur bedeutend breiter.

Die Beute wurde der anderen zugefügt, und dann wanderte man dem Saume
des Waldes wieder zu. Die schillernde Schlangenhaut sowohl als auch der
Balg der Zibetkatze lagen schon zum Trocknen auf dem Rasen und waren
nach Holms zufriedener Bestätigung wie vom besten Kürschner abgezogen
worden. Das Fell des Raubtieres hatte eine schöne graue Grundfarbe mit
launenhaft und unregelmäßig darüber hergestreuten schwarzen Flecken und
Streifen; es zeigte die starke, schwarze Rückenmähne, den spitzen Kopf
und den schlanken Körperbau der Gattung und maß von der Schnauze bis zur
Schwanzspitze etwas mehr als einen Meter. Holm sagte, daß man eine
afrikanische, eine amerikanische und eine asiatische Zibetkatze kenne,
ebenso eine sehr selten gefundene europäische, und daß diese Tiere den
in der Medizin bekannten Zibet lieferten. Die Nubier und Abessinier
zähmen sie und drücken ihr wöchentlich zweimal den in einer Blase am
Bauch befindlichen Zibet heraus, -- in der Freiheit thut es das Tier
selbst.

Mit Schlangenhaut, Balg und Kätzchen beladen, wanderte die
Jagdgesellschaft zum Dorf zurück, nicht ohne jenseits des Baches
nochmals den braunen Heerwurm ziehen zu sehen. Gottlob ließ er die
Negerhütten weit links liegen.

Als man ankam, war die Sonne fast versunken, und um das Dorf herum
lagerte eigentümliche Stille. Alle Feuer schienen erloschen, alle
Bastvorhänge waren geschlossen und auf den Straßen niemand zu sehen,
obgleich noch die letzten Sonnenstrahlen den Waldrand umsäumten. »Wie
kommt das?« fragte Holm.

Die Neger thaten sehr geheimnisvoll. »Ilogo!« flüsterten sie und
beeilten sich, so rasch als möglich die Hängematten der Weißen an den
Bäumen zu befestigen. Dann waren sie über alle Berge, und kein Rufen
oder Bitten brachte sie zurück.

Die Weißen sahen einander erwartungsvoll an. Was mochte jetzt
bevorstehen und was konnte das Wort »Ilogo« bedeuten?

Sie sollten es sehr bald erfahren. Immer tiefer senkte sich die Nacht,
am Himmel glänzte mit hellem Schein der Vollmond und weiß und silbern
lag auf den Hütten das milde Licht. Aus der Wohnung des Königs hervor
trat in diesem Augenblick ein Mann, dessen schwarzer Körper vom Kopf bis
zu den Füßen mit abwechselnd weißen und roten runden Flecken übermalt
war. Die Arme gekreuzt, den Kopf zurückgebeugt und die Blicke zum Himmel
erhoben, so begann der schwarze Monarch langsam die Dorfstraße
hinabzutanzen. Kein Laut begleitete dies sonderbare Vornehmen, tiefe
Totenstille lag auf der ganzen Umgebung, und selbst unsere Freunde
unterhielten sich nur flüsternd. Was da der arme, unwissende Neger that,
das war zwar für den ersten Anblick komisch genug, aber trotzdem
schimmerte immer hindurch eine Ahnung von höheren Gewalten, der er
diesen seltsamen Ausdruck verlieh.

»Alle Naturerscheinungen finden unter diesen Heidenvölkern göttliche
Verehrung,« belehrte der Doktor. »Die für böse gehaltenen werden
gefürchtet, und die guten denkt man sich gewissermaßen wie Heilige. Gott
selbst heißt: »Mawu«, der Himmel »Osi«, die Sternschnuppen »Nyikpla«,
der Blitz »Nebroso«, der Donner »Agtui«, die Erde »Anyigba«, die Luft
»Thama« und endlich der Fürst der Finsternis »Abosam«. -- Ilogo wird
also wohl der Mond sein; ich finde diese Art von Naturkultus zum
mindesten poetischer als die Anbetung von Götzenbildern. Ist er nicht
eine >Stimme von oben<, der alte lächelnde Geselle, dessen Rund jetzt
über der Villa eurer Eltern in Dockenhuden ebenso hell glänzt wie hier
unter dem Äquator, Tausende von Meilen weit?«

»Oder auch tief unter grauen, nordischen Wolken versteckt ist,« sagte
etwas erzwungen der junge Gelehrte, und damit war glücklich die ernst
gewordene Stimmung verscheucht. Man schlief, als der tanzende König den
Blicken entschwunden war, sanft von linden Lüften geschaukelt, ruhig und
ungestört bis an den hellen Morgen.

Hans erkundigte sich, sobald er aufgestanden, d. h. fünf Fuß tief auf
den Erdboden hinabgesprungen war, zuerst nach seinen Kätzchen. Achilles
hatte sie einer säugenden Hündin in die Mutterpfoten gelegt, und hier
teilten sie brüderlich mit einer Schar krabbelnder, noch blinder
Hündchen, ihren Erzfeinden, die labende Milch; der jugendliche
Eigentümer wußte also seine Jagdbeute vollkommen in Sicherheit und
konnte sich mit Muße anderen Angelegenheiten widmen, namentlich der
komischen Verzweiflung des Doktors, welcher Kaffee, Handtücher und
warmes Wasser äußerst schmerzlich vermißte. Den Trank der Kolanuß
erklärte er für Lehmwasser und die Maniokkugeln für Steine; erst als der
grüne Wald ihn wieder umgab, und der Blick des Botanikers in ihm so
viele neue Schätze entdeckte, da taute er auf. Heute sollte das
Mittagsmahl aus eigenen Vorräten im Freien gehalten werden, man wollte
den ganzen Tag jagen und hatte noch zu aller Vorsicht ein halbes Dutzend
Neger mehr mitgenommen. Der Ausflug versprach daher eine Reihe von
Genüssen, vielleicht auch von Gefahren, aber das schreckte nicht. Wer
eine wissenschaftliche Weltreise mitmachte, der mußte die Furcht zu
Hause lassen.

Heute ging es nach völlig veränderter Richtung vorwärts; man wandte sich
einer schilfumwachsenen Sumpffläche zu, und zwar um womöglich ein paar
Krokodile aus der Nähe zu sehen. Hier war nun zum erstenmale der
wirkliche Urwald zu durchklettern. Schönheit überall, mehr Formenfülle
und Farbenpracht als sonst irgendwo bei einander sind, aber dafür
nirgends jener majestätische, ruhige Zauber des deutschen Hochwaldes.
Aus ungezählten Baumarten bestehend, hier hoch, dort niedrig, hier mit
breiten, dunklen, lederartigen Blättern, dort hellgrün und kraus wie
Riesenfarne im ersten Frühlingsschmuck, so erglänzte das Laub in allen
erdenklichen Schattierungen. Orchideen mit ihren zierlichen Luftwurzeln,
purpurrot und violett, die Blütentrauben der Fuchsie, Magnolien,
ungeheure Lilien und Kommelinen, alles kletterte von Stamme zu Stamm,
schaukelte in den Lüften und hing wie ein dichter, bunter Teppich, von
den Ästen herab. Tausend kleine Singvögel schwirrten dazwischen, alle
Farben glänzten im Sonnenlicht, alle Formen zeigten die reiche tropische
Vollentfaltung.

Besonders erschwerten die überall zu Tage tretenden Luftwurzeln das
Gehen. So ein einziger Armleuchter-Pandang verursachte für sich allein
einen weiten Umweg. Etwa zwei Meter vom Erdboden schlossen sich die
strahlenförmigen Ausläufer wie ein ungeheurer Hühnerkorb zusammen und
bildeten den glatten Stamm, dessen Äste erst ganz in der Krone begannen.
Sechs bis zehn regelmäßig stehende Arme trugen wie die eines
Kronleuchters je einen Büschel steifer, dunkelgrüner, geradeausstehender
Blätter, und zwischen diesen befand sich die Blüte, eine weiße,
länglichrunde, große Blume, die genau wie eine Lampenglocke aussah. Der
Baum war hübsch und eigentümlich, aber die Mühe ihn zu umgehen desto
unangenehmer. Überall stolperte der Fuß, überall blieben die Kleider in
Fetzen an den Gebüschen hängen, und zuweilen versank man bis ans Knie
jählings in einen vermoderten, außen mit den verlockendsten Blüten
überzogenen, alten Baumstamm. Dabei füllte sich die Luft mehr und mehr
mit einem Etwas, das sich die Wanderer durchaus nicht erklären konnten.
Bald kam es, bald verschwand es, aber was es eigentlich war, das wußte
keiner, bis endlich Holm ausrief: »Das ist Rauch!«

»Ich dachte es längst!« nickte Franz, »und wollte nur das Wort nicht
aussprechen, um keine Dummheit zu Markt zu bringen. Woher sollte im
Urwald Rauch kommen?«

»Freund Achilles, weißt du es?«

»Gallinas!« antwortete der Dolmetscher. »Elefantenjäger. Sie treiben die
umzingelte Herde bis an den versumpften See und stecken hinter ihnen das
Gras in Brand. Die Tiere, vom Feuer auf das äußerste erschreckt, sind
dann leichter zu töten.«

»Der Rauch kommt von Osten her,« rief Franz. »Achilles, gibt es eine
Stelle, von wo wir die Jagd mit ansehen könnten?«

»Aber, aber,« wehrte Doktor Bolten, »kann man den Gallinas trauen?«

»Sie greifen uns wenigstens nicht an,« versetzte der Dolmetscher.

Obgleich die Antwort etwas seltsam klang, war doch das Verlangen nach
dem aufregenden Jagdgenuß zu groß, um lange Bedenken zu hegen. Achilles
glitt voran, die übrigen folgten, und nach einer halben Stunde
anstrengenden Marschierens war der Rand des Sumpfes erreicht. Ein
unbewachsener, von Büffel- und Elefantenspuren bedeckter freier Platz,
gedörrt fast durch die senkrecht fallenden Sonnenstrahlen, lehmfarbig
und fahl, abstechend von der farbenprächtigen Umgebung, lag genau in der
Mitte eines halbmondförmigen Sees, dessen trübe, grünliche Wellen ihn
bis auf einen schmalen Zugang völlig einschlossen. Vor diesem Platz
dehnte sich grasüberwuchert in den stechenden Sonnengluten eine kahle
nur hier und da mit Reis oder Zuckerrohr bestandene Fläche.

Am jenseitigen Ufer lagerten unter den schattenspendenden Stammkolonien
des in mehr als fünfzig Säulen aus _einer_ Wurzel aufschießenden
Dubabelbaumes unsere Freunde. Der Rauch schlug jetzt in hohen,
blaugrauen Wellen über die Lichtung dahin, und zuweilen war es auch, als
höre man fernes Donnern.

»Das sind die Elefanten,« sagte Achilles, »sie kommen hierher, weil
ihnen jeder andere Weg abgeschnitten wird. Hinein in den See wagen sie
sich aber nicht, -- die Gallinas machen sich ihre Furcht vor den
Alligatoren zur Verbündeten.«

»Welche Waffen führen diese Leute?« fragte Franz.

»Vergiftete Pfeile,« antwortete der Dolmetscher. »Man trifft den
Elefanten ins Auge, und er verendet sofort. Die Gallinas sind
vortreffliche Schützen.«

Jetzt stampfte die Schar der Kolosse heran. Helles, offenbar angstvolles
Trompeten mischte sich mit dem kläglichen Geschrei anderer Tiere, die
ungeheuren Füße ließen den Boden erdröhnen, und das Knistern der Flammen
wurde hörbar. Am Himmel sammelte sich während dessen eins der in den
Tropenländern so zahlreich und so überaus schnell entstehenden Gewitter.
Schwarze Wolken hingen tief herab, Blitze zuckten über den Horizont
dahin, und krachende Donnerschläge übertönten allen andern Lärm. Jetzt
entstand ein Durcheinander, dessen tausendstimmiger Chor alles in sich
schloß, was an Tönen überhaupt gedacht werden kann. Schwere Regentropfen
schmetterten die Früchte von den Zweigen, ein sausender Wind bog und
schüttelte die Laubkronen, Tiere flüchteten und schrieen, Affen in
ganzen Scharen duckten sich zitternd an einander, Insekten suchten ihre
Schlupflöcher, und scheue Vögel verbargen sich im Dickicht. Jetzt
erschienen auch in fliegender Eile die vom Feuer aus dem hohen Gras
vertriebenen Tiere; wenigstens zwanzig Elefanten, große Männchen mit den
gewaltigen Zähnen und der Trompetenstimme, säugende Kühe mit noch
kleinen Kälbern, ein paar Büffel und Antilopen, grunzende Warzenschweine
und eine schlanke, scheue, vor Angst zitternde Giraffe. Neben und durch
einander, sich überstürzend, drängend, schossen sie vorwärts, und
hinterher wälzte sich die Flammenwoge, niedergepeitscht, raucherfüllt,
mit gierigen, roten Zungen nach allen Seiten leckend, ein Ungeheuer,
raublustiger und gefährlicher als irgend ein Tier der Schöpfung.

Es war ein schrecklicher und doch schöner Anblick. Zitternd in
grenzenloser Angst die Riesen der vierfüßigen Gattung, vergessen aller
Vernichtungskampf der Geschöpfe unter einander, gelöst alle Bande und
machtlos der drohende Blick des Todfeindes, des sonst so gefürchteten.
Schleichkatze und Antilope stehen neben einander, die gefleckte falsche
Hyäne, das treuloseste Tier der Schöpfung, duckt sich unter die bebende
Giraffe, und ein versprengter Strauß huscht hier und dort zwischen den
großen Elefanten umher.

Nur die Krokodile lauern. Träge im Uferschlamme liegend, wissen sie, daß
es ihnen nicht gelingt, auf festem Boden die Beute zu besiegen. List
allein kann ihnen helfen, in offenbarem Angriff ziehen sie den kürzeren.
Die raublustigen Augen blinzeln, die schmutzfarbenen, altem Holze nicht
unähnlichen Körper schieben sich mehr und mehr aus dem Wasser heraus.

Vielleicht kommt ja eines der Tiere dem gefahrbringenden Ufer zu nahe,
vielleicht läßt sich ein in seiner Todesangst wehrloses Geschöpf im
Rücken fassen und hinabziehen in das nasse Grab.

Abgesondert von dem eigentlichen Waldrande, der brennenden Grasfläche
ganz nahe, steht ein hoher, alter Tamarindenbaum. Zehn Fuß hoch über dem
Erdboden, hinaushängend auf den See, beugt sich ein schlanker, starker
Ast. -- Jetzt hat ihn die rote Lohe beinahe erreicht, -- wird der Riese
unter seiner Umgebung, der Uralte des Waldes, dem gefräßigen Elemente
zum Opfer fallen?

Da zuckt ein Blitz herab, greller und stärker als alle früheren,
blendend und purpurn, zischend und vom betäubenden Donner gefolgt. Das
ist, als wolle die Erde in ihren Tiefen bersten, als breche furchtbar
und urplötzlich der jüngste Tag herein.

Weit zurück geschleudert in das Feuermeer ist die Krone des
Tamarindenbaumes, in der Mitte geknickt der Stamm, und nur noch jener
starke, untere Ast ragt über das Wasser dahin. Glut mischt sich mit
Glut; jetzt schlägt eine Feuergarbe hoch empor, es bäumt und regt sich
rauchverhüllt und von Blättern bedeckt, der Ast schwankt und auf ihm
sitzt geduckt, glänzende Augen rollend, mit schweratmenden Flanken ein
Leopard.

[Illustration: Der Waldbrand.

»Neben- und durcheinander, sich überstürzend, drängend, schossen sie
vorwärts, und hinterher wälzte sich die Feuerwoge ...«]

Hinter dem Feuer, vom Waldrande kommend und über die rotglühenden
Stoppeln dahinblickend, erscheinen schwarze Gestalten in arabischer
Kleidung, weiß beturbant und mit langen Wurfspießen, mit Bogen und
vergiftetem Pfeil.

Hin und her über die Angehörigen der vernunftlosen Schöpfung messen sich
die Blicke erstaunter Menschen.

Sind sie Feinde, die Gallinas?

                   *       *       *       *       *

Franz sah nur den Leopard. Von diesem Ast konnte er nicht fort, weder in
die brodelnde Glut noch in den See hinein! Das Herz des jugendlichen
Jägers schlug mit verdoppelter Eile, er sprach nicht, dachte nicht
einmal, sondern handelte unter dem Eindruck des Augenblickes. Das Gewehr
an die Backe legend, zielte er sekundenlang, der Schuß krachte, -- und
der Leopard fiel, sich überschlagend, bis ganz nahe an den Sumpf. Obwohl
seine hastigen Bewegungen zeigten, daß er noch lebte, so war doch
jedenfalls sein baldiger Tod gewiß.

Zwei Gallinas sprangen herzu, um die Beute den Krokodilen zu entreißen.
Die anderen berieten flüsternd, offenbar mit Bezug auf die Weißen.
Doktor Bolten und Holm waren von dem Jagdeifer ihres jungen Gefährten
unterdessen angesteckt worden, ebenso Hans. Schuß krachte auf Schuß,
zwei der größten Elefanten wälzten sich in ihrem Blute, ein Büffel hatte
schon mehrere Kugeln auf den Pelz bekommen, doch ohne sich sonderlich
darum zu kümmern, und auch eine Antilope war getötet. Die Wilden
schossen ihrerseits gar nicht. Es schien ihnen offenbar bequemer, sich
das Wild vor die Füße legen zu lassen, als selbst ihre wertvollen Pfeile
zur Erlegung desselben zu verschwenden; ganz in aller Stille aber teilte
sich der Trupp, und ohne daß es die Weißen merkten, waren sie
eingeschlossen.

Das Getümmel vor dem See nahm indessen zu. Einer der Elefanten stürzte
ganz in der Nähe der Giraffe, und diese trat erschreckend zurück bis an
den Rand des Sumpfes. Sofort erhoben sich zwei der scheußlichen
Ungeheuer halben Leibes aus dem Schlamm und packten mit ihren
fürchterlichen Rachen das lautschreiende Tier, welches sich aus allen
Kräften, aber natürlich vergebens, gegen diese Übermacht zu sträuben
versuchte. Ehe eine Minute verging, gurgelte das grünliche Wasser und
trieb Blasen, dann aber schloß es sich über dem Opfer, dessen Verderben
die Schützen nicht gewollt hatten, und das nun von den blutdürstigen
Räubern der Tiefe in Stücke zerrissen wurde. Zuweilen tauchte aber bei
dem erbitterten Kampfe, welcher ohne Zweifel auf dem Grunde des Sees
entstanden war, der Kopf des einen oder anderen Krokodils plötzlich
hervor, und um einen solchen Augenblick zum wohlgezielten Schusse zu
verwenden, schlich Franz mit leisen Schritten in das Gebüsch hinein. Die
hintere Mitte des Halbmondes war bedeutend breiter als die beiden
Ausläufer, daher hoffte er am Rande der letzteren im gegebenen Fall
sicherer zielen zu können.

Die Gallinas waren um den glücklich geretteten Leoparden so beschäftigt
und so eifrig dabei, die Antilope auf dem Fleck auszuweiden und am Spieß
zu braten, daß sie vielleicht, auf die Feuerwaffen der Europäer
allzusicher vertrauend, für sich selbst die nötige Vorsicht ein wenig
außer Augen ließen. Einer der großen, männlichen Elefanten, angeschossen
aber nicht getötet und aus diesem Grunde vor Schmerz rasend, drehte sich
plötzlich gegen die zur Seite befindliche Negerschar, erhob
herausfordernd den Rüssel und stürzte mit lautem Wutgeheul den
vermeintlichen Feinden entgegen. Die erschreckte Schar empfing ihn mit
Schüssen und wohlgezielten Würfen, -- drei Pfeile zitterten am langen
Schaft in seiner Hornhaut, das Blut rann stromweise von dem kolossalen
Körper herab, aber dennoch gelang es ihm, mit schwindenden Kräften den
nächsten der Neger zu erfassen. Er hob ihn hoch über den Kopf und
schleuderte ihn dann mit solcher Kraft auf den Erdboden, daß sich die
Glieder des Unglücklichen zuckend dehnten und ohne weitere Bewegung
liegen blieben. Der Sieger überlebte aber seine Rachethat nur um einige
Minuten, die Riesengestalt drehte sich schwindelnd im Kreise und stürzte
mit dumpfem Dröhnen zu Boden.

Jetzt nahm der ganze Vorgang einen abschreckenden Charakter an. Das war
keine Jagd mehr, sondern ein Blutbad. Die Krokodile, halben Leibes an
das Ufer kletternd, bemächtigten sich lebender und toter Körper, die
Elefanten wurden von den Gallinas ihrer Zähne beraubt und abgebalgt, das
halbgare Antilopenfleisch mit den Fingern zerrissen und der getötete
Neger nicht mehr beachtet, als sei er eins der gefallenen Tiere. Unsere
Freunde erhoben sich, um diese Stätte sich entfaltender Barbarei zu
verlassen, und jetzt erst bemerkten die übrigen, daß Franz noch immer
fehlte.

Holm pfiff auf zwei Fingern. »Hallo, Franz, wo steckst du?«

Keine Antwort.

Holm und Doktor Bolten sahen einander an; das Gesicht des alten Herrn
war entsetzlich blaß geworden. »Die Verantwortung!« sagte er fast
stammelnd, »ich habe dem Vater gegenüber die volle Verantwortung auf
mich genommen!«

»Nun, nun,« tröstete Holm, dem selbst das Herz heimlich schlug, »er wird
ja wiederkommen. Was sollte ihm geschehen sein?«

Noch einmal erschallte der laute Ruf über die Waldwipfel dahin, noch
einmal legten alle drei Zurückgebliebenen in diesen kurzen einen Laut
die ganze Unruhe, die stärker und stärker werdende innere Furcht ihrer
Seelen. »Franz! -- Franz! --«

Wieder keine Antwort.

»Achilles,« sagte Holm, »was kann das bedeuten?«

Der Neger zuckte die Achseln. »Vielleicht Gallinas!« antwortete er.

»Hilf Himmel, sie sollten ihn getötet haben?«

»O -- auf keinen Fall. Gallinas handeln in Lagos mit Geiser und Kopp,
viel zu klug, um die Buchmänner zu erzürnen. Aber Gallinas Diebe.«

Holm atmete auf. »Es handelt sich also im schlimmsten Fall um ein
Lösegeld, Achilles? Die Schwarzen werden den armen Knaben doch nicht
töten?«

Der Neger schüttelte den Kopf. »Wollen Feuerwaffen haben und Fetisch,«
antwortete er, auf Holms Uhr deutend.

»Herr Gott, so laßt uns eilen.«

Und in stummer Hast drängte alles vorwärts. Doktor Bolten konnte sich
von dem Schauplatz des geschehenen Unglückes anfangs durchaus nicht
trennen. »Weggehen und den unglücklichen Jungen so gewissermaßen treulos
verlassen,« preßte er hervor. »Es ist zu schrecklich. Wenn er nun in das
Wasser gefallen und von den Krokodilen --«

»Pah, das ist ganz unmöglich. Der Junge ist doch kein Wickelkind, daß er
in den See plumpsen und sich fassen lassen sollte, ohne zu seiner
eigenen Rettung das allermindeste zu unternehmen? -- Die Gallinas haben
ihn, und wir müssen sehen, mit dem Raubgesindel thunlichst zu
unterhandeln.«

Das war ein schlimmer, aber doch der einzig mögliche Trost, und nachdem
noch die Neger zur Vorsicht festgestellt hatten, daß nirgend im Umkreis
des Sees ein Unglück geschehen sein könne, beeilte man sich, die vordere
Seite zu erreichen. Hier waren auch die Gallinas mit dem Aufbruch
beschäftigt; sie ließen den Dolmetscher äußerst gleichmütig an sich
herankommen und beantworteten seine Fragen nach dem verschwundenen
Knaben fast nur durch Achselzucken. Vielleicht hatte er ihre
vorangegangenen Gefährten begleitet, sie wußten es nicht.

Aber nicht allein Achilles, sondern auch die Weißen waren durch den Ton
dieser Antworten in ihrem anfänglich gehegten Verdacht vollkommen
bestärkt worden, sie folgten daher ohne weiteres den nach Hause gehenden
Gallinas, und nur einmal fragte Holm den Dolmetscher, ob denn das Dorf
derselben in der Nähe liege. Die Antwort traf wie ein Kanonenschuß, --
man mußte acht bis zehn Stunden marschieren und dann natürlich während
der Nacht im Walde bleiben.

Neue Verwirrung, neues Entsetzen bemächtigte sich der beiden Männer.
»Achilles,« rief Doktor Bolten, »machen Sie doch Ihren Landsleuten den
Vorschlag, uns den Knaben hierher zurückzuliefern. Wir wollen alles, was
wir besitzen, mit Vergnügen hergeben.«

Der Dolmetscher schüttelte den Kopf. »Gallinas klug«, antwortete er,
»fürchten Feuerwaffen. Achilles allein gehen mit Fetisch und Gewehren.«

Das aber konnten wieder die beiden anderen nicht zugeben, auch Hans
wollte sich trotz aller Vorstellungen nicht mit einem der Neger auf den
Rückweg machen, und so zog denn die kleine Gesellschaft in tiefstem
Schweigen, verstimmt und unruhig durch den Wald dahin. Die Gallinas in
ihren weißen Turbanen und Burnußen gingen gewissermaßen als Wegweiser
voran, und sobald sie Halt machten, lagerten auch die Weißen mit ihrer
Begleitung, um scheinbar wenigstens ein Mahl einzunehmen. In der That
aber sprachen nur die Kruneger den mitgebrachten Vorräten tapfer zu.

»Wie wäre es,« meinte Holm, »wenn wir alle mit dem Gewehr auf dem
Rücken, also in ganz friedlicher Absicht, jetzt zu den Gallinas gingen
und ihnen vor die Füße legten, was sie zu besitzen wünschen? Wo das
geschieht, ist doch gleichviel.«

Aber Achilles wies den Vorschlag durchaus zurück. »Gallinas lassen den
weißen Knaben frei, ohne ihm Waffen oder Führer zu geben,« sagte er.
»Gallinas falsch, weißer Knabe von Raubtieren zerrissen.«

»Und warum hat man uns nicht gleich an Ort und Stelle den ganzen
spitzbübischen Handel vorgeschlagen?« rief Holm.

»Zehn Feuerwaffen,« lächelte Achilles, die Gewehre überzählend, »zehn
entschlossene Männer. Gallinas klug -- den Gegner müde machen.«

»Diese Spitzbuben! Sie wußten also, daß wir bis an das Ende der Welt dem
armen Jungen nachgehen würden?«

Und man brach wieder auf, bis der Abend herabsank und die Schatten
länger wurden. Plötzlich an einer Waldlichtung waren die Weißmäntel wie
in den Boden hinein verschwunden, -- auch nicht ein einziges Zeichen
verriet, wohin sie sich gewendet.

Die Kruneger berieten heimlich, und dann wandte sich der Dolmetscher zu
den Weißen. Eine Viertelstunde von hier läge das Dorf, versicherte er,
sie wüßten es ganz gewiß. Zwei von ihnen wollten die Zugänge desselben
bewachen und die übrigen hier aus den mitgenommenen Decken ein Zelt
errichten. Der Plan der Gallinas sei ihm und seinen Genossen jetzt ganz
klar.

»Und wenn uns die schwarze Bande in Gemeinschaft verrät?« flüsterte
Bolten.

»Dann sind wir unter allen Umständen verloren. Unserer drei gegen ebenso
viele Hunderte.«

»Aber wir haben die Gewehre!«

»Dem Himmel sei Dank dafür! Die Schurken fürchten uns wie den bösen
Feind, weil eben die Feuerwaffen aus so weiter Entfernung zu schaden
vermögen.«

Achilles und seine Genossen bauten mit flinken Händen das Zelt,
reinigten den Boden von Moos und Insekten und zündeten bei einbrechender
Dunkelheit ein riesiges Feuer an, welches die Raubtiere verscheuchen
sollte. Zwei Neger verschwanden ganz in der Stille, die anderen trugen
Wasser herbei, kochten Kaffee und rösteten Mais zwischen rohen
Feldsteinen, dann aber mußten auf ihren Rat die Gewehre, auch die der
fortgeschlichenen Krumänner, vor dem Zelt zusammengestellt werden.
Nachdem das geschehen, begaben sich scheinbar alle zur Ruhe, die Weißen
im Zelt, die Neger davor. -- Stunde nach Stunde verrann; von fern
brüllten mit ihren greulichen Stimmen die wilden Tiere; im Gebüsch
raschelte und krachte es wie von glatten Schlangenleibern, vom Fuß
schleichender Raubkatzen; das Feuer hüllte alles in seine purpurnen
Gluten; nagende, quälende Unruhe hielt die drei leise flüsternden
Deutschen wach. So ganz allein am Rande der Zivilisation, nahe jener
Gegend, die noch kein weißer Mann betreten, den Schwarzen und den
reißenden Tieren wehrlos preisgegeben, -- das konnte mit Recht eine böse
Lage genannt werden.

Und Doktor Bolten flüsterte kaum hörbar: »Vater, wenn es möglich ist, so
laß diesen Kelch vorübergehen.«

»Amen!« schluchzte Hans, der wohl fühlte, daß dies Gebet seinem
verschwundenen Bruder galt.

Achilles, der vor dem Eingang des Zeltes saß, hob in diesem Augenblick
die Hand.

Vom Schein des Feuers hell bestrahlt, warf die schwarze Hand einen
Riesenschatten, -- unwillkürlich erstickte ihr Erscheinen jeden Laut.

Der Neger streckte sich, als schlafe er; tiefe Totenstille beherrschte
die Umgebung, dann hoben von hinten mehrere Hände den Zeltvorhang auf.
Gallinas in starker Anzahl hielten das Lager umzingelt, hatten die
Gewehre ergriffen und die Messer der drei Deutschen an sich gerissen,
ehe viel Zeit verging; jetzt untersuchten sie sogar die Taschen und
bemächtigten sich der Uhren, -- nur die Bambusbüchse des Zauberers wurde
verächtlich bei Seite geworfen.

So schnell wie sie gekommen, verschwanden die unheimlichen Gäste.

»Und nun?« fragte Bolten. »Sie haben den Jungen doch sicher ermordet.«

Achilles schüttelte lachend den Kopf. »Wozu?« sagte er. »Bald genug hier
sein, -- sehr bald.«

Und wirklich war kaum eine Viertelstunde vergangen, als aus dem nächsten
Gebüsch die beiden Kruneger hervortraten, in ihrer Mitte den Knaben,
grinsend von einem Ohr zum andern, äußerst vergnügt, daß sie List mit
List vergolten hatten. Franz war unversehrt, er flog den anderen
entgegen und warf sich stürmisch in ihre Arme. Minuten verflossen, bis
einer der Männer sprechen konnte. »Kinder,« stammelte endlich Doktor
Bolten, »Kinder, laßt mich unserm Gott danken und diesen beiden braven
schwarzen Menschenbrüdern hier --«

Aber weiter kam der alte deutsche Theologe nicht, sondern ging mit
offenen Armen zu den beiden fettglänzenden, schwarzen Wilden und küßte
die erstaunten Gesichter, -- und das war ein echter, wahrhaftiger
Gottesdienst, wie er tief aus dankbarem Herzen heraufquoll.

»Nur mein kostbares Zauberpulver ist gerettet!« rief Holm, »sonst alles
dahin. Aber gerade dieses -- -- O nein!« unterbrach er sich plötzlich,
»das ist denn aber doch empörend!«

Man umringte ihn und sah in die offene Schachtel hinein. Sand, purer
grauer Sand, weiter war nichts darin. Der Zauberer hatte das
vielbegehrte Hundehalsband erlangt, sein Geheimnis aber daneben schlau
bewahrt.

Ein dröhnendes, nicht endenwollendes Gelächter stellte die urgemütliche
Reiselaune wieder her. »Gib nur acht, Karl,« rief Franz, »ich will den
Betrüger mit seinen eigenen Waffen schlagen. Er soll mich für einen noch
größeren »Medizinmann« halten, wie er selbst es ist und schon Respekt
bekommen. -- Jetzt aber laßt uns wandern! Auf, hinaus in den
Mondschein!«

»Aber ohne Waffen!« rief Hans.

»Nicht ganz!« lächelte Holm. »Meine Taschenpistolen hatte ich in
Sicherheit gebracht.«

Er zog die Waffen unter dem Moos hervor und lud beide Läufe. Auch einer
der Neger brachte grinsend vor Vergnügen Bogen und Pfeile herbei, die er
im Dorfe der Gallinas stibitzt hatte, und die Franz sogleich für Papas
Museum mit Beschlag belegte. Das kaum errichtete Zelt wurde seiner
Decken wieder beraubt, und dann im Freien am Wachtfeuer eine köstliche
Mahlzeit gehalten; jetzt machte, nachdem Angst und Sorge vorüber waren,
die Natur ihre Rechte doppelt geltend, und namentlich Franz schmauste
wie ein Halbverhungerter. »Die Gallinas haben mir Heuschrecken
vorgesetzt,« schauderte er, »und einen halb rohen, halb verbrannten
Affenbraten.«

»Aber wie war es eigentlich möglich, daß sie dich wegfangen konnten,
ohne unsere Aufmerksamkeit zu erregen, Junge? Ich begreife es nicht.«

»Sie warfen mir von hinten eine Decke über den Kopf,« erklärte Franz,
»und wenn nur nicht gerade der eine große Elefant so fürchterlich
trompetet hätte, dann müßtet ihr auch meinen Schreckensschrei und das
Zerren und Schleifen durch die Gebüsche gehört haben. Aber darauf war
vielleicht gerade gerechnet worden.«

Man brach nun auf und hatte das Glück, im hellen Mondschein ungefährdet
das Dorf Lope zu erreichen. Nur ein paar kleinere Tiere liefen über den
Weg, aber die wurden verschont, teils um keine Zeit zu verlieren, teils
weil man gar nicht in der Stimmung war, irgend ein Geschöpf zu töten.
Die Botanisierkapseln waren dafür bis an den Rand gefüllt.

Am folgenden Morgen begab sich Franz, mit einem kleinen Brennspiegel
ausgerüstet, in die Nähe des Tempels und nahm seinen Platz so, daß er
gerade vor der Thür der Hütte saß. Der Zauberer lag wie immer faul im
Innern derselben.

Alle übrigen hatten sich in der Nähe versteckt.

Jetzt drehte Franz das Glas so, daß der Sonnenstrahl versengend die Hand
des Zauberers traf und dieser erschreckt zurückfuhr. Er lugte durch eine
Spalte der Bambuswand und gab so sein schwarzes Ohr preis, -- husch,
hatte der Strahl es erfaßt.

Nun ging ihm die Geschichte über den Spaß. Er kam heraus, offenbar um
das Ansehen seiner Person geltend zu machen; die Augen rollten vor Zorn,
und die Fäuste waren geballt. Er schrie einige Worte in der
Negersprache.

Franz drehte heimlich das Brennglas und hielt es jetzt so, daß es der
Schwarze deutlich sehen konnte. Im Zickzack stach es und prickelte Brust
und Kopf, Schultern und Beine.

Der Zauberer stieß ein sehr natürlich klingendes Geheul aus, schoß in
die Hütte und erschien wieder mit dem Halsband, das er weit
fortschleuderte. Sein Ruf klang jetzt unverkennbar wie »Gnade! Gnade!«

Franz trat mit der ernsthaftesten Miene vor und nahm das Halsband vom
Boden. »Betrug ist Betrug, auch wenn er komischer Natur wäre, nicht
wahr, Herr Doktor? Damit durfte der graue Sünder nicht durchkommen.«

Und lachend zogen alle von dannen. Die beiden Neger, welche Franz aus
dem Dorf der Gallinas sicher zu den Seinigen gebracht hatten, sowie
Achilles erhielten in Lagos namens der Eltern des Knaben von den Herren
Geiser und Kopp eine ansehnliche Belohnung und dann ging es, von ihren
Segenswünschen begleitet, beladen mit allen Schätzen dieser kleinen
Reise, an Bord der Hammonia zurück.

Trotz der mannigfachen Gefahren, die der kleine Trupp der Naturforscher
mit Mut und Glück bestanden hatte, war die Ausbeute an Naturalien aller
Art keine geringe geworden, nun galt es die gewonnenen Schätze vor dem
Verderben zu bewahren, damit sie wohlerhalten in Europa anlangten, um
den Gelehrten als Material zum Studium oder zur Vervollständigung der
Sammlungen zu dienen.

Zunächst wurden daher jene Gegenstände in Angriff genommen, die dem
Verderben am meisten ausgesetzt waren, und da vier rüstige Arbeiter zur
Verfügung standen, machten sich alle an die Arbeit, deren Einteilung
Holm, als der Führer der Expedition anordnete. Dem Doktor Bolten war die
Aufgabe zugefallen, das Tagebuch zu führen, in welches alle Erlebnisse
niedergeschrieben wurden. Hans wurde der botanische, Franz der
zoologische Teil zugewiesen, während Holm die nötigen Anleitungen gab
und bald dem einen bald dem andern half, wenn besondere Schwierigkeiten
zu überwinden waren.

Es galt nun vor der Hand die Schmetterlinge zu präparieren, damit
dieselben schön ausgebreitet die Pracht ihrer Flügel, die bunte
Zeichnung derselben und ihre ganze Form auf das deutlichste erkennen
lassen konnten. Zu diesem Zwecke waren einige 30 Zentimeter lange und 5
Zentimeter breite glatte Bretter mitgenommen worden, die der Länge nach
eine 2 Zentimeter breite Furche enthielten, deren Tiefe fast ebenso viel
betrug. Aus einer der Schachteln wurde der eingesperrte Schmetterling
nun vorsichtig herausgenommen und zwischen Daumen und Zeigefinger der
linken Hand festgehalten.

»Ehe wir das Tier spießen,« sagte Holm, »wollen wir es vergiften, damit
es keine zu großen Qualen leide. Wir könnten hierzu von dem Chloroform
aus der Reiseapotheke nehmen. Allein, wer weiß, ob wir dasselbe nicht
noch zu anderen, wichtigeren Zwecken gebrauchen werden.«

»Haben wir denn noch ein anderes Gift, das uns dieselben Dienste
leistet?« fragte Franz.

»Ich bin soeben im Begriff einiges zu bereiten,« antwortete Holm mit
scheinbar wichtiger Miene.

»Wo denn,« fragte Franz verwundert, »ich sehe keine Retorte noch sonst
einen chemischen Apparat.«

»Hier, dies ist mein großes Laboratorium,« erwiderte Holm lächelnd,
indem er auf die kleine Tabakspfeife deutete, die er vor kurzem in Brand
gesetzt hatte. »In dem unteren Behälter,« fuhr er fort, »sammelt sich
der Tabakssaft an, der beim langsamen Verbrennen des Tabaks entsteht und
jenen Giftstoff enthält, den die Chemiker Nikotin nennen. Dieses Nikotin
ist ein Gift für alle Insekten, die deshalb den Tabaksrauch auch
ängstlich meiden.«

Holm goß den Tabakssaft in eine kleine Muschelschale, tauchte eine Nadel
in denselben und feuchtete den Rüssel des Schmetterlings, den er
vorsichtig aber doch sicher in der angegebenen Weise festhielt. Nachdem
der Schmetterling einige kleine Tropfen des ihm tödlichen Giftes
gekostet hatte, war er vollkommen leblos geworden.

Nun wurde ihm eine lange Insektennadel durch das Rückenschild gestoßen
und dieselbe in der Furche eines der vorhin erwähnten Bretter derart
festgesteckt, daß der Rumpf des Schmetterlings sich in der Furche
befand. Leicht war es nun möglich, die Flügel auf der glatten Fläche des
Brettes schön und eben auszubreiten, Streifen von starkem Papier wurden
über die Flügel gelegt und an ihren äußeren Enden mit kleinen Nadeln
ebenfalls befestigt, so daß die Flügel in der ihnen einmal gegebenen
Lage verharren mußten. Ein Schmetterling nach dem andern wurde in
gleicher Weise behandelt, bis kein Platz auf dem Brette mehr vorhanden
war und die noch leeren an die Reihe kamen.

»Was machen wir mit den übrigen Schmetterlingen?« fragte Franz, als auch
diese besetzt waren.

»Wir lassen sie bis morgen leben,« antwortete Holm, »denn dann sind in
dieser tropischen Hitze die jetzt ausgebreiteten soweit trocken, daß wir
sie abnehmen und in eine Schachtel bringen können, deren Wände aus Kork
bestehen, in welchen wir die Nadeln mit leichter Mühe spießen. Ist die
Schachtel voll, so befestigen wir ein Stück Kampfer in derselben, setzen
den Deckel auf und kleben die Fugen gut zu.«

»Wozu dient der Kampfer?« fragte Franz.

»Um den Motten und anderen Insekten die Lust zu nehmen, unsre mühevoll
präparierten Schmetterlinge zu zerstören. Ohne diese Vorsichtsmaßregeln
würden wir nur Staub und Moder nach Hamburg mitbringen.«

»Das wäre ein übler Lohn für unsere Arbeit und ein Resultat unserer
Expedition, auf das wir nicht stolz sein dürften,« entgegnete Franz.

»Das Einsammeln der Naturalien ist nicht minder schwer als das Schützen
derselben vor Zerstörung,« erwiderte Holm. »Es ist daher dem Forscher
mitunter unmöglich, seine kostbare Beute in die Heimat zu
transportieren, weil es ihm in der Wildnis an den Mitteln zur Erhaltung
derselben gebricht. Nun wollen wir noch jede Nadel mit einem Stückchen
Papier versehen, auf das wir eine Nummer schreiben. Diese Nummer wird in
einem kleinen Büchlein ebenfalls notiert und dahinter schreibst du den
Fundort des Tieres und sonstige Bemerkungen, Datum des Fanges und
Beobachtungen, die wir an dem lebenden Tiere machten.«

Franz versprach die gewissenhafte Ausführung des Auftrages und sagte:
»Man soll nicht von uns behaupten, daß wir des Vergnügens wegen reisten,
sondern daß wir der Wissenschaft zu nützen suchten, so viel in unseren
Kräften stand.«

»Bravo!« sagte Doktor Bolten, »diesen Ausspruch will ich mir für unser
Tagebuch merken.«

Holm zeigte nun Hans, wie er mit den Pflanzen verfahren müsse, um
dieselben in ihrer Form möglichst gut zu erhalten. Zu diesem Zwecke
wurden die Pflanzen auf einen Bogen weichen Löschpapieres sorgfältig
ausgebreitet, die Blumenblätter so gelegt, daß die Form der Blüte nicht
verzerrt, sondern, so weit dies möglich, in ihrer natürlichen Gestalt
erschien. Sobald ein Blatt, eine Blüte, oder sonst ein Teil der Pflanze
in die geeignete Lage gebracht worden war, setzte Holm einen ziemlich
schweren Kieselstein auf denselben, damit er in seiner ihm einmal
gegebenen Stellung verharrte.

Als dies geschehen, wurde ein zweiter Bogen Löschpapier auf den ersten
gelegt, unter gleichzeitiger gewandter Entfernung der Kieselsteine,
worauf die derart eingelegte Pflanze unter eine Presse kam, die ganz
einfach aus einem Kistendeckel bestand, den einige Steine nicht
allzusehr beschwerten, um die zarten Teile, wie Stengel, Fruchtboden u.
s. w. nicht zu zerquetschen.

»Werden die Insekten auch die Pflanzen angreifen?« fragte Franz.

»Ihnen ist einerlei, was ihnen vor die Freßwerkzeuge kommt,« antwortete
Holm. »Die tropischen Insekten, namentlich die Ameisen, schonen nichts,
was ihnen nur irgendwie schmackhaft vorkommt.«

»Dann müssen wir auch hier Kampfer anwenden,« meinte Franz.

»In diesem Falle nutzt uns derselbe nichts,« entgegnete Holm, »denn es
wird uns schwer werden, ein großes Paket gesammelter und zwischen Papier
liegender Pflanzen luftdicht einzuschließen, denn in nicht luftdichten
Kasten verdunstet der Kampfer. Wir haben jedoch ein anderes Mittel, das
freilich sehr giftig ist, mit dem wir die trockenen Pflanzen einpinseln.
Es ist dies in Weingeist aufgelöster Sublimat, eine Verbindung von Chlor
und Quecksilber, die fast alles Lebende tötet.« Sobald die Pflanzen
getrocknet wären, wollte Holm das Einpinseln derselben mit dem Gifte
selbst vornehmen.

Hans meinte, daß das Einlegen der Pflanzen viel einfacher sei, als das
Präparieren der Schmetterlinge, und daß gar keine Schreibereien damit
verknüpft seien.

»Da irrst du dich gewaltig,« rief Holm lachend. »Nein, es wird ebenso
wie bei den Tieren der Fundort angemerkt, ferner die Beschaffenheit des
Bodens, ob derselbe sandig, felsig, trocken oder sumpfig. Dann, ob die
Pflanze im Schatten wächst, oder in der Sonne, ob sie an anderen
Gewächsen emporrankt oder gar auf ihnen schmarotzt, wie viele der
prachtvollen Orchideen, zu denen auch die Vanille gehört.«

»Ich wollte, ich hätte einen Becher Vanille-Eis,« sagte Franz, »der
sollte mir in der Hitze hier schmecken!«

»Und was für Gesichter die Eingebornen wohl machen würden, die nie in
ihrem Leben Eis gesehen, noch viel weniger solches gegessen haben,« fiel
Hans ein.

»Sie würden glauben, sich den Mund verbrannt zu haben,« erklärte Holm,
»denn diese Empfindung würde sich ihnen zunächst aufdrängen. Auch
erzeugt sehr große Kälte ebensowohl Brandblasen auf der menschlichen
Haut, wie eine hohe Temperatur.« -- Dann wandte er sich wieder zu Hans
und fuhr fort: »Ferner müssen die Früchte und Samen von den Pflanzen
gesammelt und in Papier aufbewahrt und genau bezeichnet werden, teils
für den Forscher und teils für den Gärtner, der dann versucht, sie im
Gewächshause zum Keimen zu bringen.«

»Ich verstehe schon,« fiel Hans ein. »Wenn der Gärtner nicht erfährt, wo
und wie die Pflanze wächst, dann säet er am Ende den Samen einer
Sumpfpflanze in trocknen Sand, als stammte er von einem Steppengewächs
und steckt den Samen einer Kletterpflanze ins Wasser. Ich will alles
genau notieren.«

»Wo aber bleiben der Heerwurm und die anderen Käfer, die noch im
Spiritus sitzen?« fragte Franz.

»Die nehmen wir aus ihrem nassen Grabe und spießen sie ebenso auf wie
die Schmetterlinge. Die größeren derselben wickeln wir in Papier und
bezeichnen sie mit Nummern. Nur die Mücken, die Fliegen, die
bienenartigen, die Stechfliegen und Schlupfwespen lassen wir im
Spiritus, in welchem sie sich am besten halten.«

Material war genügend vorhanden und somit fehlte es nicht an Arbeit.
Bald wurden die Gegenstände präpariert, bald gab es Notizen zu machen
und zu schreiben, und die Knaben erlangten schon in kurzer Zeit eine
große Geschicklichkeit in der Handhabung der einzelnen Gegenstände. Als
aber Holm ihnen sagte, daß noch schwierigere Aufgaben zu bewältigen
seien als diese, verloren sie den Mut durchaus nicht, sondern meinten,
dann wird uns die Sache erst recht interessant.

Während sie so arbeitend plauderten und über dem oft heiteren Gespräch
die Arbeit nicht versäumten, rief Franz plötzlich: »Womit soll ich die
Nummern an die Pflanzen kleben? Wir haben das Gummi arabikum vergessen.«

Holm lachte. »Wir werden in die Apotheke schicken!«

Als die Knaben ihn ungläubig ansahen und riefen: »hier in der Wildnis
gibt es keine Apotheke,« sagte er, »auf dem nächsten Ausfluge werden wir
schon jemand finden, der uns das Gewünschte gibt.«




                           Zweites Kapitel.


Nichts vergißt sich schneller als Mühe und Gefahr, nachdem beide
glücklich überstanden sind. Kaum waren die mitgebrachten Insekten und
Pflanzen in die verschiedenen Sammlungen gehörig eingereiht und Geist
und Körper durch etwas Ruhe neu gestärkt, als sich die Knaben auch schon
nach weiteren Abenteuern umsahen. Zehn Tage lang mußte das Schiff noch
vor dem Hafen von Lagos liegen, um dort seine Ladung Palmöl einzunehmen.
Diese ganze kostbare Zeit konnte man unmöglich an Bord verbringen und
eben so wenig in der Umgebung von Lagos, die nur aus Busch und Flachland
besteht und außer dem Krokodil kein jagdbares Wild mehr aufweist.

»Wir wollen das Schleppnetz auswerfen,« entschied Holm. »Heute abend
nach Eintritt der Dunkelheit sollt ihr ein nie gesehenes Schauspiel
erleben, den Fischfang vermittelst einer großen Laterne, die das Meer in
einer Tiefe von etwa fünfzehn Metern weit umher erhellt und von allen
Seiten die neugierigen Bewohner desselben herbeilockt. Morgen machen wir
dann vielleicht bei günstigem Wetter mit dem kleinen Bugsierdampfer
»Hansa«, der uns des Sonntags wegen von seinen Eigentümern zur Benutzung
überlassen werden kann, eine Fahrt stromauf in das Innere hinein. Ich
möchte ein paar Flußpferde schießen oder harpunieren.«

»Wenn wir ein Junges fangen und nach Hamburg bringen könnten!« rief
Franz.

»Das wird uns nicht so leicht gelingen,« antwortete Holm, »denn die
Flußpferde sind äußerst scheu und dabei im gereizten Zustande sehr
gefährlich. Außerdem macht der Transport des lebenden Tieres große
Schwierigkeiten.«

»Einerlei,« riefen die Knaben. »Auf dem Dampfer befinden wir uns
überdies auch in voller Sicherheit. Ist es gewiß, daß wir ihn benutzen
dürfen?«

»Ganz gewiß, ich habe heute morgen mit dem Kapitän gesprochen. Nun aber
laßt uns das Schleppnetz herrichten.«

Die Kiste wurde geöffnet und das aus Hamburg mitgebrachte Netz
hervorgeholt. Im bedeutenden Umkreis mehrere eiserne Ketten, die den
Mittelpunkt bildeten, einrahmend, war es ein großes, starkes Fischernetz
aus Flechtwerk, das flach auf das Wasser gelegt wurde, und von dessen
Zentrum die Lampe herabhing, natürlich vom Bord des Schiffes mittels
eines starken hölzernen Hebebaumes in ihrer richtigen Stellung erhalten.
Über den bethörten, durch eigene Neugier verlockten Fischen mußte sich
das Netz sehr leicht zusammenziehen und oben an den Ketten befestigen
lassen. Die Lampe selbst war ganz aus Schiffsglas, sehr groß und für
vier starke Wachslichter bestimmt; sie hatte am oberen Ende einen
wasserdichten Schraubenverschluß, während ihr durch Schläuche Luft
zugeführt wurde. _Ohne_ die Lampe folgt ein solches Schleppnetz dem
Laufe des Schiffes und wird von Zeit zu Zeit seiner Gefangenen
entledigt, _mit_ derselben kann es natürlich nur gebraucht werden, wenn
das Fahrzeug völlig still liegt.

Als bei hellem Mondschein und durchaus ruhigem Wetter die Lichter
entzündet waren, sammelte sich die ganze Besatzung auf dem Verdeck, und
alles sah gespannten Blickes hinab in die Tiefe. Müde von der schweren
Arbeit des Tages, nachdem die Ölspuren einigermaßen beseitigt und die
Rationen verteilt waren, pflegten jetzt diese lebensfrohen, an Leib und
Seele gesunden jungen Leute der Ruhe, indem sie ihren Gedanken
nachhingen und müßig die kühlere Nachtluft einatmeten. Einer von ihnen
spielte Harmonika, deutsche Weisen klangen über das Wasser hin, und
deutsches, gemütliches Beieinander verwischte den Unterschied von Stand
und Rang. Wo Hunderte von Meilen zwischen dem Menschen und seiner Heimat
liegen, da schließt er sich fester an die Nächsten, da bildet er in
weiter Ferne mit dem Genossen der unsicheren Fahrt nur mehr eine
einzige, große Familie. Weitab schimmerten die Lichter der Stadt,
zuweilen klang von anderen Schiffen her Gesang und Rufen, sonst war
alles still, alles dunkel, -- nur da unten regte sich mehr und mehr das
geheimnisvolle Leben der Tiefe.

Im Umkreis von zehn Schritten hell beleuchtet, bildete das Wasser den
Tummelplatz ungezählter Fische und anderer Geschöpfe. Was nie an der
Oberfläche erschien, sich nie dem Menschenauge am hellen Tage preisgab,
das schwamm jetzt vorsichtig herbei, um den ungewohnten Anblick des
Lichtes aus der Nähe zu genießen. Rundlich und platt, größer und
kleiner, bald zierlich schlank, bald von außerordentlicher Häßlichkeit,
so scharte sich's um den kleinen, hellbeleuchteten Glaspalast da unten
in der Tiefe. Zitternde Strahlen umgaben den Mittelpunkt, halbverwischt
spiegelten sich Mond und Sterne, und lautlos glitt und krabbelte es in
dem beweglichen Element. Zwischen Felsspitzen, deren höchste Ausläufer
vielleicht bis zu sechs Metern unter dem Schiffskiel heraufragten,
öffnete sich eine Art von Thal, das unzählige lebende Geschöpfe und
Organismen bewohnten. Große Einsiedlerkrebse, die sich im heftigsten
Kampfe befanden, kleine mit dem Schneckenhause, in dem sie leben,
Ringelwürmer, Wasserspinnen, dazwischen die zierlichen Seesterne,
Muscheln und Schnecken ohne Zahl -- so bevölkerte es, sich mit tausend
Gliedern regend, aufgeschreckt durch die plötzliche ungewohnte Helle,
den Grund, während weiter oben in den Strahlen der Lampe die
verschiedensten Fische herbeieilten.

»Sieh diesen!« rief Franz, »er will das Licht verschlingen!«

Ein lautes Gelächter aller Zuschauer begleitete das komische Gebaren des
Fisches. In Kugelform, scheinbar ohne Kopf, häßlich und plump schoß er
heran und ebenso schnell wieder zurück, wenn sich die Nase an der
Glaswand stieß. Seine Sprünge im Wasser, sein halb keckes, halb
furchtsames Vorgehen erregten immer aufs neue die Heiterkeit der
Versammelten, dennoch aber konnten sie ihre Aufmerksamkeit nicht diesem,
dem Kofferfisch allein zuwenden. Der anderthalb Meter lange und dabei
nur daumsdicke fliegende Drache mit Fledermausflügeln, der Drachenkopf
mit seinem häßlichen Gesicht und hahnenkammartigen Flossen, der Flughahn
mit förmlichen Flügeln, der Seeskorpion mit Hörnern auf dem Kopfe, der
Seehase mit breitem Maul und großen Kuhaugen, alle drängten sie sich
herbei, um zu staunen.

»Wollen wir nicht jetzt das Netz heraufziehen?« fragte Hans.

»Noch nicht,« wehrte Holm. »Es müssen ein paar Größere mit hinein.«

»Rochen, nicht wahr, Doktor? Ich habe gerade die längste Art hier
zahlreich vertreten gefunden.«

»Ah! -- da ist schon einer und zwar ein stattlicher Kerl, ein Hairoche
von drei Meter Länge! -- Und dort noch einer. Nun gibt es Krieg.«

[Illustration: Fischfang mit Schleppnetz und Licht.

»Rundlich und platt, größer und kleiner, bald zierlich schlank, bald von
außerordentlicher Häßlichkeit, so scharte sich's um den kleinen
hellbeleuchteten Glaspalast da unten in der Tiefe.«]

Von zwei Seiten näherten sich die ungeschlachten Tiere mit
scheibenförmigem Körper und kaum erkennbarem Kopfe, an dem sich Mund und
Kiemenspalten unten, und Augen und Spritzlöcher oben befinden. Die
stachlichten Schwänze peitschten das Wasser, die Augen funkelten
raublustig; so viel Beute auf einen Schlag, das mochten sie nie erlebt
haben.

»Der kleine mit dem kreisrunden Körper ist ein Zitterroche!« rief Holm.
»Nun gebt acht, was folgen wird!«

Wirklich schossen auch die beiden großen Fische auf einander zu und
begannen sogleich einen erbitterten Kampf. Sich von der Seite her
begegnend, versetzten sie einer dem andern die kräftigsten
Schwanzschläge, bis endlich der Zitterroche Gelegenheit fand, seinem
Gegner einen elektrischen Schlag beizubringen und dadurch den Streit zu
entscheiden. Völlig betäubt fiel der Hairoche auf den Grund des Netzes
zurück. Die kleineren Fische hatten unterdessen versucht, nach allen
Richtungen zu entfliehen; einigen gelang dies auch, die meisten wurden
freilich durch das zur rechten Zeit emporgehobene Netz erfolgreich am
Entweichen verhindert, und als endlich mit Hilfe mehrerer Matrosen das
ganze schwere Netz an Bord geholt war, da zappelte in den Maschen
desselben noch eine hübsche Anzahl von Flossenträgern; der kecke
Kofferfisch, der arme Geselle, sogar im Maule des Zitterrochens,
halbzerquetscht und ängstlich schwanzschlagend wie sein Besieger selbst.

»Das war ein reicher Fang!« rief Holm. »Besonders die Rochen sind ihres
Fleisches wegen viel wert, ebenso die meisten kleineren Fische um ihrer
Seltenheit willen. Wenn wir sie aus der Nähe besehen haben, mögen sie
weiterschwimmen.«

Und so geschah es. Verschiedene gewöhnliche Arten wanderten in die
Schiffsküche, während man jene ungenießbaren Fremdlinge der Tiefe
barmherzig verschonte und nur einige besonders wertvolle Exemplare zum
Ausstopfen vorbereitete.

Der Zitterrochen wurde geschlachtet, um morgen den Mittagstisch in der
Kajütte auszustatten. Den gänzlich betäubten Hairochen legte man in die
große Deckwaschbalje, um zu beobachten, wann das Leben zurückkehren
werde, und nachdem nun in dieser Weise der Fang besorgt war, sprach Holm
noch über das Fischgeschlecht im allgemeinen einige belehrende Worte,
daß es nämlich nicht weniger als achttausend lebende Arten gibt, daß die
meisten davon eßbar sind, und daß nur wenige giftige Gattungen bekannt
sind. »Wir werden Schleppnetz und Lampe im großen Ozean erst eigentlich
zur Verwendung bringen,« schloß er, »und dort jene interessanten
Geschöpfe kennen lernen, die zwischen dem Pflanzen- und Tierreich
gleichsam einen Übergang bilden, die Quallen in unzähligen Formen, die
Korallen und Schwämme, -- das alles hat da seine wahre Heimat. Ebenso
habe ich für seichte und vor den Haien geschützte Buchten auch einen
Taucherapparat mitgenommen. Gewiß sind mehrere unter Ihnen, die sich auf
die Anwendung desselben verstehen?« fragte er die Matrosen.

Ein mehrstimmiges »Ich, Herr!« beantwortete diesen Satz, und der alte
Steuermann fügte sogar bei, daß auf den Inseln des Stillen Ozeans jeder
Mann ein geborner Taucher sei. »Ich habe oft gesehen, wie sie sich dem
auf dem Grunde der Bucht behaglich liegenden Hai im Fluge nähern und ihn
mit einem Stock oder wohl gar mit der ausgestreckten Hand zum Zorn
reizen, damit er an die Oberfläche kommen und sich harpunieren lassen
möge,« sagte er.

»Essen denn diese Menschen das Raubtier?« fragten erstaunt die Knaben.

»O, das essen auch wohl noch andere,« meinte der Alte. »Ich habe manchen
Hai mit eingefangen und verzehrt, namentlich bei langen Reisen, wo das
Trinkwasser faul und das Fleisch knapp wurde. Da nimmt es der hungrige
Magen nicht so genau.«

»Aber wenn nun der Hai vielleicht am Tage zuvor einen Menschen gefressen
hatte,« rief voll Entsetzen Franz.

»Das mag häufig genug vorgekommen sein, mein Junge. Früher gab es aber
auf Schiffen kein Fleisch in luftdichten Blechdosen, wie jetzt, kein
eingemachtes Gemüse und keinen Apparat, um das Salzwasser genießbar zu
machen, -- die Naturwissenschaften haben in den letzten fünfzehn Jahren
das Los der Seeleute zu einem vollständig anderen, besseren
umgeschaffen.«

»Und wir sind Naturforscher!« rief Hans.

Alles lachte. Der Abend war so schön und die Gemüter so angeregt, daß
man an diesem Tage später als sonst die enge, heiße Koje aufsuchte. Früh
morgens brachte ein Boot die beiden Knaben mit Holm und ihrem Erzieher
sowie einer Anzahl Matrosen von der »Hammonia« an Bord des kleinen
Bugsierdampfers »Hansa«, der vor Lagos liegt und die größeren Schiffe
über die den Eingang sperrende Barre hinüberschleppt. Des Sonntags wegen
war er von den hamburgischen Reedern, denen er gehörte, den jungen
Söhnen ihrer Vaterstadt gern zur Verfügung gestellt worden, und so
dampfte man denn nach kurzer Küstenfahrt lustig in den stark bewegten
Strom hinein. Wahre Riesenstämme erhoben sich zur Rechten und Linken.
Mangrovengebüsche drängten sich zuweilen bis weit in das Fahrwasser vor
und ein vielgestaltiges Tierleben begann die Ufer zu schmücken.

»Zuerst beseht euch die Mangroven,« ermahnte Holm. »Sie werden nur in
den Tropen getroffen und sind immer grün; gerade diese Baumgattung ist
es, die an der afrikanischen Küste das Landen so sehr erschwert. Jeder
Busch bildet für sich ein kleines Wäldchen.«

»Wie langes Haar hängt es von den Zweigen herab!« rief Franz.

»Das sind die Wurzelfasern. Jede einzelne treibt, sobald sie den Schlamm
berührt, neue Schößlinge und wächst, selbst noch zum Mutterstamme
gehörig, wieder als faserbildender Busch empor. Dadurch entstehen die
gefährlichen tropischen Sümpfe, welche, weder Land noch Wasser,
pestartige Dünste aushauchen und den wilden Tieren als Aufenthalt
dienen. Unter und zwischen den engverbundenen Stämmen bilden sich ganze
Moräste sowohl als auch Grasflächen.«

Immer dichter und üppiger wurde das Gewirre. Schlanke Stechpalmen ragten
daraus hervor, himmelhohe Farne wiegten sich im Wind, und ungezählte
Blumen durchflochten das Ganze. Auf den Wipfeln der Bäume nisteten zu
ganzen Scharen Fischaare und Eisvögel, im Gras unter denselben lagen
Wasserböcke, Rohrböcke und Buschböcke. Andere wilde Tiere zeigten sich
nicht, nur einmal ein Leopard, der aber schleunigst das Weite suchte.
Der Strom wurde zuletzt immer schmäler und mündete in einen See, von
welchem mehrere Arme in verschiedene Richtungen ausliefen. Einen davon
bezeichnete der Kapitän des Dampfers als den Hauptaufenthalt der vielen
in dieser Gegend lebenden Flußpferde. »Sie stecken im Schilf,« sagte er,
»und betreten am Tage nur selten das Ufer. Man hört sie wie Ochsen
brüllen und sieht sie das Wasser aufblasen, aber ganz nahe kommt man
ihnen fast nie.«

Das größte Boot wurde nun ausgesetzt und bemannt, unsere Jäger nahmen
Platz und fort ging es in den schmalen Flußarm, mitten in das Herz der
grünen Wildnis hinein. Die Ruderer mußten natürlich oft mit den Rudern
gegen das Schilf stoßen, mußten die Mangrovenfasern zurückschlagen oder
durch natürliche Laubgänge fahren, sie hielten zuweilen auf Holms Bitte
gänzlich an und entdeckten auch selbst an manchen Stellen Neues und
Schönes, das erst besehen wurde. Hier ein Dorf oder eine Kolonie der
kleinen fleißigen Webervögel, die ihre Nester aus Halmen glockenförmig
und enggedrängt neben einander unter die Baumzweige hängen, dort
Nashornvögel in der ganzen Pracht ihrer Farben und etwas weiter hin
Herden gefleckter scheuer Antilopen. Wohin das Auge traf, begegnete ihm
Schönheit, lockte der Zauber des Waldes zum Ausruhen, zum Genießen, --
nur die gewünschten Flußpferde zeigten sich nicht.

Plötzlich -- horch! unter den Mangroven zur Linken regte sich's. Das
Wasser kräuselte, die Zweige rauschten, und einige kleine Vögel flogen
erschreckt davon, dann wurde wieder alles still. Die Reisenden sahen
einander an. »Was war das?«

»Vorsichtig!« ermahnte Doktor Bolten. »Jede Art gefährlicher Raubtiere
lebt hier herum.«

»Aber in das Boot hinein kann keines kommen. Ich will einmal nachsehen,
was sich da bewegte!«

Und Franz fuhr mit dem Ruder in die Gebüsche hinein. Ein Pistolenschuß,
den Holm abfeuerte, begleitete diese energische Nachforschung, aber der
Erfolg war anders, als man es erwartete. Ein Schrei aus Menschenkehlen
durchzitterte die Luft, ein schwarzes Gesicht, bis an den Mund im Schilf
verborgen, sah mit dem Ausdruck der Todesangst zu den Weißen hinüber,
während gleichzeitig ein Boot mit etwa zehn Negern an dem der Europäer
vorbei das Weite zu gewinnen suchte. Kaum sahen aber die Schwarzen den
in bedeutender Entfernung quer vor dem Flußarm liegenden Dampfer, als
sie mutlos die Ruder sinken ließen und sich hockend im Kahn
zusammendrängten. Die Feuerwaffen schienen ihnen den entsetzlichsten
Schreck eingeflößt zu haben.

Erst jetzt entdeckte man, daß der im Schilf stehende Schwarze mittels
eines Riemens aus Wurzelfasern am Boot befestigt war. Zwischen seinem
Körper und dem Fahrzeug befand sich eine Schnur von etwa sechs Meter
Länge.

Die Weißen sahen einander an. Was mochte das zu bedeuten haben? --
»Versteht keiner unter Ihnen die Sprache dieser Leute?« fragte Doktor
Bolten die Matrosen.

»Ein paar Worte kann ich schon,« meinte einer, »aber viel ist es nicht.
Wir müssen die Mohrenkerle zutraulich machen.«

Er nahm aus dem Vorratskasten eine Branntweinflasche und trank etwas von
dem Inhalt derselben, dann reichte er sie den Schwarzen hinüber.
»Prosit, ihr Affengesichter! Nun laß dir's wohlschmecken, altes Haus.«

Der Mund des Negers verzog sich von einem Ohr zum anderen. Ein Schnalzen
mit der Zunge, ein Schlagen beider Hände auf die Kniee bewies nur allzu
deutlich, daß er das Feuerwasser der Weißen nicht erst in dieser Stunde
kennen lernte. Die Flasche nehmen und sie an die Lippen setzen war eins.

Und nun schien der Bann gebrochen. Die Neger, offenbar auf der untersten
menschlichen Bildungsstufe stehend, duldeten es, daß sich das Boot der
Weißen seitlängs legte, und daß der Matrose, welcher ihre Sprache
verstand, einige Fragen stellte, besonders weshalb denn einer unter
ihnen neben dem Fahrzeug her schwimmen müsse.

Die Wilden kamen, nachdem sie etwas zutraulicher geworden, hinüber in
das andere Fahrzeug, sie betasteten jeden Gegenstand mit alleiniger
Ausnahme der Gewehre, denen sie einen heillosen Respekt entgegen zu
bringen schienen, sie ließen sich mit Entzücken Knöpfe, Münzen und
sonstige Kleinigkeiten schenken, flüchteten aber vor einer Spieluhr,
welche Franz heimlich aufzog und ihnen zeigte, bis in den fernsten
Winkel ihres eigenen Bootes hinüber. Erst als sich in ziemlicher Nähe
ein lautes, langgezogenes Brüllen hören ließ, griffen sie schleunigst zu
ihren Harpunen; der Schwimmende sprang schnellstens in das Wasser zurück
und binnen wenigen Minuten wäre die ganze Gesellschaft verschwunden
gewesen, wenn sich nicht unterdessen der Matrose mit dem Häuptling
derselben verständigt hätte.

»So ist die Geschichte!« rief er. »Na, dann spanne sich nur einer von
euch schwarzen Teufeln vor unser Boot; wir nehmen's gar nicht übel,
bedanken uns vielmehr ganz ergebenst, denn für uns wäre es durchaus kein
Vergnügen, im Schlamm zu krabbeln, aber Flußpferde schießen wollten wir
doch gern. Allons! Ihr seid waschecht, euch schadet das bißchen Schmutz
nichts!«

Während dieser Rede hatte er durch einzelne Worte und durch Bewegungen
die Neger dahin verständigt, daß sie auch die Führung des zweiten Bootes
übernahmen. Seinen Reisegenossen dagegen setzte er auseinander, was ihm
der Häuptling mitgeteilt. Die Schwarzen waren Flußpferdjäger und ihr
Verfahren, um diese Tiere aufzutreiben, ein höchst eigentümliches. Der
Schwimmer an der Leine reizt den im Uferschilf verborgenen oder gar auf
dem Grunde liegenden Koloß zum Zorne, so daß er an die Oberfläche kommt
und harpuniert werden kann. Die Jäger im Boote müssen dann aber mit
vereinten Kräften den gefährlichen Widerstand des Tieres zu bewältigen
suchen, so daß diese Jagd immer eine äußerst aufregende ist, namentlich
da die hölzernen Waffen zwischen den Zähnen des Ungeheuers wie
Strohhalme zerbrechen.

Ein zweiter Schwimmer spannte sich vor das Boot der Weißen, auch das
Ruder ging in schwarze Hände über und schneller als vorher glitten,
nachdem die gefürchtete Spieluhr unsichtbar geworden war, beide
Fahrzeuge durch das Wasser dahin. Jenes dröhnende Gebrüll, das schon
einmal die Aufmerksamkeit der Neger erregt hatte, tönte jetzt nahe und
näher. Der Flußarm erweiterte sich, ganze Strecken von Schilf, bis zu
halber Höhe überflutet, dehnten sich nach rechts und links, und inmitten
desselben lagerten an mehreren Stellen die Weibchen der Flußpferde mit
ihren Jungen. Von Röhricht und Wasser verdeckt blinzelten sie mit den
dummen Schweinsaugen schläfrig herüber, ohne indessen, da die Boote
nicht in ihre unmittelbare Nähe kamen, sich aus der bequemen Stellung,
die sie inne hatten, zu rühren. Keiner der beiden Schwimmer nahm von
ihnen die mindeste Notiz.

Jetzt aber tauchte plötzlich der eine, worauf unter dem Wasser ein
Rauschen und Toben entstand. Die Halme bogen sich, die Wellen gingen
höher und höher, das Boot wurde durch einen heftigen Ruck vorwärts
gezogen, der Schwarze erschien mit dem Wollkopf über der Oberfläche, um
zu atmen und tauchte dann nochmals, -- alles während kurzer zwei
Minuten.

In dem anderen Boote hielten sämtliche Neger die Wurfwaffen handgerecht;
sie schienen zu wissen, daß jetzt der Augenblick der Jagd herangekommen
war. Gespannten Blickes verfolgten sie das Toben und Schlagen unter dem
Wasser.

Und dann erschien plötzlich unter der trübegewordenen Flut ein plumper
Kopf, fast viereckig, mit kleinen Augen und drohenden Stoßzähnen. Einige
ruckartige Bewegungen förderten den ganzen Koloß zu Tage und auf die
ziemlich flache Uferwand. Prustend und schnaubend, das Wasser aus den
beiden Spritzlöchern hoch empor schleudernd, so stand der Hippopotamus,
der einzige seiner Art, im Schilf und brüllte wie ein wütender Stier,
obgleich seine ganze Erscheinung weit mehr derjenigen des gemästeten
Schweines glich. Reichlich vier Meter lang und über zwei Meter hoch,
hatte er eine bräunliche, haarlose, purpurn durchschimmerte Haut, einen
Hängebauch, der beinahe den Boden berührte und plumpe, schwarze,
viereckige Füße, kurz er war alles in allem von so unbeschreiblicher
Häßlichkeit, daß nicht einmal der Zorn, welcher ihn im Augenblick
beherrschte, dieselbe vergeistigen und wenigstens _furchtbar_ machen
konnte.

»Laßt uns nicht schießen!« rief Holm. »Ich möchte sehen, wie die Neger
diese Jagd zu Ende führen.«

Im selben Augenblick schwirrten auch schon die Harpunen durch die Luft,
und wenigstens ihrer sechs zitterten an den langen Leinen, welche sie
hielten, im Fleische des Ungeheuers. Jetzt mochte dieses die Gefahr
begreifen; es wollte, dem ersten Antrieb gehorchend, flüchten und trat
rückwärts, aber schon waren sämtliche Neger Hals über Kopf aus dem Boot
an das Ufer gesprungen und zogen mit vereinten Kräften das Tier zu sich
heran. Die mächtigen Kinnladen schlugen voll Wut gegen einander, der
Körper, bluttriefend und von Wunden zerrissen, bog sich mit der größten
Anstrengung nach hinten, die plumpen Füße glitten aus und die ganze
schwere Masse stürzte vor Schmerz brüllend in dröhnendem Fall auf den
Erdboden.

Noch während ihm die Eisenwaffen der Neger den Garaus machten, schlug
der Hippopotamus mit den Füßen um sich und zerbiß, was er erreichen
konnte; jetzt aber war sein Schicksal besiegelt, schon nach wenigen
Augenblicken hatte er aufgehört zu leben. Unter dem Jubelgeschrei der
Schwarzen wurde er sofort in Stücke zerlegt, auch die Weißen verfolgten
das anregende, ungewohnte Schauspiel mit dem lebhaftesten Interesse, und
eben wollten sich die Knaben an Land begeben, als plötzlich der
Schwimmer einen lauten Ruf ausstieß. Dicht vor dem Boote erschien ein
behaarter Kopf, dem alsbald der ganze Körper folgte. Ein dumpfes,
anhaltendes Gebrüll, die dunklere Farbe und die erstaunliche Größe
zeigten das _alte, zornige Männchen_; die gelbgefärbten, spitzen Hauer
ragten bedrohlich aus dem weitgeöffneten Maul hervor, und die ganze
Haltung bewies, obwohl sich das Tier scheinbar ruhig verhielt, daß es
dennoch zum äußersten entschlossen sei.

Die Neger ließen bei diesem Anblick plötzlich ihre blutige Arbeit fallen
und warfen sich mit den Gesichtern in den Sand. Einer unter ihnen ging
mit vorgehaltenen Händen, ohne Waffen, zitternd an allen Gliedern, der
Stelle zu, wo mitten im Schilf das kolossale Tier, der Behemot unserer
christlichen Überlieferung, brüllend mit gesenktem Kopfe dastand. Nur
der Matrose, welcher vorhin die Schwarzen angeredet, verstand was er
sagte. »Du bist der Uralte dieser Gewässer, du bist der Mähnenträger,
der furchtbare, den Abosam gesandt, du bist es, der schon die jungen
Leute mit seinen Hufen zertreten hat, als unsere Großväter an deinen
Weideplätzen wohnten, und der noch das dritte und zehnte Geschlecht nach
uns zertreten wird, bis der Geist, welcher in den Wolken wohnt, die Erde
nehmen und sie zerschmettern mag wie einen Ball. Wir verfolgen dich
nicht, Furchtbarer, wir haben dich nicht gerufen, -- geh zurück in dein
Reich.«

Die Worte wurden in singendem, beschwörendem Tone gesprochen, und
nachdem sie der Neger beendet, fing er an zu tanzen. Es war aber ein
sonderbarer, fast schauerlicher Tanz, dem der Ausdruck des Entsetzens in
den schwarzen Zügen eigentümlich widersprach. Sich langsam von einer
Seite zur anderen drehend, behielt er fortwährend den Feind im Auge, hob
plötzlich, den Oberkörper zurückbiegend, beide Arme über den Kopf und
schlug dann mit den Händen von oben nach unten durch die leere Luft. Der
Hippopotamus blieb in seiner zuwartenden Stellung, von Zeit zu Zeit
brüllte er eine kurze, herausfordernde Antwort oder spritzte hohe
Wasserstrahlen durch die Nasenlöcher hervor, dann sah er sich wieder im
Kreise um und peitschte ungeduldig die Wellen. Es schien, als sei er auf
einen Angriff gerüstet.

Der Matrose hatte unterdessen die Worte des Negers ins Deutsche
übersetzt. »Was meinen Sie, Herr Doktor,« fragte er blinzelnd, »wollen
wir dem Uralten eins auf seinen borstigen Kopf brennen, daß er es
vergißt, mit den großen Elefantenfüßen die schwarzen Kerle zu zertreten?
Mir deucht, das wäre ein kapitaler Spaß.«

»Sie sehen ihn für eine Art von bösem Geist an!« rief Franz. »Laßt uns
die Bestie niederschießen, damit die armen, unwissenden Menschen ihren
Irrtum erkennen.«

»Wo ist der Schwimmer geblieben?« fragte Holm. »Wahrhaftig, auch der hat
sich beizeiten aus dem Staube gemacht.«

»Feuer!« kommandierte Doktor Bolten. »Wenn die mißleiteten Heiden das
Blut fließen sehen, so werden sie sich ja nicht länger vor ihrem Behemot
fürchten.«

Mehrere Schüsse krachten zugleich, ein Schreckensschrei der Neger
begleitete den Schall, und über das ganze Boot hin spritzten schlammige
Wellen. Das Flußpferd raste förmlich. Die schwarzen Borsten an der Nase
und den Ohren standen kerzengerade empor, der ungeheure Kopf riß ganze
Büschel von Schilf und Ranken aus den Uferwandungen, das Gebrüll glich
dem fernen Rollen des Donners. Es blutete aus mehreren Wunden, ohne
tödlich getroffen zu sein.

[Illustration: Der »Uralte der Gewässer«.

»Es war aber ein sonderbarer, fast schauerlicher Tanz, dem der Ausdruck
des Entsetzens in den schwarzen Zügen eigentümlich widersprach!«]

Der Neger, welcher vorhin getanzt hatte, lag jetzt neben den übrigen im
Sande, aber nicht ohne fortwährend seine Beschwörungsformeln zu murmeln
und die Hände über den Kopf zu erheben. Das Wort »Abosam« (Teufel)
wiederholte sich häufig, der Ton aller dieser Worte verriet die innerste
Herzensangst.

»Das Tier ist nur leicht verwundet!« rief Holm. »Wir müssen auf die
Augen zielen. Feuer.«

Eine zweite Ladung von Kugeln traf den Dickhäuter, zugleich aber trieben
die Wellen, durch das Stampfen und Toben des wütenden Flußpferdes in
Bewegung gebracht, den Kahn bis in die tiefere Mitte des Wassers. Der
getroffene Koloß, halb und halb schon taumelnd im letzten Kampfe,
brüllend vor Schmerz und Wut, näherte sich mit ungestümer Bewegung dem
Boote und packte von oben und unten den Rand desselben. Die gewaltigen
Hauer schlugen tief in das Holz hinein, die breite Brust hob wie einen
Strohhalm das Fahrzeug empor und warf es samt allen seinen Insassen mit
solcher Macht in das Wasser, daß dieses hoch aufspritzte und im
zischenden Strudel das Boot weit hinausschleuderte. Kieloberst
schaukelte es im Schilf, -- von den Weißen war keine Spur mehr zu sehen.

Das Flußpferd taumelte, machte Schritte nach rechts und links,
schüttelte den Kopf wie in unerträglichem Leiden und fiel schwer zurück
in das Schilf. Nur halb vom Wasser verborgen, lag es tot und regungslos
da. Die Neger verbargen noch immer ihre Gesichter.

Mitten im Wasser arbeitete und kämpfte es, ein Kopf kam zum Vorschein,
-- Franz sah aus den Fluten hervor. »Helft doch!« rief er mit lauter
Stimme, »um des Himmels willen, so helft doch! Wollt ihr denn um eurer
unsinnigen Furcht willen andere Menschen ertrinken lassen?«

»Hierher, Franz!« rief hinter dem Knaben der junge Gelehrte. »Faß an.«

Er hatte sich halben Leibes aus dem Wasser herausgearbeitet und hielt in
seinen Armen den jüngeren Knaben. »Ach, das ist gut, Hans kommt schon
wieder zu sich! -- Jetzt rasch, damit wir unseren alten Freund noch
rechtzeitig finden.«

Er hob den taumelnden Knaben an das Ufer, und nun begann auf dem Grunde
des Flusses die eifrigste Nachforschung, der sich auch binnen wenigen
Augenblicken sämtliche Matrosen anschlossen. Es war allen gelungen, die
Oberfläche zu erreichen, nur Doktor Bolten allein mußte, vielleicht vom
Schilf zurückgehalten oder von einer Ohnmacht ergriffen, dem Anschein
nach als verloren gelten. Selbst sein Körper konnte nicht entdeckt
werden.

Die Neger hockten im Kreise um den gefallenen »Uralten« ihrer Flüsse.
Sie sprachen mit ihm, sie betasteten vorsichtig seinen großen Kopf und
schlugen mit Binsen auf die dunkel gefärbte, haarlose Haut, ohne sich im
mindesten um das Geschick der Fremdlinge zu bekümmern. Als sie sich
überzeugt hatten, daß das Leben des Gefürchteten entflohen sei, faßten
sie sich wie Kinder an die Hände und begannen einen Freudentanz, wobei
sie sich abwechselnd auf den Rücken warfen und in rasender Eile
herumwirbelten. Sowohl ihre Jagdbeute als auch die Feuerwaffen der
Weißen waren vergessen, -- nur daß der Abkömmling Abosams tot vor ihnen
dalag, schienen sie zu begreifen.

Die Stimme des Matrosen rüttelte sie auf. »Wollt ihr gleich Hand ans
Werk legen, ihr schwarzen Teufel!« rief er. »Wir vermissen noch einen
Mann, helft uns ihn wiederfinden.«

Die Neger drängten sich schnatternd zusammen, und nach kurzer Beratung
trat der, welcher ihr Anführer zu sein schien, vor. »Ob die Weißen den
Körper des getöteten Tieres herausgeben und darauf keinen Anspruch
machen wollten?« fragte er zögernd.

»Alle fünfhundert Peitschen, die ihr aus dem Fell schneiden könnt,
sollen euch auf dem schwarzen Rücken tanzen, wenn ihr nicht zugreift!«

Diese kräftige Ermunterung genügte, um alle Unverschämtheit in Respekt
zu verwandeln. Die ebenholzfarbigen Männer tauchten unter das Wasser wie
Enten, oder schwammen dem Boote nach, holten vom Grunde die Ruder und
Gewehre herauf und suchten emsig den Körper des offenbar Ertrunkenen.
Ehe mehrere Minuten vergingen, brachten sie den ganz von Schilf und
Wasserpflanzen umstrickten Körper an die Oberfläche. Doktor Bolten hatte
allem Anschein nach aufgehört zu leben.

Die Schreckensrufe der Knaben unterbrachen das lastende Stillschweigen;
einer nach dem andern versammelten sich alle, Matrosen, Neger und die
Reisegefährten selbst, um den unglücklichen, seinen Freunden so teuren
Mann, auch Hans schlich herzu, obgleich er sich selbst kaum auf den
Füßen halten konnte. Niemand dachte an die Gefahr der Lage, an die
durchnäßten Schießwaffen und verlorenen Lebensmittel, sondern aller
Augen verfolgten gespannt und ängstlich die Bemühungen Holms, der nun
den Ertrunkenen nach ärztlicher Weise zu behandeln begann. Zuerst legte
er unter Beistand der Matrosen den Körper auf Bauch und Gesicht, um das
eingedrungene Wasser herausfließen zu lassen, und dann brachte er seinen
Mund an den des anderen, fortwährend aus allen Kräften in die unthätigen
mit Blut überfüllten Lungen Luft hineinblasend, während zugleich Franz
die inneren Handflächen rieb, und ein paar Neger die entblößten Füße mit
Nesseln peitschten. Aber trotz aller dieser vereinten Bemühungen dauerte
es lange Zeit, bevor der Verunglückte die ersten Lebenszeichen gab; man
verbrachte eine angstvolle halbe Stunde und fing schon an, die Sache als
hoffnungslos fallen zu lassen, da endlich kehrten Wärme und Atem zurück,
die Lippen bewegten sich, und ein Schauer durchlief den ganzen Körper.
Es galt jetzt nur noch, die gesunkenen Kräfte des alten Mannes durch
einige stärkende Nahrungsmittel wieder zu beleben und ihn, ehe das
Bewußtsein erwachte, wenigstens in trockene Gewänder zu hüllen.

Da das Negerdorf etwas weiterhin unmittelbar am Flußufer lag, so wurde
langsam der Weg dorthin fortgesetzt. Einige Schwarze blieben bei den
erlegten Tieren zurück, die anderen ruderten, und nach wenigen Minuten
war die kleine Niederlassung erreicht. Mitten im Walde belegen, nur aus
einer geringen Anzahl von Hütten bestehend, zeigte sie sich als das Bild
trostlosester Armut. Zwischen Pfützen und Lachen, in denen sich Schweine
mit verschiedenem Geflügel einträchtig tummelten, sah man die spitzen
Rohrdächer der Wohnungen oft an mehreren schwankenden Pfählen befestigt,
ohne daß zwischen diesen letzteren irgend eine Wand zu entdecken gewesen
wäre. Wie alle Negerhäuser etwas über dem Erdboden belegen, also
Pfahlbauten, hatten sie einen dürftigen Bambusfußboden und ein paar
Matten zur Lagerstatt, weiter nichts; nur die allerwenigsten zeigten
feste Wände.

Frauen und Kinder liefen den Ankömmlingen entgegen, hundert Stimmen
sprachen zugleich; das gutmütige Völkchen brachte den schrecklichen
Kaffee der Kolanuß sowie den Branntwein, welcher vielfach in tropischen
Ländern aus den Wurzeln einer Pfefferart gewonnen wird, kurz die
schiffbrüchigen Fremdlinge wurden außerordentlich gastfrei aufgenommen,
und als endlich der langsam Erwachende in Matten gehüllt sicher gebettet
lag, als Holm erklärte, daß nun alle Gefahr vorüber sei, da kehrte bei
den Knaben das Vergnügen des Abenteuers, das Verlangen, sich die
Negerhütten näher zu besehen, mit Macht wieder in die Herzen zurück. Sie
mußten ja ohnehin die nassen Kleider am Körper trocken laufen und
spürten auch infolge des kalten Bades einen Hunger, der ihnen nur durch
die Gastfreundschaft der Schwarzen gestillt werden konnte. »Gib acht,«
flüsterte Franz, »man setzt uns Affenbraten vor, -- ich habe das bei den
Gallinas erlebt.«

So wohl sollte es indessen den jungen Naturforschern nicht werden. Als
die ganze ausgehungerte Schar so plötzlich über das arme kleine Dorf
herfiel und vor allen Dingen essen wollte, da erschien auf den großen,
grünen Blättern, welche Teller und Tafeltuch zugleich vertreten mußten,
ein Gericht, das sämtliche Deutsche dem Aussehen nach für geschnittenen
weißen Kohl hielten, und das in einer Art von Pfanne auf offenem Feuer
vor den Hütten geschmort worden war. Franz roch daran, »Essig gibt's
hier nicht, -- schade!«

Der Matrose hob ein paar Fäserchen von seinem Blatt empor. »Das sieht
mir aus wie Mückenbeine!« sagte er bedenklich. »Hm, hm, auf dem Halm
oder sonst aus irgend einer Wurzel heraus ist die Geschichte nicht
gewachsen.«

Hans schauderte. »Sie meinen doch nicht, daß es Tiere sind, Maat?«

»Sehen Sie einmal dahin, junger Herr! Rechts auf Ihrem Teller lebt das
Gericht noch und will eben jetzt mit geknickten Beinen Reißaus nehmen,
-- Heuschrecken, sage ich Ihnen, leibhaftige Heuschrecken.«

Und so war es wirklich. Zu Tausenden auf dem Felde eingefangen, wurden
diese Tiere von den Wilden zwischen zwei flachen Steinen zermalmt und
mit etwas Fett und Gewürz einige Augenblicke lang der Hitze ausgesetzt.
Daß dabei das eine oder andere arme Geschöpf nur halb getötet worden und
noch lebend und zappelnd in die Glutpfanne gelangt war, -- nun das ließ
sich nicht ändern. Es schmeckte auch roh gut, wenigstens verspeisten die
reichlich umherspielenden Kinder mit Behagen jedes Insekt, das ihnen
über den Weg lief.

Den Deutschen war der Appetit gründlich vergangen. Etwas anderes als das
graugrüne, unangenehme Gemisch vor ihnen gab es in dem Negerdorf nicht,
was blieb daher übrig, als zur Unglücksstätte zurückzufahren und ein
tüchtiges Stück Fleisch des erlegten Dickhäuters herbeizuholen? Gedacht,
gethan! Zwei Matrosen mit den Knaben ruderten wieder stromauf, während
die beiden anderen bei den durchnäßten Gewehren Wache hielten und
dieselben so gut als es ging von dem eingedrungenen Wasser reinigten.
Als die Abgesandten mit einem tüchtigen Braten beladen wieder anlangten,
wurde ein starkes Feuer entzündet, Pfefferkörner und Salz mit einigen
frischen Lorbeerblättern, einer Zwiebel und einer Menge grüner Bohnen,
die reichlich rings umher wuchsen, zum Feuer gesetzt und das
abgewaschene Fleisch hinzugethan. Ein Matrose spielte den Koch und gab
ganz ernsthaft den übrigen seine Befehle. »Sie, junger Herr, pflücken
Sie gefälligst ein paar reife Melonen, die ich dort in großer Menge
wachsen sehe, und Sie, besorgen Sie für die Gesellschaft einige Teller!
Flache Steine wären mir aber bei meiner armen Seele lieber als Blätter,
denn ob das Fleisch sehr mürbe werden wird, steht einstweilen noch
dahin, -- wir müssen es vielleicht nachdrücklich mit dem Messer
bearbeiten. So, jetzt wäre die Hauptsache gethan. Im Fall es ein
Schweinebraten sein sollte, müssen wir uns Zwiebel und Lorbeer, im Fall
es ein Pferdebraten ist, die Bohnen hinwegdenken. Ein weiser Haushalter
bereitet sich vor auf alle etwa eintretenden Verhältnisse, und wer noch
keinen Hippopotamus verspeisen half, der kann nicht wissen, wie er
schmeckt. Ich habe gesprochen!«

Die übrigen lachten. Wie der helläugige, spitzbübisch lächelnde Sohn
Hammonias mit untergeschlagenen Beinen, den Eisenlöffel in der Hand,
vorm Feuer saß und Befehle gab, die alle sofort befolgt wurden, da
schwand aus den Herzen der letzte Schatten des Unbehagens, Franz
pflückte Beeren und Früchte verschiedenster Art, Hans sammelte Nüsse für
den Nachtisch, ein Matrose zerrieb zwischen zwei Steinen die reifen
Maiskörner, um Mehl für einige Klöße zu gewinnen, und der letzte suchte
die nötigen Teller zusammen, welche dann im Flusse erst einer
gründlichen Reinigung unterzogen wurden.

Als Franz zur Feuerstelle zurückkehrte, hob der Matrose den Deckel vom
Topf. »Nun, junger Herr, wonach riecht's?«

Franz beugte sich über die wallenden Dampfwolken. »Nach etwas
außerordentlich Gutem, Maat! Ich glaube, es wird ein Schweinebraten!«

Er nahm mit dem Taschenmesser eine Bohne aus dem brodelnden Gemisch
heraus und aß sie mit Behagen. »Noch nicht gar,« erklärte er, »aber sehr
schön schmeckend. Ob wohl diese schwarzen Menschen gar keine Gemüse
essen?«

»Das wollen wir gleich sehen.« Und der Koch nahm aus dem Gefäß einen
Löffel voll Bohnen, den er zierlich gegen eine der anwesenden Frauen
vorstreckte. »Diese ehrenwerte Madame oder das gnädige Fräulein -- man
weiß hier nicht so recht, wie es mit den Titeln steht -- hat schon seit
einer Stunde heimlich die Heuschreckenpastete benascht,« sagte er,
»immer wenn ich zur Seite sehe, schwebt so ein unglücklicher Grashüpfer
zwischen den schwarzen Fingern und den greulichen, spitzgefeilten
Zähnen, die edle Dame muß also einen gewaltigen Hunger im Kamisol haben.
^Don't^ schenir ^you^!«

Mit dieser letzteren, aus englisch und deutsch in freier Bearbeitung
zusammengesetzten Ermunterung bot er der Negerin den Inhalt des Löffels,
aber eine hastige, abwehrende Antwort, nur dem Tone nach verständlich,
schallte ihm entgegen. Die Schwarze wandte sich schaudernd ab.

Der Matrose zuckte die Achseln. »Kann dir nicht helfen, meine Schöne,«
sagte er, »es kommt im Leben allemal auf den Geschmack an. Was thut ihr
denn aber mit den Bohnen, he?«

Die Frau mochte den Sinn dieser Frage verstehen. Sie nahm aus einer Ecke
der Hütte anstatt aller Antwort eine Handvoll trockner Bohnen und warf
sie den Hühnern vor.

»Dazu?« nickte der Matrose. »Würde übrigens den guten Eierspenderinnen
lieber die Heuschrecken überlassen und die Bohnen selbst behalten. Aber
-- ^chacun à son känguruh^, wie, glaube ich, die Franzosen sagen. --
Junger Herr, wollen Sie jetzt zu Tische rufen?«

Laut lachend sprang Franz davon und wandte sich der anderen Seite des
Dorfes zu, wo mittlerweile sein alter Erzieher in mehrstündigem Schlaf
die Folgen des unvermuteten Bades überstanden hatte. Der würdige
Gelehrte steckte bis über die Schultern in einem Haufen von angenehm
duftenden, trocknen Farnkräutern, auf dem auch sein Haupt einen
behaglichen Ruhepunkt gefunden. Seine Kleider schaukelten an den
nächsten Baumstämmen.

Die ohnehin durch das Französisch des Matrosen erregte Heiterkeit
schwoll bei diesem Anblick in der Seele des Knaben bis zum lauten,
jubelnden Ausbruch. Er warf sich lachend neben dem seltsamen
Blätterlager auf die Kniee und küßte seinen väterlichen Freund der so
nahe, so nahe an den Pforten des Todes dennoch dem Leben glücklich
erhalten worden war. »Wir wollten bei Ihnen bleiben, Herr Doktor,« sagte
er herzlich, »aber Karl schickte uns fort, Hans und mich.«

»Daran that er sehr recht,« antwortete lächelnd der alte Herr. »Es war
für euch besser, das kaltgewordene Zeug laufend und springend zu
trocknen, als hier zu sitzen und mich schlafen zu sehen. Das Flußpferd
hätte mir übrigens um ein Haar den Garaus gemacht, ich stürzte kopfüber
in ein undurchdringliches Gewirre von Pflanzenfasern, wollte mich
herausarbeiten und geriet immer tiefer hinein, bis ich das Bewußtsein
verlor. Die Neger müssen gerade diese gefahrbringende Stelle gekannt
haben, sonst würde ich nimmer gefunden worden sein.«

»Sie sind alle wieder zu den erlegten Tieren zurückgekehrt,« berichtete
Franz. »Es scheint, als ob sie den Uralten ihrer Flüsse jetzt auch nicht
eher aus den Augen lassen wollen, bis er in hundert Stücke zerlegt und
seine Wiederkehr unmöglich geworden ist.«

»Jetzt laßt uns nur eilen, um erst einmal tüchtig zu essen,« riet Holm.
»Nachher zeige ich euch am Ufer ein Schauspiel, das allerdings nicht
großartig, aber höchst komisch ist. Hier, Herr Doktor, Ihre Garderobe,
-- es scheint alles ziemlich trocken.«

Franz half seinem Erzieher, der sich doch immer noch etwas matt fühlte,
und dann wanderten die drei bis zu der Stelle, wo eben die letzten,
kugelrunden, von den derben Fäusten des Matrosen gedrehten Klöße gar
geworden waren, und wo das fertige Gericht im Topfe dampfte. Freilich
beanspruchte das Fleisch recht gesunde Zähne, hatten die Klöße eine
gewisse unleugbare Ähnlichkeit mit Bleikugeln, und waren die grünen
Bohnen zu Brei zerkocht, aber dennoch aßen alle mit dem besten Appetit
und bedauerten nur, den Wilden keinerlei Geschenke machen zu können. Als
die Negerboote, beladen mit Jagdbeute, zurückkehrten, und jetzt das
ganze Dorf erfuhr, welche Heldenthat die Fremdlinge verübt, da war der
Bewunderung und des Jubels gar kein Ende. Ein Schwarzer mit einem
seltsam geformten, aus Bambus angefertigten Instrument begleitete
spielend und tanzend die Gäste, wohin sie gingen, und Frauen und Kinder
warfen sich mit den Gesichtern in den Sand.

Durch den Matrosen, welcher ihre Sprache verstand, wurde ihnen ein
reiches Geschenk zugesichert, und dann machten die Deutschen am Flußufer
in der unmittelbaren Nähe der Niederlassung noch einen kleinen
Spaziergang. Weit hinein in den Wald durften sie sich ja ohne alle
Waffen nicht wagen.

»Kommt hierher,« erinnerte Holm, »ich wollte euch etwas zeigen.« -- Er
führte die übrigen zu einer Stelle, an welcher der Fluß ein breites,
sandiges, ganz flaches Ufer besaß. Dort hatten sich Tausende von
Krabben, -- die kleinen Soldatenkrabben -- eine neben der anderen
aufgepflanzt und brachten den Sand mit ihren Scheren zum Munde. Es sah
aus, als verzehrten sie die wenig einladende Speise, in der That aber
sogen sie die darin enthaltenen tierischen Stoffe nur heraus, um ihn
dann wieder fallen zu lassen. Ein klingendes, leises Geräusch, aus dem
Erdboden herauftönend und wie fernes, leichtes Singen die Luft
erfüllend, bezeichnete den Ort als Hauptansiedelung des
Krabbengeschlechtes, deren größere Arten in unterirdischen Höhlen wohnen
und dort ihre Konzerte aufführen.

Unsere Freunde verhielten sich lautlos, denn bei der geringsten Bewegung
tauchten die Krabben in ihre Löcher hinein und verschwanden auf diese
Weise buchstäblich bis in den Erdboden, -- da bewegten sich unvermutet
die niederen Gebüsche zur Seite des Strandes, und ein schwarzer Rüssel
streckte sich vor. Kleine, verschmitzte Augen übersahen die freie
Fläche, ein leichtes Grunzen wurde hörbar und eine Familie von
Warzenschweinen, Papa und Mama mit acht Sprößlingen, erschien in
Geschwindigkeit auf der Szene. Das Krabbenkonzert verstummte wie durch
Zauberei, die kleinen Soldatenkrabben waren im Handumdrehen
verschwunden, und die Schweine schienen um ihre gehoffte Beute betrogen
zu sein. Dem war aber nicht so! Die Schlauheit des kleinen Gegners
vollkommen würdigend, begannen die Räuber mit ihren plumpen Rüsseln den
Sand aufzuwühlen und unbarmherzig die kleinen wehrlosen Geschöpfe zu
verschlingen. Ihre häßlichen Köpfe hatten große, hängende, mit Warzen
bedeckte Hautlappen, die erwachsenen Tiere, waren in der Größe etwa
unserm Wildschweine gleich, von wildem Aussehen, mit einem
gefahrdrohenden Gebiß, so daß es nicht geraten gewesen wäre, sich ihnen
ohne Waffen zu nähern, namentlich da mehr und immer mehr Familien aus
dem Walde hervorkamen, um hier ihre Abendmahlzeit zu halten. Einige
Arten gruben auch Wurzeln aus der Erde oder fraßen Kräuter, die meisten
aber durchwühlten den Sand nach Krabben.

»So lebt überall auf Erden immer eine Art von dem Untergang der
anderen,« sagte Holm, »die Natur aber sorgt für das trotzdem bestehende
Gleichgewicht durch den Umstand, daß sich die Raubtiere in ihrer Anzahl
zu den geraubten oder Pflanzenfressern wie eins zu sechs verhalten, und
daß niedere Geschöpfe, z. B. Insekten, Kerbtiere, Muscheln und kleinere
Fische in jedem Jahre nach Millionen neu entstehen, um einigen wenigen
Verfolgern zur Nahrung zu dienen. Je wertloser das Einzelwesen, in desto
größerer Menge ist es vertreten.«

»Wollen wir nicht jetzt, da doch leider keine Jagd mehr möglich ist,
noch ein paar Vogelnester suchen?« fragte Franz. »Eine Eiersammlung
möchte ich gar zu gern von dieser Reise mit nach Hause bringen.«

»Auch Nester habe ich entdeckt!« antwortete Holm. »Es wohnen hier herum
ganze Scharen von Nashornvögeln, in jedem hohlen Baum wenigstens ein
Pärchen.«

Man wanderte wieder bis unter die uralten Stämme zurück, und bald sah
auch schon aus einem ganz kleinen, kaum handgroßen Loche der schöne,
stolze Kopf eines Pfefferfressers hervor, während ein anderes großes und
schöngezeichnetes Exemplar derselben Art dicht daneben saß, gleichsam
Wache haltend und die Ankömmlinge mit seitwärts geneigtem Kopfe
musternd, offenbar das Männchen der gefiederten Hausfrau, welche
treulich im Nest ihre Eier behütete.

»Aber,« rief Hans, »wie ist nur der stattliche Vogel dort
hineingekommen? Jetzt kann ja kaum mehr der Kopf hindurch!«

»Das möchte ich auch wissen, mein Herr Naturforscher!« fügte Doktor
Bolten hinzu.

»So will ich das Rätsel einfach genug erklären!« lächelte Holm, indes
Franz bereits den Baumstamm zu erklettern begann. »Wenn das Nest im
Innern der geschützten Höhlung erbaut ist, und alles für den Empfang der
Jungen vorbereitet, dann vermauert der Herr Papa höchsteigenschnäbelig
und sonder Rücksicht den Zugang, so daß Mama nicht mehr heraus kann,
sondern wohl oder übel brüten muß, bis die Jungen im Nest zirpen.
Freilich soll er bei dieser Gelegenheit auch beweisen, daß ein guter
Hausvater es versteht, die Seinen zu ernähren, und ist daher von früh
bis spät thätig, um Pfefferkörner aufzusuchen, so daß verschiedene
Naturforscher behaupten, er werde unter dieser doppelten Anstrengung
mager wie ein Skelett und sitze zuweilen vor Mattigkeit schwankend auf
den Zweigen. Erst wenn das Brütegeschäft vollendet ist, wird die
Gefangene wieder in Freiheit gesetzt.«

»Ein schöner, stolzer Vogel!« meinte der Doktor. »Schade, daß wir ihn
nicht schießen können. Dieser scheint noch keineswegs ermattet.«

»Ich will ihn fangen,« erklärte Franz. »Auf ein paar Schnabelhiebe kommt
mir's weiter nicht an.«

Er hatte auch wirklich den Baumstamm bis zum Nest sehr bald erklettert,
da aber erhob sich der Vogel und flog fort; es blieb also nur das
eingesperrte Weibchen mit den Eiern. »Soll ich das Nest erobern?« fragte
lachend der junge Wagehals.

»Greife hinein und sieh nach, ob Eier oder Junge darin sind,« antwortete
Holm. »Ist ersteres der Fall, so gib mir ein Ei herunter.«

Franz begann, auf einem starken Aste stehend, das Gemäuer rings um den
Zugang her zu zerbröckeln, aber nicht weiter als notwendig war, um die
Hand hindurchzubringen, dann verband er dieselbe mit seinem Taschentuch
und griff hinein. »Au!« schallte es den übrigen entgegen, »Au! -- Es
sind Eier! -- Au, du boshafte Kröte! wahrhaftig -- da hast du eins,
Karl! -- wahrhaftig bis aufs Blut gebissen.«

Er reichte ein Ei dem jungen Naturforscher, der es gegen das scheidende
Sonnenlicht hielt und zu seiner Freude noch ganz unbebrütet fand. Es
mochte erst gestern oder heute gelegt worden sein. »Kannst du den Vogel
ergreifen, Franz?« fragte er. »Das wäre viel wert!«

»Ich will's versuchen!« rief der Knabe, »aber so leicht bekomme ich ihn
nicht. Er beißt wie ein Papagei, -- Au du! -- Au!«

Holm lachte. »Das kommt mir vor wie jenes Rätsel: Es sieht aus wie eine
Katze und miaut und schleicht wie eine Katze. Was ist es? -- Ein Kater.
So ungefähr ergeht es dir im Augenblick mit dem Verwandten der
Papageienfamilie. Erkennst du nicht an Kopf und Schnabel die Art?«

Franz streckte den Arm aus und brachte das an beiden Flügeln gefangene
Tier zum Vorschein. »Ja,« seufzte er, »ich erkenne den Schnabel!«

Das klang komisch genug, um selbst ihn trotz seiner blutenden Wunden zum
Lachen zu zwingen. Unter allgemeiner Heiterkeit wanderten die Eier in
des jüngeren Knaben Strohhut, und dann trat unsere kleine Gesellschaft
den Heimweg an. Holm trug an den Flügeln den gefangenen Vogel und machte
Franz auf verschiedene Pflanzen aufmerksam, die auch eingesammelt
wurden. Plötzlich machte Holm vor einem dichten Gebüsch aus dornigem
Gestrüpp Halt und sagte: »Wir haben kein Gummi arabikum zum Kleben,
jetzt ist die schönste Gelegenheit da, es zu besorgen.«

»Ich sehe aber keine Apotheke,« entgegnete Franz.

»Wir beziehen unsern Bedarf direkt, ohne Zwischenhändler. Hier dieses
Gesträuch ist der arabische Schotendorn, eine Akazienart, die das Gummi
ausschwitzt, wie bei uns die Kirschbäume.« Franz trat näher und fand an
den Zweigen der Sträucher zahlreiche verhärtete Gummitropfen, die der
Dornen wegen freilich mühsam zu sammeln waren. Es gelang ihm aber,
Vorrat genug zu gewinnen. Mit Beute mancherlei Art erreichten sie das
Negerdorf.

Was aber bisher im Walde unbemerkt geblieben, das zeigte sich jetzt: --
der verscheuchte Nashornvogel war seinem geraubten Weibchen von Stamm zu
Stamm gefolgt. Selbst bis auf die Zweige der einzeln stehenden Bäume
inmitten des Örtchens wagte er sich hinan.

Der Gefangene wurde in einen alten, roh aus Binsen geflochtenen Korb
gesteckt, und dieser wohlverschlossen auf den freien Platz gelegt.
Sogleich kam das Männchen heran und setzte sich daneben wie früher vor
das Nest.

»Wir fangen ihn ein und haben dann ein Pärchen für den zoologischen
Garten!« rief Franz. »An Bord kann man schon eine Falle herrichten.«

Der Abschied wurde nun schnell bewerkstelligt, noch ein paar
zerquetschte Blätter auf die verwundeten Finger gelegt, und die Gewehre
wieder umgehängt, dann ging es fort, dem Dampfer zu. Die Sonne war fast
ganz verschwunden, ein schrilles Pfeifen vom Bord der »Hansa« rief die
Jäger zurück, und so ruderte man möglichst schnell der Ausmündung des
Seitenarmes entgegen, immer gefolgt von dem beharrlich nebenher
fliegenden Pfefferfresser.

Vom Schiff aus erhielten die begleitenden Neger reichliche Geschenke, um
welche sie sich sofort rauften und schlugen, dann wurde das Boot
eingeholt und der Dampfer dem Waldrand so nahe als möglich gebracht. Auf
den letzten Zweigen saß flügelschlagend der beraubte Vogel, er beugte
den Hals weit vor und ging ängstlich auf und ab, aber das Schiff zu
berühren wagte er offenbar nicht.

»Lassen Sie das Weibchen fliegen!« rief der Kapitän. »Diese Tiere
pflegen eins ohne das andere nicht leben zu können.«

»So müssen wir es ausstopfen,« versetzte Holm. »Diese Reise ist eben
eine wissenschaftliche, und am Ende dürfte auch der Hornvogel nicht
besser sein als alle übrigen Geschöpfe, die wir eines vernünftigen
Zweckes wegen fangen und töten.«

Dennoch aber ging es auch ihm durchs Herz, als jetzt der Vogel in weitem
Kreis das Schiff umflog und dabei einen wahrhaft erschütternden Schrei
ausstieß, den das gefangene Weibchen erwiderte. Noch einmal -- zweimal
schoß er durch den aufsteigenden Rauch dahin, dann kehrte er schweren
Flügelschlages zum Lande zurück und blieb auf dem nächsten Baume sitzen.

»Schade! Schade!« brach es über aller Lippen, »er folgt uns nicht.«

Daran ließ sich indes jetzt nichts mehr ändern, und der Dampfer
verfolgte seine Bahn, bis er die heimkehrenden Jäger an Bord der
»Hammonia« abgesetzt hatte. Man versuchte nun, den in einen leeren
Hühnerkorb gebrachten Nashornvogel zu füttern, aber das Tier nahm
keinerlei Speise, sondern saß geduckt und ängstlich da, so daß auch Holm
sein Fortleben bezweifelte. Die Eier wurden des Dotters durch
Hineinpusten beraubt und eine Sammlung dieser Art Naturalien besonders
angelegt, auch die beiden gefangenen Affen sorgfältig verpflegt und nach
dem betäubten Rochen gesehen. Der war zu seinen Vätern versammelt, wie
der Koch sagte, die Affen dagegen sehr wohlbehalten und sogar schon
etwas vertraulicher als im Anfang.

In den nächstfolgenden Tagen schrieb man Briefe nach Hause, die erste
Sendung an Reiseberichten und Jagdbeute wurde dem Postdampfer übergeben,
und eines schönen Morgens lichtete das Naturforscherschiff die Anker, um
an der Küste den Weg bis nach Sierra Leone zu verfolgen. Dort sollte ein
Segelschiff von der Firma Gottfried das Palmöl in Empfang nehmen, und
der Dampfer selbst mit den jungen Reisenden die Inseln im Busen von
Guinea besuchen. Die Fahrt dauerte nicht lange, aber sie brachte manche
schöne und reiche Erinnerung, namentlich den Anblick einer Wasserhose,
die bei starkem Gewitter dicht neben dem Schiff stand und einen
unvergleichlichen Anblick gewährte. Eine schwarze Wolke, spitz
zulaufend, senkte sich tiefer und tiefer auf das Wasser, dieses selbst
schien sich genau unter derselben immer mehr zu heben, kräuselte
weißschäumend und griff endlich ganz urplötzlich wie mit Fangarmen
hinauf. Eine hohe, gedrehte Wassersäule stand auf der Meeresfläche und
begann dann unheimlich schnell zu wandern. Das gleiche Ereignis
wiederholte sich noch zweimal, dreimal in nächster Nähe, so daß
gleichsam die dichte, schwarze Wolke eine Brücke bildete, deren
Riesenpfeiler wie Diamanten erglänzten. Hohe, gewölbte Bogen trennten
die einzelnen Säulen, dazwischen schäumten schwarze, tosende Wellen, und
glitten in ununterbrochener Reihenfolge die blendenden Blitze über das
Ganze hinweg. Es war wie im Feenpalast des Märchens, wenn so ein
grüngoldener, von Purpur und Violett angehauchter Schein die weißen
Schaumkronen überflutete, wenn sich plötzliche Helle auf das tiefe
Schwarz legte und es dann in um so dichterer Finsternis zurückließ.

Nach einer Viertelstunde begannen die Pfeiler zu schwanken, sich schief
zu stellen und endlich den Halt zu verlieren. Ein Rauschen und
Klatschen, das den Donner übertönte, begleitete den Sturz, und das ganze
schöne Schauspiel endete mit einem Platzregen.

Am dritten Tage nach der Abreise war der Nashornvogel tot. Holm nahm ein
scharfes Messer und machte an der Bauchseite des Vogels einen
Einschnitt, der jedoch nur die Haut auftrennte. Dann begann er
vorsichtig die Haut des Vogels abzuziehen, und nach einer kleinen
Viertelstunde hatte er den Balg von dem Körper getrennt. An dem Kopfende
saß der große ungestalte Schnabel und an den Beinen waren die Füße
geblieben. Damit der Balg so unverletzt als möglich erhalten wurde, ließ
Holm sich bei dieser Operation genügende Zeit, denn die mit Federn
besetzte Haut der Vögel ist ziemlich zart und zerreißt bei ungeduldigem
Ziehen gar leicht.

»Nun werden wir den Balg ausstopfen,« meinte Franz.

»Das hat Zeit, bis wir wieder in Hamburg sind,« entgegnete Holm.
»Gesetzt den Fall, wir würden diesen Nashornvogel auf das schönste
ausstopfen, wer verbürgt uns, daß er unversehrt ankommt? Außerdem
erfordert das Ausstopfen viele Zeit, die wir hier besser anzuwenden
haben, als daß wir sie an eine Arbeit verschwenden, die in der Heimat
besser und bequemer besorgt wird als hier. Alles was wir thun können
ist, den Vogelbalg zu trocknen und wie die übrigen Naturalien vor dem
Appetit der Herren Insekten schützen.«

Holm holte bei diesen Worten ein Gefäß aus der Reiseapotheke, das eine
salbenartige Masse enthielt, mit welcher er die innere Seite des
Vogelbalgs bestrich. »Ist diese Salbe auch ein Gift gegen die Insekten?«
fragte Hans.

»Eins der stärksten Gifte, das wir kennen,« antwortete Holm. »Diese
Masse besteht aus einer Mischung von Arsenik und grüner Seife. Die Seife
verhindert mit ihren schmierigen Eigenschaften das Umherstäuben des
weißen, pulverigen Arseniks und verhütet, daß der Präparator den
Giftstaub einatmet. Gleichzeitig ist etwas Alaun zugesetzt, der die
Eigenschaft hat, die Haut des Tieres in eine Art Leder zu verwandeln,
wodurch bewirkt wird, daß die Federn festsitzen und nicht ausfallen.«
Als der Vogelbalg mit der sogenannten Arsenikseife gehörig eingerieben
war, wurde er an einer Raa zum Trocknen in der Luft aufgehängt. Franz
kletterte die Strickleiter hinauf, welche zum Maste führte, und war in
wenigen Augenblicken auf der Raa, als wäre er ein echter Schiffsjunge.
Als er die Haut des Vogels dort mit einem starken Bindfaden befestigt
hatte, rief er laut Hurra und kam wieder herunter.

Befragt, warum er einen lauten Freudenruf ausgestoßen habe, antwortete
er lachend: »Ich glaubte, wir hätten nun Ferien, denn der Vogel ist das
letzte Stück von unserer Beute, das zu präparieren war.«

»Ein wirklicher Forscher kennt keine Ferien,« sagte Holm. »Außerdem
irrst du dich, wenn du meinst, es gebräche uns an Material zur
Beobachtung. Jetzt, da wir auf dem Schiffe gewissermaßen Ruhe haben und
nicht auf dem Kriegspfade mit Menschen und Tieren wandeln, haben wir
hinreichende Muße, uns mit dem Leben der Kleinwelt zu beschäftigen, die
uns das Mikroskop erschließt. Kommt laßt uns in die Kajütte gehen, es
sind alle Apparate da, deren wir bedürfen.«

Sie gingen in die Kajütte hinab. Hier nahm Holm aus einem wohlverwahrten
Kasten ein herrliches Mikroskop, das er derart auf den Tisch stellte,
daß das Licht, welches durch das Kajüttenfenster fiel, von dem Spiegel
des Mikroskopes aufgefangen werden konnte.

Er ließ die Knaben durch das obere Glas, das sogenannte Okular,
hindurchsehen, und sie nahmen eine runde, hellerleuchtete Fläche, das
Sehfeld des Mikroskopes wahr. Holm zeigte den Knaben nun, wie je nach
der Stellung des Spiegels das Sehfeld heller oder matter beleuchtet
erschien, und übte ihr Auge und ihre Hand dadurch, daß er ihnen die
Aufgabe stellte, diejenige Stellung des Spiegels ausfindig zu machen,
bei der das Sehfeld den hellsten Anblick gewährte. Hierauf nahm er eine
kleine, längliche Glasplatte, auf die er mittels eines zu einer Spitze
ausgezogenen Glasrohres einen Tropfen Wasser brachte. Diese Platte
bezeichnete er als den Objektträger, weil auf derselben die zu
untersuchenden Gegenstände -- die Objekte -- ausgebreitet werden. »Sind
Tiere in diesem Wassertropfen, die wir beobachten können?« fragte Hans.

»Nein,« erwiderte Holm. »Das Wasser, welches ich hier habe, ist durchaus
frei von allen Verunreinigungen. Wir werden jetzt eine winzig kleine
Menge jenes gelbgrünen Schlammes in das Wasser bringen, die ihr mich zu
verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten an den Ufern der Flüsse,
der Wassertümpel und Sümpfe entnehmen saht, die wir passierten.« Bei
diesen Worten entfaltete er eine Anzahl von Papierpaketen, in denen sich
ein dunkelfarbiger Staub befand. Dieser Staub war der angetrocknete
Schlamm, den Holm auf seine eigene Hand gesammelt hatte. Mittels einer
Stricknadel, die an einem Ende platt geschmiedet war, so daß sie einem
kleinen Spaten mit langem Stiel glich, mischte Holm von dem Staub in den
Wassertropfen und bedeckte diesen dann mit einem Glase, das so groß war
wie eine Briefmarke und nicht dicker als festes Schreibpapier. Dies Glas
nannte er das Deckgläschen. Dieses sogenannte Präparat legte er auf den
Tisch des Mikroskopes und blickte durch das Okular, indem er mit der
Schraube scharf einstellte, dann ließ er Franz hinein sehen.

Franz brach in einen lauten Freudenruf aus, nachdem er eine Zeitlang in
das Mikroskop geblickt hatte, und das, was er sah, war auch wohl
geeignet, ihn zu entzücken.

Das Sehfeld des Mikroskopes war mit Hunderten von ganz merkwürdigen
Gebilden wie übersät. Einige derselben glichen kleinen Schiffchen,
andere Tellerchen, die auf das reizendste mit Punkten und regelmäßigen
Linien verziert waren. »Ist das der Staub?« fragte Franz.

»Derselbe Staub, der dem unbewaffneten Auge harmlos erscheint,«
entgegnete Holm, »stellt sich unter dem Mikroskope bei starker
Vergrößerung in einem Reichtum der Formen dar, wie er größer kaum
gedacht werden kann. Diese kleinen Geschöpfe sind halb Tier halb
Pflanze, sie bewegen sich willkürlich schwimmend im Wasser und enthalten
doch den grünen Farbstoff, der den Pflanzen eigen ist. Sie bestehen aus
zwei zierlichen Schalen, die genau aufeinander passen, und wenn sie sich
vermehren, so teilen sie sich in zwei Hälften, von denen jede ein neues
Wesen derselben Art bildet. Aus diesem Grunde hat man sie Spaltalgen
oder auch Diatomeen genannt, nach einem griechischen Beiworte, das auf
deutsch »zerteilt« bedeutet. Über zweitausend Arten dieser Diatomeen
sind schon ermittelt, aber es sollte mich nicht überraschen, wenn wir
neben den bekannten Arten einige noch nicht benannte und beschriebene
fänden.«

Die Proben wurden eine nach der anderen sorgfältig durchgemustert, und
nicht lange währte es, als Holm eine der seltensten Arten entdeckte. Es
war eine runde Scheibe mit verziertem Rande, in deren Mitte sich eine
Figur erkennen ließ, die einem Kirchenfenster glich. »Das ist der
^Campylodiscus ecclesianus^,« erklärte Holm, »eine ihm sehr nahestehende
Diatomee besitzt an derselben Stelle vier Fensterchen und wird deshalb
^Campylodiscus fenestratus^ genannt, wir wollen genau nachsehen, ob wir
sie finden können.«

Nun hieß es sorgfältig beobachten, und erst nach einer halben Stunde
gelang es, ein Exemplar derselben zu bemerken. »Hier ist ein
^fenestratus^,« rief Hans, der gerade an der Reihe war. Holm bestätigte
die Wahrnehmung und bemerkte mit dem Bleistift auf dem Papier, aus
welchem der zur Untersuchung genommene Staub sich befand, den Namen der
Diatomee. Da es bereits dunkelte und die Augen von dem angestrengten
Sehen ermüdet waren, packte Holm das Mikroskop wieder ein und versprach
den Knaben, ihnen am nächsten Tage lebende Diatomeen zu zeigen.

»Woher werden wir die nehmen, da wir doch auf offener See sind?« fragte
Franz.

»Wir fischen ein treibendes Stückchen Seegras auf,« sagte Holm, »und
werden an demselben herrliche Formen finden. Fast überall, wo
Feuchtigkeit ist, kommen Diatomeen vor, sowohl im süßen Wasser wie im
Meere. Wenn wir einen Fisch fangen, so wollen wir seinen Mageninhalt
untersuchen; namentlich sind die Schellfische große Liebhaber von
Diatomeen, und ihr Magen ist in dieser Beziehung ein wahres Museum für
den Forscher.«

»Da wird er viele Diatomeen zu sich nehmen müssen, ehe er satt wird,«
meinte Franz lachend.

»Allerdings,« bestätigte Holm, »denn diese Geschöpfe sind
außerordentlich klein. So z. B. besteht der Polierschiefer bei Bilin in
Böhmen aus lauter abgestorbenen Diatomeen, deren unverwesliche Schalen
feste Kieselsäure sind. Um einen Raum von einem Kubikmillimeter
einzunehmen, müssen ihrer fünfzig Millionen zusammen sein.«

»Dann hat ein Fisch viel zu thun, um Jagd auf sie zu machen,« bemerkte
Hans lachend.

»Wenn er jede einzelne Diatomee fangen sollte, würde er sich schwerlich
bei Kräften erhalten,« erwiderte Holm lächelnd, »aber da dieselben
meistens in dichten Kolonieen bei einander leben und auch an den
Seepflanzen haften, die von manchen Fischen gefressen werden, so hat die
Natur es ihm ermöglicht, sich bequem von diesen Geschöpfen nähren zu
können. Die ungeheure Anzahl der Einzelwesen ersetzt die Größe und
ebenso verhält es sich mit ihrer Vermehrung. Während das Elefantenweib
alle drei Jahre nur ein Junges zur Welt bringt, hat eine Diatomee, wenn
keine Störungen eintreten, in vierzig Stunden schon eine
Nachkommenschaft von einer halben Million Urenkeln.«

»Wenn die Elefanten und Walfische ihnen dies Kunststück nachmachten,«
warf Franz ein, »dann wäre in einem Jahr kein Platz mehr auf der Erde
für andere Geschöpfe. Die Elefanten würden uns ins Wasser drängen und
die Walfische aufs Land. Es ist doch gut, daß in der Natur nicht alle
Geschöpfe mit gleichen Eigenschaften begabt sind.«

»Indem wir die Gesetzmäßigkeit in der Natur erkennen,« sagte Doktor
Bolten, »sehen wir, daß ein weiser Schöpfer über uns und aller Kreatur
wacht. Je tiefer der Menschengeist in die Natur eindringt, um so mehr
erkennt er das Walten einer höheren Macht. Ob wir die Bahnen der
Himmelskörper, der fernen Welten im weiten Himmelsraum verfolgen, ob wir
die Diatomee im Wassertropfen in ihrer zierlichen Kleinheit bewundern,
oder ob die Majestät der tropischen Urwälder uns mit geheimen Schauern
erfüllt, überall fühlen wir die Größe des Schöpfers.« --

Man wünschte sich gute Nacht, nachdem Holm den Knaben versprochen hatte,
sobald die Gelegenheit sich darbieten werde, ihnen neue Wunder mit dem
Mikroskop zu erschließen.

Während der Schlaf die Forscher zu neuer Thätigkeit stärkte, setzte das
Schiff unverändert seinen Kurs fort, der Steuermann am Rade wachte für
sie, bald nach den Sternen, bald nach dem Kompaß blickend, und so glich
das auf dem Ozean dahingleitende Schiff der Erde selbst, die ihre Bahnen
zieht, wie sie ihr ein höherer Lenker vorschreibt.




                           Drittes Kapitel.


Lagos und der Golf von Benin lagen hinter der »Hammonia«, die
Nigermündung war in Sicht. In dieses sumpfige, fast unbekannte Land,
dessen Fieberklima bei längerem Aufenthalt für den Weißen tödlich ist
und selbst von den eingebornen Negern kaum vertragen wird, sollte ein
Vorstoß gemacht werden. Man wußte, daß das Land von einer Menge kleiner
Stämme bewohnt wird, die zu den wildesten, niedrigst entwickelten der
Neger gehören. Bei einigen geht sogar noch die Menschenfresserei im
Schwange. Ein portugiesisches Handelsfahrzeug, welches Tauschverkehr mit
diesen scheuen, wenig zugänglichen Stämmen trieb, fand man an der
Sumpfküste vor Anker. Von seinen Matrosen wurden einige, welche bereits
ins Innere gekommen und der Landessprache einigermaßen kundig waren, als
Führer angeworben und mit ihrer Hilfe einige zwanzig Küstenneger als
Träger und Leibwache gemietet.

Zunächst der Küste saß der Stamm der Bonny, oder wie sie sich selbst
nannten, der Bonnyleute. Sie befanden sich augenblicklich wieder einmal
in einem jener kleinen, niemals aufhörenden blutigen Kriege mit dem
Stamme der Benin. Wie ein Fluch hängen diese Raub- und Mordfehden über
dem schwarzen Erdteile, ein Stamm mordet den andern, die schwarze Rasse
zerfleischt sich unter einander, teils aus Blutrache, aus Haß oder aus
Gewinnsucht, der Besitztümer oder der Sklaven wegen.

Man nahm einerseits Herden und anderseits Sklaven weg, lieferte
Schlachten und verbrannte ganze Dörfer; jedoch hatte sich der Krieg weit
landeinwärts gezogen, es ließ sich also annehmen, daß die Gegend, welche
dem Kriegsschauplatz fern lag, im Augenblick ungefährdet zu durchziehen
sei.

Die wohlversehene Handapotheke, Waffen jeder Art, Lebensmittel und
Decken, auch ein Dolmetscher, der die Bonnysprache redete, wurden
mitgenommen, und so ausgerüstet machten sich die Weißen auf die Reise
nach dem unteren Niger, um den berühmten Affenberg, wo wenigstens fünf-
bis sechstausend dieser Tiere ihren Wohnsitz haben sollten, aus der Nähe
zu sehen. Das Unternehmen hatte bedeutend größere Gefahr als die
früheren, aber es versprach auch reicheren Lohn, namentlich was die
Kenntnis von Natur und Bewohnern dieses fast unbekannten, nur selten von
einem portugiesischen Händler betretenen Landes betraf.

Man erreichte das erste Bonnydorf. Die Eingebornen gewährten den
Fremdlingen bereitwilligst Unterkunft, und so blieben zwei der weißen
Führer zur Beaufsichtigung des Gepäcks im Dorfe zurück, während die
übrige Reisegesellschaft weiterzog. Obgleich die Küstengegend viel mehr
den Charakter eines unwegsamen Sumpfes als den eines festen Landes trug,
so zeigte sich das wenig erforschte Binnenland doch an Pflanzen- und
Tierformen ebenso reich, in der Wildheit seiner Bewohner ebenso
gefährlich wie jenes früher gesehene Stück Afrika, in allen Beziehungen
aber großartiger.

Ganze Trupps von gefesselten Sklaven und Kriegsbeute der Bonnys
begegneten den Weißen, sowohl Männer als Frauen und Kinder, sogar
Säuglinge, die, auf den Hüften der Mütter sitzend, von dem einzigen
Bekleidungsgegenstand derselben, einem großen Wollentuch, gehalten
wurden. An einer langen Stange, die sie auf den Schultern trugen, gingen
mit zusammengeschnürten Händen die unglücklichen, total nackten
Geschöpfe zwischen den triumphierenden Gestalten ihrer Besieger, den
weißgekleideten, mit langen Wurfwaffen versehenen Bonnyleuten; sie
kannten ihr Schicksal und hatten sich offenbar vollständig in dasselbe
ergeben, wie denn überhaupt zwei Dritteile aller Bewohner Afrikas ihr
lebenlang Sklaven bleiben, ganz einerlei ob unter der menschlicheren und
zuweilen sogar guten Behandlung der Weißen oder der schlechten ihrer
eigenen Landsleute. Sie kennen nichts anderes und haben sich in ihre
Lage von jeher gefunden.

Im Gebiet der räuberischen, aller Kultur entfremdeten Benins, wo noch
Menschenopfer und sogar noch Menschenfresser angetroffen werden, machte
man nach einigen Tagen mühseligen Marsches Halt. Weiße Leute waren hier
nie gesehen, die Dorfbewohner drängten sich zusammen, und eine Frau
flüsterte halb ängstlich, halb erwartungsvoll ihrer Nachbarin zu: »Ob
man diese Tiere essen kann?«

Die Führer übersetzten das Gehörte und erregten dadurch
begreiflicherweise die ausgelassenste Heiterkeit. Das ganze kleine,
ärmliche Dorf wurde für mehrere Stunden in Beschlag genommen und Land
und Leute aus der Nähe besehen.

Man blieb hier zur Nacht, um am folgenden Morgen den Affenberg zu
besichtigen. Hunde, Schweine, Enten und Gänse durchzogen herdenweise die
Straßen zwischen den Hütten, Affen kletterten auf allen Zweigen, und von
Krokodilen wimmelte die ganze Gegend. In den sumpfigen Niederungen des
Flusses lagen sie halben Leibes am Ufer, grauen, verwitterten
Baumstämmen gleich, zuweilen die ungestalteten Rachen mit den gräßlichen
Zahnreihen lauernd geöffnet, in unzählbarer Menge. Der Führer erzählte,
daß ihm im Dorfe die jährlichen Opfer dieser Bestien auf Hunderte
angegeben worden.

»Dort die graue Wand ist der Affenberg!« setzte ein anderer hinzu. »Wir
können uns aber nicht ganz in die Nähe wagen, da uns sonst ein Hagel von
Steinen auf die Köpfe fallen würde.«

Man durchzog also den Wald, dessen Stämme an Umfang alles übertrafen,
was unsere Deutschen in Heimat und Fremde jemals gesehen. Hier wuchsen
reichlich und üppig fast alle Pflanzengattungen des tropischen Klimas,
besonders verschiedene Baumarten, die eben nur an dieser Stelle zuhause
sind. Der Affenbrotbaum erschien wie ein kleines Wäldchen für sich. Die
unabsehbare Krone wurde von einem im Durchmesser bis zu zehn Metern
haltenden Stamm getragen, während viele Äste weit über vierundzwanzig
Meter hinausragten, bedeckt mit weißen, zarten Blüten und Fruchtschoten
an einem und demselben Stengel. Die Knaben ließen es sich natürlich
nicht nehmen, den breiigen Teig, in welchem der Same liegt, sogleich zu
kosten und fanden auch diese Näscherei von sehr angenehmem Geschmack.
Soviel als möglich wurde in die Botanisierkapseln gebracht, und dann
ging es weiter, bis ein unerwarteter Anblick die Schritte fesselte.

Von dem Blättergewirre der kleineren Bäume, aus Ranken und Blumen waren
kreisrunde, hutförmige Dächer geflochten, die genau wie ein großer,
aufgespannter Regenschirm zur Seite des Stammes je ein daruntersitzendes
Affenpärchen bedeckten, zuweilen sogar ihrer drei, wenn das Weibchen ein
Junges auf dem Arme trug.

Diese seltsamen Wohnungen bauen sich die Affen zum Schutz gegen Sonne
und Überfälle aller Art, sie hausen darin aber nur so lange wie das Dach
grün und frisch bleibt, sind dagegen die Blätter verwelkt, so wird eine
neue Heimat aufgesucht. Die Eingebornen nannten das große,
dunkelgefärbte Tier den »Nschiego nebure,« behaupteten aber, daß es
nicht zu zähmen sei und außerhalb seines Vaterlandes in der
Gefangenschaft auch nicht leben könne. Es zu schießen, wäre daher
unnötige Grausamkeit gewesen, mindestens jetzt, wo an ein Mitnehmen des
getöteten Körpers, der weiten Entfernung wegen, nicht gedacht werden
konnte.

Immer deutlicher traten an lichten Stellen die Umrisse des Affenberges
hervor, der Strom mit seiner blauen Breite schimmerte durch das Gezweig,
und endlich gegen Mittag war die beträchtliche, in ihrer Weise einzig
dastehende Anhöhe zur Seite des Wassers erreicht. Der massige Fels,
welcher sich in gewaltigem Umfange terrassenförmig bis in den Fluß hinab
erstreckt, birgt mehrere tausend Höhlen und Zugänge, die sämtlich von
Affen bewohnt werden. Die Tiere machen während der Nacht ihre Streifzüge
in den Wald, aber die eigentliche Heimstätte ist doch der Berg, und
Tausende von ihnen bevölkern die Stufen bis zur höchsten Höhe hinauf.
Viele Affenmütter mit den kleinen Säuglingen saßen wie Frauen vor der
Hausthür auf einer vorspringenden Zacke, andere kauten Nüsse oder
Früchte, und halberwachsene Junge spielten mit einander gleich Kindern.
Immer aber hielten sich die verschiedenen Gattungen gegenseitig
getrennt. Familienweise sah man graue und braune, gelbliche oder
schwarze, kleine und große bis hinauf zu dem Schimpansen und dem Pavian,
welche beide Arten aber weniger zahlreich vertreten waren. Es schien
zwischen der einen und anderen Gruppe keine Freundschaft zu bestehen, ja
sogar an manchen Stellen ein offener Krieg.

»Sieh nur diese beiden Paviane!« rief Hans, »ich glaube, da gibt es
einen Kampf.«

Aller Blicke folgten der angedeuteten Richtung. Die beiden großen Affen
standen in entschieden feindseliger Haltung einander gegenüber; bald
streckten sie, auf den Hinterbeinen stehend, mit drohender Gebärde die
Arme aus, bald umliefen sie sich wie wütende Hunde. Erst fielen einzelne
schallende Ohrfeigen, dann packten sie sich und rangen liegend in
festverschlungenem Knäuel, wobei einer den anderen nach Möglichkeit zu
beißen suchte. Ihr Geschrei, so mißtönend und krächzend, erfüllte die
Luft.

»Ich möchte dazwischen schießen,« gestand Holm. »Wie es aussehen müßte,
wenn einmal alle diese behenden, lebhaften Tiere zugleich in Bewegung
gerieten!«

»Thun Sie das nicht, Herr,« warnten die Führer. »Wir könnten angegriffen
werden.«

»Nun, und was hätte das zu bedeuten? Vierundzwanzig mit Feuerwaffen
versehene Männer gegen eine Horde Affen!«

Die Jagdlust riß ihn gewaltsam mit sich fort, der Schuß krachte und
widerhallte in zehnfachem Bergesecho. Die Wirkung war eine
unbeschreibliche. Als sei jedes einzelne Tier getroffen worden, so
stürzten und fielen, liefen und kugelten die Affen durch einander.
Einige flohen in ihre Höhlen im Innern des Felsens, andere spähten
aufrecht und mit gerecktem Hals nach der Ursache des plötzlichen
Schreckes, alle aber waren aus ihren Spielen oder Streitigkeiten
aufgestört. Nur zu bald sollte es sich zeigen, daß die Mahnung des
Eingebornen eine wohlberechtigte gewesen; der Feind war entdeckt, und
eine ganze Flut von Wurfgeschossen hagelte herab. Steine, Felsstücke und
die Knochen ihrer von Raubtieren erwürgten Genossen, alles schleuderten
die Affen in wahnsinniger Wut den Angreifern entgegen, dabei aber
rückten sie selbst immer weiter vor, sammelten sich zu ganzen Haufen und
schrieen in allen möglichen Tonarten.

»Wir müssen fliehen!« riefen die Führer. »Es ist die höchste Zeit!
Schnell, schnell!«

Aber Holm und Franz hörten nicht. Sie schossen wieder und wieder in das
lebende Gewirre hinein, rechts und links stürzten die Affen, und jetzt
waren auch schon die vordersten bei den Weißen angelangt, -- im nächsten
Augenblicke hätte ein Handgemenge entstehen müssen.

Die mitgenommenen Führer drängten unsere Freunde bis unter die
schützenden Bäume des Waldrandes, von wo es leichter wurde, den
nachsetzenden Tieren zu entgehen. Trotzdem aber hätte bei der
unübersehbaren Anzahl der Gegner die Sache immerhin noch eine schlimme
Wendung nehmen können, wenn nicht in diesem drohenden Augenblick ein
Ton, langgezogen und gewaltig wie ferner Donner, unverhofft als
Ablenkungsmittel erklungen wäre. Die Affen mochten bei dem furchtbaren
Gebrüll alles übrige vergessen und nur an ihre eigene Sicherheit denken,
sie ließen plötzlich von der Verfolgung der Feinde ab, kehrten um und
suchten mit eiligen Schritten, einander überstürzend, die geschützten
Felshöhlen zu erreichen. Bis auf zwei getötete, die im Wege liegen
blieben, waren in wenigen Augenblicken alle verschwunden.

»Ein Löwe!« ging es von Mund zu Mund. Er schien nahe.

Alle Gewehre wurden geladen, die Reisegesellschaft bildete einen
festgeschlossenen Trupp, und lautlos drang man vorwärts in das dichte
Unterholz hinein. Noch eine Viertelstunde verfloß, aber nichts zeigte
sich.

»Schade!« rief Franz, »eine Löwenhaut hätten wir erobern müssen.«

»Hier sind die Spuren,« bemerkte einer der Führer. »Das Tier ist vor uns
diesen Weg gegangen, -- jedenfalls hat es in der Nähe seine Lagerstatt.«

»Blut!« rief plötzlich Holm, »Blut auf dem Gras und an den Baumstämmen.
Der Löwe hat ein Tier getötet, das er nun mit aller Muße verspeist.«

Wirklich führten rote Perlen auf dem grünen Boden wie ein schlangenartig
gewundenes Band der nahen Lichtung zu. Am Ufer des Stromes bildeten
Dubabelbäume mit ihren fünfzig und noch mehr aus einer Wurzel
aufschießenden Stämmen eine Art von undurchdringlicher Laube, in deren
Innerem es fast dunkel erschien. Dahin führten die Blutspuren.

Eine Kette von Schützen umgab das Dickicht; es war unmöglich, daß irgend
ein Tier herausschlüpfen konnte, ohne gesehen zu werden. Der aufregende,
spannende Augenblick, in dem sich die Entscheidung vollziehen mußte,
ließ aller Herzen höher schlagen. Wo auch der Löwe erscheinen würde, da
begrüßten ihn zehn Büchsenkugeln zugleich, während niemand nahe genug
stand, um von ihm im Sprunge erreicht werden zu können. Alles blieb
vollkommen still.

»Wir müssen ihn herausjagen!« rieten die Führer. »Schade, daß uns ein
paar tüchtige Hunde fehlen.«

Ein Steinwurf in das Gebüsch hinein begleitete den Satz, -- der Löwe gab
kein Zeichen seiner Anwesenheit.

Wieder vergingen Minuten. Sollte man sich völlig getäuscht haben?

Aber nein. Unter den Schlingpflanzen, welche von Stamm zu Stamm lebende
Wände flochten, zeigten sich plötzlich ein Paar funkelnde, mit rotem
Schimmer leuchtende Augen, das gewaltige Brüllen drang erschütternd in
die Herzen der Hörer, und endlich kam der königliche, mähnenumwogte Kopf
zum Vorschein.

Mit einem einzigen elastischen Sprung erreichte der Löwe das Freie. Noch
troff Blut von seinem Maul, die Mähne hatte sich gesträubt und der
Schweif peitschte wütend den Erdboden. Etwa zehn Schritt vor dem Platze
des jüngeren Knaben blieb er brüllend stehen.

Fünf oder sechs Schüsse krachten, auch Hans selbst gab Feuer, das
gewaltige Tier blutete aus mehreren Wunden, noch einmal setzte es an zum
Sprunge, flog zusammenbrechend, taumelnd, eine kurze Strecke weit
vorwärts und stürzte dann dumpf brüllend auf den Boden. Die eine
Vordertatze riß im Fall den Knaben mit sich, -- Hans lag unter dem
Schenkel des verendenden, im Todeskampfe zuckenden Löwen. Schon nach
wenigen Augenblicken erhielt sein Gesicht eine bläuliche Farbe, die
Hände griffen krampfhaft in das Gras, und ein Gurgeln wie das des
Erstickens verriet die furchtbare Gefahr, in welcher er schwebte. An den
Löwen heranzutreten und ihm sein Opfer zu entreißen, war unmöglich; wer
es gewagt hätte, der würde das eigene Leben dahingegeben haben, ohne dem
armen Hans nützen zu können. Holm besann sich daher nicht lange, er
kniete unmittelbar neben dem bedrohten Knaben ins Gras, sprach in
fliegender Eile diesem Mut zu und ermahnte ihn, keine Bewegung zu
machen, dann schoß er über seines Zöglings Körper hinweg dem Untier die
tötende Kugel in den Kopf. Der Löwe streckte sich, atmete noch ein
paarmal und hatte aufgehört zu leben.

Jetzt konnten vereinte Kräfte den Halberstickten hervorziehen; man rieb
und schüttelte ihn, gab ihm Branntwein zu trinken und spritzte ihm
Wasser in das Gesicht, bis er endlich wieder ganz zum Bewußtsein
gebracht war. Auf der Brust fanden sich vom Druck des Löwenschenkels
blaue Flecke, die Glieder schmerzten und der Kopf war schwer wie Blei.
»Wir müssen einen kleinen Halt machen,« riet Holm, »Hans ist zu sehr
angestrengt worden, und uns anderen thut es ebenfalls gut, namentlich
nach der schmählichen Flucht vor den Affen.«

Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall. Die Führer warfen ihre
Vorräte und Waffen ins Gras, ein Teil ging aus, um frisches Wasser zu
suchen, ein anderer raffte trockenes Holz zusammen, und Franz und Doktor
Bolten wanderten mit den Gewehren am Ufer hin, um womöglich irgend einen
frischen Braten zu schießen; schon nach wenigen Minuten war es um die
beiden Zurückgebliebenen still wie in einer Kirche.

[Illustration: Hans unter dem Löwen.

»Die eine Vordertatze riß im Fall den Knaben mit sich ...«]

Helle, goldene Sonnenstrahlen umspielten Blätter und Blumen, buntfarbige
Vögel schossen überall singend und pfeifend durch das Gewirre, Käfer und
Schmetterlinge bevölkerten die Luft, zuweilen zeigte sich am Rand der
Lichtung eine scheue, flüchtige Kudu-Antilope, ein Papagei ließ sein
mißtönendes Kreischen hören, oder eine kleine, schillernde Schlange
kroch durch das Gras; aller Streit aber, aller Krieg und Kampf schien
aus der Natur verbannt. Die hohen Farne, bei uns nur Gräser, in den
Tropen aber Bäume, bogen im Wind die federartigen, hellgrünen Wipfel;
Stechpalmen strebten kerzengerade empor; Blätter wie grüne, faltenreiche
Mäntel hingen in ungeheurer Breite von Rankengewächsen herab; spitze
dunkle, säbelförmige Pfeile bohrten sich dazwischen, und Hunderte von
weißen, roten und violetten Orchideen umzogen und verflochten wie ebenso
viele grüne Arme das Ganze. Dazu murmelte das Wasser und rauschte der
Wind, kurz es war eine wundervolle Stille, welche auf die jungen Leute
beinahe einschläfernd wirkte. Mitten in der freien Lichtung lag der tote
Löwe, dessen Körper bereits anfing verschiedenen Tiergattungen zum
Schmause zu dienen. Namentlich ein großer, brauner Käfer erschien in
starker Anzahl und ebenso, verlockt von der tiefen, mittäglichen Stille,
eine Rattenart mit spitzem Zahn und raublustigem Blick.

Holm stand auf. »Das verbitte ich mir,« rief er scherzend den
ungeladenen Gästen zu. »Kommt wieder und laßt's euch wohlschmecken, wenn
ich die Haut in Sicherheit gebracht habe!«

Noch waren seine Worte nicht verhallt, als plötzlich ein lauter
mehrstimmiger Ruf die Einsamkeit durchdrang. Wie »hierher!« oder
»Hilfe!« klang es, und noch einmal, aber kürzer, weniger laut,
wiederholte sich der Ton, dann wurde alles still. Die beiden
Zurückgebliebenen aber behielten keine Zeit, über das Gehörte ihre
Ansichten auszutauschen. Ein Schauspiel, das sie von allen am wenigsten
erwartet haben mochten, fesselte plötzlich Augen und Ohren. Aus dem
Walde her kamen im Laufschritt ganze Horden nackter, schwarzer
Beninkrieger, zum Teil kämpfend, fliehend, mit einem Geheul, das Wut und
Todesangst ausdrückte, verfolgt von ebenso vielen bewaffneten
Bonnyleuten, die offenbar den Sieg behalten hatten und jetzt den letzten
Überrest ihrer entspringenden Feinde in Sicherheit zu bringen suchten.
Jeder Sklave ist dem Häuptling Tauschware, ganz so wie Elfenbein, Felle
oder lebende wilde Tiere; je schlechter also die Jagdbeute gewesen,
desto eifriger wird der Feldzug gegen einen benachbarten, schwächeren
Stamm betrieben, nur um bei den reichen Häuptlingen im Inneren oder gar
bei gewissenlosen weißen Unterhändlern an der Küste mit den lebenden
Handelsgegenständen ein gutes Geschäft zu machen. Die Bonnyleute trugen
sämtlich den hohen Federkopfputz, den Streifen Bastgeflecht oder Kattun
um die Hüften, den hölzernen, reichgeschnitzten Schild und den Spieß
oder Speer von Eichenholz mit Metallspitze. Sie stutzten zwar bei dem
unerwarteten Erblicken der beiden Weißen, nahmen aber von denselben
weiter keine Notiz, sondern setzten Kampf und Verfolgung ununterbrochen
fort. Als das ganze Getümmel von schwarzen und braunen Gestalten gleich
einer Windsbraut vorübergestürmt war, lagen Sträuche und Gräser
zertreten am Boden, die Ranken hingen geknickt und zerrissen herab, und
mitten im Wege krümmte sich sterbend ein von mehreren Lanzenstichen
durchbohrter Neger. Holm, obgleich tödlich erschrocken und wegen der
Reisegefährten in begreiflicher Unruhe, beugte sich dennoch zu dem armen
Schelm herab und versuchte es, seine Schmerzen zu lindern, aber schon
nach wenigen Minuten war alles vorüber, der Körper dehnte sich noch
einmal lang aus, und die zuckenden Hände fielen matt ins Gras. Nur aus
der Ferne schallten Stimmen und ein lebhaftes Krachen der brechenden
Baumstämme herüber, hier am Flußufer herrschte wieder die frühere
Stille.

Hans sah unruhig in das Auge seines älteren Freundes. »Wo doch Franz und
die anderen bleiben?« sagte er zweifelnd.

Holm setzte eine kleine Pfeife an die Lippen. Der schrille Ton scheuchte
die umherfliegenden Vögel, aber eine Antwort brachte er nicht. Auch ein
paar Schüsse, nach verschiedenen Richtungen abgefeuert, blieben ohne
Erfolg. Eine Viertelstunde des peinlichsten Wartens verging den beiden
jungen Leuten, mehr und mehr stieg die innere Furcht, welche einer dem
andern zu verbergen strebte, dann aber kam der Augenblick, wo
gegenseitiges Aussprechen nicht länger zu umgehen war. »Jetzt müssen wir
eine kleine Robinsonade durchleben, Hänschen,« sagte in erkünstelt
sorglosem Tone der Gelehrte. »Wahrscheinlich sind unsere Gefährten durch
die Bonnyleute fürs erste gänzlich von uns abgeschnitten worden.«

»Wie wäre das möglich?« rief Hans. »Ich denke, daß man sie getötet hat
wie diesen armen Schwarzen hier, und -- du glaubst das auch, Karl.«

»O, fällt mir gar nicht ein,« beteuerte Holm. »Die Führer mögen gefangen
genommen sein, und eben weil sie dadurch schutzlos wurden, haben sich
der Doktor und Franz verirrt.«

»Wollen wir denn diesen Ort verlassen, Karl?«

»Noch nicht, mein Junge. Vielleicht gelingt es uns doch, durch irgend
ein Zeichen die beiden Verlorenen zu uns zurückzuführen, und überdies --
wie sollten wir uns am Tage in der pfadlosen, meilenweiten Waldwildnis
bis zum nächsten Dorfe oder gar bis an die Küste durchbringen?«

Hans erschrak. »Aber Karl, wenn das am Tage unmöglich ist, so sehe ich
wahrhaftig doch kein Mittel, es während der Nacht auszuführen?«

»Ich desto besser, Hänschen. Die Sterne müssen mir ebensowohl im Urwalde
als Wegweiser dienen können wie auf dem Meer. Einen Kompaß führe ich
auch bei mir, -- um die Heimkehr zum Schiff -- sei du also um diesen
Punkt ganz außer Sorgen.«

Hans sprach nicht mehr. Er hatte den Nachdruck, welchen Holm vielleicht
unbewußt auf das Wort »diesen« gelegt, deutlich herausgehört. Das hieß
nichts anderes, als: wenn wir lebend hinkommen, an wilden Menschen und
Tieren, an den Gefahren des Fiebers, des Verhungerns und der Vergiftung
glücklich vorüber, dann wird wohl endlich die Küste wieder zu erreichen
sein.

»Mach fort, mein Junge,« ermahnte Holm, mehr um die Gedanken seines
Zöglings abzulenken, als der Sache wegen. »Die Herren Bonnys haben
glücklicherweise weder unsere Lebensmittel noch unsere Waffen des
Mitnehmens wert befunden, also können wir vor allen Dingen essen, damit
Leib und Seele kräftig bleiben. Denke an das Unglück, wenn eins von uns
krank würde -- dann erst wären wir beide verloren.«

Der wohlgemeinte Zuspruch that seine Wirkung; wenigstens äußerlich
schien Hans ruhiger, obgleich in seinen Augen helle Thränen schimmerten,
als er jetzt die Vorräte auspackte und einiges davon auf einen
umgestürzten Baumstamm legte. Franz hatte ja vielleicht in diesem
Augenblick nichts zu essen, lebte vielleicht nicht einmal mehr. --

Holm entzündete nun ein mächtiges Feuer, dessen aufwirbelnder Rauch
möglicherweise den beiden Verirrten als Wahrzeichen dienen konnte, er
trug dürres Holz, so viel sich in der Nähe zusammenraffen ließ, herbei,
und erst als helle Flammen an den alten, von der Sonne ausgetrockneten
Zweigen hinaufleckten, setzte er sich zu dem Knaben, um etwas Zwieback
und Rauchfleisch zu genießen, ebenso ein paar Tropfen Madeira. Das alles
war in luftdichten Gefäßen von Hamburg mitgebracht, und namentlich der
Wein mit seiner belebenden Wirkung stärkte fühlbar die gesunkenen Kräfte
der jungen Reisenden, auch die Frucht des Affenbrotbaumes würzte das
Mahl, und dann machten Lehrer und Zögling ihre Pläne für den Tag, oder
besser gesagt, für die Nacht, denn bis dahin waren es jetzt nur noch
wenige Stunden.

»Wir müssen uns zuerst nach einem einigermaßen geschützten Zufluchtsort
umsehen,« meinte Holm, »der wilden Tiere wegen. Ich schlage vor, in
einen Baum zu klettern.«

»Schlangen und Leoparden kommen uns dahin nach! -- Aber wenn wir einen
hohlen Stamm finden könnten, das wäre gut.«

Holm warf noch ein paar starke Äste in das Feuer, dann ergriff er sein
Gewehr und forderte den Knaben auf, ihm zu folgen. »Mir deucht, ich habe
auf dem Wege hierher einen ausgehöhlten Boabab gesehen, den wollen wir
suchen.«

Die beiden machten sich auf und fanden wirklich in der Entfernung von
etwa hundert Schritten den Baum, welchen Holm bemerkt hatte. Sein
ungeheurer Umfang ließ die natürliche Hütte in seinem Innern als
geräumig und hoch voraussetzen, nur fragte es sich, ob nicht etwa dieser
laubumrauschte Palast bereits einen Bewohner gefunden hatte, der sich
aus seinem Daheim keineswegs vertreiben zu lassen gedachte. Ein schwerer
Stein, von Holms Hand geschleudert, flog hinein, aber nichts zeigte
sich, -- die Höhle schien leer.

»Bleib du zurück,« gebot er seinem jungen Begleiter, »ich will einmal
hineinleuchten und Umschau halten.«

Hans brachte das Gewehr in Anschlag. Obwohl er noch sehr heftige
Brustschmerzen empfand und auch mit geheimer Sorge ununterbrochen
lauschte, ob nicht irgend ein Zeichen die Rückkehr der beiden
Verschwundenen andeuten würde, so war es ja doch seine Pflicht, den
Freund im gegebenen Falle zu beschützen, und anderseits mochte er auch
nicht müßig zusehen. Die Kugelbüchse schußgerecht zur Hand, blieb er
dicht hinter dem Vorangehenden.

Ein Zündhölzchen flammte auf, die mitgebrachte Wachskerze wurde in Brand
gesetzt und das Innere des Baumes beleuchtet.

Ein heiseres Gebell tönte den beiden entgegen.

»Hunde!« rief erstaunt der Knabe. »Karl, sind es Hunde?«

Die Antwort erschien in der Gestalt des Bellenden selbst. Ein Mandril
oder hundsköpfiger Affe sprang über Holms Schulter hinweg aus seinem
Versteck hervor und mit Windeseile auf den nächsten Baum. Ebenso rasch
aber hatte er auch die Früchte desselben, halbreife Zitronen, geschäftig
abgerissen und eröffnete nun auf die Störer seiner häuslichen Existenz
ein so wohlgezieltes Bombardement, daß sofortige Deckung hinter irgend
einem Schutzwall geboten schien. Hans erhielt zwei steinharte, grüne
Zitronen dergestalt zwischen die Schultern, daß er um die Wette lachte
und hustete, sich aber in einem mächtigen Tamarindenbaum einen
Verbündeten suchte und nun, von dem Stamm desselben verborgen, den Affen
so lange neckte, bis Holm die ganze innere Höhle beleuchtet und leer
gefunden hatte. Der Mandril mit seinem Hundekopf saß auf dem
Zitronenbaum und fletschte das greuliche Gesicht. Die ganze Erscheinung
dieses selbst unter dem häßlichen Affengeschlecht als allerhäßlichstes
Exemplar bekannten Tieres rechtfertigte den Namen »Waldteufel«, welcher
ihm häufig beigelegt wird. Über einen Meter hoch, hatte er eine kurze,
struppige, ganz schwarze Mähne, und dünne olivengrüne Schenkel, dazu
eine grellrote Schnauze und blaue, gefurchte Backen, sowie große Ohren,
plumpen, hundsartigen Körper und spitzen, gelben Bart. So angethan saß
er mit einem schnell zusammengerafften Vorrat von Wurfgeschossen lauernd
auf einem starken Ast, und so oft Hans nur die Hand vorstreckte oder gar
ein wenig um den Stamm herumzulugen wagte, gleich flog eine Zitrone
durch die Luft, meistens freilich ohne zu treffen, aber immer von einem
gebellartigen Brüllen des Unholdes begleitet.

Holm hatte innerhalb des Affenbrotbaumes Posto gefaßt. »Ich will ihm den
Garaus machen,« sagte er, »diese Gattung lebt meistens in ganzen Trupps,
wenn uns daher die Genossen durch das wütende Bellen auf den Hals
gelockt würden, so könnte es uns schlimm ergehen. Reize einmal die
Bestie, sich nach dieser Seite zu drehen, damit ich sie aufs Korn nehmen
kann.«

Hans lugte um den Baumstamm herum, dann streckte er den Arm vor und
schien werfen zu wollen. Der Jagdeifer riß ihn dermaßen mit sich fort,
daß er im Augenblick die drohende Gefahr der Verschwundenen sowohl als
seine und Holms schlimme Lage gänzlich vergaß. »Jetzt kannst du
schießen, Karl,« rief er, »der greuliche Kobold bietet dir die Brust
dar!«

Und das Pulver blitzte, der Schall zog donnergleich zwischen den dichten
Stämmen dahin, das getroffene Tier lag, immer noch bellend, am Boden,
aber nach kurzer Zeit hatte es zu leben aufgehört. Jetzt konnte die
innere Höhlung des Baumes gereinigt werden; trocknes Reis diente als
Besen, Scharen von Käfern und Spinnen, selbst kleinere Vögel und ein
paar Eidechsen mußten das Feld räumen; aus einer in einem hohlen Ast
verborgenen Ecke flog schwerfällig und erschreckt eine Eule heraus, und
als letzter der vertriebenen Bewohner wurde ein zusammengerollter Igel
vorsichtig entfernt; dann war die Festung erobert, die Sieger konnten
ihre Wolldecken auf dem Boden ausbreiten und sich für die Nacht häuslich
einrichten. Draußen mahnte indessen das sinkende Tagesgestirn zur Eile,
man mußte noch so viel als möglich von den aufgestapelten, am Lagerplatz
zurückgelassenen Mundvorräten in Sicherheit bringen und auch etwas
Wasser zu erlangen suchen, jedenfalls aber den getöteten Affen vom
Eingang der Höhle entfernen, um nicht durch die Leiche den Raubtieren
verraten zu werden.

Beide jungen Leute gingen zu der Stelle zurück, wo am Morgen die
verhängnisvolle Trennung stattgefunden hatte, und obwohl sich einer wie
der andere bemühte, äußerlich ruhig zu erscheinen, so wurden doch beide
von einem gleich wehmütigen, niederdrückenden Gefühl erfaßt. Nun galt
es, von dieser Stelle Abschied zu nehmen, die überzähligen Waffen und
nicht fortzubringenden Lebensmittel ihrem Schicksal zu überlassen und so
gewissermaßen ein letztes, unsichtbares Band zwischen ihnen selbst und
den Verlorenen zu durchschneiden. Aber es mußte geschehen, jedes Zögern
konnte ein Todesurteil werden. Wenn ihre Rückkehr in die schützende
Höhlung des Baumes sich verspätete, wenn vor ihnen ein Löwe oder Gorilla
davon Besitz nahm, -- was dann? Für diese Nacht ließ sich an keine
Wanderung durch den pfadlosen Urwald mehr denken, dazu waren beide viel
zu ermüdet, viel zu ruhebedürftig und abgespannt, sie mußten in dem
todbringenden afrikanischen Klima zuerst und zunächst ihre Kräfte
schonen, mußten alles vermeiden, was möglicherweise ein Erkranken
herbeiführen konnte, da sonst jede Hoffnung auf ein glückliches
Entkommen aus der Wildnis von vorn herein abgeschnitten gewesen wäre.

Um den toten Löwen hatte sich eine Schar von beutelustigen kleineren
Tieren versammelt, sogar mehrere scheublickende Hyänen flüchteten in den
Schutz des Dickichts zurück, und Raubvögel flogen schwirrend empor; der
König der Wälder war zerrissen und zernagt, sein Fell hing in Streifen
herab, sein Blut färbte den Rasen. -- Holm beeilte sich, den Knaben von
hier fortzubringen, er wußte nur allzuwohl, daß weiterhin der Leiche des
getöteten Negers von dem Raubgesindel gerade ebenso mitgespielt sein
würde, weshalb aber sollte Hans auch diesen trostlosen Anblick mit in
den Schlaf hinübernehmen? »Rasch,« ermahnte er, »auf Wasser müssen wir
wohl verzichten, mein Junge, oder wenigstens bleibst du in der Höhle,
während ich ausgehe, um die Quelle zu finden. Nimm diese Weinflaschen,
den Zwieback, das Fleisch, -- so, so, Hänschen das übrige bleibt in
Gottes Namen liegen, da wir es unter keiner Bedingung forttragen
könnten. Ist einmal das Dorf der Bonny wieder erreicht, dann begleiten
uns neuangeworbene Leute, und der Streifzug beginnt abermals, wenn auch
anders und schneller. Die Unsrigen sind wahrscheinlich Gefangene der
Bonnys, weshalb denn die Verständigung ganz leicht werden wird.«

Hans antwortete nicht, es war ihm so sonderbar eng ums Herz, er konnte
kein Wort herausbringen. Der helle Tag läßt ja jede Befürchtung, jede
Unruhe leichter ertragen, die Abendschatten dagegen fallen wie Fesseln
auf die Seele, im Dunkel erscheint alles Schlimme und Beängstigende
doppelt quälend, doppelt schwer. Ohne zu sprechen gingen die jungen
Leute schnellen Schrittes zum erwählten Nachtquartier zurück. Holm
schaffte den toten Affen beiseite, holte Wasser aus einer in der Nähe
vorüberfließenden Quelle und entzündete, als es gänzlich finster
geworden war, eine der mitgebrachten Wachskerzen. Das Auge fand jetzt
ein malerisches, nie gesehenes Schauspiel. In halben Windungen, hier
enger und dort weit offen, erstreckte sich die Höhlung bis in die
obersten Zweige des Baumes; keineswegs jedoch waren ihre Wände überall
dicht und verschlossen, im Gegenteil sah hier und da funkelnd ein
Sternchen vom hohen Himmel in das seltsame Nachtquartier der beiden
jungen Leute hinein; Vögel und Fledermäuse huschten über ihre Köpfe
hinweg, ziehende Schatten verhüllten die höchsten Spitzen, und je
zuweilen unterbrach plötzlich eine fremdartig klingende Stimme
erschreckend die Stille der anbrechenden Nacht.

»Den Eingang können wir nicht verschließen,« meinte Holm, »daher muß
einer von uns wachen, während der andere schläft. Lege dich hin,
Hänschen, und sei völlig ohne Sorgen, hörst du?«

Der Knabe widersprach nicht. Er wußte nur allzu wohl, daß kein Schlummer
seine Augen umhüllen werde, und daß es ihm daher möglich sei, in jeder
Minute dem etwa bedrohten Freunde zu Hilfe zu eilen, -- mochte es recht
still bleiben, mochte die Unterhaltung gänzlich stocken, desto besser
ließ sich den eigenen schlimmen Befürchtungen nachhängen.

Und so vergingen Stunden. Das geheimnisvolle Leben des Urwaldes regte
sich und sprach und flüsterte mit tausend Stimmen. Es glitt über das
Moos dahin, es lauschte durch die hohen Farn und flatterte in den
Wipfeln. Zuweilen fielen reife Früchte herab, oder stürzte polternd
unter den ungestümen Sprüngen einer Affenschar ein dürrer Ast auf den
Boden; lautes Kreischen und Bellen bezeichnete den Weg, den die
nächtlichen Plünderer genommen, hart vorüber an dem hohlen Baum wälzte
sich der wilde Haufe, und durch die entstehende Stille klangen wieder
die Stimmen derjenigen Geschöpfe, welche jählings aus ihrer Ruhe
aufgescheucht worden waren. Da schien plötzlich der Boden selbst zu
erdröhnen, wie dumpfes Rollen tönte es herüber, Zweige und Äste
knackten, größere Körper bewegten sich vorwärts, offenbar dem Versteck
der beiden entgegen. Holm versicherte sich seiner Kugelbüchse, -- die
Herannahenden konnten ja möglicherweise Bonny- oder gar Beninleute sein.
--

Hinter ihm erhob sich geräuschlos die leichte Gestalt des Knaben. »Ich
schlafe nicht, Karl! Was bedeutet das sonderbare Geräusch?«

Ein Schnaufen und Brüllen durchdrang die Luft, -- Holm atmete auf.
»Gottlob, wenigstens doch keine Menschen.«

Er stellte die Büchse neben sich. Die da herankamen, waren ohne Zweifel
Elefanten, also in betracht des engen Zuganges ein unschädlicher Besuch;
im Gegenteil konnte man sie so recht bequem aus der Nähe beobachten. Die
ersten Riesengestalten wurden im Halbschatten unter den Stämmen bereits
sichtbar; dunkel und gewaltig wälzten sie sich heran, in gerader
Richtung dem Versteck entgegen, pfeilschnell jetzt, feindlich wie es
schien, wenigstens zwölf an der Zahl. Als das erste Tier mit gesenktem
Kopfe, rasch nach einander drei laute gellende Pfiffe ausstoßend, den
Baum anrannte, da konnten sich beide jugendliche Bewohner desselben doch
des unwillkürlichen Erschreckens nicht erwehren, obwohl freilich der
erlittene starke Anprall den alten Boabab in keiner Weise erschüttert
hatte. Nun erst erkannten Lehrer und Schüler den Feind ihrer nächtlichen
Ruhe. -- Die Herde bestand aus glatthäutigen schwarzen Rhinozerossen mit
je zwei großen Hörnern, einer Tiergattung, die zu den bösartigsten unter
allen gerechnet wird, wenigstens was Kampfbegier und Stärke anbetrifft.
Die gellenden Pfiffe wiederholten sich, wütende Stöße trafen den Baum,
so daß Splitter und Flechten nach allen Seiten flogen, dennoch aber war
keine eigentliche Gefahr vorhanden, die Wände standen wie von Eisen.
Holm trat zurück und legte an. Freilich konnte die Kugel das Tier nicht
verwunden, aber doch vielleicht erschrecken.

Der Erfolg entlockte beiden Versteckten ein herzliches Gelächter. Sobald
der Schuß krachte, fuhr das zunächst stehende Ungeheuer wie vom Blitz
getroffen zurück, mitten in die Herde seiner Genossen hinein, alles
sprengend, alles in Verwirrung setzend und dann mit lautem Gebrüll davon
eilend. Hinter ihm her jagten die übrigen, als sei ihnen der böse Feind
auf den Fersen.

Holm und der Knabe lachten, wie sie es seit geraumer Zeit nicht mehr
gekonnt. »Unser Glück war es, daß wir den schwarzen Riesen nicht im
offenen Walde begegneten,« sagte endlich der junge Gelehrte, »sonst wäre
es uns schlimm ergangen. Um diese Zeit wandern die Nashörner in ganzen
Trupps auf bestimmten Wegen zur Tränke, am Tage dagegen liegen sie
meistens unter dem Baum, dessen Zweige ihr Dach bilden, und lassen sich
nur stören, wenn ihnen der Wind die Witterung eines Feindes -- des
Menschen -- zuführt. Während sie weder scharf sehen noch hören, ist ihr
Geruchssinn so ausgebildet, daß sie auf Hunderte von Metern das
Herannahen eines Jägers mit Sicherheit erkennen. Sie stürzen sich ihm
dann blindlings entgegen und fallen in die verdeckte Grube, welche zu
diesem Zwecke vorher sorgfältig angelegt worden ist. Nur auf diese Weise
läßt sich das gewaltige, bösartige Tier einfangen.«

»Die schwarzen Unholde hatten eine ganz glatte Haut,« bemerkte Hans,
»ihr Vetter im Hamburger Zoologischen Garten ist am Körper überall mit
Falten bedeckt. Wie kommt das?«

»Letztere Art ist die indische,« antwortete Holm. »Aber nun will ich
schlafen, mein Junge. Wahrhaftig, -- es muß sein, -- in der nächsten
Nacht werden wir ja wandern.«

Und wieder kehrte die frühere Stille zurück. Holm schlief, Hans hörte
seine tiefen Atemzüge, alles rings umher lockte zur Ruhe, zum bequemen,
wachen Träumen und sich hinzugeben an das Schweigen der Nacht.
Unmerklich sank des Knaben Kopf gegen die Baumrinde, unmerklich
schlossen sich die Augen -- er konnte ja hören, auch wenn er nicht sah!
-- und dann kam der sonderbare Zustand, wo wir zu wachen, zu handeln und
uns zu bewegen glauben, während doch der Schlaf mit siegreicher Gewalt
immer mehr von unserm Bewußtsein Besitz ergreift und es endlich ganz in
Dunkel hüllt. Als die beiden erwachten, erst Hans und dann, durch dessen
lauten Ausruf erschreckt, auch der junge Gelehrte, da schien die Sonne
hell vom Himmel herab, es mußte wenigstens acht Uhr morgens sein; Bäume
und Blüten erglänzten im frischen Schimmer, ein angenehm fächelnder Wind
zog durch die Laubkronen und mit ungezählten Stimmen sangen im Gezweig
die verschiedenen Vogelarten.

Holm und der Knabe sahen einander an. Wie nahe war vielleicht während
dieser Nacht der Tod an ihnen vorübergegangen!

»Das laß uns als gutes Vorzeichen nehmen,« rief Holm. »Wir haben
geschlafen, obgleich Löwen und Hyänen uns umschlichen, wir haben Geist
und Körper neu gekräftigt, ohne durch irgend eine Gefahr beunruhigt zu
werden, also ist auch unsere Stunde noch nicht herangekommen. Gib acht,
wir finden heute noch die anderen wieder!«

Seine gute Stimmung belebte auch den Knaben. »Was thun wir denn jetzt
zunächst, Karl?« fragte er.

»Hm, wir schießen uns einen Braten, pflücken Früchte, holen Wasser und
gehen ein wenig auf die Jagd, kurz, wir spielen Robinson zu zweien.
Sobald dann das erste Sternchen am Himmel erscheint, beginnt die
Heimreise.«

»Und das denkst du durchführen zu können, Karl?«

»Ganz gewiß, Hänschen, nur bleibt es unbestimmt, ob wir auf diesem Wege
ein Dorf der Bonny streifen werden oder nicht. Unser Schiff müssen wir
erreichen.«

Während dieser Unterhaltung waren die beiden aus ihrem Versteck
hervorgekommen und sahen nun von draußen die Verheerungen, welche in der
letzten Nacht durch die Rhinozerosse angerichtet waren. Handgroße
Holzsplitter lagen umher, Büsche und Gräser waren zerstampft, als sei
eine Schlacht geliefert worden und hier und dort sogar ein junger Baum
vollständig geknickt. Der Weg, den die riesigen Tiere eingeschlagen,
zeigte sich als sehr leicht erkennbar.

Holm winkte seinem jungen Begleiter. »Jedenfalls gibt es hier herum
einen Flußarm oder sonstiges Gewässer, in dem sich keine Krokodile
befinden,« sagte er. »Die Rhinozerosse bahnen sich herdenweise ihre
Pfade durch das Unterholz immer nur, um eine Tränke zu erreichen; laß
uns also der Spur nachgehen.«

»Aber wenn die schwarzen Teufel noch da wären?«

»Das sind sie keinesfalls, überdies weht uns auch ein ziemlich starker
Wind gerade entgegen, sie könnten unsere Annäherung daher durch kein
Zeichen erkennen.«

Die Gewehre wurden nachgesehen und geladen, zur Stärkung ein Schluck
Wein genommen, und dann ging es vorwärts; schon nach fünf Minuten zeigte
sich ein schmaler, sonnenbeschienener Fluß, dessen Wellen leise murmelnd
dahinglitten, und der sich zur Rechten in einen See zu verwandeln
schien. Die Ufer mußten sehr flach sein, denn Wasservögel aller Art
verzehrten teils stehend, teils langsam wandernd, halb von den Wellen
überspült, ihr aus Schnecken oder Fröschen und kleineren Fischarten
zusammengesetztes Frühstück; weiterhin, wo das Wasser breiter wurde,
lagen im Sonnenschein die weiblichen Flußpferde mit ihren Jungen, zu
denen sich nicht selten ein auf dem breiten Rücken des Muttertieres
neben den Kleinen stehender Reiher oder Kranich gesellt hatte. Das
Flußpferd blinzelte gemütlich, der Vogel hielt scharfen Ausguck nach
Beute, die jungen Tierchen neckten einander und fielen zuweilen
klatschend in den See, der aber auch hier nicht tief schien; kurz, es
war im ganzen ein Bild des ungestörtesten Friedens, den selbst die
Büffelherde im hohen Farngras trotz ihrer Hörner und ihres bedrohlichen
Aussehens nicht zu scheuchen vermochte. Marabuts und Ibisse, Pelikane
und Plotos wiegten sich halbgeschaukelt, halb auf einem Bein im Wasser
stehend; Fische zuckten zuweilen vom Grund herauf; Schmetterlinge aller
Größen, golden und purpurn, ganz weiß oder im schönsten Blau prangend,
huschten von Blüte zu Blüte; geschäftige Bienen trugen Beute; Ameisen in
langen Zügen marschierten auf dem duftenden Erdboden; unschädliche
Schlangen verschwanden blitzartig unter dem nächsten Gebüsch oder ein
paar vertrockneten Blättern.

»Karl,« fragte Hans, »kennst du die sonderbare Frucht, welche von diesem
Baum herabhängt, flaschenförmig und ganz grün wie das Blatt selbst? --
Die müssen wir uns einmal in der Nähe besehen.«

Er ging zu einem Stamm, von dessen Zweigen unzählige grüne,
langgestreckte Früchte oder Auswüchse herabhingen. Mit der Hand ließen
sich dieselben nicht erreichen, Hans schüttelte daher den untersten Ast,
und nun fielen allerdings die unbekannten Dinger haufenweise herab, aber
-- -- -- welchen Inhalt ausschüttend!

»Um des Himmels willen!« rief Holm, »das sind die Nester der
Eloway-Moskitos! Wie konnte ich mich denn auch darüber täuschen!
Schnell, Hans, schnell, nimm einen dichten Busch und schlage damit in
den Schwarm hinein. Wir müssen flüchten, -- so rasch als möglich.«

Während dieses schreckensvollen Rates hatte er bereits ein paar
blattreiche Zweige abgebrochen und einen davon seinem jungen Genossen
zugeworfen. Die Moskitos, Tausende an der Zahl, umschwärmten ihre
vermeintlichen Angreifer und begannen laut summend zu stechen, wohin sie
sich setzten. Jeder Schlag tötete eine bedeutende Anzahl, aber wo eine
gefallen war, da erschienen hundert andere an ihrer Stelle; Holm und der
Knabe befanden sich inmitten einer schwarzen Wolke dieser Blutsauger,
die vereint in der Weise beleidigter Bienen ihren Angriff vollführten.
Es war unmöglich, sich der kleinen Gegner zu erwehren; aus allen Nestern
krochen sie hervor, fanden den Weg unter die Kleider der beiden jungen
Leute und verursachten ihnen so heftige Schmerzen, daß die Jagdlust
davor weichen mußte. »Ins Wasser,« rief Holm, »ins Wasser oder wir sind
verloren!«

Die Gewehre lagen schon längst im Grase, die Strohhüte auch, und so
sprangen denn Lehrer und Schüler, sich notfalls auf ihre Schwimmkunst
verlassend, Hals über Kopf in die blaue Flut hinein. Bis an den Mund
unter Wasser, war es ihnen nunmehr ein leichtes, den etwa nachfliegenden
Verfolgern durch schnelles Tauchen zu entgehen. Triefend, mit
zerstochenen, geröteten Gesichtern, die Augen voll Wasser, so sahen sie
sich an und brachen zugleich in ein herzliches Lachen aus. »Von einem
Mückenschwarm besiegt!« rief Hans.

Karl hob aus der schützenden Flut unvorsichtig den rechten Arm, um auf
das Ufer zu deuten, zog ihn aber sogleich wieder zurück, als ein Dutzend
Moskitos über seine Hand herfielen, der Kopf folgte nach, und so
förderte er in Absätzen, prustend, sich schüttelnd und verschluckend,
die beabsichtigte Rede zu tage, nur je zuweilen inne haltend, wenn er
sah, daß Hans wie eine flinke Ente tauchte, und daß er also in diesem
Augenblick keinen Zuhörer hatte. »Du sagst Mückenschwarm, mein Junge?
Die Art sticht durch -- warte Bestie! -- prr, ich meine, sie bohren sich
durch das Leder bis in die Haut. -- Junge, wo bist du? -- aha, ich sehe
dich bereits. Hier haben wir auch die Iboko-Hornisse, die größte von
allen! Bitte, ich verzichte auf nähere Bekanntschaft.«

Er entfernte sich während dieser Rede mit seinem Begleiter von der
gefährdeten Stelle und machte es möglich, unter dem Schutz eines dichten
Gebüsches das Ufer wieder zu erklettern. Die ertrunkenen oder
zerquetschten Mücken wurden aus den Kleidern geschüttelt, das Wasser so
gut als thunlich entfernt und Schilf und Halme abgelesen. »Jetzt warten
wir noch ein Viertelstündchen, bis sich die Wut der Tiere gelegt hat,«
meinte Holm, »dann holen wir die Gewehre und schießen Büffel.«

Ȇberfallen denn die Moskitos nur ihre Angreifer, Karl? Nicht vielmehr
alle Geschöpfe, die des Weges kommen?«

»O bewahre, sie sitzen ruhig in ihren Nestern, bis man dieselben
bedroht, dann aber kennt auch, wie wir soeben sahen, ihr Zorn keine
Grenzen. Laß uns nur warten, der Schwarm wird schon durchsichtig, die
meisten sind davongeflogen.«

Nach kaum zehn Minuten war es den beiden Freunden möglich, ihre Hüte und
Gewehre ohne weitere Gefahr wieder an sich zu nehmen, und nun begann die
Büffeljagd. Schon bei dem ersten Herannahen ihrer Verfolger ergriffen
sämtliche Tiere die Flucht, alle einer bestimmten Richtung folgend, und
wie es schien, unter der Leitung eines besonders großen, alten Stieres;
sie donnerten über den Boden dahin, daß er dröhnte, und schon glaubten
die Jäger, daß ihnen kein Stück zu Schuß kommen würde, als plötzlich
hart vor ihrem Wege aus dem feuchten Grunde ein Büffel aufsprang und mit
gesenktem Kopfe auf sie zustürzte. Nach rechts und links ausweichend,
ließen ihn die jungen Leute im heftigsten Anprall gegen einen alten
Tamarindenbaum rennen, die Hörner drangen tief in das Holz desselben,
dichte Ranken thaten das Ihrige, um ein Loskommen im Augenblick zu
verhindern, und so hatte sich der Büffel in eigener Falle gefangen. Von
zwei Kugeln getroffen, stürzte er verendend am Fuße des Baumes zu Boden.
Ganz schwarz behaart und mit dicht stehenden, mächtigen Hörnern war er
ein Gegner, dessen Gefährlichkeit erst jetzt, nachdem man ihn in der
Nähe besehen, so recht erkennbar wurde. Gegen zwei Meter hoch und dem
entsprechend lang ließ sich das Tier nicht von der Stelle bringen, die
glücklichen Schützen mußten also aus dem Rücken ein tüchtiges Stück
herausschneiden und das übrige den wilden Räubern preisgeben. »Schade um
die Zunge,« sagte Holm, »sie ist das Feinste von allem, aber wir haben
für keine Zubereitungsart die nötigen Geschirre; das Fleisch muß roh mit
Salz und Pfeffer verzehrt werden.« -- So zogen sie heimwärts und
pflückten unterwegs noch einige Ananas, die als Nachtisch dienen
sollten. Glücklicherweise hatte sich für die Höhle noch kein vierfüßiger
Bewohner eingefunden, die zurückgelassenen Decken und Vorräte lagen
unversehrt an der früheren Stelle, und nachdem daher das Fleisch auf
einem flachen Stein geschabt worden, begann das durch den besten Appetit
gewürzte Mahl, bei dem nun freilich die letzten Zwiebäcke und der letzte
Wein verzehrt wurden. Aber das machte keine Sorge, es gab hier herum
Lebensmittel die Hülle und Fülle, man brauchte nur zu pflücken oder
einen Schuß Pulver dran zu wenden.

»Gottlob,« sagte Holm, nachdem er den Vorrat in der Jagdtasche
untersucht, »Munition ist reichlich vorhanden. Wir können in dieser
Beziehung ruhig sein.«

Gegen Mittag fiel ein heftiger, andauernder Regen, der unsere Freunde
zwang, unter Dach und Fach zu bleiben; sie mußten auch einigen größeren
Affen, welche den Baum erobern wollten, den Zugang wehren, und da
späterhin für einen Ausflug die Zeit zu weit vorgerückt war, so
verbrachten beide plaudernd und ruhend die Stunden, bis auf den Tag
wieder die Nacht folgte und nun der gefahrdrohende, überaus schwierige
Weg durch den Urwald angetreten werden sollte. Gerade um diese Zeit
brachen auch alle wilden Tiere, auf Raub ausgehend, aus ihren
Schlupfwinkeln hervor; gerade jetzt war die Gefahr am größten, lauerte
hinter jedem Baum und sprach aus jedem Laut der Wildnis, aber es gab
kein Bedenken, ein Zögern inmitten dieser Verhältnisse, ohne Nahrung
außer Früchten und rohem Fleisch, ohne menschliche Nähe oder einen
gesicherten Schlafplatz wäre ja unfehlbarer Untergang gewesen. Da also
der Führer fehlte, so mußte man, um nicht durch völlige Unkenntnis des
Weges möglicherweise noch tiefer in die Wildnis hineinzugeraten, während
der Nachtstunden reisen, -- gelang das, so war die Küste bald erreicht.

Von dem allen plauderten die beiden, von der Heimat und tausend anderen
Dingen, die ihnen am Herzen lagen, nur nicht von den Verschollenen; es
war als könne sich keiner entschließen, zuerst ihre Namen auszusprechen.
Die Gewehre wurden geladen, von den Früchten auch soviel als sich
verpacken ließ, mitgenommen, die leeren Flaschen am Ufer gefüllt, und
fort ging es in die Wildnis hinein.

Wo der Weg über eine baumlose Strecke führte, da beleuchtete heller
Mondschein die Umgebung, wo aber wieder so ein Stück Hochwald begann, da
herrschte fast völlige Dunkelheit, an welche sich jedoch das Auge bald
derartig gewöhnte, daß es wenigstens leicht wurde, größere Gegenstände
zu erkennen und zu unterscheiden. Links von den Wandernden rauschte der
Fluß, in einiger Entfernung zeigten sich die dunklen Umrisse des
Affenberges, Holm hatte also den Rückweg richtig aus den Sternen
herausgelesen, und dadurch wuchs natürlich auch in beider Herzen die
Hoffnung, das Dorf der Bonnys wieder zu erreichen. Dort gab es nicht
allein Führer, sondern es befanden sich unter der Obhut der Eingebornen
alle zurückgelassenen Vorräte, man durfte mithin auf eine bessere und
leichtere Reise zählen.

Holm sah, so gut es anging, in das Auge des Knaben. »Getrost, Hänschen,
es ist mir immer, als müsse sich heute noch etwas Angenehmes zutragen.
Ich« --

»Pst! -- dort unter den Büschen bewegt es sich!«

Beide horchten. Alles ringsumher war still, aber an der bezeichneten
Stelle schaukelten die Farne, als sei ein größerer Körper hastig
hindurchgekrochen, ja sogar weiterhin bewegte sich das Unterholz, und
endlich klang es wie das Knacken von Gewehrhähnen. Eine menschliche
Gestalt glitt blitzschnell aus den Büschen hervor hinter den nächsten
Stamm.

Holm ergriff den Arm des Knaben. »Ein Schwarzer,« raunte er, »ein Bonny!
Um des Himmels willen still also. Die Schar hält vermutlich das von uns
herrührende Geräusch für die Annäherung wilder Tiere und zieht weiter,
wenn alle Gefahr vorüber scheint.«

Auch im anderen Lager flüsterte es. Mehrere Schwarze begannen mit ihren
langen Spießen in das Unterholz hineinzustoßen, um den vermeintlichen
Feind erst einmal von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen. Es waren
ihrer wenigstens sechs bis zehn, sie schienen entschlossen, die
Jagdbeute nicht aufzugeben, sondern zu umzingeln und aus dem Dunkel
herauszutreiben. Dort im Gewirre von Schmarotzerpflanzen, unter Ranken
und Zweigen mußte der Gegner verborgen sein! -- Immer enger rückten die
Verfolger heran.

»Das geht so nicht länger!« flüsterte Holm. »Noch ein paar Schritte
näher und die langen Spieße erreichen uns. Folge mir nach, Hans,
zwischen diesen beiden Bäumen müssen wir durchschlüpfen -- ich glaube,
hinter denselben steht kein Schwarzer Wache.«

Das Gewehr im Anschlag glitten die beiden so geräuschlos als möglich
über den dichtbewachsenen Boden dahin. Wirklich, kein Schwarzer war zu
sehen, vielmehr schienen sich alle nur mit dem dornigen,
wildverwachsenen Gebüsch jenseits der zusammenstehenden Bäume zu
beschäftigen, schienen den Ausgang nach dieser Seite hin vergessen zu
haben. »Gerettet!« raunte Holm, »wir warten nun unter irgend einem
Schutz, bis die Räuber weiter ziehen.«

Noch hatte er den Satz nicht vollendet, als ihn von hinten zwei Arme
umschlangen und rückwärts zu Boden rissen. Sein Angreifer versuchte es,
ihm das Gewehr aus der Hand zu winden. Ein schwarzes Gesicht beugte sich
über das seine, funkelnde Augen blickten ihn an, und ehe er es hindern
konnte, war ihm der Mund mit einem baumwollenen Tuche völlig gestopft.
Das alles geschah zu schnell, um dem vorauseilenden Knaben bemerkbar zu
werden, Hans verschwand unter den Stämmen, und Holm lag wehrlos am
Boden.

»Ob das ein Beninkrieger ist?« flüsterte in der Nähe eine Stimme. »Gott
stehe uns bei, wenn wieder ein Trupp dieser räuberischen Halunken um die
Wege wäre! Man muß jedenfalls den Gefangenen hindern, seinen Freunden
ein Zeichen zu geben.«

Holm bewegte sich mit allen Gliedern zugleich; er rang heftig gegen die
Eisenarme des Negers, ein dumpfes Stöhnen hob seine Brust. Da gelang es
ihm, eine Hand freizumachen; er wollte das Tuch aus dem Mund reißen,
wurde jedoch daran plötzlich durch den, der eben gesprochen hatte,
verhindert. Jetzt zweien Gegnern preisgegeben, blieb ihm nur übrig,
dieselben so viel als möglich zu beschäftigen; vielleicht kam ja Hans,
wenn er ihn vermißte, hierher zurückgesprungen und konnte ihm beistehen.
Hätte er nur zu rufen vermocht, nur irgend einen Laut von sich geben
oder die Hände gebrauchen können! Aber alles das war unausführbar, bis
nach einigen Augenblicken der Schwarze von ihm abließ und horchend
aufsprang. In der Nähe hatten die Büsche gerauscht, dann folgte ein
Blitz und eine Büchsenkugel flog haarscharf über die Köpfe der Ringenden
hin. Sämtliche Anwesenden standen starr vor Schreck.

Diesen Moment benutzte Holm, um mittels einer schnellen, unerwarteten
Bewegung seines ganzen Körpers den Mann, welcher ihn, gebunden wie er
war, am Boden festhielt, in gewaltsamer Weise mit sich hinaus zu
schleudern auf den hellbeschienenen Grasstreifen, der wie ein schmales
Silberband zwischen den Bäumen dahinlief. Dann lag er mäuschenstill und
sah nur gespannt und erwartungsvoll empor in das Gesicht des anderen.

Dieser selbe Mann stützte beide Hände auf den Boden und schien nicht mit
Sicherheit zu wissen, ob er wache oder träume. Immer noch kniete er über
der hingestreckten Person seines Gefangenen, aber ohne doch gegen die
Freiheit desselben irgend etwas zu unternehmen. Holm brachte die
gefesselten Hände an den Mund, das Tuch wurde bei Seite geschleudert,
und nun erst kam wieder Bewegung in diese stille Gruppe. »Ich grüße Sie,
Doktor!« sagte trocken der junge Mann.

Ein lautes, fröhliches Lachen, in das der andere sofort einstimmte,
beantwortete diesen Satz. Es schien nicht enden zu wollen, es erstreckte
sich mit auf die beiden Knaben, welche dort einander umarmten, vor
Freude sprangen und jubelten, aber trotzdem immer wieder lachen mußten,
lachen, bis ihnen die hellen Thränen über das Gesicht herabrollten.

»Wie kommt ihr hierher, ihr unklugen Deserteure, weshalb habt ihr uns
überhaupt verlassen? Und wofür hieltet ihr uns jetzt?«

»Für das, was ihr seid, Bonnys und Wegelagerer!« klang es zurück. »Wie
könnt ihr euch gestatten, friedliche Reisende für Raubtiere zu halten
und sie mit langen Spießen zu bedrohen?«

»Wer kraucht denn in dem Busch herum, anstatt wie ein rechtschaffenes
Menschenkind Rede und Antwort zu geben?«

»Wer stellt ein schwarzes Gesicht an die Spitze des Zuges und
verdächtigt dadurch die ganze Reisegesellschaft?«

»Nun, Gott im Himmel sei Dank, wir haben uns wiedergefunden!«

»Meiner Sternkunde sei Dank, wollten Sie doch sagen, Doktor?«

»Und wer hat die Sterne als Wegweiser an den Himmel gestellt,
Freundchen?«

»Amen. Sie sollen den Sieg behalten, Doktor. Jetzt komm einmal her,
Hans, beinahe hättest du uns beide zugleich erschossen.«

»Ich hab's gethan!« rief Franz. »Glorreich vorbei, Gottlob. Wie konnte
ich auch ahnen, daß du es warst, den unser würdiger Doktor aus
Leibeskräften bändigte, in der besten Meinung, einen Beninkrieger unter
seiner Faust zu haben.«

»Ja, ja, meine Brille!« seufzte der alte Theologe, »das ist nun die
zweite von sechs, welche ich zur Vorsicht mitnahm. Die unsinnige
Rauferei hat mich die zweite Brille gekostet!«

Jetzt ging nun das Fragen und Verständigen an. Der Stamm der
Reisegesellschaft mit den Führern und Bonnyträgern hatte durch
Vermittelung der letzteren leicht einen Vertrag mit dem Häuptling des
heimziehenden Haufens der siegreichen Bonnyleute geschlossen, wonach sie
gegen entsprechende Geschenke und unter nachdrücklichem Hinweis auf die
drohend nahe ihren Heimatdörfern vor Anker liegende »Hammonia« freien
Hin- und Rückweg haben sollten.

Nach einem gemeinsamen Friedensmahle und einer unbehelligt verbrachten
Nacht war die ganze Schar vor Tagesanbruch auf und davon, ohne durch
irgend ein Zeichen verraten zu haben, wohin. »Einer der weißen Führer
ist im Gefecht umgekommen, drei andere sowie die Schwarzen sind mit uns
gegangen, so daß die ursprüngliche Reisegesellschaft wieder beisammen
ist. Wollen wir nach dem Erlebten noch weiter in die Urwälder
vordringen?« schloß Franz die Erzählung.

»So ohne Brille?« seufzte der Doktor. »Ich finde es wahrhaftig nicht
ratsam, allen diesen streifenden Bonnys und Benin gegenüber, namentlich
da wir durch die unvermutete Trennung so viele Gewehre und alle
Lebensmittel verloren haben.«

»Auf denn!« entschied Holm. »Zunächst zurück zum Dorf der Bonny und dann
wieder auf unser Schiff. Die afrikanischen Urwälder mit ihren
menschlichen und tierischen Bewohnern sind wahrhaftig aus der Entfernung
gesehen interessanter und lockender als in unmittelbarer Nähe.«

Franz errötete, als enthalte dieser Satz für ihn eine Rüge. »Ich habe
mir auch das Leben in der Wildnis anders gedacht wie es ist,« bekannte
er. »Mir schien immer, daß es langweilig sein müsse, so als Kaufmann
jahraus jahrein am Pult zu sitzen, und daß sich nur der Naturforscher
frei und glücklich fühlen könne, aber -- --«

Er schüttelte, ohne den Schluß der Rede beizufügen, den Kopf. Holm und
der Doktor sahen einander lächelnd an, aber keiner von beiden sprach,
sondern alle brachen auf, um so bald als möglich das Dorf und damit die
zurückgelassenen Vorräte zu erreichen. Jetzt, mit einer stattlichen
Anzahl von Führern versehen, ging die Reise schneller und sicherer
vorwärts, kamen, nun die beiderseits Verlorenen sich wiedergefunden,
erst alle Genüsse der Wanderung recht zum Bewußtsein. Eine Abteilung der
Schwarzen voran, dann die vier Weißen und zum Beschluß der Rest der
gemieteten Begleiter, so ging es vorwärts in die köstliche Mondnacht
hinein. Nach zweitägigem Marsche war das Dorf des Bonnystammes erreicht,
Weiße und Schwarze befanden sich im besten Wohlsein, Lebensmittel wurden
gegen die üblichen Tauschwaren in Hülle und Fülle gespendet. Ebenso
boten die wenigen anwesenden Greise (denn die kampffähigen Männer hatten
ihren Streifzug weiter fortgesetzt und waren noch nicht heimgekehrt)
bereitwillig den Gästen eine Hütte, wo sie auf weichen Matten von den
Anstrengungen der letzten Tage ausruhen konnten.




                           Viertes Kapitel.


Beladen mit Schätzen an Blumen und Pflanzen, an Insekten aller Art, die
Botanisierkapseln und Ledertaschen gefüllt bis zum Rande, so hatte sich
die kleine Karawane auf der »Hammonia« wieder eingefunden, und jetzt
dampfte man den Inseln an der Küste des Guineabusens entgegen. Hier in
diesem ungesundesten aller existierenden Klimate, hier, wo die
leichteste Hautabschürfung, ja ein Nadelstich schon binnen weniger
Stunden bis zum bösartigsten Geschwür fortschreitet, war ein längerer
Besuch freilich nicht in Aussicht genommen, überhaupt sollten nur die
bedeutenderen der fünf Inseln besehen werden, nämlich Fernando Po und
die Prinzeninsel.

Die Knaben mußten nach den ersten Rasttagen während dieser Überfahrt
tüchtig Botanik und Geographie treiben, daneben aber genossen sie alle
die Reize der angenehmen, vom besten Wetter begünstigten Reise, die an
jedem Tage neue Abwechselung darbot. Das Meer war hier eine Fundgrube
nimmer gesehener Kostbarkeiten, es brachte Unterhaltung und Belehrung
zugleich, namentlich da seine blaue Oberfläche in dieser starken
Entfernung vom Lande einen Durchblick bis zur Tiefe von etwa fünfzehn
Metern überall gestattete, und daher die stummen Bewohner des
Wasserreiches deutlich zu erkennen waren.

Große, formlose, häßliche Sepien, mit allen Fangarmen rudernd, grau und
unheimlich in ihrer Kopflosigkeit, mit weitem, immer offenen und nur zum
Saugen eingerichteten Mund, -- die umfangreichsten, gefährlichsten aller
Polypen, schwammen träge durch die Tiefe dahin und hielten in ihren
zahllosen Armen alles fest, was sie erreichen konnten; der Hai mit
seinem Adjutanten, einem kleinen, schlankgebauten, kaum einen halben
Meter langen Fischchen umschnupperte zuweilen das Schiff; fliegende
Fische tummelten sich in der Luft und fielen auf das Verdeck; selten
auch zeigte sich ein riesiger Wal mit allen den schmarotzenden
Bewohnern, welche sein stattlicher Rücken jahraus jahrein beherbergt;
seltener noch ein besonders fremdartig gebauter, kleinerer Fisch; zu
Hunderten und Tausenden dagegen die blauen, rundlichen Polypen, deren
Züge oft stundenlang das Meer durchfurchten, und denen wieder eine
größere gelbe oder violette Art folgte, die sich von den blauen
ernährte, deren häßliche Saugwerkzeuge daher blau gefärbt erschienen.

Einmal bei ganz stillem Wetter sahen die Knaben neben dem Schiff eine
purpurrote Kugel von der Größe einer ausgewachsenen Kokosnuß mit einem
himmelblauen, gefalteten Kragen und über einen Meter langen Fangarmen
vom schönsten Rosa. Die Qualle schwamm, ob auch andrängende Wellen sie
zu überschütten drohten, immer auf dem Kamm derselben, einsam im ganzen
Glanze einer wunderbar fesselnden Schönheit. Weit und breit ohne ein
Wesen gleicher Art, gewährte ihr Erscheinen auf der Oberfläche des
unendlichen Meeres den einzigen Ruhepunkt für das Auge, zugleich aber
auch ein Bild, das anziehend genug war, um die Aufmerksamkeit der
Beschauenden im höchsten Maße zu fesseln.

»Papa Witt!« rief Franz, »schnell, schnell, können wir das Ding nicht
einfangen?«

Der Alte schüttelte den Kopf. »Das ist eine Seifenblase,« antwortete er
halb ernsthaft, halb lächelnd, »gerade wie das Glück -- erfaßt du es, so
bleibt von all diesem Glanze nur ein graues, zerstäubendes Etwas!«

»Man kann also die bunten Quallen niemals aus der Nähe besehen?«

»O doch, dann aber muß man sie mit einem Eimer oder anderen größeren
Gefäß herausschöpfen, und das ist bei voller Fahrt unmöglich.«

»Papa Witt, könnte denn nicht das Schiff stoppen?«

»Lauf,« lächelte der Alte, »lauf und frage, Junge.«

Franz stürmte fort und hatte zwei Minuten später alles an Deck
versammelt, den Kapitän, den Doktor, Holm und Hans. Ein Stück seiner
Garderobe flog dem andern nach, er holte unter allgemeiner Heiterkeit
ein starkes Seil herbei und ließ sich vom Koch einen leichten Blecheimer
geben. »So, wenn nun das Schiff still liegt, laßt mich nur über Bord
springen,« rief er. »Einen Hai würdet ihr ja rechtzeitig sehen können,
und vor dem Ertrinken habt keine Furcht. Ich schwimme wie ein Fisch.
Jetzt also -- paßt auf!«

»Berühre die Qualle nicht, Franz!« lachte Holm.

»Sie beißt dich, Junge!« rief der alte Witt. »Du denkst noch tagelang an
ihre Nesseln, wenn sie dich erfassen sollte.«

»Franz,« fügte halb ängstlich der Doktor hinzu, »du müßtest dergleichen
Wagestücke doch unterlassen. Bedenke --«

Aber da plätscherte der Junge schon im Salzwasser, die Schaumperlen
rollten über seinen Körper dahin, die Woge hob und senkte den kecken
Schwimmer. »Springen Sie mir nach, Doktor,« rief er lustig, »es ist viel
kühler hier unten, als auf dem Verdeck.«

Der alte Theologe hielt, um desto genauer über den Schiffsrand hinweg in
die Tiefe sehen zu können, vorsichtig mit beiden Händen die dritte der
bewußten sechs Brillen fest. »Ich?« wiederholte er erschreckt, »du bist
ein Erzspitzbube, aber man kann dir trotzdem nicht böse werden. Gib nur
acht auf deine Sicherheit.«

Die purpurne Qualle war während dieser Worte dem Knaben
entgegengeschwommen. Es schien wirklich schwer, dies kugelförmige
Geschöpf für mehr als eine bloße Pflanze zu halten, dennoch aber zeigte
das beständige Tasten der Fangarme jenen Zustand teilweisen Lebens, der
das Polypengeschlecht zur »Übergangsstation« macht, wie Professor
Schleiden es nennt, »zu einer Entwicklungsstufe, die das Tier- und
Pflanzenreich verbindet.« Nur Magen besitzt die sonderbare Gattung,
keinen Kopf, mithin auch nur _einen_ der an lebenden Wesen gefundenen
_fünf_ Sinne, den Tastsinn, und daneben einen breiten, lippenlosen Mund.
Einzelne Spielarten sind häßlich, andere sehr farbenreich, besonders die
in den tropischen Meeren lebenden.

Franz nahte mit des Kochs großem Blecheimer. Sechsmal und zehnmal hob er
ihn mit schnellem Ruck über die Oberfläche, immer aber schaukelte sich
die Qualle unbekümmert auf den Wellen, während unser Freund lediglich
Salzwasser eingefangen hatte. Ob er noch so sicher glaubte, jetzt das
bunte Ding erwischt zu haben, in der nächsten Sekunde lagen wieder
einige Schritte Entfernung zwischen ihm und seiner Jagdbeute. -- Die
übrigen lachten natürlich, dadurch aber steigerte sich der geheime
Ärger, welcher den Knaben schon vorher erfaßt hatte, zum Zorn.
Schließlich aber sah er ein, daß er nur mit Besonnenheit zum Ziel
gelangen könnte. Listig schob er den Eimer seitwärts unter die Qualle.
Ein lautes Hurra meldete den anderen den glücklichen Fang.

»Na! Na!« brummte der alte Witt, »sind das Streiche. Holt ihn ein,
Jungens, aber rasch. Koch, eine Bütte voll Salzwasser an Deck.«

Seine Befehle wurden schleunig ausgeführt. Ein paar Minuten später
befand sich der unerschrockene Knabe wieder in der Mitte der anderen,
der alte Steuermann selbst setzte die Qualle in das Messinggefäß und das
Schiff nahm die Fahrt wieder auf. Franz hatte viele Neckereien zu
ertragen. Obwohl ihn aber die roten Striemen, welche das Seil an dem
unbekleideten Körper zurückgelassen, heftig schmerzten, so lachte er
doch darüber und ließ sich von seinem Bruder helfen, die abgeworfenen
Kleidungsstücke wieder anzulegen. Mit stolzen Blicken kniete er vor der
Bütte, worin das gefährliche Halbtier schwamm. Es war im Zustande vollen
Lebens erhalten, die drei verschiedenen Farben glühten so prächtig wie
draußen auf dem Meer, nur schienen seine Tentakeln, wie diese Fangarme
heißen, etwas unruhiger zu tasten. Überall, wo sie gegen das Holz der
Bütte stießen, zogen sie sich plötzlich gegen den Körper zurück.

»Diese Glieder wachsen, wenn man sie abschlägt, wieder nach,« erläuterte
Holm, »später werden wir, gefällt's Gott, sogar im Großen Ozean Polypen
sehen, deren aus Hunderte von Körperchen bestehende Familie nur _eine_
Mundöffnung und _einen_ Magen besitzt. An dem Burschen hier, der dir so
viele Mühe machte, soll das Todesurteil vollzogen werden, nicht wahr,
Franz?«

Unser Freund lachte etwas gezwungen. »Nicht meinetwegen, Karl, aber
damit man einmal diese Geschöpfe genau kennen lernt.«

Der Koch brachte einen großen Rührlöffel und Holm hob vorsichtig das
Tier heraus, um es in eine leere Bütte zu legen. Augenblicklich
verschwanden die prachtvollen Farben, es ging stufenweise abnehmend
alles über in ein fahles Grau, und die Fangarme verloren ihre
Fortbewegungskraft. Als Holm einen derselben ergriff, blieb in seiner
Hand eine gallertartige, zerrinnende Masse, die höchst unangenehm
festklebte. Das Halbtier zerging ohne irgend eine äußere Verletzung,
ohne wahrnehmbares Sterben in kurzer Zeit zu formlosem Schleim.

»Sagte ich es nicht,« nickte der alte Witt, »eine Seifenblase.«

»Dort schwimmen mehrere,« rief Franz, -- »wie hübsch doch die Dinger in
so weiter Entfernung aussehen, wie schade, daß wir diesen Anblick nicht
auch unseren Freunden in der Heimat ermöglichen können. Diese Geschöpfe
lassen sich ja nicht transportieren, wie wir uns eben selbst überzeugt
haben.«

»Und wegen dieser buntschillernden Quallen eine gefährliche Reise
anzutreten, ist nicht jedermanns Sache,« sagte Doktor Bolten. »Was
nützten mir auch alle Wunder und Schönheiten der Natur, wenn die Wilden
meine letzte Brille gestohlen hätten. Ein wahres Glück, daß ich noch ein
Paar Augengläser habe, andernfalls wäre es einerlei, ob ich hier wäre
oder in Dockenhude.«

Alle lachten über den Doktor, der die letzten Worte in einem etwas
kläglichen Tone gesprochen hatte. Dann fragte Holm: »Wie würden wir es
wohl anfangen, um auch unseren Landsleuten daheim eine Vorstellung von
der Farbenpracht und dem Aussehen solcher Geschöpfe zu geben, die im
Tode ihre Schönheit verlieren? Viele farbenprächtige Fische büßen,
sobald sie sterben, ihren Glanz und Farbenzauber ein, wie z. B. die blau
und rot schillernde Meerbarbe, die schon den alten Römern als
Delikatesse bei ihren Schwelgereien galt. Ja die Meerbarbe wurde sogar
vor den Augen der Gäste getötet, die sich an dem wechselnden
Farbenspiel, welches das Tier beim Sterben zeigt, ergötzten. Wer von
euch,« wandte er sich wieder zu den Knaben, »kann mir nun sagen, auf
welche Weise es möglich ist, das Vergängliche für die Mit- und Nachwelt
aufzubewahren?«

Die Knaben sannen nach. »Man setzt die Quallen und Fische in ein
Aquarium,« rief Hans.

»Das wäre ein Ausweg,« entgegnete Holm, »der wohl für einzelne Fälle,
aber nicht für alle passen würde. So lebte früher, gegen das Ende des
sechzehnten Jahrhunderts, auf der Insel Mauritius eine Art von großen,
unbeholfenen Vögeln -- die Dronte -- die nunmehr ganz ausgestorben ist.
Wir würden gar keine Kenntnis von der Gestalt dieses merkwürdigen Vogels
haben, wenn nicht ein damals lebend nach London geschickter Dronte von
einem Maler -- porträtiert worden wäre.«

»Ich hab's,« rief Franz, »man muß solche Gegenstände, die sich nicht
erhalten und transportieren lassen, naturgetreu zeichnen und malen.«

»Ganz recht,« bestätigte Holm, »und deshalb habe ich auch einen
Tuschkasten mit den feinsten Farben und alles zum Zeichnen und Malen
Erforderliche vorsorglich mitgenommen. Später werden wir auch besonders
interessante und wichtige Landschaften, Bäume, Felsen, Wohnungen der
Wilden und diese selbst mittels eines photographischen Apparates
aufnehmen, der uns nachgesandt werden wird.«

»Und wenn unsere Zeichnungen und Abbildungen gut ausfallen, finden sie
Platz in naturwissenschaftlichen Werken,« rief Franz voll Freude, »ich
hätte Lust, jetzt gleich eine zweite Qualle zu fangen und sie zu
konterfeien in Form und Farbe.« Er ging rasch zu Papa Witt, um ihn von
seinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen.

Der Alte schüttelte den Kopf und antwortete nicht.

»Sind Sie ungehalten über mich, Papa Witt?« fragte Franz.

Dieser aber blickte den Knaben ernst an und ging zum Kapitän, der den
alten Steuermann zu sich winkte.

Die Blicke beider Männer begegneten sich, und eine halblaute
Unterhaltung in plattdeutscher Sprache zeigte, daß der gleiche Gedanke
den einen wie den anderen beherrschte. »Stüürmann,« sagte der Kapitän,
»wie krigt noch watt!«

Der Angeredete nickte. »Weet wull, Kaptein.«

Und damit waren die Verhandlungen beendet. Obgleich weder Passagiere
noch Mannschaft irgend etwas Verdächtiges bemerkt hatten, sahen sie
doch, daß ein Ereignis im Anzuge sein mußte; sämtliche Segel wurden
eingezogen und nur die großen Sturmsegel gesetzt, alle kleineren
Gegenstände von Deck entfernt, die Luken verschlossen und das Feuer
ausgelöscht. Bleierne Windstille lag auf der ganzen Umgebung, nur
zuweilen flog gleichsam vorüberhuschend ein gewaltiger Stoß über das
Wasser daher, und im Nordosten zuckten ferne Blitze. Seltsam war das
plötzliche immer wiederkehrende Wechseln aller Erscheinungen. In diesem
Augenblicke regnete es stark, im nächsten heiterer Himmel; jetzt neigte
sich das Schiff, vom Stoß erfaßt, zur Seite, als wolle es stürzen, und
dann wieder schien jede Bewegung der Luftmassen erstarrt. Die Maschine
wurde mittlerweile tüchtig geheizt und das Steuer so gedreht, daß die
»Hammonia« ihren Kurs nach Nordosten nahm.

Und nun brach es herein, schrecklich und schön zugleich, weit
großartiger, erhabener, als sich's menschliche Einbildungskraft ausmalen
könnte. All der Farbenreichtum, der Glanz und die Fülle des südlichen
Erdteiles trat auch hier im Toben der Elemente zu Tage. Blitz folgte auf
Blitz, sein prachtvollstes Glühen aber erlosch neben dem des
elektrischen Feuers, das in ganzen Garben überall explodierte.
Glitzernde Meteore fielen vom Himmel in das schäumende, kochende Meer
hinein; der Sturm brüllte, der Donner ging über in ununterbrochenes
Getöse, Spritzwasser schlug in Wellen auf das Verdeck, und fast völlige
Dunkelheit brach herein.

Franz versuchte es, hinauszutreten, seine unerschrockene Seele wollte
den Kampf mit den entfesselten Urkräften der Erde nicht allein dem
Schiffsvolk überlassen, er wünschte selbst Hand anzulegen und für sein
und aller Leben zu streiten; aber das erwies sich als unausführbar. Es
war ihm nicht möglich, festen Fuß zu fassen, er konnte weder atmen noch
sprechen, die dünne Leinenjacke flog in Fetzen davon. Holms kräftige
Arme zogen ihn auch schon wieder zurück in den Vorraum der Kajütte
hinab. »Willst du über Bord gefegt werden, Junge? Da können Unerfahrene
wie du und ich nichts nützen.«

In diesem Augenblick erschien der Kapitän, um den verlorenen »Südwester«
mit einem anderen zu vertauschen und dabei seiner Reisegesellschaft
etwas Mut einzuflößen. »Wir sind in einer Viertelstunde, so Gott will,
hindurch, meine Herren,« rief er. »Ich habe die beste Hoffnung.«

»Hindurch?« wiederholte Doktor Bolten, »das verstehe ich nicht.«

Holm nickte. »Es ist also ein Wirbelsturm,« antwortete er, »ich dachte
mir's gleich. Der Kapitän will die äußerste Grenze des Halbkreises
erreichen.«

Jetzt aber war für Erläuterungen keine Zeit, keine Ruhe vorhanden. Einer
nach dem andern trat an das Kajüttfenster oder unter das Glasdach der
größeren in der Mitte liegenden Wohnkajütte. Hierher konnten allerdings
die Wogen nicht gelangen, aber desto mehr sah man vom Himmel, an dem es
wie mit tausend Brillantfeuern leuchtete. Schon nach wenigen Minuten war
aus den seitwärts belegenen Fenstern nichts mehr zu sehen.

Ganze Berge von Wasser hoben und drehten das Schiff, Schaumwolken
verhüllten alle Aussicht, das Getöse des Anpralls betäubte förmlich. Die
kleine Gruppe stand, sich an dem stark befestigten Speisetisch haltend,
bei einander im Salon, dessen verglaste Decke einen freien Aufblick
ermöglichte. Grünlich und violett zuckte es herab, sturmgepeitscht, von
Flammen überall umgeben, als ob Erde und Himmel in Brand geraten, so
loderten die Gluten.

Zuweilen lag das Schiff dermaßen auf einer Seite, daß es den Anschein
hatte, als ob Sofas und Bilder an den Wänden über den Köpfen schwebten,
-- einer sah den anderen an, die Herzschläge setzten aus, die Gedanken
traten als ein »Gott erbarme sich!« unwillkürlich auf die Lippen, -- und
dann ging es wie ein Knarren, ein Ächzen durch das Eisenwerk, langsam
kehrte der kräftige Bau zum gewohnten Halt zurück, nochmals hatte des
Todes Flügelschlag nur gestreift, aber nicht getroffen.

»Sonderbar,« flüsterte Franz, »ich habe doch bei den Gallinas und wohl
auch während unseres Nachtaufenthaltes im unbeschützten Walde der
Vernichtung Aug' im Auge gegenübergestanden, ganz wie jetzt, aber die
Ruhe, welche ich trotz dieser Gefahr empfinde, fehlte damals, -- woher
doch der auffallende Unterschied?«

Der alte Theologe legte die Hand auf seines Zöglings Schulter, »Das ist
die Ehrfurcht, welche ein gewaltiges, erschütterndes Ereignis dem
Menschenherzen abnötigt, mein Junge, das ist die Unthätigkeit, wozu wir
angesichts der Gefahr verurteilt sind, die uns ganz wehrlos in Gottes
Hand legt. Du vertraust nicht mehr auf dich, also fühlst du auch keine
Unruhe, -- das ist das Geheimnis alles wahren Glaubens!«

Es wurde still in der reichgeschmückten Kajütte; niemand sprach mehr,
nur die Stimme des Donners klang über das Wasser dahin, und der Sturm
brauste wie Orgelklang dazwischen. Oben auf dem Verdeck arbeiteten die
wackeren Hamburgischen Matrosen, deren eigene Sachkenntnis sie die
Blicke und Bewegungen des Kapitäns verstehen zu lassen schien;
wenigstens hätte keine menschliche Kraft ausgereicht, um in solchem
Wetter vernehmlich zu sprechen, geschweige denn bestimmte Befehle zu
geben. Einer der Schornsteine war verbogen wie ein geknickter Halm, ein
Notmast über Bord gegangen, und von der Mannschaft fehlten zwei. Die
beiden Thüren der Kombüse, einander gegenüberliegend, waren
herausgerissen und sämtlicher Inhalt des kleinen Raumes ins Meer
gespült, kurz auf jedem Zollbreit Bodens zeigten sich die Spuren einer
grauenvollen Verwüstung, eines Kampfes, dem nichts gewachsen war, was
überhaupt losgerissen oder zerschlagen werden konnte.

Wieder trafen sich die Blicke des Kapitäns und des alten Steuermannes.
Witt nickte, worauf sein Vorgesetzter in die Kajütte hinabging.
»Gewonnen!« rief er, »obwohl es schwere Opfer gekostet hat. Jetzt ist
die äußerste Grenze erreicht, der grimmige Feind muß uns seine Kraft
dienstbar machen und die »Hammonia« mit verdoppelter Eile nach den
Inseln im Guinea-Busen befördern.«

Holm versuchte es, dem Kapitän näher zu treten, wurde aber sogleich,
nachdem er den schützenden Halt losgelassen, unsanft auf den Fußboden
gesetzt und unter das Sofa gerollt. »Ein Cyklonenritt, nicht wahr?«
fragte er von dort her.

Jetzt lachten alle. »Ein Cyklonenritt!« wiederholte der Kapitän. »Woher
wissen denn Sie eingefleischte Landratte, der Sie nicht einmal
»Seebeine« besitzen, was das Ding bedeuten will?«

Holm hatte sich mittlerweile wieder aufgerichtet. »Belehren Sie uns,«
sagte er artig. »Sie haben die Sache praktisch kennen gelernt, ich habe
sie studiert; einer kann also das Wissen des anderen ergänzen.«

»Demnächst, mein Freund. Jetzt kommen Sie mit mir an Deck, immer hübsch
im Schutz eines niet- und nagelfesten Gegenstandes, und sehen Sie sich
das Schauspiel im weiteren Umkreise an. Noch ein Viertelstündchen, dann
hat es ausgetobt, der Himmel wird wieder im Sonnenglanz leuchten und nur
ein starker, regelmäßiger Wind, dessen kreisförmige Richtung uns jetzt
nicht mehr schaden kann, das Schiff wie im Fluge vor sich her treiben.
Folgen Sie mir, meine Herren!«

Die ganze kleine Gesellschaft, mit Ölzeug und Südwester versehen, klomm
an Deck. Man konnte es wirklich nur klimmen nennen, da jeder Anprall des
Sturmes einen lebhaften Widerstand erforderte und kein Schritt ohne die
Führung des quergespannten Seiles möglich war. Welch ein Anblick bot
sich dem Auge! Erschütternd furchtbar und doch wieder großartiger als
alle Schöpfungen der Kunst, ja selbst der entflammtesten Phantasie. Am
Himmel alle Farben, vom glühenden Purpur bis zum weißen, elektrischen
Licht, vom tiefsten Schwarz der Wetterwolke bis zum grün und gelb
schillernden, rotumrandeten Zackenblitz, -- unten im Meer die
Schaummasse zu Bergen getürmt, von Klüften und Thälern durchschnitten,
rollend und grollend, wie ein Raubtier aufspringend gegen die Eisenwände
des Dampfers, gekrönt mit tausend weißen Perlenbogen und in seiner
tieferen Mitte schwarz wie das Wasser des Höllenflusses dahingleitend,
-- so bot das Gesamtbild fortwährend neue Formen, so schien jedes
einzelne das schönste und erhabenste im großen Ganzen.

Und doch war noch ein Schauspiel, seltener und fesselnder als alle
vorigen, den Zuschauern vorbehalten. Aus einer dichten Wolke fiel in
nächster Nähe eine riesige, purpurrote Feuerkugel so hoch herab, daß ihr
Lauf bis zu der Meeresoberfläche deutlich verfolgt werden konnte. Je
näher dem Ziele, desto mehr verstärkte sich die Schnelligkeit des
Falles, desto heller wurde der Purpur, bis endlich auch dessen letzter
Schimmer in Weiß überging, und die Kugelform allmählich unter der
Gestalt eines Ovals verschwand. Als die Erscheinung fast neben dem
Schiff das Meer berührte, spritzte sie auseinander wie geschmolzenes
Blei, und eine Dampfsäule, schnell verziehend, bezeichnete das
plötzliche Erglühen des getroffenen Wassers.

Der Kapitän nickte, als beantwortete er seine eigenen Gedanken. »Nun
noch ein halbes Stündchen Gewitter ohne Sturm oder Regen, dann haben wir
Ruhe. Gott sei den Schiffen gnädig, die jetzt im Mittelpunkt kämpfen.«

Es geschah wie er vorausgesagt. Der Aufruhr der Wogen legte sich, an
Deck konnte einige Ordnung wieder hergestellt werden, das Feuer im
Maschinenraum erlosch, und das Schiff flog vor dem Wind wie ein Vogel
über die geglättete Fläche dahin. Immer noch zuckten Blitze, immer noch
ging die See hoch, aber dennoch war alle Gefahr vorüber, und nun
versammelte sich die Reisegesellschaft bei hellem Sonnenschein um eine
Tasse Kaffee, die zwar stehend getrunken werden mußte, aber trotzdem
nach der gehabten Aufregung vortrefflich mundete. »Solche Cyklonen, --
auch Orkane, Taifune oder Hurrikane genannt -- sind Wirbelwinde,«
erläuterte der Kapitän. »Ganz dasselbe, was wir alle am Lande so oft
gesehen haben, wenn vor einem Gewitter plötzlich die Luftmassen sich um
ihre eigene Mitte drehen und irgend einen leichten, zufällig dort
befindlichen Gegenstand aufheben oder weitertreiben. Der innerste hohle
Raum der Wettersäule ist natürlich windstill, da aber die Bewegung in
großer Eile fortschreitet, so ist eben diese Stelle die gefährlichste
von allen, weil sich der stärkste Anprall darüber hinwälzt. Ein Schiff
im Zentrum des Orkans ist meistens verloren, die Benutzung des äußersten
Sturmrandes dagegen jetzt schon an Punkten eines häufigen Vorkommens
desselben zu einer Art Verkehrseinrichtung geworden. Wer die Sache
praktisch kennt und daneben zu denken versteht, kann auch dem Orkan
rechtzeitig aus dem Wege gehen, d. h. seinen äußeren Rand erreichen.«

»Wie Sie soeben gethan, nicht wahr, Herr Kapitän?«

»O weh -- da bin ich unvorsätzlich mit dem Klingelbeutel gegangen. Aber
wirklich ist dies nicht der erste Wirbelsturm, den Witt und ich mit
einander bekämpfen. -- Hole den Alten herunter, Franz, wir wollen unsere
Rettung durch einen guten Trunk feiern; sag auch dem zweiten Steuermann,
daß er ein paar Flaschen Sekt herausgibt und den Leuten eine tüchtige
Extraration Grog zukommen läßt.«

Der Knabe sprang davon, um seinen Auftrag auszurichten; als aber die
Gläser an einander klangen, da wurde doch die allgemeine Stimmung eine
sehr ernste. Zwei Matrosen hatte der Sturm in den Wellen begraben, zwei
trauernde Familien zuhause in Hamburg waren ihrer Söhne und Brüder
beraubt; das trat erst jetzt, nun die Schrecken vorüber, mehr in den
Vordergrund und verscheuchte die Heiterkeit. Auch vom Matrosenraum her
erklang kein Singen und Lachen, wie es sonst bei Gelegenheit jeder
Extraration von der immer gutgelaunten Schar angestimmt wird, der
Kapitän hielt eine Ansprache, der noch Doktor Bolten einige ernste Worte
beifügte, und dann wurde das sämtliche Eigentum der beiden Ertrunkenen
fest versiegelt in die Kajütte gebracht, um mit der rückständigen Heuer
an das nächste Hamburgische Konsulat abgeliefert zu werden. An diesem
Tage kam keine rechte Unterhaltung mehr in Fluß, auch zum Arbeiten
gelangte man nicht. In allen Ecken und Winkeln des Schiffes lagen ja die
beweglichen Gegenstände über einander geschichtet; da mußte neu geordnet
und aufgeräumt werden; das Verdeck glich einem Schlachtfelde. Die
Fleisch- und Wasserfässer waren hinweggespült oder ihres Inhaltes
beraubt worden, so daß sich der Kapitän Glück wünschte, mit
beschleunigter Fahrt die Insel Fernando Po erreichen zu können.

Fernando Po läßt überall vulkanische Natur erkennen. Schon von weitem
sahen die Reisenden den Pik gleichen Namens, welcher prachtvoll bewaldet
in der Höhe von 3500 Fuß das Meer überragte; sowohl der Kapitän als auch
Holm waren aber der Ansicht, daß ein Ersteigen dieses Berges wie
überhaupt ein Aufenthalt von längerer Dauer ganz unmöglich sei. Die fünf
Inseln im Guineabusen sind eben die ungesundesten Punkte des tropischen
Klimas, weshalb auch Spanien die Insel Fernando Po als Deportationsort
braucht. Das große Gefängnis sah wie ein dunkler Punkt aus der heiteren
Umgebung hervor, mehrere Kirchen und Kapellen wurden bemerkbar, aber
dennoch wohnen fast gar keine Europäer dort, weil die bösartigsten
Hautkrankheiten fortwährend herrschen.

Ein Tierleben kennen die Inseln, soweit es Vierfüßler betrifft, fast gar
nicht. Nur einige Affen leben auf den Bäumen, Schaltiere am Strande und
außerdem verschiedene Vogelarten. Der Spaziergang war daher von keiner
Gefahr bedroht, zumal die Eingebornen, die Aniyas, wie sie sich nennen,
ein sehr scheuer, friedfertiger und verarmter Menschenschlag sind. Es
lebt auf den zerstreuten Inseln nur eine verhältnismäßig sehr geringe
Bevölkerung.

Aber schön wie im Paradiese war die Umgebung. Rauschende Wasserfälle
stürzten sich über Felszacken herab, prachtvoll blühende tropische
Pflanzen aller Art bedeckten die Ufer, und Höhlen und Gänge, tiefe
Schluchten und schwindelnde Berghöhen entzückten das Auge. Die Knaben
füllten ihre Botanisierkapseln mit den Blüten und Blättern großer
Prachtlilien, des Papyrus, der Kommelinen, Datteln und der Killingia,
sie sammelten ungestört Moose und Flechten, die duftigsten Kräuter, die
verschiedensten Waldbeeren von schönem Purpur oder Hellrosa, -- nur
Menschen begegneten ihnen nicht.

»Gibt es denn hier keine Dörfer?« fragte Bolten den finster blickenden
spanischen Führer. »Wird kein Feldbau betrieben?«

»Nichts!« war die Antwort. »In diesem Klima arbeitet niemand.«

»Ein trauriges Paradies!« setzte Holm hinzu. »Aber horch, ich glaube, es
kommt jemand durch den Wald.«

»Das ist wohl möglich. Die Aniyas streifen überall herum und suchen
Beeren.«

Wirklich erschien auch in diesem Augenblick die Gestalt eines Greises,
der mit dem Weidenkorb am Arm Schwämme sammelte. Auf einen langen Stab
gestützt, bot der Alte einen ebenso seltsamen als bedauernswerten
Anblick. Ganz nackt, ohne jegliche Spur von Bekleidung, trug er auf dem
Kopf ein korbartiges Gestell aus Weidengeflecht, über welches die grauen
Haare nach allen Seiten hin künstlich zusammengedreht waren. Nadeln von
Affenknochen, kranzartig gesteckt, hielten den Bau, und Schnüre von
kleinen gelben Okerkugeln schlangen sich hindurch. Am Oberarm hatte der
Mann ein hölzernes Stäbchen mit mehreren Schnüren befestigt, sonst war
nicht einmal zum Schutz der nackten Füße irgend eine Vorrichtung
getroffen, außerdem aber auch die Haut des ganzen Körpers mit einer Art
Aussatz bedeckt.

Die Jammergestalt wollte schleunigst flüchten, aber auf Holms Wink
ersuchte ihn der Führer noch zu bleiben und den Herren zu antworten. »Es
soll dir kein Leides geschehen, Graukopf,« setzte er hinzu, »komm und
sprich dreist.«

Der Wilde trat näher und bot den Fremden seine Schwämme. »Die Aniyas
sind arm,« sagte er, »sie können den Weißen keine Gastfreundschaft
darbringen; ihre Wohnungen bestehen aus einem Mooslager in der
Felsenspalte und ihre Nahrung aus Waldfrüchten.«

Die wohlduftende Gabe wurde dankbar angenommen und dafür der Korb des
Wilden mit Geschenken aller Art angefüllt. Holm fragte den Führer nach
dem Grunde dieser auffallenden, fast nirgends mehr gefundenen gänzlichen
Nacktheit und erhielt zur Antwort, daß kein Eingeborner von Fernando Po
jemals ein Kleidungsstück an sich dulden würde; vielfache Versuche in
dieser Richtung seien bereits fehlgeschlagen, dagegen verwende man auf
die Herstellung des Kopfschmuckes alle mögliche Sorgfalt. »Die Aniyas
sind ein melancholisches Volk,« setzte er hinzu. »Der fortwährenden,
hier heimischen Hautkrankheiten wegen glauben sie unter einem Banne zu
stehen. Aber der Alte soll selbst erzählen.«

Und dann nach kurzer Rücksprache berichtete der Wilde folgende
Thatsachen, die auf Fernando Po wie eine Art geschichtliche
Überlieferung sowie eine Glaubenslehre gelten. »Die ersten Menschen
lebten gesund und glücklich,« hieß es, »denn sie kannten noch nicht die
Wohnung des großen Geistes, sie hatten noch nicht seinen Zorn
herausgefordert und das Mißgeschick über ihre Häupter herabgerufen.
Schwämme und Beeren, Wurzeln und Früchte boten die Wälder, die See
lieferte Fische und Muscheln, die Kinder meines Volkes wußten nichts von
Krankheit oder Hunger. Da verleiteten die bösen Mächte, die in den
finsteren Erdtiefen wohnen, einstmals einen der Aniya-Jäger, einem
voraneilenden Affen über Felsspalten und durch verworrene Schluchten zu
folgen, bis endlich ein grauenvolles, nur von zuckenden Blitzen
erhelltes Thal sich vor ihm aufthat. Der Affe verschwand plötzlich, der
Weg wurde enger und enger, sonderbares, unbekanntes Getier flog und
kroch über die Felsspitzen, und aus dem Winkel hervor trat ein Riese von
übermenschlicher Größe mit schweren Waffen und einer furchterregenden
Stimme. >Was vermissest du dich, mein Reich zu betreten, vorwitziger
Mann!< rief er. >Das sollst du mit dem Leben bezahlen.<«

»Der Aniya-Jäger, welcher nicht wußte, daß der große Geist in Gestalt
eines Riesen vor ihm stand, bereitete sich zum Kampfe. Im Anfang des
Ringens schien es, als ob der Bewohner der Höhle siegen werde, dann aber
traf ihn ein Schlag von dem Jagdspeer des anderen und streckte ihn zu
Boden. Er sah zu seiner Rettung nur noch einen Ausweg, nämlich den der
List. >Ich bin mächtig,< begann er, >viel mächtiger als du glaubst,
Mensch, ich kann alle deine Wünsche erfüllen. Wähle dir, was du zu
besitzen verlangst, aber laß mich frei!<

»Der Aniya erbat sich nun eine ewige, nie wechselnde Fruchtbarkeit des
Bodens, einen heiteren Himmel und schöne Blumen; er wollte Jagdglück
erringen und kräftige Muskeln behalten bis in das höchste Alter; --
alles bewilligte ihm der Riese und mußte zuletzt auch den Felsen
gebieten, sich zu öffnen und den Fremdling ziehen zu lassen. Sobald aber
dieser die unheilvolle Grotte im Rücken hatte, ertönte hinter ihm ein
spöttisches Lachen. >Ha, ha, ha, deine Haut hast du vergessen,
kurzsichtiger Thor! Fortan soll dich jede Stunde daran erinnern, daß du
dem großen Geiste eine Beleidigung zugefügt. Zieh hin, das Kra-Kra wird
von deinem Stamm nicht mehr weichen.<«

»Und so geschah es,« schloß der Alte. »Mein Volk ist bis auf diesen Tag
nicht wieder erlöst von dem Zorn des großen Geistes. Das Kra-Kra
überfällt jedes seiner Kinder.«

Der Führer hatte Wort für Wort diese ganze Rede übersetzt; er schüttelte
den Kopf, als Doktor Bolten entrüstet einer solchen Auffassung von dem
Wesen des großen Geistes entgegentreten wollte. »Das nützt nichts, meine
Herren,« versicherte er, »sie glauben es alle, Männer und Frauen, wie
sie denn auch alle an der schlimmen Hautkrankheit zu leiden haben.
Dieser hier plagt sich augenscheinlich daneben auch noch mit dem
berüchtigten Guineawurm. Sehen Sie, er haspelt ihn aus der Haut heraus.«

Der Wilde zeigte seinen Oberarm, an dem unter einer Schicht von
gequetschten Blättern, da wo das Holz lag, ein kleines Geschwür zu Tage
trat. Ein rot schillernder Faden, dünn wie Zwirn, war zum Teil um das
Stäbchen gewickelt, zum Teil aber mußte er noch im Fleische stecken.
»Der Guineawurm,« erläuterte der Führer. »Er kommt nur an der Goldküste
und hier vor, also an den ungesundesten Stellen, und erregt da, wo er
sich Eingang verschaffte, ein bösartiges Geschwür. Als unsichtbar kleine
Milbe auf die Haut gelangt, wächst das schreckliche Tier im Fleische bis
zur Länge von vier Metern, und zwar wie alle mit der Polypenfamilie
verwandten Geschöpfe, indem es, etwa zerrissen oder durch äußere Gewalt
halb von seinem Platze entfernt, trotzdem sich ergänzt und ungestört
fortlebt. Welche Schmerzen es erregt, das läßt sich denken.«

»Und mit diesem Holze wickelt es der Mann heraus?« fragte Franz
schaudernd.

»Ja, das heißt, sehr langsam, vielleicht kaum einen Zentimeter lang an
jedem Tage. Es fordert Monate, bis der ganze Wurm beseitigt ist.«

Mehrere andere Eingeborne waren während dieser Unterhaltung
herbeigekommen, alle mit Körben zum Schwämme- oder Beerensuchen, alle
mit dem seltsamen Kopfputz und ohne Kleidungsstücke. Die Reisenden sahen
keinen einzigen, der nicht hier oder da Spuren des Kra-Kra gezeigt
hätte.

»Laßt uns Abschied nehmen,« ermahnte Holm. »Das ist ein unerquicklicher
Aufenthalt.«

Die Wilden wurden reichlich beschenkt, einige ihrer Knochennadeln und
Ockerkugeln wanderten für das Museum zuhause in Hamburg in Holms
Botanisierkapsel, und dann war der Aufenthalt in diesem kleinen
Paradiese, das doch so viel Elend und tiefste menschliche Unwissenheit
barg, zu Ende. Alle freuten sich, als sie die Planken des Schiffes
wieder unter ihren Füßen fühlten, ja Holm beantragte sogar, den Besuch
der Prinzeninsel ganz zu unterlassen, namentlich da der Kapitän
erklärte, daß diese außer einer noch reichhaltigeren und blendenderen
Schönheit ebenso wie Fernando Po kein weiteres Interesse darzubieten
habe. Bei den Hottentotten im Kaplande war jedenfalls mehr Aussicht auf
Abenteuer. Der Dampfer änderte also, nachdem Fleisch und Wasser
eingenommen waren, seinen Kurs und steuerte der Südspitze von Afrika,
der Kapstadt zu. Unterwegs wurde ein Hai gefangen, was natürlich den
Knaben besonderes Vergnügen gewährte. Das Raubtier mit seinem kleinen
Adjutanten umschwamm während eines ganzen Vormittags beharrlich das
Schiff, zuweilen verschwindend, zuweilen plötzlich fast aus dem Wasser
hervorragend, bis endlich auf vieles Bitten der beiden Brüder der
sogenannte Haihaken ausgeworfen wurde. Ein tüchtiges Stück Speck saß
daran; die Kette, womit er, durch mehrere Blöcke gegen einen
unerwarteten Ruck gesichert, am Mast befestigt worden, konnte man
zuverlässig nennen. Die Fahrt des Dampfers ist auf halbe Kraft gesetzt,
der Speck schwimmt verlockend und appetitlich durch das blaue Wasser, --
jetzt nur noch ein schneller Sprung, Meister Hai, und dann hat dich dein
Geschick ereilt!

Der alte Witt brachte eine Handspeiche von solidem Aussehen, schon mehr
eine kleine Keule; selbst die an solche Jagd gewöhnten Matrosen und
Doktor Bolten sahen voll gespannter Erwartung über Bord; der Koch setzte
sich eine flache Schüssel und ein großes Messer zurecht; Holm rieb die
Hände in der Hoffnung auf den Riesenkopf, welchen er bereits gehörig
abgekocht als weißes, sauberes Knochenpräparat vor sich stehen sah.
»Auch den Magen muß ich selbst öffnen, Kapitän,« rief er lebhaft, »das
bedinge ich mir. Vielleicht sind Würmer und Schnecken darin, die man
sonst nirgends zu erlangen vermag.«

»Aber die Nürnberger hängen keinen, Doktor! es sei denn, sie hätten ihn
zuvor.«

»Wir werden ihn schon kriegen.«

Das schien indessen doch nicht so gewiß. Der Haifisch schnupperte, aber
er biß nicht; zuweilen kümmerte er sich gar nicht um den Köder, und
schon machte Franz den Vorschlag, den Räuber, wenn man ihn denn durchaus
nicht fangen könne, wenigstens zu erschießen, da trat der alte Witt an
die Kette und hob langsam den Speck aus dem Wasser. Das Mittel half über
Erwarten. Als Meister Hai die Beute verschwinden sah, griff er hastig zu
und schoß dann so urplötzlich auf den Grund, daß das Schiff in allen
seinen Fugen zitterte. Ein lautes Hurra der Mannschaft begleitete das
Stoßen des letzten Kettengliedes, jetzt hatte man ja den Erzfeind
gefangen.

Rüstige Arme hängten sich an die Kette, im Wasser entstand ein Toben und
Wogen, daß der Schaum hoch über das Verdeck dahinspritzte; dann zeigte
sich der Kopf mit den raublustigen Augen, der Körper folgte nach, und
wütende Schwanzschläge peitschten das Verdeck. »Aus dem Wege!« rief
ängstlich Doktor Bolten, »aus dem Wege!«

Er zog mit beiden Händen seine Schüler von der gefährdeten Stelle
hinweg, zumal jetzt, als zwei Matrosen den Mast erkletterten, um die
vorerwähnte Speiche aus allen Kräften dem Ungeheuer in den Rachen zu
stoßen. Das half, die heftigen Schläge hörten auf, und sehr bald lag der
Fisch tot an Deck, um in hundert Stücke zerlegt zu werden. Holm schnitt
den Kopf herunter; er brannte vor Begier, das große, kräftige Exemplar
gut präpariert nach Hamburg zu bringen, der Koch bemächtigte sich des
Rückenfleisches, und die Matrosen zogen die Haut ab; dann aber wurde der
Magen geöffnet und darin verschiedene Schnecken und sogar Krebse
gefunden, die der Nimmersatt erst ganz kürzlich verschlungen haben
mochte. Alles übrige warf man ins Meer zurück. Am folgenden Tage
erschien dann das Hai-Steak auf der Tafel, fand aber nur äußerst wenig
Beifall, da es sehr zähe war und etwas nach Thran schmeckte. Für den
herrlich abgekochten Kopf erhielt der Koch desto mehr Lobsprüche; auch
kein Zahn von allen diesen hintereinander stehenden Reihen war
ausgefallen, ja sogar die Gelenkigkeit des zweiten Gliedes, das in die
etwa entstehenden Lücken des ersten sogleich einen Ersatzzahn
hineinschiebt, war bestens erhalten, der ungeheure Rachen mußte eine
Zierde des Museums werden; er sollte schon mit dem ersten Postdampfer
von der Kapstadt aus die Reise nach Europa antreten; deshalb verpackte
ihn Holm eigenhändig in eine Kiste, die der Zimmermann genau nach Maß
angefertigt hatte, und die man in der Kajütte verwahrte.

Das war schon die zweite Sendung nach Hause! Papa sollte sehen, wie
ernst es seine Söhne nahmen mit dem naturwissenschaftlichen Zweck dieser
Reise.

Ungefährdet erreichte das Schiff die Kapstadt. Nachdem ein Tag
verwendet, um die schöne, reiche Stadt mit ihren sehenswerten
Umgebungen, namentlich den Tafelberg in Augenschein zu nehmen, nachdem
verschiedene Geschenke für die Hottentottenhäuptlinge gekauft und Führer
und Pferde gemietet waren, begann aufs neue die fröhliche Wanderung ins
Innere. Der Dampfer nahm Ladung für Port Louis auf Mauritius,
hauptsächlich Wein und Wolle, daher blieb Zeit genug, um auch hier in
dem viel gesunderen Klima durch die Wälder zu streifen und Land und
Leute kennen zu lernen.

Die ersten Tagreisen hinter der Kapstadt bringen keine Begegnung mit
Raubtieren, dafür ist die Kultur schon zu weit vorgeschritten und das
Wild durch stete Verfolgung in die Wälder zurückgetrieben. Unsere
Reisenden sahen hübsche Dörfer, Landsitze und Meiereien, überall den
blühendsten Wohlstand und das beste Gedeihen, aber nirgends ein größeres
Tier, nirgends Hottentotten im Naturzustande und vor allen Dingen nicht
die Schönheit der Landschaft, welche sie an der Westküste und auf
Fernando Po bewundert hatten. Es kamen lange reizlose Strecken voll
Buschwerk und Sand, dann wieder niederer, dünngesäeter Wald oder
endlose, langweilige Grasflächen, nur verschönert durch blühende
Pelargonien (Geranium) in allen Farben und in einer bei uns in
Deutschland ungeahnten Größe der Blume; an den wenigen Flüssen, welche
sie antrafen, wuchs der Oleander, und üppig blühte auf jedem Schritt der
Heidestrauch, bald am Boden hinkriechend, bald mannshoch und zuweilen
als stattliches Bäumchen. Das Kapland hat einen so unendlichen
Pflanzenreichtum und so viele Erscheinungen auf diesem Gebiet ganz für
sich allein, daß es unmöglich wäre, sie alle aufzählen. Holm teilte mit,
daß allein fünfhundert Arten von Heiden und dreihundert von Geranien
schon in europäischen Gewächshäusern bekannt seien, ja daß zuweilen
durch eine seltsame Laune der Natur irgend eine Pflanze in einer
einzigen Schlucht hier vorkomme und außerdem nirgends in der ganzen
weiten Welt wieder gefunden werde.

Auch die Aloe mit ihrer märchenhaften Blüte fand sich zahlreich vor, und
jetzt begann schon das Leben der freien Tierwelt. In ganzen Herden
zeigten sich die großen Kuduantilopen, die Zebras und Quaggas, die
Springhasen und Sandgräber, aber kein Raubtier kreuzte den Weg, bis
endlich die erste Nacht im Freien verbracht wurde und lüsterne
Hyänenaugen von fernher durch die Büsche schimmerten. Die feigen,
hundeähnlichen Geschöpfe wagten sich aber nicht heran, weil während der
ganzen Nacht ein tüchtiges Feuer unterhalten wurde. Es war hier des
Nachts kalt genug, um Feuer und Wolldecke gern anzunehmen; die Reisenden
freuten sich, als der Sonnenaufgang den Weitermarsch möglich machte,
namentlich da die Führer versicherten, daß jetzt ein Hottentottenkraal
binnen wenigen Stunden zu erreichen sei.

»Hat dieser Stamm einen König?« fragte Franz.

»Gewiß. Mazemba bewohnt die größte Hütte im Kraal und hat die meisten
Frauen; aber er ist alt, seine Krankheit erlaubt ihm nicht mehr, Rinder
zu hüten oder auf die Jagd zu gehen.«

»Was betreibt er denn jetzt?« forschte der junge Hamburger begierig, von
dem rinderhütenden Fürsten mehr zu hören. »Hat König Mazemba Kinder?«

Der Führer, selbst ein Sohn des gelben Volkes, nickte. »Die Quaquas (so
nennen sich die Hottentotten) bleiben, wenn sie Männer geworden sind,
selten mehr in den Kraalen ihrer Väter,« antwortete er, »sie suchen die
Dienstbarkeit der Weißen und werden auch oft selbst Landwirte. Es gibt
in der Umgegend der Kapstadt manchen Gelben, der seine eigene Schafzucht
oder Käserei besitzt und um keinen Preis zu den Verwandten in die Wälder
zurückkehren würde.«

»Was ich ihm durchaus nicht verübeln kann!« schaltete Holm ein, wobei er
sich jedoch, um niemandes Gefühle zu verletzen, der deutschen Sprache
bediente. »Schau hin, Franz, mein Söhnchen, das Ding da ist der Kraal,
Seiner Majestät Mazembas des Wassersüchtigen Allerhöchste Residenz, oder
ich will bis an das Ende aller Tage Afrikareisender bleiben.«

»Ein furchtbares Los!« konnte sich Doktor Bolten nicht enthalten
auszurufen.

Franz lachte. »Karl, weshalb glaubst du, daß dieser Fürst notwendig an
der Wassersucht leiden müsse,« fragte er. »Da vor uns haben wir ja einen
nackten, langgestreckten Erdhaufen.«

»Aber dahinter liegt dennoch Mazembas Palast; glaub mir's, mein Junge.
Und die Wassersucht hat der Monarch auch, entsetzlich geschwollene Füße
und Schmerzen in allen Gelenken, das ist das Los fast eines jeden der
Häuptlinge, die ihr Leben faulenzend und liegend in den feuchten,
beinahe unterirdischen Höhlen verbringen und nicht selten so träge sind,
daß sie sich von ihren Weibern buchstäblich füttern lassen. Da gibt es
für solch einen Schmutzmenschen keine geistige oder körperliche
Thätigkeit, er schläft und ißt, prügelt seine Umgebung und schläft
wieder, bis endlich ein frühes Erkranken und Altern das nutzlose Dasein
abschließt. Das wirst du noch häufig, namentlich auf den Südseeinseln
bemerken, wo fast alle alten Leute an der Elefantiasis, d. h. furchtbar
geschwollenen Beinen und Füßen, leiden.«

Der Führer streckte jetzt den Arm aus. »Das ist Mazembas Kraal,« rief
er, auf eine überhängende, spärlich mit Moos bewachsene Berglehne
zeigend, »hier bin ich geboren, aber Vater und Mutter leben mit mir in
der Stadt. Es ist doch traurig, so zwischen den Felsen zu hausen,
obgleich dieser Kraal ein sehr reicher ist, er besitzt sogar eine
Quelle.«

»Dessen kann sich hier also nicht jeder Haushalt rühmen, Freund Quaqua?«

»Ganz gewiß nicht. Viele Stämme müssen mit dem, was der Regen spendet,
und mit den reichlich wachsenden Wassermelonen fürlieb nehmen. Außer dem
Bedarf zum Reinigen des Kochtopfes brauchen freilich meine
Stammesgenossen auch kein Wasser, denn die Kühe und Schafe treiben sie
auf entfernte Weiden, wo sich Trinkplätze vorfinden.«

»Ach! -- der echte Quaqua wäscht also seinen Körper niemals?«

»Nicht mit Wasser, Herr, er reibt ihn mit Fett.«

»Was diese Nachbarschaft für die Nasen der Kulturvölker äußerst
unangenehm macht,« sagte trocken der Gelehrte. »Aha, da zeigt sich
Jung-Hottentottentum in schönster Naturwahrheit.«

Ein halbes Dutzend spielender, durchaus unbekleideter Kinder lief beim
Erblicken der Fremden laut schreiend zum Eingang des Kraales zurück;
bald darauf zeigten sich gelbe Gesichter, mehrere Frauen kamen herbei,
und selbst Männer erschienen mit ausgestreckten Händen, um von den
Weißen etwas Tabak zu erbetteln. Nirgends gewahrte man indessen jenes
Erstaunen, das verwunderte Aufhorchen, welches die Neger ergriffen
hatte, wohin die Reisenden bis jetzt kamen; es trat vielmehr deutlich zu
Tage, daß diese Leute den Besuch weißer Fremdlinge schon oft empfangen,
ja daß manche unter ihnen selbst in der Kapstadt gewesen sein mochten
und das Leben außerhalb ihres Kraales sehr wohl kannten.

»Dort liegt Mazembas Hütte,« berichtete der Führer. »Gehen Sie ohne
Besorgnis durch die Dorfstraße, meine Herren, die Quaquas sind keine
Verräter, es wird ihnen nichts Böses geschehen.«

Doktor Bolten klopfte ihm auf die Schulter. »Hübsch von dir, daß du dein
Volk verteidigst, mein Sohn,« sagte er. »Geh also und melde uns dem
Fürsten.«

Die beiden anderen Führer blieben bei den Weißen, und so setzte sich der
Zug langsam in Bewegung. Es schien doch einigermaßen gewagt, so in den
Engpaß hineinzugehen und sich der Großmut der Wilden preiszugeben; aber
auch die zwei letzten Führer hielten das Unternehmen für gefahrlos; sie
hatten schon früher Reisende hierher begleitet und wußten, daß die
Hottentotten an keinen Überfall dachten. -- Eine Doppelreihe
erbärmlichster Lehmhütten zeigte sich den Blicken der vorauseilenden
Knaben; keine einzige davon war höher als bis zu etwa drei Metern,
sämtliche Thüren gestatteten den Eingang nur mittels des Kriechens auf
allen vieren, und die Dächer liefen trichterförmig in eine Spitze aus.
Während die Wohnungen der Neger ohne Ausnahme Pfahlbauten waren, hatten
sich die Hottentotten halb in den Boden hineingewühlt, lebten ohne einen
einzigen Lichtstrahl in engumschlossenen Räumen und konnten auch nicht
den kleinsten Versuch zu Anpflanzungen aufweisen. Alles lag vergraben
unter Schmutz, die Dorfstraße war eine Art von Pfütze, die gelben,
überaus häßlichen Gesichter zeigten gänzliche Unbekanntschaft mit dem
Wasser, und die Felle, in welche beide Geschlechter gehüllt waren,
hingen zerfetzt und besudelt von den durchweg kleinen Gestalten herab,
die Männer von den Schultern bis zu den Knieen bedeckend, während sie
bei den Frauen den Oberkörper frei ließen. Unzählige Troddeln aus
kleinen, schwarz und weißen Thonperlen fielen über die Brust herab, und
an Armen und Beinen waren die Sehnen oder Därme geschlachteter Tiere als
Verzierungen angebracht; alles durchaus schmutzig, mit Fett beschmiert
und vielfach zerrissen.

Trotz dieses elenden Zustandes schienen die Quaquas ein sehr
lebensfrohes Völkchen, das sogar seine Gäste mit Musik bewillkommnete.
Aus mehr als einer Thür kroch eine olivengelbe Gestalt, die in den
Händen einen ausgehöhlten halben Kürbis trug und nun auf drei darüber
hingespannten Saiten ein nervenerschütterndes Katzenkonzert verübte.
Jeder spielte für sich, und jeder tanzte einen tollen Wirbelreigen für
sich, so daß es bei dem Anblick dieser halbnackten, komischen Gestalten
für die Weißen unmöglich war, den zu einer Vorstellung bei Hof so
äußerst notwendigen Ernst zu bewahren. Sie lachten noch alle, als der
vorausgeschickte Führer zurückkam und verkündete, daß König Mazemba
sogleich vor der Thür seiner Wohnung erscheinen und die Gäste empfangen
werde. Auch hier in unmittelbarer Nähe des fürstlichen, mit mehreren
bunten Lappen und einem greulichen Götzenbilde verzierten Palastes
hörten die Künstler nicht auf, ihre Instrumente zu bearbeiten, nur
tanzten sie nicht mehr, sondern hatten sich rechts und links vom Eingang
postiert, wo sie immer noch mit lebhaftem Wiegen oder Schaukeln den
musikalischen Vortrag begleiteten. Ein ganzer Haufe von Frauen und
Kindern war den Weißen gefolgt, und jetzt nahte auch schon Seine
Majestät selbst; auf Händen und Füßen kriechend, unter schmerzlichem
Ächzen kam Mazemba ans Tageslicht. Was er sagte, das ging einstweilen
unseren Freunden verloren; als ihm aber der lebhafte Franz unter die
Arme griff und solchergestalt half, sich auf einen vor der Höhle
befindlichen Erdhaufen niederzulassen, da zeigte ein verblüffter
Ausdruck des gelben, verschrumpften Gesichtes, wie sehr sich der Alte
wunderte, daß es jemand gewagt habe, seine geheiligte Person zu
berühren. Er sah blinzelnd von einem zum anderen und ergriff dann einen
im Wege liegenden Stein, den er ohne weiteres nach den Musikanten
schleuderte, worauf sofort diesem nicht mißzudeutenden Befehl des
Stillschweigens Folge gegeben wurde. Alles verstummte, die Weißen zogen
ihre mitgebrachten Geschenke hervor, und der Führer begann sein Amt als
Dolmetscher.

Ein schnalzender Laut drang über die Lippen des alten Königs und wurde
dann in das Wort »Tabak« übersetzt, worauf sogleich mehrere Pakete in
die begierig ausgestreckten Hände fielen. Seine Majestät schoben
eiligst, ohne zu zaudern oder zu danken, das begehrte Labsal in den
Mund, dann wurde noch ein Wort gehört -- Branntwein! -- und als ein
Achselzucken darauf antwortete, hielt der Alte jede weitere Bemühung für
überflüssig. Mochte der bunte Putz, den vielleicht die Reisenden
außerdem noch mitgebracht hatten, seinen Weibern zu teil werden, er
selbst kümmerte sich darum nicht. Mit Mühe zum Eingang der Höhle
zurückkriechend nahm er französischen Abschied, ohne die Reisenden eines
weiteren Blickes zu würdigen; im nächsten Moment aber tönte die
verdrießliche Stimme aus dem Thürloch wieder heraus, diesmal in längerer
Rede. »Wenn die weißen Männer unter sich einen Zauberer haben, der im
stande ist, meine Schmerzen zu bannen, so will ich ihnen den fettesten
Stier schenken. O! o! Wie das reißt und bohrt!«

Natürlich war auch dieser Wunsch unerfüllbar, und so bewegten sich die
Reisenden weiter ins Dorf hinein, nicht ohne von der Stimme des
geplagten alten Königs noch eine Strecke begleitet zu werden.

»Zwei Kühe zu dem Stier, wenn ihr helfen könnt! -- Drei Kühe!«

»Sagte ich es dir nicht?« lächelte Holm. »Branntwein, Feuchtigkeit der
Wohnung und steter Müßiggang -- im Alter die Wassersucht und das
Zipperlein.«

»Merkwürdig wenig Zeremoniell war an dieser Hofhaltung vorhanden!« rief
der Knabe. »O lieber Himmel, da fängt die Musik wieder an.«

[Illustration: Der Zug nach Mazembas Kraal.]

Olivengelbe Gestalten schwangen sich rechts und links dem Zuge voran,
die büschelweise gewachsenen struppigen Haare flogen im Winde, die
zerrissenen Kuhfelle klappten auf und nieder, und ein wilder Reigen fand
an den überhängenden Felswänden der einen Straßenseite sein Echo. Wohin
die Gäste sich wandten, da folgte ihnen diese unerwünschte, jedenfalls
aber als Ehrenbezeugung aufgefaßte Begleitung, selbst als an der Quelle
Halt gemacht wurde, um zu rasten, tönte noch immer die sonderbare Musik
fort, bis denn endlich eine Verteilung von Geschenken stattfand, und nun
die Spielleute ihren Anteil forderten. Die Kürbis-Violinen flogen ins
Gras; neugierig, mit langen Hälsen warteten alle der Dinge, die da
kommen würden. Und dann brach der Jubel los. Spiegel, um die eigene,
bodenlose Häßlichkeit, die zuweilen ein Dritteil des ganzen Gesichtes
ausmachenden Lippen und die plattgedrückte Nase zu beschauen, feuerrote
Kattuntücher und Glasperlen für die Frauen, Tabak und Messer für die
Männer, Spielzeug für die Kinder, alles wurde verteilt, aber auch in
dieser Beziehung wieder beobachtet, daß die Hottentotten solche Dinge
bereits kannten, obgleich sie zu arm waren, um auf den Besitz Anspruch
zu machen. Die Umgebung der Quelle sah aus wie ein Marktplatz; rings im
Kreise saßen schnatternde jubelnde Frauen, und bewegten sich in Gruppen
die Männer, bei denen es dieses oder jenes Stückes wegen nicht selten
bis zu Thätlichkeiten kam; ein alter Hottentotte, der große Herden
besaß, feilschte mit den anderen um ihre Messer und bot Kälber und Kühe
für ein besonders gewünschtes Stück; ein jugendlicher Stutzer hatte sich
mit nicht weniger als fünf roten Tüchern an allen möglichen und
unmöglichen Stellen seines auswendigen Menschen umwickelt und stolzierte
jetzt wie ein Pfau zwischen den übrigen umher, ja endlich gerieten zwei
junge Damen einer Perlenschnur wegen dermaßen in Harnisch, daß sie sich
eine förmliche Schlacht lieferten. Beiß- und Kratzwunden, Büschel
ausgeraufter Haare, Fetzen von der Fellbekleidung und endlich das jähe
Zerreißen des Perlenbandes, alles das drängte sich zusammen in wenige
Augenblicke; nachdem aber die begehrten Glaskugeln auf den Boden gerollt
waren, entstand plötzlicher Friede. Beide Kämpferinnen lagen auf ihren
Knieen, um möglichst viele der bunten Flüchtlinge zu erhaschen; eine
suchte noch emsiger als die andere, und sobald eine Perle gefunden war,
flog sie in den Mund der glücklichen Besitzerin, woselbst ihr ein
sicheres Versteck hinter dem respektablen Gebiß bereitet wurde. Es
fehlte aber auch neben diesen kleinen, ergötzlichen Auftritten nicht an
den Zeichen wahrer Gastfreundschaft und Dankbarkeit; die armen Frauen
boten den Gästen ein Nachtlager in ihren Hütten und eine Mahlzeit von
den wenigen Vorräten, welche sie selbst in einer Art Grube oder
rohangelegtem Keller unter der Wohnung verwahrten; sie küßten die
Kleider der Fremden, und einige brachten sogar zum Entsetzen derselben
eine Art von Zither zum Vorschein, auf der sie spielten.

Das Essen wurde dankend abgelehnt. Worin es eigentlich bestand, ließ
sich nur schwer sagen, denn alle möglichen Gerüche stiegen aus dem
verbogenen, rostigen Eisengefäß empor, und Spuren früherer Mahlzeiten
hafteten reichlich an den Wänden. »Ich halte es für Mehlbrei!« erklärte
Franz.

»Hm, wenigstens waren erst ganz kürzlich noch Zwiebeln in diesem Topfe.«

»Etwas gleicht der Duft demjenigen einer verbrannten Milchspeise.«

»Und hier schwimmt eine jugendliche Wanze, Todes verblichen vor der Zeit
infolge eines gewagten Sprunges aus dem Fellgewande der Köchin in diesen
Hexenkessel.«

Holm fischte das berüchtigte Insekt. »Ich brauche dich nicht mit mir zu
nehmen, internationale Blutsaugerin,« sagte er mit seinem launigen Tone,
»denn du gehörst zu der Verwandtschaft, welche auch in deutschen
Federbetten vorkommt, -- fleuch!«

Er schnippte die Wanze von den Fingern und spendete das letzte bunte
Tuch einem kleinen Mädchen, dessen Wollkopf er damit umwickelte. »Wir
müssen doch in eine oder die andere dieser Hütten hineinkriechen, nicht
wahr?« fragte er. »Vielleicht ist dies der einzige Hottentottenkraal auf
unserem Wege. Wer geht mit, Rittersmann oder Knapp, zu tauchen in
solchen Schlund hinab?«

»Mich entschuldigen Sie, bitte,« lächelte der Doktor. »Ich bin nicht
mehr jung genug, um mich für derartige Expeditionen noch genügend
begeistern zu können. Auf allen vieren, das dürfte für den
sechsundfünfzigjährigen Doktor der Gottesgelahrtheit ein wenig
empfehlenswertes Unternehmen sein!«

»Kommt also, ihr Jungen,« rief Holm, »aber ich bitte Sie, Doktorchen,
weichen Sie nicht vom Fleck. Mir ist seit unserer neulichen Trennung nur
allzuwohl erinnerlich, wie meisterhaft Sie im Faustkampf Ihren Mann
stehen, -- ich möchte nicht bei nächster Finsternis unbekannterweise
wieder zwischen Ihre Finger geraten.«

»Unbesorgt, ich bleibe hier und studiere den Bau des Kraales.«

Die jungen Leute ließen den Dolmetscher anfragen, ob es erlaubt sei,
eine Hütte zu besehen und wurden von den unermüdlichen Violinisten bis
zum Eingang der nächstliegenden begleitet. Dann ging es auf Händen und
Füßen vorwärts in den lichtlosen Raum hinein. Ziemlich geräumig mit
dichten Erdwänden, halb unter der überhängenden Felswand verborgen,
hatte die Hütte einen festgestampften Lehmboden und im Hintergrunde ein
Lager aus Moos und Fellen. Möbel waren nicht darin, nur ein ausgehöhlter
Kürbis voll Wasser, ein Eisentopf, eine Bratpfanne, Eisenlöffel und eine
Reihe von Götzen. Schauderhafte Fratzenbilder aus Holz, Thon, Lehm und
Knochen standen auf einer vorspringenden Erhöhung der Wand,
Tiergestalten dem Bau nach, obgleich kein Auge im stande gewesen wäre,
aus dieser plumpen Form die Gattung herauszufinden, Menschengesichter
von abschreckender Häßlichkeit und Schlangenfiguren in Lebensgröße,
zusammen mehr als zwölf verschiedene Arten. Holm wollte einen derselben
berühren, aber die Bewohnerin der Hütte streckte unruhig den Arm aus.
»Das ist die Gottheit, welche meine Kühe und Ziegen vor den Raubtieren
beschützt,« übersetzte der Dolmetscher. »Du darfst sie nicht nehmen,
Meister.«

Holm trat, um kein Gefühl zu verletzen, sofort zurück, erlaubte sich
aber, eine Wachskerze in Brand zu setzen und alles genauer zu
besichtigen. Große Spinnen hingen an den Wänden, Tausendfüße von
erschreckender Länge krochen zwischen den Fugen, und sogar Eidechsen mit
glänzenden Augen schlüpften durch das Moos; im Mittelpunkt des Baues
stand ein einzelner, rohbearbeiteter Balken, der das Dach stützte, und
nach der Straße hin führte eine Treppe aus Erdstufen in eine
kellerartige Vertiefung. Hier konnte nur eine Person Platz finden, daher
stieg zuerst Holm und nach ihm die Knaben hinab. Berge von Zwiebeln und
anderen Knollengewächsen lagen da aufgespeichert, Felle, getrocknetes
Fleisch und Kaffernkorn in großer Menge, ebenso Pfeffer und einige
frische Früchte. Offenbar waren diese Vorratskeller sowie die ganze
Bauart des Kraales auf einen etwaigen Überfall berechnet; vielleicht
hatten häufig streifende Buschmänner oder gar Kaffern ihre früheren
Raubzüge bis in die Wohnungen der friedlichen Gelben ausgedehnt, so daß
von alters her für einen derartigen Fall gesorgt worden war. Jetzt
freilich finden diese Kriege erst viele Meilen weiter in das Land hinein
noch statt, während die Hottentotten unter dem Schutze Englands leben.

Ein Übelstand war es besonders, der die Fremden so schnell als möglich
ihre Besichtigung zu Ende führen ließ, die unerträgliche, mit
Zwiebelduft, Ledergeruch und zahllosen anderen Beimischungen erfüllte
Luft des rings verschlossenen Raumes; sie atmeten auf, als die Straße
wieder vor ihnen lag, und trugen kein Verlangen, noch mehrere dieser
schmutzstarrenden Höhlen in Augenschein zu nehmen. Was die
Negerwohnungen in Dahomey und am Niger so ungemütlich machte, das war
ihre lockere Bauart, welche dem Wind von allen Seiten freien Zutritt
gewährte, dennoch aber mußten sie Paläste genannt werden im Vergleich zu
diesen schrecklichen Gefängnissen, denen selbst die Grundbedingungen
alles Lebens, Luft und Licht, vollständig fehlten. »Da unten aber ist's
fürchterlich!« fuhr Holm in seiner Nutzanwendung des Schillerschen
Tauchers fort, »Doktor, ich versichere Ihnen feierlich, daß Sie nichts
eingebüßt haben.«

Der alte Herr saß immer noch auf dem Abhang an der Quelle, jetzt aber
stand vor ihm ein kleiner, pausbackiger Junge von etwa zwölf Jahren, den
er eben mit Hilfe eines Dolmetschers ein wenig zu erziehen versucht
hatte, von dessen Bekehrung er aber seufzend absah. »Wissen Sie, Freund
Holm, was mir dieses Kind antwortet, als ich ihn frage, ob er je von dem
lieben Gott gehört? -- Da nickt er und sagt: >Wir haben erst vor ein
paar Tagen einen neuen bekommen. Großvater ist gestorben, der Zauberer
machte uns für die Hütte eine Schlange aus Thon, und darin wohnt nun
Großvaters Geist, zu dem wir beten! --<«

»Schlimme Nachrede für den alten Herrn!« lachte Holm. »Aber alle diese
Völkerschaften des Kaplandes glauben, daß die Seelen Verstorbener in
Schlangenleibern wohnen, das ist um nichts sinnloser und beleidigender,
als wenn z. B. die Chinesen heilige Schweine von ihren Geistlichen
umtanzen lassen. -- Jetzt aber zu unseren Pferden, nicht wahr?«

Man brach auf und ging durch den Kraal zurück. Aus Mazembas Hütte sah
das gelbe, vertrocknete Antlitz des Eigentümers blinzelnd hervor. »Zwei
Stiere will ich geben und sechs Kühe, alle meine Kühe, wenn mir der
weiße Zauberer helfen kann!«

Das war halb komisch, halb bedauernswürdig. Holm schüttelte nur stumm
den Kopf, gab den begleitenden Kürbisviolinisten ein Geldgeschenk: »Das
doppelte hättest du bekommen, wenn du uns mit deiner Fiedelei verschont
hättest,« wie er in deutscher Sprache hinzusetzte, und dann ging es
fort, der Kafferngrenze entgegen. Schon in einiger Entfernung glich der
Kraal einer bewachsenen Erhöhung, von der nichts Zeugnis gab, daß
dahinter mehrere Hunderte von Menschen lebten.

Obwohl Unterholz und Bäume überall am Wege Schatten spendeten, fehlte
der dichte, engbevölkerte, von lebenden Wesen aller Art wimmelnde
Hochwald bis jetzt gänzlich, so daß die Pferde ziemlich schnell vorwärts
gelangen konnten und noch vor Abend die Weideplätze der Hottentotten
erreichten. Solch ein gelber, halbnackter Hirte, von einer Anzahl
magerer, bösartiger Hunde umbellt, behütete nicht selten Rinder- und
Schafherden in so großer Anzahl, daß es kaum möglich schien, alle diese
Tiere zu überblicken und zu zählen. Demnach mußten sich die Leute auf
ihr Hunde verlassen können, da sie meistens in träger Ruhe unter einem
Baume lagen oder die landesübliche Kalebasviole spielten. Unsere
Reisenden ritten durch dichtgedrängte Scharen friedlicher Wiederkäuer
oder besonders großer und schöner Schafe, die auf den Ebenen weideten,
-- noch immer war das eigentlich »wilde« Gebiet nicht erreicht. Am
Horizont schimmerte indessen bereits ein langgestreckter, dunkler
Streif; das war der Wald, und mit ihm kamen die Abenteuer, welche
diesmal ernstlicher werden sollten, als sich's die kleine Gesellschaft
dachte. Im Schutz einer Felsschlucht wurde das Nachtlager aufgeschlagen
und ein mächtiges Feuer entzündet, so daß die nächste Umgebung ziemlich
hell beleuchtet war. Als die Stimmen schwiegen und ringsumher tiefe
Stille eingetreten, begann sich's in den Zweigen der ziemlich dicht
stehenden Bäume zu regen. Kleine Geschöpfe glitten wie Schatten auf und
ab, glänzende Augen sahen zum Feuer hinüber. Franz glaubte, plötzlich
der Prinz des deutschen Märchens geworden zu sein; er meinte, die Zwerge
auf dem Gras sich tummeln zu sehen und hörte ihr leises geisterhaftes
Flüstern. -- --

Trugen sie nicht Holz herbei, saßen sie nicht im Kreise um das Feuer,
grauröckig, kahlköpfig und nickend, die Brosamen verzehrend wie einst
die Bettler der biblischen Überlieferung am Tische des Reichen? -- --

»Karl, Karl, was ist das? -- Habe ich Fieber?«

»Pst, du verscheuchst sie, Junge! Das sind Zwergmakis.«

»Nicht größer wie eine Maus!« raunte Franz, der sich von seinem
Erstaunen noch immer nicht erholen konnte. »Ob es unmöglich wäre, einen
davon zu fangen, Karl?«

»Das vielleicht nicht, aber wer könnte ein so kleines Wesen fesseln?
Diese Art lebt nur in der Freiheit und nur in der heißen Zone. Schade,
daß ich keine Vogelflinte besitze, um ein Exemplar zu schießen und
auszustopfen. Es bildet in seinen kleinsten Formen den Übergang zum
Nagetier, -- auf allen vieren laufend würde es von einer großen Maus
kaum zu unterscheiden sein. Aber sieh dorthin, die Gesellschaft mehrt
sich.«

Von allen Bäumen kletterten die Halbaffen (Lemuren) herab, um die
Überbleibsel der gehaltenen Mahlzeit zu erhaschen. Mit ihren großen
schwarzumränderten Augen, dem spitzen Gesicht und dem dichten
abstehenden Bart schienen die schlanken Tiere beinahe unheimlich. Die
Vereinigung des Affen und der Ratte zu einem geschmeidigen, hübschen und
listigen Geschöpfe repräsentierend, sind sie halb Nager halb Affe, doch
ohne die Häßlichkeit der letzteren Familie. Alle verstanden es aufrecht
zu gehen, die kleinste Art schien sogar dieser Fortbewegungsweise den
Vorzug zu geben; winzige, krallenbewaffnete Hände nahmen den Brocken und
führten ihn der spitzen Rattenschnauze zu; beide Arme öffneten sich
weit, um mit großer Anstrengung das Knöchelchen eines gebratenen Huhnes
fortzuschleppen oder irgend einen saftreichen Blumenstengel in das Nest
zu tragen.

Endlich nahte auch so ein kleines Lemurenmütterchen mit zwei Jungen, die
auf ihrem Nacken hockten, so daß es aussah, als habe die Alte drei
Köpfe. Eins der Kleinen war so unruhig, daß es das Äffchen herabnahm und
wie ein Kind auf dem Arme trug, indes die andere Hand Cakesbrocken aus
dem Moos des Bodens hervorsuchte. Franz glaubte, nie etwas Hübscheres
gesehen zu haben; er konnte der Versuchung, die kleine Gesellschaft zu
füttern, nicht widerstehen und warf plötzlich eine Hand voll Krumen auf
den freien Platz hinaus. Schon in der nächsten Sekunde war alles wie in
den Boden hinein verschwunden, selbst die größeren Tiere hatten
schleunigst das Weite gesucht. Es konnte aber auch nicht schaden, wenn
eine Gattung der anderen Raum gewährte, gerade jetzt sollte sich ja der
außergewöhnliche Reichtum an lebenden Wesen, wie ihn das Kapland
besitzt, erst einmal zeigen. -- An den Bäumen hing in großer Anzahl das
träge, schwerbewegliche Chamäleon mit seinen blitzenden Augen und dem
spitzen Rüssel, aus welchem die Zunge hervorhängt, die ruckartig
hineingezogen wird, sobald sich eins der Tausende von herumfliegenden
Insekten darauf gesetzt hat. Bald grau, bald rot, grünlich oder schwarz
schimmernd, je nachdem es jagt oder ruht, triumphiert oder grollt, ist
das kleine Tier so leicht zu zähmen, daß es von den Eingebornen zur
Vertilgung der Insekten vielfach als Hausbewohner gehalten wird; seine
angeborene Trägheit aber verläßt es nie. Fast über den Köpfen der
Reisenden wiegten sich die braunen Pelze an den Zweigen; Nachtvögel
huschten mit schwerem Flügelschlag vorüber, und vom Thale herauf drang
zuweilen das dröhnende Brüllen des Büffels. Franz hatte wenig
geschlafen, als am anderen Morgen die Pferde gesattelt wurden. Zu viel
Neues, Sehenswertes war an seinen Blicken vorübergegangen; er suchte
förmlich hinter jedem Busch oder Strauchwerk die kleinen, geschäftigen
Lemuren in ihren grauen Röckchen und den langen Bärten; aber jetzt am
hellen Tage hatten sich alle versteckt, die Halbaffen, die Chamäleone,
die Eulen und Fledermäuse. Dafür belebten Antilopen den Weg, und ganze
Herden von galopierenden Straußen zogen vorüber, einmal auch eine
Elefantenschar, die durch das Unterholz brach und alles vor sich zu
Boden warf, was ihr die Bahn versperrte. Natürlich hüteten sich die
Reisenden, hier einen Angriff zu wagen; das schmetternde Trompeten der
alten Männchen, ihre drohend erhobenen Rüssel und überhaupt das ganze
Verhalten der kolossalen Geschöpfe flößten zuviel Respekt ein, als daß
man bei einer so geringen Anzahl von Schützen den Kampf gegen etwa zehn
bis zwanzig dieser Gegner hätte aufnehmen wollen.

Die Herde brauste vorüber, daß der Boden dröhnte, eine breite Spur
zerknickter Pflanzen aller Art hinter sich zurücklassend; das Unterholz
war zerstampft, Zweige abgerissen, Vögel aufgescheucht und zahllose
kleinere Tiere heimatlos gemacht.

Holms Kugel erlegte eine Antilope, die gerade vor den Pferden aufsprang.
Zum Mittagessen sollte sie gebraten werden, nach langer Zeit das erste
frische Fleisch, welches die Reisenden erhielten: man wollte Gemüse
kochen und Beeren pflücken, kurz sich einige recht gemütliche Stunden
machen, aber -- der Mensch denkt und Gott lenkt. Es mochte etwa zwölf
Uhr sein, als die kleine Karawane ins Thal hinabschritt, um unten am
Flußufer zu rasten. Üppiger Grasreichtum entfaltete sich, Früchte jeder
Art luden zum Genuß; es war, als dürfte in dem Rahmen so vieler
Schönheit, so vieler Schöpfungspracht auch nicht eine einzige Form, eine
einzige Farbe fehlen. Am Rande der Lichtung begann dichter Wald, und
auch selbst die offene Fläche war stellenweise von Bäumen durchstoßen.
Die Pompelmus, eine apfelsinenartige, aber weniger wohlschmeckende
Frucht, hing von den Zweigen so reichlich herab, daß die Reiter sie vom
Sattel ergreifen und brechen konnten, Datteln und Tamarinden wuchsen
über ihren Köpfen, der schöne Lumienbaum mit seinen purpurroten Blüten
wiegte sich im Winde, und Kaktuspflanzen aller Arten schmückten die
Gegend. Hier befand man sich an der Grenze des Kafferngebietes; es war
also einige Vorsicht notwendig, weshalb auch die Führer voranritten und
Umschau hielten. Die Weißen folgten langsam nach.

Plötzlich klang aus nächster Nähe Hundegebell, man hörte mehrere Stimmen
lebhaft rufen, und ehe sich die kleine Gesellschaft dessen versah, war
sie von einer bedeutenden Anzahl gelber Gestalten umschwärmt. Von
geringerer Größe als die Hottentotten, noch häßlicher und ganz ohne
Kleidung außer einem den Rücken bedeckenden Stück Fell, wilder und roher
in ihrer Erscheinung, glichen die Buschmänner einer Schar unterirdischer
Gnomen oder Zwerge; sie schrieen alle zugleich, betasteten die Pferde
und Kleider unserer Reisenden, verlangten mit ausgestreckten Händen
dieses oder jenes, was ihnen besonders ins Auge fiel, und schienen
namentlich mit dem ihnen zu teil gewordenen Anblick weißer Menschen noch
gänzlich unbekannt.

»Hallo, Führer!« rief Holm, »haben wir da Feinde?«

Und zugleich riß er die Kugelbüchse von der Schulter, um auf den
Nächststehenden anzulegen. Die kleine, gelbbraune, häßliche Gestalt
blieb unbeweglich, offenbar hatte der Stamm noch nie Feuerwaffen im
Besitz gehabt.

Der eingeborne Führer ritt im Trabe herbei. »Die Saab thun uns nichts zu
leide, Herr!« rief er. »Das sind arme, dumme, vertierte Geschöpfe, die
zwar stehlen, was sie erlangen können, aber doch keinen Mord begehen.
Wir dürfen ungefährdet ihr Lager in Augenschein nehmen.«

Einige Worte, die er seinen Stammesverwandten zurief, schienen diese
Behauptung zu bestätigen, die Buschmänner liefen wie Kinder, welche
einen Gast in das Haus führen, den Fremden durch den Felsenpaß voran ins
Thal und sahen dabei fortwährend zurück, als ob sie fürchteten, den
Gegenstand ihrer lebhaften Neugierde plötzlich wieder zu verlieren.
Umdrängt von der gelbbraunen, häßlichen, mit lauter Zisch- und
Schnalzlauten durch einander schwatzenden Menge gelangten die Weißen bis
an den Lagerplatz der Buschmänner, wo Frauen und Kinder an den
verschiedensten Stellen herumhockten, ohne sich irgend einer
Beschäftigung zu widmen. Es brannte kein Feuer, man sah kein Zelt, kein
weidendes Tier oder irgend ein Gerät, wohl aber ließ sich erkennen, daß
die Buschmänner in Felsspalten, in den verlassenen Höhlen wilder Tiere
oder auch nur unter einem besonders dichten Gebüsch ohne weiteres
Quartier zu nehmen pflegten. Ein Lager auf flachem Boden mit einigen
Handvoll Blättern als Kopfkissen, das war alles, was sie beanspruchten.

»Führer, Sie bürgen uns also, daß kein plötzlicher Überfall erfolgen
wird?«

»Ganz sicher, Master Doktor, ich kenne ja meine Landsleute.«

Holm und die Knaben stimmten einmütig für eine Rast unter den so
unerwartet gefundenen Gelben. So tief wie dieses Volk schien kein
Schwarzer der Westküste zu stehen; es war in naturwissenschaftlichem und
kulturgeschichtlichem Interesse gleich wichtig, so viel als sich
äußerlich wahrnehmen ließ, von Lebensweise und Charakter der Saab kennen
zu lernen.

Die Reisenden stiegen von den Pferden und errichteten sich im Schutze
mehrerer neben einander stehender Zitronenbäume ihr eigenes Lager.
Während der Nacht wollten sie in der Niederlassung des wandernden oder,
besser gesagt, vagabundierenden Volkes bleiben und dann noch etwa eine
oder zwei Tagreisen verwenden, um auch den Anfang des Kafferlandes
kennen zu lernen.

Ein Feuer loderte auf; die Führer weideten und zerlegten die Antilope;
die mitgebrachte Pfanne kam zum Vorschein, und bald brodelte der Braten,
dem man Früchte aller Art beigesellte. Die gelben Menschen schienen gar
nichts, was einem Haushaltungsgerät ähnlich sah, zu besitzen, und auf
eine Frage des Führers, wie denn bei ihnen das Wild zubereitet werde,
antworteten sie nur durch spöttisches Lachen. »Ich weiß es wohl,« sagte
halb abgewandt der junge Hottentotte, »sie verzehren alles roh und essen
auch alle Abfälle mit dem Fleisch. Übrigens kommt dergleichen selten
vor, denn ihr eigentliches Heimatsgebiet ist eine Sandwüste, wo es nur
niederes Gebüsch, Strauße und Quaggas gibt. Sie ziehen von Stelle zu
Stelle, schießen das Wild, essen die Früchte und setzen ihren Stab
weiter, sobald nichts zu plündern mehr vorhanden ist. Arbeit kennen sie
nicht, betreiben weder Ackerbau noch Viehzucht, ja sie haben nicht
einmal Hütten, sondern verkriechen sich wie wilde Tiere und stehlen, wo
es angeht, die Herden der Quaquas. Es ist schon vorgekommen, daß ein
Stamm von vielleicht zweihundert Köpfen bis zu sechshundert Ochsen und
Schafe wegtrieb, wobei dann alles an einem Tage abgeschlachtet und
späterhin verfault gegessen wurde. Meine Verwandten, die Saab, sind ein
sehr armes, niedriges Volk.«

»Aber ihre Waffen möchte ich sehen,« rief Franz. »Pfeile und Bogen
natürlich. Ob sie davon verkaufen oder vertauschen würden.«

Der Führer sprach mit den Gelben, aber keiner wollte sein Eigentum
hergeben, bis endlich der Packen mit den noch übrigen bunten Spielereien
geöffnet wurde und nun auch die Widersetzlichsten bezähmte. Die
Buschmänner tanzten wie Kinder, schlugen sich auf die Kniee vor
Entzücken und jubelten laut. Für ein Messer erhielt Franz Bogen und
Pfeile, von welchen letzteren ihm aber der Führer sagte, daß sie ohne
Zweifel vergiftet seien. Ein Spiegel dagegen erregte den Wilden die
lebhafteste Furcht; sie sahen aus einiger Entfernung hinein, griffen
dann plötzlich hinter das Glas, offenbar um den vermeintlichen
Widersacher zu erfassen. Nichts konnte sie bewegen, den »Fetisch« zu
berühren, ja, die Mütter drängten sogar ängstlich ihre neugierigen
Kleinen, so oft sie sich heranwagten, zurück, bis endlich die
gefürchteten Zaubergeräte wieder eingepackt wurden. Perlen und Kattun
erregten ungemessene Freude, auch den Abfall der Mahlzeit ließen sich
die harmlosen Kinder der Natur vortrefflich schmecken, entwickelten aber
dabei einen so gesunden Appetit, daß notwendig zur Vollendung dieses
Gastgebotes auch noch ihre eigenen, gewohnten Hilfsmittel herangezogen
werden mußten. Und da zeigte sich denn, weshalb gerade diese Stelle zum
Lagerplatz erwählt worden war. Neben einem längst gestürzten, in
Verwesung übergegangenen Baum befand sich ein großer Ameisenhaufen mit
wenigstens sechs bis zehn Kolonieen, die alle von den Buschmännern nach
Eiern und Puppen durchsucht wurden. Ebenso begann auch die Jagd auf
Heuschrecken; nirgends aber trug man das Erbeutete zusammen und
verzehrte es aus einem Geschirr oder wenigstens gemeinschaftlich;
sondern jede Heuschrecke wanderte zerquetscht von der Hand des Finders
in den Mund, die kleinen weißen Ameiseneier wurden mit affenartiger
Behendigkeit aus den Nestern herausgefischt und verzehrt, außerdem aber
auch die überall wachsenden Zwiebeln aus der Erde gegraben und roh
genossen.

»Ich hätte Lust, einmal zu schießen,« meinte Holm. »Was sie für Augen
machen würden.«

Gesagt, gethan. Franz band um die Krone eines in einiger Entfernung
stehenden Bäumchens ein Stück Papier, und Holm schoß es herunter. Als
der Schuß krachte, entstand unter den Wilden eine Bewegung, wie wenn ein
Steinwurf einen Flug Sperlinge aufschreckt. Es war ersichtlich, daß die
gelben Geschöpfe, denen der Name »Mensch« kaum zuzukommen schien, nie im
Leben ein Feuergewehr kennen gelernt hatten; sie flüchteten insgesamt
unter den Schutz des Felsens, jedenfalls fest überzeugt, einem
unheilvollen Zauber nicht mehr entrinnen zu können; ihre Bewegungen
verrieten die lebhafteste Furcht, viele lagen sogar auf den Knieen und
hielten das Gesicht in den Händen verborgen. Holm und Franz versuchten
umsonst, die Leute zutraulicher zu machen; sie wollten ihnen die
Kugelbüchsen zeigen oder gar hinreichen, aber alles vergebens; die
Buschmänner flüchteten, sobald sie sich näherten, ja die allgemeine
Angst schien so stark, daß überhaupt keine fernere Unterhaltung mehr
möglich war.

Das Gewehr wurde beiseite gelegt, die Decken im Schutz einer Felswand
ausgebreitet und die Pferde so an Bäumen befestigt, daß sie zwischen den
Reitern und dem freien Platze standen. Als ein langsam brennendes Feuer
von halbtrocknem Holz seine Rauchwolken zum Himmel sandte, streckten
sich alle um die angenehm wärmende Glut und schliefen im Gefühl
vollkommener Sicherheit sehr bald ein. Die Pferde mußten sie ja bei dem
geringsten verdächtigen Zeichen durch ihre Unruhe sofort wecken. Stille
und Dunkelheit lagerten über dem malerischen, mit so vieler Schönheit
ausgestatteten Thal, von fern her klang das Rauschen des Waldes, die
Quelle murmelte, Nachtfalter in wundervollen Farben, groß und glänzend,
schwebten vorbei; geschäftig wanderten zu Tausenden die beraubten
Ameisen fort aus ihrem halbzerstörten Bau, um sich eine neue Heimat zu
gründen, Vögel zwitscherten wie flüsternd in den Zweigen, und Eidechsen
schlüpften durch das Gras. Aber seltsam, kein größeres Tier zeigte sich,
-- und doch brachen und knickten drüben am Waldrand zuweilen die
Gebüsche.

War es der Wind? War es ein Elefant oder -- vielleicht Menschen?

Die Pferde standen ruhig fressend, also konnten es keine Raubtiere sein.

Da, wieder! es rauschte und krachte, das war nicht der Wind -- --

Ein Mondstrahl brach aus den Wolken, Helldunkel überflutete das Thal.
Schleichende Gestalten, katzenartig leise, glitten heran -- -- waren das
Teufel? Flammend rot von Kopf bis zu Füßen die kräftigen Gestalten, die
bräunlich schwarzen Gesichter voll Kampflust und Feuer, geschoren der
Kopf bis auf den federdurchflochtenen Wirbelschopf, hohe Schilder aus
Büffelfell in den Händen und einen langen hölzernen Wurfspieß mit
Eisenspitze auf der Schulter. Einer nach dem anderen, Hunderte an der
Zahl, so drangen sie vom Waldsaum her über den Fluß, sich rücksichtslos
hineinwerfend, schwimmend wie ein roter glänzender Streif unheimlich in
der fahlen Beleuchtung. -- --

Und da, wo sich die Gelben angstvoll geschart, blieb alles still. Immer
heller wurde der Himmel, immer deutlicher traten rings die Gegenstände
aus der Finsternis heraus, -- da wieherte eins der Pferde, und schläfrig
dehnte sich Franz auf seinem Lager. »Wie kalt!« schauderte er.

Der Führer erwachte und hob den Kopf. Ein durchdringender Ruf klang über
das Thal dahin. »Die Amakossa! -- Die Amakossa!«

Jetzt wachten alle. Instinktmäßig griffen sie zu den Gewehren, Fragen
und Vermutungen schwirrten durcheinander, in weniger als einer Minute
standen sämtliche Männer schußbereit. Am Himmel teilte sich die letzte
Wolke, der Vollmond erglänzte über dem Waldsaum, -- jener Fels, an dem
die Buschmänner gelagert, war leer. Ohne Zweifel hatten alle im Schutz
der Dunkelheit geräuschlos die Nähe der gefürchteten Feuerwaffen
verlassen.

»Das sind Kaffern,« flüsterte nach dem ersten Erschrecken der eingeborne
Führer, »Amakossas von den wandernden Stämmen, welche durch Krieg und
Raub ihr Dasein fristen. Sie ziehen von Norden nach Süden, überall
Feinde, überall Zerstörer; die Urbewohner von Britisch-Kaffraria am
Atlantischen Meer, damals geflohen und seit Menschenaltern heimatlos in
den Wäldern hausend, während ihre Brüder mit der Kapkolonie Handel
treiben und nicht mehr Wilde zu nennen sind. Sie haben die Schüsse
gehört und wollen jetzt unsere Gewehre erbeuten.«

Das alles war hastig hervorgestoßen, halblaut, und indem der Sprecher
unausgesetzt die Wilden beobachtete. Diese schienen Kriegsrat zu halten,
gedeckt durch Bäume oder Felsen. Hinter ihren hohen Schilden verborgen,
sprachen sie lebhaft miteinander, offenbar das Pferd verwünschend,
welches vor der Zeit ihre Pläne verraten hatte. Sich hinauszuwagen in
die Schußlinie dieser blitzenden Musketenläufe, das war nicht geraten;
die Amakossa hatten viel zu häufig mit ihren Genossen von der Küste oder
mit streifenden Zulus verkehrt, um nicht zu wissen, daß ihnen die
Feuerwaffe den Weg versperrte, bevor noch die Hälfte desselben
zurückgelegt war. Wo sich ein Kopf ohne Deckung zeigte, da konnte er im
nächsten Augenblick von der Kugel durchbohrt sein.

Die Weißen befanden sich in keiner besseren Lage. Wenn ihre
unbeschützten Pferde mittels der weittragenden Spieße getötet wurden, so
standen sie den räuberischen Kaffern wehrlos gegenüber und mußten
nebenbei auch fürchten, die ganze weite Strecke bis zur Küste, mehr als
fünfzig deutsche Meilen, nicht zu Fuß zurücklegen zu können.

Der Führer dachte dasselbe. »Ich habe es übernommen, die Herren sicher
wieder zur Kapstadt zurückzubringen,« sagte er nach kurzem Besinnen,
»das ist aber nur mit guten Pferden möglich. Ich gehe hinaus und bringe
die Tiere hinter den Felsen.«

»Wir begleiten dich!« riefen einstimmig die Weißen.

Der Quaqua schüttelte den Kopf. »Ich gehe allein,« beharrte er. »Was
liegt denn an dem armen, verachteten Gelben? Wer fragt nach ihm, wenn er
nicht wiederkommt? Der Farbige trägt immer ein Brandmal auf der Stirn,
-- er sollte wild bleiben, wenn er glücklich leben will, ganz wild, die
Weißen zählen ihn ja doch niemals zu ihresgleichen. Fort da, junger
Herr, ich will keine Begleitung haben.«

Es war Hans, der sich dem Hottentotten zugesellte. »O Karl,« sagte
vorwurfsvoll der stille, wenig lebhafte Knabe, »kannst du das zugeben?«

Holm und Franz gingen ohne weitere Worte dem Führer nach und deckten mit
ihren Gewehren seinen Körper, als er unter den Pferden hindurchkroch, um
sie loszubinden.

Ein Hagel von Wurfspießen schwirrte ihnen entgegen, blindlings
geschleudert, nachdem die Amakossa zu ihrem lebhaften Verdruß erkannten,
daß sie im ersten Schreck versäumt hatten, sich der Tiere zu bemächtigen
und dadurch die Gegner zu entwaffnen. Ein Kriegs- und Wutgeschrei
erschallte aus hundert Kehlen, Wurfspieß nach Wurfspieß sauste durch die
Luft, Holm hatte den Hut vom Kopf verloren, eine Spitze bohrte sich in
Doktor Boltens Schulter, der eine Führer blutete aus drei leichten
Wunden, und zwei Pferde waren getroffen, obwohl nicht besonders
gefährlich. Dann aber befanden sich auch sämtliche Tiere in Sicherheit,
die Weißen konnten aufatmen.

»Schießt nicht!« ermahnte der alte Theologe, während er bemüht war, mit
dem Taschentuch das hervorquellende Blut zu stillen. »Schießt nicht,
Kinder. Wenn die Wilden einen Angriff wagen, so müssen wir uns natürlich
verteidigen, bis dahin aber verhaltet euch ruhig, als sei nichts
geschehen.«

»Die Amakossa sind Räuber, diebische Hyänen!« rief erbittert der
verwundete Führer. »Man sollte sie niederschießen wie tolle Hunde.«

Der alte Mann sah mit festem Blick dem Aufgeregten ins Auge. »Ich
verbiete dir solche Reden und jeden Gedanken an Ausführung solcher
Absichten, mein Sohn!« sagte er gelassen.

Der Farbige senkte die Wimper. Er wagte es nicht, die Ehrfurcht gegen
das ruhig überlegene Wesen des alten Herrn aus den Augen zu setzen,
heimlich aber ballte er die Faust, und selbst Franz konnte sich nicht
enthalten zu antworten, daß doch eine scharfe Lehre den Buschkleppern
sehr heilsam sein müsse. »So gut wie die abgesandten Wurfspieße nur
leichte Wunden verursachten, hätten sie auch den Tod bringen können,«
fügte er hinzu.

»Und du wolltest der Vorsehung den Dank für eine beinahe wunderbare
Errettung durch den Mord an einem unwissenden Wilden abtragen, mein
Junge?«

Franz errötete. »Wir sind noch nicht gerettet, Herr Doktor,« antwortete
er. »Die Amakossa scheinen uns in aller Form belagern zu wollen.«

»So werden wir uns in aller Form verteidigen, lieber Franz. Sei dessen
sicher.«

Die Kaffern hatten während dieser kurzen Unterredung der Weißen
ihrerseits den Kriegsrat geschlossen. Einer nach dem anderen
verschwanden sie aus dem Thal, so daß es aussah, als sei der Platz von
ihnen geräumt, thatsächlich aber war gerade durch diesen Schachzug
bewiesen, daß sie zum Verderben der Weißen planmäßig handelten. Der
eingeborne Führer erkannte das sofort. »Wir können uns jetzt wieder
hinlegen,« sagte er, »ein Angriff wird nicht erfolgen, -- man erreicht
mit List, was vielleicht durch Gewalt unmöglich wäre.«

»Aber wie denn?« fragte Holm.

»Indem man uns umzingelt und vom Wasser abschneidet. Wer sich auf der
freien Fläche sehen läßt, der ist ein Kind des Todes.«

Holm fühlte, wie es ihm kalt über den Rücken herablief, und auch die
anderen blieben lange Zeit stumm. Ihrer sieben gegen mehrere Hundert, da
war ein offener Kampf ganz unmöglich, -- so im Winkel versteckt zwischen
Felsen langsam mit der Waffe in der Hand aus Mangel an Nahrungsmitteln
zu Grunde zu gehen, das schien aber ein entsetzliches Schicksal. »Ob
sich denn nicht durch die Schnelligkeit der Pferde entkommen ließe?«
fragte nach langer drückender Pause der ältere Knabe.

»Auf freier Fläche, ja; hier im waldigen, von Bäumen durchzogenen Gebiet
unter keiner Bedingung. Die ersten fünfhundert bis tausend Schritt um
diese Stelle herum können nur langsam, nicht einmal im Trab zurückgelegt
werden.«

»So sind wir also ganz verloren!« rief Franz.

»Noch nicht,« versetzte der Hottentotte. »Ehe wir hier verhungern und
verdursten, entschließen wir uns zur Fußwanderung bis nach der Küste.
Die Sache geht langsam, aber unmöglich ist sie nicht.«

»Jedenfalls laßt uns daher Pulver und Blei aus den Satteltaschen nehmen,
damit wir zur Flucht gerüstet sind,« riet der Doktor. »Wenn nur der Mond
nicht so hell schiene!«

»In dieser Nacht können wir keinen derartigen Versuch wagen,« entschied
der Führer. »Es bedarf dazu nicht allein völliger Dunkelheit, sondern
auch der vorherigen genauen Ortskenntnis. Wir müssen wissen, ob und in
welcher Stärke die Umgegend besetzt ist.«

»Großer Gott, Führer, was sagen Sie da? -- Wir sollten in dieser
verzweifelten Lage, ohne Wasser und auf eine enge Felsschlucht
beschränkt, noch einen ganzen Tag verharren?«

»Vielleicht noch zwei Tage, drei Tage, Herr, bis der Augenblick zur
Flucht herangekommen ist. Das läßt sich nicht voraussagen.«

Eine tiefe Stille folgte diesen Worten. Man hörte wieder die leisen
Laute der Natur ringsumher, nichts verriet feindliche oder zerstörende
Absichten; fast schien es, als sei doch das ängstliche Hin- und
Herreden, das bange Pulsieren des Blutes in den Adern nur ein Spuk der
wildbewegten Einbildungskraft, als könne unmöglich an einem einzigen
Schritt in dieses blühende Thal hinaus Tod und Leben hängen, ein
qualvoller, entsetzlicher Tod fern vom Vaterlande unter den Spießen der
rotbemalten Teufel.

Stunden vergingen so; obgleich der Führer wiederholt zum Schlafen
mahnte, konnte niemand die Augen schließen, niemand konnte es
unterlassen, fortgesetzt zu horchen. Wenn die Wilden Mut genug besaßen,
mit plötzlichem, gewaltsamem Überfall die Schlucht zu stürmen, wenn sie
es nicht beachteten, daß zehn oder zwanzig von den Ihrigen als Opfer
fallen mußten, was dann? Ein kurzer, erbitterter Kampf Mann gegen Mann,
und alles war zu Ende. Keine Stimme gab Zeugnis von dem, was in der
Wildnis geschehen.

Endlich dämmerten die ersten Morgenstrahlen. In Busch und Wald wurde es
lebendig, Vögel sangen, Affen kletterten auf den Zweigen, verspätete
Ameisen rannten geschäftig hin und her, das ferne Heulen der Hyänenhunde
war allmählich verstummt. Im Thale zeigte sich nichts, auch kein
einziger Wilder sah hinter den Bäumen hervor; alles schien still und
ausgestorben.

»Ob sie die Sache aufgegeben haben?« fragte mit halbem Zweifel der
Gelehrte.

»Ach, da kennen Sie die Kaffern nicht, wir werden in jeder Sekunde
bewacht.«

»Führer, haben Sie schon ähnliche Lagen wie diese jemals durchgemacht?«

Der Gelbe nickte. »Unser Kraal ist mehr als einmal von den Amakossa
überfallen worden,« antwortete er. »Die Leute sind weder Menschenfresser
noch blutdürstige Mörder, aber sie stehlen, und scheuen zur Erreichung
ihrer Zwecke kein Mittel. Wenn wir unsere Waffen ausliefern, ebenso die
Pferde, so trachten sie uns nicht länger nach dem Leben.«

»So laßt uns das lieber versuchen, Kinder!« rief Doktor Bolten.

Der Führer schüttelte den Kopf. »Unmöglich, Herr. Wie könnten wir ohne
Gewehre und Lebensmittel fünfzig Meilen durchwandern? Die Amakossa
würden uns nichts, vielleicht nicht einmal die Kleider im Besitz
lassen.«

»Woran erkennen Sie denn mit so großer Bestimmtheit ihre Gegenwart,
Führer?«

»Zunächst an dem Charakter der Kaffern überhaupt und dann an dem Fehlen
aller auf dem Erdboden laufenden Geschöpfe. Was fliegt und in den Bäumen
klettert, das sehen wir herankommen, aber all die Hunderte von kleinen
Vierfüßlern, welche sonst am frühen Morgen zum Flußufer gehen, halten
sich fern. Das allein beweist die Nähe von Menschen.«

Er schürte das Feuer und fing an, die Fleischstücke von gestern zu
braten. »Wir dürfen uns nicht mutlos zeigen, Herr, nicht aussehen, als
fürchteten wir die Halunken; desto länger werden sie einen eigentlichen
Angriff hinausschieben. Dort, der große Geier über der Citrusgruppe,
holen Sie ihn doch herunter!«

Franz hatte schon angelegt. Die Kugeln aus seiner und seines Bruders
Büchse trafen zugleich den in der Luft schwebenden Vogel: mit schrillem
Laut sich überstürzend und flügelschlagend, fiel er bis hart vor das
Gebüsch, in welchem die Wilden versteckt sein mußten. Ein Schrei aus
mehreren Kehlen, deutlich erkennbar, mischte sich in den Klang, -- der
Führer sah von einem zum andern. »Hören Sie wohl, meine Herren?«

»Wahrhaftig, die Roten sind noch dort,« gestand Franz. »O diese heillose
Geduldsprobe.«

Doktor Bolten stellte das Gewehr an den Felsen. »Im Augenblick sind uns
alle Mittel und Wege abgeschnitten« sagte er seufzend. »Wir müssen uns
darein ergeben und der Sache die erträglichste Seite abzugewinnen
suchen.«

Die Decken wurden zu Sitzpolstern verwendet, den Pferden Futter
vorgeworfen und einstweilen das Frühstück aufgetragen. Lebensmittel
besaß man noch für mehrere Tage, auch wenn nichts Frisches an Fleisch
oder Früchten hinzukam, dagegen aber fehlte das Wasser schon jetzt sehr
empfindlich. Rum oder alter Portwein, zur Stärkung in kleinen Flaschen
mitgenommen, war vorhanden, konnte jedoch trotz seines teuren Preises
das klare, kalte, von Mutter Natur geschenkte Quellwasser nicht
ersetzen; namentlich die Tiere schnauften und ließen die Zungen
heraushängen, so daß der mitleidige Hans leise hinging und recht große
tiefsitzende Blätter pflückte, um durch die gesammelten Tautropfen
derselben wenigstens einige Linderung zu bringen. Ein vernunftloses
Geschöpf leiden zu sehen, thut ja dem fühlenden Menschenherzen so weh.

Die Amakossa gaben kein Lebenszeichen; offenbar lag es in ihrem Plane,
die Eingeschlossenen zu einer Unvorsichtigkeit zu verleiten und ihnen
alsdann in den Rücken zu fallen, eine Absicht, welche auch ohne die
Gegenwart des farbigen, mit derartigen Fuchsfallen genügend vertrauten
Führers vollständig erreicht worden wäre. Sie konnten hinter sicherer
Deckung zum Wasser gelangen und sich durch Jagd mit Lebensmitteln
versorgen, es wurde ihnen also sehr leicht, die Belagerung siegreich zu
Ende zu führen, umsomehr als die Kräfte der Weißen in immerwährender
Unruhe notwendig aufgerieben werden mußten. Etwa vierzig bis fünfzig
Quadratfuß Raum für sieben Menschen, kein Trinkwasser, kein
Brennmaterial zum Schutz gegen die nächtliche Kälte, keine freie
Bewegung, und, was das schlimmste, sehr bald schon kein erreichbares
Pferdefutter mehr, -- das konnte unmöglich länger als einige wenige Tage
ausgehalten werden.

So berechneten die Amakossa und warteten geduldig.

Der Tag ging langsam vorüber, bleiern und schwer folgte die nächste
Nacht, aber immer noch änderte sich nichts. Die Belagerten saßen in
dumpfer Ruhe bei einander, gefoltert vom Durst, mehr und mehr
hoffnungslos in die nächste Zukunft sehend. Es war unerträglich, den
Fluß plätschern zu hören, die ziehenden Wellen zu beobachten und dabei
alle Qualen des Verschmachtens zu erleiden; es schnitt ins Herz, die
Pferde mit gesenkten Köpfen dastehen zu sehen oder liegend wie im
Sterben begriffen, -- dennoch aber wollte der Führer bis zum letzten
Augenblick aushalten, wollte von Übergabe nichts hören. »Die
zweitfolgende Nacht wird ganz dunkel,« sagte er, »dann ist es Zeit zum
Handeln.«

»Was wollen Sie thun?« fragte Holm.

»Ich habe meinen Plan,« versetzte der Gelbe.

Damit war das Gespräch wieder zu Ende; es schien, als sei in allen die
Lebenskraft dem Erlöschen nahe. So unthätig, belagert von einem nur
geahnten Feind, laut- und regungslos wie im Kerker die Tage zu
verbringen, das war ein entsetzliches Schicksal. Kopf und Augen
schmerzten unausgesetzt, eine Art von Lähmung hatte sich aller Glieder
bemächtigt, und das Sprechen wurde schwer. Eine Entscheidung mußte
herbeigeführt werden, so wie die Sache jetzt war, konnte sie keinesfalls
länger bleiben.

»Wenn es nur ein paar Tropfen regnen wollte,« flüsterte Hans, »nur so
viel, um ein einziges Mal die Zunge zu befeuchten.«

Holm schwieg. Ihm fehlte der Mut, jetzt zu antworten, daß es in der Nähe
hoher, bewaldeter Gebirgszüge nicht regnet, weil die Feuchtigkeit durch
den Pflanzenwuchs der Luft entzogen wird; er streichelte nur stumm die
heiße Stirn des Knaben. Franz stand am Felsen, düster in das Halbdunkel
hinausblickend. »Karl,« sagte er leise und mit unsicherer Stimme, »man
sollte für die Güter des Lebens, so lange man sie besitzt, dankbarer
sein, -- ich -- ich habe so oft den Kaufmannsstand langweilig und das
Sitzen am Pult trostlos genannt, -- das war unrecht von mir.«

Holm lächelte. »Nun, da du den Wunsch deines Vaters, dich zum
Geschäftsnachfolger zu erziehen, nicht erfüllen wolltest, so bist du
Naturforscher geworden,« antwortete er. »Was davon unzertrennlich ist,
das mußt du in den Kauf nehmen.«

Franz sah ihn an. Die tiefliegenden Augen des Knaben glühten vor
Erregung. »Und wenn wir alle hier sterben, Karl, dann -- bin ich schuld
daran.«

»O nicht doch, Junge. Was ficht dich an? -- Schau dorthin, der Quaqua
bereitet sich zu seinem großen Plane.«

Der Gelbe war beschäftigt, den Pferden die letzten erreichbaren Blätter
und Gräser vorzuwerfen, dann zerschnitt er eine der Wolldecken und
umwickelte mit den einzelnen Streifen die Hufe der Tiere. »Geben Sie mir
jetzt die Büchse mit Zündhölzern!« bat er, und nachdem ihm Holm das
Verlangte gereicht fuhr er kopfnickend fort: »Sie kennen die Stelle, wo
etwas oberhalb dieser Lichtung ein Quell aus dem Felsen springt? Nur
hundert Schritte von hier, -- wir hielten bei unserem Kommen dort an, um
die Pferde zu tränken.«

»Ich weiß es,« antwortete Holm. »An den Zitronenbäumen vorüber und neben
der Felswand hinlaufend. Aber --«

»Wenn ich Ihnen zurufe: >Jetzt!< dann nehmen Sie die Pferde an die Zügel
und gehen mit denselben auf diesem Wege bis zum Quell,« fuhr eilfertig
der Gelbe fort. »Dort treffe ich Sie und wir reiten über die Ebene,
einerlei ob das auf unserem ursprünglich verfolgten Wege liegt oder
nicht. Haben wir zehn Minuten Vorsprung, so können uns die Amakossa
nichts mehr zu leide thun.«

Holm schüttelte den Kopf. »Aber sollten denn an der Felswand keine
Wächter stehen?« fragte er.

»Bis jetzt gewiß. Sie dürfen auch erst dann gehen, wenn ich das Zeichen
gebe, nicht früher, so lieb Ihnen Ihr Leben ist. Also aufpassen!«

Und fort war er, mit unhörbaren Schritten hinaus in die freie, offene
Thalfläche, welche sich zum Flusse hinab erstreckte. Den
Zurückgebliebenen klopfte das Herz in banger Erwartung, Auge und Ohr
verdoppelten, verzehnfachten ihre Anstrengungen, um den kühnen Mann auf
seinem Wege zu begleiten, um durch die dichte Finsternis zu sehen und
auf dem Gras noch Schritte zu hören. -- --

Vergebens, es blieb alles still. Der Gelbe mußte keinem Feind begegnet
sein. Aber was wollte er thun, womit die Amakossa von jenem Felspfad
hinweglocken?

Ein langgezogener, dumpfer Laut durchhallte die Umgebung, ein blaues
Flämmchen blitzte knisternd auf, und ein Knarren oder Schaben wurde
hörbar. Bald hier bald dort einen Kreis beschreibend, erglühten die
schnell verlöschenden Flammen. Im Gebüsch auf der anderen Seite regte
sich's, Menschenstimmen schrieen durcheinander, Angstrufe störten die
Ruhe der Nacht. Immer schneller, immer näher dem Versteck der Amakossa
folgten sich die aufblitzenden Feuerfunken.

»Unsere schwedischen Zündhölzer,« raunte Holm. »Der kecke Patron setzt
damit das ganze Kaffernheer in Schrecken!«

Die Amakossa brachen fliehend durch das Unterholz. Wo sich böse Geister
in das Spiel mischten, wollten sie offenbar nicht länger ausharren.
Jenes Brummen und Schaben, die gespenstischen, knatternden Lichter
brachten sie um alle Fassung. Und jetzt fiel plötzlich die Flamme in das
Gebüsch, dürres Gras loderte hoch empor, griff züngelnd um sich und lief
den Wilden nach, vom Wind getragen, rauchverhüllt, das Thal in um so
tieferem Dunkel zurücklassend. Sie verschwanden wie Schatten vor der
Sonne.

Ein langgezogenes »Jetzt!« noch immer in dem ersten dumpfen Tone, drang
zu den Weißen hinüber. Holm hatte bereits zwei Pferde am Zügel erfaßt,
die anderen thaten dasselbe, und das letzte Tier folgte freiwillig,
während draußen auf der Ebene das Brummen, das Stampfen und Schlagen zu
lautem Lärm überging.

Zwei Pferde am Zügel führend, die Pistole schußgerecht in der anderen
Hand, so drangen die sechs Männer vorwärts. Trotz der umwickelten Füße
würden aber dennoch die Schritte der Tiere hörbar gewesen sein, wenn
nicht der Hottentotte klüglich den Feind in eine Aufregung versetzt
hätte, die ihm alles Beobachten unmöglich machte. So sehr auch die
Herzen klopften, so angestrengt die Blicke spähten, es zeigte sich
keiner der Roten, es hinderte nichts die langersehnte Flucht. Man kam
zum Quell, Menschen und Tiere tranken einträchtig neben einander,
Menschen und Tiere dankten dem Himmel für das köstliche, neues Leben
spendende Naß, die einen in halbgedachten, halbgestammelten Worten, die
anderen in kräftigem, von lautem Schnaufen begleiteten Schütteln des
Kopfes. Man übergoß sich das heiße Gesicht, man badete die Hände und
konnte nicht satt werden, immer wieder und wieder zu trinken. Die Führer
füllten ihre Flaschen, das Gepäck war aufgeladen, einer nach dem anderen
stieg in den Sattel, aber -- wo blieb der Gelbe?

Man ritt bis an den Ausgang des Gebüsches, die Ebene lag im Halbdunkel
ohne einen einzigen Baum weitgedehnt vor den Blicken; links erhob sich
dichter, ragender Hochwald, alles war still, die Gelegenheit so günstig,
aber ohne den tapferen Quaqua doch an keine Entfernung zu denken. Wenn
er nur käme! --

Drüben wälzte sich das Feuer durch die Gesträuche dahin. Unmöglich
konnten dort noch Wilde versteckt sein, sie mußten sich also in der Nähe
befinden, und die Gefahr kehrte vielleicht im nächsten Augenblick
zurück. Wo blieb der Hottentotte?

»Gelungen!« flüsterte eine Menschenstimme. »Hier bin ich!«

Er schwang sich unter dem einstimmigen »Gott sei Dank!« der ganzen
Reisegesellschaft in den Sattel und schüttelte mit erhobener Hand die
schwedischen Zündhölzer. »Ist es ganz recht, daß ein Mann hilft, seine
eigenen, armen, unwissenden Brüder zu betrügen?« fragte er halb traurig,
halb lachend.

Und noch ein letztes Flämmchen zuckte auf, um den Weg aus dem Unterholz
zu beleuchten, die Gefahr des Strauchelns abzuwenden. »Vorwärts, weiße
Männer!«

Aber das vorderste Pferd bäumte, es wollte nicht in die Ebene
hinaustreten, -- der Führer schrie laut auf -- »da sind sie! --
Vorwärts! Vorwärts!«

[Illustration: Die Flucht vor den Kaffern.

»Ihre Wurfspieße zischten durch die Luft, ein Wutgeheul schallte den
Fliehenden nach.«]

Die schwarzrote Schar mit Federschopf und Schild brach aus dem Walde
hervor. Gellendes Kriegsgeschrei übertönte die Worte des Hottentotten,
Ausrufe furchtbarster Wut und des Hasses erfüllten die Luft. Jetzt erst
erkannten die Amakossa den ihnen gespielten Betrug, rasend vor Zorn
wollten sie Rache nehmen an dem, der sie so erfolgreich zu überlisten
verstanden. »Verfluchter Quaqua!« hörte sie der Führer schreien, »der
Hundesohn, der falsche Schakal!«

Seine gelben Züge wurden fahl. Er peitschte rechts und links die Tiere,
daß sie zusammenschreckend in die Ebene hinausflogen, unaufhaltsam in
sausendem Galopp.

Noch eine Minute, eine einzige, und die Amakossa hätten das Nachsehen
gehabt. --

Ihre Wurfspieße zischten durch die Luft, ein Wutgeheul schallte den
Fliehenden nach. -- Keiner als nur Franz hörte den leisen Schmerzenslaut
von den Lippen des Hottentotten. »Sind Sie getroffen?« fragte er heftig
erschrocken.

Die sieben Pferde sausten über die Ebene dahin wie ebenso viele jagende
Schatten, lautlos mit den umwickelten Füßen, dicht gedrängt in rasender
Eile, als wüßten sie, daß Leben und Tod an ihrer Schnelligkeit hing, daß
alles, alles verloren sei, wenn sie jetzt strauchelten oder zögerten. --

Franz sah wie der Führer im Sattel schwankte, er umfaßte ihn mit
kräftigem Arm und hörte voll Erschrecken das leise: »Lassen Sie mich
liegen und fliehen Sie, -- mit mir ist es aus.«

»Gewiß nicht!« rief der warmherzige Knabe, »gewiß nicht! Karl, hilf mir,
unser Retter ist verwundet. Ach, könnten wir doch anhalten!«

»Um Gottes willen nicht,« drang es kaum verständlich über die Lippen des
Hottentotten. »Mich rettet nichts mehr, -- lassen Sie mich fallen.«

Aber Holm und Franz hielten dicht gedrängt von beiden Seiten den
unglücklichen Mann, dessen Blut auf dem Gras die Spur bezeichnete.
Heller und heller graute der Morgen, welcher diese entsetzliche Nacht
vertrieb, in weiter Ferne verlor sich das Schreien der Amakossa. Immer
noch flogen die Pferde dahin, bis endlich ein Dickicht von Dubabelbäumen
auftauchte und Wasser und grünes hohes Gras den Blick erfrischte. Hans
sah zurück. »Es ist kein Wilder mehr erkennbar, Karl,« sagte er, »soweit
das Auge trägt scheint alles leer, -- laß uns anhalten.«

Der Gelbe konnte schon nicht mehr sprechen; er winkte nur, daß die
übrigen fortreiten möchten; diesem Verlangen wurde aber natürlich keine
Folge gegeben, vielmehr die Pferde angehalten und der Verwundete sanft
auf eine schnell ausgebreitete Decke gelegt. Das Gesicht zeigte bereits
jene unheimliche Veränderung, welche dem Tode voranzugehen pflegt, die
breite Brustwunde entsandte rote Ströme, und das Auge war halb
geschlossen. »Gottlob!« flüsterte er, »ich habe doch -- sechs Menschen
--«

Seine Stimme brach, die Hand sank matt herab. Da kniete der alte
Geistliche neben dem Sterbenden ins Gras und legte voll Milde seine
Rechte auf die schon erkaltende Stirn. »Du hast durch deine mutige That
sechs Menschen vom Tode errettet, mein Sohn,« sagte er herzlich, »du
sollst in unserer Erinnerung fortleben als der, welcher sich für uns
geopfert, und möge dir der barmherzige Gott ein so gnädiger Richter
sein, wie wir alle es für dich erflehen!«

In diesem Augenblick brach golden und glänzend der erste volle
Sonnenstrahl aus den Wolken hervor; in unwillkürlicher Ehrfurcht hatten
alle die Hüte vom Kopf genommen und umstanden wortlos das Sterbelager
des Reisegefährten. Stiller wurde es, immer stiller in der keuchenden
Brust, ein friedliches Lächeln umspielte die Lippen, und während der
leisen, innigen Trostesworte des christlichen Priesters ging unmerklich
die Seele des armen Hottentotten hinüber in das Jenseits, und die Gebete
der Geretteten erflehten für ihn vom barmherzigen Vater eine selige
Urstätte.

                   *       *       *       *       *

Holm legte mit leiser Hand den Zipfel der Decke über das erstarrte
Antlitz. »Mut!« sagte er halblaut, obgleich seine eigene Stimme
verändert und unsicher klang, »Mut, Freunde. Wir sind von hundert
Gefahren umdroht, wir dürfen uns nicht beherrschen lassen, nicht schwach
werden. In jedem Augenblick können die Kaffern hier erscheinen.«

Der alte Theologe hob den Kopf. »Aber unmöglich dürfen wir die Leiche
hier den wilden Tieren überlassen! Was haben Sie beschlossen, mein
junger Freund?«

Holm sah zum Wasser hinüber. »Zwei von uns müssen den Körper tragen,
soweit der Grund des Flusses dies zuläßt und ihn dann versenken, wie ich
meine. Wir besitzen kein Mittel, die Erde aufzugraben, ebensowenig aber
könnten wir die Leiche mit uns nehmen,« versetzte er.

»Das ist auch unsere Ansicht,« nickten die Führer.

Man wusch und reinigte also nach Möglichkeit den Körper des toten
Hottentotten, hüllte ihn in eine Wolldecke und band an das Ganze mehrere
große Steine. Die Führer warfen ihre Leinenkleidung ab und traten in das
Wasser, welches schon nach den ersten zehn Schritten zu tief wurde, um
darin noch weitergehen zu können. Vorsichtig und langsam ließen sie
unter dem stummen Gebet der am Ufer stehenden Weißen den Körper ihres
ermordeten Gefährten hinabgleiten auf den Grund.

»Die Erde ist überall des Herrn,« sagte laut und feierlich der alte
Geistliche, »und wo ein guter Mensch begraben liegt, da halten die Engel
Wache.« --

Schweigend und ernst, noch tief erschüttert von den durchlebten
Ereignissen, suchten alle ihre Pferde, und fort ging es, auf einem
anderen Wege der Kapstadt wieder zu.




                           Fünftes Kapitel.


Für den Rückweg bis zur Kapstadt wurde natürlich eine veränderte
Richtung eingeschlagen, aber obwohl auch hier manches Neue und
Sehenswerte den Blicken begegnete, obwohl mehr als ein Kraal in
Augenschein genommen und mehr als ein Tier erlegt wurde, so kehrte doch
auf dem ganzen Wege die rechte Freudigkeit in die Herzen der Reisenden
nicht wieder ein. Das jähe Ende eines Menschen, mit dem wir noch vor
wenigen Stunden oder Tagen im engsten Verein lebten, führt auch den
Leichtsinnigsten zur inneren Einkehr, wie viel mehr mußte sich ein
solches Ereignis in den Vordergrund drängen, wo gute, fühlende Herzen
von seinem Eintritt erschüttert wurden! Das Bild des stillen,
feierlichen Waldrandes und der weiten Ebene zur Rechten, wie die ersten
morgendlichen Sonnenstrahlen über das Wasser dahinstreiften, als der
Tote zur letzten Ruhe bestattet war, -- das alles hatte sich
unverwischbar den Seelen der Umstehenden eingeprägt, und erst als in der
Kapstadt Briefe von Hamburg die Ankömmlinge freudig überraschten, löste
sich der Druck, den bisher alle empfanden. Nachrichten aus der geliebten
Heimat! Nur wer in weiter Ferne allein und freudlos unter Fremden lebte,
der kann ermessen, welchen Jubel ein solcher Brief hervorruft. Nicht
allein Papa und Mama hatten geschrieben, auch die Schwestern und
Freunde, auch Schulkameraden und Nachbarn; alle beglückwünschten die
kühnen Afrikareisenden, alle baten um lange Briefe und um irgend ein
interessantes Geschenk, am liebsten Photographieen von Wilden, oder
sonst einen Gegenstand, den man nicht kaufen könne. Der bereits
erwartete photographische Apparat mit allem Zubehör war ebenfalls
wohlverpackt eingetroffen, sowie eine Sendung dicht verschlossener
Metalldosen, in denen sich Gips befand, dessen Gebrauch den Knaben
vorläufig noch unbekannt blieb. Holm freute sich sehr über die Ankunft
desselben. »Einen Tag hindurch bei euch sein möchte ich wohl,« schrieb
Karl, Franzens Klassenkamerad vom Johanneum, »aber nicht über das
Weltmeer fahren und auch nicht in Urwäldern schlafen, das muß doch
schauderhaft sein! Erkältet ihr euch nicht immer dabei? Ich kann nun
einmal unmöglich für solche Abenteuer schwärmen, aber Emil und Theodor
und alle anderen aus Sekunda beneiden euch; Johannes will, seit er eure
Briefe gelesen hat, jedenfalls Naturforscher und Afrikareisender werden,
er kann kaum erwarten, bis die Zeit da ist. Eure Geschenke sind
glücklich angelangt und schmücken bereits den Zoologischen Garten und
das Museum, schickt nur mehr mit der nächsten Post, vor allen Dingen
aber schreibt fleißig, ihr müßt aus jedem Hafen einen Brief absenden.«

Auch Doktor Bolten hatte eine längere, eingehende Mitteilung von dem
Vater seiner Zöglinge. Herr Gottfried dankte ihm für das richtige
Gefühl, welches in Palma den Bonnynegern, die Franz aus den Händen der
Benins befreiten, ein Geldgeschenk namens der Eltern des Knaben bestimmt
hatte; er erlaubte auch für künftige derartige Fälle dem würdigen
Erzieher, das zu thun, was nach seiner Ansicht das Richtige sei, und so
erhielten denn vor der Abreise nach Madagaskar die Hinterbliebenen des
verunglückten Führers eine Summe, die wenigstens dazu angethan war, ihre
äußerlichen Sorgen zu lindern. Alle Errungenschaften an Pflanzen,
Blumen, zahllosen Insekten, Kerbtieren und Schlangen wurden auf das
Schiff gebracht, neue Einkäufe besorgt, lange Briefe nach Hamburg
geschrieben, und dann lichtete der Dampfer seine Anker, um jetzt die
Inselwelt des Indischen und Großen Ozeans aufzusuchen. Zunächst durch
den Kanal von Mozambique nach Madagaskar, wo an einer nur für Boote
zugänglichen Bucht des am wenigsten bekannten und bereisten Teiles die
Entdeckungsfahrt in das Innere wieder begann. Da die Seereise kurz und
ohne Störung von statten gegangen war, so gaben sich alle mit fröhlichem
Mut der Hoffnung hin, daß auch dieser Ausflug neue, reiche Schätze
zutage fördern werde. Das Tier- und Pflanzenleben, die Wohnungen und die
Beschäftigungsweise der Malagaschen kennen zu lernen, genügte ein
Ausflug in die Dörfer des Innern, und den unternahm man, nachdem alle
Vorbereitungen getroffen und einige des Weges kundige Führer gemietet
waren. Durch einen dichten Wald der schönsten, verschiedenartigsten
Palmen ging es auf bald bergigem, bald flachem Boden dahin; blühende
Lianen schlangen sich um alle Zweige. Der Sagobaum und die giftige
Brechnuß wuchsen in malerischen Gruppen, die afrikanische Palme zeigte
ihren sonderbaren, einem Wickelkinde nicht unähnlichen plumpen Stamm,
und endlich erschien auch die Ravinala, welche allein auf diesem Teil
unseres Erdkörpers gefunden wird. Der hübsche, schlanke Baum mit
emporstrebenden Stielen, die immer nur in ein einziges, breites Blatt
auslaufen, heißt auch der Baum der Reisenden, und zwar weil das untere
Ende jedes dieser Blattstiele eine innere Höhlung besitzt, in welcher
sich klares Wasser sammelt, das ohne Mühe mittels Durchstechen der
grünen Umwandung erlangt werden kann und daher den Reisenden von großem
Werte ist. Unsere Freunde wollten Halt machen, um die seltsame, nur auf
Madagaskar gefundene Flüssigkeit zu kosten, aber die Führer schüttelten
den Kopf und deuteten auf die in der Ferne sichtbare Niederung, wo
aufsteigender Rauch ein Dorf ankündigte. »Unternehmt nichts im Lande des
bösen Geistes Angatsch,« warnten sie, »berührt keinen seiner Bäume,
keines seiner Tiere, ehe ihr nicht den geweihten Hahn zu eurem Schutze
bei euch habt. Im Dorfe könnt ihr ihn kaufen.«

Der alte Theologe hörte mit großem Erstaunen an, was der olivenfarbige
Eingeborne in schlechtem Englisch vorbrachte. »Ein geweihter Hahn?«
wiederholte er entrüstet, »was behauptest du da, mein Sohn? Ein Hahn --«

»Doktor, Doktor, wir sind in Feindes Land und müssen also klüglich
seinen Sitten folgen! Wenn uns dieser gelbe Angatschgläubige als Ketzer
verklagt, so werden wir möglicherweise alle in einem Tempel wie
Opfertiere behandelt, lassen Sie uns lieber gütlich erfahren, was der
geweihte Hahn bedeutet, und auf diese Weise unsere Kenntnisse
bereichern. Sie erinnern sich ja des Hottentotten-Großvaters als
Schlange, nicht wahr? und des mondanbetenden Dorfkönigs aus dem
Dahomey-Lande?«

Der alte Herr lächelte wider Willen. »Aber ein Hahn!« seufzte er.

Holm war sehr belustigt. »Was ist's mit dem Geweihten?« fragte er ganz
ernsthaft die Führer. »Wir wollen niemandes Gefühle verletzen.«

Die Malagaschen deuteten zum Dorfe. »Alle ganz weißen Hähne sind
heilig,« erklärten sie, »aber eben darum werden sie auch von den
Zauberern sehr teuer verkauft. Wer einen weißen Hahn besitzt, der ist
gegen Angatschs Verfolgungen gesichert. Jeder Reisende nimmt solches
Tier mit sich, und unter jedem Dache lebt eins.«

»Aha! -- und auch wir können einen derartigen Beschützer erlangen?«

Die Führer hielten Rat, endlich erbot sich einer, im Dorfe den Hahn zu
kaufen, worauf ihm Holm das nötige Geld einhändigte und ihn mit einer
kleinen, in deutscher Sprache gehaltenen Standrede entließ. »Hole uns
den Gebieter der Bilderfibel, mein Sohn, aber glaube nicht, daß du im
stande seiest, uns zu täuschen. Ein ansehnlicher Obolus wird in deinen
Besitz übergehen, obwohl du keine Taschen führst; vielleicht stiehlst du
sogar den Meister Kikeriki vom nächsten Düngerhaufen weg, aber das thut
hoffentlich in den Augen des eingebornen Satanas von Madagaskar seiner
Heiligkeit keinen Eintrag. Fleuch!«

Der Malagasche verstand natürlich nicht, was ihm gesagt worden war, aber
der Ton des letzten Wortes im Verein mit bezeichnender Handbewegung
verrieten einigermaßen den Sinn der Worte. Er trollte sich schnellen
Schrittes, indes die übrigen Halt machten, um unter den wundervollen
Bäumen im Moos zu lagern.

Die Ruhe that den Reisenden wohl, und ganz gaben sie sich dem Genusse
der schönen Landschaft hin, die sich vor ihren Augen ausbreitete. Unter
fröhlichem Geplauder erwarteten sie die Rückkehr des Führers.

Ein langgezogenes Krähen verkündete alsbald die Nähe des zaubernden
weißen Hahnes. Der Führer erschien und brachte in einem
schlechtgearbeiteten Bambuskäfig das heilige Tier, indem er zugleich
geheimnisvoll andeutete, daß noch ein weiteres Schutzmittel gegen den
bösen Geist notwendig sei, ein Amulett, welches die Fremden auf der
Stirn tragen müßten. Holm wollte natürlich auch das kaufen und erhielt
nun für teuren Preis den Zahn eines Krokodils an einer mit Glasperlen
verzierten Schnur. »Jetzt seid ihr sicher, Fremdlinge,« erklärte der
Malagasche, dem ein Geschäft mit den Weißen noch nie so leicht gewesen
sein mochte, »jetzt ist Angatsch ohnmächtig gemacht und der Riese
Darafif, der Sohn Zannaars des Weltgeistes, euer Freund geworden. Der
weiße Hahn blendet die Blicke aller Häuptlinge, daß sie euch die Hände
reichen und euch Brüder nennen, der weiße Hahn lähmt die Sinne der
Wildschweine, daß sie sich taumelnd in eure Spieße stürzen.«

Holm hörte zu, ohne eine Miene zu verziehen. »Lacht nicht, Kinder,«
ermahnte er in deutscher Sprache, »lacht nicht. Die Malagaschen sind als
hinterlistig und äußerst rachsüchtig bekannt, sie möchten uns hier
inmitten ihrer Urwälder empfindlich strafen, wenn wir sie beleidigen
würden.«

Er dankte den Eingebornen, und nun erst konnte das Wasser des Ravinala
probiert werden, ebenso die Früchte des Brotbaumes und die vielen
wildwachsenden Beeren. Langsam wanderten die Reisenden dem Dorfe
entgegen, das ihnen bei näherer Betrachtung durch irgend ein
außerordentliches Ereignis in Aufregung versetzt zu sein schien. Den
Mittelpunkt der Niederlassung bildete ein großer, versumpfter See, an
dessen einem Rande sich die Hütten erhoben, und wo jetzt Hunderte von
Menschen durch einander liefen. Schon der erste Blick zeigte, wie hoch
über den wilden Negerstämmen die Malagaschen stehen. Sie alle waren in
weite, faltenreiche Gewänder gehüllt, trugen zum Teil sogar Hüte und
bewohnten geräumige, runde, mit Palmenblättern gedeckte Hütten, welche
mit ihren hölzernen Einfriedigungen einen guten Eindruck machten. Sogar
Thüren von genügender Höhe fanden sich, Hunde, Hühner und Schweine
hatten ihre abgesonderten Stallungen und um die Hütten herum grünten und
gediehen zahlreiche Anpflanzungen.

Wie ein wahres Gegenstück zu diesem friedlichen Bilde erschien der
Anblick des Sumpfes, aus dessen trüben Fluten große Krokodile ihre
greulichen Rachen erhoben. Nur die kleinen tückischen Augen verrieten
durch ihr Blinzeln, daß diese Masse lebe. Überall zeigten sich die
gefährlichen Bestien; der See mochte mehr als fünfzig beherbergen, ja
sogar in einem breiten Flusse, der mit dem stehenden Gewässer nicht weit
vom Dorfe in Verbindung trat, schwammen noch die häßlichen Geschöpfe, so
daß Holm voll Erstaunen den englisch sprechenden Führer fragte, weshalb
man es unterlasse, sich dieser Raubgesellschaft auf kürzestem Wege zu
entledigen. Aber der olivenfarbige Mann antwortete kopfschüttelnd: »Das
verstehst du nicht, Fremder. Die Tiere haben hier das Richteramt im
Dorfe, sie sind unverletzlich; wir füttern sie und bezeugen ihnen die
größte Verehrung. Siehst du nicht dort am Ufer die versammelte Menge?«

»Freilich. Aber was treiben diese Leute?«

»Ein Sklave steht im Verdacht des Diebstahls, Fremder. Die Krokodile
werden also zu Gericht sitzen und entweder seine Unschuld beweisen oder
ihn strafen, wie es sich gebührt.«

»Das heißt -- den Unglücklichen fressen?«

»Wenn er wirklich gestohlen hat, ja.«

»Ein Gottesurteil in aller Form also. Wie tief doch bei jedem, auch dem
wildesten, niedersten Volke der Zug nach dem Anlehnen an ewige,
wandellose Mächte im Charakter begründet liegt! Es hat noch keine Nation
versucht, sich ohne Götter oder Göttliches zu behelfen. -- Aber«, fügte
der Doktor gegen den Eingebornen hinzu, »ist nicht durch diese seltsamen
Richter der Angeklagte in allen Fällen überführt? Habt ihr schon erlebt,
daß die Krokodile Barmherzigkeit übten?«

Der Eingeborne wiegte den Kopf. »Nur sehr selten, Fremder, das ist wahr,
aber -- die Sklaven sind auch außerordentlich diebisch.«

Während dieser Worte hatte sich die kleine Gesellschaft dem Dorfe bis
auf hundert Schritt genähert. Rechts von ihnen flutete der See mit
seinen greulichen Bewohnern, links lag der Wald und geradevor die
regelmäßig erbaute Hüttenreihe. Aller Augen blickten den Weißen
entgegen; Frauen mit kleinen Kindern auf den Rücken liefen sogar
neugierig herbei und stellten Fragen jeder Art; nur eine Gruppe vor dem
See blieb ganz abgesondert; wie es schien, in sehr ernster Verhandlung
begriffen. Ein älterer Mann in weißer Kleidung, umgeben von mehreren
anderen, und ein jugendlicher, an Händen und Füßen gefesselter, ganz
nackter Bursche bildeten die handelnden Personen des Trauerspieles, das
hier seinen Anfang nahm. Eine lautgesprochene, den Reisenden natürlich
unverständliche Frage schallte über das Wasser dahin, -- der Führer
wiederholte auf englisch die Worte. »Im Namen Zannaars des Weltgeistes
und seines Sohnes Darafif, des Riesen, frage ich dich, hast du deinem
Herrn das gewirkte, rote Tuch gestohlen oder nicht?«

Der Sklave schüttelte den Kopf. »Nein. Möge mich Angatsch verschlingen,
wenn ich schuldig bin. Ich habe das Tuch nicht berührt.«

Der alte Malagasche, offenbar das Oberhaupt des Dorfes, sprach nochmals.
»Wir glauben, daß du lügst, um dich zu retten, Rua-Roa,« versetzte er.
»Die heiligen Krokodile müssen also entscheiden zwischen dir und uns.
Nehmt ihm die Fesseln ab!« setzte er gegen seine Begleiter gewendet
hinzu.

Die Seile aus Bast wurden von den Gelenken des jungen Burschen entfernt;
dann ergriff ihn der Ankläger am Arm und trat so mit ihm aus dem Kreise
der übrigen heraus bis nahe an den Rand des versumpften Sees. »Hört
mich, ihr heiligen Krokodile« -- übersetzte der Führer -- »hört mich,
Boten des mächtigen Zannaar, und leiht ein gnädiges Ohr meiner Bitte.
Ihr seid dem Volke der Hovas gesandt als Verkünder für die Beschlüsse
des Weltgeistes, ihr werdet auch heute verkünden was recht ist. Wenn
dieser Sklave das Tuch nicht gestohlen hat, so laßt ihn ungefährdet das
Ufer wieder erreichen; wenn er aber ein Dieb ist, dann straft ihn nach
Recht und Billigkeit.«

Eine Handbewegung zeigte dem Burschen, daß der Augenblick jener
entsetzlichen Entscheidung durch die Bestien nunmehr gekommen sei;
vielleicht glaubte aber auch er ganz fest an die Gerechtigkeit ihres
Urteils, vielleicht fühlte er sich sicher geborgen im Bewußtsein
vollkommener Schuldlosigkeit, genug er erhob unter dem tiefsten
Schweigen sämtlicher Zuschauer beide Arme über den Kopf und stürzte sich
in das hochaufspritzende Schlammwasser. Wenige Augenblicke später sahen
alle den schlanken, olivenfarbigen Körper langsam auf der Oberfläche
dahingleiten.

Die Augen des älteren Knaben glühten, er hatte wie halb unbewußt das
Gewehr von der Schulter genommen. »Noch sehe ich keines dieser Ungeheuer
sich bewegen,« flüsterte er in gepreßtem Tone.

»Franz,« warnte Holm, »du darfst unter keiner Bedingung schießen, mein
Junge. Was hier geschieht, das empört sicherlich uns alle, aber eine
Einmischung in derartige, das Rechts- und Glaubensleben des Volkes
berührende Angelegenheiten wäre verhängnisvoll. Tötest du eines der
Krokodile, so ist noch ein halbes Hundert übrig, um den unglücklichen
Knaben zu zerreißen -- uns aber würde man höchstwahrscheinlich auch den
heilig gehaltenen Bestien als Futter vorwerfen.«

Franz sah starr auf das Wasser. »Es ist eine Abscheulichkeit,« murmelte
er. »Ich könnte dem armen Schelm nachspringen, um ihn zu retten.« Dabei
verwandte er aber keinen Blick von dem langsam schwimmenden Malagaschen,
der jetzt die Hälfte seiner Bahn bereits durchmessen hatte und dem
mehrere Krokodile anscheinend ohne mörderische Absicht folgten. Ein
fester Entschluß lag auf seiner Stirn, er hielt die Finger am Drücker.

Selbst der schüchterne Hans war entrüstet wie nie. »Lieber Herr Doktor,
helfen Sie doch dem armen Menschen,« bat er dringend. »Papa bezahlt es
gern, wenn sie seinem grausamen Besitzer eine Summe bieten, um ihn zu
kaufen und zu befreien. Soll man denn nicht das Böse überall, wo es uns
entgegentritt, bekämpfen?«

»Natürlich!« murmelte Franz. »Natürlich, und ich werde mich auch nicht
hindern lassen, das zu thun, was ich für recht halte.«

Der alte Herr ging geraden Weges zu jener Gruppe des Häuptlings oder
Zauberers, wo vorhin die Verurteilung des Sklaven stattgefunden hatte.
»Leute,« rief er in englischer Sprache, »Leute, was thut ihr? Bedenkt,
daß das Leben dieses Kindes verloren ist, wenn ihr ihm nicht schleunigst
zu Hilfe kommt, und daß die Verantwortung auf euch zurückfällt! Ich will
den Sklaven kaufen, befehlt ihm, so schnell als möglich an das Ufer zu
schwimmen.«

Finstere Blicke antworteten ihm. »In was mischest du dich, Fremder?«
fragte grollend der weißgekleidete Alte. »Ich bin der Priester dieses
Stammes und stehe hier im Namen Zannaars des Weltgeistes, der die Sünde
strafen will.«

Doktor Bolten streckte die Hand aus. »Zannaar in deiner und Gott in
meiner Sprache!« rief er, »aber immer ein Wesen voll Gerechtigkeit und
Erbarmen, das solche Greuel strafen und verabscheuen muß. Dein --«

Der Knall eines Büchsenschusses zerriß die Stille, vom Wasser her tönte
ein gellender Aufschrei, der in Hunderten von Kehlen sein Echo fand.
Sprachlos mit beschwörend erhobenen Armen starrte der Priester auf den
See, wo jetzt der braune Knabe in schnellerer Bewegung dem rettenden
Ufer zueilte, wo aber auch eine Blutlache und ein Toben und Ringen unter
dem Wasser nur zu deutlich verriet, daß eins der heiligen Tiere
getroffen war und sich sterbend im Schlamm wälzte. Von allen Seiten
stürzten aufgeregte erbitterte Menschen den drei Weißen entgegen,
vergeblich bemühte sich der Führer, Frieden zu stiften; wie eine Lawine
vergrößerten sich die andrängenden Massen; Drohworte wurden laut und in
weniger als einer Minute waren den drei wehrlosen jungen Leuten die
Waffen entrissen.

Franz hatte seine Absicht ausgeführt. Als eins der Krokodile den Rachen
aufsperrte, um das geängstigte Opfer zu verschlingen, da legte er
gedankenschnell das Gewehr an die Wange und traf als geübter Schütze das
Auge der Bestie, so daß sie schnaufend zusammenbrach und rings umher das
Wasser mit ihrem Blute färbte. Der Malagasche schrie vor Entsetzen, mehr
erschreckt durch den plötzlichen Schuß als durch die anwesenden
Krokodile, dann aber floh er alles vergessend, so schnell es seine
Kräfte erlaubten, dem Lande zu. Vielleicht waren von dem ungewohnten
Ereignis auch die Tiere in Verwirrung geraten, sie tauchten in den
Schlamm und versuchten keine weitere Jagd. Noch eine Minute, dann sprang
der gerettete Knabe unversehrt an das Ufer.

»Gottlob!« rief Franz. »Das abscheuliche Verbrechen wäre vereitelt.«

»Aber um teuren Preis. Ich glaube nicht, daß einer unter uns mit dem
Leben davon kommt! -- O Franz, Franz, was hast du gethan?«

»Das Rechte!« rief ungestüm der Knabe. »Ich fürchte mich nicht.«

Er versuchte keinen Widerstand, als ihm und den übrigen die Hände auf
den Rücken gebunden wurden. »Nur zu, das soll euch schlecht bekommen,
ihr Mordgesellen,« rief er. »Unmöglich kann Gott dem Bösen den Sieg
verleihen.«

Von einer heulenden, schreienden und schimpfenden Menge umdrängt, von
geballten Fäusten und wutblitzenden Augen bedroht, wurden die drei zum
Dorf geführt, wo ihnen der alte Zauberer mit ebenfalls hocherhobenen
Händen entgegen kam; der Volkshaufe tobte und verlangte, daß zur Sühne
für den Tod des einen Raubtieres die Gefangenen den anderen als Futter
vorgeworfen würden und zwar auf der Stelle. Aber der Zauberer schüttelte
dazu den Kopf. »So lange sie den weißen Hahn besitzen, sind die Fremden
unverletzlich,« erklärte er, »auch muß Zannaar das Zeichen geben, ehe
wir die Strafe vollstrecken können. Lani-Lameh (damit meinte er sich
selbst) wird die Götter herbeirufen und ihren Entschluß vernehmen.«

Holm lächelte, als ihm der Führer die Übersetzung dieser letzteren Worte
heimlich zuflüsterte. »Lani-Lameh scheint ein großer Schlauberger zu
sein,« sagte er auf deutsch. »Vielleicht bestimmen ihn die Götter, uns
rein auszuplündern und laufen zu lassen, ohne daß nachher der
beschränkte Unterthanenverstand erfährt, wer das eigentlich bekommen
hat, was in unseren Taschen vorgefunden wurde. Einstweilen schützt uns
noch der weiße Hahn.«

»Wenn wir unsern Führer bestechen könnten!« meinte der Doktor. »Er
kümmert sich offenbar um den Tod der Bestie nicht im geringsten.
Vielleicht ist er ein Christ!«

»Vielleicht aber auch ein Verräter!« warnte Holm. »Er zieht im Lande
umher ohne bestimmten Wohnsitz, er kennt alles und alle, dient Fremden
als Führer und möglicherweise den Zauberern als Spion. Die Malagaschen
sind längst keine Wilden mehr.«

»Ich möchte nur eins wissen,« seufzte Hans, »ob uns vor der Hinrichtung
gestattet wird, einen Brief nach Hamburg zu schreiben?«

[Illustration: Der verhängnisvolle Schuß am Krokodilteiche.

»Der Knall eines Büchsenschusses zerriß die Stille, vom Wasser her tönte
ein gellender Aufschrei ...«]

»Und ich, ob der Kapitän und der alte Witt ruhig die Hände in den Schoß
legen, wenn wir nicht morgen abend verabredetermaßen wieder an Bord
sind!« rief Franz.

»Ruhig, Kinder,« ermahnte Holm. »Da das Urteil nicht sofort und unter
dem Einfluß des erbitterten Volkes zur Vollstreckung gelangt, so ist
noch Hoffnung vorhanden. Fürs erste bin ich gespannt, ob man uns den
Hahn wegnimmt!«

Das geschah nicht. Die vier Gefangenen wurden in eine leere Bambushütte
am äußersten Ende des Dorfes einquartiert, und der Hahn blieb
einstweilen in ihrem Besitz. Schwarze und rote Decken aus
Pflanzenfasern, ein paar Körbe für Lebensmittel und ein plumpes,
eisernes Gefäß für Trinkwasser bildeten die einzige Ausrüstung; Fenster
waren nicht vorhanden, dagegen aber gestatteten die Fugen zwischen
den Bambusstäben sowohl der Luft als auch dem Blick einen
ungehinderten Durchgang, so daß wenigstens für die unentbehrlichsten
Lebensbedürfnisse, Luft, Licht und Wasser, einigermaßen gesorgt war. Was
es nun freilich zu beißen gab, das blieb noch dahingestellt.

Lani-Lameh näherte sich in Begleitung des Führers, der ihm als
Dolmetscher diente, und der in seinem Namen die Weißen aufforderte, all
ihr bewegliches Besitztum herauszugeben. Taschenmesser, Kamm, Spiegel
und Portemonnaie mit Inhalt wanderten in das Körbchen, welches der
heilige Mann am Arm trug, ehe sich derselbe jedoch von seinem Gefährten
trennte, gab er diesem mit schneller, heimlicher Bewegung ein paar
Goldstücke, -- die Gefangenen sahen es und wechselten einen bedeutsamen
Blick. Man konnte also dem schlauen Gelben keinesfalls trauen.

Die Thür der Hütte wurde verschlossen und mit mehreren starken
Eisenriegeln noch obendrein von außen verwahrt, der Volkshaufe, welcher
anfänglich das Gebäude umtobte und umheulte, begann sich zu verlaufen,
und leise sanken die Schatten der Nacht herab. Es war ganz still in dem
engen, von leichtem Luftzug fortwährend durchwehten Raum, nur der Hahn
krähte zuweilen -- vielleicht begriff er nicht, wo so plötzlich die
Schar seiner Hennen, wo die köstliche Freiheit seines Düngerhofes
geblieben war.

Holm streichelte das schneeweiße Gefieder. »Kann ich es machen, so
sollst du mit uns nach Hamburg zurück,« sagte er. »Ohne deine schützende
Nähe war unser Leben der Volksjustiz längst verfallen. «

Franz rüttelte an allen Stäben. »Ob wir nicht fliehen können, Karl?«

»Siehst du denn nicht draußen den Hüter? -- Ich möchte übrigens wissen,
was dieser Bursche betreibt!«

»Er schmiedet!« erklärte Hans. »Vor sich hat er auf ein paar großen
Steinen ein Reisigfeuer, und auf einem anderen flachen Stein hämmert er.
Was er macht, sind Löffel.«

»Ich sehe von dieser Seite mehrere Männer bei einer derartigen Arbeit,«
bemerkte der Doktor. »Einer hält das glühende Eisen, und zwei andere
schlagen taktmäßig, ja sie haben wahrhaftig sogar einen Blasebalg aus
Bambusstäben und plumpen, hölzernen Cylindern. Wären nicht die Leute
halbnackt, so könnte man glauben, eine deutsche Dorfschmiede zu sehen.«

»Es wird dunkel,« schauderte Hans. »Wie sonderbar ist doch das Gefühl,
ein Gefangener zu sein.«

»Still, -- es kommt jemand.«

Die Thür öffnete sich, und ein Mann legte schweigend ein großes Stück
Fleisch sowie vier schwarz aussehende Gegenstände auf den Boden der
Hütte; dann entfernte er sich sogleich, ohne irgend ein Wort gesprochen
zu haben. Holm nahm eines dieser runden, etwa zolldicken und
tellergroßen Stücke in die Hand. »Ach,« rief er, »ich weiß schon, das
ist ein Mückenkuchen!«

»Um des Himmels willen! Und den sollten wir essen?«

»Der Hunger wird's schon eintreiben, Freund Franz. Weshalb schossest du
auf den Kaiman?«

»Weil ich einen Mord verhindern wollte, und das ist mir auch gelungen.«

»Gut, dafür speisen wir Heuschreckenkuchen. Ich habe übrigens mehrfach
gehört, daß diese schwarzen Pasteten recht gut schmecken.«

Er griff in die Tasche, um das Messer hervorzuziehen; dann aber, nachdem
er den Irrtum erkannt, schloß er die Augen und biß tapfer in das große
Brot hinein. »Oho, meine Herrschaften, Sie werden sich wundern! -- Als
wäre es der feinste Kaviar aus Heimerdingers Delikatessenhandlung.«

Er aß mit lebhaftem Appetit und verlockte dadurch auch die anderen, das
fremdartige Gebäck zu probieren. Es schmeckte salzig und scharf, aber
durchaus nicht unangenehm. »Komm her, Franz,« fuhr er fort, »das Fleisch
müssen wir auf Tigermanier zerlegen.«

Die Knaben lachten, auch der Doktor biß endlich mit in das gutgekochte
Schweinefleisch hinein, und zuletzt machte der Wasserkrug die Runde.
Holm hatte seinen Zweck erreicht, es war wenigstens auf den ersten
Schrecken einige Ruhe gefolgt und durch die guten, ausgiebigen
Nahrungsmittel auch für Erhaltung der Kräfte gesorgt. Obgleich er im
innersten Herzen von dem günstigen Ausgang der Sache keineswegs
überzeugt war, so wollte er doch seine Besorgnisse lieber allein tragen,
als auch die Knaben dadurch beunruhigen. Mochten sie jetzt schlafen, --
vielleicht brachte ja schon der nächste Morgen das Todesurteil.

Es wurde still ringsumher, auch der Schmied hatte aufgehört zu hämmern,
die Stimmen im Dorfe waren verhallt, und hoch am Himmel glänzte der
Mond. Aus dem Schlammwasser krochen die Krokodile hervor, um
schwerfällig am Ufer zu spazieren, immer mehr und mehr, gewiß fünfzig
bis sechzig an der Zahl, eins noch größer, noch scheußlicher als das
andere, -- Holm schauderte. Diese Ungeheuer lebten von Menschenfleisch,
sie wurden ernährt mit den Körpern armer Opfer, die einem schrecklichen,
heidnischen Irrwahn als Gegenstand dienten. Wer in irgend einem Verdacht
stand, wen der Zauberer aus dem Wege schaffen wollte, oder wer sich als
verachteter, rechtloser Sklave der Grausamkeit seines Besitzers nicht zu
erwehren vermochte, der verfiel dem Urteilsspruch dieser Bestien, die
sich träge und satt von Menschenblut im Sumpfe dehnten und alljährlich
an Zahl bedeutend zunahmen.

Wenn er dachte, daß die beiden Knaben, diese jungen, glücklichen Kinder,
die Söhne eines reichen, ja fürstlichen deutschen Handelshauses, auf so
schreckliche Weise den Tod finden sollten! Seine Finger umklammerten mit
eisernem Griff die Bambusstäbe, aber er fühlte, daß der Versuch, das
biegsame Holz zu zerbrechen, vergeblich sei. Seufzend warf er sich auf
die Matte.

Da reichte ihm Doktor Bolten die Hand. »Rufe mich an in der Not, und ich
will dich erretten!« -- sagte leise mit eindringlichem Tone der Greis.

Holm wandte erschüttert bis ins tiefste Herz das Gesicht gegen die
Bambuswand.

                   *       *       *       *       *

Der nächstfolgende Morgen brachte keine Veränderung, auch der lange,
unendlich lange Tag schlich dahin, ohne daß irgend jemand die Gefangenen
besucht hätte. Das Fleisch und der Mückenkuchen waren verzehrt, das
Trinkwasser ging zur Neige; wieder brach die Nacht herein, wieder wurde
es dunkel und verstummte das Leben des Tages. Und doch befanden sich die
vier Unglücklichen im Zustande fortwährender Aufregung, doch erwarteten
sie beständig nahende Schritte, horchten bei jedem Laut und erschraken
heimlich, so oft einer der Eingebornen in die Nähe kam.

Während der zweiten Nacht schlief keiner. Ein furchtbares Gewitter
schüttelte die Baumriesen des nahen Waldes, pfeifend heulte der Sturm,
und von Zeit zu Zeit brach mit donnergleichem Krachen ein alter Stamm,
den Blitz oder Windsbraut erfaßt, zu Boden. Aufgeschreckte Affen flohen
kreischend hinaus auf die Ebene, eine Büffelherde zog in eiligem Galopp
vorüber, und strömend rauschte der Regen. Es war so recht eine Nacht, um
im sicheren, gemütlichen Heim nahe an einander zu rücken und dem Singen
und Heulen des Sturmes zu lauschen; es war aber auch eine Nacht, um die
Herzen der Gefangenen zur Mutlosigkeit herabzudrücken und sie mit den
düstersten Ahnungen zu erfüllen. Was würde der nächste Morgen bringen?

Holm glaubte alle Hoffnung aufgeben zu müssen. Lani-Lameh konnte aus
mehr als einem Grunde nicht daran denken, seine Gefangenen wieder
freizugeben, wenn er nicht die eigenen Interessen auf das schwerste
gefährden wollte. Hier im westlichen Innern der Insel war überhaupt der
einzige Punkt, wo noch das Heidentum regierte, wo die Christuslehre bis
jetzt nicht festen Fuß fassen konnte, und wo also für ihn, den Zauberer,
Wahrsager oder Götzenpriester, allein noch der Weizen in Blüte stand. Er
mußte sich folgerichtig gegen das Vordringen der Kultur wie gegen seinen
schlimmsten Feind verteidigen und durfte daher die Tötung des heiligen
Krokodiles nicht ungerächt hingehen lassen. Der schlaue Geselle
fürchtete nebenbei auch die Weißen, welche nur der Tod verhindern
konnte, das auszuplaudern, was sie hier gesehen hatten.

Schon am folgenden Morgen zeigte sich die Richtigkeit dieser
Schlußfolgerungen. Man brachte den Weißen Speise und Trank, befahl ihnen
sich zu waschen und alsdann auf den freien Platz in der Mitte des Dorfes
zu erscheinen. Die Thür des Gefängnisses blieb offen, trotzdem aber war
an keine Flucht zu denken, denn eine ununterbrochene Kette von
Bewaffneten umgab von drei Seiten die kleine Niederlassung, während vorn
die greulichen Rachen der Krokodile wie eine unübersteigbare Mauer den
Weg versperrten.

Draußen glänzte nach dem nächtlichen Gewitter die Natur in doppelter
Schöne. Überall grünte und blühte die üppige Prachtfülle des Südens,
überall lag auf der Szene jener goldene Sonnenzauber, der erst die
Schöpfung zu erwecken scheint. Tauben in zahllosen Arten bevölkerten die
Gehöfte, große Schmetterlinge wiegten sich auf Blumen und Hunderte von
Singvögeln schmetterten in jubelhellem Chor. Es war hart, nach
erdrückender Gefangenschaft in solchen Morgen hinauszutreten, um aus dem
Munde heidnischer Barbaren das Todesurteil zu vernehmen, um zu erfahren,
daß dieser Tag der letzte sei vor einer Hinrichtung, die an
Abscheulichkeit und nichtswürdiger Brutalität von keiner anderen
übertroffen werden konnte. Es war hart, aber dennoch bewahrten die
Weißen alle Würde und Ruhe ihrer Nationalität. Sie hatten beim
Hinaustreten auf die Dorfstraße einander nur stumm die Hand gedrückt;
auch jetzt gingen sie schweigend durch die friedliche, malerisch
belegene Niederlassung bis an den Punkt, wo ein zweiter, engerer Kreis
von Bewaffneten eine Gruppe umschloß, in deren Mitte gebieterisch der
Zauberer stand. Lani-Lameh erwartete mit fünf Beisitzern dieses
schauerlichen Gerichtes die Gefangenen; er hatte sich in ein langes,
scharlachrotes Gewand gehüllt, auf dem Kopfe trug er einen spitzen, mit
goldenen Schnüren und Troddeln umwickelten Hut, ein goldenes Band hielt
die Falten in Gürtelform zusammen. Die anderen Richter waren ähnlich
gekleidet, nur fehlte bei ihnen das Gold, während die gemeinen Krieger
überhaupt nichts trugen, als eine Art von formlosem Hemd aus Grasfasern
und die langen Wurfspieße, hier Sagaien genannt.

Einer derselben hatte aus dem Gefängnis den weißen Hahn herbeigeholt und
setzte jetzt den Käfig desselben zu Füßen Lani-Lamehs auf den Boden.

Das Tier krähte laut und lustig, wahrscheinlich um in seiner Weise den
wundervollen Morgen zu begrüßen.

Lani-Lameh erhob die Hand. »Vom Abendlande her kommen die Ungläubigen,«
sagte er mit lauter Stimme, während der Dolmetscher jedes Wort
übersetzte, »sie drangen mit ihren Feuerwaffen in das Land der Hovas und
nahmen keinen Anstand, den großen Geist Zannaar und den Riesen Darafif,
seinen Sohn, auf das empfindlichste zu beleidigen, indem sie den
Gesandten der Gottheit, den heiligen Kaiman erschossen. Lani-Lameh hat
die Geister gerufen und sie gefragt, welche Strafe den Übelthätern zu
teil werden sollte; er warf sich vor den Unsterblichen auf sein Antlitz
und beschwor sie, die Stimme des Priesters zu hören. Zannaar, der große
Geist der Welt, befahl den Wolken, das Land mit Wasserfluten zu
übergießen, er sandte den Sturm und den Blitz, um die Menschen zu
erschrecken, und redete mit der Stimme des Donners. Lani-Lameh verstand
den Beschluß des großen Geistes! Die vier Übelthäter sollen dem Gericht
der Krokodile überliefert werden,« sprach er. »Sie sollen den See
zweimal durchschwimmen, nachdem die heiligen Tiere während eines Tages
und einer Nacht kein Futter mehr erhalten haben. Wer von ihnen auf
diesem Wege lebend das Ufer wieder erreicht, der möge gehen, wohin es
ihm beliebt. Die Götter haben ihn freigesprochen.«

Nachdem der Zauberer mit lauter Stimme diese Worte vorgebracht und dabei
das Gewitter der letzten Stunden für seine Zwecke klüglich ausgebeutet
hatte, nahm er den Käfig vom Boden und ließ den weißen Hahn
herausfliegen. »Jetzt seid ihr rechtlos,« schloß er, »Zannaar hat euch
verlassen und Angatsch der Böse Besitz genommen von eurem Schicksal.
Morgen mit Sonnenaufgang wird das Urteil vollstreckt werden.«

Eine Handbewegung gebot einigen Kriegern, die Gefangenen wieder in ihre
Hütte zurückzuführen, der Hahn flatterte, immer noch vergnüglich
krähend, zu seinen Genossen in das Dorf, und unsere vier Freunde
wanderten in das Gefängnis, dessen Thür sich für sie jetzt nur noch ein
einziges Mal öffnen sollte. Wie blaß die Knaben waren, und wie ernst der
Doktor aussah. Holm ging von einem zum anderen, um zu trösten. »Noch
haben wir fast volle vierundzwanzig Stunden,« sagte er, »wer weiß, was
geschieht! Der Tod war uns ja auf dieser Reise schon mehr als einmal um
Haaresbreite nahe, wir sind dem Orkan und den reißenden Tieren, wir sind
den afrikanischen Wilden entgangen, -- wer weiß, was geschieht!«

»Aber woher sollte die Rettung kommen?« fragte Hans. »Wir sind verloren,
Karl, wir müssen sterben, ohne daß irgend jemand von den Unsrigen
erfährt, wie und wo wir zu Grunde gingen. Der Kapitän wird nach der
Hauptstadt fahren und dort den deutschen Konsul benachrichtigen; man
wird die Insel durchforschen und überall fragen, wo wir blieben; aber
niemand gibt die Antwort, niemand bringt Kunde nach Hamburg. O es ist
entsetzlich, viel entsetzlicher als der Tod im Kampfe gegen wilde
Tiere.«

Holm streichelte das blasse Gesicht des Knaben. »Schon in dieser
Rechnung ist das Fazit ein voreiliges, mein Junge,« sagte er freundlich.
»Gesetzt, daß das Schlimmste wirklich geschähe, -- könnte und würde dann
nicht höchstwahrscheinlich wenigstens einer unter uns gerettet werden?
-- Das gäbe zwar den Getöteten das Leben nicht zurück, aber es würde
doch zur Sühne für ihre Ermordung genügen. In weniger als Jahresfrist
wären deutsche Kriegsschiffe hier, um Rechenschaft zu fordern.«

Franz erhob plötzlich den Kopf. »Ich glaube noch nicht, daß wir sterben
müssen, Karl,« rief er. »Ich kann es nicht glauben, -- Gott darf es
nicht zulassen, er --«

»Still, mein Sohn, du vermißt dich! Gewiß war deine Absicht eine reine
und gute, eine solche, die auch vor den Augen des höchsten Richters
Gnade finden wird, gewiß glaubtest du das Rechte zu thun, weshalb dir,
wie du weißt, deine Erzieher keinerlei Vorwürfe gemacht haben; aber doch
mischtest du dich unberufen in die Verhältnisse eines wilden Volks,
erlaubtest dir einen Eingriff in die Empfindungen anderer, das war
menschlich aber unklug. Bitte Gott, mein lieber, warmherziger Junge,
aber _fordere_ nicht, und vor allem laß uns die Stunden, welche
vielleicht auf Erden unsere letzten sind, nicht durch persönlichen Groll
entweihen.«

Niemand antwortete dem alten Geistlichen; jeder war zu sehr mit seinen
eigenen Gedanken beschäftigt, zu sehr erschüttert, um sprechen zu
können; auch das Essen blieb unberührt stehen, und als der Abend
herabsank, setzten sich die Unglücksgefährten so nahe als möglich neben
einander auf eine Matte, um noch, so lange ihnen Zeit blieb, einer dem
anderen ein freundliches Wort zu sagen und vor allen Dingen
gewissermaßen das Haus zu bestellen, ehe es an das Verlassen desselben
ging. »Werdet ihr gerettet, so grüßt zuerst meine Mama, dann die
übrigen!« bat Hans.

Der alte Geistliche hielt mit beiden Händen die der Kinder, welche er
erzogen. »Meiner harrt zuhause in Hamburg kein trauerndes Herz,« sagte
er, »um mich wird niemand weinen, niemand Kummer fühlen. Sorgt, wenn ihr
glücklich in die Heimat zurückkehrt, daß das, was ich an irdischen
Gütern hinterlasse, irgend einer milden Stiftung zufällt, am liebsten
einer Freischule oder einem Stipendium. Ich -- --«

Franz umklammerte aufschluchzend mit beiden Armen seinen geliebten
Lehrer. »Sie sterben nicht, Herr Doktor, Sie sterben nicht!« rief er,
»ich bleibe bei Ihnen und verteidige Sie mit meinem Leben, ich gebe
Ihnen Zeit, den Ungeheuern zu entkommen.«

»Das versprechen auch wir,« riefen in einem Atem die beiden anderen.
»Sie sollen in unserer Mitte bleiben, lieber Herr Doktor, wir schützen
Sie so lange als nur möglich.«

Der alte Geistliche legte im Dunkel der Hütte seine beiden Hände auf die
Köpfe der jungen Leute. »Seid gesegnet, meine Kinder,« sagte er mit
erstickter Stimme. »Es wird geschehen nach Gottes Ratschluß, der Herr
wird alles wohl machen.«

Draußen an der Bambuswand regte sich's. Wie leises Flüstern tönten
Menschenstimmen, und vernehmlich klang es durch die Spalten »Hummel! --
Hummel!«[1]

[Fußnote 1: Schlagwort der Hamburgischen Schifferkreise.]

Die vier Unglücksgefährten glaubten zu träumen. Was war das? -- Hatte
die Aufregung ihre Nerven so überreizt, daß sie die Stimmen ihrer weit
entfernten Freunde wie aus unmittelbarer Nähe zu hören vermeinten?

Franz schauderte. »Klang das nicht, als hätte das der alte Witt gesagt?«
flüsterte er. »Hummel! -- Hummel! -- das war ein Abschiedsgruß aus der
Heimat.«

Holm stand auf und trat an die Wand. Draußen sah man nichts, es war
unmöglich, durch die engen Spalten hindurch irgend etwas zu erkennen.
»Wer da?« rief er leise, mehr auf das gute Glück hin, als wirklich im
Glauben, irgend jemand anzureden. »Wer da?«

»Gut Freund, Herr Holm! -- Nur stille, hören Sie, daß die Schwerenöter
nichts merken. Sie sind doch alle wohlauf?«

Im Dorf krähte mit heller Stimme ein Hahn. War es der weiße? -- Sein
Schmettern klang wie »Wohlauf! -- Wohlauf!«

Eine Hand hatte die Riegel der Hütte hinweggezogen. Einer nach dem
andern traten die dunkeln Gestalten unter das Bambusdach, zwölf
bewaffnete, mit Kugelbüchsen, Revolvern und Enterbeilen versehene
Männer, die gekommen waren, um ihre bedrängten Freunde zu erlösen. Nur
der Kapitän und vier Matrosen waren als notwendigste Besatzung an Bord
des Dampfers geblieben, alle übrigen zogen durch den nächtlichen Wald,
fest entschlossen, die Gefangenen zu befreien oder mit ihnen
unterzugehen. -- Und draußen vor der Thür stand noch einer, ein
schlanker, dunkeläugiger Knabe, der die Retter hierhergeführt, der sein
eigenes Leben gewagt hatte, um der heiligen Pflicht der Dankbarkeit zu
genügen, Rua-Roa, jener verurteilte Sklave, den Franz mit seinem
plötzlichen Schuß von den Krokodilen erlöste. Jetzt bewachte er sowohl
den Eingang zur Hütte, als auch den geknebelt und gebunden am Boden
liegenden Hüter, der von unseren braven Hamburger Teerjacken im halben
Schlummer so energisch überrumpelt worden war, daß ihm keine Zeit blieb,
auch nur den kleinsten Schrei auszustoßen. Rua-Roa zitterte im Gedanken,
daß ein einziger Zufall alles verraten könne.

»Schnell! Schnell!« ermahnte er.

Aber die da drinnen hörten ihn nicht. Es war wie ein Rausch über ihre
Sinne gekommen, wie ein Taumel, sie sprachen in abgebrochenen Lauten und
waren kaum fähig, zusammenhängend zu denken. Nur der alte Witt trieb zur
Eile. »Da hast du eine Kugelbüchse, Zackermentsjunge, ich habe sie
ausdrücklich für dich über alle diese vermaledeiten Baumwurzeln und
Ranken geschleppt, -- ist doch ein schauderhaftes Vergnügen, so bergauf
und bergab durch den Wald zu klettern. -- Na, schon gut, da braucht's
gar keinen Dank und keine Rührung, deucht mich; oder hättest du etwa
ruhig zugesehen, Junge, wenn die Menschenfresser zufällig über mich,
anstatt über dich selbst hergefallen wären?«

»O ich wußte es ja, ich wußte es ja, wir sind gerettet!«

Und Franz sprang von einem zum andern, unfähig, seinem Jubel zu
gebieten. »Wollen wir Lärm schlagen?« rief er übermütig, »die gelben
Halunken mit ihrem Oberhaupt, dem Lügenpriester, zu Paaren treiben und
alle Krokodile erschießen?«

»Franz, Franz, -- und das im ersten Augenblick unserer Rettung!«

Holm fand seine gewohnte Ruhe wieder, als ihn der unbesonnene Vorschlag
aus dem anfänglichen Freudenrausch aufschreckte. »Kommen Sie, Herr
Doktor,« setzte er hinzu. »Rasch, rasch, ich kann es nicht erwarten, den
blauen Himmel wieder über mir zu sehen.«

Auch der Steuermann näherte sich dem alten Herrn. »Ich habe Ihnen eine
Handlaterne mitgebracht, Herr Doktor,« sagte er, »die einzige, welche an
Bord zu finden war. Sie thut nötig bei diesen halsbrecherischen
Unternehmungen.«

Und mit dem ganzen Abscheu des Seemanns gegen Fußpartieen zog er eine
blecherne Diebslaterne aus seiner Jacke hervor. »Da ist das Ding, Herr
Doktor, aber anzünden wollen wir es lieber erst draußen.«

Holm und Franz lachten ihn aus. »Wer hat uns denn durch den
afrikanischen Wald geführt, Papa Witt?« rief der Knabe. »Naturforscher
mit dem Talglicht! das ist köstlich.«

Hans war der erste draußen. »Kommt, kommt,« bat er, »ich sehne mich nach
dem Anblick unseres Schiffes.«

Die Matrosen hatten inzwischen den ganzen kleinen Raum untersucht, und
als sie kein Stück des Eigentums ihrer Reisegenossen mehr vorfanden, die
Hütte verlassen. »Ich hätte Lust, den Bau in Brand zu stecken,« raunte
einer. »Irgend ein Andenken müßten wir doch diesen Schuften vermachen.«

Und gedacht, gethan. Ehe es die Weißen hindern konnten, flog ein
brennendes Stück Papier auf die Matten am Boden, rote Flammen krochen
züngelnd weiter, eine Rauchwolke wirbelte auf, und bald stand das ganze,
abgesondert liegende Gebäude in heller Glut. Den gebundenen Malagaschen
legten die Hamburger in gesicherte Entfernung, und dann ging es fort zum
Walde, wo die lustige Schar den Tadel, welcher sie empfing, ohne
bemerkbare Zerknirschung hinnahm, zumal der Steuermann sich begnügte,
mit pfiffigem Blinzeln hinzuzusetzen: »Schade, daß nicht das ganze Dorf
in Rauch aufgeht. Die gelben Landpiraten hätten verdient, einmal selbst
bei ihren Krokodilen Nachtquartier suchen zu müssen.«

»Sollen wir sie aus dem Schlaf stören?«

Die Kampflust, der Übermut dieser ganzen jugendlichen Schar waren kaum
noch zu zügeln. Holm und der Doktor mußten ihr Ansehen als Führer des
Zuges voll in die Wagschale werfen, um weitere Ausschreitungen zu
verhüten; nur widerstrebend konnten sich die Matrosen entschließen, das
Dorf und die brennende Hütte ihrem Schicksal zu überlassen, ja es ist
ungewiß, ob das jemals geschehen wäre, wenn nicht eine plötzlich
auftauchende Erscheinung das allgemeine Interesse für sich in Anspruch
genommen hätte.

Unter den Bäumen stand im unsicheren, zuckenden Licht der vielen
elektrisch glänzenden Fliegen jener Malagasche, der zuerst die Weißen in
das Dorf geführt hatte. Er trug unter dem Arm den Käfig mit dem weißen
Hahn und streckte jetzt lächelnd die Hand aus. Sein verschmitztes
Gesicht zeigte, daß er alles wußte. »Ein kleines Geschenk für den
Führer,« sagte er in englischer Sprache. »Er war es, der Rua-Roa den Weg
zeigte.«

Papa Witt sah voll Erstaunen von einem zum andern. »Was will der Mosjöh
Zitronengesicht?« rief er. »Schenkt mir einen Hahn! -- Ist der Kerl
verrückt?«

»Sagte ich's nicht,« lächelte Holm. »Er verrät beide Parteien um des
klingenden Lohnes willen. Aber besser ist es, Freund Steuermann, Sie
geben ihm ein Stück Geld, das ich mit Dank zurückerstatten werde, -- in
meiner und des Doktors Tasche ist es leer wie am ersten
Schöpfungsmorgen.«

Der Alte griff in den perlengestickten Geldbeutel, welchen er nur bei
festlichen Gelegenheiten zu tragen pflegte. »Eine tüchtige Tracht Prügel
wäre dir bedeutend dienlicher, du Galgenholz,« brummte er auf deutsch,
»es ist schade, daß du immer noch ungehängt über Gottes Erde läufst,
aber wenn wir dich jetzt mit der richtigen Münzsorte bezahlen wollten,
so könntest du uns aus Dankbarkeit alle deine Brüder auf den Hals
hetzen. Marsch mit dir, -- den Hahn kannst du selbst verzehren.«

Aber Holm ergriff den Käfig und nahm ihn an sich. »Das Geheimnis dieses
Geschenkes erkläre ich Ihnen zuhause, Steuermann,« lachte er. »Vorwärts
jetzt, vorwärts um des Himmels willen, -- die Malagaschen sind aus dem
Schlaf erwacht!«

Wirklich sammelten sich schreiende, wehklagende und drohende Haufen um
das Gefängnis, dessen leichte, dürre Bambuswände in der Glut
zusammengestürzt waren und einen funkensprühenden Trümmerhaufen
bildeten. Ein fesselnder Anblick bot sich dar: all die gelben, in den
seltsamsten Kostümen -- dasjenige Adams nicht ausgeschlossen --
umherlaufenden und gestikulierenden Menschen, erhellt von der roten
Lohe, deren Widerschein zugleich das Ufer färbte, wo mehr als ein
riesiger Kaiman lüstern spähend mit halbem Leibe aus dem Sumpf
auftauchte.

Allen voran im flatternden Gewande mit hocherhobenen Armen stürzte
Lani-Lameh, der Zauberer. Wilde Verwünschungen schallten von seinen
Lippen; er ermunterte offenbar die übrigen, den Flüchtlingen zu folgen.

Als sich diese nach dem Führer umsahen, war er verschwunden. Der listige
Geselle mußte jetzt im Dorfe bemerkt werden, um nicht durch seine
Abwesenheit Verdacht zu erregen; -- Holm begriff das, aber er erschrak.
Wohin im Dunkel fliehen, ohne den Verfolgern in die Hände zu fallen.

Da erfaßte jemand seinen Arm. In englischer Sprache erklang ein rasches
»Dort hinaus, Herr!« und ohne erst zu fragen, wer der Sprechende sei,
folgte die kleine Schar dem gegebenen Rate. Nach einer Viertelstunde
angestrengten Marschierens, wobei der Steuermann zweimal über
vorspringende Baumwurzeln fiel und in allen Tonarten auf Wälder und
Fußreisen und Dunkelheit schimpfte, war endlich eine Lichtung erreicht,
von der verschiedene Wege abzweigten. Kein Laut verriet die Nähe der
Malagaschen, kein Zeichen deutete auf Gefahr, daher ließen sich die
Flüchtigen Zeit, endlich auch aus den mitgebrachten Vorräten der
Matrosen eine tüchtige Stärkung zu sich zu nehmen. »Prosit!« nickte der
Steuermann. »Und dergleichen nennen Sie ein Vergnügen, mein Herr Holm?
So schauderhafte Strapazen finden Sie ganz unterhaltend und angenehm? --
Um des lieben Himmels willen, was wollen Sie mit dem Hahn?« setzte er
hinzu. »Freilich bin ich kein Gelehrter, aber mich deucht doch, daß der
weiße Kerl ein ganz gemeiner Haushahn ist.«

»Oho, Papa Witt, mehr Respekt, wenn ich bitten darf! Dieser Hahn, den
ich als unseren persönlichen Schutzhahn an der einen bräunlichen Feder
vorn auf der Brust mit Sicherheit erkenne, -- dieser Hahn ist ein
Sendbote Zannaars und des Riesen Darafif wider die Macht und Tücke
Angatschs des Bösen; -- oder ernsthaft gesprochen: er war eines der
Werkzeuge, deren sich Gott bediente, um uns vor grauenhaftem Tode zu
bewahren. Wären wir ohne den weißen Hahn gewesen, so hätte uns das
wütende Volk auf dem Fleck in Stücke zerrissen.«

Er setzte nun den Verlauf ihres Abenteuers dem Alten kurz auseinander
und fragte jetzt erst, wie denn eigentlich die Freunde an Bord des
Dampfers Kunde von dem Geschehenen erlangt hätten. Ehe Papa Witt
antworten konnte, zog Franz an der Hand den jungen Hova-Sklaven aus dem
Hintergrunde hervor. »Herr Doktor,« rief er, »und du, Karl, hier ist
Rua-Roa, der weder Mühe noch Gefahr scheute, um uns zu retten. Er hat in
der Nacht den ganzen weiten Weg bis zum Schiffe zurückgelegt, er hat
unsere Reisegenossen hierhergeführt, -- ihr dürft ihn nicht verstoßen!«

Der junge Malagasche warf sich auf den Boden und umfaßte mit beiden
Armen die Kniee des Geistlichen. »Nimm mich mit dir, Herr,« bat er leise
und innig. »Rua-Roa will dein Sklave sein, er will dir gehorchen und dir
danken bis an das Ende seiner Tage, aber nimm ihn mit dir auf das Schiff
und unter weiße Leute!«

Doktor Bolten schüttelte zweifelnd den Kopf. »Das geht nicht so ohne
weiteres, mein junger Freund,« sagte er herzlich. »Zuerst müßte ich doch
wissen, ob du Eltern hast, denen ich unmöglich ihr Kind rauben dürfte,
dann aber --«

Ein Ausruf des Knaben unterbrach ihn. »Rua-Roa hat keine Eltern mehr,
Herr, er ist ein armer Sklave, der dem härtesten aller Hovas als
Eigentum gehört. Arra-Arra ist grausam wie ein reißendes Tier, er
schlägt und tritt seine Knechte, er vermietet sie nach der Hauptstadt
Tananarivo zu den schwersten Diensten und gibt ihnen kaum so viel, um
sich eine Decke oder ein Hemd kaufen zu können. Er wirft sie, wenn der
Feuertrank der Weißen sein Gehirn umnebelt, zum Vergnügen den Krokodilen
vor.«

Ein Ausruf der Entrüstung tönte von den Lippen aller Anwesenden. Die
Matrosen bedauerten noch jetzt auf das lebhafteste, nicht an den gelben
Schurken ein warnendes Beispiel statuiert zu haben; sie wollten dem
Knaben kleine Geldgeschenke machen und ihn ihres Schutzes versichern,
aber der Doktor erklärte, daß notwendig vorher erst eine Frage
entschieden sein müsse. »Das Christentum kennt keine Sklaverei,« sagte
er, »es kann nie und nimmer den einen Menschen als das rechtmäßige
Eigentum des anderen betrachten, ich will daher mit gutem Gewissen
dieses Kind einem grausamen und trunksüchtigen Gebieter entziehen, um
aus ihm einen rechtschaffenen Christen heranzubilden, aber nur dann,
wenn Rua-Roa wirklich kein Dieb ist. Einen solchen könnte ich den mir
anvertrauten Zöglingen nicht zum Gesellschafter geben. Sprich also, mein
Sohn, sei wahr, als ständest du vor dem Richterstuhle Gottes, -- hast du
jenes rote Tuch genommen oder nicht?«

Der Sklave schüttelte traurig den Kopf. »Rua-Roa hat keine Mutter oder
Schwester, der er es schenken könnte, Herr; Rua-Roa hat auch keine
Hütte, um es darin zu verstecken oder für sich selbst zu behalten. Wenn
Arra-Arra, sein Gebieter, schlechter Laune ist, oder wenn ihn das
Feuerwasser krank gemacht hat, so läßt er den Zauberer kommen, um ihn zu
fragen, wessen böser Blick oder wessen Verbrechen das Unglück
verschuldete; Lani-Lameh nennt dazu jedesmal einen Sklaven als den
Übelthäter, weil nur diese den Krokodilen vorgeworfen werden dürfen und
weil ihm solche Richtersprüche viel Geld und Ansehen eintragen. Rua-Roa
hat das Tuch nicht genommen, Herr, möge ihn Zannaar, der Weltgeist,
strafen, wenn er lügt!«

Das war so einfach, so kindlich gesprochen, daß es auf keinen der
Anwesenden seinen Eindruck verfehlte. Der alte Geistliche reichte dem
Malagaschen beide Hände. »Steh auf, Rua-Roa,« sagte er, »du sollst bei
uns bleiben, armer Junge, ich will vor Gott und den Menschen
verantworten, daß ich dich, der du uns alle vom sicheren Tode
errettetest, aus so unwürdigen, verderblichen Umgebungen entferne. Du
sollst nach deiner freien Wahl bei uns bleiben oder dich hinbegeben, wo
du Lust hast, aber zurückschicken werde ich dich um keinen Preis. Ist
das nicht auch Ihre Meinung, Freund Holm?«

»Vollständig!« nickte der junge Gelehrte. »Franz würde es ja doch nie
verzeihen, wenn wir uns weigerten, nicht wahr, du?«

»Ich würde sehen, Rua-Roa heimlich an Bord zu bringen!«

Holm sah ihn an. »Da das dem Knaben nicht verständlich geworden ist, so
mag es hingehen, Franz,« sagte er leise. »Du solltest dich bemühen, ihm
als Vorbild zu dienen, denke ich.«

Franz errötete, während der Malagasche im unklaren Gefühl, daß er hier
einen Freund gefunden, seine Hand ergriff und küßte. »Wir wollen den
Blutschwur tauschen, du und Rua-Roa,« flüsterte er. »Auch Freie tauschen
ihn mit Sklaven.«

»Was ist das, ein Blutschwur?« fragte lebhaft interessiert der Knabe.

»Pst, -- hier nicht. Ich sage dir's später, Herr!«

Er dankte halb wehmütig, halb freudevoll dem alten Geistlichen und auch
Holm; er gelobte nochmals, ein treuer ergebener Diener zu sein und
sprang dann allen voran, um den Weg zum Strande weiter zu verfolgen.
Allmählich hatten auch schon die ersten Sonnenstrahlen das Dunkel
gelichtet, es wurde Tag, und ringsumher glänzte die Schönheit der
südlichen Welt, entfaltete sich das Tierleben, und spielte neuerwacht
der Morgenwind mit tausend Blüten. Die Reisenden sahen zum erstenmale
den Tangaibaum, welcher nur auf Madagaskar angetroffen wird, und dessen
Früchte wie Pfirsiche herabhängen, unter ihrem ziemlich geschmacklosen
Fleische jedoch einen sehr giftigen Kern verbergen; dann die
einheimische Feige und endlich in einem kleinen murmelnden Flüßchen die
Gitterpflanze, welche gänzlich unter der Oberfläche des Wassers stand.
Holm nahm eine davon mit allen ihren Teilen sorgfältig heraus, um sie zu
präparieren. Die neun bis zehn Zoll langen Blätter lagen kaum zwei Zoll
breit wagerecht unmittelbar unter dem Wasserspiegel und zwar in einem
Kreise von mindestens drei Fuß Durchmesser; dabei zeigten sie in ihrer
Entwickelung die verschiedensten Farben, von dem Blaßgelb der ersten
sich bildenden Blättchen durch alle Schattierungen von braun und grün
bis zu den größten, ganz schwarzen Blättern, die einzigen in der Natur,
welche die dunkle Totenfarbe tragen. Und wie eigentümlich waren die
langen, schmalen Blätter! -- Nur Gerippe von solchen, nur Blattgerüste.
Der klare Grund glich einer feinen, durchbrochenen Spitze, und doch war
das Gewebe zart genug, um die ganze Schwere der Pflanze zu tragen. Holm
freute sich außerordentlich, das seltene Gewächs aufgefunden zu haben,
ebenso die Destillierpflanze, deren kammartige, mit Deckeln versehene
Blumen inwendig einen förmlichen Destillierapparat besitzen, und mehrere
andere. Selbstverständlich wurden Blätter der seltenen Gitterpflanze
mitgenommen.

Jeden Augenblick wurde die Wanderung unterbrochen, was ebensoviele
Äußerungen der Ungeduld von seiten des Steuermannes hervorrief und
endlich dazu führte, daß sich die kleine Gesellschaft einstweilen
trennte. Hier in der Nähe des Meeres war von den Malagaschen nichts zu
fürchten, sie hatten vielmehr alle Ursache, sich mäuschenstill zu
verhalten und Gott zu danken, wenn nicht in der Hauptstadt gegen sie
Klage geführt wurde. Papa Witt marschierte also mit seinen getreuen
Teerjacken auf kürzestem Wege zum Ankerplatz zurück, die anderen dagegen
unternahmen noch einen kleinen Streifzug in die Umgegend, wobei ihnen
Rua-Roa als Führer diente. Alle Sorgen, aller Kummer und alle erlittenen
Strapazen waren vergessen. Man befand sich wieder im grünen Walde,
wohlbewaffnet und mit Korbflaschen versehen, und überließ sich der
Hoffnung, noch einige seltene, wenn auch nur harmlose Tiere zu erlegen.

»Rua-Roa, kannst du uns keinen Eichhornmaki aufspüren? Ich glaube, ihr
Malagaschen nennt ihn Aye-Aye!«

Der Bursche erschrak. »Angatsch will nicht, daß dem Aye-Aye Schaden
geschieht, Herr!« antwortete er etwas ängstlich.

Holm lächelte. »Dergleichen mußt du jetzt über Bord werfen, mein Junge,«
sagte er freundlich. »Nur das Böse ist zu fürchten und bringt Strafe,
aber wer das Böse vermeidet, braucht sich nicht zu fürchten vor dem
Grimme eines zornigen Rachegeistes. Es gibt keinen Angatsch, Kind, und
noch viel weniger eine Tiergattung, die man heilig halten müßte. -- Auf
welchen Baumarten lebt vorzugsweise der Eichhornmaki?«

Rua-Roa schüttelte den Kopf. »In hohlen Stämmen wohnt er, Herr, wie die
Eulen nur bei Nacht auf den Fang ausgehend und am Morgen schlafend. Wir
werden sehr bald den Aye-Aye sehen, wie er nach Hause zurückkehrt.«

»Und hoffentlich auch schießen,« setzte Holm hinzu. »Komm her, mein
Junge, willst du das Feuergewehr kennen lernen?«

Der Malagasche wich zagend zur Seite. In seinen großen schwarzen Augen
lag deutlich der Ausdruck des Grauens, so daß Holm lachend die
Kugelbüchse zurückzog. »Horch,« rief er, »was war das?«

»Wildschweine, Herr,« antwortete der Bursche. »Eberjäger! sie kommen
über die Ebene rechts von uns, wir werden die fliehenden Bestien sehen.«

»Sind diese Jäger Hovas?« fragte mit einiger Besorgnis der Geistliche.

»Nein, Herr, Sakalawas, schwarze Männer, die mit ihren Sagaien die Tiere
erlegen. Sie sind im ganzen Lande hochgeehrt, essen und schlafen in
jeder Hütte ohne Bezahlung und wohnen nirgends, sondern ziehen umher und
töten überall die Eber, welche das Feld zerstören und die Ernten
vernichten.«

Der Lärm kam immer näher, die Gebüsche knackten und brachen, wildes
Geheul und Schnaufen mischte sich mit den lauten Zurufen von
Menschenstimmen. Unsere Freunde nahmen daher in _einer_ Linie Stellung,
indem sie sich den Rücken durch nebeneinander stehende, breite
Baumstämme deckten und den gefährlichen Wildschweinen gegenüber auf
diese Weise zu erfolgreichem Widerstande aus vier Kugelbüchsen zugleich
gerüstet waren. »Paß auf, Rua-Roa,« rief Franz, »sobald sich der erste
Eber zeigt, hat er das Blei zwischen den Rippen.«

Aber der Malagasche schien von der Aussicht auf das angekündigte
Schauspiel keineswegs erbaut; vielmehr schwang er sich mit einem raschen
Satz auf den nächsten Tamarindenbaum, dessen starke, dichtsitzende Äste
ihm diese Flucht ungemein erleichterten, und zog dann zum geheimen
Verdruß des Doktors ein Amulett -- bei den Malagaschen Fanfuti --
hervor, das er zwischen den Fingern hielt und wiederholt küßte.

»Was treibst du da, Junge?« fragte ärgerlich der alte Herr.

Rua-Roa sah verlegen von einem zum andern. »Ich bitte den Feuerriesen um
seinen Schutz, Herr. Tenn-Tenn herrscht über alles, was von der Flamme
stammt.«

»Gib mir das Ding, welches du da in der Hand trägst, Rua-Roa.«

Der Malagasche trennte sich offenbar nur äußerst ungern von seinem
Amulett, aber er wagte keinen Ungehorsam, sondern gab es zögernd hin --
eine kleine starkriechende Wurzel und ein Bambusrohr, das einen
beschriebenen Pergamentstreifen barg. »Der Feuerriese Tenn-Tenn wird
dich töten, wenn du es vernichtest, Herr,« sagte er ängstlich.

[Illustration: Eberjagd auf Madagaskar.

»Das wütende Tier mit seinem plumpen schwarzen Kopf und den am Halse
befindlichen Auswüchsen stürzte sich blindlings gegen die Stelle, wo
vier Büchsenkugeln seiner harrten ...«]

Dem alten Theologen blieb zur Antwort keine Zeit. Aus den Gebüschen
brach ein mächtiger Eber, dem zwei Bachen mit einem Rudel jüngeren
Nachwuchses folgten; das wütende Tier mit seinem plumpen schwarzen Kopf
und den am Halse befindlichen Auswüchsen stürzte sich blindlings gegen
die Stelle, wo vier Büchsenkugeln seiner harrten, die Stoßzähne wühlten
den Boden auf, die kleinen Schweinsaugen funkelten vor Kampflust; es
kam, unbekannt mit der Wirkung der Feuerwaffen (die auf Madagaskar zur
Jagd nicht verwandt werden) ganz nahe heran und senkte zum heftigen
Angriff den Kopf -- da krachten die Büchsen; unter den übrigen Tieren
entstand eine wilde Flucht, und der Eber wälzte sich in seinem Blute.
Schon wollte Franz vorspringen, um ihm mit dem Messer den Garaus zu
machen; da klang es plötzlich in einiger Entfernung wie das schmerzliche
Wimmern einer Menschenstimme. Gedehnte, ächzende und schluchzende Laute
erfüllten die Luft, Todesröcheln mischte sich schaurig in leises Weinen.
-- --

Die Weißen standen regungslos vor Schreck. Sie sahen nicht wie sich der
erlegte Eber im letzten Kampfe wand, wie mehrere der schwarzen Jäger,
halbnackt, mit den langen eisenbeschlagenen Sagaien bewaffnet, durch die
Büsche lugten und beim Anblick der Europäer schleunigst das Weite
suchten, -- nur _ein_ entsetzlicher Gedanke erfüllte ihre Herzen: war
einer von den Sakalawas durch ihre Kugel getroffen worden?

»Karl,« flüsterte Franz, »hörst du das?«

Holm nickte. »Wir müssen nachsehen, mein Junge. Wenigstens konnte keinem
von uns der Gedanke an ein solches Unglück im voraus kommen.«

»Ist der arme Mensch erschossen, so berühre ich in meinem Leben kein
Gewehr wieder,« rief Hans. »O warum sind wir nicht mit den Matrosen
gegangen!«

»Still,« seufzte Holm. »Erst muß die Sache untersucht werden.«

Da legte vom Baum herab Rua-Roa die Hand auf des jungen Mannes Schulter.
»Babakut!« sagte er, »der Menschenaffe.«

Wie in plötzlicher Übereinstimmung suchten aller Augen seinen Blick.
Wenn das wahr wäre!

Rua-Roa hielt noch immer den Ast des Tamarindenbaumes umklammert.
»Kennst du den Menschenaffen nicht, Herr? Leben im Abendlande unter
deinem Volke keine Trägen, Faulen, die niemals arbeiten, sondern nur
essen wollen? Und verwandelt sie Zannaar bei euch nicht in Babakuts, die
ein Antlitz haben wie Menschen und doch Affen sind, die menschlich
weinen und klagen, und doch keine Seele besitzen? Der da wimmert, ist
ein solcher.«

Franz zögerte nicht länger, er mußte wissen, woher die immer schwächer
werdenden, kläglichen Jammerrufe kamen, und trennte daher mit kräftigem
Arm die verschlungenen Zweige, um in das Innere des Gewirres von Ranken
und Blättern hineinzusehen. Sein Jubelruf lockte die übrigen herbei. Da
lag auf dem blutgetränkten Moos ein ganz grauer, mit kurzem Haar
bedeckter Affe von etwa einem Meter Höhe und mit so menschenähnlichem
Gesicht, wie es die Reisenden noch an keiner anderen Gattung bemerkt
hatten. Die brechenden Augen sahen voll stummer Anklage empor, der
schweiflose Körper streckte sich und nach wenigen, letzten Zuckungen war
alles vorüber.

»Das nenne ich Glück haben!« jubelte Holm. »Diese Art ist bis jetzt
selten oder nie erlegt worden, wir besitzen da einen Schatz, wie ihn
kein deutsches Museum nachweisen kann. Schnell, Rua-Roa, komm her und
nimm vorsichtig den Affen, da du kein Gewehr zu tragen hast, wir wollen
ihn auf dem Schiff in aller Form einbalsamieren oder in Spiritus
bringen, je nachdem es sich macht. Jetzt ist Umkehr geboten, um keinen
Preis dürfte uns der Babakut verloren gehen.«

Aber Rua-Roa that, als sei er plötzlich taub geworden. Mit dem großen
Messer, welches ihm Hans gegeben, zog er gewandt das borstige Fell des
Ebers ab, weidete ihn aus und schnitt die besten Bratenstücke herunter,
während nur dann und wann ein scheuer Blick den getöteten Affen
streifte. Die Furcht vor dem Halbmenschen Zannaars war offenbar zu groß,
um ihm das Näherkommen zu gestatten.

»Mag er das Fleisch tragen!« entschied der Doktor. »Ehe nicht sein
Geister- und Riesenglaube besiegt ist, hilft es nichts, ihn zum Gehorsam
zu zwingen. Ich bin nur begierig, wie Sie es anfangen wollen, die Beute
fortzubringen, mein bester Herr Holm.«

»Und müßte ich sie wie ein Wickelkindchen tragen,« rief der junge
Gelehrte. »Aber was will Rua-Roa, er winkt mir fortwährend!«

Der Malagasche hatte das abgezogene Fell von Blut und Fleischteilen
gereinigt und dann einen spitzen Stock geschnitten. »Da, Herr,« sagte er
etwas ängstlich, »willst du nicht den Babakut hineinwickeln? Zwei von
euch können ihn tragen, an jedem Ende des Stockes einer. Rua-Roa nimmt
das Fleisch.«

Holm lachte. »Zwei von euch!« wiederholte er. »Nur du selbst nicht,
Schlingel, und doch habe ich oft gehört, daß deine Landsleute den
Babakut essen.«

Rua-Roa machte eine Gebärde des Abscheues. »Die Ambonga,« sagte er, »die
Wilden. Sie essen auch Schlangen und Makis, die Hovas kennen dergleichen
nicht.«

»Makis!« rief Holm. »Da erinnerst du mich, Junge. Ich möchte doch gar zu
gern einen Eichhornmaki schießen.«

Der Malagasche nahm mit Hilfe eines zweiten, derben Steckens das Fleisch
auf die Schulter. »Jetzt schläft der Aye-Aye, Herr,« versetzte er, »aber
Rua-Roa wird den Baum finden, in welchem er wohnt, und wird ihn
aufscheuchen. Komm nur, dort unter den alten Tamarinden ist mehr als ein
hohler Stamm, dein Sklave weiß es, er hat hier oft die jungen Papageien
aus ihren Nestern genommen, um sie, wenn eine Anzahl beisammen war, nach
Tananarivo zu bringen und für seinen Herrn zu verkaufen. Den Babakut
kannst du hier liegen lassen, bis wir wiederkommen; es stiehlt ihn dir
niemand, dessen bist du sicher.«

Holm schwankte. Durfte er den seltenen Schatz dem Zufall anvertrauen? --
Aber freilich, fleischfressende Tiere gab es ja auf dieser Insel nicht,
wer sollte ihm also sein Kleinod rauben? Nach kurzem Besinnen verbarg er
das Paket mit dem unheimlichen Inhalt unter einer Schicht von großen
Blättern, dann folgten alle dem vorangehenden Malagaschen. Der Hochwald
dieser Gegend war unbeschreiblich schön und trug ganz den Charakter der
tropischen Zone, wenigstens was die Mannigfaltigkeit des Pflanzenwuchses
betraf. Hohe Mangobäume mit ihren saftreichen, unseren Birnen
gleichenden Früchten neigten ihre tiefhängenden Äste schwer vom Segen so
weit herab, daß die Knaben nach Herzenslust pflücken und essen konnten;
wundervoll gefärbte Orchideen, lila, rosa, blau und schneeweiß oder vom
reinsten Purpur, schwebten an ihren langen Kletterwurzeln in der Luft;
ein kleines blaues, dem Vergißmeinnicht ähnliches Blümchen schmückte zu
Tausenden den Boden; blütenreiche Akazien spendeten ihren Wohlgeruch,
und mehrere Pandanusarten lieferten wohlschmeckende Früchte von der
Größe einer Pomeranze. Ebenso wuchsen im Dickicht die verschiedensten
Nüsse, weshalb auch bunte Papageien in ganzen Scharen die Baumwipfel
bevölkerten. Das emsige Forschen des jungen Eingebornen währte nur kurze
Zeit, dann hatte er den Schlupfwinkel eines Eichhornmaki entdeckt und
konnte den heranschleichenden Gefährten ein Zeichen geben. In einer
uralten Tamarinde befand sich eine Höhlung von der Größe eines Tellers,
vor derselben lagen Haufen von Nußschalen, und an der rauhen Rinde des
Eingangs klebten braune Haare, für den geübten Blick des jungen
Malagaschen nur ebenso viele Zeichen, daß im Innern des hohlen Stammes
ein Eichhornmaki seinen Wohnsitz haben müsse.

Holm und Franz standen mit geladenem Revolver hinter den nächsten
Bäumen, während Rua-Roa die Tamarinde umschlich und mit dem Knöchel des
Zeigefingers überall anklopfte. Längere Zeit hindurch blieben seine
Bemühungen ohne Erfolg, die Weißen zweifelten, daß eines dieser
zierlichen Äffchen in dem Baume verborgen sei; der Bursche aber blieb
bei seiner Behauptung. »Aye-Aye schläft,« sagte er, »wir müssen ihn
wecken.«

Und vor die Mündung der Höhle tretend, brachte er das Gesicht derselben
ganz nahe. Ein schriller, plötzlicher Schrei durchgellte die
morgendliche Stille des Waldes, -- dann suchte der Sklave seinen
früheren Versteck wieder auf. Eine Gebärde befahl den Weißen, sich
mäuschenstill zu verhalten.

Kaum wenige Sekunden später zeigte sich der Erfolg. Das graue,
menschenhafte und auch wieder eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Fuchs
verratende Gesicht des Gespensteraffen blickte aus dem Loch hervor, der
Aye-Aye horchte offenbar neugierig dem immer wiederholten Klopfen, er
gähnte wie ein aus dem Schlaf aufgeschreckter Mensch und reckte die
langen Arme; dann sahen ihn die Weißen mit trägen, langsamen Sprüngen
auf die Äste der Tamarinde klettern. Das kleine Geschöpf hatte die Höhe
von kaum einem halben Meter, der Schwanz allein aber war länger als der
ganze übrige Körper. Die untere Partie der Haare war von weichem Gelb,
die obere rotbraun und nur an den Seiten wie am Bauche grau, Schwanz und
Füße dagegen schwarz.

»Schieß nicht,« flüsterte Franz. »Ich habe von meinem Platz aus das Ziel
sicher!«

Er legte an, und als der Knall erfolgte, stürzte das Tier mit lautem
Aufschrei, sich mehrmals überschlagend, zu Boden. Es war so glücklich
getroffen, daß der Tod im Augenblick eintrat. -- Hinter seiner
schützenden Tamarinde sprach Rua-Roa in der einheimischen Mundart ein
Gebet, aus dessen hastiger Wortfolge der Name Tenn-Tenn wiederholt
auftauchte; jedenfalls versicherte er sich in so unmittelbarer Nähe der
gefürchteten Schießwaffe vor allen Dingen des Feuerriesen, ohne dessen
Gnade es nach seiner Meinung allzu leicht um ihn geschehen sein konnte.

Holms Freude war grenzenlos. Weder im Zoologischen Garten noch im Museum
fand sich dieses Tierchen; er würde also der erste sein, welcher es nach
Hamburg brachte, vorläufig freilich nur die Haut, aber doch
wohlerhalten, denn die kleine Kugel hatte das aufrecht sitzende Äffchen
in den Unterleib getroffen, so daß sich die Wunde beim Ausstopfen
verbergen ließ, ohne irgend eine Entstellung herbeizuführen.

»Jetzt laßt uns den Rückweg antreten,« rief er, nachdem dem Maki die
Haut abgezogen war, »es kann nicht weit von neun Uhr entfernt sein, wir
werden also pünktlich zur Mittagsmahlzeit eintreffen. Nachgerade sehnt
man sich, wieder eine warme Suppe und einen Schluck Kaffee zu erhalten.
Freund Rua-Roa, du hast deine Sache gut gemacht; jetzt finde auch den
Rückweg zum Babakut!«

Der Eingeborne ergriff ohne weiteres die Haut des Eichhornmaki und trug
sie sorgfältig wie einen wertvollen Schatz durch das Gebüsch. Ohne
diesen, der Umgegend so vollkommen kundigen, mit den Ortsverhältnissen
und dem Tierleben des Waldes genau vertrauten Führer hätten die kecken
Abenteurer den Rückweg zum Meer kaum wieder aufgefunden, keinesfalls
aber die beiden seltenen, so äußerst interessanten Affen erlegen und
aufspüren können. Rua-Roa sah im Moos des Weges die Spuren, wo kein
Weißer sie entdeckt haben würde; er erkannte unter den dichtstehenden
Bäumen an einer einzigen Liane oder Orchideenblüte den einzuschlagenden
Pfad; er hatte an Stellen, wo durch die grünen, lebenden Wände von
Ranken und Geflecht einer nach dem anderen sich Bahn brechen mußte, doch
noch irgend ein Zeichen bemerkt, das ihn später richtig führte. Genau an
demselben Punkt, von dem die kleine Schar ausgegangen, betrat sie wieder
die Lichtung, in deren Mitte der Eber gefallen war.

Holm griff zunächst in die natürliche, halb überwölbte und von großen
Blättern verdeckte Höhle unter den Wurzeln eines Mangobaumes, um sich
von dem Vorhandensein des Babakut zu überzeugen, zog aber auch im selben
Augenblick die Hand mit einem leichten Schmerzensschrei wieder zurück.
»Rua-Roa!« rief er, »was kann das bedeuten? Als hätten mich zehn Nadeln
zugleich gestochen!«

»Lassen Sie sehen, Bester!« sagte erschreckend der Doktor. »Ich will nur
hoffen, daß es kein Schlangenbiß ist.«

»Dann müßten zahlreiche Schlangen zugleich ihre Zähne gebraucht haben.
Alle meine Finger bluten.«

Er hob die Hand empor, aus welcher rote Tropfen auf das Moos fielen.
»Nein, nein, das sind Stichwunden, -- Junge, komm her und sage, was du
davon hältst.«

Aber Rua-Roa hütete sich, dem Babakut, der nach seiner Meinung ein
verzauberter Mensch war, näher zu treten. »Tanrak!« sagte er aus der
Entfernung. »Tanrak, Herr, er ist keineswegs bösartig oder giftig.«

Franz hatte während dieser Unterhaltung zwischen den anderen mit seinem
großen Messer die Ranken und Blätter entfernt; jetzt zerschnitt er
etliche Baumwurzeln, zog den toten Affen hervor und warf Moos und Erde
zurück, daß die Stücke flogen. Hans half nach besten Kräften und in
wenigen Minuten war die Höhlung bloßgelegt. Im Hintergrunde derselben
saßen ein paar kleine wunderliche Gesellen, die mit dem Kleide aus
Borsten und mit dem langen spitzen Rüssel sogleich von allen Anwesenden
als Glieder der Igelfamilie erkannt wurden. Nach Art dieser Tiere
versuchten sie bei ihrer plötzlichen Entdeckung keine Flucht, sondern
saßen still und unbeweglich auf einer Stelle, sonderbar anzusehen mit
den ganz schwarzen, nur von drei weißen, über den Rücken herablaufenden
Längsstreifen gezeichneten, starren Borsten, die ihre eigentliche
(Maulwurfs-) Größe zu verdoppeln schienen. Im Sommerschlaf gestört,
blinzelten sie verdrießlich und waren aus der bequemen geduckten Haltung
nicht aufzurütteln.

Franz ergriff den Affen und trug ihn auf die andere Seite des Platzes.
»Rua-Roa,« rief er, »wie fangen wir es an, die Tierchen lebend zum
Schiffe zu bringen? Haben müssen wir sie.«

Der Malagasche nahm den aus weißem Gras geflochtenen Hut vom Kopf; dann
die Hand in einen Zipfel seines langen Hemdes wickelnd, ergriff er
vorsichtig das stachlichte Pärchen und setzte es in den Hut. Mit
kräftigem Schwunge das Fleischstück am langen Stecken über seine
Schulter werfend, unter dem linken Arm die Tanraks, schickte er sich an,
wieder das Amt des Führers zu übernehmen. »Du machst dir vergebliche
Mühe, Herr,« sagte er, »weder den Babakut, noch den Aye-Aye, noch den
Tanrak kannst du essen.«

Alles lachte, so daß der Halbwilde ganz verdutzt dreinschaute. Die
beiden Brüder trugen den Babakut, Holm nahm die Haut des Eichhornmaki
und so wanderten alle zum Strande hinab, wo in grüner, lauschiger Bucht
das Boot der »Hammonia« lag, um sie an Bord des Dampfers zu bringen. Ein
fröhliches »Ahoi!« der Matrosen empfing die Wanderer, rüstige Arme hoben
all die reichliche Ausbeute an Pflanzen und Tieren in das kleine
Fahrzeug, die Kette wurde gelöst, und als der letzte von allen bestieg
Rua-Roa die Planken, welche ihn von seinem Vaterlande für immer trennen
sollten. Er schien die Insel, auf der er geboren, ohne Schmerz zu
verlassen; dagegen erregte ihm der Dampfer eine heimliche Furcht, die
sich noch steigerte, als vom Vorderteil her die Kanonen einen
Willkommensgruß über die blauen Fluten dahin und den Ankömmlingen
entgegensandten. Das rotweiße Wappen von Hamburg flog am Mast empor, der
Kapitän schwenkte grüßend den Hut; wie ein Strom von Gold lag heller
Sonnenglanz auf Schiff und Meer.

Es war diesmal den Reisenden so recht ein Nachhausekommen; es wehte sie
an wie Heimatsgefühl und sonntäglicher Friede, als sie das Deck wieder
betraten, -- nur Papa Witt hatte das alte Schelmengesicht und den alten,
unverwüstlichen Seemannshumor auch in dieser Stunde behalten. »Zwei tote
Affen und zwei lebendige Stachelschweine!« sagte er. »Gott stehe mir
bei, und dafür wären nahezu vier gute Christen von den Krokodilen
verschlungen worden. Ein anderes Mal gehe ich mit, wenn die Herrschaften
wieder an Land wollen; dann bleibt alles fein vernünftig auf ebener
Straße.«

Dagegen protestierten nun freilich die jungen Leute auf das
entschiedenste. Papa Witt sei am Lande völlig ungenießbar, versicherten
sie, er möge lieber den Koch antreiben, daß jetzt ein recht guter Bissen
auf den Tisch komme.

Holm suchte unter den Fässern im Schiffsraum ein passendes leeres aus,
in den er den Babakut legte und ihn mit Spiritus übergoß. Da jedoch
nicht aller Spiritus verwendet werden sollte und das Faß noch nicht voll
war, so füllte er den Rest desselben mit Rum aus, den ihm der Steward
geben mußte, worauf der Schiffszimmermann das Faß wieder dicht schloß
und die Fugen desselben leicht verpichte. Die Makihaut wurde in
derselben Weise mit Arsenikseife präpariert wie früher der Balg des
Nashornvogels.

Papa Witt zürnte anfangs über den Mißbrauch des guten Rums, aber als
Holm ihm erklärte, daß die anatomische Zergliederung der Affen der
Wissenschaft von größtem Interesse sei, antwortete er scherzend: »Es
wäre doch wohl besser gewesen, von dem Rum einen schönen Grog zu brauen,
als ihn dem alten häßlichen Affen zu geben, der noch dazu tot ist und
seine Güte nicht zu würdigen versteht.«

So war denn alles an Bord nur Heiterkeit und Freude. Nachdem aber mit
Essen und einem stärkenden Mittagsschlaf die ersten Stunden vergangen,
erinnerte Doktor Bolten die kleine Gesellschaft, daß es heute Sonntag
sei. Unter dem Sonnensegel am Deck wurde ein Gottesdienst gehalten, den
Rua-Roa voll schweigender Ehrfurcht, vielleicht zu seinen Heidengöttern
betend, mit anhörte. Der alte Theologe dankte dem Himmel für die Rettung
aus höchster Todesangst, stumm hing alles an den Lippen des verehrten
Mannes, leiser spielte der Wind mit den weißen Wogenhäuptern, und laut
schmetternd krähte der heilige Hahn, der Sendbote Zannaars des
Weltgeistes.




                          Sechstes Kapitel.


Während das Schiff durch den Kanal von Mozambique zurückdampfte, um nach
der kleinen Felseninsel Mauritius zu steuern, welche, als sie den
Franzosen gehörte, den Namen ^Isle de France^ führte, jetzt aber, seit
sie im Jahre 1810 von den Briten erobert wurde, wieder ihren
ursprünglichen Namen trägt, den sie zu Ehren des Kommandanten der
niederländischen Seemacht, Moritz von Nassau, erhalten hatte, gab es in
der Kajütte mancherlei für die jungen Naturforscher zu thun.

Franz hatte schon den Wunsch ausgesprochen, das genaue Abbild von einem
der Stammesgenossen Rua-Roas zu besitzen, um daheim den Freunden zeigen
zu können, wie die Ungeheuer in Menschengestalt aussehen, in deren
Gewalt sie sich befunden hatten. Holm sagte, daß unter so gefährlichen
Umständen, wie die jüngst durchlebten, es schwer halten würde, die
mißtrauischen Wilden zu bewegen, dem Zeichner oder dem Photographen
still zu sitzen, weil sie alles Fremdartige für Zauberei hielten. »Es
wird uns aber gelingen, auch milder gesinnte Wilde zu treffen und diese
werden wir nicht nur später photographieren, sondern, damit wir die
genaue Form ihres Antlitzes erhalten, auch in Gips abgießen.«

»Aha,« sagte Franz, »nun weiß ich auch, weshalb Sie sich den Gips
nachkommen ließen, Sie wollen die Wilden abformen.«

»Um dem Forscher Material zu liefern, an dem er die feineren
Rassenunterschiede der Wilden studieren kann,« erwiderte Holm, »und
damit ihr mit dieser Operation genau vertraut werdet, wollen wir die
freie Zeit benutzen, die Eigenschaften des Gipses und seine Handhabung
kennen zu lernen.«

Holm öffnete eine der Blechdosen, in der sich ein weißes Mehl befand --
der gebrannte Gips. »Dieser gebrannte Gips,« erklärte Holm, »ist
schwefelsaurer Kalk, dem durch Erhitzen das in ihm vorhandene Wasser
ausgetrieben wurde. Fügen wir dem entwässerten Gips wiederum Wasser zu,
so verbindet er sich mit demselben zu einer festen Masse, die nach dem
Trocknen hart wird. Diese Eigenschaft macht den Gips zu einem wertvollen
Material, sowohl um Gegenstände abzuformen, als auch plastische Figuren
aus demselben herzustellen. Franz, bitte den Koch um einige große
Tassen, wir wollen ungesäumt an die Arbeit gehen.« Franz that, wie ihm
gesagt war, Hans holte Wasser und Holm suchte einen Thaler hervor, der
das Bildnis des deutschen Kaisers in besonders schöner Prägung zeigte.

Zunächst nun rieb er die Münze mit einem Tropfen Öl ein, um das Ankleben
des Gipses an derselben zu verhindern, worauf er sie mit einem drei
Zentimeter hohem Rande von Schreibpapier umgab, dessen loses Ende er mit
Gummi arabikum festklebte. Franz war nicht wenig stolz darauf, das so
wichtige Klebmittel selbst geerntet zu haben, wenn auch die spitzen
Stacheln des Schotendorns seine Hände nicht wenig zerkratzt hatten. Auch
der Papierrand wurde mittels eines Pinsels mit einer kleinen Menge Öl
getränkt. Dann rührte Holm etwa einen Eßlöffel voll Gips in einer Tasse
rasch mit soviel Wasser an, daß ein nicht zu dünner Brei entstand, und
goß denselben auf die Münze, welche derart auf dem Tische lag, daß sie
selbst den Boden, der Papierstreif aber den Rand einer Schachtel
bildete.

Nach etwa fünf Minuten war der Gipsbrei bereits erstarrt. Der Papierrand
wurde vorsichtig abgenommen, worauf die erhärtete Gipsmasse auch von der
Münze getrennt werden konnte. Mit allen, selbst den feinsten
Einzelheiten war die nach oben liegende Seite der Münze in dem Gipse
abgeformt, nur mit dem Unterschiede, daß die Erhöhungen der Münze in der
Gipsmasse vertieft zum Vorschein kamen.

Die Knaben freuten sich über den wohlgelungenen Versuch. Holm trug Hans
auf, den erhaltenen Abguß dem Koch zu bringen, daß er denselben auf eine
nicht zu warme Stelle des Herdes legen möge, damit er gehörig
austrockne. Dann ließ er Franz und Hans ebenfalls Abgüsse von der Münze
machen, was ihnen, da sie gut aufgemerkt hatten, auch vortrefflich
gelang. Rua-Roa sah verwundert zu und konnte nicht klar darüber werden,
was die Weißen für sonderbare Dinge vornahmen. Holm aber sagte auf
deutsch: »Du sollst nicht lange im Unklaren bleiben, mein Junge, nachher
geht es dir, wenn auch nicht an den Kragen, so doch an dein gelbes
Menschengesicht.«

Als die vorhin hergestellte Form auf dem Herde trocken geworden war,
tränkte Holm sie mit etwas Öl und umgab sie ebenso wie vorher die Münze
mit einem Rande von Papier. Dann goß er frischen Gipsbrei hinein,
wartete bis derselbe festgeworden und konnte dann die beiden Gipsstücke
leicht von einander ablösen. Das zweite Gipsstück zeigte nun ein genaues
Abbild der ursprünglichen Münze, das Bildnis des Kaisers, die Umschrift
und alle feinen Zeichen derselben. Die erste Form nannte er die
Hohlform, die zweite den Abguß. Den Knaben war nun klar, daß wenn man
einen Gegenstand plastisch in Gipsabgüssen vervielfältigen will, vor
allen Dingen zuerst eine Hohlform hergestellt werden muß. Nachdem die
Knaben gelernt hatten, wie der Gips zu behandeln sei, sagte Holm zu
Rua-Roa: »Nun kommst du daran, mein Teuerster, lege dich da einmal auf
den Fußboden.« Rua-Roa that wie ihm gesagt wurde, denn bis jetzt hatten
die Weißen ihm keinerlei Leides gethan, er hatte volles Vertrauen zu
ihnen.

Dann stellte Holm aus einem großen Thonklumpen durch Rollen auf einem
Brette eine große, lange Wurst her, die er dem auf der Erde Liegenden so
um das Gesicht herum legte, als wollte er ihm ein Zahntuch aus Lehm
umbinden. »Dieser Thonwulst soll das Herabfließen des Gipsbreies
verhüten,« sagte Holm, »und damit derselbe sich nicht in Rua-Roas
Augenbrauen festsetzt, bedecken wir dieselben mit feinem, ölgetränkten
Seidenpapier.«

»Aber erstickt Rua-Roa nicht, wenn wir ihm das ganze Gesicht voll Gips
gießen?« fragte Franz.

»Wir befestigen ihm mit etwas Lehm in jedem Nasenloch einen Strohhalm,«
erwiderte Holm, »dadurch kann er hinreichend atmen. Das haben sich vor
ihm schon manche Wilde gefallen lassen müssen, und er wird auch nicht
der letzte sein, zumal der ganze Vorgang keine fünf Minuten währt.«
Rua-Roa ließ sich geduldig das Seidenpapier auf die Augenbrauen und
anderen Stirnhaare legen, auch gegen das Einölen des Gesichtes machte er
keine Einwendungen. Als Holm ihm aber die Strohhalme in die Nase
befestigen wollte, sprang er auf und weinte. Das war ihm zu viel. Keine
Bitten konnten ihn bewegen sich wieder niederzulegen, er glaubte, daß
man ihn umbringen wolle. »Doktor,« rief Holm, »reden Sie ihm zu, er hat
ja selbst gesagt, daß er Ihr Sklave sein wollte. Spielen Sie einmal den
Plantagenhalter und brauchen Sie Ihre Autorität.« Doktor Bolten lächelte
milde und ging auf Rua-Roa zu. »Mein Sohn,« sagte er, »der mutige Knabe
hat dich aus dem Rachen des Krokodils gerettet und war in Lebensgefahr
deinethalb, wie wir alle. Kannst du glauben, daß deine Erretter dir
Schaden zufügen wollen? Sieh, wir verlangen nur einen kleinen Dienst von
dir, du wirst doch eine geringe Unannehmlichkeit ertragen können, um
deinem Dank Ausdruck zu geben, von dem du in so beredten Worten
gesprochen. Nicht Worte machen den Dank, sondern die That.«

Rua-Roa hörte auf zu weinen. Er sah zu komisch aus mit dem vom Lehm
eingerahmten Gesichte und den Thränen, die von der eingeölten Haut
herunterliefen, wie das Wasser von den fettigen Federn einer Ente. Dann
legte er sich ergeben auf den Rücken und wartete der schrecklichen
Dinge, die da kommen sollten. »Schließe die Augen und den Mund, atme
langsam durch die Strohhalme,« rief ihm Holm zu, der in einer großen
Schüssel den erforderlichen Gipsbrei anrührte. »Und nun nicht gemuckt,
freundlich gelächelt, damit du später nicht als Heulmeier in Gips
erscheinst.« Bei diesen Worten schüttete Holm den bereits im Erstarren
begriffenen Gips auf das Gesicht Rua-Roas, der sich wirklich Mühe gab zu
lächeln. »Halte dich ruhig, mein Junge,« ermutigte Holm den Daliegenden,
der eine unförmliche Maske von Gipsbrei vor seinem Gesichte hatte, »und
schnaube mir nicht zu sehr. Es ist dein eigener Schade, wenn die
Hohlform von deinem ehrenwerten Antlitz nicht gelingt, denn dann, mein
Lieber, mußt du noch einmal daran. -- So,« rief Holm, »der Gips ist
bereits erhärtet.« Er entfernte zuerst die Strohhalme, dann lüftete er
die Gipsmasse bald an der einen Seite, bald an der anderen, um sie
allmählich zu lockern, und hob sie behutsam von dem Antlitz Rua-Roas ab.

Rua-Roa that einen tiefen Atemzug und sprang auf. Holm überzeugte sich,
daß die Hohlform vorzüglich gelungen sei, und sagte: »Du sollst schön
bedankt sein für dein ruhiges Verhalten, Ruachen. Jetzt gehe nur mit
Franz zum Koch, daß derselbe dir lauwarmes Wasser und Seife gibt, um dir
Lehm und Öl abzuwaschen.« Rua-Roa sprang fröhlich von dannen, von Franz
begleitet. Während der Gelbe sich von den letzten Spuren der glücklich
überstandenen Tragödie befreite, ging Franz an seinen Reisekoffer, dem
er ein schönes Taschenmesser entnahm. Dieses schenkte er Rua-Roa, der
kaum ein Wort des Dankes finden konnte, aber dem jungen Weißen die Hand
treu und ehrlich drückte.

Am nächsten Tage wurde aus der Hohlform ein Abguß gemacht und Rua-Roas
Antlitz präsentierte sich, wenn auch mit geschlossenen Augen, so doch,
wie es ja auch nicht anders sein konnte, naturgetreu und ähnlich.

»Ein Apollokopf ist es nicht,« meinte Holm, »aber es ist das Gesicht
eines treuen, guten Menschen, er hat sogar versucht freundlich zu
lächeln, wie ich ihm sagte.«

»Schade daß der Abguß so weiß aussieht,« sagte Hans, »ich hätte Lust ihn
farbig anzumalen, dann würde er unserm neuen Kameraden erst recht
ähnlich sehen. Aber woher sollen wir soviel Farbe nehmen, der
Tuschkasten würde darauf gehen.«

Auch hier wußte Holm wieder Rat. »Der Schiffszimmermann wird Farben
haben, mit denen er die einzelnen Teile des Schiffes anzustreichen
pflegt. Wir gebrauchen ja nur Gelbweiß für die Haut, Rot für die Lippen
und Schwarz für die Haare.«

Der Zimmermann war glücklicherweise im Besitz des Gewünschten. Holm
mischte die Farben und Hans malte den Gipsabguß, während Rua-Roa Modell
sitzen mußte, damit die Farben auch mit dem Originale übereinstimmten.
In einer halben Stunde war das Werk vollendet. Als Rua-Roa die
kolorierte Gipsmaske sah, erschrak er. »Ach -- Malagasche!« rief er und
wollte fliehen. »Laufe nur nicht vor dir selbst weg,« lachte Holm, und
nur mit Mühe konnten sie den Wilden dazu bringen, sein eigenes Abbild
schließlich in die Hand zu nehmen und sich zu überzeugen, daß es kein
lebendes Wesen sei, was er hielt. Die Matrosen bewunderten dies
Kunstwerk, und einige wünschten, sie möchten auch so abgegossen werden.
Holm aber sagte, daß sie photographiert werden sollten, sobald die
Gelegenheit günstig wäre, das Abgipsen sei für die Wilden. Franz wandte
jedoch ein Bedenken gegen diese Prozedur ein. »Wenn schon Rua-Roa sich
so sehr sträubte, werden dann auch die Wilden sich hergeben, die uns
lange nicht so freundlich gesinnt sind wie jener?« fragte er. -- »Nur
mit reichen Geschenken wird es uns gelingen, ein lebendes Modell zu
gewinnen,« antwortete Holm, »und dann auch nur schwierig. Ihr könnt
hieraus ermessen, welche Mühe und welche Energie dazu gehört, das
Material für den Forscher in genügender Reichhaltigkeit
zusammenzutragen, und wenn ihr später einmal wieder ein ethnographisches
Museum besucht und solche Gipsabgüsse seht, dann werdet ihr nicht
achtlos vorüber gehen, sondern daran denken, daß an jeden Kopf sich ein
Kampf knüpft, wenn auch nur der friedliche der Überredung.«

»Mit der nächsten Post schicken wir Rua-Roas Abguß nach Hamburg,« sagte
Franz, »damit sie dort sehen, wie der gute Bursche ausschaut, der uns
das Leben retten half.«

»Und den ersten Wilden, der sich mir anvertraut, werde ich abgipsen,«
rief Hans. »Ihr sollt sehen, ich werde meine Sache schon gut machen.«

Am Nachmittage wurde an einer kleinen öden Insel angelegt, die nur von
Fregattvögeln, Albatrosarten und Tölpeln bewohnt war, auf die Jagd
gemacht werden sollte.

In großen, bis über die Kniee hinaufreichenden Seestiefeln, mit Waffen
und Proviant versehen, machten sich die Knaben in Holms und einiger
Matrosen Begleitung auf den Weg, während der alte Geistliche dieser
Unternehmung fernblieb. Gefahren gab es nicht zu überstehen, wohl aber
mußte man unausgesetzt klettern, und das überließ er denn doch lieber
den jüngeren Beinen.

Durch Röhricht und Schilf, über Klippen und Vorsprünge, durch flache
Seeen ging es dahin, Rua-Roa und Franz immer voran und hinter ihnen die
übrigen, mit Einschluß des Kapitäns, dem es Vergnügen machte, eine
kleine auf diesen wüsten Inseln häufige Taubenart zu schießen. Die
anderen verfolgten freilich interessantere Zwecke, sie fingen und
erschlugen oder schossen vom Nest weg die Vögel, welche ihnen kaum aus
dem Wege hüpften, sondern ganz zutraulich sitzen blieben, da sie ja in
den Menschen noch keine Feinde kannten. Ein Kauffahrteischiff kommt
selten in diese entlegenen Gegenden, viel weniger ein Postdampfer; die
riesigen Anwohner des Meeres nisten also und brüten von Geschlecht zu
Geschlecht in ungestörter Ruhe, nur sehr selten von dem Besuch des
Naturforschers überrascht und um einige Glieder ihrer ausgedehnten
Familie ärmer gemacht. Weiße, bis zu reichlich drei Meter Flugbreite
haltende Albatrosse, ihre jüngeren braunen Sprößlinge, die großen
Fregattvögel und in Scharen die grauen Tölpel, so saß es und watschelte,
so flatterte und flog es zwischen den Klippen, wie wenn die wüste,
vielleicht kaum den Flächeninhalt eines Marktplatzes besitzende Insel
ein zoologischer Garten wäre, wo man künstlich gezähmte, fremde Tiere
ungestört von Angesicht zu Angesicht bewundern kann; aus allen Löchern
kamen Raubmöwen und Sturmtaucher hervor; auf jeder Klippe krochen
riesige, graue Krabben, die hier von dem leben, was die Vögel als Beute
ihren Jungen zutragen, und die in der Nähe eines solchen Nestes förmlich
auf der Lauer liegen.

Im tiefsten Grunde der Insel brüteten allemal zu Tausenden die Pinguine,
deren scharfe Schnabelhiebe zuweilen, wenn sie an den derben Stiefeln
abglitten, ein schallendes Gelächter, wenn sie dagegen eine unvorsichtig
herabhängende Hand trafen, einen Schmerzensschrei hervorriefen. Die
Tiere blieben ruhig sitzen, wollten aber eine Annäherung ihrerseits
nicht gestatten und verteidigten daher die Nester, auf denen sie
hockten, mit solcher Entschlossenheit, daß mancher Umweg dieser starken
Schnäbel wegen gemacht werden mußte. Eier und erlegte Tiere aller
Gattungen waren stets die Ausbeute solcher Streifzüge, die freilich
nicht immer ohne Unfall verliefen und einmal sogar das Leben der jungen
Abenteurer ernstlich bedrohten. Ein plötzlicher Sturm drängte das Schiff
von den Ufern der Klippe zurück, die Brandung ging haushoch, das Boot
zerschellte in tausend Splitter, und Wind und Wasser fegten wie rasende
Kobolde über den einsamen Fleck im rings sich dehnenden Ozean dahin.
Ganze Sturzseen schlugen über den äußern Rand, Legionen von Tropfen
regneten herab, und das donnerähnliche Geräusch des Sturmes verschlang
jeden Laut. In Scharen wiegten sich Fregattvögel und Albatrosse, des
Tobens froh, in der bewegten Luft; flügelschlagend kämpften sie gegen
das empörte Element, rings umher entfaltete sich die Thätigkeit aller
dieser meergewohnten Geschöpfe mit verdoppelter Stärke; nur die Menschen
standen ratlos neben einander im Schutze eines Felsstückes, sie allein
hatten zu fürchten, daß dem Schiffe ein Schaden geschehe, und daß sie
dann in dieser grauenvollen Wildnis ohne irgend ein Lebensmittel, ohne
Baum oder Feuer, dem qualvollsten Untergang verfallen würden, -- Stunden
vergingen, die Mastspitzen der »Hammonia« verschwanden am Horizont, die
ganze Insel triefte, und selbst das harte Schiffsbrot in den Taschen war
aufgeweicht und zu Brei verwandelt; dann aber sprang der Wind nach
anderer Richtung über, seine Wut ließ nach, und vor Sonnenuntergang
sahen die unfreiwillig Verbannten das Schiff, dessen Kanone ihnen von
Viertelstunde zu Viertelstunde einen Gruß gespendet, im fernen Blau
wieder auftauchen. Papa Witt schickte sechs Matrosen mit einem Boote ans
Ufer, und nach beschwerlicher Überfahrt, bei der jedoch die Jagdbeute
glücklich geborgen wurde, hatten alle das rettende Deck wieder erreicht.
Dennoch aber war damit der Krieg gegen die Vogelwelt keineswegs als
beendet anzusehen. Zahllose große Vögel verfolgten, nach Abfällen
spähend, das Schiff, namentlich Albatrosse, auf die dann die Matrosen
Jagd machten, indem sie an langer Leine einen Angelhaken, in Fleisch
versteckt, dem Dampfer nachschwimmen ließen. Die Vögel stürzten sich auf
den ersehnten Bissen, verschlangen ihn und flogen nun in Todesangst,
bang flügelschlagend, so weit es die Schnur gestattete, bis die
glücklichen Jäger ihre Beute ohne alle Mühe heranzogen. Doktor Bolten
erwirkte indessen sehr bald bei dem Kapitän ein Verbot dieser grausamen
Belustigung, welche keinerlei ernsten Zweck hatte, sondern nur als
Zeitvertreib diente. Das Fleisch des Albatros ist ungenießbar, seine
Federn nicht zu brauchen; also mochten die großen, schönen Tiere leben,
wo sie niemand schadeten, im Gegenteil vielleicht das Auge des Schiffers
im Einerlei der Meeresfläche angenehm berührten.

Die Angeln wurden daher entfernt, und die Albatrosse blieben
unbehelligt, ebenso die Tölpel, welche sich oft ganz dreist auf das
Schiff setzten und sogar mit den Händen berühren ließen. Die dummen,
grauen Tiere waren bei all ihrer Geistlosigkeit doch sehr schlaue
Fischer, und immer, wenn sie irgend ein schwimmendes Geschöpf, Qualle
oder Flossenträger, gefangen hatten, zeigte sich's, weshalb die
Fregattvögel so beharrlich in ihrer Nähe blieben. Der Tölpel ist der
Leibeigene des Fregattvogels, er fängt die Beute, und jener verspeist
sie.

Die Knaben saßen unter dem Sonnensegel des Verdecks und beobachteten das
beständig wechselnde Spiel. In der Nähe des Schiffs, hart über dem
Wasser, schwebten mit vorgestrecktem Halse die grau und schwarz
gesprenkelten, etwa an Größe einem starken Raben gleichenden Tölpel und
wußten geschickt unter der beweglichen blauen Oberfläche des Meeres die
auftauchenden Fische zu entdecken. Sie schossen hinab und brachten, nie
ihr Ziel verfehlend, den zappelnden Flossenträger im Schnabel mit sich
herauf, aber schon ehe noch die Segelstange oder der Mast, wo sie ihren
Raub zu verzehren dachten, halbwegs erreicht war, fielen die bedeutend
größeren Fregattvögel über sie her, preßten ihnen die Kehle zusammen und
nahmen den gefangenen Fisch dem eigentlichen Räuber siegreich wieder ab.

Einmal fiel solch ein kämpfendes Paar, in einander verbissen, plötzlich
durch die Segel weg auf das Verdeck, und nun entstand eine höchst
ergötzliche Szene. Aus einer der Seitenkojen im Matrosenraum sprang
Murr, der große, schwarze Schiffskater, plötzlich mit Tigersprüngen
hervor und blieb fauchend dicht neben den Ringern auf den Hinterfüßen
sitzen. Seine von Zeit zu Zeit in die Luft schlagende Pfote, seine
funkelnden Augen und das gereizte Knurren bewiesen nur zu deutlich, wie
gern er über die beiden großen Vögel hergefallen wäre, aber die heftigen
Flügelschläge, die scharfen Schnabelhiebe des Fregattvogels mochten ihn
doch in respektvoller Entfernung halten, während ihrerseits die
kämpfenden Segler der Lüfte von dem gefahrdrohenden Feind in ihm keine
Ahnung hatten, sondern unbekümmert mit lautem Krächzen den eigenen
Streit fortsetzten. Der Tölpel hielt beharrlich den gefangenen Fisch im
Schnabel, wußte sich aber so zu drehen, daß es dem Fregattvogel nicht
gelang, seinen Hals zu umklammern, obwohl ihn die scharfen Fänge
desselben unerbittlich gepackt hielten.

Die riesigen Flügel, bald weit ausgebreitet, bald fest an den Körper
gelegt, peitschten das Deck, herausgerissene Federn wirbelten in der
Luft umher, und Blutstropfen färbten den Boden, -- der Fisch hatte
bereits zu leben aufgehört, aber immer noch währte der Kampf, als
endlich die lachenden, mit gespannter Aufmerksamkeit den Vorgang
beobachtenden Knaben ihren jungen Hova-Freund herbeiriefen. »Rua-Roa!
komm her, komm her, sieh die Katze, -- es ist um sich die Seiten zu
halten.«

Der Malagasche kam schleunigst herbeigesprungen, sobald aber seinem
suchenden Blick Murr, der wohlgenährte Rattenvertilger, begegnete, fiel
er vor Schreck auf die Kniee und hob beide Hände zum Himmel empor.
»Zannaar!« rief er in Todesangst, »Zannaar! Darafif, großer Riese, steht
uns bei! Angatsch der Böse, der Mörder und Betrüger, hat seinen Diener
auf das unglückliche Schiff geschickt!«

Zufällig machte in diesem Augenblick Murr den bekannten hohen Buckel,
sein langer Schweif fegte im Halbkreis unruhig das Deck, die
grünschillernden Augen leuchteten vor Kampflust, er ersah den günstigen
Moment, in welchem der Fregattvogel außer stande war, sich mit seinem
Schnabel zu verteidigen, und stürzte sich geräuschlos nach Tigerart
urplötzlich auf die Streitenden. Ein kurzer, schriller Schrei -- dann
hatte der große Vogel zu leben aufgehört; der Tölpel dagegen saß
geduckt, dumm glotzend und sich schüttelnd auf den Brettern. Als ihm
niemand mehr die Beute streitig machte, ergriff er seinen Fisch und
verschlang ihn mit gierigem Ruck.

Der Malagasche betete fortwährend in der Hova-Sprache zu allen möglichen
guten Geistern um Erlösung vom Übel; keine Macht der Erde hätte ihn
bewegen können, den sieghaften Kater zu streicheln, und selbst als die
beiden andern Knaben das thaten, schauderte er sichtlich. Auf ganz
Madagaskar sei kein solches Tier zu finden, erklärte er, es müsse ein
böser Geist sein.

Doktor Bolten wehrte den Knaben, als sie ihren jungen Freund zwingen
wollten, sich mit Murr, dem Schnurrenden, Behäbigen, auf vertrauten Fuß
zu stellen. Er hatte den religiösen und geschichtlichen Unterricht,
welchen er dem ehemaligen Sklaven erteilte, so eingerichtet, daß der
Geisterglaube ganz von selbst dem besseren Erkennen weichen mußte; jeden
äußeren Zwang erklärte er für schädlich. Der Kater lief frei im ganzen
Schiff herum, aber man ließ es scheinbar unbemerkt, wenn Rua-Roa mit
wahrhaften Seiltänzerkunststückchen der Begegnung des Schwarzen auswich;
seine Freunde überließen es der Zeit, ihn von dieser kleinen thörichten
Furcht zu heilen, namentlich da der Gelbe in jeder Beziehung achtbar und
liebenswürdig auftrat, sich seinen Wohlthätern dankbar bewies und im
Lernen die besten Fortschritte machte.

Besonders mit den beiden aus Afrika herübergebrachten Affen hatte er
sich in das glücklichste Einvernehmen zu setzen gewußt. Wickelschwanz
und Schwarznase schienen für den jungen Farbigen eine besondere
Zuneigung zu hegen; sie saßen auf seinen Schultern, fraßen aus seiner
Hand und gehorchten ihm auf das erste Wort, den Widerwillen ihres
Bezähmers gegen Murr in jeder Weise teilend. Der faule Kater erhielt von
den flinken Händen mehr als eine Ohrfeige, und wenn zuweilen bei stillem
Wetter der Schwarze und die beiden Affen sich im Takelwerk jagten, dann
klang erbittertes Prusten, Schreien und Miauen über das Deck hin, bis
meistens der Kater urplötzlich herabfiel und sich schleunigst unter den
Kojen der Mannschaft verkroch.

Die beiden Tanraks dagegen sollten nicht lange zur Unterhaltung der
Knaben dienen. Nachdem die letzten auf den öden Inseln gesammelten
Würmer verzehrt waren, weigerten sich die Tierchen, irgend eine andere
Nahrung zu nehmen, und starben ehe noch die Insel Mauritius erreicht
wurde. Die Tiere wanderten zu dem Affen in den Spiritus und wurden mit
allen übrigen gesammelten Gegenständen von Port St. Louis, der
Hauptstadt der Insel, nach Hamburg geschickt.

Das Schiff verließ indessen nach sehr kurzem Aufenthalt diesen Hafen und
setzte die Reise bis zur Fouqué-Insel fort. Erst da wurde Anker
geworfen.

»Auf Mauritius haben wir für unseren besonderen Zweck keinen günstigen
Boden,« erklärte Holm, »das Tierleben der Insel ist arm, ursprüngliche
Bewohner, also einen eingebornen Stamm hat sie gar nicht, es führen
Landstraßen von einem Ende zum andern; kurz, Hoffnung auf
naturwissenschaftliche Entdeckungen oder interessante Abenteuer ist
nicht vorhanden. Die kleine Fouqué-Insel muß uns entschädigen.«

»Später machen Sie dann noch einen Spaziergang auf den Bambu-Pik,«
schaltete der Kapitän ein, »jedenfalls verlohnt die Aussicht dieser
Mühe, nebenbei aber begegnen Ihnen doch auch vielleicht einige
Eidechsenarten, indische Meerkatzen und viele schöne Pflanzen.«

»Wollen sehen!« nickte Holm. »Erst zur Fouqué-Insel.«

Und so warf denn der Dampfer in stiller Bucht seine Anker aus.
Unübersehbar dehnte sich vor den Blicken der Reisenden das Korallenriff,
welches die ganze Insel Mauritius wie ein Gürtel umgibt und von den
weißen Brandungswellen des Meeres bei hoher Flut fast völlig überschäumt
wird. Daran lehnt sich, flach und ohne einen einzigen Baum den glühenden
Sonnenstrahlen preisgegeben, ein kleines, unbewohntes Eiland, dessen
ragender Leuchtturm den Schiffen als Warnungszeichen dient. Es war
gleichsam eine Fortsetzung des Riffes, dessen oberste platte, von den
Wogen geglättete Fläche zur Ebbezeit einen vorsichtigen Spaziergang
recht wohl gestattete, zugleich aber wurde auf seinen Strand alles das
geworfen, was die brandenden Wellen an toten und lebenden Bewohnern des
Meeres mit gewaltiger Kraft emporhoben, und was späterhin, bei dem
schnellen Sinken derselben, von tausend Zacken und Riffen festgehalten,
den Rückweg in das heimische Element nicht mehr fand.

Es war Ebbe, als das große Boot die Reisenden zur Fouqué-Insel brachte.
Im Schatten des Leuchtturms wurde ein Zelt aufgeschlagen, frische
Früchte und Lebensmittel von Mauritius herübergeschafft und Haken und
Netze, sowie einige Eimer aus dem Schiff mitgenommen. Die Flut brauste
heran, nachdem kaum die nötigsten Vorarbeiten beendet waren. Haushoch,
in kurzen Pausen, schlugen weißgekrönte, wie flüssiges Silber schäumende
Wellen gegen das Riff, ein Donnern und Grollen, ein Zischen und
Klatschen wie es die Reisenden nie vorher gehört, erfüllte rings die
Luft; Tausende von fliegenden Fischen erhoben sich, flutgetragen, blau
und violett schillernd im Sonnengold, mit Schaumperlen übergossen in
jeder Woge; große Quallen zeigten ihre Ungestalt; Fische mit dem Gesicht
und der Brust eines wohlgenährten, runden Vogels, mit Taubenaugen, aber
derben drohenden Zähnen, wiegten sich in der Wassermenge, bunte
Velellen, Krebse mit langen Scheren und Wasserschlangen tauchten auf und
ab. Stunden vergingen, ehe dies wechselnde Spiel mit dem Eintritt der
Ebbe endete, aber doch schien es jedem der Anwesenden, als habe er erst
seit wenigen unzulänglichen Augenblicken den Ozean in dieser seiner
großartigen Pracht bewundert, doch wurde die letzte am Fuße des Riffs
zerfließende Welle wie ein scheidender Freund bedauert.

Jetzt galt es, die schlüpfrigen Stellen abzusuchen und von den
aufgefundenen Tieren die schönsten Exemplare einzusammeln. »Immer nur
einige von der gleichen Gattung,« hatte Holm ermahnt, »es soll kein
Tier, das für unsere Sammlungen taugt, übersehen, aber auch keines aus
bloßem Mutwillen getötet werden.«

Rua-Roa zeigte sich beim Hinausgehen auf den schlüpfrigen, vielleicht
fünfzig Fuß hohen und ebenso breiten Damm im Anfang etwas zaghaft.
Löcher und Fugen, Risse und Spalten überall; hier ein klarer Teich, in
dem das Seewasser schäumte und brodelte; hier eine Kluft, die mühsam
übersprungen werden mußte und dort sogar eine plötzliche Teilung des
Weges, drei oder vier schmale Pfade, kaum fußbreit, zackig, von Schleim
überzogen, -- so zeigte sich das Riff, dessen Gefüge erst viel tiefer
nach unten sich zur dichten, von keinem Spalte mehr durchlöcherten Mauer
verstärkte. Hier oben in den jüngsten Korallenschichten war alles Berg
und Thal, alles von Poren zersetzt, von den Gängen und Höhlen unzähliger
Wassergeschöpfe wie ein Bergwerk untergraben.

Franz hüpfte, ohne sich viel nach Beute umzusehen, über den schlüpfrigen
Weg dahin. Rechts das Meer, links ein stiller blauer Wasserstreif und
dann die malerischen, von üppigem Baumwuchs bestandenen Ufer der Insel
Mauritius -- so bot sich dem staunenden Blick ein Bild der höchsten,
blendendsten Naturschönheit. Der Wald da drüben schien ein seltsam
doppelter; erst unten das Dickicht, von Ranken und Blumen durchflochten;
dann die stolzen, himmelanstrebenden Palmenstämme mit ihren schönen,
federartigen Kronen, die Kampeschen und Agaven, der nie fehlende Bambus
und die breitästige Tamarinde. Während so im Verein von Formen und
Farben die Pracht des Ufers den Sinn bewältigte, fesselte auf jedem
einzelnen Schritt Neues, Niegesehenes die Blicke. Seeigel, Seesterne,
Schnecken und Seewalzen, alles krabbelte, schwamm oder glitt über- und
durcheinander. Besonders die schönen Seeanemonen, welche fest auf den
Gesteinen saßen, erregten Holms Aufmerksamkeit; er nahm sie sorgfältig,
jede Berührung vermeidend, mit einem großen Holzlöffel aus den Lachen
heraus und setzte sie in einen Eimer, den zu diesem Zweck der Koch hatte
liefern müssen. Um sie zu erhalten und lebend dem zoologischen Garten in
Hamburg zuzuführen, schlug er mehrere Stücke des Korallenriffes ab, die
dann in einem größeren Behälter den seltsamen Halbtieren zum Anklammern
dienen sollten; mittels täglicher Zuführung von frischem Seewasser
dachte er sie wohlerhalten über den Ozean zu bringen. Hier waren alle
Arten vertreten, die purpurnen, gelben, violetten und ganz weißen;
ferner die Seesterne, deren Formen sich am besten mit sogenannten
Kotillonorden vergleichen lassen, bald rund und strahlenbildend, bald
wie Schleifen, dann wie Perlenschnüre oder wie eine gelbe, in der Mitte
gebundene Garbe, -- die Seespinnen in ihren verschiedenen, alle am Lande
lebenden Arten weit überragenden Größen, die hübschen roten Ringelwürmer
mit dem federgleichen Häubchen und endlich das Heer der Krebse, die nun
freilich ohne Erbarmen samt und sonders in einen Eimer wanderten, um
folgenden Tages das Mittagsmahl verschönern zu helfen. Junge
Einsiedlerkrebse trugen noch das Schneckenhaus, in welchem sie bis zur
Ausbildung der Scheren ihren Hinterkörper zu verbergen pflegen, auf dem
Rücken; die alten dagegen setzten selbst jetzt noch, wo sie im Riff
hilflos hängen geblieben waren, ihre erbitterten Kämpfe fort und wurden
zuweilen paarweise mit in einander verschlungenen Scheren eingefangen.
Gold- und Silberfische, Papageienfische, in allen Farben schillernd, und
zahllose Schnecken krochen zwischen den Spalten; auch eine andere Art
von Geschöpfen, das baumartige Pflanzentier fehlte nicht; Glasschwämme
und der gemeine Badeschwamm, irgendwo vom Grunde durch überlegene Stärke
losgerissen, hatten sich an einer spitzen Klippe gefangen und fielen
jetzt den emsigen Forschern zur Beute; braune und grüne Algen, unter
anderen der bekannte Seetang, lagen zu ganzen Haufen über einander
geschichtet und dienten den Wasserkäfern als Schlupfwinkel; auch die
große weiße, nach innen rötliche Muschel wurde in den Fugen des Gesteins
entdeckt und mußte in den Sack, welchen Holm trug, mit hinein wandern,
obwohl sie ihn fast gänzlich ausfüllte und die Last zu einer sehr
schweren machte. Stunden waren vergangen, ehe man an den Rückzug dachte;
ein lüsterner Hai mit greulichem Rachen schwamm hart neben dem Riff im
Meer hin und her, vielleicht in unbestimmter Ahnung die kommende Flut
erwartend und sich des nahen Raubes freuend; die Sonne stand schon tief
am Horizont, der Wind wehte frischer und die Kräfte der Suchenden
bedurften der Stärkung, -- noch eine halbe Stunde, dann kam die Flut,
dann war alles, worauf jetzt die Füße so sicher standen, von blauem
Gischt überschäumt. Schon hob sich im Grunde die See unmerklich gegen
den Wall, schon tönte als Verkünder des donnerähnlichen Tobens ein
leichtes Brausen und mahnte zum Rückzug.

»Karl,« rief Franz, »könnten wir nicht bis zum letzten Augenblick hier
oben bleiben? Ich möchte von hier aus das majestätische Heranrauschen
der großen Wogen beobachten. Sieh den Hai, er überlegt, wann wir ihm den
unverschämten Rachen füllen werden.«

Holm schüttelte den Kopf. »Das bleibt denn doch besser ungeschehen,
Franz! -- Was verschlägt dir's, ob du die Wellen von einer oder der
anderen Seite siehst?«

»Ich möchte sie gern mir selbst entgegenspringen lassen und -- am
allerliebsten hier oben im Gischt stehen bleiben, wenn die höchste Flut
da ist.«

»Die vielleicht sechs oder sieben Fuß über den Damm hinauswächst und den
grünlichen Hai da unten bis hierher trägt. Ich verzichte darauf, ihm
Aug' in Auge gegenüber zu stehen.«

Franz lachte, plötzlich aber bückte er sich und deutete auf einen
Gegenstand, der vor seinen Füßen in der nächsten Spalte steckte. »Wieder
eine solche Muschel,« rief er, »und noch schöner als die erste. Karl,
wir müssen sie notwendig herausbrechen.«

Der junge Gelehrte betrachtete mit fast zärtlichen Blicken die
Rosaschale, den weißen, feingefalteten Rand und das bequem eingebettete
Tier, welches diese schöne Heimat bewohnt. »Wahrhaftig,« antwortete er,
»du hast recht, Junge! -- und da noch, und da! -- bei Gott, ein ganzes
Lager von Schaltieren! Grüne, blaue und diese braunfleckigen, ich bitte
dich, sieh her!«

Er warf den Sack zu Boden und kniete neben der Rinne, wo im klaren
Wasser alle möglichen Muscheln und Schnecken sich angehäuft hatten. »Der
indische Ozean ist für diese Tiergattung so recht die wahre Fundgrube,«
fuhr er fort. »Wir müssen hier einsammeln, was irgend erreichbar ist;
eine so günstige Gelegenheit wird uns höchst wahrscheinlich nicht wieder
zu teil. Entweder liegen die Korallenbänke unter Wasser, oder sie sind
unzugänglich; -- ach, da hätten wir dich, ^Tridacna gigas^!«

Er hob eine Seite der Schale mühsam empor, fand aber, daß es ihm
durchaus unmöglich sei, die ganze Muschel von ihrem Platze zu entfernen.
Und doch war das Exemplar so schön, eines der größten seiner Art; er
mußte es haben.

»Hört,« rief er den übrigen zu, »geht zum Leuchtturm und schafft mir ein
paar von den dort stationierten Wächtern oder zwei von unseren Matrosen,
damit diese Muschel nicht verloren werde. Die nächste Flut könnte sie
wegspülen.«

»Ich bleibe bei dir!« rief Franz.

Der Doktor, Hans und der Malagasche beluden sich mit dem bereits
gemachten Fang, und nachdem sie thunlichste Eile versprochen, kehrten
alle drei auf dem schlüpfrigen Pfade zur Fouqué-Insel zurück, während
Holm und Franz emsig so viele von den kleineren Muscheln losbrachen, als
sich ohne Beistand erreichen ließen; weder einer noch der andere
bemerkte, daß die Flut unaufhörlich stieg, ja, daß die Spitzen der Wogen
jetzt schon bis auf wenige Fuß an das Plateau des Riffes hinaufgriffen.
Nur einmal zog Holm die Uhr und sah nach. »Ach, Gottlob, noch zwanzig
Minuten, das ist Zeit genug.«

Die anderen gingen indessen weiter. »Hütet euch, Kinder,« ermahnte der
alte Herr, »ich bitte dich, Hans, bleib in der Mitte. Das ist ein
verzweifelter Weg!«

Er sah immer vor seine Füße, zeigte ängstlich den beiden Knaben jeden
Spalt und jede Lache; von den Gesetzen der Flut und Ebbe wußte er
vielleicht überhaupt nur das Alleroberflächlichste und vertraute
rücksichtlich dieser Dinge auch durchaus seinem jungen Reisegefährten.
Daher kam es, daß er dem Meere keinen Blick schenkte, sondern vielmehr
erleichtert aufatmete, als die gefährliche Expedition zu Ende und das
Zelt unter dem Leuchtturm glücklich erreicht war.

Eimer und Netze, sowie der große Sack wurden geleert; dann lief Hans
hinauf und bot den Wächtern ein Trinkgeld, wenn sie helfen wollten, die
große Muschel aus dem Riff hervorzuziehen.

»Morgen,« antwortete kopfnickend der Portugiese. »Jetzt wäre vor
Eintritt der Flut keine Zeit mehr!«

Hans erschrak sehr. »Die anderen sind noch auf dem Riff! -- Mein Himmel,
es droht ihnen doch keine Gefahr?«

Die Schiffer, der englischen Sprache alle mächtig, eilten zu einem der
Fenster und sahen jetzt in ziemlicher Entfernung die beiden knieenden
Gestalten, welche, an der Landseite des Riffes beschäftigt, offenbar das
Meer durchaus vergessen hatten. Worte, ja selbst der lauteste Schrei aus
Menschenbrust konnten hier nichts ausrichten; rasch entschlossen also
ergriff einer der Männer das große, an der Wand hängende Nebelhorn und
ein langgezogener dumpfer Ton brauste über das Wasser dahin.

Da unten in der Tiefe drehte Franz den Kopf. War das ein Signal? --
»Karl,« rief er, »Karl, die Flut ist da!«

Der junge Gelehrte fuhr auf wie von einem Schusse getroffen. »Die Flut?
-- Gott im Himmel, wie ist das möglich, ich habe doch --«

Er riß die Uhr heraus und hielt sie erschreckend an das Ohr, er rüttelte
wie in Verzweiflung an dem Gehäuse -- sie stand still.

Die Wogenkämme schlugen jetzt über den Rand des Dammes herein, weißer
Gischt spritzte hoch auf, -- binnen Sekunden mußte die ganze Breite
unter Wasser stehen.

Mit blassem Gesichte sah er hinaus auf das brandende Meer. »Jetzt sind
wir verloren, Franz!« klang es kaum verständlich von seinen Lippen. --

Und auch oben auf dem Turm wiederholte tödlich erschrocken der jüngere
Knabe: »Sie sind verloren!«

»Das ist nicht gewiß, ja sogar nicht einmal wahrscheinlich,« trösteten
die Portugiesen. »Schon mancher Hummerfänger oder Perlenfischer hat sich
während der Flut da auf dem Damm gehalten, um die Tiere wegzufangen, ehe
nach eingetretener Ebbe eine Menge von anderen weniger kecken Insulanern
die Ernte mit ihm teilen konnten. Das Meer schlägt bei ruhigem Wetter
höchstens zwei Fuß über den Damm hinweg.«

Hans horchte atemlos. »Und wenn es stürmt?« preßte er mühsam hervor.

»Dann vielleicht häuserhoch, -- das läßt sich nicht bestimmen.«

Der Knabe flog die Treppen hinunter zu den beiden anderen. Sein
verstörtes Gesicht sprach deutlicher als alle Worte, nur einzeln kamen
die Silben von seinen bleichen Lippen. »Franz und -- Karl -- müssen
ertrinken.«

Das Entsetzen des alten Geistlichen läßt sich nicht beschreiben. Er
stieg erst zu den Turmwächtern hinauf und bot vergeblich Summen über
Summen, dann ließ er sich an das Schiff bringen und beschwor den
Kapitän, doch der drohenden Brandung zu trotzen, aber beides umsonst.
Die einen wollten um keine noch so große Belohnung ihr Leben einsetzen,
der andere erklärte, daß das Schiff wie eine Nußschale an dem festen
Riff zerschellen, aber nie und nimmer bis zu den beiden Bedrängten
gelangen werde. »Sie müssen es eben so gut als möglich ertragen,« fügte
er bei, »von einer eigentlichen Gefahr kann noch nicht die Rede sein.
Zwei junge, kräftige Burschen werden sich ja doch von den Wellen nicht
fortspülen lassen, -- sie müssen in eine Rinne treten und sich
anklammern.«

»Aber in der Nacht und auf so lange Zeit!« rief entrüstet der Doktor.

»Es ist heller Mondschein und das schönste Wetter von der Welt, Herr
Doktor, -- und fünf Stunden schaden den jungen Wagehälsen gar nichts.«

Auch der Steuermann suchte den alten Herrn zu beruhigen, obwohl beide,
der Kapitän und er, die Sache durchaus nicht so leicht nahmen, wie es
den Anschein hatte. Wenn sich nur der unbedeutendste Sturm erhob, dann
war es um die beiden jungen Leute geschehen.

Der Doktor kehrte also in Begleitung des Kapitäns zur Fouqué-Insel
zurück, wo sie an das Riff traten und mit den Abgeschnittenen aus der
Ferne Grüße wechselten. Aber was war denn das? -- Da draußen standen in
der Brandung ihrer drei, die hinüber winkten, -- Franz schwenkte sogar
seinen Strohhut.

Der Doktor stürzte zum Zelt. Sollte auch Hans -- --

Aber nein, der fand sich zum Glück noch vor. Es war Rua-Roa, den nichts
hatte bewegen können, seinen Freund in der Not zu verlassen. Er raffte
zwei mit Haken versehene Eisenstangen welche vom Schiff mitgebracht
worden waren, an sich und ging hinaus, der schäumenden, tosenden Flut
nicht achtend. Der ganze Damm stand bereits unter Wasser, die
Unterscheidungsgrenze für den festen Boden und das eigentliche Meer war
bei jedem neuen Anprall der Brandung völlig verwischt, aber der
Malagasche ließ sich nicht einschüchtern. In den kurzen Pausen drang er
behende wie ein Vogel über die Klippen vor, und sobald eine neue Woge
gleich einem anrückenden weißglänzenden Berge dahergerollt kam, warf er
sich auf die Kniee, während unter dem Druck seiner beiden muskulösen
Arme die Eisenhaken sich tief in den Klüften des Gesteins
festklammerten. Nur Schritt um Schritt gelangte er auf diese Weise
vorwärts, mit steter Todesgefahr ringend, mehr als einmal halb erstickt,
genötigt erst liegen zu bleiben und Atem zu schöpfen, aber doch endlich
ans Ziel kommend und im stande, mit strahlendem Blick und einem Lächeln
innigster Freude den beiden Weißen ein Tuch voll Lebensmittel zu
überreichen, das er sich um den Hals gebunden hatte, und dessen Inhalt,
zwar stark durchnäßt, sonst aber doch genießbar, für die bevorstehende
Geduldprobe wenigstens einige Stärkung verhieß.

Was hatte er denn eigentlich mitgebracht. Franz sah nach. Ein tüchtiges
Stück Schinken, einige Schiffszwiebäcke und ein Dutzend Orangen, das
ging ja an; besonders die Früchte waren willkommen, denn sie löschten
den Durst, der sich bekanntlich bei jeder Aufregung bis zur Qual
steigert. Franz schwenkte wieder den Hut. Zwar lief das Wasser jetzt
schon von oben in die Seestiefel hinein, aber es war ja nicht kalt, die
Sache ließ sich ertragen. Wenn so eine Welle heranbrauste, dann fand sie
die drei Genossen vereint in der Vertiefung, welche sich die große
Muschel zum Wohnsitz erwählt, und wo sie nun allerdings fürs erste in
Sicherheit war. Zum Überfluß wurden noch die schweren Eisenstangen
befestigt, und dann galt es nur mehr geduldig auszuharren. Bei manchen
Stößen ging das Wasser bis an den Hals; zuweilen tauchte aus dem Gischt
der Kopf des Haifisches plötzlich hervor, die mordlustigen Augen sahen
in gleicher Höhe mit denen der jungen Leute zu ihnen hinüber, der
Schwanz peitschte voll wütender Ungeduld das Wasser, die nächste Minute
aber zwang den Raubgesellen, doch mit der fallenden Woge wieder
zurückzusinken in das tiefere Meer. Sein Instinkt warnte ihn, sich auf
das zackige, todbringende Riff hinaufzuwagen.

Die letzten Tagesstrahlen verschwammen, der Mond stand hell am Himmel,
und in seltener Klarheit glänzte das südliche Kreuz. Nichts deutete auf
Sturm; vom Leuchtturm grüßte friedlich das rote Licht, der Dampfer gab
von Zeit zu Zeit durch einen Kanonenschuß Kunde von seiner Nähe, und auf
der Fouqué-Insel brannten Pechfackeln, die der Kapitän vom Schiff
herüber bringen ließ. Dennoch aber verbrachten die drei, von der Mitwelt
so gänzlich abgeschlossen, eine Nacht, der nur Franz die heitere Seite
abzugewinnen wußte. Er hatte gewünscht, sich die Wellen nahe herankommen
zu lassen, und er ertrug es lachend, wenn sie ihn mit immer neuen
Schauern bis auf die Haut durchnäßten.

[Illustration: Die Nacht auf dem Riff.

»... zuweilen tauchte aus dem Gischt der Kopf des Haifisches plötzlich
hervor ...«]

Allmählich füllte auch das gleiche buntgestaltige Tierleben des
gestrigen Nachmittags wieder alle Risse und Poren. Fußlange Spinnen
kletterten an den Armen der jungen Leute hinauf, Krebse und große Hummer
segelten vorüber, mehr als einmal erfaßten die Hände Quallen, so daß
noch empfindliche Schmerzen zu der Erstarrung und der allgemach
eintretenden Mattigkeit hinzukamen. Als die Wogen anfingen schwächer zu
werden, da fühlten alle, daß noch eine solche Nacht, solches Alleinsein
gewissermaßen auf unsichtbarem Boden inmitten des Ozeans,
gleichbedeutend werden müsse mit dem Tode.

Vorsichtig krochen die Verschlagenen, um womöglich das Wasser aus den
Stiefeln zu gießen und aus den Kleidern zu ringen, näher an den Rand des
Meeres heran. Jetzt konnten sie ja den Schutz der Vertiefung entbehren,
die höchsten Wogenkämme reichten kaum noch bis an das Plateau, die
Gefahr war vorüber. Aber erst als das Wasser nicht mehr wie eine warme,
schützende Decke ihren Körper umgab, fühlten die jungen Leute den
Einfluß des kalten Morgenwindes. Schaudernd, von Gänsehaut überlaufen,
begrüßten sie die beiden Matrosen, welche im ersten Tagesschein über das
Riff geklettert kamen, um auf Befehl des Kapitäns mit vereinten Kräften
die Riesenmuschel aus der Versenkung hervorzuheben. Nachdem das Tier
entfernt worden, trugen abwechselnd vier Männer die schwere, teuer
erkaufte Schale, und noch ehe die Sonne hoch am Himmel stand, langten
alle glücklich im Zelt unter dem Leuchtturm wieder an.

Holm streckte zähneklappernd die Hände den Freunden entgegen. »Keine
Rührung, Doktor,« sagte er scherzend, »ein tüchtiges Glas Grog wäre uns
in dieser katzenjämmerlichen Verfassung bedeutend mehr von Nutzen.«

Der Kapitän lachte. »Ich dachte mir's,« nickte er. »Stoff ist vorhanden.
Aber wollen wir denn nicht gleich zum Schiffe zurückkehren?«

»Behüte! erst müssen noch Korallen eingefangen werden.«

Dem stimmte auch Franz bei, und zwar sollte noch während der Ebbe vom
großen Boot aus das Schleppnetz in die Tiefe hinabgesenkt werden.
Überall schimmerten ja die roten und weißen unterseeischen Bäume durch
das Wasser herauf, an einer Stelle hatte Holm sogar die seltene, wenn
auch nicht hochgeschätzte schwarze Koralle gesehen, man mußte also die
Gelegenheit wahrnehmen und einsammeln, was zu erlangen war.

Zwei Stunden Schlaf, trockne Kleider nebst einer tüchtigen Mahlzeit und
einem echten Seemannsgrog verscheuchten im Verein sowohl Schauder als
Schläfrigkeit und gaben den jungen Leuten ihre ganze gewohnte Frische
voll zurück. Das Schleppnetz wurde ausgeworfen und brachte einen reichen
Fang von Korallen aus der Tiefe empor an die Oberfläche, freilich nicht,
ohne daß vom Boote her die Eisenstangen der Matrosen ihre hilfreichen
Dienste gethan. Man fuhr längs den bis nahe an den Wasserspiegel
hinaufreichenden Bänken hin; die ganze farbenglühende, in phantastischen
Formen und Windungen aufgebaute Pracht da unten lag sichtbar vor aller
Augen, feingeästelt vom zartesten Silberweiß bis zum gesättigten Purpur
und glänzenden Schwarz; einem puppenhaften Walde gleich, schimmerten die
Korallenstücke durch das blaue, spielende Wasser, und wo sie von den
Eisenhaken der Bootsmannschaft getroffen wurden, da fielen sie in das
ausgespannte Netz hinein.

Holm gab bei dieser Gelegenheit den Knaben einige Erklärungen über die
Entstehung der Korallen, von denen meistens angenommen wird, daß sie,
inwendig hohl, die Wohnungen von Tieren bilden. »Sie sind vielmehr das
Tier selbst,« erläuterte er. »Die kleinste Quallenart, ein kaum
sichtbares Schleimklümpchen, saugt mit seinem aller Organe beraubten
Körper die Kalkteile des Seewassers in sich auf, stirbt, sobald die
Verkalkung vollständig eingetreten und wird von den nachkommenden
Geschlechtern als Wohnstätte benutzt, um den gleichen Kreislauf
immerwährend neu zu beginnen und neu zu vollenden. An seichten Stellen
setzt sich die erste Quallenfamilie fest und auf ihren abgestorbenen
Überresten baut die zweite weiter, bis endlich nach Jahrhunderten die
Oberfläche des Wassers erreicht ist und nun für das Tierchen die
Lebensmöglichkeit aufhört. Von der Luft berührt, stirbt die Qualle.«

Er nahm eins der gesammelten Stücke und zeigte seinen Zuhörern den
zähen, grauen Schleim, welcher dasselbe überzog. »Das ist das jüngste
Quallengeschlecht, das eigentliche, ursprüngliche Korallentier«, setzte
er hinzu, »der Stoff, aus welchem die Natur ganze Inseln, also feste
Wohnplätze für Menschen im Lauf der Zeit erschafft. Es ist nicht
unmöglich, daß nach Jahrtausenden, Jahrmillionen vielleicht, der am
meisten von dieser Gattung bevölkerte Ozean, das Stille Meer nämlich,
einen festen Weltteil bilden wird, langsam entstanden aus
Korallenbänken, Insel an Insel, die endlich zusammenrücken und ein
untrennbares Ganze ausmachen.«

Rua-Roa hatte mit weit offenen Augen dieser Erklärung zugehört. »Zannaar
ist groß!« sagte er halblaut, nachdem jener geendet.

Holm streichelte lachend den Krauskopf des jungen Halbwilden. »Zannaar
ist groß!« wiederholte er, »und selbst die schleimige Qualle sein
Prophet. -- Aber siehe da, von dem kleinsten der Meerbewohner bis zu
einem der größten ist nur ein einziger Schritt. Unser Freund von der
letzten Nacht her!«

Er deutete mit der Rechten auf das Kielwasser des Bootes, wo sich
lüsterne, tückisch blinzelnde Augen bis fast über die Oberfläche
erhoben. Der grüne Hai war immer noch zur Stelle; er konnte sich, wie es
schien, nicht losreißen von der schmeichelnden Hoffnung, endlich doch
eines dieser Opfer zu erwischen; jetzt folgte er dem Boote und blieb
dicht hinter dem Steuer desselben.

Holm ließ das Netz einziehen, um es vor der Wut des Ungeheuers zu
schützen, dann nahm er aus seiner Tasche eine Pistole. »Der Raubgeselle
soll daran glauben,« sagte er. »Paßt auf, Jungens, ich ziele nach dem
rechten Auge. Und ihr, Leute, sobald ich geschossen habe, treibt das
Boot von der Stelle, damit uns die Schwanzschläge nicht schaden.«

Die Matrosen erfaßten ihre Ruder, alles war still vor Erwartung. Der Hai
spielte im Wasser, sein abscheulicher Kopf hob sich handbreit heraus. --
--

Da krachte der Schuß. Zu Bergen türmten sich weißschäumende Wogen,
schwere Schläge peitschten das Wasser, ein Klatschen und Gurgeln
erfüllte die Luft, ein Tropfenregen überschüttete das Boot, und wie im
innersten Grunde aufgewühlt, tobte das Meer.

Die Matrosen hatten ihre Schuldigkeit gethan. Zwar tanzte das kleine
Fahrzeug wie ein Kreisel auf den Wellen, aber dennoch schlug keine
derselben über Bord; als sich das Wasser glättete, war von dem Raubfisch
nichts mehr zu sehen. Jedenfalls stak er tot zwischen den zackigen
Korallenästen im Grunde.

»Und jetzt heimwärts!« gebot Holm, der sich von dem richtigen Gang
seiner Taschenuhr diesmal vorher überzeugt hatte. »Wir dürfen uns hier
durch die Flut nicht überrumpeln lassen.«

Das Boot wurde zunächst zur Fouqué-Insel zurückgelenkt, dort noch der
Leuchtturm besichtigt und dann der Dampfer wieder aufgesucht. Die
Ausbeute an Schätzen für das Museum war eine ungewöhnlich reiche, die
große Muschel allein ein unbezahlbarer Fund; aber als das Schiff an der
Korallenbank vorüberfuhr, da sagten sich doch die drei jungen Leute, daß
sie auf der Höhe derselben eine Nacht verlebt, deren Schauer ihnen ewig
im Gedächtnis bleiben werde. Franz drückte lebhaft die Hand des
Malagaschen. »Du bist doch ein guter Kerl, Rua-Roa,« sagte er, »ohne die
Erfrischungen, welche du uns brachtest, hätten wir die Anstrengung kaum
überstehen können.«

Die Augen des Halbwilden leuchteten. »Ich habe dich lieb, Herr,«
antwortete er, »darum kam ich. Wollen wir beide den Blutschwur tauschen,
du und ich?«

Franz wurde aufmerksam. »Das sagtest du schon früher einmal, Freund,«
versetzte er lebhaft. »Was ist damit?«

»Das sollst du erfahren, Herr!«

Und am Abend desselben Tages, als das Schiff im Hafen von Port St. Louis
vor Anker lag, winkte er im Dunkel des Vorderraumes dem jungen Weißen.
Seine Hand hielt zwei kleine Stücke Ingwerwurzel und ein scharfes
Messer, mit dem er zunächst die Haut über dem eigenen Herzen ein wenig
ritzte und dann in das hervorquellende Blut das eine Stückchen tauchte.
»Iß!« sagte er leise, »und thue das Gleiche. Laß mich dein Blut kosten!«

Franz erschrak heimlich. Das war doch eine ganz heidnische Zeremonie.

Aber Rua-Roas Augen baten so beredt, der junge Mensch schien von der
Heiligkeit dieses Bündnisses so durchdrungen, daß es grausam gewesen
wäre, ihm da, wo er gläubig das Rechte, Gute vermeinte, ein halb
komisches, halb sträfliches Heidentum vorzuwerfen. Zudem erinnerte sich
jetzt Franz, daß die eingebornen Hovas von Madagaskar den Blutschwur
ausschließlich mit ihren vertrautesten Freunden tauschen, und daß der,
welcher ihn etwa bräche, als ehrlos gelten würde; er verschluckte daher
ohne Widerrede die duftende, mit dem Blute seines neuen Bruders
getränkte Wurzel und ließ aus der Haut über seinem Herzen die roten
Tropfen hervorquellen, um damit das andere Stück zu befeuchten. Rua-Roa
streckte, als er es gegessen, beide Hände aus. »Dein Wille gehört seit
dieser Stunde mir, Herr,« sagte er halblaut in beschwörendem,
feierlichem Tone, »und der meinige dir. Wir können nichts thun, einer
ohne den anderen, kein dritter kann zwischen uns treten, keine Macht
kann das Blutband lösen. Schwöre, daß du niemand verraten willst, was in
dieser Stunde geschehen.«

Franz hob die Hand zum nächtlichen Himmel empor. »Bei Gott!« sagte er
leise, selbst wider seinen Willen erfaßt von der geheimnisvollen
Feierlichkeit in dem Wesen des Malagaschen. »Bei Gott, Rua-Roa, ich
schwöre es dir!«

Der Halbwilde nahm die Hand seines Freundes und legte sie sich auf den
Kopf, während umgekehrt seine Rechte Franzens Scheitel berührte. »Ich
danke dir,« sagte er innig, »du hast deinem Sklaven viel geschenkt, aber
er wird sich dessen würdig zeigen.«

Franz fühlte eine eigentümliche Beklommenheit. Das war so etwas wie
Zauberei oder eine Art von abergläubischem Unsinn; er gratulierte sich,
daß es ein Geheimnis bleiben sollte. Wenn sein Erzieher davon erfahren
hätte, so würde ihm ein scharfer Tadel sicher gewesen sein. Rua-Roa
sollte womöglich auf den Samoa-Inseln von den dortigen Missionaren
getauft und in die christliche Kirche aufgenommen werden; er durfte also
den heidnischen Brauch seiner Heimat nicht im Herzen festhalten, Franz
durfte ihn darin nicht bestärken, aber doch ließ er sich von der Macht
des Geheimnisvollen überwältigen; der Eid war geleistet und verlangte
nun strenge Heilighaltung.

Mit einem Händedruck trennten sich die beiden jungen Leute, nicht
ahnend, welche schwerwiegenden Folgen das seltsame, dem Malagaschen
hochfeierliche Spiel dieses Abends späterhin nach sich ziehen sollte.

Doch greifen wir den Ereignissen nicht vor.

Am anderen Tage wurde die Stadt St. Louis besehen, Einkäufe aller Art
besorgt und ein Ausflug ins Innere der Insel gemacht, um dort den
Bambu-Pik zu ersteigen. Auf dieser Tour füllten sich die
Botanisiertrommeln mit vielen bis dahin noch nicht angetroffenen
Pflanzen, namentlich einer Phönixart mit roten, prachtvollen Trauben,
Mimosen mit scharlachnen, gelben und hellgrünen Blüten und vielen
ausgezeichneten Kasuarinen; auch von den beiden hier angesiedelten,
ursprünglich amerikanischen Bäumen, der Kampesche und der Agave, wurden
Zweige gepflückt. In den Gärten gedieh die wohlriechende Vanille; ganze
Felder von Zuckerrohr boten sich dem Blick; Tamarinden bildeten lange,
schattige Alleen; aber Getreide wurde nirgends gebaut. Der Bambu-Pik
selbst zeigte sich als roter, stellenweise in das schwärzliche
hinüberspielender Basalt, dem aller Baumwuchs fehlte, der aber mit dem
schönsten, üppigsten Gras bedeckt war. In den Thälern weidete hier und
da ein vereinzelter Hirsch, andere Tiergattungen fanden sich jedoch
nicht vor; die Übervölkerung der Insel hat sämtliche vorhandene Arten
dem Untergange schon längst preisgegeben; von den ursprünglich in den
Wäldern angetroffenen Wildschweinen findet sich kein einziges mehr,
ebensowenig Schildkröten oder jener große ausgerottete Vogel, die
Dronte, der hier auf Mauritius »Dodo« heißt, und von dem man überall nur
noch Knochen besitzt, aber nirgend ein lebendes Exemplar.

Die Aussicht von der Höhe des Bambu-Pik war entzückend schön, obgleich
der Charakter dieser ganzen Landschaft keineswegs etwas Großartiges oder
gar Wildes besaß. Dörfer und stille, einsame, an Flüssen liegende
Mühlen, reiche Gärten und Pflanzungen, dazwischen wenig Wald und über
die ganze Insel hinlaufende Straßen, alles umsäumt von den tiefblauen
Fluten des Indischen Ozeans, so zeigte sich das Gesamtbild, dessen
Einzelheiten trotzdem manches Neue und Überraschende darboten, hier
einen Käfer, dort eine Ranke oder ein Stück Erz und dann wieder einen
bescheidenen Erdwurm, der sich nicht träumen ließ, daß er heute auf
seinen Wanderungen einem raublustigen Feinde begegnen werde.

Ein Tag genügte, um diesen Ausflug zu beenden. Schon der nächstfolgende
Mittag sah das Schiff wieder auf hohem Meere, der Insel Ceylon
entgegendampfend. »Jetzt kommen wir abermals in die Gebiete wilder
Völker und wilder reißender Tiere,« erläuterte Holm. »Da heißt es, die
Sorglosigkeit der letzten Wochen abstreifen und bis an die Zähne
bewaffnet sein Leben gegen feindliche Angriffe verteidigen. Wo denken
Sie die Insel anzulaufen, Herr Kapitän?«

»Im Norden,« antwortete der alte Seemann. »Landen wir bei Trincomali
oder Galle, so sind wochenlange beschwerliche Reisen notwendig, um in
das Innere zu gelangen. Auf der Nordseite dagegen, in den großen
Bergwäldern, hausen die Veddas; dort ist Tier- und Pflanzenleben sowie
das der Bewohner noch ganz ursprünglich, -- ich denke, Sie werden Ihre
Zwecke in diesen Gegenden am besten erreichen, namentlich was die Jagd
betrifft.«

»Für Waffen und Munition ist gesorgt,« versetzte Holm. »So können wir
denn diesmal das Moschustier erlegen und den malabarischen Schakal.«

Die Knaben freuten sich der Aussicht auf die langentbehrte, aufregende
Jagd. Sie erzählten dem Malagaschen so viel von den großen Raubtieren
und den Pflanzenfressern, welche er nicht kannte, sie zeigten ihm so
viele Bilder von Elefanten, Giraffen und Löwen, daß auch er anfing
neugierig zu werden und nebenbei Lani-Lamehs Weisheit in Zweifel zu
ziehen. Die Erde sei eine große, flache Scheibe, hatte auf Madagaskar
der verschmitzte Zauberer seinen gläubigen Zuhörern eingeprägt, und die
Insel selbst schwimme als Mittelpunkt des Ganzen in einem großen Wasser.
Alles übrige sei wüstes Land, wo nur die Weißen wohnen, die nichts als
Schiffe und Bücher besitzen und von Menschenfleisch leben.

Franz zeigte dem Erstaunten einen Globus, erzählte ihm von der Kugelform
der Erde, von ihrer Drehung und bezeichnete mit Stecknadeln Madagaskar,
Mauritius und Ceylon. Dann ließ er ihn die Bilder großer europäischer
Städte sehen und brachte es allmählich dahin, ihm sagen zu können, daß
die »Hammonia« von Hamburg aus ihre Fahrt angetreten habe, um in die
Heimat der Aufklärung und allgemeinen Bildung solche Schätze an
Naturalien zurückzubringen, wie sie eben nur der tropische Süden
besitzt, und wie sie nur gedacht werden können in einem Lande, wo noch
Menschen und Tiere im ursprünglichen Wildheitszustande mit einander um
die Herrschaft streiten. -- Rua-Roa lauschte fast andächtig diesen
Belehrungen seines jungen Freundes. Er ahnte nicht, daß für den weißen
Knaben selbst bedeutend mehr als für ihn an Erkenntnis daraus
hervorging. Franz dachte der Niederlassungen seines Vaters in der
Südsee, und wie vielen Hunderten, ja Tausenden von armen Wilden das Haus
Gottfried schon bürgerlichen Wohlstand und Erlösung aus der Nacht
tiefster menschlicher Unwissenheit in ihre entlegene Inselheimat
gebracht. Der Beruf des Kaufmannes war doch ein schöner, großer, war ein
Zweig der hohepriesterlichen Sendung, welche nach Gottes Willen der
Mensch dem Menschen gegenüber vollzieht, wo immer dem ärmeren Bruder die
Hand gereicht und das Fackellicht der Gesittung in früheres Dunkel
getragen wird.

Es sind eben der Wege so viele und der natürlichen Anlagen oder
Neigungen so mannigfache; Missionar und Naturforscher brechen Bahn; sie
bilden die Pioniere der Zivilisation; sie würden aber ganz ohnmächtig
bleiben, wenn nicht der Kaufmann mit großen äußerlichen Mitteln nachkäme
und den _Gedanken_ bürgerlich geordneter, christlicher und
menschenwürdiger Zustände durch Handel und Wandel zur _Wirklichkeit_
erhöbe.

Es war gewiß, daß Franz nicht mehr beabsichtigte, seinem Bruder dereinst
den Thron des väterlichen Kontors allein zu überlassen und selbst
fortwährend die Welt zu bereisen; im Gegenteil freute er sich mehr denn
je auf die persönliche Kenntnis der Samoa-Inseln und spann schon jetzt
weitaussehende Pläne, träumte von Schöpfungen, die erst in fernen
Jahrzehnten das Licht des Daseins erblicken konnten.

Rua-Roa lernte emsig. Außer seinen regelmäßigen Unterrichtsstunden
widmete er sich mit der ganzen Wißbegier eines aufgeweckten Kopfes allen
solchen Dingen, die in einem zivilisierten Lande dem Kinde gleichsam
unmerklich, mühelos bekannt werden, und Franz war auf allen diesen
Gebieten sein treuer Führer. Die Mühe blieb aber auch nicht ohne Lohn;
Rua-Roa, nachdem er erfahren, daß das Katzengeschlecht über die ganze
Welt verbreitet ist, und daß es so vielfach der Stellung des
verhätschelten Lieblingstieres gewürdigt wird, -- Rua-Roa nahm eines
Tages Murr auf den Arm und schloß Frieden mit dem alten Rattenbesieger,
der schon lange Jahre auf anderen Schiffen nach allen Teilen unserer
Erde mit Kapitän und Steuermann Reisen gemacht und dem Leben am Lande
ganz fremd geworden war. Auch daß seine Amulette als Kuriosität in das
Museum wandern würden, und daß der weiße Hahn -- eben ein Hahn war wie
alle übrigen auch, wußte und erfuhr der Gelbe, aber die Erkenntnis wurde
ihm nicht aufgedrängt, und zugleich mit dem besseren Verstehen kam über
seine Seele jene Gewißheit des Christen, daß, wenn auch nichts Irdisches
ein guter oder böser Geist oder gar übernatürlicher Kräfte fähig ist, so
doch selbst das niederste Wesen zum Werkzeuge Gottes wird. Der weiße
Hahn hatte durch seine Nähe die augenblickliche Vollstreckung des
Todesurteils erfolgreich verhindert, Rua-Roa lernte aber jetzt erst, daß
nur dem göttlichen Willen, nicht dem Werkzeug desselben, der Dank des
Menschen dargebracht werden darf.

Während der Fahrt gab es hinreichende Arbeit für die jungen Forscher.
Denn auf den Felsriffen und in den kleinen flachen Binnenseen, welche
die Koralleninseln bildeten, war eine reiche Beute gesammelt, die zum
Versand präpariert werden mußte. Die Seeigel und Seesterne hielten sich
in einer großen Bütte, die mehrere Male des Tages mit frischem Seewasser
gefüllt wurde, in Gesellschaft der Seerosen und vieler Krebse am Leben,
und deshalb gelangten zuerst die Schnecken und Muscheln zur
Präparierung, von denen einige bereits einen unangenehmen
Verwesungsgeruch aushauchten.

»Von den Schnecken gebrauchen wir die Schale und die -- Zunge,« sagte
Holm, »das übrige Tier ist nur ein unangenehmer Ballast.«

»Die Zunge?« fragte Hans.

»Jawohl,« antwortete Holm, »die Zunge, diese ist das einzige feste Organ
im Schneckenleibe. Sie besteht aus derselben harten Masse, die den
Panzer der Käfer und anderer Insekten bildet und ist mit vielen Reihen
eigentümlicher Zähne besetzt, mit denen sie die Pflanzenstoffe zerreibt,
von denen sie sich nährt. Die Schneckenzungen sind sehr verschieden
gestaltet, aber die zu einer Gattung gehörenden Arten besitzen in der
Zungenbildung stets große Ähnlichkeit, wenn ihre Gehäuse in Farbe, Form
und Zeichnung auch noch so sehr von einander abweichen. Die Zungen
dienen daher zur Feststellung der einzelnen Arten und sind den Zoologen,
welche sich vorzugsweise mit dem Studium der Konchylien beschäftigen,
außerordentlich wichtig.«

Die gesammelten Schnecken wurden mitten auf den Tisch geschüttet, alle
setzten sich um denselben, auch der Doktor, der eine Pfeife angezündet
hatte, um den üblen Geruch der bereits faulenden Meertiere zu mildern.
Holm nahm nun eine der Schnecken und zeigte den Knaben, wie man mit
einem krummen kleinen Haken aus Eisen im stande sei, den weichen Körper
der Schnecken aus ihrem Gehäuse herauszuziehen, wozu freilich Geduld und
Geschicklichkeit gehörte, denn er saß oft sehr fest in den engen
Windungen der Schale. Sobald der Schneckenkörper frei dalag, machte Holm
mit einem scharfen Messer, dem sogenannten Skalpell, einen Einschnitt in
den vorderen Teil desselben und konnte dann nach einigem Suchen mittels
einer feinen Pinzette einen länglichen, ziemlich zähen Gegenstand
herausziehen -- die gewünschte Zunge. Nachdem dieselbe in einer kleinen,
mit Spiritus gefüllten Schale abgespült worden war, wurde sie in ein
Stückchen Papier gewickelt und in das mittlerweile gereinigte und
ausgespülte Schneckenhaus gesteckt, das ebenfalls in Papier gewickelt
wurde. So kamen denn stets die wichtigsten Teile, Schneckenhaus und
Schneckenzunge, zusammen, und eine Verwechselung konnte später nicht
möglich sein.

Als sie unter den Schnecken ein schönes Exemplar der Purpurschnecke
fanden, sagte Holm: »Nun werde ich euch eine sehr schöne Zunge unter dem
Mikroskop zeigen.« Er legte die dem Schneckenkörper entnommene Zunge auf
den uns bereits bekannten Objektträger, brachte einen Tropfen Wasser auf
dieselbe und bedeckte sie mit einem Deckgläschen, das er sanft preßte,
um die Zunge etwas breit zu drücken. Die Knaben waren erstaunt, als sie
bei einer zweihundertfachen Vergrößerung die spitzen Zähne dieser Zunge
erblickten und die Regelmäßigkeit wahrnahmen, mit welcher dieselben sich
aneinander reihen. Um ihnen den Unterschied zwischen den einzelnen
Formen zu zeigen, präparierte Holm in gleicher Weise die Zunge einer
Strandschnecke (^Litorina^). Hier waren die Zähne weniger spitz, dagegen
rundlicher geformt als bei der Purpurschnecke, aus der bereits die
Phöniker den blauroten Farbstoff gewannen, mit dem sie die berühmten
Purpurgewänder färbten.

Da die Zunge der Strandschnecke ^in natura^ um vieles größer war, als
die Zunge der kleineren Purpurschnecke, so mußte bei gleicher
Vergrößerung das mikroskopische Bild derselben auch bedeutend
umfangreicher erscheinen.

Nachdem die Schnecken in der angegebenen Weise präpariert, eingewickelt
und fest in eine Kiste gepackt und auf einem Zettel die Fundorte bemerkt
worden waren, versah Holm das Kollo mit der Adresse, und bei nächster
Gelegenheit konnten diese Schätze abgesandt werden.

»Ein wahres Glück, daß diese Arbeit vorüber ist,« meinte der Doktor,
»meine Geruchsnerven haben kein besonderes Gaudium daran gehabt.«

»Unsere Nasen haben sich bald daran gewöhnt,« rief Franz. »Einem
Naturforscher darf es auf solche Kleinigkeiten nicht ankommen.«

Nun galt es, die Seesterne und Seeigel zu konservieren. Aus dem Raum
wurden große Glashafen mit eingeschliffenem, breitem Stöpsel gebracht,
in denen sich Baumwolle in Gestalt von Watte befand. Diese wurde
herausgenommen, dann schichtete Holm abwechselnd Watte und Seeigel in
dem Glashafen auf, damit die Geschöpfe mit ihren zerbrechlichen
Stacheln, die oft den Durchmesser des Rumpfes um das vierfache
übertrafen, unbeschädigt blieben. Als dies geschehen, füllte er den
Hafen mit starkem Spiritus, setzte den Stöpsel ein und verband denselben
mit angefeuchteter Blase, um das Verdampfen des Spiritus zu verhüten. In
derselben Weise wurde mit den Seesternen und den vielen Krabben- und
Krebsarten verfahren.

»Aha,« sagte Hans, »nun begreife ich auch, warum der Affe teilweise Rum
erhielt, denn ohne diese Vorsichtsmaßregel hätten wir nicht genügend
Spiritus gehabt, und diese prachtvollen Naturalien wären uns verdorben.«

»Man kann eben nicht haushälterisch genug mit solchen Dingen sein, die
in der Wildnis gar nicht zu erlangen sind,« entgegnete Holm. »Unsere
Reise würde nur zur Hälfte ihren Zweck erfüllen, wenn wir nicht im
stande wären, die gesammelten Seltenheiten zu konservieren.«

Holm zeigte den Knaben die merkwürdigen Greiffüße der Seeigel unter dem
Mikroskop. Diese Füßchen gleichen kleinen, inwendig gezähnten Dreizacken
und sitzen auf der kugelförmigen Oberfläche der Seeigel in großer
Anzahl. Faßt nun ein solcher Greiffuß ein winzig kleines lebendes Wesen,
so gibt er es seinem Kollegen, der es wieder weiter gibt, wie ein Eimer
in der Kette der Löschmannschaften von Hand zu Hand geht, bis es von Fuß
zu Fuß nach dem an der Unterseite des Tieres liegenden Mund gelangt, in
den es als gute Beute spaziert. Man kennt von den Seeigeln über 200
lebende Arten und gegen 1500 Arten versteinerter aus früheren Perioden
unserer Erde. Oft werden dieselben im Sande, namentlich aber in der
Kreide gefunden.

Aus der großen Riesenmuschel, der Tridacee, wurde der weiche Körper
ausgelöst, wie eine Auster aus ihrer Schale. Da sie fest und
unzerbrechlich war, wurde sie im Raum der »Hammonia« festgestaut, wie
jedes andere Kollo; ihretwegen brauchte sich niemand Sorge zu machen.




                          Siebentes Kapitel.


Die Reise nach Ceylon wurde schnell und glücklich beendet; man fuhr am
Hafen von Galle und an dem von Kolombo vorüber bis zur äußersten
Nordspitze, die freilich nur eine Landung im Boot gestattete. Dafür
versprach aber auch der gänzliche Mangel an Kultur und an irgend einem
gebahnten Wege die beste Jagdbeute. Vor der Hand mußte man sich ohne
Führer behelfen; die Küste war flach und stark mit Sandsteinstrecken
versetzt, dazwischen aber lagen schöne, fruchtbare Thäler und ragende
Wälder, in denen Palmen von unglaublicher Höhe und zu vielen Tausenden
alles andere gleichsam als nebensächlich erscheinen ließen. Stämme von
dreißig bis vierzig Meter waren die unbedeutendsten und bildeten das,
was in einem deutschen Walde Unterholz heißt, hier noch mit einer Fülle
von Sträuchern und Ranken jeder Ausdehnung um den Platz streitend.

Da keine Pferde zu haben waren, marschierte der kleine Zug auf Schusters
Rappen in die grüne Wildnis hinein. Jeder Mann hatte seine Wolldecke,
seinen Leinensack mit Lebensmitteln, Korbflasche, Pulverhorn,
Schrotbeutel und Messer bei sich, und war außerdem mit mancherlei
Kleinigkeiten zum Verschenken, mit etwas Branntwein und ein paar kleinen
Taschenpistolen, sowie mit Feuerzeug und Wachskerzen versehen. Der
Doktor, Holm, zwei Matrosen, die Knaben und Rua-Roa bildeten einen
wohlausgerüsteten Entdeckungszug. Sie wollten womöglich die Insel quer
durchschneiden, zuerst das Tiefland kennen lernen und dann die
Gebirgspartie. Etwa vier bis sechs Wochen waren für diese Reise in
Aussicht genommen.

Schon gleich nachdem die ersten tausend Schritte zurückgelegt,
entfaltete sich das bunteste, einheimische Tierleben. Auf den
unscheinbaren Blüten der Zimtpflanze wiegten sich große, ganz weiße
Schmetterlinge; Papageien und Nashornvögel bevölkerten das Dickicht,
schlanke Genettkatzen glitten wie Schatten in einiger Entfernung
vorüber, und Stachelschweine in beträchtlicher Anzahl lagen faul
zusammengerollt unter Blumen. Es waren dies die echten, in Deutschland
fehlenden mit den schöngefärbten, großen Stacheln, die auch in allen
Häfen der Insel von den Eingebornen zum Verkauf ausgeboten werden;
unsere Freunde töteten daher sogleich zwei der schönsten Exemplare, um
sich ihrer Stacheln zu bemächtigen; die Jagd nahm so recht frei und
unbeschränkt wieder ihren Anfang; alle Herzen schlugen froher, die
Gefahr schärfte alle Sinne und lockte mit geheimnisvollem Zauber.

Es ist äußerst angenehm, sich nach bestandenem Abenteuer schwelgend in
Sicherheit und Fülle aller Naturreize ausruhen zu dürfen, aber dennoch
hat auch der Kampf um neue Güter, neue Genüsse sein unendlich
Verführerisches. Wer nichts einsetzt, der kennt auch nicht das
Hochgefühl des Sieges, wer nicht mit Mühe errang, der erfährt nie die
echte Freude des Besitzes. --

Auf jedem Schritt wurden Schätze entdeckt, und als man sich zum ersten,
durch manche frischgepflückte Frucht noch verschönerten Mahl ins Grüne
setzte, da schmeckte allen die gewohnte derbe Schiffskost wie etwas
ausgesucht Feines. Würziger Hauch wehte über all diese Blütenpracht
dahin, Vögel sangen in den Zweigen und große Käfer schlüpften durch das
Gras. »Nur entsetzlich viel kriechende Tiere scheint es zu geben,«
meinte Franz, »ich fühle das Krabbeln am ganzen Körper.«

»Ich auch!« rief der Doktor. »Aber merkwürdig, in der Luft fliegt
nichts.«

»Die Bestien stechen!« mischten sich jetzt zugleich Holm und Hans in
diese delikate Unterhaltung. »Ich glaube, auf meinem Rücken allein sitzt
ein ganzes Schock.«

Rua-Roa griff unter die weiten Falten seiner Leinenjacke und brachte
dann die fünf Finger ziemlich durchnäßt wieder hervor. »Blut!« sagte er
voll Erstaunen.

Alle andern waren bereits beschäftigt, Stiefel und Röcke abzuwerfen; das
Brennen in der Haut wurde unerträglich, das Krabbeln wie von tausend
kleinen Füßchen reizte ärger als der stärkste Schmerz. Nachdem Franz die
Schulter entblößt, zeigten sich nicht weniger als Hunderte von ganz
dünnen, an Größe einer länglichen Wanze gleichenden, schwarzbraunen
Würmern; alle diese häßlichen Geschöpfe hingen am Körper des Knaben wie
-- Blutegel! was sie thatsächlich auch waren. Sobald einer gewaltsam
entfernt wurde, quoll das Blut aus der Wunde.

Holm lachte. »Rückwärts! Rückwärts, Don Rodrigo!« rief er lustig, »hier
heißt es Fersengeld geben, hier hilft nur das Hasenpanier zum Siege.
Nehmt alles, was wir besitzen, und laßt uns aus dem Gebiet der Sandegel
so schnell als nur möglich dort hinab an das Ufer flüchten. Die
schwarzen Gesellen leben, wo sie einmal sind, zu Myriaden, abschütteln
kann man sie nicht.«

»Am besten ist es, wir baden uns,« rief Franz. »Das Brennen macht ganz
ungeduldig.«

»Und wie die Dinger anschwellen! sie saugen uns leer, wenn wir es
gestatten.«

Die ganze kleine Gesellschaft machte sich auf und trug Lebensmittel und
Gepäck zum Flußufer, wo Holm den Boden, nachdem er ihn untersucht hatte,
für frei erklärte. Und dann umspülte das frische Wasser die brennenden
Hautwunden, während jedesmal drei von den Männern Wache hielten, und
drei die festgeklammerten Egel zum Ertrinken zwangen. Das war ein
Aderlaß in aller Form, sogar die Hemden mußten gewaschen und zum
Trocknen auf die nächsten Büsche gehängt werden; dennoch erregte das
kleine Abenteuer auch allgemeine Heiterkeit, es bildete den Anfang zu
neuen Erlebnissen; daher mußte es mit in den Kauf genommen werden, wenn
selbst ein wenig Blut geflossen war.

An den Ufern zeigten sich scharenweise die schönen roten Flamingos;
Hasen eilten mit den bekannten langen Sätzen über das Flachland dahin,
weiße Kakadus wiegten sich auf den Palmen, überall lagen Kokosnüsse reif
am Boden, Pfefferpflanzen kletterten von Stamm zu Stamm.
Undurchdringliche Dickichte zwangen die Wanderer zum Umkehren. Hierher
mochten nur selten Menschen gekommen sein, keine Spur eines Weges ließ
sich erkennen, nichts deutete auf die Nähe einer Ansiedelung, mehr als
einmal dagegen drang das ferne Brüllen des Tigers zu den Ohren der
Weißen, oder stampfte im Galopp eine Büffelherde vorüber, aufgescheucht
durch das Erscheinen menschlicher Wesen in ihren Weidegebieten, Hunderte
an der Zahl, ziemlich klein und gedrungen, aber von wildem, bösartigem
Aussehen. Die Jäger gingen solchen herankommenden Herden aus dem Wege,
um nicht angegriffen zu werden; einen der Nachzügler aber schossen sie
aus dem Hinterhalt und schnitten einen tüchtigen Braten ab, der abends
am mitgebrachten Spieß geröstet werden sollte.

An einer passenden Stelle, wo überhängende Zweige ein dichtes Dach
bildeten, wo eine Quelle sprudelte und der Rücken durch eine Felswand
gedeckt war, wurde Halt gemacht. Zelte von Leinen, bequem und ohne
Regelmäßigkeit zwischen den Bäumen ausgespannt, ein von Kriechtieren
gesäuberter Boden und ein paar Wolldecken gaben unter dem milden Himmel
ein prächtiges Nachtlager, während vor den Zelten ein Feuer hell und
behaglich aufloderte. Das Büffelfleisch wurde am Spieße gebraten,
frische Früchte gepflückt und dann ein Nachtessen eingenommen, so
köstlich wie nur Jäger im grünen Walde es kennen. Der Rücken war
gedeckt, ein feindlicher Angriff nicht möglich, ohne im voraus bemerkt
zu werden; das Wetter hatte sich von heißer Mittagsglut zu linder Wärme
herabgestimmt, Mücken spielten in der klaren Luft, und auf den Zweigen
saßen große, rote Papageien, die neugierig mit schiefgehaltenen Köpfen
herabsahen. Jene große Gattung, deren Rücken in Purpur und Blau
schimmert, wechselte mit dem schneeweißen Kakadu und dem kleineren, rosa
überhauchten Verwandten; Gesellschaftsvögel flatterten dazwischen, und
auch den schönen Nashornvogel von der Westküste Afrikas sahen die
Reisenden hier wieder. Nur die Affen fehlten, und dadurch ging ein
großer Teil der sonst gewohnten Unterhaltung verloren.

Franz und ein Matrose hatten den ersten Teil der Nachtwache übernommen,
die anderen schliefen in den Zelten. Fast Tageshelle lag auf der
Umgebung, in weitem Blau schimmerten die Sterne, lächelnd sah der
Vollmond herab auf das farbenprangende Landschaftsbild; leise flüsternd
unterhielten sich der Matrose und der Knabe von Hamburg, ihrer
beiderseitigen Heimat, -- da knisterte es seitwärts in den Zweigen, so
daß die Aufmerksamkeit der jungen Leute erregt wurde. Was würden sie
sehen? -- Einen Tiger? -- Wilde? --

Aber nein. Es waren die zierlichen, schöngefleckten Axishirsche, welche
hier in ganzen Trupps an die Quelle kamen, um zu trinken. Schlank wie
Rehe, mit großen sprechenden Augen, das Geweih zurückgeworfen, zeigten
sie sich dem überraschten Blick, ebensowenig furchtsam wie die
Papageien, ebensowenig gewöhnt, Menschen in ihren Wäldern zu sehen wie
diese. Fast bis auf sechs oder zehn Schritte kamen sie heran, kleine
Kälbchen liefen neben den Müttern, ein Bock mit mächtigem Geweih schien
der Anführer des Zuges zu sein.

»Wir wollen nicht schießen, Maat,« raunte Franz. »Fleisch für morgen ist
ja noch genug vorhanden, -- es wäre schade um die hübschen Tiere.«

»Hm, hm, junger Herr, da ist nur eins zu bedenken!«

»Und das wäre?« forschte der Knabe.

»Wenn nun diese Stelle hier am Wasser ein Trinkplatz ist? Wenn noch mehr
und vielleicht nicht so harmlose Tiere herkämen?«

Noch während er sprach, erdröhnte von fern die Erde, als wenn eine
reitende Batterie darüber hinwegeilte. Ein heller, trompetenartiger Ton
klang durch die Luft, Zweige brachen und knackten, von der anderen Seite
des schmalen Wasserarmes her kamen aus dem Walddunkel graue
Riesengestalten hervor, ungeheure Kolosse trabten heran, dazwischen
kleinere bis herab zu kaum dreitägigen und neugeborenen Rüsselträgern.
Etwa dreißig Elefanten standen am Quell und löschten ihren Durst.

Die Axishirsche nahmen von dieser Nachbarschaft keinerlei Notiz, sie
lagerten sich vielmehr in ungestörter Ruhe am Uferrand, die Jungen
tranken nach Herzenslust an den Zitzen der Mütter, und die Alten
benagten spielend, in der Fülle des Gebotenen schwelgend, die üppigen
Grasspitzen ringsumher oder die blütenschweren Ranken, welche von den
Bäumen herabhingen.

Franz kroch lautlos in das Zelt und weckte die anderen. Ein zugleich so
friedliches und so großartiges Bild wurde dem Blick vielleicht nicht zum
zweitenmale geboten, eine Herde von Elefanten sah man nicht alle Tage.

Rua-Roa schien bei dem Anblick der Kolosse im ersten Schrecken
entfliehen zu wollen. Er ließ sich gar nicht überzeugen, daß die
trompetenden Dickhäuter ohne Menschenfleisch zufrieden sein könnten, und
etwas wie eine Erinnerung an Angatsch den Bösen und alle seine Tücke zog
wieder durch das halbzivilisierte Gemüt. »Schieße nicht!« bat er
beklommen, »schieße nicht. Wer weiß, was sie im Schilde führen?«

Holm lachte. »Hast du die Bilder von Elefanten, welche wir dir gezeigt,
gänzlich wieder vergessen, Junge? Glaubst du, daß uns der Anblick dieser
Tiere überrascht?«

Der Malagasche errötete. »Aber du könntest doch den großen Körper nicht
fortbringen, Herr, auch wenn du ihn getötet hättest,« versetzte er
ängstlich.

Holm schwankte. »Einen dieser prachtvollen Stoßzähne würde ich doch
außerordentlich gern erbeuten! -- was meinst du, Franz?«

»Wir schleichen bis zu den drei Tamarindenstämmen, Karl, da! zu denen,
die ganz dicht neben einander stehen,« flüsterte eiligst der Knabe. »Es
kann uns in dies Versteck kein Elefant nachkommen, -- die anderen mögen
auf Bäume klettern.«

»Ich will mit Ihnen,« nickte der Matrose. »Ihr Gedanke ist gut.«

Als der Malagasche sah, daß keine Gegenrede den Jagdeifer der Weißen
erschüttern konnte, nahm er schnell seine Kugelbüchse und kroch durch
das Unterholz den Vorangegangenen nach, während der Doktor und Hans in
einiger Entfernung Posto faßten, um nötigenfalls den wütenden Riesen von
anderer Seite bekämpfen zu können. Der zweite Matrose blieb vor den
Zelten im Anschlag liegen.

Die Axishirsche hatten ihre schönen, schlanken Köpfe gedreht und
horchend einen Augenblick lang Miene gemacht zu entfliehen, dann aber,
als sie niemand sahen, kehrte die frühere Ruhe zurück; ein leichter Wind
strich spielend über ihre Stirnen dahin, sie schnupperten sorgfältig, --
nichts Verdächtiges störte den Frieden ringsumher.

Holm und Franz drangen vor bis an die Gruppe von Arekapalmen und
Tamarinden. Hier inmitten von wenigstens zehn Stämmen waren sie gegen
den Zorn der Elefanten vollkommen geschützt.

Rua-Roa fühlte sich etwas beklommen; er tastete unruhig wie in halber
Zerstreutheit an derjenigen Stelle seiner Brust, wo früher die
schützenden Amulette zu hängen pflegten. Sein Blick durchdrang spähend
die grünen, blütengeschmückten Umgebungen.

»Der da!« raunte Holm, »der große, rechts von den beiden Kälbern. Die
Zähne sind wahre Prachtexemplare.«

Er legte an, schon zuckte der Finger zum Drücker des Gewehres, da
berührte die Hand des Malagaschen seinen Arm. »Ein Kopf, Herr, ein
gelbes Tier! -- siehst du nicht dort die funkelnden Augen?«

Holm ließ das Gewehr sinken. »Gelb?« fragte er rasch, »wo denn? -- Ach,
bei Gott, ein Tiger!«

Gleich einem Blitz schoß die Raubkatze im Sprunge über das Gebüsch
dahin. Wenigstens sechs Meter durchmaßen die geschmeidigen Glieder, der
lange Schweif flog hinter ihm durch die Luft, ein mißtönendes Geschrei
erschreckte die Tierwelt ringsumher. Gleich Schatten waren die Hirsche
entflohen, kreischend und flatternd verbargen sich die Papageien im
Gezweig. Der Tiger hatte ein junges Elefantenkalb zum Opfer ausersehen,
sein plötzlicher Überfall warf das wehrlose Tier zu Boden, er biß mit
den gewaltigen Zähnen in die Kehle des Halberstickten, jammervolles
Klagegeschrei erfüllte die Luft, Ströme von Blut rannen über das Gras
dahin.

Die alten Elefanten schienen indessen keineswegs gesonnen, den Räuber
ihres Kleinen ungestraft entkommen zu lassen. Ihr Gebrüll widerhallte an
den fernen Bergwänden, wütende Angriffe mit dem Rüssel hoben in diesem
Augenblicke den Tiger hoch in die Luft empor, um ihn am Boden zu
zerschmettern, im nächsten hatte er sich durch sein scharfes Gebiß
befreit und hing jetzt als der Stärkere buchstäblich mit den Zähnen im
Fleische eines Elefanten. Dieser ungleiche Kampf des _Einen_ gegen so
viele konnte indessen nicht von langer Dauer sein. Der Tiger wehrte sich
wie ein Verzweifelter, auch sein Blut floß, die rote Zunge hing lechzend
aus dem Rachen hervor, der Schweif peitschte den Boden, heiser und immer
heiserer klang das wütende Gebrüll. Die Elefanten traten ihn, ihre
Stoßzähne bohrten sich in seinen Leib, sie warfen ihn von einer Stelle
zur anderen und wichen dann selbst schäumend vor Wut zurück, wenn ihre
empfindlichen, weichen Rüssel die Kraft seiner Bisse fühlten.

Besonders den großen, alten Elefanten, ein Männchen mit gewaltigem
Kopfe, hatte er bös zugerichtet. Der Koloß zeigte zerfetzte Ohren, aus
dem Rüssel waren große Stücke Fleisch gerissen und an manchen Orten hing
die Haut, von den Pranken der Raubkatze erfaßt, in Lappen herab. Das
Tier brüllte vor Schmerz, die ganze mächtige Gestalt schwankte, der Kopf
triefte von Blut, aber dafür wurde ihm auch die Genugthuung, seinen
Feind jetzt völlig besiegt zu sehen. Der Tiger lag, zum formlosen
Klumpen zertreten, unter den Füßen der grauen Kolosse; er atmete nicht
mehr, das schöne Fell war bis zur Unkenntlichkeit besudelt und
zerstampft, alle Rippen zerbrochen und der Kopf zerquetscht.

Neben seinen verstümmelten Überresten lagen die des getöteten
Elefantenkalbes, und nach allem Toben, allem Kampf der letzten
Viertelstunde war es traurig zu sehen, wie sich die Mutter des kleinen
Geschöpfes bemühte, es wieder in das Leben zurückzurufen. Sie beroch und
betrachtete es, versuchte mit dem Rüssel seinen Kopf aufzuheben und
emporzuziehen. Als alles vergeblich war, stieß das Tier mit
zurückgelegtem Kopfe ein erschütterndes Klagegeschrei in die Luft
hinaus, so ganz anders wie das Wutgebrüll der Männchen, so trostlos und
gramvoll, daß es die Herzen der zuhörenden Männer rührte. Diese beraubte
Mutter schrie nach ihrem Kinde, alle verstanden den Ton, alle gönnten es
dem Tiger, daß er für seine Unthat bestraft worden war.

»Und doch hat auch er vielleicht Junge im Nest, denen er Futter zutragen
wollte,« sagte endlich wie in Beantwortung seiner eigenen Gedanken der
junge Gelehrte. »Krieg ist das Losungswort der Tierwelt, eine Gattung
immer die Bekämpferin der anderen. -- Jetzt aber wollen wir, als die
vornehmsten, mit den stärksten Waffen versehenen Räuber, doch dem alten
Herrn da den Garaus machen. Der Tiger hat uns bestens vorgearbeitet.«

Er zielte nochmals, und die schwere Kugel drang dem Elefanten in das
Auge, um ihn auf der Stelle zu töten. Die Erde dröhnte, als er fiel.

»Ah! -- die beiden Stoßzähne hätten wir sicher.«

Holm wollte sogleich aus dem Versteck hervortreten und sich seiner Beute
bemächtigen, aber der Matrose warnte ihn vor der bekannten Hinterlist
der Elefanten, weshalb er wartete, bis sich die großen Tiere, erschreckt
durch mehrere ihnen zugesandte Schüsse, endlich entfernt hatten. Die
Walstatt selbst bot einen furchtbaren Anblick. Überall war die Erde
fußtief aufgewühlt, Lachen von gerinnendem Blut füllten die tieferen
Stellen, Gebüsche und schwächere Baumstämme lagen zertreten, Ranken
zerrissen und Blumen geknickt. Dazwischen die zermalmten Tierleichen, --
so fanden Holm und Franz das Gesamtbild, als sie mit den anderen kamen,
um die Stoßzähne des großen Elefanten herauszubrechen. Das Handbeil des
Matrosen leistete dabei die besten Dienste, es gelang über alles
Erwarten gut, und schon waren die Jäger im Begriff, den Rückweg zu ihren
Zelten anzutreten, als von einiger Entfernung her ein leises Wimmern
oder Pfeifen die nächtliche Stille durchdrang. Es hörte sich an, als
weine ein kleines eigensinniges Kind, oder wie Katzengeschrei.

Alle horchten. Da klang es nochmals. Ein größeres Tier konnte es
unmöglich sein.

Die ganze Gesellschaft ging dem Schall nach. Im Widerspruch mit den
Gewohnheiten wilder Geschöpfe verstärkte sich bei dem Näherkommen der
Männer das Wimmern, es tönte deutlicher und immer deutlicher, bis
zuletzt Franz als der erste im Zuge seitwärts vom Wege ein Nest aus
dürren Halmen entdeckte und darin zwei junge Tiger, die, kaum größer als
Ratten, vielleicht erst seit dem gestrigen Tage lebten und sich
ängstlich verkrochen, als der Knabe in ihren Schlupfwinkel sah. Bei der
ersten Berührung versuchten die zahnlosen Mäulchen zu beißen.

»Richtig so wie ich mir dachte,« nickte Holm. »Die säugende Mutter hat
es, vom Hunger getrieben, gewagt, das Elefantenkalb inmitten seiner
Herde anzugreifen und ist dabei der Übermacht erlegen. Was fangen wir an
mit diesen kleinen Schreihälsen?«

»Totschlagen!« entschied der Doktor. »Sie können dann keinesfalls mehr
schaden.«

»Es ist auch barmherziger, sie auf einen Schlag zu töten als dem
langsamen Verhungern auszusetzen,« meinte der gutmütige Hans.

»Ich will euch etwas sagen,« rief Franz. »Morgen müssen uns doch
höchstwahrscheinlich Eingeborne begegnen, denen zeigen wir das Nest.
Halberwachsene Tiger werden von den Hamburger und Londoner Tierhändlern
bis zu tausend Thalern bezahlt.«

»Topp!« versetzte Holm. »Das klingt vernünftig. Selbst zum Ausstopfen
sind die Dinger noch zu klein, -- wir können für unsere Zwecke nichts
damit anfangen.«

Die Richtung und Entfernung von der Quelle wurde nun genau festgestellt,
die Elefantenzähne wie Gewehre geschultert und der Rückweg angetreten.
Holm und Rua-Roa bezogen die Wache, später von Hans und dem zweiten
Matrosen abgelöst, und kein weiteres Ereignis störte den Schlaf, der bis
zum hellen Morgen dauerte.

[Illustration: Die Ruinen auf Ceylon.

»An einer Stelle mitten im dichten Walde, von tausend Ranken und
blühenden Flechten überzogen, harrte der Reisenden ein unerwarteter
Anblick.«]

Der Rest des Büffelfleisches wurde gebraten, um zu jeder Zeit und an
jedem Orte verzehrt werden zu können, die Zelte abgebrochen, und nun
ging es weiter durch den Wald dahin; unermeßliche Strecken von Tiefland
mit Kokosbäumen dicht besetzt, Hochebenen voll der schönsten Palmen,
Kaffeefelder, Zimtfelder, Massen von Kardamomen, von Eben- und
Sapanholz, ebenso wieder der Brotbaum, der Dschambu- und Kaschubaum,
alles wechselte in erdrückender, sogar Afrikas Üppigkeit übertreffender
Fülle. An einer Stelle mitten im dichten Walde, von tausend Ranken und
blühenden Flechten überzogen, harrte der Reisenden ein unerwarteter
Anblick. Neben und unter den schlanken Palmenstämmen erhoben sich die
grünbewachsenen Ruinen einer ehemaligen Stadt, Steinmauern, deren letzte
Bruchstücke hier dem Zahn der Zeit Trotz boten, die vielleicht vor
vielen Jahrhunderten einer wohlhabenden und gebildeten Bevölkerung als
Wohnsitz gedient hatten. Holm jubelte, obwohl dieser Fund weniger in das
naturwissenschaftliche als vielmehr in das kulturhistorische Gebiet
hineingehörte. Da waren uralte Treppenstufen aus Granit, gebrochene
Säulen, Pfeiler, an denen selbst die Jahrhunderte mit ihren Stürmen und
Regenfluten nicht zu rütteln vermocht hatten, und als die Reisenden
weiter vordrangen, in der Mitte dieser versunkenen, uralten Stadt ein
ausgemauerter Teich, oder doch die Steinfassung eines solchen, wenn auch
das Wasser längst versiegt sein mochte. Über alle diese Zeugen einer
toten, großartigen Vergangenheit aber wob die Gegenwart ihren grünen,
blütengestickten Schleier. Wo einst ein Tempel gestanden, da sandte von
tausend Ästen die Tamarinde ihre erquickende Frucht der Hand des
Wanderers entgegen; wo sich müde Menschen zur Ruhe gebettet, da hob die
schöne malabarische Ziege spähend vom Nest ihre Hörner, und unter den
Stufen der gewundenen Treppen hausten Moschusratten, die bei der
Annäherung von Fremden eilends in ihre Löcher schlüpften, deren zwei
oder drei aber doch erlegt wurden, um sie den übrigen Schätzen dieser
Reise zuzugesellen. Auch ein junger Bock mußte das Leben hingeben und
gleich an Ort und Stelle als Braten dienen. Die Steinstufen boten einen
vorzüglichen Herd, Feuer war bald entzündet, und in der Blechpfanne
schmorte und brodelte es. Holm mit den Knaben suchte nach Früchten,
wobei wieder eine neue Entdeckung gemacht wurde. Ein einsamer uralter
Feigenbaum, der »_Bo_«, wie ihn die Eingebornen nennen, hoch und von
mächtiger Breite, überschattete einen steinernen, nur noch als Ruine
dastehenden Tempel der ehemaligen Buddhisten; seine Blätter waren gleich
denen der Pappel in beständigem Zittern begriffen, eine Art von Altar
befand sich im Innern, und das Ganze lag malerisch im Halbschatten
verhüllt. Hoch oben sangen Vogelstimmen ein helles Jubellied, der Wind
spielte in den Zweigen, die zutraulichen Ziegen weideten überall auf den
Abhängen, und unten im Thale stieg der Rauch des Herdfeuers wirbelnd zu
den Wolken empor.

»Hier haben vor tausend Jahren indische Weise gelehrt und geherrscht,«
sagte beinahe feierlich der junge Naturforscher, »jeder dieser Steine
gibt Zeugnis von einer großen, reichen Vergangenheit, -- heute gehört
das Gebiet den Raubtieren, und seine Einwohner sind Wilde.«

»Ob wir doch endlich welche sehen werden?« rief Franz.

Der Wunsch sollte sehr bald in Erfüllung gehen. Als die kleine Gruppe
auf Steinblöcken und Stufen um das Feuer herum Platz genommen und den
Braten zerlegt hatte, teilten sich plötzlich in einiger Entfernung die
Büsche, und braungelbe hübsche Gesichter sahen hervor. Auf allen diesen
Zügen lag Verstand und Gutmütigkeit zugleich, das Haar hing schwarz und
seidenartig lang über die breiten, kräftigen Schultern herab, weiße
Mützen saßen keck auf den Köpfen, und die Spitzen mehrerer Eisenwaffen
schimmerten durch das Grün.

Im ersten Augenblick erschraken unsere Freunde oder faßten doch
maschinenmäßig nach ihren Gewehren. Man konnte ja immerhin nicht im
voraus wissen, wie die dunkeln Gestalten den Besuch aufnehmen würden.
Holm erhob sich und ging ihnen entgegen, ebenso schnell und noch
schneller tauchten die Wilden zurück in das Grün; erst als er einen
lauten Zuruf in den Wald hineinschickte, erschienen hier und da einige
der dunklen Gesichter und als auch die übrigen Weißen aufstanden und mit
ausgestreckten Händen näher traten, da kamen die Gestalten ganz zum
Vorschein. Weiße Mütze, Jacke und eine Art von kurzer Schürze, alles aus
feinem, leichtem Gewebe gefertigt, so zeigten sich ohne die geringste
Bekleidung der Beine oder Füße die Singhalesen, wenigstens sechzehn bis
zwanzig an der Zahl, sämtlich bewaffnet, aber mit den friedlichsten
Gebärden die Europäer begrüßend. Mehrere unter ihnen verstanden die
englische Sprache, es ließ sich also ohne Mühe eine Unterhaltung
anknüpfen, und bald hatten sich die Weißen und Braunen bunt
durcheinander in das Moos gelagert; nur fünf von den Farbigen waren in
einiger Entfernung stehen geblieben, als gehörten sie nicht zu den
anderen.

»Rufe deine Freunde, Tippoo,« wandte sich Holm an den Häuptling, nachdem
er dessen Namen erfahren und seinen Rang kennen gelernt hatte. »Weshalb
sind die Leute so scheu?«

Der Singhalese schüttelte den Kopf. »Diese Männer sind meine Sklaven,
Sahib, sie dürfen nicht sitzen, so lange ich gegenwärtig bin, sie können
auch das Mahl nicht mit mir teilen und dürfen nur antworten, wenn ich
frage.«

Der Doktor näherte sich dem Häuptling. »Aber du gestattest heute einmal
eine Ausnahme, nicht wahr, mein werter Tippoo?« fragte er. »Diese Armen,
die du Sklaven nennst, sind nicht minder Gottes Geschöpfe wie du selbst,
überhaupt kann nie ein Mensch dem anderen wie eine Sache oder ein Tier
gehören.«

»Gewiß, Sahib, diese Leute gehören mir! Ihre Väter haben meinem Vater
gehört und ihre Söhne werden meinen Söhnen gehören.«

»Und da ist kein Freikaufen, keine Erlösung möglich? Das Kind des
Sklaven wird unter allen Umständen wieder ein Sklave?«

»Natürlich. Habt ihr nicht im Abendlande auch Häuptlinge, Freie und
Sklaven?«

Der Doktor schüttelte energisch den Kopf. »Sklaven nirgends, Freund
Tippoo, nirgends, ich gebe dir mein Wort darauf. Und nun gestatte, daß
deine Diener hieherkommen.«

Aber das war vergebliche Mühe, der stolze Singhalese blieb unerbittlich;
er schien es gar nicht als möglich zu betrachten, daß sich seine Sklaven
dem Umkreise des Feuers nähern könnten. Zur Jagd auf Felle und junge
Tiere nahm er sie mit sich, aber doch nur ihrer Dienste wegen, nicht als
Gefährten. Und ganz wie er dachten auch die anderen braunen oder
olivenfarbigen Söhne der Wildnis. An keinem europäischen Hofstaat
konnten die Klassengegensätze und der Adelsstolz stärker entwickelt
erscheinen als hier im grünen von Tigern und Elefanten bewohnten
ceylonischen Walde. Die Singhalesen erwiesen sich höflich, zuvorkommend
und bescheiden, sie erboten sich zu Führern und luden die Fremden ein,
bei ihnen im Dorfe zu wohnen, aber um keinen Preis hätten sie vermocht
werden können, von dem gebratenen Ziegenfleisch auch nur einen Bissen zu
genießen. Schaudernd lehnten sie ab, was ihnen angeboten wurde, und
nahmen nur von einer Art aus Maniokmehl bereitetem, platten Kuchen, den
die Sklaven ihnen in große Blätter gewickelt nachtrugen. Das
Fleischessen sei von ihren Priestern strenge verboten, erklärte Tippoo,
kein Anhänger der buddhistischen Religion dürfe es genießen, eben so
wenig berauschende Getränke.

Diese Ansicht wurde natürlich von den Weißen durchaus respektiert;
weniger zufrieden waren sie, als der Singhalese auch das Pflücken der
Feigen, insoweit es den heiligen Bobaum betraf, mit der diesen sauberen,
hübschen Leuten eigenen gebietenden Hoheit ohne weiteres untersagte.
»Wenn ihr unsere Gäste sein und friedlich unter unserem Volke leben
wollt,« sagte er, »so heißen wir euch willkommen in Singhala (so nennen
die Eingebornen ihre Insel) und laden euch ein, unsere Hütten zu teilen,
aber den Sitten des Landes müßt ihr euch fügen und vor allem unsere
Götter ehren. Pflückt Feigen, wo ihr wollt, meine Sklaven sollen euch
die schönsten zu Füßen legen, aber berührt nicht den Baum Buddhas.«

Das wurde versprochen und den Knaben eingeschärft, unter keiner
Bedingung heimlich von der verbotenen Frucht zu naschen; dann kam auf
die Bitte, welche Hans seinem Lehrer zuflüsterte, die Angelegenheit der
verlassenen kleinen Tiger zur Sprache. Tippoo kannte den bezeichneten
Ort, und zwei Sklaven machten sich auf, um die beiden jungen
Raubgesellen herbeizuholen. Einige Wochen älter waren sie in Galle oder
Trincomali doch immer ihre hundert Thaler wert.

Nachdem man gegessen und getrunken, mußten die Sklaven das Gepäck
schultern und dann wurde der Weg zum Dorfe angetreten. Diese Gegend lag
noch weit von dem eigentlichen Ziel der Reise entfernt; die Singhalesen
konnten nicht wohl Wilde genannt werden, sie betrugen sich höchst
anständig und hatten gutgearbeitete Waffen; zum Lande der schwarzen
Veddas aber waren sie gewiß die tauglichsten Führer. Tippoo selbst
wollte den Weg zeigen, d. h. wenn die Weißen gut bezahlten, es schien
als habe der braune Heide die Rechenkunst sehr sorgfältig studiert. »Die
Veddas sind schmutzige Gesellen,« berichtete er, »sie essen jedes Tier,
das ihnen in den Wurf kommt, zuweilen sogar roh, und wohnen wie die
Sklaven auf ebener Erde.«

Franz sah ihn an. »Wohnen denn die Singhalesen -- etwa auf den Bäumen?«
fragte er belustigt.

»Gewiß, die Vornehmen, die Vellalahs wohnen auf Bäumen!«

»Mit Kind und Kegel, mit Küche und Haustieren? -- Nicht möglich!«

»Die Tiere haben ihre Ställe am Boden,« berichtigte der Braune, »auch
gekocht wird vor der Hütte. Aber du sollst gleich unser Dorf sehen,
Fremder.«

Noch eine kurze Strecke wurde zurückgelegt, dann ertönte von den Lippen
der Weißen wie auf Verabredung ein allgemeines »Ah!« der höchsten
Überraschung. Es war ein lachend schönes, ländliches Gemälde, das sich
jetzt auf freier Hochebene dem erstaunten Blick entrollte. Weite Äcker,
wohlgepflegt und umzäunt, dehnten sich fast unübersehbar, Kaffee und
Zimt, Mais und Maniok, dazwischen Erbsen, Bohnen, Lupinen und
Beerenfrüchte in Menge, so drängte sich Schattierung an Schattierung, so
lockte es von hundert Punkten zugleich das Auge. Das Seltsamste aber
waren in diesem Singhalesendorf die Häuser selbst. In Entfernungen von
etwa fünfzig Schritten standen alte, weitästige, mit ungeheuren Stämmen
versehene Bäume, meistens Tamarinden oder Brotbäume, und in jedem dieser
Riesen hing gleich einem Vogelnest auf den untersten Zweigen eine
menschliche, aus Bambusstäben luftig geflochtene Wohnung. Die Äste waren
derart behauen und eingerichtet, daß sie Raum in Fülle boten, die
abgeschnittenen, biegsamen Stäbe hatte man sinnreich und geschickt an
allen Ecken mit den lebenden verbunden, das ganze Haus bog sich wie der
Baum selbst nach jedem Windstoß, so daß es nie von der Wucht desselben
herabgeschleudert werden konnte; es hatte Fensteröffnungen nach allen
Seiten, obgleich freilich die Glasscheiben fehlten, und eine mit einem
Mattenvorhang versehene Thür. Das spitze Dach war von Rankengewächsen
und Blumen vollständig überwuchert, rauschende Zweige schlugen über dem
Giebel zusammen, bunte Papageien wiegten sich im Laube, Singvögel
schmetterten ihre Lieder. Es konnte nichts Reizenderes geben als diese
laubenartigen, von paradiesischer Schönheit rings umfluteten Wohnungen,
zu denen starke Strickleitern aus selbstgebautem Hanf hinaufführten. So
unsolide und gewagt die Sache auf den ersten Augenblick scheinen mochte,
so zweckmäßig erwies sie sich bei näherer Betrachtung. Wenn abends diese
Strickleiter von den Bewohnern heraufgezogen wurde, dann gab es weder
für Menschen noch für Tiere ein Mittel den Zutritt zu erzwingen.

Rings im weiten Kreise umgab jeden Baum eine Einzäunung von
Bambusstäben, diesem unentbehrlichsten aller Lebensbedürfnisse des
Tropenbewohners, eine dichte, grüne, lebende Hecke, die das Notwendige
fortwährend ergänzte, wo Baumaterial, Stacketpfähle, Wasserbehälter,
Dosen und hundert andere Geräte lustig in immer grüner Fülle aufschossen
als schlanke Zweige, die sich unter den Händen der Eingebornen so
vielfach verwandelten und umgestalteten. An die Hecke lehnten sich
Ställe für Ziegen und Hühner als die einzigen bekannten Haustiere, und
weiterhin in größerer Entfernung von dem Stamm selbst lagen die Hütten
der Sklaven, alles Bambusgeflechte wie das Haus oben in den Zweigen. Vor
der Thür so zu sagen, d. h. am Fuße des Wohnungsbaumes, lagen Steine und
Trümmer aus den Waldruinen als Herd aufgeschichtet; ein großer platter
Stein zum Zerquetschen des Getreides befand sich daneben und am
Dreispitz von Eisen hing ein Kochgeschirr aus demselben Metall.

Ziemlich durch die Mitte der Niederlassung floß ein klarer Quell, und
auch hier beschattete ein alter, weitästiger Bobaum einen Tempel
Buddhas, einen Dagop, wie ihn die Eingebornen nannten. Der Altar hatte
Kugelgestalt, war inwendig hohl, um die geheiligten Schriften der
Priester aufzunehmen und trug auf der oberen Fläche eine zilinderförmige
Erhöhung. Des Priesters Hütte befand sich in den Zweigen des heiligen
Baumes, und der Bewohner selbst saß in der offenen Thür, ein Greis mit
weißem Haar und lang bis auf die Füße herabwallendem weißen Gewande. Er
grüßte mild und freundlich wie ein Vater seine heimkehrenden Kinder, und
alle erwiderten den Gruß. Das ganze Dorf in den Lüften machte einen
höchst angenehmen, wohlthuenden Eindruck.

Tippoo öffnete die Thür einer der größeren, im Augenblick leerstehenden
Sklavenwohnungen. »Ich weiß, daß euer Volk keine Schmach darin sieht,
auf plattem Boden zu schlafen,« sagte er, »richtet euch darum häuslich
ein, damit ihr ungestört und ungehindert euren Neigungen nachleben
könnt. Maniokkuchen und Früchte bringen euch meine Sklaven; wollt ihr
aber Fleisch essen, so müßt ihr selbst die Tiere erlegen und zubereiten.
Mein Haus betrachtet wie das eure.«

Damit entfernte er sich und ließ seine Gäste allein. Die Hütte welche
sie jetzt bewohnten, war noch luftiger als das Staatsgefängnis auf
Madagaskar, frisches, duftiges Moos bildete, von den Sklaven
herbeigebracht, die Lagerstatt; eine lange Bambusröhre diente als
Wasserbehälter, und die Speisen wurden in einem Winkel auf den Fußboden
geschüttet. Natürlicher, paradiesischer konnte das Dasein nicht gedacht
werden, schöner die Umgebung, reiner die Luft nirgends auf Erden sein.
Der Thürvorhang wurde zurückgeschoben, die leinenen Kleider mit frischen
vertauscht und dann das Dorf und das Haus des gastfreien Häuptlings in
Augenschein genommen. Franz kletterte zuerst hinein. »Ich bitte euch,«
rief er, »folgt nicht alle zugleich; wenn der Käfig niederbräche, wären
wir verloren.«

Holm kletterte nach, die anderen setzten ihren Spaziergang fort, und die
beiden Matrosen wuschen unterhalb des Dorfes im Bache das Leinenzeug,
wobei ihnen hübsche Sklavenfrauen nicht allein halfen, sondern auch eine
selbstverfertigte, sehr gute Seife brachten. Die Unterhaltung der
Hamburger Teerjacken mit den neugierigen, schwatzhaften Singhalesinnen
gestaltete sich höchst lustig, so daß das beiderseitige heitere Lachen
über den freien Platz dahinschallte; unterdessen spielten oben im Baume
der junge Gelehrte und Franz bei der Gemahlin Tippoos die galanten
Kavaliere. Sie setzten sich nicht ohne einige heimliche Besorgnisse auf
den Fußboden, der so neidlos den Durchblick freigab, und ertrugen auch
nicht ganz ohne Schmerzen die Abwesenheit jeglicher Stühle oder Polster,
aber die Anstandsvisite bei der holdlächelnden, mit prachtvollen Zähnen
und vielen aus Muscheln geflochtenen Verzierungen geschmückten Dame ging
doch in aller Form vorüber, obwohl Frau Häuptling Tippoo kein Wort
englisch und unsere Freunde wiederum kein Wort singhalesisch sprachen,
sondern beide Teile einander nur eine Zeitlang entgegenlächelten und von
seiten der Herren ein kleiner Spiegel, von seiten der Dame einige
besonders schöne Muscheln, Meerhörner, Lazarusklappen und Wendeltreppen
als Geschenke ausgetauscht wurden. Späterhin, nachdem der Doktor und
Hans die gleiche Höflichkeitspflicht erfüllt, versammelten sich vor dem
Schlafengehen alle neben dem Baume und hielten gemütlich im Grase
liegend noch ein abendliches Plauderstündchen, wobei Tippoo von den
buddhistischen Göttern erzählte und seinerseits aufmerksam zuhörte, als
die Fremden von europäischen Einrichtungen sprachen. Ganz zuletzt kamen
die beiden Sklaven mit den aufgefundenen Jungen der Tigerin nach Hause,
und nun erwachte erst die Freude der Knaben. Aus dem Stall wurde eine
der schönen, seidenlockigen malabarischen Ziegen hervorgeholt und ihr
die kleinen halbverschmachteten, nur noch schwach wimmernden Raubtiere
an die mütterlichen Euter gelegt, -- aber das Experiment gelang nicht so
ohne weiteres. Die Ziege sprang, so bald sie den Erbfeind gewahrte, auf
die Hinterbeine, senkte den schöngeformten Kopf wie zum Angriff und
schien entschlossen, den labenden Quell, welcher ihrem lustig
herumspringenden Böckchen gehörte, gegen jedweden Angriff zu
verteidigen; erst die gütlichen Zureden ihres Wärters und vielleicht das
jammervolle Klagen der hungernden Tierchen, dem sie offenbar lauschte,
bewogen die Ziegenmama, diesmal ein übriges zu thun. Ein Blick auf die
gefüllten Vorratskammern mochte ihr sagen, daß für das impertinente,
streitlustige Böckchen jedenfalls noch genug übrig sei, und so legte sie
sich denn großmütig in das Gras, es den Tigern überlassend, sich am
Quell zur Sättigung zu verhelfen. Ja, nachdem die Halbverdursteten
herzhaft zugegriffen, erwachte sogar in der friedfertigen Amme das
mütterliche Erbarmen mit den hilflosen Säuglingen; sie besah die
kleinen, scheckigen Kätzchen, besah sie nochmals und leckte dann
gutmütig die Fremden, wie sie es sonst ihren eigenen Kindern that.

Nach einer Viertelstunde waren die kleinen Tiger so rund wie Muffen und
schliefen den Schlaf gesunder Sättigung, während ihre Pflegerin mit den
großen Augen im Kreise umhersah und der Milchbruder Bock neben den
Eindringlingen sich gelagert hatte, um auch seinerseits den Nachttrunk
einzunehmen. Franz zeichnete emsig. Von allen besonders schönen und
interessanten Augenblicken hatte er sich im Album eine dauernde
Erinnerung gesichert, auch dieses Bild sollte darin Platz finden.

Für die Nacht wurde den Tigern noch ein Logis im Ziegenstall angewiesen,
wo sie bleiben sollten, bis ihnen Zähne gewachsen und mit diesen die
Raubgelüste erwacht wären; dann würde es fortgehn nach Galle und von da
nach Europa. -- Tippoo zog oben im Baum die Strickleiter ein, vor allen
Thüren erschienen die Musselingardinen und das Vogelgezwitscher
verstummte; müde von langer Wanderung streckten sich die Weißen auf das
Mooslager.

Hier brauchte niemand zu wachen; bis in die Niederlassung hinein wagte
sich kein Raubtier. Holm ließ sogar die Thür offen, um der milden,
gewürzigen, von tausend Wohlgerüchen durchtränkten Luft Zutritt zu
gewähren; bald hatte ein weicher Schlummer seine Sinne umfangen.

So mochten Stunden vergangen sein, der Mond stand hoch am Himmel, alles
schwieg und ruhte; nur die Blätter des Bobaumes flüsterten im Wind, --
da erwachte der junge Gelehrte, als habe ihn plötzlich jemand gerufen.
»Franz,« sagte er leise, »sprachst du?«

Keine Antwort. Die tiefen Atemzüge des Gefährten verrieten ihren ruhigen
Schlaf, -- was war es also gewesen?

Holm richtete sich auf und sah in das Helldunkel der Nacht hinaus.
Nichts regte sich, kein Schatten deutete auf die Anwesenheit eines
lebenden Geschöpfes. Sonderbar! -- er begriff nicht, welcher Schall ihn
erweckt haben könne, aber er hatte ihn doch deutlich vernommen, wenn
auch nur im Halbschlaf und auf Sekunden. Er horchte unruhig.

Lange Zeit blieb alles still, dann aber huschte es wie mit leichten
Schritten durch das Geäst des Daches, erst vorsichtig, dann immer
dreister und dreister, ein Poltern, Schlurfen und Fallen verriet die
nächtlichen Ausflüge der Wanderratte; dennoch aber schien es, als sei
diesmal das braune, bissige Nagetier nicht der Jäger, sondern der
Gejagte, als werde es verfolgt und aus allen seinen Verstecken
herausgescheucht. Plötzlich durchdrang ein Zischlaut die Stille der
Nacht, ein Quietschen wie in Todesangst folgte, das leise Wimmern
erstarb schnell.

Mit einem Sprung war Holm auf den Füßen, das Streichholz knisterte und
die Flamme der Wachskerze beleuchtete den Boden. Da lag tot eine große,
braune Wanderratte und in Ringeln hatte sich um ihren Körper eine
stahlblaue Natter geschlungen. Die lange spitze Zunge trat lüstern aus
dem Munde hervor, die gelbe Krone richtete sich auf, und ein Zischen
bekundete den Ärger über die plötzliche Störung. Noch ehe Holm
überlegte, was er that, hatte sein Fuß die Schlange zertreten.

Aber damit war nichts gewonnen. Er hielt die Wachskerze hoch empor und
beleuchtete das Holzwerk des Daches. Von mehr als zehn Stämmen hingen
die Schlangen herab, aus jeder Ecke leuchteten ihre gelben Kronen, eine
fiel und lief ihm kalt und glatt über die Hand, daß er schauderte.
»Franz!« rief er halblaut, »Franz, wach auf!«

»Ja!« antwortete schlaftrunken der Knabe. »Ja!«

»Steh auf, Franz, -- es sind Schlangen hier. Nattern sogar!«

Jetzt erwachten alle. Eine Schlange ist jedem Menschen widerwärtig, mit
ihrem Geschlecht versöhnt sich niemand, sie hat nirgends auf Erden
Freunde, nebenbei aber ist auch die Gefahr, welche sie bringt, so groß,
daß ihr gegenüber die höchste Vorsicht zur Notwendigkeit wird. Stecken
und Wurfgeschosse hagelten an die Decke, zehn Kerzen flammten auf und
alle sprachen zugleich. Es entstand ein solcher Lärm, daß sich draußen
vor der Thür die Singhalesen in hellen Haufen sammelten, einige ganz
ohne alle Bekleidung, andere nur mit der Schürze und wieder eine dritte
Gruppe bis an die Zähne bewaffnet. Es war ein Aufruhr, als sei
mindestens ein Tiger in das Dorf gekommen. Als die Männer hörten, daß es
sich um nichts als Nattern handelte, schüttelten sie voll Erstaunen die
Köpfe.

»Wir lassen sie unsere Häuser von den lästigen Ratten befreien und
machen niemals Jagd auf sie, dafür haben wir selbst Ruhe!« erklärte
Tippoo.

»Aber um des Himmels willen, ihr schlaft weiter, während eine der
giftigsten Schlangengattungen über euren Köpfen an der Decke baumelt?«

»Ja, die Tiere thun uns nichts, weil wir ihnen nichts thun. Übrigens
steigen auch die Schlangen nur sehr selten auf Bäume.«

Holm und seine Gefährten sahen einander ratlos an. »Weißt du, was ich
vorschlage,« meinte endlich Franz. »Wir hängen unsere Zelte wie in
Dahomey an die Bäume und legen uns hinein. Auf die Anständigkeit der
Nattern zu bauen, scheint mir etwas gewagt.«

»Was kriecht da?« rief plötzlich der Doktor. »Hier, hier, -- ich glaube
--«

Er vollendete nicht. Holm hatte das schnell im Dunkel verschwindende,
halb spinnen- halb krebsartige Tier mit der schwarzbraunen Farbe und dem
aufrecht getragenen Schwanz sofort erkannt. »Ein Skorpion!« rief er.
»Das fehlt noch.«

Tippoo lachte, auch unter den übrigen zeigte sich große Heiterkeit.
»Dies Tier frißt die Stechmücken,« sagten sie, »es ist uns sehr
nützlich. Kennen die Fremden in ihrem Lande keine Schlangen und keine
Skorpione?«

»Beißen euch auch diese nicht?« war die Gegenfrage.

»Sehr selten. Wir lassen sie in Ruhe.«

»Dann habt ihr aber einen Zauberer, der sie und die Nattern beschwört?«

Ein allgemeines Kopfnicken war die Antwort. »Natürlich, einen Zauberer
hat jedes Dorf.«

Holm wandte sich lächelnd zu dem jungen Malagaschen. »Hier vereinbart
man sich gütlich mit den giftigsten Reptilien,« sagte er, »und in deiner
Heimat sind die Krokodile der oberste Gerichtshof, -- wie findest du
das, Freund Rua-Roa?«

Der ehemalige Sklave sah verlegen zu Boden. »Ich bin doch jetzt kein
Wilder mehr!« antwortete er halblaut. »Ich mag auch den heidnischen
Namen nicht länger hören, Herr, -- du könntest mich wohl schon Rudolf
nennen, als wäre ich bereits getauft.«

Holm und der Doktor wechselten einen Blick. »Ich dachte mir's,« nickte
der Gelehrte. »Wenn er die kindischen Anschauungen anderer Wilder sieht,
wird er den Unwert seiner eigenen erkennen lernen.«

»An die Arbeit!« setzte er in ermunterndem Tone hinzu. »Unsere
Hängematten gewähren uns jedenfalls den besten Schutz gegen das
Ungeziefer.«

Die Zeltleinen wurden doppelt genommen und von den Matrosen in wenigen
Augenblicken ausgespannt. Da oben schwebend an ein paar starken Ästen
konnten die Reisenden höchstens den Besuch eines neugierigen
Eichhörnchens, vielleicht einer Papageienfamilie oder einer großen Eule
erwarten, aber die Schlangen verstiegen sich nicht dahin und die
Skorpione auch nicht.

Als alles rund umher still geworden war, tönte wieder aus dem Innern der
alten Holzdächer jenes Rumoren und Poltern der Ratten, das Zischen und
Todesgeschrei. Holm schlief nicht mehr, so unangenehm hatte ihn die Nähe
der Schlangen berührt; er war froh, als der Morgen heranbrach und die
Jagd wieder beginnen konnte. Heute sollten die Fremden mit einigen
Betriebsarten der Eingebornen bekannt werden; man zeigte ihnen, wie aus
dem Saft der Palmyrapalme ein höchst wohlschmeckender Sirup gewonnen
wurde und wie die Maniokwurzeln sich zwischen Reibeisen in Mehl
verwandelten. Den Kaffee, obwohl sie ihn bauen, trinken die Singhalesen
nicht, sondern meistens Kokos- oder Ziegenmilch. Unter den Hühnern, die
in reicher Fülle vorhanden waren, zeichnete sich das Purpurhuhn durch
seine auffallende Schönheit am meisten aus. Ganz schwarz mit drei vom
Kopf über den Hals herablaufenden Purpurstreifen, zu denen bei dem Hahne
noch ein Flügelsaum von gleicher Farbe hinzukam, war das Tier etwas
größer als seine gemeineren Verwandten, dafür aber keineswegs so
friedlich wie diese, sondern dermaßen streitlustig, daß es den Fremden
nachlief und zum Ergötzen der Knaben erbittert in die Stiefel hackte.
Der schönste Anblick aber wurde unseren Freunden zu teil, als sie in
früher Morgenstunde rings um die Felder gingen und nun einem eifrig
speisenden Volk wilder Pfauen begegneten. Diamanten gleich erglänzten im
Sonnenlichte die Augen auf den entfalteten Rädern der Männchen, Blau und
Rot und strahlendes Gelb wechselten mit dunkleren Farbentönen, während
die jungen Tiere noch ein einförmigeres Grau zeigten. Einzelne alte
Hähne hatten eine wahrhaft bewunderungswürdige Größe erreicht.

»Wir wollen kein Tier schießen,« meinte Holm, »sondern lieber für den
Zoologischen Garten ein junges Pärchen mitnehmen und dann vom nächsten
Hafen nach Hause schicken. Es ist übrigens jammerschade, wie die Felder
durch diese Tiere geplündert werden, ich glaube, man macht hier die
Geschöpfe so dreist, weil kein Fleisch in den Topf kommt.«

»Was kriecht da?« rief Rua-Roa, halb im Begriff, die Flucht zu
ergreifen, halb zögernd in der Furcht, sich lächerlich zu machen. »Ein
Ungeheuer, Franz, ein Ungeheuer!«

Und dabei überwältigte ihn das Entsetzen. Mit zwei Sprüngen war er auf
dem nächsten Baum, in diesem Augenblick ganz Wilder, katzengleich an den
Zweigen hängend, für jeden Körperteil mit erstaunlicher Gewandtheit
Schutz findend. »Franz, Franz, es kommt hierher!«

Die übrigen suchten mit den Augen, dann legte Holm den Finger auf die
Lippen und machte lachend dem Malagaschen im Baum eine Faust. Die
ausgestreckte Hand zeigte allen, was sich so Greuliches da heranschlich,
und sofort begriffen auch die Weißen, weshalb vollkommene Stille geboten
war. Die vier Paar lachender Augen, welche den geflüchteten jungen
Burschen ansahen, trieben diesem das Blut heiß ins Gesicht, jetzt durfte
er ja aber nicht sprechen und hing also mit trübseliger Miene stumm da
oben im alten Feigenbaum.

Der Drache, den er gesehen, kam indessen schwerfällig herangewatschelt
und zeigte sich als eine harmlose, aber riesige Schildkröte. Das große
Tier verfolgte seinen Weg bis zu dem Schatten eines dichten Gebüsches
und fing hier an, mit den Hinterfüßen ein Loch von mehr als einem halben
Meter Tiefe zu scharren, indem es die Erde hinter sich aufwarf. Alle
vier Zuschauer verfolgten lautlos die Arbeit der Kröte, Rua-Roa hinter
seinem Schutzwall duftender Feigen that das Gleiche, aber heimlich stieg
bei diesem Anblick seine Furcht nur noch immer mehr. Ganz gewiß vollzog
sich hier ein schlimmer Zauber, vielleicht grub sogar das boshafte Tier
ein Grab, in das es die Fremden stürzen wollte, und diese Unseligen,
Verblendeten sahen zu, ohne sich zu verteidigen, ohne rechtzeitig die
Flucht zu ergreifen! Rua-Roa telegraphierte mit Händen und Füßen, um sie
zu warnen, aber ganz vergeblich; die Tolldreisten lachten ihn aus, ja,
sobald er es wagte, ein halblautes Wort zu sprechen, erhoben sie
drohende Finger, -- er mußte das Ärgste geschehen lassen.

Die Schildkröte hatte mittlerweile ihre Arbeit beendet, sie saß jetzt
ganz still und hielt, nachdem sie einen kleinen Schritt zurückgetreten,
den Hinterkörper etwas geduckt, -- das Zauberwerk mußte nach des
Malagaschen Ansicht nun unmittelbar beginnen.

Und was that in diesem Augenblick der tollkühne Franz? -- Rua-Roa traute
seinen Sinnen nicht. Er sprang mit einem plötzlichen, gewaltigen Satz
auf den Rücken der Schildkröte und stand dort wie ein Sieger, den
anderen in deutscher Sprache einige Worte zurufend, die der Malagasche
nicht verstand. Was nun? das war zu arg. Alles Blut des jungen Menschen
drängte zum Herzen, unmöglich konnte er seinen Freund, seinen Bruder in
solcher Lage allein lassen. Und wie ein Ball plumpste Rua-Roa ohne alle
Rücksichten auf Knochenbrüche und Verrenkungen vom Baum herunter,
todesverachtend sprang er neben Franz auf den Rücken der nun gänzlich
wehrlos gewordenen Kröte und sah die anderen an, als wollte er sagen:
»Ist's so recht?« --

Ein schallendes Gelächter schlug sämtliche benachbarte Vögel in die
Flucht. »Arm in Arm mit dir, so fordre ich mein Jahrhundert in die
Schranken!« rief Holm. -- »Paß auf, tapferer Geselle, wie ich nun dem
Erzfeind den Garaus machen werde.«

Er nahm vom Gürtel das kleine, scharfe Handbeil, welches alle vier der
zahllosen Hindernisse wegen immer bei sich zu tragen pflegten, und
trennte mit einem kräftigen Hieb den vorgestreckten, dünnen Hals der
Schildkröte vom Rumpf. Das Blut schoß wie aus einem Springbrunnen
hervor, die Füße streckten sich, und das große Tier war tot.

Franz sprang herab, der Malagasche war noch immer zu erschrocken, um ihm
gleich folgen zu können; erst als ihn die anderen riefen, trat auch er
auf den Sand. »Ein steinernes Geschöpf, das sich bewegt und Blut enthält
wie ein lebendes Wesen,« sagte er ganz fassungslos.

»Gib acht,« rief Holm, »du sollst unter der Steinhülle gleich das Tier
kennen lernen, Freund Rua-Roa, -- denn für den Rudolf bist du doch noch
nicht ganz reif! -- Faß an und hilf uns den Koloß auf den Rücken legen.«

Alle fünf bemühten sich nun mit vereinten Kräften, das Tier umzuwenden;
es gelang aber erst unter Beistand eines zufällig des Weges kommenden
Sklaven, dem für diesen Dienst die Schale des Tieres zugesprochen wurde,
dann rief ein verabredetes Signal die beiden Matrosen herbei, und aus
dem saftigen Fleisch der Beute wurde Suppenstück und Braten
herausgeschnitten. Das war für zwei Tage ein Herrenessen; nach dieser
Zeit fand sich schon etwas anderes, denn die steinharten Maniokkugeln
und die laue Kokosmilch der Eingebornen im Verein mit den ohne Fett oder
Salz abgekochten Gemüsen bildeten doch für europäische Magen ein
klägliches Ernährungsmittel. Franz meinte sogar, daß er jedenfalls noch
heute einen der zahllosen umherstreifenden Hasen schießen werde:
»Wildbraten und Schildkrötenragout passen gerade zu einander.«

Holm tastete mit beiden Händen im Sande. »Bin ich so heiß,« sagte er,
»oder ist es der Boden? Mir deucht, die Sonne kann unmöglich den Sand so
erwärmen.«

Die anderen untersuchten gleich ihm das Terrain, dann sprang Rua-Roa,
der gern die Aufmerksamkeit von der Schildkröte ablenken wollte, etwas
weiter über den Weg hinaus und befühlte dort den Boden. Er war merklich
kühler.

Holm stutzte. »Laßt uns in entgegengesetzter Richtung vordringen,«
forderte er die anderen auf, »da muß ich klar sehen.«

Das Gebüsch wurde umgangen, ein paar dichte Bäume auch noch, und nun
zeigte sich der Grund des eben entdeckten Wunders. Wenige Schritte
weiter senkte sich der Boden zu Thal, eine Schlucht von Geröll und
Kieseln fiel ziemlich unvermittelt abwärts, kein lebendes Pflänzchen
trieb oder gedieh am Rande, und inmitten der Steinwüste sprudelte ein
heißer Quell, dessen Wasser sechs bis zehn Meter hoch in die Luft
hinaufgeschleudert wurde und eine wirbelnde Dampfwolke hinaufsandte in
das heitere Sonnengold.

»Aha,« rief Holm, »eine Botschaft vom ewigen Feuer aus dem Mittelpunkt
der Erde! Das werden wir benutzen, um unser Leinen gründlich zu
reinigen.«

Die Knaben drangen weiter vor, so weit, bis die Füße anfingen, selbst
durch das Sohlenleder hindurch die Hitze des Bodens nicht mehr ertragen
zu können. Das war aber auch ganz nahe am Quell, dessen stäubende
Tropfen Brandwunden verursachten; Franz umwickelte die Hand mit dem
Taschentuch und trat nahe genug heran, um abgewandten Gesichtes eine
geringe Menge des Wassers einzufangen. Als es in der Blechflasche
abgekühlt war, probierten es alle, aber jeder schnitt eine Grimasse.
»Petroleumartig mit Zwiebelduft,« entschied Holm.

»Wie Heringslake, durch ein altes Gasrohr filtriert!«

»Brr! in acht Tagen werde ich meine Flasche nicht wieder brauchen
können.«

Hans war davongesprungen und hatte eines der Eier geholt, welche die
Schildkröte, ehe der unvermutete Angriff kam, in das Sandloch gelegt.
Jetzt wurde es in eine mit dem Beil gemachte Vertiefung nahe dem Quell
versenkt und in drei Minuten gar wieder herausgezogen.

Holm nahm noch etwas von dem greulich schmeckenden Wasser mit, um es
chemisch zu untersuchen. Die Knaben füllten ihre Taschen mit bunten, zum
Teil sehr seltenen Kieseln, und dann hatte der Ausflug für diesmal ein
Ende. Der knurrende Magen mahnte allzu laut an das Frühstück.

Die Matrosen waren inzwischen ihrer Stellung als Hausmeister und
Oberkoch glänzend gerecht geworden. Sie hatten das Unmögliche möglich
gemacht und das Erstaunen der ganzen weiblichen Bevölkerung des Dorfes
erregt. Verschiedene Blech- und Eisenpfannen wurden mittels bedeutsamer
Winke und gelegentlicher kleiner Scherze von den Sklavenfrauen
zusammengeliehen, und nun machte sich Hannes, der Hamburger von echtem
Schrot und Korn, mit aufgestreiften Ärmeln an die Arbeit. »So viele
Bohnen und doch keine Tasse Kaffee?« räsonnierte er, »das wollen wir
erst einmal sehen!«

Sprach's und schüttete in die über dem Feuer hängende Pfanne die rohen,
getrockneten Bohnen, welche er dann mit dem Messer beständig umrührte,
bis sie anfingen zu duften, zu springen und sich lieblich zu bräunen.
Der zweite hatte indessen eine Ziege gemolken, sich mit abgezogener
Mütze und einem Kratzfuß sondergleichen von der Gemahlin Tippoos in
einer Bambusschale etwas Palmensirup verabreichen lassen und durch
Pantomimen das Bedürfnis nach Trinkgefäßen so lebhaft ausgedrückt, daß
er sechs Bambusbecher geliefert bekam. Jetzt stampften beide mit
vereinten Kräften die gebrannten Bohnen zwischen zwei Steinen zu Pulver,
während in der Pfanne das Wasser kochte, und darauf kam der große
Augenblick, wo Hannes gelassen die Leinenmütze vom Kopf nahm und beides,
Pulver und heiße Flut, hineinstürzte, so daß der Kaffee, aus mehr als
einem Grunde schwarz wie die Mitternacht, in das bereit stehende Gefäß
hinabträufelte. Mit Feldherrnblick übersah Jan Maat sein gelungenes
Werk. Die untere Pfanne wurde auf leises Feuer gestellt, das Gemisch in
der Mütze fleißig umgerührt und nun zum zweiten größeren Unternehmen
geschritten. Hannes wollte die Maniokkugel in ihr verdientes Nichts
zurückdrängen, seine Seele arbeitete an einem Pfannekuchen, der ihn bei
den Frauen von Singhala in bleibendem Andenken erhalten mußte. Zwei
saubere Steine waren bald gefunden, trockne Maiskörner verwandelten sich
in Mehl, der Hühnerstall lieferte Eier, Milch kam hinzu und ein wenig
Salz; dann wurde zerlassenes Schildkrötenfett in eine andere Pfanne
gegossen und mit dem großen eisernen Kochlöffel der Frau vom Hause der
duftende Teig hineingefüllt. Jetzt zog Hannes das große Messer,
schäkerte erst ein wenig mit den neugierig dreinschauenden Frauen, denen
er unter schauderhaften Grimassen die Spitze auf die Brust setzte, und
warf dann kunstgerecht den halbgaren Pfannekuchen um.

»Markst Müüs?« fragte er selbstzufrieden, als sich das Erstaunen in den
Blicken seiner Bewunderinnen spiegelte. »Man muß euch doch zeigen, daß
hinter dem Berge auch noch Leute wohnen, die zu leben wissen, wobei ein
guter Pfannekuchen und eine Tasse Kaffee zu den Hauptsachen gehören.
Vernünftige Speisen zeigen, daß der Mensch gebildet ist!«

Nach diesem Ausspruch holte er sich den Stein, welchen er eben vorher
als Mühle benutzt, wischte ihn mit dem Ärmel bestens ab und servierte
den fertigen Kuchen, dessen Rund er in kleine Bissen zerschnitt, diese
in Sirup tauchte und mit den Fingern ohne alle Ziererei der nächsten
Singhalesin in den Mund schob. »Das bekommt anders wie eure
Kanonenkugeln aus Maniok und Wasser, nicht wahr?« fragte er. »Ja, das
mögt ihr, ich sehe es schon! -- bitte, bitte, nicht prügeln, schickt
sich das für Damen?«

Seine kräftigen Arme trennten zwei Sklavenfrauen, die einander
vielleicht schon längst nicht recht grün waren, die nun aber über der
erhaltenen Leckerei in hellen Zorn ausbrachen; er stopfte der einen den
Rest des Kuchens in den Mund und der andern als Ersatz für den
erwarteten Leckerbissen den Messerstiel; dann aber buk er im Schweiße
seines Angesichts weiter, wobei ihm die neugierigen Frauen von allen
Seiten Milch, Eier und Sirup zutrugen, ja sogar die Maiskörner für ihn
stampften, aber als Lohn auch für sich und ihre zahlreichen Sprößlinge
die fertigen Kuchen begehrten. Er dankte Gott, als endlich die Weißen
von ihrem Spaziergange zurückkehrten, und nun die Frauen flüchteten;
seine Berühmtheit war ihm schnell sehr lästig geworden, -- so unter den
sengenden Strahlen der Sonne von Ceylon ohne Mütze vor dem Feuer zu
stehen und für hundert hungrige Mäuler zu backen, das hatte sein
Schweres, auch wenn es Ehrenbezeugungen in der Gestalt von Jauchzen,
Schnalzen und entzückten Schlägen in die eigenen braunen Hände der
beschenkten Schönen reichlich eintrug.

Jetzt endlich durfte er selbst essen, -- das war angenehmer als andere
zu füttern.

Seine Zurüstungen fanden gebührende Anerkennung; es wurde im Freien
getafelt, den dienstbaren Singhalesinnen die Reinigung der Geschirre
überlassen und dann unter Führung von mehreren Eingebornen ein
benachbartes großes Diamantenfeld besucht. Inmitten der lachenden, von
reichhaltigstem Pflanzenwuchs überzogenen Umgebung dehnte sich eine öde,
graue Sandfläche, auf der auch nicht die magersten Halme mehr gediehen,
wo kein Vogel sang und kein Hase die Ohren spitzte. Das Ganze war Berg
und Thal, tiefe vom Regen ausgewaschene Rinnen, Anhöhen und Schluchten
in regelloser Abwechselung. Zu Hunderten knieten hier die Sklaven und
Sklavinnen verschiedener Stämme, alle mit einer einzigen geisttötenden
und in dem heißen Klima unendlich anstrengenden Arbeit beschäftigt,
nämlich den losen Sand mit den Fingern zu durchwühlen und die kleinen
blitzenden Edelsteine aus demselben hervorzusuchen. Ganze Tage vergehen
ohne die mindeste Ausbeute, der einzelne Sklave wühlt vielleicht wochen-
und monatelang umsonst in den glühenden Sandwolken, aber doch ist die
Diamantenlese der Betriebszweig einer bestimmten Kaste, und -- von den
Gesetzen derselben gibt es keine Erlösung.

An der Küste des Indischen Ozeans wird vielfach von dort wohnenden
Stämmen die Perlenfischerei betrieben, andere fangen Austern, jeder aber
bleibt innerhalb seiner Grenzen und vererbt die gleichen Anschauungen
wieder auf seine Kinder; ein Hinübertreten aus einer Kaste in die andere
gehört hier zu den Unmöglichkeiten. -- Die armen Diamantengräber sind
aber jedenfalls am schlimmsten daran. Wasser und Wald, ja selbst das
Getreidefeld bieten noch Abwechselung und erfrischende Kühle; der heiße
Staub aber erstickt die Lungen, so daß seine schädlichen Einflüsse auf
den abgemagerten Gesichtern und in den entzündeten Augen der Arbeiter
deutlich erkennbar sind.

Diese armen, mehr als halb Wilden, unfrei bis zum Grabe, von
Pflanzenkost lebend, dem Biß der giftigsten Reptilien zu jeder Stunde
ausgesetzt, ohne die mindeste Hoffnung, aus ihrer jammervollen Lage je
erlöst zu werden, -- diese Elendesten unter den Elenden fördern aus dem
Sande, den ihre Finger auf schattenloser Fläche durchwühlen, die
kostbarsten und wertvollsten Edelsteine zu Tage. Rubine, Amethyste,
Topase, Saphire, Granate, Turmaline, Kannelsteine, Katzenaugen,
Chalcedon, Hyazinthe und Berylle, alles liegt hier lose und ohne
Umhüllung von Erz oder Gestein unter der Oberfläche des lockeren
Staubes, bisweilen viele Meter tief, bisweilen der emsig suchenden Hand
auf den ersten Griff entgegenfallend. Die Diamantenfelder von Ceylon
bringen einen jährlichen Durchschnittsertrag von 200000 Mark; sie
ruinieren aber auch vieler Menschen Gesundheit und erwecken unter den
Sklaven zuweilen die allerschlimmsten Leidenschaften.

Holm kaufte einige besonders schöne Stücke; dann, nachdem noch rings
umher Trinkgelder gegeben worden, verließen alle das heiße Sandfeld und
wandten sich dem Walde wieder zu. Hier lebte es, kroch und flog, brummte
und flötete, hier dufteten Blumen und rauschte in hohen Laubkronen der
Wind; das erste, was unsre Freunde sahen und was den Malagaschen mit
maßlosem Staunen erfüllte, waren Termitenbauten, Kegel an Kegel, und von
den bekannten großen Tieren bewohnt; dann kam, den Weg versperrend, ein
breiter stehender Sumpf, aus dem wie halbvermorschte Baumstämme die
Körper der Krokodile hervorsahen. Überall tauchten und schwammen sie,
überall öffneten sich ihre scheußlichen Rachen; vor den Augen der
Reisenden wurde eine Hirschkuh, die sich in plötzlichem Schrecken zu
weit an den Rand des Sumpfes heran gewagt hatte, von einem dieser
Ungeheuer ergriffen und in die trübe Flut hinabgezogen.

Ein paar Kugeln fuhren dem Räuber nach in das Wasser; ob sie aber ihr
Ziel getroffen hatten, ließ sich natürlich nicht ermitteln. Der
Malagasche atmete auf, als nach langer Wanderung das Bett des Sumpfes
umschritten und der offene Wald wieder erreicht war. Er und Franz
schossen noch drei Hasen, die dann am folgenden Tage, in
Schildkrötenfett gebraten, auf den Tisch kamen und vortrefflich
schmeckten.




                           Achtes Kapitel.


Nachdem die Umgegend überall durchforscht, wurde der große Zug zu den
Veddas angetreten. Tippoo und etwa dreißig seiner Sklaven begleiteten
die Weißen, Waffen und Vorräte wurden in Menge mitgenommen, ebenso von
unsern Freunden diejenigen kleinen Geschenke, welche sich nur bei ganz
Wilden anwenden lassen und daher den selbst webenden und Putzgegenstände
fertigenden Singhalesen nicht geboten werden konnten.

Schon einige Tagereisen hinter dem auf Bäumen belegenen Dorfe der
Vellalahs hörte jede Spur von Zivilisation vollständig auf. Kein
Getreidefeld, kein gebahnter Weg, keine Hütte zeigte sich mehr dem
Blick, das Terrain wurde bergiger und immer bergiger; die Hasen, Hirsche
und Ziegen machten den Büffelherden, den Elefanten, Stachelschweinen und
Genettkatzen Platz, große Geier hausten auf den Höhen, Adler wiegten
sich in der Luft und Tigerspuren im Sand verrieten, daß der Würger ganz
in nächster Nähe lauerte.

Jetzt befanden sich, nach des Häuptlings Angabe, die Reisenden im Innern
der Insel; das ganze Gebiet war dichter Wald, meistens aus
undurchdringlichem Gebüsch und darüber den hohen, wehenden Palmen
bestehend; zuweilen mußte ein Umweg gemacht werden, um den Durchgang zu
erzwingen, zuweilen versperrten gefallene Bäume die Passage, und wenn
der eine oder der andere versuchte, auf den grünüberzogenen Stamm zu
treten, um so an die andere Seite zu gelangen, dann brach plötzlich die
grüne Decke, eine Wolke von Schutt und Moder drang hervor, Spinnen oder
Käfer flohen nach allen Seiten, braune Eidechsen von mindestens einem
halben Meter Länge mit glänzenden, perlengleichen Augen schlüpften durch
das Gras, und zusammengerollte Schlangen verließen in eiliger Flucht ihr
Lager; -- noch aber sah man kein Dorf und kein menschliches Wesen.

Als sich endlich die Wohnstätten der Veddas dem Blick offenbarten, da
schien es den Reisenden, als sei plötzlich Westafrika nach Ceylon
versetzt. Elende, schwankende, schiefe und dem Einsturz nahe Zelthütten
aus Pflöcken und schmutzigen Fellen; ganz nackte schwarze Menschen;
Tümpel, in denen sich Enten, Hühner und Kinder wälzten; derselbe
Schmutz, dieselbe Vertiertheit wie in Dahomey, -- nur nicht dieselbe
Harmlosigkeit und Bekanntschaft mit der Existenz weißer Menschen. Frauen
und Kinder flüchteten schreiend, die Männer griffen zu ihren aus Holz
geschnitzten Wurfspießen und nahmen hinter den nächsten Stämmen in
offenbar feindlicher Absicht Stellung. Es war unmöglich, sie durch
gütliches Zureden zum Näherkommen zu bewegen; sie gaben keine Antwort
und ließen auch die auf den freien Platz vor der nächsten Hütte
niedergelegten Geschenke an Waffen unbeachtet, bis endlich die
Vermittlung der Frauen durch bunte Tücher und Perlen erfolgreich
gewonnen wurde. Die schwarzen, fettglänzenden Gestalten mit ihren
überaus häßlichen Gesichtern und kleinen Schlitzaugen kamen erst
zögernd, dann aber immer dreister aus den Hütten hervorgekrochen und
tanzten und sprangen wie Wahnsinnige, sobald es ihnen gelungen war,
irgend einen jener verlockenden Gegenstände zu erhaschen; sie streckten
die Hände aus, um mehr zu empfangen, aber ganz wie Tiere, die das Maul
öffnen, sobald man sie füttert, durchaus nicht wie Menschen, die für ein
erhaltenes Geschenk danken und diesen Dank auch bethätigen möchten. Wer
die Fremden waren, wie die ganze Sache zuging, und selbst in welcher
Weise man die bunten Schmuckgegenstände verwenden sollte, schien diesen
verkommenen Geschöpfen gar nicht einzufallen; sie hielten Tücher oder
Bänder in den Händen, das war ihnen genug.

Die Singhalesen wandten sich voll Abscheu von diesem Treiben hinweg.
Ihnen fehlte naturgemäß das hohe, wissenschaftliche Interesse, welches
die Weißen leitete; sie sahen wie auf unsaubere Tiere auf die Neger
herab, und nichts hätte sie bewegen können, kriechend eine dieser im
Schmutz begrabenen Hütten zu betreten. Wieder wurden die Zeltleinen wie
Hängematten befestigt, die Singhalesen schlugen ihre Wohnungen unter den
Bäumen auf, und ein hohes Wachtfeuer loderte zum Himmel empor.
Brotfrüchte, Fleisch, Palmenwein und gekochte Eier sowie Kaffee bildeten
das Nachtmahl, bei dem beide wilde Stämme, die Braunen und die
Schwarzen, von fernher zusahen. Erstere hielten sich an ihre
Maniokkugeln und aus Mais gebackenen, nicht minder unverdaulichen
Kuchen, letztere hätten vielleicht bei ihrer unbeschreiblichen Armut
alles Gebotene gierig verschlungen, wagten sich aber nicht nahe heran,
sondern blieben in gemessener Entfernung unter den Bäumen stehen und
bewunderten das seltsame Schauspiel.

Die Männer bildeten Gruppen, in deren Mitte sehr lebhaft gesprochen
wurde; niemand von allen näherte sich indessen dem Lager der Weißen,
niemand schien der englischen oder singhalesischen Sprache mächtig.

»Die Hälfte von uns muß wachen,« entschied Holm. »Fünfzehn von deinen
Leuten, verehrter Freund Tippoo, und unserer zwei dazu. Die Kerle sind
falsch, glaube ich, sie führen irgend einen Spitzbubenstreich im
Schilde.«

»Was suchst du hier, Herr?« fragte der Häuptling. »Von allen Söhnen
Singhalas sind die Veddas die niedersten, -- geh zu den Tamils und den
Malaien, da findest du bessere Sitten.«

Holm lächelte. »Das verstehst du nicht, Tippoo,« antwortete er. »Gerade
den Naturzustand will ich ja kennen lernen, nicht _die_ Sitten, welche
künstlich erworben, sondern _die_, welche angeboren sind. Gerade die
Veddas in ihrer geringen Anzahl bilden die letzten Abkömmlinge der
Ureinwohner von Ceylon, sie sind die interessantesten von allen, denn
sämtliche andere gehören fremden Ländern an, -- die Singhalesen z. B.
höchstwahrscheinlich dem verhältnismäßig nahen Indien.«

Der Braune sah sehr erstaunt aus. »Woher weißt du das, Herr?« fragte er.

»Aus den Berichten solcher Reisenden, wie wir welche sind, Freund
Tippoo. Oder schreiben nicht etwa eure Priester ihre heiligen Bücher auf
die Blätter der Schirmpalme und zwar im Sanskrit oder der Palisprache?
-- beide sind indischen Ursprungs.«

Der Singhalese bejahte. »Zu Hause habe ich in einer Bambusschachtel
einen Eisenstift und ein Buch aus solchen Blättern,« antwortete er. »Ich
will es dir schenken und dir einen Spruch hineinschreiben, -- hier bei
den Veddas findest du nichts dergleichen.«

»Das glaube ich aufs Wort, Meister Tippoo,« lachte der junge Gelehrte.
»Die schwarzen Schurken trachten ohne Zweifel weniger nach Bildung als
nach Speise, -- ich denke, wir besehen morgen im hellen Tageslicht das
schmutzige Dorf von allen Seiten, bringen womöglich einen oder den
anderen dieser Kerle zum Sprechen und kehren dann um. Es sind Wochen
vergangen, seit wir uns in der Nähe deines Dorfes unter den Ruinen der
alten indischen oder persischen Stadt zuerst begegneten; wir haben Eile,
zu unserem Schiff zurückzukehren.«

»Meine Leute und ich begleiten euch dorthin,« antwortete der Braune.
»Gerade an der Küste leben viele Tiger und Genetten, es ist gefährlich,
in so geringer Anzahl ihnen entgegen zu gehen. Ihr seid nur durch
besonderen Zufall dem Verderben entronnen.«

Holm sah zum Walde hinüber. Ein starker Regen rauschte herab, ohne
indessen das Blätterdach durchdringen zu können, die Luft war köstlich
abgekühlt, und das Feuer warf malerische Streiflichter über das elende
Dorf, welches zwar freie, keinem Oberhaupt untergebene, aber dafür auch
fast den Tieren gleichstehende Bewohner barg.

»Ich sah im Sande noch ganz kürzlich eine Spur wie von Raubtierfüßen,
jetzt erst fällt mir's wieder ein,« sagte er, »aber von kleinen.«

Der Singhalese nickte. »Schakale,« versetzte er, »ich habe es auch
bemerkt.«

»Ach, dann können wir vielleicht in dieser Nacht noch einen Angriff
erleben. Wenn die Bestien hungrig sind, kommen sie in die Dörfer, nicht
wahr?«

»Selten, aber es ist doch schon vorgefallen, Herr.«

»Nun gut, Häuptling. Je mehr Feinde, desto mehr Ehre! Laß nur die Hälfte
von deinen Leuten wach bleiben, die anderen aber schlafen, damit sie
rechtzeitig jene ersten ablösen können. Ich denke, wir gehen jetzt zur
Ruhe.«

Der Singhalese gab seine Befehle, worauf sich die Hälfte der Sklaven mit
gekreuzten Beinen, das Gesicht dem Dorf zugekehrt, um das Feuer herum
auf den Boden setzte und, die Waffen in der Hand, scharfen Ausguck
hielt, während Holm und der Malagasche mit geschultertem Gewehr
gewissermaßen auf Vorposten im Halbkreis patrouillierten. Pünktlich um
zwei Uhr nachts erfolgte die Ablösung, allein auch während der letzten
noch übrigen Stunden bis zum Morgen geschah nichts, was den tiefsten
Frieden in irgend einer Weise gestört hätte. Das Negerdorf lag
vollkommen still und ruhig, die Bewohner schienen zu schlafen, kein Laut
drang aus den Hütten hervor.

Als Tippoo und Franz die übrigen weckten, hatte man eine ruhige Nacht
verbracht, und dennoch stieg bei unseren Freunden ein banger Verdacht
auf.

Es war unseren Reisenden aufgefallen, daß sämtliche Männer des
Negerdorfes verschwunden waren; auch nicht ein einziger befand sich mehr
in der Nähe. Jedenfalls hatten sie während der dunkeln Nachtstunden das
Weite gesucht, um von irgend woher einen verräterischen Überfall zur
Ausführung zu bringen, ebenso sicher aber waren sie auch nicht allzu
tief in den Wald vorgedrungen, da ja keiner unter ihnen wußte, welche
Richtung die Fremden einschlagen würden. Die Veddas hielten ihr Dorf
umzingelt und beabsichtigten bei Einbruch der zweiten Nacht irgend ein
Bubenstück zu vollführen; darüber konnte kein Zweifel obwalten.

»So werden wir uns schlagen müssen,« nickte Holm. »Jedenfalls ist
unserseits nichts geschehen, um die Wilden zu reizen oder zu beleidigen;
wir dürfen daher ruhig sein und außerdem auch mit Sicherheit den Sieg
erwarten. Die hölzernen Wurfspieße werden es mit den Feuerwaffen nicht
aufnehmen können. -- Zuerst laßt uns das Dorf besehen.«

Die Schmutzhütten und die meistens aus Pfützen bestehenden Plätze
zwischen denselben wurden besichtigt, aber auch heute zeigten sich
Frauen und Kinder durchaus unzugänglich; sie kamen nicht in die Nähe der
Weißen, antworteten auf keine Frage und flohen in das Innere der Höhlen,
wo dies möglich war, -- so oft man ihnen freilich irgend ein Geschenk
hinlegte, stürzten sie eilends herzu und rafften es ohne ein Wort des
Dankes begierig vom Boden auf.

Vergeblich suchten die Reisenden eins von den ziemlich herangewachsenen
Kindern zu bewegen, sich abgipsen zu lassen, obgleich ein Abguß von dem
Gesicht eines dieser Ureinwohner Ceylons von hohem Interesse gewesen
wäre. Hans machte ein ziemlich langes Gesicht, als er einsah, daß sowohl
Bitten als Geschenke machtlos waren, und begriff nun erst recht, was
Holm ihm über die Schwierigkeit dieser Operation gesagt hatte.

Vor den Hütten lagen die üblichen Herdsteine, denen auch der
rohgearbeitete Eisenkessel nur selten fehlte, dennoch aber bewiesen
manche Zeichen, daß auch rohes Fleisch gegessen wurde, ebenso halbreifer
roher Mais und Brotfrüchte. Diese letzten wenigen Ureinwohner der Insel
betrieben durchaus nichts, sondern lebten wie die Buschmänner vom Kap in
den Tag hinein, vielleicht Heuschrecken essend, wenn weiter keine
Nahrungsmittel vorhanden waren, Kokosmilch trinkend und im Schmutz
vergehend, dabei scheu, häßlich und durch das stete Einreiben mit Palmöl
einen unangenehmen Geruch verbreitend; sie waren von allen
Völkerschaften, die unsere Freunde kennen gelernt, die am wenigsten
anziehende, -- ohne allen Zweifel, weil ihre Anzahl fortwährend schmolz,
ihr Gebiet von Singhalesen und Malabaren alljährlich verkleinert und sie
in jeder Beziehung durch die auf der Insel fortschreitende Kultur dem
Untergang entgegengeführt wurden.

Von schwarzen Kindern und dem verschiedensten zahmen Geflügel umkreischt
und umschnattert, sahen die Weißen in jede Hütte, so gut als es ging,
hinein, aber nirgends fand sich mehr als nur ein Lager aus Moos und
Blättern, nirgends waren Geräte zu entdecken, und überall krochen
Insekten in reicher Fülle.

»Die Veddas wandern,« erklärte Tippoo, »sie schlagen ihre Zelte auf, wo
Brotbäume und genießbare Früchte wachsen, zuweilen kommen sie sogar in
die Nähe unserer Felder, aber wir bereiten ihnen immer einen so heißen
Empfang, daß der Besuch nur sehr kurz währt. Wenn an einem Orte nichts
mehr zu holen ist, zieht die verlumpte Schar weiter und sucht
günstigeren Boden.«

»Gerade wie bei uns die Zigeuner,« rief Franz. »Ohne Arbeit, in stetem
Müßiggang, stehlend und bettelnd, unter Schmutz vergraben, jedes feste,
dauernde Obdach meidend, -- welche Ähnlichkeit!«

»Weil die Verhältnisse die gleichen sind,« fiel der Doktor ein.
»Menschen ohne Nationalgefühl, ohne staatsbürgerliche Rechte und
Pflichten müssen sittlich verkommen. Alle diese als »wild« und
»halbwild« bezeichneten Völker sterben aus, während die Kulturstaaten
alljährlich Tausende ihrer Unterthanen abgeben, um an fernen Enden der
Welt neue Reiche der Bildung und Gesittung gründen zu helfen. Die
vertierten Veddas haben den Singhalesen weichen müssen, die Malabaren
stehen wieder bedeutend höher als diese in ihren Bambusnestern und mit
der trostlosen Kastenwirtschaft, während sie ihrerseits durch Kirche und
Schule, durch den Umgang mit Weißen und die Notwendigkeit des
bürgerlichen Erwerbes allmählich aber sicher den Bildungsgrad und die
Lebensweise der Engländer annehmen. -- Die letzten Veddas werden im
Laufe unseres Jahrhunderts ihre Nomadensitten aufgeben und Ackerbauer
werden müssen.«

Tippoo hatte respektvoll den alten Herrn ausreden lassen, obgleich er
ihn nicht verstand; jetzt jedoch schlug er vor, sobald als möglich
aufzubrechen. »Alle Veddadörfer gleichen einander vollkommen,« sagte er.
»Wenn wir auch bis an die Meeresgrenze vordringen würden, so gäbe es
doch nichts Neues kennen zu lernen. Die schmutzigen Neger sind hier wie
dort falsche Schurken.«

Man nahm einstimmig diesen Vorschlag an und traf nach dem Frühstück
Anstalten zur Abreise. »Wir werden nun von allen Seiten beobachtet,«
erinnerte der Singhalese. »Aus jedem hohlen Baum, aus jedem Dickicht und
hinter jedem Felsvorsprung sehen lauernde Blicke uns nach, es wäre daher
gut, wenn ihr einmal die Wirkung eurer Feuerwaffen zeigen würdet.«

Aller Augen suchten nach einem Ziel. »Seht ihr da den Kaschubaum?« rief
Holm. »Der Blitz scheint ihn getroffen zu haben, ein Teil der Borke ist
herabgerissen, -- da, gerade im Eingang der Felsspalte, kaum fünfzig
Schritt von den ersten Hütten entfernt. Laßt uns auf die weiße Fläche
zielen.«

Gesagt, gethan. Alle Büchsen wurden geladen und Kugel nach Kugel schlug
in den Stamm. Zuweilen flog auch eine daneben bis tief in den inneren
Raum des Felsens hinein, und dann war es den Männern, als töne ein
Winseln oder Bellen, ein Angstgeheul wie aus weiter Ferne zu ihnen
herüber, -- sie schossen jetzt absichtlich in die Spalte; was darin
steckte, ob Mensch oder Raubtier, das sollte sich zeigen.

Aber nein, ein Mensch war es nicht, das hörten alle, eher ein Fuchs.

Tippoo pfiff seinen Sklaven. »Schakale« sagte er. »Sucht die Ausgänge.«

Und während sich die Singhalesen gehorsam entfernten, um von allen
Seiten den Gebirgspaß zu umschleichen, berichtete er den Weißen, daß
sich höchstwahrscheinlich ein Rudel von vielleicht ein- bis zweihundert
Schakalen hier im Berge zusammengefunden habe, um den Enten und Gänsen
der Veddas einen Besuch abzustatten, und daß diese hungrige Meute nun
von den plötzlich eindringenden Kugeln erschreckt worden sei. »Wenn
meine Leute den Zugang gefunden haben,« schloß er, »dann schießt ihr aus
nächster Nähe in die offene Spalte hinein, während wir die roten
Gesellen in Empfang nehmen, sobald sie erscheinen.«

»Ganz gut, Freund Häuptling, aber was wollt ihr mit einem Tier, dessen
Fleisch ungenießbar, und dessen Fell unverwendbar ist?«

»Wir verkaufen die Jungen nach Galle oder Kolombo, Herr. Wozu hätte ich
Sklaven, wenn sie mir nichts verdienen müßten? Der die beiden jungen
Tiger hinbringt, kann auch Schakale mitnehmen.«

Tippoos Talent zum Finanzminister wurde allerseits anerkannt, und als
die ausgeschickten Sklaven zurückkamen, war der Feldzugsplan genau
entworfen. Rechts vom Dorfe war ein stark befahrener Schacht, an dessen
äußerer, enger Mündung zahlreiche rote und graue Haare verrieten, daß
sich alte, ausgewachsene Tiere in starker Anzahl hindurchgedrängt haben
mußten; weitere Zugänge fanden sich nicht, und durch den vorderen Spalt
konnte unmöglich auch selbst der magerste Schakal ins Freie gelangen;
die Singhalesen nahmen also zu beiden Seiten des Schachtes Stellung
hinter den Bäumen und in den unteren Zweigen derselben; Franz mit
Rua-Roa hatten sich fast ganz an den Ausgang gedrängt, und Holm und die
beiden anderen standen vor dem Spalt.

In aller Augen glühte die Jagdlust; die gefährliche Lage, in der man
sich den raubsüchtigen Wilden gegenüber befand, war vergessen; man
dachte jetzt nur noch an die räuberischen Tiere, welche diesen Bau
bewohnten und an das Vergnügen, sie herauszutreiben.

»Feuer!« kommandierte Tippoo.

Drei Kugeln flogen in den Berg hinein, drei weitere folgten, Pulverdampf
und schauerliches Geheul drangen aus dem Spalt hervor; dann entstand ein
Toben und Drängen, ein Scharren wie von vielen hundert Füßen, und
endlich stürzte die rote Meute, einander überkollernd, schreiend in
rasendem Lauf den harrenden Todfeinden entgegen. Es war offenbar für die
nächtlichen Räuber ein letzter, von der Verzweiflung eingegebener
Entschluß, sich am hellen Tage hinauszuwagen in das Dorf, aber die
einschlagenden Kugeln da drinnen führten eine so beredte Sprache, daß
jedes Schwanken im Keime erstickte; -- brausend wie ein entfesselter
Strom ergoß sich das rote Heer.

Bei dieser seltsamen Massenjagd war es für die Schützen nicht nötig, zu
zielen. Wo aus einem engen Schacht in ihrer unmittelbaren Nähe das Wild
herausquoll wie Wasser aus einem Brunnen, da hinein brauchten sie nur zu
feuern oder ihre eisenbeschlagenen Wurfspieße zu schleudern, und Opfer
nach Opfer war ihnen gewiß.

[Illustration: Die Schakalhöhle auf Ceylon.

»-- brausend wie ein entfesselter Strom ergoß sich das rote Heer.«]

Holm schoß immer noch in den Spalt, bis zuletzt auch die alten Weibchen
der Schakale mit ihrer Nachkommenschaft sich zur Flucht entschlossen.
Ganz junge Tierchen, kaum so groß wie ein neugeborener Pudel, noch
unsicher gehend, aber doch mit Raubtierblicken um sich schauend, folgten
den fliehenden Müttern, und eben darauf hatten die Singhalesen gewartet.
Sie umringten zu vier oder sechs ein solches kleines Füchschen und
ergriffen es trotz seines ängstlichen Sträubens, keineswegs aber ohne
eigene Leibesgefahr. Die Weibchen gerieten in Wut, als sie die Not ihrer
Kleinen sahen und wandten sich angreifend gegen die Singhalesen, welche
indessen den Kampf mit diesen Tieren schon aus Erfahrung kannten und auf
Gegenwehr von seiten der Mütter gefaßt waren.

Fünf oder sechs Spieße bohrten sich in den hundeähnlichen rot- und
graubehaarten Körper des Schakals, sobald er zum Sprunge ansetzte, um
den Räuber seines Kindes mit den Zähnen zu packen, zuweilen freilich
nicht früh genug, nicht ehe das scharfe Gebiß die nackten Lenden der
Männer erfaßt und furchtbar zerfleischt hatte, immer aber so
rechtzeitig, daß das erbeutete Junge von anderen, die im Augenblick
herzueilten, in Sicherheit gebracht werden konnte. Nachdem auf diese
Weise sechs kleine Schakale gefangen waren, befahl Tippoo, die Jagd
einzustellen, d. h. nur noch zu erlegen, was nahe genug kam, aber keine
Jungen mehr zu ergreifen.

Franz und Rua-Roa schossen unaufhörlich den Fliehenden nach, wenigstens
fünfzehn bis zwanzig tote Schakale lagen auf der Walstatt, ebenso viele
und noch mehr schleppten sich mit Wunden bedeckt davon, um in den
nächsten Gebüschen zu verenden, und wieder andere wanden sich im
Todeskampfe zwischen den Dorfhütten. Negerinnen, Kinder und Geflügel
waren, um die Wette schreiend und kreischend, entflohen, die Luft
ringsumher von Pulverdampf erfüllt und der Boden schlüpfrig vom
vergossenen Blut, unter den Bäumen verbanden die Singhalesen so gut sie
konnten ihre zum Teil recht bedeutenden Wunden, und vom Spalt her
näherten sich die drei, welche dort postiert gewesen, dem eigentlichen
Kampfplatz.

Franz und der Malagasche hatten jeder mehrere von den großen Männchen
erschossen; sie bedauerten lebhaft, daß es anstatt der wertlosen
Schakale nicht lieber Leoparden gewesen; so hätten sie doch wenigstens
die Felle als Siegeszeichen aufbewahren können; -- mit den
fuchsähnlichen, fahlgelben, rötlichen oder grauschwarzen groben Pelzen
war eben gar nichts anzufangen, dennoch aber glühte die Jagdfreude in
den beiden hübschen Gesichtern und einstimmig wurde beschlossen, ein
Pärchen der jungen Tiere dem Singhalesen abzukaufen und nach Hamburg zu
schicken.

Tippoo trieb zum Aufbruch. »Die schwarzen Hunde haben das alles mit
angesehen,« versicherte er, »sie wissen nun, was ihrer harrt.«

»Glaubst du denn ganz bestimmt, daß wir noch angegriffen werden,
Häuptling?«

Der Singhalese nickte. »Warum wären sonst die Männer fortgegangen? --
Überhaupt leben seit Jahr und Tag die Veddas mit meinem Volk im Krieg;
wir erschlagen sie, wo wir ihnen begegnen.«

Holm unterdrückte einen Seufzer. Dieser Kampf mit vernunftlosen Wilden
war ihm unerwünscht; er wollte weder die armen, vertierten Geschöpfe in
ihrer Existenz bedrohen, noch sich und den Seinen von ihnen Schaden
zufügen lassen; aber dergleichen Empfindungen hätte der braune Häuptling
durchaus nicht verstanden, es war also besser, sie in sich zu
verschließen und dem Unabwendbaren so gefaßt als möglich entgegen zu
gehen.

Er wußte, daß dieses Volk die Wurfspieße nicht vergiftete, und vertraute
darauf, daß die Feuerwaffen den Sieg bringen mußten; er beruhigte sich
also mehr und mehr und vermochte das unbehagliche Gefühl, welches ihn
überschlichen hatte, den Knaben gänzlich zu verbergen.

Während des ganzen Tages herrschte drückende Hitze, die sich gegen Abend
in einem Gewitter entlud. Der Häuptling hatte auf kürzestem Wege eine
ihm bekannte Stelle erreicht, wo sich Felspässe in- und durcheinander
schoben, hier eine glatte Mauer den Pfad versperrte, dort eine Höhle das
Nachtdunkel ihrer weiten Öffnung den Wanderern unheimlich darbot. Er
lächelte grimmig, als im Dämmerlicht des scheidenden Tages die
wildromantische Gegend vor seinen Blicken auftauchte. »Das ist
Singhalesengebiet,« sagte er, »die Schwarzen kennen es vielleicht gar
nicht, aber auch selbst wenn sie bereits hier waren, fehlt ihnen doch
jedenfalls nähere Kundschaft über die Örtlichkeit. Sie sollen alle mit
dem Tode zahlen.«

Er ordnete nun, den Oberbefehl wie selbstverständlich an sich nehmend,
zunächst an, daß keine Zelte oder Hängematten aufgeschlagen würden, daß
auch kein Feuer brenne, vielmehr jeder einzelne Mann, so gut er es
vermöge, mit Waffen und Kleidern auf dem nackten Erdboden schlafen und
mit kalter Kost fürlieb nehmen solle. »Unserer sind alles in allem
vierzig,« setzte er hinzu, »der Schwarzen aber vielleicht zweihundert,
es ist daher Vorsicht durchaus geboten. Komm, Herr, ich will dir zeigen,
wie die Schmutzgesellen in die Falle laufen sollen.«

Er ließ zwei mit Fackeln aus einer Art wohlriechendem Harz versehene
Sklaven vorangehen und folgte mit dem jungen Gelehrten in die Höhle,
unter deren natürlichem Vorsprung man sich gelagert hatte. Wechselnde
Lichter und Schatten trafen eine hohe, gewölbte Decke, Schlangen
huschten an den Wänden hin, und Eidechsen schlüpften über das Gestein.
Nachtschmetterlinge umflatterten neugierig das ungewohnte, helle Licht,
große Eulen streiften schweren Flügelschlages die Köpfe der Wanderer,
und Fledermäuse schwirrten nach allen Seiten durch die Luft.

Rechts im Hintergrunde dieser weitgedehnten Höhle zweigte sich ein enger
Weg ab, den nur wenige Menschen zugleich betreten konnten. Vorspringende
Felsstücke verdeckten ihn dem Auge; -- wer nicht wußte, daß hier ein
Pfad hinausführte in den Wald, der mochte tagelang suchen, ehe er ihn
fand. Anderseits brauchte nur an der rechten Stelle einer dieser
umherliegenden Blöcke etwas verschoben zu werden, und der enge Durchgang
existierte nicht mehr.

Tippoo stand still; sein Auge glänzte, seine ganze Haltung war straffer
geworden. Er deutete mit der Rechten zum anderen Ausgang. »Dort denken
uns die feigen, schwarzen Hundesöhne zu überfallen und uns trotz der
Feuergewehre durch ihre Mehrzahl zu erdrücken,« sagte er. »Weißt du, was
ihnen dafür zu teil werden soll? Wir flüchten in die Höhle hinein bis an
diesen Seitenpfad und locken im Dunkel die Verfolger nach, während uns
selbst der Engpaß sicher hinausführt. Sie kennen die Felsen nicht, sie
drängen ungestüm vorwärts und wähnen, daß ihre List uns sämtlich in die
Falle gelockt hat, -- unterdessen aber sind wir schon auf Umwegen wieder
hier, gedeckt durch die großen Blöcke; wir haben das Wild schußgerecht
in der Höhle, aus der es kein Entrinnen gibt. Ihr feuert, feuert, bis es
drinnen still wird, bis kein Angstschrei mehr die Luft zerreißt, --
Schakale oder Neger, das ist gleichviel; heute morgen bei der Jagd auf
die roten Räuber dachte ich an diese Felsen; -- es soll kein Schwarzer
entkommen; noch nachgeborne Geschlechter sollen mit Staunen von der
Heldenthat Tippoos sprechen, -- die Singhalesen werden ihre Hände baden
in dem Blute der schlechten Veddas.«

Als er seine Rede beendet hatte, winkte der Häuptling den Sklaven wieder
umzukehren. »Ihr Weißen bleibt zwischen den Felsspalten vorn am Ausgang
der Höhle versteckt,« sagte er. »Meine Leute und ich, wir locken die
Schwarzen hinein. Erst wenn ihr mich rufen hört, gebt ihr Feuer.«

Holm nickte stumm. Er hielt es für unnötig, jetzt dem braunen Halbwilden
zu widersprechen, aber dennoch stand der Entschluß, das beabsichtigte
Blutbad um jeden Preis zu hintertreiben, in ihm vollkommen fest. Das
»Wie« mußte der Augenblick entscheiden.

Die Fackeln erloschen; im letzten Tagesschein wurde gegessen und
getrunken und dann die Ruhe gesucht. Von den Negern war weit und breit
keine Spur zu sehen.

Der Donner krachte, Blitze durchzuckten die dunkle Luft, ganze Fluten
warmen Regens ergossen sich. Es hätte den unter dem natürlichen
Wetterdach Gelagerten ganz behaglich zu Mute sein können, wäre nur nicht
der Gedanke an die Schwarzen immer wieder als Störenfried in den
Vordergrund getreten. Aber wer konnte denn behaupten, daß sie wirklich
in der Nähe waren?

Eintönig rauschte es herab, und eintönig sang in den Laubkronen der
Wind; man schloß die Augen, um sich vom Blitz nicht blenden zu lassen;
man lebte seinen eigenen Gedanken und spann sich hinein in Traumfäden,
die halb Wirklichkeit, halb Phantasiegebilde waren. Stunden vergingen,
die Weißen schliefen, draußen am Eingang aber wachten und spähten die
Singhalesen.

Tippoo war der Vorderste. Sein Gesicht lag auf dem Arm, er horchte! und
als wieder der schwefelgelbe Schein aus den Wolken herabschoß, tauchte
sein Blick bis tief in den gegenüberliegenden Waldesschatten. Nein,
nein, er hat sich nicht geirrt, dort unter den Bäumen regte es Hunderte
von schwarzen Gliedern; es drang im Schutz der Dunkelheit langsam vor,
-- jetzt waren sie da, die Veddas, die Verhaßten.

Seine Hand glitt über die Gesichter der Weißen, seine Lippen berührten
fast ihre Ohren. »Auf! auf! -- Seid still, wenn euch euer Leben lieb
ist!«

Holm hatte sich am schnellsten aufgerafft. »Häuptling,« sagte er, »bleib
bei uns. Laß deine Leute die Schwarzen hierher locken und dann habe ich
dir einen Vorschlag zu machen.«

»Welchen?« fragte hastig der Singhalese.

»Davon später,« entschied Holm. -- »Ach, sie kommen!«

Wie eine Herde brüllender Teufel stürzten sich die Schwarzen in den
Felspfad, welcher zur Höhle führte. Während die bei weitem größere
Hälfte der Singhalesen versteckt blieb, entfloh die kleinere auf des
Häuptlings Anordnung in das Innere den Negern voran, so daß diese bei
dem Schein des Blitzes die weißen Gestalten verschwinden sahen und ihnen
mit dem Geheul des höchsten Triumphes nachsetzten. Sie wußten ja, wie
sehr ihre Anzahl den Gegnern überlegen war.

Dunkle Massen wälzten sich bergauf, die Höhle konnte viele Hunderte von
Menschen fassen; mehr und immer mehr nackte schwarze Körper drängten
nach, nun mußten alle im Innern des Berges sein, sie schrieen und
jauchzten, heulten und brüllten wie Wahnwitzige.

Jetzt glaubte ihr Unverstand die Singhalesen wehrlos und zitternd im
finsteren Winkel zusammengepfropft, jetzt hielten sie sich für die
Herren des Schlachtfeldes und begannen ihren Siegestanz, noch ehe ein
Tropfen Blut geflossen war. Nahe vor dem Versteck der Weißen am Ausgang
der Höhle trieben sie ihre unsinnigen Sprünge, kreischten und warfen die
Arme in die Luft, hüpften wie Tollhäusler auf einem Beine hin und her.
--

Holms Rechte legte sich mit festem Griff um den Arm des Häuptlings.
»Tippoo,« sagte er leise, »willst du Geld verdienen? -- viel Geld?«

Das Wort hatte für den schlauen Gelben einen wahren Zauberklang.
»Womit?« fragte er kaum hörbar, atemlos vor Begier, »womit, Herr?«

»Indem du deinen Leuten befiehlst, sich einzeln, verstohlen aus dem
Bereich dieser rasenden Teufel zu schleichen und uns in einiger
Entfernung an einer bestimmten Stelle zu treffen, Häuptling. Wir fliehen
voraus, -- dann haben die Neger im Dunkel unsere Spur verloren. Ich will
kein Blutvergießen, Tippoo, hörst du, ich will es nicht. Fünfhundert
Rupien sind dein, wenn du thust, was ich verlange.«

Der Häuptling kämpfte einen schweren Kampf zwischen Ehrgeiz und
Habsucht. Fünfhundert Rupien waren eine große Summe, aber dennoch,
dennoch, -- die Veddas besiegt zu haben, galt noch mehr.

»Herr,« ächzte er unschlüssig, »wenn uns die Schwarzen verfolgen und
finden sollten, wäre der Ausgang unsicher, hier dagegen haben wir den
Sieg in Händen.«

Er sprach noch, als plötzlich bei dem Schein eines Blitzes ein völlig
unerwarteter Anblick sich zeigte und der ganzen Sachlage ein verändertes
Antlitz gab. Drinnen in der Schlucht tobte der Höllenlärm der
siegestrunkenen Schar, und draußen vor derselben, den Versteckten so
nahe als den Schwarzen, funkelten glühende Katzenaugen durch die Nacht,
dehnten sich scheckige Glieder und lechzten blutrote Zungen. Zwei große
Leoparden streiften mit ihrem heißen Atem die Stirnen der Weißen. -- --

»Tippoo, ich beschwöre dich, gib nach! An diesen Wächtern vorüber können
uns die Neger nicht schnell genug verfolgen.«

Der Singhalese schwankte nicht länger. Ein paar Worte, seinem nächsten
Sklaven zugeraunt, genügten, diesen zu verständigen; der Mann verschwand
schattengleich und ebenso schnell huschten die übrigen den Weg durch die
Felsen voran in den Wald hinab. Zwei Minuten später hielt das Dunkel
unter den Bäumen die ganze kleine Gesellschaft in seinem Schutz, während
die Singhalesen, immer einer nach dem anderen, laufend folgten. Als der
letzte zu den Seinigen gestoßen war, verwandelte sich da oben im Berge
das satanische Triumphgeheul in die Laute des höchsten Erschreckens.
Wahrscheinlich hatten die Leoparden einen plötzlichen Angriff
ausgeführt.

Tippoo seufzte. »Schade,« sagte er, »schade, die Gelegenheit war so
günstig.«

»Auf,« ermahnte Holm, »auf Häuptling, wir müssen eilen.«

Der ganze Zug setzte sich in Bewegung, erst langsam, des tiefen Dunkels
wegen, dann, als dichte Gebüsche den Rückweg deckten, im Schein von
dreißig Fackeln so schnell als nur möglich. Gegen Morgen war jede
Gefahr, welche von seiten der Schwarzen gedroht hatte, geschwunden.

»Ich möchte ihr Erstaunen gesehen haben,« lachte Franz. »Wie sie wohl
suchten und suchten und sich hundertmal an allen Felsecken stießen,
gewiß glauben sie jetzt an Zauberei.«

»Natürlich. Da sie fast niemals Weiße sehen, halten sie dieselben
ohnehin für Wesen, die mit den bösen Mächten in Verbindung stehen. Eins
weiß ich gewiß, daß sie nämlich jetzt wie gehetzte Hasen in ihr Dorf
zurückflüchten. Schade, schade, wir hätten einen ganzen Stamm ausrotten
können.«

Holm lächelte und nickte mit den Augen dem Doktor, der eben seiner
höchsten Entrüstung Worte geben wollte. »Du sollst es nicht bereuen,
dich unseren Wünschen gefügt zu haben, Häuptling,« sagte er, »wir werden
dir den versprochenen Lohn unverkürzt auszahlen und außerdem auch noch
einen anderweitigen für deinen Geldbeutel sehr ersprießlichen Vorschlag
machen. Freilich im Augenblick ist uns nichts so nötig als Schlaf.«

Das erkannten alle, und im Schatten hoher Tamarinden und Arekapalmen,
eingesungen vom Chor der buntgefiederten Waldbewohner, schlummerten sie
diesmal dem Sonnenaufgang entgegen, obwohl freilich aus den
regenschweren Zweigen bei jedem Windstoß ganze Schauer von Tropfen
herabrauschten und stellenweise alle Kleider durchnäßten. Das konnte
nicht nachteilig sein, Luft und Wasser waren warm, der Wind schaukelte
die Hängematten wie auf hoher See, die Gefahr lag hinter den kecken
Abenteurern, -- sie schliefen bis Mittag, während die Singhalesen längst
ein Feuer mit vieler Mühe entzündet hatten und daran ihre durchnäßten
Kleider trockneten.

Nach einem erfrischenden Bade wurde die Reise fortgesetzt und das Dorf
auf den Bäumen in einigen Tagen glücklich wieder erreicht. Hier kam nun
Holms Vorschlag zur Sprache. Er wollte die beiden Matrosen, welche
unterdessen eine wahre Küchenrevolution unter den Frauen veranlaßt
hatten, in Begleitung einiger Sklaven zum Schiff zurückschicken und den
Kapitän auffordern, ohne seine flüchtigen Passagiere nach dem Hafen von
Galle zu steuern und dieselben erst da wieder an Bord zu nehmen. »Du,
Freund Tippoo,« setzte er hinzu, »bringst uns mit einem guten Gefolge
nach diesem Hafenplatz und bekommst dort dein Geld. Ich möchte einmal
mit eigenen Augen sehen, wie sich auf einer und derselben Insel Schritt
um Schritt die tiefste Vertiertheit des Menschengeschlechts in
europäische Kultur verwandelt. Bist du einverstanden, Tippoo?«

Der Singhalese nickte, und so machten sich denn die beiden Teerjacken in
Begleitung mehrerer Sklaven, schmerzlich betrauert von der weiblichen
Bewohnerschaft des Dorfes, an einem schönen Morgen auf den Weg, während
die Herren mit dem Häuptling und einer Schar dienstbarer Geister den
Marsch in der Richtung auf Galle antraten. Madame Tippoo und ihre
Kleinen hatten reichliche Geschenke erhalten; von dem ganzen sauberen,
gastlichen Dorfe ward ein freundschaftlicher Abschied genommen, und
sowohl Schakale als auch die jungen, inzwischen tüchtig herangewachsenen
Tiger und ein wildes Pfauenpärchen in Käfigen von Bambusgeflecht den
Sklaven auf den Rücken geschnallt. Allen denen übrigens, die den Zug zu
den Veddas mitgemacht, verabreichten Holm und der Doktor ein anständiges
Geschenk, -- Tippoo erlaubte gnädigst, daß sie es annehmen durften.

Und so wurde von Dorf zu Dorf der Weg durch das paradiesisch schöne Land
zurückgelegt; erst einzeln, dann immer zahlreicher erhoben sich aus dem
Grün der Wälder die stattlichen Kaffee- und Zimtpflanzungen; es
erschienen Wirtshäuser, europäische Speisen, weiße Menschen und endlich
zwischen Kolombo und Galle schaukelnd im gemächlichen Trott des
Viergespanns ein Omnibus. Die Knaben wollten sich bei diesem Anblick
ausschütten vor Lachen. Da wo sie noch so kürzlich mit Tigern und wilden
Menschen gekämpft, ein Omnibus wie auf dem Pflaster von Hamburg! -- Sie
rasteten nicht, bis das Gefährt in Beschlag genommen war, und bis Weiße
und Wilde, Raubtiere und kreischende Pfauen sehr zum Erstaunen der
Bewohner von Galle auf dem Vierspänner dahergerasselt kamen.

Vorüber an Häusern ohne Fensterscheiben und feste Dächer, vorüber an
Menschen von allen Farben, Negern, Chinesen, Weißen, Indoarabern,
Malabaren und Singhalesen, bis hinaus zum Hafen. Da lag schon die
»Hammonia« vor Anker, da begrüßte Papa Witt mit ein paar tüchtigen
Böllerschüssen die Ausreißer, da fanden sich Briefe von Hamburg und da
dehnte man so recht nach Herzenslust die Glieder in bequemen Betten
wieder aus.

Tippoo wurde von dem Kapitän mit allen Ehren empfangen. Man gab ihm auf
dem Schiffe ein Gastmahl, an dem die Offiziere aller im Hafen liegenden
hamburgischen Fahrzeuge teilnahmen. Er aß auch bei dieser Gelegenheit
keinen Braten und trank keinen Wein, aber man sah, wie sich sein
Häuptlingsstolz geschmeichelt fühlte, wie er erhobenen Hauptes durch die
Straßen ging, als wolle er sagen: »Seht, ich bin der, dem zu Ehren die
Weißen ein rauschendes Fest veranstalteten.«

Nach einem herzlichen, beinahe innigen Abschied von dem Manne, der auf
einem Baum wie ein Vogel wohnte, der ein Wilder war und doch ein so
redliches, ehrenhaftes Herz besaß, nachdem Tiere und Briefe mit dem
Postdampfer abgesandt und die Haufen von Blumen, Pflanzen, Insekten und
Strandgeschöpfen, welche man gesammelt, erst vorläufig untergebracht
waren, lichtete das Schiff die Anker und steuerte den Sundainseln zu.




                           Neuntes Kapitel.


»Kapitän,« meinte Holm eines Morgens, während der Dampfer den
Sundainseln zusteuerte, »Kapitän, ich hätte Ihnen einen Vorschlag zu
machen.«

»So lassen Sie hören, mein Bester.«

»Ich möchte, ehe wir später nach Australien gehen, noch -- bis zur
südlichen Barriere vordringen.«

»Daß dich!« rief voll Erstaunen der Alte. »Weiter nichts?«

»Nein Kapitän, weiter nichts. Das Geheimnis des Südpols mag immerhin
noch unentdeckt bleiben, aber bis an das Packeis wollte ich doch gern
kommen. Wir brauchen auch die Tiefseegeschöpfe der kalten Regionen, wir
möchten Walfische und Robben, Eisberge und die Brandung der
unzugänglichen Macdonaldinseln kennen lernen. Ein paar Monate werden es
ja thun.«

»Gewiß,« nickte der Kapitän. »Kleine tausend Meilen, was will das
sagen?«

Alles lachte. Daß sich aber der gutmütige Führer dieser Expedition nicht
sträuben würde, die allen Seeleuten so außerordentlich unliebsame Tour
nach dem Südpolarkreise wirklich zu unternehmen, wußten sie trotzdem.
Die Knaben entwarfen bereits lange Listen solcher Gegenstände, welche
für die Tage des Frostes und Schneefalles unerläßlich waren, nämlich
große Mäntel aus Schaffellen, Pelzstiefel und Pelzmützen, Fußdecken und
ein Käfig für die beiden Affen, denen das Spiel im Tauwerk doch leicht
zu ungemütlich werden könnte. Das alles sollte in der nächsten
Hafenstadt gekauft werden, ebenso Harpunen und solche Vorräte, die durch
außerordentlich hohe Kältegrade nicht leiden. »Es muß köstlich sein,
einmal wieder nach Herzenslust zu frieren,« meinte Franz. »Wenn ich
Schnee fallen sehe, dann -- könnte es mich überrumpeln wie Heimweh.«

»Nicht wahr, zu Hause ist's doch am besten?«

»Möchtest du denn immer auf Reisen bleiben, immer fremd am fremden Orte,
ohne eine Heimstätte, die dir gehört, Karl?«

»Gewiß nicht, mein lieber Junge. Andere Gegenden haben vielleicht hohe
Reize, aber die Heimat hat doch den höchsten. Für den Grönländer sowohl
wie für den Tropenbewohner.«

»Ob man sich aber nicht wieder hinaus sehnen wird in die bunte Ferne,
Karl, ob man, nachdem an Auge und Geist die Schönheit aller Länder
vorübergezogen, noch wieder ruhig in Hamburg im engen Kontor sitzen und
-- Profit und Schaden gegen einander abwägen kann?«

Holm lächelte. »Ich hoffe es,« antwortete er nur.

Damit war die Unterhaltung beendet, namentlich weil man mit dem
Schleppnetz fischen und die Tiefe untersuchen wollte. Was an bereits
eingefangenen Krebsen und genießbaren Flossenträgern mit herauf kam, das
wanderte in die Küche, alles andere dagegen wurde präpariert und
verpackt, die Würmer, Schnecken, Quallen und die hübschen Anemonen,
ebenso einige seltene Fische und einmal sogar eine kleine
Wasserschildkröte, deren Art Holm völlig unbekannt war.

So zog die »Hammonia« wochenlang durch den blauen Indischen Ozean dahin,
erst südlich von Sumatra, dann längs der Küste von Java nach Norden.

Als der Hafen von Surabaja nach glücklicher Fahrt erreicht war, wurden
Pferde gemietet und unter Begleitung von Malaien die neue Reise
angetreten. Da hier die Eingebornen an den Verkehr mit Europäern
vollständig gewöhnt und nirgends mehr wild waren, so gestaltete sich
alles leichter, obwohl freilich Kapitän und Steuermann den Ausziehenden
rieten, vor dem treulosen, hinterlistigen Charakter der Malaien auf
ihrer Hut zu sein. »Sie sind sämtlich falsch wie Galgenholz, die gelben
Kerle,« sagte Papa Witt. »Ihren Profit kennen sie wie Juden, und
Gewissen haben sie nicht mehr, als ein schlitzäugiger Chinese, -- nun
hüten Sie sich vor Schaden.«

Die Summe, welche der Anführer der kleinen Schar als Bezahlung empfangen
sollte, wurde verabredet, ein Teil davon als Handgeld gegeben, und dann
begann der Ritt durch weite Ebenen, in denen Reis, Mais, Indigo, Tabak
und Baumwolle üppig gediehen. Alle diese Felder waren nett und sauber
gehalten, die Wege gut im Stande, künstliche Kanäle hindurchgeleitet und
von wilden Tieren keine Spur zu erblicken. Am interessantesten
erschienen die Wohnhäuser der Malaien. Rund wie Bienenkörbe aus Bambus
und einer anderthalb Meter langen Grasart, Alang-Alang genannt,
künstlich geflochten, standen sie auf Pfählen 1¾ Meter hoch über dem
Erdboden und waren ganz regelrecht von Zimmerleuten erbaut. Die Pfähle
steckten in einer Entfernung von 1½ Meter im Boden und bildeten einen
Kreis im Durchmesser von 10 Meter, während die Wand selbst vielleicht 3
Meter Höhe hatte. Das Dach wurde von drei Balken getragen und zeigte
einen hübschen, wie eine Veranda gestalteten Vorbau, in dem jedesmal
mehrere Vogelkäfige hingen, sowie ein eng bevölkerter Bienenkorb, dessen
stachellose Insassen die Javanesen mit Wachs und Honig versorgen. Den
Fußboden dieser nur für Verheiratete gebräuchlichen Wohnungen fanden die
Reisenden in Ermangelung von Betten auf eigentümliche Art hergestellt.
Zuerst grobe Feldsteine auf starken Bambusstäben, dann feinere Steine,
endlich Kies und ganz oben gespaltene Bambusstäbe, die ihre platte Seite
nach außen kehrten. Der Fußboden war also dicht und bequem, viel besser
als ihn unsere Freunde irgendwo in den Dörfern der Eingebornen auf
Ceylon bemerkt; auch befand sich des häufigen Regens wegen die
Feuerstelle inmitten jeder Wohnung. Für Unverheiratete war ein größeres
derartiges Haus, abgesondert von den übrigen, hergestellt.

Alle diese kleinen, gelben, beweglichen Menschen mit wenig schönen
Gesichtern und struppigem, grobem Haar, schienen sorglos in den Tag
hinein zu leben, ihre Arbeiten möglichst oberflächlich und träge zu
bewerkstelligen und den Besuch der Fremden in ihren Dörfern sehr gern zu
sehen. Von der zurückhaltenden Würde der Singhalesen, von ihrem
religiösen Gefühl und ihrem Stolz war nichts zu entdecken, vielmehr
boten alle, selbst die Kinder, den Weißen dieses oder jenes zum Kauf an,
umdrängten sie und ließen nicht ab, bis ihr Besuch im Schauspielhause
für denselben Abend zugesagt war. Die jungen Leute trauten ihren Ohren
kaum. Ein Schauspiel unter den Wilden auf Java! Das übertraf allerdings
die kühnsten Erwartungen. Mit gespanntem Interesse nahmen alle ihre
Plätze in der großen, leicht und luftig erbauten, für die Wandertruppe
auf dem Dorfmarkt errichteten Bude; die seltenen Gäste bezahlten hier
zwar ihre Plätze verhältnismäßig höher als im teuersten europäischen
Opernhause, aber dafür bot sich auch etwas nie Gesehenes, wobei nur die
Gehörsnerven empfindlich litten. Die Musik war nämlich nichts mehr und
nichts weniger als ein Höllenlärm, wobei der Ganelang (ein Glockenspiel)
noch außerdem durch die beständige Wiederholung desselben Tones wahrhaft
betäubend wirkte. Als das Schauspiel begann, jubelten und lachten,
schrieen und jauchzten alle Zuschauer laut durch einander, so daß aus
den Tönen rings umher ein Gewirr, Tosen und Brausen entstand, in dem
jede Einzelheit verloren ging. Freilich hätten die Europäer ohnehin dem
Gange des Stückes nicht folgen können, da ihnen das Verständnis der
javanischen Sprache gänzlich fehlte, aber dennoch gehörte eine tüchtige
Gesundheit dazu, um dies »Vergnügen« ohne Schaden zu ertragen. Der
Doktor klopfte auf Holms Schulter, seine Bewegungen sagten deutlich:
»Ich bin einem Schlaganfalle nahe, lassen Sie mich hinaus!« und Holm
telegraphierte zurück: »Gehen Sie allein! ich stehe in der Brandung und
werde aushalten.«

Dann verschwand der alte Herr, die Knaben stimmten mit der ganzen
Heiterkeit ihres glücklichen Alters in den Jubel und Trubel mit ein, nur
Rua-Roas Gesicht wurde länger und immer länger. Er begriff nicht, was da
vorging, er hielt die Szene für Wirklichkeit und wollte durchaus einem
von Panthern und Tigern verfolgten Eingebornen zu Hilfe eilen, was
natürlich den Frohsinn der übrigen nicht weniger steigerte. Auf der
Bühne wurde indessen der Spektakel immer ärger. Ein Held im vollsten
einheimischen Putz, klirrend von Blech, Messing, Perlen und Schnallen,
bunt von Malerei, mit grimmigen Gebärden und laut brüllendem Tone,
besiegte alle möglichen Ungeheuer, während ein zitterndes, flüchtendes
Mädchen bald auf die Kniee fiel, bald sang und einen sonderbaren Tanz
vollführte; andere Gestalten flogen dazwischen, ein Zweikampf fand
statt, wobei der Besiegte in wirklicher Wirklichkeit durchgebläuet
wurde, und zuletzt schloß das Ganze mit einem Tanz, bei welchem die
Schauspieler jeder nach seinem Belieben ohne Takt oder Ordnung nur wilde
Sprünge und Lärm vollführten.

Als sich unsere Freunde draußen wiedersahen, als ihnen vom Lagerplatz
her der Doktor mit teilnehmendem Gesicht entgegenkam, da lachten alle,
daß ihnen die Seiten weh thaten. Einmal in einem Javanesentheater und
nie wieder! Sie hatten sämtlich das Gefühl, als stehe eine Mühle, deren
Rauschen und Dröhnen bis dahin ihre Nerven betäubt, jetzt plötzlich
still.

»Kinder, genießt erst ein wenig,« ermahnte der alte Herr, »die
Nüchternheit der landesüblichen Speisen wird euer Blut bestens abkühlen.
Reis ohne Fett oder Gewürz und ein trockener Fisch, das ist alles, was
sich auftreiben ließ.«

Man erstand gegen teuren Preis von den Eingebornen dazu einige
Kokosnüsse, und dann nach beendetem Mahle wurde die Nachtruhe gesucht.
Franz und Holm lagen in der Nähe der offenen Thür auf ihrem Mattenlager,
als plötzlich der Knabe die Schulter seines Lehrers berührte. »Du, Karl,
ich bitte dich, hier fliegt alles, was anderswo auf vier Beinen läuft.
Sieh doch einmal dorthin, ein Hund -- große Frösche, alles segelt durch
die Luft.«

Die beiden jungen Leute sahen vor ihren Augen ein Bild sich entrollen,
das allerdings seltsam genug war. An den Zweigen hingen Tiere von nicht
völlig einem halben Meter Länge und mit dunkelbraunem, dicht behaartem
Körper, der in eine vollständige Hundeschnauze auslief. Hundeohren,
Hundestirn und große gutmütige Hundeaugen, alles vereinte sich, um die
Täuschung zu vollenden; erst der schwarze mantelartige Hutschirm über
dem ganzen Körper, die Flugbreite von wenigstens 1¾ Meter verrieten die
Fledermaus, deren riesigstes Exemplar, der Kalong oder fliegende Hund,
hier massenhaft vorkam. Rechts und links schossen die großen Tiere durch
die Luft, an allen Fruchtbäumen in den Gärten hingen ihre langen
Krallen; kein Zweig, keine Sorte blieb unbenascht. Die sonderbaren Tiere
mußten sehr friedlicher, zahmer Natur sein, da sie sich so in die
unmittelbare Nähe der menschlichen Wohnungen wagten.

»Ob ich schieße?« zögerte Holm. »Haben möchte ich ein solches Exemplar
um jeden Preis, aber man weiß nicht, wie die Sache aufgenommen wird.«

»Hm, -- im Freien darf man am Ende doch schießen.«

Nach kurzem Besinnen kletterte der junge Gelehrte zur Thür hinaus und
wollte eben hinter einer Palme Posto fassen, als, wie aus dem Boden
gewachsen, mehrere Eingeborne vor ihm standen. »Was wünschest du, Herr?«
hieß es.

Holm blieb ganz gelassen. »Einen Kalong zu schießen,« versetzte er.
»Weiter nichts.«

»Dann lege dich nur ruhig wieder schlafen, Herr. In allen Hütten leben
zahme Kalongs, du kannst sie kaufen.«

»Desto besser. Gute Nacht, mein Freund!«

Und Holm schwang sich in die treppenlose Thür wieder hinein. »Siehst
du,« raunte er, »wir werden bewacht. Umsonst gibt es hier nichts, auch
keine Jagdfreiheit, wie mir scheint; die Eingebornen betrachten uns wie
ihre gute Beute.«

Er legte sich wieder hin, heimlich geärgert von den vielen, die
Fruchtbäume nach Herzenslust plündernden Kalongs, die er nicht schießen
durfte; endlich aber lachte er doch mit dem Knaben und zwar über die
großen Frösche, welche zahlreich unter den Bäumen einher flogen.
Zwischen den Zehen befand sich eine Haut, und der ganze Körper war zur
dreifachen Größe aufgebläht; unten gelb, oben grün mit schwarzen
Schwimmhäuten, segelte das unförmliche Geschöpf wie ein Pfeil durch die
Luft, während eine kleine Eichhörnchenart lustig von einem Baume zum
anderen hüpfte und sich die Nüsse schmecken ließ. Kleinere Fledermäuse
schwirrten zu Tausenden umher.

Allmählich kam der Schlaf und verwischte im bunten Durcheinander des
Traums die verschiedenen wechselnden Bilder dieses Tages; es ruhte sich
bequem auf den weichen Matten, und unsere Freunde erwachten erst wieder,
als die Sonne hoch am Himmel stand.

Jetzt überzeugte sich Holm von dem Vorhandensein zahlreicher gezähmter
Kalongs; er kaufte daher vorerst noch keinen derselben, sondern beschloß
diesen Handel bis zum Rückwege hinauszuschieben. Es galt heute, eine der
Gifthöhlen Javas zu besehen. Während des ganzen Tages ritten die Weißen
mit ihren Begleitern über schattenlose, meilenweit gedehnte Grasflächen,
auf welchen ihnen Spuren von Rhinozerossen, Hirschen und Wildschweinen
begegneten; dann kam eine dürre, felsige Gegend; himmelhohe Abhänge,
grünbewachsene, von den wundervollsten, farbenprächtigsten Vögeln
belebt, erhoben sich zu beiden Seiten des steinigen, abschüssigen Weges;
Papageien, Pfauen, Turteltauben, der wilde Hahn, der Ziegenmelker, der
Reisdieb, der Manuk Kasu, ein entzückend singender, kleiner Vogel, und
endlich die Schwalbe, welche jene berühmten eßbaren Nester baut, alle
flatterten und flogen, hüpften und standen unter den schönbelaubten
Bäumen verschiedenster Art, inmitten zahlloser blühender Orchideen und
anderer wuchernder Zierpflanzen. Die Krone von allen aber bildete der
Königsparadiesvogel. Sechs Zoll lang, mit tiefpurpurnem Gefieder, einem
breiten, grüngoldenen Querband auf den Flügeln, grünen Seiten, grüner
Brustbinde und weißem Bauche, erschien er den Reisenden einigemale auf
flüchtige Sekunden und in ziemlicher Entfernung, dann war er
davongeflogen, ehe noch ein Schuß ihn ereilen konnte. Das Gefieder
blitzte im Sonnenlichte wie mit Edelsteinen übersäet; besonders die
spiralförmig gewundene Schwanzfeder war von überraschender Schönheit.

»Der Manukodiata,« sagten die Eingebornen, deren Pfeile ebenso rasch und
ebenso vergeblich angelegt wurden, wie die Gewehre der Weißen, »seine
Federn machen hieb- und schußfest in allen Schlachten.«

Dadurch war denn das seltene Erscheinen des Vogels genügend erklärt.
Wenn ihn die Eingebornen als Federbusch auf dem Kopfe tragen, so mußte
wohl seine Ausrottung schnell genug von statten gehen. Die unschönen
Weibchen zeigten sich häufiger. -- Noch mehrere andere Spielarten
derselben Gattung wurden wahrgenommen: der rote und der stolze
Paradiesvogel, aber keine war zu erlangen; ebenso Schmetterlinge vom
schönsten, prächtigsten Farbenspiel und der karmoisinrote Pirol.
Weiterhin durch die Ebenen jagten stampfend Herden von wilden Stieren,
hoch hinauf in das ewige Blau ragten die Felsgipfel und südlich kosende,
von Blumendüften erfüllte Luft fächelte die Stirnen. Es war eine
Erholung für alle Sinne, nach dem meilenweiten Ritt durch das Alanggras,
jetzt in dieser wundervollen Umgebung Auge und Ohr schwelgen, die
angespannten Kräfte träge ruhen zu lassen. Bisweilen wurde der Weg
zwischen den hohen, oft von Staubbächen überrieselten Gebirgswänden so
eng, daß die Pferde eins hinter dem andern gehen mußten; weicher
Halbschatten, linde, wohlthuende Dämmerung lag dann auf der blühenden
Landschaft. Häufig fanden sie an den Zweigen der Büsche jene seltsam
gestaltete Gespenstschrecke, welche die dornfüßige genannt wird, und
deren Vorkommen bis jetzt nur auf Java beobachtet wurde. Das mit
stummelhaften Flügeln ausgerüstete Weibchen derselben wird bei einem
Leibesdurchmesser von etwa einem Zentimeter gegen zweiunddreißig
Zentimeter lang und besitzt eine braungraue Farbe. Den Kopf kann dieses
Tier in eine tiefe Ausbeugung der vorgestreckten Vorderbeine legen und
sieht dann in der Nähe einem dürren Aste zum Verwechseln ähnlich. Diese
Ähnlichkeit des Tieres mit dem Orte, an welchem es sich aufzuhalten
pflegt, findet sich bei den Kerbtieren nicht selten und ist als ein
Schutzmittel zu betrachten, das die Natur auch diesen ihren Kindern
verliehen hat, um sie vor den Augen der Feinde zu verbergen. Bei Nacht
verzehren sie die Blätter des Unterholzes, bei Tage dagegen ruhen sie
von ihrer nächtlichen Arbeit aus und können nur dann leicht erkannt
werden, wenn sie vorwärts kriechen. Man hat die Gespenstschrecken auch
wandernde Äste genannt. Holm war erfreut, diese seltene und seltsame Art
vorzufinden, und da sich günstige Gelegenheit bot, wurden viele
Exemplare derselben gesammelt, um teils trocken aufgespießt und mit
Tabaksaft vergiftet, teils in Spiritus aufbewahrt zu werden. Die
Vogelwelt war auf das reichste vertreten. Goldglänzende Pfauen schlugen
ihr Rad, vom Nest lockte das Turteltäubchen und auf blumengeschmückten
Ranken wiegte sich die buntgefiederte Schar. Ein kleiner, scheuer
Hirsch, der Kantschil, erschien auf unnahbarer schwindelnder Klippe; ein
Affe lugte aus verborgenem Schlupfwinkel hervor; vom Baume warf mit
wütenden Gebärden der graue Manjet-Affe die reifen Früchte den
Vorüberreitenden nach, und aus dem Felsspalt zischte die pantherartig
gefleckte, wilde Katze. Überall reges Leben der Wildnis, überall Tiere
und der Krieg des einen Geschöpfes gegen das andere; hier Termiten, die
geschäftig bauten, dort das Schuppentier, welches die eben fertigen
Wohnungen zerstörte und die kleinen braunrändigen Baumeister zu
Hunderten verspeiste; dazu auf allen Bäumen, in allen Höhlen und Spalten
Fledermäuse ohne Zahl. Der Blick irrte von Schönheit zu Schönheit, von
Reiz zu Reiz, hier lagen ganze Beete blühender Orchideen, dort brauste
ein Gebirgsbach durch die Schlucht; hier senkte sich das Thal zur tiefen
dunklen Mulde, dort führte der Weg über zackige, scharf am Abgrunde
dahingleitende Bahnen.

Hinauf, immer weiter hinauf in den rauschenden Hochwald, stundenweit
empor, bis die Nacht kam und zum Ausruhen zwang. Affen in ganzen Scharen
bevölkerten die Bäume, Stier und Nashorn brüllten in den Ebenen,
Schlangen krochen durch das Gras, neugierige Eidechsen wagten sich ganz
in die Nähe des Lagers, und schöne Stachelschweine wurden ohne viele
Mühe eingefangen. Am nächsten Morgen ging es weiter, immer bergan, bis
allmählich die Landschaft ihren Blütenglanz und ihr Tierleben verlor.
Große Adler traten an Stelle der Pfauen und des Pirol, Bergziegen
weideten das spärlicher gewordene Grün, und einmal erhob sich aus dem
Gestrüpp fast vor den Füßen der Pferde ein großer Königstiger. Noch ehe
einer der Männer schießen konnte, war er mit ungeheurem Satz hinter den
nächsten Gebüschen verschwunden; nur sein wütendes Brüllen schallte über
die Umgebung dahin. Ein einzelner Mann, selbst zu Pferde, wäre von der
gereizten Bestie in Stücke zerrissen worden; der größeren Anzahl
gegenüber wagte sie keinen Angriff.

[Illustration: Ins Hochgebirge von Java.

»Hinauf, immer weiter hinauf in den rauschenden Hochwald.«]

Einer der Führer deutete hinauf in die Luft, wo sich auf halber Höhe des
Berges eine Art Lücke, eine Unterbrechung der glatten Wand zeigt. »Das
ist Pakaraman, das Totenthal!« sagte er feierlich.

»Da oben auf der Höhe?«

»Ja. In einer Stunde werden wir dort sein. Gefahr ist um diese Zeit
nicht dabei.«

»Wie kommt es,« sagte Franz, »daß das Totenthal nicht immer seine
tödliche Wirkung auf die Besucher ausübt?«

»Dieses Thal,« antwortete Holm, »liegt in unmittelbarer Nähe von
Vulkanen, und in demselben sammelt sich von Zeit zu Zeit Kohlensäure an,
welche von vielen Vulkanen fast ununterbrochen ausgehaucht wird. Diese
Kohlensäure -- ihr kennt sie alle als das perlende Gas, welches in dem
bekannten Selterswasser enthalten ist -- wirkt eingeatmet auf die Lungen
als tödliches Gift. Wenn nun kein Luftzug sich regt und die vulkanischen
Ausdünstungen sehr heftig sind, so sammelt sich im Grunde der
trichterförmigen Schlucht so viel Kohlensäure an, daß der Besuch
derselben gefährlich wird. Wenn dagegen die Ausströmung des Gases sich
vermindert und ein starker Wind in die Schlucht dringt, so kann dieselbe
ohne schlimme Folgen betreten werden. Übrigens,« fuhr er fort, »gibt es
auch in Europa eine Grotte, deren Boden etwa ein bis zwei Fuß hoch mit
Kohlensäure bedeckt ist, die, weil ihr spezifisches Gewicht das der
atmosphärischen Luft an Schwere übertrifft, sich nur unten aufhält.«

»Ah, ich weiß schon,« rief Franz, »es ist die Hundsgrotte bei Neapel.
Der Mensch betritt sie, ohne von der Kohlensäure belästigt zu werden,
Hunde dagegen, die man mitnimmt, ersticken, weil ihre Atmungsorgane sich
im Bereich des giftigen Gases befinden, sobald sie auf den Boden gesetzt
werden.«

»Ganz recht,« bestätigte Holm. »Die Ursachen beider Merkwürdigkeiten
sind dieselben, nur die Form, in der sie sich äußern, ist eine
verschiedene.«

Der steil ansteigende Weg wurde in beschwerlichem Ritt auf den kleinen
javanischen Pferden zurückgelegt, und dann standen die Wanderer vor
einem überraschend schönen Anblick. Ein breiter blauer Strom sandte
seine Wellen zu Thal, Krokodile, Leguane, und Wasserschlangen
bevölkerten die röhrichten Ufer, und zur Seite des rollenden Stromes
senkten sich die Bergwände zum tiefen, trichterförmigen Kessel. Eine
breite Rundung gab den Blick frei in die schwindelnde Tiefe des
Totenthales. Zuweilen entströmen hier der Erde so furchtbare
Ausdünstungen, daß alles Pflanzen- und Insektenleben während einer
einzigen Nacht zu Grunde geht, zuweilen grünt und blüht es da unten bis
zum mittelsten flachen Kreise von etwa fünf Metern Durchmesser; dieser
innerste, unterste Fleck ist gleichsam durchseucht von dem Gift in
seinem Schoße; er trägt nie einen grünen Halm, nie eine Blüte; auf ihm
lastet ewig unfruchtbare Dürre.

Die Pferde wurden an Bäume gebunden, und Holm und Franz mit dem
Malagaschen versuchten das Hinabsteigen, während Hans und der Doktor
oben blieben. Die Führer kletterten voran, an ihren Ledergürteln lange
Knotenstöcke tragend, die bei dem Wege bergab für die Weißen als Stützen
und später bergan als Handhabe dienen sollten. Oben am Rande wuchsen von
allen Seiten knorrige, wildverschlungene Baumstämme über die Schlucht
hinaus, der Pfad bergab lief schräg an der Felswand hin, das helle
Tageslicht fing schon nach den ersten fünfzig Schritten an, in Dämmerung
gehüllt zu erscheinen. Große Eidechsen schlüpften über das Gestein; eine
kalte Luft wehte von unten herauf.

Die Javanesen und der Malagasche sprangen mit jener überlegenen
Geschicklichkeit der wilden Völker ziemlich ohne Mühe von Ast zu Ast,
von Klippe zu Klippe bis auf den untersten Grund hinab; weniger leicht
folgten ihnen die Europäer. Nur mit blutenden, geschundenen Händen
gelang es diesen letzteren, die dunkle Tiefe im Schoße des Berges
überhaupt zu erreichen; klopfenden Herzens standen sie unter dem
gewaltigen Eindruck einige Augenblicke sprachlos; nur mit Mühe konnten
sie in der kalten, schweren Luft Atem schöpfen. Hundert Meter hoch über
ihnen lag auf dem Rande der finsteren, unheimlichen Schlucht blitzend
und glühend das Sonnenlicht, kaum erkennbar, nur wie ein funkelnder
Streif, von den schwarzen Tiefen hier unten gänzlich ausgeschlossen,
keinen Strahl hinabsenkend, keinen warmen Hauch, kein noch so schwaches
Leuchten.

Wahrlich, das Totenthal verdiente mit Recht seinen Namen. Der gleiche
beklemmende Eindruck, den es verursachte, lag auf allen Teilnehmern
dieser gefährlichen Expedition. Als in Holms Hand die mitgebrachte
Wachskerze aufflammte, beleuchtete ihr schwaches in der Kellerluft da
unten kaum die nächste Umgebung erhellendes Glimmen lauter blasse
Gesichter und ernste Mienen. Es war doch ein seltsames Gefühl, so von
allen Lebenden getrennt, abgeschieden von Luft und Licht, da unten
allein in schweigender Öde die nassen Wände und die verkümmerten wenigen
Gewächse anzusehen, letzte Spuren der Pflanzenwelt, letztes welkes Grün,
grau und fahl gesprenkelt, kaum noch lebend, ohne Saft und Mark am
verknoteten dürren Rankgeflecht. Eine große Schlange glitt ringelnd über
das verwitterte Gestein dahin, Unken und Frösche glotzten aus den
Winkeln, Eulen mit runden gelben Augen schossen auf, gespenstigen Fluges
die Stirnen der Männer streifend; auch hier schwirrten Fledermäuse wie
Mücken im Sonnenschein.

Holm brach zur Erinnerung an die Stunde im Bauch des Hexenkessels,
dessen todbringender Hauch schon so oft Verderben über die Umgebung
gebracht, vom Gestein der Wand ein Stück, das er in die Tasche steckte,
ebenso aus dem mittleren, wüsten Bodengrund etwas Kies; dann wurde der
Rückweg angetreten.

Jetzt ging es leichter; die schweren Stöcke der Eingebornen dienten den
Weißen als eine Art von Treppengeländer; sie hielten sich, wo es nötig
war, daran fest und gelangten so nach und nach an die Oberfläche, wo
schon der Doktor und Hans ungeduldig gewartet hatten. »Nun, nun,«
drängte ersterer, »ihr seht ja aus, als sei euch da unten -- der Himmel
vergebe mir die Sünde! -- der leibhaftige Teufel begegnet!«

Holm lächelte. »Da unten aber ist's fürchterlich!« citierte er. »Ich
möchte doch um keinen Preis die Tour noch einmal machen. Und du, Franz?«

Der Knabe schauderte. »Mir ist es immer noch, als fühlte ich die
kellerkalte, drückende Luft,« antwortete er.

Nur die Eingebornen waren sehr gleichmütig; sie hatten die Fahrt in den
Höllenschlund schon mehr als einmal bewerkstelligt und behielten bei der
ganzen Sache ausschließlich den Verdienst im Auge. Auch Rua-Roa
erklärte, in seiner Heimat oft noch ganz andere Streifzüge unternommen
zu haben; er würde sich nicht bedenken, jetzt gleich und zwar allein
wieder hinunter zu klettern. Das wilde Element in ihm trat auch so recht
zu Tage, als es galt, an der entgegengesetzten Seite des Hochgebirges
wieder ins Thal zu gelangen. Der Weg war äußerst beschwerlich,
Steinwildnis folgte auf Steinwildnis; erst nach längerem, mühsamen
Ringen, wobei die kleinen, einheimischen Pferde, des Steigens gewöhnt,
die besten Dienste leisteten und gleitend, rutschend und springend über
Abstürze gelangten, vor denen ihre Reiter schaudernd die Augen
schlossen, -- verwandelte sich der rauhe Pfad wieder in den bewachsenen,
von Bäumen beschatteten Waldweg. Man war immer noch im Gebirge; die
Führer vermieden absichtlich das tiefere Thal, und zwar um den Reisenden
das »Moro Api« oder ewige Feuer von Java zu zeigen; aber dennoch blühte
und grünte üppige Pflanzenwelt rings umher und plätscherte in munteren
Sprüngen ein Fluß, der Gunang Morio, zur Seite des Weges dahin. Breiter
und breiter dehnte sich die blaue Fläche, mehr und mehr umhüllten die
Schatten mit grauen Schleiern das schöne Landschaftsbild. Es wurde
dunkler Abend, der Vogelgesang verstummte, die Blumen dufteten stärker,
Eulen und Fledermäuse belebten die Luft, Wildkatzen begannen ihre Jagd,
Marder von ungewöhnlicher Größe kletterten den Tauben bis auf die
höchsten Kronen nach, und fernher schallte das Bellen der wilden Hunde;
-- da erschien zwischen den Baumwipfeln ein unsicheres, flackerndes
Licht, noch kaum erkennbar; wie ferner Feuerschein, wie wenn jemand mit
der brennenden Lampe kommt und geht, ohne an einem Orte zu verweilen.

»Das kann kein Dorf sein,« rief Franz, »sonst müßten ja die Leute im
Wasser wohnen. Das Licht schwebt über dem Flusse.«

»Moro Api!« sagten die Javaner.

Neugierig gemacht, eilten die Weißen so schnell als möglich vorwärts,
ohne Bedenken den Eingebornen nach, als diese in das Flußbett
hineinritten und quer über eine breite, ganz mit Wasser bedeckte Ebene
dahinsprengten. Jenseits des murmelnden, silbernen Elementes fing das
Gewirre von Klippen und Abgründen wieder an, zerstreute Blöcke und
phantastisch geformte Zackenreihen sprangen weit in das Wasser hinaus
vor, natürliche Bogen und Säulen wechselten mit senkrecht abfallenden
Wänden, und spitze einzelne Felskegel ragten wie Leuchttürme aus den
Fluten empor. Dieses ganze wildromantische Bild war erhellt gleich dem
Feengarten des Märchens; überall auf Spitzen und Dächern, in den Tiefen
und zwischen den Säulen spielten die violetten, purpurnen oder ganz
weißen, goldglänzenden Lichter des Moro Api; überall glitten Flammen und
Flämmchen, von jedem Luftzug lang aufflatternd wie Bänder, an den
Felswänden dahin, die vielzackigen, wunderlichen Formen in ihren
Strahlen badend, Schattenbilder malend und über verworrene Trümmer
huschend wie Fabelwesen aus uralter Märchenzeit. Wenn zuweilen ein
leichter Wind das Wasser kräuselte, dann schwebten die bläulichen und
roten Lufttänzerinnen im Kreise empor, gaukelten hierhin und dorthin,
beleuchteten plötzlich eine dunkle Spitze oder eine tiefere Schlucht und
kehrten dann nickend und sich biegend zu ihren früheren Standpunkten
zurück.

Das erhabene Naturschauspiel bannte die Zungen aller; ein fast
andächtiges Schweigen beherrschte die kleine Schar. Rings das blaue
stille Wasser und darüber in geheimnisvoller Schönheit jene körperlosen,
lichtspendenden Wesen, jene ewigen, seit dem ersten Schöpfungsmorgen
brennenden Lampen, deren Licht unter allem Wechsel fortglühte und
fortglühen wird bis an das Ende, -- alle diese Bilder ließen nur
lautlose Bewunderung aufkommen.

»Am hellen Tage,« erklärte endlich einer der Eingebornen, »ist das Moro
Api nicht sichtbar oder doch im Sonnenglanz nur sehr schwer zu
unterscheiden. Wir müssen uns jetzt aber beeilen, das Nachtlager im
Gebirge zu erreichen. Alle Anzeichen deuten auf einen Gewittersturm, wie
sie hier zu Lande üblich sind.«

»Können wir denn den Ausbruch desselben nicht gerade an dieser Stelle
erwarten?« fragte Holm. »Ich wäre neugierig, die Flammen wie rasende
Kobolde an den Felsklippen hinauf klettern zu sehen, ich möchte ihre
tolle Jagd im Sturme kennen lernen.«

Aber die Eingebornen schüttelten mit den Köpfen, obgleich sämtliche
Knaben ihre Bitten der des jungen Gelehrten hinzufügten. »Die Fremden
wissen nicht, was ein Gewittersturm in den Bergen zu bedeuten hat; es
ist ein Spiel um Leben oder Tod. Felsblöcke werden herabgerissen, Bäume
niedergebrochen, der flache Gebirgsfluß wird zum tosenden Strome, die
Blitze bedrohen alles, was lebt. Wir müssen schleunigst die sichern
Höhlen aufsuchen.«

»Sind die denn weit von hier?« fragte Franz.

»Nein, im Gegenteil ganz nahe.«

»So laßt uns aufbrechen,« ermahnte der Doktor. »Diese Leute kennen doch
das Land und das Klima besser als wir.«

Holms und des Knaben Blicke begegneten sich. Beide nickten wie im
Einverständnis, und dann ritt die kleine Schar unter Vortrab der Javanen
tiefer in das geklüftete Gebirge des Gunong Morio hinein, bis nach
vielleicht fünf Minuten eine enge, dunstige Höhle erreicht war. Hoch in
die Wolken erhob sich über der niederen Wölbung die Felskuppe; dichte,
moosbewachsene Wände sicherten vor allen möglichen Angriffen; massive
granitne Pfeiler stützten eine Art von Vorhof, und weiterhin gegen das
Innere öffnete sich Gang nach Gang, aber die Luft war drückend, weshalb
alle beschlossen, so lange als thunlich draußen zu bleiben.

Die Eingebornen entzündeten mehrere Wachskerzen und warnten dann die
Reisenden, sich über eine bestimmt bezeichnete Grenze nach rechts hinaus
zu wagen. Ein sonderbarer Anblick wartete hier der staunenden Beschauer;
überall war der Steinboden durchlöchert und zerklüftet, überall schoß
unter demselben in wildem Toben ein Gebirgsbach zu Thal, etwas weiter
hin als breiter, glänzender Wasserfall über rundgeschliffene, glatte
Wände in den Abgrund stürzend, tausend kühle Tropfen den Wandernden
entgegenspritzend, jene köstliche, unnachahmliche Frische des kalten
Quellwassers der heißen Luft mitteilend, schön und großartig im
wechselnden Licht der Kerzen, donnernd und grollend, gleich einem fernen
Gewitter.

»Morgen können Sie sich, wenn sie schwindelfrei sind, bis an den Abhang
hinauswagen,« erklärte der Führer, »die Felsblöcke liegen sicher, aber
am Abend ist die Sache unmöglich.«

Es blieb also nur übrig, unter dem Rauschen und Brodeln des Falles,
unter dem leise anhebenden Singen des erwachenden Sturmes die Ruhe zu
suchen und einstweilen auf weitere Ausflüge zu verzichten. Man speiste,
die Pferde wurden etwas weiter draußen in einer der Vorhallen an Bäume
gebunden und die Wolldecken ausgebreitet. In einer Höhle lagen sämtliche
Javanen, in der zweiten die Weißen; von wilden Tieren hatte sich nichts
gezeigt, der Sturm heulte sein großartiges Wiegenlied, langgezogener
murrender Donner erhob die Stimme, und rauschend in schweren Tropfen
fiel der Regen herab. Die Augen der Menschen schlossen sich, obwohl
zuweilen falber Schein den Wolkenschleier zerriß, und einzelne Stöße
brüllend und schnaufend den gewaltigen Anlauf des Orkanes verrieten. Bis
hierher drangen weder Regen noch Sturm, dies Dach ließ keine Tropfen
durchsickern, diese Wände konnten dem Anprall aller Erdenkräfte Trotz
bieten. -- Das Gefühl der Sicherheit schläfert ein, Leib und Seele
wiegen sich in Schlummer, alle Spannung ist gelöst, die Augen fallen zu,
ehe es der Träumer weiß.

Holm und Franz schliefen nicht. Als es rings umher still geworden war,
schlichen sie zusammen unter tausend Gefahren und Mühen auf dem Wege zum
Moro Api zurück. Jene hüpfenden Flammen bildeten den Punkt, nach welchem
sich ihre Schritte lenkten, und unbekümmert, ob ihnen der Sturm die
Sprache raubte und der Regen ihre leinenen Kleider bis auf die Haut
durchnäßte, drangen sie vorwärts. Der Aufruhr aller Elemente war von
wilder Schönheit. Einmal draußen, dem Schutze der Felsmauern entrückt,
hörten sie Sturm und Donner im unentwirrbaren Tonganzen ihre betäubende
Stärke entfalten, Blitz auf Blitz zerriß die drückende Luft,
schwefelgelb und bläulich fuhren Zacken und Strahlen über den Horizont
dahin, und hochauf spritzten die Wellen des Flusses. Das Schönste von
allem aber blieben die Flammen des Moro Api. Unausgesetzt drang aus dem
vulkanischen Erdinnern das Gas hervor und unausgesetzt entzündete es
sich durch die Berührung mit der atmosphärischen Luft, wieder und wieder
schlugen züngelnde Feuer aus den Spalten herauf, vom Wind erfaßt, sobald
sie entstanden waren, hierhin und dorthin entführt, in zahllose Teilchen
gerissen, bald klein, bald groß, bald in dieser, bald in jener Form. Bis
auf die höchsten Punkte der Klippen jagten einander die Luftgestalten,
nicht mehr spielend, gaukelnd wie vorhin in der linden, stillen
Gewitterluft, sondern tobend wie toller Märchenreigen, wie eine Schar
entfesselter Höllengeister, die sich erfassen und wieder verlieren, die
einander wutentbrannt folgen und im Kampfe zum Knäuel verschlungen
untergehen.

Der Sturm blies mit vollen Backen unter die Flüchtenden. Hier malte er
aus dem zitternden weißen Flämmchen ein Menschenantlitz und dort ein
laufendes, langgestrecktes Tier, hier einen Riesenvogel mit
ausgebreiteten Schwingen und dort ein Zwergenmännchen mit Keule und
Schild; überall aber hetzte und verfolgte er die lockere Schar, Klippen
hinauf und Klippen herab, durch Schlünde und Abgründe, über schmale
Brücken und auf einsamen Pfeilern, überall zerriß er die glänzenden
Lichter in Streifen und Fetzen.

Dazwischen schlugen Blitze in das Wasser und zuweilen in die höchsten
Bäume des Waldes. Erschrockene Vögel flatterten ängstlich durch den
Sturm, Papageien kreischten wild mit anderen Vögeln um die Wette, hier
und da stürzte ein Jahrhunderte alter Riese, im Falle zahllose
Rankengeflechte zerreißend und das Wasser hoch aufspritzend, daß ganze
Schauer die beiden jungen Leute überfluteten. Zu sprechen war unmöglich,
sie konnten sich, hinter den letzten Ausläufern des Gebirges
einigermaßen geschützt, nur durch Zeichen verständigen, ihre Haare
flogen wild um die Köpfe, das Zeug klebte am Körper, die Stiefeln waren
schwer wie Blei, und bei jedem neuen Windstoß überlief eine unangenehme
Kälte die Haut. Sich jetzt in die Wollendecken zu hüllen, und an
trockener, geborgener Stätte ausruhen zu dürfen, mußte doch recht
behaglich sein! Einer hinter dem anderen krochen sie, das Schauspiel der
ewigen Flammen nur ungern verlassend, Schritt für Schritt im Toben des
Wetters zum Lagerplatz hinauf, länger als eine Stunde brauchend, wo
vorhin fünf Minuten, freilich auf den Rücken der behende kletternden
Pferde, genügt hatten. Noch schlief alles, selbst da, wo die Eingebornen
lagen, rührte sich nichts, und auch die Tiere waren merkwürdig still.
Wenn irgend ein Angriff kam, traf er die Gesellschaft durchaus
unvorbereitet.

Holm ging zu der etwas entfernten Stelle, wo die Pferde standen; helle
Blitze zeigten ihm den Weg, er konnte nicht irren. Merkwürdig, daß sie
so still blieben! --

Jetzt war er da, gewiß, er erkannte deutlich den Baum, an welchem er
sein eigenes Tier befestigt, aber dennoch -- von den Pferden keine Spur.

Zehn Schritte weiter und das Plateau fiel steil ab ins Thal. Wohin waren
die Tiere gekommen? -- Ein furchtbarer Gedanke durchzuckte sein Inneres,
im Nu stand er vor der Schlafstätte der Eingebornen; -- auch hier alles
leer.

»Franz!« rief er mit unterdrückter Stimme. »Franz!«

»Nun? -- Was hast du, Karl?«

»Sieh her, die Javanen sind mit den Pferden über die Berge. Auch
sämtliche Lebensmittel haben sie mitgenommen.«

Die beiden sahen einander starr vor Schreck ins Auge. Das war hier, wo
es die gefährlichsten Raubtiere in furchtbarer Anzahl gab, ein schwerer,
ja entsetzlicher Schlag. Ohne Pferde ließ sich bei den meilenweiten, von
Alanggras bedeckten Ebenen und namentlich bei den Wegen über zackigen,
abschüssigen Boden die Rückreise gar nicht denken.

»Laß die anderen schlafen, Karl,« sagte endlich der Knabe. »Sie erfahren
es morgen immer noch früh genug. Und nebenbei, -- ich habe auch einen
Gedanken, der mich wenigstens über das Ärgste tröstet. Wir werden bald
neue Führer wieder haben, wenn auch für wahre Unsummen.«

»Weshalb glaubst du das, Junge?« fragte voll Erstaunen der andere.

»Nun, die Lumpenkerle müssen doch mit ihrer Flucht irgend einen Plan
verbinden! Sie haben gleich anfangs im Dorfe einigen anderen aufgegeben,
ihnen zu folgen und die Stelle verabredet, wo sie uns mitten im
Urwaldsgebirge verlassen wollen. Wenn die Lage bedenklich wird,
erscheinen von ungefähr ein paar dieser gelben Schurken und erbieten
sich, uns gegen doppelten Führerlohn nach Surabaja zurückzubringen, --
das ist alles beschlossene Sache, und der Raub wird gütlich von den
Spitzbuben geteilt.«

Holm lachte. »Wahrhaftig, du kannst recht haben,« antwortete er. »Dann
ist es ohne Zweifel das beste, hier zu bleiben und die Helfershelfer der
gelben Betrüger zu erwarten. Einstweilen aber laß uns schlafen, -- ich
bin todmüde.«

Der Malagasche wurde geweckt und ihm, der nun schon einige Stunden
geruht, die Wache übertragen, in welcher ihn gegen Morgen Hans als
letzter in der Reihe ablöste. So verging die Nacht, und am folgenden
Morgen saßen alle einander gegenüber, hungrig und ratlos, in schlimmster
Laune. Hier zu bleiben war ganz notwendig; aber wovon leben? Wovon nach
der Überschwemmung der letzten Nacht ein Feuer entzünden? Allerdings
hatten die Gewehre im Trocknen gestanden, auch ließ sich leicht dieser
oder jener Braten erlegen, aber er mußte roh gegessen werden, und das
war äußerst unangenehm.

Der Doktor blieb als Hausherr und Platzkommandant allein in der Höhle
zurück, wohlversehen mit Pulver und Blei, aber sonst auf die Sicherheit
zwischen den Felswänden und seine eigene Vorsicht angewiesen, -- die
vier jungen Leute zogen aus, um Lebensmittel herbeizuschaffen. Wasser
gab es da oben genug, man brauchte sich nur zu bücken, um es in
köstlicher Klarheit zu erhalten, aber dafür stieg auch der Hunger von
Stunde zu Stunde.

Das erste was heraufgeschafft wurde, waren Kokosnüsse; ihnen folgten die
Eier verschiedener Vogelarten, Beerenfrüchte, eine kleine Schildkröte
und endlich ein Hirsch, dessen Ziemer Franz im Schweiße seines
Angesichtes keuchend nach Hause schleppte. Dann begann die Thätigkeit
des Doktors. Er mußte mit dem Taschenmesser das Fleisch schaben; einige
kleine Zwiebeln, die im Thale wuchsen, wurden dazu gehackt, das Ganze
mit Salz und Pfeffer, welche jeder einzelne bei sich führte, reichlich
vermengt und nun gegessen, dazu Nußkern und rohe Eier.

»Der Mückenkuchen auf Madagaskar schmeckte schlechter!« meinte Holm.

»Der Flußpferdbraten in Dahomey war zäher!«

»Das Dürsten im Kaplande weit schrecklicher!«

»Ja, das ist wahr!« sagten wie aus einem Munde alle Anwesende.

»Nun, so laßt uns dies rohe Fleisch mal ohne Bitterkeit verzehren.
Vielleicht schmeckt auch das Fleisch der Schildkröte im Naturzustande
erträglich.«

»Wenn nur vor Nacht die Eingebornen wirklich kämen!« seufzte der Doktor.
»Eure Berechnung könnte auch täuschen!«

»Ganz unmöglich, bester Doktor. Franz hat recht, es ist auf Plünderung
abgesehen; ich glaube aber nicht, daß sich die Javanen blicken lassen
werden, ehe wir durch Hunger und Gefahren tüchtig mürbe gemacht worden
sind. -- Einstweilen wollen wir den Rest des Fleisches in die
Schildkrötenschale legen und einsalzen. Franz, du bist wohl so gut, die
Eier und die Nüsse in eine sichere Ecke zu bringen; ich denke, wir essen
zur Nacht nur frische Früchte, ihrer besseren Verdaulichkeit wegen. Hans
und Rua-Roa haben vortreffliche Melonen und Erdbeeren heraufgebracht,
sie müssen davon noch mehr holen.«

Das geschah, und so zog durch die angestrengte, körperliche Thätigkeit
sowohl als auch durch das Zureden Holms einige Ruhe und Zufriedenheit in
die Herzen wieder ein. Gegen Abend, als noch ein paar erlegte Vögel und
ein Hase die Vorratskammer anfüllten, als sich Berge von Beeren und
Eiern häuften, gewann sogar die alte fröhliche Reiselaune die Oberhand.
Zwei von den jungen Leuten sollten wachen, zwei schlafen, und am
folgenden Morgen wollte man auch ein Feuer entzünden. Die heißen
Sonnenstrahlen des letzten Tages hatten Zweige und Gräser vollständig
getrocknet, Wachskerzen und Streichhölzer waren genug vorhanden; also
ließ sich mit Recht erwarten, daß die Eier hart gekocht und das Fleisch
gebraten werden könne. Von dem Gepäck der Weißen hatten die Javanen
nichts mitgenommen, daher fand sich auch der Blechkessel nebst Pfanne
noch vor, ebenso Gabeln und Löffel; alles wurde schönstens an den Wänden
der »Küche« geordnet, trocknes Holz und Gras herbeigeholt und Steine zum
Herd aufeinander gelegt. Was von Insekten, Fledermäusen und Schlangen in
den Winkeln umherkroch, das beförderte ein schneller Griff mit dem
künstlich aus Gras und Reisern hergestellten Besen in die Tiefe des
Wasserfalles hinab oder in die Freiheit des Hochwaldes hinaus, und als
so das Haus wohl bestellt war, setzten sich die beiden ersten
Wachhabenden, Holm und Hans, mit geladenen Kugelbüchsen unter den
Eingang, während die übrigen schliefen.

Das ungewisse Licht des Mondes fiel zuweilen in die Schluchten hinein,
zuweilen versteckte es sich unter Wolken und ließ alles in um so
schwärzerer Dunkelheit zurück; die Baumkronen flüsterten und rauschten,
reife Früchte fielen von den Zweigen, und mehr als eine Tiergattung
zeigte sich den Blicken. Affen plünderten die Fruchtbäume, namentlich
die Tamarinden; Schuppentiere mit ihrem sonderbaren länglichen und von
dreieckigen Panzerplatten bedeckten Körper verfolgten emsig die Ameisen
und Termiten in den unteren Schichten des bewaldeten Berges; kecke,
gefräßige Wanderratten gingen dem Geruche der frisch geschlachteten
Tiere nach, und nicht selten erschien sogar zähnefletschend ein grauer
Affe oben auf dem Berge.

Die beiden jungen Leute plauderten halblaut. Hans war es im Stillen
zufrieden, daß die Weltreise jetzt zur Hälfte hinter ihm lag, er sehnte
sich nach geordneten bürgerlichen Zuständen und sprach mit dem Freunde
über dessen eigene fernere Pläne, als stärker und stärker werdend, aus
dem Thale ein Geräusch herauftönte. Es klang wie der Schritt vieler
kletternder, scharrender Füße, ja sogar Laute, die dem lechzenden Atem
eines jagenden Hundes glichen, durchdrangen erkennbar die nächtliche
Stille. Holm und Hans sprangen auf, ihre Gewehre lagen im selben
Augenblick schußgerecht, sie riefen mit lauter Stimme die anderen.

Vielleicht hatten diese überhaupt nicht so ganz sicher geschlafen; in
wenigen Augenblicken standen alle kampfbereit den Genossen zur Seite. Wo
aber war nun der Feind? -- Weit und breit zeigte sich kein lebendes
Geschöpf.

Holm legte den Finger auf die Lippen. »Still! von da unten her kam es.
Ich bin meiner Sache ganz sicher.«

Auch Hans bestätigte, daß lebende Wesen im Anzuge sein müßten; alle
Glieder der kleinen Gesellschaft horchten daher gleich gespannt,
beobachteten mit gleicher Aufmerksamkeit den breiten Paß, durch welchen
heraufkommen mußte, was sich ihnen in ihrer Felsenburg als Besucher
nahen wollte. Eine Viertelstunde verging in dieser Weise ohne irgend ein
Ergebnis zu bringen; schon wurde flüsternd beraten, ob es nicht das
Klügste sei, einige Schüsse abzufeuern und so die Tiere, welcher Art sie
wären, zur Flucht zu veranlassen, als ganz plötzlich in dicht gedrängten
Haufen die Angreifer auf dem Kampfplatz erschienen. Wilde Hunde,
vielleicht zwanzig bis dreißig an der Zahl stürmten den Berg hinan; die
roten, lechzenden Zungen hingen aus den Mäulern hervor, die Augen
funkelten bösartig unter den langen, struppigen Haaren; die Gestalten
waren durchweg mager und von Mittelgröße; die Erscheinung sowohl dem
Fuchs als dem Wolfe ähnlich und das Fell von schmutzig rötlicher,
schwarzgesprenkelter Färbung. Die Meute, sonst vor dem Menschen
flüchtend, war von dem Geruch der oben aufgespeicherten Tiere angelockt
worden und wälzte sich jetzt gleich einer Lawine durch den Gebirgspaß
heran, dabei von den Männern durchaus keine Notiz nehmend, sondern unter
einander kämpfend und beißend um das frische Fleisch. Alle diese dunkeln
Gestalten waren zum Knäuel geballt; ein Bellen und Schreien, ein Toben
und Stürzen, das wahrhaft betäubend wirkte, lähmte jeden Entschluß.
Menschen und Tiere rangen um den engen Raum des Felsens, Menschen und
Tiere vermischten ihre Stimmen zum unentwirrbaren, dämonischen Lärm.

Wieder war es Franz, den die ungestüme Leidenschaft hinriß, einen argen
Fehlgriff zu begehen. Er legte an und schoß ohne zu zielen in den Haufen
der wilden Hunde hinein. Jetzt kam, was kommen mußte! Wütend gemacht
durch den plötzlichen Angriff, wandten sich die Tiere den Jägern zu, und
es entspann sich ein Kampf, bei dem die Männer schießend und schlagend,
ja sogar mit ihren großen Messern stechend bis an die Felswand
zurückwichen und nur unter Aufbietung aller Kräfte das Leben retteten.
Während die Hunde niemals ihrerseits angegriffen hätten, wurden sie
durch den ersten Schuß in Wut versetzt und kannten nun keine Scheu mehr.
Rechts und links füllten ihre Leichen, ihre zuckenden, schwer
verwundeten Körper den Weg, aber auch sämtliche Männer bluteten. Der
Doktor hatte eine Wunde im Oberarm, Franz war gefallen und in die
Schulter gebissen, Holms Stiefel klaffte weit aus einander, während der
Fuß blutete, und Hans seinerseits hatte genug zu thun, um mit der arg
zerfetzten Rechten überhaupt noch Notwehr zu leisten. Nur der Malagasche
war gut davon gekommen. Auf einen Felsblock springend und von dort
schießend, kämpfte er tapfer mit, ohne selbst in Gefahr zu geraten, der
Instinkt des Wilden leitete ihn an, vorerst für seine Person Deckung zu
suchen.

Als etwa eine Viertelstunde erbitterten Kampfes verflossen war, als Blut
von allen Seiten über das Gestein herabtroff, wichen die letzten noch
überlebenden Hunde, von Schüssen und Kolbenschlägen verfolgt, verwundet
und heulend, kaum ein Viertel jener stattlichen Anzahl, die den Berg mit
eiligen Sprüngen erstürmt hatte; jetzt erst konnten die Weißen im
Schutze der überhängenden Wände ihre Kerzen entzünden und den erlittenen
Schaden feststellen. Eine wahre Wüstenei breitete sich vor ihnen aus.
Tierleichen, Stücke zerfetzter Körper, geronnenes und fließendes Blut,
Büschel Haare, alles stapelte über- und neben einander, alles zusammen
bot einen trostlosen und grauenhaften Anblick, dessen Beseitigung jetzt
die erste Sorge sein mußte.

Nachdem die Wunden einen notdürftigen Verband erhalten, ging man ans
Werk. Gewehre und Decken, kurz alles Gepäck wurde in eine der inneren
Höhlen geschafft, und dann befahl Holm, aus einzelnen Felsblöcken vor
dem Eingang derselben eine Art Barrikade mit Schießscharten
herzustellen. »Der entsetzliche Blutgeruch bringt uns ohne allen Zweifel
auch von den Tigern und Wildkatzen noch einen Besuch,« seufzte er. »Also
rasch! wir müssen den Zugang verrammeln, ehe der Feind eindringt.«

»Sollen wir denn bis zum hellen Tage da drinnen gefangen sitzen, Karl?«

»Hättest du nicht so voreilig geschossen, dann wäre es überflüssig, mein
Bester!« war die etwas scharfe Entgegnung.

Franz wechselte die Farbe. Er hatte längst seinen Irrtum erkannt und
beeilte sich daher jetzt so viel als möglich wieder gut zu machen. Den
Schmerz in der Schulter verbeißend, half er eifrig die zerstreut
umherliegenden Blöcke auf einander zu schichten, und so eine breite
Mauer herzustellen, die, nach außen hin etwas geneigt, jeden, der etwa
an ihrem Bau rütteln würde, sogleich unter schweren, stürzenden Massen
zerschmettern mußte. Nur ein kleines Schlupfloch ließen die emsig
Schaffenden offen, einen schmalen Gang, durch den sich einer nach dem
anderen hineindrängen konnte, und dann begannen sie die Tierleichen in
den Abgrund zu stürzen. Der Besen fegte Ströme von Blut in das Wasser
hinab, während Kochkessel und Bratpfanne unaufhaltsam frische,
reinigende Fluten schöpften und nachspülten. Es galt ja den
gefährlichen, verderbenbringenden Blutgeruch schnellstens zu entfernen.

»Schlafen können wir in dieser Nacht nicht mehr,« erklärte Holm. »Kommt
mir nach, wenn draußen das Hauptsächlichste geschehen ist, und dann
müssen zwei von uns den Eingang, die übrigen die Schießscharten mit
geladenem Gewehr bewachen.«

»Für so unvermeidlich hältst du den Angriff, Karl?«

»Ich fürchte, ja. Der Wind trägt die Ausdünstungen des geronnenen Blutes
hinab in das Thal, wo ohne Zweifel eine Menge Raubkatzen leben. Auch die
Hunde waren ja schon dadurch heraufgelockt, wie ich überzeugt bin.«

Man widersprach ihm nicht; vielleicht trieb auch der Gedanke an einen
Kampf mit Königstigern zur größtmöglichen Beschleunigung des
angefangenen Werkes; _diese_ Zähne richteten doch ganz andere
Verwüstungen an, als die der wilden Hunde.

Nach wenigen Minuten fanden sich alle in dem engen Raume versammelt.
Jetzt stand der Vollmond über dem Gebirge, alles in bläulichem und
silbernem Glanze badend, jede Schlucht erhellend: die Nacht war still,
als sei die ganze Schöpfung nur ein einziger, großer Tempel; fliegende
Frösche glitten durch die Luft, und fernher zwischen den Bäumen
glitzerte im Thale wie ein Irrlicht das Moro Api.

Da schlichen zwei Gestalten den Berg herauf, kurze Schatten werfend,
vorsichtig mit gespitzten Ohren und spähenden Blicken. Voran die
größere, das Männchen mit dem braungelben, gestreiften Fell und dem
abstehenden Bartkranz um das kluge Gesicht, leicht erhoben die
Vordertatze und zurückgelegt über den Rücken den glatten Schweif, -- es
sog die Luft ein, witterte, es duckte sich wie zum Sprunge -- da hinter
den Steinen atmeten Menschen!

Ihm nach schlich das Weibchen. Weniger derb gebaut, ohne Bart und minder
kräftig gezeichnet, war es doch nicht minder blutdürstig, glühten
auch seine Augen wie Kohlen im gelben, falschen Glanze des
Katzengeschlechtes. Ein leises Brummen, ein Lechzen der Zunge verrieten
die Kampflust, welche beide beseelte.

»Aufgepaßt!« raunte Holm. »Doktor, Sie nehmen mit Hans zugleich das
Weibchen aufs Korn -- wir drei das Männchen. -- Feuer!«

Die Schüsse krachten, Pulverdampf drohte die Eingesperrten zu ersticken,
ein wildes Heulen durchdrang die Luft, und außen wälzte sich das
Weibchen des Tigers sterbend im letzten Kampfe; auch das Männchen war
getroffen, von allen drei Kugeln sogar, aber trotzdem nicht tödlich.
Eine Wendung, die es im entscheidenden Augenblick gemacht, hatte das
Ziel verrückt und die Schüsse, anstatt in Kopf und Brust, vielmehr nur
in die Beine und den oberen Teil des Rückens eindringen lassen.

Jetzt erst war die Gefahr nahe. Während drinnen in fieberhafter Eile die
Büchsen wieder neu geladen wurden, sprang der gereizte Tiger außer sich
vor Schmerz und Wut gegen die aufgeschichteten Steine, mit seinen
gewaltigen Pranken die Blöcke niederreißend, so nahe, so furchtbar nahe,
daß die Eingesperrten seinen heißen Atem auf ihren Stirnen fühlten. Zwei
Kugeln trafen in seine Brust; immer noch lebte er, und immer mehr Blöcke
riß er herab, rasend, schäumend vor Wut. -- --

Noch Sekunden und er war drinnen. --

Da geschah, was Holm bei Anlage der Mauer berechnet hatte, sie stürzte
und begrub unter ihren hundertpfündigen Blöcken den schlanken Leib des
Tigers. Wenige Minuten hatten hingereicht, um die beiden gefährlichen
Raubtiere zu töten.

»Welche Nacht!« seufzte der Doktor. »Die ärgste von allen -- unser Leben
hing am seidenen Faden!«

»Und ist trotzdem immer noch nicht außer Gefahr,« ergänzte Holm. »Wer
weiß, ob diese beiden Bestien die einzigen hier in der Nähe waren.«

»O und die furchtbare Luft.« -- --

Franz drängte sich hinaus ins Freie. Er und der Malagasche zogen den
Tiger unter dem Steinhaufen hervor und schleppten beide Leichen etwas
weiter den Berg hinab; dann wurde die Mauer wieder hergestellt, und
wachend in unbehaglichster Stimmung der Tag erwartet. Aber es erfolgte
kein weiterer Angriff, nur vereinzelte wilde Katzen erschienen und
suchten sich noch irgend welcher Überreste zu bemächtigen: diese ließ
man, aller Jagdlust bar, unbehelligt laufen. Müdigkeit, Hunger und
Erschöpfung waren zu groß, um irgend einer anderen Empfindung Raum zu
gestatten.

Der helle Tag bot einen trostlosen Anblick. Zerstampft und zertreten die
Vorräte für das Frühstück, kein Ei und keine Nuß, kein Bissen Fleisch
mehr vorhanden, dazu wieder ein neues Gewitter am Himmel, neuer, stetig
fallender Regen, dessen feine Tropfen alles durchnäßten. Es fand sich
auch kein genießbarer Gegenstand, selbst die großen Kokosnüsse waren
über den Abgrund und ins Bodenlose gerollt.

»Auf! Auf!« drängte der Doktor. »Unerträglicher als hier kann es
nirgends sein.«

»Aber sollen wir ohne Führer im dichten Walde umkommen? sollen wir ohne
hinlängliche Bedeckung den Kampf mit Tigern, Büffeln und Rhinozerossen
aufnehmen?«

»Besser, als hier bleiben. Dieser Ort ist mir fürchterlich. Wir können
doch immerhin hoffen, ein Dorf anzutreffen -- schon unsrer Wunden wegen
müssen wir Ruhe haben.«

Holm besah seine Stiefel. »Wie weit werde ich damit marschieren können?«
fragte er halb seufzend, halb lachend.

Es schwieg wieder alles: selbst der Mut, Beeren und Eier zu suchen,
fehlte jetzt; die Trostlosigkeit des vorigen Abends war zurückgekehrt
und lastete mit doppelter Stärke auf den Seelen der Vereinsamten. Und
doch wußten sie ja alle, daß es so nicht lange bleiben könne.

»Laßt uns fortgehen!« riet nach drückender Pause abermals der Doktor.
»Ich halte es hier nicht mehr aus, -- mich deucht, die Leichen verderben
bereits die Luft.«

»Das thut das Blut zwischen den Abhängen und Steingeröllen. Aber brechen
wir in Gottes Namen auf, -- was verloren geht, ist nur ein Dach und der
Gedanke, daß gerade hierher die gelben Schurken ihre Genossen
ausschicken müßten.«

»Die laufen uns schon nach,« tröstete Holm, immer mit bedenklichem
Gesichte seine klaffenden Stiefel von einer und der anderen Seite
besehend. »Hätte ich doch nur wenigstens einen tüchtigen Bindfaden!«

Rua-Roa wußte zu helfen. Er kannte eine Pflanzenart, die auch in
Madagaskar heimisch war und deren Ranken als Seile dienen konnten. So
wurde denn der Stiefel zusammengebunden und die Reise wieder angetreten;
Holm ging behutsam, das linke Bein wie ein Lahmer nach sich ziehend, aus
Furcht endlich gar barfuß die Wildnis durchlaufen zu müssen; überhaupt
kam man nur äußerst langsam vorwärts, da unterwegs jede Beere, jede
Frucht hastig gepflückt und gegessen wurde. Der Pfad über das
Steingerölle ermüdete unsäglich; weder Holms unversieglicher Humor, noch
des Doktors Ermahnungen konnten die spitzen Kiesel glatter oder die
schrägen Ebenen weniger unbequem machen; man wanderte, beladen mit dem
schweren Gepäck, in rieselndem Regen und unter den Mühen des Weges
fürbaß wie arme Verbannte, die der Heimat den Rücken kehren und noch
nicht wissen, an welchem Punkte der Erde es ihnen vergönnt sein wird,
neue Hütten zu bauen.

Da schimmerte durch die Baumzweige zur Linken ein Etwas, das wohl
geeignet war, sämtliche Reisende in Erstaunen zu versetzen. Zwei Hörner
ragten empor, und das biedere Haupt eines Jochochsen schaute friedlich,
kauend mit beiden Backen, urgemütlich blickend den Fremdlingen entgegen.
Das war kein wilder Büffelstier, sondern ein Zugochse ohne bösartige
Absichten, ohne Ahnung von der Wucht seines Nackens, ganz wie wir sie
bei uns sehen, Bilder des dörflichen Lebens und der Beschaulichkeit,
gemütliche, behäbig brummende Haustiere ohne Arg und Falsch. -- --

Hans streckte die Hand aus und sah hinüber, wo der Karbau (Name für den
auf Java allgemein üblichen Zugochsen) stand. »Menschen!« rief er nur,
»Menschen!«

Das Wort wirkte wie ein elektrischer Schlag. »Wo? -- O Gott, wenn es die
Eingebornen wären! -- Wo sind Menschen?«

Aller Blicke suchten die bezeichnete Stelle; man lief in Sprüngen
vorwärts, man vergaß alle ausgestandenen und noch gegenwärtigen Leiden,
nur einem Gedanken folgend, nur eins im Auge, -- Menschen! Menschen! --
Vier Ochsen weideten auf dem Gras unter den Bäumen des Waldrandes, neben
ihnen standen zwei plumpe, wie kleine Häuser aussehende Holzkarren, und
gemächlich am Boden lagerten ein paar Gelbgesichter, die sich bei einer
Mahlzeit aus Fleisch, trocknen Fischen und gerösteten Kartoffeln gütlich
thaten. Das Zeltdach aus Büffelhäuten mußte schon während der letzten
Nacht an dieser Stelle befestigt gewesen sein, denn der Boden darunter
war vollkommen trocken und sogar eine Feuerstätte erkennbar. Indes die
Weißen einige tausend Schritt weiter oben mit dem Tode und allen seinen
Schrecken rangen, hatten hier die Helfershelfer derer, welche sie in so
fürchterliche Lage gebracht, ganz ruhig und ohne Gewissensbisse
abgewartet, was sich in ihrer unmittelbaren Nähe vollzog, hatten keine
Hand erhoben, um von den arg Bedrohten das Verderben abzuwenden. Ihre
harmlosen Blicke schienen sehr erstaunt, so plötzlich mitten in der
Wildnis weiße Reisende anzutreffen.

»Nun mäßigt euch, Kinder,« ermahnte in deutscher Sprache der Doktor.
»Laßt nicht erkennen, daß wir die erbärmliche Verräterei vollkommen
durchschauen. Die holländische Regierung führt hier ein sehr strenges
Regiment, wahrscheinlich haben also jene Schurken ihren Genossen
eingeschärft, uns nie wieder nach Surabaja zurückkehren zu lassen,
sobald wir Miene machen, die Sache den Behörden anzuzeigen.«

Das leuchtete den jungen Leuten vollkommen ein, und die Verhandlungen
mit den Eingebornen wurden in ruhigster Form eröffnet. Man hatte sich
verirrt, war von den Führern getrennt worden und wollte gern gut
bezahlen, wenn es möglich wäre, in Begleitung der Männer nach Surabaja
zurückzureisen.

Die Malaien schüttelten die Köpfe. Eigentlich wollten sie einen ganz
anderen Weg gehen, hatten eine Ladung Kartoffeln nach einem entfernten
Orte zu bringen und besaßen ja auch für die Herrschaften keine Pferde;
kurz, sie glaubten doch nicht, daß sich die Sache machen lasse; dann
aber, nachdem Geld über Geld geboten, schwanden wie Nebel vor der Sonne
alle diese Bedenken; ja, es fand sich sogar in der Entfernung von
höchstens einer halben Tagereise ein Dorf, wo auch Pferde zu bekommen
waren, und so wurde denn der Handel abgeschlossen, obgleich Holm lebhaft
bedauerte, die gelben Spitzbuben nicht lieber mit einem tüchtigen Bambus
als mit blanker Münze bezahlen zu dürfen. Wie schlau war das alles
eingeleitet, wie passend der Platz gewählt, und wie teuflisch die
Hilflosigkeit der Weißen gerade hier auf dem zerklüfteten, steinigen und
unebenen Boden voraus berechnet!

Während dieser diplomatischen Verhandlung, hinter der schlecht verborgen
die Kampflust auf beiden Seiten lauerte, hatten sich die Knaben den
Inhalt der plumpen Karren besehen. »Wahrhaftig, Kartoffeln! -- Hurra!«
rief Franz, »das ist ein Fund. Kartoffeln haben wir seit England nicht
mehr gegessen, -- Karl! Herr Doktor! wir müssen sogleich welche kochen.
Freue dich doch, Hans, es gibt Pellkartoffeln!«

»Mit gebratenen Zwiebeln!« ergänzte dieser, als er aus einem Korbe ein
tüchtiges Stück Wildschweinsspeck hervorzog. »Karl, laß uns das den
Halunken abkaufen!«

Auch dieser Handel kam zu stande, und bald prasselte unter dem
schützenden Felldach, während ringsumher alles vom Regen troff, ein
neues belebendes Feuer; Zwiebeln wurden ausgegraben, Wasser geschöpft,
Speck zerschnitten und Kartoffeln aufgesetzt; die Knaben beobachteten
jede Blase im Kessel, und als endlich die Probe mit dem Taschenmesser
das Gericht als gar kennzeichnete, da war des Jubels kein Ende.
Pellkartoffeln mit Zwiebeln! Deutsches Nationalgericht bescheidenster
Ansprüche, wie kamst du zu nie geahnten Ehren im Urwalde von Java! -- --

Es ist doch ein eigen rührender Klang, der aus ferner Heimat zu uns
herüberdringt; es ist, als würden tausend liebe Bilder wach bei seinem
leisen Grüßen! -- Als der Duft der Kartoffeln emporwallte, als die
beiden Knaben die erste Frucht trotz ihrer Glühhitze zwischen den
Fingern aufbrachen, da schimmerte es seltsam glänzend in den hellen,
frohblickenden Augen. Franz ließ sich keine Zeit, die Zwiebelsauce
hinzuzuthun. »Hamburg,« sagte er leise, mit dem Kopf nickend, während
die Kartoffel zwischen seinen Zähnen verschwand, »auf dein Wohlergehn!«

Die übrigen stimmten in diesen Glückwunsch lebhaft ein. Es wurden bei
der Mahlzeit erstaunliche Quantitäten bewältigt, auch das Fleisch
schwand zusehends, und die Flaschen der Malaien mußten ihren schlechten
Branntwein bis auf den letzten Tropfen hergeben. Einer der Männer
unterzog den schwerverwundeten Stiefel mittels Bast und Schnüren seiner
ärztlichen Behandlung. Dann wurden noch die Tiger oben am Gebirgsabhang
ihrer Felle entkleidet und endlich auf Waldwegen, die weit besser zu
passieren waren, das besprochene Dorf aufgesucht. Nachdem kurze Rast
gehalten, ging es auf den kleinen, munteren Pferden, aller Sorgen und
Befürchtungen ledig, wieder vorwärts; die Wunden hatten zweckmäßigen
Verband bekommen; es waren Vorräte eingekauft und die nassen Kleider
getrocknet; ja sogar verabredet worden, daß man erst bis an die
jenseitige Grenze der Zivilisation vordringen wolle, ehe der Rückweg
eingeschlagen ward; der grüne Wald umgab also wieder dicht und lauschig
von allen Seiten die kleine Schar; man ritt einem Gebirgszuge entgegen,
dessen höchste Spitze, ein noch thätiger Vulkan, wenigstens von fern in
Augenschein genommen werden sollte.

Zwei Tage und Nächte verbrachten die Reisenden auf dieser angenehmen und
vom schönsten Wetter begünstigten Tour, obwohl in jeder Nacht die Weißen
abwechselnd mit geladenen Gewehren ihre Führer bewachten. Dann, am
Mittag des dritten Tages, näherte sich der kleine Zug dem feuerspeienden
Berge, dessen Gebiet weder Wald noch sonstigen Baumwuchs zeigte.

Als noch der eigentliche Berg in bläulichem Duft wie ein ferner Riese
dalag, bestand schon auf eine halbe Meile im Umkreis der Boden aus Lava
und Schlacken, Geröll und jenen großen, eckigen Steinblöcken, welche die
thätigen Krater auf Java bei ihren bedeutenderen Ausbrüchen
emporzuschleudern pflegen. Die Landschaft zeigte fahle, aschgraue und
gelbliche Totenfarbe, kein Tier belebte den Weg, kein Vogel sang und
kein Blatt sproßte hervor aus dem heißen verdorrten Boden. Jene
berüchtigten Zacken und Rinnen, mit denen feuerspeiende Berge meistens
umgeben sind, erschwerten das Klettern, tiefe Klüfte mußten von den
Pferden übersprungen werden, leichter Schwefeldampf in der Luft
beklemmte die Brust; zuweilen glitten die Tiere auf spiegelglatter Lava
wie auf einer Eisfläche dahin, und dann wieder rollten sie mit
bröckelndem Gestein plötzlich eine tüchtige Strecke rückwärts.

Die Führer ritten nicht; Ochsen und Karren hatten sie natürlich am Fuße
des Berges zurückgelassen, ebenso ihre eigenen Tiere. Sie zogen die
Pferde der Weißen unter steten Zurufen am Zügel nach sich und wählten
sorgsam die wenigst gefährlichen Stellen; ebenso sammelten sie auch
bereitwillig jeden Stein und jede Schlacke, die ihnen bezeichnet wurde.

Der Berg war, obgleich kein eigentlicher Ausbruch stattfand, doch sehr
unruhig; unsere Freunde sollten das erwartete Schauspiel so schön als
nur möglich genießen. Als zwischen Lavageschieben, Schlacken und
Blöcken, zwischen zahllosen einzeln stehenden Kegeln und über weite,
tote Aschenfelder der Krater bis auf vielleicht fünfhundert Schritt
Entfernung erreicht war, machten die Führer Halt. Von diesem Punkt aus
ließ sich das Ganze am besten überblicken; noch näher heranzukommen wäre
gefährlich gewesen; denn zuweilen werden selbst an den ruhigsten Tagen
größere Steine aus dem Innern hervorgeschleudert und zur Seite geworfen;
ebenso nimmt auch der Schwefeldunst derartig zu, daß ihn die
Atmungsorgane nicht mehr ertragen können.

Eine hohe Rauchsäule, im Purpurscheine glühend, stieg aus dem Krater
auf, wallende, wirbelnde Massen vereinigten sich hoch in blauer Luft zu
einer Wolke, aus deren mit Elektrizität angefülltem Schoße ohne Unterlaß
nach allen Seiten zuckende Blitze niederfuhren. Steine von Faustgröße
wurden ununterbrochen mit den Rauchmassen herausgeworfen und fielen dann
polternd mit rollendem Getöse in die unheimliche Tiefe zurück. Den
Höhepunkt seiner Schönheit erreichte aber das Naturschauspiel, als
plötzlich eine hohe, mit rasender Schnelligkeit aufschießende Säule
sprudelnden, kochenden Wassers in die Luft aufstieg. Wie ein glühender
Regen verbreitete sich zischend und stäubend die Flut nach allen Seiten,
Staubwolken aufwirbelnd, mit einem durchdringenden Geruch von
schwefeliger Säure. Eine Wassersäule nach der anderen drang hervor,
vermischt mit Rauch und Steinen, es rollte und donnerte im Inneren des
Berges, die Luft wurde von Viertelstunde zu Viertelstunde
unerträglicher.

»Jetzt wollen wir auch einen schlammspeienden Berg besehen,« rieten die
Führer. »Zwar ist derselbe nicht so schön und auch nur niedrig, aber
doch ebenfalls eine Naturseltenheit. Sollen die Pferde umkehren?«

Nachdem das erhabene Schauspiel hinlänglich bewundert, wurde diesem
Vorschlag Folge gegeben und der sonderbare, höchstens hundert Meter hohe
Schlammkegel aufgesucht. »Diese Berge verschwinden während der Regenzeit
gänzlich,« erklärten die Führer, »sie werden dann zu Morästen, aus denen
Gasblasen immerfort wirbelnd aufsteigen, die sich aber bei dem Eintreten
der Hitze allmählich verdichten, austrocknen und nun so lange
_Thonklumpen_ aufwerfen, bis sich der Berg gebildet hat. Es ist ein
solcher ganz in der Nähe.«

Der mühselige Weg wurde also zurückgelegt und jener einem großen
Maulwurfshaufen gleichende, häßliche Berg mit seiner schwarzgelben Farbe
aus der Nähe besehen. Ringsumher bildete der Boden eine Schlammkruste,
während aus dem regelrecht geformten Krater eine dichte Rauchwolke
aufstieg und leise Schlammwellen von Zeit zu Zeit über den Rand
herabflossen. Hier herrschte anstatt des Schwefelgeruches eine ebenso
scharfe, wenngleich minder unangenehme Ausdünstung, von dem in Tropfen
fortwährend aus dem Erdinnern hervorquellenden Naphtha herrührend. Auch
in der Umgebung dieses Kegels, deren die bekannte Welt nur sehr wenige
aufzuweisen hat, wuchs nichts und lebte nichts.

Die kleine Gesellschaft atmete auf, als nach ein paar Stunden die
Wüstenei von Steinen und Geröll hinter ihnen lag und die Vegetation
wieder den früheren üppigen Charakter annahm. Sie machten nun größere
Tagereisen und ließen sich's hauptsächlich angelegen sein, Pflanzen und
Insekten zu sammeln, besonders die schönen großen Schmetterlingsarten,
an denen alle Sundainseln so reich sind. Einige Exemplare des fliegenden
Frosches kamen für das Museum hinzu, ebenso kleinere Fledermäuse und
Eidechsen; ein Kalong wurde gekauft, ein Schuppentier sowie mehrere
Marderarten und Eichhörnchen erlegt und einige Wildkatzen abgebalgt.
Holm sammelte Orchideen, das Alanggras, Vogeleier jeder Sorte und die
ganze Unzahl von Käfern, Spinnen und Gewürm, die im Walde dem Reisenden
auf jedem Schritt begegnen. Unterwegs wurde auch beraten, wohin zunächst
die »Hammonia« ihre wissensdurstigen Passagiere bringen solle. Man kam
überein, Sumatra, an dem man überdies schon vorüber gefahren war, nicht
zu besuchen, und zwar weil hier das Pflanzen- und Tierleben bis auf
einige wenige Abweichungen dem von Java völlig gleichsteht. Sumatra hat
Rhinozerosse mit zwei Hörnern, einen etwas anders aussehenden Elefanten
und einige andere Affenarten, ebenso eine besondere Baumwolle, einige
auf Java nicht gefundene Holzarten und so weiter; aber der Unterschied
ist nicht erheblich genug, um eine Reise durch das Innere zu
rechtfertigen.

Es wurde also beschlossen, direkt nach Borneo zu gehen, vorher aber in
Surabaja womöglich mit den Eingebornen zu Nutz und Frommen anderer
Reisenden noch eine kleine Abrechnung zu halten. Glaubten sie, arglose,
freigebige Menschen überlistet zu haben, so sollten sie dafür diesmal
selbst die Überlisteten sein. Weder Holm noch der Doktor ließen irgend
einen Plan durchblicken, sobald aber Surabaja erreicht war, und die
Führer schon vor den ersten Häusern der Stadt Bezahlung verlangten, da
änderte sich die Sache. Holm und Franz nahmen die Hilfe der Behörden in
Anspruch und erzwangen von den Malaien ein umfassendes Geständnis ihrer
Verräterei. Erst versuchten sie keck zu leugnen, sobald aber der Stock
im Hintergrunde des Verfahrens auftauchte, legten sie Hände und Füße
zusammen und bekannten alles. Nachdem sie die Mitschuldigen an dem
Schurkenstreiche genannt, wurde jedem einzelnen eine kleine
Gefängnisstrafe zuerkannt und kein Pfennig über die erstbedungene Summe
hinaus gezahlt. Zwar baten die Knaben in letzterer Beziehung ihre Lehrer
um Nachsicht für die Spitzbuben, welche sich in der eigenen Falle
gefangen, aber sie trafen bei den beiden auf entschiedenen Widerstand.
»Das Unrecht darf nie den Sieg behalten,« erklärte der Doktor. »Redliche
Menschen dürfen nie die Hand bieten, um gegen Betrüger eine höchst
unangebrachte Milde zu üben. Die Gefängnisstrafe schütteln diese
halbwilden Menschen sehr leicht ab, der Verlust aber bringt sie zum
Nachdenken und zu der Erkenntnis, daß es selbst nicht einmal klug
gehandelt ist, andere zu hintergehen, sondern daß aus der Sünde
unnachsichtlich die Strafe erwächst.«

Bei dieser Gelegenheit faßte Hans einen guten Gedanken.

»Da die gelben Verräter nun doch einmal in unserer Gewalt sind und von
Rechts wegen für ihre Schandthaten büßen müssen,« sagte er, »so sehe ich
gar nicht ein, warum wir die schöne Gelegenheit nicht benutzen sollen,
einige von den Gelbgesichtern abzugipsen. Im Gefängnis werden sie schon
still liegen.«

»Du hast recht,« erwiderte Holm, »und wenn sie ruhig Modell liegen, so
werden wir sehen, ob ihnen für gutes Verhalten nicht die Zeit ihrer
Freiheitsstrafe verkürzt werden kann.«

Hans setzte alles zum Abgipsen Erforderliche in Bereitschaft, wobei
Rua-Roa ihm hilfreiche Hand leistete. -- »Es ist nicht sehr angenehm,
den weißen Teig auf dem Gesichte zu haben,« meinte Rua-Roa, »es drückt,
es zieht, es beißt, es kratzt und der Strohhalm kitzelt in der Nase,
aber da die Javaner uns schlecht behandelt haben, so bin ich dafür, daß
ihnen das Vergnügen des Abgipsens nicht vorenthalten bleibe.« Zu dieser
Auseinandersetzung schnitt Rua-Roa so bezeichnende Grimassen, welche das
Unangenehme der ganzen Prozedur schilderten, daß alle in ein lautes
Gelächter ausbrachen.

Den Gefangenen wurde auseinandergesetzt, worum es sich handelte, und da
sie vernahmen, daß sie um so eher aus ihrer Haft entlassen würden, je
fügsamer sie sich verhielten, so willigten sie mit allerdings ziemlich
sauren Gesichtern ein.

Hans und Rua-Roa machten sich alsbald an die Arbeit. Vier Abgüsse
gelangen vortrefflich, der eine Javaner jedoch wurde ungebärdig, als die
Gipsmasse auf seinem Gesichte sich zu verhärten begann. Er suchte
dasselbe mit den Händen von der Masse frei zu machen, allein er wischte
sich diese in die Haare des Kopfes und in die Ohren, so daß es nachher
nicht möglich war, den festgewordenen Gips ganz zu entfernen. Man ließ
ihn jedoch mit den anderen laufen, weil man nicht Lust hatte, wegen des
einen Verbrechers viele Umstände zu machen.

»Hoffentlich wird sein Heiligenschein aus Gips von guter Wirkung auf
seine Stammesgenossen sein,« meinte Holm lachend, »sie werden daran
sehen, daß die Weißen sich nicht ungestraft beleidigen lassen. Einige
Wochen wird der Bursche wohl mit dem unfreiwilligen Kopfschmucke
umherlaufen und die Erinnerung an seine Vergehen mit sich
umherschleppen.«

Die erhaltenen Hohlformen wurden sorgfältig verpackt, um später in
Hamburg zur Abformung von Abgüssen zu dienen. Hans erhielt für die
gelungene Arbeit von Holm wohlverdiente Anerkennung, von der Rua-Roa als
getreuer Assistent auch einen Teil empfing, worüber er nicht wenig stolz
war.

Es war Zeit, daß die »Hammonia« die Anker lichtete. Bald lag Java hinter
unsern Freunden, und munter dampfte das gute Schiff Borneo zu.




                           Zehntes Kapitel.


Natürlich wollte jeder einzelne der Schiffsbesatzung des genauesten über
die wunderbaren Erlebnisse der Naturforscher im Innern Javas
unterrichtet sein.

Papa Witt lachte, als er von dem verhängnisvollen Abenteuer seiner
Freunde erzählen hörte. »Die Malaien taugen alle nichts,« sagte er, »man
muß sie prügeln, das ist das beste Mittel. Ihr könnt übrigens froh sein,
daß euch kein Dolch zwischen die Rippen fuhr, die ganze gelbe Sorte ist
falsch wie Seifenschaum. Wollen wir wirklich nochmals an ihren Ufern
landen?«

»Noch mehrere Male, Alter; für heute aber soll einmal wieder die Tiefe
untersucht werden. Wir haben lange nicht mit dem Schleppnetz
gearbeitet.«

Gesagt, gethan. Die Fangarme der Maschen senkten sich in das Meer hinab
und brachten eine reiche Ausbeute zurück. Große Seeaale zappelten in den
hanfenen Ketten, Silber- und bunte Papageienfische, Krebse und die
kleinen, gelbgrünen Schildkröten, namentlich aber Seerosen, von denen
gerade diese Gegend einen außerordentlichen Reichtum zu besitzen schien.
Von ungewöhnlicher Größe, meistens ganz gelb und auf langem, starkem
Stamme gewachsen, mit krauser, blumenartiger Krone, waren sie die
hübschesten unter allen bisher gesehenen, während sich ihre Verwandten,
die großen, frei schwimmenden Quallen, durch Häßlichkeit förmlich
auszeichneten. Beim zweiten Zuge war es fast unmöglich, das Netz
heraufzubringen, alle Seile krachten und drohten zu reißen, die
Tragkraft schien auf das äußerste angespannt.

»Vorsichtig!« ermahnte Holm, »vorsichtig! Es wäre doch jammerschade,
wenn uns diese Beute entschlüpfen sollte.«

Langsam wurde die schwere Last von den Matrosen heraufgewunden, und als
der Inhalt über dem Wasserspiegel erschien, da zeigte sich eine riesige
Qualle von grauer, schmutzig-weißer Farbe, mit langen Fangarmen und
einem scheußlichen, beständig schnappenden Maul, das zwischen den
kranzartig abstehenden Gliedern seinen Platz hatte. Ohne Kopf, ohne
Sinnesorgane, ganz Magen und Fanghaken, war das Geschöpf gegen die
Maschen des Netzes geraten und hielt in der Meinung, einen guten Fang
gethan zu haben, krampfhaft saugend fest, bis es an die atmosphärische
Luft gelangte und sogleich anfing langsam zu zerrinnen. Die Glieder
schlugen und tasteten, der ganze, über zwei Meter lange Körper zog sich
zusammen und dehnte sich wieder aus, dann aber ging die ursprüngliche
Festigkeit über in zähen Schleim, und was nach dem letzten Erlöschen des
Lebens dem Meere zurückgegeben wurde, war eine klebrige Masse ohne Form
und Halt.

»Diese Geschöpfe erreichen die Größe von sechs Metern und wiegen
zuweilen Tausende von Pfunden,« sagte Holm, »ihre kleinsten Verwandten,
welche den Badegästen der Nord- und Ostsee äußerst lästig werden,
bringen es über den Umfang einer Linse nicht hinaus. Ihre
Verschiedenheit in Form und Farbe ist unübersehbar, alle Arten jedoch,
vom Korallentier bis zu den größten, bestehen lediglich aus zähem
Schleim.«

Das Netz wurde an dieser so sehr ergiebigen Stelle zum drittenmale
herabgelassen, und wieder brachte es reiche Beute; außer verschiedenen
Fischen noch mehrere Cephalopoden, die sogleich in Behälter mit Wasser
gesetzt und so aus bequemster Nähe beobachtet wurden. Eins besonders,
das Perlboot, war von überraschender Schönheit. Etwa acht Zoll im
Durchmesser haltend, hatte es ein milchweißes, an einigen Stellen
hellbraun gestreiftes, perlmutterartig schillerndes Gehäuse von beinahe
halbrunder, gezackter und inwendig eine Schale bildender Form. Das ganze
Tier, wie eine Auster inmitten des Gehäuses festgewachsen, bot ein
Farbenspiel, welches lebhaft an das des wechselnden Regenbogens
erinnerte. Bald erglänzten die dehnbaren Zellen des kleinen, beweglichen
Körpers im schönsten Blau, bald violett, purpurn und hochgelb; so oft
die Knaben vorsichtig das Tier berührten und dadurch die Nerven
desselben reizten, verdoppelte sich die Stärke dieses sonderbaren
Spieles; sie konnten jedoch nicht nur ausschließlich das Perlboot
bewundern, auch noch andere und nicht weniger interessante Geschöpfe
hatte ja das Netz zu Tage gefördert. Da war das Nabelboot und das
Papierboot, die schöne Seeglocke mit becherartiger, drei Zoll im
Durchmesser haltender, rötlich gestreifter Schale, da waren kugelige
Seeigel und sogar auch als seltener Fang eine große Feuerscheide, das
sonderbare mit den Quallen verwandte Geschöpf, welches, aus einer
ganzen, zahlreichen Familie kleiner Einzelwesen bestehend, doch zusammen
nur _ein_ Leben besitzt. Die wenige Linien großen, form- und farblosen
Tierchen bilden um einen gestielten Mittelpunkt eine Art von Kreuz,
wobei alle Mundöffnungen nach außen gekehrt sind. Der walzenförmige
Stiel ist vom schönsten Hellgelb und bis zu vierzehn Zoll lang bei drei
Zoll Durchmesser.

Das Papierboot verdiente seinen Namen mit Recht, denn seine Schale war
in der That nicht dicker als Schreibpapier.

»Wir werden zwei dieser zerbrechlichen Geschöpfe, wohl in Watte
eingehüllt, in Spiritus setzen,« sagte Holm, »damit an dem weichen
Körper zoologisch-anatomische Studien gemacht werden können, aus den
übrigen eingefangenen Exemplaren wollen wir versuchen, den leicht in
Fäulnis übergehenden Inhalt zu entfernen.«

»Wenn wir den eisernen Haken anwenden, dessen wir uns bei den
hartschaligen Schnecken bedienten,« warf Franz ein, »so dürfte es schwer
fallen, die papierdünne Schale unverletzt zu lassen.«

»Gewalt wäre in diesem Falle übel angebracht,« bestätigte Holm, »aber
ihr wißt ja -- wo Gewalt nichts vermag, muß die List aushelfen.«

»List?« fragte Hans. »Sollte es möglich sein, den Bewohner aus seiner
Schale herauszulocken, wie einen Hund mit einem Knochen aus der
Hundehütte?«

»Nein,« entgegnete Holm lächelnd, »hier würde kein Zureden nützen. Was
meinst du aber, wenn wir ein Mittel besäßen, den weichen Körper durch
eine Substanz ganz und gar zu zerstören, so daß er sich in Wasser
auflöst?«

»Dann wäre uns geholfen,« antwortete Franz.

»Nun gut,« sagte Holm. »Unter unseren Vorräten befindet sich ein
chemisches Präparat, das ich zu dem vorliegenden Zwecke mitgenommen
habe, und das sich auch in anderen Fällen nützlich erweisen wird. Es ist
dies das sogenannte Ätzkali, eine salzartige, leicht in Wasser lösliche
Substanz, welche die Haut, Weichteile und Fette zersetzt. Mit dem Fett
geht es eine Verbindung ein, deren wir uns sogar täglich bedienen, es
ist die Seife. Wir wollen jetzt in einem eisernen Gefäß ein apfelgroßes
Stück des geschmolzenen Ätzkali in Wasser auflösen und in der so
erhaltenen »Lauge« die gefangenen Exemplare des Papiernautilus so lange
über gelindem Feuer langsam kochen, bis das weiche Tier zersetzt und in
lösliche Seife verwandelt worden ist.«

Gesagt, gethan. In kurzer Zeit waren die Schaltiere auf dem Feuer zum
Erstaunen des Koches, der sich außerdem über den unangenehmen Geruch
beklagte, der sich aus dem eisernen Topfe während des Kochens
entwickelte.

Etwa einen halben Tag lang wurde der Topf mit seinem sonderbaren Inhalte
gelinde erwärmt, bis eine herausgenommene Schale erkennen ließ, daß der
Körper des Tieres von der Kalilauge zerstört und aufgelöst sei. Jetzt
war nur noch nötig, die Schalen mit reinem Wasser gut abzuspülen, zu
trocknen und zu verpacken. Damit das papierdünne Gehäuse nicht
zerbrechen konnte, wurde seine innere Höhlung, soweit als möglich,
vorsichtig mit Baumwolle vollgestopft.

Franz äußerte, als die trefflich erhaltenen, sauberen Schalen in
Sicherheit gebracht waren, »ein Naturforscher müsse doch eigentlich von
vielen Dingen Kenntnis haben, wenn eine Reise in fremde, wilde Länder
mit gutem Erfolge gekrönt sein soll. Sogar ohne ein wenig Chemie kann
man nicht auskommen,« meinte er.

Holm stimmte ihm bei. »Auf keinem Gebiete rächt sich die Einseitigkeit
mehr, als auf dem der Naturforschung,« sagte er. »Die Geheimnisse der
Natur werden nicht durch einen einzigen Schlüssel erschlossen, zu ihren
Wundern führt nicht bloß _ein_ Weg, sondern mannigfaltig, wie sie selbst
sind, sind auch die Mittel und Wege, sich ihr zu nahen und sie zu
erkennen. Unsere Aufgabe,« setzte er hinzu, »besteht hauptsächlich
darin, den Gelehrten neues und reiches Material für ihre Beobachtung zu
verschaffen. Es ist dies zwar nur ein Zweig der Naturforschung, aber wie
ihr seht, erfordert er mancherlei Kenntnisse, Handgriffe aller Art, und
selbst die Chemie darf nicht fehlen. Denn das Zersetzen eines tierischen
Körpers mit Kalilauge ist ein chemischer Prozeß.«

Seesterne jeder Gestalt, Würmer, Krabben und mehrere Fische, sogar ein
ganz kleiner Haifisch bildeten den Rest des ergiebigen Fanges, dessen
Einteilung und Aufbewahrung mehrere Stunden in Anspruch nahm. Alle diese
Schalen sollten vom nächsten Hafen nach Hause geschickt werden, man
mußte sie also vorher reinigen und von ihren Insassen vollständig
befreien; der Hai wurde zum Ausstopfen bestimmt und die Würmer in
Spiritus gesetzt, kurz, man hatte alle Hände voll zu thun, als plötzlich
ein lauter Schreckensruf über das Deck dahinschallte.

»Land! Land! -- Wir laufen geradeswegs auf den Strand.«

Rua-Roa hatte mit bleichem Gesicht und dem Ausdruck des Entsetzens die
Worte hervorgestoßen; jetzt deutete seine erhobene Rechte auf das Meer
hinaus. »Seht doch! Seht doch! -- Wir sind unrettbar verloren.«

Vom Ausguck her erscholl fröhliches Lachen, auch Papa Witt schmunzelte,
und der Kapitän rief aus der Kajütte herauf ein kräftiges:
»Donnerwetter, Junge, entdeckst du neue Weltteile?« -- Dennoch aber
entstand im ersten Augenblick ein Laufen und Fragen, ein Durcheinander,
wie es bei jedem Schreckensschrei sich zu entwickeln pflegt; die kleine
Gesellschaft drängte zum Schiffsrand, sämtliche Arbeiten wurden
vergessen, und aller Augen suchten den gefürchteten Strand.

In geringer Entfernung vom Schiff erschien auf den Fluten eine
unübersehbare grüne Fläche. Schlanke Halme wogten im Wind, nirgends war
von Wasser eine Spur zu bemerken, kleinere Vögel hatten sich in dem
dichten Grün häuslich niedergelassen, und sogar liegende Baumstämme,
Zweige mit Laub und Blüten trieben an den Kanten. Das Ganze schien
regungslos auf der Oberfläche des Meeres zu schwimmen, es sah aus wie
eine üppige Grasfläche, so daß selbst Holm dem inzwischen an Deck
gekommenen Kapitän fragend und einigermaßen erstaunt entgegenblickte.
»Was in aller Welt ist das?« rief er.

»Eine Seewiese!« lächelte der Alte, »und eine sehr unbedeutende sogar.
Das, was Sie da sehen, ist der sogenannte Seetang, die bekannte grüne
Alge, welche massenhaft in allen Meeren vorkommt. Diese Wiese ist in
ihren ersten Anfängen irgendwo vom Grunde losgerissen, weitergetrieben
und anderen treibenden Pflanzen begegnet, das alles hat sich verflochten
und verfilzt, ist gewachsen und zur ansehnlichen Fläche geworden, bis
endlich eine förmliche, treibende Insel entstand. Dergleichen findet man
sehr häufig.«

Er rief den Decksjungen und befahl ihm, einige große Stücke Steinkohlen
zu bringen. »Sehen Sie her, wie dicht mit der Zeit ein solches Gewebe
wird!« fügte er hinzu.

Seine Rechte warf auf das grüne Ufer, an dem man hart vorüberfuhr, eine
Kohle, die auf der Oberfläche liegen blieb. Es sah aus, als gleite das
Schiff dahin am friedlichen, fruchtbaren Gestade, als sei die Reise eine
Fahrt durch den engen, dörflichen Fluß, dessen Ränder Wiesen und Äcker
begrenzen. Länger als eine Viertelstunde währte diese Täuschung, dann
blieb das Eiland mit seinem saftigen, erquickenden Grün allmählich
hinter dem Dampfer zurück, und schon vor Mittag war es den Blicken
entschwunden.

Das Diner wurde wie gewöhnlich bei schönem Wetter an Deck eingenommen,
der Koch hatte zu den frischgefangenen Krebsen die notwendige Schüssel
mit Spargel hergerichtet, dazu gab es von Surabaja her noch Kartoffeln
und Hühner; die Mahlzeit war also ganz danach angethan, ihre Teilnehmer
besonders zu befriedigen und an die Heimat zu erinnern. Seit länger als
anderthalb Jahren befanden sich die Reisenden unterwegs, aus den
Stadtkindern von zarter Gesichtsfarbe und lang aufgeschossenem Wuchs
waren derbe, sonnenbraune junge Leute geworden; Hans zeigte keine Spuren
früherer Kränklichkeit mehr, sein älterer Bruder behauptete sogar, in
nicht allzu ferner Zeit ein Rasiermesser anschaffen zu müssen, und
selbst Holm hatte sich kräftiger entwickelt, wie alle gesunden Menschen,
die viel Seeluft genießen und in weiten Fußwanderungen ihre Muskeln
stärken; -- Westafrika, Madagaskar, Mauritius, Ceylon und Java waren
durchforscht, Gefahren aller Art bestanden und Schätze des Wissens
eingesammelt worden; -- um so häufiger aber dachten die Herzen der
Weltumsegler gerade der engen nordischen Heimat; mitten in den
Prachtbildern der südlichen Zone erschien ihnen oft im Traume das
Antlitz der Vaterstadt, und schöner und entzückender als die Tropen mit
aller ihrer Reichtumsfülle deuchte den weit Entfernten der Elbstrand, an
dem sich daheim das Elternhaus erhob. --

»Schiff in Sicht!« rief der Matrose am Ausguck, und wenige Augenblicke
später fügte Papa Witts Stimme hinzu: »Ist ein Hamburger! -- wahrhaftig,
ich glaube sogar, einer von unseren eigenen Dampfern!«

Der Kapitän sprang auf und sah durch das Fernrohr. »Richtig, es ist der
»Julius Cäsar«!« rief er, »ich erkenne ihn am Bau.«

Jetzt kam Bewegung in die jungen Leute. Der »Julius Cäsar« war daheim
auf Steinwerder erbaut, sie kannten den Kapitän und durften hoffen, noch
mehr als ein vertrautes Antlitz an Bord zu entdecken. Das beste aber
war, sie würden ganz neue Nachrichten erhalten, würden dieses und jenes
erfahren, was zu Hause inzwischen passiert war, und selbst mit denen
sprechen können, die das alles angesehen hatten; -- ihre Ungeduld, ihre
sehnliche Erwartung stieg von einem Augenblick zum andern. --

»O, Herr Kapitän, wenn nur das Schiff nicht achtlos an uns
vorüberfährt!« rief Hans.

»Hat keine Not, mein Junge. Sie beobachten uns ebensowohl als wir sie.
Aha, da hörst du es!«

Ein Kanonenschuß rollte über das Wasser dahin, ein zweiter und dritter
folgten. Die »Hammonia« war erkannt, der Kapitän vom »Julius Cäsar«
grüßte den schwimmenden Bau, der die Söhne seines Chefs über das
Weltmeer trug. Noch war die Entfernung für einen Anruf durch das
Sprachrohr zu groß, aber dafür antwortete vom Deck unseres Dampfers die
Kanone; beide Flaggen wechselten Zeichen, und endlich begann die
Unterhaltung. Der »Julius Cäsar« war von einer Hamburger Firma für
Batavia gechartert und kam von dort, um nach den Schifferinseln zu
gehen, wo er die Rückfracht für Reeders Rechnung einnehmen sollte, er
fuhr im Augenblick mit Ballast und würde sich die Ehre geben, der
»Hammonia« eine Visite abzustatten.

Nah und näher schwammen die beiden Eisenkolosse an einander heran. Was
deutsche Schiffsbaukunst erfunden und deutsche Hände gefügt, das trug in
seinem sicheren Schoße jetzt am entgegengesetzten Ende der Erdkugel
deutsche Herzen auf unergründlichem Weltmeer einander entgegen;
Deutschlands Flagge entfaltete rauschend ihr leuchtendes Schwarzweißrot;
hüben und drüben wurden die Hüte geschwenkt; jubelnde Zurufe bekundeten
das gegenseitige Erkennen, und dann lagen beigedreht, rastend vom
eilenden Laufe, die beiden Gottfriedschen Schiffe Seite an Seite; von
jedem Bord senkten sich die Boote ins Wasser, und alles was Urlaub
hatte, das machte dem neugewonnenen Nachbar einen Besuch, alles was
Stimme hatte, das grüßte die Landsleute, das sprach ein Wort des
Willkommens, der Freude.

Vor wenigen Monaten waren ja die Leute vom »Julius Cäsar« noch in
Hamburg gewesen; der Kapitän hatte den Papa und die Mama persönlich
gesehen, sie gesund und glücklich verlassen; er berichtete hundert
Einzelheiten von zu Hause und wurde doch unaufhörlich nach allem
Möglichen gefragt, mußte über die geringsten Kleinigkeiten Auskunft
geben und beinahe mehr antworten als er Atem hatte. Die Matrosen auf
beiden Schiffen erhielten einen freien Tag und eine Extraration Rum; die
Handharmonika wurde hervorgeholt, in aller Eile ein bißchen für den
äußeren Menschen gethan, und dann entwickelte sich auf dem engen Raum
des Verdeckes ein lustiges Tänzchen, wobei die Leichtmatrosen als Damen
galten, aber trotzdem ihren Anteil an Grog und Kautabak bestens
entgegennahmen. In der Kajütte wurde bei Kaffee und Kognak geplaudert,
während die alten heimatlichen Melodieen, die Hamburger Straßenklänge
über das weite Wasser dahinschallten und die derben Stiefel der
Mannschaft den Takt vernehmlich stampften.

»Drucks nicht so, drucks nicht so, -- Kommt 'ne Zeit, bist wieder froh!«
--

Die Reisegenossen sahen einander an. Wie oft hatten sie es erfahren!

Und leise, leise fielen sie ein in die bekannten Strophen. Es lag doch
in diesem Wiedersehen auf hohem Meere außer der Freude auch ein stiller,
beinahe feierlicher Ernst. So nahe dem Tode, nur durch eine schwache
Wand von der Tiefe getrennt, durch die ganze Erdkugel von der Heimat und
allen Lieben geschieden, an den höchsten Zielen der Menschheit, ihrer
wissenschaftlichen Aufklärung mitarbeitend und selbst das Höchste
genießend, was wenigen Glücklichen beschieden ist, sich frei und
ungehemmt, vom äußerlichen Druck der Verhältnisse unberührt, nach Wunsch
und Bedürfnis einrichten zu können, -- wie lagen hier die ernsten,
schwerwiegenden Kontraste des Lebens so nahe bei einander, wie gingen
untrennbar verflochten Hand in Hand die edelsten geistigen Genüsse und
die vollkommenste Selbstentäußerung tausend und abertausend Beschwerden
gegenüber.

Der Abend dämmerte schon, und die Sterne bezeichneten den Kurs, als
endlich an den Aufbruch gedacht wurde. Wie viel Neues hatten nicht die
Wanderer erfahren, mit wie vielem Stolz und Vergnügen hatten sie gehört,
daß hinter den Gittern des Zoologischen Gartens und im Museum alle ihre
Sendungen, namentlich der reiche Fang von Mauritius den Landsleuten als
ein Teil der gemachten wissenschaftlichen Ausbeute täglich vorgeführt
wurde. Die großen seltenen Muscheln waren unbeschädigt, die
ausgestopften Tiere wohlerhalten angelangt, die lebenden erfreuten sich
des besten Gedeihens; Kapitän Hollberg hatte daheim in Hamburg jedes
einzelne gesehen und bewundert; auch das erste Buch von Franzens
Reiseerinnerungen, lauter Bleistiftskizzen aus dem Urwalde, im Zelt oder
auf hoher See gefertigt, war mit dem Postdampfer richtig angekommen,
Mama zeigte es mit Stolz allen Freunden des Hauses, und sämtliche
Klassenkameraden ihres Sohnes drängten sich, um darin blättern zu
dürfen.

Noch immer anderes, immer mehr gab es zu berichten, und doch mußte jetzt
die Trennung erfolgen. Ein herzliches Lebewohl wurde ausgetauscht, ein
Glückauf von Bord zu Bord, die Ziehharmonika ging unvermerkt über in die
Melodie von »Muß ich denn, muß ich denn zum Städtle hinaus!« -- Die
Dampfmaschinen begannen abermals ihre Thätigkeit, nach rechts und links
wandte das Steuer den schlanken Bau, und die Flaggen wehten
Abschiedsgrüße.

»Übers Jahr, übers Jahr, wenn ich wied'rum komm!« sangen die Matrosen;
von hüben und drüben dröhnten die Kanonen den Baß, und weiter und weiter
dehnte sich zwischen den Schiffen das blaue, bewegliche Element. --
Nichts mehr zu erkennen jetzt, die Abendschatten umhüllten mit ihren
Schleiern jegliche Form, nur zuweilen flog ein Seevogel über das Deck
dahin, und eintönig schlugen, immer drei und drei, die Wellen gegen den
Rumpf; sonst alles still, so still wie nach einem Abschied das Herz
zurückbleibt, -- einsam und heimlich schauernd.

Franz suchte den Malagaschen. Der war eigentlich heute ganz
vernachlässigt worden, man hatte seiner vergessen, als so plötzlich die
Heimat ihre Boten sandte. Rua-Roa saß hinter der Kombüse und sah mit
gekreuzten Armen über das dunkle Meer hinaus; Franz erschrak, als er das
blasse Gesicht seines Freundes heimlich beobachtete; er legte ihm die
Hand auf die Schulter. »Woran denkst du, Rua?« fragte er halblaut.

Der Malagasche zuckte leicht. »Waren das deine Brüder, Herr?« sagte er
nach einer Pause. »Männer aus deinem Lande?«

Franz nickte. »Warum hast du dich so ferngehalten, Rua?«

Der junge Mensch seufzte. »Ich dachte so an manches, Herr; du mußt nicht
glauben, daß ich mein Vaterland vergessen habe, aber -- -- dahin möchte
ich doch nie wieder.«

»Warum nicht? Wenn du ein Christ geworden bist und deutscher Unterthan,
dann kann niemand mehr deine persönliche Freiheit beschränken.«

Der Malagasche sah ihn an. »Niemand, der Gesetze kennt und Gesetze
achtet, Herr, aber meine Brüder sind arme Wilde, sie würden den
entlaufenen Sklaven den Krokodilen vorwerfen. Ein Sklave hat keine
Heimat!«

»So hast du sie da, wo ich die meinige besitze, Rua!« sagte innig der
Sohn des Millionärs. »Du rettetest uns allen das Leben, seit dieser
Stunde bist du mein Bruder.«

Und der Malagasche lächelte, obgleich sich in seinen Augen schwere
Thränen gesammelt hatten. Die Musik und die Wiedersehensfreude der
anderen weckten in seinem Herzen, ihm selbst unbewußt, das schlummernde
Heimatsgefühl, er dachte an die Bambushütten und die bunten Wolldecken,
an das feierliche Krokodilgericht und Lani-Lameh den Zauberer, der einst
seine ersten Begriffe gelenkt, der ihm gesagt, daß die Welt eine runde
Scheibe sei, schwimmend im Urmeer, und Madagaskar darin die Mitte; daß
sich in das Gebiet der bösen Gewalten hinauswage, wer ein Schiff
besteigt und die Ufer der Erde verläßt, ja und daß irgendwo tief
verborgen Zannaar der Weltgeist in einer Höhle wohne, in unsichtbaren
Räumen, nie erspäht von Menschenaugen, nie zu finden, so lange auch
Sterbliche suchen mögen. -- --

Jetzt kannte er die Irrtümer aller dieser Anschauungen, jetzt wußte er,
daß Lani-Lameh ein schlauer Spitzbube sei und die Hovas arme Wilde, aber
doch hatte es ihm heute so eigen weh ans Herz gegriffen, und er dachte
heimlich: »Ich möchte ein großer Vogel sein und einmal über die stillen
Dorfhütten dahinfliegen, -- nur einmal!« --

»Du bist mein Bruder!« wiederholte Franz, »mein lieber, guter Bruder.«

Der Malagasche nickte, aber auf die weiße Hand, welche ihn liebkoste,
fielen warme Thränen.

                   *       *       *       *       *

Das Zusammentreffen mit den Landsleuten hatte in den Gemütern der jungen
Reisenden ein Gefühl zurückgelassen, das fast dem Heimweh glich. Der
Doktor suchte die Trauer der Knaben durch milde Worte zu verscheuchen,
allein es gelang ihm nur halb. Holm dagegen meinte: »Doktor, das beste
Mittel gegen Betrübnis ist und bleibt die Arbeit, vergessen wir nicht,
zu welchem Zwecke wir die Reise unternommen haben. Auf, ihr jungen
Argonauten,« rief er, »verlangt uns auch nicht nach dem goldenen Vließe,
so steht unser Sinn doch nach den Schätzen des Meeres, die es in seinem
weiten Schoße birgt. Laßt uns sehen, was das Schleppnetz an das Licht
der Sonne fördert. Nutzen wir Zeit und Gelegenheit.« Ein engmaschiges,
lang dahingestrecktes Netz, dessen Vorderseite mit einem schweren,
eisernen Rahmen versehen war, wurde am Spiegel des Schiffes
hinabgelassen und folgte auf dem Grunde des Meeres nachschleifend der
»Hammonia«.

Nach zwei Stunden rascher Fahrt wurde es in die Höhe gewunden, und von
diesem Augenblicke an wich die trübe Stimmung der gewohnten Lust zum
Sammeln, Beobachten und Präparieren, und auch die alte Fröhlichkeit
stellte sich wieder ein.

Das Schleppnetz hatte reiche Beute nach oben gebracht. Holm entdeckte
beim Sortieren eine kleine Krebsart, die, kaum einen halben Zentimeter
lang, sich durch besondere Zierlichkeit auszeichnete; es war dies der
Leuchtkrebs, der zu den vielen Meergeschöpfen gehört, die durch ihren
phosphorischen Glanz das Meeresleuchten hervorbringen. Außerdem war ein
großer Molukkenkrebs ins Netz gegangen, der, einen halben Meter lang,
einer Kasserolle mit langem Stiel glich. Die Wilden bedienen sich der
harten, scharfen Schwanzstacheln als Lanzenspitzen. Da diese Krebsart in
den Aquarien nicht selten ist, beschloß Holm dies Exemplar nicht
mitzunehmen. Es wurde daher der Tiefe wieder übergeben. Von Schnecken
fand sich die seltene Birnenschnecke vor, über deren inneren Bau noch
mancherlei verschiedene Ansichten herrschen und die daher sogleich in
Spiritus wanderte, um für das Seziermesser aufbewahrt zu werden. Die
Eischnecke war ebenfalls unter der Beute. Holm erklärte, daß dieselbe
früher bei den Einwohnern von Korea in hohen Ehren gestanden habe, denn
nur die Vorfechter im Kampfe und diejenigen Krieger, welche einige Köpfe
von erschlagenen Feinden aufweisen konnten, durften das Gehäuse um den
Hals oder im Haarschopf tragen.

»Also eine Art von Orden für Tapferkeit,« meinte Hans. Holm lächelte und
sagte: »Nicht ganz übel gedeutet.« Dann machte er die Knaben auf eine
eigentümlich geformte Nacktschnecke aufmerksam, die er als »Seehase«
bezeichnete. Von den vier Fühlhörnern streckten sich zwei in
horizontaler Richtung vor, um den Weg und die Nahrung zu betasten, zwei
derselben glichen dagegen in ihrer aufrechten Stellung einem Paar
großer, löffelförmiger Hasenohren, denen das Tier auch seinen Namen
verdankt.

Holm setzte den eingefangenen Seehasen in eine Bütte mit frischem
Seewasser, in dem er sich alsbald wohl sein ließ. Hierauf sagte er zu
Franz, nachdem sie das Tier genugsam betrachtet hatten: »Fasse den
Seehasen einmal an.«

»Bei den Löffeln wie ein Kaninchen?« fragte Franz.

»Ganz wie dir beliebt,« antwortete Holm, »nur gib genau Obacht auf die
Veränderungen, die mit diesem seltsamen Geschöpfe vor sich gehen.«

Franz griff in das Wasser, um den Seehasen zu erfassen.

Kaum aber hatte er das Tier berührt, als dasselbe eine dunkelviolette
Flüssigkeit absonderte, die es wie mit einer undurchsichtigen Wolke
umhüllte und den Blicken aller entzog.

»Es versteckt sich,« rief Franz.

»Dieser violette Farbstoff dient dem Seehasen als Schutzmittel gegen
seine Verfolger, in derselben Weise, wie sich auch der Tintenfisch durch
Ausspritzen einer braunen Flüssigkeit zu schützen sucht, die im
getrockneten Zustande von den Malern als Sepia zum Tuschen gebraucht
wird.«

»Läßt sich der Farbstoff der Seehasen nicht auch zu ähnlichen Zwecken
verwenden?« fragte Hans.

»Man kann allerdings mit demselben Seide und Wolle violett färben,«
entgegnete Holm, »aber trotzdem wird aus diesem Grunde keine Jagd auf
ihn gemacht, denn derselbe Farbstoff, den der Seehase in seinem
Organismus erzeugt, wird in Europa alljährlich in Hunderten von Zentnern
fabrikmäßig hergestellt und zwar aus dem Steinkohlenteer. Genaue
Untersuchungen haben ergeben, daß der Farbstoff des Seehasen nichts
anderes ist als -- Anilin-Violett.«

»Wir müssen diesen Anilinfabrikanten des Meeres mitnehmen,« rief Franz.

»Gewiß,« antwortete Holm, »zumal diese Art von jener im Mittelmeer
lebenden bedeutend abweicht. Eins ist aber zu bedenken. Wenn wir den
Seehasen in Spiritus legen, so löst dieser den Farbstoff auf und färbt
die Weichteile der übrigen Geschöpfe, welche wir in denselben Behälter
thun, ohne Gnade violett. Er muß daher in einen Glashafen für sich
gelegt werden und warten, bis er Gesellschaft von seinesgleichen
erhält.«

Also geschah es auch. Die übrigen Schnecken wurden in der bereits
bekannten Weise gereinigt und verpackt.

Mit den Fischen mußte allerdings anders verfahren werden, denn sie
verlieren im Spiritus zum größten Teil ihre Farbe.

Holm verfuhr zum Konservieren der Fische nun in folgender Weise.

Er füllte eine kleine Spritze aus Zinn, die mit einer langen feinen
Ausflußröhre versehen war, voll von einer Auflösung von Karbolsäure in
starkem Weingeist. »Die Karbolsäure,« erklärte er, »ist eine Substanz,
welche tierische Körper vor der Fäulnis schützt. Auch in dem Rauche von
Holz und Torf kommt sie vor und bewahrt Fleisch und dergleichen vor dem
Verderben, wie das Räuchern von Schinken und Würsten zur Genüge darthut.
Selbst menschliche Leichen wurden im alten Ägypten oft durch bloßes
Räuchern in Mumien verwandelt.«

Das feine Rohr der Spritze wurde nun vorsichtig in den Rücken des
Fisches gesteckt und durch langsamen Druck das dort befindliche Fleisch
mit der Karbolsäurelösung durchtränkt. Ebenso wurden die Eingeweide, der
Rachen und das Gehirn mit der Lösung ausgespritzt. Mittels eines Pinsels
erhielt die Oberfläche des Fisches ebenfalls ihren Anteil der
konservierenden Flüssigkeit, und dann wurde der Fisch in die Sonne zum
Trocknen gehängt.

In wenigen Tagen waren selbst große Fische fast steinhart angetrocknet
und konnten hierauf mit einem durchsichtigen Firnis überzogen werden,
der die Einwirkung der Luft abhielt und die Farben glänzend hervortreten
ließ. Das war die einfachste Methode zum Konservieren der Fische, die
ihre natürliche Gestalt behielten und so gut wie möglich ihre Farbe.
Einzelne Exemplare jedoch mußten gezeichnet und mit Tuschfarben
koloriert werden, da sie auch bei dieser Prozedur ihr schönes Aussehen
verloren. So in voller Beschäftigung schwanden die Stunden und Tage, bis
Borneo in Sicht kam und gelandet werden konnte.

Borneo! -- Eine neue Wunderwelt tropischer Geheimnisse, aber auch neue
harte Mühen und Drangsale. Das äquatoriale Innere brachte zum erstenmale
seit Afrika wieder jene brennende Sonnenglut, an die sich der Europäer
nie so gewöhnen kann, daß sie ihm nicht mehr lästig und schädlich wäre;
es brachte den voraussichtlichen Kampf mit fast ganz wilden Menschen,
den Dajaks oder Kopfjägern, die zum Teil so berüchtigt sind, daß an eine
Durchforschung ihres Gebietes gar nicht gedacht werden konnte; mit
reißenden Tieren und allen Gefahren des dichten Urwaldes; aber dennoch
zog die kleine Schar fröhlich und voll heiteren Mutes fürbaß, nachdem
schon die Einfahrt auf einem der vielen großen Arme des Baritoflusses
zur wahren Vergnügungsreise geworden war. Borneo ist von einem 6--10
Meilen breiten Gürtel von Anschwemmungen umgeben, so daß nur auf den
Flüssen ein Eindringen in die Insel überhaupt möglich wird, diese Fahrt
aber zwischen himmelhohen Bergen und im Angesicht einer zauberhaft
schönen Pflanzenwelt gehört zu den großartigsten Eindrücken, welche der
Reisende jemals empfangen kann. Freilich verhindert die Unzugänglichkeit
der Insel auch im höchsten Maße das Vordringen der Kultur, freilich
schreckt sie die Weißen erfolgreich zurück (es wohnen dort alles in
allem keine dreihundert Europäer, während Java viele Tausende zählt),
aber sie macht auch dem Naturforscher gerade diesen Punkt der
Sundainseln zum interessantesten und bedeutendsten unter allen. Nirgends
die häßlichen, kahlen Ufer Afrikas, der Sand und Busch, die
Mangrovensümpfe, welche dort den Ankommenden empfangen; hier war alles
üppig treibender Urwald, hier blühte es und trug Riesenblätter,
Riesenhalme auf jedem Zollbreit Bodens; ja nicht selten neigten sich die
Wipfel von beiden Seiten so schirmend und schattenspendend über den Fluß
herein, daß das Schiff in einer kühlen, vom süßesten Blumenduft
durchwehten Laube dahin zu schwimmen schien. Die Stadt Banjar-massing
hat keinen weltbekannten Namen, ist kein vielbesuchter Hafen wie Batavia
und Surabaja; die Reisenden konnten also nicht erstaunt sein, auch
keineswegs eine schöne, wohleingerichtete Stadt zu finden, vielmehr nur
äußerst notdürftige, ja zum Teil erbärmliche Wohnungen, in denen eine
Bevölkerung von Chinesen, Arabern, Malaien und den eingebornen, hier an
der Küste als Tagelöhner arbeitenden Dajaks ein buntes, aber wenig
anziehendes Gesamtbild lieferte. Jede Wohnung, jede Straße, ja selbst
jedes Menschenantlitz schien schwärzlich vom Staub der Kohlengruben, die
sich in großer Anzahl um den Ort herum befanden.

Die Rast in Banjar-massing benutzte Holm, um einen lang gehegten Wunsch
in Erfüllung zu bringen, der darin bestand, den von Hamburg aus
nachgesandten photographischen Apparat in stand zu setzen und sich
desselben zu Aufnahmen zu bedienen. Bis jetzt war es ihm nicht möglich
gewesen, die nötige Ruhe und einen geeigneten Ort zu finden, um die
Knaben in der Handhabung des Apparates zu unterweisen, und schon oft
hatte er bedauert, an so vielen schönen und merkwürdigen Punkten
vorübergehen zu müssen, ohne sie, bis auf das kleinste Detail
naturgetreu, auf photographischem Wege abkonterfeien zu können. Wenn
auch die Knaben im Zeichnen nicht ungeschickt waren und manchen
Naturgegenstand fast künstlerisch ausgeführt in ihren Skizzenbüchern
verewigten, so ließen doch die Zeichnungen von Personen und besonders
von Landschaften manches zu wünschen übrig.

Des bequemen Transportes wegen war der Apparat sehr leicht gearbeitet.
Er besaß zwei photographische Linsensysteme, um gleichzeitig zwei Bilder
von ein und demselben Gegenstande aufnehmen zu können, als wenn derselbe
von den beiden Augen des Menschen betrachtet würde. Später mußten die
hiermit erhaltenen Bilder im Stereoskop den körperlichen Eindruck
hervorbringen, als wenn sie dem Beschauer plastisch greifbar vor Augen
ständen.

Holm richtete den Apparat so, daß eine Straße von Banjar-massing sich
vor den geschliffenen Gläsern desselben befand, und zeigte den Knaben
nun, wie diese auf der matten Glasscheibe, welche den Hintergrund der
sogenannten ^Camera obscura^ bildete, in umgekehrter Stellung mit allen
Einzelheiten in verkleinertem Maßstabe zum Vorschein kam. Zu unterst
erschien der blaue Himmel, dann kamen die Dächer der auf dem Kopfe
stehenden Häuser, die Fensteröffnungen, die Thüren, dann folgten als
oberster Teil des umgekehrten Bildes die Straße und der Erdboden.

»Nun gilt es,« sagte Holm, »an die Stelle der matten Scheibe, auf die
das scharfe, deutliche Bild der aufzunehmenden Gegenstände fällt, eine
Glasplatte zu bringen, die mit einer lichtempfindlichen Substanz
überzogen ist und die derart von den Lichtstrahlen verändert wird, daß
die feinsten Abstufungen zwischen Licht und Schatten, hell und dunkel
auf derselben deutlich und unveränderlich sichtbar werden. Da wir nun
eine solche lichtempfindliche Platte nicht im Tageslicht präparieren
können, müssen wir diese Operation im Dunkeln vornehmen.«

»Aber im Dunkeln kann man doch nicht sehen, was die Hände vollbringen!«
warf Hans ein.

»Wir bedienen uns einer Lampe oder einer brennenden Wachskerze,«
entgegnete Holm, »denn das Licht einer kleinen Flamme besitzt nicht so
viel chemische Wirkung, um der Platte schaden zu können. Auch das
Tageslicht, welches durch eine gelbe Glasscheibe fällt, ist wirkungslos,
so daß das Reisezelt, in welchem wir unterwegs die Platten präparieren
werden, mit einem gelben Fensterchen versehen werden konnte, welches
genug unwirksames Licht für unsere photographischen Manipulationen
durchläßt.«

Holm nahm nun eine der mitgebrachten Glasplatten und putzte sie mit
einem weichen Leinwandlappen und einigen Tropfen Weingeist so lange, bis
sie vollkommen rein war und der Hauch des Mundes nur flüchtig an ihr
haftete. »Merk auf, Rua-Roa,« sagte er, »denn das Amt eines
Plattenputzers mußt du später übernehmen.«

Aus einer Flasche goß Holm hierauf ein weniges einer gelblich gefärbten
sirupartigen Flüssigkeit, die einen starken Geruch nach Hoffmannstropfen
verbreitete, auf der Platte. »In dieser Flasche befindet sich eine
Auflösung von Schießbaumwolle in Äther und Alkohol,« sagte er. »Da der
Äther auch in den Hoffmannstropfen enthalten ist, die häufig als
belebendes Mittel gebraucht werden, so erklärt sich euch der bekannte
Geruch dieser Flüssigkeit. Die aufgelöste Schießbaumwolle hinterläßt
beim Antrocknen eine glasartige zähe Haut, und gerade diese Eigenschaft
ist es, welche uns hier zu gute kommt.«

»Aha,« sagte Franz, »ich weiß schon, wie man diese Flüssigkeit auch
sonst nennt. Sie heißt Kollodium und eignet sich zum Überpinseln von
Brandwunden, damit sich eine Haut über denselben bilde, die vor dem
Zutritt der Luft schützt.«

»Ganz recht,« bestätigte Holm, »nur ist bei diesem Kollodium zu
bemerken, daß in demselben Jod- und Bromsalze aufgelöst sind, deren
Eigenschaften wir jetzt im Dunkelzimmer näher studieren wollen.«

Sie begaben sich jetzt alle in ein Gemach ihrer provisorisch gemieteten
Wohnung, dessen Fenster mit Kokosmatten lichtdicht verhängt waren. Ein
Lämpchen brannte auf dem Tische und beleuchtete mit mattem Scheine eine
Anzahl von Flaschen, einen schmalen hohen Glastrog, den Holm als
»Küwette« bezeichnete, und ein mit reinem Wasser gefülltes Gefäß.

»In dieser Küwette befindet sich eine Auflösung von salpetersaurem
Silber,« erklärte Holm. »Wir tauchen unsere mit Jodkollodium überzogene
Glasplatte vermittelst eines breiten Glashakens in diese Lösung hinein,
und nun beobachtet, was geschieht.«

»Die Oberfläche der Platte fängt an sich zu trüben,« rief Franz.

»Sie wird milchweiß,« bemerkte Hans nach einer kleinen Weile.

»Ein Zauber,« rief Rua-Roa ängstlich.

»Kein Zauber, sondern ein chemischer Vorgang,« lachte Holm, »obgleich du
von deinem Standpunkte nicht so ganz unrecht haben magst, Ruachen; wurde
doch selbst im zivilisierten deutschen Lande zur Zeit des Mittelalters
mancher Chemiker für einen Hexenmeister gehalten. Und wenn ich dir nun
auch auseinandersetzte, daß hier die Jod- und Bromsalze, welche in der
Kollodiumhaut sind, sich mit dem Silber der Lösung zu unlöslichem,
gelblichweißem Jod- und Bromsilber verbinden, so würdest du das doch
nicht verstehen, mein guter Malagasche, denn von der chemischen
Wahlverwandtschaft weiß dein kleiner Heidenverstand nicht die Spur.«

Rua-Roa machte ein verlegenes Gesicht, als hätte er irgendwie, unbewußt
ein Unrecht begangen, aber Franz tröstete ihn und sagte: »Sei nur ruhig,
lieber Freund, Chemie ist meine stärkste Seite auch gerade nicht.«

Die Platte wurde an dem Haken, auf dem sie ruhte, aus der Küwette
herausgezogen. Die Kollodiumhaut hatte in der That ein gelblichweißes
Aussehen erlangt und war nun, wie Holm sagte, lichtempfindlich.

Ein kleines hölzernes Kästchen -- die Kassette -- nahm die präparierte
Platte auf. Dasselbe war mit einem Schieber versehen, der sich seitlich
wegziehen ließ, und besaß hinten einen Deckel, der es lichtdicht
verschloß, nachdem die Platte, mit der Kollodiumschicht nach vorne,
hineingelegt worden war. Gegen jeglichen Lichtstrahl geschützt, konnte
die Platte in der Kassette nach dem photographischen Apparate
transportiert werden, dessen optische Gläser mit Deckeln verschlossen
waren.

Holm entfernte die matte Glasscheibe, setzte die Kassette an ihre Stelle
und zog den Schieber der letzteren heraus. Darauf entfernte er die
Deckel von den Gläsern.

»Nun fällt das umgekehrte Bild, welches wir vorhin auf der
mattgeschliffenen Glasscheibe wahrnahmen, direkt auf die weißgelbe
Jodsilberschicht, die wir im dunkeln Zimmer bei schwachem Kerzenlichte
hergestellt haben,« erläuterte Holm. »In dem Zeitraum von fünf bis sechs
Sekunden werden die Lichtstrahlen hinreichend gewirkt haben, und deshalb
schließen wir den Apparat, nachdem wir langsam bis sechs gezählt haben,
schieben auch den Schieber der Kassette wieder zu und begeben uns in das
Dunkelzimmer zurück.«

Hier angelangt nahm Holm die Glasplatte aus der Kassette und zeigte sie
den Knaben.

»Ich sehe keine Spur von einem Bilde,« rief Hans, nachdem er die Platte
aufmerksam betrachtet hatte.

»Nicht eine Andeutung von Zeichnung,« bestätigte Franz, »gewiß hat das
Licht nicht lange genug eingewirkt.«

»Ich fürchte fast, wir haben bei dem hellen Lichte des hiesigen
unbewölkten Himmels schon zu lange exponiert,« sagte Holm. »Jedoch wir
wollen sehen.«

Bei diesen Worten goß er mit Gewandtheit eine klare Flüssigkeit über die
Platte, die in der That nicht im geringsten verändert erschien, und nun
zeigte sich ihnen ein Schauspiel von ganz eigenem Reiz. Einzelne Teile
der präparierten und dem Lichte ausgesetzt gewesenen Schicht begannen
sich dunkel zu färben, und zwar erschien diese Veränderung da zuerst, wo
der blaue, lichte Himmel war. Dann folgten die weißen Mauern der Häuser,
welche sich scharf von der dunkleren Straße abhoben, die auf der Platte
fast weiß blieb. Überhaupt konnte man wahrnehmen, daß überall da, wo das
hellste und stärkste Licht gewirkt hatte, die Jodsilberschicht sich
dunkel färbte, daß dort, wo gemäßigtes Licht von halberleuchteten
Gegenständen hingefallen war, die Färbung im Verhältnis schwächer blieb,
während die Stellen, welche in der Natur dunkel oder schwarz waren, auf
der Platte keinerlei Färbung annahmen, sondern weiß blieben.

Nach einiger Zeit spülte Holm die Platte mit reinem Wasser tüchtig ab
und hielt sie gegen das Licht.

Ein Freudenruf entschlüpfte den Lippen der Knaben. Da war ja die Straße
von Banjar-massing mit allen ihren Einzelheiten in verkleinertem
Maßstabe auf der Platte sichtbar, so allerliebst und so sauber
ausgeführt, wie es der menschlichen Hand mit Stift und Pinsel nicht
möglich war. Nur erschienen die hellen Partieen auf der Platte dunkel
und die dunklen hell; es waren die Verhältnisse zwischen Licht und
Schatten umgekehrt.

»Wir nennen ein solches Bild, mit verkehrtem Licht und Schatten, ein
Negativ,« sagte Holm; »es verhält sich in dieser Beziehung ähnlich wie
die Gipshohlform zum Körper, der abgeformt wurde, und ebenso wie jene
dient das Negativ zur Anfertigung von Abdrücken, bei denen die alte
Ordnung wieder hergestellt wird.«

»Wie kam es aber,« fragte Franz, »daß das Bild erst sichtbar wurde, als
eine Flüssigkeit über die Platte gegossen wurde, und was enthielt diese
Flüssigkeit, um diese merkwürdige Wirkung auszuüben?«

»Ich goß eine Auflösung von Eisenvitriol in Wasser über die Platte,«
entgegnete Holm. »Der Eisenvitriol hat die Eigenschaft, das Silber aus
seinen Lösungen in Gestalt eines feinen, grauen, metallischen Pulvers
auszuscheiden, und dieses Metallpulver legt sich auf jene Stellen des
Jodsilbers an, die vom Lichte getroffen wurden. Je stärker die
Lichtwirkung war, um so dichter setzt sich der Silberniederschlag ab,
weshalb denn auch die hellsten Teile des Bildes, der Himmel und die
weißen Wände der Häuser, am schwärzesten und undurchsichtigsten sind.
Jetzt haben wir nur noch nötig, das Jodsilber durch eine Auflösung des
giftigen Cyankali in Wasser zu entfernen, die Platte gut zu waschen und
zu trocknen, worauf sie gefirnist wird, um sie vor Verletzungen,
Schrammen u. dgl. zu schützen. Sobald wir später auf dem Schiffe Muße
haben, werden wir von den Negativen, die wir aufnehmen, Abdrücke machen.
Jetzt, ihr jungen Forscher, benutzt die günstige Gelegenheit und bildet
euch durch praktische Übung zu tüchtigen Photographen aus, damit es
unserem Journal nicht an Illustrationen fehle.«

In wenigen Tagen hatten die Knaben die erforderliche Übung in den
photographischen Handgriffen erlangt, worauf die Reise in die Umgegend
von Banjar-massing unternommen wurde.

Gleich am ersten Tage wurde eins der schon erwähnten Kohlenbergwerke
besichtigt. In starken Körben gelangten die Reisenden bis zu dem tief
unter der Erdoberfläche liegenden, im Mittelpunkt des Baues befindlichen
Raum, von wo aus Seitengänge hineinführten in die schwarze, glitzernde
Tiefe. Der Anblick war eigentümlich genug. Nur mit einem Lendenschurz
bekleidete Dajaks schwangen hier im lichtlosen Schoß der Erde ihre
Keilhacken, um das Brennmaterial für weit entfernte Länder oder zum
Gebrauch für Dampfschiffe aus den festen Lagern loszubrechen und in
Körbe zu sammeln, die dann mittels der Windenvorrichtung hinaufbefördert
und ausgeschüttet wurden. Jeder Mann trug vor der Brust eine
Blechlaterne, bei jedem war das Haar, lang und seidenweich wie
Frauenflechten, am Hinterkopf zusammengebunden und fiel in schwarzer,
glänzender Flut auf den unbekleideten Rücken herab; auch weibliche
Geschöpfe nahmen teil an dieser gesundheitsschädlichen Beschäftigung,
alle aber waren von ihrer mühseligen Arbeit dermaßen in Anspruch
genommen, daß sie kaum aufzublicken wagten, und von den gewiß seltenen
Besuchern keinerlei Notiz nahmen.

Ein trauriges Bild des Menschenelendes zeigte sich in diesen armen
Wesen, die von der holländischen Regierung sowohl als von ihren eigenen
malaiischen Gebietern nur wie Lasttiere angesehen werden und fast nicht
besser wie Sklaven sind. Die Luft in den engen, schlecht gestützten
Gängen war kaum zu atmen, erstickend heiß, mit tödlichem Staub gefüllt
und lag drückend auf den Nerven der Weißen; das Klettern über den
unebenen Weg und die stete Nähe der Gefahr ließen sie sehr bald an
Umkehr denken. Holm brach aus den ganz mit Kohlenschichten angefüllten
Wänden einige Stücke los, die Knaben verteilten unter die Arbeiter das
zu diesem Zweck mitgebrachte Kleingeld, und dann krochen alle aus den
verschiedenen Seitengängen zurück zur Mitte, wo wenigstens hoch über
ihnen der blaue Himmel seine Decke spannte. Die Grube war ungewöhnlich
breit, im Dreieck angelegt und mit erbärmlich unsicheren Stellagen
versehen. Was that es, wenn einmal ein Gang verschüttet wurde? Quer
durch das ganze gesegnete Land zog sich das meilenbreite Kohlenlager,
und Arbeiter gab es ebenso in Hülle und Fülle. Mochten immerhin einmal
ein paar hundert zu Grunde gehen, das fand kaum Beachtung. Die Winde
oben setzte sich in Gang, einer nach dem andern gelangte an das
Tageslicht, und einer nach dem andern sah schaudernd zurück in die
gähnende Tiefe. Wie war es nur möglich, daß lebende Wesen da unten
jahrein, jahraus zu atmen vermochten, daß sie nicht jedes sonstige Los
diesem Lebendigbegrabensein vorzogen?

So weit die holländische Botmäßigkeit reicht, ist die eigentliche
Sklaverei abgeschafft, nur eine Art von Robot- oder Zwangsarbeitssystem
nötigt die Eingebornen zu geregelter Thätigkeit, oft nicht ohne einige
Härte. Im Innern aber tobt zwischen Malaien und den älter eingebornen
Dajaks Fehde und Blutrache, und wer von den Dajaks in die Hände der
Malaien fällt, ist Sklave.

Die wenig für ausdauernde Arbeit geschaffenen, leichtsinnigen und
jähzornigen Dajaks sind bei allen diesen Eigenschaften lebhafter
Charaktere dennoch feige; sie finden nie den Mut, die eingedrungenen
Malaien mit Gewalt aus ihrem Lande zu entfernen, aber sie überfallen
dieselben bei jeder Gelegenheit, einzeln oder in ganzen
Mordgesellschaften, auf ihrem eigenen oder auf gegnerischem Gebiet;
immer jedoch aus dem Hinterhalt, niemals in offener ehrlicher Fehde.
Jeder derartige Mord, mittels Kopfabschneiden ausgeführt, zieht die
sogenannte Blutrache nach sich, ein Greuel, der um ganze Familien und
ganze Stämme seine dämonischen Bande schlingt und nicht eher erlischt,
bis vielleicht der Ur-Urenkel des Gemordeten den Ur-Urenkel des Mörders
erschlug und seine Kinder mit sich führte in die Sklaverei. --

Fremde Reisende waren an dieser Küste offenbar eine seltene Erscheinung.
Araber und Chinesen umdrängten die seltenen Gäste in der Hoffnung, sie
gehörig rupfen zu können; als aber jegliches Geschäft ausgeschlagen
wurde, als man sah, daß es sich nicht um Gold-, Diamanten-, oder
Kohlenspekulationen handelte, da ließ man die sonderbaren Schwärmer,
welche nur Insekten einfangen und die wilden Dajaks kennen lernen
wollten, ihres Weges gehen, ohne weitere Notiz von ihnen zu nehmen.
Ebenso schwer war es, den seßhaften Küstenmalaien, die nur zu ganz
andern Zwecken ins Innere vorzudringen pflegten, begreiflich zu machen,
daß man zur Reise in das Innere notwendig einige ortskundige Führer
brauchte. Die Leute kannten dergleichen Unternehmungen aus früherer
Erfahrung nicht; es kam nie jemand, um das Land zu durchforschen; sie
schüttelten daher zuerst die Köpfe und hielten lange Beratungen, bis
endlich fünf Männer, offenbar als Abgesandte der ganzen Kolonie, bei den
Weißen in der chinesischen Herberge erschienen und ihre Dienste anboten.
Sie wollten die Fremden begleiten, natürlich für schweres Geld, dessen
Auszahlung nach erfolgter Rückkehr bei dem deutschen Konsul
stattzufinden hatte. Durch die gemachten schlimmen Erfahrungen
gewitzigt, ließen Holm und der Doktor diesem Kontrakt die Klausel
beifügen, daß sich die fünf Männer durch keinerlei Stellvertretung
selbst den übernommenen Verpflichtungen entziehen dürften und daß die
Bezahlung nur dann verdient und fällig sei, wenn beide Teile, Führer und
Reisende, mit einander wieder anlangen sollten.

Darauf gingen die Malaien ohne Widerspruch ein; sie mußten also nichts
Arges im Schilde führen, und nachdem alles genügend vorbereitet, machte
sich die Gesellschaft auf, um das Innere der schönen Insel zu sehen,
freilich zu Fuß, da eingeborne Pferde gänzlich fehlen, aber darum in
nicht weniger fröhlicher Stimmung, nicht weniger hoffnungsvoll und mit
offener Seele für all das Neue, das sie hier erwartete. Keine Raubkatzen
außer einer kleinen Leopardenart, -- keine Giftschlangen, Elefanten und
Nashörner! Es blieb also wenig zu fürchten, und bei der Fülle des
Affengeschlechtes sowie aller Grasfresser sehr viel zu hoffen; die Reise
begann unter den besten Aussichten, doch ging sie langsam von statten,
weil der Wald dicht und die ganze Pflanzenwelt wie im äquatorialen
Afrika so üppig war, daß sie oft durchhauen werden mußte, um weiteres
Vordringen zu ermöglichen.

Die Führer bestanden aus zwei älteren Männern, den Brüdern Torio und
Bassar, sowie drei erwachsenen Söhnen derselben, außerdem war ein
Dajakischer Dolmetscher angeworben worden, der der englischen Sprache
ziemlich mächtig war; sie wählten die nächsten Wege, um aus den die
Küste umsäumenden Niederlassungen heraus und in das Gebiet der Dajaks zu
kommen, überhaupt zeigten sie sich sehr gefällig und ließen es an keiner
Gelegenheit fehlen, ihre Gäste auf diese oder jene besondere Schönheit
des Landes aufmerksam zu machen.

Schon am dritten Tage lag der letzte bebaute Acker weit hinter den
Reisegenossen, der Urwald schüttelte seine grünen Riesenhäupter, und
wilde Geschöpfe huschten hindurch, namentlich Zibetkatzen in ungeheurer
Anzahl, Affenarten und sehr viele Vögel mit buntem, prachtvollem
Gefieder, Schmetterlinge von nie gesehener Größe und Insekten jeder Form
und Farbe.

Hier fanden sich die seltsamen Bäume auf Luftwurzeln, der Teppanbaum,
dessen erste Äste in der Höhe von etwa 3--4 Metern sich seitwärts
senkten, und in dessen Stamm unzählige wilde Bienenschwärme ihre Nester
bauten; die sonderbare Kannenpflanze mit ihren wie eine Waschkanne
geformten purpurnen Blüten; Gummibäume, der Taban, welcher die
vortrefflichste Guttapercha liefert, der Sagobaum und die Rotangpalme,
deren Stengel man gemeinhin Spanisches Rohr nennt.

Ein Baum war es besonders, der den jungen Leuten als ganz fremd sogleich
in die Augen fiel. Von schlankem, auffallend hohem Stamm, mit
verhältnismäßig wenigen schwertförmigen Blättern, trug er hellrote,
große Blumen und mit einer hölzernen Schale umgebene Früchte von der
Größe eines Kopfes. Der Höhe wegen ließ sich Deutlicheres nicht
erkennen, nur soviel stand fest, daß man diesem Baume noch nie vorher
begegnet war.

»Das sind Durianen,« erklärte Bassar, der älteste der Führer. »Die
Zibetkatzen essen ihre Früchte.«

»Und die Eingebornen nicht?«

Eine unverkennbare Gebärde des Abscheues beantwortete diese Frage. Holm
lächelte. Er wußte, daß die Frucht einen feinen, ausgezeichneten
Wohlgeschmack besitzt, der aber nach dem sonderbaren Willen der Natur
von einem entsetzlichen üblen Geruch gleichsam umhüllt ist und daher
durch einen einzigen gründlichen Forscher, den Engländer Wallace, erst
festgestellt wurde.

»Wir wollen doch die Durianen probieren,« erklärte er.

Die kleine Gesellschaft machte also Halt, obwohl auf den Rat der Malaien
in respektvoller Entfernung, um nicht etwa von einer fallenden Frucht
dieses seltsamen Baumes erschlagen zu werden, dann kletterten Bassars
Söhne wie die Katzen an dem schlanken, astlosen Stamm hinauf und
brachten den Weißen mehrere reife Durianen herunter.

Die Schale erwies sich nicht härter als die der Kastanien und war gleich
unserer Stachelbeere mit grünen, krautartigen, ganz kleinen Auswüchsen
bedeckt; fünf genau begrenzte, gleich große Felder durch Linien
bezeichnet, gaben für die zu machenden Einschnitte die nötigen Winke,
aber -- o Himmel, als sich der Kern ohne Hülle zeigte! --

Ein Geruch wie von Fäulnis und Zwiebeln erfüllte die Luft, so daß sich
alle unwillkürlich abwandten, obwohl kaum ein appetitlicherer Anblick
als der dieser Frucht gedacht werden konnte. Das eigentliche Fleisch
zunächst der Schale, glänzend wie schneeweißer Atlas, barg in seiner
Mitte einen rosafarbenen Brei, der vier Kerne umschloß, -- eben diese
halbflüssige Masse war es, die so besonders angenehm schmecken sollte.
Holm schauerte heimlich, aber dennoch kostete er, -- kostete nochmals
und nickte den entsetzten Malaien zu. »Steigt nur immer hinauf, Freunde,
holt mehr Früchte herunter und eßt selbst mit, wenn ihr klug seid. Eine
solche Delikatesse gibt es nicht zum zweitenmale.«

»Wirklich, Karl? -- Gib her, gib her!« -- »Aber bester Holm, dieser
Geruch, wie konnten Sie sich nur entschließen!«

So schallte es durch einander, während der junge Gelehrte mit dem aus
dem Besteck gezogenen Löffel die Frucht ihres breiigen Inhaltes
entleerte und schon nach der zweiten griff, ehe noch jemand im stande
war, das Wunder zu glauben, »Ich sage euch, so haben wir lange nicht
gespeist, Kinder! Doktor, halten Sie den Atem an, während der erste
Bissen auf Ihrer Zunge schmilzt, späterhin bekümmern Sie sich um alle
Zwiebeldüfte der Welt nicht mehr! -- Freund Bassar, pflücken Sie
gefälligst noch etwa zehn oder zwölf Früchte, soviel Gastfreundschaft
müssen uns die Zibetkatzen dieses Landes schon erweisen.«

Während er sprach, hatte Franz mit dem Taschenmesser die letzte Duriane
geöffnet und ließ die anderen kosten. Es war ein komischer Anblick. Alle
schmeckten, alle fuhren mit den Zungenspitzen über die Lippen und sahen
einander an. »Wie Bratensauce und Zwiebeln!« erklärte Hans. »Gib mir
mehr, ich finde den Geschmack vortrefflich.«

»Wie alter Madeirawein!« nickte der Doktor.

»Nein, wie die feinste Melone!« rief Franz.

[Illustration: Unter den Durianenbäumen Borneos.

»Und dann folgte ein wahrer Vernichtungskrieg gegen die Früchte ...«]

Und dann erfolgte ein wahrer Vernichtungskrieg gegen die Früchte, welche
Bassars Söhne von oben her in das fußhohe Gras herabfallen ließen. Erst
als niemand mehr zu essen vermochte, wurde die Wanderung fortgesetzt und
später am abendlichen Feuer die gesammelten Kerne der Durianen wie
Kastanien geröstet, um zusammen mit einem Hirschziemer ein
vortreffliches Nachtmahl zu geben. Die wollenen Decken wurden an einer
geschützten Stelle ausgebreitet, Wachen ausgestellt, und dann begann
wieder der Halbschlummer, das Ausruhen in weicher, linder Tropennacht.
Fliegende Frösche und Kalongs bevölkerten auch hier die Luft, glänzende
Insekten, schillernd wie Funken, krochen über den Boden; Holm brach ein
großes Blatt und zählte nicht weniger als sechzehn verschiedene
Geschöpfe, darunter einen alten Bekannten, wenn auch in beträchtlich
vergrößertem Maßstab, den deutschen schwarzen Holzbock! Wie oft hatte er
ihn als Knabe eingefangen und in ein Papierhäuschen gesteckt, wie beredt
erzählte der Schwarzrock, emsig nach einem Weg über die Untiefen des
Blattrandes spähend, von vergangenen Tagen, von Knabenfreude und
Knabenwünschen, -- Holm ließ ihn in den Spiritusbehälter wandern, um ihn
mitzunehmen.




                           Elftes Kapitel.


Nach einigen Tagen kam das erste Dajaksdorf den Reisenden zu Gesicht.
Bassar und Torio versicherten, daß die Kopfjäger niemals Europäer
angreifen, sondern immer nur Malaien; unsere Freunde hatten dasselbe
auch schon in der Stadt gehört, und so fanden sie denn keinen Grund, den
übereinstimmenden Berichten aller hier ansässigen Leute zu mißtrauen,
vielmehr folgten sie ohne Bedenken den Führern in das Thal, wo der
räuberische Stamm wohnte. Das ganze Dorf der Dajaks bestand aus einem
einzigen, etwa zweihundert Meter langen und vierzig Meter breiten
Bambusschuppen mit einem spitz zulaufenden Dach aus Palmenblättern.
Dieser Bau wurde getragen von fünf Meter hohen Stämmen und hatte überall
Strickleitern, die man des Nachts heraufzog; er stand so hoch über dem
Erdboden, daß ein beladener Wagen darunter hätte hinwegfahren können.
Fenster und Thüren fehlten gänzlich, dafür flatterten überall hübsche
Matten, und aus den offenen Löchern sahen braune, neugierige Gesichter
hervor. Die meisten dieser Leute mochten nie in ihrem Leben weiße
Menschen gesehen haben, andere dagegen gaben in ihrer Sprache
Erklärungen; sie gestikulierten äußerst lebhaft und kamen in Sprüngen
die Leitern herunter, nicht selten, um mit scheuen Fingern die
Fremdlinge zu betasten und durcheinander zu schnattern wie eine Schar
Gänse. Gegen die Malaien zeigten sie sich äußerst furchtsam und
unterwürfig, alle Fragen, welche diese stellten, wurden diensteifrig
beantwortet.

Endlich erschien an der vorderen Eingangsthür ein Mann, dessen
Lendenschurz und Glieder mit Messingplatten, Schildern, Ringen und
Glocken derartig behangen waren, daß er bei jedem Schritt wie ein
Schlittenpferd klirrte und klingelte; das war der »Liau« oder Priester
des Stammes, und dieser gewaltige Machthaber lud in Abwesenheit des
»Panglima« oder Fürsten die Fremden ein, das sonderbare Wohnungsdorf zu
besuchen und als ihr Haus zu betrachten. Nachdem die Malaien namens der
Weißen gebührenden Dank gesagt und angemessene Bezahlung versprochen
hatten, wurde das Gebäude erstiegen. Der ganzen unübersehbaren Länge
nach war es in zwei Hälften geteilt, deren vordere die Unverheirateten,
die Gäste und -- das Federvieh einnahmen, wogegen die hintere, für
Einzelwohnungen bestimmt, den Familien als Aufenthalt diente. Ein rings
umschlossener thürloser Raum, der »Lowang«, etwa von der Größe eines
mittelmäßigen Zimmers, mußte als Wohn- und Schlafgemach sowie als Küche
ausreichen, ob auch noch so viele kleine, völlig nackte Dajaks die
braune Mutter umsprangen und außer dem gemeinsamen Blätterlager weiter
gar kein Gerät mehr Unterkunft erlangen konnte. Dergleichen gab es
überhaupt außerordentlich wenig. Matten, Körbe, Waffen und ein paar
Kochtöpfe, das war alles, was die Weißen sahen. Der vordere Raum starrte
von Schmutz, den besonders die Hühner und Tauben verbreiteten, er
bildete ein schreckliches Durcheinander von Federvieh, Futter,
umgestürzten Saufnäpfen und aufgestapelten Waffen, während es ihm an
Bewohnern gänzlich mangelte. Der Stamm war ausgezogen, um in weiter
Entfernung vom eigenen Wohnsitz einen Raub an Lebensmitteln und
womöglich Gold oder Diamanten zu vollführen, Frauen und Kinder lebten
daher augenblicklich unter dem Schutze des »Liau« und der »Bliangs« oder
Priesterinnen, mehrerer jungen Mädchen, die bei den Dajaks etwa das
sind, was wir barmherzige Schwestern oder Diakonissen nennen; sie
pflegen die Kranken, waschen die Gestorbenen und haben neben dem Liau
allein das Recht, den Naturgeistern Gebete vorzutragen; sie allein
kennen auch die Schöpfungsgeschichte der Welt, wie sie im
Dajaksbewußtsein lebt, und werden um dieser Kenntnis willen verehrt wie
Heilige.

Auch ihre Wohnung, offen wie alle, durchspähten die neugierigen Blicke
der jungen Leute. Die Bliangs, sechs an der Zahl, trugen Jacken und bis
kaum an die Kniee reichende enge Röcke von blauem selbstgewebten
Baumwollenstoff mit weißen und roten Streifen, Kopftücher aus rotem
Gewebe, reich mit Goldfäden durchwirkt, und halbmondförmige Ohrringe;
außerdem Schnüre von großen schwarzen und weißen Perlen und aufgereihten
Muscheln, wo immer sich dieselben anbringen ließen. Diese Bliangs
nahmen, obwohl sie von den Fremden aufs artigste begrüßt wurden, doch
ihrerseits keine Veranlassung, die gebotene Aufmerksamkeit zu erwidern;
sie saßen im Kreise auf bunten Matten und rauchten Opium, ohne dabei ein
einziges Wort zu sprechen.

Dies Zimmer wurde schnell verlassen. »Ein wahres Glück, daß man hier zu
Lande kein Fensterglas kennt,« meinte Hans. »Hätte nicht zu dem
angenehmen Heimwesen der Hühner und der rauchenden jungen Damen die Luft
beständig von allen Seiten freien Zutritt, dann möchte es in solchem
Dorfe unter Dach und Fach schon sehr bald anfangen, unerträglich zu
werden.«

»Mehr von diesen Wohnungen wollen wir nicht besehen,« erklärte Holm.
»Draußen im grünen Walde ist es besser. Aber, lieber Himmel,« fügte er
plötzlich hinzu, -- »was haben wir denn da?«

Seine Hand deutete auf einen wahrhaft greulichen Schmuck, welcher über
dem Eingang des nächsten Familienzimmers angebracht war und von dort
herab den Kommenden entgegengrinste. Wenigstens zwanzig bis dreißig am
Hals abgeschnittene Menschenköpfe hingen auf Pflöcken, wie etwa bei
zivilisierten Völkern die Jäger ihre erlegten Hirschgeweihe aufzuhängen
pflegen; einige waren gänzlich Skelette, andere mochten in irgend einer
Weise präpariert sein, so daß sie aussahen wie Mumien; langes und kurzes
Haar hing von diesen Schädeln herunter; man erkannte hier einen Krieger,
dort eine alte, eisgraue Frau, und selbst junge Mädchen und Kinder
fehlten nicht. Durch die Haare aller dieser Opfer flog und flüsterte der
Wind, ja bei jedem etwas stärkeren Stoße schaukelten und baumelten die
Köpfe, daß es unheimlich klapperte wie von totem Holz.

Bassar legte die Hand auf seinen Arm. »Die Dajaks sind Kopfjäger,« sagte
er in englischer Sprache. »Keiner unter ihnen darf heiraten und einen
eigenen Herd besitzen, ehe er nicht wenigstens _einen_ Kopf selbst vom
Rumpfe getrennt hat; keiner kann die Würde des Panglima erreichen, der
nicht hundert Köpfe über seiner Thür hängen hat. Sehen Sie nur dort die
Wohnung des Häuptlings!«

Dem Gemach der Bliangs gegenüber lag die Königshütte des Dorfes. Hier
waren alle Matten mit Gold durchflochten, Sklavinnen kauerten in großer
Zahl auf dem Fußboden, der ganze Raum war bedeutend breiter, und auf
einem Mattenhaufen saß rauchend die Königin; -- über der Thür prangten
nicht weniger als hundertundfünfzig Köpfe.

Der alte Theologe stand starr. »Dieser Greuel!« rief er. »Ob da nicht
Steine und Wände predigen müßten! Es ist himmelschreiend.«

»So abscheulich dieser Schmuck auch ist,« sagte Holm, »so wollen wir
doch nicht unterlassen, diese Stätten entsetzlichen Heidentums
photographisch aufzunehmen, sie werden zu den traurigen Ansichten der
Bergwerke ein Seitenstück bilden, das eindringlicher als Worte Zeugnis
von dem verwahrlosten Volke der paradiesischen Insel ablegt. Vielleicht
erweckt ihr Anblick in dem Herzen glaubensvoller Männer das Verlangen,
den armen Heiden die milden Sitten des Christentums aufs neue
entgegenzubringen, wenn auch bis jetzt weder Missionare noch Kaufleute
einen entscheidenden Einfluß haben ausüben können; man kennt nicht
einmal annähernd die Verhältnisse des Innern, wohin auch wir nicht
gelangen werden; -- es wäre umsonst, diesen Heiden, die nur in den
Naturereignissen feindliche Gewalten anerkennen, überhaupt irgend eine
Moral predigen zu wollen. Wir haben nun das Dorf gesehen, also laßt uns
vor demselben unsere Hängematten aufschlagen.«

Torio und Bassar schüttelten die Köpfe. »Das geht nicht, Herr, die
Dajaks würden es als große Beleidigung ansehen. Es ist einmal Sitte, im
Vorderraum jedes Dorfhauses die Gäste unterzubringen, -- länger als eine
Nacht bleiben wir ja ohnedies nicht.«

»Aber wenn wir nun gleich auf der Stelle weiter reisen!« rief ärgerlich
der Doktor.

Die Malaien hielten ihre Weigerungen aufrecht. »Das sei ganz unmöglich,«
beharrten sie.

Holm wechselte mit den Reisegenossen ein heimliches Zeichen. Trauen
konnte man den Gelben nie vollständig; sie hier zu reizen oder gegen
ihre Absichten irgend etwas durchsetzen zu wollen, schien nicht ratsam.
»Schlafen wir also, da es nicht anders sein kann, eine Nacht auf
derselben Streu mit Hühnern und Tauben,« sagte er. »Es gab ja am Ende
schon schlimmere Stunden als diese. Vor der Hand thut freilich ein Imbiß
am meisten not.«

Bassar lieh gegen Geld und gute Worte von der nächsten Dajaksfrau
einiges Kochgeschirr, ein Feuer wurde entzündet und die Reste des
Hirschfleisches gebraten, dazu Reis, das einzige tägliche Nahrungsmittel
der Malaien. Man ließ die umstehenden, neugierig blickenden Kinder
mitessen, verteilte kleine Münzen und brachte schließlich das Gepäck in
einen bestimmten Winkel, wo Bassars jüngster Sohn als Wachhabender
zurückblieb; dann wurde ein Ausflug in die Umgebung unternommen.
Schlechtbestellte Felder in der Nähe des Dorfes trugen allerlei Gemüse,
Reis, die Kalampanfrucht, aus der die Eingebornen Öl pressen, sowie in
ganzen, kleinen Wäldern die Gomutupalme, welche den Zucker liefert, es
weideten Ziegen an allen Abhängen, und zahme und wilde Vögel waren in
reicher Anzahl vorhanden.

Nachdem das sämtliche Reisegepäck, Decken und Vorräte zu Hause gelassen
worden, war der Spaziergang hinaus in den Wald um so angenehmer. In der
balsamischen Luft wiegten sich Schmetterlinge von neun Zoll Flügelweite,
Tiere wie sie die Reisenden nie gesehen hatten, kohlschwarz und
samtartig glänzend, mit einem breiten, anmutig gebogenen Goldstreifen
quer über beide Flügel, mit grünen federartigen Flecken und einem
purpurnen Halskragen, sowie mattweißen, schmalen Saum rings um den
ganzen Körper. Auch blaue, gelbe und ganz hellrote Arten waren
vorhanden, alle riesig groß und in solcher Anzahl, daß sie sich unschwer
fangen ließen; Käfer und Fliegen, Mücken, wilde Bienen, Erdwürmer von
Fußlänge und mehr als Zolldicke, Spinnen und Hunderte von kleinen
verschiedenen Geschöpfen der Insektenwelt belebten den Kelch jeder
Blume, die Falten jedes Blattes. Die meisten dieser Tierchen
verbreiteten einen feinen Wohlgeruch, der sich bei jeder Berührung
verstärkte, -- auch eine Erscheinung, welche sonst noch nirgends
beobachtet worden war.

Zuweilen brachen die jungen Leute irgend ein großes, tellerförmiges oder
wie ein breites Schwert gestaltetes Blatt und besahen aus der Nähe diese
azurblauen, weißen oder tiefroten Geschöpfchen, beobachteten die feine
Schattierung ihrer Flügeldecken und den hauchartigen Wohlgeruch, bis
dann der Käfer plötzlich die bläulichen Schwingen hob und davonhuschte,
eine Flut von Duft zurücklassend, in der nächsten Sekunde verschwunden
unter Hunderten seiner Gattung, die überall schwirrten und wie glänzende
Funken die Luft durchsegelten.

Die Botanisierkapseln und Spiritusbehälter waren schon bis an den Rand
gefüllt, ehe noch der Marsch die Dauer einer halben Stunde erreicht
hatte; man brauchte hier thatsächlich nur die Hand auszustrecken, um das
Gewünschte zu erlangen.

Die Malaien verfolgten seit mehreren Minuten aufmerksam eine Reihe von
Spuren, die sich an geknickten Büschen und niedergetretenen Blumen und
Gräsern bemerkbar machten; es mußten größere Tiere, mehrere an der Zahl,
hier durchgedrungen sein und zwar erst ganz kürzlich, denn die
gebrochenen Blumen hatten noch keine Zeit gehabt zu verwelken, das Gras
lag abgerissen, aber grün und frisch am Boden. Jetzt schien es auch, als
töne aus geringer Entfernung ein wohlbekanntes, nicht eben sehr
melodisches Grunzen den Horchenden entgegen, -- alle sahen einander an.
»Wildschweine?« fragte Franz.

Torio nickte. »Sie graben Wurzeln,« versetzte er. »Ganz in der Nähe wird
sich das Feld befinden, wo die Herde ihre Lieblingsnahrung entdeckt hat.
Schweine sind hier in Unzahl vorhanden, da die eingebornen Dajaks nur
Reis und Gemüse essen, dem Überhandnehmen der Tiere also durchaus nicht
entgegentreten; -- wir müssen ihnen hinter dem Wind beizukommen suchen.«

Einer nach dem andern schlichen die Männer mit den geladenen
Kugelbüchsen in den Händen durch das dichte Unterholz, immer dem Schall
nach, bis sie, wie die Malaien vorausgesagt hatten, eine etwas weniger
bewachsene Stelle antrafen, wo unter den Bäumen dreißig bis vierzig
Schweine eifrigst mit ihren Rüsseln das Grün des Bodens aufwühlten und
aus der fettigen, mergelhaltigen Erde apfelgroße Früchte herausholten,
welche dort zu sechs bis zehn gleichsam in Nestern bei einander wuchsen.
Ganz schwarz und einen knoblauchartigen Geruch verbreitend, gehörten
jedenfalls diese Wurzeln zu den bekannten Trüffeln; Holm beschloß sie
noch näher zu untersuchen, in diesem Augenblick richtete sich jedoch
seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Schweine, welche bei ihren
schwarzen Borsten und dem plumpen Kopf einen ganz weißen Bart trugen.
Sie schienen durch Jagd nie belästigt zu werden, waren keineswegs scheu
und ließen die Männer nahe an ihren Weideplatz herankommen. Alte, große
Keiler rissen mit den Stoßzähnen die Erde auf, daß Gras und Ranken hoch
umherflogen, Bachen mit zwölf bis vierzehn Ferkeln lagen, gemütlich
grunzend, im Schatten und ließen ihre Kleinen trinken; auch einige
schwarze Tapire mit den spitzen Schnauzen nahmen an der Mahlzeit teil,
bis ein Schuß aus Torios Kugelbüchse plötzlich dem Familienleben unter
den Bäumen ein Ende machte. Die Herde drängte und schrie in eiliger
Flucht durch einander, mehrere Schüsse aus den Gewehren der Weißen
streckten ihre Opfer nieder, und als endlich der Kampfplatz leer war,
hatten fünf Ferkel und ein junger Eber das Dasein eingebüßt; die Tapire
dagegen waren zum Ärger der Schützen glücklich davongekommen.

Da es hier wenig Raubtiere gab, ließen die Führer das erlegte Wild bis
zu ihrer Rückkunft liegen, und weiter ging die Wanderung in den Wald
hinein. Hier gelang es, mit der Vogelflinte einen schönen, männlichen
Paradiesvogel vom Baum zu holen, ebenso eine Zibetkatze, die Holm
auszustopfen gedachte, und mehrere schöngezeichnete Amseln mit
dunkelroter Brust. Ein Leopard sprang einmal hart vor den Füßen der
Reisenden vom Baum herab, aber erlegt wurde er nicht, obwohl ihm auf das
gute Glück hin mehrere Kugeln nachgesandt wurden; ganze Rudel der
großen, schlanken Pferdehirsche, von einem auf einer Anhöhe stehenden
alten Bock bewacht, grasten an den Ufern breiter zu Thal fallender
Flüsse, erhielten aber bei der ersten Annäherung der Weißen von dem
Führer einen Warnungsruf und verschwanden mit ihm, ehe noch ans Schießen
gedacht werden konnte. Scheu wie ihr ganzes Geschlecht, flohen sie die
Nähe des Menschen, obgleich auch auf ihr Leben hier wenig Jagd gemacht
wurde. Nur bei besonders festlichen Gelegenheiten essen die Dajaks
Fleisch, sie sind an den Reis als einzige Nahrung gewöhnt und geben sich
nicht die Mühe Wild zu erjagen und zuzubereiten.

Es dämmerte bereits, als die erlegten Schweine aufgeladen wurden und nun
die Gefangenschaft im Hühnerloch, wie Franz erbost bemerkte, ihren
Anfang nehmen mußte. Vorerst freilich loderte ein mächtiges Feuer empor,
zwei Ferkel steckten am Spieß, und fette Bissen wanderten in die
Händchen der naschhaften braunen Kinder; dann erkletterten unsere
Freunde die Leiter, welche hinter ihnen von den wenigen im Dorfe
zurückgebliebenen Männern heraufgezogen wurde, und das Lager aus Matten
und Palmblättern empfing sein Opfer.

Rechts in der nächsten Nähe sangen die sechs Bliangs in eintönigen
Weisen, Hirn und Nerven ermüdend, die Totenklage für eine an demselben
Tage gestorbene junge Frau; überall ertönte das herzhafte Geschrei
kleiner Kinder und die Beschwichtigungsmittel der Mütter, das Gurren
mehrerer hundert Tauben und die rastlosen Kampfrufe der Hähne, deren
Gemahlinnen glücklicherweise die Gewohnheit ihres Geschlechtes, mit dem
Untergang der Sonne zu verstummen, auch hier auf Borneo festhielten.
Draußen schrieen die Papageien, jagten sich in den Bäumen die Affen und
quakten die Frösche -- es war eine Nacht, die selbst den geduldigsten
Sterblichen aus der Fassung bringen konnte.

Heimlich machte sich aus den Falten und Tiefen des Blätterlagers eine
feindliche Armee auf die Beine und marschierte im Geschwindschritt gegen
den Feind. Wohin der Finger traf, da begegnete ihm jener kleinste,
springende Vertreter des rüsseltragenden Geschlechtes, wohin sich das
Haupt zur Ruhe bettete, da scheuchte es ein plötzlicher, scharfer Stich
wieder auf, wohin die Gedanken eilten, da schreckte das Durcheinander
von Tönen wieder in die unliebsame Gegenwart zurück; besonders ein
großer, bunter Hahn von streitlustigem Aussehen, einen Fuß trotzig
erhoben, den Kopf lauernd seitwärts geneigt und das Auge vor Bosheit
funkelnd, erregte am meisten den Ärger der jungen Leute.

Rührte einer von ihnen Hand oder Fuß, dann hielt sich der Kammträger
verpflichtet, mittels eines schallenden, langgedehnten Kikeriki diesen
Hausfriedensbruch zu rächen, und sofort stimmten sämtliche Genossen in
den Schlachtruf ein, wobei noch als besonderer Übelstand hinzukam, daß
jedesmal ein anderer benachbarter Hahn diese Herausforderung als an sich
gerichtet aufnahm und durch Heranfliegen das Duell eröffnete. Dieser
alte Bursche, zerzaust und seiner Federn in mancher heißen Schlacht
beraubt, mußte sich stark erkältet haben, denn er brachte es bei den
Antworten, welche er gab, nur bis zu einem heiseren »Kück!« -- Dann
schien seine Stimme zu versagen, und die Handlung trat an Stelle aller
Neckereien. Gerade über den Köpfen der Gesellschaft sprangen die beiden
Hähne gegen einander auf, zogen sich an den Schnäbeln gegenseitig so
gewaltsam, daß nicht selten der Alte jählings auf das Blätterlager
herabfiel, und schlugen sich mit den Flügeln, bis die unten Liegenden
verzweiflungsvoll aufsprangen, um Staub und Federteilchen aus den Augen
zu reiben.

»Soll ich ihn umbringen?« fragte Franz, auf den hübschen, streitlustigen
Hahn deutend, »der verrückte Kerl hält uns die ganze Nacht in Atem.«

Die Hand des Doktors hielt ihn zurück. »Franz, vergißt du, daß hart
neben uns unter demselben Dache eine Leiche liegt?« fragte er halblaut.

»Das ist wahr! -- Still, du Schreihals.«

Ein Schlag mit dem Taschentuche verscheuchte den älteren Hahn in
geziemende Entfernung, während der bunte lauernd auf dem Posten blieb
und vor den Brutkörben seiner Damen Wache hielt; der Vogelkampf ruhte
einen Augenblick, aber die Quälereien der Insekten dauerten fort, und
der Gesang vom Totenzimmer her zerriß die Gehörorgane.

»Dewata-dugingang! -- Dewata-dugingang!« -- Fast ohne Abwechselung, sich
immer wiederholend, sangen die sechs Mädchen mit gedämpfter Stimme diese
Silben, die in ihrer steten Folge ebensowohl ermüdend als aufregend
wirkten, bis endlich Holm vorschlug, diese Stelle des langgestreckten
Lagers zu verlassen und einige hundert Schritte weiter Erholung zu
suchen. Sowohl der entsetzliche Totengesang als auch die Trompetenklänge
des Hahnes mußten dort weniger empfindlich einwirken, man konnte
vielleicht doch schlafen oder wenigstens die Augen schließen und ruhig
daliegen. Der junge Gelehrte verband damit heimlich noch einen
besonderen Zweck. Ihm war das Benehmen Bassars schon längst auffallend
gewesen, er glaubte zu wissen, gleichsam zu fühlen, daß unausgesprochene
Absichten den Alten zu dieser Expedition veranlaßt hatten, daß er irgend
etwas im Schilde führte. Ihn zu beobachten schien daher höchst
notwendig.

Und wirklich, als an dieser geschützteren Stelle einiger Schlaf auf die
müden Augen sich herabsenkte, als alles ruhte, da sollte sich der
gehegte Verdacht bestätigen. Bassar richtete vorsichtig den Oberkörper
vom Lager auf, er sah umher, und nachdem ihn dieser Rundblick
überzeugte, daß die Weißen schliefen, da wechselte er mit seinem Bruder
ein kaum wahrnehmbares Zeichen und glitt auf leisen Sohlen hinüber in
die jenseits des breiten Vorderraumes liegenden Familienwohnungen.

Was konnte er dort wollen? -- Es waren nur Frauen anwesend.

Holm verbrachte mit geschlossenen Augen, regungslos horchend, eine
qualvolle Viertelstunde. Die brennende Wachskerze qualmte und tropfte,
allerlei fernes und näheres Geräusch traf das Ohr des jungen Mannes, der
endlich, getrieben von folternder Ungeduld, den Kopf zur Seite drehte,
um nur die Augen öffnen und in das hohle, dunkle Innere des Raumes
hinaussehen zu können. Torio und die Söhne Bassars lagen ruhig, letztere
schliefen sogar ganz fest; drüben im Frauengemache hinter den Matten
tönten flüsternde Stimmen, leise Schritte wurden auf dem knarrenden,
schwankenden Boden bemerkbar, -- immer noch kam der Malaie nicht zurück.

In einem Augenblick drängte es den jungen Mann, die Genossen zu wecken
und so schnell als möglich zu den Waffen zu greifen, schon schwebte auf
seinen Lippen der Ruf »Verrat! Verrat!« -- dann aber fiel ihm wieder
ein, daß ja doch noch nichts erwiesen sei, und daß vielleicht erst die
ausgesprochene Beleidigung Feindschaft erregen konnte, -- er wartete
noch, obgleich ihm das Herz gegen die Rippen pochte, als habe er selbst
ein Verbrechen begangen.

Endlich erschien der Malaie. Sein verschmitztes Gesicht trug den
Ausdruck größter Zufriedenheit, er legte sich neben seinen Bruder auf
die Streu und sprach lange und eifrig mit ihm; offenbar hatte er von den
Frauen der Dajaks eine Nachricht erhalten, die ihn sehr befriedigte und
die also mit den Weißen in keinem Zusammenhang stehen konnte. Holm
atmete auf, aber er selbst schlief doch nicht eher, bis Bassars Atemzüge
bewiesen, daß er wenigstens für den Augenblick durchaus keine
verbrecherischen Absichten hegen könne. Irgend etwas ging vor, irgend
etwas wurde heimlich geplant, davon war Holm überzeugt; er wollte also
die Gelben unausgesetzt beobachten, namentlich dann, wenn irgend ein
anderer Dajaksstamm erreicht war.

Den Rest der Nacht schliefen alle; die Malaien hatten schon das
Frühstück fertig, als die Weißen herauskamen und die Nachwehen der
schlechtverbrachten Ruhestunden in dem Anblick der dampfenden
Kaffeekanne vergaßen. Diesmal hatte man die edlen braunen Bohnen vom
Schiff in die Wildnis mitgenommen, Zucker und Milch gaben die Frauen,
und so gelang es bestens, den kräftigenden Trank herzustellen. Eben
wollte Franz die Lippen öffnen, um vom Aufbruch zu sprechen, als ein
sonderbarer Zug seine Blicke fesselte. Voran gingen, in ihren
klingendsten Putz gehüllt, der Liau und drei Bliangs, dann folgten vier
Männer, die auf Bambusstäben eine Leiche trugen, ohne Zweifel die der
jungen Frau, der die schauerliche Totenklage dieser Nacht gegolten; den
Beschluß machten drei weitere Bliangs.

Wieder murmelte es von allen Lippen »Dewata-dugingang!
Dewata-dugingang.«

»Ob das eine Beerdigung wird?« raunte Hans. -- »Wie unzart, nicht einmal
das Gesicht der Leiche zu verhüllen.«

»Wir wollen mitgehen,« ermunterte Franz. »Laßt uns doch die Sache mit
ansehen!«

Holm fragte die Malaien, ob das erlaubt sei, und diese antworteten
äußerst bezeichnend: »Wir nehmen unsere Waffen mit! Es sind ja keine
Männer da.«

Und so folgte man aus anständiger Entfernung dem Leichenzuge, aber nicht
etwa auf ein freies Feld hinaus, sondern mitten in den dichtesten Wald.
Da wurde unter einigen breitästigen Bäumen Halt gemacht, die Leiche mit
der Bahre zu Boden gesetzt, und nun begann eine seltsame, ganz stumme
Szene. Die Männer -- lauter Sklaven -- zogen sich auf einen Wink des
Liau etwas zurück, die Leiche erhielt ihren Platz inmitten eines
geschlossenen Kreises, der mit einem Stock auf dem Moos bezeichnet war;
dann vollführten die Bliangs und der Liau einen Tanz, bei dem jedes für
sich den Körper wie Kautschuk verdrehte, sich hintenüber und vornüber
beugte, die Haare zerzauste und die Arme in die Luft warf. Die
Putzgegenstände rasselten und klapperten; immer toller, immer rasender
wurde der Tanz, bis eine nach der anderen, die Bliangs und der Liau,
atemlos wie vom Schlag gerührt zu Boden sanken. Damit war die Vorfeier
beendet. Jetzt kamen die Sklaven, beluden sich mit Bahre und Leiche und
fingen an, den nächststehenden Baum zu erklettern. Es war ein
schauerlicher Anblick, so vom Rücken der braunen Gesellen das
Totenantlitz dann und wann zwischen den Bäumen erscheinen zu sehen!
Rings Blüten und Früchte an einem Zweig, flatternde Schmetterlinge und
purpurrote Singvögel, rings Schönheit und reiches, üppiges Leben, --
dazwischen, wie eine Mahnung an die Vergänglichkeit alles Irdischen, das
fahlbleiche Gesicht mit dem gramvollen Zug um die Lippen, -- die
herabhängenden kleinen Hände.

»Gott im Himmel,« fragte Hans, »was wollen denn die Leute mit der Toten
da oben im Baumwipfel?«

Die Malaien wußten es wohl, und bald sahen es auch die Weißen. Auf der
höchsten Höhe, über den letzten Zweigen wurde die Bahre befestigt und so
die Leiche den Raubvögeln zum Zerfleischen preisgegeben. Nachdem die
Hanfseile gehörige Sicherheit verhießen, stiegen die Sklaven wieder zur
Erde, wo sich bei ihrem Anblick Liau und Bliangs wunderbar schnell von
der früheren Ohnmacht erholten und in das Dorf zurückkehrten. Schon
jetzt verriet ein Krächzen über den Wipfeln, daß die geflügelten Räuber
ihre Beute in Empfang genommen hatten.

»Das Skelett wird späterhin beerdigt,« erläuterte Bassar, »aber nicht
eher, bis alles Fleisch verzehrt ist, so will es die Sitte. Andere
Stämme verbrennen ihre Toten, ebenso gibt es einige, die sie durch
Räuchern mit bestimmten, nur dem Liau bekannten Kräutern zu Mumien
dörren und verwahren. Diese Art der Bestattung ist die häufigste.«

Der Doktor schüttelte den Kopf, als ihn Holm am Arm fortzog. »Ist es
denn nicht empörend, da oben die Tote unter den Fängen der Geier zu
wissen?« fragte er.

»Sie fühlt's ja nicht!« begütigte der junge Gelehrte. »Und dann -- mir
hat der Gedanke an das Grab mehr Schrecken als der eines so schnellen
Zerfallens in tropischer Luft. Kommen Sie, -- ob hoch oben im freien
Blau oder tief unter dem Boden, -- zu Erde wird, was von ihr stammt,
nach Gottes Gesetz überall. Wenn mich etwas empört hat, so war es der
tolle Tanz um die Leiche herum. Heda, Bassar, sagen Sie uns doch, ob nun
im Dorfe noch eine Fortsetzung der Feier stattfindet?«

Der Malaie nickte. Er selbst war, wie alle ansässigen Glieder seines
Volkes, Mohammedaner und hielt sich daher über das Heidentum der Dajaks
hoch erhaben. »Diesen Leichenschmaus sollten Sie aber lieber nicht mit
ansehen,« riet er, »das ist ein greuliches Gelage, bei dem die Bliangs
und der Liau so viel Opium rauchen und Tuach-Katan (Arrak) trinken, bis
sie in Raserei verfallen und dem leichtgläubigen Volke vorspiegeln, daß
die Götter, nur ihnen sichtbar, mit am Tische säßen. Sie schreien,
bekommen Krämpfe und Verzückungen, kurz es wird ein arger Skandal.«

»Den wir nicht mit ansehen wollen!« erklärte Holm. »Besser in den grünen
Wald hinaus, als zu solch einem Gaukelspiel, von dessen Lügeninhalt
seine Vertreter ganz genaue Kenntnis haben. Lassen Sie uns nur schnell
noch etwas Geld verteilen und unsere Sachen aufpacken, dann geht's fort.
Sie kennen ja die Richtung, welche wir einschlagen müssen?«

Bassar nickte. »Zunächst ist es doch den Herren daran gelegen, einen
wandernden Stamm in seiner Häßlichkeit zu sehen, nicht wahr? Nun, für
diesen Zweck müssen wir am Flusse hinunter in das Thal zwischen jenen
Gebirgszügen gehen. Da weiden die Mankeian.«

Wieder sah Holm in den falschen Zügen jenes Aufblitzen, das Lauern und
den glühenden Haß, der so oft darin auftauchte. Ob Bassar bei den
Angehörigen der Mankeian irgend einen Feind hatte, den er herausfordern
wollte?

Sie verstanden einander offenbar alle fünf, die Männer mit den niederen,
umbuschten Stirnen und dem verschmitzten Aussehen; Holm hätte nicht
eingewilligt, gerade die Mankeian zu besuchen, wenn nur das Verbot
durchführbar gewesen wäre; aber wie sollte er in der unbekannten Wildnis
irgend einen Pfad bezeichnen, wie einen Stamm von dem anderen
unterscheiden? -- Zu aller Sicherheit nahm er den Malaien beiseite.
»Gestehen Sie mir's, Bassar, bei den Mankeian haben Sie irgend einen
alten Streit auszufechten, irgend einen Handel, den Sie uns
verschweigen! -- es lebt unter diesem Stamm ein Mann, dessen erbitterter
Feind Sie sind?«

Bassar hob die Hand zum Himmel. »Bei Allah und seinem Propheten,« sagte
er in feierlichem Tone, »die Mankeian sind meine Freunde. Der Stamm
kommt zuweilen an die Küste und tauscht Edelsteine oder Gold gegen
Kleider und Schmucksachen, ich kenne den König sowie viele Männer aus
dem wandernden Volke, -- ein Feind ist nicht darunter.«

Das wurde mit jenem überzeugenden Tone vollkommenster Wahrheit gesagt,
das schien eine bestimmte, unwiderlegliche Thatsache; Holm konnte also
nur einwilligen, den Zug anzutreten, im stillen aber dachte er einmal
über das andere »du lügst doch! unausgesprochen, verdreht und
umschrieben vielleicht, -- Lüge ist's doch!«

Dies Bewußtsein trug nicht dazu bei, die Stimmung, in welcher er sich
befand, zu verbessern; erst als das Dorf weit hinter der kleinen Schar
zurückgeblieben war und dadurch die letzten, noch halb und halb
schwebenden Fragen erledigt, da that wie immer im Leben die vollendete
Thatsache das Ihrige, um ihn ruhiger werden zu lassen. Nur langsam drang
der Zug vor in die grüne Wildnis, einesteils der gehäuften Hindernisse
und anderseits der brennenden Hitze wegen; alle Weißen hatten auf den
Rat der Führer im Nacken ein herabhängendes Stück Leinen nach Art
unserer Kohlenträger befestigt, die Strohhüte mit breiten Rändern
beschatteten das Gesicht, und hoch heraufgehende Stiefel erlaubten den
Weg über das dichte Rankengeflecht mit seinen zahllosen kriechenden,
stechenden und zum Teil giftigen Bewohnern. So üppig wie hier war ihnen
der Pflanzenwuchs nirgends entgegengetreten, dafür aber auch das
Durchdringen desselben nirgends so schwer gewesen; Affen, in ungeheurer
Anzahl und zu ganzen Gesellschaften vereinigt, bevölkerten die Bäume,
Paradiesvögel hüpften, auf Java so selten, hier von Zweig zu Zweig,
große Orang-Utangs, mit Baumästen bewaffnet, versuchten es, den
Eindringlingen ihre entlegene waldige Heimat streitig zu machen und
konnten nur durch ein paar Büchsenschüsse zur Umkehr bewogen werden.

»Haben die Mankeian nur einen Weideplatz?« fragte wie zufällig Holm.

»Mehr als hundert,« versetzte unbefangen der Malaie, »wir können daher
ganz sicher sein, wenigstens einen anzutreffen. Morgen oder übermorgen
sind wir da.«

»Wenigstens hundert!« wiederholte sich Holm, »und alle diese Leute
wandern. Sollte der Schurke in Erfahrung gebracht haben, wo gerade die
Familie lebt, bei der er Rache sucht? Unmöglich!«

Und von diesem Gedanken beinahe beruhigt, half er am Abend das
schwebende Lager herrichten und die Mahlzeit bestellen wie gewöhnlich.
Eine der zahllosen, das gesegnete Land durchziehenden Wasseradern
plätscherte über Kiesel und Sand dahin, schöne Schwimmvögel bauten an
den Ufern ihre Nester, Fische glitten durch das klare, blaue Element,
und große Schildkröten lagen träge im letzten Sonnenschein. Es war den
Malaien gelungen, einen Hirsch zu schießen, Früchte hingen von allen
Zweigen, Gemüse verschiedenster Art wuchs genug, um ganze Bataillone zu
sättigen, prachtvolle Ananas wuchsen in den feuchten Niederungen; es
häuften sich also die seltensten und teuersten Delikatessen, um diese
Abendmahlzeit zu würzen, selbst frische Eier fehlten nicht; nur das
Tafelgerät war äußerst unzureichend und sparsam, Blechteller,
Blechlöffel, ein paar Gabeln und Pfannen nebst dem Messer, welches
jedermann in der Tasche trug, das war alles. Im heißen Aschenhaufen
mußten die Eier kochen, die Schildkrötensuppe blieb ungeschäumt, das
Rückenstück vom Hirsch ließ die Kartoffeln schmerzlich vermissen, und
das Gemüse hätte mit Butter noch weit besser als mit Hirschfett
geschmeckt; aber dennoch mundete es allen vortrefflich, und auf die
fatale Nacht im Dajakshause folgte hier unter freiem Himmel, an
schwankenden Zweigen, ein herrlicher, durch nichts gestörter Schlummer,
der bis zum Morgen währte.

Dann aber kamen Prüfungsstunden. Es mußte ein tiefes Thal durchwandert
werden, eines jener sonderbaren, auf Borneo vielfach vorkommenden
Gebiete, welche während der Regenzeit unter Wasser stehen und kleineren
oder größeren Meerbusen gleichen, späterhin jedoch austrocknen und einen
sehr fruchtbaren Boden abgeben. Gerade jetzt war die entstandene
Schlammschicht vielleicht noch einige Zoll tief; braun und unbeweglich,
Blasen treibend, von glühender Sonnenhitze überhaucht, lag die weite
Fläche wie ein deutsches Moor, einsam, nur von wenigen Raubvögeln
besucht und zuweilen von aufsteigenden Gasen unangenehm durchzogen, dem
Auge endlos und öde erscheinend da; dennoch aber mußte man hinüber, --
hinter den Bergen, die dort vom blauen Duft verhüllt ihre Häupter
erhoben, wohnten ja die Mankeian, und diese zu erreichen war das nächste
Ziel. Bassar prüfte, als Anführer des Zuges, zuerst den unsicheren
Boden. Die Schlammschicht schien nicht mehr gefährlich, man konnte sie
ohne Bedenken betreten. Es wurden also große Wanderstäbe geschnitten,
alles Gepäck auf den Rücken geschnallt, die Hüte so tief als möglich
herabgezogen und dann in Gottes Namen der wenig verlockende Marsch
begonnen. Überall traf der Fuß den toten, ausgedörrten Körper solcher
Tiere, welche während des täglichen Regenfalles hier in hoher Flut
lustig geplätschert und sich wohlbefunden, aber später, als das Wasser
plötzlich ablief, den Rückweg zum eigentlichen Strome nicht mehr
gefunden hatten. Kleine Schildkröten, Krebse, Muscheln, Schnecken, sogar
ein halbwüchsiges Krokodil und zahllose Wasserkäfer, deren einige noch
bemüht waren, im zähen Schlamm mühsam kletternd das Leben zu fristen,
und die als willkommene Beute den Botanisierkapseln der Forscher
anheimfielen. Binnen wenigen Wochen würde üppiges Grün den Boden
bedecken, sagten die Führer; für jetzt aber sproßte noch kein Halm,
kündigte kein kleinstes Keimchen das verborgene, der Auferstehung
harrende Leben. Es war schwer, mit dem Fuß in der weichen Masse einen
festen Halt zu gewinnen, es war schwer, ihn wieder herauszuheben, die
langen Stöcke mußten einmal über das andere helfen; von allen Stirnen
rann der Schweiß, aller Glieder waren todmüde, ehe noch die Hälfte des
Weges durchmessen worden, und dennoch gab es kein Plätzchen zum
Ausruhen, dennoch konnten nur stehend die mitgebrachten Erfrischungen
eingenommen werden, indes die Sonne auf die Köpfe ihre glühenden
Strahlen senkrecht herabsandte und unter den Füßen im Schlamm allerlei
böse Miasmen erzeugte. Zuweilen tönte der heisere Schrei eines
Raubvogels, sonst unterbrach kein Laut die tiefe, beinahe grauenvolle
Stille; es war, als sei dies Thal der Vorhof zur Unterwelt.

»Noch zwei Stunden,« tröstete Bassar, »dann ist's hinter uns gebracht.«

[Illustration: Die Wanderung durch das Schlammfeld.

»Und wieder pilgerten die Wüstenfahrer den voranschreitenden Gelben
nach.«]

Und wieder pilgerten die Wüstenfahrer den voranschreitenden Gelben nach,
einer den anderen ermutigend, so gut es gehen wollte, heimlich jeder
fürchtend, daß diese Aufgabe doch alle Kräfte übersteigen werde. Der
einzige Trost blieb jenes blaue Gebirge, das allmählich anfing, in
deutlichere Formen überzugehen. Man sah Wald und kahle, vulkanische
Kegel, das Grün der Bäume trat hervor, stille, liebliche Thäler, jähe
Felsstürze und Wasserfälle öffneten sich dem Blick; eine Herde
schöngezeichneter Büffel graste an den Abhängen, die Vogelwelt, die
alles bezaubernde, farbenprächtige, war zum Leben erweckt und endlich
auch das braune, grauenhafte Schlammfeld überschritten, -- der Fuß
betrat wieder üppiges Gras, balsamische Luft umfächelte die Stirn und
Blumen über Blumen spendeten ihren süßen Wohlgeruch.

Sie warfen sich in das wallende grüne Blätterlager, wo es sich jedem
zunächst bot, sie wollten nur ruhen, ruhen um jeden Preis. Aller Hunger
war vergangen, die Mahlzeit der Malaien blieb unberührt, ein
mehrstündiger Schlaf erst stellte das Gleichgewicht zwischen Verbrauch
und Kräften wieder her. Und danach ein Bad! ein Bad unter dem
sprudelnden, silberhellen Fall! -- Sie bemerkten nicht, daß selbst das
Wasser lauwarm geworden war auf seinem Wege durch die äquatoriale
Sonnenglut; sie fühlten nur, wie es über ihre steifgerüttelten,
schmerzenden Glieder lebenspendend herabträufelte und den letzten Rest
von Mattigkeit glücklich entfernte, -- jetzt konnten auch das kalte
Fleisch und die Früchte zur Anerkennung gelangen; mit wahrem Wolfshunger
fielen alle darüber her.

Hinter ihnen lag unübersehbar das Schlammfeld, ganz in der Nähe
zeichneten sich noch am Rande desselben die Fußspuren der Wanderer
deutlich ab, -- nicht für Schätze hätte ein einziger unter ihnen, die
Malaien ausgenommen, nochmals das tote, verödete Reich durchwaten mögen;
der Doktor gestand sogar, daß er mehr als einmal im Begriff gewesen sei,
sich fallen zu lassen und das Ende zu erwarten; selbst die Knaben
schauderten, nur der Malagasche fand die Sache nicht so schlimm. »Wenn
jenseits des Thales meine Heimat läge,« sagte er leise, »dann ginge ich
hin und wieder her in einem Atem, um sie zu sehen, wär's auch auf
Augenblicke!«

Franz nickte. »Ich auch!« rief er. »Sähe ich von hier den Michaelisturm
von Hamburg, ich könnte die Arme ausbreiten und laufen -- laufen -- bis
ich ihn erreicht hätte.«

Der Doktor schüttelte den Kopf. »Ich thue nicht mit!« lächelte er. »Die
Sechzig machen sich heute nach der beschwerlichen Wanderung doch
fühlbar. Wollen wir hier rasten, Kinder?«

Alle waren einverstanden, und die Hängematten wurden aufgeschlagen. Am
frühen Morgen begann der Weg über das Gebirge, dazu mußten die Reisenden
ihre Kräfte schonen.

War das Wandern im Schlamm eine mühevolle Arbeit gewesen, so konnte auch
das Ersteigen des Gebirges eine solche genannt werden, nur daß es hier
Ruhepunkte in Hülle und Fülle gab, und daß überhaupt die Schönheit des
Weges seine Beschwerden nicht wenig milderte. Dajaksdörfer fanden sich
auf diesem Höhenzuge nicht; wohl aber brachten die Reisegefährten einen
ganz unerwarteten kleinen Gast, einen Orang-Utang von vielleicht drei
oder vier Monaten, mit hinunter in das Thal zu den Mankeian. Bassars
Kugel traf die Mutter, als sie von einem Baume herab in Ermangelung
anderer Waffen mit Nüssen warf, und das Kleine stürzte aus ihren Armen
köpflings ins Gras. Die dichte Blätterschicht ließ es unversehrt
ankommen, und nun trugen die Männer abwechselnd das kleine Geschöpfchen,
um ihm womöglich unter den Haustieren der Dajaks eine Pflegemutter zu
finden. Holm wollte es aufziehen und mit nach Europa bringen.

Im Thale lagen unzählige Hütten aus Gras und Mattengeflecht, dicht
gedrängt in langen Reihen, jede auf Pfählen und jede spitz wie ein
Bienenkorb; daneben Hürden für das Vieh, Büffelkühe, Bergschafe,
Schweine und Geflügel und an einer Seite bebaute Felder, an der anderen
dagegen verschiedene rohe Werke von Holz, die auf Goldwäscherei
schließen ließen. Ein breiter, aus dem Gebirge herabfallender Fluß
begrenzte die Niederlassung, deren ganze Ausdehnung die Reisenden nicht
überblicken konnten. Jedenfalls hatten sich mehrere der wandernden Züge
hier zusammengefunden, es schienen nicht weniger als tausend bis
zweitausend Köpfe unter diesen Laubdächern zu wohnen.

Holm legte ungesehen von den übrigen die Hand auf Bassars Achsel. »Da
wären wir nun am Ziel,« sagte er mit leisem, eindringlichem Tone,
»versprechen Sie mir, den Frieden dieser Hütten zu ehren, Bassar? wollen
Sie da unten keinerlei Zwist oder Hader ausfechten?«

Der Malaie vermied es, ihn anzusehen. »Die Mankeian sind meine Freunde,«
versetzte er, »ich habe Ihnen das schon einmal mitgeteilt, Sir.«

Gerade diese Worte waren es indessen, die Holm hören wollte. »Gut,
Bassar,« beharrte er, »das freut mich ja, aber dennoch möchte ich von
Ihnen eine bestimmte Antwort erlangen. Sehen Sie einmal ab von den
Mankeian und versprechen Sie mir, mit niemand, er sei wer er wolle,
Streit anzufangen.«

Ein ärgerlicher Blick des Führers streifte den seinen. »Das hat keinen
Sinn, Herr,« antwortete er in einem Tone, den er sich bis jetzt niemals
erlaubt hatte, »und das ist auch meine Sache allein. Lebe ich, so bringe
ich Sie wohlbehalten an das Schiff zurück, -- sterbe ich, dann thun das
meine Söhne und mein Bruder. Mehr haben Sie nicht zu verlangen.«

Das war deutlich; Holm fragte nicht weiter, aber er hielt es jetzt für
notwendig, den übrigen seine Besorgnisse mitzuteilen. Demgemäß wurde
einstimmig beschlossen, sich den Dajaks gegenüber möglichst
zurückhaltend zu benehmen und den ganzen Besuch auf einen Tag und eine
Nacht zu beschränken. Also auch Bassar und Torio waren in ihrer Weise
Verräter, man konnte den Malaien unter keiner Bedingung trauen! -- Papa
Witt behielt recht, wenn er sagte: man muß die gelben Halunken prügeln,
das ist das beste. --

In den Herzen aller Weißen regte sich lebhaft das Verlangen, den
schlechten Streich der Führer zu bestrafen. Um ihrem Rachegelüst zu
genügen, hatten sie die wehrlose Schar der Reisenden auf beinahe
unzugänglichem Pfade in das Herz der Wildnis gelockt, ohne sich darum zu
bekümmern, welcher Nachteil, welche Lebensgefahr daraus erwachsen
würden, -- das war nicht minder schändlich als die Betrügerei der
Javanen, deren Geldgier sie bewog, die Fremden unter Tigern und
Rhinozerossen schutzlos zu verlassen.

Der alte Theologe predigte Ruhe und Besonnenheit. »Noch haben wir nur
Vermutungen, Kinder! Seid also auf eurer Hut, aber nicht voreilig im
Urteil. Vielleicht endet das alles viel besser, als wir jetzt zu hoffen
wagen.«

Holm seufzte. »Dem Panglima und dem Liau dieses Dorfes müssen wir
bedeutende Geldgeschenke machen,« riet er, »ich würde auch vorschlagen,
ihm die Pistolen zu Füßen zu legen und das eine oder andere
Taschenmesser, obgleich sich die Leute selbst Waffen schmieden. Mir ist,
um es rund heraus zu gestehen, diesmal die Sache sehr unbehaglich.«

»Kommt nur,« drängte Franz, »kommt nur, der Besuch bei dem Panglima ist
das Notwendigste.«

Und so zogen sie denn aus, um in der Mitte des Dorfes den Heerführer in
seiner Hütte zu begrüßen. Mehrere Männer gaben ihnen das Geleite,
überall auf den Dorfstraßen wimmelte es von nackten, schwarzhaarigen
Gestalten, die lebhaft, wie etwa bei uns Franzosen oder Italiener,
durcheinander schwatzten, schnelle, leichte Bewegungen vollführten und
mit blitzenden Augen um sich sahen. Sie schienen heiter, liebenswürdig
und freundlich zu sein, aber sehr heftig und von leidenschaftlicher
Gemütsart.

Der Panglima zeigte sich inmitten einer Schar bewaffneter Krieger, die
alle lange Bambusspieße mit Stahlspitzen und Bogen mit vergifteten
Pfeilen trugen. Er war ein Greis von gewiß sechzig Jahren, dem heißen
Klima gemäß aber nicht etwa ein alter, wohlerhaltener Mann, sondern
schneeweiß mit pergamentfarbenem Gesicht und erloschenem Blick. Seine
Hände stützten sich auf einen schlanken, feueräugigen Knaben, seinen
Enkel; er empfing mit der ganzen Herablassung eines Fürsten die fremden
Reisenden und ließ ihnen in der offenen Hütte eine Mahlzeit aus
Hirschbraten, Tuach-Katan und Reis auftragen, auch schlug er es aus, die
gebotenen Geldgeschenke zu nehmen. »Die Mankeian sind nicht arm,« sagte
er. »Beseht immerhin ihr Land, jagt den großen Affen und den
Paradiesvogel, wenn ihr dergleichen Geschöpfe zwischen euren
Heimathütten nicht besitzt, aber behaltet euer Geld. Nigura ist ein
großer Kriegsherr, er braucht sich nichts schenken zu lassen.«

Sein matter Blick streifte dabei die abgeschnittenen Köpfe über dem
Eingang, als nähme er vor diesen Zeugen bewiesener Tapferkeit den
wohlverdienten Ruhm in Anspruch. »Es ist kein Weißer darunter,« fügte er
bei, »auch kein Mann meines eigenen Volkes, das alles sind die Köpfe der
Erbfeinde meines Landes, der Malaien.«

»Und du selbst hast diese Menschen getötet, großer Panglima?« fragte
Holm.

Der Greis nickte. »Die Köpfe, welche du hier siehst, sind mein,
Fremdling. Jeder meiner Söhne hat eben soviele, ja sogar dieser Knabe,
mein Enkel, besitzt schon den Kopf eines Malaienknaben von seinem
eigenen Alter, -- nicht wahr, Omaha?«

Der junge Bursche sah voll Stolz von einem der Besucher zum anderen.
»Ich will auch Panglima werden!« übersetzte der Dolmetscher seine
Antwort ins Englische.

Holm schenkte ihm eine Taschenpistole, die der Knabe mit einem
Freudenschrei empfing und vor Entzücken einmal über das andere küßte. Er
wolle damit hundert Malaienschädel zerschmettern, versicherte er.

Holm näherte sich dem Panglima. »Unsere Führer sind, obwohl von dem dir
verhaßten Volke stammend, doch in deinem Dorfe ihres Lebens sicher,
nicht wahr, König Nigura?« fragte er. »Wir besitzen einen Schutzbrief
des holländischen Statthalters, der euch befiehlt, uns und die Malaien
ungehindert zu lassen, willst du den respektieren, oder verlangst du,
daß wir dein Gebiet meiden?«

Der Greis lächelte. »Wer ist der holländische Statthalter?« fragte er in
geringschätzigem Tone. »Womit will er Nigura, den großen König der
Mankeian, zwingen, seinen Fetisch zu achten oder seine Freunde zu
beschützen? Wenn es mir beliebt, lasse ich eure und die Köpfe der gelben
Diebe über meine Thüre nageln, der holländische Statthalter kann mich
daran nicht hindern, aber ich schenke euch Freiheit und Leben, weil kein
Mankeian seine Gäste beleidigt, und wären es selbst Malaien. Ihr wohnt
in unseren Hütten, ihr eßt an unseren Tischen, so lange es euch
beliebt.«

Damit schien er die Audienz beenden zu wollen, man erhob sich also, um
im Vorraum zu speisen, bei Gelegenheit des Abschieds aber fragte Holm
noch wie zufällig, ob denn nur die Mankeian oder sonst noch ein anderes
Volk in diesem Thale wohnten.

»Die Punan,« hieß es, »ein armer Stamm, der Getreide baut und sich mit
den Affen um die Ernte streitet. Der Goldfluß gehört den Mankeian.«

Die kleine Schar wechselte bezeichnende Blicke. Also die Punan waren es,
welche Bassar aufsuchen wollte, und daß er als Gast bei den Goldwäschern
unverletzlich sei, hatte der Gauner jedenfalls auch recht gut gewußt.
Mochte er jetzt thun und lassen, was ihm beliebte, das Wort des Panglima
schützte die Weißen vor aller Gefahr.

Der Hirschbraten, das Lendenstück vom Büffel und das erbsenartige Gemüse
waren gut zubereitet, der Tuach-Katan wärmte äußerst angenehm den Magen,
und die Früchte, welche von allen Seiten herbeigebracht wurden,
schmeckten vorzüglich; nach Tisch besahen die Weißen den Fluß, der das
Gold im Sande mit sich führte, Holm kaufte eine Handvoll
unausgewaschenen, von den gelben glitzernden Spuren durchzogenen
Flußsandes; der Dolmetscher mußte, um alles erklären und übersetzen zu
können, bei der Gesellschaft bleiben, und so verging ein Abend und eine
Nacht, ohne die geringste Störung zu bringen. Interessante Pflanzen und
Insekten wurden gesammelt, die Dorfbewohner zeigten sich äußerst
zuvorkommend, überall fanden die Weißen gedeckte Tische und willige
Hände, auch der kleine Orang-Utang hatte an einer Schafmama eine
gutmütige Ernährerin erhalten; man veranstaltete Kampfspiele und
Wettfahrten in schmalen, selbstgebauten Booten, den Fremden zu Ehren.
Diesem ganzen Treiben aber hielten sich die Punan durchaus fern. Es kam
kein einziger von ihnen in das Dorf der Mankeian, wie denn auch die fünf
Malaien sich hüteten, ihrerseits das Gebiet der Punan zu betreten; Holm
hatte das sehr bald entdeckt, obgleich Bassar achselzuckend die Sache
für Zufall erklärte.

Am Abend des zweiten und letzten Tages, nachdem Schmetterlinge, Vögel,
Käfer und selbst kleine Vierfüßler in Menge erlegt worden, nachdem man
das Leben der Dajaks aus nächster Nähe kennen gelernt hatte, -- wurde
zur Abreise gerüstet. Das Gepäck war geordnet und für den kleinen Affen
eine Ziege gekauft, man hatte sich vom Panglima verabschiedet und
Geschenke gemacht und erhalten; die Umgebungen des Dorfes waren
aufgenommen, kurz alles wider Erwarten gut abgelaufen; die Weißen mit
dem Dolmetscher und den Malaien schliefen oder schienen doch zu
schlafen; denn in der That wachten die Gelben und auch der junge
Gelehrte. Holm hatte ein verdächtiges Flüstern gehört; er fühlte eine
geheime Unruhe, die ihn hinderte, sich dem Schlummer hinzugeben.

Bassar reckte das Haupt. Sein Blick durchdrang die Dämmerung der
tropischen Nacht, sein Ohr horchte. Alles still! -- Er winkte den
übrigen. Torio und die drei jungen Leute mußten dies Zeichen bereits
erwartet haben; wie Schatten glitten sie an des Führers Seite, und alle
fünf nahmen langsam schleichend, an den Weißen vorüber, den Weg zum
Ausgang der Hütte. Holm sah jede Bewegung, -- sollte er Einhalt
gebieten, sollte er fragen, wohin?

Noch zauderte er. Was konnte ihm die Einmischung nützen? Bassar würde
seine Absichten ausführen, ob er sie mißbilligte oder nicht, das war
sicher.

Jetzt hatte schon der erste den Thürvorhang erreicht, Holm streckte die
Hand aus, um zunächst den Dolmetscher zu wecken, da plötzlich wurde von
draußen die Matte hinweggezogen, heller Fackelschein verbreitete sich
über das Innere der Hütte, und wenigstens zwanzig Dajaks, mit Spießen
und großen Messern bewaffnet, erschienen auf der Schwelle.

Die Aufregung, welche sich während der nächsten Minuten jedes einzelnen
Herzens bemächtigte, läßt sich nicht schildern. Nur der Dolmetscher
blieb kaltblütig, er schien sehr wohl zu wissen, was da im Entstehen
begriffen war, und dachte vielleicht, um seiner Unentbehrlichkeit willen
von den Weißen nur noch mehr Geld erpressen zu können. Es gab ja im
ganzen Dorfe keinen zweiten, der die einheimische und die englische
Sprache gleich geläufig beherrschte, man brauchte ihn notwendiger als
jemals.

Aufspringend gleich allen anderen, übersetzte er, was gesprochen wurde.

Ein älterer Dajak, die Stirnbinde um den Kopf, den handbreiten
Lendenschurz als einziges Kleidungsstück am braunen, wetterharten
Körper, mit düsterem Blick und erhobener Hand trat dem Anführer der
Malaien entgegen. Sein Zeigefinger berührte die Brust des Gelben.
»Kennst du mich, Bassar, Sohn Hawalles?« fragte er in feierlichem Tone.

Der Malaie hatte ihn seit dem Augenblick seines Eintretens unverwandt
angesehen. Das gelbe Gesicht wurde fahl, in dem Blick des verschmitzten
lauernden Auges spiegelte sich ein furchtbares Erschrecken, die ganze
Haltung zeigte das offenbarste Schuldbewußtsein. Hinter ihm zischelten
und flüsterten die übrigen so leise, daß es dem Dolmetscher unmöglich
war, ihre Worte zu übersetzen.

»Kennst du mich?« wiederholte der Dajak seine frühere Frage.

Bassar schien sich einigermaßen gefaßt zu haben. »Nein!« antwortete er
in rauhem, abweisendem Tone, »nein, ich kenne dich nicht, habe dich nie
im Leben gesehen. Gib Raum, was willst du von mir?«

Aber der andere stand unerschütterlich. »Du kamst hierher, um den Stamm
der Punan mit Krieg zu überziehen, Bassar,« fuhr er fort, »du wolltest
die Köpfe der Männer holen, deren Großväter einst im Kampfe um den
Besitz der Küste deine Vorfahren erschlagen, du wolltest vielleicht
sogar ihre jungen Kinder mit dir führen in die Sklaverei der
Kohlenbergwerke, aber Dewata-Dugingang sah deine falsche Absicht und
lenkte die Schritte der Rächer hierher in dies Thal. Ich bin Solani, der
Sohn Alteis, kennst du mich noch nicht?«

Bassar umklammerte krampfhaft den Kolben seiner Büchse. Nur der Hinblick
auf die vergifteten Pfeile der Dajaks hielt ihn ab, von der Schußwaffe
sofort Gebrauch zu machen. »Was willst du von mir?« fragte er wieder.

»Deinen Kopf!« entgegnete düster der Wilde. »Entsinnst du dich des
Tages, wo du mit deinen Spießgesellen einbrachst in das unbeschützte,
entlegene Dorf der armen Hirten, wo du die Mädchen und Knaben in die
Sklaverei schlepptest und das Eigentum der Alten stahlst? -- Mein Vater
verteidigte seine Hütte, seine jungen, blühenden Töchter, die du in
Spielhäuser und an tyrannische Herren verkauft hast, er fiel von deiner
verruchten Hand, er mußte seine Kinder dahingeben, ohne sie retten zu
können, denn deine teuflische List hatte den Überfall ausgeführt, als
die jungen Männer des Stammes abwesend waren, -- jetzt gib dafür, was
dein ist, dich selbst und die Söhne, welche dir gefolgt sind, ebenso den
andern Mann aus deinem Raubtiergeschlecht, deinen Bruder.«

Bassar trat zurück. »Du lügst!« schrie er wild, »du lügst!«

Holm näherte sich dem Dajak. »Laß ab von deiner Rache, Freund Solani,«
sagte er überredend. »Wir wollen dir eine große Summe Geldes geben, wenn
du uns unbehindert unseres Weges gehen läßt.«

Der Dajak schüttelte den Kopf. »Kaufst du mit deinem Gelde das Leben
Alteis zurück, weißer Mann?« fragte er, »kaufst du die Verzweiflung
seiner Kinder, die in Kohlengruben und unter den Peitschenhieben
grausamer Gebieter elend zu Grunde gingen? -- Das war Solanis Vater, das
waren seine Schwestern und Brüder!«

Holm klopfte die Schulter des Erregten. »Nein, Solani, nein,« sagte er
eifrig. »Du bist in den Deinigen unheilbar gekränkt und verletzt, aber
was nützt es dir, wenn du jetzt einen Mord begehst? Wird dadurch die
Sache besser?«

Der Dajak neigte den Kopf. »Ja!« gab er einfach zurück. »Der Ermordete
schläft nicht, bis der Mörder bestraft wurde, und wäre es erst nach
vielen Ernten (der einzige Begriff der Zeitrechnung bei den Wilden auf
Borneo!), ja wäre es erst in seinen Ur-Urenkeln. Bassar nimmt meinen
Kopf, oder ich nehme den seinen! -- komm heraus, Sohn Hawalles!«

Der alte Theologe hob die Hand zum Himmel, von dem Mond und Sterne so
friedlich herabsahen auf die Greuel des Hasses, welche sich da unten
vollzogen. »Verblendete,« rief er in eindringlichem Tone, »laßt ab von
euren abscheulichen Plänen, euren wahnwitzigen Folgerungen! Die Toten
bedürfen keiner Erdenhilfe mehr, die Blutrache ist vor Gott eine
Todsünde!«

Auch das übersetzte der Dolmetscher, aber ohne damit Eindruck zu machen.
»Komm!« wiederholte Solani, und als Bassar keine Folge gab, entstand ein
Handgemenge, bei dem sich zwar die Weißen zu gunsten ihrer Führer
beteiligten, woraus aber die Dajaks nach kurzem Ringen als Sieger
hervorgingen. Immer mehr Kopfjäger drängten nach, die Weißen wurden
abgeschnitten zwischen ihnen und den Dajaks bildete sich eine dichte
Mauer, die Malaien befanden sich draußen und in der Gewalt ihrer Gegner,
ehe noch wenige Minuten vergingen.

Vor der Hütte hatten sich Hunderte versammelt, teils Punan, teils
Mankeian, sie wußten offenbar alle, um was es sich hier handelte, keiner
von ihnen streckte die Hand aus, um das beabsichtigte Verbrechen zu
hindern.

Als sich die Weißen in der verlassenen Hütte allein sahen -- nur der
Dolmetscher war geblieben! -- da erfüllte ein einziger Gedanke die Seele
aller. Zum Panglima! er mußte Hilfe schaffen.

Die königliche Behausung war bald erreicht und der alte Nigura aus dem
Schlaf erweckt. Ein paar Kienspäne sandten ihre flackernden Lichter,
ihre dichten, blauen Rauchwolken zum Himmel empor; im Gras zirpten und
huschten glänzende Insekten die Blüten dufteten stärker, der Mond
spiegelte sein lächelndes Antlitz im Flusse, und über den Himmel eilten
im schnellen Fluge schimmernde Sternschnuppen.

So tiefer, tiefer Schöpfungsfriede, so stille, träumende Mondnacht, --
und in nächster Nähe mordete der Mensch den Menschen, wurden einem
furchtbaren Irrwahn blutige Opfer gebracht, starben in diesem Augenblick
fünf Männer wehrlos unter den Fäusten eines ganzen erbitterten Stammes.

Der Doktor eilte allen voraus dem alten König der Mankeian entgegen.
»Panglima,« rief er, »hilf uns, hilf uns, man mordet die Malaien, denen
du Schutz zusagtest.«

Der Greis schüttelte den Kopf, auch er wußte offenbar alles. »Das thun
nicht die Mankeian, Fremder,« versetzte er, »sondern die Punan, und
diese sind im Recht. Bassar wollte hieher kommen, um eine uralte Fehde,
einen Kampf der ersten Besitzer mit den ersten Eindringlingen, für sich
auszubeuten, indem er, gestützt auf die Gastfreundschaft der Mankeian
und euern Beistand, ein paar junge Leute in die Sklaverei entführte; es
traf sich aber, daß bei den Punan ein anderer Stamm weilte, und daß
unter diesen ein Mann lebte, dessen ganze Familie jener Malaie aus
Habsucht ins Verderben stürzte, -- das ahnte der Schuldige nicht, er
würde sich sonst gehütet haben, die Rache herauszufordern! Im
Augenblick, als Bassar aus den Hütten der Punan seine Opfer stehlen
wollte, sandte Dewata-Dugingang den Sohn Alteis, -- ich kann nichts
thun, um ihn an seinem gerechten Vorhaben zu verhindern. Nur für eure
Sicherheit werde ich sorgen.«

Der Doktor hatte mehrfach versucht, den alten Häuptling zu unterbrechen.
Jetzt, als er schwieg, ergriff er dessen Hand. »Ich bin ein Liau,
Panglima,« sagte er, mit innerem Widerstreben seinen heiligen Stand in
der Weise dieser Barbaren bezeichnend, »ich bin ein Liau, und als
solcher frage ich dich, ob du glauben kannst, daß Dewata-Dugingang den
einen seiner Söhne erschaffen habe, damit er den andern morde? Ist das
vernünftig, ist das gut und erlaubt?«

»Nicht immer, Fremder, und nicht wenn der eine des anderen Genosse, oder
wenn er ihm ganz unbekannt ist, wohl aber, sobald sich der Dajak und der
Malaie gegenüberstehen. Es ist den Göttern wohlgefällig, daß wir den
gelben, falschen Stamm ausrotten, das Gleiche lehren auch die Liaus
deines Volkes, Fremder! Nigura ist ein großer König, er hat viele
Küstenländer besucht und mit den weißen Seefahrern Handel getrieben; er
hat gehört, daß auch in ihren Hütten Feindschaft entbrennt, so oft ein
Stamm den anderen überfällt.«

»Aber das ist etwas durchaus anderes, Panglima! Die --«

»Still!« winkte der Alte. »Du weißt nicht, Fremder, welches Elend die
Malaien über unser friedliches Volk gebracht haben, du weißt nicht, was
es heißt, ganze Stämme, die bisher glücklich und zufrieden lebten, in
Sklaverei geraten zu sehen. Der Malaie kam und zerstörte unsere Häuser,
nahm unsere Felder und Herden, nahm unsere jungen Kinder und trieb
hinein in den Wald, wo nichts wächst, was den Menschen ernährt, alle die
seinen Peitschenhieben entflohen, die nicht in seinen Kohlengruben
lebendig verscharrt werden wollten, -- Fluch den Malaien!«

Der alte Geistliche seufzte mutlos. »Das ist das Volk, welches bislang
alle Missionare ermordete und allem Eindringen des Christentums einen
Damm entgegensetzte,« sagte er leise in deutscher Sprache. »Ich halte
weitere Bitte für verschwendet.«

»Panglima,« wandte er sich dann nochmals an den greisen Häuptling,
»willst du für Geld unsere Führer in Schutz nehmen? Ich biete dir große
Summen.«

In den eingesunkenen Augen des Fürsten blitzte plötzlich ein heißer
Strahl. »Mehr als alles Geld der Erde ist es wert, den Kopf eines
Malaien abgeschnitten zu haben,« versetzte er mit düsterem Ernst. Dann
aber, die Hand erhebend, fügte er hinzu: »Hört ihr?«

Die Weißen horchten und vernahmen voll inneren Grauens einen Ton, der
wie Drohung, wie wildes Flehen klang, und der endlich in schauerliches
Röcheln überging. --

»Kommt!« mahnte Holm, »kommt, wir haben das Unsrige gethan. Es ist
vergebens, bei so eingefleischtem Hasse Erbarmen zu suchen.«

Die kleine Schar verabschiedete sich stumm grüßend von dem alten
weißhaarigen Heidenkönig, der inmitten seiner Getreuen, durchaus nicht
ohne persönliche, angeborene Herrscherwürde, die Gäste entließ, indem er
mehreren Unterhäuptlingen leise Befehle gab. Die Malaien waren tot,
daran ließ sich nicht zweifeln; unsere Freunde befanden sich also
vollständig in der Gewalt der Eingebornen, sie konnten nicht zuviel auf
die versprochene Sicherheit bauen. Das Gepäck wurde aufgeschnallt, die
Dolmetscher abgelohnt und in Begleitung von vier bewaffneten Dajaks die
Weiterreise angetreten. Schon graute der Tag, als die kleine Karawane
das Zeltlager der Punan durchschritt; überall standen und saßen in
Gruppen die Männer, man flüsterte und zischelte, obgleich keinerlei
Angriffe oder Beleidigungen stattfanden; schon war fast das ganze Dorf
passiert, als an der letzten Hütte desselben die Dajaks stehen blieben
und zum Mittelbalken hinauf Worte riefen, aus deren Ton sich der
haßerfüllte, beschimpfende Inhalt unschwer erraten ließ. Sie schwangen
die Waffen und ballten die Fäuste, wildes gellendes Jauchzen erfüllte
die Luft. -- --

Holm sah hinauf, nicht ohne eine Vorahnung dessen, was seinen Blicken
begegnen würde, -- er versuchte es, die Knaben so schnell als möglich
vorüberzuführen, aber der Doktor verhinderte ihn daran, indem er selbst
stillstand und den Strohhut vom Kopfe nahm.

Da oben über dem Eingang hingen, umspielt von den ersten Strahlen der
jungen Morgensonne, die abgeschnittenen Köpfe der fünf Malaien, noch
blutend, noch wie im Leben mit offenen Augen -- grauenhaft, entsetzlich
zu sehen. Wo die Körper geblieben, das verriet kein Zeichen; nur der
Kopf ist es ja, nach dem des Dajaks brennender Ehrgeiz trachtet.

Der alte Theologe sprach unbeirrt von den drohenden Gefahren des
Augenblicks auf Deutsch ein Gebet für die Seelenruhe der Ermordeten, und
während dieser in ernstem, würdevollem Ton gehaltenen Rede schwiegen
selbst die rohen Heiden, wagten sie keinen Widerspruch, keine
Beleidigung, sondern hielten sich still, als sei der »fremde Liau« ein
Priester ihres eigenen Volkes. Der Greis sprach zu den Göttern,
Dewata-Dugingang verweilte ungesehen in ihrer Mitte, -- sie regten kein
Glied, um nicht die Gewaltigen zu erzürnen. --

Das ist die erhabene Macht des Gottesgedankens, daß selbst die wildesten
Wilden sich ihr widerstandslos beugen! Kein Volk so niedrig, kein Volk
so vertiert -- es betet doch. -- --

                   *       *       *       *       *

Fast ohne alle Unterhaltung, ohne die alte frische, fröhliche Reiselaune
wurde der erste Teil des Weges zurückgelegt. Gewiß waren große Sünder
jählings im Augenblick ihrer kecksten, verbrecherischen Pläne vom
Schicksal ereilt worden, gewiß war frevlem Übermute hier von Gottes Hand
ein Ziel gesetzt, aber dennoch ließ das Grauenhafte der ganzen
Begebenheit zunächst diesem Gedanken noch keinen Spielraum; erst als am
Abend ein neues Dorf der wandernden Mankeian erreicht war und hier dem
Unterpanglima von König Nigura der Befehl überbracht wurde, die
Reisenden in Schutz und Geleit zu nehmen, als die vier Dajaks den
Rückweg antraten und somit die äußere Erinnerung an den fünffachen Mord
nicht unwillkürlich in jedem Augenblick aufgefrischt ward, da fingen die
Weißen an, das schauderhafte Ereignis zu vergessen oder wenigstens doch
sich aus dem Bann desselben freizumachen. Auf anderem Wege als dem,
welcher sie hierhergeführt, durch lachende Thäler und üppiges Weideland
verfolgten sie von Dorf zu Dorf ihren Zug über den ganzen Mittelrücken
der Insel. Viele Tausende von Dajaks wohnten im Inneren, und alle
gehorchten ohne Widerspruch dem Befehl Niguras, jeder Stamm gab bis zu
den nächsten Hütten der kleinen, wandernden Schar einige seiner Krieger
zum Geleit, so daß die Weißen von Hand zu Hand bis in die Nähe der
Malaiengrenze gelangten; dann freilich hüteten sich die Dajaks, noch
weiter vorzudringen, um nicht etwa für jene ersten Schuldigen, hundert
Meilen tiefer im Urwalde, zur Rechenschaft gezogen und als willkommene
Beute in die Kohlengruben gesteckt zu werden.

Im Angesicht der ersten malaiischen Pflanzung waren sie ohne Abschied
wie in den Boden hinein verschwunden.

Die Reisegenossen saßen am Wege und hielten Rat. Holm war verdrießlich,
weil er bei der übereilten Flucht seinen kleinen Orang-Utang im Stich
lassen mußte, der Doktor riet ernstlich, nun mit den Malaien keine
Verbindung wieder anzuknüpfen, nur die drei jungen Leute wollten von
keinem Zurückweichen oder Aufgeben hören.

»Wir gehen direkt nach Celebes zu den Alfuren!« sagte Franz.

»Ich will nach Lombock, um die _nur dort_ wachsende Palme kennen zu
lernen, welche, nachdem sie einmal getragen hat, stirbt,« warf Holm ein.

»Eine Expedition unter Malaienführung mache ich nicht noch einmal wieder
mit,« beharrte der Doktor. »Ihr könnt allein reisen.«

»Laßt uns den Kapitän hören,« schlug Hans vor. »Vielleicht kann er Gutes
raten.«

Und das geschah denn auch. Die letzten paar Meilen durch das
Malaiengebiet wurden in langsamen Märschen zurückgelegt, und in der
Stadt dem holländischen Gouverneur die ganze Angelegenheit zu Protokoll
gegeben, ebenso das bedungene Geld den Hinterbliebenen Bassars
ausgezahlt; dann steuerte das Schiff nach Lombock, einer der kleinen
Sundainseln, an dessen von steilen Gebirgswänden umgebenen Küsten es
tagelang warten mußte, ehe die fast unmögliche Landung zu glücklicher
Stunde bewerkstelligt werden konnte.




                          Zwölftes Kapitel.


Wie ein Kranz von wutentbrannten Raubtieren mit drohend offenem
Todesrachen umgab die Brandung das verhältnismäßig kleine Eiland,
haushohe Wogen, schillernd in grün und blau, sprangen an kahlen Klippen
hinauf, nirgends zeigte sich ein Hafen, nirgends war vom Schiff aus Wald
und wohlthuendes Grün zu sehen, nur Bergspitzen ragten hoch über den
Wolkenrand hinaus, leichte Rauchwolken auf einzelnen Punkten zeigten die
thätigen Vulkane, grau und düster zogen sich Felsketten nach allen
Seiten.

Es war verabredet worden, weder hier auf Lombock, wo gar keine
bemerkenswerten Tiere leben, noch später auf Celebes weitere Touren in
das Innere zu unternehmen. Tiere und Pflanzen sind auf den Sundainseln,
wenn man Java und Borneo gesehen hat, mit sehr unbedeutenden Ausnahmen
alle einander gleich, die großen Vierfüßler fehlen namentlich auf
Celebes und der Gruppe der »kleinen Sundainseln« gänzlich, die
Erzeugnisse des Bodens sind dieselben, wenn auch in etwas abweichenden
Arten der Baumwolle, der Farbehölzer u. s. w. Die Annahme des englischen
Naturforschers Wallace, daß alle diese zerstreuten Erdflecke zusammen in
vorgeschichtlicher Zeit ein Weltteil gewesen, erhält dadurch eine
entschiedene Bestätigung.

Nachdem das Schiff auf einer sehr schlechten, offenen Reede vor Anker
gegangen, begaben sich alle, die an Bord entbehrlich waren, zum Ufer,
ohne jedoch daselbst irgend eine Spur von Menschen oder
Menschenwohnungen zu entdecken. Im Gegensatz der entzückend schönen
Landschaften Javas und namentlich Borneos war hier die Küste sandig,
pflanzenarm und von niederem, reizlosen Buschwerk stellenweise bedeckt.
Der vulkanische Ursprung zeigte sich auf jedem Schritt; die hohen
Felsmauern, welche das ganze Land umgaben, fielen nach innen keineswegs
ab, sondern bildeten eine breite Hochebene, die in der Weise eines
Deiches unabsehbar dahin lief. Zahllose Käfer belebten den Sand,
Schmetterlinge wiegten sich auf den Büschen, und stellenweise kletterten
große Krebse über das steile Ufer schleunigst in das Meer zurück oder
ließen sich ohne weiteres hineinfallen. In einiger Entfernung zeigte
sich der Wald, weshalb die Reisenden dorthin ihre Schritte lenkten und
auch bald des sonderbaren Anblicks, um den sie überhaupt einzig und
allein hierher gekommen, teilhaftig wurden. Die grünen Wipfel standen
äußerst undicht; aller Orten lagen zwischen den schlanken Stämmen der
Fächerpalmen die gestürzten, fünfzig und mehr Meter hohen Baumriesen,
oder starrten die grauen Überreste abgestorbener Exemplare, deren
lebende, im besten Gedeihen befindliche Brüder ein ganz seltsames
Aussehen zeigten. Die Palmen von Lombock, eine der höchsten Arten,
blühen nämlich nur ein einziges Mal, werfen im Augenblick der Entstehung
dieser Blüte sämtliche Blätter ab und tragen auf kahlem Stamm Früchte.
Sind diese reif, so stirbt der Baum.

Dieses Bild von Zerstörung war eigentümlich, aber durchaus ohne allen
landschaftlichen Reiz und von herbstlicher Grundfarbe. Hier oder da
stand eine Palme im vollen Schmuck ihrer grünen, fächerförmigen Blätter;
dann folgte eine mit kleinen unansehnlichen, ja kaum erkennbaren
Blütenbüscheln auf dem nackten Holz; dann eine mit langen Ähren, in
denen die glatten, grünen, ovalen Früchte wie Pflaumen bei einander
lagen und zwischen diesen das Heer gestorbener Stämme, deren Holz in
weniger als einem Jahr zu Staub zerfällt.

Die Früchte schmeckten erfrischend, waren aber sehr schwer zu erlangen
und wurden außerdem verteidigt von einer Menge großer Kakadus, deren
weißes Gefieder von allen Zweigen glänzte. Holm erlangte durch die
Geschicklichkeit der im Klettern geübten Matrosen einige Blüten und
Blätter des merkwürdigen Baumes, den die Erde nur an dieser einen
kleinen Stelle trägt; dann wurde, nachdem der Hauptzweck so schnell
erreicht, das nächste Dorf aufgesucht. Wald schien die Insel nicht
besonders viel zu haben, nur ödes, häßliches Buschwerk versperrte den
Weg; nach einigen Stunden fortgesetzten Vordringens dagegen zeigten sich
Baumwollenfelder und in einer sumpfigen Niederung üppiger Reisbau, die
gewohnten Baumarten, Schlinggewächse, Affen, Papageien und Insekten
aller Art. Zerstreute Gebäude auf Pfählen, etwa fünf bis sieben Familien
fassend, lagen unregelmäßig zwischen den Äckern, die weißen Turbane und
die blaugestreiften Lendentücher verrieten die Bekenner des Islam.

Unsere Freunde lagerten an einer schattigen Stelle, entzündeten ein
Feuer und begannen die vom Schiff mitgebrachten Vorräte zuzubereiten,
wobei sich der Kreis ihrer Zuschauer mehr und mehr verdichtete. Hierher
nach Lombock kam sehr selten ein Schiff, viel weniger aber die Besatzung
desselben in die Dörfer der Malaien; es war ersichtlich, daß die meisten
dieser halbnackten Wilden nie weiße Menschen, nie Schußwaffen oder
überhaupt Spuren der Zivilisation kennen gelernt hatten; sie hielten
sich in respektvoller Entfernung, die Kinder flüchteten bei jeder Anrede
erschreckend zu den Müttern, und selbst die Männer zeigten eine Scheu,
welche nur ganz Wilde den Europäern gegenüber an den Tag legen.

Hier auf Lombock konnten wieder wie in Westafrika kleine Spiegel, Knöpfe
und Perlen als Geschenke dienen; am meisten aber belustigte die Art und
Weise, in welcher unsere Freunde ihre Mahlzeit verzehrten, das gelbe
zusehende Völkchen, und als endlich einige Männer nach langem Ermuntern
und Bitten an der Tafel auf Gottes grüner Erde mit Platz nahmen und sich
von den vorhandenen Lebensmitteln vorsetzen ließen, da wagten es die
übrigen, langsam näher zu kommen. Die Messer schienen den Leuten
bekannt, nicht aber die Gabeln, vor deren Berührung sie sich
kopfschüttelnd zurückzogen; ebensowenig die Löffel. Das Fleisch spießten
sie mit einem spitzen Holzstäbchen, und den Reis warfen sie mittels
dreier Finger in die Luft, um ihn dann geschickt mit den Lippen wieder
einzufangen.

Die Matrosen kannten das schon; den Knaben dagegen war es ganz neu,
weshalb denn auch beide Parteien, die Wilden und die Weißen, einander
beim Essen neugierig beobachteten und nicht selten laut lachten, wenn z.
B. die Aufmerksamkeit des Speisenden abgelenkt war und ihm die
Reisportion anstatt auf die Lippen, vielmehr auf die Nase fiel, oder
wenn die jungen Leute versuchten, das malaiische System nachzuahmen und
durchaus den halbflüssigen Reis zwischen ihren Fingern nicht halten
konnten.

Es war im ganzen ein gutmütiges, gastfreies, wenngleich scheues Volk,
das von Lombock; erst nach längerem Verweilen der Fremden gelang es, die
Leutchen einigermaßen vertraulich zu machen und sie zum Sprechen zu
bringen, wobei freilich das gegenseitige Verständnis nicht besonders
weit hinaus ging, denn auf der ganzen Küste gab es keinen englisch
redenden Eingebornen; das was die Matrosen durch häufigen Aufenthalt in
Batavia und Surabaja von der malaiischen Mundart erlernt hatten, blieb
das einzige Mittel zur Unterhaltung. Der Radscha von Lombock war der
holländischen Regierung von Java tributpflichtig; er mußte für den
Baumwollen- und Reisertrag der Insel alljährlich eine bedeutende Steuer
zahlen und verkaufte seine Waren an einige Holländer und Amerikaner, die
weiterhin an der Küste ihre Faktoreien besaßen; sonst aber wohnten von
den »Menschen mit weißen Gesichtern« auf dem Eiland keine, und
ebensowenig kamen jemals Fremde hierher, um das Innere zu durchforschen.
Alle Einwohner bauten Baumwolle und Reis.

Holm fragte nach Raubtieren, er beschrieb ihre Größe, er zeichnete auf
ein Blatt Papier die Gestalt eines Leoparden, eines Büffels, aber keiner
der neugierig beobachtenden Eingebornen hatte ein solches Geschöpf
jemals gesehen, Hirsche dagegen waren vorhanden und auch der
Orang-Utang, -- die Malaien machten ihm eine Faust, als sie das Bild
sahen. »Er stiehlt unsere jungen Mädchen,« sagten sie, »und nimmt die
geängstigten mit sich in seine unerreichbaren Felsenschlupfwinkel;
unsere Knaben zerdrückt er an seiner Brust wie Strohhalme.«

Auch Pferde kannten die harmlosen Leutchen nicht, wohl aber schöne
Ziegen und Schafe; ebenso kletterten auf allen Zweigen die Papageien und
Kakadus, deren lautes »Arra! Arra!« in der Umgegend widerhallte. Die
grüne Art schien hier sehr zahm, sie flog, wie bei uns das
Sperlingsvölkchen, ganz nahe heran, um womöglich von der Mahlzeit ihren
Teil zu erhalten, und als einmal Hans ein Stück Schiffszwieback nahm und
es einem der Vögel zuwarf, da entstand eine höchst lebhafte Balgerei.

Nachdem alles in Augenschein genommen, wurde der Rückzug zum Schiff
angetreten, unter dem Geleit sämtlicher Wilden, die nie ein solches
Fahrzeug kennen gelernt hatten. Was sie besaßen, war eine sogenannte
Prau, ein flaches, schlechtes Boot, mit dem sie oft von einer der
zerstreuten kleinen Inseln zur anderen fuhren.

Nur die Kecksten wagten es, mit an Bord zu gehen; wie Kinder betasteten
und bewunderten sie jeden Gegenstand, die Wanduhr hielten sie sogar für
göttlichen Ursprunges, und als Franz in der Kajütte anfing, das Piano zu
spielen, da verstummten die harmlosen Hörer vor lauter Staunen. Auf den
Zehenspitzen schlich sich einer heran und dicht hinter den Stuhl des
Knaben, der seine Absicht schon ahnte. »Vierhändig?« sagte er zum
Ergötzen der anderen in deutscher Sprache.

Der Malaie nickte. Behutsam den Zeigefinger ausstreckend vollführte er
einen plötzlichen, heftigen Schlag gegen eine Taste, und als der Ton
hell erklang, sah er triumphierend seine Landsleute an. Der Geist hatte
für ihn gesprochen.

»Gib acht,« lächelte Franz, »jetzt werden sie alle ihre Kunst probieren
wollen.«

Und so geschah es wirklich. Der eine wagte nur mit spitzen Fingern das
Instrument zu berühren, der andere legte die ganze Hand darauf, der
dritte fuhr langsam von oben bis unten über alle Tasten und lachte vor
Vergnügen über die »verschiedenen Stimmen, die ihm geantwortet hatten.«
Aber auch ein Ehrgeiziger fand sich darunter, einer, der den Bock
einnehmen und mit beiden Händen spielen wollte, wie er es von Franz
gesehen; dieser rötliche, in Adams Staatsanzug erschienene, aber dabei
mit Bogen und Köcher wohlbewaffnete Jüngling mußte sehr genau beachtet
haben, was vorging, denn er ahmte vollständig die Handbewegungen des
jungen Weißen nach, schlug auch energisch auf die Tasten, vollführte
aber dabei natürlich einen solchen Höllenlärm, daß sich unsere Freunde
am liebsten die Ohren zugehalten hätten. Franz lachte, daß ihm die
Thränen aus den Augen liefen: so urkomisch war das Bild des entzückten,
emsig hämmernden Malaien.

Und dann kam bei Wein und allerlei Geschenken, unter denen namentlich
blanke Knöpfe sehr begehrt waren, der Abschied, den Papa Witt mittels
einiger Kanonenschüsse verherrlichte. Zuerst erschraken die Wilden, so
daß einige unter ihnen laut aufschrien, andere sich köpflings über Bord
ins Wasser stürzten, dann aber überzeugten sie sich, daß ihnen kein
Schade geschehen war und kamen wieder, um den Geist nochmals reden zu
hören. Als die letzten an Land gesetzt waren und das Schiff seine Fahrt
begann, da stürzte sich der ganze Stamm, Männer und Frauen, ohne
weiteres in das Meer und gab dem langsam dahingleitenden Koloß, noch
eine Strecke schwimmend und laute Zurufe ausstoßend, das Geleit; erst
als der Dampfer seine volle Kraft entfaltete, blieben sie natürlich im
Kielwasser desselben weit zurück.

[Illustration: Das Klavier und die Eingebornen von Lombock.

»Aber auch ein Ehrgeiziger fand sich darunter, einer der den Bock
einnehmen und mit beiden Händen spielen wollte.«]

Die Weißen waren von diesem Besuch unter den harmlosen Naturkindern sehr
befriedigt; sie wollten bei den Alfuren auf Nordcelebes ebenso verfahren
oder doch höchstens eine einzige Nacht am Lande bleiben, zumal man dort
keineswegs diese kindliche Unbekanntschaft mit den zivilisierten Völkern
der Welt mehr voraussetzen konnte, die Alfuren vielmehr wegen ihres
schlechten, hinterlistigen und durch den Umgang mit ihren weißen
Unterdrückern mißtrauisch gewordenen Charakters berüchtigt waren.

»Wir dürfen dorthin gar nichts mitnehmen,« erklärte Papa Witt, »wir
müssen in unseren Kleidern schlafen und die Waffen in der Hand behalten,
denn alle diese schwarzen Kerle stehlen wie die Raben, haben Ungeziefer
und sind zu jeder Schandthat fähig, säbeln auch ebenso wie die Dajaks
mit großer Vorliebe anderer Leute Köpfe herunter, ohne jeglichen
Unterschied der Farbe, die weißen sowohl als die gelben. Führer können
wir nicht brauchen, sie würden uns vielleicht in den nächstbesten
Hinterhalt locken und ermorden.«

»Sind Sie dagewesen, Alter?« fragte Holm.

»Ich? Wo wären wir beide nicht gewesen, der Kapitän und ich? Wer so
seine dreißig und mehr Jahre auf der See >schwalkt<, der hat am Ende
alle Küsten der Erde gesehen. Ich sage Ihnen, da bei den Schmutzmenschen
in Menehasse ist nichts Erfreuliches zu holen.«

»Einerlei, Papa! haben wir nun nach einander alle möglichen
westafrikanischen Negersorten, die Hottentotten, Buschmänner und
Kaffern, die Malagaschen, Singhalesen, Javanen, Dajaks und Malaien von
Lombock gesehen, dann dürfen schließlich auch die Alfuren nicht fehlen.
Zwei oder drei Tage auf Celebes machen nichts aus.«

»Zwei oder drei Tage!« knurrte der Alte. »Und darum einen ganzen
Breitengrad segeln, ohne Sinn und Verstand im Zickzack, es ist zum
Tollwerden. Mit Naturforschern reise ich all mein Lebtage nicht wieder.
Die gebahnten Straßen sind ihnen ein Greuel, den sicheren Handelshäfen
gehen sie weit aus dem Wege und landen da, wo rechtes Diebsgesindel
wohnt, und wo das Schiff kaum eine Stelle findet, um seine Anker
auszuwerfen. -- Nun, da ihr doch einmal nicht zu bessern seid, will ich
euch in der Bucht von Lomini eine Stelle zeigen, wo ihr mit dem Boot
über die Spitzen eines unterseeischen Waldes dahinfahren und eine kleine
Pflanzung von lauter Algen ansehen könnt. Es ist lange her, seit ich
hier war, -- wir begruben damals im Meer einen Kameraden, der von den
Alfuren ermordet wurde, -- mitten in der Nacht, denn der Kapitän hatte
uns verboten, an Land zu gehen, aber wir wollten natürlich unseren
Genossen nicht ohne Seemannsehren dem nassen Grabe überliefern und
machten daher die Sache heimlich. Erinnern Sie sich noch, Kapitän?«

»Gewiß!« nickte der. »Damals waren wir junge schlanke Leichtmatrosen,
unternehmungslustige Hamburger Schlingel, die zu fünfen das Schiff
verließen, um mit den Eingebornen Händel zu suchen. Einer von uns wagte
sich im besten blauen Anzug, mit Uhr und Kette allein in ein solches
verdammtes Wohnhaus hinein, noch dazu mit der Harmonika, spielend wie
ein Neapolitaner, tanzend und aller Thorheiten voll, der arme Junge! --
Als wir ihn nach stundenlangem, ängstlichen Suchen wiederfanden, da war
er bis auf die Haut entkleidet und des Kopfes beraubt. Aus Furcht vor
Strafe fuhren wir weit in die Bucht hinein und versenkten ihn da, der
Kapitän hat niemals erfahren, wo wir in jener Nacht gewesen, und wohin
der fehlende Leichtmatrose gekommen.«

»Hört ihr's?« ermahnte Doktor Bolten. »Also vorsichtig, solchen Menschen
gegenüber. Hier und in den Australischen Inselgruppen können wir keine
weiten Landreisen unternehmen; es kommen zu wenig Weiße hin, als daß die
Eingebornen wie in Afrika und auf Madagaskar oder Java an eine
Bestrafung ihrer Mordthaten denken sollten. Celebes hat, so viel ich
weiß, nicht einmal einen namhaften Hafen?«

»Nur Makassar!« nickte der Kapitän. »Dahin aber kommen wir nicht. Unser
Weg führt uns zu den Orang-Badju, welche in einer stillen Bai auf dem
Wasser leben und zwischen ihren Pfahlbauten nur in Booten verkehren, und
zu den Alfuren nach Menehasse.«

»Und wann gelangen wir etwa dorthin?« fragten neugierig die jungen
Leute. Der Gedanke an ein Dorf auf dem Meer hatte ihr Interesse im
höchsten Maße erweckt.

»In acht bis zwölf Tagen,« war die Antwort.

Das schien zwar vorerst eine lange Zeit, aber Borneo hatte hinreichendes
Material geliefert, das präpariert werden mußte, und so war nicht zu
fürchten, daß Langeweile ihren Aufenthalt an Bord nehmen würde.

Einige der geschossenen Vögel mußten abgebalgt werden und anderseits
galt es, die an Ort und Stelle gewonnenen Häute tüchtig mit Arsenikseife
einzureiben, denn in etlichen zeigten sich schon zerstörende Maden und
Würmer. Auf Borneo hatte Holm den Baya erlegt, den berühmtesten aller
Webervögel, der aus Grashalmen ein Nest zusammenflechtet, das aussieht
wie die Retorte des Chemikers. Meistens hängt er sein Nest an die Palmen
an, in Birma aber, wo dieser Vogel auch vorkommt, nistet er an den
Häusern und Hütten, ohne Furcht vor den Menschen zu äußern, und oft
sieht man dort an den Wohnungen der Eingebornen zwanzig bis dreißig
solcher Nester hängen.

»Ähnlich wie bei uns die Nester der Schwalben,« warf Hans ein, »denen
niemand etwas zuleide thut und die sogar auf dem Flur der Bauernhäuser
sich friedlich ansiedeln.«

»Merkwürdig ist noch der Umstand, daß dieser Vogel Lehmklumpen in sein
Nest einträgt, die oft ein Gewicht von hundert Gramm haben,« sagte Holm,
»und deren Zweck zu sein scheint, das Nest im Gleichgewicht zu halten,
wenn der Wind heftig daherweht.«

Prachtdrosseln waren in mehreren Arten erlegt; darunter der Pulih,
dessen Oberseite metallisch grün, Schwanz und Flügel schwarz, Spitzen
der Flügel und des Schwanzes mattblau, Kehle rosenrot, Oberbrust
gelblich, Unterbauch scharlachrot ist. Der nur auf Borneo lebende
seltene Kellenschnabel war von Franz geschossen worden, der ihn auch
eigenhändig abbalgte und einseifte. Von Taubenarten war man so glücklich
gewesen, die reizende Sperbertaube und die prachtvolle Mähnentaube zu
schießen, die in den glänzendsten Farben prangt. Der Kopf, der Hals und
die ganze Unterseite sowie die Schwingen sind schwarzgrün, die Federn
der Unterseite kornblumenblau gesäumt und die langen, mähnenartigen
Federn des Halses grasgrün und goldschimmernd. Das Auge ist licht
rotbraun. Auch hatte Hans glücklicherweise ein Exemplar des Maleo
erlegt, ein Buschhuhn, das ähnlich wie der Strauß seine Eier in den Sand
legt und von der Sonnenwärme ausbrüten läßt.

An gefangenen Buschhühnern hat man das Brutgeschäft genau beobachten
können. Das männliche Buschhuhn beginnt beim Herannahen der Brutzeit
innerhalb seines Geheges alle nur irgendwie vorhandenen Pflanzenstoffe
zusammenzuscharren, indem es dieselben mit dem Fuße nach hinten wirft,
und zwar immer einen Fuß voll auf einmal. Da es seine Arbeit stets am
äußeren Rande des Geheges anfängt, so wird die Masse nach innen in den
Kreis geworfen und allgemach zum Haufen aufgetürmt. Sobald dieser eine
Höhe von etwas über einen Meter erreicht hat, machen sich beide Vögel
daran, ihn zu ebnen, und wenn dies geschehen, höhlen sie im Mittelpunkte
eine Vertiefung aus. In letzterer werden zu bestimmten Zeiten die Eier
niedergelegt und ungefähr vierzig Zentimeter unter dem Gipfel in einem
Kreise geordnet. Die verfaulenden organischen Stoffe entwickeln nun, in
ähnlicher Weise wie im Mistbeet, eine nicht unbeträchtliche Wärme. Das
Männchen beaufsichtigt den Hergang der Entwickelung und namentlich den
Zustand der Wärme des natürlichen Brütofens sehr sorgfältig. Es bedeckt
gewöhnlich die Eier und läßt nur eine runde Öffnung, durch welche die
den in der Brut befindlichen Eiern unumgänglich notwendige Luft nach
unten gelangt und durch welche eine übermäßig gesteigerte Wärme
gemildert wird. Bei heißem Wetter aber nimmt es zwei- oder dreimal
täglich fast die ganze Decke weg, damit die Eier nicht zu heiß werden.

Diese Mitteilung interessierte die Knaben in hohem Grade, und sie
bedauerten nur, daß die Verhältnisse es nicht gestatteten, brutfähige
Eier des Maleo nach Hamburg zu senden, damit im dortigen zoologischen
Garten Beobachtungen an diesen Verwandten des Buschhuhns gemacht werden
könnten.

»Ich sehe immer mehr ein,« bemerkte Franz, »wie ungemein schwer es ist,
einen zoologischen Garten mit seltenen Tieren zu versehen. Wenn auch der
Fang, trotz der vielen Gefahren und Schwierigkeiten gelingt, so kommt
hinterher noch erst der Transport der Tiere, durch Wüsten und unwegsame
Gegenden, über Meer und über Land, bis sie den Ort ihrer Bestimmung
erreichen. Wie viele Tiere sterben unterwegs aus Mangel an geeignetem
Futter und weil es ihnen an allem fehlt, was ihnen sonst zum Gedeihen
notwendig ist.«

»Und doch,« unterbrach Holm ihn lächelnd, »besuchen viele Menschen die
zoologischen Gärten nur -- um ein Konzert zu hören oder ihren neuen
Anzug bewundern zu lassen. Doch das soll uns jetzt nicht viel kümmern.
Wir haben hier eine Anzahl schöner Schmetterlingsraupen, die präpariert
werden müssen.«

»Legen wir sie in Spiritus?« fragte Hans.

»Nein,« erwiderte Holm, »im Spiritus verlieren sie zum Teil ihre Farbe
und zuweilen auch ihre Form. Wir müssen sie in Mumien umwandeln und zwar
dadurch, daß wir sie mit Tabakssaft töten und dann in gelinder Hitze
rasch trocknen.«

Er nahm eine der eingefangenen Raupen und tötete sie mit einem Tropfen
Tabakssaft, wie er die Knaben gelehrt hatte die Schmetterlinge zu töten.
Dann spießte er die Raupe vorsichtig auf einen feinen Eisendraht, der
mit Nickelmetall überzogen war, damit er nicht verroste, und über dem
Feuer einer Spiritusflamme wurde die Raupe hierauf unter fortwährendem
Drehen und Wenden langsam getrocknet, bis sie keine Feuchtigkeit mehr
enthielt und fast zerbrechlich geworden war.

»Das ist eine Arbeit für mich,« rief Doktor Bolten, »sie erfordert keine
größere Geschicklichkeit, als ich mir zutrauen darf.«

»Nehmen Sie sich nur in acht, daß Sie mit den rauhhaarigen und borstigen
Raupen der Flamme nicht zu nahe kommen,« rief Holm lachend, »denn
abgesengte Exemplare haben keinen Wert mehr für uns.«

»Ich will meine Sache schon gut machen,« antwortete Doktor Bolten.
»Während Franz und Hans ihre Journale vervollständigen, werde ich
Raupenmumien präparieren, denn mit meinen Aufzeichnungen bin ich
fertig.«

»Gut,« sagte Holm, »hier ist eine recht große fette Raupe, nun zeigen
Sie einmal ihre Geschicklichkeit.«

Der Doktor tötete und spießte die Raupe und brachte sie über die Flamme.
»Seht ihr,« rief er, »ich verstehe mich ausgezeichnet auf solche
Sachen!«

Kaum aber hatte er sich dieses frühzeitige Lob erteilt, als die Raupe
anfing sich dick aufzublähen. Dann aber sagte sie laut »Paff« und war
auseinandergeplatzt.

»Was ist das?« fragte der Doktor und machte eine bestürzte Miene.

»Sie haben die Raupe der Flamme zu nahe gebracht, teuerster Doktor,«
antwortete Holm. »Sie hätten bedenken müssen, daß eine Raupe kein
Bratapfel ist.«

Alle lachten, auch der Doktor stimmte mit ein. »Von jetzt an werde ich
vorsichtiger sein,« sagte er. »Jedenfalls hat ein mißlungener Versuch
das Gute, daß man aus ihm lernt, wie man es nicht zu machen hat.«

Die getrockneten Raupen wurden in Watte gehüllt und gut in Blechdosen
verpackt. Reichliche Mengen von Kampfer wurden dazwischen gelegt, um
zerstörende Insekten von ihnen fernzuhalten.

So vergingen die Tage auf dem Schiffe in voller Beschäftigung, bis an
einem schönen Morgen die massigen Umrisse eines weit hinausreichenden
Vorgebirges in blauer Ferne aus dem Wasser auftauchten; die
langgestreckte, skelettartige Form von Celebes zeigte einen ihrer Arme,
das Kap Rivers; ein ungeheurer Höhenzug trug rauschenden Wald und
thätige, von Wolken umwirbelte Vulkane; darunter aber in stiller enger
Bucht, gleichsam an die Brust des Felsens geschmiegt, lag das Pfahldorf.

Die Bauten unserer ersten Eltern, die Uranfänge aller Menschenwohnungen,
die nächsten, natürlichsten Schutzmittel gegen wilde Tiere! -- ein
sonderbarer Anblick, so Hütte an Hütte auf muschelbedeckten, von
Schnecken und Austern bewohnten Pfählen, unter denen das seichte Wasser
kaum zwei Meter tief dahinfloß. Selbstverständlich konnte der Dampfer
nicht bis in die Nähe gelangen, aber er setzte Boote aus, und die ganze
kleine Gesellschaft fuhr in die schmalen Straßen zwischen den Häusern
hinein. Fahrzeug nach Fahrzeug kam ihnen entgegen: Fische, Krebse,
Austern, Schneckenhäuser und hundert kleine, zierliche Arbeiten aus
Muscheln, Schildpatt, Korallen und Perlen wurden zum Kauf angeboten; die
Menschen zeigten sich als eine Mischlingsrasse, sowohl den Malaien als
den Chinesen verwandt, waren hell und hübsch, und in ihrem Auftreten
äußerst bescheiden und friedliebend. Aber wie arm, wie eng schienen
diese Hütten! Das Boot von der »Hammonia« steuerte hindurch, die jungen
Leute kauften von jedem Händler etwas, sahen bei Gelegenheit in jede
Thür hinein und entdeckten dort immer nur ein Blätter- und Mattenlager,
Fischgerät, einen rohen Tisch und ein paar Decken; gekocht wurde draußen
in den Booten. Überall war es lebendig, überall wimmelte es in
chinesischer Überfüllung von Kindern und Erwachsenen; nur eine schmale
Fahrstraße lief zwischen den engbewohnten Bienenkörben dahin,
Seitengänge zweigten sich ab, manche Familie schien sogar nur das offene
Boot als Heimstätte zu besitzen und hinter einer vom Mast flatternden
Decke auf bloßen Brettern zu schlafen.

Wie doch die Orang-Badju auf den Gedanken kamen, so ihr ganzes Dasein in
dieser Bai zu verbringen? Meilen und abermals Meilen standen ihnen auf
der schönen fruchtbaren Insel offen, unbegrenzte Ebenen lieferten
Weideplätze und Ackerland, unbegrenzte Wälder den Schutz und die Früchte
ihrer Riesenstämme; aber das handeltreibende Völkchen zog es vor,
abgeschnitten von allen Schönheiten der Natur, aller Freiheit der
Bewegung und des Verkehrs, hier auf dem Wasser in feuchten, unbequemen
Käfigen sein Dasein zu verbringen, wahrscheinlich ohne jemals selbst die
Möglichkeit einer Änderung ins Auge gefaßt zu haben. »Derartige
Niederlassungen in Buchten und schmalen Wasserstraßen gibt es hier herum
viele,« sagte der Kapitän. »Die Leute sind Fischer und treiben
Tauschhandel mit allen benachbarten Küsten.«

»Aber im Sturm,« fragte Hans, »wie machen sie es im Sturm?«

»Dann schlagen vielleicht die Wellen zur Thür hinein, spülen Kinder und
Greise mit sich weg oder reißen die ganze Hütte in ihren Schoß hinab,
daran läßt sich eben nichts ändern. In China hat man ja engbevölkerte,
schwimmende Städte, die oft über Nacht meilenweit stromab getrieben
werden, von denen im Orkan ein Dritteil aller Bewohner zu Grunde geht;
-- es bleiben immer noch mehr als genug Menschen übrig. Die
Familienliebe, die Zärtlichkeit der Eltern für ihre Kinder ist wenig
entwickelt, da wo es großen Massen am Notwendigsten fehlt; in den
unteren Schichten des Volkes verkauft der Chinese mit Vergnügen seine
Sprößlinge für billiges Entgelt, verschenkt sie auch wohl gar, um nur
die hungrigen Mäuler loszuwerden. Ich glaube, die Orang-Badju machen es
nicht besser.«

Wirklich sollte Holm mit dieser Vermutung recht behalten. Mehr als ein
gelber, verschmitzt blickender Fischer kam in seinem Boote heran und
deutete vertraulich blinzelnd auf einen größeren oder kleineren Jungen,
den er mit sich führte. Ob nicht der fremde Herr einen Schiffsjungen
brauche, einen Diener oder sonst einen Knecht irgend einer Art; ganz
wohlfeil sei er zu haben, für geringe Bezahlung, er sei ein so
geschicktes, anstelliges Kind, so klug und so sanft wie ein Mädchen, der
Herr möge ihn nur erst einmal mitnehmen!

Und wenn dann der Kapitän den Kopf schüttelte, bot der brave Vater
seinen Sohn ganz umsonst an, meistens wurde erst eine entschiedene
Drohung notwendig, ehe die beharrliche Verfolgung ein Ende nahm.

Etwas weiter hin, außerhalb des Gebietes der Pfahlbauer, begann dann an
der Küste im seichten Wasser die Algenfischerei, zuerst mittels der
herabgelassenen Lampe, die ohne Schleppnetz oder eine andere Vorrichtung
zum Fang nur als Beleuchtungsmittel diente. Während das blaue,
bewegliche Element auf hohem Meer bis zu zehn und zwölf Meter Tiefe ganz
durchsichtig bleibt, ist diese Eigenschaft an der Küste selbst nicht
mehr bis zu einem Meter vorhanden, die Strahlen der Laterne waren also
erforderlich, um dem tauchenden Matrosen den Weg zu zeigen. In einen
Taucheranzug gehüllt, wurde der Mann hinabgelassen, nachdem der Schlauch
der Luftpumpe wohl gefüllt, und dann die Laterne nachgesandt. Das Wasser
war vielleicht sechs Meter tief, einige Augenblicke hätten genügt, um
auf das leiseste Zeichen hin den Taucher an die Oberfläche zu bringen,
die Sache konnte daher ganz ungefährlich genannt werden und machte
hauptsächlich den Knaben großes Vergnügen.

Auch die Orang-Badju kamen auf ihren Booten von allen Seiten heran,
vielleicht bei dem Erblicken des Tauchers an Zauberei denkend,
vielleicht in der stillen Hoffnung, den Schatz, welchen nach ihrer
Ansicht die Weißen aus dem Meere hervorholen wollten, ohne viele Mühe an
sich zu bringen, jedenfalls aber voll Erwartung, im tiefsten Schweigen
und in dichtgedrängter Menge. Eine förmliche Flotte umgab das große Boot
von der »Hammonia«, und als sich der Grund des Wassers zu erhellen
begann, da stiegen zu den »Empong« oder Göttern der Insel doch allerlei
Stoßgebete empor. Sie selbst kannten nicht einmal ein Mittel, am Abend
die trockene Luft zu beleuchten, diese Weißen dagegen verstanden es,
sogar das Wasser anzuzünden. -- --

Ein Gemurmel durchlief die Menge. Den Zauber sollten die Weißgesichter
herausgeben, -- einer verständigte sich mit dem anderen durch Blicke; um
jeden Preis mußte man das Feuer, welches tief unter dem Wasser brannte,
besitzen.

Unsere Freunde hatten inzwischen ein reiches Lager von Algen entdeckt.
Was auf hohem Meere vielleicht eben so schön und mannigfaltig vorhanden
war, das ließ sich doch nur sehr selten und meistens in zerrissenen oder
abgestorbenen Exemplaren einsammeln; hier aber wuchs es nahe der
suchenden Hand in üppigster Vielgestaltung; manche ganz neue Art sah
Holm zum erstenmale, manche bekannte, lang vermißte fand er endlich
wohlerhalten vor, während die jungen Leute und der Doktor in ein wahres
Zauberland zu blicken glaubten.

Die Welt da unten glich der des Märchens, es war der Palast und der Wald
des verwünschten, in einen Frosch verwandelten Königssohnes; allerlei
kriechendes, sonderbares Getier bildete die Dienerschaft, das Bett war
von grünen, ganz kleinen, aber üppig dicht neben einander stehenden
Pflänzchen, und zur Wache thronten an beiden Seiten große Krebse mit
weit heraustretenden Augen. Das waren die wie Samt aussehenden
Konserven, die dichten Teppiche, auf denen sich Würmer mit roten Ringeln
und Federbüschen am Kopf behaglich dehnten; aus ihrer Mitte heraus wuchs
der Meersalat mit breiten, grünen Blättern und zuweilen hier oder da die
rosa und scharlach gefärbten Irideen in der Pracht ihrer riesigen,
mantelförmig gefalteten Blätter, dann der gewöhnliche, olivenfarbene
Tang und die seltsamen, netzförmig durchbrochenen Thalassiephyllen und
Agaven. Diese letzteren bildeten in des Zauberprinzen Königreich schon
die großen Baumarten; sie sahen aus wie ein tropischer Wald und
schillerten zuweilen sogar auf einer und derselben Blattfläche in allen
Farben. Gelb, grün, rot und blau in Verbindung mit sämtlichen
Zwischenstufen dieser verschiedenen Grundtöne, dehnten sich die
meterlangen und ebenso breiten, von Gestalt unförmlichen Blätter unter
dem Wasser, gestickten Maschen gleich, ganz glattfest, knorpelig oder
wie Gallerte, je nach ihrer besonderen Eigenart, tief unter dem Schatten
der großen Riesen des Wasserwaldes. Diese letzteren waren die Laminarien
mit ihren zehn Meter langen, dem Auge unübersehbaren, wie breite wellige
Bänder dahinflatternden Blättern, die Makrocystisarten mit
birnenförmigen Blasen, die langgestielten Alarien, deren Stamm von einem
schmalen Blattbüschel wie von einer Manschette umfaßt, in das einzige
riesige, auf hohem Meer bis zu zwölf, hier freilich nur bis zu fünf
Metern anwachsende Blatt auslief. Erst fadenförmig, dann stärker und
stärker werdend, endete dieses Blatt als plumpe, runde Keule, auf der
ein ganzer Büschel langer, schmaler Blattstreifen sich nach allen Seiten
ausbreitet. Zwischen und unter den genannten großen Gattungen wuchsen
zahllose, purpurne Florideen, und endlich und zuletzt erschienen als die
Blumen dieser weitgedehnten Busch- und Baumanlagen die schönen zarten
Seerosen aller Farben, von den kleinsten, die wie Fingerhüte an jeder
vorspringenden Klippe hafteten, bis zu den größten, deren Umfang den der
Rose weit hinter sich ließ, von weiß bis dunkelrot, violett und hochgelb
in allen Schattierungen.

Das ganze Bild im schwankenden Licht der Laterne hatte etwas wunderbar
Phantastisches, Märchenhaftes; die Gestalt des Tauchers, vom Wasser
vergrößert und auseinandergezogen, erschien wie die eines Riesen, der
raublustig einbricht in das stille Reich und ganze Wälder, ganze Fluren
auf einen Griff verwüstet. Wenn die große Hand solch unterseeische
Pflanze erfaßte und in den mitgebrachten Sack steckte oder zum Boukett,
dessen letzte Ausläufer zehn Schritt weiter hin im Wasser lagen,
zusammenraffte, dann flüchteten Krebse und Käfer, Schnecken und Muscheln
nach allen Seiten. Die Seerosen wurden verschont; man hatte sie oft
genug gesehen und wußte ja, daß ihnen die freie Luft sofort tödlich war;
ebenso die kleinen Krebse und Muscheln.

Die Winde am Deck begann zu arbeiten, langsam erschien auf der
Oberfläche des Meeres der Taucher mit dem Sack voll Algen, und
vorsichtig wurde ihm dieser, sowie das gesammelte Boukett der größeren
Pflanzen aus der Hand genommen. Holm zog die langen Blätter an sich wie
Schätze, die ihm der nächste Hauch entführen könnte; er ließ die
Laternen aufwinden und gab Befehl, so schnell als möglich zum Schiff
zurückzukehren; dann aber, als seine Blicke der feindlichen Haltung
aller dieser Wilden begegneten, stutzte er. Was bedeutete das?

Der vorderste Gelbe streckte die Hand aus. »Das Feuer, welches unter dem
Wasser brennt,« sagte er in englischer Sprache, »wir wollen es haben.«

»Die Laterne?« rief erschreckend der junge Gelehrte. »Das ist unmöglich,
ich kann mir während dieser ganzen Reise keine zweite verschaffen und
muß sie behalten!«

Der Orang schüttelte den Kopf. »Sie soll uns Fische und Krebse zeigen,
wir wollen sie auf alle Fälle haben.«

Der Kapitän erhob sich vom Sitz. Bisher war ihm bei dem interessanten
Schauspiel da unten nicht in den Sinn gekommen, die Boote der
Eingebornen zu beobachten, er sah erst jetzt die nahende Gefahr. »Ich
gebe euch eine solche Laterne, Leute!« rief er mit hallender Stimme.
»Kommt zum Schiff, und ihr sollt sie haben.«

Die Orang-Badju flüsterten. An ihrer Haltung ließ sich leicht erkennen,
daß sie dem Versprechen nicht trauten, sie antworteten mit einer neuen
energischen Forderung.

Der Kapitän übersah die augenblickliche Lage. Vom Schiff wenigstens
fünfhundert Schritte entfernt, von einer gedrängten Anzahl bewaffneter
Männer umgeben, war die Lage der kleinen Schar so ungünstig wie nur
möglich. Alle diese Orang-Badju hatten Bogen und Pfeile, schwere mit
Eisenspitzen versehene Harpunen und nicht selten auch noch lange Spieße;
wenn sie sich ernstlich gegen das Boot der »Hammonia« kehrten, so war
dasselbe verloren.

»Die Gewehre in Anschlag!« kommandierte er. »Keinen Schuß, ehe ich das
Zeichen gebe.«

Dann trug der Wind den Schall der Signalpfeife über das Wasser dahin;
jedenfalls aber mußte an Bord die Bedrängnis der Gefährten schon bemerkt
worden sein, denn im selben Augenblick stießen die beiden letzten Boote
voll bewaffneter Matrosen vom Schiffe ab, und an Deck brummte die
Kanone. Eine Kugel flog über alle diese Pfahlbauten hinweg weit in das
grüne Ufer hinein, riß die Krone eines Baumes fort und brachte so den
Wilden von der verheerenden Macht des Geschosses einen ungeahnten
Begriff bei. Sie stutzten, vergaßen im Augenblick die gewohnte, für ihre
Absichten so durchaus notwendige Vorsicht und ermöglichten es dadurch
dem Kapitän, mittels schneller Bewegung des Steuers aus dem umgebenden
Kreise heraus und an die Seite ihrer Fahrzeuge zu gelangen.

Ohne weiteren Befehl legten sich die Matrosen mit vereinten Kräften in
die Riemen, das Boot schoß wie eine Möwe über die blaue Flut dahin, --
die List der Weißen schien gelungen.

Aber nur sekundenlang währte die Überraschung der Orang-Badju, dann
brach von ihren Lippen ein Wutgeheul gleich dem Toben wilder Tiere los,
überall schwirrten Pfeile durch die Luft, ja sogar Harpunen wurden
geworfen, und wieder einmal erhielten unsere Freunde verschiedene nicht
unerhebliche Wunden; sie selbst aber schossen nur auf die leichten
Fahrzeuge, nie auf die Eingebornen, deren Wut sich vergrößerte, je mehr
Vorsprung ihre Feinde gewannen. Hier oder dort sank eines der schlechten
Boote; die Matrosen vom Dampfer vereinigten ihre Kräfte mit denen der
Kameraden, und um endlich die Sache gründlich zu behandeln, schlug eine
zweite Kanonenkugel derartig ins Meer, daß die Mehrzahl der Wilden von
dem gewaltigen Spritzwasser, welches sie überschüttete, zu Boden oder
häufig gar über Bord geworfen wurde. Es war eine Szene bodenlosester
Verwirrung und des Aufruhrs sondergleichen. Hochgehende Schaumwellen,
schwimmende Wilde, leer treibende und versinkende Kanots, dazu Spieße,
Ruder, Pfeile und Harpunen, alles nickend und tanzend, wie die Wogen
kamen und gingen. Inmitten dieses Trödelmarktes auf den Wellen drangen
die Boote mit den Matrosen weit genug vor, um sich erfolgreich zwischen
beide Parteien zu werfen; man schoß auch hier nicht, aber dennoch
hielten die Kugelbüchsen und vor allen Dingen die Schiffskanone den
ganzen Schwarm der Orang-Badju dermaßen in Respekt, daß kein weiterer
Versuch zu Feindseligkeiten gewagt wurde. Wie im schweigenden
Einverständnis hatte man allerseits das Leben der Wilden verschont und
doch seine Zwecke erreicht; Papa Witt nickte grimmig, als die kleine
Expedition blutend und mit bleichen Gesichtern wieder an Bord kam. »Die
gelben Hunde!« sagte er. »Wär's nicht unchristlich gedacht, ich möchte
wohl ein paar Vollkugeln in das Dorf hineinschicken und die Banditen
unter ihren eigenen Dächern begraben.«

Dann aber verband er mit des Kapitäns Hilfe die verschiedenen
schmerzenden Glieder und legte Salben auf das von den Pfeilen zerrissene
Fleisch; erst nachdem der erste Schreck überwunden, konnten die jungen
Leute ihre Erinnerungen sammeln und sich alle Einzelheiten des kleinen
Abenteuers ins Gedächtnis rufen. Das war so schnell, so überraschend
gekommen, sie wußten selbst nicht recht wie. Nur daß die Wilden geglaubt
hatten, diese Lampe sei ein Zauber, der das unter dem Wasser Befindliche
zu entdecken und zu heben vermöge, schien klar; kein Wunder also, daß
sie lebhaft wünschten, für ihre Fischerei und ihren Perlenfang den
Fetisch zu besitzen.

Als das Schiff am Ausgang der Bai vorüberfuhr, hielten sich die Gelben
sämtlich versteckt, wahrscheinlich aus Furcht, eine dieser entsetzlichen
großen Kugeln in ihr Dorf einschlagen zu sehen. Die Fahrzeuge waren an
Pfählen befestigt, alles Treiben ruhte, alle diese Wasserstraßen voll
Kinder und Frauen, diese Boote voll handelnder Männer schienen plötzlich
ausgestorben, dafür aber gewann, nachdem Kap Rivers umschifft worden,
die Landschaft des Ufers einen immer anziehenderen Charakter. Auf
weiten, freien, von üppigstem Graswuchs bedeckten Ebenen weideten
zahllose Herden von kräftig gebauten Büffeln, Antilopen und namentlich
auch kleinen, äußerst feurigen wilden Pferden, die ersten, welche die
Reisenden in freiem Zustande angetroffen. Es gab ein hübsches Bild, die
gewaltigen, plumpen Büffel und die leichtfüßigen Pferde so über das
ebene Land dahingaloppieren zu sehen, zwischen ihnen schlanke Antilopen
und den Annang, ein Mittelding des Rinder- und Antilopengeschlechtes,
über ihnen auf allen Bäumen die schönsten, farbenprächtigsten Vögel,
namentlich den Tropikvogel mit seiner wunderbaren, gebogenen, einzeln
dastehenden Schwanzfeder und verschiedene Arten des Paradiesvogels,
ebenso die großen samtglänzenden Schmetterlinge der Tropen.

Wäre nicht die Hitze beinahe unerträglich und dadurch die
Schmerzhaftigkeit der Wunden bedeutend verstärkt gewesen, so hätten die
Reisenden an manchem Punkt dieser einsamen Nordküste von Celebes schon
angelegt und die friedlichen Wälder streifend durchforscht; so aber gab
es viel zu leiden, Franz hatte sogar Fieber, und der Malagasche hinkte
wie ein Stelzfuß; die Wunden waren noch nicht völlig geheilt, als einige
Boote die Abenteurer an dem nördlichen Punkt der Insel, in Menehasse, an
Land setzten. Absichtlich hatte man eine ganz versteckte, unbewohnte
Ecke gewählt; hoch und steil ragte in scharfer Biegung das Ufer bis in
die Wellen hinaus; eine schmale enge Bucht, am Felsen dahinlaufend und
langsam im Grün des Bodens verschwindend, führte durch schattiges Dunkel
auf einer Seite in den etwas versumpften dichten Wald und auf der
anderen zum sandigen, der Sonne preisgegebenen Strande.

Diesmal war alles, was das Schiff entbehren konnte, mitgenommen worden,
um die Alfuren von Feindseligkeiten zurückzuschrecken; auf Führer
verzichtete man, Häuser wollte man nicht besuchen und auch nicht
Tauschhandel anbahnen, sondern einzig und allein Pflanzen und Tiere
sammeln. Zwei Tage und Nächte waren für diese gefährliche Expedition
bestimmt, und jeder einzelne Mann trug Waffen für zwei. So ausgerüstet,
verproviantiert und mit Munition und Wolldecken reichlich versehen,
schlugen die kecken Abenteurer zunächst den Weg ein, der sie in das
kühlere, schattige Innere des Waldes führte. Welch eine Labung nach der
langen, brennend heißen Fahrt durch die Celebessee! Mit welchem
Entzücken ließen die jungen Leute den stäubenden Wasserfall über sich
dahinströmen; mit welchem Hochgenuß verzehrten sie die Beeren, deren
reiche Fülle auf jedem Schritt zum Pflücken einlud! Hier brachte der
Wind unter den undurchdringlichen Laubkronen die ersehnte Kühlung, hier
lockte das dichte Moos des Bodens zum Ausruhen, der Gesang in den
Zweigen, der Duft der Blumen zum Träumen auf weichem Blätterlager. Das
Fleisch war gebraten vom Schiff mitgenommen, eine tüchtige Portion Brot
und Cakes steckte in den leinenen Taschen, Käse und Rum befanden sich
wohlverpackt daneben, ebenso gekochte Eier in Unzahl; man brauchte also
für den Magen nicht zu sorgen, sondern konnte sich ganz den Neigungen
überlassen.

Papa Witt war an Bord geblieben, nach langem Widerstand zwar, aber doch
endlich besiegt. Die jungen Leute wollten ihn nicht mit sich nehmen, um
unbehindert ihre Streifpartie hierhin und dorthin ausdehnen zu können,
wobei ihnen der Alte im Wege gewesen wäre. »Es geht über Stock und
Stein,« hatte Holm gesagt, »die höchsten Berge hinauf und die tiefsten
Schluchten hinunter, -- wollen Sie das wagen, Steuermann?«

Und er wagte es nicht, aber er schärfte noch allen ein, sich vor den
Alfuren zu hüten, besonders den Matrosen, deren Neigung für Reibereien
und kleine Ausschreitungen er aus Erfahrung kannte. »Ihr geht in kein
Haus hinein, Jungens,« befahl er, »oder ich lasse euch im nächsten Hafen
für Ungehorsam in aller Form bestrafen. Und noch eins -- die
Handharmonika bleibt hier auf dem Schiff!«

Sein ernster Blick suchte den des Kapitäns. »Ist mir's doch, als sei es
gestern gewesen, wo wir unseren Kameraden ohne Kopf wiederfanden,« sagte
er heimlich schauernd. »Gleich hier hinter der Ecke liegt das Dorf, --
ich erkenne die Bucht und die scharfe Biegung; da hat sich in allen den
Jahren nichts verändert, Kapitän. Wissen Sie was? -- Wir verbieten kurz
und gut den ganzen unklugen Zug in das Land der Halsabschneider. Ich
will's vertreten vor dem Chef, wenn wir nach Hause kommen.«

Dazu wollte aber der Kapitän sich nicht verstehen, obwohl ihn selbst der
Anblick der bekannten Bucht weit tiefer erschüttert hatte, als er es dem
alten Gefährten gegenüber äußerte. Weiterhin gab es keine Stelle mehr,
wo Boote ungesehen die Landung zu bewerkstelligen vermochten; er schlug
sich daher die Besorgnis, welche auch ihn heimlich beherrschte, so gut
es anging, aus dem Sinn, und fügte nur noch den Ermahnungen des
Steuermanns die seinigen hinzu; dann hatte er die kleine Gesellschaft
ziehen lassen.

Tiefe Stille lag auf dem Walde, kein Mensch und kein Tier kreuzte den
Pfad, nur seltsame, nie gesehene Vögel saßen auf allen Zweigen. Offenbar
wurden diese hübschen Geschöpfe selten oder nie gejagt, denn ihre
Zutraulichkeit ging so weit, daß sie sich zuweilen mit ausgestreckter
Hand ergreifen oder sich eine Hanfschlinge über den Kopf werfen ließen.
Einen derselben sahen die Knaben, als er an sumpfiger Stelle Schlamm mit
dem Schnabel aufhäufte und dann davonflog. Es war ein niedriger Hügel
entstanden; Franz untersuchte ihn sofort und entdeckte zu seinem
Erstaunen unter einer zähen, leichten Schlammschicht fünf Eier, die
jedenfalls dort von der Sonnenwärme ausgebrütet werden sollten. Eine
genauere Durchforschung der Umgegend brachte noch dreißig oder vierzig
weitere derartige Erdnester an das Tageslicht, zum Teil unter Schlamm,
zum Teil unter Gras und Blättern verborgen, blaue und weiße, grüne und
gesprenkelte Eier zeigend, aber sämtlich in einer Vertiefung des Bodens
gelegen; nirgends zeigten sich Spuren einer brütenden Mutter. Natürlich
wurden nur so viele Eier genommen, als verschiedene Arten vorhanden
waren und immer auch nur eins aus jedem Neste; die Vögel schienen sich
indessen um ihre Nachkommenschaft sehr wenig Sorgen zu machen, sie
flogen davon und ließen die Weißen in ihrem Thun unbehelligt.

Von Strecke zu Strecke wurde der Wald sumpfiger und unwegsamer.
Ausgedehnte stehende schwärzliche Gewässer, von mannshohem Schilf
umkränzt, lagen unter dem ewigen Schatten der Bäume, große Krokodile
dehnten sich an den Ufern, Schlangen glitten über den Fußboden dahin,
und zuweilen tönte in der Ferne ein Brechen und Knacken, als wenn von
flüchtenden Tieren das Unterholz gewaltsam beiseite gedrängt werde. Dann
horchten die Weißen; aber der Klang verhallte, und es zeigte sich
nichts; die Herde mußte ihren Weg in entgegengesetzter Richtung genommen
haben.

»Das sind wilde Schweine,« behauptete Rua-Roa, »ich kenne ihre Art.«

Holm schüttelte den Kopf. »Die gibt es hier nicht,« antwortete er. »Aber
ja doch, ja,« setzte er plötzlich hinzu, »wie konnte ich denn den
Hirscheber, den Babirussa, vergessen! Wir müssen ihn unter allen
Umständen schießen, wenigstens aber zu Gesicht bekommen.«

»Das wird nicht leicht sein,« versetzte der Malagasche. »Nur erfahrene
Schweinsjäger vermögen es, das Tier zu erlegen; in meiner Heimat sind
sie hochgeehrt und gehen in jedem Hause aus und ein, als sei es das
ihrige.«

»Verstehst du selbst denn nicht ein wenig von der Jagd, Junge?«

Rua-Roa schüttelte den Kopf. »Die Hovas sind keine Jäger, Herr! Aber
wenn mich nicht alles täuscht, so werden diese Schweine von Eingebornen
gejagt. Da sind sie wieder!«

Diesmal erklang das Grunzen und das Brechen der Zweige aus größerer
Nähe, man hörte einen Augenblick lang auch Menschenstimmen, dann den
Aufschrei eines Tieres, und alles war wieder still. Die Weißen sahen
sich an, -- Alfuren hinter den nächsten Gebüschen!

Holm legte den Finger auf den Mund. »Still, vielleicht kommen wir noch
unbemerkt davon!«

Niemand rührte sich; es war, als behaupte eine Anzahl Versteinerter den
Platz unter den Bäumen, nur der Wind flüsterte, und die Insekten
schwirrten, -- der Instinkt der Wilden hatte trotzdem die Gegenwart der
Fremden entdeckt. Aus den Zweigen hervor sah ein rotes, von schwarzem
Haar umgebenes Gesicht, dunkle, tiefleuchtende Augen sendeten spähende
Blicke über die Gruppe der Weißen dahin, und dann sprach der Mann nach
rückwärts zu seinen Genossen einige wenige Worte, worauf zwölf bis
sechzehn Alfuren erschienen, sämtlich nackt, vollbewaffnet und von einem
Schmutz, einer Verkommenheit der Erscheinung, wie man sie selbst bei den
Urbewohnern Ceylons nicht wahrgenommen hatte. Alle diese Männer waren
klein, schmächtig, von ungesunder Hautfarbe, mager und nicht selten mit
einem Gesichtsausschlag behaftet; um die Lenden trugen sie den
bekannten, zerfaserten Grasgürtel, sonst aber nichts als nur Waffen,
einige von ihnen gingen auch ganz ohne alle Bekleidung einher.

Holm und die übrigen grüßten höflich, nur einer der Matrosen, ein
blutjunger Mensch, sagte auf deutsch: »Das Lumpenzeug! sechs davon nehme
ich allein auf mich!«

Der vorderste Alfure sah ihn an; es war ein langer, verborgenen Haß
sprühender Blick. Hatte der Ton den Inhalt verraten? -- --

»Di meen ick, Döskopp!« setzte nickend und lachend der junge Hamburger
hinzu.

Holm verbot mit kurzen barschen Worten dergleichen Scherze, auch die
übrigen stimmten ihm bei, so daß die Alfuren aufhorchten, der Matrose
jedoch allerlei Gegenreden in den Bart brummte. Der Auftritt ging
schnell vorüber, aber er hatte genügt, in dem Herzen des jungen Menschen
einen eigensinnigen Trotz wachzurufen und anderseits die Alfuren
aufmerksam zu machen. Sie versicherten, ein schlechtes Englisch
sprechend, daß den Weißen bei ihrer Jagd im Walde keinerlei Hindernis
erwachsen würde und stellten ihr Dorf mit allem, was sie besaßen, den
Gästen zur Verfügung. Holm dankte ebenso höflich; dann wurden kleine
Geschenke verteilt und von den Wilden das eben erlegte Tier
herbeigeholt, um es den Fremden als Gegenleistung anzubieten.

Darauf trennte man sich, nachdem die Alfuren noch versichert, daß in
einer Bucht nahe bei ihrem Dorfe heute abend Trepang gefangen werden
würde, und daß dazu die Weißen höflichst eingeladen seien!

Holm hatte nichts Eiligeres zu thun, als sich des Hirschebers zu
bemächtigen und das seltene Tier nach allen Richtungen zu besehen und
auszumessen. Dieses große, vollausgewachsene männliche Exemplar zeigte
die Länge von anderthalb Metern und war etwas über einen halben Meter
hoch; es hatte die rauhen Borsten des gemeinen Schweines, aber dabei die
melancholischen, sprechenden Augen des Hirschgeschlechtes; die
hauerartigen Eckzähne durchbohrten an beiden Seiten die Oberlippe.

[Illustration: Begegnung mit den Alfuren auf Celebes.

»... worauf zwölf bis sechzehn Alfuren erschienen, sämtlich nackt, voll
bewaffnet ...«]

»Haben wir ihn einmal, so wollen wir ihn auch essen,« meinte Holm, »sein
Fleisch ist ohnehin bekannt als das zarteste der gesamten
Schweinefamilie. Wir lassen ihn hier liegen und nehmen ihn heute abend
mit zum Alfurendorf; den Fang auf dem Meer möchte ich doch gern ansehen,
nebenbei aber ist es auch klüger, jetzt, nun uns die Wilden einmal
bemerkt haben, nicht geradezu vor ihnen zu flüchten. Unser Nachtlager
können wir ja im Schutz der Uferfelsen vor den Dorfhäusern aufschlagen,
und morgen an den Spießen der Alfuren das Schwein braten.«

Man warf also große Zweige und Blätter über den toten Körper und drang
dann tiefer in das grüne Gewirre hinein. Ungeheure Bäume, wahre Riesen,
versperrten in urweltlicher Fülle und Breite den Weg; manche Arten waren
für die Weißen noch ganz neu, so besonders der Upasbaum, das Tekholz,
das Sandelholz, die Zeder und Muskat- und Ebenholzbäume, sie sammelten
überall Blüten und Blätter, ebenso unzählige Kletterpflanzen und große
schöne Blumen, es begegneten ihnen aber auch mehrere Alfurendörfer,
deren Einwohner bettelnd und neugierig hinterher liefen; alles, Häuser
und Menschen, unter Schmutz vergraben. Die einzige Beschäftigung der
Leute schien im Einfangen dessen zu bestehen, was die Natur freiwillig
spendete; wenigstens arbeitete niemand, und als Holm in einem der
wackelnden, trübselig verfallenen Dörfer eine diesbezügliche Frage
stellte, da antwortete man mittels eines einzigen Lautes: »Trepang!«

Der Fang des Meerwurmes wurde also gewerbsmäßig betrieben; unsere
Freunde wollten es keineswegs versäumen, sich die Sache anzusehen und
nahmen zur sicheren Erreichung dieses Zweckes einen jungen Alfuren mit
sich, der sie zum Dorfe der Strandbewohner geleiten sollte. So ziemlich
kannten alle den Weg selber, es war daher gar kein Verrat möglich, auch
konnte der eine Alfure gegen die Überzahl von sechzehn Männern natürlich
nichts unternehmen.

Wilde Bienenschwärme bevölkerten die Luft; ein mattes, rosiges Glühen
der untergehenden Sonne lag auf dem Gras und vergoldete die Zweige
hundertjähriger Bäume; einige kleinere Singvögel zwitscherten im Laube
ihr Abendlied; große Spinnen, Riesen ihrer Art, webten jene Netze, in
denen sich sogar die geflügelten Sänger auf Augenblicke zu verstricken
im stande sind; Ameisen zogen in langen Reihen, mit Beute beladen nach
Hause; kurz, alle Zeichen deuteten auf das Hereinbrechen der Nacht, und
eben daher beeilten sich unsere Freunde so sehr als möglich, die Küste
zu erreichen. Der Trepangfang durfte ihnen nicht entgehen.

Da plötzlich raschelte es im Laube, eine Nuß flog herab, dem Doktor
gerade an den Kopf, und als sich der alte Herr äußerst erstaunt nach dem
unvermuteten Angreifer umsah, blickte zähnefletschend ein großer,
schwarzer Affe vom Baum; kaum aber hatte diesen der Alfure bemerkt, als
er mit einem Satz zurücksprang und sich auf beide Kniee warf. Seine
Lippen murmelten abgebrochene Laute, seine Bewegungen deuteten auf
lebhafte Furcht.

Der Doktor stand still und sah ihn an. »Herr des Himmels, betet der zu
dem Affen?« sagte er ganz aus aller Fassung.

Holm verbot den Matrosen das laute Gelächter und fragte dann den
zitternden Eingebornen nach dem Grunde seines sonderbaren Benehmens. Der
Alfure blinzelte verstohlen zu dem lauernden Vierhänder hinüber. »Der
schwarze Verräter ist der Spion und Diener der Empongs,« antwortete er,
»von ihm erfahren sie, was die Menschen thun und treiben, er hält das
Gute und das Böse in seiner Hand. Dem Schwarzen darf kein Leides
geschehen, oder es entsteht ein Unglück.«

Holm schüttelte den Kopf. »Aber der Affe ist doch ein Tier wie jedes
andere,« bemerkte er.

Der Alfure fuhr immer fort zu beten. »Die Empongs haben ihm
Menschengestalt und Menschenlist verliehen,« sagte er, »dafür verrät er
ihnen die Geheimnisse des Stammes, bei dessen Hütten er lebt. Thut ihm
nichts zuleide, Herr, sonst schicken die Empongs einen Sturm, der in
dieser Nacht alle Boote zerstört und die Trepangfischer ertrinken läßt.«

Holm wandte sich zu den jungen Leuten. »Laßt den Affen in Ruhe,« sagte
er auf deutsch. »Was nützt es uns, diese armen Wilden in ihrem
Aberglauben zu stören; wir selbst würden den Schaden davon haben. Kommt
nur und thut, als wüßtet ihr nichts.«

Das Jagdvergnügen mußte also diesmal geopfert werden, und während der
Doktor sich alle mögliche Mühe gab, im schlechtesten Englisch den
Alfuren vom ganzen Unwert seiner Anschauungen zu überzeugen, wanderte
die kleine Schar dem Stranddorfe zu. Auf dem Wege dahin begegneten ihnen
große, graue, langbeinige Kasuare, die ihre umfangreichen, grünfleckigen
Eier in den Sand legen, sie lose bedecken und dann der Sonne zum
Ausbrüten überlassen; häßliche Tiere mit bräunlich-schmutzfarbenem
Gefieder und wie bei dem Truthahn vom Hals herabhängenden feuerroten und
himmelblauen Hautlappen, große, behende Schnellläufer, mit denen es ein
Windhund an Eile und Ausdauer nicht aufnehmen kann. Es war unmöglich
einen von ihnen zu schießen.

Auch den Hirscheber in seinem Versteck fanden die Reisenden nicht mehr
vor und schlossen daraus mit Recht, daß die Alfuren hinter den nächsten
Bäumen gelauert und das Wild, sobald sie sich unbeobachtet sahen,
schleunigst wieder an sich genommen hatten. Dieser Verlust war zu
verschmerzen, aber er zeigte doch aufs neue, daß Treue und Glauben den
Gelben ganz fremde Eigenschaften seien und die höchste Vorsicht ihnen
gegenüber geboten schien. Als das Dorf im tiefen Thal am Strande
auftauchte, wurde der junge Alfure entlassen und in geschlossenen
Gliedern der Platz zwischen den drei oder vier langgestreckten Häusern
besucht, um dann unter einem überhängenden Felsen das Nachtquartier
aufzuschlagen.

Die Frauen und Kinder der Alfuren hielten sich in scheuer Entfernung,
nur selten kam irgend ein altes, hinkendes oder blindes Weib, geführt
von nackten Kindern, und streckte bettelnd die Hand aus; auch Greise
näherten sich, um ein buntes Tuch oder ein Messer zu erhaschen; im
ganzen aber waren die Leute zurückhaltend und bescheiden.

Vom Meer herüber glänzten Hunderte von Fackellichtern, der Trepangfang
war im vollen Gange, und Boot an Boot trieb auf den ruhigen Wellen,
während verhältnismäßig wenige Männer die kleinen, schlanken Fahrzeuge
besetzt hielten. Wo hatten sich die übrigen versteckt? -- Das Rätsel
sollte sich sehr bald lösen. Unsere Freunde benutzten die Erlaubnis
mehrerer Eingebornen, sich der am Strande befindlichen Kanots zu
bedienen und befanden sich bald mitten unter den Alfuren in der Bucht.
Was sie von fern nicht deutlich erkennen konnten, das lag jetzt offen
vor ihren Blicken; die Wilden tauchten ununterbrochen und spießten mit
dünnen, spitzen Bambusrohren das auf den Algen am Grunde lebende Tier;
in jedem Augenblick erschien auf der Oberfläche der Kopf des Fischers;
ein paar fußlange, vier Zoll dicke, walzenförmige Würmer von brauner
Grundfarbe mit schwarzem Punktenschmuck und einer Reihe Fransen oder
Fühler um den Mund wurden in das Boot spediert, und dann verschwand der
Alfure, um neue Beute heraufzuholen. Die wenigen in den Fahrzeugen
gebliebenen Männer hielten die Fackeln aus Kienspänen und sammelten die
wurmartigen Stachelhäuter, welche auch eßbare Seegurken genannt werden.
Sie besitzen eine lederartige, bräunliche, rötliche oder schwarze Haut,
die sie vorm Austrocknen behütet, wenn sie auf den Strand geraten und
wie lange Würste ohne Lebenszeichen im Sande von der Sonne beschienen
werden. Getrocknet bilden sie unter dem Namen Trepang einen wichtigen
Handelsartikel in der Südsee, zumal da die Chinesen diese Speise für
einen Leckerbissen halten, der allerdings dem europäischen Gaumen wenig
oder gar nicht zusagt. Holm hoffte später in den seichten Tiefen der
Korallenriffe einige seltene und schöne Exemplare dieser Seewalzen oder
Holothurien, wie sie wissenschaftlich bezeichnet werden, zu fangen. Die
Wilden warfen die gespießten Seewalzen in bereitstehende Körbe und
fischten eifrig in buntem Durcheinander.

Es war ein malerischer, unvergeßlicher Anblick, die vielen schaukelnden
Fahrzeuge mit den Gestalten der braunen, nackten Wilden, die auf- und
abtauchenden Köpfe, die Fackeln in wirbelnde Rauchsäulen gehüllt und als
Hintergrund des Bildes die düsteren, hohen Felsmauern, unter deren
Schatten das Dorf seine Hütten barg. Alles dieses scharf umrissen vom
Helldunkel der Tropennacht, zuweilen grellrot angehaucht im Fackellicht,
zuweilen silbern umsäumt im matten Glanz der Sterne, gewährte ein
Gesamtbild, dessen poetische Schönheit die Herzen der Weißen entzückte.
Sie verließen erst nach stundenlangem Schauen und mit den letzten
Alfuren die Bai, konnten sich aber nicht entschließen, den dargebotenen
gerösteten Trepang zu kosten, sondern warfen heimlich die widerwärtige
Speise beiseite und begnügten sich mit ihren vom Schiff gebrachten
Vorräten, worauf dann die Wolldecken ausgebreitet und zu später Stunde
die Ruhe gesucht wurde. Holm zählte die Häupter seiner kleinen Schar,
alle sechzehn waren vorhanden! Zwei Matrosen erhielten die erste Wache;
das Verbot, sich in die Alfurenhäuser zu begeben, wurde nachdrücklichst
wiederholt und den Leuten gesagt, daß sie sich gerade hier unter den
wildesten, am wenigsten zivilisierten Bewohnern der ganzen Insel
befänden; dann suchte jeder zu schlafen.

Franz und jener junge Matrose, der am Morgen die Alfuren verspottet,
lagen zufällig hart nebeneinander. Nachdem alles still geworden, stieß
der Hamburger leise gegen den Arm seines Genossen. »Schlafen Sie, Herr
Gottfried?«

»Nein -- was ist los?«

»Pst! Nichts, gar nichts, wecken Sie doch nur den Doktor und Ihren
anderen Lehrer nicht auf, die thun ja, als ob die gelben Kerle hier
herum Menschenfresser wären. Wissen Sie, ich möchte gar zu gern das
Innere eines solchen Alfurenhauses sehen! -- was ist denn auch weiter
dabei, und wen geht es an, ich trage meine eigene Haut zu Markt.«

Franz schüttelte den Kopf. »Lassen Sie sich dazu nicht verleiten,
Hartmann,« warnte er. »Die Sache könnte ihnen doch gefährlicher werden,
als Sie denken, und überdies ist wahrhaftig der Aufenthalt in einem
solchen Familienhause nichts weniger als angenehm. Schreckliche Luft,
Ungeziefer, Kindergeschrei und Hahnenkämpfe, das ist das Bild einer
Nacht unter diesen Dächern; ich habe es auf Borneo kennen gelernt.«

Der Matrose schien nicht überzeugt. »Man kann aber doch seinen Spaß
haben,« versetzte er. »Ich möchte hinein.«

»Das dürfen Sie nicht, Hartmann, und Sie thun es auch nicht.«

Der Matrose lachte. »Hm, schwören Sie nicht darauf, junger Herr. Ich
hatte übrigens gehofft, daß gerade Sie heimlich mit mir gehen würden.«

Franz errötete bis unter die Haarwurzeln. Also man hielt ihn jedes
tollen Unternehmens ohne weiteres für fähig.

»Gute Nacht, Hartmann,« sagte er etwas kurz. »Ich möchte schlafen.«

Dabei drehte er dem jungen Menschen den Rücken und bekümmerte sich nicht
weiter um ihn. Daß der Bursche in ihm den Teilnehmer einer Unklugheit
vermutet, beleidigte seinen Stolz. Aber wahrhaftig, in Zukunft sollte
das anders werden.

Erst sehr spät schlief er ein; die wachthabenden Matrosen saßen rauchend
und leise plaudernd in halbliegender, bequemer Stellung im Gras, die
laue stille Luft wirkte fast betäubend, ringsumher störte kein Laut die
Ruhe. Auch jenes Flüstern der Blaujacken drehte sich um die Vorsicht,
welche der Steuermann und Holm den Leuten so dringend empfohlen hatten.
»Narretei,« sagte der eine, »es ist lächerlich, hier zu sitzen und zu
wachen. Die Kerle denken an keine Feindseligkeiten, sie waren ja ganz
höflich, brachten uns sogar die vertrakten Würmer zum Essen! Aber weil
vor einem halben Jahrhundert einmal ein Mord passiert ist, muß man am
Lande über Stock und Stein klettern und darf nachher nicht einmal
schlafen.«

Ein herzhaftes Gähnen schloß den Satz, der andere legte sich etwas
bequemer, übersah die ganze Reihe der Schlummernden, brummte
Unverständliches aber offenbar wenig Schmeichelhaftes in den Bart, und
dann schwieg auch diese Unterhaltung.

Es war alles still wie in einer Welt ohne lebende, atmende Wesen.

                   *       *       *       *       *

Am andern Morgen erwachte Holm, nachdem die Sonne schon hoch am Himmel
stand. Sein erster Blick suchte die Wachen, -- sie lagen lang
ausgestreckt im Gras und schnarchten vernehmlich. Holm lächelte; die
Leute mußten schon geschlafen haben, ehe sie ihre Kameraden wecken und
von diesen abgelöst werden sollten, wenigstens bemerkte er kein Zeichen,
das die Nähe eines wachenden Menschen verkündet hätte. Alles schlief den
festen Schlaf der Jugend und Ermüdung.

Aber mochten sie doch! Es war nichts passiert, die Gefahr glücklich
vorübergegangen, der ganze Tag bis zum Abend, wo in der Einfahrt die
Boote ihre Passagiere erwarteten, konnte noch zum Ausflug in die
Umgebung auf der anderen Seite verwendet werden.

Holm richtete sich höher auf. Wieder wie am gestrigen Abend zählte er,
heimlich besorgt, immer im Bann von Papa Witts schauerlichem Erlebnis,
halb ohne Absicht; aber er zählte maschinenmäßig -- -- eins, zwei, drei,
-- nun, wo steckte denn der sechzehnte?

Er überzeugte sich, daß der Doktor und die Knaben unversehrt an seiner
Seite lagen, und etwas ruhiger geworden zählte er nochmals. Der
sechzehnte fehlte.

Jetzt stand er auf, sein lauter Zuruf weckte die übrigen, er wollte eben
fragen, welcher von den Leuten vermißt werde, als sein Blick im
Hintergrunde des Lagers die Stelle streifte, wo alles Gepäck aufgehäuft
worden war. Dort unter dem Felsen hatte es gelegen, die Waffen, die
Vorräte; aber jetzt befand sich auf dem ganzen Gebiet des Nachtquartiers
davon auch kein einziges Stück mehr. Was nicht die Reisenden an ihrem
Körper getragen hatten, das war fort.

»Herr des Himmels, -- unsere Gewehre!«

Holm fühlte, wie es ihm kalt über den Rücken herablief. »Still!« rief er
mit lauter Stimme. »Still! Wer ist der Mann, welcher in unserer Zahl
fehlt?«

Sekunden genügten, um festzustellen, daß es Hartmann sei, den die kleine
Expedition vermißte. Franz erzählte erbleichend, was er mit ihm während
der Nacht gesprochen.

Eine unbeschreibliche Aufregung und Erbitterung hatte sich aller Gemüter
bemächtigt. Nach rechts und links schallte der Name des Verschwundenen
durch die stille Morgenluft, die Matrosen verwünschten den Schlaf, der
sie überfallen, Holm war stumm vor Schmerz und Zorn, der Doktor trieb
wiederholt zum Aufbruch und Franz und sein Bruder verlangten energisch
jetzt am hellen Tage die Durchsuchung der Alfurenhäuser.

Rua-Roa nahm die Spur des verlorenen Leichtmatrosen da auf, wo er
während der Nacht gelegen, und verfolgte sie über Gras und Blumen hinweg
mit dem Instinkt des Wilden bis hinab zum Dorfe, wo vor der Thür des
einen Pfahlbaues jedes kleinste Merkmal endete. Es erschien
unzweifelhaft, daß der junge Mensch hier seinen Tod gefunden.

»Vielleicht halten sie ihn nur gefangen, um ein Lösegeld zu erpressen,«
meinte einer der Männer. »Wir sollten doch nachsehen!«

»Damit sie uns mit unseren eigenen Gewehren erschießen? -- Ohne Waffen
können wir gar nichts ausrichten.«

»Ich möchte mich selbst ohrfeigen,« rief der Matrose. »Wären mir nicht
die Augen zugefallen, so hätten wenigstens die Kugelbüchsen nicht
gestohlen werden können.«

Holm suchte ihn zu trösten. »Darüber beruhigen Sie sich, Schwarz,« sagte
er. »An eine Gefangenschaft des armen, jungen Menschen, an Wiederfinden
und Lösegeld ist nicht zu denken. Hätten wir alle Waffen der Welt, so
könnten uns dieselben das geraubte Leben nicht zurückgeben. Nur finden
und ehrlich begraben möchte ich den Ermordeten.«

»Sollten auch wir eine kopflose Leiche an Bord bringen, Karl?« fragte
Franz.

Der junge Gelehrte wandte sich ab. »Er wurde gewarnt,« sagte er
seufzend. »Weshalb suchte er im Ungehorsam eine Art von Ehrgeiz?«

Franz sah stumm über das Meer hinaus. Der arme Schelm hatte so fröhlich
dreingeschaut, sein lebensfrisches Bild stand so klar vor der Seele des
Knaben, -- er fühlte, wie Thräne um Thräne über die Wangen herabrollte.
Dies Ereignis machte auf ihn einen Eindruck, stärker und erschütternder
als alle früheren.

»So laß uns suchen,« ermahnte er endlich. »Laß uns wenigstens den toten
Körper finden.«

Es wurde nun eine Kette gebildet und rings im Halbkreise das Waldgebiet
durchforscht; kein Gebüsch, keine Niederung blieb unbeachtet, aber
nichts war zu finden, bis am späten Mittag der Malagasche eine Stelle
entdeckte, an der er stehen blieb. »Hier ist in der letzten Nacht die
Erde aufgegraben worden,« sagte er. »Das Gras und das Moos wachsen
nicht, sie sind nur lose in den Boden gesteckt.«

Er lockerte mit der Hand den Pflanzenwuchs, unter welchem sich sogleich
die frisch umbrochene Erde deutlich zeigte, und wo schon nach geringer
Mühe, in einer Tiefe von kaum sechs Zoll, die Leiche des unglücklichen
jungen Menschen gefunden wurde, -- kopflos wie man erwartet hatte.

Schweigend umstanden alle das offene Grab, besonders Franz war tief im
Herzen erschüttert. Noch immer hörte er den Toten sagen: »Ich hatte
gerade gehofft, daß Sie heimlich mit mir gehen würden!« --

O wie inbrünstig dankte er dem Himmel, hier nicht nachgegeben zu haben;
wie demütig gestand er dem eigenen Bewußtsein, daß nur der Mangel an
Neugier, nicht aber ruhige Überlegung ihn zurückgehalten. Hätte er nicht
auf Borneo das Innere eines solchen Familienhauses genügend kennen
gelernt, wer weiß, ob nicht die Versuchung auch ihn überwältigt haben
würde. Es war ein stilles, aber festes Versprechen, das er an diesem
Grabe sich selbst leistete.

»Auf!« ermahnte der Doktor. »Hüllt die Leiche in unsere Wolldecken,
Kinder, und tragt sie abwechselnd, damit wenigstens ein ehrliches
Seemannsbegräbnis dem Armen zu teil werde. Ich übernehme es, zuerst an
Bord zu gehen und dort unsere Freunde vorzubereiten.«

Vier Matrosen nahmen den Körper ihres Kameraden, banden ihn mit ihren
Riemen an ein paar derbe Stangen und trugen ihn so schweigend, in
unheimlicher Stille, gefolgt von den übrigen, bis zur Bucht am Strande.
Keiner dachte an Essen, obwohl ihnen seit dem gestrigen Abend nichts
mehr zu teil geworden war; keiner dachte an eine Bestrafung der
hinterlistigen Alfuren, die sich heute morgen alle sorgfältig versteckt
gehalten hatten, oder an die verlorenen Waffen; -- sie beeilten sich
nur, so schnell als möglich das Gebiet des tückischen Stammes zu
verlassen und atmeten voll Erleichterung auf, als ihnen durch das
Buschwerk des Strandes der Ozean blau und friedlich entgegenschimmerte.

Der Dampfer lag hart an der Küste, und auf dem Verdeck stand der
Steuermann, -- er musterte wie in Gedanken verloren das felsige Ufer.
Erst als ein lautes »Schiff Ahoi!« der Matrosen sein Ohr traf, fuhr er
zusammen. Schon die nächste unwillkürliche Handbewegung zeigte den
Schrecken, welcher ihn durchbebte.

Das abstoßende Boot brachte den Alten selbst, und da war es denn der
Doktor, welcher ihm entgegenging, um in schonender Weise das Unglück zu
berichten. Papa Witt schüttelte den Kopf. »Ich weiß es schon,« sagte er,
»ich wußte es, seit wir in den malaiischen Archipel kamen. Bin nicht
hier gewesen seit jener Unglücksnacht, hab's immer vermieden, obgleich
ich tausendmal im Traum diese scharfe Ecke und die unruhigen schwarzen
Wellen am äußersten Vorsprung sah, -- aber daß es geschehen würde, wußte
ich. Solch ein Vorgefühl täuscht nicht. Na, nun sagen Sie mir nur, wer
es ist; Hartmann, nicht wahr, Herr Doktor?«

»Konnte es mir denken,« fuhr er fort, »gerade er war der helläugigste,
frischeste Bursche unter allen, ihn trieb die kecke Lebenslust ins
Verderben, wie damals meinen Kameraden. -- Steigen Sie nur ein, Herr
Doktor, das große Boot soll die Leiche holen.«

Er hatte dem alten Theologen zu keiner Antwort Zeit gelassen, hatte auf
dem Gesicht desselben die Richtigkeit seiner Vermutung schon gelesen und
drängte ihn jetzt in das kleine Fahrzeug hinein. So kam es, daß der
Doktor auch den Kapitän vorbereiten konnte, ehe nach einer Viertelstunde
das große Boot die Leiche mit den übrigen Reisegenossen wieder an Bord
brachte.

Von den Alfuren zeigte sich auch jetzt kein einziger; sie mochten, ihrem
eigenen wilden und rachsüchtigen Denken nach, wohl annehmen, daß jetzt
die Weißen ihre Kanonenkugeln in das Dorf hineinschicken würden, und
waren alle landeinwärts in die Wälder geflohen. Natürlich aber geschah
dergleichen nicht; das Schiff verließ die Küste, und erst als der letzte
Streifen Landes dem Auge entschwunden war, versenkten die Kameraden auf
hoher See den Leichnam des Vorwitzigen, der so kecklich seinem Übermute
die Zügel schießen ließ und vielleicht die schrecklichsten Martern
erlitten hatte, ehe ihn der Tod aus den Händen der Alfuren erlöste.

Noch einmal grüßte, langsam hinauf und herab gleitend, Deutschlands
Flagge vom Mast den toten Sohn der Vaterstadt, noch einmal sahen die
Genossen zurück zu der Stelle, wo die Celebessee den kopflosen Leichnam
verschlungen -- dann drehte sich der Eisenrumpf, und das Schiff steuerte
den Inseln Australiens entgegen, zunächst der kleinen, wenig bekannten
Nightinsel zu, wo ein friedliebender, harmloser Papuastamm auf
allerunterster Stufe, fast im Zustand der Tierheit, leben oder besser
vegetieren sollte.




                         Dreizehntes Kapitel.


Wie wohlthuend berührte nach der brennenden Hitze in der Celebessee die
immer frischer und frischer werdende Kühle jede Stirn! Jetzt ging es mit
gleichem Schritt über Australien bis zur antarktischen Barriere, und die
beiden Knaben freuten sich schon im voraus des Schnees, mit dem sie nach
so langer Entbehrung wieder Ball spielen wollten. Es war höchst komisch,
welche Mühe sie sich gaben, dem Malagaschen begreiflich zu machen, was
Schnee sei. »Gefrorenes Wasser,« sagte Hans, »kleine zarte, sechseckige
Sterne.«

»Der Übergang zwischen Wasser und Eis,« setzte Franz hinzu.

Rua-Roa schüttelte immer wieder den Kopf. »Aber was ist denn
_gefroren_?« fragte er.

Da winkte ihm der Koch, eben jener gemütliche Sohn Hammonias, der auf
Ceylon den Singhalesinnen Pfannkuchen buk. »Komm mal heran, Gelber!
Sieh, mein Sohn, hier ist Butter, die ich eben geschmolzen habe. Sie
fließt wie Wasser, nicht wahr? Das that die Hitze, weißt du; wenn ich
sie aber wieder kalt stelle, läuft sie zusammen und wird ein Klumpen.
Das macht das Wasser ebenso, und dieser Klumpen heißt Eis, -- wenn's
sehr kalt ist nämlich. Und kalt sein, mein Junge, das heißt, wenn man
eine bläuliche Nasenspitze hat und Kribbeln in den Fingern.«

Und jetzt hatte Rua-Roa begriffen! Also eine Temperatur, die das Wasser
erstarren ließ! -- Er wandte sich kopfschüttelnd zu seinen Erziehern.
»Wenn es nur keine Fabel ist von diesem Lande,« sagte er bedenklich.
»Ich kann schwören, daß auf Madagaskar nie Eis getroffen wurde.«

Ein helles Gelächter klang über das Schiff dahin, und eine Extrastunde
Geographie war die Folge. Jetzt wurde übrigens der junge Hova in den
verschiedenen Lehrfächern schon so fest, daß er hübsch lesen und
erträglich schreiben konnte; nur wenn so ganz Unerwartetes ihn aus der
Bahn warf, griff seine Phantasie unwillkürlich zurück zu den
Verhältnissen und Anschauungen der Heimat, als dem einzig Sicheren, was
er besaß. Holm errettete ihn aus der verlegenen Situation, indem er die
anderen darauf hinwies, wie schwer es sei, sich von etwas Ungesehenem
einen Begriff zu machen; dann brachte er das Gespräch auf die
Nightinsel, der nun das Schiff entgegensteuerte. »Kapitän, waren Sie
früher schon einmal dort?«

Der Gefragte nickte. »Das ist die Kannibalengegend,« antwortete er,
»freilich nicht die Nightinsel selbst, aber doch die Gruppe, zu der sie
gehört. Ich habe einmal hier Schiffbruch gelitten und mit dreißig Mann
gegen über hundert Wilde gefochten, bis ein Schiff vorbeikam und durch
seine Kanonen die Neger in die Flucht schlug. Zwei von uns, die
unglücklicherweise vom Hauptquartier abgeschnitten worden waren, ließen
ihr Leben am Bratspieß der Wilden, -- wir fanden später die abgenagten,
verkohlten Überreste.«

»Sollte uns denn dergleichen auf der Nightinsel nicht geschehen können?«
fragte schaudernd der alte Theologe.

»Unter keiner Bedingung. Da leben die Makadamas, eine Horde gutmütiger
Geschöpfe, die sich durch nichts von harmlosen Tierarten unterscheiden,
die keine Kleider oder Gesetze, kein Oberhaupt, keine Wohnung oder Ehe,
ja nicht einmal eine Arbeit kennen; sie laufen nackt umher, stellen sich
beim Regen unter einen Baum, schlafen ein, wo sie müde werden, und
essen, was sie finden; Feuer dagegen unterhalten sie der Kälte wegen
immer und sind auch sehr geschickt in allem, was das Leben auf dem
Wasser betrifft.«

»Bewohnt denn dies Naturvölkchen die Insel ganz allein?«

Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Das treffen Sie nirgends,« antwortete
er. »Ist eine Insel überhaupt groß genug, um Menschen zu ernähren, so
hausen auch auf ihr zwei Stämme, die einander hassen und bekämpfen. Auf
Nighteiland leben außer den Makadamas noch die Echaus, weshalb Kriege,
bei denen man sich gegenseitig mit langen Spießen zu durchbohren sucht,
hier gar nichts Seltenes sind. Auch die Frauen kämpfen, diese aber
bedienen sich schwerer Holzblöcke, welche eine der anderen auf den Kopf
schlägt.«

»Sehr einladend!« lachte Holm. »Wir werden also Gelegenheit finden, ganz
neue Menschen und Verhältnisse kennen zu lernen.«

»Wollen wir vorher nach Timor anlaufen?« fragte Franz.

»Nochmals zu den Alfuren? -- Ich danke, nein.«

»Aber jenes kleine Koralleneiland, an dem die Wogen hoch aufschäumen,
möchte ich inspizieren,« sagte Holm, »es kann uns der Besuch desselben
höchstens einen halben Tag aufhalten. Ich hoffe dort ziemlich reiche
Beute, gerade in diesem Meere zu machen.«

Das Schiff drehte bei, dann wurde ein Boot ausgesetzt und die
Naturforscher erreichten das Innere der Koralleninsel von der
brandungsfreien Seite aus. Ein stiller, ruhiger Salzwassersee bildete
das Innere der Insel. Während sich an den Korallenriffen die Woge in
furchtbarer Brandung brach, herrschte hier Ruhe und Frieden, und in dem
klaren Wasser lebte eine eigene Tierwelt ihr vergnügtes Stillleben.
Papageifische zermalmten mit ihren harten Kiefern die Korallenzweige.
Schnecken aller Art weideten förmlich die Korallenfelder ab, indem sie
die weichen Tiere erwischten, welche aus ihrem harten Kalkbau
hervorkamen, um auf Nahrung zu lauern. Seesterne, Seeigel und Haarsterne
mit nach unten gerichtetem Munde belebten den See, in dem die von Holm
vermuteten Holothurien sich ebenfalls in reicher Anzahl und
mannigfaltigen Arten vorfanden. Sie alle ließen es sich wohl sein unter
dem Schutze des Korallenriffes, das sie vor der Vernichtung durch die
Wellen des Meeres bewahrte, indem es einen festen Wall, gleichsam eine
Schanze gegen das anstürmende Meer bildete.

»Hier in diesem glasklaren See wollen wir das seltsame Wesen der
Seewalzen beobachten,« sagte Holm, »und dann nach Herzenslust fischen.
Seht hier die violette Seewalze, wer hat Lust, sie zu ergreifen?«

Kaum hatte Holm die Frage gethan, als auch schon Hans sich niederbeugte
und die lange Seewalze mit festem Griff der Hand umklammerte. Nun aber
ereignete sich etwas sehr Seltsames.

Kaum bemerkte die Seewalze, daß ein Feind sie gepackt hielt, als sie
sich krampfhaft zusammenzog und durch den Mund ihre sämtlichen
Eingeweide ausspie. Hans kümmerte sich jedoch nicht darum, daß das Tier
ihn mit seinem klebrigen, anhaftenden Inhalt besudelt hatte, sondern
suchte seine Beute aufs Trockene zu bringen, aber dies Vorhaben wurde
ihm von dem Tiere gründlich vereitelt, denn es schnürte sich ein und
teilte sich in mehrere Enden, als wenn es eine Wurst wäre, die der
Metzger durch Abdrehen in mehrere Teile zerteilt hätte. Nur ein
Stückchen Haut behielt er in der Hand.

»Sieh einer doch solche Bosheit,« rief er, »das Tier vierteilt sich
selbst, um der Gefangenschaft zu entgehen.«

»Es schnürt sich ab bis auf den Kopfteil,« sagte Holm. »Dort liegt ein
ringförmiger Nerv, und so lange dieser unzerlegt bleibt, ist es der
Seewalze möglich, wieder nachzuwachsen. Die Zerstörung durch freiwillige
Abschnürung geht bei einigen Arten so weit, daß noch kein Naturforscher
sich rühmen konnte, ein vollständiges Exemplar aus dem Meere
heraufgeholt zu haben.«

»Aber warum übt es solche Selbstverstümmlung aus?« fragte Hans.

»Diese Abschnürung ist ein wunderbares Auskunftsmittel, um bei der
gänzlichen Widerstandslosigkeit gegen Angriff und Verfolgung wenigstens
das Leben zu retten. Selbst im Rachen eines gierigen Räubers vermag die
Seewalze sich in zwei Hälften zu teilen, deren eine sie als wertlos dem
Feinde überläßt, während das Kopfende das Meer zu erreichen sucht, um
auf dem Grunde desselben einen Ruheplatz zum Neuwachstum und Ersatz des
preisgegebenen Körpers zu suchen. Selbstwillige Zerstörung und rasches
Wiederherstellungsvermögen sind es, die bei der Seewalze die Verrichtung
eigentlicher Verteidigungsorgane höherer Tiere ersetzen.«

»Wir wollen uns jedoch durch dieses Gebaren der Seewalzen nicht beirren
lassen, sondern so viele Bruchstücke derselben zu erlangen suchen, wie
nur möglich, denn die übrigbleibende Haut liefert dem Mikroskopiker das
Material zu Präparaten, die jedes Auge erfreuen.«

Es wurde nun eifrig Jagd auf Seewalzen gemacht, und die Stücke, welche
nach der freiwilligen Vierteilung übrig blieben, wanderten nach Holms
Anleitung in den Spiritusbehälter. Holm versprach den Knaben, während
der nächsten Fahrt auf dem Schiffe ihnen die Wunder der Holothurienhaut
unter dem Mikroskop zu zeigen.

Von den Papageifischen, die sich durch die Eigentümlichkeit ihres
Gebisses ebensowohl auszeichnen als durch die Farbenpracht ihrer
Schuppen, wurden mehrere Exemplare gefangen. Die Tiere, welche weder den
Menschen noch das Netz kannten, waren mit leichter Mühe zu erlangen.

Holm fand an einer Stelle die rote Orgelkoralle, bei der die kalkigen
Wohnungen der Einzeltiere als schlanke Röhren wie die Orgelpfeifen neben
einander stehen. Auch die elegante Seefeder sowie der Neptunsfächer
wurden erbeutet, zierliche Korallenstöcke, die sich ausnahmen wie
Hutfedern oder wie riesige Fächer von bräunlicher, rötlicher und gelber
Farbe.

Der Ausflug nach diesem kleinen Koralleneilande war ein überaus
lohnender gewesen. »Wir wollen diesem Punkte im Ozean einen Namen
geben,« schlug Hans vor. »Was meint ihr, wenn wir ihn »die Schatzkammer
der Naturforscher« nennen?«

Alle waren damit einverstanden, und als sie wieder an Bord waren, trug
der Kapitän das Inselchen und seinen Namen in die Seekarte ein.

Das Schiff setzte seine Fahrt fort, bis endlich nach kaum drei Wochen
die kleine, wenig bekannte Insel an der Nordküste Australiens erreicht
war. Viele gefährliche Klippen starrten himmelhoch und von Brandungen
umtobt den Seefahrern entgegen, viele stille Baien, anmutig in flaches,
grünes Land verlaufend, schienen aber auch zur Einkehr zu locken, und
als das Schiff langsam zwischen den Korallenfelsen hindurchlief, zeigten
sich auch schon gleich beim ersten Erblicken des Innern die Bewohner vom
Stamme der Papuas. Kleine, gedrungene Gestalten, die Weiber von
ungeheurer Häßlichkeit, die Männer mit dick aufliegenden Stammesnarben
geschmückt, rot und weiß angemalt, im Haar den gelben, dick mit Thran
aufgestrichenen Ocker, beide Geschlechter aber bis auf den zerfaserten
Grasgürtel der Frauen ganz wie Gott sie erschaffen, so standen die
Wilden scharenweise am Ufer, vielleicht hoffend, daß das Schiff stranden
und ihnen seine Eisenteile zum Verbrauch überlassen solle, jedenfalls
aber ohne irgend eine böse Absicht, etwa einer Rinderherde gleich, die
ahnungslos den Fremden an sich herankommen läßt, ihn kaum beachtend,
gleichgültig und ruhig.

Hätten nicht diese schwarzen, schauderhaft beklecksten Gestalten
deutlich den entlegenen Weltteil verraten, so würden sich unsere jungen
Freunde nach Europa zurückversetzt geglaubt haben. Hohe, schlanke
Nadelhölzer, besonders die prächtige Kaurifichte, spendeten kühlen
Schatten, das Gewirre des Unterholzes und der Schlinggewächse fehlte
gänzlich, den Boden bedeckte üppiges Gras, und aus seiner grünen Fülle
hervor sah das bescheidene, deutsche Maßliebchen. Auch die parkartige
Ähnlichkeit der Hölzer unter einander, die gleichmäßigen Stämme und die
Einförmigkeit des ganzen Pflanzenwuchses erinnerten lebhaft an deutsche,
stille Wälder mit ihrem Sonnenschein und ihrem tiefen, nur zuweilen
durch Vogelstimmen unterbrochenen Frieden. Die Vogelwelt freilich bot
wieder ganz fremde und noch dazu neue Erscheinungen, nämlich Strauße so
klein wie Truthühner, aus Erdlöchern hervorsehend und schnell in
dieselben zurückschlüpfend, Papageien und schöne Reiher, die an den
Uferklippen ihrer Beute harrten.

Das Gesamtbild trug den Charakter des ländlichen Stilllebens. Als die
Weißen ausgeschifft waren, kamen ihnen die Wilden vertraulich entgegen
und betasteten sowohl ihre Anzüge als auch ihre Gesichter, wie um sich
zu überzeugen, daß lebende Wesen dahinter steckten; sie lachten laut und
ahmten nicht selten den Gang, die Haltung oder gar die Worte ihrer
plötzlich erschienenen Gäste nach, was jedenfalls auf gänzliche
Unbekanntschaft mit der weißen Menschenrasse schließen ließ. Ebenso
vergeblich war es, ihnen in englischer Sprache irgend etwas zu sagen,
sie verstanden davon keine Silbe, sondern lachten wie Kinder, denen das
Fremde Spaß macht; viele von ihnen sprangen auch sogleich in das Wasser
und versuchten es, den Dampfer zu erklettern, andere eilten zu ihren
Booten und umfuhren das Schiff; nirgends aber trafen sie Vorkehrungen,
den Weißen irgend etwas anzubieten; in dieser Beziehung standen sie
offenbar ganz auf der niedrigsten menschlichen Stufe.

»Wir wollen doch die Insel durchwandern,« erklärte Holm, »unsere Zelte
und Lebensmittel auf den Rücken nehmen und wie die Köhlerkinder des
Märchens Zeichen in die Bäume hauen, um später den Rückweg
wiederzufinden. Es ist gerade angenehm warm, der Boden nicht durch
Hindernisse versperrt, die Tierwelt ungefährlich; also laßt uns sehen,
ob denn tatsächlich keine feste Hütten vorhanden sind.«

Es wurde ein deutsches Lied angestimmt; im kräftigen Chor durchhallte
das »Freiheit, die ich meine« den australischen Wald, und gefolgt von
einer Menge schwarzer, arg bemalter und tättowierter Gestalten zogen
unsere Freunde im hellsten Sonnenschein dahin, vergeblich ein Dorf oder
eine Niederlassung suchend, vergeblich nach genießbaren Baumfrüchten
ausspähend, vergeblich hinter jeder neuen Lichtung, jedem Busch oder
Fluß bebaute Felder erwartend. Nur Fichten und Fichten, dazwischen der
amerikanische Hickory, schönblühende Myrthaceen, Kasuarinen, sowie der
Gummibaum mit seinen steifen, lederartigen, glanzlosen Blättern; aber
nie Fruchtbäume. Am Boden blühten viele schöne Blumen, doch waren sie
geruchlos und von großer Einförmigkeit der Erscheinung, den Tropen
gegenüber geradezu ärmlich.

Dieser helle, lichte, sonnendurchschienene Wald wechselte stellenweise
mit dem berüchtigten, australischen »Busch«, einer Wildnis von Dornen,
Akazien, großen Immortellen und Protaceen, auf deren Boden kein Halm
sproßte, die dagegen aber bewohnt waren und zwar von verschiedenen,
meist unbedeutenden Tiergattungen, namentlich den Dingos (wilden Hunden)
und den zahllosen größeren oder kleineren Beuteltieren, marderähnlichen
Geschöpfen mit langem, buschigen Schwanz und dem bekannten, an der
Unterseite des Körpers liegenden Hautbeutel, worin die Weibchen ihre
Jungen tragen, bis dieselben ausgewachsen sind, und wohin diese selbst
dann noch zurückkehren, wenn ihnen während ihrer ersten Jugend draußen
irgend eine Gefahr droht.

Die behenden Tiere zeigten sich nie im Freien, sondern lugten aus den
Erdlöchern der Buschpartieen vorsichtig herauf, um dann eben so schnell
wieder zu verschwinden; sie ohne Hunde zu jagen, war ganz unmöglich.
Holm postierte bei einer dieser Höhlen die jungen Leute so, daß ihnen
das flüchtende Beuteltier jedenfalls zu Schuß kommen mußte; dann begann
er selbst mit Hilfe des Malagaschen den Erdhügel oberhalb der Wohnung
durch Axtschläge und Spatenstiche abzuräumen, während ein Trupp Wilder
daneben stand und neugierig beobachtete, was die Weißen thaten.

Zuweilen zeigte ein leises Geräusch unter der Erde, daß die Tiere höchst
wahrscheinlich schon in Unruhe gerieten, daß ihnen vielleicht
bröckelndes Gestein auf den Kopf fiel oder die Wahl zwischen Flucht und
Tod ihren erschreckenden Einfluß ausübte; dann geschah etwas, worüber
alle Weißen lachten, bis ihnen der Atem versagte. Das Männchen des
Beuteltieres, der marderähnliche Rotschwanzbeutler, schoß mit einem
plötzlichen, gewaltigen Sprung aus dem Eingang hervor; schon mochte er
glauben, sich durch seine kecke That der Gefahr glücklich entzogen zu
haben, als im selben Augenblick zwei Schüsse krachten und der schlanke,
aufbäumende Körper sterbend zu Boden stürzte, -- außer ihm, den die
Kugeln durchbohrten, waren aber auch alle Wilden wie ein Haufen
Kartenmännchen hingefallen und zumeist auf das Gesicht. Höchst
wahrscheinlich hatten sie die Büchsen für Stöcke gehalten und waren bei
dem doppelten Knall dermaßen erschrocken, daß ihr bißchen Nachdenken sie
vollständig im Stich ließ, ja, daß sie die dämonischen Mächte ihrer
dunklen, halbverworrenen Vorstellungen verkörpert vor sich zu sehen
glaubten.

Es war komisch und bedauernswert zugleich, diese hingestreckten
schwarzen Gestalten zu beobachten, wie sie, weit mehr Tier als Mensch,
so hilflos dalagen, aller vernünftigen Vorstellung bar, außer sich vor
Angst unter dem Eindruck eines Büchsenschusses; der Doktor ging von
einem zum andern, sprach hier deutsch und dort jenes fabelhafte Etwas,
das er englisch nannte; er versuchte auch, die rotbemalten Schultern
aufzuheben und riskierte endlich sogar einen zornigen Befehl, aber das
alles half nichts, bis Holm vorschlug, es mit einem andern Verfahren zu
probieren. »Zeigen Sie einmal die Knöpfe und Metallringe, welche wir
mitgebracht haben, Doktor,« riet er.

Und das half über Erwarten. Der alte Herr setzte sich auf eine Erhöhung
des Weges, in seiner Hand glänzten allerlei Spielereien, womit in
zivilisierten Ländern kleine Kinder belustigt werden, -- und siehe da,
Kopf nach Kopf tauchten aus dem Gras die schwarzen Gesichter herauf.
Hier erhob sich vorsichtig eine Gestalt, deren Ocker und Mennig den
Boden klumpenweise färbte, hier rang sich ein Laut des Entzückens von
den schnalzenden Lippen einer Frau, dort flüsterten Kinder, unfähig, dem
erwachten Verlangen zu widerstehen.

Und der alte Theologe hielt mit einer Hand seine Messingknöpfe in das
Sonnenlicht, mit der andern winkte er den Zögernden. »Nur her, ihr
Ärmsten unter den Armen, nur her, verirrte Wesen, was fürchtet ihr denn
eigentlich? -- Da, da, -- und da! -- Aber nun seht euch auch die Gewehre
an; hier!«

Er hatte die Waffe aus dem Grase genommen und wollte sie jetzt den
Wilden in aller Ruhe zeigen, aber weg, wie vom Wind entführt, war
plötzlich die ganze Schar, der nächste Busch hatte sie verschlungen.

Franz hatte unterdessen seine Jagdbeute in Sicherheit gebracht, worauf
sich sämtliche junge Leute vereinigten, um nun aus dem Bau das
wahrscheinlich noch darin befindliche Weibchen des Rotschwanzbeutlers
lebend hervorzuziehen. Vor allen Dingen wurde zu diesem Zweck der
Ausgang verschüttet und nun vorsichtig weiter und weiter gegraben, bis
die letzte Erdschicht einstürzte und dadurch die Weißen die Möglichkeit
erhielten, das kleine, mit den andrängenden Massen kämpfende Tier
einzufangen. Es sollte seine Freiheit zurück erhalten; nur wollten die
jungen Naturforscher gern den seltsamen Beutel des Muttertieres in der
Nähe sehen und womöglich die kleinen Jungen darin entdecken; daher mußte
es gefesselt und zur Flucht unfähig gemacht werden. Die Sache gelang nur
nach vieler Mühe und einigen von den scharfen Nagezähnen erlittenen
derben Bißwunden, dann aber waren glücklich die Vorder- und Hinterfüße,
je zwei zusammen, mit starken Stricken gebunden, und zum Überfluß die
Schnauze mit einem starken Taschentuch umwickelt. Das Tier pfauchte und
zischte, aber es konnte sich nicht wehren, als zwei von den jungen
Leuten seinen Körper in ausgestreckter Lage erhielten, während Holm den
breiten, unförmlichen Beutel untersuchte.

Diese mit einem engen Spalt versehene Hauttasche umgab rings im Kreise
eine Anzahl sehr langer Milchzitzen, an deren jeder ein
unausgewachsenes, bewegungsloses und nur mit undeutlichen Gliedmaßen
versehenes Junges hing, das dort thatsächlich festgewachsen war und
erst, nachdem das kleine Mäulchen die nötige Weite erreicht haben würde,
die mütterliche Zitze wieder verlassen konnte. Der Spalt wurde sehr
vorsichtig geöffnet, so daß es dem gefesselten Tier keinen Schmerz
verursachte, und dann, nachdem alle die kleinen, saugenden Wesen
bewundert, die geängstete Mutter wieder in Freiheit gesetzt. Ein
einziger, trotz der fünffachen Last gewandter und schneller Sprung
brachte den Pelzträger aus dem Bereich der verfolgenden Blicke.

»Eine neue Höhle mag sich das Tier selbst wieder herstellen,« meinte
Holm, »wir wollen uns jetzt etwas näher an das Ufer zurückbegeben und
dann unsere Zelte aufschlagen. Die Sonne sinkt, es ist Zeit!«

»Da sehe ich Feuer!« rief plötzlich Hans. »Ob es ein Dorf ist?«

»Und da! -- und da!« setzten die übrigen hinzu, als heller Schein von
allen Seiten den Wald durchleuchtete. »Wie seltsam!«

In der That war dieser Anblick ein nie gesehener, und so im Zwielicht,
ohne die Anwesenheit der Wilden, vom kälteren Hauch bereits durchzogen,
trug die Landschaft den Charakter des Nordischen, ja fast des Düsteren,
Unheimlichen. Wie Soldaten in Reihe und Glied standen die schlanken,
astlosen Stämme der Kaurifichten, dicht gedrängt und in den Wipfeln
jenes Rauschen verursachend, das so herbstlich, so wehmütig stimmt, das
wie ein Wiegenlied über den ganzen Wald von Krone zu Krone dahinklingt;
unter ihrem monddurchschienenen Dach erhoben sich die Feuersäulen der
brennenden Holzstöße, wallende Rauchwolken strebten empor zum ewigen
Blau, und ein eigentümlicher, bald heller, bald dunkler leuchtender
Schein traf die ganze Umgebung des Feuers. Hier lag er purpurn auf den
Blüten der Myrthaceen, dort rosig auf den Blättern des Gummibaumes, die
holzigen, ledernen verjüngend, die glanzlosen mit sanftem Schimmer
überziehend; am Fuß der alten Stämme aber fiel sein vollstes Glühen auf
die Gruppe der Schwarzen, welche jedesmal dort im Moos oder Gras lang
ausgestreckt Nachtruhe hielt und sich so nahe als thunlich um die
wärmenden Strahlen geschart hatte. Nicht einmal ein Fell wärmte die
nackten Glieder, nicht einmal einen Haufen trockener Blätter hatten sich
die Wilden als Lagerstatt zusammengetragen; viel weniger besaßen sie
irgend etwas, das einem Dache glich; ja, als die Reisenden näher kamen
und den Raum neben dem Feuer überblicken konnten, sahen sie, daß dort
von den Eingebornen Fische und Vögel sowie die Wurzeln verschiedener
Kräuter in rohem Zustande gegessen wurden.

Als die Weißen ihre kleinen Geschenke auskramten, liefen die Wilden
herzu und nahmen dieselben, ohne zu bitten oder zu danken, wie ein Tier
das Futter nimmt. Sie standen auch umher, ohne begreifen zu können, was
ihre Augen sahen, als später die Weißen Zelte aufschlugen und Decken
ausbreiteten. Von den gebotenen Näschereien wie Cakes, Wein, gebratenem
Fleische und eingemachten Früchten nahmen sie nur zögernd und ließen
nach dem ersten Bissen das übrige wieder fallen. Die Eier, welche sie
roh genossen, wiesen sie in gekochtem Zustande schaudernd zurück.

[Illustration: Das Lager der Papuas im Kaurifichtenwalde.

»... am Fuß der alten Stämme aber fiel sein vollstes Glühen auf die
Gruppe der Schwarzen ...«]

So wurde denn das Lager aufgesucht, auf allen Seiten umgeben von den
Feuern der Wilden, kühl, beinahe kalt selbst unter dem Schutz der
Wolldecken, auf einer waldumsäumten, kleinen Ebene belegen, inmitten
hundertjähriger Baumriesen, deren Kronen das Schlummerlied rauschten.
Hier brauchte keiner für die Sicherheit der anderen zu wachen, nirgend
bot sich die Möglichkeit einer Gefahr; es lebte in der Nähe kein Tier,
das fähig gewesen wäre, den Menschen zu schaden. Nur wenige rote, kleine
Papageien saßen in den Bäumen, in der Ferne bellten wilde Hunde, und
zuweilen segelte durch die Luft ein Tier, das dem fliegenden Hunde der
Sundainseln verwandt war, ein fliegender Fuchs mit spitzer Schnauze und
klugem Gesicht, ein fledermausartiges Beuteltier von rotbrauner Farbe.
Das Hübscheste aber, was die Augen der Weißen vor dem Einschlafen noch
erblickten, war ein großes weibliches Beuteltier mit feinem, grauen Pelz
und einem langen Schwanz, um dessen Ansatz sich die Schwänze mehrerer
Jungen, welche die Mutter auf dem Rücken trug, festgeklammert hatten.
Das Tier kam schnuppernd heran und fraß dann begierig die Überreste der
verschiedenen Mahlzeiten, während seine Sprößlinge auf dem Rücken
hockten und warteten, bis sich die gesättigte Alte ins Gras lagern und
ihnen zu saugen gestatten würde. --

Am andern Morgen ging es wieder in die Wälder, um Jagd auf die Vögel zu
machen, die auf den australischen Inseln sowie auf dem australischen
Festlande in großer Mannigfaltigkeit vorkommen. »Wir werden uns so wenig
als möglich von der Vogeljagd ablenken lassen,« sagte Holm, »und Wald
und Busch auf das sorgfältigste absuchen. Größere Exemplare werden
sofort abgehäutet, kleinere Vögel werden wir an Bord präparieren. Die
neuholländischen Inseln sind eine wahre Fundgrube für den Zoologen in
bezug auf die Vogelwelt.«

Das erste, was ihnen bei ihrer Wanderung aufstieß, war ein Schwarm
prächtiger Kakadus mit blendend weißem Gefieder und gelbem Schopf. »Wir
wollen von diesen herrlichen Geschöpfen keines erlegen,« sagte Holm,
»denn der Kakadu ist in Europa hinreichend bekannt, und wir würden uns
nur unnötig mit den Getöteten beladen. Wenn ihr jedoch einen großen
schwarzen Papagei sehen solltet, so zögert keinen Augenblick und sucht
ihn zu erlegen.«

Der ersehnte Papagei zeigte sich nicht. Wohl aber schoß Franz einen
schön gefärbten Papagei, die Rosella, der bunt war wie ein Harlekin.
Oberkopf, Halsrücken, Brust und Unterschwanzdecke waren scharlachrot,
die Wangen weiß, die Rückenfedern schwarzgelb gesäumt, der Hinterrücken,
die Oberschwanzdeckfedern und der Bauch, mit Ausnahme eines gelben
Fleckes, grasgrün, die Flügelmitte hochblau, die Schwingen dunkelblau
mit blauem Rande, die Schwungfedern grün, blaugrün und am Ende lichtblau
mit weißer Spitze.

Alle waren über diese Beute erfreut, und auch Doktor Bolten äußerte sein
Wohlgefallen über die Farbenpracht dieses Vogels. »Die Natur übertrifft
oft die Phantasie des Menschen,« sagte er. »Kein Seidenweber in Lyon ist
imstande, ein so herrliches Gewand zu weben, als dieser Vogel trägt, wie
denn anderseits noch kein Komponist solche Töne finden konnte, wie die,
mit denen daheim die unscheinbare Nachtigall unser Herz erfreut.« Er
wollte weiter sprechen, als ein Schuß seine Rede unterbrach. Hans hatte
geschossen und stieß einen Freudenruf aus, als er sah, daß sein Ziel
glücklich getroffen war. »Der schwarze Papagei!« rief er, »ich habe ihn
erlegt!«

Er eilte auf die Stelle zu, an welcher der Papagei im Grase lag, und hob
ihn auf.

»Fürwahr,« rief Holm, »ein Rüsselpapagei -- der Kasmalos!« Der Vogel war
größer, als alle bekannten Papageien und übertraf selbst den Arra an
Länge und Flügelweite. Sein Gefieder war gleichmäßig tiefschwarz gefärbt
und schillerte etwas ins Grünliche. Sein Kopf trug eine ebenfalls
schwarze Federholle, der große Oberschnabel bedeckte den kleineren
Unterschnabel vollkommen. Holm zeigte nun den Knaben den eigentümlichen
Bau der Zunge. Diese war ziemlich lang und fleischig, nicht breiter als
dick, aber oben ausgehöhlt und vorne an der Spitze abgeflacht. Sie kann
weit aus dem Schnabel vorgeschoben und von dem Vogel wie ein Löffel
gebraucht werden, mit welchem er die vom Schnabel zerkleinerten
Nahrungsmittel aufnimmt und der Speiseröhre zuführt. Die Ränder der
Zunge sind sehr beweglich und können vorne von rechts nach links her
gegen einander gewölbt werden, so daß sie den ergriffenen Speisebissen
wie in einer Röhre einschließen, in welcher er leicht zum Schlunde
hinabgleitet. Wegen dieser Eigentümlichkeit der Zunge ist ihm der Name
Rüsselpapagei zuerteilt worden. Da der Rüsselpapagei zu den größten
Seltenheiten der europäischen Sammlungen gehört, war Holm besonders froh
über den glücklichen Schuß, den Hans gethan hatte, der seine Beute nicht
ohne Stolz betrachtete.

»Fast könnte ich eifersüchtig auf den Schützen werden, wenn es nicht
mein Bruder wäre,« sagte Franz. »Paßt nur auf, noch ist nicht aller Tage
Abend, vielleicht gelingt es mir, ein zweites Exemplar dieser seltenen
Art zu erlegen, oder ich schieße ein Geschöpf, das eben so wertvoll ist,
wie dieser Rüsselvogel!«

»Ein edler Wettstreit, aus dem die Naturforschung Nutzen ziehen wird,«
meinte Holm lachend.

»Das ist die wahre Konkurrenz,« sagte der Doktor, »sie fördert und regt
an, sie -- --«

Schon wieder fiel ihm ein Schuß in die Rede. »Nehmen Sie's nicht übel,
Doktor, daß ich Sie unterbrach!« rief Franz, »aber hier in der Wildnis
geht leider die Notwendigkeit über die Höflichkeit. Ich mußte schießen!«
Er sprang davon und holte die erlegte Beute -- einen prachtvollen
Leierschwanz.

»Das nenne ich ein Jagdglück,« rief Holm, »denn dieser Vogel mit seinen
wundervollen langen Schwanzfedern, die wie eine Leier gestaltet sind,
kommt nur selten zum Schusse. Mancher Jäger hat sich schon tagelang im
Busche aufgehalten und hörte die laute, helle Stimme der scheuen Vögel,
war aber nicht imstande einen derselben zu Gesichte zu bekommen.
Merkwürdig ist, daß wir diesen Vogel hier antrafen, der sonst in
Gegenden wohnt, die schwer zu erreichen und wegen tiefer, nur mit
vermodernden Pflanzen bedeckter Felsenspalten dem Jäger lebensgefährlich
sind.« Als Holm den Leierschwanz näher untersuchte, ergab sich, daß der
Vogel ein verletztes Bein hatte, was ihn am Laufen verhindert haben
mußte. Holm mahnte zur Vorsicht beim Betreten des Bodens, denn schon oft
sei ein Jäger in die heimtückischen Felsenspalten geraten, in deren Nähe
sich die Leierschwänze aufhalten, und nichts sei dem Unglücklichen übrig
geblieben, als sich vermittelst eines Schusses durch den Kopf vom
langsamen Verschmachten zu befreien, denn auf eine Hilfe von
Menschenhand kann niemand in diesen Einöden rechnen, der tief in eine
steile Felsenspalte geraten ist.

Kaum hatte er diese Warnung ausgesprochen, als der Doktor vor ihren
Augen verschwand und mit einer dichten Masse von moderndem Laub in die
Erde sank. »Hilfe!« rief er aus der Tiefe. Sie eilten rasch an den engen
Schlund, der sich vor ihren Augen öffnete.

»Haben Sie sich verletzt, Doktor?« fragte Holm besorgt.

»Gott sei Dank, nein,« scholl es herauf; »aber die Felsenwände sind so
glatt und schlüpfrig, daß ich mich nirgends anhalten kann. Ich sinke
allmählich tiefer. Helft mir rasch.«

Mit größter Eile wurden die Riemen der Gewehre an einander geknüpft und
hinabgelassen, sie erreichten jedoch den Doktor nicht, da sie nicht lang
genug waren. Was nun beginnen? Woher einen Strick nehmen, um den
Verunglückten heraufzuziehen, der langsam weiter in die Tiefe glitt und
flehend um Hilfe rief? Mit jeder Sekunde nahm die Gefahr zu, die
Felsenspalte konnte unergründlich sein und sich nach unten erweitern.
Dann war der Doktor verloren. In solchen Augenblicken der höchsten Not
kommen dem Menschen jedoch oft Gedanken zur Rettung und zwar so
plötzlich, als hätte sie ihm jemand zugerufen, der unsichtbar ihm zur
Seite stände. Wie mit Wundermacht wird dann das Unscheinbarste zum
wichtigen Hilfsmittel, und wer nur Augen hat zum Sehen und Ohren zum
Hören, der erfährt zu solcher Stunde, daß immer noch Zeichen und Wunder
geschehen, daß Gott den Menschen zur Zeit der Prüfung nicht verläßt.

Franz war es, in dem sich blitzschnell der Gedanke zur Rettung des
Doktors offenbarte. Ehe noch jemand begriff, was er wollte, hatte er den
leichten Rock abgeworfen und sich des starken Leinenhemdes entledigt,
das er rasch mit dem scharfen Jagdmesser in Streifen zerschnitt, die er
wie einen Strick zusammendrehte und an einander knüpfte. »Wenn es nur
ausreicht?« flüsterte er bange.

Rua-Roa hatte sofort begriffen, was Franz im Sinne hatte, und folgte
seinem Beispiele. Auch er warf sein Gewand ab und zerschnitt es mit dem
Messer, das Franz ihm damals geschenkt hatte, als er so tapfer die
Prozedur des Gipsens über sich ergehen hatte lassen. »Ich helfe dir,
mein weißer Bruder,« rief er, »Doktor Bolten muß gerettet werden und
sollte ich meine ganze Habe, ja mein Leben für ihn hingeben. Er hat mich
gelehrt, daß alle Menschen Brüder sind und daß der arme Waisenknabe
Rua-Roa einen Vater im Himmel hat, dessen Kind er ist. Ich wollte sein
Sklave sein, er aber hat mich freigegeben. Retten wir den guten Doktor!«

Die Stricke aus dem Zeug waren in fieberhafter Eile geflochten, alle
legten sie Hand an, und nachdem dieselben an die Lederriemen der Gewehre
geknüpft waren, wurde das so erhaltene Seil in die Felsenspalte
hinabgelassen. »Geben Sie acht, Doktor,« rief Holm, »und suchen Sie das
Seil zu erhaschen!«

Eine ängstliche Pause entstand. »Haben Sie das Seil?« rief Holm.

»Ich halte es!« ertönte die Antwort aus der Tiefe.

»Nun zieht an,« kommandierte Holm.

Alle faßten das Seil und taktmäßig, mit lautem Ahoi, wie auf dem
Schiffe, förderten sie ruckweise den Doktor langsam in die Höhe, bis
nach einiger Zeit der Gerettete wieder festen Boden unter seinen Füßen
hatte.

Doktor Bolten sank auf die Kniee, als er glücklich wieder oben war, und
seine Lippen sprachen ein leises Dankgebet. Dann reichte Hans ihm die
Feldflasche, aus der er einen tüchtigen Schluck nahm, der ihn nach der
überstandenen Angst und Gefahr sichtlich erquickte. Als er erfuhr, auf
welche Weise die Rettung zustande gebracht war, reichte er Franz und
Rua-Roa beiden die Hand. Er war zu bewegt, um sprechen zu können. Dann
faßte er sich und sprach nur die wenigen Worte: »Der Segen eines alten
Mannes ruhe auf eurem Haupte!«

Holm schlug nun vor, diese gefährliche Gegend zu verlassen und den Wald
aufzusuchen, wo kräftiger Baumwuchs von dem Nichtvorhandensein der
tückischen Naturfallgruben Zeugnis ablegte. Alle waren mit diesem
Vorschlage einverstanden, und bald war die Gefahr, in welcher der Doktor
geschwebt hatte, vergessen. Die Jagdlust und das Vorkommen reichlichen
Vogelwildes stellte bald wieder den alten Frohsinn her. Holm erlegte
einige der zierlichen Diamantvögel und einen der schwer zu erlangenden
Emuschlüpfer. Der Schwanz dieses allerliebsten Vogels besteht nur aus
sechs mit zerschlissenen Fahnen besetzten Federn. Seine Behendigkeit
vereitelt fast immer die Nachstellungen, wozu noch kommt, daß er in der
Kunst des Versteckens außerordentlich erfahren ist.

Als sie vorwärts schritten und in eine Niederung gelangten, auf der
immergrüne Zedergebüsche sich ausbreiteten, machte Holm plötzlich Halt
und winkte den andern mit der Hand zu, sich ruhig zu verhalten.

Die Knaben hielten ihre Gewehre in Anschlag. »Ein Raubtier?« fragte
Hans.

»Nein,« erwiderte Holm leise. »Kommt behutsam an meine Seite, uns bietet
sich ein reizendes Schauspiel dar.«

Alle traten mit leisen Schritten näher, und in der That nahmen sie durch
die dichten Zweige, welche Holm vorsichtig zurückbog, einen merkwürdigen
Gegenstand wahr, den sie früher noch niemals gesehen hatten.

Unter einer ziemlich großen Zeder sahen sie aus feinen und biegsamen
Reisern erbaut eine kleine Hütte, die in ihrem Aussehen einer
spitzdachigen Laube glich und an jeder Seite einen offenen Eingang
besaß. Vor der Laube lagen bunte Schneckenschalen, Muscheln,
weißgebleichte Knochen und glänzende Kieselsteine. Das Innere der Laube
war mit roten, gelben und blauen Papageienfedern dekoriert, als sollte
in derselben ein Fest gefeiert werden.

»Sollte das Hüttchen von den Kindern der Eingebornen im Spiel erbaut
sein?« fragte der Doktor.

»Wir haben den merkwürdigen Bau des Atlasvogels vor uns,« erklärte Holm.
»Die Vögel sind soeben davon geflogen, wenn wir uns ruhig verhalten,
wird es uns hoffentlich gelingen, Augenzeuge von ihrem Thun und Treiben
zu sein.« Kaum hatte er diesen Wunsch geäußert, als es durch die Luft
schwirrte und ein Vogel mit einem Reisigzweig im Schnabel sich vor der
Laube niederließ. Sein wie Atlas glänzendes Gefieder war tief
blauschwarz, die Flügel- und Steuerfedern samtschwarz, blau an der
Spitze, das hellblaue Auge besaß einen roten Ring, die Füße waren
rötlich.

Der Vogel, seiner Größe und glänzenden Farbe nach zu urteilen das
Männchen, nahm nun den Zweig und verflocht ihn gar künstlich und
geschickt in die Wand der Laube, und ließ, als er die Arbeit vollbracht,
einige wohllautende Töne hören, als freue er sich des gelungenen Werkes.
Nach einiger Weile kam das minder schön gefärbte Weibchen hinzugeflogen,
das eine hochrote Papageienfeder im Schnabel hielt, die es im Innern der
Laube anbrachte. Als dies geschehen war, lockte es das Männchen, welches
in die Laube hüpfte und durch allerlei Gebärden seinem Wohlgefallen an
dem neu erworbenen Zierat Ausdruck verlieh. Die beiden Vögel hüpften in
der Laube auf und ab, schlugen mit den Flügeln und spielten vergnügt mit
einander in dem kleinen Palast, den sie sich erbaut hatten, so gut ein
Vogel es nur irgend kann.

»Ihr Nest haben die Atlasvögel an einem anderen Orte,« sagte Holm, »dies
hier ist ihr bestes Zimmer oder, wenn wir wollen, ihr Museum, an dessen
Schätzen sie sich erfreuen. Wollen wir die Vögel schießen?«

»Schenkt ihnen das Leben,« bat der Doktor. »Ihr ganzes Betragen hat so
etwas Harmloses und Freundliches, daß es mir fast ein Unrecht erscheint,
sie zu töten.«

»Nun so mögen sie leben bleiben,« versetzte Holm, »obgleich ich gerne
ein Exemplar für unser Museum in Hamburg gehabt hätte.«

In diesem Augenblicke kam ein dritter Atlasvogel angeflogen, der sich
vor der Laube niederließ und eine blanke Muschelschale zu stehlen
suchte, trotz der Abwehr der Eigentümer der Laube.

»Oha,« rief Holm, »du willst hier annektieren. So ein Sozialdemokrat,
der das Eigentum auch teilen will, soll seinen ihm gebührenden Lohn
empfangen.« Ein wohlgezielter Schuß aus der Vogelflinte streckte den
unberufenen Gast und Räuber danieder. »Nun haben wir alle unseren
Willen,« sagte Holm. »Der Doktor sieht das Leben seiner Schützlinge
erhalten und wir haben einen Atlasvogel für unser Museum.« Die beiden
anderen Atlasvögel waren davon geflogen, und die beste Gelegenheit zum
Inspizieren der Laube war gegeben. Franz zeichnete dieselbe, während
Holm sich anschickte ein frugales Mahl zu bereiten. Nachdem dieses
eingenommen, machte man sich auf den Rückweg, und zur rechten Zeit, noch
vor Sonnenuntergang, erreichten sie das Lager.

Am folgenden Tage begann die Durchforschung des Strandes. Schwarze
Austernfische fanden sich reichlich, viele hübsche Reiher und weiße
schwanenartige Vögel, ebenso auf den Klippen der nur in Australien
lebende weiße Hummer und sehr schöne Schnecken und Muscheln, welche die
Flut zu hoch hinauf geworfen, als daß ihnen der Rückzug ins Meer noch
möglich geworden wäre. Hier sah man auch die Makadamas auf dem Gebiet
ihrer eigenen Thätigkeit; sie zimmerten Kanoes, sogenannte Einbäume von
alten umgewehten Baumstämmen und zwar mit den Eisenteilen gestrandeter
Schiffe. Ohne alle Meßinstrumente, ohne Beil oder Säge, nur mit eisernen
Faßreifen, die spitz und scharf geschliffen waren, brachten die Wilden
schlanke, schnell dahinschießende Fahrzeuge zu stande; auch platte
Doppelruder, die blitzartig von einer Hand zur andern flogen und bei
jeder Drehung über den nackten Körper des Schiffers einen Tropfenregen
ergossen, hatten diese Boote, denen die Sitzbretter gänzlich fehlten,
und deren hinterer Teil zollhoch mit Wasser überspült war. Die
dreizackige Harpune des Ruderers brachte nach jedem Stoße einen
zappelnden Fisch aus der Tiefe mit herauf.

Während die Weißen über den klippenreichen, vielfach ganz unpassierbaren
Strand dahingingen und sich an solchen Punkten, deren Ausläufer wie Kaps
bis ins Meer vorsprangen, wieder landeinwärts schlugen, entdeckten sie
in den Kronen der Bäume eine Anzahl längliche Pakete, deren Form
unschwer erkennen ließ, daß hier auf die Weise der Dajaks Leichen dem
Verfall ausgesetzt worden waren, nur insofern anders, als man dort die
Gestorbenen den Raubvögeln preisgab, während hier, wo diese fehlten, der
Körper in Baumrinde gewickelt, mit Bast umschnürt und am Waldrande
aufgehängt wurde, damit ihn die Sonne vertrockne.

Nachdem der Ankerplatz erreicht worden, nahmen die Reisenden, so gut als
dies bei der gänzlichen Unkenntnis der Sprache möglich war, Abschied von
den Wilden, die auch hierher nachgelaufen kamen und sich bei den vielen
Schüssen, welche sie an diesem Vormittag schon gehört, einigermaßen mit
Klang und Wirkung vertraut gemacht hatten. In der Bai, wo das Schiff
lag, apportierten sie sogar, wie gut geschulte Hunde. Sich hinter Bäumen
versteckt haltend, so oft einer der Weißen zielte, sprangen sie in das
Wasser und brachten den getroffenen Vogel zwischen den Zähnen herbei.

Alle blanken Knöpfe, Kattunstückchen, Metallringe und namentlich ein
Spiegel wurden unter die bemalten Gestalten verteilt; -- den kleinen
Rasierspiegel erhielt eine Frau, die sogleich, als sie ihr eigenes, nie
gesehenes Antlitz erblickte, hinter das Glas griff und die vermeintlich
Fremde aus dem Versteck hervorziehen wollte. Erst durch verschiedene
Versuche über den Irrtum dieser Anschauung belehrt, schien sie zu
glauben, daß hier etwas Geheimnisvolles, Geisterhaftes vorgehe; sie gab
das Glas einem der anwesenden Männer, dessen Gesicht sich vor Schreck
zusehends verlängerte. Er legte den Spiegel auf den Rand eines Felsens
und schlich leise herzu, ganz geräuschlos, als wolle er den Zauber da
drinnen überlisten, -- Zoll um Zoll hob sich der schwarze Kopf, endlich
hatten die Augen den Rand des Glases erreicht, zaghaft sah er hinein und
fuhr eben so schnell zurück, -- wieder das feindliche Gesicht!

Und dann machte er es anders. Er trat hinter den Spiegel, er ließ eine
längere Pause vergehen; der Bursche da drinnen sollte offenbar denken,
daß jetzt niemand mehr in der Nähe sei. Ein Lächeln des Triumphes flog
über die wulstigen Lippen; plötzlich wie der Blitz sah er wieder hinein,
noch dazu mit schadenfroh hervorgestreckter Zunge. --

Aber was war das? Vor Schreck und Furcht blieb er zum Ergötzen der
Weißen in seiner einmal angenommenen Stellung unbeweglich stehen. Im
Haar, triefend von Thran, den gelben Ocker, Nase und Kinn feuerrot, am
ganzen Körper streifenweise rot und weiß beschmiert, den einen Fuß
unternehmend vorgestreckt, die Zunge lang heraushängend, so sah er
zornfunkelnden Auges in das Glas. Jener andere unterstand sich, die
Herausforderung zu erwidern; ja mehr noch, er äffte ihn; er machte ihm
alles nach, selbst die kleinste Bewegung.

Das sollte er bereuen. Der Wilde legte den Spiegel platt auf den Felsen
und führte mit einem Ruder, welches sich in der Nähe befand, einen so
wuchtigen Hieb, daß nun nach seiner Berechnung der feindliche Schädel in
Stücke zerschmettert war; dann trat er herzu, um mit der Miene
befriedigter Rache die Splitter noch ein paarmal zu treffen, besonders
einen, welcher der Vernichtung bis auf die Größe eines halben Groschens
entronnen war. Er hob das Stückchen vom Boden und brachte es nahe ans
Gesicht -- wieder der spukhafte Gegner!

Das ging denn doch über den Spaß. Die verhängnisvolle Scherbe mit einem
einzigen Ruck weit hinaus schleudernd in das Meer, floh er hasengleich
zurück zum Walde und verschwand zwischen den Bäumen auf
Nimmerwiedersehn. Wahrscheinlich erfreute sich dieser Tapfere bei seinem
Stamme eines besonders hohen Ansehens, denn nachdem er in der
bezeichneten Weise das Signal gegeben, rannten ihm alle wie die Schafe
dem Leithammel nach, so schnell sie konnten, bis kein einziger mehr zu
erblicken war. Die Weißen riefen und pfiffen, um sich noch länger mit
den Naturkindern zu unterhalten; aber es nützte alles nichts; der Strand
war und blieb ausgestorben.

Man häufte noch einige alte Waffen, Eisengeräte und Ketten als
Abschiedsgeschenke an sicherer Stelle auf, und dann wurde die kleine
Insel umfahren, späterhin aber der Besuch bei den Echaus sehr abgekürzt,
weil sich dort in bezug auf Land und Leute gegenüber der anderen
Inselhälfte durchaus nichts Neues ergab. Hier wälzte sich ein breiter
Fluß vom Walde her bis in den Ozean; die Gelegenheit, das Innere kennen
zu lernen, war also günstiger als vorhin im Lande der Makadamas. Unsere
Freunde bestiegen das große Boot und ruderten, vom schönsten Südwind
getrieben, langsam stromauf in den schweigenden Wald hinein. Der
Matrose, welcher sich als Taucher schon in der Bucht von Celebes bewährt
hatte, war samt dem Apparat mitgenommen worden, und Holm freute sich auf
neue Tiefseegeschöpfe, vorher aber mußte man den Grund kennen lernen, um
zu erfahren, ob er auch nicht etwa verschlammt sei. Das Patentlot glitt
in die Tiefe hinab und brachte günstigen Bescheid; etwa acht Meter
Wasser und fester Kiesboden; außerdem offenbar Korallenbildungen, --
besser konnte es gar nicht sein.

»Wir wollen zweimal nachsuchen,« rief der Matrose, »erst hier, wo noch
das Wasser salzhaltig ist, und später mitten in der Insel. Zwischen den
Korallenstöcken am Strande sitzen gewöhnlich die großen schönen
Muscheln.«

Holm sah bedenklich über das Meer hinaus. »Aber die Haie!« warnte er.

»Bah, die kommen nicht so nahe an die Grenze des süßen Wassers. Wir sind
schon über hundert Schritt in den Fluß hinein. Nebenbei bemerkt man auch
ein solches Ungeheuer zeitig genug.«

Die Rüstung wurde also angelegt und der moderne Ritter über Bord
gelassen. Die Wellen zogen große Kreise, der Apparat that seine
Schuldigkeit und schon nach wenigen Minuten kam das Zeichen zum
Hinaufziehen. Eine Sammlung wundervoller Pflanzentiere gelangte in das
Boot, vielverzweigte, braune Stämme mit goldgelben Blumen und zarten
Rosarändern, Geschöpfe, die in der Naturgeschichte zwischen Korallen und
Quallen stehen, außerdem Schwämme wie feines gesponnenes Glas, große
Seltenheiten in den Museen, und wieder andere wie riesige Handschuhe,
andere wie Blumenkörbe; -- Holm hätte vor Vergnügen gern einen
Luftsprung gemacht, wenn nur ein Boot auf hohen Wellen dazu der
geeignete Schauplatz gewesen wäre. »Da unten sind wahre Unmassen,«
berichtete der Matrose, »ich kann Ihnen ganze Säcke voll heraufschaffen.
Und dieses Getier, diese Spinnen, Krabben, Würmer, Schnecken! -- jeder
Punkt hat seinen Bewohner. Nur die Algen sind ganz dieselben von der
Celebessee.«

Er wurde wieder hinabgelassen, die jungen Leute bewunderten und
sortierten emsig das nasse Durcheinander auf den Brettern; besonders der
Schwamm wie eine Blume aus Glasfäden erregte ungeteilten Beifall; Holm
erzählte eben, daß ihn die Frauen der Südseeinseln als Kopfputz tragen,
da wurde plötzlich von unten her das Signal zum Heraufziehen gegeben,
aber so hastig, so wiederholt, daß der Eindruck des Außergewöhnlichen,
des Erschreckens sich im selben Augenblick bei allen Anwesenden geltend
machte.

»Großer Gott,« rief Holm, »wenn es ein Hai wäre!«

Alle Arme spannten sich an die Taue, alle zogen mit der Kraft der Angst,
-- wie ein Ball hätte nach ihrer Berechnung der Taucher an die
Oberfläche gelangen müssen, -- aber dennoch rührte sich da unten nichts,
dennoch hing es bleischwer in der Tiefe und schien aller Bemühungen der
Matrosen zu spotten. Wieder und wieder kam aus dem Wasser das Signal.

Kalter Schweiß stand auf Holms Stirn. Hatte etwa ein Hai den
Unglücklichen gepackt, und hing er selbst mit seiner ganzen Schwere an
dem nur für einen Menschen berechneten Seile?

»Zieht! Zieht!« rief er mit erstickter Stimme. »Um Gottes willen, thut
euer Möglichstes, den Mann zu retten!«

Diesmal hingen sich sogar der Doktor und Hans mit an die Taue, alle
Hände bluteten, alle Muskeln spannten sich auf das äußerste, langsam,
ganz langsam wurde die Last heraufgehoben. Unheimliche Stille lag auf
dem ganzen kleinen Kreise; es schien, als fürchte jeder, den
entsetzlichen Vermutungen, welche er hegte, durch Worte Ausdruck zu
verleihen. Was würde man binnen wenigen Minuten vielleicht sehen, was
zog man Unheimliches, Vielhundertpfündiges da aus dem verborgenen Schoße
des Meeres hervor?

Jetzt, jetzt mußte es kommen.

Über dem Wasser erschien der Kopf des Tauchers, die Rüstung war
unversehrt, aber als der Mann emporsah, sprachen aus seinem blassen
Gesicht Furcht und Verwirrung. -- Ein Ruck noch, dann zeigte sich aller
Augen das Geschehene.

Um den Körper des Tauchers hatte sich von hinten her eine der größten
Quallen, eine Sepie mit vier furchtbaren Armen festgeklammert. Diese
letzteren, anderthalb Meter lang und von der Dicke eines starken
Ofenrohres, besaßen einen gemeinsamen Mittelpunkt, den mißgestalten
Körper, an welchem der befranste, unförmliche Mund ohne Kopf zwischen
den Vorderarmen saß und immerwährend mit den Fühlern nach einer offenen
Stelle zum Saugen tastete. Offenbar hatte das Ungeheuer der Tiefe den
Mann so fest umfaßt, daß ihm der Atem auszugehen drohte; wenigstens
schien er beinahe leblos.

Die Sepie ließ auch außerhalb des Wassers nicht von ihrem Opfer; sie
mußte aus stärkerem Stoff sein, als ihre kleinen Verwandten; die
Axthiebe, welche jetzt Rumpf und Arme trennten, trafen auf eine ziemlich
widerstandsfähige Masse, die mehr zähe als fest war und unglaublich
viele Saughaken besaß.

Das alles ging zauberschnell, ohne Worte oder Befehle, ohne irgend
welche Hindernisse von statten. Die Rüstung wurde abgestreift, der
Körper des Scheusals am Rumpf zerschnitten und der Taucher von allen
beengenden Einflüssen frei gemacht. Nachdem man ihn gerieben, gewalkt
und ihm etwas Rum eingeflößt, kam er langsam wieder zu sich. Ihm war
außer der erlittenen Todesangst kein weiterer Schaden geschehen. Erst
jetzt wandte sich die Aufmerksamkeit der Reisegefährten dem Untier zu,
Franz legte die einzelnen Glieder wieder aneinander, und Holm maß die
stattliche Länge von drei und einem halben Meter, wobei jedoch der
Matrose versicherte, daß er die häßlichen Geschöpfe schon doppelt so
groß gesehen. Er erzählte nun auch, wie sich der Polyp ihm von hinten
unbemerkt genähert und ihn umfaßt habe, als wolle er ihm alle Rippen
zerbrechen. »Ich versuchte es, den ersten Arm abzulösen,« sagte er,
»aber das war unmöglich; im Gegenteil faßten drei andere nach, und nun
ging mir der Atem aus. Was geschehen ist, nachdem ich ein paarmal das
Zeichen zum Aufziehen gegeben, kann ich mich nicht mehr erinnern,
jedenfalls aber hat mich die Rüstung vor dem sichern Tode geschützt.
Diese Saugapparate lassen gutwillig nichts, was sie einmal erfaßt haben,
wieder los.«

»Fort damit!« rief Franz. »Mag sich ein Hai die Überreste holen.«

Schaufeln halfen das Boot von den Überresten des Tieres reinigen, und
dann wurde die Fahrt fortgesetzt. »Ich tauche doch noch wieder,« meinte
der Matrose, »nur die Rippen thun mir ein bißchen weh, sonst ist nichts
passiert. Langweilige Gegend, was?«

»Düster, düster wie das ganze eigentliche Australien!« versetzte Holm.
»Harte, steife, dunkelgrüne, verholzte Blätter, kein Tierleben, keine
Menschenwohnungen, keine Anfänge der Kultur, -- woher soll da die
Schönheit kommen? Auf dem Festlande, soweit diese Bezeichnung zulässig
ist, wird es nur wenig besser; erst die Inseln des Großen Ozeans bringen
wieder tropische Vegetation und reichere Tierwelt, wenigstens was Vögel
und Insekten betrifft.«

»Hier ist aber auch gar nichts zu finden,« sagte Franz. »Echaus heraus,
damit man euch endlich einmal kennen lernt!«

Niemand beantwortete den Kriegsruf, nur eine Schar Kasuare galoppierte
über die Ebene, und ein wilder Hund bellte, sonst blieb alles still. An
einer von Wald und Busch umsäumten lichten Stelle trafen die Schiffer
die ersten menschlichen Wesen, eine Schar kleiner, krüppelhafter und
affenähnlicher Geschöpfe, die zum Teil aus Erdlöchern hervorsahen, zum
Teil stumpfsinnig im Sonnenschein dalagen, ohne sich um das Boot mit den
Fremden irgendwie zu bekümmern. Holm und auch die übrigen riefen ihnen
verschiedene Worte zu, die indessen unbeachtet verhallten, so daß es den
Weißen zweifelhaft schien, ob diese tierischen Wesen überhaupt eine
bestimmt geordnete Sprache besaßen. Es war sehr begreiflich, daß sich
die Echaus den Makadamas gegenüber in respektvoller Entfernung hielten,
jedenfalls mußten sie, so roh und unkultiviert auch diese letzteren sein
mochten, doch im Kampfe mit ihnen entschieden den kürzeren ziehen.

Ein zweiter Tauchversuch schaffte eine tüchtige Mahlzeit gewöhnlicher
Krebse, weiter nichts; Fluß und Wald waren gleich arm an Produkten wie
an Reiz. So wurde denn die ungastliche Küste der Echaus sehr bald
verlassen und an Bord der Fang des ersten Zuges in Sicherheit gebracht.

[Illustration: Der Taucher und die Sepie.

»... die Axthiebe, welche jetzt Rumpf und Arme trennten, trafen auf eine
ziemlich widerstandsfähige Masse ...«]

Das Schiff steuerte nun in wochenlanger Fahrt um die ganze Osthälfte des
australischen Festlandes und erreichte ohne bemerkenswerte Zwischenfälle
Sidney, die Hauptstadt von Neu-Südwales, noch vor sechzig Jahren ein
elender Ort für deportierte Verbrecher Englands, jetzt eine große Stadt.
Vom Hafen aus wurde sogleich eine Reise in das Innere angetreten, zuerst
mittels der Eisenbahn, dann zu Wagen, und nachdem die Grenze der Kolonie
erreicht, hoch zu Roß unter Führung von Engländern und Deutschen, die
mit den Australnegern im besten Einvernehmen standen und außerdem bis an
die Grenzen des bekannten Innern schon mehrmals vorgedrungen waren.

Aber wie traurig war gegen die schönen Sundainseln, gegen das
entzückende Ceylon hier die ganze Umgebung! Busch und Sand, Sand und
Busch, so wechselte es mehrere Tage lang, bis endlich langgestreckte
Weiden, von Hunderttausenden von Schafen bedeckt, eine geringe
Veränderung boten. Am Saume dieser Grasflächen stand jedesmal das
Hüttendorf des wandernden Stammes, dem die Tiere gehörten, und bei dem
nächsten wurde Halt gemacht. Das Dorf selbst hatte rohgearbeitete,
niedere, wie Maulwurfshaufen neben einander liegende menschliche
Wohnungen, die hier nirgends auf Pfählen standen, sondern viel eher
sogar um einen oder mehrere Fuß tief in den Boden hineingegraben waren.
Das spitze Dach trugen ein paar starke Pfähle; Blätter und Zweige, auch
wohl Stücke von lebendem, lustig wachsendem Gras bildeten die Bedeckung;
Fenster gab es nirgends. Das Seltsamste an diesen Gebäuden aber war, daß
sie sämtlich keine Vorderwände hatten, auch nicht einmal eine Andeutung
derselben, keine Matte oder Vorhang, sondern nur die weit offene Front,
vor der gewöhnlich ein helles Feuer brannte. Jeder Stamm hatte nur einen
losen Verband, an der Spitze eine Art von Häuptling; der des ersten
Dorfes hieß Wi-Tako und war ein großer, starker, alter Australneger,
dessen finstere Blicke, im Verein mit dem unförmlichen durch die Nase
gezogenen Knochen und der dunkelblauen, den ganzen Neger bedeckenden
Malerei ihm ein wenig angenehmes Äußere verliehen. Desto eigentümlicher
war die Kleidung, welche bei ihm und bei allen übrigen, sogar auch den
Frauen, aus einem langen, vom Kopf bis zu den Füßen reichenden Mantel
aus Opossumfell bestand, dazu eine Mütze vom selben Stoff und unter den
Sohlen eine Art von ledernen Sandalen. Die Leute schienen sämtlich
Hirten zu sein; sie zogen in den wasserarmen Gegenden von Busch zu Busch
und fristeten offenbar ein kümmerliches Dasein, obgleich neben den
Dorfhütten auch bebaute Strecken auf eine gute Ernte hinzudeuten
schienen. Mürrisches Wesen, Roheit und Mißtrauen bildeten die Grundzüge
des Volkscharakters.

Häuptling Wi-Tako, der wie die meisten seiner Unterthanen ein leidliches
Englisch sprach, bot den Weißen als Aufenthalt eine gerade leer stehende
Hütte und lud sie ein, an einer großen für den folgenden Tag
festgesetzten Känguruhjagd teilzunehmen; die »Gins« oder Frauen des
Stammes brachten ein steinhartes, bleischweres Brot aus Maismehl,
getrocknetes und wieder gekochtes Schaffleisch, sowie ein Gemüse aus
Bohnen oder Linsen; dann überließ man die Gäste, ohne weiter Notiz von
ihnen zu nehmen, sich selbst, offenbar erstaunt, daß vor ihrer Hütte
kein Feuer entzündet, wohl aber der Eingang mit Wolldecken verhüllt
wurde. Die Frauen betasteten sogar das Gewebe, flüsterten unter einander
und setzten sich dann wieder zu der Wolle, welche verfilzt und verworren
in großen Haufen neben jedem Feuer lag, um mit einer Art von grober,
hölzerner Hechel vorerst des reichlichen Schmutzes entkleidet zu werden.
Sie sahen aus wie eine Gesellschaft zahmer, kränklicher Affen, diese
Weiber, besonders die alten, skelettartig mageren, wie sie
zusammengekauert unter dem formlosen Fellmantel dasaßen und schweigend
Wolle kratzten, anscheinend ohne eine Ahnung, daß aus eben diesem Stoff
die leuchtend roten, zartbraunen und weichen Decken der Reisenden gewebt
seien. Arm, roh und unwissend in einem Lande ohne Schönheit oder
pflanzlichen Reichtum, scheinen sie Stiefkinder der Natur selbst den
nackten afrikanischen Wilden gegenüber.

Kein Wasserstreif unterbrach das Gelbgrün des Bodens, wenig Vögel sangen
im Busch, und selten nur belebte ein lauterer Schall die Öde. Als der
Abend dämmerte, legten sich aller Orten die Schafe in gedrängten Massen
zum Schlaf, große magere Hunde umkreisten die Herden, der Hirte im
Fellmantel entzündete sich ein Feuer und kochte sein Abendbrot, Wald und
Busch verschwammen zum grauen Ganzen; es lief wie die erste Ahnung der
nahenden kalten Zone über den Rücken der Reisenden herab, und fester und
fester hüllten sich alle in ihre Decken.

»So geht es noch Hunderte und Aberhunderte von Meilen fort,« sagte Holm.
»Das Innerste von Australien ist gerade so unbekannt, wie das des
äquatorialen Afrika, es kann aber unmöglich die Forschung in gleichem
Grade anziehen, weil das Tier- und Pflanzenleben keinen Reichtum
verheißt, weil man den Boden als wasserarm und daher den Ertrag als
dürftig kennt. Hier an den Grenzen des der Kultur gewonnenen Landes
betreiben die Einwohner noch Schafzucht und Wollhandel, weiterhin in der
felsigen Gegend hört auch das auf, da lebt man von der mageren Ernte und
vom Raube, da bewohnt man Höhlen und hat den leichtsinnigen, zum
fröhlichen Nichtsthun geneigten Charakter solcher Völker, die gar kein
Eigentum besitzen. Wir werden auch die Eingebornen der Berge kennen
lernen.«

»Wie lange bleiben wir denn hier, Karl?« fragte Franz.

»Hm, übermorgen geht's fort, denke ich. Die große Känguruhjagd müssen
wir doch jedenfalls mitmachen.«

Dem stimmten die übrigen lebhaft bei; es wurde noch eine Zeitlang
halblaut gesprochen; zuweilen wieherte im Busch eins der Pferde,
zuweilen flog eine Fledermaus durch den engen Raum oder ein fliegender
Fuchs mit spitzer Schnauze; dann schliefen alle, bis sie bei
Tagesanbruch durch einen langgezogenen, lautschallenden Ton erweckt
wurden. Häuptling Wi-Tako in eigener Person sammelte seine Scharen zum
großen Treiben, dem die Feinde der bebauten Felder, die überhand
nehmenden Känguruhs, erliegen sollten. Mit einem Muschelhorn vor den
Lippen, ohne Mantel, nur angethan mit dem Nud-le-bul oder breiten Gürtel
aus Tierhaut, ganz kornblumenblau angemalt, auf Brust und Rücken
abscheuliche Tier- und Fratzenbilder von Narben, so stand er da und
blies gellende, unharmonische Töne, die indessen von allen Eingebornen
verstanden und deren Befehle sofort vollzogen wurden. Schar auf Schar
trabte herbei, jeder einzelne Mann bekleidet, bemalt, und tättowiert wie
der Häuptling selbst, jeder bewaffnet mit dem gefürchteten Bumerang,
jener hölzernen, einen Meter langen, krummen und im Fliegen einen Bogen
beschreibenden Waffe, sowie einem Wurfspieß, einem steinernen Hammer und
einem Messer, das in der Scheide vom Nud-le-bul herabhing. Als ein paar
hundert Männer versammelt waren, wurden die Befehle zur Aufstellung
gegeben und mit größter Pünktlichkeit ein Buschgebiet von einer
Viertelmeile im Umkreis des Dorfes förmlich umstellt. Unsere Freunde
hatten, da die Wilden unberitten waren, auch ihrerseits die Pferde
weggelassen und sich bei seiner blaugefärbten Majestät nur ausbedungen,
während der Jagd nicht von einander und nicht von den Führern getrennt
zu werden. So standen sie denn unter den ersten, ziemlich blassen
Strahlen der australischen Sonne im hohen Gras und warteten der Dinge,
die da kommen sollten. Hierher wollten die Neger aus dem Busch heraus
das sonderbare, springende, einer Riesenmaus nicht unähnliche Geschöpf
bis auf die freie Fläche treiben und dort töten; die geladenen Büchsen
harrten ihrer Opfer.

Von ferne erklangen jene greulichen Töne der Muschelhörner; zuweilen
schlüpfte ein Opossum oder eine Ratte, beunruhigt durch die ungewohnte
Störung, eilends vor den Füßen der Jäger vorüber, ein paar Kasuare
reckten die langen Hälse, Erdpapageien sahen aus ihren Löchern hervor,
Trappen, Tauben und Hühner flatterten vom Walde herüber und Dingos
sprangen mit großen Sätzen ins Freie; die Weißen hatten schon hübsche
Beute gemacht, ehe noch die ersten Känguruhs aus den Büschen brachen.
Das Geschrei der Wilden tönte näher und näher; erst zu zehn und zwanzig,
dann zu Hunderten erschienen die aufgescheuchten Tiere und wurden
reihenweise von den Bumerangs, sowie von den Wurfspießen der Australier
niedergemacht. Fast anderthalb Meter hoch, mit unförmlich langen,
fleischlosen Hinterbeinen und einem sehr dicken, meterlangen Schwanz,
der beim Sitzen als Stütze dient, hatten die Känguruhs einen
graubraunen, auf dem Rücken dunkleren Pelz, der am Bauche bräunlichweiß
erschien und in grauen Streifen über das Gesicht lief; die Vorderbeine
waren unverhältnismäßig kurz und der Hinterleib plump; alle weiblichen
Tiere hatten die bekannten Beutel, in denen sich nackte Junge an den
Zitzen ihrer Mütter festhielten.

Etwas vom Kaninchen, etwas von der Maus, ganz eigenartig mit Rücksicht
auf den Stützschwanz, zuweilen mittels der Hinterläufe die kräftigsten
Schläge austeilend, so erregte das im zoologischen Garten oft gesehene
Tier hier in vollster Freiheit das Interesse aller Beschauer, namentlich
durch die enorme Anzahl, in welcher es erschien. Fünf- bis sechshundert
Känguruhs wurden an diesem einzigen Morgen erlegt und von den »Gins«,
nachdem sie ihrer Bälge entkleidet, ins Dorf geschleppt, um dort als
leckerer Bissen in den Topf zu wandern.

Unsere Freunde entschlossen sich erst auf das Zureden der Führer, auch
ihrerseits einen jungen Bock zu braten und zu kosten. Hatten sie doch im
Gefängnis von Madagaskar sogar einen Mückenkuchen genossen, der, wie
Franz erinnerte, sogar ganz vortrefflich geschmeckt, -- es kam nur auf
den ersten Entschluß an.

Das übliche Feuer vor der Hütte flackerte lustig empor, das Känguruh
wurde von den Händen der Führer kunstgerecht ausgeweidet und an den
mitgebrachten Bratspieß gesteckt; dazu kochte man einheimisches Gemüse,
für dessen Bereitung das Wasser weit hergeholt werden mußte, und endlich
jenen Kaffee, der nach der anstrengenden Morgenjagd allen gleich
wohlthat, den zu kosten aber die Eingebornen sich beharrlich weigerten.
Nach dem Frühstück, bei dem das Känguruh als wohlschmeckender Braten von
den Reisenden vollständig aufgezehrt wurde, zeigte Wi-Tako seinen Gästen
die Umgebung des Dorfes und unter anderem auch das Feld, welches während
einer der vorigen Nächte von den Känguruhs überfallen und seiner Früchte
vollständig beraubt worden war. »Wenn es mit den springenden Tieren zu
arg wird, schlagen wir ein paar hundert tot,« sagte er, »dann verläßt
der überlebende Rest die Gegend. Die Felle verbrauchen wir zu Mänteln
und Decken, das Fleisch wird verzehrt oder, wenn die Gelegenheit günstig
ist, nach den Städten hin verkauft. Die Kolonisten bezahlen es teuer.«

»Und sonst habt ihr keinerlei Jagd?« fragte Franz.

»Ein paar Vögel vielleicht,« entgegnete der blaugefärbte, mit einem
gewaltigen Nasenknochen geschmückte Monarch, »aber viel ist es nicht.
Wir leben von der Schafzucht.«

»Und was betreibt ihr denn zur Unterhaltung,« fragte wieder der durch
das Einerlei der Umgebung schon heimlich angefröstelte junge Mann,
»wodurch erfreut ihr euch oder belebt den Mut, die Lust zur Arbeit? Es
muß doch grenzenlos langweilig sein, so fortwährend Schafe zu hüten und
zu scheren.«

Der Häuptling tutete wieder in das Muschelhorn hinein, worauf sich vom
Dorf her ein langer Zug in Bewegung setzte, junge Männer sowohl als
junge Mädchen, alle auf das abschreckendste bemalt, alle nur mit dem
Nud-le-bul bekleidet und mit gewaltigen Masken aus Flechtwerk oder
buntgefärbtem Thon versehen. Nachgemachtes Haar hing von diesen, die
natürliche Größe dreifach überragenden Köpfen in Unmasse herab, die
Gesichter waren scheußliche Fratzen, zum Teil sogar Tierköpfe, zum Teil
feuerrot oder gelb angestrichen. Die affenartig langen, mageren Arme und
Beine der Neger, die sinnlose Farbenverteilung und die Riesenköpfe
bildeten ein Ganzes, das durch Häßlichkeit abstieß, dennoch aber in
seiner Originalität und als nie Gesehenes das Interesse der Zuschauer in
Anspruch nahm.

Die Neger entzündeten mittels Aneinanderreiben zweier dürrer Holzstücke
einen Scheiterhaufen, der vorher schon dort zusammen getragen worden
war; dann bildeten sie um die brennende Masse eine Kette und begannen zu
tanzen, indem die Hände klappernd auf die Kniee schlugen und nach einem
einigermaßen erkennbaren Takt ein geheulartiges Singen oder Schreien,
begleitet von Fußstampfen, die Luft zerriß. Immer schneller und
schneller wurden die Sprünge, immer teuflischer erschienen in der
grellroten Beleuchtung die schwarzen Gestalten, immer rasender drehten
sich im Kreise alle diese gehörnten, mit Vogel- und Mäuseköpfen
verzierten Menschen; hier verschwand in windgetragener Rauchwolke ein
Teil der Tanzgesellschaft, hier erglänzte von Funken übersäet ein
anderer, und zwischen allen diesen tollen Springern stand, auf dem
Muschelhorn tutend, der Häuptling, zuweilen unwillkürlich die Bewegungen
der Tänzer nachahmend, zuweilen von seinen langgezogenen Klängen zu
kurzen, schrillen, schnell auf einander folgenden übergehend und dann
wieder im tiefsten Moll das Geheul der tanzenden Stammesgenossen
begleitend.

Nach diesem Tanz kam ein Kampfspiel, wobei die Bumerangs durch die Luft
flogen, Spieße und Hämmer weidlich geschleudert wurden und ein
Handgemenge mit blitzenden Messern den Einzelkampf versinnlichte. Hier
lag ein Schwarzer scheinbar leblos, dort schwenkten und flüchteten
andere, ganze Scharen drangen im Sturmschritt vorwärts, Gebrüll und
Kampfrufe erschütterten die Luft, selbst das Wehklagen der Sterbenden
wurde nachgeahmt, und endlich näherten sich vom Dorfe her die Gins, um
mit verhüllten Gesichtern, schreiend und weinend bei den Gefallenen in
das Gras zu sinken. Diese ganze Komödie zeigte ein starkentwickeltes
Schauspielertalent der Neger; sie kam in manchen Szenen der Wirklichkeit
bis zur Täuschung nahe und wurde schließlich von den Weißen durch
reichlich gespendete Scheidemünze belohnt.

Es war während der Vorstellung fast Abend geworden; die Scharen der
Tierkopfträger und Bemalten, der Bumerangkämpfer und wiedererstandenen
Toten wanderten zum Dorfe zurück; helle friedliche Feuer und lagernde
Herden begrüßten die Heimkehrenden, nochmals gab es Känguruhbraten, und
dann senkte sich die Nacht herab auf diese armen, aber zufriedenen
Menschen.

Am andern Morgen wurde die Reise in das Innere weiter fortgesetzt. Große
Wälder der gleichen, düsteren, einförmigen Art führten hinauf in das
Gebirge.

Wie arm doch das Tierleben war! Wenig Schmetterlinge und Insekten, wenig
Singvögel, an Vierfüßlern nur die kleinen Opossums und das Schnabeltier,
der Ameisenigel, welcher mit heraushängender, klebriger Zunge wie tot am
Boden lag und die ahnungslosen Tierchen zu Hunderten auf den Leim
lockte, ehe er sie plötzlich mit einem einzigen Ruck in die Tiefe seines
Magens beförderte, um dann dasselbe Spiel von neuem zu beginnen. Auch
das einen halben Meter lange Schnabeltier mit dem rüsselartigen Kopf
lebte in Erdlöchern, die sich zahlreich neben einander befanden und aus
deren Eingängen die tiefliegenden Augen der scheuen Bewohner neugierig
hervorsahen, um dann blitzschnell wieder zu verschwinden. Es kostete
eine ähnliche Anstrengung wie bei den Beuteltieren der Nightinsel, um
ein Männchen zum Schuß zu bringen, schließlich gelang's aber doch, und
Holm präparierte den Balg, um ihn sogleich an Bord der »Hammonia«
auszustopfen und nach Hamburg zu schicken.

So ritt unsere Schar vierzehn Tage lang ins Innere des fünften Erdteils,
oft unter großen Entbehrungen für Menschen und Tiere. Als man endlich
von einem Gebirgsrücken aus unabsehbar weite Ebenen vor sich sah, deren
trostlos trockene Weiten auch keinen grünen Halm für die treuen Pferde
verhießen, da hielt man es doch für geraten, die Küste wieder zu
gewinnen.

Alle Führer rieten das Gleiche, und so zog die wanderlustige Schar über
Berg und Thal den Gestaden des Meeres wieder entgegen, freilich in ganz
anderer Richtung als der des Hafens, wo das Schiff lag, hinunter zu den
Australnegern der wildesten Gegenden. Die Vegetation ging allmählich
über in mehr südlichere Formen, die Vogelwelt wurde mannigfaltiger,
schöne Papageien und die noch nirgends gesehenen schwarzen Kakadus
füllten die Bäume, Palmen tauchten vereinzelt aus dem Fichtenwalde
empor, wildes Zuckerrohr, Kautschukbäume, blühende Theesträuche,
Orchideen und viele Kräuter sowie Schlinggewächse bedeckten den Boden.
Die Führer warnten jetzt die Reisenden, auf der Hut vor der gefährlichen
Schwarzotter zu sein, deren Biß tödlich werden könnte, wenn sie sich im
gereizten Zustande befände oder ihr Giftzahn eine blutreiche Stelle des
Körpers träfe.

Holm erkundigte sich, ob die Buschotter häufig in Australien vorkomme.

»Sie ist in einigen Gegenden eine förmliche Landplage,« ward ihm zur
Antwort. »Wo sie häufig vorkommt, kann man sich ihrer kaum erwehren. Man
mag sich befinden, wo man will, in dem tiefsten Walde oder im dichten
Heidegestrüpp, in den offenen Heiden und Brüchen, an den Ufern der
Teiche, der Flüsse oder Wasserlöcher, man darf sicher sein, daß man
seiner ingrimmig gehaßten Feindin, der Schwarzotter, begegnet. Sie
dringt bis in das Zelt oder die Hütte des Jägers; sie ringelt sich unter
seinem Bettlaken zusammen, sie legt sich unter seinen Stuhl und kriecht
in Kisten und Kasten. Es ist zu verwundern, daß nicht weit mehr Menschen
durch sie ihr Leben verlieren, als wirklich der Fall ist. Gegen Ende des
März verschwindet sie, um ihren Winterschlaf zu halten, im September
aber kommt sie ausgehungert wieder zum Vorschein und ist dann im
höchsten Grade beißlustig und gefährlich. Ihre Bewegungen sind schneller
als die anderer Giftschlangen, nicht selten verläßt sie das feste Land,
um entweder auf Bäume zu klettern oder sich in das Wasser zu begeben.«

»Greift die Schwarzotter den Menschen an?« fragte Franz.

»In der Regel nimmt die Schwarzotter eiligst die Flucht, wenn sie einen
Menschen zu Gesicht bekommt,« wurde ihm Bescheid. »In die Enge getrieben
und gereizt, ja nur längere Zeit verfolgt geht sie ihrem Angreifer
jedoch kühn zu Leibe und hat sich deshalb bei den Ansiedlern auch den
Namen »Sprungschlange« erworben. Die Schwarzen fürchten diese Schlange
ungemein, trotzdem daß sie selten von ihr gebissen werden, und zwar aus
dem einfachen Grunde, weil sie nur mit äußerster Vorsicht ihres Weges
dahin gehen und ihre Adleraugen alles entdecken, was sich vor ihnen regt
und auch nicht regt. Lange Gewohnheit hat sie in hohem Grade vorsichtig
gemacht, so daß sie niemals eine Vertiefung durchschreiten und niemals
in ein Loch treten, das sie nicht genau übersehen können. Sie essen
Schlangen, welche sie selbst getötet haben, niemals aber solche, welche,
wie dies oft geschieht, sich im Todeskampfe selbst einen Biß beigebracht
haben.«

Hans wollte hierauf wissen, ob die Schwarzotter nur kleinen Tieren
nachstellte, oder sich auch an größere Säugetiere wagte?

»Leider beißen sie in ihrer Wut Rinder und Schafe, die sie zu verzehren
nicht imstande sind. Viele Kühe und Schafe, welche man im Sommer
sterbend oder verendet auf den Ebenen liegen sieht, sind durch den Biß
der Schlange zu Grunde gegangen, obgleich die Schafe viele dieser
gefährlichen Geschöpfe töten, indem sie mit allen vier Füßen auf ihren
Feind springen und ihn zerstampfen.«

»Also vorgesehen,« mahnte Holm.

Plötzlich stieß Rua-Roa einen durchdringenden Schrei aus. Alle standen
still.

Vor dem Malagaschen erhob sich eine schwarze Schlange von etwa zwei
Meter Länge. Ihr lebhaft blaßrot gefärbter Bauch schimmerte im
Sonnenlichte, ihre Augen funkelten. Den Kopf hatte sie zurückgelegt, den
Rachen mit den Giftzähnen weit zum Bisse aufgesperrt. Rua-Roa schien
rettungslos verloren.

»Die Schwarzotter!« rief der Führer erschrocken.

[Illustration: Rua-Roa und die Buschotter.

»Plötzlich stieß Rua-Roa einen durchdringenden Schrei aus.«]

Ehe jedoch die Schlange zum Bisse ausholen konnte, hatte Franz in
Blitzeseile die mit Schrot geladene Flinte angelegt und losgedrückt. In
scheußlichen Ringeln wälzte das getroffene Tier sich im Grase. Rua-Roa
sprang zurück und war gerettet. Eine Sekunde später und er wäre dem
giftigen Reptil zum Opfer gefallen.

Die Schlange krümmte sich in ohnmächtiger Wut auf dem Boden, die
Schrotkörner hatten sie zwar verwundet, aber ihrem zähen Leben kein Ende
gemacht. Sie mochte jedoch wohl fühlen, daß sie zu schwer verletzt sei,
um weiter leben zu können und mit einem kräftigen Biß versetzte sie sich
selbst die Todeswunde in ihren Schwanz, worauf sie alsbald verendete.

Der Führer lobte Franzens rasche Entschlossenheit. »Du hast mich jetzt
zum zweitenmale aus Todesgefahr errettet,« flüsterte Rua-Roa ihm zu,
»wie soll ich dir danken?«

»Hättest du nicht dasselbe gethan, wenn ich an deiner Stelle gewesen
wäre?« fragte Franz. »Und sind wir nicht Blutbrüder?« fügte er leise
hinzu.

Der Malagasche konnte nicht antworten, in seinen Augen aber standen
Thränen.

»Was hätten wir beginnen sollen, wenn der Knabe von dem Scheusal
gebissen worden wäre?« fragte Doktor Bolten.

»Das erste wäre gewesen, die Wunde auszuschneiden und mit Schießpulver
auszubrennen,« antwortete der Führer. »Trotzdem aber würde die Wirkung
des Giftes sich in großer Schläfrigkeit geäußert haben, gegen die der
Knabe nur schwer angekämpft hätte. Wir hätten ihn jedoch zwingen müssen,
auf den Beinen zu bleiben, denn aus dem Schlafe wäre er wohl kaum wieder
zum Leben erwacht. Die Bewegung ist das einzige Mittel, den üblen Folgen
des Bisses zu begegnen, nachdem das Gift so sorgfältig als möglich
aus der Wunde entfernt worden. Geschieht keine von diesen
Vorsichtsmaßregeln, so ist der Tod des Gebissenen unvermeidlich.«

»Gibt es kein Mittel, diese abscheulichen Tiere auszurotten?« fragte
Hans.

»In den Kolonien werden sie bereits seltener,« entgegnete der kundige
Führer. »Alljährlich wird daselbst das verdorrte Gras auf den
Weideplätzen angezündet, um den Boden mit der fruchtbaren Asche zu
düngen, und dem Feuer fallen alljährlich Tausende von giftigen Schlangen
und anderem Ungeziefer zum Opfer. Man hofft allgemein, daß mit der
zunehmenden Bevölkerung und einer regelmäßigen Bearbeitung des Landes
die Giftschlangen sich rasch vermindern werden. Auch die Todesotter,
welche selbst in der nächsten Nähe von Sidney häufig vorkommt, wird
durch das Abbrennen der Weiden ziemlich vernichtet. Wenn auch die
Eingebornen diese Schlange, welche bei der Ankunft eines Feindes ruhig
liegen bleibt, um ihn zu erwarten, nicht für todbringend halten, so
haben die Weißen doch schon das Gegenteil erfahren und halten deshalb
die Todesotter für die gefährlichste aller Schlangen Australiens.«

Das soeben glücklich überstandene Begegnis mit der Schwarzotter hatte
die kleine Karawane etwas verstimmt und mißtrauisch auf die Umgebung
gemacht. Man sah sich vor beim Vorwärtsschreiten und vermied das freie
Umherstreifen des einzelnen im Busch, um einer etwaigen Kollision mit
dem gefährlichen Feinde aus dem Wege zu gehen. Während sie so
dahinschritten und der allgewohnte, rechte Humor sich gar nicht wieder
einstellen wollte, ertönte neben ihnen mit einemmal ein lautes
Gelächter, das gerade so klang, als wenn eine Gesellschaft von alten
Kaffeeschwestern sich köstlich über irgend einen Witz amüsierte.

Alle standen unwillkürlich still und horchten. »Wer war das?« fragte der
Doktor. »Sind Wilde in der Nähe oder spottet ein Heer teuflischer
Dämonen über unsere triste Fahrt durch dieses greuliche Australien?«

»O nein,« rief der Führer mit vergnügtem Gesichte, »das ist der lachende
Hans, der beste Freund der Ansiedler, und dort sitzt er auf dem Zweige
eines Baumes, uns neugierig betrachtend.«

Die Reisenden erblickten auf dem Baume, nach welchem hin der Führer
deutete, eine Anzahl großer, grauer Vögel, mit starkem spitzen Schnabel
und buschigem Kopfe, die in ihrer äußeren Gestalt Ähnlichkeit mit dem
Eisvogel besaßen. »Es ist der Jägerliest oder Riesenfischer,« sagte
Holm, »ein wenig scheuer Vogel, der alles genau betrachten muß, was
seine Neugierde reizt; den Ansiedlern ist er überaus nützlich, die den
lachenden Hans oder Jacka, wie ihn die schwarzen Eingebornen nennen,
sehr hoch schätzen. Des Morgens früh weckt er die Kolonisten mit seinem
Gelächter und heißt deshalb auch des Buschmanns Uhr, da er sich
namentlich gerne in der Nähe der Zelte und Wohnungen aufhält. Wegen
seiner heftigen Feindschaft gegen die Schlangen ist er sogar ein
geheiligter Vogel, den zu schießen als ein Verbrechen angesehen wird. Er
tötet die giftige Schwarzotter, sowie die Todesotter, ohne ihrem
Giftzahne zu erliegen, und selbst die Teppichschlange, die drei Meter
lang wird und als die Riesenschlange Australiens angesehen werden kann,
weiß er durch wohlgezielte Hiebe mit seinem scharfen, starken Schnabel
zu verwunden und zu erlegen. Durch ihr Geschwätz und schallendes
Gelächter bezeugen sie ihre Freude über den Tod ihrer Erzfeindinnen. Ob
sie die Schlangen fressen, ist übrigens nicht genau festgestellt, es
scheint vielmehr, als wenn sie sich von Eidechsen und den kleinen
Säugetieren ernähren, so daß ihr ununterbrochener Krieg gegen die
Schlangen aus einem besonderen Haß hervorgeht, den sie auf diese
Geschöpfe geworfen haben.«

»Ein dreimaliges Hoch dem wackeren Vogel,« rief Hans, »auch wir wollen
den prächtigen Burschen nicht erlegen, sondern ihm sein nützliches Leben
unbehelligt lassen, zumal er mein Namensvetter ist.«

Alle leisteten dieser Aufforderung Folge, worauf sie endlich einmal
wieder in ein herzliches Gelächter ausbrachen, in das der lachende Hans
mit seiner Sippe fröhlich einstimmte.

Man nahm sich jetzt auch Muße, den Pflanzen Aufmerksamkeit zu schenken.
Sie begegneten dem Eisenrindenbaum, dessen festes Holz sich vortrefflich
zu haltbaren Zäunen eignet, da es fast gar nicht in der Erde fault. »Das
wäre ein Holz für Eisenbahnschwellen und Telegraphenstangen,« meinte
Franz. »Vielleicht bildet es später einmal einen geeigneten und
nützlichen Handelsartikel.«

»Bravo!« rief Holm. »Ich sehe, die Naturforscherreise hat den Sinn für
deinen künftigen Kaufmannsberuf nicht erstickt.«

Dann fand sich auch der »Stringybark«, dessen langfaserige Rinde in
Streifen von sieben bis zehn Metern niederhängt und dem Baum das Ansehen
eines zerlumpten Bettlers gibt, während die abgefallene äußere
Rindenschicht in langen, trockenen, braunen Rollen wie riesige
Zimtstengel am Boden umherliegt.

Zwischen dem Unterholze bemerkten sie die »Flaschenbürste.« Sie hat
rauhe gedrehte Zweige und ein Blatt, das dem unserer deutschen
Stechpalme sehr ähnlich sieht. Sir Joseph Banks gab ihr den Namen
Banksia, die Bezeichnung Flaschenbürste erhielt sie wahrscheinlich von
dessen Haushofmeister, der am Flaschenputzen mehr Interesse hatte als an
der Botanik.

Die aufrechtstehenden, kugelförmigen Blüten, mit denen dieser
eigentümliche Busch übersäet ist, gleichen in der That jenem nützlichen
Instrument, nach dem er benannt ward. Bei voller Blüte sehen die tief
orangefarbenen Blumen vortrefflich aus; im Winter aber, wenn die
abgeblühten braunen Kegel noch immer an der Pflanze hängen, geben sie
dem Busch ein wildes, wunderliches Aussehen.

Neben der Flaschenbürste standen zwei zierlichere Gewächse das
^Exocaspus^ oder die wilde Kirsche, welche den Kern nicht innen sondern
außen an der einen Seite der Frucht trägt, und der »Wottle« oder die
australische Akazie, die mit gelben Blütenbüscheln bedeckt ist und die
Luft mit balsamischen Wohlgerüchen erfüllt.

Den Eukalyptusbaum fanden die Reisenden häufig. Auch im südlichen Europa
fängt man an, diesen rasch wachsenden Baum zu pflanzen, dessen
aromatische, harzreiche Blätter nicht nur ein Mittel gegen das Fieber
sind, sondern der ferner die herrliche Eigenschaft besitzt, Moräste und
sumpfige Gegenden, welche mit ihren schädlichen Ausdünstungen Fieber und
Typhus erzeugen, durch seinen Anbau in schöne Wälder zu verwandeln, die
dann statt der gefährlichen Miasmen frische, dem Menschen zuträgliche
Luft aushauchen.

Die Kasuarinen, welche die Kolonisten sehr ungerechtfertigt Eiche
nennen, sind von auffallender Form, ihre blätterlosen, dünnen Zweige
geben ihnen das Ansehen baumartiger Schachtelhalme. Die Bewohner der
Südseeinseln verfertigen ihre Kriegskeulen aus dem harten Holz der
Kasuarinen, weshalb dieselben auch wohl Keulenbäume genannt werden.

Der neuseeländische Flachs wuchs in den Niederungen. Die zwei Meter hohe
Pflanze hat viele Ähnlichkeit mit unserer Schwertlilie, jedoch besitzt
sie dickere Stengel und rote Blumen. Aus ihren festen Blättern gewinnt
man eine Pflanzenfaser, die den Eingebornen schon seit undenklicher Zeit
zur Anfertigung von Kleidung, Matten, Netzen und Seilen dient, allein
von weit größerem Nutzen hat sich der neuseeländische Flachs (^Phormium
tenax^) für die Europäer herausgestellt. Er eignet sich zu Tauwerk nicht
nur unendlich besser als der europäische Hanf, sondern die aus ihm
verfertigten Gewebe lassen an Dauerhaftigkeit, Geschmeidigkeit und Glanz
die europäische Leinwand weit hinter sich. Die Engländer führen
namentlich von Neuseeland jährlich neuseeländischen Flachs im Werte von
gegen 20000 Pfund Sterling aus und die Franzosen haben ihn bereits in
Südfrankreich mit Vorteil angepflanzt.

Als sie nun so weiter zogen und die fremdartige Pflanzenwelt dieses
sonderbaren Weltteiles ihrer Beobachtung unterzogen, trafen sie auf
ihrem Gange einen Erdbau an, der fast dem eines europäischen Fuchses
glich.

»Der Bau eines Wombats!« rief der Führer. »Er schläft bei Tage, ohne
sich um den Sonnenschein zu kümmern, an dem sich andere Tiere erfreuen,
denn er ist ein veritables Nachttier, das erst in der Dunkelheit aus
seiner unterirdischen Wohnung humpelt, um sich genügsam von einem
harten, binsenartigen Grase zu ernähren oder Wurzeln zu verspeisen, die
er sich durch kraftvolles Graben erwirbt.«

»Schade, daß jetzt heller Tag ist,« äußerte Hans, »einen Wombat hätte
ich gern geschossen.«

»Zumal er einen delikaten Braten abgibt,« sagte der Führer. »Nun, wenn
er nicht gutwillig kommt, so wenden wir Gewalt an. Seine Wohnung wird
zwei Ausgänge haben und wenn wir in den einen Feuer hineinlegen, so
treibt der Rauch ihn zum andern heraus vor die Gewehre.«

Der zweite Ausgang wurde nach einigem Suchen entdeckt und hierher
postierten sich die beiden Knaben sowie Holm, mit den Flinten im
Anschlag. Rua-Roa und der Doktor bewachten den zuerst gefundenen
Ausgang, in dem der Führer trockenes Holz aufschichtete, das er
anzündete. »Nun wollen wir den Schläfer dort unten räuchern!« rief er
und legte eine Hand voll grünen Grases in die Flamme. Ein fürchterlicher
Qualm entwickelte sich.

»Ich höre etwas schnauben,« flüsterte Hans.

Alle waren gespannt aufmerksam. -- Da kam etwas in dem zweiten Ausgange
der Höhle hervor. Ein dicker Kopf mit kurzen Ohren zeigte sich und ein
unhöflicher, schlaftrunkener Geselle kroch langsam, mit blinzelnden
Augen hervor. Ein wohlgezielter Schuß tötete den Wombat, welcher von dem
Rauche aus seiner gemütlichen Wohnung vertrieben war.

»Ein Prachtkerl,« frohlockte der Führer, »mindestens seine sechzig Pfund
schwer; der soll uns schmecken!« Der Führer weidete das Wildbret
kunstgerecht aus, schnürte seine Beine zusammen und warf es wie eine
Tasche um den Nacken. »Nun vorwärts,« rief er, »damit wir zur rechten
Zeit das Lager erreichen!«

Alle gingen auf diesen Vorschlag ein, und mit neuem Mute durchzogen sie
die Gegend, welche sich immer schöner gestaltete. Es wurde wärmer und
wärmer, endlich drückend heiß und in dem Dorfe an der Küste wieder ganz
tropisch, wie in den früher bereisten Gegenden. Die kleine Karawane zog
über öde Basalt- und Lavafelder, an den Ufern großer Ströme dahin,
vorbei an Seen mit Rohr und Schilf wie daheim in Deutschland, mit weißen
und blauen Wasserrosen und schwarzen, purpurschnabeligen Schwänen; sie
sah zahlreiche heiße Quellen und thätige Vulkane und atmete auf, als das
Erscheinen der Eisvögel den Strand verriet. Diese Reise durch so weite,
menschenleere Strecken, ohne Fleischnahrung, in dem zwischen nächtlicher
Kälte und drückender Tageshitze schwankenden Klima war keine leichte und
keine sehr unterhaltende gewesen. Alle erklärten einstimmig Australien
für das wenigst interessante Gebiet, welches sie bisher betreten. Und
nun stand noch der Südpol bevor!

In den Flüssen an der Küste begegnete ihnen ein alter Bekannter, die
Schildkröte; auf den Klippen saß der große Eisvogel, Papageien zeigten
sich in großer Anzahl; schwarze Gestalten erschienen, Blätterdächer
tauchten auf und Boote schwammen über die krausen Wellen des Meeres
dahin. Dieser Stamm hatte augenscheinlich oft weiße Menschen gesehen;
die Reisenden wurden ohne Erstaunen, aber mißtrauisch aufgenommen, man
schien von ihnen eher Böses als Gutes zu erwarten.

Für Geld erlaubte es der Häuptling, daß die Weißen eine Hütte aus Bambus
und Palmblättern bezogen; man band die Pferde an lange Leinen und ließ
sie das üppige Gras abweiden, während sich ihre Herren nach Möglichkeit
mit den Schwarzen zu verständigen suchten. Der männliche Teil des
Fischervölkchens trug gar keine Kleider, die Frauen dagegen zeigten sich
im Schmuck des Grasgürtels und verschiedener, sehr hübsch gearbeiteter
Zieraten aus Muscheln und Schildkrötenschalen. Sie hatten auch hier
wulstige Lippen, magere Arme und die abschreckende Gewohnheit des
Bemalens, zu der noch das Einreiben ihrer ganzen Personen mit
entsetzlich stinkendem Thran kam. Das Dorf war gewissermaßen in zwei
Teile geteilt; unten am Strande wohnte ein kräftigerer Menschenschlag,
dessen Angehörige Fischerei betrieben und selbst Boote zimmerten; weiter
hinauf dagegen lebten Geschöpfe, deren bloßer Anblick Erbarmen einflößen
konnte. Abgezehrt wie Skelette, gelbgrau von Farbe und mit trommelartig
aufgetriebenem Leibe, wohnten diese Jammergestalten, deren es übrigens
nur wenige zu geben schien, für sich allein im Gebüsch oder in
schlechten, ruinenartigen Hütten, einer einzigen Leidenschaft frönend,
wie etwa der Trinker dem Genusse des Branntweins, -- der des Erdessens.

Man findet diese unselige Gewohnheit, außer an einigen Punkten
Südamerikas, nur bei den Australnegern, obgleich auch dort selten. Die
Erdesser werden vom Stamm als gewissermaßen unrein ausgestoßen, sie
gehen alle dem frühen Tode mit Sicherheit entgegen und sind schwach und
elend, oft kaum im stande, sich aufrecht zu erhalten; aber von ihrer
schrecklichen, so ganz unbegreiflichen Leidenschaft lassen sie nicht,
sondern sterben, wenn ihnen der Genuß einer gelben fettigen Erdart
entzogen wird; jede andere Nahrung weisen sie mit Abscheu zurück.

Holm nahm eine Quantität der Erde mit, um dieselbe später einer genauern
Prüfung zu unterwerfen.

»Wir werden unter dem Mikroskop finden,« sagte er, »daß diese Erde reich
an Diatomeen ist, von denen wir bereits einige Arten kennen gelernt
haben. Es finden sich an vielen Gegenden der Erde große Anhäufungen von
Diatomeenpanzern, die der weißen, staubartigen Beschaffenheit wegen
Bergmehllager genannt werden. In Lappland und dem nördlichen Schweden,
wo der kurze Sommer das Getreide nur spärlich reifen läßt, mischt der
leichtbefriedigte Nordländer das leckere Bergmehl dem spärlichen
Brotteige zu, um eine größere Quantität des kostbaren Nahrungsmittels,
des Brotes, zu erzielen. Obgleich die Kieselpanzer nur wenig Nährstoff
besitzen, werden dennoch ungeheure Mengen derselben verzehrt; von dem
Bergmehl von Lollhapysön werden alljährlich viele Wagenladungen in der
angegebenen Weise verspeist. In Nordasien und Südamerika leben ganze
Völkerschaften, welche ebenso wie diese Australier feine Erdarten
genießen und sogar als Leckerbissen schätzen. Auch in diesen Erden
finden sich unzählige Diatomeen, denen möglicherweise noch eine Spur
nahrungsspendender organischer Substanz anhängen mag, die eine Erklärung
der wenig einladenden Geschmacksrichtung zuläßt.«

Die Erdesser verkrochen sich vor dem Blick der Weißen; diese
Unglücklichen glichen häufig lebenden Leichen und boten mit ihrer
Ungestalt einen äußerst abschreckenden Anblick. Während sie über den
aufgetriebenen Leib nicht hinwegzusehen vermochten, waren ihre übrigen
Körperteile bis auf die Knochen abgemagert.

Die Wilden ernährten sich hier von Fischen, Muscheln und
Schildkröteneiern. Vor jeder Hütte war in die Erde ein Loch gegraben;
zuerst kam das Holz hinein und, wenn dieses brannte, mehrere flache
Steine, die nach ihrer Erhitzung als Pfanne dienten. Die Eier wurden
sofort darauf gar, und der Fisch geriet wenigstens in einen Zustand,
welcher ihn halb verbrannt, halb geröstet einigermaßen genießbar machte.
Auch Kokosnüsse, Brotfrüchte und Taro wurden auf diesen Steinen zu einer
harten, brotartigen Masse gebacken. In dem ganzen, an genießbaren
Pflanzen so armen Australien schien dies Gebiet das ärmste; es fanden
sich hier selbst nicht einmal jene Beerenfrüchte, die in den Wäldern
zuweilen als angenehme Erfrischung gedient hatten.

Ihre Fische fingen die Männer, indem sie dieselben vom Boot oder vom
Strande aus mit langen Spießen geschickt stachen; außerdem tauchten sie
auch wie die Enten und brachten vom Grunde Muscheln in Fülle mit herauf.

Gleich während der ersten Stunden bemerkten die Weißen, daß unter diesem
Stamm wieder einmal wie bei den Alfuren ein bedeutend entwickelter Hang
zum Diebstahl vorhanden war; sie schossen daher mehrere Eisvögel,
kauften einige noch nicht gesehene Schaltiere und beschlossen dann, der
Pferde wegen noch vor Nacht wieder abzureisen. Wenn ihnen durch einen
Handstreich die Reittiere genommen wurden, so waren sie in dem Lande,
das keine Jagd und fast keine wildwachsenden Früchte bot, dem Hungertode
preisgegeben. Einer erzählte ohnehin dem anderen, daß er täglich seine
Kleider enger einschnüren müsse.

Die Führer hielten Wache und verscheuchten bei dieser Gelegenheit mehr
als einmal die Wilden, welche nicht umhin konnten, sich schleichend mit
lüsternen Blicken den aufgestellten Gewehren zu nähern; man hielt es
aber auch nicht für klug, eine offene Fehde heraufzubeschwören, vielmehr
versuchte Mr. Thompson, der Dolmetscher, durch einen Vergleich die Frage
allseitig befriedigend zu lösen. »Komm einmal her, Kamerad,« redete er
den schlangengleich durch das Gebüsch kriechenden Schwarzen im ruhigsten
Tone an, »wie heißt du, Alter?«

Der Wilde erschrak zwar, aber er gehorchte doch dem Rufe. »Heu-Heu,
Master,« versetzte er etwas unsicher. »Was willst du von dem schwarzen
Manne?«

Thompson bot ihm mittels einer Handbewegung neben sich auf der Wolldecke
Platz. »Du sollst mir einen Rat geben, mein lieber Heu-Heu,« fuhr er
fort. »Wie weit ist es von deinem Dorfe bis zur nächsten Niederlassung
weißer Menschen? -- oder wohnen hier herum keine?«

Der Wilde zeigte über seine Schulter hinweg. »Wenn der Kasuar bei
Sonnenaufgang von hier fortläuft, so kommt er am Abend zu den weißen
Männern,« antwortete er.

»Aha! das ist eine gute Nachricht, Freund Heu-Heu! Nun höre weiter.
Kannst du uns bis zu diesem Dorfe den Weg zeigen?«

Der Schwarze überlegte. Sein lauernder Blick wanderte von den weidenden
Pferden zu den Gewehren und von diesen wieder zurück. »Wir werden zu
zwanzig oder dreißig die Führung übernehmen,« versetzte er endlich.
»Weniger können es nicht sein, sonst möchten wir uns verirren.«

Thompson zuckte die Achseln. »Das ist schade, mein lieber Heu-Heu,«
sagte er mit der größten Ruhe, »wirklich schade. Einen Mann brauchen wir
nur.«

In den Augen des Wilden blitzte der Zorn der Enttäuschung.
Wahrscheinlich hatte er es sich sehr leicht und angenehm gedacht, mit
seinen Genossen die Weißen in der Wildnis abzuschlachten und sich ihres
Eigentums ohne Mühe zu bemächtigen. Dazu aber war eine bedeutende
Überzahl ganz unerläßlich.

»Ein einzelner Mann meines Stammes geht nicht mit euch,« setzte er
hinzu. »Einer allein ohne seine Freunde wagt sich so weit nicht hinaus.«

Thompson nickte. »Dann müssen wir es eben ohne Führer versuchen, mein
Bester,« gab er zurück. »Es thut mir leid, dich gestört zu haben,
Heu-Heu. Schlaf wohl!«

Aber der Schwarze blieb sitzen. »Geht ihr allein, so fallt ihr in die
Hände der räuberischen Ara-Punga,« sagte er. »Sie wohnen ganz in der
Nähe und töten jeden, dessen sie habhaft werden können.«

»Hm, hm, was du sagst, Heu-Heu. Da würden ja auch zwanzig oder dreißig
von deinem Stamme nichts ausrichten! Ich sehe schon, wir müssen unsere
Reise allein fortsetzen.«

Damit drehte er den Kopf, wie um zu schlafen, indes der Wilde zögernd,
heimlich knirschend seine Hütte wieder aufsuchte. Er ballte im Dunkel
der Nacht drohend die Faust. »Heu-Heu wird dir zeigen, daß er klüger
ist, als alle weißen Länderdiebe und Schurken zusammen,« zischte er.
»Keiner deiner Gefährten erreicht die Kolonie am Meer, keines eurer
Pferde soll uns entgehen.«

Er blieb während der ganzen Nacht unsichtbar, am frühen Morgen jedoch
erschien er wieder. »Wenn die Weißen langsam reiten wollten, so daß ein
Mann zu Fuß bequem folgen könne, dann sei es ihm doch vielleicht
möglich, unter den Felsen am Ufer einen Weg zu finden, der das Gebiet
der Ara-Punga nicht berühre. Wie viel bei der Sache verdient werden
könne?«

Thompson bot im Namen der Weißen eine anständige Summe, und beide Teile
einigten sich dahin, gleich nach dem Frühstück abzureisen. »Ich traue
dem Frieden nicht so recht,« erklärte der Führer, »da ist irgend ein
Schurkenstreich im Werden begriffen. Wollen wir auf das gute Glück hin
allein fortreiten oder riskieren, daß uns der ganze Stamm nachschleicht,
um Beute zu machen?«

Die Reisegenossen sahen einander an. »Laßt uns lieber das Geld bezahlen
und doch ohne Führer reisen,« antwortete der Doktor. »Wir hatten ja auch
bisher keinen solchen.«

»^Well!^« nickte der Dolmetscher. »Aber auf dem Gebiet der steinigen,
von Klippen durchzogenen, oft aus Sandfeldern bestehenden Küste leben
weder Känguruhs noch wachsen solche Wurzeln, die zur Not einen Menschen
vom Hungertode erretten können. Was wollen wir essen, wenn uns die
Kolonie während mehrerer Tage nicht zu Gesicht käme?«

»Warum trauen Sie denn dem Schwarzen nicht, Thompson?«

»Hm, die Australneger sind durchweg rachsüchtiger Natur. Daß wir ihnen
mittels unausgesetzter Wachsamkeit ihre kleinen Diebereien unmöglich
gemacht haben, verzeihen sie uns nicht.«

»Da gibt es also nur ein einziges Mittel,« entschied Holm. »Die Kolonie
liegt ohne Zweifel am Meer, wie alle Ansiedelungen auf wildem Gebiet;
wir können uns also in der Richtung nicht irren, das ist die Hauptsache.
Eine Partie Schildkröteneier und etwas von dem harten Tarogebäck wird
sich ja kaufen lassen, das reicht für einen Tag; während der Nacht
bleiben wir im Sattel, so daß kein Überfall möglich ist und folgenden
Morgens erreichen wir unser Ziel.«

Der Dolmetscher lächelte. »Ganz gut, Sir, ganz gut,« versetzte er, »aber
den Führer können wir dabei doch nicht entbehren. Die Küste ist so
unregelmäßig, so von Ausläufern und vorspringenden Landzungen
unterbrochen, daß recht wohl in einer dieser versteckten Buchten die
Kolonie unseren Blicken entgehen könnte und daß wir direkt hinter dem
jedenfalls nur unbedeutenden Städtchen vorüberreiten. Besäßen wir
Lebensmittel, dann stände alles anders, so aber stimme ich dafür, den
Schwarzen mitzunehmen.«

»Abgemacht!« rief Franz. »Mr. Thompson und seine Genossen haben nur
übernommen, uns durch das Gebirge zu führen; sie erklärten von vorn
herein, in den Küstendistrikten ganz unbekannt zu sein; wir können ihnen
also jetzt, wo sie uns aus Gefälligkeit unter den schwersten
Entbehrungen hierher begleiteten, nicht zumuten, auch noch Leben und
Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Der Schwarze soll schon gehorchen, wenn
er erst mit uns allein im Walde ist.«

Mr. Thompson erhandelte von den Schwarzen, die sich noch mehr als am
letzten Abend von ihren Gästen zurückzogen, eine tüchtige Anzahl Eier
sowie Taro, beides steinhart gebacken; die Wasserflaschen wurden gefüllt
und die Decken aufgeschnallt, dann ging es unter Heu-Heu's Führung
weiter über den Strand dahin. Ein Versuch, diesen ungastlichen, scheuen
Wilden Lebewohl zu sagen, schlug gänzlich fehl, sie hatten sich in ihre
Hütten zurückgezogen und schienen den Weißen einen tief empfundenen Haß
zu bewahren.

Als Heu-Heu an der Spitze der Reiterschar zum Dorfe hinauswanderte,
wechselte er mit dem vom Meer herübersehenden Häuptling einen Blick, der
den Führern nicht entging. Thompson und die übrigen bedeuteten sich
schweigend. Der Wilde hatte gesagt: »Paß auf!« und der Häuptling
geantwortet: »Es bleibt dabei!« --

»Die Kerle ziehen uns nach, es ist gar kein Zweifel,« raunte der
Dolmetscher.

»Verdammt sollen sie sein. Wir werden ihnen einen heißen Empfang
bereiten.«

»Pst! -- die Fremden erfahren das früh genug, wenn's erst einmal so weit
ist.«

Im schönsten Sonnenschein ritt die kleine Gesellschaft über den Kies
dahin, wurde aber sehr bald durch einen seltsamen Anblick so gefesselt,
daß der schwarze Führer stillstehen und Erklärungen geben mußte. Aus dem
Schoße eines rieselnden, fußtiefen Sandbodens herauf ragten in langen
Reihen die Kiele halbversenkter Boote, deren vorderer Teil mit der
offenen Seite nach unten auf dem Sande lag, während der hintere von
diesem ganz bedeckt war. Der unbeschützte, von keiner Einfriedigung
umgebene Raum bildete den Gottesacker des Stammes; wo ein Mann begraben
lag, da hatten ihm die Überlebenden sein Boot, sein einziges irdisches
Besitztum als Erinnerungszeichen mitgegeben; wo aber eine Frau die
letzte Ruhestätte gefunden, da ragte aus dem Boden die Hälfte des
Weidenkorbes, in dem sie Eier und Brotfrucht gesammelt.

So einförmig, so schmucklos und öde dieser Kirchhof den Blicken der
Europäer auch erschien, einen so guten, versöhnlichen Eindruck brachte
er dennoch bei allen hervor. Wie viel würdiger war es, die Toten der
Mutter Erde zurückzugeben und ihre Gräber durch das Erinnerungszeichen
vor Entweihung zu schützen, als sie auf Bäumen den Sonnenstrahlen und
den Raubvögeln zu überlassen, bis endlich ein Sturmwind die letzten
Überreste auf den Erdboden und damit den Lebenden unter die Füße warf.
--

Die jungen Leute stiegen von ihren Pferden, um diesen seltsamen Friedhof
auf hoher Sanddüne am Meer nach allen Richtungen zu durchwandern; auch
der Doktor und Heu-Heu hatten sich ihnen zugesellt, während die Führer
bei den Tieren Wache hielten.

Der Schwarze deutete auf eine vorspringende Klippe am höchsten Punkt des
ganzen Raumes; seine unverständlichen Reden schienen den Fremden ein
besonderes Schauspiel zu verheißen. Ziemlich neugierig näherten sie sich
dem Winkel, wo in einer Art von Vertiefung unter überhängendem Dache
wirklich ein Anblick, wie sie ihn am wenigsten erwartet, ihrer harrte.
In der natürlichen Nische stand ein grobgezimmertes, unbemaltes Kreuz
mit der Inschrift: »^John Mulgrave^,« darunter die Worte: »Christus ist
mein Leben und Sterben ist mein Gewinn.«

Es war jedenfalls ein Missionar, der hier schlummerte, das sahen alle;
der Schwarze schien auch die Einzelheiten des Falles zu kennen,
wenigstens redete er immer fort; aber erst als Thompson hinzukam und
vermittelte, konnten ihn die übrigen verstehen. Mr. Mulgrave hatte lange
Jahre unter den Wilden gelebt und war von ihnen hoch verehrt worden,
weil er nur Gutes stiftete und allen Leuten nützliche Kenntnisse
beibrachte. »Die kleinen Kinder begoß er mit ein paar Tropfen Wasser,«
erzählte Heu-Heu, »und dann wußte er auch viel Schönes von einem Manne,
den er gekannt, der ein großes Haus besitze, in welchem sie dereinst
nach ihrem Tode sämtlich wohnen würden, Häuptlinge und Sklaven, Weiße
und Schwarze, und wo auch der große Weltgeist seinen Sitz habe. In
diesem Lande gibt es nicht Hunger noch Durst, die Ara-Punga sind keine
Feinde, und Brotbäume wachsen auf allen Wegen.«

Keiner der Weißen fand im Augenblick Worte diesen rührenden
Auseinandersetzungen gegenüber. Wie hatte der verbannte, auf den
unfruchtbaren, verödeten Küstenstrich vom Schicksal verschlagene Mann so
treulich gestrebt, innerhalb des Gedankenkreises seiner Schüler das
Christentum zu erwecken, wie schwer und mühevoll war sein Los gewesen!

»Wer hat denn für euren Freund das Kreuz gezimmert?« fragte endlich
Holm.

»Er selbst. Er hat auch den Holzkasten, worin er liegt, mit eigener Hand
gemacht; mich trug er auf den Armen, als ich noch ein kleines Kind war.«

»Also ruht er lange schon!« setzte der Doktor hinzu. »Und was er
ausgesäet, ist wieder überwuchert vom Unkraut; die er als Säuglinge
taufte, sind heute Wilde und vielleicht arge Schurken dazu. Aber einen
Kranz auf das einsame Grab wollen wir doch legen, nicht wahr?«

Die jungen Leute hatten schon den gleichen Gedanken gehabt. Schilf und
ein paar spärliche Blüten, wie sie die australische Flora hergab,
bildeten einen schlichten Kranz, der das Holzkreuz rings umflocht.
Nachdem so der tote Mann ihrer eigenen Farbe von den Weißen geehrt
worden war, setzten sie ihre Reise fort, wobei noch der Wilde
eingestand, daß er eigentlich John Eward heiße, später aber nach
Landessitte von den Seinen wieder Heu-Heu genannt worden sei.

»Sind denn außer diesem einen nie mehr Missionare hierhergekommen?«
fragte Franz.

»Doch, noch viele, aber wir haben sie totgeschlagen. Weiße und wir
können nicht zusammenleben.«

»Da hat er recht,« nickte Thompson. »Eigentümlich genug; aber dies Volk
verträgt und mischt sich mit der weißen Rasse nirgends. Wie in
Nordamerika die Indianer, so werden in ganz Australien die Eingebornen
verdrängt und sterben aus, aber sie schließen mit uns keinen Frieden.«

Heu-Heu sah von einem zum andern. Er hörte, daß von seinem Volke
gesprochen wurde, -- der lauernde Blick zeigte, daß er etwas verbarg.

»Nicht so schnell,« ermahnte er schon nach den ersten Wegstunden. »Ich
kann mit euren großen Pferden unmöglich Schritt halten.«

Der Führer zügelte sein Tier. »Komm her,« sagte er, »setze dich hinter
mich, der Gaul verträgt's schon eine Weile.«

Dazu war der Schwarze unter keiner Bedingung zu bewegen, er sträubte
sich aus allen Kräften gegen die Nähe des Pferdes, so daß nichts übrig
blieb, als im Schneckenschritt den Weg fortzusetzen; dafür aber wurden
auch keine Pausen gemacht, zumal nichts zu kochen vorhanden war. Nur als
endlich die Nacht herabsank, mußte notgedrungen den Tieren und dem
Wilden eine Erholung gestattet werden, obgleich freilich die Weißen an
keinen Schlaf dachten.

Die Reiter hielten ihre Tiere an den Zügeln und ließen sie weiden oder
sich ausstrecken, während sie selbst die harten Lebensmittel
hinunterwürgten. Im weiten Kreise umstanden die Führer das Lager, es war
somit an eine plötzliche Überrumpelung nicht zu denken.

»Schlaf!« ermahnte Mr. Thompson den Neger. »Wonach spähst du umher?«

Heu-Heu streckte sich sofort gehorsam auf den Fußboden. »Ich glaubte ein
Geräusch zu hören,« stammelte er. »Dort! -- hinter den Gebüschen regte
sich's.«

Er deutete auf eine in der Richtung des weiteren Weges ziemlich entfernt
stehende Gruppe von hohen, üppigen Farnen. »Gewiß, von daher klangen
Stimmen,« beharrte er.

Die Führer wechselten Blicke. »Hinter uns lauert der ganze Stamm,«
flüsterte Thompson. »Hätte ich es nicht schon längst geglaubt, so wüßte
ich es jetzt. Wenn wir uns von diesem Schurken verleiten ließen, das
Gebüsch abzusuchen, so wäre unser Untergang sicher.«

Einer der anderen näherte sich ihm. »In einer Stunde haben wir
Mondschein, Thompson,« raunte er. »Wie wäre es, wenn wir den Schwarzen
an Händen und Füßen knebeln, ihm das Verrätermaul stopfen und ihn auf
eines der Pferde binden, so daß er den übrigen Teufeln kein Zeichen
geben kann? -- Sie sind hier, das ist vollkommen gewiß.«

»Vollkommen!« bestätigten alle. »Der Schwarze liegt mit offenen Augen,
ich habe ihn fortwährend beobachtet.«

»^Well!^« nickte der Anführer. »Verhaltet euch ganz ruhig, macht euch
mit den Tieren zu schaffen, legt ihnen Decken auf, hört ihr!«

Die Leute zerstreuten sich anscheinend absichtslos. Einer oder der
andere suchte unter den Bäumen eine Stelle, um mit dem Zügel über dem
Arm eine Viertelstunde zu ruhen, die meisten aber breiteten über ihre
Tiere die am Sattelknopf befestigten Wolldecken, ohne indessen den
schlauen Thompson auch nur für eine Sekunde aus den Augen zu verlieren.
Sie kannten ihn, sie wußten, daß er »mit allen Salben geschmiert« sei
und schon hundert Kämpfe mit den Eingebornen bestanden hatte, aber
dennoch begriffen sie nicht, was er jetzt im Schilde führte.

Auch der Neger beobachtete heimlich. Eine heiße Ungeduld durchflutete
sein Inneres, -- würde denn nicht endlich der Zeitpunkt kommen, wo die
Natur ihre Rechte geltend machte, wo die weißen Männer, eingewiegt in
trügerische Sicherheit, die Augen schließen und in Schlummer versinken
mußten?

Thompson glitt hart an ihm vorüber. Er ging langsamen Schrittes,
wandernd die große Wolldecke auseinander faltend und seinem ruhig
weidenden Pferde einige ermunternde Worte zurufend. »Wollen dich
einhüllen, alter Kerl, damit dir die Nachtkühle nicht schade, he? --
bewahrt ist besser als beklagt!«

Während er im Tone harmloser Gutmütigkeit anscheinend dem Tier diese
Rede hielt, brachte ihn ein plötzlicher, mit staunenswerter Keckheit
ausgeführter Seitensprung in die unmittelbare Nähe des Negers, hatte er
über den Kopf desselben die Decke geworfen und durch handfesten Druck
auf den schwarzen Mund jeden beabsichtigten Schrei im Keime erstickt.
Jetzt sah er lachend zu seinen Genossen hinüber. »Besteigt die Pferde,
meine Herren, es ist Zeit, daß wir uns von hier entfernen; die Kerle
sind ganz in der Nähe, das behaupte ich, -- diesen Burschen nehmen wir
eine Strecke Weges mit uns.«

Er und zwei andere banden während dieser Worte die widerstrebenden
Glieder des Schwarzen, der auf jede erdenkliche Weise loszukommen und
namentlich den Gebrauch seiner Stimme wieder zu erlangen suchte. »Ho,
ho, Freundchen,« murmelte er belustigt, »nicht so wild. Beißt der Kerl
wie eine Katze in meine Hand hinein. Na, na, jetzt hast du Ruhe, nicht
wahr?«

Er erhob sich vom Boden und zog das Pferd am Zügel heran. Der Neger, den
Knebel im Mund, bis unter die Nase wie ein Paket zusammengeschnürt,
konnte nur in ohnmächtiger Wut zuweilen gleich dem Fisch auf dem
Trocknen mit halbem Leibe vom Gras emporschnellen und die Augen rollen,
als wolle er alle Weißen verschlingen.

»Thompson,« lächelte Holm, »Sie sehen Gespenster. Es ist ja weit und
breit alles so ruhig wie in einer Kirche.«

Der Führer nickte. »Aufgepaßt, meine Herren!« versetzte er. »Der Beweis
soll sogleich geliefert werden. Sind Sie alle bereit, Ihren Tieren auf
das erste Signal hin die Sporen zu geben?«

»Alle! -- aber da ist nichts zu fürchten, Thompson.«

Statt jeder Antwort drehte der alte Squatter den Kopf in der Richtung
des zurückgelegten Weges und stieß dann mit aller Kraft seiner Lungen
einen tierisch-wilden, furchtbaren Schrei hervor. Es war der Kriegsruf
der Australier. Die versteckten Schwarzen sollten glauben, mittels
dieses langgezogenen, gellenden Tones von ihren Genossen ein Zeichen zu
erhalten, sollten antworten und den geplanten Überfall ins Werk setzen.

Die List gelang vollständig.

Auf der offenen Ebene, die jetzt erreicht war und von dem Strahlen des
aufsteigenden Mondes ringsum hell beleuchtet wurde, hielten in breiter
Reihe, einer neben dem anderen, die Reiter; aller Blicke waren rückwärts
gerichtet.

Und wie das Geschrei von Hunderten von Teufeln brach es los; es zerriß
die Luft und ließ das Trommelfell erzittern unter seiner donnerartigen
Wucht.

Schwarze, nackte Gestalten sprangen aus den Büschen, wilde
Gestikulationen zeigten das rachsüchtige Verlangen nach Raub und Mord.
In jeder Hand wirbelte hochgeschwungen der Bumerang, jede Kehle überbot
sich in wüstem, sinnverwirrendem Geschrei.

»Achtung!« gebot mit Donnerstimme der Führer. »Vorwärts!«

Und dahin über die Ebene jagten fünfzehn Rosse, daß »Kies und Funken
stoben.« Wie durch Zauberei erstarrte mitten im Ansatz beim Erblicken
dieser fliehenden, ihrer Bestialität entzogenen Opfer das Toben der
Wilden. Sie blieben plötzlich stehen, als habe eine feindliche Macht
ihre Glieder gelähmt, der eine mit erhobenem, der andere mit
herabhängendem Bumerang, -- alle totenstill, -- regungslos.

Aber nur sekundenlang währte diese Erstarrung; dann begann wie auf ein
allgemeines Signal die Verfolgung, welche indessen unsern Freunden
keinerlei Befürchtungen einzuflößen brauchte. Brüllend und kreischend,
losgelassenen Teufeln gleich, werfend, sich überstürzend im rasenden
Laufe, folgte die schwarze Schar den ausgreifenden Pferden; matt und
unschädlich fielen ihre Waffen weit hinter den Bedrohten in das Gras,
schwächer und schwächer verhallte das Kriegsgeheul, immer undeutlicher
wurde den Zurückblickenden der tobende Haufe, bis endlich nichts mehr zu
sehen und nichts mehr zu hören war. Nur der Mond schien mit halbem,
wolkenverhülltem Glanz vom Himmel herab, hie und da rauschte im kühleren
Nachtwind eine hohe vereinzelte Kaurifichte, von den Negern aber war
jede Spur verschwunden.

Thompson gebot Halt, die schnaufenden Tiere verfielen in ruhigere
Gangart und standen endlich ganz still; einer der Männer sah stumm den
andern an.

»Nun, meine Herren, war die Gefahr wirklich eine eingebildete?«

Holm reichte ihm über den gebundenen Neger hinweg die Hand. »Wir
verdanken Ihnen das Leben, Thompson,« sagte er. »Die schwarzen Teufel
hätten keinen von uns verschont.«

Der alte Squatter lachte. »Ich kenne die Schufte seit dreißig Jahren,«
versetzte er, »weiß, was sie wert sind und was man von ihnen zu erwarten
hat. Als dieser Kerl hier während der letzten Nacht mehrere Male
vergeblich zu stehlen versuchte, da stand es für mich ganz fest, daß wir
einen Kampf auszufechten haben würden. Die Neger hier herum sind
rachsüchtig; sie vergessen und verzeihen nie.«

»Was wollen Sie denn mit Ihrem Gefangenen machen, Mr. Thompson?« fragte
der Doktor. »Ich hoffe, daß Ihnen blutige Wiedervergeltungspläne
fernliegen.«

Der Squatter lüftete den breitkrempigen Strohhut. »Ich will dem
Schlingel nichts zuleide thun, Ehrwürden,« lächelte er, »die Glieder
schmerzen ihn ohnehin noch acht Tage, und die Wut erstickt ihn beinahe.«
Er sprang vom Pferd und warf den gebundenen Neger wie einen Packen in
das hohe, weiche Gras, dann durchschnitt er die Stricke, welche Arme und
Füße umwunden hielten. »So, nun lauf, du Spitzbube und grüße deine
schwarzen Gesellen. Der weiße Mann sei doch noch klüger als sie.«

Während sich der Neger unter dem lauten Lachen aller Anwesenden mit den
krampfhaftesten Verrenkungen aus seiner Decke hervorschälte, hatte der
Squatter das Pferd wieder bestiegen und die ganze kleine Gesellschaft
setzte in langsamerer Gangart den Weg durch die Ebene weiter fort. Zur
Linken rauschte in einiger Entfernung das Meer, ein kalter Wind strich
über die Klippen dahin und zuweilen war das lächelnde Mondgesicht
derartig unter Wolken versteckt, daß tiefe Finsternis die ganze Umgebung
beherrschte. Nur im Schritt konnte dann die Bahn verfolgt werden; jetzt,
nachdem die nervöse Spannung der letzten Stunden nachgelassen, fühlten
alle Reiter die natürliche Ermüdung des tagelangen und noch dazu unter
den härtesten Entbehrungen zurückgelegten Weges; auch die Pferde
schnauften und schüttelten die Köpfe in zunehmender Ungeduld. Nur an
einer einzigen unbedeutenden Quelle war man seit heute früh
vorübergekommen, nur einmal hatten Menschen und Tiere trinken können;
das machte sich jetzt immer quälender bemerkbar.

Noch eine halbe Stunde wurde schweigend die Reise fortgesetzt, dann riet
Thompson zu einer kleinen Rast, die den Tieren durchaus notwendig sei.
Für die Menschen gab es nichts zu beißen und zu brechen, die Pferde
dagegen fanden wenigstens Gras in Hülle und Fülle, so daß ihnen die
Entbehrung des Trinkwassers etwas erleichtert wurde. Bald ging es wieder
vorwärts, -- wohin, das wußte keiner unter ihnen.

Vielleicht hatte ja Heu-Heu eine Fabel berichtet, als er von der am Meer
gelegenen Kolonie der Weißen sprach, -- vielleicht wohnte hier herum ein
anderer Negerstamm, und die kaum überwundene Gefahr begann von neuem.

Wie bei einem Leichengefolge so ritten langsam und schweigend die
fünfzehn Männer hinter einander durch die Einöde; keiner konnte sich der
schlimmsten Befürchtungen entschlagen; es gab keinen, der nicht
Kopfschmerz und Ermattung fühlte, alle Stirnen brannten, über den Rücken
jedes einzelnen lief es unnatürlich kalt herab, fast wie beginnender
Fieberfrost.

Und dennoch mußten sie vorwärts, keiner durfte zurückbleiben, niemand
den Mut verlieren. Vor ihnen lag eine weite Ebene, nirgendwo ein Baum,
der Früchte lieferte oder nur erquickenden Schatten spendete. Der letzte
Zwieback war gegessen, der Hunger meldete sich ungestüm. Die Männer
schwiegen wie in dumpfer Verzweiflung, und die Knaben, ihrem Beispiele
folgend, äußerten keinerlei Klage, obgleich ihnen jeder ansehen konnte,
wie sehr sie litten.

Hans atmete fieberhaft. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, die
Lippen waren trocken und heiß. »Nur Mut, mein armer Junge,« suchte Holm
ihn zu trösten. »Werde mir nur nicht krank. Mit Gottes Hilfe werden wir
auch diese Prüfung überstehen.«

»Es klingt mir so seltsam vor den Ohren,« flüsterte Hans, »wie ferne
Musik und dazwischen ist mir, als hörte ich die Stimme meiner Mutter,
ich habe sie sogar deutlich gesehen, wie sie mir ein Glas Wasser reichte
und ein großes Butterbrot. Als ich zugreifen wollte, war sie aber
verschwunden.«

Holm blickte den Knaben ängstlich an. »Er ist kränker vor Hunger und
Durst als ich dachte,« sagte er zu sich selbst, »denn er sieht schon die
Traumerscheinungen, welche das langsame Verschmachten zu begleiten
pflegen. Naht sich denn keine Rettung?«

Und weiter ging es vorwärts in der Hitze. Die weite Grasfläche schien
kein Ende nehmen zu wollen. Der baumbekränzte Horizont, den sie vor sich
sahen, wich vor ihnen zurück, wie das Trugbild der Fata morgana. Es war
nicht möglich, die Entfernung bis dahin mit den Augen abzuschätzen. Die
Ebenen täuschen das Augenmaß ähnlich wie das offene Meer.

»Nur ein Stückchen Zwieback,« flehte Hans, »nur ein kleines Stückchen,
der Hunger thut so weh.«

»Habe nur Geduld, mein guter Junge,« sagte Holm. »Du siehst ja dort in
der Ferne Wald und Busch, dort wird es uns besser ergehen.« Er hatte
nicht den Mut einzugestehen, daß der australische Busch arm an eßbaren
Früchten ist, aber er wollte um jeden Preis Hoffnung in dem Gemüte des
Knaben erwecken.

»Wachsen dort so schöne saftige Früchte, wie auf Borneo?« fragte Hans.
Holm schwieg, er konnte in dieser ernsten Stunde keine Zuflucht zu einer
Notlüge nehmen.

Langsam schritten die Pferde vorwärts; es war eine traurige Fahrt. »Wenn
mir nur der Knabe nicht stirbt in dieser Einöde,« dachte Holm und ein
kalter Schauer überrieselte ihn bei diesem Gedanken.

Jetzt hörte der Graswuchs auf und ein dichtes Kraut bedeckte den Boden.
»Sieh dort, unser heimatlicher Klee!« rief Franz. »Hier können
wenigstens die Pferde sich neue Kräfte sammeln, damit sie im stande sind
uns weiter zu tragen.«

»Das ist kein Klee!« rief Holm und sein Antlitz leuchtete freudig. »Laßt
uns Gott danken, daß er uns diese Pflanze erreichen ließ, ehe wir
verschmachteten. Wie der Herr einst das Manna in der Wüste sandte, so
läßt er uns dieses unscheinbare Gewächs zum Heile finden. Steigt alle
ab, laßt die Pferde weiden und sucht selber am Boden, dort werdet ihr
die kleine, schalenförmige Fruchtkapsel der Pflanze finden, welche
stärkemehlhaltige Körner enthält, die uns vor dem Hunger einstweilen
schützen werden.«

Alle thaten, wie Holm geheißen. Reichlich waren die erwähnten
Fruchtkapseln vorhanden und wenn auch klein an Gestalt und mit nur
winzigen Körnchen erfüllt, so boten sie doch wenigstens Nahrung. Wie
köstlich schmeckten ihnen die kleinen Liliputbissen, wie emsig pflückten
sie die unscheinbare Frucht.

»Es schmeckt gut,« sagte Hans, »es erquickt mich wunderbar.«

»Wir grasen mit den Pferden um die Wette,« meinte Franz. »Wenn das die
Hamburger sähen!«

»Es kann denen in der Heimat ein Dutzend Austern nicht besser munden,
als uns in der Öde dieser Klee,« fügte Doktor Bolten hinzu.

»Bester Doktor,« rief Holm, »es ist kein Klee, den wir hier verspeisen,
sondern die wohlthätige Pflanze, welche uns vom Verhungern rettet, ist
die »Marsilea.« Obgleich ihre Blätter denen des Klees ähnlich sind, so
gehört sie wegen ihrer eigentümlichen Fruchtbildung doch zu den
Farnkräutern. Wenn wir auch jetzt unsere Nahrung den Vierfüßlern gleich
auf der Erde suchen, so sind wir doch noch weit davon, Futterkräuter zu
speisen.«

Nachdem der größte Hunger gestillt, pflückte jeder der Reisenden sich
einen kleinen Vorrat der Frucht der Marsilea, worauf die Tiere wieder
bestiegen wurden und die Reise weiter ging. Es war jedoch nur dem einen
Quälgeist etwas gewehrt worden, dem Hunger; der Durst machte sich von
Minute zu Minute peinlicher bemerkbar.

Nach und nach näherte man sich dem Waldsaume. Nirgends war eine Quelle
zu entdecken oder ein Bach, der Wasser enthalten hätte.

Der Malagasche parierte plötzlich sein Tier. »Halt!« rief er ängstlich,
»halt! -- Vor uns ist das offene Meer, -- dicht vor uns!«

Die Tiere standen wie auf Kommando. Sie schaukelten die Köpfe und
schienen offenbar selbst durchaus nicht geneigt, weiter vorzudringen.
Alle horchten.

»Der Schall kommt von links her,« meinte Franz.

»Das glaube ich auch,« fügten mehrere andere hinzu.

Rua-Roa blieb bei seiner Behauptung. »Wir haben das Meer vor uns,«
wiederholte er.

Der alte Squatter unterdrückte einen Seufzer. »Ich glaube dir, Junge,«
sagte er. »Alle Farbigen sind den Weißen in dieser Beziehung überlegen,
-- wahrhaftig, mir selbst scheint, daß sich der Schall gegen früher
etwas verändert hat.«

Er sprang vom Pferde und ermunterte die übrigen, ein Gleiches zu thun.
In der dichten Finsternis schritten nun unter Führung des Malagaschen
die fünfzehn Männer langsam vorwärts, deutlich und immer deutlicher
erkennend, daß vor ihnen die Küste lag, daß nach wenigen Minuten ihrem
Wege ein Halt geboten sein würde, ein unbedingter Halt, -- gleichviel
wohin sich die Verirrten sonst wenden konnten. Der Graswuchs hörte auf,
der Boden wurde erst steinig, dann sandig, Schilf erschwerte das Gehen,
lauter und lauter schlugen die Wellen gegen das Ufer, ein feiner
Staubregen erfüllte die Luft. Und endlich erschien das bewegte
schillernde Element, vom schönsten Leuchten der zahllosen Salpen und
Quallen überglänzt, wie mit Demantstreifen durchflochten, Demanten
spielend auf den Strand rollend, Demanten in jeder seiner Tiefen
bergend. Blau und golden, purpurn und violett schimmerten die Lichter,
in Wellenlinien zog sich's über das Schwarz der Fluten dahin, weiße
Schaumkronen rauschten auf und griffen springend, schrittweit hinein in
das Land.

So schön, so hehr und majestätisch die Schöpfung in ihrer Ruhe, so
friedlich das ganze von tiefster Stille überhauchte nächtliche Bild --
und doch, wie zerriß es die Herzen der kampferprobten, trotzigen Männer.

Dieses Rauschen und Fluten, dieser Sprühregen, diese ganze feuchte, von
Wasserduft erfüllte Luft, sie erregten und erhöhten bis zur körperlichen
Qual den Durst, den unstillbaren, sie wandelten angesichts dieser
unübersehbaren Wassermenge das Verlangen nach etwas Trinkbarem in
förmliche Verzweiflung. Die Reisenden wandten sich ab, sie ertrugen es
nicht, das Salzwasser anzusehen; sie fühlten, wie Müdigkeit und
Hoffnungslosigkeit ihr ganzes Denken gefangen nahmen.

Da vor ihnen kein Durchgang, links kein Durchgang, -- wie weit hinein in
das Land erstreckte sich vielleicht dieser verderbenbringende Meeresarm?

Dann gab es nur eine einzige Möglichkeit, nämlich zurückzureiten,
vielleicht den Wilden entgegen, vielleicht vor Hunger unfähig, sich im
Sattel zu halten.

Sie dachten alle das Gleiche, keiner aber sprach es aus. Nur eins konnte
sich Thompson nicht enthalten, brummend hervorzustoßen: »Wollte, daß ich
den schwarzen Halunken hätte stehlen lassen, was ihm beliebte, dann
säßen wir nicht in dieser unseligen Patsche!«

Der Doktor klopfte ihm auf die Schulter. »Das ist ein Irrtum, alter
Freund,« versetzte er in ermunterndem Tone. »Sie durften das Unrecht,
welches noch verhindert werden konnte, sicherlich nicht geschehen
lassen, Sie würden auch dadurch ganz gewiß keinen Segen gestiftet
haben.«

Der alte Führer nickte. »^Well^, Ehrwürden, aber -- die Frage, wie wir
aus dieser Einöde lebendigen Leibes wieder herauskommen sollen, ist bei
alledem doch noch ungelöst.«

»Aber sie wird sich lösen wie so viele es thaten,« beharrte der Doktor.
»Lassen Sie uns vor der Hand ein paar Bäume suchen, um die Pferde
festzubinden und dann unsere Wolldecken ausbreiten. Die eine Hälfte kann
ja immerhin wenigstens im Schlafe Erholung suchen.«

Niemand antwortete, aber der Rat wurde dennoch befolgt.

»So laßt uns ausharren, Kinder, laßt uns ausharren,« ermahnte der alte
Theologe. »Noch ein paar kurze Stunden und es ist Tag, die Sonne bringt
neues Leben, neuen Mut. Wer wollte denn gleich dem ersten Anlauf
erliegen?«

Während er aber die Worte sprach, fühlte der alte Herr doch selbst, wie
schmerzlich ihm die Augen brannten und wie die Stimme den Dienst
versagte. Er streckte sich in den Sand und behauptete mit dem Aufgebot
seiner letzten Kräfte, daß es ein recht bequemes, weiches Bette sei.

Die übrigen waren eben im Begriff, ihm zu folgen, als von fern her ein
schwacher Schall ihre Ohren traf, nur die Ahnung eines Schalles
vielleicht, aber doch stark genug, um gleich einem elektrischen Schlage
die mutlosen, verzweifelten Männer zu berühren. Es waren Glockenklänge,
die da der Wind herübertrug, -- Glockenklänge, sie hatten es alle
gehört, aber kein einziger unter ihnen wagte, dem Zeugnis seiner Sinne
zu vertrauen.

Und doch, -- es tönte ja fort, es war keine Täuschung möglich, es wurde
stärker und stärker, -- das war das Feuersignal, wie es deutsche
Kirchenglocken in der Nacht den schlafenden Bewohnern des Ortes
mitteilen.

Bum! -- Bum! -- Bum! -- die bekannten Einzelschläge von tiefem Baß! Wie
sie fern im Städtchen die Herzen erbeben lassen mochten, wie sie hier
draußen gleich Engelsstimmen erklangen, -- die deutschen Glocken!

Noch sprach keiner der Verirrten. Fürchteten sie, den Traum, den
wunderbaren, erlösenden, zu scheuchen durch das laute Wort?

Holm streckte die Hand aus. Was er halb unbewußt flüsterte, das kannten
sie alle, das kennt jedes Menschenherz, so weit die deutsche Zunge
klingt -- --

   »Soll eine Stimme sein von oben,
   Wie der Gestirne helle Schar« -- --

-- Ja, eine Stimme von oben! -- Glockenklang in nächster Nähe, eine
Niederlassung hinter dem Meeresarm, -- was gab es da noch zu fürchten,
zu klagen?

»Sagte ich's nicht, ihr Kleingläubigen,« lächelte der Doktor. »Kommt und
schlaft, ich begann schon in Träume zu verfallen, -- es ist weich und
bequem hier auf dem Sande.«

Er schlief den Schlaf äußerster Ermattung, indes die jüngeren Leute
wachten und sich leise flüsternd unterhielten. Es mußte von hier
jedenfalls einen Weg zum jenseitigen Ufer geben, vielleicht sogar direkt
in Booten, die auf dem Meere lagen. Hunderte von Hoffnungen und
Vermutungen durchzogen die Seelen der eben noch Niedergedrückten; sie
hörten jetzt auch Hundegebell und sahen den Feuerschein gerade vor sich
emporsteigen. Danach konnte der Meeresarm nur sehr schmal sein; -- wenn
sich der Landweg zu weit zeigte, erhielten die Bewohner des Städtchens
unschwer ein Zeichen ihrer bedrängten Stammesgenossen; schon von den
ersten Morgenstunden durfte man mit Recht Erlösung aus dieser qualvollen
Verlassenheit erwarten. Niemand dachte an Schlaf, nur die Pferde lagen
und träumten, gewiß von gefüllten Eimern, denn sie vollführten mit
geschlossenen Augen die Bewegung des Saufens.

»Zuerst nehme ich ein Bad,« meinte Hans, »aber nicht im Meer, sondern im
süßen Wasser. Alles, was ich denke, ist Flüssigkeit, alles, was ich
ersehne, träufelt. Der Platz unter dem Strahl jener Feuerspritzen
scheint mir im Augenblick als der beneidenswerteste auf Erden.«

»Ja, eine Douche,« nickte auch Holm. »Gebückt sitzen und es immer über
sich herabregnen lassen, das wäre schön. -- Wie mir der Gaumen brennt!«

»Meine Haut löst sich ab,« fügte Franz hinzu. »Damals in der
Gefangenschaft bei den Kaffern hatten wir Wein und Branntwein, wir
konnten Gras und Blätter kauen, aber hier gibt es nur Sand und das
entsetzliche Anschlagen der Wellen. An diese Nacht werde ich denken, so
lange ich lebe.«

»Es muß nun sehr bald Tag sein,« tröstete einer der Führer. »Noch eine
Stunde, dann ist wenigstens dies traurige Dunkel gelichtet.«

»Aber solche Stunden sind elastisch, sie dehnen sich so furchtbar!«
versetzte Franz.

Die übrigen lachten; so gut als es eben ging, half man sich über die
zögernden, widerstrebenden Minuten hinweg, und als endlich nach langer
Geduldsprobe das goldene Tagesgestirn am Himmel seine ersten Strahlen
entsandte, da wurde es mit Jubel und unsäglicher Dankbarkeit begrüßt.
Jeder neue Sonnenblick enthüllte neue Schätze. Drüben hinter dem
Meeresarm lag ein Städtchen mit roten Ziegeldächern und einem
bescheidenen, kleinen Kirchturm in der Mitte, ein ganz winziges,
unbedeutendes Städtchen von wenigen hundert, zum Teil nur hölzernen, zum
Teil strohgedeckten Häusern, mit friedlichen Gärten und wallenden
Kornfeldern, mit Schafherden, die rings an den Abhängen das magere
Dünengras weideten, und mit einer ländlichen, einfachen Bevölkerung.
Aber doch, so dörflich, so anspruchslos das ganze Bild sich zeigte, so
innig entzückte es die Herzen der Beschauer. In vielen dieser Gärten,
namentlich wo sie an das Meer herantraten, wehte vom hohen Flaggenstock
die deutsche Flagge, auch das wunderliche Türmchen ohne Stil oder
architektonische Schönheit zeigte am goldenen Knauf das Schwarz-Weiß-Rot
der Heimat, neben dem die Flagge des Einzelstaates dem deutschen Herzen
unbedeutend erscheint, das in der Ferne den Wanderer, wo er es findet,
wie freundliches Grüßen berührt, das in sich, in seiner Vereinigung
alles birgt, was deutsch heißt, gleichviel ob dem Süden oder Norden des
großen Vaterlandes entstammt.

»Auf! Auf!« rief Franz, den Strohhut schwenkend, »da werden auch
Hamburger wohnen.«

»Hurra!« tönte es aus geringer Entfernung, »hurra! ich habe Wasser
gefunden!«

Der alte Squatter war's. Er sah Weidengebüsche und auf ihren Zweigen ein
paar Eisvögel, -- da mußte süßes Wasser sein. In aller Stille, um
niemand zu täuschen machte er sich auf und suchte, und richtig, ein
murmelndes Flüßchen kroch über den Sand, er konnte sein lautes Hurra!
hurra! den Genossen zujubeln.

Menschen und Tiere tranken, Menschen und Tiere badeten unterhalb des
Flüßchens die heißen, eingetrockneten, staubbedeckten Glieder; auch der
Doktor erwachte von all dem Toben und Jubeln, auch er wurde an den
segenspendenden Quell geführt und ihm zum Bade das bequemste Plätzchen
ausgesucht. Es war ein Freuen und Jauchzen überall, sogar die Pferde
ließ man laufen, damit sie sich in der Umgebung ein Frühstück suchten;
Hans dehnte sich im Wasser von einer Seite zur anderen und behauptete,
daß er noch stundenlang so liegen bleiben würde, kurz, alle diese
gehetzten, halbverhungerten Menschen genossen in vollen Zügen die
Seligkeit des frischen Bades und Trunkes, alle steckten sie, Führer und
Reisende, jung und alt, bis an den Hals im Wasser; da plötzlich
erschienen auf der Szene zwei Personen, die zwar durchaus nicht
gefahrdrohend oder schrecklich aussahen, deren Empfang sich aber unter
den gegebenen Verhältnissen nicht bewerkstelligen ließ, -- zwei Frauen
in deutscher Bauerntracht mit großen runden Strohhüten, Körbe am Arm und
derbe Holzpantoffeln an den strumpflosen Füßen.

[Illustration: Die Überraschung im Bade.

»Da plötzlich erschienen auf der Szene zwei Personen, die zwar durchaus
nicht gefahrdrohend oder schrecklich aussahen ...«]

Einen Augenblick schien es, als wollten sie die Flucht ergreifen oder
wenigstens um Hilfe rufen. Kopf an Kopf im Wasser, auf dem Strand die
Kleider, -- was bedeutete das in der Wildnis, wo ihnen noch nie eine
Menschenseele begegnet war?

Holm beruhigte durch seinen freundlichen Zuruf die Erschreckten. Im
Namen aller seiner Gefährten -- gegenwärtig nicht vorstellbar, wie er
beifügte, -- erzählte er den Hergang des Geschehenen und bat um
gastliche Aufnahme im Städtchen.

Die Antwort klang deutsch, norddeutsch sogar; sie entzückte die Hörer:
»Willkommen bei Landsleuten, ihr Herren! Geht nur hinunter und laßt euch
Speise und Trank geben. Gott zum Gruß!«

Damit entfernten sich heimlich lächelnd die Frauen, um weiterhin am
Strande junge Schildkröten aufzulesen; unsere Freunde aber fanden es nun
doch geraten, an dieser Stelle, die sich bei näherer Betrachtung als
gangbare Landstraße erwies, nicht länger in Adams Toilette zu verharren,
sondern sich im ganzen Glanze ihrer vielfach zerrissenen und von Flecken
übersäeten Leinenkleidern den Bewohnern des Örtchens zu präsentieren.
Eine Stunde später hielten sie jenseits der schnell umrittenen
Meeresbucht unter dem kuriosen Türmchen ihren Einzug, und am Abend
dieses so schön begonnenen Tages schliefen sie wie die Bären in
Federbetten, die zwar nicht in Deutschlands Gauen, aber doch nach
deutscher Art gestopft waren. In Federbetten! -- seit Hamburg hatten sie
keine mehr gesehen, seit Hamburg sich nicht so behaglich gestreckt, so
zu Hause gefunden wie hier unter diesen ländlich-einfachen Leuten.

Alles deutsch, deutsch. Früh am Morgen gab es Kaffee und eigengebackenes
Brot, »Stuten«, wie die lächelnde Wirtin sagte; die Kinder mußten ihre
Lektionen wiederholen und wanderten zur Schule; der Schmied und der
Böttcher arbeiteten auf der Straße vor den Werkstätten; hüben und drüben
erklangen deutsche Lieder. Die freundlichen Leutchen ließen sich von
ihren Gästen wieder und wieder erzählen, was sie alles Schönes,
Herrliches in der weiten Welt gesehen, besonders die alte Großmutter
horchte begierig diesen Berichten, aber sie schüttelte doch zuletzt den
Kopf und fuhr mit dem Rücken der mageren zitternden Hand über die
feuchtgewordenen Augen. »Zu Hause ist es am besten,« sagte sie dann, »in
Deutschland ist alles am besten.«

Namentlich Franz erfreute sich ihrer Gunst. »Setze er sich zu mir,
junger Herr,« konnte sie in urwüchsigem Plattdeutsch bitten, »ich möchte
ihn einmal etwas fragen. Sieht er, mein Sohn, der Bauer hier im Hause
sagte zuweilen, daß auf unseres Herrgottes Erde die deutsche Heimat
gerade unter unseren Füßen liege und daß ich, wenn meine Stricknadel
dazu lang genug wäre, hier in den Boden hineinbohren und zu Hause in
Deutschland wieder ans Tageslicht kommen könne. Ist das die Wahrheit?«

Und als der junge Mann lächelnd bejahte, da wiegte sie den eisgrauen
Kopf. »Dann hätte man also gar nicht weiter von Deutschland fortkommen
können, als bis hierher, junger Herr?«

»Zu Lande nicht, Mütterchen.«

Die Alte schwieg lange Zeit. »Grüße er mir das liebe kleine Holstein,
wenn er wieder heimkommt, junger Herr,« bat sie endlich. »Da hat vor
achtzig Jahren meine Wiege gestanden.«

Franz drückte gerührt die faltige Hand. Ihm und allen anderen wurde es
schwer, von diesem traulichen Asyl, das den müden Wanderern Leib und
Seele neu erfrischt, nach einigen Tagen des behaglichen Ausruhens wieder
zu scheiden. Wie eine Art Heimatsgefühl war es über aller Herzen
gekommen; wie von lieben Angehörigen nahmen sie Abschied, und mehr als
ein Seufzer flog zum Städtchen zurück, nachdem die kleine Schar abermals
im Sattel saß und neuen Gefahren, neuen Anstrengungen entgegenging.
Dieser Weg wurde jedoch durch die erhaltene Begleitung mehrerer Bauern,
die Wolle zur Hauptstadt brachten, und durch die mitgenommenen
reichlichen Vorräte bedeutend erleichtert. Vorüber an himmelhohen
Gebirgszügen mit prächtigen Gipfeln an zahlreichen anziehenden Punkten
ging es in bequemen Tagereisen und unter dem Schutze ausreichender
Ortskenntnis langsam durch das reizlose Land zum Schiff zurück, wo schon
der Kapitän und Papa Witt angefangen hatten, heimliche Besorgnis zu
hegen.

                   *       *       *       *       *

Als man am ersten Abend behaglich in der Kajütte saß, warf der Kapitän,
der mit Genugthuung einige Herabstimmung bei unseren Freunden gemerkt
hatte, mit schlauem Lächeln die Äußerung hin: »also morgen nach dem
Südpol?«

Eine längere Pause entstand. Man sah sich gegenseitig an, niemand sagte
ein entschiedenes Ja, von dem sonst so kühnen Franz ward sogar ein
Seufzer gehört.

Da brach Holm das Eis. »Kinder,« rief er, »seien wir ehrlich. Es ist
offenbar, daß niemand mehr rechte Lust zu diesem ausschweifenden
Unternehmen hat, nehmen wir uns nicht selbst unnötig beim Wort, sondern
gehen wir mutig einen Schritt zurück und dampfen wir durchs Korallenmeer
ruhig nach Samoa. Da ist's wärmer und behaglicher, und wir kommen einige
Monate früher nach Hause.«

»Früher nach Hause, das ist das Entscheidende!« jubelten die Knaben, der
Doktor nickte billigend mit dem Haupte und alle atmeten auf, als sie
sich von dem etwas übereilt gefaßten Vorhaben befreit fühlten.

»Damit aber die schönen Wärmemittel nicht umkommen,« rief Holm, »der
herrliche Arrak und die treffliche Zitrone, die uns eure gute Mama für
den Südpol geschickt hat, soll uns auch die warme Zone nicht hindern,
einen herzhaften Punsch zu brauen. Ihr wißt ja: vier Elemente innig
gesellt ...«

Und so geschah es. Das erste Glas galt dem Südpol, vor dem man glücklich
bewahrt geblieben war.




                         Vierzehntes Kapitel.


Der Dampfer durchschnitt die blauen Fluten des Großen Ozeans. Nach
herrlicher Fahrt durch das Korallenmeer, südlich um Neukaledonien herum,
näherte man sich, quer die Gazelletiefe durchschneidend, dem nächsten
Ziele, als welches die Tongainseln ausersehen waren. Die altgewohnten
Bilder südlich-tropischer Prachtfülle luden wieder alle Sinne zum Genuß.
Hier ragten aus dem Meere die sogenannten Atolls, die schmalen,
unbewohnten, meist bogenförmigen Koralleninseln, auf denen schlanke
Palmen ihre Kronen wiegten, wo große, schöne Seevögel nisteten und ein
reiches, üppiges Grün das Auge des Beschauers entzückte; dort dehnte
sich das Gestade eines kleinen, waldigen Inselchens, auf dessen Rund die
Forscher nur wenige Pflanzen und Insekten, aber keine menschliche
Wohnung fanden, -- überall glänzte Schönheit und höchste Vollentfaltung
der Natur. Auch das Meer selbst zeigte neue Gestalten. In zahlreicher
Fülle umschwamm das Schiff eine Quallenart, wie sie bisher noch nicht
erschienen war, eine Familie von Einzelwesen, die jedoch zusammen ein
geschlossenes Ganzes bildeten, und bei deren Anblick die Reisenden nur
verdroß, daß auch dies farbenschöne Geschöpf nicht eingefangen und
mitgenommen werden konnte.

An einer zarten, milchweißen Schwimmblase hingen mehr als fünfhundert
kleine, weiße Glöckchen, die immerfort auf- und zuklappten und dadurch
das sonderbare Wesen über Wasser erhielten. Sie glichen durchsichtigen
klaren Tröpfchen, deren Reiz nur übertroffen wurde durch den des roten
gewellten Stieles, des eigentlichen mit Saugapparaten versehenen
Nährpolypen, von dessen Rund je eine rosige Kapsel das abwärts geneigte
Tröpfchen wie ein Dach überschattete, der fadenartig dünn auslief und
gegen das Ende hin weniger und immer weniger kleine Glöckchen trug. Das
Ganze glich einer riesigen, aus den zartesten weißen Perlen
zusammengesetzten Traube, es lag in der obersten Wasserschicht wie das
Geschmeide einer Kaiserin, würdig, im Fürstensaale zu prangen, das
Kunstvollste, Reizendste, was auf dem ganzen weiten Gebiet der
schaffenden Natur den Forschern begegnet war -- und doch in Wirklichkeit
nur klebriger Schleim. Holm versuchte nicht, es einzufangen, ebensowenig
die hier im großen Ozean schwimmenden, gleich einem wandernden
Blumenbeet dahinsegelnden Seerosen, deren bunte Farben das Schiff
umgaukelten, während sie in allen übrigen Meeren nur festsitzend auf dem
Grunde angetroffen waren; er machte noch einige Züge mit der den
Orang-Badju so mühsam abgetrotzten, unterseeischen Laterne; aber die
Hauptaufmerksamkeit galt hier doch den Inseln, nicht dem Meeresgrunde,
dessen Bewohner in seinen Sammlungen, so weit möglich, schon alle
vertreten waren.

An den Tongainseln warf das Schiff zum erstenmale nach langer, schöner
Reise wieder seine Anker aus, natürlich nicht in einem Hafen, sondern wo
gerade der überall flache, langgestreckte Strand die Landung gestattete.
Daß es nicht ratsam sei, hier unter den Wildesten aller Wilden, wo
selbst noch Menschenfresser gefunden werden, weite Landreisen zu machen,
wußten die jungen Leute, aber zu zwanzig Mann das Ufer betreten,
wohlbewaffnet und wohlversehen mit allerlei Geschenken, das ging doch
an. Sie nahmen alte Kleider, Lebensmittel, ein paar Säbel und Dolche
sowie etwas bunten Kattun; dann wurde das nächste Dorf aufgesucht. Am
Strande fischten langbeinige Reiher und große kornblumblaue Eisvögel; in
allen Zweigen lebte und wogte es von den schönsten Papageien und
Singvögeln, bunte Schmetterlinge segelten durch die Luft, Bienen flogen
summend umher, und Käfer krochen am Boden; nur Säugetiere sahen die
Reisenden nicht; auch selbst die kleinsten Arten fehlten.

Große, schöne Menschen, hellfarbig mit schwarzen, klugen Augen und
langem, schwarzen, durch Kalk an den Spitzen gelb gefärbten Haar kamen
aus den Gebüschen hervor und besahen neugierig wie harmlose Kinder die
fremden weißen Menschen. Ihre Hütten waren die bekannten Pfahlbauten,
welche Bienenkörben gleich hart neben einander im Kreise standen, und wo
sich nach australischer Weise der Herd in einem Erdloch mitten in der
Wohnung befand; sie zeigten teilweise hübsche, geflochtene Matten,
einige Körbe, Waffen und Schmuckgegenstände aus Korallen, im ganzen aber
blickte doch die Trägheit und Armut der Bewohner überall durch. Trotz
des gesegneten Klimas und des überaus fruchtbaren Bodens war nirgend
eine Spur von Landwirtschaft aufzufinden; vielmehr lebten die Leutchen
von dem, was der Himmel freiwillig spendete, und wenn ja zuweilen irgend
eine Mühe aufgewendet wurde, so war es die, den Meerwurm einzufangen und
das widerwärtige Gericht auf heißen Steinen zu rösten.

Die ganze Insel erschien wie ein einziger, großer, schöner Garten, zum
Teil Park mit hohen, alten Bäumen, zum Teil flaches Land, auf dem nur
die Tierwelt fehlte, um es zum Paradies zu gestalten. Tauben in den
seltsamsten Farben, weiß mit violettem Kopf oder weiß mit rosenroter und
grüner Brust, bevölkerten die Bananenbäume, deren Früchte sie naschten;
Zwergloris, ganz kleine, purpurne und grüne Papageien, zerfaserten die
Nüsse der Kokospalme, blaue und weiße Winden krochen an allen Stämmen
hinauf, die Sandelholzbäume boten kostbaren Wohlgeruch, und
Baumwollenstauden erhoben überall die kapselartigen Häupter.

Es war nicht möglich, sich mit den Wilden zu verständigen, aber dennoch
schienen sie den Begriff des Tauschhandels recht gut zu kennen, so daß
für die Sachen, welche unsere Freunde mitgebracht hatten, ganze Massen
frischer Früchte an Bord kamen. Auch Wasser wurde eingenommen, und
nachdem das Dorf besehen, die hauptsächlichsten Vogelarten erlegt und
ein paar Zweige des Sandelholzbaumes mitgenommen waren, luden unsere
Freunde die schönen, zutraulichen Menschen ein, nun ihrerseits das
Schiff zu betrachten. Eine Menge Kähne, lauter sogenannte Einbäume,
lagen am Strande, und auf ihnen ruderten die Polynesier heran, Männer
und Frauen, Kinder und Erwachsene, sämtlich nackt bis auf den
Grasgürtel; sie untersuchten jedes Stück, schwatzten unter einander ohne
Aufhören und verlangten wie Kinder alles, was ihnen gefiel. Nur vor
Büchern zeigten sie entsetzliche Furcht. Keine Überredung kein
Lockmittel konnte sie bewegen, irgend einen Band mit ihren Händen zu
berühren, ja, wenn die Weißen den Deckel zurückschlugen und so das
Gedruckte ans Tageslicht kam, dann flohen sie bis an das
entgegengesetzte Ende des Schiffes und zuweilen sogar ohne weiteres
köpflings ins Wasser. Es machte sich bei ihnen die ganze Natürlichkeit
des wilden Zustandes geltend, dennoch aber mußten sie von weißen
Eroberern schon gehört haben, mußten wissen, daß Bücher für allerlei
einengende und unbequeme Zwecke ihnen gegenüber das Mittel waren, daß
sie gefährliche Zaubereien enthielten und der gefürchteten Rasse als
Waffen dienten.

Erst die hereinbrechende Nacht zwang die Leutchen, in ihren steuerlosen
Kähnen, deren jeder einen Zwillingsbruder von ganz gleicher Gestalt, nur
unausgehöhlt, wohlbefestigt neben sich führte, ans Land zurückzukehren;
das Schiff dagegen blieb liegen, um vor Antritt der Weiterreise an
gesicherter Stelle auch das nächtliche Naturleben dieser Breiten kennen
zu lernen.

Vom nahen Ufer herüber rauschten die Baumkronen, helle Tropennacht lag
auf der leise rollenden See, und hier und da regten sich die Geschöpfe
des Strandes oder der Tiefe. Schildkröten watschelten schwerfällig auf
dem Kies, große fischende Reiher und Möwen strichen hart über der
Oberfläche des Wassers dahin, und durch die Luft huschten graue,
häßliche Vampire, sogar das Schiff streifend, lautlos mit faltigen,
niedrigen Flügeln und scharfen Krallen. Unzählige kleine Quallen, die
Noktiluken und Salpen verbreiteten, in gewundenen Zügen schwimmend, das
schöne demantartige Meerleuchten, Fische tauchten auf, und flatternde
Nachtvögel jagten einander in den Zweigen. Als die Morgenröte am Himmel
emporstieg, hatte sich das ganze Meer mit kleinen, dünnen Würmern wie
mit einer erdgrauen Schicht völlig bedeckt; vom Lande stießen eine Menge
Boote, in denen die Eingebornen mit großen Körben saßen und geschickt in
einer Art Netz die unappetitliche Speise einfingen. Das Wort »Palolo«
ging von Mund zu Mund, und sobald ein Korb gefüllt war, trugen ihn die
Frauen in das Dorf, um den Inhalt auf heißen Steinen zu rösten.

Dieser Palolofang schien ein besonderes Fest; wahrscheinlich zeigte sich
der Wurm nur selten, weshalb auch die Frauen ihr Haar mit Palmöl,
Sandelholz und Blumen geschmückt hatten, während die Kinder durch Tanzen
und Jubeln ihre Freude zu erkennen gaben. Einige der schönen,
hellfarbigen Gestalten kamen auch an Deck, um die schreckliche Speise
anzubieten, und wurden reich beschenkt mit bestem Dank wieder entlassen,
indes Hühner und Affen den Wurm eilfertig verzehrten, die Menschen
dagegen schaudernd den sonderbar fettig und brenzlich duftenden Pudding
von sich wiesen.

Das Schiff lichtete seine Anker und steuerte den Fidschiinseln zu. Von
diesen sollte es, da fast alle verschiedenen Gruppen einander im
hauptsächlichsten gleichen, nur noch dem eigentlichen Ziele, den
Samoainseln, einen Besuch abstatten und dann die Heimreise antreten.
»Von den drei größeren Unterscheidungsformen der ozeanischen
Völkerschaften, den Melanesiern, Polynesiern und Mikronesiern, sind nur
die Polynesier für uns noch neu,« hatte Holm gesagt, »die beiden andern
dagegen nähern sich der schwarzen genugsam bekannten Rasse, sind --
namentlich in Neuirland, Neuhannover und den Neuhebriden -- falsch und
diebisch, wogegen die Mikronesier ganz in der Unkultur und Armut der
Negervölker dahinleben; wir wollen deshalb ihren Inseln keine weitere
Aufmerksamkeit zuwenden, sondern, lieber den berüchtigten Fidschianern
unsere Visite machen: in Samoa ist dann der Aufenthalt ein längerer und
eingehenderer.«

Damit waren die übrigen einverstanden, und so dampfte das Schiff durch
die heiße, inselreiche See dahin, oft an einzelnen Klippen, oft an
blühenden Ufern vorüber, so recht in dem vulkanischsten, den meisten und
bedeutendsten Erdbeben ausgesetzten Teile unserer Erde, immer zwischen
Korallenfelsen, zwischen den Häuptern rauchender Krater und ganzer Züge
erloschener, ehemals feuerspeiender Berge, aus deren brodelndem Inneren
sich dereinst vor Jahrhunderten die heute so blühende Insel
herausgehoben hatte. Fast alle waren sie von Korallenriffen umgeben,
fast alle von einer Menge kleinerer Inselchen und vorspringender Klippen
wie von einem grünen Gürtel eingeschlossen; zuweilen glitt das Schiff
langsam am Ufer dahin, so nahe, daß die nackten Gestalten der Bewohner
deutlich erschienen, oder daß weiße, nach europäischem Muster
aufgeputzte Gebäude durch das Grün der Bäume hervorschimmerten, jedesmal
ein Anblick, den die gesamte Mannschaft durch lautes Hurra begrüßte.

»Morgen laufen wir in Viti-Levu ein,« sagte nach dreiwöchentlicher Reise
der Kapitän. »Ich hoffe es wenigstens!« --

Holm sah ihn an. »Wenn es nicht heute noch einen Orkan gibt, gelt?«
fragte er. »Himmel und Wasser haben eine eigentümliche Beleuchtung, --
mich deucht, das Meer ist unruhig, obgleich man doch keinen Wind
verspürt.«

Der Kapitän antwortete ausweichend. Eine der Fidschiinseln, eine kleine,
namenlose, mit hohem, rauchendem Vulkan lag zur Rechten des Schiffes und
vor ihr mehrere grüne mit Palmen bestandene Erdfleckchen, mehrere
vulkanische, wildzerrissene Klippen -- auf diese richtete er sein
Augenmerk. Plötzlich deutete er zu dem Krater der Hauptinsel hinüber.
»Da haben wir es, ich dachte mir's bereits!«

Ein rollender, knatternder Ton erfüllte die Luft, eine hohe Feuersäule
schlug gen Himmel, und Ströme gelber, glühender Lava flossen nach allen
Richtungen am Berg hinunter in die Tiefe. Große Steine wurden hoch
emporgeworfen und fielen donnernd wieder hinab in den entsetzlichen
Schlund, die ganze Umgebung war in Rauch und Asche gehüllt. Auf dem
Schiff standen sämtliche Reisende und betrachteten das herrliche
Schauspiel, dem sich jetzt vom Himmel herab ein Gewitter mit blendenden,
zuckenden Blitzen zugesellte. Da plötzlich begann die Unruhe, welche das
Wasser schon seit Stunden beherrscht, in förmliches Toben überzugehen.
Wie im stärksten Sturm hoben sich unter vollkommenster Windstille die
Wellen; auf der Oberfläche erschienen Blasen; das Schiff wurde wie von
unsichtbaren Händen geschüttelt, so daß jeder der Männer, um nicht zu
fallen, nach irgend einem festen Gegenstand griff, und dann, als das
Murren und Grollen, das Zischen und Donnern seinen Höhepunkt erreicht,
dann geschah etwas, dessen Anblick den Weißen wie ein Zauberkunststück
vorkam, das ja unmöglich Wahrheit sein konnte.

Die kleinen Inselchen mit ihren Palmen und Bananen, die Klippen von
sonderbarer phantastischer, fast einem Riesenvogel gleichender Form --
sie alle schienen zu schwanken, sich zu neigen, die vorderste Klippe
drehte sich sogar um ihre eigene Axe -- unmöglich, unmöglich, das konnte
nicht sein, das war ein Blendwerk. -- --

Aber da rauschte es auf, hundertfältiger Donner zerriß den Schoß des
Meeres, mitten aus der Klippe fuhr ein Flammenstrahl, betäubend brüllten
die Wogen, ganze Berge türmend, ungeheure Wassermassen, die das Schiff
wie einen Kreisel drehten, die spritzend, kochendheiß, von Dampf und
Funken umflogen, bis über die Schornsteine hinauf ihren Tropfenregen
entsandten und überall, wohin sie trafen, die Haut der Männer
empfindlich verbrannten. Ein Schrei brach von den Lippen der
Beherztesten, mehrere waren von dem Stoß zu Boden geworfen worden, alle
lähmte Schreck und Verwirrung. Als aber einige Besinnung zurückgekehrt,
und sie wieder hinaus sahen auf den Ort der gespenstigen Katastrophe, da
war von den schwankenden Inselchen, von der brennenden, in helle Gluten
getauchten Klippe nichts mehr zu entdecken; die Tiefe hatte sie für
immer verschlungen; nur große Stücke Schlacken und eine Unmasse grauer
und gelber Asche trieben auf den stiller werdenden Wellen, daneben aber
auch tote, buchstäblich gekochte Fische, Würmer, Schnecken und Muscheln
in großer Anzahl. Binnen wenigen Augenblicken war die ganze Oberfläche
des Meeres davon bedeckt; Krebse im schönsten Todesrot, alle Arten
eßbarer Flossenträger, Tintenfische, selbst ein Hai, dazu kleine
Schildkröten und Muscheln, so trieb es, emporgeworfen von den
unterirdischen, den Boden des Ozeans aufwühlenden Gluten, leblos neben
einander, während drüben die Ausbrüche des Vulkans fortdauerten und aus
den Wolken Blitz auf Blitz herabzuckte.

Ein wahrer Wolkenbruch endete nach einer halben Stunde das furchtbare
Naturschauspiel, dem die Reisenden mit ebensoviel Anteil als Grauen
beigewohnt hatten und das von seiten der wilden Bewohner jener größeren
Insel noch einen höchst unerwarteten Schlußakt erhielt. Die Doppelkähne
setzten sich in Bewegung, die braunen, schöngeschnitzten Ruder aus
Eisenholz wurden eingelegt und große Weidenkörbe mit den toten Fischen
angefüllt. Ohne von den Weißen Notiz zu nehmen, ohne sich Zeit zum
Auflesen zu gönnen, fielen die Eingebornen sogleich über ihren Fang her
und vertilgten die unheimliche Speise mit Haut und Gedärmen da, wo sie
dieselbe aufgriffen. Ohne Zweifel litt also die Insel, wie dies gerade
in der heißen Zone so oft vorkommt, an Hungersnot; die Trägheit ihrer
Bewohner ließ keine Feldarbeit aufkommen; da wo die Ernte eine zehnfache
sein konnte, wurde kein Acker gebaut, kein Fruchtgarten gehalten; -- die
Menschen fielen wie Hyänen über tote, ekle Körper her, um nur den
nagendsten Hunger zu stillen.

Ein paar Säcke Mehl wurden verteilt; dann nahm der Dampfer seinen Weg
wieder auf. Das Gewitter hatte nachgelassen; eine angenehme Kühle folgte
der furchtbaren Hitze, die See ging ruhig wie zuvor. Früh am folgenden
Morgen, als die ganze Gesellschaft, noch das erstaunliche Erlebnis des
letzten Tages besprechend, ergänzend und berichtigend beim Frühstück auf
dem Verdeck saß, etwa gegen neun Uhr, meldete der Mann am Steuer einen
dunkeln Punkt in Sicht. »Ein Schiff ist's nicht,« setzte er hinzu, »es
fehlen Masten und Takelage.«

Auch der Kapitän sah hin. »Sonderbar, das kann nur ein Wrack sein, denn
für ein Boot ist es viel zu groß.«

»Aber wir haben ja gar kein Unwetter, keinen Sturm gehabt! -- hm,
Steuermann, das müssen wir aus der Nähe besehen.«

Der Alte nickte, die nötigen Befehle wurden gegeben und allmählich
schwand der Raum zwischen dem Dampfer und dem treibenden, offenbar
herrenlosen Rumpf, dessen Weg die ganze Gesellschaft mit lebhaftem
Interesse verfolgte. Als für einen Anruf durch das Sprachrohr die nötige
Nähe erreicht worden war, fragte Papa Witt mit lautem Ton nach dem Woher
und Wohin; er wiederholte sogar mehrere Male den Zuruf, aber keine
Antwort klang von der Stätte der Verwüstung zurück, -- auf dem Wrack
konnte sich keine lebende Seele mehr befinden.

Jetzt befahl der Kapitän, den Rumpf des unbekannten Schiffes zu entern
und ihn behufs Feststellung seiner Verhältnisse einstweilen ins
Schlepptau zu nehmen; das geschah auch, die Matrosen zogen mittels
langer Haken das Wrack heran, und mehrere von ihnen sprangen an Bord
desselben, um den Thatbestand zu untersuchen. Das Schiff, die deutsche
Bark »Eintracht«, war offenbar während des gestrigen Gewitters vom Blitz
getroffen worden und bis auf das Deck niedergebrannt. Hier mochten die
stürzenden Regenfluten dem Verderben Einhalt geboten haben, jedenfalls
aber lebte auf den traurigen Überresten des stolzen Baues kein Mensch
mehr; die Mannschaft war entweder verbrannt oder ertrunken, vielleicht
auch dem Ärgsten entronnen, indem sie rechtzeitig die Flucht ergriff;
darüber ließ sich nichts entscheiden. Wo keine Masten, keine Takelage zu
entdecken war, da konnte auch kein Boot sein, -- möglicherweise trieb es
voll hoffnungsloser, verzweifelnder Männer auf offenem Meer,
möglicherweise war es verbrannt und die Besatzung mit ihm.

Nachdem die verkohlten Luken geöffnet und die Ladung als Ballast erkannt
war, löste man jede Verbindung mit dem Dampfer. Mochte das Wrack,
überall angebrannt und total ruiniert, vor Wind und Wellen treiben, bis
es irgendwo von den Eingebornen aufgefangen wurde, -- da unsere Freunde
nie in bekannten Häfen, sondern möglichst immer an irgend einer einsamen
Stelle landeten, so konnten sie es nicht mitnehmen; namentlich jetzt
nicht, wo sie an der Küste von Viti-Levu für sich selbst eine stille,
versteckte Bucht erst suchen mußten.

Hier wohnten die Menschenfresser, es war größte Vorsicht geboten.

Noch vor Abend kam die Insel in Sicht, und am andern Morgen hatte sich
auch schon eine Möglichkeit des Anlaufens gefunden. Obwohl das
Korallenriff ganz Viti-Levu umgab, so zeigte sich doch hier oder dort
eine brandungsfreie Bucht, und in die erste derselben lief der Dampfer
ein. Mangroven und dichtes Gebüsch verhinderten den Blick tiefer
einzudringen, dennoch aber entdeckten unsere Freunde schon sehr bald
etwas ganz Unerwartetes, nämlich ein großes, wohlerhaltenes, keinesfalls
aus den Händen der Fidschianer hervorgegangenes Boot, das mittels einer
starken Kette am Ufer befestigt lag und außer einigen leeren
Trinkgefäßen weiter nichts als die Ruder enthielt. Sobald die Reisenden
ihr eigenes Boot ausgesetzt hatten und dem fremden näher kamen,
erkannten sie am Steuer den Namen »Eintracht«.

Kapitän und Mannschaft sahen einander an. Schiffbrüchige deutsche
Matrosen hatten sich vor der Verheerung durch die Flammen ohne alle
Lebensmittel in das Boot gerettet und waren dann vom Hunger getrieben
hier an Land gegangen, um womöglich irgend etwas Genießbares
aufzufinden; -- durfte man die Landsleute schutzlos den Händen der
Kannibalen überlassen?

Franz beantwortete die stumme Frage. »Auf, Herr Kapitän, auf! ich bin
überzeugt, Sie wollen die ganze Insel durchsuchen, bis diese armen Kerle
gefunden sind!«

Der Doktor klopfte ihn auf die Schulter. »Mein warmherziger Junge,«
sagte er freundlich, »wenn keiner mit dir ginge, so thäte ich es. Eine
Schande für jeden Mann, der seinen Nächsten feige im Stich läßt!«

Hans und der Malagasche erklärten sich ebenfalls einverstanden,
sämtliche jungen Leute suchten schon nach ihren Waffen, nur Holm und der
Kapitän zögerten noch. »Das kann eine blutige Geschichte werden,« meinte
bedenklich der letztere, »diese Wilden sind erwiesenermaßen Kannibalen.«

»Vielleicht kommen wir auch bereits zu spät, um die Unglücklichen noch
zu retten. Es ist bekannt, daß die Fidschianer alle Schiffbrüchigen
verzehren! Wenn auch in den von Weißen bewohnten Küstenstädten, wo das
Christentum Boden besitzt, dergleichen vielleicht seit Jahrzehnten nicht
mehr geschieht, so ist es doch hier in der vollkommensten Wildnis damit
noch ganz wie früher. Die Matrosen von der »Eintracht« können längst bei
einer Kolanfeier verspeist sein.«

Der Doktor schüttelte den Kopf. »Vielleicht aber leben sie noch und
bitten den Himmel, ihnen in höchster Not einen Erretter zu schicken,«
versetzte er. »Es ist nicht von ohngefähr, daß wir dem Wrack, und später
hier dem Boote begegnen mußten; das behaupte ich, -- und nun lassen Sie
uns eilen.«

Der Kapitän legte ihm beide Hände auf die Schultern. »Wollen Sie zu
Hause in Hamburg die ganze Verantwortung übernehmen, Herr Doktor? Wollen
Sie es bei dem Vater vertreten, wenn einem seiner Söhne ein Unglück
geschähe?«

»Da wir nicht im Mutwillen, sondern den heiligen Geboten der
Menschenliebe folgend handeln, ja, Herr Kapitän! Vor dem Vater und vor
Gott will ich vertreten, daß auf mein Zureden die Expedition unternommen
wurde.«

Der Kapitän nickte. »^Well^, dann laßt uns gehen,« entschied er. »Aber
diesmal soll kein einziger fehlen, nur der Maschinenmeister mit zweien
seiner Leute mag als unerläßliche Bedeckung an Bord bleiben. Heda,
Jungens, wollt ihr die Kameraden von der »Eintracht« aus den Klauen der
Wilden retten helfen? Das hier ist ihr Boot und höchst wahrscheinlich
sind sie selbst Gefangene. Ich zwinge keinen; wer nicht mitgehen will,
der kann zurückbleiben!«

Ein allgemeines Hurra war die Antwort. Fünfundzwanzig Männer, vom Kopf
bis zu den Füßen bewaffnet, schlossen sich der Expedition an, es
bildeten sich unter Führung des Kapitäns, des Steuermanns und derjenigen
Holms drei Züge, die zunächst vom Boot aus die Spuren ihrer
unglücklichen Landsleute aufsuchten, um die Richtung, in welcher sie
vordringen wollten, ganz genau festzustellen. Das war freilich keine
leichte Aufgabe! Ohne Beistand des Malagaschen wäre sie wahrscheinlich
überhaupt nicht gelöst worden. Blumen und Blätter bedeckten das Ufer so
dicht, die Pflanzenwelt zeigte so üppige Entfaltung, daß schon Stunden
genügen mußten, um in dieser heißen Luft an Stelle des geknickten Halms,
der zertretenen Blume eine neue Knospe, neues Grün entstehen zu lassen.
Der Malagasche kroch auf Händen und Füßen im Kreise um das Boot herum,
bis er die Spur gefunden hatte. »Hier sind die Weißen gegangen,«
behauptete er, »ich sehe die Abdrücke ihrer Schuhnägel in den Yams- und
Torablättern; sie haben von diesem Baum Früchte gepflückt und dort eine
Kokosnuß zerschlagen. Ach, an den Dornen hängt Blut! Es ist sicher, daß
Menschenhände hineingriffen!«

Der junge Hova war in diesem Augenblick ganz Wilder auf dem Kriegspfad.
Er ging voran durch die wundervolle, mit verschwenderischer Pracht
ausgestattete Schöpfung und fand an hundert kleinen, dem Auge des Weißen
unerkennbaren Spuren den Weg, welchen die jedenfalls vergeblich nach
Wasser suchenden Matrosen genommen haben mußten; immer tiefer hinein in
das Walddunkel marschierte die kleine Schar, deren jeder eine
Kugelbüchse, zwei Pistolen und einen tüchtigen Säbel bei sich führte.
Alle Arten schöner Vögel, besonders der prächtige Tropikvogel und die
großen Papageien, saßen in den Zweigen; Brotfruchtbäume, Bananen auf
hohen korbartigen Luftwurzeln, Kokospalmen, Citrusarten und Orangen
wiegten im lauen Sommerwind ihre Laubkronen und vereinigten dieselben zu
einem förmlichen, alle Sonnenstrahlen abschneidenden Blätterdach, unter
denen ein so schwüles Halbdunkel herrschte, daß viele Blumen in _grauer_
Farbe erblüht waren, und alle lebhafteren Farben fehlten.

»Sie suchen Wasser,« beharrte der Malagasche. »Sie sind früh morgens
hier gegangen und haben aus Durst die Blätter des Yaquota durch den Mund
gezogen, -- auch Orangen haben sie gepflückt.«

Er zeigte einzelne Kerne, kleine Stückchen Schale und hob dann plötzlich
ein kaum fingerlanges Pflänzchen aus dem Boden hervor. »Wasser,«
flüsterte er, »es ist Wasser in der Nähe. Diese Blume lebt nur an
feuchten Stellen.«

Holm hatte den grünen Stengel ergriffen. »Ein Vergißmeinnicht,« sagte er
lächelnd, »ein deutsches Vergißmeinnicht! -- Aber du hast recht, Junge;
dergleichen liebt feuchte Gräben oder mehr noch seichtes, fließendes
Wasser. Vorsichtig also, um Gotteswillen vorsichtig, die Wilden können
ganz in der Nähe ihr Dorf haben.«

Der Malagasche schlich lautlos voran. Den Hut und den Rock hatte er,
sonst an diese Bekleidungsstücke zivilisierter Menschen längst gewöhnt,
schon abgeworfen; jetzt folgten auch die Stiefel, und nur mit Hemd und
Leinenhose angethan, drängte sich der Sohn des wilden Stammes wie ein
schlankes Reh durch die niederen Büsche, den einzelnen kleinen
Vergißmeinnichtstauden folgend, bis an ein Bächlein, das über den
Waldboden dahinrieselte und an seinen Ufern ganze Felder der blauen
Blume umspülte. Hier traten erkennbare Fußspuren zu Tage. Die verirrten
Matrosen hatten knieend getrunken und dann so gut, als es anging,
gebadet; ihr weiterer Weg führte am Fluß hinauf, woselbst denn auch nach
kurzer Wanderung der Malagasche die ersten Anzeichen menschlicher Nähe
entdeckte. Ein Wink befahl den übrigen, zurückzubleiben; Rua-Roa tauchte
geräuschlos wie eine Schlange in das Dickicht und kam nach wenigen
Minuten blaß vor Erregung zurück. »Die Fidschianer sind da,« raunte er,
»und die Weißen auch, sechzehn Männer im ganzen. Ich glaube, wir können
siegen! -- kommt hier herum, -- aber leise, leise!«

[Illustration: Befreiung der Gefangenen aus den Händen der Fidschianer.

»Die Kugelbüchsen schußgerecht in den Händen, die Säbel gelockert und
die Herzen schlagend vor Erwartung, so folgten die Weißen dem jungen
Hova.«]

Die Kugelbüchsen schußgerecht in den Händen, die Säbel gelockert und die
Herzen schlagend vor Erwartung, vor begreiflicher Unruhe, so folgten die
Weißen dem jungen Hova. Bald sahen alle in geringer Entfernung das Dorf
der Fidschianer und diese selbst; den Hintergrund bildeten hübsche
Pfahlbauten, deren Thüröffnungen bunte, geschmückte Decken zeigten, und
über denen auf mäßiger Anhöhe der Ortstempel sich erhob. Dies letztere
Gebäude diente den Häuptlingen als Schlafgemach und umschloß eine Art
von Altar, vor welchem die Priester den Kolan (Göttern) die üblichen
Menschenopfer darbrachten; außerdem aber schienen rings um dasselbe
herum in Friedenszeiten die Wurfwaffen der Insulaner als eine Art
künstlich geordneter Schmuck verwahrt, während auf dem spitzen Dache
eine ungeheure Anzahl von Schädeln zur Pyramide getürmt war.

Die Fidschianer trugen weiße, selbstgewebte Stoffe aus den Fasern einer
Binsengattung; diese Kleider hatten aber keinerlei Schnitt und wurden
weder angezogen noch geschlossen; vielmehr erschienen Männer und Frauen
vom Kopf bis zu den Knieen _hineingewickelt_, so zwar, daß das letzte
Ende des Zeuges je nach dem Range der verschiedenen Personen von einem
bis zu dreißig Fuß nachschleppte. Ihre Farbe war schwarzbraun, ihr Haar
lang und lockig, die Bärte besonders voll entwickelt und ihre Höhe
staunenswert. Manche hatten geradezu riesenhafte Größe.

Alle diese Wilden lagen im Halbkreise um ein Feuer, das soeben zu
glimmen begann, und das die Priester schürten. Vor ihnen hockten am
Boden um eine große, aus einem Holzblock künstlich geschnitzte Schale
eine Anzahl junger Mädchen, die sämtlich beschäftigt waren, den Kriegern
das Material zu ihrer Bowle zu liefern und zwar auf eine ebenso
abscheuliche als nur diesen barbarischen Völkerschaften eigentümliche
Art. Sie kauten nämlich die Wurzeln einer Pfefferpflanze zwischen ihren
Zähnen zu Brei und spuckten diesen letzteren in die große Schale, von wo
er mit Wasser vermischt an das Feuer kommt und abgeklärt den »Kawa«, ein
sehr berauschendes Getränk, gibt.

Hinter den jungen Fidschianerinnen, also in der Nähe der versteckten
Weißen, lagen auf dem Gras, an Händen und Füßen gebunden, die gefangenen
Matrosen am Rande des Gebüsches. Es schien ganz leicht, sich diesen
Männern bis auf Schrittweite zu nähern, schwerer aber war es, ihnen ein
Zeichen zu geben, das nicht auch zugleich die Aufmerksamkeit der Wilden
erregte, -- unsere Freunde berieten leise, was zu thun sei.

»Jedenfalls soll erst das Getränk fertig und der Holzstoß zu Kohlen
verbrannt sein,« flüsterte Holm.

»Wir können also den günstigen Augenblick erwarten.«

»Aber wer schleicht sich hin? Ich kann es nicht thun, da sie mich für
einen Wilden halten und mir nie trauen würden.«

»Ich gehe, Rua,« flüsterte Franz. »Laß mich nur machen. Der Gefangene am
äußersten Ende der Reihe scheint mir ein Schiffsoffizier zu sein,
vielleicht der Kapitän selbst, -- ihm gebe ich mein Messer in die Hand.«

Der Malagasche nickte. »Ich schleiche um das ganze Dorf herum, bis
hinter den Tempel und schieße von dorther mitten in die
Räubergesellschaft hinein,« setzte er leise hinzu. »Die allgemeine
Aufmerksamkeit kehrt sich also jener Seite zu, -- unterdessen können die
Matrosen ihre Fesseln durchschneiden und ihr kommt auf der ganzen Linie
mit Erfolg heran.«

Franz reichte ihm die Hand. »Rua, wie willst du dich den Verfolgern
entziehen?« fragte er gepreßt.

»Ich? -- Die Hovas sind große Krieger, sie lassen sich von keinem Feind
besiegen.«

Der junge Halbwilde lächelte stolz und nahm seine Kugelbüchse in die
Hand. »Wenn drüben ein Papagei in Absätzen dreimal schreit, dann schieße
ich,« fügte er bei. »Aufgepaßt, mein Bruder, dein Freund wird seine
Sache gut machen!«

Er hatte auch das Hemd und die übrigen Waffen von sich geworfen; die
Büchse trug er wie einen Stock. Je mehr seine Fähigkeiten, sein Können
zur Geltung gelangen sollten, desto deutlicher trat die ursprüngliche
Natur in ihre Rechte zurück. Rua-Roa schüttelte das Haar in den Nacken,
seine schwarzen Augen glänzten, er verschwand wie ein Schatten den
Blicken der übrigen; binnen Sekunden hatten die Gebüsche den braunen,
schlanken Körper verschlungen.

Holm lachte. »Der Wilde steckt ihm doch noch tief im Blut,« raunte er.
»Ich wette, unser Freund verlebt, nachdem er mit Rock und Stiefeln die
aufgedrängte Kultur abgeworfen, einen wahrhaft beglückenden Tag.«

Auch die übrigen lächelten, indes sie geräuschlos ihre Schlachtlinie
ordneten. Franz hatte sich so aufgestellt, daß er, ohne selbst gesehen
zu werden, den Anführer der Gefangenen fixieren konnte. Sein Blick
haftete auf der Stirn des bleichen, düster dreinschauenden Mannes, bis
sich dieser, magnetisch gezogen vielleicht, halb umdrehte und in solcher
Weise plötzlich dicht vor sich den jungen Europäer gewahrte. Eben so
schnell aber hatte auch Franz den Finger auf die Lippen gelegt, eben so
schnell hatte der Gefangene begriffen, daß ein einziger Laut genügen
werde, um alles zu verderben. Er regte kein Glied, sondern sah mit dem
gewohnten Ausdruck abweisenden Ernstes vor sich hin, dabei aber immer
den unerwartet erschienenen Fremdling im Auge behaltend und jede seiner
Bewegungen beobachtend.

Die Fidschianer lagen ahnungslos rauchend um das Feuer herum. Sie
konnten sich ja nicht träumen lassen, daß in ihren nie von Weißen
betretenen Wäldern der Feind nur das Signal zum Kampfe erwartete, daß
die nächsten Minuten ein furchtbares Blutbad bringen sollten. Gerade
diese vollständige Ruhe sicherte den Weißen den Sieg.

Franz hatte sein Messer aus der Tasche gezogen und es dem Gefangenen
gezeigt. Jetzt bückte er sich, um es durch das Moos den gefesselten
Händen näher zu bringen. Ein Stöckchen schob nach, eine schlauberechnete
Wendung des Körpers deckte das Unternehmen, und der Schnitt durch die
scharfgedrehten Binsenstricke war glücklich vollbracht. Franz sah an der
Reihe seiner Genossen hinab, sie lagen alle im Anschlag, -- atemlos vor
Aufregung horchte er den verabredeten Zeichen.

Da trat einer der mit Turban und vielfachen Zieraten geschmückten
Priester aus der Mitte der übrigen hervor und näherte sich den
Gefangenen, deren einen er ohne Umstände an den Haaren ergriff und
gebunden, wie der Unglückliche war, nach sich schleifte. Franz fühlte,
wie ihm das Blut in allen Adern kochte; nur mit äußerster Anstrengung
bezwang er sich, nicht sogleich den kecken Übelthäter zu Boden zu
strecken, doppelt angestrengt aber lauschte er dem Signal, das Rua-Roa
zu geben versprochen hatte. So viele Papageien krächzten von den Bäumen
herab, -- wie würde es möglich sein, gerade den einen erkünstelten
Schrei aus der Menge natürlicher herauszuhören?

Die Priester hatten mittlerweile ihr Opfer seiner sämtlichen Kleider
beraubt und schritten nun zur Vollstreckung eines Greuels, wie es nicht
grausamer und fürchterlicher gedacht werden kann, wie es aber im Innern
der Fidschiinseln dennoch bis auf den heutigen Tag, nicht allein
Schiffbrüchigen und Kriegsgefangenen, sondern auch den eigenen
Stammesgenossen gegenüber Sitte ist. Jeder Häuptling bekommt als
Mahlzeit einen in sitzender Stellung gebratenen Menschen; der Gottheit
aber wird vorher ein Gefangener geopfert, dem man Arme und Beine vom
lebendigen Körper geschnitten, und den man gezwungen, Stücke seines
eigenen Fleisches zu verschlucken. Hierfür war der aus der Reihe der
übrigen hervorgesuchte Matrose, ein blutjunger Mensch, ausersehen, und
die Priester holten steinerne Messer sowohl als eine irdene Pfanne
herbei, um die entsetzliche Verstümmelung auszuführen, während sich der
unglückliche junge Mensch aus Leibeskräften gegen die Fäuste seiner
Angreifer sträubte und nicht unterließ, sie mit den ehrenrührigsten
Titeln zu überhäufen.

Franz sah von einem zum andern. Schon schwebte das Messer des Zauberers
über dem rechten Arm des jungen Matrosen, schon schrie dieser vor
Entsetzen laut auf, -- was sollte er thun, um das Fürchterliche
abzuwenden?

Da erklang der Ruf des Malagaschen. Franz hört sofort den bezeichnenden,
warnenden Klang, ein- -- zwei- -- dreimal, und zugleich mit dem letzten
fiel der verabredete Schuß. In den Kopf getroffen stürzte der Priester,
dessen Mordwaffe schon gehoben gewesen, um ein abscheuliches Verbrechen
zu begehen.

Tiefe Totenstille folgte dem Schrei des Getroffenen, der ersten Bewegung
jähen Erschreckens, das alle Wilden ergriffen hatte. Was war das? Woher
kam es?

Aber nur Sekunden währte die allgemeine Erstarrung, dann wandten sich
einige Häuptlinge, die Feuerwaffe erkennend, mit furchtbarem Wutgeschrei
jener Richtung zu, aus der Rua-Roa geschossen. Sie zogen die übrigen
nach sich, der ganze Haufe stürzte gegen die Hütten vorwärts, auch die
jungen Mädchen flüchteten schreiend, kurz, es war eine Szene
furchtbarster Aufregung und des wildesten Durcheinanders.

Jetzt mußte gehandelt werden, die Weißen sahen es alle. Ohne Kommando
fielen auf der ganzen Linie die Büchsenschüsse, während zugleich drinnen
der befreite Kapitän im Fluge die Fesseln seiner Leute durchschnitt und
so die Zahl der Kämpfenden um sechzehn Männer vergrößerte. Auch der zum
Kolanfest bestimmt Gewesene wurde mit Kleidern und Waffen versehen; die
nach allen Seiten flüchtenden, ratlosen, unbewaffneten Wilden erhielten
noch eine zweite Salve, die gleich der ersten nur in ihre Beine traf,
ohne sie zu töten; dann aber benutzten unsere Freunde den Augenblick
panischen Schreckens, um so schnell als möglich zu fliehen. Ein
Papageienruf klang ihnen vom Dorf her nach, laut und spöttisch, nah und
näher, bis endlich der Malagasche aus dem Gebüsch hervorbrach mit
blutenden Armen und Schultern, aber mit triumphierenden Blicken, über
dem Kopf eine Anzahl Wurfspieße schwenkend, die er vom Tempel
herabgerissen, ganz Wilder, ganz der Sohn des Urwaldes. »Ich habe den
Tempel in Brand gesteckt,« rief er, »und das Gewehr liegen lassen, um
die Aufmerksamkeit der Menschenfresser einstweilen abzulenken. Hier
hinunter, hier, -- in fünf Minuten können wir das Riff erreichen,
während uns jene auf der anderen Seite suchen.«

Er stürmte voran und die übrigen drängten nach, nicht ohne von einzelnen
Fidschianern verfolgt zu werden, die aber durch ein paar Kugeln sehr
bald allen Mut zu weiteren Feindseligkeiten verloren und hinkend und
blutend zum Dorfe zurückkehrten. Es konnte indessen nicht zweifelhaft
sein, daß sogleich, nachdem die erste Verwirrung besiegt, auch der ganze
Stamm den Flüchtigen nachsetzen würde; die größte Eile war daher
geboten.

»Wir sind nicht weit vom Ufer entfernt,« rief der Malagasche. »Ich stieg
auf einen Baum und sah dabei ziemlich nahe die See durch das Gebüsch
schimmern. Rasch, rasch, dann erreichen wir das Korallenriff, ehe uns
die Kerle mit ihren langen Schleppen einzuholen vermögen.«

Die ganze Schar folgte der angedeuteten Richtung; schon nach kaum
hundert Schritten blitzte im Sonnengold hinter dem Riff der Ozean auf;
eine weite freie Bucht dehnte sich bis tief in das Land hinein, an
Pflöcken und Baumstämmen lagen hoch heraufgezogen die schönen, schlanken
Doppelkähne der Fidschianer.

»Hurra!« rief Franz, »Hurra, die Ausbeute ist größer, die That
ruhmvoller, als man denken sollte! -- Wir nehmen die Boote der Wilden
und drehen ihnen vom Wasser her eine Nase.«

Der Vorschlag fand allgemeinen Beifall; über Hals und Kopf wurden die
Taue gekappt, jeder Mann bestieg eins der schlanken Fahrzeuge, und die
übriggebliebenen nahm man, um das Nachsetzen erfolgreich zu verhindern,
ins Schlepptau. Es war aber auch die höchste Zeit. Kaum trieb die
seltsame Flotte in der Entfernung von etwa fünfzig Schritten auf hoher
See, als aus dem Walde die ganze Masse der Kannibalen hervorbrach und
mit einem Gebrüll, das nichts Menschliches hatte, ihre Opfer sich
entgangen sah. Zugleich sollten auch die Kähne verloren sein; das raubte
den Fidschianern alle Überlegung, einige stürzten sich blindlings,
heulend vor Wut, ins Meer, um die Flüchtigen zu verfolgen, andere
tanzten buchstäblich wie die Verrückten am Ufer auf und ab; alle aber
schrieen, daß es klang, als sei eine Herde von Teufeln losgelassen.

Der alte Steuermann bemühte sich voll Ingrimm, mittels des Ruders den
Doppelkahn zu lenken; der nebenher schwimmende Klotz ärgerte ihn über
alle Maßen, und als jetzt einer der Fidschianer seinem Fahrzeug ziemlich
nahe kam, da legte er erbost die Kugelbüchse auf ihn an. »Warte, du
Satan, mit dem Schrecken sollst du davon kommen; aber für deine Art,
Kähne zu zimmern, will ich dir doch einen Denkzettel geben.«

Er zielte und schoß den Turban vom Kopf des Wilden, der vor Schreck
tauchte und erst nach einer Minute in ziemlicher Entfernung wieder zum
Vorschein kam. Die Weißen begrüßten mit lautem Hurra den allgemeinen
Rückzug des farbigen Rachekorps um so mehr, als jetzt auch der Dampfer
in Sicht kam und zum Zeichen des Erkennens einen langhallenden
Kanonenschuß über das Meer dahinsandte. Die Antwort wurde mittels
hochgeschwungener Taschentücher und Hüte gegeben, nur Rua-Roa konnte
nichts dergleichen schwenken, weil er bei seiner Pfadfinderexpedition
alles von sich geworfen hatte und ganz als Wilder den Doppelkahn
regierte. Die Matrosen fischten indessen glücklich den Turban des
Fidschianers und überreichten ihm diesen, der nun tröpfelnd vom Kopf bis
zur Kniebeuge herabhing; es war eine Szene ausgelassener, nach dem
überstandenen Schrecken um desto lebhafter hervortretender Heiterkeit,
die gerade durch den ohnmächtigen Zorn der Eingebornen ihre höchste
Würze erhielt. Während diese in großen Sprüngen am Ufer den Weg der
Boote begleiteten, und während das Schiff in langsamer Majestät den
heimkehrenden Reisegenossen entgegenkam, berieten die Führer, was mit
den Booten der Wilden zu machen sei.

»Wir überlassen sie ihrem Schicksal,« meinte Holm.

Hans protestierte. »Das dürfen wir nicht, Karl. Auch Kannibaleneigentum
ist heilig.«

»Aber wie wolltest du es denn einrichten, mein Lieber?«

»Wir binden die Kähne wie einen Rattenkönig zusammen,« versetzte der
junge Mann. »In unser eigenes Boot steigen sodann sechs Mann mit
geladenen Gewehren, die das ganze kleine Geschwader an Land bringen,
wenigstens bis an das äußere Riff. Die Wilden werden unter der
unmittelbaren Gefahr der Bleikugeln keinen Angriff wagen.«

Doktor Bolten stimmte ihm bei. »Hans hat recht,« entschied er. »Gerade
die menschlichen Bestien, welche im Begriff waren, ihrem Nächsten das
Leben zu stehlen, gerade diese müssen sehen, daß wir die Besitzrechte
anderer respektieren.«

Der Malagasche schüttelte den Kopf. »Diesen Kahn und die Ruder und
sämtliche Waffen behalte ich!« sagte er keck. »Sie sollen in das Museum
in Hamburg.«

Der Kapitän lachte. »Nun gut,« warf er ein, »so wollen wir die Sache
ausgleichen. Durch das große Boot von der »Eintracht« haben wir ein
solches zu viel an Bord, das mag mit einigen anderen Geschenken den
Wilden in Tausch gegeben werden, nicht wahr? Sie besitzen dann ein
Erinnerungszeichen an den Tag des verunglückten Menschenopfers.«

»Und wir haben einen höchst interessanten Doppelkahn von Viti-Levu nebst
Wurfwaffen aus Holz mit Menschenknochen!« rief der junge Gelehrte, jetzt
erst die erbeuteten Spieße genauer betrachtend. »Ich kenne sie freilich
schon aus verschiedenen Sammlungen, aber diese hier sind ganz besonders
schön.«

Er zeigte den übrigen die langen, aus steinhartem Holz gefertigten,
braun gebeizten und in schauerlicher Weise verzierten Speere. Nach oben
rund und kolbenartig zulaufend, hatten mehrere ein strahlenförmig
befestigtes Bündel von Knochensplittern, deren mittlere fußlang und die
äußeren von Reihe zu Reihe etwas kürzer waren, während andere platt und
länglich an beiden Seiten eingelassene Zähne zeigten: alles schwere
Waffen, die den einmal Getroffenen unfehlbar töten mußten.

Der Dampfer war unterdes herangekommen, die Reisenden gingen an Bord und
ließen nur so viele Matrosen, als zur Befestigung der Kähne notwendig
waren, einstweilen unten. Im Boot der »Hammonia« brachten dann zehn
Bewaffnete, die Kugelbüchsen beständig im Anschlag, sämtliche Fahrzeuge
mit Einschluß des vertauschten an Land, ohne daß die Wilden irgend eine
Feindseligkeit gewagt hätten. Als ihre Kähne von den Weißen verlassen
waren, fielen sie wie ein Bienenschwarm darüber her; das fremde Fahrzeug
schien sogleich ein Gegenstand erbitterten Streites zu werden, ja, ehe
noch der Dampfer die hohe See gewonnen hatte, rauften sie sich schon
untereinander auf das lebhafteste.

Jetzt erst, nachdem die Gefahr vorüber und völlige Sicherheit
zurückgekehrt war, kam es zwischen den Geretteten und ihren Rettern zu
Mitteilungen. Rua-Roa blieb der Held des Tages, obgleich ihm Holm
lächelnd riet, den zivilisierten Menschen wieder anzuziehen; er
erzählte, daß im Dorf die Weiber und Kinder ihn für einen bösen Geist
gehalten haben müßten, da sie bei seinem Erscheinen mit dem Gesicht auf
den Fußboden gefallen und vor Schreck liegen geblieben seien, jetzt aber
schien er sich doch seines früheren Rausches einigermaßen ungern zu
erinnern und schlüpfte eilends in die Kajütte, um Toilette zu machen.

Der Kapitän der »Eintracht« berichtete, daß er von Bremen nach Lewuka,
der Hauptstadt von Viti-Levu, bestimmt gewesen und daß er mit seinen
Leuten die brennende Bark habe verlassen müssen, um nur das nackte Leben
zu retten. Vom Erd- oder besser gesagt vom Seebeben hatte er nichts
bemerkt, sondern nur von dem heftigen Gewitter, dessen erster Schlag den
Großmast zersplitterte und das ganze Schiff in Brand setzte; er
erzählte, daß ihn und die Seinen jene räuberischen Wilden nach einer
unter allen Qualen des Durstes im Walde vollbrachten Nacht am heutigen
Morgen aufgegriffen und zum Opfer bestimmt hätten, daß man ihnen
keinerlei Nahrung gereicht und sie gänzlich ausgeplündert. Trauringe,
Taschenmesser, Portemonnaies, Schlüssel, Taschenbücher, ja sogar die
Papiere des verbrannten Schiffes, alles war in den Händen der
Fidschianer geblieben.

Man beschloß daher, Lewuka anzulaufen und hier die Geretteten den
zuständigen Behörden unter Mitteilung aller Einzelheiten ihrer
Auffindung zu überliefern; das paßte auch Holm und den jungen Leuten
gut, da sie bei der schleunigen Flucht aus dem Walde auf jede Ausbeute
für ihre wissenschaftlichen Zwecke hatten verzichten müssen. Als das
Schiff nach wenigen Tagen den sicheren, hübschen Hafen erreicht hatte,
als auf derselben Insel, die in ihrem entlegenen, bergigen Innern noch
Kannibalen beherbergte, jetzt eine elegante Stadt mit schönen Gebäuden
und glänzenden Läden sich zeigte, da begriffen sie kaum, wie auf
verhältnismäßig so engem Raume solche Gegensätze nebeneinander bestehen
konnten. Hier ließ sich ein Ausflug in die nächste Umgebung ohne alle
Gefahr wagen, nur ein paar Eingeborne wurden mitgenommen, um als
Lastträger zu dienen.

Wie schön war die Landschaft ringsumher! Wie belebt von großen
Schmetterlingen, von Riesenspinnen, Skolopendren und Käfern, von Tauben,
Drosseln und Kakadus. Auf einer grünen Ebene sahen unsere Freunde sogar
Termitenbauten, die Holm als bewohnt erkannte. Diesen Fund wollte er
sich natürlich nicht entgehen lassen. Es wurde Halt gemacht und man
bearbeitete mit kurzen Beilen die Hügel so lange, bis der innerste
Mittelpunkt derselben, die Wohnung der Königin, den Blicken bloßgelegt
war. Ein Geschöpf, so seltsam wie kein anderes, kam zum Vorschein, das
Termitenweibchen mit dem zum unförmlichen Sack verlängerten Hinterkörper
der Tausende von Eiern barg und wenigstens viermal so groß erschien als
das Tier selbst. Nachdem unsere Freunde diesen Fang in Sicherheit
gebracht, verließen sie das Termitendorf, um nicht mit den Bewohnern
desselben in Konflikt zu geraten. Noch wurden große Fruchttauben,
schwarze Glanzstare und viele andere Tiere erlegt, auch eine grün und
rot gefleckte große Wanzenart.




                         Fünfzehntes Kapitel.


Nach mehrtägigem Aufenthalt, nach beglückendem Stillleben inmitten der
abenteuerreichen Reise wurde die Fahrt nach den Samoa- oder
Schifferinseln fortgesetzt, zunächst nach Tutuila, einem schönen Garten
gewissermaßen, wo die Eingebornen, nackte, hellfarbige Polynesier, in
regelrecht gebauten Dörfern lebten und sowohl Landwirtschaft als
Viehzucht betrieben, obgleich ihnen Schafe, Ziegen, Hunde und Schweine
erst aus den Kulturländern zugeführt worden waren. In den dichten
Palmenhainen standen unter grünem Blätterdach die hübschen, runden
Hütten, neben denen Ställe aus Bambus, Vorratsschuppen und wohlgepflegte
Gärten das Auge angenehm berührten. Wo sich offene Stellen zeigten, da
waren Yams, Taro, süße Kartoffeln oder Gemüse und Gewürze angebaut,
während in den Wäldern die aus Steinen errichteten Feuerstellen durch
ihre reichliche Asche verrieten, daß unablässig Palmöl gekocht wurde.
Alle diese gutmütigen Menschen schienen große Freunde von Tieren,
namentlich Geflügel, das in ganzen Massen jeden Hausstand belebte.
Scharen stolzer Hühner, Pfauen, Tauben und Fasanen bewohnten den Hof,
Papageien, zahm wie bei uns, hingen in Holzkäfigen, und allerlei
Singvögel schmetterten lustig vom Dach herab.

Obgleich die Eingebornen meistens nur mit dem Gürtel einhergingen, so
gab es doch für sie auch einen Staatsanzug, der bei festlichen
Gelegenheiten übergeworfen wurde, und der bei den Männern aus einem
Gewand von den Blättern der Drauma, bei den Frauen aus einem Mantel von
weißem Faserwerk bestand. Eines Morgens erschienen sie sämtlich in
diesem Kostüme; durch die Dorfstraße ging ein Mann mit einem großen,
hohlen Holzklotz, auf dessen Boden er mit zwei Stöcken taktmäßig schlug
und dadurch die Reisegefährten auf etwas Außergewöhnliches vorbereitete.

Sie wohnten hier für die Tage ihres Besuches mitten unter den
Eingebornen, schliefen auf Matten aus feinem Flaum, aßen die
bescheidenen Gerichte außer dem auch hier beliebten Palolo und sammelten
ebensowohl die verschiedenen Arten vulkanischen Gesteins als der
einzelnen kleineren Pflanzenformen und Insekten, -- jetzt aber war alles
das vergessen. Schleunigst folgten sie dem Trommler zu einer mäßigen
Anhöhe vor dem Dorfe, wo bereits der Häuptling mit seinem Hofnarren
Platz genommen hatte, und wo sich junge Mädchen und Burschen mit dem
beliebten Ballspiel unterhielten.

Aller Köpfe schmückten granatrote und weiße Blüten; die Männer hatten
sich durch an Brust und Rücken befestigte Palmenzweige auf das
wunderlichste herausgeputzt; Frauen und Kinder trugen die langen,
zottigen Mäntel, in denen sie wie vermummt erschienen. Die
possierlichste Figur bildete der Hofnarr, den bunte Federn, Steine,
Blumen, ausgeschnittene Stücke Perlmutter, aufgereihte Muscheln und die
greulichsten Malereien in einen menschlichen Teufel verwandelten. Er
verbarg sein Gesicht hinter einer ungeheuren, gelb und rot bemalten
Maske mit ellenlangem Flachshaar, er tutete auf einem hölzernen,
gewundenen Instrument und vollführte die seltsamsten Sprünge, wobei sich
sein überall angestrichener Körper wie der eines Verrückten drehte und
wendete.

Dieser Narr war keineswegs ein Priester oder Zauberer, sondern lediglich
für die Unterhaltung des Königs bestimmt; er durfte alles thun, was ihm
eben einfiel, selbst den alten Monarchen necken oder am Ohr zupfen, die
Kinder in Schrecken setzen und den Ort, wo des Häuptlings Hütte stand,
nach Belieben betreten. Für alle übrigen war die unter hohen, alten
Brotbäumen belegene Stelle unzugänglich; es lag auf ihr das »Tabu« oder
die Heiligsprechung, welche fast allen Südseeinseln, einschließlich
sogar des großen Neuseeland, eigentümlich ist. Die Wohnungen der
Priester und Häuptlinge, die Tempel und zuweilen ganze Orte sind tabu,
d. h. der gemeine Haufe darf sie nicht betreten, er wird durch dies
Gesetz von jedem Mitbesitz, jedem Recht ausgeschlossen. Wie viel
Mißbrauch daraus entsteht, ist begreiflich, weil eben jeder Gegenstand,
den die Mächtigen, Reichen für sich zu behalten wünschen, bis herab auf
einen besonders schönen Fruchtbaum, eine Hütte oder ein Tier, einfach
für tabu erklärt und dadurch der Berührung entzogen wird.

Die Wohnung des alten Königs lag patriarchalisch-friedlich im Schatten
hoher Bäume, während rings anstatt jeder Einfriedigung kreuzweis
gebundene Palmenzweige die geheiligte Grenze bekundeten. Beide
Majestäten, der Häuptling Le-Le und seine Gemahlin Li-Ho saßen auf
kostbaren, von weißen und bunten Federn zusammengesetzten Matten mit
untergeschlagenen Beinen und ziemlich gleichgültigen Gesichtern, die
sich selbst bei den Kapriolen ihres Narren nur sehr selten zum Lächeln
verzogen. Als sich die weißen Gäste dem Herrscherpaare unter
Überreichung verschiedener, sehr anständiger Geschenke vorstellten, da
geschah etwas für die Einwohner des Dorfes nie Dagewesenes; König Le-Le
hob den Fremden zu Ehren das Tabu seines Hauses auf und lud alle ein,
sich neben ihn zu setzen und mit ihm aus einer Schüssel zu speisen.
Letztere Vergünstigung hatte allerdings wenig Lockendes, denn das Gefäß
bestand aus einem Holznapf und der Inhalt aus gerösteter Yamswurzel,
wobei mittels spitzer Holzstückchen gegessen wurde, während sich die
Teilnehmer des Schmauses um die auf dem blanken Fußboden stehende
Schüssel gruppierten; dennoch aber erwiesen sich unsere Freunde äußerst
höflich, so daß nach und nach der alte Le-Le ganz vertraulich wurde und
vor allem die Weißen bat, ihm doch gegen seine quälenden rheumatischen
Schmerzen ein Zaubermittel zu schenken, er wolle dafür auch alles, was
ihnen etwa erwünscht sei, sogleich zur Verfügung stellen.

Während draußen die Jugend den Mekitanz aufführte, Ball spielte,
Taubenschießen hielt und endlich das Fest des Tättowierens beging (die
Weißen kannten es von Australien her), kramte der alte Häuptling unter
seinen Sachen und förderte Schätze zu Tage, die sowohl Holm als auch die
jüngeren Besucher förmlich entzückten.

»An Bord haben wir noch verschiedene Büchsen mit Opodeldok und
Nervensalbe,« meinte der Doktor; »damals in Hamburg nahm ich's für alle
Fälle mit, und jetzt kann es diesem alten Herrn wenigstens als
Linderungsmittel dienen. Tauscht nur in Gottes Namen ein, was ihr wollt,
morgen schicke ich einen Boten mit ein paar Worten an den Kapitän nach
Pangopango, wo dann die Kleinigkeiten verabfolgt werden.«

[Illustration: Beim Häuptling von Tutuila.

»Die Wohnung des alten Königs lag patriarchalisch-feierlich im Schatten
hoher Bäume ...«]

Das übersetzte der als Dolmetscher mitgenommene Eingeborne dem alten
Häuptling, welcher indessen von solcher Verzögerung nichts wissen
wollte. »Einer seiner Sklaven könne gleich hinlaufen,« antwortete er,
weshalb denn der Doktor ein Blatt aus der Brieftasche riß und unter
andächtigem Staunen aller die Bitte an den Kapitän niederschrieb. Der
junge Bursche erfaßte das Blatt mit den fremden, zauberhaften Strichen
so zaghaft, als sei es heißes Eisen, dann aber, nachdem er für etwaiges
Verlieren oder Versäumen auf kürzeste Weise mit dem Tode bedroht worden
war, machte er sich schleunigst davon, indes nun der Häuptling,
wahrscheinlich um den Zauber wirksam zu erhalten, seinen Gästen
schenkte, was sie eben zu besitzen wünschten, eine Tapa aus Perlmutter,
Federn und Pflanzenfasern, in der er früher als junger Mann den Mekitanz
mitgemacht, und die, wie eine Art von faltigem Mantel, am Hals
beginnend, über Brust und Rücken herabfiel, während die Arme frei
blieben und der Kopf hindurchgesteckt wurde, -- einen hölzernen,
schöngeschnitzten Schläger, eine Rolle Bast des Papiermaulbeerbaumes,
ein Steinbeil mit Holzgriff aus uralter Zeit, ehe noch das Eisen von
Europa und Amerika eingeführt worden, und ein eben so altes, vom Vater
auf den Sohn vererbtes Tättowierinstrument, von dem freilich Seine
Majestät berichtete, daß es aus Menschenknochen hergestellt sei.
Scharfe, kammartige Spitzen waren an einem Schildpattgriff befestigt und
das Ganze sehr alt, es hatte vielleicht Jahrhunderte lang gedient, um
die Zeichen der Häuptlingswürde den zuckenden Gliedern einzuprägen,
jetzt aber war seine Laufbahn beschlossen. »Die Häuptlinge lassen sich
nicht mehr tättowieren,« setzte Le-Le hinzu, »sie sind fast alle
Christen, -- ich bin es auch.«

Unsere Freunde hüteten sich, daran zu zweifeln. Der gute, jeden
Augenblick vor Schmerz blinzelnde alte Mann war zwar durchaus ein
Wilder, aber dennoch mochte das Christentum viel dazu beigetragen haben,
auf seinem Gebiet so geordnete wirtschaftliche Zustände ins Leben zu
rufen.

Der Kamm aus den Knochen geschlachteter und von früheren Generationen
ohne Zweifel verzehrter Menschen wurde als Andenken vergangener, hier
für immer besiegter Greuel dankbar entgegengenommen, ebenso die Spenden,
welche jetzt Li-Ho, die Königin, denen ihres Gemahls hinzufügte, ein
Stirnband ihrer Mädchentage aus aufgereihten, geschliffenen
Rosamuscheln, »Pale« genannt, nur den Töchtern und Frauen der Häuptlinge
gestattet, -- die dazu gehörigen Armringe und die »Fau«, ein Gewand aus
den Blättern des Papiermaulbeerbaumes, das um den mittleren Teil des
Körpers bei hohen Festlichkeiten getragen wird, ebenso lange, über Brust
und Rücken herabhängende, mit vielen Perlmutterstückchen verzierte
Schnüre aus Menschenhaaren.

Das alte Paar hatte keine Kinder, es sah also seine Heiligtümer recht
gern in solche Hände übergehen, die wenigstens den empfangenen Wert zu
schätzen wußten; erst spät, nachdem nochmals bei der Beleuchtung langsam
brennender, halbdürrer Blätter (die auf den Samoainseln als Lampen
dienen) der wunderliche Mekitanz, ein wahrer Höllenreigen
halbbekleideter und nicht selten vom Kawagenuß mehr als halbberauschter
Gestalten, vollführt worden war, spät am Abend unter Sternenschein und
dem sanften Wehen des Nachtwindes kehrten die Fremden durch den
Palmenwald zu ihrer Hütte zurück. Auf diesen glücklichen Inseln, wo man
arbeitete, um zu essen, wo die Natur reichlich spendete, was eine
geringe Bevölkerung verbrauchte, wo weder wilde menschliche
Leidenschaften noch gefährliche Raubtiere den Frieden störten, auf den
schönen, von mildester Luft durchhauchten Inseln mußte es sich leben wie
einst im Paradiese; selbst die Angehörigen des Kulturstaates rasteten
hier beglückende acht Tage, indem sie das Eiland nach allen Richtungen
durchforschten und von den friedliebenden Einwohnern alle möglichen
Gebrauchsgegenstände gegen Eisenwaren und bares Geld erhandelten, --
Holzgeräte, Perlenschnüre, Waffen, die ungeheuerlichen Beratungsmasken,
hölzerne Kopfkissen, Farben und geschnitzte Formen, mittels derer das
Grün und Rot den Stoffen aufgedruckt wird. Für den Häuptling kamen von
Pangopango nicht allein die versprochenen Medikamente, sondern Franz
ließ auch die Zimmerleute, mit Gerät und ein paar großen Glasscheiben
ausgerüstet, vom Kapitän erbitten, worauf dann die Hütte Le-Les das
wirksamste Mittel gegen Rheumatismus, nämlich dichtschließende Wände,
Thüren und Fenster erhielt. Letztere beide Gegenstände waren den
Dorfbewohnern durchaus fremd, sie gingen fortwährend an der königlichen
Behausung vorüber, um das Wunder der Fensterscheiben anzustaunen,
während Le-Le seinerseits nicht müde wurde, von außen und innen das Glas
zu betasten und sich selbst zu fragen, ob es denn wirklich möglich sei,
daß man einen festen, harten Gegenstand vor sich habe und doch
hindurchschauen könne, als sei dieser nur leere Luft.

Die geschenkten Wolldecken, die Medikamente und die erhöhte Wärme in der
jetzt überall wohlverwahrten Bambushütte bewirkten so angenehme
Veränderung, daß der alte Häuptling den Abschied von seinen weißen
Wohlthätern wie einen wahren Verlust empfand. Mehrere Knechte mußten
ihnen die schönsten, erlesensten Früchte, die seltensten Vögel und
Pflanzen bis Pangopango nachtragen, und so verließen sie eines Tages,
von wohlwollenden Wünschen begleitet, das kleine paradiesische Eiland,
um dafür die Insel Sawaii, die hochgelegene, einem breiten Felsrücken
gleichende, unzugängliche größte Insel der Samoagruppe, aufzusuchen.
Auch Tutuila hatte Berg an Berg; auch hier befanden sich thätige und
erloschene Vulkane; lag doch der kleine Hafen Pangopango zwischen 250
Meter hohen Felswänden; dazwischen aber befanden sich reizende,
fruchtbare Thäler mit üppig tropischer Vegetation, während auf Sawaii
neben vorhandenem Wassermangel der entschieden schroffe Gebirgscharakter
mehr hervortrat.

Es ist bekannt, daß um die Insel Sawaii herum ein Korallenriff ohne
Unterbrechung fortläuft und daß Schiffe keinen Hafen finden. Unsere
Freunde besuchten mittels des Bootes die Ostküste, wo alles von braunen,
nackten Klippen und Geröllen starrte. Über ihnen erhoben sich die
ungeheuren Kuppen der Gebirge, unter ihnen dröhnte der hohle, von
vulkanischen Erschütterungen gehobene und zerrissene Boden; stellenweise
grünte kein Halm und sang kein Vogel, die ganze Umgebung war mit Blöcken
von Lava und Gestein überdeckt. An anderen Punkten ragte dichter,
ununterbrochener Hochwald, in dem sich wie auf Tutuila die Palmen am
meisten vertreten fanden.

»Wir wollen uns hier nicht aufhalten,« hatte Holm gesagt. »Nicht nur
alle Samoainseln, sondern überhaupt alle im Großen Ozean besitzen eine
in den wesentlichsten Punkten übereinstimmende Tier- und Pflanzenwelt,
die zwar nach dem Äquator hin üppiger und artenreicher wird, sonst aber
doch die gleiche ist. Neues, anderes begegnet uns nicht, auch wenn wir
alle Häfen anlaufen; laßt uns daher erst auf Opolu längere Rast machen
und dort Felsen besteigen, dort die Schlünde und Untiefen alter Krater
durchforschen, namentlich da hier die wenigen Bewohner an der Nordküste
leben und für uns weder Führer noch Lebensmittel aufzutreiben wären.«

Der Vorschlag wurde angenommen und die beschwerliche Kletterpartie über
ungangbare Pfade nach wenigen Stunden wieder aufgegeben. Schöne,
malerische Felshöhlen hatten die Reisenden gesehen, eine großartige,
wildromantische Natur, ein selten berührtes einsames Gebiet, auf dem
fast alles noch ursprünglich und von keiner Kultur beeinflußt erschien;
aber lebende Wesen waren ihnen außer vielen Strandvögeln nicht begegnet.
Ein eigentümliches Gefühl beherrschte die Teilnehmer der jetzt gegen
drei Jahre dauernden Weltreise, als sie von Sawaii aus wieder an Bord
gingen. Auf Opolu wartete ihrer ein halbes Zuhause; bekannte,
befreundete Gesichter würden sie empfangen, deutsche Laute, deutsches
Wesen ihnen entgegenkommen; da war der Name Gottfried in jedermanns
Mund, da standen die großen Faktoreien des Hamburger Handelshauses und
hatte deutsche Bildung, deutscher Unternehmungsgeist aus der Wildnis ein
kleines, blühendes Gemeinwesen erschaffen, eine hübsche Stadt, die ihre
Bewohner gut ernährte, und von wo aus sich europäische Gesittung
erfolgreich immer weiter verbreitete. Aber mehr als alles das! -- Die
Söhne des Gottfriedschen Hauses würden hier in ihrem Eigentum sein, auf
väterlichem Grund und Boden wohnen, höchst wahrscheinlich sogar auch
mehrere Schiffe der väterlichen Firma antreffen, -- das ließ die Herzen
höher schlagen, das stimmte weich und fröhlich, wie man es seit langer
Zeit nicht empfunden hatte.

Schon folgenden Tages kam Opolu in Sicht, schöner als irgend eine Küste,
der die Vielgereisten bis dahin begegnet waren. Das erste, was die
Blicke aller magnetisch fesselte, war ein Wasserfall. Von schwindelnder
Höhe herab und in die krausbewegten Meereswellen fiel ein mächtig
breiter Wasserstrahl über eine natürliche Terrasse aus Felsen, die ihre
Vorsprünge und Klippen, ihre Pfeiler und Stufen nur vorzustrecken
schien, um den Lauf des flüssigen Elementes in hundert und aberhundert
Einzelwege zu teilen, in Ströme und Bäche, die sich dennoch um einige
Stufen tiefer wieder zum Ganzen vereinten, breiter und breiter,
schäumend, rollend und donnernd, ewig verändert und ewig dasselbe,
wunderbar schön im Sonnenglanz, blau und golden überhaucht, ein
lebendes, bewegliches, majestätisches Etwas, von dem sich das Auge nicht
wieder loszureißen vermochte, zu dem es zurückkehrte, so oft auch andere
landschaftliche Schönheiten versuchten, mit diesem höchsten Reiz des
Bildes zu konkurrieren.

Hoch über der schäumenden, silberhellen Welt erhob sich die Reihe
erloschener Vulkane, auf deren einst so verderbenbringenden Gipfeln
heute die Riesen des Waldes ihre grünen Arme ausstrecken, wo Palme an
Palme den schlanken Stamm wiegt und Blätter und Blüten im Winde
flüstern. Bis in die Wolken hinein, unerreichbar dem Blick, ragte der
Krater Tafna, der Riesenwächter, der uralte ernste, der höchste Punkt
auf viele Meilen ringsumher.

Schweifend, ziellos wanderte von Schönheit zu Schönheit der entzückte
Blick. Rauschender Hochwald im ewigen Blau beginnend und allmählich sich
senkend, stufenweise vom hellsten bis zum dunkelsten Grün schattiert in
tropischer wechselnder Fülle; darunter der Wasserfall und tiefer im Thal
das Städtchen von fester Kaimauer umzogen, mit friedlichem Hafen, mit
Kirchen und hohen ragenden Bauten, versteckt im Laubgrün, geschmückt mit
bunten Wimpeln wie mit großen, leuchtenden, weithin sichtbaren Blumen im
Kranze. Allen voran wehte von hoher Stange an einem weißen Hause unweit
des Hafens die hamburgische Flagge -- rotweiß in heller Pracht glänzten
die heimatlichen Farben den Augen der Näherkommenden entgegen; jetzt
wurden am Kai auch Menschen sichtbar, der Kapitän begrüßte mit drei
Kanonenschüssen die Kolonie seines Chefs, und von einem anderen im Hafen
liegenden Dampfer schallte Antwort zurück. Auch das war ein
Gottfriedsches Schiff, dessen Steuermann die »Hammonia« erkannte und zur
Bewillkommnung derselben ein Boot ausschickte.

Deutsche Worte schallten herauf; hier und da feierten zwei Matrosen ein
Wiedersehen; am Strande hatten sich auf die erste Nachricht vom
Eintreffen des Naturforscherschiffes auch schon mehrere Angestellte des
Gottfriedschen Hauses eingefunden, und bald sahen sich die Weltumsegler
von Bekannten umringt, hörten die jungen Leute Worte des Erstaunens wie:
»Ist das Hans? Unmöglich! Nur seine Augen sind's, der blasse Junge ist
ja ein brauner Jüngling geworden!« -- oder: »Herr Franz, darf man noch
du sagen? Sie sind wahrhaftig dem Herrn Papa über den Kopf gewachsen!«

»Und das ist der Hova mit dem unmöglichen Namen!« rief ein dritter, dem
verlegenen Malagaschen kräftig die Hand schüttelnd. »Willkommen, junger
Herr, Sie werden finden, daß man in Hamburg bestens für Ihre Zukunft
gesorgt hat. Bleiben Sie bei uns oder gehen Sie mit nach Europa?«

So schwirrte es durch einander, und während dessen waren die Reisenden
ausgeschifft und ans Land gestiegen. Die Packhäuser, welche sich hier
stattlich und gedehnt den Blicken zeigten, bildeten gleich einen Teil
des Gottfriedschen Eigentums, und eine Menge von farbigen Arbeitern ließ
den Umfang des Geschäftsbetriebes erkennen. In helle, leichte Stoffe
gekleidet, Strohhüte auf den Köpfen und mit dem Wesen zivilisierter
Menschen gingen hier mehr als hundert Polynesier aus und ein, Fässer und
Ballen rollend, Wagen abladend oder an Neubauten arbeitend, kurz alles
verriet das fröhliche Wachsen der Kultur, den Aufschwung, welchen die
Verhältnisse der Insel, sämtlichen anderen voran, dauernd nahmen.

Man konnte glauben, sich in einer kleinen deutschen Stadt zu befinden.
Überall Läden, hübsche Wohnhäuser, gut erhaltene Straßen und Fuhrwerke,
nette Gasthöfe und größte Sauberkeit der Bewohner. Die jungen Leute
bezogen Zimmer in dem großen Verwaltungsgebäude ihres Vaters und wurden
von den Familien seiner Angestellten natürlich wie liebe Freunde
aufgenommen. Einer derselben hatte sich vor Jahr und Tag eine junge
Hamburgerin nach Opolu heimgeholt, und in eben dieser liebenswürdigen
Wirtin erkannten die Gottfrieds eine ehemalige Schulgenossin von der
Fibelzeit her; man feierte mit deutschem Wein und deutschem Händedruck
das Wiedersehen, dem dann eine tüchtige, nach Hamburger Art bereitete
Mahlzeit folgte; die Gäste kamen gar nicht zu sich, da doch auch so
viele Briefe gelesen werden mußten, da hier und da ein deutscher
Landsmann einsprach, um die Weitgewanderten, Langerwarteten zu begrüßen;
kurz, der Tag hätte doppelt so lang sein können und wäre doch für alle
diese verschiedenen angenehmen und erfreuenden Eindrücke noch nicht lang
genug gewesen.

Erst am folgenden Morgen gewannen unsere Freunde Zeit, ein wenig Umschau
zu halten. Sie hatten in einem mit allen Bequemlichkeiten des
verfeinerten Daseins ausgestatteten Zimmer geschlafen, hatten Kaffee und
frisches Brot gefrühstückt, auch die heutige Nummer des
»Samoan-Reporter« dazu erhalten, mit einem Wort, sie fühlten sich, wie
Franz lachend behauptete, unterwegs zur fast eingebüßten Ordnung
zivilisierter Menschen; sie wollten sogar nach jahrelanger Entsagung
heute, als an einem Sonntag, die Kirche besuchen und standen am Fenster,
um den Strom der Vorübergehenden zu beobachten.

»Alle Welt scheint diesem Gottesdienst beiwohnen zu wollen,« sagte
Franz. »Man sieht vornehm und gering in seinen besten Kleidern, --
herrscht hier ein so religiöser Sinn, Herr Frank?«

Der Buchhalter schüttelte den Kopf. »Es ist sonst leider nicht immer so,
Herr Gottfried, -- aber heute, wissen Sie, da will im nationalen Gefühl
kein Deutscher und aus Neugier kein Amerikaner oder Eingeborner gefehlt
haben.«

Franz sah ihn an. »Heute? -- Warum gerade heute mehr als sonst?«

Der Buchhalter schlug sich vor die Stirn. »Ja du lieber Gott, Sie kommen
direkt aus der Wildnis und können daher nicht wissen, was inzwischen die
zivilisierte Welt aller Länder in Abscheu und Entrüstung versetzt hat.
So hören Sie denn, Herr Gottfried! Auf unseren ehrwürdigen, alten Kaiser
ist kürzlich von zwei Verbrechern nach einander geschossen worden,
während er wie gewöhnlich ohne Begleitung und im offenen Wagen in Berlin
unter den Linden spazieren fuhr. Der erste Meuchelmörder, ein
verkommenes Subjekt von Hause aus, traf glücklicherweise die Person
Seiner Majestät gar nicht, der zweite aber verletzte den
einundachtzigjährigen Greis durch nicht weniger als dreißig
Schrotkörner, die an den verschiedensten Stellen des Körpers eindrangen,
freilich ohne das Leben ernstlich zu gefährden. Für diese so überaus
glückliche zweimalige Rettung des Monarchen ist in ganz Deutschland ein
Dankgottesdienst abgehalten worden und wird jetzt auf Anregung mehrere
hier lebender Deutscher auch in Apia abgehalten werden. Deshalb sehen
Sie die ganze Bevölkerung unterwegs.«

Franz eilte in sprachloser Entrüstung zu den übrigen, die er schon
unterrichtet fand, und die alle wie er selbst sich freuten, hier zur
rechten Zeit eingetroffen zu sein, um an einer so tief empfundenen
nationalen Feier teilzunehmen. Als die jungen Leute auf der Straße
erschienen, wurde ein Flüstern und heimliches Bezeichnen bemerkbar;
offenbar wußte schon jedermann, wer sie waren, und mancher Blick ruhte
wohlgefällig auf den schlanken, hübschen Gestalten.

Der erste Gottesdienst nach jahrelanger Entbehrung erhielt für unsere
Freunde noch seine besondere Weihe durch das Dankgebet für die
glückliche Errettung des Kaisers, mit welchem heute der Geistliche seine
Predigt eröffnete und dem sich die aus dem Herzen kommende Fürbitte
unmittelbar anschloß. Das Vaterlandsgefühl der am anderen Ende der Erde
lebenden Deutschen wurde so mächtig erregt, daß manches Auge in feuchtem
Schimmer glänzte und daß sich jeder einzelne eben so sehr und eben so
innig als Unterthan des beleidigten Heldenkaisers fühlte, wie dies nur
immer in Berlin, in seiner nächsten Umgebung der Fall gewesen sein
konnte. Auch auf der fernen Insel des Stillen Meeres waren und blieben
sie Deutsche, auch unter fremden Völkern lebend bewahrten sie die Liebe
zu Kaiser und Reich, das empfanden alle, das gestaltete sich während
dieser erhebenden Feier in vielen Herzen zu einem Entschluß, dem die
beiden Brüder Gottfried nach beendetem Gottesdienst zuerst Worte liehen.
Aus Apia mußte eine Adresse an den Kaiser abgesandt werden und alle
Deutschen mußten sie unterschreiben.

Die Idee fand ungeteilten Beifall. Noch selbigen Tages entwarf Doktor
Bolten das Schriftstück, von dem schon in der ganzen Stadt gesprochen
wurde und das der Kontordiener allen Deutschen ins Haus tragen sollte.
Franz war der Held des Tages geworden, ehe er selbst es wußte.

Nachmittags wurde der erste Spaziergang unternommen. Heute als am
Sonntag arbeitete natürlich niemand, aber desto reger gestaltete sich
das Treiben der Eingebornen, ihre Spiele, ihre Jagd, selbst die Art und
Weise wie sie Vorräte für das Haus sammelten. Weiterhin im Rücken der
deutschen Niederlassung lag ein Arbeiterdorf, dessen Hütten, kreisrund
mit spitz zulaufendem Dache, eng an einander gedrängt, großen
Bienenkörben glichen. Hier war alt und jung in Bewegung zum Strande
hinab, es wurden Messer und Körbe, Kochtöpfe und große Stangen aus den
Häusern hervorgeholt, die Männer trugen zu zweien ihre, einen halben
Meter breiten und bis zu siebzehn Meter langen Kähne, an deren Seiten
aus Zähnen sehr hübsche Verzierungen angebracht waren, kurz, alles
schien einem besonderen Vergnügen, einer aufregenden Thätigkeit
entgegenzugehen.

»Was haben die Leute?« fragte Franz.

»Wahrscheinlich sind an der Küste Haifische gesehen worden,« versetzte
ihr Begleiter. »Sie gehen ins Wasser, um dieselben zu fangen.«

»Aber doch nicht die Frauen, die Kinder?«

»Ebensowohl diese. Wir werden es ja gleich sehen.«

Unsere Freunde folgten dem Zuge und so kamen alle hinab an den Strand,
wo heute die Sonne auf sehr stille, regungslose Wasserfluten brannte, wo
aber gerade aus diesem Grunde der Fischfang bestens bewerkstelligt
werden konnte.

Doktor Bolten wandte sich an den Kommis, der als Führer die kleine
Expedition leitete. »Aber sagen Sie mir, lieber Freund, woher kommen die
vielen preußischen Infanterieuniformen hier auf der Südseeinsel? Jeden
Augenblick taucht so ein zerschlissenes, zerfetztes Gewand aus den
Büschen am Wege auf.«

Der junge Hamburger lächelte. »Das sind die Kleider, welche wir den ganz
Wilden der Kingsmillinseln geben, wenn diese zuerst, nur mit einem
Grasgürtel bekleidet, hierherkommen, um in unseren Faktoreien Arbeit zu
suchen. Sie kennen weder den Begriff des geordneten Staatswesens, noch
den des Anstandes, aber eben darum suchen wir sie zu gewinnen. Wer drei
Jahre lang unter Christen als arbeitender und verdienender Mensch lebte,
den gelüstet es nicht mehr, wieder in den Urzustand zurückzukehren.«

Franz sah mit stolzem Blick umher. »Und das alles schuf mein Vater!«
sagte er. »Tausende verdanken ihm Glück und Wohlstand.«

»Weil er ein so ganz ausgezeichneter Kaufmann ist, ja!«

Franz errötete. »Hm, hm,« sagte er. »Wer weiß, was noch geschieht.«

Der Strand war jetzt erreicht und die Samoaner in ihren hellfarbigen
Kleidern schoben die Boote ins tiefere Fahrwasser. Die hübschen,
vielfach geschnitzten Ruder wurden eingelegt und nun fuhren mehrere
Männer, zu drei in einem Kahne, etwas weiter hinaus bis in den Schatten
der vorspringenden Klippen; hier banden sie ein Stück Fleisch an ein
langes starkes Seil und ließen dann dasselbe ins Wasser sinken. Frauen
und Kinder standen noch am Strande, die Fischer beobachteten gespannten
Blickes das Geheimnis der dunkeln Tiefe da unten.

Plötzlich gab einer ein Zeichen. »Der Hai!«

Aber das große Tier, satt und im Halbschlummer des Verdauens begriffen,
regte sich nicht, ob auch der verlockende Bissen gerade vor seiner Nase
auf- und abhüpfte. Die Samoaner berührten sogar mit dem Fleische das
sonst so gefräßige Maul, -- umsonst, der Koloß blinzelte nicht einmal.

Einer der Fischer klatschte in die Hände und auf dieses Signal hin
geschah etwas, das unsere Freunde im ersten Augenblick erschreckte. Wie
von einem einzigen Gedanken erfüllt, sprangen alle zugleich in das
Wasser, junge Bursche, Frauen mit Säuglingen auf den Armen, selbst
Kinder in einem so jugendlichen Alter, daß sie kaum fähig schienen, auf
festem Boden allein zu gehen und zu stehen, -- jede Stimme schrie,
sämtliche Hände klatschten, sämtliche Füße stampften und strampelten,
das Wasser wurde aufgewühlt, Steine hineingeschleudert und alles
Mögliche gethan, um es in immer größere Bewegung zu bringen. Die am
weitesten vorgedrungenen Frauen schwammen bereits in der tieferen Flut;
oft mit einem Arme rudernd, ballten sie die andere Hand zur Faust und
von allen Lippen zugleich brach ein Strom solcher Laute, die sich dem
Zuhörer, ob er der Sprache mächtig sei oder nicht, doch sogleich als
Schimpfreden kennzeichnen. Die Frauen schrieen, schlugen mit der flachen
Hand auf das Wasser, sprangen und hüpften, kurz, sie vollführten,
während sich die Männer in den Booten ganz unthätig verhielten, einen
wahren Höllenlärm.

Unsre Freunde lachten. »Das ist die Herausforderung für den Hai,« meinte
Holm. »Ob er den Kampf annimmt?«

Es schien nicht so. Nachdem der Spektakel etwa eine Viertelstunde lang
angedauert hatte, veränderten die Fischer ihre Taktik. Jetzt mußten sich
Frauen und Kinder auf das feste Land zurückziehen, wogegen einer der
Männer, ein besonders kühnblickender, hochgewachsener Häuptling, im
Boote stehend die Jacke abwarf und mit flach zusammengelegten Händen
kopfüber in die Tiefe hinabschoß.

»Der will den Hai mit bloßen Fäusten angreifen!« rief Franz.

»Er streichelt ihm die Schnauze. Sehen Sie, Herr Gottfried, dort verläßt
noch ein zweiter den Kahn.«

»Und der hat vorher eine Schlinge geknotet!«

»Die er im gegebenen Augenblick um den Schwanz des Fisches legt!«

»Mein Gott, wie ist es möglich!«

Beide Taucher waren jetzt unsichtbar, die Handlung bewegte sich unter
dem Spiegel des wieder ruhig gewordenen Wassers, ängstliche Spannung
hatte alle Gemüter erfaßt, -- was würde folgen?

Da erschien mit jähem Schwung der Häuptling wieder an der Oberfläche;
etwas weiter hin rauschte das Wasser, als hebe ein Erdbeben die blauen
beweglichen Fluten mit zwingender Gewalt hoch empor; auch der zweite
Samoaner sprang in sein Boot, aber beide muskulöse Arme hielten dabei
die Schlinge, er zog etwas Schweres nach sich, er arbeitete aus allen
Kräften -- --

»Der Hai! Der Hai!«

Zehn andere Fahrzeuge ruderten hinzu, ärger und ärger wurde unter dem
Wasser das verzweifelte Ringen, zwanzig, fünfzig nackte Arme zogen und
zogen, Frauen und Kinder jubelten laut, langsam näherten sich die
Fahrzeuge dem Strande und als die tollkühnen Männer heraussprangen, da
konnten sie den wehrlosen, überwältigten Gegner im Verein mit allem, was
Hände hatte, an den armdicken Seilen aus Kokosfasern aufs Trockene
ziehen.

Ein stattlicher Kerl mit wahrhaft furchtbaren Zähnen und weitgeöffnetem,
schauderhaften Rachen, wohl der aufgewendeten Mühe wert. Aber jetzt
wurde er auch gespalten, zerschnitten und zerhackt, daß bald die Küste
einem blutbedeckten Schlachtfelde glich, Frauen und Männer schleppten
eifrig ihre Beute in Körben und Töpfen davon, während das beste am
ganzen Tier, das sogenannte »Beefsteak« gleich an Ort und Stelle
gebraten und mit den Früchten des Urubaumes als Festmahl verzehrt wurde.

Die Samoaner, gastfrei wie vielleicht kein anderes Volk, liebenswürdig
und zuvorkommend, boten den Weißen sowohl die besten Bissen als auch die
besten Plätze und so speisten denn unsre jungen Freunde zum erstenmale
die zwischen zwei heißen Steinen gebackenen, in Scheiben zerschnittenen
Früchte des Urubaumes, welche dem besten Weißbrot an Wohlgeschmack
nichts nachgeben.

Überall fanden sich indessen bei den Eingebornen sowohl Messer, Gabeln
und Löffel, als auch saubere Blechteller, sie waren keine Wilden mehr,
diese hübschen, hellfarbigen Ozeanier, freilich noch Naturkinder im
verwegensten Sinne des Wortes, aber doch gesittet und anständig. Auf den
Häuptling, der in das Wasser gesprungen war, um einen Haifisch am Kopf
zu packen, deutete der Begleiter der Reisenden ganz besonders. »Es ist
einer unsrer tüchtigsten Aufseher, beliebt bei seinen Landsleuten und
bei uns. Wir schicken gerade diesen Mann hinüber nach den
Kingsmillinseln, wenn es gilt, Arbeiter zu werben. Furchtlos wie ein
Löwe, geht er dort in die Wälder und hält förmliche Predigten, natürlich
spricht er auf seine Weise auch deutsch, d. h. ohne unser R, von welchem
die polynesische Mundart nichts weiß.«

»Johannes!« rief er gleichzeitig dem herkulischen Manne zu: »Sag einmal:
Preußen!«

Der Samoaner lächelte: »Polusia!« antwortete er.

Unter den Kindern entstand ein Flüstern. Sie waren jedenfalls in der
Kultur schon weit genug vorgeschritten, um den Begriff eines Trinkgeldes
zu kennen, denn verschiedene der Kecksten drängten sich vor und
erzählten, daß sie auch was könnten, Lesen, Beten, Schreiben und
allerlei nützliche Dinge. »Ich weiß, wie dein Häuptling heißt«, sagte
ein zierliches, kleines Mädchen von acht Jahren: »Kaisa o Simiani!«

Franz amüsierte sich köstlich. »Simiani?« wiederholte er zweifelnd.

»^Germany!^« erläuterte der Buchhalter. »Komm einmal her, kleines Ding,
zeige, daß du lesen kannst!«

Er zog ein Zeitungsblatt aus der Tasche und hielt es dem Kinde vor das
Gesicht. Ganz wie ein deutsches Schulmädchen von gleichem Alter las die
kleine Samoanerin den Satz, welchen ihr seine Finger bezeichneten. Daß
dabei Kleidchen und Haar noch um die Wette trieften, kam weiter nicht in
Betracht; Wasser und Luft und Wind, alles ist auf jenen glücklichen
Inseln warm und schmeichelnd, -- man genießt ohne Furcht vor der
Zukunft, man ist gesund und daher froh.

Alles Geld aus den Taschen der Reisenden wanderte in die Hände der
Kinder, welche den Fremden treuherzig das Geleite gaben. Franz war sehr
still geworden, unterwegs winkte er seinem Bruder. »Du, Hans, mir kam
vorhin ein Gedanke, über den ich mit dem Vetter doch noch sprechen
möchte! -- Wenn Deutschland auch in die Wälder von Ceylon seine Boten
senden würde, wenn _wir_, ja, Hans, _wir_, mit dem Häuptling Tippoo eine
Handelsverbindung anknüpfen könnten, die das Licht der Zivilisation zu
den baumbewohnenden Singhalesen trüge und allgemach ihrem
Schlangenkultus, ihren heiligen Feigenbäumen und den Skorpionen im Dache
gründlich den Garaus machen müßte, -- wie schön wäre das!«

»Und die Veddas ohne Kleider und Wohnungen, die armen vertierten Veddas
könnten dann die Stelle der Kingsmillinsulaner einnehmen, könnten auch
allmählich aus bloßen, lebenden Wesen wirkliche Menschen werden.«

»Nicht wahr? -- Du, Hans, es ist doch schön, ein großer Kaufmann zu
sein, ein Apostel der Kultur und Gesittung. Was hat unser Vater hier
alles erschaffen! und für alle, alle Zeit, jedem Wechsel gegenüber!«

Sie drückten sich stumm die Hände und als später am Abend die
ausgesuchte Gesellschaft von Apia sich in den großen Räumen der
Gottfriedschen Faktorei gastlich zusammenfand, da konnten diese beiden,
aus Hamburg als Knaben fortgegangenen jungen Leute die Honneurs ihres
Hauses mit stolzer Freude machen. Daß das deutsche Element auf den
Samoainseln so entschieden vorherrscht, daß deutsche Biederkeit und
Treue aus den wilden, von Krankheit und beständigen Bruderkriegen
zerrissnen Völkerschaften zufriedene, arbeitende Menschen erschuf, --
ihr Vater hatte das alles ins Leben gerufen.

Franzosen, Engländer und Amerikaner fanden sich in den Sälen vereint,
aber weitaus die meisten Gäste waren Deutsche, denen auch die Insel ihre
Schulen, ihren Arzt und eine segensreich wirkende Krankenkasse
verdankte. Der erste Toast galt wie immer dem erlauchten Kaiserlichen
Hause, der zweite dem Vaterlande, dem teuren, geliebten.

Als die Sterne hell vom Himmel strahlten, entwickelte sich draußen unter
den Fenstern im Mondschein ein reges Durcheinander. Die Arbeiter der
Gottfriedschen Faktoreien, unter Führung des Häuptlings, den der
Buchhalter Johannes nannte, vollführten zum Vergnügen der Fremden einen
ihrer Nationaltänze, wie sie trotz Arbeit und Gesittung bei den
harmlosen Naturkindern immer noch sehr beliebt sind. Es mochten etwa
sechs Anführer beisammen sein, jeder begleitet von zwei Narren, die dort
als unerläßliches Gefolge des vornehmen Häuptlings gelten. Diese beiden
jungen Männer trugen Anzüge von allen erdenklichen Farben, bald mit
Federn, bald mit Stroh, Fasern und Zahnreihen geschmückt, in den Händen
hielten sie Stöcke, die Gesichter waren unter schauderhaften, grob
angestrichenen Masken versteckt, sie gebärdeten sich absichtlich wie
Tollhäusler. Was irgend einer der Tänzer unternahm, das suchten sie zu
vereiteln; was er ausführte, das ahmten sie in possenhafter Weise nach,
am meisten die Musik, welche lediglich aus einem ohrenzerreißenden
Trommeln bestand. Ein zwei Meter langer Block war ausgehöhlt, darauf
wurde sonder Takt oder auch nur Übereinstimmung der Musiker mit derben
Stöcken geschlagen, erst langsam, während sich die Tänzer langsam
drehten, dann toller und immer toller, bis die ganze Menge raste, daß
der Schweiß von allen Stirnen troff.

Nach diesem Tanze kam das Kriegsspiel, bei dem unsere Reisenden eine
Waffe kennen lernten, die ihnen vorher unter keiner wilden Völkerschaft
begegnet war, Handschuhe nämlich, grobe, plumpe Fausthandschuhe aus
Kokosfasern mit einer inwendig befestigten Doppelreihe von
Haifischzähnen.

Die beiden scheinbar feindlichen Parteien stellten sich einander
gegenüber, während auch hier die seltsame Trommel mit Einzelschlägen das
ganze Spiel begleitete und nun that jeder Mann ohne Verabredung das, was
ihm als das Beleidigendste, als die ärgste Herausforderung erschien, zum
Teil Dinge, wie wir sie nur bei kleinen Kindern zu bemerken gewohnt
sind. Natürlich schrieen und kreischten alle ohne Ausnahme, dann aber
warfen sich einige zu Boden, um wie die Katzen oder Füchse aus dem
Hinterhalt den Feind zu beschleichen, andre streckten die Zungen hervor,
ballten die Fäuste, schüttelten die schweren, geschnitzten Keulen oder
schlugen geradeswegs Purzelbäume, während sich ihre Häuptlinge nur durch
Worte herausforderten, ohne der Würde des höheren Standes das Geringste
zu vergeben.

Nach Schluß dieser lärmenden Feierlichkeit folgte ein Schmaus, der
indessen auf keine Weise in ein Trinkgelage ausartete.

»Und in Wirklichkeit kommt solcher Kampf, solche Herausforderung niemals
vor?« fragte Franz.

»Auf den Samoainseln wenigstens nicht. Es gibt hier in den fernen
Gebirgsthälern allerdings noch einige hundert Eingeborne, die weder
arbeiten noch zum Christentum bekehrt sind, aber diese bilden eine so
kleine, in sich uneinige Gruppe, daß sie keinen Einfluß mehr besitzen.
Europäische Waffen und europäisches Hausgerät findet sich auch bei
ihnen.«

»Aber sie haben noch ihre eignen Gesetze und betreiben nach wie vor
Götzendienst.«

»Dann wollen wir sie jedenfalls aufsuchen!«

Das war ohnehin beschlossene Sache und nach etwa vierzehn Tagen
vollkommensten Ausruhens machte sich die kleine Karawane wieder auf den
Weg, um auch die letzte Entdeckungsfahrt dieser Reise würdig zu beenden.

Meilenweit ins Innere hinein erstreckten sich freilich zunächst die
Arbeitshöfe der Faktoreien, in denen Kokoskerne zerschnitten, getrocknet
und dann als Kopra auf Wagen geladen und zum Ufer befördert wurden, um
erst in Deutschland ihrer Verwandlung zu Palmöl, Schmiere und jenem
wertvollen Viehfutter aus den Überresten entgegenzugehen. Tausend und
abertausend Nüsse lagen in den weiten Räumen aufgestapelt, die
eingebornen Arbeiter sangen und lachten, Scharen von Frauen sammelten
die kostbaren Fasern und banden dieselbe in feste Packen, oder flochten
gleich an Ort und Stelle Matten, Treppenläufer, Fußdecken, Körbe und
Taue, die für den Handel nach Europa bestimmt waren, während selbst
Kinder und Greise noch Gelegenheit fanden, sich in irgend einer Weise
nützlich zu machen und immerhin einige Pfennige zu verdienen, die dann
angeschrieben und bei dem Austausch der Arbeitslöhne gegen die
Erzeugnisse deutscher Industrie verrechnet wurden.

Aus diesem heiteren, fast ganz unter dem blauen Himmelszelt sich
entwickelnden Fabriktreiben führte der Weg in die eigentlichen Wälder,
wo sich Plantage an Plantage aus dem Gewirre der tausendfältig
wildwachsenden Farne, Orchideen und Bananen erhob. Immer eine junge
Kokospalme und eine Baumwollenstaude standen friedlich bei einander,
damit, wie der eingeborne Führer erklärte, die letztere so lange Ertrag
gebe, bis erstere Frucht trägt, was erst nach sechs Jahren geschieht;
dann stirbt die Baumwolle ab. Unabsehbar dehnten sich in jedem Alter der
Anpflanzung die jungen Stämme, es folgten aber neben dieser Hauptsache
auch Felder mit Kaffee, Vanille und sogar Thee, bis zuletzt die
ursprüngliche Wildnis wieder aus jedem Fußbreit der Umgebung hervorsah.

Zwanzig Meter hoch über dem Boden trugen die Luftwurzeln der Bananen den
schlanken Stamm mit seinen Riesenbündeln grüner und gelber
Schotenfrüchte, die äußerlich unseren großen Bohnen nicht so ganz
unähnlich erschienen, Melonen und Ananas wuchsen überall, Blumen sahen
hervor aus jeder Spalte, zwischen allen Blättern, von allen Ästen; in
den Bäumen gurrten die großen, prachtvollen Tauben, namentlich weiße mit
violettem Kopf und roter Brust, ebenso kleinere Singvögel aller Arten
und hier und dort sogar ein Papagei. -- Das schönste der ganzen
Landschaft aber blieben unstreitig die vielen, teils bedeutenden, teils
zierlichen Wasserfälle, welche von den Felsen herab auf das verwitterte
vulkanische Gestein stürzten, hier donnernd und brausend, dort in
sanftem Plätschern, überall wie flüssiges, im Sonnenschein
diamantengeschmücktes Silber glänzend und schillernd. Hier in diesem
Teil der Insel lebten die wenigen Hunderte noch unzivilisierter
Eingeborner, ein freundlicher, gastfreier und ehrlicher Menschenschlag,
dem jedoch die Arbeit noch gleichbedeutend schien mit einem Schimpf.

Einzeln lagen die kleinen Dörfer im Schoß der Urwälder, sicher vor
feindlichem Überfall durch die Achtung gebietende Nähe der Deutschen,
reich selbst inmitten äußerer Armut, durch die Fülle der Gaben, welche
gerade hier der Himmel in beständig fließenden Strömen seinen
Erdenkindern geschenkt hat. Um die friedlichen, von allen Seiten offenen
Hütten standen uralte Brotfruchtbäume, deren dreie einen Menschen
während des ganzen Jahres zu ernähren vermögen, Kokosnüsse hingen auch
hier von den Zweigen, der Papiermaulbeerbaum bot in seiner Rinde die
Tapa, das faltige, luftige Gewand des Südseeinsulaners, die
Riesenblätter der Palmen das Dach seines Hauses, der Bambus Stäbe,
Geräte und tausend Kleinigkeiten des täglichen Bedarfes.

Hier lagen die Männer im Schatten und spielten das beliebte Lupespiel,
indes die Frauen zwischen heißen Steinen kochten und backten, oder
feine, dem schönsten Baumwollengewebe gleichende Matten verfertigten;
der Grasgürtel an ganz nackten Gestalten kam wieder zum Vorschein und
schließlich auch ein Tempel mit den beiden gekreuzten Bambusstäben über
dem Eingang »_Tabu_« d. i. »heilig« -- wer den Ort betritt, dessen Leben
ist verwirkt.

Die Reisenden machten Halt. Ein andres Dorf war vor Einbruch der Nacht
nicht mehr zu erreichen, also mußten die Hängematten hier aufgeschlagen
werden, während sich die Eingebornen beobachtend und zurückhaltend in
ihren Hütten hielten oder unbekümmert um das was vorging, dem Lupespiel
nachhingen.

Früchte, Federn und besonders Muscheln gaben dabei den Einsatz. Die
Häuptlinge lagen bequem im Gras, auf den linken Ellbogen gestützt, indes
sich die Rechte wieder und wieder blitzschnell dem Gegner
entgegenstreckte, einige Finger geschlossen, andre emporgehalten,
ziemlich wie bei unserem deutschen Kinderspiel: »Vogel flieg auf!« --
Verfehlt es der andere, eine gleiche Anzahl von Fingern ebenso schnell
vorzustrecken, dann hat er den Strich verloren. Zehn Striche entscheiden
das Spiel.

»Merkwürdig, daß man wenige oder gar keine Kinder sieht!« meinte Franz.

Holm schüttelte den Kopf. »Das ist sehr einfach, mein Bester, sie
bringen die, welche ihnen lästig werden, um. Nur die christliche Mission
hat, wohin sie kam, diesem Unwesen steuern können, sonst herrscht es
noch auf sämtlichen Südseeinseln.«

»Was kommt da?« rief plötzlich der Malagasche. »Ein Zauber!«

»Rua! -- Rua!«

»Sieh hin, Herr, sieh hin!«

Auch die Spieler und die arbeitenden Frauen waren aufmerksam geworden,
aber keines schien erschrocken oder erstaunt, vielmehr sammelten sich
alle vor den Thüren und sahen gespannten Blickes einem Zuge entgegen,
der die Dorfstraße heraufkam. Sechs Männer trugen den siebenten auf
wahrhaft barbarische Weise des Weges; sie hatten ihn mit Bastschnüren an
Händen und Füßen gebunden, einen dornigen, überall von langen Stacheln
umwucherten Stamm hindurchgeschoben und nun das unglückliche Opfer wie
ein Schlachttier aufgeladen. Der Kopf des noch jungen Mannes hing wie
leblos herab, auf seinen Lippen stand Schaum, die Augen waren
unnatürlich weit geöffnet und sahen mit völlig irrem Ausdruck gerade vor
sich hin, während Hände und Füße heftig bluteten.

Aus allen Hütten stürzten die Eingebornen und folgten höhnend und
schimpfend dem Zuge, immer stärker und stärker schwoll der Strom, dem
ein Priester mit langem Stabe und einer riesenhaften Perücke unter
allerlei Grimassen voranschritt, von rechts und links stürzten Weiber
mit geballten Fäusten herbei, aber ohne doch das Opfer zu berühren, sie
drohten und lärmten nur wie Tollhäusler.

Der alte Doktor ging schnellen Schrittes, von Entrüstung getrieben, den
Ankommenden entgegen. »Was habt ihr da, Leute?« rief er voll heiligen
Zornes, »augenblicklich laßt den unglücklichen Menschen los!«

Die übrigen waren ihm eben so rasch gefolgt, sie stimmten jetzt sämtlich
ein in die gestellte Forderung, ja, Franz und der Malagasche legten
unverweilt Hand ans Werk, um die Faserschnüre zu durchschneiden und den
Ohnmächtigen in Freiheit zu setzen. Er fiel schwer, wie leblos zu Boden.

»Was hattet ihr mit diesem Manne?« fragte Holms ruhige Stimme.

»Er ist ein Dieb, wir bestrafen ihn nach unseren Gesetzen. Wenn du in
einem unserer Häuser etwas stehlen solltest, dann geschieht dir das
Gleiche, Fremder.«

Die Worte waren in drohendem Tone hervorgestoßen, ein allgemeines
Murmeln zeigte die Entrüstung des Volkes; der Priester schien heimlich
die Nächststehenden aufzuhetzen.

Da legte sich der Führer ins Mittel, eben jener Johannes, der in den
Werkräumen als Aufseher fungierte. »Wißt ihr auch, Leute, vor wem ihr
hier im Augenblick steht?« fragte er.

Das Gerücht hatte seinen Weg über die Insel schon gefunden, man sah es.
Die Leute knirschten, aber sie wagten keinen Widerspruch, selbst der
vorlaute Sprecher verstummte und ließ es geschehen, daß die Weißen den
bewußtlosen Mann wieder ins Leben zurückführten. Johannes reichte ihm
die Hand. »Allolo,« sagte er, »du hättest gestohlen? Kann das wahr
sein?«

Der Unglückliche weinte. »Ja, ich habe es gethan, Johannes, -- und auch
nicht, wie man die Sache nehmen will. Du weißt dem Häuptling Bela gehört
die Hütte, in der ich wohne, der Yams und Taro, den mein Weib pflanzt,
die alten Urubäume. Meine Familie ist leibeigen, ich kann nie selbst
Besitzer werden. Aber Bela trinkt den Branntwein der Weißen, er hat alle
seine Ländereien verkauft, er ist arm, Johannes, und ich muß ihn
ernähren. Er hatte verboten, von den Früchten zu nehmen, aber ich ließ
mein Weib und die Kinder essen, -- als keine Melonen mehr zu finden
waren, haben sie Yams gegraben, dafür werde ich so unmenschlich
bestraft.«

»Nach den alten Gesetzen der Samoaner!« rief giftig der Zauberer.

Johannes übersetzte Wort für Wort, ohne etwas hinzuzufügen oder etwas
wegzulassen. Als der blutende, zerschundene Mann schwieg, sagte er: »Und
du willst trotzdem hier bleiben, Allolo, du willst den Yams und die
anderen Früchte bauen, damit deine Kinder hungern, während der
verworfene Säufer beansprucht, was dein ist?«

Der Wilde war aufgesprungen, er ballte die Faust. »Kann ich denn auch
fort?« keuchte er.

»Gewiß!« riefen alle wie aus einem Munde. »Gewiß kannst du fort. Nie und
nirgends ist nach dem Willen Gottes der eine Mensch das Eigentum des
andern. Überlasse den elenden Bela seinem Schicksal und gehe mit uns,
Allolo, dann bist du ein freier glücklicher Mann, dem der Hunger nie
mehr nahe tritt.«

Der Zauberer schlich sich leise an den Gemarterten heran. »Du kennst
doch die Zeichen, welche das weiße Volk malt und durch die alle einander
verstehen? Willst du ihren schlimmen Künsten geopfert werden? Allolo,
besinne dich! Sie nehmen dir deine Kinder weg!«

»Und schicken sie in die Schule!« rief Johannes. »Meine beiden Buben
haben schon ganze Stapel von Schreibebüchern verbraucht und werden
täglich klüger dabei. Sie können dir auf der Weltkarte die Insel Upolu
ganz genau zeigen, du Schelm, sie lesen alles vom Blatt.«

Allolos Augen blitzten. »Deine Knaben, Johannes? deine Knaben? Und das
ist gewiß?«

»Das ist so gewiß, wie ich hier vor euch stehe!«

»Ach -- und ihr würdet uns alle mit nach Apia nehmen, du? O ja, ja, ich
will auch arbeiten, auch ein Christ und ein freier Mann werden.«

Der Zauberer sah, daß sein Spiel verloren war, er schlich sich heimlich
grollend davon und die sechs andern Henkersknechte folgten ihm
schweigend, während aus den Reihen der Umstehenden niemand wagte, sich
zu ihren Gunsten hineinzumischen. Unsere Freunde bemühten sich, den
geängstigten Mann aufzurichten und ihm Mut einzuflößen, ja Franz war so
empört, daß er jetzt auch laut den Gedanken an eine Handelsverbindung
mit dem Häuptling Tippoo zur Sprache brachte. »Ich möchte mir ebenso
viele Segenswünsche erwerben, ebenso Großes erschaffen, wie mein Vater!«
rief er mit glühenden Wangen.

Holm lachte lustig. »Das nenne ich glänzende Erfolge!« rief er. »Man
schickt dich in die Weite, weil dir das Kontor zu dumpfig, das Rechnen
zu langweilig ist, aber siehe da! just den Plan einer neuen großartigen
Unternehmung bringst du mit nach Hause. Wahrhaftig, das soll allen
Ernstes überlegt werden. Vielleicht sind es Feigen oder Zimt, mit denen
sich im Innern von Ceylon bei den Baumbewohnern etwas anrichten ließe,
jedenfalls aber freut mich dein Gedanke, von dem wir dem braven Tippoo
möglichst rasch Mitteilung machen wollen.«

Während dieses zwischen den beiden jungen Leuten geführten Gespräches
hatten sich Johannes und Allolo über die nächsten Vorgänge mit einander
verständigt; die Zelte sollten nicht hier, sondern neben der Hütte des
letzteren aufgeschlagen werden, was wohl im Interesse beider Teile
gleich sehr geboten schien. Der Weg war kurz, schon vor Einbruch der
Nacht lag das bescheidene Heim des armen Sklaven vor den Blicken der
Reisenden, sie sahen sein Weib und seine Kinder, die vor Entzücken
jubelten, als ihnen der Vater, wenn auch arg zerschunden, doch lebend
und gesund entgegentrat. Nach Herzenslust durften jetzt in der
schützenden Nähe der Weißen die armen verkümmerten Geschöpfe ihre
eigenen Feldfrüchte pflücken und essen, ja, jeder einzelne der kleinen
Schar schenkte ihnen, was sich eben im Augenblick entbehren ließ, Geld,
Messer, Tücher und bunte Kleinigkeiten, die wie immer zu diesem Zweck in
die Wildnis mitgenommen worden waren. Am lebhaftesten zeigte sich der
Malagasche, er hätte wohl gern das Herz aus der Brust weggegeben und
noch vor dem Einschlafen suchte er Gelegenheit, mit seinem jugendlichen
Vertrauten unter vier Augen zu sprechen. »Franz, mein Bruder, mein
Freund, wie lieb habe ich dich! Solche, gerade solche Verhältnisse waren
es, aus denen du mich herauszogst! O die armen Sklaven, die Bethörten,
den Weißen widerstreben sie und von ihren Landsleuten lassen sie sich
langsam morden.«

Franz drückte ihm die Hand. Er war an diesem Abend stumm, aber
glücklich. Wie viele arme Seelen hatte das kaufmännische Talent seines
Vaters aus unerträglichen Verhältnissen emporgehoben zur Freiheit und zu
dem Glücke des Lebens! --

Die Nacht verging ungestört, oder doch ohne Schaden, da Holm das
Herannahen eines blutgierigen Vampirs früh genug bemerkte, um die wenig
nachbarlichen Absichten desselben mittels einer Gewehrkugel zu
durchkreuzen. Neue prächtige Beute für das Museum daheim in Hamburg,
ebenso die Schätze, welche sich im Innern der Bambushütte fanden, ein
vollkommen hieb- und stichfester Panzer aus Kokosfasern, die Handschuhe
mit Haifischzähnen, um den Gegner wie an einem Angelhaken zu fangen und
ihm das Rückgrat zu brechen, ferner den Hausgötzen, einen kleinen
plumpen wohlgenährten Holzkerl von ganz brauner Farbe, und mehrere
hübsche Körbchen. Allolo schenkte alles freiwillig den Weißen, unter
deren Schutz dann die ganze kleine Familie so lange reiste, bis sie, mit
einem Brief des Führers versehen, unbehelligt die Faktoreien erreichen
konnte, während unsere Freunde die Pferde unter Bedeckung im Thale
zurückließen und dafür zu Fuß das Gebirge erkletterten. Ihr nächstes
Ziel war der Krater Lanuto; siebenhundert Meter über dem Erdboden
belegen!

Das gleichmäßige, terassenförmige Abfallen der Felsen erleichterte
freilich diese Mühe; überall wuchsen Bäume, überall sprudelte reichlich
klares Wasser und fand der Fuß in Moos und Flechten einen festen Halt,
der Kopf Schatten unter rauschendem Gezweig. Da oben lag hinter dreißig
Meter hohem Klippenkranze ein stiller, kreisrunder See, dessen Bild von
erhabener Schönheit sich der Erinnerung unverwischlich einprägte. Auch
den Krater Tafna bestieg die kleine Gesellschaft und dann führte sie
Johannes zu dem bedeutendsten Punkte der Insel, einem unterirdischen
Gange, der meilenweit durch das Gebirge dahinlief und endlich am Ufer
des Ozeans ausmündete. Stellenweise fanden sich Zugänge, so daß unsere
Freunde nur etwa eine halbe Stunde durch den gewölbten, von weißen und
gelben Inkrustationen bedeckten Tunnel dahinzugehen brauchten, um dann
am Endpunkte desselben ein ebenso schönes als großartiges Schauspiel zu
genießen. Vor ihren Füßen brandete gegen das Korallenriff die ewig
bewegliche See und dehnte sich links der Hafen mit seiner stattlichen
Reihe von Schiffen aus aller Herren Länder, während rechts der
Wasserfall donnernd und gewaltig aus schwindelnder Höhe herabfiel und
gerade über den Köpfen der Schauenden die Stadt selbst am sanft
aufsteigenden Berggelände sich erhob. Holm sammelte Stücke des
verschiedenen Gesteines, brach auch etliche verirrte Muscheln von der
äußeren Kante los und arretierte ungeheure Frösche und Spinnen, die hier
in großer Anzahl hausten, dann kehrten alle durch den kalten, hallenden,
fast schauerlichen Gang zurück zum Walde, wo sich Pferde und Gepäck
glücklich wieder vorfanden. Noch vor Abend war Apia erreicht.

Neue Feste, neue Gesellschaften nahmen hier in angenehmem Wechsel mit
den Arbeiten unter Holms Leitung die nächsten Wochen ein, dann wurde
alle diese Gastfreundschaft erwidert durch ein glänzendes Diner an Bord
der »Hammonia«. Aus so vielen Aufmerksamkeiten konnten die beiden jungen
Leute ersehen, welch hohe Achtung der Name ihres Vaters sich unter der
dortigen Bevölkerung erworben. Franz war geheilt von seinen knabenhaften
Plänen und Ideen, er hatte hier inmitten der Schöpfungen kaufmännischen
Talentes und der regen, energischen bürgerlichen Thätigkeit vollauf
erkannt, zu welch segensreichem Wirken gerade der Handel berufen ist,
wie er in seiner höheren Entwickelung zur Basis wird, auf der Kultur und
Sitte ihre festen, weltumschlingenden, welterziehenden Bauwerke
aufführen.

Franz hatte aber auch aus eigner Erfahrung gelernt, daß vorwiegend die
gemäßigte Zone berufen ist, alle Blüten der Kultur und höchsten
Vollendung zu erzielen. Nur wo der Mensch ein Heim, ein Vaterland
besitzt, das in Klima und Produkten der industriellen Thätigkeit, dem
Ackerbau und der Gesundheit als Förderungsmittel dient, da kann er über
das einfach _Unerläßliche_, über die tierischen Bedürfnisse hinaus, an
mehr und Höheres denken, da kann er schmücken und aufbauen, während in
_heißen_ und _kalten_ Ländern alle Sorgfalt der bloßen Erhaltung im
Kampfe mit verheerenden Naturkräften zugewendet bleiben muß und
einerseits die üppige Fülle des Südens in seinen Bewohnern jenen
sittlichen Ernst des schaffenden, arbeitsstarken Nordens niemals
aufkommen läßt, anderseits die erstarrende Kälte der Polarzone notwendig
jeden freieren Trieb lähmt. -- --

Das Schiff nahm Palmöl und Kopra ein; während dessen erhielt der
Malagasche, wohl vorbereitet durch seinen würdigen Erzieher, Doktor
Bolten, als Rudolf Harms die christliche Taufe, bei welcher Gelegenheit
ihm im Namen der Firma Gottfried ein ansehnliches Geldgeschenk und ein
Brief des Chefs überreicht wurden, in welch letzterem Herr Gottfried den
jungen Mann aufforderte, als Lehrling bei ihm einzutreten und in seinem
Geschäft zu bleiben, nach freier Wahl auf dem Kontor in Hamburg oder in
Apia.

Holm und Herr Frank versahen Patenstelle, viele hübsche Geschenke wurden
dem ehemaligen Sklaven gespendet und allerseits geraten, lieber vorerst
hier in Apia zu bleiben. Rudolf -- wie wir ihn nun nennen müssen --
hatte das auch heimlich längst schon erkannt und sprach es zuletzt offen
aus. »Ein halber Wilder bin ich ja doch noch,« sagte er lächelnd, »also
laßt mich einstweilen bleiben, wo -- außer mir auch andere Wilde leben.«

Holm und die übrigen gaben ihm im Herzen recht, als aber endlich der Tag
des Abschieds herankam, da that doch die Trennung sehr weh. Franz konnte
nicht glauben, daß ihm »Rua« fortan fehlen solle, er konnte ihn nicht
lassen, als seine Hand zum letztenmale in der des Freundes lag. Immer
wieder umarmten sich die beiden, immer wieder erneuten sie das Gelübde
jenes Abends, als einer das Blut des anderen getrunken, jenen Schwur,
der sie unzertrennlich als Brüder verband. Sie sollten nun beide von
Weltumseglern zu fleißigen Lehrlingen werden, der eine in Apia, der
andere in Hamburg; aber dennoch wollten sie sich dereinst wiedersehen,
dennoch mußte ihre Zukunft eine gemeinsame bleiben, das gelobten sie
sich fest.

Und als der letzte Händedruck gewechselt, als das Schiff zur Heimfahrt
die Schraube in Bewegung setzte, da wiederholten die Herzen, was früher
die Lippen ausgesprochen. »Auf Wiedersehn! Auf Wiedersehn!« -- --




                         Sechzehntes Kapitel.


Die Südsee und der Indische Ozean waren durchlaufen, das Schiff befand
sich im Roten Meer, wo widriger Wind und schwere Stürme die Reise zu
einer äußerst anstrengenden und gefahrvollen machten. Das einzig Neue
dieser Fahrt bestand in langen Zügen einer mikroskopischen Alge, die
stundenweit treibend das Wasser mit tiefem, gesättigten Purpurrot
färbte, und der das Meer seinen Namen verdankt, -- später erst bei dem
Eintritt in den Meerbusen von Suez gewann die Tour wieder für alle
Teilnehmer lebhafteres Interesse.

Als sie beim Eintritt in diesen zipfelartigen Ausläufer des Roten Meeres
an der gebirgigen Küste Arabiens entlang fuhren, da war es, wo der
Doktor seine jungen Gefährten auf die heilige Bedeutung des Ortes
hinwies.

»Seht ihr den Berg da im Nebel?« fragte er, auf die vom blauen Duft
verhüllte, imposante Masse in der Ferne hindeutend. »Das ist der Sinai,
von dessen Gipfel der Menschheit erstes Gesetz verkündet wurde. Es ist
heiliger, klassischer Boden, den wir berühren, -- zum erstenmale seit
unsrer Abreise von Hamburg.«

Mittlerweile hatte der Dampfer Suez erreicht, den Anfangspunkt des
berühmten Kanals.

Eine fünfzehn Meilen breite Landenge, das Rote und das Mittelländische
Meer trennend, hatte sich hier unter Menschenhand in eine Wasserstraße
verwandelt und nur gegen eine hohe Abgabe -- 10 Frank die Tonne und
ebensoviel der Kopf -- war die Durchfahrt gestattet.

Zwischen bebauten Ufern wie auf einem stillen Strom des Binnenlandes
glitt der Dampfer dahin. Der Kanal besaß nur sieben Meter Tiefe und
achtundfünfzig bis hundert Meter Breite und war durch Zementdämme
eingefaßt, während mehrere Seen, die er passierte, immer von schmalen
Bodenschwellen unterbrochen, von Zeit zu Zeit eine höchst interessante
Abwechselung darboten. An Ismailia, der Wunderstadt des Khediven von
Ägypten vorbei, durch brakige Seen verfolgte der Dampfer langsam und
vorsichtig seine Bahn, bis er endlich bei Port Said den engen Kanal
verließ.

Vor den Blicken aller dehnte sich das Mittelmeer, -- sie waren jetzt
wieder in Europa, konnten die Tage zählen, bis das Schiff seine letzte
Bahn durchmessen; kein Wunder also, daß namentlich an dieser
hochinteressanten Stelle, an der Schwelle zweier Welten, ihre Stimmung
eine ernste, gesammelte war. Drei lange Jahre des Genießens, des reichen
Ertrages lagen hinter ihnen, aber auch drei Jahre der schwersten
Anstrengungen und des Entbehrens; aus den spielenden, ahnungslosen
Knaben waren denkende Menschen geworden; das Leben hatte ihnen seinen
Ernst, seine Anforderungen aus nächster Nähe gezeigt; sie hatten zwei
Genossen der Reise, zwei junge Leute, die fröhlich mit ihnen das
Wanderlos geteilt, im fernen tropischen Süden dem Grabe überliefern
müssen und hatten erst vor zwei Tagen den altehrwürdigen Punkt
gestreift, von welchem aus dereinst das Licht der Kultur und Religion
hellstrahlend aufging über alle Welt und alle Zeit, -- der tiefe
Eindruck wurde erst verwischt, als das weite Meer wieder unabsehbar den
Dampfer umgab und andere Schiffe vielfach vorüberglitten, Grüßen aus der
Heimat gleich, Boten, die vom Wiedersehn kündeten, von entzückendem,
seligen Ausruhn nach langer, sturmvoller Fahrt.

Am zweiten Tage sahen die Reisenden ein Schiff, das bei stillem,
sonnigen Juliwetter zwei Boote aussetzte und selbst back lag, d. h.
Segel nach beiden Seiten gestellt hatte, so daß es die Luftströmung,
anstatt zu treiben, auf seiner Stelle festhalten mußte. Jedenfalls
arbeiteten hier Taucher; der Kapitän begrüßte daher in seemännischer
Weise mittels der Flagge seinen Kollegen und ließ den Dampfer seitlängs
von dem stillliegenden Segelschiff beidrehen. Hier war vor einigen
Wochen ein französisches Dampfschiff durch Explosion zu Grunde gegangen,
weshalb jetzt Taucherversuche gemacht werden sollten, um womöglich den
Eisenrumpf aus dem Wasser zu heben, wenigstens aber doch das Wertvollste
der verunglückten Ladung zu bergen.

Die beiderseitige Bekanntschaft war bald gemacht; auch die »Hammonia«
setzte ihr großes Boot aus, und sämtliche junge Leute fuhren bis zu der
Stelle, wo auf dem sehr seichten Grunde einzelne Teile des Wracks
deutlich erkennbar dalagen. Es sollte zuerst festgestellt werden, ob
sich das gesunkene Schiff in heilem oder geborstenem Zustand befinde,
daher wurden zwei Taucher zu beiden Seiten desselben langsam
herabgelassen, ganz in wasserdichte Stoffe gekleidet mit dem Helm, der
nach dem System Rouquonvil den selbstthätigen Apparat zur Luftbereitung
und Luftzuführung in sich schloß, die Nase verklemmt, was ihnen ein
teuflisches Aussehen gab, und im Mund das Rohr der einfachen aber
vortrefflichen Vorrichtung. Die Leute konnten bei gänzlich freiem
Gebrauch ihrer Glieder fast eine volle Stunde unter Wasser bleiben, sie
begannen daher das Wrack zu erklettern, als plötzlich ein halb
komischer, halb ernster Zwischenfall den weiteren Verfolg der Arbeit
hinderte und auf der Oberfläche des Wassers die im Boot Sitzenden mit
lebhaftestem Interesse erfüllte.

Dem einen Taucher hatten sich zwei riesige Schwertfische genähert, von
wenigstens fünf Meter Länge mit sägenartig gezahnten Ausläufern des
Oberkiefers, anderthalb Meter langen, furchtbaren schneidenden Schnäbeln
oder Schwertern, die aber auch, vorn spitz wie ein Degen, als Stoßwaffe
dienen konnten. Die walzenförmigen, glatten, nur mit einer einzigen
Rückenflosse versehenen Körper schossen pfeilschnell heran und
versuchten beide irrtümlich zuerst den Eisenleib des Wrackes zu
durchbohren, richteten dann aber ihre ganze Aufmerksamkeit gegen den
unvorsichtigerweise ihrem Treiben zusehenden Taucher und warfen diesen
so schnell zu Boden, daß oben in freier Luft die Leitungsröhren von dem
heftigen Anprall erzitterten.

Und nun entstand ein belustigender Kampf. Die Fische schwammen in
höchster Wut hin und her über dem Körper ihres besiegten Gegners, ohne
ihm jedoch mit Erfolg beikommen zu können. Stießen die furchtbaren
Schwerter gegen den Helm, so prallten sie ab, kehrte sich jedoch ihre
Wucht gegen den in Kautschuk steckenden Mann, so wich dieser dem ohnehin
unsicheren Stoße mit leichter Mühe aus, wodurch der Zorn der gewaltigen
Tiere nur immer lebhafter erregt wurde. Da ihr Gegner unter ihnen lag,
anstatt wie gewöhnlich über ihnen zu schweben, so konnte die gewohnte
Taktik des Unterlaufens nicht befolgt werden, weshalb beide Ungeheuer
ratlos tobend, daß die Boote schaukelten, durch das Wasser hin und her
jagten, jedesmal aber, wenn von oben an der Maschinerie gewunden wurde,
um den Bedrohten heraufzuziehen, den Fluchtversuch desselben durch
erneute Stöße sogleich verhinderten. Die Lage des Mannes wurde ernst und
immer ernster! Wenn sich unter allen diesen ruckartigen Bewegungen der
Helm löste, so war er unrettbar verloren.

Die Aufmerksamkeit unserer Freunde, ihr lebhaftes Interesse verdoppelten
sich von Augenblick zu Augenblick. Sie sahen, wie der Taucher langsam am
Boden gegen das Wrack hin fortkroch und begriffen sofort, was er wollte,
-- sich durch schnelles Erklettern desselben den Unholden entziehen.
Diese schwammen fortwährend über ihm her, peitschten das Wasser mit
ihren Schwänzen und stießen blindlings nach allen Richtungen, meistens
ellenhoch über den Bedrohten dahin.

Franz erhob sich plötzlich vom Sitz. »Eine wollene Decke und ein Tau,
Steuermann!« rief er mit lauter Stimme. »Schnell! schnell!«

Der Alte hatte schon den gleichen Gedanken gehabt; er konnte daher die
Bitte seines jungen Freundes um so schleuniger erfüllen, und nun ließen
Holm und die beiden Brüder langsam das große, mit einem Gewicht
beschwerte Bündel in die Tiefe hinab, um dadurch das Interesse der
Fische von ihrem bedrohten Opfer abzulenken. Der Taucher sah alles;
seine Handbewegungen schienen um Eile zu bitten; er schob und drehte an
dem Helm, als drohe dieser, sich zu lösen.

Aller Pulse klopften in fieberhafter Spannung. Wenn nicht bald Hilfe
kam, so war der geängstigte Matrose seinen Peinigern verfallen.

Die Fische sahen das Bündel und stutzten, dann warfen sie sich mit
vereinter Kraft auf diesen neuen Gegner, der vor ihren Augen hüpfend
erhalten wurde, und suchten den weichenden, tanzenden mit furchtbaren
Stößen zu durchbohren. Gottlob! die List gelang. Der Taucher hatte sich
in das Innere des Wrackes gerettet und gab das Zeichen, ihn
heraufzuziehen. Schon schwebte sein Körper wenige Fuß tief unter der
Oberfläche, da entdeckten ihn die beiden Ungeheuer und konnten nun von
unten her ihre toddrohenden Waffen zur Anwendung bringen. Der Kautschuk
riß, Blut überströmte die Glieder des Tauchers, und nur einem kräftigen
Schlag mit dem Ruder aus Holms Hand verdankte er es, nicht bei
lebendigem Leibe gespießt zu werden. Als er im Boot anlangte, hatte sich
sein Helm zum Teil gelöst, so daß Wasser eingedrungen war, er blutete
fürchterlich und mußte bewußtlos unter Deck geschafft werden. Auch der
andere wurde heraufgezogen, um nicht dem gleichen Schicksal zu
verfallen.

[Illustration: Der Taucher und die Schwertfische.

»Die Fische sahen das Bündel und stutzten, dann warfen sie sich mit
vereinter Kraft auf diesen neuen Gegner ...«]

Jetzt konnten unsere Freunde mit erleichtertem Herzen die Jagd wieder
aufnehmen. Im Wasser schwammen, nachdem auch das Bündel entfernt worden,
die großen Fische in toller Eile um einander herum, als wolle einer den
andern für die Flucht der Beute verantwortlich machen. Zuerst stießen
sie sich wie zufällig, spielend, dann aber immer heftiger, bis endlich
die beiderseitigen Waffen zum vollständigen Gebrauch kamen und sich die
Kämpfenden in einander so verflochten und festrannten, daß sie
schlagend, drehend und tobend nur eine große, unlösliche Masse bildeten.

»Die haben wir!« jubelte Holm, »die haben wir! schnell, Papa Witt, geben
Sie uns einen Mann mit einer Harpune.«

Auch das geschah. Ein Matrose warf vom Schiff aus mit großer
Geschicklichkeit den mörderischen Haken einem der Schwertfische in den
Körper, und dann wurden Anstalten getroffen, um die an die Oberfläche
gezogenen auf das Schiff zu bringen, wobei man natürlich den Booten
sorgfältig aus dem Wege ging. Beide Tiere lebten noch; sie schlugen mit
den Schwänzen und glotzten halb wütend, halb dumm die Menschen an,
während von dem französischen Schiff aus, jetzt wo die gefährlichen
Feinde besiegt waren, neue Taucher ihre unterbrochene Arbeit wieder
aufnahmen. Man verabschiedete sich, des unverhofften Fanges froh; dem
unverletzten Schwertfisch wurde behufs Ausstopfung das dicke Fell
abgezogen und beide Schnäbel als wertvolle Beiträge für das Museum
gereinigt und verwahrt. Noch lange besprachen die jungen Leute diesen
glücklich verlaufenen Zwischenfall, und dabei geschah es, daß Franz
zufällig sagte: »Unser letztes Abenteuer!«

Hans warf ein: »Für diesmal vielleicht, aber wie lange wirst du es zu
Hause aushalten, nächstes Jahr strebst du vielleicht nach Amerika.«

Aber Franz schüttelte den Kopf. »Nun nicht wieder. Was mein Vater jetzt
ist, der Ernährer und Versorger von Tausenden, das will ich dereinst
auch werden, -- wir beide, nicht wahr, Hans?«

Und der jüngere Bruder lächelte. »Ich wollte es immer, Franz.«

Das Schiff verfolgte seinen Lauf durch das blaue Mittelmeer, sah Kreta
und Sizilien, und trat durch die Säulen des Herkules in den Atlantischen
Ozean. Bald lag auch der böse biskayische Meerbusen hinter ihm.
Glücklich durcheilte es den Kanal und kam in die Elbe, wo es von dem
Lotsenkutter mit lautem Hurra begrüßt wurde. »Alles wohl zu Hause!« --
Der Mann konnte es behaupten, denn er hatte mit Herrn Gottfried gestern
noch gesprochen. »Die »Hammonia« wird von ganz Hamburg erwartet.«

Und weiter und weiter verfolgte der Eisenbau seine Bahn. Vorüber an der
Küste von Holstein, an den Elbinseln, an Altona und dann langsam bis zum
Hamburger Hafen. Wo wart ihr, drei lange lange Jahre, seit das Schiff
von dieser Stelle hinauszog in die unermeßliche Weite? --

Niemand sprach, aber es war ihnen wie einst Robinson, dem
wiederkehrenden Robinson, sie hätten den Boden der Heimat küssen mögen.

                   *       *       *       *       *

Und dann standen im Kontor die Söhne dem Vater gegenüber, er erkannte
sie kaum; der laute Jubel brach erst los nach langem, innigen Umarmen
und Begrüßen. Für heute hatte alle Arbeit ein Ende; Mann für Mann, vom
Kapitän bis zum Kajüttsjungen, mußten die Gefährten der Weltreise ihren
Chef besuchen; alle erhielten eine bedeutende Extrazulage, und für die
Hinterbliebenen der beiden Verunglückten sollte reichlich gesorgt
werden; dann aber, nachdem der Mannschaft Freiheit gegeben, sich in der
Stadt nach Belieben zu bewegen, nachdem die Weltumsegler ihrem Reeder
ein donnerndes Hoch gebracht, -- dann sah Herr Gottfried
freudestrahlenden Blickes von einem seiner beiden Söhne zum anderen und
sagte mit erstickter Stimme: »Jetzt kommt zur Mutter nach Dockenhuden!«

Wir folgen ihnen nicht. Solche Augenblicke kann niemand schildern,
niemand aus der Schilderung kennen lernen, -- man muß sie erleben, um zu
wissen, daß sie des Daseins seltene, selige Höhepunkte bilden.




Anmerkungen zur Transkription


Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Hervorhebungen, die im
Original g e s p e r r t sind, wurden mit Unterstrichen wie _hier_
gekennzeichnet. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind,
wurden ^so^ markiert.

Die variierende und inkonsistente Schreibweise des Originals wurde
weitgehend beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden
korigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):

   ... dem Julius Cäsar. Nachrichten von Haus. Weitere Arbeiten mit
       dem Schleppnetz. ...
   ... dem Julius Cäsar. Nachrichten von zu Haus. Weitere Arbeiten
       mit dem Schleppnetz. ...

   ... Nach Bombeck. Die einmal blühende Palme. Nach Celebes.
       Naturwissenschaftliche ...
   ... Nach Lombock. Die einmal blühende Palme. Nach Celebes.
       Naturwissenschaftliche ...

   [S. 16]:
   ... Tiere, gewissermassen wie Offiziere und Häuptlinge, und ganz
       inmitten ...
   ... Tiere, gewissermaßen wie Offiziere und Häuptlinge, und ganz
       inmitten ...

   [S. 18]:
   ... Zweigen unterbrach pkötzlich die angefangene Rede. Papageien ...
   ... Zweigen unterbrach plötzlich die angefangene Rede. Papageien ...

   [S. 24]:
   ... schaukelte in den Lüften und hing wie ein dichter, bunter
       Tppich, ...
   ... schaukelte in den Lüften und hing wie ein dichter, bunter
       Teppich, ...

   [S. 49]:
   ... durch die Luft, und wenigstes ihrer sechs zitterten an den
       langen ...
   ... durch die Luft, und wenigstens ihrer sechs zitterten an den
       langen ...

   [S. 64]:
   ... fiel, von dem Spiegel des Mikroskopes aufgegangen werden
       konnte. ...
   ... fiel, von dem Spiegel des Mikroskopes aufgefangen werden
       konnte. ...

   [S. 65]:
   ... Stelle vier Fensterchen und wird deshalb Camplyodiscus
       fenestratus ...
   ... Stelle vier Fensterchen und wird deshalb Campylodiscus
       fenestratus ...

   [S. 66]:
   ... packte Holm das Misroskop wieder ein und versprach den
       Knaben, ...
   ... packte Holm das Mikroskop wieder ein und versprach den
       Knaben, ...

   [S. 72]:
   ... von der Verfolgung der Feinde ab, kehrte um und suchten ...
   ... von der Verfolgung der Feinde ab, kehrten um und suchten ...

   [S. 75]:
   ... behalten hatten und jetzt den letzten Uberrest ihrer
       entspringenden ...
   ... behalten hatten und jetzt den letzten Überrest ihrer
       entspringenden ...

   [S. 76]:
   ... die innere Frucht, welche einer dem andern zu verbergen
       strebte, ...
   ... die innere Furcht, welche einer dem andern zu verbergen
       strebte, ...

   [S. 77]:
   ... »Ich desso besser, Hänschen. Die Sterne müssen mir ebensowohl ...
   ... »Ich desto besser, Hänschen. Die Sterne müssen mir ebensowohl ...

   [S. 89]:
   ... zu schnell, um dem vorauseilenden Knaben bemerbar zu werden, ...
   ... zu schnell, um dem vorauseilenden Knaben bemerkbar zu werden, ...

   [S. 93]:
   ... gestattete, und daher die stummen Bewohner des Wasserreiches
       deutich ...
   ... gestattete, und daher die stummen Bewohner des Wasserreiches
       deutlich ...

   [S. 97]:
   ... Weise es möglich ist, das Vergangliche für die Mit- und
       Nachwelt ...
   ... Weise es möglich ist, das Vergängliche für die Mit- und
       Nachwelt ...

   [S. 100]:
   ... setzten aus, die Gedanken traten als ein »Gott erbarmn ...
   ... setzten aus, die Gedanken traten als ein »Gott erbarme ...

   [S. 100]:
   ... und wohl auch während unseres Nachtaufenthaltes im
       unbeschütztee ...
   ... und wohl auch während unseres Nachtaufenthaltes im
       unbeschützten ...

   [S. 101]:
   ... alle vorigen, den Zauschauern vorbehalten. Aus einer dichten
       Wolke ...
   ... alle vorigen, den Zuschauern vorbehalten. Aus einer dichten
       Wolke ...

   [S. 105]:
   ... Holm fragte den Führer nach dem Grunde deser auffallenden, ...
   ... Holm fragte den Führer nach dem Grunde dieser auffallenden, ...

   [S. 111]:
   ... das Los fast eines jeden der Häuptlinge, die ihr Leben
       faullenzend ...
   ... das Los fast eines jeden der Häuptlinge, die ihr Leben
       faulenzend ...

   [S. 118]:
   ... nickt er und sagt: >Wir haben erst von ein paar Tagen einen ...
   ... nickt er und sagt: >Wir haben erst vor ein paar Tagen einen ...

   [S. 122]:
   ... mit den ihnen zu teil gewordenen Anblick weißer Menschen noch ...
   ... mit dem ihnen zu teil gewordenen Anblick weißer Menschen noch ...

   [S. 131]:
   ... von Ubergabe nichts hören. »Die zweitfolgende Nacht wird ganz ...
   ... von Übergabe nichts hören. »Die zweitfolgende Nacht wird ganz ...

   [S. 140]:
   ... Hähne sind heilig,« erklärte sie, »aber eben darum werden sie
       auch ...
   ... Hähne sind heilig,« erklärten sie, »aber eben darum werden
       sie auch ...

   [S. 161]:
   ... Holm lächelte. »Dergleichen muß du jetzt über Bord werfen, ...
   ... Holm lächelte. »Dergleichen mußt du jetzt über Bord werfen, ...

   [S. 165]:
   ... weiß es, er hat hier oft die jungen Pagageien aus ihren
       Nestern ...
   ... weiß es, er hat hier oft die jungen Papageien aus ihren
       Nestern ...

   [S. 165]:
   ... Nüsse, weshalb auch bunte Papageien in ganzen Scharen die
       Baumwimpfel ...
   ... Nüsse, weshalb auch bunte Papageien in ganzen Scharen die
       Baumwipfel ...

   [S. 182]:
   ... bestandenen Ufer der Insel Mauritus -- so bot sich dem
       staunenden ...
   ... bestandenen Ufer der Insel Mauritius -- so bot sich dem
       staunenden ...

   [S. 193]:
   ... selbst zeigte sich als roter, stellenweise in das
       schwärzliche hinüberspielende ...
   ... selbst zeigte sich als roter, stellenweise in das
       schwärzliche hinüberspielender ...

   [S. 194]:
   ... netwas Großartiges oder gar Wildes besaß. Dörfer und stille,
       einsame, ...
   ... etwas Großartiges oder gar Wildes besaß. Dörfer und stille,
       einsame, ...

   [S. 194]:
   ... »So können wir denn diesmal das Moschustier erlegen und de ...
   ... »So können wir denn diesmal das Moschustier erlegen und den ...

   [S. 196]:
   ... med Kinde gleichsam unmerklich, mühelos bekannt werden, und ...
   ... dem Kinde gleichsam unmerklich, mühelos bekannt werden, und ...

   [S. 198]:
   ... dem Raum wurden große Glashafen mit eingeschliffenem, breiten ...
   ... dem Raum wurden große Glashafen mit eingeschliffenem, breitem ...

   [S. 207]:
   ... der Tierwelt, eine Gattung immer die Bekämpferin die ...
   ... der Tierwelt, eine Gattung immer die Bekämpferin der ...

   [S. 207]:
   ... Die ganze Gesellschaft ging dem Schall nach. Im Widerpruch ...
   ... Die ganze Gesellschaft ging dem Schall nach. Im Widerspruch ...

   [S. 207]:
   ... mit den Gewohnheiten wilder Geschöpfe verstärkte sich ber ...
   ... mit den Gewohnheiten wilder Geschöpfe verstärkte sich bei ...

   [S. 215]:
   ... dem sie offenbar lauschte, bewogen die Zigenmama, diesmal ein ...
   ... dem sie offenbar lauschte, bewogen die Ziegenmama, diesmal
       ein ...

   [S. 216]:
   ... Lange Zeit blieb alles still, dann aber huschte es wie mi ...
   ... Lange Zeit blieb alles still, dann aber huschte es wie mit ...

   [S. 223]:
   ... von Shinghala in bleibendem Andenken erhalten mußte. Zwei
       saubere ...
   ... von Singhala in bleibendem Andenken erhalten mußte. Zwei
       saubere ...

   [S. 231]:
   ... waren, Kokusmilch trinkend und im Schmutz vergehend, ...
   ... waren, Kokosmilch trinkend und im Schmutz vergehend, ...

   [S. 255]:
   ... Flammen war eisende Kobolde an den Felsklippen hinauf
       klettern ...
   ... Flammen wie rasende Kobolde an den Felsklippen hinauf
       klettern ...

   [S. 263]:
   ... Kochkessel und Baatpfanne unaufhaltsam frische, reinigende
       Fluten ...
   ... Kochkessel und Bratpfanne unaufhaltsam frische, reinigende
       Fluten ...

   [S. 272]:
   ... vor den erstern Häusern der Stadt Bezahlung verlangten, da ...
   ... vor den ersten Häusern der Stadt Bezahlung verlangten, da ...

   [S. 284]:
   ... als Lanzenspitzen. Da diese Kresbart in den Aquarien ...
   ... als Lanzenspitzen. Da diese Krebsart in den Aquarien ...

   [S. 289]:
   ... zu bemerken, daß in demselben Jod- und Bromsalbe aufgelöst
       sind, ...
   ... zu bemerken, daß in demselben Jod- und Bromsalze aufgelöst
       sind, ...

   [S. 302]:
   ... größere Tiere, mehrere an der Zahl, hier durchgedrungen sein
       dun ...
   ... größere Tiere, mehrere an der Zahl, hier durchgedrungen sein
       und ...

   [S. 309]:
   ... Bassar nickte. »Zunächst ist es doch den Herren daran
       gegelegen, ...
   ... Bassar nickte. »Zunächst ist es doch den Herren daran
       gelegen, ...

   [S. 310]:
   ... Rat der Führer im Nacken eine herabhängendes Stück Leinen
       nach ...
   ... Rat der Führer im Nacken ein herabhängendes Stück Leinen nach ...

   [S. 331]:
   ... Zickzack, es ist zum Tollwerden. Mit Naturforscher reise ich
       all ...
   ... Zickzack, es ist zum Tollwerden. Mit Naturforschern reise ich
       all ...

   [S. 342]:
   ... sich alle Einzelnheiten des kleinen Abenteuers ins Gedächtnis
       rufen. ...
   ... sich alle Einzelheiten des kleinen Abenteuers ins Gedächtnis
       rufen. ...

   [S. 348]:
   ... Laute, sein Bewegungen deuteten auf lebhafte Furcht. ...
   ... Laute, seine Bewegungen deuteten auf lebhafte Furcht. ...

   [S. 361]:
   ... wir ihn »die Schatzkammer der Naturforscher« nennen. ...
   ... wir ihn »die Schatzkammer der Naturforscher« nennen?« ...

   [S. 382]:
   ... flatterten vom Walde herüber und Dingos spangen mit großen ...
   ... flatterten vom Walde herüber und Dingos sprangen mit großen ...

   [S. 386]:
   ... aufgesperrt. Rua-Roa schien rettungsvoll verloren. ...
   ... aufgesperrt. Rua-Roa schien rettungslos verloren. ...

   [S. 394]:
   ... genommen wurden, so waren sie in dem Lande, daß keine ...
   ... genommen wurden, so waren sie in dem Lande, das keine ...

   [S. 414]:
   ... Einzelwesen, die jedoch zusammen ein geschlossenes Ganze
       bildeten, ...
   ... Einzelwesen, die jedoch zusammen ein geschlossenes Ganzes
       bildeten, ...

   [S. 425]:
   ... schien ganz leicht, sich diesen Männer bis auf Schrittweite
       zu ...
   ... schien ganz leicht, sich diesen Männern bis auf Schrittweite
       zu ...

   [S. 426]:
   ... Franz reichte ihm die Hand. »Rua, wie willst du dich dem ...
   ... Franz reichte ihm die Hand. »Rua, wie willst du dich den ...

   [S. 439]:
   ... wo alles von braunen, nackten Klippen und Geröllen starrte.
       Uber ...
   ... wo alles von braunen, nackten Klippen und Geröllen starrte.
       Über ...

   [S. 444]:
   ... Fartoreien Arbeit zu suchen. Sie kennen weder den Begriff des ...
   ... Faktoreien Arbeit zu suchen. Sie kennen weder den Begriff des ...

   [S. 454]:
   ... »Das ist so gewiß, wie ich hier vor euch stehe?« ...
   ... »Das ist so gewiß, wie ich hier vor euch stehe!« ...

   [S. 455]:
   ... Hause. Wahrhaftig, das soll alles Ernstes überlegt werden. ...
   ... Hause. Wahrhaftig, das soll allen Ernstes überlegt werden. ...






End of Project Gutenberg's Das Naturforscherschiff, by Sophie Wörishöffer

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violates the law of the state applicable to this agreement, the
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including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

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including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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