The Project Gutenberg EBook of Neue Gedichte, by Rainer Maria Rilke This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Neue Gedichte Author: Rainer Maria Rilke Release Date: October 15, 2010 [EBook #33863] Language: German *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NEUE GEDICHTE *** Produced by Marc D'Hooghe at http://www.freeliterature.org NEUE GEDICHTE Von RAINER MARIA RILKE LEIPZIG IM INSEL-VERLAG MCMXX KARL UND ELISABETH VON DER HEYDT IN FREUNDSCHAFT FRÜHER APOLLO Wie manches Mal durch das noch unbelaubte Gezweig ein Morgen durchsieht, der schon ganz im Frühling ist: so ist in seinem Haupte nichts, was verhindern könnte, daß der Glanz aller Gedichte uns fast tödlich träfe; denn noch kein Schatten ist in seinem Schaun, zu kühl für Lorbeer sind noch seine Schläfe, und später erst wird aus den Augenbraun hochstämmig sich der Rosengarten heben, aus welchem Blätter, einzeln, ausgelöst hintreiben werden auf des Mundes Beben, der jetzt noch still ist, niegebraucht und blinkend und nur mit seinem Lächeln etwas trinkend, als würde ihm sein Singen eingeflößt. MÄDCHENKLAGE Diese Neigung, in den Jahren, da wir alle Kinder waren, viel allein zu sein, war mild; andern ging die Zeit im Streite, und man hatte seine Seite, seine Nähe, seine Weite, einen Weg, ein Tier, ein Bild. Und ich dachte noch, das Leben hörte niemals auf zu geben, daß man sich in sich besinnt. Bin ich in mir nicht im Größten? Will mich meines nicht mehr trösten und verstehen wie als Kind? Plötzlich bin ich wie verstoßen, und zu einem Übergroßen wird mir diese Einsamkeit, wenn, auf meiner Brüste Hügeln stehend, mein Gefühl nach Flügeln oder einem Ende schreit. LIEBESLIED Wie soll ich meine Seele halten, daß sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie hinheben über dich zu andern Dingen? Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas Verlorenem im Dunkel unterbringen an einer fremden stillen Stelle, die nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen. Doch alles, was uns anrührt, dich und mich, nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, der aus zwei Saiten _eine_ Stimme zieht. Auf welches Instrument sind wir gespannt? Und welcher Spieler hat uns in der Hand? O süßes Lied. ERANNA AN SAPPHO O du wilde weite Werferin: Wie ein Speer bei andern Dingen lag ich bei den Meinen. Dein Erklingen warf mich weit. Ich weiß nicht, wo ich bin. Mich kann keiner wiederbringen. Meine Schwestern denken mich und weben, und das Haus ist voll vertrauter Schritte. Ich allein bin fern und fortgegeben, und ich zittere wie eine Bitte; denn die schöne Göttin in der Mitte ihrer Mythen glüht und lebt mein Leben. SAPPHO AN ERANNA Unruh will ich über dich bringen, schwingen will ich dich, umrankter Stab. Wie das Sterben will ich dich durchdringen und dich weitergeben wie das Grab an das Alles: allen diesen Dingen. SAPPHO AN ALKAÏOS FRAGMENT Und was hättest du mir denn zu sagen, und was gehst du meine Seele an, wenn sich deine Augen niederschlagen vor dem nahen Nichtgesagten? Mann, sieh, uns hat das Sagen dieser Dinge hingerissen und bis in den Ruhm. Wenn ich denke: unter euch verginge dürftig unser süßes Mädchentum, welches wir, ich Wissende und jene mit mir Wissenden, vom Gott bewacht, trugen unberührt, daß Mytilene wie ein Apfelgarten in der Nacht duftete vom Wachsen unsrer Brüste--. Ja, auch dieser Brüste, die du nicht wähltest wie zu Fruchtgewinden, Freier mit dem weggesenkten Angesicht. Geh und laß mich, daß zu meiner Leier komme, was du abhältst: alles steht. Dieser Gott ist nicht der Beistand zweier, aber wenn er durch den einen geht GRABMAL EINES JUNGEN MÄDCHENS Wir gedenkens noch. Das ist, als müßte alles dieses einmal wieder sein. Wie ein Baum an der Limonenküste trugst du deine kleinen leichten Brüste in das Rauschen seines Bluts hinein: --jenes Gottes. Und es war der schlanke Flüchtling, der Verwöhnende der Fraun. Süß und glühend, warm wie dein Gedanke, überschattend deine frühe Flanke und geneigt wie deine Augenbraun. OPFER O wie blüht mein Leib aus jeder Ader duftender, seitdem ich dich erkenn; sieh, ich gehe schlanker und gerader, und du wartest nur--: wer bist du denn? Sieh: ich fühle, wie ich mich entferne, wie ich Altes, Blatt um Blatt, verlier. Nur dein Lächeln steht wie lauter Sterne über dir und bald auch über mir. Alles was durch meine Kinderjahre namenlos noch und wie Wasser glänzt, will ich nach dir nennen am Altäre, der entzündet ist von deinem Haare und mit deinen Brüsten leicht bekränzt. ÖSTLICHES TAGLIED Ist dieses Bette nicht wie eine Küste, ein Küstenstreifen nur, darauf wir liegen? Nichts ist gewiß als deine hohen Brüste, die mein Gefühl in Schwindeln überstiegen. Denn diese Nacht, in der so vieles schrie, in der sich Tiere rufen und zerreißen, ist sie uns nicht entsetzlich fremd? Und wie: was draußen langsam anhebt, Tag geheißen, ist das uns denn verständlicher als sie? Man müßte so sich ineinanderlegen wie Blütenblätter um die Staubgefäße: so sehr ist überall das Ungemäße und häuft sich an und stürzt sich uns entgegen. Doch während wir uns aneinanderdrücken, um nicht zu sehen, wie es ringsum naht, kann es aus dir, kann es aus mir sich zücken: denn unsre Seelen leben von Verrat. ABISAG I Sie lag. Und ihre Kinderarme waren von Dienern um den Welkenden gebunden, auf dem sie lag die süßen langen Stunden, ein wenig bang vor seinen vielen Jahren. Und manchmal wandte sie in seinem Barte ihr Angesicht, wenn eine Eule schrie; und alles, was die Nacht war, kam und scharte mit Bangen und Verlangen sich um sie. Die Sterne zitterten wie ihresgleichen, der Duft ging suchend durch das Schlafgemach, der Vorhang rührte sich und gab ein Zeichen, und leise ging ihr Blick dem Zeichen nach. Aber sie hielt sich an dem dunkeln Alten, und, von der Nacht der Nächte nicht erreicht, lag sie auf seinem fürstlichen Erkalten jungfräulich und wie eine Seele leicht. II Der König saß und sann den leeren Tag getaner Taten, ungefühlter Lüste und seiner Lieblingshündin, der er pflag--. Aber am Abend wölbte Abisag sich über ihm. Sein wirres Leben lag verlassen wie verrufne Meeresküste unter dem Sternbild ihrer stillen Brüste. Und manchmal, als ein Kundiger der Frauen, erkannte er durch seine Augenbrauen den unbewegten, küsselosen Mund; und sah: ihres Gefühles grüne Rute neigte sich nicht herab zu seinem Grund. Ihn fröstelte. Er horchte wie ein Hund und suchte sich in seinem letzten Blute. DAVID SINGT VOR SAUL I König, hörst du, wie mein Saitenspiel Fernen wirft, durch die wir uns bewegen? Sterne treiben uns verwirrt entgegen, und wir fallen endlich wie ein Regen, und es blüht, wo dieser Regen fiel. Mädchen blühen, die du noch erkannt, die jetzt Frauen sind und mich verführen; den Geruch der Jungfraun kannst du spüren, und die Knaben stehen, angespannt schlank und atmend, an verschwiegnen Türen. Daß mein Klang dir alles wiederbrächte. Aber trunken taumelt mein Getön: Deine Nächte, König, deine Nächte--, und wie waren, die dein Schaffen schwächte, o wie waren alle Leiber schön. Dein Erinnern glaub ich zu begleiten, weil ich ahne. Doch auf welchen Saiten greif ich dir ihr dunkles Lustgestöhn?-- II König, der du alles dieses hattest und der du mit lauter Leben mich überwältigest und überschattest: komm aus deinem Throne und zerbrich meine Harfe, die du so ermattest. Sie ist wie ein abgenommner Baum: durch die Zweige, die dir Frucht getragen, schaut jetzt eine Tiefe wie von Tagen, welche kommen--, und ich kenn sie kaum. Laß mich nicht mehr bei der Harfe schlafen; sich dir diese Knabenhand da an: glaubst du, König, daß sie die Oktaven eines Leibes noch nicht greifen kann? III König, birgst du dich in Finsternissen, und ich hab dich doch in der Gewalt. Sieh, mein festes Lied ist nicht gerissen, und der Raum wird um uns beide kalt. Mein verwaistes Herz und dein verworrnes hängen in den Wolken deines Zornes, wütend ineinander eingebissen und zu einem einzigen verkrallt. Fühlst du jetzt, wie wir uns umgestalten? König, König, das Gewicht wird Geist. Wenn wir uns nur aneinanderhalten, du am Jungen, König, ich am Alten, sind wir fast wie ein Gestirn, das kreist. JOSUAS LANDTAG So wie der Strom am Ausgang seine Dämme durchbricht mit seiner Mündung Übermaß, so brach nun durch die Ältesten der Stimme zum letztenmal die Stimme Josuas. Wie waren die geschlagen, welche lachten, wie hielten alle Herz und Hände an, als hübe sich der Lärm von dreißig Schlachten in einem Mund; und dieser Mund begann. Und wieder waren Tausende voll Staunen wie an dem großen Tag vor Jericho, nun aber waren in ihm die Posaunen, und ihres Lebens Mauern schwankten so, daß sie sich wälzten, von Entsetzen trächtig und wehrlos schon und überwältigt, eh sie's noch gedachten, wie er eigenmächtig zu Gibeon die Sonne anschrie: Steh! Und Gott ging hin, erschrocken wie ein Knecht, und hielt die Sonne, bis ihm seine Hände wehtaten, ob dem schlachtenden Geschlecht, nur weil da einer wollte, daß sie stände. Und das war dieser; dieser Alte wars, von dem sie meinten, daß er nicht mehr gelte inmitten seines hundertzehnten Jahrs. Da stand er auf und brach in ihre Zelte. Er ging wie Hagel nieder über Halmen. Was wollt ihr Gott versprechen? Ungezählt stehn um euch Götter, wartend, daß ihr wählt. Doch wenn ihr wählt, wird euch der Herr zermalmen. Und dann, mit einem Hochmut ohnegleichen: Ich und mein Haus, wir bleiben ihm vermählt. Da schrien sie alle: Hilf uns, gib ein Zeichen und stärke uns zu unsrer schweren Wahl. Aber sie sahn ihn, wie seit Jahren schweigend, zu seiner festen Stadt am Berge steigend; und dann nicht mehr. Es war das letzte Mal. DER AUSZUG DES VERLORENEN SOHNES NUN fortzugehn von alle dem Verworrnen, das unser ist und uns doch nicht gehört, das, wie das Wasser in den alten Bornen, uns zitternd spiegelt und das Bild zerstört; von allem diesen, das sich wie mit Dornen noch einmal an uns anhängt--fortzugehn und Das und Den, die man schon nicht mehr sah (so täglich waren sie und so gewöhnlich), auf einmal anzuschauen: sanft, versöhnlich und wie an einem Anfang und von nah und ahnend einzusehn, wie unpersönlich, wie über alle hin das Leid geschah, von dem die Kindheit voll war bis zum Rand--: Und dann doch fortzugehen, Hand aus Hand, als ob man ein Geheiltes neu zerrisse, und fortzugehn: wohin? Ins Ungewisse, weit in ein unverwandtes warmes Land, das hinter allem Handeln wie Kulisse gleichgültig sein wird: Garten oder Wand; und fortzugehn: warum? Aus Drang, aus Artung, aus Ungeduld, aus dunkler Erwartung, aus Unverständlichkeit und Unverstand: Dies alles auf sich nehmen und vergebens vielleicht Gehaltnes fallen lassen, um allein zu sterben, wissend nicht warum-- Ist das der Eingang eines neuen Lebens? DER ÖLBAUMGARTEN Er ging hinauf unter dem grauen Laub ganz grau und aufgelöst im ölgelände und legte seine Stirne voller Staub tief in das Staubigsein der heißen Hände. Nach allem dies. Und dieses war der Schluß. Jetzt soll ich gehen, während ich erblinde, und warum willst Du, daß ich sagen muß, Du seist, wenn ich Dich selber nicht mehr finde. Ich finde Dich nicht mehr. Nicht in mir, nein. Nicht in den andern. Nicht in diesem Stein. Ich finde Dich nicht mehr. Ich bin allein. Ich bin allein mit aller Menschen Gram, den ich durch Dich zu lindern unternahm, der Du nicht bist, ü namenlose Scham... Später erzählte man: ein Engel kam--. Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht und blätterte gleichgültig in den Bäumen. Die Jünger rührten sich in ihren Träumen. Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht. Die Nacht, die kam, war keine ungemeine; so gehen hunderte vorbei. Da schlafen Hunde, und da liegen Steine. Ach eine traurige, ach irgendeine, die wartet, bis es wieder Morgen sei. Denn Engel kommen nicht zu solchen Betern, und Nächte werden nicht um solche groß. Die Sich-Verlierenden läßt alles los, und sie sind preisgegeben von den Vätern und ausgeschlossen aus der Mütter Schoß. PIETÀ So seh ich, Jesus, deine Füße wieder, O die damals eines Jünglings Füße waren, da ich sie bang entkleidete und wusch; wie standen sie verwirrt in meinen Haaren und wie ein weißes Wild im Dornenbusch. So seh ich deine niegeliebten Glieder zum erstenmal in dieser Liebesnacht. Wir legten uns noch nie zusammen nieder, und nun wird nur bewundert und gewacht. Doch, siehe, deine Hände sind zerrissen--: Geliebter, nicht von mir, von meinen Bissen. Dein Herz steht offen, und man kann hinein: das hätte dürfen nur mein Eingang sein. Nun bist du müde, und dein müder Mund hat keine Lust zu meinem wehen Munde--. O Jesus, Jesus, wann war unsre Stunde? Wie gehn wir beide wunderlich zugrund. GESANG DER FRAUEN AN DEN DICHTER Sieh, wie sich alles auftut: so sind wir; denn wir sind nichts als solche Seligkeit. Was Blut und Dunkel war in einem Tier, das wuchs in uns zur Seele an und schreit als Seele weiter. Und es schreit nach dir. Du freilich nimmst es nur in dein Gesicht, als sei es Landschaft: sanft und ohne Gier. Und darum meinen wir, du bist es nicht, nach dem es schreit. Und doch, bist du nicht der, an den wir uns ganz ohne Rest verlören? Und werden wir in irgendeinem _mehr_? Mit uns geht das Unendliche _vorbei_. Du aber sei, du Mund, daß wir es hören, du aber, du Uns-Sagender: du sei. DER TOD DES DICHTERS Er lag. Sein aufgestelltes Antlitz war bleich und verweigernd in den steilen Kissen, seitdem die Welt und dieses von ihr Wissen, von seinen Sinnen abgerissen, zurückfiel an das teilnahmslose Jahr. Die, so ihn leben sahen, wußten nicht, wie sehr er _eines_ war mit allem diesen, denn dieses: diese Tiefen, diese Wiesen und diese Wasser waren sein Gesicht. O sein Gesicht war diese ganze Weite, die jetzt noch zu ihm will und um ihn wirbt; und seine Maske, die nun bang verstirbt, ist zart und offen wie die Innenseite von einer Frucht, die an der Luft verdirbt. BUDDHA Als ob er horchte. Stille: eine Ferne.... Wir halten ein und hören sie nicht mehr. Und er ist Stern. Und andre große Sterne, die wir nicht sehen, stehen um ihn her. O er ist alles. Wirklich, warten wir, daß er uns sähe? Sollte er bedürfen? Und wenn wir hier uns vor ihm niederwürfen, er bliebe tief und träge wie ein Tier. Denn das, was uns zu seinen Füßen reißt, das kreist in ihm seit Millionen Jahren. Er, der vergißt, was wir erfahren, und der erfahrt, was uns verweist. L'ANGE DU MÉRIDIEN CHARTRES Im Sturm, der um die starke Kathedrale wie ein Verneiner stürzt, der denkt und denkt, fühlt man sich zärtlicher mit einem Male von deinem Lächeln zu dir hingelenkt: lächelnder Engel, fühlende Figur, mit einem Mund, gemacht aus hundert Munden: gewahrst du gar nicht, wie dir unsre Stunden abgleiten von der vollen Sonnenuhr, auf der des Tages ganze Zahl zugleich, gleich wirklich, steht in tiefem Gleichgewichte, als wären alle Stunden reif und reich? Was weißt du, Steinerner, von unserm Sein? und hältst du mit noch seligerm Gesichte vielleicht die Tafel in die Nacht hinein? DIE KATHEDRALE In jenen kleinen Städten, wo herum die alten Häuser wie ein Jahrmarkt hocken, der sie bemerkt hat plötzlich und erschrocken die Buden zumacht und ganz zu und stumm, die Schreier still, die Trommeln angehalten, zu ihr hinaufhorcht aufgeregten Ohrs--: dieweil sie ruhig immer in dem alten Faltenmantel ihrer Contreforts dasteht und von den Häusern gar nicht weiß: in jenen kleinen Städten kannst du sehn, wie sehr entwachsen ihrem Umgangskreis die Kathedralen waren. Ihr Erstehn ging über alles fort, so wie den Blick des eignen Lebens viel zu große Nähe fortwährend übersteigt und als geschähe nichts anderes; als wäre _das_ Geschick, was sich in ihnen aufhäuft ohne Maßen, versteinert und zum Dauernden bestimmt, nicht _das_, was unten in den dunkeln Straßen vom Zufall irgendwelche Namen nimmt und darin geht, wie Kinder Grün und Rot und was der Krämer hat als Schürze tragen. Da war Geburt in diesen Unterlagen, und Kraft und Andrang war in diesem Ragen und Liebe überall wie Wein und Brot, und die Portale voller Liebesklagcn. Das Leben zögerte Im Stundenschlagen, und in den Türmen, welche voll Entsagen auf einmal nicht mehr stiegen, war der Tod. DAS PORTAL I Da blieben sie, als wäre jene Flut zurückgetreten, deren großes Branden an diesen Steinen wusch, bis sie entstanden; sie nahm im Fallen manches Attribut aus ihren Händen, welche viel zu gut und gebend sind, um etwas festzuhalten. Sie blieben, von den Formen in Basalten durch einen Nimbus, einen Bischofshut, bisweilen durch ein Lächeln unterschieden, für das ein Antlitz seiner Stunden Frieden bewahrt hat als ein stilles Zifferblatt; jetzt fortgerückt ins Leere ihres Tores, waren sie einst die Muschel eines Ohres und fingen jedes Stöhnen dieser Stadt. II Sehr viele Weite ist gemeint damit: so wie mit den Kulissen einer Szene die Welt gemeint ist; und so wie durch jene der Held im Mantel seiner Handlung tritt:-- so tritt das Dunkel dieses Tores handelnd auf seiner Tiefe tragisches Theater, so grenzenlos und wallend wie Gott-Vater und so wie Er sich wunderlich verwandelnd in einen Sohn, der aufgeteilt ist hier auf viele kleine beinah stumme Rollen, genommen aus des Elends Zubehör. Denn nur noch so entsteht (das wissen wir) aus Blinden, Fortgeworfenen und Tollen der Heiland wie ein einziger Akteur. III So ragen sie, die Herzen angehalten (sie stehn auf Ewigkeit und gingen nie); nur selten tritt aus dem Gefäll der Falten eine Gebärde, aufrecht, steil wie sie, und bleibt nach einem halben Schritte stehn, wo die Jahrhunderte sie überholen. Sie sind im Gleichgewicht auf den Konsolen, in denen eine Welt, die sie nicht sehn, die Welt der Wirrnis, die sie nicht zertraten, Figur und Tier, wie um sie zu gefährden, sich krümmt und schüttelt und sie dennoch hält: weil die Gestalten dort wie Akrobaten sich nur so zuckend und so wild gebärden, damit der Stab auf ihrer Stirn nicht fällt. DIE FENSTERROSE Da drin: das träge Treten ihrer Tatzen macht eine Stille, die dich fast verwirrt; und wie dann plötzlich eine von den Katzen den Blick an ihr, der hin und wieder irrt, gewaltsam in ihr großes Auge nimmt,-- den Blick, der wie von eines Wirbels Kreis ergriffen, eine kleine Weile schwimmt und dann versinkt und nichts mehr von sich weiß, wenn dieses Auge, welches scheinbar ruht, sich au auftut und zusammenschlägt mit Tosen und ihn hineinreißt bis ins rote Blut--: so griffen einstmals aus dem Dunkelsein der Kathedralen große Fensterrosen ein Herz und rissen es in Gott hinein. DAS KAPITÄL Wie sich aus eines Traumes Ausgeburten aufsteigend aus verwirrendem Gequäl der nächste Tag erhebt,--so gehn die Gurten der Wölbung aus dem wirren Kapitäl und lassen drin, gedrängt und rätselhaft verschlungen, flügelschlagende Geschöpfe: ihr Zögern und das Plötzliche der Köpfe und jene starken Blätter, deren Saft wie Jähzorn steigt, sich schließlich überschlagend in einer schnellen Geste, die sich ballt und sich heraushält: alles aufwärtsjagend, was immer wieder mit dem Dunkel kalt herunterfällt, wie Regen Sorge tragend für dieses alten Wachstums Unterhalt. GOTT IM MITTELALTER Und sie hatten ihn in sich erspart, und sie wollten, daß er sei und richte, und sie hängten schließlich wie Gewichte (zu verhindern seine Himmelfahrt) an ihn ihrer großen Kathedralen Last und Masse. Und er sollte nur über seine grenzenlosen Zahlen zeigend kreisen und wie eine Uhr Zeichen geben ihrem Tun und Tagwerk. Aber plötzlich kam er ganz in Gang, und die Leute der entsetzten Stadt ließen ihn, vor seiner Stimme bang, weitergehn mit ausgehängtem Schlagwerk und entflohn vor seinem Zifferblatt. MORGUE Da liegen sie bereit, als ob es gälte, nachträglich eine Handlung zu erfinden, die miteinander und mit dieser Kälte sie zu versöhnen weiß und zu verbinden; denn das ist alles noch wie ohne Schluß. Was für ein Name hätte in den Taschen sich finden sollen? An dem Überdruß um ihren Mund hat man herumgewaschen; er ging nicht ab; er wurde nur ganz rein. Die Bärte stehen, noch ein wenig härter, doch ordentlicher im Geschmack der Wärter, nur um die Gaffenden nicht anzuwidern. Die Augen haben hinter ihren Lidern sich umgewandt und schauen jetzt hinein. DER GEFANGENE I Meine Hand hat nur noch eine Gebärde, mit der sie verscheucht; auf die alten Steine fällt es aus Felsen feucht. Ich höre nur dieses Klopfen, und mein Herz hält Schritt mit dem Gehen der Tropfen und vergeht damit. Tropften sie doch schneller, käme doch wieder ein Tier. Irgendwo war es heller--. Aber was wissen wir. II Denk dir, das was jetzt Himmel ist und Wind, Luft deinem Mund und deinem Auge Helle, das würde Stein bis um die kleine Stelle, an der dein Herz und deine Hände sind. Und was jetzt in dir morgen heißt und: dann und: späterhin und nächstes Jahr und weiter-- das würde wund in dir und voller Eiter und schwäre nur und bräche nicht mehr an. Und das was war, das wäre irre und raste in dir herum, den lieben Mund, der niemals lachte, schäumend von Gelächter. Und das was Gott war, wäre nur dein Wächter und stopfte boshaft in das letzte Loch ein schmutziges Auge. Und du lebtest doch. DER PANTHER IM JARDIN DES PLANTES, PARIS Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, daß er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht. Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf--. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille-- und hört im Herzen auf zu sein. DIE GAZELLE ANTILOPE DORCAS Verzauberte: wie kann der Einklang zweier erwählter Worte je den Reim erreichen, der in dir kommt und geht, wie auf ein Zeichen. Aus deiner Stirne steigen Laub und Leier, und alles Deine geht schon im Vergleich durch Liebeslieder, deren Worte, weich wie Rosenblätter, dem, der nicht mehr liest, sich auf die Augen legen, die er schließt, um dich zu sehen: hingetragen, als wäre mit Sprüngen jeder Lauf geladen und schösse nur nicht ab, solang der Hals das Haupt ins Horchen hält: wie wenn beim Baden im Wald die Badende sich unterbricht, den Waldsee im gewendeten Gesicht. DAS EINHORN Der Heilige hob das Haupt, und das Gebet fiel wie ein Helm zurück von seinem Haupte: denn lautlos nahte sich das niegeglaubte, das weiße Tier, das wie eine geraubte hilflose Hindin mit den Augen fleht. Der Beine elfenbeinernes Gestell bewegte sich in leichten Gleichgewichten, ein weißer Glanz glitt selig durch das Fell, und auf der Tierstirn, auf der stillen, lichten, stand, wie ein Turm im Mond, das Horn so hell, und jeder Schritt geschah, es aufzurichten. Das Maul mit seinem rosagrauen Flaum war leicht gerafft, so daß ein wenig Weiß (weißer als alles) von den Zähnen glänzte; die Nüstern nahmen auf und lechzten leis. Doch seine Blicke, die kein Ding begrenzte, warfen sich Bilder in den Raum und schlössen einen blauen Sagenkreis. SANKT SEBASTIAN Wie ein Liegender so steht er; ganz hingehalten von dem großen Willen. Weit entrückt wie Mütter, wenn sie stillen, und in sich gebunden wie ein Kranz. Und die Pfeile kommen: jetzt und jetzt und als sprängen sie aus seinen Lenden, eisern bebend mit den freien Enden. Doch er lächelt dunkel, unverletzt. Einmal nur wird eine Trauer groß, und die Augen liegen schmerzlich bloß, bis sie etwas leugnen, wie Geringes, und als ließen sie verächtlich los die Vernichter eines schönen Dinges. DER STIFTER Das war der Auftrag an die Malergilde. Vielleicht daß ihm der Heiland nie erschien; vielleicht trat auch kein heiliger Bischof milde an seine Seite wie in diesem Bilde und legte leise seine Hand auf ihn. Vielleicht war dieses alles: so zu knien (so wie es alles ist, was wir erfuhren): zu knien: daß man die eigenen Konturen, die auswärtswollenden, ganz angespannt im Herzen hält, wie Pferde in der Hand. Daß, wenn ein Ungeheueres geschähe, das nicht versprochen ist und nieverbrieft, wir hoffen könnten, daß es uns nicht sähe und näher käme, ganz in unsre Nähe, mit sich beschäftigt und in sich vertieft. DER ENGEL Mit einem Neigen seiner Stirne weist er weit von sich, was einschränkt und verpflichtet; denn durch sein Herz geht riesig aufgerichtet das ewig Kommende, das kreist. Die tiefen Himmel stehn ihm voll Gestalten, und jede kann ihm rufen: komm, erkenn--. Gib seinen leichten Händen nichts zu halten aus deinem Lastenden. Sie kämen denn bei Nacht zu dir, dich ringender zu prüfen, und gingen wie Erzürnte durch das Haus und griffen dich, als ob sie dich erschüfen, und brächen dich aus deiner Form heraus. RÖMISCHE SARKOPHAGE Was aber hindert uns zu glauben, daß (so wie wir hingestellt sind und verteilt) nicht eine kleine Zeit nur Drang und Haß und dies Verwirrende in uns verweilt, wie einst in dem verzierten Sarkophag bei Ringen, Götterbildern, Gläsern, Bändern, in langsam sich verzehrenden Gewändern ein langsam Aufgelöstes lag-- bis es die unbekannten Munde schluckten, die niemals reden. (Wo besteht und denkt ein Hirn, um ihrer einst sich zu bedienen?) Da wurde von den alten Aquädukten ewiges Wasser in sie eingelenkt--: das spiegelt jetzt und geht und glänzt in ihnen. DER SCHWAN Diese Mühsal, durch noch Ungetanes schwer und wie gebunden hinzugehn, gleicht dem ungeschaffnen Gang des Schwanes. Und das Sterben, dieses Nichtmehrfassen jenes Grunds, auf dem wir täglich stehn, seinem ängstlichen Sich-Niederlassen--: in die Wasser, die ihn sanft empfangen und die sich, wie glücklich und vergangen, unter ihm zurückziehn, Flut um Flut; während er unendlich still und sicher immer mündiger und königlicher und gelassener zu ziehn geruht. KINDHEIT Es wäre gut viel nachzudenken, um von so Verlornem etwas auszusagen, von jenen langen Kindheit-Nachmittagen, die so nie wiederkamen--und warum? Noch mahnt es uns--: vielleicht in einem Regnen, aber wir wissen nicht mehr, was das soll; nie wieder war das Leben von Begegnen, von Wiedersehn und Weitergehn so voll wie damals, da uns nichts geschah als nur, was einem Ding geschieht und einem Tiere: da lebten wir, wie Menschliches, das Ihre und wurden bis zum Rande voll Figur. Und wurden so vereinsamt wie ein Hirt und so mit großen Fernen überladen und wie von weit berufen und berührt und langsam wie ein langer neuer Faden in jene Bilderfolgen eingeführt, in welchen nun zu dauern uns verwirrt. DER DICHTER Du entfernst dich von mir, du Stunde. Wunden schlägt mir dein Flügelschlag. Allein: was soll ich mit meinem Munde? mit meiner Nacht? mit meinem Tag? Ich habe keine Geliebte, kein Haus, keine Stelle, auf der ich lebe. Alle Dinge, an die ich mich gebe, werden reich und geben mich aus. DIE SPITZE I Menschlichkeit: Namen schwankender Besitze, noch unbestätigter Bestand von Glück: ist das unmenschlich, daß zu dieser Spitze, zu diesem kleinen dichten Spitzenstück zwei Augen wurden?--Willst du sie zurück? Du Langvergangene und schließlich Blinde, ist deine Seligkeit in diesem Ding, zu welcher hin, wie zwischen Stamm und Rinde, dein großes Fühlen, kleinverwandelt, ging? Durch einen Riß im Schicksal, eine Lücke entzogst du deine Seele deiner Zeit; und sie ist so in diesem lichten Stücke, daß es mich lächeln macht vor Nützlichkeit. II Und wenn uns eines Tages dieses Tun und was an uns geschieht gering erschiene und uns so fremd, als ob es nicht verdiene, daß wir so mühsam aus den Kinderschuhn um seinetwillen wachsen--: Ob die Bahn vergilbter Spitze, diese dichtgefügte blumige Spitzenbahn, dann nicht genügte, uns hier zu halten? Sieh: sie ward getan. Ein Leben ward vielleicht verschmäht, wer weiß? Ein Glück war da und wurde hingegeben, und endlich wurde doch, um jeden Preis, dies Ding daraus, nicht leichter als das Leben und doch vollendet und so schön, als sei's nicht mehr zu früh, zu lächeln und zu schweben. EIN FRAUENSCHICKSAL So wie der König auf der Jagd ein Glas ergreift, daraus zu trinken, irgendeines,-- und wie hernach der, welcher es besaß, es fortstellt und verwahrt, als wär es keines: so hob vielleicht das Schicksal, durstig auch, bisweilen Eine an den Mund und trank, die dann ein kleines Leben, viel zu bang sie zu zerbrechen, abseits vom Gebrauch hinstellte in die ängstliche Vitrine, in welcher seine Kostbarkeiten sind (oder die Dinge, die für kostbar gelten). Da stand sie fremd wie eine Fortgeliehne und wurde einfach alt und wurde blind und war nicht kostbar und war niemals selten. DIE GENESENDE Wie ein Singen kommt und geht in Gassen und sich nähert und sich wieder scheut, flügelschlagend, manchmal fast zu fassen und dann wieder weit hinausgestreut: spielt mit der Genesenden das Leben; während sie, geschwächt und ausgeruht, unbeholfen, um sich hinzugeben, eine ungewohnte Geste tut. Und sie fühlt sich beinah wie Verführung, wenn die hartgewordne Hand, darin Fieber waren voller Widersinn, fernher, wie mit blühender Berührung, zu liebkosen kommt ihr hartes Kinn. DIE ERWACHSENE Das alles stand auf ihr und war die Welt und stand auf ihr mit allem, Angst und Gnade, wie Bäume stehen, wachsend und gerade, ganz Bild und bildlos wie die Bundeslade und feierlich, wie auf ein Volk gestellt. Und sie ertrug es; trug bis obenhin das Fliegende, Entfliehende, Entfernte, das Ungeheuere, noch Unerlernte gelassen wie die Wasserträgerin den vollen Krug. Bis mitten unterm Spiel, verwandelnd und auf andres vorbereitend, der erste weiße Schleier, leise gleitend, über das aufgetane Antlitz fiel fast undurchsichtig und sich nie mehr hebend und irgendwie auf alle Fragen ihr nur eine Antwort vage wiedergebend: In dir, du Kindgewesene, in dir. TANAGRA Ein wenig gebrannter Erde, wie von großer Sonne gebrannt. Als wäre die Gebärde einer Mädchenhand auf einmal nicht mehr vergangen; ohne nach etwas zu langen, zu keinem Dinge hin aus ihrem Gefühle führend, nur an sich selber rührend wie eine Hand ans Kinn. Wir heben und wir drehen eine und eine Figur; wir können fast verstehen, weshalb sie nicht vergehen,-- aber wir sollen nur tiefer und wunderbarer hängen an dem, was war, und lächeln: ein wenig klarer vielleicht als vor einem Jahr. DIE ERBLINDENDE Sie saß so wie die anderen beim Tee. Mir war zuerst, als ob sie ihre Tasse ein wenig anders als die andern fasse. Sie lächelte einmal. Es tat fast weh. Und als man schließlich sich erhob und sprach und langsam und wie es der Zufall brachte durch viele Zimmer ging (man sprach und lachte), da sah ich sie. Sie ging den andern nach, verhalten, so wie eine, welche gleich wird singen müssen und vor vielen Leuten; auf ihren hellen Augen, die sich freuten, war Licht von außen wie auf einem Teich. Sie folgte langsam, und sie brauchte lang, als wäre etwas noch nicht überstiegen; und doch: als ob, nach einem Übergang, sie nicht mehr gehen würde, sondern fliegen. IN EINEM FREMDEN PARK BORGEBY-GÅRD Zwei Wege sinds. Sie führen keinen hin. Doch manchmal, in Gedanken, läßt der eine dich weitergehn. Es ist, als gingst du fehl; aber auf einmal bist du im Rondel alleingelassen wieder mit dem Steine und wieder auf ihm lesend: Freiherrin Brite Sophie--und wieder mit dem Finger abfühlend die zerfallne Jahreszahl--. Warum wird dieses Finden nicht geringer? Was zögerst du ganz wie zum erstenmal erwartungsvoll auf diesem Ulmenplatz, der feucht und dunkel ist und niebetreten? Und was verlockt dich für ein Gegensatz, etwas zu suchen in den sonnigen Beeten, als wärs der Name eines Rosenstocks? Was stehst du oft? Was hören deine Ohren? Und warum siehst du schließlich, wie verloren, die Falter flimmern um den hohen Phlox? ABSCHIED Wie hab ich das gefühlt, was Abschied heißt. Wie weiß ichs noch: ein dunkles unverwundnes grausames Etwas, das ein Schönverbundnes noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt. Wie war ich ohne Wehr, dem zuzuschauen, das, da es mich, mich rufend, gehen ließ, zurückblieb, so als wärens alle Frauen und dennoch klein und weiß und nichts als dies: Ein Winken, schon nicht mehr auf mich bezogen, ein leise Weiterwinkendes--, schon kaum erklärbar mehr: vielleicht ein Pflaumenbaum, von dem ein Kuckuck hastig abgeflogen. TODESERFAHRUNG Wir wissen nichts von diesem Hingehn, das nicht mit uns teilt. Wir haben keinen Grund, Bewunderung und Liebe oder Haß dem Tod zu zeigen, den ein Maskenmund tragischer Klage wunderlich entstellt. Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen. Solang wir sorgen, ob wir auch gefielen, spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt. Doch als du gingst, da brach in diese Bühne ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt, durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne, wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald. Wir spielen weiter. Bang und schwer Erlerntes hersagend und Gebärden dann und wann aufhebend; aber dein von uns entferntes, aus unserm Stück entrücktes Dasein kann uns manchmal überkommen, wie ein Wissen von jener Wirklichkeit sich niedersenkend, so daß wir eine Weile hingerissen das Leben spielen, nicht an Beifall denkend. BLAUE HORTENSIE So wie das letzte Grün in Farbentiegeln sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh, hinter den Blütendolden, die ein Blau nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln. Sie spiegeln es verweint und ungenau, als wollten sie es wiederum verlieren, und wie in alten blauen Briefpapieren ist Gelb in ihnen, Violett und Grau; Verwaschnes wie an einer Kinderschürze, Nichtmehrgetragnes, dem nichts mehr geschieht: wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze. Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen in einer von den Dolden, und man sieht ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen. VOR DEM SOMMERREGEN Auf einmal ist aus allem Grün im Park man weiß nicht was, ein Etwas, fortgenommen; man fühlt ihn näher an die Fenster kommen und schweigsam sein. Inständig nur und stark ertönt aus dem Gehölz der Regenpfeifer, man denkt an einen Hieronymus: so sehr steigt irgend Einsamkeit und Eifer aus dieser einen Stimme, die der Guß erhören wird. Des Saales Wände sind mit ihren Bildern von uns fortgetreten, als dürften sie nicht hören, was wir sagen. Es spiegeln die verblichenen Tapeten das ungewisse Licht von Nachmittagen, in denen man sich fürchtete als Kind. IM SAAL Wie sind sie alle um uns, diese Herrn in Kammerherrentrachten und Jabots, wie eine Nacht um ihren Ordensstern sich immer mehr verdunkelnd, rücksichtslos, und diese Damen, zart, fragile, doch groß von ihren Kleidern, eine Hand im Schoß, klein wie ein Halsband für den Bologneser; wie sind sie da um jeden: um den Leser, um den Betrachter dieser Bibelots, darunter manches ihnen noch gehört. Sie lassen, voller Takt, uns ungestört das Leben leben, wie wir es begreifen und wie sie's nicht verstehn. Sie wollten blühn, und blühn ist schön sein; doch wir wollen reifen, und das heißt dunkel sein und sich bemühn. LETZTER ABEND (AUS DEM BESITZE FRAU NONNAS) Und Nacht und fernes Fahren; denn der Train des ganzen Heeres zog am Park vorüber. Er aber hob den Blick vom Clavecin und spielte noch und sah zu ihr hinüber beinah, wie man in einen Spiegel schaut: so sehr erfüllt von seinen jungen Zügen und wissend, wie sie seine Trauer trügen, schön und verführender bei jedem Laut. Doch plötzlich wars, als ob sich das verwische: sie stand wie mühsam in der Fensternische und hielt des Herzens drängendes Geklopf. Sein Spiel gab nach. Von draußen wehte Frische. Und seltsam fremd stand auf dem Spiegeltische der schwarze Tschako mit dem Totenkopf. JUGENDBILDNIS MEINES VATERS Im Auge Traum. Die Stirn wie in Berührung mit etwas Fernem. Um den Mund enorm viel Jugend, ungelächelte Verführung, und vor der vollen schmückenden Verschnürung der schlanken adeligen Uniform der Säbelkorb und beide Hände--, die abwarten, ruhig, zu nichts hingedrängt. Und nun fast nicht mehr sichtbar: als ob sie zuerst, die Fernes greifenden, verschwänden. Und alles andre mit sich selbst verhängt und ausgelöscht, als ob wirs nicht verständen, und tief aus seiner eignen Tiefe trüb--. Du schnell vergehendes Daguerreotyp in meinen langsamer vergehenden Händen. SELBSTBILDNIS AUS DEM JAHRE 1906 Des alten lange adligen Geschlechtes Feststehendes im Augenbogenbau. Im Blicke noch der Kindheit Angst und Blau und Demut da und dort, nicht eines Knechtes, doch eines Dienenden und einer Frau. Der Mund als Mund gemacht, groß und genau, nicht überredend, aber ein Gerechtes Aussagendes. Die Stirne ohne Schlechtes und gern im Schatten stiller Niederschau. Das, als Zusammenhang, erst nur geahnt; noch nie im Leiden oder im Gelingen zusammgefaßt zu dauerndem Durchdringen, doch so, als wäre mit zerstreuten Dingen von fern ein Ernstes, Wirkliches geplant. DER KÖNIG Der König ist sechzehn Jahre alt. Sechzehn Jahre und schon der Staat. Er schaut, wie aus einem Hinterhalt, vorbei an den Greisen vom Rat in den Saal hinein und irgendwohin und fühlt vielleicht nur dies: an dem schmalen langen harten Kinn die kalte Kette vom Vlies. Das Todesurteil vor ihm bleibt lang ohne Namenszug. Und sie denken: wie er sich quält. Sie wüßten, kennten sie ihn genug, daß er nur langsam bis siebzig zählt, eh er es unterschreibt. AUFERSTEHUNG Der Graf vernimmt die Töne, er sieht einen lichten Riß; er weckt seine dreizehn Söhne im Erbbegräbnis. Er grüßt seine beiden Frauen ehrerbietig von weit--; und alle voll Vertrauen stehn auf zur Ewigkeit und warten nur noch auf Erich und Ulriken Dorotheen, die sieben- und dreizehnjährig (sechzehnhundertzehn) verstorben sind in Flandern, um heute vor den andern unbeirrt herzugehn. DER FAHNENTRÄGER Die andern fühlen alles an sich rauh und ohne Anteil: Eisen, Zeug und Leder. Zwar manchmal schmeichelt eine weiche Feder, doch sehr allein und lieblos ist ein jeder; er aber trägt--als trüg er eine Frau-- die Fahne in dem feierlichen Kleide. Dicht hinter ihm geht ihre schwere Seide, die manchmal über seine Hände fließt. Er kann allein, wenn er die Augen schließt, ein Lächeln sehn: er darf sie nicht verlassen. Und wenn es kommt in blitzenden Kürassen und nach ihr greift und ringt und will sie fassen--: dann darf er sie abreißen von dem Stocke, als riß er sie aus ihrem Mädchentum, um sie zu halten unterm Waffenrocke. Und für die andern ist das Mut und Ruhm. DER LETZTE GRAF VON BREDERODE ENTZIEHT SICH TÜRKISCHER GEFANGENSCHAFT Sie folgten furchtbar; ihren bunten Tod von ferne nach ihm werfend, während er verloren floh, nichts weiter als: bedroht. Die Ferne seiner Väter schien nicht mehr für ihn zu gelten; denn um so zu fliehn, genügt ein Tier vor Jägern. Bis der Fluß aufrauschte nah und blitzend. Ein Entschluß hob ihn samt seiner Not und machte ihn wieder zum Knaben fürstlichen Geblütes. Ein Lächeln adeliger Frauen goß noch einmal Süßigkeit in sein verfrühtes vollendetes Gesicht. Er zwang sein Roß, groß wie sein Herz zu gehn, sein blutdurchglühte: es trug ihn in den Strom wie in sein Schloß. DIE KURTISANE Venedigs Sonne wird in meinem Haar ein Gold bereiten: aller Alchemie erlauchten Ausgang. Meine Brauen, die den Brücken gleichen, siehst du sie hinführen ob der lautlosen Gefahr der Augen, die ein heimlicher Verkehr an die Kanäle schließt, so daß das Meer in ihnen steigt und fällt und wechselt. Wer mich einmal sah, beneidet meinen Hund, weil sich auf ihm oft in zerstreuter Pause die Hand, die nie an keiner Glut verkohlt, die unverwundbare, geschmückt, erholt--. Und Knaben, Hoffnungen aus altem Hause, gehn wie an Gift an meinem Mund zugrund. DIE TREPPE DER ORANGERIE VERSAILLES Wie Könige, die schließlich nur noch schreiten fast ohne Ziel, nur um von Zeit zu Zeit sich den Verneigenden auf beiden Seiten zu zeigen in des Mantels Einsamkeit--: so steigt, allein zwischen den Balustraden, die sich verneigen schon seit Anbeginn, die Treppe: langsam und von Gottes Gnaden und auf den Himmel zu und nirgends hin; als ob sie allen Folgenden befahl zurückzubleiben,--so daß sie nicht wagen, von ferne nachzugehen; nicht einmal die schwere Schleppe durfte einer tragen. DER MARMORKARREN PARIS Auf Pferde, sieben ziehende, verteilt, verwandelt Niebewegtes sich in Schritte; denn was hochmütig in des Marmors Mitte an Alter, Widerstand und All verweilt, das zeigt sich unter Menschen. Siehe, nicht unkenntlich, unter irgendeinem Namen, nein: wie der Held das Drängen in den Dramen erst sichtbar macht und plötzlich unterbricht: so kommt es durch den stauenden Verlauf des Tages, kommt in seinem ganzen Staate, als ob ein großer Triumphator nahte, langsam zuletzt; und langsam vor ihm her Gefangene, von seiner Schwere schwer. Und naht noch immer und hält alles auf. BUDDHA Schon von ferne fühlt der fremde scheue Pilger, wie es golden von ihm träuft; so als hätten Reiche voller Reue ihre Heimlichkeiten aufgehäuft. Aber näher kommend wird er irre vor der Hoheit dieser Augenbraun: denn das sind nicht ihre Trinkgeschirre und die Ohrgehänge ihrer Fraun. Wüßte einer denn zu sagen, welche Dinge eingeschmolzen wurden, um dieses Bild auf diesem Blumenkelche aufzurichten: stummer, ruhiggelber als ein goldenes und rundherum auch den Raum berührend wie sich selber. RÖMISCHE FONTÄNE BORGHESE Zwei Becken, eins das andre übersteigend aus einem alten runden Marmorrand, und aus dem oberen Wasser leis sich neigend zum Wasser, welches unten wartend stand, dem leise redenden entgegenschweigend und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend wie einen unbekannten Gegenstand; sich selber ruhig in der schönen Schale verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis, nur manchmal träumerisch und tropfenweis sich niederlassend an den Moosbehängen zum letzten Spiegel, der sein Hecken leis von unten lächeln macht mit Obergängen. DAS KARUSSELL JARDIN DU LUXEMBOURG Mit einem Dach und seinem Schatten dreht sich eine kleine Weile der Bestand von bunten Pferden, alle aus dem Land, das lange zögert, eh es untergeht. Zwar manche sind an Wagen angespannt, doch alle haben Mut in ihren Mienen; ein böser roter Löwe geht mit ihnen und dann und wann ein weißer Elefant. Sogar ein Hirsch ist da ganz wie im Wald, nur daß er einen Sattel trägt und drüber ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt. Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge und hält sich mit der kleinen heißen Hand, dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge. Und dann und wann ein weißer Elefant. Und auf den Pferden kommen sie vorüber, auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge schauen sie auf, irgendwohin, herüber-- Und dann und wann ein weißer Elefant. Und das geht hin und eilt sich, daß es endet, und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel. Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet, ein kleines kaum begonnenes Profil. Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet, ein seliges, das blendet und verschwendet an dieses atemlose blinde Spiel. SPANISCHE TÄNZERIN Wie in der Hand ein Schwefelzündholz, weiß, eh es zur Klamme kommt, nach allen Seiten zuckende Zungen streckt--: beginnt im Kreis naher Beschauer hastig, hell und heiß ihr runder Tanz sich zuckend auszubreiten. Und plötzlich ist er Flamme ganz und gar. Mit ihrem Blick entzündet sie ihr Haar und dreht auf einmal mit gewagter Kunst ihr ganzes Kleid in diese Feuersbrunst, aus welcher sich, wie Schlangen, die erschrecken, die nackten Arme wach und klappernd strecken. Und dann: als würde ihr das Feuer knapp, nimmt sie es ganz zusamm und wirft es ab sehr herrisch, mit hochmütiger Gebärde und schaut: da liegt es rasend auf der Erde und flammt noch immer und ergibt sich nicht--. Doch sieghaft, sicher und mit einem süßen grüßenden Lächeln hebt sie ihr Gesicht und stampft es aus mit kleinen festen Füßen. DER TURM TOUR ST.-NICOLAS, FURNES Erdinneres. Als wäre dort, wohin du blindlings steigst, erst Erdenoberfläche, zu der du steigst im schrägen Bett der Bäche, die langsam aus dem suchenden Gerinn der Dunkelheit entsprungen sind, durch die sich dein Gesicht, wie auferstehend, drängt und die du plötzlich _siehst_, als fiele sie aus diesem Abgrund, der dich überhängt und den du, wie er riesig über dir sich umstürzt in dem dämmernden Gestühle, erkennst, erschreckt und fürchtend, im Gefühle: o wenn er steigt, behängen wie ein Stier--: Da aber nimmt dich aus der engen Endung windiges Licht. Fast fliegend siehst du hier die Himmel wieder, Blendung über Blendung, und dort die Tiefen, wach und voll Verwendung, und kleine Tage wie bei Patenier, gleichzeitige, mit Stunde neben Stunde, durch die die Brücken springen wie die Hunde, dem hellen Wege immer auf der Spur, den unbeholfne Häuser manchmal nur verbergen, bis er ganz im Hintergründe beruhigt geht durch Buschwerk und Natur. DER PLATZ FURNES Willkürlich von Gewesnem ausgeweitet: von Wut und Aufruhr, von dem Kunterbunt, das die Verurteilten zu Tod begleitet, von Buden, von der Jahrmarktsrufer Mund, und von dem Herzog, der vorüberreitet, und von dem Hochmut von Burgund, (auf allen Seiten Hintergrund): ladet der Platz zum Einzug seiner Weite die fernen Fenster unaufhörlich ein, während sich das Gefolge und Geleite der Leere langsam an den Handelsreihn verteilt und ordnet. In die Giebel steigend, wollen die kleinen Häuser alles sehn, die Türme voreinander scheu verschweigend, die immer maßlos hinter ihnen stehn. QUAI DU ROSAIRE BRÜGGE Die Gassen haben einen sachten Gang (wie manchmal Menschen gehen im Genesen nachdenkend: was ist früher hier gewesen?) und die an Plätze kommen, warten lang auf eine andre, die mit einem Schritt über das abendklare Wasser tritt, darin, je mehr sich rings die Dinge mildern, die eingehängte Welt von Spiegelbildern so wirklich wird, wie diese Dinge nie. Verging nicht diese Stadt? Nun siehst du, wie (nach einem unbegreiflichen Gesetz) sie wach und deutlich wird im Umgestellten, als wäre dort das Leben nicht so selten; dort hängen jetzt die Gärten groß und gelten, dort dreht sich plötzlich hinter schnell erhellten Fenstern der Tanz in den Estaminets. Und oben blieb?--Die Stille nur, ich glaube, und kostet langsam und von nichts gedrängt Beere um Beere aus der süßen Traube des Glockenspiels, das in den Himmeln hängt. BÉGUINAGE BÉGUINAGE SAINTE-ELISABETH. BRÜGGE I Das hohe Tor scheint keine einzuhalten, die Brücke geht gleich gerne hin und her, und doch sind sicher alle in dem alten offenen Ulmenhof und gehn nicht mehr aus ihren Häusern, als auf jenem Streifen zur Kirche hin, um besser zu begreifen, warum in ihnen so viel Liebe war. Dort knieen sie, verdeckt mit reinem Leinen so gleich, als wäre nur das Bild der einen tausendmal im Choral, der tief und klar zu Spiegeln wird an den verteilten Pfeilern; und ihre Stimmen gehn den immer steilern Gesang hinan und werfen sich von dort, wo es nicht weitergeht, vom letzten Wort, den Engeln zu, die sie nicht wiedergeben. Drum sind die unten, wenn sie sich erheben und wenden, still. Drum reichen sie sich schweigend mit einem Neigen, Zeigende zu zeigend Empfangenden, geweihtes Wasser, das die Stirnen kühl macht und die Munde blaß. Und gehen dann, verhangen und verhalten, auf jenem Streifen wieder überquer-- die Jungen ruhig, ungewiß die Alten und eine Greisin, weilend, hinterher-- zu ihren Häusern, die sie schnell verschweigen und die sich durch die Ulmen hin von Zeit zu Zeit ein wenig reine Einsamkeit, in einer kleinen Scheibe schimmernd, zeigen. II Was aber spiegelt mit den tausend Scheiben das Kirchenfenster in den Hof hinein, darin sich Schweigen, Schein und Widerschein vermischen, trinken, trüben, übertreiben, phantastisch alternd wie ein alter Wein? Dort legt sich, keiner weiß von welcher Seite, Außen auf Inneres und Ewigkeit auf Immer-Hingehn, Weite über Weite, erblindend, finster, unbenutzt, verbleit. Dort bleibt, unter dem schwankenden Dekor des Sommertags, das Graue alter Winter: als stünde regungslos ein sanftgesinnter langmütig lange Wartender dahinter und eine weinend Wartende davor. DIE MARIENPROZESSION GENT Aus allen Türmen stürzt sich, Fluß um Fluß, hinwallendes Metall in solchen Massen, als sollte drunten in der Form der Gassen ein blanker Tag erstehn aus Bronzeguß, an dessen Rand, gehämmert und erhaben, zu sehen ist der buntgebundne Zug der leichten Mädchen und der neuen Knaben, und wie er Wellen schlug und trieb und trug, hinabgehalten von dem ungewissen Gewicht der Fahnen und von Hindernissen gehemmt, unsichtbar wie die Hand des Herrn; und drüben plötzlich beinah mitgerissen vom Aufstieg aufgescheuchter Räucherbecken, die fliegend, alle sieben, wie im Schrecken an ihren Silberketten zerrn. Die Böschung Schauender umschließt die Schiene, in der das alles stockt und rauscht und rollt: das Kommende, das Chryselephantine, aus dem sich zu Balkonen Baldachine aufbäumen, schwankend im Behang von Gold. Und sie erkennen über all dem Weißen, getragen und im spanischen Gewand, das alte Standbild mit dem kleinen heißen Gesichte und dem Kinde auf der Hand und knieen hin, je mehr es naht und naht, in seiner Krone ahnungslos veraltend und immer noch das Segnen hölzern haltend aus dem sich groß gebärdenden Brokat. Da aber, wie es an den Hingeknieten vorüberkommt, die scheu von unten schaun, da scheint es seinen Trägern zu gebieten mit einem Hochziehn seiner Augenbraun, hochmütig, ungehalten und bestimmt: so daß sie staunen, stehn und überlegen und schließlich zögernd gehn. Sie aber nimmt in sich die Schritte dieses ganzen Stromes und geht, allein, wie auf erkannten Wegen dem Glockendonnern des großoffnen Domes auf hundert Schultern frauenhaft entgegen. DIE INSEL NORDSEE I Die nächste Flut verwischt den Weg im Watt, und alles wird auf allen Seiten gleich; die kleine Insel draußen aber hat die Augen zu; verwirrend kreist der Deich um ihre Wohner, die in einen Schlaf geboren werden, drin sie viele Welten verwechseln schweigend; denn sie reden selten, und jeder Satz ist wie ein Epitaph für etwas Angeschwemmtes, Unbekanntes, das unerklärt zu ihnen kommt und bleibt. Und so ist alles, was ihr Blick beschreibt, von Kindheit an: nicht auf sie Angewandtes, zu Großes, Rücksichtsloses, Hergesandtes, das ihre Einsamkeit noch übertreibt. II Als läge er in einem Kraterkreise auf einem Mond: ist jeder Hof umdämmt, und drin die Gärten sind auf gleiche Weise gekleidet und wie Waisen gleich gekämmt von jenem Sturm, der sie so rauh erzieht und tagelang sie bange macht mit Toden. Dann sitzt man in den Häusern drin und sieht in schiefen Spiegeln, was auf den Kommoden Seltsames steht. Und einer von den Söhnen tritt abends vor die Tür und zieht ein Tönen aus der Harmonika wie Weinen weich; so hörte ers in einem fremden Hafen--. Und draußen formt sich eines von den Schafen ganz groß, fast drohend, auf dem Außendeich. III Nah ist nur Innres; alles andre fern. Und dieses Innere gedrängt und täglich mit allem überfüllt und ganz unsäglich. Die Insel ist wie ein zu kleiner Stern, welchen der Raum nicht merkt und stumm zerstört in seinem unbewußten Furchtbarsein, so daß er, unerhellt und überhört, allein, damit dies alles doch ein Ende nehme, dunkel auf einer selbsterfundnen Bahn versucht zu gehen, blindlings, nicht im Plan der Wandelsterne, Sonnen und Systeme. HETÄRENGRÄBER In ihren langen Haaren liegen sie mit braunen, tief in sich gegangenen Gesichtern. Die Augen zu wie vor zu vieler Ferne. Skelette, Munde, Blumen. In den Munden die glatten Zähne wie ein Reiseschachspiel aus Elfenbein in Reihen aufgestellt. Und Blumen, gelbe Perlen, schlanke Knochen, Hände und Hemden, welkende Gewebe über dem eingestürzten Herzen. Aber dort unter jenen Ringen, Talismanen und augenblauen Steinen (Lieblings-Angedenken) steht noch die stille Krypta des Geschlechtes, bis an die Wölbung voll mit Blumenblättern. Und wieder gelbe Perlen, weitverrollte,-- Schalen gebrannten Tones, deren Bug ihr eignes Bild geziert hat, grüne Scherben von Salbenvasen, die wie Blumen duften, und Formen kleiner Götter: Hausaltäre, Hetärenhimmel mit entzückten Göttern. Gesprengte Gürtel, flache Skarabäen, kleine Figuren riesigen Geschlechtes, ein Mund, der lacht, und Tanzende und Läufer, goldene Fibeln, kleinen Bogen ähnlich zur Jagd auf Tier- und Vogelamulette, und lange Nadeln, zieres Hausgeräte und eine runde Scherbe roten Grundes, darauf, wie eines Eingangs schwarze Aufschrift, die straffen Beine eines Viergespannes. Und wieder Blumen, Perlen, die verrollt sind, die hellen Lenden einer kleinen Leier, und zwischen Schleiern, die gleich Nebeln fallen, wie ausgekrochen aus des Schuhes Puppe: des Fußgelenkes leichter Schmetterling. So liegen sie mit Dingen angefüllt, kostbaren Dingen, Steinen, Spielzeug, Hausrat, zerschlagnem Tand (was alles in sie abfiel), und dunkeln wie der Grund von einem Fluß. Flußbetten waren sie, darüber hin in kurzen schnellen Wellen (die weiter wollten zu dem nächsten Leben) die Leiber vieler Jünglinge sich stürzten und in denen der Männer Ströme rauschten. Und manchmal brachen Knaben aus den Bergen der Kindheit, kamen zagen Falles nieder und spielten mit den Dingen auf dem Grunde, bis das Gefälle ihr Gefühl ergriff: Dann füllten sie mit flachem klaren Wasser die ganze Breite dieses breiten Weges und trieben Wirbel an den tiefen Stellen; und spiegelten zum erstenmal die Ufer und ferne Vogelrufe, während hoch die Sternennächte eines süßen Landes in Himmel wuchsen, die sich nirgends schlossen. ORPHEUS. EURYDIKE. HERMES Das war der Seelen wunderliches Bergwerk. Wie stille Silbererze gingen sie als Adern durch sein Dunkel. Zwischen Wurzeln entsprang das Blut, das fortgeht zu den Menschen, und schwer wie Porphyr sah es aus im Dunkel. Sonst war nichts Rotes. Felsen war da und wesenlose Wälder. Brücken über Leeres und jener große, graue, blinde Teich, der über seinem fernen Grunde hing wie Regenhimmel über einer Landschaft. Und zwischen Wiesen, sanft und voller Langmut, erschien des einen Weges blasser Streifen wie eine lange Bleiche hingelegt. Und dieses einen Weges kamen sie. Voran der schlanke Mann im blauen Mantel, der stumm und ungeduldig vor sich aussah. Ohne zu kauen fraß sein Schritt den Weg in großen Bissen; seine Hände hingen schwer und verschlossen aus dem Fall der Falten und wußten nicht mehr von der leichten Leier, die in die Linke eingewachsen war wie Rosenranken in den Ast des Ölbaums. Und seine Sinne waren wie entzweit: indes der Blick ihm wie ein Hund vorauslief, umkehrte, kam und immer wieder weit und wartend an der nächsten Wendung stand,-- blieb sein Gehör wie ein Geruch zurück. Manchmal erschien es ihm, als reichte es bis an das Gehen jener beiden andern, die folgen sollten diesen ganzen Aufstieg. Dann wieder wars nur seines Steigens Nachklang und seines Mantels Wind, was hinter ihm war. Er aber sagte sich, sie kämen doch; sagte es laut und hörte sich verhallen. Sie kämen doch, nur wärens zwei, die furchtbar leise gingen. Dürfte er sich einmal wenden (wäre das Zurückschaun nicht die Zersetzung dieses ganzen Werkes, das erst vollbracht wird), müßte er sie sehen, die beiden Leisen, die ihm schweigend nachgehn: den Gott des Ganges und der weiten Botschaft, die Reischaube über hellen Augen, den schlanken Stab hertragend vor dem Leibe und flügelschlagend an den Fußgelenken; und seiner linken Hand gegeben: _sie_. Die So-geliebte, daß aus einer Leier mehr Klage kam als je aus Klagefrauen; daß eine Welt aus Klage ward, in der alles noch einmal da war: Wald und Tal und Weg und Ortschaft, Feld und Fluß und Tier; und daß um diese Klage-Welt ganz so wie um die andre Erde eine Sonne und ein gestirnter stiller Himmel ging, ein Klage-Himmel mit entstellten Sternen--: diese So-geliebte. Sie aber ging an jenes Gottes Hand, den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern, unsicher, sanft und ohne Ungeduld. Sie war in sich wie eine hoher Hoffnung und dachte nicht des Mannes, der voranging, und nicht des Weges, der ins Leben aufstieg. Sie war in sich. Und ihr Gestorbensein erfüllte sie wie Fülle. Wie eine Frucht von Süßigkeit und Dunkel, so war sie voll von ihrem großen Tode, der also neu war, daß sie nichts begriff. Sie war in einem neuen Mädchentum und unberührbar; ihr Geschlecht war zu wie eine junge Blume gegen Abend, und ihre Hände waren der Vermählung so sehr entwöhnt, daß selbst des leichten Gottes unendlich leise leitende Berührung sie kränkte wie zu sehr Vertraulichkeit. Sie war schon nicht mehr diese blonde Frau, die in des Dichters Liedern manchmal anklang, nicht mehr des breiten Bettes Duft und Eiland und jenes Mannes Eigentum nicht mehr. Sie war schon aufgelöst wie langes Haar und hingegeben wie gefallner Regen und ausgeteilt wie hundertfacher Vorrat. Sie war schon Wurzel. Und als plötzlich jäh der Gott sie anhielt und mit Schmerz im Ausruf die Worte sprach: Er hat sich umgewendet begriff sie nichts und sagte leise: Wer? Fern aber, dunkel vor dem klaren Ausgang, stand irgend jemand, dessen Angesicht nicht zu erkennen war. Er stand und sah, wie auf dem Streifen eines Wiesenpfades mit trauervollem Blick der Gott der Botschaft sich schweigend wandte, der Gestalt zu folgen, die schon zurückging dieses selben Weges, den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern, unsicher, sanft und ohne Ungeduld. ALKESTIS Da plötzlich war der Bote unter ihnen, hineingeworfen in das Überkochen des Hochzeitsmahles wie ein neuer Zusatz. Sie fühlten nicht, die Trinkenden, des Gottes heimlichen Eintritt, welcher seine Gottheit so an sich hielt wie einen nassen Mantel und ihrer einer schien, der oder jener, wie er so durchging. Aber plötzlich sah mitten im Sprechen einer von den Gästen den jungen Hausherrn oben an dem Tische wie in die Höh gerissen, nicht mehr liegend und überall und mit dem ganzen Wesen ein Fremdes spiegelnd, das ihn furchtbar ansprach. Und gleich darauf, als klärte sich die Mischung, war Stille; nur mit einem Satz am Boden von trübem Lärm und einem Niederschlag fallenden Lallens, schon verdorben riechend nach dumpfem umgestandenen Gelächter. Und da erkannten sie den schlanken Gott, und wie er dastand, innerlich voll Sendung und unerbittlich,--wußten sie es beinah. Und doch, als es gesagt war, war es mehr als alles Wissen, gar nicht zu begreifen. Admet muß sterben. Wann? In dieser Stunde. Der aber brach die Schale seines Schreckens in Stücken ab und streckte seine Hände heraus aus ihr, um mit dem Gott zu handeln. Um Jahre, um ein einzig Jahr noch Jugend, um Monate, um Wochen, um paar Tage, ach, Tage nicht, um Nächte, nur um eine, um eine Nacht, um diese nur: um die. Der Gott verneinte, und da schrie er auf und schrie's hinaus und hielt es nicht und schrie, wie seine Mutter aufschrie beim Gebären. Und die trat zu ihm, eine alte Frau, und auch der Vater kam, der alte Vater, und beide standen, alt, veraltet, ratlos, beim Schreienden, der plötzlich, wie noch nie so nah, sie ansah, abbrach, schluckte, sagte: Vater, liegt dir denn viel daran an diesem Rest, an diesem Satz, der dich beim Schlingen hindert? Geh, gieß ihn weg. Und du, du alte Frau, Matrone, was tust du denn noch hier: du hast geboren. Und beide hielt er sie wie Opfertiere in einem Griff. Auf einmal ließ er los und stieß die Alten fort, voll Einfall, strahlend und atemholend, rufend: Kreon, Kreon! Und nichts als das; und nichts als diesen Namen. Aber in seinem Antlitz stand das andere, das er nicht sagte, namenlos erwartend, wie ers dem jungen Freunde, dem Geliebten, erglühend hinhielt übern wirren Tisch. Die Alten (stand da), siehst du, sind kein Loskauf, sie sind verbraucht und schlecht und beinah wertlos, du aber, du, in deiner ganzen Schönheit-- Da aber sah er seinen Freund nicht mehr. Er blieb zurück, und das, was kam, war sie, ein wenig kleiner fast, als er sie kannte, und leicht und traurig in dem bleichen Brautkleid. Die andern alle sind nur ihre Gasse, durch die sie kommt und kommt--: (gleich wird sie da sein in seinen Armen, die sich schmerzhaft auftun). Doch wie er wartet, spricht sie; nicht zu ihm. Sie spricht zum Gotte, und der Gott vernimmt sie, und alle hörens gleichsam erst im Gotte: Ersatz kann keiner für ihn sein. Ich bins. Ich bin Ersatz. Denn keiner ist zu Ende, wie ich es bin. Was bleibt mir denn von dem, was ich hier war? Das _ists_ ja, daß ich sterbe. Hat sie dirs nicht gesagt, da sie dirs auftrug, daß jenes Lager, das da drinnen wartet, zur Unterwelt gehört? Ich nahm ja Abschied. Abschied über Abschied. Kein Sterbender nimmt mehr davon. Ich ging ja, damit das alles, unter dem begraben, der jetzt mein Gatte ist, zergeht, sich auflöst--. So für mich hin: ich sterbe ja für ihn. Und wie der Wind auf hoher See, der umspringt, so trat der Gott fast wie zu einer Toten und war auf einmal weit von ihrem Gatten, dem er, versteckt in einem kleinen Zeichen, die hundert Leben dieser Erde zuwarf. Der stürzte taumelnd zu den beiden hin und griff nach ihnen wie im Traum. Sie gingen schon auf den Eingang zu, in dem die Frauen verweint sich drängten. Aber einmal sah er noch des Mädchens Antlitz, das sich wandte mit einem Lächeln, hell wie eine Hoffnung, die beinah ein Versprechen war: erwachsen zurückzukommen aus dem tiefen Tode zu ihm, dem Lebenden-- Da schlug er jäh die Hände vors Gesicht, wie er so kniete, um nichts zu sehen mehr nach diesem Lächeln. GEBURT DER VENUS An diesem Morgen nach der Nacht, die bang vergangen war mit Rufen, Unruh, Aufruhr,-- brach alles Meer noch einmal auf und schrie. Und als der Schrei sich langsam wieder schloß und von der Himmel blassem Tag und Anfang herabfiel in der stummen Fische Abgrund--: gebar das Meer. Von erster Sonne schimmerte der Haarschaum der weiten Wogenscham, an deren Rand das Mädchen aufstand, weiß, verwirrt und feucht. So wie ein junges grünes Blatt sich rührt, sich reckt und Eingerolltes langsam aufschlägt, entfaltete ihr Leib sich in die Kühle hinein und in den unberührten Frühwind. Wie Monde stiegen klar die Kniee auf und tauchten in der Schenkel Wolkenränder; der Waden schmaler Schatten wich zurück, die Füße spannten sich und wurden licht, und die Gelenke lebten wie die Kehlen von Trinkenden. Und in dem Kelch des Beckens lag der Leib wie eine junge Frucht in eines Kindes Hand. In seines Nabels engem Becher war das ganze Dunkel dieses hellen Lebens. Darunter hob sich licht die kleine Welle und floß beständig über nach den Lenden, wo dann und wann ein stilles Rieseln war. Durchschienen aber und noch ohne Schatten, wie ein Bestand von Birken im April, warm, leer und unverborgen lag die Scham. Jetzt stand der Schultern rege Wage schon im Gleichgewichte auf dem graden Körper, der aus dem Becken wie ein Springbrunn aufstieg und zögernd in den langen Armen abfiel und rascher in dem vollen Kall des Haars. Dann ging sehr langsam das Gesicht vorbei: aus dem verkürzten Dunkel seiner Neigung in klares, wagrechtes Erhobensein. Und hinter ihm verschloß sich steil das Kinn. Jetzt, da der Hals gestreckt war wie ein Strahl und wie ein Blumenstiel, darin der Saft steigt, streckten sich auch die Arme aus wie Hälse von Schwänen, wenn sie nach dem Ufer suchen. Dann kam in dieses Leibes dunkle Frühe wie Morgenwind der erste Atemzug. Im zartesten Geäst der Aderbäume entstand ein Flüstern, und das Blut begann zu rauschen über seinen tiefen Stellen. Und dieser Wind wuchs an: nun warf er sich mit allem Atem in die neuen Brüste und füllte sie und drückte sich in sie,-- daß sie wie Segel, von der Ferne voll, das leichte Mädchen nach dem Strande drängten. So landete die Göttin. Hinter ihr, die rasch dahinschritt durch die jungen Ufer, erhoben sich den ganzen Vormittag die Blumen und die Halme, warm, verwirrt wie aus Umarmung. Und sie ging und lief. Am Mittag aber, in der schwersten Stunde, hob sich das Meer noch einmal auf und warf einen Delphin an jene selbe Stelle. Tot, rot und offen. DIE ROSENSCHALE Zornige sahst du flackern, sahst zwei Knaben zu einem Etwas sich zusammenballen, das Haß war und sich auf der Erde wälzte wie ein von Bienen überfallnes Tier; Schauspieler, aufgetürmte Übertreiber, rasende Pferde, die zusammenbrachen, den Blick wegwerfend, bläkend das Gebiß, als schälte sich der Schädel aus dem Maule. Nun aber weißt du, wie sich das vergißt: denn vor dir steht die volle Rosenschale, die unvergeßlich ist und angefüllt mit jenem Äußersten von Sein und Neigen, Hinhalten, Niemals-Gebenkönnen, Dastehn, das unser sein mag: Äußerstes auch uns. Lautloses Leben, Aufgehn ohne Ende, Raum-brauchen, ohne Raum von jenem Raum zu nehmen, den die Dinge rings verringern, fast nicht Umrissen-sein wie Ausgespartes und lauter Inneres, viel seltsam Zartes und Sich-bescheinendes bis an den Rand: ist irgend etwas uns bekannt wie dies? Und dann wie dies: daß ein Gefühl entsteht, weil Blütenblätter Blütenblätter rühren? Und dies: daß eins sich aufschlägt wie ein Lid, und drunter liegen lauter Augenlider, geschlossene, als ob sie zehnfach schlafend zu dämpfen hätten eines Innern Sehkraft. Und dies vor allem: daß durch diese Blätter das Licht hindurch muß. Aus den tausend Himmeln filtern sie langsam jeden Tropfen Dunkel, in dessen Feuerschein das wirre Bündel der Staubgeläße sich erregt und aufbäumt. Und die Bewegung in den Rosen, sieh: Gebärden von so kleinem Ausschlagswinkel, daß sie unsichtbar blieben, liefen ihre Strahlen nicht auseinander in das Weltall. Sieh jene weiße, die sich selig aufschlug und dasteht in den großen offnen Blättern wie eine Venus aufrecht in der Muschel; und die errötende, die wie verwirrt nach einer kühlen sich hinüberwendet, und wie die kühle fühllos sich zurückzieht, und wie die kalte steht, in sich gehüllt, unter den offenen, die alles abtun. Und _was_ sie abtun, wie das leicht und schwer, wie es ein Mantel, eine Last, ein Flügel und eine Maske sein kann, je nachdem, und _wie_ sie's abtun: wie vor dem Geliebten. Was können sie nicht sein: war jene gelbe, die hohl und offen daliegt, nicht die Schale von einer Frucht, darin dasselbe Gelb, gesammelter, orangeröter, Saft war? Und wars für diese schon zu viel, das Aufgehn, weil an der Luft ihr namenloses Rosa den bittern Nachgeschmack des Lila annahm? Und die batistene, ist sie kein Kleid, in dem noch zart und atemwarm das Hemd steckt, mit dem zugleich es abgeworfen wurde im Morgenschatten an dem alten Waldbad? Und dieses hier, opalnes Porzellan, zerbrechlich, eine flache Chinatasse und angefüllt mit kleinen hellen Faltern,-- und jene da, die nichts enthält als sich? Und sind nicht alle so, nur sich enthaltend, wenn Sich-enthalten heißt: die Welt da draußen und Wind und Regen und Geduld des Frühlings und Schuld und Unruh und vermummtes Schicksal und Dunkelheit der abendlichen Erde bis auf der Wolken Wandel, Flucht und Anflug, bis auf den vagen Einfluß ferner Sterne in eine Hand voll Innres zu verwandeln? Nun liegt es sorglos in den offnen Rosen. INHALT Früher Apollo Mädchenklage Liebeslied Eranna an Sappho Sappho an Eranna Sappho an Alkaïos (Fragment) Grabmal eines jungen Mädchens Opfer Östliches Taglied Abisag David singt vor Saul Josuas Landtag Der Auszug des verlorenen Sohnes Der Ölbaumgarten Pietà Gesang der Frauen an den Dichter Der Tod des Dichters Buddha L'Ange du Méridien (Chartres) Die Kathedrale Das Portal Die Fensterrose Das Kapitäl Gott im Mittelalter Morgue Der Gefangene Der Panther (Im Jardin des Plantes, Paris) Die Gazelle (Antilope dorcas) Das Einhorn Sankt Sebastian Der Stifter Der Engel Römische Sarkophage Der Schwan Kindheit Der Dichter Die Spitze Ein Frauenschicksal Die Genesende Die Erwachsene Tanagra Die Erblindende In einem fremden Park (Borgeby-Gård) Abschied Todeserfahrung Blaue Hortensie Vor dem Sommerregen Im Saal Letzter Abend (Aus dem Besitze Frau Nonnas) Jugendbildnis meines Vaters Selbstbildnis aus dem Jahre 1906 Der König Auferstehung Der Fahnenträger Der letzte Graf von Brederode entzieht sich türkischer Gefangenschaft Die Kurtisane Die Treppe der Orangerie (Versailles) Der Marmorkarren (Paris) Buddha Römische Fontäne (Borghese) Das Karussell (Jardin du Luxembourg) Spanische Tänzerin Der Turm (Tour St.-Nicolas, Furnes) Der Platz (Furnes) Quai du Rosaire (Brügge) Béguinage (Béguinage Sainte-Elisabeth, Brügge) Die Marienprozession (Gent) Die Insel (Nordsee) Hetärengräber Orpheus. Eurydike. Hermes Alkestis Geburt der Venus Die Rosenschale End of the Project Gutenberg EBook of Neue Gedichte, by Rainer Maria Rilke *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NEUE GEDICHTE *** ***** This file should be named 33863-8.txt or 33863-8.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/3/3/8/6/33863/ Produced by Marc D'Hooghe at http://www.freeliterature.org Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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