Auguste Rodin

By Rainer Maria Rilke

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Title: Auguste Rodin
       Mit 96 Vollbildern

Author: Rainer Maria Rilke

Release Date: May 4, 2014 [EBook #45579]

Language: German


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Auguste Rodin

von

Rainer Maria Rilke


Mit 96 Vollbildern


Im Insel-Verlag zu Leipzig

1920




ERSTER TEIL

(1903)




    DIE SCHRIFTSTELLER WIRKEN DURCH WORTE ...
    DIE BILDHAUER ABER DURCH TATEN.


               _POMPONIUS GAURICUS,_
                 "DE SCULPTURA." (UM 1504.)

    THE HERO IS HE WHO IS IMMOVABLY CENTRED.
                             _EMERSON._




Rodin war einsam vor seinem Ruhme. Und der Ruhm, der kam, hat ihn
vielleicht noch einsamer gemacht. Denn Ruhm ist schließlich nur der
Inbegriff aller Mißverständnisse, die sich um einen neuen Namen sammeln.

Es sind ihrer sehr viele um Rodin, und es wäre eine lange und mühsame
Aufgabe, sie aufzuklären. Es ist auch nicht nötig; sie stehen um den
Namen, nicht um das Werk, das weit über dieses Namens Klang und Rand
hinausgewachsen und namenlos geworden ist, wie eine Ebene namenlos ist,
oder ein Meer, das nur auf der Karte einen Namen hat, in den Büchern
und bei den Menschen, in Wirklichkeit aber nur Weite ist, Bewegung und
Tiefe.

Dieses Werk, von dem hier zu reden ist, ist gewachsen seit Jahren und
wächst an jedem Tage wie ein Wald und verliert keine Stunde. Man geht
unter seinen tausend Dingen umher, überwältigt von der Fülle der Funde
und Erfindungen, die es umfaßt, und man sieht sich unwillkürlich nach
den zwei Händen um, aus denen diese Welt erwachsen ist. Man erinnert
sich, wie klein Menschenhände sind, wie bald sie müde werden und
wie wenig Zeit ihnen gegeben ist, sich zu regen. Und man verlangt
die Hände zu sehen, die gelebt haben wie hundert Hände, wie ein Volk
von Händen, das vor Sonnenaufgang sich erhob zum weiten Wege dieses
Werkes, Man fragt nach dem, der diese Hände beherrscht. Wer ist dieser
Mann? Es ist ein Greis. Und sein Leben ist eines von denen, die sich
nicht erzählen lassen. Dieses Leben hat begonnen, und es geht, es
geht tief in ein großes Alter hinein, und es ist für uns, als ob es
vor vielen hundert Jahren vergangen wäre. Wir wissen nichts davon. Es
wird eine Kindheit gehabt haben, irgendeine, eine Kindheit in Armut,
dunkel, suchend und ungewiß. Und es hat diese Kindheit vielleicht
noch, denn--, sagt der heilige Augustinus einmal, wohin sollte sie
gegangen sein? Es hat vielleicht alle seine vergangenen Stunden, die
Stunden der Erwartung und der Verlassenheit, die Stunden des Zweifels
und die langen Stunden der Not, es ist ein Leben, das nichts verloren
und vergessen hat, ein Leben, das sich versammelte, da es verging.
Vielleicht, wir wissen nichts davon. Aber nur aus einem solchen Leben,
glauben wir, kann eines solchen Wirkens Fülle und Überfluß entstanden
sein, nur ein solches Leben, in dem alles gleichzeitig ist und wach und
nichts vergangen, kann jung und stark bleiben und sich immer wieder
zu hohen Werken erheben. Es wird vielleicht eine Zeit kommen, da man
diesem Leben seine Geschichte erfinden wird, seine Verwickelungen,
seine Episoden und Einzelheiten. Sie werden erfunden sein. Man wird
von einem Kinde erzählen, das oft zu essen vergaß, weil es ihm
wichtiger schien, mit einem schlechten Messer Dinge in geringes Holz
zu schneiden, und man wird in die Tage des jungen Menschen irgendeine
Begegnung setzen, die eine Verheißung zukünftiger Größe, eine von
jenen nachträglichen Prophezeiungen enthält, die so volkstümlich und
rührend sind. Es könnten ganz gut die Worte sein, die irgendein Mönch
vor fast fünfhundert Jahren dem jungen Michel Colombe gesagt haben
soll, diese Worte: "Travaille, petit, regarde tout ton saoul et le
clocher à jour de Saint-Pol, et les belles oeuvres des compaignons,
regarde, aime le bon Dieu, et tu auras la grâce des grandes choses."
"Und du wirst die Gnade der großen Dinge haben." Vielleicht hat ein
inneres Gefühl so, nur unendlich viel leiser als der Mund des Mönches,
zu dem jungen Menschen gesprochen an einem der Kreuzwege seines
Anbeginns. Denn gerade das suchte er: die Gnade der großen Dinge.
Da war das Louvre mit den vielen lichten Dingen der Antike, die an
südliche Himmel erinnerten und an die Nähe des Meeres, und dahinter
erhoben sich andere, schwere steinerne Dinge, aus undenklichen Kulturen
hinüberdauernd in noch nicht gekommene Zeiten. Da waren Steine, die
schliefen, und man fühlte, daß sie erwachen würden bei irgendeinem
Jüngsten Gericht, Steine, an denen nichts Sterbliches war, und andere,
die eine Bewegung trugen, eine Gebärde, die so frisch geblieben war,
als sollte sie hier nur aufbewahrt und eines Tages irgendeinem Kinde
gegeben werden, das vorüberkam. Und nicht allein in den berühmten
Werken und den weithin sichtbaren war dieses Lebendigsein; das
Unbeachtete, Kleine, das Namenlose und Überzählige war nicht weniger
erfüllt von dieser tiefen, innerlichen Erregtheit, von dieser reichen
und überraschenden Unruhe des Lebendigen. Auch die Stille, wo Stille
war, bestand aus hundert und hundert Bewegungsmomenten, die sich im
Gleichgewicht hielten. Es gab kleine Figuren da, Tiere besonders, die
sich bewegten, streckten oder zusammenzogen, und wenn ein Vogel saß,
so wußte man doch, daß es ein Vogel war, ein Himmel wuchs aus ihm
heraus und blieb um ihn stehen, eine Weite war zusammengefaltet auf
jede seiner Federn gelegt, und man konnte sie aufspannen und ganz groß
machen. Und ganz ähnlich war es mit den Tieren, die auf den Kathedralen
standen und saßen oder unter den Konsolen kauerten, verkümmert und
gekrümmt und zu träge zum Tragen. Da waren Hunde und Eichhörnchen,
Spechte und Eidechsen, Schildkröten, Ratten und Schlangen. Wenigstens
eines von jeder Art. Diese Tiere schienen draußen eingefangen worden zu
sein in den Wäldern und auf den Wegen, und der Zwang, unter steinernen
Ranken, Blumen und Blättern zu leben, mußte sie selbst langsam
verwandelt haben zu dem, was sie nun waren und immer bleiben sollten.
Aber es fanden sich auch Tiere, die schon in dieser versteinerten
Umgebung geboren waren, ohne Erinnerung an ein anderes Dasein. Sie
waren schon ganz die Bewohner dieser aufrechten, ragenden, steil
steigenden Welt. Unter ihrer fanatischen Magerkeit standen spitzbogige
Skelette. Ihre Münder waren weit und schreiend wie bei Tauben, denn
die Nähe der Glocken hatte ihr Gehör zerstört. Sie trugen nicht, sie
streckten sich und halfen so den Steinen steigen. Die Vogelhaften
hockten oben auf den Balustraden, als wären sie eigentlich unterwegs
und wollten nur ein paar Jahrhunderte lang ausruhen und hinunterstarren
auf die wachsende Stadt. Andere, die von Hunden abstammten, stemmten
sich wagerecht vom Rand der Traufen in die Luft, bereit, das Wasser
der Regen aus ihren vom Speien angeschwollenen Rachen zu werfen. Alle
hatten sich umgebildet und angepaßt, aber sie hatten nichts an Leben
verloren, im Gegenteil, sie lebten stärker und heftiger, lebten für
ewig das inbrünstige und ungestüme Leben jener Zeit, die sie hatte
erstehen lassen.

Und wer diese Gebilde sah, der empfand, daß sie nicht aus einer Laune
geboren waren, nicht aus einem spielerischen Versuch, neue, unerhörte
Formen zu finden. Die Not hatte sie geschaffen. Aus der Angst vor
den unsichtbaren Gerichten eines schweren Glaubens hatte man sich zu
diesem Sichtbaren gerettet, vor dem Ungewissen flüchtete man zu dieser
Verwirklichung. Noch suchte man sie in Gott, nicht mehr, indem man ihm
Bilder erfand und versuchte, sich den Vielzufernen vorzustellen: indem
man alle Angst und Armut, alles Bangsein und die Gebärden der Geringen
in sein Haus trug, in seine Hand legte, auf sein Herz stellte, war
man tromm. Das war besser als malen; denn die Malerei war auch eine
Täuschung, ein schöner und geschickter Betrug; man sehnte sich nach
Wirklicherem und Einfachem. So entstand die seltsame Skulptur der
Kathedralen, dieser Kreuzzug der Beladenen und der Tiere.

Und wenn man von der Plastik des Mittelalters zurücksah zur Antike und
wieder über die Antike hinaus in den Anfang unsagbarer Vergangenheiten,
schien es da nicht, als verlangte die menschliche Seele immer wieder an
lichten oder bangen Wendepunkten nach dieser Kunst, die mehr gibt als
Wort und Bild, mehr als Gleichnis und Schein: nach dieser schlichten
Dingwerdung ihrer Sehnsüchte oder Ängste? Zuletzt in der Renaissance
gab es eine große plastische Kunst; damals, als das Leben sich erneut
hatte, als man das Geheimnis der Gesichter fand und die große Gebärde,
die im Wachsen war.

Und jetzt? War nicht wieder eine Zeit gekommen, die nach diesem
Ausdruck drängte, nach dieser starken und eindringlichen Auslegung
dessen, was in ihr unsagbar war, wirr und rätselhaft? Die Künste hatten
sich irgendwie erneut, Eifer und Erwartung erfüllte und belebte sie;
aber vielleicht sollte gerade diese Kunst, die Plastik, die noch in der
Furcht einer großen Vergangenheit zögerte, berufen sein, zu finden,
wonach die anderen tastend und sehnsüchtig suchten? Sie mußte einer
Zeit helfen können, deren Qual es war, daß fast alle ihre Konflikte
im Unsichtbaren lagen. Ihre Sprache war der Körper. Und diesen Körper,
wann hatte man ihn zuletzt gesehen? Schichte um Schichte hatten
sich die Trachten darüber gelegt, wie ein immer erneuter Anstrich,
aber unter dem Schutz dieser Krusten hatte die wachsende Seele ihn
verändert, während sie atemlos an den Gesichtern arbeitete. Er war ein
anderer geworden. Wenn man ihn jetzt aufdeckte, vielleicht enthielt
er tausend Ausdrücke für alles Namenlose und Neue, das inzwischen
entstanden war, und für jene alten Geheimnisse, die, aufgestiegen aus
dem Unbewußten, wie fremde Flußgötter ihre triefenden Gesichter aus dem
Rauschen des Blutes hoben. Und dieser Körper konnte nicht weniger schön
sein als der der Antike, er mußte von noch größerer Schönheit sein.
Zwei Jahrtausende länger hatte das Leben ihn in den Händen behalten
und hatte an ihm gearbeitet, gehorcht und gehämmert Tag und Nacht. Die
Malerei träumte von diesem Körper, sie schmückte ihn mit Licht und
durchdrang ihn mit Dämmerung, sie umgab ihn mit aller Zärtlichkeit und
allem Entzücken, sie befühlte ihn wie ein Blumenblatt und ließ sich
tragen von ihm wie von einer Welle--aber die Plastik, der er gehörte,
kannte ihn noch nicht.

Hier war eine Aufgabe, groß wie die Welt. Und der vor ihr stand und sie
sah, war ein Unbekannter, dessen Hände nach Brot gingen, in Dunkelheit.
Er war ganz allein, und wenn er ein richtiger Träumer gewesen wäre, so
hätte er einen schönen und tiefen Traum träumen dürfen, einen Traum,
den niemand verstanden hätte, einen von jenen langen, langen Träumen,
über denen ein Leben hingehen kann wie ein Tag. Aber dieser junge
Mensch, der in der Manufaktur von Sèvres seinen Verdienst hatte, war
ein Träumer, dem der Traum in die Hände stieg, und er begann gleich mit
seiner Verwirklichung. Er fühlte, wo man anfangen mußte; eine Ruhe, die
in ihm war, zeigte ihm den weisen Weg. An dieser Stelle offenbart sich
schon Rodins tiefe Übereinstimmung mit der Natur, von der der Dichter
Georges Rodenbach, der ihn geradezu eine Naturkraft nennt, so schöne
Worte zu sagen wußte. Und in der Tat, es ist eine dunkle Geduld in
Rodin, die ihn beinahe namenlos macht, eine stille, überlegene Langmut,
etwas von der großen Geduld und Güte der Natur, die mit einem Nichts
beginnt, um still und ernst den weiten Weg zum Überfluß zu gehen. Auch
Rodin vermaß sich nicht, Bäume machen zu wollen. Er fing mit dem Keim
an, unter der Erde gleichsam. Und dieser Keim wuchs nach unten, senkte
Wurzel um Wurzel abwärts, verankerte sich, ehe er anfing, einen kleinen
Trieb nach oben zu tun. Das brauchte Zeit und Zeit. "Man muß sich nicht
eilen", sagte Rodin den wenigen Freunden, die um ihn waren, wenn sie
ihn drängten.

Damals kam der Krieg, und Rodin ging nach Brüssel und arbeitete,
wie der Tag es befahl. Er führte einige Figuren an Privathäusern aus
und mehrere von den Gruppen auf dem Börsengebäude und schuf die vier
großen Eckfiguren bei dem Denkmal des Bürgermeisters Loos im Parc
d'Anvers. Das waren Aufträge, die er gewissenhaft ausführte, ohne seine
wachsende Persönlichkeit zu Worte kommen zu lassen. Seine eigentliche
Entwickelung ging nebenher, zusammengedrängt in die Pausen, in die
Abendstunden, ausgebreitet in der einsamen Stille der Nächte, vor sich,
und er mußte diese Teilung seiner Energie jahrelang ertragen. Er besaß
die Kraft derjenigen, auf die ein großes Werk wartet, die schweigsame
Ausdauer derer, die notwendig sind.

Während er an der Börse von Brüssel beschäftigt war, mochte er fühlen,
daß es keine Gebäude mehr gab, die die Werke der Skulptur um sich
versammelten, wie es die Kathedralen getan hatten, diese großen Magnete
der Plastik einer vergangenen Zeit. Das Bildwerk war allein, wie das
Bild allein war, das Staffelei-Bild, aber es bedurfte ja auch keiner
Wand wie dieses. Es brauchte nicht einmal ein Dach. Es war ein Ding,
das für sich allein bestehen konnte, und es war gut, ihm ganz das Wesen
eines Dinges zu geben, um das man herumgehen und das man von allen
Seiten betrachten konnte. Und doch mußte es sich irgendwie von den
anderen Dingen unterscheiden, den gewöhnlichen Dingen, denen jeder
ins Gesicht greifen konnte. Es mußte irgendwie unantastbar werden,
sakrosankt, getrennt vom Zufall und von der Zeit, in der es einsam und
wunderbar wie das Gesicht eines Hellsehers aufstand. Es mußte seinen
eigenen, sicheren Platz erhalten, an den nicht Willkür es gestellt
hatte, und es mußte eingeschaltet werden in die stille Dauer des Raumes
und in seine großen Gesetze. In die Luft, die es umgab, mußte man es
wie in eine Nische hineinpassen und ihm so eine Sicherheit geben, einen
Halt und eine Hoheit, die aus seinem einfachen Dasein, nicht aus seiner
Bedeutung kam.

Rodin wußte, daß es zunächst auf eine unfehlbare Kenntnis des
menschlichen Körpers ankam. Langsam, forschend war er bis zu seiner
Oberfläche vorgeschritten, und nun streckte sich von außen eine Hand
entgegen, welche diese Oberfläche von der anderen Seite ebenso genau
bestimmte und begrenzte, wie sie es von innen war. Je weiter er ging
auf seinem entlegenen Wege, desto mehr blieb der Zufall zurück, und
ein Gesetz führte ihn dem anderen zu. Und schließlich war es diese
Oberfläche, auf die seine Forschung sich wandte. Sie bestand aus
unendlich vielen Begegnungen des Lichtes mit dem Dinge, und es zeigte
sich, daß jede dieser Begegnungen anders war und jede merkwürdig. An
dieser Stelle schienen sie einander aufzunehmen, an jener sich zögernd
zu begrüßen, an einer dritten fremd aneinander vorbeizugehen; und es
gab Stellen ohne Ende und keine, auf der nicht etwas geschah. Es gab
keine Leere.

In diesem Augenblick hatte Rodin das Grundelement seiner Kunst
entdeckt, gleichsam die Zelle seiner Welt, Das war die Fläche, diese
verschieden große, verschieden betonte, genau bestimmte Fläche, aus
der alles gemacht werden mußte. Von da ab war sie der Stoff seiner
Kunst, das, worum er sich mühte, wofür erwachte und litt. Seine Kunst
baute sich nicht auf eine große Idee auf, sondern auf eine kleine
gewissenhafte Verwirklichung, auf das Erreichbare, auf ein Können.
Es war kein Hochmut in ihm. Er schloß sich an diese unscheinbare und
schwere Schönheit an, an die, die er noch überschauen, rufen und
richten konnte. Die andere, die große, mußte kommen, wenn alles fertig
war, so wie die Tiere zur Tränke kommen, wenn die Nacht sich vollendet
hat und nichts Fremdes mehr an dem Walde haftet.

Mit dieser Entdeckung begann Rodins eigenste Arbeit. Nun erst waren
alle die herkömmlichen Begriffe der Plastik für ihn wertlos geworden.
Es gab weder Pose, noch Gruppe, noch Komposition. Es gab nur unzählbar
viele lebendige Flächen, es gab nur Leben, und das Ausdrucksmittel,
das er sich gefunden hatte, ging gerade auf dieses Leben zu. Nun hieß
es, seiner und seiner Fülle mächtig zu werden. Rodin erfaßte das
Leben, das überall war, wohin er sah. Er erfaßte es an den kleinsten
Stellen, er beobachtete es, er ging ihm nach. Er erwartete es an den
Übergängen, wo es zögerte, er holte es ein, wo es lief, und er fand
es an allen Orten gleich groß, gleich mächtig und hinreißend. Da war
kein Teil des Körpers unbedeutend oder gering: er lebte. Das Leben,
das in den Gesichtern wie auf Zifferblättern stand, leicht ablesbar
und voll Bezug auf die Zeit,--in den Körpern war es zerstreuter,
größer, geheimnisvoller und ewiger. Hier verstellte es sich nicht, hier
ging es nachlässig, wo es nachlässig war, und stolz bei den Stolzen;
zurücktretend von der Bühne des Angesichtes, hatte es die Maske
abgenommen und stand, wie es war, hinter den Kulissen der Kleider.
Hier fand er die Welt seiner Zeit, wie er jene des Mittelalters an
den Kathedralen erkannt hatte: versammelt um ein geheimnisvolles
Dunkel, zusammengehalten von einem Organismus, an ihn angepaßt und
ihm dienstbar gemacht. Der Mensch war zur Kirche geworden, und es
gab tausend und tausend Kirchen, keine der anderen gleich und jede
lebendig. Aber es galt zu zeigen, daß sie alle eines Gottes waren.

Jahre und Jahre ging Rodin auf den Wegen dieses Lebens als ein
Lernender und Demütiger, der sich als Anfänger fühlte. Niemand wußte
von seinen Versuchen, er hatte keinen Vertrauten und wenig Freunde.
Hinter der Arbeit, die ihn nährte, verbarg sich sein werdendes Werk und
erwartete seine Zeit. Er las viel. Man war gewohnt, ihn in Brüssels
Straßen immer mit einem Buche in der Hand zu sehen, aber vielleicht
war dieses Buch oft nur ein Vorwand für das Vertieftsein in sich
selbst, in die ungeheuere Aufgabe, die ihm bevorstand. Wie allen
Tätigen war auch ihm das Gefühl, eine unabsehbare Arbeit vor sich zu
haben, ein Antrieb, etwas, was seine Kräfte vermehrte und versammelte.
Und kamen Zweifel, kamen Ungewißheiten, kam die große Ungeduld der
Werdenden zu ihm, die Furcht eines frühen Todes oder die Drohung
der täglichen Not, so fand das alles in ihm schon einen stillen,
aufrechten Widerstand, einen Trotz, eine Stärke und Zuversicht, alle
die noch nicht entfalteten Fahnen eines großen Sieges. Vielleicht war
es die Vergangenheit, die in solchen Momenten auf seine Seite trat,
die Stimme der Kathedralen, die er immer wieder hören ging. Auch aus
den Büchern kam vieles, was ihm zustimmte. Er las zum ersten Male
Dantes Divina Commedia. Es war eine Offenbarung. Er sah die leidenden
Leiber eines anderen Geschlechtes vor sich, sah, über alle Tage fort
ein Jahrhundert, dem die Kleider abgerissen waren, sah das große und
unvergeßliche Gericht eines Dichters über seine Zeit. Da waren Bilder,
die ihm recht gaben, und wenn er von den weinenden Füßen Nikolaus' des
Dritten las, so wußte er schon, daß es weinende Füße gab, daß es ein
Weinen gab, das überall war, über einem ganzen Menschen, und Tränen,
die aus allen Poren traten. Und von Dante kam er zu Baudelaire. Hier
war kein Gericht, kein Dichter, der an der Hand eines Schattens zu
den Himmeln stieg, ein Mensch, einer von den Leidenden hatte seine
Stimme erhoben und hielt sie hoch über die Häupter der anderen empor,
wie um sie zu retten vor einem Untergang. Und in diesen Versen gab
es Stellen, die heraustraten aus der Schrift, die nicht geschrieben,
sondern geformt schienen, Worte und Gruppen von Worten, die geschmolzen
waren in den heißen Händen des Dichters, Zeilen, die sich wie Reliefs
anfühlten, und Sonette, die wie Säulen mit verworrenen Kapitalen die
Last eines bangen Gedankens trugen. Er fühlte dunkel, daß diese Kunst,
wo sie jäh aufhörte, an den Anfang einer anderen stieß, und daß sie
sich nach dieser anderen gesehnt hatte; er fühlte in Baudelaire einen,
der ihm vorangegangen war, einen, der sich nicht von den Gesichtern
hatte beirren lassen und der nach den Leibern suchte, in denen das
Leben größer war, grausamer und ruheloser.

Seit jenen Tagen blieben diese beiden Dichter ihm immer nah, er dachte
über sie hinaus und kehrte zu ihnen zurück. In jener Zeit, wo seine
Kunst sich formte und vorbereitete, wo alles Leben, das sie lernte,
namenlos war und nichts bedeutete, gingen Rodins Gedanken in den
Büchern der Dichter umher und holten sich dort eine Vergangenheit.
Später, als er als Schaffender diese Stoffkreise wieder berührte, da
stiegen ihre Gestalten wie Erinnerungen aus seinem eigenen Leben, weh
und wirklich, in ihm auf und gingen in sein Werk wie in eine Heimat
ein. Endlich, nach Jahren einsamer Arbeit, machte er den Versuch, mit
einem Werke hervorzutreten. Es war eine Frage an die Öffentlichkeit.
Die Öffentlichkeit antwortete verneinend. Und Rodin verschloß sich
abermals für dreizehn Jahre. Es waren die Jahre, in denen er, immer
noch als Unbekannter, zum Meister ausreifte, zum unumschränkten
Beherrscher seiner eigenen Mittel, immerfort arbeitend, denkend,
versuchend, unbeeinflußt von der Zeit, die an ihm nicht teilnahm.
Vielleicht gab ihm der Umstand, daß seine ganze Entwickelung in dieser
ungestörten Stille vor sich gegangen war, später, als man um ihn
stritt, als man seinem Werk widersprach, jene gewaltige Sicherheit.
Da, als man anfing, an ihm zu zweifeln, hatte er keinen Zweifel mehr
an sich selbst. Das alles lag hinter ihm. Nicht mehr von dem Zuruf und
dem Urteil der Menge hing sein Schicksal ab, es war schon entschieden,
als man meinte, es mit Spott und Feindseligkeit vernichten zu können.
In der Zeit, als er wurde, klang keine fremde Stimme zu ihm, kein Lob,
das ihn hätte irremachen, kein Tadel, der ihn hätte verwirren können.
Wie Parzival heranwächst, so wuchs sein Werk in Reinheit heran, allein
mit sich und mit einer großen ewigen Natur. Nur seine Arbeit sprach zu
ihm. Sie sprach zu ihm des Morgens beim Erwachen, und des Abends klang
sie lange in seinen Händen nach wie in einem fortgelegten Instrumente.
Darum war sein Werk so unüberwindlich: weil es erwachsen zur Welt kam;
nicht mehr als werdendes erschien es, das um seine Berechtigung bat,
sondern als Wirklichkeit, die sich durchgesetzt hat, die da ist, mit
der man rechnen muß. Wie ein König, der hört, daß in seinem Reiche eine
Stadt gebaut werden soll, überlegt, ob es gut sei, das Privileg zu
gewähren, zögert und endlich aufbricht, die Stelle zu besehen; er kommt
hin und findet eine große gewaltige Stadt, die fertig ist, steht, steht
wie von Ewigkeit her mit Mauern, Türmen und Toren: so kam die Menge,
als man sie schließlich rief, zu dem Werke Rodins, das fertig war.

Diese Periode des Reifwerdens ist begrenzt durch zwei Werke. An ihrem
Anfang steht der Kopf des _Mannes mit der gebrochenen Nase_, an ihrem
Ende die Gestalt des jungen Mannes, des _Mannes der ersten Zeiten_, wie
Rodin ihn genannt hat. Der _Homme au nez cassé_ wurde im Jahre 1864 vom
"Salon" zurückgewiesen. Man begreift das sehr gut, denn man fühlt, daß
in diesem Werke Rodins Art schon ganz ausgereift war, ganz vollendet
und sicher; mit der Rücksichtslosigkeit eines großen Bekenntnisses
widersprach es den Anforderungen der akademischen Schönheit, die noch
immer die allein herrschende war. Umsonst hatte Rude seiner Göttin des
Aufruhrs auf dem Triumphtor der place de l'Etoile die wilde Gebärde
gegeben und den weiten Schrei, umsonst hatte Barye seine geschmeidigen
Tiere geschaffen, und den "Tanz" Carpeaux' hatte man nur verhöhnt, um
sich schließlich so weit an ihn zu gewöhnen, daß man ihn nicht mehr
sah. Es war alles beim alten geblieben. Die Plastik, die betrieben
wurde, war immer noch die der Modelle, der Posen und der Allegorien,
das leichte, billige und gemächliche Metier, das mit der mehr oder
weniger geschickten Wiederholung von einigen sanktionierten Gebärden
auskam. In dieser Umgebung hätte schon der Kopf des _Mannes mit der
gebrochenen Nase_ jenen Sturm erregen müssen, der erst bei späteren
Werken Rodins losbrach. Aber wahrscheinlich hat man ihn, als die Arbeit
eines Unbekannten, fast unbesehen wieder zurückgeschickt.

Man fühlt, was Rodin anregte, diesen Kopf zu formen, den Kopf eines
alternden, häßlichen Mannes, dessen gebrochene Nase den gequälten
Ausdruck des Gesichtes noch verstärken half; es war die Fülle von
Leben, die in diesen Zügen versammelt war; es war der Umstand, daß es
auf diesem Gesichte gar keine symmetrischen Flächen gab, daß nichts
sich wiederholte, daß keine Stelle leer geblieben war, stumm oder
gleichgültig. Dieses Gesicht war nicht vom Leben berührt worden, es
war um und um davon angetan, als hätte eine unerbittliche Hand es in
das Schicksal hineingehalten, wie in die Wirbel eines waschenden,
nagenden Wassers. Wenn man diese Maske in Händen hält und dreht, ist
man überrascht über den fortwährenden Wechsel der Profile, von denen
keines zufällig ist, ratend oder unbestimmt. Es gibt an diesem Kopf
keine Linie, keine Überschneidung, keinen Kontur, den Rodin nicht
gesehen und gewollt hat. Man glaubt zu fühlen, wie einige von diesen
Furchen früher kamen, andere später, wie zwischen dem und jenem Riß,
der durch die Züge geht, Jahre liegen, bange Jahre, man weiß, daß von
den Zeichen dieses Gesichtes einige langsam eingeschrieben wurden,
gleichsam zögernd, daß andere erst leise vorgezeichnet waren und von
einer Gewohnheit oder einem Gedanken, der immer wieder kam, nachgezogen
wurden, und man erkennt jene scharfen Scharten, die in einer Nacht
entstanden sein mußten, wie vom Schnabel eines Vogels hineingehackt in
die überwache Stirne eines Schlaflosen. Man muß sich mühsam erinnern,
daß alles das auf dem Räume eines Gesichtes steht, so viel schweres,
namenloses Leben erhebt sich aus diesem Werke. Legt man die Maske vor
sich nieder, so meint man auf der Höhe eines Turmes zu stehen und auf
ein unebenes Land herabzusehen, über dessen wirre Wege viele Völker
gezogen sind. Und hebt man sie wieder auf, so hält man ein Ding, das
man schön nennen muß um seiner Vollendung willen. Aber nicht aus der
unvergleichlichen Durchbildung allein ergibt sich diese Schönheit. Sie
entsteht aus der Empfindung des Gleichgewichts, des Ausgleichs aller
dieser bewegten Flächen untereinander, aus der Erkenntnis dessen,
daß alle diese Erregungsmomente in dem Dinge selbst ausschwingen und
zu Ende gehen. War man eben noch ergriffen von der vielstimmigen
Qual dieses Angesichtes, so fühlt man gleich darauf, daß keine
Anklage davon ausgeht. Es wendet sich nicht an die Welt; es scheint
seine Gerechtigkeit in sich zu tragen, die Aussöhnung aller seiner
Widersprüche und eine Geduld, groß genug für alle seine Schwere.

Als Rodin diese Maske schuf, hatte er einen ruhig sitzenden Menschen
vor sich und ein ruhiges Gesicht. Aber es war das Gesicht eines
Lebendigen, und als er es durchforschte, da zeigte sich, daß es voll
von Bewegung war, voll von Unruhe und Wellenschlag. In dem Verlauf
der Linien war Bewegung, Bewegung war in der Neigung der Flächen,
die Schatten rührten sich wie im Schlafe, und leise schien das Licht
an der Stirne vorbeizugehen. Es gab also keine Ruhe, nicht einmal im
Tode; denn mit dem Verfall, der auch Bewegung ist, war selbst das
Tote dem Leben noch untergeordnet. Es gab nur Bewegung in der Natur;
und eine Kunst, die eine gewissenhafte und gläubige Auslegung des
Lebens geben wollte, durfte nicht jene Ruhe, die es nirgends gab,
zu ihrem Ideale machen. In Wirklichkeit hat auch die Antike nichts
von einem solchen Ideal gewußt. Man mußte nur an die Nike denken.
Diese Skulptur hat uns nicht nur die Bewegung eines schönen Mädchens
überliefert, das seinem Geliebten entgegengeht, sie ist zugleich ein
ewiges Bildnis griechischen Windes, seiner Weite und Herrlichkeit.
Und sogar die Steine älterer Kulturen waren nicht ruhig. In die
hieratisch verhaltene Gebärde uralter Kulte war die Unruhe lebendiger
Flächen eingeschlossen, wie Wasser in die Wände des Gefäßes. Es waren
Strömungen in den verschlossenen Göttern, welche saßen, und in den
stehenden war eine Gebärde, die wie eine Fontäne aus dem Steine stieg
und wieder in denselben zurückfiel, ihn mit vielen Wellen erfüllend.
Nicht die Bewegung war es, die dem Sinne der Skulptur (und das heißt
einfach dem Wesen des Dinges) widerstrebte; es war nur die Bewegung,
die nicht zu Ende geht, die nicht von anderen im Gleichgewicht gehalten
wird, die hinausweist über die Grenzen des Dinges. Das plastische Ding
gleicht jenen Städten der alten Zeit, die ganz in ihren Mauern lebten:
die Bewohner hielten deshalb nicht ihren Atem an, und die Gebärden
ihres Lebens brachen nicht ab. Aber nichts drang über die Grenzen
des Kreises, der sie umgab, nichts war jenseits davon, nichts zeigte
aus den Toren hinaus, und keine Erwartung war offen nach außen. Wie
groß auch die Bewegung eines Bildwerkes sein mag, sie muß, und sei es
aus unendlichen Weiten, sei es aus der Tiefe des Himmels, sie muß zu
ihm zurückkehren, der große Kreis muß sich schließen, der Kreis der
Einsamkeit, in der ein Kunst-Ding seine Tage verbringt. Da war das
Gesetz, welches, ungeschrieben, lebte in den Skulpturen vergangener
Zeiten. Rodin erkannte es. Was die Dinge auszeichnet, dieses
Ganz-mit-sich-Beschäftigtsein, das war es, was einer Plastik ihre Ruhe
gab; sie durfte nichts von außen verlangen oder erwarten, sich auf
nichts beziehen, was draußen lag, nichts sehen, was nicht in ihr war.
Ihre Umgebung mußte in ihr liegen. Es war der Bildhauer Lionardo, der
der Gioconda die Unnahbarkeit gegeben hat, diese Bewegung, die nach
innen geht, dieses Schauen, dem man nicht begegnen kann. Wahrscheinlich
wird sein Francesco Sforza ebenso gewesen sein, von einer Gebärde
bewegt, die, gleich einem stolzen Gesandten seines Staates nach
vollbrachtem Auftrag, zu ihm zurückkehrte.

In den langen Jahren, die zwischen der Maske des _Homme au nez cassé_
und jener Figur des _Mannes der ersten Zeiten_ vergingen, vollzogen
sich viele stille Entwickelungen in Rodin. Neue Beziehungen verbanden
ihn fester mit der Vergangenheit seiner Kunst. Diese Vergangenheit
und ihre Größe, an der so viele wie an einer Last getragen hatten,
ihm wurde sie der Flügel, der ihn trug. Denn wenn er in jener Zeit je
eine Zustimmung empfangen hat, eine Bestärkung dessen, was er wollte
und suchte, so kam sie von den Dingen der Antike und aus dem faltigen
Dunkel der Kathedralen. Menschen redeten nicht zu ihm. Steine sprachen.

Der _Homme au nez cassé_ hatte geoffenbart, wie Rodin den Weg durch
ein Gesicht zu gehen wußte, der _Mann der ersten Zeiten_ bewies
seine unumschränkte Herrschaft über den Körper. "Souverain tailleur
d'ymaiges", dieser Titel, den die Meister des Mittelalters einander in
neidloser ernster Wertung gaben, kam ihm zu. Hier war ein lebensgroßer
Akt, auf dessen allen Stellen das Leben nicht nur gleich mächtig war,
es schien auch überall zur Höhe desselben Ausdrucks erhoben zu sein.
Was im Gesichte stand, dieselbe Schmerzhaftigkeit eines schweren
Erwachens und zugleich diese Sehnsucht nach dem Schweren, war auf dem
kleinsten Teil dieses Körpers geschrieben; jede Stelle war ein Mund,
der es sagte, in seiner Art. Das strengste Auge konnte an dieser Figur
keinen Platz entdecken, der weniger lebendig, weniger bestimmt und
klar gewesen wäre. Es war, als stiege in die Adern dieses Mannes Kraft
aus den Tiefen der Erde. Das war die Silhouette eines Baumes, der die
Märzstürme noch vor sich hat und bange ist, weil die Frucht und Fülle
seines Sommers nicht mehr in den Wurzeln wohnt, sondern schon, langsam
steigend, im Stamme steht, um den die großen Winde jagen werden.

Diese Gestalt ist auch noch in anderem Sinne bedeutsam. Sie bezeichnet
im Werke Rodins die Geburt der Gebärde. Jene Gebärde, die wuchs und
sich allmählich zu solcher Größe und Gewalt entwickelte, hier entsprang
sie wie eine Quelle, welche leise an diesem Leibe niederrann. Sie
erwachte im Dunkel der ersten Zeiten, und sie scheint, in ihrem
Wachsen, durch die Weite dieses Werkes wie durch alle Jahrtausende
zu gehen, weit über uns hinaus zu denen, die kommen werden. Zögernd
entfaltet sie sich in den erhobenen Armen; und diese Arme sind noch so
schwer, daß die Hand des einen schon wieder ausruht auf der Höhe des
Hauptes. Aber sie schläft nicht mehr, sie sammelt sich; ganz hoch oben
auf dem Gipfel des Gehirnes, wo es einsam ist, bereitet sie sich vor
auf die Arbeit, auf die Arbeit der Jahrhunderte, die nicht Absehn noch
Ende hat. Und in dem rechten Fuße steht wartend ein erster Schritt.

Man könnte von dieser Gebärde sagen, daß sie wie in einer harten Knospe
eingeschlossen ruht. Eines Gedankens Glut und ein Sturm im Willen:
sie öffnet sich, und es entsteht jener _Johannes_ mit den redenden,
erregten Armen, mit dem großen Gehen dessen, der einen anderen hinter
sich kommen fühlt. Der Körper dieses Mannes ist nicht mehr unerprobt:
die Wüsten haben ihn durchglüht, der Hunger hat ihm weh getan, und
alle Dürste haben ihn geprüft. Er hat bestanden und ist hart geworden.
Sein hagerer Asketenleib ist wie ein Holzgriff, in dem die weite Gabel
seines Schrittes steckt. Er geht. Er geht, als wären alle Weiten der
Welt in ihm und als teilte er sie aus mit seinem Gehen. Er geht.
Seine Arme sagen von diesem Gang, und seine Finger spreizen sich und
scheinen in der Luft das Zeichen des Schreitens zu machen.

Dieser _Johannes_ ist der erste Gehende im Werke Rodins. Es kommen
viele nach. Es kommen die _Bürger von Calais,_ die ihren schweren
Gang beginnen, und alles Gehen scheint vorzubereiten auf den großen
herausfordernden Schritt des _Balzac._

Aber auch die Gebärde des Stehenden entwickelt sich weiter, sie
schließt sich, sie rollt sich zusammen wie brennendes Papier, sie
wird stärker, geschlossener, erregter. So ist jene Figur der Eva,
die ursprünglich bestimmt war, über dem _Höllentor_ zu stehen. Der
Kopf senkt sich tief in das Dunkel der Arme, die sich über der Brust
zusammenziehen wie bei einer Frierenden. Der Rücken ist gerundet, der
Nacken fast horizontal, die Haltung vorgebogen wie zu einem Lauschen
über dem eigenen Leibe, in dem eine fremde Zukunft sich zu rühren
beginnt. Und es ist, als wirkte die Schwerkraft dieser Zukunft auf die
Sinne des Weibes und zöge sie herab aus dem zerstreuten Leben in den
tiefen demütigen Knechtdienst der Mutterschaft.

Immer und immer wieder kam Rodin bei seinen Akten auf dieses
Sich-nach-innen-Biegen zurück, auf dieses angestrengte Horchen in die
eigene Tiefe; so ist die wundervolle Gestalt, die er _La Méditation_
genannt hat, so ist jene unvergeßliche _Voix intérieure_, die leiseste
Stimme Viktor Hugoscher Gesänge, die auf dem Denkmal des Dichters
fast verborgen unter der Stimme des Zornes steht. Niemals ist ein
menschlicher Körper so um sein Inneres versammelt gewesen, so gebogen
von seiner eigenen Seele und wieder zurückgehalten von seines Blutes
elastischer Kraft. Und wie auf dem tief seitwärts gesenkten Leibe der
Hals sich ein wenig aufrichtet und streckt und den horchenden Kopf über
das ferne Rauschen des Lebens hält, das ist so eindringlich und groß
empfunden, daß man sich keiner ergreifenderen und verinnerlichteren
Gebärde zu erinnern weiß. Es fällt auf, daß die Arme fehlen. Rodin
empfand sie in diesem Fall als eine zu leichte Lösung seiner Aufgabe,
als etwas, was nicht zu dem Körper gehört, der sich in sich selber
hüllen wollte, ohne fremde Hilfe. Man kann an die Duse denken, wie
sie in einem Drama d'Annunzios, schmerzhaft verlassen, ohne Arme zu
umarmen versucht und zu halten ohne Hände. Diese Szene, in der ihr
Körper eine Liebkosung lernte, die weit über ihn hinausging, gehört
zu den Unvergeßlichkeiten ihres Spieles. Es vermittelte den Eindruck,
daß die Arme ein Überfluß waren, ein Schmuck, eine Sache der Reichen
und der Unmäßigen, die man von sich werfen konnte, um ganz arm zu
sein. Nicht als hätte sie Wichtiges eingebüßt, wirkte sie in diesem
Augenblick; eher wie einer, der seinen Becher verschenkt, um aus dem
Bache zu trinken, wie ein Mensch, der nackt ist und noch ein wenig
hilflos in seiner tiefen Blöße. So ist es auch bei den armlosen
Bildsäulen Rodins; es fehlt nichts Notwendiges. Man steht vor ihnen als
vor etwas Ganzem, Vollendetem, das keine Ergänzung zuläßt. Nicht aus
dem einfachen Schauen kommt das Gefühl des Unfertigen, sondern aus der
umständlichen Überlegung, aus der kleinlichen Pedanterie, welche sagt,
daß zu einem Körper Arme gehören und daß ein Körper ohne Arme nicht
ganz sein könne, auf keinen Fall. Es ist nicht lange her, da lehnte
man sich in derselben Weise gegen die vom Bildrande abgeschnittenen
Bäume der Impressionisten auf; man hat sich sehr rasch an diesen
Eindruck gewöhnt, man hat, für den Maler wenigstens, einsehen und
glauben gelernt, daß ein künstlerisches Ganzes nicht notwendig mit dem
gewöhnlichen Ding-Ganzen zusammenfallen muß, daß, unabhängig davon,
innerhalb des Bildes neue Einheiten entstehen, neue Zusammenschlüsse,
Verhältnisse und Gleich-gewichte. Es ist in der Skulptur nicht anders.
Dem Künstler steht es zu, aus vielen Dingen eines zu machen und aus dem
kleinsten Teil eines Dinges eine Welt. Es gibt im Werke Rodins Hände,
selbständige, kleine Hände, die, ohne zu irgendeinem Körper zu gehören,
lebendig sind. Hände, die sich aufrichten, gereizt und böse, Hände,
deren fünf gesträubte Finger zu bellen scheinen, wie die fünf Hälse
eines Höllenhundes. Hände, die gehen, schlafende Hände, und Hände,
welche erwachen; verbrecherische, erblich belastete Hände und solche,
die müde sind, die nichts mehr wollen, die sich niedergelegt haben in
irgendeinen Winkel, wie kranke Tiere, welche wissen, daß ihnen niemand
helfen kann. Aber Hände sind schon ein komplizierter Organismus, ein
Delta, in dem viel fernherkommendes Leben zusammenfließt, um sich
in den großen Strom der Tat zu ergießen. Es gibt eine Geschichte
der Hände, sie haben tatsächlich ihre eigene Kultur, ihre besondere
Schönheit; man gesteht ihnen das Recht zu, eine eigene Entwickelung
zu haben, eigene Wünsche, Gefühle, Launen und Liebhabereien. Rodin
aber, der durch die Erziehung, die er sich gegeben hat, weiß, daß der
Körper aus lauter Schauplätzen des Lebens besteht, eines Lebens, das
auf jeder Stelle individuell und groß werden kann, hat die Macht,
irgendeinem Teil dieser weiten schwingenden Fläche die Selbständigkeit
und Fülle eines Ganzen zu geben. Wie der menschliche Körper für Rodin
nur so lange ein Ganzes ist, als eine gemeinsame (innere oder äußere)
Aktion alle seine Glieder und Kräfte im Aufgebot hält, so ordnen sich
ihm andererseits auch Teile verschiedener Leiber, die aus innerer
Notwendigkeit aneinander haften, zu einem Organismus ein. Eine Hand,
die sich auf eines anderen Schulter oder Schenkel legt, gehört nicht
mehr ganz zu dem Körper, von dem sie kam: aus ihr und dem Gegenstand,
den sie berührt oder packt, entsteht ein neues Ding, ein Ding mehr,
das keinen Namen hat und niemandem gehört; und um dieses Ding, das
seine bestimmten Grenzen hat, handelt es sich nun. Diese Erkenntnis
ist die Grundlage für die Gruppierung der Gestalten bei Rodin; aus
ihr kommt jenes unerhörte Aneinandergebunden-Sein der Figuren, jenes
Zusammenhalten der Formen, jenes Sich-nicht-Loslassen, um keinen Preis.
Er geht nicht von den Figuren aus, die sich umfassen, er hat keine
Modelle, die er anordnet und zusammenstellt. Er fängt bei den Stellen
der stärksten Berührung als bei den Höhepunkten des Werkes an; dort,
wo etwas Neues entsteht, setzt er ein und widmet alles Wissen seines
Werkzeugs den geheimnisvollen Erscheinungen, die das Werden eines
neuen Dinges begleiten. Er arbeitet gleichsam beim Schein der Blitze,
die an diesen Punkten entstehen, und sieht nur diejenigen Teile der
ganzen Körper, die beschienen sind. Der Zauber der großen Gruppe des
Mädchens und des Mannes, die _Der Kuß_ genannt wird, liegt in dieser
weisen und gerechten Verteilung des Lebens; man hat das Gefühl, als
gingen hier von allen Berührungsflächen Wellen in die Körper hinein,
Schauer von Schönheit, Ahnung und Kraft. Daher kommt es, daß man die
Seligkeit dieses Kusses überall auf diesen Leibern zu schauen glaubt;
er ist wie eine Sonne, die aufgeht, und sein Licht liegt überall. Aber
noch wunderbarer ist jener andere Kuß, um den sich, wie die Mauer um
einen Garten, jenes Werk erhebt, welches _Eternelle Idole_ heißt. Eine
der Wiederholungen dieses Marmors war im Besitze Eugène Carrières, und
in der stillen Dämmerung seines Hauses lebte dieser klare Stein wie
ein Quell, in dem immer dieselbe Bewegung ist, derselbe Aufstieg und
Niederfall verzauberter Kraft. Ein Mädchen kniet. Ihr schöner Leib
hat sich sanft zurückgelehnt. Ihr rechter Arm hat sich nach hinten
gestreckt, und ihre Hand hat tastend ihren Fuß gefunden. In diese drei
Linien, aus denen kein Weg hinausführt in die Welt, schließt sich ihr
Leben mit seinem Geheimnis ein. Der Stein unter ihr hebt sie empor,
wie sie so kniet. Und man glaubt plötzlich in der Haltung, in die
dieses junge Mädchen aus Trägheit, aus Träumerei oder aus Einsamkeit
verfiel, eine uralte heilige Gebärde zu erkennen, in welche die Göttin
ferner, grausamer Kulte versunken war. Der Kopf dieses Weibes neigt
sich ein wenig vor; mit einem Ausdruck von Nachsicht, Hoheit und Geduld
sieht sie, wie aus der Höhe einer stillen Nacht, auf den Mann hinab,
der sein Gesicht in ihre Brust versenkt wie in viele Blüten. Auch er
kniet, aber tiefer, tief im Stein. Seine Hände liegen hinter ihm, wie
wertlose und leere Dinge, Die Rechte ist offen; man sieht hinein. Von
dieser Gruppe geht eine geheimnisvolle Größe aus. Man wagt (wie so oft
bei Rodin) nicht, ihr eine Bedeutung zu geben. Sie hat tausende. Wie
Schatten gehen die Gedanken über sie, und hinter jedem steigt sie neu
und rätselhaft auf in ihrer Klarheit und Namenlosigkeit.

Etwas von der Stimmung eines Purgatorio lebt in diesem Werke. Ein
Himmel ist nah, aber er ist noch nicht erreicht; eine Hölle ist nah,
aber sie ist noch nicht vergessen. Auch hier strahlt aller Glanz von
der Berührung aus, von der Berührung der beiden Körper und von der
Berührung des Weibes mit sich selbst.

Und nichts anderes als eine immer neue Ausgestaltung des Themas von
der Berührung lebendiger und bewegter Flächen ist jene gewaltige
_Porte de l'Enfer_, an der Rodin seit zwanzig Jahren einsam gearbeitet
hat und deren Guß immer noch bevorsteht. Gleichzeitig im Erforschen
der Bewegung von Flächen und ihrer Vereinigung fortschreitend, kam
Rodin dazu, Körper zu suchen, die sich mit vielen Stellen berührten,
Körper, deren Berührungen heftiger waren, stärker, ungestümer. Je
mehr Berührungspunkte zwei Körper einander boten, je ungeduldiger
sie aufeinander zustürzten, gleich chemischen Stoffen von großer
Verwandtschaft, desto fester und organischer hielt das neue Ganze, das
sie bildeten, zusammen. Erinnerungen aus Dante tauchten auf. Ugolino
und die Wandernden selbst. Dante und Virgil aneinandergedrängt, das
Gewühl der Wollüstigen, aus dem, wie ein verdorrter Baum, die greifende
Gebärde des Geizigen ragte. Die Zentauren, die Riesen und Ungeheuer,
Sirenen, Faune und Weiber von Faunen, alle die wilden und reißenden
Gott-Tiere des vorchristlichen Waldes kamen auf ihn zu. Und er schuf.
Er verwirklichte alle die Gestalten und Formen des Dantischen Traumes,
hob sie empor wie aus der bewegten Tiefe eigener Erinnerungen und gab
ihnen, einem nach dem anderen, des Dingseins leise Erlösung. Hunderte
von Figuren und Gruppen entstanden auf diese Art. Aber die Bewegungen,
die er in den Worten des Dichters fand, gehörten einer anderen Zeit;
sie erweckten in dem Schaffenden, der sie auferstehen ließ, das Wissen
von tausend anderen Gebärden, Gebärden des Greifens, Verlierens,
Leidens und Lassens, die inzwischen entstanden waren, und seine Hände,
die keine Ermüdung kannten, gingen weiter und weiter, über die Welt des
Florentiners hinaus zu immer neuen Gesten und Gestalten.

Dieser ernste, gesammelte Arbeiter, der nie nach Stoffen gesucht
hatte und keine andere Erfüllung wollte als die, welche seinem immer
reiferen Werkzeug erreichbar war, kam auf diesem Wege durch alle Dramen
des Lebens: jetzt tat sich ihm die Tiefe der Liebesnächte auf, die
dunkle lust- und kummervolle Weite, in der es, wie in einer noch immer
heroischen Welt, keine Kleider gab, in der die Gesichter verlöscht
waren und die Leiber galten. Er kam mit weißglühenden Sinnen, als ein
Suchender des Lebens, in die große Wirrnis dieses Ringens, und was
er sah, war: Leben. Es wurde nicht eng um ihn, klein und schwül.
Es wurde weit. Die Atmosphäre der Alkoven war fern. Hier war das
Leben, war tausendmal in jeder Minute, war in Sehnsucht und Weh, in
Wahnsinn und Angst, in Verlust und Gewinn. Hier war ein Verlangen, das
unermeßlich war, ein Durst so groß, daß alle Wasser der Welt in ihm
wie ein Tropfen vertrockneten, hier war kein Lügen und Verleugnen,
und die Gebärden von Geben und Nehmen, hier waren sie echt und groß.
Hier waren die Laster und die Lästerungen, die Verdammnisse und die
Seligkeiten, und man begriff auf einmal, daß eine Welt arm sein mußte,
die das alles verbarg und vergrub und tat, als ob es nicht wäre. Es
war. Neben der ganzen Geschichte der Menschheit ging diese andere
Historie her, die keine Verkleidungen kannte, keine Konventionen, keine
Unterschiede und Stände--nur Kampf. Auch sie hatte ihre Entwickelung
gehabt. Sie war aus einem Trieb eine Sehnsucht geworden, aus einer
Begierde zwischen Mann und Weib ein Begehren von Mensch zu Mensch.
Und so erscheint sie im Werke Rodins. Noch ist es die ewige Schlacht
der Geschlechter, aber das Weib ist nicht mehr das überwältigte oder
das willige Tier. Sie ist sehnsüchtig und wach wie der Mann, und es
ist, als hätten sie sich zusammengetan, um beide nach ihrer Seele zu
suchen. Der Mensch, der nachts aufsteht und leise zu einem anderen
geht, ist wie ein Schatzgräber, der das große Glück, das so notwendig
ist, ergraben will am Kreuzweg des Geschlechts. Und in allen Lastern,
in allen Lüsten wider die Natur, in allen diesen verzweifelten und
verlorenen Versuchen, dem Dasein einen unendlichen Sinn zu finden, ist
etwas von jener Sehnsucht, die die großen Dichter macht. Hier hungert
die Menschheit über sich hinaus. Hier strecken sich Hände aus nach der
Ewigkeit. Hier öffnen sich Augen, schauen den Tod und fürchten ihn
nicht; hier entfaltet sich ein hoffnungsloses Heldentum, dessen Ruhm
wie ein Lächeln kommt und geht und wie eine Rose blüht und bricht. Hier
sind die Stürme des Wunsches und die Windstillen der Erwartung; hier
sind Träume, die zu Taten werden, und Taten, die in Träumen vergehen.
Hier wird, wie in einer Riesenspielbank, ein Vermögen von Kraft
gewonnen oder verloren. Das alles steht in dem Werke Rodins. Er, der
schon durch soviel Leben gegangen war, hier fand er des Lebens Fülle
und Überfluß. Die Körper, an denen jede Stelle Wille war, die Munde,
die die Form von Schreien hatten, welche aus den Tiefen der Erde zu
steigen schienen. Er fand die Gebärden der Urgötter, die Schönheit und
Geschmeidigkeit der Tiere, den Taumel alter Tänze und die Bewegungen
vergessener Gottesdienste seltsam verbunden mit den neuen Gebärden,
die entstanden waren in der langen Zeit, während welcher die Kunst
abgewendet war und allen diesen Offenbarungen blind. Diese neuen
Gebärden waren ihm besonders interessant. Sie waren ungeduldig. Wie
einer, der lange nach einem Gegenstand sucht, immer ratloser wird,
zerstreuter und eiliger, und um sich herum eine Zerstörung schafft,
eine Anhäufung von Dingen, die er aus ihrer Ordnung zieht, als wollte
er sie zwingen mitzusuchen, so sind die Gebärden der Menschheit, die
ihren Sinn nicht finden kann, ungeduldiger geworden, nervöser, rascher
und hastiger. Und alle die durchwühlten Fragen des Daseins liegen um
sie her. Aber ihre Bewegungen sind zugleich auch wieder zögernder
geworden. Sie haben nicht mehr die gymnastische und entschlossene
Geradheit, mit der frühere Menschen nach allem gegriffen haben. Sie
gleichen nicht jenen Bewegungen, die in den alten Bildwerken aufbewahrt
sind, den Gesten, bei denen nur der Ausgangspunkt und der Endpunkt
wichtig war. Zwischen diese beiden einfachen Momente haben sich
unzählige Übergänge eingeschoben, und es zeigte sich, daß gerade in
diesen Zwischen-Zuständen das Leben des heutigen Menschen verging,
sein Handeln und sein Nicht-handeln-Können. Das Ergreifen war anders
geworden, das Winken, das Loslassen und das Halten. In allem war viel
mehr Erfahrung und zugleich auch wieder mehr Unwissenheit; viel mehr
Mutlosigkeit und ein fortwährendes Angehen gegen Widerstände; viel
mehr Trauer um Verlorenes, viel mehr Abschätzung, Urteil, Erwägung und
weniger Willkür. Rodin schuf diese Gebärden. Er machte sie aus einer
oder aus mehreren Gestalten, formte sie zu Dingen in seiner Art. Er gab
Hunderten und Hunderten von Figuren, die nur ein wenig größer waren
als seine Hände, das Leben aller Leidenschaften zu tragen, das Blühen
aller Lüste und aller Laster Last. Er schuf Körper, die sich überall
berührten und zusammenhielten wie ineinander verbissene Tiere, die als
ein Ding in die Tiefe fallen; Leiber, die horchten wie Gesichter und
ausholten wie Arme; Ketten von Leibern, Gewinde und Ranken, und schwere
Trauben von Gestalten, in welche der Sünde Süße stieg aus den Wurzeln
des Schmerzes. Gleich machtvoll und überlegen hat nur Lionardo Menschen
zusammengefügt in seiner grandiosen Beschreibung des Weltuntergangs.
Wie dort, gab es auch hier solche, die sich in den Abgrund warfen,
um das große Weh vergessen zu können, und solche, die ihren Kindern
die Köpfe zerschlugen, damit sie nicht hineinwüchsen in das große
Weh.--Das Heer dieser Figuren war viel zu zahlreich geworden, um in
den Rahmen und die Türflügel des _Höllentores_ hineinzupassen. Rodin
wählte und wählte. Er schied alles aus, was zu einsam war, um sich
der großen Gesamtheit zu unterwerfen, alles, was nicht ganz notwendig
war in diesem Zusammenhang. Er ließ die Gestalten und Gruppen selbst
sich ihren Platz finden; er beobachtete das Leben des Volkes, das er
geschaffen hatte, belauschte es und tat jedem seinen Willen.

So erwuchs allmählich die Welt dieses Tores. Seine Fläche, an welche
die plastischen Formen angefügt wurden, begann sich zu beleben; mit
immer leiser werdenden Reliefs verhallte die Erregung der Figuren in
die Fläche hinein. Im Rahmen ist von beiden Seiten ein Aufsteigen, ein
Sich-empor-Ziehen und Hochheben, in den Flügeln des Tores ein Fallen,
Gleiten und Stürzen die herrschende Bewegung. Die Flügel treten ein
wenig zurück, und ihr oberer Rand ist von dem vorspringenden Rand
des Querrahmens noch durch eine ziemlich große Fläche getrennt. Vor
diese, in den still geschlossenen Raum, ist die Gestalt des _Denkers_
gesetzt, des Mannes, der die ganze Größe und alle Schrecken dieses
Schauspieles sieht, weil er es denkt. Er sitzt versunken und stumm,
schwer von Bildern und Gedanken, und alle seine Kraft (die die Kraft
eines Handelnden ist) denkt. Sein ganzer Leib ist Schädel geworden und
alles Blut in seinen Adern Gehirn. Er ist der Mittelpunkt des Tores,
obwohl noch über ihm auf der Höhe des Rahmens drei Männer stehen. Die
Tiefe wirkt auf sie und formt sie aus der Ferne. Sie haben ihre Köpfe
zusammengebogen, ihre drei Arme sind vorgestreckt, laufen zusammen
und zeigen hinunter auf dieselbe Stelle, in denselben Abgrund, welcher
sie niederzieht mit seiner Schwere. Der Denker aber muß sie in sich
tragen. Unter den Gruppen und Bildwerken, die aus Anlaß dieses Tores
entstanden sind, gibt es viele von großer Schönheit. Es ist unmöglich,
sie alle aufzuzählen, wie es unmöglich ist, sie zu beschreiben. Rodin
selbst hat einmal gesagt, er müßte ein Jahr reden, um eines seiner
Werke mit Worten zu wiederholen. Man kann nur sagen, daß diese kleinen
Bildwerke, welche in Gips, Bronze und Stein erhalten sind, ähnlich
wie manche von den kleinen Tierfiguren der Antike, den Eindruck ganz
großer Dinge machen. Es gibt in Rodins Atelier den Abguß eines kaum
handgroßen Panthers griechischer Arbeit (das Original befindet sich im
Medaillen-Kabinett der Pariser National-Bibliothek); wenn man unter
seinem Leibe durch von vorn in den Raum blickt, der von den vier
geschmeidig-starken Tatzen gebildet wird, kann man glauben, in die
Tiefe eines indischen Felsentempels zu sehen; so wächst dieses Werk
und weitet sich zur Größe seiner Maße. Ähnlich ist es bei den kleinen
Plastiken Rodins. Indem er ihnen viele Stellen gibt, unzählbar viele,
vollkommene und bestimmte Flächen, macht er sie groß. Die Luft ist um
sie wie um Felsen. Wenn in ihnen ein Aufstehen ist, dann scheint es,
als hüben sie die Himmel empor, und die Flucht ihres Falles reißt die
Sterne mit.

Vielleicht ist damals auch die _Danaïde_ entstanden, die sich aus dem
Knien niedergeworfen hat in ihr fließendes Haar. Es ist wunderbar,
um diesen Marmor langsam herumzugehen: den langen, langen Weg um die
reichentfaltete Rundung dieses Rückens, zu dem sich im Stein wie in
einem großen Weinen verlierenden Gesicht, zu der Hand, die, wie eine
letzte Blume, noch einmal leise vom Leben spricht, tief im ewigen
Eise des Blockes. Und die _Illusion, die Tochter des Ikarus_, diese
blendende Dingwerdung eines langen hilflosen Falles. Und die schöne
Gruppe, die _L'homme et sa pensée_ genannt worden ist. Die Darstellung
eines Mannes, der kniet und, mit seiner Stirne Berührung, aus dem
Stein vor ihm die leisen Formen eines Weibes weckt, die an den Stein
gebunden bleiben; wenn man hier auslegen will, so mag man sich freuen
über den Ausdruck dieser Untrennbarkeit, mit der der Gedanke an des
Mannes Stirne haftet: denn es ist immer nur sein Gedanke, der lebt und
vor ihm steht; gleich dahinter ist Stein. Verwandt damit ist auch der
Kopf, der sich sinnend und still bis zum Kinn, aus einem großen Steine
löst, der _Gedanke_, dieses Stück Klarheit, Sein und Gesicht, das
sich langsam aus dem schweren Schlafe des dumpf Dauernden erhebt. Und
dann die _Karyatide._ Nicht mehr die aufrechte Figur, die leicht oder
schwer das Tragen eines Steines erträgt, unter den sie sich doch nur
gestellt hat, als er schon hielt; ein weiblicher Akt, kniend, gebeugt,
in sich hineingedrückt und ganz geformt von der Hand der Last, deren
Schwere wie ein fortwährender Fall in alle Glieder sinkt. Auf jedem
kleinsten Teile dieses Leibes liegt der ganze Stein wie ein Wille, der
größer war, älter und mächtiger, und doch hat seines Tragens Schicksal
nicht aufgehört. Er trägt, wie man im Traum das Unmögliche trägt, und
findet keinen Ausweg. Und sein Zusammengesunkensein und Versagen ist
immer noch Tragen geblieben, und wenn die nächste Müdigkeit kommt und
den Körper ganz niederzwingt ins Liegen, so wird auch das Liegen noch
Tragen sein, Tragen ohne Ende. So ist die _Karyatide._

Man kann, wenn man will, die meisten Werke Rodins mit Gedanken
begleiten, erklären und umgeben. Für alle, denen das einfache Schauen
ein zu ungewohnter und schwerer Weg zur Schönheit ist, gibt es andere
Wege, Umwege über Bedeutungen, die edel sind, groß und voll Gestalt.
Es ist, als ob das unendliche Gut- und Richtig-sein dieser Akte, das
vollkommene Gleichgewicht aller ihrer Bewegungen, die wunderbare innere
Gerechtigkeit ihrer Verhältnisse, ihr Vom-Leben-durchdrungen-Sein, als
ob alles das, was sie zu schönen Dingen macht, ihnen auch die Kraft
verliehe, unübertreffliche Verwirklichungen der Stoffe zu sein, die der
Meister in die Nähe rief, da er sie benannte. Nie ist ein Stoff bei
Rodin an ein Kunstding gebunden, wie ein Tier an einen Baum. Er lebt
irgendwo in der Nähe des Dinges und lebt von ihm, etwa wie der Kustos
einer Sammlung. Man erfährt manches, wenn man ihn ruft; wenn man es
aber versteht, ohne ihn auszukommen, ist man mehr allein und ungestört
und erfährt noch mehr.

Wo die erste Anregung vom Stofflichen ausging, wo eine antike
Sage, die Stelle eines Gedichtes, eine historische Szene oder eine
wirkliche Person Schaffensanlaß war, da übersetzt sich, wenn Rodin
beginnt, während der Arbeit das Stoffliche immer mehr in Sachliches
und Namenloses: in die Sprache der Hände übertragen, haben die
Anforderungen, die sich ergeben, alle einen neuen, ganz auf die
plastische Erfüllung bezüglichen Sinn.

In den Zeichnungen Rodins geht, vorbereitend, dieses Vergessen und
Verwandeln der stofflichen Anregung vor sich. Er hat auch in dieser
Kunst seine eigenen Ausdrucksmittel sich erzogen, und das macht diese
Blätter (es sind viele Hunderte) zu einer selbständigen und originellen
Offenbarung seiner Persönlichkeit.

Da sind zunächst, aus früherer Zeit, Tuschzeichnungen mit überraschend
starken Licht- und Schattenwirkungen, wie der berühmte _Homme au
Taureau_, bei dem man an Rembrandt denken möchte, wie der Kopf des
jungen Saint Jean-Baptiste oder die schreiende Maske für den Genius
des Krieges; lauter Notizen und Studien, welche dem Künstler das Leben
der Flächen erkennen halfen und ihr Verhältnis zur Atmosphäre. Dann
kommen Akte, die mit jagender Sicherheit gezeichnet sind, Formen,
ausgefüllt von allen ihren Konturen, modelliert mit vielen schnellen
Federstrichen, und andere, eingeschlossen in die Melodie eines einzigen
vibrierenden Umrisses, aus dem sich mit unvergeßlicher Reinheit
eine Gebärde erhebt. So sind die Zeichnungen, mit denen Rodin, auf
den Wunsch eines feinsinnigen Sammlers hin, ein Exemplar der "Fleurs
du mal" begleitet hat. Man sagt nichts, wenn man da von einem sehr
tiefen Verständnis Baudelairescher Verse spricht; man versucht
mehr zu sagen, wenn man sich erinnert, wie diese Gedichte in ihrem
Mit-sich-Gesättigt-sein keine Ergänzung zulassen und keine Steigerung
über sich hinaus: und daß man doch beides empfindet, Ergänzung und
Steigerung, wo Rodinsche Linien sich diesem Werke anschmiegen, das
ist ein Maßstab für die hinreißende Schönheit dieser Blätter. Die
Federzeichnung, die neben das Gedicht "La mort des pauvres" gestellt
ist, reicht mit einer Gebärde von so einfacher, fortwährend wachsender
Großheit über diese großen Verse hinaus, daß man meint, sie erfülle die
Welt von Aufgang nach Untergang.

Und so sind auch die Radierungen mit der kalten Nadel, in denen der
Lauf unendlich zarter Linien wie der äußerste Umriß eines schönen
gläsernen Dinges erscheint, der, in jedem Augenblicke genau bestimmt,
hinfließt über das Wesen einer Wirklichkeit.

Endlich aber entstanden auch jene seltsamen Dokumente des Momentanen,
des unmerklich Vorübergehenden. Rodin vermutete, daß unscheinbare
Bewegungen, die das Modell tut, wenn es sich unbeobachtet glaubt,
rasch zusammengefaßt, eine Stärke des Ausdrucks enthalten könnten,
die wir nicht ahnen, weil wir nicht gewohnt sind, sie mit gespannter
und tätiger Aufmerksamkeit zu begleiten. Indem er das Modell nicht aus
dem Auge verlor und seiner erfahrenen und raschen Hand ganz das Papier
überließ, zeichnete er eine Unmenge nie gesehener, immer versäumter
Gebärden auf, und es ergab sich, daß die Kraft des Ausdrucks, die von
ihnen ausging, ungeheuer war; Bewegungszusammenhänge, die noch nie als
Ganzes überschaut und erkannt worden waren, stellten sich dar, und
sie enthielten alle Unmittelbarkeit, Wucht und Wärme eines geradezu
animalischen Lebens. Ein Pinsel voll Ocker, schnell, mit wechselnder
Betonung durch diesen Kontur geführt, modellierte so unglaublich stark
die eingeschlossene Fläche, daß man meinte, plastische Figuren aus
gebrannter Erde zu sehen. Und wieder war eine ganz neue Weite entdeckt,
namenlosen Lebens voll; eine Tiefe, über die alle hallenden Schrittes
gegangen waren, gab ihre Wasser dem, in dessen Händen die Weidenrute
gewahrsagt hatte.

Auch wo es galt, Porträts zu geben, gehörte der zeichnerische Ausdruck
des Themas zu den Vorbereitungen, über welche Rodin, langsam und sich
sammelnd, zu dem fernen Werke geht. Denn, so unrecht man hat, in
seiner plastischen Kunst eine Art von Impressionismus zu sehen, so
ist doch die Menge präzis und kühn erfaßter Impressionen immer der
große Reichtum, aus welchem er schließlich das Wichtige und Notwendige
auswählt, um es in reifer Synthese zusammenzufassen. Wenn er von den
Körpern, die er erforscht und bildet, zu den Gesichtern kommt, muß es
ihm manchmal sein, als träte er aus einer windigen, bewegten Weite in
eine Stube, in welcher viele beisammen sind: hier ist alles gedrängt
und dunkel, und die Stimmung eines Interieurs herrscht unter den Bogen
der Brauen und im Schatten des Mundes. Während über den Leibern immer
Wechsel und Wellenschlag ist, Ebbe und Flut, steht in den Gesichtern
die Luft. Es ist wie in Zimmern, in denen sich viel ereignet hat,
Freudiges und Banges, Schweres und Erwartungsvolles. Und kein Ereignis
ist ganz vergangen, keins hat das andere ersetzt; eines ist neben das
andere gestellt worden und stehen-geblieben und welk geworden wie eine
Blume im Glase. Wer aber von draußen kommt, aus dem großen Wind, der
bringt Weite herein in die Stuben.

Die Maske des _Mannes mit der gebrochenen Nase_ war das erste Porträt,
das Rodin geschaffen hat. In diesem Werke ist seine Art, durch ein
Gesicht zu gehen, schon ganz ausgebildet, man fühlt seine unbegrenzte
Hingabe an das Vorhandene, seine Ehrfurcht vor jeder Linie, die das
Schicksal gezogen hat, sein Vertrauen zu dem Leben, das schafft, auch
wo es entstellt. In einer Art von blindem Glauben hatte er den _Homme
au nez cassé_ geschaffen, ohne zu fragen, wer der Mann war, dessen
Leben in seinen Händen noch einmal verging. Er hatte ihn gemacht,
wie Gott den ersten Menschen gemacht hat, ohne die Absicht, etwas
anderes zu wirken als das Leben selbst, namenloses Leben. Aber immer
wissender, immer erfahrener und größer kam er zu den Gesichtern der
Menschen zurück. Er konnte ihre Züge nicht mehr sehen, ohne an die
Tage zu denken, die daran gearbeitet hatten, an dieses ganze Heer
von Handwerkern, die fortwährend um ein Gesicht herumgehen, als
könnte es niemals fertig werden. Aus einer stillen und gewissenhaften
Wiederholung des Lebens wurde so in dem reifen Manne eine erst tastende
und versuchende, immer sicherer und kühner werdende Auslegung der
Schrift, mit der die Gesichter über und über bedeckt waren. Er gab
seiner Phantasie nicht Raum; er erfand nicht. Er verachtete nicht einen
Augenblick den schweren Gang seines Werkzeugs. Es wäre ja so leicht
gewesen, es auf irgendwelchen Flügeln zu überholen. Wie früher ging
er neben ihm einher, ging die ganzen weiten Strecken, die gegangen
sein mußten, ging wie der Pflüger hinter seinem Pflug. Aber während er
seine Furchen zog, dachte er über sein Land nach und über die Tiefe
seines Landes, über den Himmel, der darüber war, über den Gang der
Winde und über der Regen Fall, über alles das, was war und wehe tat und
verging und wiederkam und nicht aufhörte zu sein. Und er glaubte in
alledem jetzt, besser und weniger verwirrt von dem Vielen, das Ewige
zu erkennen, das, um dessentwillen auch das Leid gut und die Schwere
Mutterschaft war und der Schmerz schön.

Diese Auslegung, die bei den Porträts begann, wuchs von da immer
weiter in sein Werk hinein. Sie ist die letzte Stufe, der äußerste
Kreis seiner weiten Entwickelung. Sie fing langsam an. Mit unendlicher
Vorsicht betrat Rodin diesen neuen Weg. Wieder drang er von Fläche
zu Fläche vor, ging der Natur nach und hörte auf sie. Sie selbst
bezeichnete ihm gleichsam die Stellen, von denen er mehr wußte, als
zu sehen war. Wenn er dort einsetzte und aus kleinen Verworrenheiten
eine große Vereinfachung schuf, so tat er, was Christus den Leuten tat,
wenn er die unklar Fragenden mit einem erhabenen Gleichnis reinigte
von ihrer Schuld. Er erfüllte eine Intention der Natur. Er vollendete
etwas, was im Werden hilflos war, er deckte die Zusammenhänge auf, wie
der Abend eines Nebeltages die Berge aufdeckt, die in großen Wellen
sich fortpflanzen in die Ferne.

Voll von seines ganzen Wissens lebendiger Last, sah er wie ein
Zukünftiger in die Gesichter derer hinein, die um ihn lebten. Das
gibt seinen Porträts die ungemein klare Bestimmtheit, aber auch jene
prophetische Größe, die in den Bildern des Victor Hugo oder des Balzac
sich zu einer unbeschreiblichen Vollendung erhob. Ein Bildnis schaffen
hieß für ihn, in einem gegebenen Gesichte Ewigkeit suchen, jenes Stück
Ewigkeit, mit dem es teilnahm an dem großen Gange ewiger Dinge. Er
hat keinen gebildet, den er nicht ein wenig aus den Angeln gehoben
hätte in die Zukunft hinein; wie man ein Ding vor den Himmel hält, um
seine Formen reiner und einfacher zu verstehen. Das ist nicht, was man
verschönern heißt, und auch charakteristisch machen ist kein passender
Ausdruck dafür. Es ist mehr; es ist: das Dauernde vom Vergänglichen
scheiden, Gericht halten, gerecht sein.

Sein Porträtwerk umfaßt, auch wenn man von den Radierungen absieht,
eine sehr große Zahl vollendeter und meisterhafter Bildnisse. Es
gibt da Büsten in Gips, in Bronze, in Marmor und Sandstein, Köpfe in
gebranntem Ton und Masken, die man einfach hat eintrocknen lassen.
Frauenbildnisse kehren immer wieder zu allen Zeiten seines Werkes. Die
berühmte Büste des Luxembourg-Museums ist eines der frühesten. Sie ist
voll eigentümlichen Lebens, schön, von einem gewissen frauenhaften
Zauber, aber sie wird von vielen späteren Werken an Einfachheit und
Zusammenfassung der Flächen übertroffen. Sie ist vielleicht das einzige
unter Rodins Werken, dem nicht nur die diesem Bildhauer eigentümlichen
Tugenden seine Schönheit gegeben haben; dieses Porträt lebt zum Teil
auch durch die Gnade jener Grazie, die in der französischen Plastik
seit Jahrhunderten erblich ist. Es glänzt ein wenig mit der Eleganz,
die auch die schlechte Skulptur französischer Tradition immer noch
aufweist; es ist nicht ganz frei von jener galanten Auffassung der
belle femme, über welche der Ernst und die tief einsetzende Arbeit
Rodins so rasch hinauswuchs. Aber man tut gut, sich an dieser Stelle zu
erinnern, daß er auch dieses angestammte Gefühl zu überwinden hatte; er
mußte ein angeborenes Können unterdrücken, um ganz arm zu beginnen. Er
mußte deshalb nicht aufhören, Franzose zu sein: auch die Meister der
Kathedralen waren es.

Die späteren Frauenbildnisse haben eine andere, tiefer begründete
und weniger geläufige Schönheit. Dabei ist vielleicht zu sagen, daß
es meistens Ausländerinnen waren, Amerikanerinnen, deren Porträts
Rodin ausgeführt hat. Es gibt darunter solche von wunderbarer Arbeit,
Steine, die wie antike Kameen rein und unberührbar sind. Gesichter,
deren Lächeln nirgends befestigt ist und so schleierleise über den
Zügen spielt, daß es sich zu heben scheint bei jedem Atemholen.
Rätselhaft verschlossene Lippen und Augen, die, über alles fort, in
eine ewige Mondnacht schauen, traumhaft weit aufgetan. Und doch ist
es, als empfände Rodin das Angesicht des Weibes am liebsten als einen
Teil seines schönen Körpers, als wollte er, daß seine Augen Augen des
Leibes seien und der Mund seines Leibes Mund. Wo er es so im ganzen
erschafft und schaut, da erhält auch das Gesicht einen so starken und
ergreifenden Ausdruck unverkündeten Lebens, daß die Porträts von Frauen
(obwohl sie scheinbar "ausgeführter" sind) weit übertroffen werden.

Anders ist es bei den Männerbildnissen. Das Wesen eines Mannes kann man
sich leichter im Räume seines Gesichtes versammelt denken. Man kann
sich sogar vorstellen, daß es Augenblicke gibt (solche der Ruhe und
solche der inneren Erregung), in welchen alles Leben in sein Gesicht
eingetreten ist. Solche Augenblicke wählt Rodin, wo er ein männliches
Porträt geben will; oder besser: er schafft sie. Er holt weit aus.
Er gibt nicht dem ersten Eindruck recht, und nicht dem zweiten, und
von allen nächsten keinem. Er beobachtet und notiert. Er notiert
Bewegungen, die keines Wortes wert sind, Wendungen und Halbwendungen,
vierzig Verkürzungen und achtzig Profile. Er überrascht sein Modell
in seinen Gewohnheiten und Zufälligkeiten, bei Ausdrücken, die erst
im Entstehen sind, bei Müdigkeiten und Anstrengungen. Er kennt alle
Übergänge in seinen Zügen, weiß, woher das Lächeln kommt und wohin es
zurückfällt. Er erlebt das Gesicht des Menschen wie eine Szene, an der
er selbst teilnimmt, er steht mitten drin, und nichts, was passiert,
ist ihm gleichgültig oder entgeht ihm. Er läßt sich nichts von dem
Betreffenden erzählen, er will nichts wissen, als was er sieht. Aber er
sieht alles.

So vergeht über jeder Büste viel Zeit. Das Material wächst, zum
Teil in Zeichnungen, in ein paar Federstrichen und Tuschflecken
festgehalten, zum Teil im Gedächtnisse angesammelt; denn dieses hat
Rodin sich zu einem ebenso verläßlichen als bereiten Hilfsmittel
ausgebildet. Sein Auge sieht während der Sitzungsstunden viel mehr, als
er in dieser Zeit ausführen kann. Er vergißt nichts davon, und oft,
wenn das Modell ihn verlassen hat, beginnt für ihn das eigentliche
Arbeiten aus der Fülle seiner Erinnerung. Seine Erinnerung ist weit und
geräumig; die Eindrücke verändern sich nicht in ihr, aber sie gewöhnen
sich an ihre Wohnung, und wenn sie von da in seine Hände steigen, so
ist es, als wären sie natürliche Gebärden dieser Hände.

Diese Arbeitsweise führt zu gewaltigen Zusammenfassun-gen von hundert
und hundert Lebensmomenten: und so ist auch der Eindruck, den diese
Büsten machen. Die vielen fernen Kontraste und die unerwarteten
Übergänge, die einen Menschen bilden und eines Menschen fortwährende
Entwicklung, treffen einander hier in glücklichen Begegnungen
und halten aneinander mit einer inneren Adhäsionskraft fest. Aus
allen Weiten ihres Wesens sind diese Menschen zusammengeholt, alle
Klimaten ihres Temperamentes entfalten sich auf den Hemisphären ihres
Hauptes. Da ist der Bildhauer Dalou, in dem neben einer ausdauernden
und geizigen Energie eine nervöse Müdigkeit vibriert, da ist Henri
Rocheforts abenteuerliche Maske, da ist Octave Mirbeau, bei dem
hinter einem Tatmenschen eines Dichters Traum und Sehnsucht dämmert,
und Puvis de Chavannes und Victor Hugo, den Rodin so genau kennt,
und da ist vor allem die unbeschreiblich schöne Bronze, das Bildnis
des Malers Jean-Paul Laurens, von dem eine gute Abbildung diesem
Buch beigegeben wurde. Diese Büste ist vielleicht die schönste Sache
im Luxembourg-Museum. Sie ist von einer so tiefen und zugleich so
groß empfundenen Durchbildung der Oberfläche, so geschlossen in der
Haltung, so stark im Ausdruck, so bewegt und wach, daß man das Gefühl
nicht verliert, die Natur selbst habe dieses Werk aus den Händen des
Bildhauers genommen, um es zu halten wie eines ihrer liebsten Dinge.
Die prachtvolle Patina, deren rauchschwarzen Belag das Metall wie
Feuer, flammend und sprühend, durchbricht, trägt viel dazu bei, die
unheimliche Schönheit dieses Bildwerkes zu vollenden.

Auch eine Büste von Bastien-Lepage existiert, schön und melancholisch,
mit dem Ausdruck des Leidenden, dessen Arbeit ein fortwährender
Abschied von seinem Werke ist. Sie ist für Damvillers, das kleine
Heimatdorf des Malers, gemachtworden und ist dort auf dem Kirchhofe
aufgestellt. Sie ist also eigentlich ein Denkmal. Und die Büsten Rodins
in ihrer Vollständigkeit und ihrer ins Große gehenden Zusammenfassung
haben alle etwas vom Denkmal an sich. Es kommt bei diesem nur eine
weitere Vereinfachung der Flächen, eine noch strengere Auswahl
des Notwendigen und die Bedingung des Weithinsichtbaren dazu. Die
Denkmäler, die Rodin geschaffen hat, näherten sich immer mehr diesen
Ansprüchen. Er begann mit dem Denkmal des Claude Gelée für Nancy; und
es ist ein steiler Aufstieg von diesem ersten, interessanten Versuch
bis zu dem grandiosen Gelingen des _Balzac._

Mehrere von den Denkmälern Rodins sind nach Amerika gegangen, und das
reifste von diesen ist bei den Unruhen in Chile zerstört worden, noch
ehe es an seinen Platz gebracht worden war. Es war das Reiterstandbild
des Generals Lynch. Gleich dem verlorenen Meisterwerke Lionardos,
dem es sich vielleicht durch die Macht des Ausdrucks und durch die
wundervoll beseelte Einheit von Mann und Roß näherte, sollte auch
diese Statue nicht erhalten bleiben. Nach einem kleinen Gipsmodell im
Musée Rodin in Meudon muß man schließen, daß sie das plastische Bild
eines mageren Mannes war, der sich gebietend im Sattel aufrichtete,
nicht in der brutalen Herrenart eines Kondottiere, sondern nervöser
und erregter, mehr wie einer, der die Macht zu befehlen nur ausübt
als Amt und sie nicht als Leben lebt. Hier schon erhob sich übrigens
die vorwärtsweisende Hand des Generals aus der ganzen Masse des
Standbildes, aus Mensch und Tier; und dieser Umstand ist es auch,
welcher der Gebärde Victor Hugos ihre unvergeßliche Hoheit, dieses
Weit-Herkommende gibt, diese Macht, an die man glaubt, auf den ersten
Blick. Die große, lebendige Greisenhand, die mit dem Meere redet, kommt
nicht aus dem Dichter allein; sie steigt herab von dem Gipfel der
ganzen Gruppe wie von einem Berge, auf dem sie betete, ehe sie sprach.
Victor Hugo ist hier der Verbannte, der Einsame von Guernsey, und es
ist eines von den Wundern dieses Denkmales, daß die Musen, die ihn
umgeben, nicht wie Gestalten wirken, die den Verlassenen heimsuchen:
sie sind, im Gegenteil, seine sichtbar gewordene Einsamkeit. Durch
die Verinnerlichung der einzelnen Figuren und die Konzentration, man
möchte sagen: um das Innere des Dichters, hat Rodin diesen Eindruck
erreicht; indem er auch hier wieder von einer Individualisierung der
Berührungsstellen ausging, ist es ihm gelungen, die wundervoll bewegten
Akte gleichsam zu Organen des sitzenden Mannes zu machen. Sie sind
um ihn wie große Gebärden, die er einmal getan hat, Gebärden, die so
schön und jung waren, daß ihnen eine Göttin die Gnade verlieh, nicht
zu vergehen und in der Gestalt schöner Frauen immer zu dauern. Für die
Figur des Dichters selbst hat Rodin viele Studien gemacht. Während
der Empfänge im Hôtel Lusignan beobachtete und notierte er, von einer
Fensternische aus, hundert und hundert Bewegungen des Greises und
alle Ausdrücke seines belebten Gesichtes. Aus diesen Vorbereitungen
entstanden die Porträts Hugos, die Rodin geschaffen hat. Für das
Denkmal bedurfte es einer noch weiteren Vertiefung. Er drängte alle die
Einzeleindrücke zurück, faßte sie in der Ferne zusammen, und, wie man
vielleicht aus einer Reihe von Rhapsoden eine Gestalt gebildet hat:
Homer, so schuf er aus allen Bildern seiner Erinnerung dieses eine.
Und diesem einen, letzten Bilde gab er die Größe des Sagenhaften; als
könnte das alles am Ende nur ein Mythos gewesen sein und zurückgehen
auf einen phantastisch ragenden Felsen am Meer, in dessen seltsamen
Formen entfernte Völker eine Gebärde schlafen sahen.

Diese Macht, Vergangenes zum Unvergänglichen zu erheben, offenbarte
Rodin immer, wenn historische Stoffe oder Gestalten in seiner Kunst
aufzuleben verlangten; am überlegensten vielleicht in den _Bürgern von
Calais_. Was hier Stoff war, beschränkte sich auf einige Spalten in der
Chronik des Froissart. Es war die Geschichte, wie die Stadt Calais von
Eduard III., dem englischen Könige, belagert wird; wie der König der in
der Furcht des Hungers verzagenden Stadt nicht Gnade geben will; wie
derselbe König endlich einwilligt, von der Stadt abzulassen, wenn sechs
ihrer vornehmsten Bürger sich in seine Hände geben, "damit er mit ihnen
tue nach seinem Willen". Und er verlangt, daß sie die Stadt verlassen
sollen, barhaupt, nur mit dem Hemde bekleidet, einen Strick um den Hals
und die Schlüssel von Stadt und Kastell in der Hand. Der Chronist
erzählt nun die Szene in der Stadt; er berichtet, wie der Bürgermeister
Messire Jean de Vienne die Glocken läuten läßt, und wie die Bürger sich
auf dem Marktplatze versammeln. Sie haben die bange Botschaft gehört
und warten und schweigen. Aber schon stehen unter ihnen die Helden auf,
die Auserwählten, die den Beruf in sich fühlen, zu sterben. Hier drängt
sich durch die Worte des Chronisten das Schreien und Weinen der Menge.
Er selbst scheint eine Weile ergriffen zu sein und mit zitternder
Feder zu schreiben. Aber er sammelt sich wieder. Er nennt vier von den
Helden beim Namen, zwei vergißt er. Er sagt von dem einen, daß er der
reichste Bürger der Stadt war, von dem zweiten, daß er Ansehen und
Vermögen besaß und "zwei schöne Fräulein zu Töchtern hatte", von dem
dritten weiß er nur, daß er reich an Besitz und Erbschaft war, und
von dem vierten, daß er des dritten Bruder gewesen ist. Er berichtet,
daß sie sich bis auf das Hemde entkleideten, daß sie Stricke um ihren
Hals banden und daß sie so aufbrachen, mit den Schlüsseln von Stadt
und Kastell. Er erzählt, wie sie in das Lager des Königs kamen; er
schildert, wie hart sie der König empfing und wie der Henker schon
neben ihnen stand, als der Fürst, auf die Bitten der Königin hin, ihnen
das Leben schenkte. "Er hörte auf seine Gemahlin"--sagt Froissart,
"weil sie sehr schwanger war." Mehr enthält die Chronik nicht.

Für Rodin aber war das Stoff genug. Er fühlte sofort, daß es in dieser
Geschichte einen Augenblick gab, wo etwas Großes geschah, etwas, was
von Zeit und Namen nicht wußte, etwas Unabhängiges und Einfaches. Er
wandte alle Aufmerksamkeit dem Moment des Aufbruchs zu. Er sah, wie
diese Männer ihren Gang begannen; er fühlte, wie in jedem noch einmal
das ganze Leben war, das er gehabt hatte, wie jeder, beladen mit seiner
Vergangenheit, dastand, bereit, sie hinauszutragen aus der alten Stadt.
Sechs Männer tauchten vor ihm auf, von denen keiner dem anderen glich;
nur zwei Brüder waren unter ihnen, zwischen denen vielleicht eine
gewisse Ähnlichkeit bestand. Aber jeder einzelne hatte auf seine Art
den Entschluß gefaßt und lebte diese letzte Stunde auf seine Weise,
feierte sie mit seiner Seele und litt sie an seinem Leibe, der am
Leben hing. Und dann sah er auch die Gestalten nicht mehr. In seiner
Erinnerung stiegen Gebärden auf, Gebärden der Absage, des Abschiedes,
des Verzichts. Gebärden über Gebärden. Er sammelte sie. Er bildete sie
alle. Sie flössen ihm aus der Fülle seines Wissens zu. Es war, als
stünden in seinem Gedächtnis hundert Helden auf und drängten sich zu
dem Opfer. Und er nahm alle hundert an und machte aus ihnen sechs. Er
bildete sie nackt, jeden für sich, in der ganzen Gesprächigkeit ihrer
fröstelnden Leiber. Überlebensgroß: in der natürlichen Größe ihres
Entschlusses.

Er schuf den alten Mann mit den hängenden Armen, die in den Gelenken
gelockert sind; und er gab ihm den schweren, schleppenden Schritt, den
abgenützten Gang der Greise, und einen Ausdruck von Müdigkeit, der über
sein Gesicht fließt bis in den Bart.

Er schuf den Mann, welcher den Schlüssel trägt. In ihm ist Leben noch
für viele Jahre und alles in die plötzliche letzte Stunde gedrängt. Er
erträgt es kaum. Seine Lippen sind zusammengepreßt, seine Hände beißen
in den Schlüssel. Er hat Feuer an seine Kraft gelegt, und sie verbrennt
in ihm, in seinem Trotze. Er schuf den Mann, der den gesenkten Kopf mit
beiden Händen hält, wie um sich zu sammeln, um noch einen Augenblick
allein zu sein.

Er schuf die beiden Brüder, von denen der eine noch zurückschaut,
während der andere mit einer Bewegung der Entschlossenheit und Ergebung
das Haupt neigt, als hielte er's schon dem Henker hin.

Und er schuf die vage Gebärde jenes Mannes, der "durch das Leben geht".
"Le Passant" hat Gustave Geffroy ihn genannt. Er geht schon, aber
er wendet sich noch einmal zurück, nicht zu der Stadt, nicht zu den
Weinenden und nicht zu denen, die mit ihm gehen. Er wendet sich zurück,
zu sich selbst. Sein rechter Arm hebt sich, biegt sich, schwankt;
seine Hand tut sich auf in der Luft und läßt etwas los, etwa so, wie
man einem Vogel die Freiheit gibt. Es ist ein Abschied von allem
Ungewissen, von einem Glück, das noch nicht war, von einem Leid, das
nun umsonst warten wird, von Menschen, die irgendwo leben und denen man
vielleicht einmal begegnet wäre, von allen Möglichkeiten aus morgen und
übermorgen, und auch von jenem Tod, den man sich fern dachte, milde und
still, und am Ende einer langen, langen Zeit. Diese Gestalt, allein in
einen alten, dunklen Garten gestellt, könnte ein Denkmal sein für alle
Jungverstorbenen.

Und so hat Rodin jedem dieser Männer ein Leben gegeben in dieses Lebens
letzter Gebärde.

Die einzelnen Figuren wirken erhaben in ihrer einfachen Größe. Man
denkt an Donatello und vielleicht noch mehr an Claux Sluter und seine
Propheten in der Chartreuse von Dijon.

Es scheint zunächst, als hätte Rodin nichts weiter getan, sie
zusammenzufassen. Er hat ihnen die gemeinsame Tracht gegeben, das Hemd
und den Strick, und hat sie nebeneinandergestellt in zwei Reihen; die
drei, welche schon im Schreiten begriffen sind, in die erste Reihe,
die anderen, mit einer Wendung nach rechts, dahinter, als ob sie sich
anschlössen. Der Platz, für den das Denkmal bestimmt war, war der
Markt von Calais, dieselbe Stelle, auf der einst der schwere Gang
begonnen hatte. Dort sollten jetzt die stillen Bilder stehen, von einer
niedrigen Stufe nur wenig emporgehoben über den Alltag, so als stünde
der bange Aufbruch immer bevor, mitten in jeder Zeit.

Man weigerte sich aber in Calais, einen niedrigen Sockel zu nehmen,
weil es der Gewohnheit widersprach. Und Rodin schlug eine andere
Aufstellungsart vor. Man sollte, verlangte er, hart am Meer einen Turm
bauen, viereckig, im Umfange der Basis, mit schlichten, behauenen
Wänden und zwei Stockwerke hoch, und dort oben sollte man die sechs
Bürger aufstellen in der Einsamkeit des Windes und des Himmels. Es war
vorauszusehen, daß auch dieser Vorschlag abgelehnt wurde. Und doch lag
er im Wesen des Werkes. Hätte man den Versuch gemacht, man hätte eine
unvergleichliche Gelegenheit gehabt, die Geschlossenheit dieser Gruppe
zu bewundern, die aus sechs Einzelfiguren bestand und doch so fest
zusammenhielt, als wäre sie nur ein einziges Ding. Und dabei berührten
die einzelnen Gestalten einander nicht, sie standen nebeneinander wie
die letzten Bäume eines gefällten Waldes, und was sie vereinte, war
nur die Luft, die an ihnen teilnahm in einer besonderen Art. Ging man
um diese Gruppe herum, so war man überrascht, zu sehen, wie aus dem
Wellenschlag der Konturen rein und groß die Gebärden stiegen, sich
erhoben, standen und zurückfielen in die Masse, wie Fahnen, die man
einzieht. Da war alles klar und bestimmt. Für einen Zufall schien
nirgends Raum zu sein. Wie alle Gruppen des Rodinschen Werkes war
auch diese in sich selbst verschlossen, eine eigene Welt, ein Ganzes,
erfüllt von einem Leben, das kreiste und sich nirgends ausströmend
verlor. An Stelle der Berührungen waren hier die Überschneidungen
getreten, die ja auch eine Art von Berührung waren, unendlich
abgeschwächt durch das Medium der Luft, die dazwischen lag, beeinflußt
von ihr und verändert. Berührungen aus der Ferne waren entstanden,
Begegnungen, ein Übereinander-Hinziehen der Formen, wie man es manchmal
bei Wolkenmassen sieht oder bei Bergen, wo auch die dazwischengelagerte
Luft kein Abgrund ist, der trennt, vielmehr eine Leitung, ein leise
abgestufter Übergang.

Für Rodin war immer schon die Teilnahme der Luft von großer Bedeutung.
Er hatte alle seine Dinge, Fläche für Fläche, in den Raum gepaßt, und
das gab ihnen diese Größe und Selbständigkeit, dieses unbeschreibliche
Erwachsensein, das sie von allen Dingen unterschied. Nun aber, da er,
die Natur auslegend, allmählich dazu gekommen war, einen Ausdruck
zu verstärken, zeigte es sich, daß er damit auch das Verhältnis der
Atmosphäre zu seinem Werke steigerte, daß sie die zusammengefaßten
Flächen bewegter, gleichsam leidenschaftlicher umgab. Hatten seine
Dinge früher im Räume gestanden, so war es jetzt, als risse er sie zu
sich her. Nur bei einzelnen Tieren auf den Kathedralen konnte man
Ähnliches beobachten. Auch an ihnen nahm die Luft in eigentümlicher
Weise teil: es schien, als würde sie Stille oder Wind, je nachdem
sie über betonte oder über leise Stellen ging. Und in der Tat, wenn
Rodin die Oberfläche seiner Werke in Höhepunkten zusammenfaßte, wenn
er Erhabenes erhöhte und einer Höhlung größere Tiefe gab, verfuhr er
ähnlich mit seinem Werke, wie die Atmosphäre mit jenen Dingen verfahren
war, die ihr preisgegeben waren seit Jahrhunderten. Auch sie hatte
zusammengefaßt, vertieft und Staub abgesetzt, hatte mit Regen und
Frost, mit Sonne und Sturm diese Dinge erzogen für ein Leben, das
langsamer verging in Ragen, Dunkeln und Dauern. Schon bei den _Bürgern
von Calais_ war Rodin auf seinem eigenen Wege zu dieser Wirkung
gekommen; in ihr lag das monumentale Prinzip seiner Kunst. Mit solchen
Mitteln konnte er weithin sichtbare Dinge schaffen, Dinge, die nicht
nur von der allernächsten Luft umgeben waren, sondern von dem ganzen
Himmel. Er konnte mit einer lebendigen Fläche, wie mit einem Spiegel,
die Fernen fangen und bewegen, und er konnte eine Gebärde, die ihm groß
schien, formen und den Raum zwingen, daran teilzunehmen.

So ist jener schmale Jüngling, der kniet und seine Arme emporwirft und
zurück in einer Geste der Anrufung ohne Grenzen. Rodin hat diese Figur
_Der verlorene Sohn_ genannt, aber sie hat, man weiß nicht woher, auf
einmal den Namen _Prière_. Und sie wächst auch über diesen hinaus. Das
ist nicht ein Sohn, der vor dem Vater kniet. Diese Gebärde macht einen
Gott notwendig, und in dem, der sie tut, sind alle, die ihn brauchen.
Diesem Stein gehören alle Weiten; er ist allein auf der Welt.

Und so ist auch der _Balzac_. Rodin hat ihm eine Größe gegeben, die
vielleicht die Gestalt dieses Schriftstellers überragt. Er hat ihn im
Grunde seines Wesens erfaßt, aber er hat an den Grenzen dieses Wesens
nicht haltgemacht; um seine äußersten und fernsten Möglichkeiten, um
sein Unerreichtes hat er diesen mächtigen Kontur gezogen, der in den
Grabsteinen fernvergangener Völker vorgebildet scheint. Jahre und Jahre
hat er ganz in dieser Gestalt gelebt. Er hat Balzacs Heimat besucht,
die Landschaften der Touraine, die in seinen Büchern immer wieder
aufsteigen, er hat Briefe von ihm gelesen, er hat die Bilder studiert,
die von Balzac existieren, und er ist durch sein Werk gegangen, wieder
und wieder; auf allen den verzweigten und verschlungenen Wegen dieses
Werkes begegneten ihm die Balzacschen Menschen, ganze Familien und
Generationen, eine Welt, die immer noch an das Dasein ihres Schöpfers
zu glauben, aus ihm zu leben und ihn zu schauen schien. Er sah, daß
alle diese tausend Figuren, mochten sie tun, was sie wollten, doch
ganz mit dem Einen beschäftigt waren, der sie gemacht hatte. Und wie
man vielleicht aus den vielen Mienen eines Zuschauerraumes das Drama
erraten kann, das sich auf der Bühne vollzieht, so suchte er in allen
diesen Gesichtern nach dem, der für sie noch nicht vergangen war. Er
glaubte, wie Balzac, an die Wirklichkeit dieser Welt, und es gelang
ihm eine Weile, sich ihr einzuordnen. Er lebte, als ob Balzac auch
ihn geschaffen hätte, unauffällig gemischt unter die Menge seiner
Existenzen. So kam er zu den besten Erfahrungen. Was sonst da war,
schien bei weitem weniger beredt. Die Daguerreotypien boten nur ganz
allgemeine Anhaltspunkte und nichts Neues. Man kannte dieses Gesicht,
das sie darstellten, schon von der Schulzeit her. Nur die eine, die
im Besitze Stephan Mallarmes gewesen war und Balzac ohne Rock mit
Hosenträgern zeigte, war charakteristischer. Und dann mußten die
Aufzeichnungen der Zeitgenossen helfen. Théophile Gautiers Worte, die
Notizen der Goncourts und das schöne Porträt Balzacs, das Lamartine
geschrieben hatte. Außerdem war nur noch die Büste von David da in der
Comédie-Française und ein kleines Bildnis von Louis Boulanger.--Ganz
vom Geiste Balzacs erfüllt, ging Rodin mit diesen Hilfsmitteln nun
daran, seine äußere Erscheinung aufzurichten. Er benutzte lebende
Modelle von ähnlichen Körperverhältnissen und bildete in verschiedenen
Stellungen sieben vollkommen ausgeführte Akte. Es waren dicke,
gedrungene Männer mit schwerfälligen Gliedern und kurzen Armen,
deren er sich bediente, und er schuf nach diesen Vorarbeiten einen
Balzac, ungefähr in der Auffassung, wie die Nadarsche Daguerreotypie
ihn überlieferte. Aber er fühlte, daß damit noch nichts Endgültiges
gegeben war. Er kehrte zu der Beschreibung Lamartines zurück. Dort
stand: "Er hatte das Gesicht eines Elementes" und: "Er besaß so viel
Seele, daß sie seinen schweren Körper trug wie nichts." Rodin fühlte,
daß in diesen Sätzen ein großer Teil der Aufgabe lag. Er kam ihrer
Lösung näher, indem er allen den sieben Akten Mönchskutten anzulegen
versuchte, von der Art, wie Balzac sie bei der Arbeit zu tragen
pflegte. Es entstand hierauf ein Balzac in Kapuze, viel zu intim, zu
sehr zurückgezogen in die Stille seiner Verkleidung. Aber langsam
wuchs Rodins Vision von Form zu Form. Und endlich sah er ihn. Er sah
eine breite, ausschreitende Gestalt, die an des Mantels Fall all ihre
Schwere verlor. Auf den starken Nacken stemmte sich das Haar, und
in das Haar zurückgelehnt lag ein Gesicht, schauend, im Rausche des
Schauens, schäumend von Schaffen: das Gesicht eines Elementes. Das
war Balzac in der Fruchtbarkeit seines Überflusses, der Gründer von
Generationen, der Verschwender von Schicksalen. Das war der Mann,
dessen Augen keiner Dinge bedurften; wäre die Welt leer gewesen: seine
Blicke hätten sie eingerichtet. Das war der, der durch sagenhafte
Silberminen reich werden wollte und glücklich durch eine Fremde. Das
war das Schaffen selbst, das sich der Form Balzacs bediente, um zu
erscheinen; des Schaffens Überhebung, Hochmut, Taumel und Trunkenheit.
Der Kopf, der zurückgeworfen war, lebte auf dem Gipfel dieser Gestalt
wie jene Kugeln, die auf den Strahlen von Fontänen tanzen. Alle Schwere
war leicht geworden, stieg und fiel.

So hatte Rodin in einem Augenblick ungeheuerer Zusammenfassung und
tragischer Übertreibung seinen Balzac gesehen, und so machte er ihn.
Die Vision verging nicht; sie verwandelte sich.

Diese Entwickelung Rodins, welche die großen und monumentalen Dinge
seines Werkes mit Weite umgab, beschenkte auch die anderen mit einer
neuen Schönheit. Sie gab ihnen eine eigene Nähe. Es gibt unter den
neueren Werken kleine Gruppen, die durch ihre Geschlossenheit wirken
und durch die wunderbar sanfte Behandlung des Marmors. Diese Steine
behalten auch mitten im Tage jenes geheimnisvolle Schimmern, das weiße
Dinge ausströmen, wenn es dämmert. Das kommt nicht allein von der
Belebtheit der Berührungsstellen her; es zeigt sich, daß auch sonst
zwischen den Figuren und zwischen ihren einzelnen Teilen hier und da
flache Steinbänder stehengeblieben sind, Stege gleichsam, die in der
Tiefe eine Form mit der anderen verbinden. Das ist kein Zufall Diese
Füllungen verhüten das Entstehen wertloser Durchblicke, die aus dem
Dinge hinausführen in leere Luft; sie bewirken, daß die Ränder der
Formen, die vor solchen Lücken immer scharf und abgeschliffen scheinen,
ihre Rundung behalten, sie sammeln das Licht wie Schalen und fließen
fortwährend leise über. Wenn Rodin das Bestreben hatte, die Luft so
nahe als möglich an die Oberfläche seiner Dinge heranzuziehen, so
ist es, als hätte er hier den Stein geradezu in ihr aufgelöst: der
Marmor scheint nur der feste, fruchtbare Kern zu sein und sein letzter
leisester Kontur schwingende Luft. Das Licht, welches zu diesem Steine
kommt, verliert seinen Willen; es geht nicht über ihn hin zu anderen
Dingen; es schmiegt sich ihm an, es zögert, es verweilt, es wohnt in
ihm. Dieses Verschlossenlassen unwesentlicher Durchblicke war eine Art
von Annäherung an das Relief. Und in der Tat plant Rodin ein großes
Reliefwerk, bei dem alle die Wirkungen des Lichtes, die er mit den
kleinen Gruppen erreichte, zusammengefaßt werden sollen. Er denkt
daran, eine hohe Säule zu schaffen, um die ein breites Reliefband
sich aufwärts windet. Neben diesen Windungen wird eine gedeckte
Treppe hergehen, die nach außen durch Arkaden abgeschlossen ist. In
diesem Gange werden die Gestalten an den Wänden, wie in ihrer eigenen
Atmosphäre, leben; eine Plastik wird entstehen, die das Geheimnis
des Helldunkels kennt, eine Skulptur der Dämmerung, verwandt jenen
Bildwerken, die in den Vorhallen alter Kathedralen stehen.

So wird das _Denkmal der Arbeit_ sein. Auf diesen langsam aufsteigenden
Reliefs wird eine Geschichte der Arbeit sich entwickeln. In einer
Krypta wird das lange Band beginnen, mit den Bildern derer, die in
den Bergwerken altern, und es wird sich in seinem weiten Weg durch
alle Gewerbe ziehen, von den lärmenden und bewegten zu den immer
leiseren Werken, von den Hochöfen zu den Herzen, von den Hämmern zu den
Gehirnen. Am Eingang sollen zwei Gestalten aufragen: Tag und Nacht, und
auf dem Gipfel werden zwei geflügelte Genien stehen, die Segnungen,
die sich aus hellen Höhen zu diesem Turme niederließen. Denn dieses
Denkmal der Arbeit wird ein Turm sein. Nicht in einer großen Gestalt
oder Gebärde versuchte Rodin die Arbeit darzustellen; sie ist nicht das
weithin Sichtbare. Sie geht in den Werkstätten vor sich, in den Stuben,
in den Köpfen; im Dunkel.

Er weiß es, denn auch seine Arbeit ist so; und er arbeitet
unaufhörlich. Sein Leben geht wie ein einziger Arbeitstag.

Er hat mehrere Ateliers; bekanntere, in denen ihn Besuche und Briefe
finden, und andere, entlegene, von denen niemand weiß. Da sind Zellen,
kable, ärmliche Räume voll Staub und Grau. Aber ihre Armut ist wie jene
große graue Armut Gottes, in der im März die Bäume aufwachen. Etwas von
einem Frühlingsanfang ist darin: eine leise Verheißung und ein tiefer
Ernst.

Vielleicht wächst in einer dieser Werkstätten eines Tages der Turm
der Arbeit auf. Jetzt, da seine Verwirklichung noch bevorsteht, mußte
man von seiner Bedeutung reden; und sie schien im Stofflichen zu
liegen. Wenn dieses Denkmal aber einmal erstanden sein wird, wird man
fühlen, daß Rodin auch mit diesem Werke nichts gewollt hat über seine
Kunst hinaus. Der arbeitende Körper hat sich ihm gezeigt, wie früher
der liebende. Es war eine neue Offenbarung des Lebens. Aber dieser
Schaffende lebt so sehr unter seinen Dingen, ganz in der Tiefe seines
Werkes, daß er Offenbarungen gar nicht anders empfangen kann, als nur
mit den schlichten Mitteln seiner Kunst. Neues Leben heißt für ihn
letzten Sinnes nur: neue Oberflächen, neue Gebärden. So ist es einfach
um ihn geworden. Er kann nicht mehr irren.

Mit dieser Entwickelung hat Rodin allen Künsten ein Zeichen gegeben in
dieser ratlosen Zeit.

Man wird einmal erkennen, was diesen großen Künstler so groß gemacht
hat: daß er ein Arbeiter war, der nichts ersehnte, als ganz, mit allen
seinen Kräften, in das niedrige und harte Dasein seines Werkzeuges
einzugehen. Darin lag eine Art von Verzicht auf das Leben; aber gerade
mit dieser Geduld gewann er es: denn zu seinem Werkzeug kam die Welt.





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EIN VORTRAG
(1907)


Es gibt ein paar große Namen, die, in diesem Augenblick ausgesprochen,
eine Freundschaft zwischen uns stiften würden, eine Wärme, eine
Einigkeit, die es mit sich brächte, daß ich--nur scheinbar
abgesondert--mitten unter Ihnen spräche: aus Ihnen heraus wie eine
Ihrer Stimmen. Der Name, der weit, wie ein Sternbild aus fünf großen
Sternen über diesem Abend steht, kann nicht ausgesprochen werden. Nicht
jetzt. Er würde Unruhe über Sie bringen, Strömungen würden in Ihnen
entstehen, Zuneigung und Abwehr, während ich Ihre Stille brauche und
die ungetrübte Oberfläche Ihrer gutwilligen Erwartung.

Ich bitte die, die es noch können, den Namen zu vergessen, um den es
sich handelt, und ich mache an alle den Anspruch eines noch breiteren
Vergessens. Sie sind es gewohnt, daß man Ihnen von Kunst spricht, und
wer dürfte verschweigen, daß Ihre Geneigtheit immer williger den Worten
entgegenkommt, die sich in solchem Sinne an Sie wenden? Eine gewisse
schöne und starke Bewegung, die sich nicht länger verbergen ließ, hat,
wie eines großen Vogels Flug, Ihre Blicke ergriffen--: nun aber mutet
man Ihnen zu, Ihre Augen zu senken für die Weile eines Abends. Denn
nicht dorthin, nicht in die Himmel ungewisser Entwickelungen will ich
Ihre Aufmerksamkeit versammeln, nicht aus dem Vogelflug der neuen Kunst
will ich Ihnen wahrsagen.

Mir ist zumute wie einem, der Sie an Ihre Kindheit erinnern soll.
Nein, nicht nur an Ihre: an alles, was je Kindheit war. Denn es gilt,
Erinnerungen in Ihnen aufzuwecken, die nicht die Ihren sind, die älter
sind als Sie; Beziehungen sind wiederherzustellen und Zusammenhänge zu
erneuern, die weit vor Ihnen liegen.

Hätte ich Ihnen von Menschen zu sprechen, so könnte ich dort anfangen,
wo Sie eben aufgehört haben, da Sie hier eintraten; in Ihre Gespräche
einfallend, würde ich, wie von selbst, zu allem kommen--, getragen,
mitgerissen von dieser bewegten Zeit, an deren Ufern alles Menschliche
zu liegen scheint, überschwemmt von ihr und auf eine unerwartete Weise
gespiegelt. Aber, da ich es versuche, meine Aufgabe zu überschauen,
wird mir klar, daß ich Ihnen nicht von Menschen zu reden habe, sondern
von Dingen.

DINGE.

Indem ich das ausspreche (hören Sie?), entsteht eine Stille; die
Stille, die um die Dinge ist. Alle Bewegung legt sich, wird Kontur, und
aus vergangener und künftiger Zeit schließt sich ein Dauerndes: der
Raum, die große Beruhigung der zu nichts gedrängten Dinge.

Aber nein: so fühlen Sie die Stille noch nicht, die da entsteht. Das
Wort: Dinge geht an Ihnen vorüber, es bedeutet Ihnen nichts: zu Vieles
und zu Gleichgültiges. Und da bin ich froh, daß ich die Kindheit
angerufen habe; vielleicht kann sie mir helfen, Ihnen dieses Wort ans
Herz zu legen als ein liebes, das mit vielen Erinnerungen zusammenhängt.

Wenn es Ihnen möglich ist, kehren Sie mit einem Teile Ihres entwöhnten
und erwachsenen Gefühls zu irgendeinem Ihrer Kinderdinge zurück, mit
dem Sie viel umgingen. Gedenken Sie, ob es irgend etwas gab, was
Ihnen näher, vertrauter und nötiger war, als so ein Ding. Ob nicht
alles--außer ihm--imstande war, Ihnen weh oder unrecht zu tun, Sie mit
einem Schmerz zu erschrecken oder mit einer Ungewißheit zu verwirren?
Wenn Güte unter Ihren ersten Erfahrungen war und Zutrauen und
Nichtalleinsein--verdanken Sie es nicht ihm? War es nicht ein Ding, mit
dem Sie zuerst Ihr kleines Herz geteilt haben wie ein Stück Brot, das
reichen mußte für zwei?

In den Legenden der Heiligen haben Sie später eine fromme Freudigkeit
gefunden, eine selige Demut, eine Bereitschaft, alles zu sein, die
Sie schon kannten, weil irgendein kleines Stück Holz alles das einmal
für Sie getan und auf sich genommen und getragen hatte. Dieser kleine
vergessene Gegenstand, der alles zu bedeuten bereit war, machte Sie mit
Tausenden vertraut, indem er tausend Rollen spielte, Tier war und Baum
und König und Kind,--und als er zurücktrat, war das alles da. Dieses
Etwas, so wertlos es war, hat Ihre Beziehungen zur Welt vorbereitet, es
hat Sie ins Geschehen und unter die Menschen geführt, und mehr noch:
Sie haben an ihm, an seinem Dasein, an seinem Irgendwie-Aussehn, an
seinem endlichen Zerbrechen oder seinem rätselhaften Entgleiten alles
Menschliche erlebt bis tief in den Tod hinein.

Sie erinnern sich dessen kaum mehr, und es wird Ihnen selten bewußt,
daß Sie auch jetzt noch Dinge nötig haben, die, ähnlich wie jene Dinge
aus der Kindheit, auf Ihr Vertrauen warten, auf Ihre Liebe, auf Ihre
Hingabe. Wie kommen diese Dinge dazu? Wodurch sind überhaupt Dinge mit
uns verwandt? Welches ist ihre Geschichte?

Sehr frühe schon hat man Dinge geformt, mühsam, nach dem Vorbild der
vorgefundenen natürlichen Dinge; man hat Werkzeuge gemacht und Gefäße,
und es muß eine seltsame Erfahrung gewesen sein, Selbstgemachtes so
anerkannt zu sehen, so gleichberechtigt, so wirklich neben dem, was
war. Da entstand etwas, blindlings, in wilder Arbeit und trug an sich
die Spuren eines bedrohten offenen Lebens, war noch warm davon,--aber
kaum war es fertig und fortgestellt, so ging es schon ein unter die
Dinge, nahm ihre Gelassenheit an, ihre stille Würde und sah nur noch
wie entrückt mit wehmütigem Einverstehen aus seinem Dauern herüber.
Dieses Erlebnis war so merkwürdig und so stark, daß man begreift,
wenn es auf einmal Dinge gab, die nur um seinetwillen gemacht waren.
Denn vielleicht waren die frühesten Götterbilder Anwendungen dieser
Erfahrung, Versuche, aus Menschlichem und Tierischem, das man sah, ein
Nichtmitsterbendes zu formen, ein Dauerndes, ein Nächsthöheres: ein
Ding.

Was für ein Ding? Ein schönes? Nein. Wer hätte gewußt, was Schönheit
ist? Ein ähnliches. Ein Ding, darin man das wiedererkannte, was man
liebte, und das, was man fürchtete, und das Unbegreifliche in alledem.
Erinnern Sie sich solcher Dinge? Da ist vielleicht eines, das Ihnen
lange nur lächerlich erschien. Aber eines Tages fiel Ihnen seine
Inständigkeit auf, der eigentümliche, fast verzweifelte Ernst, den
sie alle haben; und merkten Sie da nicht, wie über dieses Bild, gegen
seinen Willen beinah, eine Schönheit kam, die Sie nicht für möglich
gehalten hätten?

Wenn es einen solchen Augenblick gegeben hat, so will ich mich jetzt
auf ihn berufen. Es ist derjenige, mit dem die Dinge wieder in Ihr
Leben eintreten. Denn es kann keines an Sie rühren, wenn Sie ihm nicht
gestatten, Sie mit einer Schönheit zu überraschen, die nicht abzusehen
war. Schönheit ist immer etwas Hinzugekommenes, und wir wissen nicht
was.

Daß es eine ästhetische Meinung gab, die die Schönheit zu fassen
glaubte, hat Sie irregemacht und hat Künstler hervorgerufen, die ihre
Aufgabe darin sahen, Schönheit zu schaffen. Und es ist immer noch nicht
überflüssig geworden, zu wiederholen, daß man Schönheit nicht "machen"
kann. Niemand hat je Schönheit gemacht. Man kann nur freundliche oder
erhabene Umstände schaffen für das, was manchmal bei uns verweilen
mag: einen Altar und Früchte und eine Flamme--. Das andere steht nicht
in unserer Macht. Und das Ding selbst, das, ununterdrückbar, aus den
Händen eines Menschen hervorgeht, ist wie der Eros des Sokrates, ist
ein Daimon, ist zwischen Gott und Mensch, selber nicht schön, aber
lauter Liebe zur Schönheit und lauter Sehnsucht nach ihr.

Nun stellen Sie sich vor, wie diese Einsicht, wenn sie einem
Schaffenden kommt, alles verändern muß. Der Künstler, den diese
Erkenntnis lenkt, hat nicht an die Schönheit zu denken; er weiß
ebensowenig wie die anderen, worin sie besteht. Gelenkt von dem Drang
nach der Erfüllung über ihn hinausreichender Nützlichkeiten, weiß er
nur, daß es gewisse Bedingungen gibt, unter denen sie vielleicht zu
seinem Dinge zu kommen geruht. Und sein Beruf ist, diese Bedingungen
kennen zu lernen und die Fähigkeit zu erwerben, sie herzustellen.

Wer aber diese Bedingungen aufmerksam bis an ihr Ende verfolgt, dem
zeigt sich, daß sie nicht über die Oberfläche hinaus und nirgends
in das Innere des Dinges hineingehn; daß alles, was man machen
kann, ist: eine auf bestimmte Weise geschlossene, an keiner Stelle
zufällige Oberfläche herzustellen, eine Oberfläche, die, wie diejenige
der natürlichen Dinge, von der Atmosphäre umgeben, beschattet und
beschienen ist, nur diese Oberfläche,--sonst nichts. Aus allen den
großen anspruchsvollen und launenhaften Worten scheint die Kunst
auf einmal ins Geringe und Nüchterne gestellt, ins Alltägliche, ins
Handwerk. Denn was heißt das: eine Oberfläche machen?

Aber lassen Sie uns einen Augenblick überlegen, ob nicht alles
Oberfläche ist, was wir vor uns haben und wahrnehmen und auslegen und
deuten? Und was wir Geist und Seele und Liebe nennen: ist das nicht
alles nur eine leise Veränderung auf der kleinen Oberfläche eines nahen
Gesichts? Und wer uns das geformt geben will, muß er sich nicht an das
Greifbare halten, das seinen Mitteln entspricht, an die Form, die er
fassen und nachfühlen kann? Und wer alle Formen zu sehen und zu geben
vermöchte, würde der uns nicht (fast ohne es zu wissen) alles Geistige
geben? Alles, was je Sehnsucht oder Schmerz oder Seligkeit genannt war
oder gar keinen Namen haben kann in seiner unsagbaren Geistigkeit?

Denn alles Glück, von dem je Herzen gezittert haben; alle Größe, an
die zu denken uns fast zerstört; jeder von den weiten umwandelnden
Gedanken--: es gab einen Augenblick, da sie nichts waren als das
Schürzen von Lippen, das Hochziehn von Augenbrauen, schattige Stellen
auf Stirnen: und dieser Zug um den Mund, diese Linie über den Lidern,
diese Dunkelheit auf einem Gesicht,--vielleicht waren sie genau so
schon vorher da: als Zeichnung auf einem Tier, als Furche in einem
Felsen, als Vertiefung auf einer Frucht....

Es gibt nur eine einzige, tausendfältig bewegte und abgewandelte
Oberfläche. In diesem Gedanken konnte man einen Moment die ganze Welt
denken, und sie wurde einfach und als Aufgabe dem in die Hände gelegt,
der diesen Gedanken dachte. Denn ob etwas ein Leben werden kann, das
hängt nicht von den großen Ideen ab, sondern davon, ob man sich aus
ihnen ein Handwerk schafft, ein Tägliches, Etwas, was bei einem aushält
bis ans Ende.

Ich wage es jetzt, Ihnen den Namen zu nennen, der sich nicht länger
verschweigen läßt: Rodin. Sie wissen, es ist der Name unzähliger Dinge.
Sie fragen nach ihnen, und es verwirrt mich, daß ich Ihnen keines
zeigen kann. Aber mir ist, als sah ich eines und noch eines in Ihrer
Erinnerung, und als könnt ich sie dort herausheben, um sie mitten unter
uns zu stellen:

diesen Mann mit der gebrochenen Nase, unvergeßlich wie eine plötzlich
erhobene Faust;

diesen Jüngling, dessen aufrechte dehnende Bewegung Ihnen so nahe ist
wie das eigene Erwachen;

diesen Gehenden, der wie ein neues Wort für Gehen in dem Wortschatz
Ihres Gefühles steht;

und den, der sitzt, denkend mit dem ganzen Körper, sich einsaugend in
sich selbst;

und den Bürger mit dem Schlüssel, wie ein großer Schrank, in dem lauter
Schmerz eingeschlossen ist.

Und die Eva, wie von weit in die Arme hineingebogen, deren nach
auswärts gewendete Hände alles abwehren möchten, auch den eigenen,
sich verwandelnden Leib. Und die süße leise innere Stimme, armlos wie
Inneres und wie ein Organ ausgelöst aus dem Kreislauf jener Gruppe.

Und irgendein kleines Ding, dessen Namen Sie vergessen haben,
gemacht aus einer weißen, schimmernden Umarmung, die wie ein Knoten
zusammenhält; und jenes andere, das vielleicht Paolo und Francesca
heißt, und kleinere noch, die Sie in sich finden wie Früchte mit ganz
dünner Schale--

und: da werfen Ihre Augen, wie die Linsen einer Laterna magica, über
mich fort, einen riesigen Balzac an die Wand. Das Bild eines Schöpfers
in seinem Hochmut, stehend in seiner eigenen Bewegung wie in einem
Sturmwirbel, der die ganze Welt hinaufreißt in dieses kreißende Haupt.
Soll ich neben die Dinge aus Ihrer Erinnerung, nun, da sie da sind,
andere von diesen hundert und hundert Dingen stellen? Diesen Orpheus,
diesen Ugolino, diese heilige Therese, die die Wundenmale empfängt,
diesen Victor Hugo mit seiner großen, schrägen, beherrschenden Gebärde,
und jenen anderen, ganz hingegeben an Einflüsterungen, und einen
dritten noch, den drei Mädchenmunde von unten ansingen, wie eine um
seinetwillen aus der Erde brechende Quelle? Und ich fühle schon, wie
mir der Name im Munde zerfließt, wie das alles nur mehr der Dichter
ist, derselbe Dichter, der Orpheus heißt, wenn sein Arm auf einem
Ungeheuern Umweg über alle Dinge zu den Saiten geht, derselbe, der
krampfhaft, schmerzvoll die Füße der fliehenden Muse faßt, die sich
entzieht; derselbe, der endlich stirbt, das steil aufgestellte Gesicht
im Schatten seiner in der Welt weitersingenden Stimmen, und so stirbt,
daß dieselbe kleine Gruppe manchmal auch Auferstehung heißt.--

Wer aber vermag nun die Welle der Liebenden aufzuhalten, die sich
draußen aufhebt auf dem Meere dieses Werkes? Mit diesen unerbittlich
verbundenen Gestalten kommen Schicksale heran und süße und trostlose
Namen--: aber auf einmal sind sie fort, wie ein Glanz, der sich
zurückzieht--und man sieht den Grund. Man sieht Männer und Frauen,
Männer und Frauen, immer wieder Männer und Frauen. Und je länger man
hinsieht, desto mehr vereinfacht sich auch dieser Inhalt, und man
sieht: Dinge.

Hier werden meine Worte machtlos und kehren zu der großen Einsicht
zurück, auf die ich Sie schon vorbereitet habe, zu dem Wissen von der
einen Oberfläche, mit welchem dieser Kunst die ganze Welt angeboten
war. Angeboten, noch nicht gegeben. Um sie zu nehmen, bedurfte es
(bedarf es immer noch) unendlicher Arbeit. Bedenken Sie, wie der
arbeiten mußte, der aller Oberfläche mächtig werden wollte; da doch
kein Ding dem andern gleich ist. Einer, dem es nicht darum zu tun
war, den Leib im allgemeinen kennen zu lernen, das Gesicht, die Hand
(das alles gibt es nicht); sondern alle Leiber, alle Gesichter, alle
Hände. Was für eine Aufgabe erhebt sich da! Und wie schlicht und ernst
ist sie; wie ganz ohne Anlockung und Versprechung; wie ganz ohne
Phrase. Ein Handwerk entsteht, aber es scheint ein Handwerk für einen
Unsterblichen zu sein, so weit ist es, so ohne Absehn und Ende und
so sehr auf Immer-noch-Lernen angelegt. Und wo war eine Geduld, die
solchem Handwerk gewachsen war?

Sie war in der Liebe dieses Arbeitenden, sie erneute sich unaufhörlich
aus ihr. Denn das ist vielleicht das Geheimnis dieses Meisters, daß
er ein Liebender war, dem nichts widerstehen konnte. Sein Verlangen
war so lang und leidenschaftlich und ununterbrochen, daß alle Dinge
ihm nachgaben: die natürlichen Dinge und alle die rätselhaften Dinge
aller Zeiten, in denen Menschliches sich sehnte, Natur zu sein.
Er blieb nicht bei denen stehen, die leicht zu bewundern sind. Er
wollte das Bewundern ganz erlernen bis ans Ende. Er nahm die schweren
verschlossenen Dinge auf sich und trug sie, und sie drückten ihn mehr
und mehr in sein Handwerk hinein mit ihrer Last. Unter ihrem Drucke
muß ihm klar geworden sein, daß es bei den Kunstdingen, genau wie bei
einer Waffe oder einer Wage, nicht darauf ankommt, irgendwie auszusehen
und durch das Aussehn zu "wirken", sondern daß es sich vielmehr darum
handelt, gut gemacht zu sein.

Dieses Gut-Machen, dieses Arbeiten mit reinstem Gewissen, war alles.
Ein Ding nachformen, das hieß: über jede Stelle gegangen sein, nichts
verschwiegen, nichts übersehen, nirgends betrogen haben; alle die
hundert Profile kennen, alle die Aufsichten und Untersichten, jede
Überschneidung. Erst dann war ein Ding da, erst dann war es Insel,
überall abgelöst von dem Kontinent des Ungewissen.

Diese Arbeit (die Arbeit am Modelé) war die gleiche bei allem, was man
machte, und sie mußte so demütig, so dienend, so hingegeben getan sein,
so ohne Wahl an Gesicht und Hand und Leib, daß nichts Benanntes mehr da
war, daß man nur formte, ohne zu wissen, was gerade entstand, wie der
Wurm, der seinen Gang macht im Dunkel von Stelle zu Stelle. Denn wer
ist noch unbefangen Formen gegenüber, die einen Namen haben? Wer wählt
nicht schon aus, wenn er etwas Gesicht nennt? Der Schaffende aber hat
nicht das Recht zu wählen. Seine Arbeit muß von gleichmäßigem Gehorsam
durchdrungen sein. Uneröffnet gleichsam, wie Anvertrautes, müssen die
Formen durch seine Finger gehen, um rein und heil in seinem Werke zu
sein.

Und das sind die Formen in Rodins Werk: rein und heil; ohne zu fragen,
hat er sie weitergegeben an seine Dinge, die wie nie berührt sind, wenn
er sie verläßt. Licht und Schatten wird leiser über ihnen wie über ganz
frischen Früchten und bewegter, wie vom Morgenwind darüber hingeführt.

Hier muß von der Bewegung gesprochen werden; nicht in dem Sinne
allerdings, in dem es oft und vorwurfsvoll geschah; denn die Bewegtheit
der Gebärden, die in dieser Skulptur viel bemerkt worden ist, geht
innerhalb der Dinge vor sich, gleichsam als ein innerer Kreislauf, und
stört niemals ihre Ruhe und die Stabilität ihrer Architektur. Es wäre
auch keine Neuerung gewesen, Bewegtheit in die Plastik einzuführen.
Neu ist die Art von Bewegung, zu der das Licht gezwungen wird durch
die eigentümliche Beschaffenheit dieser Oberflächen, deren Gefälle so
vielfach abgewandelt ist, daß es da langsam fließt und dort stürzt,
bald seicht und bald tief erscheint, spiegelnd oder matt. Das Licht,
das eines dieser Dinge berührt, ist nicht mehr irgendein Licht, es
hat keine zufälligen Wendungen mehr; das Ding nimmt von ihm Besitz und
gebraucht es wie sein eigenes.

Diese Erwerbung und Aneignung des Lichts als Folge einer ganz klar
bestimmten Oberfläche hat Rodin als eine wesentliche Eigenschaft
plastischer Dinge wiedererkannt. Die Antike und die Gotik hatten,
jede auf ihre Art, Lösungen dieser plastischen Aufgabe gesucht, und
er hat sich in uralte Traditionen gestellt, indem er die Gewinnung
des Lichtes zu einem Teil seiner Entwickelung machte. Es gibt da
wirklich Steine mit eigenem Licht, wie das gesenkte Gesicht auf
dem Block im Luxembourg-Museum, _La Pensée_, das, vorgeneigt bis
zum Schattigsein, über das weiße Schimmern seines Steines gehalten
ist, unter dessen Einfluß die Schatten sich auflösen und in ein
durchsichtiges Helldunkel übergehen. Und wer denkt nicht mit Entzücken
an eine der kleinen Gruppen, wo zwei Leiber eine Dämmerung schaffen, um
sich darin leise, mit verhaltenem Licht zu begegnen? Und ist es nicht
merkwürdig, das Licht über den liegenden Rücken der Danaïde gehen zu
sehen: langsam, als ob es kaum vorwärts käme seit Stunden. Und wußte
noch jemand von dieser ganzen Skala der Schatten bis hinauf zu jenem
leicht verscheuchten dünnen Dunkel, wie es manchmal um den Nabel
kleiner Antiken huscht, und das wir nur mehr aus der Rundung hohler
Rosenblätter kannten?

In solchen--kaum sagbaren--Fortschritten liegt die Steigerung in Rodins
Werk. Mit der Unterwerfung des Lichts begann auch schon die nächste
große Überwindung, der seine Dinge ihre Gestalt verdanken, jene Art
Groß-sein, die unabhängig ist von allen Maßen. Ich meine die Erwerbung
des Raumes.

Wieder waren es die Dinge, die sich seiner annahmen, wie schon oft,
die Dinge draußen in der Natur und einzelne Kunstdinge von erhabener
Abstammung, die er immer wieder befragen kam. Sie wiederholten ihm
jedesmal eine Gesetzmäßigkeit, von der sie erfüllt waren und die
er nach und nach begriff. Sie gewährten ihm einen Blick in eine
geheimnisvolle Geometrie des Raumes, die ihn einsehen ließ, daß die
Konturen eines Dinges in der Richtung einiger gegeneinander geneigter
Ebenen sich ordnen müssen, damit dieses Ding vom Räume wirklich
aufgenommen, gleichsam von ihm anerkannt sei in seiner kosmischen
Selbständigkeit.

Es ist schwer, diese Erkenntnis präzise auszusprechen. Aber am Werke
Rodins läßt sich zeigen, wie er sie verwendet. Immer energischer und
sicherer werden die vorhandenen Details in starken Flächeneinheiten
zusammengefaßt, und endlich stellen sie sich, wie unter dem Einfluß
rotierender Kräfte, in einigen großen Ebenen auf, richten sich aus,
sozusagen, und man meint zu sehen, wie diese Ebenen zum Himmelsglobus
gehören und ins Unendliche sich fortsetzen lassen.

Da ist der _Jüngling des Âge d'airain_, der noch wie in einem
Innenraum steht, um den _Johannes_ weicht es schon auf allen Seiten
zurück, um den _Balzac_ ist die ganze Atmosphäre--aber ein paar
hauptlose Akte, der neue ungeheuere Gehende vor allem, sind wie über
uns hinausgestellt, wie ins All, wie unter die Sterne in ein weites
unbeirrbares Kreisen.

Aber wie in einem Märchen das Übergroße, wenn es einmal bewältigt
ist, sich klein macht für seinen Überwinder, um ihm ganz zu gehören,
so hat der Meister diesen von seinen Dingen gewonnenen Raum wirklich
in Besitz nehmen dürfen als sein Eigentum. Denn er ist ganz, mit
aller Unermeßlichkeit, in den seltsamen Blättern, von denen man immer
wieder meinen möchte, daß sie das Äußerste dieses Werkes sind. Diese
Zeichnungen aus den letzten zehn Jahren sind nicht, wofür manche sie
nehmen wollten, rasche Anmerkungen, Vorbereitendes, Vorläufiges; sie
enthalten das Endgültigste einer langen ununterbrochenen Erfahrung.
Und sie enthalten es, wie durch ein fortwährendes Wunder, in einem
Nichts, in einem raschen Umriß, in einem atemlos der Natur abgenommenen
Kontur, in dem Kontur eines Konturs, den sie selber abgelegt zu
haben scheint, weil er ihr zu zart und zu kostbar war. Niemals sind
Linien, auch in den seltensten japanischen Blättern nicht, von solcher
Ausdrucksfähigkeit gewesen und zugleich so absichtslos. Denn hier ist
nichts Dargestelltes, nichts Gemeintes, keine Spur von einem Namen.
Und doch, was ist hier nicht? Welches Halten oder Loslassen oder
Nichtmehr-Haltenkönnen, welches Neigen und Strecken und Zusammenziehen,
welches Fallen oder Fliegen sah oder ahnte man je, das hier nicht
wieder vorkommt? Und wenn es irgendwo vorkam, so verlor man es: denn es
war so flüchtig und fein, so wenig für einen bestimmt, daß man nicht
fähig war, ihm einen Sinn zu geben. Jetzt erst, da man es unvermutet
in diesen Blättern wiedersieht, weiß man seine Bedeutung: das Äußerste
von Lieben und Leiden und Trostlos- und Seligsein geht von ihnen aus,
man begreift nicht warum. Da sind Gestalten, die aufsteigen, und
dieses Aufsteigen ist so hinreißend, wie nur ein Morgen es sein kann,
wenn die Sonne ihn auseinanderdrängt. Und da sind leichte, sich rasch
entfernende Gestalten, die, indem sie fortgehen, einen mit Bestürzung
erfüllen, als könnte man sie nicht entbehren. Da sind Liegende, um die
herum Schlaf entsteht und geballte Träume; und Träge, ganz schwer von
Trägheit, die warten; und Lasterhafte, die nicht mehr warten wollen.
Und man sieht ihr Laster, und es ist wie das Wachsen einer Pflanze,
die im Wahnsinn wächst, weil sie nicht anders kann; man begreift,
wieviel vom Neigen einer Blume auch noch in dieser sich Neigenden
ist, und daß alles das Welt ist, auch noch diese Figur, die, wie ein
Sternbild im Tierkreis, für immer entrückt ist und festgehalten in
ihrer leidenschaftlichen Vereinsamung.

Wenn aber eine von den bewegten Gestalten unter ein wenig grüner Farbe
sichtbar wird, so ist es das Meer oder der Meeresgrund, und sie rührt
sich anders, mühsamer, unter dem Wasser; und es genügt ein Wink mit
Blau hinter einer fallenden Figur, so stürzt sich der Raum auf allen
Seiten in das Blatt hinein und umgibt sie mit so viel Nichts, daß einen
der Schwindel nimmt und man unwillkürlich nach der Hand des Meisters
greift, die, mit einer zärtlich gebenden Wendung, die Zeichnung hinhält.

Nun hab ich Sie, merk ich, eine Gebärde des Meisters sehen lassen.
Sie verlangen andere. Sie fühlen sich vorbereitet genug, um Äußeres
und Äußerliches sogar ergänzend einordnen zu können, daß es zum Zuge
würde im persönlichen Bilde. Sie verlangen den Wortlaut eines Satzes
zu hören, wie er gesprochen worden ist; sie wollen Orte und Daten
eintragen in die Berg- und Flußkarte dieses Werkes.

Da ist eine nach einem Ölbild hergestellte Photographie. Sie zeigt
undeutlich einen jungen Mann aus dem Ende der sechziger Jahre. Die
einfachen Linien in dem bartlosen Gesicht sind nahezu hart, aber die
klar im Dunkel stehenden Augen verbinden das Einzelne zu einem milden,
fast träumerischen Ausdruck, wie ihn junge Menschen unter dem Einfluß
der Einsamkeit bekommen; es ist fast das Antlitz von einem, der gelesen
hat bis zum Dunkel-werden.

Aber da ist ein anderes Bild; um 1880. Da sieht man einen Mann, geprägt
von Tätigkeit. Das Gesicht ist abgemagert, der lange Bart läßt sich
nachlässig hinabgleiten auf die breitschultrig angelegte Büste, über
der der Rock zu weit geworden ist. In den aschblonden, verblaßten Tönen
der Photographie meint man zu erkennen, daß die Lider gerötet sind,
aber der Blick tritt sicher und entschlossen aus den überanstrengten
Augen, und in der Haltung ist eine elastische Spannung, die nicht
brechen wird.

Und mit einemmal, nach ein paar Jahren, scheint das alles umgewandelt.
Aus dem Vorläufigen und Unbestimmten ist ein Endgültiges geworden, das
gemacht ist, lange zu dauern. Auf einmal ist diese Stirne da, "felsig"
und steil, aus der die gerade starke Nase entspringt, deren Flügel
leicht und empfindlich sind. Wie unter alten steinernen Bogen liegen
die Augen weitsichtig nach außen und innen. Der Mund einer faunischen
Maske, halb verborgen und vermehrt um das sinnliche Schweigen neuer
Jahrhunderte, und darunter der Bart, wie zu lange zurückgehalten,
hervorstürzend in einer einzigen weißen Welle. Und die Gestalt, die
dieses Haupt trägt, wie nicht von der Stelle zu rücken.

Und soll man sagen, was von dieser Erscheinung ausgeht, so ist
es dieses: daß sie zurückzureichen scheint wie ein Flußgott und
vorauszuschauen wie ein Prophet. Sie ist nicht bezeichnet von unserer
Zeit. Genau bestimmt in ihrer Einzigkeit, verliert sie sich doch in
einer gewissen mittelalterlichen Anonymität, hat jene Demut der Größe,
die an die Erbauer der großen Kathedralen denken macht. Ihre Einsamkeit
ist keine Absonderung, denn sie beruht im Zusammenhang mit der Natur.
Ihre Männlichkeit ist bei aller Hartnäckigkeit ohne Härte, so daß sogar
ein Freund Rodins, den er manchmal gegen Abend besuchte, schreiben
konnte: "Es bleibt, wenn er geht, in der Dämmerung des Zimmers etwas
Mildes zurück, als wäre eine Frau dagewesen."

Und in der Tat, die wenigen, die in der Freundschaft des Meisters
aufgenommen waren, haben seine Güte erfahren, die elementar wie die
Güte einer Naturkraft ist, wie die Güte eines langen Sommertags, der
alles wachsen läßt und spät dunkelt. Aber auch die flüchtigen Besucher
der Sonnabend-Nachmittage haben Anteil daran gehabt, wenn sie in den
beiden Stadtateliers im Depot des Marbres zwischen vollendeten und
halbfertigen Arbeiten immer wieder dem Meister begegneten. Man fühlt
sich sicher in seiner Höflichkeit vom ersten Augenblick an, aber man
erschrickt fast vor der Intensität seines Interesses, wenn er sich
einem zuwendet. Dann hat er jenen Blick konzentrierter Aufmerksamkeit,
der kommt und geht wie das Licht eines Scheinwerfers, aber so stark
ist, daß man es noch weit hinter sich hell werden fühlt.

Sie haben diese Werkstätten in der rue de l'Université oft beschreiben
hören. Es sind Bauhütten, in denen die Bausteine dieses großen Werkes
behauen werden. Fast steinbruchhaft unwirtlich, bieten sie dem Besucher
keine Zerstreuung; nur für Arbeit eingerichtet, zwingen sie ihn, das
Schauen als Arbeit auf sich zu nehmen, und viele haben an dieser Stelle
zuerst empfunden, wie ungewohnt ihnen diese Arbeit ist. Andere, die
es lernten, traten mit einem Fortschritt wieder heraus und merkten,
daß sie gelernt hatten, an allem, was draußen war. Am merkwürdigsten
aber sind diese Räume sicher für die gewesen, die schauen konnten.
Von einem Gefühl sanfter Notwendigkeit geführt, kamen sie hierher,
manchmal von weit, und es war für sie das, was eines Tages kommen
mußte, hier zu stehen, unter dem Schutz dieser Dinge. Es war ein
Abschluß und ein Anfang und die stille Erfüllung des Wunsches, daß es
irgendwo ein Beispiel geben möge unter all den Worten, eine einfache
Wirklichkeit des Gelingens. Zu solchen trat dann wohl Rodin heran und
bewunderte mit ihnen, was sie bewunderten. Denn der dunkle Weg seiner
absichtslosen Arbeit, der durch das Handwerk führt, ermöglicht ihm, vor
seinen vollendeten Dingen, die er nicht überwacht und bevormundet hat,
selber bewundernd zu stehen, wenn sie erst da sind und ihn übertreffen.
Und seine Bewunderung ist jedesmal besser, gründlicher, entzückter als
die des Besuchers. Seine unbeschreibliche Konzentrierung kommt ihm
überall zu-gute. Und wenn er im Gespräch die Zumutung der Inspiration
nachsichtig und mit ironischem Lächeln abschüttelt und meint, es
gebe keine--, keine Inspiration, sondern nur Arbeit, so begreift man
plötzlich, daß für diesen Schaffenden die Eingebung dauernd geworden
ist, daß er sie nicht mehr kommen fühlt, weil sie nicht mehr aussetzt,
und man ahnt den Grund seiner ununterbrochenen Fruchtbarkeit.

"Avez-vous bien travaillé?"--ist die Frage, mit der er jeden begrüßt,
der ihm lieb ist; denn wenn die bejaht werden kann, so ist weiter
nichts mehr zu fragen, und man kann beruhigt sein: wer arbeitet,
ist glücklich. Für Rodins einfache und einheitliche Natur, die über
unglaubliche Kraftvorräte verfügt, war diese Lösung möglich; für sein
Genie war sie notwendig; nur so konnte es sich der Welt bemächtigen.
Zu arbeiten, wie die Natur arbeitet, nicht wie Menschen, das war seine
Bestimmung.

Vielleicht hat das Sebastian Melmoth empfunden, als er einsam, an
einem seiner traurigen Nachmittage hinausgegangen war, die _Porte de
l'Enfer_ zu sehen. Vielleicht hat die Hoffnung, neu anzufangen, noch
einmal in seinem halbzerstörten Herzen gezuckt. Vielleicht hätte er,
wenn es möglich gewesen wäre, den Mann, als er mit ihm allein war,
fragen mögen: Wie ist Ihr Leben gewesen?

Und Rodin hätte geantwortet: Gut.

Haben Sie Feinde gehabt?

Sie haben mich nicht am Arbeiten hindern können.

Und der Ruhm?

Hat mich verpflichtet, zu arbeiten.

Und die Freunde?

Haben Arbeit von mir verlangt.

Und die Frauen?

In der Arbeit hab ich sie bewundern gelernt.

Aber Sie sind jung gewesen?

Da war ich irgendeiner. Man begreift nichts, wenn man jung ist; das
kommt später, langsam.

Was Sebastian Melmoth nicht gefragt hat, vielleicht hat es mancher
gedacht, wenn er zu dem Meister hinübersah, immer wieder, erstaunt
über die dauerhafte Kraft des fast Siebzigjährigen, über diese Jugend
in ihm, die nichts Konserviertes hat, die frisch ist, als käme sie ihm
immer wieder aus der Erde zu.

Und Sie selbst fragen, ungeduldiger, nochmals: Wie ist sein Leben
gewesen?

Wenn ich zögere, es Ihnen zu erzählen, der Zeit nach, wie man
Lebensläufe berichtet, so ist es, weil es mir scheint, als ob alle
Daten, die man kennt (und es sind nur sehr vereinzelte), wenig
persönlich und recht allgemein wären im Vergleich zu dem, was dieser
Mann aus ihnen gemacht hat. Von allem, was vorher war, abgetrennt
durch das ungangbare Gebirge des gewaltigen Werkes, hat man es schwer,
Vergangenes zu erkennen; man ist auf das angewiesen, was der Meister
selbst gelegentlich erzählt hat und was von anderen wiedererzählt
worden ist.

Von der Kindheit hat man nur erfahren, daß der Knabe frühzeitig aus
Paris in eine kleine Pension nach Beauvais gebracht worden ist, wo
er das Haus entbehrt und, zart und empfindsam, unter denen leidet,
die ihn mit Fremdheit und Rücksichtslosigkeit umgeben. Er kommt
als Vierzehnjähriger zurück nach Paris und lernt in einer kleinen
Zeichenschule zuerst den Ton kennen, den er am liebsten nicht wieder
aus den Händen ließe: so sehr sagt dieses Material ihm zu. Wie
überhaupt alles ihm gefällt, was Arbeit ist: er arbeitet sogar während
des Essens, er liest, er zeichnet. Er zeichnet unterwegs auf der Straße
und ganz früh am Morgen, im Jardin des Plantes, die verschlafenen
Tiere. Und wozu ihn die Lust nicht verlockt, dazu treibt ihn die Armut.
Die Armut, ohne die sein Leben nicht denkbar wäre, und der er es nie
vergißt, daß sie ihn mit Tieren und Blumen gehalten hat, besitzlos
unter all dem Besitzlosen, das von Gott abhängt und nur von ihm.

Mit siebzehn Jahren tritt er bei einem Dekorateur ein und arbeitet
für ihn, wie später an der Manufaktur von Sèvres für Carrier-Belleuse
und für van Rasbourg in Antwerpen und in Brüssel. Sein eigentliches,
selbständiges Leben beginnt, der Öffentlichkeit gegenüber, etwa um
das Jahr 1877. Es beginnt damit, daß man ihn anklagt, die damals
ausgestellte Statue des _Âge d'airain_ durch Naturabguß verfertigt
zu haben. Es beginnt damit, daß man ihn anklagt. Er wüßte es jetzt
vielleicht kaum mehr, wenn nicht die öffentliche Meinung so ausdauernd
dabei geblieben wäre, ihn anzuklagen und abzuwehren. Er beklagt sich
nicht darüber; nur daß sich unter dem Einfluß der Feindseligkeit,
die nicht nachließ, ein gutes Gedächtnis für böse Erfahrungen in ihm
ausgebildet hat, das er sonst, mit seinem Sinn für das Wesentliche,
hätte verkümmern lassen. Sein Können war schon enorm zu jener Zeit, war
es schon im Jahre 1864, als die Maske des _Mannes mit der gebrochenen
Nase_ entstand. Er hatte sehr viel in seiner Abhängigkeit gearbeitet,
aber was da war, war von anderen Händen entstellt und trug nicht
seinen Namen. Die Modelle, die er für Sèvres ausgeführt hatte, fand
später Mr. Roger-Marx und erwarb sie; man hatte sie in der Fabrik als
unbrauchbar zu Scherben geworfen. Zehn Masken, für eines der Bassins
am Trocadero bestimmt, verschwanden, gleich nachdem sie angebracht
worden waren, von ihrem Platz und sind noch nicht wieder aufgefunden
worden. Die _Bürger von Calais_ bekamen nicht die Aufstellung, die der
Meister vorgeschlagen hatte; niemand wollte sich an der Enthüllung
dieses Denkmals beteiligen. In Nancy zwang man Rodin, am Sockel des
Standbildes Claude Lorrains Veränderungen vorzunehmen, die gegen seine
Überzeugung waren. Sie erinnern sich noch der unerhörten Ablehnung des
_Balzac von_ Seiten seiner Besteller, mit der Begründung, die Statue
wäre nicht ähnlich genug. Vielleicht haben Sie es in den Zeitungen
übersehen, daß noch vor zwei Jahren der probeweise vor dem Pantheon
aufgerichtete Gipsabguß des _Denkers_ durch Axthiebe zertrümmert
worden ist. Aber es ist möglich, daß Ihnen heut oder morgen eine
ähnliche Notiz auffällt, falls es wieder zum öffentlichen Ankauf
eines Rodinschen Werkes kommen sollte. Denn diese Liste, die nur eine
Auswahl der Kränkungen enthält, die man unablässig zu vermehren bemüht
war, wird wohl kaum abgeschlossen sein.

Es wäre denkbar, daß ein Künstler schließlich diesen immer wieder
erklärten Krieg angenommen hätte; Unwillen und Ungeduld hätten den
und jenen hinreißen können; aber wie sehr wäre er, auf den Kampfplatz
tretend, von seinem Werke entfernt worden. Es ist Rodins Sieg, daß
er in dem seinen ausharrte und Zerstörung in der Art der Natur
beantwortete: mit einem neuen Anfang und zehnfacher Fruchtbarkeit.

Wer sich scheut, den Vorwurf der Übertreibung auf sich zu nehmen, hat
überhaupt kein Mittel, Ihnen die Tätigkeit Rodins nach seiner Rückkehr
aus Belgien zu schildern. Der Tag begann für ihn mit der Sonne, aber
er endete nicht mit ihr; denn da wurde noch ein langer Streifen
Lampenlicht angefügt an die vielen hellen Stunden. Spät nachts, wenn
kein Modell mehr zu haben war, war die Frau, die sein Leben schon lange
mit rührender Hilfe und Hingabe teilte, immer bereit, die Arbeit in
dem dürftigen Zimmer zu ermöglichen. Sie war unscheinbar als Gehilfin,
ganz verschwindend in den vielen geringen Diensten, die ihr zufielen,
aber daß sie auch schön sein konnte, das läßt die _La Bellone_
genannte Büste nicht vergessen, und auch das schlichte spätere Bildnis
spricht davon. War auch sie schließlich müde, so erwies sich, daß das
Gedächtnis des Arbeitenden mit Formerinnerungen so sehr angefüllt war,
daß er keinen Grund hatte, die Arbeit zu unterbrechen.

Damals entstehen die Fundamente des ganzen unermeßlichen Werkes,
fast alle Arbeiten, die man kennt, setzen in jenen Tagen mit
einer verwirrenden Gleichzeitigkeit ein. Als wäre der Beginn der
Verwirklichung die einzige Gewähr, daß es möglich sein wird, so
Ungeheures durchzuführen. Und Jahre und Jahre hielt diese überlegene
Kraft unvermindert vor, und als endlich eine gewisse Erschöpfung
eintrat, war es nicht die Arbeit, die sie verschuldete, sondern
viel eher die ungesunden Verhältnisse der sonnenlosen Wohnung (in
der rue des Grands-Augustins), die Rodin lange gar nicht beachtet
hatte. Freilich, die Natur hatte er oft entbehrt, und manchmal an
Sonntagnachmittagen war man aufgebrochen; aber gewöhnlich war es Abend,
ehe man, gehend unter den vielen Gehenden (denn an die Benutzung
eines Omnibus war nicht zu denken jahrelang), an den Fortifications
angekommen war, vor denen, ungewiß und schon dämmernd, das Land begann,
nicht zu erreichen. Nun aber war es endlich möglich geworden, den alten
Wunsch auszuführen und ganz aufs Land zu ziehen; zuerst nach Bellevue
in das kleine Landhaus, in dem Scribe gewohnt hatte, und später auf die
Höhen von Meudon.

Dort war das Leben um vieles geräumiger geworden; das Haus (die
einstöckige Villa des Brillants mit dem hohen Louis-treize-Dach) war
klein und ist seither nicht vergrößert worden. Aber nun war ein Garten
da, der mit seinem heiteren Beschäftigtsein teilnahm an allem, was
geschah, und die Ferne war vor den Fenstern. Was sich nun in den neuen
Verhältnissen ausbreitete und immer wieder Zubauten beanspruchte, das
war nicht der Herr dieses Hauses, das waren seine geliebten Dinge,
die nun verwöhnt werden sollten. Für sie ist alles getan worden;
noch vor sechs Jahren hat er--Sie werden sich dessen erinnern--den
Ausstellungs-Pavillon vom Pont de l'Alma nach Meudon überführt und
diesen hellen hohen Raum draußen den Dingen überlassen, die ihn nun zu
Hunderten erfüllen.

Neben diesem "Musée Rodin" ist nach und nach ein sehr persönlich
ausgewähltes Museum antiker Statuen und Fragmente erwachsen, das Werke
griechischer und ägyptischer Arbeit enthält, von denen einzelne in
den Sälen des Louvre auffallen würden. In einem anderen Raum stehen
hinter attischen Vasen Bilder, denen man, auch ohne die Signatur
zu suchen, die richtigen Namen gibt: Ribot, Monet, Carrière, van
Gogh, Zuloaga, und unter Bildern, die man nicht zu nennen weiß, ein
paar, die auf Falguière zurückgehen, der ein großer Maler war. Es
ist natürlich, daß es nicht an Widmungen fehlt: die Bücher allein
bilden eine umfangreiche Bibliothek und eine seltsam selbständige,
unabhängig von der Wahl ihres Besitzers und doch nicht zufällig um
ihn gestellt. Alle diese Gegenstände sind von Sorgfalt umgeben und in
Ehren gehalten, aber niemand erwartet von ihnen, daß sie Annehmlichkeit
oder Stimmung verbreiten sollen. Fast hat man das Gefühl, Kunstdinge
verschiedenster Art und Zeit nie in so starker, unverminderter
Einzelwirkung erlebt zu haben, wie hier, wo sie nicht ehrgeizig
aussehen wie in einer Sammlung, und auch nicht gezwungen sind, aus dem
Vermögen ihrer Schönheit zu einem allgemeinen, von ihnen absehenden
Behagen beizutragen. Jemand hat einmal gesagt, daß sie gehalten wären
wie schöne Tiere, und er hat damit wirklich Rodins Beziehung zu den
Dingen, die ihn umgeben, festgestellt; denn wenn er, oft nachts noch,
unter ihnen herumgeht, vorsichtig, wie um nicht alle zu wecken, und
mit einem kleinen Licht schließlich zu einem antiken Marmor tritt,
der sich rührt, aufwacht und plötzlich aufsteht: so ist es das Leben,
das er suchen gegangen ist und das er nun bewundert: "La vie, cette
merveille", wie er einmal schrieb.

Dieses Leben hat er hier in der ländlichen Einsamkeit seiner Wohnung
mit noch gläubigerer Liebe umfassen gelernt. Es zeigt sich ihm jetzt
wie einem Eingeweihten, es verbirgt sich ihm nirgends mehr, es hat
kein Mißtrauen ihm gegenüber. Er erkennt es im Kleinen und im Großen;
im kaum mehr Sichtbaren und im Unermeßlichen. Im Aufstehen und im
Schlafengehen ist es, und es ist im Nachtwachen; die schlichten
altmodischen Mahlzeiten sind erfüllt davon, das Brot, der Wein; in der
Freude der Hunde ist es, in den Schwänen und im glänzenden Kreisen der
Tauben. In jeder kleinen Blume ist es ganz, und hundertmal in jeder
Frucht. Irgendein Kohlblatt aus dem Küchengarten brüstet sich damit und
mit wieviel Recht. Wie gerne schimmert es im Wasser, und wie glücklich
ist es in den Bäumen. Und wie nimmt es, wo es kann, das Dasein der
Menschen in Besitz, wenn sie sich nicht sträuben. Wie stehn da drüben
die kleinen Häuser gut, genau wo sie stehen müssen, in den richtigen
Ebenen. Und wie prachtvoll springt bei Sèvres die Brücke über den Fluß,
absetzend, ruhend, ausholend und wieder springend, dreimal. Und ganz
dahinter der Mont-Valerien mit seinen Befestigungen, wie eine große
Plastik, wie eine Akropolis, wie ein antiker Altar. Und auch das hier
haben Menschen gemacht, die dem Leben nahestanden: diesen Apollo,
diesen ruhenden Buddha auf der offenen Blume, diesen Sperber und,
hier, diesen knappen Knabentorso, an dem keine Lüge ist. Auf solchen
Einsichten, die Nahes und Entferntes ihm fortwährend bestätigt, ruhen
die Arbeitstage des Meisters von Meudon. Arbeitstage sind es geblieben,
einer wie der andere, nur daß jetzt auch das mit zur Arbeit gehört,
dieses Hinausschauen und Mitallemsein und Verstehen. Je commence à
comprendre--sagt er manchmal nachdenklich und dankbar. "Und das kommt,
weil ich mich um eine Sache ernstlich bemüht habe; wer Eines versteht,
der versteht überhaupt; denn in allem sind dieselben Gesetze. Ich habe
die Skulptur gelernt, und ich wußte wohl, daß das etwas Großes ist.
Ich erinnere mich jetzt, daß ich einmal in der 'Nachfolge Christi', im
dritten Buch besonders, überall statt Gott Skulptur gesetzt hatte, und
es war richtig und stimmte--."

Sie lächeln, und es ist ganz in der Ordnung, bei dieser Stelle zu
lächeln; ihr Ernst ist so unbeschützt, daß man das Gefühl hat, ihn
verbergen zu müssen. Aber Sie merken schon, daß Worte, wie dieses,
nicht gemacht sind, um so laut gesprochen zu werden, wie ich hier
sprechen muß. Sie erfüllen vielleicht auch ihre Mission, wenn die
Einzelnen, die sie selbst empfangen haben, versuchen, ihr Leben danach
einzurichten.

Übrigens ist Rodin schweigsam wie alle Handelnden. Er gibt sich auch
selten das Recht, seine Einsichten in Worten zu verwenden, weil das des
Dichters ist; und der Dichter steht seiner Bescheidenheit weit über dem
Bildhauer, der, wie er einmal vor seiner schönen Gruppe _Le sculpteur
et sa muse_ mit verzichtendem Lächeln gesagt hat, "sich unbeschreiblich
anstrengen muß, in seiner Schwerfälligkeit, die Muse zu verstehen".

Trotzdem gilt, was von seiner Rede gesagt worden ist: "quelle
impression de bon repas, de nourriture enrichissante--"; denn hinter
jedem Wort seines Gesprächs steht, massiv und beruhigend, die schlichte
Wirklichkeit seiner erfahrenen Tage.

Sie können jetzt begreifen, daß diese Tage ausgefüllt sind. Der
Vormittag vergeht in Meudon; oft werden in den verschiedenen Ateliers
mehrere begonnene Arbeiten nacheinander vorgenommen und jede ein wenig
gefördert; dazwischen drängt sich, lästig und unabweisbar, der ganze
geschäftliche Verkehr, dessen Sorge und Mühsal dem Meister nicht
erspart bleibt, da fast keines seiner Werke durch den Kunsthandel
geht. Meistens schon um zwei Uhr wartet ein Modell in der Stadt, ein
Porträt-besteller oder ein Berufsmodell, und nur im Sommer erreicht es
Rodin, vor Einbruch der Dämmerung wieder in Meudon zu sein. Der Abend
draußen ist kurz und immer derselbe; denn um neun Uhr begibt man sich
regelmäßig zur Ruhe.

Und fragen Sie nach den Zerstreuungen, den Ausnahmen: es gibt im
Grunde keine; Renans "travailler, ça repose" hat vielleicht noch nie
so tägliche Gültigkeit angenommen wie hier. Aber die Natur erweitert
manchmal unversehens diese äußerlich so gleichen Tage und fügt Zeiten
ein, ganze Ferien, die vor dem Tagwerk liegen; sie läßt ihren Freund
nichts versäumen. Morgen, die sich glücklich fühlen, wecken ihn, und
er teilt mit ihnen. Er sieht seinem Garten zu, oder er kommt nach
Versailles zu dem prunkvollen Aufstehen der Parke, wie man zum Lever
des Königs kam. Er liebt die Unberührtheit dieser ersten Stunden.
"On voit les animaux et les arbres chez eux", sagt er heiter, und er
bemerkt alles, was am Wege steht und sich freut. Er hebt einen Pilz
auf, entzückt, und zeigt ihn Madame Rodin, die, gleich ihm, diese
frühen Wege nicht aufgegeben hat: "Sieh," sagt er angeregt, "und das
braucht nur eine Nacht; in einer Nacht ist das gemacht, alle diese
Lamellen. Das arbeitet gut."

Am Rande des Parkes dehnt sich die ländliche Landschaft. Ein
Viergespann pflügender Rinder wendet langsam und bewegt sich gewichtig
in dem frischen Feld. Rodin bewundert die Langsamkeit, das Ausführliche
im Langsamen, seine Fülle. Und dann: "C'est toute obéissance." Seine
Gedanken gehen ähnlich durch die Arbeit. Er versteht dieses Bild, wie
er die Bilder bei den Dichtern begreift, mit denen er sich manchmal
am Abend beschäftigt. (Das ist nicht mehr Baudelaire, Rousseau ist
es noch ab und zu, sehr oft ist es Platon.) Aber als jetzt von den
Übungsplätzen drüben aus Saint-Cyr über die ruhige Feldarbeit die
Hörner herüberrufen, aufrührerisch und rasch--, da lächelt er: er
sieht den Schild des Achill.

Und an der nächsten Biegung liegt die Landstraße vor ihm, "la belle
route", eben und lang und wie das Gehen selbst. Und auch das Gehen ist
ein Glück. Das hat ihn die belgische Zeit gelehrt. Sehr gewandt im
Arbeiten und von seinem damaligen Kompagnon aus verschiedenen Gründen
nur halb in Anspruch genommen, gewann er ganze Tage, um sie draußen zu
verbringen. Ein Malkasten war zwar mit, aber er wurde immer seltener
gebraucht, weil Rodin einsah, daß die Beschäftigung mit einer Stelle
ihn von der Freude an tausend anderen Dingen ablenkte, die er noch
so wenig kannte. So wurde es eine Zeit des Schauens. Rodin nennt
sie seine reichste. Die großen Buchenwälder von Soignes, die blanken
langen Straßen, die aus ihnen hinaus dem weiten Wind der Ebenen
entgegenlaufen, die klaren Estaminets, in denen Rast und Mahlzeit etwas
Festliches hatten bei aller Schlichtheit (gewöhnlich nur Brot in Wein
getaucht: "une trempête"): dieses war lange der Kreis seiner Eindrücke,
in den jedes einfache Ereignis eintrat wie mit einem Engel; denn er
erkannte hinter jedem die Flügel einer Herrlichkeit.

Er hat sicher recht, wenn er an dieses jahrelange Gehen und Schauen mit
einer Dankbarkeit ohnegleichen zurückdenkt. Es war seine Vorbereitung
auf die kommende Arbeit; es war ihre Vorbedingung in jedem Sinn; denn
damals nahm auch seine Gesundheit die endgültige dauernde Festigkeit
an, mit der er später rücksichtslos rechnen mußte.

Wie er aus jenen Jahren unerschöpfliche Frische mitbrachte, so kehrt
er jetzt noch jedesmal gestärkt und voll Arbeitslust von einem weiten
morgendlichen Wege zurück. Glücklich, wie mit guten Nachrichten, tritt
er bei seinen Dingen ein und geht auf eines zu, als hätte er ihm etwas
Schönes mitgebracht. Und ist im nächsten Augenblick vertieft, als
arbeite er seit Stunden. Und fängt an und ergänzt und verändert hier
und dort, als ginge er, durch das Gedränge, dem Ruf der Dinge nach, die
ihn nötig haben. Keines ist vergessen; die zurückgerückten warten auf
ihre Stunde und haben Zeit. Auch in einem Garten wächst nicht alles
zugleich. Blüten stehen neben Früchten, und irgendein Baum ist noch bei
den Blättern. Sagte ich nicht, daß es im Wesen dieses Gewaltigen liegt,
Zeit zu haben wie die Natur und hervorzubringen wie sie?

Ich wiederhole es, undesscheint mir immer noch wunderbar, daß es
einen Menschen gibt, dessen Arbeit zu solchen Maßen angewachsen ist.
Aber ich kann doch nicht den erschreckten Blick vergessen, der mich
einmal abwehrte, als ich in einem kleinen Kreise mich dieses Ausdrucks
bediente, um die ganze Größe Rodinschen Genies für einen Moment
gleichzeitig heraufzurufen. Eines Tages begriff ich diesen Blick.

Ich ging in Gedanken durch die ungeheuren Werkstätten, und ich
sah, daß alles im Werden war und nichts eilte. Da stand, riesig
zusammengeballt, der _Denker_, in Bronze, vollendet; aber er gehörte ja
in den immer noch wachsenden Zusammenhang des _Höllentors_. Da wuchs
das eine Denkmal für Victor Hugo heran, langsam, immerfort beobachtet,
vielleicht noch Abänderungen ausgesetzt, und weiterhin standen die
anderen Entwürfe, werdend. Da lag, wie ausgegrabenes Wurzelwerk
einer uralten Eiche, die Gruppe des Ugolino und wartete. Da wartete
das merkwürdige Denkmal für Puvis de Chavannes mit dem Tisch, dem
Apfelbaum und dem herrlichen Genius der ewigen Ruhe. Das da drüben
wird ein Denkmal für Whistler sein, und hier diese ruhende Gestalt
wird vielleicht einmal das Grab eines Unbekannten berühmt machen.
Es ist kaum durchzukommen; aber schließlich bin ich wieder vor dem
kleinen Gipsmodell der _Tour du Travail,_ das nun in seiner endgültigen
Anordnung nur des Bestellers harrt, der das riesige Beispiel seiner
Bilder aufrichten hilft unter den Menschen.

Aber da ist neben mir ein anderes Ding, ein stilles Gesicht, zu dem
eine leidende Hand gehört, und der Gips hat jene durchscheinende Weiße,
die er nur unter Rodins Werkzeug annimmt. Auf dem Gestell steht,
vorläufig vorgemerkt und schon wieder durchgestrichen: _Convalescente._
Und nun finde ich mich unter lauter namenlosen neuen werdenden Dingen;
sie sind gestern begonnen oder vorgestern oder vor Jahren; aber sie
haben dieselbe Unbekümmertheit wie jene anderen. Sie rechnen nicht.
Und da fragte ich mich zum ersten Male: Wie ist es möglich, daß sie
nicht rechnen? Warum ist dieses immense Werk immer noch im Ansteigen,
und wohin steigt es? Denkt es nicht mehr an seinen Meister? Glaubt
es wirklich in den Händen der Natur zu sein wie die Felsen, an denen
tausend Jahre hingehen wie ein Tag?

Und es war mir, in meiner Bestürzung, als müßte man alles Fertige
hinausschaffen aus den Werkstätten, um übersehen zu können, was noch zu
tun ist in den nächsten Jahren. Aber während ich das viele Vollendete
zählte, die schimmernden Steine, die Bronzen, alle diese Büsten, da
blieb mein Blick hoch an dem _Balzac_ haften, dem Zurückgekommenen,
Abgewiesenen, der dastand, hochmütig, als wollte er nicht wieder
hinaus.

Und seither sehe ich die Tragik dieses Werkes auf dem Grunde seiner
Größe. Ich fühle deutlicher als je, daß in diesen Dingen die Skulptur
unaufhaltsam zu einer Macht angewachsen ist, wie niemals seit der
Antike. Aber diese Plastik ist in eine Zeit geboren worden, die keine
Dinge hat, keine Häuser, kein Äußeres. Denn das Innere, das diese Zeit
ausmacht, ist ohne Form, unfaßbar: es fließt.

Dieser hier mußte es fassen; er war ein Former in seinem Herzen. Er
hat alles das Vage, Sich-Verwandelnde, Werdende, das auch in ihm war,
ergriffen und eingeschlossen und hingestellt wie einen Gott; denn auch
die Verwandlung hat einen. Als ob einer ein dahinstürzendes Metall
aufhielte und es erstarren ließe in seinen Händen.

Vielleicht erklärt es einen Teil des Widerstandes, der sich diesem
Werke überall entgegenstemmte, daß hier Gewalt geschah. Das Genie
ist immer ein Schrecken für seine Zeit; aber indem hier eines die
unsere nicht nur im Geiste, sondern auch im Verwirklichen fortwährend
überholt, wirkt es furchtbar, wie ein Zeichen am Himmel.

Fast möchte man einsehen: diese Dinge können nirgends hin. Wer wagt es,
sie bei sich aufzunehmen?

Und gestehen sie nicht selbst ihre Tragik ein, die strahlenden, die
den Himmel an sich gerissen haben in ihrer Verlassenheit? Und die nun
dastehen, von keinem Gebäude mehr zu bändigen? Sie stehen im Räume. Was
gehen sie uns an.

Denken Sie, daß ein Berg aufstünde im Lager von Nomaden. Sie würden
ihn verlassen und weiterziehen um ihrer Herden willen.

Und wir sind ein Wandervolk, alle; nicht deshalb, weil keiner ein
Zuhause hat, bei dem er bleibt und an dem er baut, sondern weil wir
kein gemeinsames Haus mehr haben. Weil wir auch unser Großes immer mit
uns herumtragen müssen, statt es von Zeit zu Zeit hinzustellen, wo das
Große steht.

Und doch, wo immer Menschliches ganz groß wird, da verlangt es danach,
sein Gesicht zu verbergen im Schöße allgemeiner namenloser Größe.
Als es zuletzt noch einmal nach der Antike, in Standbildern anwuchs
aus Menschen heraus, die auch unterwegs waren in ihren Geistern und
voller Verwandlung,--wie stürzte es da nach den Kathedralen hin und
trat in die Vorhallen zurück und bestieg Tore und Türme wie bei einer
Überschwemmung.

Wohin aber sollten die Dinge Rodins?

Eugène Carrière hat einmal von ihm geschrieben: "Il n'a pas pu
collaborer à la cathédrale absente."

Er hat nirgends mitarbeiten können, und keiner hat mit ihm gearbeitet.

In den Häusern des achtzehnten Jahrhunderts und seinen gesetzvollen
Parken sah er wehmütig das letzte Gesicht der Innenwelt einer Zeit. Und
geduldig erkannte er in diesem Gesicht die Züge eines Zusammenhangs mit
der Natur, der seither verloren gegangen ist. Immer unbedingter wies er
auf sie hin und riet, zurückzukehren "à l'oeuvre même de Dieu, oeuvre
immortelle et redevenue inconnue." Und es galt schon denen, die nach
ihm kommen werden, wenn er vor der Landschaft sagte: "Voilà tous les
styles futurs."

Seine Dinge konnten nicht warten; sie mußten getan sein. Er hat ihre
Obdachlosigkeit lange vorausgesehen. Ihm blieb nur die Wahl, sie in
sich zu ersticken oder ihnen den Himmel zu gewinnen, der um die Berge
ist.

Und das war seine Arbeit.

In einem ungeheuren Bogen hat er seine Welt über uns hingehoben und hat
sie in die Natur gestellt.




ANMERKUNGEN


Anmerkung zu Seite 100. (Suche: "Von der Kindheit hat man nur erfahren,
daß der Knabe...--m.d.)

Die meisten und zuverlässigsten Angaben enthält: Judith Cladel,
"Auguste Rodin, pris sur la vie" (Paris 1903); neue, illustrierte
Prachtausgabe, Brüssel 1908, eine sorgfältige und sympathische
Arbeit, der aus persönlichen Eindrücken und Gesprächen ein liebevoll
geschriebenes Bildnis Rodins gelingt.


Anmerkung zu Seite 113. _(Tour du Travail.)_

Wiederholte Anfragen lassen mich vermuten, daß eine kurze Beschreibung
der _Tour du Travail_ nicht überflüssig erscheinen dürfte. Ich halte
mich an das erwähnte Gipsmodell, das im Musée Rodin in Meudon zu sehen
ist.

Auf einem viereckigen, ziemlich geräumigen Unterbau erhebt sich ein
runder Turm. Seine offenen Arkaden lassen einen Moment an den Pisaner
Campanile denken; aber die Bogen stehen hier nicht zu Stockwerken
geordnet übereinander; sie winden sich als spiraliges Band nach oben,
wo der Gürtel eines plastischen Gesimses sie zusammenhält. Den Abschluß
des Ganzen bildet eine Gruppe von zwei geflügelten Figuren, die auf der
vom Gesimse eingeschlossenen Plattform ruhen. Der Unterbau wird einen
fensterlosen viereckigen Saal enthalten, eine Art Krypta, aus deren
Wänden, in Basrelief, Darstellungen unterirdischer und unterseeischer
Arbeiten, Bergleute und Taucher, bei elektrischer Beleuchtung
hervortreten sollen. Vor dem etwas zurückliegenden Eingang zu diesem
Räume stehen zu beiden Seiten, das Untergeschoß überragend, die
Statuen des Tages und der Nacht, architektonisch in die Treppenanlage
eingefügt, die den Aufgang zur Terrasse des Unterbaus vermittelt. Von
da aus betritt man den Turm. Er besteht aus einer massigen Säule, an
welcher in sanftem Anstieg die Wendeltreppe entlangführt, die nach
außen von den Arkaden eingeschlossen ist. Durch diese fällt reichliches
Licht auf die gegenüberliegenden Reliefs, die, die Oberfläche der Säule
belebend, die Treppe auf ihrem ganzen Wege begleiten. Handwerk aus
Handwerk entrollt sich hier, Zimmerleute, Maurer, Schmiede--Gewerbe
aus Gewerbe, wie von einer einzigen riesigen Bewegung hingerissen
und hinauf. Das Band, das die Spirale an ihrem Ende schließlich
von außen zusammen-nimmt, trägt die Bilder des Tierkreises, die
wiederholen sollen, was schon die Statuen des Tages und der Nacht am
Fuße des Denkmals andeuten: daß alles das ununterbrochen am Werke ist
und im Steigen auf die Genien zu, die sich aus den Himmeln segnend
niederlassen, von der Fülle der wirkenden Kräfte wie von einem Anruf
angezogen. Unten am Turme sind noch zwei Steinreliefs wie Grabtafeln
eingemauert, die an Herakles und Hephaistos erinnern, die heroischen
Ahnherren menschlicher Arbeit.

Die anderen dargestellten Figuren tragen die Kleidung unserer Zeit; der
Stil des Bauwerks, im ganzen und im einzelnen (Arkaden, Türen usw.),
schließt sich an die Formen der französischen Renaissance an.

(1919.) Es wird nicht der Tod Rodins gewesen sein, der die Ausführung
dieses großen Projekts verhindert hat. Das Fehlen von Auftraggebern
und von gleichgerichteten Mitarbeitern war seiner Verwirklichung von
vornherein ungünstig. Dagegen scheint die Porte de l'Enfer, dieses
größte Gebirg seiner Schöpfung, das dem Meister jahrzehntelang als
Steinbruch von Ideen gedient hat, in einem neuen Aufbau letzter Hand
auf die Bronze zu warten. Das "Monument à Whistler" ist, wie man hört,
fertig für den Guß, der für das Pantheon bestimmte aufrechte Victor
Hugo harrt seiner Übertragung in den Marmor, und auch das Denkmal für
Puvis de Chavannes soll, unter Despiaus Mitarbeit, noch zum Abschluß
gekommen sein. Die lange Reihe der Porträts setzt sich in drei
bedeutenden Werken fort: der Büste Clemenceaus, die schon im Jahre 1913
begonnen worden war, dem Papstbildnis von 1915 und dem Porträt des
Handelsministers Clémentel, Rodins letzter Arbeit. Mit dem Tode Rodins
hat der Staat seine gewaltige Erbschaft angetreten: das schöne "Hôtel
de Biron" umfaßt, als "Musée Rodin", seinen gesamten künstlerischen
Nachlaß, einschließlich der reichen Sammlungen. Durch diese Einrichtung
ist auch dem fragmentarisch Zurückgebliebenen der Anschluß an das
überlebende Werk dauernd gesichert.


    1. SARGENT: BILDNIS RODINS
    2. DER MANN MIT DER GEBROCHENEN NASE
    3. BÜSTE IN TERRACOTTA (nach dem Mann mit der gebrochenen
         Nase für den Handel angefertigt)
    4. DAS EHERNE ZEITALTER
    5. DAS EHERNE ZEITALTER (Kopf)
    6. JOHANNES DER TÄUFER
    7. DIE BÜRGER VON CALAIS
    8. DIE BÜRGER VON CALAIS
    9. EINER DER BÜRGER v. CALAIS
    10. EINER DER BÜRGER VON CALAIS
    11. APOLLO (Sockel des Denkmals Sarmiento)
    12. DER GENIUS DES KRIEGES (Défense nationale)
    13. SOCKEL FÜR DAS DENKMAL FÜR CLAUDE LORRAIN (Nancy)
    14. DENKMAL BASTIEN-LEPAGE
    15. DENKMAL BASTIEN-LEPAGE
    16. DER GEDANKE
    17. DIE DANAIDE
    18. DER KUSS
    19. DER EWIGE FRÜHLING
    20. DER EWIGE FRÜHLING
    21. L'ÉTERNEL IDOLE
    22. EVA
    23. EVA
    24. FUGIT AMOR
    25. DIE KENTAURIN (Seele und Körper)
    26. FAUNIN
    27. GRUPPE MIT FAUN
    28. FAUN UND FAUNIN
    29. VERZWEIFLUNG
    30. LA VIEILLE HÉAULMIÈRE
    31. LA VIEILLE HÉAULMIÈRE
    32. DER ABGRUND
    33. DER VERLORENE SOHN
    34. GRUPPE (Marmor)
    35. BRUDER UND SCHWESTER
    36. HAND
    37. HAND
    38. L'EMPRISE
    39. DIE ERDE
    40. DER DENKER (Ursprünglicher Platz innerhalb der Höllenpforte)
    41. DER DENKER (Vor dem Pantheon)
    42. DIE WEINENDE
    43. ENTWURF EINES DENKMALS FÜR VICTOR HUGO
    44. ENTWURF EINES DENKMALS FÜR VICTOR HUGO (Mit der inneren
         Stimme und dem Genius des Ruhms)
    45. ENTWURF EINES DENKMALS FÜR VICTOR HUGO MIT DEM GENIUS DES RUHMS
    46. DIE INNERE STIMME (Fragment des Denkmals für Victor Hugo)
    47. DER GENIUS DES RUHMS (Vom Denkmal für Victor Hugo)
    48. PORTRÄT-BÜSTE
    49. BÜSTE (Jean-Paul Laurens)
    50. BÜSTE (Dalou)
    51. BÜSTE (Madame Rodin)
    52. BÜSTE (Madame R.) (Silber)
    53. MASKE IN BRONZE
    54. PORTRÄT-BÜSTE (Frau von Goloubeff)
    55. BÜSTE (Gustave Geffroy)
    56. GUSTAV MAHLER
    57. BALZAC (Kopf)
    58. BALZAC
    59. BALZAC
    60. BALZAC
    61. AKTSTUDIE FÜR DEN BALZAC
    62. DER TOD (DIE AUFERSTEHUNG) DES DICHTERS
    63. GRABDENKMAL
    64. DENKMAL WHISTLER
    65. ENTWURF FÜR DEN TURM DER ARBEIT
    66. GENIEN (Vom Turm der Arbeit)
    67. SKIZZE (Gips)
    68. DER AKROBAT
    69--73. TORSO
    74. SKIZZE (Gips)
    75. KOPF EINES DER BÜRGER VON CALAIS (Gips)
    76. DER SCHREITENDE
    77. DER SCHREITENDE
    78. ENTWURF FÜR EIN GRABDENKMAL
    79. L'AIGLON
    80. POMONA
    81. LITHOGRAPHIE
    82--96. HANDZEICHNUNGEN



Die Auswahl der Abbildungen ist in Gemeinschaft mit Rodin erfolgt. Die
Abbildungen 75, 78--80 sind dem Werke: Judith Cladel, Auguste Rodin,
G. van Oest _&_ Cie., Brüssel 1908, entnommen. Die Abbildungen 58,
81 und 89--93 entstammen dem Camera-Work, Heft 34 und 35, 1911; der
Verlag schuldet dem Herausgeber, Herrn Alfred Stieglitz, und Herrn
Eduard J. Steichen, von dem die photographische Aufnahme des Balzac
herrührt, aufrichtigen Dank. Die übrigen Abbildungen wurden nach
den Originalzeichnungen von Rodin und nach Photographien von J. E.
Bulloz, E. Druet und Giraudon, Paris, und solchen aus Rodins Besitz
wiedergegeben.




ABBILDUNGEN


1. SARGENT: BILDNIS RODINS

2. DER MANN MIT DER GEBROCHENEN NASE

3. BÜSTE IN TERRACOTTA (NACH DEM MANN MIT DER GEBROCHENEN NASE FÜR
   DEN HANDEL ANGEFERTIGT)

4. DAS EHERNE ZEITALTER

5. DAS EHERNE ZEITALTER (KOPF)

6. JOHANNES DER TÄUFER

7. DIE BÜRGER VON CALAIS

8. DIE BÜRGER VON CALAIS

9. EINER DER BÜRGER VON CALAIS

10. EINER DER BÜRGER VON CALAIS

11. APOLLO (SOCKEL DES DENKMALS SARMIENTO)

12. DER GENIUS DES KRIEGES (DEFENSE NATIONALE)

13. SOCKEL FÜR DAS DENKMAL FÜR CLAUDE LORRAIN (NANCY)

14. DENKMAL BASTIEN-LEPAGE

15. DENKMAL BASTIEN-LEPAGE

16. DER GEDANKE

17. DIE DANAÏDE

18. DER KUSS

19. DER EWIGE FRÜHLING

20. DER EWIGE FRÜHLING

21. L'ÉTERNEL IDOLE

22. EVA

23. EVA

24. FUGIT AMOR

25. DIE KENTAURIN (SEELE UND KÖRPER)

26. FAUNIN

27. GRUPPE MIT FAUN

28. FAUN UND FAUNIN

29. VERZWEIFLUNG

30. LA VIEILLE HÉAULMIÈRE

31. LA VIEILLE HÉAULMIÈRE

32. DER ABGRUND

33. DER VERLORENE SOHN

34. GRUPPE (MARMOR)

35. BRUDER UND SCHWESTER

36. HAND

37. HAND

38. L'EMPRISE

39. DIE ERDE

40. DER DENKER (URSPRÜNGLICHER PLATZ INNERHALB DER HÖLLENPFORTE)

41. DER DENKER (VOR DEM PANTHEON)

42. DIE WEINENDE

43. ENTWURF EINES DENKMALS FÜR VICTOR HUGO

44. ENTWURF EINES DENKMALS FÜR VICTOR HUGO MIT DER
INNEREN STIMME UND DEM GENIUS DES RUHMS

45. ENTWURF EINES DENKMALS FÜR VICTOR HUGO MIT DEM GENIUS DES RUHMS

46. DIE INNERE STIMME (FRAGMENT DES DENKMALS FÜR VICTOR HUGO)

47. DER GENIUS DES RUHMS (VOM DENKMAL FÜR VICTOR HUGO)

48. PORTRÄT-BÜSTE

49. BÜSTE (JEAN-PAUL LAURENS)

50. BÜSTE (DALOU)

51. BÜSTE (MADAME RODIN)

52. BÜSTE (MADAME R.) (SILBER)

53. MASKE IN BRONZE

54. PORTRÄT-BÜSTE (FRAU VON GOLOUBEFF)

55. BÜSTE (GUSTAV GEFFROY) (BRONZE)

56. GUSTAV MAHLER

57. BALZAC (KOPF)

58. BALZAC

59. BALZAC

60. BALZAC

61. AKTSTUDIE FÜR DEN BALZAC

62. DER TOD (DIE AUFERSTEHUNG) DES DICHTERS

63. GRABDENKMAL

64. DENKMAL WHISTLER

65. ENTWURF FÜR DEN TURM DER ARBEIT

66. GENIEN (VOM TURM DER ARBEIT)

67. SKIZZE (GIPS)

68. DER AKROBAT

69. TORSO

70. TORSO

71. TORSO

72. TORSO

73. TORSO

74. SKIZZE (GIPS)

75. KOPF EINES DER BÜRGER VON CALAIS (GIPS)

76. DER SCHREITENDE

77. DER SCHREITENDE

78. ENTWURF FÜR EIN GRABDENKMAL

79. L'AIGLON

80. POMONA

81. LITHOGRAPHIE

82. HANDZEICHNUNG

83. HANDZEICHNUNG

84. HANDZEICHNUNG

85. HANDZEICHNUNG (TÄNZERIN AUS CAMBODJA)

86. HANDZEICHNUNG (TÄNZERIN AUS CAMBODJA)

87. HANDZEICHNUNG

88. HANDZEICHNUNG (KÖNIG SISSOWATH)

89. HANDZEICHNUNG

90. HANDZEICHNUNG

91. HANDZEICHNUNG

92. HANDZEICHNUNG

93. HANDZEICHNUNG

94. HANDZEICHNUNG

95. HANDZEICHNUNG

96. HANDZEICHNUNG






End of the Project Gutenberg EBook of Auguste Rodin, by Rainer Maria Rilke

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK AUGUSTE RODIN ***

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work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
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Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
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status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
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considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
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