The Project Gutenberg EBook of Das Marien-Leben, by Rainer Maria Rilke This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Das Marien-Leben Author: Rainer Maria Rilke Release Date: July 1, 2012 [EBook #40117] Language: German *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS MARIEN-LEBEN *** Produced by Norbert H. Langkau and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Rainer Maria Rilke Das Marien-Leben [Illustration] [Griechich: zalên endothen echôn] * * * * * Im Insel-Verlag zu Leipzig Duino, Januar 1912 _Heinrich Vogeler_ dankbar für alten und neuen Anlaß zu diesen Versen * * * * * Inhalt Geburt Mariä 7 Die Darstellung Mariä im Tempel 8 Mariä Verkündigung 10 Mariä Heimsuchung 11 Argwohn Josephs 12 Verkündigung über den Hirten 13 Geburt Christi 15 Rast auf der Flucht in Ägypten 16 Von der Hochzeit zu Kana 17 Vor der Passion 19 Pietà 20 Stillung Mariä mit dem Auferstandenen 21 Vom Tode Mariä (Drei Stücke) 22 * * * * * Geburt Mariä O was muß es die Engel gekostet haben, nicht aufzusingen plötzlich, wie man aufweint, da sie doch wußten: in dieser Nacht wird dem Knaben die Mutter geboren, dem Einen, der bald erscheint. Schwingend verschwiegen sie sich und zeigten die Richtung, wo, allein, das Gehöft lag des Joachim, ach, sie fühlten in sich und im Raum die reine Verdichtung, aber es durfte keiner nieder zu ihm. Denn die beiden waren schon so außer sich vor Getue. Eine Nachbarin kam und klugte und wußte nicht wie, und der Alte, vorsichtig, ging und verhielt das Gemuhe einer dunkelen Kuh. Denn so war es noch nie. Die Darstellung Mariä im Tempel Um zu begreifen, wie sie damals war, mußt du dich erst an eine Stelle rufen, wo Säulen in dir wirken; wo du Stufen nachfühlen kannst; wo Bogen voll Gefahr den Abgrund eines Raumes überbrücken, der in dir blieb, weil er aus solchen Stücken getürmt war, daß du sie nicht mehr aus dir ausheben kannst: du rissest dich denn ein. Bist du so weit, ist alles in dir Stein, Wand, Aufgang, Durchblick, Wölbung --, so probier, den großen Vorhang, den du vor dir hast, ein wenig wegzuzerrn mit beiden Händen: Da glänzt es von ganz hohen Gegenständen und übertrifft dir Atem und Getast. Hinauf, hinab, Palast steht auf Palast, Geländer strömen breiter aus Geländern und tauchen oben auf an solchen Rändern, daß dich, wie du sie siehst, der Schwindel faßt. Dabei macht ein Gewölk aus Räucherständern die Nähe trüb; aber das Fernste zielt in dich hinein mit seinen graden Strahlen --, und wenn jetzt Schein aus klaren Flammenschalen auf langsam nahenden Gewändern spielt: wie hältst du's aus? Sie aber kam und hob den Blick, um dieses alles anzuschauen. (Ein Kind, ein kleines Mädchen zwischen Frauen.) Dann stieg sie ruhig, voller Selbstvertrauen, dem Aufwand zu, der sich verwöhnt verschob: So sehr war alles, was die Menschen bauen, schon überwogen von dem Lob in ihrem Herzen. Von der Lust sich hinzugeben an die innern Zeichen: Die Eltern meinten, sie hinaufzureichen, der Drohende mit der Juwelenbrust empfing sie scheinbar: Doch sie ging durch alle, klein wie sie war, aus jeder Hand hinaus und in ihr Los, das, höher als die Halle, schon fertig war, und schwerer als das Haus. Mariä Verkündigung Nicht daß ein Engel eintrat (das erkenn), erschreckte sie. So wenig andre, wenn ein Sonnenstrahl oder der Mond bei Nacht in ihrem Zimmer sich zu schaffen macht, auffahren --, pflegte sie an der Gestalt, in der ein Engel ging, sich zu entrüsten; sie ahnte kaum, daß dieser Aufenthalt mühsam für Engel ist. (O wenn wir wüßten, wie rein sie war. Hat eine Hirschkuh nicht, die, liegend, einmal sie im Wald eräugte, sich so in sie versehn, daß sich in ihr, ganz ohne Paarigen, das Einhorn zeugte, das Tier aus Licht, das reine Tier --.) Nicht, daß er eintrat, aber daß er dicht, der Engel, eines Jünglings Angesicht so zu ihr neigte, daß sein Blick und der, mit dem sie aufsah, so zusammenschlugen, als wäre draußen plötzlich alles leer und, was Millionen schauten, trieben, trugen, hineingedrängt in sie: nur sie und er; Schaun und Geschautes, Aug und Augenweide sonst nirgends als an dieser Stelle --: sieh, dieses erschreckt. Und sie erschraken beide. Dann sang der Engel seine Melodie. Mariä Heimsuchung Noch erging sie's leicht im Anbeginne, doch im Steigen manchmal ward sie schon ihres wunderbaren Leibes inne, -- und dann stand sie, atmend, auf den hohn Judenbergen. Aber nicht das Land, ihre Fülle war um sie gebreitet; gehend fühlte sie: man überschreitet nie die Größe, die sie jetzt empfand. Und es drängte sie, die Hand zu legen auf den andern Leib, der weiter war. Und die Frauen schwankten sich entgegen und berührten sich Gewand und Haar. Jede, voll von ihrem Heiligtume, schützte sich mit der Gevatterin. Ach der Heiland in ihr war noch Blume, doch den Täufer in dem Schoß der Muhme riß die Freude schon zum Hüpfen hin. Argwohn Josephs Und der Engel sprach und gab sich Müh an dem Mann, der seine Fäuste ballte: aber siehst du nicht an jeder Falte, daß sie kühl ist wie die Gottesfrüh. Doch der andre sah ihn finster an, murmelnd nur: Was hat sie so verwandelt? Doch da schrie der Engel: Zimmermann, merkst du's noch nicht, daß der Herrgott handelt? Weil du Bretter machst, in deinem Stolze, willst du wirklich den zur Rede stelln, der bescheiden aus dem gleichen Holze Blätter treiben macht und Knospen schwelln? Er begriff. Und wie er jetzt die Blicke, recht erschrocken, zu dem Engel hob war der fort. Da schob er seine dicke Mütze langsam ab. Dann sang er lob. Verkündigung über den Hirten Seht auf, ihr Männer. Männer dort am Feuer, die ihr den grenzenlosen Himmel kennt, Sterndeuter, hierher! Seht, ich bin ein neuer steigender Stern. Mein ganzes Wesen brennt und strahlt so stark und ist so ungeheuer voll Licht, daß mir das tiefe Firmament nicht mehr genügt. Laßt meinen Glanz hinein in euer Dasein: o, die dunklen Blicke, die dunklen Herzen, nächtige Geschicke, die euch erfüllen. Hirten, wie allein bin ich in euch. Auf einmal wird mir Raum. Stauntet ihr nicht: der große Brotfruchtbaum warf einen Schatten. Ja, das kam von mir. Ihr Unerschrockenen, o wüßtet ihr, wie jetzt auf eurem schauenden Gesichte die Zukunft scheint. In diesem starken Lichte wird viel geschehen. Euch vertrau ich's, denn ihr seid verschwiegen; euch Gradgläubigen redet hier alles. Glut und Regen spricht, der Vögel Zug, der Wind und was ihr seid, keins überwiegt und wächst zur Eitelkeit sich mästend an. Ihr haltet nicht die Dinge auf im Zwischenraum der Brust, um sie zu quälen. So wie seine Lust durch einen Engel strömt, so treibt durch euch das Irdische. Und wenn ein Dorngesträuch aufflammte plötzlich, dürfte noch aus ihm der Ewige euch rufen, Cherubim, wenn sie geruhten neben eurer Herde einherzuschreiten, wunderten euch nicht: ihr stürztet euch auf euer Angesicht, betetet an und nenntet dies die Erde. Doch dieses war. Nun soll ein Neues sein, von dem der Erdkreis ringender sich weitet. Was ist ein Dörnicht uns: Gott fühlt sich ein in einer Jungfrau Schoß. Ich bin der Schein von ihrer Innigkeit, der euch geleitet. Geburt Christi Hättest du der Einfalt nicht, wie sollte dir geschehn, was jetzt die Nacht erhellt? Sieh, der Gott, der über Völkern grollte, macht sich mild und kommt in dir zur Welt. Hast du dir ihn größer vorgestellt? Was ist Größe? Quer durch alle Maße, die er durchstreicht, geht sein grades Los. Selbst ein Stern hat keine solche Straße. Siehst du, diese Könige sind groß, und sie schleppen dir vor deinen Schoß Schätze, die sie für die größten halten, und du staunst vielleicht bei dieser Gift --: aber schau in deines Tuches Falten, wie er jetzt schon alles übertrifft. Aller Amber, den man weit verschifft, jeder Goldschmuck und das Luftgewürze, das sich trübend in die Sinne streut: alles dieses war von rascher Kürze, und am Ende hat man es bereut. Aber (du wirst sehen): Er erfreut. Rast auf der Flucht in Ägypten Diese, die noch eben atemlos flohen mitten aus dem Kindermorden: o, wie waren sie unmerklich groß über ihrer Wanderschaft geworden. Kaum noch daß im scheuen Rückwärtsschauen ihres Schreckens Not zergangen war, und schon brachten sie auf ihrem grauen Maultier ganze Städte in Gefahr; denn sowie sie, klein im großen Land, -- fast ein Nichts -- den starken Tempeln nahten, platzten alle Götzen wie verraten und verloren völlig den Verstand. Ist es denkbar, daß von ihrem Gange alles so verzweifelt sich erbost? und sie wurden vor sich selber bange, nur das Kind war namenlos getrost. Immerhin, sie mußten sich darüber eine Weile setzen. Doch da ging -- sieh: der Baum, der still sie überhing, wie ein Dienender zu ihnen über: er verneigte sich. Derselbe Baum, dessen Kränze toten Pharaonen für das Ewige die Stirnen schonen, neigte sich. Er fühlte neue Kronen blühen. Und sie saßen wie im Traum. Von der Hochzeit zu Kana Konnte sie denn anders, als auf ihn stolz sein, der ihr Schlichtestes verschönte? War nicht selbst die hohe, großgewöhnte Nacht wie außer sich, da er erschien? Ging nicht auch, daß er sich einst verloren, unerhört zu seiner Glorie aus? Hatten nicht die Weisesten die Ohren mit dem Mund vertauscht? Und war das Haus nicht wie neu von seiner Stimme? Ach sicher hatte sie zu hundert Malen ihre Freude an ihm auszustrahlen sich verwehrt. Sie ging ihm staunend nach. Aber da bei jenem Hochzeitsfeste, als es unversehns an Wein gebrach, -- sah sie hin und bat um eine Geste und begriff nicht, daß er widersprach. Und dann tat er's. Sie verstand es später, wie sie ihn in seinen Weg gedrängt: denn jetzt war er wirklich Wundertäter, und das ganze Opfer war verhängt, unaufhaltsam. Ja, es stand geschrieben. Aber war es damals schon bereit? Sie: sie hatte es herbeigetrieben in der Blindheit ihrer Eitelkeit. An dem Tisch voll Früchten und Gemüsen freute sie sich mit und sah nicht ein, daß das Wasser ihrer Tränendrüsen Blut geworden war mit diesem Wein. Vor der Passion O hast du dies gewollt, du hättest nicht durch eines Weibes Leib entspringen dürfen: Heilande muß man in den Bergen schürfen, wo man das Harte aus dem Harten bricht. Tut dir's nicht selber leid, dein liebes Tal so zu verwüsten? Siehe meine Schwäche; ich habe nichts als Milch- und Tränenbäche, und du warst immer in der Überzahl. Mit solchem Aufwand wardst du mir verheißen. Was tratst du nicht gleich wild aus mir hinaus? Wenn du nur Tiger brauchst, dich zu zerreißen, warum erzog man mich im Frauenhaus, ein weiches reines Kleid für dich zu weben, darin nicht einmal die geringste Spur von Naht dich drückt --: so war mein ganzes Leben und jetzt verkehrst du plötzlich die Natur. Pietà Jetzt wird mein Elend voll, und namenlos erfüllt es mich. Ich starre wie des Steins Inneres starrt. Hart wie ich bin, weiß ich nur Eins: Du wurdest groß -- .... und wurdest groß, um als zu großer Schmerz ganz über meines Herzens Fassung hinauszustehn. Jetzt liegst du quer durch meinen Schoß, jetzt kann ich dich nicht mehr gebären. Stillung Mariä mit dem Auferstandenen Was sie damals empfanden: ist es nicht vor allen Geheimnissen süß und immer noch irdisch: da er, ein wenig blaß noch vom Grab, erleichtert zu ihr trat: an allen Stellen erstanden. O zu ihr zuerst. Wie waren sie da unaussprechlich in Heilung. Ja sie heilten, das war's. Sie hatten nicht nötig, sich stark zu berühren. Er legte ihr eine Sekunde kaum seine nächstens ewige Hand an die frauliche Schulter. Und sie begannen still wie die Bäume im Frühling, unendlich zugleich, diese Jahreszeit ihres äußersten Umgangs. Vom Tode Mariä (Drei Stücke) 1 Derselbe große Engel, welcher einst ihr der Gebärung Botschaft niederbrachte, stand da, abwartend daß sie ihn beachte, und sprach: Jetzt wird es Zeit, daß du erscheinst. Und sie erschrak wie damals und erwies sich wieder als die Magd, ihn tief bejahend. Er aber strahlte, und unendlich nahend, schwand er wie in ihr Angesicht -- und hieß die weithin ausgegangenen Bekehrer zusammenkommen in das Haus am Hang, das Haus des Abendmahls. Sie kamen schwerer und traten bange ein: Da lag, entlang die schmale Bettstatt, die in Untergang und Auserwählung rätselhaft Getauchte, ganz unversehrt, wie eine Ungebrauchte, und achtete auf englischen Gesang. Nun da sie alle hinter ihren Kerzen abwarten sah, riß sie vom Übermaß der Stimmen sich und schenkte noch von Herzen die beiden Kleider fort, die sie besaß, und hob ihr Antlitz auf zu dem und dem ... (o Ursprung namenloser Tränen-Bäche). Sie aber legte sich in ihre Schwäche und zog die Himmel an Jerusalem so nah heran, daß ihre Seele nur, austretend, sich ein wenig strecken mußte: schon hob er sie, der alles von ihr wußte, hinein in ihre göttliche Natur. 2 Wer hat bedacht, daß bis zu ihrem Kommen der viele Himmel unvollständig war? Der Auferstandne hatte Platz genommen, doch neben ihm, durch vierundzwanzig Jahr, war leer der Sitz. Und sie begannen schon sich an die reine Lücke zu gewöhnen, die wie verheilt war, denn mit seinem schönen Hinüberscheinen füllte sie der Sohn. So ging auch sie, die in die Himmel trat, nicht auf ihn zu, so sehr es sie verlangte; dort war kein Platz, nur Er war dort und prangte mit einer Strahlung, die ihr wehe tat. Doch da sie jetzt, die rührende Gestalt, sich zu den neuen Seligen gesellte und unauffällig, licht zu licht, sich stellte, da brach aus ihrem Sein ein Hinterhalt von solchem Glanz, daß der von ihr erhellte Engel geblendet aufschrie: Wer ist die? Ein Staunen war. Dann sahn sie alle, wie Gott-Vater oben unsern Herrn verhielt, so daß, von milder Dämmerung umspielt, die leere Stelle wie ein wenig Leid sich zeigte, eine Spur von Einsamkeit, wie etwas, was er noch ertrug, ein Rest irdischer Zeit, ein trockenes Gebrest --. Man sah nach ihr: sie schaute ängstlich hin, weit vorgeneigt, als fühlte sie: ich bin sein längster Schmerz --: und stürzte plötzlich vor. Die Engel aber nahmen sie zu sich und stützten sie und sangen seliglich und trugen sie das letzte Stück empor. 3 Doch vor dem Apostel Thomas, der kam da es zu spät war, trat der schnelle längst darauf gefaßte Engel her und befahl an der Begräbnisstelle: Dräng den Stein beiseite. Willst du wissen, wo die ist, die dir das Herz bewegt: Sieh: sie ward wie ein Lavendelkissen eine Weile da hineingelegt, daß die Erde künftig nach ihr rieche in den Falten wie ein feines Tuch. Alles Tote (fühlst du), alles Sieche ist betäubt von ihrem Wohlgeruch. Schau den Leinwand: wo ist eine Bleiche, wo er blendend wird und geht nicht ein? Dieses Licht aus dieser reinen Leiche war ihm klärender als Sonnenschein. Staunst du nicht, wie sanft sie ihm entging? Fast als wär sie's noch, nichts ist verschoben. Doch die Himmel sind erschüttert oben: Mann, knie hin und sieh mir nach und sing. 41. bis 50. Tausend Druck der Offizin W. Drugulin, Leipzig Anmerkung zur Transkription: Das Inhaltsverzeichnis befindet sich im Original am Ende des Buches und wurde an den Anfang verschoben. End of the Project Gutenberg EBook of Das Marien-Leben, by Rainer Maria Rilke *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS MARIEN-LEBEN *** ***** This file should be named 40117-8.txt or 40117-8.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/4/0/1/1/40117/ Produced by Norbert H. Langkau and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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