The Project Gutenberg eBook of Von Kindern und jungen Hunden This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Von Kindern und jungen Hunden Author: Rudolf Presber Release date: August 3, 2025 [eBook #76627] Language: German Original publication: Berlin: Concordia Deutsche Verlagsanstalt, Hermann Ehbock, 1905 Credits: Constanze Hofmann and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VON KINDERN UND JUNGEN HUNDEN *** #################################################################### Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1905 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert. Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der folgenden Symbole gekennzeichnet: unterstrichen: _Unterstriche_ fett: =Gleichheitszeichen= gesperrt: +Pluszeichen+ Antiqua: ~Tilden~ #################################################################### _Von Kindern ○ ○ ○ und jungen Hunden_ Rudolf Presber Von Kindern ○ ○ ○ und jungen Hunden Erste Auflage [Illustration] Berlin ~W.~ 50 Concordia Deutsche Verlagsanstalt +Hermann Ehbock+ Alle Rechte vorbehalten Inhalt [Illustration] Flocki (Die Geschichte eines merkwürdigen Hundes) 1 Das Verhängnis des Hauses Brömmelmann 103 Der rote Esel (Ein lyrisches Intermezzo) 127 Des letzten v. Birkowitz letztes Fest 145 Der Mann mit dem persönlichen Einfluß 177 [Illustration] [Illustration] [Illustration: Flocki Die Geschichte eines merkwürdigen Hundes] Ich habe „Flocki“ nie geliebt. Das muß ich vorausschicken. Um so heroischer komme ich mir nun vor, indem ich mich hinsetze, um von „Flocki“ zu erzählen. Denn -- das ist fast ein Axiom geworden in der literarischen Welt: die Lebewesen, die man so von Grund der Seele aus +nicht+ leiden mag, erwähnt man nicht in Briefen oder gar in den zum Druck bestimmten Manuskripten. Man schweigt sie einfach tot, so bemerkenswert sie anderen erscheinen mögen. Ich hätte vielleicht auch von „Flocki“ heute und später und für immer geschwiegen, wenn nicht dieses äußerst seltsame Wesen so bedeutungsvoll und bestimmend in das Leben eines Freundes eingegriffen hätte. Eines Freundes, dessen Wert ich schätze, wennschon ich seine Schwäche im Charakter tief beklagen muß. „Flocki“ war ein Hund. Um das gleich zu sagen: ein sehr merkwürdiger Hund. Seine Mutter stammte aus der weitverbreiteten und durchaus beliebten Familie des ~canis genninus~. Oder kürzer und deutsch: sie war eine besonders hübsche Pudelhündin. Sie hatte den in der Familie üblichen gedrungenen Körperbau mit den langen, breiten Ohren; besaß ein lockiges, schwarzes Fell mit zwei sauber, fast kokett gezeichneten, weißen Flecken an Stirn und Brust. Diese beiden weißen Flecken waren vielleicht die Ursache, daß sie so sehr stolz auf der Straße war und sich selbst vom Milchmädchen nicht streicheln ließ. Was später aus ihr geworden ist, weiß man nicht genau. Die Köchin bei Hauptmann Weber -- sie diente einen Stock unter „Fifi“, der schwarzhaarigen Pudelhündin, -- behauptete, sie hätte sich in älteren Jahren aus einer verspäteten unglücklichen Liebe zu des Hauptmanns langhaarigem, englischem Setter, der sechzehn Ahnen hatte, damals gerade von der Staupe genas und ein sehr interessanter Rekonvaleszent war, in den Landwehrkanal gestürzt. Aber die Köchin bei Hauptmanns war überhaupt eine sehr romantische Person und wenig glaubhaft. Piefkes selbst, bei denen „Fifi“ seit den betrübenden Zeiten, in denen ihrer ahnungslosen Jugend noch der erste Zimmeranstand beigebracht werden mußte, treue Hausgenossin war, erzählten, sie sei von einer „Elektrischen“ in der Potsdamerstraße überfahren worden. Das hat viel für sich, wenn man erwägt, daß „Fifis“ Sehvermögen stark nachgelassen hatte, und daß die „Elektrischen“ damals -- kurz nach dem Streik -- oft von absonderlichen Fahrkünstlern gelenkt wurden. Flockis Vater aber -- und das blieb nicht ohne Bedeutung für Flockis Aussehen, wie für seine Talente und Neigungen -- war ein +Mops+ gewesen. „Schufterle“ hieß der wenig liebenswürdige Vertreter einer unschönen Rasse, die, ruhmlos und unbeweint, faul, dick und aller Tätigkeit abhold, im Aussterben begriffen ist. Er hatte einen schraubenförmig gerollten Schwanz, eine schwarze, sehr unfreundliche Maske und war von besonders bösartiger Gemütsart; als wollte er bei jeder Gelegenheit durch tückisches Benehmen den Beweis liefern, daß seine Familie nur eine Karikatur der mißliebigen Bullenbeißer darstelle. Kam hinzu, daß seine Herrin eine alte, schrullige Regierungsrätin war, die nur zwei Leidenschaften hatte: auf einem unglaublich verstimmten Klavier Chopin zu spielen und ihren dicken Mops zu verwöhnen. Diese sonst achtbare Dame hatte alle vielleicht in dem Tiere schlummernden guten Qualitäten durch falsche Erziehung verdorben. „Schufterle“ war knurrig und ohne jede Liebenswürdigkeit. Er war gefräßig und litt infolge von Fettleibigkeit, die wiederum eine Konsequenz der mangelhaften Bewegung in freier Luft war, stark an Asthma. Seinetwegen wohnte die Regierungsrätin nur Hochparterre. Und so oft sie auch wegen ihrer Vorliebe für Chopin umziehen mußte, mehr als vierzehn Stufen mutete sie ihrem kurzatmigen Liebling niemals zu. Wie eigentlich der Liebesbund zwischen zwei so verschiedenen Wesen, wie es „Fifi“ und „Schufterle“ waren, zustande kommen konnte, das ist mir heute noch ein Rätsel. Brehm lebt nicht mehr, den ich gern gefragt hätte; und zu den modernen Zoologen hab’ ich kein Zutrauen. Sie versenken sich nicht in die Tierseele. „Schufterle“ hat übrigens seinen Sohn niemals gesehen. Denn „Flocki“ kam im dritten Stock zur Welt, in einer Höhe, die Schufterle niemals erklomm. Und vierzehn Tage nach der Geburt des ihm gleichgültigen Sohnes starb „Schufterle“. Die Hausbewohner, denen seine Korpulenz und sein Schnaufen bei jeglicher Fortbewegung stark mißfallen hatte, behaupteten pietätlos, er sei „geplatzt“. Einige wollten sogar den Knall gehört haben ... Die Regierungsrätin aber machte den Briefträger für „Schufterles“ Tod verantwortlich. Ihn allein. Zwischen diesem behenden Vermittler schriftlicher Nachrichten und dem asthmatischen Mops hatte eine latente Feindschaft schon seit Monaten bestanden. Schufterle knurrte, wenn er den Briefträger sah. Und der Briefträger knurrte auch. Freilich nur innerlich. Schufterle war überzeugter Demokrat und haßte alles Uniformierte. Der Briefträger vermochte über Schufterles feindseliges Benehmen um so weniger Entzücken zu heucheln, als der Regierungsrätin das Verständnis für den Begriff eines Trinkgeldes selbst bei so feierlichen Gelegenheiten, wie Ostern oder Jahreswechsel, durchaus fremd blieb. Während sie für Schufterle eine verschwenderische Zärtlichkeit an den Tag legte, pflegte sie die herzlichsten Neujahrswünsche nur durch ebenso herzliche Wünsche zu erwidern. So kam es, daß der sonst durchaus friedliche Briefträger kurz nach Neujahr bei einem Zusammentreffen mit Schufterle auf der Treppe die kläffende Mißbilligung des feindlichen Mopses mit einem gesinnungstüchtigen Tritt seines doppeltgesohlten Zugstiefels erwiderte. Dieser Tritt hatte, obschon er nicht mit voller Kraft und in ganz ungefährlicher Richtung geführt war, nach Ansicht der Regierungsrätin „edle Teile“ verletzt. Und als einige Wochen darauf das vorzügliche Schufterle in seinem ausgepolsterten Schlafkörbchen verschieden war, schwur die aufs äußerste erzürnte alte Dame, ihr Liebling sei an dem Tritt des rohen Staatsbeamten gestorben. Sie verkrümelte von diesem Tage an ihre bescheidene Pension in gehässigen Prozessen gegen die Postbehörde. Aber das einzige Resultat dieser fortgesetzten kriegerischen Tätigkeit war, daß sie dreimal wegen grober Beleidigung eines Beamten in erhebliche Geldstrafen genommen wurde ... Ich hätte mich selbstverständlich weder bei „Fifi“, noch bei der Hauptmannsköchin, noch bei „Schufterle“, der Regierungsrätin oder dem Briefträger so lange aufgehalten, wenn ich nicht glaubte, daß alle diese Dinge für +Flockis+ schönes Leben in gewissem Sinne vorbedeutend und bestimmend gewesen wären. Daß Flocki, der Sohn von Fifi, der Pudelhündin, und von Schufterle, dem asthmatischen Mops, ein +bemerkenswerter+ Hund war, muß ich leider hinzufügen. Flocki war kurzbeinig, gedrungen, und obschon sein schwarzer Kopf die mütterliche Rasse im Schädelbau deutlich verriet, zeigte er die ganze, nur in der eigenen Dummheit begründete Weltverachtung des ererbten Mopsgesichtes. Auch der schraubenförmig gedrehte Schwanz erinnerte an den asthmatischen Vater, während die lockige, grauschwarze Behaarung offenbar von der angenehmeren Mutter kam. Ich will meiner Antipathie gegen „Flocki“ hier nicht die Zügel schießen lassen; eines aber steht für Unparteiische völlig fest: es gibt selbst unter den verwahrlosten Kötern, die die schmutzigen Straßen von Stambul so angenehm beleben, keinen, der bei mäßigen Geistesgaben so täuschend den Eindruck zu erwecken vermöchte, als habe er sich soeben in einer besonders üblen Lehmgrube gewälzt. Diesen Verdacht aber rief Flocki, wo und wann er erschien, in jedem Unbefangenen hervor; obschon es vielleicht in Mitteleuropa keine +drei+ Hunde gibt, die +soviel+ gewaschen, gebadet, gekämmt, so oft mit grüner Seife abgerieben und mit Insektenpulver bestreut wurden, wie Flocki. Diese Reinigungsprozesse waren -- um ein schiefes Bild an Stelle eines weit besseren, das mir nicht einfällt, zu gebrauchen -- die einzigen dunklen Punkte in Flockis sonst so sonnigem Leben. Flockis Herrin war eine unverehelichte Malerin. Früher hatte sie bloß gegen den Willen ihrer Eltern gemalt. Jetzt malte sie gegen den Willen der ganzen Welt. Die Eltern waren gestorben und hatten ihr und ihrer älteren Schwester, die genau so eifrig und auch ungefähr so schön Klavier spielte, wie die jüngere Schwester „Stilleben“ malte, ein bescheidenes Vermögen hinterlassen. Nicht gerade, um auf lautlosen Gummirädern zu fahren und den Karneval in Nizza zu verleben, aber doch um sich’s daheim behaglich zu machen, ohne auf Verdienst angewiesen zu sein. Das war auch gut, denn +Eleonore Eikötter+ hatte wohl das Talent, Bilder zu malen, die ihr selbst, ihrem Dienstmädchen und dem vorzüglichen Flocki ausnehmend gefielen; aber sie hatte leider +nicht+ das Talent, diese Bilder auch der Kritik zu empfehlen oder gar diese Kunstwerke zu verkaufen. Das war eigentlich sehr zu verwundern. Denn es heißt immer, wir leben in einer realistischen, in einer materiellen Zeit. Und Eleonore Eikötter kam in allen ihren Werken einem gesunden Materialismus vertrauensvoll entgegen. Ihre Stilleben wiesen keine bekränzten Totenschädel auf, keine Lichtscheren, alte Gebetbücher, rostige Hufeisen oder was sonst noch diese Art von Bildern besonders reizvoll zu machen pflegt. Eleonore malte prinzipiell nur +Eßwaren+: Hummerscheeren, Marzipantörtchen, Schweinsfüße, Pastetchen und gebratene Wachteln. Und da sie mit ihren Bildern rasch fertig war, wie die Jugend mit dem Wort, und aus ästhetischen Gründen ihre Modelle nie mehr als +einmal+ benutzte, so hatte Flocki allen Grund, mit dem Schicksal zufrieden zu sein, das ihn und sein Leben so innig mit dieser Kunst verknüpft hatte, die +nicht+ „nach Brot“ zu gehen brauchte. Flocki erhielt nämlich, sobald ein Bild vollendet war, die „Modelle“ zur Erledigung in seine mit stilisierten Lilien bemerkenswert bemalte, sehr geräumige Freßschüssel. Er hatte folglich ein nicht rein künstlerisches Interesse daran, daß die Farbendichtungen Eleonorens rasch ihrer Vollendung entgegenreiften. Schlau und perfid, wie er leider war, hatte er gemerkt, daß seine Herrin einmal außer sich vor Entzücken geriet, als er -- eigentlich nur aus Langerweile und weil ihm die Sache diesmal zu langsam ging --, eine von ihr gemalte Schinkenstulle ärgerlich angauzte. Damals geschah es, daß Eleonore Eikötter stolz zu ihrer Schwester +Adelgunde+, die einen ihrer selteneren Besuche bei der Malerin machte, bemerkte: „Kennst du die Geschichte von Apelles, dem Lieblingsmaler des großen Alexander? Nein? Nun, siehst du, der berühmte Apelles hat einmal Kirschen gemalt. Da kamen die Spatzen von den Bäumen und wollten die gemalten Kirschen aufpicken. +So+ natürlich waren sie. Dem Apelles aber war das Lob, das ihm die getäuschten Sperlinge zollten, wertvoller, als das Lob der Schranzen des Königs der Mazedonier. Nun, siehst du, so geht es mir auch. Flocki, mein süßer, kluger Flocki, hat die Schinkenstulle, die ich auf die Leinwand geworfen, +angebellt+. Das ist das +höchste+ Lob; das ist mir mehr wert als das Lob Alexanders des Großen!“ Die pietätlose ältere Schwester sagte bloß: „Du bist verrückt.“ Aber Flocki, der sofort das appetitliche Modell, die Schinkenstulle, ausgeliefert erhielt, überlegte, während er die fetten Bissen gierig verschlang, daß sein lautes Benehmen vor der bunten Leinwand, der er im Grunde durchaus verständnislos gegenüberstand, offenbar diese so rasche wie erfreuliche Lösung der Problems bewirkt habe. Und er beschloß, auch fernerhin sein lautes Urteil rechtzeitig abzugeben und seiner mild gesinnten Herrin mehr Freude zu bereiten, wie Alexander der Große. In der Folgezeit wurde er laut, sobald die ersten Farbenklexe sich auf der Leinwand zeigten und die ersten Linien erschienen, aus denen noch ebensogut ein Nilpferd, wie ein Stiefelknecht oder eine gotische Kathedrale werden konnte. Eleonore war selig im Bewußtsein, es in ihrer Kunst bereits so weit gebracht zu haben, daß sie, wie sie sich ausdrückte, „mit wenigen Winken das Bedeutsame auszudrücken vermochte“; so deutlich und klar, daß es selbst Flocki, der bei aller Klugheit doch immerhin nur ein Hund war, nur der Sohn eines Mopses und einer Pudelhündin, erkennen und würdigen konnte. Wenn aber dem verschmitzten Flocki die öde Malerei zu lange dauerte und die Gründlichkeit der Künstlerin in Anbetracht seiner Gelüste nach den „Modellen“ verdrießlich wurde, dann gebärdete er sich wie unsinnig vor der Staffelei und drohte unter jubelndem Gebell mitten in die künstlerische Tat hineinzuspringen. Dann legte Eleonore Eikötter, gerührt und stolz, die Pinsel hin und belohnte den kritischen Freund mit den zärtlichsten Schmeichelnamen und mit reelleren Genüssen ... So lebte Flocki im Atelier der genialen Pflegerin wie der große Hannibal im üppigen Capua. Er wurde dick und fett. Und wären nicht häufig kleine Verdauungsstörungen vorgekommen, peinliche Folgen seiner kritischen Verdienste und seiner bedauerlichen Gefräßigkeit, so wäre er ein vollkommen glücklicher Hund gewesen. Die Schönheit seiner Erscheinung litt wohl unter den Jahren und der rasch fortschreitenden Korpulenz. Die vom Vater ererbte Unliebenswürdigkeit gegen alle Fremden nahm zu, und beim Treppensteigen zeigten sich auch schon zuweilen Vorboten des bösen, väterlichen Leidens, des Asthma. Aber die sorgsame Liebe seiner Herrin wuchs ins Ungemessene, wenn der dicke, häßliche Köter mit den fettigen, kleinen Augen und dem verschraubten Schwanz sich breitbasig vor ihren Pfuschereien aufpflanzte und der entzückten Eleonore Eikötter mit seinem gequetschten Gebell das Zeugnis ausstellte, daß sie eine talentvolle Künstlerin sei, eine nicht unebenbürtige Kollegin des großen Apelles aus Kolophon. -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- Mein Freund +Emil Steinbrink+ hatte seit einigen Monaten sein Atelier neben dem Raume, den sich Eleonore Eikötter mit allerlei Teppichen, die sie für „echte Perser“ hielt, weil sie vielfach gestopft waren, mit sehr unpraktischen, breitbeinigen Tischen und sehr staubigen Markart-Buketts zum Heiligtum ihrer Kunst eingerichtet hatte. Emil war nicht ohne Talent. Er hatte nur eine bedauerliche Vorliebe für Violett; eine Vorliebe, die sich leider auch da nicht unterdrücken ließ, wo diese an sich milde und gewiß sympathische Farbe nicht recht hinpaßte. Über seine Porträts war kaum zu streiten, da violette Menschen nirgends vorgekommen, und weil höchstens auf den Nasen einiger Gewohnheitstrinker sich die unbequeme Farbe zeigt, die Emil bei seinen Bildnissen bevorzugte. Aber auch seine „Landschaften“ gewannen durch das merkwürdige violette Licht, das über die Wälder, die Häuser und die Teiche flutete, ein eigentümliches Ansehen. Man vermutete immer, sie sollten einem erschrecklichen Spuck, einer Geistererscheinung oder einer gespenstischen Botschaft aus der vierten Dimension als Hintergrund dienen. Und wenn dann unter solchem Bilde ganz einfach zu lesen stand: „Frühlingslandschaft im Spessart“ oder „Herbstmorgen in der Rhön“, so schwuren die gewissenhaften Kenner deutscher Gebirge, dergleichen weder in der Rhön noch im Spessart, noch im Schwarzwald, im Taunus oder in der sächsischen Schweiz jemals wahrgenommen zu haben. Ja, ein Weltreisender, mit dem ich einmal in den versteckten Kunstsalon zusammentraf, in dem Emil seine Werke vor den Augen der gemeinen Menge so ziemlich verborgen auszustellen pflegte, versicherte mir, auch der Himalaja, der Kaukasus und die Roky Mountains seien gänzlich frei von solchen violetten Stimmungen. Nur der Portier des Hauses, in dessen fünftem Stock Eleonore Eikötter und Freund Emil Wand an Wand künstlerisch wirkten, behauptete steif und fest, als Kind in seiner Heimat -- er war aus Schopfheim -- derartige wunderliche Farbenstimmungen häufig und mit innigem Genuß beobachtet zu haben. Seine sonst wohl interessanten Mitteilungen verloren an Wert dadurch, daß der alte Herr früher als Weichensteller bei der Hessischen Ludwigsbahn angestellt war und dann wegen plötzlich eingetretener Farbenblindheit entlassen werden mußte. Dieser Weichensteller a. D. und jetzige Portier eines herrschaftlichen Hauses mit zwölf Etagen, vier Kellern und fünf Ateliers hieß +Erasmus Schellenkopf+ und wurde in seinen Pflichten als Hausbesorger unterstützt von einer ebenso dicken wie asthmatischen Frau, seiner ihm ehelich angetrauten Lebensgefährtin. Frau +Emma+ Schellenkopf blickte zu dem Kunstverständnis ihres Eheherrn mit erfreulicher Ehrfurcht empor, seit ihr Emil, der Meister in Violett, einmal erklärt hatte: Das Gerede von der Farbenblindheit ihres Mannes sei ein Unsinn und ein Quatsch, und man könne aus den Augen ihres Gatten durchaus ausreichende Gesichtsorgane für zwei Dutzend Akademieprofessoren herstellen. Frau Emma Schellenkopf trug sich nach dieser Unterredung sogar wochenlang mit dem Plan, auf Grund eines solchen fachmännischen Gutachtens nachträglich einen Prozeß gegen die Hessische Ludwigsbahn anzustrengen. Allein der Friedensliebe ihres verständigeren Gatten war es zu danken, daß die Justiz nicht mit der Beamtenlaufbahn des Herrn Schellenkopf weiter befaßt wurde. Erasmus Schellenkopf war für Freund Emils Schaffen ungefähr das, was Flocki, der vorzügliche Hund, für Eleonore Eikötters Werke in Öl war. Er war der Ansporn, die Aufmunterung, das anregende und treibende Element. Wenn er morgens die fünf Treppen heraufkam, die schmutzigen Pinsel zu waschen und die Aschbecher auszuleeren, eine Arbeit, die er mit der pedantischen Umständlichkeit eines alten Professors ausführte, so sprachen die beiden, der Maler und der kunstsinnige Portier, ein Langes und ein Breites über die deutsche Kunst und benachbarte Gebiete. Es war ein „Dialog in Violett“ ... Und nebenan im Atelier der Stilleben malenden Eleonore hörte man von Zeit zu Zeit den kunstbegeisterten Flocki bellen und vor der Staffelei seiner Herrin in wildem Enthusiasmus umherhüpfen. Dazwischen Eleonorens freudig bewegte Stimme, die den Liebling nicht ohne Stolz in die gebührenden Schranken zurückwies ... Als Emil das Atelier bezog, hatte er Eleonoren einen nachbarlichen Besuch abgestattet. Sie hatte ihm einige Dutzend ihrer Bilder gezeigt, die auf ihn -- er aß aus Sparsamkeitsgründen an einem bescheidenen Mittagstisch der Altstadt für 65 Pf. „mit Bier“ -- einen peinlich appetiterregenden Eindruck machten. Dann hatte sie mit noch größerem Stolz Flocki, den gestern erst gewaschenen und bereits heute wieder sehr schmutzigen Flocki in Freiheit vorgeführt. Es traf sich, daß Flocki gerade an diesem Tage, da er einen alten Mallappen aus Langeweile aufgefressen hatte, an einem akuten Magenübel erkrankt war, das durch praktische Verwertung der Modelle seiner Herrin nicht besser geworden war. Das liebenswürdige Tier mußte deshalb sehr häufig die fünf Treppen heruntergeführt werden, um sich an der frischen Luft eine Weile zu ergehen. Emil, immer galant, erbot sich in diskretester Weise, zuweilen die kleine gesundheitliche Exkursion Flockis zu leiten und mit Umsicht zu überwachen. Diese angenehme, zarte Aufmerksamkeit gewann ihm das Herz dieses späten Mädchens im Sturm. Schon am nächsten Tag machte sie ihm einen anderthalbstündigen Gegenbesuch in seinem Atelier; und nachdem sie ihn mit längeren, ziemlich verworrenen Plänen einer Romreise, für die sie die richtige Jahreszeit schon seit sieben Jahren nicht hatte finden können, gelangweilt hatte, kaufte sie eine seiner violetten Landschaften, die nun schon ins fünfte Atelier mit umgezogen waren ... Der Verkehr zwischen den beiden Ateliers wurde rasch lebhafter und freundschaftlicher. Daran trug im Grunde weniger die Seelenübereinstimmung des nachbarlichen Paares, als das Verhältnis Flockis zu Emil die Hauptschuld. Aus gänzlich unaufgeklärten Gründen beglückte Flocki den neuen Freund, so oft er ihn traf, mit seinen ehrenden Vertraulichkeiten. Saß Emil, so sprang Flocki unaufgefordert auf seinen Schoß, was, besonders wenn es draußen geregnet und Flocki bereits eigensinnig den Weg durch mehrere Pfützen genommen hatte, für Emils Kleidung gerade nicht von besonderem Vorteil war. Aber er ertrug es; denn Eleonore sprach schon mit bescheidenem Augenaufschlag davon, gelegentlich aus dem Schatze der violetten Landschaften noch ein passendes Pendant zu dem von ihr gekauften Bilde auszuwählen. Sie ging dabei wohl von dem nicht ganz unrichtigen Gesichtspunkte aus, daß man solche violette Landschaften erst glaubt, wenn +mehrere+ beisammen hängen und gewissermaßen die eine die andere bestätigt. Leisten konnte sich’s Eleonore Eikötter übrigens. Von ihren Eltern hatten die Schwestern ja nur ein bescheidenes Vermögen geerbt, das der alte Eikötter einer von ihm erfundenen und mit großem Geschick vertriebenen Fruchtmarmelade verdankte. Dann aber war eine Tante gestorben, die im Leben durch Besuche niemals lästig gefallen war, die Schwester der Mutter. Diese merkwürdige alte Dame hatte sich in ein Kinderbild Eleonorens in der Weise verliebt, daß sie ihr fünfundzwanzig Jahre später, nachdem das Bild wirklich nicht mehr ähnlich war, mit Übergehung der älteren Schwester Adelgunde ihr ganzes Vermögen vermachte. Das war in soliden Staatspapieren angelegt und brachte immerhin eine Rente von 3000 Mk., ohne der Besitzerin durch Schwankungen im Kurs den Schlaf der Nächte zu rauben. Adelgunde hatte nun zwar die Schwester durchaus nicht im Verdacht der Erbschleicherei. Sie kannte auch die Geschichte von der berückenden Wirkung des Kinderbildes auf das Herz der alten Tante. Aber sie fühlte sich zurückgesetzt. Ein paar tausend Mark, die ihr die gutmütige Eleonore als Geschenk und als Trost überlassen wollte, wies sie hochmütig zurück und lebte von nun an von dem Ertrag weniger Klavierstunden und der kleinen Rente, die das elterliche Vermögen abwarf. Als aber Eleonore angefangen hatte, mit Eifer zu malen, wurde das Verhältnis noch gespannter. Denn Adelgunde hatte schlechterdings für diese Stilleben, auf denen nichts vorkam, wie lauter eßbare Dinge, die später in Flockis stilisiertes Freßnäpfchen wanderten, aber auch gar nichts übrig. Sie war mehr für die große historische Schule, Piloty, Kaulbach und die andern, und verachtete derartige Malereien, in denen kein Mann, kein Weib und kein Held eine Rolle spielte. So malte Eleonore nicht nur für sich. Sie +lebte+ auch für sich. Sie malte für sich und Flocki. Nur die Besuche des benachbarten Strebensgenossen, der die ganze Welt violett sah, brachte einige Abwechslung in ihr Dasein. Ihr Tagewerk war äußerst regelmäßig. Früh um sieben Uhr erhob sie sich, nahm ein Bad, kleidete sich halb an und badete Flocki, für den dieser Anfang des Tagewerks nicht den geringsten Reiz besaß. Häufig kroch er sogar unter Eleonorens Bett, was die betrübte Künstlerin -- nicht ohne dabei heftig zu erröten und das kurze und allgemein übliche Wort für ihre jungfräuliche Lagerstätte zu umschreiben -- dem Freund und Nachbar gesprächsweise mitteilte. Emil hatte zuweilen gute Einfälle. Nicht allzu häufig, aber doch öfter, als die Leute glauben mochten, die nur seine Bilder kannten. So riet er der bekümmerten Besitzerin des merkwürdigen Hundes nach einigem Besinnen, die vier Beine ihres Bettes, von dem er, ohne es gesehen zu haben, annahm, daß es aus Holz gebaut sei, einfach absägen zu lassen. Sie werde dann allerdings beträchtlich tiefer liegen, aber das habe nach den Erfahrungen der Ärzte keinen Einfluß auf Schlaf und Wohlbefinden. Die berühmten französischen Betten seien sogar, wie man ihm mitgeteilt habe, alle +sehr+ niedrig. Eleonore unterbrach hier errötend seine warmherzigen Ausführungen über die französischen Betten, für die sie sich weniger interessierte. Sie dankte ihm aber herzlich für seinen guten Rat; denn die sich immer häufiger wiederholenden Unterredungen mit dem unter dem Bett sich verkriechenden Flocki, der nicht gewaschen sein wollte, waren frühmorgens oft recht kraft- und zeitraubend. Sie ließ nun wirklich, wie der Freund geraten, die vier unnützen Beine ihres Bettes absägen und gewann durch diese Kriegslist, die dem überraschten Flocki höchst perfide erschien, durchschnittlich jeden zweiten Morgen eine gute halbe Stunde. Um acht Uhr unternahm sie dann einen Spaziergang mit Flocki durch die Anlagen der Stadt, wobei sie weniger auf die Reize der Natur als darauf zu achten hatte, daß Flocki nicht durch seine Wißbegier in den künstlich angelegten Beeten Übles stiftete. Mit den Angestellten der Stadtgärtnerei, denen Flocki wohlbekannt und tief verhaßt war, lebte Eleonore in ewiger Fehde. Die jüngeren Gärtnerburschen fanden bedauerlicherweise ihre neckische Freude daran, einen kräftigen Strahl aus den wasserspendenden Rasenschläuchen, wenn’s irgend ging, auf den weltvergessen botanisierenden Flocki zu lenken, der dann mit unsäglichem Geheul über dieses zweite unbestellte Bad quittierte. Für die Beschwerdebriefe Eleonorens an die Stadtgärtnerei rächten sich wiederum die Parkaufseher durch Anzeigen, wenn Flocki, was leider häufig vorkam, unter dem kleinen Geländer, das die gelben Fußwege von den weichen Rasenflächen trennte, durchkroch, um sich im Grünen oder unter Tulpen und Hyazinthen zu ergehen. Um 9½ Uhr kam Eleonore gewöhnlich von ihrem Spaziergang, der ihr mehr seelische Erregung als Erholung zu bringen pflegte, zurück. Sie teilte dann mit Flocki, der merkwürdig gern gut gezuckerte Schokolade trank, ihr Frühstück und trat mit dem Glockenschlag zehn Uhr in einer erstaunlich verklexten Malschürze vor ihre Staffelei. Um zwölf Uhr klopfte Emil gewöhnlich an ihre Tür. Sie rief „Herein“ und zeigte jeden Mittag dieselbe freudige Überraschung über den unerwarteten Besuch. Dann sprachen sie eine halbe Stunde über Kunst. Über Böcklin, dessen geniale Verwendung der violetten Farben Emil nicht genug rühmen konnte; über die Niederländer Snyders, Hondecoeter und van Streek, in denen Eleonore die Großen +ihrer+ Kunst verehrte, die Meister, die es verstanden, das Kleine groß zu sagen und dem an sich Unbedeutenden, -- einer Jagdbeute, einem Küchenstück, einer Tafel ohne Gäste -- geistige Bedeutung und Poesie zu leihen. Sie sprachen ohne Leidenschaft, wie zwei gute, wohlerzogene Kameraden. Eins ließ das andere ausreden, ob es gleich ganz genau wußte, was es nun sagen werde. Denn der Gedankengang in diesen ästhetischen Besprechungen war stets der gleiche. Und da nie ein Widerspruch von der andern Seite erfolgte, so war auch eine dialektische Verteidigung des Standpunktes, eine Vertiefung der Begründung, eine Vermehrung der Argumente durchaus unnötig. Zuletzt sprach man immer -- von Flocki, der, sobald er seinen Namen hörte, in seinem mit weichen bunten Lappen ausgelegten Körbchen faul mit dem Schwänzchen wedelte, ohne sonst irgendeinen Muskel seines Körpers an der freudigen Bewegung teilnehmen zu lassen, ja meist ohne die Augen nur zu öffnen. Dann kam man überein, zusammen zu Mittag zu essen. In dem bescheidenen kleinen Restaurant in der Nähe, das Eleonore entdeckt hatte, und in dem sie, obschon sie keine geistigen Getränke zu sich nahm, auf deren Verkauf die Wirte sonst angewiesen sind, als Stammgast mit Aufmerksamkeit und Respekt behandelt wurde. Auch dieses gemeinsame Diner schien jeden Mittag das Resultat einer ganz plötzlichen Erwägung zu sein. Man zeigte sich jedesmal wieder aufs neue erfreut, die fesselnde Unterredung über Böcklin, über die Niederländer und Flocki bei Tisch fortsetzen zu können. Und niemals wäre es Einem von beiden eingefallen, etwas Seltsames darin zu finden, daß sie ohne Verabredung, ohne Übereinkunft oder Abonnement schon seit Monaten jeden Mittag um ein Uhr gemeinsam in das freundliche Gastzimmer der „Goldenen Eidechse“ eintraten. Der Pikkolo, der eine aus dem alten Frack des Oberkellners umgebaute, in der Fasson sehr merkwürdige Jacke trug, die an Flecken der Malschürze Eleonorens nicht nachgab, kam ihnen jeden Mittag mit derselben theatralischen Verbeugung entgegen. Den pomadisierten Kopf zwischen die Schultern ziehend, wie eine gekitzelte Schildkröte, wies er mit huldvoller Bewegung der roten Hand, die aus der spiegelnden Gummimanschette wie der breite Schaufelfuß eines Maulwurfs kam, nach dem für zwei Personen gedeckten Tischchen in der Ecke: „Die Herrschaften, bitte, +hier+!“ * * * * * Auch Eleonorens Schwester, die selten erscheinende Adelgunde, hatte Emil einmal bei der befreundeten Künstlerin getroffen. Es war kein besonders günstiger Tag, um sie kennen zu lernen. Sie hatte sich am Vormittag einen Vorderzahn ziehen lassen, und die Zunge war noch nicht recht gewöhnt daran, daß gerade an der Front des Kiefers eine Lücke in die Zahnreihe gebrochen sei. Demgemäß „lispelte“ Adelgunde in einer befremdlichen Weise, und die Aussprache gewisser Konsonanten ergoß sich wie feiner Sprühregen auf den Partner der Unterhaltung. Eleonore fand es furchtbar komisch. Sie hatte gleich beim Eintritt der Schwester zu lachen angefangen. Sie hörte gar nicht auf zu lachen; und je mehr sie ihrer humoristischen Laune die Zügel schließen ließ, desto ärgerlicher wurde die Schwester. Schließlich kamen die beiden in Streit, ohne die Anwesenheit Emils, der sich nach einer ersten Begrüßung, verlegen in alten Skizzenmappen blätternd, an den Wänden herumdrückte, weiter zu beachten. Sie sprachen recht deutliche Töne über den kleinen körperlichen Schaden Adelgundens, der Eleonore so sehr amüsierte. „Nimm mir das nicht übel, Eleonore, aber ein Gänschen“ -- sie sprach das „s“ sehr scharf, fast zischend -- „ein Gänschen von fünfzehn Jahren benimmt sich nicht törichter, wie du. Und, wie alt bist du doch?“ „Fünf Jahre jünger als du,“ gab Eleonore prompt zurück. „Richtig. Aber du benimmst dich wie ein Kind. Das steht dir wirklich nicht besonders, die Naivenrolle mit dem Backfischgekicher.“ „Ja, das mag ja sein, meine Liebe, aber du sprichst auch zu komisch. Sag’ doch bitte noch einmal, Gänschen -- Gänsz-schen -- es klingt gar zu drollig.“ Diesen Gefallen tat ihr Adelgunde nun zwar nicht, aber sie belehrte die Schwester: „Wenn du die Folgen eines Zahngeschwürs, das mich acht Tage lang gemartert hat, ‚drollig‘ findest, so kann ich deiner Schwesterliebe das nicht verwehren. Ihr Künstler seid immer äußerst originell in eurer Auffassung fremder Gefühle; und du bist ja -- wenigstens +deiner+ Auffassung nach -- eine Künstlerin.“ Eleonore überhörte die Bosheit und fragte teilnehmend: „Du wirst dir doch einen andern Vorderzahn einsetzen lassen?“ „Nein!“ Das Nein kam so scharf und eisig heraus, als wollte Adelgunde damit ihrer Schwester einen Hieb versetzen. Emil sah verstohlen von seinen Skizzenbüchern auf, die Eleonorens zeichnerische Gedanken über verschiedene, durchaus gewöhnliche Hausgeräte enthielten. Er prüfte Adelgunde mit den Kenneraugen des Malers. „Schönheit ist nicht die Falle ihrer Tugend,“ dachte er. Es ist ja nun einmal von der Natur bestimmt, daß die Töchter Evä einen kurzen Unterkörper und langen Oberkörper besitzen, und man hat sich allmählich daran gewöhnt, daß dem so ist. Aber so kurz, wie bei Adelgunde, brauchen schließlich die Beine auch nicht zu sein; besonders wenn der Oberkörper so lang und eckig gebaut ist, wie hier. Er erinnerte sich, mal als Junge auf einem Jahrmarkt einen sogenannten „Rumpfmenschen“ gesehen zu haben. Der Ärmste saß in einem hellblauen Seidenwams auf einem wulstigen Kissen; und der Knabe ging damals mit Staunen und Schauder um den hockenden Fleischklotz, in dem nur die Augen zu leben schienen, herum und suchte die Beine. An diesen Rumpfmenschen erinnerte ihn Adelgundens wenig glückliche Erscheinung. Durch ihre Angewohnheit, die Arme stets unbeweglich dicht an den Körper gepreßt zu halten, als ob unter den Achseln die Naht ihres Kleides geplatzt wäre und sie das durchaus nicht sehen lassen wollte, gewann die grausame Illusion noch an Wahrscheinlichkeit. Und dann die Toilette! Das Kleid, das sie trug, war weder alt noch schäbig; aber wann sein wunderlicher Schnitt jemals modern gewesen wäre, das konnte kaum festgestellt werden. Ihren Hals schmückte ein himbeerfarbener Seidenschlips, auf dem eine dicke goldne Spinne mit einem perlenbesetzten Hinterleib als Nadel saß. Auf ihren schlechtgebrannten Haaren vom fadesten Blond, durch das sich schon silberne Streifchen zogen, wallte ein unförmiger kanariengelber Hut, der einem Fieberkranken im Traume erscheinen konnte. Gewiß, Eleonore war ja auch keine ~beauté~, und auf einer Schönheitskonkurrenz hätte sie -- selbst in ihrer bereits überwundenen Blütezeit -- verteufelt wenig Aussicht auf eine „lobende Erwähnung“ gehabt. Aber sie kleidete sich wenigstens einfach und hatte in ihren Bewegungen nichts Unweibliches. Diese Adelgunde aber war einfach furchtbar. Selbst wenn sich Emil den kanariengelben Hut und den fehlenden Schneidezahn „rekonstruiert“ dachte; selbst wenn er die himbeerfarbene Krawatte durch eine in Gedanken und Farbe bescheidenere, die besser zu ihrem farblosen, unreinen Teint paßte, ersetzte und sich das Mißverhältnis von Ober- und Unterkörper durch eine zweckmäßige Kleidung gemildert vorstellte, blieb das Gesamtbild noch immer unerfreulich. So etwas zu heiraten, das muß doch furchtbar sein, beendigte der betrübte Maler seine stille Prüfung. Und er versuchte, sich den Armen vorzustellen, der etwa zu Adelgunde passen könnte. Einen Lebenden, der dieser Aufgabe gewachsen wäre, kannte er nicht. Und indem er dies konstatierte, empfand er es als eine seelische Befriedigung, wie ein großes Kompliment für das ganze männliche Geschlecht. Wenigstens vom Standpunkte des Malers. Flocki hatte sich mittlerweile persönlich aus seinem Körbchen bemüht und hatte die ihm äußerst unsympathische Schwester seiner gütigen Herrin zunächst und von der Ferne durch feindliches Knurren begrüßt. Dann hatte er sich, eingeschüchtert durch eine drohende Gebärde Adelgundens, zu Emil begeben, an dessen Hosenbein er sich mit ehrender Zutraulichkeit und großer Energie das Fell rieb. Als Adelgunde den mißvergnügten Köter bemerkt hatte, erhellten sich ihre Züge. Sie wußte, an welcher Stelle sie ihre Schwester kränken konnte. „Da ist ja auch der häßliche Butz,“ sagte sie, einen horngefaßten Kneifer aufsetzend, der sie um nichts schöner machte. „Ich habe dir schon mindestens zwanzigmal gesagt, daß der Hund nicht Butz, sondern Flocki heißt,“ belehrte Eleonore, aufgebracht über die Mißachtung, der ihr Liebling begegnete. Flocki verstand, daß von ihm die Rede war. Er hörte sofort auf, sich an Emils Hosenbeinen zu schaben und sah mit schiefgelegtem Kopf und mißtrauischer Aufmerksamkeit nach Adelgunde. Und richtig, die Kampflustige setzte ihre bedauerlichen Beleidigungen fort: „Solche Köter, die gar keiner Rasse angehören und gar keinen Charakter haben, sollten immer ‚Butz‘ heißen. Butz schlechtweg. Niemals anders. Und nun gar +der+! Ich begreife nicht, wie du mit deinem ewigen Schönheitsgefühl dieses abscheuliche Tier um dich dulden kannst. Freilich, er lobt ja deine Bilder. Der Gute, der Uneigennützige! Das gibt ihm einen durchaus einzigen, unbestreitbaren Platz in deinem Herzen. Du brauchst jemanden, der deine Bilder lobt. Aber das dürfte dich doch nicht blind machen, daß er geradezu der Thersites unter den Hunden ist. Und immer schmutzig.“ „Bitte, heute erst gebadet.“ Adelgunde ignorierte diese entrüstete Berichtigung. Sie wendete sich nun direkt an Emil, der ziemlich geniert auf einem groben Melkstuhl saß, den Eleonore einmal vor Jahren aus einer bescheidenen Sommerfrische auf einer Schweizer Alm als sinnige Erinnerung mitgebracht hatte. „Haben Sie schon einmal einen zweiten Hund gesehen, der immer aussieht, als sei er in eine Lehmgrube gefallen?“ Emil wich der direkten Antwort auf diese Frage aus. „Flockis Fell nimmt merkwürdig leicht Staub an,“ entschied er, „aber ich bin Zeuge, daß er fast täglich gebadet und sehr häufig am Tag gebürstet wird.“ „Ja, +Sie+ sind Zeuge?“ lächelte Adelgunde spitz. „Sie sind wohl der pädagogische und medizinische Beirat bei Flockis leiblicher und seelischer Erziehung.“ „Im Hauptberuf,“ sagte Eleonore rasch und enthob dadurch den ob solcher Anzapfung sichtlich verlegenen Emil der Antwort. „Im Hauptberuf ist Herr Emil Steinbrink, wie ich dir vorhin schon erklärte, liebe Adelgunde, Maler. Also ein Kollege von mir. Sogar ein Kollege, von dem ich sehr viel halte.“ „Sogar!“ Adelgunde verbeugte sich mit leichtem Spott. „Jawohl, meine Liebe, sogar! Er ist Landschafter und hat die Welt mit den Augen des Poeten betrachtet. Daß er, wie die meisten ästhetisch Veranlagten und wie alle +guten+ Menschen“ -- sie legte auf die „guten“ Menschen einen bedeutsamen Nachdruck -- „nebenbei ein großer Hundefreund ist, hat mir seine kollegiale Freundschaft noch wertvoller gemacht.“ „+Noch+ wertvoller?“ Adelgunde schien das ironische Echo der Schwester geworden zu sein. Emil beschloß der peinlichen Szene ein erträgliches Ende zu geben. Er erhob sich von seinem Melkstuhl und sagte mit einer linkischen Handbewegung: „Hier nebenan ist mein Atelier.“ „Hier -- +nebenan+?“ Adelgundens Gesicht nahm einen Augenblick den Ausdruck beleidigter Tugend an. „Ja, er ist ein sehr angenehmer Nachbar,“ kommentierte Eleonore boshaft, „er spielt niemals Chopin, keine Trauermärsche und nichts anderes, was ähnlich klingt.“ Emil begriff, daß Adelgunde nun wieder an der Reihe war für eine bissige Bemerkung. Er beeilte sich also zu sagen: „Interessiert es Sie vielleicht, mein Atelier zu sehen? Ich muß doch eben noch eine halbe Stunde hinüber.“ Er hatte erwartet, daß Adelgunde ablehnen würde. Vielleicht mit ironischem Dank, vielleicht gar mit einer beleidigenden Bemerkung. Aber in der unangenehmen Dame schien die Neugier gesiegt zu haben. Sie erklärte sich sofort zur Besichtigung bereit. Jedenfalls kam er auf diese Weise hier los. Die folgende Viertelstunde gehörte zu den wenigst genußreichen in Emils Leben. Es ist zwar nicht anzunehmen, daß Adelgunde überhaupt was von Bildern verstand; in der Beurteilung von Emils Werken nahm sie jedenfalls einen nüchtern ablehnenden Standpunkt ein. Sie behauptete, daß die violette Farbe in der realen Welt sehr selten vorkomme. +Wenn+ sie aber vorkomme, dann sehe sie nach ihren Beobachtungen anders aus, als Emil sie wiedergab. Sie sprach dann von seiner Vorliebe für Violett, wie von einem schmerzlichen Sehfehler und diskutierte mit ernster Teilnahme die Möglichkeit, dieses Gebrechen durch einen operativen Eingriff in das Sehnetz zu heben. Sie kenne einen Augenarzt, der die merkwürdigsten Operationen mache. Eine sehr distinguierte Dame, mit der sie früher vierhändig Klavier gespielt habe, sei von dem unglücklichen Fehler behaftet gewesen in allen hellen Dingen einen dunklen Punkt zu sehen. Einen Punkt von der Gestalt und Farbe einer Baumwanze. Diese Baumwanze habe ihr der Doktor aus dem Auge herausgeschnitten. Es sei natürlich keine wirkliche Baumwanze gewesen, sondern, wie sie vermute, ein häßlicher Fleck in der Pupille. Die distinguierte Dame sei nach der wohlgelungenen Operation sehr glücklich gewesen, habe vier Wochen nach Vorschrift im dunklen Zimmer gesessen zur Nachkur und sei leider in der fünften ganz plötzlich gestorben. Ein sehr trauriger Fall, der aber niemanden abschrecken dürfe, eine Operation zu wagen. +Sie+ z. B. würde in Emils Fall lieber heute als morgen ihre Zuflucht zur Operation nehmen. Es müsse doch geradezu schauderhaft sein, die ganze Welt, den Himmel, die Bäume, die Menschen, alles violett zu sehen. Auch der Wahnsinn beginne sehr häufig, wie sie aus sehr ernst zu nehmenden Büchern wisse, mit solchen Gesichtsstörungen ... So plauderte sie in ihrer gewinnenden Weise noch vieles, das den Verfertiger der violetten Bilder ähnlich sympathisch berühren mußte. Dann empfahl sie sich, nicht ohne Flocki aus Versehen auf die Pfoten getreten zu haben; eine Ungeschicklichkeit für die der davon Betroffene mit dem ihm eigenen maßlosen Geheul quittierte. Vollständig mit der Untersuchung und der Pflege des Patienten beschäftigt nahm die empörte Eleonore keinerlei Notiz davon, als die Schwester davonrauschte. Emil begleitete sie bis zur Treppe und empfing dort ihre letzte dringende Ermahnung, lieber so lange +nicht+ mehr zu malen, bis die empfehlenswerte Operation vorgenommen sei. Sie war schon auf der Treppe, da raffte Emil, der bis dahin mit der Geduld eines Märtyrers die Freuden dieses Besuches, der ihm eigentlich gar nichts anging, ertragen hatte, zu einer kleinen, bescheidenen Bosheit auf. „Alles, liebes Fräulein,“ sagte er, „+alles+ sehe ich nun doch nicht violett. Zum Beispiel ihren schönen Hut empfinde ich durchaus gelb.“ „So. Empfinden Sie ihn gelb?“ sie lächelte ihm geschmeichelt zu. „Nun, sehen Sie, ich kann Ihnen versichern: er +ist+ auch gelb. Ein kräftiges Kanariengelb. Ich liebe überhaupt das Kräftige.“ Und damit stieg die freundliche Dame, die das Kräftige liebte, mit dem kanariengelben Hut die Treppe hinunter. Das war am Abend des 24. Mai. Emil ahnte nicht, welche Bedeutung einmal für ihn dieses Datum gewinnen sollte. Und als er in sein Atelier zurücktrat und Eleonore zwischen all den violetten Bildern mit finster verkniffenen Lippen in seinem antiquarisch gekauften Sicherheitstriumphstuhl sitzend fand, immer noch den wimmernden Flocki betreuend, da konnte ihm nimmermehr der Einfall kommen, daß diese Stunde in der Freundin einen Entschluß gereift habe, der ihn sehr nahe anging. Ihr Urteil über die Schwester aber faßte Eleonore, ehe sie mit Flocki ging, nur in die knappe Charakteristik zusammmen: „Es ist eine +widerliche+ Person!“ Emil war zu höflich, zu widersprechen. * * * * * Am andern Mittag saßen sich Emil und Eleonore schweigsam bei ihrem bescheidenen Mahl gegenüber. Die Schweigsamkeit des Menschen kann sehr verschiedene Ursachen haben. Hier zwei Beispiele. Emil schwieg, weil das Menü sehr minderwertig zusammengesetzt war. Es gab Erbsensuppe mit Schweinsohren, für die Emil sein Leben gelassen hätte, wenn sie gut gewesen wäre. Sie war angebrannt. Und dann Brathecht mit grüner Sauce. Die Suppe beschäftigte sein enttäuschtes Gemüt; der Hecht, den er minder schätzte, wandte sich mehr an seine Intelligenz und nahm mit seinen Gräten seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch. Um so mehr, als Fischessen eine Kunst und ein Probierstein guter Erziehung ist und er sich vor Eleonore keine Blöße geben mochte. Eleonore aber schwieg, weil ihr vielerlei im Kopfe herumging und das Herz bewegte. Vielerlei, das mit der Erbsensuppe und dem Brathecht in gar keinem Zusammenhange stand. Plötzlich legte sie die Gabel hin, sah Emil ernst und fest in die Augen und fragte mit einer Stimme, der man tiefe, seelische Erregung leicht anmerken konnte. „Wenn ich +stürbe+, mein lieber Freund, würden Sie wohl dem armen Flocki ein Vater und Versorger sein?“ „Wenn Sie -- +was+?“ Emil war froh, besonderes Interesse an der Unterhaltung heuchelnd, den Brathecht beiseite schieben zu können, dessen Todestag, wie ihm schien, schon etwas ferne lag. Eleonore wiederholte mit genau demselben schwermütigen Tonfall ihre ernste Frage. „Aber natürlich, Fräulein Eleonore. Sie wissen doch, mein Herz -- Pikkolo nehmen Sie doch endlich den Brathecht weg! -- mein Herz hängt an dem Tier. Ich habe mich so an ihn gewöhnt und --“ Eleonore reichte über den leeren Brotkorb dem Freunde die Hand. Sie war gerührt. Tränen standen in ihren Augen, und ihre Nasenspitze war elfenbeinweiß und zuckte leise, was stets bei ihr ein Zeichen besonderer seelischer Erschütterung war. „Ich +danke+ Ihnen,“ sagte sie, in jedes Wort eine Fülle glückseliger Empfindung gießend, als habe er ihr soeben Holländisch-Indien als souveränes Fürstentum geschenkt. Emil empfand die Feierlichkeit peinlich. Er liebte das Feierliche überhaupt nicht in öffentlichen Lokalen. Am wenigsten, wenn ein unerzogener Pikkolo in der Nähe stand, der seine schaufelförmig abstehenden Ohren ausgiebig zur aufmerksamen Teilnahme an den Gesprächen der Gäste benutzte. „Aber, liebes Fräulein,“ wehrte der Maler geniert und halblaut ab, „nein wirklich, wie können Sie jetzt vom Tode -- heute gerade vom Tode reden! Sie -- in der Blüte der Jahre, in der Fülle der Kraft, in der -- in der -- --“ „Nehmen die Herrschaften Obst oder Käse?“ fragte der Pikkolo. Emil war ihm dankbar für die Störung. Denn seine Beredsamkeit hatte ihn in eine lichtlose Sackgasse geführt. Er bestellte den steinharten Käse, den man hier, weil er etwas altes Stanniol auf der Oberfläche zeigte, „Chamambert“ nannte. Aber Eleonore kam mit der ganzen Zähigkeit des Frauengemüts auf den ihr lieben Gedanken zurück. „Wenn Sie wüßten, wie mich das beruhigt. Es gibt mir geradezu das seelische Gleichgewicht wieder, das ich verloren hatte --“ Emil ließ einen Grunzton hören, der immerhin ein Bedauern und ein Befremden über das verlorene Gleichgewicht bedeuten konnte. „Ich weiß, +Sie+ verstehen mich,“ fuhr Eleonore fort, während sie Flocki, der einen Gast am Nebentisch einen Geflügelknochen behandeln sah und unschöne Zeichen einer durchaus mißgünstigen Stimmung an den Tag legte, beruhigend an sich zog. „+Sie+ ganz allein. Ruhig, Flocki, nicht heulen! Als gestern meine Schwester ging, stand mein Entschluß fest, felsenfest, wie die Mauer von Jericho.“ Eleonore liebte solche kühnen Vergleiche, die zu denken gaben. Emil überlegte, daß sie außer der Mauer von Jericho auch den Käse, den er hilflos zwischen den Kiefern umherschob, ganz gut zum Vergleich für die Festigkeit ihres Entschlusses hätte heranziehen können. Aber worin dieser Entschluß bestand, das erforschte er weder durch emsiges Nachdenken, noch erfuhr er es an diesem Tage aus Eleonorens Munde. Flocki, tieferregt über den Herrn mit dem Geflügelknochen, hatte Händel an dem Nebentisch gesucht und dafür einen Tritt bekommen. Sein Schmerz über diese unwürdige Behandlung machte sich in kläglichen Lauten Luft. Eleonore, schon seelisch erregt durch die ernsten Erwägungen ihres Todesfalls, gebrauchte alsbald heftige Ausdrücke gegen „miserable Tierquäler“, „mitleidlose Barbaren“ und „unerzogene Menschen“. Bemerkungen, die der Herr mit dem Geflügelknochen leider auf +sich+ beziehen mußte. Er wischte sich denn auch sofort die fetten Finger an der Serviette ab, sah durch eine sanftblaue Brille die erzürnte Dame von der Seite an und gab ihr -- natürlich ohne sich vorzustellen -- den wohlmeinenden Rat, ihren Köter besser zu erziehen. Eleonore, die gerade auf Flockis Erziehung sehr stolz war, setzte leider, aufs neue gereizt, das unersprießliche Gespräch durch die spitze Bemerkung fort, daß es mehr unerzogene Geschöpfe auf +zwei+ Beinen, als auf vier Beinen gebe. Und obschon Eleonore, als sie diesen allgemeinen Vorwurf aussprach, dem Herrn mit dem Geflügelknochen dicht am Ohr vorbei sah, bezog dieser ungemütliche Mann die Äußerung doch wiederum auf sich. Er nannte nunmehr Flocki „eine unglückliche Kreuzung von einer Fischotter und einem Schaukelpferd“ und sprach den Verdacht aus, daß diese Mißgeburt beträchtliches Ungeziefer habe. Seine von keinerlei Sympathie getragenen Betrachtungen über Flocki und Flockis Geschlecht gipfelten in dem mit apodiktischer Sicherheit abgegebenen Spruch, derartige Geschöpfe gehörten in keine anständigen Lokale, und es sei noch zweifelhaft, ob man den Wirten, die sie zur Unbequemlichkeit ihrer Gäste dennoch hereinließen, nicht juristisch und strafrechtlich beikommen könne. Das war der Moment, in dem der Wirt sich in das Gespräch mischte. Nicht eigentlich in den Streit. Denn das Gebot solonischer Weisheit, daß der Athener in jedem Streit zwischen Zweien Partei ergreifen müsse, schien ihm außerhalb des alten Athens keine Geltung zu besitzen. Oder er kannte es überhaupt nicht. Er beschränkte sich also darauf, milde, beruhigende Worte an Eleonore zu richten und ähnliche Ermahnungen an den Herren mit dem Geflügelknochen. Als dieser ihn aber ärgerlich einen „alten Trottel“ nannte, ohrfeigte er unverzüglich den Pikkolo, der sich an dieser häßlichen Bemerkung des Herrn mit dem Geflügelknochen unziemlich erfreut hatte. Dann ging er nach dem Büfett, um das rothaarige Büfettfräulein anzuschreien, was ihm die am meisten ungefährliche Art erschien, seinen Ärger los zu werden, ohne dabei einen zahlungsfähigen Gast zu kränken. In Emils Seele wallten während dieser Szene allerlei ritterliche Gefühle. Von dem Entschluß, dem Herrn mit dem Geflügelknochen Ohrfeigen anzubieten, hielt ihn die kluge Einsicht zurück, daß dieser unangenehme Mensch einen geradezu athletischen Körperbau zeigte. Eine Pistolenforderung schien ihm aussichtslos. Und dann, er hatte niemand zur Hand, der sie überbracht hätte. Auch wußte er nicht, ob der Herr mit dem Geflügelknochen nicht etwa ein Kunstschütze war. Und da er nun so gar nicht ahnte, was er in dieser peinlichen Situation unternehmen sollte, machte er sich wichtig und umständlich mit Flocki zu schaffen, der sich immer noch in der Rolle des Gekränkten gefiel. „Gehen wir,“ sagte Eleonore plötzlich. Und Emil war herzlich froh, daß die unerquickliche Unterhaltung zu Ende war. Der Pikkolo, der an seinen Tränen schluckte, riß ihnen die Türe auf. Und hinter der wie eine siegreiche Königin einherschreitenden Eleonore gewann Emil sehr zu seiner Erleichterung die freie Luft. Eine neugierige Wendung hatte ihm noch gezeigt, daß der Feind, der sie vertrieb, bereits seinen Geflügelknochen wieder ergriffen hatte und an ihm herumnagte, als sei gar nichts geschehen. Eleonore war schweigsam auf dem Weg zu den Ateliers. Nur einmal machte sie plötzlich die, wie es schien, mehr für sich selbst als für Emil bestimmte Bemerkung, sie habe vor drei Jahren in der Schweiz am Genfer See einen Herrn aus St. Gallen an der Table d’hote getroffen, der das zarte Geflügelfleisch so unmanierlich von dem Knochen abgelutscht habe, daß sie sowohl, wie zwei alte holländische Damen die Pension gekündigt hätten. Aber noch in Basel habe sie von diesem Menschen und seiner barbarischen Art, zu essen, geträumt. Emil, der froh war, daß ein Gespräch in Fluß kommen sollte, wollte die spaßhafte Geschichte erzählen vom Schah Nasr-eddin, der beim Galadiner in London die Spargelreste hinter sich warf. Aber Eleonore belehrte ihn mit einem strengen Blick, dies sei eine Geschichte, die nicht hierher passe. Sie rede von europäischer Flegelei und von Geflügelknochen. Einem asiatischen Despoten verzeihe sie viel, einem Mitteleuropäer wenig. Und Emil dachte im Weitergehn darüber nach, wie dieses milde Urteil Eleonorens wieder einmal den alten Erfahrungssatz bestätige, daß die Stellung eines asiatischen Despoten ihre großen Annehmlichkeiten habe. Nur Flocki hatte sichtlich alle trüben Erinnerungen von seiner Seele geschüttelt und war von erfrischender Spaßhaftigkeit. Er erschreckte artige Schulkinder durch Sprünge und unmotiviertes Gebell bis zu Tränen, begleitete eine gelbe Postkutsche eine Strecke weit mit beträchtlichem Lärm durch viele Pfützen, interessierte sich für die an einem Laden in Körben ausgelegten Schellfische mehr, als dem Besitzer lieb war, und mischte sich dann arglos unter das Publikum. Im Atelier, als ihn Eleonore streicheln wollte, erwies es sich, daß er auch Zeit gefunden hatte, an einer offenbar frischgestrichenen Laterne zu rasten und daß ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner linken Körperseite dick mit grüner Ölfarbe bestrichen war. * * * * * Am folgenden Tag kam Eleonore nicht ins Atelier. Der Portier, der bereits wieder bewundernd vor einem erst angefangenen aber schon sehr violetten Bilde in Emils Malerwerkstatt stand, als der junge Künstler, ein wenig verkatert von einem üblen Trunk, den er am Abend zuvor getan, die Türe öffnete, überbrachte ihm ein Billettchen der Freundin. Ein halbwüchsiges Mädchen, das in der kleinen Privatwohnung Eleonorens die Aufwartedienste tat und in Erfüllung dieser Obliegenheiten für dreimal soviel Geld zerschlug, als ihr Lohn ausmachte, hatte das Briefchen gebracht. Es war mit Bleistift geschrieben und enthielt nur diese wenigen Zeilen: „Lieber Freund! Ängstigen Sie sich nicht. Mir ist nicht wohl. Vielleicht war es die Aufregung gestern. Aber ich fühle, daß ich fiebere und habe häßliche Gliederschmerzen. Ich will einen Tag im Bett bleiben und denken, es macht sich rasch wieder. Vielleicht nehmen Sie Flocki heute mit zum Mittagessen? Das Mädchen wird Sie pünktlich um ein Uhr mit dem lieben Tier vor der Haustür erwarten. Sie holt ihn dann gegen Abend bei Ihnen im Atelier ab. Aber wenn’s Ihnen Mühe macht oder Verdruß -- dann natürlich nicht. Lüften Sie bitte ein bißchen in meinem Atelier. Und seien Sie schön bedankt und gegrüßt von Ihrer Eleonore Eikötter.“ An diesem Tag also aß Emil mit Flocki allein zu Mittag. Es war ein trübseliges Diner. Er kam sich ganz vereinsamt vor. Um so vereinsamter, als Flocki viel an andern Tischen hospitierte. Auch der Herr mit dem Geflügelknochen war wieder da. Er aß aber diesmal Sardellenklopps, was die Situation erleichterte. Als das Mädchen am Abend kam, Flocki zu holen, berichtete sie, Eleonore friere und mache gar merkwürdige Sprüche. Der Arzt sei dagewesen und habe auf einem langen schmalen Zettel eine Medizin verschrieben. Sie sehe aus wie Himbeersaft und koste 3,50 Mk., was sie -- Dortchen -- für eine Gemeinheit des Apothekers halte. Eleonore solle alle Stunde einen Eßlöffel nehmen, und sie -- Dortchen -- müsse deshalb sofort mit Flocki nach Hause. Für die Nacht habe sie ernste Befürchtungen, da Eleonore die sonderbarsten Reden über eine Hummerschere und einen Geflügelknochen führe. Sie -- Dortchen -- gehe deshalb stark mit dem Gedanken um, den Laufburschen vom Bäcker gegenüber, der übrigens ein sehr anständiger Mensch sei und eine derartige Bitte gewiß nicht mißverstehen würde, zu ersuchen, mit ihr in der Nähe der Kranken zu wachen. Augenblicklich sei die dicke Portiersfrau bei Eleonore, eine unangenehme, geschwätzige Frau, die, wie man sich in der ganzen Straße erzähle, mit dem Portier gar nicht richtig getraut sei, sondern „bloß so“ zusammenwohne, was besonders deshalb sehr verwerflich sei, weil der Portier schon morgens früh nach Kornschnaps röche und in ganz roher Weise selbst auf die Treppen spucke, was doch allen andern im Treppenhaus Verkehrenden durch Anschlag verboten sei. Nachdem sie alle diese interessanten Mitteilungen ohne Punkt und Semikolon gemacht hatte, entfernte sie sich sichtlich erleichtert mit Flocki und ließ Emil mit sehr violetten Gedanken unter seinen Bildern zurück. Am nächsten Tage hörte er nichts von Eleonore. Er konnte es sich nicht verhehlen, er war ernstlich beunruhigt. Und als es sechs Uhr abends war und er immer noch ohne Gruß und Nachricht war, ging er nach ihrer Wohnung. Erst umkreiste er in gemessenem Schritt das Haus mehrfach, bis er das Mißtrauen sämtlicher Portiers der Nachbarschaft erweckt hatte. Dann faßte er einen raschen Entschluß, trat ein und stieg die Treppen. Ein Jüngling mit vorstehenden grasgrünen Zähnen öffnete ihm die Tür und stellte sich als der Laufbursche vom Bäcker vor, der eben mal ’rübergekommen sei, um nach dem Rechten zu sehen. Dortchen, das tüchtige Mädchen, sei in der Apotheke. Es stehe schlimm mit dem Fräulein. Der Arzt sei sogar zweimal dagewesen, aber sie halte ihn unbegreiflicherweise für einen Kaminkehrer -- vielleicht weil er der vielen Trauer wegen, die sein Beruf bringe, so schwarz angezogen sei -- und wollte gar nichts von ihm wissen. Auch Flocki erkenne sie nicht mehr. Sie behaupte, er sei eine sibirische Fischotter und befehle unaufhörlich, ihn mit lebendigen Sardellen zu füttern. Was den schwarzgekleideten Doktor anbetreffe, so sei das zweifellos ein sehr gelehrter Herr, aber leider wenig mitteilsam. Er habe dem Dortchen bloß gesagt, sie solle das Rezept in die Apotheke tragen und dann schleunigst die Schwester -- nämlich von der Kranken, nicht von Dortchen, die nur einen Bruder habe -- verständigen, daß es nicht zum Besten um die Kranke stehe. Übrigens sei das Kranksein für vermögliche Leute nicht mit so vielen Unannehmlichkeiten verbunden, wie für arme Teufel. Er habe z. B. eine Tante gehabt, die sei am kurzen Atem gestorben und habe vorher herzzerbrechend gejammert und geklagt. Und er sei überzeugt, daß sich das mit dem kurzen Atem gegeben hätte, wenn die Tante zufällig mit einem Kommerzienrat im Tiergartenviertel verheiratet gewesen wäre, anstatt mit einem Chausseearbeiter in Alt-Moabit. Gerade als der Jüngling mit den grünen Zähnen dabei war, Emil auch noch von diesem Onkel Rührendes zu erzählen, der dann als Witwer sehr interessante Erlebnisse mit einer Obstfrau am Spittelmarkt hatte, leuchtete Adelgundes kanariengelber Hut die Treppe hinauf. Hinter ihr keuchte Dortchen, die sehr erhitzt aussah und in einemfort redete, ohne zu verlangen, daß ihr jemand zuhörte. Adelgunde war zunächst der Ansicht, daß Eleonore bestimmt gewußt habe, daß sie -- Adelgunde -- heute abend ihr Whistkränzchen bei der einäugigen Steuerrätin habe, und daß sie sich deshalb diesen Tag zum Krankwerden ausgesucht habe. Rein aus Schikane. Als aber Adelgunde nach kurzer Zeit aus dem Krankenzimmer auf den Flur trat, wo Emil im Dunkeln auf einer hügeligen Holzkiste sitzend voll Unruhe auf ihre Mitteilungen gewartet hatte, da war sie doch recht ernst. Eleonore hatte die Schwester in ihren Phantasien für die merkwürdige George Sand gehalten, deren Lebensbeschreibung sie kurz vorher gelesen hatte, und mit Beziehung auf ihren gelben Hut gesagt, sie finde es sehr lustig, daß so eine große Schriftstellerin einen Eierkuchen auf dem Kopfe trage. Sehr bekümmert schlich Emil davon. Er hätte so gern irgend etwas für die kranke Freundin unternommen. Aber es blieb da nichts zu tun. So ging er in sein Heim, legte sich ohne Abendessen zu Bett und warf sich den größten Teil der Nacht von einer Seite auf die andere, ohne schlafen zu können. Als er aber gegen Morgen doch noch etwas einduselte, träumte er, Flocki sitze mitten auf seiner Brust und knurre ihn, den struppigen Kopf auf die Seite gelegt, boshaft und feindselig an. Und Flocki wurde immer schwerer; schon wie ein Kalb, wie ein Pferd, wie ein Elefant. Emil spürte deutlich, wie seine Rippen im Brustkorb krachend zersprangen unter der wachsenden Last von Flockis märchenhaftem Gewicht ... Als er um 9 Uhr aufwachte, stand der Jüngling mit den grünen Zähnen an seinem Bett. Wie er hineingekommen, bleibt ein Rätsel. Der angenehme junge Mann trug keinen Kragen und roch bedenklich, als ob er sich statt mit Kaffee mit einem nicht zu knappen Schluck Branntwein erfrischt hätte. Das Wesentlichste seines etwas verworrenen Berichtes lautete: Es gehe Eleonore sehr übel, und der schwarzgekleidete Arzt gebe wenig Hoffnung. Dortchen habe gemeint, der Herr Maler interessiere sich dafür, und so sei er rasch hergekommen. Er habe übrigens die Elektrische benutzen müssen -- auch auf dem Rückweg könne er dieses Verkehrsmittel nicht entbehren --, wodurch ihm Unkosten von zwanzig Pfennigen entstanden seien. Emil entließ den Jüngling, der ihm antipathisch war, mit einem 50-Pfennigstück als Belohnung und zog sich rasch an. Ihm war sehr seltsam zumute. Eleonore war ihm ein lieber Kamerad gewesen, und es schien ihm, als ob er sie zu seiner Kunst brauche, wie sie ihn. Er hatte sich an sie gewöhnt, und es hatte ihm auch geschmeichelt, daß diese selbständige, pekuniär unabhängige Dame, die schließlich Verkehr genug gefunden hätte, gerade auf sein Urteil, sein Gespräch und seine Gesellschaft besondere Stücke zu halten schien. Etwas in seinem Leben war aus dem Gleichgewicht gekommen durch ihre Krankheit; und es kam ihm vor, als ob er ihr irgendwie helfen könne und müsse. Er konnte +nicht+ helfen. Auf der Treppe von Eleonorens Wohnung begegnete er dem Arzt. Der betrachtete auf seine ängstliche Frage erst längere Zeit Emil aufmerksam durch seine Brillengläser, dann nicht minder aufmerksam seine eigenen Fingernägel, um schließlich mit einem: „Ja, ja, Verehrtester, +hoffen+ wir!“ an ihm vorbei die Treppe hinunter zu steigen. Aus diesem Ausspruch, dem auch ein medizinisch besser Vorgebildeter keine klare Diagnose hätte entnehmen können, schöpfte Emil nichts weniger als Hoffnung und Zuversicht. Wenn keine Gefahr war, hätte der Doktor gewiß nicht solange schweigend seine eigenen Fingernägel betrachtet, an denen nicht die geringste anatomische oder ästhetische Besonderheit zu bemerken war. Oben wirkte Adelgunde. Das heißt, da die Kranke selbst im Fiebertraum liegend eigentlich sehr wenig Gelegenheit gab, eine energische Wirksamkeit, die zu üben Adelgunde gekommen war und den kanariengelben Hut abgelegt hatte, zu betätigen, so beschränkte sich die Hilfreiche darauf, unzählige Gegenstände von ihrem offenbar sinnvoll gewählten Platz zu entfernen und an einen andern zu stellen. Wobei sie mit jener gedämpften Behutsamkeit zu Werke ging, die in ihrer Absichtlichkeit einen Kranken, der das Bewußtsein noch nicht ganz verloren hat, besonders heftig erregen muß. Auch Emil mußte sofort helfend zur Hand gehn. Es tat ihm in seiner Besorgnis wohl, daß er irgend etwas in der Nähe der Kranken tun konnte, ohne allerdings recht einzusehen, warum er gerade die kümmerlichen kleinen Palmen und fast entblätterten Geranien aus dem engen Wohnzimmer auf den Vorplatz tragen und das eiserne Schirmgestell vom Vorplatz auf den bescheidenen Balkon setzen mußte. Aber Adelgundes gedämpfte Feldherrnstimme ordnete das alles mit solcher Sicherheit an, daß wohl ein tiefbedeutungsvoller Plan diesen wunderlichen Verrichtungen zugrunde liegen mußte. Als sich Emil bei solcherlei Geschäften, immer auf den Zehen schleichend wegen der Kranken, tüchtig in Schweiß gearbeitet hatte, erwies es sich, daß es Zeit war, Flocki an die frische Luft zu führen. Eine Aufgabe, zu der sich wieder niemand besser eignete als Emil. Als er Flocki, der Veranlassung genommen hatte, am Rade eines Flaschenbierwagens sich reichlich das Fell mit Teer zu besudeln, wieder oben ablieferte, erfuhr er, daß Eleonorens Fieberthermometer unter der Achselhöhle 40,1 anzeige. Also sehr hohes Fieber. Er hörte auch durch die halbgeöffnete Tür die kranke Freundin phantasieren. Sie erzählte in heiseren, abgehackten Sätzen, daß sie, sobald die Tage schöner würden, nach Delft zu Pieter de Hooch reisen wolle, um dem Verschmitzten seine Beleuchtungseffekte abzugucken. „Wer ist denn das?“ fragte Adelgunde leise den Maler. „Das ist ein Maler aus Rembrandts Schule. Mehr als zweihundert Jahre tot.“ Adelgunde nickte nur. Sie hatte vermutet, daß der Mann tot war. Nach einer Weile forschte sie weiter. „Sie hat vorhin auch immer von einem gewissen Hundeköter gesprochen? Ich dachte erst, sie meint Flocki, aber es scheint fast -- --“ Der Maler nickte. „Ganz recht. Melchior d’Hondecoeter, der feine Geflügelmaler aus dem Haag ...“ Und als hätte sie’s gehört, schrie plötzlich die Kranke: „Ich will auch Enten malen, wie Hondecoeter. Und Flocki soll die Knochen haben. Alle Knochen soll Flocki haben -- alle!“ * * * * * Eleonore Eikötter hat keine Enten mehr gemalt. Weder wie Hondecoeter, noch minder talentvoll. In der Nacht ist sie eingeschlafen, so gegen drei Uhr, was die bei ihr wachende Adelgunde so sehr beruhigte, daß sie bald ebenfalls einschlief. Nur mit dem Unterschied, daß Adelgunde kurz nach sieben wieder aufwachte. Eleonore aber wachte nicht mehr auf. Sie lag ganz blaß und mit einer seltsam zugespitzten Nase, ein wenig jenem Jugendbilde wieder ähnlich, das die Erbtante entzückt hatte, in ihren reinlichen Kissen und war bereits mehrere Stunden tot, wie der rasch gerufene Arzt konstatierte ... Das Benehmen Flockis war durchaus pietätlos in diesen trüben Stunden. Man erzählt, daß edle Hunde tief und ehrlich, wie Menschen, um ihren Herrn trauern, ja, daß sie keinen Bissen annehmen tagelang. Und mehr als ein Fall gilt als gutbeglaubigt, in dem so ein treues Tier auf dem frischen Hügel seines Herrn in Wind und Wetter Wache hielt und schließlich elend verhungerte. Solchen erschütternden Neigungen war Flocki durchaus nicht unterworfen. Verschiedene Kränze, die am Morgen abgegeben wurden, genierten ihn zwar sichtlich, und die scharfriechenden Tuberosen brachten ihn zum Niesen. Das war aber auch alles, was an Veränderungen an ihm zu merken war. Im übrigen war er gefräßig wie nur je, verfolgte nach wie vor den Briefträger mit seinem Haß und machte sich bei den Zimmerleuten, die wegen des Sarges kamen, angenehm, da er das Wurstfrühstück roch, das die Männer in der Tasche hatten. Emil half Adelgunde bei all den trübseligen Verrichtungen, die der Tod eines Menschen seinem Nächsten aufbürdet. Der zur standesamtlichen Meldung nötige Geburtsschein Eleonores war lange nicht zu finden. Adelgunde, die ein zu enges Trauerkleid gekauft hatte und die Arme nicht bewegen konnte, ohne daß es in allen Nähten krachte, bat Emil, in den tiefen Schubladen des Schreibtisches mit seinen langen und an keiner Bewegung gehinderten Armen danach zu fischen. Während sie ernst beaufsichtigend dabei stand, zog Emil die seltsamsten Dinge aus diesen peinlich sauber mit blauem Seidenpapier ausgelegten Fächern. Fast kam es ihm wie ein Unrecht an der toten Freundin vor, daß er hier so offen ausbreitete, was sie in all ihren Gesprächen schamhaft verschwiegen. Da war das schon vergilbte Bild eines Herrn, der sich durch ein paar vorbildlich schöne Tiefquarten im hübsch ausrasierten Kinn als akademischer Bürger auswies. In der Nähe dieses Porträts, an dessen Rand eine Dedikation ausradiert schien, fanden sich ein paar getrocknete Blumen vor, die in Emils Fingern leise knisternd zu Staub zerfielen. Ein Gedichtsbändchen: Rückerts Liebesfrühling, der viel angestrichene Verse zeigte. Ein paar geknickte Tanzkarten, die in Schmuck und Druck die ganze Geschmacklosigkeit einer kleinen Stadt und in der Kritzelschrift die Autogramme vieler unbekannter Kavaliere aufwiesen ... Wieviel Freude und Weh mochte für die Tote an all diesem wertlosen Kram gehaftet haben, daß sie ihn so lange unter sauberem Seidenpapier, von bunten Bändchen umschlossen, bewahrte! Die traurig-sehnsüchtige Weise des alten Volksliedes zog Emil durch den Sinn: Lang, lang ist’s her -- lang ist’s her ... Nebenan im Sterbezimmer aber stand die Portiersfrau im ganzen fassungslosen Schmerz solcher ungebildeten Leute, die in jedem Toten schon ihr eigenes nahes Ende beklagen, und schluchzte, während sie der Toten einen Veilchenstrauß in die kalten Finger stopfte, immer wieder: „Nein doch, nein -- jetzt -- jetzt sieht man’s erst, wie +schön+ sie einmal gewesen sein muß, das liebe Fräulein!“ Schön --? Wer weiß. Aber jung -- gewiß einmal jung. Mit allen Torheiten, Hoffnungen, Seligkeiten der Jugend, mit all den Träumen, die nicht davon wissen, daß dies Leben einmal, kaum beweint und ohne eine Lücke zu lassen, zwischen schlechten Bildern endigt. Aber weit zurück lagen die Träume ... Und als Emil den Geburtsschein endlich, in ein in lila Sammet gebundenes Konfirmationsbüchlein versteckt, gefunden hatte, las er nicht ohne Erstaunen die Jahreszahl ... Bei dem Suchen nach dem Geburtsschein war übrigens ein anderes wichtiges Papier den beiden in die Hände gekommen. Ein mit einem Rembrandtkopf zugesiegeltes Kuvert, das ganz obenauf in der Mittelschublade lag und in Eleonorens starker Handschrift, deren Energie sogar in diesen langen Buchstaben mit einer gewissen stolzen Absichtlichkeit betont schien, die Aufschrift trug: „+Mein Testament+“. Als alles auf dem Standesamt, mit Schreiner, Pfarrer und Blumenhändler für das Begräbnis geordnet war, fand Adelgunde dieses Kuvert auf dem Topf einer kleinen Dattelpalme wieder, wohin sie es in der Eile beim Suchen nach dem momentan wichtigeren Geburtsschein gelegt hatte. Eine Weile betrachtete sie es unschlüssig. Dann ging sie an die Tür und rief nach Emil, den sie in diesen Tagen wie einen anstelligen Haushofmeister zu behandeln gelernt hatte, und der in den kleinen und kleinlichen Besorgungen für das Begräbnis seinen ehrlichen Schmerz betäubte und die innere Leere zu vergessen suchte, die ihm der Heimgang der einzigen Freundin seiner Person und seiner violetten Kunst hinterlassen hatte. Emil verhandelte gerade an der Flurtüre mit einem etwas angetrunkenen Herr, der behauptete, früher Kantor an der Simonskirche gewesen zu sein, und sich eifrig erbot, mit drei andern, ebenfalls sehr talentvollen Sängern, die einen guten schwarzen Rock besäßen, für 20 Mk., worauf allerdings ein Vorschuß zu zahlen sei, und zwei Flaschen Weißwein (roten trinke er nicht) einige Quartette zum besten zu geben, ohne die eine „anständige Leiche“, wie er versicherte, „überhaupt nicht mehr bestehen könnte“. Als Adelgunde, einen nicht zu überhörenden strengen Vorwurf im Ton, zum dritten Male rief, schob Emil den angesäuselten Quartettsänger sanft aus dem Korridor und schloß die Tür, hinter der man den ehemaligen Kantor der Simonskirche noch einige sehr kräftige, aber unhöfliche Worte sprechen hörte, ehe er einige Proben seiner Gesangskunst gratis spendend die Treppe hinunterstolperte. „Hier ist eine merkwürdige Sache,“ meinte Adelgunde, als Emil zu ihr trat und deutete auf das Kuvert. „Lesen Sie die Aufschrift!“ Emil hatte sie schon gelesen. Er war es ja überhaupt gewesen, der das Papier gefunden hatte. „Was meinen Sie?“ Emil meinte zunächst +nichts+. Das war so in schwierigen Fällen seine vorsichtige Gewohnheit. „Ich denke,“ fuhr Adelgunde etwas ärgerlich über sein Schweigen fort, „Sie werden mir doch irgendeinen intelligenten Vorschlag machen können.“ Emil konnte keinen intelligenten Vorschlag machen. Sein Gesicht täuschte in diesem Moment nicht darüber. Er hatte noch nie ein Testament in der Hand gehabt und hatte sein Gehirn niemals mit ernsten Erwägungen, was etwa mit solchem wichtigen Papier nach dem Tode des Erblassers zu geschehen habe, belastet. „Ich denke,“ sagte Adelgunde nach einer Weile, „ein Testament war hier kaum nötig. Verwandte außer mir hatte die gute Eleonore nicht. Das müßte ich wissen, da ich die Schwester bin.“ Das leuchtete Emil ein. Adelgunde +mußte+ das wissen. Das heißt ... Ihm zuckte ein Gedanke durch den Kopf. Der Herr mit den Tiefquarten im Kinn -- die zerknitterten Tanzkarten -- die staubigen Veilchen -- -- Sollte etwa irgendwo ...? Man hörte zuweilen solche verblüffenden Sachen oder las davon im „Vermischten“ der Zeitungen. Bei seiner Tante Barbara in Limburg hatte eine schwächliche Köchin fünf Jahre gedient, und niemand hatte eine Ahnung, daß diese mürrische und kränkliche Person in einem Dorf der Wetterau zwei hervorragend gesunde Jungen hatte ... Aber das war ja Unsinn. Eleonore, dieses treuherzige Wesen mit allen kleinen Eigenheiten eines späten Mädchens. Nimmermehr! Adelgunde war, als Emil wieder zuhörte, in ihren Bemerkungen zu diesem überflüssigen Testament gerade zu einem kühnen Schluß gekommen. „Es muß vielmehr dieses versiegelte Papier irgendeinen besonderen Wunsch der Pietät enthalten. Vielleicht eine Bestimmung über die Bilder, die sie gemalt hat --“ Selbst die Trauer vermochte nicht ganz ein malitiöses Lächeln von den Lippen Adelgundens zu scheuchen, als sie vollendete: „Vielleicht hat sie nicht gewünscht, daß gerade diese Werke ihrer Hand in meinen Besitz übergehen und mich so zwingen, aus Pietät für die Tote, täglich Dinge um mich zu sehn, deren Vorbilder ich im Leben nicht zu entdecken vermag. Vielleicht hat sie die Schwäche gehabt, diese Malereien einer Galerie als Erbschaft anzubieten -- wovon wir allerdings Scherereien haben könnten -- oder sie hat bestimmt, daß ein oder das andere davon -- Ihnen ...“ „Mir?“ ... An +diese+ Möglichkeit hatte Emil absolut nicht gedacht. Er fühlte, er war ganz blaß geworden. Für ihn war der Gedanke, im Testament irgend eines Menschen erwähnt zu sein, und sei’s auch nur mit einem mittelmäßigen Ölbild bedacht (von welchem einzigen Artikel er eigentlich reichlich genug hatte), ein so Außergewöhnliches, daß ihn die bloße Andeutung wie ein großer Schreck berührte. Wenn ihm plötzlich ein makedonischer Landgensdarm die weißbehandschuhte Rechte wuchtig auf die Achsel hätte fallen lassen und ihn angebrüllt hätte: „Im Namen des Sultans, Sie sind verhaftet!“ er hätte -- obschon sich keiner Freveltat bewußt -- nicht heftiger bis in die Knochen erschrecken können. „Es wäre immerhin möglich,“ fuhr Adelgunde fort, indem sie das geheimnisvolle Kuvert gegen das Licht hielt, als ließe sich dadurch sein Inhalt leichter feststellen, „wäre möglich, daß sie Ihnen mindestens die zwei Bilder wieder vermacht hätte, die sie Ihnen einst abgekauft hat. Daß ich Ihren aparten violetten Geschmack nicht teile, wußte sie vielleicht --“ „Sie haben mit Ihrem Urteil ja nicht zurückgehalten,“ wagte Emil, dem die unerquickliche Szene in seinem Atelier deutlich vor Augen stand, schüchtern einzuwerfen. Adelgunde sah ihn durchbohrend an. „Allerdings. Ich habe, wie immer, meiner Meinung zwar in schonender, aber in nicht mißzuverstehender Weise Ausdruck verliehen. Übrigens reden wir in dieser ernsten Stunde nicht von Ihren Bildern.“ Emil stimmte lebhaft zu. Da niemand sonst zu irgend einer Zeit von seinen Bildern redete, so konnte er auch Adelgundes lieblose Erwähnung in dieser Stunde entbehren. Adelgunde wog das Kuvert in der Hand. „Es scheint ein einziger Bogen ihres gewöhnlichen Briefpapiers zu sein. Gleichviel ein Bogen oder zehn -- wir müssen die Gesetze beachten und tun, was sie vorschreiben.“ Dieser Ausspruch gefiel Emil so gut, daß er ihn, gewichtig mit dem Kopfe nickend, zweimal wiederholte. Leider stellte sich aber heraus, daß dieser von beiden gebilligte Vorsatz zunächst eine lobenswerte Theorie bleiben mußte, da sie beide nicht wußten, was nun eigentlich die zu beachtenden Gesetze in diesem Falle vorschrieben. Unbemerkt von den beiden, die in tiefe Gedanken versunken standen, war Flocki hereingekommen, der ein gewisses Unbehagen nicht verbergen konnte, daß man sich so wenig mit ihm beschäftigte. Er war zu gewissen Stunden an kleine neckische Spiele gewöhnt, an geistige Anregungen, wie sie die vortreffliche Eleonore in ihrer unendlichen Güte immer wieder für den Liebling zu ersinnen pflegte. Die Nichtachtung, die er jetzt in diesem Trauerhause erfuhr, verdroß ihn heftig. Den Kopf auf die linke Seite gelegt, mit dem Schwanz in leiser Erregung den Boden fegend, stand er zwischen den beiden Sinnenden und schnüffelte mißtrauisch hinauf nach dem Kuvert in Adelgundens Hand. „Aber das ist doch einfach,“ sagte plötzlich Adelgunde und sah dabei Emil strafend an, als habe sie es die ganze Zeit gewußt und nur, um seinen Scharfsinn auf eine notwendige Probe zu stellen, für sich behalten, „Sie gehen mit dem Papier sofort zu ~Dr.~ Neumann.“ Emil begriff. ~Dr.~ Neumann war der Rechtsanwalt, von dem Eleonore mehrfach gesprochen. In drei Prozessen, die ihr Flockis Ungebühr eingetragen, hatte dieser tüchtige Advokat zwei Termine versäumt und einen für Eleonore im Wortlaut sehr ehrenvollen, aber pekuniär recht schmerzlichen „Vergleich“ zustande gebracht. Aber der guten Eleonore, die eine fanatische Verehrerin des „Paragraphen“ im allgemeinen und der Rechtswissenschaft im besonderen war, vermochte er gewaltig zu imponieren durch allerlei dicke und alte Bücher, die er mit großer Fixigkeit von den Regalen nahm und nachschlug, und aus denen er ihr nicht ohne schönes Pathos sehr lange und merkwürdige Sätze vorlas, von denen sie den Anfang längst vergessen hatte, wenn der Anwalt die Stimme melancholisch zum Schlußpunkt sinken ließ. Sie war der Ansicht, das seien Reichsgerichtsentscheidungen; und sie fand es sehr scharmant von dem liebenswürdigen Juristen, daß er sich dazu hergab, ihr vorzulesen, was selbst klügere Laien als sie vermutlich nimmermehr beim ersten Male begriffen ... Daß also dieser Dr. Neumann, der als Eleonorens Rechtsbeistand zweifellos von diesem Testament Kenntnis hatte, um Rat gefragt werden sollte, leuchtete Emil durchaus ein. Aber warum sollte gerade +er+, Emil, zu diesem Mann hingehn. Lag es eigentlich nicht näher, daß die Schwester der Erblasserin selbst -- --? Adelgunde unterbrach seine Erwägungen mit den knappen Worten: „Ich halte das für eine reine Formsache. Geschehen +muß+ das aber. Ich fühle mich nicht wohl genug, auch noch diesen Gang zu tun. Also gehen Sie. Aber besser +gleich+. In solchen Dingen versäumt man gar leicht etwas. Also -- hier!“ Mit diesem „hier!“ wollte sie Emil das Kuvert überreichen. Die Handbewegung aber, in die sie wohl Entschluß, Energie, Vertrauen und anderes Schöne hineinlegen wollte, fiel +so+ energisch aus, daß Flocki die Sache mißverstand. Er hielt diese Handbewegung für den Beginn eines seinem Frohsinn gewidmeten Spiels; und da sich in diesen düstern Tagen eine erkleckliche Portion Übermut in ihm angesammelt hatte, so ging er mit erstaunlicher Behendigkeit auf den vermeintlichen Spaß ein. Er tat einen kleinen, aber zielbewußten Sprung in die Höhe, faßte Eleonorens Testament mit den Zähnen, riß es, ehe der verblüffte Emil zupacken konnte, der solchen Überfalls nicht gewärtigen Adelgunde aus der Hand und verschwand damit in tollen Sprüngen, die das Erwachen all seiner lang gedämpften Munterkeit bezeugten, nach dem Korridor. Einen Augenblick standen Adelgunde und Emil wie versteinert ob solcher maßlosen Frechheit. Dann begann über die auf dem Vorplatz ausgebreiteten Kränze, über Veilchen, Tuberosen, Farn, Efeu und Rosen eine sehr peinliche Jagd auf den miserablen Köter, der die Karikatur auf jede Pietät so weit trieb, den letzten Willen seiner Herrin wie eine tote Ratte im Maule hin und her zu schütteln und sich in Sprüngen zu gefallen, die mit der Situation im denkbar peinlichsten Widerspruch standen. Während Adelgunde mit einem Regenschirm den unsinnigen Flocki listig in eine Ecke drängte, ihm seinen Raub zu entreißen, warf Emil durch die leicht klaffende Tür einen Blick in das Zimmer, in dem lang und schmal unter dünner seidener Decke die arme Eleonore lag. Und seinem Malerauge kam es vor, als ob ihr Gesicht in der freundlichen Umrahmung des schmalen Seidentuches, das ihr das Kinn band, im wächsernen Ton des Todes ein leises Lächeln sehen ließe. Ein Lächeln, wie es wohl, die Züge der Lebendigen zu verschönen, sich um Mund und Augen gestohlen, wenn sie von der erstaunlichen Klugheit Flockis Altes und Neues berichtete ... In diesem Moment heulte Flocki laut auf. Adelgundens Regenschirm war ihm unsanft über die Rückengegend geflogen. Adelgunde, hochrot im Gesicht mit wogender Brust und krachenden Kleidernähten, hielt den übel zugerichteten letzten Willen der Schwester in der Hand. Wut und Triumph bebten durch ihre Stimme, als sie dem winselnd über die Kränze nach der Küche retirierenden Flocki nachzischte: „Infame Bestie!“ * * * * * Ungefähr anderthalb Stunden hatte Emil, das unschöne Kuvert wie eine Reliquie in beiden Händen haltend, in Dr. Neumanns Schreibzimmer gewartet. In dem Zimmer war eine schreckliche Atmosphäre. Es schien hier nie gelüftet zu werden. Der jüngere der beiden Schreiber hatte sich zum Überfluß an diesem Tage die Haare schneiden lassen und trug den Kopf mit einer billigen Pomade gesalbt, die einen unerträglichen Geruch nach ranzigem Fett ausströmte. Der ältere Schreiber schien taubstumm zu sein -- er hatte wenigstens den höflichen Gruß Emils nur mit mürrischem Kopfnicken erwidert und die Antwort auf die Fragen: ob der Herr Rechtsanwalt anwesend sei und ob wohl Aussicht sei, ihn zu sprechen, dem pomadisierten Jüngling überlassen. Auch die Arbeit schien er durchaus dieser jüngeren Kraft zuzumuten. Er schob dem Pomadisierten von Zeit zu Zeit ein Aktenbündel über den hohen Pultaufsatz zu, niemals ohne dabei die weiße Streusandbüchse umzuwerfen. Seine eigene Tätigkeit bestand ausschließlich darin, daß er sich mit einem in Zeitabständen von etwa zehn Minuten neugespitzten Hölzchen umständlich die Fingernägel reinigte und die Zähne stocherte. Dazwischen sah er zu seiner Erfrischung zum Fenster hinaus und schien nach seinem sich plötzlich in breitem Grinsen erhellenden Gesichtsausdruck zu schließen, zarte Beziehungen zu irgend einem weiblichen Wesen an irgend einem Küchenfenster des nächsten Hinterhauses anzuknüpfen. Von Emil nahm nach Erledigung der ersten Fragen niemand mehr die geringste Notiz. Nebenan hörte er zuweilen eine sehr erregte Frauenstimme und dann eine gedämpfte Männerstimme. Offenbar berieth ~Dr.~ Neumann in diesem Raume eine nervöse Klientin. Emil hatte den dringenden Wunsch, daß der Fall nicht allzu verwickelt liegen möge. Denn die Aussicht noch eine weitere Stunde hier den Pomadengeruch auszuhalten und an des Bureauvorstehers sorgfältigen Toiletteverrichtungen teilzunehmen, hatte nichts Verlockendes. Endlich hörte man nebenan Stühle rücken und die Türe nach dem Korridor gehn. Emil faßte den letzten Willen Eleonorens fester in beide Hände und wartete. Es dauerte immerhin noch einmal eine starke Viertelstunde. ~Dr.~ Neumann mußte sich wohl von dem Besuch erholen. Endlich flog die Verbindungstür nach dem Allerheiligsten des Anwalts auf, und ~Dr.~ Neumann winkte mit einer Kopfbewegung: „Der Nächste!“ Da Emil der einzige war, der wartete, so hatte er wohl ein Recht, das unbedenklich auf sich zu beziehn, sah sich aber zur Vorsicht noch einmal um, ob nicht etwa einer der Schreiber ... Der Pomadenkopf lag tief über den Akten; und auch der Bureauvorstand hatte sein Hölzchen hingelegt und verglich zwei mit vielen Stempeln und Unterschriften gezierte Papiere mit einem Eifer, als habe er auf der Welt kein anderes Interesse, als den Inhalt dieser merkwürdigen Blätter bis aufs letzte Pünktchen in sich aufzunehmen. Emil saß ~Dr.~ Neumann in seinem Arbeitszimmer gegenüber. Der Anwalt war nicht gerade ein schöner Mann. Aber er hatte, wie Emil sich gestand, einen interessanten Kopf. Der Hinterkopf wuchs aus einem bescheidenen Kränzlein schwarzer Haare spiegelblank und in der Form eines Straußeneis. Die Nase saß ein bißchen nach links geneigt und konnte sich bei leicht ironischen Bemerkungen zu einem merkwürdigen Bogen ziehen, wobei der Mund eine listige Stellung annahm, als ob er pfeifen wollte. „Ich erkenne Sie sofort wieder,“ sagte ~Dr.~ Neumann, indem er wohlgefällig, sich seines vorzüglichen Physiognomiengedächtnisses freuend, nickte. „Sie sind der Herr, dem im vorigen Jahre der Blumentopf in der Lietzenburgerstraße auf den Kopf fiel.“ Emil verneinte. Ihm sei Gott sei Dank noch nie etwas auf den Kopf gefallen. Sein Name sei -- -- -- Aber schon unterbrach ihn der Rechtsanwalt, der den Widerspruch zunächst stirnrunzelnd angehört hatte. Sein Gesicht hellte sich auf, als er Emil abwehrend mit schöner Vertraulichkeit aufs Knie schlug und meinte: „Pardon, nein. +Nun+ weiß ich’s. Sie waren im Vorjahre bei mir wegen des Wasserklosetts. Richtig! Nun, hat unser gepfefferter Brief an den Hauswirt genützt, was?“ Emil beteuerte, auch mit dem Wasserklosett nicht dienen zu können. Sein Name sei Emil Steinbrink. Von Beruf Maler. Er käme auch eigentlich nicht in einer eigenen Angelegenheit, sondern ... „Wegen des Kegelklubs?“ Nein, er kegele leider nicht, oder doch so schlecht, daß sich ein Klub schwer dazu verstehen würde, ihn aufzunehmen. Die Sache sei vielmehr die: Seine vortreffliche Freundin, -- er dürfe sie wohl so nennen -- Eleonore Eikötter sei plötzlich gestorben ... Dr. Neumann schlug sich mit beiden flachen Händen heftig auf die Schenkel. Vielleicht, daß dies seine Art war, tiefe, schmerzliche Anteilnahme zu bezeugen. Vielleicht auch, daß er nur damit ausdrücken wollte: „Ist’s die Menschenmöglichkeit! +So+ was kommt vor!“ Emil sprach weiter. Er erzählte von seiner Bekanntschaft mit der vortrefflichen Eleonore, rühmte ihr schönes Talent, ihren Seelenadel, ihr echt weibliches Empfinden und ging, da dieser Teil seiner Erzählung den Anwalt nur mäßig zu interessieren schien, auf ihren plötzlichen Tod über, auf sein und Adelgundes Wirken in der Wohnung und kam schließlich auf den zufälligen Fund des merkwürdigen Kuverts mit dem letzten Willen. „Wie war doch der werte Name?“ fragte der Anwalt und putzte seinen Kneifer. Emil wiederholte den werten Namen sehr langsam und deutlich. Das Angesicht des Anwalts hellte sich auf, wie vorhin, als er Emil zweimal „erkannt“ hatte. In Emil stieg die leise Befürchtung auf, es werde als ganzes Resultat seiner wohlgesetzten Erzählung etwa eine neue Erkennungsszene mit Verwechslung stattfinden. Aber zu seinem Erstaunen schlug sich der Anwalt wieder mit beiden flachen Händen auf die Schenkel -- eine Bewegung, die ihm offenbar zum Ausdruck vieler und widersprechender Gemütsbewegungen diente -- und wiederholte, als ob ihm damit eine ungemein köstliche Erleuchtung aufgehe: „Steinbrink -- richtig: Emil Steinbrink!“ Da Emil nicht recht wußte, was er nun sagen sollte, verbeugte er sich höflich und reichte dem Anwalt das Testament. Der aber legte es achtlos auf die Tischplatte und indem er Emil fixierte, als wolle er ihn hypnotisieren, fragte er: „Sie kennen natürlich den Inhalt?“ „Ich? Nein.“ „Wirklich nicht?“ „Ich wußte nicht, daß ein solches Testament überhaupt existiert. Fräulein Eleonore und ich sprachen meist nur über Kunst.“ „Nur über Kunst -- natürlich.“ ~Dr.~ Neumann lächelte ein wenig ironisch, wie es Emil vorkam, als er dies „natürlich“ zweimal mit Nachdruck wiederholte. Entweder er hielt von der Kunst nicht viel oder gar nichts von Emils Aufrichtigkeit. „Und, mein verehrter Herr Steinbock --“ „Bitte, Steinbrink.“ „Richtig, ja. Also, mein verehrter Herr Steinbrink, wenn ich Ihnen nun sage, daß Fräulein Eleonore Eikötter dieses Testament erst ganz kurz vor ihrem Tode gemacht hat. Vor ein paar Tagen erst. Hier bei mir. Unter meinem Beistand. Am -- warten Sie.“ Er kramte in einer Schublade und holte einen gefalzten Kanzleibogen heraus: „Hier haben wir’s: am 24. Mai gemacht. Nachmittags. Fräulein Eikötter kam sehr erregt zu mir und bestand darauf, sofort ein rechtskräftiges Testament aufzusetzen. Hier ist das Duplikat.“ ~Dr.~ Neumann versenkte interessiert seinen Blick in das Papier. „Und hier -- richtig -- ich irre mich +nie+ in solchen Dingen -- hier steht’s --“ Er sah wieder auf von dem Blatt: „Sie also sind dieser Herr Emil Steinbrink.“ Emil wurde verlegen. Es war klar, von +ihm+ mußte etwas in diesem Testament geschrieben stehen. Was denn wohl? Er faßte sich ein Herz. „Hat Fräulein Eikötter vielleicht -- --“ er tippte sich fragend auf die Brust ... „vielleicht auch +meinen+ Namen?“ „Allerdings, mein verehrter Herr Steinbrink.“ „Es handelt sich wohl um ein -- ein Bild.“ „Nicht bloß um ein Bild“. Emil fühlte, daß ihm die Kehle trocken wurde. „So. Hm. Also um -- mehrere Bilder.“ „Die Bilder sind natürlich einbegriffen.“ „Verzeihen Sie, Herr Doktor, was heißt, das ‚einbegriffen‘. In +was+ einbegriffen?“ „Nun in die Erbschaft.“ „Aha. Das heißt -- verzeihen Sie, ich bin darin Laie -- in +meine+ Erbschaft.“ ~Dr.~ Neumann schlug sich nun gleich mehrmals rasch hintereinander auf die Schenkel, was ein ziemlich beträchtliches Getöse gab. „Aber, verehrtester Herr Steinbrink, wissen Sie das nun wirklich nicht? Fräulein Eleonore Eikötter hat sie unterm 24. Mai unter Übergehung ihrer Schwester, die nur Kleider und Schmuck, das Bett und den Nachtschrank erben soll und zur Hälfte die von ihr gemalten Bilder -- zum Haupterben eingesetzt.“ „+Mich+?“ Wenn dem guten Emil in diesem Augenblick ein aus der Wand herausspringender herkulisch gebauter Neger gemeldet hätte, S. M. der Kaiser von Abessynien habe ihn zum Wirklichen Geheimen Rat mit dem Prädikat Exzellenz ernannt und bitte ihn einstweilen als Zeichen seiner Gunst ein halbes Dutzend junger Leoparden als Geschenk anzunehmen, -- gewundert hätte ihn das weiter auch nicht mehr. Er -- ein „Erbe“. Er -- ein „Haupterbe“. „Das heißt,“ ~Dr.~ Neumann zog wieder das Papier zu Rate, „ganz so einfach ist die Sache nicht.“ Emil hatte die Sache keinen Augenblick für „ganz einfach“ gehalten. Er saß mit maßlosem Erstaunen da und wartete, wie sich die Angelegenheit komplizieren sollte. „Es muß da ein Köter sein -- ein Hund, nicht wahr? Ein Hund männlichen Geschlechts?“ Emil nickte: „Flocki.“ „Richtig, Flocki. So ist er auch hier bezeichnet.“ Wiederum steckte ~Dr.~ Neumann die merkwürdige Nase in das Papier, dann las er -- mehr zu seiner Information, wie es schien, als für seinen mit offenem Munde lauschenden Hörer das Folgende vor: „Da ich die unverständige und unedle Lieblosigkeit meiner älteren Schwester Adelgunde meinem Liebling Flocki gegenüber, der lange mein bester und einziger Freund war, genugsam kenne, und da ich dieses herzige Tier, das an Verstand und Güte manchen Menschen beschämt, auch nach meinem Tode zum besten betreut wissen will, so bestimme ich hierdurch: daß als mein +Haupterbe+ der mir befreundete Kunstmaler Emil +Steinbrink+ zu betrachten sein soll. Und zwar soll genannter Kunstmaler Emil Steinbrink die Nutznießung der Zinsen meines Gesamtvermögens, dessen Kapital nicht angegriffen werden darf, so lange haben, als mein Hund +Flocki+, den ich seiner sorgsamen Pflege anvertraue, +am Leben ist+. An dem Tage, an dem mein guter Flocki stirbt, gehört das Kapital zur Hälfte meiner einzigen Schwester Adelgunde, zur andern Hälfte soll es der Kunstgenossenschaft zufallen mit der Auflage, alljährlich von den Zinsen einen hierfür besonders begabten Stipendiaten nach Holland zu schicken, um die herrlichen Werke von Melchior d’Hondecoeter, Jan Davidy de Heem, Rachel Ruysch und Jan Weenix mit Fleiß zu studieren.“ * * * * * Wie Emil aus dem Zimmer des Anwalts herausgekommen war, das wußte er selbst später nicht mehr zu sagen. Selbst daß er in der Verwirrung vom Kleiderhaken im Vorzimmer einen falschen Hut abgehängt hatte, dem Geruch nach offenbar die fettige Kopfbedeckung des pomadisierten Schreibers, merkte er erst einen Tag später. Sein Herz strömte über von Dankbarkeit. Haupterbe -- Zinsen -- Nutznießung -- all diese neuen Begriffe wirbelten ihm nur so im Kopf herum. Er wußte, Eleonore war so gestellt gewesen, daß sie ganz behaglich leben konnte, auch ohne je eins ihrer Bilder zu verkaufen. Das würde also jetzt +sein+ Los sein. Ein Nabob! Nun konnte er die +ganze+ Welt violett sehn, so lang es ihm paßte. Das heißt ... Sinnend stand er an einem Laden still. Es war zufällig ein ganz bescheidenes, kleines Käsegeschäft und eigentlich an den aufgestapelten runden und eckigen Käsen nicht viel zu sehen. Emil wollte auch durchaus nicht seine Schaulust befriedigen. Nur nachdenken wollte er, ungestört. Er bohrte seinen Blick in einen großen Holländer Käse und überlegte. Lebenslänglich war die „Nutznießung“ nicht. Nur solange Flocki ... Hm. Flocki war gesund. Gewiß. Gesundheit war eigentlich seine einzige Tugend. Sofern man diesen naturgemäßen Zustand eine Tugend nennen kann. Na ja. Flocki konnte alt werden, ein Hundegreis, ein Patriarch des Viertels. Er hatte von Hunden gehört, die zwanzig Jahre alt geworden waren. Allerdings, sie waren taub und blind und rochen sehr übel. Aber schließlich -- sie +lebten+. Darauf kommt’s an. Normal war freilich ein solches Alter nicht. Was war wohl das normale Alter eines gesunden Hundes. War das bei den einzelnen Rassen verschieden, oder --? Der Besitzer des Käseladens hatte mit Interesse den seltsamen Mann vor seinem Erker stehen sehen, der nun schon seit zehn Minuten den starren Blick in den Holländer Käse bohrte. Er war behutsam in die Ladentür getreten und, entschlossen dem offenbar Unschlüssigen die Entscheidung zu erleichtern, erläuterte er im herzlichen Ton: „Echter Edamer. Kann ich Ihnen sehr empfehlen. Darf ich Ihnen vielleicht ein Viertelchen --?“ Emil fuhr jäh aus seinen Meditationen auf. Er konnte sich nicht ohne weiteres in die nüchterne Wirklichkeit zurechtfinden und fragte verwirrt: „Edamer -- was ist Edamer?“ Der Händler lachte. „Nu der Käse da, den Sie die ganze Zeit so verliebt anstarren. Soll ich Ihnen ein Stück abschneiden?“ In diesem Augenblick kam ein sehr ruppiger schwarzer Spitz aus dem Laden und rieb sich leise knurrend am Bein seines Herrn. Wie hypnotisiert starrte Emil auf den Köter. Langsam, wie unter einem unerklärlichen Zwang, kam es von seinen Lippen: „Käse -- nein. Aber -- -- aber können Sie mir vielleicht sagen, wie +alt+ ein gesunder Hund werden kann?“ * * * * * Etwa ein halbes Jahr nach diesem denkwürdigen Nachmittag traf ich zufällig mit Emil zusammen. Wir waren Schulkameraden gewesen und ein gemeinsamer tiefer Haß gegen die Mathematik hatte uns einander näher gebracht. Wenn trigonometrische Klassenarbeiten geschrieben wurden, war ich sein Trost und er der meine. Und die Note 5 in Verbindung mit einer Stunde Arrest war uns +beiden+ sicher. Später hatten wir uns aus den Augen verloren. Ich hatte in Süddeutschland studiert, er hatte in Norddeutschland gemalt. In einem „Salon der Zurückgewiesenen“ hatte ich mal zufällig ein Bild von ihm gefunden, das mir durch eigentümlich violette Kühe auffiel. Dann war sein Name wieder zurückgesunken in den Nebel, der tausend Dinge und Menschen umspinnt, die uns einmal etwas bedeutet haben, ja vielleicht lieb und teuer waren. Und nun stand er plötzlich leibhaftig vor mir. In der Potsdamerstraße vor einem unscheinbaren Geschäft, in dem Vogelfutter und Hundekuchen unter einem Haufen schmutziger Käfige mit ruppigen Waldvögeln, denen man noch die rohen Griffe der Fallensteller ansah, aufgestapelt lagen. Es war ein nicht übler Herbsttag, und Emil hatte, dem freundlichen Sonnenschein Rechnung tragend, sich sehr hell gekleidet. Er sah überhaupt in seinem modischen dunkelgelben Herbstpaletot, dem blanken Zylinder und den rostroten dänischen Handschuhen elegant, ja fast stutzerhaft aus. Jedenfalls so, wie man einen Maler, der violette Bilder anfertigt, ohne zunächst den Geschmack des zahlungsfähigen Publikums für seine Nuance zu gewinnen, nicht häufig trifft. Sogar einen sehr ausgeprägten Kneck trug er in den diskret karrierten Hosen, und seine schmalen amerikanischen Knopfstiefel zeigten spitze spiegelnde Lackkappen. „Emil, alter Junge, wie geht’s denn?“ „Na ich danke, so pflaumenweich. Man lebt so.“ „+Gut+ lebt man, scheint’s, lieber Sohn. +Sehr+ gut, was? Du bist ja auf deine alten Tage ein veritabler Dandy geworden.“ „Ach geh! Man kann doch schließlich nicht den ganzen Tag im bekleckerten Sammetkittel herumlaufen, um der Welt zu zeigen, daß man ein sogenannter Künstler ist.“ „Du bist wohl verheiratet, Emil?“ „Ich? Ach nein. Du meinst wegen ... Das täuscht. Ich bin bloß ... ich habe bloß ... Aber findest du nicht, daß es hier +zieht+?“ „Na, ein Mailüfterl kannst du schon nicht verlangen. Wir sind ja schließlich nicht an der Riviera und schreiben seit ein paar Tagen November. Übrigens du siehst doch blühend gesund aus. So ein bißchen Herbstwind -- --“ Emil lächelte etwas verlegen. „Ach ja. +Ich+ schon. Es ist auch nicht meinetwegen, verstehst du. Es ist wegen -- --“ Ich folgte seinem besorgten Blick und entdeckte jetzt erst einen Hund, den Emil an einer aus feinen Lederstreifchen geflochtenen gelben Führleine befestigt hatte. „Ach, du hast einen Hund?“ „Ja. Ich habe -- ich habe einen Hund.“ Das kam etwas gepreßt heraus, fast als wollte er sagen: Ich wollte, +du+ hättest den Hund und nicht ich. „Wie heißt er denn?“ forschte ich teilnahmsvoll. „Flocki.“ „Du, weißt du, ich hätte ihn doch schon anders genannt. Flocki -- das klingt so verdächtig nach einer alten Jungfer.“ „+Ich+ hab’ ihn auch nicht so genannt. Er heißt nun einmal so. Ich finde den Namen ja selbst gräßlich. Zum Übelwerden. Aber ich fürchte, wenn ich das Tier plötzlich umtaufe -- nun ist es doch schon so sehr daran gewöhnt -- er könnte am Ende Schaden nehmen -- z. B. denke dir: ich hätte ihn Nero genannt, sagen wir Nero: Und nun gehe ich mit ihm auf der Leipzigerstraße und sehe, daß so ein gräßlicher Omnibuskasten -- sagen wir ‚Lützowplatz-Rosentaler Tor‘ -- dabei ist, mit seinem Riesenrad den Hund zu zerquetschen. Er ist unvorsichtig, verstehst du. Ich rufe also: Nero! Nero! Aber er -- er ist’s noch nicht gewöhnt, Nero gerufen zu werden. Er bezieht es durchaus nicht auf sich. Er hört’s nicht. Rrrrtsch -- das Riesenrad Lützowplatz-Rosentaler Tor geht mitten über seinen Bauch hinweg. Maria und Josef! Ich darf’s gar nicht +aus+denken!“ Ich hatte mit wachsendem Befremden dieser lebhaften Phantasie des Freundes gelauscht. War er so nervös? Er schien das Schreckliche schon wie eine Fata Morgana vor sich zu sehen und den schmerzlichen Grimassen nach zu urteilen, die er schnitt, verursachte ihm diese Erzählung geradezu seelische Qualen. Mein Blick ruhte auf dem Köter, dem diese offenbar innige Liebe galt. Ich sah einen kurzbeinigen, gedrungenen Hund, in dessen schwarzem Kopf Ähnlichkeiten mit einem Mops und mit einem Pudel unverkennbar waren, ohne daß man gewagt hätte, sich für eine von beiden Rassen zu entscheiden. Der schraubenförmig gedrehte Schwanz war durchaus Mops; die lockige grauschwarze Behaarung wies hingegen wieder auf die aristokratische Familie der Pudel. So stellte er sich meinem Empfinden als eine sehr unglückliche Kreuzung von Mops und Pudel dar, mit welcher Vermutung ich ja, ohne Kynologe zu sein, so ziemlich das Richtige getroffen hatte. „Es ist jetzt unsere Stunde zur ersten Abendmahlzeit,“ unterbrach Emil meine stillen Beobachtungen. „Wir essen nämlich immer in Abständen von drei Stunden eine kleine Mahlzeit --“ „Wir -- wer ist das ‚wir‘?“ „Nun -- Flocki und ich. Das ist viel gesünder als eine größere Mahlzeit, bei der man alles so gierig mit hinunterschlingt, Knochen und all so was, sagt der Arzt.“ „Ja, ums Himmels willen, welcher Arzt kommt auf den Gedanken, daß man Knochen ...“ „Der Tierarzt natürlich. Weißt du, ich -- ich bin gottlob gesund und bei der Hand. Das bißchen, was +mir+ mal fehlt, da kann schließlich der Tierarzt auch raten. Ein sehr netter Mann. Er kommt -- Flockis wegen -- wöchentlich zweimal.“ Er sah auf die Uhr und verfärbte sich. „Teufel noch mal! Es ist schon ein Viertel über 5 Uhr. Bis wir zu Hause sind, ist es bestimmt halb sechs. Wenn ihm das nur nichts schadet. Er ist seit zwei Tagen mit der Verdauung nicht ganz in Ordnung.“ „Flocki?“ „Natürlich. Der Arzt sagt zwar, es hätte nichts auf sich. Aber weißt du, ich bin da sehr mißtrauisch. Eine Stiefschwester meines Vaters hat mit sechzig Jahren ... Aber weißt du, das könnten wir alles bei mir zu Hause besprechen. Du hast doch nichts Wichtiges vor? Nein? Also komm’, wir nehmen ’ne Droschke ... He, Kutscher, +Sie+ da, Kutscher!“ Emil hatte einen Taxameter herangewinkt. Flocki war der erste, der hineinsprang mit der behenden Fröhlichkeit eines Hundes, der dieses angenehme Verkehrsmittel sehr wohl kennt und schätzt. Als letzter stieg Emil ein. Er saß sehr unbequem, da er seine Beine fast an den Leib ziehen mußte, um Flocki, der behaglich zur Kugel gerollt auf dem Boden des Wagens lag, nicht zu inkommodieren. Es dauerte nicht lange, so erklang vom Wagenboden ein abscheuliches sägendes Geräusch. Flocki schlief fest und schnarchte. „Er schläft sonst erst +nach+ der Mahlzeit,“ meinte Emil besorgt. Und da er meine vielleicht belustigte Miene sah, so fügte er zögernd hinzu: „Er ist ein so sonderbarer Hund, weißt du, +so+ sonderbar. Und dann für +mich+ -- schließlich, er ist nicht wie ein anderer Hund. Manchmal --“ Schien es mir nur so oder flammte wirklich ein leichter Ingrimm in diesen Augen, die auf den schlafenden Flocki gerichtet waren, als der Freund den unterbrochenen Satz wie im Traum vollendete: „Manchmal möchte ich fast lieber einen robusten Geißbock am Bändel haben, als diesen sonderbaren Hund!“ * * * * * Zu Hause hatte mir Emil die ganze Geschichte erzählt von Leonore, von Flocki und ihm selbst. Er wohnte jetzt am Viktoria-Luisenplatz. In einem Gartenhaus allerdings. Drei Treppen, aber sehr behaglich. Ein Atelier, vier hübsche Zimmer, das größte und schönste war das Schlafzimmer. In der Ecke ein Körbchen mit violetter Seidendecke; offenbar für Flocki. „Schläft er bei dir im Zimmer?“ „Ja. Der Tierarzt sagt, ihm schadet’s nicht. Und mir -- das ist ziemlich egal. Ich höre dann besser, wenn er hustet und all so was. Auch träumt er zuweilen recht lebhaft. Ich stehe dann auf und massiere ihm die Vorderpfoten.“ Der ganze Haushalt war für Flocki eingerichtet. An allen Fenstern eiserne Gitterstäbe in halber Manneshöhe, wie sie ängstliche Mütter wohl in den Kinderstuben anbringen lassen. „Flocki könnte auf so ein Fensterbrett springen, verstehst du, und dann das Übergewicht bekommen und in den Hof stürzen. Das wäre ...!“ Wieder betrachtete ich, wie vorhin im Taxameter, die schreckliche Erregung, die sich des Freundes bemächtigte bei der Erwägung solchen möglichen Unglücksfalles, den seine rastlose Phantasie ausspann. „Ja, warum ziehst du denn nicht parterre?“ „+Hab+’ ich gewohnt. Getrennt vom Atelier. Erst im Vorderhaus. Da regte sich Flocki furchtbar über jeden vorübergehenden Hund auf. Dann im Gartenhaus. Da neckten Bäcker und Metzger und die rüden Schätze der Dienstmädchen im Haus und was sonst da vorüberkam und Zeit hatte, das arme Tier so sehr, daß ich, ohne den Kontrakt auszuhalten, wegzog.“ „Ja, Lieber, da bist du eigentlich, genau besehen, der Sklave deines Hundes.“ „Viel anders ist’s schon nicht,“ seufzte Emil. „Ich kalkuliere so. Wenn er gut gepflegt wird und rationell lebt -- er hat einen ganz kleinen Herzfehler --, so kann er, sagt der Tierarzt, noch zehn bis zwölf Jahre leben. In zwei, drei Jahren aber schon hoffe ich mein großes Bild fertig zu haben; und dann wird es mich in weiteren zwei, drei Jahren bekannt machen. So erreiche ich die pekuniäre Unabhängigkeit von Flocki. Und dann --!“ Wieder leuchtete ein ingrimmiger, fast grausamer Zug in des Freundes sonst so mildem Gesicht. So mögen die Sklaven um Spartacus gelächelt haben, als sie in den Kellern der Fechtschule zu Capua sich heimlich versammelnd von dem furchtbaren Blutbad träumten, in dem ihre römischen Unterdrücker ersaufen sollten. „Und was stellt das Bild dar?“ „Die wilde Jagd. Den wilden Jäger auf dem Gespensterroß, hinter ihm die Meute über niedrig hängende Wolkenfetzen fegend. Alles bei Mondbeleuchtung.“ „Natürlich violett?“ „Woher weißt du das?“ „Ich habe mal vor Jahren Kühe von dir gesehen. Daraus war eine gewisse Vorliebe zu erkennen -- --“ „In diesem Bild der wilden Jagd ist sie aber berechtigt.“ „Kann man’s mal sehen?“ „Ja eigentlich ...“ er wurde verlegen, „es steckt noch ganz in den Anfängen. Aber wenn du dir eben das Nötige dazu denkst.“ Das versprach ich, und so nahm er einen sehr schönen, leicht violett getönten Lappen von einer respektablen Leinwand. Das erste, was ich sah, war -- +Flocki+. Flocki nicht in einer, sondern in dreißig, vierzig Gestalten. Die ganze Meute hinter dem anatomisch sehr merkwürdigen Gespensterroß war Flocki und Flockis Geschlecht. „Du, Emil, weißt du -- die Hunde ...“ „Ja? Fällt dir das +auch+ auf. Es ist mir so gekommen. Ich weiß nicht wie. Ich wollte natürlich Jagdhunde malen, Bracken. Hatte auch mal ein Modell hier. Aber Flocki hat sich wie wahnsinnig angestellt hinter der Tür dort. Dann hab ich eben mehr aus dem Kopf ... Nun ist das Unglück, verstehst du, ich beschäftige mich innerlich soviel mit Flocki -- er bedeutet mir soviel, +muß+ mir soviel bedeuten -- daß unwillkürlich seine Züge und seine Eigenart ... Es ist mir im Grunde gräßlich. Soll das Malefizvieh mir auch noch meine Kunst ruinieren!! Satanspest noch einmal!“ Wie ein Sturm der Leidenschaft war’s plötzlich über ihn gekommen. Er griff eine Handvoll Pinsel aus einer alten Blechdose und warf sie wütend wider die Wand. Dann setzte er sich auf einen in kräftigen Farben leuchtenden kleinen Gebetsteppich, der einen alten Diwan deckte, vergrub seinen Kopf in die Hände und schien nicht übel Lust zu haben, zu weinen. Ich wußte in meiner Überraschung nicht recht, was ich machen oder sagen sollte. Schließlich fand ich den mir selbst nicht sonderlich einleuchtenden Trost: „Mein Gott, vielleicht findet man das sehr originell. Die Rasse ist wenig bekannt.“ „Schöne Rasse,“ knirschte Emil aus seiner Ecke. „Ist gar keine Rasse, ist eine Gemeinheit, ist eine Parodie auf das Hundegeschlecht. Himmel, wie mir das wohltut, mich einmal gehen lassen zu dürfen! Flocki schläft, und du bist ein ehrlicher Kerl. Immer diese Komödie der Zärtlichkeit. Und die Freiheit beim Teufel. Und die Kunst beim Teufel. Und der Mut beim Teufel; der Mut, diese faule, träge, dumme, widerliche Bestie persönlich am Griebs zu packen und in den Landwehrkanal zu werfen mitsamt der verdammten Rente von sechstausend Mark, die mir das lebendige Scheusal trägt.“ „Sechs-tau-send Mark. Donnerwetter! Das ist allerdings ..!“ „Ja siehst du: +das+ ist allerdings!.. Da sagst dus selbst. Das ist eben auch +mein+ Trost, daß neunzig von hundert ganz dieselben Esel wären, wie ich, und nicht den Mut hätten, dieses Rabenvieh ...“ Er unterbrach sich plötzlich, legte den Finger an den Mund und lauschte. „Hat -- hat Flocki nicht eben -- eben geniest? Richtig -- eben schon wieder!“ Er eilte nach der Tür und rief nach der Küche: „Lisette, Lisette! Verbinden Sie mich -- du entschuldigst -- verbinden Sie mich mal gleich Amt VI Nr. 3079.“ „Wen willst du sprechen?“ „Den Tierarzt.“ * * * * * Nein, hier war nicht zu helfen. Dies Gefühl gewann ich, je öfter und je länger ich Emil sah. Und ich sah ihn oft und lang. Denn seit jenem Gefühlsausbruch, dem ich erschreckt beigewohnt, tat es ihm sichtlich wohl, in meiner Gesellschaft sich auszusprechen. Immer über Flocki. Und nur über ihn. Zwei Jockeis, die Analphabeten sind und außer reiten nichts können, als wetten und trinken, unterhalten sich bestimmt nicht soviel von ihren Pferden, wie Emil und ich von den Hunderassen, die Flocki zu seinen Ahnen zählte, und von diesem Köter selbst, der die Zartheit, mit der er behandelt wurde, in schnödester Weise dadurch vergalt, daß er alle Untugenden und Laster, die in seiner schwarzen Seele geschlummert hatten, ins Unerträgliche steigerte. Wenn er müde war, sprang er auf das weichste Möbel, gleichviel, ob es ein Bett, ein Sessel oder ein mit Emils Frackanzug belegter Stuhl war. Wenn er traurig war, knurrte er jeden -- Emil nicht ausgenommen -- feindlich an. Wenn er fröhlich war, entrollte er seinen sonst geringelten Schwanz und wedelte damit so energisch, daß kleinere Tischchen stets in Gefahr waren, umgestoßen zu werden. Bei schlechtem Wetter war er merkwürdigerweise stets besonders gut aufgelegt. Was für die Kleider seiner Freunde sehr unangenehm war, da er mit den schmutzig-nassen Pfoten an ihnen hinaufzuklettern versuchte und keinerlei Verständnis für die kühle Ablehnung seiner Freundlichkeit besaß. Energisch angefaßt oder gar geschlagen durfte er nicht werden, da Emil befürchtete, die zarte Gesundheit des edlen Tieres könne ernstlichen Schaden nehmen. So erduldete Emil ein Martyrium. Sein Bild machte ihm keine Freude mehr, weil jeder Hund, den er der Meute seines Wilden Jägers hinzufügte, immer wieder Flockis verhaßte Züge annahm. Seine Wohnung machte ihm keine Freude mehr, denn überall fand er Spuren von Flockis Fröhlichkeit und Zerstörungssinn. Die freie Natur macht ihm keine Freude mehr, denn er vermochte sie nicht zu genießen, ohne entweder von Flocki an der Leine bald an einen Eckstein, bald um einen Baum gezerrt zu werden, oder, wenn er ihn frei laufen ließ, in beständiger Angst zu schweben, daß der Unvorsichtige von einem Wagen oder einem Automobil überfahren werden könnte. Besonders gegen die Automobile hatte er eine solche Wut in seinem Herzen angesammelt, daß er eines Tages einen maßlos heftigen Artikel in ein Blättchen gegen die „Stinkdroschken“ schrieb, in dem er die Vorstände sämtlicher Automobilklubs so schwer beleidigte, daß sie gemeinsam klagten und der Freund -- „in Anbetracht seines hohen Bildungsgrades“ -- zu einer Geldstrafe von 500 verurteilt wurde. Das war gerade eine Monatsquote seiner Jahresrente! Er mußte sich zwei Monate einschränken und teilte nun den ganzen Haß, dessen sein Herz fähig war, zwischen Flocki und dem Automobil. Dann peinigte noch eine andere Vorstellung seinen Geist. Man las so oft davon, daß Hunde von Leuten, die daraus ein verbrecherisches Gewerbe machten, ihren Besitzern auf der Straße gestohlen wurden. Konnte das nicht auch Flocki passieren? Flocki -- man konnte sagen, was man wollte -- war ein auffallender Hund. Konnten nicht solche Gauner, hingerissen von den körperlichen Vorzügen Flockis und der seltenen Mischung der Rassenmerkmale, die sein Wuchs aufwies, ihm nachstellen, ihn mit Frankfurter Würstchen, seiner Leibspeise, anlocken und entführen? Was dann? Dann +lebte+ der Hund zweifellos noch, aber +er+ konnte sein Leben nicht beweisen. Wie war’s dann mit der Rente? Adelgunde konnte behaupten, der Hund sei tot; aber sie konnte seinen Tod so wenig beweisen, wie Emil das Leben. Das Testament sprach ausdrücklich vom Todestag. Der war dann nicht zu erfahren. Schließlich, da er sogar nachts von diesem fatalen Rechtsstreit träumte, ging Emil zu ~Dr.~ Neumann, der ihn nach längerer Erwägung und nachdem er in vielen Büchern nachgelesen und ihm auch aus einigen Unverständliches mitgeteilt, dahin beschied: Adelgunde könne in diesem Fall verlangen, daß Flocki nach einer gewissen Zeit „für tot erklärt“ werde, womit Emil ein für allemal jeden Rechtsanspruch an die Zinsen von Eleonorens Hinterlassenschaft verliere. Flocki -- für tot erklärt? Das war nun das zweite Schreckgespenst, das neben dem Gespenst von Flockis wirklichem Tod den armen Freund überall hin verfolgte. Er beschloß auf alle Fälle, sich einzuschränken, Ersparnisse zu machen, damit ihn dieser gräßliche Fall nicht unvorbereitet träfe. Aber das war nicht so einfach. Flocki war gut gewöhnt. Der Tierarzt rechnete für jeden Besuch 5 Mk. und kam mindestens zweimal wöchentlich. Die Hinterbeine Flockis mußten auf seine Anordnung täglich massiert werden, was jedesmal 2 Mk. kostete. Kamen hinzu die nicht unbeträchtlichen Unkosten für die Heilung des geprüften Heilgehilfen, den Flocki gleich bei Beginn der ihm unerwünschten Massagekur in den Daumen gebissen hatte. Kurz, es läpperte sich bös zusammen. Das Schlimmste aber waren die Besuche Adelgundes. Sie kam von Zeit zu Zeit nach Flocki zu sehen ... Denn, wie sie sagte, wenn sie auch im Testament der Schwester der Gefühllosigkeit gegen dieses Tier geziehen war, so schien es ihr doch Pflicht des trauernden Schwesterherzens, sich vom Wohlbefinden der einzigen lebenden Seele, an der, so schien es, die liebe Entschlafene gehangen habe, zu überzeugen. Und sie vergaß nie hinzuzufügen, daß sie mit dieser „einzig lebenden Seele“ durchaus nicht etwa Emil, sondern Flocki meine. Diese Besuche bedeuteten für Emil eine Stunde der Qual und Prüfung. Meist erfolgten sie Freitags zwischen fünf und sechs Uhr, zwischen zwei Klavierstunden, die Adelgunde in der Nähe zu erteilen hatte. An schönen, sommerhellen Tagen blieb sie manchmal aus; aber wenn es regnete, kam sie bestimmt. Und da sie prinzipiell niemals Gummischuhe benutzte, so brachte sie meist ein erkleckliches Quantum Schmutz und Nässe an ihren nicht zu knappen Sohlen mit in Emils Salon und auf den farbenprächtigen Bucharateppich, auf den er um so stolzer sein durfte, als er ihn viel zu hoch bezahlt hatte. Das Gespräch nahm aber dann meistens den folgenden Verlauf. „Ach, Fräulein Adelgunde! Welche Freude --“ Emil log jedesmal mit demselben Mißerfolg im Gesichtsausdruck. „Sogar bei dem schlechten Wetter schenken Sie uns die Ehre. Ich darf vielleicht ein Täßchen Kaffee ...“ „Nein, ich danke wirklich. Ich habe schon zu Hause ...“ In diesem Augenblick kam gewöhnlich, ungerufen und ihre Pflicht durchaus kennend, die tüchtige Lisette, ein Mädchen von unbestimmbarem Alter und ganz außerordentlicher Häßlichkeit, die noch durch Kleider von einem augenvergiftenden Blaugrün gehoben wurde, mit dem Kaffeebrett ins Zimmer. Und Adelgunde, die „schon zu Hause getrunken hatte“, trank nicht +ein+ Täßchen, sondern vier, wozu sie eine größere Anzahl von Biskuits verzehrte. Dies alles mit der Miene und dem Anstand einer Europäerin, die etwa bei einem Kaffernhäuptling zu Gast ist und dessen entsetzliche Nationalgerichte aus einer gewissen mitleidigen Höflichkeit für den Gastgeber sich gefallen läßt. Nach dem zweiten Biskuit sah sich Adelgunde suchend im Zimmer um: „Und unser lieber Flocki, ist er nicht hier? Sie wissen, lieber Freund, ich würde nimmermehr zu Ihnen kommen -- denn schließlich, wir sind beide unverheiratet, nicht wahr, und die Welt hat an dem Erfinden und Kolportieren von Schlechtigkeiten ihre größte Freude -- in den Gartenhäusern leider noch mehr als in den Vorderhäusern ...“ Hier machte Emil eine Handbewegung, die dreierlei bedeuten konnte. Entweder sie erklärte: Die Verleumdungen dieser minderwertigen Welt müssen an so edlen Herzen, wie den unsrigen, spurlos abprallen. Oder sie besagte: Sie halten mich hoffentlich nicht für fähig, die von Ihrer Hochherzigkeit geschaffene Situation in unedler Weise auszunützen. Oder aber sie umschrieb den einfachen Gedanken: Was mir schon an deinem Gefasel liegt, mit dem du mir alle acht Tage die Ohren füllst! Adelgunde versuchte gar nicht, hinter den tiefern Sinn dieser Handbewegung zu kommen. Sie fuhr vielmehr fort: „Unsere liebe Heimgegangene hat bestimmt, wie sie bestimmt hat. Es ist an uns, ihren Wunsch zu ehren. Aber sie hat mir unrecht getan. Gewiß, ich habe einige Unarten Flockis bemerkt und -- ich gesteh’s -- peinlich empfunden, über die +Sie+, teurer Freund, in der unendlichen Güte ihres Herzens hinwegsahen.“ (Das war eine satanische Bosheit nach Emils Dafürhalten; denn Adelgunde wußte ganz gut, daß ihn Flockis zunehmende Ungebührlichkeit heftig erbitterte.) „Aber gehaßt? -- Nein, gehaßt hab’ ich das kluge Tierchen +nie+. Der beste Beweis ist, daß ich fast jede Woche den Weg nicht scheue, nach seinem Befinden zu sehn und mich zu überzeugen, daß all die Sorgfalt, die unsere liebe Heimgegangene für ihn erhoffte, ihm auch im vollen Maße zuteil wird. Denn daß ich +Ihretwegen+ nicht komme, lieber Freund ...“ Emil nickte. „Das hätte ich mir schon selbst in aller Bescheidenheit eingestanden, auch wenn Sie es mir nicht bei jedem Ihrer freundlichen Besuche, die mich ehren und erquicken, wiederholt hätten.“ Adelgunde überhörte die Ironie. „Und wo ist unser Liebling?“ „Der Liebling schläft noch.“ „So, so. Er schläft. Nun sehn Sie mal an! Das +liebe+ Tierchen. Lassen Sie ihn nur nicht zu +lange+ schlafen. Man hat mir erzählt, durch allzuviel Schlaf stelle sich leicht bei Rassehunden Fettsucht ein. Und dann kommt plötzlich ein Herzschlag oder -- ein Lungenschlag -- oder ein Milzschlag -- oder ein ...“ „Oder ein Hirnschlag,“ half Emil freundlich aus. „Ganz recht, oder ein +Hirn+schlag,“ bestätigte Adelgunde mit unverminderter Liebenswürdigkeit. „Und dann ist das Tierchen weg -- Eins, zwei, drei -- und es ist weg!“ Das könnte dir so passen, dachte Emil, ich hätte dann 6000 Mark Rente minus, du hättest 3000 Mark Rente plus und obendrein die Freude, mich wieder hungern und schuften zu sehen. Und seine Züge zu einem Lächeln frohster Zuversicht zwingend, tröstete er: „Sie können versichert sein, verehrte Freundin, daß unserm gemeinsamen Liebling an Pflege nichts abgeht.“ Und schon ließ die tüchtige Lisette durch die nur eben geöffnete Türe den Liebling herein. „Komm, Flocki,“ lockte Emil und schnalzte ermunternd mit den Fingern, „sag der guten Tante mal schön guten Tag.“ Und mit einem Satz war Flocki auf Adelgundes Schoß. Das späte Mädchen machte den schwachen Versuch, herzliche Freude über diese Zutraulichkeit zu heucheln. In Wahrheit war Adelgunde wütend; denn Flocki hatte, wie immer bei ihren Besuchen, ganz nasse und ziemlich schmutzige Pfoten. Was daher kam, daß ihn Emil immer, wenn die „gute Tante“ kam, von Lisette wecken und rasch mal auf die Straße führen ließ, damit er sich die oben beschriebenen Pfoten hole. Dies war Emils einzige heimliche Rache für die erschreckende Genußlosigkeit dieser unvermeidlichen Kontrollbesuche. Aber schon war Adelgunde im Zuge. „Mir scheint, lieber Freund, er hat heute etwas trübe Augen, der brave, kleine Flocki. Zeig’ mal deine Guckelchen. Ru--hig halten, Darling. Ja, wahrhaftig, recht trüb.“ „Das ist die Beleuchtung.“ „Nein, nein. Ich täusche mich nicht. Eine gewisse Mattigkeit in der Pupille. Er wird doch nicht die Staupe bekommen? Das fängt so an.“ „Aber dazu ist er doch viel zu alt.“ Adelgunde schüttelte in täuschend geheuchelter Besorgnis den Kopf: „Und eine warme Nase hat er +auch+, unser liebes Hündchen! Eine +ganz+ warme Nase.“ „Das hat er öfter.“ „Um so schlimmer! Ich fürchte, er hat zu wenig Bewegung. Sie sollten radfahren und ihn ein bißchen hinterherlaufen lassen.“ Das könnte dir so passen! Damit er mir unter die Elektrische kommt, nicht wahr? dachte Emil. „Wie oft wird er wohl gebadet?“ „Alle drei Tage.“ „Das scheint mir nicht oft genug. Ein meinen Eltern befreundeter Oberförster hatte einen Setter, den er jeden Tag ins Wasser gehen ließ. Er ist in hohem Alter gestorben.“ „Der Oberförster?“ „Der auch. Aber ich meinte den Setter. Dieser sehr erfahrene Forstmann pflegte zu sagen: Jedes Bad bedeutet einen Monat längeres Leben für so ein Vieh.“ „Wenn also der Oberförster den Hund jeden Tag, wie Sie sagen, zwei Bäder nehmen ließ und das auch nur +ein+ Jahr durchführte, so hatte er dem Setter schon eine Lebensdauer garantiert von -- von warten Sie einen Augenblick --“ (Emil nahm ein Papierchen und rechnete:) „zweimal 365 macht 730, also 730 Bäder. 730 dividiert durch 12 macht -- macht 60 Jahre 10 Tage.“ Ärgerlich über diese ziemlich deutliche Frozzelei, die sich Flockis Pflegevater gestattete, stand Adelgunde auf. „Und Ihr Bild, lieber Freund, der ‚Wilde Jäger‘, wie ist’s mit ihm? Es ist eine allerliebste Idee von Ihnen, Ihren teuren Pflegling gleich in so vielen Exemplaren künstlerisch zu verherrlichen. Und wenn auch im großen Publikum sich wohl niemand dieses Zartsinns recht erfreuen wird, die Verewigte würde gewiß Genugtuung empfinden über Ihr Werk. Sie war ja früher schon die einzige, die in ihrem Kunstempfinden fortgeschritten genug war, Ihre Bilder bewundern zu können.“ Es war Zeit geworden, daß sich Adelgunde empfahl. Sie tat es nicht, ohne noch einmal auf die besorgniserregenden Symptome in Flockis Aussehen und Benehmen mit schmerzlichem Nachdruck hinzuweisen und allerlei gute Ratschläge von einer ganz außerordentlichen Unsinnigkeit zu geben. Als aber Emil gar von der Treppe her noch das laut und vernehmlich abgegebene Versprechen empfangen hatte, daß sie nicht versäumen werde, in der nächsten Woche wieder vorbeizukommen und hoffe, dann den gemeinsamen Liebling wohler und munterer anzutreffen, drängte der angesammelte Ingrimm in dem Herzen des unglücklichen Malers zu gewaltsamer Entladung, die allemal in der Weise erfolgte, daß er sein Malgerät wütend an die Wand und sich selbst stöhnend auf den Diwan warf. Die teure Lisette aber hielt das dumpfe Geräusch der wider die Wand fliegenden Pinsel und Paletten für ein stillschweigend mit ihr verabredetes Zeichen, ihrem Herrn einen Punsch zu bereiten. * * * * * Eines Morgens, ich goß gerade die Geranien auf dem Balkon, erschien Emil plötzlich bei mir. Er war echauffiert und sehr aufgeregt und trug einen nassen Hut in der Hand. „Regnet’s,“ fragte ich erstaunt. „Nein, nein. Als ich in dein Haus trat, hat mich jemand von oben voll gegossen. Es gibt doch rücksichtslose Kerle. Man sollte sich’s nicht gefallen lassen, was? Dem Wirt schreiben? Aber wer hat Zeit? Es ist wohl Wasser, was?“ „Ja, es scheint so.“ Ich untersuchte mit vollendeter Heuchelei. Da mein Balkon über dem Entree lag, so war es klar, daß +ich+ es gewesen, der den guten Emil begossen hatte. „Und das hat dich so aufgeregt?“ „Aber nein!“ Er rannte im Zimmer umher, und nahm alle möglichen kleinen Nippes in die Hand, als suche er etwas ihm Gestohlenes. Ich kannte diese merkwürdige Angewohnheit und ließ ihn -- nicht ohne Angst -- gewähren. „Aber was ist dir denn eigentlich?“ Er trat dicht vor mich hin. „Flocki --“ „Richtig, Flocki! Wo ist er denn?“ Ich hätte eher Apollo ohne Leier, Fortuna ohne Füllhorn und den Perseus ohne das Medusenhaupt bei mir erwartet, als Emil ohne seinen merkwürdigen Hund. „Das ist’s ja,“ sagte er dumpf. „Flocki ist zu Hause. Flocki hat sich heute nacht übergeben. Mehrmals und reichlich.“ „Hm. Auf den Teppich?“ „Nein, auf meinen Gehrock, der auf einem Stuhl lag. Aber das ist durchaus Nebensache. Aber das Schreckliche: Flocki ist +krank+. Zweifellos! Denn das hat er noch nie getan. Er hat auch eine warme Nase. Er hat -- -- --“ „Ja, Lieber, ich bin aber doch kein Tierarzt.“ „Der Tierarzt war schon da. Er sagt, er weiß nicht ... er kann noch nichts sagen. Ich habe ihn natürlich in der Nacht holen lassen. Übrigens hat mir Lisette gekündigt heut früh. Sie war wütend, daß sie zum Arzt mußte mitten in der Nacht. Ein Betrunkener hat sie um die Taille gefaßt auf dem Nürnberger Platz. Sie sagt, sie sei bei einem Maler im Dienst und nicht bei einem Hundevieh. Sie brauche sich nicht nachts von einem Betrunkenen umarmen zu lassen -- du, +wie+ betrunken muß +der+ gewesen sein! -- weil ein Hund, der nicht einmal echt sei, Leibweh habe.“ „Du, Emil -- eigentlich hat sie recht.“ „Natürlich hat sie Recht. Das ist ja das Gräßliche. +Sie+ hat recht, und +ich+ habe recht, und +Alle+ haben recht. Für mich aber steht doch mein Leben auf dem Spiel --“ „Ein +Wohl+leben, Lieber, nichts sonst.“ „Ja aber +denke+ dir doch -- ich bin jetzt so daran gewöhnt. Und aus der Malerei bin ich ganz heraus. Ich kann doch mein Leben lang nicht Flocki malen und immer Flocki. Ich gehe zugrunde, körperlich, seelisch, menschlich, künstlerisch. Ich vertrottele und versimple. Mich wundert’s lange schon, daß ich nicht eines Tages aufwache und nur noch Wau-wau sagen kann.“ „Armer Freund!“ „Es gibt nur +einen+ Ausweg. Das schreckliche Tier muß fort von mir, und ich darf +doch+ die Rente nicht verlieren.“ „Wie aber das? Adelgunde wird das +nie+ zugeben, daß du die Nutznießung des Geldes hast und ...“ „Ich weiß, ich weiß. Und deshalb bin ich entschlossen ... Aber setz dich erst ... nein wirklich, +setz+ dich dort in den Stuhl .. So. Also ich bin seit heute nacht -- um 3 Uhr 45 heute nacht kam mir der Gedanke -- bin entschlossen --“ „Nu +ja+ doch! Zu +was+ denn?“ „Ich +heirate+ Adelgunde.“ Ich nahm unwillkürlich den doppelgeschliffenen Somalidolch, der mir als friedliches Papiermesser diente, fester in die Hand. Das konnte ein Tobsuchtsanfall werden. Eine schwere Nervenstörung war’s jedenfalls. Oder ein Spaß von +seltener+ Kühnheit. Aber so sah kein Spaßender aus. Eine finstere Entschlossenheit lagerte auf Emils übernächtig blassem Kopf. Jetzt erst sah ich, daß er keinen Schlips anhatte, was den Eindruck dieser Verstörung erhöhte. Er sah aus, als sei er direkt aus einem Erdbeben gerettet. „Emil, du wolltest -- --?“ „Adelgunde heiraten. Ja. Ich weiß, was du sagen willst.“ (Ich wollte gar nichts sagen.) „Sie ist älter, wie ich, gewiß. Josefine war auch älter als Napoleon. Aspasia war älter als Perikles.“ „Ja -- +liebst+ du sie denn?“ Er lachte hell auf. „+Auch noch+! Man braucht doch nicht alle Dummheiten auf einmal zu machen. Nein, ich liebe sie nicht. Aber -- ich hasse Flocki. Die Sache steht einfach so. Heirate ich Adelgunde, so behalte ich meine Rente und kann Flocki in Pension geben. Stirbt er wirklich, so haben wir immer noch die Hälfte der Rente und was wir dazu verdienen. Adelgunde ist ja unleidlich. Aber sie ist viel aus dem Hause. Unterrichtsstunden, Freundinnen und all so was. Und ich denke, sie ist vielleicht nur unleidlich wenn -- weil -- solange -- --“ „Solange sie nicht die +Deine+ ist.“ „Die Meine oder die Deine oder die Seine“, brummte Emil ärgerlich. „Solange sie eben nicht verheiratet ist. Die Ehe wirkt veredelnd auf den Menschen. Es liegt oft ein Schatz von Liebe in solchen späten Mädchen. Doch wie’s auch kommt -- sie ist wenigstens ein Mensch und gewiß nicht ohne menschliche Vorzüge. Aber Flocki! Siehst du, wenn ich ein Nilpferd geerbt hätte -- das hat wenigstens eine robuste Gesundheit. Oder einen Orang-Utang -- der ist wenigstens amüsant. Oder einen Karpfenteich -- diese Tiere springen einem wenigstens nicht auf die Möbel, ins Bett, ins Gesicht. Aber dieser Malefizköter! Siehst du, wenn ich’s geahnt hätte, damals, wie ich ihm im Atelier das Fell kraute .... Wie ich den Herrn mit dem Geflügelknochen ... wie mir der ~Dr.~ Neumann mit dem Testament ... Nach Amerika wär ich ausgewandert, mein Wort darauf! nach Alaska meinetwegen, ja in die Südsee zu den Kanibalen. Wahrhaftig! Aber jetzt --! Die Gewohnheit hat mich unterjocht. Ich kann nicht mehr Gummikragen umbinden und für fünf Groschen ‚mit Bier‘ zu Mittag essen. Wen der Himmel für die Kunst verderben will, den macht er zum Rentier! Denn malen -- siehst du -- malen kann ich auch nicht mehr. Du hast’s ja selbst gesehn. Ich muß erst wieder Flocki los werden. Aus meiner Nähe, aus meinen Gedanken, aus meiner Kunst muß die Bestie. Das Hundeleben muß aufhören. Ich will wieder ein +Mensch+ sein. Ergo: ich heirate Adelgunde. Und der erste Paragraph unseres Ehevertrages heißt: Es ist keinem der Ehegatten erlaubt, ohne Zustimmung des andern Ehegatten einen Hund irgendwelcher Größe in der ehelichen Wohnung zu halten.“ „Hm. Aber schließlich gewisse Verpflichtungen hast du doch auch gegen Flocki. Es wäre doch eine zwar pfiffige aber ein bißchen rohe Umgehung des letzten Willens deiner Freundin, wenn du das Tier nun irgendwo in Pension gibst, wo es geprügelt wird und hungern muß und von den Kindern an den Ohren gezogen wird.“ Emil unterbrach seinen Spaziergang längs meines Bücherschranks, richtete stolz das blasse Haupt empor und sah mich mit einem Blick an, in dem tiefe Mißbilligung nicht zu verkennen war. „Wo denkst du hin?! Was traust du mir zu! Bin ich ein Kongoneger? Sehe ich aus wie ein Feuerländer? Natürlich Flocki, soll es gut haben. Das wird meine erste Sorge sein. Ich habe schon an den Zoologischen Garten gedacht. Wenn ich diesem Institut den Hund schenkte? Er ist eitel, ich kenne ihn. Es würde ihn beglücken, an seinem Käfiggitter ein blaues Schildchen mit seinem Namen und seiner Rasse -- -- ja, da liegt die Schwierigkeit. Ich fürchte der Zoologische Garten verweigert solcher ziemlich willkürlichen Kreuzung die Aufnahme. Nein, nein, es muß Privatversorgung erwogen werden. Eine Witwe vielleicht. Kinderlos natürlich. Kinder hat Flocki nie geliebt, und dann fühlen sie sich zur Erziehung berufen, die Flocki immer abgelehnt hat. Es würden sich daraus Konflikte schlimmster Art entwickeln. Also eine kinderlose Witwe. Witwen sind voll Zärtlichkeit und verstehn sich auf Pflege. Das heißt --“. Wie von einem bezaubernden Einfall geblendet wich Emil plötzlich einen Schritt zurück, dann trat er ganz rasch drei Schritte auf mich zu, legte mir die Hand auf die Schulter und lieh seiner vorzüglichen Eingebung die guten Worte: „Das heißt -- hättest +du+ vielleicht Lust, Flocki zu nehmen: Ich will ihn dir schenken.“ * * * * * Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß ich Emils hochherziges Angebot dankend ablehnte. Woher ihm eigentlich die Sicherheit gekommen war in der Voraussetzung daß ihn Adelgunde, sobald er ihr einen Antrag machte, auch nehmen würde, weiß ich nicht. Aber einen andern Ausgang der Angelegenheit hatte er keinen Augenblick ernstlich erwogen. Um so peinlicher war sein Erstaunen, als Adelgunde sich drei Tage Bedenkzeit ausbat. Das Unglück wollte es, daß Flocki noch immer eine warme Nase hatte; und Emil stand unter dem Bann der fixen Idee, daß dieser tückische Hund in diesen drei Tagen bestimmt sterben werde, um ihn zu ärgern und seine Rettung in lebenswerte bürgerliche Verhältnisse unmöglich zu machen. Der Tierarzt kam täglich dreimal, wurde außerdem mehrfach telephonisch in seiner Wohnung und in dem Café, in dem er mittags Domino zu spielen pflegte, angeklingelt und blieb auf Emils besonderen Wunsch auch nachts telephonisch für ihn erreichbar. Endlich am dritten Tage nachmittags um zwölf Uhr kam ein Briefchen von Adelgunde. Als ich um ein Uhr in seine Wohnung kam, nach dem Freunde zu sehen, der mir in den letzten Tagen Sorgen gemacht hatte, erzählte mir Lisette, der Herr habe vorhin durch einen Dienstmann ein Billetchen bekommen. Darauf habe er sich längere Zeit lächelnd vor dem Spiegel im Korridor aufgehalten, habe dann telephonisch ein Rosenbukett mit violetter Schleife für fünf Mark bestellt, habe seinen Friseur kommen lassen und eine halbe Flasche Veilchenparfüm auf zwei Taschentücher gegossen, die er in seinen besten schwarzen Rock gesteckt. Dann habe er ihr -- Lisette -- zehn Mark geschenkt mit der Weisung, sich möglichst bald eine schöne Granatbrosche dafür zu kaufen (warum gerade eine Granatbrosche wisse sie nicht) sei vor Flockis Körbchen getreten und habe den sehr erstaunten Hund ein „Rabenvieh“ genannt, was ja wohl seine Berechtigung habe, aber doch, so weit sie sich entsinne, zum ersten Male passiert sei. Dann habe er sich einen Zylinder aufgesetzt, habe ein paar resedafarbene Handschuhe in die Hand genommen und sei pfeifend, ohne seiner sonstigen Gewohnheit gemäß detaillierte Weisungen Flockis Wartung betreffend zu geben, die Treppe hinabgesprungen. Wie ein Reh. Dies „wie ein Reh“ gefiel Lisette so gut und schien ihr so erstaunlich charakteristisch, daß sie es noch dreimal mit Nachdruck wiederholte: „Wie ein Reh -- wenn ich’s Ihnen sage: wie ein Reh!“ Ich wußte genug. Ich empfahl Lisette, beim Ankauf der Granatbrosche sehr umsichtig vorzugehen, und machte mich auf den Heimweg. Zu Hause setzte ich mich an den Schreibtisch und schrieb ein Rohrpostbriefchen. Ich habe es gegen meine Gewohnheit dreimal aufgesetzt. Es gibt Glückwünsche die sehr schwer fallen. Man wünscht wohl, aber man glaubt nicht. * * * * * Wenn Emil eine Prinzessin von Trapezunt geheiratet hätte, er hätte sich in den folgenden Wochen nicht beglückter benehmen können. Er markierte Verlobungswonne in geradezu vorbildlicher Weise. Er kaufte Buketts, Lyrik, Marzipan. Er trug zu enge Stiefel und zu hohe Kragen. Er sann auf zarte Überraschungen und las nachts im Bett eine gräßlich langweilige Biographie von Johann Sebastian Bach, den Adelgunde sehr verehrte. Von Kontrapunkt und Fuge sprach er jetzt so viel, wie er früher von Flocki und seinen Magenverhältnissen gesprochen hatte. Eines Tages erwarb er in einer Versteigerung bei Lepke sogar ein sehr mäßiges Ölbild, das den großen Meister darstellen sollte, das sich aber leider später als das Porträt seines Vaters, des Hof- und Ratsmusikus Johann Ambrosius Bach erwies. Mit der Ungeduld eines Romeo drängte Emil auf Beschleunigung der ehelichen Verbindung. Blos standesamtlich wünschte Adelgunde. Emil war einverstanden. Ich war Emils Trauzeuge. Adelgunde hatte sich für die feierliche Handlung ihren Hauswirt mitgebracht. Dieser brave Mann, in seinem Privatleben ein Schneidermeister, dessen Anzüge eine gewisse Berühmtheit genossen, weil sie jedem Besteller die Figur ihres Verfertigers gaben, hatte leider zur Vorfeier des Tages sehr heftig gefrühstückt und kämpfte während der Zeremonie so tapfer wie vergeblich gegen einen Schluckser. Adelgunde hielt dies mühsam gedämpfte Geräusch für einen Ausdruck tiefer, seelicher Ergriffenheit und hat später dem Gatten gestanden, daß diese Feierlichkeit den lange von ihr gehegten Verdacht als begründet erwiesen habe; daß nämlich der ehrsamliche Schneidermeister selbst ein Auge auf sie geworfen habe, ohne den Mut zu finden, zu tun, was Emil getan hatte ... Im Separatzimmerchen eines kleinen aber guten Restaurants der Potsdamerstraße war das festliche Frühstück, das dem standesamtlichen Akt folgte. Nur wir vier. Und ein sehr diskreter Kellner, der die Speisen immer erst brachte, wenn sie kalt waren. Ich hielt eine kleine Rede auf das Brautpaar, sprach von der ehelichen Liebe, die das Leben adelt, jede Freude erhöht, jeden Schmerz gemeinsam tragen lehrt -- kurz ich gab, der Situation angemessen, eine Anzahl von Gemeinplätzen zum besten, die jedem lateinischen Übungsbuch für Quinta Ehre gemacht hätten. Dann erhob sich der Trauzeuge Adelgundes. Er erzählte mit etwas schwerer Zunge sehr merkwürdige Dinge, die nur leider keinen rechten Zusammenhang mit der festlichen Veranlassung dieses gemeinsamen Mahles zeigten. Er sagte unter anderem, er sei bei einer alten Tante erzogen worden, die ihm früh den Spruch eingeschärft habe: Üb’ immer Treu und Redlichkeit -- bis an dein kühles Grab. So gedenke er’s auch zu halten. Die Wohnung im dritten Stock seines Hauses habe früher 1000 Mark gekostet. Nun aber habe er die Toilette neu tapezieren und den Herd umsetzen lassen. Auch sei ihm eine Hypothek gekündigt worden, was ihn sehr verdrieße. Vom nächsten Quartal an müsse er 1100 Mark für diese Wohnung verlangen, was er als Ehrenmann heute schon ankündigen wolle. Zumal da in einem fort darin Klavier gespielt werde; was zwar immer noch nicht so schlimm sei, wie Waldhorn. Was die Ehe anbetreffe, so habe darüber der Apostel Paulus ein sehr gutes Wort gesagt, das ihm jetzt nicht einfalle. Und wenn die Pute nicht so kalt werden solle, wie der Rehrücken leider vorhin gewesen, so müsse er seine Rede jetzt schließen. Diese letzte Wendung wurde von uns als Scherz gedeutet. Wir riefen hoch und stießen an. Der Meister war sehr geschmeichelt und nahm drei Bruststücke von der Pute. Nach dem Eis erhob sich Adelgunde und verabschiedete sich von uns mit einem verschämten Lächeln, das ihr gar nicht übel stand. Mit diesem Lächeln konnte sie für fünfunddreißig gelten. Sie fuhr in einem Taxameter nach Hause, um ein Reisekleid anzulegen, da eine kurze Hochzeitsreise nach Potsdam beschlossen war. Als Adelgunde gegangen war, offerierte Emil mit dem strahlenden Lächeln, das ihm selbst bei des Trauzeugen Rede nicht verlassen hatte, sehr schwarze Zigarren mit sehr roten Leibbinden. „Sagen Sie, lieber Herr Steinbrink“, fragte der Meister, indem er sich drei Zigarren auswählte und neben seine Kaffeetasse legte, „was wird nun eigentlich aus ihrem +Hund+, solange sie auf der Reise sind -- --? Es ist wegen der Wohnung. Ich bin da etwas unruhig. So ein Vieh ruiniert leicht mancherlei, nagt und schabt und kratzt -- --“ Emils Gesichtsausdruck verlor an Fröhlichkeit. Und der meine war in diesem Augenblick kaum sehr intelligent. „Ja, erlaube mal, Emil“, warf ich ein, „hast du denn noch niemand gefunden, den du -- -- Ich meine die Witwe, von der du sprachst, die kinderlose Witwe ...“ Emil wurde sehr verlegen. Er pickte nervös an dem Bändchen seiner schwarzen Zigarre herum und, ohne mich anzusehn, sagte er kleinlaut: „Die Sache ist +die+, Lieber. Ich und Adelgunde -- Adelgunde und ich -- wir haben’s uns eben überlegt. Eine fremde Pflege ist doch nicht so sicher. Du weißt, es gehen uns dreitausend Mark verloren, wenn Flocki stirbt. Das ist schließlich keine Kleinigkeit.“ „Tausend noch mal!“ bestätigte der Meister und knüpfte seine Weste auf. „Na und siehst du, so kamen wir eben nach reiflichster Überlegung überein, Flocki zu +behalten+. Gott, er hat ja auch seine Vorzüge. Und dann: man gewöhnt sich. Es ist merkwürdig, +wie+ man sich gewöhnt. Während wir in Potsdam sind, wird Lisette -- du weißt, wir übernehmen sie in den jungen Hausstand. Und wenn wir zurückkommen -- Gott, Adelgunde hat eine so glückliche Hand in der Pflege. Du sollst mal sehen, wie die Blumen gedeihn an ihrem Fenster -- und haben doch fast keine Sonne.“ „Erlauben Sie,“ fiel der Meister ärgerlich ein, „das muß ich denn doch besser wissen. Vom Mai bis Ende September hat das Fenster von Mittags zwölf bis nach zwei Uhr Sonne. Wenn’s nicht regnet, natürlich. Aber dann hat kein Mensch Sonne und kein Fenster.“ Emil hörte ihn nicht. Die erloschene Zigarre im Munde stierte er in tiefem Sinnen in den riesigen Aschbecher. An seines Geistes Augen mochte das ganze Martyrium dieser Erbschaft vorüberziehen, das Martyrium, das hinter ihm lag, das Martyrium, das seiner wartete ... Wir beiden andern schwiegen und rauchten. Plötzlich fuhr Emil aus seinen Träumen auf und sah nach der Uhr. „Himmel, ich muß fort. Höchste Zeit. Entschuldigt die Plötzlichkeit, Kinder, aber wir versäumen sonst den Zug. Ich muß Adelgunde abholen ...“ „Aber es ist ja noch reichlich anderthalb Stunden. Und zum Potsdamer Bahnhof habt ihr nur sieben Minuten.“ „Hm. Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß man zu zweien immer +mehr+ Zeit braucht, als allein.“ Der Meister rechnete angestrengt an den Fingern: „Und zweimal sieben macht vierzehn -- nicht wahr? Und eine Stunde und eine halbe macht neunzig Minuten, und neunzig weniger vierzehn macht sechsundsiebzig ...“ Es war nicht recht einzusehen, warum er sich in die Mühseligkeiten dieser Rechenaufgaben stürzte; denn von uns beiden hörte ihm keiner zu. Selbst dann nicht, als er durch eine sehr schwierige und rätselhafte Division sich tief in die Gefahren der Bruchrechnung verstrickte, die er dann mit einem befriedigten „Na, und überhaupt!“ abschloß. Emil hatte seinen Paletot angezogen, den der Meister mit kritischem Blick maß. Der Reisefertige reichte mir die Hand zum Abschied; und mir war’s, als legte er eine ganz besondere Bedeutung in sein Abschiedswort: „Du hast Recht, wie schon manchmal, lieber Freund. Aber wir müssen vorher noch Adieu sagen. Adelgunde besteht darauf, daß wir +Flocki+ noch einmal sehen, ehe wir ihn für ein paar Tage verlassen. Schließlich -- +er+ hat uns doch zusammengeführt! ...“ [Illustration] [Illustration: Das Verhängnis des Hauses Brömmelmann] Er hatte nur unter den größten Schwierigkeiten eine Frau bekommen. Es ist lächerlich, zu behaupten, daß das an seiner Persönlichkeit lag. Es lag am Namen. Gewiß, er war nicht schön. Die unansehnliche Figur, die etwas Verbogenes, Geknicktes an sich hatte, sah in dem langen schwarzen Gehrock, den er immer trug, nicht gut aus. Er erinnerte, wenn er so daher kam mit dem schief nach links über den altmodischen Kragen nickenden Kopf und den lang herabhängenden Armen, die immer die Knie kratzen zu wollen schienen, an einen jener dressierten Urwaldbewohner, die, ein Zylinderchen auf dem Kopf, auf ein geduldiges Ponychen mit heimlichen Riemen festgebunden, als erste Nummer unter dem Jubel der Kinderwelt in melancholischem Galopp die „Abend-Gala-Elite-Vorstellung“ der Affentheater einzuleiten pflegen. Auch waren seine Füße unverhältnismäßig groß und erweckten beim Gehen den Eindruck, als ob jeder von ihnen eigensinnig just auf denselben Fleck treten wolle, den der andere gerade inne hatte; und dies mit solcher Vehemenz, daß es ein wahres Wunder genannt werden mußte, wenn +Anton Brömmelmann+ sich bis zu seinem fünfundvierzigsten Jahre noch nicht die Zehen abgetreten hatte auf seinen Geschäftsgängen. Denn zum Vergnügen ging er nie. Das Geschäft war ihm alles. Er arbeitete dafür den ganzen Tag; er erholte sich davon, indem er abends in alten Geschäftsbüchern blätterte und alte Geschäftsbriefe im Kopierbuch las; und er träumte davon in der Nacht. Das Geschäft war sein Glück -- denn es blühte. Und es war sein Unglück -- denn es hatte seinem Namen einen wenig seriösen Klang gegeben. Und just um dieses Klanges willen hätte Anton Brömmelmann beinahe keine Frau bekommen. Eine geschickte Reklame des Vaters -- der auch schon Anton geheißen und den Ruhm des Geschäftes begründet hatte -- war dem Namen Brömmelmann verhängnisvoll geworden; insofern als er diesen nicht sinnverwirrend schönen aber auch nicht ohne weiteres verwerflichen Geschlechtsnamen braver kleiner Beamten und Pastoren plötzlich laut, heftig und dauernd mit -- ja, es muß schon gesagt werden: mit Wasserklosetts in Verbindung brachte. „Anton Brömmelmanns Wasserklosetts für Privatwohnungen, Klubs, Hotels, Spitäler, Kasernen und Gefängnisse“ waren weit über Neuenburg hinaus eine Berühmtheit. Durch unzählige Annoncen in den Tagesblättern hatte er sie -- wenn das so auszudrücken erlaubt ist -- dem Herzen des Publikums eingeschmeichelt. Er hatte Gutachten über ihre Diskretion im Geräusch und Wasserverbrauch und über ihre Unentbehrlichkeit im Großbetrieb fleißig gesammelt und veröffentlicht; hatte enthusiastische Zustimmungen von Hygienikern, berühmten Schauspielern, Anstaltsdirektoren, ja sogar von zwei wirklichen Geheimen Räten mit dem Prädikat Exzellenz seinem Katalog anheften können. Und so hatte er mit der Wahrhaftigkeit, wie sie nur die Todesstunde verleiht, auf dem Sterbebette seinem einzigen Sohn feierlich und nicht ohne Genugtuung versichern dürfen, daß es in und um Neuenburg, wenigstens in menschlichen Wohnstätten, die etwas auf sich hielten, keinen geheimen Ort, den ein guter Mensch betrat, gebe, der nicht an bescheidener Stelle auf weißem Porzellangrund den Namen „Anton Brömmelmann“ rühmend dem nachdenklichen Beschauer nenne. Das aber war das Fatale. Welches junge Mädchen von sittlichem Gefühl verliebt sich in einen Mann, der mit so unentbehrlichen, aber doch so ungern genannten Gebrauchsgegenständen handelt? Welches wohlerzogene Bürgerstöchterlein tauscht froh und reulos seinen mehr oder minder wohlklingenden Vatersnamen gegen einen Namen, den immer und immer wieder Annoncen in den Tagesblättern in solch merkwürdige Erinnerung bringen; der immer und immer wieder von weißem Porzellangrund abzulesen ist? ... Wenn Anton Brömmelmanns Ahnherr im Dreißigjährigen Krieg nachweislich gehängt worden wäre; wenn sein Großvater beim Rastatter Gesandtenmord eine üble Rolle gespielt und seine Großmutter im berüchtigten Hirschpark von Versailles zeitweise unrühmlichen Aufenthalt genommen hätte -- das wäre alles kein so trauriges Ehehindernis für Anton Brömmelmann gewesen, als der fatale Umstand: daß sein fleißiger und rechtlicher Vater gar so viel Lobendes über seine vortrefflichen Fabrikate veröffentlicht hatte. Und außerdem: mitten in der Hauptstraße, zwischen der appetitlichen Konditorei von Grötschel und der poesievollen Blumenhandlung der stets in tiefe Trauer gekleideten Witwe Schwiebus -- die drei verletzend naturalistischen Riesenerker des Brömmelmannschen Geschäfts! Welche Frauenseele in jenem glücklichen Alter, da man sich Verse von Lenau ins Album schreibt und mit Leutnants tanzt und Lieder von Schumann singt, bebte nicht scheu zurück vor einem noch so braven Mann, der ein so absonderliches Geschäft sein eigen nennt? Anton Brömmelmann hätte von den Körben, die er sich seufzend in guten Bürgerfamilien geholt, ganz bequem einen Korbhandel eröffnen können. Aber er sah mit Goethe, den er übrigens nicht las, in der Ehe „Anfang und Gipfel aller Kultur“; und er war betrübt, ja niedergeschlagen, daß gerade +ihm+ weder Anfang noch Gipfel beschieden sein sollte, obschon oder gerade +weil+ er als Geschäftsmann just der Sohn seines Vaters und ein Kulturträger von nicht zu unterschätzender Bedeutung war. Endlich aber fand er in Annemarie Bickebach doch noch ein weibliches Wesen, das großherzig genug war, über die ganzseitigen Annoncen und die Riesenerker in der Hauptstraße und schließlich auch über manche negativen Vorzüge seiner Erscheinung mit ihren leidlich hübschen Augen hinwegzusehen. Annemarie war die Tochter eines Oberpostsekretärs, der pensioniert werden mußte, weil sich in ihm die fixe Idee entwickelte, er müsse der Welt die Unsinnigkeit der Ansichtspostkarte beweisen; und der in diesem Sinne eine Reihe von Broschüren im Selbstverlag erscheinen ließ und zahlreiche Eingaben an den Reichstag und „Offene Briefe“ an die vorgesetzte Behörde richtete. Das langaufgeschossene, magere Mädchen war zweimal verlobt gewesen. Einmal mit einem melancholischen Bergassessor, der leider bald darauf mit einer Dame vom Variété nach London gegangen war; und einmal mit einem sommersprossigen Predigtamtskandidaten, der ihr eines Tages eine „frivole Auslegung paulinischer Briefe“ vorgeworfen, ihren Ring, zwei gestickte Schlummerrollen und einen gebrannten Haussegen zurückgeschickt und drei Monate später eine vermögliche aber reizlose Witwe aus Kottbus standesamtlich und kirchlich geheiratet hatte. Annemarie hatte das stille Wesen aller Mädchen, die zweimal verlobt waren und einmal am Variété und einmal an den paulinischen Briefen gescheitert sind. Sie sah zwar, daß Anton Brömmelmann keineswegs eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem jungen Griechengott, nicht einmal mit einem melancholischen Bergassessor zeigte; aber er war schließlich ein Mann, der seine hübschen Einnahmen hatte und dessen mit der Erinnerung an zahlreiche Körbe belastetes Herz die Unzartheit nicht besitzen würde, sie an ihr entschwundenes Liebesglück zu erinnern. Und sie hatte es satt, immerzu „Eingaben an eine hohe k. k. Oberpostdirektion“ ins reine zu schreiben. Der Oberpostsekretär a. D. machte seine Einwilligung zur Verehelichung davon abhängig, daß Anton Brömmelmann sich eidlich verpflichte, niemals in seinem Leben eine Ansichtskarte zu benützen. Ein Schwur, den Anton Brömmelmann um so eher ablegen und halten konnte, als er überhaupt keine privaten Mitteilungen ernsten oder neckischen Inhalts jemals zu Papier brachte, sondern +nur+ Geschäftsbriefe schrieb und im Geschäftsverkehre die Ansichtskarte für durchaus unstatthaft hielt. Der Oberpostsekretär holte übrigens für diese Gelegenheit seinen alten Galadegen aus dem Schrank, eine sehr merkwürdige Waffe, die nach halbstündigem sorgsamen Einfetten und anstrengendem Ziehen endlich auch aus der Scheide fuhr. Auf die rostige Klinge mußte Anton Brömmelmann feierlich die Schwurhand legen und den vom Oberpostsekretär persönlich vorgesprochenen ebenso umständlichen als konfusen Eid mit lauter Stimme wiederholen. Dann erst bekam er von der tief errötenden Annemarie den Verlobungskuß und jenen gebrannten Haussegen, den der sommersprossige Predigtamtskandidat unbegreiflicherweise verschmäht hatte. Die Ehe war nicht unglücklich. Annemarie hielt ihren Haushalt gut in Ordnung; und wenn Anton Brömmelmann aus dem Geschäfte kam, so war sie bereit, seinen gehabten Ärger mit aufmerksamer Teilnahme anzuhören, und schmierte ihm Käsebrötchen dazu. Jeden Sonntag aß der Oberpostsekretär a. D. bei den beiden zu Mittag. Es gab dann „falschen Hasen“ -- weil dem Oberpostsekretär die Vorderzähne fehlten -- und der Geladene würzte das bescheidene Mahl durch heftiges Schimpfen auf die k. k. Regierung, die keine seiner Eingaben, die er nun selber schrieb, jemals beantwortete. Als er an einem Sonntag im Herbst wieder zum falschen Hasen kam, teilte ihm Anton freudestrahlend mit, daß sie beide heute +allein+ essen müßten, da Annemarie ihn heute morgens durch die Geburt eines Sohnes erfreut habe und noch der Schonung bedürftig sei. Obgleich der Oberpostsekretär, wie er sich recht wohl erinnerte, bei der Eheschließung der beiden mit einer solchen Möglichkeit gerechnet hatte, kam ihm die Nachricht nun, da er, mit seinen Angelegenheiten beschäftigt, die natürlichen Anzeichen des kommenden Ereignisses völlig übersehen hatte, doch sehr überraschend. In der Freude seines Herzens ging er eiligst einen notwendigen Einkauf zu machen; und da er nicht recht wußte, was zu dieser Gelegenheit am passendsten erscheinen könnte, kam er eine halbe Stunde später wieder mit einer Mandeltorte und einem Bilderbuch, das für den ersten Leseunterricht sehr zweckentsprechend eingerichtet war. Dieses Buch legte die Wartfrau, die wenig von Pietät hielt, unter das Gestell der Kinderbadewanne, das einen zu kurzen Fuß hatte. Die Mandeltorte aber teilte sie mit der Hebamme, die zufällig gerade, wie dies bei Hebammen das übliche ist, ihren Geburtstag hatte. Im Nebenzimmer aber saß der Oberpostsekretär, dämpfte seine Stimme zu einem diskreten Piano, das kaum mehr hörbar war, und fragte den glücklichen Vater, der sehr wichtig und sehr zwecklos bald eine Zuckerdose, bald einen Aschenbecher umhertrug: „Anton, +wem+ sieht’s ähnlich?“ „Die Wartfrau meint: +mir+,“ gab Anton schüchtern zurück. Er mochte nicht gestehen, daß er persönlich bei einer ersten Begegnung mit seinem Sohn, die allerdings im Halbdunkel der Wochenstube stattfand, keinerlei Ähnlichkeit hatte wahrnehmen können, vielmehr den Eindruck gewonnen, anstatt eines Kopfes eine runzliche, nicht mehr ganz frische Tomate auf dem Kissen zu sehen. Die Hebamme, die aus unbekannten Gründen immer heftig nach altem Rotwein roch, kam herein und verkündete: „+Neun+ und ein Viertelpfund! Eben gewogen. Es ist ein Mordskerl!“ „Das soll er erst +werden+!“ Anton Brömmelmann hatte dieses vortreffliche Wort gefunden und damit stolz und tüchtig ~in nuce~ ein ganzes Erziehungsprogramm entrollt. Das +eine+ stand bei Anton Brömmelmann fest: der Junge sollte es mal in jeder Beziehung +besser+ haben, wie er; sollte sich nicht selbst die Zehen abtreten beim Gehen, keine lächerliche Figur in einem schwarzen Gehrock spielen und seinen Namen nicht am Tage wie eine Last und nachts wie einen Alp tragen. Das Geschäft -- Gott behüte! -- das war nichts für den Jungen. Diese Überzeugung stand schon bei Anton Brömmelmann fest, wenn er des Abends, aus dem Comptoir heimgekehrt, zusah, wie im Soxhletapparat die sechs appetitlichen Fläschchen für Nacht und Morgen hergerichtet wurden. Immer ein Strich Milch und zwei Striche Wasser. Und jedesmal setzte seine besorgte Frage ein: „Kriegt der Junge auch nicht zu wenig Milch und zu viel Wasser?“ Berthold wurde er getauft. Niemand in der Familie hieß so. Der Erfinder des Schießpulvers, Berthold Schwarz, war der einzige dieses Namens, den Anton Brömmelmann -- natürlich nicht persönlich -- kannte. Aber das war’s gerade: Der Junge sollte einen +aparten+ Namen haben. Und wer konnte das wissen -- die Sache mit dem Schießpulver! ... Der Junge konnte ein verdammt kluges Gesichtchen machen und hatte eine Art, das rosig marmorierte Fäustchen in den Mund zu stecken, die +hohe+ Intelligenz bewies. Und das +Geschäft+ sollte ihm nicht den schönen Namen und das schöne Leben verderben -- das war immer der Schluß von Anton Brömmelmanns reiflichen Erwägungen. Und damit all dieses nicht geschehe, sollte der Bub’ keine Ahnung davon haben, welcher +Art+ seines Vaters Geschäft war. Bis er dann zur Schule kam, würde man schon sehen. Von nun an dachte Anton Brömmelmann nur daran, sein Geschäft zu verkaufen. Er trat sich im Nachdenken noch emsiger auf die Füße, schlenkerte noch heftiger mit den Affenarmen als früher und wechselte bogenlange Briefe mit Reflektanten. An der verlangten Kaufsumme scheiterte es nie. Er hatte genug geerbt und zurückgelegt und forderte einen Betrag, der für das flottgehende Geschäft ein Spottpreis genannt werden mußte. Eben erst hatte der Landtag eine größere Bestellung gemacht, und mit einer anonymen Gesellschaft, die das öffentliche Wohl im Auge hatte, stand er in Verhandlung. Aber +eines+ schreckte die Bewerber: Anton Brömmelmann stellte die Bedingung, daß innerhalb fünf Jahren die +Firma+ geändert werden und +sein+ Name mithin von Firmenschild, Briefbogen und Porzellan +verschwinden+ müsse. Hier lag der Haken. Denn die Firma „Anton Brömmelmann“ war eben als solche weit berühmt; und ob die Änderung des Namens nicht einen beträchtlichen Rückgang des Geschäftes bedeuten würde .... Zudem -- man hatte das zum Beispiel bei Johann Maria Farina erlebt -- es könnte eine Konkurrenz plötzlich einen Strohmann Namens Brömmelmann auftreiben, der nun die Früchte jahrelanger Reklame anderer mühlos pflückte.... Schließlich aber wurde der Verkauf +doch+ perfekt. Ein Herr Heinrich +Hinzelmann+ hatte, wie er schrieb, „eine weitläufige Tante beerbt“ und strebte, sich selbständig zu machen. Er glaubte das nicht besser tun zu können, als indem er das Geld der weitläufigen Tante in Anton Brömmelmanns weitberühmte Fabrikate steckte. Am fünften Geburtstag Bertholds wurde der Vertrag unterschrieben. Es war ein großer Moment. Anton Brömmelmann war ganz heiser vor Aufregung und schrieb unter das wichtige Schriftstück zum erstenmal in seinem Leben seinen eigenen Namen falsch; nämlich mit nur +einem+ „m“ in der Mitte. Annemarie stand neben ihn und bürstete in tiefer seelischer Verlorenheit Herrn Hinzelmanns Zylinder sorgfältig +gegen+ den Strich, was der Besitzer des Hutes mit großem Unbehagen mit ansah. Doch wagte er es nicht, sie auf das Sinnlose und Unzweckmäßige dieser Betätigung aufmerksam zu machen, da er befürchtete, irgendeine nicht auf das Geschäft bezügliche Äußerung könne ihm noch in letzter Stunde den ganzen vorteilhaften Handel verderben. So schlug er im Geiste den Preis für einen neuen Zylinder mit auf die Kaufsumme und schwieg. Im Nebenzimmer aber saß der Oberpostsekretär, das Geburtstagskind auf den Knien, und las die Korrekturen einer geharnischten Eingabe „an die k. k. Regierung, betreffend die durch den submissest unterzeichneten Verfasser eklatant erwiesene Volksverdummung durch die Ansichtskarte“. Anton Brömmelmann atmete auf. Ihm war zumute wie einem unter dem Verdachte schweren Raubmordes Verhafteten, der eben sein Alibi lückenlos beigebracht hat. Nun galt es noch sein Haus verkaufen -- das tat er mit kleinem Verlust -- und den Wohnort wechseln. Er zog nach Rasselsheim, einem Städtchen ohne jeglichen landschaftlichen Reiz, das ihm nur dadurch aufgefallen war, daß es -- wie aus einer Statistik hervorging -- die geringste Kindersterblichkeit aufwies. Ein Gymnasium war auch da. Sogar ein „humanistisches“, was Anton Brömmelmann für eine besondere, vom Staat verliehene Auszeichnung hielt. Also! Bei der Wohnungssuche benahm sich Anton Brömmelmann etwas sonderbar. Er besichtigte zunächst immer ein geheimes Kabinett und erweckte durch die merkwürdig peinlichen Untersuchungen den Eindruck, als ob er hier die reichsten und köstlichsten Stunden seines Lebens zu verbringen gedenke. Mit heimlicher Freude konstatierte er, daß die Rasselsheimer Wohnungen nur in seltenen Fällen +seine+ Fabrikate mit dem verräterischen Namen aufwiesen; und er mietete mit ingrimmiger Genugtuung eine Wohnung, für die, wie das Porzellan an der betreffenden Stelle meldete, seine einst gefürchtete Konkurrenz das unentbehrliche geliefert hatte ... Berthold wuchs heran. Der glückliche Vater ging völlig auf in den Jungen. Er zahnte mit ihm, er fieberte persönlich, als der Bub die Masern hatte, ja er machte -- und nicht nur in der Einbildung -- mit ihm den Keuchhusten durch, konsumierte als leuchtendes Beispiel für den Jungen den abscheulichen Schneckensaft und war stolz darauf, wenn er, blaurot im Gesicht vom Husten, die Versicherung des Arztes hörte: das sei ein außerordentlich seltener Fall, daß ein Erwachsener zum +zweitenmal+ vom Keuchhusten befallen werde. Peinlicher als der Keuchhusten war das Latein. Anton Brömmelmann, der es nie recht vertragen hatte, lernte es mit dem Sohn, +für+ den Sohn. Er stand mit dem absolutem Ablativ auf und träumte vom Akkusativ cum Infinitiv; er übte Vokabeln und konsultierte heimlich Eselsbrücken, war dem Sohn immer um drei Lektionen voraus, kurz, er tat alles, um die fromme Täuschung aufrecht zu erhalten, daß er alles das schon +wisse+, was der Sohn unbedingt lernen müsse, um ein edler Mensch und ein tüchtiger Bürger zu werden. Wenn Berthold längst seinen gesegneten Kinderschlaf schlief, mußte die mitleidige Annemarie den unglücklichen Gatten die Punischen Kriege überhören und die entsetzlichsten, von den Karthagern verübten Greuel über sich ergehen lassen. Und Sonntag zog sich Anton Brömmelmann in sein Studierzimmer zurück, um über den „Frühling“ nachzudenken oder über die „Freuden des Eislaufs“, kurz über lauter Dinge, die seinem früheren Leben sehr fern gelegen hatten und die jetzt als Aufsatzthemata des Sohnes seine späten Mannesjahre erschreckten. +Zweimal+ waren sie sitzen geblieben. +Sie.+ Pluralis. Denn der Vater blieb +mit+ sitzen, fühlte sich +mit+schuldig; obschon er die Tanzstunde, die an der Zerstreutheit des Sohnes die Hauptschuld trug, nicht mitgenommen hatte und die Zigaretten, die dem armen Berthold nicht bekamen, persönlich ganz gut vertragen konnte. Endlich kam das Maturum. Berthold, der ein hübscher, schlanker Bengel geworden war, nicht gerade strotzend von Intelligenz, aber in seiner gesunden Frische ein ganz lieber Kerl, ging in das Examen mit einer Siegermiene, als könne ihm nichts passieren. Der Vater aber saß zu Hause und seufzte: „Die Mathematik -- die Mathematik bricht uns den Hals. Du wirst sehen, Annemarie, die Mathematik!“ Und er verlangte Papier und berechnete Kegelschnitte stundenlang und löste Gleichungen mit drei Unbekannten, die -- wenn die Sache fertig war -- noch immer so gut wie unbekannt blieben, und ließ sich von all den Aufgaben foltern, die der Sohn vielleicht ... Aber der Sohn kam nach Hause, strahlend, eine Rose im Knopfloch und sichtlich erhitzt von einem kleinen Frühschoppen. Er hatte bestanden. Nicht gerade glänzend, aber was lag daran? Anton Brömmelmann spendierte deutschen Sekt zum Mittagstisch. Er stieß mit dem Sohn an und hielt eine Rede, in der er sagte: er sei zwar der Vater ... aber er müsse denn doch sagen ... und überhaupt habe Demosthenes ganz recht gehabt, wenn er das schöne Wort gesprochen, das ihm jetzt nicht einfalle ... und der große Liebig sei +auch+ ein schlechter Schüler gewesen ... und Henrik Ibsen hätte „kaum genügend“ in der Trigonometrie gehabt ... und das Leben sei zwar schwer, aber schön ... und der Name Brömmelmann lege Pflichten auf ... jawohl, das tue er ... und so hoffe er heute ... denn +das+ müsse die Jugend immer hochhalten ... und dafür könne er keinen Geringeren zitieren, als Cicero ... aber das +wolle+ er nicht ... denn er sei froh, daß er all das Zeug jetzt vergessen könne ... denn ehrlich gesagt: zum Halse sei’s ihm herausgewachsen ... und übrigens sei es Zeit, den Großvater von der Bahn abzuholen ... Berthold bezog die Universität. Der Vater wollte keinen Druck auf ihn ausüben. Er solle studieren, was er wolle. Theologe -- gut; aber protestantischer. Arzt -- gut; aber nicht Spezialarzt für ansteckende Krankheiten. Jurist -- gut; aber nicht „Kameralia“ dazu. +Zweierlei+ zugleich, das gehe nicht. Mit diesen Einschränkungen erlaubte Anton Brömmelmann alles. Mathematiker war nicht zu befürchten. Auch für das Sanskrit zeigte sich bei Berthold keinerlei Neigung. Alle Ermahnungen schlossen: „Vergiß nicht, daß du mein +Einziger+ bist!“ Berthold Brömmelmann vergaß das nicht. Als er nach dem ersten Semester seine Schulden beichtete, erwies es sich, daß er immerzu daran gedacht haben mußte, daß er der „einzige“ war. Außerdem war er „Hasso-Suebe“, trug einen farbigen Bierzipfel, einen Zwicker und eine Tiefquart im Kinn, die dickrandig und tiefrot war und an jene alten Wunden erinnerte, die eine Neigung haben „an der Bidassoa-Brücke“ aufzubrechen. Und er roch nach Jodoform wie ein ganzer Transportzug des Roten Kreuzes. Über die Richtung seines Studiums war er sich noch nicht schlüssig geworden. In der Anatomie war ihm schlecht geworden. Bei den Pandekten noch schlechter. In der Theologie störte ihn der heilige Geist, unter dem er sich absolut nichts denken konnte. Und Mathematik kam noch immer nicht in Betracht. Leider änderte sich dies kaum „positiv“ zu nennende Resultat seiner Studien auch fürderhin nicht. Er schickte spaßhafte Bierkarten, fidele Gruppenbilder und unbezahlte Rechnungen, begleitet von humoristischen Briefen, nach Hause. Über eine Berufswahl aber ließ er sich weiter nicht aus. Als ihn der Vater auf Annemaries Drängen einmal besuchte, kam der alte Herr graugrün aussehend nach drei Tagen wieder. Er erinnerte sich noch deutlich vieler junger Herren mit gelben Mützen, die ihn an der Bahn empfingen und mit fast königlichen Ehren auf einen sehr merkwürdigen Aussichtspunkt kutschierten, wo man -- und hier wurden seine Erinnerungen undeutlich -- erst eine Pfirsich-, dann eine Ananasbowle trank. Es konnte aber auch umgekehrt gewesen sein. Wenn er sich nicht täuschte, hatten sie dann alle ein wunderschönes Lied mit erstaunlich vielen Versen gesungen, und dann -- -- -- ja, man konnte ihn totschlagen, aber ihm war’s, als ob dann irgend ein Fackelzug stattgefunden hätte. Es konnte aber auch eine Beerdigung oder eine Hochzeit gewesen sein. Ja selbst eine Kindstaufe hielt er manchmal für nicht ausgeschlossen. Und was die Studienpläne Bertholds anbetraf -- man war +nicht+ dazu gekommen, darüber zu sprechen .... So war der Stolz des Hauses Brömmelmann im siebenten Semester, ohne daß sein Studium sichtbare Früchte getragen. Da begab es sich, daß der vortreffliche Großvater in Neuenburg seinen siebzigsten Geburtstag feierte. Unglücklicherweise hatte Anton Brömmelmann sich kurz vorher den Fuß vertreten, das heißt er war mit dem linken so außergewöhnlich kräftig auf den rechten getreten, daß der Knöchel gelitten hatte. Annemarie, die treue Seele, machte ihm kalte Umschläge und konnte nicht abkommen. Berthold fuhr also allein als bevollmächtigter Abgesandter der Familie nach Neuenburg, seiner Geburtsstadt, die er noch niemals betreten. Als erstes Lebenszeichen kam -- eine Ansichtskarte aus Neuenburg, die der Großvater +mit+ unterschrieben. „Zeichen und Wunder!“ sagte Anton. „Der gute alte Herr unterschreibt +Ansichts+karten. Ja, ja, das Alter macht milder.“ Und eines Zitats sich erinnernd, das er vor Jahren -- Berthold saß in Ober-Sekunda -- aus einem Spruchbuch als köstliche Perle für den schmückenden Schluß eines deutschen Aufsatzes gefischt, fügte er hinzu: „Wie sagt doch Goethe so schön: Was man in der Jugend sich wünscht, das hat man im Alter die Fülle.“ Annemarie lächelte: „Papa hat sich doch in der Jugend keine Ansichtskarten gewünscht.“ „Nein aber -- --“ Er fühlte selbst, daß er blödsinnig zitiert und versuchte hinter einem schalkhaften Lächeln tiefen Sinn zu verbergen. „Nun +lies+ schon!“ drängte Annemarie. Und er versuchte zu lesen, was sonst noch auf der merkwürdigen Karte stand. Aber außer den Worten „kalte Ente“ konnte er nichts herausbringen. „Kalte Ente --“ meinte Annemarie kopfschüttelnd, „soll wohl ‚kalte Hände‘ heißen.“ ... Anton Brömmelmann glaubte das nicht .... Mehrere Tage hörte man nichts weiter. Weder von dem Jubilar noch von dem festlichen Abgesandten. Da plötzlich ein Brief, wahrhaftig ein +langer+ Brief Bertholds. „Wie lieb von ihm!“ lobte die Mutter. Anton Brömmelmann mißtraute. „Er pumpt mich an!“ taxierte er. Und er las. „Liebe Eltern! Ihr werdet Euch gewundert haben. ... Eltern wundern sich immer. Aber das wird noch besser kommen.“ -- „Etwas konfus, was?“ schaltete Anton Brömmelmann ein und sah über die Brille zu Annemarie; dann las er weiter: „Ich glaube manchmal, ich habe Euch Sorge gemacht. Vor allem +Dir+, lieber Vater. Na, du hast kein Geschäft, nicht wahr? Und etwas muß der Mensch doch haben. So hattest Du +mich+.“ -- „Das ist ja eine Epistel, als sollte er gehenkt werden,“ meinte der Vater. Aber die Mutter bedeutete ihm, weiter zu lesen. „Mit dem Studium -- darüber machen wir uns nichts vor -- war es nichts. Mündlich einmal davon. Als Papa mich besuchte, wollte er durchaus nicht davon sprechen ....“ „Nanu?“ fragte Annemarie. Aber Anton Brömmelmann überhörte das und las weiter: „Ich stamme aus einer Kaufmannsfamilie. Ich weiß zwar nicht, +welcher+ Art dein Geschäft eigentlich war, lieber Papa, aber es war ein Geschäft, nicht wahr? Nun, ich glaube, ich würde mich auch besser zum +Kaufmann+ eignen. Und so wirds kommen. Denn, um’s kurz zu sagen, ich bin +verlobt+.“ Das Ehepaar Brömmelmann sah sich an, als ob ein geflügeltes Krokodil im Zimmer sei. Keines brachte ein Wort heraus. Dann ergriff die resolute Mutter den Brief und -- nun las +sie+ zu Ende; las in einem Tempo, in dem nur eine Frau lesen kann, die der größten Neuigkeit ihres Lebens auf der Spur ist. „Ich habe das süßeste, reizendste, entzückendste Mädel von der Welt kennen gelernt .... Durch Großpapa. Der verkehrt mit den Eltern. Er sagt, Ihr kennt sie auch und lacht immer ganz verschmitzt dabei. Übrigens hat er immer noch die Marotte mit den Ansichtskarten ....“ Der Teufel hole seine Ansichtskarten! Was ist das für ein Mädel? „Die Eltern haben ein Geschäft. Ein sehr +gutes+ Geschäft. ~NB.~ Sie ist das +einzige+ Kind, heißt Mieze -- ist das nicht reizend? Mieze +Hinzelmann+. Ihr müßt sie Euch so denken ....“ Anton Brömmelmann saß erstarrt. „Hinzelmann, doch nicht +unser+ ....?“ Der Blick der Mutter war bis zum Schluß des Briefes geflogen. „Das Geschäft, liebe Eltern, von dem ich oben sprach, ist ja ein bißchen sonderbar. Lieber Gott, +alles+ kann nicht Poesie sein in der Welt, nicht wahr? Es gibt auch Dinge, die ... Aber der alte Herr Hinzelmann -- übrigens ein famoser Kerl; +fast+ so nett, wie +mein+ alter Herr -- der meint: Geschäft ist Geschäft. Ich hab’ mit ihm gesprochen. Er ist +sehr+ einverstanden. +Seinen+ Segen habe ich schon. Einzige Bedingung, ich muß später das +Geschäft+ übernehmen....“ Annemarie ließ den Brief sinken. Sie sah nach Anton Brömmelmann, der, ein Bild schöner aber tiefer Resignation, in seinem Sessel saß. „Hast du gehört, Vater?“ Er nickte bloß. Aber die treue Lebensgefährtin schien anzunehmen, daß der Schweigsame zwar gehört, aber nicht verstanden habe. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und rüttelte ihn sanft, als wolle sie ihn aus einem erst halb überwundenen Schlummer zur Wirklichkeit wecken. „Anton -- das Geschäft -- +unser+ Geschäft -- --“ Die Züge des Versteinerten belebten sich. Den Lippen entfuhr ein Zischlaut, wie ihn ungeduldige Lokomotiven knapp vor der Abfahrt hören lassen. Dann bildete der Sprechapparat Worte, tonlos, mechanisch, wie einem Uhrwerk gehorchend und ohne seelische Beteiligung: „Mutter +dafür+ bin ich ausgewandert, +dafür+ hab’ ich +Latein+ gelernt und die punischen Kriege und habe Kegelschnitte berechnet, damit mir ...“ „Geh’, Alter!“ Die Mutter legte ihm den Arm um den Hals. „Wenn er sie doch +gar+ so gern hat!“ Aber Anton Brömmelmann dachte in diesem Augenblick nicht an den Sohn. Er sah mit seines Geistes Augen den Vater, +seinen+ Vater voll Stolz ein Zeitungsblatt auseinander falten. Eine ganzseitige Annonce im Tageblatt: „Urteile von Hygienikern, Professoren, Künstlern über Anton Brömmelmanns weltberühmte ...“ „Wir wollen ihm telegraphieren,“ mahnte die Mutter. „Ja, ja.“ Anton Brömmelmann ermannte sich. „Ich will einen -- Glückwunsch aufsetzen. Gib mir ein Stückchen Porzellan -- wollt’ ich sagen: ein Stück Papier.“ Und Anton Brömmelmann sandte an die Adresse seines alten Geschäftes dem beinah studierten Sohne seinen väterlichen Segen. [Illustration] [Illustration: Der rote Esel Ein lyrisches Intermezzo] Christian Fürchtegott Gellert hat eine sehr schöne Geschichte von einen grünen Esel zu erzählen gewußt. Ich maße mir durchaus nicht an, mit Christian Fürchtegott Gellert in der Kunst zu fabulieren, konkurrieren zu können. Aber eine Geschichte von einem Esel kann ich auch erzählen. Gewöhnliche Esel sind, wenn ich mich nicht täusche, alle grau. Christian Fürchtegott Gellerts Esel ist grün. Mein Esel aber ist rot. Das mag einem Skeptiker -- und wer ist in unserer Zeit nicht Skeptiker? -- ein bißchen unwahrscheinlich vorkommen, und Brehms Tierleben gibt seinem Zweifel in der kleinen wie in der großen Ausgabe scheinbar recht. Trotzdem ist, wie ich nachdrücklich bemerke, ein ungläubiges Lächeln meiner Angabe gegenüber äußerst frivol und tadelnswert, denn ich spreche nicht von einem wirklichen, lebendigen Esel, sondern meine Geschichte handelt von einem Gummiesel. Und wer kann der Phantasie eines Gummispielzeugfabrikanten Vorschriften machen? Warum, frage ich, soll sich ein erfinderischer Kopf nicht nach Analogie eines +grauen+ Esels auch einen +roten+ Esel denken können? Ja, wenn ich mir die Sache recht überlege, muß ich sagen, ein roter Esel hat ebensogut seine Existenzberechtigung wie ein grauer Esel, und es erscheint mir unter gewissen Gesichtspunkten als ein Loch im Schöpfungsplan, daß diese liebreiche und gern zu Vergleichen herangezogene Tierklasse nicht auch eine rote Spielart aufwies, als sie im Paradiesgarten erschien. Doch lassen wir die theologischen Spitzfindigkeiten, die uns das Vergnügen an meiner kleinen Geschichte verderben könnten, ehe sie begonnen. Es gibt also einen roten Gummiesel, eine kleine und zierliche Miniaturausgabe des ergötzlichen Haustiers. Dieser kleine rote Gummiesel ist vor nicht allzulanger Zeit in den Besitz meiner einzigen Erbin übergegangen, die ihre Bewunderer noch jeden Morgen empfangen darf, wenn sie selbst in der -- Badbütte sitzt und sich damit unterhält, ihre Umgebung so naß zu machen, als es sich in zehn Minuten heißen Bemühens durch heftige Bewegungen zweier runder Beinchen und zweier ebensolcher Ärmchen irgend bewerkstelligen läßt. Meine Erbin ist nämlich noch kein Jahr alt. Und das nimmt der Historie jeden unmoralischen Beigeschmack. Der rote Gummiesel ist ein sinniges Weihnachtsgeschenk, das meiner Tochter von ihrem leiblichen Vater gemacht wurde. Ich hatte vier Wochen vor Weihnachten angefangen, für das damals sieben Monate alte Baby ein passendes Präsent auszuwählen. Spielzeug von Holz, Stein, Wolle und Papier hatte ich schon in fünf Läden prüfend durcheinander geworfen, ohne mich für ein bestimmtes entscheiden zu können. Mein zärtliches Vatergemüt litt nämlich unsägliche Qualen unter der fixen Idee, daß diese Spielzeuge alle +abfärben+ müßten, wenn das Kind sie nach Kinderart in den Mund steckte. Daß diese Farben furchtbare Giftstoffe enthielten, war für meine Phantasie eine ausgemachte Sache; und daß ich mein Baby durch mein Weihnachtsgeschenk in Lebensgefahr bringen könnte, war ein Gedanke, der mir fortgesetzt den Hirnkasten umstülpte und den kalten Schauder über den Rücken laufen ließ. Einmal träumte ich sogar, ich sei des verbrecherischen Versuches angeklagt, meinem Kind einen ausgestopften Vogel, an dem Arsenik klebte, in den Mund gesteckt zu haben, um das Vermögen des Onkels Ignaz allein verprassen zu können. Nun hat Onkel Ignaz zwar kein Vermögen, aber drei Kinder, die es erben würden, +wenn+ er’s hätte. Mein Traum war also so dumm als möglich. Aber, wenn schon ich am nächsten Morgen meiner Frau gegenüber mein Gestöhn in der Nacht ins Lächerliche zu ziehen suchte, gab ich doch Befehl, daß die beiden ausgestopften Möwen von dem Schrank im Eßzimmer unverzüglich entfernt und auf den Boden geschafft würden. Meine Frau sprach zwar schüchtern die Vermutung aus, das in der nächsten Zeit unser Baby noch kaum auf den Schrank klettern werde, um an den Möwen zu lutschen, aber ich blieb fest. Die beiden Möwen kamen auf den Speicher; und ich bin erst vor einigen Tagen maßlos über die dummen Vögel erschrocken, als ich die Dachfenster schließen wollte und plötzlich die weißen, gespensterhaften Tiere unbeweglich in einer Ecke sitzen sah. Weihnachten rückte immer näher. Es roch schon verdächtig nach verbranntem Lebkuchen, und meine Frau duftete immer nach Zitronat, wenn ich sie küßte. Aber ein Geschenk für mein Baby hatte ich noch immer nicht. Für die Bekleidung und den Putz sorgten sicherlich die beiden Großelternpaare. Der unvermeidliche silberne Löffel war ihm auch sicher. +Mein+ Geschenk aber sollte das Kind erfreuen, wahrhaft beglücken. Das tut doch ein silberner Löffel nicht! Es mußte etwas ganz Außergewöhnliches sein. Ich lief sehr aufgeregt mit heißem Kopf und kalten Füßen durch die verschneiten Straßen und sann dem „Außergewöhnlichen“ nach. Eine Peitsche -- eine Puppe -- ein Pferdelos -- ein Glasschränkchen -- eine Taschenuhr -- eine Gartenschippe -- eine Stehlampe -- ein Freßkorb -- ein Kanarienvogel -- eine Niobe -- ein Tintenfaß -- ein Album -- ein Kistchen Zigarren -- das ging doch alles nicht! Gott, was für herrliche Präsente fielen mir ein für Nichtraucher und Raucher, für alte Jungfern und hypochondrische Junggesellen, für Primaner und höhere Töchter, für Kavallerieleutnants und Urgroßmütter! Nur für mein siebenmonatiges Töchterchen fiel mir um die Welt nichts ein; und ich stand auf dem Punkte, mir selbst einige auserlesene Grobheiten zu widmen. Da plötzlich geschah „das Wunderbare“, wie Ibsens Nora sagen würde. Das Wunderbare, um das ich mich nun seit Wochen unter ernster Gefährdung meiner Gesundheit bemühte. Mit großen, lichtvollen Buchstaben stand plötzlich über dem Chaos in meinem Gehirn der erlösende Satz: Ich schenke ihr einen roten Esel, einen roten Gummiesel! Wie diese Erleuchtung mir so plötzlich kam? Dafür gibt es eine übernatürliche Erklärung und eine natürliche. Die übernatürliche Erklärung lautet: „Wahre Erleuchtungen kommen immer plötzlich und von oben,“ die natürliche aber besagt: „Ich hatte den roten Esel eben gesehen.“ Ja, er stand in ganzer Wildheit und Schönheit zwischen Püppchen mit kurzen Röcken, Hampelmännern, Klistierspritzen und anderem, teils erfreulichem, teils nützlichem Hausgerät im Erker eines Gummigeschäfts. Wie Romeo seine Julia liebte vom ersten Augenblick süßen Schauens an, so wußte ich vom ersten Blick, der dieses Abbild bescheidener Sanftmut gefunden: Dieser rote Esel ist das einzige wahrhaft würdige Geschenk, das ein Vater seiner einzigen und darum auch ältesten Tochter machen kann! Als ich in dem Laden stand, erwies sich’s, daß dem liebenswürdigen Verkäufer das Hervorkramen des roten Freundes aus dem Erker viele Mühe und wenig Freude bereiten mußte. Er empfahl mir darum einen gelben Ziegenbock mit vieler Wärme, ja, er war sogar geneigt, mir zwei Gummistöpsel drein zu geben, wenn ich mein Gelüste nach dem roten Esel bezwingen und mich für den Ankauf des gelben Ziegenbocks entscheiden könnte. Aber wer kennt die Gefühle eines Vaters, der für sein Kind den Freund gewählt hat! Ich +hatte+ gewählt und ließ mich selbst durch die glänzende Offerte dieses koulanten Geschäftsmannes, der elastisch war wie sein Gummi und beständig lächelte, wie ein Äginet, nicht umstimmen. „Ich bitte um den roten Esel,“ sagte ich fest. Der Jünger Merkurs kroch nun seufzend in den geräumigen Erker. Sehr zur Belustigung der draußen versammelten Jugend fielen ihm zunächst einige bunte Kopfbälle auf den Schädel und ergingen sich dann in scherzhaften Sprüngen über den Boden. Dann trat er in eine Bettpfanne, aus der sich der Fuß nicht ohne Schwierigkeit befreien ließ, und stieß einige Rollen Linoleum gegen die Scheiben, was ihm von draußen geräuschvolle Ovationen eintrug, die er mit verächtlichen Worten ablehnte. Ziemlich ergrimmt, mit derangierter Frisur und sehr staubigen Händen, aber noch immer lächelnd, entstieg er schließlich dem Schaukasten und brachte meinen roten Esel richtig mit. Es stellte sich zu meinem namenlosen Entzücken heraus, daß das seltene Gummitier, dank einer sinnreichen Mechanik, wenn man ihm den Bauch einquetschte, sogar einen kurzen, pfeifenden +Ton+ von sich geben konnte, der zwar jeder Lieblichkeit entbehrte, auch den Eseln sonst nicht eigentümlich ist, aber trotzdem meinen Stolz auf dieses merkwürdige Geschenk ins Ungemessene steigerte. Ein Siegerlächeln auf den Lippen, kam ich, meinen Schatz behutsam in ein verschwenderisch großes Stück Papier gehüllt, nach Hause. Die Suppe schmeckte seltsamerweise heute nach Zitronat, was bei Suppen kein sympathischer Geschmack ist. „Aber, Eduard, denke doch, vor Weihnachten!“ sagte meine Frau vorwurfsvoll, da sie mein wohl nicht allzu entzücktes Gesicht gesehen. „Natürlich! Vor Weihnachten!“ gab ich vergnügt zurück, dachte an meinen köstlichen Gummiesel und löffelte die Suppe, die immer noch nach Zitronat schmeckte, bedächtig aus. Weihnachten kam. Ich hatte goldene Finger vom Nüssevergolden und ging den ganzen Tag sehr wichtig und sehr zwecklos mit dem Christbaumanzünder im Arm mit feierlichen Schritten umher, mich immer auf meine schwierige Aufgabe vorbereitend. Eine Menge Verwandter aller Jahrgänge lief in den Zimmern eilfertig und geräuschvoll durcheinander. Sie waren alle erschienen, um zu sehen, „was Baby für Augen machen wird“. Ich sah ihnen aber an ihren Augen an, daß jedes von ihnen überzeugt war, +sein+ Geschenk werde Baby am meisten zusagen. Ich lächelte hochmütig. Stand doch schon der rote Gummiesel bereit, und der -- das wußte ich, als ob’s im Katechismus stände -- war einfach nicht zu übertreffen, einmal durch seine ureigene Schönheit, durch die Reize von Figur und Farbe, und zum zweiten als Geschenk des leiblichen Vaters! Die Sache kam leider anders! Baby in langem Spitzenkleidchen auf dem Arm der Mutter ins Festzimmer eingeführt, betrachtete eine Weile mit sichtlichem Erstaunen den hohen, lichtergeschmückten Baum -- was beide Großmütter, die in atemloser Spannung, mir den Platz versperrend, dabeistanden, als ein untrügliches Zeichen unerhörter geistiger Befähigung begrüßten. Dann aber griff es seiner Mutter meuchlings in die Haare -- was sofort als Betätigung einer in so zartem Alter bewunderungswürdigen Energie gedeutet wurde. Und schließlich gewahrte es +mich+ und -- +lachte+. Ich war natürlich sehr stolz, bahnte mir einen Weg zu dem lieben Blondköpfchen und begann ihm mit großer Beredsamkeit in zuvorkommender Weise seine Geschenke zu erläutern. „Hier, mein Goldkind, die Windelhöschen von der Großmama, und hier die hübsche Veilchenwurzel mit silbernem Griff, auch von der Großmama. Ja, du hast eine gute -- nein, was sag’ ich, du hast +zwei+ gute Großmamas! Hier, mein Liebling, Kleidchen von der anderen Großmama. Und der Löffel, natürlich auch da, der schöne silberne Löffel. Und hier das Hütchen von der guten Mama und -- ja, jetzt paß auf, mein Schatz, sieh hier das prächtige, rote Eselchen! Das -- ist -- von -- Papa!“ Der Kreis der Verwandten nickte beifällig. „Er hat’s ganz allein ausgesucht,“ kommentierte meine Frau. Ein Gemurmel bewundernden Beifalls über mich und den roten Esel drang mir wohltuend ans Ohr. Und das Baby? Ja, das war merkwürdig mit dem Kind. Nicht einen Blick warf es auf die Herrlichkeiten, die ihm das Christkind bescherte. Es hatte auf meinem Vorhemd den goldenen Hemdenknopf entdeckt und ging auf in Bewunderung dieses merkwürdigen, glitzernden Phänomens. Ich ließ den Esel quietschen, bis meine Damen sich die Ohren zuhielten und mein Schwiegervater mich im Namen aller Heiligen beschwor, den Unfug sein zu lassen, weil er sonst Zahnschmerzen bekäme, noch bevor er von unsern Lebkuchen gekostet. Das Baby aber hörte nicht auf die Töne, sondern beobachtete unausgesetzt den interessanten Hemdenknopf, der die Brust seines Vaters zierte. Als ich Miene machte, mich und damit zugleich das Objekt seiner Bewunderung von dem Baby zu entfernen, begann das Kind ein jämmerliches Geschrei. Beide Großmütter fanden mein Benehmen dem Kind gegenüber „barbarisch“, eines zivilisierten Mannes durchaus unwürdig. Und die Familie ruhte erst, als ich mich und den heißgeliebten Knopf wieder vor das Kind postierte und mir von den naßgelutschten Fingerchen feuchte Bahnen über meine frische Hemdenbrust zeichnen ließ. Hinter mir blies mein Schwiegervater die Lichter auf den Tannenzweigen aus. Was mich sehr beunruhigte, da meine Furcht vor einem Gardinenbrand so groß ist, daß sie sprichwörtlich in unserer Familie werden konnte. Bis Baby zur Ruhe gelegt wurde, hatte es nur Sinn für meinen Hemdenknopf, den ich innerlich, obwohl er von Gold war, zu allen Teufeln wünschte. Ich hatte den verdammten Knopf schon so +oft+ getragen, ohne daß Baby geruhte, ihn zu bemerken. Und nun gerade an Weihnachten mußte dieser alberne, protzige Kerl da auf meiner Brust dem Kinde ins Auge stechen! +Zu+ dumm! Einsam und verlassen aber stand drin im Bescherzimmer unter dem Tannenbaum mein Stolz, meine Freude, mein genialer Einfall, mein Retter aus Nöten, mein außerordentliches Festgeschenk, diese Seltenheit mit Musik: der rote Gummiesel ... Für jeden, der logisch denken gelernt hat, ist es ganz selbstverständlich, daß ich an den folgenden Festtagen den miserablen Knopf durch eine üppige Krawatte verdeckte und das Baby nunmehr mit seinem roten Esel zu befreunden suchte. Ich ahnte nicht, welchen Schmerz mir das ungetreue Tier, das ich ins Herz meiner Tochter zu schmeicheln emsig bemüht war, noch bereiten sollte! Baby machte in diesen Tagen die ersten Sprechversuche. Mutter und Vater lauschten verhaltenen Atems entzückt dem endlosen Kauderwelsch, das von dem lieben Kindermäulchen aus den einfachen Silben „Pa“ -- „Ma“ und „Da“ zusammengesetzt wurde. Im Wägelchen lag die Kleine unter dem Christbaum, fast selbst wie ein niedliches Christgeschenk, und übte sich ohne Ermüden in ihrer Sprache, die allerdings noch für den Satz des Fürsten Talleyrand, daß die Sprache dazu da sei, die Gedanken zu verbergen, als Beweis angeführt werden konnte. Ich benutzte meine freie Zeit eifrig dazu, dem Baby beizubringen, die schwierige Silbe „Pa“ ohne jede Beimischung anderer phonetischer Kunststücke zweimal, nur zweimal, rasch hintereinander zu setzen, wodurch das Wort „Papa“ entstehen sollte. Leider ging das autodidaktische Bestreben des kleinen Dickkopfs lange seine eigenen Wege; entweder wiederholte das Baby die verlangte Silbe ~ad infinitum~ oder es stieß sie zum mindesten fünfmal rasch hintereinander hervor. Beides war unerwünscht. Da ließ endlich mein erfinderischer Geist den roten Gummiesel in die Belehrung und Erziehung tätig eingreifen. Immer wenn das schöne Wort beginnen und wenn es enden sollte, ließ ich den Esel durch energisches Eindrücken seiner Bauchwände mörderisch aufquieksen, und siehe da: es ging! Baby sagte deutlich: „Pa--pa“. Das heißt, eigentlich war die Sache so: „Quieks“ machte der Esel, „Pa--pa“ begann das Kind, „Quie--i--i--i--i--ks“ endigte der Esel. Das Baby staunte und schwieg. So ward das Wort Papa geboren! Überrascht und hochbeglückt von dem Erfolg kam ich mit meiner Frau überein, daß die beispiellose Gelehrsamkeit unseres Kindes noch heute einem größeren Kreis von Verwandten demonstriert werden müsse. In einer Großstadt hat man seine Leute ja rasch beisammen! Wozu hat man das Telephon? Schon nach einer halben Stunde waren, obgleich ich mich einmal irrtümlich längere Zeit mit einem Sargmagazin und ein anderes Mal mit einem Schweinemetzger, der sehr grob war, verbunden sah, so ziemlich alle Verwandten zum Tee geladen, mit Ausnahme einer alten Tante, die im gewöhnlichen Verkehr sehr wenig und am Telephon gar nichts hörte, wenn schon sie leidenschaftlich gern telephonierte. Diese Tante suchte ich per Droschke auf und auch sie versprach zu kommen. Es war ordentlich feierlich, als wir in zwei dichten Reihen am Nachmittag gegen 5 Uhr um Babys gelben Korbwagen standen. Ich hatte meinen Platz ganz vorne genommen und wurde von allen sehr respektvoll behandelt. War ich es doch, der dieses erstaunliche Erziehungsresultat erzielt hatte und die Vorführung leiten sollte. Ich befahl allen durch eine gebietende Handbewegung lautlose Stille an und bat meine Frau, mir den Gummiesel vom Tisch zu reichen, den ich in meiner Vergeßlichkeit dort hatte liegen lassen. „Der Gummiesel, wo ist der Gummiesel?“ ging es durch die Zuschauer. Mein Schwiegervater aber machte die unnütze Bemerkung: „Braucht’s denn den roten Gummiesel, um -- Papa zu sagen?“ Ich weiß nicht warum, aber dieser Ausspruch berührte mich peinlich. Doch wurde ich rasch wieder sehr vergnügt gestimmt, als das auserlesene Kunststück über alles Erwarten prächtig gelang. „Quieks“ machte der Esel, „Pa--pa--“ begann das Baby, „Quie--i--i--i--i--ks“ endigte der Esel in schrillem Mißklang rasch den kurzen, aber ergötzlichen Dialog. Man beglückwünschte mich stürmisch, küßte mich und das Kind mit viel Gefühl, bis das Kind schrie und ich große Lust hatte, auch zu schreien. Ein bildschöner Dompteur in fleischfarbenem Trikot und Schuppenpanzerhöschen kann nicht +so+ gefeiert werden, wenn er nach der Dressur den Käfig der Löwen und Königstiger verläßt, die auf seinen Wink durch brennende Pechreifen gesprungen sind. Ich war maßlos stolz auf das Kind, auf mich und auf den roten Esel. Nach dem Tee zog mich mein Schwiegervater mit feierlichem Ernst in eine Fensternische. „Sag’ mal, Eduard,“ begann er in einem fast beleidigend mitleidigen Ton, „glaubst du, daß das Kind auch ‚Papa‘ sagt, wenn es den -- +andern+ nicht sieht?“ „+Welchen+ -- andern?“ „Nun, den roten Gummiesel.“ Ich erschrak, faßte mich aber sofort wieder, und den alten Herrn mit einer entrüsteten Armbewegung in den Blumentisch schiebend, ging ich an ihm vorbei und sprach nur die geflügelten Worte: „Es lernt’s!“ Das war nun leider eine Täuschung meinerseits. Der alte Herr hatte recht gehabt, wie ich am nächsten Morgen erfahren sollte. Ich hätte es gern noch am Abend erprobt, aber meine Frau überzeugte mich von der Ruchlosigkeit meines Vorhabens, dem armen Kind am späten Abend „noch das Gehirn anzustrengen“. Am nächsten Morgen aber, wie gesagt, stand ich nach wenig erquicklicher Nacht früher auf und probierte. Richtig, das Baby sagte zu dem roten Esel „Papa“, sobald es seiner ansichtig ward. Mich aber ignorierte es gänzlich, wenn ich allein kam. Ja sogar mein goldener Hemdenknopf machte keinen Eindruck mehr. Tief bekümmert zog ich meine Frau ins Vertrauen. Ich war sehr niedergeschlagen und kam mir nicht anders vor, als der unglückliche König Midas, da ihm die Ohren erstaunlich über den Kopf wuchsen. Meine Frau zweifelte noch. Ein Versuch erwies die unumstößliche, traurige Wahrheit. Wir beratschlagten und sprachen dabei französisch, was zwar die Verhandlungen nicht vereinfachte, aber immerhin die Garantie bot, daß unser Kindermädchen, das ab- und zuging, nicht hinter das peinliche Geheimnis kam. Zunächst -- darin waren wir einig -- mußte das Baby dieses bedauerliche Kunststück wieder verlernen. Dazu war eine sofortige Verbannung des roten Esels die erste, die unerläßliche Bedingung. Dann mußten die lieben Anverwandten beruhigt werden, die den Repetitionen zweifellos häufig beiwohnen wollten. Und endlich mußte meinem Schwiegervater eine Erklärung an Eides Statt abgenötigt werden, daß er lieber sich die Zunge abbeißen, als die Geschichte von dem roten Esel am Stammtisch zum besten geben wollte. Diese drei Verhaltungsmaßregeln wurden denn auch befolgt. Zur Verwunderung der lieben Anverwandten hatte Baby plötzlich das schwierige Wort wieder vergessen, und der rote Esel war -- seltsames Zusammentreffen -- zur selbigen Zeit auf rätselhafte Weise verschwunden ... * * * * * Wenn ich im verborgenen Schubfach meines Stehpultes zuweilen den vergeblichen Versuch mache zu „ordnen“, fällt mir immer der rote Esel in die Hände. Die Gefühle des Ärgers und der Enttäuschung sind im Herzen verflogen, und ich versenke mich lächelnd in den Anblick des seltenen Tieres. Ich beschaue es mit jener behaglichen Freude, wie sie die Erinnerung an überstandene schwere Prüfungen zu schenken liebt. Wenn dann aber plötzlich nebenan die Stimme meines Babys ertönt, dann klappe ich den Pult zu wie ein ertappter Verbrecher, spähe nach allen Seiten umher, ob auch niemand meine Gedanken belauscht hat und betrete dann mit gut gespielter Ahnungslosigkeit, die Hände in den Hosentaschen, einen Walzer pfeifend, das Kinderzimmer. Baby streckt die lieben, dicken Händchen nach mir aus und ruft: „Papa!“ Ich aber lächele verschmitzt und bin stolz, daß ich doch recht hatte, als ich meinen Schiwegervater in den Blumentisch drückte und zuversichtlich behauptete: „Es +lernt’s+!“ [Illustration] [Illustration: Des letzten von Birkowitz letztes Fest] „... und schließlich: man bekommt doch nicht Kinder, bloß um ihnen Gutes zu tun.“ Damit schloß er immer seine Beweisführung gegen seine eigene ungestillte Sehnsucht nach lebendiger Jugend, nach Nachwuchs, nach Menschlein mit stahlblauen Augen, wie er, und seinetwegen auch mit der klassischen Nase seiner Frau. „Man hat ja überhaupt gar keine Ahnung, wie sie wachsen und sich entwickeln werden. Sind es Jungens -- pfui Deubel, das verdammte Latein und später ’nen Ekel von Oberst, saudumme Rekruten und hartmäulige Remonten ... Denn Kavalleristen müssen die Kerls werden. Versteht sich! Und sind es Mädels, dann diese dämliche Erziehung mit Christkind und Klapperstorch und französischer Konversation; und nachher wegen eines aufgewirbelten Schnurrbarts und eines kecken Männerlachens hinter gesunden Zähnen geht so was -- natürlich nach obligatem Vatersegen, Trauung und Hochzeitsschmaus im Kaiserhof zu 25 Mark das trockene Kuvert -- auf und davon. Irgendwohin ans andere Ende der Welt. Und schließlich ein verzweifelter Brief: Der Kerl trinkt und verjuckert die Mitgift; und die ganzen schönen Manieren waren bloß Politur des Bräutigams, hinter der ein roher Rüpel steckte ...“ Klaus Joachim von Birkowitz konnte ganz wütend werden, wenn er sich so ausmalte, in wie rüde Hände eines seines Töchterlein, die er gar nicht hatte, fallen konnte. Man erspart sich vieles und -- den andern, das war das Ende seiner philosophischen Betrachtungen in dieser Richtung. Und der Name? Pah, die Mädels hätten ihn doch abgestreift wie ’nen alten Handschuh, umgetauscht ohne zu muxen. Oder in einem Damenstift erlöschen lassen. Und die Jungens -- weiß der Himmel, ob die verdammten Bengels das Wappen noch blank gehalten hätten. Er hatte neulich mal eine Statistik gelesen über den Prozentsatz der Adligen in der Sozialdemokratie. Und wenn alle die Adligen Kellner und Schuhputzer europäischer Abkunft, von denen die demokratischen Zeitungen alle paar Wochen hohnlächelnd berichteten, wirklich da drüben auf dem üblen Proleten-Kontinent existierten, dann war es schlechterdings unmöglich, sich zwischen Neufundland und Kalifornien die Stiefel auch nur ein +einziges+ Mal von einem Bürgerlichen wichsen zu lassen. Das fehlte gerade noch, daß der letzte Enkel jenes Klaus Bitterolf von Birkowitz, der bei Malplaquet, durch die rechte Hand geschossen, die Zügel mit den Zähnen nahm und am Prinzen Eugen vorbei als erster in die Franzosen ritt, irgend so einem dickwanstigen Bierbrauer von St. Louis für ein schäbiges Trinkgeld die Unterhosenbändel in die Zugstiefel stopfte! ... Manchmal kam ihm ja auch der schüchterne Gedanke, diese Söhne seines Blutes, zu deren Lieferung sich seine Gattin Ethel in langer, chancenreicher Ehe nicht entschließen konnte, wären bedeutende Menschen geworden, Kriegshelden, wie jener Klaus Bitterolf von dem Malborough -- sogar auf englisch! -- nach der Schlacht gesagt haben sollte: „Wie geht es Ihnen, mein Braver?“ Oder -- hier war seine Phantasie schon unsicherer -- große, verdienstvolle Gelehrte, wie jener allerdings einer Nebenlinie entsprossene Hans Christoph von Birkowitz, der laut verläßlicher Chronik zu Marburg dabei stand, als Dionys Papin den nützlichen Papinschen Topf erfand. Bei welcher Gelegenheit dem helfenden Schüler allerdings ein splitternder Teil des den Topfdeckel verschließenden Bügels ins Auge gesprungen sein soll, so daß er auf dem einzig erhaltenen Kupferstich mit einer unschönen Binde über dem rechten Auge dargestellt erscheint. Und wenn Klaus Bitterolf von Birkowitz sich des entstellten Gesichtes dieses ruhmreichen Ahnherrn entsann, so war er dem Himmel wieder dankbar, der es seinen Söhnen verwehrt hatte in die Erscheinung zu treten und aus ererbter unstillbarer Wißbegier gefährlichen Experimenten sehr berühmter aber auch sehr herzloser Gelehrter persönlich beizuwohnen. Wenn er jemals Ethel gegenüber etwas merken ließ von jenen so stillen wie unerfüllten Wünschen nach Kindern, gleichviel welchen Geschlechts und welcher Veranlagung, so pflegte die Gattin an ihrem Halse zu fühlen, ob die Brosche noch saß, die Ringe an der sorgfältig gepflegten Hand spielen zu lassen und mit schelmischem Lächeln zu trösten: „Aber geh, schau, du hast doch den Tobby!“ Und das war richtig, er +hatte+ den Tobby. Und es war auch keinerlei Gefahr, daß er den Tobby eines Tages +nicht+ mehr haben könnte. Denn Tobby war einfach unsterblich. Unsterblich im Sinne der Königin von Frankreich. „~Le roi est mort -- vive le roi!~“ Tobby war ursprünglich ein Wachtelhündchen gewesen, das Klaus Bitterolf von Birkowitz seiner Braut Alice Sternheim -- die sich aus nie recht aufgeklärten Ursachen vom Tage ihrer Verlobung mit dem hübschen, schlanken Kürassierleutnant „Ethel“ nennen ließ -- als Brautgeschenk verehrt hatte. Ein mehr gut gemeintes als nützliches Präsent, da Tobby, der in minder vornehmer Umgebung, nämlich im Stall eines Droschkenkutschers aufgewachsen war, die Perserteppiche der Wohnung des Bankiers Sternheim mit Vorliebe zur Erledigung von unerfreulichen Geschäften benutzte, deren Besorgung in einem Pferdestall weniger peinlich auffällt. Während Klaus Bitterolf von Birkowitz mit Ethel auf der Hochzeitsreise war und ihr mit leise vom Gähnen zitternden Nasenflügeln aus einem gewissenhaften Katalog die Schätze der Uffizien vorlesend erläuterte: Filippo Lippi, Sandro Boticelli, Fra Angelico, Fra Bartolomeo und von einer thronenden Madonna zur anderen ging, wurde Tobby bei einem Oberförster a. D. ernsthaft zur Stubenreinheit erzogen. Als die Jungvermählten wiederkamen, die Köpfe voller Namen von Pallazi, Meisterwerken und Nationalgerichten, und in den Kleidern den Weihrauch sämtlicher Kirchen von Florenz, Bologna, Ferrara und Venedig, empfing sie Tobby auf den Hinterfüßen zwischen zwei kostbaren Blumenarrangements im Salon sitzend, ein Seidenband um den Hals, ein vom Schwiegervater selbst -- bezahltes Gedicht im Maul und im einzelnen und ganzen das erfreuliche Bild der angenehmsten Wohlanständigkeit. Tobby blieb Hausgenosse in der jungen Ehe, bis er -- im neunten Jahre seiner Zugehörigkeit zum Haushalt -- Spuren lästigen Alters zu zeigen begann. Ethel aber hielt das Alter bei Menschen und Tieren für etwas unanständiges, dessen Anblick sich das in Jugendfröhlichkeit genießende Geschlecht durchaus fernhalten müsse. Und als es selbst Klaus Bitterolf von Birkowitz nicht mehr leugnen konnte, daß Tobby, dessen Gesicht nachließ, den Besuchern, deren es viele gab, wider die Beine lief und zu Zeiten, besonders bei Regenwetter, einen recht üblen Geruch verbreitete, willigte er schweren Herzens in seine Entfernung. Er wurde einem Nähfräulein geschenkt, die selbst über die Blüte der Jahre hinaus war, an Tobbys lauten Träumen und starkem Tierparfüm keinen Anstoß nahm und sich durch eine rührige in den Gesindestuben betriebene Agitation gegen die Vivisektion als zuverlässige Pflegerin des Alternden empfahl. Am selben Tage aber, da Tobby I, ahnungslos und durch ein Schinkenbrod listig bestochen, dem alten Fräulein in die Droschke folgte, zog Tobby II bei Birkowitzens ein. In Gestalt eines afrikanischen Windhundes, der gar keine Haare auf der schwarzen Haut hatte, und immer, selbst im Hochsommer, mit eingekniffenem Schwanz, hängenden Ohren und zitternden Beinchen den Anschein erweckte, als sei er eben dabei zu erfrieren. Tobby II wurde nach sieben Jahren schon -- aus ähnlichen Gründen, wie Tobby I -- dem Zoologischen Garten geschenkt, der ihn im geheizten Raubtierhaus einer jungen Löwin zum Gespiel gab, die ihn zunächst innigst liebte und zwei Monate später das Spiel mißverstand und bloß so aus Spaß auffraß. Tobby III war ein Köter unbestimmbarer Rasse, der angeblich aus Island stammte, aber eigentlich nur durch zwei Merkwürdigkeiten auffiel: durch seine phänomenale Dummheit und seine Vorliebe für rohes Obst. Als er am Kern einer gemausten Aprikose erstickt war, wurde er durch Tobby IV ersetzt, einen Skye Terrier, der sehr häßlich und sehr teuer war, da er angeblich wundervoll für die Otterjagd dressiert war; eine Kunstfertigkeit, die er leider in den Birkowitzschen Salons nicht verwerten konnte. Ein Lyriker, der zu jener Zeit viel im Hause verkehrte und für Ethel geradezu wahnsinnige „Kostümträume“ (wie er das nannte) entwarf, verfocht die Ansicht, daß Tobby in einer instinktiven Einsicht seinen Beruf verfehlt zu haben Selbstmord beging, als er -- wie andere behaupten, aus blinder Gefräßigkeit -- unter den schweren Wagen einer renommierten Delikateßhandlung kam und vom Hinterrad erledigt wurde. So löste ein Tobby den anderen ab. Immer ein junger Tobby kam für den Alternden. Und die Gefahr einer Konkurrenz durch eine plötzliche Bevölkerung der Kinderstube schwand immer mehr. Denn, so wenig das Ethel für sich und den Gatten zugeben wollte, auch die Birkowitzens wurden alt. Im dritten Jahre ihrer Ehe hatte Klaus Bitterolf beim Begräbnis seines Schwiegervaters böses Pech gehabt. Während er als Leidtragender hinter dem Sarge in Paradeuniform durch die Gräberreihen schreitend überlegte, ob der alte Herr wirklich, wie man sagte, in letzter Zeit eine Million an chilenischen Gruben verloren hatte, verwickelte er sich mit einem seiner Sporen in die riesige Atlasschleife eines am Boden liegenden Kranzes, auf der „Ruhe sanft -- auf Wiedersehen!“ gedruckt stand. Er fiel hin und brach sich den rechten Fußknöchel. Als der Gipsverband acht Wochen später gelöst wurde, erwies es sich, daß das rechte Bein ein wenig kürzer und außerdem eine Schwäche zurückgeblieben war, die Klaus Bitterolf zwang, sich beim Gehen eines derben Stockes zu bedienen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als den Abschied zu nehmen. Ein paar Monate behielt er noch seine Reitpferde und dachte daran, sich sportlich zu betätigen. Als aber Schwäche und Schmerz im Knöchel beim Reiten sich mehrten, schrieb er seufzend mit seinen geraden, riesigen Buchstaben auf einen wappengeschmückten Bogen die Worte: „Drei vortrefflich zugerittene Offizierspferde, arabische Stute, Fuchswallach und tadellos schönes Halbblut sofort preiswürdig abzugeben ...“ Dann trat er in den Verein für heraldische Forschung, den Exlibrisverein und die Gesellschaft für Familiengeschichte ein und beschloß, sich ganz den Studien auf diesem Gebiete und der damit zusammenhängenden Sammellust zu widmen. Wenn er an seinem Erkerfenster in der Kaiserallee saß, alte Schutzbriefe und Diplome aus dem Familienarchiv behutsam entfaltete und unter die Lupe nahm oder in älteren Jahrgängen des Gothaschen Kalenders einem verschollenen Vetter nachspürte, so schmerzte ihn der Knöchel nicht. Und die Gesellschaft Tobbys, der zu einem warmen, zuckenden Klümpchen gerollt auf dem alten Plüschkissen im Lehnstuhl gegenüber lag, genügte ihm vollkommen. Ja, sie war ihm, ehrlich gesagt, lieber als die Gesellschaft seiner Frau, die ihn mit dem endlosen Programm ihrer täglichen Vergnügungen und gesellschaftlichen Verpflichtungen aufregte ... Als Ethel noch Alice hieß, hatte sie den in der weiblichen Linie des mit Glücksgütern reich gesegneten Hauses Sternheim nicht seltenen Traum geträumt: ein Leutnant. Sie lernte französisch plappern, las erst Racine später Alphonso Daudet und dachte an einen Leutnant. Sie langweilte sich bei Goethes Tasso und übte Klavier und dachte an einen Leutnant. Er hatte noch kein bekanntes Gesicht und eigentlich auch noch keine bestimmte Uniform. Nur Sporen klirrten deutlich durch ihre Träume. Infanterie war gewöhnlich. Fast schon Schutzmänner, kam ihr vor. Fuchsjagden in roten Röcken, Morgenpromenaden auf dampfenden Schimmeln im Park, Besuche im eleganten Coupé, abends Gäste mit wunderschönen Namen, aufgeführte Dramatiker, Exzellenzen, verbotene Romanziers, preisgekrönte Bildhauer, vergötterte Tenöre, fette Finanzkönige -- und zwischen tief, tief ausgeschnittenen Frauen, die sie alle beneideten, das silberne Klingeln der Tanzsporen. Der eleganteste -- +er+. Nicht daß sie sich ihm lieberöchelnd an den hohen gelben oder roten oder goldgestickten Kragen werfen wollte! Behüte, sie war kühl und anständig. Und bei all ihren Träumen hätte „Mademoiselle“ ganz gut dabei sein können und ihren Tauchnitz lesen. „Er“ war nur Mittelpunkt der Dekoration für sie, war -- sie wußte das -- der notwendige Faktor zu all den anderen. „Er“ hatte die huldvoll erteilte Erlaubnis, sehr erfreut zu sein, daß sie so schön war; daß sie solche Zauberfeste arrangieren konnte, daß so viele berühmte Männer sich über ihre kleine, weiße Hand beugten, um ihre Schnurrbarthaare respektvoll auf die rosigen, blühenden Nägel zu drücken. Und zwischen einem feschen Wiener Walzer und einer schmelzenden Arie, der unbezahlbaren Soundso oder zwischen einem herrlichen Violonsolo des weltberühmten Dingskirch und einem ausgelassenen Kontertanz durfte „er“ -- sporenklingelnd -- auf sie zukommen, ihr leicht die erhitzte Wange klopfen und fragen: „Bist du glücklich, Kind? Amüsierst du dich?“ ... Denn glücklich sein und sich amüsieren waren für ihr törichtes Herzchen Begriffe, die restlos ineinander aufgingen. Und dann +kam+ „er“. Natürlich waren vorher schon andere gekommen. Schlaue, Treuherzige, Verliebte, die wußten, daß sie des Bankiers Sternheim einzige Tochter war, daß sie Walzer tanzen konnte -- auch links herum -- eine feine, zierliche Taille und feste, runde, weiße Arme hatte und in der Konversation schließlich nicht mehr Dummheiten sagte, als ihre magere, sommersprossige Cousine. Und diese, der Stolz und Abgott der Sternheimschen Familie, war voriges Jahr Baronin geworden; und ihren tadellos gekleideten Gatten traf man bei allen Gesellschaften nach zwölf Uhr mit offenem Munde schlafend im Rauchzimmer. Aber alle die anderen hatte des Bankiers Sternheim einzige Tochter dankend abgelehnt. Des einen Katholizismus war ihr zu neu und unbegründet. Des anderen weiterer Familienkreis schreckte sie durch Zahl und schlechte Manieren. Eines dritten Persönlichkeit konnte sie sich absolut nicht auf dem hohen Bock eines Kutschierwagens oder im roten Frack auf herbstlichem Felde denken. Endlich kam „er“ mit dem hohen Wuchs, den schlanken Händen und der leichten, ungezwungenen Galanterie des geborenen Aristokraten. „Meine Tante die Reichsgräfin ...“ „mein Onkel Exzellenz“. Das kam so natürlich heraus, wie wenn andere sagten: „Mein Vetter in der Schillerstraße“, „mein Schwager in Ratzeburg“. Dann hatte er eine nachlässige Art, mit den langen, gesunden Zähnen Kakes zu knabbern, und lachte so wunderhübsch ehrlich, wenn von Dingen die Rede war, die er nicht verstand. Und das kam oft vor. Und dann natürlich das leise, silberne Sporenklingeln ... Dann war der Tag gekommen, an dem er zuerst mit Papa sprach, später mit ihr. Korrekt und mit einem leisen Unterton von Gefühl. Eine Stunde später schickte er einen wunderhübschen Strauß Marschalnielrosen. Sie ließ die Friseuse kommen, probierte eine neue, etwas würdigere Frisur, beschloß sich von heute an „Ethel“ nennen zu lassen und entwarf Tischordnungen für das Verlobungsessen. Wobei sie immer wieder leise vor sich hin sagte: „Meine Tante, die Reichsgräfin ...“ „mein Onkel Exzellenz“. Und sie lächelte dazu das bräutliche Lächeln dieser Kreise, denen sie nun angehörte. Dann überlegte sie, an welcher Ecke der Tafel man den unbequemen Onkel Oskar verstecken könnte, der so unwahrscheinlich große Brillantknöpfe im Vorhemd trug und immer die dumme Geschichte erzählte, wie er als jüngster Kommis im Bankhaus Seligsohn den alten Fürsten Lichtenstein, der ihn zu duzen wagte, +wieder+ geduzt hatte. Klaus Joachim war ein guter anständiger Kerl. Er war froh, als die Verlobungszeit, die seiner Familie mancherlei heftige Vertraulichkeiten von Seiten der neuen Verwandten eingetragen hatte, vorüber war. Über das Glück hatte er niemals intensiv nachgedacht. Einmal, als er sich -- es war kurz vor seinem Sturz über die Ruhesanftschleife -- bei einem amerikanischen Zahnarzt, der für vieles Geld sehr wenig Deutsch sprach, einen Vorderzahn mit Gold plombieren lassen wollte und im Wartezimmer mit anhören mußte, wie eine alte Dame im Operationszimmer nebenan wehklagend die Stunde ihrer Geburt verfluchte, blätterte er, um sich auf angenehmere Gedanken zu bringen, in einem abgegriffenen Sentenzenbüchlein. Und er fand darin neben minder verständlichen Sprüchen das gute Wort: „Das Glück liegt im Geschmack, nicht in der Sache.“ Das ging ihm nicht mehr aus dem Kopf; und sein eigenes Leben an dieser Sentenz messend, fand er, daß er im Besitze einer so hübschen und lebenslustigen Frau gewiß nicht unglücklich zu nennen sei. Als es dann +nach+ dem Unfall mit Sport und anstrengenden Festlichkeiten für ihn Essig war; als er sich mehr auf eine einsame Pflege seiner künstlich gezüchteten Liebhabereien zurückzog und Tobbys nicht aufregende Gesellschaft einem Saale, mit Menschen gefüllt, die krampfhaft Amüsement heuchelten, vorzuziehen begann, da erschien ihm sein von anderen viel und laut beneidetes „Glück“ etwas dünn. Manchmal lästig. Ethel hatte die Leidenschaft, gestützt auf ihren klingenden Namen, ihre hübsche, biegsame Erscheinung und die erfreulichen Zinsen des vom Vater für die nie erschienenen Enkel festgelegten Kapitales, ein Haus zu machen. „Herr und Frau von Birkowitz geben sich die Ehre ...“ -- kleine und große gedruckte Karten, die also begannen, steckten an unzähligen Spiegeln flotter Kavaliere. Der Träger eines alten Namens oder der kecke Eroberer eines neuen Namens konnte solcher Einladung auf die Dauer nicht entgehen. Irgendwo traf ihn „die schöne Frau von Birkowitz“. Irgendwo machte sie ihm, gütige Blicke unter langen, ein wenig getuschten Wimpern sendend, sanfte Vorwürfe, daß er noch nicht bei ihr Besuch gemacht. Irgendwie wußte sie eine sinnreiche, verpflichtbare Beziehung aufzustöbern zwischen seinem Hause und der Familie derer von Birkowitz. Irgendwann erschien der also Eingefangene dann, bekam ein Miniaturtäßchen aromatischen Tees, ein köstliches Löffelchen russischen Kaviars und hatte die Freude, mindestens einen kurzsichtigen Modeprofessor, einen schweigsamen Modemaler, eine sehr laute Exzellenz und -- wenn er Glück hatte -- einen urlangweiligen Kammerherrn oder gar einen lebendigen Prinzen aus einer um viele Ecken gegangenen Nebenlinie zu treffen. Zwischen allen diesen ausgesucht distinguierten Besuchern schwebte in einem zwar erlernten aber kleidsamen Tanzschritt die schlanke Hausfrau umher. Der Ausschnitt tiefer vorgerückt, als die Tageszeit. Sie führte eine Konversation, die an tausend Dingen nippte, vom Spiritismus bis zum neuesten amerikanischen Tanz, von der Säuglingswohlfahrt bis zu den dressierten Eisbären, von der letzten kleinen Eheirrung in guten Kreisen bis zum Bazar für die Wärmehallen. Sie verstand im Grunde von allem dem gleich viel, heißt das gleich wenig, aber sie hatte eine wundervolle Spürnase für alles, was Stoff zu flüchtiger Unterhaltung oder Vorwand für ein Wohltätigkeitsfest hergab. Und zuweilen traf man norddeutsche Pastoren, italienische Monsignori, seltener sogar österreichische Rabbiner bei ihr, die alle in gleicher Weise von ihrer Nächstenliebe entzückt waren. An solchen Tagen trug sie ein geschlossenes Kleid, sehr wenig Schmuck und einen Zug unendlich schlichter Güte um den hübschen Mund. Es gab dann weniger Kaviar und mehr erbauliche Gespräche; und sie hatte eine interessierte Art den langweiligsten statistischen Angaben zu lauschen, die einen Apostel selber entzückt hätte. Kurz ehe der Anstand den Gästen gebot, sich zu empfehlen, erschien dann der Gatte, Klaus Joachim, auf einen Ebenholzstab mit schlichter Silberkrücke gestützt und von dem gerade in Gunst stehenden Tobby begleitet. Ethel stellte ihm, ihren runden Arm mit graziöser Zärtlichkeit in den seinen legend, die ihm noch unbekannten Gäste vor, über deren Anwesenheit er sich unendlich erfreut zeigte, und deren Namen er sofort wieder vergaß. Sie schmierte ihm selbst ein Brödchen -- halb Kaviar halb Anchovis -- wie er es angeblich für sein Leben gern aß, obschon er selbst niemals eine diesbezügliche Mitteilung gemacht hatte; teilte ihm die nächsten Pläne für Feste, lebende Bilder, musikalische Abende oder Bazare mit und versicherte den Anwesenden, daß ihr lieber Klaus Joachim, wie +sie+ ihn kenne, von dieser Stunde an seine ganze freie Zeit der Ausgestaltung des wunderherrlichen Programms widmen werde. Sie erzählte dabei in charmanter Neckerei allerlei originelle kleine Züge, die des Gatten glühendes Interesse an all diesen Dingern hübsch illustrierten. Der also Gelobte aber saß mit verlegenem Lächeln dabei, streichelte Tobbys Fell und war immer wieder tief erstaunt über die unheimliche Leichtigkeit, mit der diese niedliche, lebhafte kleine Frau die kecksten und dreistesten Lügen aus der frischen Luft griff. Dabei war Ethel durchaus anständig. Die erschreckendsten Klatschbasen, für die der gute Ruf anderer kaum den bescheidendsten Respecktswert hatte, wußten ihr nichts nachzusagen. Sie bevorzugte zuweilen einen Kavalier wenn er gut im Frack aussah, neue Kunststücke mit Talern und Apfelsinen verrichten konnte, eine fünfzackige oder gar eine geschlossene Krone auf der silbernen Zigarettendose trug und von einer Reise um die Welt mit so kühler Ruhe sprach, wie andere von einem Ausflug nach Helgoland oder Rügen. Auch ein Dichter oder Künstler, mit dessen Namen die Zeitungen gerade Fangball spielten, konnte aus der Art wie sie ihm Rum in den Tee goß und vom Ruhm als „der Güter höchstem“ ein gefühlvolles Wort sprach, vielleicht annehmen, daß er in begnadeter Stunde ihrem Herzen näher sein werde als andere. Aber solche „begnadeten Stunden“ kamen schließlich für keinen. Es war immer ein +dritter+ dabei, irgend eine störende Null mit einem klangvollen Titel, einer interessanten Vergangenheit oder einer Zukunft; eine Exzellenz, ein Sportsmann oder ein Komödiant. Und später kamen Klaus Joachim und Tobby. So gingen die Jahre für Ethel hin als eine Reihe von Festen, nur durch einige ärgerliche Kinderkrankheiten unterbrochen, die sie in der Jugend durchzumachen verabsäumt hatte, und die ihr nun Gelegenheit gaben sehr neckische Negligés zu tragen, dankbar an vielen von Freunden gesandten Blumengrüßen zu riechen, und als blasse Rekonvaleszentin mit melancholischem Lächeln, das ihr gut stand, von ihren Todesgedanken zu plaudern und von verschiedenen sentimentalen Bestimmungen, die sie den beiden Schwestern vom roten Kreuz -- sobald sie sich unwohl fühlte, ließ sie zwei Schwestern kommen -- in einer entsetzlichen angstvollen Nacht diktiert haben wollte. Aber selbst an ihre zu Festen und Lebensgenuß prädestinierte Natur machten die Jahre ihre Rechte geltend. Und je mehr sie fühlte, daß ihr die Jugend sacht entglitt, um so krampfhafter klammerte sie sich an die äußeren Zeichen und Enbleme der tückisch Fliehenden. Das Rot der Wangen war längst nicht mehr ganz echt, die Haare wurden öfters diskret gefärbt und die Korsetts hatten mehr Mühe, die vorhandenen Formen auf das richtige Maß einzuschnüren und elegant zu verteilen. Die verspätete Kindlichkeit, die der jungen Frau einen entzückenden Schimmer von Naivität gegeben, und die nun noch immer nicht von der Zurechtgemachten und Gemalten weichen wollte, mischte in ihr Wesen eine reichliche Portion Albernheit. Sie fühlte selbst, daß jetzt manchmal ihre Gäste nicht mehr +mit+ ihr sondern +über+ sie lachten. In krampfhafter Angst, etwas von dem geräuschvollen Drum und Dran ihres ganz auf Äußerlichkeiten gestellten Lebens zu verlieren, verstärkte sie jetzt die Genüsse, die der opulente Haushalt zu bieten vermochte. In dem Maße, als ihre Jugend sich minderte, ihre Schönheit verblich, ihre Anmut kokette Maske wurde, verfeinerten sich jetzt die Tafelfreuden, die musikalischen und theatralischen Aufführungen in ihrem Hause. Man trank bei den Proben schon französischen Sekt. Man aß bei den kleinsten Diners nicht unter fünf Gängen. Man erfreute sich der teueren Delikatessen der Saison nirgends früher, als an der Tafel, der Klaus Joachim, längst mit einem chronischen Magenübel kämpfend mit ledergelbem, wenig vergnügtem Gesicht präsidierte. Klaus Joachim sah täglich unzählige Leckerbissen vorbeitragen, die ihm aufs strengste verboten waren. Er sah junge Leute in schönen Uniformen und ältere Herren mit Halsorden an seinem Tische, ohne sich ihre Namen merken, für ihre Geschichten interessieren zu können. Er sah lebende Bilder gestellt von blühenden Menschen, deren Geburtsanzeige er -- so kam’s ihm vor -- doch neulich erst gelesen. Er sah zappelige Virtuosen und dicke Sänger an seinem Flügel, die er innigst nach Pernambuco wünschte. Und abends spät, wenn er -- den silbernen Leuchter schon in der etwas zittrigen Hand -- nach vererbter Familiensitte seiner Frau galant die Hand küßte und prüfend in das abgespannte Gesicht mit den mühsam weggeschminkten Fältchen um die müden Augen blickte, sah er auch, daß die Lebensgefährtin trotz verzweifelter Gegenwehr wurde, was kein Tobby in seinem Hause werden durfte: +alt+. Seine Familie hatte sich längst in das solide Erbbegräbnis und in gesunde Metallsärge zurückgezogen. Die Tante Reichsgräfin und der Onkel Exzellenz erschienen nur noch als mythische Personen in Ethels Erzählungen. Aber der Sagenkranz, der sich langsam um sie bildete, (oder eigentlich: den Ethel persönlich um die verklärten Häupter der teueren Verstorbenen legte) erhielt mit jedem Jahre neue strahlende Blüten. Und wer den leise bebenden Herzenston vernahm, mit dem Ethel die Namen dieser Heimgegangenen aussprach, der konnte unmöglich eine Ahnung gewinnen von der durch Harthörigkeit bedingten Absonderlichkeit der seligen Exzellenz und der Unleidlichkeit der geizigen und boshaften Reichsgräfin. Vor dem ebenfalls längst zu seinen Vätern versammelten Onkel Oskar freilich, der einst als Kommis des Hauses Seligsohn den alten Fürsten Lichtenstein geduzt hatte, machte der Totenkultus Ethels Halt. Sein Name wurde seltsamerweise nur von Klaus Joachim, der den Lebenden wenig geschätzt hatte, zuweilen erwähnt und -- das muß gesagt werden -- eigentlich nur, wenn er, überreizt von den ewigen Festen in seinem Hause, einmal das nervöse Bedürfnis hatte, Ethel zu ärgern. Einige Male hatte er ja versucht, seine Gicht vorzuschützen, um den festlichen Veranstaltungen zu entgehen, die sein Haus zum Tummelplatz fremder Leute machten, die seinen Sekt tranken, seine Zigarren rauchten und von ihm eigentlich nur Notiz nahmen, wenn sie ihn wegen des kürzesten und verstecktesten Weges nach einem geheimen Ort um seinen Rat fragten. Aber an Schlafen wäre bei dem Lärm auch nicht zu denken gewesen, wenn die Lohndiener nicht, lieber Gewohnheit folgend, alle fünf Minuten in sein Schlafzimmer gestürzt wären, um die merkwürdigsten Dinge hier zu suchen, die sich noch niemals in einem Schlafzimmer befunden haben. So erschien er denn resigniert, auf seinen Stock gestützt, wieder in den Salons und heuchelte höflich eine freudige Anteilnahme an einen neuen amerikanischen Tanz, bei dem der Bauch herausgestreckt wurde, an dem Klaviervortrag eines sechsjährigen Wunderkindes, das allerdings spielte als ob es vierzehn wäre, oder an der Soloszene einer talentvollen Bühnennovizen, die aus unbekannten Gründen plötzlich händeringend in gereimten Versen jammerte, daß sie ihr Kind erwürgt habe, weil es dem Vater ähnlich sah. In solchen Lustbarkeiten waren bald fünf Jahrzehnte hingegangen. Man hatte vorübergehend mal für irgend einen Kriegsschauplatz heftig Charpie gezupft und um irgend einen Fürsten in der Weise getrauert, daß man -- die Damen in geschlossenen Kleidern -- bei Birkowitzens sechs Wochen lang nur Kammermusik, Harmoniumstücke und ernste Balladenvorträge anhörte. In sonsten hatte sich nicht viel verändert. Tobby XIII ein knochiger Rattler von großer Munterkeit belebte Klaus Joachims einsame Morgenstunden, wenn er seine Exlibris ordnend und klebend am Erkerfenster saß und den stillen Wunsch nährte, Ethel, die im Coupé Besuche machte, möge +alle+ zu Hause treffen, denen sie die Freude ihres Gespräches zugedacht. Tobby XIII litt nur, als echter Sohn seiner Rasse, unter dem durch nichts bestätigten Vorurteil, daß Mäuse in der Wohnung sein müßten. Er erschreckte wohl ein Dutzend mal im Vormittag seinen Herrn aufs heftigste dadurch, daß er plötzlich einen ganz unmotivierten Luftsprung machte, mit beiden Vorderpfoten schwer auf irgendeine Stelle des Teppichs schlug und emsig zu scharren begann; als müsse er unter der dunkelroten Blume des Persers unbedingt ein Mauseloch finden. Da Klaus Joachim seit einiger Zeit Anzeichen eines Herzleidens spürte -- Sie haben zuviel „gefeiert“, hatte der Hausarzt gesagt und Klaus Joachim hatte nicht ohne Bitterkeit gelächelt -- so war die fixe Idee Tobbys XIII für seinen Herrn doppelt störend. Aber da dieser den amüsanten und liebenswürdigen Hund sonst lieb hatte, so schickte er sich seufzend in seine aufregende Eigentümlichkeit; ja er hielt sie vor seiner Frau geheim, die sonst vermutlich auf schleunigen Ersatz Tobbys XIII durch Tobby XIV gedrungen hätte, da die Zahl Dreizehn ihr sowieso unbehaglich war. Und gerade jetzt war sie bemüht, alles Unbehagliche von sich und Klaus Joachim fernzuhalten, denn die Vorbereitungen zu dem größten Fest ihres Lebens, zu dem Fest, in dessen Mittelpunkt nur +sie+ -- natürlich +mit+ Klaus Joachim -- verständigerweise stehen konnte, nahmen sie völlig in Anspruch. Ihre goldene Hochzeit nahte. Und mit dem Näher- und Näherkommen dieses weihevollen Tages nahm dieser fast siebzigjährigen Frau wunderbare Elastizität, die in den letzten Jahren ein ganz, ganz klein wenig nachgelassen hatte, von Tag zu Tag wieder zu. Sie fühlte, daß das der Glanzpunkt ihres Lebens werden mußte. Man würde Szenen aufführen, Reden halten, Trinksprüche ausbringen, alles ihr zu Ehren. Berühmte Dichter, die oft bei ihr gegessen hatten, würden eigens für diesen Tag wundervolle Lieder schreiben, in denen ihr Name von einem Blütenkranz unsterblicher Gedanken umrahmt erschien. Zukunftsreiche Maler, die +ebenfalls+ oft bei ihr gegessen hatten, würden lebende Bilder stellen aus ihrer Jugendzeit. Bedeutende Komponisten, die +ebenfalls+ oft bei ihr gegessen, würden sich ans Klavier setzen. Und +sie+ würde, in ihre schneeweißen Haare (ein bischen half ja der Puder nach) die goldene Myrthe gesteckt, neben Klaus Joachim sitzen -- wenn er nur nicht einschlief! -- und die feierlichen Deputationen empfangen von all den Vereinen, für die bei ihr gegessen, getrunken, geredet, musiziert, Charpie gezupft und getanzt worden war in einem langen, halben Jahrhundert. Und die Zeitungen würden -- Gott, Herren von der Presse hatten ja auch bei ihr gegessen -- sympathische Artikel bringen, im „Vermischten“ oder an der Spitze des Lokalen; würden sie mit der Madame de Rotschild vergleichen, am Ende gar mit der Fürstin Metternich und würden das Bild „der noch immer schönen Frau von Birkowitz“ in einer sinnigen Phantasieumrahmung von Lorbeer und Myrthen bringen. Natürlich Klaus Joachim daneben. Und Bilder ihres „Heims“ werden in den Wochenschriften gezeigt. Die Ecke im blauen Salon mit den Vasen, die ihr der Vizekönig Ching-Chung-Gho, der die Fischgräten unter den Tisch spuckte, geschenkt. Die Wand im Speisezimmer mit den ehrwürdigen Ahnenbildern der Reichsgräfin und des Onkels Exzellenz. Der Kamin im Gobelinzimmer mit dem laubfroschgrünen seidenen Wandschirm, auf dem die steinalte Prinzeß Binzheim-Sprendlingen die gräßlichen, roten Levkoyen eigenhändig gemalt. Und das mußte alles in Fußnoten gesagt werden ... Ethel von Birkowitz war wieder ganz jung, wenn sie an diverse Fußnoten dachte. +Und+ an die Geschenke! Denn darin war sie ein Kind geblieben. Sie liebte es sich beschenken zu lassen. Weniger der Gabe wegen, als wegen des Namens des Spendenden. Und wenn nur der kleinste Teil der Zelebritäten, die gut und viel bei ihr gegessen, sich an ihrem Ehrentage mit einem sinnigen Präsentchen einstellte, so hatte sie aus dem Gothaschen Kalender, aus dem Kürschner, aus dem Bühnenalmanach und aus dem städtischen Adreßbuch -- kurz aus jedem Namensammelbuch von einigem Kulturwert mit Ausnahme des Verbrecheralbums -- die herrlichsten Stichproben. Ethel von Birkowitz schwamm im Glück der Hoffnung. Klaus Joachim sah dem festlichen Tage mit geringerer Lust entgegen. Ganz davon abgesehen, daß sein neues Gebiß ihm den Unterkiefer wund rieb, wenn er es während eines langen Diners im Munde behalten mußte, hatten sich letzter Zeit, nicht unbeeinflußt von Tobby XIII phantastischen Jagdvergnügungen heftige Herzaffektionen bei ihm gezeigt. Schwächeanwandlungen waren häufig; und mehrfach war er mitten in Ethels interessanten Mitteilungen über das Programm des Festes und über die Plätze für den Bürgermeister und den Polizeipräsidenten und den berühmten X. und die noch berühmtere Y. eingeschlafen. Und beim Erwachen hatte er minutenlang geglaubt, er sitze an der Saline in Nauheim. Oder hatte mit schwacher Stimme Weisung gegeben, man solle das Halbblut nicht verkaufen. Sein Lieblingspferd aus der Leutnantszeit, das seit vier Jahrzehnten gewiß in dem Pferdehimmel war, an den die Araber glauben. Zwei Tage vor der goldenen Hochzeit besserte sich Klaus Joachims Zustand. Er konnte den neuen Frack probieren und der Ansprache Ethels an die fünf Lohndiener beiwohnen. Als er aber an dem Morgen seines Ehrentages in denselben Frack geschlüpft war, um ans Fenster zu treten und dem Choral der Regimentsmusik zu lauschen, die der Oberst, der lieber gut aß als Felddienstübungen leitete, in Dankbarkeit zur Überraschung gesandt hatte, befiel ihm eine kleine Schwäche. Und gerade als er sich, von Ethel gestützt, die schon in großer Toilette war, auf das Sopha niedergelassen, unternahm Tobby XIII mit plötzlichem Siegesgeheul einen plötzlichen Jagdausflug unter einen ehrwürdigen friesischen Schrank, der sich zu knacken erlaubt hatte. Klaus Joachim erschrak heftig, griff mit den langen, immer noch aristokratischen Fingern der linken Hand nach der Herzgegend, verdrehte die Augen, fragte, ob er in der Neujahrsnacht zum Bleigießen aufbleiben müsse, erkundigte sich dann mit leiser werdender Stimme ob die Seitenlinie derer von Rorschach-Kitzingen berechtigt sei die Freiherrnkrone zu führen, gab, als die erschreckte Ethel ihre Unwissenheit gestand, stockend die Anweisung, darüber sogleich telegraphisch das Heroldsamt in Berlin zu befragen, lächelte sonderbar, bekam eine ganz spitze weiße Nase und -- war tot. Unten spielte die Regimentskapelle den Pilgerchor aus dem Tannhäuser. Ein Lohndiener steckte den glattrasierten Kopf herein und meldete: der Koch lasse fragen, ob der Fasan +nach+ dem Wildschwein serviert werden solle oder +vor+ dem Wildschwein. Ethel zuckte zusammen, warf einen Blick auf die seltsam gespitzten Lippen Klaus Joachims, von denen kein Atem mehr kam und die pfeifen zu wollen schienen, und entschied: „+Nach+ dem Wildschwein.“ Es war ein außergewöhnliches Fest. In jeder Beziehung. Die Gratulanten kamen in dichten Scharen. Honoratioren in vortrefflich sitzenden Fräcken, Deputationen in minder sehenswürdigen Gehröcken, Künstler in fliegenden Kravatten, Damen der Aristokratie in kostbaren Pariser Roben, Konservatoristinnen in phantastischen Fähnchen. Die Diener in Eskarpins mit silbernen Ketten und dem Gönnerlächeln ihres wichtigen Standes. Im Blauen Salon zwischen den beiden Vasen des Vizekönigs Ching-Chung-Gho stand Ethel, im weißgepuderten Haar die goldene Myrthe, den Smaragdschmuck derer von Birkowitz am immer noch präsentablen Hals, die wundervollen Rosen des Prinzen Kux-Beckenried in der Hand, der mit seinem Freund, dem ~Dr.~ v. Heiduck -- in Wahrheit war es sein Arzt, der Prinz war seit Jahren entmündigt -- als Erster gekommen war. Jetzt hielt er sich, töricht vor sich hinlächelnd, im Gobelinzimmer unter dem Bild von Onkel Exzellenz auf und konsumierte das vierzehnte Kaviarbrödchen; wozu ~Dr.~ Heiduck nachdenklich den dem Prinzen verbotenen Sherry trank. Im kleinen gelben Salon aber stand die Türe auf, die nach dem Ankleideraum neben dem Schlafzimmer Klaus Joachims führte. Eine rotseidene Schnur war, den Eintritt wehrend, in Kniehöhe im offenen Türrahmen gespannt. Durch das halbdunkle Ankleidezimmer hindurch sah man in das noch um eine Nuance dunklere Schlafzimmer. Von dessen Tür nicht weit saß Klaus Joachim von Birkowitz in einem dunkelgrünen Sessel aus der Biedermeierzeit, den Kopf leicht an die linke Seitenklappe der hohen Rücklehne gelehnt. Er saß aufrecht im Frack und hatte, das konnte man gut erkennen, ein blühendes Sträußchen in der blassen rechten Hand, die unbeweglich auf der leichten bunten italienischen Decke lag, die seine Beine verhüllte. Im Knopfloch trug er einen Myrthenbüschel ... Alle Kommenden mußten durch diesen gelben Salon. Allen Kommenden wiederholte der Diener an der Türe mit diskreter Stimme: „Herr von Birkowitz befindet sich nicht ganz wohl. Er hat sich bei den ersten Gratulationen in der Frühe überanstrengt. Der Herr Baron ist deshalb in seinem Zimmer geblieben. Die Frau Baronin empfängt im Blauen Salon. Wenn die Herrschaften vielleicht dem Herrn Baron einen Gruß zunicken wollen ...“ Und die Herrschaften wollten das. Und sie nickten durch das halbdunkle Zimmer dem befrackten Manne zu, der dort im Sessel saß. Einige wollten beobachtet haben, daß er freundlich wieder genickt habe. Andere hatten nichts dergleichen wahrgenommen. Alle waren einig darin, daß es nicht gut um den alten Herrn stehe, und daß er vielleicht doch schlauer zu Bett gegangen sei. Aber Ethel von Birkowitz im blauen Salon zwischen den beiden Vasen des Vizekönigs Ching-Chung-Gho versicherte: „Er hat’s nicht anders haben wollen. Wenigstens aus der Entfernung wollte er sich mit uns freuen.“ Und der Polizeipräsident, der besonders scharfe Augen hatte bemerkte dazu: „Und, meine Gnädige -- er +freut+ sich. Als ich ihm zunickte, spitzte er die Lippen -- ich sah es deutlich -- als ob er +pfeifen+ wollte. Vermutlich: ‚Freut Euch des Lebens‘ -- -- oder so was.“ „So tut er immer, wenn er vergnügt ist“ lächelte Ethel. Einer aber war nicht vergnügt. Tobby XIII. In die Schuhkammer neben der Küche eingesperrt heulte er. Heulte unaufhörlich, obschon ihn die dürre Kochmamsell, die sehr nervös war, unter Zuhilfenahme eines Birkenholzkochlöffels eindringlich vermahnt hatte. Heulte laut und kläglich. Und das Spülmädchen, das vom Lande und sehr blond und sehr dumm war, sagte zu dem Konditor, der das Pastetenhaus brachte: „Bei uns zu Haus heulen die Hunde so, wann mer e Leich’n hab’n.“ An dem Diner nahm Klaus Joachim +nicht+ teil. Sein mit Myrthen bekränzter Platz wurde nach dem Fisch von einem aufgeräumten Konsistorialrat eingenommen, der viel Rauentaler trank und drei verschiedene Reden hielt, von denen die erste keine rechte Veranlassung, die zweite keine Pointe und die dritte überhaupt keinen Sinn hatte. Zwischen dem Wildschwein und dem Fasan ging Ethel hinaus, um nach Klaus Joachim zu sehen, der sich nur von ihr betreuen ließ und keine Bedienung sehen wollte. „Welch eine Ehe,“ rühmte der Konsistorialrat als sie ging. Und „pfeift er noch?“ fragte der gutgelaunte Polizeipräsident, als sie wiederkam. Ethel war etwas blaß. Der Besuch bei dem Gatten schien sie angestrengt zu haben. Aber sie erinnerte sich sofort wieder ihrer Pflichten als Mittelpunkt und Hausfrau und dem Polizeipräsidenten über die volle Obstschale zunickend lächelte sie: „Ja, er pfeift noch ...“ Am Abend des nächsten Tages erschien in allen Blättern eine breit schwarzumränderte Anzeige, daß es in der Nacht nach seinem schönen Fest dem Allmächtigen gefallen habe, den vielgeliebten Herrn Klaus Joachim von Birkowitz und so weiter ... Tiefe Ergriffenheit sprach schon aus dem Konstruktionsfehler dieser Annonce. Denn nach +ihr+ war es der liebe Gott, der das schöne Fest gefeiert hatte. Der Konsistorialrat aber, der an diesem Tag heftigen Kopfschmerz hatte, äußerte, daran erkenne er wieder die große Gnade des Himmels, daß dieser wahrhaft christliche Mann noch habe das herrliche Fest mitansehen dürfen, ehe er von hinnen ging. Nur Tobby XIII wußte Bescheid. Er hatte die ganze Nacht geheult. Selbst als ihn das sehr blonde und sehr dumme Spülmädchen gegen Morgen mitleidig in sein Bett nahm, hatte er immerzu leise weiter gewinselt. Tobby wurde deshalb auch dem Milchmann geschenkt. Gerade als dieser brave Mann den heftig Widerstrebenden an einer Zuckerschnur die Hintertreppe hinunterzerrte, wurden die sechs riesigen silbernen Leuchter gebracht, die den Katafalk flankieren sollten. Sie waren umflort und mit armdicken Kerzen besteckt und sahen wirklich festlich aus. Das Beerdigungsinstitut „Pietät“ hatte sie geliehen. Sie brannten am anderen Morgen bei einer kleinen Hausandacht, die der Konsistorialrat abhielt, zwischen den ebenfalls umflorten Vasen des Vizekönigs Ching-Chung-Gho. [Illustration] [Illustration: Der Mann mit dem persönlichen Einfluß] Es ist meine heilige Überzeugung, daß es sonst sehr achtbare, ja vortreffliche Menschen gibt, in deren Gebaren und Gesichtszügen eine ununterbrochene heimliche Aufforderung für alle großen und kleinen Gauner liegt, sie als geschätzte „Versuchsobjekte“ ihrer unsympathischen Kunst zu behandeln; schlicht gesagt: sie zu betrügen. Ohne die flehendste Bitte des schönsten Gebets: „Führe uns nicht in Versuchung ...“ erfüllen zu wollen, scheint der liebe Gott solche merkwürdigen Leute hilflos in seine sonst so hübsch ausgedachte Schöpfung gestellt zu haben. Sie wandeln umher, freundlich und zutraulich, aber als fleischgewordener Fallstrick des Bösen. Und am Ende sind diese Guten von allem, was sie unternehmen, enttäuscht; denn sie haben bei jeder ihrer von besten Absichten geleiteten Unternehmungen mehr Lehrgeld bezahlt, als jeder andere; haben bei jedem Mißgeschick einen größeren Schaden besehen, als irgendwo sonst und finden -- und das ist vielleicht das Betrübendste -- mit den Erzählungen ihres Mißgeschicks statt inniger Teilnahme oft nur jenes durchaus pietätlose Gelächter, wie es böse Menschen, die keine Lieder haben, im Anblick fremder Ungelegenheiten anzustimmen lieben ... Ein Musterbeispiel für diese meine aus sorgfältiger und liebevoller Betrachtung der Zeitgenossen gewonnene Lehre scheint mir noch heute der ehemalige Filzhutfabrikant Michael Monkebach zu sein, den ich vor einer Reihe von Jahren in einem süddeutschen Bade kennen lernte. Schon die Art der Bekanntschaft war seltsam. An der Mittagstafel in der „Quisisana“ saß ein Herr in mittleren Jahren neben mir, dem sein in Stoff und Schnitt sonst die Herkunft aus einer nicht billigen Schneiderwerkstatt verratender Anzug durchaus nicht zu passen schien. Das Tuch schlotterte an ihm herum, als habe er Rock und Weste von einem vermögenden Verwandten geerbt, der ihn an Leibesfülle ums Doppelte übertraf. Ein gewisser vergrämter Zug um die nicht unbedeutende Nase sowie ein traurig verschleierter Blick ließen mich erraten, daß es sich um einen der Schwerkranken, die sonst in diesem ziemlich harmlosen Bade selten waren, handeln müsse. Ich reichte ihm deshalb bei den Mahlzeiten die Schüsseln mit besonderer Freundlichkeit; ja, ich ertappte mich auf der edlen Anwandlung, ihm, wenn der Braten mir zuerst angeboten wurde, die weniger knorpligen Stücke des Hammels zu lassen, der hier einen unerläßlichen Bestandteil des mehr zeitraubenden als sättigenden Diners bildete. Einem Gespräch schien mein scheuer Nachbar auszuweichen. Einige -- wie ich zugebe -- nicht allzu geistreiche Bemerkungen über die fluchwürdige Unbeständigkeit des Wetters, mit denen sich eine elegantere Konversation einzuleiten dachte, beantwortete er nur mit dem Hinweis darauf, daß er im Besitz von Gummischuhen sei und von mir das gleiche hoffe. Auf eine bescheidene Anfrage, ob er das Kurtheater häufig besuche, und wie er es finde, entgegnete er ausweichend, er habe jüngst einer Vorstellung des „Tropfens Gift“ beigewohnt, aber schon nach dem zweiten Akt den Saal verlassen, da er seinen Platz unmittelbar neben dem Eingang zu den Toiletten erhalten habe und durch eine fehlerhafte Konstruktion des Türschlosses die Verbindungstür nach diesen minderwertigen Räumen sich fortwährend von selbst geöffnet habe. Eine alte Kanzleirätin aus Bückeburg gab mir nähere Aufschlüsse über den betrübten Tischnachbar. Ich war mit der körperlich gebrechlichen Dame, die ein großes Mitteilungsbedürfnis besaß, dadurch bekannt geworden, daß sie meine Zimmernachbarin war und unter der fixen Idee litt, Mäuse in ihrem Zimmer zu haben. Die Klingel, die angeblich dazu bestimmt war, bei einmaligem Läuten den Zimmerkellner, bei zweimaligem Läuten das Mädchen, bei dreimaligem Läuten aber den Hausknecht zu zitieren, funktionierte leider so mangelhaft, daß weder der Kellner, noch das Mädchen, +noch+ der Hausknecht kam; und so war die alte Dame darauf verfallen, sich vertrauensvoll an +mich+ zu wenden, wenn sie wieder den bestimmten Eindruck gewonnen hätte, daß Mäuse unter ihrem Bett oder hinter ihrem Schrank ihr neckisches Spiel trieben. Da ihr selbst das Bücken vom Arzt verboten war -- eine Vorschrift, an die sie sich, immer von der Furcht vor einem Schlaganfall gewarnt, aufs strengste hielt --, so durfte +ich+ mir durch Herumkriechen unter ihrem Bett, Abrücken der Schränke usw. Bewegung machen und wurde von der Kanzleirätin „dirigiert“. Der Erfolg war immer negativ. Wenigstens was die Mäuse anbetraf. Dafür labte mich die alte Dame mit einem von ihr sehr geschätzten, selbstgebrauten Nußlikör, den sie in vielen Flaschen mitgebracht haben mußte, und der mit anderen mir bekannten Spirituosen nicht die geringste Geschmacksverwandtschaft zeigte und mir im wesentlichen aus Kandiszucker, Wasser, Lakritz und altem Leim zu bestehen schien. Nach jeder vergeblichen Mäusejagd unterhielt mich die vortreffliche Dame von den Gästen des Hotels aufs anregendste. Sie wußte, daß die Baronin über mir gar keine Baronin war, sondern eine gewöhnliche Adlige mit einer ziemlich neuen Fünfzackigen. Sie sei in einen jungen Badearzt verliebt und lasse sich deshalb auf Ischias behandeln. Die Kanzleirätin war ferner darüber orientiert, daß die Ehe des Rechtsanwalts auf Nr. 17 sehr unglücklich sei, weil der Schwiegervater heute, zehn Jahre nach der Hochzeit, noch immer nicht mit der Mitgift herausgerückt sei und die junge Frau eine verhängnisvolle Neigung habe, jede versöhnliche Annäherung ihres Gatten mit der Geburt von Zwillingen zu beantworten. Sie hatte auch in Erfahrung gebracht, daß der Tenor auf Nr. 39, der angeblich der Liebling des kunstverständigen Publikums von Pernambuco war, Amerika niemals gesehen habe, auch nicht demnächst an der Wiener Hofoper Probe singe, sondern nächsten Winter vermutlich, wie schon die beiden vorhergehenden, in Berlin in obskuren, rauchigen Kabarets das Lied von der Leiche im Landwehrkanal zur Negergitarre vortragen werde. Es sei denn, daß die dicke Witwe aus Smyrna, die im Vorjahre ihren mit kandierten Datteln reich gewordenen Gemahl an einem Leberleiden verloren habe, doch noch auf diesen Tenor hereinfalle, der übrigens nicht verhungern könne, da er immer einen Knödel im Hals habe ... Dies alles, wie gesagt, wußte die beredte Kanzleirätin aus Bückeburg in ihrer charmanten, nur etwas weitläufigen Art zu berichten. Jedes Mißverstehen meinerseits war übrigens ausgeschlossen, da die alte Dame viele Jahre -- bis zu seinem Ende -- ihren schwerhörigen Gatten gepflegt hatte und aus alter Gewohnheit auch die +nicht+ mit dem Leiden ihres Seligen Behafteten mit ihrer hellen Stimme anschrie, daß es zunächst schier zum Entsetzen war. Auch über Michael Monkebach wußte sie das Nötige. Er hatte vom Vater eine Filzhutfabrik geerbt. Die erste selbständige Handlung Michael Monkebachs bestand darin, daß er ein neues patentiertes Verfahren ankaufte, den gewalkten, geformten und gesteiften Hut anstatt mit Schellack oder Leim mit einer wunderbaren Flüssigkeit zu „glänzen“, deren Zusammensetzung ein streng bewahrtes Geheimnis des Erfinders, eines angeblichen Chemikers aus der Bukowina, war. Als ungefähr 50000 Filzhüte in diesem Verfahren „geglänzt“ waren, erwies es sich, daß die Fabrikate allerdings einen recht hübschen, spiegelnden Glanz hatten, aber schon nach einigen Wochen einen unleidlichen und unbekämpfbaren Geruch nach verdorbenem Fett ausströmten, der sie unverkäuflich machte. So war Michael Monkebach im Besitz eines wertlosen Patents und 50000 übelriechender Hüte, die er nicht loswerden konnte, und hatte einen hübschen Batzen Geld verloren. Der angebliche Chemiker aus der Bukowina war längere Zeit unauffindbar, bis ihn Monkebachs tüchtiger, aber nicht billiger Anwalt in einem Zuchthaus der Rheinprovinz auftrieb, wo er sich gerade aufhalten mußte, weil er einen Geldbriefträger meuchlings in eine Senkgrube geworfen hatte. Das zweite üble Geschäft, das Michael Monkebach leider machte, bestand im Ankauf des Patents einer neuen Haarblase- und Mischmaschine, die zwar außerordentlich schlecht funktionierte, aber den zwei daran beschäftigten Arbeiterinnen gleichzeitig die kleinen Finger der rechten Hände verstümmelte. Michael Monkebach wurde in beiden Fällen zur Zahlung einer lebenslänglichen Rente verurteilt und hatte außerdem noch unter unausgesetzten Angriffen verschiedener Blätter zu leiden, die das geschehene Unglück als Folge einer verwerflichen Knauserei und reine niedrigen Profitwut darstellten. Der Organismus Michael Monkebachs quittierte über all diese Anfeindungen mit einem chronischen Magenleiden. Er beschloß, das Geschäft zu verkaufen, und war glücklich, als er einen Reflektanten fand, der ihm für die Hälfte des vollen Wertes die Fabrik mitsamt den zwei verderblichen Patenten und den 50000 nach verdorbenem Fett riechenden Filzhüten abnahm. Leider zahlte der Käufer die bedungene Summe zur Hälfte in Bergwerksaktien, die eigentlich nur noch für den Sammler kolorierter Drucke einen Wert hatten. Ein entrüsteter Protest hatte die Folge, daß dem Geschädigten als Ausgleich die 50000 Filzhüte angeboten wurden, die Michael Monkebach, dem beim bloßen Gedanken an ihren Geruch schon übel wurde, schaudernd zurückwies. Was ihm blieb, war ein Kapital, groß genug, daß er als Junggeselle sehr behaglich davon leben und sich im Sommer eine lange und durch unzählige ärztliche Vorschriften komplizierte Kur für sein chronisches Magenleiden gönnen konnte. Als er hier angekommen war -- die Kanzleirätin, die das erzählte, war damals seine Zimmernachbarin, später zog sie wegen der Mäuse um -- sah er verhältnismäßig besser aus. Der Anzug, der jetzt seine Glieder umschlotterte, paßte ihm damals ganz gut. Aber, um diesmal den teuren Badearzt zu sparen, der für jede mit einer Frage nach dem werten Befinden verbundene Unterhaltung über diesen Sommer und über die Reize des Badeortes zehn Mark nahm, hatte er seine Kur nur nach den Anweisungen seines Hausarztes eingerichtet. Dabei hatte er unseligerweise die Viktoria-Quelle mit der Augusta-Quelle verwechselt und sieben Wochen lang, anstatt das für den Magen zuträgliche Wasser zu trinken, täglich sechs Becher jener berüchtigten Quelle eingeschlürft, deren Gebrauch als die radikalste Entfettungskur galt und mit vielen Unbequemlichkeiten und beschleunigten Spaziergängen, besonders nachts, verbunden war. Schließlich -- vor einigen Tagen -- war er in seiner Herzensangst, von dem Gespenst der Cholera gefoltert, +doch+ noch zu einem Badearzt gegangen und hatte ein Goldstück bezahlt für den guten Rat, allen Quellen weit aus dem Wege zu gehen, tüchtig Haferschleim zu essen und alle drei Stunden fünfzehn Opiumtropfen auf Zucker zu nehmen; ein Mittel, das ihm aus seligen Jugendtagen nach dem Genuß von unreifem Obst wohlbekannt war, und für dessen nicht seltene Verordnung seine gute Mutter niemals ein Goldstück genommen hatte. Durch diese Erzählung der Kanzleirätin gewann ich Interesse für den vom Pech und den Menschen verfolgten Filzhutfabrikanten a. D. Und mit der langsamen Besserung seines Leidens wurde er auch gesprächiger. Wir kamen uns menschlich näher. Ein harmloser, liebenswürdiger Mensch, von fast mädchenhafter Schüchternheit, die sich auch in den stets erstaunt blickenden Augen und den verlegenen Handbewegungen ausdrückte, ging er umher als der Typus jener menschgewordenen Versuchung für alle pfiffigen Profitmacher und skrupellosen Gauner. Wenn er mit einem Fünfmarkstück zahlte, bekam er stets nur auf einen Taler heraus. Wenn er eine Droschke mittags um zwölf Uhr benutzte, hatte er stets die +Nacht+taxe zu bezahlen. Wenn er ein Scheibchen Schweizerkäse zu sich genommen, fand er bestimmt einen halben Camembert auf der Rechnung. Wenn er sich ein Berliner Abendblatt am Bahnhof kaufen wollte, war es sicherlich die Mittagsnummer der Magdeburger Zeitung vom Tage zuvor. Und wenn er seinen Hut vertauschte -- ja, da ist’s ihm doch passiert, daß er in einem Restaurant des Badeortes, hundert Kilometer entfernt von seiner ehemaligen Fabrik, seinen schönen, neuen, silbergrauen Wiener Filzhut an den Garderobenhalter hängte und beim Weggehen einen der gräßlichen, nach ranzigem Fett riechenden Hüte eigener Fabrikation vorfand. Einen der +ganz+ wenigen, die damals durch ein Versehen in den Handel gekommen waren. Durch peinliche Häufung solcher Erlebnisse war Michael Monkebach auf melancholische Gedanken gekommen, die sich vom Haferschleim nicht verscheuchen ließen. Er fühlte, daß da mit tröstlichen Redereien von Pech und Zufall nichts zu machen sei; daß es ihm vielmehr an Qualitäten des +Charakters+ fehlen müsse, die ihren Besitzer ein für allemal vor solchen an Verhöhnung grenzenden Angriffen schützen mußten. Da hatte er eines Tages, als es in Strömen regnete und ihm gerade sein neuer Regenschirm gestohlen worden war, beim Auf- und Abwandeln in den gedeckten Kolonnaden beim Buchhändler zwei Bücher entdeckt, die ihn durch ihre Titel lockten. „Wie wird der Mensch energisch“ hieß das eine, und „Wie erlange ich die Macht des persönlichen Einflusses“ das andere. Mittags im Lesezimmer -- er hatte natürlich den einzigen +un+gepolsterten Stuhl erwischt -- sah ich ihn eifrig bald in dem einen, bald in dem andern Buch lesen. Und als sich gegen Abend das Wetter aufhellte und er in fremden Gummischuhen -- die seinen waren ihm gegen zwei, merkwürdigerweise unter sich verschiedene, ihm viel zu große Überschuhe vertauscht worden -- neben mir her durch die Pfützen des Kurparks schritt, sprach er hochbefriedigt von seiner Lektüre. Er sehe jetzt ein, daß es ihm eigentlich nur an „Persönlichkeit“ gefehlt habe, äußerte er in schöner Offenheit. Die „Persönlichkeit“ aber sei durchaus nichts Angeborenes, das wisse er jetzt, sondern etwas Erwerbbares, etwas Erlernbares. Vor allem müsse man sich gewöhnen, die Dinge und Menschen mit festem Blick ins Auge zu fassen. Indem er so sprach, übte er den Blick an verschiedenen Laternen des Kurparks, die ungerührt weiter ihr spärliches Licht in die Regenluft streckten ... Als ich am nächsten Morgen an seinem Zimmer vorbeikam, hörte ich Michael Monkebach singen. Falsch aber laut und mit einer gewissen trotzigen Freudigkeit. Das war gegen seine Gewohnheit. Ich klopfte an, steckte den Kopf durch die Tür und fand ihn, nur mit Hose und Hemd bekleidet, sehr merkwürdige und nie gesehene Freiübungen mit einer gefüllten Waschkanne machen. „Ein Stuhl ist mir doch zu schwer dazu,“ erklärte er, „aber sehen Sie nur, wie mir diese Übungen schon gelingen. Erst Kniebeuge -- sehen Sie: +so+ -- uff, mein Kreuz -- jetzt -- jetzt: leichtes Zehenwippen und Strecken des Rumpfs und nun wieder, passen Sie auf -- eins -- zwei -- Kniebeuge -- drei -- vier Vorstoßen der Wasserkanne.“ Er stieß so energisch vor, daß ihm die Wasserkanne aus den Händen glitt, fiel und zerbrach, wobei auch seine Beinkleider durchnäßt wurden. Während er sie mit einem Handtuch trocknete, rief ich das Stubenmädchen. Sie hieß Adele, hatte rote, selten gekämmte Haare und war weder schön, noch höflich. Mit Michael Monkebach war sie aber direkt grob, was mir auffiel. Sie wußte offenbar noch nichts von seiner neugewonnenen „Persönlichkeit“. Als die rothaarige Adele gegangen war, fragte ich ihn, warum er sich diesen Ton nicht verbeten und die Kecke kräftig angehaucht habe. „Das lohne nicht“, meinte er, „bei Untergebenen.“ Aber bei Gleichgestellten -- na, ich werde ja sehen! Man müsse den „Mut zum Widerspruch“ haben und um der „Persönlichkeit“ willen „verharren“ -- nämlich auf der einmal eingenommenen Stellung -- sie geistig verteidigen, wie eine Festung und dabei die Macht des persönlichen Einflusses spielen lassen durch das Auge. „Es ist der Trick aller Dompteure,“ sagte er zuversichtlich, „die fixieren die Bestie; und das Tier, instinktiv die Macht der Persönlichkeit fühlend, duckt -- und gehorcht.“ Beim Mittagstisch saßen wir -- Michael Monkebach und ich -- einem Rittmeister in Zivil gegenüber, der sich gern reden hörte und dazu erstaunliche Quantitäten billigen Moselweins trank. Michael Monkebach schien von dieser hellen Kommandostimme aufgeregt zu werden. Er wippte auf dem Stuhl hin und her, nahm sich fünf Stücke Schweinebraten, den ihm der Arzt strengstens verboten hatte und den er auch liegen ließ; fertigte Brotkugeln, die er dann in der Zerstreuung aß, und fühlte dazwischen nach der Brusttasche, aus der ich den majonnaisegelben Umschlag des interessanten Werkes „Wie wird der Mensch energisch“ feindlich hervorlugen sah. Der Rittmeister hatte gerade an der Hand eigener, sehr aufregender Manövererlebnisse einer dicken Rentiere aus Stettin, die sich Tag und Nacht nicht von einem pfundschweren Bernsteinschmuck zu trennen schien, den unvergleichlichen Nutzen der Kavallerie für den Aufklärungsdienst erläutert, da vernahm ich Michael Monkebachs fremdartig schrill klingende Stimme, die hervorstieß: „+Ich+ bin der Ansicht -- bin der Ansicht, daß beim nächsten Krieg die Kavallerie einfach eine +tote+ Waffe sein wird.“ Er war sichtlich stolz auf den unsinnigen Ausdruck „tote Waffe“ und sehr erregt. Schweiß stand in reichen Perlen auf seiner Stirn. Ich begriff, es war die „Energie“-Probe. Ich sah seinen Blick starr, als wolle er ein Huhn hypnotisieren, auf den Rittmeister gerichtet, der schweigend sein Monokel einklemmte, ein Lächeln verbiß und dann sehr höflich sagte: „Der Herr ist ohne Zweifel Kavallerist gewesen?“ „Nein, ich bin -- bin Landsturm -- ja wohl Landsturm +mit+ Waffe. Aber meine Ansicht ist deshalb +doch+ wohlbegründet. In einem Zukunftskrieg nämlich -- in einem Zukunftskrieg --“ Seine Vorstellungen über den Zukunftskrieg schienen leider doch nicht so klar und übersichtlich geordnet, wie es für diese Unterhaltung wünschenswert gewesen wäre. Plötzlich aber verbreitete sich ein Ausdruck der Entrüstung über sein nervöses, blasses Gesicht und die sieghaften Worte überstürzten sich schier: „Die Pferde werden totgeschossen, ja. Und die Reiter -- und die Reiter -- liegen +unter+ den toten Pferden ...“ Der Rittmeister glaubte es offenbar mit einem gelinde Verrückten zu tun zu haben. Er ließ das Monokel in die hohle Hand fallen und wandte sich ruhig zu seiner bernsteingeschmückten Nachbarin. „Sie müssen sich vorstellen, meine Gnädige ...“ Michael Monkebach ließ das starre Auge -- er dachte offenbar an den „Dompteur“ und fühlte die Wichtigkeit des Augenblicks dieser Probe -- nicht von dem Rittmeister, der nach einer Weile den stierenden Blick unbehaglich empfand, sein Monokel wieder einklemmte und eine merkwürdig ernste Falte über dem Nasenrücken sehen ließ. Die kerzengerad aufliegende Falte, die wie eine Fortsetzung des nur durch die recht knapp bemessene Stirn unterbrochenen Scheitels aussah, gab dem Gesicht etwas Hartes, Drohendes. Ich fühlte: die Katastrophe nahte. Die Rosinen und Krachmandeln wurden gerade herumgereicht -- es waren immer dieselben, da niemand jemals davon aß -- und die alte Engländerin am Kopf der Tafel erhob sich, lang und dürr wie eine entlaubte Pappel im Winter, und schritt, wie immer als die Erste an dem galant die Tür aufreißenden Oberkellner vorbei nach dem Lesezimmer, wo sie täglich ihre sieben bis neun Stunden an dem einzigen Schreibtisch saß und mittels einer goldenen Füllfeder geheimnisvolle Briefe in Riesenbuchstaben schrieb. Die Tafel leerte sich. „Kommen Sie, Herr Monkebach,“ flüsterte ich besorgt, da mir für den Filzhutfabrikanten unbehaglich wurde, „+gehen+ wir schon!“ Ich suchte durch eine besonders liebenswürdige Verbeugung gegen die Bernsteindame aus Stettin und den Rittmeister die Aufmerksamkeit von Monkebach ab und auf +mich+ zu lenken: „Mahlzeit.“ „Mahlzeit!“ Der Rittmeister schmetterte es heraus, als ob er eigentlich etwas ganz anderes sagen wollte, etwa: „Hol euch der Henker!“ oder so etwas. Wir waren noch nicht im Vestibül, da kam der Rittmeister hinter uns her: „Pardon, wenn ich die Herren störe. Ich möchte Herrn Fabrikanten Monkebach -- ich irre mich doch nicht? -- um zwei Worte unter vier Augen bitten.“ Er sagte das mit einer sehr höflichen Verbeugung nach mir hin; und ich beeilte mich zu versichern, daß ich die Herren in ihrer privaten Besprechung keinesfalls zu stören wünsche. Als ich mich empfahl, schweifte mein Blick über Michael Monkebachs Angesicht. Er sah aus, als habe er seit drei Tagen seine Beerdigung hinter sich. Die Rechte krampfte sich in die Brustseite, wo der Rock das köstliche Buch mit allen schönen Lehren über die „Persönlichkeit“ verhüllte. Die Beine aber, die ihn hinter dem vorausschreitenden Rittmeister nach dem Rauchzimmer, dem Ort der Unterredung, trugen, knickten und tänzelten und schlenkerten, als ob sie durchaus nicht mehr von der Zentrale des Nervensystems eines ~homo sapiens~ zweckentsprechend dirigiert würden, sondern vielmehr einer Puppe im Kasperletheater angehörten, deren schlotternder Leib voll Sägespäne und deren zerbeulter Kopf von lakiertem Holz ist ... Zwei Stunden später ging ich zu Michael Monkebachs Zimmer hinauf. Die gesprächige Kanzleirätin hatte mich mit Mitteilungen über einen mir gänzlich unbekannten Baron Montecatanio aufgehalten, der, allen Gästen unsichtbar, die teuersten Zimmer im Hotel bewohnte und früher, wie sie behauptete, in ganz verwerflicher Weise mit Sklaven am Kongo gehandelt, dann in Alexandrien eine berüchtigte Spielbank gehalten haben sollte. Lauter Dinge, die gewiß sehr unschön und tadelnswert, mir aber im Moment furchtbar gleichgiltig waren. Ich traf Michael Monkebach beim Packen der Koffer, eine Tätigkeit, der er mit einer fast fanatischen Hast oblag. „Schließen Sie die Tür hinter sich -- den Riegel, bitte, auch,“ rief er mir flehend zu. „Danke. Sie müssen wissen, der Rittmeister -- übrigens ein +prächtiger+ Mensch! -- wollte mich fordern -- auf Pistolen. Haben Sie schon mal eine Pistole in der Hand gehabt? -- Ich nicht ... Wenn es schließlich noch Säbel gewesen wären. Ich hatte eine Leidenschaft für Säbel -- als Kind. Aber gleich -- wo sind denn die Socken! aha, hier unter dem Nachttisch -- aber gleich: Pistolen! -- Ich bin -- bin -- Himmel, jetzt habe ich eine Fußbank eingepackt! -- ich bin unter +Filzhüten+ groß geworden. Mein Vater -- wollen Sie mir mal die Zahnbürste reichen? Danke -- ist auch -- ist +auch+ unter Filzhüten groß geworden. Mein Großvater -- --“ Da ich fürchtete, daß noch +viele+ des Geschlechts „unter Filzhüten“ groß geworden seien, so lenkte ich ab. „Haben Sie denn eine Entschuldigung schroff abgelehnt --?“ „Den Teufel hab’ ich! Ich habe gesagt, daß ich unter +Filzhüten+ groß geworden bin, und daß mein Vater ...“ „Unter Filzhüten groß geworden ist, ich weiß. Und war er von diesen Filzhüten, wollt’ ich sagen: von diesen Erklärungen befriedigt?“ „Das schon. Aber wer weiß, er besinnt sich vielleicht wieder anders. Gott, so ein Kavallerist. -- Das Handwerk verroht, nicht wahr? ... Eine Tante von mir hatte ein Dienstmädchen, die hatte bei einem Scharfrichter gedient ... nein, was die für Sachen erzählte, nicht zum Wiedergeben. Ich hab’ sie übrigens auch vergessen. Aber +das+ ist sicher: es gibt Berufe, die das Gemüt verkümmern lassen ... Und dann wissen Sie, +ich+ bin nicht für die ‚Persönlichkeit‘ geboren. Und das mit der Erziehung zur Persönlichkeit --“ Er riß plötzlich das majonnaisegelbe Buch, das ihm beim Bücken immer in die Achselhöhle stach, zornig aus der Tasche und schleuderte es in die Ecke -- „das ist Unsinn. Wenn man unter Filzhüten groß geworden ist -- -- Sehen Sie nur --“ Er hielt plötzlich inne und zeigte mir die bereits quittierte Rechnung des Hotels: „Was hab’ ich eigentlich +hier+ bezahlt?“ Er zeigte mit dem Finger auf einen unleserlichen Posten. „Ich kann’s nicht lesen, der Oberkellner kann’s nicht lesen, Adele kann’s nicht lesen -- aber es macht zwölf Mark.“ „Und Sie haben --?“ „Bezahlt! Natürlich. Lieber Herr Doktor, ich +bin+ eben keine ‚Persönlichkeit‘. Ich will fort, nach Hause -- Haferschleim kann ich dort +auch+ essen, nicht wahr? Und Kavallerie-Rittmeister lade ich mir ganz bestimmt nicht ein ... Würden Sie mir die Gefälligkeit erweisen, +mit+ zur Bahn zu fahren? Das vorige Mal ist mir der Kutscher so grob geworden -- ich habe dann gern jemand bei mir.“ Am Bahnhof spendierte sich Michael Monkebach ein Billett +erster+ Klasse. Wegen der Nerven. Als der Zug ankam -- er hatte Verspätung, und alles mußte sehr eilig gehen -- erwies es sich, daß das +einzige+ Coupé erster Klasse für einen Erzbischof mit Bedienung belegt war. Die zweite Klasse aber war durch den Andrang zu einem Sängerfest in der Umgegend total überfüllt. So fuhr Michael Monkebach mit seinem teuer bezahlten gelben Billett in einer dritten Klasse mit fünf jüdischen Viehhändlern, von denen einer einen struppigen, unappetitlichen Bullenbeißer bei sich hatte, der einen ungewöhnlich starken Hundegeruch ausströmte. Noch als sich der Zug in Bewegung setzte, rief ich Michael Monkebach zu: „Sie sollten sich beschweren -- ihr Geld zurückverlangen.“ Ich sah noch sein schmerzliches Lächeln hinter dem Fenster, das, vom Regen gequollen, nur halb herunterzulassen war: „Lieber Gott, +ich+ und -- +beschweren+. Dazu gehört Per--sön--lich--keit. Wenn man, wie ich ...“ Ich hörte nichts weiter, da einer der Viehhändler, auf dessen Fuß Michael Monkebach wohl unabsichtlich getreten war, ihn sehr hart anließ. Aber ich ahnte, was er hatte sagen wollen: „Wenn man, wie ich, unter Filzhüten groß geworden ist ...“ * * * * * Ich hatte dann jahrelang nichts mehr von ihm gehört. Auch nichts von seinen Filzhüten. Menschen, die unter anderen Dingen groß geworden waren, hatten mein Interesse erweckt. Es waren wohl auch Damen darunter. Kurz, ich vergaß ihn. Vergaß ihn so sehr, daß ich mich sogar seines Namens nicht mehr entsann, als er in merkwürdigem Zusammenhang, allerdings nur so als Appendix, als Mitläufer, zuerst wieder an mein Ohr schlug. Ich verkehrte damals viel in einem Kreise junger Literaten, die sich gegenseitig sehr gut gefielen und jeden Freitag in dem Hinterstübchen eines Restaurants im Westen zusammenkamen, um sich über die Gemeinheit niedriger Lohnschreiber, die schnödes Geld mit ihren Büchern verdienten, und über die lächerliche Talentlosigkeit aller nicht zu ihrem Kreise Gehörigen aufgeregt zu unterhalten. Ich hatte mich nicht als Mitglied aufnehmen lassen, da ich -- ohne den Rausch an sich hochmütig zu verwerfen -- nie ein Freund davon war, mir mit geschwollenen Redensarten Herz und Hirn zu füllen. Aber als Schwester eines fanatischen Neutöners, der in seinen Gedichten niemals auch nur das bescheidenste Satzzeichen anbrachte und deshalb von Heine, Lenau und Mörike wie von sitzengebliebenen Schulbuben aus der Hilfsklasse für Schwachsinnige sprach, nahm häufig ein sehr schönes Mädchen an diesen denkwürdigen Sitzungen teil. Sie redete weder klug, noch töricht. Sie war +da+, das genügte. Denn die Schönheit braucht eben nur vorhanden zu sein, um ohne weitere Anstrengung Besonderes zu wirken. Sie bereitete sich dünnen Tee, während die andern meist geschmierten, billigen Wein tranken; lauschte den donnernden Tiraden des alle Erfolge aus der Hochburg seiner Unbekanntheit verachtenden Bruders und seiner hohnlächelnden, umstürzlerischen Sippe und schlug zuweilen ein paar große sanfte Kinderaugen zu mir auf, blau und tief, wie ein Märchen. Wie ein kleiner, zarter Paradiesvogel im ruppigen Krähennest kam sie mir vor. Und ich begriff es völlig, daß gut die Hälfte aller sogenannten Gedichte, die diesem kraftgenialischen Kreise entstammten, an ihre stillen, blauen Augen gerichtet waren. Ich glaube, ich selbst habe damals ... Aber das gehört nicht hierher. Denn meine Gedichte reimten sich und gaben zuweilen, wenn man sie aufmerksam las, einen Sinn. Zwei Eigenschaften, die sie in diesem erleuchteten Kreise dem grimmigsten Hohn preisgegeben hätten. Diese künstlerische Vereinigung hatte auch einige durch Akklamation gewählte und durch Nachtdepeschen, die diese stolze Ehrung meldeten, erschreckte „korrespondierende Mitglieder“. Deren Briefe ähnelten sich alle darin, daß sie sehr schlecht auf gelbe Notizbuchblätter, zerknitterte Telegrammformulare oder benutzte Papiermanschetten geschrieben waren und eigentlich weniger von den idealen Angelegenheiten der Poesie und Kultur als von momentanen ärgerlichen Verlegenheiten, peinlicher Geldnot, schmerzlicher Untreue einer Kellnerin und solchen Dingen handelten. Nur +ein+ korrespondierendes Mitglied schien sich in leidlich geordneten Verhältnissen zu befinden. +Maruschka Anastasia+ nannte sie sich in ihren Liedern. Sie war es, die sich einer ganz erstaunlichen Wertschätzung in diesem Kreise erfreute. Die Freiheit des Weibes wurde in ihren Gesängen gepredigt, gefordert, gedroht; die Revolution der Ehe, die geharnischte Auflehnung gegen uralte entehrende Sklaverei. Diese heftigen Gedichte wurden häufig an den Freitagsabenden vorgetragen. Ein ziemlich verwahrloster, dicker, kleiner Mann, der, wie er sagte, an einer „Reformation der Rezitationskunst“ arbeitete, bestieg dann einen Stuhl, knöpfte umständlich den obersten Knopf seines Hosenbundes und die beiden untersten Knöpfe seiner originell karierten Weste auf, „damit die Bauchmuskulatur beim Vortrag nicht gehemmt werde“, faltete die fettigen Hände über der eingedrückten Brust, schloß die unschönen verschwommenen Augen, um tiefste seelische Konzentration zu markieren, röchelte, als ob ihm ein D-Zug über beide Beine gefahren wäre, und schrie plötzlich unter heftigen Zuckungen die Nächstsitzenden an: „Nehmt mir die blut’gen Ketten aus dem Fleische, Reißt mir die welken Rosen von der Stirn ...!“ Und dann gab er wohl zehn Minuten lang mit ungeheurem Gebrüll noch unzählige Aufträge ähnlichen Inhalts, deren nähere Beschaffenheit ich vergessen habe. Alles in wilden, bluttriefenden Versen. Wenn er unter dem demonstrativen Jubel der Versammlung geendet hatte, stieg er, sichtlich ermattet, dem Beifall mit den fetten Händen wehrend, verächtlich lächelnd vom Stuhl, machte sich kalte Umschläge um die Stirn und trank ein sehr bemerkenswertes Gemisch von rohen Eiern, Kognak, Rotwein, und Benedektiner, das er „Lethe“ nannte. Wenn er sechs bis acht Glas Lethe getrunken hatte, nahm er sich einen Taxameter, gab ihm geheimnisvolle Weisung und fuhr „in die Einsamkeit“, wie er sagte. Die Mitglieder des Bundes nährten die Überzeugung, der große Künstler ließe sich dann jedesmal bis zum Waldrand fahren; dort steige er aus und erwarte schweigend, das Haar dem Spiel der Morgenwinde preisgegeben, den ergreifenden Anblick des Sonnenaufgangs, die einzig wahre Sensation, die ihm dies schale Leben noch zu bieten habe. Seit ich ihn aber einmal, wenige Stunden nach solcher Sitzung, nach Vortrag und reichlichem Lethegenuß in den Arkadiasälen mit einer strohblonden Dame sehr heftig und sehr ungraziös Cake Walk tanzend getroffen habe, war meine ehrfürchtige Bewunderung für das genialische Einsamkeitsbedürfnis des dicken Lethekonsumenten stark erschüttert. Und an die Sonnenaufgänge glaubte ich nicht mehr. Es waren immer Gedichte von Maruschka Anastasia, die der Reformator der Rezitationskunst vortrug. Mir kamen sie wie lauter gereimte Beschimpfungen des Mannes vor; und ich hätte, selbst wenn ich ihren poetischen Gehalt an Bildern, schönen Wendungen, Blüten der Phantasie höher eingeschätzt hätte, nicht recht begriffen, warum sich diese Gesellschaft von flaumbärtigen Literaten just daran berauschte, ihr eigenes Geschlecht vom Geifer des Hasses einer exaltierten Dame emsig bespien zu sehn. Eines Abends -- der Lethetrinker saß nach getaner Arbeit gerade wieder mit einer kalten Kompresse um die Reformatorenstirne in der Ecke und rührte mit stimmungsvollem Ernst eine halbe Pulle rubinroten Rotwein an drei verklepperte Eier -- sprang mir eine neugierige Frage auf die Lippen. „Sagen Sie, liebes Fräulein“ ich wandte mich an die schweigend neben mir mit dem Teekessel hantierende Besitzerin der blauen Märchenaugen, „heißt Ihre Lieblingsdichterin -- ich muß sie doch wohl so nennen -- diese Maruschka Anastasia nun +wirklich+ Maruschka Anastasia oder ...“ Der Lethemischer unterbrach alsobald seine rührende Tätigkeit und stand plötzlich einen sehr lieblichen Geruch nach Kognak und Rotspohn verbreitend neben mir: „Das wissen Sie wirklich nicht? Aber, Mensch, wo +leben+ Sie? Maruschka Anastasia ist eine Frau, nicht fern dem Ende der zwanziger, man kann schon sagen Anfang der dreißiger. Eine verheiratete Frau --“ „Natürlich +un+glücklich verheiratet?“ warf ich ein. „Na--tür--lich.“ Und irgendwoher aus dem Zigarettenrauch kam eine müde Stimme: „Haben Sie überhaupt schon einmal eine +glückliche+ Ehe gesehen?“ „Nun -- ich dächte zum Beispiel meine Eltern ...“ Der Lethemischer roch mitleidig lächelnd an seinem Glase: „Es liegt mir fern, die Ehe Ihrer geschätzten Eltern hier auf die von Ihnen behauptete Trivialität untersuchen zu wollen. Wäre ja auch eine fruchtlose Bemühung. Ich kenne von dieser Ehe auch nichts, als ihr Produkt: +Sie+. Im Anblick dieses Produkts kann ich mich aber -- ohne ihren vielleicht verborgenen Qualitäten nahetreten zu wollen -- +nicht+ zu dem freudigen Glauben durchringen, daß die dazu nötige Ehegemeinschaft eine glückliche war.“ „Danke,“ ich verneigte mich. „Aber auf meine belanglose Person wollte ich wirklich das durch Ihre gütige Mitwirkung so interessante Gespräch nicht bringen. Ich fragte in aller Bescheidenheit nach den näheren Verhältnissen der hier so geschätzten Dichterin Anna Maruschka. Fragte, weil es mich interessiert, ob da persönliche Erlebnisse vielleicht den Grund zu dieser düsteren Lebensanschauung gelegt haben, oder ...“ Jetzt nahm der kleine Egon Felix Gundelmann das Wort. Ein äußerst merkwürdiger Jüngling, den ich, so lang ich ihn kenne, nie etwas anderes habe betrachten sehen, als seine eigenen Fingernägel; ohne daß er aus dieser Betrachtung einmal das naheliegende Bedürfnis geschöpft hätte, diese Objekte seiner ungeteilten Aufmerksamkeit zu reinigen. Er fiel durch eigene Produktion in diesem Kreise niemals lästig. Aber er war, um mit Hamlet zu reden, so etwas wie der Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeitalters. Allerdings Spiegel und Chronik ganz im Sinne der anregenden Gesellschaft, die seine mehr auf Sammeleifer als auf Gedanken beruhende Weisheit umgab. Er hatte ein geradezu phänomenales Gedächtnis für Namen und Zahlen, war wegen dieser letzteren Eigenschaft bei den Kellnern sehr unbeliebt, erschien aber als der geborene Literaturhistoriker, ein wandelndes Nachschlagewerk. Wann der oder jener giftige Vierzeiler auf der 387sten Seite der Zeitschrift „Marsyas“ rechts oben in der Ecke gestanden hatte; wieviel an Honorar die genannte Zeitschrift -- der anerkannte Sammelpunkt der „Jüngsten“ -- dem oder jenen Neutöner für seine tiefempfundenen „Elegien in freien Rhythmen“ schuldig geblieben war; wie hoch die unheimlichen Saarweine, die der Lethefreund vor drei Jahren in die Frühlingsbowle geschüttet hatte, auf der Karte notierten und mit welchem Aufschlag sie der verbrecherische Kellner in Rechnung gestellt hatte -- all solche schwierigen Fragen und erstaunlichen Gedächtniskunststücke bewältigte Egon Felix Gundelmann spielend. Sobald Namen, Taten, Zahlen in Frage kamen, blickten aller Augen fragend und wißbegierig auf ihn. Die seinen aber verweilten nach wie vor auf seinen unsauberen Fingernägeln, und aus diesen unschönen Ausläufern seiner Persönlichkeit schien er all sein verblüffendes Wissen mühlos herauszulesen. „Maruschka Anastasia“, sagte er jetzt, „ist geboren vor dreiunddreißig Jahren am neunzehnten Juli, d. h. an dem Tage, an dem im Jahre 1796 der Buchhändler Georg von Cotta geboren wurde, der später, auf den Ungeschmack der Menge bauend, den Werken der sogenannten Klassiker eine heute noch schädlich nachwirkende Verbreitung leihen zu müssen glaubte. An demselben Tage wurde fünfundzwanzig Jahre später der Dichter Gottfried Keller in Zürich geboren, dessen Werke ich zwar nicht hoch einschätze, der aber durch die knorrige Grobheit seines Wesens und durch die bis ins späte Alter bewährte Vorliebe für starke gegorene Getränke verriet, daß vielleicht etwas in unserem Sinne aus ihm geworden wäre, wenn er sich entschlossen hätte weiter zu hungern, anstatt sich als Staatsschreiber in die schmachvolle Abhängigkeit des Kantons Zürich zu begeben. Daß an diesem selben Tage dann im Jahre 1870 Frankreich an Preußen den Krieg erklärte, erwähne ich noch nebenbei. Dieser Krieg hat für das geistige Deutschland eine tiefe Demütigung gebracht, indem der Singsang der sogenannten patriotischen Dichter zu einem Ansehen gelangte, das jeden ästhetisch reifen Beurteiler, der an die große Zukunft der ungereimten, abstrakten Gedankenpoesie glaubt, mit tiefster Beschämung erfüllen muß. Wir haben durch diesen Krieg einige Schlachten und einige Kriegervereine gewonnen und dafür auf Jahrzehnte das Bewußtsein unserer in blöden Siegesfesten ersäuften Kulturmission verloren. Erst dadurch, daß vor dreiunddreißig Jahren Maruschka Anastasia als Tochter eines durch seelische Verirrungen zum Winkelkonsulenten herabgesunkenen ehemaligen Notars und einer echten Tochter des Volkes geboren wurde, hat dieser Julitag für das intellektuelle Deutschland der Zukunft wieder einen Klang und eine Bedeutung gewonnen.“ Egon Felix Gundelmann las diese letzten Worte vom Nagel des Daumens seiner linken Hand mit sichtlicher Befriedigung ab. Ich dankte mit einigen unbedeutenden Worten für die gütige Belehrung, gab aber der Ansicht Ausdruck, daß meine Frage eigentlich damit nicht beantwortet sei, da ich zu wissen verlangte, ob Maruschka Anastasia der richtige, in den Standesbüchern eingetragene Name dieser erstaunlichen Frau sei, und ob sie selbst die von ihr so glühend gehaßten Ehefesseln jemals getragen und -- wie ich fast vermuten müsse -- mit all der Kühnheit, die ihre Gesänge durchbrauste, hohnlachend abgeschüttelt habe. Egon Felix Gundelmann betrachtete eingehend den Nagel seines mit einem häßlichen Geschwür aus kupfrig glänzendem Gold geschmückten Ringfingers und gab -- immer im Ton einer wissenschaftlichen Vorlesung -- die überraschende Auskunft: „Maruschka Anastasia heißt eigentlich mit ihrem Mädchennamen Anna Kuntze -- mit tz. Auf das tz legt sie Wert. Die letzten Nachrichten, die wir von ihr hatten, stammen vom 21. Juli des Vorjahres. Sie dankte uns damals für ein in der Nacht ihres Geburtstages aufgegebenes Nachttelegramm, das sie selbst, wie sie schrieb, herzlich erfreut und ihrem offenbar sehr schreckhaften Mann eine kleine Nervenattacke eingetragen. Sie nennt sich jetzt Maruschka Anastasia Monkebach-Kuntze und lebt körperlich +neben+, seelisch aber weit getrennt von einem Mann, der ein kleiner Rentier sein soll und sie, ohne ihre Bedeutung irgendwie mit ethischem Verständnis zu durchdringen, mit gebührender Verehrung behandelt.“ „Monkebach-Kuntze. -- Monkebach -- Monkebach ...“ Ich wiederholte den Namen immer wieder. Wo hatte ich ihn bloß schon gehört? und in welchem Zusammenhang? Ich dachte an eine Menagerie, die ich als Kind besucht -- aber nein, die hieß Münsterbach. Dann dachte ich an einen Zahnarzt, der mir -- schrecklichen Angedenkens -- einen ganz gesunden Zahn mit Gold plombiert hatte. Aber nein, der hieß -- ja, wie +hieß+ der? Und jetzt war ich +ganz+ konfus, und meine erregten Gedanken pendelten zwischen Maruschka Anastasia und einem verbrecherischen Zahnarzt hin und her, ohne einen Halt zu finden. Egon Felix Gundelmann hatte mittlerweile noch ein ganzes Taschenlexikon biographischer Details über mich ausgeschüttet. Ich hörte nicht zu. Da traf plötzlich die trockene Anmerkung mein Ohr: „Die Tragikomödie dieser Ehe eines lächerlichen Philisters mit einer ganz eigenartigen weiblichen Psyche mit einem von der leidenschaftlichen Liebe zum großen Erlebnis genährten Genie vollzieht sich in der Stadt mit dem unsagbar trivialen Namen Bimmlingen.“ Ich stutzte. „In Bimmlingen sagten Sie? Seltsam, dorthin muß ich spätestens Anfang nächster Woche in Vermögensangelegenheiten.“ „Vermögensangelegenheiten!“ Der Lethetrinker sprach das Wort mit tiefer Verachtung mehr in sein halbgeleertes Stengelglas, als zu mir. „Vermögensangelegenheiten! Für solche Trivialitäten ist Bimmlingen gut. Aber als Leidenswiege für die zerrüttete Seele einer großen Poetennatur ...“ Der Satz war auf bedeutungsvolle Steigerung angelegt. Aber der Reformator hatte den Schluckser und mußte sich sehr zu seinem Ärger hier unterbrechen. Mein Geständnis, daß ich nach Bimmlingen reisen mußte, hatte Bewegung in die dichten Zigarettenwolken des nie gelüfteten Raumes gebracht. Man sah sogar wieder Gesichter. Erstaunte, interessierte Gesichter. Alle redeten durcheinander. Egon Felix Gundelmann gab, wie mir schien, in seiner leidenschaftlichen Art einen kurzen Abriß aus der Stadtgeschichte von Bimmlingen. Ein hier hochgeschätzter Romancier, der seine Bücher erst nach seinem Tode weiteren Kreisen bekannt zu geben wünschte, spendete mir den dringenden Rat, sofort von der Bahn aus zu Maruschka Anastasia zu fahren, um sie meiner und seiner Verehrung zu versichern. Ein bereits zweimal verbotener Dramatiker hoffte, daß ich in Bimmlingen ein zuverlässiges „Tagebuch“ führen werde. Andere hatten noch weitergehende Wünsche in Beziehung auf meine Reise nach dem durch Maruschka Anastasia interessant gewordenen Nest. Das Mädchen mit den tiefblauen Augen aber setzte die Teetasse hin, legte mir die spitzen, schlanken Finger ihres reizvollen Händchens mit noch nie geübter Vertraulichkeit auf den Unterarm und tat, was sie eigentlich noch nie getan: sie sprach einen zusammenhängenden Satz. Ich weiß heute, nach elf Jahren! noch ganz genau, wie er lautete: „Darf ich Sie bitten, lieber Herr Doktor, Frau Maruschka Anastasia zu sagen, daß ich sie liebe,“ (wenn sie dieses „sie“ damals im Sprechen +groß+ geschrieben hätte, so hätte ich zweifellos „die“ Dummheit meines Lebens gemacht!) „und daß es mich beglücken würde, ein paar Zeilen von ihrer Hand zu besitzen in meiner Selbstschriftensammlung, die fast alle Neueren von Atzler bis auf Zülferich umfaßt.“ Ich gestehe beschämt, daß ich damals weder wußte, wer Atzler noch wer Zülferich war. Aber ich tröste mich damit, daß es heute auch +die+ wieder vergessen haben, die es einmal gewußt hatten. Denn die literarischen Taten von Atzler und Zülferich meldet kein Lied, kein Heldenbuch; und sie sind, wie alle Mitglieder jener festlichen Abende um den Reformator der Rezitationskunst, wie der seltsame Romancier, der für seinen Nachlaß arbeitete, und wie der unwahrscheinliche Polyhistor Egon Felix Gundelmann längst untergetaucht im ruhmlosen Gewoge des Alltags, der Trivialitäten ... Aber meine Fahrt nach Bimmlingen hatte jetzt einen neuen Sinn, einen ungeahnten Glanz bekommen. Nicht daß ich selbst vor Neugier platzte, die genialische Maruschka Anastasia von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Aber wenn ich mit einem wundervollen, inhaltreichen Stammbuchblatt von ihrer Hand wiederkam ... Mir fielen Beispiele ein, daß Prinzen im Märchen durch ein kühn erstrittenes kostbares Geschmeide die lang versagte Gunst einer spröden Schönen im Sturme gewannen. Beispiele ... Beispiele ... Es gehört zu den unbestreitbaren Merkwürdigkeiten meiner sonst nicht eben komplizierten Natur, daß mir für +jede+ Dummheit, die ich zu machen im Begriffe stehe, „Beispiele“ einfallen. Viele und vortreffliche Beispiele. ... Als ich einige Tage später -- doch früher, als ich ursprünglich geplant -- nach Bimmlingen reiste, war meine eigene Angelegenheit ganz in den Hintergrund getreten. Es war auch gut. Denn in Bimmlingen zeigte es sich sehr bald, daß das kleine Grundstück, an dem ich als glücklicher Erbe zusammen mit drei Vettern, einer Tante und einem Waisenhaus beteiligt war, so gut wie wertlos war, da es dicht neben dem Viehhof lag und ein normaler Mensch mit gesunden Geruchsnerven das abscheuliche Terrain nur bei östlichen Winden, die den Stank der Ställe nach der anderen Seite entführten, betreten konnte. Die meteorologischen Notizen des Bimmlinger Tageblatts, dessen drei letzte Jahrgänge ich daraufhin durchsah, ergaben aber, daß die angenehme Stadt Bimmlingen meist von +westlichen+ Winden bestrichen wurde; und als ich einem Bimmlinger Immobilien-Agenten den Kaufpreis nannte, den die miterbende Tante ersonnen und für den uns das scharmante Grundstück feil sein sollte, bekam er einen langandauernden Lachkrampf und versicherte mir, daß er einen so guten Witz nicht mehr gehört habe, seit der letzte Zirkus in Bimmlingen abgebrannt sei. Da die Tante als Miterbin aber von ihrem phantastischen Preis nicht heruntergeht, sind wir heute noch im Besitz des unbebauten Grundstücks und haben die Freude, ein über das andere Jahr zirka hundert Mark für einen neuen Stachelzaun zu bezahlen, der einer fröhlichen Jugend Bimmlingens wehren soll, im Unkraut unseres Besitzes künstliche Festungen zu graben. Ich hatte mir für die mir inniger am Herzen liegende Aufgabe, die Selbsteinführung in die Familie Monkebach-Kuntze, einen, wie mir schien, vorbildlich schlauen Schlachtplan ersonnen. Am Tage meiner Abreise hatte ich an +Herrn+ Monkebach-Kuntze ein sehr verbindliches Kärtchen geschrieben. Voller Interesse, seine berühmte Gattin kennen zu lernen, vom Wunsche beseelt, ihr meine persönliche Verehrung und die meiner Freunde in einem Handkuß auszudrücken, zugleich aber auch geängstigt von dem Gedanken, daß ich die Dichterin in ihren die Welt erleuchtenden Arbeiten in nie entschuldbarer Weise stören könnte, wagte ich es, bei dem von mir unbekannterweise hochgeschätzten Gatten der seltenen Frau in aller Bescheidenheit anzufragen, ob ... und wann ... und wie ... Es war wirklich ein sehr anständiger Brief. Der Rabe mußte meiner Berechnung nach den Käs fallen lassen, wie in der hübschen alten Fabel. Er +ließ+ ihn fallen. Als ich ins Hotel kam, lag schon ein Briefchen da. Unterschrift: Michael Monkebach. Monkebach, Mon--ke--bach -- wieder rollte mir der Name wie eine Billardkugel im Kopfe herum; und nach einer nicht sehr geistreichen Gewohnheit trat ich erst eine Weile ans Fenster, stierte über die reichlich schmutzige Straße auf das schiefhängende Schild einer Woll- und Strumpfwarenhandlung und dachte emsig nach. Dann erst las ich den Brief. „Sehr geehrter Herr Doktor, mich freut’s herzlich Sie nach so langer Zeit wiederzusehn“ -- +wieder+zusehn, wieso? -- „Ich kann es ja begreifen, daß Ihr hochgeschätzter Besuch, der uns äußerst angenehm ist“ -- +uns+? -- auf ihn kam mir weniger an -- „mehr meiner lieben Frau gilt, als mir“ -- wie käme ich auch wohl dazu, +Herrn+ Monkebach zu beehren? es sei denn, daß er am Viehhof ein Grundstück suchte -- „Nichtsdestoweniger wird mir die Erinnerung einer lieben Badebekanntschaft ein nicht gewöhnliches Vergnügen bereiten“ -- Badebekanntschaft? Herr Monkebach wird doch am Ende nicht der Herr sein, der in Karlsbad einmal neben mir wohnte und früh morgens um halb sechs immer Lohengrins Abschied sang, bis ich ihm durch den Kellner sagen ließ ... „Ich bin ja älter geworden, seit wir uns zuletzt gesehen --“ sehr wahrscheinlich, ich bin ja +auch+ nicht jünger geworden -- „aber ein gewisses ruhiges Glück ist bei mir eingekehrt“ -- nanu, bei der ewigen Kettensprengerin ein ruhiges Glück? +Der+ Mann mußte Nerven haben, wie Stahl, oder -- „Und was mich mit Stolz erfüllt, Sie werden sehen, so wenig ich auch an dem unvergleichlichen Talente meiner lieben Maruschka Anastasia beteiligt bin“ -- beteiligt; ein geschäftlicher Ausdruck, der mir sehr mißfiel. Sollte Herr Monkebach etwa jener schlanke Herr mit dem gefärbten Barte sein, der mir nach einem harmlosen Tischgespräch auf Rigi Scheideck beim Dessert meuchlings die Preisliste seiner Naturweine über den Tisch reichte? ... „beteiligt bin, so darf ich doch ohne häßliches Eigenlob wohl sagen, daß mein persönlicher Einfluß ...“ „-- +persönlicher Einfluß+!“ ... Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. Monkebach -- natürlich, so +hieß+ er ... Der Mann mit dem persönlichen Einfluß. Der Turner mit der Wasserkaraffe. Der dankbare Leser des mayonnaisegelben Büchleins: „Wie werde ich energisch?“ Der Gegner -- +beinahe+ Gegner des kampflustigen Rittmeisters. Der Liebling der allwissenden Kanzleirätin. Alles kam mir wieder ins Gedächtnis. Alles. Und ich war so vergnügt in diesen Erinnerungen, daß ich abends ins Stadttheater ging, wo ein unsagbar dummes Lustspiel hundeschlecht gespielt wurde. Ich aber saß unter den ärgerlichen Zuschauern und lächelte fröhlich vor mich hin. Ich sollte den Mann mit dem persönlichen Einfluß wiedersehn als Gatten einer intellektuellen Kettensprengerin. Am nächsten Morgen hüllte ich mich in eine erlesene Besuchstoilette, zog meinen poetischsten Schlips an, ließ meinen Zylinder aufbügeln, kaufte drei purpurrote Rosen an Stielen, so lang wie Spazierstöcke, und machte mich auf den Weg. Kitzlingerstraße 15. Ein bescheidenes Landhaus in einem nicht übel gepflegten Garten. In den Rasenflächen standen gräßliche kleine Terrakotta-Gnome mit feuerroten Zipfelmützen umher. Auch Rehe aus buntem Gips und giftig grüne Riesenpilze als originelle Sitzgelegenheiten aus derselben Masse erschreckten das Auge. Mir schien das +sein+ persönlicher Einfluß auf den Garten. Die Dichterin übersah wohl den kinkerlitzigen Zierat. Kaum hatte das Mädchen -- ich habe nie wieder solche Mischung von Unsauberkeit und Stupidität in einer weiblichen Erscheinung beobachtet -- meine Karte erst selbst mit Aufmerksamkeit gelesen, dann in ein Zimmer getragen, so hörte ich auch schon Monkebachs frohbewegte Stimme: „Hier herein, bitte, nur +hier+ herein!“ Grau war er geworden, der gute Michael Monkebach. Den Schneider schien er noch nicht gewechselt zu haben seit damals. Der Rock schlotterte immer noch um seinen nicht unansehnlichen Leib, und die Weste sah immer noch aus, als habe er sie von einem Verwandten geerbt, der ihn an Leibesfülle ums Doppelte übertraf. Der verblichene Erblasser mußte allerdings eine Sehenswürdigkeit gewesen sein, die alle in den Panoptiken vorgestellten Monstra weit hinter sich ließ. Michael Monkebach schüttelte mir beide Hände. Er war wirklich sichtlich erfreut. Dann drückte er mich in ein niedriges und erstaunlich hartes Sofa und begann die Unterhaltung mit einer Flut von teilnehmenden Fragen nach meinem Wohlbefinden und meinen Geschäften, die mich hierher führten. Es war dabei eine große Erleichterung für mich, daß er sich eigentlich alle Fragen selbst beantwortete. Über meine Person, über einen Onkel von mir, der auf dem Friedhof in Bimmlingen lag und einen sehr unverständlichen Spruch auf dem Grabstein hatte, über eine Tante von +ihm+, die ich einmal in Berchtesgaden getroffen, und endlich über mein übelriechendes Grundstück am Viehhof, das er kannte, weil er früher -- als Junggeselle -- stets die Wurstpapiere seines Frühstücks bei Spaziergängen über den bewußten Stachelzaun geworfen, kamen wir endlich auf seine Frau. Ich deutete in einer Pause, die ein Hustenanfall in seine Rede riß, bescheidentlich an, daß es mich interessieren würde, wo sich die interessante Dame jetzt aufhalte. „Sie hat heute morgen,“ sagte er, „als sie ein heißes Fußbad nahm, eine Inspiration gehabt. Eine außerordentliche Inspiration. Sie ließ sich kaum Zeit, sich abzutrocknen und anzuziehen. Und jetzt --“ er deutete glücklich lächelnd nach einer grüngepolsterten Türe, die den Nebenraum abschloß. „Aha -- sie dichtet?“ Michael Monkebach nickte mit einem selig zustimmenden Lächeln, als wolle er sagen, daß mein Scharfsinn das einzig passende Wort für die von ihr geübte Tätigkeit gefunden habe. „Sie werden sie +sehen+!“ sagte er dann. Wenn es sich um die Königin von Saba gehandelt hätte, er hätte nicht strahlender dreinschauen können. In diesem Sinne sprach ich einige glückwünschende Worte. Er senkte den vorgeneigten Kopf in die Schultern, als lasse er sich warmes Wasser wohlig den breiten Rücken herunterlaufen und genoß meine Teilnahme mit rührendem Behagen. Als ich geendet, nahm er das Wort; und während er mit der Spitze des Zeigefingers die kleinen Careaus auf meinem linken Oberschenkel nachfuhr, was mir gerade nicht sonderlich angenehm war, legte er in gedämpftem Ton, von Zeit zu Zeit verstohlen nach der unbewegten grüngepolsterten Türe spähend, die Beichte eines Glücklichen ab. „Sehn Sie, lieber Freund,“ sagte er, „ich darf Sie doch so nennen? +Alle+ Leute +beneiden+ mich. Wie ich Ihnen sage! Ich hab aber auch ein +Glück+, sag’ ich ihnen ... Ich bin kein Jüngling mehr, nicht wahr? Unter uns: ...zig Jahre. Na, und sie -- erst fünfundzwanzig.“ Er log nicht ohne Grazie. Oder sollte die Dichterin selbst von solch kleinlichen Eitelkeiten nicht frei sein und ihm erzählt haben, daß ...? „Die Verlobungszeit hätte ja unangenehm sein können. Abends immer Theater, Gesellschaft, Konzerte -- gräßlich! Und dann so um neune rum muß ich immer mal ein Nickerchen machen. Nur ’n paar Minuten, nachher bin ich für ’ne Stunde wieder ganz mobil. Aber ich +muß+ einfach. Da hilft nichts. Naturzwang! Na, da war’s nu ’n riesiger Dusel, daß Maruschka Anastasia schon dreimal verlobt war ... Sie hat keinen großen Wert mehr auf solche Aufmerksamkeiten gelegt, wie sie sonst unter Brautleuten ... na, ist ja auch ein gräßlicher Blödsinn! -- Und dann war ja ihr +Vetter+ da, der von den siebenten Ulanen. Sie erinnern sich doch -- der Rittmeister.“ „Pardon, der Rittmeister, mit dem Sie +damals+ ...“ „Jawohl, mit dem ich damals -- beinahe ...“ Er zielte mit einer imaginären Pistole listig mit dem Auge blinzelnd nach dem Bilde einer stark dekolletierten alten Dame an der Wand. „Komisch ist das Leben, nicht? +Der+ ist Maruschka Anastasias Vetter. +Zu+ ein netter Mensch. Er schätzt sie sehr. +Sehr+. Und damals schon -- als wir verlobt waren -- immer viel Literarisches um sie rum. Sie dichtete ja damals schon. Das war aber nur so die Ouvertüre, sag’ ich Ihnen. Und jetzt -- Berühmtheit! Ze--le--bri--tät! Achtzehn Auflagen in drei Jahren. Im Winter oft drei bis fünf Einladungen pro Abend! Ja, sehen Sie, +das+ nennt man ‚Ruhm‘. Und wissen Sie, wessen Verdienst das ist? +Mein+ Verdienst ... Lachen Sie nicht -- +mein+ Verdienst. Ihre Lyrik, um was dreht sie sich? Lesen Sie nur mal aufmerksam ihre Sachen. Frühling -- is nicht. Sogenannte ‚Liebe‘ -- is nicht. Heimatsklänge -- is nicht. Und all so was Schönes -- is nicht. Aber +Ehe+, sag’ ich Ihnen, alles +Ehe+! Großartig, diese Wahrheiten, die sie +mir+ da sagt. Und erst was +ich+ ihr entgegne -- alles natürlich in Versen, die +sie+ macht. Ich --? wissen Sie, ab und zu mal ’nen Brief, aber Verse, ach nein. Niemals nie. Und nun +diese+ Frau! Ich komme zu +dieser+ Frau. Was für ein Glück, sagen Sie selbst. Sie dichtet für +beide+. Sie schmeißt mit den Ehefesseln nur so um sich. Ach, und wie sie dabei aussieht! -- Ihr Vetter von den gelben Ulanen, der Rittmeister -- +zu+ ein lieber Mensch -- ruft immer ‚Sopha!‘ ... nein, wollt’ ich sagen: ‚Sappho!‘ ruft er, ‚Sappho!‘ ... Und sehen Sie, Gott ja, andere Frauen dichten ja auch mal. So Blaumblümleinsuppen und solche Sachen. Oder von ‚ihm‘. Sie dichtet +auch+ von mir, meine Sappho. O ja! aber, sehen Sie, nicht wie die andern. Sie dichtet mich nicht +an+; sie dichtet mich +ab+.“ „Pardon, sie dichtet Sie +ab+?“ „Ja.“ Er nickte still befriedigt vor sich hin. „Was verstehn Sie, wenn ich fragen darf, unter ...“ „Wie ich das verstehe: ‚abdichten‘? O, sehr einfach. Ich sag’ Ihnen ja, sie ‚sprengt fortgesetzt Fesseln‘. Geistig natürlich nur; seelisch, nicht wahr. Und die Kette, sehen Sie, die +dickste+ Kette, das bin ich.“ Ein unsagbarer Stolz leuchtete warm und herzerquickend aus seinen Augen, als er fortfuhr: „Ne, wenn ich +das+ gedacht hätte, als wir in Prima den ‚Lakoon‘ lasen, daß ich noch mal in die Literaturgeschichte komme! Das muß ich doch. +Mit+ dem Bild. Und diese Kette wirft sie weg. Bloß in Gedichten, bitte. Reine Phantasie. Mein Gott, ich habe 15000 Mark Rente -- da ‚wirft‘ ’ne vernünftige Frau nicht so leicht. Aber Sie sollten sie mal deklamieren hören: ‚Ha, Elendsgötze meiner schwülen Nächte, Beugst du die Fratze lüstern über mich --!‘ Sehen Sie, +das+ nenn’ ich ‚+ab+dichten‘. +An+dichten kann man’s schon nicht nennen. Guter Ausdruck, was? Von mir! Und nun stellen sie sich bloß vor: +das+ Glück! Abend für Abend sitze ich nach dem Abendessen unter irgendeiner Palme -- Gott, Palmen gibt’s ja jetzt in allen Wohnungen bei uns -- und sie, mein ‚Sappho‘, steht im Kreise der andächtig Lauschenden. In einer Toilette, die mich bei Gerson vierhundert Mark gekostet hat. Das war noch ‚Vorzugspreis‘ ... Sie liest wundervoll vor. Ich sage Ihnen, wie diese einzige Frau solche Pointen herausbringt: ‚Den Schlaftrunk her, daß seine roten Augen Die Schönheit meiner Jugend nicht beschmutzen ...‘ Großartig! Ihr Vetter von den gelben Ulanen, der Rittmeister -- +zu+ ein netter Mensch! -- weckt mich jedesmal, wenn’s zu Ende ist, unter meiner Palme. Ein guter Kerl, seelensgut. Kennt keinen Neid. Wenn wir dann zusammen nach Hause fahren -- er wohnt dicht neben uns, ja, Wand an Wand -- ja, wenn wir so im Wagen sitzen, wissen Sie, was er dann sagt: ‚+Das+ können Sie sich ruhig sagen, liebster Michael‘ -- meint er +mich+ -- ‚+Sie+ haben da +mit+gedichtet. Wissen Sie, ohne +Sie+ wär’ ja die ganze Geschichte unmöglich.‘ Recht hat er. Wahrhaftig. Und da sagen die dummen Leute, ich bin nicht glücklich!“ „So, sagen die Leute so was?“ „Ja. Aber wir haben einen Trick. Wir +lassen+ sie dabei.“ Er rieb sich verschmitzt die Hände. „Wahrhaftig, das tun wir. Es ist so ein bißchen moderne Reklame für die Bücher, verstehn Sie. Mein Gott, Maruschka Anastasia braucht’s ja nicht, aber -- --“ Er verstummte plötzlich und sah nach der Tür. Sie hatte sich bewegt, ging auf. Maruschka Anastasia stand im Türrahmen und sprach nach hinten zu einem Herrn, der ihr langsam, die Hände in den Hosentaschen, in einem grauen Wölkchen Zigarettenrauch folgte. Der Herr war in Uniform -- in Ulanenuniform, wie mir schien. Es war der Rittmeister. „Ihre Frau Gemahlin hat Besuch --?“ Die Bemerkung entschlüpfte mir wohl im Ton eines leichten Staunens. „Besuch?“ Michael Monkebach dämpfte die Stimme zu einem scheuen Flüstern, wie es weißhaarigen Kastellanen in alten Schlössern eignet, die dadurch die tiefe Ehrfurcht vor den an den Wänden hängenden Ahnenbildern ausdrücken und den Wert der gezeigten Raritäten zu steigern glauben. „Besuch? O nein. Das ist doch bloß unser lieber Vetter, der Rittmeister. Maruschka Anastasia produziert leichter, wenn eine Vollnatur sich im selben Raume mit ihr aufhält. Sie fürchtet sich zuweilen vor ihren eigenen Träumen, vor den Gestalten ihrer fiebernden Phantasie. Dann gewinnt sie neuen Schaffensmut aus den kraftvollen, seelischen Ausstrahlungen solcher gesunden, in sich gefestigten Vollnatur.“ Ich will gehängt sein, wenn ich in diesem Augenblick nicht den Eindruck hatte, als ob die gesunde, in sich gefestigte Vollnatur mit dem spitzen Zeigefinger der langsam aus der Tasche gezogenen Rechten der sensiblen Dichterin in der Richtung ihres neckischen kleinen Halsausschnittes „Kicks“ machte. Wie gesagt, es war mein Eindruck. Aber ich befand mich hier in einer wunderreichen Atmosphäre, die vielleicht Halluzinationen der seltsamsten Art begünstigte. Es kann also auch eine Täuschung gewesen sein. Jetzt entdeckten uns die beiden und näherten sich in harmloser Freundlichkeit. Michael Monkebach stellte mich vor, erklärte mit nicht wenigen Worten den Zweck meines Besuches, indem er von dem Viehhof zu Maruschka Anastasias Gedichten und von dem Gestank meines ererbten Grundstücks zu meiner Verehrung für die Poesien der Kettensprengerin die kühnsten und erstaunlichsten Übergänge fand. Der Rittmeister, dessen hervorstechendste Eigenschaft nicht die Geduld zu sein schien, unterbrach den Redefrohen mit der kühl abgegebenen Erklärung, daß er erfreut sei, mich hier zu sehen; daß er ferner hoffe, ich habe eine gute Reise gehabt; und daß er wünsche, ich fühle mich von den in meinem Hotel vorgekommenen Pockenfällen nicht weiter beunruhigt. Ich hatte Zeit, die gefeierte Dichterin zu betrachten. Wenn ich nicht durch zweier einwandfreier Zeugen Mund erfahren hätte, daß es tatsächlich Maruschka Anastasia sei, die leidenschaftliche Sängerin befreiter Liebe, so hätte ich unbedenklich geschworen, es sei ein langsam in die minder köstlichen Jahre kommendes kleines Mädel aus der Konfektion, vielleicht vom Hausvoigtei-Platz in Berlin, die zunächst mal wohl daran täte, abends früher zu Bett zu gehen und dreimal täglich Plautsche Pillen zu nehmen. Haare von indifferentem staubigen Blond, an der nicht eben hohen Stirne zu unwahrscheinlichen Löckchen gekräuselt, eine kecke Stumpfnase unter müden, wasserblauen Augen, sehr blasse, blutarme Hände, und eine wie von einem schmerzenden Bußgürtel geschnürte zerbrechliche Taille -- so sah die Kettensprengerin aus, die Abgöttin meiner genialischen Freitagsgesellschaft, die Gattin Michael Monkebachs, des Mannes mit dem persönlichen Einfluß. Ich überreichte ihr wortlos die drei Rosen an den langen Stengeln. Sie beugte huldvoll lächelnd die Stupsnase tief in einen der roten Kelche und machte die vortreffliche Bemerkung, wie seltsam es doch sei, daß solche Treibhausrosen häufig einen direkt widerlichen Medizingeruch hätten. Zum Exempel auch diese. Der Rittmeister, der an den Rosen riechen durfte, bestätigte diese interessante Beobachtung. Die Erwähnung der Medizin brachte ihn wieder auf die betrübenden Pockenfälle in meinem Hotel, die man sicherlich vor den bedauernswerten Gästen geheim halte. Er knüpfte daran die lehrreiche Geschichte von einem Gasthof zweiten Ranges in der Provinz Posen, in dem vor Jahren eine plötzlich ausbrechende Typhusepidemie aus schnöder Gewinnsucht von dem gewissenlosen Wirte vertuscht worden sei. Besagter Wirt sei dann als Erster auf Nr. 13 -- ein Zimmer, das kein Gast beziehen wollte -- als Opfer der unheimlichen Seuche gestorben. Sein Geist aber sei acht Tage später dem kurz vorher gekündigten Nachtportier auf der schlecht erleuchteten Treppe, in nasse Laken gehüllt, erschienen. Die Nässe habe man denn auch tatsächlich am andern Morgen noch auf den Stufen zur ersten Etage bemerkt. Die Analyse zweier Chemiker habe leider zu widerspruchsvollen Resultaten geführt. Der eine habe Spülwasser angenommen, der andere habe eine weit unappetitlichere Erklärung empfohlen. Die Witwe habe darauf den entlassenen Portier, der überall diese gruselige Spukgeschichte erzählte, wegen perfider Geschäftsschädigung verklagt. Aber das Gericht habe drei spiritistische Sachverständige vernommen, die aus der Schilderung des schleppenden Ganges, des nassen Lakens und anderer Attribute der unheimlichen Erscheinung übereinstimmend entnahmen, daß es sich zuverlässig um ein durchaus reelles Gespenst gehandelt haben müsse; und daß die beunruhigende Wahrscheinlichkeit vorliege, das Gespenst werde sich noch des öfteren nachts auf der Treppe zu der ersten Etage ergehen. Der Nachtportier sei freigesprochen worden. Die Witwe habe Bankrott gemacht. Und auf dem Boden des ehemaligen Hotels erhebe sich jetzt das ernste und solide Gebäude der städtischen Feuerwehr, die ein furchtloser und vorurteilsfreier Mann kommandiere. Während der Rittmeister erzählte, hatte ich beobachtet, wie Maruschka Anastasia erst die Augen schloß, als überfalle sie eine, von leichtem Frost begleitete, plötzliche unbesiegbare Müdigkeit. Dann sah ich sie die Finger auf ihrem Schoß spreizen und wieder zusammenkrallen, als treibe sie schwedische Fingergymnastik. Dazu hob und senkte sich ihre in den Linien nicht aufregende Brust in immer kürzeren Zwischenräumen; und sie schnaufte durch die geblähten, zuckenden Nasenflügel, als habe sie eben im Laufschritt einen Campanile erstiegen und müsse sich nun unbedingt Ruhe gönnen, um einem drohenden Herzschlag vorzubeugen. Michael Monkebach, halb vom Sitz aufstehend, machte dem Rittmeister durch Handbewegungen und Gesichterschneiden allerlei Zeichen, die zweifellos die inständigste Bitte ausdrücken sollten, diese überaus grausame Geschichte nicht weiter zu erzählen im Angesicht des beklagenswerten Zustandes, in den sie offensichtlich Maruschka Anastasias sensitive Natur versetzte. Aber der Rittmeister, der wohl auf dem einen Auge total erblindet war und sein für das andere Auge bestimmtes Monokel gerade umständlich mit dem seidenen Taschentuche putzte, erzählte die aufregende Historie ohne jegliche Unterbrechung zu Ende. Und zwar in einem so kühlen, leidenschaftslosen Ton, als ob er statt vom Hinüberspielen der Wesenheiten einer vierten Dimension in unser rätselvolles Erdenleben in Wahrheit bloß vom Einkauf einer Erbswurst oder von einem neuen Mittel, weiße Handschuhe zu reinigen, berichte. Ich begann die unmittelbare Wirkung der Kraftnatur auf die sensitive Dichterin zu beobachten und zu begreifen; und ich war sehr gespannt, wie sich diese tiefe seelische Erregung Maruschka Anastasias endlich lösen werde. Als der Rittmeister geendet hatte und sich mit einer nach solchen Mitteilungen geradezu erstaunlichen Seelenruhe geräuschvoll die Nase schneuzte, erhob sich plötzlich Maruschka Anastasia. Immer noch mit geschlossenen Augen und wie im Sturme wogendem Busen. Michael Monkebach stand mit halberhobenen Armen neben ihr, offenbar bereit, die Teuere aufzufangen, wenn sie sinken sollte, aber doch nicht wagend die noch aufrechtstehende Dichterin zu berühren. Der Rittmeister betrachtete diese merkwürdige Gruppe aufmerksam, doch ohne Zeichen tieferer Erregung durch sein Monokel. Ich aber hatte -- ich weiß heute noch nicht, warum und wieso -- eine Glocke mit ziemlich schmutzigem Wasser ergriffen, in der ein einzelner Goldfisch, schon halb auf dem Rücken liegend, sein nahes, wünschenswertes Ende zu erwarten schien. Plötzlich bewegte sich Maruschka Anastasia in knappen, zögernden Schritten vorwärts. Nach der Tür. Der Rittmeister erhob sich schwerfällig aus dem Sessel, wie leidenschaftliche Reiter das tun, die sich auf unruhigen Pferden sehr munter und auf den allgemein üblichen Sitzgelegenheiten des Salons nur sehr mühsam bewegen. „Es +hat+ sie wieder,“ sagte der merkwürdige Krieger, nickte Michael Monkebach verständnisvoll zu und schritt langsam, die Hände in den Hosentaschen, hinter der außergewöhnlichen Frau her. Dabei zündete er sich eine Zigarette an, was mich sehr beruhigte. Noch mehr hätte es mich allerdings beruhigt, wenn er mir +auch+ eine Zigarette angeboten hätte. Aber auf diesen gewiß unbescheidenen Gedanken kam hier niemand außer mir. Als Maruschka Anastasia in dem Gemach ihrer Inspirationen verschwunden war, nahm mir Michael Monkebach zunächst behutsam das Glas mit dem halbtoten Goldfisch aus den Händen und stellte es wieder auf das gebrechliche Bauerntischchen unter dem Kupferstich, der die Medea in höchster Raserei darstellte. Dann drückte er mich wieder in das sehr tiefe und sehr harte Sofa und erläuterte mir mit gedämpfter Stimme die aufregende Szene, an der ich soeben vermutlich in nicht sehr geistreicher Pose und ohne das geringste Verständnis teilgenommen hatte. „Sehen Sie,“ begann er, „nun haben Sie’s +selbst+ einmal erlebt.“ Ich leugnete das nicht; ohne mir darüber klar zu sein, +was+ ich nun eigentlich erlebt hatte. Er begann wieder mit dem Zeigefinger das unbehagliche Spiel auf den Carreaus meiner Hose: „Die Geschichte des Rittmeisters -- ist es nicht ein prächtiger Mensch? Habe ich zuviel gesagt? -- die Geschichte hat sie erschüttert, hat ihre poetische Psyche, ihr dichtendes Unterbewußtsein zur Tätigkeit aufgerüttelt. Während der Rittmeister -- +wie+ er das aber auch vorbrachte, nicht wahr? so unberührt von all dem Schauerlichen, so nervenstark, so kerngesund, so irdisch-gefestigt in all dem Unerklärlichen -- während der Rittmeister erzählte, hat sie bereits diesen Stoff erfaßt, umklammert, vertieft, neugestaltet, poetisch verarbeitet. Und jetzt -- das duldet keinen Aufschub bei ihr -- muß sie es sofort zu Papier bringen. Sie +muß+. Sie schreibt solche Sachen stets auf ein geripptes dunkelviolettes Papier. Man sagt, Marie Antoinette habe mit Vorliebe solches Papier benutzt. Finden Sie nicht, daß meine Frau -- im Profil, oder sagen wir: Halbprofil -- Marie Antoinette merkwürdig ähnlich sieht?“ Ich fand das nicht. Ich wurde von ihrem blassen, ziemlich gewöhnlichen Gesichtchen in der Tat mehr an den Berliner Hausvoigteiplatz, als an die Pariser Tuillerien erinnert. Natürlich behielt ich das für mich. Es waren auch andere Dinge, die mich jetzt interessierten. „Nehmen Sie mir meine Neugier nicht übel, Herr Monkebach ...“ begann ich. Aber schon unterbrach er mich. „Wie sollt’ ich! Sie glauben nicht, +was+ mich die Leute alles fragen. In Beziehung auf Maruschka Anastasia. +Was+ sie ißt, wie +oft+ sie ißt, ob sie Wolle trägt, ob sie nachts gut schläft. Ja sogar -- warten Sie, ich muß den Brief noch in der Tasche haben -- gestern hat sogar ein Verehrer in Fürth, der eine Geschichte des ‚Genies in seiner Abhängigkeit von den natürlichen Lebensfunktionen‘ plant, bei mir -- per Eilboten -- angefragt, ob und wie oft Maruschka Anastasia an Verdauungsstörungen leide ...“ Ich bat ihn dringend, den indiskreten Brief nicht weiter zu suchen und mir lieber eine Frage zu beantworten: schrieb Maruschka Anastasia denn auch Balladen und Gespenstergeschichten? Nein, das tat sie nicht. Er belehrte mich, daß jeder Stoff, der sie fessele, packe, festhalte -- wie ich das vorhin bei der wuchtigen Erzählung des Rittmeisters, der übrigens eine Kraftnatur durch und durch sei, erlebt habe, -- auf der Tiefe ihres Unterbewußtseins sich sofort in ein eigenes seelisches Erlebnis wandle. Er werde dann in ihre eigenartige Lyrik, die stets ihr Liebes- -- das heiße ihr Eheleben -- behandle, in irgend welcher sinnvollen Weise einbezogen. Ich werde es erleben, daß auch in der vom Rittmeister mitgeteilten gruseligen Erzählung nach der wunderreichen Wiedergeburt in Maruschka Anastasia’s schöpferischen Phantasie +er+, Michael Monkebach, wie ich ihn hier vor mir sehe, eine bedeutsame Rolle spielen werde. Er sei zwar nie in Posen gewesen, habe weder den verbrecherischen Wirt gekannt noch dem erwähnten Hausknecht näher gestanden, sei noch niemals von Gespenstererscheinungen im Wachen oder im Schlafe belästigt worden -- aber, ich werde das ja sehen, +er+ werde auch in dieser Dichtung als irgend eine merkwürdige Figur erscheinen, über die er freilich augenblicklich nicht einmal andeutungsweise eine Aufklärung zu geben vermöge. Denn für ihn, wie für alle, seien die Dichtungen Maruschka Anastasias stets Überraschungen, Offenbarungen, Ereignisse. Das einzige, was er wisse, sei dies: daß seine Natur offenbar so erregend simulierend, geistig befeuernd auf die unheimlich fruchtbare Phantasie dieser seltenen Frau wirke, und daß er wohl ohne Eigenlob sagen dürfe, dies einzigartige Talent sei niemals zu seiner üppigen Entfaltung gekommen ohne +seinen+, ihm selbst allerdings rätselhaften persönlichen Einfluß. Ich weiß nicht, wie die Gedankenverbindung war, aber ich fragte ihn plötzlich: „Und +Kinder+ -- haben sie +auch+?“ Seine Stimme bewölkte sich. „Nein, +noch+ nicht.“ „+Noch+ nicht? Sie -- haben vielleicht begründete Hoffnung?“ „Ja,“ lächelte er glücklich. Ich reichte ihm herzlich die Hand, zog sie aber sofort zurück, als ich die verblüffenden Worte vernahm: „Der Vater des Kindes ist ein Briefträger.“ „Der -- Vater?“ „Ja.“ Das glückliche Lächeln wich nicht aus seinem Angesicht. „Der Mann ist kränklich und kein Freund des Treppensteigens. So hatte er die gewiß tadelnswerte, aber doch menschlich nicht ganz unbegreifliche Gewohnheit, lästige Drucksachen, die ihm wertlos schienen, einfach nicht zu bestellen, sondern damit seinen eisernen Ofen zu heizen. Er ‚sitzt‘ jetzt. Für einige Jahre. Ein sehr harter Spruch. Aber er war Beamter, nicht wahr? Und schließlich: es gibt ja auch Drucksachen, deren Wert für den Empfänger ein Briefträger nicht ohne weiteres abschätzen kann.“ „Und -- von diesem verbrecherischen Briefträger ...“ „Ja. Er ist jetzt fünf Jahre alt.“ „+Wer+ ist fünf Jahre alt?“ „Nun der Junge von dem Briefträger. Die Mutter des Kindes -- sie soll einmal eine Schönheit gewesen sein, allerdings mit ausgeprägter Neigung zu einem Kropf -- diese liebreizende Frau aus dem Volke hat sich leider in einem Anfall negativer Lebensfreude erhängt, als die Verurteilung des Ehemanns erfolgte. Nun ist das hübsche Bübchen bei einer etwas versteinerten Großmutter untergebracht, einer harten, unsauberen Frau, die ich im Verdacht habe, daß sie eine alte Kohlenschaufel als einziges Erziehungsmittel benutzt.“ Ich atmete erleichtert auf. Die letzten drei Minuten hatte ich zwischen der Annahme geschwankt, daß ich hier einem ganz frivolen Unhold oder einem kompletten Narren gegenüber sitze. „Also, wenn ich recht verstehe, werter Herr Monkebach, Sie wollen das eheliche Kind des auf Abwege geratenen Briefträgers +adoptieren+?“ „Ja. Auf die leibliche Geburt eines Kindes ihre Kräfte zu konzentrieren, wird -- nach Ansicht unseres Arztes -- Maruschka Anastasia +nie+ einwandfrei gelingen. Die Fruchtbarkeit ihrer Psyche entschädigt vollauf dafür.“ „Gewiß, ja. Aber --“ „Um uns -- oder eigentlich +mir+; denn Maruschka Anastasia hat sich noch nicht recht befreundet mit dem Gedanken -- das überaus herrliche Vergnügen zu bereiten, ein junges Menschlein wachsen zu sehen, seine Freude am Leben, seine Dankbarkeit mitzugenießen, gehen wir -- oder eigentlich: gehe +ich+ -- mit dem Plane um, das fünfjährige Bübchen des seelisch entgleisten Beamten als eigen anzunehmen und mir auch für die Stunden der Einsamkeit und des Alters -- denn Maruschka Anastasia ist durch ihre Arbeiten und ihre reiche Korrespondenz häufig von mir ferngehalten -- eine rechte Lebensfreude heranzuziehen.“ „Und haben sie nicht, wenn sie den Charakter der Eltern, vor allem des Vaters dieses Kindes prüfen, gewisse Besorgnisse, daß ...“ Er schüttelte den Kopf. „Ich lebe der heiligen Überzeugung, daß aus einem Kinde, das früh genug in diese Atmosphäre kommt, in der mein guter Wille und Maruschka Anastasias Genie sich zu seiner Erziehung verbinden, noch alles Gute zu machen ist. Und dann, sehen Sie, ich vertraue auf meinen persönlichen Einfluß.“ In dem Nebenzimmer, dem Tempel der Inspiration, vernahm man den gedämpften Ton von Stimmen, die angeregte Zwiesprache hielten. Michael Monkebach lauschte. „Sie +sprechen+? So ist die Dichtung beendet. Vorher redet sie nämlich keinen Ton. Sie wird gleich kommen. Nehmen Sie mir’s nicht übel, lieber Freund ...“ „Ach, ich verstehe, ich soll --?“ Ich deutete nach der Korridortüre. Er war etwas verlegen. „Maruschka Anastasia ist stets sehr erschöpft“, sagte er, „nach solchen besonders heftigen Anfällen ihres Talentes. Sie pflegt dann allerdings das dringende Bedürfnis zu äußern, allein zu sein. Ich selbst sogar bin ihr dann oft lästig. Nur die kräftige Vollnatur unseres lieben Vetters, des Rittmeisters, hat dann etwas wirklich Beruhigendes für sie.“ So nahm ich meinen Hut. Michael Monkebach war gerührt. Er quetschte mir mit schmerzhafter Herzlichkeit die Hand und versicherte, seit Maruschka Anastasia’s Bild als etwas mißglückter Buntdruck dem „Marsyas“ beigelegen, habe ihn +nichts+ so sehr erfreut, wie +mein+ lieber Besuch. Auf der Schwelle noch fiel mir das Wichtigste ein. Ich hatte doch versprochen, ein Albumblatt ... Michael Monkebach, dem just viel darauf anzukommen schien, daß mein so erfreulicher Besuch nicht durch seine Länge die angenehme Erinnerung abschwäche, gab mir hastig ein wertvolles Versprechen. „Ich werde“ -- sagte er -- „das soeben entstandene Gedicht sofort abschreiben -- ich schreibe nämlich +alle+ Gedichte Maruschka Anastasias ab. Sie schätzt meine Handschrift sehr. Meine stets sich treubleibende Ortographie ist die übliche, während die ihrige schwankt. Auch bin ich in der Interpunktion zuverlässiger. Nur die Gedankenstriche verteilt sie dann selbst. Das ist Gefühlsache, nicht wahr? Die erste Niederschrift Maruschka Anastasia’s selbst aber schicke ich ihnen ins Hotel. Nehmen sie das Blatt für die gewiß charmante junge Dame mit, die Sie, wie ich recht wohl fühle, besonders hochschätzen. Und sagen Sie ihr, Sie hätten in einer unvergeßlichen Stunde das seltene Glück gehabt, die Entstehung dieser Dichtung unter dem persönlichen Einfluß des Gatten der Dichterin +mit+ zu erleben.“ Er reckte sich in seinen viel zu weiten Kleidern stramm auf, als er so stolze Wort sprach, und schien den knappen Türrahmen füllen zu wollen mit seiner Persönlichkeit. Und mit einer Handbewegung, die ein König beider Sizilien nicht so hoheitsvoll und gnädig spenden könnte, entließ er mich in mein ungemütliches Hotel, in dem nach des Rittmeisters Ansicht die Pocken ausgebrochen waren ... Ob das mit den Pocken seine Richtigkeit hat, weiß ich nicht. Jedenfalls konnte ich die ganze Nacht vor Hautjucken nicht schlafen. Ich machte wohl zehnmal Licht, um bald meine Beine, bald meine Schultern zu betrachten, die nach meinem Dafürhalten schon rötliche Flecken und Knötchen aufweisen mußten. Davon war allerdings nichts zu sehen. Hingegen entdeckte ich so gegen halb vier Uhr morgens eine ausgewachsene Wanze, die eilfertig an der schmutzigen Tapete promenierte. Ich zog mich sofort an und verbrachte den Rest der Nacht mit dem Packen meines Koffers und der wenig anregenden Lektüre einer drei Wochen alten Zeitung, in die meine Lackstiefel eingepackt gewesen waren. Mit dem Frühzug wollte ich abreisen. Als ich beim Frühstück saß, das nur durch eine intensiv nach Pomade schmeckende Butter bemerkenswert war, brachte mir der Portier zwei Briefe. Einen zwölfseitigen von der Tante, in dem sie noch einmal „mit dem Umstand, den sie hatte“, betonte, daß sie unter keiner Bedingung ihre Zustimmung zu einem pekuniären Selbstmord der Familie gebe, wie ihn die sinnlose „Verschleuderung unseres Grundstücks unter seinem wahren Werte“ bedeute. Dieser „wahre Wert“ existiert bis heute nur in der Phantasie der ideal gesinnten Tante. Sie habe aber -- so fuhr der Brief fort -- gehört, in Bimmlingen sollten die Konserven so billig sein und wäre mir daher dankbar, wenn ich ihr vielleicht zwölf Büchsen Mirabellen, sechs Büchsen Pflaumen, aber geschälte, acht Büchsen Brechbohnen ... Ich schob den Brief, ohne die weiteren Büchsen nachzuzählen, in meine Brieftasche und beschloß, daß er erst +nach+ meiner Abreise angekommen war. Dann öffnete ich den andern Brief. Er enthielt das wertvolle Manuskript von der Hand Maruschka Anastasias. Die Karte Michael Monkebachs lag bei mit den in peinlichster Schnörkelschrift aufgeschriebenen Worten: „Sehr werter Freund! Anbei das Versprochene. Ich halte es für das Bedeutendste, was meine liebe Frau geschrieben hat. Sie machen Ihrer Freundin ein königliches Geschenk mit diesen Blättern. Möge es Ihnen das charmante Mädchen durchs Leben danken. Der Himmel geleite Sie glücklich in die Heimat. Dieses wünscht Ihr ganz ergebener Michael Monkebach.“ Der Portier meinte, wenn ich etwa noch mit dem Omnibus mitwolle, so müsse ich mich beeilen. Ich steckte also das Manuskript eilends ein und fuhr, immer noch von heftigem Jucken belästigt, an die Bahn. Dort hatte ich, da der Omnibus zu einem ganz andern Zug gefahren war -- noch 37 Minuten Zeit und begann nun auf dem Perron, auf meinem Handkoffer sitzend, die Dichtung zu lesen. Ich „las“ ist eigentlich nicht das passende Wort. Maruschka Anastasia hatte die Gewohnheit fast jedes Wort durchzustreichen, dieses durchgestrichene Wort durch ein anderes, noch undeutlicheres zu ersetzen, das dann häufig wieder durch ein drittes querdurchgeschriebenes abgelöst wurde. Jedenfalls liest sich eine Urkunde Karls des Dicken oder ein Liebesbrief Ottos des Großen an die burgundische Adelheid heute noch bedeutend leichter, als eine Original-Handschrift Maruschka Anastasias. Daß die poetischen Schönheiten einer Dichtung durch ihre Unleserlichkeit erhöht werden, ist nicht zu behaupten. Ich las an dem vierseitigen Manuskript eine halbe Stunde auf dem Perron, las die zweieinhalb Stunden der Bahnfahrt daran, las weitere neun Minuten in der Droschke vom Bahnhof bis zu meiner Wohnung, las eine halbe Stunde in meinem Studierzimmer weiter und hörte erst auf zu lesen, als Herr Jädicke kam, um mich unter vielen vortrefflichen Reden über das Reisen im allgemeinen und Fragen nach meiner Reise im besonderen zu rasieren. Der Anfang des Poëms ist mir in Erinnerung geblieben. Ich gebe ihn hier wieder ohne die unzähligen Gedankenstriche, die sich wie die gestrichelten Linien des gewissenhaften Schnittmusters für ein besonders kompliziertes Ballkleid durch die vielfach verwischten Zeilen wanden: „Heut Nacht -- ich kam von einem Ball und Schmaus -- „Die welken Rosen hingen mir im Haare -- „Da stand -- o Gott! der Geist im Treppenhaus „Des Manns, den ich gelegt auf schwarze Bahre ...“ Ich bemerke, daß mir persönlich hier die Konstruktion mißfiel. Indem man nicht weiß, ob das Treppenhaus zu dem Geist oder zu dem Mann oder ob der Mann zu dem Treppenhaus oder der Geist zu dem Mann und dem Treppenhaus gehört. Aber ich bin schließlich nicht kompetent. Es ging dann weiter: „Im weißen Laken -- gräßlich -- ein Gespenst, „Moder im Rauschen seiner Totenkleider -- „Er hob die Knochenhand: ‚Ob du mich kennst --?‘ „Und bebend sprach ich: Leider -- leider -- +leider+!“ Die sehr bedeutende Steigerung der folgenden Verse ist mir entfallen. Auch wurden die Rhythmen so kühn in ihrer trotzigen Unregelmäßigkeit, daß ich manchmal nicht sicher war, ob +ich+ mich verlesen oder ob +sie+ sich verschrieben oder ob das gerade die höchste Kunst der Neutöner war. +Eines+ war jedenfalls bewundernswert: Das Geschick, mit dem sie selbst in die Person des Hausknechts in Posen geschlüpft war, und die Grausamkeit, mit der der harmlose Michael Monkebach getötet, aufgebahrt und begraben, als Gespenst auf eine Treppe gesetzt und von ihr dann in Versen hitzigster Anklage über die Maßen schlecht behandelt war. Das Gedicht endete denn auch damit, daß sich der unsaubere Geist Michael Monkebachs beschämt in sein Grab zurückzog und schwur: nie wieder die Wege des endlich befreiten Weibes zu kreuzen, dem seine schmähliche Tyrannei „Wermut in alle Becher des schäumenden Lebens gegossen hatte“. Das ist mir im Gedächtnis haften geblieben, weil es mir bezeichnend schien, daß Maruschka Anastasia das schäumende Leben gleich aus +mehreren+ Bechern trank ... Der nächste Tag war ein Freitag. Ich nahm die teuren, in eine eigens dafür gekaufte kleine Mappe gesteckten Blätter mit in den illustren Kreis der „Schaffenden“, die mich ihres Umgangs würdigten. Sie empfingen mich mit großen Ehren. Als habe ich den schwarzen Erdteil entdeckt oder Andrées Knochen gefunden. Ich mußte erzählen, erzählen, erzählen, bis mir der Hals trocken war. Und da schließlich so +sehr+ viel gar nicht zu erzählen war, die märchentiefen Augen eines schweigend lauschenden Mädchens aber glücklich und begierig an meinen Lippen hingen, so tat ich etwas sehr verwerfliches. Ich +log+. Aus einer kurzen Zusammenkunft wurden drei lange, inhaltschwere Nachmittage. Aus einem Rittmeister wurde ein halbes Offizierkorps. Michael Monkebach wurde schlankweg ein Übermensch. Und ich --? O, ich hatte mich vortrefflich benommen! Der gute Eckermann hat aus dem alten Goethe in den neun Jahren von 1823 bis 1832 nicht so viel unerhörte Dinge über Welt und Menschen, über Ruhm und Unsterblichkeit herausgefragt, wie ich in diesen drei Unterredungen aus Maruschka Anastasia. Und es befriedigte mich sehr, daß alle ihre angeblichen Aussprüche bejubelt wurden. Meine persönlichen Einwendungen fand man dagegen recht unbedeutend. Zum Schlusse küßte mich der verbotene Dramatiker auf Stirn, Mund und Wangen. Er sagte, daß er so umständlich +nie+ jemanden vor mir ausgezeichnet habe. Egon Felix Gundelmann versprach mir sein Bild. Ein gelegentlicher Mitarbeiter des Marsyas, der auf der Redaktion gar nichts zu sagen hatte, bot mir sieben Spalten der ersten Nummer des nächsten Quartals an, um das eben Gehörte dort für alle Gebildeten niederzulegen. Dann deklamierte der Reformator der Rezitationskunst, der seit anderthalb Stunden in einem Nebenraum das Manuskript studiert hatte, mit einer erschreckenden Grabesstimme die Gespensterdichtung. Einige weinten; andere starrten entgeistert in die Gläser. An Maruschka Anastasia wurde dann ein enthusiastisches Nachttelegramm aufgesetzt, das sie von der tiefen, lähmenden, entkörpernden Wirkung ihrer Dichtung benachrichtigte. Ich durfte als erster unterschreiben. Dann sprang plötzlich der durch reichlichen Lethegenuß seelisch gehobene Reformator der Rezitationskunst mit gleichen Füßen auf den ächzenden Tisch, und die Feiernden überbrüllend verkündete er: da sich gewiß niemals wieder eine +so+ herzerhebende Weihestunde finden werde, so habe er beschlossen, schon heute Nacht, jetzt gleich, in +dieser+ Minute seine Verlobung mit der Schwester seines lieben Freundes, des Neutöners und Erneuerers der deutschen Lyrik bekannt zu geben. Mit diesen Worten hüpfte er vom Tisch und schloß die tiefblauen Märchenaugen meiner heimlichen Liebe mit den schmatzenden Küssen seines wulstigen Mundes ... Ich bin niemals mehr zu den Freitagsfesten gegangen. Der Reformator hat heute, glaube ich, in Merseburg ein kleines Zigarrengeschäft. Die ferneren Dichtungen Maruschka Anastasias sind mir fremd geblieben. Bloß Egon Felix Gundelmann sah ich in den folgenden Jahren noch zuweilen. Er hat sogar einen gewissen Einfluß auf mich gewonnen. Es ist seiner erstaunlichen Beredsamkeit gelungen, mein Leben für den Todesfall, meine Möbel gegen Feuer, mein unglückseliges Grundstück in Bimmlingen gegen Hagel und meine Winterkleider gegen Motten zu versichern. In Literatur macht er nämlich nicht mehr. Bloß in Versicherungen. * * * * * Michael Monkebach aber habe ich noch einmal wiedergesehen. Ein halbes Jahr mag’s jetzt her sein, da zwang mich ein abscheulicher Platzregen -- mein Schirm fuhr gerade in einer Elektrischen allein weiter in der Richtung des Spittelmarkts -- in ein Café am Potsdamer Platz zu flüchten. Alle Marmortischchen waren besetzt von nassen, schimpfenden Leuten, die, trostlos in einer Tasse Kaffee rührend, hinausstarrten auf die Straße, die sich langsam in einen venetianischen Kanal zu wandeln schien. An einem Tisch zu vier Personen saßen bereits zwei Schachspieler. Behäbige, alte Herren, die schweigend und schnaufend unter Benutzung zahlreicher Zahnstocher eine Partie des königlichen Spieles erledigten; wobei der eine jedesmal, wenn der andere nach langem Besinnen eine Figur vorwärts schob, ingrimmig brummte: „+Dacht+’ ich mirs doch!“ „Ob ich’s nicht +kommen+ sah!“ Es war eines jener merkwürdigen Spiele, bei denen jeder voraus weiß, was der andere tun wird und eigentlich bloß mit sich selbst spielt. An demselben Tisch hatte noch ein Herr Platz genommen in einem sehr weiten und für die Jahreszeit reichlich warmen Mantel, wie ich ihn zuletzt bei alten Schäfern im Spessart gesehen habe. Ihm gegenüber ein hochaufgeschossener, knochiger Jüngling von etwa fünfzehn Jahren, der in seinem schon etwas verwachsenen dunklen Matrosenkostüm mit dem breit herausgeschlagenen hellblauen Kragen nicht sehr glücklich verkleidet aussah. Der Herr hielt krampfhaft eine alte rindslederne Reisetasche zwischen den Beinen und machte den Eindruck, als ob er ausschließlich zur Bewachung dieses unscheinbaren Schatzes engagiert sei. Nur ab und zu gönnte er sich einen unruhigen Blick auf eine große Taschenuhr, die er unter dem leisen Geläute vieler goldener Petschaften tief aus dem Schäfermantel hervorzog. Der Matrosenjüngling aber fing nicht ohne Kunstfertigkeit, mit der behutsam vorgeschobenen knochigen hohlen Hand sein Opfer auf der Marmorplatte überlistend, Fliegen von einem vergessenen Stückchen Zwetschenkuchen, das herrenlos zwischen den braunklebrigen Kringeln und bekluckerten Kaffeetassen lag. An diesem Tische stand noch ein überzähliger fünfter Stuhl, den mir als einzigen, der im ganzen Lokale noch frei war, ein diensteifriger Pikkolo mit herablassender Handbewegung anwies. Ich hielt zwei feindlich drohende Blicke der gestörten Schachspieler aus, wehrte den von dem Matrosenjüngling vom Zwetschenkuchen gescheuchten Fliegen, die sich alsbald auf meinem kurzgeschorenen Haupte von dem gehabten Schrecken zu erholen trachteten, und bestellte bei einem atemlos vorüberfliegenden Kellner einen schwarzen Kaffee und einen Kognak. Dann brannte ich mir eine Zigarre an und vertiefte mich, meiner darniederliegenden Lebensfreude aufzuhelfen, in ein spaßiges Leitgedicht Alexander Moszkowskis in den „Lustigen Blättern“. „Hast du auch deine wollenen Socken im Koffer, Karl?“ fragte plötzlich, wie von schrecklicher Ahnung belästigt, der Mann im faltenreichen Schäfermantel. „Aber +ja+, Papa“, antwortete der Mückenfänger unwirsch und tat mit sicherer Hand einen gewaltigen Fang. „Ich nehme jetzt Ihren weißen Läufer“, meldete der eine Schachspieler. „Ob ich mir’s nicht +gedacht+ habe!“ zischte der andere ingrimmig. Dann war wieder eine Weile tiefe Stille an unserem Tisch. So eng wir saßen, er war eine Oase der Ruhe in dem Lärm und Getriebe des verrauchten, unruhigen Lokals. „Du hast doch hoffentlich deine Zahnbürste nicht vergessen, Karl?“ Aus der Tiefe des Schäfermantels kam die bekümmerte Frage. „Aber nein, Papa“, gab der Matrose ärgerlich zurück und köpfte mit einem Zahnstocher eine Gefangene auf dem Tellerrand, was sehr unappetitlich anzusehen war. „Ich sage jetzt: Schach der Königin. Mit dem Springer“, meldete der eine Schachspieler. „Ob ich das nicht +kommen+ sah!“ brummte der andere und schob wütend sein Kaffeebrettchen in den blauschillernden Zwetschenkuchen. Dann war’s wieder stille. Plötzlich -- ich war gerade auf die Pointe meiner Lektüre sehr neugierig -- beugte sich der Mann im Schäfermantel vertrauensvoll zu mir herüber: „Verzeihung, wenn ich Sie störe ...“ „Bitte.“ „Wie lange fahren wir wohl mit der Droschke nach dem Lehrter Bahnhof?“ ... Es gibt merkwürdige Momente im Leben; Momente, in denen man sich von einer sanften Riesenwelle erfaßt glaubt und sich weit, weit zurückgeschleudert fühlt in längst verrauschte Strudel der eigenen Vergangenheit. Die Seele schlägt ihre großen, erstaunten Augen auf, sieht sich um und erkennt Menschen, die sie längst in einem Gedächtniswinkel begraben hatte; Dinge, die seit Jahren zerbeult und zerschlagen und unkenntlich in einer andern Gedächtnisecke beim wertlosen Gerümpel lagen; Situationen, die wie groteske neblige Gespenster froher, heller Erlebnisse aus einem fernen, fernen Frühling wirken. Solch ein Moment war es, als ich in ganz mechanischer Arbeit meines Sprechapparates dem Fragenden erwiderte: „Bis zum Lehrter Bahnhof fahren Sie mit einem Kutscher, der nicht betrunken ist, ungefähr fünfzehn Minuten.“ Und dabei sah ich unverwandt in dieses fragend auf mich gerichtete Gesicht, in dem es jetzt auch wie aufzuckende Erinnerung zu wetterleuchten begann ... Ganz so dicht bei diesem fremden Manne, dessen Gliederbau der viel zu weite Schäfermantel wie eine schwarze Glocke verbarg, mußt’ ich schon einmal irgendwo gesessen haben. Bestimmt an einem Tische, tafelnd, lächelnd, konversierend. Auf seiner linken Seite, wie jetzt. Aber damals hatten keine alten Herren Schach spielend uns gegenüber gesessen. Auch kein Matrosenjüngling fing damals Mücken. Damals -- damals -- Und plötzlich +wußt+’ ich’s wieder. Damals saß uns eine dicke Dame gegenüber, eine Rentiere aus Stettin mit einem pfundschweren Bernsteinschmuck und neben ihr im funkelnagelneuen Zivil, das ihn wie einen Zuschneider am Sonntag erscheinen ließ, der Rittmeister, der sich so gern reden hörte und dazu so erstaunliche Quantitäten Moselwein trank. Damals im Bade an der ~Table d’hôtes~ -- -- „Herr Michael Monkebach -- nicht wahr?“ „Das ist aber eine Freude, +lieber+ Herr Doktor. Ihr Gesicht kam mir doch gleich so bekannt vor. Erst dacht’ ich an einen Stationsvorsteher auf der Strecke Weimar-Apolda, der mich mal so furchtbar grob angefahren hat vor sechs Jahren -- natürlich, wie konnt’ ich nur ... Wie ist’s Ihnen denn ergangen? Sind sie noch an der Stuhlbeinfabrik in Heiligenstadt beteiligt, ja? Geht sie noch immer so glänzend?“ Da ich niemals an einer Stuhlbeinfabrik in Heiligenstadt beteiligt war, so konnte ich ihm darüber keinerlei Auskunft geben. Aber er schien auch gar keine Antwort zu erwarten. Seine Fragen waren lediglich nervöse Entladungen seiner Freude; waren rethorische Vergnügungen seines frohbewegten Herzens. So erkundigte er sich noch, ob ich noch immer Karlsbader Wasser trinke, ob ich mir die Zigaretten nach wie vor direkt aus Kairo kommen lasse, ob ich noch so leidenschaftlich Briefmarken sammle und ob ich noch immer als Wanderredner des Vereins für Feuerbestattung tätig sei. Lauter Dinge, an die ich nie in meinem Leben gedacht habe. Einen Augenblick schöpfte er Atem, um dem Matrosenjüngling einen pantomimischen Verweis zu geben, weil ihn sein Jagdeifer in bedenkliche Nähe des Schachbrettes gebracht hatte und der eine Spieler, nach den Störenfried hinblickend, seine dicken Finger schon seltsam aggressiv bewegte. Diesen Moment benutzte ich, dem Wiedergefundenen zu versichern, daß er mich zwar richtig wiedererkannt habe, was mir natürlich äußerst schmeichelhaft sei, daß er mich aber in Bezug auf meine Lebensgewohnheiten offenbar mit einem, wahrscheinlich sogar mit mehreren seiner Bekannten verwechsle. Michael Monkebach rieb sich nachdenklich die nicht unbedeutende Nase. Der vergrämte Zug, den ich früher schon zuweilen bemerkt hatte, kehrte unter diesen Strichen seiner nervösen Finger, tiefer, melancholischer wieder. „Sie müssen schon entschuldigen,“ sagte er. „Was so im Laufe der Jahre alles uns besuchen kam ... Es war wirklich ... Ich erinnere mich eines Ungarn, der kein Wort deutsch sprach, der zwei Tage lang, eigentlich unaufgefordert, zu Tisch blieb, immer nur Maruschka Anastasia anstarrte und schließlich von ihrem Schreibtisch ein Falzbein aus Elfenbein mit großem, leider unverständlichem Wortschwall, offenbar als ‚Erinnerung‘ einsteckte. Ich entsinne mich eines kleinen, krummbeinigen Polen, der uns durch seine französische Konversation viel Mühe machte. Er hatte Maruschka Anastasias Gedicht ins Polnische übersetzt und deklamierte uns zwei Stunden lang seine Übertragungen vor. Es klang sehr merkwürdig, war aber doch ein bischen langweilig, da wir ja keine Silbe verstanden. Er regte sich furchtbar auf dabei, der Gute. Und wir mußten ihm später viel Rotwein einflösen, damit er einen Anfall von Herzschwäche überwand. Einer der letzten war ein sehr blasser und schweigsamer Herr aus Chemnitz, der künstlerische Dichterporträts -- als Amateur -- aufnahm. Er brachte einen großen Apparat mit, auch eine sehr eigentümliche Vorrichtung für Blitzlicht. Mit dieser Vorrichtung, die seine Erfindung war, hat er uns die Gardinen in Brand gesteckt. Wir hatten einen großen Schrecken. Und das übelste war, auf dem Bilde hat Maruschka Anastasia später zwei Köpfe.“ „Wie geht es ihrer verehrten Frau Gemahlin?“ unterbrach ich den Strom seiner Erinnerungen. „Wie es ...“ Er sah zerstreut auf die Uhr. „Ich denke gut. Ich hoffe es. -- Fünfzehn Minuten sagten Sie? Dann werden wir wohl ... Karl, laß doch die Fliegen in Ruh! Du genierst die Herren da.“ „Ich nehme ihren Turm mit der Königin,“ annonzierte der eine Schachspieler und warf dabei einen wütenden Blick nach dem unentwegten Mückenfänger. „Ob ich das nicht die ganze Zeit +kommen+ sah!“ hohnlächelte der andere, als ob ihm sein Gegner einen großen ingrimmigen Spaß mit dieser Mitteilung gemacht habe. „Um fünf Uhr dreizehn geht nämlich unser Zug nach Hamburg,“ sagte Michael Monkebach, indem er einen vorüberhuschenden Kellner an seiner weißen Jacke festhielt, daß sie in allen Nähten krachte. „Bitte, laufen Sie nicht +wieder+ vorbei! Also ich habe eine Tasse schwarzen Kaffee und ein Hörnchen, -- eigentlich nur ein halbes, denn es war eine Schwabe darin eingebacken -- der Junge hat drei Tassen Schokolade und drei Stück Zwetschenkuchen. Es waren doch drei, Karl?“ „Vier“, korrigierte der tapfere und gewissenhafte Esser. „Pardon, ja -- +vier+,“ entschuldigte sich Michael Monkebach, der unter dem ungnädig strafenden Blick des Kellners errötete. Dann fand eine sehr merkwürdige und sehr unleserliche Addition auf der Marmorplatte statt. Der Kellner wechselte sein Silberstück, dankte kühl und verschwand eilfertig nach dem Buffet, schon von weitem eine umständliche Bestellung brüllend. Michael Monkebach schüttelte den Kopf, während er die wenigen Nickelstücke in sein Portemonaie zurücklegte. „Hatte ich ihm nicht ein Fünfmarkstück hingelegt? Mir war’s doch so als ob ... Er hat mir nur auf einen Taler herausgegeben.“ „So rufen Sie ihn doch zurück“, mahnte ich. „Ich hatte +auch+ den Eindruck, daß es ein Fünfmarkstück war.“ „Zurückrufen? Ach nein.“ Es war, als ob Michael Monkebach körperlichen Schmerz beim Ausdenken dieser gefährlichen Eventualität empfinde. Er war noch der Alte, zutraulich, hilflos, ängstlich, ein prädestiniertes Versuchsobjekt für alle kleinen Spitzbübereien einer verschlagenen Menschheit. Alt war er geworden. Ganz grau an den dickgeäderten Schläfen. Sein Gang hatte den letzten Rest von Elastizität eingebüßt. Er bewegte sich mühsam und müde, als ob der faltenreiche Schäfermantel mit Bleistücken gefüllt sei, die ihn sacht aber unaufhaltsam niederzögen. „Wenn Sie erlauben, begleite ich Sie,“ schlug ich vor. „Drei haben ja bequem im Taxameter Platz.“ „Ich steige auf den Bock“, entschied der Jüngling, indem er, die Hände in den Hosen, seinem Vater die Reisetasche überlassend, sehr laut und sehr falsch pfeifend voranschritt. „Du -- --“ Michael Monkebach wollte offenbar diese verwegene und gefahrvolle Unternehmung nicht zugeben; aber er sah die unwirsch aufgeworfenen Lippen des trotzigen Bubengesichts und änderte alsbald seinen strengen Entschluß: „Du -- mußt dich aber +fest+halten, mit beiden Händen,“ sagte er. „Ich werde dem Kutscher auftragen, daß er gut acht gibt und nicht zu rasch fährt.“ „Also kommen Sie.“ Es hatte aufgehört zu regnen. Der Platz lag wie eine einzige, spiegelnde Riesenpfütze da. Wir nahmen uns einen Taxameter. Michael Monkebach gab dem Kutscher so ausführliche Anweisungen, als ob es sich um eine Reise durch die entlegensten Teile der Mandschurei und nicht um eine Fahrt vom Potsdamer Platz nach dem Lehrter Bahnhof handele. Er bat ihn auch, dem jungen Herrn alle Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Insbesondere den Zoologischen Garten und das Schloß. „Soll ick vielleicht über Potsdam fahren?“ gab der Kutscher als einzige Antwort zurück, nahm dem bereits auf den Bock gekletterten Jüngling die Peitsche aus der Hand, klatschte ermunternd über den nassen Rücken des melancholischen Fliegenschimmels und fuhr halblaut vor sich hinmurmelnd die Königgrätzerstraße entlang. „Sie werden Ihre Frau Gemahlin in Hamburg treffen --?“ Michael Monkebach wäre beinahe aus dem Wagen gefallen vor Schreck. „Ich werde -- meine ...? Wieso? Ist sie dort? Haben Sie Nachrichten von Maruschka Anastasia?“ Nun war die Reihe der Verblüffung an mir. „+Ich+? Wieso -- ich? Ich meinte blos, ob Ihre Frau Gemahlin ...“ Er lächelte verlegen und mit dem Zeigefinger diskret auf den auf dem Bock hin- und herschaukelnden Jungen deutend dämpfte er seine Stimme zu einem säuselnden Flüstern, das er nur zu einigen eingestreuten Ermahnungen für den Sohn erheblich verstärkte. „Sie müssen nämlich wissen, lieber Freund, ich habe mich von Maruschka Anastasia -- ja, wie sag’ ich doch gleich -- getrennt. Das ist wohl das rechte Wort. Oder eigentlich +sie+ hat sich von +mir+ getrennt. Ganz kurz nach Ihrem lieben Besuch damals -- ich entsinne mich jetzt sehr wohl, wann das war. Maruschka Anastasia hat damals jenes schauerlich-schöne Gedicht geschaffen, in dem ich ihr als Wasserleiche -- nein doch, das war vorher -- ich weiß schon: in dem ich ihr als nachtwandelndes Gespenst erschien.“ „Ganz recht. Durch eine Erzählung des Rittmeisters ...“ Michael Monkebach machte eine Bewegung, als ob er einen Schüttelfrost erwarte. Er zog den Schäfermantel fester um seinen Leib und sah nun ganz aus wie ein schwarzer Sack, auf dem als unscheinbarer Knopf und verunglückter Zierrat das blasse Haupt eines schlechtrasierten alten Herrn angebracht ist. Ich erinnere mich, in meiner Jugend solche Lichthütchen im Hause eines frommen Onkels gesehen zu haben. „Der Rittmeister“, sagte der Kopf auf dem schwarzen Sack, „ja sehen Sie, er war doch eigentlich +keine+ Vollnatur. Es war ein Blender, ein im Grunde genommen sittlich +nicht+ hochstehender Mensch. Ich denke mir, der ständige, fast ausschließliche Umgang mit Pferden und rassereinen Foxterriers -- er hatte drei Stück, die uns viel Last machten -- hat das Edle, Reinmenschliche in ihm -- Karl, sitze +ruhig+, halte die Beine +bei+ dir! -- was wollt’ ich sagen? Ja so, das Reinmenschliche hat der Rittmeister im Stall wohl verloren. Sie glauben nicht, was er für rohe, unzarte Briefe schrieb.“ „An Sie?“ „An mich? Aber nein. Wie sollte er wohl an mich ...? An Maruschka Anastasia natürlich. Ich fand diese odiösen Blätter durch einen Zufall -- Karl, das ist das Brandenburger Tor, sieh es dir genau an, mein Sohn, hier links geht es in den Tiergarten -- Ja, durch einen Zufall. Mein Gott, Maruschka Anastasia war sorglos, wie ein Kind. Das war eine ihrer liebenswürdigsten Eigenschaften. Sie hat auch nie gemerkt, wenn uns eine Köchin betrog. Und ich denke, +jede+ Köchin betrog uns. Sie gab mir selbst die Mappe, in der einige von diesen Briefen offen lagen. Ich sollte ein sehr langes Gedicht von ihr abschreiben -- das ist der Reichstag, Karl, Begas hat ihn gebaut --“ „Walloth, bitte,“ verbesserte ich. „Richtig ja, Walloth. Sieh ihn dir genau an, mein Sohn, da werden die Gesetze gemacht -- -- Ja, ja die Gesetze!“ Er lächelte sonderbar vor sich hin. „Maruschka Anastasia hielt nicht viel von Gesetzen. Als ich damals die Briefe gefunden und gelesen hatte -- sie lagen ganz offen in der Mappe und die Überschriften waren so sonderbar -- da sagte ich: Maruschka Anastasia“, sagte ich, „das ist doch wider alles Gesetz und alle Ordnung. Du beschimpfst mich in deinen Gedichten, schön. Ich weiß ja doch, daß du es nur in deiner herrlichen Phantasie tust, und daß es in unserem Vaterlande viel Leute gibt, die das gerne lesen. Also warum soll ich der Literatur meinen bescheidenen Anteil weigern? Ich gebe sogar zu, das ich +stolz+ darauf bin, einen gewissen persönlichen Einfluß auf die moderne Dichtung zu gewinnen, obschon mir selbst das Talent versagt ist. Auch daß ich dir als Gespenst erscheine, ist aus solchen Gesichtspunkten gewiß in Ordnung. Obschon es vielleicht nicht jedem angenehm wäre, sich selber als Gespenst zu sehen. Aber daß du dir von dem Rittmeister solche Briefe schreiben läßt, Briefe, wie sie ein verliebter Hausknecht -- Wir fahren jetzt über die Spree, Karl, sieh sie dir genau an. Es ist kein reißender, aber ein sehr bedeutsamer Fluß -- Ja, +so+ sprach ich ungefähr zu Maruschka Anastasia.“ „Und sie?“ „Ja -- sie! Es ist eine merkwürdige Frau. So impulsiv, so ganz und gar unberechenbar. Man könnte eine Sphinx, könnte mehrere Sphinxe aus ihr machen. Was glauben Sie, was sie tat! Sie zitierte einen nicht ganz klaren Ausspruch -- ich glaube von Schopenhauer, er kann aber auch von Macchiavelli gewesen sein; und dann nahm sie plötzlich einen japanischen Aschenbecher und warf ihn nach mir. Ich bückte mich rasch, fiel über den immer vollen Papierkorb. Als ich mich wieder erhob, war Maruschka Anastasia aus dem Zimmer gegangen.“ „Und dann?“ „Ich habe Maruschka Anastasia -- -- Was ist das doch für ein Theater?“ „Das Lessingtheater.“ „Richtig, ja. -- Karl, sieh es dir genau an, es ist das Lessingtheater -- Ja. Ich habe Maruschka Anastasia +nie+ wieder gesehen. Sie hat, +wie+ sie war, mein Haus verlassen und ist dem Rittmeister -- er befand sich damals mit seinen Terriers auf einem von den Zeitungen sehr gerühmten Distanzritt -- entgegengereist. Der Rittmeister hat mich einige Tage später auf Pistolen fordern lassen. Meine Freunde haben mir gesagt, es hätte das eigentlich umgekehrt sein müssen. Nun, es war ja auch +so+ gut.“ „Sie haben sich -- geschossen?“ „Aber das war doch unmöglich. Gleich nachdem Maruschka Anastasia ihre Möbel durch den Spediteur holen ließ -- +einen+ Tag nach ihrer Flucht -- schloß ich doch mit Frau +Benzmann+ ab.“ „Sie haben sich -- wieder verlobt?“ „Gerechter Himmel -- ich +denke+ nicht daran! Frau Benzmann ist Karls Großmutter -- ich denke, ich erzählte Ihnen damals -- eine vortreffliche, nur etwas, sagen wir: etwas zu energische Frau.“ „Ach, die alte Dame mit der -- Kohlenschaufel? Der Junge ist also ...“ Michael Monkebach sprach so leise, daß ich ihn nur noch verstehen konnte, wenn ich mein linkes Ohr dicht unter seine Nase hielt. Das tat ich. Denn die verwickelten Schicksale des Mannes mit dem persönlichen Einfluß interessierten mich sehr. „Durch die Adoption erwuchsen mir doch Verpflichtungen, nicht wahr? Ich konnte mich doch jetzt nicht von jedem beliebigen Rittmeister, der meine weitgehende Gastfreundschaft, drücken wir uns milde aus: mißbraucht hatte, über den Haufen schießen lassen. Sie begreifen das? Ich habe Frau Benzmann, -- sie trinkt leider stark und ist als Verwandte recht lästig, -- dem Jungen und mir selber versprochen, ein guter Vater zu sein. +Nur+ ein Vater. Man muß etwas sein und das ganz. Ich wollte meinen ganzen persönlichen Einfluß geltend machen, wollte dieses Menschheitspflänzchen zu herrlicher Blüte zu -- Karl, wirst du augenblicklich dem Kutscher die Peitsche zurückgeben? Au-gen-blick-lich!“ Auf dem Bock hatte sich so etwas wie ein Kampf entsponnen, den der neckisch aufgelegte Gaul dazu benutzte, uns in einem harten, stoßenden Galopp bald nach links bald nach rechts unsanft an eine Bordschwelle zu fahren. „Du sollst die Peitsche hergeben!“ Halb aufstehend kniff der ergrimmte Michael Monkebach den renitenten Pflegesohn in eine seinem Arm erreichbare besonders fleischige Körperstelle. Der Junge gab schrill aufquietschend die Peitsche zurück. Und die genußreiche Fahrt nahm einen friedlicheren Verlauf. „Und haben Sie denn nun rechte Freude an +die+sem Sohn?“ Michael Monkebach umging die direkte Antwort. „Es war nicht immer ganz leicht,“ sagte er. „Es meldeten sich störende, kleine Atavismen -- Sie wissen, sein armer Vater, der ehemalige Briefträger ... Der Bedauernswerte ‚sitzt‘ jetzt wieder. Er machte als Kassenbote -- ich hatte ihm die Kaution gestellt -- eine unangemeldete Erholungsreise und vergaß, zuvor einen der Firma gehörigen Tausendmarkschein abzugeben ... Übrigens, ich möchte nicht schlecht sein, aber, ehrlich gesagt, mir ist’s für alle Teile fast lieber, er ist auf solche Weise aufgehoben. Seine Besuche waren nicht sehr angenehm. Er hetzte den Jungen auf. Ich glaube, es war auch +sein+ Gedanke, daß Karl zur +See+ gehen sollte. Er dachte mich wohl damit am empfindlichsten zu treffen.“ „Sie lassen den Jungen zur +See+ gehn?“ „Mein Gott, ich ‚lasse‘ --? was will ich machen? Wenn nun einmal sein junges, törichtes Herz daran hängt. Und in der Schule -- unter uns: er ist leider nicht sehr begabt. Wenigstens nicht für Unterrichtsgegenstände. Zuweilen hat er wohl ganz überraschende Geistesblitze, aber die sind immer mit einer gewissen Tücke verbunden. Sie könnten zum Exempel Erdbeermarmelade verstecken, +wo+ Sie wollten -- er würde sie finden. Aber im schlichtesten Aufsätzchen eine Kuh zu beschreiben oder eine Mühle oder einen Storch -- er bringt’s nicht fertig. Nun hab’ ich ihn also angemeldet als Schiffsjungen in Hamburg. Der Kapitän ist ein Schulfreund von mir. Er nimmt ihn dort schon an der Bahn in Empfang. Gleich die erste Fahrt ein hübsches Stückchen Wasser ... Nach Valparaiso. Es soll gute Zucht sein auf dem Schiff. Auch über das Essen habe ich mich vergewissert. Na, natürlich nicht gerade Erdbeermarmelade; aber kräftig und reichlich.“ „Ist da nun nicht ein trauriger Gedanke, einen Sohn zu haben und doch wieder +keinen+ Sohn zu haben?“ „Gewiß, gewiß. Aber, was wollen Sie, sein Herz hing daran, nicht wahr? Er wäre mir verbummelt, verbittert zu Hause. Und +so+ -- ich denke, ich kann doch für ihn sorgen. Lächeln Sie nicht, das ist doch etwas, ist ganz viel. Ich kaufe ihm warme Unterwäsche, wenn er nach Spitzbergen fährt, und ich suche ihm leichte Sommersachen aus, wenn er nach dem Äquator steuert. Ich habe mir einen neuen großen Atlas gekauft -- meinen schönen alten Kiepert hat Maruschka Anastasia irrtümlich unter ihren Sachen mitgenommen. Und so kleine Fähnchen hab’ ich in einem Papierladen erstanden, wissen Sie, so lustige bunte Wimpelchen an Stecknadeln, wie sie die großen Dampfschiffahrtsgesellschaften auf ihre Karten stecken. Genau solche. Das hab ich ihnen abgesehen. Und so mache ich auf der Karte alle Fahrten mit ihm; und abends lese ich die Berichte von den Seewarten. Und aus jedem Hafen -- das hab ich schon ausgemacht mit meinem Schulfreund, dem Kapitän -- bekomme ich ein ausführliches Telegramm. Sehn Sie, mich hat das Leben gelehrt, es ist gar nicht so wichtig, daß man immer +körperlich+ bei den Menschen ist, die man liebt, die man halten und schützen und fördern möchte. Maruschka Anastasia zum Beispiel -- ich habe sie +nie+ wieder gesehn. Aber es freut mich doch an jedem Ersten im Monat, wenn ich, die Hand auf der Brusttasche, die Bückeburger Straße hinaufgehe und ihr das Geld auf ihr Konto bei der Deutschen Bank einzahle.“ „Was -- Sie -- Sie -- unterstützen Ihre geschiedene Frau noch --?“ „Das +muß+ ich doch. Ich bin ja der schuldige Teil, nicht wahr? Heißt das: vor der Welt. Wir haben das ganz hübsch so eingerichtet. -- Und dann hat ihr Verleger Bankrott gemacht. Und der Rittmeister hat doch selbst nichts, nicht wahr? Er verkauft manchmal einen Wurf Foxterriers -- aber mein Gott, jetzt sind wieder die schottischen Schäferhunde Mode. Er hat Unglück der Mann, wirklich, er tut mir leid.“ Wir waren am Lehrter Bahnhof und stiegen aus. Der Zug stand schon bereit. Michael Monkebach eroberte für den Jungen einen Eckplatz, Rücksitz am Fenster. Er dachte an alles, brachte die Reisetasche im Gepäcknetz unter und erprobte umständlich auf mehrere sinnreiche Arten, ob sie nicht etwa dem Daruntersitzenden auf den Kopf fallen könnte. Er kaufte ihm noch ein paar Orangen und zwei fingerdick belegte Brote; er belehrte ihn noch über die wohlgesetzten Begrüßungsworte, die er dem Kapitän bei der Ankunft in Hamburg widmen sollte, ermahnte ihn dringend, auf die Reize der Aussicht ein Augenmerk zu haben und sich ja nicht aus dem Fenster zu beugen, weil einem da leicht kleine Kohlenstäubchen ins Auge fliegen könnten, was sehr fatal und schmerzhaft sei. Und mit einer unnachahmlich diskreten Handbewegung auf eine dunkle Verbindungstür nach einem kleinen Kabinett weisend, flüsterte er: „Und -- du weißt, lieber Karl, für alle Fälle ... +Genier+’ dich nicht, Junge! Solche Dinge sind menschlich. Die vornehmste Dame ist nicht frei davon.“ Ich hielt mich bescheiden etwas zurück, den Abschied nicht zu stören. Daß der Jüngling von Sentimentalitäten überwältigt werden könne, schien er nicht zu befürchten. Er betastete neugierig den blanken Griff der Notbremse und prüfte die geheimnisvolle Plombe, was Michael Monkebach sehr in Verwirrung setzte. Er drehte die Heizungskurbel, las die ausführlichen Bestimmungen über „verlorene und gefundene Gegenstände“ mit lauter Stimme von einem angeschlagenen Blättchen ab und bat schließlich seinen Vater, dem Mathematiklehrer zu bestellen, daß er ihn nie habe ausstehen können und für einen ekelhaften Esel halte. Das war der letzte Gruß des künftigen Seefahrers an die Heimat, an die Vergangenheit, an das Festland. Der Zug setzte sich in Bewegung. Michael Monkebach zog mit nervöser Hast ein sehr sauberes Taschentuch, reichlich so groß wie eine Kinderwindel; und er winkte mit der ganzen Kraft seines Armes, so lange der Zug in Sicht war, wobei er im Überschwang der Gefühle am äußersten Ende des Perrons herlief und beinahe den diensttuenden Stationsvorsteher auf die Schienen geworfen hätte. Als wir langsam die Treppe herunterstiegen, blieb er plötzlich stehen, legte mir die Hand auf den Arm und sagte: „Ist es nun nicht ein wunderbarer, ein, möchte ich sagen, erhebender Gedanke, daß der Junge vielleicht in drei Monaten in Kapstadt vor Anker geht, oder in sechs Monaten in den Hafen von Habana einläuft oder in Montevideo an Land klettert oder in Melbourne? Und ich in meinem stillen Landstädtchen, der ich nur noch seine ziemlich schlechten Bilder und sein zerbrochenes Kinderspielzeug und seine zerpflückten Schulbücher habe als Erinnerungen an so viele Sorgen und Hoffnungen und gern erfüllte Pflichten, ich weiß: daß er unter Kaffern und Indianern, unter Grönländern und Indiern und unter lauter seltsamen Menschen, die eine fremde Sprache reden und fremden Sitten gehorchen, plötzlich etwas sagen, etwas tun wird, daß er nur von +mir+ hat, nur von +mir+ haben kann. Er wird sich plötzlich auf eine Lehre besinnen, die ich ihm gab; wird ein Wort, eine Sentenz anwenden, die er mich oft gebrauchen hörte. Und bewußt oder instinktiv wird er ein winziges Spürchen Kultur, die Kultur von +meiner+ Kultur ist, unter die Feuerländer und Kanibalen, unter die poesielose Hafenbevölkerung des schmutzigen Ostens, unter die armen Fischer im Eis des hohen Nordens tragen. Und so dünn und klein diese Fäden auch sein mögen, +mein+ persönlicher Einfluß, den ich auf sein Kindergemüt übte, umspannt auf solche Weise in ein paar Jahren vielleicht die ganze Welt. Ein Späßchen, das +ich+ einmal gemacht, erzählen sie sich vielleicht am lodernden Wachtfeuer am Amazonenstrom. Eine Handbewegung von mir, wenn ich abends den Tee bereitete, wird vielleicht in Lappland von einem schmierigen Eingeborenen als fremde Kulturblüte nachgeahmt. Ein gutes Wort, daß ich gelegentlich aus dem Gedächtnis nach einem deutschen Dichter falsch zitierte, klingt vielleicht in derselben irrigen Version in einem Tempel bei Nagasacki wieder. So hat alles Trübe sein Fröhliches, jeder Schmerz seine Heilung in sich selbst. Ich verliere, sehn Sie --“ Er stockte einen Augenblick, dann sprach er mit wehmütigem Lächeln weiter: „Ich verliere einen Jungen an die große Welt da draußen; und mein Haus wird still und einsam. Aber ein Stückchen, ein Spürchen, ein Gruß von mir passiert mit +ihm+ den Äquator, fährt mit ihm durch die Wendekreise. Und auf all das Fremde, Große, Schöne da draußen, das ich mit eigenen Augen nie sehen werde, habe ich ganz heimlich und ganz bescheiden durch die Fahrten meines Adoptiv-Kindes einen gewissen persönlichen Einfluß.“ Während er mehr zu sich selbst, als zu mir sprach, hatte er den schwarzen Schäfermantel auseinandergeschlagen und wischte sich mit dem riesigen Zipfel des Taschentuches verstohlen das Auge. Als er aber meinen freundlich verstehenden Blick auf sein gerötetes Antlitz gerichtet sah, steckte er das Tuch sofort weg, zwinkerte noch ein paar Mal wie prüfend mit dem Augendeckel und erklärte dann ein wenig unsicher im Ton: „Es muß mir ein Kohlenstäubchen ins Auge gekommen sein.“ Dann schritt er im Gewühl der Passagiere eines eben angekommenen Zuges zwischen einem höheren Offizier und einer Eierfrau durch die Perronsperre ins Freie ... [Illustration] [Illustration: Druck von C. Schulze & Co., G. m. b. H. Gräfenhainichen] Bücher aus dem Verlage ○ ○ Concordia Deutsche Verlags-Anstalt ○ +Hermann Ehbock+ Berlin W. 50 ○ ○ Geisbergstraße 29 Concordia Deutsche Verlags-Anstalt, Hermann Ehbock [Illustration: Berlin W. 50.] Rudolf Presber: Von Leutchen, die ich lieb gewann _=15 Auflagen=_ in kurzer _=Preis=_ geheftet Mk. 3.50, Zeit gbden. Mk. 4.50. =Berliner Tageblatt.= +Welch ein Buch! Welch ein lustiges Buch durch und durch!+ Der ernsteste, bis aufs äußerste überlastete Minister, ja alle überlasteten Menschen (und wer wäre es nicht?) hätten freudige, fröhliche Stunden, wo sie ab und zu aufsehen müßten vom Lesen, um sich vom Lachen auszuruhen und minutenlang zu stoppen, um sich zu erholen. Ja, welch ein +wundervolles köstliches Buch ist es+! Voller (wenn erlaubt ist, so zu sagen) durchdringenden Humors. Wie scharf hat der Dichter uns Menschen gesehen, „in diesem Fall“ wie scharf unsere großen und kleinen Eigenheiten gekannt! Wie vielen wird dies Buch ein erfrischendes Buch sein, wo sie mal beim Lesen alle und alle Sorgen an den Laternenpfahl hängen können! Und die Kranken, die darin lesen, müssen gesund werden (+Detlev von Liliencron+). =Leipziger Tageblatt.= Dieses Buch stelle ich +an einen ganz besonderen Platz in meiner Bibliothek+. Ich stelle es dahin, wo die Sorgenbrecher des Lebens stehen, dahin, wo all das traulich zusammensteht, was pessimistische Gedanken und Gefühle verscheucht, was mir die Schatten des Lebens bannt und die Sonne goldiger macht. Ganz in die Nähe der ernsten Philosophen stelle ich es, nicht zu weit weg von Shakespeare, dem genialen Witzbold, und nicht zu weit auch vom (nicht zeitlich, aber wesentlich) älteren Jean Paul ... Der Wert der Presberschen humoristischen Erzählungen, ihr ganz +einzigartiger und außerordentlicher künstlerischer Wert+, besteht in der Fähigkeit des Dichters, sich in die Lebensgewohnheiten und Lebensauffassungen der Personen völlig hineinzudenken, die er uns schildert. Nur der wirkliche Dichter vermag seine Figuren lediglich durch sich selbst humoristisch wirken zu lassen. Da ist nichts gesucht und an den Haaren herbeigezogen, +all diese Personen leben+, leben, so wie sie der Dichter schildert. =Die Literatur (Hamburger Nachrichten).= In diesen Skizzen zeigt sich der Verfasser, den wir als einen unserer innerlich reichsten und feinsten Lyriker bereits kennen, als treffsicherer Spötter und Satiriker. „Der Mäcen“, „Liardot II.“, „Mein Porträt“ usw. sind +Kabinettstücke humoristischer Lebensepisoden+. =Dresdener Nachrichten.= Ein Zug von, ich möchte fast sagen +überwältigendem Optimismus+ geht durch jede einzelne dieser feinen Skizzen, aus denen der Humor als der „verschönte Ernst“ zu uns spricht, jene Liebe zu den Menschen, die stets in dem großen Verstehen ihrer Schwächen und Fehler, ihrer Leiden und Freuden ausklingt. Man fühlt es, Rudolf Presber ist das Leben nicht stumm geblieben, er hat es sich selbst gedichtet, zur Poesie umgestaltet in den Sorgen des Alltags, in den Freuden der Feierstunden, in Jahren des Ringens und Leidens, in Augenblicken der Freude und des Glücks. Nur ein solcher Mensch, den das eben zum Dichter gemacht hat, kann Leben so sehen, wie es Presber sieht ... Nur wenige Dichter, die heute mit uns und hinter uns leben, verstehen es, +mit solcher Herzlichkeit zu schreiben, mit so viel echtem Gemüt zu erzählen+, wie dieser Poet, um dessen Lippen immer ein Lächeln zu schweben scheint, aus dessen leuchtenden Augen stets ein warmes Leuchten bricht, mag er auch nicht immer von lachendem Frohsinn sprechen. =Breslauer Zeitung=: „+Ich habe lange nicht so gelacht+“, sind die Worte, die jeder ausrufen dürfte, der das entzückende humorvolle Buch „Von Leutchen, die ich lieb gewann“, von Rudolf Presber aus der Hand legt. Es ist reiner, klarer, echter Humor. Die Diva und Andere von =Rudolf Presber= _Sechste_ Auflage Preis: Geheftet Mk. 3.--, gebunden Mk. 4.-- =Münchener Neueste Nachrichten=: Einen hohen und seltenen Genuß verschafft die Lektüre dieser von sonnigem Humor und sprudelnder Heiterkeit erfüllten Skizzen. Presber, der feinsinnige Lyriker und geistreiche Spötter, ist unstreitig auch einer unserer besten Humoristen. Das neueste Buch ist ein schlagender Beweis dafür. Wie prächtig bearbeitet ist die kleine Skizze „Die Diva“, mit welch bitterer Ironie deckt der Verfasser mit wenigen genial hingeworfenen Strichen die ganze Falschheit und Niederträchtigkeit dieser drei sich gegenseitig umschmeichelnden Gestalten, der Diva, des Kritikers und des Dichters, auf. Nichts darin erscheint übertrieben, sondern alles atmet natürliche Frische. Eine ebenso große Rolle spielt das komische Element in der künstlerisch fein gearbeiteten und ergötzlich geschilderten Skizze „Der rätselhafte Findling“, der durch das Erscheinen Sherlock Holmes als Sohn des Dalai Lama erkannt wird. Der überaus ansprechende Stil, der das ganze Buch durchweht, übt einen unwiderstehlichen Zauber aus. Warmherzig und voll Empfindung ist das Buch so recht dazu geeignet, jedermann von krankhaften Seelenzuständen zu befreien und allen Pessimismus zu verscheuchen. Presber ist ein ganzer Künstler, dessen Phantasie einen Zündstoff bildet, dessen Wirkung niemand sich entziehen kann. =Internationale Literatur- und Musikberichte=: Ein echter Sorgenbrecher! Man kennt Presbers Humor schon von seinem Buche her: „Von Leutchen, die ich lieb gewann“. Hier ist derselbe Humor, derselbe geistreiche Witz, die gleiche Kunst der kurzen, scharf pointierten Erzählung. Die vierzehn kleinen Erzählungen sind Meisterstücke ihrer Art und werden mit Recht dazu beitragen, Presbers Namen in die Reihe der ersten Humoristen zu stellen. Schon die Tatsache der 5. Auflage ist der beste Beweis für die Güte des Buches. Ich empfehle es auf das allerwärmste. =Breslauer Zeitung=: Zwanglos intensiv teilt sich wieder die Grundstimmung der Presberschen Prosasatiren mit: Klar erkennt man in der Karikatur den fein durchschauten, festgeformten Typ, im scharfen Angriff die verstehende Entschuldigung, im brillierenden Wortwitz die Treffsicherheit der inneren Pointe, in der schneidigen Ironie noch die warme Herzlichkeit des Optimisten von Geburt. Nicht viele sehen jetzt so wie Rudolf Presber. Am meisten Otto Ernst (der Erzähler natürlich!), wo ihm das Leben ein frohes Farbenspiel ist. Aus einiger Entfernung schon grüßen die Menschen Heinrich Seidels und die Querköpfe Hans Hoffmanns sich mit Presbers Leuten. Und ganz aus der Weite reckten sich dann die Charakterfiguren noch weit Größerer auf. Die Form -- sie ist bei Presber mit dem Geschick des Routiniers dem allerjüngsten Geschmack angepaßt -- wird nicht über den soliden Dauerwert dieser Art Humor hinwegtäuschen, der nicht Presbers persönliches Eigen allein ist, sondern künstlerische Daseinsäußerung eines typischen Temperaments, das zum Glück jeder Epoche immer wieder neu ersteht, nie unverstanden bleiben darf und von seiner Zeit immer nur die Aeußerlichkeiten leiht. =Der „Rheinische Kurier“=: Presber ist nicht nur in seiner engeren Heimat, sondern im ganzen deutschen Vaterland als einer der geistvollsten Plauderer und Feuilletonisten bekannt, der es versteht, auf der Grundlage einer scharfen Beobachtung und einer feinen psychologischen Zergliederung Grazie und Anmut mit ästhetisch-philosophischem Ernst zu verbinden. Wie immer, so bekundet auch Presber in der vorliegenden Sammlung geistvoll-humoristischer Silhouetten seine großen Vorzüge. Mit kecken Strichen versteht er seine „Helden“ und „Heldinnen“ uns vorzuführen, ihre Tugenden zu preisen und ihre Schwächen unbarmherzig zu geißeln und doch so liebenswürdig dabei zu bleiben, daß keine Bitternis in der Seele des Lesers aufsteigt. =Deutsche Tageszeitung=: Von Rudolf Presber, dessen bereits in vierzehnter Auflage erschienenes Buch von „Leutchen, die ich lieb gewann“ nach dem Ausweis des Buchhandels zu den meistverlangten Neuerscheinungen dieses Jahres gehört, ist soeben das amüsante Geschichtenbuch „Die Diva und Andere“ in sechster, vermehrter Auflage mit neuem, charakteristischem Buchschmuck von Hanns Anker erschienen. Alle Vorzüge einer humor- und gemütvollen Erzählungskunst, die dem Verfasser des „Von Leutchen, die ich lieb gewann“ nach dem einstimmigen Urteil der Kritik unter die ersten Humoristen einreiht, findet sich in diesem Buche in bunter Fülle wieder. =Berliner Tageblatt=: Rudolf Presber hat viel Begabungen: er kann sehr schöne zartflimmernde Verse machen; er kann mit ganz aktuellem Witz sich zum Herrn einer momentan interessanten Situation machen; er kann sich träumend über die platte Wirklichkeit erheben und kann auch als rechtes Weltkind harmlos fröhlich irgendeine Schnurre erzählen. Von +alldem+ findet sich etwas in diesem Satirenband. =Die Post=: Presber liebt es, Satire und Humor und Grazie ineinander zu flechten. Seine Satire wird nie bösartig und gallig, der wundervolle süddeutsche Humor streicht mit einer weichen, warmen Hand über die Spitzen und Widerhaken der Satire und kulminiert zumeist die temperamentvoll losfahrende Vehemenz der Satire in einem befreienden und herzerquickenden Gelächter. So etwas bringt ein Norddeutscher nicht gut zuwege, dazu muß man schon Süddeutscher sein von dem leichten und doch empfindungsvollen fränkischen Geblüt. Die Bilder-Stürmer Eine Tragödie in fünf Akten von =Cléon Rangabé= Übersetzt und für die Deutsche Bühne bearbeitet von Rudolf Presber Mit Buchschmuck von +Hanns Anker+ Ihrer Kgl. Hoheit der Kronprinzessin von Griechenland gewidmet Geheftet Mk. 4.--, gebunden Mk. 5.-- Numerierte Luxus-Ausgabe Mk. 25.--. „=Nord und Süd.=“ Nicht nur der Diplomat, auch der Dichter Cléon Rangabé ist in Deutschland wohlbekannt und geschätzt. Das vorliegende Buch, das Drama „Die Bilderstürmer“, ist geeignet, den Namen des Dichters noch weiter hinauszutragen. Das behandelte Thema steht an und für sich uns Deutschen recht fern und abseits; jedoch ist Rangabé vollkommen gelungen, unser Interesse wachzurufen und wach zu halten, uns zu erwärmen und tiefinnerlich zu erschüttern! Gleich am Anfang empfinden wir bewundernd, mit wie kurzer kraftvoll gestalteter Exposition uns der Dichter in die das Stück bedingenden Verhältnisse hineinversetzt, daß die Zeit, die Umgebung mit all ihren Kämpfen und Gegensätzen sofort klar vor uns liegt. Es ist die Zeit der dogmatischen Kirchenkämpfe, die Zeit der „Bilderstürmer“; es ist die Umgebung des byzantinischen Kaiserhofes, wo eben jene Frage des Bilderdienstes die Kaiserin Irene, Leos IV. Witwe, zu ihrem Sohne und Mitregenten Konstantin VI. in schärfsten Konflikt brachte. Im Theater zu Athen haben die „Bilderstürmer“ großen Erfolg erzielt, und wir sind überzeugt, daß auch ihre Aufführung in deutscher Sprache auf deutschen Bühnen bei angemessener Inszenierung und guter Besetzung der Hauptrollen reichen Beifall finden und Zugkraft ausüben wird. Und zum Schluß die höchst vornehme Ausstattung des Buches, die nicht nur prächtig ist -- das kann auch von manchen anderen Erzeugnissen des modernen Buchschmuckes gesagt werden -- sondern, was weit schwerer wiegt und größere Anerkennung verdient, in ihrem Stile bis ins Detail hinein einheitlich und dem Inhalte des Buches angepaßt ist. So ist ein Kunstwerk entstanden, das in jeder Beziehung zu erfreuen und befriedigen vermag. Im Lande der Jugend Roman von Traugott Tamm _6. Auflage._ Geheftet Mk. 4.--, geb. Mk. 5.--. Die „=Preußischen Jahrbücher=“: Traugott Tamm ist einer der Auserwählten, dem das Können gegeben ist. Er ist eine starke, dichterische Persönlichkeit mit so viel Eignem, daß er sich an kein berühmtes Muster anlehnt, sondern ganz selbständig dasteht ... Der Abschied der Eingezogenen des Kirchspiels im Jahre 1870 und die Ansprache ihres hochbetagten Geistlichen ist eine der vielen meisterhaften Szenen, die das Buch enthält und der nur wenige in den Romanen der letzten Jahrzehnte an die Seite zu stellen sind. Dieser Roman kann zu einem wesentlichen sozialen Faktor werden, wenn er so viel gelesen wird wie er gelesen zu werden verdient! =Das Blaubuch=: „Ein wunderbares Buch, wie es selten auf den Markt kommt.“ =Altonaer Tageblatt=: Das Thema dieses großangelegten Romans erinnert an das in Freytags „Soll und Haben“, ist aber durchaus selbständig verarbeitet und übertrifft Freytag an Vertiefung und Charaktere bei weitem. +Man hat das Bedürfnis, dieses Buch zweimal zu lesen.+ =Königsberger Neueste Nachrichten=: +Dieser Roman ist wie eine schöne reife Frucht, von sorgsamer Hand gepflückt. Seltene Schönheit und Tiefe der Empfindung und Sprache hebt dieses Buch weit über derartige Erscheinungen heraus.+ Rinnender Sand Ostseegeschichten von Karl Rosner. Geheftet Mk. 2.--, gebunden Mk. 3.--. =Das kleine Journal=: ... +Ein Werk voll wunderbarer stiller Schönheit, die eindringlich und tief ergreift und lange nachklingt und ein Bleibendes im Leser hinterläßt.+ =Neues Wiener Tageblatt=: +Ein prächtiges Buch!+ Voll schöner, stimmungsreicher Naturschilderungen, voll Wärme und Empfindung bei Beurteilung der Menschen, liebenswürdig im Detail und großzügig im Ganzen. Was ihm das Leben gab Roman von =Rudolf Pinner=. Geheftet Mk. 3.--, gebunden Mk. 4.--. =Wiesbadener Generalanzeiger=: Einer von denen, die es fertig brachten, wirkliche, echte Menschen zu schildern, wie sie uns das Leben wahrhaft zeigt, einer von diesen wenigen, die zugleich feine Beobachter und echte Dichter sind, ist Rudolf Pinner. Viel von dem, was dem „Helden“ seiner Dichtung, dem Hans Erik Wendlandt das Leben gab, hat sicherlich auch der junge Autor aus der Heimat Gerhart Hauptmanns wirklich erlebt, vieles auch mag der feinsinnige Dichter an anderen Menschen erschaut und dann in sich aufgenommen haben. R. Pinner geht seine eigenen Wege. Einzelne besonders schöne Stellen dieses Romanes hervorzuheben, wäre nicht recht. Man darf nichts herausreißen und absondern von dem, was ein festes, harmonisches Ganzes ist. Dies ist ein Buch vom Leben und fürs Leben, das wirklich verdient, gelesen zu werden. Die Invasion von 1910 Der Einfall der Deutschen in England von =William Le Queux= =Die Seeschlachtkapitel= von =Admiral H. W. Wilson= Übersetzt von =Traugott Tamm= Preis: Geheftet Mk. 3.--, gebunden Mk. 4.--. =Breslauer Zeitung=: Was den literarischen Wert des Buches angeht, so ist er nicht gering. Es ist geschickt geschrieben, +erregt durch die Natürlichkeit des Tones die Illusion des wirklichen Geschehens+ und hält sich sorgfältig von krassen Effekten fern. Nur ein Beispiel, das zeigen wird, wie der Stil nach frappierender Treue ringt: „Die Zahl der elektrischen Scheinwerfer war bis auf sechs gestiegen; einige steckten lange, steife Finger in die leeren Räume der Nacht aus, andere wanderten rastlos auf und ab, hierhin und dorthin.“ +Das könnte ebensogut bei Maupassant, wie bei Le Queux stehen.+ -- Das Buch wirkt vornehm durch die maßvolle Behandlung des Stoffes. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VON KINDERN UND JUNGEN HUNDEN *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. 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