Von Kindern und jungen Hunden

By Rudolf Presber

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Title: Von Kindern und jungen Hunden

Author: Rudolf Presber

Release date: August 3, 2025 [eBook #76627]

Language: German

Original publication: Berlin: Concordia Deutsche Verlagsanstalt, Hermann Ehbock, 1905

Credits: Constanze Hofmann and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VON KINDERN UND JUNGEN HUNDEN ***


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                          _Von Kindern ○ ○ ○
                          und jungen Hunden_




                            Rudolf Presber

                           Von Kindern ○ ○ ○
                           und jungen Hunden

                             Erste Auflage

                            [Illustration]

                            Berlin ~W.~ 50
                   Concordia Deutsche Verlagsanstalt
                           +Hermann Ehbock+




                        Alle Rechte vorbehalten




Inhalt

[Illustration]


  Flocki (Die Geschichte eines merkwürdigen Hundes)            1

  Das Verhängnis des Hauses Brömmelmann                      103

  Der rote Esel (Ein lyrisches Intermezzo)                   127

  Des letzten v. Birkowitz letztes Fest                      145

  Der Mann mit dem persönlichen Einfluß                      177


[Illustration]

[Illustration]




[Illustration: Flocki

Die Geschichte eines merkwürdigen Hundes]


Ich habe „Flocki“ nie geliebt. Das muß ich vorausschicken.

Um so heroischer komme ich mir nun vor, indem ich mich hinsetze, um
von „Flocki“ zu erzählen. Denn -- das ist fast ein Axiom geworden in
der literarischen Welt: die Lebewesen, die man so von Grund der Seele
aus +nicht+ leiden mag, erwähnt man nicht in Briefen oder gar in den
zum Druck bestimmten Manuskripten. Man schweigt sie einfach tot, so
bemerkenswert sie anderen erscheinen mögen.

Ich hätte vielleicht auch von „Flocki“ heute und später und für immer
geschwiegen, wenn nicht dieses äußerst seltsame Wesen so bedeutungsvoll
und bestimmend in das Leben eines Freundes eingegriffen hätte. Eines
Freundes, dessen Wert ich schätze, wennschon ich seine Schwäche im
Charakter tief beklagen muß.

„Flocki“ war ein Hund. Um das gleich zu sagen: ein sehr merkwürdiger
Hund.

Seine Mutter stammte aus der weitverbreiteten und durchaus beliebten
Familie des ~canis genninus~. Oder kürzer und deutsch: sie war
eine besonders hübsche Pudelhündin. Sie hatte den in der Familie
üblichen gedrungenen Körperbau mit den langen, breiten Ohren; besaß
ein lockiges, schwarzes Fell mit zwei sauber, fast kokett gezeichneten,
weißen Flecken an Stirn und Brust. Diese beiden weißen Flecken waren
vielleicht die Ursache, daß sie so sehr stolz auf der Straße war und
sich selbst vom Milchmädchen nicht streicheln ließ. Was später aus ihr
geworden ist, weiß man nicht genau. Die Köchin bei Hauptmann Weber --
sie diente einen Stock unter „Fifi“, der schwarzhaarigen Pudelhündin,
-- behauptete, sie hätte sich in älteren Jahren aus einer verspäteten
unglücklichen Liebe zu des Hauptmanns langhaarigem, englischem Setter,
der sechzehn Ahnen hatte, damals gerade von der Staupe genas und ein
sehr interessanter Rekonvaleszent war, in den Landwehrkanal gestürzt.
Aber die Köchin bei Hauptmanns war überhaupt eine sehr romantische
Person und wenig glaubhaft.

Piefkes selbst, bei denen „Fifi“ seit den betrübenden Zeiten, in denen
ihrer ahnungslosen Jugend noch der erste Zimmeranstand beigebracht
werden mußte, treue Hausgenossin war, erzählten, sie sei von einer
„Elektrischen“ in der Potsdamerstraße überfahren worden. Das hat viel
für sich, wenn man erwägt, daß „Fifis“ Sehvermögen stark nachgelassen
hatte, und daß die „Elektrischen“ damals -- kurz nach dem Streik -- oft
von absonderlichen Fahrkünstlern gelenkt wurden.

Flockis Vater aber -- und das blieb nicht ohne Bedeutung für Flockis
Aussehen, wie für seine Talente und Neigungen -- war ein +Mops+
gewesen. „Schufterle“ hieß der wenig liebenswürdige Vertreter
einer unschönen Rasse, die, ruhmlos und unbeweint, faul, dick und
aller Tätigkeit abhold, im Aussterben begriffen ist. Er hatte einen
schraubenförmig gerollten Schwanz, eine schwarze, sehr unfreundliche
Maske und war von besonders bösartiger Gemütsart; als wollte er bei
jeder Gelegenheit durch tückisches Benehmen den Beweis liefern,
daß seine Familie nur eine Karikatur der mißliebigen Bullenbeißer
darstelle. Kam hinzu, daß seine Herrin eine alte, schrullige
Regierungsrätin war, die nur zwei Leidenschaften hatte: auf einem
unglaublich verstimmten Klavier Chopin zu spielen und ihren dicken Mops
zu verwöhnen.

Diese sonst achtbare Dame hatte alle vielleicht in dem Tiere
schlummernden guten Qualitäten durch falsche Erziehung verdorben.
„Schufterle“ war knurrig und ohne jede Liebenswürdigkeit. Er war
gefräßig und litt infolge von Fettleibigkeit, die wiederum eine
Konsequenz der mangelhaften Bewegung in freier Luft war, stark an
Asthma. Seinetwegen wohnte die Regierungsrätin nur Hochparterre. Und so
oft sie auch wegen ihrer Vorliebe für Chopin umziehen mußte, mehr als
vierzehn Stufen mutete sie ihrem kurzatmigen Liebling niemals zu.

Wie eigentlich der Liebesbund zwischen zwei so verschiedenen Wesen,
wie es „Fifi“ und „Schufterle“ waren, zustande kommen konnte, das ist
mir heute noch ein Rätsel. Brehm lebt nicht mehr, den ich gern gefragt
hätte; und zu den modernen Zoologen hab’ ich kein Zutrauen. Sie
versenken sich nicht in die Tierseele.

„Schufterle“ hat übrigens seinen Sohn niemals gesehen. Denn „Flocki“
kam im dritten Stock zur Welt, in einer Höhe, die Schufterle niemals
erklomm. Und vierzehn Tage nach der Geburt des ihm gleichgültigen
Sohnes starb „Schufterle“. Die Hausbewohner, denen seine Korpulenz
und sein Schnaufen bei jeglicher Fortbewegung stark mißfallen hatte,
behaupteten pietätlos, er sei „geplatzt“. Einige wollten sogar den
Knall gehört haben ...

Die Regierungsrätin aber machte den Briefträger für „Schufterles“
Tod verantwortlich. Ihn allein. Zwischen diesem behenden Vermittler
schriftlicher Nachrichten und dem asthmatischen Mops hatte eine latente
Feindschaft schon seit Monaten bestanden. Schufterle knurrte, wenn
er den Briefträger sah. Und der Briefträger knurrte auch. Freilich
nur innerlich. Schufterle war überzeugter Demokrat und haßte alles
Uniformierte. Der Briefträger vermochte über Schufterles feindseliges
Benehmen um so weniger Entzücken zu heucheln, als der Regierungsrätin
das Verständnis für den Begriff eines Trinkgeldes selbst bei so
feierlichen Gelegenheiten, wie Ostern oder Jahreswechsel, durchaus
fremd blieb. Während sie für Schufterle eine verschwenderische
Zärtlichkeit an den Tag legte, pflegte sie die herzlichsten
Neujahrswünsche nur durch ebenso herzliche Wünsche zu erwidern.

So kam es, daß der sonst durchaus friedliche Briefträger kurz
nach Neujahr bei einem Zusammentreffen mit Schufterle auf der
Treppe die kläffende Mißbilligung des feindlichen Mopses mit einem
gesinnungstüchtigen Tritt seines doppeltgesohlten Zugstiefels
erwiderte. Dieser Tritt hatte, obschon er nicht mit voller Kraft
und in ganz ungefährlicher Richtung geführt war, nach Ansicht der
Regierungsrätin „edle Teile“ verletzt. Und als einige Wochen darauf
das vorzügliche Schufterle in seinem ausgepolsterten Schlafkörbchen
verschieden war, schwur die aufs äußerste erzürnte alte Dame, ihr
Liebling sei an dem Tritt des rohen Staatsbeamten gestorben. Sie
verkrümelte von diesem Tage an ihre bescheidene Pension in gehässigen
Prozessen gegen die Postbehörde. Aber das einzige Resultat dieser
fortgesetzten kriegerischen Tätigkeit war, daß sie dreimal wegen grober
Beleidigung eines Beamten in erhebliche Geldstrafen genommen wurde ...

Ich hätte mich selbstverständlich weder bei „Fifi“, noch bei der
Hauptmannsköchin, noch bei „Schufterle“, der Regierungsrätin oder dem
Briefträger so lange aufgehalten, wenn ich nicht glaubte, daß alle
diese Dinge für +Flockis+ schönes Leben in gewissem Sinne vorbedeutend
und bestimmend gewesen wären.

Daß Flocki, der Sohn von Fifi, der Pudelhündin, und von Schufterle,
dem asthmatischen Mops, ein +bemerkenswerter+ Hund war, muß ich
leider hinzufügen. Flocki war kurzbeinig, gedrungen, und obschon
sein schwarzer Kopf die mütterliche Rasse im Schädelbau deutlich
verriet, zeigte er die ganze, nur in der eigenen Dummheit begründete
Weltverachtung des ererbten Mopsgesichtes. Auch der schraubenförmig
gedrehte Schwanz erinnerte an den asthmatischen Vater, während die
lockige, grauschwarze Behaarung offenbar von der angenehmeren Mutter
kam.

Ich will meiner Antipathie gegen „Flocki“ hier nicht die Zügel schießen
lassen; eines aber steht für Unparteiische völlig fest: es gibt selbst
unter den verwahrlosten Kötern, die die schmutzigen Straßen von
Stambul so angenehm beleben, keinen, der bei mäßigen Geistesgaben so
täuschend den Eindruck zu erwecken vermöchte, als habe er sich soeben
in einer besonders üblen Lehmgrube gewälzt. Diesen Verdacht aber rief
Flocki, wo und wann er erschien, in jedem Unbefangenen hervor; obschon
es vielleicht in Mitteleuropa keine +drei+ Hunde gibt, die +soviel+
gewaschen, gebadet, gekämmt, so oft mit grüner Seife abgerieben und mit
Insektenpulver bestreut wurden, wie Flocki. Diese Reinigungsprozesse
waren -- um ein schiefes Bild an Stelle eines weit besseren, das mir
nicht einfällt, zu gebrauchen -- die einzigen dunklen Punkte in Flockis
sonst so sonnigem Leben.

Flockis Herrin war eine unverehelichte Malerin. Früher hatte sie bloß
gegen den Willen ihrer Eltern gemalt. Jetzt malte sie gegen den Willen
der ganzen Welt.

Die Eltern waren gestorben und hatten ihr und ihrer älteren Schwester,
die genau so eifrig und auch ungefähr so schön Klavier spielte, wie
die jüngere Schwester „Stilleben“ malte, ein bescheidenes Vermögen
hinterlassen. Nicht gerade, um auf lautlosen Gummirädern zu fahren und
den Karneval in Nizza zu verleben, aber doch um sich’s daheim behaglich
zu machen, ohne auf Verdienst angewiesen zu sein. Das war auch gut,
denn +Eleonore Eikötter+ hatte wohl das Talent, Bilder zu malen, die
ihr selbst, ihrem Dienstmädchen und dem vorzüglichen Flocki ausnehmend
gefielen; aber sie hatte leider +nicht+ das Talent, diese Bilder auch
der Kritik zu empfehlen oder gar diese Kunstwerke zu verkaufen.

Das war eigentlich sehr zu verwundern. Denn es heißt immer, wir leben
in einer realistischen, in einer materiellen Zeit. Und Eleonore
Eikötter kam in allen ihren Werken einem gesunden Materialismus
vertrauensvoll entgegen. Ihre Stilleben wiesen keine bekränzten
Totenschädel auf, keine Lichtscheren, alte Gebetbücher, rostige
Hufeisen oder was sonst noch diese Art von Bildern besonders
reizvoll zu machen pflegt. Eleonore malte prinzipiell nur +Eßwaren+:
Hummerscheeren, Marzipantörtchen, Schweinsfüße, Pastetchen und
gebratene Wachteln. Und da sie mit ihren Bildern rasch fertig war, wie
die Jugend mit dem Wort, und aus ästhetischen Gründen ihre Modelle
nie mehr als +einmal+ benutzte, so hatte Flocki allen Grund, mit dem
Schicksal zufrieden zu sein, das ihn und sein Leben so innig mit dieser
Kunst verknüpft hatte, die +nicht+ „nach Brot“ zu gehen brauchte.

Flocki erhielt nämlich, sobald ein Bild vollendet war, die „Modelle“
zur Erledigung in seine mit stilisierten Lilien bemerkenswert bemalte,
sehr geräumige Freßschüssel. Er hatte folglich ein nicht rein
künstlerisches Interesse daran, daß die Farbendichtungen Eleonorens
rasch ihrer Vollendung entgegenreiften.

Schlau und perfid, wie er leider war, hatte er gemerkt, daß seine
Herrin einmal außer sich vor Entzücken geriet, als er -- eigentlich nur
aus Langerweile und weil ihm die Sache diesmal zu langsam ging --, eine
von ihr gemalte Schinkenstulle ärgerlich angauzte. Damals geschah es,
daß Eleonore Eikötter stolz zu ihrer Schwester +Adelgunde+, die einen
ihrer selteneren Besuche bei der Malerin machte, bemerkte:

„Kennst du die Geschichte von Apelles, dem Lieblingsmaler des großen
Alexander? Nein? Nun, siehst du, der berühmte Apelles hat einmal
Kirschen gemalt. Da kamen die Spatzen von den Bäumen und wollten die
gemalten Kirschen aufpicken. +So+ natürlich waren sie. Dem Apelles aber
war das Lob, das ihm die getäuschten Sperlinge zollten, wertvoller,
als das Lob der Schranzen des Königs der Mazedonier. Nun, siehst
du, so geht es mir auch. Flocki, mein süßer, kluger Flocki, hat die
Schinkenstulle, die ich auf die Leinwand geworfen, +angebellt+. Das ist
das +höchste+ Lob; das ist mir mehr wert als das Lob Alexanders des
Großen!“

Die pietätlose ältere Schwester sagte bloß:

„Du bist verrückt.“

Aber Flocki, der sofort das appetitliche Modell, die Schinkenstulle,
ausgeliefert erhielt, überlegte, während er die fetten Bissen gierig
verschlang, daß sein lautes Benehmen vor der bunten Leinwand, der er im
Grunde durchaus verständnislos gegenüberstand, offenbar diese so rasche
wie erfreuliche Lösung der Problems bewirkt habe. Und er beschloß, auch
fernerhin sein lautes Urteil rechtzeitig abzugeben und seiner mild
gesinnten Herrin mehr Freude zu bereiten, wie Alexander der Große.

In der Folgezeit wurde er laut, sobald die ersten Farbenklexe sich
auf der Leinwand zeigten und die ersten Linien erschienen, aus denen
noch ebensogut ein Nilpferd, wie ein Stiefelknecht oder eine gotische
Kathedrale werden konnte.

Eleonore war selig im Bewußtsein, es in ihrer Kunst bereits so weit
gebracht zu haben, daß sie, wie sie sich ausdrückte, „mit wenigen
Winken das Bedeutsame auszudrücken vermochte“; so deutlich und klar,
daß es selbst Flocki, der bei aller Klugheit doch immerhin nur ein Hund
war, nur der Sohn eines Mopses und einer Pudelhündin, erkennen und
würdigen konnte.

Wenn aber dem verschmitzten Flocki die öde Malerei zu lange dauerte und
die Gründlichkeit der Künstlerin in Anbetracht seiner Gelüste nach den
„Modellen“ verdrießlich wurde, dann gebärdete er sich wie unsinnig
vor der Staffelei und drohte unter jubelndem Gebell mitten in die
künstlerische Tat hineinzuspringen.

Dann legte Eleonore Eikötter, gerührt und stolz, die Pinsel hin und
belohnte den kritischen Freund mit den zärtlichsten Schmeichelnamen und
mit reelleren Genüssen ...

So lebte Flocki im Atelier der genialen Pflegerin wie der große
Hannibal im üppigen Capua. Er wurde dick und fett. Und wären nicht
häufig kleine Verdauungsstörungen vorgekommen, peinliche Folgen seiner
kritischen Verdienste und seiner bedauerlichen Gefräßigkeit, so wäre er
ein vollkommen glücklicher Hund gewesen.

Die Schönheit seiner Erscheinung litt wohl unter den Jahren und
der rasch fortschreitenden Korpulenz. Die vom Vater ererbte
Unliebenswürdigkeit gegen alle Fremden nahm zu, und beim Treppensteigen
zeigten sich auch schon zuweilen Vorboten des bösen, väterlichen
Leidens, des Asthma. Aber die sorgsame Liebe seiner Herrin wuchs
ins Ungemessene, wenn der dicke, häßliche Köter mit den fettigen,
kleinen Augen und dem verschraubten Schwanz sich breitbasig vor
ihren Pfuschereien aufpflanzte und der entzückten Eleonore Eikötter
mit seinem gequetschten Gebell das Zeugnis ausstellte, daß sie eine
talentvolle Künstlerin sei, eine nicht unebenbürtige Kollegin des
großen Apelles aus Kolophon. -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

Mein Freund +Emil Steinbrink+ hatte seit einigen Monaten sein Atelier
neben dem Raume, den sich Eleonore Eikötter mit allerlei Teppichen,
die sie für „echte Perser“ hielt, weil sie vielfach gestopft waren,
mit sehr unpraktischen, breitbeinigen Tischen und sehr staubigen
Markart-Buketts zum Heiligtum ihrer Kunst eingerichtet hatte.

Emil war nicht ohne Talent. Er hatte nur eine bedauerliche Vorliebe
für Violett; eine Vorliebe, die sich leider auch da nicht unterdrücken
ließ, wo diese an sich milde und gewiß sympathische Farbe nicht recht
hinpaßte.

Über seine Porträts war kaum zu streiten, da violette Menschen
nirgends vorgekommen, und weil höchstens auf den Nasen einiger
Gewohnheitstrinker sich die unbequeme Farbe zeigt, die Emil bei seinen
Bildnissen bevorzugte. Aber auch seine „Landschaften“ gewannen durch
das merkwürdige violette Licht, das über die Wälder, die Häuser und
die Teiche flutete, ein eigentümliches Ansehen. Man vermutete immer,
sie sollten einem erschrecklichen Spuck, einer Geistererscheinung
oder einer gespenstischen Botschaft aus der vierten Dimension als
Hintergrund dienen. Und wenn dann unter solchem Bilde ganz einfach zu
lesen stand: „Frühlingslandschaft im Spessart“ oder „Herbstmorgen in
der Rhön“, so schwuren die gewissenhaften Kenner deutscher Gebirge,
dergleichen weder in der Rhön noch im Spessart, noch im Schwarzwald,
im Taunus oder in der sächsischen Schweiz jemals wahrgenommen zu
haben. Ja, ein Weltreisender, mit dem ich einmal in den versteckten
Kunstsalon zusammentraf, in dem Emil seine Werke vor den Augen der
gemeinen Menge so ziemlich verborgen auszustellen pflegte, versicherte
mir, auch der Himalaja, der Kaukasus und die Roky Mountains seien
gänzlich frei von solchen violetten Stimmungen.

Nur der Portier des Hauses, in dessen fünftem Stock Eleonore Eikötter
und Freund Emil Wand an Wand künstlerisch wirkten, behauptete steif und
fest, als Kind in seiner Heimat -- er war aus Schopfheim -- derartige
wunderliche Farbenstimmungen häufig und mit innigem Genuß beobachtet
zu haben. Seine sonst wohl interessanten Mitteilungen verloren an Wert
dadurch, daß der alte Herr früher als Weichensteller bei der Hessischen
Ludwigsbahn angestellt war und dann wegen plötzlich eingetretener
Farbenblindheit entlassen werden mußte.

Dieser Weichensteller a. D. und jetzige Portier eines herrschaftlichen
Hauses mit zwölf Etagen, vier Kellern und fünf Ateliers hieß +Erasmus
Schellenkopf+ und wurde in seinen Pflichten als Hausbesorger
unterstützt von einer ebenso dicken wie asthmatischen Frau, seiner ihm
ehelich angetrauten Lebensgefährtin. Frau +Emma+ Schellenkopf blickte
zu dem Kunstverständnis ihres Eheherrn mit erfreulicher Ehrfurcht
empor, seit ihr Emil, der Meister in Violett, einmal erklärt hatte:
Das Gerede von der Farbenblindheit ihres Mannes sei ein Unsinn und
ein Quatsch, und man könne aus den Augen ihres Gatten durchaus
ausreichende Gesichtsorgane für zwei Dutzend Akademieprofessoren
herstellen.

Frau Emma Schellenkopf trug sich nach dieser Unterredung sogar
wochenlang mit dem Plan, auf Grund eines solchen fachmännischen
Gutachtens nachträglich einen Prozeß gegen die Hessische Ludwigsbahn
anzustrengen. Allein der Friedensliebe ihres verständigeren Gatten war
es zu danken, daß die Justiz nicht mit der Beamtenlaufbahn des Herrn
Schellenkopf weiter befaßt wurde.

Erasmus Schellenkopf war für Freund Emils Schaffen ungefähr das, was
Flocki, der vorzügliche Hund, für Eleonore Eikötters Werke in Öl war.
Er war der Ansporn, die Aufmunterung, das anregende und treibende
Element. Wenn er morgens die fünf Treppen heraufkam, die schmutzigen
Pinsel zu waschen und die Aschbecher auszuleeren, eine Arbeit, die er
mit der pedantischen Umständlichkeit eines alten Professors ausführte,
so sprachen die beiden, der Maler und der kunstsinnige Portier,
ein Langes und ein Breites über die deutsche Kunst und benachbarte
Gebiete. Es war ein „Dialog in Violett“ ... Und nebenan im Atelier
der Stilleben malenden Eleonore hörte man von Zeit zu Zeit den
kunstbegeisterten Flocki bellen und vor der Staffelei seiner Herrin in
wildem Enthusiasmus umherhüpfen. Dazwischen Eleonorens freudig bewegte
Stimme, die den Liebling nicht ohne Stolz in die gebührenden Schranken
zurückwies ...

Als Emil das Atelier bezog, hatte er Eleonoren einen nachbarlichen
Besuch abgestattet.

Sie hatte ihm einige Dutzend ihrer Bilder gezeigt, die auf ihn -- er aß
aus Sparsamkeitsgründen an einem bescheidenen Mittagstisch der Altstadt
für 65 Pf. „mit Bier“ -- einen peinlich appetiterregenden Eindruck
machten. Dann hatte sie mit noch größerem Stolz Flocki, den gestern
erst gewaschenen und bereits heute wieder sehr schmutzigen Flocki in
Freiheit vorgeführt.

Es traf sich, daß Flocki gerade an diesem Tage, da er einen alten
Mallappen aus Langeweile aufgefressen hatte, an einem akuten Magenübel
erkrankt war, das durch praktische Verwertung der Modelle seiner Herrin
nicht besser geworden war. Das liebenswürdige Tier mußte deshalb sehr
häufig die fünf Treppen heruntergeführt werden, um sich an der frischen
Luft eine Weile zu ergehen.

Emil, immer galant, erbot sich in diskretester Weise, zuweilen die
kleine gesundheitliche Exkursion Flockis zu leiten und mit Umsicht zu
überwachen. Diese angenehme, zarte Aufmerksamkeit gewann ihm das Herz
dieses späten Mädchens im Sturm.

Schon am nächsten Tag machte sie ihm einen anderthalbstündigen
Gegenbesuch in seinem Atelier; und nachdem sie ihn mit längeren,
ziemlich verworrenen Plänen einer Romreise, für die sie die richtige
Jahreszeit schon seit sieben Jahren nicht hatte finden können,
gelangweilt hatte, kaufte sie eine seiner violetten Landschaften, die
nun schon ins fünfte Atelier mit umgezogen waren ...

Der Verkehr zwischen den beiden Ateliers wurde rasch lebhafter
und freundschaftlicher. Daran trug im Grunde weniger die
Seelenübereinstimmung des nachbarlichen Paares, als das Verhältnis
Flockis zu Emil die Hauptschuld. Aus gänzlich unaufgeklärten Gründen
beglückte Flocki den neuen Freund, so oft er ihn traf, mit seinen
ehrenden Vertraulichkeiten. Saß Emil, so sprang Flocki unaufgefordert
auf seinen Schoß, was, besonders wenn es draußen geregnet und Flocki
bereits eigensinnig den Weg durch mehrere Pfützen genommen hatte,
für Emils Kleidung gerade nicht von besonderem Vorteil war. Aber er
ertrug es; denn Eleonore sprach schon mit bescheidenem Augenaufschlag
davon, gelegentlich aus dem Schatze der violetten Landschaften noch
ein passendes Pendant zu dem von ihr gekauften Bilde auszuwählen. Sie
ging dabei wohl von dem nicht ganz unrichtigen Gesichtspunkte aus, daß
man solche violette Landschaften erst glaubt, wenn +mehrere+ beisammen
hängen und gewissermaßen die eine die andere bestätigt.

Leisten konnte sich’s Eleonore Eikötter übrigens. Von ihren Eltern
hatten die Schwestern ja nur ein bescheidenes Vermögen geerbt, das
der alte Eikötter einer von ihm erfundenen und mit großem Geschick
vertriebenen Fruchtmarmelade verdankte. Dann aber war eine Tante
gestorben, die im Leben durch Besuche niemals lästig gefallen war,
die Schwester der Mutter. Diese merkwürdige alte Dame hatte sich
in ein Kinderbild Eleonorens in der Weise verliebt, daß sie ihr
fünfundzwanzig Jahre später, nachdem das Bild wirklich nicht mehr
ähnlich war, mit Übergehung der älteren Schwester Adelgunde ihr ganzes
Vermögen vermachte. Das war in soliden Staatspapieren angelegt und
brachte immerhin eine Rente von 3000 Mk., ohne der Besitzerin durch
Schwankungen im Kurs den Schlaf der Nächte zu rauben.

Adelgunde hatte nun zwar die Schwester durchaus nicht im Verdacht der
Erbschleicherei. Sie kannte auch die Geschichte von der berückenden
Wirkung des Kinderbildes auf das Herz der alten Tante. Aber sie
fühlte sich zurückgesetzt. Ein paar tausend Mark, die ihr die
gutmütige Eleonore als Geschenk und als Trost überlassen wollte, wies
sie hochmütig zurück und lebte von nun an von dem Ertrag weniger
Klavierstunden und der kleinen Rente, die das elterliche Vermögen
abwarf.

Als aber Eleonore angefangen hatte, mit Eifer zu malen, wurde das
Verhältnis noch gespannter. Denn Adelgunde hatte schlechterdings für
diese Stilleben, auf denen nichts vorkam, wie lauter eßbare Dinge, die
später in Flockis stilisiertes Freßnäpfchen wanderten, aber auch gar
nichts übrig. Sie war mehr für die große historische Schule, Piloty,
Kaulbach und die andern, und verachtete derartige Malereien, in denen
kein Mann, kein Weib und kein Held eine Rolle spielte.

So malte Eleonore nicht nur für sich. Sie +lebte+ auch für sich.
Sie malte für sich und Flocki. Nur die Besuche des benachbarten
Strebensgenossen, der die ganze Welt violett sah, brachte einige
Abwechslung in ihr Dasein.

Ihr Tagewerk war äußerst regelmäßig. Früh um sieben Uhr erhob sie sich,
nahm ein Bad, kleidete sich halb an und badete Flocki, für den dieser
Anfang des Tagewerks nicht den geringsten Reiz besaß. Häufig kroch er
sogar unter Eleonorens Bett, was die betrübte Künstlerin -- nicht ohne
dabei heftig zu erröten und das kurze und allgemein übliche Wort für
ihre jungfräuliche Lagerstätte zu umschreiben -- dem Freund und Nachbar
gesprächsweise mitteilte.

Emil hatte zuweilen gute Einfälle. Nicht allzu häufig, aber doch
öfter, als die Leute glauben mochten, die nur seine Bilder kannten.
So riet er der bekümmerten Besitzerin des merkwürdigen Hundes nach
einigem Besinnen, die vier Beine ihres Bettes, von dem er, ohne es
gesehen zu haben, annahm, daß es aus Holz gebaut sei, einfach absägen
zu lassen. Sie werde dann allerdings beträchtlich tiefer liegen, aber
das habe nach den Erfahrungen der Ärzte keinen Einfluß auf Schlaf und
Wohlbefinden. Die berühmten französischen Betten seien sogar, wie man
ihm mitgeteilt habe, alle +sehr+ niedrig.

Eleonore unterbrach hier errötend seine warmherzigen Ausführungen über
die französischen Betten, für die sie sich weniger interessierte.
Sie dankte ihm aber herzlich für seinen guten Rat; denn die sich
immer häufiger wiederholenden Unterredungen mit dem unter dem Bett
sich verkriechenden Flocki, der nicht gewaschen sein wollte, waren
frühmorgens oft recht kraft- und zeitraubend.

Sie ließ nun wirklich, wie der Freund geraten, die vier unnützen
Beine ihres Bettes absägen und gewann durch diese Kriegslist, die dem
überraschten Flocki höchst perfide erschien, durchschnittlich jeden
zweiten Morgen eine gute halbe Stunde.

Um acht Uhr unternahm sie dann einen Spaziergang mit Flocki durch
die Anlagen der Stadt, wobei sie weniger auf die Reize der Natur als
darauf zu achten hatte, daß Flocki nicht durch seine Wißbegier in
den künstlich angelegten Beeten Übles stiftete. Mit den Angestellten
der Stadtgärtnerei, denen Flocki wohlbekannt und tief verhaßt war,
lebte Eleonore in ewiger Fehde. Die jüngeren Gärtnerburschen fanden
bedauerlicherweise ihre neckische Freude daran, einen kräftigen
Strahl aus den wasserspendenden Rasenschläuchen, wenn’s irgend ging,
auf den weltvergessen botanisierenden Flocki zu lenken, der dann mit
unsäglichem Geheul über dieses zweite unbestellte Bad quittierte. Für
die Beschwerdebriefe Eleonorens an die Stadtgärtnerei rächten sich
wiederum die Parkaufseher durch Anzeigen, wenn Flocki, was leider
häufig vorkam, unter dem kleinen Geländer, das die gelben Fußwege von
den weichen Rasenflächen trennte, durchkroch, um sich im Grünen oder
unter Tulpen und Hyazinthen zu ergehen.

Um 9½ Uhr kam Eleonore gewöhnlich von ihrem Spaziergang, der ihr
mehr seelische Erregung als Erholung zu bringen pflegte, zurück. Sie
teilte dann mit Flocki, der merkwürdig gern gut gezuckerte Schokolade
trank, ihr Frühstück und trat mit dem Glockenschlag zehn Uhr in einer
erstaunlich verklexten Malschürze vor ihre Staffelei.

Um zwölf Uhr klopfte Emil gewöhnlich an ihre Tür. Sie rief „Herein“
und zeigte jeden Mittag dieselbe freudige Überraschung über den
unerwarteten Besuch.

Dann sprachen sie eine halbe Stunde über Kunst. Über Böcklin, dessen
geniale Verwendung der violetten Farben Emil nicht genug rühmen
konnte; über die Niederländer Snyders, Hondecoeter und van Streek, in
denen Eleonore die Großen +ihrer+ Kunst verehrte, die Meister, die es
verstanden, das Kleine groß zu sagen und dem an sich Unbedeutenden, --
einer Jagdbeute, einem Küchenstück, einer Tafel ohne Gäste -- geistige
Bedeutung und Poesie zu leihen.

Sie sprachen ohne Leidenschaft, wie zwei gute, wohlerzogene Kameraden.
Eins ließ das andere ausreden, ob es gleich ganz genau wußte, was
es nun sagen werde. Denn der Gedankengang in diesen ästhetischen
Besprechungen war stets der gleiche. Und da nie ein Widerspruch von
der andern Seite erfolgte, so war auch eine dialektische Verteidigung
des Standpunktes, eine Vertiefung der Begründung, eine Vermehrung der
Argumente durchaus unnötig.

Zuletzt sprach man immer -- von Flocki, der, sobald er seinen Namen
hörte, in seinem mit weichen bunten Lappen ausgelegten Körbchen faul
mit dem Schwänzchen wedelte, ohne sonst irgendeinen Muskel seines
Körpers an der freudigen Bewegung teilnehmen zu lassen, ja meist ohne
die Augen nur zu öffnen.

Dann kam man überein, zusammen zu Mittag zu essen. In dem bescheidenen
kleinen Restaurant in der Nähe, das Eleonore entdeckt hatte, und
in dem sie, obschon sie keine geistigen Getränke zu sich nahm, auf
deren Verkauf die Wirte sonst angewiesen sind, als Stammgast mit
Aufmerksamkeit und Respekt behandelt wurde.

Auch dieses gemeinsame Diner schien jeden Mittag das Resultat einer
ganz plötzlichen Erwägung zu sein. Man zeigte sich jedesmal wieder
aufs neue erfreut, die fesselnde Unterredung über Böcklin, über die
Niederländer und Flocki bei Tisch fortsetzen zu können. Und niemals
wäre es Einem von beiden eingefallen, etwas Seltsames darin zu finden,
daß sie ohne Verabredung, ohne Übereinkunft oder Abonnement schon seit
Monaten jeden Mittag um ein Uhr gemeinsam in das freundliche Gastzimmer
der „Goldenen Eidechse“ eintraten.

Der Pikkolo, der eine aus dem alten Frack des Oberkellners umgebaute,
in der Fasson sehr merkwürdige Jacke trug, die an Flecken der
Malschürze Eleonorens nicht nachgab, kam ihnen jeden Mittag mit
derselben theatralischen Verbeugung entgegen. Den pomadisierten Kopf
zwischen die Schultern ziehend, wie eine gekitzelte Schildkröte, wies
er mit huldvoller Bewegung der roten Hand, die aus der spiegelnden
Gummimanschette wie der breite Schaufelfuß eines Maulwurfs kam, nach
dem für zwei Personen gedeckten Tischchen in der Ecke:

„Die Herrschaften, bitte, +hier+!“

       *       *       *       *       *

Auch Eleonorens Schwester, die selten erscheinende Adelgunde, hatte
Emil einmal bei der befreundeten Künstlerin getroffen.

Es war kein besonders günstiger Tag, um sie kennen zu lernen. Sie
hatte sich am Vormittag einen Vorderzahn ziehen lassen, und die Zunge
war noch nicht recht gewöhnt daran, daß gerade an der Front des
Kiefers eine Lücke in die Zahnreihe gebrochen sei. Demgemäß „lispelte“
Adelgunde in einer befremdlichen Weise, und die Aussprache gewisser
Konsonanten ergoß sich wie feiner Sprühregen auf den Partner der
Unterhaltung.

Eleonore fand es furchtbar komisch. Sie hatte gleich beim Eintritt der
Schwester zu lachen angefangen. Sie hörte gar nicht auf zu lachen;
und je mehr sie ihrer humoristischen Laune die Zügel schließen ließ,
desto ärgerlicher wurde die Schwester. Schließlich kamen die beiden
in Streit, ohne die Anwesenheit Emils, der sich nach einer ersten
Begrüßung, verlegen in alten Skizzenmappen blätternd, an den Wänden
herumdrückte, weiter zu beachten. Sie sprachen recht deutliche Töne
über den kleinen körperlichen Schaden Adelgundens, der Eleonore so sehr
amüsierte.

„Nimm mir das nicht übel, Eleonore, aber ein Gänschen“ -- sie sprach
das „s“ sehr scharf, fast zischend -- „ein Gänschen von fünfzehn Jahren
benimmt sich nicht törichter, wie du. Und, wie alt bist du doch?“

„Fünf Jahre jünger als du,“ gab Eleonore prompt zurück.

„Richtig. Aber du benimmst dich wie ein Kind. Das steht dir wirklich
nicht besonders, die Naivenrolle mit dem Backfischgekicher.“

„Ja, das mag ja sein, meine Liebe, aber du sprichst auch zu komisch.
Sag’ doch bitte noch einmal, Gänschen -- Gänsz-schen -- es klingt gar
zu drollig.“

Diesen Gefallen tat ihr Adelgunde nun zwar nicht, aber sie belehrte die
Schwester:

„Wenn du die Folgen eines Zahngeschwürs, das mich acht Tage lang
gemartert hat, ‚drollig‘ findest, so kann ich deiner Schwesterliebe das
nicht verwehren. Ihr Künstler seid immer äußerst originell in eurer
Auffassung fremder Gefühle; und du bist ja -- wenigstens +deiner+
Auffassung nach -- eine Künstlerin.“

Eleonore überhörte die Bosheit und fragte teilnehmend:

„Du wirst dir doch einen andern Vorderzahn einsetzen lassen?“

„Nein!“

Das Nein kam so scharf und eisig heraus, als wollte Adelgunde damit
ihrer Schwester einen Hieb versetzen.

Emil sah verstohlen von seinen Skizzenbüchern auf, die Eleonorens
zeichnerische Gedanken über verschiedene, durchaus gewöhnliche
Hausgeräte enthielten. Er prüfte Adelgunde mit den Kenneraugen des
Malers. „Schönheit ist nicht die Falle ihrer Tugend,“ dachte er. Es ist
ja nun einmal von der Natur bestimmt, daß die Töchter Evä einen kurzen
Unterkörper und langen Oberkörper besitzen, und man hat sich allmählich
daran gewöhnt, daß dem so ist. Aber so kurz, wie bei Adelgunde,
brauchen schließlich die Beine auch nicht zu sein; besonders wenn der
Oberkörper so lang und eckig gebaut ist, wie hier.

Er erinnerte sich, mal als Junge auf einem Jahrmarkt einen sogenannten
„Rumpfmenschen“ gesehen zu haben. Der Ärmste saß in einem hellblauen
Seidenwams auf einem wulstigen Kissen; und der Knabe ging damals
mit Staunen und Schauder um den hockenden Fleischklotz, in dem nur
die Augen zu leben schienen, herum und suchte die Beine. An diesen
Rumpfmenschen erinnerte ihn Adelgundens wenig glückliche Erscheinung.
Durch ihre Angewohnheit, die Arme stets unbeweglich dicht an den Körper
gepreßt zu halten, als ob unter den Achseln die Naht ihres Kleides
geplatzt wäre und sie das durchaus nicht sehen lassen wollte, gewann
die grausame Illusion noch an Wahrscheinlichkeit.

Und dann die Toilette! Das Kleid, das sie trug, war weder alt noch
schäbig; aber wann sein wunderlicher Schnitt jemals modern gewesen
wäre, das konnte kaum festgestellt werden. Ihren Hals schmückte ein
himbeerfarbener Seidenschlips, auf dem eine dicke goldne Spinne
mit einem perlenbesetzten Hinterleib als Nadel saß. Auf ihren
schlechtgebrannten Haaren vom fadesten Blond, durch das sich schon
silberne Streifchen zogen, wallte ein unförmiger kanariengelber Hut,
der einem Fieberkranken im Traume erscheinen konnte.

Gewiß, Eleonore war ja auch keine ~beauté~, und auf einer
Schönheitskonkurrenz hätte sie -- selbst in ihrer bereits überwundenen
Blütezeit -- verteufelt wenig Aussicht auf eine „lobende Erwähnung“
gehabt. Aber sie kleidete sich wenigstens einfach und hatte in ihren
Bewegungen nichts Unweibliches. Diese Adelgunde aber war einfach
furchtbar. Selbst wenn sich Emil den kanariengelben Hut und den
fehlenden Schneidezahn „rekonstruiert“ dachte; selbst wenn er die
himbeerfarbene Krawatte durch eine in Gedanken und Farbe bescheidenere,
die besser zu ihrem farblosen, unreinen Teint paßte, ersetzte und sich
das Mißverhältnis von Ober- und Unterkörper durch eine zweckmäßige
Kleidung gemildert vorstellte, blieb das Gesamtbild noch immer
unerfreulich.

So etwas zu heiraten, das muß doch furchtbar sein, beendigte der
betrübte Maler seine stille Prüfung. Und er versuchte, sich den Armen
vorzustellen, der etwa zu Adelgunde passen könnte. Einen Lebenden,
der dieser Aufgabe gewachsen wäre, kannte er nicht. Und indem er dies
konstatierte, empfand er es als eine seelische Befriedigung, wie ein
großes Kompliment für das ganze männliche Geschlecht. Wenigstens vom
Standpunkte des Malers.

Flocki hatte sich mittlerweile persönlich aus seinem Körbchen bemüht
und hatte die ihm äußerst unsympathische Schwester seiner gütigen
Herrin zunächst und von der Ferne durch feindliches Knurren begrüßt.
Dann hatte er sich, eingeschüchtert durch eine drohende Gebärde
Adelgundens, zu Emil begeben, an dessen Hosenbein er sich mit ehrender
Zutraulichkeit und großer Energie das Fell rieb.

Als Adelgunde den mißvergnügten Köter bemerkt hatte, erhellten sich
ihre Züge. Sie wußte, an welcher Stelle sie ihre Schwester kränken
konnte.

„Da ist ja auch der häßliche Butz,“ sagte sie, einen horngefaßten
Kneifer aufsetzend, der sie um nichts schöner machte.

„Ich habe dir schon mindestens zwanzigmal gesagt, daß der Hund nicht
Butz, sondern Flocki heißt,“ belehrte Eleonore, aufgebracht über die
Mißachtung, der ihr Liebling begegnete.

Flocki verstand, daß von ihm die Rede war. Er hörte sofort auf, sich
an Emils Hosenbeinen zu schaben und sah mit schiefgelegtem Kopf und
mißtrauischer Aufmerksamkeit nach Adelgunde.

Und richtig, die Kampflustige setzte ihre bedauerlichen Beleidigungen
fort:

„Solche Köter, die gar keiner Rasse angehören und gar keinen Charakter
haben, sollten immer ‚Butz‘ heißen. Butz schlechtweg. Niemals anders.
Und nun gar +der+! Ich begreife nicht, wie du mit deinem ewigen
Schönheitsgefühl dieses abscheuliche Tier um dich dulden kannst.
Freilich, er lobt ja deine Bilder. Der Gute, der Uneigennützige! Das
gibt ihm einen durchaus einzigen, unbestreitbaren Platz in deinem
Herzen. Du brauchst jemanden, der deine Bilder lobt. Aber das dürfte
dich doch nicht blind machen, daß er geradezu der Thersites unter den
Hunden ist. Und immer schmutzig.“

„Bitte, heute erst gebadet.“

Adelgunde ignorierte diese entrüstete Berichtigung. Sie wendete
sich nun direkt an Emil, der ziemlich geniert auf einem groben
Melkstuhl saß, den Eleonore einmal vor Jahren aus einer bescheidenen
Sommerfrische auf einer Schweizer Alm als sinnige Erinnerung
mitgebracht hatte.

„Haben Sie schon einmal einen zweiten Hund gesehen, der immer aussieht,
als sei er in eine Lehmgrube gefallen?“

Emil wich der direkten Antwort auf diese Frage aus.

„Flockis Fell nimmt merkwürdig leicht Staub an,“ entschied er, „aber
ich bin Zeuge, daß er fast täglich gebadet und sehr häufig am Tag
gebürstet wird.“

„Ja, +Sie+ sind Zeuge?“ lächelte Adelgunde spitz. „Sie sind wohl
der pädagogische und medizinische Beirat bei Flockis leiblicher und
seelischer Erziehung.“

„Im Hauptberuf,“ sagte Eleonore rasch und enthob dadurch den ob solcher
Anzapfung sichtlich verlegenen Emil der Antwort. „Im Hauptberuf
ist Herr Emil Steinbrink, wie ich dir vorhin schon erklärte, liebe
Adelgunde, Maler. Also ein Kollege von mir. Sogar ein Kollege, von dem
ich sehr viel halte.“

„Sogar!“ Adelgunde verbeugte sich mit leichtem Spott.

„Jawohl, meine Liebe, sogar! Er ist Landschafter und hat die Welt mit
den Augen des Poeten betrachtet. Daß er, wie die meisten ästhetisch
Veranlagten und wie alle +guten+ Menschen“ -- sie legte auf die
„guten“ Menschen einen bedeutsamen Nachdruck -- „nebenbei ein großer
Hundefreund ist, hat mir seine kollegiale Freundschaft noch wertvoller
gemacht.“

„+Noch+ wertvoller?“ Adelgunde schien das ironische Echo der Schwester
geworden zu sein.

Emil beschloß der peinlichen Szene ein erträgliches Ende zu geben.
Er erhob sich von seinem Melkstuhl und sagte mit einer linkischen
Handbewegung:

„Hier nebenan ist mein Atelier.“

„Hier -- +nebenan+?“

Adelgundens Gesicht nahm einen Augenblick den Ausdruck beleidigter
Tugend an.

„Ja, er ist ein sehr angenehmer Nachbar,“ kommentierte Eleonore
boshaft, „er spielt niemals Chopin, keine Trauermärsche und nichts
anderes, was ähnlich klingt.“

Emil begriff, daß Adelgunde nun wieder an der Reihe war für eine
bissige Bemerkung. Er beeilte sich also zu sagen: „Interessiert es Sie
vielleicht, mein Atelier zu sehen? Ich muß doch eben noch eine halbe
Stunde hinüber.“

Er hatte erwartet, daß Adelgunde ablehnen würde. Vielleicht mit
ironischem Dank, vielleicht gar mit einer beleidigenden Bemerkung.

Aber in der unangenehmen Dame schien die Neugier gesiegt zu haben. Sie
erklärte sich sofort zur Besichtigung bereit.

Jedenfalls kam er auf diese Weise hier los.

Die folgende Viertelstunde gehörte zu den wenigst genußreichen in Emils
Leben.

Es ist zwar nicht anzunehmen, daß Adelgunde überhaupt was von Bildern
verstand; in der Beurteilung von Emils Werken nahm sie jedenfalls
einen nüchtern ablehnenden Standpunkt ein. Sie behauptete, daß die
violette Farbe in der realen Welt sehr selten vorkomme. +Wenn+ sie aber
vorkomme, dann sehe sie nach ihren Beobachtungen anders aus, als Emil
sie wiedergab.

Sie sprach dann von seiner Vorliebe für Violett, wie von einem
schmerzlichen Sehfehler und diskutierte mit ernster Teilnahme die
Möglichkeit, dieses Gebrechen durch einen operativen Eingriff in das
Sehnetz zu heben. Sie kenne einen Augenarzt, der die merkwürdigsten
Operationen mache. Eine sehr distinguierte Dame, mit der sie früher
vierhändig Klavier gespielt habe, sei von dem unglücklichen Fehler
behaftet gewesen in allen hellen Dingen einen dunklen Punkt zu sehen.
Einen Punkt von der Gestalt und Farbe einer Baumwanze. Diese Baumwanze
habe ihr der Doktor aus dem Auge herausgeschnitten. Es sei natürlich
keine wirkliche Baumwanze gewesen, sondern, wie sie vermute, ein
häßlicher Fleck in der Pupille. Die distinguierte Dame sei nach der
wohlgelungenen Operation sehr glücklich gewesen, habe vier Wochen
nach Vorschrift im dunklen Zimmer gesessen zur Nachkur und sei leider
in der fünften ganz plötzlich gestorben. Ein sehr trauriger Fall,
der aber niemanden abschrecken dürfe, eine Operation zu wagen. +Sie+
z. B. würde in Emils Fall lieber heute als morgen ihre Zuflucht zur
Operation nehmen. Es müsse doch geradezu schauderhaft sein, die ganze
Welt, den Himmel, die Bäume, die Menschen, alles violett zu sehen. Auch
der Wahnsinn beginne sehr häufig, wie sie aus sehr ernst zu nehmenden
Büchern wisse, mit solchen Gesichtsstörungen ...

So plauderte sie in ihrer gewinnenden Weise noch vieles, das den
Verfertiger der violetten Bilder ähnlich sympathisch berühren mußte.

Dann empfahl sie sich, nicht ohne Flocki aus Versehen auf die Pfoten
getreten zu haben; eine Ungeschicklichkeit für die der davon Betroffene
mit dem ihm eigenen maßlosen Geheul quittierte.

Vollständig mit der Untersuchung und der Pflege des Patienten
beschäftigt nahm die empörte Eleonore keinerlei Notiz davon, als die
Schwester davonrauschte.

Emil begleitete sie bis zur Treppe und empfing dort ihre letzte
dringende Ermahnung, lieber so lange +nicht+ mehr zu malen, bis die
empfehlenswerte Operation vorgenommen sei.

Sie war schon auf der Treppe, da raffte Emil, der bis dahin mit der
Geduld eines Märtyrers die Freuden dieses Besuches, der ihm eigentlich
gar nichts anging, ertragen hatte, zu einer kleinen, bescheidenen
Bosheit auf.

„Alles, liebes Fräulein,“ sagte er, „+alles+ sehe ich nun doch nicht
violett. Zum Beispiel ihren schönen Hut empfinde ich durchaus gelb.“

„So. Empfinden Sie ihn gelb?“ sie lächelte ihm geschmeichelt zu. „Nun,
sehen Sie, ich kann Ihnen versichern: er +ist+ auch gelb. Ein kräftiges
Kanariengelb. Ich liebe überhaupt das Kräftige.“

Und damit stieg die freundliche Dame, die das Kräftige liebte, mit dem
kanariengelben Hut die Treppe hinunter.

Das war am Abend des 24. Mai.

Emil ahnte nicht, welche Bedeutung einmal für ihn dieses Datum gewinnen
sollte. Und als er in sein Atelier zurücktrat und Eleonore zwischen
all den violetten Bildern mit finster verkniffenen Lippen in seinem
antiquarisch gekauften Sicherheitstriumphstuhl sitzend fand, immer noch
den wimmernden Flocki betreuend, da konnte ihm nimmermehr der Einfall
kommen, daß diese Stunde in der Freundin einen Entschluß gereift habe,
der ihn sehr nahe anging.

Ihr Urteil über die Schwester aber faßte Eleonore, ehe sie mit Flocki
ging, nur in die knappe Charakteristik zusammmen:

„Es ist eine +widerliche+ Person!“

Emil war zu höflich, zu widersprechen.

       *       *       *       *       *

Am andern Mittag saßen sich Emil und Eleonore schweigsam bei ihrem
bescheidenen Mahl gegenüber.

Die Schweigsamkeit des Menschen kann sehr verschiedene Ursachen haben.
Hier zwei Beispiele. Emil schwieg, weil das Menü sehr minderwertig
zusammengesetzt war. Es gab Erbsensuppe mit Schweinsohren, für die
Emil sein Leben gelassen hätte, wenn sie gut gewesen wäre. Sie war
angebrannt. Und dann Brathecht mit grüner Sauce. Die Suppe beschäftigte
sein enttäuschtes Gemüt; der Hecht, den er minder schätzte, wandte
sich mehr an seine Intelligenz und nahm mit seinen Gräten seine volle
Aufmerksamkeit in Anspruch. Um so mehr, als Fischessen eine Kunst und
ein Probierstein guter Erziehung ist und er sich vor Eleonore keine
Blöße geben mochte.

Eleonore aber schwieg, weil ihr vielerlei im Kopfe herumging und das
Herz bewegte. Vielerlei, das mit der Erbsensuppe und dem Brathecht in
gar keinem Zusammenhange stand.

Plötzlich legte sie die Gabel hin, sah Emil ernst und fest in die Augen
und fragte mit einer Stimme, der man tiefe, seelische Erregung leicht
anmerken konnte.

„Wenn ich +stürbe+, mein lieber Freund, würden Sie wohl dem armen
Flocki ein Vater und Versorger sein?“

„Wenn Sie -- +was+?“ Emil war froh, besonderes Interesse an der
Unterhaltung heuchelnd, den Brathecht beiseite schieben zu können,
dessen Todestag, wie ihm schien, schon etwas ferne lag.

Eleonore wiederholte mit genau demselben schwermütigen Tonfall ihre
ernste Frage.

„Aber natürlich, Fräulein Eleonore. Sie wissen doch, mein Herz --
Pikkolo nehmen Sie doch endlich den Brathecht weg! -- mein Herz hängt
an dem Tier. Ich habe mich so an ihn gewöhnt und --“

Eleonore reichte über den leeren Brotkorb dem Freunde die Hand. Sie
war gerührt. Tränen standen in ihren Augen, und ihre Nasenspitze
war elfenbeinweiß und zuckte leise, was stets bei ihr ein Zeichen
besonderer seelischer Erschütterung war.

„Ich +danke+ Ihnen,“ sagte sie, in jedes Wort eine Fülle glückseliger
Empfindung gießend, als habe er ihr soeben Holländisch-Indien als
souveränes Fürstentum geschenkt.

Emil empfand die Feierlichkeit peinlich. Er liebte das Feierliche
überhaupt nicht in öffentlichen Lokalen. Am wenigsten, wenn ein
unerzogener Pikkolo in der Nähe stand, der seine schaufelförmig
abstehenden Ohren ausgiebig zur aufmerksamen Teilnahme an den
Gesprächen der Gäste benutzte.

„Aber, liebes Fräulein,“ wehrte der Maler geniert und halblaut ab,
„nein wirklich, wie können Sie jetzt vom Tode -- heute gerade vom Tode
reden! Sie -- in der Blüte der Jahre, in der Fülle der Kraft, in der --
in der -- --“

„Nehmen die Herrschaften Obst oder Käse?“ fragte der Pikkolo.

Emil war ihm dankbar für die Störung. Denn seine Beredsamkeit hatte ihn
in eine lichtlose Sackgasse geführt. Er bestellte den steinharten Käse,
den man hier, weil er etwas altes Stanniol auf der Oberfläche zeigte,
„Chamambert“ nannte.

Aber Eleonore kam mit der ganzen Zähigkeit des Frauengemüts auf den ihr
lieben Gedanken zurück.

„Wenn Sie wüßten, wie mich das beruhigt. Es gibt mir geradezu das
seelische Gleichgewicht wieder, das ich verloren hatte --“

Emil ließ einen Grunzton hören, der immerhin ein Bedauern und ein
Befremden über das verlorene Gleichgewicht bedeuten konnte.

„Ich weiß, +Sie+ verstehen mich,“ fuhr Eleonore fort, während sie
Flocki, der einen Gast am Nebentisch einen Geflügelknochen behandeln
sah und unschöne Zeichen einer durchaus mißgünstigen Stimmung an den
Tag legte, beruhigend an sich zog. „+Sie+ ganz allein. Ruhig, Flocki,
nicht heulen! Als gestern meine Schwester ging, stand mein Entschluß
fest, felsenfest, wie die Mauer von Jericho.“

Eleonore liebte solche kühnen Vergleiche, die zu denken gaben. Emil
überlegte, daß sie außer der Mauer von Jericho auch den Käse, den
er hilflos zwischen den Kiefern umherschob, ganz gut zum Vergleich
für die Festigkeit ihres Entschlusses hätte heranziehen können. Aber
worin dieser Entschluß bestand, das erforschte er weder durch emsiges
Nachdenken, noch erfuhr er es an diesem Tage aus Eleonorens Munde.

Flocki, tieferregt über den Herrn mit dem Geflügelknochen, hatte Händel
an dem Nebentisch gesucht und dafür einen Tritt bekommen. Sein Schmerz
über diese unwürdige Behandlung machte sich in kläglichen Lauten Luft.

Eleonore, schon seelisch erregt durch die ernsten Erwägungen ihres
Todesfalls, gebrauchte alsbald heftige Ausdrücke gegen „miserable
Tierquäler“, „mitleidlose Barbaren“ und „unerzogene Menschen“.
Bemerkungen, die der Herr mit dem Geflügelknochen leider auf +sich+
beziehen mußte. Er wischte sich denn auch sofort die fetten Finger an
der Serviette ab, sah durch eine sanftblaue Brille die erzürnte Dame
von der Seite an und gab ihr -- natürlich ohne sich vorzustellen -- den
wohlmeinenden Rat, ihren Köter besser zu erziehen.

Eleonore, die gerade auf Flockis Erziehung sehr stolz war, setzte
leider, aufs neue gereizt, das unersprießliche Gespräch durch die
spitze Bemerkung fort, daß es mehr unerzogene Geschöpfe auf +zwei+
Beinen, als auf vier Beinen gebe. Und obschon Eleonore, als sie diesen
allgemeinen Vorwurf aussprach, dem Herrn mit dem Geflügelknochen
dicht am Ohr vorbei sah, bezog dieser ungemütliche Mann die Äußerung
doch wiederum auf sich. Er nannte nunmehr Flocki „eine unglückliche
Kreuzung von einer Fischotter und einem Schaukelpferd“ und sprach den
Verdacht aus, daß diese Mißgeburt beträchtliches Ungeziefer habe.
Seine von keinerlei Sympathie getragenen Betrachtungen über Flocki
und Flockis Geschlecht gipfelten in dem mit apodiktischer Sicherheit
abgegebenen Spruch, derartige Geschöpfe gehörten in keine anständigen
Lokale, und es sei noch zweifelhaft, ob man den Wirten, die sie zur
Unbequemlichkeit ihrer Gäste dennoch hereinließen, nicht juristisch und
strafrechtlich beikommen könne.

Das war der Moment, in dem der Wirt sich in das Gespräch mischte.

Nicht eigentlich in den Streit. Denn das Gebot solonischer Weisheit,
daß der Athener in jedem Streit zwischen Zweien Partei ergreifen müsse,
schien ihm außerhalb des alten Athens keine Geltung zu besitzen. Oder
er kannte es überhaupt nicht. Er beschränkte sich also darauf, milde,
beruhigende Worte an Eleonore zu richten und ähnliche Ermahnungen an
den Herren mit dem Geflügelknochen.

Als dieser ihn aber ärgerlich einen „alten Trottel“ nannte, ohrfeigte
er unverzüglich den Pikkolo, der sich an dieser häßlichen Bemerkung des
Herrn mit dem Geflügelknochen unziemlich erfreut hatte. Dann ging er
nach dem Büfett, um das rothaarige Büfettfräulein anzuschreien, was ihm
die am meisten ungefährliche Art erschien, seinen Ärger los zu werden,
ohne dabei einen zahlungsfähigen Gast zu kränken.

In Emils Seele wallten während dieser Szene allerlei ritterliche
Gefühle. Von dem Entschluß, dem Herrn mit dem Geflügelknochen
Ohrfeigen anzubieten, hielt ihn die kluge Einsicht zurück, daß dieser
unangenehme Mensch einen geradezu athletischen Körperbau zeigte. Eine
Pistolenforderung schien ihm aussichtslos. Und dann, er hatte niemand
zur Hand, der sie überbracht hätte. Auch wußte er nicht, ob der Herr
mit dem Geflügelknochen nicht etwa ein Kunstschütze war. Und da er nun
so gar nicht ahnte, was er in dieser peinlichen Situation unternehmen
sollte, machte er sich wichtig und umständlich mit Flocki zu schaffen,
der sich immer noch in der Rolle des Gekränkten gefiel.

„Gehen wir,“ sagte Eleonore plötzlich. Und Emil war herzlich froh, daß
die unerquickliche Unterhaltung zu Ende war.

Der Pikkolo, der an seinen Tränen schluckte, riß ihnen die Türe
auf. Und hinter der wie eine siegreiche Königin einherschreitenden
Eleonore gewann Emil sehr zu seiner Erleichterung die freie Luft. Eine
neugierige Wendung hatte ihm noch gezeigt, daß der Feind, der sie
vertrieb, bereits seinen Geflügelknochen wieder ergriffen hatte und an
ihm herumnagte, als sei gar nichts geschehen.

Eleonore war schweigsam auf dem Weg zu den Ateliers. Nur einmal machte
sie plötzlich die, wie es schien, mehr für sich selbst als für Emil
bestimmte Bemerkung, sie habe vor drei Jahren in der Schweiz am Genfer
See einen Herrn aus St. Gallen an der Table d’hote getroffen, der das
zarte Geflügelfleisch so unmanierlich von dem Knochen abgelutscht habe,
daß sie sowohl, wie zwei alte holländische Damen die Pension gekündigt
hätten. Aber noch in Basel habe sie von diesem Menschen und seiner
barbarischen Art, zu essen, geträumt.

Emil, der froh war, daß ein Gespräch in Fluß kommen sollte, wollte die
spaßhafte Geschichte erzählen vom Schah Nasr-eddin, der beim Galadiner
in London die Spargelreste hinter sich warf. Aber Eleonore belehrte ihn
mit einem strengen Blick, dies sei eine Geschichte, die nicht hierher
passe. Sie rede von europäischer Flegelei und von Geflügelknochen.
Einem asiatischen Despoten verzeihe sie viel, einem Mitteleuropäer
wenig.

Und Emil dachte im Weitergehn darüber nach, wie dieses milde Urteil
Eleonorens wieder einmal den alten Erfahrungssatz bestätige, daß die
Stellung eines asiatischen Despoten ihre großen Annehmlichkeiten habe.

Nur Flocki hatte sichtlich alle trüben Erinnerungen von seiner Seele
geschüttelt und war von erfrischender Spaßhaftigkeit. Er erschreckte
artige Schulkinder durch Sprünge und unmotiviertes Gebell bis zu
Tränen, begleitete eine gelbe Postkutsche eine Strecke weit mit
beträchtlichem Lärm durch viele Pfützen, interessierte sich für die an
einem Laden in Körben ausgelegten Schellfische mehr, als dem Besitzer
lieb war, und mischte sich dann arglos unter das Publikum.

Im Atelier, als ihn Eleonore streicheln wollte, erwies es sich, daß
er auch Zeit gefunden hatte, an einer offenbar frischgestrichenen
Laterne zu rasten und daß ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner linken
Körperseite dick mit grüner Ölfarbe bestrichen war.

       *       *       *       *       *

Am folgenden Tag kam Eleonore nicht ins Atelier.

Der Portier, der bereits wieder bewundernd vor einem erst angefangenen
aber schon sehr violetten Bilde in Emils Malerwerkstatt stand, als
der junge Künstler, ein wenig verkatert von einem üblen Trunk, den
er am Abend zuvor getan, die Türe öffnete, überbrachte ihm ein
Billettchen der Freundin. Ein halbwüchsiges Mädchen, das in der kleinen
Privatwohnung Eleonorens die Aufwartedienste tat und in Erfüllung
dieser Obliegenheiten für dreimal soviel Geld zerschlug, als ihr
Lohn ausmachte, hatte das Briefchen gebracht. Es war mit Bleistift
geschrieben und enthielt nur diese wenigen Zeilen:

  „Lieber Freund!

  Ängstigen Sie sich nicht. Mir ist nicht wohl. Vielleicht war es die
  Aufregung gestern. Aber ich fühle, daß ich fiebere und habe häßliche
  Gliederschmerzen. Ich will einen Tag im Bett bleiben und denken, es
  macht sich rasch wieder. Vielleicht nehmen Sie Flocki heute mit zum
  Mittagessen?

  Das Mädchen wird Sie pünktlich um ein Uhr mit dem lieben Tier vor der
  Haustür erwarten. Sie holt ihn dann gegen Abend bei Ihnen im Atelier
  ab. Aber wenn’s Ihnen Mühe macht oder Verdruß -- dann natürlich nicht.

  Lüften Sie bitte ein bißchen in meinem Atelier. Und seien Sie schön
  bedankt und gegrüßt von Ihrer

  Eleonore Eikötter.“

An diesem Tag also aß Emil mit Flocki allein zu Mittag.

Es war ein trübseliges Diner. Er kam sich ganz vereinsamt vor. Um so
vereinsamter, als Flocki viel an andern Tischen hospitierte. Auch
der Herr mit dem Geflügelknochen war wieder da. Er aß aber diesmal
Sardellenklopps, was die Situation erleichterte.

Als das Mädchen am Abend kam, Flocki zu holen, berichtete sie, Eleonore
friere und mache gar merkwürdige Sprüche. Der Arzt sei dagewesen und
habe auf einem langen schmalen Zettel eine Medizin verschrieben. Sie
sehe aus wie Himbeersaft und koste 3,50 Mk., was sie -- Dortchen --
für eine Gemeinheit des Apothekers halte. Eleonore solle alle Stunde
einen Eßlöffel nehmen, und sie -- Dortchen -- müsse deshalb sofort
mit Flocki nach Hause. Für die Nacht habe sie ernste Befürchtungen,
da Eleonore die sonderbarsten Reden über eine Hummerschere und einen
Geflügelknochen führe. Sie -- Dortchen -- gehe deshalb stark mit dem
Gedanken um, den Laufburschen vom Bäcker gegenüber, der übrigens ein
sehr anständiger Mensch sei und eine derartige Bitte gewiß nicht
mißverstehen würde, zu ersuchen, mit ihr in der Nähe der Kranken zu
wachen. Augenblicklich sei die dicke Portiersfrau bei Eleonore, eine
unangenehme, geschwätzige Frau, die, wie man sich in der ganzen Straße
erzähle, mit dem Portier gar nicht richtig getraut sei, sondern „bloß
so“ zusammenwohne, was besonders deshalb sehr verwerflich sei, weil
der Portier schon morgens früh nach Kornschnaps röche und in ganz
roher Weise selbst auf die Treppen spucke, was doch allen andern im
Treppenhaus Verkehrenden durch Anschlag verboten sei.

Nachdem sie alle diese interessanten Mitteilungen ohne Punkt und
Semikolon gemacht hatte, entfernte sie sich sichtlich erleichtert mit
Flocki und ließ Emil mit sehr violetten Gedanken unter seinen Bildern
zurück.

Am nächsten Tage hörte er nichts von Eleonore. Er konnte es sich nicht
verhehlen, er war ernstlich beunruhigt.

Und als es sechs Uhr abends war und er immer noch ohne Gruß und
Nachricht war, ging er nach ihrer Wohnung. Erst umkreiste er in
gemessenem Schritt das Haus mehrfach, bis er das Mißtrauen sämtlicher
Portiers der Nachbarschaft erweckt hatte. Dann faßte er einen
raschen Entschluß, trat ein und stieg die Treppen. Ein Jüngling mit
vorstehenden grasgrünen Zähnen öffnete ihm die Tür und stellte sich
als der Laufbursche vom Bäcker vor, der eben mal ’rübergekommen sei,
um nach dem Rechten zu sehen. Dortchen, das tüchtige Mädchen, sei in
der Apotheke. Es stehe schlimm mit dem Fräulein. Der Arzt sei sogar
zweimal dagewesen, aber sie halte ihn unbegreiflicherweise für einen
Kaminkehrer -- vielleicht weil er der vielen Trauer wegen, die sein
Beruf bringe, so schwarz angezogen sei -- und wollte gar nichts von
ihm wissen. Auch Flocki erkenne sie nicht mehr. Sie behaupte, er
sei eine sibirische Fischotter und befehle unaufhörlich, ihn mit
lebendigen Sardellen zu füttern. Was den schwarzgekleideten Doktor
anbetreffe, so sei das zweifellos ein sehr gelehrter Herr, aber leider
wenig mitteilsam. Er habe dem Dortchen bloß gesagt, sie solle das
Rezept in die Apotheke tragen und dann schleunigst die Schwester --
nämlich von der Kranken, nicht von Dortchen, die nur einen Bruder
habe -- verständigen, daß es nicht zum Besten um die Kranke stehe.
Übrigens sei das Kranksein für vermögliche Leute nicht mit so vielen
Unannehmlichkeiten verbunden, wie für arme Teufel. Er habe z. B.
eine Tante gehabt, die sei am kurzen Atem gestorben und habe vorher
herzzerbrechend gejammert und geklagt. Und er sei überzeugt, daß sich
das mit dem kurzen Atem gegeben hätte, wenn die Tante zufällig mit
einem Kommerzienrat im Tiergartenviertel verheiratet gewesen wäre,
anstatt mit einem Chausseearbeiter in Alt-Moabit.

Gerade als der Jüngling mit den grünen Zähnen dabei war, Emil auch
noch von diesem Onkel Rührendes zu erzählen, der dann als Witwer sehr
interessante Erlebnisse mit einer Obstfrau am Spittelmarkt hatte,
leuchtete Adelgundes kanariengelber Hut die Treppe hinauf. Hinter ihr
keuchte Dortchen, die sehr erhitzt aussah und in einemfort redete, ohne
zu verlangen, daß ihr jemand zuhörte.

Adelgunde war zunächst der Ansicht, daß Eleonore bestimmt gewußt
habe, daß sie -- Adelgunde -- heute abend ihr Whistkränzchen bei der
einäugigen Steuerrätin habe, und daß sie sich deshalb diesen Tag zum
Krankwerden ausgesucht habe. Rein aus Schikane.

Als aber Adelgunde nach kurzer Zeit aus dem Krankenzimmer auf den
Flur trat, wo Emil im Dunkeln auf einer hügeligen Holzkiste sitzend
voll Unruhe auf ihre Mitteilungen gewartet hatte, da war sie doch
recht ernst. Eleonore hatte die Schwester in ihren Phantasien für die
merkwürdige George Sand gehalten, deren Lebensbeschreibung sie kurz
vorher gelesen hatte, und mit Beziehung auf ihren gelben Hut gesagt,
sie finde es sehr lustig, daß so eine große Schriftstellerin einen
Eierkuchen auf dem Kopfe trage.

Sehr bekümmert schlich Emil davon. Er hätte so gern irgend etwas für
die kranke Freundin unternommen. Aber es blieb da nichts zu tun. So
ging er in sein Heim, legte sich ohne Abendessen zu Bett und warf
sich den größten Teil der Nacht von einer Seite auf die andere,
ohne schlafen zu können. Als er aber gegen Morgen doch noch etwas
einduselte, träumte er, Flocki sitze mitten auf seiner Brust und knurre
ihn, den struppigen Kopf auf die Seite gelegt, boshaft und feindselig
an. Und Flocki wurde immer schwerer; schon wie ein Kalb, wie ein
Pferd, wie ein Elefant. Emil spürte deutlich, wie seine Rippen im
Brustkorb krachend zersprangen unter der wachsenden Last von Flockis
märchenhaftem Gewicht ...

Als er um 9 Uhr aufwachte, stand der Jüngling mit den grünen Zähnen an
seinem Bett. Wie er hineingekommen, bleibt ein Rätsel. Der angenehme
junge Mann trug keinen Kragen und roch bedenklich, als ob er sich statt
mit Kaffee mit einem nicht zu knappen Schluck Branntwein erfrischt
hätte. Das Wesentlichste seines etwas verworrenen Berichtes lautete:
Es gehe Eleonore sehr übel, und der schwarzgekleidete Arzt gebe
wenig Hoffnung. Dortchen habe gemeint, der Herr Maler interessiere
sich dafür, und so sei er rasch hergekommen. Er habe übrigens die
Elektrische benutzen müssen -- auch auf dem Rückweg könne er dieses
Verkehrsmittel nicht entbehren --, wodurch ihm Unkosten von zwanzig
Pfennigen entstanden seien.

Emil entließ den Jüngling, der ihm antipathisch war, mit einem
50-Pfennigstück als Belohnung und zog sich rasch an. Ihm war sehr
seltsam zumute. Eleonore war ihm ein lieber Kamerad gewesen, und es
schien ihm, als ob er sie zu seiner Kunst brauche, wie sie ihn.

Er hatte sich an sie gewöhnt, und es hatte ihm auch geschmeichelt, daß
diese selbständige, pekuniär unabhängige Dame, die schließlich Verkehr
genug gefunden hätte, gerade auf sein Urteil, sein Gespräch und seine
Gesellschaft besondere Stücke zu halten schien. Etwas in seinem Leben
war aus dem Gleichgewicht gekommen durch ihre Krankheit; und es kam ihm
vor, als ob er ihr irgendwie helfen könne und müsse.

Er konnte +nicht+ helfen.

Auf der Treppe von Eleonorens Wohnung begegnete er dem Arzt. Der
betrachtete auf seine ängstliche Frage erst längere Zeit Emil
aufmerksam durch seine Brillengläser, dann nicht minder aufmerksam
seine eigenen Fingernägel, um schließlich mit einem: „Ja, ja,
Verehrtester, +hoffen+ wir!“ an ihm vorbei die Treppe hinunter zu
steigen.

Aus diesem Ausspruch, dem auch ein medizinisch besser Vorgebildeter
keine klare Diagnose hätte entnehmen können, schöpfte Emil nichts
weniger als Hoffnung und Zuversicht. Wenn keine Gefahr war, hätte
der Doktor gewiß nicht solange schweigend seine eigenen Fingernägel
betrachtet, an denen nicht die geringste anatomische oder ästhetische
Besonderheit zu bemerken war.

Oben wirkte Adelgunde. Das heißt, da die Kranke selbst im Fiebertraum
liegend eigentlich sehr wenig Gelegenheit gab, eine energische
Wirksamkeit, die zu üben Adelgunde gekommen war und den kanariengelben
Hut abgelegt hatte, zu betätigen, so beschränkte sich die Hilfreiche
darauf, unzählige Gegenstände von ihrem offenbar sinnvoll gewählten
Platz zu entfernen und an einen andern zu stellen. Wobei sie mit jener
gedämpften Behutsamkeit zu Werke ging, die in ihrer Absichtlichkeit
einen Kranken, der das Bewußtsein noch nicht ganz verloren hat,
besonders heftig erregen muß.

Auch Emil mußte sofort helfend zur Hand gehn. Es tat ihm in seiner
Besorgnis wohl, daß er irgend etwas in der Nähe der Kranken tun konnte,
ohne allerdings recht einzusehen, warum er gerade die kümmerlichen
kleinen Palmen und fast entblätterten Geranien aus dem engen Wohnzimmer
auf den Vorplatz tragen und das eiserne Schirmgestell vom Vorplatz
auf den bescheidenen Balkon setzen mußte. Aber Adelgundes gedämpfte
Feldherrnstimme ordnete das alles mit solcher Sicherheit an, daß wohl
ein tiefbedeutungsvoller Plan diesen wunderlichen Verrichtungen
zugrunde liegen mußte.

Als sich Emil bei solcherlei Geschäften, immer auf den Zehen
schleichend wegen der Kranken, tüchtig in Schweiß gearbeitet hatte,
erwies es sich, daß es Zeit war, Flocki an die frische Luft zu
führen. Eine Aufgabe, zu der sich wieder niemand besser eignete als
Emil. Als er Flocki, der Veranlassung genommen hatte, am Rade eines
Flaschenbierwagens sich reichlich das Fell mit Teer zu besudeln, wieder
oben ablieferte, erfuhr er, daß Eleonorens Fieberthermometer unter der
Achselhöhle 40,1 anzeige. Also sehr hohes Fieber.

Er hörte auch durch die halbgeöffnete Tür die kranke Freundin
phantasieren. Sie erzählte in heiseren, abgehackten Sätzen, daß sie,
sobald die Tage schöner würden, nach Delft zu Pieter de Hooch reisen
wolle, um dem Verschmitzten seine Beleuchtungseffekte abzugucken.

„Wer ist denn das?“ fragte Adelgunde leise den Maler.

„Das ist ein Maler aus Rembrandts Schule. Mehr als zweihundert Jahre
tot.“

Adelgunde nickte nur. Sie hatte vermutet, daß der Mann tot war. Nach
einer Weile forschte sie weiter.

„Sie hat vorhin auch immer von einem gewissen Hundeköter gesprochen?
Ich dachte erst, sie meint Flocki, aber es scheint fast -- --“

Der Maler nickte. „Ganz recht. Melchior d’Hondecoeter, der feine
Geflügelmaler aus dem Haag ...“

Und als hätte sie’s gehört, schrie plötzlich die Kranke: „Ich will auch
Enten malen, wie Hondecoeter. Und Flocki soll die Knochen haben. Alle
Knochen soll Flocki haben -- alle!“

       *       *       *       *       *

Eleonore Eikötter hat keine Enten mehr gemalt. Weder wie Hondecoeter,
noch minder talentvoll.

In der Nacht ist sie eingeschlafen, so gegen drei Uhr, was die bei
ihr wachende Adelgunde so sehr beruhigte, daß sie bald ebenfalls
einschlief. Nur mit dem Unterschied, daß Adelgunde kurz nach sieben
wieder aufwachte. Eleonore aber wachte nicht mehr auf.

Sie lag ganz blaß und mit einer seltsam zugespitzten Nase, ein wenig
jenem Jugendbilde wieder ähnlich, das die Erbtante entzückt hatte, in
ihren reinlichen Kissen und war bereits mehrere Stunden tot, wie der
rasch gerufene Arzt konstatierte ...

Das Benehmen Flockis war durchaus pietätlos in diesen trüben Stunden.

Man erzählt, daß edle Hunde tief und ehrlich, wie Menschen, um ihren
Herrn trauern, ja, daß sie keinen Bissen annehmen tagelang. Und
mehr als ein Fall gilt als gutbeglaubigt, in dem so ein treues Tier
auf dem frischen Hügel seines Herrn in Wind und Wetter Wache hielt
und schließlich elend verhungerte. Solchen erschütternden Neigungen
war Flocki durchaus nicht unterworfen. Verschiedene Kränze, die
am Morgen abgegeben wurden, genierten ihn zwar sichtlich, und die
scharfriechenden Tuberosen brachten ihn zum Niesen. Das war aber auch
alles, was an Veränderungen an ihm zu merken war. Im übrigen war er
gefräßig wie nur je, verfolgte nach wie vor den Briefträger mit seinem
Haß und machte sich bei den Zimmerleuten, die wegen des Sarges kamen,
angenehm, da er das Wurstfrühstück roch, das die Männer in der Tasche
hatten.

Emil half Adelgunde bei all den trübseligen Verrichtungen, die der Tod
eines Menschen seinem Nächsten aufbürdet.

Der zur standesamtlichen Meldung nötige Geburtsschein Eleonores war
lange nicht zu finden. Adelgunde, die ein zu enges Trauerkleid gekauft
hatte und die Arme nicht bewegen konnte, ohne daß es in allen Nähten
krachte, bat Emil, in den tiefen Schubladen des Schreibtisches mit
seinen langen und an keiner Bewegung gehinderten Armen danach zu
fischen.

Während sie ernst beaufsichtigend dabei stand, zog Emil die seltsamsten
Dinge aus diesen peinlich sauber mit blauem Seidenpapier ausgelegten
Fächern. Fast kam es ihm wie ein Unrecht an der toten Freundin vor,
daß er hier so offen ausbreitete, was sie in all ihren Gesprächen
schamhaft verschwiegen. Da war das schon vergilbte Bild eines Herrn,
der sich durch ein paar vorbildlich schöne Tiefquarten im hübsch
ausrasierten Kinn als akademischer Bürger auswies. In der Nähe dieses
Porträts, an dessen Rand eine Dedikation ausradiert schien, fanden sich
ein paar getrocknete Blumen vor, die in Emils Fingern leise knisternd
zu Staub zerfielen. Ein Gedichtsbändchen: Rückerts Liebesfrühling,
der viel angestrichene Verse zeigte. Ein paar geknickte Tanzkarten,
die in Schmuck und Druck die ganze Geschmacklosigkeit einer kleinen
Stadt und in der Kritzelschrift die Autogramme vieler unbekannter
Kavaliere aufwiesen ... Wieviel Freude und Weh mochte für die Tote an
all diesem wertlosen Kram gehaftet haben, daß sie ihn so lange unter
sauberem Seidenpapier, von bunten Bändchen umschlossen, bewahrte! Die
traurig-sehnsüchtige Weise des alten Volksliedes zog Emil durch den
Sinn: Lang, lang ist’s her -- lang ist’s her ...

Nebenan im Sterbezimmer aber stand die Portiersfrau im ganzen
fassungslosen Schmerz solcher ungebildeten Leute, die in jedem Toten
schon ihr eigenes nahes Ende beklagen, und schluchzte, während sie der
Toten einen Veilchenstrauß in die kalten Finger stopfte, immer wieder:
„Nein doch, nein -- jetzt -- jetzt sieht man’s erst, wie +schön+ sie
einmal gewesen sein muß, das liebe Fräulein!“

Schön --? Wer weiß. Aber jung -- gewiß einmal jung. Mit allen
Torheiten, Hoffnungen, Seligkeiten der Jugend, mit all den Träumen, die
nicht davon wissen, daß dies Leben einmal, kaum beweint und ohne eine
Lücke zu lassen, zwischen schlechten Bildern endigt. Aber weit zurück
lagen die Träume ... Und als Emil den Geburtsschein endlich, in ein in
lila Sammet gebundenes Konfirmationsbüchlein versteckt, gefunden hatte,
las er nicht ohne Erstaunen die Jahreszahl ...

Bei dem Suchen nach dem Geburtsschein war übrigens ein anderes
wichtiges Papier den beiden in die Hände gekommen. Ein mit einem
Rembrandtkopf zugesiegeltes Kuvert, das ganz obenauf in der
Mittelschublade lag und in Eleonorens starker Handschrift, deren
Energie sogar in diesen langen Buchstaben mit einer gewissen stolzen
Absichtlichkeit betont schien, die Aufschrift trug: „+Mein Testament+“.

Als alles auf dem Standesamt, mit Schreiner, Pfarrer und Blumenhändler
für das Begräbnis geordnet war, fand Adelgunde dieses Kuvert auf dem
Topf einer kleinen Dattelpalme wieder, wohin sie es in der Eile beim
Suchen nach dem momentan wichtigeren Geburtsschein gelegt hatte.

Eine Weile betrachtete sie es unschlüssig. Dann ging sie an die Tür
und rief nach Emil, den sie in diesen Tagen wie einen anstelligen
Haushofmeister zu behandeln gelernt hatte, und der in den kleinen und
kleinlichen Besorgungen für das Begräbnis seinen ehrlichen Schmerz
betäubte und die innere Leere zu vergessen suchte, die ihm der Heimgang
der einzigen Freundin seiner Person und seiner violetten Kunst
hinterlassen hatte.

Emil verhandelte gerade an der Flurtüre mit einem etwas angetrunkenen
Herr, der behauptete, früher Kantor an der Simonskirche gewesen
zu sein, und sich eifrig erbot, mit drei andern, ebenfalls sehr
talentvollen Sängern, die einen guten schwarzen Rock besäßen, für 20
Mk., worauf allerdings ein Vorschuß zu zahlen sei, und zwei Flaschen
Weißwein (roten trinke er nicht) einige Quartette zum besten zu geben,
ohne die eine „anständige Leiche“, wie er versicherte, „überhaupt nicht
mehr bestehen könnte“.

Als Adelgunde, einen nicht zu überhörenden strengen Vorwurf im Ton, zum
dritten Male rief, schob Emil den angesäuselten Quartettsänger sanft
aus dem Korridor und schloß die Tür, hinter der man den ehemaligen
Kantor der Simonskirche noch einige sehr kräftige, aber unhöfliche
Worte sprechen hörte, ehe er einige Proben seiner Gesangskunst gratis
spendend die Treppe hinunterstolperte.

„Hier ist eine merkwürdige Sache,“ meinte Adelgunde, als Emil zu ihr
trat und deutete auf das Kuvert. „Lesen Sie die Aufschrift!“

Emil hatte sie schon gelesen. Er war es ja überhaupt gewesen, der das
Papier gefunden hatte.

„Was meinen Sie?“

Emil meinte zunächst +nichts+. Das war so in schwierigen Fällen seine
vorsichtige Gewohnheit.

„Ich denke,“ fuhr Adelgunde etwas ärgerlich über sein Schweigen fort,
„Sie werden mir doch irgendeinen intelligenten Vorschlag machen können.“

Emil konnte keinen intelligenten Vorschlag machen. Sein Gesicht
täuschte in diesem Moment nicht darüber. Er hatte noch nie ein
Testament in der Hand gehabt und hatte sein Gehirn niemals mit ernsten
Erwägungen, was etwa mit solchem wichtigen Papier nach dem Tode des
Erblassers zu geschehen habe, belastet.

„Ich denke,“ sagte Adelgunde nach einer Weile, „ein Testament war hier
kaum nötig. Verwandte außer mir hatte die gute Eleonore nicht. Das
müßte ich wissen, da ich die Schwester bin.“

Das leuchtete Emil ein. Adelgunde +mußte+ das wissen. Das heißt ... Ihm
zuckte ein Gedanke durch den Kopf. Der Herr mit den Tiefquarten im Kinn
-- die zerknitterten Tanzkarten -- die staubigen Veilchen -- -- Sollte
etwa irgendwo ...? Man hörte zuweilen solche verblüffenden Sachen oder
las davon im „Vermischten“ der Zeitungen. Bei seiner Tante Barbara in
Limburg hatte eine schwächliche Köchin fünf Jahre gedient, und niemand
hatte eine Ahnung, daß diese mürrische und kränkliche Person in einem
Dorf der Wetterau zwei hervorragend gesunde Jungen hatte ... Aber das
war ja Unsinn. Eleonore, dieses treuherzige Wesen mit allen kleinen
Eigenheiten eines späten Mädchens. Nimmermehr!

Adelgunde war, als Emil wieder zuhörte, in ihren Bemerkungen zu diesem
überflüssigen Testament gerade zu einem kühnen Schluß gekommen. „Es muß
vielmehr dieses versiegelte Papier irgendeinen besonderen Wunsch der
Pietät enthalten. Vielleicht eine Bestimmung über die Bilder, die sie
gemalt hat --“ Selbst die Trauer vermochte nicht ganz ein malitiöses
Lächeln von den Lippen Adelgundens zu scheuchen, als sie vollendete:
„Vielleicht hat sie nicht gewünscht, daß gerade diese Werke ihrer
Hand in meinen Besitz übergehen und mich so zwingen, aus Pietät für
die Tote, täglich Dinge um mich zu sehn, deren Vorbilder ich im Leben
nicht zu entdecken vermag. Vielleicht hat sie die Schwäche gehabt,
diese Malereien einer Galerie als Erbschaft anzubieten -- wovon wir
allerdings Scherereien haben könnten -- oder sie hat bestimmt, daß ein
oder das andere davon -- Ihnen ...“

„Mir?“ ...

An +diese+ Möglichkeit hatte Emil absolut nicht gedacht. Er fühlte,
er war ganz blaß geworden. Für ihn war der Gedanke, im Testament
irgend eines Menschen erwähnt zu sein, und sei’s auch nur mit einem
mittelmäßigen Ölbild bedacht (von welchem einzigen Artikel er
eigentlich reichlich genug hatte), ein so Außergewöhnliches, daß ihn
die bloße Andeutung wie ein großer Schreck berührte. Wenn ihm plötzlich
ein makedonischer Landgensdarm die weißbehandschuhte Rechte wuchtig auf
die Achsel hätte fallen lassen und ihn angebrüllt hätte: „Im Namen des
Sultans, Sie sind verhaftet!“ er hätte -- obschon sich keiner Freveltat
bewußt -- nicht heftiger bis in die Knochen erschrecken können.

„Es wäre immerhin möglich,“ fuhr Adelgunde fort, indem sie das
geheimnisvolle Kuvert gegen das Licht hielt, als ließe sich dadurch
sein Inhalt leichter feststellen, „wäre möglich, daß sie Ihnen
mindestens die zwei Bilder wieder vermacht hätte, die sie Ihnen einst
abgekauft hat. Daß ich Ihren aparten violetten Geschmack nicht teile,
wußte sie vielleicht --“

„Sie haben mit Ihrem Urteil ja nicht zurückgehalten,“ wagte Emil, dem
die unerquickliche Szene in seinem Atelier deutlich vor Augen stand,
schüchtern einzuwerfen.

Adelgunde sah ihn durchbohrend an. „Allerdings. Ich habe, wie immer,
meiner Meinung zwar in schonender, aber in nicht mißzuverstehender
Weise Ausdruck verliehen. Übrigens reden wir in dieser ernsten Stunde
nicht von Ihren Bildern.“

Emil stimmte lebhaft zu. Da niemand sonst zu irgend einer Zeit von
seinen Bildern redete, so konnte er auch Adelgundes lieblose Erwähnung
in dieser Stunde entbehren.

Adelgunde wog das Kuvert in der Hand. „Es scheint ein einziger Bogen
ihres gewöhnlichen Briefpapiers zu sein. Gleichviel ein Bogen oder zehn
-- wir müssen die Gesetze beachten und tun, was sie vorschreiben.“

Dieser Ausspruch gefiel Emil so gut, daß er ihn, gewichtig mit dem
Kopfe nickend, zweimal wiederholte. Leider stellte sich aber heraus,
daß dieser von beiden gebilligte Vorsatz zunächst eine lobenswerte
Theorie bleiben mußte, da sie beide nicht wußten, was nun eigentlich
die zu beachtenden Gesetze in diesem Falle vorschrieben.

Unbemerkt von den beiden, die in tiefe Gedanken versunken standen,
war Flocki hereingekommen, der ein gewisses Unbehagen nicht verbergen
konnte, daß man sich so wenig mit ihm beschäftigte. Er war zu gewissen
Stunden an kleine neckische Spiele gewöhnt, an geistige Anregungen, wie
sie die vortreffliche Eleonore in ihrer unendlichen Güte immer wieder
für den Liebling zu ersinnen pflegte. Die Nichtachtung, die er jetzt in
diesem Trauerhause erfuhr, verdroß ihn heftig. Den Kopf auf die linke
Seite gelegt, mit dem Schwanz in leiser Erregung den Boden fegend,
stand er zwischen den beiden Sinnenden und schnüffelte mißtrauisch
hinauf nach dem Kuvert in Adelgundens Hand.

„Aber das ist doch einfach,“ sagte plötzlich Adelgunde und sah dabei
Emil strafend an, als habe sie es die ganze Zeit gewußt und nur, um
seinen Scharfsinn auf eine notwendige Probe zu stellen, für sich
behalten, „Sie gehen mit dem Papier sofort zu ~Dr.~ Neumann.“

Emil begriff. ~Dr.~ Neumann war der Rechtsanwalt, von dem Eleonore
mehrfach gesprochen. In drei Prozessen, die ihr Flockis Ungebühr
eingetragen, hatte dieser tüchtige Advokat zwei Termine versäumt und
einen für Eleonore im Wortlaut sehr ehrenvollen, aber pekuniär recht
schmerzlichen „Vergleich“ zustande gebracht. Aber der guten Eleonore,
die eine fanatische Verehrerin des „Paragraphen“ im allgemeinen und
der Rechtswissenschaft im besonderen war, vermochte er gewaltig zu
imponieren durch allerlei dicke und alte Bücher, die er mit großer
Fixigkeit von den Regalen nahm und nachschlug, und aus denen er ihr
nicht ohne schönes Pathos sehr lange und merkwürdige Sätze vorlas, von
denen sie den Anfang längst vergessen hatte, wenn der Anwalt die Stimme
melancholisch zum Schlußpunkt sinken ließ. Sie war der Ansicht, das
seien Reichsgerichtsentscheidungen; und sie fand es sehr scharmant von
dem liebenswürdigen Juristen, daß er sich dazu hergab, ihr vorzulesen,
was selbst klügere Laien als sie vermutlich nimmermehr beim ersten Male
begriffen ...

Daß also dieser Dr. Neumann, der als Eleonorens Rechtsbeistand
zweifellos von diesem Testament Kenntnis hatte, um Rat gefragt
werden sollte, leuchtete Emil durchaus ein. Aber warum sollte gerade
+er+, Emil, zu diesem Mann hingehn. Lag es eigentlich nicht näher,
daß die Schwester der Erblasserin selbst -- --?

Adelgunde unterbrach seine Erwägungen mit den knappen Worten: „Ich
halte das für eine reine Formsache. Geschehen +muß+ das aber. Ich fühle
mich nicht wohl genug, auch noch diesen Gang zu tun. Also gehen Sie.
Aber besser +gleich+. In solchen Dingen versäumt man gar leicht etwas.
Also -- hier!“

Mit diesem „hier!“ wollte sie Emil das Kuvert überreichen. Die
Handbewegung aber, in die sie wohl Entschluß, Energie, Vertrauen und
anderes Schöne hineinlegen wollte, fiel +so+ energisch aus, daß Flocki
die Sache mißverstand. Er hielt diese Handbewegung für den Beginn eines
seinem Frohsinn gewidmeten Spiels; und da sich in diesen düstern Tagen
eine erkleckliche Portion Übermut in ihm angesammelt hatte, so ging er
mit erstaunlicher Behendigkeit auf den vermeintlichen Spaß ein. Er tat
einen kleinen, aber zielbewußten Sprung in die Höhe, faßte Eleonorens
Testament mit den Zähnen, riß es, ehe der verblüffte Emil zupacken
konnte, der solchen Überfalls nicht gewärtigen Adelgunde aus der Hand
und verschwand damit in tollen Sprüngen, die das Erwachen all seiner
lang gedämpften Munterkeit bezeugten, nach dem Korridor.

Einen Augenblick standen Adelgunde und Emil wie versteinert ob solcher
maßlosen Frechheit.

Dann begann über die auf dem Vorplatz ausgebreiteten Kränze, über
Veilchen, Tuberosen, Farn, Efeu und Rosen eine sehr peinliche Jagd
auf den miserablen Köter, der die Karikatur auf jede Pietät so weit
trieb, den letzten Willen seiner Herrin wie eine tote Ratte im Maule
hin und her zu schütteln und sich in Sprüngen zu gefallen, die mit der
Situation im denkbar peinlichsten Widerspruch standen.

Während Adelgunde mit einem Regenschirm den unsinnigen Flocki listig
in eine Ecke drängte, ihm seinen Raub zu entreißen, warf Emil durch
die leicht klaffende Tür einen Blick in das Zimmer, in dem lang und
schmal unter dünner seidener Decke die arme Eleonore lag. Und seinem
Malerauge kam es vor, als ob ihr Gesicht in der freundlichen Umrahmung
des schmalen Seidentuches, das ihr das Kinn band, im wächsernen Ton des
Todes ein leises Lächeln sehen ließe. Ein Lächeln, wie es wohl, die
Züge der Lebendigen zu verschönen, sich um Mund und Augen gestohlen,
wenn sie von der erstaunlichen Klugheit Flockis Altes und Neues
berichtete ...

In diesem Moment heulte Flocki laut auf.

Adelgundens Regenschirm war ihm unsanft über die Rückengegend geflogen.

Adelgunde, hochrot im Gesicht mit wogender Brust und krachenden
Kleidernähten, hielt den übel zugerichteten letzten Willen der
Schwester in der Hand.

Wut und Triumph bebten durch ihre Stimme, als sie dem winselnd über die
Kränze nach der Küche retirierenden Flocki nachzischte:

„Infame Bestie!“

       *       *       *       *       *

Ungefähr anderthalb Stunden hatte Emil, das unschöne Kuvert wie eine
Reliquie in beiden Händen haltend, in Dr. Neumanns Schreibzimmer
gewartet.

In dem Zimmer war eine schreckliche Atmosphäre. Es schien hier nie
gelüftet zu werden. Der jüngere der beiden Schreiber hatte sich zum
Überfluß an diesem Tage die Haare schneiden lassen und trug den Kopf
mit einer billigen Pomade gesalbt, die einen unerträglichen Geruch
nach ranzigem Fett ausströmte. Der ältere Schreiber schien taubstumm
zu sein -- er hatte wenigstens den höflichen Gruß Emils nur mit
mürrischem Kopfnicken erwidert und die Antwort auf die Fragen: ob
der Herr Rechtsanwalt anwesend sei und ob wohl Aussicht sei, ihn zu
sprechen, dem pomadisierten Jüngling überlassen. Auch die Arbeit schien
er durchaus dieser jüngeren Kraft zuzumuten. Er schob dem Pomadisierten
von Zeit zu Zeit ein Aktenbündel über den hohen Pultaufsatz zu,
niemals ohne dabei die weiße Streusandbüchse umzuwerfen. Seine eigene
Tätigkeit bestand ausschließlich darin, daß er sich mit einem in
Zeitabständen von etwa zehn Minuten neugespitzten Hölzchen umständlich
die Fingernägel reinigte und die Zähne stocherte. Dazwischen sah er
zu seiner Erfrischung zum Fenster hinaus und schien nach seinem sich
plötzlich in breitem Grinsen erhellenden Gesichtsausdruck zu schließen,
zarte Beziehungen zu irgend einem weiblichen Wesen an irgend einem
Küchenfenster des nächsten Hinterhauses anzuknüpfen.

Von Emil nahm nach Erledigung der ersten Fragen niemand mehr die
geringste Notiz. Nebenan hörte er zuweilen eine sehr erregte
Frauenstimme und dann eine gedämpfte Männerstimme. Offenbar berieth
~Dr.~ Neumann in diesem Raume eine nervöse Klientin. Emil
hatte den dringenden Wunsch, daß der Fall nicht allzu verwickelt
liegen möge. Denn die Aussicht noch eine weitere Stunde hier den
Pomadengeruch auszuhalten und an des Bureauvorstehers sorgfältigen
Toiletteverrichtungen teilzunehmen, hatte nichts Verlockendes.

Endlich hörte man nebenan Stühle rücken und die Türe nach dem Korridor
gehn.

Emil faßte den letzten Willen Eleonorens fester in beide Hände und
wartete. Es dauerte immerhin noch einmal eine starke Viertelstunde.
~Dr.~ Neumann mußte sich wohl von dem Besuch erholen.

Endlich flog die Verbindungstür nach dem Allerheiligsten des Anwalts
auf, und ~Dr.~ Neumann winkte mit einer Kopfbewegung: „Der
Nächste!“

Da Emil der einzige war, der wartete, so hatte er wohl ein Recht, das
unbedenklich auf sich zu beziehn, sah sich aber zur Vorsicht noch
einmal um, ob nicht etwa einer der Schreiber ... Der Pomadenkopf lag
tief über den Akten; und auch der Bureauvorstand hatte sein Hölzchen
hingelegt und verglich zwei mit vielen Stempeln und Unterschriften
gezierte Papiere mit einem Eifer, als habe er auf der Welt kein anderes
Interesse, als den Inhalt dieser merkwürdigen Blätter bis aufs letzte
Pünktchen in sich aufzunehmen.

Emil saß ~Dr.~ Neumann in seinem Arbeitszimmer gegenüber.

Der Anwalt war nicht gerade ein schöner Mann. Aber er hatte, wie Emil
sich gestand, einen interessanten Kopf. Der Hinterkopf wuchs aus einem
bescheidenen Kränzlein schwarzer Haare spiegelblank und in der Form
eines Straußeneis. Die Nase saß ein bißchen nach links geneigt und
konnte sich bei leicht ironischen Bemerkungen zu einem merkwürdigen
Bogen ziehen, wobei der Mund eine listige Stellung annahm, als ob er
pfeifen wollte.

„Ich erkenne Sie sofort wieder,“ sagte ~Dr.~ Neumann, indem er
wohlgefällig, sich seines vorzüglichen Physiognomiengedächtnisses
freuend, nickte. „Sie sind der Herr, dem im vorigen Jahre der
Blumentopf in der Lietzenburgerstraße auf den Kopf fiel.“

Emil verneinte. Ihm sei Gott sei Dank noch nie etwas auf den Kopf
gefallen. Sein Name sei -- -- --

Aber schon unterbrach ihn der Rechtsanwalt, der den Widerspruch
zunächst stirnrunzelnd angehört hatte. Sein Gesicht hellte sich auf,
als er Emil abwehrend mit schöner Vertraulichkeit aufs Knie schlug und
meinte:

„Pardon, nein. +Nun+ weiß ich’s. Sie waren im Vorjahre bei mir wegen
des Wasserklosetts. Richtig! Nun, hat unser gepfefferter Brief an den
Hauswirt genützt, was?“

Emil beteuerte, auch mit dem Wasserklosett nicht dienen zu können. Sein
Name sei Emil Steinbrink. Von Beruf Maler. Er käme auch eigentlich
nicht in einer eigenen Angelegenheit, sondern ...

„Wegen des Kegelklubs?“

Nein, er kegele leider nicht, oder doch so schlecht, daß sich ein Klub
schwer dazu verstehen würde, ihn aufzunehmen. Die Sache sei vielmehr
die: Seine vortreffliche Freundin, -- er dürfe sie wohl so nennen --
Eleonore Eikötter sei plötzlich gestorben ...

Dr. Neumann schlug sich mit beiden flachen Händen heftig auf die
Schenkel. Vielleicht, daß dies seine Art war, tiefe, schmerzliche
Anteilnahme zu bezeugen. Vielleicht auch, daß er nur damit ausdrücken
wollte: „Ist’s die Menschenmöglichkeit! +So+ was kommt vor!“

Emil sprach weiter. Er erzählte von seiner Bekanntschaft mit der
vortrefflichen Eleonore, rühmte ihr schönes Talent, ihren Seelenadel,
ihr echt weibliches Empfinden und ging, da dieser Teil seiner Erzählung
den Anwalt nur mäßig zu interessieren schien, auf ihren plötzlichen Tod
über, auf sein und Adelgundes Wirken in der Wohnung und kam schließlich
auf den zufälligen Fund des merkwürdigen Kuverts mit dem letzten
Willen.

„Wie war doch der werte Name?“ fragte der Anwalt und putzte seinen
Kneifer.

Emil wiederholte den werten Namen sehr langsam und deutlich.

Das Angesicht des Anwalts hellte sich auf, wie vorhin, als er Emil
zweimal „erkannt“ hatte. In Emil stieg die leise Befürchtung auf, es
werde als ganzes Resultat seiner wohlgesetzten Erzählung etwa eine
neue Erkennungsszene mit Verwechslung stattfinden. Aber zu seinem
Erstaunen schlug sich der Anwalt wieder mit beiden flachen Händen auf
die Schenkel -- eine Bewegung, die ihm offenbar zum Ausdruck vieler und
widersprechender Gemütsbewegungen diente -- und wiederholte, als ob
ihm damit eine ungemein köstliche Erleuchtung aufgehe: „Steinbrink --
richtig: Emil Steinbrink!“

Da Emil nicht recht wußte, was er nun sagen sollte, verbeugte er sich
höflich und reichte dem Anwalt das Testament.

Der aber legte es achtlos auf die Tischplatte und indem er Emil
fixierte, als wolle er ihn hypnotisieren, fragte er:

„Sie kennen natürlich den Inhalt?“

„Ich? Nein.“

„Wirklich nicht?“

„Ich wußte nicht, daß ein solches Testament überhaupt existiert.
Fräulein Eleonore und ich sprachen meist nur über Kunst.“

„Nur über Kunst -- natürlich.“ ~Dr.~ Neumann lächelte ein wenig
ironisch, wie es Emil vorkam, als er dies „natürlich“ zweimal mit
Nachdruck wiederholte. Entweder er hielt von der Kunst nicht viel oder
gar nichts von Emils Aufrichtigkeit.

„Und, mein verehrter Herr Steinbock --“

„Bitte, Steinbrink.“

„Richtig, ja. Also, mein verehrter Herr Steinbrink, wenn ich Ihnen nun
sage, daß Fräulein Eleonore Eikötter dieses Testament erst ganz kurz
vor ihrem Tode gemacht hat. Vor ein paar Tagen erst. Hier bei mir.
Unter meinem Beistand. Am -- warten Sie.“ Er kramte in einer Schublade
und holte einen gefalzten Kanzleibogen heraus: „Hier haben wir’s: am
24. Mai gemacht. Nachmittags. Fräulein Eikötter kam sehr erregt zu mir
und bestand darauf, sofort ein rechtskräftiges Testament aufzusetzen.
Hier ist das Duplikat.“ ~Dr.~ Neumann versenkte interessiert seinen
Blick in das Papier. „Und hier -- richtig -- ich irre mich +nie+ in
solchen Dingen -- hier steht’s --“ Er sah wieder auf von dem Blatt:
„Sie also sind dieser Herr Emil Steinbrink.“

Emil wurde verlegen. Es war klar, von +ihm+ mußte etwas in diesem
Testament geschrieben stehen. Was denn wohl? Er faßte sich ein Herz.

„Hat Fräulein Eikötter vielleicht -- --“ er tippte sich fragend auf die
Brust ... „vielleicht auch +meinen+ Namen?“

„Allerdings, mein verehrter Herr Steinbrink.“

„Es handelt sich wohl um ein -- ein Bild.“

„Nicht bloß um ein Bild“.

Emil fühlte, daß ihm die Kehle trocken wurde.

„So. Hm. Also um -- mehrere Bilder.“

„Die Bilder sind natürlich einbegriffen.“

„Verzeihen Sie, Herr Doktor, was heißt, das ‚einbegriffen‘. In +was+
einbegriffen?“

„Nun in die Erbschaft.“

„Aha. Das heißt -- verzeihen Sie, ich bin darin Laie -- in +meine+
Erbschaft.“

~Dr.~ Neumann schlug sich nun gleich mehrmals rasch hintereinander auf
die Schenkel, was ein ziemlich beträchtliches Getöse gab.

„Aber, verehrtester Herr Steinbrink, wissen Sie das nun wirklich nicht?
Fräulein Eleonore Eikötter hat sie unterm 24. Mai unter Übergehung
ihrer Schwester, die nur Kleider und Schmuck, das Bett und den
Nachtschrank erben soll und zur Hälfte die von ihr gemalten Bilder --
zum Haupterben eingesetzt.“

„+Mich+?“

Wenn dem guten Emil in diesem Augenblick ein aus der Wand
herausspringender herkulisch gebauter Neger gemeldet hätte, S. M. der
Kaiser von Abessynien habe ihn zum Wirklichen Geheimen Rat mit dem
Prädikat Exzellenz ernannt und bitte ihn einstweilen als Zeichen seiner
Gunst ein halbes Dutzend junger Leoparden als Geschenk anzunehmen, --
gewundert hätte ihn das weiter auch nicht mehr.

Er -- ein „Erbe“. Er -- ein „Haupterbe“.

„Das heißt,“ ~Dr.~ Neumann zog wieder das Papier zu Rate, „ganz so
einfach ist die Sache nicht.“

Emil hatte die Sache keinen Augenblick für „ganz einfach“ gehalten. Er
saß mit maßlosem Erstaunen da und wartete, wie sich die Angelegenheit
komplizieren sollte.

„Es muß da ein Köter sein -- ein Hund, nicht wahr? Ein Hund männlichen
Geschlechts?“

Emil nickte: „Flocki.“

„Richtig, Flocki. So ist er auch hier bezeichnet.“ Wiederum steckte
~Dr.~ Neumann die merkwürdige Nase in das Papier, dann las er --
mehr zu seiner Information, wie es schien, als für seinen mit offenem
Munde lauschenden Hörer das Folgende vor:

„Da ich die unverständige und unedle Lieblosigkeit meiner älteren
Schwester Adelgunde meinem Liebling Flocki gegenüber, der lange mein
bester und einziger Freund war, genugsam kenne, und da ich dieses
herzige Tier, das an Verstand und Güte manchen Menschen beschämt,
auch nach meinem Tode zum besten betreut wissen will, so bestimme ich
hierdurch: daß als mein +Haupterbe+ der mir befreundete Kunstmaler
Emil +Steinbrink+ zu betrachten sein soll. Und zwar soll genannter
Kunstmaler Emil Steinbrink die Nutznießung der Zinsen meines
Gesamtvermögens, dessen Kapital nicht angegriffen werden darf, so
lange haben, als mein Hund +Flocki+, den ich seiner sorgsamen Pflege
anvertraue, +am Leben ist+. An dem Tage, an dem mein guter Flocki
stirbt, gehört das Kapital zur Hälfte meiner einzigen Schwester
Adelgunde, zur andern Hälfte soll es der Kunstgenossenschaft zufallen
mit der Auflage, alljährlich von den Zinsen einen hierfür besonders
begabten Stipendiaten nach Holland zu schicken, um die herrlichen Werke
von Melchior d’Hondecoeter, Jan Davidy de Heem, Rachel Ruysch und Jan
Weenix mit Fleiß zu studieren.“

       *       *       *       *       *

Wie Emil aus dem Zimmer des Anwalts herausgekommen war, das wußte er
selbst später nicht mehr zu sagen. Selbst daß er in der Verwirrung
vom Kleiderhaken im Vorzimmer einen falschen Hut abgehängt hatte,
dem Geruch nach offenbar die fettige Kopfbedeckung des pomadisierten
Schreibers, merkte er erst einen Tag später.

Sein Herz strömte über von Dankbarkeit. Haupterbe -- Zinsen --
Nutznießung -- all diese neuen Begriffe wirbelten ihm nur so im Kopf
herum. Er wußte, Eleonore war so gestellt gewesen, daß sie ganz
behaglich leben konnte, auch ohne je eins ihrer Bilder zu verkaufen.
Das würde also jetzt +sein+ Los sein. Ein Nabob! Nun konnte er die
+ganze+ Welt violett sehn, so lang es ihm paßte. Das heißt ...

Sinnend stand er an einem Laden still. Es war zufällig ein ganz
bescheidenes, kleines Käsegeschäft und eigentlich an den aufgestapelten
runden und eckigen Käsen nicht viel zu sehen. Emil wollte auch durchaus
nicht seine Schaulust befriedigen. Nur nachdenken wollte er, ungestört.
Er bohrte seinen Blick in einen großen Holländer Käse und überlegte.
Lebenslänglich war die „Nutznießung“ nicht. Nur solange Flocki ...
Hm. Flocki war gesund. Gewiß. Gesundheit war eigentlich seine einzige
Tugend. Sofern man diesen naturgemäßen Zustand eine Tugend nennen kann.
Na ja. Flocki konnte alt werden, ein Hundegreis, ein Patriarch des
Viertels. Er hatte von Hunden gehört, die zwanzig Jahre alt geworden
waren. Allerdings, sie waren taub und blind und rochen sehr übel. Aber
schließlich -- sie +lebten+. Darauf kommt’s an. Normal war freilich
ein solches Alter nicht. Was war wohl das normale Alter eines gesunden
Hundes. War das bei den einzelnen Rassen verschieden, oder --?

Der Besitzer des Käseladens hatte mit Interesse den seltsamen Mann vor
seinem Erker stehen sehen, der nun schon seit zehn Minuten den starren
Blick in den Holländer Käse bohrte. Er war behutsam in die Ladentür
getreten und, entschlossen dem offenbar Unschlüssigen die Entscheidung
zu erleichtern, erläuterte er im herzlichen Ton:

„Echter Edamer. Kann ich Ihnen sehr empfehlen. Darf ich Ihnen
vielleicht ein Viertelchen --?“

Emil fuhr jäh aus seinen Meditationen auf. Er konnte sich nicht ohne
weiteres in die nüchterne Wirklichkeit zurechtfinden und fragte
verwirrt: „Edamer -- was ist Edamer?“

Der Händler lachte. „Nu der Käse da, den Sie die ganze Zeit so verliebt
anstarren. Soll ich Ihnen ein Stück abschneiden?“

In diesem Augenblick kam ein sehr ruppiger schwarzer Spitz aus dem
Laden und rieb sich leise knurrend am Bein seines Herrn.

Wie hypnotisiert starrte Emil auf den Köter. Langsam, wie unter einem
unerklärlichen Zwang, kam es von seinen Lippen:

„Käse -- nein. Aber -- -- aber können Sie mir vielleicht sagen, wie
+alt+ ein gesunder Hund werden kann?“

       *       *       *       *       *

Etwa ein halbes Jahr nach diesem denkwürdigen Nachmittag traf ich
zufällig mit Emil zusammen. Wir waren Schulkameraden gewesen und ein
gemeinsamer tiefer Haß gegen die Mathematik hatte uns einander näher
gebracht. Wenn trigonometrische Klassenarbeiten geschrieben wurden, war
ich sein Trost und er der meine. Und die Note 5 in Verbindung mit einer
Stunde Arrest war uns +beiden+ sicher.

Später hatten wir uns aus den Augen verloren. Ich hatte in
Süddeutschland studiert, er hatte in Norddeutschland gemalt. In einem
„Salon der Zurückgewiesenen“ hatte ich mal zufällig ein Bild von ihm
gefunden, das mir durch eigentümlich violette Kühe auffiel. Dann war
sein Name wieder zurückgesunken in den Nebel, der tausend Dinge und
Menschen umspinnt, die uns einmal etwas bedeutet haben, ja vielleicht
lieb und teuer waren.

Und nun stand er plötzlich leibhaftig vor mir. In der Potsdamerstraße
vor einem unscheinbaren Geschäft, in dem Vogelfutter und Hundekuchen
unter einem Haufen schmutziger Käfige mit ruppigen Waldvögeln, denen
man noch die rohen Griffe der Fallensteller ansah, aufgestapelt lagen.

Es war ein nicht übler Herbsttag, und Emil hatte, dem freundlichen
Sonnenschein Rechnung tragend, sich sehr hell gekleidet. Er sah
überhaupt in seinem modischen dunkelgelben Herbstpaletot, dem blanken
Zylinder und den rostroten dänischen Handschuhen elegant, ja fast
stutzerhaft aus. Jedenfalls so, wie man einen Maler, der violette
Bilder anfertigt, ohne zunächst den Geschmack des zahlungsfähigen
Publikums für seine Nuance zu gewinnen, nicht häufig trifft. Sogar
einen sehr ausgeprägten Kneck trug er in den diskret karrierten
Hosen, und seine schmalen amerikanischen Knopfstiefel zeigten spitze
spiegelnde Lackkappen.

„Emil, alter Junge, wie geht’s denn?“

„Na ich danke, so pflaumenweich. Man lebt so.“

„+Gut+ lebt man, scheint’s, lieber Sohn. +Sehr+ gut, was? Du bist ja
auf deine alten Tage ein veritabler Dandy geworden.“

„Ach geh! Man kann doch schließlich nicht den ganzen Tag im
bekleckerten Sammetkittel herumlaufen, um der Welt zu zeigen, daß man
ein sogenannter Künstler ist.“

„Du bist wohl verheiratet, Emil?“

„Ich? Ach nein. Du meinst wegen ... Das täuscht. Ich bin bloß ... ich
habe bloß ... Aber findest du nicht, daß es hier +zieht+?“

„Na, ein Mailüfterl kannst du schon nicht verlangen. Wir sind ja
schließlich nicht an der Riviera und schreiben seit ein paar Tagen
November. Übrigens du siehst doch blühend gesund aus. So ein bißchen
Herbstwind -- --“

Emil lächelte etwas verlegen. „Ach ja. +Ich+ schon. Es ist auch nicht
meinetwegen, verstehst du. Es ist wegen -- --“

Ich folgte seinem besorgten Blick und entdeckte jetzt erst einen Hund,
den Emil an einer aus feinen Lederstreifchen geflochtenen gelben
Führleine befestigt hatte.

„Ach, du hast einen Hund?“

„Ja. Ich habe -- ich habe einen Hund.“

Das kam etwas gepreßt heraus, fast als wollte er sagen: Ich wollte,
+du+ hättest den Hund und nicht ich.

„Wie heißt er denn?“ forschte ich teilnahmsvoll.

„Flocki.“

„Du, weißt du, ich hätte ihn doch schon anders genannt. Flocki -- das
klingt so verdächtig nach einer alten Jungfer.“

„+Ich+ hab’ ihn auch nicht so genannt. Er heißt nun einmal so. Ich
finde den Namen ja selbst gräßlich. Zum Übelwerden. Aber ich fürchte,
wenn ich das Tier plötzlich umtaufe -- nun ist es doch schon so sehr
daran gewöhnt -- er könnte am Ende Schaden nehmen -- z. B. denke dir:
ich hätte ihn Nero genannt, sagen wir Nero: Und nun gehe ich mit ihm
auf der Leipzigerstraße und sehe, daß so ein gräßlicher Omnibuskasten
-- sagen wir ‚Lützowplatz-Rosentaler Tor‘ -- dabei ist, mit seinem
Riesenrad den Hund zu zerquetschen. Er ist unvorsichtig, verstehst du.
Ich rufe also: Nero! Nero! Aber er -- er ist’s noch nicht gewöhnt,
Nero gerufen zu werden. Er bezieht es durchaus nicht auf sich. Er
hört’s nicht. Rrrrtsch -- das Riesenrad Lützowplatz-Rosentaler Tor geht
mitten über seinen Bauch hinweg. Maria und Josef! Ich darf’s gar nicht
+aus+denken!“

Ich hatte mit wachsendem Befremden dieser lebhaften Phantasie des
Freundes gelauscht. War er so nervös? Er schien das Schreckliche schon
wie eine Fata Morgana vor sich zu sehen und den schmerzlichen Grimassen
nach zu urteilen, die er schnitt, verursachte ihm diese Erzählung
geradezu seelische Qualen.

Mein Blick ruhte auf dem Köter, dem diese offenbar innige Liebe galt.
Ich sah einen kurzbeinigen, gedrungenen Hund, in dessen schwarzem
Kopf Ähnlichkeiten mit einem Mops und mit einem Pudel unverkennbar
waren, ohne daß man gewagt hätte, sich für eine von beiden Rassen
zu entscheiden. Der schraubenförmig gedrehte Schwanz war durchaus
Mops; die lockige grauschwarze Behaarung wies hingegen wieder auf die
aristokratische Familie der Pudel. So stellte er sich meinem Empfinden
als eine sehr unglückliche Kreuzung von Mops und Pudel dar, mit welcher
Vermutung ich ja, ohne Kynologe zu sein, so ziemlich das Richtige
getroffen hatte.

„Es ist jetzt unsere Stunde zur ersten Abendmahlzeit,“ unterbrach Emil
meine stillen Beobachtungen. „Wir essen nämlich immer in Abständen von
drei Stunden eine kleine Mahlzeit --“

„Wir -- wer ist das ‚wir‘?“

„Nun -- Flocki und ich. Das ist viel gesünder als eine größere
Mahlzeit, bei der man alles so gierig mit hinunterschlingt, Knochen und
all so was, sagt der Arzt.“

„Ja, ums Himmels willen, welcher Arzt kommt auf den Gedanken, daß man
Knochen ...“

„Der Tierarzt natürlich. Weißt du, ich -- ich bin gottlob gesund und
bei der Hand. Das bißchen, was +mir+ mal fehlt, da kann schließlich der
Tierarzt auch raten. Ein sehr netter Mann. Er kommt -- Flockis wegen --
wöchentlich zweimal.“

Er sah auf die Uhr und verfärbte sich. „Teufel noch mal! Es ist schon
ein Viertel über 5 Uhr. Bis wir zu Hause sind, ist es bestimmt halb
sechs. Wenn ihm das nur nichts schadet. Er ist seit zwei Tagen mit der
Verdauung nicht ganz in Ordnung.“

„Flocki?“

„Natürlich. Der Arzt sagt zwar, es hätte nichts auf sich. Aber weißt
du, ich bin da sehr mißtrauisch. Eine Stiefschwester meines Vaters hat
mit sechzig Jahren ... Aber weißt du, das könnten wir alles bei mir zu
Hause besprechen. Du hast doch nichts Wichtiges vor? Nein? Also komm’,
wir nehmen ’ne Droschke ... He, Kutscher, +Sie+ da, Kutscher!“

Emil hatte einen Taxameter herangewinkt.

Flocki war der erste, der hineinsprang mit der behenden Fröhlichkeit
eines Hundes, der dieses angenehme Verkehrsmittel sehr wohl kennt und
schätzt.

Als letzter stieg Emil ein. Er saß sehr unbequem, da er seine Beine
fast an den Leib ziehen mußte, um Flocki, der behaglich zur Kugel
gerollt auf dem Boden des Wagens lag, nicht zu inkommodieren.

Es dauerte nicht lange, so erklang vom Wagenboden ein abscheuliches
sägendes Geräusch. Flocki schlief fest und schnarchte.

„Er schläft sonst erst +nach+ der Mahlzeit,“ meinte Emil besorgt. Und
da er meine vielleicht belustigte Miene sah, so fügte er zögernd hinzu:
„Er ist ein so sonderbarer Hund, weißt du, +so+ sonderbar. Und dann für
+mich+ -- schließlich, er ist nicht wie ein anderer Hund. Manchmal --“

Schien es mir nur so oder flammte wirklich ein leichter Ingrimm in
diesen Augen, die auf den schlafenden Flocki gerichtet waren, als der
Freund den unterbrochenen Satz wie im Traum vollendete: „Manchmal
möchte ich fast lieber einen robusten Geißbock am Bändel haben, als
diesen sonderbaren Hund!“

       *       *       *       *       *

Zu Hause hatte mir Emil die ganze Geschichte erzählt von Leonore, von
Flocki und ihm selbst.

Er wohnte jetzt am Viktoria-Luisenplatz. In einem Gartenhaus
allerdings. Drei Treppen, aber sehr behaglich. Ein Atelier, vier
hübsche Zimmer, das größte und schönste war das Schlafzimmer. In der
Ecke ein Körbchen mit violetter Seidendecke; offenbar für Flocki.

„Schläft er bei dir im Zimmer?“

„Ja. Der Tierarzt sagt, ihm schadet’s nicht. Und mir -- das ist
ziemlich egal. Ich höre dann besser, wenn er hustet und all so was.
Auch träumt er zuweilen recht lebhaft. Ich stehe dann auf und massiere
ihm die Vorderpfoten.“

Der ganze Haushalt war für Flocki eingerichtet. An allen Fenstern
eiserne Gitterstäbe in halber Manneshöhe, wie sie ängstliche Mütter
wohl in den Kinderstuben anbringen lassen.

„Flocki könnte auf so ein Fensterbrett springen, verstehst du, und dann
das Übergewicht bekommen und in den Hof stürzen. Das wäre ...!“

Wieder betrachtete ich, wie vorhin im Taxameter, die schreckliche
Erregung, die sich des Freundes bemächtigte bei der Erwägung solchen
möglichen Unglücksfalles, den seine rastlose Phantasie ausspann.

„Ja, warum ziehst du denn nicht parterre?“

„+Hab+’ ich gewohnt. Getrennt vom Atelier. Erst im Vorderhaus. Da regte
sich Flocki furchtbar über jeden vorübergehenden Hund auf. Dann im
Gartenhaus. Da neckten Bäcker und Metzger und die rüden Schätze der
Dienstmädchen im Haus und was sonst da vorüberkam und Zeit hatte, das
arme Tier so sehr, daß ich, ohne den Kontrakt auszuhalten, wegzog.“

„Ja, Lieber, da bist du eigentlich, genau besehen, der Sklave deines
Hundes.“

„Viel anders ist’s schon nicht,“ seufzte Emil. „Ich kalkuliere so. Wenn
er gut gepflegt wird und rationell lebt -- er hat einen ganz kleinen
Herzfehler --, so kann er, sagt der Tierarzt, noch zehn bis zwölf
Jahre leben. In zwei, drei Jahren aber schon hoffe ich mein großes
Bild fertig zu haben; und dann wird es mich in weiteren zwei, drei
Jahren bekannt machen. So erreiche ich die pekuniäre Unabhängigkeit von
Flocki. Und dann --!“

Wieder leuchtete ein ingrimmiger, fast grausamer Zug in des Freundes
sonst so mildem Gesicht. So mögen die Sklaven um Spartacus gelächelt
haben, als sie in den Kellern der Fechtschule zu Capua sich heimlich
versammelnd von dem furchtbaren Blutbad träumten, in dem ihre römischen
Unterdrücker ersaufen sollten.

„Und was stellt das Bild dar?“

„Die wilde Jagd. Den wilden Jäger auf dem Gespensterroß, hinter
ihm die Meute über niedrig hängende Wolkenfetzen fegend. Alles bei
Mondbeleuchtung.“

„Natürlich violett?“

„Woher weißt du das?“

„Ich habe mal vor Jahren Kühe von dir gesehen. Daraus war eine gewisse
Vorliebe zu erkennen -- --“

„In diesem Bild der wilden Jagd ist sie aber berechtigt.“

„Kann man’s mal sehen?“

„Ja eigentlich ...“ er wurde verlegen, „es steckt noch ganz in den
Anfängen. Aber wenn du dir eben das Nötige dazu denkst.“

Das versprach ich, und so nahm er einen sehr schönen, leicht violett
getönten Lappen von einer respektablen Leinwand.

Das erste, was ich sah, war -- +Flocki+. Flocki nicht in einer, sondern
in dreißig, vierzig Gestalten. Die ganze Meute hinter dem anatomisch
sehr merkwürdigen Gespensterroß war Flocki und Flockis Geschlecht.

„Du, Emil, weißt du -- die Hunde ...“

„Ja? Fällt dir das +auch+ auf. Es ist mir so gekommen. Ich weiß nicht
wie. Ich wollte natürlich Jagdhunde malen, Bracken. Hatte auch mal ein
Modell hier. Aber Flocki hat sich wie wahnsinnig angestellt hinter der
Tür dort. Dann hab ich eben mehr aus dem Kopf ... Nun ist das Unglück,
verstehst du, ich beschäftige mich innerlich soviel mit Flocki -- er
bedeutet mir soviel, +muß+ mir soviel bedeuten -- daß unwillkürlich
seine Züge und seine Eigenart ... Es ist mir im Grunde gräßlich. Soll
das Malefizvieh mir auch noch meine Kunst ruinieren!! Satanspest noch
einmal!“

Wie ein Sturm der Leidenschaft war’s plötzlich über ihn gekommen. Er
griff eine Handvoll Pinsel aus einer alten Blechdose und warf sie
wütend wider die Wand. Dann setzte er sich auf einen in kräftigen
Farben leuchtenden kleinen Gebetsteppich, der einen alten Diwan deckte,
vergrub seinen Kopf in die Hände und schien nicht übel Lust zu haben,
zu weinen.

Ich wußte in meiner Überraschung nicht recht, was ich machen oder
sagen sollte. Schließlich fand ich den mir selbst nicht sonderlich
einleuchtenden Trost: „Mein Gott, vielleicht findet man das sehr
originell. Die Rasse ist wenig bekannt.“

„Schöne Rasse,“ knirschte Emil aus seiner Ecke. „Ist gar keine Rasse,
ist eine Gemeinheit, ist eine Parodie auf das Hundegeschlecht. Himmel,
wie mir das wohltut, mich einmal gehen lassen zu dürfen! Flocki
schläft, und du bist ein ehrlicher Kerl. Immer diese Komödie der
Zärtlichkeit. Und die Freiheit beim Teufel. Und die Kunst beim Teufel.
Und der Mut beim Teufel; der Mut, diese faule, träge, dumme, widerliche
Bestie persönlich am Griebs zu packen und in den Landwehrkanal zu
werfen mitsamt der verdammten Rente von sechstausend Mark, die mir das
lebendige Scheusal trägt.“

„Sechs-tau-send Mark. Donnerwetter! Das ist allerdings ..!“

„Ja siehst du: +das+ ist allerdings!.. Da sagst dus selbst. Das ist
eben auch +mein+ Trost, daß neunzig von hundert ganz dieselben Esel
wären, wie ich, und nicht den Mut hätten, dieses Rabenvieh ...“ Er
unterbrach sich plötzlich, legte den Finger an den Mund und lauschte.
„Hat -- hat Flocki nicht eben -- eben geniest? Richtig -- eben schon
wieder!“ Er eilte nach der Tür und rief nach der Küche: „Lisette,
Lisette! Verbinden Sie mich -- du entschuldigst -- verbinden Sie mich
mal gleich Amt VI Nr. 3079.“

„Wen willst du sprechen?“

„Den Tierarzt.“

       *       *       *       *       *

Nein, hier war nicht zu helfen. Dies Gefühl gewann ich, je öfter und je
länger ich Emil sah.

Und ich sah ihn oft und lang. Denn seit jenem Gefühlsausbruch, dem
ich erschreckt beigewohnt, tat es ihm sichtlich wohl, in meiner
Gesellschaft sich auszusprechen. Immer über Flocki. Und nur über ihn.
Zwei Jockeis, die Analphabeten sind und außer reiten nichts können, als
wetten und trinken, unterhalten sich bestimmt nicht soviel von ihren
Pferden, wie Emil und ich von den Hunderassen, die Flocki zu seinen
Ahnen zählte, und von diesem Köter selbst, der die Zartheit, mit der
er behandelt wurde, in schnödester Weise dadurch vergalt, daß er alle
Untugenden und Laster, die in seiner schwarzen Seele geschlummert
hatten, ins Unerträgliche steigerte.

Wenn er müde war, sprang er auf das weichste Möbel, gleichviel, ob
es ein Bett, ein Sessel oder ein mit Emils Frackanzug belegter Stuhl
war. Wenn er traurig war, knurrte er jeden -- Emil nicht ausgenommen
-- feindlich an. Wenn er fröhlich war, entrollte er seinen sonst
geringelten Schwanz und wedelte damit so energisch, daß kleinere
Tischchen stets in Gefahr waren, umgestoßen zu werden. Bei schlechtem
Wetter war er merkwürdigerweise stets besonders gut aufgelegt. Was
für die Kleider seiner Freunde sehr unangenehm war, da er mit den
schmutzig-nassen Pfoten an ihnen hinaufzuklettern versuchte und
keinerlei Verständnis für die kühle Ablehnung seiner Freundlichkeit
besaß. Energisch angefaßt oder gar geschlagen durfte er nicht werden,
da Emil befürchtete, die zarte Gesundheit des edlen Tieres könne
ernstlichen Schaden nehmen.

So erduldete Emil ein Martyrium. Sein Bild machte ihm keine Freude
mehr, weil jeder Hund, den er der Meute seines Wilden Jägers
hinzufügte, immer wieder Flockis verhaßte Züge annahm. Seine Wohnung
machte ihm keine Freude mehr, denn überall fand er Spuren von Flockis
Fröhlichkeit und Zerstörungssinn. Die freie Natur macht ihm keine
Freude mehr, denn er vermochte sie nicht zu genießen, ohne entweder von
Flocki an der Leine bald an einen Eckstein, bald um einen Baum gezerrt
zu werden, oder, wenn er ihn frei laufen ließ, in beständiger Angst zu
schweben, daß der Unvorsichtige von einem Wagen oder einem Automobil
überfahren werden könnte. Besonders gegen die Automobile hatte er eine
solche Wut in seinem Herzen angesammelt, daß er eines Tages einen
maßlos heftigen Artikel in ein Blättchen gegen die „Stinkdroschken“
schrieb, in dem er die Vorstände sämtlicher Automobilklubs so schwer
beleidigte, daß sie gemeinsam klagten und der Freund -- „in Anbetracht
seines hohen Bildungsgrades“ -- zu einer Geldstrafe von 500 verurteilt
wurde. Das war gerade eine Monatsquote seiner Jahresrente! Er mußte
sich zwei Monate einschränken und teilte nun den ganzen Haß, dessen
sein Herz fähig war, zwischen Flocki und dem Automobil.

Dann peinigte noch eine andere Vorstellung seinen Geist. Man las so oft
davon, daß Hunde von Leuten, die daraus ein verbrecherisches Gewerbe
machten, ihren Besitzern auf der Straße gestohlen wurden. Konnte das
nicht auch Flocki passieren? Flocki -- man konnte sagen, was man wollte
-- war ein auffallender Hund. Konnten nicht solche Gauner, hingerissen
von den körperlichen Vorzügen Flockis und der seltenen Mischung der
Rassenmerkmale, die sein Wuchs aufwies, ihm nachstellen, ihn mit
Frankfurter Würstchen, seiner Leibspeise, anlocken und entführen? Was
dann? Dann +lebte+ der Hund zweifellos noch, aber +er+ konnte sein
Leben nicht beweisen. Wie war’s dann mit der Rente? Adelgunde konnte
behaupten, der Hund sei tot; aber sie konnte seinen Tod so wenig
beweisen, wie Emil das Leben. Das Testament sprach ausdrücklich vom
Todestag. Der war dann nicht zu erfahren.

Schließlich, da er sogar nachts von diesem fatalen Rechtsstreit
träumte, ging Emil zu ~Dr.~ Neumann, der ihn nach längerer Erwägung
und nachdem er in vielen Büchern nachgelesen und ihm auch aus einigen
Unverständliches mitgeteilt, dahin beschied: Adelgunde könne in diesem
Fall verlangen, daß Flocki nach einer gewissen Zeit „für tot erklärt“
werde, womit Emil ein für allemal jeden Rechtsanspruch an die Zinsen
von Eleonorens Hinterlassenschaft verliere.

Flocki -- für tot erklärt? Das war nun das zweite Schreckgespenst, das
neben dem Gespenst von Flockis wirklichem Tod den armen Freund überall
hin verfolgte.

Er beschloß auf alle Fälle, sich einzuschränken, Ersparnisse zu machen,
damit ihn dieser gräßliche Fall nicht unvorbereitet träfe. Aber das
war nicht so einfach. Flocki war gut gewöhnt. Der Tierarzt rechnete
für jeden Besuch 5 Mk. und kam mindestens zweimal wöchentlich. Die
Hinterbeine Flockis mußten auf seine Anordnung täglich massiert werden,
was jedesmal 2 Mk. kostete. Kamen hinzu die nicht unbeträchtlichen
Unkosten für die Heilung des geprüften Heilgehilfen, den Flocki gleich
bei Beginn der ihm unerwünschten Massagekur in den Daumen gebissen
hatte. Kurz, es läpperte sich bös zusammen. Das Schlimmste aber waren
die Besuche Adelgundes.

Sie kam von Zeit zu Zeit nach Flocki zu sehen ... Denn, wie sie sagte,
wenn sie auch im Testament der Schwester der Gefühllosigkeit gegen
dieses Tier geziehen war, so schien es ihr doch Pflicht des trauernden
Schwesterherzens, sich vom Wohlbefinden der einzigen lebenden Seele, an
der, so schien es, die liebe Entschlafene gehangen habe, zu überzeugen.
Und sie vergaß nie hinzuzufügen, daß sie mit dieser „einzig lebenden
Seele“ durchaus nicht etwa Emil, sondern Flocki meine.

Diese Besuche bedeuteten für Emil eine Stunde der Qual und Prüfung.
Meist erfolgten sie Freitags zwischen fünf und sechs Uhr, zwischen
zwei Klavierstunden, die Adelgunde in der Nähe zu erteilen hatte.
An schönen, sommerhellen Tagen blieb sie manchmal aus; aber wenn es
regnete, kam sie bestimmt. Und da sie prinzipiell niemals Gummischuhe
benutzte, so brachte sie meist ein erkleckliches Quantum Schmutz und
Nässe an ihren nicht zu knappen Sohlen mit in Emils Salon und auf den
farbenprächtigen Bucharateppich, auf den er um so stolzer sein durfte,
als er ihn viel zu hoch bezahlt hatte.

Das Gespräch nahm aber dann meistens den folgenden Verlauf.

„Ach, Fräulein Adelgunde! Welche Freude --“ Emil log jedesmal mit
demselben Mißerfolg im Gesichtsausdruck. „Sogar bei dem schlechten
Wetter schenken Sie uns die Ehre. Ich darf vielleicht ein Täßchen
Kaffee ...“

„Nein, ich danke wirklich. Ich habe schon zu Hause ...“

In diesem Augenblick kam gewöhnlich, ungerufen und ihre Pflicht
durchaus kennend, die tüchtige Lisette, ein Mädchen von unbestimmbarem
Alter und ganz außerordentlicher Häßlichkeit, die noch durch Kleider
von einem augenvergiftenden Blaugrün gehoben wurde, mit dem Kaffeebrett
ins Zimmer. Und Adelgunde, die „schon zu Hause getrunken hatte“, trank
nicht +ein+ Täßchen, sondern vier, wozu sie eine größere Anzahl von
Biskuits verzehrte. Dies alles mit der Miene und dem Anstand einer
Europäerin, die etwa bei einem Kaffernhäuptling zu Gast ist und
dessen entsetzliche Nationalgerichte aus einer gewissen mitleidigen
Höflichkeit für den Gastgeber sich gefallen läßt.

Nach dem zweiten Biskuit sah sich Adelgunde suchend im Zimmer um:

„Und unser lieber Flocki, ist er nicht hier? Sie wissen, lieber Freund,
ich würde nimmermehr zu Ihnen kommen -- denn schließlich, wir sind
beide unverheiratet, nicht wahr, und die Welt hat an dem Erfinden
und Kolportieren von Schlechtigkeiten ihre größte Freude -- in den
Gartenhäusern leider noch mehr als in den Vorderhäusern ...“

Hier machte Emil eine Handbewegung, die dreierlei bedeuten konnte.
Entweder sie erklärte: Die Verleumdungen dieser minderwertigen Welt
müssen an so edlen Herzen, wie den unsrigen, spurlos abprallen. Oder
sie besagte: Sie halten mich hoffentlich nicht für fähig, die von Ihrer
Hochherzigkeit geschaffene Situation in unedler Weise auszunützen. Oder
aber sie umschrieb den einfachen Gedanken: Was mir schon an deinem
Gefasel liegt, mit dem du mir alle acht Tage die Ohren füllst!

Adelgunde versuchte gar nicht, hinter den tiefern Sinn dieser
Handbewegung zu kommen. Sie fuhr vielmehr fort:

„Unsere liebe Heimgegangene hat bestimmt, wie sie bestimmt hat. Es ist
an uns, ihren Wunsch zu ehren. Aber sie hat mir unrecht getan. Gewiß,
ich habe einige Unarten Flockis bemerkt und -- ich gesteh’s -- peinlich
empfunden, über die +Sie+, teurer Freund, in der unendlichen Güte ihres
Herzens hinwegsahen.“ (Das war eine satanische Bosheit nach Emils
Dafürhalten; denn Adelgunde wußte ganz gut, daß ihn Flockis zunehmende
Ungebührlichkeit heftig erbitterte.) „Aber gehaßt? -- Nein, gehaßt
hab’ ich das kluge Tierchen +nie+. Der beste Beweis ist, daß ich fast
jede Woche den Weg nicht scheue, nach seinem Befinden zu sehn und mich
zu überzeugen, daß all die Sorgfalt, die unsere liebe Heimgegangene
für ihn erhoffte, ihm auch im vollen Maße zuteil wird. Denn daß ich
+Ihretwegen+ nicht komme, lieber Freund ...“

Emil nickte. „Das hätte ich mir schon selbst in aller Bescheidenheit
eingestanden, auch wenn Sie es mir nicht bei jedem Ihrer freundlichen
Besuche, die mich ehren und erquicken, wiederholt hätten.“

Adelgunde überhörte die Ironie. „Und wo ist unser Liebling?“

„Der Liebling schläft noch.“

„So, so. Er schläft. Nun sehn Sie mal an! Das +liebe+ Tierchen. Lassen
Sie ihn nur nicht zu +lange+ schlafen. Man hat mir erzählt, durch
allzuviel Schlaf stelle sich leicht bei Rassehunden Fettsucht ein. Und
dann kommt plötzlich ein Herzschlag oder -- ein Lungenschlag -- oder
ein Milzschlag -- oder ein ...“

„Oder ein Hirnschlag,“ half Emil freundlich aus.

„Ganz recht, oder ein +Hirn+schlag,“ bestätigte Adelgunde mit
unverminderter Liebenswürdigkeit. „Und dann ist das Tierchen weg --
Eins, zwei, drei -- und es ist weg!“

Das könnte dir so passen, dachte Emil, ich hätte dann 6000 Mark Rente
minus, du hättest 3000 Mark Rente plus und obendrein die Freude, mich
wieder hungern und schuften zu sehen. Und seine Züge zu einem Lächeln
frohster Zuversicht zwingend, tröstete er: „Sie können versichert sein,
verehrte Freundin, daß unserm gemeinsamen Liebling an Pflege nichts
abgeht.“

Und schon ließ die tüchtige Lisette durch die nur eben geöffnete Türe
den Liebling herein.

„Komm, Flocki,“ lockte Emil und schnalzte ermunternd mit den Fingern,
„sag der guten Tante mal schön guten Tag.“

Und mit einem Satz war Flocki auf Adelgundes Schoß. Das späte
Mädchen machte den schwachen Versuch, herzliche Freude über diese
Zutraulichkeit zu heucheln. In Wahrheit war Adelgunde wütend; denn
Flocki hatte, wie immer bei ihren Besuchen, ganz nasse und ziemlich
schmutzige Pfoten. Was daher kam, daß ihn Emil immer, wenn die „gute
Tante“ kam, von Lisette wecken und rasch mal auf die Straße führen
ließ, damit er sich die oben beschriebenen Pfoten hole. Dies war Emils
einzige heimliche Rache für die erschreckende Genußlosigkeit dieser
unvermeidlichen Kontrollbesuche.

Aber schon war Adelgunde im Zuge. „Mir scheint, lieber Freund, er hat
heute etwas trübe Augen, der brave, kleine Flocki. Zeig’ mal deine
Guckelchen. Ru--hig halten, Darling. Ja, wahrhaftig, recht trüb.“

„Das ist die Beleuchtung.“

„Nein, nein. Ich täusche mich nicht. Eine gewisse Mattigkeit in der
Pupille. Er wird doch nicht die Staupe bekommen? Das fängt so an.“

„Aber dazu ist er doch viel zu alt.“

Adelgunde schüttelte in täuschend geheuchelter Besorgnis den Kopf: „Und
eine warme Nase hat er +auch+, unser liebes Hündchen! Eine +ganz+ warme
Nase.“

„Das hat er öfter.“

„Um so schlimmer! Ich fürchte, er hat zu wenig Bewegung. Sie sollten
radfahren und ihn ein bißchen hinterherlaufen lassen.“

Das könnte dir so passen! Damit er mir unter die Elektrische kommt,
nicht wahr? dachte Emil.

„Wie oft wird er wohl gebadet?“

„Alle drei Tage.“

„Das scheint mir nicht oft genug. Ein meinen Eltern befreundeter
Oberförster hatte einen Setter, den er jeden Tag ins Wasser gehen ließ.
Er ist in hohem Alter gestorben.“

„Der Oberförster?“

„Der auch. Aber ich meinte den Setter. Dieser sehr erfahrene Forstmann
pflegte zu sagen: Jedes Bad bedeutet einen Monat längeres Leben für so
ein Vieh.“

„Wenn also der Oberförster den Hund jeden Tag, wie Sie sagen, zwei
Bäder nehmen ließ und das auch nur +ein+ Jahr durchführte, so hatte
er dem Setter schon eine Lebensdauer garantiert von -- von warten Sie
einen Augenblick --“ (Emil nahm ein Papierchen und rechnete:) „zweimal
365 macht 730, also 730 Bäder. 730 dividiert durch 12 macht -- macht 60
Jahre 10 Tage.“

Ärgerlich über diese ziemlich deutliche Frozzelei, die sich Flockis
Pflegevater gestattete, stand Adelgunde auf. „Und Ihr Bild, lieber
Freund, der ‚Wilde Jäger‘, wie ist’s mit ihm? Es ist eine allerliebste
Idee von Ihnen, Ihren teuren Pflegling gleich in so vielen Exemplaren
künstlerisch zu verherrlichen. Und wenn auch im großen Publikum sich
wohl niemand dieses Zartsinns recht erfreuen wird, die Verewigte würde
gewiß Genugtuung empfinden über Ihr Werk. Sie war ja früher schon die
einzige, die in ihrem Kunstempfinden fortgeschritten genug war, Ihre
Bilder bewundern zu können.“

Es war Zeit geworden, daß sich Adelgunde empfahl. Sie tat es nicht,
ohne noch einmal auf die besorgniserregenden Symptome in Flockis
Aussehen und Benehmen mit schmerzlichem Nachdruck hinzuweisen und
allerlei gute Ratschläge von einer ganz außerordentlichen Unsinnigkeit
zu geben.

Als aber Emil gar von der Treppe her noch das laut und vernehmlich
abgegebene Versprechen empfangen hatte, daß sie nicht versäumen
werde, in der nächsten Woche wieder vorbeizukommen und hoffe, dann
den gemeinsamen Liebling wohler und munterer anzutreffen, drängte
der angesammelte Ingrimm in dem Herzen des unglücklichen Malers zu
gewaltsamer Entladung, die allemal in der Weise erfolgte, daß er sein
Malgerät wütend an die Wand und sich selbst stöhnend auf den Diwan warf.

Die teure Lisette aber hielt das dumpfe Geräusch der wider die Wand
fliegenden Pinsel und Paletten für ein stillschweigend mit ihr
verabredetes Zeichen, ihrem Herrn einen Punsch zu bereiten.

       *       *       *       *       *

Eines Morgens, ich goß gerade die Geranien auf dem Balkon, erschien
Emil plötzlich bei mir.

Er war echauffiert und sehr aufgeregt und trug einen nassen Hut in der
Hand.

„Regnet’s,“ fragte ich erstaunt.

„Nein, nein. Als ich in dein Haus trat, hat mich jemand von oben voll
gegossen. Es gibt doch rücksichtslose Kerle. Man sollte sich’s nicht
gefallen lassen, was? Dem Wirt schreiben? Aber wer hat Zeit? Es ist
wohl Wasser, was?“

„Ja, es scheint so.“ Ich untersuchte mit vollendeter Heuchelei. Da mein
Balkon über dem Entree lag, so war es klar, daß +ich+ es gewesen, der
den guten Emil begossen hatte. „Und das hat dich so aufgeregt?“

„Aber nein!“ Er rannte im Zimmer umher, und nahm alle möglichen kleinen
Nippes in die Hand, als suche er etwas ihm Gestohlenes.

Ich kannte diese merkwürdige Angewohnheit und ließ ihn -- nicht ohne
Angst -- gewähren. „Aber was ist dir denn eigentlich?“

Er trat dicht vor mich hin. „Flocki --“

„Richtig, Flocki! Wo ist er denn?“ Ich hätte eher Apollo ohne Leier,
Fortuna ohne Füllhorn und den Perseus ohne das Medusenhaupt bei mir
erwartet, als Emil ohne seinen merkwürdigen Hund.

„Das ist’s ja,“ sagte er dumpf. „Flocki ist zu Hause. Flocki hat sich
heute nacht übergeben. Mehrmals und reichlich.“

„Hm. Auf den Teppich?“

„Nein, auf meinen Gehrock, der auf einem Stuhl lag. Aber das ist
durchaus Nebensache. Aber das Schreckliche: Flocki ist +krank+.
Zweifellos! Denn das hat er noch nie getan. Er hat auch eine warme
Nase. Er hat -- -- --“

„Ja, Lieber, ich bin aber doch kein Tierarzt.“

„Der Tierarzt war schon da. Er sagt, er weiß nicht ... er kann noch
nichts sagen. Ich habe ihn natürlich in der Nacht holen lassen.
Übrigens hat mir Lisette gekündigt heut früh. Sie war wütend, daß sie
zum Arzt mußte mitten in der Nacht. Ein Betrunkener hat sie um die
Taille gefaßt auf dem Nürnberger Platz. Sie sagt, sie sei bei einem
Maler im Dienst und nicht bei einem Hundevieh. Sie brauche sich nicht
nachts von einem Betrunkenen umarmen zu lassen -- du, +wie+ betrunken
muß +der+ gewesen sein! -- weil ein Hund, der nicht einmal echt sei,
Leibweh habe.“

„Du, Emil -- eigentlich hat sie recht.“

„Natürlich hat sie Recht. Das ist ja das Gräßliche. +Sie+ hat recht,
und +ich+ habe recht, und +Alle+ haben recht. Für mich aber steht doch
mein Leben auf dem Spiel --“

„Ein +Wohl+leben, Lieber, nichts sonst.“

„Ja aber +denke+ dir doch -- ich bin jetzt so daran gewöhnt. Und aus
der Malerei bin ich ganz heraus. Ich kann doch mein Leben lang nicht
Flocki malen und immer Flocki. Ich gehe zugrunde, körperlich, seelisch,
menschlich, künstlerisch. Ich vertrottele und versimple. Mich wundert’s
lange schon, daß ich nicht eines Tages aufwache und nur noch Wau-wau
sagen kann.“

„Armer Freund!“

„Es gibt nur +einen+ Ausweg. Das schreckliche Tier muß fort von mir,
und ich darf +doch+ die Rente nicht verlieren.“

„Wie aber das? Adelgunde wird das +nie+ zugeben, daß du die Nutznießung
des Geldes hast und ...“

„Ich weiß, ich weiß. Und deshalb bin ich entschlossen ... Aber setz
dich erst ... nein wirklich, +setz+ dich dort in den Stuhl .. So.
Also ich bin seit heute nacht -- um 3 Uhr 45 heute nacht kam mir der
Gedanke -- bin entschlossen --“

„Nu +ja+ doch! Zu +was+ denn?“

„Ich +heirate+ Adelgunde.“

Ich nahm unwillkürlich den doppelgeschliffenen Somalidolch, der mir als
friedliches Papiermesser diente, fester in die Hand. Das konnte ein
Tobsuchtsanfall werden. Eine schwere Nervenstörung war’s jedenfalls.
Oder ein Spaß von +seltener+ Kühnheit. Aber so sah kein Spaßender aus.
Eine finstere Entschlossenheit lagerte auf Emils übernächtig blassem
Kopf. Jetzt erst sah ich, daß er keinen Schlips anhatte, was den
Eindruck dieser Verstörung erhöhte. Er sah aus, als sei er direkt aus
einem Erdbeben gerettet.

„Emil, du wolltest -- --?“

„Adelgunde heiraten. Ja. Ich weiß, was du sagen willst.“ (Ich wollte
gar nichts sagen.) „Sie ist älter, wie ich, gewiß. Josefine war auch
älter als Napoleon. Aspasia war älter als Perikles.“

„Ja -- +liebst+ du sie denn?“

Er lachte hell auf. „+Auch noch+! Man braucht doch nicht alle
Dummheiten auf einmal zu machen. Nein, ich liebe sie nicht. Aber --
ich hasse Flocki. Die Sache steht einfach so. Heirate ich Adelgunde,
so behalte ich meine Rente und kann Flocki in Pension geben. Stirbt
er wirklich, so haben wir immer noch die Hälfte der Rente und was wir
dazu verdienen. Adelgunde ist ja unleidlich. Aber sie ist viel aus dem
Hause. Unterrichtsstunden, Freundinnen und all so was. Und ich denke,
sie ist vielleicht nur unleidlich wenn -- weil -- solange -- --“

„Solange sie nicht die +Deine+ ist.“

„Die Meine oder die Deine oder die Seine“, brummte Emil ärgerlich.
„Solange sie eben nicht verheiratet ist. Die Ehe wirkt veredelnd auf
den Menschen. Es liegt oft ein Schatz von Liebe in solchen späten
Mädchen. Doch wie’s auch kommt -- sie ist wenigstens ein Mensch und
gewiß nicht ohne menschliche Vorzüge. Aber Flocki! Siehst du, wenn
ich ein Nilpferd geerbt hätte -- das hat wenigstens eine robuste
Gesundheit. Oder einen Orang-Utang -- der ist wenigstens amüsant.
Oder einen Karpfenteich -- diese Tiere springen einem wenigstens
nicht auf die Möbel, ins Bett, ins Gesicht. Aber dieser Malefizköter!
Siehst du, wenn ich’s geahnt hätte, damals, wie ich ihm im Atelier
das Fell kraute .... Wie ich den Herrn mit dem Geflügelknochen ...
wie mir der ~Dr.~ Neumann mit dem Testament ... Nach Amerika wär ich
ausgewandert, mein Wort darauf! nach Alaska meinetwegen, ja in die
Südsee zu den Kanibalen. Wahrhaftig! Aber jetzt --! Die Gewohnheit
hat mich unterjocht. Ich kann nicht mehr Gummikragen umbinden und für
fünf Groschen ‚mit Bier‘ zu Mittag essen. Wen der Himmel für die Kunst
verderben will, den macht er zum Rentier! Denn malen -- siehst du --
malen kann ich auch nicht mehr. Du hast’s ja selbst gesehn. Ich muß
erst wieder Flocki los werden. Aus meiner Nähe, aus meinen Gedanken,
aus meiner Kunst muß die Bestie. Das Hundeleben muß aufhören. Ich will
wieder ein +Mensch+ sein. Ergo: ich heirate Adelgunde. Und der erste
Paragraph unseres Ehevertrages heißt: Es ist keinem der Ehegatten
erlaubt, ohne Zustimmung des andern Ehegatten einen Hund irgendwelcher
Größe in der ehelichen Wohnung zu halten.“

„Hm. Aber schließlich gewisse Verpflichtungen hast du doch auch gegen
Flocki. Es wäre doch eine zwar pfiffige aber ein bißchen rohe Umgehung
des letzten Willens deiner Freundin, wenn du das Tier nun irgendwo in
Pension gibst, wo es geprügelt wird und hungern muß und von den Kindern
an den Ohren gezogen wird.“

Emil unterbrach seinen Spaziergang längs meines Bücherschranks,
richtete stolz das blasse Haupt empor und sah mich mit einem Blick an,
in dem tiefe Mißbilligung nicht zu verkennen war.

„Wo denkst du hin?! Was traust du mir zu! Bin ich ein Kongoneger? Sehe
ich aus wie ein Feuerländer? Natürlich Flocki, soll es gut haben.
Das wird meine erste Sorge sein. Ich habe schon an den Zoologischen
Garten gedacht. Wenn ich diesem Institut den Hund schenkte? Er ist
eitel, ich kenne ihn. Es würde ihn beglücken, an seinem Käfiggitter
ein blaues Schildchen mit seinem Namen und seiner Rasse -- -- ja, da
liegt die Schwierigkeit. Ich fürchte der Zoologische Garten verweigert
solcher ziemlich willkürlichen Kreuzung die Aufnahme. Nein, nein, es
muß Privatversorgung erwogen werden. Eine Witwe vielleicht. Kinderlos
natürlich. Kinder hat Flocki nie geliebt, und dann fühlen sie sich
zur Erziehung berufen, die Flocki immer abgelehnt hat. Es würden sich
daraus Konflikte schlimmster Art entwickeln. Also eine kinderlose
Witwe. Witwen sind voll Zärtlichkeit und verstehn sich auf Pflege.
Das heißt --“. Wie von einem bezaubernden Einfall geblendet wich Emil
plötzlich einen Schritt zurück, dann trat er ganz rasch drei Schritte
auf mich zu, legte mir die Hand auf die Schulter und lieh seiner
vorzüglichen Eingebung die guten Worte: „Das heißt -- hättest +du+
vielleicht Lust, Flocki zu nehmen: Ich will ihn dir schenken.“

       *       *       *       *       *

Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß ich Emils hochherziges Angebot
dankend ablehnte.

Woher ihm eigentlich die Sicherheit gekommen war in der Voraussetzung
daß ihn Adelgunde, sobald er ihr einen Antrag machte, auch nehmen
würde, weiß ich nicht. Aber einen andern Ausgang der Angelegenheit
hatte er keinen Augenblick ernstlich erwogen.

Um so peinlicher war sein Erstaunen, als Adelgunde sich drei Tage
Bedenkzeit ausbat. Das Unglück wollte es, daß Flocki noch immer eine
warme Nase hatte; und Emil stand unter dem Bann der fixen Idee, daß
dieser tückische Hund in diesen drei Tagen bestimmt sterben werde, um
ihn zu ärgern und seine Rettung in lebenswerte bürgerliche Verhältnisse
unmöglich zu machen. Der Tierarzt kam täglich dreimal, wurde außerdem
mehrfach telephonisch in seiner Wohnung und in dem Café, in dem er
mittags Domino zu spielen pflegte, angeklingelt und blieb auf Emils
besonderen Wunsch auch nachts telephonisch für ihn erreichbar.

Endlich am dritten Tage nachmittags um zwölf Uhr kam ein Briefchen von
Adelgunde.

Als ich um ein Uhr in seine Wohnung kam, nach dem Freunde zu sehen,
der mir in den letzten Tagen Sorgen gemacht hatte, erzählte mir
Lisette, der Herr habe vorhin durch einen Dienstmann ein Billetchen
bekommen. Darauf habe er sich längere Zeit lächelnd vor dem Spiegel
im Korridor aufgehalten, habe dann telephonisch ein Rosenbukett mit
violetter Schleife für fünf Mark bestellt, habe seinen Friseur kommen
lassen und eine halbe Flasche Veilchenparfüm auf zwei Taschentücher
gegossen, die er in seinen besten schwarzen Rock gesteckt. Dann habe er
ihr -- Lisette -- zehn Mark geschenkt mit der Weisung, sich möglichst
bald eine schöne Granatbrosche dafür zu kaufen (warum gerade eine
Granatbrosche wisse sie nicht) sei vor Flockis Körbchen getreten und
habe den sehr erstaunten Hund ein „Rabenvieh“ genannt, was ja wohl
seine Berechtigung habe, aber doch, so weit sie sich entsinne, zum
ersten Male passiert sei. Dann habe er sich einen Zylinder aufgesetzt,
habe ein paar resedafarbene Handschuhe in die Hand genommen und sei
pfeifend, ohne seiner sonstigen Gewohnheit gemäß detaillierte Weisungen
Flockis Wartung betreffend zu geben, die Treppe hinabgesprungen. Wie
ein Reh. Dies „wie ein Reh“ gefiel Lisette so gut und schien ihr so
erstaunlich charakteristisch, daß sie es noch dreimal mit Nachdruck
wiederholte: „Wie ein Reh -- wenn ich’s Ihnen sage: wie ein Reh!“

Ich wußte genug. Ich empfahl Lisette, beim Ankauf der Granatbrosche
sehr umsichtig vorzugehen, und machte mich auf den Heimweg.

Zu Hause setzte ich mich an den Schreibtisch und schrieb ein
Rohrpostbriefchen. Ich habe es gegen meine Gewohnheit dreimal
aufgesetzt.

Es gibt Glückwünsche die sehr schwer fallen. Man wünscht wohl, aber man
glaubt nicht.

       *       *       *       *       *

Wenn Emil eine Prinzessin von Trapezunt geheiratet hätte, er hätte sich
in den folgenden Wochen nicht beglückter benehmen können.

Er markierte Verlobungswonne in geradezu vorbildlicher Weise. Er kaufte
Buketts, Lyrik, Marzipan. Er trug zu enge Stiefel und zu hohe Kragen.
Er sann auf zarte Überraschungen und las nachts im Bett eine gräßlich
langweilige Biographie von Johann Sebastian Bach, den Adelgunde sehr
verehrte. Von Kontrapunkt und Fuge sprach er jetzt so viel, wie er
früher von Flocki und seinen Magenverhältnissen gesprochen hatte.
Eines Tages erwarb er in einer Versteigerung bei Lepke sogar ein sehr
mäßiges Ölbild, das den großen Meister darstellen sollte, das sich aber
leider später als das Porträt seines Vaters, des Hof- und Ratsmusikus
Johann Ambrosius Bach erwies.

Mit der Ungeduld eines Romeo drängte Emil auf Beschleunigung der
ehelichen Verbindung. Blos standesamtlich wünschte Adelgunde. Emil war
einverstanden.

Ich war Emils Trauzeuge. Adelgunde hatte sich für die feierliche
Handlung ihren Hauswirt mitgebracht. Dieser brave Mann, in seinem
Privatleben ein Schneidermeister, dessen Anzüge eine gewisse
Berühmtheit genossen, weil sie jedem Besteller die Figur ihres
Verfertigers gaben, hatte leider zur Vorfeier des Tages sehr heftig
gefrühstückt und kämpfte während der Zeremonie so tapfer wie vergeblich
gegen einen Schluckser. Adelgunde hielt dies mühsam gedämpfte Geräusch
für einen Ausdruck tiefer, seelicher Ergriffenheit und hat später dem
Gatten gestanden, daß diese Feierlichkeit den lange von ihr gehegten
Verdacht als begründet erwiesen habe; daß nämlich der ehrsamliche
Schneidermeister selbst ein Auge auf sie geworfen habe, ohne den Mut zu
finden, zu tun, was Emil getan hatte ...

Im Separatzimmerchen eines kleinen aber guten Restaurants der
Potsdamerstraße war das festliche Frühstück, das dem standesamtlichen
Akt folgte. Nur wir vier. Und ein sehr diskreter Kellner, der die
Speisen immer erst brachte, wenn sie kalt waren.

Ich hielt eine kleine Rede auf das Brautpaar, sprach von der ehelichen
Liebe, die das Leben adelt, jede Freude erhöht, jeden Schmerz gemeinsam
tragen lehrt -- kurz ich gab, der Situation angemessen, eine Anzahl von
Gemeinplätzen zum besten, die jedem lateinischen Übungsbuch für Quinta
Ehre gemacht hätten.

Dann erhob sich der Trauzeuge Adelgundes. Er erzählte mit etwas
schwerer Zunge sehr merkwürdige Dinge, die nur leider keinen rechten
Zusammenhang mit der festlichen Veranlassung dieses gemeinsamen Mahles
zeigten. Er sagte unter anderem, er sei bei einer alten Tante erzogen
worden, die ihm früh den Spruch eingeschärft habe: Üb’ immer Treu
und Redlichkeit -- bis an dein kühles Grab. So gedenke er’s auch zu
halten. Die Wohnung im dritten Stock seines Hauses habe früher 1000
Mark gekostet. Nun aber habe er die Toilette neu tapezieren und den
Herd umsetzen lassen. Auch sei ihm eine Hypothek gekündigt worden, was
ihn sehr verdrieße. Vom nächsten Quartal an müsse er 1100 Mark für
diese Wohnung verlangen, was er als Ehrenmann heute schon ankündigen
wolle. Zumal da in einem fort darin Klavier gespielt werde; was zwar
immer noch nicht so schlimm sei, wie Waldhorn. Was die Ehe anbetreffe,
so habe darüber der Apostel Paulus ein sehr gutes Wort gesagt, das ihm
jetzt nicht einfalle. Und wenn die Pute nicht so kalt werden solle,
wie der Rehrücken leider vorhin gewesen, so müsse er seine Rede jetzt
schließen.

Diese letzte Wendung wurde von uns als Scherz gedeutet. Wir riefen
hoch und stießen an. Der Meister war sehr geschmeichelt und nahm drei
Bruststücke von der Pute.

Nach dem Eis erhob sich Adelgunde und verabschiedete sich von uns mit
einem verschämten Lächeln, das ihr gar nicht übel stand. Mit diesem
Lächeln konnte sie für fünfunddreißig gelten. Sie fuhr in einem
Taxameter nach Hause, um ein Reisekleid anzulegen, da eine kurze
Hochzeitsreise nach Potsdam beschlossen war.

Als Adelgunde gegangen war, offerierte Emil mit dem strahlenden
Lächeln, das ihm selbst bei des Trauzeugen Rede nicht verlassen hatte,
sehr schwarze Zigarren mit sehr roten Leibbinden.

„Sagen Sie, lieber Herr Steinbrink“, fragte der Meister, indem er sich
drei Zigarren auswählte und neben seine Kaffeetasse legte, „was wird
nun eigentlich aus ihrem +Hund+, solange sie auf der Reise sind --
--? Es ist wegen der Wohnung. Ich bin da etwas unruhig. So ein Vieh
ruiniert leicht mancherlei, nagt und schabt und kratzt -- --“

Emils Gesichtsausdruck verlor an Fröhlichkeit. Und der meine war in
diesem Augenblick kaum sehr intelligent.

„Ja, erlaube mal, Emil“, warf ich ein, „hast du denn noch niemand
gefunden, den du -- -- Ich meine die Witwe, von der du sprachst, die
kinderlose Witwe ...“

Emil wurde sehr verlegen. Er pickte nervös an dem Bändchen seiner
schwarzen Zigarre herum und, ohne mich anzusehn, sagte er kleinlaut:
„Die Sache ist +die+, Lieber. Ich und Adelgunde -- Adelgunde und ich
-- wir haben’s uns eben überlegt. Eine fremde Pflege ist doch nicht so
sicher. Du weißt, es gehen uns dreitausend Mark verloren, wenn Flocki
stirbt. Das ist schließlich keine Kleinigkeit.“

„Tausend noch mal!“ bestätigte der Meister und knüpfte seine Weste auf.

„Na und siehst du, so kamen wir eben nach reiflichster Überlegung
überein, Flocki zu +behalten+. Gott, er hat ja auch seine Vorzüge. Und
dann: man gewöhnt sich. Es ist merkwürdig, +wie+ man sich gewöhnt.
Während wir in Potsdam sind, wird Lisette -- du weißt, wir übernehmen
sie in den jungen Hausstand. Und wenn wir zurückkommen -- Gott,
Adelgunde hat eine so glückliche Hand in der Pflege. Du sollst mal
sehen, wie die Blumen gedeihn an ihrem Fenster -- und haben doch fast
keine Sonne.“

„Erlauben Sie,“ fiel der Meister ärgerlich ein, „das muß ich denn doch
besser wissen. Vom Mai bis Ende September hat das Fenster von Mittags
zwölf bis nach zwei Uhr Sonne. Wenn’s nicht regnet, natürlich. Aber
dann hat kein Mensch Sonne und kein Fenster.“

Emil hörte ihn nicht. Die erloschene Zigarre im Munde stierte er in
tiefem Sinnen in den riesigen Aschbecher. An seines Geistes Augen
mochte das ganze Martyrium dieser Erbschaft vorüberziehen, das
Martyrium, das hinter ihm lag, das Martyrium, das seiner wartete ...

Wir beiden andern schwiegen und rauchten.

Plötzlich fuhr Emil aus seinen Träumen auf und sah nach der Uhr.

„Himmel, ich muß fort. Höchste Zeit. Entschuldigt die Plötzlichkeit,
Kinder, aber wir versäumen sonst den Zug. Ich muß Adelgunde abholen ...“

„Aber es ist ja noch reichlich anderthalb Stunden. Und zum Potsdamer
Bahnhof habt ihr nur sieben Minuten.“

„Hm. Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß man zu zweien immer +mehr+
Zeit braucht, als allein.“

Der Meister rechnete angestrengt an den Fingern: „Und zweimal sieben
macht vierzehn -- nicht wahr? Und eine Stunde und eine halbe macht
neunzig Minuten, und neunzig weniger vierzehn macht sechsundsiebzig ...“

Es war nicht recht einzusehen, warum er sich in die Mühseligkeiten
dieser Rechenaufgaben stürzte; denn von uns beiden hörte ihm keiner zu.
Selbst dann nicht, als er durch eine sehr schwierige und rätselhafte
Division sich tief in die Gefahren der Bruchrechnung verstrickte, die
er dann mit einem befriedigten „Na, und überhaupt!“ abschloß.

Emil hatte seinen Paletot angezogen, den der Meister mit kritischem
Blick maß. Der Reisefertige reichte mir die Hand zum Abschied; und
mir war’s, als legte er eine ganz besondere Bedeutung in sein
Abschiedswort:

„Du hast Recht, wie schon manchmal, lieber Freund. Aber wir müssen
vorher noch Adieu sagen. Adelgunde besteht darauf, daß wir +Flocki+
noch einmal sehen, ehe wir ihn für ein paar Tage verlassen. Schließlich
-- +er+ hat uns doch zusammengeführt! ...“

[Illustration]




[Illustration: Das Verhängnis des Hauses Brömmelmann]


Er hatte nur unter den größten Schwierigkeiten eine Frau bekommen. Es
ist lächerlich, zu behaupten, daß das an seiner Persönlichkeit lag. Es
lag am Namen.

Gewiß, er war nicht schön. Die unansehnliche Figur, die etwas
Verbogenes, Geknicktes an sich hatte, sah in dem langen schwarzen
Gehrock, den er immer trug, nicht gut aus. Er erinnerte, wenn er so
daher kam mit dem schief nach links über den altmodischen Kragen
nickenden Kopf und den lang herabhängenden Armen, die immer die Knie
kratzen zu wollen schienen, an einen jener dressierten Urwaldbewohner,
die, ein Zylinderchen auf dem Kopf, auf ein geduldiges Ponychen mit
heimlichen Riemen festgebunden, als erste Nummer unter dem Jubel der
Kinderwelt in melancholischem Galopp die „Abend-Gala-Elite-Vorstellung“
der Affentheater einzuleiten pflegen. Auch waren seine Füße
unverhältnismäßig groß und erweckten beim Gehen den Eindruck, als ob
jeder von ihnen eigensinnig just auf denselben Fleck treten wolle, den
der andere gerade inne hatte; und dies mit solcher Vehemenz, daß es
ein wahres Wunder genannt werden mußte, wenn +Anton Brömmelmann+ sich
bis zu seinem fünfundvierzigsten Jahre noch nicht die Zehen abgetreten
hatte auf seinen Geschäftsgängen.

Denn zum Vergnügen ging er nie. Das Geschäft war ihm alles. Er
arbeitete dafür den ganzen Tag; er erholte sich davon, indem er abends
in alten Geschäftsbüchern blätterte und alte Geschäftsbriefe im
Kopierbuch las; und er träumte davon in der Nacht. Das Geschäft war
sein Glück -- denn es blühte. Und es war sein Unglück -- denn es hatte
seinem Namen einen wenig seriösen Klang gegeben. Und just um dieses
Klanges willen hätte Anton Brömmelmann beinahe keine Frau bekommen.

Eine geschickte Reklame des Vaters -- der auch schon Anton geheißen und
den Ruhm des Geschäftes begründet hatte -- war dem Namen Brömmelmann
verhängnisvoll geworden; insofern als er diesen nicht sinnverwirrend
schönen aber auch nicht ohne weiteres verwerflichen Geschlechtsnamen
braver kleiner Beamten und Pastoren plötzlich laut, heftig und dauernd
mit -- ja, es muß schon gesagt werden: mit Wasserklosetts in Verbindung
brachte.

„Anton Brömmelmanns Wasserklosetts für Privatwohnungen, Klubs, Hotels,
Spitäler, Kasernen und Gefängnisse“ waren weit über Neuenburg hinaus
eine Berühmtheit. Durch unzählige Annoncen in den Tagesblättern hatte
er sie -- wenn das so auszudrücken erlaubt ist -- dem Herzen des
Publikums eingeschmeichelt. Er hatte Gutachten über ihre Diskretion
im Geräusch und Wasserverbrauch und über ihre Unentbehrlichkeit
im Großbetrieb fleißig gesammelt und veröffentlicht; hatte
enthusiastische Zustimmungen von Hygienikern, berühmten Schauspielern,
Anstaltsdirektoren, ja sogar von zwei wirklichen Geheimen Räten mit
dem Prädikat Exzellenz seinem Katalog anheften können. Und so hatte
er mit der Wahrhaftigkeit, wie sie nur die Todesstunde verleiht,
auf dem Sterbebette seinem einzigen Sohn feierlich und nicht ohne
Genugtuung versichern dürfen, daß es in und um Neuenburg, wenigstens in
menschlichen Wohnstätten, die etwas auf sich hielten, keinen geheimen
Ort, den ein guter Mensch betrat, gebe, der nicht an bescheidener
Stelle auf weißem Porzellangrund den Namen „Anton Brömmelmann“ rühmend
dem nachdenklichen Beschauer nenne.

Das aber war das Fatale. Welches junge Mädchen von sittlichem Gefühl
verliebt sich in einen Mann, der mit so unentbehrlichen, aber doch so
ungern genannten Gebrauchsgegenständen handelt? Welches wohlerzogene
Bürgerstöchterlein tauscht froh und reulos seinen mehr oder minder
wohlklingenden Vatersnamen gegen einen Namen, den immer und immer
wieder Annoncen in den Tagesblättern in solch merkwürdige Erinnerung
bringen; der immer und immer wieder von weißem Porzellangrund abzulesen
ist? ...

Wenn Anton Brömmelmanns Ahnherr im Dreißigjährigen Krieg nachweislich
gehängt worden wäre; wenn sein Großvater beim Rastatter Gesandtenmord
eine üble Rolle gespielt und seine Großmutter im berüchtigten
Hirschpark von Versailles zeitweise unrühmlichen Aufenthalt genommen
hätte -- das wäre alles kein so trauriges Ehehindernis für Anton
Brömmelmann gewesen, als der fatale Umstand: daß sein fleißiger und
rechtlicher Vater gar so viel Lobendes über seine vortrefflichen
Fabrikate veröffentlicht hatte.

Und außerdem: mitten in der Hauptstraße, zwischen der appetitlichen
Konditorei von Grötschel und der poesievollen Blumenhandlung der stets
in tiefe Trauer gekleideten Witwe Schwiebus -- die drei verletzend
naturalistischen Riesenerker des Brömmelmannschen Geschäfts! Welche
Frauenseele in jenem glücklichen Alter, da man sich Verse von Lenau ins
Album schreibt und mit Leutnants tanzt und Lieder von Schumann singt,
bebte nicht scheu zurück vor einem noch so braven Mann, der ein so
absonderliches Geschäft sein eigen nennt?

Anton Brömmelmann hätte von den Körben, die er sich seufzend in guten
Bürgerfamilien geholt, ganz bequem einen Korbhandel eröffnen können.
Aber er sah mit Goethe, den er übrigens nicht las, in der Ehe „Anfang
und Gipfel aller Kultur“; und er war betrübt, ja niedergeschlagen, daß
gerade +ihm+ weder Anfang noch Gipfel beschieden sein sollte, obschon
oder gerade +weil+ er als Geschäftsmann just der Sohn seines Vaters und
ein Kulturträger von nicht zu unterschätzender Bedeutung war.

Endlich aber fand er in Annemarie Bickebach doch noch ein weibliches
Wesen, das großherzig genug war, über die ganzseitigen Annoncen und
die Riesenerker in der Hauptstraße und schließlich auch über manche
negativen Vorzüge seiner Erscheinung mit ihren leidlich hübschen Augen
hinwegzusehen.

Annemarie war die Tochter eines Oberpostsekretärs, der pensioniert
werden mußte, weil sich in ihm die fixe Idee entwickelte, er müsse
der Welt die Unsinnigkeit der Ansichtspostkarte beweisen; und der in
diesem Sinne eine Reihe von Broschüren im Selbstverlag erscheinen
ließ und zahlreiche Eingaben an den Reichstag und „Offene Briefe“
an die vorgesetzte Behörde richtete. Das langaufgeschossene, magere
Mädchen war zweimal verlobt gewesen. Einmal mit einem melancholischen
Bergassessor, der leider bald darauf mit einer Dame vom Variété
nach London gegangen war; und einmal mit einem sommersprossigen
Predigtamtskandidaten, der ihr eines Tages eine „frivole Auslegung
paulinischer Briefe“ vorgeworfen, ihren Ring, zwei gestickte
Schlummerrollen und einen gebrannten Haussegen zurückgeschickt und
drei Monate später eine vermögliche aber reizlose Witwe aus Kottbus
standesamtlich und kirchlich geheiratet hatte.

Annemarie hatte das stille Wesen aller Mädchen, die zweimal verlobt
waren und einmal am Variété und einmal an den paulinischen Briefen
gescheitert sind. Sie sah zwar, daß Anton Brömmelmann keineswegs
eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem jungen Griechengott, nicht
einmal mit einem melancholischen Bergassessor zeigte; aber er war
schließlich ein Mann, der seine hübschen Einnahmen hatte und dessen
mit der Erinnerung an zahlreiche Körbe belastetes Herz die Unzartheit
nicht besitzen würde, sie an ihr entschwundenes Liebesglück zu
erinnern. Und sie hatte es satt, immerzu „Eingaben an eine hohe k. k.
Oberpostdirektion“ ins reine zu schreiben.

Der Oberpostsekretär a. D. machte seine Einwilligung zur Verehelichung
davon abhängig, daß Anton Brömmelmann sich eidlich verpflichte,
niemals in seinem Leben eine Ansichtskarte zu benützen. Ein Schwur,
den Anton Brömmelmann um so eher ablegen und halten konnte, als er
überhaupt keine privaten Mitteilungen ernsten oder neckischen Inhalts
jemals zu Papier brachte, sondern +nur+ Geschäftsbriefe schrieb und im
Geschäftsverkehre die Ansichtskarte für durchaus unstatthaft hielt.
Der Oberpostsekretär holte übrigens für diese Gelegenheit seinen alten
Galadegen aus dem Schrank, eine sehr merkwürdige Waffe, die nach
halbstündigem sorgsamen Einfetten und anstrengendem Ziehen endlich auch
aus der Scheide fuhr. Auf die rostige Klinge mußte Anton Brömmelmann
feierlich die Schwurhand legen und den vom Oberpostsekretär persönlich
vorgesprochenen ebenso umständlichen als konfusen Eid mit lauter Stimme
wiederholen. Dann erst bekam er von der tief errötenden Annemarie den
Verlobungskuß und jenen gebrannten Haussegen, den der sommersprossige
Predigtamtskandidat unbegreiflicherweise verschmäht hatte.

Die Ehe war nicht unglücklich.

Annemarie hielt ihren Haushalt gut in Ordnung; und wenn Anton
Brömmelmann aus dem Geschäfte kam, so war sie bereit, seinen gehabten
Ärger mit aufmerksamer Teilnahme anzuhören, und schmierte ihm
Käsebrötchen dazu.

Jeden Sonntag aß der Oberpostsekretär a. D. bei den beiden zu Mittag.
Es gab dann „falschen Hasen“ -- weil dem Oberpostsekretär die
Vorderzähne fehlten -- und der Geladene würzte das bescheidene Mahl
durch heftiges Schimpfen auf die k. k. Regierung, die keine seiner
Eingaben, die er nun selber schrieb, jemals beantwortete.

Als er an einem Sonntag im Herbst wieder zum falschen Hasen kam, teilte
ihm Anton freudestrahlend mit, daß sie beide heute +allein+ essen
müßten, da Annemarie ihn heute morgens durch die Geburt eines Sohnes
erfreut habe und noch der Schonung bedürftig sei.

Obgleich der Oberpostsekretär, wie er sich recht wohl erinnerte, bei
der Eheschließung der beiden mit einer solchen Möglichkeit gerechnet
hatte, kam ihm die Nachricht nun, da er, mit seinen Angelegenheiten
beschäftigt, die natürlichen Anzeichen des kommenden Ereignisses
völlig übersehen hatte, doch sehr überraschend. In der Freude seines
Herzens ging er eiligst einen notwendigen Einkauf zu machen; und da er
nicht recht wußte, was zu dieser Gelegenheit am passendsten erscheinen
könnte, kam er eine halbe Stunde später wieder mit einer Mandeltorte
und einem Bilderbuch, das für den ersten Leseunterricht sehr
zweckentsprechend eingerichtet war. Dieses Buch legte die Wartfrau,
die wenig von Pietät hielt, unter das Gestell der Kinderbadewanne, das
einen zu kurzen Fuß hatte. Die Mandeltorte aber teilte sie mit der
Hebamme, die zufällig gerade, wie dies bei Hebammen das übliche ist,
ihren Geburtstag hatte.

Im Nebenzimmer aber saß der Oberpostsekretär, dämpfte seine Stimme
zu einem diskreten Piano, das kaum mehr hörbar war, und fragte den
glücklichen Vater, der sehr wichtig und sehr zwecklos bald eine
Zuckerdose, bald einen Aschenbecher umhertrug:

„Anton, +wem+ sieht’s ähnlich?“

„Die Wartfrau meint: +mir+,“ gab Anton schüchtern zurück.

Er mochte nicht gestehen, daß er persönlich bei einer ersten Begegnung
mit seinem Sohn, die allerdings im Halbdunkel der Wochenstube
stattfand, keinerlei Ähnlichkeit hatte wahrnehmen können, vielmehr den
Eindruck gewonnen, anstatt eines Kopfes eine runzliche, nicht mehr ganz
frische Tomate auf dem Kissen zu sehen.

Die Hebamme, die aus unbekannten Gründen immer heftig nach altem
Rotwein roch, kam herein und verkündete:

„+Neun+ und ein Viertelpfund! Eben gewogen. Es ist ein Mordskerl!“

„Das soll er erst +werden+!“

Anton Brömmelmann hatte dieses vortreffliche Wort gefunden und damit
stolz und tüchtig ~in nuce~ ein ganzes Erziehungsprogramm entrollt.

Das +eine+ stand bei Anton Brömmelmann fest: der Junge sollte es mal in
jeder Beziehung +besser+ haben, wie er; sollte sich nicht selbst die
Zehen abtreten beim Gehen, keine lächerliche Figur in einem schwarzen
Gehrock spielen und seinen Namen nicht am Tage wie eine Last und nachts
wie einen Alp tragen. Das Geschäft -- Gott behüte! -- das war nichts
für den Jungen. Diese Überzeugung stand schon bei Anton Brömmelmann
fest, wenn er des Abends, aus dem Comptoir heimgekehrt, zusah, wie im
Soxhletapparat die sechs appetitlichen Fläschchen für Nacht und Morgen
hergerichtet wurden. Immer ein Strich Milch und zwei Striche Wasser.
Und jedesmal setzte seine besorgte Frage ein:

„Kriegt der Junge auch nicht zu wenig Milch und zu viel Wasser?“

Berthold wurde er getauft.

Niemand in der Familie hieß so. Der Erfinder des Schießpulvers,
Berthold Schwarz, war der einzige dieses Namens, den Anton Brömmelmann
-- natürlich nicht persönlich -- kannte. Aber das war’s gerade: Der
Junge sollte einen +aparten+ Namen haben. Und wer konnte das wissen
-- die Sache mit dem Schießpulver! ... Der Junge konnte ein verdammt
kluges Gesichtchen machen und hatte eine Art, das rosig marmorierte
Fäustchen in den Mund zu stecken, die +hohe+ Intelligenz bewies. Und
das +Geschäft+ sollte ihm nicht den schönen Namen und das schöne Leben
verderben -- das war immer der Schluß von Anton Brömmelmanns reiflichen
Erwägungen. Und damit all dieses nicht geschehe, sollte der Bub’ keine
Ahnung davon haben, welcher +Art+ seines Vaters Geschäft war. Bis er
dann zur Schule kam, würde man schon sehen.

Von nun an dachte Anton Brömmelmann nur daran, sein Geschäft zu
verkaufen.

Er trat sich im Nachdenken noch emsiger auf die Füße, schlenkerte noch
heftiger mit den Affenarmen als früher und wechselte bogenlange Briefe
mit Reflektanten.

An der verlangten Kaufsumme scheiterte es nie. Er hatte genug geerbt
und zurückgelegt und forderte einen Betrag, der für das flottgehende
Geschäft ein Spottpreis genannt werden mußte. Eben erst hatte der
Landtag eine größere Bestellung gemacht, und mit einer anonymen
Gesellschaft, die das öffentliche Wohl im Auge hatte, stand er in
Verhandlung.

Aber +eines+ schreckte die Bewerber: Anton Brömmelmann stellte die
Bedingung, daß innerhalb fünf Jahren die +Firma+ geändert werden
und +sein+ Name mithin von Firmenschild, Briefbogen und Porzellan
+verschwinden+ müsse. Hier lag der Haken. Denn die Firma „Anton
Brömmelmann“ war eben als solche weit berühmt; und ob die Änderung des
Namens nicht einen beträchtlichen Rückgang des Geschäftes bedeuten
würde .... Zudem -- man hatte das zum Beispiel bei Johann Maria Farina
erlebt -- es könnte eine Konkurrenz plötzlich einen Strohmann Namens
Brömmelmann auftreiben, der nun die Früchte jahrelanger Reklame anderer
mühlos pflückte....

Schließlich aber wurde der Verkauf +doch+ perfekt.

Ein Herr Heinrich +Hinzelmann+ hatte, wie er schrieb, „eine weitläufige
Tante beerbt“ und strebte, sich selbständig zu machen. Er glaubte das
nicht besser tun zu können, als indem er das Geld der weitläufigen
Tante in Anton Brömmelmanns weitberühmte Fabrikate steckte.

Am fünften Geburtstag Bertholds wurde der Vertrag unterschrieben. Es
war ein großer Moment. Anton Brömmelmann war ganz heiser vor Aufregung
und schrieb unter das wichtige Schriftstück zum erstenmal in seinem
Leben seinen eigenen Namen falsch; nämlich mit nur +einem+ „m“ in der
Mitte. Annemarie stand neben ihn und bürstete in tiefer seelischer
Verlorenheit Herrn Hinzelmanns Zylinder sorgfältig +gegen+ den Strich,
was der Besitzer des Hutes mit großem Unbehagen mit ansah. Doch wagte
er es nicht, sie auf das Sinnlose und Unzweckmäßige dieser Betätigung
aufmerksam zu machen, da er befürchtete, irgendeine nicht auf das
Geschäft bezügliche Äußerung könne ihm noch in letzter Stunde den
ganzen vorteilhaften Handel verderben. So schlug er im Geiste den Preis
für einen neuen Zylinder mit auf die Kaufsumme und schwieg.

Im Nebenzimmer aber saß der Oberpostsekretär, das Geburtstagskind auf
den Knien, und las die Korrekturen einer geharnischten Eingabe „an die
k. k. Regierung, betreffend die durch den submissest unterzeichneten
Verfasser eklatant erwiesene Volksverdummung durch die Ansichtskarte“.

Anton Brömmelmann atmete auf. Ihm war zumute wie einem unter dem
Verdachte schweren Raubmordes Verhafteten, der eben sein Alibi
lückenlos beigebracht hat.

Nun galt es noch sein Haus verkaufen -- das tat er mit kleinem Verlust
-- und den Wohnort wechseln. Er zog nach Rasselsheim, einem Städtchen
ohne jeglichen landschaftlichen Reiz, das ihm nur dadurch aufgefallen
war, daß es -- wie aus einer Statistik hervorging -- die geringste
Kindersterblichkeit aufwies. Ein Gymnasium war auch da. Sogar ein
„humanistisches“, was Anton Brömmelmann für eine besondere, vom Staat
verliehene Auszeichnung hielt. Also!

Bei der Wohnungssuche benahm sich Anton Brömmelmann etwas sonderbar. Er
besichtigte zunächst immer ein geheimes Kabinett und erweckte durch die
merkwürdig peinlichen Untersuchungen den Eindruck, als ob er hier die
reichsten und köstlichsten Stunden seines Lebens zu verbringen gedenke.

Mit heimlicher Freude konstatierte er, daß die Rasselsheimer Wohnungen
nur in seltenen Fällen +seine+ Fabrikate mit dem verräterischen Namen
aufwiesen; und er mietete mit ingrimmiger Genugtuung eine Wohnung, für
die, wie das Porzellan an der betreffenden Stelle meldete, seine einst
gefürchtete Konkurrenz das unentbehrliche geliefert hatte ...

Berthold wuchs heran.

Der glückliche Vater ging völlig auf in den Jungen. Er zahnte mit ihm,
er fieberte persönlich, als der Bub die Masern hatte, ja er machte
-- und nicht nur in der Einbildung -- mit ihm den Keuchhusten durch,
konsumierte als leuchtendes Beispiel für den Jungen den abscheulichen
Schneckensaft und war stolz darauf, wenn er, blaurot im Gesicht vom
Husten, die Versicherung des Arztes hörte: das sei ein außerordentlich
seltener Fall, daß ein Erwachsener zum +zweitenmal+ vom Keuchhusten
befallen werde.

Peinlicher als der Keuchhusten war das Latein.

Anton Brömmelmann, der es nie recht vertragen hatte, lernte es mit
dem Sohn, +für+ den Sohn. Er stand mit dem absolutem Ablativ auf und
träumte vom Akkusativ cum Infinitiv; er übte Vokabeln und konsultierte
heimlich Eselsbrücken, war dem Sohn immer um drei Lektionen voraus,
kurz, er tat alles, um die fromme Täuschung aufrecht zu erhalten, daß
er alles das schon +wisse+, was der Sohn unbedingt lernen müsse, um ein
edler Mensch und ein tüchtiger Bürger zu werden. Wenn Berthold längst
seinen gesegneten Kinderschlaf schlief, mußte die mitleidige Annemarie
den unglücklichen Gatten die Punischen Kriege überhören und die
entsetzlichsten, von den Karthagern verübten Greuel über sich ergehen
lassen. Und Sonntag zog sich Anton Brömmelmann in sein Studierzimmer
zurück, um über den „Frühling“ nachzudenken oder über die „Freuden des
Eislaufs“, kurz über lauter Dinge, die seinem früheren Leben sehr fern
gelegen hatten und die jetzt als Aufsatzthemata des Sohnes seine späten
Mannesjahre erschreckten.

+Zweimal+ waren sie sitzen geblieben.

+Sie.+ Pluralis. Denn der Vater blieb +mit+ sitzen, fühlte sich
+mit+schuldig; obschon er die Tanzstunde, die an der Zerstreutheit
des Sohnes die Hauptschuld trug, nicht mitgenommen hatte und die
Zigaretten, die dem armen Berthold nicht bekamen, persönlich ganz gut
vertragen konnte.

Endlich kam das Maturum.

Berthold, der ein hübscher, schlanker Bengel geworden war, nicht gerade
strotzend von Intelligenz, aber in seiner gesunden Frische ein ganz
lieber Kerl, ging in das Examen mit einer Siegermiene, als könne ihm
nichts passieren. Der Vater aber saß zu Hause und seufzte:

„Die Mathematik -- die Mathematik bricht uns den Hals. Du wirst sehen,
Annemarie, die Mathematik!“

Und er verlangte Papier und berechnete Kegelschnitte stundenlang und
löste Gleichungen mit drei Unbekannten, die -- wenn die Sache fertig
war -- noch immer so gut wie unbekannt blieben, und ließ sich von all
den Aufgaben foltern, die der Sohn vielleicht ...

Aber der Sohn kam nach Hause, strahlend, eine Rose im Knopfloch und
sichtlich erhitzt von einem kleinen Frühschoppen. Er hatte bestanden.
Nicht gerade glänzend, aber was lag daran?

Anton Brömmelmann spendierte deutschen Sekt zum Mittagstisch. Er stieß
mit dem Sohn an und hielt eine Rede, in der er sagte: er sei zwar
der Vater ... aber er müsse denn doch sagen ... und überhaupt habe
Demosthenes ganz recht gehabt, wenn er das schöne Wort gesprochen,
das ihm jetzt nicht einfalle ... und der große Liebig sei +auch+ ein
schlechter Schüler gewesen ... und Henrik Ibsen hätte „kaum genügend“
in der Trigonometrie gehabt ... und das Leben sei zwar schwer, aber
schön ... und der Name Brömmelmann lege Pflichten auf ... jawohl, das
tue er ... und so hoffe er heute ... denn +das+ müsse die Jugend immer
hochhalten ... und dafür könne er keinen Geringeren zitieren, als
Cicero ... aber das +wolle+ er nicht ... denn er sei froh, daß er all
das Zeug jetzt vergessen könne ... denn ehrlich gesagt: zum Halse sei’s
ihm herausgewachsen ... und übrigens sei es Zeit, den Großvater von der
Bahn abzuholen ...

Berthold bezog die Universität.

Der Vater wollte keinen Druck auf ihn ausüben. Er solle studieren,
was er wolle. Theologe -- gut; aber protestantischer. Arzt -- gut;
aber nicht Spezialarzt für ansteckende Krankheiten. Jurist -- gut;
aber nicht „Kameralia“ dazu. +Zweierlei+ zugleich, das gehe nicht. Mit
diesen Einschränkungen erlaubte Anton Brömmelmann alles. Mathematiker
war nicht zu befürchten. Auch für das Sanskrit zeigte sich bei
Berthold keinerlei Neigung. Alle Ermahnungen schlossen:

„Vergiß nicht, daß du mein +Einziger+ bist!“

Berthold Brömmelmann vergaß das nicht.

Als er nach dem ersten Semester seine Schulden beichtete, erwies es
sich, daß er immerzu daran gedacht haben mußte, daß er der „einzige“
war. Außerdem war er „Hasso-Suebe“, trug einen farbigen Bierzipfel,
einen Zwicker und eine Tiefquart im Kinn, die dickrandig und tiefrot
war und an jene alten Wunden erinnerte, die eine Neigung haben „an der
Bidassoa-Brücke“ aufzubrechen. Und er roch nach Jodoform wie ein ganzer
Transportzug des Roten Kreuzes.

Über die Richtung seines Studiums war er sich noch nicht schlüssig
geworden. In der Anatomie war ihm schlecht geworden. Bei den Pandekten
noch schlechter. In der Theologie störte ihn der heilige Geist, unter
dem er sich absolut nichts denken konnte. Und Mathematik kam noch immer
nicht in Betracht.

Leider änderte sich dies kaum „positiv“ zu nennende Resultat seiner
Studien auch fürderhin nicht. Er schickte spaßhafte Bierkarten, fidele
Gruppenbilder und unbezahlte Rechnungen, begleitet von humoristischen
Briefen, nach Hause. Über eine Berufswahl aber ließ er sich weiter
nicht aus.

Als ihn der Vater auf Annemaries Drängen einmal besuchte, kam der
alte Herr graugrün aussehend nach drei Tagen wieder. Er erinnerte
sich noch deutlich vieler junger Herren mit gelben Mützen, die ihn
an der Bahn empfingen und mit fast königlichen Ehren auf einen sehr
merkwürdigen Aussichtspunkt kutschierten, wo man -- und hier wurden
seine Erinnerungen undeutlich -- erst eine Pfirsich-, dann eine
Ananasbowle trank. Es konnte aber auch umgekehrt gewesen sein. Wenn er
sich nicht täuschte, hatten sie dann alle ein wunderschönes Lied mit
erstaunlich vielen Versen gesungen, und dann -- -- -- ja, man konnte
ihn totschlagen, aber ihm war’s, als ob dann irgend ein Fackelzug
stattgefunden hätte. Es konnte aber auch eine Beerdigung oder eine
Hochzeit gewesen sein. Ja selbst eine Kindstaufe hielt er manchmal für
nicht ausgeschlossen. Und was die Studienpläne Bertholds anbetraf --
man war +nicht+ dazu gekommen, darüber zu sprechen ....

So war der Stolz des Hauses Brömmelmann im siebenten Semester, ohne daß
sein Studium sichtbare Früchte getragen.

Da begab es sich, daß der vortreffliche Großvater in Neuenburg seinen
siebzigsten Geburtstag feierte. Unglücklicherweise hatte Anton
Brömmelmann sich kurz vorher den Fuß vertreten, das heißt er war mit
dem linken so außergewöhnlich kräftig auf den rechten getreten, daß der
Knöchel gelitten hatte.

Annemarie, die treue Seele, machte ihm kalte Umschläge und konnte nicht
abkommen. Berthold fuhr also allein als bevollmächtigter Abgesandter
der Familie nach Neuenburg, seiner Geburtsstadt, die er noch niemals
betreten.

Als erstes Lebenszeichen kam -- eine Ansichtskarte aus Neuenburg, die
der Großvater +mit+ unterschrieben.

„Zeichen und Wunder!“ sagte Anton. „Der gute alte Herr unterschreibt
+Ansichts+karten. Ja, ja, das Alter macht milder.“ Und eines Zitats
sich erinnernd, das er vor Jahren -- Berthold saß in Ober-Sekunda --
aus einem Spruchbuch als köstliche Perle für den schmückenden Schluß
eines deutschen Aufsatzes gefischt, fügte er hinzu: „Wie sagt doch
Goethe so schön: Was man in der Jugend sich wünscht, das hat man im
Alter die Fülle.“

Annemarie lächelte: „Papa hat sich doch in der Jugend keine
Ansichtskarten gewünscht.“

„Nein aber -- --“ Er fühlte selbst, daß er blödsinnig zitiert und
versuchte hinter einem schalkhaften Lächeln tiefen Sinn zu verbergen.

„Nun +lies+ schon!“ drängte Annemarie.

Und er versuchte zu lesen, was sonst noch auf der merkwürdigen
Karte stand. Aber außer den Worten „kalte Ente“ konnte er nichts
herausbringen.

„Kalte Ente --“ meinte Annemarie kopfschüttelnd, „soll wohl ‚kalte
Hände‘ heißen.“ ...

Anton Brömmelmann glaubte das nicht ....

Mehrere Tage hörte man nichts weiter. Weder von dem Jubilar noch von
dem festlichen Abgesandten. Da plötzlich ein Brief, wahrhaftig ein
+langer+ Brief Bertholds.

„Wie lieb von ihm!“ lobte die Mutter.

Anton Brömmelmann mißtraute. „Er pumpt mich an!“ taxierte er.

Und er las.

„Liebe Eltern! Ihr werdet Euch gewundert haben. ... Eltern wundern sich
immer. Aber das wird noch besser kommen.“ --

„Etwas konfus, was?“ schaltete Anton Brömmelmann ein und sah über die
Brille zu Annemarie; dann las er weiter:

„Ich glaube manchmal, ich habe Euch Sorge gemacht. Vor allem +Dir+,
lieber Vater. Na, du hast kein Geschäft, nicht wahr? Und etwas muß der
Mensch doch haben. So hattest Du +mich+.“ --

„Das ist ja eine Epistel, als sollte er gehenkt werden,“ meinte der
Vater. Aber die Mutter bedeutete ihm, weiter zu lesen.

„Mit dem Studium -- darüber machen wir uns nichts vor -- war es nichts.
Mündlich einmal davon. Als Papa mich besuchte, wollte er durchaus nicht
davon sprechen ....“

„Nanu?“ fragte Annemarie.

Aber Anton Brömmelmann überhörte das und las weiter:

„Ich stamme aus einer Kaufmannsfamilie. Ich weiß zwar nicht, +welcher+
Art dein Geschäft eigentlich war, lieber Papa, aber es war ein
Geschäft, nicht wahr? Nun, ich glaube, ich würde mich auch besser zum
+Kaufmann+ eignen. Und so wirds kommen. Denn, um’s kurz zu sagen, ich
bin +verlobt+.“

Das Ehepaar Brömmelmann sah sich an, als ob ein geflügeltes Krokodil im
Zimmer sei. Keines brachte ein Wort heraus.

Dann ergriff die resolute Mutter den Brief und -- nun las +sie+ zu
Ende; las in einem Tempo, in dem nur eine Frau lesen kann, die der
größten Neuigkeit ihres Lebens auf der Spur ist.

„Ich habe das süßeste, reizendste, entzückendste Mädel von der Welt
kennen gelernt .... Durch Großpapa. Der verkehrt mit den Eltern. Er
sagt, Ihr kennt sie auch und lacht immer ganz verschmitzt dabei.
Übrigens hat er immer noch die Marotte mit den Ansichtskarten ....“

Der Teufel hole seine Ansichtskarten! Was ist das für ein Mädel?

„Die Eltern haben ein Geschäft. Ein sehr +gutes+ Geschäft. ~NB.~ Sie
ist das +einzige+ Kind, heißt Mieze -- ist das nicht reizend? Mieze
+Hinzelmann+. Ihr müßt sie Euch so denken ....“

Anton Brömmelmann saß erstarrt. „Hinzelmann, doch nicht +unser+ ....?“

Der Blick der Mutter war bis zum Schluß des Briefes geflogen.

„Das Geschäft, liebe Eltern, von dem ich oben sprach, ist ja ein
bißchen sonderbar. Lieber Gott, +alles+ kann nicht Poesie sein in
der Welt, nicht wahr? Es gibt auch Dinge, die ... Aber der alte Herr
Hinzelmann -- übrigens ein famoser Kerl; +fast+ so nett, wie +mein+
alter Herr -- der meint: Geschäft ist Geschäft. Ich hab’ mit ihm
gesprochen. Er ist +sehr+ einverstanden. +Seinen+ Segen habe ich schon.
Einzige Bedingung, ich muß später das +Geschäft+ übernehmen....“

Annemarie ließ den Brief sinken. Sie sah nach Anton Brömmelmann, der,
ein Bild schöner aber tiefer Resignation, in seinem Sessel saß.

„Hast du gehört, Vater?“

Er nickte bloß.

Aber die treue Lebensgefährtin schien anzunehmen, daß der Schweigsame
zwar gehört, aber nicht verstanden habe. Sie legte ihm die Hand auf die
Schulter und rüttelte ihn sanft, als wolle sie ihn aus einem erst halb
überwundenen Schlummer zur Wirklichkeit wecken.

„Anton -- das Geschäft -- +unser+ Geschäft -- --“

Die Züge des Versteinerten belebten sich. Den Lippen entfuhr ein
Zischlaut, wie ihn ungeduldige Lokomotiven knapp vor der Abfahrt hören
lassen. Dann bildete der Sprechapparat Worte, tonlos, mechanisch, wie
einem Uhrwerk gehorchend und ohne seelische Beteiligung:

„Mutter +dafür+ bin ich ausgewandert, +dafür+ hab’ ich +Latein+ gelernt
und die punischen Kriege und habe Kegelschnitte berechnet, damit
mir ...“

„Geh’, Alter!“ Die Mutter legte ihm den Arm um den Hals. „Wenn er sie
doch +gar+ so gern hat!“

Aber Anton Brömmelmann dachte in diesem Augenblick nicht an den Sohn.
Er sah mit seines Geistes Augen den Vater, +seinen+ Vater voll Stolz
ein Zeitungsblatt auseinander falten. Eine ganzseitige Annonce im
Tageblatt: „Urteile von Hygienikern, Professoren, Künstlern über Anton
Brömmelmanns weltberühmte ...“

„Wir wollen ihm telegraphieren,“ mahnte die Mutter.

„Ja, ja.“

Anton Brömmelmann ermannte sich.

„Ich will einen -- Glückwunsch aufsetzen. Gib mir ein Stückchen
Porzellan -- wollt’ ich sagen: ein Stück Papier.“

Und Anton Brömmelmann sandte an die Adresse seines alten Geschäftes dem
beinah studierten Sohne seinen väterlichen Segen.

[Illustration]




[Illustration: Der rote Esel

Ein lyrisches Intermezzo]


Christian Fürchtegott Gellert hat eine sehr schöne Geschichte von einen
grünen Esel zu erzählen gewußt. Ich maße mir durchaus nicht an, mit
Christian Fürchtegott Gellert in der Kunst zu fabulieren, konkurrieren
zu können. Aber eine Geschichte von einem Esel kann ich auch erzählen.

Gewöhnliche Esel sind, wenn ich mich nicht täusche, alle grau.
Christian Fürchtegott Gellerts Esel ist grün. Mein Esel aber ist rot.
Das mag einem Skeptiker -- und wer ist in unserer Zeit nicht Skeptiker?
-- ein bißchen unwahrscheinlich vorkommen, und Brehms Tierleben gibt
seinem Zweifel in der kleinen wie in der großen Ausgabe scheinbar
recht. Trotzdem ist, wie ich nachdrücklich bemerke, ein ungläubiges
Lächeln meiner Angabe gegenüber äußerst frivol und tadelnswert, denn
ich spreche nicht von einem wirklichen, lebendigen Esel, sondern meine
Geschichte handelt von einem Gummiesel. Und wer kann der Phantasie
eines Gummispielzeugfabrikanten Vorschriften machen? Warum, frage ich,
soll sich ein erfinderischer Kopf nicht nach Analogie eines +grauen+
Esels auch einen +roten+ Esel denken können?

Ja, wenn ich mir die Sache recht überlege, muß ich sagen, ein roter
Esel hat ebensogut seine Existenzberechtigung wie ein grauer Esel,
und es erscheint mir unter gewissen Gesichtspunkten als ein Loch
im Schöpfungsplan, daß diese liebreiche und gern zu Vergleichen
herangezogene Tierklasse nicht auch eine rote Spielart aufwies, als
sie im Paradiesgarten erschien. Doch lassen wir die theologischen
Spitzfindigkeiten, die uns das Vergnügen an meiner kleinen Geschichte
verderben könnten, ehe sie begonnen.

Es gibt also einen roten Gummiesel, eine kleine und zierliche
Miniaturausgabe des ergötzlichen Haustiers. Dieser kleine rote
Gummiesel ist vor nicht allzulanger Zeit in den Besitz meiner einzigen
Erbin übergegangen, die ihre Bewunderer noch jeden Morgen empfangen
darf, wenn sie selbst in der -- Badbütte sitzt und sich damit
unterhält, ihre Umgebung so naß zu machen, als es sich in zehn Minuten
heißen Bemühens durch heftige Bewegungen zweier runder Beinchen und
zweier ebensolcher Ärmchen irgend bewerkstelligen läßt. Meine Erbin
ist nämlich noch kein Jahr alt. Und das nimmt der Historie jeden
unmoralischen Beigeschmack.

Der rote Gummiesel ist ein sinniges Weihnachtsgeschenk, das meiner
Tochter von ihrem leiblichen Vater gemacht wurde.

Ich hatte vier Wochen vor Weihnachten angefangen, für das damals
sieben Monate alte Baby ein passendes Präsent auszuwählen. Spielzeug
von Holz, Stein, Wolle und Papier hatte ich schon in fünf Läden prüfend
durcheinander geworfen, ohne mich für ein bestimmtes entscheiden zu
können. Mein zärtliches Vatergemüt litt nämlich unsägliche Qualen
unter der fixen Idee, daß diese Spielzeuge alle +abfärben+ müßten,
wenn das Kind sie nach Kinderart in den Mund steckte. Daß diese
Farben furchtbare Giftstoffe enthielten, war für meine Phantasie eine
ausgemachte Sache; und daß ich mein Baby durch mein Weihnachtsgeschenk
in Lebensgefahr bringen könnte, war ein Gedanke, der mir fortgesetzt
den Hirnkasten umstülpte und den kalten Schauder über den Rücken laufen
ließ.

Einmal träumte ich sogar, ich sei des verbrecherischen Versuches
angeklagt, meinem Kind einen ausgestopften Vogel, an dem Arsenik
klebte, in den Mund gesteckt zu haben, um das Vermögen des Onkels Ignaz
allein verprassen zu können. Nun hat Onkel Ignaz zwar kein Vermögen,
aber drei Kinder, die es erben würden, +wenn+ er’s hätte. Mein Traum
war also so dumm als möglich. Aber, wenn schon ich am nächsten Morgen
meiner Frau gegenüber mein Gestöhn in der Nacht ins Lächerliche zu
ziehen suchte, gab ich doch Befehl, daß die beiden ausgestopften Möwen
von dem Schrank im Eßzimmer unverzüglich entfernt und auf den Boden
geschafft würden.

Meine Frau sprach zwar schüchtern die Vermutung aus, das in der
nächsten Zeit unser Baby noch kaum auf den Schrank klettern werde, um
an den Möwen zu lutschen, aber ich blieb fest. Die beiden Möwen kamen
auf den Speicher; und ich bin erst vor einigen Tagen maßlos über die
dummen Vögel erschrocken, als ich die Dachfenster schließen wollte und
plötzlich die weißen, gespensterhaften Tiere unbeweglich in einer Ecke
sitzen sah.

Weihnachten rückte immer näher.

Es roch schon verdächtig nach verbranntem Lebkuchen, und meine Frau
duftete immer nach Zitronat, wenn ich sie küßte. Aber ein Geschenk
für mein Baby hatte ich noch immer nicht. Für die Bekleidung und den
Putz sorgten sicherlich die beiden Großelternpaare. Der unvermeidliche
silberne Löffel war ihm auch sicher.

+Mein+ Geschenk aber sollte das Kind erfreuen, wahrhaft beglücken.
Das tut doch ein silberner Löffel nicht! Es mußte etwas ganz
Außergewöhnliches sein.

Ich lief sehr aufgeregt mit heißem Kopf und kalten Füßen durch die
verschneiten Straßen und sann dem „Außergewöhnlichen“ nach.

Eine Peitsche -- eine Puppe -- ein Pferdelos -- ein Glasschränkchen --
eine Taschenuhr -- eine Gartenschippe -- eine Stehlampe -- ein Freßkorb
-- ein Kanarienvogel -- eine Niobe -- ein Tintenfaß -- ein Album -- ein
Kistchen Zigarren -- das ging doch alles nicht! Gott, was für herrliche
Präsente fielen mir ein für Nichtraucher und Raucher, für alte Jungfern
und hypochondrische Junggesellen, für Primaner und höhere Töchter, für
Kavallerieleutnants und Urgroßmütter! Nur für mein siebenmonatiges
Töchterchen fiel mir um die Welt nichts ein; und ich stand auf dem
Punkte, mir selbst einige auserlesene Grobheiten zu widmen.

Da plötzlich geschah „das Wunderbare“, wie Ibsens Nora sagen würde. Das
Wunderbare, um das ich mich nun seit Wochen unter ernster Gefährdung
meiner Gesundheit bemühte. Mit großen, lichtvollen Buchstaben stand
plötzlich über dem Chaos in meinem Gehirn der erlösende Satz: Ich
schenke ihr einen roten Esel, einen roten Gummiesel!

Wie diese Erleuchtung mir so plötzlich kam? Dafür gibt es eine
übernatürliche Erklärung und eine natürliche. Die übernatürliche
Erklärung lautet: „Wahre Erleuchtungen kommen immer plötzlich und von
oben,“ die natürliche aber besagt: „Ich hatte den roten Esel eben
gesehen.“

Ja, er stand in ganzer Wildheit und Schönheit zwischen Püppchen mit
kurzen Röcken, Hampelmännern, Klistierspritzen und anderem, teils
erfreulichem, teils nützlichem Hausgerät im Erker eines Gummigeschäfts.
Wie Romeo seine Julia liebte vom ersten Augenblick süßen Schauens an,
so wußte ich vom ersten Blick, der dieses Abbild bescheidener Sanftmut
gefunden: Dieser rote Esel ist das einzige wahrhaft würdige Geschenk,
das ein Vater seiner einzigen und darum auch ältesten Tochter machen
kann!

Als ich in dem Laden stand, erwies sich’s, daß dem liebenswürdigen
Verkäufer das Hervorkramen des roten Freundes aus dem Erker viele
Mühe und wenig Freude bereiten mußte. Er empfahl mir darum einen
gelben Ziegenbock mit vieler Wärme, ja, er war sogar geneigt, mir zwei
Gummistöpsel drein zu geben, wenn ich mein Gelüste nach dem roten Esel
bezwingen und mich für den Ankauf des gelben Ziegenbocks entscheiden
könnte.

Aber wer kennt die Gefühle eines Vaters, der für sein Kind den Freund
gewählt hat! Ich +hatte+ gewählt und ließ mich selbst durch die
glänzende Offerte dieses koulanten Geschäftsmannes, der elastisch war
wie sein Gummi und beständig lächelte, wie ein Äginet, nicht umstimmen.

„Ich bitte um den roten Esel,“ sagte ich fest.

Der Jünger Merkurs kroch nun seufzend in den geräumigen Erker.

Sehr zur Belustigung der draußen versammelten Jugend fielen ihm
zunächst einige bunte Kopfbälle auf den Schädel und ergingen sich
dann in scherzhaften Sprüngen über den Boden. Dann trat er in eine
Bettpfanne, aus der sich der Fuß nicht ohne Schwierigkeit befreien
ließ, und stieß einige Rollen Linoleum gegen die Scheiben, was ihm
von draußen geräuschvolle Ovationen eintrug, die er mit verächtlichen
Worten ablehnte.

Ziemlich ergrimmt, mit derangierter Frisur und sehr staubigen Händen,
aber noch immer lächelnd, entstieg er schließlich dem Schaukasten und
brachte meinen roten Esel richtig mit.

Es stellte sich zu meinem namenlosen Entzücken heraus, daß das
seltene Gummitier, dank einer sinnreichen Mechanik, wenn man ihm den
Bauch einquetschte, sogar einen kurzen, pfeifenden +Ton+ von sich
geben konnte, der zwar jeder Lieblichkeit entbehrte, auch den Eseln
sonst nicht eigentümlich ist, aber trotzdem meinen Stolz auf dieses
merkwürdige Geschenk ins Ungemessene steigerte.

Ein Siegerlächeln auf den Lippen, kam ich, meinen Schatz behutsam in
ein verschwenderisch großes Stück Papier gehüllt, nach Hause.

Die Suppe schmeckte seltsamerweise heute nach Zitronat, was bei Suppen
kein sympathischer Geschmack ist.

„Aber, Eduard, denke doch, vor Weihnachten!“ sagte meine Frau
vorwurfsvoll, da sie mein wohl nicht allzu entzücktes Gesicht gesehen.

„Natürlich! Vor Weihnachten!“ gab ich vergnügt zurück, dachte an meinen
köstlichen Gummiesel und löffelte die Suppe, die immer noch nach
Zitronat schmeckte, bedächtig aus.

Weihnachten kam.

Ich hatte goldene Finger vom Nüssevergolden und ging den ganzen Tag
sehr wichtig und sehr zwecklos mit dem Christbaumanzünder im Arm mit
feierlichen Schritten umher, mich immer auf meine schwierige Aufgabe
vorbereitend.

Eine Menge Verwandter aller Jahrgänge lief in den Zimmern eilfertig und
geräuschvoll durcheinander. Sie waren alle erschienen, um zu sehen,
„was Baby für Augen machen wird“. Ich sah ihnen aber an ihren Augen
an, daß jedes von ihnen überzeugt war, +sein+ Geschenk werde Baby am
meisten zusagen.

Ich lächelte hochmütig. Stand doch schon der rote Gummiesel bereit, und
der -- das wußte ich, als ob’s im Katechismus stände -- war einfach
nicht zu übertreffen, einmal durch seine ureigene Schönheit, durch die
Reize von Figur und Farbe, und zum zweiten als Geschenk des leiblichen
Vaters!

Die Sache kam leider anders!

Baby in langem Spitzenkleidchen auf dem Arm der Mutter ins Festzimmer
eingeführt, betrachtete eine Weile mit sichtlichem Erstaunen den hohen,
lichtergeschmückten Baum -- was beide Großmütter, die in atemloser
Spannung, mir den Platz versperrend, dabeistanden, als ein untrügliches
Zeichen unerhörter geistiger Befähigung begrüßten. Dann aber griff es
seiner Mutter meuchlings in die Haare -- was sofort als Betätigung
einer in so zartem Alter bewunderungswürdigen Energie gedeutet wurde.
Und schließlich gewahrte es +mich+ und -- +lachte+.

Ich war natürlich sehr stolz, bahnte mir einen Weg zu dem lieben
Blondköpfchen und begann ihm mit großer Beredsamkeit in zuvorkommender
Weise seine Geschenke zu erläutern.

„Hier, mein Goldkind, die Windelhöschen von der Großmama, und hier die
hübsche Veilchenwurzel mit silbernem Griff, auch von der Großmama.
Ja, du hast eine gute -- nein, was sag’ ich, du hast +zwei+ gute
Großmamas! Hier, mein Liebling, Kleidchen von der anderen Großmama. Und
der Löffel, natürlich auch da, der schöne silberne Löffel. Und hier das
Hütchen von der guten Mama und -- ja, jetzt paß auf, mein Schatz, sieh
hier das prächtige, rote Eselchen! Das -- ist -- von -- Papa!“

Der Kreis der Verwandten nickte beifällig.

„Er hat’s ganz allein ausgesucht,“ kommentierte meine Frau.

Ein Gemurmel bewundernden Beifalls über mich und den roten Esel drang
mir wohltuend ans Ohr.

Und das Baby?

Ja, das war merkwürdig mit dem Kind. Nicht einen Blick warf es auf die
Herrlichkeiten, die ihm das Christkind bescherte. Es hatte auf meinem
Vorhemd den goldenen Hemdenknopf entdeckt und ging auf in Bewunderung
dieses merkwürdigen, glitzernden Phänomens.

Ich ließ den Esel quietschen, bis meine Damen sich die Ohren zuhielten
und mein Schwiegervater mich im Namen aller Heiligen beschwor, den
Unfug sein zu lassen, weil er sonst Zahnschmerzen bekäme, noch bevor er
von unsern Lebkuchen gekostet. Das Baby aber hörte nicht auf die Töne,
sondern beobachtete unausgesetzt den interessanten Hemdenknopf, der die
Brust seines Vaters zierte.

Als ich Miene machte, mich und damit zugleich das Objekt seiner
Bewunderung von dem Baby zu entfernen, begann das Kind ein
jämmerliches Geschrei. Beide Großmütter fanden mein Benehmen dem Kind
gegenüber „barbarisch“, eines zivilisierten Mannes durchaus unwürdig.
Und die Familie ruhte erst, als ich mich und den heißgeliebten Knopf
wieder vor das Kind postierte und mir von den naßgelutschten Fingerchen
feuchte Bahnen über meine frische Hemdenbrust zeichnen ließ.

Hinter mir blies mein Schwiegervater die Lichter auf den Tannenzweigen
aus. Was mich sehr beunruhigte, da meine Furcht vor einem Gardinenbrand
so groß ist, daß sie sprichwörtlich in unserer Familie werden konnte.

Bis Baby zur Ruhe gelegt wurde, hatte es nur Sinn für meinen
Hemdenknopf, den ich innerlich, obwohl er von Gold war, zu allen
Teufeln wünschte. Ich hatte den verdammten Knopf schon so +oft+
getragen, ohne daß Baby geruhte, ihn zu bemerken. Und nun gerade an
Weihnachten mußte dieser alberne, protzige Kerl da auf meiner Brust dem
Kinde ins Auge stechen! +Zu+ dumm!

Einsam und verlassen aber stand drin im Bescherzimmer unter dem
Tannenbaum mein Stolz, meine Freude, mein genialer Einfall, mein Retter
aus Nöten, mein außerordentliches Festgeschenk, diese Seltenheit mit
Musik: der rote Gummiesel ...

Für jeden, der logisch denken gelernt hat, ist es ganz
selbstverständlich, daß ich an den folgenden Festtagen den miserablen
Knopf durch eine üppige Krawatte verdeckte und das Baby nunmehr mit
seinem roten Esel zu befreunden suchte. Ich ahnte nicht, welchen
Schmerz mir das ungetreue Tier, das ich ins Herz meiner Tochter zu
schmeicheln emsig bemüht war, noch bereiten sollte!

Baby machte in diesen Tagen die ersten Sprechversuche. Mutter und Vater
lauschten verhaltenen Atems entzückt dem endlosen Kauderwelsch, das
von dem lieben Kindermäulchen aus den einfachen Silben „Pa“ -- „Ma“
und „Da“ zusammengesetzt wurde. Im Wägelchen lag die Kleine unter dem
Christbaum, fast selbst wie ein niedliches Christgeschenk, und übte
sich ohne Ermüden in ihrer Sprache, die allerdings noch für den Satz
des Fürsten Talleyrand, daß die Sprache dazu da sei, die Gedanken zu
verbergen, als Beweis angeführt werden konnte.

Ich benutzte meine freie Zeit eifrig dazu, dem Baby beizubringen,
die schwierige Silbe „Pa“ ohne jede Beimischung anderer phonetischer
Kunststücke zweimal, nur zweimal, rasch hintereinander zu setzen,
wodurch das Wort „Papa“ entstehen sollte. Leider ging das
autodidaktische Bestreben des kleinen Dickkopfs lange seine eigenen
Wege; entweder wiederholte das Baby die verlangte Silbe ~ad infinitum~
oder es stieß sie zum mindesten fünfmal rasch hintereinander hervor.
Beides war unerwünscht.

Da ließ endlich mein erfinderischer Geist den roten Gummiesel in die
Belehrung und Erziehung tätig eingreifen. Immer wenn das schöne Wort
beginnen und wenn es enden sollte, ließ ich den Esel durch energisches
Eindrücken seiner Bauchwände mörderisch aufquieksen, und siehe da: es
ging! Baby sagte deutlich: „Pa--pa“.

Das heißt, eigentlich war die Sache so: „Quieks“ machte der Esel,
„Pa--pa“ begann das Kind, „Quie--i--i--i--i--ks“ endigte der Esel. Das
Baby staunte und schwieg. So ward das Wort Papa geboren!

Überrascht und hochbeglückt von dem Erfolg kam ich mit meiner Frau
überein, daß die beispiellose Gelehrsamkeit unseres Kindes noch heute
einem größeren Kreis von Verwandten demonstriert werden müsse. In einer
Großstadt hat man seine Leute ja rasch beisammen! Wozu hat man das
Telephon?

Schon nach einer halben Stunde waren, obgleich ich mich einmal
irrtümlich längere Zeit mit einem Sargmagazin und ein anderes Mal mit
einem Schweinemetzger, der sehr grob war, verbunden sah, so ziemlich
alle Verwandten zum Tee geladen, mit Ausnahme einer alten Tante, die im
gewöhnlichen Verkehr sehr wenig und am Telephon gar nichts hörte, wenn
schon sie leidenschaftlich gern telephonierte. Diese Tante suchte ich
per Droschke auf und auch sie versprach zu kommen.

Es war ordentlich feierlich, als wir in zwei dichten Reihen am
Nachmittag gegen 5 Uhr um Babys gelben Korbwagen standen.

Ich hatte meinen Platz ganz vorne genommen und wurde von allen sehr
respektvoll behandelt. War ich es doch, der dieses erstaunliche
Erziehungsresultat erzielt hatte und die Vorführung leiten sollte.

Ich befahl allen durch eine gebietende Handbewegung lautlose Stille an
und bat meine Frau, mir den Gummiesel vom Tisch zu reichen, den ich in
meiner Vergeßlichkeit dort hatte liegen lassen.

„Der Gummiesel, wo ist der Gummiesel?“ ging es durch die Zuschauer.

Mein Schwiegervater aber machte die unnütze Bemerkung: „Braucht’s denn
den roten Gummiesel, um -- Papa zu sagen?“

Ich weiß nicht warum, aber dieser Ausspruch berührte mich peinlich.
Doch wurde ich rasch wieder sehr vergnügt gestimmt, als das auserlesene
Kunststück über alles Erwarten prächtig gelang.

„Quieks“ machte der Esel, „Pa--pa--“ begann das Baby,
„Quie--i--i--i--i--ks“ endigte der Esel in schrillem Mißklang rasch den
kurzen, aber ergötzlichen Dialog.

Man beglückwünschte mich stürmisch, küßte mich und das Kind mit viel
Gefühl, bis das Kind schrie und ich große Lust hatte, auch zu schreien.

Ein bildschöner Dompteur in fleischfarbenem Trikot und
Schuppenpanzerhöschen kann nicht +so+ gefeiert werden, wenn er nach der
Dressur den Käfig der Löwen und Königstiger verläßt, die auf seinen
Wink durch brennende Pechreifen gesprungen sind.

Ich war maßlos stolz auf das Kind, auf mich und auf den roten Esel.

Nach dem Tee zog mich mein Schwiegervater mit feierlichem Ernst in eine
Fensternische.

„Sag’ mal, Eduard,“ begann er in einem fast beleidigend mitleidigen
Ton, „glaubst du, daß das Kind auch ‚Papa‘ sagt, wenn es den --
+andern+ nicht sieht?“

„+Welchen+ -- andern?“

„Nun, den roten Gummiesel.“

Ich erschrak, faßte mich aber sofort wieder, und den alten Herrn mit
einer entrüsteten Armbewegung in den Blumentisch schiebend, ging ich an
ihm vorbei und sprach nur die geflügelten Worte: „Es lernt’s!“

Das war nun leider eine Täuschung meinerseits.

Der alte Herr hatte recht gehabt, wie ich am nächsten Morgen erfahren
sollte. Ich hätte es gern noch am Abend erprobt, aber meine Frau
überzeugte mich von der Ruchlosigkeit meines Vorhabens, dem armen Kind
am späten Abend „noch das Gehirn anzustrengen“. Am nächsten Morgen
aber, wie gesagt, stand ich nach wenig erquicklicher Nacht früher auf
und probierte.

Richtig, das Baby sagte zu dem roten Esel „Papa“, sobald es seiner
ansichtig ward. Mich aber ignorierte es gänzlich, wenn ich allein kam.
Ja sogar mein goldener Hemdenknopf machte keinen Eindruck mehr.

Tief bekümmert zog ich meine Frau ins Vertrauen.

Ich war sehr niedergeschlagen und kam mir nicht anders vor, als der
unglückliche König Midas, da ihm die Ohren erstaunlich über den Kopf
wuchsen.

Meine Frau zweifelte noch. Ein Versuch erwies die unumstößliche,
traurige Wahrheit.

Wir beratschlagten und sprachen dabei französisch, was zwar die
Verhandlungen nicht vereinfachte, aber immerhin die Garantie bot, daß
unser Kindermädchen, das ab- und zuging, nicht hinter das peinliche
Geheimnis kam.

Zunächst -- darin waren wir einig -- mußte das Baby dieses bedauerliche
Kunststück wieder verlernen. Dazu war eine sofortige Verbannung des
roten Esels die erste, die unerläßliche Bedingung. Dann mußten die
lieben Anverwandten beruhigt werden, die den Repetitionen zweifellos
häufig beiwohnen wollten. Und endlich mußte meinem Schwiegervater eine
Erklärung an Eides Statt abgenötigt werden, daß er lieber sich die
Zunge abbeißen, als die Geschichte von dem roten Esel am Stammtisch zum
besten geben wollte.

Diese drei Verhaltungsmaßregeln wurden denn auch befolgt.

Zur Verwunderung der lieben Anverwandten hatte Baby plötzlich
das schwierige Wort wieder vergessen, und der rote Esel war --
seltsames Zusammentreffen -- zur selbigen Zeit auf rätselhafte Weise
verschwunden ...

       *       *       *       *       *

Wenn ich im verborgenen Schubfach meines Stehpultes zuweilen den
vergeblichen Versuch mache zu „ordnen“, fällt mir immer der rote Esel
in die Hände.

Die Gefühle des Ärgers und der Enttäuschung sind im Herzen verflogen,
und ich versenke mich lächelnd in den Anblick des seltenen Tieres. Ich
beschaue es mit jener behaglichen Freude, wie sie die Erinnerung an
überstandene schwere Prüfungen zu schenken liebt.

Wenn dann aber plötzlich nebenan die Stimme meines Babys ertönt,
dann klappe ich den Pult zu wie ein ertappter Verbrecher, spähe nach
allen Seiten umher, ob auch niemand meine Gedanken belauscht hat und
betrete dann mit gut gespielter Ahnungslosigkeit, die Hände in den
Hosentaschen, einen Walzer pfeifend, das Kinderzimmer.

Baby streckt die lieben, dicken Händchen nach mir aus und ruft: „Papa!“

Ich aber lächele verschmitzt und bin stolz, daß ich doch recht
hatte, als ich meinen Schiwegervater in den Blumentisch drückte und
zuversichtlich behauptete:

„Es +lernt’s+!“

[Illustration]




[Illustration: Des letzten von Birkowitz letztes Fest]


„... und schließlich: man bekommt doch nicht Kinder, bloß um ihnen
Gutes zu tun.“

Damit schloß er immer seine Beweisführung gegen seine eigene
ungestillte Sehnsucht nach lebendiger Jugend, nach Nachwuchs, nach
Menschlein mit stahlblauen Augen, wie er, und seinetwegen auch mit der
klassischen Nase seiner Frau.

„Man hat ja überhaupt gar keine Ahnung, wie sie wachsen und sich
entwickeln werden. Sind es Jungens -- pfui Deubel, das verdammte Latein
und später ’nen Ekel von Oberst, saudumme Rekruten und hartmäulige
Remonten ... Denn Kavalleristen müssen die Kerls werden. Versteht sich!
Und sind es Mädels, dann diese dämliche Erziehung mit Christkind und
Klapperstorch und französischer Konversation; und nachher wegen eines
aufgewirbelten Schnurrbarts und eines kecken Männerlachens hinter
gesunden Zähnen geht so was -- natürlich nach obligatem Vatersegen,
Trauung und Hochzeitsschmaus im Kaiserhof zu 25 Mark das trockene
Kuvert -- auf und davon. Irgendwohin ans andere Ende der Welt. Und
schließlich ein verzweifelter Brief: Der Kerl trinkt und verjuckert
die Mitgift; und die ganzen schönen Manieren waren bloß Politur des
Bräutigams, hinter der ein roher Rüpel steckte ...“

Klaus Joachim von Birkowitz konnte ganz wütend werden, wenn er sich so
ausmalte, in wie rüde Hände eines seines Töchterlein, die er gar nicht
hatte, fallen konnte.

Man erspart sich vieles und -- den andern, das war das Ende seiner
philosophischen Betrachtungen in dieser Richtung. Und der Name? Pah,
die Mädels hätten ihn doch abgestreift wie ’nen alten Handschuh,
umgetauscht ohne zu muxen. Oder in einem Damenstift erlöschen lassen.
Und die Jungens -- weiß der Himmel, ob die verdammten Bengels das
Wappen noch blank gehalten hätten. Er hatte neulich mal eine Statistik
gelesen über den Prozentsatz der Adligen in der Sozialdemokratie. Und
wenn alle die Adligen Kellner und Schuhputzer europäischer Abkunft,
von denen die demokratischen Zeitungen alle paar Wochen hohnlächelnd
berichteten, wirklich da drüben auf dem üblen Proleten-Kontinent
existierten, dann war es schlechterdings unmöglich, sich zwischen
Neufundland und Kalifornien die Stiefel auch nur ein +einziges+ Mal von
einem Bürgerlichen wichsen zu lassen.

Das fehlte gerade noch, daß der letzte Enkel jenes Klaus Bitterolf von
Birkowitz, der bei Malplaquet, durch die rechte Hand geschossen, die
Zügel mit den Zähnen nahm und am Prinzen Eugen vorbei als erster in die
Franzosen ritt, irgend so einem dickwanstigen Bierbrauer von St. Louis
für ein schäbiges Trinkgeld die Unterhosenbändel in die Zugstiefel
stopfte! ...

Manchmal kam ihm ja auch der schüchterne Gedanke, diese Söhne seines
Blutes, zu deren Lieferung sich seine Gattin Ethel in langer,
chancenreicher Ehe nicht entschließen konnte, wären bedeutende Menschen
geworden, Kriegshelden, wie jener Klaus Bitterolf von dem Malborough
-- sogar auf englisch! -- nach der Schlacht gesagt haben sollte: „Wie
geht es Ihnen, mein Braver?“ Oder -- hier war seine Phantasie schon
unsicherer -- große, verdienstvolle Gelehrte, wie jener allerdings
einer Nebenlinie entsprossene Hans Christoph von Birkowitz, der
laut verläßlicher Chronik zu Marburg dabei stand, als Dionys Papin
den nützlichen Papinschen Topf erfand. Bei welcher Gelegenheit dem
helfenden Schüler allerdings ein splitternder Teil des den Topfdeckel
verschließenden Bügels ins Auge gesprungen sein soll, so daß er auf
dem einzig erhaltenen Kupferstich mit einer unschönen Binde über
dem rechten Auge dargestellt erscheint. Und wenn Klaus Bitterolf
von Birkowitz sich des entstellten Gesichtes dieses ruhmreichen
Ahnherrn entsann, so war er dem Himmel wieder dankbar, der es seinen
Söhnen verwehrt hatte in die Erscheinung zu treten und aus ererbter
unstillbarer Wißbegier gefährlichen Experimenten sehr berühmter aber
auch sehr herzloser Gelehrter persönlich beizuwohnen.

Wenn er jemals Ethel gegenüber etwas merken ließ von jenen so stillen
wie unerfüllten Wünschen nach Kindern, gleichviel welchen Geschlechts
und welcher Veranlagung, so pflegte die Gattin an ihrem Halse zu
fühlen, ob die Brosche noch saß, die Ringe an der sorgfältig gepflegten
Hand spielen zu lassen und mit schelmischem Lächeln zu trösten:

„Aber geh, schau, du hast doch den Tobby!“

Und das war richtig, er +hatte+ den Tobby.

Und es war auch keinerlei Gefahr, daß er den Tobby eines Tages +nicht+
mehr haben könnte. Denn Tobby war einfach unsterblich. Unsterblich im
Sinne der Königin von Frankreich. „~Le roi est mort -- vive le roi!~“

Tobby war ursprünglich ein Wachtelhündchen gewesen, das Klaus Bitterolf
von Birkowitz seiner Braut Alice Sternheim -- die sich aus nie recht
aufgeklärten Ursachen vom Tage ihrer Verlobung mit dem hübschen,
schlanken Kürassierleutnant „Ethel“ nennen ließ -- als Brautgeschenk
verehrt hatte. Ein mehr gut gemeintes als nützliches Präsent, da
Tobby, der in minder vornehmer Umgebung, nämlich im Stall eines
Droschkenkutschers aufgewachsen war, die Perserteppiche der Wohnung
des Bankiers Sternheim mit Vorliebe zur Erledigung von unerfreulichen
Geschäften benutzte, deren Besorgung in einem Pferdestall weniger
peinlich auffällt.

Während Klaus Bitterolf von Birkowitz mit Ethel auf der Hochzeitsreise
war und ihr mit leise vom Gähnen zitternden Nasenflügeln aus einem
gewissenhaften Katalog die Schätze der Uffizien vorlesend erläuterte:
Filippo Lippi, Sandro Boticelli, Fra Angelico, Fra Bartolomeo und
von einer thronenden Madonna zur anderen ging, wurde Tobby bei
einem Oberförster a. D. ernsthaft zur Stubenreinheit erzogen.
Als die Jungvermählten wiederkamen, die Köpfe voller Namen von
Pallazi, Meisterwerken und Nationalgerichten, und in den Kleidern
den Weihrauch sämtlicher Kirchen von Florenz, Bologna, Ferrara und
Venedig, empfing sie Tobby auf den Hinterfüßen zwischen zwei kostbaren
Blumenarrangements im Salon sitzend, ein Seidenband um den Hals, ein
vom Schwiegervater selbst -- bezahltes Gedicht im Maul und im einzelnen
und ganzen das erfreuliche Bild der angenehmsten Wohlanständigkeit.

Tobby blieb Hausgenosse in der jungen Ehe, bis er -- im neunten Jahre
seiner Zugehörigkeit zum Haushalt -- Spuren lästigen Alters zu zeigen
begann. Ethel aber hielt das Alter bei Menschen und Tieren für etwas
unanständiges, dessen Anblick sich das in Jugendfröhlichkeit genießende
Geschlecht durchaus fernhalten müsse. Und als es selbst Klaus Bitterolf
von Birkowitz nicht mehr leugnen konnte, daß Tobby, dessen Gesicht
nachließ, den Besuchern, deren es viele gab, wider die Beine lief
und zu Zeiten, besonders bei Regenwetter, einen recht üblen Geruch
verbreitete, willigte er schweren Herzens in seine Entfernung.

Er wurde einem Nähfräulein geschenkt, die selbst über die Blüte der
Jahre hinaus war, an Tobbys lauten Träumen und starkem Tierparfüm
keinen Anstoß nahm und sich durch eine rührige in den Gesindestuben
betriebene Agitation gegen die Vivisektion als zuverlässige Pflegerin
des Alternden empfahl.

Am selben Tage aber, da Tobby I, ahnungslos und durch ein Schinkenbrod
listig bestochen, dem alten Fräulein in die Droschke folgte, zog Tobby
II bei Birkowitzens ein. In Gestalt eines afrikanischen Windhundes,
der gar keine Haare auf der schwarzen Haut hatte, und immer, selbst im
Hochsommer, mit eingekniffenem Schwanz, hängenden Ohren und zitternden
Beinchen den Anschein erweckte, als sei er eben dabei zu erfrieren.
Tobby II wurde nach sieben Jahren schon -- aus ähnlichen Gründen, wie
Tobby I -- dem Zoologischen Garten geschenkt, der ihn im geheizten
Raubtierhaus einer jungen Löwin zum Gespiel gab, die ihn zunächst
innigst liebte und zwei Monate später das Spiel mißverstand und bloß so
aus Spaß auffraß.

Tobby III war ein Köter unbestimmbarer Rasse, der angeblich aus Island
stammte, aber eigentlich nur durch zwei Merkwürdigkeiten auffiel: durch
seine phänomenale Dummheit und seine Vorliebe für rohes Obst.

Als er am Kern einer gemausten Aprikose erstickt war, wurde er durch
Tobby IV ersetzt, einen Skye Terrier, der sehr häßlich und sehr teuer
war, da er angeblich wundervoll für die Otterjagd dressiert war;
eine Kunstfertigkeit, die er leider in den Birkowitzschen Salons
nicht verwerten konnte. Ein Lyriker, der zu jener Zeit viel im Hause
verkehrte und für Ethel geradezu wahnsinnige „Kostümträume“ (wie er das
nannte) entwarf, verfocht die Ansicht, daß Tobby in einer instinktiven
Einsicht seinen Beruf verfehlt zu haben Selbstmord beging, als er --
wie andere behaupten, aus blinder Gefräßigkeit -- unter den schweren
Wagen einer renommierten Delikateßhandlung kam und vom Hinterrad
erledigt wurde.

So löste ein Tobby den anderen ab. Immer ein junger Tobby kam für
den Alternden. Und die Gefahr einer Konkurrenz durch eine plötzliche
Bevölkerung der Kinderstube schwand immer mehr. Denn, so wenig das
Ethel für sich und den Gatten zugeben wollte, auch die Birkowitzens
wurden alt.

Im dritten Jahre ihrer Ehe hatte Klaus Bitterolf beim Begräbnis seines
Schwiegervaters böses Pech gehabt. Während er als Leidtragender hinter
dem Sarge in Paradeuniform durch die Gräberreihen schreitend überlegte,
ob der alte Herr wirklich, wie man sagte, in letzter Zeit eine Million
an chilenischen Gruben verloren hatte, verwickelte er sich mit einem
seiner Sporen in die riesige Atlasschleife eines am Boden liegenden
Kranzes, auf der „Ruhe sanft -- auf Wiedersehen!“ gedruckt stand. Er
fiel hin und brach sich den rechten Fußknöchel.

Als der Gipsverband acht Wochen später gelöst wurde, erwies es sich,
daß das rechte Bein ein wenig kürzer und außerdem eine Schwäche
zurückgeblieben war, die Klaus Bitterolf zwang, sich beim Gehen eines
derben Stockes zu bedienen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als den
Abschied zu nehmen. Ein paar Monate behielt er noch seine Reitpferde
und dachte daran, sich sportlich zu betätigen. Als aber Schwäche und
Schmerz im Knöchel beim Reiten sich mehrten, schrieb er seufzend mit
seinen geraden, riesigen Buchstaben auf einen wappengeschmückten Bogen
die Worte: „Drei vortrefflich zugerittene Offizierspferde, arabische
Stute, Fuchswallach und tadellos schönes Halbblut sofort preiswürdig
abzugeben ...“ Dann trat er in den Verein für heraldische Forschung,
den Exlibrisverein und die Gesellschaft für Familiengeschichte ein
und beschloß, sich ganz den Studien auf diesem Gebiete und der damit
zusammenhängenden Sammellust zu widmen.

Wenn er an seinem Erkerfenster in der Kaiserallee saß, alte
Schutzbriefe und Diplome aus dem Familienarchiv behutsam entfaltete und
unter die Lupe nahm oder in älteren Jahrgängen des Gothaschen Kalenders
einem verschollenen Vetter nachspürte, so schmerzte ihn der Knöchel
nicht. Und die Gesellschaft Tobbys, der zu einem warmen, zuckenden
Klümpchen gerollt auf dem alten Plüschkissen im Lehnstuhl gegenüber
lag, genügte ihm vollkommen. Ja, sie war ihm, ehrlich gesagt, lieber
als die Gesellschaft seiner Frau, die ihn mit dem endlosen Programm
ihrer täglichen Vergnügungen und gesellschaftlichen Verpflichtungen
aufregte ...

Als Ethel noch Alice hieß, hatte sie den in der weiblichen Linie des
mit Glücksgütern reich gesegneten Hauses Sternheim nicht seltenen
Traum geträumt: ein Leutnant. Sie lernte französisch plappern, las erst
Racine später Alphonso Daudet und dachte an einen Leutnant.

Sie langweilte sich bei Goethes Tasso und übte Klavier und dachte an
einen Leutnant.

Er hatte noch kein bekanntes Gesicht und eigentlich auch noch keine
bestimmte Uniform. Nur Sporen klirrten deutlich durch ihre Träume.
Infanterie war gewöhnlich. Fast schon Schutzmänner, kam ihr vor.
Fuchsjagden in roten Röcken, Morgenpromenaden auf dampfenden Schimmeln
im Park, Besuche im eleganten Coupé, abends Gäste mit wunderschönen
Namen, aufgeführte Dramatiker, Exzellenzen, verbotene Romanziers,
preisgekrönte Bildhauer, vergötterte Tenöre, fette Finanzkönige -- und
zwischen tief, tief ausgeschnittenen Frauen, die sie alle beneideten,
das silberne Klingeln der Tanzsporen. Der eleganteste -- +er+.

Nicht daß sie sich ihm lieberöchelnd an den hohen gelben oder roten
oder goldgestickten Kragen werfen wollte! Behüte, sie war kühl und
anständig. Und bei all ihren Träumen hätte „Mademoiselle“ ganz gut
dabei sein können und ihren Tauchnitz lesen. „Er“ war nur Mittelpunkt
der Dekoration für sie, war -- sie wußte das -- der notwendige Faktor
zu all den anderen. „Er“ hatte die huldvoll erteilte Erlaubnis, sehr
erfreut zu sein, daß sie so schön war; daß sie solche Zauberfeste
arrangieren konnte, daß so viele berühmte Männer sich über ihre kleine,
weiße Hand beugten, um ihre Schnurrbarthaare respektvoll auf die
rosigen, blühenden Nägel zu drücken. Und zwischen einem feschen Wiener
Walzer und einer schmelzenden Arie, der unbezahlbaren Soundso oder
zwischen einem herrlichen Violonsolo des weltberühmten Dingskirch und
einem ausgelassenen Kontertanz durfte „er“ -- sporenklingelnd -- auf
sie zukommen, ihr leicht die erhitzte Wange klopfen und fragen: „Bist
du glücklich, Kind? Amüsierst du dich?“ ...

Denn glücklich sein und sich amüsieren waren für ihr törichtes Herzchen
Begriffe, die restlos ineinander aufgingen.

Und dann +kam+ „er“.

Natürlich waren vorher schon andere gekommen. Schlaue, Treuherzige,
Verliebte, die wußten, daß sie des Bankiers Sternheim einzige Tochter
war, daß sie Walzer tanzen konnte -- auch links herum -- eine
feine, zierliche Taille und feste, runde, weiße Arme hatte und in
der Konversation schließlich nicht mehr Dummheiten sagte, als ihre
magere, sommersprossige Cousine. Und diese, der Stolz und Abgott der
Sternheimschen Familie, war voriges Jahr Baronin geworden; und ihren
tadellos gekleideten Gatten traf man bei allen Gesellschaften nach
zwölf Uhr mit offenem Munde schlafend im Rauchzimmer.

Aber alle die anderen hatte des Bankiers Sternheim einzige Tochter
dankend abgelehnt. Des einen Katholizismus war ihr zu neu und
unbegründet. Des anderen weiterer Familienkreis schreckte sie durch
Zahl und schlechte Manieren. Eines dritten Persönlichkeit konnte sie
sich absolut nicht auf dem hohen Bock eines Kutschierwagens oder im
roten Frack auf herbstlichem Felde denken. Endlich kam „er“ mit dem
hohen Wuchs, den schlanken Händen und der leichten, ungezwungenen
Galanterie des geborenen Aristokraten. „Meine Tante die Reichsgräfin
...“ „mein Onkel Exzellenz“. Das kam so natürlich heraus, wie wenn
andere sagten: „Mein Vetter in der Schillerstraße“, „mein Schwager in
Ratzeburg“.

Dann hatte er eine nachlässige Art, mit den langen, gesunden Zähnen
Kakes zu knabbern, und lachte so wunderhübsch ehrlich, wenn von Dingen
die Rede war, die er nicht verstand. Und das kam oft vor. Und dann
natürlich das leise, silberne Sporenklingeln ...

Dann war der Tag gekommen, an dem er zuerst mit Papa sprach, später
mit ihr. Korrekt und mit einem leisen Unterton von Gefühl. Eine Stunde
später schickte er einen wunderhübschen Strauß Marschalnielrosen.
Sie ließ die Friseuse kommen, probierte eine neue, etwas würdigere
Frisur, beschloß sich von heute an „Ethel“ nennen zu lassen und
entwarf Tischordnungen für das Verlobungsessen. Wobei sie immer wieder
leise vor sich hin sagte: „Meine Tante, die Reichsgräfin ...“ „mein
Onkel Exzellenz“. Und sie lächelte dazu das bräutliche Lächeln dieser
Kreise, denen sie nun angehörte. Dann überlegte sie, an welcher Ecke
der Tafel man den unbequemen Onkel Oskar verstecken könnte, der so
unwahrscheinlich große Brillantknöpfe im Vorhemd trug und immer die
dumme Geschichte erzählte, wie er als jüngster Kommis im Bankhaus
Seligsohn den alten Fürsten Lichtenstein, der ihn zu duzen wagte,
+wieder+ geduzt hatte.

Klaus Joachim war ein guter anständiger Kerl. Er war froh, als die
Verlobungszeit, die seiner Familie mancherlei heftige Vertraulichkeiten
von Seiten der neuen Verwandten eingetragen hatte, vorüber war. Über
das Glück hatte er niemals intensiv nachgedacht. Einmal, als er sich
-- es war kurz vor seinem Sturz über die Ruhesanftschleife -- bei
einem amerikanischen Zahnarzt, der für vieles Geld sehr wenig Deutsch
sprach, einen Vorderzahn mit Gold plombieren lassen wollte und im
Wartezimmer mit anhören mußte, wie eine alte Dame im Operationszimmer
nebenan wehklagend die Stunde ihrer Geburt verfluchte, blätterte er,
um sich auf angenehmere Gedanken zu bringen, in einem abgegriffenen
Sentenzenbüchlein. Und er fand darin neben minder verständlichen
Sprüchen das gute Wort: „Das Glück liegt im Geschmack, nicht in der
Sache.“

Das ging ihm nicht mehr aus dem Kopf; und sein eigenes Leben an dieser
Sentenz messend, fand er, daß er im Besitze einer so hübschen und
lebenslustigen Frau gewiß nicht unglücklich zu nennen sei. Als es dann
+nach+ dem Unfall mit Sport und anstrengenden Festlichkeiten für ihn
Essig war; als er sich mehr auf eine einsame Pflege seiner künstlich
gezüchteten Liebhabereien zurückzog und Tobbys nicht aufregende
Gesellschaft einem Saale, mit Menschen gefüllt, die krampfhaft
Amüsement heuchelten, vorzuziehen begann, da erschien ihm sein von
anderen viel und laut beneidetes „Glück“ etwas dünn. Manchmal lästig.

Ethel hatte die Leidenschaft, gestützt auf ihren klingenden Namen,
ihre hübsche, biegsame Erscheinung und die erfreulichen Zinsen des
vom Vater für die nie erschienenen Enkel festgelegten Kapitales, ein
Haus zu machen. „Herr und Frau von Birkowitz geben sich die Ehre ...“
-- kleine und große gedruckte Karten, die also begannen, steckten an
unzähligen Spiegeln flotter Kavaliere. Der Träger eines alten Namens
oder der kecke Eroberer eines neuen Namens konnte solcher Einladung
auf die Dauer nicht entgehen. Irgendwo traf ihn „die schöne Frau von
Birkowitz“. Irgendwo machte sie ihm, gütige Blicke unter langen,
ein wenig getuschten Wimpern sendend, sanfte Vorwürfe, daß er noch
nicht bei ihr Besuch gemacht. Irgendwie wußte sie eine sinnreiche,
verpflichtbare Beziehung aufzustöbern zwischen seinem Hause und der
Familie derer von Birkowitz. Irgendwann erschien der also Eingefangene
dann, bekam ein Miniaturtäßchen aromatischen Tees, ein köstliches
Löffelchen russischen Kaviars und hatte die Freude, mindestens einen
kurzsichtigen Modeprofessor, einen schweigsamen Modemaler, eine sehr
laute Exzellenz und -- wenn er Glück hatte -- einen urlangweiligen
Kammerherrn oder gar einen lebendigen Prinzen aus einer um viele Ecken
gegangenen Nebenlinie zu treffen.

Zwischen allen diesen ausgesucht distinguierten Besuchern schwebte in
einem zwar erlernten aber kleidsamen Tanzschritt die schlanke Hausfrau
umher. Der Ausschnitt tiefer vorgerückt, als die Tageszeit. Sie führte
eine Konversation, die an tausend Dingen nippte, vom Spiritismus bis
zum neuesten amerikanischen Tanz, von der Säuglingswohlfahrt bis zu
den dressierten Eisbären, von der letzten kleinen Eheirrung in guten
Kreisen bis zum Bazar für die Wärmehallen. Sie verstand im Grunde von
allem dem gleich viel, heißt das gleich wenig, aber sie hatte eine
wundervolle Spürnase für alles, was Stoff zu flüchtiger Unterhaltung
oder Vorwand für ein Wohltätigkeitsfest hergab. Und zuweilen traf
man norddeutsche Pastoren, italienische Monsignori, seltener sogar
österreichische Rabbiner bei ihr, die alle in gleicher Weise von ihrer
Nächstenliebe entzückt waren.

An solchen Tagen trug sie ein geschlossenes Kleid, sehr wenig Schmuck
und einen Zug unendlich schlichter Güte um den hübschen Mund. Es gab
dann weniger Kaviar und mehr erbauliche Gespräche; und sie hatte eine
interessierte Art den langweiligsten statistischen Angaben zu lauschen,
die einen Apostel selber entzückt hätte.

Kurz ehe der Anstand den Gästen gebot, sich zu empfehlen, erschien
dann der Gatte, Klaus Joachim, auf einen Ebenholzstab mit schlichter
Silberkrücke gestützt und von dem gerade in Gunst stehenden Tobby
begleitet.

Ethel stellte ihm, ihren runden Arm mit graziöser Zärtlichkeit in
den seinen legend, die ihm noch unbekannten Gäste vor, über deren
Anwesenheit er sich unendlich erfreut zeigte, und deren Namen er sofort
wieder vergaß.

Sie schmierte ihm selbst ein Brödchen -- halb Kaviar halb Anchovis --
wie er es angeblich für sein Leben gern aß, obschon er selbst niemals
eine diesbezügliche Mitteilung gemacht hatte; teilte ihm die nächsten
Pläne für Feste, lebende Bilder, musikalische Abende oder Bazare mit
und versicherte den Anwesenden, daß ihr lieber Klaus Joachim, wie
+sie+ ihn kenne, von dieser Stunde an seine ganze freie Zeit der
Ausgestaltung des wunderherrlichen Programms widmen werde. Sie erzählte
dabei in charmanter Neckerei allerlei originelle kleine Züge, die des
Gatten glühendes Interesse an all diesen Dingern hübsch illustrierten.
Der also Gelobte aber saß mit verlegenem Lächeln dabei, streichelte
Tobbys Fell und war immer wieder tief erstaunt über die unheimliche
Leichtigkeit, mit der diese niedliche, lebhafte kleine Frau die
kecksten und dreistesten Lügen aus der frischen Luft griff.

Dabei war Ethel durchaus anständig. Die erschreckendsten Klatschbasen,
für die der gute Ruf anderer kaum den bescheidendsten Respecktswert
hatte, wußten ihr nichts nachzusagen. Sie bevorzugte zuweilen einen
Kavalier wenn er gut im Frack aussah, neue Kunststücke mit Talern
und Apfelsinen verrichten konnte, eine fünfzackige oder gar eine
geschlossene Krone auf der silbernen Zigarettendose trug und von einer
Reise um die Welt mit so kühler Ruhe sprach, wie andere von einem
Ausflug nach Helgoland oder Rügen. Auch ein Dichter oder Künstler,
mit dessen Namen die Zeitungen gerade Fangball spielten, konnte aus
der Art wie sie ihm Rum in den Tee goß und vom Ruhm als „der Güter
höchstem“ ein gefühlvolles Wort sprach, vielleicht annehmen, daß er in
begnadeter Stunde ihrem Herzen näher sein werde als andere. Aber solche
„begnadeten Stunden“ kamen schließlich für keinen. Es war immer ein
+dritter+ dabei, irgend eine störende Null mit einem klangvollen Titel,
einer interessanten Vergangenheit oder einer Zukunft; eine Exzellenz,
ein Sportsmann oder ein Komödiant. Und später kamen Klaus Joachim und
Tobby.

So gingen die Jahre für Ethel hin als eine Reihe von Festen, nur durch
einige ärgerliche Kinderkrankheiten unterbrochen, die sie in der Jugend
durchzumachen verabsäumt hatte, und die ihr nun Gelegenheit gaben
sehr neckische Negligés zu tragen, dankbar an vielen von Freunden
gesandten Blumengrüßen zu riechen, und als blasse Rekonvaleszentin mit
melancholischem Lächeln, das ihr gut stand, von ihren Todesgedanken zu
plaudern und von verschiedenen sentimentalen Bestimmungen, die sie den
beiden Schwestern vom roten Kreuz -- sobald sie sich unwohl fühlte,
ließ sie zwei Schwestern kommen -- in einer entsetzlichen angstvollen
Nacht diktiert haben wollte.

Aber selbst an ihre zu Festen und Lebensgenuß prädestinierte Natur
machten die Jahre ihre Rechte geltend. Und je mehr sie fühlte, daß ihr
die Jugend sacht entglitt, um so krampfhafter klammerte sie sich an
die äußeren Zeichen und Enbleme der tückisch Fliehenden. Das Rot der
Wangen war längst nicht mehr ganz echt, die Haare wurden öfters diskret
gefärbt und die Korsetts hatten mehr Mühe, die vorhandenen Formen auf
das richtige Maß einzuschnüren und elegant zu verteilen.

Die verspätete Kindlichkeit, die der jungen Frau einen entzückenden
Schimmer von Naivität gegeben, und die nun noch immer nicht von der
Zurechtgemachten und Gemalten weichen wollte, mischte in ihr Wesen
eine reichliche Portion Albernheit. Sie fühlte selbst, daß jetzt
manchmal ihre Gäste nicht mehr +mit+ ihr sondern +über+ sie lachten.
In krampfhafter Angst, etwas von dem geräuschvollen Drum und Dran
ihres ganz auf Äußerlichkeiten gestellten Lebens zu verlieren,
verstärkte sie jetzt die Genüsse, die der opulente Haushalt zu bieten
vermochte. In dem Maße, als ihre Jugend sich minderte, ihre Schönheit
verblich, ihre Anmut kokette Maske wurde, verfeinerten sich jetzt die
Tafelfreuden, die musikalischen und theatralischen Aufführungen in
ihrem Hause. Man trank bei den Proben schon französischen Sekt. Man aß
bei den kleinsten Diners nicht unter fünf Gängen. Man erfreute sich
der teueren Delikatessen der Saison nirgends früher, als an der Tafel,
der Klaus Joachim, längst mit einem chronischen Magenübel kämpfend mit
ledergelbem, wenig vergnügtem Gesicht präsidierte.

Klaus Joachim sah täglich unzählige Leckerbissen vorbeitragen, die ihm
aufs strengste verboten waren. Er sah junge Leute in schönen Uniformen
und ältere Herren mit Halsorden an seinem Tische, ohne sich ihre Namen
merken, für ihre Geschichten interessieren zu können. Er sah lebende
Bilder gestellt von blühenden Menschen, deren Geburtsanzeige er -- so
kam’s ihm vor -- doch neulich erst gelesen. Er sah zappelige Virtuosen
und dicke Sänger an seinem Flügel, die er innigst nach Pernambuco
wünschte. Und abends spät, wenn er -- den silbernen Leuchter schon in
der etwas zittrigen Hand -- nach vererbter Familiensitte seiner Frau
galant die Hand küßte und prüfend in das abgespannte Gesicht mit den
mühsam weggeschminkten Fältchen um die müden Augen blickte, sah er
auch, daß die Lebensgefährtin trotz verzweifelter Gegenwehr wurde, was
kein Tobby in seinem Hause werden durfte: +alt+.

Seine Familie hatte sich längst in das solide Erbbegräbnis und in
gesunde Metallsärge zurückgezogen. Die Tante Reichsgräfin und der
Onkel Exzellenz erschienen nur noch als mythische Personen in Ethels
Erzählungen. Aber der Sagenkranz, der sich langsam um sie bildete,
(oder eigentlich: den Ethel persönlich um die verklärten Häupter der
teueren Verstorbenen legte) erhielt mit jedem Jahre neue strahlende
Blüten. Und wer den leise bebenden Herzenston vernahm, mit dem Ethel
die Namen dieser Heimgegangenen aussprach, der konnte unmöglich eine
Ahnung gewinnen von der durch Harthörigkeit bedingten Absonderlichkeit
der seligen Exzellenz und der Unleidlichkeit der geizigen und boshaften
Reichsgräfin. Vor dem ebenfalls längst zu seinen Vätern versammelten
Onkel Oskar freilich, der einst als Kommis des Hauses Seligsohn den
alten Fürsten Lichtenstein geduzt hatte, machte der Totenkultus Ethels
Halt. Sein Name wurde seltsamerweise nur von Klaus Joachim, der den
Lebenden wenig geschätzt hatte, zuweilen erwähnt und -- das muß gesagt
werden -- eigentlich nur, wenn er, überreizt von den ewigen Festen in
seinem Hause, einmal das nervöse Bedürfnis hatte, Ethel zu ärgern.

Einige Male hatte er ja versucht, seine Gicht vorzuschützen, um den
festlichen Veranstaltungen zu entgehen, die sein Haus zum Tummelplatz
fremder Leute machten, die seinen Sekt tranken, seine Zigarren rauchten
und von ihm eigentlich nur Notiz nahmen, wenn sie ihn wegen des
kürzesten und verstecktesten Weges nach einem geheimen Ort um seinen
Rat fragten. Aber an Schlafen wäre bei dem Lärm auch nicht zu denken
gewesen, wenn die Lohndiener nicht, lieber Gewohnheit folgend, alle
fünf Minuten in sein Schlafzimmer gestürzt wären, um die merkwürdigsten
Dinge hier zu suchen, die sich noch niemals in einem Schlafzimmer
befunden haben. So erschien er denn resigniert, auf seinen Stock
gestützt, wieder in den Salons und heuchelte höflich eine freudige
Anteilnahme an einen neuen amerikanischen Tanz, bei dem der Bauch
herausgestreckt wurde, an dem Klaviervortrag eines sechsjährigen
Wunderkindes, das allerdings spielte als ob es vierzehn wäre, oder an
der Soloszene einer talentvollen Bühnennovizen, die aus unbekannten
Gründen plötzlich händeringend in gereimten Versen jammerte, daß sie
ihr Kind erwürgt habe, weil es dem Vater ähnlich sah.

In solchen Lustbarkeiten waren bald fünf Jahrzehnte hingegangen.

Man hatte vorübergehend mal für irgend einen Kriegsschauplatz heftig
Charpie gezupft und um irgend einen Fürsten in der Weise getrauert,
daß man -- die Damen in geschlossenen Kleidern -- bei Birkowitzens
sechs Wochen lang nur Kammermusik, Harmoniumstücke und ernste
Balladenvorträge anhörte.

In sonsten hatte sich nicht viel verändert.

Tobby XIII ein knochiger Rattler von großer Munterkeit belebte Klaus
Joachims einsame Morgenstunden, wenn er seine Exlibris ordnend und
klebend am Erkerfenster saß und den stillen Wunsch nährte, Ethel, die
im Coupé Besuche machte, möge +alle+ zu Hause treffen, denen sie die
Freude ihres Gespräches zugedacht. Tobby XIII litt nur, als echter Sohn
seiner Rasse, unter dem durch nichts bestätigten Vorurteil, daß Mäuse
in der Wohnung sein müßten. Er erschreckte wohl ein Dutzend mal im
Vormittag seinen Herrn aufs heftigste dadurch, daß er plötzlich einen
ganz unmotivierten Luftsprung machte, mit beiden Vorderpfoten schwer
auf irgendeine Stelle des Teppichs schlug und emsig zu scharren begann;
als müsse er unter der dunkelroten Blume des Persers unbedingt ein
Mauseloch finden.

Da Klaus Joachim seit einiger Zeit Anzeichen eines Herzleidens spürte
-- Sie haben zuviel „gefeiert“, hatte der Hausarzt gesagt und Klaus
Joachim hatte nicht ohne Bitterkeit gelächelt -- so war die fixe Idee
Tobbys XIII für seinen Herrn doppelt störend. Aber da dieser den
amüsanten und liebenswürdigen Hund sonst lieb hatte, so schickte er
sich seufzend in seine aufregende Eigentümlichkeit; ja er hielt sie vor
seiner Frau geheim, die sonst vermutlich auf schleunigen Ersatz Tobbys
XIII durch Tobby XIV gedrungen hätte, da die Zahl Dreizehn ihr sowieso
unbehaglich war.

Und gerade jetzt war sie bemüht, alles Unbehagliche von sich und Klaus
Joachim fernzuhalten, denn die Vorbereitungen zu dem größten Fest ihres
Lebens, zu dem Fest, in dessen Mittelpunkt nur +sie+ -- natürlich
+mit+ Klaus Joachim -- verständigerweise stehen konnte, nahmen sie
völlig in Anspruch. Ihre goldene Hochzeit nahte. Und mit dem Näher- und
Näherkommen dieses weihevollen Tages nahm dieser fast siebzigjährigen
Frau wunderbare Elastizität, die in den letzten Jahren ein ganz, ganz
klein wenig nachgelassen hatte, von Tag zu Tag wieder zu.

Sie fühlte, daß das der Glanzpunkt ihres Lebens werden mußte.

Man würde Szenen aufführen, Reden halten, Trinksprüche ausbringen,
alles ihr zu Ehren. Berühmte Dichter, die oft bei ihr gegessen
hatten, würden eigens für diesen Tag wundervolle Lieder schreiben,
in denen ihr Name von einem Blütenkranz unsterblicher Gedanken
umrahmt erschien. Zukunftsreiche Maler, die +ebenfalls+ oft bei ihr
gegessen hatten, würden lebende Bilder stellen aus ihrer Jugendzeit.
Bedeutende Komponisten, die +ebenfalls+ oft bei ihr gegessen, würden
sich ans Klavier setzen. Und +sie+ würde, in ihre schneeweißen Haare
(ein bischen half ja der Puder nach) die goldene Myrthe gesteckt,
neben Klaus Joachim sitzen -- wenn er nur nicht einschlief! -- und
die feierlichen Deputationen empfangen von all den Vereinen, für die
bei ihr gegessen, getrunken, geredet, musiziert, Charpie gezupft
und getanzt worden war in einem langen, halben Jahrhundert. Und die
Zeitungen würden -- Gott, Herren von der Presse hatten ja auch bei ihr
gegessen -- sympathische Artikel bringen, im „Vermischten“ oder an der
Spitze des Lokalen; würden sie mit der Madame de Rotschild vergleichen,
am Ende gar mit der Fürstin Metternich und würden das Bild „der noch
immer schönen Frau von Birkowitz“ in einer sinnigen Phantasieumrahmung
von Lorbeer und Myrthen bringen. Natürlich Klaus Joachim daneben. Und
Bilder ihres „Heims“ werden in den Wochenschriften gezeigt. Die Ecke
im blauen Salon mit den Vasen, die ihr der Vizekönig Ching-Chung-Gho,
der die Fischgräten unter den Tisch spuckte, geschenkt. Die Wand
im Speisezimmer mit den ehrwürdigen Ahnenbildern der Reichsgräfin
und des Onkels Exzellenz. Der Kamin im Gobelinzimmer mit dem
laubfroschgrünen seidenen Wandschirm, auf dem die steinalte Prinzeß
Binzheim-Sprendlingen die gräßlichen, roten Levkoyen eigenhändig
gemalt. Und das mußte alles in Fußnoten gesagt werden ...

Ethel von Birkowitz war wieder ganz jung, wenn sie an diverse Fußnoten
dachte.

+Und+ an die Geschenke! Denn darin war sie ein Kind geblieben. Sie
liebte es sich beschenken zu lassen. Weniger der Gabe wegen, als
wegen des Namens des Spendenden. Und wenn nur der kleinste Teil
der Zelebritäten, die gut und viel bei ihr gegessen, sich an ihrem
Ehrentage mit einem sinnigen Präsentchen einstellte, so hatte sie aus
dem Gothaschen Kalender, aus dem Kürschner, aus dem Bühnenalmanach
und aus dem städtischen Adreßbuch -- kurz aus jedem Namensammelbuch
von einigem Kulturwert mit Ausnahme des Verbrecheralbums -- die
herrlichsten Stichproben. Ethel von Birkowitz schwamm im Glück der
Hoffnung.

Klaus Joachim sah dem festlichen Tage mit geringerer Lust entgegen.
Ganz davon abgesehen, daß sein neues Gebiß ihm den Unterkiefer wund
rieb, wenn er es während eines langen Diners im Munde behalten
mußte, hatten sich letzter Zeit, nicht unbeeinflußt von Tobby XIII
phantastischen Jagdvergnügungen heftige Herzaffektionen bei ihm
gezeigt. Schwächeanwandlungen waren häufig; und mehrfach war er mitten
in Ethels interessanten Mitteilungen über das Programm des Festes und
über die Plätze für den Bürgermeister und den Polizeipräsidenten und
den berühmten X. und die noch berühmtere Y. eingeschlafen. Und beim
Erwachen hatte er minutenlang geglaubt, er sitze an der Saline in
Nauheim. Oder hatte mit schwacher Stimme Weisung gegeben, man solle das
Halbblut nicht verkaufen. Sein Lieblingspferd aus der Leutnantszeit,
das seit vier Jahrzehnten gewiß in dem Pferdehimmel war, an den die
Araber glauben.

Zwei Tage vor der goldenen Hochzeit besserte sich Klaus Joachims
Zustand.

Er konnte den neuen Frack probieren und der Ansprache Ethels an die
fünf Lohndiener beiwohnen.

Als er aber an dem Morgen seines Ehrentages in denselben Frack
geschlüpft war, um ans Fenster zu treten und dem Choral der
Regimentsmusik zu lauschen, die der Oberst, der lieber gut aß als
Felddienstübungen leitete, in Dankbarkeit zur Überraschung gesandt
hatte, befiel ihm eine kleine Schwäche. Und gerade als er sich, von
Ethel gestützt, die schon in großer Toilette war, auf das Sopha
niedergelassen, unternahm Tobby XIII mit plötzlichem Siegesgeheul einen
plötzlichen Jagdausflug unter einen ehrwürdigen friesischen Schrank,
der sich zu knacken erlaubt hatte.

Klaus Joachim erschrak heftig, griff mit den langen, immer noch
aristokratischen Fingern der linken Hand nach der Herzgegend,
verdrehte die Augen, fragte, ob er in der Neujahrsnacht zum Bleigießen
aufbleiben müsse, erkundigte sich dann mit leiser werdender Stimme
ob die Seitenlinie derer von Rorschach-Kitzingen berechtigt sei
die Freiherrnkrone zu führen, gab, als die erschreckte Ethel ihre
Unwissenheit gestand, stockend die Anweisung, darüber sogleich
telegraphisch das Heroldsamt in Berlin zu befragen, lächelte sonderbar,
bekam eine ganz spitze weiße Nase und -- war tot.

Unten spielte die Regimentskapelle den Pilgerchor aus dem Tannhäuser.

Ein Lohndiener steckte den glattrasierten Kopf herein und meldete: der
Koch lasse fragen, ob der Fasan +nach+ dem Wildschwein serviert werden
solle oder +vor+ dem Wildschwein.

Ethel zuckte zusammen, warf einen Blick auf die seltsam gespitzten
Lippen Klaus Joachims, von denen kein Atem mehr kam und die pfeifen zu
wollen schienen, und entschied:

„+Nach+ dem Wildschwein.“

Es war ein außergewöhnliches Fest. In jeder Beziehung.

Die Gratulanten kamen in dichten Scharen.

Honoratioren in vortrefflich sitzenden Fräcken, Deputationen in minder
sehenswürdigen Gehröcken, Künstler in fliegenden Kravatten, Damen
der Aristokratie in kostbaren Pariser Roben, Konservatoristinnen in
phantastischen Fähnchen. Die Diener in Eskarpins mit silbernen Ketten
und dem Gönnerlächeln ihres wichtigen Standes.

Im Blauen Salon zwischen den beiden Vasen des Vizekönigs
Ching-Chung-Gho stand Ethel, im weißgepuderten Haar die goldene
Myrthe, den Smaragdschmuck derer von Birkowitz am immer noch
präsentablen Hals, die wundervollen Rosen des Prinzen Kux-Beckenried in
der Hand, der mit seinem Freund, dem ~Dr.~ v. Heiduck -- in Wahrheit
war es sein Arzt, der Prinz war seit Jahren entmündigt -- als Erster
gekommen war.

Jetzt hielt er sich, töricht vor sich hinlächelnd, im Gobelinzimmer
unter dem Bild von Onkel Exzellenz auf und konsumierte das vierzehnte
Kaviarbrödchen; wozu ~Dr.~ Heiduck nachdenklich den dem Prinzen
verbotenen Sherry trank.

Im kleinen gelben Salon aber stand die Türe auf, die nach dem
Ankleideraum neben dem Schlafzimmer Klaus Joachims führte.

Eine rotseidene Schnur war, den Eintritt wehrend, in Kniehöhe im
offenen Türrahmen gespannt. Durch das halbdunkle Ankleidezimmer
hindurch sah man in das noch um eine Nuance dunklere Schlafzimmer.
Von dessen Tür nicht weit saß Klaus Joachim von Birkowitz in einem
dunkelgrünen Sessel aus der Biedermeierzeit, den Kopf leicht an die
linke Seitenklappe der hohen Rücklehne gelehnt.

Er saß aufrecht im Frack und hatte, das konnte man gut erkennen, ein
blühendes Sträußchen in der blassen rechten Hand, die unbeweglich auf
der leichten bunten italienischen Decke lag, die seine Beine verhüllte.
Im Knopfloch trug er einen Myrthenbüschel ...

Alle Kommenden mußten durch diesen gelben Salon. Allen Kommenden
wiederholte der Diener an der Türe mit diskreter Stimme:

„Herr von Birkowitz befindet sich nicht ganz wohl. Er hat sich bei den
ersten Gratulationen in der Frühe überanstrengt. Der Herr Baron ist
deshalb in seinem Zimmer geblieben. Die Frau Baronin empfängt im Blauen
Salon. Wenn die Herrschaften vielleicht dem Herrn Baron einen Gruß
zunicken wollen ...“

Und die Herrschaften wollten das. Und sie nickten durch das halbdunkle
Zimmer dem befrackten Manne zu, der dort im Sessel saß.

Einige wollten beobachtet haben, daß er freundlich wieder genickt habe.
Andere hatten nichts dergleichen wahrgenommen.

Alle waren einig darin, daß es nicht gut um den alten Herrn stehe, und
daß er vielleicht doch schlauer zu Bett gegangen sei.

Aber Ethel von Birkowitz im blauen Salon zwischen den beiden Vasen des
Vizekönigs Ching-Chung-Gho versicherte:

„Er hat’s nicht anders haben wollen. Wenigstens aus der Entfernung
wollte er sich mit uns freuen.“

Und der Polizeipräsident, der besonders scharfe Augen hatte bemerkte
dazu:

„Und, meine Gnädige -- er +freut+ sich. Als ich ihm zunickte, spitzte
er die Lippen -- ich sah es deutlich -- als ob er +pfeifen+ wollte.
Vermutlich: ‚Freut Euch des Lebens‘ -- -- oder so was.“

„So tut er immer, wenn er vergnügt ist“ lächelte Ethel.

Einer aber war nicht vergnügt. Tobby XIII.

In die Schuhkammer neben der Küche eingesperrt heulte er. Heulte
unaufhörlich, obschon ihn die dürre Kochmamsell, die sehr nervös war,
unter Zuhilfenahme eines Birkenholzkochlöffels eindringlich vermahnt
hatte. Heulte laut und kläglich.

Und das Spülmädchen, das vom Lande und sehr blond und sehr dumm war,
sagte zu dem Konditor, der das Pastetenhaus brachte:

„Bei uns zu Haus heulen die Hunde so, wann mer e Leich’n hab’n.“

An dem Diner nahm Klaus Joachim +nicht+ teil.

Sein mit Myrthen bekränzter Platz wurde nach dem Fisch von einem
aufgeräumten Konsistorialrat eingenommen, der viel Rauentaler trank
und drei verschiedene Reden hielt, von denen die erste keine rechte
Veranlassung, die zweite keine Pointe und die dritte überhaupt keinen
Sinn hatte.

Zwischen dem Wildschwein und dem Fasan ging Ethel hinaus, um nach
Klaus Joachim zu sehen, der sich nur von ihr betreuen ließ und keine
Bedienung sehen wollte.

„Welch eine Ehe,“ rühmte der Konsistorialrat als sie ging.

Und „pfeift er noch?“ fragte der gutgelaunte Polizeipräsident, als sie
wiederkam.

Ethel war etwas blaß.

Der Besuch bei dem Gatten schien sie angestrengt zu haben. Aber sie
erinnerte sich sofort wieder ihrer Pflichten als Mittelpunkt und
Hausfrau und dem Polizeipräsidenten über die volle Obstschale zunickend
lächelte sie:

„Ja, er pfeift noch ...“

Am Abend des nächsten Tages erschien in allen Blättern eine breit
schwarzumränderte Anzeige, daß es in der Nacht nach seinem schönen Fest
dem Allmächtigen gefallen habe, den vielgeliebten Herrn Klaus Joachim
von Birkowitz und so weiter ... Tiefe Ergriffenheit sprach schon aus
dem Konstruktionsfehler dieser Annonce. Denn nach +ihr+ war es der
liebe Gott, der das schöne Fest gefeiert hatte.

Der Konsistorialrat aber, der an diesem Tag heftigen Kopfschmerz
hatte, äußerte, daran erkenne er wieder die große Gnade des Himmels,
daß dieser wahrhaft christliche Mann noch habe das herrliche Fest
mitansehen dürfen, ehe er von hinnen ging.

Nur Tobby XIII wußte Bescheid.

Er hatte die ganze Nacht geheult. Selbst als ihn das sehr blonde und
sehr dumme Spülmädchen gegen Morgen mitleidig in sein Bett nahm, hatte
er immerzu leise weiter gewinselt.

Tobby wurde deshalb auch dem Milchmann geschenkt.

Gerade als dieser brave Mann den heftig Widerstrebenden an einer
Zuckerschnur die Hintertreppe hinunterzerrte, wurden die sechs riesigen
silbernen Leuchter gebracht, die den Katafalk flankieren sollten.

Sie waren umflort und mit armdicken Kerzen besteckt und sahen wirklich
festlich aus.

Das Beerdigungsinstitut „Pietät“ hatte sie geliehen.

Sie brannten am anderen Morgen bei einer kleinen Hausandacht, die der
Konsistorialrat abhielt, zwischen den ebenfalls umflorten Vasen des
Vizekönigs Ching-Chung-Gho.

[Illustration]




[Illustration: Der Mann mit dem persönlichen Einfluß]


Es ist meine heilige Überzeugung, daß es sonst sehr achtbare, ja
vortreffliche Menschen gibt, in deren Gebaren und Gesichtszügen
eine ununterbrochene heimliche Aufforderung für alle großen und
kleinen Gauner liegt, sie als geschätzte „Versuchsobjekte“ ihrer
unsympathischen Kunst zu behandeln; schlicht gesagt: sie zu betrügen.

Ohne die flehendste Bitte des schönsten Gebets: „Führe uns nicht in
Versuchung ...“ erfüllen zu wollen, scheint der liebe Gott solche
merkwürdigen Leute hilflos in seine sonst so hübsch ausgedachte
Schöpfung gestellt zu haben. Sie wandeln umher, freundlich und
zutraulich, aber als fleischgewordener Fallstrick des Bösen. Und am
Ende sind diese Guten von allem, was sie unternehmen, enttäuscht;
denn sie haben bei jeder ihrer von besten Absichten geleiteten
Unternehmungen mehr Lehrgeld bezahlt, als jeder andere; haben bei
jedem Mißgeschick einen größeren Schaden besehen, als irgendwo sonst
und finden -- und das ist vielleicht das Betrübendste -- mit den
Erzählungen ihres Mißgeschicks statt inniger Teilnahme oft nur jenes
durchaus pietätlose Gelächter, wie es böse Menschen, die keine Lieder
haben, im Anblick fremder Ungelegenheiten anzustimmen lieben ...

Ein Musterbeispiel für diese meine aus sorgfältiger und liebevoller
Betrachtung der Zeitgenossen gewonnene Lehre scheint mir noch heute der
ehemalige Filzhutfabrikant Michael Monkebach zu sein, den ich vor einer
Reihe von Jahren in einem süddeutschen Bade kennen lernte.

Schon die Art der Bekanntschaft war seltsam.

An der Mittagstafel in der „Quisisana“ saß ein Herr in mittleren Jahren
neben mir, dem sein in Stoff und Schnitt sonst die Herkunft aus einer
nicht billigen Schneiderwerkstatt verratender Anzug durchaus nicht zu
passen schien. Das Tuch schlotterte an ihm herum, als habe er Rock und
Weste von einem vermögenden Verwandten geerbt, der ihn an Leibesfülle
ums Doppelte übertraf. Ein gewisser vergrämter Zug um die nicht
unbedeutende Nase sowie ein traurig verschleierter Blick ließen mich
erraten, daß es sich um einen der Schwerkranken, die sonst in diesem
ziemlich harmlosen Bade selten waren, handeln müsse.

Ich reichte ihm deshalb bei den Mahlzeiten die Schüsseln mit besonderer
Freundlichkeit; ja, ich ertappte mich auf der edlen Anwandlung, ihm,
wenn der Braten mir zuerst angeboten wurde, die weniger knorpligen
Stücke des Hammels zu lassen, der hier einen unerläßlichen Bestandteil
des mehr zeitraubenden als sättigenden Diners bildete.

Einem Gespräch schien mein scheuer Nachbar auszuweichen. Einige
-- wie ich zugebe -- nicht allzu geistreiche Bemerkungen über die
fluchwürdige Unbeständigkeit des Wetters, mit denen sich eine
elegantere Konversation einzuleiten dachte, beantwortete er nur mit
dem Hinweis darauf, daß er im Besitz von Gummischuhen sei und von mir
das gleiche hoffe. Auf eine bescheidene Anfrage, ob er das Kurtheater
häufig besuche, und wie er es finde, entgegnete er ausweichend, er
habe jüngst einer Vorstellung des „Tropfens Gift“ beigewohnt, aber
schon nach dem zweiten Akt den Saal verlassen, da er seinen Platz
unmittelbar neben dem Eingang zu den Toiletten erhalten habe und durch
eine fehlerhafte Konstruktion des Türschlosses die Verbindungstür nach
diesen minderwertigen Räumen sich fortwährend von selbst geöffnet habe.

Eine alte Kanzleirätin aus Bückeburg gab mir nähere Aufschlüsse über
den betrübten Tischnachbar.

Ich war mit der körperlich gebrechlichen Dame, die ein großes
Mitteilungsbedürfnis besaß, dadurch bekannt geworden, daß sie meine
Zimmernachbarin war und unter der fixen Idee litt, Mäuse in ihrem
Zimmer zu haben. Die Klingel, die angeblich dazu bestimmt war, bei
einmaligem Läuten den Zimmerkellner, bei zweimaligem Läuten das
Mädchen, bei dreimaligem Läuten aber den Hausknecht zu zitieren,
funktionierte leider so mangelhaft, daß weder der Kellner, noch das
Mädchen, +noch+ der Hausknecht kam; und so war die alte Dame darauf
verfallen, sich vertrauensvoll an +mich+ zu wenden, wenn sie wieder
den bestimmten Eindruck gewonnen hätte, daß Mäuse unter ihrem Bett oder
hinter ihrem Schrank ihr neckisches Spiel trieben.

Da ihr selbst das Bücken vom Arzt verboten war -- eine Vorschrift, an
die sie sich, immer von der Furcht vor einem Schlaganfall gewarnt,
aufs strengste hielt --, so durfte +ich+ mir durch Herumkriechen unter
ihrem Bett, Abrücken der Schränke usw. Bewegung machen und wurde von
der Kanzleirätin „dirigiert“. Der Erfolg war immer negativ. Wenigstens
was die Mäuse anbetraf. Dafür labte mich die alte Dame mit einem von
ihr sehr geschätzten, selbstgebrauten Nußlikör, den sie in vielen
Flaschen mitgebracht haben mußte, und der mit anderen mir bekannten
Spirituosen nicht die geringste Geschmacksverwandtschaft zeigte und mir
im wesentlichen aus Kandiszucker, Wasser, Lakritz und altem Leim zu
bestehen schien.

Nach jeder vergeblichen Mäusejagd unterhielt mich die vortreffliche
Dame von den Gästen des Hotels aufs anregendste.

Sie wußte, daß die Baronin über mir gar keine Baronin war, sondern
eine gewöhnliche Adlige mit einer ziemlich neuen Fünfzackigen. Sie
sei in einen jungen Badearzt verliebt und lasse sich deshalb auf
Ischias behandeln. Die Kanzleirätin war ferner darüber orientiert,
daß die Ehe des Rechtsanwalts auf Nr. 17 sehr unglücklich sei, weil
der Schwiegervater heute, zehn Jahre nach der Hochzeit, noch immer
nicht mit der Mitgift herausgerückt sei und die junge Frau eine
verhängnisvolle Neigung habe, jede versöhnliche Annäherung ihres
Gatten mit der Geburt von Zwillingen zu beantworten. Sie hatte auch
in Erfahrung gebracht, daß der Tenor auf Nr. 39, der angeblich der
Liebling des kunstverständigen Publikums von Pernambuco war, Amerika
niemals gesehen habe, auch nicht demnächst an der Wiener Hofoper
Probe singe, sondern nächsten Winter vermutlich, wie schon die beiden
vorhergehenden, in Berlin in obskuren, rauchigen Kabarets das Lied
von der Leiche im Landwehrkanal zur Negergitarre vortragen werde.
Es sei denn, daß die dicke Witwe aus Smyrna, die im Vorjahre ihren
mit kandierten Datteln reich gewordenen Gemahl an einem Leberleiden
verloren habe, doch noch auf diesen Tenor hereinfalle, der übrigens
nicht verhungern könne, da er immer einen Knödel im Hals habe ...

Dies alles, wie gesagt, wußte die beredte Kanzleirätin aus Bückeburg
in ihrer charmanten, nur etwas weitläufigen Art zu berichten. Jedes
Mißverstehen meinerseits war übrigens ausgeschlossen, da die alte
Dame viele Jahre -- bis zu seinem Ende -- ihren schwerhörigen Gatten
gepflegt hatte und aus alter Gewohnheit auch die +nicht+ mit dem Leiden
ihres Seligen Behafteten mit ihrer hellen Stimme anschrie, daß es
zunächst schier zum Entsetzen war.

Auch über Michael Monkebach wußte sie das Nötige.

Er hatte vom Vater eine Filzhutfabrik geerbt. Die erste selbständige
Handlung Michael Monkebachs bestand darin, daß er ein neues
patentiertes Verfahren ankaufte, den gewalkten, geformten und
gesteiften Hut anstatt mit Schellack oder Leim mit einer wunderbaren
Flüssigkeit zu „glänzen“, deren Zusammensetzung ein streng bewahrtes
Geheimnis des Erfinders, eines angeblichen Chemikers aus der Bukowina,
war. Als ungefähr 50000 Filzhüte in diesem Verfahren „geglänzt“
waren, erwies es sich, daß die Fabrikate allerdings einen recht
hübschen, spiegelnden Glanz hatten, aber schon nach einigen Wochen
einen unleidlichen und unbekämpfbaren Geruch nach verdorbenem Fett
ausströmten, der sie unverkäuflich machte. So war Michael Monkebach im
Besitz eines wertlosen Patents und 50000 übelriechender Hüte, die er
nicht loswerden konnte, und hatte einen hübschen Batzen Geld verloren.
Der angebliche Chemiker aus der Bukowina war längere Zeit unauffindbar,
bis ihn Monkebachs tüchtiger, aber nicht billiger Anwalt in einem
Zuchthaus der Rheinprovinz auftrieb, wo er sich gerade aufhalten mußte,
weil er einen Geldbriefträger meuchlings in eine Senkgrube geworfen
hatte.

Das zweite üble Geschäft, das Michael Monkebach leider machte, bestand
im Ankauf des Patents einer neuen Haarblase- und Mischmaschine, die
zwar außerordentlich schlecht funktionierte, aber den zwei daran
beschäftigten Arbeiterinnen gleichzeitig die kleinen Finger der rechten
Hände verstümmelte. Michael Monkebach wurde in beiden Fällen zur
Zahlung einer lebenslänglichen Rente verurteilt und hatte außerdem noch
unter unausgesetzten Angriffen verschiedener Blätter zu leiden, die das
geschehene Unglück als Folge einer verwerflichen Knauserei und reine
niedrigen Profitwut darstellten.

Der Organismus Michael Monkebachs quittierte über all diese
Anfeindungen mit einem chronischen Magenleiden. Er beschloß, das
Geschäft zu verkaufen, und war glücklich, als er einen Reflektanten
fand, der ihm für die Hälfte des vollen Wertes die Fabrik mitsamt
den zwei verderblichen Patenten und den 50000 nach verdorbenem Fett
riechenden Filzhüten abnahm. Leider zahlte der Käufer die bedungene
Summe zur Hälfte in Bergwerksaktien, die eigentlich nur noch für den
Sammler kolorierter Drucke einen Wert hatten. Ein entrüsteter Protest
hatte die Folge, daß dem Geschädigten als Ausgleich die 50000 Filzhüte
angeboten wurden, die Michael Monkebach, dem beim bloßen Gedanken an
ihren Geruch schon übel wurde, schaudernd zurückwies. Was ihm blieb,
war ein Kapital, groß genug, daß er als Junggeselle sehr behaglich
davon leben und sich im Sommer eine lange und durch unzählige ärztliche
Vorschriften komplizierte Kur für sein chronisches Magenleiden gönnen
konnte.

Als er hier angekommen war -- die Kanzleirätin, die das erzählte,
war damals seine Zimmernachbarin, später zog sie wegen der Mäuse um
-- sah er verhältnismäßig besser aus. Der Anzug, der jetzt seine
Glieder umschlotterte, paßte ihm damals ganz gut. Aber, um diesmal
den teuren Badearzt zu sparen, der für jede mit einer Frage nach
dem werten Befinden verbundene Unterhaltung über diesen Sommer und
über die Reize des Badeortes zehn Mark nahm, hatte er seine Kur nur
nach den Anweisungen seines Hausarztes eingerichtet. Dabei hatte er
unseligerweise die Viktoria-Quelle mit der Augusta-Quelle verwechselt
und sieben Wochen lang, anstatt das für den Magen zuträgliche Wasser zu
trinken, täglich sechs Becher jener berüchtigten Quelle eingeschlürft,
deren Gebrauch als die radikalste Entfettungskur galt und mit vielen
Unbequemlichkeiten und beschleunigten Spaziergängen, besonders nachts,
verbunden war.

Schließlich -- vor einigen Tagen -- war er in seiner Herzensangst,
von dem Gespenst der Cholera gefoltert, +doch+ noch zu einem Badearzt
gegangen und hatte ein Goldstück bezahlt für den guten Rat, allen
Quellen weit aus dem Wege zu gehen, tüchtig Haferschleim zu essen und
alle drei Stunden fünfzehn Opiumtropfen auf Zucker zu nehmen; ein
Mittel, das ihm aus seligen Jugendtagen nach dem Genuß von unreifem
Obst wohlbekannt war, und für dessen nicht seltene Verordnung seine
gute Mutter niemals ein Goldstück genommen hatte.

Durch diese Erzählung der Kanzleirätin gewann ich Interesse für den
vom Pech und den Menschen verfolgten Filzhutfabrikanten a. D. Und mit
der langsamen Besserung seines Leidens wurde er auch gesprächiger. Wir
kamen uns menschlich näher.

Ein harmloser, liebenswürdiger Mensch, von fast mädchenhafter
Schüchternheit, die sich auch in den stets erstaunt blickenden Augen
und den verlegenen Handbewegungen ausdrückte, ging er umher als der
Typus jener menschgewordenen Versuchung für alle pfiffigen Profitmacher
und skrupellosen Gauner. Wenn er mit einem Fünfmarkstück zahlte, bekam
er stets nur auf einen Taler heraus. Wenn er eine Droschke mittags um
zwölf Uhr benutzte, hatte er stets die +Nacht+taxe zu bezahlen. Wenn er
ein Scheibchen Schweizerkäse zu sich genommen, fand er bestimmt einen
halben Camembert auf der Rechnung. Wenn er sich ein Berliner Abendblatt
am Bahnhof kaufen wollte, war es sicherlich die Mittagsnummer der
Magdeburger Zeitung vom Tage zuvor. Und wenn er seinen Hut vertauschte
-- ja, da ist’s ihm doch passiert, daß er in einem Restaurant
des Badeortes, hundert Kilometer entfernt von seiner ehemaligen
Fabrik, seinen schönen, neuen, silbergrauen Wiener Filzhut an den
Garderobenhalter hängte und beim Weggehen einen der gräßlichen, nach
ranzigem Fett riechenden Hüte eigener Fabrikation vorfand. Einen der
+ganz+ wenigen, die damals durch ein Versehen in den Handel gekommen
waren.

Durch peinliche Häufung solcher Erlebnisse war Michael Monkebach auf
melancholische Gedanken gekommen, die sich vom Haferschleim nicht
verscheuchen ließen. Er fühlte, daß da mit tröstlichen Redereien von
Pech und Zufall nichts zu machen sei; daß es ihm vielmehr an Qualitäten
des +Charakters+ fehlen müsse, die ihren Besitzer ein für allemal vor
solchen an Verhöhnung grenzenden Angriffen schützen mußten.

Da hatte er eines Tages, als es in Strömen regnete und ihm gerade sein
neuer Regenschirm gestohlen worden war, beim Auf- und Abwandeln in den
gedeckten Kolonnaden beim Buchhändler zwei Bücher entdeckt, die ihn
durch ihre Titel lockten. „Wie wird der Mensch energisch“ hieß das
eine, und „Wie erlange ich die Macht des persönlichen Einflusses“ das
andere.

Mittags im Lesezimmer -- er hatte natürlich den einzigen
+un+gepolsterten Stuhl erwischt -- sah ich ihn eifrig bald in dem
einen, bald in dem andern Buch lesen. Und als sich gegen Abend das
Wetter aufhellte und er in fremden Gummischuhen -- die seinen waren
ihm gegen zwei, merkwürdigerweise unter sich verschiedene, ihm viel zu
große Überschuhe vertauscht worden -- neben mir her durch die Pfützen
des Kurparks schritt, sprach er hochbefriedigt von seiner Lektüre.

Er sehe jetzt ein, daß es ihm eigentlich nur an „Persönlichkeit“
gefehlt habe, äußerte er in schöner Offenheit. Die „Persönlichkeit“
aber sei durchaus nichts Angeborenes, das wisse er jetzt, sondern etwas
Erwerbbares, etwas Erlernbares. Vor allem müsse man sich gewöhnen, die
Dinge und Menschen mit festem Blick ins Auge zu fassen.

Indem er so sprach, übte er den Blick an verschiedenen Laternen des
Kurparks, die ungerührt weiter ihr spärliches Licht in die Regenluft
streckten ...

Als ich am nächsten Morgen an seinem Zimmer vorbeikam, hörte ich
Michael Monkebach singen. Falsch aber laut und mit einer gewissen
trotzigen Freudigkeit. Das war gegen seine Gewohnheit.

Ich klopfte an, steckte den Kopf durch die Tür und fand ihn, nur mit
Hose und Hemd bekleidet, sehr merkwürdige und nie gesehene Freiübungen
mit einer gefüllten Waschkanne machen.

„Ein Stuhl ist mir doch zu schwer dazu,“ erklärte er, „aber sehen Sie
nur, wie mir diese Übungen schon gelingen. Erst Kniebeuge -- sehen Sie:
+so+ -- uff, mein Kreuz -- jetzt -- jetzt: leichtes Zehenwippen und
Strecken des Rumpfs und nun wieder, passen Sie auf -- eins -- zwei --
Kniebeuge -- drei -- vier Vorstoßen der Wasserkanne.“

Er stieß so energisch vor, daß ihm die Wasserkanne aus den Händen
glitt, fiel und zerbrach, wobei auch seine Beinkleider durchnäßt wurden.

Während er sie mit einem Handtuch trocknete, rief ich das
Stubenmädchen. Sie hieß Adele, hatte rote, selten gekämmte Haare und
war weder schön, noch höflich. Mit Michael Monkebach war sie aber
direkt grob, was mir auffiel. Sie wußte offenbar noch nichts von seiner
neugewonnenen „Persönlichkeit“.

Als die rothaarige Adele gegangen war, fragte ich ihn, warum er sich
diesen Ton nicht verbeten und die Kecke kräftig angehaucht habe.

„Das lohne nicht“, meinte er, „bei Untergebenen.“ Aber bei
Gleichgestellten -- na, ich werde ja sehen! Man müsse den „Mut zum
Widerspruch“ haben und um der „Persönlichkeit“ willen „verharren“
-- nämlich auf der einmal eingenommenen Stellung -- sie geistig
verteidigen, wie eine Festung und dabei die Macht des persönlichen
Einflusses spielen lassen durch das Auge.

„Es ist der Trick aller Dompteure,“ sagte er zuversichtlich,
„die fixieren die Bestie; und das Tier, instinktiv die Macht der
Persönlichkeit fühlend, duckt -- und gehorcht.“

Beim Mittagstisch saßen wir -- Michael Monkebach und ich -- einem
Rittmeister in Zivil gegenüber, der sich gern reden hörte und dazu
erstaunliche Quantitäten billigen Moselweins trank.

Michael Monkebach schien von dieser hellen Kommandostimme aufgeregt
zu werden. Er wippte auf dem Stuhl hin und her, nahm sich fünf Stücke
Schweinebraten, den ihm der Arzt strengstens verboten hatte und den er
auch liegen ließ; fertigte Brotkugeln, die er dann in der Zerstreuung
aß, und fühlte dazwischen nach der Brusttasche, aus der ich den
majonnaisegelben Umschlag des interessanten Werkes „Wie wird der Mensch
energisch“ feindlich hervorlugen sah.

Der Rittmeister hatte gerade an der Hand eigener, sehr aufregender
Manövererlebnisse einer dicken Rentiere aus Stettin, die sich Tag und
Nacht nicht von einem pfundschweren Bernsteinschmuck zu trennen schien,
den unvergleichlichen Nutzen der Kavallerie für den Aufklärungsdienst
erläutert, da vernahm ich Michael Monkebachs fremdartig schrill
klingende Stimme, die hervorstieß:

„+Ich+ bin der Ansicht -- bin der Ansicht, daß beim nächsten Krieg die
Kavallerie einfach eine +tote+ Waffe sein wird.“

Er war sichtlich stolz auf den unsinnigen Ausdruck „tote Waffe“ und
sehr erregt. Schweiß stand in reichen Perlen auf seiner Stirn.

Ich begriff, es war die „Energie“-Probe.

Ich sah seinen Blick starr, als wolle er ein Huhn hypnotisieren, auf
den Rittmeister gerichtet, der schweigend sein Monokel einklemmte, ein
Lächeln verbiß und dann sehr höflich sagte:

„Der Herr ist ohne Zweifel Kavallerist gewesen?“

„Nein, ich bin -- bin Landsturm -- ja wohl Landsturm +mit+ Waffe. Aber
meine Ansicht ist deshalb +doch+ wohlbegründet. In einem Zukunftskrieg
nämlich -- in einem Zukunftskrieg --“ Seine Vorstellungen über den
Zukunftskrieg schienen leider doch nicht so klar und übersichtlich
geordnet, wie es für diese Unterhaltung wünschenswert gewesen wäre.
Plötzlich aber verbreitete sich ein Ausdruck der Entrüstung über sein
nervöses, blasses Gesicht und die sieghaften Worte überstürzten sich
schier: „Die Pferde werden totgeschossen, ja. Und die Reiter -- und die
Reiter -- liegen +unter+ den toten Pferden ...“

Der Rittmeister glaubte es offenbar mit einem gelinde Verrückten zu tun
zu haben. Er ließ das Monokel in die hohle Hand fallen und wandte sich
ruhig zu seiner bernsteingeschmückten Nachbarin.

„Sie müssen sich vorstellen, meine Gnädige ...“

Michael Monkebach ließ das starre Auge -- er dachte offenbar an den
„Dompteur“ und fühlte die Wichtigkeit des Augenblicks dieser Probe --
nicht von dem Rittmeister, der nach einer Weile den stierenden Blick
unbehaglich empfand, sein Monokel wieder einklemmte und eine merkwürdig
ernste Falte über dem Nasenrücken sehen ließ. Die kerzengerad
aufliegende Falte, die wie eine Fortsetzung des nur durch die recht
knapp bemessene Stirn unterbrochenen Scheitels aussah, gab dem Gesicht
etwas Hartes, Drohendes.

Ich fühlte: die Katastrophe nahte.

Die Rosinen und Krachmandeln wurden gerade herumgereicht -- es waren
immer dieselben, da niemand jemals davon aß -- und die alte Engländerin
am Kopf der Tafel erhob sich, lang und dürr wie eine entlaubte Pappel
im Winter, und schritt, wie immer als die Erste an dem galant die
Tür aufreißenden Oberkellner vorbei nach dem Lesezimmer, wo sie
täglich ihre sieben bis neun Stunden an dem einzigen Schreibtisch
saß und mittels einer goldenen Füllfeder geheimnisvolle Briefe in
Riesenbuchstaben schrieb.

Die Tafel leerte sich.

„Kommen Sie, Herr Monkebach,“ flüsterte ich besorgt, da mir für den
Filzhutfabrikanten unbehaglich wurde, „+gehen+ wir schon!“

Ich suchte durch eine besonders liebenswürdige Verbeugung gegen die
Bernsteindame aus Stettin und den Rittmeister die Aufmerksamkeit von
Monkebach ab und auf +mich+ zu lenken:

„Mahlzeit.“

„Mahlzeit!“

Der Rittmeister schmetterte es heraus, als ob er eigentlich etwas ganz
anderes sagen wollte, etwa: „Hol euch der Henker!“ oder so etwas.

Wir waren noch nicht im Vestibül, da kam der Rittmeister hinter uns her:

„Pardon, wenn ich die Herren störe. Ich möchte Herrn Fabrikanten
Monkebach -- ich irre mich doch nicht? -- um zwei Worte unter vier
Augen bitten.“

Er sagte das mit einer sehr höflichen Verbeugung nach mir hin; und
ich beeilte mich zu versichern, daß ich die Herren in ihrer privaten
Besprechung keinesfalls zu stören wünsche.

Als ich mich empfahl, schweifte mein Blick über Michael Monkebachs
Angesicht. Er sah aus, als habe er seit drei Tagen seine Beerdigung
hinter sich. Die Rechte krampfte sich in die Brustseite, wo der Rock
das köstliche Buch mit allen schönen Lehren über die „Persönlichkeit“
verhüllte. Die Beine aber, die ihn hinter dem vorausschreitenden
Rittmeister nach dem Rauchzimmer, dem Ort der Unterredung, trugen,
knickten und tänzelten und schlenkerten, als ob sie durchaus nicht
mehr von der Zentrale des Nervensystems eines ~homo sapiens~
zweckentsprechend dirigiert würden, sondern vielmehr einer Puppe im
Kasperletheater angehörten, deren schlotternder Leib voll Sägespäne und
deren zerbeulter Kopf von lakiertem Holz ist ...

Zwei Stunden später ging ich zu Michael Monkebachs Zimmer hinauf.

Die gesprächige Kanzleirätin hatte mich mit Mitteilungen über einen mir
gänzlich unbekannten Baron Montecatanio aufgehalten, der, allen Gästen
unsichtbar, die teuersten Zimmer im Hotel bewohnte und früher, wie sie
behauptete, in ganz verwerflicher Weise mit Sklaven am Kongo gehandelt,
dann in Alexandrien eine berüchtigte Spielbank gehalten haben sollte.
Lauter Dinge, die gewiß sehr unschön und tadelnswert, mir aber im
Moment furchtbar gleichgiltig waren.

Ich traf Michael Monkebach beim Packen der Koffer, eine Tätigkeit, der
er mit einer fast fanatischen Hast oblag.

„Schließen Sie die Tür hinter sich -- den Riegel, bitte, auch,“ rief er
mir flehend zu. „Danke. Sie müssen wissen, der Rittmeister -- übrigens
ein +prächtiger+ Mensch! -- wollte mich fordern -- auf Pistolen. Haben
Sie schon mal eine Pistole in der Hand gehabt? -- Ich nicht ... Wenn
es schließlich noch Säbel gewesen wären. Ich hatte eine Leidenschaft
für Säbel -- als Kind. Aber gleich -- wo sind denn die Socken! aha,
hier unter dem Nachttisch -- aber gleich: Pistolen! -- Ich bin --
bin -- Himmel, jetzt habe ich eine Fußbank eingepackt! -- ich bin
unter +Filzhüten+ groß geworden. Mein Vater -- wollen Sie mir mal die
Zahnbürste reichen? Danke -- ist auch -- ist +auch+ unter Filzhüten
groß geworden. Mein Großvater -- --“

Da ich fürchtete, daß noch +viele+ des Geschlechts „unter Filzhüten“
groß geworden seien, so lenkte ich ab.

„Haben Sie denn eine Entschuldigung schroff abgelehnt --?“

„Den Teufel hab’ ich! Ich habe gesagt, daß ich unter +Filzhüten+ groß
geworden bin, und daß mein Vater ...“

„Unter Filzhüten groß geworden ist, ich weiß. Und war er von diesen
Filzhüten, wollt’ ich sagen: von diesen Erklärungen befriedigt?“

„Das schon. Aber wer weiß, er besinnt sich vielleicht wieder anders.
Gott, so ein Kavallerist. -- Das Handwerk verroht, nicht wahr? ...
Eine Tante von mir hatte ein Dienstmädchen, die hatte bei einem
Scharfrichter gedient ... nein, was die für Sachen erzählte, nicht
zum Wiedergeben. Ich hab’ sie übrigens auch vergessen. Aber +das+ ist
sicher: es gibt Berufe, die das Gemüt verkümmern lassen ... Und dann
wissen Sie, +ich+ bin nicht für die ‚Persönlichkeit‘ geboren. Und das
mit der Erziehung zur Persönlichkeit --“

Er riß plötzlich das majonnaisegelbe Buch, das ihm beim Bücken immer in
die Achselhöhle stach, zornig aus der Tasche und schleuderte es in die
Ecke -- „das ist Unsinn. Wenn man unter Filzhüten groß geworden ist --
-- Sehen Sie nur --“

Er hielt plötzlich inne und zeigte mir die bereits quittierte Rechnung
des Hotels: „Was hab’ ich eigentlich +hier+ bezahlt?“

Er zeigte mit dem Finger auf einen unleserlichen Posten. „Ich kann’s
nicht lesen, der Oberkellner kann’s nicht lesen, Adele kann’s nicht
lesen -- aber es macht zwölf Mark.“

„Und Sie haben --?“

„Bezahlt! Natürlich. Lieber Herr Doktor, ich +bin+ eben keine
‚Persönlichkeit‘. Ich will fort, nach Hause -- Haferschleim kann ich
dort +auch+ essen, nicht wahr? Und Kavallerie-Rittmeister lade ich mir
ganz bestimmt nicht ein ... Würden Sie mir die Gefälligkeit erweisen,
+mit+ zur Bahn zu fahren? Das vorige Mal ist mir der Kutscher so grob
geworden -- ich habe dann gern jemand bei mir.“

Am Bahnhof spendierte sich Michael Monkebach ein Billett +erster+
Klasse. Wegen der Nerven.

Als der Zug ankam -- er hatte Verspätung, und alles mußte sehr eilig
gehen -- erwies es sich, daß das +einzige+ Coupé erster Klasse für
einen Erzbischof mit Bedienung belegt war. Die zweite Klasse aber war
durch den Andrang zu einem Sängerfest in der Umgegend total überfüllt.
So fuhr Michael Monkebach mit seinem teuer bezahlten gelben Billett in
einer dritten Klasse mit fünf jüdischen Viehhändlern, von denen einer
einen struppigen, unappetitlichen Bullenbeißer bei sich hatte, der
einen ungewöhnlich starken Hundegeruch ausströmte.

Noch als sich der Zug in Bewegung setzte, rief ich Michael Monkebach zu:

„Sie sollten sich beschweren -- ihr Geld zurückverlangen.“

Ich sah noch sein schmerzliches Lächeln hinter dem Fenster, das, vom
Regen gequollen, nur halb herunterzulassen war:

„Lieber Gott, +ich+ und -- +beschweren+. Dazu gehört
Per--sön--lich--keit. Wenn man, wie ich ...“

Ich hörte nichts weiter, da einer der Viehhändler, auf dessen Fuß
Michael Monkebach wohl unabsichtlich getreten war, ihn sehr hart
anließ. Aber ich ahnte, was er hatte sagen wollen: „Wenn man, wie ich,
unter Filzhüten groß geworden ist ...“

       *       *       *       *       *

Ich hatte dann jahrelang nichts mehr von ihm gehört. Auch nichts von
seinen Filzhüten.

Menschen, die unter anderen Dingen groß geworden waren, hatten mein
Interesse erweckt. Es waren wohl auch Damen darunter. Kurz, ich vergaß
ihn. Vergaß ihn so sehr, daß ich mich sogar seines Namens nicht mehr
entsann, als er in merkwürdigem Zusammenhang, allerdings nur so als
Appendix, als Mitläufer, zuerst wieder an mein Ohr schlug.

Ich verkehrte damals viel in einem Kreise junger Literaten, die sich
gegenseitig sehr gut gefielen und jeden Freitag in dem Hinterstübchen
eines Restaurants im Westen zusammenkamen, um sich über die Gemeinheit
niedriger Lohnschreiber, die schnödes Geld mit ihren Büchern
verdienten, und über die lächerliche Talentlosigkeit aller nicht
zu ihrem Kreise Gehörigen aufgeregt zu unterhalten. Ich hatte mich
nicht als Mitglied aufnehmen lassen, da ich -- ohne den Rausch an
sich hochmütig zu verwerfen -- nie ein Freund davon war, mir mit
geschwollenen Redensarten Herz und Hirn zu füllen. Aber als Schwester
eines fanatischen Neutöners, der in seinen Gedichten niemals auch nur
das bescheidenste Satzzeichen anbrachte und deshalb von Heine, Lenau
und Mörike wie von sitzengebliebenen Schulbuben aus der Hilfsklasse für
Schwachsinnige sprach, nahm häufig ein sehr schönes Mädchen an diesen
denkwürdigen Sitzungen teil.

Sie redete weder klug, noch töricht. Sie war +da+, das genügte. Denn
die Schönheit braucht eben nur vorhanden zu sein, um ohne weitere
Anstrengung Besonderes zu wirken.

Sie bereitete sich dünnen Tee, während die andern meist geschmierten,
billigen Wein tranken; lauschte den donnernden Tiraden des alle Erfolge
aus der Hochburg seiner Unbekanntheit verachtenden Bruders und seiner
hohnlächelnden, umstürzlerischen Sippe und schlug zuweilen ein paar
große sanfte Kinderaugen zu mir auf, blau und tief, wie ein Märchen.

Wie ein kleiner, zarter Paradiesvogel im ruppigen Krähennest kam
sie mir vor. Und ich begriff es völlig, daß gut die Hälfte aller
sogenannten Gedichte, die diesem kraftgenialischen Kreise entstammten,
an ihre stillen, blauen Augen gerichtet waren. Ich glaube, ich selbst
habe damals ... Aber das gehört nicht hierher. Denn meine Gedichte
reimten sich und gaben zuweilen, wenn man sie aufmerksam las, einen
Sinn. Zwei Eigenschaften, die sie in diesem erleuchteten Kreise dem
grimmigsten Hohn preisgegeben hätten.

Diese künstlerische Vereinigung hatte auch einige durch Akklamation
gewählte und durch Nachtdepeschen, die diese stolze Ehrung meldeten,
erschreckte „korrespondierende Mitglieder“. Deren Briefe ähnelten
sich alle darin, daß sie sehr schlecht auf gelbe Notizbuchblätter,
zerknitterte Telegrammformulare oder benutzte Papiermanschetten
geschrieben waren und eigentlich weniger von den idealen
Angelegenheiten der Poesie und Kultur als von momentanen ärgerlichen
Verlegenheiten, peinlicher Geldnot, schmerzlicher Untreue einer
Kellnerin und solchen Dingen handelten.

Nur +ein+ korrespondierendes Mitglied schien sich in leidlich
geordneten Verhältnissen zu befinden.

+Maruschka Anastasia+ nannte sie sich in ihren Liedern. Sie war es, die
sich einer ganz erstaunlichen Wertschätzung in diesem Kreise erfreute.
Die Freiheit des Weibes wurde in ihren Gesängen gepredigt, gefordert,
gedroht; die Revolution der Ehe, die geharnischte Auflehnung gegen
uralte entehrende Sklaverei.

Diese heftigen Gedichte wurden häufig an den Freitagsabenden
vorgetragen. Ein ziemlich verwahrloster, dicker, kleiner Mann, der,
wie er sagte, an einer „Reformation der Rezitationskunst“ arbeitete,
bestieg dann einen Stuhl, knöpfte umständlich den obersten Knopf seines
Hosenbundes und die beiden untersten Knöpfe seiner originell karierten
Weste auf, „damit die Bauchmuskulatur beim Vortrag nicht gehemmt
werde“, faltete die fettigen Hände über der eingedrückten Brust, schloß
die unschönen verschwommenen Augen, um tiefste seelische Konzentration
zu markieren, röchelte, als ob ihm ein D-Zug über beide Beine gefahren
wäre, und schrie plötzlich unter heftigen Zuckungen die Nächstsitzenden
an:

    „Nehmt mir die blut’gen Ketten aus dem Fleische,
    Reißt mir die welken Rosen von der Stirn ...!“

Und dann gab er wohl zehn Minuten lang mit ungeheurem Gebrüll noch
unzählige Aufträge ähnlichen Inhalts, deren nähere Beschaffenheit
ich vergessen habe. Alles in wilden, bluttriefenden Versen. Wenn er
unter dem demonstrativen Jubel der Versammlung geendet hatte, stieg
er, sichtlich ermattet, dem Beifall mit den fetten Händen wehrend,
verächtlich lächelnd vom Stuhl, machte sich kalte Umschläge um die
Stirn und trank ein sehr bemerkenswertes Gemisch von rohen Eiern,
Kognak, Rotwein, und Benedektiner, das er „Lethe“ nannte.

Wenn er sechs bis acht Glas Lethe getrunken hatte, nahm er sich einen
Taxameter, gab ihm geheimnisvolle Weisung und fuhr „in die Einsamkeit“,
wie er sagte. Die Mitglieder des Bundes nährten die Überzeugung, der
große Künstler ließe sich dann jedesmal bis zum Waldrand fahren;
dort steige er aus und erwarte schweigend, das Haar dem Spiel der
Morgenwinde preisgegeben, den ergreifenden Anblick des Sonnenaufgangs,
die einzig wahre Sensation, die ihm dies schale Leben noch zu bieten
habe. Seit ich ihn aber einmal, wenige Stunden nach solcher Sitzung,
nach Vortrag und reichlichem Lethegenuß in den Arkadiasälen mit einer
strohblonden Dame sehr heftig und sehr ungraziös Cake Walk tanzend
getroffen habe, war meine ehrfürchtige Bewunderung für das genialische
Einsamkeitsbedürfnis des dicken Lethekonsumenten stark erschüttert. Und
an die Sonnenaufgänge glaubte ich nicht mehr.

Es waren immer Gedichte von Maruschka Anastasia, die der Reformator
der Rezitationskunst vortrug. Mir kamen sie wie lauter gereimte
Beschimpfungen des Mannes vor; und ich hätte, selbst wenn ich ihren
poetischen Gehalt an Bildern, schönen Wendungen, Blüten der Phantasie
höher eingeschätzt hätte, nicht recht begriffen, warum sich diese
Gesellschaft von flaumbärtigen Literaten just daran berauschte, ihr
eigenes Geschlecht vom Geifer des Hasses einer exaltierten Dame emsig
bespien zu sehn.

Eines Abends -- der Lethetrinker saß nach getaner Arbeit gerade wieder
mit einer kalten Kompresse um die Reformatorenstirne in der Ecke und
rührte mit stimmungsvollem Ernst eine halbe Pulle rubinroten Rotwein
an drei verklepperte Eier -- sprang mir eine neugierige Frage auf die
Lippen.

„Sagen Sie, liebes Fräulein“ ich wandte mich an die schweigend neben
mir mit dem Teekessel hantierende Besitzerin der blauen Märchenaugen,
„heißt Ihre Lieblingsdichterin -- ich muß sie doch wohl so nennen --
diese Maruschka Anastasia nun +wirklich+ Maruschka Anastasia oder ...“

Der Lethemischer unterbrach alsobald seine rührende Tätigkeit und
stand plötzlich einen sehr lieblichen Geruch nach Kognak und Rotspohn
verbreitend neben mir:

„Das wissen Sie wirklich nicht? Aber, Mensch, wo +leben+ Sie? Maruschka
Anastasia ist eine Frau, nicht fern dem Ende der zwanziger, man kann
schon sagen Anfang der dreißiger. Eine verheiratete Frau --“

„Natürlich +un+glücklich verheiratet?“ warf ich ein.

„Na--tür--lich.“

Und irgendwoher aus dem Zigarettenrauch kam eine müde Stimme:

„Haben Sie überhaupt schon einmal eine +glückliche+ Ehe gesehen?“

„Nun -- ich dächte zum Beispiel meine Eltern ...“

Der Lethemischer roch mitleidig lächelnd an seinem Glase:

„Es liegt mir fern, die Ehe Ihrer geschätzten Eltern hier auf die
von Ihnen behauptete Trivialität untersuchen zu wollen. Wäre ja auch
eine fruchtlose Bemühung. Ich kenne von dieser Ehe auch nichts, als
ihr Produkt: +Sie+. Im Anblick dieses Produkts kann ich mich aber --
ohne ihren vielleicht verborgenen Qualitäten nahetreten zu wollen --
+nicht+ zu dem freudigen Glauben durchringen, daß die dazu nötige
Ehegemeinschaft eine glückliche war.“

„Danke,“ ich verneigte mich. „Aber auf meine belanglose Person wollte
ich wirklich das durch Ihre gütige Mitwirkung so interessante Gespräch
nicht bringen. Ich fragte in aller Bescheidenheit nach den näheren
Verhältnissen der hier so geschätzten Dichterin Anna Maruschka. Fragte,
weil es mich interessiert, ob da persönliche Erlebnisse vielleicht den
Grund zu dieser düsteren Lebensanschauung gelegt haben, oder ...“

Jetzt nahm der kleine Egon Felix Gundelmann das Wort. Ein äußerst
merkwürdiger Jüngling, den ich, so lang ich ihn kenne, nie etwas
anderes habe betrachten sehen, als seine eigenen Fingernägel; ohne
daß er aus dieser Betrachtung einmal das naheliegende Bedürfnis
geschöpft hätte, diese Objekte seiner ungeteilten Aufmerksamkeit zu
reinigen. Er fiel durch eigene Produktion in diesem Kreise niemals
lästig. Aber er war, um mit Hamlet zu reden, so etwas wie der
Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeitalters. Allerdings Spiegel
und Chronik ganz im Sinne der anregenden Gesellschaft, die seine
mehr auf Sammeleifer als auf Gedanken beruhende Weisheit umgab. Er
hatte ein geradezu phänomenales Gedächtnis für Namen und Zahlen, war
wegen dieser letzteren Eigenschaft bei den Kellnern sehr unbeliebt,
erschien aber als der geborene Literaturhistoriker, ein wandelndes
Nachschlagewerk. Wann der oder jener giftige Vierzeiler auf der 387sten
Seite der Zeitschrift „Marsyas“ rechts oben in der Ecke gestanden
hatte; wieviel an Honorar die genannte Zeitschrift -- der anerkannte
Sammelpunkt der „Jüngsten“ -- dem oder jenen Neutöner für seine
tiefempfundenen „Elegien in freien Rhythmen“ schuldig geblieben war;
wie hoch die unheimlichen Saarweine, die der Lethefreund vor drei
Jahren in die Frühlingsbowle geschüttet hatte, auf der Karte notierten
und mit welchem Aufschlag sie der verbrecherische Kellner in Rechnung
gestellt hatte -- all solche schwierigen Fragen und erstaunlichen
Gedächtniskunststücke bewältigte Egon Felix Gundelmann spielend. Sobald
Namen, Taten, Zahlen in Frage kamen, blickten aller Augen fragend
und wißbegierig auf ihn. Die seinen aber verweilten nach wie vor auf
seinen unsauberen Fingernägeln, und aus diesen unschönen Ausläufern
seiner Persönlichkeit schien er all sein verblüffendes Wissen mühlos
herauszulesen.

„Maruschka Anastasia“, sagte er jetzt, „ist geboren vor dreiunddreißig
Jahren am neunzehnten Juli, d. h. an dem Tage, an dem im Jahre 1796
der Buchhändler Georg von Cotta geboren wurde, der später, auf den
Ungeschmack der Menge bauend, den Werken der sogenannten Klassiker
eine heute noch schädlich nachwirkende Verbreitung leihen zu müssen
glaubte. An demselben Tage wurde fünfundzwanzig Jahre später der
Dichter Gottfried Keller in Zürich geboren, dessen Werke ich zwar
nicht hoch einschätze, der aber durch die knorrige Grobheit seines
Wesens und durch die bis ins späte Alter bewährte Vorliebe für starke
gegorene Getränke verriet, daß vielleicht etwas in unserem Sinne aus
ihm geworden wäre, wenn er sich entschlossen hätte weiter zu hungern,
anstatt sich als Staatsschreiber in die schmachvolle Abhängigkeit des
Kantons Zürich zu begeben. Daß an diesem selben Tage dann im Jahre 1870
Frankreich an Preußen den Krieg erklärte, erwähne ich noch nebenbei.
Dieser Krieg hat für das geistige Deutschland eine tiefe Demütigung
gebracht, indem der Singsang der sogenannten patriotischen Dichter
zu einem Ansehen gelangte, das jeden ästhetisch reifen Beurteiler,
der an die große Zukunft der ungereimten, abstrakten Gedankenpoesie
glaubt, mit tiefster Beschämung erfüllen muß. Wir haben durch diesen
Krieg einige Schlachten und einige Kriegervereine gewonnen und dafür
auf Jahrzehnte das Bewußtsein unserer in blöden Siegesfesten ersäuften
Kulturmission verloren. Erst dadurch, daß vor dreiunddreißig Jahren
Maruschka Anastasia als Tochter eines durch seelische Verirrungen
zum Winkelkonsulenten herabgesunkenen ehemaligen Notars und einer
echten Tochter des Volkes geboren wurde, hat dieser Julitag für das
intellektuelle Deutschland der Zukunft wieder einen Klang und eine
Bedeutung gewonnen.“

Egon Felix Gundelmann las diese letzten Worte vom Nagel des Daumens
seiner linken Hand mit sichtlicher Befriedigung ab. Ich dankte mit
einigen unbedeutenden Worten für die gütige Belehrung, gab aber der
Ansicht Ausdruck, daß meine Frage eigentlich damit nicht beantwortet
sei, da ich zu wissen verlangte, ob Maruschka Anastasia der richtige,
in den Standesbüchern eingetragene Name dieser erstaunlichen Frau sei,
und ob sie selbst die von ihr so glühend gehaßten Ehefesseln jemals
getragen und -- wie ich fast vermuten müsse -- mit all der Kühnheit,
die ihre Gesänge durchbrauste, hohnlachend abgeschüttelt habe.

Egon Felix Gundelmann betrachtete eingehend den Nagel seines mit einem
häßlichen Geschwür aus kupfrig glänzendem Gold geschmückten Ringfingers
und gab -- immer im Ton einer wissenschaftlichen Vorlesung -- die
überraschende Auskunft:

„Maruschka Anastasia heißt eigentlich mit ihrem Mädchennamen Anna
Kuntze -- mit tz. Auf das tz legt sie Wert. Die letzten Nachrichten,
die wir von ihr hatten, stammen vom 21. Juli des Vorjahres. Sie
dankte uns damals für ein in der Nacht ihres Geburtstages aufgegebenes
Nachttelegramm, das sie selbst, wie sie schrieb, herzlich erfreut
und ihrem offenbar sehr schreckhaften Mann eine kleine Nervenattacke
eingetragen. Sie nennt sich jetzt Maruschka Anastasia Monkebach-Kuntze
und lebt körperlich +neben+, seelisch aber weit getrennt von einem
Mann, der ein kleiner Rentier sein soll und sie, ohne ihre Bedeutung
irgendwie mit ethischem Verständnis zu durchdringen, mit gebührender
Verehrung behandelt.“

„Monkebach-Kuntze. -- Monkebach -- Monkebach ...“ Ich wiederholte den
Namen immer wieder. Wo hatte ich ihn bloß schon gehört? und in welchem
Zusammenhang? Ich dachte an eine Menagerie, die ich als Kind besucht --
aber nein, die hieß Münsterbach. Dann dachte ich an einen Zahnarzt, der
mir -- schrecklichen Angedenkens -- einen ganz gesunden Zahn mit Gold
plombiert hatte. Aber nein, der hieß -- ja, wie +hieß+ der? Und jetzt
war ich +ganz+ konfus, und meine erregten Gedanken pendelten zwischen
Maruschka Anastasia und einem verbrecherischen Zahnarzt hin und her,
ohne einen Halt zu finden.

Egon Felix Gundelmann hatte mittlerweile noch ein ganzes Taschenlexikon
biographischer Details über mich ausgeschüttet. Ich hörte nicht zu. Da
traf plötzlich die trockene Anmerkung mein Ohr:

„Die Tragikomödie dieser Ehe eines lächerlichen Philisters mit
einer ganz eigenartigen weiblichen Psyche mit einem von der
leidenschaftlichen Liebe zum großen Erlebnis genährten Genie vollzieht
sich in der Stadt mit dem unsagbar trivialen Namen Bimmlingen.“

Ich stutzte.

„In Bimmlingen sagten Sie? Seltsam, dorthin muß ich spätestens Anfang
nächster Woche in Vermögensangelegenheiten.“

„Vermögensangelegenheiten!“ Der Lethetrinker sprach das Wort mit
tiefer Verachtung mehr in sein halbgeleertes Stengelglas, als zu mir.
„Vermögensangelegenheiten! Für solche Trivialitäten ist Bimmlingen gut.
Aber als Leidenswiege für die zerrüttete Seele einer großen Poetennatur
...“ Der Satz war auf bedeutungsvolle Steigerung angelegt. Aber der
Reformator hatte den Schluckser und mußte sich sehr zu seinem Ärger
hier unterbrechen.

Mein Geständnis, daß ich nach Bimmlingen reisen mußte, hatte Bewegung
in die dichten Zigarettenwolken des nie gelüfteten Raumes gebracht. Man
sah sogar wieder Gesichter. Erstaunte, interessierte Gesichter.

Alle redeten durcheinander.

Egon Felix Gundelmann gab, wie mir schien, in seiner leidenschaftlichen
Art einen kurzen Abriß aus der Stadtgeschichte von Bimmlingen. Ein
hier hochgeschätzter Romancier, der seine Bücher erst nach seinem Tode
weiteren Kreisen bekannt zu geben wünschte, spendete mir den dringenden
Rat, sofort von der Bahn aus zu Maruschka Anastasia zu fahren, um
sie meiner und seiner Verehrung zu versichern. Ein bereits zweimal
verbotener Dramatiker hoffte, daß ich in Bimmlingen ein zuverlässiges
„Tagebuch“ führen werde. Andere hatten noch weitergehende Wünsche
in Beziehung auf meine Reise nach dem durch Maruschka Anastasia
interessant gewordenen Nest.

Das Mädchen mit den tiefblauen Augen aber setzte die Teetasse hin,
legte mir die spitzen, schlanken Finger ihres reizvollen Händchens mit
noch nie geübter Vertraulichkeit auf den Unterarm und tat, was sie
eigentlich noch nie getan: sie sprach einen zusammenhängenden Satz. Ich
weiß heute, nach elf Jahren! noch ganz genau, wie er lautete:

„Darf ich Sie bitten, lieber Herr Doktor, Frau Maruschka Anastasia zu
sagen, daß ich sie liebe,“ (wenn sie dieses „sie“ damals im Sprechen
+groß+ geschrieben hätte, so hätte ich zweifellos „die“ Dummheit meines
Lebens gemacht!) „und daß es mich beglücken würde, ein paar Zeilen von
ihrer Hand zu besitzen in meiner Selbstschriftensammlung, die fast alle
Neueren von Atzler bis auf Zülferich umfaßt.“

Ich gestehe beschämt, daß ich damals weder wußte, wer Atzler noch
wer Zülferich war. Aber ich tröste mich damit, daß es heute auch
+die+ wieder vergessen haben, die es einmal gewußt hatten. Denn die
literarischen Taten von Atzler und Zülferich meldet kein Lied, kein
Heldenbuch; und sie sind, wie alle Mitglieder jener festlichen Abende
um den Reformator der Rezitationskunst, wie der seltsame Romancier, der
für seinen Nachlaß arbeitete, und wie der unwahrscheinliche Polyhistor
Egon Felix Gundelmann längst untergetaucht im ruhmlosen Gewoge des
Alltags, der Trivialitäten ...

Aber meine Fahrt nach Bimmlingen hatte jetzt einen neuen Sinn, einen
ungeahnten Glanz bekommen. Nicht daß ich selbst vor Neugier platzte,
die genialische Maruschka Anastasia von Angesicht zu Angesicht
zu sehen. Aber wenn ich mit einem wundervollen, inhaltreichen
Stammbuchblatt von ihrer Hand wiederkam ... Mir fielen Beispiele
ein, daß Prinzen im Märchen durch ein kühn erstrittenes kostbares
Geschmeide die lang versagte Gunst einer spröden Schönen im Sturme
gewannen. Beispiele ... Beispiele ... Es gehört zu den unbestreitbaren
Merkwürdigkeiten meiner sonst nicht eben komplizierten Natur, daß mir
für +jede+ Dummheit, die ich zu machen im Begriffe stehe, „Beispiele“
einfallen. Viele und vortreffliche Beispiele.

... Als ich einige Tage später -- doch früher, als ich ursprünglich
geplant -- nach Bimmlingen reiste, war meine eigene Angelegenheit ganz
in den Hintergrund getreten.

Es war auch gut. Denn in Bimmlingen zeigte es sich sehr bald, daß
das kleine Grundstück, an dem ich als glücklicher Erbe zusammen
mit drei Vettern, einer Tante und einem Waisenhaus beteiligt war,
so gut wie wertlos war, da es dicht neben dem Viehhof lag und ein
normaler Mensch mit gesunden Geruchsnerven das abscheuliche Terrain
nur bei östlichen Winden, die den Stank der Ställe nach der anderen
Seite entführten, betreten konnte. Die meteorologischen Notizen des
Bimmlinger Tageblatts, dessen drei letzte Jahrgänge ich daraufhin
durchsah, ergaben aber, daß die angenehme Stadt Bimmlingen meist von
+westlichen+ Winden bestrichen wurde; und als ich einem Bimmlinger
Immobilien-Agenten den Kaufpreis nannte, den die miterbende Tante
ersonnen und für den uns das scharmante Grundstück feil sein sollte,
bekam er einen langandauernden Lachkrampf und versicherte mir, daß er
einen so guten Witz nicht mehr gehört habe, seit der letzte Zirkus in
Bimmlingen abgebrannt sei. Da die Tante als Miterbin aber von ihrem
phantastischen Preis nicht heruntergeht, sind wir heute noch im Besitz
des unbebauten Grundstücks und haben die Freude, ein über das andere
Jahr zirka hundert Mark für einen neuen Stachelzaun zu bezahlen, der
einer fröhlichen Jugend Bimmlingens wehren soll, im Unkraut unseres
Besitzes künstliche Festungen zu graben.

Ich hatte mir für die mir inniger am Herzen liegende Aufgabe, die
Selbsteinführung in die Familie Monkebach-Kuntze, einen, wie mir
schien, vorbildlich schlauen Schlachtplan ersonnen. Am Tage meiner
Abreise hatte ich an +Herrn+ Monkebach-Kuntze ein sehr verbindliches
Kärtchen geschrieben. Voller Interesse, seine berühmte Gattin kennen
zu lernen, vom Wunsche beseelt, ihr meine persönliche Verehrung und
die meiner Freunde in einem Handkuß auszudrücken, zugleich aber auch
geängstigt von dem Gedanken, daß ich die Dichterin in ihren die Welt
erleuchtenden Arbeiten in nie entschuldbarer Weise stören könnte, wagte
ich es, bei dem von mir unbekannterweise hochgeschätzten Gatten der
seltenen Frau in aller Bescheidenheit anzufragen, ob ... und wann ...
und wie ...

Es war wirklich ein sehr anständiger Brief. Der Rabe mußte meiner
Berechnung nach den Käs fallen lassen, wie in der hübschen alten Fabel.

Er +ließ+ ihn fallen. Als ich ins Hotel kam, lag schon ein Briefchen
da. Unterschrift: Michael Monkebach.

Monkebach, Mon--ke--bach -- wieder rollte mir der Name wie eine
Billardkugel im Kopfe herum; und nach einer nicht sehr geistreichen
Gewohnheit trat ich erst eine Weile ans Fenster, stierte über die
reichlich schmutzige Straße auf das schiefhängende Schild einer Woll-
und Strumpfwarenhandlung und dachte emsig nach. Dann erst las ich den
Brief.

„Sehr geehrter Herr Doktor, mich freut’s herzlich Sie nach so
langer Zeit wiederzusehn“ -- +wieder+zusehn, wieso? -- „Ich kann
es ja begreifen, daß Ihr hochgeschätzter Besuch, der uns äußerst
angenehm ist“ -- +uns+? -- auf ihn kam mir weniger an -- „mehr meiner
lieben Frau gilt, als mir“ -- wie käme ich auch wohl dazu, +Herrn+
Monkebach zu beehren? es sei denn, daß er am Viehhof ein Grundstück
suchte -- „Nichtsdestoweniger wird mir die Erinnerung einer lieben
Badebekanntschaft ein nicht gewöhnliches Vergnügen bereiten“ --
Badebekanntschaft? Herr Monkebach wird doch am Ende nicht der Herr
sein, der in Karlsbad einmal neben mir wohnte und früh morgens um halb
sechs immer Lohengrins Abschied sang, bis ich ihm durch den Kellner
sagen ließ ... „Ich bin ja älter geworden, seit wir uns zuletzt gesehen
--“ sehr wahrscheinlich, ich bin ja +auch+ nicht jünger geworden --
„aber ein gewisses ruhiges Glück ist bei mir eingekehrt“ -- nanu, bei
der ewigen Kettensprengerin ein ruhiges Glück? +Der+ Mann mußte Nerven
haben, wie Stahl, oder -- „Und was mich mit Stolz erfüllt, Sie werden
sehen, so wenig ich auch an dem unvergleichlichen Talente meiner lieben
Maruschka Anastasia beteiligt bin“ -- beteiligt; ein geschäftlicher
Ausdruck, der mir sehr mißfiel. Sollte Herr Monkebach etwa jener
schlanke Herr mit dem gefärbten Barte sein, der mir nach einem
harmlosen Tischgespräch auf Rigi Scheideck beim Dessert meuchlings die
Preisliste seiner Naturweine über den Tisch reichte? ... „beteiligt
bin, so darf ich doch ohne häßliches Eigenlob wohl sagen, daß mein
persönlicher Einfluß ...“

„-- +persönlicher Einfluß+!“ ... Wie Schuppen fiel es mir von den Augen.

Monkebach -- natürlich, so +hieß+ er ... Der Mann mit dem persönlichen
Einfluß. Der Turner mit der Wasserkaraffe. Der dankbare Leser des
mayonnaisegelben Büchleins: „Wie werde ich energisch?“ Der Gegner
-- +beinahe+ Gegner des kampflustigen Rittmeisters. Der Liebling der
allwissenden Kanzleirätin. Alles kam mir wieder ins Gedächtnis. Alles.
Und ich war so vergnügt in diesen Erinnerungen, daß ich abends ins
Stadttheater ging, wo ein unsagbar dummes Lustspiel hundeschlecht
gespielt wurde. Ich aber saß unter den ärgerlichen Zuschauern
und lächelte fröhlich vor mich hin. Ich sollte den Mann mit dem
persönlichen Einfluß wiedersehn als Gatten einer intellektuellen
Kettensprengerin.

Am nächsten Morgen hüllte ich mich in eine erlesene Besuchstoilette,
zog meinen poetischsten Schlips an, ließ meinen Zylinder aufbügeln,
kaufte drei purpurrote Rosen an Stielen, so lang wie Spazierstöcke, und
machte mich auf den Weg.

Kitzlingerstraße 15. Ein bescheidenes Landhaus in einem nicht
übel gepflegten Garten. In den Rasenflächen standen gräßliche
kleine Terrakotta-Gnome mit feuerroten Zipfelmützen umher. Auch
Rehe aus buntem Gips und giftig grüne Riesenpilze als originelle
Sitzgelegenheiten aus derselben Masse erschreckten das Auge. Mir schien
das +sein+ persönlicher Einfluß auf den Garten. Die Dichterin übersah
wohl den kinkerlitzigen Zierat.

Kaum hatte das Mädchen -- ich habe nie wieder solche Mischung von
Unsauberkeit und Stupidität in einer weiblichen Erscheinung beobachtet
-- meine Karte erst selbst mit Aufmerksamkeit gelesen, dann in ein
Zimmer getragen, so hörte ich auch schon Monkebachs frohbewegte Stimme:

„Hier herein, bitte, nur +hier+ herein!“

Grau war er geworden, der gute Michael Monkebach. Den Schneider schien
er noch nicht gewechselt zu haben seit damals. Der Rock schlotterte
immer noch um seinen nicht unansehnlichen Leib, und die Weste sah
immer noch aus, als habe er sie von einem Verwandten geerbt, der
ihn an Leibesfülle ums Doppelte übertraf. Der verblichene Erblasser
mußte allerdings eine Sehenswürdigkeit gewesen sein, die alle in den
Panoptiken vorgestellten Monstra weit hinter sich ließ.

Michael Monkebach schüttelte mir beide Hände. Er war wirklich sichtlich
erfreut. Dann drückte er mich in ein niedriges und erstaunlich hartes
Sofa und begann die Unterhaltung mit einer Flut von teilnehmenden
Fragen nach meinem Wohlbefinden und meinen Geschäften, die mich hierher
führten. Es war dabei eine große Erleichterung für mich, daß er sich
eigentlich alle Fragen selbst beantwortete. Über meine Person, über
einen Onkel von mir, der auf dem Friedhof in Bimmlingen lag und einen
sehr unverständlichen Spruch auf dem Grabstein hatte, über eine Tante
von +ihm+, die ich einmal in Berchtesgaden getroffen, und endlich über
mein übelriechendes Grundstück am Viehhof, das er kannte, weil er
früher -- als Junggeselle -- stets die Wurstpapiere seines Frühstücks
bei Spaziergängen über den bewußten Stachelzaun geworfen, kamen wir
endlich auf seine Frau.

Ich deutete in einer Pause, die ein Hustenanfall in seine Rede riß,
bescheidentlich an, daß es mich interessieren würde, wo sich die
interessante Dame jetzt aufhalte.

„Sie hat heute morgen,“ sagte er, „als sie ein heißes Fußbad nahm, eine
Inspiration gehabt. Eine außerordentliche Inspiration. Sie ließ sich
kaum Zeit, sich abzutrocknen und anzuziehen. Und jetzt --“ er deutete
glücklich lächelnd nach einer grüngepolsterten Türe, die den Nebenraum
abschloß.

„Aha -- sie dichtet?“

Michael Monkebach nickte mit einem selig zustimmenden Lächeln, als
wolle er sagen, daß mein Scharfsinn das einzig passende Wort für die
von ihr geübte Tätigkeit gefunden habe.

„Sie werden sie +sehen+!“ sagte er dann. Wenn es sich um die Königin
von Saba gehandelt hätte, er hätte nicht strahlender dreinschauen
können.

In diesem Sinne sprach ich einige glückwünschende Worte.

Er senkte den vorgeneigten Kopf in die Schultern, als lasse er sich
warmes Wasser wohlig den breiten Rücken herunterlaufen und genoß meine
Teilnahme mit rührendem Behagen.

Als ich geendet, nahm er das Wort; und während er mit der Spitze
des Zeigefingers die kleinen Careaus auf meinem linken Oberschenkel
nachfuhr, was mir gerade nicht sonderlich angenehm war, legte er
in gedämpftem Ton, von Zeit zu Zeit verstohlen nach der unbewegten
grüngepolsterten Türe spähend, die Beichte eines Glücklichen ab.

„Sehn Sie, lieber Freund,“ sagte er, „ich darf Sie doch so nennen?
+Alle+ Leute +beneiden+ mich. Wie ich Ihnen sage! Ich hab aber auch ein
+Glück+, sag’ ich ihnen ... Ich bin kein Jüngling mehr, nicht wahr?
Unter uns: ...zig Jahre. Na, und sie -- erst fünfundzwanzig.“

Er log nicht ohne Grazie. Oder sollte die Dichterin selbst von solch
kleinlichen Eitelkeiten nicht frei sein und ihm erzählt haben, daß ...?

„Die Verlobungszeit hätte ja unangenehm sein können. Abends immer
Theater, Gesellschaft, Konzerte -- gräßlich! Und dann so um neune rum
muß ich immer mal ein Nickerchen machen. Nur ’n paar Minuten, nachher
bin ich für ’ne Stunde wieder ganz mobil. Aber ich +muß+ einfach.
Da hilft nichts. Naturzwang! Na, da war’s nu ’n riesiger Dusel, daß
Maruschka Anastasia schon dreimal verlobt war ... Sie hat keinen großen
Wert mehr auf solche Aufmerksamkeiten gelegt, wie sie sonst unter
Brautleuten ... na, ist ja auch ein gräßlicher Blödsinn! -- Und dann
war ja ihr +Vetter+ da, der von den siebenten Ulanen. Sie erinnern sich
doch -- der Rittmeister.“

„Pardon, der Rittmeister, mit dem Sie +damals+ ...“

„Jawohl, mit dem ich damals -- beinahe ...“ Er zielte mit einer
imaginären Pistole listig mit dem Auge blinzelnd nach dem Bilde einer
stark dekolletierten alten Dame an der Wand. „Komisch ist das Leben,
nicht? +Der+ ist Maruschka Anastasias Vetter. +Zu+ ein netter Mensch.
Er schätzt sie sehr. +Sehr+. Und damals schon -- als wir verlobt
waren -- immer viel Literarisches um sie rum. Sie dichtete ja damals
schon. Das war aber nur so die Ouvertüre, sag’ ich Ihnen. Und jetzt --
Berühmtheit! Ze--le--bri--tät! Achtzehn Auflagen in drei Jahren. Im
Winter oft drei bis fünf Einladungen pro Abend! Ja, sehen Sie, +das+
nennt man ‚Ruhm‘. Und wissen Sie, wessen Verdienst das ist? +Mein+
Verdienst ... Lachen Sie nicht -- +mein+ Verdienst. Ihre Lyrik, um was
dreht sie sich? Lesen Sie nur mal aufmerksam ihre Sachen. Frühling --
is nicht. Sogenannte ‚Liebe‘ -- is nicht. Heimatsklänge -- is nicht.
Und all so was Schönes -- is nicht. Aber +Ehe+, sag’ ich Ihnen, alles
+Ehe+! Großartig, diese Wahrheiten, die sie +mir+ da sagt. Und erst
was +ich+ ihr entgegne -- alles natürlich in Versen, die +sie+ macht.
Ich --? wissen Sie, ab und zu mal ’nen Brief, aber Verse, ach nein.
Niemals nie. Und nun +diese+ Frau! Ich komme zu +dieser+ Frau. Was für
ein Glück, sagen Sie selbst. Sie dichtet für +beide+. Sie schmeißt mit
den Ehefesseln nur so um sich. Ach, und wie sie dabei aussieht! -- Ihr
Vetter von den gelben Ulanen, der Rittmeister -- +zu+ ein lieber Mensch
-- ruft immer ‚Sopha!‘ ... nein, wollt’ ich sagen: ‚Sappho!‘ ruft er,
‚Sappho!‘ ... Und sehen Sie, Gott ja, andere Frauen dichten ja auch
mal. So Blaumblümleinsuppen und solche Sachen. Oder von ‚ihm‘. Sie
dichtet +auch+ von mir, meine Sappho. O ja! aber, sehen Sie, nicht wie
die andern. Sie dichtet mich nicht +an+; sie dichtet mich +ab+.“

„Pardon, sie dichtet Sie +ab+?“

„Ja.“ Er nickte still befriedigt vor sich hin.

„Was verstehn Sie, wenn ich fragen darf, unter ...“

„Wie ich das verstehe: ‚abdichten‘? O, sehr einfach. Ich sag’ Ihnen ja,
sie ‚sprengt fortgesetzt Fesseln‘. Geistig natürlich nur; seelisch,
nicht wahr. Und die Kette, sehen Sie, die +dickste+ Kette, das bin
ich.“ Ein unsagbarer Stolz leuchtete warm und herzerquickend aus seinen
Augen, als er fortfuhr: „Ne, wenn ich +das+ gedacht hätte, als wir in
Prima den ‚Lakoon‘ lasen, daß ich noch mal in die Literaturgeschichte
komme! Das muß ich doch. +Mit+ dem Bild. Und diese Kette wirft sie weg.
Bloß in Gedichten, bitte. Reine Phantasie. Mein Gott, ich habe 15000
Mark Rente -- da ‚wirft‘ ’ne vernünftige Frau nicht so leicht. Aber Sie
sollten sie mal deklamieren hören:

    ‚Ha, Elendsgötze meiner schwülen Nächte,
    Beugst du die Fratze lüstern über mich --!‘

Sehen Sie, +das+ nenn’ ich ‚+ab+dichten‘. +An+dichten kann man’s
schon nicht nennen. Guter Ausdruck, was? Von mir! Und nun stellen
sie sich bloß vor: +das+ Glück! Abend für Abend sitze ich nach dem
Abendessen unter irgendeiner Palme -- Gott, Palmen gibt’s ja jetzt in
allen Wohnungen bei uns -- und sie, mein ‚Sappho‘, steht im Kreise
der andächtig Lauschenden. In einer Toilette, die mich bei Gerson
vierhundert Mark gekostet hat. Das war noch ‚Vorzugspreis‘ ... Sie
liest wundervoll vor. Ich sage Ihnen, wie diese einzige Frau solche
Pointen herausbringt:

    ‚Den Schlaftrunk her, daß seine roten Augen
    Die Schönheit meiner Jugend nicht beschmutzen ...‘

Großartig! Ihr Vetter von den gelben Ulanen, der Rittmeister -- +zu+
ein netter Mensch! -- weckt mich jedesmal, wenn’s zu Ende ist, unter
meiner Palme. Ein guter Kerl, seelensgut. Kennt keinen Neid. Wenn wir
dann zusammen nach Hause fahren -- er wohnt dicht neben uns, ja, Wand
an Wand -- ja, wenn wir so im Wagen sitzen, wissen Sie, was er dann
sagt: ‚+Das+ können Sie sich ruhig sagen, liebster Michael‘ -- meint er
+mich+ -- ‚+Sie+ haben da +mit+gedichtet. Wissen Sie, ohne +Sie+ wär’
ja die ganze Geschichte unmöglich.‘ Recht hat er. Wahrhaftig. Und da
sagen die dummen Leute, ich bin nicht glücklich!“

„So, sagen die Leute so was?“

„Ja. Aber wir haben einen Trick. Wir +lassen+ sie dabei.“ Er rieb sich
verschmitzt die Hände. „Wahrhaftig, das tun wir. Es ist so ein bißchen
moderne Reklame für die Bücher, verstehn Sie. Mein Gott, Maruschka
Anastasia braucht’s ja nicht, aber -- --“

Er verstummte plötzlich und sah nach der Tür. Sie hatte sich bewegt,
ging auf.

Maruschka Anastasia stand im Türrahmen und sprach nach hinten zu
einem Herrn, der ihr langsam, die Hände in den Hosentaschen, in einem
grauen Wölkchen Zigarettenrauch folgte. Der Herr war in Uniform -- in
Ulanenuniform, wie mir schien. Es war der Rittmeister.

„Ihre Frau Gemahlin hat Besuch --?“ Die Bemerkung entschlüpfte mir wohl
im Ton eines leichten Staunens.

„Besuch?“ Michael Monkebach dämpfte die Stimme zu einem scheuen
Flüstern, wie es weißhaarigen Kastellanen in alten Schlössern eignet,
die dadurch die tiefe Ehrfurcht vor den an den Wänden hängenden
Ahnenbildern ausdrücken und den Wert der gezeigten Raritäten zu
steigern glauben. „Besuch? O nein. Das ist doch bloß unser lieber
Vetter, der Rittmeister. Maruschka Anastasia produziert leichter, wenn
eine Vollnatur sich im selben Raume mit ihr aufhält. Sie fürchtet sich
zuweilen vor ihren eigenen Träumen, vor den Gestalten ihrer fiebernden
Phantasie. Dann gewinnt sie neuen Schaffensmut aus den kraftvollen,
seelischen Ausstrahlungen solcher gesunden, in sich gefestigten
Vollnatur.“

Ich will gehängt sein, wenn ich in diesem Augenblick nicht den Eindruck
hatte, als ob die gesunde, in sich gefestigte Vollnatur mit dem spitzen
Zeigefinger der langsam aus der Tasche gezogenen Rechten der sensiblen
Dichterin in der Richtung ihres neckischen kleinen Halsausschnittes
„Kicks“ machte. Wie gesagt, es war mein Eindruck. Aber ich befand mich
hier in einer wunderreichen Atmosphäre, die vielleicht Halluzinationen
der seltsamsten Art begünstigte. Es kann also auch eine Täuschung
gewesen sein.

Jetzt entdeckten uns die beiden und näherten sich in harmloser
Freundlichkeit.

Michael Monkebach stellte mich vor, erklärte mit nicht wenigen Worten
den Zweck meines Besuches, indem er von dem Viehhof zu Maruschka
Anastasias Gedichten und von dem Gestank meines ererbten Grundstücks zu
meiner Verehrung für die Poesien der Kettensprengerin die kühnsten und
erstaunlichsten Übergänge fand.

Der Rittmeister, dessen hervorstechendste Eigenschaft nicht die Geduld
zu sein schien, unterbrach den Redefrohen mit der kühl abgegebenen
Erklärung, daß er erfreut sei, mich hier zu sehen; daß er ferner hoffe,
ich habe eine gute Reise gehabt; und daß er wünsche, ich fühle mich von
den in meinem Hotel vorgekommenen Pockenfällen nicht weiter beunruhigt.

Ich hatte Zeit, die gefeierte Dichterin zu betrachten.

Wenn ich nicht durch zweier einwandfreier Zeugen Mund erfahren hätte,
daß es tatsächlich Maruschka Anastasia sei, die leidenschaftliche
Sängerin befreiter Liebe, so hätte ich unbedenklich geschworen, es
sei ein langsam in die minder köstlichen Jahre kommendes kleines
Mädel aus der Konfektion, vielleicht vom Hausvoigtei-Platz in
Berlin, die zunächst mal wohl daran täte, abends früher zu Bett zu
gehen und dreimal täglich Plautsche Pillen zu nehmen. Haare von
indifferentem staubigen Blond, an der nicht eben hohen Stirne zu
unwahrscheinlichen Löckchen gekräuselt, eine kecke Stumpfnase unter
müden, wasserblauen Augen, sehr blasse, blutarme Hände, und eine wie
von einem schmerzenden Bußgürtel geschnürte zerbrechliche Taille --
so sah die Kettensprengerin aus, die Abgöttin meiner genialischen
Freitagsgesellschaft, die Gattin Michael Monkebachs, des Mannes mit dem
persönlichen Einfluß.

Ich überreichte ihr wortlos die drei Rosen an den langen Stengeln. Sie
beugte huldvoll lächelnd die Stupsnase tief in einen der roten Kelche
und machte die vortreffliche Bemerkung, wie seltsam es doch sei, daß
solche Treibhausrosen häufig einen direkt widerlichen Medizingeruch
hätten. Zum Exempel auch diese.

Der Rittmeister, der an den Rosen riechen durfte, bestätigte diese
interessante Beobachtung. Die Erwähnung der Medizin brachte ihn wieder
auf die betrübenden Pockenfälle in meinem Hotel, die man sicherlich vor
den bedauernswerten Gästen geheim halte.

Er knüpfte daran die lehrreiche Geschichte von einem Gasthof zweiten
Ranges in der Provinz Posen, in dem vor Jahren eine plötzlich
ausbrechende Typhusepidemie aus schnöder Gewinnsucht von dem
gewissenlosen Wirte vertuscht worden sei. Besagter Wirt sei dann als
Erster auf Nr. 13 -- ein Zimmer, das kein Gast beziehen wollte --
als Opfer der unheimlichen Seuche gestorben. Sein Geist aber sei
acht Tage später dem kurz vorher gekündigten Nachtportier auf der
schlecht erleuchteten Treppe, in nasse Laken gehüllt, erschienen.
Die Nässe habe man denn auch tatsächlich am andern Morgen noch auf
den Stufen zur ersten Etage bemerkt. Die Analyse zweier Chemiker
habe leider zu widerspruchsvollen Resultaten geführt. Der eine habe
Spülwasser angenommen, der andere habe eine weit unappetitlichere
Erklärung empfohlen. Die Witwe habe darauf den entlassenen Portier,
der überall diese gruselige Spukgeschichte erzählte, wegen perfider
Geschäftsschädigung verklagt. Aber das Gericht habe drei spiritistische
Sachverständige vernommen, die aus der Schilderung des schleppenden
Ganges, des nassen Lakens und anderer Attribute der unheimlichen
Erscheinung übereinstimmend entnahmen, daß es sich zuverlässig um
ein durchaus reelles Gespenst gehandelt haben müsse; und daß die
beunruhigende Wahrscheinlichkeit vorliege, das Gespenst werde sich
noch des öfteren nachts auf der Treppe zu der ersten Etage ergehen.
Der Nachtportier sei freigesprochen worden. Die Witwe habe Bankrott
gemacht. Und auf dem Boden des ehemaligen Hotels erhebe sich jetzt
das ernste und solide Gebäude der städtischen Feuerwehr, die ein
furchtloser und vorurteilsfreier Mann kommandiere.

Während der Rittmeister erzählte, hatte ich beobachtet, wie Maruschka
Anastasia erst die Augen schloß, als überfalle sie eine, von leichtem
Frost begleitete, plötzliche unbesiegbare Müdigkeit. Dann sah ich sie
die Finger auf ihrem Schoß spreizen und wieder zusammenkrallen, als
treibe sie schwedische Fingergymnastik. Dazu hob und senkte sich ihre
in den Linien nicht aufregende Brust in immer kürzeren Zwischenräumen;
und sie schnaufte durch die geblähten, zuckenden Nasenflügel, als habe
sie eben im Laufschritt einen Campanile erstiegen und müsse sich nun
unbedingt Ruhe gönnen, um einem drohenden Herzschlag vorzubeugen.

Michael Monkebach, halb vom Sitz aufstehend, machte dem Rittmeister
durch Handbewegungen und Gesichterschneiden allerlei Zeichen,
die zweifellos die inständigste Bitte ausdrücken sollten, diese
überaus grausame Geschichte nicht weiter zu erzählen im Angesicht
des beklagenswerten Zustandes, in den sie offensichtlich Maruschka
Anastasias sensitive Natur versetzte.

Aber der Rittmeister, der wohl auf dem einen Auge total erblindet war
und sein für das andere Auge bestimmtes Monokel gerade umständlich mit
dem seidenen Taschentuche putzte, erzählte die aufregende Historie
ohne jegliche Unterbrechung zu Ende. Und zwar in einem so kühlen,
leidenschaftslosen Ton, als ob er statt vom Hinüberspielen der
Wesenheiten einer vierten Dimension in unser rätselvolles Erdenleben in
Wahrheit bloß vom Einkauf einer Erbswurst oder von einem neuen Mittel,
weiße Handschuhe zu reinigen, berichte.

Ich begann die unmittelbare Wirkung der Kraftnatur auf die sensitive
Dichterin zu beobachten und zu begreifen; und ich war sehr gespannt,
wie sich diese tiefe seelische Erregung Maruschka Anastasias endlich
lösen werde.

Als der Rittmeister geendet hatte und sich mit einer nach solchen
Mitteilungen geradezu erstaunlichen Seelenruhe geräuschvoll die Nase
schneuzte, erhob sich plötzlich Maruschka Anastasia. Immer noch mit
geschlossenen Augen und wie im Sturme wogendem Busen. Michael Monkebach
stand mit halberhobenen Armen neben ihr, offenbar bereit, die Teuere
aufzufangen, wenn sie sinken sollte, aber doch nicht wagend die noch
aufrechtstehende Dichterin zu berühren.

Der Rittmeister betrachtete diese merkwürdige Gruppe aufmerksam, doch
ohne Zeichen tieferer Erregung durch sein Monokel. Ich aber hatte --
ich weiß heute noch nicht, warum und wieso -- eine Glocke mit ziemlich
schmutzigem Wasser ergriffen, in der ein einzelner Goldfisch, schon
halb auf dem Rücken liegend, sein nahes, wünschenswertes Ende zu
erwarten schien.

Plötzlich bewegte sich Maruschka Anastasia in knappen, zögernden
Schritten vorwärts. Nach der Tür.

Der Rittmeister erhob sich schwerfällig aus dem Sessel, wie
leidenschaftliche Reiter das tun, die sich auf unruhigen Pferden sehr
munter und auf den allgemein üblichen Sitzgelegenheiten des Salons nur
sehr mühsam bewegen.

„Es +hat+ sie wieder,“ sagte der merkwürdige Krieger, nickte Michael
Monkebach verständnisvoll zu und schritt langsam, die Hände in den
Hosentaschen, hinter der außergewöhnlichen Frau her. Dabei zündete er
sich eine Zigarette an, was mich sehr beruhigte. Noch mehr hätte es
mich allerdings beruhigt, wenn er mir +auch+ eine Zigarette angeboten
hätte. Aber auf diesen gewiß unbescheidenen Gedanken kam hier niemand
außer mir.

Als Maruschka Anastasia in dem Gemach ihrer Inspirationen verschwunden
war, nahm mir Michael Monkebach zunächst behutsam das Glas mit dem
halbtoten Goldfisch aus den Händen und stellte es wieder auf das
gebrechliche Bauerntischchen unter dem Kupferstich, der die Medea in
höchster Raserei darstellte. Dann drückte er mich wieder in das sehr
tiefe und sehr harte Sofa und erläuterte mir mit gedämpfter Stimme
die aufregende Szene, an der ich soeben vermutlich in nicht sehr
geistreicher Pose und ohne das geringste Verständnis teilgenommen hatte.

„Sehen Sie,“ begann er, „nun haben Sie’s +selbst+ einmal erlebt.“

Ich leugnete das nicht; ohne mir darüber klar zu sein, +was+ ich nun
eigentlich erlebt hatte.

Er begann wieder mit dem Zeigefinger das unbehagliche Spiel auf den
Carreaus meiner Hose:

„Die Geschichte des Rittmeisters -- ist es nicht ein prächtiger Mensch?
Habe ich zuviel gesagt? -- die Geschichte hat sie erschüttert, hat
ihre poetische Psyche, ihr dichtendes Unterbewußtsein zur Tätigkeit
aufgerüttelt. Während der Rittmeister -- +wie+ er das aber auch
vorbrachte, nicht wahr? so unberührt von all dem Schauerlichen,
so nervenstark, so kerngesund, so irdisch-gefestigt in all dem
Unerklärlichen -- während der Rittmeister erzählte, hat sie bereits
diesen Stoff erfaßt, umklammert, vertieft, neugestaltet, poetisch
verarbeitet. Und jetzt -- das duldet keinen Aufschub bei ihr -- muß
sie es sofort zu Papier bringen. Sie +muß+. Sie schreibt solche Sachen
stets auf ein geripptes dunkelviolettes Papier. Man sagt, Marie
Antoinette habe mit Vorliebe solches Papier benutzt. Finden Sie nicht,
daß meine Frau -- im Profil, oder sagen wir: Halbprofil -- Marie
Antoinette merkwürdig ähnlich sieht?“

Ich fand das nicht. Ich wurde von ihrem blassen, ziemlich gewöhnlichen
Gesichtchen in der Tat mehr an den Berliner Hausvoigteiplatz, als an
die Pariser Tuillerien erinnert. Natürlich behielt ich das für mich. Es
waren auch andere Dinge, die mich jetzt interessierten.

„Nehmen Sie mir meine Neugier nicht übel, Herr Monkebach ...“ begann
ich.

Aber schon unterbrach er mich.

„Wie sollt’ ich! Sie glauben nicht, +was+ mich die Leute alles fragen.
In Beziehung auf Maruschka Anastasia. +Was+ sie ißt, wie +oft+ sie
ißt, ob sie Wolle trägt, ob sie nachts gut schläft. Ja sogar -- warten
Sie, ich muß den Brief noch in der Tasche haben -- gestern hat sogar
ein Verehrer in Fürth, der eine Geschichte des ‚Genies in seiner
Abhängigkeit von den natürlichen Lebensfunktionen‘ plant, bei mir
-- per Eilboten -- angefragt, ob und wie oft Maruschka Anastasia an
Verdauungsstörungen leide ...“

Ich bat ihn dringend, den indiskreten Brief nicht weiter zu suchen und
mir lieber eine Frage zu beantworten: schrieb Maruschka Anastasia denn
auch Balladen und Gespenstergeschichten?

Nein, das tat sie nicht. Er belehrte mich, daß jeder Stoff, der sie
fessele, packe, festhalte -- wie ich das vorhin bei der wuchtigen
Erzählung des Rittmeisters, der übrigens eine Kraftnatur durch und
durch sei, erlebt habe, -- auf der Tiefe ihres Unterbewußtseins sich
sofort in ein eigenes seelisches Erlebnis wandle. Er werde dann
in ihre eigenartige Lyrik, die stets ihr Liebes- -- das heiße ihr
Eheleben -- behandle, in irgend welcher sinnvollen Weise einbezogen.
Ich werde es erleben, daß auch in der vom Rittmeister mitgeteilten
gruseligen Erzählung nach der wunderreichen Wiedergeburt in Maruschka
Anastasia’s schöpferischen Phantasie +er+, Michael Monkebach, wie ich
ihn hier vor mir sehe, eine bedeutsame Rolle spielen werde. Er sei zwar
nie in Posen gewesen, habe weder den verbrecherischen Wirt gekannt
noch dem erwähnten Hausknecht näher gestanden, sei noch niemals von
Gespenstererscheinungen im Wachen oder im Schlafe belästigt worden
-- aber, ich werde das ja sehen, +er+ werde auch in dieser Dichtung
als irgend eine merkwürdige Figur erscheinen, über die er freilich
augenblicklich nicht einmal andeutungsweise eine Aufklärung zu geben
vermöge. Denn für ihn, wie für alle, seien die Dichtungen Maruschka
Anastasias stets Überraschungen, Offenbarungen, Ereignisse. Das
einzige, was er wisse, sei dies: daß seine Natur offenbar so erregend
simulierend, geistig befeuernd auf die unheimlich fruchtbare Phantasie
dieser seltenen Frau wirke, und daß er wohl ohne Eigenlob sagen dürfe,
dies einzigartige Talent sei niemals zu seiner üppigen Entfaltung
gekommen ohne +seinen+, ihm selbst allerdings rätselhaften persönlichen
Einfluß.

Ich weiß nicht, wie die Gedankenverbindung war, aber ich fragte ihn
plötzlich:

„Und +Kinder+ -- haben sie +auch+?“

Seine Stimme bewölkte sich. „Nein, +noch+ nicht.“

„+Noch+ nicht? Sie -- haben vielleicht begründete Hoffnung?“

„Ja,“ lächelte er glücklich.

Ich reichte ihm herzlich die Hand, zog sie aber sofort zurück, als ich
die verblüffenden Worte vernahm:

„Der Vater des Kindes ist ein Briefträger.“

„Der -- Vater?“

„Ja.“

Das glückliche Lächeln wich nicht aus seinem Angesicht. „Der Mann
ist kränklich und kein Freund des Treppensteigens. So hatte er die
gewiß tadelnswerte, aber doch menschlich nicht ganz unbegreifliche
Gewohnheit, lästige Drucksachen, die ihm wertlos schienen, einfach
nicht zu bestellen, sondern damit seinen eisernen Ofen zu heizen. Er
‚sitzt‘ jetzt. Für einige Jahre. Ein sehr harter Spruch. Aber er war
Beamter, nicht wahr? Und schließlich: es gibt ja auch Drucksachen,
deren Wert für den Empfänger ein Briefträger nicht ohne weiteres
abschätzen kann.“

„Und -- von diesem verbrecherischen Briefträger ...“

„Ja. Er ist jetzt fünf Jahre alt.“

„+Wer+ ist fünf Jahre alt?“

„Nun der Junge von dem Briefträger. Die Mutter des Kindes -- sie soll
einmal eine Schönheit gewesen sein, allerdings mit ausgeprägter Neigung
zu einem Kropf -- diese liebreizende Frau aus dem Volke hat sich leider
in einem Anfall negativer Lebensfreude erhängt, als die Verurteilung
des Ehemanns erfolgte. Nun ist das hübsche Bübchen bei einer etwas
versteinerten Großmutter untergebracht, einer harten, unsauberen Frau,
die ich im Verdacht habe, daß sie eine alte Kohlenschaufel als einziges
Erziehungsmittel benutzt.“

Ich atmete erleichtert auf. Die letzten drei Minuten hatte ich zwischen
der Annahme geschwankt, daß ich hier einem ganz frivolen Unhold oder
einem kompletten Narren gegenüber sitze.

„Also, wenn ich recht verstehe, werter Herr Monkebach, Sie wollen das
eheliche Kind des auf Abwege geratenen Briefträgers +adoptieren+?“

„Ja. Auf die leibliche Geburt eines Kindes ihre Kräfte zu
konzentrieren, wird -- nach Ansicht unseres Arztes -- Maruschka
Anastasia +nie+ einwandfrei gelingen. Die Fruchtbarkeit ihrer Psyche
entschädigt vollauf dafür.“

„Gewiß, ja. Aber --“

„Um uns -- oder eigentlich +mir+; denn Maruschka Anastasia hat sich
noch nicht recht befreundet mit dem Gedanken -- das überaus herrliche
Vergnügen zu bereiten, ein junges Menschlein wachsen zu sehen, seine
Freude am Leben, seine Dankbarkeit mitzugenießen, gehen wir -- oder
eigentlich: gehe +ich+ -- mit dem Plane um, das fünfjährige Bübchen
des seelisch entgleisten Beamten als eigen anzunehmen und mir auch für
die Stunden der Einsamkeit und des Alters -- denn Maruschka Anastasia
ist durch ihre Arbeiten und ihre reiche Korrespondenz häufig von mir
ferngehalten -- eine rechte Lebensfreude heranzuziehen.“

„Und haben sie nicht, wenn sie den Charakter der Eltern, vor allem des
Vaters dieses Kindes prüfen, gewisse Besorgnisse, daß ...“

Er schüttelte den Kopf. „Ich lebe der heiligen Überzeugung, daß aus
einem Kinde, das früh genug in diese Atmosphäre kommt, in der mein
guter Wille und Maruschka Anastasias Genie sich zu seiner Erziehung
verbinden, noch alles Gute zu machen ist. Und dann, sehen Sie, ich
vertraue auf meinen persönlichen Einfluß.“

In dem Nebenzimmer, dem Tempel der Inspiration, vernahm man den
gedämpften Ton von Stimmen, die angeregte Zwiesprache hielten.

Michael Monkebach lauschte.

„Sie +sprechen+? So ist die Dichtung beendet. Vorher redet sie nämlich
keinen Ton. Sie wird gleich kommen. Nehmen Sie mir’s nicht übel, lieber
Freund ...“

„Ach, ich verstehe, ich soll --?“ Ich deutete nach der Korridortüre.

Er war etwas verlegen.

„Maruschka Anastasia ist stets sehr erschöpft“, sagte er, „nach solchen
besonders heftigen Anfällen ihres Talentes. Sie pflegt dann allerdings
das dringende Bedürfnis zu äußern, allein zu sein. Ich selbst sogar bin
ihr dann oft lästig. Nur die kräftige Vollnatur unseres lieben Vetters,
des Rittmeisters, hat dann etwas wirklich Beruhigendes für sie.“

So nahm ich meinen Hut.

Michael Monkebach war gerührt. Er quetschte mir mit schmerzhafter
Herzlichkeit die Hand und versicherte, seit Maruschka Anastasia’s Bild
als etwas mißglückter Buntdruck dem „Marsyas“ beigelegen, habe ihn
+nichts+ so sehr erfreut, wie +mein+ lieber Besuch.

Auf der Schwelle noch fiel mir das Wichtigste ein. Ich hatte doch
versprochen, ein Albumblatt ...

Michael Monkebach, dem just viel darauf anzukommen schien, daß mein so
erfreulicher Besuch nicht durch seine Länge die angenehme Erinnerung
abschwäche, gab mir hastig ein wertvolles Versprechen.

„Ich werde“ -- sagte er -- „das soeben entstandene Gedicht sofort
abschreiben -- ich schreibe nämlich +alle+ Gedichte Maruschka
Anastasias ab. Sie schätzt meine Handschrift sehr. Meine stets
sich treubleibende Ortographie ist die übliche, während die ihrige
schwankt. Auch bin ich in der Interpunktion zuverlässiger. Nur die
Gedankenstriche verteilt sie dann selbst. Das ist Gefühlsache, nicht
wahr? Die erste Niederschrift Maruschka Anastasia’s selbst aber schicke
ich ihnen ins Hotel. Nehmen sie das Blatt für die gewiß charmante junge
Dame mit, die Sie, wie ich recht wohl fühle, besonders hochschätzen.
Und sagen Sie ihr, Sie hätten in einer unvergeßlichen Stunde das
seltene Glück gehabt, die Entstehung dieser Dichtung unter dem
persönlichen Einfluß des Gatten der Dichterin +mit+ zu erleben.“

Er reckte sich in seinen viel zu weiten Kleidern stramm auf, als er so
stolze Wort sprach, und schien den knappen Türrahmen füllen zu wollen
mit seiner Persönlichkeit. Und mit einer Handbewegung, die ein König
beider Sizilien nicht so hoheitsvoll und gnädig spenden könnte, entließ
er mich in mein ungemütliches Hotel, in dem nach des Rittmeisters
Ansicht die Pocken ausgebrochen waren ...

Ob das mit den Pocken seine Richtigkeit hat, weiß ich nicht.
Jedenfalls konnte ich die ganze Nacht vor Hautjucken nicht schlafen.
Ich machte wohl zehnmal Licht, um bald meine Beine, bald meine
Schultern zu betrachten, die nach meinem Dafürhalten schon rötliche
Flecken und Knötchen aufweisen mußten. Davon war allerdings nichts
zu sehen. Hingegen entdeckte ich so gegen halb vier Uhr morgens
eine ausgewachsene Wanze, die eilfertig an der schmutzigen Tapete
promenierte.

Ich zog mich sofort an und verbrachte den Rest der Nacht mit dem Packen
meines Koffers und der wenig anregenden Lektüre einer drei Wochen alten
Zeitung, in die meine Lackstiefel eingepackt gewesen waren.

Mit dem Frühzug wollte ich abreisen.

Als ich beim Frühstück saß, das nur durch eine intensiv nach Pomade
schmeckende Butter bemerkenswert war, brachte mir der Portier zwei
Briefe. Einen zwölfseitigen von der Tante, in dem sie noch einmal „mit
dem Umstand, den sie hatte“, betonte, daß sie unter keiner Bedingung
ihre Zustimmung zu einem pekuniären Selbstmord der Familie gebe, wie
ihn die sinnlose „Verschleuderung unseres Grundstücks unter seinem
wahren Werte“ bedeute. Dieser „wahre Wert“ existiert bis heute nur in
der Phantasie der ideal gesinnten Tante. Sie habe aber -- so fuhr der
Brief fort -- gehört, in Bimmlingen sollten die Konserven so billig
sein und wäre mir daher dankbar, wenn ich ihr vielleicht zwölf Büchsen
Mirabellen, sechs Büchsen Pflaumen, aber geschälte, acht Büchsen
Brechbohnen ...

Ich schob den Brief, ohne die weiteren Büchsen nachzuzählen, in meine
Brieftasche und beschloß, daß er erst +nach+ meiner Abreise angekommen
war.

Dann öffnete ich den andern Brief. Er enthielt das wertvolle Manuskript
von der Hand Maruschka Anastasias. Die Karte Michael Monkebachs lag
bei mit den in peinlichster Schnörkelschrift aufgeschriebenen Worten:

„Sehr werter Freund! Anbei das Versprochene. Ich halte es für das
Bedeutendste, was meine liebe Frau geschrieben hat. Sie machen Ihrer
Freundin ein königliches Geschenk mit diesen Blättern. Möge es Ihnen
das charmante Mädchen durchs Leben danken. Der Himmel geleite Sie
glücklich in die Heimat. Dieses wünscht Ihr ganz ergebener Michael
Monkebach.“

Der Portier meinte, wenn ich etwa noch mit dem Omnibus mitwolle, so
müsse ich mich beeilen.

Ich steckte also das Manuskript eilends ein und fuhr, immer noch
von heftigem Jucken belästigt, an die Bahn. Dort hatte ich, da der
Omnibus zu einem ganz andern Zug gefahren war -- noch 37 Minuten
Zeit und begann nun auf dem Perron, auf meinem Handkoffer sitzend,
die Dichtung zu lesen. Ich „las“ ist eigentlich nicht das passende
Wort. Maruschka Anastasia hatte die Gewohnheit fast jedes Wort
durchzustreichen, dieses durchgestrichene Wort durch ein anderes,
noch undeutlicheres zu ersetzen, das dann häufig wieder durch ein
drittes querdurchgeschriebenes abgelöst wurde. Jedenfalls liest sich
eine Urkunde Karls des Dicken oder ein Liebesbrief Ottos des Großen
an die burgundische Adelheid heute noch bedeutend leichter, als eine
Original-Handschrift Maruschka Anastasias.

Daß die poetischen Schönheiten einer Dichtung durch ihre
Unleserlichkeit erhöht werden, ist nicht zu behaupten. Ich las an dem
vierseitigen Manuskript eine halbe Stunde auf dem Perron, las die
zweieinhalb Stunden der Bahnfahrt daran, las weitere neun Minuten in
der Droschke vom Bahnhof bis zu meiner Wohnung, las eine halbe Stunde
in meinem Studierzimmer weiter und hörte erst auf zu lesen, als Herr
Jädicke kam, um mich unter vielen vortrefflichen Reden über das Reisen
im allgemeinen und Fragen nach meiner Reise im besonderen zu rasieren.

Der Anfang des Poëms ist mir in Erinnerung geblieben. Ich gebe ihn
hier wieder ohne die unzähligen Gedankenstriche, die sich wie die
gestrichelten Linien des gewissenhaften Schnittmusters für ein
besonders kompliziertes Ballkleid durch die vielfach verwischten Zeilen
wanden:

    „Heut Nacht -- ich kam von einem Ball und Schmaus --
    „Die welken Rosen hingen mir im Haare --
    „Da stand -- o Gott! der Geist im Treppenhaus
    „Des Manns, den ich gelegt auf schwarze Bahre ...“

Ich bemerke, daß mir persönlich hier die Konstruktion mißfiel. Indem
man nicht weiß, ob das Treppenhaus zu dem Geist oder zu dem Mann oder
ob der Mann zu dem Treppenhaus oder der Geist zu dem Mann und dem
Treppenhaus gehört. Aber ich bin schließlich nicht kompetent. Es ging
dann weiter:

    „Im weißen Laken -- gräßlich -- ein Gespenst,
    „Moder im Rauschen seiner Totenkleider --
    „Er hob die Knochenhand: ‚Ob du mich kennst --?‘
    „Und bebend sprach ich: Leider -- leider -- +leider+!“

Die sehr bedeutende Steigerung der folgenden Verse ist mir entfallen.
Auch wurden die Rhythmen so kühn in ihrer trotzigen Unregelmäßigkeit,
daß ich manchmal nicht sicher war, ob +ich+ mich verlesen oder ob +sie+
sich verschrieben oder ob das gerade die höchste Kunst der Neutöner
war. +Eines+ war jedenfalls bewundernswert: Das Geschick, mit dem sie
selbst in die Person des Hausknechts in Posen geschlüpft war, und die
Grausamkeit, mit der der harmlose Michael Monkebach getötet, aufgebahrt
und begraben, als Gespenst auf eine Treppe gesetzt und von ihr dann in
Versen hitzigster Anklage über die Maßen schlecht behandelt war. Das
Gedicht endete denn auch damit, daß sich der unsaubere Geist Michael
Monkebachs beschämt in sein Grab zurückzog und schwur: nie wieder die
Wege des endlich befreiten Weibes zu kreuzen, dem seine schmähliche
Tyrannei „Wermut in alle Becher des schäumenden Lebens gegossen hatte“.
Das ist mir im Gedächtnis haften geblieben, weil es mir bezeichnend
schien, daß Maruschka Anastasia das schäumende Leben gleich aus
+mehreren+ Bechern trank ...

Der nächste Tag war ein Freitag.

Ich nahm die teuren, in eine eigens dafür gekaufte kleine Mappe
gesteckten Blätter mit in den illustren Kreis der „Schaffenden“, die
mich ihres Umgangs würdigten. Sie empfingen mich mit großen Ehren. Als
habe ich den schwarzen Erdteil entdeckt oder Andrées Knochen gefunden.

Ich mußte erzählen, erzählen, erzählen, bis mir der Hals trocken war.

Und da schließlich so +sehr+ viel gar nicht zu erzählen war, die
märchentiefen Augen eines schweigend lauschenden Mädchens aber
glücklich und begierig an meinen Lippen hingen, so tat ich etwas
sehr verwerfliches. Ich +log+. Aus einer kurzen Zusammenkunft wurden
drei lange, inhaltschwere Nachmittage. Aus einem Rittmeister wurde
ein halbes Offizierkorps. Michael Monkebach wurde schlankweg ein
Übermensch. Und ich --? O, ich hatte mich vortrefflich benommen! Der
gute Eckermann hat aus dem alten Goethe in den neun Jahren von 1823 bis
1832 nicht so viel unerhörte Dinge über Welt und Menschen, über Ruhm
und Unsterblichkeit herausgefragt, wie ich in diesen drei Unterredungen
aus Maruschka Anastasia. Und es befriedigte mich sehr, daß alle ihre
angeblichen Aussprüche bejubelt wurden. Meine persönlichen Einwendungen
fand man dagegen recht unbedeutend.

Zum Schlusse küßte mich der verbotene Dramatiker auf Stirn, Mund
und Wangen. Er sagte, daß er so umständlich +nie+ jemanden vor mir
ausgezeichnet habe. Egon Felix Gundelmann versprach mir sein Bild.

Ein gelegentlicher Mitarbeiter des Marsyas, der auf der Redaktion gar
nichts zu sagen hatte, bot mir sieben Spalten der ersten Nummer des
nächsten Quartals an, um das eben Gehörte dort für alle Gebildeten
niederzulegen.

Dann deklamierte der Reformator der Rezitationskunst, der seit
anderthalb Stunden in einem Nebenraum das Manuskript studiert hatte,
mit einer erschreckenden Grabesstimme die Gespensterdichtung. Einige
weinten; andere starrten entgeistert in die Gläser.

An Maruschka Anastasia wurde dann ein enthusiastisches Nachttelegramm
aufgesetzt, das sie von der tiefen, lähmenden, entkörpernden Wirkung
ihrer Dichtung benachrichtigte. Ich durfte als erster unterschreiben.

Dann sprang plötzlich der durch reichlichen Lethegenuß seelisch
gehobene Reformator der Rezitationskunst mit gleichen Füßen auf den
ächzenden Tisch, und die Feiernden überbrüllend verkündete er: da sich
gewiß niemals wieder eine +so+ herzerhebende Weihestunde finden werde,
so habe er beschlossen, schon heute Nacht, jetzt gleich, in +dieser+
Minute seine Verlobung mit der Schwester seines lieben Freundes, des
Neutöners und Erneuerers der deutschen Lyrik bekannt zu geben.

Mit diesen Worten hüpfte er vom Tisch und schloß die tiefblauen
Märchenaugen meiner heimlichen Liebe mit den schmatzenden Küssen seines
wulstigen Mundes ...

Ich bin niemals mehr zu den Freitagsfesten gegangen.

Der Reformator hat heute, glaube ich, in Merseburg ein kleines
Zigarrengeschäft.

Die ferneren Dichtungen Maruschka Anastasias sind mir fremd geblieben.

Bloß Egon Felix Gundelmann sah ich in den folgenden Jahren noch
zuweilen. Er hat sogar einen gewissen Einfluß auf mich gewonnen. Es
ist seiner erstaunlichen Beredsamkeit gelungen, mein Leben für den
Todesfall, meine Möbel gegen Feuer, mein unglückseliges Grundstück
in Bimmlingen gegen Hagel und meine Winterkleider gegen Motten
zu versichern. In Literatur macht er nämlich nicht mehr. Bloß in
Versicherungen.

       *       *       *       *       *

Michael Monkebach aber habe ich noch einmal wiedergesehen.

Ein halbes Jahr mag’s jetzt her sein, da zwang mich ein abscheulicher
Platzregen -- mein Schirm fuhr gerade in einer Elektrischen allein
weiter in der Richtung des Spittelmarkts -- in ein Café am Potsdamer
Platz zu flüchten.

Alle Marmortischchen waren besetzt von nassen, schimpfenden Leuten,
die, trostlos in einer Tasse Kaffee rührend, hinausstarrten auf die
Straße, die sich langsam in einen venetianischen Kanal zu wandeln
schien.

An einem Tisch zu vier Personen saßen bereits zwei Schachspieler.
Behäbige, alte Herren, die schweigend und schnaufend unter Benutzung
zahlreicher Zahnstocher eine Partie des königlichen Spieles erledigten;
wobei der eine jedesmal, wenn der andere nach langem Besinnen eine
Figur vorwärts schob, ingrimmig brummte: „+Dacht+’ ich mirs doch!“ „Ob
ich’s nicht +kommen+ sah!“ Es war eines jener merkwürdigen Spiele, bei
denen jeder voraus weiß, was der andere tun wird und eigentlich bloß
mit sich selbst spielt. An demselben Tisch hatte noch ein Herr Platz
genommen in einem sehr weiten und für die Jahreszeit reichlich warmen
Mantel, wie ich ihn zuletzt bei alten Schäfern im Spessart gesehen
habe. Ihm gegenüber ein hochaufgeschossener, knochiger Jüngling von
etwa fünfzehn Jahren, der in seinem schon etwas verwachsenen dunklen
Matrosenkostüm mit dem breit herausgeschlagenen hellblauen Kragen nicht
sehr glücklich verkleidet aussah. Der Herr hielt krampfhaft eine alte
rindslederne Reisetasche zwischen den Beinen und machte den Eindruck,
als ob er ausschließlich zur Bewachung dieses unscheinbaren Schatzes
engagiert sei. Nur ab und zu gönnte er sich einen unruhigen Blick auf
eine große Taschenuhr, die er unter dem leisen Geläute vieler goldener
Petschaften tief aus dem Schäfermantel hervorzog. Der Matrosenjüngling
aber fing nicht ohne Kunstfertigkeit, mit der behutsam vorgeschobenen
knochigen hohlen Hand sein Opfer auf der Marmorplatte überlistend,
Fliegen von einem vergessenen Stückchen Zwetschenkuchen, das herrenlos
zwischen den braunklebrigen Kringeln und bekluckerten Kaffeetassen lag.

An diesem Tische stand noch ein überzähliger fünfter Stuhl, den mir
als einzigen, der im ganzen Lokale noch frei war, ein diensteifriger
Pikkolo mit herablassender Handbewegung anwies. Ich hielt zwei
feindlich drohende Blicke der gestörten Schachspieler aus, wehrte
den von dem Matrosenjüngling vom Zwetschenkuchen gescheuchten
Fliegen, die sich alsbald auf meinem kurzgeschorenen Haupte von dem
gehabten Schrecken zu erholen trachteten, und bestellte bei einem
atemlos vorüberfliegenden Kellner einen schwarzen Kaffee und einen
Kognak. Dann brannte ich mir eine Zigarre an und vertiefte mich,
meiner darniederliegenden Lebensfreude aufzuhelfen, in ein spaßiges
Leitgedicht Alexander Moszkowskis in den „Lustigen Blättern“.

„Hast du auch deine wollenen Socken im Koffer, Karl?“ fragte plötzlich,
wie von schrecklicher Ahnung belästigt, der Mann im faltenreichen
Schäfermantel.

„Aber +ja+, Papa“, antwortete der Mückenfänger unwirsch und tat mit
sicherer Hand einen gewaltigen Fang.

„Ich nehme jetzt Ihren weißen Läufer“, meldete der eine Schachspieler.

„Ob ich mir’s nicht +gedacht+ habe!“ zischte der andere ingrimmig.

Dann war wieder eine Weile tiefe Stille an unserem Tisch. So eng
wir saßen, er war eine Oase der Ruhe in dem Lärm und Getriebe des
verrauchten, unruhigen Lokals.

„Du hast doch hoffentlich deine Zahnbürste nicht vergessen, Karl?“ Aus
der Tiefe des Schäfermantels kam die bekümmerte Frage.

„Aber nein, Papa“, gab der Matrose ärgerlich zurück und köpfte
mit einem Zahnstocher eine Gefangene auf dem Tellerrand, was sehr
unappetitlich anzusehen war.

„Ich sage jetzt: Schach der Königin. Mit dem Springer“, meldete der
eine Schachspieler.

„Ob ich das nicht +kommen+ sah!“ brummte der andere und schob wütend
sein Kaffeebrettchen in den blauschillernden Zwetschenkuchen.

Dann war’s wieder stille.

Plötzlich -- ich war gerade auf die Pointe meiner Lektüre sehr
neugierig -- beugte sich der Mann im Schäfermantel vertrauensvoll zu
mir herüber:

„Verzeihung, wenn ich Sie störe ...“

„Bitte.“

„Wie lange fahren wir wohl mit der Droschke nach dem Lehrter Bahnhof?“

... Es gibt merkwürdige Momente im Leben; Momente, in denen man sich
von einer sanften Riesenwelle erfaßt glaubt und sich weit, weit
zurückgeschleudert fühlt in längst verrauschte Strudel der eigenen
Vergangenheit. Die Seele schlägt ihre großen, erstaunten Augen
auf, sieht sich um und erkennt Menschen, die sie längst in einem
Gedächtniswinkel begraben hatte; Dinge, die seit Jahren zerbeult
und zerschlagen und unkenntlich in einer andern Gedächtnisecke beim
wertlosen Gerümpel lagen; Situationen, die wie groteske neblige
Gespenster froher, heller Erlebnisse aus einem fernen, fernen Frühling
wirken.

Solch ein Moment war es, als ich in ganz mechanischer Arbeit meines
Sprechapparates dem Fragenden erwiderte: „Bis zum Lehrter Bahnhof
fahren Sie mit einem Kutscher, der nicht betrunken ist, ungefähr
fünfzehn Minuten.“

Und dabei sah ich unverwandt in dieses fragend auf mich gerichtete
Gesicht, in dem es jetzt auch wie aufzuckende Erinnerung zu
wetterleuchten begann ... Ganz so dicht bei diesem fremden Manne,
dessen Gliederbau der viel zu weite Schäfermantel wie eine schwarze
Glocke verbarg, mußt’ ich schon einmal irgendwo gesessen haben.
Bestimmt an einem Tische, tafelnd, lächelnd, konversierend. Auf seiner
linken Seite, wie jetzt. Aber damals hatten keine alten Herren Schach
spielend uns gegenüber gesessen. Auch kein Matrosenjüngling fing damals
Mücken. Damals -- damals -- Und plötzlich +wußt+’ ich’s wieder. Damals
saß uns eine dicke Dame gegenüber, eine Rentiere aus Stettin mit einem
pfundschweren Bernsteinschmuck und neben ihr im funkelnagelneuen
Zivil, das ihn wie einen Zuschneider am Sonntag erscheinen ließ, der
Rittmeister, der sich so gern reden hörte und dazu so erstaunliche
Quantitäten Moselwein trank. Damals im Bade an der ~Table d’hôtes~ -- --

„Herr Michael Monkebach -- nicht wahr?“

„Das ist aber eine Freude, +lieber+ Herr Doktor. Ihr Gesicht kam mir
doch gleich so bekannt vor. Erst dacht’ ich an einen Stationsvorsteher
auf der Strecke Weimar-Apolda, der mich mal so furchtbar grob
angefahren hat vor sechs Jahren -- natürlich, wie konnt’ ich nur ...
Wie ist’s Ihnen denn ergangen? Sind sie noch an der Stuhlbeinfabrik in
Heiligenstadt beteiligt, ja? Geht sie noch immer so glänzend?“

Da ich niemals an einer Stuhlbeinfabrik in Heiligenstadt beteiligt war,
so konnte ich ihm darüber keinerlei Auskunft geben. Aber er schien
auch gar keine Antwort zu erwarten. Seine Fragen waren lediglich
nervöse Entladungen seiner Freude; waren rethorische Vergnügungen
seines frohbewegten Herzens. So erkundigte er sich noch, ob ich noch
immer Karlsbader Wasser trinke, ob ich mir die Zigaretten nach wie
vor direkt aus Kairo kommen lasse, ob ich noch so leidenschaftlich
Briefmarken sammle und ob ich noch immer als Wanderredner des Vereins
für Feuerbestattung tätig sei. Lauter Dinge, an die ich nie in meinem
Leben gedacht habe.

Einen Augenblick schöpfte er Atem, um dem Matrosenjüngling einen
pantomimischen Verweis zu geben, weil ihn sein Jagdeifer in bedenkliche
Nähe des Schachbrettes gebracht hatte und der eine Spieler, nach
den Störenfried hinblickend, seine dicken Finger schon seltsam
aggressiv bewegte. Diesen Moment benutzte ich, dem Wiedergefundenen
zu versichern, daß er mich zwar richtig wiedererkannt habe, was mir
natürlich äußerst schmeichelhaft sei, daß er mich aber in Bezug auf
meine Lebensgewohnheiten offenbar mit einem, wahrscheinlich sogar mit
mehreren seiner Bekannten verwechsle.

Michael Monkebach rieb sich nachdenklich die nicht unbedeutende Nase.
Der vergrämte Zug, den ich früher schon zuweilen bemerkt hatte, kehrte
unter diesen Strichen seiner nervösen Finger, tiefer, melancholischer
wieder.

„Sie müssen schon entschuldigen,“ sagte er. „Was so im Laufe der Jahre
alles uns besuchen kam ... Es war wirklich ... Ich erinnere mich eines
Ungarn, der kein Wort deutsch sprach, der zwei Tage lang, eigentlich
unaufgefordert, zu Tisch blieb, immer nur Maruschka Anastasia anstarrte
und schließlich von ihrem Schreibtisch ein Falzbein aus Elfenbein mit
großem, leider unverständlichem Wortschwall, offenbar als ‚Erinnerung‘
einsteckte. Ich entsinne mich eines kleinen, krummbeinigen Polen,
der uns durch seine französische Konversation viel Mühe machte.
Er hatte Maruschka Anastasias Gedicht ins Polnische übersetzt und
deklamierte uns zwei Stunden lang seine Übertragungen vor. Es klang
sehr merkwürdig, war aber doch ein bischen langweilig, da wir ja keine
Silbe verstanden. Er regte sich furchtbar auf dabei, der Gute. Und
wir mußten ihm später viel Rotwein einflösen, damit er einen Anfall
von Herzschwäche überwand. Einer der letzten war ein sehr blasser und
schweigsamer Herr aus Chemnitz, der künstlerische Dichterporträts --
als Amateur -- aufnahm. Er brachte einen großen Apparat mit, auch eine
sehr eigentümliche Vorrichtung für Blitzlicht. Mit dieser Vorrichtung,
die seine Erfindung war, hat er uns die Gardinen in Brand gesteckt. Wir
hatten einen großen Schrecken. Und das übelste war, auf dem Bilde hat
Maruschka Anastasia später zwei Köpfe.“

„Wie geht es ihrer verehrten Frau Gemahlin?“ unterbrach ich den Strom
seiner Erinnerungen.

„Wie es ...“ Er sah zerstreut auf die Uhr. „Ich denke gut. Ich hoffe
es. -- Fünfzehn Minuten sagten Sie? Dann werden wir wohl ... Karl, laß
doch die Fliegen in Ruh! Du genierst die Herren da.“

„Ich nehme ihren Turm mit der Königin,“ annonzierte der eine
Schachspieler und warf dabei einen wütenden Blick nach dem unentwegten
Mückenfänger.

„Ob ich das nicht die ganze Zeit +kommen+ sah!“ hohnlächelte der
andere, als ob ihm sein Gegner einen großen ingrimmigen Spaß mit dieser
Mitteilung gemacht habe.

„Um fünf Uhr dreizehn geht nämlich unser Zug nach Hamburg,“ sagte
Michael Monkebach, indem er einen vorüberhuschenden Kellner an seiner
weißen Jacke festhielt, daß sie in allen Nähten krachte. „Bitte, laufen
Sie nicht +wieder+ vorbei! Also ich habe eine Tasse schwarzen Kaffee
und ein Hörnchen, -- eigentlich nur ein halbes, denn es war eine
Schwabe darin eingebacken -- der Junge hat drei Tassen Schokolade und
drei Stück Zwetschenkuchen. Es waren doch drei, Karl?“

„Vier“, korrigierte der tapfere und gewissenhafte Esser.

„Pardon, ja -- +vier+,“ entschuldigte sich Michael Monkebach, der unter
dem ungnädig strafenden Blick des Kellners errötete.

Dann fand eine sehr merkwürdige und sehr unleserliche Addition auf der
Marmorplatte statt. Der Kellner wechselte sein Silberstück, dankte
kühl und verschwand eilfertig nach dem Buffet, schon von weitem eine
umständliche Bestellung brüllend.

Michael Monkebach schüttelte den Kopf, während er die wenigen
Nickelstücke in sein Portemonaie zurücklegte. „Hatte ich ihm nicht ein
Fünfmarkstück hingelegt? Mir war’s doch so als ob ... Er hat mir nur
auf einen Taler herausgegeben.“

„So rufen Sie ihn doch zurück“, mahnte ich. „Ich hatte +auch+ den
Eindruck, daß es ein Fünfmarkstück war.“

„Zurückrufen? Ach nein.“

Es war, als ob Michael Monkebach körperlichen Schmerz beim Ausdenken
dieser gefährlichen Eventualität empfinde. Er war noch der Alte,
zutraulich, hilflos, ängstlich, ein prädestiniertes Versuchsobjekt für
alle kleinen Spitzbübereien einer verschlagenen Menschheit. Alt war er
geworden. Ganz grau an den dickgeäderten Schläfen. Sein Gang hatte den
letzten Rest von Elastizität eingebüßt. Er bewegte sich mühsam und
müde, als ob der faltenreiche Schäfermantel mit Bleistücken gefüllt
sei, die ihn sacht aber unaufhaltsam niederzögen.

„Wenn Sie erlauben, begleite ich Sie,“ schlug ich vor. „Drei haben ja
bequem im Taxameter Platz.“

„Ich steige auf den Bock“, entschied der Jüngling, indem er, die Hände
in den Hosen, seinem Vater die Reisetasche überlassend, sehr laut und
sehr falsch pfeifend voranschritt.

„Du -- --“ Michael Monkebach wollte offenbar diese verwegene und
gefahrvolle Unternehmung nicht zugeben; aber er sah die unwirsch
aufgeworfenen Lippen des trotzigen Bubengesichts und änderte alsbald
seinen strengen Entschluß: „Du -- mußt dich aber +fest+halten, mit
beiden Händen,“ sagte er. „Ich werde dem Kutscher auftragen, daß er gut
acht gibt und nicht zu rasch fährt.“

„Also kommen Sie.“

Es hatte aufgehört zu regnen. Der Platz lag wie eine einzige,
spiegelnde Riesenpfütze da.

Wir nahmen uns einen Taxameter. Michael Monkebach gab dem Kutscher
so ausführliche Anweisungen, als ob es sich um eine Reise durch
die entlegensten Teile der Mandschurei und nicht um eine Fahrt vom
Potsdamer Platz nach dem Lehrter Bahnhof handele. Er bat ihn auch,
dem jungen Herrn alle Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Insbesondere den
Zoologischen Garten und das Schloß.

„Soll ick vielleicht über Potsdam fahren?“ gab der Kutscher als
einzige Antwort zurück, nahm dem bereits auf den Bock gekletterten
Jüngling die Peitsche aus der Hand, klatschte ermunternd über den
nassen Rücken des melancholischen Fliegenschimmels und fuhr halblaut
vor sich hinmurmelnd die Königgrätzerstraße entlang.

„Sie werden Ihre Frau Gemahlin in Hamburg treffen --?“

Michael Monkebach wäre beinahe aus dem Wagen gefallen vor Schreck. „Ich
werde -- meine ...? Wieso? Ist sie dort? Haben Sie Nachrichten von
Maruschka Anastasia?“

Nun war die Reihe der Verblüffung an mir. „+Ich+? Wieso -- ich? Ich
meinte blos, ob Ihre Frau Gemahlin ...“

Er lächelte verlegen und mit dem Zeigefinger diskret auf den auf dem
Bock hin- und herschaukelnden Jungen deutend dämpfte er seine Stimme
zu einem säuselnden Flüstern, das er nur zu einigen eingestreuten
Ermahnungen für den Sohn erheblich verstärkte.

„Sie müssen nämlich wissen, lieber Freund, ich habe mich von Maruschka
Anastasia -- ja, wie sag’ ich doch gleich -- getrennt. Das ist wohl
das rechte Wort. Oder eigentlich +sie+ hat sich von +mir+ getrennt.
Ganz kurz nach Ihrem lieben Besuch damals -- ich entsinne mich
jetzt sehr wohl, wann das war. Maruschka Anastasia hat damals jenes
schauerlich-schöne Gedicht geschaffen, in dem ich ihr als Wasserleiche
-- nein doch, das war vorher -- ich weiß schon: in dem ich ihr als
nachtwandelndes Gespenst erschien.“

„Ganz recht. Durch eine Erzählung des Rittmeisters ...“

Michael Monkebach machte eine Bewegung, als ob er einen Schüttelfrost
erwarte. Er zog den Schäfermantel fester um seinen Leib und sah nun
ganz aus wie ein schwarzer Sack, auf dem als unscheinbarer Knopf und
verunglückter Zierrat das blasse Haupt eines schlechtrasierten alten
Herrn angebracht ist. Ich erinnere mich, in meiner Jugend solche
Lichthütchen im Hause eines frommen Onkels gesehen zu haben.

„Der Rittmeister“, sagte der Kopf auf dem schwarzen Sack, „ja sehen
Sie, er war doch eigentlich +keine+ Vollnatur. Es war ein Blender,
ein im Grunde genommen sittlich +nicht+ hochstehender Mensch. Ich
denke mir, der ständige, fast ausschließliche Umgang mit Pferden
und rassereinen Foxterriers -- er hatte drei Stück, die uns viel
Last machten -- hat das Edle, Reinmenschliche in ihm -- Karl, sitze
+ruhig+, halte die Beine +bei+ dir! -- was wollt’ ich sagen? Ja so, das
Reinmenschliche hat der Rittmeister im Stall wohl verloren. Sie glauben
nicht, was er für rohe, unzarte Briefe schrieb.“

„An Sie?“

„An mich? Aber nein. Wie sollte er wohl an mich ...? An Maruschka
Anastasia natürlich. Ich fand diese odiösen Blätter durch einen Zufall
-- Karl, das ist das Brandenburger Tor, sieh es dir genau an, mein
Sohn, hier links geht es in den Tiergarten -- Ja, durch einen Zufall.
Mein Gott, Maruschka Anastasia war sorglos, wie ein Kind. Das war eine
ihrer liebenswürdigsten Eigenschaften. Sie hat auch nie gemerkt, wenn
uns eine Köchin betrog. Und ich denke, +jede+ Köchin betrog uns. Sie
gab mir selbst die Mappe, in der einige von diesen Briefen offen lagen.
Ich sollte ein sehr langes Gedicht von ihr abschreiben -- das ist der
Reichstag, Karl, Begas hat ihn gebaut --“

„Walloth, bitte,“ verbesserte ich.

„Richtig ja, Walloth. Sieh ihn dir genau an, mein Sohn, da werden die
Gesetze gemacht -- -- Ja, ja die Gesetze!“ Er lächelte sonderbar vor
sich hin. „Maruschka Anastasia hielt nicht viel von Gesetzen. Als ich
damals die Briefe gefunden und gelesen hatte -- sie lagen ganz offen
in der Mappe und die Überschriften waren so sonderbar -- da sagte ich:
Maruschka Anastasia“, sagte ich, „das ist doch wider alles Gesetz und
alle Ordnung. Du beschimpfst mich in deinen Gedichten, schön. Ich weiß
ja doch, daß du es nur in deiner herrlichen Phantasie tust, und daß
es in unserem Vaterlande viel Leute gibt, die das gerne lesen. Also
warum soll ich der Literatur meinen bescheidenen Anteil weigern? Ich
gebe sogar zu, das ich +stolz+ darauf bin, einen gewissen persönlichen
Einfluß auf die moderne Dichtung zu gewinnen, obschon mir selbst das
Talent versagt ist. Auch daß ich dir als Gespenst erscheine, ist aus
solchen Gesichtspunkten gewiß in Ordnung. Obschon es vielleicht nicht
jedem angenehm wäre, sich selber als Gespenst zu sehen. Aber daß du dir
von dem Rittmeister solche Briefe schreiben läßt, Briefe, wie sie ein
verliebter Hausknecht -- Wir fahren jetzt über die Spree, Karl, sieh
sie dir genau an. Es ist kein reißender, aber ein sehr bedeutsamer Fluß
-- Ja, +so+ sprach ich ungefähr zu Maruschka Anastasia.“

„Und sie?“

„Ja -- sie! Es ist eine merkwürdige Frau. So impulsiv, so ganz und
gar unberechenbar. Man könnte eine Sphinx, könnte mehrere Sphinxe aus
ihr machen. Was glauben Sie, was sie tat! Sie zitierte einen nicht
ganz klaren Ausspruch -- ich glaube von Schopenhauer, er kann aber
auch von Macchiavelli gewesen sein; und dann nahm sie plötzlich einen
japanischen Aschenbecher und warf ihn nach mir. Ich bückte mich rasch,
fiel über den immer vollen Papierkorb. Als ich mich wieder erhob, war
Maruschka Anastasia aus dem Zimmer gegangen.“

„Und dann?“

„Ich habe Maruschka Anastasia -- -- Was ist das doch für ein Theater?“

„Das Lessingtheater.“

„Richtig, ja. -- Karl, sieh es dir genau an, es ist das Lessingtheater
-- Ja. Ich habe Maruschka Anastasia +nie+ wieder gesehen. Sie hat,
+wie+ sie war, mein Haus verlassen und ist dem Rittmeister -- er
befand sich damals mit seinen Terriers auf einem von den Zeitungen sehr
gerühmten Distanzritt -- entgegengereist. Der Rittmeister hat mich
einige Tage später auf Pistolen fordern lassen. Meine Freunde haben mir
gesagt, es hätte das eigentlich umgekehrt sein müssen. Nun, es war ja
auch +so+ gut.“

„Sie haben sich -- geschossen?“

„Aber das war doch unmöglich. Gleich nachdem Maruschka Anastasia ihre
Möbel durch den Spediteur holen ließ -- +einen+ Tag nach ihrer Flucht
-- schloß ich doch mit Frau +Benzmann+ ab.“

„Sie haben sich -- wieder verlobt?“

„Gerechter Himmel -- ich +denke+ nicht daran! Frau Benzmann ist
Karls Großmutter -- ich denke, ich erzählte Ihnen damals -- eine
vortreffliche, nur etwas, sagen wir: etwas zu energische Frau.“

„Ach, die alte Dame mit der -- Kohlenschaufel? Der Junge ist also ...“

Michael Monkebach sprach so leise, daß ich ihn nur noch verstehen
konnte, wenn ich mein linkes Ohr dicht unter seine Nase hielt. Das tat
ich. Denn die verwickelten Schicksale des Mannes mit dem persönlichen
Einfluß interessierten mich sehr.

„Durch die Adoption erwuchsen mir doch Verpflichtungen, nicht wahr?
Ich konnte mich doch jetzt nicht von jedem beliebigen Rittmeister,
der meine weitgehende Gastfreundschaft, drücken wir uns milde aus:
mißbraucht hatte, über den Haufen schießen lassen. Sie begreifen
das? Ich habe Frau Benzmann, -- sie trinkt leider stark und ist als
Verwandte recht lästig, -- dem Jungen und mir selber versprochen,
ein guter Vater zu sein. +Nur+ ein Vater. Man muß etwas sein und das
ganz. Ich wollte meinen ganzen persönlichen Einfluß geltend machen,
wollte dieses Menschheitspflänzchen zu herrlicher Blüte zu -- Karl,
wirst du augenblicklich dem Kutscher die Peitsche zurückgeben?
Au-gen-blick-lich!“

Auf dem Bock hatte sich so etwas wie ein Kampf entsponnen, den der
neckisch aufgelegte Gaul dazu benutzte, uns in einem harten, stoßenden
Galopp bald nach links bald nach rechts unsanft an eine Bordschwelle zu
fahren.

„Du sollst die Peitsche hergeben!“ Halb aufstehend kniff der ergrimmte
Michael Monkebach den renitenten Pflegesohn in eine seinem Arm
erreichbare besonders fleischige Körperstelle.

Der Junge gab schrill aufquietschend die Peitsche zurück. Und die
genußreiche Fahrt nahm einen friedlicheren Verlauf.

„Und haben Sie denn nun rechte Freude an +die+sem Sohn?“

Michael Monkebach umging die direkte Antwort.

„Es war nicht immer ganz leicht,“ sagte er. „Es meldeten sich
störende, kleine Atavismen -- Sie wissen, sein armer Vater, der
ehemalige Briefträger ... Der Bedauernswerte ‚sitzt‘ jetzt wieder.
Er machte als Kassenbote -- ich hatte ihm die Kaution gestellt --
eine unangemeldete Erholungsreise und vergaß, zuvor einen der Firma
gehörigen Tausendmarkschein abzugeben ... Übrigens, ich möchte nicht
schlecht sein, aber, ehrlich gesagt, mir ist’s für alle Teile fast
lieber, er ist auf solche Weise aufgehoben. Seine Besuche waren nicht
sehr angenehm. Er hetzte den Jungen auf. Ich glaube, es war auch +sein+
Gedanke, daß Karl zur +See+ gehen sollte. Er dachte mich wohl damit am
empfindlichsten zu treffen.“

„Sie lassen den Jungen zur +See+ gehn?“

„Mein Gott, ich ‚lasse‘ --? was will ich machen? Wenn nun einmal
sein junges, törichtes Herz daran hängt. Und in der Schule --
unter uns: er ist leider nicht sehr begabt. Wenigstens nicht für
Unterrichtsgegenstände. Zuweilen hat er wohl ganz überraschende
Geistesblitze, aber die sind immer mit einer gewissen Tücke verbunden.
Sie könnten zum Exempel Erdbeermarmelade verstecken, +wo+ Sie wollten
-- er würde sie finden. Aber im schlichtesten Aufsätzchen eine Kuh zu
beschreiben oder eine Mühle oder einen Storch -- er bringt’s nicht
fertig. Nun hab’ ich ihn also angemeldet als Schiffsjungen in Hamburg.
Der Kapitän ist ein Schulfreund von mir. Er nimmt ihn dort schon an der
Bahn in Empfang. Gleich die erste Fahrt ein hübsches Stückchen Wasser
... Nach Valparaiso. Es soll gute Zucht sein auf dem Schiff. Auch
über das Essen habe ich mich vergewissert. Na, natürlich nicht gerade
Erdbeermarmelade; aber kräftig und reichlich.“

„Ist da nun nicht ein trauriger Gedanke, einen Sohn zu haben und doch
wieder +keinen+ Sohn zu haben?“

„Gewiß, gewiß. Aber, was wollen Sie, sein Herz hing daran, nicht wahr?
Er wäre mir verbummelt, verbittert zu Hause. Und +so+ -- ich denke, ich
kann doch für ihn sorgen. Lächeln Sie nicht, das ist doch etwas, ist
ganz viel. Ich kaufe ihm warme Unterwäsche, wenn er nach Spitzbergen
fährt, und ich suche ihm leichte Sommersachen aus, wenn er nach dem
Äquator steuert. Ich habe mir einen neuen großen Atlas gekauft --
meinen schönen alten Kiepert hat Maruschka Anastasia irrtümlich unter
ihren Sachen mitgenommen. Und so kleine Fähnchen hab’ ich in einem
Papierladen erstanden, wissen Sie, so lustige bunte Wimpelchen an
Stecknadeln, wie sie die großen Dampfschiffahrtsgesellschaften auf
ihre Karten stecken. Genau solche. Das hab ich ihnen abgesehen. Und
so mache ich auf der Karte alle Fahrten mit ihm; und abends lese ich
die Berichte von den Seewarten. Und aus jedem Hafen -- das hab ich
schon ausgemacht mit meinem Schulfreund, dem Kapitän -- bekomme ich
ein ausführliches Telegramm. Sehn Sie, mich hat das Leben gelehrt, es
ist gar nicht so wichtig, daß man immer +körperlich+ bei den Menschen
ist, die man liebt, die man halten und schützen und fördern möchte.
Maruschka Anastasia zum Beispiel -- ich habe sie +nie+ wieder gesehn.
Aber es freut mich doch an jedem Ersten im Monat, wenn ich, die Hand
auf der Brusttasche, die Bückeburger Straße hinaufgehe und ihr das
Geld auf ihr Konto bei der Deutschen Bank einzahle.“

„Was -- Sie -- Sie -- unterstützen Ihre geschiedene Frau noch --?“

„Das +muß+ ich doch. Ich bin ja der schuldige Teil, nicht wahr? Heißt
das: vor der Welt. Wir haben das ganz hübsch so eingerichtet. -- Und
dann hat ihr Verleger Bankrott gemacht. Und der Rittmeister hat doch
selbst nichts, nicht wahr? Er verkauft manchmal einen Wurf Foxterriers
-- aber mein Gott, jetzt sind wieder die schottischen Schäferhunde
Mode. Er hat Unglück der Mann, wirklich, er tut mir leid.“

Wir waren am Lehrter Bahnhof und stiegen aus.

Der Zug stand schon bereit. Michael Monkebach eroberte für den Jungen
einen Eckplatz, Rücksitz am Fenster. Er dachte an alles, brachte die
Reisetasche im Gepäcknetz unter und erprobte umständlich auf mehrere
sinnreiche Arten, ob sie nicht etwa dem Daruntersitzenden auf den
Kopf fallen könnte. Er kaufte ihm noch ein paar Orangen und zwei
fingerdick belegte Brote; er belehrte ihn noch über die wohlgesetzten
Begrüßungsworte, die er dem Kapitän bei der Ankunft in Hamburg
widmen sollte, ermahnte ihn dringend, auf die Reize der Aussicht ein
Augenmerk zu haben und sich ja nicht aus dem Fenster zu beugen, weil
einem da leicht kleine Kohlenstäubchen ins Auge fliegen könnten, was
sehr fatal und schmerzhaft sei. Und mit einer unnachahmlich diskreten
Handbewegung auf eine dunkle Verbindungstür nach einem kleinen
Kabinett weisend, flüsterte er: „Und -- du weißt, lieber Karl, für alle
Fälle ... +Genier+’ dich nicht, Junge! Solche Dinge sind menschlich.
Die vornehmste Dame ist nicht frei davon.“

Ich hielt mich bescheiden etwas zurück, den Abschied nicht zu stören.

Daß der Jüngling von Sentimentalitäten überwältigt werden könne, schien
er nicht zu befürchten. Er betastete neugierig den blanken Griff der
Notbremse und prüfte die geheimnisvolle Plombe, was Michael Monkebach
sehr in Verwirrung setzte. Er drehte die Heizungskurbel, las die
ausführlichen Bestimmungen über „verlorene und gefundene Gegenstände“
mit lauter Stimme von einem angeschlagenen Blättchen ab und bat
schließlich seinen Vater, dem Mathematiklehrer zu bestellen, daß er ihn
nie habe ausstehen können und für einen ekelhaften Esel halte.

Das war der letzte Gruß des künftigen Seefahrers an die Heimat, an die
Vergangenheit, an das Festland.

Der Zug setzte sich in Bewegung.

Michael Monkebach zog mit nervöser Hast ein sehr sauberes Taschentuch,
reichlich so groß wie eine Kinderwindel; und er winkte mit der
ganzen Kraft seines Armes, so lange der Zug in Sicht war, wobei er
im Überschwang der Gefühle am äußersten Ende des Perrons herlief und
beinahe den diensttuenden Stationsvorsteher auf die Schienen geworfen
hätte.

Als wir langsam die Treppe herunterstiegen, blieb er plötzlich stehen,
legte mir die Hand auf den Arm und sagte:

„Ist es nun nicht ein wunderbarer, ein, möchte ich sagen, erhebender
Gedanke, daß der Junge vielleicht in drei Monaten in Kapstadt vor Anker
geht, oder in sechs Monaten in den Hafen von Habana einläuft oder
in Montevideo an Land klettert oder in Melbourne? Und ich in meinem
stillen Landstädtchen, der ich nur noch seine ziemlich schlechten
Bilder und sein zerbrochenes Kinderspielzeug und seine zerpflückten
Schulbücher habe als Erinnerungen an so viele Sorgen und Hoffnungen und
gern erfüllte Pflichten, ich weiß: daß er unter Kaffern und Indianern,
unter Grönländern und Indiern und unter lauter seltsamen Menschen, die
eine fremde Sprache reden und fremden Sitten gehorchen, plötzlich etwas
sagen, etwas tun wird, daß er nur von +mir+ hat, nur von +mir+ haben
kann. Er wird sich plötzlich auf eine Lehre besinnen, die ich ihm gab;
wird ein Wort, eine Sentenz anwenden, die er mich oft gebrauchen hörte.
Und bewußt oder instinktiv wird er ein winziges Spürchen Kultur, die
Kultur von +meiner+ Kultur ist, unter die Feuerländer und Kanibalen,
unter die poesielose Hafenbevölkerung des schmutzigen Ostens, unter die
armen Fischer im Eis des hohen Nordens tragen. Und so dünn und klein
diese Fäden auch sein mögen, +mein+ persönlicher Einfluß, den ich auf
sein Kindergemüt übte, umspannt auf solche Weise in ein paar Jahren
vielleicht die ganze Welt. Ein Späßchen, das +ich+ einmal gemacht,
erzählen sie sich vielleicht am lodernden Wachtfeuer am Amazonenstrom.
Eine Handbewegung von mir, wenn ich abends den Tee bereitete, wird
vielleicht in Lappland von einem schmierigen Eingeborenen als fremde
Kulturblüte nachgeahmt. Ein gutes Wort, daß ich gelegentlich aus
dem Gedächtnis nach einem deutschen Dichter falsch zitierte, klingt
vielleicht in derselben irrigen Version in einem Tempel bei Nagasacki
wieder. So hat alles Trübe sein Fröhliches, jeder Schmerz seine Heilung
in sich selbst. Ich verliere, sehn Sie --“ Er stockte einen Augenblick,
dann sprach er mit wehmütigem Lächeln weiter: „Ich verliere einen
Jungen an die große Welt da draußen; und mein Haus wird still und
einsam. Aber ein Stückchen, ein Spürchen, ein Gruß von mir passiert mit
+ihm+ den Äquator, fährt mit ihm durch die Wendekreise. Und auf all das
Fremde, Große, Schöne da draußen, das ich mit eigenen Augen nie sehen
werde, habe ich ganz heimlich und ganz bescheiden durch die Fahrten
meines Adoptiv-Kindes einen gewissen persönlichen Einfluß.“

Während er mehr zu sich selbst, als zu mir sprach, hatte er den
schwarzen Schäfermantel auseinandergeschlagen und wischte sich mit
dem riesigen Zipfel des Taschentuches verstohlen das Auge. Als er
aber meinen freundlich verstehenden Blick auf sein gerötetes Antlitz
gerichtet sah, steckte er das Tuch sofort weg, zwinkerte noch ein
paar Mal wie prüfend mit dem Augendeckel und erklärte dann ein wenig
unsicher im Ton:

„Es muß mir ein Kohlenstäubchen ins Auge gekommen sein.“

Dann schritt er im Gewühl der Passagiere eines eben angekommenen
Zuges zwischen einem höheren Offizier und einer Eierfrau durch die
Perronsperre ins Freie ...

[Illustration]




[Illustration:

  Druck von
  C. Schulze & Co., G. m. b. H.
  Gräfenhainichen]




  Bücher aus dem
  Verlage ○ ○
  Concordia Deutsche
  Verlags-Anstalt ○
  +Hermann Ehbock+
  Berlin W. 50 ○ ○
  Geisbergstraße 29




Concordia Deutsche Verlags-Anstalt, Hermann Ehbock

[Illustration: Berlin W. 50.]

Rudolf Presber:

Von Leutchen, die ich lieb gewann

  _=15 Auflagen=_    in kurzer     _=Preis=_     geheftet Mk. 3.50,
                       Zeit                      gbden. Mk. 4.50.

=Berliner Tageblatt.= +Welch ein Buch! Welch ein lustiges Buch durch
und durch!+ Der ernsteste, bis aufs äußerste überlastete Minister, ja
alle überlasteten Menschen (und wer wäre es nicht?) hätten freudige,
fröhliche Stunden, wo sie ab und zu aufsehen müßten vom Lesen, um
sich vom Lachen auszuruhen und minutenlang zu stoppen, um sich zu
erholen. Ja, welch ein +wundervolles köstliches Buch ist es+! Voller
(wenn erlaubt ist, so zu sagen) durchdringenden Humors. Wie scharf hat
der Dichter uns Menschen gesehen, „in diesem Fall“ wie scharf unsere
großen und kleinen Eigenheiten gekannt! Wie vielen wird dies Buch ein
erfrischendes Buch sein, wo sie mal beim Lesen alle und alle Sorgen
an den Laternenpfahl hängen können! Und die Kranken, die darin lesen,
müssen gesund werden (+Detlev von Liliencron+).

=Leipziger Tageblatt.= Dieses Buch stelle ich +an einen ganz
besonderen Platz in meiner Bibliothek+. Ich stelle es dahin, wo
die Sorgenbrecher des Lebens stehen, dahin, wo all das traulich
zusammensteht, was pessimistische Gedanken und Gefühle verscheucht,
was mir die Schatten des Lebens bannt und die Sonne goldiger macht.
Ganz in die Nähe der ernsten Philosophen stelle ich es, nicht zu weit
weg von Shakespeare, dem genialen Witzbold, und nicht zu weit auch
vom (nicht zeitlich, aber wesentlich) älteren Jean Paul ... Der Wert
der Presberschen humoristischen Erzählungen, ihr ganz +einzigartiger
und außerordentlicher künstlerischer Wert+, besteht in der Fähigkeit
des Dichters, sich in die Lebensgewohnheiten und Lebensauffassungen
der Personen völlig hineinzudenken, die er uns schildert. Nur der
wirkliche Dichter vermag seine Figuren lediglich durch sich selbst
humoristisch wirken zu lassen. Da ist nichts gesucht und an den Haaren
herbeigezogen, +all diese Personen leben+, leben, so wie sie der
Dichter schildert.

=Die Literatur (Hamburger Nachrichten).= In diesen Skizzen zeigt
sich der Verfasser, den wir als einen unserer innerlich reichsten
und feinsten Lyriker bereits kennen, als treffsicherer Spötter und
Satiriker. „Der Mäcen“, „Liardot II.“, „Mein Porträt“ usw. sind
+Kabinettstücke humoristischer Lebensepisoden+.

=Dresdener Nachrichten.= Ein Zug von, ich möchte fast sagen
+überwältigendem Optimismus+ geht durch jede einzelne dieser feinen
Skizzen, aus denen der Humor als der „verschönte Ernst“ zu uns spricht,
jene Liebe zu den Menschen, die stets in dem großen Verstehen ihrer
Schwächen und Fehler, ihrer Leiden und Freuden ausklingt. Man fühlt
es, Rudolf Presber ist das Leben nicht stumm geblieben, er hat es sich
selbst gedichtet, zur Poesie umgestaltet in den Sorgen des Alltags, in
den Freuden der Feierstunden, in Jahren des Ringens und Leidens, in
Augenblicken der Freude und des Glücks. Nur ein solcher Mensch, den
das eben zum Dichter gemacht hat, kann Leben so sehen, wie es Presber
sieht ... Nur wenige Dichter, die heute mit uns und hinter uns leben,
verstehen es, +mit solcher Herzlichkeit zu schreiben, mit so viel
echtem Gemüt zu erzählen+, wie dieser Poet, um dessen Lippen immer ein
Lächeln zu schweben scheint, aus dessen leuchtenden Augen stets ein
warmes Leuchten bricht, mag er auch nicht immer von lachendem Frohsinn
sprechen.

=Breslauer Zeitung=: „+Ich habe lange nicht so gelacht+“, sind die
Worte, die jeder ausrufen dürfte, der das entzückende humorvolle Buch
„Von Leutchen, die ich lieb gewann“, von Rudolf Presber aus der Hand
legt. Es ist reiner, klarer, echter Humor.




Die Diva und Andere

von =Rudolf Presber=

_Sechste_ Auflage

Preis: Geheftet Mk. 3.--, gebunden Mk. 4.--


=Münchener Neueste Nachrichten=: Einen hohen und seltenen Genuß
verschafft die Lektüre dieser von sonnigem Humor und sprudelnder
Heiterkeit erfüllten Skizzen. Presber, der feinsinnige Lyriker
und geistreiche Spötter, ist unstreitig auch einer unserer besten
Humoristen. Das neueste Buch ist ein schlagender Beweis dafür. Wie
prächtig bearbeitet ist die kleine Skizze „Die Diva“, mit welch
bitterer Ironie deckt der Verfasser mit wenigen genial hingeworfenen
Strichen die ganze Falschheit und Niederträchtigkeit dieser drei sich
gegenseitig umschmeichelnden Gestalten, der Diva, des Kritikers und des
Dichters, auf. Nichts darin erscheint übertrieben, sondern alles atmet
natürliche Frische. Eine ebenso große Rolle spielt das komische Element
in der künstlerisch fein gearbeiteten und ergötzlich geschilderten
Skizze „Der rätselhafte Findling“, der durch das Erscheinen Sherlock
Holmes als Sohn des Dalai Lama erkannt wird. Der überaus ansprechende
Stil, der das ganze Buch durchweht, übt einen unwiderstehlichen
Zauber aus. Warmherzig und voll Empfindung ist das Buch so recht dazu
geeignet, jedermann von krankhaften Seelenzuständen zu befreien und
allen Pessimismus zu verscheuchen. Presber ist ein ganzer Künstler,
dessen Phantasie einen Zündstoff bildet, dessen Wirkung niemand sich
entziehen kann.

=Internationale Literatur- und Musikberichte=: Ein echter
Sorgenbrecher! Man kennt Presbers Humor schon von seinem Buche her:
„Von Leutchen, die ich lieb gewann“. Hier ist derselbe Humor, derselbe
geistreiche Witz, die gleiche Kunst der kurzen, scharf pointierten
Erzählung. Die vierzehn kleinen Erzählungen sind Meisterstücke ihrer
Art und werden mit Recht dazu beitragen, Presbers Namen in die Reihe
der ersten Humoristen zu stellen. Schon die Tatsache der 5. Auflage
ist der beste Beweis für die Güte des Buches. Ich empfehle es auf das
allerwärmste.

=Breslauer Zeitung=: Zwanglos intensiv teilt sich wieder die
Grundstimmung der Presberschen Prosasatiren mit: Klar erkennt man in
der Karikatur den fein durchschauten, festgeformten Typ, im scharfen
Angriff die verstehende Entschuldigung, im brillierenden Wortwitz die
Treffsicherheit der inneren Pointe, in der schneidigen Ironie noch die
warme Herzlichkeit des Optimisten von Geburt. Nicht viele sehen jetzt
so wie Rudolf Presber. Am meisten Otto Ernst (der Erzähler natürlich!),
wo ihm das Leben ein frohes Farbenspiel ist. Aus einiger Entfernung
schon grüßen die Menschen Heinrich Seidels und die Querköpfe Hans
Hoffmanns sich mit Presbers Leuten. Und ganz aus der Weite reckten
sich dann die Charakterfiguren noch weit Größerer auf. Die Form --
sie ist bei Presber mit dem Geschick des Routiniers dem allerjüngsten
Geschmack angepaßt -- wird nicht über den soliden Dauerwert dieser Art
Humor hinwegtäuschen, der nicht Presbers persönliches Eigen allein ist,
sondern künstlerische Daseinsäußerung eines typischen Temperaments,
das zum Glück jeder Epoche immer wieder neu ersteht, nie unverstanden
bleiben darf und von seiner Zeit immer nur die Aeußerlichkeiten leiht.

=Der „Rheinische Kurier“=: Presber ist nicht nur in seiner
engeren Heimat, sondern im ganzen deutschen Vaterland als einer
der geistvollsten Plauderer und Feuilletonisten bekannt, der
es versteht, auf der Grundlage einer scharfen Beobachtung und
einer feinen psychologischen Zergliederung Grazie und Anmut mit
ästhetisch-philosophischem Ernst zu verbinden. Wie immer, so bekundet
auch Presber in der vorliegenden Sammlung geistvoll-humoristischer
Silhouetten seine großen Vorzüge. Mit kecken Strichen versteht er seine
„Helden“ und „Heldinnen“ uns vorzuführen, ihre Tugenden zu preisen und
ihre Schwächen unbarmherzig zu geißeln und doch so liebenswürdig dabei
zu bleiben, daß keine Bitternis in der Seele des Lesers aufsteigt.

=Deutsche Tageszeitung=: Von Rudolf Presber, dessen bereits in
vierzehnter Auflage erschienenes Buch von „Leutchen, die ich lieb
gewann“ nach dem Ausweis des Buchhandels zu den meistverlangten
Neuerscheinungen dieses Jahres gehört, ist soeben das amüsante
Geschichtenbuch „Die Diva und Andere“ in sechster, vermehrter Auflage
mit neuem, charakteristischem Buchschmuck von Hanns Anker erschienen.
Alle Vorzüge einer humor- und gemütvollen Erzählungskunst, die dem
Verfasser des „Von Leutchen, die ich lieb gewann“ nach dem einstimmigen
Urteil der Kritik unter die ersten Humoristen einreiht, findet sich in
diesem Buche in bunter Fülle wieder.

=Berliner Tageblatt=: Rudolf Presber hat viel Begabungen: er kann sehr
schöne zartflimmernde Verse machen; er kann mit ganz aktuellem Witz
sich zum Herrn einer momentan interessanten Situation machen; er kann
sich träumend über die platte Wirklichkeit erheben und kann auch als
rechtes Weltkind harmlos fröhlich irgendeine Schnurre erzählen. Von
+alldem+ findet sich etwas in diesem Satirenband.

=Die Post=: Presber liebt es, Satire und Humor und Grazie ineinander zu
flechten. Seine Satire wird nie bösartig und gallig, der wundervolle
süddeutsche Humor streicht mit einer weichen, warmen Hand über
die Spitzen und Widerhaken der Satire und kulminiert zumeist die
temperamentvoll losfahrende Vehemenz der Satire in einem befreienden
und herzerquickenden Gelächter. So etwas bringt ein Norddeutscher nicht
gut zuwege, dazu muß man schon Süddeutscher sein von dem leichten und
doch empfindungsvollen fränkischen Geblüt.




Die Bilder-Stürmer

Eine Tragödie in fünf Akten

von =Cléon Rangabé=

Übersetzt und für die Deutsche Bühne bearbeitet von

Rudolf Presber

Mit Buchschmuck von +Hanns Anker+

Ihrer Kgl. Hoheit der Kronprinzessin von Griechenland gewidmet

  Geheftet Mk. 4.--, gebunden Mk. 5.--
  Numerierte Luxus-Ausgabe Mk. 25.--.


„=Nord und Süd.=“ Nicht nur der Diplomat, auch der Dichter Cléon
Rangabé ist in Deutschland wohlbekannt und geschätzt. Das vorliegende
Buch, das Drama „Die Bilderstürmer“, ist geeignet, den Namen des
Dichters noch weiter hinauszutragen. Das behandelte Thema steht
an und für sich uns Deutschen recht fern und abseits; jedoch ist
Rangabé vollkommen gelungen, unser Interesse wachzurufen und wach zu
halten, uns zu erwärmen und tiefinnerlich zu erschüttern! Gleich am
Anfang empfinden wir bewundernd, mit wie kurzer kraftvoll gestalteter
Exposition uns der Dichter in die das Stück bedingenden Verhältnisse
hineinversetzt, daß die Zeit, die Umgebung mit all ihren Kämpfen und
Gegensätzen sofort klar vor uns liegt. Es ist die Zeit der dogmatischen
Kirchenkämpfe, die Zeit der „Bilderstürmer“; es ist die Umgebung des
byzantinischen Kaiserhofes, wo eben jene Frage des Bilderdienstes
die Kaiserin Irene, Leos IV. Witwe, zu ihrem Sohne und Mitregenten
Konstantin VI. in schärfsten Konflikt brachte.

Im Theater zu Athen haben die „Bilderstürmer“ großen Erfolg erzielt,
und wir sind überzeugt, daß auch ihre Aufführung in deutscher Sprache
auf deutschen Bühnen bei angemessener Inszenierung und guter Besetzung
der Hauptrollen reichen Beifall finden und Zugkraft ausüben wird.

Und zum Schluß die höchst vornehme Ausstattung des Buches, die nicht
nur prächtig ist -- das kann auch von manchen anderen Erzeugnissen des
modernen Buchschmuckes gesagt werden -- sondern, was weit schwerer
wiegt und größere Anerkennung verdient, in ihrem Stile bis ins Detail
hinein einheitlich und dem Inhalte des Buches angepaßt ist. So ist
ein Kunstwerk entstanden, das in jeder Beziehung zu erfreuen und
befriedigen vermag.




Im Lande der Jugend

Roman von Traugott Tamm

_6. Auflage._ Geheftet Mk. 4.--, geb. Mk. 5.--.


Die „=Preußischen Jahrbücher=“: Traugott Tamm ist einer der
Auserwählten, dem das Können gegeben ist. Er ist eine starke,
dichterische Persönlichkeit mit so viel Eignem, daß er sich an kein
berühmtes Muster anlehnt, sondern ganz selbständig dasteht ...
Der Abschied der Eingezogenen des Kirchspiels im Jahre 1870 und
die Ansprache ihres hochbetagten Geistlichen ist eine der vielen
meisterhaften Szenen, die das Buch enthält und der nur wenige in den
Romanen der letzten Jahrzehnte an die Seite zu stellen sind. Dieser
Roman kann zu einem wesentlichen sozialen Faktor werden, wenn er so
viel gelesen wird wie er gelesen zu werden verdient!

=Das Blaubuch=: „Ein wunderbares Buch, wie es selten auf den Markt
kommt.“

=Altonaer Tageblatt=: Das Thema dieses großangelegten Romans erinnert
an das in Freytags „Soll und Haben“, ist aber durchaus selbständig
verarbeitet und übertrifft Freytag an Vertiefung und Charaktere bei
weitem. +Man hat das Bedürfnis, dieses Buch zweimal zu lesen.+

=Königsberger Neueste Nachrichten=: +Dieser Roman ist wie eine schöne
reife Frucht, von sorgsamer Hand gepflückt. Seltene Schönheit und
Tiefe der Empfindung und Sprache hebt dieses Buch weit über derartige
Erscheinungen heraus.+




Rinnender Sand

Ostseegeschichten von Karl Rosner.

Geheftet Mk. 2.--, gebunden Mk. 3.--.


=Das kleine Journal=: ... +Ein Werk voll wunderbarer stiller Schönheit,
die eindringlich und tief ergreift und lange nachklingt und ein
Bleibendes im Leser hinterläßt.+

=Neues Wiener Tageblatt=: +Ein prächtiges Buch!+ Voll schöner,
stimmungsreicher Naturschilderungen, voll Wärme und Empfindung bei
Beurteilung der Menschen, liebenswürdig im Detail und großzügig im
Ganzen.




Was ihm das Leben gab

Roman von =Rudolf Pinner=.

Geheftet Mk. 3.--, gebunden Mk. 4.--.


=Wiesbadener Generalanzeiger=: Einer von denen, die es fertig brachten,
wirkliche, echte Menschen zu schildern, wie sie uns das Leben wahrhaft
zeigt, einer von diesen wenigen, die zugleich feine Beobachter und
echte Dichter sind, ist Rudolf Pinner. Viel von dem, was dem „Helden“
seiner Dichtung, dem Hans Erik Wendlandt das Leben gab, hat sicherlich
auch der junge Autor aus der Heimat Gerhart Hauptmanns wirklich erlebt,
vieles auch mag der feinsinnige Dichter an anderen Menschen erschaut
und dann in sich aufgenommen haben. R. Pinner geht seine eigenen Wege.
Einzelne besonders schöne Stellen dieses Romanes hervorzuheben, wäre
nicht recht. Man darf nichts herausreißen und absondern von dem, was
ein festes, harmonisches Ganzes ist. Dies ist ein Buch vom Leben und
fürs Leben, das wirklich verdient, gelesen zu werden.




Die Invasion von 1910

Der Einfall der Deutschen in England

von =William Le Queux=

=Die Seeschlachtkapitel= von =Admiral H. W. Wilson=

Übersetzt von =Traugott Tamm=

Preis: Geheftet Mk. 3.--, gebunden Mk. 4.--.


=Breslauer Zeitung=: Was den literarischen Wert des Buches angeht, so
ist er nicht gering. Es ist geschickt geschrieben, +erregt durch die
Natürlichkeit des Tones die Illusion des wirklichen Geschehens+ und
hält sich sorgfältig von krassen Effekten fern. Nur ein Beispiel, das
zeigen wird, wie der Stil nach frappierender Treue ringt: „Die Zahl
der elektrischen Scheinwerfer war bis auf sechs gestiegen; einige
steckten lange, steife Finger in die leeren Räume der Nacht aus,
andere wanderten rastlos auf und ab, hierhin und dorthin.“ +Das könnte
ebensogut bei Maupassant, wie bei Le Queux stehen.+ -- Das Buch wirkt
vornehm durch die maßvolle Behandlung des Stoffes.





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VON KINDERN UND JUNGEN HUNDEN ***


    

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