Geschichten

By Robert Walser

The Project Gutenberg eBook of Geschichten
    
This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and
most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
of the Project Gutenberg License included with this ebook or online
at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States,
you will have to check the laws of the country where you are located
before using this eBook.

Title: Geschichten

Author: Robert Walser

Illustrator: Karl Walser

Release date: May 30, 2025 [eBook #76191]

Language: German

Original publication: Leipzig: Kurt Wolff Verlag, 1914

Credits: Jana Srna, Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GESCHICHTEN ***



======================================================================

                     Anmerkungen zur Transkription.

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des
Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler
sind stillschweigend korrigiert worden.

Worte in Antiqua sind so +gekennzeichnet+; gesperrte so: ~gesperrt~

=======================================================================




                              Geschichten

                                  von

                             Robert Walser


                    mit Zeichnungen von Karl Walser




                            [Illustration]


                      Kurt Wolff Verlag, Leipzig
                                 1914




     Einband und Zeichnungen von Karl Walser. Gedruckt bei Hesse &
   Becker, Leipzig. 100 Exemplare wurden auf Stratford abgezogen und
                      handschriftlich numeriert.


            +Copyright 1914 by Kurt Wolff Verlag, Leipzig+




                                Inhalt


                                              Seite
      Sechs kleine Geschichten                    1

          1. Von einem Dichter                    1

          2. Laute                                3

          3. Klavier                              6

          4.                                      9

          5.                                     11

          6. Der schöne Platz                    14

      Simon. Eine Liebesgeschichte               19

      Zwei Geschichten                           33

          Das Genie                              33

          Welt                                   38

      Mehlmann. Ein Märchen                      43

      Seltsame Stadt                             48

      Der Greifensee                             54

      Der Waldbrand                              59

      Der Park                                   66

      Illusion                                   73

      Theaterbrand                               77

      Kerkerszene                                87

      Lustspielabend                             92

      Katzentheater                             104

          Ein Schlafzimmer                      104

          Flußgegend mit Turm                   108

          Eine Singspielhalle                   112

          Vornehme Straße mit Gartengitter      116

      Die Schauspielerin                        120

      Die Talentprobe                           129

      Kleist in Thun                            135

      Wenzel                                    156

      Paganini. Variation                       176

      Die Schlacht bei Sempach                  182

      Tagebuch eines Schülers                   199

      Ein Vormittag                             217




                            [Illustration]




                       Sechs kleine Geschichten

                         1. Von einem Dichter

Ein Dichter beugt sich über seine Gedichte, deren er zwanzig gemacht
hat. Er schlägt eine Seite nach der anderen um und findet, daß jedes
Gedicht ein ganz besonderes Gefühl in ihm erweckt. Er zerbricht sich
mit großer Mühe den Kopf, was das wohl für ein Etwas ist, das über
oder um seine Poesien schwebt. Er drückt, aber es kommt nichts heraus,
er stößt, aber es geht nichts hinaus, er zieht, aber es bleibt alles
wie es ist, nämlich dunkel. Er legt sich ganz auf das geöffnete Buch
in seine verschränkten Arme und weint. Dagegen beuge ich mich nun,
der Schelm von Verfasser, über sein Werk und erkenne mit unendlich
leichtem Sinn das Rätsel der Aufgabe. Es sind ganz einfach zwanzig
Gedichte, davon ist eines einfach, eines pompös, eines zauberhaft,
eines langweilig, eines rührend, eines gottvoll, eines kindlich,
eines sehr schlecht, eines tierisch, eines befangen, eines unerlaubt,
eines unbegreiflich, eines abstoßend, eines reizend, eines gemessen,
eines großartig, eines gediegen, eines nichtswürdig, eines arm, eines
unaussprechlich und eines kann nichts mehr sein, denn es sind nur
zwanzig einzelne Gedichte, welche aus meinem Mund eine, wenn nicht
gerade gerechte, so doch schnelle Beurteilung gefunden haben, was mich
immer am wenigsten Mühe kostet. Eins aber ist sicher, der Dichter, der
sie gemacht hat, weint noch immer, über das Buch gebeugt; die Sonne
scheint über ihn; und mein Gelächter ist der Wind, der ihm heftig und
kalt in die Haare fährt.




                            [Illustration]


                               2. Laute

Ich spiele auf der Laute Erinnerung. Sie ist ein geringfügiges
Instrument mit nur immer einem und demselben Klang. Dieser Klang ist
bald lang, bald kurz, bald träge, bald hurtig. Er atmet in ruhigen
Zügen, oder er setzt in einem hastigen Sprung über sich selber
hinweg. Er ist traurig und lustig. Das Sonderbare ist nur, daß, wenn
er schwermütig klingt, er mich lachen macht, daß, wenn er lustig ist
und springt, ich dabei weinen muß. Gab es jemals solchen Ton? Wurde
jemals auf so wunderlichem Instrument gespielt? Es ist kaum in die
Hand zu nehmen, das Instrument; die Hände, selbst die weichsten und
feinstgebildeten, sind zu rauh dafür. Es hat unaussprechlich dünne,
zarte Saiten. Haare sind Halftern dagegen. Es gibt einen Knaben, der
darauf zu spielen weiß; und ich, der ich Zeit habe, auf der Lauer zu
liegen, ich horche ihm zu. Er spielt Tag und Nacht, ohne an Essen und
Trinken zu denken, in die Nacht und in den Tag hinein. Vom Tag in die
Nacht und von der Nacht in den Tag hinein. Die Zeit muß ihm nur dazu
da sein, sie wie einen Ton an sich vorbeiwehen zu lassen. Sowie ich
auf ihn horche, den Spielenden, so horcht er, der Spieler, die ganze
Zeit lang auf seine Geliebte, den Klang seines Instruments. Noch nie
lag ein Verliebter so treu, so beständig auf der Lauer. Wie süß ist
es, dem Lauernden aufzulauern, den Verliebten verliebt zu sehen, den
Vergessenen an seiner Seite zu fühlen. Der Knabe ist Künstler, die
Erinnerung sein Instrument, die Nacht sein Raum, der Traum seine Zeit;
und die Töne, denen er das Leben gibt, sind seine eifrigen Diener,
die von ihm reden in der Welt begierige Ohren. Ich bin nur noch Ohr,
unsäglich ergriffenes Ohr.




                            [Illustration]


                              3. Klavier

Ich weiß nicht, wie der Bursche heißt, der das Glück hat von einer so
schönen und hoheitsvollen Klavierlehrerin Unterricht auf dem Flügel zu
genießen. Jetzt eben ist er daran, sich von den schönsten Händen der
Erde die Behendigkeit auf den Tasten beibringen zu lassen. Die Hände
der Dame gleiten über die Tasten wie weiße Schwäne auf dem dunklen
Wasser. Sie sprechen sehr anmutig schon aus, was hinterher die Lippen
sagen. Der Knabe ist von einer Zerstreutheit umfangen, welche die
Lehrerin nicht beachten zu wollen scheint. »Spielen Sie das;« aber
er spielt es unbeschreiblich schlecht. »Spielen Sie es noch einmal;«
aber er spielt es noch schlechter als zuvor. Nun, es muß noch einmal
gespielt werden; aber er spielt es schlecht. »Sie sind träge.« Er
weint, dem dies gesagt wird. Sie lächelt, die dies sagt. Er liegt mit
dem Kopf auf dem Klavier, der sich das muß sagen lassen. Sie streichelt
ihm das braune weiche Haar, die ihm dies hat sagen müssen. Nun küßt
der Bursche, der unter der Liebkosung aus seiner Scham erwacht, die
zärtliche Hand, die sehr vornehm und weiß ist. Nun umschlingt die
Dame den Hals des Knaben mit ihren herrlichen Armen, die sehr weich
und zu einer Umarmung die rechten Zangen sind. Nun läßt sich die Dame
küssen und nun erliegen die Lippen des lieben Burschen einem Kuß der
freundlichen Dame. Nun haben die Knie des Geküßten nichts Eiligeres zu
tun, als wie umfallende Grashalme zusammenzusinken, und die Arme des
Knienden nichts Einfacheres, als wieder die Knie der Dame zu umarmen.
Der Dame Knie schwanken ebenfalls und nun sind beide, die gütige,
schöne Dame, und der einfache arme Knabe, eine Umarmung, ein Kuß,
ein Zusammensturz, eine Träne -- und was mehr ist: eine unerwartete
schreckliche Überraschung für jemanden, der in diesem Augenblick die
Türe des Zimmers öffnet, was sowohl der Süßigkeit von der beiden
vergessener Liebe, als der Erzählung davon ein Ende bereitet.




                            [Illustration]


                                  4.

Nun, ich besinne mich, daß einmal ein armer, von Stimmungen sehr
gedrückter Dichter lebte, welcher, da er sich an der freien Gottesnatur
satt gesehen hatte, auf den Entschluß kam, nur noch seine Phantasie
dichten zu lassen. Er saß eines Abends, Mittags oder Morgens, um acht,
zwölf oder zwei Uhr in dem dunklen Raum seines Zimmers und sagte zu
der Wand desselben: Wand, ich habe dich im Kopf. Gib dir keine Mühe,
mich mit deiner ruhigen seltsamen Physiognomie zu täuschen. Fortan
bist du ein Gefangener meiner Phantasie. Hierauf sagte er dasselbe
zu den Fenstern und zu der düstern Aussicht, welche ihm dieselben
tagtäglich boten. Hernach unternahm er, von Abenteuerlust angefeuert,
einen Spaziergang, welcher ihn durch Felder, Wälder, Wiesen, Dörfer,
Städte, über Flüsse, Seen immer unter dem schönen Himmel führte. Aber
zu Feldern, Wiesen, Wegen, Wäldern, Dörfern, Städten und Flüssen sagte
er immerfort: Kerls, euch habe ich fest im Schädel. Bildet euch nicht
länger ein, ihr Leute, daß ihr auf mich einen Eindruck macht. Er ging
heim und lachte beständig vor sich hin: Ich habe sie alle, ich habe sie
alle im Kopf. Also ist anzunehmen, daß er sie noch jetzt dadrinnen hat,
wo sie (wie gerne wollte ich ihnen helfen) nicht mehr hinauskommen. Ist
das nicht eine phantasievolle Geschichte???




                            [Illustration]


                                  5.

Es war einmal ein Dichter, der so verliebt in den Raum seines Zimmers
war, daß er den ganzen Tag über in seinem Lehnstuhl saß und die Wände
anbrütete, die vor seinen Augen lagen. Er entfernte die Bilder von
diesen Wänden, um durch keinen zerstreuenden Gegenstand gestört und
verleitet zu werden, irgend etwas anderes zu betrachten, als die
kleine, fleckige, unfreundliche Wand. Man kann nicht sagen, daß er den
Raum mit Absicht studierte, sondern man muß gestehen: Er lag ohne einen
Gedanken in den Banden einer grundlosen Träumerei, in welcher seine
Stimmung weder lustig noch traurig, weder munter noch melancholisch,
sondern so kalt und gleichgültig wie die eines Wahnsinnigen war. Er
verbrachte drei Monate in diesem Zustande und an dem Tage, mit welchem
der vierte beginnen sollte, konnte er sich nicht mehr von seinem Platze
erheben. Er war festgeklebt. Das ist etwas Sonderbares und es liegt
Unwahrscheinlichkeit in dem Versprechen des Erzählers, der beteuert,
daß sogleich noch Sonderbareres folgen soll. Zu dieser Zeit nämlich
suchte ein Freund unseres Dichters den Dichter in seinem Zimmer auf und
fiel, wie er dasselbe betrat, in dieselbe schwermütige oder lächerliche
Träumerei, in welcher der erste gefangen lag. Einige Zeit nachher
widerfuhr einem dritten Verse- oder Romanschreiber, der kam, um nach
seinem Freunde zu sehen, das gleiche Unglück, in welches nacheinander
sechs Dichter fielen, die alle kamen, um sich nach dem Freunde zu
erkundigen. Nun sitzen alle sieben in dem kleinen, dunklen, düsteren,
unfreundlichen, kalten, kahlen Raum und draußen schneit es. Sie kleben
an ihren Sitzen und werden wohl nie wieder eine Naturstudie machen.
Sie sitzen und starren, und das freundliche Gelächter, welches diese
Geschichte belohnt, ist nicht imstande, sie aus ihrem traurigen Bann zu
erlösen. Gute Nacht.




                            [Illustration]


                          6. Der schöne Platz

Die Geschichte, obschon ich an ihrer Wahrscheinlichkeit zweifle, hat
mir, als man sie mir erzählte, viel Freude bereitet; und ich gebe sie,
so gut ich kann, hier zum besten, unter der einzigen Vorbedingung
jedoch, daß man mich bis zum Ende nicht durch Gähnen unterbreche: Es
waren einmal zwei Lyriker, von denen der eine sich Emanuel nannte,
welcher ein sehr nervöser, sensibler, junger Mann war. Der andere, mehr
gröberer Natur, hieß Hans. Emanuel hatte sich einen Winkel im Walde
ausgefunden, der vor aller Welt verborgen war, und wo er sehr gerne zu
dichten pflegte. Zu diesem Zwecke schrieb er artige und unbedeutende
Verslein in ein Notizbuch, welches er von seinem Großvater geerbt
hatte, und schien mit diesem seinem Berufe sehr zufrieden zu sein.
Und wahrlich, warum hätte er es nicht sein sollen? Die Stelle im Wald
war so still und angenehm, der Himmel über derselben so heiter und
blau, die Wolken so unterhaltend, die Bäume des gegenüberliegenden
Randes so abwechselnd und von so gesuchter Farbe, die Wiese so weich,
der Bach, der diese einsame Waldwiese bewässerte, so erfrischend, daß
Herr Emanuel ein Narr hätte sein müssen, wenn er etwas anderes als
sich glücklich gefühlt hätte. Der Himmel lachte zu seinem unschuldigen
Gedichtemachen ebenso blau und schön herab wie auf die Waldbäume; und
der Frieden dieses Idylls schien so unzerstörbar, daß die Störung,
die nun sogleich herantreten wird, wie das Unglück in der Woche,
sehr unglaublich erscheinen muß. Die Sache ist aber folgende: Ich
habe euch Hans schon genannt. Hans, dieser zweite Lyriker, trieb sich
einmal, selber getrieben vom Zufall, in dem Walde und in der Nähe
des einsamen Platzes umher und entdeckte bei dieser Gelegenheit den
Winkel und dessen Bewohner, den Bruder Emanuel. Sofort erkannte Hans
in Emanuel, obschon sie sich nie zuvor gesehen, den Dichter, so wie
ein Vogel den andern sofort erkennt. Er schlich sich hinter ihn und,
um die Geschichte kurz zu machen, versetzte ihm einen tüchtigen Schlag
auf die Wange, daß jener laut aufschrie und ohne sich weiter umzusehen
nach dem, welcher ihn also traktiert hatte, die Beine springen ließ
und zwar so schnell, daß er im Augenblick nicht mehr zu sehen war.
Hans triumphierte! Er durfte hoffen, seinen Nebenbuhler auf ewig von
der schönen einträglichen Stelle verjagt zu haben und er sann gleich
darüber nach, wie er wohl am wirksamsten die Lieblichkeit dieser
einsamen Waldgegend darzustellen habe. Auch er hatte ein Notizbuch bei
sich, welches voller Verse, schlechter und guter, war, die er nächstens
zu veröffentlichen hoffte. Dieses Buch zog er nun hervor und fing an,
darin allerlei Gedankenlosigkeiten hineinzukritzeln, wie Lyriker zu
tun pflegen, um sich in die geeignete Stimmung zu bringen. Er schien
aber viele Mühe zu haben, die ruhige milde Schönheit seiner errungenen
Landschaft in zarte Silben zu zwängen, so daß etwa noch ein Schimmer
von Lebendigkeit hervorgucken mochte; und wie er dabei war, sich auf
solche Weise abzuplagen, erstand ihm von vorne oder von hinten eine
neue Plage, die derart war, daß sie auch ihm dieses Paradies, welches
er wie ein Hund dem andern abgekläfft hatte, verleiden mußte. Es zeigte
sich eine dritte Person auf dem Schauplatz in Gestalt einer Dichterin.
Hans, der, erschreckt durch das Geräusch, aufblickte, erkannte sie
sogleich als eine solche, verlor keine Zeit mit Galanterien, sondern
verschwand wie sein Vorgänger im Augenblick. -- Hier stockt die gute
Erzählung und ich billige und begreife ihre Ohnmacht vollkommen, da
ich ebensowenig wie sie imstande wäre, hier fortzufahren, wo alles
Weitergehen in den Abgrund der Nutzlosigkeit führen müßte. Denn wäre
es etwa nichts Nutzloses, noch das Gebaren der Dichterin herzuleiern,
wo schon zwei Dichter abgesungen sind? Ich begnüge mich, zu berichten,
daß die erstere an der Schönheit des Waldplatzes nichts Schönes und an
der Seltenheit desselben nichts Seltenes fand und ebenso geräuschvoll
verschwand als sie aufrückte. Mag der Teufel Poet sein.




                            [Illustration]


                                 Simon

                         Eine Liebesgeschichte

Simon war zwanzig Jahre alt, als ihm eines Abends in den Sinn kam,
er könnte so, wie er gerade im weichen grünen Moose am Wege lag,
fortwandern und Page werden. Dies sprach er sehr laut in die Luft
hinauf zu den Tannengipfeln, welche, ich weiß nicht ob es wahr oder
erlogen ist, ihre scheinheiligen Bärte schüttelten und ein stummes,
tannzapfenartiges Gelächter anstimmten, welches unserem Mann auf
die Beine half und ihn antrieb, sofort das zu werden, wozu ihn eine
unbändige Lust anfeuerte. Jetzt hat er sich erhoben und marschiert ins
Blaue oder Grüne hinein, ohne sich um eine geographische Richtung zu
kümmern. Kümmern wir uns ein wenig um sein Äußeres. Er hat lange, für
einen angehenden anmarschierenden Pagen viel zu lange Beine, welche
seinem Gang etwas Tölpelhaftes geben. Seine Schuhe sind schlecht, seine
Hose ideal zerrissen, sein Rock voller Flecken, sein Gesicht ist ein
unzartes Gesicht und sein Hut, um auf das oberste zu kommen, kommt
langsam in eine Form hinein, in die ihn unsorgfältige Behandlung und
geringer Stoff mit der Zeit bringen müssen. Er, der Hut, sitzt auf
ihm, dem Kopf, wie ein verschobener Sargdeckel, oder wie der blecherne
Deckel auf einer alten rostigen Bratpfanne. Wirklich, der Kopf ist
beinahe kupferrot und hat nichts gegen einen gebratenen Vergleich
einzuwenden. An Simons Rücken (wir, die Erzählung, gehen jetzt immer
hinter ihm her) hängt eine alte wüste Mandoline und wir sehen, wie er
dieselbe in die Hand nimmt und darauf zu zupfen anfängt. O Wunder.
Welch einen silbernen Klang birgt dieses alte magere Instrument. Ist es
nicht, als wenn liebliche weiße Engel auf goldenen Geigen spielten! Der
Wald ist eine Kirche und die Musik, welche tönt, wie die eines alten
ehrwürdigen italienischen Meisters. Wie zart er spielt, wie weich er
singt, dieser rohe Bengel. Wahrhaftig, wir verlieben uns in ihn, wenn
er nicht bald aufhört. Er hört auf und wir haben Zeit, uns auf neuen
Atem zu besinnen.

Wie seltsam, dachte Simon, als er aus dem Wald heraustrat und bald
wieder in einen neuen hineinkam, wie seltsam, daß die Welt keine
Pagen mehr hat. Hat sie denn etwa keine schönen, großen Frauenzimmer
mehr? Wohl nicht, denn ich besinne mich, die Poetin unserer Stadt,
der ich meine Gedichte zusandte, war dick, behäbig und majestätisch
genug, um eines beweglichen Pagen zu bedürfen. Was tut sie wohl jetzt.
Denkt sie wohl noch an mich, der ich sie anschwärmte? Mit solchen
Gedanken und Empfindungen brachte er es ein Stück Weg weiter. Die
Wiesen schimmerten, als er neuerdings aus dem Wald heraustrat, wie
ausgeschüttetes Gold, die Bäume darauf waren weiß, grünlich, grün,
und so saftig, daß er lachen mußte. Die Wolken lagen träge und breit
am Himmel wie ausgestreckte Katzen. Simon streichelte in Gedanken ihr
farbiges weiches Fell. Dazwischen lag Blau von wunderbarer Frische
und Feuchte. Die Vögel sangen, die Luft zitterte, der Äther triefte
von Wohlgerüchen und in der Ferne lagen felsige Berge, zu denen unser
Bursche nun geraden Wegs hinlief. Schon fing der Weg an zu steigen und
schon fing es an, zu dunkeln. Simon griff wieder in die Mandoline,
auf welcher er Zauberer war. Die Erzählung setzt sich hinten wieder
auf einen Stein und horcht ganz verblüfft. Unterdessen gewinnt der
Verfasser Zeit, auszuruhen.

Es ist ein mühseliges Geschäft, Geschichten erzählen. Immer hinter
solch einem langbeinigen, mandolinenspielenden romantischen Bengel
herlaufen und horchen, was er singt, denkt, fühlt und spricht. Und
der rohe Schurke von Page läuft immer und wir müssen hinter ihm
herlaufen, als ob wir wahrhaftig des Pagen Page wären. Hört weiter,
geduldige Leser, wenn ihr noch Ohren habt, denn jetzt machen bald
verschiedene Personen ihre untertänigsten Reverenzen. Es wird lustiger.
Ein Schloß zeigt sich; welch ein Fund für einen burgruinensuchenden
Pagen. Nun zeige deine Kunst, Kind, oder du bist verloren. Und er
zeigt sie. Er singt die Dame an, welche sich auf dem Balkon im ersten
Stock zeigt, mit so süßer, lügenhafter Stimme, daß das Herz der Dame
notwendigerweise gerührt wird. Wir haben ein dunkles, märchenhaftes
Schloß, wir haben Felsen, Tannen, Pagen, nein, nur einen Pagen, ja,
unsern Simon, welcher in diesem Augenblick alle lieblichen Pagen der
Welt in seiner zierlichen, oben beschriebenen Person vereinigt. Wir
haben Gesang und Mandolinenton, wir haben Süßigkeit, welche der Knabe
seinem Instrument zu entlocken weiß. Es ist bereits Nacht, Sterne
schimmern, Mond brennt, Luft küßt, und wir haben, was wir unbedingt
haben müssen, eine milde, weiße, herablächelnde Dame, welche mit der
Hand heraufwinkt. Der Gesang hat im Herzen der Frau Platz genommen,
denn es ist ja ein so einfacher, lieber, süßer Gesang. »Komm herauf,
lieber, süßer, schöner, gefühlvoller Knabe!« Wir hören noch das
Jubilieren, das Schluchzen vor Freude, das einen kurzen Augenblick aus
der Kehle von dem glücklichen Kerl die Nacht durchdringt; wir sehen
seinen Schatten verschwinden, und nun ist draußen alles Stille und
Schatten.

Der Verfasser grübelt nun aus seiner gequälten Phantasie hervor, was
seine Augen nicht mehr sehen dürfen. Die Phantasie hat durchdringende
Augen. Keine zehnmetrige Mauer, kein noch so schwarzer giftiger
Schatten hemmt ihren Blick, der Mauern und Schatten wie ein Netz
durchsieht. Der Page flog die breite, teppichbelegte Treppe hinauf und
wie er oben ankam, stand seine gnädige Herrin im schneeweißen Kleid
am Eingang und zog Simon mit der Hand hinein, auf welche derselbe
seinen heißen Atem hauchte. Alle die Händeküsserei zu beschreiben,
die nun folgt, erlasse man uns. Keine Stelle der schönen Arme, Hände,
Finger, Fingernägel blieb von den gierigen roten Lippen ungeküßt, und
diese Lippen schwollen ganz auf bei dem galanten Geschäft. Deshalb,
jetzt merken wir, haben Pagen stets solche wie zwei Seiten eines
Buches aufgeschlagene Lippen. Lesen wir ruhig, was die Sprache darin
weitererzählt.

Die Frau, nachdem sie dem Knaben Einhalt geboten, erzählte ihm in
vertraulicher Weise, etwa so, wie man zu einem klugen anhänglichen und
treuen Hund spricht, daß sie sehr einsam sei, daß sie nachts immer auf
dem Balkon stehe, daß die Sehnsucht nach einem unsagbaren Etwas sie
keine angenehme gedankenlose Stunde verbringen ließe. Sie strich Simon
das rauhe Haar von der Stirne weg, berührte seinen Mund, tastete an
seinen glühenden Wangen und sagte mehrere Male hintereinander: »Lieber,
guter Knabe! Ja, du sollst mein Diener, mein Knecht, mein Page sein.
Wie hübsch du gesungen hast. Wie treu deine Augen sehen. Wie schön dein
Mund lächelt. Ach, einen solchen Knaben wünschte ich mir schon lange
zum Zeitvertreib. Du sollst um mich herumspringen wie ein Reh und meine
Hand soll das zierliche kleine unschuldige Reh streicheln. Ich will
mich auf deinen braunen Leib setzen, wenn ich müde bin. Ach ...« Hier
errötete denn doch die hohe Frau und sah lange verschwiegen in einen
dunklen Winkel des Zimmers, welches sehr prächtig schien. Dann lächelte
sie wohlwollend, und stand, wie sich selbst beruhigend, auf und nahm
beide Hände Simons in eine von den schönen ihrigen. »Morgen kleide ich
dich als Pagen an, lieber Page. Du bist müde, nicht wahr?« und lächelte
und aus dem Lächeln küßte ihm gute Nacht entgegen. Sie führte ihn
hinauf in einen, wie es schien, hohen Turm, in ein kleines, reinliches
Gemach. Dort küßte sie ihn und sagte: »Ich bin ganz allein. Wir wohnen
hier ganz allein. Gute Nacht!« und verschwand.

Als Simon am folgenden Morgen hinunterging, stand die weiße Frau,
wie wenn sie schon lange geduldig wartete, an der Türe. Sie reichte
ihm Hand und Mund und sagte: »Ich liebe dich. Ich heiße Klara. Nenne
mich so, wenn du mich begehrst.« Sie gingen in ein kostbares, ganz
mit Teppichen ausgefüttertes Zimmer, welches eine Aussicht in einen
dunkelgrünen Tannenwald hatte. Hier lagen auf der reichgeschnitzten
Lehne eines Stuhles schwarzseidene Pagenkleider. »Diese ziehe nun an!«
-- O, was für ein dummglückliches ehrlichbegeistertes Gesicht muß nun
unser Kaspar, Peter oder Simon machen! Sie deutete ihm, sich darin
umzukleiden, ging schnell hinaus, kam lächelnd nach zehn Minuten wieder
hinein und fand Simon als den schwarzseidenen Pagen wieder, wie sie
sich in träumerischen Stunden wohl einen solchen mochte phantasiert
haben. Simon sah sehr hübsch aus in dem Kleid; seine schlanke Gestalt
paßte vorzüglich in die enge Gefangenschaft der Pagentracht. Er benahm
sich auch sofort sehr pagenmäßig, schmiegte sich schüchtern und doch
unbewußt an den Leib der Frau. »Du gefällst mir,« lispelte sie. »Komm,
komm!«

Sie spielten nun Tag für Tag Herrin und Page, und befanden sich wohl
dabei. Simon war es ernst. Er dachte, er habe nun seinen eigentlichen
Beruf gefunden, worin er auch sehr recht hatte. Ob es der gnädigen Frau
mit ihrer Gnade ernst war, daran dachte er keinen Augenblick, und darin
hatte er auch wieder sehr recht. Er nannte sie Klara, wenn er um ihren
wollüstigen Leib dienend beschäftigt war. Er fragte sonst nichts, denn
das Glück, o Leser, hat keine Zeit zum lange Herumfragen. Sie ließ sich
ruhig, als wie von einem Kind, von ihm abküssen. Einmal sagte sie zu
ihm: »Du, ich bin verheiratet, mein Mann heißt Aggapaia. Nicht wahr,
ein teuflischer Name. Er wird bald zurückkehren. O, wie fürchte ich
mich. Er ist sehr reich. Ihm gehört das Schloß, die Wälder, die Berge,
die Luft, die Wolken, der Himmel. Vergiß den Namen nicht. Wie heißt
er schon?« Simon stotterte: »Akka -- --, Akka -- --.« »Aggapaia, mein
lieber Knabe. Schlafe ruhig darauf aus. Der Name ist kein Teufel.« --
Sie weinte, als sie dies sagte.

Es vergingen wieder einige Tage und als eine Woche oder zwei verlebt
waren, saßen sie, Frau und Page, eines Abends, als es schon dunkel zu
werden begann, auf dem Balkon des Schlosses. Die Sterne funkelten wie
verliebte Ritter hinunter auf das seltsame Paar: die modern gekleidete
Frau und den spanisch kostümierten Pagen. Der griff, wie er immer
abends zu tun pflegte, in die Saiten seiner Mandoline und die Erzählung
streitet mit mir über den Punkt, was süßer gewesen sei, das Spiel
der behenden Finger, oder die stillen Frauenaugen, welche auf den
Spieler herabsahen. Die Nacht schwebte wie ein Raubvogel umher. Das
Dunkel nahm zu, da hörten sie beide einen Schuß fallen im Wald. »Er
kommt, Teufel Aggapaia ist in der Nähe. Bleibe ganz ruhig, Knabe. Ich
stelle dich ihm vor. Du hast nichts zu fürchten!« Dennoch runzelte,
die dies gesagt hatte, die Stirn, ihre Hände zitterten, sie seufzte
und mischte ein kurzes Lachen unter die Flut von Beängstigung, welche
sie zu verbergen bemüht war. Simon betrachtete sie ruhig; unten sagte
jemand: Klara! Die Frau antwortete mit einem lieblich klingenden,
sonderbar hohen »Ja«. Die Stimme erwiderte und fragte: Wen hast du da
oben bei dir sitzen? »Mein Reh ist's; mein Reh!« Wie das Simon hörte,
sprang er auf, umarmte das zitternde Weib und schrie hinunter: »Ich
bin's, Simon! Mehr als zwei Arme braucht es nicht, um dir zu beweisen,
du Schurke da unten, daß ich ein Bursche bin, der nicht mit sich Spaß
treiben läßt. Komme nur herauf, ich stelle dir meine geliebte Herrin
vor!« Teufel Aggapaia, welcher wohl merkte, daß er im Augenblick ein
sehr dummer, hintergangener, gehörnter Teufel sein müsse, blieb unten
stehen, scheinbar, um den Angriff zu überlegen, den eine so gefährliche
Lage, wie die, vor welcher er stand, erforderte. »Ein blinder, kalter,
achselzuckender, frecher Schuft da oben. Meine Überlegenheit ist
zweifelhaft. Ich muß überlegen, überlegen, überlegen.« Die Nacht
auch, das seltsame Benehmen der Frau, die Stimme des »Buben da oben«,
das rätselhafte Etwas, wofür der Teufel kein Wort fand, hießen den
Teufel blindlings überlegen. Überlege, wimmerten die Sterne, überlege,
schnarrten die Nachtvögel, überlege, schüttelten unklar und doch
deutlich genug die Tannengipfel heraus ... »Er überlegt,« sang
siegesfroh des Pagen frische Stimme. Er überlegt noch heute, der arme
schwarze Teufel Aggapaia. Er klebt an seiner Überlegung fest. Simon
und Klara sind Mann und Weib geworden. Wie? sagt später einmal die
Geschichte, welche hier atemringend der Ruhe bedarf.




                            [Illustration]


                           Zwei Geschichten

                               Das Genie

In einer eiskalten Nacht stand Wenzel, das Genie, auf der Straße,
in einem dünnen, dünnen, und nochmals dünnen Kleidchen und bettelte
die Passanten an. Die Herren und Damen dachten, Gott, er ist ja ein
Genie, er darf sich das schon erlauben. Genies bekommen den Schnupfen
nicht so schnell wie gewöhnliche Sterbliche. Wenzel schlief die Nacht
im Portal des Königlichen Palastes und seht, er ist nicht erfroren.
Genies erfrieren nicht so leicht, und mag es noch so kalt sein. Am
Morgen meldete er sich bei der jugendlichen schönen Königstochter
an, in dem Kleid, das er noch anhatte. Er sah erbärmlich darin aus,
aber die Bedienten stießen sich gegenseitig in die Seiten und vor die
Schlauköpfe und murmelten: ein Genie, Kinder, ein Genie, und meldeten
Wenzel bei der Herrscherin an und ließen ihn zu derselben lustig
eintreten. Wenzel verbeugte sich gar nicht einmal vor der Prinzessin,
denn seht, so etwas kommt einem Genie nicht bei. Die Prinzessin jedoch,
in richtiger Anerkennung von der Größe ihres Geistes, verbeugte sich
tief vor dem Genius, ich meine vor dem jungen Wenzel, und reichte ihm
eine schneeweiße Hand zum Schleckkuß dar, worauf sie fragte, was er
denn wolle. »Zu essen«, erwiderte der Grobian, aber die Antwort fand
Anklang, denn sofort wurde auf den Wink der Gütigen ein herrliches
Frühstück mit Portwein hereingetragen, alles auf silbernen Schüsseln
und in Kristallflaschen und das alles zusammen auf einem goldenen
Brettchen. Das Genie schmunzelte, als es das sah, denn seht, Genies
sogar können schmunzeln. Die Königin war überaus freundlich, aß mit
Wenzel, der nicht einmal eine anständige Krawatte anhatte, seinem
genialen Zustand gemäß, erkundigte sich über seine Werke und trank
Gesundheit mit ihm: alles mit einer unschuldigen süßen Grazie, die
ihr besonders eigen war. Das Genie war zum erstenmal in seinem
wildzerrissenen Leben vollkommen glücklich, denn seht: auch Genies
haben oft die feine, übrigens sehr menschliche Eigenschaft, glücklich
zu sein. Wenzel brachte unter anderem beim Tischspruch vor, daß
er gesonnen sei, morgen oder übermorgen die Welt umzustürzen. Die
Königstochter, die begreiflicherweise heftig darüber erschrak, eilte
ängstlich und lieblich kreischend, wie eine gescheuchte Nachtigall zum
Zimmer hinaus, das Genie seinem Genius überlassend, und erzählte alles
ihrem Vater, dem Herrn Prinzregenten des Landes. Dieser allerdings
ersuchte dann Wenzel, sich doch möglichst schnell und behend zu
entfernen, was befolgt wurde. Nun befindet sich unser Genie wieder
auf der Gasse, hat nichts zu essen, was ihm übrigens alle Leute gern
verzeihen, da er solch ein grantiges Genie ist; und weiß nicht woaus,
woein vor Kummer. In diesem Zustand kommt ihm eben ein flinker genialer
Gedanke (alle genialen Gedanken sind äußerst behend) zuhilf. Er läßt
schneien, und zwar so heftig und so lang, daß in kurzem die Welt im
Schnee vergraben liegt. Er, das Genie, liegt auf der hartzugefrorenen
Schneekruste, oben, und hat und pflegt das nicht üble Gefühl, daß unter
ihm eine Welt vergraben liege. Er sagte sich, es sei eine Welt von
drückenden Erinnerungen. Dies sagte er sich lange genug, bis er endlich
merkt, daß er wieder Hunger sowohl nach gutem erdenmäßigem Essen (zum
Beispiel solchem im Hotel Continental) als nach schlechter Behandlung
durch die Menschen hat. Die Sonne da oben ist auch nicht gerade
angenehm, und so allein in der Sonne zu sitzen -- puh -- er friert
ganz. Kurz, er läßt den vielen Schnee wieder schwinden. In der Welt
ist dadurch einiges und weniges anders geworden: ein frischgewaschenes
Geschlecht von Menschen ist erstanden, das Hochachtung vor aller Art
Übermenschlichkeit bekommen hat. Das gefällt eine Weile Wenzel, bis
es ihm wiederum nicht mehr paßt. Er jammert, und die Seufzer, die aus
seinem Innern kommen, gelangen zu allgemeiner Anerkennung. Man will
ihm helfen, man sucht ihn zu überzeugen, daß er ja der Menschheit
sogenannter Genius ist, oder ihn vorstellt und personifiziert. Aber
alles das hilft nichts, weil eben einem Genie auf keine Weise zu helfen
ist.




                            [Illustration]


                                 Welt

Als der alte Herr Zerrleder abends etwas zu spät nach Hause kam, nahm
ihn gleich sein Herr Schlingel Sohn über das Knie und walkte ihn
tüchtig durch. »In Zukunft«, sprach der Sohn zum Vater, »gebe ich dir
überhaupt keinen Hausschlüssel mehr, verstanden!« -- Wir wissen nicht,
ob es so ohne weiteres begriffen wurde. Am andern Morgen bekam die
Mutter von der Tochter eine schallende Ohrfeige (weithinschallend
ist das rechte Wort), weil sie zu lange vor dem Spiegel gestanden.
»Eitelkeit«, sprach die entrüstete Tochter, »ist eine Schande an so
alten Leuten, wie du bist,« und jagte die Arme in die Küche. Auf der
Straße und in der Welt trugen sich folgende beispiellose Dinge zu: Die
Mädchen gingen den jungen Herren um die Ecken nach und belästigten sie
mit ihren Anträgen. Einzelne dieser also verfolgten Jünglinge wurden
rot über die frechen Anreden von heranstreichenden Damen. Eine solche
Dame machte am hellen Tageslichte einen offenbaren Angriff auf einen
ganz unbescholtenen, gut beleumundeten Bürgerssohn, welcher schreiend
die Flucht ergriff. Ich selber, zügelloser und weniger tugendhaft,
ließ mich von einem jungen Mädchen abfangen. Ich sträubte mich eine
Weile, jedoch nur aus vorher studierter Ziererei, womit ich das feurige
Mädchen nur noch mehr reizte. Ich hatte das Glück, von ihr im Stich
gelassen zu werden, was mir recht war, der ich nur auf bessere Damen
erpicht bin. In der Schulstube konnten die Schullehrer ihre Lektion
zum siebenten oder achten Mal wieder einmal nicht und wurden deshalb
in Arrest gesetzt. Sie weinten, denn sie hätten so gern den Nachmittag
mit Biertrinken, Kegeln und andern Flegeleien verbracht. Auf den
Gassen schlugen die Passanten ungeniert an den Wänden ihr Wasser ab.
Hunde, die zufällig vorüberspazierten, entsetzten sich billigerweise
darüber. Eine adlige Dame trug einen bestiefelten und bespornten
Lakaien auf ihrer zarten Schulter; eine rothäutige Magd wurde in
offener Kalesche vom Herzog des Landes spazieren geführt. Sie lächelte
mit drei Wackelzähnen gar manierlich. Die Kalesche wurde von Studenten
gezogen. Jeden Augenblick rührte man sie mit der flinken Peitsche.
Einige Straßenräuber liefen hinter einigen verhafteten Gerichtsdienern
her, welche sie unterwegs in Schenken oder Bordellen aufgegriffen. Der
Spektakel lockte eine Menge Hunde herbei, die die Gefangenen lustig
in die Waden bissen. So geht es eben, wenn Gerichtsdiener saumselig
sind. Über dieser Welt voll Possen und Sünden stürzte der Himmel heute
nachmittag herein, zwar ohne Krachen, nein, vielmehr als ein weiches
feuchtes Tuch und verschleierte alles. Weißgekleidete Engel liefen
barfüßig in der Stadt umher, über die Brücken, und spiegelten sich
eitel aber anmutig im blinkenden Wasser. Einige der schwarzborstigen
Teufel jagten mit wildem Geschrei, ihre Gabeln in der Luft schwenkend,
zum Entsetzen aller Menschen daher. Sie benahmen sich im ganzen sehr
ungeniert. Was soll ich noch sagen? Himmel und Hölle spazieren auf den
Boulevards, in den Kaufläden handeln die Seligen und die Verdammten
untereinander. Alles ist Chaos, Geschrei, Gejodel, Laufen, Rennen und
Stinken. Endlich erbarmte sich Gott dieser schnöden Welt. Er ließ sich
herbei, die Erde, die er einst in einem Vormittag verfertigt hatte,
ohne weiteres in seinen Sack zu stecken. Der Augenblick (gottlob, daß
es nur ein Augenblick war) war freilich entsetzlich. Die Luft wurde
mit einem Mal so fest oder noch fester wie Stein. Sie zerschlug die
Häuser in der Stadt, die gegeneinanderprallten wie Trunkenbolde. Die
Berge hoben und senkten ihre breiten Rücken, Bäume flogen wie ungeheure
Vögel durch den Raum, und der Raum selbst zerfloß schließlich in eine
gelbliche kalte unbestimmbare Masse, die weder Anfang noch Ende hatte,
weder Maß noch Etwas, sondern Nichtsmehr war. Von Nichts sind wir auch
nicht mehr imstande, etwas zu schreiben. Selbst der liebe Gott löste
sich aus Gram über seine eigene Zerstörungswut endlich auf, so daß dem
Nichts nicht einmal mehr der es bestimmende, färbende Charakter blieb.
--




                            [Illustration]


                               Mehlmann

                              Ein Märchen

Es war einmal eine kleine, schwarzverhangene Bühne. Auf die Bühne
sprang ein weißer Mehlmann und tanzte. Man hörte seine Schritte
und Absätze nicht, denn die Bühne war mit dicken Teppichen belegt.
Plötzlich stand der Mehlmann still, legte den Finger dumm an die
spitze, rötliche Nase, sann, wie es schien, nach und machte dann
Gesichter. Das war seine Gewohnheit. Das Publikum kannte es zur
Genüge. Es wußte, wann es kam; es kam pünktlich wie ein Wechsel am
Verfalltage. So ein Mehlmann verfügt über seine zwanzig Gesichter
im Gesicht. Es ist nur dumm, daß man sie alle auswendig kennt wie
die Knöpfe an seinem Gilet. Die Komik ist ein begrenztes Gebiet, und
hochgebildete Komiker gibt es selten.

Der Mehlmann war nicht hochgebildet. Er entstammte einer Lehrerfamilie,
und war selber ein sehr entarteter Zweig. Seine Familie natürlich
verabscheute ihn bloß. Einst berechtigte der Mehlmann zu großen
Hoffnungen, aber wie die Dinge jetzt stehen, berechtigt er zu einem
halben Gelächter. Man bemitleidet ihn mehr, als daß man ihn komisch
findet. Er erscheint in seiner Komik eingezwängt wie der Irrsinnige
in der Zwangsjacke. Sein Auftreten gibt nur Fühllosen zu lachen,
Empfindliche macht es eher vor Zorn weinen.

Der Mehlmann huschte dumm ab, es sollte ein Witz sein, das Abhuschen,
aber es war wie ein Fehltritt. Armer, armer Mehlmann!

Ein Knabe kam! Ein schlanker, schmaler Knabe im schneeweißen,
enganliegenden Kleid. Das Kleid mit goldenen Rissen, Schlitzen und
Umschlägen! Eine dunkelrote, großblättrige Rose im Gürtel. Es war ein
wunderschöner Anblick, man rief ah! In dem ah! lag viel Liebe und
Achtung und das größte Interesse. Frauen fanden das Kleid des Knaben
in Verbindung mit seiner Haltung wundervoll. Die Rose schaukelte im
Gürtel. Jetzt flog der Knabe mit einem Male durch die Luft, ohne daß
man einen Abstoß bemerkt hatte, nicht wie ein Akrobat, nein, wie ein
Engel. Das Herabfallen aus dem Raum auf den Boden war namentlich
unvergleichlich schön. Der erste Tritt auf dem Boden war zugleich
der erste Schritt zu einem leise hin und her wiegenden Tanz. Welche
Grazie, sagte man. Wie männlich doch noch, sagten die Damen. Wie
kindlich einfach, sagten anwesende große Künstler. Eine Baronin, die
Baronin von Wertenschlag, warf dem Tanzenden ein Veilchenbukett zu. Er
erhaschte es mit dem Mund an seinem kleinen Stiel. Man jubelte über die
süße, zartsinnige Geschicklichkeit. Ein junger Gott ist er, der Sohn
einer Göttin, so sagte man wieder.

Auf einmal schoß aus der Kulisse eine zischende, rote Kugel hervor,
rollte bis vor die Füße des Tanzenden, dieser sprang mit einer leichten
Hebung des Beines hinauf und die Kugel rollte mit dem Knaben davon, dem
Hintergrund zu, der, so schien es, in einen Abgrund verlief. Jetzt sah
man nichts mehr.

Es ist die Sonne, die ihn davongetragen hat, sagte eine Dame.

Nein, der Mond, sagte ein Mann.

Nein, sein Herz, sagte ein Mädchen, und errötete.

Die Mutter des Mädchens schaute es groß und gütig an, nahm es dann beim
Köpfchen, streichelte es und küßte es.

Unterdessen fragten die Kellner, ob Bier gefällig sei.

Spitzbuben!

Dann trat eine große, vornehm gekleidete Dame auf die Bühne und sang
Lieder. Ein Lied ist ein Schmerz! Es gibt keine lustigen Lieder, nur
lustige Sinnesarten, Gemüter! So empfand man, und dann ging man nach
Hause.

Die Baronin Wertenschlag stieg mit gesenkten Augen und träumend in
ihren Wagen. Ein Dichter komplimentierte. Der Kutscher rollte davon. So
ein Flegel von Kutscher!




                            [Illustration]


                            Seltsame Stadt

Es war einmal eine Stadt. Die Menschen darin waren bloß Puppen. Aber
sie sprachen und gingen, hatten Gefühl und Bewegung und waren sehr
höflich. Sie sagten nicht nur: Guten Morgen, oder: Gute Nacht, sie
meinten es auch, und zwar herzlich. Herz hatten diese Menschen. Daneben
waren sie vollkommene Städter. Das Bäuerliche und Grobe hatten sie,
gleichsam unwillig, sanft abgeschüttelt. Der Schnitt sowohl ihrer
Kleider als ihres Betragens war der feinste, den man sich, ist man
Menschenkenner oder Berufsschneider, nur denken kann. Alte abgetragene
und am Leib schlotternde Kleider trug kein Mensch. Der Geschmack war in
einen jeden einzelnen hineingedrungen, einen sogenannten Pöbel gab es
nicht, alle waren sich in Manier und Bildung vollkommen gleich, ohne
sich doch ähnlich zu sein, was wieder langweilig gewesen wäre. Auf
der Straße sah man auf diese Weise eben nur schöne, elegante Menschen
mit edlem, freiem Betragen. Die Freiheit wußten sie auf das feinste
zu handhaben, zu leiten, zu zügeln und zu bewahren. Deshalb kamen nie
Ausschreitungen in bezug auf öffentlichen Anstand vor. Verletzungen der
schönen Sitte gab es ebensowenig. Die Frauen namentlich waren herrlich.
Ihre Kleidung war ebenso entzückend wie praktisch, ebenso schön wie
lockend, ebenso anständig wie reizend. Das Sittliche lockte! Die jungen
Männer spazierten abends hinter diesem Lockenden einher, langsam, wie
träumend, ohne in hastige, gierige Bewegungen zu verfallen. Die Frauen
gingen in einer Art Hose einher, einer meist weißen oder hellblauen
Spitzenhose, die gegen oben in eine engschließende Taille verlief.
Die Schuhe waren farbig, von feinstem Leder und hoch. Entzückend
war, wie sich die Schuhe den Füßen und dann dem Bein anschmiegten,
und wie das Bein es fühlte, daß es von etwas Kostbarem umgeben war,
und wie die Männer es fühlten, wie das Bein es fühlte! Das mit dem
Hosentragen hatte das Gute, daß die Frauen Geist und Sprache in ihren
Gang legten, der, unter dem Rock verborgen, sich weniger betrachtet
und beurteilt fühlt. Es war überhaupt alles ein Fühlen. Die Geschäfte
gingen glänzend, weil die Menschen lebhaft, tätig und brav waren.
Brav waren sie aus Bildung und Taktgefühl. Einander die leichte,
schöne Existenz streitig machen, das mochten sie nicht. Geld war
genug vorhanden und für alle genug, weil alle so vernünftig waren,
zu allererst fürs Notwendige zu sorgen, und weil alle es allen leicht
machten, zu schönem Geld zu kommen. Sonntage gab es keine, ebensowenig
eine Religion, um deren Satzungen willen man sich hätte streiten
können. Die Vergnügungsorte waren die Kirchen, in denen man sich zur
Andacht versammelte. Lust war diesen Menschen eine heilige, tiefe
Sache. Daß man in der Lust reinlich blieb, war selbstverständlich, denn
alle hatten das Bedürfnis dazu. Dichter gab es keine. Dichter hätten
solchen Menschen nichts Erhebendes, Neues mehr zu sagen gewußt. Es gab
überhaupt keine Berufskünstler, weil Geschicklichkeit zu allerhand
Künsten zu allgemein verbreitet war. Das ist gut, wenn Menschen nicht
der Künstler bedürfen, um zur Kunst aufgeweckte und begabte Menschen
zu sein. Diese waren es, weil sie gelernt hatten, die Sinne als etwas
Köstliches zu hüten und zu benützen. Man brauchte nicht Redensarten
in Büchern nachzuschlagen, weil man selber seine, laufende, wache
und zitternde Empfindung hatte. Man sprach schön, wo man auch Anlaß
nahm zu sprechen, man hatte die Herrschaft der Sprache, ohne zu
wissen, wie es kam, daß man sie bekommen. Die Männer waren schön.
Ihre Haltung entsprach ihrer Bildung. Es gab vieles, an dem man sich
ergötzte, mit dem man sich beschäftigte, aber es geschah alles in
Beziehung auf die Liebe zu schönen Frauen. Es wurde alles in feine und
träumende Beziehung gebracht. Gefühlvoll sprach und dachte man über
alles. Geschäftssachen wußte man empfindlicher, edler und einfacher zu
besprechen, als es heute geschieht. Es gab keine sogenannten höheren
Dinge. Ein solches sich nur vorzustellen, das wäre für diese Menschen,
die alles schön nahmen, was war, einfach unleidlich gewesen. Alles was
geschah, geschah lebhaft. So? Wirklich? Was für ein dummer Kerl ich
bin! Nein, mit dieser Stadt und diesen Menschen ist es absolut nichts.
Das hat keine Wirklichkeit. Das ist aus der Luft gegriffen. Fahr ab,
Bursche!

Da ging der Bursche spazieren und setzte sich auf eine Gartenbank. Es
war Mittag. Die Sonne schien durch die Bäume und machte Flecken auf
den Weg, auf die Gesichter der spazierenden Menschen, auf die Hüte der
Damen, auf den Rasen, es war spitzbübisch. Die Spatzen hüpften leicht
umher und Kindermägde rollten mit Kinderwägelchen. Es war wie ein
Traum, wie ein bloßes Spiel, wie ein Bild. Der Bursche lehnte seinen
Kopf in seinen Ellenbogen und ging auf in dem Bild. Plötzlich stand
er auf und ging weg. Nun, das ist seine Sache. Dann kam der Regen und
verwischte das Bild.




                            [Illustration]


                            Der Greifensee

Es ist ein frischer Morgen und ich fange an, von der großen Stadt
und dem großen bekannten See aus nach dem kleinen, fast unbekannten
See zu marschieren. Auf dem Weg begegnet mir nichts, als alles das,
was einem gewöhnlichen Menschen auf gewöhnlichem Wege begegnen kann.
Ich sage ein paar fleißigen Schnittern »guten Tag«, das ist alles;
ich betrachte mit Aufmerksamkeit die lieben Blumen, das ist wieder
alles; ich fange gemütlich an, mit mir zu plaudern, das ist noch
einmal alles. Ich achte auf keine landschaftliche Besonderheit, denn
ich gehe und denke, daß es hier nichts Besonderes mehr für mich gibt.
Und ich gehe so, und wie ich so gehe, habe ich schon das erste Dorf
hinter mir, mit den breiten großen Häusern, mit den Gärten, welche
zum Ruhen und Vergessen einladen, mit den Brunnen, welche platschen,
mit den schönen Bäumen, Höfen, Wirtschaften und anderem, dessen ich
mich in diesem vergeßlichen Augenblick nicht mehr erinnere. Ich gehe
immer weiter und werde zuerst wieder aufmerksam, wie der See über
grünem Laub und über stillen Tannenspitzen hervorschimmert; ich denke,
das ist mein See, zu dem ich gehen muß, zu dem es mich hinzieht. Auf
welche Weise es mich zieht, und warum es mich zieht, wird der geneigte
Leser selber wissen, wenn er das Interesse hat, meiner Beschreibung
weiter zu folgen, welche sich erlaubt, über Wege, Wiesen, Wald,
Waldbach und Feld zu springen bis an den kleinen See selbst, wo sie
stehen bleibt mit mir, und sich nicht genug über die unerwartete, nur
heimlich geahnte Schönheit desselben verwundern kann. Lassen wir sie
doch in ihrer althergebrachten Überschwenglichkeit selber sprechen: Es
ist eine weiße, weite Stille, die wieder von grüner luftiger Stille
umgrenzt wird; es ist See und umschließender Wald; es ist Himmel, und
zwar so lichtblauer, halbbetrübter Himmel; es ist Wasser, und zwar
so dem Himmel ähnliches Wasser, daß es nur der Himmel und jener nur
blaues Wasser sein kann; es ist süße blaue warme Stille und Morgen;
ein schöner, schöner Morgen. Ich komme zu keinen Worten, obgleich mir
ist, als mache ich schon zu viel Worte. Ich weiß nicht, wovon ich reden
soll; denn es ist alles so schön, so alles der bloßen Schönheit wegen
da. Die Sonne brennt herab vom Himmel in den See, der ganz wie Sonne
wird, in welcher die schläfrigen Schatten des umrahmenden Lebens
leise sich wiegen. Es ist keine Störung da, alles lieblich in der
schärfsten Nähe, in der unbestimmtesten Ferne; alle Farben dieser Welt
spielen zusammen und sind eine entzückte, entzückende Morgenwelt. Ganz
bescheiden ragen die hohen Appenzellerberge in der Weite, sind kein
kalter Mißton, nein, scheinen nur ein hohes fernes verschwommenes Grün
zu sein, welches zu dem Grün gehört, das in aller Umgebung so herrlich,
so sanft ist. O wie sanft, wie still, wie unberührt ist diese Umgebung,
wird durch sie dieser kleine, fast ungenannte See, ist selber also so
still, so sanft, so unberührt. -- Auf eine solche Weise spricht die
Beschreibung, wahrlich: eine begeisterte, hingerissene Beschreibung.
Und was soll ich noch sagen? Ich müßte sprechen wie sie, wenn ich
noch einmal anfangen müßte, denn es ist ganz und gar die Beschreibung
meines Herzens. Auf dem ganzen See sehe ich nur eine Ente, welche hin
und her schwimmt. Schnell ziehe ich meine Kleider aus und tu wie die
Ente; ich schwimme mit größter Fröhlichkeit weit hinaus, bis meine
Brust arbeiten muß, die Arme müde und die Beine steif werden. Welch
eine Lust ist es, sich aus lauter Fröhlichkeit abzuarbeiten! Der eben
beschriebene, mit viel zu wenig Herzlichkeit beschriebene Himmel ist
über mir, und unter mir ist eine süße, stille Tiefe; und ich arbeite
mich mit ängstlicher, beklemmter Brust über der Tiefe wieder ans Land,
wo ich zittere und lache und nicht atmen, fast nicht atmen kann. Das
alte Schloß Greifensee grüßt herüber, aber es ist mir jetzt gar nicht
um die historische Erinnerung zu tun; ich freue mich vielmehr auf einen
Abend, auf eine Nacht, die ich hier am gleichen Ort zubringen werde,
und sinne hin und her, wie es an dem kleinen See sein wird, wenn das
letzte Taglicht über seiner Fläche schwebt, oder wie es sein wird hier,
wenn unzählige Sterne oben schweben -- und ich schwimme wieder hinaus.
--




                            [Illustration]


                             Der Waldbrand

Noch konnte man nichts bemerken, aber mit einem Male stand der ganze
Berg in roten Flammen. Die herrlichen, breitgewachsenen Eichen brannten
wie leichte Zündhölzer herunter, die weißen Felsen liefen schwarz
an von der Glut, die an ihnen hinaufleckte. In der Stadt sahen die
Menschen mit Fernrohren zu dem feurigen Schauspiel hinauf, und im See,
am Fuße des Berges gelegen, spiegelte sich der schreckliche Brand in
wundervollen Farben wider. Unten in den Straßen liefen und schrien
und hüteschwenkten die erregten Bürger. Einzelne mieteten Boote,
fuhren in den See hinaus, um aus gehöriger Entfernung den Anblick zu
genießen, unter diesen Genußmenschen befanden sich junge Dichter und
Maler, sogar ein Musiker war dabei, der die brennende Welt auf sein
tönendes Innenleben wirken ließ. Ob er später einmal eine Symphonie
daraus gemacht hat, ist bis heute noch nicht ermittelt worden. Die
Feuerwehr war natürlich solch einem Naturbrande gegenüber absolut
machtlos; nichtsdestoweniger läuteten die Glocken und hornten die
Hörner und sprangen auf Wagen die Spritzen und deren Bedienung umher.
Die Stadträte waren durch Eilboten oder Telephon und Telegramme zu
einer Sitzung berufen worden. In den stillen, verborgenen Teichen,
die in alten, herrschaftlichen Gärten schlummerten, leuchtete es
und warf Flecken von Brand und Glut hinein, daß ein Mensch, wenn er
vorbeiging, es sehen mußte. Das Glockenläuten wollte absolut nicht
aufhören. Die Flammen da oben schienen die Glocken in Bewegung zu
setzen, immer stärker, immer stürmischer, hin und her, mit Getöse und
Getön, verschiedene Glocken wie eine einzige Übermächtige loslassend;
zu Fenstern, die nie geöffnet wurden, steckte heute eine alte Mannes-
oder Frauensperson, eine treue, von der Welt gar nicht gekannte Magd,
oder ein Herr mit Habichtsnase und schneeweißem Haar den Kopf heraus,
um zu sehen, zu hören und weiß nicht was sonst noch zu machen. Der
unsichtbare, geläufige Schrecken lief durch die Gassen, klopfte
an alte Gartentore, stieg über Mauern und traf die Stirne eines
Fräulein, welches am Fenster stickte; der Schreiner hatte seine Hobeln
aufgesteckt, der Schlosser sein Hämmern, der Schuster sein Klopfen,
der Schneider sein Stechen, der Handlanger auf den Bauplätzen sein
Schaufeln, der Totengräber sein Graben, der Uhrmacher sein Polieren,
der Gelehrte sein Studium, alles hatte einen neuen und einen gleichen
Beruf bekommen, den des bangen Abwartens, wie das enden würde. Aus
den umliegenden, über die Felder und Hügel verstreuten Ortschaften
lief es herbei, ein Gerassel von Beinen, Köpfen und Armen; Fuhrwerke
sprangen, Radfahrer radelten, Weiber schrien, Kinder, die gestoßen
wurden, weinten, fielen um und erhoben sich wieder; am Bahnübergang
gab es eine Stockung von Menschen, Rädern und Schimpfworten, bis der
Eisenbahnzug vorbeifuhr und man durchkonnte. Immer dieses Geläute und
diese schreckliche Röte, als ob irgendwo, in einer räuberischen Ecke,
die Welt angezündet worden wäre, von einem krassen, übernatürlichen
Spitzbuben, von einem Gott; als ob die Glocken ohne die Röte nicht
hätten läuten und schallen können, als ob der Tag, wie ein in zornige
Scham gehülltes Gesicht, mit diesem feurigen Rot unbedingt hätte
überzogen werden müssen. Manchmal sah es wie eine groß angelegte,
dekorative, freskohafte Wandmalerei aus, Feuerbrand darstellend,
bis ein Laut dazu kam, der einen wieder an die plastisch-bewegliche
Wirklichkeit erinnerte. Jetzt wiederum schien es mehr am Himmel als auf
der Erde zu brennen, so sehr hatte das Feuer den Himmel gerötet. Die
untergehende Sonne schien ein mattes Lämpchen dagegen zu sein, nicht
imstande, noch ein einziges Auge an sich zu ziehen. Oftmals hielten
die Hornrufe inne, als müßten sie Atem geschöpft haben, um zu erneuten
Leistungen zu gelangen. Stundenweit, hieß es später in den Zeitungen,
sah man das herrlich-traurige Farbengemälde, und die entfernten
Menschen stießen sich in den fernen Wohnungen, Straßen, Plätzen,
Promenaden und Arbeitsstätten an und sagten: du, sieh, was ist das für
ein Schein, dort in der Ferne? Dann wurde es Nacht, aber niemand wagte,
sich niederzulegen und zu schlafen; die Lampen wurden angezündet in
den Zimmern, und um die Familientische vereinigt saßen Mutter, Vater,
Sohn, Tochter, Bruder, Kind und Schwester und Tante und Schwager, und
sprachen miteinander von der Waldfeuersbrunst und von dem furchtbaren
Schaden, den sie angerichtet hatte. Viele Leute gingen hinauf zu der
weiten, sich über den ganzen, breiten Berg erstreckenden Brandstätte,
die noch zischte und dampfte und knisterte in ihrem Verlöschen.
Andern Tags erblickte jedermann statt des grünen einen schwarzen,
rauchenden Berg, der schöne Wald war verbrannt, alle die heimlichen
Lustplätze, das Moos über dem hohen Felsen, das Dickicht der Pflanzen
und Sträucher, die hohen Tannen und Eichen mit ihren Armen voll grünen,
süßen Laubes, alles das ist ein jammervoller Anblick gewesen und
der materielle Schaden ein beinahe tödlich verwundender. Man ist nie
dahintergekommen, wer den Brand verursachte, aber man vermutet, es
seien Schuljungens gewesen, die sich mit allerhand Feuerzeug von jeher
gern im Wald herumgetrieben haben. Ein Maler hat davon ein Gemälde
gemacht, er heißt Hans Kunz, ist ein Trunkenbold und ein Verächter
aller guten und wohlgefälligen Sitten. Das Bild wird im Rathaussaal
aufgehängt werden, zum fortdauernden Andenken an das große, Wald-,
Berg- und Gemeindeunglück.




                            [Illustration]


                               Der Park

Wachehabende Soldaten sitzen auf einer Bank neben dem Portal, ich
trete ein, zu Boden gefallene, dürre Blätter fliegen und wirbeln und
rollen und rühren mir entgegen. Das ist ungemein lustig und zugleich
gedankenvoll; das Lebhafte ist immer gedankenvoller als das Tote und
Traurige. Parkluft grüßt mich; die vielen tausend grünen Blätter der
hochaufragenden Bäume sind Lippen, die mir guten Tag sagen: Auch schon
aufgestanden? In der Tat ja, ich wundere mich selber. So ein Park, das
ist wie ein weites, stilles, abgesondertes Zimmer. Übrigens ist es in
einem Park eigentlich immer Sonntag, denn es ist immer ein bißchen
wehmütig, und das Wehmütige erinnert lebhaft an zu Hause, und Sonntage
hat es ja eigentlich nur zu Hause gegeben, wo man ein Kind gewesen
ist. Etwas Elterliches und Kindliches haben Sonntage. Ich gehe weiter
unter den hohen, schönen Bäumen, wie das leise und freundlich rauscht,
ein Mädchen sitzt allein auf einer Bank, sticht mit dem Sonnenschirm
in den Boden, hält den hübschen Kopf gesenkt und ist in Gedanken
versunken. Was mag sie denken? Will sie eine Bekanntschaft machen?
Eine lange, hellgrüne Allee tut sich auf, einzelne Menschen begegnen
mir, die Bänke sind indessen ziemlich spärlich besetzt. Wie die Sonne
so scheinen mag, so für gar nichts. Sie küßt die Bäume und das Wasser
des künstlich angelegten Sees, ich betrachte ein altes Geländer und
lache, weil es mir gefällt. Heutzutage ist es Mode geworden, vor alten
eisernen Geländern stehen zu bleiben und deren solide, zierliche Arbeit
zu bewundern, was ein bißchen dumm ist. Weiter. Ein Bekannter steht
plötzlich vor mir, es ist Kutsch, der Schriftsteller, er erkennt mich
nicht, während ich ihn doch freundlich grüße. Was hat er? Übrigens
hatte ich immer geglaubt, er sei in die afrikanischen Kolonien
gegangen. Ich eile auf ihn zu, da verschwindet er mit einem Male;
tatsächlich, es ist nur eine alberne Einbildung von mir gewesen, der
Platz unter der hohen Eiche, wo ich ihn zu sehen glaubte, ist leer.
Eine Brücke! Wie das Wasser unter der Sonne glitzert und schimmert,
so zauberhaft. Aber es fährt hier niemand im Kahn, das gibt dem See
etwas Verschlafenes, es ist, als ob er nur gemalt daläge. Junge Leute
kommen. Merkwürdig, wie man sich an solch einem Sonntagvormittag in
die Augen schaut, als ob man sich gegenseitig etwas zu sagen hätte,
aber man hat sich nicht das geringste zu sagen, sagt man sich. Ein
kleines, entzückend schlankgebautes Schloß ragt vor mir zwischen Bäumen
in die weißlich-blaue Luft. Wer mag hier gewohnt haben? Vielleicht
eine Mätresse, ich hoffe es, der Gedanke ist anziehend. Hier mag
es einstmals von hohen und höchsten Herrschaften gewimmelt haben,
Droschken und Kaleschen und Diener in grünen und blauen Livreen. Wie
verlassen und vernachlässigt jetzt das edle Gebäude aussieht! Gottlob
beachtet man es nicht, denn wenn der Baumeister käme und es mit
Hilfe einer Gelehrtenbrille renovierte, man gestatte mir, diese Idee
unabgewogen hinunterzuschlucken. Was ist aus uns Volk geworden, daß
wir das Schöne nur noch in Träumen besitzen dürfen. Eine alte Frau und
ein alter Mann sitzen da, ich gehe vorüber, auch an einem lesenden
Mädchen gehe ich vorüber, es geht nicht gut an, ein Liebesabenteuer
mit den Worten anzufangen: Was lesen Sie da, Fräulein. Ich gehe
ziemlich rasch und plötzlich bleibe ich stehen: Wie schön und still
ist so ein Park, er versetzt einen in die abgelegenste Landschaft, man
ist in England oder in Schlesien, man ist Gutsherr und gar nichts. Am
schönsten ist es, wenn man scheinbar das Schöne gar nicht empfindet
und nur so ist wie anderes auch ist. Ich blicke ein wenig zum stillen,
halb grünen Fluß hinunter. Übrigens ist ja alles so grün, und grau,
das ist eigentlich eine Farbe zum Schlafen, zum die Augen zudrücken.
In der Ferne, von Blättern umschlossen, sieht man das bläuliche Kleid
einer sitzenden Dame. Zigaretten darf man hier auch nicht rauchen,
ein Mädchen lacht hell auf, sie geht zwischen zwei jungen Herren, von
denen der eine sie umschlungen hält. Wieder eine Aussicht in eine
Allee, wie schön, wie still, wie merkwürdig. Eine alte Dame kommt auf
mich zu, das feine, blasse Gesicht von Schwarz umrahmt, diese alten,
klugen Augen. Offen gestanden, ich finde es prachtvoll, wenn eine
vereinzelte alte Dame durch eine grüne Allee geht. Ich gelange zu einer
Blumen- und Gewächsanlage, wo auf einer hübschen Bank im Schatten ein
Jude sitzt. Hätte es vielleicht ein Germane sein sollen, würde das
besser gewesen sein? Eine kleine Statue steht mitten unter Blumen,
es ist eine kreisrunde Anlage, ich gehe langsam rund herum, da kommt
wieder das lesende Mädchen, es liest jetzt gehend, es lernt halblaut
französisch. Diese wundervolle Langeweile, die in allem ist, diese
sonnige Zurückgezogenheit, diese Halbheit und Schläfrigkeit unter Grün,
diese Melancholie, diese Beine, wem seine, meine? Ja. Ich bin zu faul,
Beobachtungen zu machen, sehe auf meine Beine herab und marschiere
weiter. Ich sage ja, Sonntage gibt es nur an Familientischen und auf
Familienspaziergängen. Der erwachsene, einzelstehende Mensch ist dieses
Vergnügens beraubt, er kann, wie Kutsch, jede Stunde nach Afrika
abdampfen. Überhaupt, welch ein Verlust, fünfundzwanzig Jahre alt
geworden zu sein. Es gibt anderes dafür, aber von diesem anderen mag
ich jetzt nichts wissen. Ich bin jetzt auf der Straße und rauche und
trete in eine bürgerliche Kneipe ein, und hier bin ich auch sogleich
Herr der Umgebung. Schöner Park, schöner Park, denke ich da.




                            [Illustration]


                               Illusion

Ich besaß doch wenigstens eine Landkarte, sie hing an der Wand
meines Schreibzimmers, und da konnte ich, soviel ich Lust hatte,
mit der Nasen- oder Fingerspitze in der weiten Welt umherreisen.
Das große weitschweifige Rußland entzückte mich schon als Körper.
Mitten in diesem mächtigen Körper lag ganz wie ein fester, schöner,
ehrlicher Mittelpunkt in einer Mitte die Stadt Moskau, die der
Schnee versilberte. Schlitten, ganz kleine und zierliche, flogen, von
munteren Pferden gezogen, im Schnee durch die merkwürdigen Straßen
dahin. Herrlich strahlten, als es begann dunkel zu werden, aus den
Fenstern der fürstlichen Paläste die Lichter, und herrlich war es,
zu sehen, wie aus manchem Fenster sich anscheinend süße und schöne
Frauengestalten hervorbeugten. Lieder, uralte russische Lieder, von
der nationalen Wehmut verzaubert, tönten mir bestrickend nach. Ich
trat in ein Vergnügungshaus hinein, und da konnte ich ihnen in die
Augen schauen, den stolzen russischen Frauen. Sie lächelten, aber
unnennbar verächtlich, so als liebten sie dieses Leben und verschmähten
es gleichzeitig. Wundervolle Tänze wurden aufgeführt, feenhaft schöne
Malereien schmückten die Wände der Säle von oben bis unten. Unedles
erblickte ich fast gar nichts, sei es, daß mir die Augen überliefen
vom sichtbaren und unsichtbaren Entzücken, sei es, daß mich das
Vorurteil, alles schön zu finden, beseelte. Ich setzte mich an einen
der reichgedeckten Tische und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
Weine wurden mir kredenzt von großen, mützenbedeckten Leuten; da
schritt eine Frau, Dame vom Wirbel bis zur Sohle, auf mich zu, und da
sie sich vom Anstand, den ich, beglückt wie ich war, zur Schau trug,
überzeugte, setzte sie sich unter einer artigen, unaussprechlich
anmutvollen Verbeugung zu mir an den Tisch und befahl mir in der
Sprache, die jeder Liebende versteht, ihr ein Glas Wein einzuschenken.
Sie nippte am Glas wie ein Eichhörnchen. Im Verlauf unserer
Unterhaltung, sonderbar, ich verstand mit einemmal gut Russisch, bat
ich sie, mir die Hand zum Kuß darreichen zu wollen. Sie ließ sie mir
und mich durchrieselten Wonnen, als ich meine Lippen auf dieses blasse,
süße, schneereine und weiße Wunder drücken durfte, mir war es, als
sauge ich einen neuen Glauben an Gott ein durch die Berührung und
Bewegung, der ich mich mit Seelengewalt und -lust hingab. Sie lächelte
und nannte mich einen netten Menschen. Und dann, und dann, weh mir
Elendem, verschwand das alles und ich saß wieder im schriftstellernden,
gedankenvollen Zimmer. Neue Ideen strömten auf mich ein, es war mir,
als müsse ich Felsblöcke fortwälzen. Es war schon Nachmitternacht
geworden, ich trat, umnebelt von Einbildungen, ans offene kalte Fenster
und überließ mich dem Anblick der überwältigenden Stille.




                            [Illustration]


                             Theaterbrand

Es war damals eine eigentümliche Zeit. Man muß über die Einzelheiten
der damaligen sozialen Weltordnung schweigen, weil man darüber in
zu großen Zorn geraten müßte. Eine unerhörte Verschwendungs- und
Genußsucht, ein Luxus ohnegleichen herrschte, wo man auch hinkam. Die
Persönlichkeit galt alles. Der Kühnheit und dem Ehrgeiz war alles
gestattet. Der Geldsack schrieb die Gesetze vor. Trotz dem Elend, in
dem die Armen lebten, gab es entsetzlich viel Menschen, derart, daß
auf einzelne Menschenleben nicht das geringste Gewicht gelegt wurde.
Eine Polizei gab es damals ebensowenig wie eine Kirche; der Mörder
konnte ungestraft morden, der Dieb stehlen, der Ungläubige spotten,
der Starke triumphieren, die Kraft beleidigen, wann und wo und wen sie
wollte. Der Degen oder die Pistole in der Hand war die einzige Waffe,
Ungebühr abzuwehren. Dazumal mußte sich jeder einzelne selber wehren
und Recht und Billigkeit verschaffen. Etwas allerdings besaß diese
schreckliche Epoche: ein glänzendes Theater. Die Schauspieler glichen
edlen, gewandten Rittern von Geblüt, so vortreffliche Manieren besaßen
sie und mit soviel ausgesuchter Feinheit wußten sie sich auf der Bühne
zu bewegen. Auch was die Sprache betrifft, waren sie erlesene und
gut erprobte Meister. Malerei und Dichtung blühten in der üppigsten
Weise trotz den Gefahren des Alltags; ja man möchte sagen, daß diese
edlen Blumen vielleicht gerade um der Schutzlosigkeit willen, welcher
sie ausgesetzt waren, zu so unübertroffen schönen Blüten und Düften
gelangten. Und erst die Baukunst. Die Städte glichen zu jenen Zeiten
architektonischen Märchen. Entzückend luftig wölbten sich die schlanken
Brücken über die zahlreichen tiefen Kanäle. Die hohen Fassaden der
Häuser trotzten einen stolzen, schlimmen, aber schönen Geist aus. Wie
gesagt. Na ja.

Eines Nachts, es wird so gegen zehn Uhr gewesen sein, brach in einem
der zahlreichen Theater der Hauptstadt jenes von uns modernen Menschen
gottlob weit entfernten und in die Zeiten zurückversunkenen Reiches
Feuer aus. Hallo, Feuer! so tönte plötzlich ein Schreckensruf. Das
Theater war dick voll von Zuschauern, gespickt und geschlagen voll
bis hoch oben. Die Galerien erst, die sogenannten Flöhböden, glichen
einem wimmelnden Ameisenhaufen. Kopf an Kopf, Atem an Atem, Gesicht an
Gesicht saßen dort oben die Menschen aus den unteren Volksschichten.
In den Logen saßen Prinzen und Prinzessinnen aus fürstlichen Häusern,
prachtvolle, steinkalt scheinende Menschenfiguren. Auch Geldleute,
die nirgends fehlen, wo die anmutige Vornehmheit sich zeigt, waren
anwesend, mit dito Gemahlinnen mit flach abgezeichneten, weit
vorragenden, Wohlleben ausstrahlenden Brüsten. Diamanten blitzten an
Hälsen, Perlen an nackten Armen, und die schmiegsamen, ringgeschmückten
Hände hielten einen Fächer, ein Spitzentuch oder ein Glas zwischen
den Fingern. In der Mitte der Theaterdecke hing ein herrlicher
Kronleuchter, blendendes Licht ausstreuend, nieder. Das Orchester
spielte. Solche Menschen, die sich an den Darbietungen der Bühne satt
geschaut hatten, promenierten in den Gängen hin und her, lustig und
nachdenklich, geziert und schön, getragen und einfach, in jeder Tonart,
in allen nur erdenklichen Schrittarten. Aber Feuer, Feuer! Kein Mensch
kümmert sich jetzt um Tonarten.

Zu jenen liederlichen Zeiten gab es kaum eine Feuerwehr, aber absolut
keine Brandvorsichtsmaßregeln. Zuerst schlug die Flamme, als wäre es
ein ergötzliches Schauspiel gewesen, zum Bühnenraum heraus. Einige
wollten schon in die Hände klatschen und bravo rufen, aber jetzt
merkten sie plötzlich, sei es an der Blässe nachbarlicher Gesichter,
sei es an irgendeiner unhörbaren Schreckensstimme, die nicht das Ohr,
sondern die Seele zu vernehmen pflegt, daß es eine ernsthafte Flamme
war, die da hervorsprang, ein Tier, ein furchtbares, mit dem nicht zu
spaßen war. Auch jetzt gab es aber noch etliche, die nichts von dem
Tiger wußten, der da urplötzlich geboren worden und zum Herrscher des
Theaterabends geworden war. Die Schauspieler, die gerade spielten,
schrien laut auf und flüchteten vom Kunstfeld weg, und nun schrie auch
das Publikum. Auf den Galerien erhob sich eine neue Art Untier: die
Angst. Jede neue Minute schien jetzt irgendein neues Ungeheuer gebären
zu wollen. In einer der Logen, die der Adel besetzte, stand an eine
goldene Säule gelehnt Ritter Josef Wirsich, einer jener Edelleute, die
dem sichern Tod pflegen ruhig ins Auge zu sehen. Dieser furchtbare
Mensch verzog keine Miene, keinen Zug, keine Muskel seines stahlharten
Gesichtes. Er schaute gleichgültig auf ins Furchtbare, das jetzt
geschah, und blieb unbeweglich.

Man muß nicht glauben, daß es zu den damaligen Zeiten eiserne
Schutzvorhänge, Rolladen oder derartiges gab. Nein, jenes Geschlecht
hatte für solche oder ähnliche Dinge kein Verständnis. Und nun das neue
Tier, das da eben aufstund: der panische Schrecken! Jetzt, Mensch,
verzweifle an den Künsten deiner Kultur. Es gab jetzt einige ganz
Kopflose, Verstürmte und Verzweifelte, die sich, da sie keine Rettung
mehr sahen, von der Galerie mit dem unsinnigen Kopf voran in die
Tiefe des Theaterraumes stürzten, auf Leute, die dort unten stehen
und warten mußten, herab, auf Frauen herab, die verzweiflungsvoll und
herzenzerreißend schrien, auf Knaben, die zum erstenmal in ihrem Leben
ins Theater gehen durften. Das Verderben nahm ebenso grauenhafte wie
geradezu lächerliche Gebärden an. Zwei oder drei Menschen wurden durch
den Ton der grausigen Angstschreie vorzeitig getötet. Der Tod verzerrte
sein Gesicht sowohl zu den komischsten wie zu den traurigsten Fratzen.
Aber Josef Wirsich, der typische Mensch jener Epoche, stand auch jetzt
noch, als ob er ein schicksalwendender Gott gewesen wäre, unbeweglich.

Es waren auch Kinder im Theater. Man erbebe nicht, man versetze sich
ins Zeitalter und man wird nicht weinen beim Tod eines unschuldigen
Kindes. Man versetze sich in beides: ins Zeitalter und in den
Unglücksmoment, und man wird eine Furchtbarkeit, die jetzt beginnt,
um sich zu greifen, nicht allzu entsetzlich finden. Mütter zertraten
ihre eigenen lieblichen Blüten; Männer rissen Kindern ganze Büschel
Haare aus, und es gab ein schönes kleines Mädchen, dem mit Füßen ins
Augenlicht getreten wurde. Ein Kampf entstand, wie ihn die späteren
Kulturen vielleicht nie wieder inmitten des alltäglichen Lebens erlebt
haben. Frauen wurden an Säulen und Geländern erdrückt, und unterdessen
fingen auch die Menschen an zu brennen, zu brennen, wie Papier brennt.
Aber was fürchterlicher brannte als Frauen, das war der erstickende
innerliche Jubel, der die Geretteten zu zerfressen drohte, als sie sich
gruppenweise draußen in der Kälte und im winterlichen Frost befanden,
wo sie sich zu dritt und zu viert, einander schlagend vor Freude, in
den knirschenden Schnee warfen. Viele wurden irrsinnig.

Hunderte von Geängstigten warfen sich zu den Fenstern des ersten,
zweiten und dritten Stockwerkes blindlings hinaus, auf den harten
Schnee hinunter, wo sie mit zerschmetterten Gliedmaßen liegen
blieben. Einige von denen, die derart hinaussprangen, hatten feurige
Flügel, ihre Köpfe brannten oder ihre Hände, und sie sahen wie
merkwürdige Vögel aus, die schreien aber nicht fliegen konnten.
Hundert Menschen lagen im Treppenhaus auf einen rauchenden, verkohlte
Äste emporstreckenden Haufen zusammengehäuft. Durch einen von diesen
Leichenhaufen arbeitete sich Wirsich hindurch, es gelang ihm, er fing
an zu brennen, er verstand das Feuer zu ersticken, er schlug links
und rechts mit seinen furchtbaren Kräften aus, er wollte leben, es
kam ihm plötzlich der Gedanke, er müsse leben, und er kam lebendig
aus dem Rachen des Todes heraus. An der frischen Luft angelangt, gab
es ein Rettungswerk für ihn. Er fing mit seinen eisenstarken Armen zu
Fenstern herausstürzende Menschen auf. Die Haut seines Gesichtes und
seiner Hände hing ihm in schwarzen Fetzen herunter, und dieser Mensch
fand den Mut, nachdem er die Brandstätte verlassen hatte, zu seiner
Freundin, der Gräfin Nidau zu gehen, die gerade zu dieser Stunde eines
ihrer berühmten Gastmähler gab. Er trat dort ein, man schrie auf bei
seinem Anblick, und er lachte und bat, indem er seiner Herrin mit
seiner verbrannten Lippe die Hand küßte, um die Erlaubnis, seinen Durst
löschen und ein Glas Wein trinken zu dürfen.




                            [Illustration]


                              Kerkerszene

Maria Stuart: Wie hübsch du bist, Mortimer. Und so jung. Du lernst
die Königin von Schottland spät kennen. Nein, schweige. Sage nichts.
Ich weiß ja so gut, was du mir sagen willst, aber ich weiß noch mehr:
ich weiß, daß du mich liebst, und das kannst du nicht sagen, das
zeigst du. Welche schönen Augen; du hast die unschuldigen Augen eines
schüchternen Rehes, Mortimer. Wie du die Hand da küssest. Sauge! Dein
Mund betet an meiner Hand. Du bist an die rechte Frau gekommen, sie
ist gewohnt, daß man sie anbetet. Sie liebt das jedesmal neu. Meine
Hand liebt dich, Junge. Willst du kein Junge sein, schmollst du, du
machst mir so sonderbare Lippen. Wenn ich zu dir sage: Knabe! so bist
du Marias Mann, und das ist ein Knabe. Ich entfeßle die Männer von
allen Verpflichtungen. Sie lieben mich, das ist ihre einzige Stärke.
Willst du den Degen zücken und Verschwörungen anzetteln? Laß das, ich
hasse diese Art akademischer Tapferkeit, das hast du in Rom gelernt, du
mußt wissen, das imponiert mir gar nicht. Wenn man so reizend aussieht
wie du, darf man nicht wollen in der Welt eine Rolle spielen. Lerne
kühn sein zu meinen Füßen. Deine Befreiungspläne hassen mich, aber der
Schwung deiner Lippen liebt mich und befreit mich aus dem Kerker. Gib
mir ihn, gib Küsse. Dein Mund ist dein Sarg. Schau diese Hand an. Wie
schmeckt dir der Hauch? Angeworfen an den Duft dieser Hände stirbst du
eines Tages. Dein letztes Röcheln, wenn du blutüberströmt, wie deine
beneidenswerten Vorgänger, am Boden liegst, wird mir noch Dank sagen.
Sieh zu, daß es nicht soweit kommt, ich wünsche es nicht, aber gib
her, noch einmal! Nicht so stürmisch. Du kostest zu wenig! Knabe, du
bist verworfen, merke dir das. Dein rascher Untergang steht dir auf
der Stirn geschrieben. Sei behutsam. Nicht, nicht so. Lerne in die
Wollust die Ehrfurcht zwängen. Laß uns stumme Musik machen, laß uns die
Königin von England entthronen. Knie nieder. Bette dich mit dem Kopf in
meinen Schoß. So. O, die Pracht dieses Palastes, die Unversiegbarkeit
dieses Herrschertums! Ich bin schön, ich empfinde es. Du bist reizend,
Mortimer, weil du mich meine Königreiche empfinden machst. Dank.
Wie süß es ist, dir durchs Haar zu streichen. Deine schwarzen Locken
brennen. Deine vor mir niederstürzende Liebe wirft Elisabeth in
Verzweiflung. Was tust du? Suchst du Gott? Da wirst du nie an ein
Ende kommen. Laß es lieber. Da? Tu's nicht. Ich möchte deiner Wonne
die Spitze nicht biegen. Was für Glieder du hast, und dein Nacken. Es
ist mir, als habe er Augen und sähe mich durstig an. Ich verstehe es,
Durst zu entflammen. Was kann sie mir rauben, die englische Willkür?
Die Freiheit? Nichts mir Unpassenderes. Das Glück? Es liegt mir zu
Füßen. Die Machtentfaltung? Ich spüre die höchste. Die Ruhe? Ich werde
geliebt. Das Frauentum? Es feiert Triumphe. Sieh mich an, Mortimer.
Steh auf, geh jetzt. Du willst nicht? Ich mag es dir nicht befehlen.
Deine Wünsche und Lüste umflattern mich wie gezähmte Tauben. Ich ströme
Zwang aus, weil ich so viel Wildheit ausströme. Meine Zartheit geht
noch über meine Schönheit. Du lächelst. Ich wünsche, du stürbest
jetzt. Ich kann die Gnade vergrößern, aber nicht noch versüßen. Laß uns
jetzt still sein. Laß uns thronen im Nichts-mehr-Empfinden.




                            [Illustration]


                            Lustspielabend

Ich saß auf der Galerie des Lustspielhauses zu Z..., das
halbausgetrunkene Bierglas neben mir, den Zigarrenstengel zwischen den
Zähnen, neben Studentinnen, Arbeitern und dicken Weibsbildern. Die
Luft war schon fast zum Ersticken. Die gipsenen Engel am Plafond des
Theaters schienen zu schmachten und zu schwitzen. Ab und zu beugte
ich mich über die Brüstung herunter, um zu sehen, was unten los sei.
Dort unten saßen an Tischen, dick ineinandergedrängt, junge bessere
Leute, Korrespondenten aus Bankhäusern, Studenten mit noblen Schmissen
in den Stehkragengesichtern, ältere, feine Herren, die das Leben
lieben, und Damen aus anscheinend guter Familie. Auf dem Balkonrang in
rotsamtnen Sesseln saß die ganz gute Welt, ich glaubte einige mehr oder
weniger ehrwürdige Literaten unterscheiden zu können, unter anderen
einen Redakteur, einen Kerl, der sonst immer mit »belletristischen
Spaziergängen« aufrückte. Ich kannte ihn ein bißchen. Er sah einem
guten braven Schweinemetzger ähnlich, mochte aber trotzdem zu den
Feineren zählen. Prachtvolle Damenhüte gab es da, und edle, lange, an
den Arm angepreßte Handschuhe bis über die üppigen, biegsamen Ellbogen
hinaus. In der Mitte der Saaldecke hing ein Kronleuchter herunter und
warf strahlendes Licht auf die Menschen. Da donnerte einer mit kurzen,
harten Schlägen auf das Klavier, daß es wie eine mächtig-klangvolle
Orgel erbrauste. Der Klavierspieler hatte lange, schwarze, wellige
Locken auf dem Kopf und ein schönes Profil am Gesicht. Es kostete
nichts, es dürfen betrachtet zu haben. Das herrliche Klavierspiel war
der unsichtbare, großbeflügelte, ernste Engel, der mit seinem Gefieder
leise an die Sinne der Zuschauer und Zuhörer anschlug. Und dann ging
der Vorhang in die Höhe, und das Lustspiel wurde abgehaspelt, als ob
es ein Strang Baumwolle gewesen wäre, zwischen zwei Hände gestreckt,
daß man es abwinde. Es wurde milliönisch flott gespielt. Der Direktor
selber spielte die Hauptrolle. Während der Pausen versank ich jedesmal
in tönende Träumereien. Es war mir, als wären die nackten, kühnen,
steinernen Figuren zu beiden Seiten der Bühne auf ihren Postamenten
lebendig geworden. Eigentlich müßte das alles überflüssig gewesen
sein. Das Klavier spritzte mich immer mit Tönen an, hol's der Teufel,
ich sah die schlanken Hände des Schlägers und Spielers auf den weißen
Tasten auf- und niedertanzen, ich hätte mit dem größten Vergnügen
eine halbstündige Pause gehabt. Unter mir, auf dem Balkon, putzte sich
eine ältere Dame mit ihrem rasend bespitzten Taschentuch die Nase. Ich
fand alles schön und unendlich zauberhaft. Die Kellner fragten, ob
Bier gefällig sei. Diese schnurrige Frage kam mir so sonderbar vor.
Was waren das für Menschen, die derart an die Leute herantreten und
fragen konnten, ob man wünsche, etwas zu trinken? Einer der Kellner
hatte ein reines, borstiges Schnurrbartgesicht, man sah nur den großen,
gewichsten Schnurrbart und dazwischen ein Paar große, dunkelglühende
Augen. Sie schimmerten wie Lichter aus einem Waldesdunkel heraus. Ein
anderer war bartlos und krankhaft blaß und elend mager im Gesicht,
daß ihm die Backenknochen wie Klippen eines Felsenufers vorsprangen.
Diesem nahm ich ein Glas Bier ab, bezahlte sofort und steckte mir einen
neuen Zigarrenstumpen in den Mund. Da warf mir das Klavier eine neue,
machtvolle Welle ins Gesicht, an die Brust, in die Rockärmel hinein,
daß ich glaubte, mich nach einem Handtuch umschauen zu müssen, um
mich abtrocknen zu können. Aber die Strahlen des gelblichschimmernden
Kronleuchters hatten das schon besorgt, ich brauchte keine Angst zu
haben. Da gab es wieder Momente in der Pause, wo ich meinte, meine
beiden Augen seien lange, dünne Stangen geworden und hätten die Hand
einer der unter mir sitzenden Damen berühren können. Aber sie schien
nichts zu merken, sie ließ mich machen, und was ich tat, war doch so
unverschämt. Dicht neben mir saß ein herrschaftliches Dienstmädchen,
ein lieb aussehendes, kleines, zierliches Ding, ich fragte sie, wie
sie heiße, sie sagte es leise. Eigentlich sagte sie es mir mehr mit
den Augen und mit ihren beiden, hochrotglühenden Wangen, als mit dem
Mund. Sie hieß Anna. Ich bestellte ihr ein Glas Bier und blies ihr
Rauch ins Gesicht, um sie lachen zu machen. Wie ihre Augen schwarz
und feucht glänzten, es war, als schimmerten zwei kleine Kügelchen
aus schwarzem Silber. Unten auf dem Balkon saß die Baronin Anna von
Wertenschlag, auch eine Anna, aber eine ganz, ganz andere. Von dem Hut
der Baronin fielen lange, geschweifte Federn rückwärts wie sterbende
Vögel. Sie zitterten, als ob sie ein leises, unsagbares, menschliches
Weh empfunden hätten. Die Frau saß in einem tiefschwarzen Kleid, das
gegen unten mächtig gebogen und gebauscht war, Platz für dreie oder
viere einnehmend, zwischen zwei jungen, aber, wie es den Anschein
hatte, wenig gefährlichen Kavalieren. Sie schien in Gedanken versunken.
Da ging der Vorhang wieder auf, und das lustige, kammerzöfliche Stück
lispelte weiter. Auf der Bühne geschah es, daß eine reich gewordene
Bürgersfrau einer armen Adligen die vornehm ausgestreckte, lässig
dargehaltene Hand küssen mußte, weil es die althergebrachte, schöne
Sitte erforderte. Nachher aber, wie die Dame von Stand verschwunden
war, spottete die Bürgerliche, und gewiß nicht ohne Berechtigung, und
spuckte verächtlich auf den Teppich des gräflichen Empfangzimmers
aus. Dieses Benehmen erweckte von der Galerie herab ein stürmisches,
Sympathie kundgebendes Gelächter. Einer schrie sogar Bravo, das mochte
ein adelsfeindlicher Republikaner gewesen sein. Von den unteren
Regionen kehrte sich manches Gesicht erstaunt und ein wenig ärgerlich
nach oben, zu sehen, wer der Pöbelianer sei, dessen Beifall ein so
wenig passender und so überlauter war. Aber die Untensitzenden sollten
ihren Ärger denn doch lieber ein wenig zurückgehalten haben, denn schon
der nächste Augenblick bewies, daß es auch unter ihnen Pöbelhelden gab.
Der Direktor als Ehegatte trat auf, da schmeißt einer der fabelhaft
gut angezogenen Studenten, der mit seiner Nase beinahe an die Rampe
anstößt, irgendeinen Witz auf die Bühne. Es wird gelacht, und es wird
freundlichst angenommen, den Künstler werde es zu einem höflichen
Mitlächeln zwingen. Davon aber war keine Spur, der Direktor, mit der
Zornesröte im Gesicht und mit dem Zittern des heftigsten Unwillens in
der Stimme, wandte sich mit folgender, von verachtungsvollen Gebärden
begleiteter Ansprache an das Publikum:

Meine Damen und Herren (was will er, was hat er, was ist hier unten?
dachten wir erhöhten Galeriemenschen). Sie haben soeben gehört, wie
man mich beleidigt hat. Wäre es einesteils nicht eine Bande von
unreifen Buben (die ganze Galerie streckte die Hälse vor), und wären es
andernteils nicht respektgebietende Menschen, die ich da, Kopf an Kopf,
vor mir sehe, beim Erdenhimmel, ich wollte nicht daran denken, daß ich
ein Tiger sei, nein, ich wollte als Mensch in die Rotte hineinspringen,
um sie, der ganzen elendiglichen Reihe nach, in die unterste Hölle
hinunterzuohrfeigen. Ich habe vieles gesehen und vieles in meinem
Künstlerberuf erduldet, wenn mich aber, der ich nun, ein alternder
Mann, bald an das Ende meiner Laufbahn angelangt bin, ein junger Affe
anspuckt -- Verzeihung ...

Und er spielte weiter. Nie wieder in meinem späteren Leben habe ich
noch einmal solch eine prachtvoll-seelenvolle Zurückdrängung der
persönlichen Wut gesehen. Im ganzen Theater war es pips-mäuschenstill
geworden. Ich hätte darauf schwören mögen, die Herzen der Zuschauer
pochen gehört zu haben. Nach und nach vergaßen alle den unfeinen
Auftritt. Der fragliche Student schien sich erhoben und geräuschlos
aus dem Staube gemacht zu haben, wozu er gewiß alle nur denkbare
Veranlassung hatte. Annas Brust hatte sich auf- und niedergehoben
vor Erregung, jetzt lächelte sie. Das Stück war so friedlich, so
wiänerisch, gutes, altes, solides Fabrikat. Es spickte wie aus
Spickröhrchen eine Anzahl junger Mädchen aufs Tapet, die alle einen
Mann haben wollten und schließlich, das ahnte man schon, auch einen
kriegen würden. Schneidige Bureaulisten scheichelten in Sommerhüten,
mit Spazierstöcken bewaffnet, umher und hatten so zuckersüße Manieren
und so gewählte Worte. Ein Husar in angespannten Hosen und herrlichen
Stiefeln machte viel Wesens von sich. Bald war es ein Garten, bald ein
ärmliches Zimmer, bald eine Landstraße, bald ein hochherrschaftliches
Kabinett, worin gespielt wurde. Um ihm Achtung zu bezeigen, überwarf
man den Direktor mit Beifall, das war natürlich dumm und ein wenig roh,
und doch dürfte es dem Mimen geschmeichelt haben. Diese Leute wissen
ja schließlich zu unterscheiden und haben dabei ihre eigenen Gedanken.
Dann gab es wieder eine Pause, und wieder bekam ich eins über den
Schädel von der Musik, daß ich ganz wie von selber den Mund auftat, um
hinzuhorchen. Anna, das Dienstmädchen, plauderte von den Gewohnheiten
ihrer Herrschaft, wobei sie natürlich die Lächerlichkeiten bevorzugte,
ich hörte ganz der Musik zu und dazwischen noch halb und halb dem
Geplauder. Die Hitze kam wieder, um sich an den Stirnen und unter den
Achseln beklemmend anzumelden. Die Kellner sammelten die Biergläser
ein, ziemlich unwirsch, und unten um die breitröckige Anna von
Wertenschlag herum säuselten und scharwenzelten und tanzschrittelten
sie, die Halunken, die wohl wußten, wo's etwa Trinkgelder geben
mochte. Die ganze Galerie schwitzte, kochte, dampfte und dunstete. Die
dicken Weibsbilder klebten bereits mit ihren Röcken und Unterröcken an
den braunlackierten Klappstühlen an, sie sagten es sich und schrien
vor Schreck und Genugtuung. Viele wischten sich den Schweiß von der
Stirn ab. Anna von Wertenschlag hob den Kopf in die von Gesichtern
gesprenkelte Höhe. Welche wundervollen Augen! Dann kam der letzte Akt,
und dann ging es nach Hause. Während des Hinaustretens spielte noch
einmal der Klaviermann. Die Treppen erbebten unter den hinabpolternden
Schritten. Welle auf Welle floß es mir nach, so schön, so groß und
so melodiös gute Nacht und auf baldiges Wiedersehen sagend. Draußen
regnete es. Die Baronin stieg in den Wagen, und die Kutsche rollte
davon.




                            [Illustration]


                             Katzentheater

                           Ein Schlafzimmer

Es ist Mitternacht vorüber. In einem Bett schläft Muschi, ein
kohlrabenschwarzes Kätzchen, in schneeweißen, spitzenbehangenen
Kissen. Wie das kleine Kinder zu tun pflegen, schläft Muschi mit
offenem Mündchen. Eine ihrer Pfoten hat sie unter den Kopf gelegt,
während die andere über den Bettrand herunterhängt. Es sind niedliche
kleine Pfoten. Im Zimmer ist es zauberhaft still, und es entströmt
ihm ein eigener Duft, ähnlich dem Duft einer Kinderküche, in der
gerade etwas ganz Köstlich-Süßes gebacken und gebraten wird. Auch
etwas Prinzeßhaftes duftet daraus hervor in den Zuschauerraum. Auf
einem Nachttischchen brennt ein winziges Nachtlicht, einer züngelnden
Kirschblüte ähnlich, und verbreitet einen milden, rötlichen Schein
gegen das Bett zu. Muschi träumt, man merkt das, denn sie zuckt
manchmal mit der Pfote und blinzelt ein wenig mit den Augendeckeln.
Die Fenster des Zimmers sind von entzückend saubern Gardinen und
Umhängen dicht, wie von Schnee, umrahmt. Auch das hat etwas entschieden
Kleinkinderhaftes und Blütenartiges. Tisch, Kommode, Sessel und
Kleiderschrank sind angenehm und absolut ungezwungen im Raum verteilt.
Muschis Kleider liegen neben der Schlafenden auf einem Stuhl. Auf
einmal geht eine der Gardinen auseinander, und ein Räuber, das heißt,
ein großer Kater als Räuberhauptmann verkleidet, steigt geräuschlos
und sich vorsichtig nach allen Seiten umwendend, zum Fenster hinein.
Er steckt in Stulpenstiefeln, hat einen hohen, spitzen Hut auf
dem Kopf und Waffen im Gürtel. Sein Bart und seine wilden Augen
sind schrecklich, und seine Bewegungen sind die eines in der Tat
ausstudierten Spießgesellen. Er tritt an das Bett heran, ergreift die
kleine, ahnungslose Muschi beim Schopf, zieht sie zu den Kissen heraus,
schlägt sie in ein Tuch und tut dann das zappelnde Ding, das schreien
will und nicht kann, in einen dafür bereitgehaltenen großen Sack
hinein. Zufriedenes Grinsen und Schnurren. Das Orchester spielt eine
bald wehklagende, bald leise und spitzbubenhaft-triumphierende Melodie.
Drinnen im anderen Zimmer ruft eine Stimme: Muschi, Muschi. Das klingt
gesungen und sehr gedehnt. Der Räuber dreht sich schurkengewandt auf
den Schuhabsätzen um und macht sich zum Fenster hinaus. Im nächsten
Augenblick geht eine Tür auf, und herein tritt im weiten Nachtkleid
die Amme der Muschi. Eine Art Frau Wangel ins Katzliche hinüber
transponiert. Sie bleibt erstarrt stehen und will miauen. Es ist aber
schließlich schon eine ältere Katze, und der Schreck lähmt ihr sowohl
die Glieder als die Stimme. Sie sinkt unter kläglichen Gebärden in
Ohnmacht. Dann besinnt sie sich und läuft laut miauend, eigentlich
beinahe schon mehr menschlich schreiend, zum Zimmer hinaus.




                            [Illustration]


                          Flußgegend mit Turm

Im Turm, ganz hoch oben, brennt ein Licht. Es ist Nacht, und der
Sturmwind braust. Die Amme tritt auf, den Regenschirm unter dem Arm.
Nach ein paar Schritten gegen das Publikum zu bleibt sie stehen,
ermüdet von langen Wanderungen, wie es scheint, zieht das rotgetüpfelte
Schnupftuch aus der Rocktasche und hebt ein minutenlanges, rührendes
Schluchzen an. Unter anderem putzt sie sich die platteingedrückte
Katzennase, wie es alte Frauen, die weinen, zu tun pflegen. Sie hat
sich von Hause aufgemacht, um die geraubte Muschi zu suchen, und
sie sucht nun schon an die zehn Jahre lang. Sie spricht schon zehn
verschiedene Sprachen, weil sie schon durch zehn fremde Länder gegangen
ist. Zu Hause sitzt die vornehme Mama von Muschi und ißt beinahe
nichts und trinkt nichts, denn sie will und kann sich nicht an den
Schmerz gewöhnen, der ihr sagt, sie habe ihr einziges Kind verloren.
Die Amme hat denn auch sogleich, ohne eine Miene zu verziehen oder
ein überflüssig Wort zu reden, die groben Wanderschuhe angezogen und
ist mit ihren alten Beinen bis zu diesem schauervollen Turm gelaufen.
Überall hat sie gerufen: Muschichen, Muschichen. Manchmal sogar hat
sie in ihrer Seelenangst geschrien: Müschibüschi, Müschimüschichen,
und solches zärtliches, unsinniges, dummes Zeug mehr, und nie ist ihr
geantwortet worden. Der Amme sind zu verschiedenen Malen von müßigen
Witwern Heiratsanträge gemacht worden, auf der Reise, in der Herberge,
aber sie hätte eher eine Ohrfeige annehmen mögen, als solch einen
schmutzigen Heiratsantrag, der zu nichts gut war, als sie abzulenken
von der großen, süßtraurigen Aufgabe ihres Lebens, nämlich, das
Müschischüchen suchen zu gehen. Diese ihre Trauer kommt, wie sie so
dasteht, beredt zum Ausdruck; jetzt aber wendet sie sich gegen den Turm
und bemerkt das kleine Licht in der Höhe. Alsogleich sieht sie sich zu
einem kräftigen Miauen veranlaßt, das sich so anhört, als frage sie
das Licht etwas. Das Licht blinzelt nur ein ganz klein wenig, wie das
schließlich von solch einem Licht auch gar nicht anders zu erwarten
gewesen ist. Ist Muschi da oben? fragt die Amme. Keine Antwort. Sage
mir doch, liebes Licht, weißt du, wo meine Muschi ist? Keine Antwort.
Keckheit das, nicht einmal einer Amme aus vornehmem Haus zu antworten.
Also denn nicht? Keine Antwort. Die Amme tritt vom Turm weg. Der Sturm
bläst das freche, lieblose Licht aus. Wolken ziehen über die Bühne. Es
darf dies als ein Bild entlegenster Einsamkeit gelten. Die Amme weint
und macht sich bereit, weiterzugehen. Sie zieht an einem Zipfel den
Rock hoch und wischt sich die Augen damit.




                            [Illustration]


                          Eine Singspielhalle

Also soweit hat es nun die Muschi gebracht; an die
Varietétheateragenten ist sie verhandelt worden. Laß mal sehen.
Wirklich, da steht sie auf der Bühne, in einem erbärmlichen
Flitterröckchen, in hohen Schuhen mit geschweiften Absätzen, in
knallroten Strümpfen, die bis über die Knie hinaus sichtbar sind, und
muß für den Taglohn tanzen. Hübsch ist sie indessen geworden, das kann
man auf den ersten Blick sehen, sie ist denn auch die beste Nummer auf
dem ganzen Programm. Sie hat was Vornehmes an sich, was Stolzes, das
nur von der Abstammung herrühren kann. Die Zuschauerkater sind ganz
plebejisch aussehende Kerle mit breiten Mäulern und ziemlich dreckigen
Manieren. Mit den Vorderpfoten klappen sie die Bierglasdeckel zu und
freuen sich über die ganze stumpfsinnige Bedeutungslosigkeit ihres
Tuns. Ein schlechter Dunst weht im Lokal, Kellnerinnen bedienen und
wollen immer etwas zum besten bekommen haben. Muschi tanzt, und sowie
sie den Tanz beendet hat, setzt sie sich zu anderen Tänzerinnen auf
eine samtüberzogene Bank, um sich gelassen angaffen und anwitzeln zu
lassen. Ihr Köpfchen hält sie gesenkt, und mit ihren Pfoten spielt sie
wie in lange, wehmütige Gedanken verloren mit den knisternden Spitzen
ihres Tanzröckchens. Ihre Augen, wenn sie sie aufschlägt, sind so
groß, traurig und schön. Es sind gelbe Augen. Man wird nie vergessen
dürfen, daß es eben nun einmal, so wie die Dinge liegen, Katzenaugen
sind, aber es sind Katzenaugen von der feinsten und edelsten Sorte.
Ein unauslöschlicher Kummer, mit einer unauslöschlichen Erinnerung
verbunden, scheint darin zu brennen. Da will sie ein Kerl von unten
her an das in der Tat fesche Bein fassen, pfui, mit den Saupfoten. Sie
versetzt ihm einen heftigen Stoß mit dem scharfkantigen Stiefelabsatz
ins breite Schnauzengesicht hinein, daß er laut miauend davonläuft,
um dem Herrn Wirt Anzeige zu erstatten. Leider ist es nun gerade ein
guter Duzfreund des Wirtes. Dieser stürzt vor und ohrfeigt die Muschi,
die nun in Tränen ausbricht. Die Kellnerinnen, die dem Gast flattieren
wollen, sagen, das sei recht, so gehöre es sich, nur munter in die
Fresse gehauen, das sei gesund für solch ein Stolztruthähnin. Muschi
weint und muß weinend tanzen, sie tanzt aber so schmerzlich schön, daß
es den wüstesten Schmierfinken nicht mehr erlaubt ist, aus irgendeiner
innern Ahnung heraus, sie noch ferner zu belästigen. Der feuchte Glanz
in Muschis großen Augen hat sie energisch eingeschüchtert. Die Kater
brüllen Bravo und klatschen in die Pfoten und lecken das ausgeschüttete
Bier von den Tischen ab. Der Wirt, ein urgelungenes, dickes Tier, macht
eine unendlich komische wichtige Miene.




                            [Illustration]


                   Vornehme Straße mit Gartengitter

Zehn Jahre sind wieder verflossen. Die Ammenkatze tritt auf, auf einen
Knotenstock herabgebeugt, halb blind von dem vielen Suchen: Zehn Jahre,
zwanzig Jahre, und damals, als sie im Bettchen lag, war sie vier Jahre
alt, eins dazu, das macht fünfundzwanzig, denkt sie und versucht, mit
der alten Schnauze zu lächeln. O, was für ein uraltes, verwittertes
Lächeln das ist. Das bröckelt vom Mund wie Steine von einem alten,
zerrissenen Gemäuer. Es ist helles Sonntagvormittagswetter. Auf den
Sträuchern im Garten blendet die Sonne. Es hat, wenn man durchaus
zeigen will, daß man gebildet ist, etwas von dem neufranzösischen
Impressionismus. Die Alte hat sich auf einen der beiden Steine, wie
sie etwa vor Gartentoren stehen, gesetzt und hüstelt ein bißchen. Das
ist so, wenn man alt ist, man hustet sogar im heißesten Sommer. Wie
schmerzlos sie dasitzt. Das Suchen ist ihr zu einer sozusagen lieben,
unentbehrlichen Gewohnheit geworden. Sie sucht schon längst nicht
mehr, um zu finden, sondern aus einer ihr selber nicht bewußten Lust
am Suchen. Es genügt ihr, das letzte bißchen Pflicht zu erfüllen.
Sie hofft nicht mehr. Hoffnung ist ihr bereits seit längerer Zeit
Entweihung geworden. Auch suchen tut sie nicht mehr so recht, nur
noch so gehen und ein bißchen sehen, das tut sie. Alt, alt ist sie
geworden und so schön müde, so schön schwach, so abgelaufen, so
abverdient, so das ganze Leben um einer Pflicht willen abgetrieben.
Da sitzt sie, und Katzenleute gehen an ihr achtlos, in der Meinung,
es sei eine faule Bettlerin, vorüber. Niemand schenkt ihr mehr als
etwa so einen halbpatzigen Blick, Kindermädchen wägeln mit Kinderwagen
vorüber. Arbeiter und Herren im Zylinder, alles Kater natürlich. Aber
Katerliches und Menschliches vermischt sich. Die Herren drehen sich
langweilig die Schnurrbärte, die bis hinten an die Ohren reichen.
Selbstverständlich gehen sie alle mehr oder weniger stramm aufrecht.
Die Elektrische saust vorüber. Ganz junge Katzenkinder springen
spielend umher, und die Sonne lacht so freundlich. Hinter den Büschen
des herrschaftlichen Gartens schimmert das grau-bläuliche Schieferdach
eines Hauses, und jetzt, aber alte Amme, was soll das? Nicht, nicht
doch. Nicht schlafen. Siehst du nicht? Eine himmlisch schöne, in
weiße Schleier gehüllte, junge Frauengestalt ist aus dem Gartentor
herausgetreten. Die Alte macht bä wä -- -- und sinkt um und ist tot
vor Freude. Die schöne Erscheinung ist Muschi. Sie ist eine schöne,
vornehme Katze geworden, Frau eines Ministers. Wie sie nun die alte
Frau hat umfallen sehen, steigt ihr eine Ahnung auf. Sie eilt zu ihr
hin, erkennt sie, kniet neben ihr und ist ganz starr, kein Wunder, da
die Kindheitwelt sie jetzt überwältigt.




                            [Illustration]


                          Die Schauspielerin

Die schöne Schauspielerin und der bärtige Mann sitzen zusammen in
einem halbdunkeln Zimmer. Die Fenster stehen offen. Die Frau erhebt
sich aus ihrer halb sitzenden, halb liegenden Haltung, tritt auf den
schmalen, länglichen Balkon heraus und winkt dem Manne, nachzukommen.
Wie schön, wie frei ist die Welt, sagt sie, indem sie lächelt:
unsereins muß das so stark fühlen. Wir Schauspielerinnen hängen nur
mit den flüchtigsten Blicken an dem süßen, offenen Bilde der Welt,
aber diese Blicke sind uns wie Musik, wie tiefe, tiefe Gedanken,
wie Wellen, die an uns heranschlagen und uns mit herrlich-schönem,
dankbarem Gefühl bespritzen, daß wir ganz durchnäßt, durchfüllt davon
werden. Wir sind ja so geknebelt; Sie zum Beispiel haben die Aufgabe,
in den Strudel und in das harte, prachtvolle Spiel unterzutauchen, Sie
jagen Ihren Genüssen und Geschäften in natürlicher Kraftanstrengung
nach, treiben mit den Treibenden, ruhen mit den Ruhenden und lachen,
wo es irgendwo einen Anlaß gibt, in ein Gelächter auszubrechen. Wir
Künstlerinnen sehen unser ganzes Dasein in der Kunst dahinfließen,
einen Menschenschmerz, eine Menschenscham oder einen Menschenjubel
nachzuahmen und empfinden oft in der Arbeit, die unser Beruf uns
kostet, einen beengenden, nicht schönen Stillstand; alles Strömende
will uns dann stocken, alles Stürzende und Sinkende und Fliegende
scheint sich in uns hineingebohrt zu haben, wir tragen alles und werden
von nichts, nichts fortgetragen, und emporgehoben können wir nur werden
von der stumpfen, abschließenden, treuen Geduld in dem beharrlichen
Weiterschaffen. Des beweglichen Geschäftsmannes Schaffen beruht auf
einer natürlich-schönen Weitherzigkeit und luftigen Weitschweifigkeit,
die ich mir so gesund für Körper und Seele vorstelle, die ich kaum
noch dem Duft und der Ahnung nach kenne, da wir Schauspielerinnen die
Weitverbreitetheit und alles Umliegende beinahe hassen müssen, um nur
ja so recht das feste, ewig Nahe zu sehen, woran wir angekettet leben.
Sie haben wohl kaum einen Begriff, wie die Kunst ketten, ja würgen
kann, einengen, ach, und einem alle lebendig-warmen Aussichten vor den
Augen weg, wie Vögel aus der stillen Luft hinab, niederschießt, daß es
einem scheinen möchte, alle Erlebnisse, die süßen und schlechten, lägen
da vor den Füßen, am fleckigen Boden, aus vielen trockenen, elenden
Wunden langsam und schwärzlich blutend. Sie, Sie haben es schön. Nein,
wir Künstlerinnen haben es nicht schön.

Der Mann sagt nichts, und die Schauspielerin, indem sie den schönen,
üppig geformten Arm lässig ausstreckt, spricht weiter:

Wie da unten in der Straße die unbekannten, lieben Menschen gehen,
sich umschauend, einander überholend, Wagen fahrend, Pakete tragend,
springend, atmend und Schultern wiegend! Man sehnt sich nach Menschen,
wenn man zwanzig Jahre lang auf der Bühne Menschenschicksale
dargestellt hat. Schon als zwölfjähriges Kind habe ich zu spielen
begonnen; durch den künstlerischen Erfolg bin ich zum erstenmal in
Verbindung mit unbefangenen Menschen geraten, aber ich fürchte, es
waren nicht die Unbefangenen, die zu mir hintraten, um mir ihre
Bewunderung vor die Füße zu legen. Durch den Erfolg lernt eines nur die
stupiden Anbeter und die ebenso dummen Neider kennen, Schwätzer in der
Regel, die Angst davor haben, sich einer Empfindung, einem Gefühl oder
einer Tat hinzugeben. Ich habe sie alle rasch durchschaut, ohne Zorn,
nur mit einem gewissen Kummer, der mir sagte, es sei etwas irgendwo,
das ich nie würde dürfen kennen lernen. Und dann habe ich ja auch immer
zu tun gehabt. Ein Künstlerberuf ist eine eiserne Kiste, die einen kaum
atmen läßt, darin man steckt in halb aufrechter Haltung, nicht frei
und doch auch nicht so ganz und gar gefangen, den Kopf an der Luft,
aber auf irgendeine Weise sieht man sich gefesselt, man weiß es, und im
nächsten Augenblick weiß man es wieder nicht mehr.

Das sei schließlich mit jedem Lebensberuf so, meint der Mann.

O nein, sagt sie, mit Euch andern ist es ganz anders. Ihr habt
trockene, notwendige Berufe, und das ist das Schöne. In unsern
Leistungen, wenn sie gute sind, badet Ihr Euch wie in erfrischenden,
einsamen Bergquellen; das Gefühl, durch den Geschäftstag hindurch
unterdrückt, springt Euch lachend, weinend, tausendfarbig und
tausendtönig auf, wie Wunden, aber nicht wie trockene, eher wie
fließende, und sanft und wohlig schmerzende. Unsereins dagegen hat
immer mit Gefühlen und Empfindungen, mit rein Menschlichem und Ideellem
zu tun, wir müssen es messen, zerschneiden, auseinanderlegen, berechnen
und es auf Wirkungen hin, die es machen soll, erproben. Wir pröbeln und
schneidern mit Dingen, die in der Brust anderer Menschen gesund und
geheimnisvoll und unangetastet ruhen, heiligen, gefährlichen Quellen
gleich, die man nicht ungestraft beständig hervorreizt. Dann, wenn man
das getan hat, ist man so kalt und leer, daß man hingehen möchte, um
sich einem gelassenen, unangefochtenen, braven und simpeln Menschen an
die breite, gute Brust zu werfen. Wie köstlich erscheint einem an solch
einem Schauspielabend der Atemzug solch eines Menschen, man möchte die
Kunst hassen und sich selber nicht minder, empfinden zu müssen, daß man
sich an sie angeschlossen hat. Und doch ist sie schön, und doch ist das
alles so schön. Gehen wir hinein.

Sie treten beide wieder in das Zimmer hinein.

Trinken Sie einen Schnaps?

Ja, er trinkt einen. Sie schenkt ein, während sie in tiefes, schönes
Nachdenken versunken scheint. Das Mädchen stellt eine Lampe auf den
Tisch. Die Frau sagt:

Halb sieben. Jetzt kann ich noch zwanzig Minuten mit Ihnen dasitzen,
dann muß ich gehen. Sie kommen nicht ins Theater, nein? Ja, Sie reisen
noch heute abend. Ich werde heute nacht müde nach Hause kommen, ich
spüre es schon jetzt. In zwanzig Tagen sitzen Sie wieder auf Ihren
halbwilden Pferden, jagen durch die Steppe, wirtschaften und schaffen
mit Kopf und Händen und Fäusten. Schreiben Sie mir, es schreibt ja
heutzutage niemand mehr Briefe, machen Sie eine Ausnahme, Ihre Briefe
werden mir den Duft der Prärie hier in dieses Zimmer tragen. Es ist
so schön, abends heimzukommen und einen Brief aus einer fernen,
fernen Gegend auf dem Tisch liegen zu sehen. Ich werde vielleicht an
Sie denken. Es wird vorkommen, daß mir, wenn ich einmal zornerbebend
oder hell auflachend, wie es gerade das Spiel verlangt, auf der Bühne
stehe, plötzlich Ihre Stimme einfällt, Ihre Figur, ein Wort, das Sie
einmal gesagt haben, der Stiefel da an Ihren Füßen, die Haartracht,
der Bart, der Blick Ihrer Augen. Sehen Sie, so lernt man eines Tages
auf wunderliche Art einen Menschen kennen, man spricht eine Stunde
lang, oder zwei mit ihm, er geht, er will weiter nichts, man vergißt
ihn, weil man keine Ursache hat, sich zu nötigen, seiner zu gedenken.
Er mag einem eines Tages zwischen einer hastigen Wagenfahrt und einem
aufregenden Wortwechsel wieder einfallen; vielleicht schneit es, wenn
ich an Sie denke, oder ich habe die Hand gebrochen, muß im Zimmer
sitzen, und ich erinnere mich plötzlich Ihres Händedrucks. Leben Sie
wohl, jetzt muß ich mich umkleiden.




                            [Illustration]


                            Die Talentprobe

          Zimmer der königlichen Hofschauspielerin Benzinger

~Frau Benzinger~: Also Sie wollen Schauspieler werden. Treten Sie
näher zu mir heran. Genieren Sie sich nicht. Fallen Sie nicht um vor
Schreck, wenn ich Sie nun etwas näher ins Auge fasse. Wenn mein Atem
Sie streift, ist das noch keine Ursache, rot über den ganzen Kopf zu
werden. Haben Sie noch nie mit einiger Gelassenheit das Bein einer
Frau gesehen? Die Spitzen meines Unterrocks, die Sie sehen, sind nur
das gelinde und gewöhnliche Vorspiel dessen, was einem Bühnenkünstler
täglich und stündlich begegnet, und worüber er hinwegsehen muß. Wir
Künstler sind ein freies, zwangloses und, wie wir uns gern einbilden,
ehrliches Volk. Sie dagegen sind ein Jüngling aus dem dicksten,
gefüttertsten bürgerlichen Milieu, und Sie wollen zur Bühne? Na, tragen
Sie mal etwas vor.

Der junge, schüchterne Mann hat etwas vorgetragen.

~Frau Benzinger~: Das ist nichts. Danken Sie Gott, daß Sie einem
Menschen in die Hände gefallen sind, der es so gut mit Ihnen meint,
daß er offen zu Ihnen spricht. Unwahrheiten sind in solchen Fällen
Morde. Sie sind schüchtern, Sie sind erschrocken, wie Sie sahen,
daß ich das eine meiner natürlichen Beine über das andere gelegt
habe; aber Sie dürften meinetwegen noch hundertmal schüchterner und
schreckfüßiger sein, das hätte nichts zu sagen, denn das liegt nur in
Ihrer großen Jugend und tiefen Unerfahrenheit. Aber Sie besitzen auch
nicht die leiseste Spur eines schauspielerischen Talents. Alles ist
verborgen, verhüllt, vertieft, trocken, holzig an Ihnen. Sie mögen der
glühendste Mensch innerlich sein, zerwühlt meinetwegen von herzlichen
Leidenschaften, doch es kommt nichts an Ihnen zur Erscheinung, nichts
zum Ausdruck. Sie sprechen eine ganz ordentliche Sprache, daß man
fühlen muß, wie richtig Sie urteilen, wie anständig Sie über Sachen
nachdenken, das aber, mein Knabe, ist das Aller-Allerwenigste von
dem, was an Erfordernissen für einen angehenden Künstler in Betracht
kommt. Ich bin eine ältere Frau und erprobte Schauspielerin und muß
deshalb wohl wissen, was sich Ihnen gegenüber für eine Sprache ziemt.
Mein Knabe, schütten Sie den allzu feurigen Wein Ihrer Träume von
Bühnenlaufbahn und dergleichen rasch aus der Schale Ihres jungen Kopfes
und fahren Sie fort, den Beruf, den Sie erlernt haben, auszuüben. Was
würden Ihre Eltern sagen, wenn ich Sie unglücklich machen wollte? Das
Geld, das Sie mir für Ihre Stunden ausbezahlten, würde in meinen Händen
widerwärtig brennen, und ich würde das Gesicht Ihrer Frau Mutter sehen,
dessen kummervoller Ausdruck mich für den Frevel, Ihnen die Wahrheit
vorenthalten zu haben, gräßlich strafen müßte. Nein, ich tue das nicht.
Aber bleiben Sie noch einen Augenblick. Nehmen Sie hier dicht neben mir
Platz. So. Sie sind zu gut und zu schlecht für den Schauspielerberuf.
Sie würden immer nur schauspielern, nicht spielen; Unmensch, Bär,
Windbeutel, ungeziemende lächerliche Fratze, nicht Mensch auf der
Bühne sein. Die heilige, inbrunstvolle Flamme fehlt Ihnen, das Auge,
das Lippenpaar, die drohende, bewegliche Wange. Bewegung fehlt Ihnen.
Manier, sehen Sie, das haben Sie, aber das bedeutet nichts, das ist
menschlich. Sie haben nichts Künstlerisches. Ich bin davon überzeugt
(geben Sie mir die Hand), daß Sie innere Gaben besitzen, die Sie, wenn
Sie heranreifen, zum guten, brauchbaren Mann stempeln werden. Ich
glaube, daß Sie ein schöner Mensch werden; auf der Bühne, im goldenen
Licht der Rampe, wären Sie häßlich, glauben Sie es mir. Sie müssen
mir das glauben, kindlich, denn verstehen können Sie es noch nicht,
weil Sie zu jung und zu unberührt von schrecklichen Erfahrungen sind.
Drücken Sie einen Kuß auf meine Hand.

Der junge Mensch küßt der Schauspielerin beide Hände.

~Frau Benzinger~: Sie kommen viel ins Theater, nicht wahr.
Ja, das ist so gefährlich für junge Köpfe. Ins Theater sollten
nur reife Menschen kommen, das hätte das Gute, daß es auch einen
veredelnden, verschärfenden Schein und Einfluß auf die Bühne und deren
Kunstleistungen würfe. Ich bin so froh, lieber junger Mann, Sie haben
warnen und abschrecken zu dürfen. Ein anderer würde Sie aufgenommen
haben, würde vielleicht noch seinen Spaß daran gehabt haben, Ihnen
Gift in Ihr ganzes, Ihnen selber noch unbekanntes Leben zu streuen.
Gehen Sie jetzt. Leben Sie wohl. Nein, nein, besuchen Sie mich nie
mehr. Lassen Sie die ganze Theaterei stramm beiseite, baden Sie Ihre
Empfindungen in natürlicheren Quellen, werfen Sie sich in gute,
männliche Pflichten, und wenn Sie dreißig Jahre alt geworden sind,
können Sie zu mir kommen und mir erzählen, was Sie errungen, erlitten
und erlebt haben. Ich freue mich darauf, Sie so lange aus dem Gesicht
zu verlieren; das verspricht mir die Freude, Sie als festen Menschen
wiederzusehen. Hier. Behalten Sie das. Es ist mein Bild. Vergessen Sie
nie, was ich Ihnen gesagt habe.




                            [Illustration]


                            Kleist in Thun

Kleist hat Kost und Logis in einem Landhaus auf einer Aareinsel in
der Umgebung von Thun gefunden. Genau weiß man ja das heute, nach
mehr als hundert Jahren, nicht mehr, aber ich denke mir, er wird über
eine winzige, zehn Meter lange Brücke gegangen sein und an einem
Glockenstrang gezogen haben. Darauf wird jemand die Treppen des Hauses
herunterzueidechseln gekommen sein, um zu sehen, wer da sei. »Ist hier
ein Zimmer zu vermieten?« Und kurz und gut, Kleist hat es sich jetzt
in den drei Zimmern, die man ihm für erstaunlich wenig Geld abgetreten
hat, bequem gemacht. »Ein reizendes Bernermeitschi führt mir die
Haushaltung.« Ein schönes Gedicht, ein Kind, eine wackere Tat, diese
drei Dinge schweben ihm vor. Im übrigen ist er ein wenig krank. »Weiß
der Teufel, was mir fehlt. Was ist mir? Es ist so schön hier.«

Er dichtet natürlich. Ab und zu fährt er per Fuhrwerk nach Bern zu
literarischen Freunden und liest dort vor, was er etwa geschrieben hat.
Man lobt ihn selbstverständlich riesig, findet aber den ganzen Menschen
ein bißchen unheimlich. Der zerbrochene Krug wird geschrieben. Aber
was soll alles das? Es ist Frühling geworden. Die Wiesen um Thun herum
sind ganz dick voller Blumen, das duftet und summt und macht und tönt
und faulenzt, es ist zum Verrücktwerden warm an der Sonne. Es steigt
Kleist wie glühendrote betäubende Wellen in den Kopf hinauf, wenn er
am Schreibtisch sitzt und dichten will. Er verflucht sein Handwerk. Er
hat Bauer werden wollen, als er in die Schweiz gekommen ist. Nette Idee
das. In Potsdam läßt sich so etwas leicht denken. Überhaupt denken die
Dichter sich so leicht ein Ding aus. Oft sitzt er am Fenster.

Meinetwegen so gegen zehn Uhr vormittags. Er ist so allein. Er wünscht
sich eine Stimme herbei, was für eine? Eine Hand, nun, und? einen
Körper, aber wozu? Ganz in weißen Düften und Schleiern verloren liegt
da der See, umrahmt von dem unnatürlichen, zauberhaften Gebirge. Wie
das blendet und beunruhigt. Das ganze Land bis zum Wasser ist der
reine Garten, und in der bläulichen Luft scheint es von Brücken voll
Blumen und Terrassen voll Düften zu wimmeln und hinunterzuhängen. Die
Vögel singen unter all der Sonne und unter all dem Licht so matt. Sie
sind selig und schläfrig. Kleist stützt seinen Kopf auf den Ellbogen,
schaut und schaut und will sich vergessen. Das Bild seiner fernen,
nordischen Heimat steigt ihm auf, er kann das Gesicht seiner Mutter
deutlich sehen, alte Stimmen, verflucht das -- er ist aufgesprungen
und in den Garten des Landhauses hinabgelaufen. Dort steigt er in
einen Kahn und rudert in den offenen morgendlichen See hinaus. Der
Kuß der Sonne ist ein einziger und fortwährend wiederholter. Kein
Lüftchen. Kaum eine Bewegung. Die Berge sind wie die Mache eines
geschickten Theatermalers, oder sie sehen so aus, als wäre die
ganze Gegend ein Album, und die Berge wären von einem feinsinnigen
Dilettanten der Besitzerin des Albums aufs leere Blatt hingezeichnet
worden, zur Erinnerung, mit einem Vers. Das Album hat einen blaßgrünen
Umschlag. Das stimmt. Die Vorberge am Ufer des Sees sind so halb und
halb grün und so hoch, so dumm, so duftig. La, la, la. Er hat sich
ausgezogen und wirft sich ins Wasser. Wie namenlos schön ihm das ist.
Er schwimmt und hört Lachen von Frauen vom Ufer her. Das Boot macht
träge Bewegungen im grünlich-bläulichen Wasser. Die Natur ist wie eine
einzige große Liebkosung. Wie das freut und zugleich so schmerzen kann.

Manchmal, besonders an schönen Abenden, ist ihm, als sei hier das Ende
der Welt. Die Alpen scheinen ihm der unerklimmbare Eingang zu einem
hochgelegenen Paradiese zu sein. Er geht auf seiner kleinen Insel,
Schritt für Schritt, auf und ab. Das Meitschi hängt Wäsche zwischen
den Büschen auf, in denen ein melodiöses, gelbes, krankhaftschönes
Licht schimmert. Die Gesichter der Schneeberge sind so blaß, es
herrscht in allem eine letzte, unanrührbare Schönheit. Die Schwäne, die
zwischen dem Schilf hin und her schwimmen, scheinen von Schönheit und
abendlichem Licht verzaubert. Die Luft ist krank. Kleist wünscht sich
in einen brutalen Krieg, in eine Schlacht versetzt, er kommt sich wie
ein Elender und Überflüssiger vor.

Er macht einen Spaziergang. Warum, fragt er sich lächelnd, muß gerade
er nichts zu tun, nichts zu stoßen und zu wälzen haben? Er fühlt, wie
die Säfte und Kräfte in ihm leise wehklagen. Seine ganze Seele zuckt
nach körperlichen Anstrengungen. Er steigt zwischen hohen, alten
Mauern, über deren grauem Steingebröckel sich der dunkelgrüne Efeu
leidenschaftlich niederschlingt, zum Schloßhügel hinauf. In allen
hochgelegenen Fenstern schimmert das Abendlicht. Oben am Rand des
Felsenabhanges ist ein zierlicher Pavillon, dort sitzt er und wirft
seine Seele in die glänzend-heilig-stille Aussicht hinunter. Er wäre
jetzt erstaunt, wenn er sich wohl fühlen könnte. Eine Zeitung lesen?
Wie wär's? Ein dummes politisches oder gemeinnützliches Gespräch mit
irgendeinem wohlangesehenen, offiziellen Schafskopf führen? Ja? Er
ist nicht unglücklich, er hält im stillen diejenigen für selig, die
trostlos sein können: Natürlich und kraftvoll trostlos. Mit ihm steht
es um eine kleine, gebogene Nuance schlimmer. Er ist zu feinfühlend, zu
gegenwärtig mit all seinen unschlüssigen, vorsichtigen, mißtrauischen
Empfindungen, um unglücklich zu sein. Er möchte schreien, weinen. Gott
im Himmel, was ist mit mir, und er rast den dunkelnden Hügel hinunter.
Die Nacht tut ihm wohl. In seinen Zimmern angekommen, setzt er sich,
entschlossen, bis zur Raserei zu arbeiten, an den Schreibtisch. Das
Licht der Lampe nimmt ihm das Bild der Gegend weg, das stimmt ihn klar
und er schreibt jetzt.

An Regentagen ist es entsetzlich kalt und leer. Die Gegend fröstelt ihn
an. Die grünen Sträucher winseln und wimmern und regentröpfeln nach
Sonnenschein. Schmutzige, ungeheuerliche Wolken gleiten den Köpfen der
Berge wie große, freche, tötende Hände um die Stirnen. Das Land scheint
sich vor dem Wetter verkriechen zu wollen, es will zusammenschrumpfen.
Der See ist hart und düster, und die Wellen sprechen böse Worte. Wie
ein unheimliches Mahnen saust der Sturmwind daher und kann nirgends
hinaus. Er schmettert von einer Bergwand zur anderen. Dunkel ist es und
klein, klein. Es ist einem alles auf der Nase. Man möchte Klötze nehmen
und damit um sich herumhauen. Weg da, weg.

Dann ist wieder Sonne und es ist Sonntag. Glocken läuten. Die Leute
treten aus der hochgelegenen Kirche heraus. Die Mädchen und Frauen
in engen, schwarzen, silbergeschmückten Schnürbrüsten, die Männer
einfach und ernst gekleidet. Gebetbücher tragen sie in der Hand, und
die Gesichter sind so friedlich und schön, als wären alle Sorgen
zerflossen, alle Falten des Kummers und Zankes geglättet und alle
Mühen vergessen. Und die Glocken. Wie sie daherschallen, daherspringen
mit Schällen und Tonwellen. Wie es über das ganze, sonntäglich
umsonnte Städtchen glitzert, leuchtet, blaut und läutet. Die
Menschen zerstreuen sich. Kleist steht, von sonderbaren Empfindungen
angefächelt, auf der Kirchtreppe und verfolgt die Bewegungen der
Hinuntergehenden. Da ist manch Bauernkind, das wie eine geborene, an
Hoheit und Freiheit gewöhnte Prinzessin die Stufen hinunterschreitet.
Da sind schöne, junge, kräftestrotzende Burschen vom Land, und von
was für einem Land, nicht Flachland, nicht Burschen von Ebenen,
sondern Burschen, hervorgebrochen aus tiefen, wunderlich in die Berge
eingehöhlten Tälern, eng manchmal, wie der Arm eines etwas aus der
Art geschlagenen, größeren Menschen. Das sind Burschen von Bergen, wo
die Äcker und Felder steil in die Einsenkungen hinabfallen, wo das
duftende, heiße Gras auf winzigen Flächen dicht neben schauervollen
Abgründen wächst, wo die Häuser wie Tupfe an den Weiden kleben, wenn
einer unten auf der breiten Landstraße steht und hoch hinaufsieht, ob
es etwa da oben noch Menschenwohnungen geben könne.

Die Sonntage hat Kleist gern, auch die Markttage, an denen alles
von blauen Kitteln und Bäuerinnentrachten wimmelt und gramselt auf
der Straße und in der Hauptgasse. Dort, in der Hauptgasse, sind
unter dem Bürgersteig, in steinernen Gewölben und in leichten Buden
Waren aufgestapelt. Krämer schreien bäuerlichkokett ihre billigen
Kostbarkeiten aus. Meistens scheint ja an solch einem Markttag die
hellste, wärmste, dümmste Sonne. Kleist läßt sich von dem lieben,
bunten Menschengetümmel hin und her schieben. Überall duftet's nach
Käse. In die besseren Kaufläden treten die ernsthaften, bisweilen
schönen Landfrauen bedächtig ein, um Einkäufe zu machen. Viele
Männer haben Tabakspfeifen im Mund. Schweine, Kälber und Kühe werden
vorübergezogen. Einer steht da und lacht und treibt sein rosafarbenes
Schweinchen mit Stockschlägen zum Gehen. Es will nicht, da nimmt er
es unter den Arm und trägt's weiter. Die Menschen duften zu ihren
Kleidern heraus, zu den Wirtschaften heraus tönt Lärm von Zechenden,
Tanzenden und Essenden. All die Geräusche und all die Freiheit dieser
Töne! Fuhrwerke können manchmal nicht durchfahren. Die Pferde sind
ganz von handelnden und schwatzenden Menschen umzingelt. Und die
Sonne blendet so exakt auf den Gegenständen, Gesichtern, Tüchern,
Körben und Waren. Alles bewegt sich, und das sonnige Blenden muß
sich so schön natürlich mitfortbewegen. Kleist möchte beten. Er
findet keine majestätische Musik schöner und keine Seele feiner als
Musik und Seele dieses Menschentreibens. Er hätte Lust, sich auf
einen der Treppenabsätze zu setzen, die in die Gasse hinunterführen.
Er geht weiter, an Weibern mit hochaufgerafften Röcken vorbei, an
Mädchen, die Körbe ruhig und fast edel auf den Köpfen tragen, wie
Italienerinnen ihre Krüge, wie er's kennt aus Abbildungen, an Männern,
die gröhlen, und an Betrunkenen, an Polizisten, an Schuljungens,
die ihre Schulbubenabsichten mit sich herumtragen, an schattigen
Flecken, die kühl duften, an Seilen, Stöcken, Eßwaren, falschen
Geschmeiden, Mäulern, Nasen, Hüten, Pferden, Schleiern, Bettdecken,
wollenen Strümpfen, Würsten, Butterballen und Käsebrettern vorüber,
zu dem Gewimmel hinaus, bis an eine Aarebrücke, an deren Geländer
gelehnt er stehen bleibt, um in das tiefblaue, herrlich dahinströmende
Wasser zu schauen. Über ihm glitzern und strahlen die Schloßtürme wie
flüssig-bräunliches Feuer. Es ist ein halbes Italien.

Zuweilen, an gewöhnlichen Werktagen, scheint ihm das ganze Städtchen
von Sonne und Stille verzaubert zu sein. Er steht still vor dem
seltsamen, alten Rathaus mit der scharfkantigen Jahreszahl im
weißschimmernden Gemäuer. So verloren ist alles, wie die Gestaltung
irgendeines Volksliedes, das die Leute vergessen haben. Wenig
Leben, nein, gar keins. Er steigt die holzbedeckte Treppe zum
vormals gräflichen Schloß hinauf, das Holz duftet nach Alter und
vorübergegangenen Menschenschicksalen. Oben setzt er sich auf eine
breite, geschweifte, grüne Bank, um Aussicht zu haben, aber er schließt
die Augen. Entsetzlich, wie verschlafen, verstaubt und entlebendigt
das alles aussieht. Das Nächstliegende liegt wie in weiter, weißer,
schleierhafter, träumender Ferne. Es ist alles in eine heiße Wolke
eingehüllt. Sommer, aber was eigentlich für Sommer? Ich lebe nicht,
schreit er und weiß nicht, wohin er sich mit Augen, Händen, Beinen
und Atem wenden soll. Ein Traum. Nichts da. Ich will keine Träume.
Schließlich sagt er sich, er lebe eben viel zu einsam. Er schaudert,
empfinden zu müssen, wie verstockt er sich verhält der Mitwelt
gegenüber.

Dann kommen die Sommerabende. Kleist sitzt auf der hohen
Kirchhofsmauer. Es ist alles ganz feucht und zugleich ganz schwül. Er
öffnet das Kleid, um die Brust frei zu haben. Unten, wie von einer
mächtigen Gotteshand in die Tiefe geworfen, liegt der gelblich und
rötlich beleuchtete See, aber die ganze Beleuchtung scheint aus der
Wassertiefe heraufzulodern. Es ist wie ein brennender See. Die Alpen
sind lebendig geworden und tauchen ihre Stirnen unter fabelhaften
Bewegungen ins Wasser. Seine Schwäne umkreisen dort unten seine stille
Insel, und Baumkronen schweben in dunkler, singender und duftender
Seligkeit darüber. Worüber? Nichts, nichts. Kleist trinkt das alles.
Ihm ist der ganze dunkelglänzende See das Geschmeide, das lange,
auf einem schlafenden großen, unbekannten Frauenkörper. Die Linden
und Tannen und Blumen duften. Es ist ein stilles, kaum vernehmbares
Geläute da, er hört's, aber er sieht's auch. Das ist das Neue. Er will
Unfaßliches, Unbegreifliches. Unten im See schaukelt ein Boot. Kleist
sieht es nicht, aber er sieht die Lampen, die es begleiten, hin und
her schwanken. Er sitzt da, vorgebeugten Antlitzes, als müsse er zum
Todessprung in das Bild der schönen Tiefe bereit sein. Er möchte
in das Bild hineinsterben. Er möchte nur noch Augen haben, nur noch
ein einziges Auge sein. Nein, ganz, ganz anders. Die Luft muß eine
Brücke sein und das ganze Landschaftsbild eine Lehne, zum Daranlehnen,
sinnlich, selig, müde. Es wird Nacht, aber er mag nicht hinuntergehen,
er wirft sich an ein unter Sträuchern verborgenes Grab, Fledermäuse
umschwirren ihn, die spitzen Bäume lispeln mit leise daherziehenden
Windzügen. Das Gras duftet so schön, unter dem die Skelette der
Begrabenen liegen. Er ist so schmerzlich glücklich, zu glücklich,
deshalb so würgend, so trocken, so schmerzlich. So allein. Warum
kommen die Toten nicht und unterhalten sich auf eine halbe Stunde mit
dem einsamen Manne? In einer Sommernacht muß einer doch eine Geliebte
haben. Der Gedanke an weißlich schimmernde Brüste und Lippen jagt
Kleist den Berg hinunter, ans Ufer, ins Wasser, mit den Kleidern,
lachend, weinend.

Wochen vergehen. Kleist hat eine Arbeit, zwei, drei Arbeiten
vernichtet. Er will höchste Meisterschaft, gut, gut. Was da. Gezaudert?
Hinein in den Papierkorb. Neues, Wilderes, Schöneres. Er fängt die
Sempacherschlacht an mit der Figur des Leopold von Österreich im
Mittelpunkt, dessen sonderbares Geschick ihn reizt. Dazwischen erinnert
er sich des Robert Guiskard. Den will er herrlich haben. Das Glück, ein
vernunftvoll abwägender, einfach empfindender Mensch zu sein, sieht er,
zu Geröll zersprengt, wie polternde und schmetternde Felsblöcke den
Bergsturz seines Lebens hinunterrollen. Er hilft noch, es ist jetzt
entschieden. Er will dem Dichterunstern gänzlich verfallen sein: es ist
das beste, ich gehe möglichst rasch zugrunde!

Sein Schaffen zieht ihm die Grimasse, es mißlingt. Gegen den Herbst
wird er krank. Er wundert sich über die Sanftheit, die jetzt über ihn
kommt. Seine Schwester reist nach Thun, um ihn nach Hause zu bringen.
Tiefe Gruben liegen in seinen Wangen. Sein Gesicht hat die Züge und
die Farbe eines in der ganzen Seele Zerfressenen. Seine Augen sind
lebloser als die Augenbrauen darüber. Die Haare hängen ihm in dicken,
spitzen Klumpen von Strähnen in die Stirne, die verzerrt ist von all
den Gedanken, die ihn, wie er sich einbildet, in schmutzige Löcher und
Höllen hinabgezogen haben. Die Verse, die ihm im Gehirn tönen, kommen
ihm wie Rabengekrächze vor, er möchte sich das Gedächtnis ausreißen.
Das Leben möchte er ausschütten, aber die Schalen des Lebens will er
zuerst zertrümmert haben. Sein Grimm gleicht seinem Schmerz, sein Hohn
seinen Klagen. Was fehlt dir, Heinrich, liebkost ihn die Schwester.
Nichts, nichts. Das hat noch gefehlt, daß er sagen soll, was ihm
fehlt. Auf dem Boden des Zimmers liegen die Manuskripte wie von Vater
und Mutter scheußlich verlassene Kinder. Er gibt seiner Schwester die
Hand und begnügt sich, sie lange und stillschweigend anzuschauen. Es
gleicht bereits einem Glotzen, und das Mädchen schaudert.

Dann reisen sie. Das Meitschi, das Kleist die Wirtschaft geführt hat,
sagt ihnen Adieu. Es ist ein strahlender Herbstmorgen, der Wagen
rollt über Brücken, an Leuten vorbei, durch grobpflastrige Gassen,
Leute schauen zu Fenstern heraus, oben ist Himmel, unter Bäumen ist
gelbliches Laub, sauber ist alles, herbstlich, was weiter? Und der
Fuhrmann hat eine Pfeife im Mund. Es ist alles wie immer. Kleist sitzt
in eine Ecke des Wagens gedrückt. Die Türme des Thuner Schlosses
verschwinden hinter einem Hügel. Später, in weiter Ferne, sieht
die Schwester Kleistens noch einmal den schönen See. Ein bißchen
kühl ist es jetzt schon. Landhäuser kommen. Na nu, solche vornehme
Landsitze in einer solchen Berggegend? Weiter. Alles fliegt und
sinkt vor den Seitenblicken nach rückwärts, alles tanzt, kreist und
schwindet. Vieles ist schon in herbstliche Schleier gehüllt, und ein
bißchen vergoldet ist alles von einem bißchen Sonne, die aus Wolken
herausscheint. Solches Gold, wie das schimmert, und wie man's doch
nur im Dreck auflesen kann. Höhen, Felswände, Täler, Kirchen, Dörfer,
Gaffer, Kinder, Bäume, Wind, Wolken, ei was. Ist's was Besonderes?
Ist's nicht das Weggeworfen-Gewöhnlichste? Kleist sieht nichts. Er
träumt von Wolken und Bildern und ein bißchen von lieben, schonenden,
streichelnden Menschenhänden. Wie ist dir, fragt die Schwester. Kleist
zuckt mit dem Mund und will ihr ein wenig zulächeln. Es geht, aber
mühsam. Es ist ihm, als habe er vom Mund einen Steinblock wegräumen
müssen, um lächeln zu können.

Die Schwester wagt vorsichtig von baldiger Inangriffnahme einer
praktischen Betätigung zu reden. Er nickt, er ist selber der
Überzeugung. Ihm flimmern musizierende, helle Scheine um die Sinne.
Eigentlich, wenn er es sich aufrichtig gesteht, ist ihm jetzt ganz
wohl; weh, aber zugleich wohl. Es schmerzt ihn etwas, ja, in der
Tat, ganz recht, aber nicht in der Brust, auch nicht in der Lunge,
nicht im Kopf, was? Wirklich? Gar nirgends? Ja doch, so ein bißchen,
irgendwo, daß es ja sei, daß man's nicht genau sagen kann. Item, die
Sache ist nicht der Rede wert. Er sagt etwas, und dann kommen Momente,
wo er geradezu kindlich glücklich ist, und da natürlich macht das
Mädchen gleich eine etwas strenge, strafende Miene, um ihm's denn doch
auch ein bißchen zu zeigen, wie sonderbar er eigentlich mit seinem
Leben spiele. Das Mädchen ist eben eine Kleistin und hat Erziehung
genossen, das, was der Bruder über den Haufen hat werfen wollen. Sie
ist natürlich seelenfroh, daß es ihm besser geht. Weiter, hei, hei, ist
das eine Wagenfahrt. Aber zu guter Letzt wird man ihn laufen lassen
müssen, den Postwagen, und zu allerletzt kann man sich ja noch die
Bemerkung erlauben, daß an der Front des Landhauses, das Kleist bewohnt
hat, eine marmorne Tafel hängt, die darauf hindeutet, wer da gelebt
und gedichtet hat. Reisende mit Alpentourenabsichten können's lesen,
Kinder aus Thun lesen und buchstabieren es, Ziffer für Ziffer, und
schauen einander dann fragend in die Augen. Ein Jude kann's lesen, der
Christ auch, wenn er Zeit hat und nicht etwa der Zug schon im Abfahren
begriffen ist, ein Türke, eine Schwalbe, inwiefern sie Interesse daran
hat, ich auch, ich kann's gelegentlich auch wieder einmal lesen. Thun
steht am Eingang zum berner Oberland und wird jährlich von vielen
tausenden Fremden besucht. Ich kann die Gegend ein bißchen kennen, weil
ich dort Aktienbierbrauereiangestellter gewesen bin. Die Gegend ist
bedeutend schöner, als wie ich sie hier habe beschreiben können, der
See ist noch einmal so blau, der Himmel noch dreimal so schön, Thun hat
eine Gewerbeausstellung gehabt, ich weiß nicht, ich glaube vor vier
Jahren.




                            [Illustration]


                                Wenzel

Es ist Neujahrsabend, und wir befinden uns im Stadttheater zu Twann,
einem schon von den Römern gegründeten Städtchen, gelegen am Fuße einer
hohen Bergkette. Wir wollen uns indessen nicht über die Geographie
verbreiten, sondern den »Räubern« von Schiller zusehen, denn diese
werden gespielt, mit diesem Stück beginnt man gewöhnlich zu Twann die
Saison. Es wird feurig gespielt, wenigstens findet das Wenzel, ein
junger Drahtfabriklehrling von ungefähr siebzehn Jahren. Er steht
oder sitzt oben auf der Galerie, von der es allgemein heißt, sie drohe
nächstens zusammenzustürzen. Der Gemeinderatspräsident visitiert mit
Spazierstock und Augenmerk die Galeriebrücke schnell und bündig, dann
geht er in seine Loge hinunter, die Schaukel- und Hängebrücke wird für
diese Nacht schon noch fest genug halten.

Wie herrlich aufregend diese »Räuber« sind, und wie gehagelt voll das
Theater ist. Etwas Grünes hat man auf der Bühne gesehen, das ist der
Amaliapark gewesen, ein Degen ist blitzend gezogen worden, und ein
dünnbeiniger Schurke Franz hat sich auf seine Fersen gelegt, das heißt,
er hat vor dem Weib in Schwarz die Flucht ergriffen. Hundertfach schön
sind die Worte gewesen: »Könige sind Bettler, Bettler Könige!« --
Wenzel hat gezittert.

Dann hat es eine Nachtszene gegeben, mittelalterlich angehaucht, Franz
ist im Nachthemd hervorgedechlet, von Gespensterfurcht gejagt. Und
wie er sich dann solchermaßen, wie es der Autor vorgeschrieben hat,
benimmt, sich am Boden wälzt und ungeheuerliche Worte ausspricht,
brüllt ein Uhrschalenmacher von der Galerie hinunter: +il est
fou!+ Daraufhin gibt es einen Tumult. Der betrunkene Neujahrsbruder
wird hinunter- und hinausspediert, drei andere haben sich auf ihn
geworfen, das gibt natürlich ein Getrampel und Gefluche, und der
Franz-Mime wirft von unten her einen zündenden, edlen Blick auf die
Höhenszene hinauf. »Wie wenig Verständnis gibt es doch in der Welt für
die hohe Kunst«, denkt Wenzel.

Von da an ist sein heimlicher Entschluß gefaßt: er will Schauspieler
werden. Zufolgedessen begibt er sich in die Buchhandlung Rüfenach an
der Neuquartierstraße, um Klassikerwaren einzukaufen. Er gibt Geld
aus, ziemlich viel sogar, Geld ist zwar rar bei einem Lehrling, aber
was tut man nicht für eine erstmalig aufbrausende Begeisterung! Und
so schleppt er denn Schiller, Goethe und den großen Engländer unter
dem Arm in seine Dachkammer, ins elterliche Haus, und beginnt mit dem
Rollenstudium.

Er liest auch die aufreizenden Biographien großer Bühnenkünstler in
der »Gartenlaube« und in »Vom Fels zum Meer« und im »Buch für Alle«.
Diese nachher berühmt gewordenen Leute haben vorher alle scheinbar auch
kein Talent gehabt, gerade wie Wenzel, der vorläufig auch noch keins
hat, der schüchtern ist, gerade wie jene Großen, der arm ist, auch
gerade so, der Eltern hat, die ihn nicht verstehen, gerade so! Aber die
Berühmtgewordenen haben sich frühzeitig auf die Beine gemacht, um einen
Beschützer ihrer Pläne zu finden. Wenzel will das jetzt einstweilen
ebenfalls tun.

In der Stadt Twann lebt ein reicher Herr, Bankier seines Zeichens
und Wappens, eine Art Dandy, der in kostbarem Anzuge zu Pferd durch
die Straßen der Stadt reitet. Eine Art Fürst, von dem es bekannt
ist, daß er die Künste liebt und freigebig ist. In der Nacht des
St. Niklaustages wirft besagter Herr jedes Jahr Kleingeld unter die
notleidenden Schulkinder. Nun, ein notleidender Kunstbeflissener paßt
ihm vielleicht nicht weniger als die darbende Jugend. Kunst ist auch
eine Art Jugend, und der Kunsthunger peinigt nicht weniger als der
tatsächliche Durst und Hunger.

Und Wenzel entwirft folgendes Schreiben: Hochverehrter Herr! Ich wage
es, eine Bitte auszusprechen. Ich habe den Wunsch, Schauspieler zu
werden, ich denke, ich werde einer tüchtigen Ausbildung bedürfen.
Ich muß sprechen und mich benehmen lernen, das kostet Geld. Würden
Sie mir welches vorstrecken? Es wird viel von Ihrer Güte und
Menschenfreundlichkeit erzählt. Ich bin im Drahtzuge beschäftigt, und
wenn Sie sich über meine geringe Person erkundigen wollen -- aber wozu
das? Ich bitte Sie, nicht zu denken, ich bettle. Der Seelenernst, der
mich veranlaßt, Ihnen zu schreiben, bittet; er kann nicht betteln.
Tausend Franken würden genügen, ich kann Entbehrungen ertragen. Meine
Liebe zur Kunst ist eine offene, ich weiß nicht, wie groß sie ist, aber
ich messe sie auch nicht, ich leide darunter, also wird sie groß sein
müssen. Die Beschäftigung mit der Lektüre der Klassiker hat mich mutig
gemacht. Verzeihen Sie, daß ich glauben kann, Sie seien bereit, mir
Geld zu geben. Entschuldigen Sie die Kühnheit eines Herzens, das denkt,
es gebe hilfsbereite Menschen. Nehmen Sie mir diesen Ton nicht übel,
der junge Schiller hat auch so gesprochen.

 Hochachtungsvoll und hoffnungsvoll

  Wenzel.

Der Brief wird abgeschickt. Unterdessen werden Rollen auswendig
gelernt. Der junge Frohmutige bekleidet sich mit einer Samtweste, die
sein Vater zu Hochzeiten getragen hat. Über die Schulter wirft er
einen alten Onkelsmantel, der in einer Stadt am Mississippi erhandelt
worden ist, und um die Hüften wird eine Glarnerschärpe gewunden. Der
Kopf bekommt eine zweckentsprechende Bedeckung, es ist dies eine
Pfanne aus Filz, geziert mit einer Wildentenfeder. Die Hand hat sich
eine gräuliche Pistole zu verschaffen gewußt, und den Beinen haften
Waldhüterstiefel an. Also ausstaffiert wird »Karl« eingeübt.

Da fliegt auch schon aus der Villa des Kunstfürsten Antwort zurück:
»Lieber, junger Freund, hüten Sie sich vor Bühnenlaufbahnen, das ist
trügerisch. Glauben Sie mir, daß ich Ihr Bestes will, wenn ich Sie
davon abzuhalten versuche, in die Welt der großen Worte, der schönen
Gebärden und der glänzenden Kostüme hinüberzutreten. Der Schein hat Sie
verführt. Bleiben Sie ein fleißiger und bescheidener Bürger, und lesen
Sie nur die Klassiker, aber ruhig und ohne den Inhalt dieser schönen
Bücher ernster zu nehmen, als gesund und vernünftig ist.« --

Gesund und vernünftig. Das sind keine Worte, die ein heißes Kunstherz
trösten oder beruhigen. Wenzel macht dem Direktor des twanner
Stadttheaters einen Besuch, um diesen Mann zu ersuchen, ihn auf
die Tournees mitzunehmen. Er könne ja auch Körbe schleppen oder
Zettel vertragen. Er würde gesagt haben, er könne ja möglicherweise
auch Schuhe putzen, aber er hat nicht den Mut, das zu den Lippen
herauszustoßen. Ein spanischer Schnurrbart antwortet ihm: »Junger Mann,
ich kann unmöglich die Verantwortung übernehmen.«

Viele achtzehn Jahre alte Menschen gibt es auf der Welt, einige lassen
sich Rat sagen, aber andere hören auf kein noch so kluges Wort. Wenzel
will seinen Kopf durchsetzen. Er schreibt: »Edler Herr und Meister!«
und richtet unter diesem Titel einen Brief an einen hauptstädtischen,
beinahe ganz großen Schauspieler. Hierauf kommt es zur Talentprobe.
Ein paar verstaubte Lorbeerkränze hören dem Vortrag zu, eine Frau,
die wunderbar an Norddeutschland erinnert und an die Romane in der
»Gartenlaube«, und er selber, der donnersschön dastehende Mime, der ein
Gesicht hat, das an eine Abbildung denken läßt. Dieser Besuch endigt
wehmütig.

Zu Hause werden Maskenübungen vorgenommen. Wenzel versucht, Hamlet
in der Dachkammer zu geben. Ferdinand in »Kabale und Liebe« geht wie
von selber. Der Spiegel dient dazu, zu prüfen, ob man fähig sei, dem
Gesicht verschiedene Züge und Charaktere zu verleihen. Oft wird das
Haar in Unordnung geworfen, weil das malerischer ist und ein bißchen
Trost vorschwindelt. Auch bindet Wenzel selbstgeschnittene Seidenreste
um den Halskragen, das kleidet und versetzt um ein ganzes Jahrhundert
in die Zeiten zurück. Die Berge werden bestiegen, und hübsche,
runde Weidenplätze, die die Natur anmutig gebildet hat, müssen als
Schaubühne dienen. Rundum sind Tannen, und oben ist Himmel, und mitten
drin steht der angehende und anlaufende Schauspieler Wenzel. Eines
Tages tritt er dem Dramatischen Verein von Twann und Umgebung bei.

Ein Doktor der Literatur und Redakteur des »Expreß« leitet die
Unternehmung. Wenzel findet ihn trocken und anmaßend. In einem
hellerleuchteten Saal werden Übungen abgehalten, und der Doktor
korrigiert an den Sprachausdrücken herum. Eine Heroine ist auch da,
sie heißt Fräulein Sturm, und eine komische Alte, diese ist zwanzig
Jahre alt und hat eine Stumpfnase und heißt Fräulein Knuchel. Sie hätte
auch lieber das tragische Fach genommen, aber man hat gelacht über
ihre Schmerzen und hat sie ins Komische geworfen. Wenzel gibt man ein
historisches Trauerspiel »Niklaus Leuenberger« zum in die einzelnen
Rollen Abschreiben, er nimmt das Manuskript nach Hause.

Eines Abends nach dem Nachtessen will es der Vater ins Feuer werfen.
Wenzel verteidigt das Manuskript, einem Löwen nicht unähnlich, bedeckt
es mit der schützenden Hand und ruft aus: »Bist du ein Barbar, Vater,
daß du Werke anerkannter Dichter zerreißen und in den Ofen werfen
willst? Was haben diese schönen, armen Papiere dir zuleide getan? Gib
lieber mir Prügel, wenn du zornig auf eine Beschäftigung bist, die
du, wie es scheint, nicht zu würdigen, nur zu hassen imstande bist.
Meinst du, mich von meinen Plänen abspenstig gemacht zu haben dadurch,
daß es dir gelungen wäre, eine Tat der Wut und Unklugheit zu begehen?
Was willst du? Ohrfeige mich, aber rühre diese schriftstellerische
Arbeit, deren Wohlaufgehobenheit mir heilig ist, nicht mit der Hand
an. Außerdem verdiene ich mit Abschreiben Geld. Wie kann man sich
gegen eine unschuldige dramatische Dichtung derart ereifern, daß es
einen gelüsten kann, sie zu vernichten. Du tätest besser daran,
mir die Ideen, von denen es in meinem Kopfe wimmelt, aus demselben
herauszuschlagen, aber wie ist das möglich, ohne mir diesen Kopf
einzuschlagen? Wisse, Vater, Schauspieler habe ich werden wollen,
und Schauspieler will ich auch heute noch werden. Was gilt mir die
väterliche Zuneigung, wenn sie nicht anders kann, als dasjenige zu
hassen, und bestrebt ist, dasjenige auszurotten, was mir das Liebste
und Bedeutendste auf der Welt ist? Wie kann ich jemals von dem Fieber,
das mich ergriffen hat, durch so unpassende Heilmethoden, wie die sind,
die du dir anzuwenden erlaubst, geheilt werden, und wie ist es denkbar,
daß Liebe zur Kunst nur ein Fieber ist? Und wenn! Deine Angriffe
können mich niemals von der Schädlichkeit dieses Übels überzeugen, da
müßtest du mir viel leidenschaftsloser begegnen. Leidenschaft gegen
Leidenschaft, Krankheit gegen Krankheit! Ja, ich erlaube mir, das einen
Fanatismus zu nennen, den Ungestüm, mit welchem du bemüht bist, die
höhere Bildung, der ich mich hingegeben habe, mit Händen und Fäusten zu
ersticken. Ist es ein Unsinn, wovon ich entflammt bin, nun gut, so wird
er sich mir eines Tages in seiner wahren Gestalt und Stimme vorstellen,
ich werde den Kunstgedanken dann aufgeben und trostlos sein. Dein
Benehmen, lieber Vater, macht mich nicht unglücklich, sondern zornig,
und jetzt erlaube mir, das Zimmer und den Schauplatz einer unschönen
Szene zu verlassen und in meine Dachkammer hinaufzugehen.« So endet
eine grimmige Attacke auf ein Bühnenmanuskript.

Ein anderer Auftritt, der bald hierauf stattfindet, gestaltet sich viel
weicher, aber dafür viel schmerzlicher. Der Ort der Handlung ist die
Küche. Wenzel hilft seiner Schwester Mathilde beim Geschirrabtrocknen.
Diese sagt: »O, Wenzel, ich glaube halt doch nicht so recht an dein
Talent. Denke doch nur an den eleganten jugendlichen Liebhaber von
Müller. Du mein Gott, was bist du für ein grobes, gewöhnliches
Kräutchen dagegen. Was hast du für Manieren. Glaubst du, mit
dem bißchen Begeisterung, das du hast, auf die Welt der Bretter
hinaufgelangen zu können? Sieh dich doch an! Oder glaubst du, du
kämest aus in der großen Welt mit deinen paar Maria-Stuart-Rollen,
oder Mortimer, oder wie der Herr heißt, den du immer beim Schuhwichsen
vor dich her deklamierst? Ich kann mir das nicht so recht denken. Hast
du jemals Handschuhe getragen? Du bist ja doch zu so etwas viel, viel
zu schüchtern. Du kannst nicht einmal den Mund auftun, wenn meine
Freundinnen da sind, wieviel weniger auf offener Bühne vor aller
versammelter Welt Augen. Das mag für andere das Leichteste sein, für
dich aber ist es schwer, glaube mir das. Mach du lieber Gedichte.«

Wenzel erwidert: »Ich weiß wohl, wie unfertig und unbeholfen ich bin.
Aber ich meine, es kommt in der Kunst allein auf das freche Maul
auch nicht immer an. Was sind das für Künstler, deine jugendlichen
und ältlichen Herren Liebhaber, von denen du mir da vorredest, diese
von Beck und von Müller und von Almen. Soviel wie die kann ich bald
auch noch. Aber freilich, ein glänzendes Auftreten, unverfroren wie
nichts in der Welt sonst, das besitzen sie. Da kann ich ihnen lange
nachspringen, bis ich sie nur eingeholt, geschweige denn überflügelt
habe. Das ist allerdings traurig. Aber wenn du mir zumutest, statt an
den schönen Schauspielen zu hängen, Gedichte zu machen, so muß ich dir
meinerseits danken.«

Der Dramatische Verein führt ein Stück von Schönthan auf. Wenzel
soll einen prinzlichen Lakaien spielen, der unter anderem eine
Ohrfeige hinzunehmen hat. Nein, das kann er nicht spielen, das ist
zu elend. Das verletzt zu sehr. Er flüchtet am Aufführungsnachmittag
in die Berge. Der wilde, kalte Wind braust, die hohen Tannen biegen
und beugen sich, wie gut und natürlich ist das, im Vergleiche zum
ohrfeigengewärtigenden Lakaien. Er bleibt der Vorstellung fern, es
ist zu dumm, zu vernichtend, zu nichtswürdig, er kann nicht. »Habe
ich solchermaßen Liebe zur Bühne?« denkt Wenzel, »ist das Liebe?« Die
Rolle ist ihm nicht gut genug, und da fragt er sich nun, ob das der
Beweis seiner Unfähigkeit sei, auf der Bühne aufzutreten. Sein Gewissen
sagt ihm: »Die Liebe und die Leidenschaften vertragen alles, auch eine
Ohrfeige.«

Nach Verlauf zweier Monate befindet sich Wenzel in einer
entfernten größeren Stadt, er verdient sich sein Leben in einem
Speditionsgeschäft, er bezieht Gehalt, er spart, er nimmt Unterricht,
regelrechten, bei einem anerkannt tüchtigen Heldenspieler. Jetzt
wird die Sache doch wohl endlich vorwärtsgehen. Er macht Lungen-,
Zungen-, Lippen- und Atemübungen und lernt Vokale und Konsonanten
richtig und deutlich aussprechen. Es imponiert ihm, wie methodisch der
Unterricht sich vorwärtsbewegt, und der Schauspieler sagt ihm: »Sie
machen Fortschritte«. In diesem Moment erhält der Lehrer und Erzieher
folgenden Brief vom Vater Wenzels:

  An den Schauspieler Jank.

Sie geben meinem Sohn Unterricht. Diese Neuigkeit ist mir zu meinem
großen Leidwesen durch dortige Verwandte, bei denen Wenzel, dieser, wie
es scheint, höchst Ungeratene, in Kost und Logis lebt, zugegangen. Sie
sollen das nicht tun, Sie sollen das schleunigst aufgeben. Der leidigen
Affären habe ich mit meinem Sohne nun schon genug gehabt. Traurig
ist, daß Sie, an den sich der Schlingel heranzumachen verstanden hat,
denselben nicht augenblicklich fortgeschickt haben, sondern ihn, wie
ich erfahre, unterstützen im Glauben und in der Vorliebe für Dinge,
die in meinen und anderer gesetzt lebenden Menschen Augen von jeher
als unanständig gegolten haben. Das fehlt noch, daß mein Sohn, als ein
Sproß braver, bürgerlicher Eltern, zu den Lumpenkomödianten übertreten
sollte und sich zu den Gesellen zählen müßte, die die Schande, in
welcher sie herumlottern und leben, gar noch für etwas Gutes und
Erlaubtes halten. Ich kann mir denken, daß es Ihnen willkommen ist,
einen Nebenverdienst durch Unterrichtgeben zu gewinnen, aber der
Unterricht, den Sie und die Leute Ihrer Verfassung und Umgebung
erteilen, schadet, er ist etwas Sündhaftes, er wirkt verderblich auf
Moral und Charakter. Wer Sie sind, weiß ich nicht, es genügt, daß ich
das Gefühl habe, Sie gehören zu denjenigen Menschen, deren Stellung in
der Welt keine, deren Tun unvertrauenswert und deren Lebensweise eine
tief zerrüttete ist. Ich habe angedeutet, zu welcher Klasse von Leuten
gehörig ich Sie vermute. Wenzel ist ein Taugenichts und verdiente, bei
Ihnen gelassen zu werden. Vielleicht haben Sie soviel letzte Ehre,
Herr Schauspieler und Bühnenkomödiant, auf diese Worte den Bengel die
Treppe hinunterzuwerfen, anderenfalls steht mir die Hilfe der Polizei
zur raschen Verfügung.

  Achtungsvoll

  der Vater von Wenzel.

Der gesegnete Unterricht hat damit ein Ende. Der Heldenspieler sagt
zu Wenzel: »Sehen Sie, ein solcher Mensch ist Ihr Vater. Ich kann ihn
verklagen, wenn ich will, aber ich tu's nicht. Seine Beleidigungen
treffen mich nicht, und damit ist es gut. Er hat von uns Künstlern die
Meinung eines borniert-bürgerlich denkenden Menschen, und es fragt
sich, wer von uns beiden der bessere und gutwilligere Staatsbürger ist,
ich oder Ihr Herr Vater.«

Wenzel geht nach Hause und macht seinen Tanten, bei denen er wohnt,
Vorwürfe. Er sagt: »Was habt ihr euch in meine Kunstzwecke und -ziele
einzumischen gehabt? So! Jetzt ziehe ich von euch weg, habt ihr
verstanden? Die guten Konfitüreomeletten, die man hier ißt, sind kein
genügender Grund, sich ruhig die Verbindungen mit so vortrefflichen
Leuten, wie dem guten Heldenspieler, abknüpfen und abknipsen zu lassen.
Meinetwegen eßt sie selber. Ich bin alt genug, daß ich im Restaurant
essen und wohnen kann, wo es mir behagt. Zum Ersten ziehe ich aus. Und
in dieser Stadt bleibe ich überhaupt nicht mehr sehr lange. Sie ist mir
verleidet.«

In der Tat, Wenzel reist bald ab. Er packt seine Schauspielergedanken
in seinen Handkoffer, auch die Klassiker vergißt er nicht. Er fährt
nach dem Schwabenland. Dort hat man ihm aber eines Tages dann ganz
gehörig die Meinung gesagt, es hat einfach geheißen: »Junger Mann, von
wo Sie auch abstammen, gut oder minder gut bürgerlich, Ihnen fehlen die
göttlichen Funken!«




                            [Illustration]


                               Paganini

                               Variation

Der Konzertsaal war dichtgedrängt voll von Menschen, da trat Paganini,
die Geige in der Hand, hervor und fing ohne die mindesten Umschweife
und Komplimente an zu spielen, indem er frei von der Seele weg
phantasierte. Paganini wußte nie zum voraus, was und wie er spielen
würde; ebensowenig musizierte er, als wenn er für ein geehrtes
Publikum Musik machen sollte und wollte. Nein, er spielte wie für sich
selber oder wie für niemanden; er spielte so wie es ihn packte, und
einmal das Spiel begonnen, vergaß er, daß er spielte.

Auch diesmal war das so, auch heute, wo doch Fürsten und Fürstinnen im
Saale saßen, um ihm zu lauschen, wußte er gar nicht, wo er war, spielte
er, als spiele er für niemanden.

Aber gerade darum spielte er so schön. Er spielte, wie wenn er der
Sklave seines Zauberspieles sei, und das Spiel der dämonische Zauberer.
Nicht er selber war so sehr der Dämon als vielmehr es, das Spiel, ganz
allein, und er, der Spieler, der Unterjochte, darum spielte er, als sei
er der blasse silberne Mond, der sich taucht in das mitternächtliche
tiefe schwarze Wasser; als sei er der blitzende Stern am dunklen
stillen Himmel; als sei er das Wort im Mund des Liebenden, redend zu
der Geliebten; als sei er eine Nachtigall und wisse sich nicht zu
lassen vor Lust am Klagen und süßen Seufzen, als sei er das stolze
feurige Pferd und galoppiere in die Schlacht, als sei er der verwundete
Krieger in der Schlacht und müsse sterben an seinen Wunden; als sei er
wieder das sechzehnjährige Mädchen und träume von Liebe; als sei er
der Kuß, gegeben und empfangen von zwei schönen zuckenden, fiebernden
Lippenpaaren und ziehe sich in die Länge, als müßten zwei, die sich
sterblich lieben, für immer grausam voneinander Abschied nehmen, am
letzten feierlichen Kuß noch recht lange lechzend.

So spielte er, und die Zuhörer hatten Tränen in den Augen. Den bösesten
Wüstling und Rohling überfielen Zartheiten, deren Gewalt er sich
nicht erwehren konnte, die Männer vergaßen, daß sie Männer seien und
überließen sich völlig dem Genuß des Horchens und Empfindens; und
die Frauen fühlten sich geküßt und geherzt von einem eingebildeten
Geliebten, der sinnlich überirdisch sich auf sie niederstürzte, ganz
Liebkosung.

So spielte er. Gleich einem Engel spielte er, und viele Hörer deckten
sich die Augen zu, um mit inneren Augen in das Reich der Seele, der
Liebe und der strahlenden Schönheit zu schauen. Oftmals aber wieder
wetterte und zürnte er wie das tobende, krachende, zischende und
stürmende Ungewitter, der grollende, zürnende Donner rollte, und
ein schwarzer, mit Zorn und Finsternis geladener Himmel sank in den
Konzertsaal, und der Blitz zuckte jäh umher mit seinen schauerlich
schönen, jähzornig-anmutigen Zickzacklinien. Unmittelbar darauf verlor
er sich in süßen, sonnigen, goldenen Harmonien, daß die Leute meinten,
sie seien in den Himmel gekommen und alles um sie her sei blau von
Freude, Güte und Liebe. Dies war eine Art von allesumfassender Liebe,
eine Art von Schwelgen und Schmelzen in Seligkeiten. Paganinis Musik
glich oft einer hinreißend schönen Predigt, und die strenggläubigsten
Leute besuchten gern sein Konzert, das einen Feuerstrom von Religion
enthielt. Auch heute wieder spielte er wie ein Prediger des Wortes
Gottes; nur waren es Töne, nicht Worte, und der Mund, mit dem er
redete, war seine Geige, der er die ganze Tonwelt entlockte. Bald
jammerte und bald jubelte er; bald loderte er wie das Feuer und bald
zerfloß er wie weicher nasser Schnee unter dem Kuß der Sonne. Auf
einmal war er das Meer; dann wieder glich er der keuschen schüchternen
Blüte, aber immer war er wahr und groß und er spielte ohne alle
Umstände. Die Musik war ihm wie das wogende Leben selber; wie hätte er
da eitel sein können? Er litt ja unter der Kunst; sie war seine süße
unerbittliche Herrin, der Felsen, den er zu erklettern, der Widerstand,
den er zu besiegen, der Himmel, den er von neuem immer wieder zu
erstürmen und zu erobern hatte.

Auch an diesem Abend war das wieder so: er lebte, indem er spielte
und war ganz nur Mensch, wo er konzertierte. Alle, die ihm zuhörten,
fühlten das. Wer gehässig und überdrüssig war, der fing an zu lieben
und zu beten beim Anhören des wunderbaren Spieles, das in die Seelen
strahlte wie Sonnenstrahlen. Die Abneigung mußte sich in Neigung,
der Unmut sich in Mut, die Unlust sich in Lust und der Unsegen sich
in Segen verwandeln. So bannte und bezauberte er das Publikum, sich
selber bezaubernd. Erinnerungen machte er aufsteigen, und lange Zeit
schon Totes und Verschüttetes erweckte er zum Leben; dafür war, wer ihm
lauschte, ganz nur Aufmerksamkeit, ganz nur Ohr.

Da plötzlich, als sei er erwacht aus einem schönen Traum, endete er
sein Spiel. Da war es den Leuten ums Herz, als sei die ganze Zeit über,
während er gespielt hatte, der Himmel offen gewesen, und nun sei der
Anblick ihnen wieder verloren gegangen. Still erhoben sie sich von den
Plätzen und gingen nach Hause.




                            [Illustration]


                       Die Schlacht bei Sempach

Eines Tages, mitten im heißen Sommer, zog sich auf der staubbedeckten
Landstraße ein Heereszug in die Luzerner Gegend langsam dahin. Die
helle, eigentlich mehr als helle Sonne blendete auf die tanzenden
Rüstungen herab, auf Rüstungen, die Menschenkörper bedeckten, auf
tanzende Rosse, auf Helme und Stücke Gesichter, auf Pferdeköpfe und
Schweife, auf Zieraten und Büsche und Steigbügel, die groß waren wie
Schneeschuhe. Rechts und links von dem glänzenden Heereszug breiteten
sich Wiesen mit Tausenden von Obstbäumen aus, bis an Hügel heran,
die aus der blau-duftenden, halb verschwommenen Ferne wie leise
und behutsam gemalte Dekorationen winkten und wirkten. Es war eine
vormittäglich drückende Hitze, eine Wiesenhitze, eine Gras-, Heu-
und Staubhitze, denn Staub wurde aufgeworfen, wie dicke Wolken, die
manchmal Stücke und Teile vom Heer einhüllen wollten. Schleppend,
stampfend und nachlässig ging die schwere Kavalkade vorwärts; sie glich
oft einer schillernden, langen Schlange, oft einer Eidechse ungeheuren
Umfanges, oft einem großen Stück Tuch, reich von Figuren und farbigen
Formen durchwoben und feierlich nachgezogen, wie Damen, meinetwegen
ältliche und herrische, gewöhnt sind, Schleppen nachzuziehen. In der
ganzen Art und Weise dieses Heergewoges, im Stampfen und Klirren,
in diesem schnöden schönen Gerassel lag ein einziges »Meinetwegen«
enthalten, etwas Freches, sehr Zuversichtliches, etwas Umwerfendes,
träg beiseite Schiebendes. Alle diese Ritter unterhielten sich,
so gut es durch die stählernen Mäuler gehen wollte, in fröhlichem
Wortgefecht miteinander; Lachen ertönte und dieser Laut paßte
vorzüglich zu dem hellen Ton, den die Waffen und Ketten und goldenen
Gehänge verursachten. Die Morgensonne schien manches Blech und feinere
Metall noch zu liebkosen, die Pfeifentöne flogen zu der Sonne herauf;
ab und zu reichte einer der vielen zu Fuß daherstelzenden Diener
seinem reitenden Herrn einen delikaten Bissen, an eine silberne
Gabel gesteckt, zum schwankenden Sattel hinauf. Wein wurde flüchtig
getrunken, Geflügel verzehrt und nicht Eßbares ausgespuckt, mit
einer leichten, sorglosen Gemütlichkeit, denn es ging ja in keinen
ernsthaften, ritterlichen Krieg, es ging zu Abstrafung, Notzucht, zu
blutigen, höhnischen, schauspielerischen Dingen, so dachte jeder;
und jeder erblickte schon die Masse von abgeschlagenen Köpfen, die
die Wiese blutig färben sollten. Unter den Kriegsherren befand sich
mancher wundervolle junge adelige Mensch in herrlicher Bekleidung, zu
Pferd sitzend wie ein vom blauen, ungewissen Himmel niedergeflogener
männlicher Engel. Mancher hatte den Helm, um es sich bequem gemacht
zu haben, abgezogen und einem Troßbuben zum Tragen herabgereicht und
zeigte so der freien Luft ein sonderbar von Unschuld und Übermut schön
gezeichnetes Gesicht. Man erzählte die neuesten Witze und besprach
die jüngsten Geschichten von galanten Frauen. Wer ernst blieb, wurde
zum besten gehalten; eine nachdenkliche Miene schien man heute
unanständig und unritterlich zu finden. Die Haare der Jünglinge, die
ihren Helm abgenommen hatten, glänzten und dufteten von Salben und Öl
und wohlriechendem Wasser, das sie sich aufgeschüttet hatten, als habe
es gegolten, zu einer koketten Dame zu reiten, um ihr reizende Lieder
vorzusingen. Die Hände, von denen die eisernen Handschuhe abgestreift
worden, sahen nicht kriegerisch, vielmehr gepflegt und verhätschelt
aus, schmal und weiß wie Hände von jungen Mädchen.

Einer allein in dem tollen Zug war ernst. Schon sein Äußeres, eine
tiefschwarze, von zartem Gold durchbrochene Rüstung, zeigte an, wie
der Mensch, den sie deckte, dachte. Es war der edle Herzog Leopold von
Österreich. Dieser Mann sprach kein Wort; er schien ganz in sorgenvolle
Gedanken versunken. Sein Gesicht sah aus wie das eines Menschen, der
von einer frechen Fliege um das Auge herum belästigt wird. Diese Fliege
wird wohl seine böse Ahnung gewesen sein, denn um seinen Mund spielte
ein fortwährendes verächtlich-trauriges Lächeln; das Haupt hielt er
gesenkt. Die ganze Erde, so heiter sie auch aussah, schien ihm zornig
zu rollen und zu donnern. Oder war es nur der trampelnde Donner der
Pferdehufe, da man jetzt eine hölzerne Reußbrücke passierte? Immerhin:
etwas Unheilverkündendes wob schauerlich um des Herzogs Gestalt.

                   *       *       *       *       *

In der Nähe des Städtchens Sempach machte das Heer Halt; es war jetzt
so um zwei Uhr nachmittags. Vielleicht war es auch drei Uhr; es war den
Rittern so gleichgültig, wieviel Uhr es sein mochte; ihretwegen hätte
es zwanzig Uhr sein dürfen: sie würden es auch in der Ordnung gefunden
haben. Man langweilte sich schon schrecklich und fand jede leise Spur
von kriegerischer Maßregel lächerlich. Es war ein stumpfsinniger
Moment, es glich einem Scheinmanöver, wie man jetzt aus den Sätteln
sprang, um Stellung zu nehmen. Das Lachen wollte nicht mehr tönen,
man hatte schon so viel gelacht, eine Ermattung, ein Gähnen stellte
sich ein. Selbst die Rosse schienen zu begreifen, daß man jetzt nur
noch gähnen könne. Das dienende Fußvolk machte sich hinter die Reste
der Speisen und Weine, soff und fraß, was es noch zu fressen und zu
saufen gab. Wie lächerlich dieser ganze Feldzug allen erschien! Dieses
Lumpenstädtchen, das noch trotzte: wie dumm das war!

Da ertönte plötzlich in die furchtbare Hitze und Langeweile hinein
der Ruf eines Hornes. Eine eigentümliche Ankündigung, die ein paar
aufmerksamere Ohren horchen ließ: Was kann da nun sein? Horch: schon
wieder. Da tönte es schon wieder, wirklich, und man hätte allgemein
glauben sollen, diesmal ertöne es in weniger weiter Entfernung. »Aller
guten Dinge sind drei«, lispelte ein geckiger Witzbold; »töne doch
noch einmal, Horn!« Eine Weile verging. Man war etwas nachdenklich
geworden; und nun, mit einem Mal, fürchterlich, als hätte das Ding
Flügel bekommen und reite auf feurigen Ungeheuern daher, flammend und
schreiend, setzte es noch einmal an, ein langer Schrei: Wir kommen! Es
war in der Tat, als bekomme da plötzlich eine Unterwelt Lust, durch
die harte Erde durchzubrechen. Der Ton glich einem sich öffnenden
dunklen Abgrund und es wollte scheinen, als ob jetzt die Sonne aus
einem finsteren Himmel herableuchte, noch glühender, noch greller,
aber wie aus einer Hölle, nicht wie aus einem Himmel herab. Man lachte
auch jetzt noch; es gibt ja Momente, wo der Mensch glaubt, lächeln zu
sollen, während er sich vom Entsetzen angepackt fühlt. Die Stimmung
eines Heereszuges von vielen Menschen ist schließlich ja nicht viel
anders als die Stimmung eines einzelnen, einsamen Menschen. Die ganze
Landschaft in ihrer brütend weißlichen Hitze schien jetzt nur noch
immer Tut zu machen, sie war zum Hörnerton geworden; und nun warf sich
denn auch alsobald zu dem Tonraum, wie aus einer Öffnung, der Haufe
von Menschen heraus, denen der Ruf vorangegangen war. Jetzt hatte die
Landschaft keine Kontur mehr; Himmel und sommerliche Erde verschwammen
in ein Festes; aus der Jahreszeit, die verschwand, war ein Fleck, ein
Fechtboden, ein kriegerischer Spielraum, ein Schlachtfeld geworden.
In einer Schlacht geht die Natur immer unter, der Würfel herrscht nur
noch, das Gewebe der Waffen, der Haufe Volkes und der andere Haufe
Volkes.

Der vorwärtseilende, allem Anschein nach hitzige Volkshaufe kam näher
heran. Und der ritterliche Haufe war fest, er schien auf einmal
ineinandergewachsen zu sein. Kerle von Eisen hielten ihre Lanzen vor,
daß man auf der Lanzenbrücke hätte per Break spazierenfahren können,
so dicht waren die Ritter eingeklemmt und so stumpfsinnig stach Lanze
an Lanze nach vorn, unbeweglich, unverrückbar, gerade etwas, sollte
man gemeint haben, für so eine drängende, stürmende Menschenbrust, die
sich daran festspießen könnte. Hier eine stupide Wand von Spitzen, dort
Menschen, mit Hemden zur Hälfte bedeckt. Hier Kriegskunst, von der
borniertesten Sorte, dort Menschen von ohnmächtigem Zorn ergriffen. Da
stürmte nun immer einer und dann der andere, verwegen, um nur dieser
ekelhaften Unlust ein Ende zu machen, in eine der Lanzenspitzen toll,
verrückt, vom Zorn und von der Wut hingeworfen. Natürlich auf die Erde,
ohne nur den behelmten und befiederten Lümmel aus Eisen noch mit
der Handwaffe getroffen zu haben, erbärmlich aus der Brust blutend,
sich überschlagend, das Gesicht in den staubigen Rossedreck, den hier
die adeligen Rosse hinterlassen hatten. So ging's all diesen beinahe
unbekleideten Menschen, während die Lanzen, schon von dem Blut gerötet,
höhnisch zu lächeln schienen.

                   *       *       *       *       *

Nein: Das war nichts; man sah sich auf der Seite der »Menschen«
genötigt, einen Trick anzuwenden. Der Kunst gegenübergestellt, wurde
Kunst nötig oder irgendein hoher Gedanke; und dieser höhere Gedanke,
in Gestalt eines Mannes von hoher Figur, trat auch alsogleich vor,
merkwürdig, wie von einer überirdischen Macht vorgeschoben, und sprach
zu seinen Landsleuten: »Sorget ihr für mein Weib und für meine Kinder,
ich will euch eine Gasse bohren«; und warf sich blitzschnell, um nur
ja nicht an seiner Lust, sich zu opfern, zu erlahmen, in vier, fünf
Lanzen, riß auch noch mehrere, so viele, wie er sterbend packen konnte,
nach unten, zu seiner Brust, als könne er gar nicht genug eiserne
Spitzen umarmen und an sich drücken, um nur ja so recht aus dem Vollen
untergehen zu können, und lag am Boden und war Brücke geworden für
Menschen, die auf seinen Leib traten, auf den hohen Gedanken, der eben
getreten sein wollte. Nichts wird je wieder einem solchen Schmettern
gleichen, wie nun die leichten, von der Wut gestoßenen und gehobenen
Berges- und Talmenschen hineinschmetterten, in die tolpatschige
verruchte Wand hinein, und sie zerrissen und zerklopften, Tigern
ähnlich, die eine wehrlose Herde von Kühen zerreißen. Die Ritter waren
jetzt fast ganz wehrlos geworden, da sie sich, in ihre Enge gekeilt,
kaum nach einer Seite bewegen konnten. Was auf Pferden saß, wurde wie
Papier hinuntergeworfen, daß es krachte, wie mit Luft gefüllte Tüten
krachen, wenn man sie zwischen zwei Händen zusammenschlägt. Die
Waffen der Hirten erwiesen sich jetzt als furchtbar und ihre leichte
Bekleidung als gerade recht; um so lästiger waren die Rüstungen für
die Ritter. Köpfe wurden von Hieben gestreift, scheinbar nur gestreift
und erwiesen sich schon als eingeschlagen. Es wurde immer geschlagen,
Pferde wurden umgeworfen, die Wut und die Kraft nahmen immer zu, der
Herzog wurde getötet; es wäre ein Wunder gewesen, wenn er nicht getötet
worden wäre. Diejenigen, die schlugen, schrien dazu, als gehöre es sich
so, als wäre das Töten eine noch zu geringfügige Vernichtung, etwas nur
Halbes.

Hitze, Dampf, Blutgeruch, Dreck und Staub und das Geschrei und Gebrüll
vermischten sich zu einem wilden, höllischen Getümmel. Sterbende
empfanden kaum noch ihr Sterben, so rapid starben sie. Sie erstickten
vielfach in ihren prahlerischen Eisenrüstungen, diese adeligen
Dreschflegel. Was galt nun noch eine Stellungnahme? Jeder würde
gern darauf gepfiffen haben, wenn er überhaupt noch hätte pfeifen
können. An die hundert schönen Edelleute ertranken, nein: ersoffen im
nahegelegenen Sempachersee; sie ersoffen, denn sie wurden wie Katzen
und Hunde ins Wasser gestürzt, sie überpurzelten und überschlugen sich
in ihren eleganten Schnabelschuhen, daß es eine wahre Schande war. Der
herrlichste Eisenpanzer konnte nur noch Vernichtung versprechen und die
Verwirklichung dieser Ahnung war eine fürchterlich korrekte. Was war es
nun, daß man daheim, irgendwo im Aargau oder in Schwaben, Schloß, Land
und Leute besaß, eine schöne Frau, Knechte, Mägde, Obstland, Feld und
Wald und Abgaben und die feinsten Privilegien? Das machte das Sterben
in diesen Pfützen, zwischen dem straffgezogenen Knie eines tollen
Hirten und einem Stück Boden, nur noch bitterer und elender. Natürlich
zerstampften die Prachtrosse in wilder Flucht ihre eigenen Gebieter;
viele Herren auch blieben, indem sie jählings absteigen wollten, in
den Steigbügeln mit ihren dummen Modeschuhen hängen, so daß sie mit
den blutenden Hinterköpfen die Wiesen küßten, während die erschreckten
Augen, bevor sie erloschen, den Himmel über sich wie eine ergrimmte
Flamme brennen sahen. Freilich brachen auch Hirten zusammen, aber auf
einen Nacktbrüstigen und Nacktarmigen kamen immer zehn Stahlbedeckte
und Eingemummelte. Die Schlacht bei Sempach lehrt eigentlich, wie
furchtbar dumm es ist, sich einzumummeln. Hätten sie sich bewegen
können, diese Hampelmänner: gut, sie würden sich eben bewegt haben;
einige taten es, da sie endlich sich vom Allerunerträglichsten,
was sie über dem Leib hatten, befreit hatten. »Ich kämpfe mit
Sklaven, o Schande!« rief ein schöner Junge mit gelblich vom Haupt
niederquellenden Locken und sank, von einem grausamen Hieb ins liebe
Gesicht getroffen, zu Boden, wo er, zu Tode verwundet, ins Gras biß mit
dem halb zerschmetterten Munde. Ein paar Hirten, die ihre Mordwaffen
aus den Händen verloren hatten, fielen wie Ringer auf dem Ringplatz
die Gegner von unten herauf mit Nacken und Kopf an oder warfen sich,
den Streichen ausweichend, auf den Hals der Ritter und würgten, bis
abgewürgt war.

                   *       *       *       *       *

Inzwischen war Abend geworden, in den Bäumen und Büschen glühte das
erlöschende Licht, während die Sonne zwischen den dunklen Vorbergen wie
ein toter, schöner, trauriger Mann untersank. Die grimmige Schlacht
hatte ein Ende. Die schneeweißen, blassen Alpen hingen im Hintergrund
der Welt ihre schönen, kalten Stirnen hinunter. Man sammelte jetzt
die Toten, man ging zu diesem Zweck still umher, hob auf, was an
gefallenen Menschen am Boden lag, und trug es in das Massengrab, das
andere gegraben hatten. Fahnen und Rüstungen wurden zusammengetan, bis
es ein stattlicher Haufe wurde. Geld und Kostbarkeiten, alles gab
man an einem bestimmten Ort ab. Die meisten dieser einfachen, starken
Männer waren still und gut geworden; sie betrachteten den erbeuteten
Schmuck nicht ohne wehmutvolle Verachtung, gingen auf den Wiesen
umher, sahen den Erschlagenen in die Gesichter und wuschen Blut ab,
wo es sie reizte, zu sehen, wie etwa noch die besudelten Gesichtszüge
aussehen mochten. Zwei Jünglinge fand man zu Füßen eines Buschwerkes
mit Gesichtern, so jung und hell, mit im Tode noch lächelnden Lippen,
umarmt am Boden. Dem einen war die Brust eingeschlagen, dem anderen
der Leib durchgehauen worden. Bis in die späte Nacht hatten sie zu
tun; mit Fackeln wurde dann gesucht. Den Arnold von Winkelried fanden
sie und erschauerten beim Anblick dieser Leiche. Als die Männer ihn
begruben, sangen sie mit dunkeln Stimmen eins ihrer schlichten Lieder;
mehr Gepränge gab es da nicht. Priester waren nicht da; was hätte
man mit Priestern tun sollen? Beten und dem Herrgott danken für den
erfochtenen Sieg: Das durfte ruhig ohne kirchliches Gefackel geschehen.
Dann zogen sie heim. Und nach ein paar Tagen waren sie wieder in ihre
hohen Täler zerstreut, arbeiteten, dienten, wirtschafteten, sahen nach
den Geschäften, versahen das Nötige und sprachen noch manchmal ein
Wort von der erlebten Schlacht; nicht viel. Sie sind nicht gefeiert
worden (ja, vielleicht ein bißchen, in Luzern beim Einzug): gleichviel,
die Tage gingen darüber weg, denn barsch und rauh werden die Tage mit
ihren mannigfachen Sorgen schon damals, Anno 1386, gewesen sein. Eine
große Tat tilgt die mühselige Folge der Tage nicht aus. Das Leben steht
an einem Schlachtentag noch lange nicht still; die Geschichte nur
macht eine kleine Pause, bis auch sie, vom herrischen Leben gedrängt,
vorwärtseilen muß.




                            [Illustration]


                        Tagebuch eines Schülers

Als Progymnasiast sollte man eigentlich anfangen, ein wenig ernsthaft
über das Leben nachzudenken. Nun: Das gerade will ich versuchen.
Einer unserer Lehrer heißt Wächli. Ich muß immer lachen, wenn ich an
Wächli denke; er ist doch zu komisch. Er gibt immer Ohrfeigen, aber
diese seltsamen Ohrfeigen tun gar nicht weh. Der Mann hat es noch
nicht gelernt, richtige, gutsitzende Ohrfeigen zu geben. Er ist der
gutmütigste, drolligste Mensch der Welt; und wie ärgern wir ihn! Das
ist nicht edel. Wir Schüler sind überhaupt keine vornehmen Naturen;
uns fehlt vielfach das schöne abmessende Taktgefühl. Warum stürzen
wir uns mit unserem Witz eigentlich gerade über einen Wächli? Wir
haben wenig Mut; wir verdienten einen Inquisitor zum Vorgesetzten.
Ist Wächli einmal vergnügt und heiter, dann benehmen wir uns so, daß
seine muntere, zufriedene Stimmung augenblicklich davonfliegen muß. Ist
das richtig? Kaum. Ist er zornig, so lachen wir ihn nur aus. Ach, es
gibt Menschen, die im Zorn so komisch sind; und gerade Wächli scheint
zu dieser Sorte zu gehören. Des Meerrohres bedient er sich nur ganz
selten; er ist sehr selten in solcher Wut, daß er nötig hat, zu diesem
widerwärtigen Mittel zu greifen. Dick und groß ist er von Gestalt und
sein Gesicht ist purpurrot angelaufen. Was soll ich noch sonst von
diesem Wächli sagen? Im allgemeinen, scheint mir, hat er seinen Beruf
verpaßt. Er sollte Bienenzüchter sein oder so etwas. Er tut mir leid.

                   *       *       *       *       *

Blok (so heißt unser Französischlehrer) ist ein langer, dürrer Mensch
von unsympathischem Wesen. Er hat dicke Lippen und die Augen möchte man
auch dick und aufgeblasen nennen; sie ähneln den Lippen. Er spricht
boshaft und geläufig. Das hasse ich. Ich bin sonst ein ganz guter
Schüler, aber bei Blok habe ich meistens nur Mißerfolge zu verzeichnen.
Das kommt jedenfalls daher, daß dieser Mensch mir das Lernen verleidet.
Man muß ein unempfindlicher Kerl sein, um bei Blok gut und brav
dazustehen. Nie kommt er aus sich heraus. Wie verletzend ist das für
uns Schüler, empfinden zu müssen, daß wir ganz außerstande sind, diese
lederne Briefmappe von Mensch irgendwie ärgern zu können. Er gleicht
einer Wachsfigur und das hat etwas Unheimliches und Schreckliches. Er
muß einen häßlichen Charakter haben und ein abscheuliches Familienleben
führen. Gott behüte einen vor solch einem Vater. Mein Vater ist ein
Juwel: Das empfinde ich besonders lebhaft, wenn ich Blok betrachte.
Wie steif er immer dasteht: so, als wenn er zur Hälfte aus Holz und
zur Hälfte aus Eisen wäre. Wenn man bei ihm nichts kann, so höhnt er
einen aus. Andere Lehrer werden doch wenigstens wütend. Das tut einem
wohl, denn man erwartet es. Ehrliche Entrüstung macht einen so guten
Eindruck. Nein, kalt steht er da, dieser Blok, und konstatiert Lob oder
Tadel. Sein Lob ist schmierig, denn es erwärmt einen gar nicht; und
mit seinem Tadel weiß man nichts anzufangen, denn er kommt aus ganz
trockenem, gleichgültigem Mund. Bei Blok verwünscht man die Schule; er
ist auch gar kein rechter Lehrer. Ein Lehrer, der die Gemüter nicht zu
bewegen versteht ... Aber was rede ich da? Tatsache ist, daß Blok mein
Französischlehrer ist. Das ist traurig, aber es ist eine Tatsache.

                   *       *       *       *       *

Neumann, genannt Neumeli: wer möchte sich nicht wälzen vor Lachen,
wenn von diesem Lehrer die Rede ist? Neumann ist unser Turnlehrer und
zugleich unser Schönschreiblehrer; er hat rotes Haar und finstere,
vergrämte, spitze Gesichtszüge. Er ist vielleicht ein sehr, sehr
unglücklicher Mensch. Er ärgert sich immer so wahnsinnig. Wir haben ihn
vollständig in unserer Hand, wir sind ihm vollkommen überlegen. Solche
Menschen, wie er, flößen keinen Respekt ein; zuweilen Furcht, nämlich
dann, wenn sie vor Zorn den gesunden Verstand zu verlieren scheinen.
Er kann sich gar nicht ein bißchen beherrschen, sondern jagt scheinbar
alle seine Empfindungen bei jeder kleinsten Gelegenheit in ein Loch
hinab, in den Ärger. Gewiß geben wir ihm Ärgeranlaß. Aber warum hat
er so lächerlich rotes Haar? So vortreffliche Pantoffelheldmanieren?
Einer meiner Schulkameraden heißt Junge; er will Koch werden, sagt
er. Dieser Junge hat einen so herrlich ausgeprägten Hintern. Muß er
nun Rumpfbeuge machen, so tritt der Hintere von Junge noch toller zum
Vorschein. Da lacht man eben; und Neumann haßt das Lachen furchtbar. Es
ist ja auch etwas Scheußliches, solch ein ganzes, ineinandertönendes
und gellendes Klassengelächter. Wenn eine ganze Klasse nur so
herauslacht: zu was für Mitteln muß dann ein Lehrer greifen, um sie
zu besänftigen? Zur Würde? Das nützt ihm gar nichts. Ein Neumann hat
überhaupt keine richtige Würde. Ich liebe die Turnstunde sehr und den
lieben Junge möchte ich küssen. Man lacht so gern unmäßig. Zu Junge bin
ich artig; ich mag ihn sehr gern. Ich gehe oft mit ihm spazieren; und
dann reden wir vom bevorstehenden, ernsten Leben.

                   *       *       *       *       *

Rektor Wyß ist eine baumlange Erscheinung von soldatischer Haltung.
Wir fürchten und achten ihn; diese beiden soliden Empfindungen sind
ein bißchen langweilig. Ich kann mir die Rektoren von Progymnasien
jetzt gar nicht mehr anders vorstellen als so, wie dieser Rektor
Wyß aussieht. Übrigens: zu prügeln versteht er ausgezeichnet. Er
nimmt einen aufs Knie und haut einen fürchterlich durch; nicht
gerade barbarisch. Die Prügel von Wyß haben etwas Ordnungsgemäßes;
man hat, während man diese Hiebe zu kosten bekommt, das angenehme
Gefühl, es sei eine vernünftige, gerechte Strafe. Dadurch geschieht
nichts Entsetzliches. Der Mann, der so meisterlich prügeln kann, muß
gewissermaßen human sein. Ich glaube das auch.

                   *       *       *       *       *

Eine ganz sonderbare Figur und ein seltenes Lehrerexemplar, wie mir
scheint, ist Herr Jakob, der Geographielehrer. Er gleicht einem
Einsiedler oder einem sinnenden alten Dichter. Er ist über siebenzig
Jahre alt und hat große, leuchtende Augen. Er ist ein schöner,
prachtvoller Alter. Sein Bart reicht ihm bis auf die Brust herab. Was
muß diese Brust nicht schon alles empfunden und gekämpft haben! Ich,
als Schüler, muß mir unwillkürlich Mühe geben, so etwas in Gedanken
mitzuerleben. Es ist grauenhaft, zu denken, wie vielen Jungen dieser
Mann schon die edle Geographie eingeprägt hat. Und viele dieser Jungen
sind jetzt schon erwachsene Menschen; sie stehen längst mitten im
Leben und mancher von ihnen wird seine Geographiekenntnisse vielleicht
haben brauchen können. An der Wand, dicht neben dem alten Jakob,
den wir übrigens Kobi nennen, hängt die Landkarte, so daß man sich
Jakob ohne dazugehörige Landkarte gar nicht mehr vorstellen kann. Da
sieht man das zerrissene, vielfarbige und vielgestaltige Europa, das
breite, große Rußland, das unheimliche, weit sich ausdehnende Asien,
das zierliche, einem schöngeschwänzten Vogel ähnliche Japan, das in
die Meere hinausgeworfene Australien; Indien und Ägypten und Afrika,
das einen sogar auf der körperlosen Karte dunkel und unerforscht
anmutet, dann Nord- und Südamerika und die beiden rätselhaften Pole.
Ja, ich muß sagen, ich liebe die Geographiestunde leidenschaftlich;
ich lerne da auch ganz mühelos. Es ist mir, als sei mein Verstand
ein Schiffskapitänsverstand: so glatt geht es. Und wie weiß der alte
Jakob durch Einflechten von abenteuerlichen Geschichten aus Schulung
und Erfahrung diese Stunde interessant zu machen! Dann rollen seine
alten, großen Augen vielsagend hin und her und es ist einem, als kenne
dieser Mann alle Länder und alle Meere der Erde aus eigener Anschauung.
In keiner anderen Stunde strotzen wir Schüler so von mitempfindender
Phantasie. Hier erleben wir jedesmal etwas, hier horchen wir und sind
still; freilich: ein alter, erfahrener Mensch redet zu uns und das
zwingt eben zur Aufmerksamkeit ganz von selber. Gottlob, daß wir hier
im Progymnasium keine ganz jungen Lehrer haben. Das wäre nicht zum
aushalten. Was kann ein junger Mann, der selber kaum erst das Leben
geschaut hat, mitzuteilen und anzuregen haben? Ein solcher Mensch kann
einem nur kalte, oberflächliche Kenntnisse beibringen oder er muß dann
eine seltene Ausnahme sein und durch sein bloßes Wesen zu bezaubern
wissen. Lehrer sein: Das ist jedenfalls schwer. Gott, wir Schüler
machen ja solche Ansprüche. Und wie abscheulich wir eigentlich sind!
Sogar über den alten Jakob machen wir uns zuzeiten lustig. Dann wird
er fürchterlich zornig; und ich kenne nichts Erhabeneres als den Zorn
dieses alten Schulmeisters. Er zittert an allen seinen gebrechlichen
Gliedern furchtbar und unwillkürlich schämen wir uns nachher, ihn
gereizt zu haben.

                   *       *       *       *       *

Unser Zeichenlehrer heißt Lanz. Lanz sollte eigentlich unser Tanzlehrer
sein; er kann so prächtig hin und her hüpfen. Apropos: warum erhalten
wir keinen Tanzunterricht? Ich finde, man tut gar nichts, uns zur Anmut
und zu einem schönen Benehmen zu bewegen. Wir sind und bleiben sehr
wahrscheinlich die reinen Flegel. Um auf Lehrer Lanz zurückzukommen:
er ist unter den Lehrern der jüngste und zuversichtlichste. Er bildet
sich ein, wir hätten Respekt vor ihm. Mag er selig werden mit diesem
Gedanken. Übrigens kennt er gar keinen Humor. Er ist kein Schullehrer,
sondern ein Dresseur; er gehört in den Zirkus. Das Hauen macht ihm,
wie es scheint, seelisches Vergnügen. Das ist brutal: wir haben
daher Ursache, ihn zu necken und zu verachten. Sein Vorgänger, der
alte Herr Häuselmann, genannt Hüseler, war ein Schwein; er mußte das
Unterrichtgeben eines Tages aufgeben. Dieser Hüseler erlaubte sich ganz
sonderbare Dinge. Ich selbst fühle noch immer auf meiner Wange seine
alte, knöcherne, widerwärtige Hand, mit welcher er in der Stunde uns
Jungen gestreichelt und geliebkost hat. Als er sich dann herausnahm,
was keine Feder beschreiben kann, wurde er seines Amtes enthoben. Nun
haben wir Lanz. Jener war abscheulich, dieser aber ist eitel und grob.
Kein Lehrer! Lehrer dürfen nicht so von sich selbst eingenommen sein.

                   *       *       *       *       *

Unser lustigster und kühnster Schulkamerad heißt Fritz Kocher. Dieser
Kocher steht meist in der Arithmetikstunde von der Bank auf, hebt den
Zeigefinger dumm in die Höhe und bittet Herrn Bur, den Rechenlehrer,
ihn doch hinausgehen lassen zu wollen; er habe den Durchlauf. Bur
sagt dann, er wisse schon, was Fritz Kochers Durchlauf zu bedeuten
habe, und ermahnt ihn, ruhig zu sein. Wir anderen lachen dann
natürlich gräßlich; und (o Wunder!) hier steht ein Lehrer, der einfach
mitlacht. Und sonderbar: das flößt uns fast augenblicklich Achtung
und Vorliebe für diesen seltenen Mann ein. Wir verstummen mit Lachen,
denn Bur versteht es meisterlich, unsere Aufmerksamkeit sofort wieder
für die ernsten Dinge zurückzugewinnen. Sein Lehrerernst hat etwas
Bezauberndes und ich glaube, das kommt daher, daß Bur ein Mann von
außerordentlicher Aufrichtigkeit und Charakterstärke ist. Wir lauschen
auf seine Worte gespannt, denn er kommt uns fast rätselhaft klug vor;
und dann ist er nie ärgerlich, er ist, im Gegenteil, immer lebhaft,
fröhlich und munter, da dürfen wir das glückliche Gefühl haben, seine
Schulpflicht sei diesem Mann angenehm. Das schmeichelt uns eben ganz
gewaltig und wir glauben, ihm dankbar dafür sein zu müssen, daß er in
uns keine Lebensverbitterer und Quälgeister erblickt, und führen uns
brav auf. Wie komisch kann er sein, wenn es ihm darum zu tun ist! In
solchen Fällen empfinden wir aber auch, daß er sich nur uns zu Liebe
ein wenig verwandelt, um uns einen billigen, unschädlichen Spaß zu
gönnen. Wir sehen, daß er fast ein Künstler ist; wir merken, daß er
uns achtet. Er ist ein prächtiger Kerl. Und wie man bei ihm faßt und
lernt! Er weiß den unkörperlichsten, unsinnlichsten Dingen Form, Sinn
und Inhalt zu geben, daß es eine wahre Freude ist. Den Fritz Kocher,
den ein anderer Lehrer verdammen und verfolgen würde, hat er gern
wegen der unglaublichen Gerissenheit seiner Einfälle. Das scheint mir
bedeutend, daß ein so tüchtiger, erfahrener Mann mit der spitzbübischen
Lümmelhaftigkeit sympathisieren kann. Es muß eine noble, große Seele
in Bur stecken. Er besitzt Güte und Heiterkeit. Daneben ist er sehr
energisch. Er macht uns fast alle in verhältnismäßig kurzer Zeit
zu schneidigen Rechnern. Dabei behandelt er die Dümmeren unter uns
schonend. Diesen Bur zu ärgern, würde uns nie einfallen; sein Auftreten
läßt gar nicht an so etwas auch nur denken.

                   *       *       *       *       *

Herr von Bergen war früher unser Turnlehrer; jetzt ist er
Versicherungsagent. Möge er gute Geschäfte machen! Er hat wohl
selbst gefühlt, daß er zum Erzieher nicht taugt. Eine hochelegante
Erscheinung. Was aber nützen einem Schuljungen gutsitzende Hosen und
kleidsame Röcke? Er war übrigens nicht schlecht; er gab nur zu gern
»Tatzen«. Der Sohn eines Schlächtermeisters mußte dem Herrn von Bergen
immer die arme kleine Tatze darhalten, um einen scharfgezogenen,
beißenden Meerrohrhieb darauf zu empfangen. Ich erinnere mich noch,
und nur zu deutlich, wie mich das empörte. Ich hätte damals dem fein
gekleideten, parfümierten Quäler den Kopf abschlagen mögen.

                   *       *       *       *       *

Ich will meine Galerie sehenswerter Lehrerbilder mit Doktor Merz
abschließen. Merz ist unter sämtlichen Lehrern scheinbar der
gebildetste, er schreibt sogar Bücher; aber dieser Umstand hindert
seine Schüler nicht, ihn von Zeit zu Zeit lächerlich zu finden. Er ist
Geschichts- und zugleich Deutschlehrer; er hat einen übertrieben hohen
Begriff von allem, was klassisch ist. Klassisch ist aber bisweilen
auch sein Betragen. Er trägt Stiefel, als wenn er in die Schlacht
reiten wollte; und in der Tat: es setzt oft in der Deutschstunde wahre
Schlachten ab. Er ist klein und unscheinbar von Figur; nimmt man dazu
die Kanonenstiefel, so muß man lachen. »Junge, setz dich. Du hast eine
Fünf!« Junge setzt sich; und Herr Merz notiert eine grimmige, das
Zeugnis entstellende Fünf. Einmal hat er sogar der ganzen Klasse eine
große, allgemeine Fünf gegeben und dazu geschrien: »Ihr widersetzt
euch, Schurken? Ihr wagt, euch gegen mich aufzulehnen? Moser, bist du
der Rädelsführer? Ja oder nein?« Moser, ein tapferer, von uns beinahe
vergötterter Junge, erhebt sich vom Platz und sagt in grollendem,
unsäglich komischem Ton, er lasse sich nicht Rädelsführer sagen. Wir
sterben vor Lachen, wir wachen wieder von diesem schönen Tod auf
und sterben ein zweites Mal. Merz aber scheint seinen klassischen
Verstand verloren zu haben; er gebärdet sich wie unsinnig, er rennt
verzweiflungsvoll mit seinem Gelehrtenkopf gegen die Wand, er fuchtelt
mit den Händen, er schreit: »Ihr vergiftet mir das Leben, ihr verderbt
mir das Mittagessen, ihr macht mich verrückt, ihr Halunken, die ihr
seid! Gesteht es: Ihr trachtet mir nach dem Leben!« Und er wirft sich
der Länge nach auf den Boden. Wie schrecklich! Man sollte es nicht
für möglich halten. Und wir, die wir ihm das Mittagessen verderben
und versalzen, wir erhalten von ihm die edelsten Anregungen. Wenn
er von den alten Griechen erzählt, leuchten seine Augen hinter den
Brillengläsern. Sicher begehen wir ein großes Unrecht, den Mann zu so
wilden Auftritten zu veranlassen. In ihm vereinigt sich Schönes und
Lächerliches, Hohes und Dummes, Vortreffliches und Klägliches. Was
können wir dafür, daß die Zahl Fünf uns keinen sonderlichen Schrecken
einzujagen vermag? Sind wir verpflichtet, vor heiliger Scheu zu
sterben, wenn einer von uns das »Glück von Edenhall« von Ludwig Uhland
rezitieren muß? »Setz dich, du hast eine Fünf!« So geht es zu in der
Deutschstunde. Wie wird es im späteren Leben zugehen? Das frage ich
mich.




                            [Illustration]


                             Ein Vormittag

Es gibt Vormittage in Schusterwerkstätten, Vormittage in Straßen und
Vormittage auf den Bergen, und letztere mögen so ziemlich sicher das
Schönste auf der Welt sein, aber ein Bankhausvormittag gibt entschieden
noch mehr zu denken. Nehmen wir einmal an, es sei Montag vormittag, das
ist nämlich von allen Vormittagen der Woche der vormittäglichste, und
der Montagvormittagsduft kommt in Buchhaltereien großer Bankinstitute
vortrefflich zur Verteilung.

Da sind in so einem Saal an die zehn bis fünfzehn Pultreihen mit Gängen
zum Revuepassieren, an jedem Doppelpult arbeitet ein Paar Menschen.
Man pflegt von Schuhpaaren zu reden, warum sollte es nicht auch
gelegentlich einmal in der Ordnung sein, wenn man von Menschenpaaren
spricht? Zu oberst im Saal steht das Pult des Vorstehers. Der
Abteilungschef ist ein sackdicker Mann mit ungeheuerlichem Gesicht auf
dem Rücken. Das Gesicht stemmt sich unmittelbar, ohne des Halsansatzes
zu bedürfen, an den Rücken, und es ist brandrot und scheint immer zu
schwimmen. Es ist zehn Minuten nach acht, Chef Hasler überfliegt mit
ein paar gutgezielten Blicken den Raum, um zu prüfen, ob alle da sind.
Zwei fehlen, und das ist natürlich wieder der Helbling und der Senn.

In diesem wichtigen Moment schießt Buchhalter Senn, ein hagerer,
spitzer Mann, hustend und pustend herein. Hasler kennt diesen Husten,
das ist ganz einfach die Bitte um Entschuldigung. Wenn die Menschen zu
stolz und zu verbohrt sind, den Mund aufzutun, um sich anstandshalber
zu entschuldigen, husten sie. Senn steckt mit rasender Behendigkeit
seine Nase in seine Bücher und tut, als sei er bereits stundenlang an
dem Arbeitchen. Zehn Minuten sind wieder vergangen. Es ist zwanzig
nach acht. »Unerhört sei doch das jetzt bald,« denkt Hasler, da tritt
Helbling auf.

Ganz und gar vermontaget, bleich und verwirrt im Gesicht, und schießt
wie ein Pfiff an seinen Ort und Stelle. Wirklich, entschuldigen, das
hätte er sich können. In Haslers Teich oben, will sagen Gehirn, taucht
folgender Gedanke wie ein Laubfrosch auf: »Das hat nun aber bald jetzt
keine Art mehr.« Er geht leise zu Helbling und stellt sich hinter
ihm auf und fragt ihn, warum er nicht, wie die andern, zur rechten
Zeit erscheinen könne. Das nehme ihn denn doch bald jetzt einmal
wunder. Helbling erwidert kein Wort, er hat es sich bereits seit
geraumer Zeit zur Gewohnheit gemacht, die Fragen seines Vorgesetzten
einfach unbeantwortet zu lassen. Hasler kehrt wieder auf seinen quasi
Aussichtsturm zurück, von wo aus er die Buchhaltung dirigiert.

Halb neun. Helbling zieht seine Sackuhr hervor, um ihr Gesicht mit dem
Gesicht der großen Bureauuhr zu vergleichen. Er seufzt, es sind erst
zehn kleine, winzige, dünne, zarte, spitze Minuten verflossen, und
vor ihm stehen dicke, behäbige Stunden. Er bemüht sich, zu versuchen,
ob es ihm möglich sei, den Gedanken zu fassen, daß er jetzt arbeiten
müsse. Der Versuch mißlingt, aber der Versuch hat immerhin das Gesicht
der Uhr ein wenig verschoben. Es sind weitere fünf zierliche, liebe
Minuten dahingeschwunden. Helbling liebt die Minuten, die gegangen
sind, aber dafür haßt er die, die noch kommen, und die, die ihm den
Anschein erwecken, daß sie nicht recht vorwärtsmachen wollen. Er
möchte solchen faulen Minuten jedesmal Stöße versetzen. Er prügelt in
Gedanken die Minutenzeiger tot. Den Stundenzeiger wagt er überhaupt
nicht anzuschauen, er hat sonst Anlaß, zu fürchten, er werde
ohnmächtig.

Ja, so ein Bankhausvormittag, so eine Welt zwischen Pulten. Sonne
schimmert draußen. Jetzt aber geht Senn zum Fenster, er hat jetzt
genug, wie er sich ausdrückt, und er reißt barsch und aufbegehrerisch
die beiden Flügel auf, um Luft hereinzulassen. Das sei noch kein
Wetter zum Fensteraufmachen, bemerkt Hasler zu Senn hinüber. Der dreht
sich um und spricht Worte zu seinem Chef, wie sie eben sich nur ein
langjähriger Angestellter oder Beamter erlauben darf. Aber bald wird es
dem Hasler zu dick, und er verbittet sich »diesen Ton«. Das Gefecht ist
damit abgebrochen, das Fenster geht zur Hälfte wieder sanft zu, Senn
murmelt ein paar Worte zu sich, jetzt herrscht für einige Zeit Frieden.

Fünf Minuten vor neun. Wie entsetzlich langsam für Helbling die Zeit
geht. Er fragt sich, warum es jetzt nicht ebensogut schon neun Uhr sein
könne, das wäre wenigstens schon eine Stunde, es gäbe nachher noch
mehr als genug. An diesen fünf Minuten schält er so lange herum, bis
sie langsam vorüber sind; jetzt schlägt es neun. Jeder Schlag, den das
Werk macht, wird von einem Seufzer aus Helblings Mund begleitet. Er
rupft seine Taschenuhr hervor, sie hat ebenfalls neun, diese doppelte
Bestätigung macht ihn traurig. »Ich sollte eigentlich nicht soviel
auf die Uhr schauen, das kann nicht gesund sein,« denkt er und fängt
an, seinen Schnurrbart zu liebkosen. Das merkt einer seiner Kollegen,
Meier vom Land, dieser wendet sich zu Meier von der Stadt hinüber und
sagt leise zu ihm: »Ist das nicht eine Schande, wie jetzt der Helbling
wieder seine Zeit totschlägt.« Ein Rechteck von Köpfen dreht sich auf
diese geflüsterte Bemerkung hin nach der Richtung um, wo Schnurrbärte
gedreht werden. Diese Bewegung wird von Hasler beobachtet, bald weiß
er Bescheid, er geht leise zu Helbling und stellt sich zur Abwechslung
wieder einmal hinter ihm auf.

»Was machen Sie da, Helbling?«

Und jetzt antwortet der freche Mensch wieder nichts. »Sie können wohl
so gut sein und mir antworten, wenn ich Sie etwas frage. Das ist mir
jetzt bald ein Benehmen, das. Zuerst kommen Sie eine halbe Stunde
zu spät (Helbling sagt: »Das ist nicht wahr« und will fortfahren:
»ich bin nur zwanzig Minuten zu spät gekommen«), dann besinnen Sie
sich noch, ob Sie arbeiten sollen, und schließlich wollen Sie noch
aufbegehren. Das kann nicht mehr so weitergehen. Zeigen Sie, was haben
Sie geleistet.« Und Hasler prüft mehr mit dem Kinn als mit den Augen,
was jetzt Helbling anfangs getan hat. Er bemerkt drei Zahlen und den
Versuch zu einer vierten. Ob das alles sei? Helbling sagt, er habe
den guten Willen gehabt, zu arbeiten, aber wenn er keine rechten
Federn mehr habe, so sei es schwer, vorwärts zu kommen. Dann solle er
sich doch gefälligst, wenn es ihm etwa bald einmal passend erscheine,
Federn anschaffen. Faule Ausrede. Und Hasler schwimmt in seine
Festung zurück. Dort angelangt, zieht er einen Apfel aus dem Pult und
arrangiert ein zweites Frühstück. Helbling nimmt Gelegenheit, schnell
einmal »auszutreten«. Meier vom Land macht seine Kollegen auf Helblings
»Austritt« aufmerksam.

Volle dreizehn Minuten, es ist ihm genau nachgerechnet worden, ist
Helbling »draußen« geblieben. Während dieser Zeit haben sich an die
zehn jüngere und ältere Kollegen der Reihe nach an des Ausgetretenen
Pult und Leistung herangemacht, um die drei Zahlen anzuschauen. Einen
Moment später weiß es die ganze Buchhaltung, daß Helbling in einer
Stunde drei Zahlen fertig bringe, Meier vom Land ist von Pult zu Pult
gegangen und hat die Sache zu allgemeiner Verbreitung gebracht. Einer
geht »hinaus«, um zu sehen, was »er« mache. Später tritt dieser Er
wieder ein.

Inzwischen ist es halb zehn geworden. Von draußen her tönt eine helle,
schöne weibliche Stimme in den Saal hinein, es ist anscheinend eine
Sängerin, die übt. Ja, in der Nähe, so vielleicht zwei Häuser weiter
dem Bahnhof zu, das kann stimmen. Einige von den Bureaulisten heben
die Federhalter aufrecht und überlassen sich dem Genuß des Zuhörens.
Helbling scheint auch wieder einmal musikliebend zu sein. Außerdem
gähnt er jetzt mehrere Male. Eine Sekunde später tätschelt er sich
mit der flachen Hand auf die Backe, um Zeit verstreichen zu lassen.
Das Tätscheln erstreckt sich über zirka fünf volle Minuten. »Jetzt
tätschelt er sich,« tuschelt Meier vom Land in das Ohr von Meier aus
der Stadt. »Herrliche Stimme das, da draußen,« meint Glauser, einer
der Arbeitenden. Die frauliche Singstimme ruft ein gewisses Geräusch
im Saal hervor. Der Chef der Korrespondenz, Steiner, hört ebenfalls
zu, und das will etwas heißen. Auf Haslers Treppenabsätzen von Lippen
glänzt Apfelsaft wie auf wirklichen Treppen gelbes Wachs, das wischt er
sich jetzt mit seinem rotgewürfelten Schnupftuch ab. »Schöne Stimme von
draußen her! Draußen ist Luft und Natur!« Der kleine Glauser denkt das,
er ist dichterisch veranlagt. Helbling geht zu Glauser hinüber, in der
bestimmten Absicht, durch einen kleinen Spaziergang Zeit totzumachen.
Schließlich schwatzt Glauser auch gern ein bißchen, obschon er ein
Streber ist, der sich beständig Mühe gibt, Haslern zu gefallen. Hasler
treibt Helbling mit Blicken an seine Wirkungsstätte zurück, aber es
sind immerhin wieder zwölf Minuten gestorben. Auch der Gesang ist
gestorben.

Alle diese Leute im Saal wissen nicht, was sich da unten auf der Straße
bewegt. Und die Wellen draußen im nahen See, was machen sie, und der
Himmel, wie kann er aussehen? Einzig Senn, der leicht zum Aufbegehren
Geneigte, der struppige, zugespitzte Revolutionär, erlaubt sich, ein
Momentchen lang seinen Kopf an die frische Luft zu führen. Dafür wird
er aber von der Kapitänskabine aus mit einem zischenden, langgezogenen
Laut gestraft: »So etwas!« Hasler schüttelt seine Parkanlage oder Kopf
mißbilligend hin und her, worauf Senn, um dem Hasler wieder einmal
so recht eins zu putzen, ohne Veranlassung in seinen Büchern mit dem
Radiermesser zu radieren beginnt, was der Chef auf den Tod hinein haßt.

Zehn Uhr! »Erst die Hälfte,« denkt Helbling mit dem Gefühl, eine
Unsumme von Melancholie zu unterdrücken. Jetzt, jetzt möchte er
brüllen. Ob er wohl gut täte, wieder ein bißchen »auszutreten«? Er
wagt es nicht recht. Dafür bückt er sich jetzt an den Boden herab,
gleichsam, als habe er etwas fallen lassen, wovon keine Rede ist.
In der tiefgebückten Haltung verharrt er ganze vier Minuten, als
hätte dieser Zeitraum gerade genügt, seine Schuhe zu binden oder
einen Bleistift aufzulesen. Ihm ist schaurig zumute. Er fängt an,
sich vorzumalen, es sei zwölf Uhr. Auf den Schlag zwölf würde er
augenblicklich die Feder wie ein Erdarbeiter seine Schaufel fallen
lassen und davonrennen, wie gottvoll. Indem er sich so seinen
Träumereien hingibt, ist Hasler abwechslungsweise hinter ihn
geschlichen, um ihn zu beobachten.

»Was machen Sie da?«

»Ich bin jetzt am ›Ausland‹-Zusammenstellen.«

»Ich glaube, Sie sind bald eher im Ausland als am
›Ausland‹-Zusammenstellen. Wenn Sie aber jetzt nicht bald arbeiten, so
will ich dann einmal ganz andere Saiten aufziehen. Schämen Sie sich,
und nehmen Sie sich zusammen. Wenn alles Ermahnen jetzt nichts nutzt,
werde ich mit Herrn Direktor ein Wort reden, passen Sie gut auf. Lassen
Sie es sich gesagt sein.«

Und das Walroß wirft sich wieder auf seine Sandbank zurück. Der
ganze Saal ist angenehm aufgeregt, ein Konflikt Helbling-Hasler
bringt immer wieder von neuem erwünschte Luftveränderung. Helbling
schrittwechselt zu Meier vom Land hinüber und bittet ihn, ihm
behilflich zu sein, Zahlen abzulesen. Nach dem Zahlenablesen ist es
(o, zersprängen doch jetzt die Adern der Welt!) halb elf Uhr geworden.
Eine feierliche Blechmusik geht unten in der Straße vorüber, alles
rennt an die Fenster, es ist der Zug, der die Leiche eines früheren
Bundesrates auf den Friedhof begleitet. Selbst der für das meiste
Geschehen unempfindliche Chef der Korrespondenz ist aufgesprungen,
um hinunterzuschauen. Dieses Vorkommnis ist mit fünfzehn Minuten in
Anrechnung zu bringen. Jetzt ist es dreiviertel elf. Helbling ist
halb unvernünftig geworden, er tupft alle Augenblicke seine Stirn an
den Rand des Pultes und netzt sich die Nase mit Tinte, damit er mit
Abwischen Zeit verschlingen kann. Zehn Minuten sind verrieben worden,
jetzt sind es noch vier entzückend wenige Minuten bis elf. Diese vier
Minuten werden einfach eine nach der andern abgewartet. Um elf Uhr
tritt Helbling »schon wieder« aus. Er sei wieder einmal ausgetreten,
der Lump, heißt es in der Mitte des Saales. Viertel zwölf, zwanzig nach
elf, halb zwölf.

Der kleine Glauser sagt zu Senn, jetzt sei es halb zwölf und, wie er
eben bemerkt habe, habe der Helbling noch überhaupt keinen Streich
getan. Meier vom Land geht zu Hasler, um ihn zu benachrichtigen, daß er
heute eine halbe Stunde früher fortgehen müsse, weil er einen durchaus
notwendigen Gang zu besorgen habe. Helbling hat sich umgedreht und
lauscht dem Gespräch zu. Er beneidet Meier vom Land wahnsinnig. Von
der Straße her tönen die Räder von schnellfahrenden Wagen herauf,
gegenüber dem Saal erscheint in einer Fensteröffnung die Figur eines
teppichebürstenden herrschaftlichen Dieners, Helbling verbringt
jetzt eine gute Viertelstunde damit, dort hinüberzuschauen. Zum noch
Anfangen mit Arbeiten ist es jetzt seiner Meinung nach doch wohl zu
spät. Senn macht sich abdampfefertig, Helbling sieht zu, wie sich Senn
abfliegefertig macht. Zwei Minuten vor zwölf setzen sich verschiedene
die Hüte auf und wechseln die Röcke, Helbling ist bereits auf der
Straße, Hasler ist schon fünf Minuten vorher gegangen. Der Vormittag
ist überstanden.





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GESCHICHTEN ***


    

Updated editions will replace the previous one—the old editions will
be renamed.

Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
law means that no one owns a United States copyright in these works,
so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
States without permission and without paying copyright
royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
of this license, apply to copying and distributing Project
Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™
concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
and may not be used if you charge for an eBook, except by following
the terms of the trademark license, including paying royalties for use
of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for
copies of this eBook, complying with the trademark license is very
easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation
of derivative works, reports, performances and research. Project
Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may
do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected
by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark
license, especially commercial redistribution.


START: FULL LICENSE

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE

PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase “Project
Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg™ License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™
electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person
or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the
Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg™ License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country other than the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work
on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the
phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

    This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
    other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
    whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
    of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
    at www.gutenberg.org. If you
    are not located in the United States, you will have to check the laws
    of the country where you are located before using this eBook.
  
1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase “Project
Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg™.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg™ License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format
other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg™ website
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain
Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works
provided that:

    • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
        the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method
        you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
        to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has
        agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
        Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
        within 60 days following each date on which you prepare (or are
        legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
        payments should be clearly marked as such and sent to the Project
        Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
        Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg
        Literary Archive Foundation.”
    
    • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
        you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
        does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™
        License. You must require such a user to return or destroy all
        copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
        all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™
        works.
    
    • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
        any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
        electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
        receipt of the work.
    
    • You comply with all other terms of this agreement for free
        distribution of Project Gutenberg™ works.
    

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of
the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set
forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right
of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg™
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our website which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org.

This website includes information about Project Gutenberg™,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.