The Project Gutenberg EBook of Das Buch der Bilder, by Rainer Maria Rilke This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Das Buch der Bilder Author: Rainer Maria Rilke Release Date: November 30, 2010 [EBook #34521] Language: German *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS BUCH DER BILDER *** DAS BUCH DER BILDER VON RAINER MARIA RILKE LEIPZIG IM INSEL-VERLAG MCMXX DES ERSTEN BUCHES ERSTER TEIL EINGANG Wer du auch seist: Am Abend tritt hinaus aus deiner Stube, drin du alles weißt; als letztes vor der Ferne liegt dein Haus: Wer du auch seist. Mit deinen Augen, welche müde kaum von der verbrauchten Schwelle sich befrein, hebst du ganz langsam einen schwarzen Baum und stellst ihn vor den Himmel: schlank, allein. Und hast die Welt gemacht. Und sie ist groß und wie ein Wort, das noch im Schweigen reift. Und wie dein Wille ihren Sinn begreift, lassen sie deine Augen zärtlich los.... AUS EINEM APRIL Wieder duftet der Wald. Es heben die schwebenden Lerchen mit sich den Himmel empor, der unseren Schultern schwer war; zwar sah man noch durch die Äste den Tag, wie er leer war,-- aber nach langen, regnenden Nachmittagen kommen die goldübersonnten neueren Stunden, vor denen flüchtend, an fernen Häuserfronten alle die wunden Fenster furchtsam mit Flügeln schlagen. Dann wird es still. Sogar der Regen geht leiser über der Steine ruhig dunkelnden Glanz. Alle Geräusche ducken sich ganz in die glänzenden Knospen der Reiser. ZWEI GEDICHTE ZU HANS THOMAS SECHZIGSTEM GEBURTSTAGE MONDNACHT Süddeutsche Nacht, ganz breit im reifen Monde und mild wie aller Märchen Wiederkehr. Vom Turme fallen viele Stunden schwer in ihre Tiefen nieder wie ins Meer,-- und dann ein Rauschen und ein Ruf der Ronde, und eine Weile bleibt das Schweigen leer; und eine Geige dann (Gott weiß woher) erwacht und sagt ganz langsam: Eine Blonde ... RITTER Reitet der Ritter im schwarzen Stahl hinaus in die rauschende Welt. Und draußen ist alles: der Tag und das Tal und der Freund und der Feind und das Mahl im Saal und der Mai und die Maid und der Wald und der Gral, und Gott ist selber vieltausendmal an alle Straßen gestellt. Doch in dem Panzer des Ritters drinnen, hinter den finstersten Ringen, hockt der Tod und muß sinnen und sinnen: Wann wird die Klinge springen über die Eisenhecke, die fremde befreiende Klinge, die mich aus meinem Verstecke holt, drin ich so viele gebückte Tage verbringe,-- daß ich mich endlich strecke und spiele und singe. MÄDCHENMELANCHOLIE Mir fällt ein junger Ritter ein fast wie ein alter Spruch. Der kam. So kommt manchmal im Hain der große Sturm und hüllt dich ein. Der ging. So läßt das Benedein der großen Glocken dich allein oft mitten im Gebet.... Dann willst du in die Stille schrein und weinst doch nur ganz leis hinein tief in dein kühles Tuch. Mir fällt ein junger Ritter ein, der weit in Waffen geht. Sein Lächeln war so weich und fein: wie Glanz auf altem Elfenbein, wie Heimweh, wie ein Weihnachtsschnein im dunkeln Dorf, wie Türkisstein, um den sich lauter Perlen reihn, wie Mondenschein auf einem lieben Buch. VON DEN MÄDCHEN I Andere müssen auf langen Wegen zu den dunklen Dichtern gehn; fragen immer irgendwen, ob er nicht einen hat singen sehn oder Hände auf Saiten legen. Nur die Mädchen fragen nicht, welche Brücke zu Bildern führe; lächeln nur, lichter als Perlenschnüre, die man an Schalen von Silber hält. Aus ihrem Leben geht jede Türe in einen Dichter und in die Welt. II Mädchen, Dichter sind, die von euch lernen das zu sagen, was ihr einsam seid; und sie lernen leben an euch Fernen, wie die Abende an großen Sternen sich gewöhnen an die Ewigkeit. Keine darf sich je dem Dichter schenken, wenn sein Auge auch um Frauen bat: denn er kann euch nur als Mädchen denken: das Gefühl in euren Handgelenken würde brechen von Brokat. Laßt ihn einsam sein in seinem Garten, wo er euch wie Ewige empfing auf den Wegen, die er täglich ging, bei den Bänken, welche schattig warten, und im Zimmer, wo die Laute hing. Geht!... Es dunkelt. Seine Sinne suchen eure Stimme und Gestalt nicht mehr. Und die Wege liebt er lang und leer und kein Weißes unter dunklen Buchen,-- und die stumme Stube liebt er sehr. ... Eure Stimmen hört er ferne gehn (unter Menschen, die et müde meidet) und: sein zärtliches Gedenken leidet im Gefühle, daß euch viele sehn. DAS LIED DER BILDSÄULE Wer ist es, wer mich so liebt, daß er sein liebes Leben verstößt? Wenn einer für mich ertrinkt im Meer, so bin ich vom Steine zur Wiederkehr ins Leben, ins Leben erlöst. Ich sehne mich so nach dem rauschenden Blut; der Stein ist so still. Ich träume vom Leben: das Leben ist gut. Hat keiner den Mut, durch den ich erwachen will? Und werd ich einmal im Leben sein, das mir alles Goldenste gibt,-- * * * * * so werd ich allein , weinen, weinen nach meinem Stein. Was hilft mir mein Blut, wenn es reift wie der Wein? Es kann aus dem Meer nicht den Einen schrein, der mich am meisten geliebt. DER WAHNSINN Sie muß immer sinnen: Ich bin... ich bin.... Wer bist du denn, Marie? Eine Königin, eine Königin! In die Kniee vor mir, in die Knie! Sie muß immer weinen: Ich war ... ich war.... Wer warst du denn, Marie? Ein Niemandskind, ganz arm und bar, und ich kann dir nicht sagen wie. Und wurdest aus einem solchen Kind eine Fürstin, vor der man kniet? Weil die Dinge alle anders sind, als man sie beim Betteln sieht. So haben die Dinge dich groß gemacht, und kannst du noch sagen wann? Eine Nacht, eine Nacht, über eine Nacht,-- und sie sprachen mich anders an. Ich trat in die Gasse hinaus und sieh: die ist wie mit Saiten bespannt; da wurde Marie Melodie, Melodie ... und tanzte von Rand zu Rand. Die Leute schlichen so ängstlich hin, wie hart an die Häuser gepflanzt,-- denn das darf doch nur eine Königin, daß sie tanzt in den Gassen: tanzt!... DIE LIEBENDE Ja, ich sehne mich nach dir. Ich gleite mich verlierend selbst mir aus der Hand, ohne Hoffnung, daß ich Das bestreite, was zu mir kommt wie aus deiner Seite ernst und unbeirrt und unverwandt. ... jene Zeiten: O wie war ich Eines, nichts was rief und nichts was mich verriet, meine Stille war wie eines Steines, über den der Bach sein Murmeln zieht. Aber jetzt in diesen Frühlingswochen hat mich etwas langsam abgebrochen von dem unbewußten dunkeln Jahr. Etwas hat mein armes warmes Leben irgendeinem in die Hand gegeben, der nicht weiß, was ich noch gestern war. DIE BRAUT Ruf mich, Geliebter, ruf mich laut! Laß deine Braut nicht so lange am Fenster stehn. In den alten Platanenalleen wacht der Abend nicht mehr: sie sind leer. Und kommst du mich nicht in das nächtliche Haus mit deiner Stimme verschließen, so muß ich mich aus meinen Händen hinaus in die Gärten des Dunkelblaus ergießen.... DIE STILLE Hörst du, Geliebte, ich hebe die Hände-- hörst du: es rauscht.... Welche Gebärde der Einsamen fände sich nicht von vielen Dingen belauscht? Hörst du, Geliebte, ich schließe die Lider, und auch das ist Geräusch bis zu dir, hörst du, Geliebte, ich hebe sie wieder.... ... Aber warum bist du nicht hier. Der Abdruck meiner kleinsten Bewegung bleibt in der seidenen Stille sichtbar; unvernichtbar drückt die geringste Erregung in den gespannten Vorhang der Ferne sich ein. Auf meinen Atemzügen heben und senken die Sterne sich. Zu meinen Lippen kommen die Düfte zur Tränke, und ich erkenne die Handgelenke entfernter Engel. Nur die ich denke: Dich seh ich nicht. MUSIK Was spielst du, Knabe? Durch die Gärten gings wie viele Schritte, flüsternde Befehle. Was spielst du, Knabe? Siehe, deine Seele verfing sich in den Stäben der Syrinx. Was lockst du sie? Der Klang ist wie ein Kerker, darin sie sich versäumt und sich versehnt; stark ist dein Leben, doch dein Lied ist stärker, an deine Sehnsucht schluchzend angelehnt.-- Gib ihr ein Schweigen, daß die Seele leise heimkehre in das Flutende und Viele, darin sie lebte, wachsend, weit und weise, eh du sie zwangst in deine zarten Spiele. Wie sie schon matter mit den Flügeln schlägt: So wirst du, Träumer, ihren Flug vergeuden, daß ihre Schwinge, vom Gesang zersägt, sie nicht mehr über meine Mauern trägt, wenn ich sie rufen werde zu den Freuden. DIE ENGEL Sie haben alle müde Münde und helle Seelen ohne Saum. Und eine Sehnsucht (wie nach Sünde) geht ihnen manchmal durch den Traum. Fast gleichen sie einander alle; in Gottes Gärten schweigen sie, wie viele, viele Intervalle in seiner Macht und Melodie. Nur wenn sie ihre Flügel breiten, sind sie die Wecker eines Winds: Als ginge Gott mit seinen weiten Bildhauerhänden durch die Seiten im dunklen Buch des Anbeginns. DER SCHUTZENGEL Du bist der Vogel, dessen Flügel kamen, wenn ich erwachte in der Nacht und rief. Nur mit den Armen rief ich, denn dein Namen ist wie ein Abgrund, tausend Nächte tief. Du bist der Schatten, drin ich still entschlief, und jeden Traum ersinnt in mir dein Samen,-- du bist das Bild, ich aber bin der Rahmen, der dich ergänzt in glänzendem Relief. Wie nenn ich dich? Sieh, meine Lippen lahmen. Du bist der Anfang, der sich groß ergießt, ich bin das langsame und bange Amen, das deine Schönheit scheu beschließt. Du hast mich oft aus dunklem Ruhn gerissen, wenn mir das Schlafen wie ein Grab erschien und wie Verlorengehen und Entfliehn,-- da hobst du mich aus Herzensfinsternissen und wolltest mich auf allen Türmen hissen wie Scharlachfahnen und wie Draperien. Du: der von Wundern redet wie vom Wissen und von den Menschen wie von Melodien und von den Rosen: von Ereignissen, die flammend sich in deinem Blick vollziehn,-- du Seliger, wann nennst du einmal Ihn, aus dessen siebentem und letztem Tage noch immer Glanz auf deinem Flügelschlage verloren liegt. Befiehlst du, daß ich frage? MARTYRINNEN Martyrin ist sie. Und als harten Falls mit einem Ruck das Beil durch ihre kurze Jugend ging, da legte sich der feine rote Ring um ihren Hals und war der erste Schmuck, den sie mit einem fremden Lächeln nahm: aber auch den erträgt sie nur mit Scham. Und wenn sie schläft, muß ihre junge Schwester (die, kindisch noch, sich mit der Wunde schmückt von jenem Stein, der ihr die Stirn erdrückt,) die harten Arme um den Hals ihr halten, und oft im Traume fleht die andre: Fester, fester. Und da fällt es dem Kinde manchmal ein, die Stirne mit dem Bild von jenem Stein zu bergen in des sanften Nachtgewandes Falten, das von der Schwester Atmen hell sich hebt, voll wie ein Segel, das vom Winde lebt. Das ist die Stunde, da sie heilig sind, die stille Jungfrau und das blasse Kind. Da sind sie wieder wie vor allem Leide und schlafen arm und haben keinen Ruhm, und ihre Seelen sind wie weiße Seide, und von derselben Sehnsucht beben beide und fürchten sich vor ihrem Heldentum. Und du kannst meinen: Wenn sie aus den Betten aufstünden bei dem nächsten Morgenlichte und, mit demselben träumenden Gesichte, die Gassen kämen in den kleinen Städten,-- es bliebe keiner hinter ihnen staunen, kein Fenster klirrte an den Häuserreihn, und nirgends bei den Frauen ging ein Raunen, und keines von den Kindern würde schrein. Sie schritten durch die Stille in den Hemden (die flachen Falten geben keinen Glanz) so fremd und dennoch keinem zum Befremden, so wie zu Festen, aber ohne Kranz. DIE HEILIGE Das Volk war durstig; also ging das eine durstlose Mädchen, ging die Steine um Wasser flehen für ein ganzes Volk. Doch ohne Zeichen blieb der Zweig der Weide, und sie ermattete am langen Gehn und dachte endlich nur, daß einer leide, (ein kranker Knabe, und sie hatten beide sich einmal abends ahnend angesehn). Da neigte sich die junge Weidenrute in ihren Händen dürstend wie ein Tier: jetzt ging sie blühend über ihrem Blute, und rauschend ging ihr Blut tief unter ihr. KINDHEIT Da rinnt der Schule lange Angst und Zeit mit Warten hin, mit lauter dumpfen Dingen. O Einsamkeit, o schweres Zeitverbringen.... Und dann hinaus: die Straßen sprühn und klingen, und auf den Plätzen die Fontänen springen, und in den Gärten wird die Welt so weit.-- Und durch das alles gehn im kleinen Kleid, ganz anders als die andern gehn und gingen--: O wunderliche Zeit, o Zeitverbringen, o Einsamkeit. Und in das alles fern hinauszuschauen: Männer und Frauen; Männer, Männer, Frauen und Kinder, welche anders sind und bunt; und da ein Haus und dann und wann ein Hund und Schrecken lautlos wechselnd mit Vertrauen--: O Trauer ohne Sinn, o Traum, o Grauen, o Tiefe ohne Grund. Und so zu spielen: Ball und Ring und Reifen in einem Garten, welcher sanft verblaßt, und manchmal die Erwachsenen zu streifen, blind und verwildert in des Haschens Hast, aber am Abend still, mit kleinen steifen Schritten nach Haus zu gehn, fest angefaßt--: O immer mehr entweichendes Begreifen, o Angst, o Last. Und stundenlang am großen grauen Teiche mit einem kleinen Segelschiff zu knien; es zu vergessen, weil noch andre gleiche und schönere Segel durch die Ringe ziehn, und denken müssen an das kleine bleiche Gesicht, das sinkend aus dem Teiche schien--: O Kindheit, o entgleitende Vergleiche. Wohin? Wohin? AUS EINER KINDHEIT Das Dunkeln war wie Reichtum in dem Raume, darin der Knabe, sehr verheimlicht, saß. Und als die Mutter eintrat wie im Traume, erzitterte im stillen Schrank ein Glas. Sie fühlte, wie das Zimmer sie verriet, und küßte ihren Knaben: Bist du hier?... Dann schauten beide bang nach dem Klavier, denn manchen Abend hatte sie ein Lied, darin das Kind sich seltsam tief verfing. Es saß sehr still. Sein großes Schauen hing an ihrer Hand, die ganz gebeugt vom Ringe, als ob sie schwer in Schneewehn ginge, über die weißen Tasten ging. DER KNABE Ich möchte einer werden so wie die, die durch die Nacht mit wilden Pferden fahren, mit Fackeln, die gleich aufgegangnen Haaren in ihres Jagens großem Winde wehn. Vorn möcht ich stehen wie in einem Kahne, groß und wie eine Fahne aufgerollt. Dunkel, aber mit einem Helm von Gold, der unruhig glänzt. Und hinter mir gereiht zehn Männer aus derselben Dunkelheit mit Helmen, die wie meiner unstät sind, bald klar wie Glas, bald dunkel, alt und blind. Und einer steht bei mir und bläst uns Raum mit der Trompete, welche blitzt und schreit, und bläst uns eine schwarze Einsamkeit, durch die wir rasen wie ein rascher Traum: die Häuser fallen hinter uns ins Knie, die Gassen biegen sich uns schief entgegen, die Plätze weichen aus: wir fassen sie, und unsre Rosse rauschen wie ein Regen. DIE KONFIRMANDEN (PARIS, IM MAI 1903) In weißen Schleiern gehn die Konfirmanden tief in das neue Grün der Gärten ein. Sie haben ihre Kindheit überstanden, und was jetzt kommt, wird anders sein. O kommt es denn! Beginnt jetzt nicht die Pause, das Warten auf den nächsten Stundenschlag? Das Fest ist aus, und es wird laut im Hause, und trauriger vergeht der Nachmittag.... Das war ein Aufstehn zu dem weißen Kleide und dann durch Gassen ein geschmücktes Gehn und eine Kirche, innen kühl wie Seide, und lange Kerzen waren wie Alleen, und alle Lichter schienen wie Geschmeide, von feierlichen Augen angesehn. Und es war still, als der Gesang begann: Wie Wolken stieg er in der Wölbung an und wurde hell im Niederfall; und linder denn Regen fiel er in die weißen Kinder. Und wie im Wind bewegte sich ihr Weiß, und wurde leise bunt in seinen Falten und schien verborgne Blumen zu enthalten--: Blumen und Vögel, Sterne und Gestalten aus einem alten fernen Sagenkreis. Und draußen war ein Tag aus Blau und Grün mit einem Ruf von Rot an hellen Stellen. Der Teich entfernte sich in kleinen Wellen, und mit dem Winde kam ein fernes Blühn und sang von Gärten draußen vor der Stadt. Es war, als ob die Dinge sich bekränzten, sie standen licht, unendlich leicht besonnt; ein Fühlen war in jeder Häuserfront, und viele Fenster gingen auf und glänzten. DAS ABENDMAHL Sie sind versammelt, staunende Verstörte, am ihn, der wie ein Weiser sich beschließt, und der sich fortnimmt denen er gehörte, und der an ihnen fremd vörüberfließt. Die alte Einsamkeit kommt über ihn, die ihn erzog zu seinem tiefen Handeln; nun wird er wieder durch den Ölwald wandeln, und die ihn lieben, werden vor ihm fliehn. Er hat sie zu dem letzten Tisch entboten und (wie ein Schuß die Vögel aus den Schoten scheucht) scheucht er ihre Hände aus den Broten mit seinem Wort: sie fliegen zu ihm her; sie flattern bange durch die Tafelrunde und suchen einen Ausgang. Aber er ist überall wie eine Dämmerstunde. DES ERSTEN BUCHES ZWEITER TEIL INITIALE Aus unendlichen Sehnsüchten steigen endliche Taten wie schwache Fontänen, die sich zeitig und zitternd neigen. Aber, die sich uns sonst verschweigen, unsere fröhlichen Kräfte--zeigen sich in diesen tanzenden Tränen. ZUM EINSCHLAFEN ZU SAGEN Ich möchte jemanden einsingen, bei jemandem sitzen und sein. Ich möchte dich wiegen und kleinsingen und begleiten schlafaus und schlafein. Ich möchte der einzige sein im Haus, der wüßte: die Nacht war kalt. Und möchte horchen herein und hinaus in dich, in die Welt, in den Wald.-- Die Uhren rufen sich schlagend an, und man sieht der Zeit auf den Grund. Und unten geht noch ein fremder Mann und stört einen fremden Hund. Dahinter wird Stille. Ich habe groß die Augen auf dich gelegt; sie halten dich sanft und lassen dich los, wenn ein Ding sich im Dunkel bewegt. MENSCHEN BEI NACHT Die Nächte sind nicht für die Menge gemacht. Von deinem Nachbar trennt dich die Nacht, und du sollst ihn nicht suchen trotzdem. Und machst du nachts deine Stube licht, um Menschen zu schauen ins Angesicht, so mußt du bedenken: wem. Die Menschen sind furchtbar vom Licht entstellt, das von ihren Gesichtern träuft, und haben sie nachts sich zusammengesellt, so schaust du eine wankende Welt durcheinandergehäuft. Auf ihren Stirnen hat gelber Schein alle Gedanken verdrängt, in ihren Blicken flackert der Wein, an ihren Händen hängt die schwere Gebärde, mit der sie sich bei ihren Gesprächen verstehn; und dabei sagen sie: Ich und Ich und meinen: Irgendwen. DER NACHBAR Fremde Geige, gehst du mir nach? In wieviel fernen Städten schon sprach deine einsame Nacht zu meiner? Spielen dich Hunderte? Spielt dich einer? Gibt es in allen großen Städten solche, die sich ohne dich schon in den Flüssen verloren hätten? Und warum trifft es immer mich? Warum bin ich immer der Nachbar derer, die dich bange zwingen zu singen und zu sagen: Das Leben ist schwerer als die Schwere von allen Dingen? PONT DU CARROUSEL Der blinde Mann, der auf der Brücke steht, grau wie ein Markstein namenloser Reiche, er ist vielleicht das Ding, das immer gleiche, um das von fern die Sternenstunde geht und der Gestirne heller Mittelpunkt. Denn alles um ihn irrt und rinnt und prunkt. Er ist der unbewegliche Gerechte, in viele wirre Wege hingestellt; der dunkle Eingang in die Unterwelt bei einem oberflächlichen Geschlechte. DER EINSAME Wie einer, der auf fremden Meeren fuhr, so bin ich bei den ewig Einheimischen; die vollen Tage stehn auf ihren Tischen, mir aber ist die Ferne voll Figur. In mein Gesicht reicht eine Welt herein, die vielleicht unbewohnt ist wie ein Mond, sie aber lassen kein Gefühl allein, und alle ihre Worte sind bewohnt. Die Dinge, die ich weither mit mir nahm, sehn selten aus, gehalten an das Ihre--: in ihrer großen Heimat sind sie Tiere, hier halten sie den Atem an vor Scham. DIE ASCHANTI (Jardin d'Acclimatation) Keine Vision von fremden Ländern, kein Gefühl von braunen Frauen, die tanzen aus den fallenden Gewändern. Keine wilde, fremde Melodie. Keine Lieder, die vom Blute stammten, und kein Blut, das aus den Tiefen schrie. Keine braunen Mädchen, die sich samten breiteten in Tropenmüdigkeit; keine Augen, die wie Waffen flammten, und die Munde zum Gelächter breit. Und ein wunderliches Sich-verstehen mit der hellen Menschen Eitelkeit. Und mir war so bange hinzusehen. O wie sind die Tiere so viel treuer, die in Gittern auf und nieder gehn, ohne Eintracht mit dem Treiben neuer fremder Dinge, die sie nicht verstehn; und sie brennen wie ein stilles Feuer leise aus und sinken in sich ein, teilnahmslos dem neuen Abenteuer und mit ihrem großen Blut allein. DER LETZTE Ich habe kein Vaterhaus und habe auch keines verloren; meine Mutter hat mich in die Welt hinaus geboren. Da steh ich nun in der Welt und geh in die Welt immer tiefer hinein und habe mein Glück und habe mein Weh und habe jedes allein. Und bin doch manch eines Erbe. Mit drei Zweigen hat mein Geschlecht geblüht auf sieben Schlössern im Wald und wurde seines Wappens müd und war schon viel zu alt;-- und was sie mir ließen und was ich erwerbe zum alten Besitze, ist heimatlos. In meinen Händen, in meinem Schoß muß ich es halten, bis ich sterbe. Denn was ich fortstelle, hinein in die Welt, fällt, ist wie auf eine Welle gestellt. BANGNIS Im welken Walde ist ein Vogelruf, der sinnlos scheint in diesem welken Walde. Und dennoch ruht der runde Vogelruf in dieser Weile, die ihn schuf, breit wie ein Himmel auf dem welken Walde. Gefügig räumt sich alles in den Schrei. Das ganze Land scheint lautlos drin zu liegen, der große Wind scheint sich hineinzuschmiegen, und die Minute, welche weiter will, ist bleich und still, als ob sie Dinge wüßte, an denen jeder sterben müßte, aus ihm herausgestiegen. KLAGE O wie ist alles fern und lange vergangen. Ich glaube, der Stern, von welchem ich Glanz empfange, ist seit Jahrtausenden tot. Ich glaube, im Boot, das vorüberfuhr, hörte ich etwas Banges sagen. Im Hause hat eine Uhr geschlagen.... In welchem Haus? ... Ich möchte aus meinem Herzen hinaus unter den großen Himmel treten. Ich möchte beten. Und einer von allen Sternen müßte wirklich noch sein. Ich glaube, ich wüßte, welcher allein gedauert hat, welcher wie eine weiße Stadt am Ende des Strahls in den Himmeln steht.... EINSAMKEIT Die Einsamkeit ist wie ein Regen. Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen; von Ebenen, die fern sind und entlegen, geht sie zum Himmel, der sie immer hat. Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt. Regnet hernieder in den Zwitterstunden, wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen, und wenn die Leiber, welche nichts gefunden, enttäuscht und traurig voneinander lassen; und wenn die Menschen, die einander hassen, in einem Bett zusammen schlafen müssen: dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen.... HERBSTTAG Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren laß die Winde los. Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein. Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben. ERINNERUNG Und du wartest, erwartest das Eine, das dein Leben unendlich vermehrt; das Mächtige, Ungemeine, das Erwachen der Steine, Tiefen, dir zugekehrt. Es dämmern im Bücherständer die Bände in Gold und Braun; und du denkst an durchfahrene Länder, an Bilder, an die Gewänder wiederverlorener Fraun. Und da weißt du auf einmal: Das war es. Du erhebst dich, und vor dir steht eines vergangenen Jahres Angst und Gestalt und Gebet. ENDE DES HERBSTES Ich sehe seit einer Zeit, wie alles sich verwandelt. Etwas steht auf und handelt und tötet und tut Leid. Von Mal zu Mal sind all die Gärten nicht dieselben; von den gilbenden zu der gelben langsamem Verfall: wie war der Weg mir weit. Jetzt bin ich beiden leeren und schaue durch alle Alleen. Fast bis zu den fernen Meeren kann ich den ernsten schweren verwehrenden Himmel sehn. HERBST Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten; sie fallen mit verneinender Gebärde. Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit. Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält. AM RANDE DER NACHT Meine Stube und diese Weite, wach über nachtendem Land, - ist Eines. Ich bin eine Saite, über rauschende breite Resonanzen gespannt. Die Dinge sind Geigenleiber, von murrendem Dunkel voll; drin träumt das Weinen der Weiber, drin rührt sich im Schlafe der Groll ganzer Geschlechter.... Ich soll silbern erzittern: dann wird alles unter mir beben, und was in den Dingen irrt, wird nach dem Lichte streben, das von meinem tanzenden Tone, um welchen der Himmel wellt, durch schmale, schmachtende Spalten in die alten Abgründe ohne Ende fällt.... GEBET Nacht, stille Nacht, in die verwoben sind ganz weiße Dinge, rote, bunte Dinge, verstreute Farben, die erhoben sind zu Einem Dunkel, Einer Stille,--bringe doch mich auch in Beziehung zu dem Vielen, das du erwirbst und überredest. Spielen denn meine Sinne noch zu sehr mit Licht? Würde sich denn mein Angesicht noch immer störend von den Gegenständen abheben? Urteile nach meinen Händen: liegen sie nicht wie Werkzeug da und Ding? Ist nicht der Ring selbst schlicht an meiner Hand, und liegt das Licht nicht ganz so, voll Vertrauen, über ihnen,-- als ob sie Wege wären, die beschienen nicht anders sich verzweigen als im Dunkel?... FORTSCHRITT Und wieder rauscht mein tiefes Leben lauter, als ob es jetzt in breitern Ufern ginge. Immer verwandter werden mir die Dinge und alle Bilder immer angeschauter. Dem Namenlosen fühl ich mich vertrauter: mit meinen Sinnen, wie mit Vögeln, reiche ich in die windigen Himmel aus der Eiche, und in den abgebrochnen Tag der Teiche sinkt, wie auf Fischen stehend, mein Gefühl. VORGEFÜHL Ich bin wie eine Fahne von Fernen umgeben. Ich ahne die Winde, die kommen, und muß sie leben, während die Dinge unten sich noch nicht rühren: die Türen schließen noch sanft, und in den Kaminen ist Stille; die Fenster zittern noch nicht, und der Staub ist noch schwer. Da weiß ich die Stürme schon und bin erregt wie das Meer. Und breite mich aus und falle in mich hinein und werfe mich ab und bin ganz allein in dem großen Sturm. STURM Wenn die Wolken, von Stürmen geschlagen, jagen: Himmel von hundert Tagen über einem einzigen Tag--: Dann fühl ich dich, Hetman, von fern (der du deine Kosaken gern zu dem größesten Herrn führen wolltest). Deinen wagrechten Nacken fühl ich, Mazeppa. Dann bin auch ich an das rasende Rennen eines rauchenden Rückens gebunden; alle Dinge sind mir verschwunden, nur die Himmel kann ich erkennen: Überdunkelt und überschienen lieg ich flach unter ihnen, wie Ebenen liegen; meine Augen sind offen wie Teiche, und in ihnen flüchtet das gleiche Fliegen. ABEND IN SKÅNE Der Park ist hoch. Und wie aus einem Haus tret ich aus seiner Dämmerung heraus in Ebene und Abend. In den Wind, denselben Wind, den auch die Wolken fühlen, die hellen Flüsse und die Flügelmühlen, die langsam mahlend stehn am Himmelsrand. Jetzt bin auch ich ein Ding in seiner Hand, das kleinste unter diesen--Schau: Ist das ein Himmel?: Selig lichtes Blau, in das sich immer reinere Wolken drängen, und drunter alle Weiß in Übergängen, und drüber jenes dünne große Grau, warmwallend wie auf roter Untermalung, und über allem diese stille Strahlung sinkender Sonne. Wunderlicher Bau, in sich bewegt und von sich selbst gehalten, Gestalten bildend, Riesenflügel, Falten und Hochgebirge vor den ersten Sternen und plötzlich, da: ein Tor in solche Fernen, wie sie vielleicht nur Vögel kennen.... ABEND Der Abend wechselt langsam die Gewänder, die ihm ein Rand von alten Bäumen hält; du schaust: und von dir scheiden sich die Länder, ein himmelfahrendes und eins, das fällt; und lassen dich, zu keinem ganz gehörend, nicht ganz so dunkel wie das Haus, das schweigt, nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt; und lassen dir (unsäglich zu entwirrn) dein Leben, bang und riesenhaft und reifend, so daß es, bald begrenzt und bald begreifend, abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn. ERNSTE STUNDE Wer jetzt weint irgendwo in der Welt, ohne Grund weint in der Welt, weint über mich. Wer jetzt lacht irgendwo in der Nacht, ohne Grund lacht in der Nacht, lacht mich aus. Wer jetzt geht irgendwo in der Welt, ohne Grund geht in der Welt, geht zu mir. Wer jetzt stirbt irgendwo in der Welt, ohne Grund stirbt in der Welt, sieht mich an. STROPHEN Ist einer, der nimmt alle in die Hand, daß sie wie Sand durch seine Finger rinnen. Er wählt die schönsten aus den Königinnen und läßt sie sich in weißen Marmor hauen, still liegend in des Mantels Melodie; und legt die Könige zu ihren Frauen, gebildet aus dem gleichen Stein wie sie. Ist einer, der nimmt alle in die Hand, daß sie wie schlechte Klingen sind und brechen. Er ist kein Fremder, denn er wohnt im Blut, das unser Leben ist und rauscht und ruht. Ich kann nicht glauben, daß er unrecht tut; doch hör ich viele Böses von ihm sprechen. STURMNACHT Der Gott erschrak in seiner Einsamkeit. Er sah tief unten in der grauen Zeit den Herbsttag gehn. Der war so greisenhaft, als reichte nicht zum Abendrande weit der matte Pfeil vom Bogen seiner Kraft. Oft stand er still und starrte nach den Hügeln, und endlich sank er matt ins arme Gras; und wie der giere Geier auf das Aas, so fiel auf ihn mit schweren, schwarzen Flügeln die nasse Nacht, die seine Seele fraß. Die schwarze Nacht saß auf dem toten Tag, und Gott erschrak: sein Blick ging lange in dem Dunkel irr; und als er trat aus Wolken und Gewirr, fand er die Ferne nicht, nicht Flut noch Feld: die schwarze Nacht fraß an der ganzen Welt. Da ahnte Gott, der schauernd niederblickte, wie unter diesem schweren Schwingenschlag die weite Welt erstarrte und erstickte so wie ein Tag. Und plötzlich wußte er: Er liebte sie. Doch reglos schattend blieb das Nachtgefieder, als von dem Rand der leeren Himmel nieder sein Wille schrie.... Aber der Gott wird größer im Grimme; wenn er einmal sein einsames Leid in die erwachenden Weiten schreit, ist der Sturm seine Stimme. Und dann reißt sein wehendes Wort von den Monden die Wolken fort: und so sah er im Schimmer thronen lauter ähnliche Ewigkeiten, sah die Sterne der Stille wohnen und die Welten im Wandel schreiten. Und sein Bangen fand alles geborgen in dem leise liebkosenden Licht,-- aber über dem Gestern und Morgen schwieg die Nacht, und sie rührte sich nicht. Und da war der Gott wie ein Kind, und er wurde vor Weinen blind, und durch den wimmernden Wind griff er mit hilflosen Händen: ob sie im Äther die Ufer fänden, welche die Spitzen der Türme sind. Sein Weinen verwaiste und rief: "Ist denn die Welt so tief, so tief, daß der Gott, der Sommer und Sonnen sann, der in alle Gedanken tauchte, den Rauch, der um ihre Gipfel rauchte-- ihren Atem--nicht einmal erreichen kann? Ist dort kein Garten, der Blüten weht, kein lauschendes Leid, kein waches Gebet, keine Stille, die mich versteht?" * * * * * Auf Erden war nur ein winziges Licht, das in dem samtenen Dunkel dicht an der Wiege des Kindes wachte und an sein ärmliches Dasein dachte, als die Stimme des Sturmes klang. Da wurde dem Funken so heimwehbang, daß er aus blinkendem Becher sachte wie der Quell aus dem Felsen sprang und, die Falten des Vorhangs entlang, wünschend nach allen Wänden griff, bis sich berstend die Balken bogen,-- und auf hohen, lodernden Wogen trieb die Wiege, das schlummernde Schiff. Da regt sich die Welt. Von den Hängen hebt scheu sich die Nacht vor dem siegenden Scheine. Es lächelt der Gott; er weiß nur das eine: Sie lebt! DES ZWEITEN BUCHES ERSTER TEIL INITIALE Gib deine Schönheit immer hin ohne rechnen und reden. Du schweigst. Sie sagt für dich: Ich bin. Und kommt in tausendfachem Sinn, kommt endlich über jeden. VERKÜNDIGUNG DIE WORTE DES ENGELS Du bist nicht näher an Gott als wir; wir sind ihm alle weit. Aber wunderbar sind dir die Hände benedeit. So reifen sie bei keiner Frau, so schimmernd aus dem Saum: Ich bin der Tag, ich bin der Tau, du aber bist der Baum. Ich bin jetzt matt, mein Weg war weit, vergib mir, ich vergaß, was er, der groß in Goldgeschmeid wie in der Sonne saß, dir künden ließ, du Sinnende, (verwirrt hat mich der Raum). Sieh: Ich bin das Beginnende, du aber bist der Baum. Ich spannte meine Schwingen aus und wurde seltsam weit; jetzt überfließt dein kleines Haus von meinem großen Kleid. Und dennoch bist du so allein wie nie und schaust mich kaum; das macht: Ich bin ein Hauch im Hain, du aber bist der Baum. Die Engel alle bangen so, lassen einander los: noch nie war das Verlangen so, so ungewiß und groß. Vielleicht, daß etwas bald geschieht, das du im Traum begreifst. Gegrüßt sei, meine Seele sieht: Du bist bereit und reifst. Du bist ein großes, hohes Tor, und aufgehn wirst du bald. Du, meines Liedes liebstes Ohr, jetzt fühle ich: Mein Wort verlor sich in dir wie im Wald. So kam ich und vollendete dir tausendeinen Traum. Gott sah mich an: er blendete.... Du aber bist der Baum. DIE HEILIGEN DREI KÖNIGE LEGENDE Einst als am Saum der Wüsten sich auftat die Hand des Herrn wie eine Frucht, die sommerlich verkündet ihren Kern, da war ein Wunder: Fern erkannten und begrüßten sich drei Könige und ein Stern. Drei Könige von Unterwegs und der Stern Überall, die zogen alle (überlegs!) so rechts ein Rex und links ein Rex zu einem stillen Stall. Was brachten die nicht alles mit zum Stall von Bethlehem! Weithin erklirrte jeder Schritt, und der auf einem Rappen ritt, saß samten und bequem; und der zu seiner Rechten ging, der war ein goldner Mann; und der zu seiner Linken fing mit Schwung und Schwing und Klang und Kling aus einem runden Silberding, das wiegend und in Ringen hing, ganz blau zu rauchen an. Da lachte der Stern Überall so seltsam über sie und lief voraus und stand am Stall und sagte zu Marie: Da bring ich eine Wanderschaft aus vieler Fremde her. Drei Könige mit Magenkraft, von Gold und Topas schwer und dunkel, tumb und heldenhaft,-- erschrick mir nicht zu sehr. Sie haben alle drei zu Haus zwölf Töchter, keinen Sohn, so bitten sie sich deinen aus als Sonne ihres Himmelblaus und Trost für ihren Thron. Doch mußt du nicht gleich glauben: Bloß ein Funkel fürst und Heidenscheich sei deines Sohnes Los. Bedenk, der Weg ist groß. Sie wandern lange, Hirten gleich, inzwischen fällt ihr reifes Reich weiß Gott wem in den Schoß. Und während hier, wie Westwind warm, der Ochs ihr Ohr umschnaubt, sind sie vielleicht schon alle arm und so wie ohne Haupt. Drum mach mit deinem Lächeln licht die Wirrnis, die sie sind, und wende du dein Angesicht nach Aufgang und dein Kind; dort liegt in blauen Linien, was jeder dir verließ: Smaragda und Rubinien und die Tale von Türkis. IN DER CERTOSA Ein jeder aus der weißen Bruderschaft vertraut sich pflanzend seinem kleinen Garten. Auf jedem Beete steht, wer jeder sei. Und einer harrt in heimlichen Hoffarten, daß ihm im Mai die ungestümen Blüten offenbarten ein Bild von seiner unterdrückten Kraft. Und seine Hände halten, wie erschlafft, sein braunes Haupt, das schwer ist von den Säften, die ungeduldig durch das Dunkel rollen, und sein Gewand, das faltig, voll und wollen, zu seinen Füßen fließt, ist stramm gestrafft um seinen Armen, die, gleich starken Schäften, die Hände tragen, welche träumen sollen. Kein Miserere und kein Kyrie will seine junge runde Stimme ziehn, vor keinem Fluche will sie fliehn; sie ist kein Reh. Sie ist ein Roß und bäumt sich im Gebiß, und über Hürde, Hang und Hindernis will sie ihn tragen weit und weggewiß, ganz ohne Sattel will sie tragen ihn. Er aber sitzt, und unter den Gedanken zerbrechen fast die breiten Handgelenke, so schwer wird ihm der Sinn und immer schwerer. Der Abend kommt, der sanfte Wiederkehrer, ein Wind beginnt, die Wege werden leerer, und Schatten sammeln sich im Talgesenke. Und wie ein Kahn, der an der Kette schwankt, so wird der Garten ungewiß und hangt wie windgewiegt auf lauter Dämmerung. Wer löst ihn los?... Der Frate ist so jung, und langelang ist seine Mutter tot. Er weiß von ihr: sie nannten sie La Stanca; sie war ein Glas, ganz zart und klar. Man bot es einem, der es nach dem Trunk zerschlug wie einen Krug. So ist der Vater. Und er hat sein Brot als Meister in den roten Marmorbrüchen. Und jede Wöchnerin in Pietrabianca hat Furcht, daß er des Nachts mit seinen Flüchen vorbei an ihrem Fenster kommt und droht. Sein Sohn, den er der Donna Dolorosa geweiht in einer Stunde wilder Not, sinnt im Arkadenhofe der Certosa, sinnt, wie umrauscht von rötlichen Gerüchen: denn seine Blumen blühen alle rot. DAS JÜNGSTE GERICHT AUS DEN BLÄTTERN EINES MÖNCHS Sie werden alle wie aus einem Bade aus ihren mürben Grüften auferstehn; denn alle glauben an das Wiedersehn, und furchtbar ist ihr Glauben, ohne Gnade. Sprich leise, Gott! Es könnte einer meinen, daß die Posaune deiner Reiche rief; und ihrem Ton ist keine Tiefe tief: da steigen alle Zeiten aus den Steinen, und alle die Verschollenen erscheinen in welken Leinen, brüchigen Gebeinen und von der Schwere ihrer Schollen schief. Das wird ein wunderliches Wiederkehren in eine wunderliche Heimat sein; auch die dich niemals kannten, werden schrein und deine Größe wie ein Recht begehren: wie Brot und Wein. Allschauender, du kennst das wilde Bild, das ich in meinem Dunkel zitternd dichte. Durch dich kommt alles, denn du bist das Tor,-- und alles war in deinem Angesichte, eh es in unserm sich verlor. Du kennst das Bild vom riesigen Gerichte: Ein Morgen ist es, doch aus einem Lichte, das deine reife Liebe nie erschuf, ein Rauschen ist es, nicht aus deinem Ruf, ein Zittern, nicht von göttlichem Verzichte, ein Schwanken, nicht in deinem Gleichgewichte. Ein Rascheln ist und ein Zusammenraffen in allen den geborstenen Gebäuden, ein Sichentgelten und ein Sich vergeuden, ein Sichbegatten und ein Sichbegaffen, und ein Betasten aller alten Freuden und aller Lüste welke Wiederkehr. Und über Kirchen, die wie Wunden klaffen, ziehn schwarze Vögel, die du nie erschaffen, in irren Zügen hin und her. So ringen sie, die lange Ausgeruhten, und packen sich mit ihren nackten Zähnen und werden bange, weil sie nicht mehr bluten, und suchen, wo die Augenbecher gähnen, mit kalten Fingern nach den toten Tränen. Und werden müde. Wenige Minuten nach ihrem Morgen bricht der Abend ein. Sie werden ernst und lassen sich allein und sind bereit, im Sturme aufzusteigen, wenn sich auf deiner Liebe heitrem Wein die dunklen Tropfen deines Zornes zeigen, um deinem Urteil nah zu sein. Und da beginnt es, nach dem großen Schrein: das übergroße fürchterliche Schweigen. Sie sitzen alle wie vor schwarzen Türen in einem Licht, das sie, wie mit Geschwüren, mit vielen grellen Flecken übersät. Und wachsend wird der Abend alt und spät. Und Nächte fallen dann in großen Stücken auf ihre Hände und auf ihren Rücken, der wankend sich mit schwarzer Last belädt. Sie warten lange. Ihre Schultern schwanken unter dem Drucke wie ein dunkles Meer, sie sitzen, wie versunken in Gedanken, und sind doch leer. Was stützen sie die Stirnen? Ihre Gehirne denken irgendwo tief in der Erde, eingefallen, faltig: Die ganze alte Erde denkt gewaltig, und ihre großen Bäume rauschen so. Allschauender, gedenkst du dieses bleichen und bangen Bildes, das nicht seinesgleichen unter den Bildern deines Willens hat? Hast du nicht Angst vor dieser stummen Stadt, die, an dir hangend wie ein welkes Blatt, sich heben will zu deines Zornes Zeichen? 0, greife allen Tagen in die Speichen, daß sie zu bald nicht diesem Ende nahen,-- vielleicht gelingt es dir noch auszuweichen dem großen Schweigen, das wir beide sahen. Vielleicht kannst du noch einen aus uns heben, der diesem fürchterlichen Wiederleben den Sinn, die Sehnsucht und die Seele nimmt, einen, der bis in seinen Grund ergrimmt und dennoch froh durch alle Dinge schwimmt, der Kräfte unbekümmerter Verbraucher, der sich auf allen Saiten geigt und unversehrt als unerkannter Taucher in alle Tode niedersteigt. ... Oder, wie hoffst du diesen Tag zu tragen, der länger ist als aller Tage Längen, mit seines Schweigens schrecklichen Gesängen, wenn dann die Engel dich, wie lauter Fragen, mit ihrem schauerlichen Flügelschlagen umdrängen? Sieh, wie sie zitternd in den Schwingen hängen und dir mit hunderttausend Augen klagen, und ihres sanften Liedes Stimmen wagen sich aus den vielen wirren Übergängen nicht mehr zu heben zu den klaren Klängen. Und wenn die Greise mit den breiten Bärten, die dich berieten bei den besten Siegen, nur leise ihre weißen Häupter wiegen, und wenn die Frauen, die den Sohn dir nährten, und die von ihm Verführten, die Gefährten, und alle Jungfraun, die sich ihm gewährten: die lichten Birken deiner dunklen Gärten,-- wer soll dir helfen, wenn sie alle schwiegen? Und nur dein Sohn erhübe sich unter denen, welche sitzen um deinen Thron. Grübe sich deine Stimme dann in sein Herz? Sagte dein einsamer Schmerz dann: Sohn! Suchtest du dann das Angesicht dessen, der das Gericht gerufen, dein Gericht und deinen Thron: Sohn! Hießest du, Vater, dann deinen Erben, leise begleitet von Magdalenen, niedersteigen zu jenen, die sich sehnen, wieder zu sterben? Das wäre dein letzter Königserlaß, die letzte Huld und der letzte Haß; aber dann käme alles zu Ruh: der Himmel und das Gericht und du. Alle Gewänder des Rätsels der Welt? das sich so lange verschleiert hält, fallen mit dieser Spange. ... Doch mir ist bange.... Allschauender, sieh, wie mir bange ist, miß meine Qual! Mir ist bange, daß du schon lange vergangen bist, als du zum erstenmal in deinem Alleserfassen das Bild dieses blassen Gesichtes sahst, dem du dich hilflos nahst, Allschauender. Bist du damals entflohn? Wohin? Vertrauender kann keiner dir kommen als ich, der ich dich nicht um Lohn verraten will wie alle die Frommen. Ich will nur, weil ich verborgen bin und müde wie du, noch müder vielleicht, und weil meine Angst vor dem großen Gericht deiner gleicht, will ich mich dicht, Gesicht bei Gesicht, an dich heften; mit einigen Kräften werden wir wehren dem großen Rade, über welches die mächtigen Wasser gehn, die rauschen und schnauben-- denn: Wehe, sie werden auferstehn. So ist ihr Glauben: groß und ohne Gnade. KARL DER ZWÖLFTE VON SCHWEDEN REITET IN DER UKRAINE I Könige in Legenden sind wie Berge im Abend. Blenden jeden, zu dem sie sich wenden. Die Gürtel um ihre Lenden und die lastenden Mantelenden sind Länder und Leben wert. Mit den reichgekleideten Händen geht, schlank und nackt, das Schwert. Ein junger König aus Norden war in der Ukraine geschlagen. Der haßte Frühling und Frauenhaar und die Harfen und was sie sagen. Der ritt auf einem grauen Pferd, sein Auge schaute grau und hatte niemals Glanz begehrt zu Füßen einer Frau. Keine war seinem Blicke blond, keine hat küssen ihn gekonnt; und wenn er zornig war, so riß er einen Perlenmond aus wunderschönem Haar. Und wenn ihn Trauer überkam, so machte er ein Mädchen zahm und forschte, wessen Ring sie nahm und wem sie ihren bot-- Und: hetzte ihr den Bräutigam mit hundert Hunden tot. Und er verließ sein graues Land, das ohne Stimme war, und ritt in einen Widerstand und kämpfte um Gefahr, bis ihn das Wunder überwand: wie träumend ging ihm seine Hand von Eisenband zu Eisenband und war kein Schwert darin; er war zum Schauen aufgewacht: es schmeichelte die schöne Schlacht um seinen Eigensinn. Er saß zu Pferde: ihm entging keine Gebärde rings. Auf Silber sprach jetzt Ring zu Ring, und Stimme war in jedem Ding, und wie in vielen Glocken hing die Seele jedes Dings. Und auch der Wind war anders groß, der in die Fahnen sprang, schlank wie ein Panther, atemlos und taumelnd vom Trompetenstoß, der lachend mit ihm rang. Und manchmal griff der Wind hinab: da ging ein Blutender,--ein Knab, welcher die Trommel schlug; er trug sie immer auf und ab und trug sie wie sein Herz ins Grab vor seinem toten Zug. Da wurde mancher Berg geballt, als wär die Erde noch nicht alt und baute sich erst auf; bald stand das Eisen wie Basalt, bald schwankte wie ein Abendwald mit breiter steigender Gestalt der großbewegte Hauf. Es dampfte dumpf die Dunkelheit, was dunkelte, war nicht die Zeit,-- und alles wurde grau, aber schon fiel ein neues Scheit, und wieder ward die Flamme breit und festlich angefacht. Sie griffen an: in fremder Tracht ein Schwärm phantastischer Provinzen; wie alles Eisen plötzlich lacht: von einem silberlichten Prinzen erschimmerte die Abendschlacht. Die Fahnen flatterten wie Freuden, und alle hatten königlich in ihren Gesten ein Vergeuden,-- an fernen flammenden Gebäuden entzündeten die Sterne sich.... Und Nacht war. Und die Schlacht trat sachte zurück wie ein sehr müdes Meer, das viele fremde Tote brachte, und alle Toten waren schwer. Vorsichtig ging das graue Pferd (von großen Fäusten abgewehrt) durch Männer, welche fremd verstarben, und trat auf flaches schwarzes Gras. Der auf dem grauen Pferde saß, sah unten auf den feuchten Farben viel Silber wie zerschelltes Glas. Sah Eisen welken, Helme trinken und Schwerter stehn in Panzernaht, sterbende Hände sah er winken mit einem Fetzen von Brokat... Und sah es nicht. Und ritt dem Lärme der Feldschlacht nach, als ob er schwärme, mit seinen Wangen voller Wärme und mit den Augen von Verliebten.... DER SOHN Mein Vater war ein verbannter König von überm Meer. Ihm kam einmal ein Gesandter: sein Mäntel war ein Panther, und sein Schwert war schwer. Mein Vater war wie immer ohne Helm und Hermelin; es dunkelte das Zimmer wie immer arm um ihn. Es zitterten seine Hände und waren blaß und leer,-- in bilderlose Wände blicklos schaute er. Die Mutter ging im Garten und wandelte weiß im Grün und wollte den Wind erwarten vor dem Abendglühn. Ich träumte, sie würde mich rufen, aber sie ging allein,-- ließ mich vom Rande der Stufen horchen verhallenden Hufen und ins Haus hinein: Vater! Der fremde Gesandte...? Der reitet wieder im Wind.... Was wollte der? Er erkannte dein blondes Haar, mein Kind. Vater! Wie war er gekleidet! Wie der Mantel von ihm floß! Geschmiedet und geschmeidet war Schulter, Brust und Roß. Er war eine Stimme im Stahle, er war ein Mann aus Nacht,-- aber er hat eine schmale Krone mitgebracht. Sie klang bei jedem Schritte an sein sehr schweres Schwert, die Perle in ihrer Mitte ist viele Leben wert. Vom zornigen Ergreifen verbogen ist der Reifen, der oft gefallen war: es ist eine Kinderkrone,-- denn Könige sind ohne; --gib sie meinem Haar! Ich will sie manchmal tragen in Nächten, blaß vor Scham. Und will dir, Vater, sagen, woher der Gesandte kam. Was dort die Dinge gelten, ob steinern steht die Stadt, oder ob man in Zelten mich erwartet hat. Mein Vater war ein Gekränkter und kannte nur wenig Ruh. Er hörte mir mit verhängter Stirne nächtelang zu. Mir lag im Haar der Ring. Und ich sprach ganz nahe und sachte, daß die Mutter nicht erwachte,-- die an dasselbe dachte, wenn sie, ganz weiß gelassen, vor abendlichen Massen durch dunkle Gärten ging. So wurden wir verträumte Geiger, die leise aus den Türen treten, um auszuschauen, eh sie beten, ob nicht ein Nachbar sie belauscht. Die erst, wenn alle sich zerstreuten, hinter dem letzten Abendläuten, die Lieder spielen, hinter denen (wie Wald im Wind hinter Fontänen) der dunkle Geigenkasten rauscht. Denn dann nur sind die Stimmen gut, wenn Schweigsamkeiten sie begleiten, wenn hinter dem Gespräch der Saiten Geräusche bleiben wie von Blut; und bang und sinnlos sind die Zeiten, wenn hinter ihren Eitelkeiten nicht etwas waltet, welches ruht. Geduld: es kreist der leise Zeiger, und was verheißen ward, wird sein: wir sind die Flüstrer vor dem Schweiger, wir sind die Wiesen vor dem Hain; in ihnen geht noch dunkles Summen-- (viel Stimmen sind und doch kein Chor) und sie bereiten auf die stummen tiefen heiligen Haine vor.... DIE ZAREN EIN GEDICHTKREIS (1899 und 1906) I Das war in Tagen, da die Berge kamen: die Bäume bäumten sich, die noch nicht zahmen, und rauschend in die Rüstung stieg der Strom. Zwei fremde Pilger riefen einen Namen, und aufgewacht aus seinem langen Lahmen war Ilija, der Riese von Murom. Die alten Eltern brachen in den Äckern an Steinen ab und an den wilden Wuchs; da kam der Sohn, ganz groß, von seinen Weckern und zwang die Furchen in die Furcht des Pflugs. Er hob die Stämme, die wie Streiter standen, und lachte ihres wankenden Gewichts, und aufgestört wie schwarze Schlangen wanden die Wurzeln, welche nur das Dunkel kannten, sich in dem breiten Griff des Lichts. Es stärkte sich im frühen Tau die Mähre, in deren Adern Kraft und Adel schlief; sie reifte unter ihres Reiters Schwere, ihr Wiehern war wie eine Stimme tief,-- und beide fühlten, wie das Ungefähre sie mit verheißenden Gefahren rief. Und reiten, reiten ... vielleicht tausend Jahre. Wer zählt die Zeit, wenn einmal einer will. (Vielleicht saß er auch tausend Jahre still.) Das Wirkliche ist wie das Wunderbare: es mißt die Welt mit eigenmächtigen Maßen; Jahrtausende sind ihm zu jung. Weit schreiten werden, welche lange saßen in ihrer tiefen Dämmerung. II Noch drohen große Vögel allenthalben, und Drachen glühn und hüten überall der Wälder Wunder und der Schluchten Fall; und Knaben wachsen an, und Männer salben sich zu dem Kampfe mit der Nachtigall, die oben in den Kronen von neun Eichen sich lagert wie ein tausendfaches Tier, und abends geht ein Schreien ohnegleichen, ein schreiendes Bis-an-das-Ende-reichen, und geht die ganze Nacht lang aus von ihr; die Frühlingsnacht, die schrecklicher als alles und schwerer war und banger zu bestehn: ringsum kein Zeichen eines Überfalles und dennoch alles voller Übergehn, hinwerfend sich und Stück für Stück sich gebend, ja jenes Etwas, welches um sich griff, anrufend noch, am ganzen Leibe bebend und darin untergehend wie ein Schiff. Das waren Überstarke, die da blieben, von diesem Riesigen nicht aufgerieben, das aus den Kehlen wie aus Kratern brach; sie dauerten, und alternd nach und nach begriffen sie die Bangnis der Aprile, und ihre ruhigen Hände hielten viele und führten sie durch Furcht und Ungemach zu Tagen, da sie froher und gesünder die Mauern bauten um die Städtegründer, die über allem gut und kundig saßen. Und schließlich kamen auf den ersten Straßen aus Höhlen und verhaßten Hinterhalten die Tiere, die für unerbittlich galten. Sie stiegen still aus ihren Übermaßen (beschämte und veraltete Gewalten) und legten sich gehorsam vor die Alten. III Seine Diener füttern mit mehr und mehr ein Rudel von jenen wilden Gerüchten, die auch noch Er sind, alles noch Er. Seine Günstlinge flüchten vor ihm her. Und seine Frauen flüstern und stiften Bünde. Und er hört sie ganz innen in ihren Gemächern mit Dienerinnen, die sich scheu umsehn, sprechen von Giften. Alle Wände sind hohl von Schränken und Fächern, Mörder ducken unter den Dächern und spielen Mönche mit viel Geschick. Und er hat nichts als einen Blick dann und wann; als den leisen Schritt auf den Treppen, die kreisen; nichts als das Eisen an seinem Stock. Nichts als den dürftigen Büßerrock (durch den die Kälte aus den Fliesen an ihm hinaufkriecht wie mit Krallen), nichts, was er zu rufen Wagt, nichts als die Angst vor allen diesen, nichts als die tägliche Angst vor allen, die ihn jagt durch diese gejagten Gesichter an dunklen, ungefragten, vielleicht schuldigen Händen entlang. Manchmal packt er einen im Gang grade noch an des Mantels Falten, und er zerrt ihn zornig her; aber im Fenster weiß er nicht mehr: Wer ist Haltender? Wer ist gehalten? Wer bin ich und wer ist der? IV Es ist die Stunde, da das Reich sich eitel in seines Glanzes vielen Spiegeln sieht. Der blasse Zar, des Stammes letztes Glied, träumt auf dem Thron, davor das Fest geschieht, und leise zittert sein beschämter Scheitel und seine Hand, die vor den Purpurlehnen mit einem unbestimmten Sehnen ins wirre Ungewisse flieht. Und um sein Schweigen neigen sich Bojaren in blanken Panzern und in Pantherfellen, wie viele fremde fürstliche Gefahren, die ihn mit stummer Ungeduld umstellen. Tief in den Saal schlägt ihre Ehrfurcht Wellen. Und sie gedenken eines andern Zaren, der oft mit Worten, die aus Wahnsinn waren, ihnen die Stirnen an die Steine stieß. Und denken also weiter: jener ließ nicht so viel Raum, wenn er zu Throne saß, auf dem verwelkten Samt des Kissens leer. Er war der Dinge dunkles Maß, und die Bojaren wußten lang nicht mehr, daß rot der Sitz des Sessels sei, so schwer lag sein Gewand und wurde golden breit. Und weiter denken sie: Das Kaiserkleid schläft auf den Schultern dieses Knaben ein. Obgleich im ganzen Saal die Fackeln flacken, sind bleich die Perlen, die in sieben Reihn wie weiße Kinder knien um seinen Nacken, und die Rubine an den Ärmelzacken, die einst Pokale waren, klar von Wein, sind schwarz wie Schlacken-- Und ihr Denken schwillt. Es drängt sich heftig an den blassen Kaiser, auf dessen Haupt die Krone immer leiser und dem der Wille immer fremder wird; er lächelt. Lauter prüfen ihn die Preiser, ihr Neigen nähert sich, sie schmeicheln heiser, und eine Klinge hat im Traum geklirrt. V Der blasse Zar wird nicht am Schwerte sterben, die fremde Sehnsucht macht ihn sakrosankt; er wird die feierlichen Reiche erben, an denen seine sanfte Seele krankt. Schon jetzt, hintretend an ein Kremlfenster, sieht er ein Moskau, weißer, unbegrenzter, in seine endlich fertige Nacht gewebt; so wie es ist im ersten Frühlingswirken, wenn in den Gassen der Geruch aus Birken von lauter Morgenglocken bebt. Die großen Glocken, die so herrisch lauten, sind seine Väter, jene ersten Zaren, die sich noch vor den Tagen der Tataren aus Sagen, Abenteuern und Gefahren, aus Zorn und Demut zögernd auferbauten. Und er begreift auf einmal, wer sie waren, und daß sie oft um ihres Dunkels Sinn in seine eignen Tiefen niedertauchten und ihn, den Leisesten von den Erlauchten, in ihren Taten groß und fromm verbrauchten schon lang vor seinem Anbeginn. Und eine Dankbarkeit kommt über ihn, daß sie ihn so verschwenderisch vergeben an aller Dinge Durst und Drang. Er war die Kraft zu ihrem Überschwang, der goldne Grund, vor dem ihr breites Leben geheimnisvoll zu dunkeln schien. In allen ihren Werken schaut er sich wie eingelegtes Silber in Zieraten, und es gibt keine Tat in ihren Taten, die nicht auch war in seinen stillen Staaten, in denen alles Handelns Rot verblich. VI Noch immer schauen in den Silberplatten wie tiefe Frauenaugen die Saphire, Goldranken schlingen sich wie schlanke Tiere, die sich im Glänze ihrer Brünste gatten, und sanfte Perlen warten in dem Schatten wilder Gebilde, daß ein Schimmer ihre stillen Gesichter finde und verliere. Und das ist Mantel, Strahlenkranz und Land, und ein Bewegen geht von Rand zu Rand, wie Korn im Wind und wie ein Fluß im Tale, so glänzt es wechselnd durch die Rahmenwand. In ihrer Sonne dunkeln drei Ovale: das große gibt dem Mutterantlitz Raum, und rechts und links hebt eine mandelschmale Jungfrauenhand sich aus dem Silbersaum. Die beiden Hände, seltsam still und braun, verkünden, daß im köstlichen Ikone die Königliche wie im Kloster wohne, die überfließen wird von jenem Sohne, von jenem Tropfen, drinnen wolkenohne die niegehofften Himmel blaun. Die Hände zeugen noch dafür; aber das Antlitz ist wie eine Tür in warme Dämmerungen aufgegangen, in die das Lächeln von den Gnadenwangen mit seinem Lichte irrend sich verlor. Da neigt sich tief der Zar davor und spricht: Fühltest du nicht, wie sehr wir in dich drangen mit allem: Fühlen, Fürchten und Verlangen; wir warten auf dein liebes Angesicht, das uns vergangen ist; wohin vergangen? Den großen Heiligen vergeht es nicht. Er bebte tief in seinem steifen Kleid, das strahlend stand. Er wußte nicht, wie weit er schon von allem war und ihrem Segnen, wie selig nah in seiner Einsamkeit. Noch sinnt und sinnt der blasse Gossudar. Und sein Gesicht, das unterm kranken Haar schon lange tief und wie im Fortgehn war, verging, wie jenes in dem Goldovale, in seinem großen goldenen Talar. (Um ihrem Angesichte zu begegnen.) Zwei Goldgewänder schimmerten im Saale und wurden in dem Glanz der Ampeln klar. DER SÄNGER SINGT VOR EINEM FÜRSTENKIND DEM ANDENKEN VON PAULA BECKER-MODERSOHN Du blasses Kind, an jedem Abend soll der Sänger dunkel stehn bei deinen Dingen und soll dir Sagen, die im Blute klingen, über die Brücke seiner Stimme bringen und eine Harfe, seiner Hände voll. Nicht aus der Zeit ist, was er dir erzählt, gehoben ist es wie aus Wandgeweben; solche Gestalten hat es nie gegeben;-- und Niegewesenes nennt er das Leben. Und heute hat er diesen Sang erwählt: Du blondes Kind von Fürsten und aus Frauen, die einsam warteten im weißen Saal,-- fast alle waren bang, dich aufzubauen, um aus den Bildern einst auf dich zu schauen: auf deine Augen mit den ernsten Brauen, auf deine Hände, hell und schmal. Du hast von ihnen Perlen und Türkisen, von diesen Frauen, die in Bildern stehn, als stünden sie allein in Abendwiesen,-- du hast von ihnen Perlen und Türkisen,-- und Ringe mit verdunkelten Devisen und Seiden, welche welke Düfte wehn. Du trägst die Gemmen ihrer Gürtelbänder ans hohe Fenster in den Glanz der Stunden, und in die Seide sanfter Brautgewänder sind deine kleinen Bücher eingebunden, und drinnen hast du, mächtig über Länder, ganz groß geschrieben und mit reichen, runden Buchstaben deinen Namen vorgefunden. Und alles ist, als wär es schon geschehn. Sie haben so, als ob du nicht mehr kämst, an alle Becher ihren Mund gesetzt, zu allen Freuden ihr Gefühl gehetzt und keinem Leide leidlos zugesehn; so daß du jetzt stehst und dich schämst. ... Du blasses Kind, dein Leben ist auch eines,-- der Sänger kommt dir sagen, daß du bist. Und daß du mehr bist als ein Traum des Haines, mehr als die Seligkeit des Sonnenscheines, den mancher graue Tag vergißt. Dein Leben ist so unaussprechlich deines, weil es von vielen überladen ist. Empfindest du, wie die Vergangenheiten leicht werden, wenn du eine Weile lebst, wie sie dich sanft auf Wunder vorbereiten, jedes Gefühl mit Bildern dir begleiten,-- und nur ein Zeichen scheinen ganze Zeiten für eine Geste, die du schön erhebst.-- Das ist der Sinn von allem, was einst war, daß es nicht bleibt mit seiner ganzen Schwere, daß es zu unserm Wesen wiederkehre, in uns verwoben, tief und wunderbar: So waren diese Frauen elfenbeinern, von vielen Rosen rötlich angeschienen, so dunkelten die müden Königsmienen, so wurden fahle Fürstenmunde steinern und unbewegt von Waisen und von Weinern, so klangen Knaben an wie Violinen und starben für der Frauen schweres Haar; so gingen Jungfraun der Madonna dienen, denen die Welt verworren war. So wurden Lauten laut und Mandolinen, in die ein Unbekannter größer griff,-- in warmen Samt verlief der Dolche Schliff,-- Schicksale bauten sich aus Glück und Glauben, Abschiede schluchzten auf in Abendlauben,-- und über hundert schwarzen Eisenhauben schwankte die Feldschlacht wie ein Schiff. So wurden Städte langsam groß und fielen in sich zurück wie Wellen eines Meeres, so drängte sich zu hochbelohnten Zielen die rasche Vogelkraft des Eisenspeeres, so schmückten Kinder sich zu Gartenspielen,-- und so geschah Unwichtiges und Schweres nur, um für dieses tägliche Erleben dir tausend große Gleichnisse zu geben, an denen du gewaltig wachsen kannst. Vergangenheiten sind dir eingepflanzt, um sich aus dir, wie Gärten, zu erheben. Du blasses Kind, du machst den Sänger reich mit deinem Schicksal, das sich singen läßt: So spiegelt sich ein großes Gartenfest mit vielen Lichtern im erstaunten Teich. Im dunklen Dichter wiederholt sich still ein jedes Ding: ein Stern, ein Haus, ein Wald. Und viele Dinge, die er feiern will, umstehen deine rührende Gestalt. DIE AUS DEM HAUSE COLONNA Ihr fremden Männer, die ihr jetzt so still in Bildern steht, ihr saßet gut zu Pferde, und ungeduldig gingt ihr durch das Haus; wie ein schöner Hund, mit derselben Gebärde ruhn eure Hände jetzt bei euch aus. Euer Gesicht ist so voll von Schauen, denn die Welt war euch Bild und Bild; aus Waffen, Fahnen, Früchten und Frauen quillt euch dieses große Vertrauen, daß alles _ist_ und daß alles _gilt_. Aber damals, als ihr noch zu jung wart, die großen Schlachten zu schlagen, zu jung, um den päpstlichen Purpur zu tragen, nicht immer glücklich bei Reiten und Jagen, Knaben noch, die sich den Frauen versagen, habt ihr aus jenen Knaben tagen keine, nicht eine Erinnerung? Wißt ihr nicht mehr, was damals war? Damals war der Altar mit dem Bilde, auf dem Maria gebar, in dem einsamen Seitenschiff. Euch ergriff eine Blumenranke; der Gedanke, daß die Fontäne allein draußen im Garten in Mondenschein ihre Wasser warf, war wie eine Welt. Das Fenster ging bis zu den Füßen auf wie eine Tür; und es war Park mit Wiesen und Wegen: seltsam nah und doch so entlegen, seltsam hell und doch wie verborgen, und die Brunnen rauschten wie Regen, und es war, als käme kein Morgen dieser langen Nacht entgegen, die mit allen Sternen stand. Damals wuchs euch, Knaben, die Hand, die warm war. (Ihr aber wußtet es nicht.) Damals breitete euer Gesicht sich aus. DES ZWEITEN BUCHES ZWEITERTEIL FRAGMENTE AUS VERLORENEN TAGEN Wie Vögel, welche sich gewöhnt ans Gehn und immer schwerer werden, wie im Fallen: die Erde saugt aus ihren langen Krallen die mutige Erinnerung von allen den großen Dingen, welche hoch geschehn, und macht sie fast zu Blättern, die sich dicht am Boden halten-- wie Gewächse, die, kaum aufwärts wachsend, in die Erde kriechen, in schwarzen Schollen unlebendig licht und weich und feucht versinken und versiechen, wie irre Kinder,--wie ein Angesicht in einem Sarg,--wie frohe Hände, welche unschlüssig werden, weil im vollen Kelche sich Dinge spiegeln, die nicht nahe sind,-- wie Hilferufe, die im Abendwind begegnen vielen dunklen großen Glocken,-- wie Zimmerblumen, die seit Tagen trocken, wie Gassen, die verrufen sind,--wie Locken, darinnen Edelsteine blind geworden sind,-- wie Morgen im April vor allen vielen Fenstern des Spitales: die Kranken drängen sich am Saum des Saales und schaun: die Gnade eines frühen Strahles macht alle Gassen frühlinglich und weit; sie sehen nur die helle Herrlichkeit, welche die Häuser jung und lachend macht, und wissen nicht, daß schon die ganze Nacht ein Sturm die Kleider von den Himmeln reißt, ein Sturm von Wassern, wo die Welt noch eist ein Sturm, der jetzt noch durch die Gassen braust und der den Dingen alle Bürde von ihren Schultern nimmt,-- daß etwas draußen groß ist und ergrimmt, daß draußen die Gewalt geht, eine Faust, die jeden von den Kranken würgen würde inmitten dieses Glanzes, dem sie glauben.-- ... Wie lange Nächte in verwelkten Lauben, die schon zerrissen sind auf allen Seiten und viel zu weit, um noch mit einem zweiten, den man sehr liebt, zusammen drin zu weinen,-- wie nackte Mädchen, kommend über Steine, wie Trunkene in einem Birkenhaine,-- wie Worte, welche nichts Bestimmtes meinen und dennoch gehn, ins Ohr hineingehn, weiter ins Hirn und heimlich auf der Nervenleiter durch alle Glieder Sprung um Sprung versuchen, wie Greise, welche ihr Geschlecht verfluchen und dann versterben, so daß keiner je abwenden könnte das verhängte Weh, wie volle Rosen, künstlich aufgezogen im blauen Treibhaus, wo die Lüfte logen, und dann vom Übermut in großem Bogen hinausgestreut in den verwehten Schnee,-- wie eine Erde, die nicht kreisen kann, weil zuviel Tote ihr Gefühl beschweren, wie ein erschlagener verscharrter Mann, dem sich die Hände gegen Wurzeln wehren,-- wie eine von den hohen, schlanken, roten Hochsommerblumen, welche unerlöst ganz plötzlich stirbt im Lieblingswind der Wiesen, weil ihre Wurzel unten an Türkisen im Ohrgehänge einer Toten stößt.... Und mancher Tage Stunden waren so. Als formte wer mein Abbild irgendwo, um es mit Nadeln langsam zu mißhandeln. Ich spürte jede Spitze seiner Spiele, und war, als ob ein Regen auf mich fiele, in welchem alle Dinge sich verwandeln. DIE STIMMEN NEUN BLÄTTER MIT EINEM TITELBLATT TITELBLATT Die Reichen und Glücklichen haben gut schweigen, niemand will wissen, was sie sind. Aber die Dürftigen müssen sich zeigen, müssen sagen: ich bin blind, oder: ich bin im Begriff, es zu werden, oder: es geht mir nicht gut auf Erden, oder: ich habe ein krankes Kind, oder: da bin ich zusammengefugt.... Und vielleicht, daß das gar nicht genügt. Und weil alle sonst, wie an Dingen, an ihnen vorbeigehn, müssen sie singen. Und da hört man noch guten Gesang. Freilich die Menschen sind seltsam; sie hören lieber Kastraten in Knabenchören. Aber Gott selber kommt und bleibt lang, wenn ihn diese Beschnittenen stören. DAS LIED DES BETTLERS Ich gehe immer von Tor zu Tor, verregnet und verbrannt; auf einmal leg ich mein rechtes Ohr in meine rechte Hand. Dann kommt mir meine Stimme vor, als hätt ich sie nie gekannt. Dann weiß ich nicht sicher, wer da schreit, ich oder irgendwer. Ich schreie um eine Kleinigkeit. Die Dichter schrein um mehr. Und endlich mach ich noch mein Gesicht mit beiden Augen zu; wie's dann in der Hand liegt mit seinem Gewicht, sieht es fast aus wie Ruh. Damit sie nicht meinen, ich hätte nicht, wohin ich mein Haupt tu. DAS LIED DES BLINDEN Ich bin blind, ihr draußen, das ist ein Fluch, ein Widerwillen, ein Widerspruch, etwas täglich Schweres. Ich leg meine Hand auf den Arm der Frau, meine graue Hand auf ihr graues Grau, und sie führt mich durch lauter Leeres. Ihr rührt euch und rückt und bildet euch ein, anders zu klingen als Stein auf Stein, aber ihr irrt euch: ich allein lebe und leide und lärme. In mir ist ein endloses Schrein, und ich weiß nicht, schreit mir mein Herz oder meine Gedärme. Erkennt ihr die Lieder? Ihr sanget sie nicht, nicht ganz in dieser Betonung. Euch kommt jeden Morgen das neue Licht warm in die offene Wohnung. Und ihr habt ein Gefühl von Gesicht zu Gesicht, und das verleitet zur Schonung. DAS LIED DES TRINKERS Es war nicht in mir. Es ging aus und ein. Da wollt ich es halten. Da hielt es der Wein. (Ich weiß nicht mehr, was es war.) Dann hielt er mir jenes und hielt mir dies, bis ich mich ganz auf ihn verließ. Ich Narr. Jetzt bin ich in seinem Spiel, und er streut mich verächtlich herum und verliert mich noch heut an dieses Vieh, an den Tod. Wenn der mich, schmutzige Karte, gewinnt, so kratzt er mit mir seinen grauen Grind und wirft mich fort in den Kot. DAS LIED DES SELBSTMÖRDERS Also noch einen Augenblick. Daß sie mir immer wieder den Strick zerschneiden. Neulich war ich so gut bereit, und es war schon ein wenig Ewigkeit in meinen Eingeweiden. Halten sie mir den Löffel her, diesen Löffel Leben. Nein, ich will und ich will nicht mehr, laßt mich mich übergeben. Ich weiß, das Leben ist gar und gut, und die Welt ist ein voller Topf, aber mir geht es nicht ins Blut, mir steigt es nur zu Kopf. Andere nährt es, mich macht es krank; begreift, daß man's verschmäht. Mindestens ein Jahrtausend lang brauch ich jetzt Diät. DAS LIED DER WITWE Am Anfang war mir das Leben gut. Es hielt mich warm, es machte mir Mut. Daß es das allen Jungen tut, wie könnt ich das damals wissen. Ich wußte nicht, was das Leben war--, auf einmal war es nur Jahr und Jahr, nicht mehr gut, nicht mehr neu, nicht mehr wunderbar, wie mitten entzweigerissen. Das war nicht seine, nicht meine Schuld; wir hatten beide nichts als Geduld, aber der Tod hat keine. Ich sah ihn kommen (wie schlecht er kam), und ich schaute ihm zu, wie er nahm und nahm: es war ja gar nicht das Meine. Was war denn das Meine; meines, mein? War mir nicht selbst mein Elendsein nur vom Schicksal geliehn? Das Schicksal will nicht nur das Glück, es will die Pein und das Schrein zurück, und es kauft für alt den Ruin. Das Schicksal war da und erwarb für ein Nichts jeden Ausdruck meines Gesichts, bis auf die Art zu gehn. Das war ein täglicher Ausverkauf, und als ich leer war, gab es mich auf und ließ mich offen stehn. DAS LIED DES IDIOTEN Sie hindern mich nicht. Sie lassen mich gehn. Sie sagen, es könne nichts geschehn. Wie gut. Es kann nichts geschehn. Alles kommt und kreist immerfort um den Heiligen Geist, um den gewissen Geist (du weißt)--, wie gut. Nein, man muß wirklich nicht meinen, es sei irgendeine Gefahr dabei. Da ist freilich das Blut. Das Blut ist das Schwerste. Das Blut ist schwer, manchmal glaub ich, ich kann nicht mehr--. (Wie gut.) Ah, was ist das für ein schöner Ball; rot und rund wie ein Überall. Gut, daß ihr ihn erschuft. Ob der wohl kommt, wenn man ruft? Wie sich das alles seltsam benimmt, ineinandertreibt, auseinanderschwimmt: freundlich, ein wenig unbestimmt; wie gut. DAS LIED DER WAISE Ich bin niemand und werde auch niemand sein. Jetzt bin ich ja zum Sein noch zu klein; aber auch später. Mütter und Väter, erbarmt euch mein. Zwar es lohnt nicht des Pflegens Müh: ich werde doch gemäht. Mich kann keiner brauchen: jetzt ist es zu früh, und morgen ist es zu spät. Ich habe nur dieses eine Kleid, es wird dünn, und es verbleicht, aber es hält eine Ewigkeit auch noch vor Gott vielleicht. Ich habe nur dieses bißchen Haar (immer dasselbe blieb), das einmal Eines Liebstes war. Nun hat er nichts mehr lieb. DAS LIED DES ZWERGES Meine Seele ist vielleicht grad und gut; aber mein Herz, mein verbogenes Blut, alles das, was mir wehe tut, kann sie nicht aufrecht tragen. Sie hat keinen Garten, sie hat kein Bett, sie hängt an meinem scharfen Skelett mit entsetztem Flügelschlagen? Aus meinen Händen wird auch nichts mehr. Wie verkümmert sie sind, sieh her: zähe hüpfen sie, feucht und schwer, wie kleine Kröten nach Regen. Und das andere an mir ist abgetragen und alt und trist; warum zögert Gott, auf den Mist alles das hinzulegen? Ob er mir zürnt für mein Gesicht mit dem mürrischen Munde? Es war ja so oft bereit, ganz licht und klar zu werden im Grunde; aber nichts kam ihm je so dicht wie die großen Hunde. Und die Hunde haben das nicht. DAS LIED DES AUSSÄTZIGEN Sieh, ich bin einer, den alles verlassen hat. Keiner weiß in der Stadt von mir, Aussatz hat mich befallen. Und ich schlage mein Klapperwerk, klopfe mein trauriges Augenmerk in die Ohren allen, die nahe Vorübergehn. Und die es hölzern hören, sehn erst gar nicht her, und was hier geschehn, wollen sie nicht erfahren. Soweit der Klang meiner Klapper reicht, bin ich zuhause; aber vielleicht machst du meine Klapper so laut, daß sich keiner in meine Ferne traut, der mir jetzt aus der Nähe weicht. So daß ich sehr lange gehen kann, ohne Mädchen, Frau oder Mann oder Kind zu entdecken. Tiere will ich nicht schrecken. VON DEN FONTÄNEN Auf einmal weiß ich viel von den Fontänen, den unbegreiflichen Bäumen aus Glas. Ich könnte reden wie von eignen Tränen, die ich, ergriffen von sehr großen Träumen, einmal vergeudete und dann vergaß. Vergaß ich denn, daß Himmel Hände reichen zu vielen Dingen und in das Gedränge? Sah ich nicht immer Großheit ohnegleichen im Aufstieg alter Parke vor den weichen erwartungsvollen Abenden,--in bleichen, aus fremden Mädchen steigenden Gesängen, die überfließen aus der Melodie und wirklich werden und als müßten sie sich spiegeln in den aufgetanen Teichen? Ich muß mich nur erinnern an das alles, was an Fontänen und an mir geschah, dann fühl ich auch die Last des Niederfalles, in welcher ich die Wasser wiedersah: und weiß von Zweigen, die sich abwärts wandten, von Stimmen, die mit kleiner Flamme brannten, von Teichen, welche nur die Uferkanten schwachsinnig und verschoben wiederholten, von Abendhimmeln, welche von verkohlten westlichen Wäldern ganz entfremdet traten, sich anders wölbten, dunkelten und taten, als wär das nicht die Welt, die sie gemeint.... Vergaß ich denn, daß Stern bei Stern versteint und sich verschließt gegen die Nachbargloben? Daß sich die Welten nur noch wie verweint im Raum erkennen?--Vielleicht sind wir oben, in Himmel andrer Wesen eingewoben, die zu uns aufschaun abends. Vielleicht loben uns ihre Dichter. Vielleicht beten viele zu uns empor. Vielleicht sind wir die Ziele von fremden Flüchen, die uns nie erreichen, Nachbaren eines Gottes, den sie meinen in unsrer Höhe, wenn sie einsam weinen, an den sie glauben und den sie verlieren, und dessen Bildnis, wie ein Schein aus ihren suchenden Lampen, flüchtig und verweht, über unsere zerstreuten Gesichter geht.... DER LESENDE Ich las schon lang. Seit dieser Nachmittag, mit Regen rauschend, an den Fenstern lag. Vom Winde draußen hörte ich nichts mehr: mein Buch war schwer. Ich sah ihm in die Blätter wie in Mienen, die dunkel werden von Nachdenklichkeit, und um mein Lesen staute sich die Zeit.-- Auf einmal sind die Seiten überschienen, und statt der bangen Wortverworrenheit steht: Abend, Abend ... überall auf ihnen; ich schau noch nicht hinaus, und doch zerreißen die langen Zeilen, und die Worte rollen von ihren Fäden fort, wohin sie wollen.... Da weiß ich es: über den übervollen glänzenden Gärten sind die Himmel weit; die Sonne hat noch einmal kommen sollen.-- Und jetzt wird Sommernacht, soweit man sieht: Zu wenig Gruppen stellt sich das Verstreute, dunkel auf langen Wegen gehn die Leute, und seltsam weit, als ob es mehr bedeute, hört man das Wenige, das noch geschieht. Und wenn ich jetzt vom Buch die Augen hebe, wird nichts befremdlich sein und alles groß. Dort draußen ist, was ich hier drinnen lebe, und hier und dort ist alles grenzenlos; nur daß ich mich noch mehr damit verwebe, wenn meine Blicke an die Dinge passen und an die ernste Einfachheit der Massen,-- da wächst die Erde über sich hinaus. Den ganzen Himmel scheint sie zu umfassen: der erste Stern ist wie das letzte Haus. DER SCHAUENDE Ich sehe den Bäumen die Stürme an, die aus laugewordenen Tagen an meine ängstlichen Fenster schlagen, und höre die Fernen Dinge sagen, die ich nicht ohne Freund ertragen, nicht ohne Schwester lieben kann. Da geht der Sturm, ein Umgestalter, geht durch den Wald und durch die Zeit, und alles ist wie ohne Alter: die Landschaft, wie ein Vers im Psalter, ist Ernst und Wucht und Ewigkeit. Wie ist das klein, womit wir ringen, was mit uns ringt, wie ist das groß; ließen wir, ähnlicher den Dingen, uns so vom großen Sturm bezwingen,-- wir würden weit und namenlos. Was wir besiegen, ist das Kleine, und der Erfolg selbst macht uns klein. Das Ewige und Ungemeine will nicht von uns gebogen sein. Das ist der Engel, der den Ringern des Alten Testaments erschien: Wenn seiner Widersacher Sehnen im Kampfe sich metallen dehnen, fühlt er sie unter seinen Fingern wie Saiten tiefer Melodien. Wen dieser Engel überwand, welcher so oft auf Kampf verzichtet, der geht gerecht und aufgerichtet und groß aus jener harten Hand, die sich, wie formend, an ihn schmiegte. Die Siege laden ihn nicht ein. Sein Wachstum ist: Der Tiefbesiegte von immer Größerem zu sein. AUS EINER STURMNACHT ACHT BLÄTTER MIT EINEM TITELBLATT TITELBLATT Die Nacht, vom wachsenden Sturme bewegt, wie wird sie auf einmal weit,-- als bliebe sie sonst zusammengelegt in die kleinlichen Falten der Zeit. Wo die Sterne ihr wehren, dort endet sie nicht und beginnt nicht mitten im Wald und nicht an meinem Angesicht und nicht mit deiner Gestalt. Die Lampen stammeln und wissen nicht: Lügen wir Licht? Ist die Nacht die einzige Wirklichkeit seit Jahrtausenden.... In solchen Nächten kannst du in den Gassen Zukünftigen begegnen, schmalen blassen Gesichtern, die dich nicht erkennen und dich schweigend vorüberlassen. Aber wenn sie zu reden begännen, wärst du ein Lange vergangener, wie du da stehst, langeverwest. Doch sie bleiben im Schweigen wie Tote, obwohl sie die Kommenden sind. Zukunft beginnt noch nicht. Sie halten nur ihr Gesicht in die Zeit und können, wie unter Wasser, nicht schauen; und ertragen sie's doch eine Weile, sehn sie wie unter den Wellen: die Eile von Fischen und das Tauchen von Tauen. In solchen Nächten gehn die Gefängnisse auf. Und durch die bösen Träume der Wächter gehn mit leisem Gelächter die Verächter ihrer Gewalt. Wald! Sie kommen zu dir, um in dir zu schlafen, mit ihren langen Strafen behangen. Wald! In solchen Nächten ist auf einmal Feuer in einer Oper. Wie ein Ungeheuer beginnt der Riesenraum mit seinen Rängen Tausende, die sich in ihm drängen, zu kauen. Männer und Frauen staun sich in den Gängen, und wie sich alle aneinander hängen, bricht das Gemäuer, und es reißt sie mit. Und niemand weiß mehr, wer ganz unten litt; während ihm einer schon das Herz zertritt, sind seine Ohren noch ganz voll von Klängen, die dazu hingehn.... In solchen Nächten, wie vor vielen Tagen, fangen die Herzen in den Sarkophagen vergangner Fürsten wieder an zu gehn: und so gewaltig drängt ihr Wiederschlagen gegen die Kapseln, welche widerstehn, daß sie die goldnen Schalen weitertragen durch Dunkel und Damaste, die zerfallen. Schwarz schwankt der Dom mit allen seinen Hallen. Die Glocken, die sich in die Türme krallen, hängen wie Vögel, bebend stehn die Türen, und an den Trägern zittert jedes Glied: als trügen seinen gründenden Granit blinde Schildkröten, die sich rühren. In solchen Nächten wissen die Unheilbaren: Wir waren.... Und sie denken unter den Kranken einen einfachen guten Gedanken weiter, dort, wo er abbrach. Doch von den Söhnen, die sie gelassen, geht der jüngste vielleicht in den einsamsten Gassen; denn gerade diese Nächte sind ihm, als ob er zum erstenmal dächte: Lange lag es über ihm bleiern, aber jetzt wird sich alles entschleiern,-- und: daß er das feiern wird, fühlt er.... In solchen Nächten sind alle die Städte gleich, alle beflaggt. Und an den Fahnen vom Sturm gepackt und wie an Haaren hinausgerissen in irgendein Land mit ungewissen Umrissen und Flüssen. In allen Gärten ist dann ein Teich, an jedem Teiche dasselbe Haus, in jedem Hause dasselbe Licht; und alle Menschen sehn ähnlich aus und halten die Hände vorm Gesicht. In solchen Nächten werden die Sterbenden klar, greifen sich leise ins wachsende Haar, dessen Halme aus ihres Schädels Schwäche in diesen langen Tagen treiben, als wollten sie über der Oberfläche des Todes bleiben. Ihre Gebärde geht durch das Haus, als wenn überall Spiegel hingen; und sie geben--mit diesem Graben in ihren Haaren--Kräfte aus, die sie in Jahren gesammelt haben, welche vergingen. In solchen Nächten wächst mein Schwesterlein, das vor mir war und vor mir starb, ganz klein. Viel solche Nächte waren schon seither: Sie muß schon schön sein. Bald wird irgendwer sie frein. DIE BLINDE _Der Fremde_: Du bist nicht bang, davon zu sprechen? _Die Blinde_: Nein. Es ist so ferne. Das war eine andre. Die damals sah, die laut und schauend lebte, die starb. _Der Fremde_: Und hatte einen schweren Tod? _Die Blinde_: Sterben ist Grausamkeit an Ahnungslosen. Stark muß man sein, sogar wenn Fremdes stirbt. _Der Fremde_: Sie war dir fremd? _Die Blinde_: --Oder: sie ists geworden. Der Tod entfremdet selbst dem Kind die Mutter.-- Doch es war schrecklich in den ersten Tagen. Am ganzen Leibe war ich wund. Die Welt, die in den Dingen blüht und reift, war mit den Wurzeln aus mir ausgerissen, mit meinem Herzen (schien mir), und ich lag wie aufgewühlte Erde offen da und trank den kalten Regen meiner Tränen, der aus den toten Augen unaufhörlich und leise strömte, wie aus leeren Himmeln, wenn Gott gestorben ist, die Wolken fallen. Und mein Gehör war groß und allem offen. Ich hörte Dinge, die nicht hörbar sind: die Zeit, die über meine Haare floß, die Stille, die in zarten Gläsern klang, und fühlte: nah bei meinen Händen ging der Atem einer großen weißen Rose. Und immer wieder dacht ich: Nacht und: Nacht und glaubte einen hellen Streif zu sehn, der wachsen würde wie ein Tag; und glaubte auf den Morgen zuzugehn, der längst in meinen Händen lag. Die Mutter weckt ich, wenn der Schlaf mir schwer hinunterfiel vom dunklen Gesicht, der Mutter rief ich: "Du, komm her! Mach Licht!" Und horchte. Lange, lange blieb es still, und meine Kissen fühlte ich verneinen,-- dann wars, als säh ich etwas scheinen: das war der Mutter wehes Weinen, an das ich nicht mehr denken will. Mach Licht! Mach Licht! Ich schrie es oft im Traum: Der Raum ist eingefallen. Nimm den Raum mir vom Gesicht und von der Brust. Du mußt ihn heben, hochheben, mußt ihn wieder den Sternen geben; ich kann nicht leben so, mit dem Himmel auf mir. Aber Sprech ich zu dir, Mutter? Oder zu wem denn? Wer ist denn dahinter? Wer ist denn hinter dem Vorhang?--Winter? Mutter: Sturm? Mutter: Nacht? Sag! Oder: Tag?... Tag! Ohne mich! Wie kann es denn ohne mich Tag sein? Fehl ich denn nirgends? Fragt denn niemand nach mir? Sind wir denn ganz vergessen? Wir?... Aber du bist ja dort; du hast ja noch alles, nicht? Um dein Gesicht sind noch alle Dinge bemüht, ihm wohlzutun. Wenn deine Augen ruhn und wenn sie noch so müd waren, sie können wieder steigen. ... Meine schweigen. Meine Blumen werden die Farbe verlieren. Meine Spiegel werden zufrieren. In meinen Büchern werden die Zeilen verwachsen. Meine Vögel werden in den Gassen herumflattern und sich an fremden Fenstern verwunden. Nichts ist mehr mit mir verbunden. Ich bin von allem verlassen.-- Ich bin eine Insel. _Der Fremde_: Und ich bin über das Meer gekommen. _Die Blinde_: Wie? Auf die Insel?... Hergekommen? _Der Fremde_: Ich bin noch im Kahne. Ich habe ihn leise angelegt-- an dich. Er ist bewegt: seine Fahne weht landein. _Die Blinde_: Ich bin eine Insel und allein. Ich bin reich.-- Zuerst, als die alten Wege noch waren in meinen Nerven, ausgefahren von vielem Gebrauch: da litt ich auch. Alles ging mir aus dem Herzen fort, ich wußte erst nicht wohin; aber dann fand ich sie alle dort, alle Gefühle, das, was ich bin, stand versammelt und drängte und schrie an den vermauerten Augen, die sich nicht rührten. Alle meine verführten Gefühle.... Ich weiß nicht, ob sie Jahre so standen, aber ich weiß von den Wochen, da sie alle zurückkamen gebrochen und niemanden erkannten. Dann wuchs der Weg zu den Augen zu. Ich weiß ihn nicht mehr. Jetzt geht alles in mir umher, sicher und sorglos; wie Genesende gehn die Gefühle, genießend das Gehn, durch meines Leibes dunkles Haus. Einige sind Lesende über Erinnerungen; aber die jungen sehn alle hinaus. Denn wo sie hintreten an meinen Rand, ist mein Gewand von Glas. Meine Stirne sieht, meine Hand las Gedichte in anderen Händen. Mein Fuß spricht mit den Steinen, die er betritt, meine Stimme nimmt jeder Vogel mit aus den täglichen Wänden. Ich muß nichts mehr entbehren jetzt, alle Farben sind übersetzt in Geräusch und Geruch. Und sie klingen unendlich schön als Töne. Was soll mir ein Buch? In den Bäumen blättert der Wind; und ich weiß, was dorten für Worte sind, und wiederhole sie manchmal leis. Und der Tod, der Augen wie Blumen bricht, findet meine Augen nicht.... _Der Fremde_ (leise): Ich weiß. REQUIEM CLARA WESTHOFF GEWIDMET Seit einer Stunde ist um ein Ding mehr auf Erden. Mehr um einen Kranz. Vor einer Weile war das leichtes Laub ... Ich wand's: und jetzt ist dieser Efeu seltsam schwer und so von Dunkel voll, als tränke er aus meinen Dingen zukünftige Nächte. Jetzt graut mir fast vor dieser nächsten Nacht, allein mit diesem Kranz, den ich gemacht, nicht ahnend, daß da etwas wird, wenn sich die Ranken ründen um den Reifen; ganz nur bedürftig, dieses zu begreifen: daß etwas nicht mehr sein kann. Wie verirrt in nie betretene Gedanken, darinnen wunderliche Dinge stehn, die ich schon einmal gesehen haben muß.... ... Flußabwärts treiben die Blumen, welche die Kinder gerissen haben im Spiel; aus den offenen Fingern fiel eine und eine, bis daß der Strauß nicht mehr zu erkennen war. Bis der Rest, den sie nach Haus gebracht, gerade gut zum Verbrennen war. Dann konnte man ja die ganze Nacht, wenn einen alle schlafen meinen, um die gebrochenen Blumen weinen. Gretel, von allem Anbeginn war dir bestimmt, sehr zeitig zu sterben, blond zu sterben. Lange schon, eh dir zu leben bestimmt war. Darum stellte der Herr eine Schwester vor dich und dann einen Bruder, damit vor dir wären zwei Nahe, zwei Reine, welche das Sterben dir zeigten, das deine: dein Sterben. Deine Geschwister wurden erfunden, nur, damit du dich dran, gewöhntest und dich an zweien Sterbestunden mit der dritten versöhntest, die dir seit Jahrtausenden droht. Für deinen Tod sind Leben erstanden; Hände, welche Blüten banden, Blicke, welche die Rosen rot und die Menschen mächtig empfanden, hat man gebildet und wieder vernichtet und hat zweimal das Sterben gedichtet, eh es, gegen dich selbst gerichtet, aus der verloschenen Bühne trat. ... Nahte es dir schrecklich, geliebte Gespielin? war es dein Feind? Hast du dich ihm ans Herz geweint? Hat es dich aus den heißen Kissen in die flackernde Nacht gerissen, in der niemand schlief im ganzen Haus...? Wie sah es aus? Du mußt es wissen.... Du bist dazu in die Heimat gereist. * * * * * Du weißt, wie die Mandeln blühn, und daß Seen blau sind. Viele Dinge, die nur im Gefühle der Frau sind, welche die erste Liebe erfuhr, weißt du. Dir flüsterte die Natur in des Südens spätdämmernden Tagen so unendliche Schönheit ein, wie sonst nur selige Lippen sie sagen seliger Menschen, die zu zwein eine Welt haben und eine Stimme-- leiser hast du das alles gespürt,-- (o wie hat das unendlich Grimme deine unendliche Demut berührt). Deine Briefe kamen von Süden, warm noch von Sonne, aber verwaist,-- endlich bist du selbst deinen müden bittenden Briefen nachgereist; denn du warst nicht gerne im Glänze, jede Farbe lag auf dir wie Schuld, und du lebtest in Ungeduld, denn du wußtest: Das ist nicht das Ganze. Leben ist nur ein Teil ... Wovon? Leben ist nur ein Ton ... Worin? Leben hat Sinn nur verbunden mit vielen Kreisen des weithin wachsenden Raumes,-- Leben ist so nur der Traum eines Traumes, aber Wachsein ist anderswo. So ließest du's los. Groß ließest du's los. Und wir kannten dich klein. Dein war so wenig: ein Lächeln, ein kleines, ein bißchen melancholisch schon immer, sehr sanftes Haar und ein kleines Zimmer, das dir seit dem Tode der Schwester weit war. Als ob alles andere nur dein Kleid war, so scheint es mir jetzt, du stilles Gespiel. Aber sehr viel warst du. Und wir wußten's manchmal, wenn du am Abend kamst in den Saal; wußten manchmal: jetzt müßte man beten; eine Menge ist eingetreten, eine Menge, welche dir nachgeht, weil du den Weg weißt. Und du hast ihn wissen gemußt und hast ihn gewußt gestern.... Jüngste der Schwestern. Sieh her, dieser Kranz ist so schwer. Und sie werden ihn auf dich legen, diesen schweren Kranz. Kann's dein Sarg aushalten? Wenn er bricht unter dem schwarzen Gewicht, kriecht in die Falten von deinem Kleid Efeu. Weit rankt er hinauf, rings rankt er dich um, und der Saft, der sich in seinen Ranken bewegt, regt dich auf mit seinem Geräusch; so keusch bist du. Aber du bist nicht mehr zu. Langgedehnt bist du und laß. Deines Leibes Türen sind angelehnt, und naß tritt der Efeu ein.... * * * * * Wie Reihn von Nonnen, die sich fuhren an schwarzem Seil, weil es dunkel ist in dir, du Bronnen. In den leeren Gängen deines Blutes drängen sie zu deinem Herzen; wo sonst deine sanften Schmerzen sich begegneten mit bleichen Freuden und Erinnerungen, wandeln sie wie im Gebet in das Herz, das, ganz verklungen, dunkel, allen offen steht. Aber dieser Kranz ist schwer nur im Licht, nur unter Lebenden, hier bei mir; und sein Gewicht ist nicht mehr, wenn ich ihn zu dir legen werde. Die Erde ist voller Gleichgewicht, deine Erde. Er ist schwer von meinen Augen, die daran hängen, schwer von den Gängen, die ich um ihn getan; Ängste aller, welche ihn sahn, haften daran. Nimm ihn zu dir, denn er ist dein, seit er ganz fertig ist. Nimm ihn von mir. Laß mich allein! Er ist wie ein Gast.... Fast schäm ich mich seiner. Hast du auch Furcht, Gretel? Du kannst nicht mehr gehn? Kannst nicht mehr bei mir in der Stube stehn? Tun dir die Füße weh? So bleib, wo jetzt alle beisammen sind, man wird ihn dir morgen bringen, mein Kind, durch die entlaubte Allee. Man wird ihn dir bringen, warte getrost,-- man bringt dir morgen noch mehr. Wenn es auch morgen tobt und tost, das schadet den Blumen nicht sehr. Man wird sie dir bringen. Du hast das Recht, sie sicher zu haben, mein Kind, und wenn sie auch morgen schwarz und schlecht und lange vergangen sind. Sei deshalb nicht bange. Du wirst nicht mehr unterscheiden, was steigt oder sinkt; die Farben sind zu, und die Töne sind leer, und du wirst auch gar nicht mehr wissen, wer dir alle die Blumen bringt. Jetzt weißt du das andre, das uns verstößt, sooft wir's im Dunkel erfaßt; von dem, was du sehntest, bist du erlöst zu etwas, was du hast. Unter uns warst du von kleiner Gestalt, vielleicht bist du jetzt ein erwachsener Wald mit Winden und Stimmen im Laub.-- Glaub mir, Gespiel, dir geschah nicht Gewalt: dein Tod war schon alt, als dein Leben begann; drum griff er es an, damit es ihn nicht überlebte. Schwebte etwas um mich? Trat Nachtwind herein? Ich bebte nicht. Ich bin stark und allein.-- Was hab ich heute geschafft? ... Efeulaub holt' ich am Abend und wand's und bog es zusammen, bis es ganz gehorchte. Noch glänzt es mit schwarzem Glanz. Und meine Kraft kreist in dem Kranz. SCHLUSSSTÜCK Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns. INHALT DES ERSTEN BUCHES ERSTER TEIL Eingang Aus einem April Mondnacht Ritter Mädchenmelancholie Von den Mädchen I II Das Lied der Bildsäule Der Wahnsinn Die Liebende Die Braut Die Stille Musik Die Engel Der Schutzengel Martyrinnen Die Heilige Kindheit Aus einer Kindheit Der Knabe Die Konfirmanden Das Abendmahl DES ERSTEN BUCHES ZWEITER TEIL Initiale Zum Einschlafen zu sagen Menschen bei Nacht Der Nachbar Pont du Carrousel Der Einsame Die Aschanti Der Letzte Bangnis Klage Einsamkeit Herbsttag Erinnerung Ende des Herbstes Herbst Am Rande der Nacht Gebet Fortschritt Vorgefühl Sturm Abend in Skåne Abend Ernste Stunde Strophen Sturmnacht DES ZWEITEN BUCHES ERSTER TEIL Initiale Verkündigung Die heiligen drei Könige In der Certosa Das Jüngste Gericht Karl der Zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine Der Sohn (und: So wurden wir verträumte Geiger) Die Zaren Der Sänger singt vor einem Fürstenkind Die aus dem Hause Colonna DES ZWEITEN BUCHES ZWEITER TEIL Fragmente aus verlorenen Tagen Die Stimmen Von den Fontänen Der Lesende Der Schauende Aus einer Sturmnacht Die Blinde Requiem Schlußstück End of Project Gutenberg's Das Buch der Bilder, by Rainer Maria Rilke *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS BUCH DER BILDER *** ***** This file should be named 34521-8.txt or 34521-8.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/3/4/5/2/34521/ Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email [email protected]. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director [email protected] Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. 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Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.